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31 N°- 14/15
Das Magazin des Instituts für Theorie

Die The
Figur Figure
der of
Zwei Two

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Vieles beginnt mit einem Ein-fall (es war einmal …), so auch, 31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
was vorliegend zur Debatte steht. Und doch nicht ganz, denn
es begann eher zwie- und vielfältig in seiner Erö≠nung, was Jörg Huber

Editorial
gleich Fragen auslöste: Findet das Entscheidende einzig
«oberhalb oder unterhalb» der Zwei statt, beim Einen und
Einzelnen und/oder den Vielen? Oder «gibt» es die Eins gar
nicht, da alles stets mit der Zwei beginnt, unhintergehbar als
Zweiheit und in einem Dazwischen? Ist die Zwei als eine
Figur präzis und entschieden fassbar oder weist sie immer
auch über sich hinaus auf eine vorgängige Eins oder, als eine
Ö≠nung, auf die Drei und das Mehrere, das Unzählbare gar?
Man könnte dieses Fragen fortsetzen. Die Figur der
Zwei, Thema einer Vortragsreihe, die vom ith in Zusammen-
arbeit mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität
Zürich durchgeführt wurde und, umfassender ausgebaut, in
der vorliegenden Ausgabe von vor- und zur Diskussion
gestellt wird – diese Figur erweist sich als eine äusserst ver-
trackte und listige Konstellation, die wir hier als ein spezifi-
sches Dispositiv des Ästhetischen verstehen.1 Als ein, folg-
lich, Regime der Kunst und des Politischen (komplexe Zwei-
heit auch hier!) exponiert diese Figur, beispielhaft, einerseits
bildtheoretische Fragen: Geschlossenheit und O≠enheit des
Bildes, Spiegelungen, Serialisierung, Symmetrien und Spal-
tungen, Wiederholung und Re-Präsentation etc., anderer-
seits ein Feld der Subjekttheorien: Fragen des Selbst und der
Selbst-Bestimmung, der Individuation und der Figuren der
Alterität, der Inklusion und Exklusion. Sie weist damit, im
Weiteren, einerseits auf das Terrain des Philosophischen: auf
Fragen nach dem Anfang, der Zeitlichkeit und der Räum-
lichkeit, und führt somit, andererseits, in das Reich mathe-
matischer Topologien. Weitere Verzweigungen und Verweis­
ungen könnten hier nicht verfolgt werden; sie sind im Heft
5 exponiert.
Die Figur der Zwei manifestiert sich als Figur der Kreuzungen,
Übergänge und Schnittstellen, als Dispositiv theoretischer Reflexion
und ästhetischer Praxis und als Konstellation der Versammlung und
Exposition von Diskursen der Kunsttheorie und des Politischen – und
damit der Theorie des Ästhetischen, wie sie das ith seit Jahren entwi-
ckelt. Die Arbeit an Begri≠en der Kontingenz und des Imaginären, an
einer Ästhetik der Kritik und der Partizipation; Forschungsprojekte zu
Problemstellungen der Migration, der Selbst-Brandings von Individu-
en und Kollektiven, der Wahrnehmung und Konstruktion des Eigenen
und des Fremden, der Narratologie und der Neuen Medien sowie der
Bildtheorien; Diskurs­projekte zu Figuren der Gemeinschaft, der reprä-
sentativen Gewalt sowie der Neubewertung poststrukuralistischer
Theorien sind einige Beispiele aus dieser Theorie-Werkstatt. Das Dis-
positiv der Figur der Zwei schliesst auf ideale Weise an diese Topogra-
phie an und ermöglicht es, Zuspitzungen und Schärfungen vorzuneh-
men und neue Perspektiven zu erö≠nen. Wichtig ist uns vor diesem
Hintergrund zudem, entsprechend der ith-Devise, dass die Theorie der
Ästhetik sich auch als Ästhetik der Theorie versteht, Verbindungen und
Vermittlungen von Theoriefragen, künstlerischer Praxis und, hier neu,
Literatur, zu erproben, was in diesem erneut und explizit Prinzip ist.
Mein Dank für diese komplexe Intervention geht an die Projektver­
antwortlichen Stefan Neuner, Julia Gelshorn, Markus Klammer und
Florian Neuner, an die AutorInnen für die Bereitschaft, an unserem Pro-
jekt mitzuwirken, sowie an Philip Ursprung für die kollegiale Zusam-
menarbeit. Der Camille Graeser Stiftung sei für die grosszügige Unter-
stützung des Projekts gedankt und der Dieter Roth Foundation, Ham-
burg, für die Reproduktionen der unverö≠entlichten Zeichnungen.

1 - Auf Audiodateien der Vorträge sowie vergriffene


­Heftnummern von kann online zugegriffen werden unter:
http://www.ith-z.ch/
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31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
welche im Zentrum von Mladen Dolars
Beitrag für die letzte Ausgabe dieses
Julia Gelshorn Heftes stand.4 Eine Fussnote in diesem
Markus Klammer Text führte uns schliesslich zu jenem
Florian Neuner Buch, in dem wir ein Stichwort fanden,
Stefan Neuner das uns geeignet schien als konzeptuel-

Vorwort
le Brücke zwischen der Zweiheit als for-
malem Phänomen und als theoreti-
schem Modell. Denn als Figur der Zwei
spricht Alenka Zupančič jenes Denk-
motiv an, das sie in The Shortest Sha-
dow in der Philosophie Friedrich Nietz-
sches verfolgt.5 Wäre der «H-E-Kopf»
nicht eine eindringliche «Figur» jener
«Philosophie der Zwei»? Und steckt im
Wort «Figur», wenn wir seine lateini-
Am Anfang dieses Projekts stand ein sche Etymologie ( figura: Gebilde,
lang gehegtes Interesse an einem ganz Gestalt, Gepräge, Form, Figur, Bild,
bestimmten Typus von Bildern, die eine Erscheinung, aber auch Wendung und
gespaltene Struktur aufweisen, wie es Redefigur) mitdenken und es zusam-
etwa Kippbilder tun, und die in der men mit seinem englischen Double
modernen und zeitgenössischen Kunst «figure» (Figur, Gestalt, Bild, Abbil-
eine nicht unwesentliche Rolle spielen.1 dung, Muster, sowie Symbol, Zi≠er,
Ein Fall ist der berühmte «H-E-Kopf» Redefigur) nehmen, nicht eine Polyse-
(«Hasen-Enten-Kopf»), den Ludwig mie (eben auch im Modus eines seman-
Wittgenstein in den Philosophischen tischen «Kippens»), die von sich aus
Untersuchungen als Beispiel heran- auf jene Übergänge zwischen der Arbeit
zieht, um verschiedene Fragen, die mit mit und an Wörtern zu jener mit und
dem Sehen zusammenhängen, zu dis- an Bildern hinführt, um die es uns in
kutieren und vor allem die Vorstellung, diesem Magazin zu tun ist? D. h.: Impli-
das Sehen sei ein einfacher, identifizie- ziert die Wendung der Figur der Zwei /
render Vorgang, zu problematisieren.2 The Figure of Two nicht schon eine
7 So einfach die Linienzeichnung auch ist, als die «The­o­rie», die sich ebenso formal wie diskursiv manifestiert und auf
Wittgenstein diesen Kopf wiedergibt, in der Wahr- beiden Ebenen produziert wird?
nehmung zerfällt sie in zwei «Aspekte», die nie- Das Magazin war stets als Plattform konzipiert, auf der es zu
mals in einem Akt des Sehens zusammenfinden Begegnungen von akademischem Diskurs und künstlerischer Produk-
können. Entweder sehen wir die Zeichnung als tion kommen soll. Unser neues Team ist mit dem Vorsatz angetreten,
Hasen- oder als Entenkopf, weder aber ist es mög- diese Akzentuierung noch weiter zu verstärken, aber nicht im Modus
lich, sie als beides zugleich, noch sie schlicht «neu- einer Vermischung, sondern im präzisen Sinne als eine Figur der Zwei:
tral» wahrzunehmen, ohne sie schon auf einen der als ein Zusammenspiel gleichursprünglicher, sich in ihrer Unterschei-
beiden «Aspekte» festzulegen. Wir können die dung berührender Praktiken. Das hiess für uns, in der Vorbereitung
beiden Bilder, in die sich der «H-E-Kopf» aufspal- dieses Heftes eine Situation zu scha≠en, in der die vertraute Ordnung,
tet, gewissermassen nicht abzählen. Sie stehen welche die «theoretische Reflexion» auf einen primären und «intuiti-
uns nicht nebeneinander vor Augen, sondern ven» Akt «künstlerischer Produktion» folgen lässt, aufgehoben ist.
immer nur einzeln, aber so, dass sie jederzeit im Stattdessen sollten ein Thema und sein Problemzusammenhang von
Auftauchen des zweiten Bildes verschwinden kön- beiden Seiten her gleichzeitig angegangen werden – verstehen wir doch
nen. Es ist, als ob ein – als solches nicht sichtbares «Theorie» nicht als akademisches Betätigungsfeld, sondern als Brü-
– Scharnier sich irgendwo in dieser simplen Zeich- ckenkopf und Schnittstelle nicht nur zwischen Kunst und Philosophie,
nung verberge, an dem sich ihre Oberfläche wie sondern auch zwischen den Künsten und den verschiedenen akademi-
der Flügel eines Altars, den man von vorne und schen Disziplinen. In diesem Sinne sollte am Anfang dieses Projekts
hinten betrachten kann, einmal nach rechts (wenn nicht ein Konzeptpapier mit universitären Adressaten stehen und am
wir den «Hasen» sehen) und einmal nach links Ende nicht eine Publikation, in der «passende» künstlerische Beiträge
(wenn die «Ente» auftaucht) wendete. Doch blei- den Diskurs lediglich illustrieren. Vielmehr haben wir ein Exposé ver-
ben die Linien, auf denen dieses phänomenale fasst (es ist auf den nachfolgenden Seiten wiedergegeben), das wir glei-
Schwanken «ruht», immer dieselben. Wir haben chermassen an Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler verschickt
es wohl mit der «minimalsten» Di≠erenz, die sich haben. Es entfaltet auf abstraktem Niveau eine Fragestellung, die sich
im Bereich des Bildlichen denken lässt, zu tun, sowohl auf konkrete formale wie auch auf diskursive Probleme bezieht.
minimaler noch als die zwischen Figur und Grund, So ist es gelungen, einen Arbeitsprozess anzustossen, bei dem eine The-
eine Di≠erenz, die sich in einer handfesten mate- orie der Zwei in der doppelten Perspektive von künstlerischer und aka-
riellen Identität, die sie letztlich in die Luft sprengt, demischer Produktion entwickelt werden konnte. Wir freuen uns, dass
«verbirgt».3 wir für die aktuelle Ausgabe von mit Bettina Carl, Zsuzsanna Gah-
Auf der anderen Seite gab es die Überle- se, Barbara Köhler, Jürgen Link, Pamela Rosenkranz, Vittorio Santoro
gung, theoretischen Figuren Jacques Lacans wei- und Christian Steinbacher Künstler und Schriftsteller gewinnen konn-
ter nachzugehen, die irreduzible duale Beziehun- ten, die, von unserem Exposé ausgehend, Arbeiten und Beiträge eigens
gen denken, wie jene des topologischen «Schnitts», für dieses Heft gescha≠en haben.
• S. 25–30 • S. 31–39 • S. 52–63
Zwei Beiträge dieses Heftes gehen – aus Vor einem ganz anderen, nämlich bild- Von genau dieser «Zwiefalt» sind auch
philosophischer und kunstkritischer ästhetischen Hintergrund kommt es in Dieter Roths Beidhandzeichnungen
Perspektive – der von uns aufgeworfe- der Malerei Caravaggios zu einer ähn­ gekennzeichnet, die wir hier in einer
nen Frage nach der Zwei als Figur lichen Bewegung der Übertretung der bisher unverö≠entlichten Auswahl prä-
unmittelbar nach. Richard Heinrich Einheit; dies auf doppelter Ebene, sentieren. Ähnlich wie Caravaggio
verortet sie im Spannungsfeld zwischen einerseits auf derjenigen der Bildkom- arbeitet Roth an der Aufspaltung der
der Tradition des metaphysischen Den- position als Einheitsstruktur, anderer- menschlichen Figur und setzt ein wei-
kens und der radikalen Di≠erenz­ seits auf derjenigen des primären teres Mal bei ihrer Symmetrie an. Die
philosophie von Gilles Deleuze. Erste- Gegenstandes der Malerei, der mensch- besondere Radikalität seines Verfah-
res vertritt Aristoteles, der in der Einlei- lichen Gestalt. Wolfram Pichler weist rens besteht nun darin, den eigenen
tung seiner Physik mit dem Gegensatz auf die aufspaltende Kraft hin, die Sym- Körper gleichsam zum Medium dieser
(es geht um die Veränderung zwischen metrie- und Paarbildung bei Caravag- Zerteilung werden zu lassen und den
gegensätzlichen Zuständen wie «weiss» gio entwickeln, als brächte sie der Maler Zeichenakt selbst zu ihrem Schauplatz.
und «nicht-weiss») ein Prinzip ein- durch einen Schnitt hervor, der eine Indem er mit beiden Händen zu Werke
führt, das eine genuine Zweiheit zu ver- Verbindung scha≠t, indem er trennt geht, führt er eine (körperliche) Dif­
körpern scheint. Trotzdem wird diese und entzweit. So tre≠en wir auf Gemäl- ferenz in die Zeichnung ein, welche die-
Zweiheit dort in einer doppelten Rich- de (wie die Ruhe auf der Flucht nach se Kunst normalerweise zu überspielen
tung auf Einheit hin reduziert: auf der Ägypten oder den Ungläubigen Tho- trachtet: jene zwischen den unter-
einen Seite, weil Aristoteles mit der mas), deren symmetrische Anlage, schiedlichen Fertigkeiten der linken
«Materie» (ὕλη) eine wesenhafte «Sub­ anders als man dies gewohnt ist, weni- und rechten Hand, zwischen «linkisch»
stanz» (οὐσία) annimmt, die unwandel- ger Zusammenhalt und kompositori- und «richtig». Im gleichen Zuge aber
bar der Veränderung ­z wischen den sche Abrundung stiftet, als dem Bild geschieht dies nur, wie Ralph Ubl erläu-
Polen des Gegensatzes zugrunde liegt. die Struktur eines «latenten Dipty- tert, um die Hierarchie zwischen den
Zum anderen wird der Gegensatz selbst chons» zu verleihen. Genau diese Zwie- Körperhälften und den «kultu­rellen
als Einheit bestimmt, und zwar als phy- spältigkeit sieht Caravaggio auch in den Werten», die sie implizieren, um­kehrbar
sikalischer Grundbegri≠ der «Form» Symmetrien der menschlichen Figur: werden zu lassen: Die Beidhandzeich-
(μορφή). Eben dieser gedankliche Schritt wenn etwa die Zusammengehörigkeit nungen sind zugleich mechanisch wie
– die Reduktion auf eine begrif­fliche der Körperglieder fraglich wird oder virtuos und werden von Körpern bevöl-
Einheit – bildet den Angri≠s­punkt der wir einem Gesicht begegnen, dessen kert, deren auch obere und untere Sei-
deleuzeschen Kritik, die auf die Emanzi- eine Hälfte schon tot und dessen ande- ten (Haupt und Hintern) verwechsel-
pation uneingeschränkter Vielheit im re noch lebendig zu sein scheint (wie bei bar werden. Die Zwei, so wäre zu schlie-
Denken abhebt: Vielheit wahrhaft zu Judith und Holofernes). Die Zweihei- ssen, ist auch Figur der Reversibilität 8
denken, heisst «begri≠slos» zu denken. ten, die Caravaggios Malerei hervor- und Vermischung und kann (im Sinne
Doch zeigt Heinrich, dass es bei Deleu- treibt, bilden indes keine Figuren im der Topologie) als «nicht-orientiertes
ze neben der Parteinahme für das Sinne einer anschaulichen Paarigkeit: Gefüge» entfaltet werden.
Wuchern der Di≠erenzen und die Stel- Sie sind auf den Punkt der «Zwiefalt»
lung gegen die Eindimensionalität klas- gebracht, die – wie Pichler unterstreicht
sisch-philosophischer Begri≠e auch – nur dann vorliegt, wenn eine Zwei
Überlegungen zu einem Dritten gibt: In durch ein «unzählbares Drittes» kon­
Di≠érence et répétition zitiert Deleuze stituiert wird: einen «Zwischenraum»,
Immanuel Kants Problem der Unter- der – wie das Scharnier eines Dipty-
scheidung zwischen «inkongruenten chons, das weder zum linken noch zum
Gegenstücken» (wie sie in einer spiegel­ rechten Flügel gehört – auf Abstand hält,
symmetrischen Beziehung vorliegt).6 was es verbindet.
Dem Paar der Hände des Menschen
kommt in der Anschauung eine eviden-
te Zusammengehörigkeit zu. Wir haben
den spontanen Eindruck einer wechsel-
seitigen Entsprechung (das Paar bildet
eine symmetrische Figur), aber doch
produziert die Symmetrie eine in geo-
metrischen Begri≠en irreduzible Unter- 1 — Dario Gamboni hat solche Bilder unter dem Stichwort der «Ambiguität»
in einer für das Thema grundlegenden Studie untersucht: Potential Images.
scheidung. Hier verortet Deleuze eine Ambiguity and Indeterminacy in Modern Art, London 2002.
begri≠slose Di≠erenz, die nicht schon 2 — Vgl. Ludwig Wittgenstein, «Philosophische Untersuchungen», in: ders.,
«multiplicité» ist, sondern sich gleich- Werkausgabe, 8 Bde., Frankfurt a. M. 1989, Bd. 1, S. 518ff.
sam an der Grenze zu ihr zeigt: Die 3 — Für einen Überblick über die bildtheoretische Diskussion, die sich an
­Wittgensteins Überlegungen zum «Sehen-als» anschloss, aber in diesem
Zweiheit der beiden Hände ist nicht Heft nicht zum Thema gemacht wird, vgl. Patrick Maynard, «Seeing Double»,
rückführbar auf die Eins des Begri≠s, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism, 52/2, 1994, S. 155–167.
zugleich aber handelt es sich bei ihr 4 — Vgl. Mladen Dolar, «Touching Ground», in: «31». Das Magazin des Instituts
auch nicht um eine erste Stufe der Viel- für Theorie, 12/13, 2008, S. 59–70.
heit, kommt ihr doch zugleich eine 5 — Alenka Zupančič, The Shortest Shadow. Nietzsche’s Philosophy of the Two,
Cambridge (Mass.) / London 2003, S. 13.
spezifisch anschauliche Einheit zu, die
6 — Vgl. genauer zu Kants Problem der «inkongruenten Gegenstücke» in
man als figürliche ansprechen kann. ­diesem Heft: Markus Klammer / Stefan Neuner, «Die Figur der Zwei. Exposé /
The Figure of Two. Exposé», S. 17f.
• S. 105–111 • S. 119–125
Die Frage der rechten Orientierung steht auch im Santoros reversible Diptychen finden in Ausstellungsräumen ihr logi-
Mittelpunkt des Beitrags von Vittorio Santoro. sches Milieu an Orten der Richtungsänderung (wie in einer Raum­
Drei Bildpaare stehen laut Titel In Conflict with ecke), oder nötigen den Beschauer, sich selber umzuwenden, wenn sie
Static Conditions. Die ersten beiden beruhen auf (wie How can I / Make it right, March–August 2005) an zwei gegen-
einem photographischen Bildverfahren, das dritte überliegenden Wänden angebracht werden. Ihre Transposition auf die
auf einem zeichnerischen. Im ersten Fall ist es das Seiten dieses Magazins reflektiert die ganz und gar unstatischen Kon-
Verfahren an sich, im zweiten seine besondere ditionen, die mit der Ausstellungsfläche eines beidseits bedruckten
Handhabung, die jene «statischen Bedingungen» Blattes gegeben sind, dessen Bestimmung es schliesslich ist, seine
mit sich bringen, mit denen Santoro den «Konflikt» räumliche Orientierung in der Hand eines Lesers beliebig oft zu verän-
sucht. Das Bild zweier Knaben, die sich in Startpo- dern. Eine Auseinandersetzung mit der Struktur dieses eigentümlichen
sition für einen Wettlauf begeben haben und wohl Ausstellungsraumes findet auch in Bettina Carls für dieses Heft
gespannt auf das Signal warten, das sie im nächs- gescha≠ener Bildserie statt. Das Verfahren der Künstlerin folgt einem
ten Augenblick hochschnellen lassen wird (Plate metonymischen Prinzip. Ihre Bilder und Bildreihen gehen aus einem
(Kids)), führt uns deutlich vor Augen, dass der Gestaltungsprozess hervor, der keinem vorab entschiedenen Plan folgt.
Schnitt ins Zeitkontinuum, den die Photographie Am Anfang steht meist ein einzelnes Motiv oder auch nur eine bestimm-
herstellt, ihre Motive in dem Moment, in dem sie te malerische oder graphische Markierung, andererseits auch Schrift
abgelichtet werden, gleichsam einfriert. Diese bild- und sprachliches Material, die in einer o≠en assoziativen Weise fortent-
technische «Bedingung» korrespondiert hier aber wickelt, ausgebaut, umgekehrt, semantisch verschoben, in Übergängen
auch mit einer sozialen, die nicht minder unbeweg- vom Malen zum Zeichnen in andere pikturale Aggregatzustände ver-
lich ist. Scheint doch der Akt des Bildermachens setzt werden und dabei oft mehrere Male zwischen abstrakten und
selbst, dessen Ergebnis wir vor Augen haben, in der figurativen Formen wie auch zwischen Bild und Schrift hin und her-
Starre der sozialen Konvention befangen zu sein, wechseln. Wenn Carl auf einem Blatt zu arbeiten beginnt, dann kann
dass Eltern die Freizeitbeschäftigung ihrer Kinder das Bildgeschehen sich über mehrere Blätter ausdehnen, die sich dann
festhalten; und zwar eine Beschäftigung, die in die- entweder zu einem grösseren Format zusammensetzen oder aber auch
sem Fall – die Einübung einer von den Massenme- als Reihe stehen bleiben, deren genaue Anordnung oder sogar Zusam-
dien vorgestanzten Pose – ein weiteres Mal einer mengehörigkeit nicht abschliessend entschieden ist. Doch sind diese
Julia
Konvention folgt. Dass das konfligierende Moment, Reihen nicht homogen im arithmetischen Sinne, nicht einfach beliebig
Gelshorn
Markus
das Santoros Arbeiten erzeugen, aber nicht darin erweiterbare Serien. Vielmehr kristallisieren sich Bildgruppen, die
Klammer
Florian besteht, aus den kulturellen Passformen, die über- aber dennoch nicht mit der Notwendigkeit einer Komposition aufein-
Neuner
Stefan all aufgerufen werden, einfach auszuscheren, ander verweisen, sondern in ihrer Verbindung den Abstand wahren.
Neuner
bringt die graphische Methode bei How can Die Struktur der Doppelseite und ihre Abfolge nutzt Carl in ihrem Bei-
9 I / Make it right, March–August 2005 auf den trag als einen Rahmen, der ihrer Arbeitsweise genauso entgegen-
Vorwort
Punkt. Sie bestand nämlich darin, die Zeichen­geste kommt, wie er ihr eine ganz bestimmte Richtung gibt. Das erste Blatt,
ans Gängelband einer Schriftschablone zu legen, das im Original grösser ist als die folgenden fünf, ist ein Einzelbild, in
die Santoro während fünf Monaten Tag für Tag dem das ganze Bündel von Aspekten, die in der Serie ausgesponnen
dazu benutzte, den titelgebenden Fragesatz in zwei werden, sich schon als Knoten schürzt wie es auch Glied in der sich
Teile zerlegt immer von neuem auf dieselben ­beiden anschliessenden Bildkette ist. Das pikturale Gewebe ist dicht geknüpft.
Blätter zu schreiben. Doch zeigt uns diese Arbeit Ein paar Einzelfäden seien herausgezogen. Schwankt das Gebilde auf
o≠enkundig, wie Santoro es zum «Konflikt» mit dem ersten Blatt zwischen einer Auflösung ins Abstrakte und einer
Normen kommen lässt. Seine «verfremdenden Konzentration ins Figürliche, die nur in drei Gliedmassen eindeutig
Taktiken» – wie es im Titel des ersten Bilderpaares wird, so tritt auf dem zweiten Bild klar lesbar der Kopf hinzu, den man
heisst: Defamiliarizing Tactics, Twice – zielen dar- auf dem ersten gesucht hat. Doch gibt das zweite Blatt nicht nur eine
auf, sie gleichsam von innen her umzukehren. Die nachträgliche Ergänzung der Gestalt auf dem ersten, so dass beide eine
Schablone selbst legt es nahe, sie aus der «rechten» Art Paar bilden, auch regt das seltsame Doppelgesicht dazu an, es
lateralen wie vertikalen Orientierung zu drehen, bereits in die Formen auf der linken Heftseite hineinzusehen, aus
was es erlaubt, den Satz, der den Willen zur Unter- denen es formal entwickelt wurde. So haben wir so etwas wie zwei Ver-
werfung unter die gegebenen «Bedingungen» aus- sionen eines Bildes und zugleich eine Art Bilderpaar. Auf der nächsten
zusprechen scheint, in einer Weise aufs Papier zu Doppelseite mutiert der Kopf in einen malerisch vorgeführten, kopf­
bringen, die es letztgültig unmöglich macht, die losen männlichen Torso, auf den in einer scheinbar schro≠en Kontrast-
beiden Bildteile in eine normgemässe Ordnung zu fügung auf Millimeterpapier ein ebenso kopfloser Leib folgt, der mit
bringen. Dasselbe Verfremdungspotential entdeckt einem weiblichen Geschlechtsattribut versehen wurde. Die ­binäre
Santoro auch in der photographischen Technik, die Opposition der Geschlechterdi≠erenz, die solcherart sich andeutet, ist
ihrerseits Umkehrungen mit sich bringt und mög- indessen instabil; die Formen des linken Torsos «weich», die des rech-
lich macht, welche im Ergebnis eines Normabzuges ten «hart» und teils mit dem Lineal gezogen. Und tauchen die Brüste
wieder verschwunden sind. Die Verkehrung ins auf dem zweiten Blatt nicht knapp über der Stelle zwischen den Bei-
Negativ bildet den ersten Ansatzpunkt, die Mög- nen auf, wo man Hoden erwarten könnte? Lässt sich diese Zeichnung,
lichkeit einer lateralen Reorientierung des Nega- die einen Unterleib zeigt, nicht auch als Fortsetzung und Ergänzung
tivs bei der Belichtung den zweiten. Und die Mani- der anderen sehen? Sehen wir einen oder zwei Körper, ein oder zwei
pulation auf beiden Ebenen hat bei Plate (Kids) zu Geschlechter? Die Doppelseite ist bei Bettina Carl, ähnlich wie bei
einem Doppelbild geführt, bei dem – weil es sich als Dieter Roths gefalteten Zeichnungen, eine Struktur, in der die mensch-
das Resultat einer zweifachen Umkehrung ausweist liche Gestalt einem destabilisierenden Vermischungsprozess ausge-
– fraglich, wenn nicht unentscheidbar geworden ist, setzt ist.
welche Seite die «richtige Orientierung» des Bildes,
seinen «originalen» Zustand zu sehen gibt.
• S. 70/71, 84/85, 92/93 • S. 81–91
Die Arbeit, die Pamela Rosenkranz für gestaltet hat, Der Beitrag Mladen Dolars nähert sich dem Problem der
unterbricht ohne weitere Kennzeichnung an drei Stellen des Zwei von einem lacanianischen Standpunkt aus an. Ausge-
Hefts die Folge der übrigen Beiträge. Wir stossen dort auf hend von der etymologischen Di≠erenz im Lateinischen zwi-
Photographien, die Details von Bildoberflächen in grosser schen alius bzw. secundus – als Zweites innerhalb einer Serie
Nahsicht zeigen. Es ist, als wollte uns Rosenkranz an der inti- von Vielen – und alter – als Anderes von Zweien – führt er
men Nähe, welche das Verhältnis eines Künstlers zu seinen eine grundlegende Unterscheidung zwischen einer zählba-
Werken im Atelier kennzeichnet, teilhaben lassen. Wir neh- ren und einer unzählbaren Zwei ein. Während die zählbare
men eine Perspektive ein, die nicht das Ganze – wie es Aus- Zwei den trivialen Fall einer Figur der Zwei darstellt – eine
stellungsbesucher später vor sich haben werden – visiert, son- Stelle in einer Zahlenreihe, eine Menge unter anderen Men-
dern Details, als gelte das Augenmerk der taktilen Ober­ gen –, markiert die unzählbare Zwei für Dolar einen ontolo-
flächenqualität der Bilder, dem Raum der handwerklichen gischen Bruch, der die Zwei als radikal verschieden von der
Verrichtungen, aus denen sie hervorgegangen sind. Diese Eins ausweist und als das hervortreten lässt, was Jacques
bestanden darin, Farbe auf Bögen der New York Times aufzu- Lacan als den «Grossen Anderen» bestimmt hat. Der Grosse
tragen, die dann entlang des vorgegebenen Falz’ zusammen- Andere wird durch einen Gegensatz strukturiert, den Dolar
geklappt wurden, wodurch sich beide Seiten aufeinander als «lacansche Antinomie» fasst. Der erste Satz dieser Anti-
abdrückten und eine beide Seiten umspannende und aufein- nomie lautet: «Es gibt den Grossen Anderen.» Der zweite,
ander beziehende symmetrische Konfiguration entstand. Das entgegengesetzte Satz lautet: «Der Grosse Andere fehlt.»
dünne Zeitungspapier löste sich bei diesem Abklatschprozess Mit anderen Worten: Der grosse Andere existiert nicht in
teils mit der Farbe ab, so dass – im Gegensatz zum «kleckso- der Art von Lebewesen oder Dingen, sondern er macht sich
graphischen» Verfahren, wie Justinus Kerner es übte und wie nur in seinem Fehlen bemerkbar. Aber auch in sich ist der
es auch den Bilder des Rorschachtests zugrunde liegt – nicht Grosse Andere gespalten, in einen sprachlich-symbolischen
einfach eine symmetrische Figur vor neutralem Grund und einen sexuell-biologischen Aspekt. Beide Aspekte des
erzeugt wurde, sondern der Untergrund selbst sich figural Grossen Anderen geben ihrerseits Anlass zu binarisierenden
verdoppelte. Das Zusammen- und Aufklappen einer Doppel- Vereinfachungen, die Dolar nun widerlegt: Wenn der Grosse
seite war die wesentliche bildgenerierende Operation. Im Andere die «Struktur» der Sprache meinte, dann würde es
Grunde ist sie kongruent mit der Handhabung dieses Heftes, naheliegen, diese Struktur, als eine di≠erentielle, unter das
wobei der Künstlerin, nicht anders als es einem Leser passie- Banner der Zählbarkeit einzureihen. Doch nicht die Struk-
ren wird, wenn er beim Blättern in diesem Magazin ihre tur an sich konstituiert den Grossen Anderen, sondern die
Arbeit entdeckt, beim Aufschlagen der Seiten ein überra- unvorhersehbaren Möglichkeiten, «Fehler», Abweichungen
schendes und nicht vorhergesehenes Bild entgegentrat. Einer innerhalb dieser Struktur zu begehen. Wenn der Grosse
solchen Kongruenz des taktilen Nahraums von Produktion Andere andererseits den Sex, den Schnitt, die Sektion der
und Rezeption begegnen wir immer wieder in der Buchkunst Geschlechter meint, dann könnte man darauf verfallen, ihn 10
der Moderne und insbesondere auch in Dieter Roths Publi- als duale Opposition zwischen dem Männlichen und dem
kationen der Beidhandzeichnungen. Rosenkranz jedoch vari- Weiblichen zu verstehen, mit dem Phallus als discrimen.
iert diese Strategie in einem sensiblen Punkt. So nahe liegend Dolar weist aber nach, dass die Psychoanalyse den Schnitt
es auch gewesen wäre, sie bringt den Falz ihrer «Rorschach- der Geschlechtlichkeit schon seit Freud nicht zwischen zwei
bilder» mit dem des Hefts nicht in Übereinstimmung, und Geschlechtern ansetzt, sondern zwischen dem natürlichen,
auch die Ebenen der Bilder und die der Papieroberfläche, auf instinkthaften Bedürfnis (Hunger und Durst), das physiolo-
der sie reproduziert werden, sind angular gegeneinander ver- gisch befriedigt werden kann, und den sexualisierten Trie-
schoben. Auf andere Weise ist auch hier die «rechte» Orien- ben, deren Begehrensstruktur von jedem konkreten Objekt
tierung Thema. Denn die symmetrischen Konfigurationen, und jedem konkreten Befriedigungserlebnis abgekoppelt ist
die das Abklatschverfahren entstehen lässt, implizieren so und damit in den Bereich des Phantasmatischen umschlägt.
stark wie wenige andere Bilder einen frontalen Blickpunkt, Gerade die Überlappung des Triebhaft-Körperlichen und
spiegeln sie doch die bilaterale Symmetrie des Körpers ihrer des Sprachlich-Symbolischen – in ihrer «Denaturierung»,
Beschauer und sind nicht zuletzt deshalb Gegenstand jener ihrer vielfältigen Möglichkeit der Abweichung von Struktur
projektiven Sehakte, die sich der Rorschachtest in psychodia­ einerseits und Biologie andrerseits – macht für Dolar den
gnostischer Absicht zunutze macht. So gewinnt man den Ein- Grossen Anderen aus. Der Text endet mit einer Rückkehr zu
druck, aus dem adäquaten Sichtwinkel der Figuren heraus- den Griechen und der Atomlehre von Demokrit und Lukrez.
gerückt zu sein, ja die Achse des Blicks, den die «Rorschach- In dem clinamen der frühen Atomisten, einem winzigen pri-
bilder» auf sich ziehen, mit dem eigenen Blick zu kreuzen. mordialen Einfluss auf die Bahnen der Atome, der nicht
Oder anders ausgedrückt: Wir sind in eine piktutrale Insze- nichts, aber auch nicht etwas ist und den Demokrit mit dem
nierung versetzt, in der sich die Stelle des Augpunktes aufge- Kunstwort δέν belegt (auf Deutsch etwa: «Ichts»), erkennt
spalten hat. Wir wissen gleichsam von einem «richtigen» Mladen Dolar die «minimale Figur der Zwei»: eine nicht
Betrachtungsstandort, den wir doch nicht einnehmen kön- zählbare Di≠erenz diesseits der Eins. Der Logik seines Tex-
nen. Und diese Entzweiung der Perspektive konterkariert tes folgend, identifiziert er letztere mit dem psychoanalyti-
jene imaginäre Dimension des Bildersehens, die Rosenkranz’ schen Partialobjekt, dem lacanschen kleinen anderen oder
Arbeit nicht nur im Motiv der «Rorschachfiguren» anzuspre- «objet a». Dolars Argumentation verfolgt aber die Spannung
chen scheint. Wenn wir zuerst den Eindruck gewinnen kön- zwischen den beiden Arten der irreduziblen, nicht zählbaren
nen, die Photographien lüden dazu ein, uns in den phänome- Zwei – der absoluten Spaltung und der inneren Di≠erenz –
nalen Raum des Ateliers und in die Perspektive der Künstle- nicht weiter.
rin hineinzuversetzen, so erweisen sich am Ende beide als
ihrerseits gespaltene: Ein Intervall ist eingeschoben zwischen
die Position der Malerin, die die Abklatschbilder hergestellt
und jener der Photographin, die sie aufgenommen hat.
• S. 94–99 • S. 112–118
Gerade diese Spannung aber untersucht Alenka Zupančič Sowohl bei Zupančič als auch bei Dolar wird die Figur der
in ihrem Text The Double and its Relationship to the Real. Zwei ganz wesentlich von der Spaltung, der Wiederholung,
Unter Bezugnahme auf die Schriften des französischen Phi- der Di≠erenz her gedacht. Dabei treten diese Begri≠e beina-
losophen Clément Rosset fasst sie die Figur der Zwei als die he ausschliesslich im Singular auf. Warum das so ist, darü-
des Doppels, das weder eines noch zwei ist. Auch für ber könnte der Beitrag von Ruth Sonderegger Aufschluss
Zupančič liegt die wesentliche Charakteristik der Zwei als geben. Sonderegger nähert sich der Problematik der Zwei
Doppel in ihrer Unzählbarkeit. Ein Doppel legt keine Bezie- unter dem Blickwinkel des Kolonialismus und der «abend-
hung oder Relation zwischen zwei unabhängig voneinander ländischen Gewalt im Aufteilen zwischen dem Eigenen und
bestehenden Entitäten fest, sondern führt vielmehr einen dem Fremden». Sie analysiert zunächst Massimo Cacciaris
fundamentalen Zweifel in die Existenz einer für sich beste- Europamanifest und die fatalistische Selbstauszeichnung
henden, «ursprünglichen» Einheit ein. Indem das Doppel des europäischen Denkens, die darin zu Wort kommt. Dem-
sich als ein Zweites, Identisches präsentiert, spaltet es gegenüber würde dessen gewalttätiges, kolonisierendes Ele-
zugleich die Eins. Ein Doppel, etwa in der notorischen Form ment vorwiegend ausgeblendet werden, so Sonderegger. Mit
des Doppelgängers, erzeugt eine ontologische Unvereinbar- Gayatri Chakravorty Spivak spricht Sonderegger von «Deck-
keit, einen Bruch der Realität: Exakt dieselbe Stelle in der kategorien», die zwar hilfreich sein mögen, die inneren Kri-
Raumzeit oder im sozialen Raum wird von zwei Prätenden- sen des Westens zu analysieren, aber zugleich deren Zusam-
ten beansprucht. Rosset bestimmt laut Zupančič das Reale menhang mit Imperialismus und Kolonialismus verdecken.
als das, was ist, wie es ist. Diese stupide Selbstidentität treibt Die Figur der Zwei kann in diesem Zusammenhang gerade-
die Menschen dazu an, es zu verdoppeln, und bringt sie dazu, zu als eine «Master- oder Meta-Deckkategorie» angespro-
unverbrüchlich an Illusionen zu glauben. Das grösste Skan- chen werden, gibt sie doch unter Titeln wie «Di≠erenz»,
dalon, welches die konstitutive Illusion der Menschen zer- «Unzählbarkeit», «Alterität» und ähnlichem einer – eben
reisst, dass es mehrere Varianten der Wirklichkeit gäbe, nur scheinbaren – Pluralität Raum. Den Hauptteil des Arti-
stellt für Rosset deswegen die eingetro≠ene Prophezeiung kels nimmt eine Auseinandersetzung mit der Theorie der
dar. Nicht ihr Eintre≠en entgegen aller Wahrscheinlichkeit Gleichheit, wie sie der französische Philosoph Jacques Ran-
ist das Erstaunliche, sondern die banale, identitäre Struktur cière entwickelt hat, ein. Gleichheit ist bei Rancière eine Prä-
der Wirklichkeit, die sich in ihm enthüllt. Darauf aufbauend supposition oder notwendige Voraussetzung, wie Sondereg-
Julia
entwickelt Rosset eine Theorie der Liebe, die zwischen rea- ger zeigt. Bevor sie diese Gleichheit nun Punkt für Punkt als
Gelshorn
Markus
ler / wahrer Liebe und leidenschaftlicher «romantischer» Deckkategorie im spivakschen Sinne entlarvt, hebt die Auto-
Klammer
Florian Liebe unterscheidet: Für die leidenschaftliche Liebe ist eine rin durchaus zustimmend zwei Grundzüge der rancière-
Neuner
Stefan phantasmatische Verdoppelung des geliebten Objekts cha- schen Konzeption hervor: Gleichheit kann nicht dekretiert,
Neuner
rakteristisch. Durch diese Verdoppelung werden sowohl das sondern nur aus der Position der Ausgeschlossenen, Unter-
11 geliebte Objekt als auch das phantasierte Objekt auf ewig drückten eingefordert und erstritten werden. Und: Dem
Vorwort
unerreichbar. Die reale / wahre Liebe hingegen besteht für Streit der Ausgeschlossenen, Unterdrückten um Anerken-
Rosset gerade im Zerreissen der phantasmatischen Illusion nung kommt eine prinzipielle Universalität zu. Er steht allen
und in dem darauf folgenden glückhaften Staunen, «dass du o≠en. Jeder muss sich ihm anschliessen können. Nichtsdes-
du bist». Hier setzt Zupančičs Kritik ein: Rosset huldige totrotz erweist sich die quasi-transzendentale Präsupposi­
einem ontologischen Dualismus von Realem und Illusion, tion von Gleichheit als ausgesprochen problematisch: Nicht
den er zugunsten des selbstidentischen Realen aufzulösen alle Ausgegrenzten, besonders jene, die besonders brutal
trachte. Doch auch reale / wahre Liebe würde in einer unterdrückt werden, können für sich selbst sprechen. Nicht
Mischung aus beiden Komponenten bestehen, «preserving immer und überall ist Widerstand möglich. Die Präsupposi-
the transcendence in the very accessibility of the other». tion von Gleichheit ist keine transzendentale Gegebenheit,
Gerade in den jüngsten Schriften Rossets würde dieser Dua- sondern eine historisch-politische Errungenschaft, die immer
lismus Raum greifen, wenn Rosset das Reale als ebenso wieder neu zu verteidigen ist und vielerorts allererst herge-
ursprünglich wie unsichtbar, sich selbst verbergend kenn- stellt werden muss. Selbst Gesellschaften mit di≠erenzierten
zeichne. Aus diesem Argument lässt sich unmittelbar eine Vorstellungen von Gleichheit haben niemals Probleme
Kritik am Konzept des Grossen Anderen, wie es Dolar in gehabt, die Gleichheit auf bestimmte Gruppen einzuschrän-
Anlehnung an die kantischen Aporien präsentiert, herausle- ken und anderen vorzuenthalten. In diesem Zusammenhang
sen. Dementgegen bindet Zupančič das Doppel an die Figur weist Sonderegger auf den europäischen Sklavenhandel hin,
der «Wiederholung desselben». Die Wiederholung dessel- der zu Zeiten Kants und des kategorischen Imperativs eine
ben führt eine minimale Di≠erenz ein, welche die Selbst­ Hochblüte erlebte. So ist die Gleichheitspräsupposition Ran-
identität des «Originals» zerstört. Das Doppel als Wiederho- cières entweder zynisch oder trivial: Nicht jeder, der über
lung desselben oszilliert zwischen Eins und Zwei. In einer den Begri≠ der Gleichheit verfügt, muss auch danach han-
harschen Volte entlang dem rossetschen Paradigma der deln. Darüber hinaus sind Rancières Beispiele allesamt dem
erfüllten Prophezeiung und dem liebenden Erstaunen, «dass europäischen Kontext entnommen, einem Kontext, in dem
du du bist», definiert Zupančič das Reale nun als in sich dop- eine bestimmte faktische Institutionalisierung von Gleich-
pelt und das Doppel als das eigentlich Reale. Gegen ein heit schon vorausgesetzt werden konnte, deren Ausweitung
transzendentales Anderes kantischen Zuschnitts, das den oder Generalisierung es einzufordern galt.
ersten Teil von Dolars Text dominiert, nimmt sie Partei für
Nietzsches Begri≠ des «Mittags»: Mittag als «Augenblick
des kürzesten Schattens» ist für Nietzsche, wie Zupančič
nachweist, keinesfalls die Zeit ohne Schatten, es ist vielmehr
die Zeit, in der der Schatten eines Dings auf dieses selbst
fällt, es selbst als seinen Schatten setzend und um sich selbst
verdoppelnd. Es ist der Augenblick, wo aus Eins Zwei wird.
• S. 99–105 • S. 147–153
Wirft Ruth Sonderegger einen Blick «unter» die Figur der Zwei als Ein arithmetisches Problem anderer Art wirft in
«Meta-Deckkategorie» einer nur vermeintlichen Pluralität, so versucht der Moderne die Frage nach dem Wesen der ein-
Antke Engels Beitrag, die «Unzählbarkeit» der Zwei als politisches zelnen Künste auf. So schien die Entwicklung der
Potential zu erkennen und für die Queer Theory zu nutzen. Indem sie Malerei im vergangenen Jahrhundert ebensowohl
die Figur der Zwei gerade nicht als Paarung versteht, sondern vielmehr auf die Ergründung ihres allgemeinen Wesens
als «ununterscheidbares Drittes», kann Engel sie als Figur der Span- hinzugehen, wie wir auf der anderen Seite ihre
nung und des Aufschubs von Binaritäten und heterosexuellen Normen Ausdi≠erenzierung in eine unvereinbare Vielheit
fruchtbar machen. Erst jenes Dritte, das Engel auch mit der Schreib- sehr spezifischer Praxisformen beobachten kön-
weise eines Unterstrichs markiert, bringt die «Andere_n d_ Anderen» nen; auf der einen Seite die Leitvorstellung der
ins Spiel, so dass die Zwei für die Infragestellung identitärer Entitäten Aufhebung der verschiedenen Malereigattungen
dienlich gemacht werden kann. Es geht demnach aus queer-theoreti- (wie Historie oder Stillleben) in der Abstraktion
scher Perspektive um eine Ö≠nung der heteronormativen Logik von als Malerei an sich, auf der anderen Seite die Ten-
einer additiven Zwei hin zu einer Figur, die als ein «Werden» begri≠en denz zur Spezialisierung auf einzelne Gattungen
wird und die Zwei in der Unentscheidbarkeit von Einheit und Vielheit oder radikaler auf einzelne Motive, die zum
halten kann. Die Zwei ist demnach auch nicht als unterkomplexer Ant- Gegenstand eines ganzen malerischen Œuvres
agonismus zu denken, sondern im Sinne von Theoretikern wie Ernes- werden können. ­Ralph Ubls Beitrag zeigt, dass
to Laclau und Chantal Mou≠e, Judith Butler oder Anna Marie Smith diese charakteristische Unsicherheit in der Zäh-
als Unabschliessbarkeit jeglicher Identität und als Nicht-Harmonisier- lung der Künste weit ins 19. Jahrhundert zurück-
barkeit des Gesellschaftlichen. Insofern steht die Figur der Zwei auch reicht und einen ihrer Ursprünge im Konflikt zwi-
für die Unmöglichkeit der Schliessung und eine unvermeidliche Über- schen zwei Dimensionen der Malerei hatte, die
schreitung, strukturiert durch die Bewegung des Begehrens. Begehren gewissermassen diesseits der Frage nach der Gat-
wäre also nach Engel als eine Kraft zu denken, die – im Sinne von tungsspezifität angesiedelt ist. Es handelt sich um
Deleuze und Félix Guattari – «Fluchtlinien» schlagen kann und durch den Konflikt zwischen einer somatischen und sich
die den symbolischen Ordnungen zu entfliehen sei. Engel schlägt vor, im Nahraum der Ateliertätigkeiten und unmittel-
die Zwei als «Unmenge» zu betrachten, im Sinne einer Ö≠nung der barer Sinneseindrücke entfaltenden Dimension
Zwei über sich hinaus. In diesem Zusammenhang entwickelt Engel die des Malens und einer dezentrierenden Dynamik,
Ausweitung der Zwei in der Figur der «Dritten Seite des Spiegels»: die dort in Gang kommt, wo das Bild sich auf den
Jene Seite wird ebenso ablenkend wie absorbierend und damit als Fernhorizont anonymer Zirkulationsräume hin
Unterbrechung und Aufschub zwischen Spiegel und Gespiegeltem ö≠net. Beide Dimensionen waren noch in Théo-
gedacht. Der daraus entstehende Freiraum soll das Potential der psy- dore Géricaults Grossgemälde Das Floss der
choanalytischen Metapher des Spiegels, dergemäss sich Identifizie- Medusa verflochten und mit dem Anspruch,
rungsprozesse und Subjektkonstitutionen vermittels der reflektierenden Malerei als synthetische Einheit aus beidem her- 12
Kraft des Anderen vollziehen, weitertreiben, hin zur Identifizierung, vorzubringen, verknüpft. Charakteristisch für die
die eine «Andersheit de_ Anderen» an das Selbst herantreten lässt. Mit Moderne ist nun, wie sie im weiteren Werk Géri-
Donna Haraway macht Engel statt der «Reflektion» die «Di≠raktion» caults auseinandertreten – in Gemälden wie Eine
der «Dritten Seite des Spiegels» stark, die einen virtuellen Ort als ein tote Katze, die aus einer Art «Zwiegespräch von
Aufeinandertre≠en der verschiedenen «Andersheiten de_s_r Ande- Körper und Leinwand» hervorgegangen zu sein
ren» im Begehren etabliert. Explizit formuliert Engel dieses theoreti- scheinen, und Bildern wie Eine Gipsbrennerei, die
sche Modell als Forderung nach einer politischen Praxis, in der Anta- sich «den Kräften einer technischen und ökono-
gonismen durch Fluchtlinien zu durchqueren seien, um ein Netz aus mischen Produktion von Wirklichkeit» aussetzen.
Bewegungen zu erzeugen, in dem die unzählbare Zwei als Begegnung Das Gemälde wäre demnach in der Moderne als
und Kluft unschliessbar bliebe. Schauplatz eines Konflikts zu denken, auf dem die
widerstreitenden Aspekte eines Körper- und
Weltbezugs, von Handwerklichkeit und Techni-
sierung, wie ein Nah- und ein Fernraum, Innen
und Aussen sich entzweien und in einem dialekti-
schen Prozess wieder aufeinander bezogen wer-
den, ohne aber je in einer unproblematischen Ein-
heit zusammenzufinden.
• S. 139–146 • S. 40–51
Bei einer ähnlichen Spaltung des bildlichen Victor I. Stoichita diskutiert mit Francisco de Zurbaráns um die Mitte
Raumbezugs setzt auch Ewa Lajer-Burcharth in des 17. Jahrhundert entstandenen Hl. Franziskus aus dem Musée des
ihrem Beitrag an. Der Schauplatz des Konfliktes, Beaux-Arts in Lyon ein Gemälde, das den Zusammenhang der neuzeit-
den das Bild in seinem Verhältnis zu einem sensu- lichen europäischen Malerei mit unserem Thema auf grundlegender
ellen Nahraum einerseits und einem anonymisier- Ebene deutlich werden lässt. Das Sujet an sich gehört noch ganz in den
ten Fernraum andererseits austrägt, ist in Lajer- Kreis spätmittelalterlichen Wunderglaubens: Das Gemälde zeigt den hl.
Burcharths Analyse jedoch nicht länger das Franziskus, nicht wie er auf Erden wandelte und auch nicht wie er in
moderne Gemälde, sondern der Film. Die bel- den Himmel aufgenommen wurde, sondern wie sein Leichnam der
gisch-jüdische Filmemacherin Chantal Akerman Legende nach von Papst Nikolaus V. 1449 in unterirdischen Gewölben
untersucht in ihren Werken immer wieder die der Basilika von Assisi aufgefunden wurde: aufrecht, blutend und mit
dichotomische Struktur von Subjektivität als geö≠neten Augen in seinem Grab stehend. Ein Körper, der weder wirk-
zwiespältiges Verhältnis von Innen und Aussen lich tot noch wirklich lebendig ist, so dass die Grenze des Todes als eine
und repräsentiert dies, indem sie ein häusliches Schwelle figuriert, die nicht einfach zwischen Diesseits und Jenseits
Interieur zu seiner Aussenwelt in Bezug setzt. liegt, sondern keiner der beiden Sphären angehört und doch beiden
Dass Akerman mit dem Interieur als Innen-Raum zugleich. Diese Paradoxie, die in der Thematik von Zubaráns Gemälde
eine Metapher aufgreift, die in die Entstehung des angelegt ist, hat mit dem theoretischen Modell, das wir untersuchen,
bürgerlichen Diskurses um Innerlichkeit zurück- unmittelbar zu tun. Die Grenze, so eine allgemeine Schlussfolgerung, ist
reicht, zeigt Lajer-Burcharth mit Verweis auf eine genuine Figur der Zwei, insofern wir sie nicht als Passage eines all-
Xavier de Maistres Voyage autour de ma chambre mählichen Übergangs von einem Raum in einen anderen verstehen,
von 1790, der das literarische Genre einer imagi- sondern als einen Schnitt im besagten Sinne. Bei Zurbarán sind es nun
nären Reise ins Innere als einer Begegnung mit aber wesentlich neuzeitlich-moderne Darstellungsmittel, die in den
sich selbst etabliert. Akermans 2006 entstande- Dienst der Verbildlichung des Wunders gestellt werden. Als Trompe-
ner Film Là-bas, der einen Kurzaufenthalt der l’œil überträgt das Gemälde die Ungewissheit über die Lebendigkeit des
Künstlerin in Israel dokumentiert, inszeniert die- Körpers auf jene über Illusion und Wirklichkeit und lässt so das Sujet
se Begegnung als (Selbst)Portrait eines Ortes, wel- als eine Grenzerfahrung der Anschauung triftig werden. Die modernen
cher der Künstlerin ebenso eigen wie fremd ist. illusionistischen Darstellungsmittel ganz in den Dienst des Erfahrbar-
Julia
Vom Innern eines durch Akerman angemieteten werdens einer ikonischen Präsenz zu stellen, macht das Bild zu einer
Gelshorn
Markus
Appartments in Tel Aviv erö≠net die Kamera historischen Doppelfigur, in der eine künstlerische Selbstreflexion der
Klammer
Florian durch die Rahmung eines Fensters den Blick auf Malerei über ihre Macht, Totes lebendig erscheinen zu lassen, und die
Neuner
Stefan jene Aussenwelt, die das Interieur ebenso angemessene Repräsentation eines religiösen Sujets ununterscheidbar
Neuner
umschliesst wie sie von ihm abgekoppelt ist. werden. So gehört Zurbaráns Gemälde weder dem Zeitalter der Kunst,
13 Lajer-Burcharth analysiert ausführlich, wie noch dem, was davor lag, eindeutig an. Der religiöse Bildgebrauch stösst
Vorwort
sowohl auf visueller als auch auf akustischer Ebe- an eine Grenze, wo die ästhetische Erfahrung als autonome Erfahrung
ne eine diskontinuierliche Beziehung zwischen sich noch nicht von ihm vollständig abgekoppelt hat. Konsequenterwei-
Innen und Aussen, zwischen dem Kamerablick se zeigt die Geschichte des Gemäldes, wie es an der Wende zum 19. Jahr-
und demjenigen der Künstlerin produziert wird, hundert von einem Konvent bei Lyon in das Kunstmuseum der Stadt
während zudem das Gesehene nie mit dem Gehör- wanderte, die ganze Widersprüchlichkeit dieser Epochenschwelle. Den
ten koinzidiert. Autorschaft und Subjektivität Nonnen, die das Bild besassen und es schon längere Zeit auf den Dach-
werden als Textur kontingenter und instabiler boden verbannt hatten, war es unheimlich geworden, während es als
Beziehungen präsentiert, denn die Topographie Kunst im modernen Sinne ebenso verstörend wirkte.
der Zweiheit, die Akerman entwirft, führt zu einer
ständigen Durchdringung von Innen und Aussen, Wenn das Magazin des Instituts für Theorie jetzt sein Spektrum ver-
ohne dass beide Teile zu einer Einheit finden wür- breitert und neben der Kunst und ihrer Theorie auch literarische Tex-
den. Eine Selbst-Erkenntnis ist in dieser inkon- te präsentiert, dann liegt dem die Au≠assung zugrunde, dass diese
gruenten Doppelung unmöglich; Ort und Famili- Arbeiten dem Diskurs auf ihre Weise eigene Gesichtspunkte, Erzähl-
engeschichte bleiben der Künstlerin ebenso fremd und Sichtweisen beizutragen haben – mithin ebenso wenig wie die
– là-bas – wie ihr mit diesem Ort verkoppeltes auch bislang schon vertretenen Bildwerke als blosse Illustration theo-
«Selbst». Die Membran, an der sich die Durch- retischer Anstrengungen zu werten sind. So wird die Figur der Zwei in
dringung zwischen den vermeintlich geschiede- der Literatur schon materialiter virulent, wenn Autoren in ihr poeti-
nen Räumen des Innern und Aussen abspielt, ist sches Kalkül die Frage der Fassungen, der (Un)Abschliessbar- und
die des Filmbildes: Hier wird die Struktur der Tei- Feststellbarkeit von Werken einbeziehen, wenn sie sich schliesslich der
lung durch einen Schnitt, der ebenso trennt wie Frage der Übersetzungen und der Übersetzbarkeit stellen. Es geht in
verbindet, medial artikuliert. Dass der Film dafür der Literatur aber immer auch ganz konkret um das Zählen und das
das adäquate Medium ist, führt Lajer-Burcharth Aufzählen, ohne das weder das Erzählen zu denken ist noch die Suk-
in der Beo­bachtung aus, dass der Schnitt selbst zession einer Verszeile auf die voranstehende.
hier als ­Verkörperung jener Spaltung eingesetzt
wird: Akerman vermeidet das gängige Schuss-
Gegenschuss-Verfahren und kappt damit die ein-
deutige Korrespondenz jener aufeinander bezoge-
nen Räume. Akermans Filmbild inszeniert diese
Korrespondenz vielmehr als kontingente Berüh-
rung auf einer Membran, die dazwischen liegt und
zugleich durchlässig und unüberwindbar ist.
• S. 64–69 / 72–76 / 77–80 • S. 154–158 • S. 126–130 / 131–138
In Übersetzungen treten Texte in Ver- Unter der Überschrift Di≠erenz und / Jürgen Link überraschte 2008 mit
dopplungen auf, an denen sich Identität oder Wiederholung lässt sich auch die dem Roman Bangemachen gilt nicht
und Abweichung in besonderer Weise oft erbittert geführte Diskussion um auf der Suche nach der Roten Ruhr-
exemplifizieren lassen. Der alte Streit, Fassungen rubrizieren. Heute, da nicht Armee – kein aus der Eitelkeit eines
ob bewusst subjektiven Nachdichtungen nur die Philologie längst von der Chi- Literaturwissenschaftlers geborenes
oder um Objektivität bemühten Über- märe einer zweifelsfrei (re)konstruier- Nebenwerk, sondern ein Buch, das
tragungen eher zu trauen sei, ­markiert baren, letztgültigen Gestalt der Werke einen Platz im Gesamtprojekt eines
die Pole in dieser Debatte. Zsuzsanna abgerückt ist, sondern auch von der «68ers» behauptet, der anders als die
Gahse und Barbara Köhler sind zwei Produzentenseite her Texte häufig als Mehrzahl seiner Generationsgenossen
Autorinnen, die beide auch als Über­ fluid gedacht und konzipiert werden, nicht zum Renegaten wurde. In diesem
setzerinnen arbeiten. Gahse, als Zehn- kann das Nebeneinanderstellen von Projekt greifen wissenschaftliche, lite-
jährige aus dem ungarischen Sprach- Varianten als Spielart einer autore-­ rarische und praktische politische
raum in den deutschen verpflanzt, flexiven Poetik figurieren. So treibt Arbeit ineinander. Ein literarisches
begann auf Deutsch zu schreiben, ehe Christian Steinbacher auf nur weni- Sprechen ganz eigener Art muss Link
sie sich auch an Übersetzungen aus dem gen Seiten ein ungemein dichtes und entwickeln, weil er seine biographi-
Ungarischen wagte. Aber bereits ihr verwickeltes Spiel mit Fassungen, in schen Erfahrungen in einem aktualhis-
deutsches Schreiben war grundiert von dem nicht nur mehr als zehn Jahre alte torisch motivierten Entwurf bergen
einer Poetik der Zweisprachigkeit, mit eigene Gedichte zur Wiedervorlage will, der nicht in der Kontingenz des
der die – zumal wenn der Abstand so kommen. Daneben stehen auch auf Einzelschicksals versackt. Den Roman
gross ist wie zwischen dem Deutschen Texte von Kollegen antwortende Ge­- durchzieht ein kollektiver Erzählstrom
und der nicht dem Indogermanischen dichte. Aber bildet nicht ohnehin die – der von der Erfahrung einer Genera-
zuzurechnenden Sprache – gar nicht so gesamte Textumgebung der vom Autor tion kündet, aber auch von einem
triviale Tatsache der Arbitrarität sprach- herangezogenen Bibliothek unter- Anspruch. In diesen Erzählstrom sind
licher Zeichen verstärkt ins schriftstel- schiedslos sein Material, bei Steinba- immer wieder so genannte Simulatio-
lerische Spiel und Bewusstsein kommt. cher noch dezidiert erweitert um den nen (beispielsweise von 1975 auf 1985)
Gahse hat darüber immer wieder in Sprachschutt des Alltags, an dem er eingeschaltet, prognostische Szenarien,
poetologischen Essais reflektiert. Für sich mit seinem hochmusikalischen die drohende Gefahren durchspielen,
das vorliegende Heft hat sie das (Er) lyrischen Sprechen reibt? Intertextuali- aber auch Alternativen pointieren. Dass
Zählen, die unterschiedlichen Weisen, tät ist hier Programm, Teil des poetolo- einige der bittersten Prognosen, etwa die
wie in verschiedenen Sprachen Ein- gischen Kalküls. Kein Text steht für Militarisierung der deutschen Aussen­
und Mehrzahl, das Einzelne und das sich. Steinbachers Gedichte sind ein politik, mittlerweile als veri­fiziert ­gelten
Paar gedacht werden, in den Blick ge- Beleg für Harold Blooms Hinweis, dass können, macht die Brisanz von Links 14
nommen. Dass ihr dabei Gertrude Stein sich in poetischen Texten nur dann Erzählprojekt aus. Satirisch zugespitzt
in den Sinn kommt, ist kein Zufall. Bar- etwas ereignet, wenn sie auf andere ant- werden diese Szenarien in den das
bara Köhler, die in Sachsen aufgewach- worten. Seine Poetik ist dabei vor dem ­ganze Buch durchziehenden Zwillings­
sene Lyrikerin, hat biographisch keine immer mitzudenkenden Hintergrund geschichten, in der eine politische und
Geschichte der Migration in andere der Konventionen eine der Di≠erenz eine unpolitische Schwester ihre Ver-
Sprachräume hinter sich, hat sich aber und der Abweichung, ein Hakenschla- wirrspiele treiben – und daran erin-
als Übersetzerin Texten von Samuel gen zur Vermeidung etwa semantisch nern, dass es auch vor dem Hinter-
Beckett und eben Gertrude Stein zuge- vorhersehbarer Schritte – seine Texte grund einer vermeintlichen geneti-
wandt. Ihre Übertragungen gehen an arbeiten sich gewissermassen an einem schen Prädisposition unterschiedliche
Grenzen und können sich dabei sowohl unsichtbaren, fiktiven Bezugstext ab, Handlungsoptionen gibt. «Vorerinne-
auf die avancierte Sprachreflexion als von dem sie sich distanzieren. rung» – so der Untertitel des Romans,
auch auf das experimentell Spielerische das programmatische Aushebeln von
des Originals berufen. Sie streben keine Zeitebenen pointierend – meint somit
ausgewogene Lesart an, sondern pre- das Beharren auf Alternativen. Neben
schen vor, indem sie Lektüre-Varian- die «eine» Sicht – sei es die o∞zielle
ten, und eben oft genug auch unerwar- Geschichtsschreibung, seien es die pro-
tete und unwahrscheinliche, herauskit- gnostischen Szenarien des «V-Trägers»
zeln: Übersetzung als radikale Inter- – werden andere gestellt. Die hegemo-
pretation. Steins Buchtitel Tender But- nialen Interpretationen werden nicht
tons mutiert dann etwa zu Zarte knöpft. akzeptiert, in der Fiktion wird die Be­-
Die Stanzas in ­Medita­tion, aus denen hauptung zugespitzt, dass alles auch
Köhler eine Auswahl für übersetzt ganz anders laufen könnte.
hat, heissen Meditation ins Tanzen.
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei / The Figure of Two

Markus Klammer
Stefan Neuner

Die Figur der Zwei


The Figure of Two
Exposé

Deutsch English

15 In einer vielkommentierten Bemerkung aus dem Seminar In a much-discussed remark from the seminar … Or Worse
… ou pire behauptet Jacques Lacan, dass es nicht möglich sei Jacques Lacan asserts that it is not possible to arrive at 2
zur 2 zu gelangen, wenn man mit 0 und 1 zu zählen when one begins counting with 0 and 1:
beginne:
“With 0 and 1, if you add them or place one in an exponential rela-
«Avec 0 et 1, que vous les additionnez ou que vous les mettiez l’un tionship with the other, or even place one in an exponential rela-
à l’autre, voire l’un à lui-même dans une relation exponentielle, tionship with itself, 2 is never attained. With the number 2, in the
jamais le 2 ne s’atteint. Le nombre 2, au sens où je viens de le sense I have just suggested, the test of being produced from a
poser, qu’il puisse d’une sommation ou d’une exponentiation summation or exponentiation of smaller numbers proves to be
s’engendrer des nombres plus petits, ce test s’avère négatif: il n’y negative: there is no 2 that can be produced using 1 and 0.” 1
a pas de 2 qui s’engendre au moyen du 1 et du 0.» 1
An unbridgeable gap opens between 1 and 2, and thus 2 is
Zwischen 1 und 2 tue sich eine unüberbrückbare Kluft auf, already infinite. Here, Lacan exemplifies his theory of the
und insofern sei die 2 schon unendlich. Lacan erläutert dort other and underscores that the other can in no way be under-
seine Theorie des Anderen und unterstreicht damit, dass der stood as a “second one,” according to the arithmetic opera-
Andere auf keine Weise als «zweiter eine», gemäss der arith- tion 1 + 1. Instead, with the other, one is dealing with an
metischen Operation 1 + 1, verstanden werden könne. Man irreducibly dual constellation and is thus compelled to begin
hat es beim Problem des Anderen vielmehr mit einer irredu- counting with 2. 2
ziblen dualen Konstellation zu tun und ist so gezwungen, mit Apart from its subject-theoretical implications, this
2 zu zählen zu beginnen. 2 argument contains a generalizable insight about the nature
Einmal abgesehen von den subjekttheoretischen of all beginning. Two, and not one, is the number of onset.
Implikationen dieser Behauptung, enthält sie eine generali- We must always start counting with 2. Even Georg Wil-
sierbare Einsicht über das Wesen alles Beginnens. Die Zwei helm Friedrich Hegel, in The Science of Logic, when deter-
und nicht die Eins ist die Zahl des Anfangs. Wir müssen mining the “absolute beginning” or “ground” (of science),
immer mit 2 zu zählen beginnen. Selbst Georg Wilhelm cannot refrain from admitting that this beginning contains
Friedrich Hegel kann in der Wissenschaft der Logik bei der two aspects and must be thought of as an ambiguous “uni-
Bestimmung des «absoluten Anfangs» oder «Grundes» (der ty:” “The beginning thus contains both being and nothing-
Wissenschaft) nicht umhin zuzugeben, dass dieser Anfang ness; it is the unity of being and nothingness […].” 3 In an
Zweierlei enthalte und als zwieschlächtige «Einheit» gedacht entirely di≠erent context, this type of ambiguity was also
werden müsse: «Der Anfang enthält also beides, Sein und discovered by structural linguistics when Ferdinand de
Nichts; ist die Einheit von Sein und Nichts […].»3 Eine Saussure determined that in a linguistic system there are
­solche Zwiespältigkeit entdeckte in einem ganz anderen no “positive terms,” but “only di≠erences.” 4 Thus, the mini-
Zusammenhang auch die strukturalistische Linguistik, als mal signifying element in any sign system must already be
Ferdinand de Saussure feststellte, dass es in einem sprachli- two-fold. Not “a” alone, but only the dyad “a / not a” can
chen System keine «positiven Einzelglieder», sondern «nur produce “meaning.”
Verschiedenheiten» gebe.4 Das minimale sinntragende Ele- In the concrete case of language acquisition in infants,
ment in jedem Zeichensystem muss daher bereits zwiefältig however, it is evident that the structure of such an element is
sein. Nicht «a» allein, sondern erst die Dyade «a / nicht-a» yet more complex. As is well known, an infant’s first word is
kann «Sinn» produzieren. not a single phoneme that emerges from prelingual silence
Im konkreten Fall des Spracherwerbs bei Kleinkindern as a significant sound; rather, it sets itself apart from the
zeigt sich aber, dass die Struktur eines solchen Elements noch babble and emerges as a linguistic utterance on the strength
komplexer ist. Das erste Wort eines Kindes ist bekanntlich of its double structure: “ma-ma.” The repetition is crucial. A
kein einzelner Laut, der aus einer vorsprachlichen Stille als word only appears when a sound is confirmed as an inten-
signifikanter Klang heraustritt, sondern hebt sich aus dem tional utterance through repetition. 5 It can also be said –
Gebrabbel kraft seiner gedoppelten Struktur als sprachliche and for the logic of the Figure of Two, this is of greatest
Äusserung heraus: «ma-ma». Die Wiederholung ist entschei- importance – that here, a prelingual sound is retroactively
dend. Ein Wort entsteht erst, wenn ein Laut durch seine Repe- endowed with meaning. The isolated “ma” will have been the
tition als intentionale Äusserung bestätigt wird.5 Man kann 1 from which the infant has arrived at the 2 of the word “ma-
auch sagen – und das ist für die Logik der Figur der Zwei von ma,” but only retroactively does this single sound become a 1
grösster Wichtigkeit –, dass hier ein vorsprachlicher Laut that in a linguistic arithmetic can be added with another 1.
retro­aktiv mit Sinn begabt wird. Das isolierte «ma» wird die In this arithmetic as well, 2 is the first number. Anyone who
1 gewesen sein, von dem das Kind zur 2 des ersten Worts, «ma- has experienced an infant beginning to talk knows what this
ma» gelangt sein wird. Aber erst rückwirkend wird dieser eine divide that lies between 1 and 2 – according to Lacan –
Laut zu einer 1, die in einer sprachlichen Arithmetik mit einer means as a concrete phenomenon. It is not a gradual transi-
anderen 1 addiert werden kann. Auch in dieser Arithmetik ist tion, with language-like sounds slowly and ever more clearly
die 2 die erste Zahl. Und jeder, der ein Kleinkind zu sprechen separating themselves from babble. The first word seems to
beginnen erlebt hat, weiss, was die Kluft, die nach Lacan zwi- break vertically into the plane of prelingual sounds. It is a
schen 1 und 2 liegt, konkret als Phänomen bedeutet. Es gibt categorical leap, an event par excellence.
hier keinen graduellen Übergang zwischen einem Gebrabbel, This example leads to another important aspect of the
aus dem sich langsam sprachähnliche Laute immer bestimm- Figure of Two – namely, what it is that makes two into an
ter herauslösen. Das erste Wort scheint vertikal in die Ebene entirely specific figure. For the first word with the double
der vorsprachlichen Laute einzubrechen, ein kategorialer structure “a-a,” it is evidently critical to have exactly two
Sprung, ein Ereignis ­schlechthin. sounds come together. If a single “ma” is not yet a word, so
Aus diesem Beispiel ist ein weiterer wichtiger Aspekt “ma-ma-ma …” is not a word anymore and has become bab-
der Figur der Zwei zu erschliessen, nämlich: was die Zwei zu ble again. Repetition beyond two destroys meaning and
einer ganz spezifischen Figur macht. Für das erste Wort mit causes the material / phonetic aspect of language to begin to 16
der Doppelstruktur «a-a» ist es evidenterweise massgeblich, separate from the semantic aspect. Correspondingly, the
dass es sich um exakt zwei Laute handelt, die hier zueinan- three- or four-fold repetition of a syllable is only to be found
der treten. Ist ein einzelnes «ma» noch kein Wort, so ist in onomatopoeia, which, according to Lévi-Strauss,
«ma-ma-ma …» keines mehr und wieder Gebrabbel. Die
Repetition über die Zwei hinaus wirkt sinnzerstörend und “always [harbors] an ambiguity, since it does not clearly indicate
führt dazu, dass sich der materiell-klangliche Aspekt der whether the speaking subject, when it speaks onomatopoetically,
Sprache vom semantischen abzuspalten beginnt. Folgerich- is undertaking to reproduce a sound or to express a meaning.
tig kommt die Verdrei- oder gar Vervierfachung einer Silbe Through duplication, the second unit emphatically underscores
nur in Onomatopöien vor, die nach Claude Lévi-Strauss, the signifying intention, while if the unit had remained alone, one
could have doubted whether this intention were present in the
first unit.” 6
«immer eine Zweideutigkeit [bergen], da sie, […] nicht deutlich
darauf hinweisen, ob sich das sprechende Subjekt, wenn es sie
ausspricht, vornimmt, ein Geräusch zu reproduzieren oder einen It could thus also be said that two as a figure is strongly set
Sinn auszudrücken. Durch die Verdoppelung unterstreicht das apart both from one and from many. Just as two cannot be
zweite Glied emphatisch die signifikante Absicht, bei der man, attained from the addition of two units, so two does not con-
wäre es allein geblieben, hätte zweifeln können, ob sie im ersten stitute a rudimentary series.
vorhanden gewesen wäre.» 6

1 - Jacques Lacan, Séminaire XIX. …Ou pire … (1971–1972), 10.


1 - Jacques Lacan: Séminaire XIX. … Ou pire … (1971–1972), 10. Mai Mai 1972, http://gaogoa.free.fr/Seminaires_HTML/19-OP/
1972, auf: http://gaogoa.free.fr/Seminaires_HTML/19-OP/ OP10051972.htm (September 21, 2010).
OP10051972.htm (21. September 2010). 2 - See Alenka Zupančič: The Shortest Shadow. Nietzsche’s
2 - Vgl. Alenka Zupančič, The Shortest Shadow. Nietzsche’s Philo- Philo­sophy of the Two, Cambridge (Mass.) / London 2003,
sophy of the Two, Cambridge (Mass.) / London 2003, S. 146f. Zu pp. 146f. On Lacan’s conception of two, see also Alain Badiou,
Lacans Konzeption der Zwei vgl. auch: Alain Badiou, «La scène “La scène du deux,” in: École de la cause freudienne (ed.), De
du deux», in: École de la cause freudienne (Hg.), De l’amour, l’amour, Paris 1999, pp. 177–190; id., Conditions, Paris 1992, p. 259.
Paris 1999, S. 177–190; ders., Conditions, Paris 1992, S. 259. 3 - Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik,
3 - Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, Eva Eva Moldenhauer / Karl Markus Michel (eds.), Werke, vol.
Moldenhauer / Karl Markus Michel (Red.), Werke, Bde. 6–7, 6–7, Frankfurt a. M. 1979, vol. 6, p. 73.
Frankfurt a. M. 1979, Bd. 6, S. 73. 4 - See Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen
4 - Vgl. Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Charles Bally / Albert Sechehaye (ed.),
Sprachwissenschaft, Charles Bally / Albert Sechehaye (Hgg.), Herman Lommel (transl.), Berlin / New York 2001, p. 143.
Herman Lommel (Übers.), Berlin / New York 2001, S. 143. 5 - See Claude Lévi-Strauss, Mythologica I. Das Rohe und das
5 - Vgl. Claude Lévi-Strauss, Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte, Gekochte, Eva Moldenhauer (transl.). Frankfurt am Main
Eva Moldenhauer (Übers.), Frankfurt a. M. 1976, S. 435. 1976, p. 435.
6 - Ebd., S. 435f. 6 - Ibid., p. 435f.
Man kann daher auch sagen: Die Zwei als Figur ist scharf A “simple” visual example can clarify this. Consider a mirror-
abgehoben, sowohl vom Einen wie vom Vielen. Ebensowenig symmetric figure like this one:
wie man von ihr durch die Addition zweier Einheiten gelangt,
genausowenig stellt die Zwei eine rudimentäre Serie dar. <>
Ein «einfaches» visuelles Beispiel kann dies verdeut-
lichen. Man denke an eine spiegelsymmetrische Figur wie We would not hesitate to say that, in itself, it is constructed
­diese: through repetition. From an iconic-theoretical perspective,
<> strict symmetry is always inimical to the concept of an image
as a structure of unity and an organic whole. In classical aes-
Wir werden nicht zögern zu sagen, dass sie in sich repetitiv thetics, symmetry is seen as mechanical and soulless. The
aufgebaut ist. In bildtheoretischer Hinsicht war die strenge two halves into which it decomposes seem to behave redun-
Symmetrie immer eine Feindin der Vorstellung eines Bildes dantly towards one another. But just as obviously, a mirror-
als Einheitsstruktur und organisches Ganzes. Für die klassi- symmetric figure is not structured as a series. If we continue
sche Ästhetik hat die Symmetrie etwas Mechanisches und in one direction, adding another symmetrically derived part
Geistloses. Die beiden Hälften, in die sie zerfällt, scheinen
sich redundant zueinander zu verhalten. Ebenso augen- <><
scheinlich aber ist eine spiegelsymmetrische Figur nicht
­seriell strukturiert. Setzten wir sie nach einer Richtung fort, we have one and a half figures, 1 + ½ and not the series
durch Hinzufügung eines weiteren symmetrisch abgeleiteten 1 + 1 + 1. The mirror-symmetric figure is thus self-enclosed,
Teils, without being an indivisible unity (to the artistic eye it
<>< decomposes all too clearly into two parts); but it is also not
simply a multiplicity. In iconic theory, the Figure of Two, for
hätten wir eineinhalb Figuren, also: 1 + ½ und nicht die example as embodied in exact symmetry, must count as a
Serie: 1 + 1 + 1. Die spiegelsymmetrische Figur ist also in sich third, which runs counter to the familiar opposition of the
geschlossen, ohne eine unteilbare Einheit zu sein (dem tableau as a structure of unity and the series.
kunstsinnigen Auge zerfällt sie nur allzu deutlich in zwei Tei- The phenomenon of symmetry is associated with a
le), sie ist dabei aber auch nicht einfach eine Vielheit. In der famous philosophical problem, from which the conclusion
Bildtheorie muss die Figur der Zwei, exemplarisch in der can be drawn that in the theory of space thus, it is necessary
exakten Symmetrie verkörpert, als ein Drittes gelten, das to start with a Figure of Two. Immanuel Kant brings this
Markus
Klammer quer steht zur vertrauten Opposition zwischen dem Tableau problem to a head when he asks if it is possible to decide of
Stefan
Neuner als Einheitsstruktur und der Serie. a “human hand” that exists alone in the world as the “first
Mit dem Phänomen der Symmetrie hängt ein work of creation” whether it is either a left hand or a right
17 berühmtes philosophisches Problem zusammen, aus dem hand. 7 This question is posed inasmuch as it is not immedi-
Exposé
man die Schlussfolgerung ziehen kann, dass man auch in der ately clear what the di≠erence between the two hands con-
Raumtheorie mit einer Figur der Zwei beginnen muss. Bei sists of, since they seem to possess the “same” form, without
Immanuel Kant findet man es in der Frage zugespitzt, ob being exchangeable. One would answer this question by say-
man von einer «Menschenhand», die als «erstes Schöp- ing that this di≠erence consists in their orientation in space.
fungswerk» alleine auf der Welt existierte, befinden könne, But how can this orientation be determined, exactly –
ob sie eine linke oder eine rechte wäre.7 Diese Frage stellt through a relation between two objects, or, as Kant believed,
sich insofern, als es nicht ohne weiteres klar ist, worin genau through an absolute, objective structure (a type of Cartesian
der Unterschied zwischen den beiden Händen besteht, die ja coordinate system), which space in itself already possesses,
doch die «gleiche» Form zu besitzen scheinen, ohne dass sie so that one hand is always already a specific one? While Kant
dabei austauschbar wären. Man wird auf diese Frage ant- was of this latter opinion, and in his early text Foundation
worten, dieser Unterschied bestünde in ihrer Orientierung for the Distinction of Positions in Space argued for the New-
im Raum. Aber wodurch ist diese genau bestimmt? Durch tonian concept of space, in the subsequent discussion that
eine Relation zwischen zwei Gegenständen, oder, wie Kant has continued into the present day, it has repeatedly been
glaubte, durch eine absolute, objektive Struktur (eine Art argued that two objects are necessary in order for a single
Cartesianisches Koordinatensystem), die dem Raum an sich object to achieve a clear sense of direction. 8
schon zukommt, so dass man mit einer Hand immer schon Within this discussion, certain arguments associated
eine bestimmte hätte? Wenn Kant dieser Meinung gewesen with the problems of mathematical topology are of great sig-
ist und mit seiner Frühschrift Von dem ersten Grunde des nificance for a theory of two. They provide a clearer concep-
Unterschiedes der Gegenden im Raume für den newtonschen tion of how paradoxical the “repetition” is that first makes
Raumbegri≠ argumentierte, so hat man sich in der sich dar- two elements into a Figure of Two. Thus, in connection with
an anschliessenden Diskussion, die bis heute fortgeführt the question of whether two “incongruent counterparts,” as
wird, immer wieder argumentiert, dass es zweier Gegenstän- Kant called them (such as enantiomorphs, or simply the two
de bedarf, damit der einzelne einen klaren Richtungssinn parts of a mirror-symmetrical pair), possess the same form
erhält.8 or not, in order to answer this question in the a∞rmative, it
Bestimmte Argumente in dieser Diskussion, die mit has been pointed out that there is an operation that enables
Problemen der mathematischen Topologie verknüpft sind, the two counterparts to be transferred into one another. This
sind für eine Theorie der Zwei von grosser Bedeutung. Sie is immediately evident when a two-dimensional figure is
geben einen deutlicheren Begri≠ davon, welch paradoxer Art used as an example:
die «Wiederholung» ist, die zwei Elemente erst zu einer
Figur der Zwei machen. Im Zusammenhang der Frage also,
ob zwei «inkongruente Gegenstücke», wie Kant sich aus- It is very easy to imagine how a Latin “R” could be taken out
drückt (bzw. Enantiomorphe, oder ganz einfach, die beiden of the plane and rotated in three-dimensional space, in order
Teile eines spiegelsymmetrischen Paars), die gleiche Form to attain a Cyrillic “Ya.” From this idea, August Ferdinand
besitzen oder nicht, hat man, um diese Frage positiv zu Möbius concluded that it can be generally asserted that an
beantworten, darauf verwiesen, dass es eine Operation gibt, n-dimensional asymmetrical object can be transferred into
die es erlaubt, die beiden Gegenstücke ineinander zu verkeh- its enantiomorphic counterpart via rotation through a space
ren. Dies leuchtet unmittelbar ein, wenn man eine zweidi- of n + 1 dimensions.9 This could also be done – if it were only
mensionale Figur als Beispiel heranzieht: possible – with hands. The impossibility of imagining what
it would mean for this actually to occur, not in abstract,
mathematical space, but in the phenomenal world of our
existence, gives a sense of the categorical leap that separates
Wir können uns sehr leicht vorstellen, wie man ein lateini- the two parts of a Figure of Two, but simultaneously also
sches «R» aus der Fläche herausnehmen und durch den constitutes their cohesion. We are dealing with a figure that
dreidimensionalen Raum drehen könnte, um dadurch ein is divided by a radical split or cut, and at the same time held
kyrillisches «Ya» zu erhalten. August Ferdinand Möbius fol- together by it.
gerte aus dieser Überlegung, dass generell behauptet werden When, with Lacan, the Figure of Two is thought of in
kann, dass sich ein n-dimensionales asymmetrisches Objekt terms of his concept of the other, this figure – quite surpris-
qua Rotation durch einen Raum von n+1 Dimensionen in ingly – does not refer primarily to a theory of intersubjecti­
seinen enantiomorphen Widerpart verkehren lässt.9 So vity or of the couple relationship at all, but is most produc-
könnte man, wenn man es denn könnte, mit den Händen tive above all as a model of subject theory. This is one of the
verfahren. Die Unmöglichkeit sich vorzustellen, was es hie- points that Alenka Zupanč ič presents in her study of
sse, wenn solches nicht im abstrakten mathematischen Nietzsche, which was motivational for us.10 In this context,
Raum, sondern in der phänomenalen Welt, in der wir exis- based on Sigmund Freud’s conception of the unconscious,
tieren, tatsächlich geschähe, gibt einen Begri≠ davon, wel- the other can be understood in the first instance as a dimen-
cher kategoriale Sprung die beiden Teile einer Figur der sion of the self that consistently evades self-identification –
Zwei trennt, aber eben doch zugleich auch ihren Zusammen- that splits the atomistic, self-enclosed subject as posited in
hang konstituiert. Wir haben es mit einer Figur zu tun, die idealist philosophy, thus making the central figure of one
von einem radikalen Riss oder Schnitt geteilt und zugleich into two. Idealist philosophy understood the unity of the
zusammengehalten wird. subject that it posited as a synthesis achieved by way of a
Die Figur der Zwei, wenn man sie mit Lacan, von des- process of self-reflection, for which the image of the self that
sen Konzept des Anderen her denkt, verweist – es mag ver- recognizes its reflection in a mirror is a frequently cited
wundern – nicht primär auf eine Theorie der Intersubjekti- example. However, this scenario should be strictly distin-
vität oder gar der Paarbeziehung, sondern ist fruchtbar vor guished from the model of the mirror-symmetrical figure
allem als ein Modell der Subjekttheorie. Dies ist einer der outlined here, which is structured around a cut that divides
Punkte, die Alenka Zupančič in ihrer für uns anstossgeben- it into two incongruent parts, which can never be made con- 18
den Nietzschestudie, herausgestellt hat.10 Der Andere ist in gruent in the plane in which they exist.
diesem Kontext, ausgehend von Sigmund Freuds Konzepti- The problem of the subject necessarily leads us to
on des Unbewussten, in erster Instanz als eine Dimension des emphasize another aspect of the Figure of Two, which can-
Selbst zu verstehen, die sich der Selbst-Identifikation konse- not be appropriately demonstrated in the stasis of a graphic
quent entzieht; die das atomistische, in sich abgeschlossene illustration. The Figure of Two is also inscribed with a tem-
Subjekt, wie es die idealistische Philosophie entworfen hat, poral dynamic. According to Lacan, the subject unfolds in a
aufspaltet und damit aus einer der zentralen Figuren des recursive movement; or, it could also be said that the subject
Einen eine Zwei macht. Die idealistische Philosophie hat die is persistently at the heels of the other in the self, without
Einheit des Subjekts, die sie behauptete, als eine Synthese ever being able to overtake it.11 Thus, the mirror scenario of
begri≠en, die über einen Prozess der Selbstreflexion erreicht subjectivity could rather be thought of as Bruce Nauman
wird, und für den das Bild des Selbst, das sich in einem Spie- modeled it in the video installation Live Taped Video Corri-
gel wiedererkennt, ein oft in Anspruch genommenes Beispiel dor (1970). Fig. 1 In this work, the viewer sees him or herself in
liefert. Dieses Szenario ist jedoch streng zu unterscheiden a monitor installed at the end of a long, narrow corridor. The
vom hier skizzierten Modell der spiegelsymmetrischen monitor shows an image transmitted in real time by a video
Figur, die um einen Schnitt herum aufgebaut ist, der sie in camera mounted at the entrance to the hallway. When walk-
zwei inkongruente Teile, die in der Ebene, in der sie existie- ing along the path determined by the installation, the viewer
ren nie zur Deckung gebracht werden können, aufspaltet. looks upon the sight of him- or herself, which not only is
Das Problem des Subjekts muss uns dahin führen, being recorded from behind – as if from the viewpoint of the
einen weiteren Aspekt der Figur der Zwei zu betonen, der sich
7 - See Immanuel Kant, “Von dem ersten Grunde des Unter­-
7 - Vgl. Immanuel Kant, «Von dem ersten Grunde des Unter­- schiedes der Gegenden im Raume,” in: id., Werkausgabe,
schiedes der Gegenden im Raume», in: ders., Werkausgabe, Wilhelm Weischedel (ed.), 12 vol., Frankfurt a. M. 1977, vol.
Wilhelm Weischedel (Hg.), 12 Bde., Frankfurt a. M. 1977, 2.2, p. 999.
Bd. 2.2, S. 999. 8 - An overview of this discussion can be found in James van
8 - Einen Überblick über diese Diskussion bietet: James van Cleve / Robert E. Frederick, The Philosophy of Right and Left.
Cleve / Robert E. Frederick, The Philosophy of Right and Left. Incongruent Counterparts and the Nature of Space,
Incongruent Counterparts and the Nature of Space, Dordrecht / Boston / London 1991 (= The University of
Dordrecht / Boston / London 1991 (= The University of Western Western Ontario Series in Philosophy of Science, 46).
Ontario Series in Philosophy of Science, 46). 9 - See August Ferdinand Möbius, “Der barycentrische Calcul.
9 - Vgl. August Ferdinand Möbius, «Der barycentrische Calcul. Ein neues Hülfsmittel zur analytischen Behandlung der
Ein neues Hülfsmittel zur analytischen Behandlung der Geometrie,” in: id., Gesammelte Werke, Richard Baltzer /
­Geometrie», in: ders., Gesammelte Werke, Richard Baltzer / Felix Klein / Wilhelm Scheibner (ed.), 4 vol., Leipzig
Felix Klein / Wilhelm Scheibner (Hgg.), 4 Bde., Leipzig 1885–1887, vol. 1, pp. 170ff.
1885 –1887, Bd. 1, S. 170ff. 10 - See Zupančič, Shortest Shadow (note 2), esp. pp. 133ff.
10- Vgl. Zupančič, Shortest Shadow (wie Anm. 2), bes. S. 133ff. 11 - Ibid., pp. 13ff.
in der Statik eines bildlichen Beispiels
nicht angemessen veranschaulichen
lässt: Der Figur der Zwei ist auch eine
zeitliche Dynamik eingeschrieben. Denn
das Subjekt entfaltet sich nach Lacan in
einer in sich zurücklaufenden Bewe-
Abb. 1
gung; oder, man könnte auch sagen, das Bruce Nauman,
Subjekt ist dem Anderen im Selbst Corridor Installation
(Nick Wilder Instal­-
beharrlich auf den Fersen, ohne ihn je lation) (1970), Sperr-
einholen zu können.11 Das Spiegelsze- holz, drei Überwa-
nario der Subjektivität wäre demnach chungskameras, vier
Schwarz-Weiß-Moni­
eher so zu denken, wie Bruce Nauman tore, Video­abspiel-
es in der Videoinstallation Live Taped gerät, Videokassette
Video Corridor (1970) entworfen hat. (schwarz-weiß, ohne
Ton), 304,8 x 1219,2 x
Abb. 1
Dort erblickt sich der Beschauer in 609,6 cm (im Besitz
einem Monitor, der am Ende eines lan- des Künstlers), Detail
gen, schmalen Korridors aufgestellt ist Fig. 1
Bruce Nauman,
und ein Bild überträgt, das von einer Corridor Installation
Videokamera, die am Eingang des Gan- (Nick Wilder Installa-
ges angebracht ist, in Echtzeit übertra- tion) (1970), wallboard,
three closed-circuit
gen wird. Wenn er den Weg, den die cameras, four 20-in.
Installation vorzeichnet, abschreitet, black-and-white
hat er am Bildschirm eine Ansicht sei- monitors, videotape
player, videotape
ner selbst vor Augen, die nicht nur von (black and white,
rückwärts – vom Blickpunkt des Ande- silent), 120 x 480 x 240
ren gleichsam – aufgenommen wird, in. (Courtesy of the
artist), detail
sondern auch: Je näher er dem Monitor
kommt, desto weiter entfernt er sich auf
dem Bild, das dieser zu sehen gibt.
Markus
Klammer Der E≠ekt, den diese ­Installation
Stefan
Neuner produziert, hat etwas ebenso Befrem-
dendes wie Erschreckendes. Und er
19 scheint sich immer dann einzustellen, wenn sich das Ich other – but also, the closer the viewer comes to the monitor,
Exposé
selbst – in der Position des anderen, als Doppelgänger – the farther away he or she recedes in the image that it
begegnet. So als Sigmund Freud, wie er in seiner Schrift über ­displays.
das Unheimliche berichtet, sich einmal, als er ihm ganz The e≠ect this installation produces has an alienating
unvermittelt gegenüberstand, in seinem eigenen Spiegelbild and terrifying quality. This e≠ect seems always to be produ-
nicht zu erkennen vermochte. 12 Die Reaktion auf die Kon- ced when the ego encounters itself, as a Doppelgänger, in the
frontation des Ichs mit sich selbst als Doppelgänger ist aber, position of the other – as in Sigmund Freud’s report, in his
wie Freud dort darlegt, in der Regel nicht bloss eine der Ver- writing on the uncanny, about a particular occasion when,
kennung, sondern mit Angst verbunden. Die Wurzel des standing suddenly across from his own reflection in a mirror,
griechischen Wortes für Zwei, δύο, ist die gleiche wie die der he was unable to recognize it as such. 12 But as Freud states,
Furcht (δείδω) und des Schreckenerregenden (δεινός). 13 the reaction to the confrontation of the ego with itself as a
Massimo Cacciari, der auf diesen Umstand hingewie- Doppelgänger is as a rule not only a case of misrecognition,
sen hat, lokalisiert den Ursprung der Geste der philosophi- but is also connected with fear. The root of the Greek word
schen Reflexion in jenem Moment, in dem sich die Welt (der for two, δύο, is the same as in the word for fear (δείδω) and
Griechen) für immer in zwei Teile aufgespalten hat und die the terrifying (δεινός). 13
Figur der anderen als schreckenerregende am Horizont auf- Massimo Cacciari, who makes reference to this fact,
getaucht ist, als die persische Expansion in die Ägäis hinaus- localizes the origin of the gesture of philosophical reflection
zugreifen begann. Dem Denken der Einheit, welche die Phi- in that moment in which the world (of the Greeks) was per-
losophie jetzt hinter diese Spaltung zurückzuprojizieren manently divided into two, and the other appeared as a ter-
beginnt, bleibt in dem Masse eine Tendenz der Gewaltsam- rifying figure on the horizon, when Persian expansion
keit eingeschrieben als sie das Eigene und das Andere, das advanced into the Aegean. For Occidental tradition – which,
Eine und das Viele als eine dichotomische Entgegensetzung following this argument, was rooted in a violent confronta-
begreift. Für die abendländische Tradition, die – wenn man tion (of the Greeks and the Persians) – it has in any case
hier folgt – in einer gewalttätigen Konfrontation (der Grie- remained characteristic to assign to the other an absolute
chen mit den Persern) wurzelte, bleibt jedenfalls charakte- di≠erence, which either is regarded with paranoid fascina-
ristisch, dem anderen eine absolute Di≠erenz zu unterstellen, tion or else elicits the aggressive endeavor to extinguish it.
die entweder mit paranoider Faszination betrachtet wird oder Leo Bersani has argued that any attempt to overcome
das aggressive Bestreben hervorruft, sie ­auszulöschen. this paranoid relation to the other has to begin with the
Leo Bersani hat argumentiert, dass jeder Versuch, moment in which a human being becomes a subject, by
diese paranoide Beziehung zum anderen zu überwinden, bei beginning to di≠erentiate itself as an ego from others. Freud
dem Moment ansetzen muss, in dem ein menschliches posited an initial autoerotic disposition of the human organ-
Wesen zum Subjekt wird, indem es sich als Ich vom Anderen ism, a primary narcissism, in which the ego, in achieving sat-
zu unterscheiden beginnt. Freud war von einer anfänglichen isfaction of libidinal drives, experiences itself as autonomous
autoerotischen Disposition des menschlichen Organismus, with regard to the outside world. In this stage of psychogen-
einem primären Narzissmus, ausgegangen, in der sich das esis, according to Freud, contact with the outside is associ-
Ich im Erlangen libidinöser Triebbefriedigungen als auto- ated with sensations of displeasure. He thus concluded that
nom gegenüber der Aussenwelt erfährt. In diesem Stadium the relationship to the world is originally characterized by
der Psychogenese ist der Kontakt mit dem Äusseren nach hatred – that is, by a hatred against which the object libido
Freud mit Unlustempfindungen verbunden. Daraus schloss can only prevail in a later stage, and which remains inscribed
er, dass das Verhältnis zur Welt ursprünglich von Hass in the object libido, and in the relationship to the outside
geprägt ist – und zwar von einem Hass, gegen welchen sich world in general, as a base layer. (This is demonstrated,
die Objektlibido erst in einem weiteren Schritt durchsetzen for example, in the sudden reversal of love into hatred). 14
muss, und der ihr – und dem Verhältnis zur Aussenwelt According to Bersani, a way out of this fate is presented
schlechthin – als Grundschicht eingeschrieben bleibt (was when the object relation is considered in terms of the model
sich etwa im typischen Umschlagen von Liebe in Hass of the homosexual libido. In this case, the other does not
zeigt).14 Nach Bersani erö≠net sich nun ein Ausweg aus die- appear under the sign of an absolute and unfathomable
sem Verhängnis, wenn man die Objektrelation nach dem di≠erence, but as the double of the ego. Here, however,
Modell der homosexuellen Libido neu konzipiert. Denn dort homosexuality is not understood, with Freud, as a relapse
tritt der Andere nicht im Zeichen einer absoluten und uner- into primary narcissism, as the fictive maintenance of an
gründlichen Di≠erenz, sondern als Double des Ichs auf. originary autonomy; rather, it is the agent of an unbounding
Dabei wird Homosexualität allerdings nicht wie bei Freud of the self. Rediscovering the self beyond the ego is a form of
einfach als Rückfall in den primären Narzissmus verstan- losing the self – a “spatial, anonymous narcissism.” 15 Bersa-
den, als fiktive Aufrechterhaltung einer ursprünglichen ni’s model of homosexuality provides a basis for thinking of
Autonomie, sie ist vielmehr Agent einer Entgrenzung des the relationship between ego and others as a Figure of Two.
Selbst. Denn das Selbst ausserhalb des Ichs wiederzufinden, The political implications of this conception of the object
ist hier eine Form, sich selbst zu verlieren – ein «räumlicher, relationship are far-reaching. A form of ­subjectivation in
anonymer Narzissmus». 15 Das Modell der Homosexualität which the other comes into play as a Dop­pelgänger ultimate-
bei Bersani gibt eine Handhabe, das Verhältnis zwischen Ich ly undermines those mechanisms of ­d i≠erentiation and
und Anderen als Figur der Zwei zu denken. Die politischen bounding that produce the subject as a self-identical entity.
Implikationen dieser Konzeption der Objektbeziehung sind The Figure of Two could thus be made productive for a the-
weitreichend. Eine Form der Subjektivierung, bei der der ory of equality that o≠ers the possibility of a nonidentitarian
andere als Doppelgänger ins Spiel kommt, unterläuft community.
schliesslich jene Mechanismen der Unterscheidung und The other, totalitarian aspect of a theory of politics
Abgrenzung, die das Subjekt als mit sich identische Einheit which takes the relation between the subject and the other
herstellen. Die Figur der Zwei könnte sich also für eine The- as model was explored by Jacques Derrida in the introduc-
orie der Gleichheit fruchtbar machen lassen, die die Mög- tory passages to The Politics of Friendship, in reference to 20
lichkeit einer nicht-identitären Gemeinschaft mit sich führt. ancient political discourse, particularly Plato and ­Aristotle. 16
Die andere, totalitäre Seite dieser Bewegung hat Jac- Here, two is one reflected; membership in the polis is mainly
ques Derrida in den Eingangspassagen zu Politik der Freund- thought of in terms of descent from a common root (even if
schaft in Bezug auf den antiken politischen Diskurs vor allem this might be a mythological root sunken in the depths of the
bei Platon und Aristoteles ausgelotet. 16 Die Zwei ist hier die past)—a root that has divided, ramified, and multiplied
gespiegelte Eins, Zugehörigkeit zur Polis wird in erster Linie itself. Derrida draws on the a∞nity between ancient political
über die Abstammung von einer gemeinsamen Wurzel (mag discourse and the classical discourse of friendship. The
diese auch eine mythologische, in den Tiefen der Vergangen- friend is another I. He is my friend because substantially
heit liegende sein) gedacht. Einer Wurzel, die sich verzweit, he is not any di≠erent from myself. In my friend, I love
myself, as he loves himself in me, because implicitly we are
one and the same. These two concepts are at the basis of all
11 - Vgl. ebd., S. 13ff.
12 - Vgl. Sigmund Freud, «Das Unheimliche», in: ders., Studien-
ausgabe, 10 Bde., Alexander Mitscherlich u. a. (Hgg.), Frank- 12 - See Sigmund Freud, “Das Unheimliche,” in: id., Studienaus­
furt a. M. 1969–1974, Bd. 4, S. 270, Anm. 1. gabe, 10 vol., Alexander Mitscherlich et al. (ed.), Frankfurt
13 - Vgl. Massimo Cacciari, Gewalt und Harmonie. Geo-Philo­ a. M. 1969–1974, vol. 4, p. 270, note 1.
sophie Europas, Günter Memmert (Übers.), München / Wien 13 - See Massimo Cacciari, Gewalt und Harmonie. Geo-Philoso-
1995, S. 8. phie Europas, Günter Memmert (transl.), Munich / Vienna
14 - Vgl. Sigmund Freud, «Triebe und Triebschicksale», 1995, p. 8.
in: Freud, Studienausgabe (wie Anm. 12), Bd. 3, S. 94ff. 14 - See Sigmund Freud, “Triebe und Triebschicksale,” in: Freud,
15 - Vgl. Tim Dean / Hal Foster / Kaja Silverman, «A Conversa­tion Studienausgabe (note 12), vol. 3, pp. 94ff.
with Leo Bersani», in: October, 82, 1997, S. 6; Leo ­Bersani, 15 - See Tim Dean / Hal Foster / Kaja Silverman, “A Conversation
The Freudian Body. Psychoanalysis and Art, New York / with Leo Bersani,” in: October, 82, 1997, p. 6; Leo Bersani,
Chichester (West Sussex) 1986; ders., Homos, ­Cambridge The Freudian Body. Psychoanalysis and Art, New York /
(Mass.) / London 1996; ders. / Ulysse Dutoit, Arts of Impove- Chichester (West Sussex) 1986; id., Homos, Cambridge (Mass.)
rishment. Beckett, Rothko, Resnais, Cambridge (Mass.) / / London 1996; id. / Ulysse Dutoit, Arts of Impoverishment.
London 1993; dies., Caravaggio’s Secrets, Cambridge (Mass.) / Beckett, Rothko, Resnais, Cambridge (Mass.) / London 1993;
London 1998. id., Caravaggio’s Secrets, Cambridge (Mass.) / London 1998.
16 - Vgl. Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, Stefan Loren- 16 - See Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, Stefan
zer (Übers.), Frankfurt a. M. 2007. Lorenzer (transl.), Frankfurt a. M. 2007.
17 - Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt 17 - See Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt
des Gefängnisses, Walter Seitter (Übers.), Frankfurt a. M. des Gefängnisses, Walter Seitter (transl.), Frankfurt a. M.
2006; ders., Sexualität und Wahrheit 1. Der Wille zum Wis- 2006; id., Sexualität und Wahrheit 1. Der Wille zum Wissen,
sen, Ulrich Raulff / Walter Seitter (Übers.), Frankfurt a. M. Ulrich Raulff / Walter Seitter (transl.), Frankfurt a. M.
2008; ders., Sexualität und Wahrheit 2. Der Gebrauch der 2008; id., Sexualität und Wahrheit 2. Der Gebrauch der Lüste,
Lüste, Ulrich Raulff / Walter Seitter (Übers.), Frankfurt a. Ulrich Raulff / Walter Seitter (transl.), Frankfurt a. M.
M. 2009; ders., In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen 2009; id., In Verteidi­gung der Gesellschaft. Vorlesungen am
am Collège de France (1975–1976), Frankfurt a. M. 2004. Collège de France (1975– 1976), Frankfurt a. M. 2004.
verzweigt und vervielfältigt hat. Derrida verweist auf die Nähe fundamentalism and substantialism, be it political or ideo-
von antikem politischen Diskurs und klassischem Freund­ logical or philosophical: the biologistic idea of a common
schafts­diskurs. Der Freund, das ist das andere Ich. Er ist mein root, and the metaphysical idea of a unity that transcends
Freund, weil er eigentlich nichts anderes ist als ich. Im Freund the physical world. They are ancient weapons for leading the
liebe ich mich selbst, so wie er sich in mir liebt, weil wir eigent- Figure of Two, irreducible in the modern reading, back to the
lich ein und derselbe sind. Diese beiden ­Vorstellungen liegen one, by proving that the two has always already been one.
an der Basis aller politischen ­Fundamentalismen und Subs- The predominant strain of Western politics that has funda-
tantialismen: Die biologisch-­materialistische Idee einer mentally committed itself to the universality of its proce-
gemeinsamen Wurzel und die metaphysisch-ideologische dures, regulations and legitimizations (from early Christian-
Idee einer die Körperwelt überschreitenden und diese trans- ity to eighteenth century Enlightenment) is inconceivable
zendierenden Einheit. Es sind uralte Kampfmittel, welche without these predeterminations.
die Figur der Zwei, irreduzibel in der modernen Lesart, gegen From this perspective, it seems worthwhile also to
den Strich bürsten und auf die Eins zurückführen, indem sie devote some thought to the “end of two.” Underneath the
erweisen, dass die Zwei immer schon Eins gewesen ist. Eine legitimist binarism of political representation (representer
Art Politik, die sich zutiefst der Universalität verschrieben and represented – but who actually represents whom, and
hat (vom Christentum bis hin zur Aufklärung), ohne die klas- above all, how many? Is it a question of the unity of the re­-
sische abendländische Philosophie undenkbar ist. presenters, or of the represented? (Thomas Hobbes)), i. e.
In dieser Perspektive erscheint es lohnend, sich auch underneath the o∞cial level of the law and codification,
über das «Ende der Zwei» den Kopf zu zerbrechen. Unter die Michel Foucault has postulated a cellar level of discipline
legitimistische Binarität politischer Repräsentation (Reprä- and bio-politics. 17 On this cellar level (it is a big cellar, as big
sentierende und Repräsentierte: Aber wer repräsentiert as the modern world), the primary concern is to synchronize
eigentlich wen und vor allem: wie viele? Geht es um die Ein- the survival and even the well-being of the individual, in the
heit der Repräsentierenden oder der Repräsentierten? (Tho- most e∞cient ways possible, with the continued existence of
mas Hobbes)), die o∞ziöse Ebene des Rechts und der Kodi- society as a whole—to “attune” individual and population
fizierung, hat Michel Foucault das Kellergeschoss von Diszi- with each other. Typically, in bio-politics, this adjustment is
plin und Bio-Politik gesetzt. 17 In diesem Kellergeschoss (es not orchestrated in a binary fashion, but makes use of sto-
ist ein grosser Keller, so gross wie die moderne Welt) geht es chastic processes, of probabilities. The two of representation
darum, das Überleben, ja sogar Wohlergehen des Einzelnen is of no actual relevance when it comes to regulate a multi-
möglichst sparsam, unau≠ällig und e∞zient mit dem tude – in zoning measures during times of plague in the six-
Markus
Klammer Bestand des Ganzen zu synchronisieren, Individuum und teenth and seventeenth centuries, in immunization cam-
Stefan
Neuner Bevölkerung aufeinander «abzustimmen». Typischerweise paigns against smallpox or hygiene and sanitation measures
erfolgt diese Zurichtung in der Bio-Politik gerade nicht in the nineteenth century, or in the theories of human capital
21 binär, sondern bedient sich stochastischer Prozesse, Wahr- in Chicago neo-liberalism. This bio-political recourse to the
Exposé
scheinlichkeiten. Nicht die Zwei der Repräsentation steht im macro-level of society as a whole corresponds to the self-
Vordergrund, wenn es sich um die Steuerung der grossen regulation of the individual, to its self-discipline or will to
Zahl handelt, um die Zonierungsaktionen in Zeiten der Pest, take care of itself, wash itself, let itself be immunized against
die Impfkampagnen gegen die Pocken oder Hygiene- und the flu, not have unprotected sex, etc. Between the hyper-
Assanierungsmassnahmen im 19. Jahrhundert oder die The- individualistic one, whose only concern is the own personal
orien des Humankapitals im Chicagoer Neo-Liberalismus. life, and the numerous multitude of a population, according
Diesem bio-politischen Zugri≠ auf der Makroebene ent- to Foucault the sphere of representation and the law, the
spricht die Selbst-Steuerung des Individuums, seine Selbst- sphere of the two, is profoundly weakened in the modern
Disziplinierung, sein Wille, Sorge für sich zu tragen, sich zu era. In fact he regards it as the sphere of political pretence
waschen, gegen die Grippe impfen zu lassen, keinen unge- and ideology. Thus the true, deciding battles would take
schützten Sex zu haben etc. Zwischen der um ihr Leben place either above or below the level of the two.
besorgten, hyper-individualistischen Eins und der unabzähl-
baren Vielheit einer Bevölkerung sieht Foucault die Sphäre Translation Elisabeth Tucker
der Repräsentation und des Rechts, die Sphäre der Zwei, in
der Moderne als zutiefst geschwächt an, als die eigentliche
Sphäre politischen Scheins und politischer Ideologie. Die
wahren, die entscheidenden Kämpfe würden entweder ober-
halb oder unterhalb der Zwei stattfinden.
22
31 N°- 14/15
Das Magazin des Instituts für Theorie

Die The
Figur Figure
der of
Zwei Two

23
24
31 N°- 14/15 Der vorliegende Text basiert auf einem
Die Figur der Zwei
Vortrag, der im Rahmen der Camille
Graeser Lectures 2010 am Kunsthisto-
Richard Heinrich rischen Institut der Universität Zürich

Zweiheit
gehalten wurde.

und
Vervielfäl­tigung

25 Der zweite Teil dieses Essays


handelt von einigen Begri≠en
Aristoteles:
– Vielheit, Einheit, Di≠erenz, Metaphysik und Physik
Figur –, die für den Zusam-
menhang von Dualität und In der traditionellen Lehre von den Transzendentalien gilt: Alles was
Mannigfaltigkeit bei Gilles wahrhaft ist, ist eins. Ein grosser Vorsitzender, so er wahrhaft existiert,
Deleuze grundlegend sind (die ist natürlich einer; Jorge Luis Borges’ babylonische Bibliothek ist –
Referenztexte sind Di≠érence malgré tout – eine; und selbst ein Zweifaches ist, wenn es wahrhaft
et répétition und Mille pla- existiert, eines. Kurzum: Wenn wahrhaftes Sein prinzipiell allen mög-
teaux). Der abschliessende lichen Kandidaten o≠en steht, so wird doch jeder dafür (mindestens)
dritte Teil ist dem Begri≠ der den Preis entrichten müssen, «eins zu sein» – auch das Zweifache und
Freundschaft gewidmet, der das Viele.
Elemente einer eigentümli- Mit gelinder zusätzlicher Anstrengung hat man freilich noch
chen Figuration von Zweiheit anderes herausgehört aus dem Grundsatz von der Einheit des Seien-
enthält. Hier beziehe ich mich den: Nämlich dass alles, was ist, ein und dasselbe ist, dass nur Eines
auf das Proust-Buch von wahrhaft existiert. Alles andere (was als Kandidat antritt) existiert
Deleuze, vor allem aber auf dann entweder gar nicht oder jedenfalls nicht wahrhaft oder wird,
Proust selbst. An den Anfang wenn es zur wahrhaften Existenz übergeht, von dem Einen gleichsam
stelle ich, als ersten Teil, eine verschlungen.
konservative philosophiege- Aber auch die erste (nach unserem Geschmack liberalere) Vari-
schichtliche Erinnerung. ante lässt einen Weg o≠en zu einer (freilich nicht derselben) «integra-
tiven» Einheit: zu der Vorstellung des einen Vielen, das die Vielen, die
jeweils eins sind, zusammenfasst.
Unablässig wurde in der Geschichte der europäischen Philoso-
phie versucht, jenes einzige Seiende mit dem Vielen (und der zusam-
menfassenden einen Vielheit) auf möglichst ökonomische Weise in
einer Au≠assung oder Lehre vom Sein zu verbinden. Meist wird dabei
das exklusive eine Sein als Grund interpretiert, und das Viele als davon
abhängig. Charakteristikum der jeweiligen Lehre ist der zusätzliche
Begri≠, den sie zur Beschreibung dieser Abhängigkeit anbietet. Hier
gibt es eine reiche Auswahl: von der Schöpfung, Zeugung, Entwick-
lung, über das Zerplatzen … bis hin zu den hier interessanteren Vorstel-
lungen von Teilung und Verdoppelung. Allerdings: In solch einem
metaphysisch-spekulativen Kontext ist auch ein e­ rarbeitet das Resultat aber auch völlig selbstän- 1 - Aristoteles, Aristo-
teles’ Physik. Vor­
Begri≠ wie Teilung nicht geeignet, der Zweiheit dig aus einer Analyse des Begri≠es der Verände- lesung über Natur,
einen bevorzugten Status, eine besondere Erklä- rung. Veränderung können wir ohne Gegensätz- Griechisch u.
rungskraft hinsichtlich des Verhältnisses von Ein- lichkeit nicht denken. Und das bedeutet vorerst, Deutsch, Hans
Günter Zekl (Hg.
heit und Vielheit zu verleihen. Wenn man Wert dass die Prinzipien der Physik (mindestens) zwei u. Übers.), 2 Bde.,
darauf legt, die Teilung prinzipiell vom Zerplatzen sein müssen, die Pole des Gegensatzes. Hamburg 1987
zu unterscheiden, dann scheint zwar die Zweitei- Im nächsten Schritt folgt ein Argument für (= Philosophische
Bibliothek Ham-
lung als «kleinste Teilung» auf natürliche Weise die notwendige Annahme eines dritten Prinzips, burg, 380), Bd. 1,
ausgezeichnet – ein Streit darüber, bei welcher nämlich eines in der Veränderung Beharrenden. S. 4, 185a, 4.
Anzahl von Fragmenten man beginnen sollte, von Das ist letztlich die Materie – sie beharrt, in ihrer 2 - Vgl. ebd., S. 36,
190b.
Zerplatzen zu sprechen, wird dadurch entschärft. Unbestimmtheit, sogar dort, wo eine wesenhafte
3 - Gilles Deleuze,
Aber diese Unterscheidung ist insgesamt willkür- Substanz zu bestehen aufhört und etwas wesen- ­Differenz und
lich und rein semantischer Natur. Wenn man ins haft anderes an ihrer Statt in die Existenz tritt. ­Wiederholung,
Tre≠en führt, dass in jeder Teilung auch eine (Diese Argumentation – grundlegend für Joseph Vogl
(Übers.), ­München
Zweiteilung enthalten ist, so besagt das doch die aristotelische Physik – hat zwei Komponenten. 1992, S. 236.
nichts anderes, als dass beim Abzählen jeder Viel- Die erste ist die Präzisierung des Begri≠es des 4 - Ebd., S. 87.
heit auf das erste das zweite Element folgt. Die Zugrundeliegenden am Paradigma der wesenhaf-
Frage nach dem Sein des Vielen und der Vielhei- ten Substanz (oὐσία), die im Wechsel ihrer Zustän-
ten, in Abhängigkeit (oder auch nicht) von dem de sie selbst bleibt – der Mensch, der in der Erzie-
Sein des Einen, gerät dabei aus dem Blick. hung von einem Ungebildeten zu einem Gebilde-
Glücklicherweise, möchte man sagen. Ob ten wird etwa. Die zweite und entscheidende
das eine wahrhafte Sein seine Einheit an die Frag- Komponente ist das Insistieren, dass auch dort, wo
mente, in die es sich zweiteilt, richtiggehend (unge- die Veränderung genau darin liegt, dass eine solche
teilt?) vererbt, oder ob die Einheit dessen, was aus wesenhafte Substanz zu bestehen aufhört (und eine
einer Teilung hervorgeht, prinzipiell anderer Natur andere an ihrer Statt in die Existenz kommt), es ein
sein muss, und wie es mit der weiteren Teilung des durchgängig Zugrundeliegendes geben muss. Die-
Geteilten aussieht – Überlegungen dieser Art sind ses radikal – und eben nicht wesenhaft bestimm­
es doch genau, die Immanuel Kant als das blosse bare – Zugrundeliegende ist die Materie.) 2
Herumtappen unter leeren Begri≠en diskreditiert Die Wissenschaft der Physik beruht also
hat. Das muss nicht an den Begri≠en als solchen auf drei Prinzipien: den beiden Polen eines Gegen-
liegen. In Bezug auf die Entwicklung von lebendi- satzes plus einem Prinzip der Beharrlichkeit in der
gen Organismen oder in Bezug auf soziale Struktu- Veränderung. Das sieht harmlos aus, fordert aber
ren etwa können Begri≠e wie Einheit, Teilung und – besonders aus der Perspektive eines Interesses 26
Dualität – und selbst der Unterschied zwischen an der Zweiheit – doch zu Fragen heraus. Als ers-
relativ abhängiger und selbständiger Existenz – mit tes springt die Verknüpfung von Gegensätzlich-
nützlichem theoretischem Profil versehen werden. keit und Zweiheit in die Augen. Damit wird schon
Ich skizziere kurz einen Gedanken, der sich eine starke Antwort auf die Frage gegeben, in wel-
in einer interessanten Ambivalenz zwischen solch cher Weise denn überhaupt etwas zwei sein kann,
einer Kontextualisierung und der metaphysischen darüber hinaus, dass seine Anzahl zwei ist: Eine
Spekulation bewegt: Überlegungen des Aristote- Möglichkeit, zwei zu sein, ist es, Gegensatz zu
les am Anfang seiner Physikvorlesung, wie viele sein.
Prinzipien es in dieser Wissenschaft eigentlich Zu beachten ist zweitens die Gegenläufig-
geben muss. Es befremdet ein wenig, dass er die- keit im Aufbau der ganzen Überlegung: Es gibt
se Frage aufwirft, noch bevor er klar macht, was eine metaphysische Argumentationsrichtung, wo
eigentlich der Gegenstand jener Wissenschaft von der generellen Unhaltbarkeit eines Prinzipi-
Physik wäre. Und zwar wirft er sie auf anhand der en-Monismus auf die Notwendigkeit mehrerer
These des Parmenides (und des Melissos), dass Prinzipien geschlossen wird; der Gedanke geht
das Seiende nur Eines und unwandelbar sei. Und vom Einen zum (unbestimmt) Vielen. Es gibt aber
er sagt: Diese These ist nicht haltbar, wenn das auch eine physikalische Argumentationsrichtung,
Seiende Grund oder Prinzip (ἀρχή) sein soll: «Das wo der Gedanke von der Veränderung ausgeht –
Prinzip ist immer Prinzip von Etwas». 1 Seine Bot- von der Zweiheit im Gegensatz also – und hinzielt
schaft: Ein Prinzip, das als Erklärungsgrund fun- auf die Notwendigkeit eines Zugrundeliegenden.
gieren soll, kann nicht ein einziges und kompak- Dieses Zugrundeliegende – Materie – ist zwar in
tes Eines sein. Unter (oder in) dem, was als Erklä- der äusserlichen Reihenfolge der Darstellung nur
rungsgrund in Frage kommen soll, muss Mehrheit das Dritte (von den Gegensatzpolen her erschlos-
sein. Wie viele die Prinzipien in diesem Sinne sen), im Kontrast zu ihnen (die essentiell zwei
sind, ob endlich oder unendlich viele, bleibt o≠en. sind) aber das Eine schlechthin. Die beiden Argu-
Nachdem das festgestellt ist, o≠eriert Aris- mentationswege laufen einander entgegen und
toteles eine tentative Bestimmung des Gegenstan- aneinander vorbei, denn der Weg vom Monismus
des der Wissenschaft Physik: Die physischen Din- zur Anerkennung der Mehrheit der Prinzipien
ge sind die, die der Veränderung unterliegen. führt niemals aus sich heraus auf eine Bestimmt-
Dann folgt ein Beweis, dass unter den Prinzipien heit der Zwei. Und umgekehrt führt der Weg von
der Physik Gegensätze sein müssen. Einerseits der Zweiheit des Gegensatzes zu Einem (Zugrun-
nimmt er damit Thesen der alten Naturforscher deliegenden), das seinerseits nicht Ausgangs-
(φυσικoί) auf, Empedokles insbesondere. Er punkt eines Weges werden kann, weil es keinerlei
selbständige Bestimmtheit aufweist (Materie). ist «Form». «Form», als Grundbegri≠ der Physik,
Egal, welche Folgerungen aus dieser Diagnose ist zuerst Zweiheit. Man kann auch sagen, dass die
sonst zu ziehen sind – klar ist, dass hier die beiden Zweiheit im Gegensatz wesentlich «eine geform-
Verhältnisse der Vielheit zur Einheit und der te» ist – wenn man nämlich die Forderung der
Zweiheit zur Einheit nicht so einfach in oder auf Bestimmtheit der Gegensätze unterstreichen
einander projiziert werden können, sei es in der möchte («ein Gebildetes wird weiss»: der für die
Form der «Verlängerung oder Wiederholung» des Veränderung relevante Gegensatz muss eine
einen (Zweiheit) im anderen (Vielheit); sei es in andere Farbe sein, ein Nicht-Weiss, auch wenn
der Form des Beispiels, das die Zweiheit für die das der Satz nicht ausdrücklich macht).
Vielheit abgeben könnte. Worauf es mir bei dieser Skizze ankam,
Der wichtigste Punkt ist jedoch die Ent- war, die Komplexität sichtbar zu machen, die dar-
scheidung des Aristoteles, zu der Zweiheit des in liegen kann, wenn jemand sagt: Gegensätzlich-
Gegensatzes nicht nur die Einheit eines zugrunde- keit ist eine Form von Zweiheit. Zweiheit ist hier
liegenden Beharrlichen dazu zu denken, sondern nicht aus dem Übergang vom Einen zum Vielen
vor allem eine Einheit seiner selbst als Gegensatz. gleichsam als Bauelement heraus genommen –
In diesem Sinn sagt er: Statt von drei Prinzipien und dann würde in einem zweiten Schritt Gegen-
könnte man genausogut auch von zwei sprechen, sätzlichkeit als ein Fall davon identifiziert. Son-
wenn man nämlich den Gegensatz als eines nimmt dern der Gegensatz ist hier primär und wird als
– vorausgesetzt natürlich, man vergisst nicht sei- eine authentische Weise dargestellt, «zwei zu
ne essentielle Dualität. Der Begri≠, der das Gegen- sein». Der Begri≠ der «Form» fasst diese Zweiheit
sätzliche als Eines fasst und gleichsam abdichtet, in eine Einheit eigener Art.

Deleuze
Es ist ein durchgängiger Impuls in der Philosophie innerhalb des Begri≠es, und immer nur stabil
von Gilles Deleuze, die Vielheit aus diesem Zusam- gehalten von der Negation, der Ausschliesslichkeit
menhang zu emanzipieren, in dem sie traditionell der spezifischen Di≠erenz. Dagegen Deleuze:
mit der Einheit steht – seit, wie er das einmal aus-
Richard drückt, die jungen Leute bei Platon sich schick vor- «Die Di≠erenz muß zum Element, zur letzten Ein-
Heinrich
kamen, wenn sie zu sagen gelernt hatten: «Das heit werden, sie muß also auf andere Di≠erenzen
27 Eine ist das Viele, und das Viele ist das Eine». Das verweisen, durch die sie nie identifiziert, sondern
Zweiheit
steht in Di≠érence et répétition in dem Kapitel über di≠erenziert wird. Jeder Term einer Reihe, der schon
und die «ideelle Synthese der Di≠erenz», wo er als Vor- Di≠erenz ist, muß in ein variables Verhältnis zu
Vervielfäl­tigung
bild für seinen eigenen Gebrauch von «multiplici- anderen Termen gesetzt werden […]. Noch inner-
té» die Mannigfaltigkeit im Sinne Bernhard Rie- halb der Reihe selbst muß die Divergenz und die
Dezentrierung bejaht werden.» 4
manns reklamiert und sagt:

«Die Mannigfaltigkeit darf nicht eine Kombination Hier ist jenes Programm einer Emanzipation des
aus Vielem und Einem bezeichnen, sondern im Vielen in den Ausdrücken einer Philosophie der
Gegenteil eine dem Vielen als solchem eigene Orga- Di≠erenz artikuliert – auf eine Weise, die bis in die
nisation, die keinerlei Einheit bedarf, um ein System spätesten Schriften konstant bleiben wird. Das
zu bilden. Das Eine und das Viele sind Verstan­des­ Besondere an Di≠erenz und Wiederholung ist aber,
begri≠e, die die allzu weiten Maschen einer verfäl­ wie Deleuze dort über gleichsam nukleare Modelle
schten Dialektik bilden […].» 3 der Lösung der Di≠erenz vom Begri≠ nachdenkt.
Auf Aristoteles bezogen heisst das: Lösung vom
Als Instrumentarien jener verfälschten Dialektik Gegensatz, weil der Gegensatz eben die Form ist,
werden die Gegensätze identifiziert, das Konträre mit der die Di≠erenz in den Artbegri≠ eingebunden
und die Kontradiktion. ist. An diesem Punkt zeichnet sich tatsächlich ein
Interesse an der Figürlichkeit der Zwei ab, nämlich
Differenz und Wiederholung als Möglichkeit, gleichsam begri≠slos das darzustel-
len, was der Gegensatz in begriffliche Einheit fasst.
Deleuze sagt, die Aufgabe der modernen Philoso- Eine Nebenbemerkung: Wie stark die Einbindung
phie sei die Umkehrung des Platonismus, nur unter des Gegensatzes in die Identität des Begri≠es auch
dieser Voraussetzung könne man in eine «bejahte ausserhalb philosophischer Reflexion wirkt,
Welt der Di≠erenz» eintreten. Dazu ist Lösung der mögen zwei zufällig aufgegri≠ene Beispiele andeu-
Di≠erenz von der Repräsentation verlangt. Die ten. Das erste ist ein Hugo von Hofmannsthal-
Einleitung und die ersten Kapitel des Buches sind Zitat, aus dem Buch der Freunde: «Die einzige
im Subtext eine beinahe ununterbrochene Ausein- Gleichheit, die vor dem tiefer eindringenden Blick
andersetzung mit Aristoteles, dem Erfinder einer besteht, ist die Gleichheit des Gegensätzlichen.» 5
Konstruktion, mit der die Di≠erenz als Gegensatz Und bei Paul Klee, der unermüdlich die Dynami-
in die Organisation des Begri≠es eingebunden und ken gestaltet und reflektiert hat, die sich zwischen
domestiziert wird. Der Gegensatz – die «grösste Dualität und Einheit ergeben, z. B. im Verhältnis
Di≠erenz» bei Aristoteles. Die grösste aber nur der Linie zum Punkt (dazu einige schöne Seiten in
Mille plateaux), finden wir die Feststellung: «Der Einen objektiven Erkenntniswert stellt es nur in 5 - Hugo von
Hofmannsthal,
Begri≠ ohne Gegensatz nicht denkbar. […] Der der Deutung von begrifflichen Strukturen dar. «Das Buch der
Begri≠ ohne seinen Gegensatz nicht wirksam. […] Ähnlich verhält es sich bei Deleuze: Derar- Freunde», in: ders.,
Es gibt keinen Begri≠ an sich, sondern meistens tige Fälle von begri≠sloser Di≠erenz liegen in Gesammelte Werke,
Bernd Schoeller
nur Begri≠s­paare.» 6 Dem Begri≠ den Gegensatz Wahrheit nicht jenseits der begrifflichen Identität, (Hg.), 10 Bde.,
zu nehmen führt ins ­Chaos. sondern existieren gleichsam an ihrer Grenze, als Frankfurt a. M.
Zurück zu Deleuze. Um hier die Beziehung Blockierung des virtuell unendlichen Inhalts eines 1980, Bd. 10.3,
S. 259.
zu Aristoteles schematisch festzuhalten, sollte man Begri≠es (man denke an das Chaos bei Klee). Wo
6 - Paul Klee, Das
drei Ebenen unterscheiden. Auf der mittleren Ebe- die begriffliche Spezifikation (z. B. im aristoteli- ­bildnerische Den-
ne liegt der Gegensatz im Sinne der Zweiheit sei- schen logischen Raum) endet, bleibt nicht einfach ken, Basel / Stutt-
gart 1964, S. 15.
ner Pole als Prinzipien. Eine Ebene höher liegt die ein Allgemeines «in der Luft hängen», sondern
7 - Giordano Bruno,
Form als Einheit dieses Gegensatzes, ein Allgemei- wird die Di≠erenz begri≠slos. (Das ist übrigens «Sigillus sigillo-
nes. Der Gegensatz aber ist, wenn auch einem All- genauso bei Giordano Bruno, bei der Bestimmung rum», in: ders.,
gemeinen untergeordnet, noch keineswegs «Figur». des «minimum» als Figur: «Quod nullius est figu- Jordani Bruni Nolani
opera latine con-
Er ist auch hier, in der Physik, eine negative logi- rae, non est minimum; pars nempe omnis ­alicuius scripta, 3 Bde.,
sche Struktur: Zum Weissen wird etwas aus dem est figurae» – das zweite der «theoremata mini- Faks.-Neudr. der
Nicht-Weissen. Das ist keine darstellbare Positivi- mi» aus den Articuli adversus mathematicos 9). Ausg. v. Tocco
­Fiorentino u. a.,
tät. Aber Deleuze hat eine dritte, niedere Ebene im Dieses begri≠slos Di≠erente kann weder zusam- Neapel / Florenz
Blick, auf der die Di≠erenz figürlich, begri≠slos menfallen, noch kann es unterschieden – es kann 1879–1891, Stutt-
gart / Bad Cann-
präsent wäre, gleichsam aus dem Gegensatz her- nur wiederholt werden. statt 1962, Bd. 2.2,
aus genommen. Also noch einmal die drei Ebenen, Die Figur ist eine bestimmte Art von «blo- Buch II, 9.
von oben nach unten: Die Form – der Gegensatz cage» des Begri≠s. Daher ist die Figur (etwa die 8 - Deleuze, Differenz
selbst – die Figur. (Die Definition der «figura» bei der Zwei in den «inkongruenten Gegenstücken») und Wiederholung
(wie Anm. 3), S. 83.
Giordano Bruno, im Sigullus sigillorum – «per zwar eine Bewegung über den Gegensatz und
9 - Giordano Bruno,
figuram inquam visibilem formarum nobis ratio- über das Begriffliche hinaus, aber sie ist nicht «Articuli adversos
nes indicat natura» 7 – ist eine traditionelle und eine Emanzipation der Vielheit aus dem Einen. mathematicos»,
wenig riskante Variante davon). Dem entspricht in unserer gewöhnlichen Wahr- in: ders., Opera
latine (wie Anm. 7),
Der vielleicht interessanteste Gedanke von nehmung, dass die Figur nicht bloss Vielheit ist, Bd. 1.3.
Deleuze in diesem Kontext ist sein Bezug auf sondern vor allem Vielheit einschliesst, zusam- 10 - Giordano Bruno,
Kant: Dieser hat tatsächlich, zum ersten Mal in menschliesst, so dass sie, um noch einmal auf «De composi­tione
imaginum»,
einer Schrift von 1768 (Von dem ersten Grunde des (den hier durchgängig interessanten) Bruno zu in: ebd., Bd. 2.3,
Unterschiedes der Gegenden im Raum), reale und verweisen, immer schon eine Tendenz hat, zum Buch I, 3.
zugleich nicht-begriffliche Unterscheidungen (in Siegel zu werden. Das «sigillum» ist ja wesentlich 11 - Rainer Maria Rilke, 28
den sogenannten «inkongruenten Gegenstü- vom «signum» her bestimmt, dessen anschauli- «Das Wappen»,
in: ders., Sämtliche
cken») als konstitutiv für geometrische Identität cher Teil (eventuell auch dessen Verkürzung) es Werke, Rilke-
erkannt und daraus ein Argument zugunsten der ist: «Sigullum […] signi partem notabiliorem vel Archiv (Hg.), 12
Realität des Raumes gemacht. Deleuze: signum contractius acceptum significat.» 10 Als Bde., Frankfurt
a. M. 1975, Bd. 1,
Beleg dieser verschliessend-versiegelnden Kraft S. 390.
«Wir müssen dann die Existenz nicht-begrifflicher eines anschaulichen Zeichens möge ein Gedicht 12 - Gilles Deleuze /
Di≠erenzen zwischen diesen Objekten anerkennen. Rilkes dienen – eine richtiggehende Figuration Félix Guattari, Mille
plateaux. Capitalisme
Am deutlichsten kennzeichnete Kant die Korrelati- der Zwei: et schizophrénie 2,
on zwischen Begri≠en mit einer bloß unbestimmten Paris 1980, S. 31.
Spezifikation und nicht-begrifflichen, rein raum- Das Wappen 13 - Ebd.
zeitlichen oder gegensätzlichen Bestimmungen 14 - Ebd., S. 33.
(Paradox der symmetrischen Objekte).» 8 Wie ein Spiegel, der, von ferne tragend, 15 - Ebd.
lautlos in sich aufnahm, ist der Schild; 16 - Vgl. Aristoteles,
Hier zeichnet sich Zweiheit als Figur ab, und dar- o≠en einstens, dann zusammenschlagend Aristotelis Ethica
über einem Spiegelbild nicomachea,
über hinaus generiert sie als diese Figur sogar Ingram Bywater
einen eigenen Typ von Relationalität (Raum). (Hg.), Oxford 1894,
jener Wesen, die in des Geschlechts 1155b, 27ff.
Die Anspielung auf Kant ist deshalb will-
Weiten wohnen, nicht mehr zu bestreiten, 17 - Vgl. ebd., 1166b,
kommen, weil dieser selbst den Zusammenhang seiner Dinge, seiner Wirklichkeiten 30ff.
sehr genau – und im Grunde in derselben Absicht (rechte links und linke rechts), 18 - Übers. R. H., ebd.,
wie Deleuze – reflektiert hat. Er sollte ja später die 1156a, 1ff.
Ganzheiten solcher begri≠slos-di≠erenter Daten die er eingesteht und sagt und zeigt.
exakt mit dem Begri≠ einer «figürlichen Synthe- Drauf, mit Ruhm und Dunkel ausgeschlagen,
sis» bezeichnen, und der dazwischen liegende ruht der Spangenhelm, verkürzt,
Bruch in seiner Entwicklung besteht in nichts
anderem als der scharfen Aufwertung der nicht- den das Flügelkleinod übersteigt,
begrifflichen (intuitiven) Strukturen zu einer irre- während seine Decke, wie mit Klagen,
duziblen Agentur von Erkenntnis. Und doch kann reich und aufgeregt herniederstürzt. 11
man hier schon ahnen, was den Wert des ganzen
Gedankens von einer figürlichen Darstellung der
Zwei für Deleuze limitiert. Denn wir wissen ja,
dass bei Kant die Irreduzibilität des Intuitiven
keineswegs schon seine Autonomie bedeutet:
Mille plateaux d’unités […].» 13 Am klarsten, am positivsten
kommt die Absicht vielleicht an der Stelle heraus,
Die Emanzipation des Vielen muss also radikaler wo der Begri≠ des «plateau» erklärt wird: «Pour
betrieben werden. Im Raum der Euklidischen le multiple, il faut une méthode qui le fasse
Geometrie ist die Vielheit so wenig frei wie im logi- e≠ectivement […].» 14 Und davor: «Nous appe-
schen Raum des Aristoteles – auch wenn er statt lons plateau toute multiplicité connectable avec
nach Allgemeinheit und Di≠erenz nun nach den d’autres par tiges souterraines superficielles, de
euklidischen Axiomen oder etwa nach den «mini- manière à former un rhizome […]. Chaque pla-
ma» Brunos strukturiert ist. Der Immanenzplan, teau peut être lu à n’importe quelle place […]». 15
über oder durch den die Begri≠e in unendlicher Die Figur ist bei Deleuze grundsätzlich
Geschwindigkeit sich bewegen, legt keinerlei Glie- etwas Ambivalentes, ein Gegenstand der Ausein-
derung von vornherein fest, schliesst nichts aus. andersetzung, ein Weg, der abstrakten Einheit
In Mille plateaux, in der Einleitung über und ihrer Organisation durch den Gegensatz zu
das Rhizom, wird das unmissverständlich klar entkommen, aber immer im Verdacht, eine neue
gestellt: «Un devient deux: chaque fois que nous Art von Versiegelung, Verschluss – mit einem
rencontrons cette formule, fût-elle énoncée straté- Wort: Repräsentation – zu begründen. Man sieht
giquement par Mao, fût-elle comprise le plus Deleuze diese Auseinandersetzung in vielen ver-
dialectiquement du monde, nous nous trouvons schiedenen Zusammenhängen austragen. Einer
devant la pensée la plus classique et la plus ist das Buch über Francis Bacon, die Reflexionen
réfléchie, la plus vieille, la plus fatiguée.» 12 Dage- um die Begri≠e des Figurativen und des Figura-
gen das Rhizom: «Le rhizome ne se laisse ramener len, die Figur als Resultat einer Zerstörung der
ni à l’Un ni au multiple. Il n’est pas l’Un qui devi- Figur etc. Ein anderer ist mit dem Begri≠ der
ent deux […]. Il n’est pas un multiple qui dérive de Freundschaft gegeben – ein gutes Beispiel, weil es
l’Un, ni auquel l’Un s’ajouterait. Il n’est pas fait hier direkt um eine Figur der Zwei geht.

Freundschaft
Grundsätzliches Systematik willen muss man dazu auch eine Stelle
Richard im 9. Buch lesen, wo nämlich das Wohlwollen
Heinrich
Wenn nun noch einmal eine Erinnerung zu Aristote- (oder: Wohlmeinen, εὔνοια) im Gegensatz zum
29 les folgt, dann soll das nur den Hintergrund liefern Begehren (ὄρεξις) als der für die Freundschaft ent-
Zweiheit
für ein Verständnis von Marcel Prousts ziemlich scheidende Begri≠ fixiert wird. 17 Aber das Wohl-
und
Vervielfäl­tigung
ex­travaganter Vorstellung von Freundschaft, der meinen als solches macht noch nicht die Freund-
Deleuzes intensive Aufmerksamkeit gewidmet hat. schaft, es muss gegenseitig sein (deshalb, wegen
Aristoteles macht einen radikalen Unter- der Unmöglichkeit der ἀντιφίλησις, können wir
schied auf semantischer Ebene zwischen Liebe und auch keine Freundschaft mit unbelebten Dingen
Freundschaft. Er läuft darauf hinaus, dass die unterhalten). Selbst das gegenseitige Wohlwollen,
Freundschaft eine charakteristische Figur der und das ist der entscheidende Punkt, stellt noch
Zweiheit als Gegenseitigkeit ist, die unkenntlich keine hinreichende Bedingung für Freundschaft
würde, definierte man Freundschaft einfach als dar: Das gegenseitige Wohlwollen muss ausserdem
«gegenseitige Liebe». Aristoteles hat der Freund- noch gegenseitig gewusst sein:
schaft als solcher das Profil einer hoch speziellen
Gegenseitigkeit verliehen, das man niemals rekon- «Viele nämlich sind wohlwollend gegenüber Men-
struieren kann, wenn man in einen formalen Be­gri≠ schen, die sie nie gesehen haben, die sie aber für
von Reziprozität irgendwelche Inhalte der Vorstel- anständig oder nützlich halten. Die gleichen Gefühle
lung der Liebe (das Begehren etwa) hineingiesst. könnte nun einer von jenen einem der ersteren gegen-
Wichtig ist allerdings, dass es hier wirklich nur um über haben. Solche [Menschen] scheinen also Wohl-
die Bedeutung geht und a priori weder etwas dar- wollen gegeneinander zu empfinden. Aber würde
über gesagt ist, wie Freundschaft gewonnen wird, jemand sie Freunde nennen, denen doch verborgen
ist, wie sie sich gegenseitig zueinander verhalten?» 18
noch ob es sie überhaupt gibt, und auch nicht dar-
über, ob die schönste Freundschaft nicht vielleicht
eine wäre, die sich mit Liebe erfüllt. Unverborgen muss das gegenseitige Wohlwollen
Jene relationale Vollkommenheit der Sym- sein, d. h. jedem der Freunde bewusst.
metrie begründet jedenfalls einen Vorzug der
Freundschaft vor der Liebe. Ich kann nicht wahr- Proust
heitsgemäss sagen, ich sei der Freund des X, wenn
nicht dieser auf Befragen sagte, er sei mein Freund. Das Interessante an Marcel Prousts Invektiven
Ich bin schon widerlegt, wenn er sagt, dass er mich gegen die Freundschaft ist nicht, dass er einer
nicht kennt. Es gibt eine Liebe, deren Vollkommen- ­solchen Analyse auf die Gegenseitigkeit hin miss-
heit der Erwiderung, ja der Anerkennung unbe- traute, sondern dass für ihn gerade das Überzeu-
dürftig ist, aber Freundschaft ist schon semantisch gende und Tre≠ende dieser Au≠assung gegen die
an Reziprozität gebunden. Das stellt Aristoteles im ­Freundschaft spricht. Zugunsten wovon? Zuguns-
8. Buch der Nikomachischen Ethik klar. 16 Um der ten der Liebe, natürlich. Vor allem aber ist die
Freundschaft das kardinale Hindernis auf dem Der «gemeinsame gute Willen» (εὔνοια), der die In­- 19 - Marcel Proust, À la
recherche du temps
Weg zu der Quelle individueller (und insbesonde- di­viduen in der Freundschaft zusammenschliesst, perdu, Jean-Yves
re künstlerischer) Kreativität. Zwei Zitate müssen in einer Figur der vollkommenen und gewussten Tadié (Hg.), 4 Bde.,
hier genügen: Gegenseitigkeit, wird hier verallgemeinert vorge- Paris 1991, Bd. 2,
S. 260f.
stellt, als universeller Geist der Verständigung mit
20 - Ebd., S. 691.
«La conversation même qui est le mode d’expression sich selbst. Das ist bereits die Kritik am «Bild des
21 - Gilles Deleuze,
de l’amitié est une divagation superficielle, qui ne Denkens» in Di≠erenz und Wiederholung, die Proust und die
nous donne rien à acquérir. Nous pouvons causer Kritik an der Lähmung des Denkens in seiner Nei- ­Zeichen, Frankfurt
pendant toute une vie sans rien dire que répéter gung, einem voraus entworfenen Bild von sich a. M. 1978, S. 78.
indéfiniment le vide d’une minute, tandis que la mar- selbst zu entsprechen. Der kritische Punkt ist 22 - Ebd., S. 99.
che de la pensée dans le travail solitaire de la créati- nicht, dass Vereinzelung als solche gegen diese
on artistique se fait dans le sens de la profondeur, la Universalität gestellt wird; die Vereinzelung
seule direction qui ne nous soit pas fermée, où nous
Prousts – «si j’étais resté seul …» – ist nur das Tor
puissions progresser, avec plus de peine il est vrai,
pour un résultat de vérité. Et l’amitié n’est pas seule-
zu einem Progress im Unbekannten, der – so
ment dénuée de vertu comme la conversation, elle Deleuze – einen Anstoss von aussen voraussetzt.
est de plus funeste.» 19 Was die Figur zur Vielheit hin ö≠net ist
also letztlich nicht ein anderes System, ein ande-
Vereinzelung erscheint als Bedingung der Kreati- res Schema, sondern immer die Kreativität, die
vität. So gibt es eine Stelle in «Guermantes II», wo einen unvorhersehbaren, kontingenten Anstoss
der Erzähler, während er gerade seinen Freund aufnimmt und weiterleitet.
Robert de Saint-Loup von der Wohnung auf die Zum Abschluss ein längeres Zitat aus dem
Strasse hinunter begleitet, eine poetische Einge- Proust-Buch, wo man vorgebildet sehen kann, wie
bung hat, intensivste Erinnerungen: «J’éprouvais der Begri≠ des «Immanenzplanes» eben gegen
à les percevoir un enthousiasme qui aurait pu être jede Vor-Gestaltung von Vielheit in Figuren eben-
fécond si j’étais resté seul […].» 20 so wie in Allgemeinheiten gerichtet sein wird:
Wie steht bei Proust die Liebe der Freund-
schaft gegenüber? Der Gegenseitigkeit in der «Dies ist wohl verantwortlich für jene außergewöhn-
Freundschaft kontrastiert in der Liebe die Eifer- liche Abfolge nicht aufeinander abgestimmter Teile
in der Recherche, mit irreduziblen Entfaltungs­
sucht – die Zerstörung und Destruktion der
rhythmen oder Explikationsgeschwindigkeiten:
Gemeinsamkeit schlechthin. (Weder der Zusam- nicht nur bilden sie gemeinsam kein Ganzes, sondern
menhang mit der platonischen Theorie der Liebe sie bezeugen auch nicht jeweils ein Ganzes, aus dem Richard
Heinrich
als Begehren nach dem Mangelnden noch die sie herausgerissen wären, das unterschieden von dem
komplexen Beziehungen zwischen der Theorie Ganzen anderer wäre, so daß sich ein Dialog zwi- 30
der Eifersucht und der Poetologie des Romans bei schen den Welten herstellen würde. Die Kraft, mit Zweiheit
Proust können hier weiter verfolgt werden). der sie in die Welt geschleudert sind, gewalttätig und
Vervielfäl­tigung
ineinandergefügt trotz ihrer nicht übereinstimmen-
Deleuze den Ränder, macht sie als Teile erkenntlich, ohne daß
sie indessen ein Ganzes, und sei es ein verborgenes,
bilden würden, ohne daß sie aus einer Totalität, und
Was Deleuze in seinem Buch über Proust vor
sei es einer verlorenen, hervorgehen würden. Indem
allem aufnimmt und sich zu eigen macht, ist der
er Stücke in Stücke setzt, findet Proust ein Mittel, um
Zusammenhang von Kritik der Freundschaft und sie alle denken zu lassen, doch ohne Bezug auf eine
Kreativität. Er weitet die Kritik an der Freund- Einheit, von der sie abgeleitet wären, oder die selbst
schaft aus zu einer Kritik an der Philosophie: von ihnen abzuleiten wäre.» 22

«Wichtig ist, daß Proust die gleiche Kritik gegen die


Philosophie und gegen die Freundschaft richtet.
Freunde sind im Verhältnis zueinander wie Geister
guten Willens, die sich über die Bedeutung der Din-
ge und der Wörter verständigen: Sie kommunizieren
unter der Wirkung eines gemeinsamen guten Wil-
len. Die Philosophie gleicht dem Ausdruck eines uni-
versellen Geistes, der sich mit sich selbst verständigt,
um explizite und kommunizierbare Bezeichnungen
zu bestimmen. Prousts Kritik berührt das Wesentli-
che: Wahrheiten bleiben willkürlich und abstrakt,
solange sie sich auf den guten Willen zum Denken
gründen. Nur das Konventionelle ist explizit. Daher
kennt die Philosophie wie die Freundschaft jene
dunklen Zonen nicht, wo die wirksamen Kräfte sich
ausbilden, die auf das Denken wirken, die Bestim-
mungen, die uns zu denken zwingen […].» 21
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei

Wolfram Pichler […]

Caravaggio
Den raum verkürzt er um die hälfte
Die körper verdoppelt er
[…]

oder
Figuren die in sich selbst
Und zueinander im zwist
[…]

die Malerei des Gesicht das irgendwo


Zwischen halbierung und verdoppelung
Verloren erscheint

Zwiespalts * […]
(Rolf Winnewisser) 1

31 Beweggrund der nachfolgenden Bemerkungen ist eine Para- Abb. 1


doxie: Die Konsistenz von Caravaggios Malerei liegt, wie mir Giordano Bruno,
Figur der Zwei
scheint, in Diskontinuitäten begründet, und die für diese (Jordani Bruno
Malerei charakteristischen Zusammenhangsformen gehen Nolani De Monade
Numero et Figura
aus Unterbrechungen hervor. Verbindendes und Trennendes […]. Frankfurt
sind in ihr auf paradoxe Weise verbunden. Diese Paradoxie ist a. M. 1591, S. 349)
es, worauf ich anspreche und was mich zum Sprechen bringt.
Da ich sie nicht unmittelbar zu fassen vermag, wähle ich ein
näher an der Oberfläche liegendes Thema und gehe der Zwie-
falt oder Zwiespältigkeit nach, die sich durch diese Bilder
zieht. Das mag überraschend klingen. Caravaggios Kunst wird
* - Ich möchte mich bei Jörg Huber, Julia Gelshorn und Stefan
nicht unbedingt mit Zwiefalt oder Zwiespalt assoziiert. Eher Neuner für die freundliche Einladung bedanken, zur Zürcher
ist man bereit, in ihr eine Kunst der Schnitte und Brüche, der Vortragsreihe über die Figur der Zwei etwas beizutragen.
Schläge, Stiche und Inzisionen zu sehen. Und doch ist sie Als Ausgangspunkt des vorliegenden Vortrags diente mein
Aufsatz: «Il dubbio e il doppio. Le evidenze in Caravaggio»,
auch, vielleicht sogar vor allem eine Malerei der Zwiefalt oder in: Sybille Ebert-Schifferer u. a. (Hgg.), Caravaggio e il suo
des Zwiespalts. Je mehr man von diesen zweien und den dar- ambiente. Ricerche e interpretazioni, Mailand 2007, S. 9−33.
aus hervorgehenden zwiefältig-zwiespältigen Symmetrien Was an neuen Beobachtungen und Überlegungen hinzu
gekommen ist, möchte ich in einer Studie zum Zwist in Cara-
begreift, desto besser wird man, glaube ich, verstehen können, vaggios Malerei ausführlicher entwickeln. Dort werde ich
wie Unterbrechung und Zusammenhang bei Caravaggio auch den Bezug zur aktuellen Caravaggio-Forschung expli­
zieren. Hier seien nur vier repräsentative Monographien
zusammenhängen. Ausserdem gewinnt man Anhaltspunkte genannt, die zum Jubiläum erschienen sind: Sybille Ebert-
für die Beantwortung einer Frage, die im gegebenen Rahmen Schifferer, Caravaggio. Sehen − Staunen − Glauben. Der Maler
nicht nicht gestellt werden darf: Steht Caravaggios Malerei im und sein Werk, München 2009; Klaus Krüger, Caravaggio. Der
Künstler und sein Werk, Köln 2010; Valeska von Rosen, Cara-
Zeichen der Zwei? Lässt sie sich der Figur der Zwei – anbei vaggio und die Grenzen des Darstellbaren. Ambiguität, Ironie
Giordano Brunos Version – zuordnen? Abb. 1 und Performativität in der Malerei um 1600, Berlin 2009 sowie
Ich lasse diese Frage bis auf weiteres rasten. Zunächst Sebastian Schütze, Caravaggio. Das vollständige Werk, Köln
2009. − Das Caravaggio-Jahr wird allerdings nicht zu Ende
gilt es zu verstehen, von welcher Art die für Caravaggios Male- gehen können, ehe die einschlägigen Bücher von Rudolf Prei-
rei bestimmende Zwiefalt oder Zwiespältigkeit ist. Denken mesberger und Michael Fried da sind.
wir an ein aufgeschlagenes Buch oder Heft. Was wir dann vor 1 - Rolf Winnewisser, 18. 7. 1610, St. Gallen 1986 (= vexter, 5), S. 10,
18 u. 22. Ich bedanke mich bei Felix Thürlemann, der mich
uns haben, ist der einfache Fall einer bilateral symmetrischen auf Winnewissers Caravaggio-Arbeiten hingewiesen, und bei
Struktur. Die Symmetrieachse ist im Falz verkörpert, der als Ralf Winnewisser, der mir diese – funkelnden – Schriften
ein Moment des Trennens und zugleich Verbindens zwischen zugänglich gemacht hat. Weitere Zitate folgen. Ich habe sie
meinem Text nachträglich aufgepfropft, würde mich aber
den zwei Seiten liegt. Aufgeschlagene Bücher und Hefte gehö- glücklich schätzen, wenn der Eindruck entstünde, er wäre aus
ren zu Caravaggios Leit- und Lieblingsmotiven. Sehen wir ihnen herausgewachsen.
32

Abb. 3
Caravaggio, Amor als Sieger (1601–1602), Öl auf Leinwand,
156 x 113 cm (SMPK, Gemäldegalerie, Berlin)
Abb. 2
Caravaggio, Ruhe
auf der Flucht nach
Ägypten (1596–1597),
Öl auf Leinwand,
135,5 x 166,5 cm
(Galleria Doria
Pamphili, Rom)

uns ein paar Beispiele an, beginnend mit einem relativ frü- Kürass, kopf- und kernlos wie alle Kürasse ohne Träger,
Wolfram hen Werk, der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten in der Gal- dafür aber mit einigen Scharnieren und einem scharfen Bug
Pichler
leria Doria Pamphili. Abb. 2 Das Bildfeld ist so gegliedert, dass am Brustteil ausgestattet. Man braucht einige Zeit, um das
33 eine zweiseitige Struktur entsteht, in der sich ein Gegensatz Ding richtig zu sehen, so sehr ist es aus der Form geraten,
Caravaggio
verkörpert: links eine öde, rechts eine gedeihende Welt; fuori sagoma. Wenn man so weit ist, fällt eine Analogie mit
links geö≠nete Augen (am schönsten vielleicht das grosse dem Notenheft und dem Körper des Jungen auf. Der unsanf-
Auge des Grautiers), rechts geschlossene Augen und eine in te Bodenkontakt spreizt die Rüstung auf: Der linke Teil des
sich gerundete Gruppe von bergender Mutter und geborge- Beinschutzes ist auf forcierte Weise seitlich weggebogen.
nem Kind. In der Mitte die Figur des musizierenden Engels. Man vergleiche das malträtierte Notenheft, vor allem aber
Sein linker Flügel, genau in der Mittelachse des Gemäldes, den ebenso willkürlich abgespreizten linken Oberschenkel
gleicht einer o≠enen, sein rechter einer geschlossenen oder Amors. Wer nahe genug an das Gemälde herantritt, wird
angelehnten Türe, die die Gruppe von Mutter und Kind zudem bemerken, dass direkt unter diesem triumphieren-
beschirmt. Der heilige Josef hält dem Engel brav die Noten. den Amor, halb verborgen, ein Foliant liegt. Er ist gewaltsam
In der Doppelseitigkeit des Notenhefts und in der korres- geö≠net, man könnte auch sagen: verkehrt herum geschlos-
pondierenden Duplizität der Engelsflügel spiegelt sich die sen. Gleichzeitig wird, in der Achse über dem Buch, ein wei-
Zwiefalt des ganzen Bildes. Auch das Bild hat zwei Seiten wie teres in sich gedoppeltes Ding sichtbar, zwar nur ansatzwei-
das Heft oder zwei Flügel wie der Engel. Es ist ein latentes se, aber deutlich genug. Ich spreche vom Hinterteil des
Diptychon mit einem Falz in der Mittelachse – ein durchaus geflügelten Jungen, der zu verstehen gibt, dass er auf einige
passendes Schema, wenn man an die schöne alte Frage Dinge dieser Welt … Buchfalz und Körperfalte entsprechen
denkt, wie Maria Mutter werden, aber Jungfrau bleiben einander. Man muss sich nicht gleich in die Falte oder Inva-
konnte, eine mit einem Junggesellen verheiratete Jungfrau, gination in dem weissen Sto≠ vertiefen, auf dem der Junge
sogar. Hier sehen wir sie: die jungfräuliche Mutter et son céli- Platz genommen hat, um sagen zu können: Das Bild zeigt
bataire, même, dazwischen den schönen Scharnierengel. 2 au≠ällig viele geknickte und gefaltete Körper oder auch sol-
Gehen wir weiter und betrachten Amor als Sieger, ein che, die aus Faltungen hervorgehen, Faltkörper sozusagen.
Bild der Berliner Gemäldegalerie, das einst für Vincenzo Betrachten wir jetzt das Bild als Ganzes. Wir bemerken, dass
Giustiniani gemalt wurde. Abb. 3 Links liegen fünf bilateral die Mittelachse von Amors Oberkörper mit der vertikalen
symmetrische Dinge am Boden: eine Laute, eine Violine, ein Mittelachse des Gemäldes zusammenfällt, ebenso, dass der
Notenheft, ein Richtscheit und, verschränkt mit diesem, ein Kopf des Jungen nicht in dieser Achse, sondern rechts neben
Zirkel. Die Symmetrie des Notenhefts ist gestört, weil die ihr liegt. Die Mittelachse des Oberkörpers, die zugleich
eine Seite merkwürdig umgebogen ist und sich zu einer Art
Röhre formt. Umso au≠älliger wird eine spezifische Gemein- 2 - Winnewisser spricht davon, dass dieses Bild vom Engel «in
eine / ruhende und eine horchende Hälfte / unterteilt wird»,
samkeit von Heft, Richtscheit und Zirkel, nämlich dass alle Rolf Winnewisser, Sieben Teilungen. Ein Text zum Bild: «Die
drei in ihrer Mitte jeweils einen Falz, einen Winkel bzw. ein sieben Barmherzigkeiten» von Caravaggio 1607 (anlässlich
Gelenk aufweisen. Ein weiteres dieser am Boden liegenden der Ausstellung «Marginalien zu Caravaggio» in der Gale-
rie auf der Empore, Universität Konstanz, 1998), Arbeits-
oder eigentlich zu Boden geworfenen, erniedrigten Dinge ist gruppe Kunstwissenschaft der Universität Konstanz (Hg.),
rechts vorne im Bild zu sehen. Es handelt sich um einen Konstanz 1998, unpaginiert.
diejenige des Bildes ist, wird nicht durch ein Haupt bekrönt. das Gesicht ist ein Paradigma dessen, was wir Einheit oder
Bild und Körper sind, so gesehen, kopflos oder «unbehaup- Ganzheit nennen. Um es als potentiell gespaltenes Ding se­hen
tet». Der Körper Amors nähert sich der Struktur von Heft zu können, bedarf es Anstrengungen wie jener, die Caravag-
und Buch, mehr noch derjenigen des Kürasses an, über den gio in der Gestaltung von Judiths Gesicht unternommen hat.
er eben nur scheinbar triumphiert. Er, der triumphierende Das Gesicht muss an seinem Median einen Knacks bekom-
Junge, ist selber drauf und dran, sich in einen kopflosen, men. In genau diesen Zusammenhang gehört wohl der – von
aber vielgliedrigen Klapp- und Faltkörper zu verwandeln. diesem Maler mehrfach angewendete – Kunstgri≠, ein Augen-
Hier möchte ich den Gang der Argumentation unter- paar dadurch zu entzweien, dass zwischen es die Di≠erenz von
brechen und einen Exkurs über verlorene Köpfe und zerbre- Leben und Tod getrieben wird. Der Kopf Goliaths im berühm-
chende Gesichter einschieben. Dass der Zusammenhang von ten Gemälde der Galleria Borghese ist das bekannteste, kei-
Kopf und Körper in Caravaggios Malerei insgesamt proble- neswegs das einzige Beispiel. Abb. 7 Ein Auge scheint gerade
matisch ist, muss kaum betont werden. Diese Malerei wider- noch lebendig, das andere gerade schon gebrochen. Zwischen
streitet der Idee vom Kopf als Bekrönung des Körpers. Nicht, den beiden Augen liegt die Kante des Todesmoments – jenes
dass Caravaggio etwas gegen Wirbelsäulen oder sonstige tödlichen Aufpralls, dessen Gewalt in der Stirnwunde nach-
markante Achsen hätte. Er will nur nicht, dass diese Achsen hallt, jetzt noch nachhallt. Die Wunde ist im Übrigen ein hei­
zur Hauptsache oder Sache eines Hauptes werden. Er will sie kler Punkt. Sie hat etwas von einem Zyklopenauge, das die
als Falte, Kante oder Knick behandeln und auch selber noch Einheit des Gesichts auf monströse Weise wieder herstellen
einmal falten oder knicken können. Schlimmstenfalls muss könnte. Das mag ein Grund sein, weshalb Caravaggio dieses
daher das Haupt vom Körper abgetrennt werden. Aber man Gesicht nicht nur gespalten, sondern auch, wenigstens ansatz-
kann es auch zur Seite schieben oder umknicken. Der Berli- weise, verdoppelt hat. Dieses Gemälde ist ja voll von merk-
ner Amor lässt ein typisches Motiv erkennen. Caravaggio würdigen Echoe≠ekten. Abgesehen von der Resonanz zwi-
liebt es, den Kopf von Hauptfiguren seitlich wegzuklappen. schen den Gesichtern von Täter und Opfer bildet sich in
Zu den bekanntesten Fällen zählen die Loretomadonna in Davids Hemd eine Faltenhöhle, die dem aufkla≠enden Mund
S. Agostino in Rom, die Wiener Dornenkrönung und die für Goliaths antwortet, während ein herunterhängender weisser
S. Domenico Maggiore in Neapel gemalte Geisselung. Abb. 4/5 Gewandzipfel die Bewegung des herabströmenden Bluts
Manchmal scha≠t der Maler dem Kopf ein formales Gegen- nachzuahmen scheint. Die Brustwarze Davids kann in Analo-
gewicht, etwa in Form einer Schulter oder eines Flügels. gie zu Goliaths Stirnwunde und folglich als eine Art Auge
Dann ist der Kopf auf keinen Fall mehr das beherrschende gesehen werden. Es ist, als ob Goliaths Gesicht auf Davids
Prinzip einer Symmetrieachse, sondern er ist einer von zwei Körper abfärben oder sich in ihn einzeichnen würde.
symmetrisch aufeinander bezogenen Körperteilen, zwischen Aber kehren wir zurück zum Motiv des Buchs. Worin
denen eine imaginäre Achse verläuft. Im Bacchus der besteht seine besondere Bedeutung in und für Caravaggios
U∞zien gibt es, wie mir scheint, mindestens zwei Gegenmo- Malerei? Sie besteht vielleicht darin, dass das Buch mehr ist
tive, die mit dem Kopf paarig zusammen gesehen werden als bloss ein Motiv. Es ist auch ein Medium, das zwischen 34
können: einerseits die merkwürdig aufgeblähte rechte zwei Ebenen vermittelt, den gemalten Körpern einerseits,
Schulter des Jünglings, anderseits die Fruchtschüssel, die den Gemälden, in denen die Körper gemalt sind, anderer-
wirklich ein grotesker Gegenkopf ist. seits. Das Motiv oder Medium des aufgeschlagenen Buchs
Caravaggios ästhetische Kopfjägererei, wenn man sie liegt auf halbem Weg zwischen Körpern und Gemälden. Es
so nennen kann, ist allerdings ein Kapitel für sich. Sie gehört ist flächig wie die Gemälde und doch körperhaft wie die Kör-
zum grossen Problemkreis des Schnitts, über den Louis per. Wie einige von Caravaggios Gemälden ist es eine Art
Marin so geistreich geschrieben hat. 3 Dennoch kann dieses Diptychon. Und wie einige der von ihm gemalten Körper
Problem hier nicht ganz ausgeklammert werden. Manche wird seine Mittelachse von keinem Haupt beherrscht.
von Caravaggios zwiefältig-zwiespältigen Symmetrien Im Hieronymus der Galleria Borghese, meinem
schliessen Schnitte ein, und manche seiner Schnitte erzeugen nächsten Beispiel, werden Handlung und Bildstruktur
Symmetrien. Nehmen wir zum Beispiel Judith und Holofer- wesentlich von Büchern getragen.Abb. 8 Die Bücher gehören
nes aus der Galerie des Palazzo Barberini. Abb. 6 Mir scheint, zu den Akteuren oder Aktanten des Bildes. Auch wird man
dass das Bild durch mindestens zwei Entzweiungen gekenn- von keinem anderen Gemälde Caravaggios mit mehr Recht
zeichnet ist: Da ist auf der einen Seite natürlich der Schnitt, behaupten können, es sei ein latentes Diptychon. Hieronymus
der ein Haupt von seinem Körper trennt, auf der anderen Sei- ist klein genug, der Totenschädel auf der anderen Seite gross
te der Körper der Schnitterin, der im selben Moment in genug und auch hinreichend hoch platziert, damit die beiden
gewisser Weise aufplatzt oder sich spaltet. Nicht nur, dass als symmetrisches Paar erscheinen können. Das Autorenpaar
Judith ein entlang der Mittelachse ihres Körper gespaltenes Leo Bersani und Ulysse Dutoit hat diese Doppelfigur sehr
Kleid trägt, dessen zwei Seiten von der schwellenden Brust schön beschrieben. 5 In der Symmetrieachse des Bildes liegt
noch weiter auseinander getrieben werden. Dieser Riss läuft ein Buch. Mit dem Falz des Buchs verbindet sich die Beuge
weiter fort und geht durch das Gesicht der Frau. Au≠ällig ist von Hieronymus’ rechtem Arm. Dieses Motiv der Beuge wird
der hart gezeichnete Haarscheitel, noch au≠älliger und wich- von dem benachbarten roten Sto≠bausch im Gegensinn wie-
tiger der Zwiespalt an der Nasenwurzel. In der Bewegung des derholt. Man erinnert sich an die Assoziation zwiefältiger
Schnitts erfährt Judith selber eine Spaltung: «Gespaltenes Objekte – Notenheft, Richtscheit, Zirkel – im Berliner Amor.
und Zusammengehörendes liegen in / ihrem Blick.» 4 Der Unterschied liegt darin, dass die Motivgruppe hier, beim
Alles scheint sich zu verdoppeln oder zu entzweien. Hieronymus, zusätzlich gekoppelt ist mit dem virtuellen Bug
Zum Enthaupten gesellt sich die Kunst, Gesichter zu spalten
3 - Vgl. Louis Marin, Die Malerei zerstören, Bernhard Nessler
oder zu zerbrechen. Caravaggio ist gross darin. Man mag sich (Übers.), Berlin 2003.
fragen weshalb. Aus welchem Grund sollte er Gesichter spal- 4 - Winnewisser, Sieben Teilungen (wie Anm. 2).
ten, die doch schon von sich aus bilateral symmetrische Gebil- 5 - Vgl. Leo Bersani / Ulysse Dutoit, Caravaggio’s Secrets,
de sind? Vielleicht, weil es schwer fällt, sie als solche zu sehen. Cambridge (Mass.) / London 1998, S. 33−35.
Gewöhnlich nehmen wir ein Gesicht doch als Einheit wahr, ja 6 - Winnewisser, 18. 7. 1610 (wie Anm. 1), S. 13.
Abb. 4
Caravaggio, Loretomadonna (1603−1605), Öl auf
Leinwand, 260 x 150 cm (Sant’Agostino, Rom)
Abb. 5
Caravaggio, Dornenkrönung (1602–03), Öl auf Leinwand,
127 x 166 cm (Kunsthistorisches Museum, Wien)

Wolfram
Pichler

35
Caravaggio

Abb. 6
Caravaggio, Judith und Holofernes
(1598–1599), 154 x 195 cm (Galleria
Nazionale d’Arte Antica, Palazzo
Barberini, Rom)
Abb. 7
Caravaggio, David mit dem Haupt des
Goliath (1609–1610), Öl auf Leinwand,
125 x 101 cm (Galleria Borghese, Rom)
Abb. 8
Caravaggio, Hl. Hieronymus (1605–
1606), Öl auf Leinwand, 112 x 157 cm
(Galleria Borghese, Rom)
Abb. 9
Caravaggio, Der ungläubige
Thomas (1601–1602), Öl
auf Leinwand, 107 x 146 cm
(Schloss Sanssouci,
Bildergalerie, Potsdam)
Abb. 10
Caravaggio, Emmausmahl
(1606), Öl auf Leinwand,
141 x 175 cm (Pinacoteta di
Brera, Mailand)

36

Abb. 11
Caravaggio, ­Rosenkranzmadonna
(1604–1605), Öl auf Leinwand,
364 x 250cm (Kunsthistorisches
Museum, Wien)
Abb. 12
Caravaggio, Auferweckung des
Lazarus (1609), Öl auf Leinwand,
380 x 275 cm (Museo Regionale,
Messina)
oder Knick, der das zwiefältige Bild teilt und zusammenhält. Ich gebe gerne zu, dass das Einzelfälle sind. Jedes Gemälde
Links der Totenschädel, der seinerseits auf einem Buch Platz Caravaggios ist ein Einzelfall, der einer gesonderten Betrach-
genommen hat, natürlich ein wenig neben dessen Falz, ihn tung bedarf. Dennoch sind, was das Phänomen der Zwiefalt
also nicht bekrönend; rechts der in ein anderes Buch vertief- oder des Zwiespalts betri≠t, ein paar Verallgemeinerungen
te Schädel des lebendigen Übersetzers; zwischen beiden aber möglich. Etwas überspitzt könnte man sagen: Caravaggio
der Falz des Bildes oder Bildfalz. Den Totenkopf sehe ich als liebt bilaterale Symmetrien um ihrer Achsen willen. Was ihn
einen Beobachter, der die Schreibszene überwacht. Sein Blick aber an den Achsen fasziniert, dürfte im Vorhergehenden
ist da, ohne dass er Augen hätte, während der Blick des Hie- deutlich geworden sein: Achsen können wie Knicke oder
ronymus da ist, ohne dass seine Augen sichtbar wären. In die Falten funktionieren, sie unterbrechen Zusammenhänge,
Übersetzungsarbeit sind anscheinend beide Schädel mit ihren stellen sie aber auch her, und manchmal tun sie das eine,
unsichtbar-sichtbaren Blicken involviert, die Bücher sowieso. indem sie das andere tun. In der Mittelachse von Caravag-
Auch Totes und Unbelebtes schreibt sich mit ein: «Schrift gios Gemälden tauchen nicht selten Dinge auf, die durch
unterwegs zwischen schädel und schädel.» 6 Gehört der aus- eine Falte, einen Knick oder einen Bruch charakterisiert
gestreckte Arm dem Hieronymus allein? Er ist mitsamt der in sind: ein Lautenhals zum Beispiel wie im New Yorker Kon-
schwarze Tinte getunkten Feder in den Zwischenraum von zert, ein scharf geschnittenes Rahmenelement wie in der
Tod und Leben gestreckt, der in diesem Bild zugleich ein Zwi- Loretomadonna in S. Agostino in Rom, eine noch schärfere
schenraum der Farben Weiss und Rot ist. steinerne Kante wie in der Grablegung der Chiesa Nuova
Der Vergleich des Gemäldes mit einem aufgeschlage- oder ein gebrochenes, an der Kruste zerbrochenes Brot wie
nen Buch oder Heft kann selbstverständlich auch dann im Emmausmahl der Brera, wo die Symmetrieachse von Jesu’
erhellend sein, wenn das betre≠ende Bild von sich aus kein Gesicht genau auf diese zentrale Bruchstelle zuläuft. Abb. 4/10
Buch oder Heft oder dergleichen zeigt. Caravaggios vielleicht Nicht zuletzt wird man in den Mittelachsen vieler Bilder
am striktesten symmetrisch komponiertes Bild, der Potsda- Berührungen, speziell Selbstberührungen finden. Dass in
mer Ungläubige Thomas, kommt ganz ohne solche Dinge der Mitte der Ruhe auf der Flucht ein Engel seine Beine anein­-
aus. Abb. 9 Man könnte bezweifeln, ob dieses Gemälde über- ander reibt, ist alles andere als untypisch. Ähnliche Motive
haupt ein imaginäres Scharnier aufweist, denn in der Mittel- sind beispielsweise in der Wiener Rosenkranzmadonna
achse des Bildes erscheint, die Komposition nach oben hin anzutre≠en. Abb. 11 Die Mittelachse dieses grossen Altarbildes
abschliessend, der Kopf eines Zeugen. Aber dieser Kopf ist ist, könnte man sagen, zwischen zwei Selbstberührungen
wirklich nicht die Hauptsache und kann daher die Sache des eingespannt: unten die übereinander gelegten Füsse eines
Hauptes nicht retten. Entscheidend ist vielmehr, dass Cara- Pilgers, 8 oben die Geste des Christuskindes, das seinen Leib
vaggio auf den Gedanken gekommen ist, die linke Konturli- – hoc es corpus meum – mehr berührt als zeigt. (Typisch übri-
Wolfram nie Christi und seine Seitenwunde nach rechts auf die ande- gens auch, dass dieses Kind nicht auf den Beinen der Mut-
Pichler
re Seite des Bildes zu spiegeln. Die gespiegelte Kontur hat er ter, sondern dazwischen steht.) Caravaggios Selbstberührun-
37 mit der Figur eines weiteren Jüngers gefüllt, die gespiegelte gen sind merkwürdig selbstverlorene Berührungen. An
Caravaggio
Wunde mit der aufgeplatzten Naht am Ärmelansatz des hl. ihnen wird deutlich, dass jede Berührung und folglich auch
Thomas identifiziert. Diese aufgeplatzte oder aufplatzende jede Selbstberührung eine Trennung voraussetzt. Natürlich
Naht, man könnte sie für das eigentliche Auge des Zweiflers muss ein Körper, um sich selber berühren zu können, zusam-
halten. Die Symmetrieachse wird durch Thomas’ vertikal menhängen. Aber er muss auch gegliedert sein, voneinander
fallenden Mantelsaum zusätzlich betont. Der Zusammen- verschiedene Teile aufweisen, ja in gewisser Weise ausser
hang zwischen Zweifel und Zwei, il dubbio e il doppio, aber sich sein, denn nur was auseinander liegt, kann sich einan-
auch zwischen Zweifel und Zwilling – der Apostel Thomas der annähern und berühren. Keine Selbstberührung ohne
wurde ja auch Didymus, Zwilling, genannt –, dieser Zusam- irgendeine Art von Falte: Platons Kugelmenschen könnten
menhang ist mit malerischen Mitteln vielleicht nie prägnan- sich nicht selbst berühren.
ter und präziser ausgedrückt worden als hier. 7 Es geht nicht Noch etwas ist wichtig: Wenn Caravaggio von bilate-
um die Zweizahl als solche, sondern um das, was zwischen ralen Symmetrien fasziniert war, so scheint es ihm weniger
zwei Dingen, Körpern oder Zuständen liegt und sie ausein- um die Gleichheit der Seiten gegangen zu sein als um den
ander hält, aber auch verbindet. Dem entspricht auf bildsyn- Gegensatz von links und rechts, den sie verkörpern können.
taktischer Ebene die als schwierige Passage aufgefasste Sym- Diesen höchst anschaulichen Gegensatz, von dem viele sei-
metrieachse. Thomas geht durch diese Achse, die Achse geht ner Gemälde leben, hat er häufig zur Darstellung unan-
durch ihn hindurch. Der starre Blick zeigt, dass er inzwi- schaulicher Dichotomien genützt. Am Gegensatz von Zwei-
schen nicht bei sich, daher auch nicht bei der Sache ist. Er fel und Gewissheit, wie er im Ungläubigen Thomas verarbei-
ist, ähnlich wie der ausgreifende Arm des Übersetzers Hie- tet wird, kann man sich vielleicht am besten verdeutlichen,
ronymus, in einen Raum gestellt, der kein Ort oder Zustand was Caravaggio an Dichotomien überhaupt interessiert hat:
ist, sondern ein Zwischen zwei Orten oder Zuständen. Er nicht die positiven Terme (falls es so etwas geben sollte), son-
zweifelt vielleicht nicht mehr, glaubt aber auch noch nicht. dern das Dazwischen-Liegende. Dem formalen Interesse an
Jeder Zweifler ist in einem Zwischen, er kann oder will sich Scharnieren und Falten korrespondiert o≠enbar ein ebenso
nicht festlegen. Er entzieht einer Sache ihre Autorität, ohne stark ausgeprägtes inhaltliches Interesse an Zwischenzu-
eine andere Sache an die Stelle der ersten zu setzen. Caravag- ständen und Knackpunkten oder, logisch gesprochen, am
gio zeigt etwas Komplizierteres. Er zeigt einen, der den Zwi- Weder-Noch und Sowohl-als-Auch. Was passiert zwischen
schenzustand des Zweifels verlassen hat, ohne schon am fes- Zweifel und Gewissheit oder zwischen Unglauben und
ten Land der Gewissheit angekommen zu sein. Was er zu 7 - Zu Thomas dem Zwilling und Zweifler vgl. etwa Walafrid
sehen gibt, liegt genau zwischen zwiespältigem Zweifel und Strabos Matthäuskommentar: «Glossa ordinaria in Evan-
einfältiger Gewissheit. Insofern findet in diesem Gemälde so gelium secundum Matthaeum», in: Jacques Paul Migne
(Hg.), Patrologia Latina, Paris 1852, Bd. 114, Sp. 117.
etwas wie eine abgründige Verdoppelung, die Mise en abyme
8 - Zu diesem Motiv, das auch in der frühen Ruhe auf der Flucht
des Inzwischen-Seins statt. eine wichtige Rolle spielt, vgl. Winnewisser, Sieben Teilungen
(wie Anm. 2).
Glauben? Wie können Jungfern- und Kindschaft in eins gegeneinander beweglich bleiben und gefaltet werden kön-
zusammen fallen (um noch einmal an die Ruhe auf der nen. Sofern das Scharnier weder zum einen, noch zum ande-
Flucht nach Ägypten zu erinnern)? Zu diesen paradoxen Zwi­ ren Flügel gehört, ist es ein Drittes. Aber es ist natürlich kein
schenzuständen oder Knackpunkten gehören auch Momen- dritter Flügel – so wenig wie die Falte ein Teil des Sto≠es ist,
te der Bekehrung und, nicht zuletzt, das Ereignis des Todes. in den sie sich legt, oder so wenig wie ein Schnitt ein Teil des
Caravaggio fasst den Tod als eine Art Kante auf, auf deren Dinges ist, durch den er hindurchgeht, oder sowenig wie der
zwei Seiten sich ein lebendiges und ein totes Wesen vertei- Tod der Seite des Lebendigen oder des Toten zugeschlagen
len, die durch sie, die Todeskante, getrennt, aber auch ver- werden kann. Caravaggios Malerei reimt sich also vielleicht
bunden werden. So lässt er den Todesmoment beispielswei- nur zum Schein mit der Zwei. Eher steht sie im Zeichen des
se in der zerbrochenen Symmetrie eines Gesichts anschau- Zwischen, der Zwiefalt und der zwiespältig-zwiefältigen
lich werden. Aber es gibt auch andere, komplexere Fälle. Ich Symmetrien. Wer so spricht, gerät in die Verlegenheit, dass
denke an die Auferweckung des Lazarus, die im Auftrag im Zwischen, in der Zwiefalt und im Zwiespalt ja doch wie-
eines genuesischen Kaufmanns namens de’ Lazzari für eine der die Zwei steckt, wenigstens in sprachlicher Hinsicht.
Kirche in Messina gemalt wurde. Abb. 12 Es handelt sich um Vielleicht müsste man aber zwischen zwei Zweien, nämlich
eines der letzten Bilder des Malers. Lazarus ist weder leben- Zweiheit und Zwiefalt unterscheiden. Die Zweiheit bezeich-
dig noch tot, oder er ist beides zugleich, denn er überquert net, wie ich in extensionaler Sprechweise sagen würde, die
gerade die Achse des Todes. Da er sie zum zweiten Mal über- Menge aller Paare. Eine Zwiefalt dagegen bringt Paariges
quert, geht die Bewegung nicht von lebendig zu tot, sondern hervor oder nistet sich im Zwischenraum von Paaren ein.
von tot zu lebendig. Aber wichtig ist eben das Inzwischen- Während die Zweiheit in den Bereich der Zahl gehört, ist
Sein. Wir sehen Lazarus halb aufgerichtet, in einer Mittel­ Zwiefalt unzählbar. Sie impliziert ein unzählbares Drittes,
lage zwischen Horizontaler und Vertikaler. Anders als der das beides verhindert: sowohl, dass eines ganz bei sich bleibt,
Totenschädel unter seiner Linken liegt er nicht mehr, anders wie auch, dass zwei klar unterschieden werden können.
als Christus auf der anderen Seite steht er noch nicht. Sein Caravaggios Gemälde sind demnach keine Figuren
Kopf liegt tot im Nacken, seine Rechte ist lebendig erhoben. der Zwei. Allenfalls sind sie Figuren dessen, was, wie Goethes
Das Gesicht des Lazarus und das Gesicht seiner sich über ihn Gingkoblatt, eins und doppelt ist. Aber sind diese Bilder
beugenden Schwester verhalten sich zueinander wie Positiv überhaupt Figuren? Auch darauf weiss ich keine andere als
und Negativ. Aber auch an diesem Punkt interessiert nicht eine zwiespältige Antwort. Ja, sie sind Figuren, nämlich
der Gegensatz als solcher, sondern das, was zwischen den insofern in ihnen etwas anschaulich wird. Nein, sie sind
beiden Gesichtern liegt: inhaltlich gesehen das Aus- oder ­keine Figuren, wenn man unter einer Figur ein artikuliertes
Einhauchen das Lebens, formal eine Wendung um 180 Grad, Gebilde verstehen will. Die genuine Kraft von Caravaggios
die ein Doppelgesicht erzeugt. Wenn wir jetzt das Bildfeld als Malerei liegt, meine ich, nicht im Artikulierten, sondern in
Ganzes überblicken, wird deutlich, dass die in sich zwiespäl- dem, was artikuliert oder desartikuliert. Sie liegt in Momen-
tige Figur des Lazarus nicht nur auf den Gegensatz von hori- ten der Artikulation und Desartikulation, Momenten des 38
zontal und vertikal, sondern zugleich auch auf den von links Trennens und Verbindens und der Verbindung von Trennen
und rechts bezogen ist, wobei die linke Seite Licht und Leben und Verbinden. Seine Gemälde sind keine Figuren, weil sie
ausströmt, während die Rechte nach Grab und Verwesung wie die Körper, die sie zu sehen geben, keinen Kopf oder
riecht. Die erhobene Rechte des Lazarus markiert die Mit- Abschluss haben. Sie sind o≠en, unversiegelt und bringen
telachse zwischen den zwei Seiten – nicht ohne diese Achse auf eigentümliche Weise zur Anschauung, dass der Akt des
leicht gegenüber der geometrischen Mitte zu verschieben Versiegelns oder Darstellens sich nicht selber versiegeln oder
oder verrücken. Ohnehin ist der Median dieses Bildes (wie darstellen kann. 11 Das dürfte übrigens der Grund sein, wes-
vieler anderer Gemälde Caravaggios) in sich geteilt oder halb Louis Marin auf den Gedanken kommen konnte, dass
zwiespältig. In seiner Nachbarschaft sind zwei voneinander
abgewandte, nach links und rechts orientierte Köpfe zu se­- 9 - Rolf Winnewisser, Die Handleserin. La buona ventura:
hen, die durch ihre gegenstrebige Bewegung das Bild «schei- ­Caravaggio, Frauenfeld 1997, unpaginiert.
teln». Ausserdem bleibt unentscheidbar, ob Lazarus’ Hand 10 - Zu Bildform Diptychon, die bei Caravaggio in gewisser
­Weise «nachlebt», vgl. den Beitrag von David Ganz
ein empfangende oder eine abwehrende Geste vollzieht: ob in dem von ihm und Felix Thürlemann herausgegebenen
die o≠ene Handfläche das Licht aufnimmt wie eine licht- Sammelband: Das Bild im Plural, Berlin 2011 (im Druck).
empfindliche Oberfläche oder ob sie es bloss reflektiert und 11 - Zum Zusammenhang von Figur und Siegel vgl. den
Beitrag von Richard Heinrich im vorliegenden Heft, S. 28.
wie ein Schirm zurückstrahlt. Sollte sich an dieser Stelle zei-
12 - Vgl. Marin, Die Malerei zerstören (wie Anm. 3).
gen, was es mit dem Sehen (bei Caravaggio) auf sich hat?
13 - Winnewisser, Die Handleserin (wie Anm. 9).
«Ein doppeltes ­Verhältnis vom / Sichtbaren im Berührbaren,
14 - … und bin umso mehr auf das Erscheinen von Michael
das / Sichtbare auf das Berührbare gedehnt.» 9 Frieds Caravaggio-Buch gespannt, von dem man sich
wesentliche Aufschlüsse über das Verhältnis von Vorder-
Jetzt kann ich die Frage, ob Caravaggios Malerei im Zeichen und Rückseite, Front und Rücken in Caravaggios Bildern
erwarten darf.
der Zwei stehe, nicht länger liegen lassen. Ich war zunächst
15 - E il contesto? E la storia? – Als zwiespältige Kunst steht
davon ausgegangen, dass es so sei: Caravaggios Malerei im ­Caravaggios Malerei im Widerspruch zur Politik der
Zeichen der Zwei. Mittlerweile sind mir starke Zweifel Gegenreformation, vgl. dazu die wichtigen Beobachtungen
gekommen. Sicher: Viele seiner Gemälde sind oder enthal- bei ­Jutta Held, Caravaggio. Politik und Martyrium der
Körper, Berlin 1996. Zu seiner Stellung in der Kunstge­
ten latente Diptychen, und an der Zweizahl der Flügel eines schichte der Symmetrie vgl. Pichler, Il dubbio e il doppio
Diptychons lässt sich nicht zweifeln. Aber im Wort Dipty- (wie Anm.*), besonders S. 29−33. Was die technischen
Voraussetzungen der Symmetriebildungen und das Ver­
chon steckt ptyx, das griechische Wort für Falten, Schluch- hältnis zu den klassischen Werkzeugen und Verfahren
ten und Scharniere. 10 Und so verhält es sich auch mit der der Euklidischen Geo­metrie betrifft, sind wichtige Publi­
Sache selber: Zum Diptychon wird das Diptychon erst durch kationen von Marco Cardinali und Beatrice de Ruggeri
in Vorbereitung. Wie sich Caravaggios Malerei in eine
das Scharnier, das die zwei Flügel zugleich verbindet und Geschichte des Diptychons einschreibt, möchte ich an
auseinander hält, so dass sie zusammenhalten, aber auch anderer Stelle untersuchen.
in diese Malerei der Akt der Darstellung ins je­-
weils Dargestellte einschneide und es unentwegt
aufstöre. Caravaggio oder die Achillesferse der
Repräsentation. 12
Aber greifen wir nicht zu hoch, bleiben wir
lieber bei der Malerei des Zwiespalts. Man bedürf-
te einer besonderen formalistischen Gewitztheit,
um diese Dinge wirklich gut beschreiben zu kön-
nen. Zum Beispiel Amor als Sieger, der immer
noch nicht umgekippt ist, sondern sich weiterhin
über unsern Stumpfsinn mokiert. Abb. 3 Haben wir
die Arbeit der Desartikulation übersehen? Cara-
Abb. 13
vaggio zerstört den Körper als Gestalt, er bringt Caravaggio, Hl. Matthäus
oder zwingt ihn aus der Form. Statt einen Körper mit dem Engel (1602),
Öl auf Leinwand,
mit bekrönendem Haupt zeigt er eher umgekehrt 223 x 183 cm (Ehem.
einen Körper, der aus seinem rechten Bein wie aus Gemäldegalerie des
einem Stamm herauswächst. Dieser Stamm ver- Kaiser-Friedrich-­
Museums, Berlin, 1945
längert sich in den Rumpf. Linkes Bein und rech- verbrannt)
ter Arm können als Abzweigungen gesehen wer-
den. Als ob es darum gegangen wäre, das Einheitsprinzip zu Gelenkstellen und Achsen all dieser Zweiheiten arbeitet,
parodieren, indem man es statt auf das Haupt auf eines der indem es sie trennt und verbindet zugleich. Aber Paradoxi-
Beine abstellt, das folglich zum Haupt-Bein wird. Manchmal en lassen sich nicht behaupten. Sie lassen sich selbst dann
kann man auch beobachten, wie Caravaggio verschiedene nicht behaupten, wenn sie einem gemalt vor Augen stehen.
Körper so miteinander paart, dass die Zugehörigkeit der So bleibt die Wahrheit des Paradoxen unbehauptet. Stört
Glieder oder Organe fragwürdig wird. Die in sich gedoppel- das? Nicht alles, was Hand und Fuss hat, muss von einem
ten Körper verflechten sich dann miteinander. Hier denke Haupt beschlossen werden. 15
ich vor allem – aber es ist wieder nicht das einzige Beispiel –
an die erste, verworfene Version des Altarbildes für die Con-
tarellikapelle. Abb. 13 Die Flügel des Engels, das Buch am Knie
des Heiligen Matthäus, der Faltstuhl, auf dem er sitzt, die
Wolfram Zwiefalt der zwei Körper: Bei einer solchen Verflechtung von
Pichler
Dingen, die alle eins und doppelt sind, kann einem beinahe
39 schwindelig werden. Caravaggio bringt die paarweise gege-
Caravaggio
benen Glieder des menschlichen Körpers durcheinander –
nicht sosehr, um das Prinzip der Paarbildung überhaupt zu
unterlaufen, sondern um die Möglichkeit anderer Paarungen
sichtbar werden zu lassen. Man beachte den Kreuzreim der
Beine: ganz links ein abgewinkeltes Bein (wenn man das
«Bein» des Faltstuhls hinzunimmt sind es zwei), dann ein –
scheinbar – gestrecktes Bein, dann wieder ein abgewinkeltes,
schliesslich noch einmal ein gestrecktes, also: abgewinkelt –
gerade, abgewinkelt – gerade. Die Figur dieses Reims, wenn
es eine ist, wird geschickt gegen die gestalthafte Einheit der
Körper ausgespielt, denn was sich hier reimt, gehört verschie-
denen Körpern an. Ähnlich bei den Armen: Die Rechte des
Heiligen kommuniziert stärker mit der Rechten des Engels als
mit der eigenen Linken, die durch einen Schlagschatten abge-
schnitten ist und ihrerseits eher mit der Linken des Engels ein
Paar bildet. Selbst- und Fremdberührung werden in der Mit-
te dieses Gemäldes ununterscheidbar. Was bleibt, ist die Idee
eines Falt- und Klappkörpers, der sich fortwährend desartiku-
liert und wieder reartikuliert. Inspiration wird nicht als gött-
licher Hauch veranschaulicht, sondern als gegenstrebige
Verflechtung von Selbst und Anderem. «Das verschränkte
Nebeneinander / entspricht abgewendeter Zuwendung.» 13
Statt eine Figur der Inspiration zu geben, interpretiert der
Maler sie als Defiguration und Refiguration verflochtener
Körper.
Freilich bleiben das grobe, allzu grobe Andeutungen.
Ich fange erst an zu sehen. 14 Manchmal scheint es mir, als ob
man Caravaggios Kunst gründlich versiegelt hätte. Dabei ist
sie kein verschlossenes Buch, sondern durch und durch
latentes Diptychon oder Kreuzung von Diptychen. Sie ist
eine Malerei der Paare von Seiten, Flügeln, Armen und Bei-
nen, und sie ist vor allem eine Malerei dessen, was an den
Abb. 1
Francisco de Zurbarán,
Der unversehrte Leich­-
nam des heiligen
Franziskus (um 1645),
40
Öl auf Leinwand,
209 x 110 cm (Musée des
Beaux-Arts, Lyon)
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Was man sieht, ist eine männliche Gestalt in Mönchskutte,
die mit verschränkten Händen bewegungslos dasteht, die
Victor I. Stoichita Augen zum Himmel erhoben. Abb. 1 Nichts weiter. Die Gestalt

Minimal
steht o≠ensichtlich in einer Nische. Der grosse Schatten
neben ihr zeigt an, dass links ausserhalb des Bildes eine
Lichtquelle vorhanden ist. Die Szenerie ist minimal und ent-

Zurbarán hält nichts ausser dieser einzigen, mit ihrem Schatten dop-
pelt abgebildeten Gestalt. Der Blick des Betrachters irrt über
die kahlen, schmucklosen Sto≠massen, gleitet über die raue
Oberfläche des härenen Gewandes, hält bei einem Knick
inne, versinkt in der dunklen Tiefe einer Furche. An einer
besonders dunklen Stelle in der Armbeuge tut sich – ein
klein wenig nur – eine Falte auf, die kaum sichtbar ist.
Aber ist das wirklich eine Falte, ist das nicht eher ein
Riss oder, genauer betrachtet, eine Wunde? Die männliche
Gestalt in der Kutte, die mit verschränkten Händen vor dem
Betrachter steht, die Augen zum Himmel erhoben, trägt ein
Zeichen, das kaum sichtbar ist, aber doch nicht zu leugnen:
ein Stigma. Diese Gestalt ist niemand anderer als Franz von
Assisi. Oder, präziser gesagt: Diese Gestalt ist ein Scheinbild,
ein minimales und hyperreales Abbild des hl. ­Franziskus.
Die erste schriftliche Quelle, die eine solche Darstel-
lung des Heiligen erwähnt, zeigt bereits einen Grossteil ihrer
Problematik auf. Diese Quelle, ein kurzer Kommentar von
Francisco Pacheco in seinem Werk Arte de la Pintura von
1649, das der Franziskus-Ikonographie ein paar Seiten wid-
met, ist doppelt wertvoll: Einerseits wird auf das Minimum
an Details hingewiesen, andererseits wird der Stellenwert
des Bildes als «Zeugnis» hervorgehoben:

«Er [der hl. Franziskus, V. S.] soll mit dem Riss im Gewand
gemalt werden, so dass die Wunde an der Seite sichtbar wird; der
41 Riss stammt von denen, die den Heiligen nach seinem Tode ein-
kleideten. Und den Gemälden ist es zu verdanken, dass wir [heu-
te] Kenntnis haben von der Art, wie er [immer noch] aufrecht
steht, dort in Assisi, als ob er noch am Leben wäre, so viele Jahre
nach seinem Hinscheiden. Und so ist er auch zu sehen im Klos-
ter des hl. Franziskus in Madrid, in der ersten Nische des Kreuz-
ganges, vortrefflich gemalt von Eugenio Caxes, (denn) Gemälde
sollen Zeugnis ablegen von der Wahrheit.» 1

Aus diesen Zeilen erfährt man also, dass es in Spanien, ins-


besondere in Madrid, «Zeugnis»-Bilder gibt, auf denen der
wundersam unverweste Leichnam des hl. Franziskus abge-
bildet ist, wie er noch heute in Assisi (Italien) erhalten ist.
Als Beispiel zitiert Pacheco das Gemälde von Eugenio Caxes,
das zwar verloren ging, von dem aber noch eine Zeichnung
in der Wiener Albertina existiert. Abb. 2 Einige Elemente auf
dieser Zeichnung lassen vermuten, dass der Bildtypus,
von dem Pacheco spricht, nicht derselbe ist wie der hier
diskutierte.
Die Zeichnung zeigt ein Gewölbe, in dessen Mitte der
Dieser Artikel entstand im Anschluss
hl. Franziskus auf einem Sockel steht, «[…] aufrecht […], als
an das Seminar The Saint’s Body, das ob er noch am Leben wäre […]». Das Gewölbe wird dreifach
ich im Jahre 2006 als Zobel de Ayala beleuchtet – von einer Lampe an der Decke, vom Nimbus um
Visiting Professor gemeinsam mit Tom
Cummins am Department für Kunst-
geschichte an der Harvard University 1 - «Hase de pintar […] un golpe en el habito por donde se des-
geleitet habe. Ich widme den Artikel cubra la llaga del costado, que así se lo dieron al que le vis-
Tom Cummins und den Seminarteil- tieron después que murió […]. Como esta milagrosamente
nehmern, in Erinnerung an die Diskus­- en Assis, en pie, después de tantos años como si estuviera
sionen und Debatten vor dem Fran- vivo, ya se sabe por las pinturas: como se ve en San Francis-
ziskus-Bild von Zurbarán im Museum co de Madrid, en la primera estación del claustro, aventaja-
von Boston. Für die ­deutsche Über- damente pintado de mano de Eugenio Caxés (porque) las
setzung des vorliegenden Textes sei pinturas han de ­testificar la verdad», Francisco Pacheco,
hier Ruth Herzmann bedankt. Für Arte de la Pintura su Antigvedad y Grandezas, Sevilla 1649,
die Übersetzung und Transkription S. 582. Diese und alle folgenden Übersetzungen der französi-
einiger lateinischen Passagen bin ich schen und spanischen Originalzitate ins Deutsche durch V.
Alessandra Mascia verpflichtet. S. und Ruth Herzmann.
Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4
Eugenio Caxes, Die Ent­- Schranksarg eines Knaben Jean Jacques Boissieu,
deckung des unversehrten (1. Jh. ­n. Chr.), 170 cm, Les pères du désert (1797),
Leichnams des heiligen teilweise zerstört, Radierung, 31,1 x 43,5 cm
Franziskus (vor 1613), (Bodemuseum, Berlin) (Nationalbibliothek, Paris)
Zeichnung (Albertina,
Wien)

das Haupt des Heiligen und von der Fackel in der Hand des
Mönchs in der Bildmitte. Eine der vier Gestalten zu Füssen des
I 42

Heiligen hebt die Soutane von Franziskus ein Stück hoch und Die Rezeption
entblösst einen seiner Füsse, auf dem ein Stigma zu erkennen
ist. Die Tiara auf dem Boden vor dem Sockel lässt in dieser des Bildes
Gestalt einen (den) Papst erkennen. Der Betrachter wird Zeu-
ge eines Geschehens, das sich in einem dunklen Souterrain Fangen wir also an – oder besser: Fahren wir also fort mit der
abspielt und das die Geschichte einer Entdeckung, einer Ent- Analyse der Perzeption bzw. Rezeption dieses Werkes. Die
hüllung, einer Zur-Schau-Stellung ­schildert. älteste schriftliche Quelle, die direkt Bezug nimmt auf das
Von dieser Geschichte sind auf dem Bild, das wir hier Gemälde, ist zwar relativ jung, liefert aber umso wertvollere
besprechen, nur noch vereinzelte Spuren zu finden. Aufs Informationen. Das Gemälde war irgendwie von Spanien
Höchste verdichtet macht das Gemälde den Betrachter zum nach Frankreich gelangt und befand sich, am Vorabend der
Akteur, der einen unsichtbaren Lichtschalter zu betätigen Französischen Revolution, im Franziskanerkloster Les Coli-
scheint oder eine verborgene Wahrheit ans Licht bringt. Vor nettes bei Lyon. Wie es scheint, hatten die Nonnen dieses
diesem Bild des hl. Franziskus erfolgt die Entdeckung in der Klosters grosse Mühe mit dem Bild, es war ihnen geradezu
Wahrnehmung als solcher: Wie in einem Spiegel wird der unerträglich. Dies geht hervor aus dem Bericht von François
Betrachter konfrontiert mit einem Anderen. Er berührt – Artaud, der um 1808 verfasst wurde, aber erst 1975 zum Vor-
aber «nur» mit den Augen – die Falten und Furchen, die die- schein kam und sich nun im Archiv in Lyon befindet:
sen anderen Körper und dieses andere Gesicht umgeben,
und versinkt schliesslich in der dunklen Furche, in der sich «[…] ein Gemälde von Caravaggio, oder eher von Lo Spagnolet-
die Wunde befindet. to […]. Die Nonnen hatten das Angst erregende Gemälde auf
Die Herausforderung, die dieses rätselhafte Bild für dem Dachboden verschwinden lassen, wo es von M. Morand
den Betrachter bedeutet, ist enorm. In den folgenden Überle- gefunden wurde. Sein Hund fing vor dem Bild zu bellen an.» 2
gungen möchte ich das scheinbar längst abgeschlossene Kapi-
tel seiner Rezeption nochmals aufrollen und die Geschichte Sehen wir uns diese Bemerkung etwas näher an. Das Unbe-
seiner Wahrnehmung neu hinterfragen. Dabei beabsichtige hagen des Hundes von M. Morand, das sich in seinem Gebell
ich, die Bildkonstruktion eingehend zu analysieren, um dann äussert, erinnert an die Verwirrung angesichts der Fälle von
den genauen Platz zu definieren, den dieses ungewöhnliche perfekter Mimesis in den alten Mythen, etwa bei den wun-
Bild in der Geschichte der Artefakte und des Imaginären derbaren Trauben des Zeuxis: Der Maler hatte diese so
einnimmt. naturgetreu wiedergegeben, dass ausgehungerte Vögel dar-
an zu picken begannen … Im Unterschied zu den Trauben
des Zeuxis ist die vom Trompe-l’œil-E≠ekt erzeugte Reakti-
on hier allerdings nicht Anziehung, sondern Ablehnung. Das
Unbehagen des Hundes ist nur eine Steigerung des Unbeha- Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen
gens, das schon die Nonnen diesem Bild gegenüber empfun- Wesens und umgekehrt darüber, ob ein lebloser Gegenstand
den hatten. Dass sie das Gemälde kurzerhand verschwinden nicht etwa beseelt sei».6 Freud knüpft an diesen Gedanken an:
liessen, ist höchstwahrscheinlich einem Verdrängungsme-
chanismus zuzuschreiben; der Grund dafür (oder sagen wir, «Im allerhöchsten Grade unheimlich erscheint vielen Menschen,
der «unbewusste» Grund dafür) liegt in der eigenwilligen was mit dem Tod, mit Leichen und mit der Wiederkehr der Toten,
Art dieses Bildes, das keinerlei Normen gehorcht. Diese mit Geistern und Gespenstern zusammenhängt.» 7
«Anormalität» besteht einmal darin, dass es auf einer Täu-
schung beruht, und dann darin, dass es sich nicht einfach an Wesentlich an Freuds Bemerkung ist, dass das Unheimliche
die Wand hängen und ausstellen lässt wie jedes andere als ein Phänomen der Wahrnehmung erscheint, und zwar
Gemälde. Die Perzeption des Bildes, so «Angst erregend» sie einer ungewissen, zweifelnden Wahrnehmung. Im Hinblick
auch sein mag, erzeugt eine geschickt in Szene gesetzte Dia- auf die Geschichte des Imaginären kann man sagen, dass das
lektik, bei der die Zensur des Sichtbaren am einen Pol steht Unheimliche auf ganz spezielle Weise mit dem Trompe-l’œil-
und die (überraschende) Zurschaustellung dieses zensurier- E≠ekt verknüpft ist. So gesehen ist der Hl. Franziskus von
ten Sichtbaren am anderen. Zurbarán als Gemälde in Lebensgrösse ein gutes Beispiel des
Das weitere Schicksal des Gemäldes ist etwas kompli- Trompe-l’œil, da es beim Betrachter einen doppelten Zwei-
ziert. Der Architekt Morand, der als erster weltlicher Besitzer fel auslöst in Bezug auf den Gegenstand seiner Betrachtung:
den Mut hatte, das Bild 1791 zu erwerben, wurde während des Auf eine erste Ungewissheit, ob es sich bei der Gestalt in der
Terror-Regimes mit der Guillotine hingerichtet. Das Bild Kutte um einen Toten oder einen Lebenden handelt, folgt
taucht erst im Jahre 1802 wieder auf, als es bei einer ö≠en­t­ sogleich eine zweite: Ist dieser lebendige Tote (oder dieser
lichen Versteigerung auf dem Petersplatz in Lyon für 18 Francs tote Lebendige), der da aufrecht vor dem Betrachter steht,
an einen Händler von antiken Möbeln ging. Wenig später auch wirklich da?
wurde es vom Maler Jean-Jacques Boissieu erstanden, der Was im 17. Jahrhundert noch eine allgemein akzep-
eine Radierung davon anfertigte, bevor er es seinerseits im tierte strukturelle Forderung war (wie der Kommentar von
Jahre 1807 für 1200 Francs an das Museum in Lyon ­verkaufte. 3 Pacheco beweist), wird in der Aufklärung zum Problem. Die
Das Gemälde ist nun im Musée des Beaux-Arts in Nonnen des Franziskanerklosters fanden für dieses Problem
Lyon ausgestellt. Sein heutiger Titel Saint François debout, keine bessere Lösung als die, das Bild abzunehmen und ver-
momifié und der kurze historische Überblick deuten an, dass schwinden zu lassen und so eine permanente Zurschaustel-
die Verbannung des Bildes auf den Dachboden des Nonnen- lung zu unterbinden. Damit überliessen sich die Nonnen
klosters von Les Colinettes symbolisch zu verstehen ist und dem automatisch einsetzenden Mechanismus des Unheim-
Victor I. eine archaische, duale Struktur beleuchtet, die auf der ambi- lichen, das sich in sein Gegenteil, das Heimliche, verkehrte.
Stoichita
valenten Beziehung zwischen Verbergen und Zurschaustel- Als vertraute, jedoch verborgene Präsenz, die im Hause zwar
43 len basiert. vorhanden ist, jedoch unter Verschluss gehalten wird, wird
Minimal
Die duale Struktur von Zurbaráns Hl. Franziskus 4 das Simulacrum Gegenstand eines seltsamen Zusammen­
Zurbarán wiederholt die alter Übergangsbilder, angesiedelt zwischen lebens. Freud hatte darauf bestanden, dass das Heimliche ins
Leben und Tod. Abb. 3 Als Intervall-Bilder sind diese – wie Unheimliche umschlagen kann und umgekehrt:
­François Artaud in seiner Zusammenfassung ausdrücklich
hervorhebt – «Angst erregende Objekte». Um deren volle «Also heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambi-
Bedeutung zu erfassen, müssen wir Sigmund Freuds berühm- valenz hin entwickelt, bis es endlich mit seinem Gegensatz unheim-
te Abhandlung über Das Unheimliche aus dem Jahre 1919 lich zusammenfällt. Unheimlich ist irgendwie eine Art von
lesen oder wieder lesen. Für den Vater der Psychoanalyse hat heimlich.» 8
das «Unheimliche» den Status eines vagen Begri≠s, denn
Die Nonnen von Lyon hatten in ihrer Verunsicherung Zur-
«[…] ebenso sicher ist es, dass dies Wort nicht immer in einem baráns Bild gegenüber auf ihre eigene Art versucht, mit dem
scharf zu bestimmenden Sinne gebraucht wird, so dass es eben Unheimlichen fertig zu werden. Dieser Versuch sollte jedoch
meist mit dem Angsterregenden überhaupt zusammenfällt». 5 nicht der einzige bleiben, ein zweiter wird folgen, diesmal
von Jean-Jacques Boissieu, Maler und Radierer, der das
Schon Ernst Jentsch, dessen Artikel Zur Psychologie des Bild nach der Französischen Revolution erworben hatte.
Unheimlichen von 1906 den Ausgangspunkt für Freuds Boissieu war zweifellos angetan von diesem Bild, das er
Überlegungen bildet, bezeichnete das Unheimliche als «[…] Caravaggio oder José Ribeira zuschrieb, und erachtete es für
notwendig, eine Radierung des Gemäldes anzufertigen,
bevor er es ans Museum in Lyon verkaufte. Die Bedeutung
2 - François Artaud, zit. n.: Daniel Ternois, «Les Tableaux des
églises et des couvents de Lyon», in: L’Art baroque à Lyon. dieser Radierung liegt in dem prinzipiellen Missverständ-
Actes du Colloque (Lyon 27–29 Octobre 1972), Lyon 1975, S. 273. nis, auf dem sie beruht. Abb. 4
3 - Ich greife hier die Entstehungsgeschichte des Gemäldes Boissieu konnte der Versuchung nicht widerstehen,
­wieder auf, wie sie von Jeannine Baticle geschildert wird im das Beunruhigende an diesem Bild abzuschwächen, indem
Ausst.-Kat. Zurbarán, Paris: Galéries nationales du Grand
Palais / New York: The Metropolitan Museum of Art, Paris er den räumlichen und narrativen Kontext völlig neu gestal-
1988, S. 334–336. tete. Er «ergänzte» also das Bild, dessen tieferen Sinn er ver-
4 - Das Gemälde wird ungefähr seit 1847 einstimmig Zurbarán mutlich nicht verstanden hatte, indem er Franziskus in der
zugeschrieben.
kataleptischen Pose der Ekstase darstellte, in einem zurück-
5 - Sigmund Freud, «Das Unheimliche», in: ders., Studienaus-
gabe, 10 Bde., Alexander Mitscherlich u. a. (Hgg.), Frankfurt
gezogenen Winkel des Waldes, vor einer tiefen Grotte und in
a. M. 1969–1974, Bd. 4, S. 243. Begleitung eines Glaubensbruders. Auch hier haben wir es
6 - Ebd., S. 250. mit dem Versuch einer Interpretation zu tun, ja mit einer
7 - Ebd., S. 264. «Entschärfung» des Unheimlichen des Originalgemäldes.
8 - Ebd., S. 250. Denn skandalös an Zurbaráns Bild war ja gerade das, was
Abb. 5
Francisco de Zurbarán,
Der heilige Franziskus
mit Totenschädel (1635– 44
1640), Öl auf Leinwand,
152 x 99 cm (National
Gallery, London)
Boissieu nicht sah oder nicht sehen wollte, nämlich das Feh- Gautiers Text beginnt mit einem hervorragenden Überblick
len einer «Fabel», oder genauer: dass die «Fabel» auf ein über das, was man als das «Paradigma Zurbarán» bezeich-
absolutes Minimum reduziert und das Bild zum Experiment nen könnte. In der Aufzählung der Gemälde werden an einer
an den Grenzen von Raum und Zeit wird. Bilder wie dieses Stelle, wenn auch nur ziemlich kurz, zwei Meisterwerke
sind äusserst selten; eine Analyse seiner eigentlichen Moti- lobend hervorgehoben. Das eine wird zwar nicht eindeutig
vation drängt sich also geradezu auf. genannt, ist aber höchstwahrscheinlich das Bild von Lyon,
Der zweite Akt der Rezeption dieses Gemäldes spielt während es sich beim zweiten ganz klar um den Knienden
nach seiner Ankunft im Museum von Lyon. Dabei handelt es hl. Franziskus handelt. Folgen wir ein Stück weit der Dra-
sich, wie nicht anders zu erwarten, um eine Rezeption über maturgie dieses Textes:
literarische Texte. Spuren davon finden sich bei den Dichtern
der Romantik, wo begeisterte Besucher der französischen «Sein [Zurbaráns, V.S.] Pinsel gefällt sich darin, diese Stirnen
Museen und vor allem von Louis Philippes «Galerie espag- noch glatter und glänzender zu gestalten als das Elfenbein von
nole» in Paris zu Wort kommen. Höchstwahrscheinlich Totenschädeln; diese tief in den Höhlen versunkenen Märtyrer-
gehörte das Gemälde mit zum Kult, den man um Zurbarán augen mit den bläulichen Lidern, die für die Erde erloschen sind
und nur für den Himmel noch Licht haben und sich höchstens
zu treiben begann, auch wenn der spanische Maler eigent-
noch mystischen Visionen ö≠nen; diese violetten Münder, die von
lich eher mit dem Bild Heiliger Franziskus mit Totenschädel Fasten und Fieber rissig und schuppig geworden sind und deren
von sich reden machte. 9/Abb. 5 Schon Etienne-Jean Delécluze totenblasse Ö≠nung eher an die kla≠ende Wunde in Christus’
hatte seinerzeit erkannt, dass Zurbarán mit diesem Werk auf ­Seite erinnert als an menschliche Lippen, gescha≠en zum
dem Gipfel seiner Kunst angelangt war: ­Sprechen und Küssen; diese eingesunkenen und hageren Wan-
gen, aus denen die Farbe des Lebens längst gewichen ist, diese
«Es gibt von ihm [Zurbarán, V. S.] eine ganze Sammlung von Hände, ewig verschränkt wie die der Statuen auf gotischen Grab-
Heiligen, deren Anzahl man zweifellos hätte beschränken kön- mälern, dieses sieche, bleierne Fleisch, das keiner Farbnuance
nen; denn alle diese Gestalten, von denen gewiss eine jede ihre mehr bedarf, um sich in Totenblässe zu verwandeln, und das die
Vorzüge hat, sind sozusagen in einer einzigen vereint, nämlich im Kutte darum herum wie ein Leichentuch erscheinen lässt. Dieses
hl. Franziskus auf den Knien und in Ekstase, dessen Ausdruck, ganze düstere Farbenspiel von Entsagung, Kasteiung und Selbst-
Wirkung und Kolorit eine bewundernswerte Einheit bilden. Die- verleugnung verstand niemand so gut wie er. Vor allem das Bild
se ergreifende und wahrheitsgetreue Komposition voll geballter eines betenden Mönches ist ausgesprochen ergreifend: Der
Energie ist das Werk von Zurbarán, der sowohl bei den Künstlern Mönch kniet betend auf dem Boden, sein Haupt in Ekstase nach
als auch beim Publikum gerechtfertigtes Aufsehen erregt.» 10 hinten geworfen, die Kapuze ist ihm über die Augen geglitten und
verbirgt die Hälfte seines Gesichtes, doch die Dicke des groben
Sto≠es entzieht ihm nicht die Sicht in den Himmel, sein halb
Victor I. Bei Théophile Gautier findet sich eine ähnliche Begeisterung geö≠neter Mund und sein angespannter Hals deuten auf ausser-
Stoichita
für das Gemälde Kniender hl. Franziskus. Eine aufmerksa- gewöhnliche Inbrunst und Frömmigkeit hin.» 11
45 me Lektüre seines Textes von 1837, der der Sammlung von
Minimal
spanischen Malern gewidmet ist, zeigt, dass Gautier genau In dem Gedicht, das Gautier 1844, nach seinem Aufenthalt
Zurbarán wie Delécluze zwischen dem «Vielen» und dem «Einen» in Sevilla, zu Ehren Zurbaráns verfasste, ist ebenfalls die
unterscheidet. Rede von den beiden Meisterwerken, auch wenn diese nicht
explizit beim Namen genannt werden. Abb. 1 / 5 Beide Gemäl-
de zusammen bilden eine Art «Anti-Kanon-Duo», das dem
Kanon, vertreten durch den französischen Maler Eustache
Le Sueur, keine Chance lässt:

Deine Mönche, Lesueur, sind neben diesen fad: Tes moines, Lesueur, près de ceux-là sont fades:
besser als du gemalt hat Zurbarán von Sevilla Zurbaran de Séville a mieux rendu que toi
Diese kranken Häupter, diese Augen in Ekstase entbrannt, Leurs yeux plombés d’extase et leurs têtes malades,
Diesen göttlichen Taumel, diese trunkene Inbrunst, Le vertige divin, l’enivrement de foi
die sie erglühen lässt in fiebernder Klarheit, Qui les fait rayonner d’une clarté fiévreuse,
so unheimlich sind sie, dass Grausen dich fasst! Et leur aspect étrange, à vous donner l’e≠roi.
Wie sein harter Pinsel sie höhlt und furcht! Comme son dur pinceau les laboure et les creuse!
Wie er den Büssertränen die Spur eingräbt Aux pleurs du repentir comme il ouvre des lits
in der fahlen Gesichter tiefen Rinnen! Dans les rides sans fond de leur face terreuse!
Wie er des düsteren Gewandes Falten in die Länge zieht Comme du froc sinistre il allonge les plis;
und ihm gekonnt des Leichentuchs Blässe verleiht, Comme il sait lui donner les pâleurs du suaire,
So trefflich, dass du eingehüllte Tote zu sehen meinst! Si bien que l’on dirait des morts ensevelis! 12

9 - Vgl. dazu genauer Jeannine Baticle / Cristina Marinas,


La Galerie espagnole de Louis-Philippe au Louvre, 1838–1848,
Paris 1981; Ilse Hempel Lipschutz, La pintura española
y los románticos franceses, Madrid 1988, bes. S. 231–254.
10 - Etienne-Jean Delécluze, «La Galerie espagnole du Louvre»,
in: Journal des débats, 24. Februar 1838, S. 1–2; vgl.
­Lipschutz, La pintura española (wie Anm. 9), S. 249.
11 - Théophile Gautier, «Collection de tableaux espagnols»,
in: La Presse, 24. September 1837; vgl. Lipschutz, La pintura
española (wie Anm. 9), S. 250.
12 - Théophile Gautier, «A Zurbarán» (1844), in: ders., España,
René Jasinski (Hg.), Paris 1929, S. 232–234.
Das Gedicht ist vom «Unheimlichen» durchdrungen und
stellt ganz richtig das wesentlichste Element von Zurbaráns
imaginärer Welt in den Mittelpunkt, nämlich den Dialog von
Tod und Leben. Die Reduktion dieses Dialogs in der figura-
tiven Konkretisierung stellt nach Aussage des Gedichtes
geradezu die Definition des «Paradigma Zurbarán» dar:

Zwei Nuancen nur, die eine leichenblass, die andre schattenschwarz, Deux teintes seulement, clair livide, ombre noire;
zwei Posen nur, die eine stehend, die andere auf den Knien, Deux poses, l’une droite et l’autre à deux genoux,
sind dem Künstler genug, zu bannen die ganze Geschichte. À l’artiste ont su∞ pour peindre votre histoire.

Die von Gautier geschilderte Reduktion ist eine mehrfache


und betri≠t den Aufbau von Form, Pose und narrativer
Struktur gleichzeitig. Betrachten wir sie etwas genauer.

vorangestellt: «der höchst erstaunliche Zustand des Leichnams


II des hl. Franziskus» / «PERMIRA FVNERIS S. FRANCISCI
Der Aufbau CONSTITVTIO». 15
Die Darstellung des unverwesten Leichnams erfolgt
mittels einer ra∞nierten Strategie der Abgrenzung, ja der
Zurbaráns Reduktion auf der narrativen Ebene wird bereits Auszeichnung: Der privilegierte Platz, an dem der aufrechte
beim Vergleich mit der Zeichnung von Eugenio Caxes klar. Leichnam des Heiligen steht, ist gekennzeichnet durch ein
Abb. 1 / 2
Sie wird aber noch deutlicher und erweist sich als noch kleines Podest, umgeben von einer Balustrade. Die Vertikali-
radikaler, betrachtet man sie im literarischen und figurativen tät des aufrecht stehenden Leichnams wird akzentuiert durch
Kontext. Wie bedeutende Studien längst hervorgehoben und die beiden liegenden Truhen im Hintergrund; die Intensität
Fachleute wiederholt bemerkt haben, wird der Besuch von der Präsenz und die aussergewöhnliche Tugend des Heiligen
Papst Nikolaus V. in den unterirdischen Gewölben der Basili- werden angedeutet und hervorgehoben durch den Heiligen-
ka von Assisi im Jahre 1449 in verschiedenen Quellen des 16. schein um sein Haupt, dessen Licht vor dem Hintergrund
und 17. Jahrhunderts erwähnt, die zumeist der späten Fran- einer dunklen Nische erstrahlt. Zu Füssen des aufrechten
ziskaner-Tradition angehören. Bei diesem Besuch entdeckten Leichnams kniet der Papst; seine Tiara hat er vor dem Podest
der Papst und seine Gefolgsleute in der «fünften Stunde der auf den Boden gelegt. Um das Verständnis der Szene zu
Nacht», im Schein von Fackeln, hinter einem Gitter den erleichtern und jeden Zweifel auszuschliessen, wird das 46
unverwesten Leichnam des hl. Franziskus. 13 Die Legenden, Geschehen in einer langen Inschrift am unteren Bildrand
die vom Fund des unverwesten Leichnams berichten, erwäh- detailliert erklärt. Der Inhalt dieser Inschrift lenkt jedoch das
nen in der Regel die nächtliche Stunde der Entdeckung, den Thema des titulus in eine andere Richtung: Anstatt vom
Gang in die unterirdischen Gewölbe, die Fackeln und, in zwei- «erstaunlichen Leichnam» des hl. Franziskus ist nun die Rede
ter Linie, das Erstaunen angesichts des Vorgefundenen. von der Beziehung des Papstes zu diesem Leichnam:
Während normalerweise – so die Legende – ein
menschlicher Leichnam leblos und in horizontaler Lage «Papst Nikolaus V. begab sich im Jahre 1449 in die Krypta, wohin
daliegt, befindet sich jener, der in der fünften Stunde einer der Leichnam des hl. Franziskus gebracht worden war. Der Papst
Nacht des Jahres 1449 in Anwesenheit des Papstes entdeckt sah, dass der geweihte Leichnam aufrecht dastand mit zum Him-
wurde, in vertikaler Stellung und einem wachen Zustand. mel erhobenen Augen und dass von den Wunden an Füssen und
Vertikalität und Wachsein finden sich auch in den ersten Händen, die er mit Küssen bedeckte, frisches Blut tro≠. Er sah
figurativen Umsetzungen der Legende wie z. B. der Kupfer- ebenfalls die Särge mit den unverwesten Leichnamen seiner
stichserie von Philip Galle Bewundernswerte und beispiel- Gefährten.» 16
hafte Geschichte des seraphischen hl. Franziskus / D. SERA-
PHICI FRANCISCI TOTIVS EVANGELICAE PERFECTIONIS Das Geschehen in diesem Text spielt sich in Anwesenheit
EXEMPLARIS ADMIRANDA HISTORIA, die 1587 in Antwerpen von mehreren Zeugen ab und hat zwei Protagonisten: den hl.
verö≠entlicht worden war. 14 Eine genauere Untersuchung Franziskus – oder genauer: seinen Leichnam – und den
dieser Kupferstiche, die mit Inschriften versehen sind und Papst. Ihre Begegnung wird nach dem Schema einer alten
zweifellos entscheidend zur Verbreitung der Legende beige- Geschichte geschildert, nämlich der Geschichte von der
tragen haben, soll uns hier weiterführen. Begegnung der drei Lebenden mit den drei Toten. 17 Der
Die Geschichte des hl. Franziskus wird in 19 Vignet- Akzent wird hier allerdings leicht verschoben: Philip Galle
ten erzählt. Die Vignette Nr. 17, die die Entdeckung des und seinen Gehilfen geht es nicht um die Reflexion über die
unverwesten Leichnams von Franziskus schildert, ist wie zu Eitelkeit der Dinge auf Erden wie in jener alten Geschichte,
erwarten eine der letzten des Zyklus’. Abb. 8 Auch sie enthält sondern vielmehr um eine Reflexion über die Macht. Die ers-
wie alle anderen einen titulus und eine Inschrift. Im rechten te Form von Macht ist hier zugleich die höchstmögliche aller
Teil der Vignette ist der Abstieg ins unterirdische Gewölbe möglichen Mächte (der Pleonasmus ist gewollt), nämlich die
abgebildet, während im linken Teil das Au∞nden des Leich- Macht des Lebens über den Tod. Symbolisiert wird diese
nams zu sehen ist. Die Gestalt im Hintergrund neben der Macht durch den aufrecht stehenden Leichnam, der blutet
o≠enen Türe hat eine doppelte Funktion: Sie teilt das Bild in und von Licht umstrahlt wird und somit eine resistente,
zwei verschiedene Räume auf und thematisiert gleichzeitig durch nichts zu erschütternde Entität bildet. Die zweite
das Erstaunen bei der Entdeckung des Leichnams. Dieses Form von Macht ist präsent in der Figur des Kirchenfürsten,
Erstaunen wird vom titulus der gesamten Szene als Motto der in einer dankbaren und akzeptierenden Haltung
Abb. 6
Philip Galle, Der Tod des heiligen Franziskus (I), Kupferstich
für D. SERAPHICI FRANCISCI TOTIVS EVANGELICAE PER­FEC­-
TIONIS EXEMPLARIS ADMIRANDA HISTORIA, Antwerpen 1582
Abb. 7
Philip Galle, Der Tod des heiligen Franziskus (II), Kupferstich
für D. SERAPHICI FRANCISCI TOTIVS EVANGELICAE PERFEC-
TIONIS EXEMPLARIS ADMIRANDA HISTORIA, Antwerpen 1587
Abb. 8
Philip Galle, Die Entdeckung des unversehrten Leichnams
des heiligen Franziskus, Kupferstich für D. SERAPHICI
FRANCISCI TOTIVS EVANGELICAE PERFECTIONIS EXEMPLA-
RIS ADMIRANDA HISTORIA, Antwerpen 1587

Victor I.
Stoichita

47 abgebildet wird. Die kniende Pose, das leicht vorgeneigte


Minimal
Haupt und die Tiara auf dem Boden bilden eine Konstellati-
Zurbarán on von Zeichen, die richtig gedeutet werden muss. 18 Es wäre 13 - Vgl. insbesondere F. J. Sánchez Cantón, San Francsico de Asís
en la escultura española, Madrid 1926, S. 38ff.; Emile Mâle,
allerdings übereilt, diese Zeichen als Elemente der Unter- L’Art religieux de la fin du XVIe siècle, du XVIIe siècle et du XVI-
würfigkeit zu interpretieren. Ganz im Gegenteil: Das Bild IIe siècle. Etude sur l’iconographie après le Concile de Trente,
Paris 1972, S. 480–484. Von der umfangreichen ­späteren
erinnert daran, dass «kirchliche Macht auf dem Monopol Bibliographie sei hier nur eine Studie erwähnt: Joan Sureda,
des Todes basiert und auf der ausschliesslichen Kontrolle der «Sant Francesc d’Assís segons la visió del papa Nicloau V»,
Beziehung zu den Toten». 19 Die Macht des Papstes besteht in: L’època dels genis. Renaixement i Barroc, Gerona / Barce-
lona 1988, S. 192–198.
in dem Privileg, das ihm die Kontrolle über die Grenze
14 - D. SERAPHICI FRANCISCI TOTIVS EVANGELICAE PER­FECTIONIS
ermöglicht, was Galle mit überdeutlicher Klarheit demons- EXEMPLARIS ADMIRANDA HISTORIA, Antwerpen 1587, vgl.
triert: Von der Balustrade rund um den aufrecht stehenden die Beiträge von Simonetta Prosperi und Valentin Rodinò in:
Leichnam, der als erste grosse Machtfigur an einen besonde- Ausst.-Kat. L’immagine di San Francesco nella Controriforma,
Rom: Calcografia Nazionale, Rom 1982, S. 176–186.
ren, klar umgrenzten Platz gestellt wird, wurde die eine Sei-
15 - Alle Übersetzungen der lateinischen Passagen durch V.
te entfernt und somit die Möglichkeit des Überschreitens S. und Alessandra Mascia.
gescha≠en. Weder die Mönche, die in die Krypta hinunter 16 - «Nicolaus Papa V. anno 1449. ingressus crijptam ubi
steigen, noch der Mönch im Türrahmen hinten im Bild S. Francisci corpus / conditum est, Nicolaus Papa V. anno
1449. ingressus crijptam ubi S. Francisci corpus / conditum
haben direkten Zugang zu dieser Schwelle, die nur der Papst est, vidit sacrum funus erectum stare, oculis elevatis in /
überschreiten darf. Diese Überschreitung, deren Protagonist caelum ; vulneraque pedum ac manuum, quae Pont(ifex)
er ist, vollzieht sich aber nur stufenweise, das Ö≠nen der exosculabatur, recentem / stillare sanguinem : capsas
­quoque habentes corpora sociorum eius eti- / amnum incor-
Abschrankung vollzieht sich progressiv: Die Barriere wird rupta. Petrus Toscianem lib. 3 hist. Seraph. Fol. 248.»
entfernt, der Papst streckt die Hand aus, berührt den Saum 17 - Vgl. dazu genauer Liliane Brion Guerry, Le Thème du
der Kutte, hebt ihn hoch, entdeckt die blutenden Stigmata ­‹Triomphe de la mort› dans la peinture italienne, Paris 1950;
und – so steht es im Text – küsst sie. In der Vignette wird die- Chiara Settis Frugoni, «Il tema dell’incontro dei tre vivi e
dei tre morti nella tradizione italiana», in: Atti della Ac­ca­
se letzte Geste zwar weggelassen; es handelt sich aber den- demia Nazionale dei Lincei. Memorie. Classe di Scienze morali,
noch um ein Bild, in dem das Motiv der Macht mit dem storiche e filologiche, 8, 13, fasc. 3, Rom 1967, S. 145–251.
Motiv des Überschreitens kombiniert wird. Was der Betrach- 18 - Vgl. dazu genauer Agostino Paravicini Bagliani, Le Corps
du pape, Paris 1997.
ter hier vor Augen hat, ist in Wahrheit die Darstellung eines
19 - Dieser treffende Ausdruck stammt von Jean Baudrillard,
Extremszenarios von Bio-Macht. 20 L’échange symbolique et la mort, Paris 1976, S. 200.
Wie kommt es dazu? Genese und Kontext der Ver- 20– Der Begriff wird hier in dem Sinne verwendet, wie Michel
breitung der Legende zu untersuchen, die sich um die Foucault ihn verstand, vgl. z. B. Dits et écrits, 4 Bde., Paris
erstaunliche Unversehrtheit des Leichnams des hl. Franzis- 1994, Bd. 3, S. 219ff., und wie er weiter entwickelt wurde von
Giorgio Agamben in: Homo Sacer I. Le Pouvoir souverain
kus rankt, ist keine leichte Aufgabe. Ursprung der Legende et la vie nue, Paris 1997 sowie in: Le Règne et la Gloire. Homo
ist höchstwahrscheinlich die kanonische Biographie des hl. Sacer, II, 2, Paris 2008.
Franziskus in Bonaventuras Legenda maior, die das Ende «Als schliesslich alle Absichten Gottes in ihm verwirklicht waren,
des Heiligen in einer blumigen und metaphorischen Sprache löste sich seine tief heilige Seele vom Körper und versank in der
schildert: grenzenlosen Klarheit Gottes; der Glückselige verschied im
Herrn. Einer seiner Mitbrüder und Schüler sah, wie die Seele
geradewegs in den Himmel au≠uhr in Form eines glänzenden
«Er, der durch die Inbrunst seiner Liebe in den Himmel au≠uhr
Sterns, getragen von einer weisslichen Wolke über einer riesigen
in einem Feuerwagen wie Elias: Es war nur gerecht, dass sein
Wasserfläche, erleuchtet vom Glanze seiner erhabenen Heiligkeit
glücklicher Leichnam mitten im Grab zu neuem Leben erwach-
und überschäumend vom Reichtum der Gnade und Weisheit des
te und den ewigen Lenz, der in den himmlischen Gärten blüht,
Himmels, die dem Heiligen ein Dasein voller Licht und Frieden
mit Wohlgeruch erfüllte. Zu Lebzeiten hatte er durch seine
bescherten, so dass er sich zusammen mit Christus für immer der
Tugenden geglänzt, seit seinem Tode erstrahlt er von Wundern,
ewigen Ruhe wird erfreuen können.» 25
zum Ruhme Gottes.» 21
Diese Textstelle bildet unzweifelhaft die literarische Basis
Die Legenda maior nimmt nicht direkt Bezug auf das Wun- für die Darstellungen vom Ableben des hl. Franziskus wäh-
der des unverwest gebliebenen Leichnams, lässt aber genü- rend des Trecento. Die Art der figurativen Umsetzung dieses
gend Raum für eine spätere Ergänzung. Erst die Gegenrefor- ­T hemas bei Giotto und seinen Schülern ist jedoch weit
mation tut den abrupten Schritt und macht aus der unausge- einfacher.
sprochenen Andeutung eine Evidenz: Die Andeutung nimmt Giotto hat die Franziskuslegende in zwei Versionen
Form an und entwickelt sich durch Erfindung und Anfügung dargestellt. Zwischen der Version von Assisi und derjenigen
mancher Details allmählich zum «realen» Faktum. Auf stil­ aus der Bardi-Kapelle in Santa Croce in Florenz bestehen
istischer und rhetorischer Ebene findet im Barock ein schlag- einige wesentliche Unterschiede: Im ersten Bild z. B. liegt
artiger Übergang von der Metapher zur Hypotyposis statt. der Leichnam des hl. Franziskus auf dem nackten Boden – wie
Dieser Übergang wird deutlich, wenn man untersucht, auf es die ersten Quellen des Franziskanerordens berichten –,
welche Weise der Tod des hl. Franziskus in den ersten bild­ während im zweiten Bild, in dem die Sterbeszene mit der
lichen Darstellungen der Gegenreformation dargestellt wird, Verifizierung der Stigmata kombiniert wird, der Heilige auf
den Kupferstichen von Philip Galle. Abb. 6/7 einer Bahre liegt. In der Assisi-Version befindet sich die
Wie Servus Gieben 1976 in einer wichtigen Studie zei- Wunde auf der Seite und ist gut sichtbar für den Bildbetrach-
gen konnte, hatte Philip Galle die Kupferstichserie der Fran- ter, während in der Florentiner Version die Wunde einer
ziskuslegende in zwei verschiedenen Editionen angefertigt, direkten und fast groben Authentizitätsprüfung unterzogen
einmal vor 1582 als Luxusausgabe mit nur wenigen Exemp- wird. Abb. 9/10 Doch trotz dieser Unterschiede folgen beide Bil-
laren, schliesslich 1587 in grösserer Auflage. 22 Gieben hat die der, wie schon oft bemerkt wurde, der Ikonographie der Dor-
Unterschiede der beiden Ausgaben heraus gearbeitet; sie mitio virginis: In der oberen Bildhälfte ist der Heilige als
sind für unsere Diskussion hier von primärer Bedeutung. In Büste abgebildet, ebenso seine animula, wie sie von den
der ersten Edition fehlt die Szene mit dem Au∞nden des 48
unverwesten Leichnams; diese wird erst in der zweiten Aus-
gabe angefügt, direkt nach der Sterbeszene. Das Anfügen 21 - «[…] et ad caelum in curru igneo per caritatis zelum rapue-
rat ut Eliam, eius iam vernantis inter flores illos caelicos
dieser neuen Szene hat wesentliche, die Darstellung der plantationis aeternae ossa illa felicia de loco suo pullulatione
Sterbeszene betre≠ende Änderungen zur Folge. Sehen wir mirifica redolerent», San Bonaventura, Legenda Maior,
uns diese Änderungen etwas genauer an. Die Sterbeszene in Vita, in: Opere di san Bonaventura / Sancti Bonaventurae Opera,
14 Bde., Jean Guy Bougerol u. a. (Hgg.), Rom 1993–2005, Bd.
der ersten Ausgabe zeigt auf der rechten Bildhälfte den nack- 14.1, S. 348, Kap. 15, 8.
ten Körper des Heiligen, von Mitbrüdern und Engeln umge- 22 - Servus Gieben, «Philip Galle’s Original Engravings of the Life
ben. Franziskus hat gerade sein Leben ausgehaucht und sei- of St. Francis and the Corrected Edition of 1587», in: Collec-
tanea Francescana, 46, 1976, S. 241–307.
ne anima exuta, 23 das licht­umflorte Doppel seines Körpers,
23 - Vgl. dazu Peter Dinzelbacher, «Il Corpo nelle visioni dell’al­
schnellt in die Höhe, als wollte sie die Gewölbedecke durch- dilà», in: I discorsi dei corpi / Discourses of the Body, Paris /
brechen. Eine undurchdringliche Mauer trennt die Sterbe- Florenz 1993 (= Micrologus, 1), S. 301–326.
szene von der Himmelfahrtszene. Auf der linken Seite ist die 24 -Die Inschrift besagt: «(A) S. Franciscus iam moriturus nudum
Himmelfahrt der Seele im Feuerwagen von Elias dargestellt. se proijcit in terram: (B) omnibus fr[atr]ibus / et praesen­
tib[us] et absentib[us] in virtute crucifixi cancellatis brachijs
In einem kleinen Haus sieht ein Mönch der Fahrt zu, wäh- benedicit. (C) Qui- / dam fr[ater] videt animam eius sub
rend im oberen Bildteil Christus und seine Mutter die Seele ­specie stelle fulgentis ferri in c[o]elu[m]. (D) ­Ministri / cuius­
des hl. Franziskus vor den Thron Gottes geleiten. Der titulus da[m] anima una cum Sancto p[at] re ad superos evolat.
S. Bona. cap.14 (E) A Christo eiusque / m[at]re et sanctorum
entspricht der Zweiteilung des Bildes, indem er beide Szenen multitudine honorifice a[n]i[m]a S. Franc[isci] accipitur.
explizit nennt: «Tod und Himmelfahrt des hl. Franzis- Conform. fruc. 36.»
kus» / «OBITVS ATQVE AD COELITIS EMIGRATIO». 24 25 - «Tandem cunctis in eum completis mysteriis, anima illa
sanctissima carne soluta et in abyssum divinae claritatis
In der zweiten Edition ist die Sterbeszene mit demsel- absorta, beatus vir obdormivit in Domino. Unus autem ex
ben titulus überschrieben und die Darstellung auf der rech- fratribus et discipulis eius vidit animam illam beatam, sub
ten Bildhälfte die gleiche. Die linke Seite des Bildes jedoch specie stellae praefulgidae a candida subvectam nubecula
super aquas multas in caelum recto tramite sursum ferri,
wird wesentlich verändert: Der Feuerwagen von Elias fehlt, tamquam sublimis sanctitatis candore praenitidam et caeles-
die animula des hl. Franziskus ist gleich dreimal abgebildet, tis sapientiae simul et gratiae ubertate repletam, quibus
einmal wie sie in die Höhe schnellt und durch den Himmel vir sanctus promeruit locum introire lucis et pacis, ubi cum
Christi sine fine quiescit.» Bonaventura, Legenda Maior
fährt, dann als Adorant, umgeben von einem Lichtflor, und (wie Anm. 21), S. 342, Kap. 26, 6.
zuletzt wie sie vor Gottes Thron geführt wird. In der domun- 26 - Vgl. dazu Jacques Dalarun, «La dernière volonté de saint
cula links unten sieht ein betender Mönch der Himmelfahrt François», in: Bulletino dell’Istituto Storico Italiano per il
Medioevo e Archivio Muratoriano, 94, 1988, S. 329–366;
zu. Diese Darstellung geht auf das vorletzte Kapitel der ­Serena Romano, La basilica di san Francesco ad Assisi. Pittori,
Legenda maior zurück: botteghe, strategie narrative, Rom 2001, S. 141–160.
27 - Bonaventura, Legenda Maior (wie Anm. 21), S. 342, Kap. 26, 6.
28 - Ebd., S. 348, Kap. 15, 8.
Abb. 9
Giotto, Der Tod des hl. Franziskus (1296–1300), Fresko
(Basilika San Francesco, Assisi)
Abb. 10
Giotto und Bottega, Der Tod des hl. Franziskus (vor 1328),
Fresko (Bardi-Kapelle der Basilika Santa Croce, Florenz)

Engeln in den Himmel geführt wird. 26 Die Kopfhaltung des III


Mönches ist im Florentiner Bild deutlicher gearbeitet als in
der früheren Version und entspricht der Schilderung in der Versuch einer
Legenda maior: «Einer seiner Mitbrüder und Schüler sah,
wie die Seele geradewegs in den Himmel au≠uhr in Form
Definition
eines glänzenden Sterns […]». 27 Auf beiden Bildern zeigt die
animula ihre Stigmata her; dadurch werden die Grenzen Der Leichnam, vor dem der Papst kniet, ist nicht nur auf
zwischen der elevatio animae und der elevatio corporis ver- wunderbare Weise unverwest geblieben, sondern hat, wie
Victor I. wischt: Der hl. Franziskus hat sich gewissermassen verdop- die Inschrift präzisiert, noch weitere ungewöhnliche Attri-
Stoichita
pelt – es ist das Paradox dieser wunderbaren Verdoppelung, bute: Er steht aufrecht («erectum»), hat die Augen o≠en
49 das der Bildbetrachter in den Fresken vor Augen hat. («oculis elevatis in caelum») und weist blutende Stigmata
Minimal
In den Druckgraphiken der Gegenreformation wer- auf («vulneraque pedem ac manuum […] recentem stillare
Zurbarán den nun für die Schilderung der Sterbeszene völlig andere sanguinem»). Der strahlende Heiligenschein um sein Haupt
narrative Strategien eingesetzt als im Trecento. Abb. 6/7 Die wird von der Inschrift nicht erwähnt, fügt aber den verwir-
wichtigste davon besteht in einer grundlegenden Änderung renden Attributen dieses verwirrenden Leichnams auf der
der Zeitverhältnisse: Bei Giotto wird ein Toter beklagt, bei visuellen Ebene ein weiteres verwirrendes Attribut hinzu.
Galle hingegen wird das allmähliche Hinscheiden in allen Die Analyse der Stiche mag zwar zum Verständnis von
Details geschildert. In Galles Kupferstichen werden momen- Zurbaráns Gemälde beitragen, der Versuch jedoch, dem
taner Augenblick und Ewigkeit zusammengebracht; abge- Künstler eine direkte Bezugnahme auf diese Quellen zu unter-
bildet wird das Geschehen vom Augenblick des Austrittes stellen, stösst auf beträchtliche Schwierigkeiten und das,
der Seele aus dem Körper bis zu ihrem Eintritt in den Ruhm obwohl Zurbaráns Kenntnis und Aneignung der flämischen
der Ewigkeit. Giottos einfacher, vertikaler Aufbau, der mit Stiche gut belegt sind. Die Hauptschwierigkeit bei einer his-
nur zwei Ebenen auskommt, weicht einer dynamischen, dia- torisierenden Methode liegt in dem ausgesprochen ikoni-
gonalen Bildkomposition. Die himmelwärts strebende Seele schen, a-narrativen und a-temporalen Aspekt von Zurbaráns
des hl. Franziskus besiegt jedes Hindernis und trotzt auch Gemälde. Aus diesem Grunde bildet Galles Schilderung der
der undurchdringlichsten Mauer. Indem Galle einen drama- Au∞ndung des unverwesten Leichnams hinsichtlich der
tischen Ablauf schildert, liefert er in der zweiten Version Abbildungsparadigmen höchstens ein Anti-Modell. Kurz
deutlichere, konkretere und weniger metaphorische Bewei- gesagt: Zurbaráns Bild ist im Verhältnis zu Galles Stichen das,
se für den Austritt der Seele aus dem Körper und die ver- was die «Ikone» im Verhältnis zum «Ereignisbild» ist: Wäh-
schiedenen Stationen ihrer Himmelfahrt. Abb. 7 Dabei wählt rend die Historia dazu da ist, «erzählt», ja «gelesen» zu wer-
der flämische Künstler als Textvorlage nicht etwa die meta- den, ist die Ikone als Gegenstand der «Betrachtung», ja der
phorische Stelle in Kapitel 15, dem letzten Kapitel der Legen- «Andacht» konzipiert. Abb. 1/8
da maior, sondern die konkrete Passage in Kapitel 14. Die In diesem (stufenweisen) Übergang von der narrati-
Anspielung auf den Feuerwagen von Elias fehlt, wie auch ven zur ikonischen Struktur zeigt sich eine gewisse Sensibi-
jede andere Anspielung auf den Leichnam des Heiligen: «Es lität für den Bruch: Die «Ikone» von Zurbarán komprimiert
war nur gerecht, dass sein glücklicher Leichnam mitten im das Geschehen, eliminiert die Nebenfiguren und fokussiert
Grab zu neuem Leben erwachte und den ewigen Lenz, der in den Hauptgegenstand des Bildes völlig neu. Welches ist nun
den himmlischen Gärten blüht, mit Wohlgeruch erfüllte.» 28 aber dieser Hauptgegenstand? Die Antwort liegt klar auf der
An die Stelle dieses Fehlens tritt in der zweiten Version die Hand: Hauptgegenstand sowohl der Historia als auch der
Szene der Au∞ndung des Leichnams. Abb. 8 Ikone ist die Aufhebung der Trennung von Tod und Leben.
Die Eliminierung dieser Trennung wird im Ereignisbild in
voller Länge abgespult, in der Ikone jedoch o≠enbart. Die
Aufgabe der letzteren ist schwieriger und heikler: Auch
wenn die Ikone ausserhalb jeder Zeitlichkeit steht, muss ein Arpeggio, das nur metaphorisch möglich ist. Drei wich-
doch die Aufhebung der Trennung irgendwie abgebildet tige Elemente tre≠en an dieser figuralen Schnittstelle zusam-
werden. Die Herausforderung ist enorm, denn die Anihilie- men: die absolute Frontalität, die himmelwärts gerichteten
rung des Todes, die Abscha≠ung des Übergangs vom Leben Augen und die verschränkten Hände. Diese drei Elemente
zum Tod zeigt sich im Weiterleben des Körpers. Zurbaráns bilden eine Einheit und sind letztlich nichts anderes als
Vorgangsweise steht ganz im Zeichen jener archaischen Pra- Äusserungen der absoluten Identität. Der himmelwärts
xis der Scha≠ung von «Doppelgängern», deren Bestimmung gerichtete Blick ist das rätselhafteste dieser Elemente, das
es war, die Kontinuität zwischen Lebenden und Toten auf- erst verständlich wird, wenn man es als höchsten Ausdruck
recht zu erhalten. 29 / Abb. 11 Ein Vorgehen, das ebenfalls rein der privilegierten Erfahrung einer himmlischen Vision
symbolisch zu verstehen ist, was einen beträchtlichen Unter- betrachtet. Der hl. Franziskus, der laut den Quellen kurz vor
schied ausmacht: 30 Zurbaráns Bild stellt das Überleben iko- seinem Tode das Augenlicht vollständig verloren hatte, 33 ist
nisch dar, d. h. es stellt einen Körper dar, der weder lebend auf dem Bild sehend. Und es ist dieses «andere Sehen», das
noch tot, sondern ein Über-lebender ist. Abb. 1 Gleichzeitig dem das Bild betrachtenden Glaubensbruder übermittelt
und in besonderer Weise integriert dieser Körper eine enor- wird, der vor dem hl. Franziskus stehen soll wie vor einem
me Ellipse, die mittels des aufwärts gerichteten Blicks in die Spiegel. Das narrative Abspulen von Philip Galle erbringt die
Abbildung eingefügt wird, ohne dass auch nur die leiseste Beweise für diese visionäre Erfahrung, d. h. die Vision «von
Möglichkeit einer e≠ektiven figurativen Darstellung bestün- Angesicht zu Angesicht», die nur Auserwählten zuteil wird.
de. Gegenstand dieses «anderen Blicks» ist im Falle von Zur- Die Kupferstichserie zeigt eine so subtile Dramatur-
baráns Bild die «Visio beatifica». 31 Die narrative Version gie von Trennung und Wiedervereinigung, dass man nur
konnte dieses Eingehen in die ewige Seligkeit in voller Län- immer und immer wieder darauf hinweisen kann. Eine Dra-
ge abspulen, von der Sterbeszene, in der die Seele aus dem maturgie, die sich auch (und nicht zuletzt) in der Art des Ver-
Körper austritt, über ihre Au≠ahrt in den Himmel bis zur hältnisses von Franziskus zu seinem Körper äussert: Den
Au∞ndung des ewig sehenden und ewig glorreichen Kör- Quellen zufolge liegt der Heilige in der Sterbeszene nackt auf
pers. Abb. 7 / 8 Die Ikone jedoch ist mit der ungeheuren Her- einem Brett (eine anachronistische Anfügung) und vollführt
ausforderung konfrontiert, wie in einer einzigen Gestalt der dabei seltsame, auf den ersten Blick unverständliche Bewe-
Zwischenzustand dargestellt werden soll, der Übergang, die gungen: Gerade als er den letzten Atemzug tut und seine
Überwindung des Todes. Denn schliesslich und endlich ist animula aus dem Körper fährt, verrenkt er seine Arme auf
der Körper des hl. Franziskus, Gegenstand dieser Abbildung höchst seltsame Weise, so dass der linke Arm den rechten
jenseits aller Normen, nicht in den Himmel aufgestiegen wie kreuzt und der rechte sich nach links dreht. Die seltsame
seine Seele dies tat (was wir einmal annehmen wollen). Das Geste wird von der Inschrift (die ihrerseits auf die Quellen
Grab von Franziskus ist nicht leer, kann gar nicht leer sein. zurückgreift und mehr als eine Interpretation zulässt)
Sein Körper ist hier auf Erden geblieben und wird auf die erklärt: «Der sterbende Franziskus wirft sich nackt auf den
paradoxeste aller möglichen Weisen zur Schau gestellt. Die Boden, und mit überkreuzten Armen segnet er alle seine 50
Kutte verbirgt und verleugnet diesen Körper, scha≠t ihn ab, Glaubensbrüder, die anwesenden und die abwesenden.» /
ohne jedoch die Intensität dahinter verbergen zu können, «S. Franciscus iam moriturus nudum se proijcit in terram:
noch verbergen zu wollen. Dieser (beinahe abwesende) Kör- (B) omnibus fr[atr]ibus /et praesentib[us] et absentib[us]
per ist ein aufrecht stehender Körper, ein Körper, der sieht. in virtute crucifixi cancellatis brachijs benedicit.» 34
Dieser aufrecht stehende und sehende Körper ist ein bluten- Im Sterben zu liegen und mit überkreuzten Armen
der Körper. An- und Abwesende zu segnen, ist etwas, das eher symbolisch
Die Frage, wie dieser Grenzgegenstand figurativ am zu verstehen ist – in Wirklichkeit scheint eine solche «gym-
besten abzubilden wäre, erweist sich als knifflig wegen des nastische Übung» in dieser Situation ziemlich unmöglich.
Ineinsfallens von Abbildung und Gegenstand. Die Bemer- Der Sinn dieser Verrenkung liegt jedoch klar auf der Hand:
kung von Pacheco erzeugt, wie wir bereits gesehen haben, Der hl. Franziskus gibt sich selbst hin, teilt sich auf, gibt sich
einen regelrechten Teufelskreis: weiter. Der körperlichen Verrenkung, Symbol für die Weiter-
gabe, entspricht im linken Bildteil die Adorantenhaltung der
«Und den Gemälden ist es zu verdanken, dass wir [heute] Kennt- anima exuta. Am Schluss wird, mittels der gefalteten Hände
nis haben von der Art, wie er sich [immer noch] aufrecht hält, in
Assisi, als ob er noch am Leben wäre, so viele Jahre nach seinem
Hinscheiden.» 32 29 - Vgl. Jan Assmann, Tod und Jenseits im alten Ägypten, Mün-
chen 2001; Jan Assmann, «Der Ka als Double», in: Victor
I. Stoichita (Hg.), Das Double, Wiesbaden 2006, S. 59–78;
Das bedeutet, dass die Kunst selbst zum Mittel (und zum Klaus Paralsca / Hellmut Seemann (Hgg.), Augenblicke.
einzigen Mittel) wird, das diesem toten Körper ermöglicht, Mumienporträts und ägyptische Grabkunst aus römischer Zeit,
Frankfurt a. M. 1999; Hans Belting, Bild-Anthropologie. Ent-
«in Erscheinung zu treten», dieser tote Körper (der gar nicht würfe für eine Bildwissenschaft, München 2001, S. 143–188.
tot ist), dieser lebende Körper (der gar nicht lebt), dieser auf- 30 -Jean Baudrillard, L’échange symbolique (wie Anm. 19), S. 201.
erstandene Körper (der gar nicht auferstanden ist), dieser 31 - Vgl. dazu insbesondere Christian Trottmann, La Vision béa­
Geist (der gar kein Geist ist). tifique. Des disputes scolastiques à sa définition par Benoît XII,
Rom 1995.
Die Lösung von Zurbarán steht am Ende einer langen
32 - Pacheco, Arte de la Pintura (wie Anm. 1), S. 582.
Suche, deren wesentliche Etappen sich in Werken wie dem
33 - Dazu Serena Romano, «La morte di Francesco. Fonti fran-
Bild von Caxes oder den Kupferstichen von Philip Galle able- cescane e storia dell’Ordine nella basilica di S. Francesco
sen lassen. Was der ursprüngliche Betrachter (hauptsächlich ad Assisi», in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 61, 8, 1998,
Franziskanermönche, wenn wir Pachecos Kommentar rich- S. 339–368.
tig verstanden haben) vor Augen hatte, war die Gestalt des 34 -Vgl. dazu Dinzelbacher, Il Corpo nelle visioni (wie Anm. 23).
Ordensgründers im Zustand des kontinuierlichen Weiterle- 35 - Vgl. L. Gila Medina, Pedro de Mena. Escultor 1628–1688, Madrid
2007, S.118–122; Xavier Bray (Hg.), Ausst.-Kat. The Sacred
bens und des direkten Kontaktes zum Jenseits. Die Trennung Made Real. Spanish Painting and Sculpture 1600–1700, Lon-
von Körper und Seele bildet anstelle des linearen Abspulens don: National Gallery, New Haven / London 2009, S. 182–187.
des Leichnams, ein «Sich Sammeln» angedeutet:
Franziskus hat sich gewissermassen wieder gefan-
gen. Was wir sehen, ist nicht ein Anderer, sondern
ihn selbst. Bei Zurbarán wird die Darstellung die-
ses «Selben» doppelt akzentuiert: Dieser «Selbe»
hat ein Anderes, seinen Schatten; dieser «Selbe»
ist ein idealer Spiegel für den Betrachter.
Die Verbreitung des Bildes «desselben»
durch Kopien, Repliken oder Varianten ist Teil
einer Strategie: Um von seiner Identität zu über-
zeugen, wiederholt das Bild und wird selbst wie-
derholt. Die Verwendung von anderen Mitteln
kommt erst später auf und hat eine intensivieren-
de Funktion, wobei jedoch auf die Wirkung des
jeweiligen Mittels geachtet wird. So bietet z. B. die
mehrfarbige Holzskulptur von Pedro de Mena, 35
die bekannteste aller multimedialen Verbreitun-
gen der Franziskus-Legende, sämtliche Vorteile
der Statuenkunst (wie Dreidimensionalität, Mög-
lichkeit des Berührens usw.), greift aber auch auf
Mittel der Simulation zurück, die der spanischen
Tradition der Bildherstellung entnommen sind
(wie z. B. Zähne aus Elfenbein, aufgeklebte Augen-
brauen aus Haar usw.). Abb. 12 Mena ist jedoch klug
genug, die Gefahr der allzu perfekten Analogie zu
vermeiden – seine Statuen sind nicht höher als ein
Meter und von daher keine richtigen Trugbilder.
Ebenso ziehen sich die lebensgrossen Bilder von
Zurbarán und seinen Schülern Abb. 1 mit ihrer halluzinatori- Abb. 11
Mumie und Portrait eines Knaben (Anfang des 2.
schen Wirkung, die noch gesteigert wird durch die Lebens- Jh. n. Chr.), 133 x 33 x 18,5 cm, Portrait: Holz,
Victor I. grösse und andere Trompe-l’oeil-Strategien, stumm hinter Enkaustik, 24 x 16,5 cm (British Museum, London)
Stoichita
die unsichtbare Mauer der Bildoberfläche zurück. Die Wir- Abb. 12
51 kung dieser Bilder ist eine doppelte: Sie scha≠en Präsenz Pedro de Mena, Der unversehrte Leichnam des
heiligen Franziskus (1663), polychromiertes Holz,
Minimal
und gebieten gleichzeitig Distanz. In der Geschichte der Male- Glas, Bindfaden, menschl. Haar, 97 x 33 x 31 cm
Zurbarán rei stehen diese Bilder auf einer Schwelle, oder besser gesagt (Kathedrale Toledo)
an einer Schwelle.
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei

Dieter Roth

Beid
hand
zeich
nun
­gen
52
Wird nicht jede Zeichnung von zwei
Hän­den gezeichnet? Ausser Stift, Papier
und zeichnender Hand kommt als vier-
tes Element in der Regel die nur schein-
bar unbeschäftigte zweite Hand zum
Einsatz, indem sie das Papier auf einer
festen Unterlage (das fünfte Element)
fixiert, zurecht rückt oder dreht und
dabei der zeichnenden Hand auch hilft,
sich auf dem Blatt zu orientieren. Ehe
der erste Strich gesetzt ist, befindet sich
der Körper des Zeichners also bereits in
einer spezifischen Lage, wird durch ein
materielles Dispositiv in seinen Bewe-
gungsmöglichkeiten eingeschränkt und
zugleich ausgerichtet und fokussiert.
­Dieter Roth hat dieses Zeichnungs­dis­
Dieter Roth beim Zeichnen für Trophies, 1979
positiv, das uns so selbstverständlich er-
scheint, dass es kaum beachtet wird, in mancher Hinsicht Reversibiltät von Individuum und Paar, Phallus und
verändert, am stärksten in den Beidhandzeichnungen. Brüsten, Mann und Frau, Positiv und Negativ, Fläche
Er zeichnete gleichzeitig mit der linken und mit und Körper entdecken. Die Unterscheidung und
der rechten Hand; das Blatt ist durch einen Knick in zugleich Vertauschbarkeit von links und rechts ist also
zwei Hälften geteilt, und auch die Linien, die von bei- eine erste Setzung, aus der ein analoges Verhältnis für
den Händen gezeichnet wurden, entsprechen einander alle anderen räumlichen Orientierungen und darüber
spiegelbildlich. Mehr als eine Unterscheidung wird auf hinaus für Bestimmungen wie Individualität und Ge-
diese Weise verkehrt: nicht nur die zwischen zwei Rich- schlecht folgt. Indem die laterale Symmetrie vertieft
tungen (links und rechts), sondern auch die zwischen und auch in die Schädeldecke eingezeichnet wird, wird
zwei Händen, zwischen denen normalerweise eine Hier­ der Körper als ganzer in ein in sich verkehrtes und
archie der Geschicklichkeit und auch des kulturellen daher nicht-orientiertes Gefüge verwandelt, dem eine
Wertes (linkisch und richtig) besteht. Zugleich mit der ebenfalls nicht-orientierte Subjektivität entspricht.
Orientierung des Körpers wird auch der Raum des Aber diese Reversiblität, die die verschiedensten
Zeichnens neu bestimmt: denn Beidhandzeichnen for- Unterscheidungen kollabieren lässt, verfügt ihrerseits
53 dert eine andere Zusammenfügung von Körper, Zei- über eine Grundlage, keine feste, sondern eine verviel-
chenblatt, Tisch und Zeichenstift, ein anderes Zeich- fältigende. Ich meine das Buch. In Büchern wie DOGS,
nungsdispositiv, dessen wichtigstes Merkmal die Fal- TROPHIES oder BATS reproduzierte Roth seine Beid-
tung und damit symmetrische Teilung des Blatts ist. handzeichnungen und bezog sie zugleich auf jenes
Dieses wird mit Hilfe des Falzes gleichsam mit dem gefalzte Medium, das seit seinen frühen Versuchen als
Körper des Zeichners verkoppelt, entlang einer gemein- konkreter Künstler im Zentrum seiner Arbeit stand.
samen Mittelachse, die am Übergang von Zeichner zu Die letzte Doppelseite dieser Bücher füllt meistens eine
Zeichentisch um 90 Grad geknickt ist. Blatt und Zeich- originale Zeichnung. In einem Exemplar von DOGS,
ner bilden zusammen also ein bilateral symmetrisches das heute im Basler Kupferstichkabinett aufbewahrt
Gefüge, das die virtuose Synchronbewegung von linker wird, ist diese Originalzeichnung doppelt
und rechter Hand überhaupt erst möglich macht. Durch signiert. Die linke Hälfte «Björn Roth», die
den Falz gewinnt das Papier zudem eine eigene Dicke rechte «Dieter Roth». Ebenso findet sich 1 - Zu Dieter Roths
Beidhandzeichnun-
und Körperlichkeit, die sich motivisch oftmals in jenen diese doppelte Signatur in verschiedenen gen vgl. die beiden
promiskuösen Wesen manifestiert, die die vertikale Varianten auf den vier hier reproduzierten ­Aufsätze des Ver-
fassers: «‹Misch-
Mittelachse in vielen der Beidhandzeichnungen bevöl- Zeichnungen aus den Serien BATS und und Trennkunst›.
kern. Der Falz des Papiers und Roths Leibesmitte sind DOGS. Hier kommt erneut eine irreversible Dieter Roth als
also nicht nur so aneinandergefügt, dass der Bildträger Abfolge ins Spiel, diejenige von Vater und Zeichner», in: Öff-
nungen. Zur Theorie
zurück auf den Künstlerkörper verweist. Der Knick im Sohn, und wiederum liegt die Pointe in einer und Geschichte der
Papier bringt auch immer schon einen ersten Körper, Umkehrung des Unumkehrbaren. Wenn Zeichnung, Fried-
rich Teja Bach /
den Papierkörper, zutage, der wiederum gezeichnete Vater und Sohn zusammen eine beidhändige Wolfram Pichler
Körper generiert, die sich untereinander zu akrobati- Zeichnung scha≠en, vermengen sich ihre (Hgg.), München
schen Mischkörpern verbinden, zu denen auch der – Körper zu einem einzigen Mischkörper, in 2009, S. 215–237;
«Dieter Roths
ebenfalls akrobatisch tätige – Künstlerkörper gehört. 1 dem nicht nur vorn und hinten, links und Topologie des Sub-
In der ersten der hier abgebildeten Beidhand- rechts, linkisch und richtig, Individuum und jekts», in: Topolo-
zeichnungen (Trophies von 1979) stellte sich Dieter Paar austauschbar sind, sondern ebenso die gie. Falten, Knoten,
Netze, Stülpungen
Roth, so wie in vielen anderen Selbstbildnissen, mit Filiation. in Kunst und Theo-
einem in zwei Schädelbacken geteilten Kopf dar, an rie, Wolfram Pich-
ler / Ralph Ubl
dem im selben Moment nicht nur die Verkehrbarkeit Ralph Ubl (Hgg.), Wien 2009,
von links und rechts, sondern auch jene von hinten und S. 295–322.
vorn, Haupt und Hintern und damit auch von Gedan- Alle Zeichnungen der
ken und Ausscheidung, Bewusstsein und Welt vorstell- folgenden Seiten sind
bisher unveröffentlicht
bar wird. Man kann noch weiter gehen und in diesem (Hamburg: Dieter Roth
Motiv des gespaltenen Schädels die Möglichkeit einer Foundation).
TROPHIES (1979), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 25 x 36 cm
DOGS (1982), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 29 x 58 cm
BATS (1982), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 29 x 58 cm
DOGS (1984), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 29 x 58 cm
Bats (1984), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 29 x 58 cm
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei

Zsuzsanna Gahse

Die Zwei
und
die Kluft

Die Wörter zählen und erzählen hängen zwar nicht in allen 64


Sprachen zusammen, immerhin aber im Deutschen und man-
chen Nachbarsprachen. Das französische compter und racon-
ter und das spanische contar und contar zeigen den selben
Zusammenhang, das englische to tell stammt ursprünglich vom
gleichen Wort ab wie das deutsche zählen. Im alten Testament,
im Hebräischen also, haben die beiden Begri≠e wahrscheinlich
nichts miteinander zu tun, aber mit dem wiederkehrenden
und, und, und oder dann, dann, dann werden die Geschichten
o≠ensichtlich aneinandergereiht und damit gewissermassen
zusammengezählt.
Sobald man das Zählen und Erzählen neben einander sieht,
verändern sich viele Überlegungen und Wahrnehmungen
(zumindest für mich), und sie verändern sich nochmals, sobald
man Gertrude Steins Zählweise hinzuzieht, nämlich eins eins
eins. Es ist, als käme sie nicht voran, sie zählt und rechnet, trotz-
dem passiert nichts. Das Nicht-Vorankommen ist wunderbar
einleuchtend und auch herausfordernd, weil man es für eine
Dummheit halten könnte, immer nur eins eins eins zu sagen.
Manche wachsen so auf, dass sie die Wörter zählen und erzählen
von Anfang an kennen, und selbst wenn sie nie an den Zusam-
menhang denken, gehören diese Wortbildungen zu ihrer Biogra-
phie. Bei meinem Lebenslauf hatte ich es mit anderen Wortvor-
stellungen zu tun; im Ungarischen hängt das Erzählen mit dem
uralten Wort Märchen zusammen, wenn jemand berichtet und
erzählt, märchent er, und das Märchenen erinnert nicht im Ent-
ferntesten an das Zählen, weil das eine Wort mit dem anderen
nichts zu tun hat. Hingegen war mir das dann und dann und
dann von Anfang an bekannt, das ist überall bekannt, insofern
geht die Zählweise mit eins eins eins jeden an.
Anfangs kannte ich nur eine Sprache, während andere mit
zwei oder sogar drei Sprachen aufwachsen und die unterschied-
lichsten Wörter und deren leicht verschobene Bedeutungen
ertragen müssen, oder womöglich ist das kein Ertragen, sondern
eine Freude und von vornherein eine Bereicherung (ein Ertrag),
ich weiss es nicht. Meinerseits kannte ich nur eine Sprache, aller-
dings ist das so nicht die ganze Wahrheit, denn in meiner Umge-
bung sprach jede einzelne Person anders, jede hatte ihre Wort-
wahl und ihre eigene Stimmlage, und ich glaube, man müsste
65 einsam tief im Urwald leben, um nur eine einzige Sprache zu ver-
nehmen, um nicht mindestens bis zwei zählen zu können. Und
selbst im Urwald hätte man eine Fülle von fremden Lauten um
sich. Daher ist es vielleicht eher eine Kunst, die vielfachen Mög-
lichkeiten zu ignorieren, nicht an mehrere Dinge gleichzeitig zu
denken, keine zweite und dritte Ausdrucksmöglichkeit zu
suchen, und es ist eine Kunst, sich auf die eins eins eins zu
konzentrieren.
Unabhängig von den unterschiedlichen Stimmlagen und
Ausdrucksweisen hatte ich auch fremde Sprachen um mich,
zumindest in der Ferne. Hinter verschlossenen Türen diskutier-
ten meine Eltern heimlich auf Deutsch, und auch Russisch
gehörte zum vertrackten Alltag (im damaligen Ungarn war Rus-
sisch etwas Vertracktes, es hing mit Gefahren und Verboten
zusammen, mit einer deprimierenden Gesamtlage und nicht
etwa mit der Wirklichkeit dieser schönen, sehr schönen Spra-
che). Das Fremde lag in unmittelbarer Nähe, nur hätte ich wahr-
scheinlich sogar ohne solche Erfahrungen irgendwann angefan-
gen, eine Sprache zu erfinden, eine zweite Sprechmöglichkeit zu
suchen. Die Muttersprache ist an sich schon ein weites Feld, ein
riesiges Gelände, wo man von Anfang an nach Wörtern sucht,
nach immer neuen Wörtern, so dass man zwangsläufig entdeckt,
was einem dieses Suchen bedeuten kann, die schnelle oder lang-
same, übereifrige und überanstrengte, blinde oder hungrige
Suche. Neue Wörter zu finden und eine vollständig neue Spra-
che zu erfinden, war für mich und nicht nur für mich eine Weile
eine Sportart, und mit ungefähr fünf Jahren sass ich mit einigen
Nachbarkindern immer wieder auf einer Bank in dem Park vor
unserem Haus, um uns dort in aller Ö≠entlichkeit als Ausländer
zu zeigen. Wir sprachen ausländisch, was anstrengend war, weil
wir abwechslungsreiche Silben und sogar Buchstaben zustande
bringen wollten, sozusagen eine wirkliche Sprache mit mögli-
chen Bedeutungen. Mit aller Gewalt dachten wir uns in diese
neue Sprache hinein.
Wenn ich nun deutsch rede, denke ich nur deutsch und
­falle nicht etwa aus der Sprache heraus. – Ausser, ich rede auf
Deutsch über eine andere Sprache. – Und wenn ich spanisch
oder englisch oder ungarisch formulieren will, bleiben meine
Gedanken ebenfalls innerhalb dieser Sprachen, und falls ich eine
Sprache nur wenig beherrsche, denke ich nur wenig. Man kann, 66
zumindest vorübergehend, durchaus in einer Sprache geborgen
bleiben und in dieser Sprache denken, dann bleibt man im
Sprachsystem (etwa wie das Wasser in einem Flusssystem bleibt).
Vorübergehend ist das möglich, auf die Dauer wird es aber kaum
jemand scha≠en. Im Gegenteil, es ist eine Leistung, sich auf eine
einzige Sache zu konzentrieren und die Vielzahl von Einfällen
abzuwehren, wobei auch Sprachen Ideen sind, also Einfälle.
Jedenfalls habe ich mehrere Sprachen im Kopf, und ich
kann mir nicht vorstellen, dass es jemandem sehr viel anders geht.
Ich kann mir nicht vorstellen, nur eine Stimme, nur eine Aus-
drucksweise zu kennen und merke oft, dass auch die anderen zwi-
schen zwei und mehreren Möglichkeiten vergleichen; sie verglei-
chen die Sprechweise einer Hamburgerin mit der eines Münch-
ners, die Aussprache eines Berners mit der einer Baslerin, die
Wortwahl eines alten Lehrers mit der einer blutjungen Sängerin.
Ständig vergleicht jeder, und für den Vergleich benötigt man min-
destens zwei Auswahlmöglichkeiten. Einen Vergleich gibt es erst
zwischen zwei Dingen, mit einem einzigen Etwas geht es nicht
weiter, wobei eine zu grosse Auswahl ebenfalls hinderlich ist. Wie
könnte jemand tausend verschiedene Stimmlagen und Wortwei-
sen vergleichen? Bei grossen Zahlen geht es plötzlich um Statisti-
ken, und die sind nur entfernt verwandt mit den natürlicheren
Vergleichen.
Bei allem, was ich bisher erwähnt habe, zählt das Zählen,
gilt das Zählen. Und Zählen heisst auch gelten (in dieser Spra-
che, in der ich jetzt schreibe), aber auch gelten kann niemand
allein im leeren Raum. Es ist schwer, mit der Eins allein zurecht
zu kommen, obwohl es sie gibt, es gibt dieses «nur das Eine» und
die Einmaligkeit, aber sie zerfällt im Handumdrehen wieder zur
Beliebigkeit, bezeihungsweise zu vergleichbaren Dingen.
Schon seit einer Weile versuche ich hier, von der Zahl zwei
unau≠ällig zum Begri≠ der Paare hinüberzuwechseln, aber wirk-
lich unau≠ällig ist das schier unmöglich. Die Paare sitzen genau
zwischen eins und zwei, selbst die einfachsten Paare. Die Augen-
paare, die Nasenflügel, die Arme, Beine! Die Lippen! (Wobei
niemand ein Lippenpaar hat und kein Wangenpaar oder Schul-
Zsuzsanna
terpaar. Es ist interessant, ob diese Doppeldinge Paare genannt
Gahse werden oder nicht; vielleicht erzählt die Wortwahl – auf Deutsch
67 – von Tabus, sie zählt Tabus zusammen.) Von den Paaren, die ich
Die Zwei habe, bin ich ständig umgeben, hinzu kommen die Schuhe, die
und
die Kluft zusammengehörenden Socken und Handschuhe, und ich nenne
sie gerne Paare. Ein gutes Wort, ein Zwitter! Paare sind Zwitter
zwischen eins und zwei, sie sind beides. Zwar weiss ich nicht, ob
asiatische Sprachen das Wort übernommen oder es auf ihre
Weise selber gebildet haben, und über das Paarige in afrikani-
schen Sprachen weiss ich auch nichts, aber in Europa und sogar
im nicht indoeuropäischen Ungarisch gibt es die Paare. Es gibt
auch Paarungen, wodurch sogar Platons pessimistische Sehens-
weise beruhigt werden kann, da die ehemaligen Kugelwesen, die
wir seiner Erzählung nach einst waren und die die Götter dann
entzweit hatten, zumindest vorübergehend zusammenfinden.
Die Halbkugeln, die zu einander passen, sind Paare. So haben
alle Augenpaare zusammengefunden, die Ohrenpaare und man-
che Leute.
Leider neigt das schöne Wort dazu, auszufransen, weil man
manchmal sagt, die paar Handtaschen die im Schrank liegen,
seien abgetragen, die paar Erzählungen vom letzten Sommer
längst vergessen, die paar Lover ebenfalls, und entsprechend
könnte man meinen, jeder habe ein paar Augen, beliebig viele.
Dabei hat man genau zwei, zwei zusammengehörende
Augen, beinahe eine Einheit sind diese beiden. Beide! Das ist
eine Errungenschaft der germanischen, romanischen und auch
der slawischen Sprachen! Ursprünglich sassen sie verwandt-
schaftlich beisammen und damals, gleich von Anfang an haben
sie gewusst, dass sie diesen Begri≠ nie wieder verlieren, nie ver-
gessen wollen, und dass ihre jeweilige Logik, ihre schön taktile
Logik, unter anderem durch diesen grundlegenden Begri≠ von
Bestand ist. Das Wort beide ist eine Welt für sich. Selbstverständ-
lich kann man lang leben, ohne zu merken, was für ein Kapital
dieses beide bedeutet, dass man solch einen Begri≠ erst ersinnen
oder finden muss. Ich zum Beispiel habe jahrelang nicht daran
gedacht, dass man im Ungarischen beide nicht sagen kann, aber
als ich zum ersten Mal in Spanien war und ambos hörte, fiel mir
plötzlich die deutsche Entsprechung auf, das englische both, ich
sah die lateinischen oder etwa russischen Parallelen und auch
die ungarische Armut, wo man nur die zwei oder alle zwei sagen
kann. Das nicht indoeuropäische Ungarisch ist nicht etwa insge-
samt arm, überhaupt nicht, es hat seine eigenen Talente, und es 68
ist ein Glücksfall, neben den europäischen Sprachen eine so völ-
lig anders gelagerte Sprachau≠assung zu kennen und die unter-
schiedlichen Au≠assungen vergleichen zu können, beispielswei-
se sehen zu können, dass es das Wort beide nicht zwangsläufig
geben muss. Nicht jede Sprache weiss, dass die Kluft oder die
Lücke oder der irrsinnige Abstand zwischen eins und zwei über-
brückt werden kann, und es ist schön, solche Unterschiede ver-
gleichen zu können.
Nicht zu vergleichen fällt jedem schwer, ständig wird ver-
glichen (und womöglich ist das Vergleichen mit dem Denken
grundsätzlich verwandt), aber solange man vergleicht, gibt es
kaum einen Weg zum Unvergleichbaren oder Unverglichenen.
Die Eins ist kaum erreichbar, und es ist eine Kunst, bei der Eins
zu bleiben.
Insofern gelingt Sancho Pansa im zwanzigsten Kapitel des
Don Quijote ein wahres Kunstwerk. Der Ritter von der Trauri-
gen Gestalt und sein ewig verlachter Knecht befinden sich in die-
sem Kapitel an einem stockfinstren Gelände irgendwo in der
Wildnis, und wieder verspürt Don Quijote die unbändige Lust,
sich in ein Abenteuer zu stürzen. Sancho gelingt es nur mit Müh
und Not, seinen Herrn zumindest bis zum Morgenanbruch
zurückzuhalten. Da aber der Ritter während der Wartezeit nicht
zu schlafen gedenkt, weil das nicht ritterlich wäre, erzählt ihm
der Diener, um ihn wach zu halten. Sanchos Geschichte handelt
von einem Ziegenhirten, der einer ehemals geliebten, mittler-
weile verhassten Frau entfliehen will, und zwar mitsamt seiner
Herde. Dreihundert Ziegen führt er mit, plötzlich aber steht er
vor dem um diese Jahreszeit hoch angeschwollenen Fluss Gua-
diana, und weit und breit ist weder eine Fähre noch sonst ein
Schi≠ in Sicht. Da erblickt er einen Fischer in seinem kleinen
Boot, er spricht ihn an, die beiden Männer werden handelseinig,
und nun soll der Fischer jede Ziege einzeln zum anderen Ufer
fahren, mehr Platz gibt es in seinem Boot nicht. Also fährt er mit
der ersten Ziege los, fährt zurück, nimmt die zweite Ziege mit,
fährt zurück, dann kommt die dritte Ziege dran, und Sancho
sagt, Don Quijote solle bitte mitzählen, denn wenn man nicht
Zsuzsanna
mitzähle, sei die Geschichte aus. Dann berichtet er weiter, von
Gahse jeder Ziege einzeln, bis ihm der Ritter ungeduldig ins Wort fällt,
69 und nun ist es aus mit der Erzählung. «So aus ist’s wie mit mei-
Die Zwei ner Mutter selig», sagt Sancho. So tot wie die Mutter, sei nun die
und
die Kluft Geschichte, könnte man hinzufügen, was der Ritter nicht beach-
ten würde, er würde seinen Knecht weiterhin verspotten. Sicher,
Don Quijote betrachtet alles nur ungefähr, er will nicht richtig
hinschauen, das ist der Hintergrund seiner so genannten Aben-
teuer – über die Cervantes leise lacht, und sein Sancho meint
dann noch: «… in meiner Erzählung lässt sich nichts weiter
sagen; denn wo der Irrtum im Zählen der Ziegen anfängt, da
hört die Erzählung auf.»
Bleibt noch zu sagen, dass ich alle meine Bücher von Ger-
trude Stein durchgeblättert habe, alle Notizen und Unterstrei-
chungen habe ich angeschaut, trotzdem habe ich ihr ein ein ein
nicht wieder entdeckt, daher könnte jemand behaupten, ich hät-
te diese gute Zählweise erfunden, wobei eine solche Unterstel-
lung für mich eine Auszeichnung wäre. Aber sicher wird bald
jemand die Stelle in ihrem Werk finden, und während ich auf
diesen Jemand warte, sehe ich in der gesamten Steinschen
Erzählweise ohnehin ihre Neigung in Richtung eins.
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei / The Figure of Two

Gertrude Stein / Barbara Köhler

Stanzas Meditation
in ­Meditation ins Tanzen
(parts of) Teil IV
Part IV (teilweise)

English Deutsch

Stanza I Stanze I 72

Who should she would or would be he Wer sollte sie wollte oder wollte er sein
Now think of the di≠erence of not yet. Nun überdenke den unterschied von noch nicht.
It was I could not know Der war ich konnt nicht wissen
That any day or either so that they were Dass jeder tag oder die beiden so warn dass sie
Not more than if they could which they made be Nicht mehr warn als was sie falls sie’s konnten zuwege brachten
It is like this Ungefähr das wär der
I never knew which they can date when they say Ich wusste nie inwiefern sie einen bestimmen wo sie sagen
Hurry not hurry I could not only not do it Eilig nicht eilig ich könnt das nicht allein nicht tun
But they prepare. Doch die richten ein.
Let me think how many times I wished it. Lass mich überlegen wie oft ich’s wünschte.
It flattered me it flattered me it flattered me Es tat mir schön es tat mir schön es tat mir schön
And I was all prepared which they sent Und schon ich war eingerichtet von ihnen unterwiesen
Not only not why but where if they did not enjoy Nicht allein nicht wieso doch auch wo so sie nicht genossen
Their place where they meant with them Ihre stelle wo sie auch sie hiessen
And so they can be fitly retired. Und man sie so passend beruhn lassen kann.
This is what I saw when they went with them. Das ist was ich sah als die sie mit ihnen verliessen.
I could have been interested not only in what they said but in what I said. Mich hätte ja nicht allein interessieren können was sie sagten
I was interested not interested in what I said only in what I said. sondern auch was ich sagte.
I say this I change this I change this and this. Mich interessierte interessierte nicht was ich sagte allein was ich sagte.
Who hated who hated what. Ich sag das ich ändre das ich ändere das und das.
What was it that announced they will not mind it. Wer hasste wer hasste was.
I do think often that they will remember me. Was wars das besagte dass das sie nicht kümmern würde.
Now who remembers whom what not a room Ich denke ja oft sie werden meiner gedenken.
No not a room. Nun wer gedenkt wessen was kein gelass
And who did prepare which which vegetable very well Nein kein gelass.
And might I not only to feel it to be right to leave them to say Und wer richtete was was für gemüse sehr gut her
Yes any day it is because after which way Und genügt’s nicht zu spüren sie rechtens zu verlassen dass ich sag
They shell peas and of the pea shell they make a soup to eat and drink Ja jeder tag es ist wegen der weise auf die
And they might not amount to calls upon them. Sie erbsen schäln und aus erbsen schale suppe machen zum essen
They were in place of only where they went und trinken
Nobody notices need I be not there only Und die werden’s nicht dazu bringen sich an sie zu wenden.
Anstelle von allein waren sie wo sie gingen
Nimmt niemand notiz muss nicht allein ich da sein
But which they send it. Sondern auch das was sie überweisen.
Not to think but to think that they thought well of them. Nicht um zu denken doch um zu bedenken dass sie gut von denen dachten.
Here I only know that pumpkins and peas do not grow Hier weiss ich allein kürbis und erbsen gedeihn nicht
Well in wet weather. Recht bei schlechtem wetter.
And they think kindly of places as well as people. Und netterweise denken die von stellen so gut wie leute.
I should think it makes no di≠erence Ich würde denken es macht keinen unterschied
That so few people are me. Dass so wenig leute ich sind.
That is to say in each generation there are so few geniuses Das heisst in jeder generation gibt es so wenig genies
And why should I be one which I am Und wieso sollt ich eins sein was ich ja bin
This is one way of saying how do you do Dies ist nur eine weise zu sagen wie es so geht
There is this di≠erence Da gibt es diesen unterschied
I forgive you everything and there is nothing to forgive. Ich vergeb euch alles und es gibt nichts zu vergeben.
No one will pardon an indication of an interruption Weder wird eines ein zeichen einer unterbrechung verzeihn
Nor will they be kindly meant will be too or as a sound. Noch werden die nett gemeint sein werden auch sein oder als ein klang.
I am interested not only in what I hear but as if Mich interessiert nicht allein was ich höre sondern als ob
They would hear Sie hören würden
Or she can be plainly anxious. Oder sie schlicht besorgt sein kann.
How are ours not now or not as kind. Wie stunden unsre nicht jetzt oder nicht so nett.
They could be plainly as she is anxious Sie könnten schlicht wie sie’s ist besorgt sein
Or for their however they do Oder ihretwegen wie immer sie’s machen
Just as well and just as well not at all Genauso gut oder genauso gut gar nicht
How can you slowly be dulled reading it. Wie kannst du das langsam gelangweilt lesen.
It is not which they went for there were dishes Es ist nicht worauf sie aus waren da gab’s schüsseln
It is not why they were here not with their wishes Es ist nicht wozu sie hier waren mit ihren wünschen nicht
Or accidentally on account of clover Oder per zufall aufgrund von klee
I never manage to hammer but I did Ich bring’s nie zustande zuzuschlagen doch tat ich’s
In with all investigation Rein mit aller eindringlichkeit
And now I now I now have a brow Und nun ich nun ich nun hab eine stirn
Or call it wet as wet as it is by and by Oder nenn das nass so nass wie sie ist nach und nach
I feel very likely that they met with it Ich halt für ziemlich wahrscheinlich dass es sie traf
Which in no way troubles them Ohne sie irgendwie zu irritieren
Or is it like to. Oder das gern täte.
It did it a great deal of good to rub it Es tat es tut es eine menge gutes sie zu massieren

73 Stanza II Stanze II
I come back to think everything of one Mir kommt es nochmal auf alles von eins zu denken an
One and one Einer und eine drauf an
Or not which they were won Oder nicht was sie einzeln gewannen
I won. Gewann ein ich.
They will be called I win I won Sie wollen genannt werden ich gewinn ich gewann
Nor which they call not which one or one Auch was sie nicht nennen welch eine oder ein
I won. Ich gewann.
I will be winning I won. Ich will gewinnend sein ich gewann.
Nor not which one won for this is one. Auch nicht welche eins gewann denn das ist eins.
I will not think one and one remember not. Nicht denken will ich einer und einer nicht gedenken.
Not I won I won to win win I one won Nicht ich gewann ich gewann zu gewinnen gewinn ich eine gewann
And so they declare or they declare Und so stellen die fest oder sie stellen fest
To declare I declare I declare I win I won one Um festzustellen stelle ich fest stelle fest ich gewinne ich geh wann
I win in which way they manage they manage to win I won Ich gewinne so wie sie es zustande bringen zu gewinnen zu stand
In I one won in which I win which won I won ich geh wann
And so they might come to a stanza three Im ich gewann eins in dem ich gewinn was gewann geh ich wann
One or two or one two or one or two or one Und so könnt es mit ihnen kommen zu einer stanze drei
Or one two three all out but one two three Eins oder zwei oder eine zwei oder einer oder zwei oder eine
One of one two three or three of one two and one Oder eins zwei drei alle raus ausser einer zwei drei
Eine von eins zwei drei oder drei von einer zwei und einem
Stanza IV Stanze IV
Mama loves you best because you are Spanish Mama mag dich am meisten weil du welsch bist
Mama loves you best because you are Spanish Mama mag euch am meisten weil ihr welsch seid
Spanish or which or a day. Welsch oder welch oder ein tag.
But whether or which or is languish Aber ob oder welcher oder schwach ist
Which or which is not Spanish Was oder welches nicht welsch ist
Which or which not a way Welche oder was keineswegs
They will be manage or Spanish Sie werden zu stande gebracht sein oder welsch
They will be which or which manage Sie werden was sein oder die wwas zustande bringen
Which will they or which to say Was werden sie oder was sagen
That they will which which they manage Dass sie was wolln was sie zustande bringen
They need they plead they will indeed Sie ringen sie dringen sie wollen erzwingen
Refer to which which they will need Beziehn sich auf was das brauchen sie dringend
Which is which is not Spanish Welches ist welches nicht welsch
Fifty will vanish which which is not Spanish. Fu≠zich verziehn sich was was nicht welsch ist. 1

Stanza V Stanze V
I think very well of my way. Meineswegs sehr wohl bedacht.

Stanza VI Stanze VI
May be I do but I doubt it. Ich könnte ja tun nur ich zweifle.
Vielleicht mach ich einfach und bezweifle es.
Mach ich mag sein doch im zweifel.
Mai sei ich tu bloß verdächtig.
Mag sein mein tun zweifelhaftet.
Ich tu vermutlich was weiss ich. 74

Stanza VII Stanze VII


Can be can be men. Kann man können männer.
Können sein kann seine.
Sein kann sein können.
Kann sein man mann sein.
Können sein kann menschen.
Sei es seien seine.
Kann man kannen mannen.

Stanza VIII Stanze VIII


A weight a hate a plate or a date Ein mass ein hass ein pass oder anlass
They will cause me to be one of three Sie wolln mich bewegen eins von drein zu sein
Which they can or can be Das können sie oder kann sein
Can be I do but do I doubt it Kann sein ich machs einfach aber bezweifle ich’s
Can be how about it Kann sein wie wärs damit 1- A. d. Ü.: (walking
Spanish – raus­ge­
I will not can be I do but I doubt it. Ich will nicht sein können ich mach im zweifel. schmissen, weg­
Can be will can be. Sein können wird kann sein. gezerrt, gezwungen
werden zu gehn)
welsch: im deutsch-
sprachigen raum
wird / wurde das
jeweils nächstgele-
gene romanisch-
sprachige gebiet
manchmal als
«welsch» bezeich-
net; von Frankreich
aus gesehen wäre
dies Spanien.
Stanza IX Stanze IX
How nine Wie neun
Nine is not mine Neun ist nicht nein
Mine is not nine Mein ist nicht neun
Ten is not nine Zehn ist nicht neun
Mine is not ten Mein ist nicht zehn
Nor when Kein wenn
Nor which one then Kein wen wer dann
Can be not then Kann da nicht denn
Not only mine for ten Nicht allein mein für zehn
But any ten for which one then Auch keine zehn für die ich dann
I am not nine Nichteinmal neun bin
Can be mine Wäre mein
Mine one at a time Mein auf ein mal
Not one from nine Uneins von neun
Nor eight at one time Noch acht eines nachts
For which they can be mine. In der sie mein seien.
Mine is one time Mein ist ein mal
As much as they know they like Soviel wie sie wissen mögen sie
I like it too to be one of one two Ich mags auch eine einer zwei zu sein
One two or one or two Eine zwei oder einer von zwein
One and one Eine und eins
One mine Eine meins
Not one mine Uneins mein
And so they ask me what do I do Und so fragen sie mich was ich so mach
Can they but if they too Könn sie aber falls auch sie
One is mine too Eine ist auch meine
Which is one for you Die deine eine ist
Can be they like me Mag sein sie mögen mich
I like it for which they can Ich mag’s weswegen sie’s können
Gertrude
Stein
Not pay but say Nicht blechen – sprechen
Barbara
Köhler
She is not mine with not Sie ist nicht mein mit nicht
But will they rather Doch werden sie eher
75 Oh yes not rather not Ach ja nicht eher nicht
Stanzas
In won in one in mine in three Mit gewinn mit eins mit meins mit drein
in ­Meditation
Meditation
In one two three Und eins zwei drei
ins Tanzen All out but me. Alle raus ausser ich.
I find I like what I have Ich find ich mag was ich hab
Very much. Ganz sehr.

Stanza X Stanze X
That is why I begin as much Daher fang ich so sehr an

Stanza XII Stanze XII


Just why they mean or if they mean Bloß wieso oder falls sie etwa meinen
Once more they mean to be not only not seen Nochmal meinen sie seien nicht allein nicht zu sehn
But why this beside why they died Nur wozu dies neben wozu sie starben
And for which they wish a pleasure. Und wofür wünschen sie sich vergnügen.

Stanza XIII Stanze XIII


But which it is fresh as much Was es auch ist genauso frisch
As when they were willing to have it not only Wie wenn sie willig wären es zu haben nicht ausschließlich
But also famous as they went Doch auch berühmt wie sie wurden
Not to complain but to name Nicht um zu klagen nur um zu sagen
This understanding confined on their account Dies einverständnis sei auf ihre gründe begrenzt
Which in the midst of may and at bay Was mitten im mai und auf abstand
Which they could be for it as once in a while Was sie dafür wie ab und zu sein könnten
Please can they come there. Kämen die bitte dahin.
This is an autobiography in two instances. Diese beispielsweise ist eine autobiographie in zwei instanzen.
Stanza XV Stanze XV
I have thought that I would not mind if they came Ich dachte ich machte mir nichts draus kämen sie
But I do. Doch ich mach.
I also thought that it made no di≠erence if they came Ich dacht auch es ändere nichts kämen sie
But it does Doch das machts
I was also willing to be found that I was here Auch war ich willens gefunden zu werden da ich hier war
Which I am Was ich bin
I am not only destined by not destined to doubt Ich bin nicht bloß bestimmt bestimmt nicht zu zweifeln
Which I do. Was ich mach.
Leave me to tell exactly well that which I tell. Lasst mich verlässlich das sagen was ich sag.
This is what is known. Das ist was man kennt.
I felt well and now I do too Mir ging es gut und das tut’s auch nun
That they could not wish to do Was sie nicht wünschen konnten zu tun
What they could do if Das könnten sie tun wenn
They were not only there where they were to care Sie nicht allein dort wärn wo sie warn zu bewahrn
If they did as they said Wenn sie täten wie sie sprachen
Which I meant I could engage to have Worauf ich meinte anspruch zu haben
Not only am I mine in time Nicht allein bin ich beizeiten mein
Of course when all is said. Selbstverständlich wenn alles gesagt ist.
May be I do but I doubt it. Vielleicht mach ich einfach doch bezweifle ich es.
This is how it should begin So sollte es beginnen
If one were to announce it as begun Im fall jemand kündigt an es begann
One and one Fing eine oder einer an
Let any little one be right. Sei an jeder und jedem kleinen was dran.
At least to move. Wenigstens beweglich.

Stanza XVI Stanze XVI


Should they call me what they call me Solln sie mich ansprechen als was sie mich ansprechen
When they come to call on me. Wenn sie bei mir vorsprechen.
And should I be satisfied with all three Und sollt ich zufrieden sein mit allen drein
76
When all three are with me Stehen alle drei mir bei
Or should I say can they stay Oder sollte ich sehn ob sie bestehn
Or will they stay with me Oder stehen sie mir bei
On no account must they cry out Auf keinen fall müssen die einen
About which one went where they went Beweinen der ging wohin sie gingen
In time to stay away may be they do Beizeiten um abstand herzustelln vielleicht taten sie’s ja
But I doubt it Doch bezweifle ich das
As they were very much able to stay there. Da sie sehr wohl im stande warn dort zu bestehn.
However can they go if they say so. Aber wie könn die denn gehn falls sie so drauf bestehn.
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Ist erste person einzahl, hätte in der
dritten singular 3 möglichkeiten, wär so
Barbara Köhler vervielfacht dritte mehrzahl, könnte
mit mindestens einer zweiten durchaus
Nebensetzen : The Other One auch dualis sein. Der plural hier (im
deut’schen) aber ist deutlich schon
beziehungsweise: nicht viel-, sondern
mehr(-als-ein-)zahl. Wer zählt da mehr?

Dein ich, mein ich, unsereins und sei-


nesgleichen. Euer nicht und nicht ihr
ich, sagt oder sagen sie. Wer? Er und er?
Oder sie: alle oder sie allein, oder sie
beide, she and she or he and she, mit nur
je einem buchstaben unterschied, dem
buchstaben, der ja allein allen unter-
schied zu machen scheint: I.

Die di≠erenz im ei, nicht in nuce: das ei,


das eine, aus dem (> either?) huhn oder
hahn schlüpft und mit ihnen ein weite-
rer buchstabe di≠erenz, aber auch nur
einer – oder zwei? Eine di≠erenz zwei-
er. Now think of the di≠erence of not
yet …

Könnte ja sein. Ist ja: immerhin möglich.


Möglich heisst immer mehr oder weni­-
ger als eins, ist noch nicht – nicht bloß
eins: sei uneins, kann vieles heissen.
Di≠erenz wär ein unterschied ohne gleich
(unter der hand) ein «über-»drüber zu
77 I come back to think everything of one – ein ich, das zurück legen, könnte abstand sein, eine entfernung, ein in-zwischen,
kommt (also schonmal da war), das etwas wiederholt: es (zeit-)raum, räume: stanzen, distanzen. Eine di≠erenz zwei-
denkt alles noch einmal und einmal noch alles oder noch er wie vieler.
einmal, also mindestens zwei: eine einzahl, eine mehrzahl,
ein ein und sein alles. Alles, das alles von dem einen, was (Uneins, nicht sein. Aber könnt ja sein. Nicht nur sein,
dem alles, was möglich ist – was ihm möglich wäre zb als nicht allein sein. Nicht nur sein, nicht allein sein. Nicht
der eine oder das, unmöglich jedoch als die; dem einen ist nur sein, nicht allein sein.)
es in der deutschen grammatik möglich und er, nicht mög-
lich aber sie: die eine zu sein. ONE jedoch kann eine sein Räume, sprachräume, in denen sich rede regt, wendet, von
wie einer und eins, könnte die der das eine sein; eine wort zu wort. Es steht nichts zwischen den zeilen; es
jedoch wäre die … Wie aber übersetze ich diesen unter- bewegt sich zwischen den wörtern, orten, (durch) eine
schied, übersetzt man everything of ONE? vielzahl von einzahlen, dimensionen, auf potenziellen
wegen, in beziehungsweisen.
Ein ich, das zurück kommt – das nicht gleich hier ist, son-
dern ersteinmal da: wo es schon einmal war, schon einmal Die grundfigur ist der gegensatz, eine di≠erenz zweier –
da, so ein mal da, ein zeichen, da malte es schrift auf papier, die hauptfiguren aber sind plural und singular, wie every-
und nur 1 zeichen mehr von here nach there. Ein ich, das thing und one, sie heissen, werden persönlich: I und THEY.
nicht unbedingt jetzt ist, eher dann, wenn … aber heute Ein buchstabe und mehrere, eine erste und mehrere per-
machen kann, jeden tag zu einem heute, zutage bringt wie sonen, dritte, mindestens aber zwei – THEY verlangt min-
das heute geht: to-day – das ich, das erst ein alltägliches destens zwei personen – von denen jede auch eine erste
heute zustande bringt [all-tag: was hergestellt wird per sein kann. Oder nicht? Oder nicht.
wiederholung], das heute buchstäblich herstellen kann.
Eine person, die ICH sagt, damit auch einen zeitpunkt
JETZT meint und eine stelle namens HIER beansprucht, •
die sich in die schrift stellt, gestellt wird.

Ein ich, das da, in der schrift ein durchaus bezweifeltes ist: Eine könnte beispielsweise Gertrude Stein heissen und
sein könnte, uneins. Eins allein (only or lonely?) von vie- eine Alice B. Toklas, sie könnten zum beispiel folgendes
len, von IHNEN (den «andern») jeweils eins. Jedes lesen- bei-spiel spielen: eine schreibt einer eine autobiographie.
de ich könnte sich damit identifizieren: eins sein. Oder
auch nicht. Oder di≠erenzieren, anders sein, anders als Im jahr 1932 schreibt Gertrude Stein THE AUTOBIOGRA-
ich. Anders = als ich. PHY OF ALICE B. TOKLAS, dabei sagt sie ICH, sagt es bei-
spielsweise – als Alice. Zu «sich», zu der im buch Gertrude
Stein genannten person hingegen sagt sie da «sie». Und Nicht der einfache weg von der einzahl stracks über mehr-
schreibt so ihre autobiographie: ihre und ihre, eine für und noch mehr zur vielzahl, wieviel-zahl, nicht der weg der
mehr als eine – für zwei. 1 quantität wird so gegangen, 1 + 1 + 1 + … nicht ein schritt
und noch ein schritt und noch einer ohne ende (– oder bis
Und schreibt an einer («anderen»?) stelle this is an auto- zum schluss). Das änderbare, die eigenheit, beweglichkeit
biography in two instances, schreibt dies womöglich sogar der wörter bewirkt eine wendung ins qualitative, in ein
gleichzeitig: in STANZAS IN MEDITATION, das im gleichen zahlloses, unzähliges: ins mannigfache. «There is no coun-
jahr (/zeitraum) entstand. Als ebenso IHRE, doch eine ting on that account». Ein wort ist, wo es wiederholt wird,
ganz andere autobiographie: AN AUTOBIOGRAPHY OF I zwar ein gleiches, doch nicht dasselbe; es kann sich unter
AND THEY – was ein möglicher titel wäre, aber auch eine umständen unterscheiden, in anderen verhältnissen auch
tautologie: AUTOBIOGRAPHIE heisst ja nichts anderes als anders verhalten, di≠erent.
I AND THEY, ICH UND DIE ANDEREN («SIE»). [Man
braucht im deutschen die ANDEREN, um THEY zu über- Auf etwas zurückkommen, ohne darauf zu bestehn. Der
setzen?] Weshalb diese dann STANZAS IN MEDITATION weg (iter) der wiederholung, iteration als be-WEGung; kei-
heisst. Und auch eine art grammatik aller autobiographie ne feststellung, festlegung, nicht der einzige, ausschliessli-
vorstellen könnte. (Was jedoch nicht heisst EVERYBODY’S che weg, die linie von hier nach da, nicht die eine, gemein-
AUTOBIOGRAPHY; die schreibt sie, schreibt Gertrude te, die richtige richtung; nicht bloß fort kommen, fort-
Stein erst ein paar jahre später.) schritt, nicht lediglich ein weg-von-hier. Eher etwas wie
das herstellen einer verbindung, auf die sich, auf der sich
Namen werden aber keine genannt. Doch wörter persön- zurückkommen liesse, auf den trampelpfad, der durch
lich: die können ziemlich viel tun («anrichten»), haben wiederholtes begehen zum weg (im englischen auch: walk)
möglichkeiten, raum. Sie heissen, sie deuten, sie haben wird – und einen unterschied bedenken zur strasse (eng-
mehr(-oder-weniger)-als-einen sinn: they mean. Was lisch auch: drive). Weg mit diesem ich-jetzt-hier-null-
nicht gleich heisst, dass sie meinen; so possessiv wird hier punkt, der in dieser, seiner bewegung eine einzelne, lebens-
nicht gedacht. Wörter meinen ja nicht; mit ihnen wird längliche linie ergäbe. Weg oder weg oder und?
gemeint, wird verbunden mit einer ersten person, in deren
intention, wird sich angeeignet. Bei Gertrude Stein aber Not only: nicht allein. Zu zwein oder vielen oder: auch,
sind wörter keine privatangelegenheiten. Auch wenn und nicht ausschliesslich. Nicht ausschliessen, nicht vernich-
gerade weil sie durchaus eigen erscheinen. Aber das ist die ten; andres sein lassen, anders und auch sein lassen – und
eigenart ihres gebrauchs. (Ihres gebrauchs von ihnen.) auch ihr. Ihr lassen und ihr tun; nicht nur eins, nicht nur
seins. Ihres wie unseres, ours, was auch nach stunden
Ein gebrauch, der ihnen [ihr und ihnen – und vielleicht klingt; unsres, gestundet – now think of the di≠erence of
sogar Ihnen, was meinen Sie?] raum gibt, bewegungsmög- not yet … 78
lichkeiten. Es sind einfache wörter, alltägliche und «alles in
allem» sind es nicht gerade viele – aber auch nicht grad
wenige – und immer wieder werden sie wiederholt, werden •
als einzelne derart vervielfacht. Einfache wörter, vielfach
wiederholt, gleiche wörter in unter-
schiedlichsten konstellationen, in kons- 1 - [zit. Stanza XIV/IV: Not yet, not only, not one: als ob dieses ich alles zur dispo-
tellationen, die sie verändern. Wer ver- This is her autobio- sition stellen würde, was es positioniert, was es feststellbar
graphy one of two]
ändert da wen? Die wörter die konstel- – und Alice B. macht, es als ein ich, als einzig bestätigt; als ob es aufgäbe
lationen oder die konstellationen die Toklas schreibt die festzustellen, es aufgäbe zu wollen; als ob es losliesse, lose
ein zweites mal, sie
wörter? Und warum oder, warum nicht tippt das manu-
[gewinne und nieten]: zufall zuliesse, alles andre: alles
beides, nicht gleichzeitig? Ja, warum skript ab. Meine mögliche, das nicht ICH ist oder auch: sogar dieses ich in
nicht … übertragung der nICHt, diese uneins. Not one, was ja keineswegs keiner
STANZAS folgt der
ausgabe von sun & heisst, no-one nicht und nicht nobody. Das problem wäre
moon press, Los als n-body-problem zu formulieren, das in der himmels-
Angeles 1994, die
sich von jener in
mechanik (und ganz ähnlich auch in der quantenmecha-
The Library of nik) allein iterativ gelöst werden kann: per wiederholung,
America, New York annähernd – als entfernung, di≠erenz, distanz, abstand,
1998, darin unter-
scheidet, dass an als zwischenraum, spielraum, wahrscheinlichkeitsraum,
vielen (jedoch nicht in dem bewegungen kaum je eindeutig linear vorhersag-
allen) stellen, wo in bar sind.
letzterer may steht,
ein can auftaucht
(can be can be man Identität (I-dentity) ist dabei nicht unmöglich, nur ein
zb), was einer anek-
tode zufolge auf
wenig wahrscheinlicher spezialfall (n ≤ 2); vielleicht eine
Alice Toklas zurück- selbstbehauptung monotheistischer götter – kontrollfana-
gehn soll und deren tiker, die glücksspiele hassen – deren allmacht gedacht
eifersucht auf May
Bookstaver (1932 wird als ein in zukunft unbedingt realisiertes wollen: fiat
ist auch das jahr, voluntas Tua – Thy will be done … Thy will – will be – be
in dem Q. E. D. wie-
der auftaucht, eine
done – diese seltsame verschränktheit von wollen und wer-
erzählung von den, die im englischen aufscheint, eine di≠erenz zwischen
1903, in der Stein den sprachen sichtbar macht – und darin eine idee von
ihre beziehung
mit Bookstaver göttlichkeit: dass zukunft bestimmbar sei, gewollt.
­verarbeitete).
Mehr-als-eine sprache und das mannigfache jeder einzel- Bloß – sollte man [um auch mal ein bisschen beim bild zu
nen von ihnen: gespräch, bewegungen (mancher, vielleicht bleiben] mit Gertrude Stein nicht eher musical chairs spie-
ja vieler) im raum dazwischen, wo noch nicht fest steht, len? Mit mehreren (n) stühlen und noch mehreren (n + 1)
was ein wort bedeutet – nur o≠en, was es alles heissen beteiligten, die sich bewegen und nur gelegentlich zum sit-
kann (> everything of one), es freigestellt ist, sie freigestellt zen kommen und in unterschiedlichsten richtungen, kei-
sind und zu einander so, dass ihre möglichkeiten sichtbar nesfalls aber alle: 1, one, einer oder eine auch nicht. Jede
werden, realisiert werden können: wahrgenommen, als runde erzeugt aufs neue (wiederholt) die autobiographische
möglichkeiten, konjunktive, verbindlich, im kon-takt, ein- konstellation I AND THEY: die oder der eine ohne sitzplatz,
ander antwortend: korrespondierend. anders als sie, die anderen. Das ich, das da steht, entsteht
durch di≠erenz, dis-position, deplazierung; es besitzt kei-
Wie aber dies übersetzen? Was wiederholt die übersetzung nen stuhl, es hat keinen platz, der die stelle zum ort machen
eines satzes in eine andere sprache? Seinen «sinn»? Und würde, ist ja selbst dahingestellt, nicht sesshaft, verortet:
hiesse das: eine deutigkeit, und das möglichst ein-deutig, wäre («sozusagen») ein utopisches.
1:1, «richtig» gerichtet: ein eindeuten auf zb aussersprach-
liche sachverhalte? Was gemeint sei? «Was uns der dichter Die regel besagt nun, dass das vom spiel auszuschliessen
damit sagen wollte»? Thy will … der dichter, der deuter, sei.
der richter, zu deut’sch: ein diktator, sprachbeherrscher
mit weisungsbefugnis, der dem allgemeinen random walk Diese regel aber dreht Gertrude Stein kurzerhand um: In
orientierung geben kann, der sagt wo’s langgeht (und der one two three / All out but me. Das ist IHR spiel, ihres und
übersetzer sagt ihm das ganz genau nach?)??? ihrs, ohne das spiel aller sein zu sollen, zu wollen, zu kön-
nen; she (heisst es an einer anderen stelle) is not only but
Das ist nun tiefstes 20.jahrhundert, wird aber immernoch also all.
gern genommen. Nachlesen, nachdenken, nachfühlen,
nachspüren, nachgehen, nachdichten, sich identifizieren Deswegen gibt es in ihrem spiel auch noch andere andere,
(– Sie besitzen einen amtlichen ausweis für die erken- gibt es mehr als eine mehrzahl: when they went with them
nungsdienstliche behandlung von literatur?): die wort- wird auch der plural plural.
macht, die sprachgewalt, das sagen HABEN, behaupten,
beanspruchen mit der geste, die andre einschliesst: für sie Das stehende, deplaziert entstehende ich aber ist bei Gertru-
zu sprechen. Sie zum schweigen bringen, ausschliessen. de Stein nicht verlierer des spiels, sondern gewinn – im ein-
Ins unrecht setzen, recht haben wollen. Feststellen, veror- klang von ONE und WON, eine aus di≠erenz gewonnene ein-
Barbara ten, zb auch wo und wer vorn ist: avantgarde? heit: aus der nicht-einheit mit den «anderen» (womöglich
Köhler
«allen»?) in einer ersten person plural, als WIR – was auch
79 möglich wäre, ja doch gerade noch war: wir, die auf stühlen
Nebensetzen
• sassen, die wir unsere nannten, ours, uns gestundete, eine
zeitlang zustehende stühle; dieses WIR, das in I AND THEY
zerfallen ist. – Einerseits.
Übersetzen: sätze, die sitzen, wörter, die sich nicht von
der stelle rühren, an die sie gestellt sind, gestellt werden, Von der anderen seite aber zerfällt es in «WE AND ONE» –
wie stühle gestellt: tote dinge, objekte, auf denen sich platz bzw zerfällt das WIR eben nicht, sondern schliesst eins aus,
nehmen lässt, platz, den man dann objektiv hat oder nicht n – 1, was so bei Gertrude Stein nicht vorkommt; das ist
hat, («was man schwarz auf weiss besitzt»): einen stuhl nicht ihre seite. Ist nicht ihre art, WIR zu sagen: um ein
(den es ja sogar als heiligen gibt), position als possession einvernehmen, eine gruppe, eine gleichheit, um identität
und ein vorsitzender, der da das sagen hätte, im chefsessel herzustellen, damit eines als anders ausgeschlossen wer-
– the chair. Besitzer, inhaber, eigentümer. 1 zu 1, einer und den kann, in den negativen bereich verschoben, als verlie-
eins, eindeutig, per gesetz: seins. rer aus dem spiel geworfen, als loser.

Übertragen: etwas auf sich nehmen, es annehmen, tragen, Die komplementäre möglichkeit wäre eine positiv-ver-
um es weiterzubringen, weiterzugeben (vielleicht), weiter schiebung, 1 + n: ein ausnahme-ich, und nicht als gewin-
zu machen: als last, als auszeichnung; kraft darauf verwen- ner, sondern sieger, teil des WIR, aber darin gleichzeitig
den, energie, die man auch erhalten kann – erhalten als allen anderen überlegen. Das spiel entpuppt sich so als
bekommen sowie erhalten als nicht-nachlassen-lassen – wettbewerb, womit auf feststellung (behauptung) eines
hat wohl (aktiv) zu tun mit entropie. Etwas tragen: es bewe- «besten» gezielt wird, der oder das – ganz neutral, objek-
gen und halten, es in bewegung halten, vorübergehend nur tiv wie ein stuhl – gestellt werden kann, auf die oberste stu-
und nicht zu fest, eher lose, doch ohne es fallen zu lassen. fe vom treppchen: einer / eines über alle(s)… Kommt
Übertragen: eine bewegung, einen impuls, energie. Ihnen die melodie nicht auch bekannt vor? Das alte lied
vom bruder nr. 1 oder von der «sache», für die sich zu ster-
Der übersetzer, der den satz vom stuhl im anderen sprach- ben lohnt; der o∞zielle sound des 20.  jahrhunderts.
raum exakt so plaziert, dass er dem blick eines darauf
platznehmenden lesers auf zb «die wirklichkeit» ein glei- WE ist das personalpronomen, das Gertrude Stein nur in
ches (ein identisches, 1:1) bild bietet? Keine abwegige vor- seltnen und auch eher seltsamen fällen verwendet. Ausge-
stellung; so wird das oft und gern gesehn. Im rahmen einer schlossen wird es aber keineswegs.
flächigen geometrie.
Diese erste person plural schliesst die erste singular ja ein:
es braucht ein ich, um WIR zu sagen; aber dieses ich kann
kaum eins sein, ist nur 1 als teil: UNSEREINS, es schliesst
seinerseits andre mit ein, was implizit wiederum andre alltägliches tun, etwas in der art von essenkochen, betten-
ausschliessen kann. Andere andere – doch ein pluraler plu- machen und abwasch, weit eher als heldenhaftes gehabe
ral wäre hier auch ausgeschlossen: es ist nur ein WIR mög- und singuläre leistung; ohne horror vor einer «ewigen wie-
lich, eine erste person plural, da sie von der ersten singu- derkehr des gleichen», eher mit zuversicht auf möglichkei-
lar identifiziert wird: es braucht ein ICH, um wir zu sagen. 2 ten, die dinge durch wiederholung zu ändern, sie auf sich
Die ANDEREN (zu denen dieses ich nicht gehört, mit zu nehmen mit leichter hand, zu tragen, zu bewegen, sich
denen es sich nicht identifizieren kann) können ja nicht zu bewegen und – may be, can be – auch andere: SIE.
WIR sein, nur THEY, nur SIE; ihre seite wäre die andere
seite – im minus, in der minderheit (wo di≠erenz das SIE als gegenüber, als zweite person: YOU – ebenso singular
ergebnis einer simplen subtraktion wäre und meist weni- wie plural, und deutsch bitte mit etwas höflichem abstand,
ger meint – als WIR; wir meint WIR ALLE). nicht gleich so einvernehmlich mit IHR oder per DU.

Ein eingeschlossenes ich, das mit sich andere einschliesst, SIE als gegenüber: SIE und SIE – und dabei scheint sie,
in diesem WIR, ist seinerseits auch permanent vom aus- Stein seltsamerweise auch kaum zwischen dingen, men-
schluss bedroht, von der vereinzelung, vom verlust seiner schen, tieren und wörtern zu unterscheiden: sie werden
zugehörigkeit, die ihm aberkannt werden kann oder gleichbehandelt, plural – als gegenüber. Es wird keinerlei
abhanden kommen. Dergestalt verkommt es auch zu einer unterlegenheit unterstellt, keine hierarchie errichtet; hier
privatangelegenheit; als einzahl ist es immer in der min- wird kein selbstmehrwert per herrschaft kreiert, wird
derheit gegenüber der mehrzahl, die das WIR einschliesst nicht nach gutdünken und gutsherrenart umgesprungen
– ausser im fall n = 2, in einem paar. Paarungen gelten als mit IHNEN, den ANDEREN als «material», als handle es
besonders private angelegenheiten. Dafür haben andre sich um einen besitz, privateigentum, das man ja auch
sprachen einen dualis. Im deutschen gibt es dafür akkusa- ungestraft verschleissen kann, kaputtmachen, wegwerfen
tiv und komparativ, fragt sich wer wen, wer weniger und oder meistbietend verhökern. dinge, tiere, menschen;
wer mehr; so wären wir wieder beim wettbewerb: wer wörter.
zählt, wer mehr zählt und wer in einer mehrzahl sicher wir
wäre (und wer nur eventuell mitgemeint) …


Schliessen möchte ich mit einem letzten satz, dem letzten
satz der ersten lecture von NARRATION; vier vorlesungen,
IHRE seite, ihre und ihre, einzahl wie plural, ist die ANDE- die Gertrude Stein in Chicago gehalten hat, 1934 – zu einer
RE seite, nicht die EINE, die seine, und die rede ist von gen- zeit also, als das jahrhundert der diktatoren, der eskalie- 80
der, grammatik: – beziehungsweisen; die rede ist auch von renden rassismen, nationalismen und ideologien gerade so
Gertrude Stein, but not only, nicht allein, die rede ist von richtig in fahrt kam. Ein satz als lecture: lektüre, lektion in
einem ICH, das SIE sein könnte, eine wie viele, auch sein pluralität – und in der tat.
kann, und auch sein, but not only, nicht allein: not one, not
only, not yet. Ein ich, das eher di≠erent als konkurrent wär I like the feeling of words doing as they want to do when
(konkurrent ist auch nur ein anderes wort für mitläufer) – they live where they have to live that is where they have
ich als konjunktiv: als möglicherweise, verbindlich, ein come to live which of course they do do. In der übertragung
vielleichtes. Ein nicht-allein-ein-ich; die uneins, womit von Ernst Jandl von 1971: Ich mag das gefühl von wörtern
auch das einspurige zufallsgewusel diverser random walks die tun was sie wollen und was sie tun müssen wenn sie
zum tanz werden könnte: eine ko-ordinierte bewegung. leben wo sie leben müssen also wo sie angekommen sind
Verhältnisse, die ins tanzen kommen. um zu leben was sie selbstverständlich auch tun. Und viel-
leicht der di≠erenz halber, nicht als konkurrenz, noch eine
[Ein ich, das SIE sein kann, nicht allein ER, und so auch eigene version: Ich mag das gefühl von wörtern die tun wie
das symbolische zu fall bringt; nicht bloß zu phall – zum sie belieben wenn sie leben wo sie zu leben haben wo sie zu
zufall.] leben gekommen sind was sie selbstredend doch tun.

Mehr-als-ein ich, das SIE sein könnte,


ein gegenüber aus I AND THEY: als plu-
ral denkbar, doch nicht mehrheitsfähig, 2 - [als gehöre auch
grammatik zu
nicht als einvernehmlich im meinungs- jenen «hinreichend
bildenden mainstream, wo so gern WIR mächtigen forma-
ALLE gesagt wird; ein ich, das für sich len systemen», für
die Gödels unvoll-
steht und mit anderen, ihnen gleich ständigkeitssatz
und durchaus minderheitsfähig – und gilt: sie seien ent-
das will was heissen. Bei Stein verbin- weder vollständig
oder widerspruchs-
det es sich mit ihrer idee von genie: «… frei; mit WIR wird
that so few people are me. That is to say konsistenz herzu-
stellen versucht,
in each generation there are so few identität als iden­
geniuses», ohne dass diese ausnahme tifizierung von sin-
zur überlegenheit stilisiert würde: gular und plural.
Identität, die
«This is one way of saying how do you gleichzeitig aus-
do» – eher unerheblich, eher ein ganz schluss bedeutet.]
31 N°- 14/15
The Figure of Two
But which two does the one divide into?
The question of the two immediately
Mladen Dolar turns into a double question, it redou-

One
bles itself, it poses two questions. On the
one hand we have the numerical two as
the first kind of two, raising the ques-
tion of counting, of what accounts for
counting, for getting from one to two.

Splits
What pushes the count in its forward
thrust? For if we have successfully man-
aged this heroic feat of accomplishing
the first step of addition, assuming that
one plus one makes two, then there

into
seems to be no stopping this process, we
can reproduce this step again and again,
and thus count to infinity. If we get from
one to two, then three is already impos-
ing itself, and four is on the horizon,

Two
and so forth. To be sure, what seems to
be a simple operation, the most ele-
mentary of all, the one acquired with
the first lesson in mathematics, is itself
full of pitfalls and hidden traps, and
one needs only to mention the name of
Gottlob Frege, the set theory, the discus-
sion about the suture, Alain Badiou’s
intricate theory of numbers, 1 to remind
us of the complexity of operations
involved. But I will not follow this path.
I can just simply suggest that the mys-
tery pertains not so much to the prob-
lem of how do we get from one to two,
81 “One splits into two, two doesn’t merge but prior to that to the enigma of how do
into one.” This slogan has made a date we get to the one at all. For it is already
in its time, and it has itself become dat- in counting something as one that there
ed, despite its air of universal truth. may lie a secret duplicity, a clandestine
People of a certain generation, to which doubling, a hidden split, a minimal
I belong myself, would immediately di≠erence that only comes forth, that
recognize it, quote it both emphatically comes to “express itself,” by progressing
and conversationally, appreciatively or to two. It lies in the initial move of how
ironically, whereas nowadays one can one, once posited, is already split and
stand in front of a class full of students redoubled “in itself ” before it redoubles
none of whom has ever heard this say- itself into two entities, and thus pro-
ing and has no inkling as to who might vides the initial fuel that can subse-
be its author nor what its bearing and quently be replicated into infinity. There
impact may be. It is like talking Chi- lurks a doubling already in the bosom of
nese. I take the risk of appearing as the the one, in the way in which we have
caricature of a relic of a certain era, the assumed its being given. There lurks the
risk to appear myself dated by taking hidden spring of its proliferation, some-
this particular cue. The slogan com- thing that will secure its infinite success.
bines the air of a purely mathematical But in this way one has not really arrived
axiom with a political guideline; under at two, firstly, because the two which has
the cloak of its mathematical demeanor been produced is still the hostage of the
there lies a political dagger, a battle-cry, one, its extrapolation and extension,
a call to class struggle. It takes under and secondly, one has not arrived at two
the same heading a mathematical but at more than two, at the two of many,
adage, an ontological statement and a since the process that one has instigated
political stance. So why does one split cannot stop with two, it is endowed with
into two, necessarily, both in mathe- the push forward to multiply itself, so
matics, in ontology and in social tex- that “two” is a mere provisional stop­
ture? And why, once we arrive at two, a over, a halt from which we must hurry on.
1 - See Jacques-Alain Miller, foundational split, one can never get
“La suture,” in: Cahiers pour back to the supposed unity of one?
l’analyse, 1, 1966, pp. 37–49;
Alain Badiou, Le nombre et les
nombres, Paris 1990.
There is, however, the other side of this One can immediately appreciate the statement from a di≠erent quarter, the
question, which is precisely the side of high philosophical stakes in the matter. quote that Michel Foucault has emphat-
the Other. For what stands in opposi- A large part of modern philosophy, if ically placed on the back cover of his two
tion to the one is on the one hand the not all of it, has placed itself under the last books on the history of sexuality, the
numerical two, to which we arrive by banner of the Other, in one way or quote by René Char: “The history of
adding another one to the supposed another, whatever particular names it men is a long succession of synonyms of
initial one, the second one being just might have used to designate it, and if it the same word [in French: ‘vocable’]. To
another one on top of the first one, it is has thus espoused the slogan of the contradict this is a duty [in French: ‘Y
of the same nature and cut of the same Other it has done so in order to estab- contredire est un devoir’, M. D.].”
stu≠ as the first one. On the other hand lish a dimension which would be able to
there looms the other, the Other, its cap- break the spell of One, and in particular The French “autre,” for the other, stems
ital letter turning it into the “big Other,” its complicity with totality, with form- from the Latin alter, which basically
underscoring and highlighting its ing a whole. A simple opposition could means the other one of two, and two
emphatic nature and the drama implied be drawn between “one” and “One:” the only (as opposed to alius or secundus,
in it. The question of the Other brings one of the split that propels counting, the second of many). Many languages
forth not merely the numerical two, the and the One of unity and unification, have maintained a di≠erent word for
second one following the first one, but the common denominator of multiplic- the second of many and the second of
the question of something qualitatively ity, the antidote to the split – and per- merely two, not to be followed by a third
di≠erent, something which is not a mere haps the metaphysical tradition started and so forth. This etymological lead can
addition of another one, the extension of o≠ by the step which immediately already put us on the track of the prob-
the first one, but something which mapped “one” onto “One,” thus estab- lem of the two. It already gives us an
would really present a two, a two hetero- lishing an equation between the two. inkling that the two poses a di≠erent
geneous to the one and recalcitrant to Hence the hidden propensity of One to problem than the second of many and
the progression of successional ones into form the whole, to encompass multi- that there is something there that defies
infinity. For however much we count, plicity and heterogeneity within the counting. To get to the other of the two
however many ones we add to the first same underlying forming principle. di≠ers inherently from counting from
one, we cannot count to the two of the That program was pronounced at the one to two and then onwards, for if this
Other. The progression of counting dawn of philosophy, at its Parmenidian other / Other exists one would not need
extends the initial one into a homoge- origin, with the simple slogan of ἕν και to progress any further. There is the
neous and uniform process, while the πᾶν, one and all – to conceive the all as other of alterity and of alternative, to
Other is supposed to present a dimen- one, to encompass the whole in its uni- take two more words based on alter
sion which would be precisely “other” ty, and to take the one as the simple clue (there is also alteration and alterca-
in relation to this uniformity; some- to the whole and whatever multiplicity tion). The other forces us to stop at the 82
thing that would escape the propaga- it may present; to take the whole under figure of just two, not allowing us the
tion of ones and their infinite series. In the auspices of One. That slogan, ἕν και escape into infinity. Or rather, there is
a nutshell, the otherness of the Other, if πᾶν, the famous adage which has held another kind of infinity that one has to
it can be conceived, is a dimension that in check the whole history of philoso- envisage with the other as the other of
cannot be accounted for in terms of phy, was supposed to spell out philoso- just two, and one is immediately tempt-
One. If the Other exists then we have phy’s mission, its grand traditional ed to use the Hegelian opposition of a
some hope of escaping from the circle, overarching chart, its task and its call- bad and a good infinity. This other,
and the ban, of One. It would present a ing, in three simple words. So if the alter, is indeed something that resists
two that would really make a di≠erence, Other exists, if it can be conceived in the one and contravenes its oneness,
not merely a di≠erence between one terms other than the terms of one, then while the second merely extrapolates
and another one, that is, ultimately, this would permit us to get out of this what has already been encapsulated in
between one and itself, through its ban and this circle. Indeed, the task of the one and presents its prolongation.
internal split. It would make another modern philosophy, if I take the liberty A notorious book by Simone de Beau-
di≠erence, irreducible to the delightful of this grossly simplified and massive voir bears the title Le deuxième sexe, the
oxymoronic phrase “same di≠erence.” language, was set as the task to think second sex, a curious title upon reflec-
the Other which would not be in com- tion, which is indeed translated into
plicity and collusion with the One of ἕν German as Das andere Geschlecht, the
και πᾶν, and thus the task to think the other sex. For the title raises the simple
two, to conceive the Other which would question: the second of how many?
not fall in the register of the One. In this How many sexes are there? Isn’t this a
massive parlance, the mission of mod- paramount case where she should have
ern philosophy would then be nothing said “l’autre sexe?” 2 And as we will see,
less, and nothing more, than the inven- the question of the other is, in one of its
tion of two. To propose just one show- facets, intimately linked with the ques-
case, I can take Alenka Zupančič’s book tion of sex and cannot be quite disen-
2 - Another possibility in French
would be “le second sexe,” which The Shortest Shadow. Nietzsche’s Phi- tangled from it.
means the second of two. In losophy of the Two from 2004, a book
France they have “la deuxième
république,” but “le second
which lucidly and magisterially argues
Empire,” the assumption being that Nietzsche’s feat, inaugurational for
that the second republic is the modern philosophy, is his invention of
second out of five (so far), while
the Second Empire is the second the figure of the two. And I can cite as a
and the last one, this is it. further token another programmatic
I said “if the Other exists,” and this brings what agitates their intimacy. There is What, if anything, is the Other? I am
me to a very basic asset that lies at the the Other at the heart of all the entities taking this wording from Stephen Jay
heart of psychoanalysis and the work of that psychoanalysis has to deal with, Gould and his essay What, if anything,
Jacques Lacan. There is something like and this may be seen as a shorthand to is a zebra? 4 Even zebras are not to be
a spectacular antinomy at the bottom of pinpoint their specificity, to assemble taken for granted, their existence may
psychoanalytic theory, an antinomy them with a single stroke under one raise some questions, despite their
worthy of the famous antinomies of heading, the heading of the Other. What flamboyance. But asking “what” already
Immanuel Kant, who has brought the all these entities have in common is the precludes another way of asking, name-
notion of antinomy to a pinnacle. There fact that there is the Other at their core, ly “Who is the other, if anyone?” For the
lies, at the limit of all possible knowl- which is of a radically di≠erent nature question of the other, and this is just a
edge, a series of antinomies in which in relation to the realm of One. They digression, is first dramatically posed in
one can propose one statement and its present the rupture of unity, a crack in relation to another person, this alter
antinomic opposite without the possi- uniformity, a rift of counting and its ego next to me, the same as me and for
bility of resolving the matter, of decid- homogeneous proliferation. So the Oth- that very reason all the more the Other.
ing in favor of the one or the other, or er could be taken as their minimal com- This is where the whole drama comes
merging the two into one. Antinomies mon denominator. in of what Lacan famously called the
bear on such spectacular and essential mirror stage, the mirror stage “as for­
questions as these: Does the world have Yet this is but the first part of the antin- mative of the function of the ego,” as the
a beginning in time or is it infinite? Are omy, the part positing the Other at the title of his inaugurational paper runs.
we ruled by inexorable necessity or do core, the irremovable otherness, the In this drama the alter ego is constitu-
we have access to freedom? The Kan- alterity, the intimate Other which turns tive of the ego, precisely insofar as it is
tian reason dwells on this at length, and any intimacy “extimate,” in Lacan’s the agent of alterity, opacity. The for-
has no means of resolving it – reason is excellent neologism. The second part of eignness of the Other emerges under
supposed to be the principle of unity, the antinomy, in stark contradiction to the auspices of “the same.” It is only by
yet it gets stuck in the “two” that it can- the first one, states bluntly: “The Other this other and through it that one can
not reduce or sublate, it dwells in an lacks.” One can find it in this minimal assume the self of the ego as “my own.”
irreconcilable gap. and straightforward form in one of The foreignness of the other intersects
Lacan’s last public statements: “L’Autre with the ownness of the self. On the one
There is a Lacanian antinomy of the manque. Ça me fait drôle à moi aussi. Je hand the other is homogenized, so that
two, pertaining to the nature of the tiens le coup pourtant, ce qui vous épate, I can recognize myself in it, but only at
Mladen Other. One can pose it as the antinomy mais je ne le fais pas pour cela.” / “The the price of alienating myself in this
Dollar
of two massively opposing statements, Other lacks. I don’t feel happy about it image of the other – the other is the
83 the first one being: “There is the Other,” myself. [As if it was a question of per- same as me, my double, and precisely
One
which is the essential dimension that sonal taste and preferences.] Yet, I because of that my competitor, oppo-
Splits
into
psychoanalysis has to deal with. Noto- endure, which fascinates you, but I am nent, my intimate enemy who threat-
Two
riously, Sigmund Freud spoke of the not doing it for that reason. [And one ens my life and integrity.
unconscious as “ein anderer Schau- can mark in passing that there is some-
platz,” the other scene, the other stage, thing like a draft of an ethics of psycho­ One can, in another quick aside, point
a stage inherently other in relation to analysis there: to endure in the face of to the fact that Emmanuel Levinas took
the one of consciousness, to its count the lack of the Other, M. D.]” 3 So the his cue from this same constellation,
and to what it can account for. It defies opposing part of the antinomy would be from the question of “Who is the oth-
the count of consciousness, which is to extend it: “The Other does not exist.” er?,” from the alterity of the other, epit-
ultimately the homogeneous count of omized strikingly and immediately by
“more of the same,” the count providing Now, how can the very dimension not his / her face, in a way that cannot be
sense as the unitary prospect, the One exist on which psychoanalysis ultimate- circumvented and which circumscribes
of unification. So there is the Other of ly depends, on which it is premised? the very notion of the self. His whole
the unconscious, and the unconscious, What is the status of this Other which is enterprise hinges massively on the
at the minimal, presents the Other of emphatically there, permeating the very question of the two and how to conceive
consciousness and its unitary sense. notion of the unconscious, of desire etc., it, and on the ethics which follows from
Lacan is notorious for his impossible and which at the same time emphati- there, taking the Other as its guideline.
style, the unreadable and undeciphera- cally lacks? Can the two statements be This is his particular way of taking up
ble enigmatic texts, yet in maximum reconciled in their glaring contradic- the question of the two. But I will not
opposition to this there are a handful of tion? Is this a case of a Kantian antino- pursue this further.  •
his slogans, short, clear and lightening- my, exceeding the limits of knowledge
like, like proverbs, counterintuitive and and unitary reasoning? And how can
provocative, and one of them runs: one posit the Other as the very notion
“The unconscious is the discourse of the surpassing the boundaries and the
Other.” And another one runs: “The framework of One, while maintaining 3 - All translations from French and
desire is the desire of the Other.” These that it lacks? Is this an exhaustive alter- German in this essay M. D.,
Jacques Lacan, “Dissolution,” in:
two short statements place the uncon- native, covering all options? Ornicar?, 20/21, 1980, Paris, p. 12.
scious and the desire clearly under the 4 - See Stephen Jay Gould, “What,
banner of the Other. There is the uncon- if Anything, Is a Zebra?,” in: id.,
scious and there is desire, only insofar Hen’s Teeth and Horse’s Toes.
Further Reflections on Natural
as they intimately pertain to the Other, History, Harmondsworth 1983,
they are “of the Other,” and the Other is pp. 355–365.
What, if anything, is the Other? Lacan’s Thus we have two perspectives on this more radically and “really” Other. This
first answer goes into the direction of linguistic and more broadly symbolic is the point of Lacan’s thesis, another
the Other as the Other of the symbolic structure, which epitomizes the Other. one of his proverbs, that “there is no
order, the Other of language, the Other The first one, stemming from Ferdinand Other of the Other.” The Other of the
upholding the very realm of the sym- de Saussure, treats language as a system bug (of the unconscious) is not the Oth-
bolic, functioning as its guarantee, its in which all entities are di≠erential and er of the Other of language and struc-
necessary supposition, enabling it to oppositive. None of them has any iden- ture, they share the same location. The
signify. And if this claim is to be placed tity or substance of its own, they are only second Other cannot be seized and
within the general thrust of structural- defined by being di≠erent from one maintained independently as another
ism, then the name of the Other, in this another, their whole being is exhausted Other, the Others cannot be duplicated
view, would be the “structure.” The Oth- by their being di≠erent, and hence they and counted. 6 Yet, given that there is
er is the Other of structure, and one can cling together, they are bound together no Other of the Other, it would still be
nostalgically recall its Lévi-Straussian with an iron necessity of tight interde- misguided to say that there is only one
underpinnings. What follows from pendence. But the second perspective, Other, since it is not to be counted as
there, in the same general thrust, is the the one that Freud opens up with the One. It is cracked and haunted by lack,
notorious formula that “the unconscious unconscious, opens the slide of contin- pestered by a bug, and this is precisely
is structured like a language,” the for- gency within this well ruled system. The what makes it the Other. There may be
mula which points into the same direc- words contingently and erratically no Other of the Other, but this does not
tion as the other one, that “the uncon- sound alike, not ruled by grammar or make the Other one. The bug makes it
scious is the discourse of the Other.” But semantics, they contaminate each oth- uncountable.
what kind of Other is announcing itself er and reverberate, they slip, and this is
with the structure such that the uncon- where the unconscious takes its chance The unconscious opens up an alterity
scious is ruled by it, structured like it? of appearing in cracks and loopholes. within the Other which is of a di≠erent
What Other is the unconscious the dis- The first perspective hinges on neces- order than the symbolic Other and its
course of? It is clear that Freud’s three sity, ruled by di≠erentiality, and this is di≠erentiality. It presents a moment of
inaugurational books, The Interpreta- what makes linguistics possible; the heterogeneity within the homogeneity
tion of Dreams, The Psychopathology of second perspective hinges on contin- of di≠erences that constitute the sym-
Everyday Life and the book on jokes, gent similarities and cracks. It is the bolic. The structuralist structure was
all single out the unconscious as a series nightmare of linguistics, for its logic is based on the “univocity of di≠erence,” as
of “marginal” phenomena which per- quirky and unpredictable. It pertains to it were, on the postulate that di≠erences
tain to language, but which appear as what Lacan has called “linguisterie” can be predicated homogenously, univo-
its slips, its cracks, its short-circuits, its and “lalangue.” It pertains to what cally, in the same way for each element,
breaches, its temporary out-of-joint- Alfred Jarry, the immortal Jarry of Le which was only made of di≠erences. But 86
ness, not as something belonging to its roi Ubu, has called pataphysics, the sci- the alterity of the unconscious is not cut
normal, standard and universal use. ence which, as opposed to metaphysics, of the stu≠ of di≠erentiality, it opens a
They pertain to homonymy, 5 verbal deals with the exception, the contin- di≠erence which is not merely a symbolic
contaminations, puns, mix-ups, which gent, the non-universal. di≠erence, but which is, so to speak,
all condition what Freud has described di≠erent from di≠erence itself. It is a
as the process of the work of the uncon- So if we have on the one hand the Other “di≠erence within the di≠erence,” anoth-
scious, to be put under the two broad of the Saussurean structure, or system, er kind of di≠erence within the symbolic
headings of “condensation” and “dis- then the unconscious presents rather a one, a di≠erence recalcitrant to integra-
placement.” They are condensed and bug in this system, the fact that it can tion into the symbolic, and yet only
displaced in relation to the signifying never quite work without a bug. The emerging in its bosom, with no separate
One of language. structure slips. What was supposed to realm of its own.
work as the Other, the bearer of rule
and necessity, the guarantee of mean-
ing, shows its other face which is whim-
sy and ephemeral and which makes the
meaning slide. The Other is the Other
with the bug. And what is more, this is
what makes the Other Other – not the
5 - If the quote by Char used by structure but the bug which keeps
Foucault placed the history of
men under the banner of a long
derailing it. The bug is the anomaly of
succession of synonyms, then the Other, its face of inconsistency, that 6 - Which also means that there
in a first simple view one could which defies regularity and law. Inside cannot be a dialectics of the
maintain that what contradicts Other. In Hegelian terms the
synonymy can be seen as the the Other of language, which enables Other would be something
realm of homonymy. Against speech, there emerges another Other, that redoubles itself and thus
the unity of meaning which which derails speech and makes us say reflexively sublates itself,
can be expressed by different which would entail the
means while remaining the something else, or something more “Aufhebung,” the sublation of
same, there is the disruption than we intended. Yet these anomalies, the Other, its self-mediation
of erratic similarity of sounds with One, the alienation of One
which does not heed meaning.
these slips and cracks, do not form in the Other and then its
The unconscious, at its minimal, another system, they do not amount to return – by way of the Other
contradicts synonymy by another Other which would give rise to of the Other – to the initial One.
homonymy. Could one say: This seeming radicalization
the one of meaning vs. the two a parallel system, doubling the first of the Other would amount to
of homonymy? Other as something which would be its neutralization.
There is a problem which has haunted consistency, it nevertheless persists. It If in the first instance it seemed that the
the whole history of psychoanalysis, does not establish a separate Other of Other is a highly disembodied entity,
namely whether the goal of analysis the Other, it persists solely within the which has to do with signifiers and
should ultimately be the integration Other. So the bottom line would be: structures, then in this other aspect it
into the symbolic of what is recalcitrant there is an irreducible two, an irreduc- an Other which sticks to the body, most
to it, thus the integration of the uncon- ible gap between the One and the Oth- intimately, and presents its rift. Not the
scious, censured chapter of one’s histo- er, and the unconscious, at its minimal, rift of language, but the rift of our natu-
ry into the universe of meaning, in presents the figure of the two, not to be ral bodily being. This implies that the
order to make sense of it and eventually sublated or fused into one. The prob- sexual di≠erence, if this is the name of
do away with it. For to interpret means lem here that remains is that, well, the this rift, is not a di≠erence that could be
to endow with meaning that which has Other does not exist. encompassed or covered or accounted
defied meaning as an alien body, to for in terms of the signifying di≠erence,
arrive at the point where we are able to Where does this leave us with our ques- the di≠erence of Saussurean di≠erenti­
understand what the unconscious tries tion of counting? The symbolic, with its ality, that is, in terms of One, its replica-
to say, to state in a straightforward minimal signifying element which is tion and its split. It does not present the
manner what it was saying in a round­ counted for one, can always be submit- two of counting, based on counting for
about way; which would amount to ted to a count, and it proceeds meto- one and then extending this count, it
remove it as the discourse of the Other, nymically. Its mathematical formula pertains to the “other” di≠erence which
and hopefully live happily ever after. could be (n + 1): for every signifier there cannot be counted and stops at two,
The second di≠erence of ineradicable is a (+ 1) signifier, always to be extended that is, at the di≠erence of the one and
alterity would thus be incorporated and continued. But the Other, which the Other. But according to the other
into the first di≠erence and would stop constitutes the two, as opposed to (n + part of our Lacanian antinomy, the
haunting us or determining us behind 1), cannot be counted. There is rather a Other lacks, it does not exist, it has no
our back. Let’s make the unconscious (n – 1), a subtraction from the battery of ontological consistency on its own, it
conscious? Let’s integrate the two back signifiers which leaves like a hole in the rather marks the persistence of a di≠er­
into one? Is the aim of psychoanalysis system, a lack, a missing signifier, but ence which eludes the series of signify-
to do away with its object and thus to which is always presentified by an ing di≠erences and cannot be captured
make the analyst superfluous, to strive excess, a surplus, but a surplus which is by them. Consequently, it would follow
for his / her unemployment? To do not of the order of (+ 1), not a numerical that the Other, as “the Other sex,” does
away with the Other and reconcile it addition, a surplus which makes for the not exist either, and this is indeed the
Mladen with One? To lift one’s alienation in a two which cannot be seen as another consequence drawn by Lacan’s notori-
Dollar
self-reflexive appropriation of the self- one. To put it another way: it is the sig- ous dictum, which caused so much hav-
87 produced and self-inflicted Other? But nifier that enables counting, that makes oc, that “the Woman doesn’t exist”. If
One
all this comes to nothing, for the basic possible that something can be counted the Other is the Other sex, this conclu-
Splits
into
tenet of psychoanalysis is rather that no for one. 7 It is the mark of the unitary sion inevitably follows – but the trouble
Two
such lifting is possible, and that the trait Freud has called “ein einziger is that the non-existence does not make
very notion of subjectivity pertains pre- Zug.” 8 The signifying slip, however, is it vanish.
cisely to the impossibility of such self- not countable, it is not in the register of
appropriation. The subject is premised the unitary trait, it points to the Other There is an enigma which sticks to the
on “two.” One becomes the subject pre- of counting and thus makes for the two. very discovery of psychoanalysis. In his
cisely in relation to an alien kernel inaugurational three books Freud pre-
within the symbolic order that cannot Yet the figure of the Other as the Other sented the unconscious as the new
be symbolically sublated. This makes of language, structure, code, the sym- object of the new science, something
the subject of the unconscious of a bolic order, is but one face of the Other. that can be summed up by the Lacanian
di≠erent nature than the ego. There is In Lacan we can read the following, dictum “the unconscious structured
the Other which constitutes the inher- which seems to confront us with a very like a language,” that is, like a derail-
ent split of the two, the two not to be di≠erent agenda: “The Other, in my ment of language, its constant slippage.
merged back into one. Although the oth- parlance, cannot be anything else but Then in 1905 he published the Three
erness of the Other has no ontological the Other sex.” / “L’Autre, dans mon Essays on the Theory of Sexuality, a
langage, cela ne peut donc être que surprising work in respect of the first
l’Autre sexe.” 9 “The Other, if it may be three books. For the focus of this new
7 - Lacan takes up “la coche” as
the elementary function of the
one, must certainly have a relation to book is not the language and its vicis-
signifier, the mark, the cut, what appears as the other sex.” 10 “The situdes – there is rather an astounding
made by the primitive hunter Woman must be related to the signifier absence of any linguistic considerations
to count the killed animals.
He deals with this at length in of this Other insofar as, as the Other, it –, but the body and its vicissitudes, its
the unpublished seminar on can only remain always the Other.” 11 It deviations from natural needs and from
Identification (1961–1962). appears now that the other face of the natural maturation. It is not the body of
8 - See Sigmund Freud, “Massen­ Other may well be the face of the wom- firm substance and natural causality,
psychologie und Ich-Analyse,”
in: id., Studienausgabe, 10 vol., an, and that the Other is inherently and the physiological body, Freud analyzes
Alexander Mitscherlich u. a. at the same time the Other of sex, of sex but a body haunted by a cut, and it is
(Hgg.), Frankfurt a. M.
1969–1974, vol. 9, p. 100.
as the Other, sex under the auspices of this cut into the physiological causality
9 - Jacques Lacan, Encore, Paris
the irreducible two. But not the two of that conditions and produces the drives.
1975, p. 40. count. It is both an epistemological cut, sort-
10 - Ibid., p. 65. ing out the inside / outside divide and
11 - Ibid., p. 75. the transition between the two, and at
the same time a cut into enjoyment. Etymologically, sex is the cut, in many present the very model of the first
The epistemological cut appears as languages. But is it the cut in half (as in di≠erence, the oppositive and binary
something that can only be sustained Plato’s legendary theory, put into the di≠erence, the Saussurean di≠erence.
by the cut into enjoyment. Sexuality, mouth of Aristophanes, of all people, It would seem that in this relation to
such as Freud describes it, is placed and thus into the realm of comedy)? Is the sexed body it obtains its hidden ref-
within a cut into the body, causing the it the cut into two? How many sexes are erence point, standing at the core of
bodily needs to deviate from their natu- there? The question has already been production of signification (hence the
ral goal and espouse another aim. Their raised by the title of Beauvoir’s book. If title of one of Lacan’s notorious Écrits
natural path being cut, they get entan- sex is section, rather a vivisection, does it The Signification of the Phallus). 12 But
gled into a web of additional, surplus cut into two only? There is a wide-spread here is one of the basic tenets of psy-
enjoyments, coming on top and color- criticism going around that aims at the choanalysis: the sexual di≠erence can-
ing all the rest, the side-show taking the binary oppositions as the locus of not be accounted for in terms of phallic
center stage. To put it in our terms of enforced sexuality, its regimentation, its di≠erence. It eludes the phallic logic. It
counting, bodies can be counted, but imposed mold, its compulsory stricture. stands in di≠erence to this logic as such,
the cut makes for the uncountable enti- By the imposition of the binary code of as another di≠erence irreducible to pres-
ties, for what Freud most appropriately two sexes we are subjected to the basic ence or absence of di≠erential traits,
called “partial objects,” that is, the social constraint. But the problem is irreducible to phallus as signifier. This
objects “less than one,” not to be count- perhaps rather the opposite: the sexual is why the sexual di≠erence cannot be
ed as one. But this is precisely what di≠erence poses the problem of the two written – it is what does not cease not to
makes for the two, the two heterogene- precisely because it cannot be reduced be written. 13
ous to the numerical ones. to the binary opposition nor accounted
for in terms of the binary numerical
It seems that the discovery of psycho­ two. It is not a signifying di≠erence, such
analysis has taken two di≠erent entries, that defines the elements of structure. It
divided between two spheres that have is not to be described in terms of oppos-
no common ground nor common mea­ ing features nor as a relation of given
sure, but if we take the two entries to- entities pre-existing the di≠erence. It
gether, then one could propose that it is presents the figure of the two precisely
the very interface between those two by being irreducible to the one of count
heterogeneous realms that produces replicating itself. The two that we are
the object of psychoanalysis. We have after is not the binary two of equal or
two areas, one defined by the signifier, di≠erent ones, but the two of the one and
the unconscious, desire; and the other the Other. One could say: bodies can be 88
one defined by body, drive, sexuality, counted, sexes cannot. Sex presents a
enjoyment, partial objects. With Freud limit to the count of bodies, it cuts them
they appear in separate books and it from inside rather than grouping them
cost him a lot of trouble to try to recon- together under common headings. The
cile them. From here one could propose sexual di≠erence establishes the two pre-
Lacan’s major thesis on “what, if any- cisely because it cannot be numerically
thing, is the Other?” To make it quick, counted for two nor squeezed into a
both realms, language and body, taken binary opposition.
by the bias of the unconscious and of
sexuality, can be brought together under One can briefly hint at the question of
the same heading of the Other. The the phallus in this context. In the tradi-
Other of the unconscious (structured as tional view and as the pragmatic rule of
language) and the Other of body and thumb it has served as the simple dis- 12 - See Jacques Lacan, “The
Signification of the Phallus,”
sex both intersect in the Other as two criminatory factor supposed to distin- in: id., Écrits, Bruce Fink
faces of the same interface. One face of guish two sexes. One either has it or not, (transl.), New York 2006,
the Other points in the direction of the which should su∞ce. This is where a sim- pp. 575–584.

symbolic order and the signifier, the ple anatomic contingency meets the 13 - See Lacan, Encore (note 9),
p. 87. As opposed to this, phallus
other face is the face of the Other sex, basic trait of the signifying logic, the dif- is something that ceased not
that is, of sex as the Other, that which in ference between “marque” and “manque,” to be written with the advent of
psychoanalysis. “Phallus […]
every relation to sexuality presents the the mark and its absence. The presence – the analytic experience ceases
dimension of the heterogeneous and or absence of a privileged anatomic mar- its not being written. This to
pertains to the cut. ker follows the same logic which fuels cease being written implies the
point of what I have called
the di≠erential structure, it coincides contingency. […] Phallus, which
with its elementary matrix. The “phallic was in ancient times reserved
signifier” can thus serve as a model for for Mystery, has through
psychoanalysis ceased to be
the signifying di≠erence, based on pres- written precisely as a contin­
ence or absence of di≠erential traits. The gency. Not any more,” ibid.,
pp. 86–87. What was veiled as
privilege of the phallus could thus be a Mystery turned out to be the
seen to follow from the overlapping of banal overlapping of the
two spheres, the signifier and the body, signifier and the bodily contin­-
gency, see Zupančič, The Odd
which both coincide in this privileged One In. On Comedy, Cambridge
spot. The phallic di≠erence would thus (Mass.) / London 2008, pp. 205ff.
To be sure, language constantly attempts If there is a real of sexual di≠erence, a two, but no relation, not even, and espe-
to capture the sexual di≠erence by its real which makes for its two, irreducible cially not, the relation of count. There is
means, and perhaps this defines a very to the two of count or the expansion of the Other (of the unconscious, of sex),
basic linguistic gesture. The most gen- One, then it can be most simply and but it cannot be counted for one. It lacks,
eral classification of nouns, in most lan- economically epitomized by Lacan’s it does not exist, but nevertheless, and
guages, follows precisely the sexual pat- dictum: “There is no sexual relation” / “Il this is the whole problem, its non-exist-
tern in order to establish the roughest of n’y a pas de rapport sexuel.” There is a ence does not amount to a simple zero,
divides, that into masculine and femi- two, but there is no relation. The pro- a nothing.
nine gender. This opposition, suppos- gram for this series on the Figure of Two
edly taken from nature, is used as the invoked among other things the image What, if anything, is the Other? Of what
most elementary guideline to sort out of the two, the satisfaction or the spell the Other is the name? It is the Other of
the vocabulary. But the spectacular provided by a symmetrical image, a the symbolic, but naming the locus
metonymic proliferation in all direc- doubling structuring the image. Per- where the symbolic slips – the Other is
tions testifies to the impossibility of the haps the best known figure of such an the Other of the bug, not of the order –
task. When anything can be grammati- image is the image of yin-yang and its and this is the place where the uncon-
cally sexed, then nothing can be, and disposition in the Tao sign. It is an scious sneaks in and where the subject
the very instrument of such classifica- image which has massively served as of desire takes its slippery hold. And the
tion is ruined by its own success. In support for an entire cosmology, ontol- Other is the Other of sex, of the body, of
François Tru≠aut’s Jules et Jim there is ogy, social theory, astronomy. It gives enjoyment, the surplus enjoyment, the
a famous line where Oskar Werner, as a figure precisely to the two (and only drive, the partial objects, the heteroge-
German, tells Jeanne Moreau (not mere- two) poles of masculine and feminine, neous excess which is the bug of sexual-
ly a French woman, but a French wom- and the image is formed in such a way ity and can never be assigned to its
an par excellence): “What a strange lan- that they complement and complete place. Those are the two directions of
guage is French where ‘l’amour’ is mascu- each other, in perfect symmetry. There the initial discovery of psychoanalysis,
line and ‘la guerre’ feminine!” In Ger- is a circle, and the circle itself is divided and the notion of the Other takes them
man, with “die Liebe” and “der Krieg,” it by the half-circle lines. The masculine together under the same roof, it names
is the opposite, supposedly how it should and the feminine principle, their conflic- together, under one heading, in the
be if we are to follow “a natural pattern.” tual complementarity, are taken as the same framework, that which in lan-
In Germany love is the domain of wom- clue which informs every entity, indeed guage and in the body presents both
en and war is the domain of men, while the entire universe. What does this image lack and excess. And this lack / excess
Mladen in France, reputed for its hang for per- convey? There is a strong thesis pre- emerges precisely at the interface of
Dollar
version, it seems to be the other way sented in it which one could spell out bodies and languages, at the interface
89 round. “Make love not war!” would have like this: there is a relation. There is a of these countable entities, at their
One
a completely di≠erent meaning and sexual relation. Every relation is sexual. overlapping, their infringing of one
Splits
into
impact in Germany or in France. So tak- The relation exists emphatically, con- upon the other.
Two
ing the sexual di≠erence as the pattern spicuously, in a demonstrative manner,
of grammatical gender makes for the in the complementarity of the mascu-
general confusion. The infinite possi- line and the feminine, in their perfect
bilities of extension in any direction balance, the perfect match, and can
make the di≠erence flourish, while the serve as a paradigm for everything else.
guiding principle becomes completely Everything can be interpreted in the
blurred. Everything can be accounted light of this image. This thesis implies
for, and squeezed into the mold, in terms and manifests even more: there is sense.
of gender, except for the sexual differ- The image serves as the visual embodi-
ence itself which serves as the model. ment of sense that can provide every-
The di≠erence on which everything may thing else with sense. Sense consists in
be modeled persists as a real which can- the relation. The paradigm that regu- 14 - The same goes for the difference
not itself be seized as a di≠erence. 14 lates sense also regulates the sexual between activity as masculine
and passivity as feminine, the
relation. 15 It has the power to bestow common image describing the
sense, stemming from the two. So this sexes, which greatly preoccu-
pied Freud. In the New
sign states: one divides into two, and Introductory Lectures he speaks
the two merge into one. Exactly the about this spontaneous
opposite from the other notorious Chi- assumption and advises against
it: “Es erscheint mir unzweck-
nese dictum: one divides into two, but mäßig und es bringt keine neue
two does not merge into one. For Lacan Erkenntnis,” Sigmund Freud,
the Aristotelian ontology is like our “Neue Folge der Vorlesungen zur
Einführung in die Psychoana-
western version of yin-yang, it makes lyse,” in: Freud, Studienausgabe
analogous assumptions about ὕλη and (note 8), vol. 1, p. 547. This is an
imaginary difference, an image
μoρφή, matter and form, the feminine that we impute to sex, which
and the masculine. Ontology is always may be telling, but it is not an
secretly sexualized, it is premised on affair of knowledge.
the hidden assumption about the rela- 15 - Lacan comments briefly on
yin-yang in The Four Fundamental
tion. 16 So the thesis that there is no Concepts of Psycho-Analysis,
sexual relation implies a strong onto- Harmondsworth 1977, p. 151.
logical thesis: there is an irreducible 16 - See Lacan, Encore (note 9), p. 76.
On the first pages of his last big book The question of the two has a pre-So- So the minimal element of matter is not
Logiques des mondes Alain Badiou has cratic air to it, it aims straight at the the atom as the indivisible particle, but
proposed the term “democratic materi- first principles, it strives to pinpoint the a double entity composed of the parti-
alism” to name the prevailing and spon- minimal conditions of thought, start- cle and the void, of being and nothing;
taneous set of assumptions which form ing with one and two. So let me finish of “marque” and “manque.” The most
the contemporary doxa. According to with the pre-Socratics and the mini- palpably material seems to behave like
him, this democratic materialism can mal, and let me raise the final issue of a signifying structure. When matter is
be summarized with one “ontological” materialism (as opposed to its demo- submitted to count one hits upon the
statement: “There are only bodies and cratic variety). The first appearance of signifier and its dyad. One did not have
languages.” / “Il n’y que des corps et des materialism in the history of philosophy to wait for Saussure. However far we
langages.” 17 There is the firm being of is linked to the atomists, and most nota- divide, we always get to a split entity,
bodies, their proliferation, their striv- bly to the figure of Democritus. What is split into itself and its absence. Yet, the
ing for pleasures and enjoyment, the atomism, if not a radical attempt to sub- Hegelian view is not the whole story, for
increase, growth and expansion of life; mit bodies, and the whole matter, to in this way we would precisely get to the
and there is the multiplicity of languag- count. Matter can be counted, and the one of (numerical) count, thus perhaps
es, the democracy of their plurality and atoms are its indivisible elements, the catch and spell out the secret of counting
proliferation, multiculturalism, minor- hard particles that enable counting. Or at the dawn of philosophy, but we would
itarian practices, all of them entitled to so it would seem. The atom would thus not get to the figure of the (uncountable)
recognition. Democratic materialism is be the pure minimal element of matter two. But this figure is there in Democri-
the spontaneous idealism of our times that cannot be reduced any further, and tus, in the very way he conceives the
– nobody believes any longer in the sal- this is what enables them to be counted atom, and Lacan singled it out:
vation of the immortal soul, we firmly for one. Yet, this is not their su∞cient
believe in bodies and languages. Ba­- definition, as Georg Wilhelm Friedrich “[…] tuché brings us back to the same
diou’s addition to this axiom is simple: Hegel was quick to point out. The par- point at which pre-Socratic philosophy
“There are only bodies and languages, ticles require the empty space, the void sought to motivate the world itself.
but apart from that there are truths.” / where they move and which surrounds It required a clinamen, an inclina-
“Il n’y a que des corps et des langages, them, and if we single them out as tion, at some point. When Democritus
sinon qu’il y a des vérités.” 18 There are units, we have to include the void as tried to designate it, presenting himself
truths which are of a di≠erent order than “the other half ” of their firm being. as already the adversary of a pure func-
tion of negativity in order to introduce
bodies and languages, they engage sub-
thought into it, he says, It is not the
jectivity and raise a claim to universal- “The atomistic principle, with these first μηδέν [non-being, M. D.] that is essen-
ity, but they do not exist on some sepa- thinkers, did not remain in exteriority, tial […] but a δέν, which, in Greek, is a
rate location somewhere else. For our but apart from its abstraction contained coined word. He did not say ἕν [one, M. 90
particular purpose we could say that a speculative determination, that the D.], let alone ὄν [being, M. D.]. What,
they emerge precisely with that excess void was recognized as the source of then, did he say? He said, answering the
at the interface of bodies and languag- movement. This implies a completely question I asked today, that of idealism,
es, something that psychoanalysis di≠erent relation between atoms and Nothing, perhaps? – not perhaps not-
the void than the mere one-beside-the- hing, but not nothing.”  20
brings together under the names of the
other [in German: ‘Nebeneinander,’ M.
unconscious and of sexuality. They D.] and mutual indi≠erence of the two.
emerge at the intersection which pre- […] The view that the cause of move- Lacan takes up the coinage of a new
vents the neutral coexistence of bodies ment lies in the void contains that deeper Greek word by Democritus, δέν, a strange
and languages, in a subtraction from thought that the cause of becoming per- entity which escapes the alternative
the regime of bodies and languages, tains to the negative.” 19 between being and nothing: it is not a
epitomized by the Other. Bodies and being but neither is it a nothing, it gives
signs can be counted, but the Other an existence to negativity, yet not by
makes for a two which is uncountable. being something that one could identi-
The axiom of democratic materialism fy or lay one’s hands on or count as one.
has a corollary: there are only bodies The word stems from the negation of
and languages, but there is no Other. ἕν, one, and this condenses our prob-
The promotion of their expansion and lem. ἕν can be negated in Greek in two
proliferation precludes the Other. And ways, either as ὀυδέν (objective nega-
this is where our adage that the Other tion) or as μηδέν (subjective negation),
lacks takes precisely the opposite direc- and they would both mean “nothing”
tion: it does not mean that, since it 17 - Alain Badiou, Logiques des (although with a di≠erent shading),
mondes, Paris 2006, p. 9.
lacks, we are only stuck with bodies and “not one” (or “not even one”). δέν, which
18 - Ibid., p. 12.
languages, happily or unhappily stuck, is an improper word formation, means
19 - Georg Wilhelm Friedrich Hegel,
it means that the very existence of bod- Wissenschaft der Logik, Eva like “less than one, but still not noth-
ies and languages has to be put into Moldenhauer / Karl Markus ing.” It is a tricky word that caused a lot
Michel (red.), Werke, vol. 6–7,
question. It is the two of the Other that Frankfurt a. M. 1979, vol. 6,
of headache to classical philologists –
undermines their multiplicity and pro- pp. 185–186. they have amply commented on this
liferation. The two which is neither one 20 - Lacan, The Four Fundamental famous fragment 156. Hermann Diels
nor multiple provides a precarious hold Concepts (note 15), pp. 63–64. translates this curious word by “das
on truth. 21 - Hermann Diels, Die Fragmente ­Ichts” (“Das Nichts existiert ebenso sehr
der Vorsokratiker, 3 vol., Walther
Kranz (ed.), Berlin 1934, vol. 2, als das Ichts” 21 – and most curiously,
p. 174, fragm. 156. the German neologism “das Ichts” was
introduced already by Meister Eckhart). Lacan speaks of clinamen, a deviation,
Barbara Cassin, a formidable French an inclination, which has already taken
scholar, proposes a French translation place with Democritus’ invention of
for δέν, which is “ien” – not “rien,” noth- δέν, a clinamen from the grand onto-
ing, but “ien,” precisely “not nothing,” as logical tradition which was then being
Lacan says; 22 or alternatively “iun,” not instituted, a deviation precisely from ἕν
one. The English translation by W. I. και πᾶν, clinamen from the One. Clina-
Matson proposes the “hing” as opposed men was the word used by Democritus’
to the thing: “Hing is no more real than follower Epicurus, in a further develop-
nothing” or “Hing exists no more than ment, the deviation of atoms which
nothing.” 23 So what is this entity, δέν? stands at the origin of the universe. Let
Not something, not nothing, not being, me just recall in passing that the young
not one, not positively existing, not Karl Marx in 1841 dedicated his doc-
absent, not countable – and thus pro- toral dissertation in philosophy to the
viding the minimal figure of the two. subject of The Di≠erence between the
Philosophy of Nature of Democritus
This is perhaps the closest that philoso- and Epicurus (Di≠erenz der demokri-
phy, at its dawn, would ever come to tischen und epikureischen Natur-
what Lacan, at the other end, would philosophie), where he insisted at
name “objet a,” the object a, and which length on the question of clinamen.
he saw as his crucial contribution to This has hardly ever been brought in
psychoanalysis, his key theoretical conceptual connection with his later
invention. I can only hint that Lacan philosophical path, but one could per-
speaks about this at the end of the ses- haps see in it something like a parable:
sion on repetition, where he raises the a clinamen, a glitch, which lies at the
question of τύχη and ἀυτόματον, and beginning of the post-Hegelian era, a
he brings together the Aristotelian τύχη slight inclination, a slip, a departure
with the δέν of Democritus, this not- from the horizon of the great philo-
nothing, as one of the clues of repeti- sophical tradition, from a grand narra-
tion. One can simply and rather sum- tive stretching from Parmenides to
Mladen marily say that δέν is also what is at Hegel, a δέν opening another era after
Dollar
stake in repetition, an entity which is the end of philosophy. There is the sort
91 being repeated without having a proper of history of materialism yet to be
One
consistency or identity, a cause of the ­written – from Democritus and Epicu-
Splits
into
derailment of causality, but which can- rus to Marx and Lacan 24, and to Samu-
Two
not be given a separate ontological stat- el Beckett.
ure, an entity inhabiting a crack, not a
positive being but not a nothing. I will leave the last word to Beckett.
When pressed about the philosophical
interpretation of his work he said in a
letter in 1967: “If I were in the unenvi-
able position of having to study my
work, my point of departure would be
the ‘Naught is more real …’ 25 So Beckett
22 - See Barbara Cassin, “Pour une
sécheresse logique,” in: Yannick himself proposed the Democritus frag-
Haenel / François Meyronnis ment 156 as the clue (one of the two
(ed.), Ligne de risqué, 1997–2005, clues) to his entire work. He used it
Paris 2005, p. 46. Now amply
and magisterially in Alain already in Murphy (1938), his early
Badiou / Barbara Cassin, Il n’y novel, and then again in Malone Dies
pas de rapport sexuel, Paris 2010,
pp. 60–94.
(1951), but more emphatically, δέν as
23 - W. I. Matson, “Democritus,
“not nothing” is precisely the “unnulla-
Fragment 156,” in: The Classical ble least” that Beckett singled out in
Quarterly, 13, 1963, pp. 26–29. one of his last works, Worstward Ho!
24 - “[Democritus] was no more (1981). It can be seen as the name of
materialist than anyone who has
some sense, for instance me or what is at stake in Beckett’s relentless
Marx,” Jacques Lacan, “L’Étour­- endeavor of reduction and persever-
dit,” in: Autres écrits, Paris 2001, ance, and the “unnullable least” is per-
p. 494.
haps a very good name to think the fig-
25 - He proposes two points of depar­-
ture: “‘Naught is more real …’ ure of the two which resists the One
and the ‘Ubi nihil vales …’, both and defies counting.
already in Murphy and neither
very rational,” Samuel Beckett,
Disjecta, New York 1984, p. 113.
The second one, ubi nihil vales
ibi nihi velis stems from the 17th
century Dutch occasionalist
Arnold Geulincx.
31 N°- 14/15
The Figure of Two
There is a very singular and undoubt- that induces a doubt into the (original) one as
edly very fascinating figure of the Two, ontological entity. Rosset is very right in pointing
Alenka Zupančič which has – among di≠erent figures of out this characteristic of the double. He reverses

The
the Two – a rather distinguished status, the standard diagnosis of Otto Rank who linked
due to the important role it has played the anxiety in the face of a double to our primor-
in art, especially in literature. This is the dial fear of death. We usually consider the reality

Double figure of the double and, more broadly


speaking, of redoubling. In the follow-
of the double to be “better” than ours – and in this
sense it can indeed seem that the double repre-

and Its
ing discussion of this figure I will not sents an immortal instance in relation to the sub-
speak so much about its history and its ject (which is Rank’s thesis). However, the real
articulations in literature, but will rath- source of our anxiety is not simply our future

Relation- er focus on its fundamental structure


and its philosophical implications. In
order to do this, I will engage in a dialog
death, but above all our (present) non-reality and
non-existence. It would not be so hard to die if we
knew for sure that we have at least lived; but it is

ship with an author who has dedicated most


of his philosophical work to this topic,
precisely this life, as perishable as it is, that the
subject starts to doubt in the cases of “split per-

to the albeit from a very specific critical per-


spective. The author is Clément Rosset,
a very interesting figure of contempo-
sonality” or appearing of a double. In the ill-fated
couple in which I am united with a phantom oth-
er, the real is not on my side, but rather on the side

Real rary French philosophy, although (and


strangely) not so well known and trans-
lated outside France. I will be arguing
of the phantom: it is not the other that redoubles
me, it is rather that I am the other’s double. 1 In
short, when my double appears, my present exis­
as much with Rosset as against him; for, tence (my being as such) appears as utmost uncer-
several irreconcilable di≠erences not- tain. Hence, and to repeat: the figure of the double
withstanding, Rosset develops many it is not about two constituted ontological entities,
things which, in my conceptual space but rather something that induces a doubt in the
(strongly curbed by the Lacanian theo- (original) one as ontological ­entity.
ry), resonate in a surprising way which Let this su∞ce as introduction, and let us
can be very productive to engage with. now first look more closely at Rosset and his argu-
To begin with we could say that ments. Rosset dedicated most of his philosophical
the double is not exactly a one, yet it also work to the theme best encapsulated in the title of
does not constitute a two in the ordi- his central book Le réel et son double. In it, he
nary sense of the term. It seems to be neither one, nor two. develops his arguments around the following fun- 94
Two identical bottles of beer are not doubles, as far as there is damental observation: the real always tends to
place for both in the reality of, say, our refrigerator. And if we strike us as impossible to tolerate in some way –
think of it, the notion of a double presupposes not so much too cruel and disagreeable, or else too simple and
the sameness of appearance or manifestation, as the same- idiotic. In our general relationship to the real he
ness of the time and place. The figure of the double involves thus recognizes an attitude that betrays both anxi-
a duality or a two that compete for the same time and place ety and contempt (disregard): anxiety as to the
or simply for the same reality as structured by time and fact that the real is really only just what it is, and
space (for in reality, there is never place / time for both). It the coextensive contempt for the real in its “idi-
seems that – to take the example of the entities called people otic” simplicity and plainness. Hence a whole
– we do not simply inhabit a certain place and move in space, number of strategies that aim at circumventing
but also, and on a more fundamental level, carry our place the real, and replacing it with something else
with us wherever we go. Even if we appear somewhere as which we then declare to be the actual, true real.
completely out of place, or at an utterly wrong time, we still On the basis of numerous examples Rosset devel-
seem to be “ourselves” ontologically speaking – we are out of ops a lucid and often amusing analysis of these
place in relation to some symbolic configuration, but it strategies, pointing at their common denomina-
seems that we can never be out of place in the real; in the real tor, which is the redoubling, or duplication of the
we are always at our place (and time), which is finally our real, and the enthronement of its double.
(only) real. At this level, we are either at our place, or else we First of all I would like to suggest that the
are not at all (we have no being). The double is precisely notion of the real and its redoubling that he pres-
what is threatening at this very ontological level, for it intro- ents via di≠erent examples and their di≠erent
duces an “impossible” split into the very homogeneity of this
real, that is into the very homogeneity of being and its “tak- 1 - See Clément Rosset, Le réel
ing place.” We can get a good grip of what this means in the et son double, Paris 1984, p. 91.
following aphorism by Stanislaw Jerzy Lec, a famous Polish 2 - This structure has been
analyzed exemplarily by Octave
aphorist: “Who knows what Columbus might have discov- Mannoni in his article “Je sais
ered had America not blocked his way!” This suggestion of a bien mais quand même,” in:
Clefs pour l'Imaginaire ou l'Autre
double is a very ingenious one, for it suggests that reality scène, Paris 1969, pp. 9–33.
itself is the double which has most literally usurped (blocked) It is therefore quite curious that
the place of something else. there is no reference to him in
Rosset’s book.
So, if the figure of the double implies something more
3 - All translations from French in
than one, it also implies something less than two: it is not about this essay A. Z., Rosset, Le réel
two constituted ontological entities, but rather something (note 1), pp. 21f.
modalities is not as uniform as Rosset pretends, sort of premonitory manifestation), and yet this fulfillment has a
but involves in fact two di≠erent notions. One curious fortune of disappointing the expectation at the very
implies a real that roughly corresponds to reality moment when the latter would have to see itself as utterly ful-
with all its di∞culties and inconveniences, and in filled. A is announced, A happens, and we are lost, at least to some
relationship to which we have the habit of practic- extent. Between the event such as it has been announced, and the
event such as it was fulfilled, there is a kind of subtle di≠erence
ing a whole lot of “illusions” – to borrow Rosset’s
that su∞ces to baffle the very person who has been expecting pre-
own term. This notion of illusion is very specific, cisely that what he is witnessing. He recognizes it all right, but he
and it refers neither to an erroneous perception, no longer recognizes himself in it. Yet nothing happened but the
nor to denial. It rather corresponds to the follow- announced event. But the latter is inexplicably other.” 3
ing configuration: we (correctly) perceive a thing
and do not deny this perception, yet we refuse the Rosset supports this observation with numerous examples.
consequences that should normally follow from it. There is, for instance, an old Arab tale that has seen many
Rosset’s funniest example here is a comic play by di≠erent versions, among which Somerset Maugham’s The
George Courteline Boubouroche (1893). In this Appointment in Samarra. But the most famous of these sto-
play Boubouroche learns at some point (a hint ries is of course Oedipus the King. And if we think of it, it is
from a friendly neighbor) that his lover Adèle is indeed very true that although what eventually takes place in
regularly cheating on him with a young lover, in this tragedy corresponds exactly to what has been predicted
the very apartment he put her in. So he shows up (that Oedipus would kill his father and marry his mother),
there by surprise and finds the lover in the closet. we – together with Oedipus – cannot help but to be very
But Adèle manages to convince him very quickly much at a loss when it happens, or rather, when this turns
that in spite of what he sees, she is guilty of noth- out to be what actually happened. Rosset places this “subtle
ing, that it is Boubouroche himself who is guilty of di≠erence that su∞ces to baffle the very person who has
unspeakable vulgarity for busting on her like this, been expecting precisely that what he is witnessing” at the
and that he is the one who has to apologize and core of what he recognizes as splitting or duplication of the
ask for forgiveness. Which is what he does, furious real at work – in a quasi-general way – in our attitude toward
with the neighbor who “misinformed” him. the world; or simply toward the real: we cannot put up with
According to Rosset, Boubouroche’s reasoning the real in its idiotic simplicity and univocity, we simply can-
can be summed up as follows: “There is a lover in not stand it that the real is only what it is, and has no other
Adèle’s closet (he never denies seeing this) – there- meaning or dimension.
fore Adèle is innocent and I am not a cuckold.” At The example of a fulfilled prophecy elucidates this gen-
Alenka stake in this notion of illusion is thus the following eral propensity to duplication by presenting its other side: it
Zupančič
configuration: It is not that I do not want to see, confronts us with an unwelcome (and surprising) coinci-
95 and I do not deny the real that I see. But this is as dence at a point where our “normal” existence would be
The Double
far as I am prepared to go. I saw, I admitted, but more than satisfied with a split or non-coincidence between
and Its
Relationship
do not ask any more from me. In all the rest I two versions (or two meanings) of the real. We thus tend to
to the Real
maintain my previous position. I go on as before, put the real aside and to install a double in its place – a dou-
as if I saw nothing. One should point out that Ros- ble that has the advantage of suiting us better. However –
set’s description here corresponds point by point here I am still following Rosset –, as it is clear from the sto-
to what psychoanalysis conceptualized with the ries that treat the theme of the double (oracular stories or,
notion of “(fetishist) disavowal” (“Verleugnung”), even more directly, stories about doubles), there is no possi-
and which has precisely the structure of “I know ble double of the real, the latter always wins in its singularity,
very well (that this is how things stand), but nev- eliminating the other person or version of the events. Any
ertheless (I continue to behave as if it was not kind of a double of the real is impossible, since the real is by
so).” 2 And, everything considered, the concept of definition the same, and singular. What happens with the
disavowal might come closer to the mark of this fulfillment of a prophecy (and Rosset suggests that, in this
configuration than the notion of redoubling. respect, all reality is structured like a prophecy) is that the
There is yet another notion of the real and expected event coincides with itself, and this is the very
its redoubling at work in a series of Rosset’s cen- source of our surprise – for we have been expecting some-
tral examples, which, in my view, cannot be utterly thing di≠erent, albeit akin to it, the same thing, but not
reduced to this same logic of illusionist duplica- exactly like this.
tion / disavowal. They have an even more far- This is why, according to Rosset, the sentiment of being
reaching and interesting structure, and they somehow deceived, which always accompanies the realiza-
deserve separate attention. These are examples of tion of prophecy, is itself the peak of illusion. There is a
the oracular, prophetic literature, and this is Ros- deception involved in this all right, but not where we see it:
set’s crucial and masterful observation in respect we are deceived by the very impression that we have been
to them: deceived (that something else should have happened). The
only illusion here is the illusion that we have been cheated,
and that the realized event took the place of “something
“Oracles have a general and at the same time para-
else.” (Here we come across the logic exposed by Lec’s apho-
doxical characteristic that they come true and that
rism again: “Who knows what Columbus might have discov-
they surprise with this very coming true. The oracle
does us the favor of announcing the event in advan-
ered had America not blocked his way!”)
ce: so that the one for whom this event is destined We could say that, for Rosset, the real is out there as
has the leisure to prepare for it, and eventually to try singular and unproblematic in itself, indistinguishable from
to ward it o≠. The event is fulfilled such as it had been its meaning. The other meaning (which can remain unspeci-
predicted (or announced by a dream, or some other fied) is the result of the subjective will to illusion that
accompanies the impossibility of our relation to the real. So the double and illusionary redoubling of the real.
the coincidence between the two meanings that presents First, I would like to argue that there is a certain
such a surprise and event for the subject is in fact only a degree of de-realization or detachment involved
mirage, an e≠ect of a perspective illusion which saw a double in any real love that constitutes the very basis of
where there never was more than a singular real (meaning). the encounter and relationship with a concrete
Yet, not afraid of being cast as Rosset’s caricature of person. Paradoxically, this is something that Ros-
Lacanianism, I am tempted to ask: Is this really all there is set himself very perspicaciously observes, without
to these examples? Can the perplexity that accompanies a accepting the immediate consequences of this
fulfilled prophecy really be reduced to a subjectively or even observation:
psychologically motivated (Rosset speaks of “dégoût” and
“e≠roi” in face of the unique) illusion? In spite of giving a “Real love demands the reality of the loved person.
most powerful example and a most powerful description of Besides, the coincidence thanks to which a loved
what happens in such an event, Rosset fails, I believe, to rec- object is at the same time an existing object is, rather
ognize its real, precisely: that in order for a surprising coin- curiously, an inexhaustible subject of wonder for the
cidence of this kind to occur (that is if something is to coin- lovers […]: it is no longer ‘you are here’ that counts,
cide with itself ), there needs to be a minimal di≠erence but the fact that ‘you are you’.” 6
already at work.
In order to show more precisely and concretely what I Real love necessarily wonders at the coincidence
mean, let me take recourse to another related argument by of the loved object with an existing object. This is
Rosset, developed in a more recent book Le régime des pas- to say that there is something of the order of sur-
sions. Playing on the double meaning of the French word prising coincidence that takes place also in real
“régime” (system (of government) and diet) Rosset develops love, and hence presupposes a minimal di≠erence
his criticism of the notion of passion as a morbid craving for or split – this split does not occur only with the
an unreal (de-realized, inexistent or unattainable) object. illusionist distortion. And, incidentally, the won-
Hence a passionate love, in contrast to “real love,” always der here is very similar to the one evoked in one of
aims at objects that it cannot really have (and goes to great the jokes that Freud quotes in his book on Jokes
lengths to assure just that), it is a passionate relationship and Their Relation to the Unconscious: “He won-
with an unreal object. Even if there is a concrete person dered how it is that cats have two holes cut in their
behind it, like for example in Jean Baptiste Racine’s Phae- skin precisely at the place where their eyes are.” 7
dra, this person is precisely irrelevant as real person. This is The logic of this joke points to a very signi­f­
a love for an object the approach to which and the enjoyment icant dimension of any real engagement, or engage-
of which are infinitely deferred. According to Rosset, this ment with the real: in order for the real to be noth-
amorous passion is the opposite of love. It is like a war ing but the coincidence with itself, as Rosset himself 96
machine dedicated to paralyzing and forbidding. Hence maintains, it also needs to be a split or minimal
Phaedra “elects an object the enjoyment of which she forbids di≠erence. In other words, this minimal di≠erence
herself (I would even say that she elects him so as not to on account of which it makes sense to say, not “Je
enjoy him), and then draws masochist enjoyment from her est un autre” (Rimbaud), but “Tu est toi” / “You are
very pain.” 4 And this constitutes the other side of the “pas- you(rself ),” is the very condition (and form) of real
sion diet:” it involves enjoyment not in the object of passion, love. It is not only that real love demands the real-
but in the passionate dieting itself. Rosset detects a similar ity of the loved person; it is also, and primarily,
passion structure (that is an unappeasable craving for, and precisely about this person’s coincidence with her-
fascination with, an obscure and unreal object) in avarice self as the other side of her non-coincidence, made
and in the passion of collectors: the real objects of these pas- visible precisely by the amorous encounter in the
sions do not really count. The miser never enjoys his treasure strong sense of the word. The split and the coinci-
(or its value): “The miser is fascinated by the aura of unreal- dence appear at the same time; or rather: the split
ity in which he makes his money swim, but not by the money appears as coincidence, they are, strictly speaking,
itself.” 5 What thus defines passion according to Rosset is less one and the same.
a search for something than a quest of an object defined by In other words, I agree with Rosset that “real
two fundamental conditions: that it is obscure and indefin- love,” if we can risk this expression, is not the love
able, and at the same time outside any useful reach (that is,
both out of reach, and useless); and the more so the greater
4 - Clément Rosset, Le régime des
the passion in its morbid self-perpetuating logic. This is pre- passions, Paris 2001, p. 16.
cisely what makes Rosset link the logic of passion to what is 5 - Ibid., p. 17.
otherwise the central topic of his philosophical work, name- 6 - Ibid., p. 28.
ly the theme of the double and its criticism. Briefly put: pas- 7 - Sigmund Freud, Jokes and Their
sion marks the hold that the fantasy of the double has over Relation to the Unconscious,
the perception of the real; it marks the fascination with the in: Angela Richards / James
Strachey (ed.), id. (transl.),
absence provoked by the undesirable presence of a real The Pelican Freud Library, 15 vol.,
which does not satisfy (or no longer satisfies) us, that is to say Harmondsworth 1973– 1986,
Vol. 6, p. 97.
the choice of the unreal to the detriment of the real. This is
8 - Gilles Deleuze, L’image-mouve-
why Rosset rejects the famous formula of Henri de Saint- ment, Paris 1983, p. 234.
Simon “Nothing great happens without passion,” and ­replaces 9 - See Clément Rosset, L’école du
it with: “Nothing mediocre happens without passion.” réel, Paris 2008, p. 89.
There is, however, something that Rosset moves over 10 - Ibid., p. 90.
too quickly in both his theory of passion and in his theory of 11 - Ibid., p. 93.
in which we let ourselves be completely dazzled or work. Yet he changed it in a rather unfortunate direction,
“blinded” by an abstract dimension of the loved which brought him in a paradoxical position where, because
object, so that we no longer see, or cannot bear to of his very insistence upon the singularity of the real, his phi-
see, its concrete existence (and its always some- losophy moved more and more in the direction of a dualism
what ridiculous, banal aspect). This kind of “sub- in which we have, on the one side, the real as a kind of pri-
lime love” indeed necessitates and generates a mary substance, unattainable in itself, and, on the other
radical inaccessibility of the other (which usually side, the mode in which this real manifests, presents and
takes the form of eternal preliminaries, of inacces- represents itself.
sible object of choice, or else the form of intermit- Rosset first introduced the real as something that
tent relationship that enables us to reintroduce imposes itself as immediate and obvious, whereas the dupli-
the distance that suits the inaccessible, and there- cation strives to cover and de-realize it, by putting some-
by to “resublime” the object after each “use”). But, thing else in its place. Duplication (or “another version”)
neither is real love simply something that takes its thus presents itself as the only true real, reducing the imme-
object “such as it is,” in the sense of homogeneity diate real to a mere appearance (this is also what Rosset
and (uninterrupted) continuity of its presence as defines as metaphysical procedure par excellence). In L’objet
real. The true miracle of love consists in preserv- singulier (published 3 years after Le réel et son double), in
ing the transcendence in the very accessibility of the chapter entitled “Return to the question of the double,”
the other. Or, to use Gilles Deleuze’s terms, it con- Rosset makes a step further and reverses this conceptual
sists in creating a “circuit laughter-emotion, edifice by – to put it simply – turning the question of the
where the former refers to the little di≠erence and double into the question of representation. We now read
the latter to the great distance, without e≠acing or that not only the real has no double. It is itself strictly speak-
diminishing one another.” 8 The miracle of love is ing invisible. Along these lines Rosset writes that the invisi-
not that of transforming some banal object into a bility of the real, to which the suggesting of the double leads,
sublime object, inaccessible in its being – this is is a constitutive quality of the real, and that the real object is
the miracle of desire. The miracle of love consists in fact invisible, so far as it is singular. 9 This clearly indicates
in the coincidence of the two objects (the loved that Rosset now understands visibility as such already as a
and the existing object), which remains precisely duplication, that is as a secondary representation of what
this: a rather strange coincidence, rare in its manifests itself in it. The real is no longer the immediate
occurrence, in relation to which one never stops evidence which we tend to put aside installing something
wondering – that “you really are you.” Real, con- else in its place, something supposedly more real than the
Alenka crete love always includes and presupposes this real. The real is now the original, yet invisible and extremely
Zupančič
kind of minimal di≠erence. To illustrate this precarious reality, with no face of its own. From the thesis
97 notion of “minimal di≠erence (of the same)” I like that the real has no double it now follows – sic! – that
The Double
to use a rather famous punch line from one of the
and Its
Relationship
Marx Brothers’ movies: “Look at this guy, he looks “by suggesting an obvious and radical transformation of its object,
to the Real
like an idiot, he behaves like an idiot – but do not which it is supposed to imitate, the double is […] the shortest
let yourself be deceived, he is an idiot!” Or, an detour by which it can happen to the real to become ‘visible,’ that
even better and less exploited example, also from is apprehended as close as possible to its reality, for it appears in
the Marx Brothers (A Night at the Opera): After the very obviousness of its invisibility.” 10
sitting with another woman for quite a while,
Groucho Marx (Driftwood) comes to Mrs. Clay- And as if the reference to Jean-François Lyotard and his
pool’s table (she was waiting for him all that time), philosophical preference for the Kantian dialectics of the
and the following dialogue ensues: sublime were not yet explicate enough, Rosset goes on and
directly uses Lyotard’s terminology in saying that the double
Driftwood (Groucho): That woman? Do you know why thus manages “to present the real as non-representable.”
I sat with her? Although Rosset suggests yet another way of accessing the
Mrs. Claypool (Margaret Dumont): No –; real, namely through tautology (which is much more inter-
Driftwood: Because she reminded me of you. esting and actually presupposes the notion of a “minimal
Mrs. Claypool: Really? di≠erence”), the real rests fixated in this perspective as inac-
Driftwood: Of course! That’s why I’m sitting here cessible in its singularity and simplicity. Moreover, even
with you. Because you remind me of you. Your though he briefly entertains the idea that the contradiction
eyes, your throat, your lips, everything about
which accompanies the real could be inscribed into the
you reminds me of you, except you. How do you
account for that?
things themselves (i. e. into the real as such), Rosset rather
concludes that the shadow cast upon the real by the disap-
pointment of its double “does not a≠ect so much the reality
Indeed, this is not a bad answer to the impossible itself as the possibility of its being an object of thought.” 11
question: “Why do you love me?” – “Because you This way we get dangerously close to a somehow obscuran-
remind me of yourself.” tist concept of the real as fundamentally inaccessible to
So, to repeat again my objection to Rosset: thought, or accessible only in a negative way, in a more or less
in order for a surprising coincidence to occur (as extreme and lethal experience of the impossibility / failure of
a singular real), there needs to be a minimal its double.
di≠erence already at work in the same. One could Rosset proceeds by simply presupposing an equiva-
assume that Rosset was aware of this problem, and lence not only between visibility and the double, but also
that this is why he slightly changed his fundamen- between the figure of the double and the figure of represen-
tal conceptualization of the real in his subsequent tation. Nothing whatsoever justifies this equivalence, except
if one takes the notion of the double to refer to everything singularity of the real as split. Rosset begins with
but to what is normally called the double or the Dop- a (very Lacanian) notion of the real that catches
pelgänger. For the double is in fact the figure of the Same, of up with us when we least expect it, and hits us as
repetition (as successful, even if also catastrophic), and as the “impossible” that (just) happened. Yet because
such it di≠ers both from the (imaginary) figure of the similar he refuses to recognize in the split or in the schism
(as resemblance), and from symbolic identity (which relies that takes place at such occasion any sign of the
on representation and, as such, on di≠erence: I am always real (except of its distortion), “his” real eventually
represented by something of an utterly di≠erent order than moves in the opposite direction of ultimately
my being, and which does not resemble me – a name, for withdrawing from our grasp in its invisible singu-
instance). On the other hand, the figure of the double does larity. This is why I think that the Lacanian con-
indeed belong to the investigation of the real and of its inher- cept of the Real is in fact much more materialistic.
ent impasses. 12 By the latter, however, I do not have in mind If the Real always appears together with a split or
the impossibility, the failure of the double (or of a duplica- schism (which is also what Rosset maintains),
tion), but instead its eventual and paradoxical success. In then this split should perhaps be considered as
this respect it is indeed strange and telling that Rosset essential to the Real. Not only in the negative
decides to present the structure of fulfilled prophecies as sense in which the reality splits in its failure to be
that of a failure, bearing witness to the impossibility of a (a visible) Real, but in a positive sense in which
double. For one could as easily defend the opposite thesis – the Real is precisely the point where reality splits
that with a fulfilled prophecy we succeed precisely in getting (becomes two) and coincides at the same time. If
a double. In other words, is it not rather that what a fulfilled the Lacanian Real does not simply coincide with
prophecy in fact presents us with is a failure of di≠erence reality and its (norms of ) visibility, it is also not
(that is to say of redoubling in the sense of a di≠erent, alter- something inaccessible beyond it. Rather, it is
native version of the events), and by no means a failure of the something that happens in and to this reality
double, for the latter actually succeeds? (say, as the collapse of its a priori fantasmatic
With its taking place the double eliminates its “origi- structure.)
nal” and remains singular or unique. Yet the fact that the In conclusion, let me relate this to Friedrich
double eliminates the “first” (albeit the same) version of Nietzsche and to what he proposes as one of the
itself does not imply its failure, it rather implies that the dou- central figures of his philosophy, namely the fig-
ble itself is a figure of the singular, that is to say, precisely, of ure of the Mittag (Midday). Nietzsche defines the
the real. If the real has no double, it is on account of itself Midday precisely as the moment where “One
being a successful double (in the strong meaning of this turns to Two” (“Um Mittag war’s, da wurde Eins zu Alenka
Zupančič
word), realized in the very singularity of the Same (as repeti- Zwei”).13 With this paradoxical notion Nietzsche
tion and not representation). The double is precisely not a situates the inaugurating point of something new 98
figure of a two in the sense of a duality. Rather, it is two as (a “new beginning”) neither at the time of morning The Double
singularity, it is a privileged figure of the singular, it is, so to or birth nor at the time of death but, so to speak, in and Its
Relationship
say, the singular par excellence. the time of the “middle.” He also defines it by the to the Real

However, if the figure of the double is the singular par moment of the “shortest shadow.” A chapter of
excellence, this does not mean that it is simply the figure of Twilight of Idols treats precisely our theme: “How
a One. Its singularity is, so to say, more radical than the sin- the ‘Real World’ at last became a Myth.” Nietzsche
gleness of a one. It does not count as one. Rather, it is an here replaces the di≠erence between the real
uncountable one. As I pointed out at the beginning, it is (world) and its appearance with the notion of the
something which, while introducing a split at the very onto- minimal di≠erence of the same. He writes:
logical level, makes an uncountable one out of a countable
one. When a double appears, we no longer have a one, nor do “We have abolished the real world: what world is
we simply have two. The double could of course be said to left? the apparent world perhaps?… But no! with the
duplicate, or repeat, a one (say an individual). Yet this repeti- real world we have also abolished the apparent
tion (when it “catastrophically succeeds”) is very much like world! (Mid-day; moment of the shortest shadow;
the Deleuzian centrifugal force that does away with the one- end of the longest error; zenith of mankind; incipit
ness (in the formal sense of counting-as-one or identity) of Zarathustra).” 14
what is repeated; not because we now have two, but because   •
we have neither one nor two. In other words, something that
we can take from the “outside” reality as a one, is singular-
ized through repetition, which means, precisely, that it is the 12 - For a more detailed account
of this theme see Mladen Dolar,
same and unfamiliar at the same time – which accounts for “‘I Shall Be with You on Your
our surprise (at the same). Wedding-Night.’ Lacan and the
Another way of putting this would be to stress again Uncanny,” in: October, 58, 1991,
pp. 5–23.
that sameness and similarity / resemblance are two quite
13 - Friedrich Nietzsche, Beyond
di≠erent things. The figure of the double is not simply about Good and Evil. Prelude to a
resemblance / similarity, which is amply testified to in exam- Philosophy of the Future, Marion
Faber (ed. & transl.), Oxford /
ples of this figure in both comic and uncanny tradition and New York 1998, p. 180 (the
literature. The double is about two appearing at the same “Concluding Ode” of the book).
place-time, it is about splitting the real, and not about 14 - Friedrich Nietzsche, Twilight
replacing one real with another (more or less illusory). In an of Idols and Anti-Christ, Michael
Tanner (ed.), R. J. Hollingdale
analogous way, fulfilled prophecy, or love, reveal the split (transl.), Harmondsworth 1990,
(they reveal it as, and through, coincidence). They reveal the p. 51.
Midday is not the moment when the sun embraces 31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
everything, makes all shadows disappear, and
constitutes an undivided Unity of the world; it is Antke Engel

Zwei
the moment of the shortest shadow. And what is
the shortest shadow of a thing, if not this thing
itself? Yet, for Nietzsche, this does not mean that
the two become one, but, rather, that one becomes
two. Why? The thing (as one) no longer throws its
shadow upon another thing; instead, it throws its
shadow upon itself, thus becoming, at the same
time, the thing and its shadow, the real and its
Von der
appearance. When the sun is at its zenith, things
are not simply exposed (“naked,” as it were); they Handlanger_in
are, so to speak, dressed in their own shadows.
And at that moment it makes sense to won-
der, as lovers do, that “you are you.”
des Paares
zur queeren
Fluchthelfer_in

99 1 - Vgl. Annamarie Jagose, Queer Gerne wird betont, dass Queer sich einer umrissene, vorgeblich stabile Bestimmung
Theory. Eine Einführung, Corinna einheitlichen Definition widersetzt. Es wei- von Geschlecht erst ermöglicht, als Normie-
Genschel u. a. (Hgg. u. Übers.),
Berlin 2001. Sigrid Adorf und gere sich eine feste Form anzunehmen, wie rungsproblem und wird durch Verweise auf
Kerstin Brandes haben dies als Annamarie Jagose so tre≠end formuliert. 1 Ambiguitäten, Mehrdeutigkeiten, Verände-
Motto für das von ihnen heraus-
gegebene Themenheft zum The-
Dennoch lässt sich vermutlich unwiderspro- rungsprozesse sowie Strategien der Verun-
ma «Queer» der Zeitschrift FKW chen behaupten, dass queere Theorie und eindeutigung gekontert. 2
gewählt: Sigrid Adorf / Kerstin Bewegung durch die Kritik der These von
Brandes, «‹Indem es sich wei-
gert, eine feste Form anzuneh-
men› – Kunst, Sichtbarkeit,
der Binarität der Geschlechter gekennzeich-
net ist. Diese Kritik erfasst sowohl die nor- Zwei-fel
Queer Theory. Einleitung», in: mativ-hierarchische Zwei-Geschlechter-
FKW. Zeitschrift für Geschlechter-
forschung und visuelle Kultur, 45, Ordnung, die abendländische Kulturen und Vor diesem Hintergrund scheint es höchst
2008, S. 5–11. Gesellschaften strukturiert, als auch die ri­- unwahrscheinlich, kontra-intuitiv oder gar
2 - Vgl. Antke Engel, Wider die Ein- gide Zweigeschlechtlichkeit, die das Ver- eine logische Unmöglichkeit, im Kontext der
deutigkeit. Sexualität und Ge­-
schlecht im Fokus queerer Politik
ständnis von Subjektivität und Körper prägt. Queer Theory mit der Figur der Zwei zu
der Repräsentation, Frankfurt Vor dem Hintergrund einer naturalisierten arbeiten. Dennoch ist es verlockend, wenn
a. M. 2002. Unterscheidung zweier Geschlechter wer- im Konzept dieses Themenheftes behauptet
den Menschen in die strikte Alternative wird, dass die Zwei nicht als Paar, sondern
«entweder männlich oder weiblich» hinein- als «ununterscheidbares Drittes» zu verste-
gezwungen. Zudem wird ein heterosexuali- hen sei, angesiedelt zwischen Einheit und
siertes Ideal der gegenseitigen Ergänzung Vielheit, eine unzählbare Spaltung der Eins.
auch auf die binäre Konstruktion von, unter Lässt sich somit mit der Zweiheit der Ge-
anderem, Ö≠entlichkeit und Privatheit, von schlechter aus queertheoretischer Perspekti-
Körper und Geist oder Rationalität und ve doch etwas anfangen, was nicht auf eine
Emotionalität projiziert. Ohne die naturali- Bestätigung heterosexueller Paar- und Be-
sierte Binarität, so das heteronormativitäts- gehrensphantasien hinausläuft? Verschiebt
kritische Argument, sei es nicht möglich, die beispielsweise der Unterstrich, der bereits
sich fortwährend neu formierende Hierar- im Titel ein Zögern in die maskulin_femi-
chie der Geschlechter aufrechtzuerhalten nin-Dualität einführt, die Zwei von den bei-
und zu rechtfertigen. In diesem Sinne zeigen den Polen auf den Prozess des Aufbrechens
sich normative Heterosexualität und rigide oder des Aufschubs? Die Zwei als suspense /
Zweigeschlechtlichkeit als konstitutiv mit- Spannung?
einander verflochten. Zudem erweist sich
das Prinzip der Identität, das eine klar
Ich bezweifle jedoch, dass die Zwei ohne wei-
teren Aufwand, ohne Unterstrich, ohne unter-
Den 3 - Vgl. Antke Engel, Bilder von Sexu-
alität und Ökonomie. Queere kul-

Antagonismus
turelle Politiken im Neoliberalis-
stützendes Drittes ein vielversprechender mus, Bielefeld 2009.
Weg der Infragestellung identitärer Einhei-
ten und komplementärer Ergänzungen ist. zum 4 - Was bei Judith Butler schlicht
«The Other of the Other» heisst,
bringt im Deutschen diverse
Vielmehr unterliegt sie fortwährend der
Gefahr, vom Paar erfasst und durch die binä-
­Fliehen Übersetzungsschwierigkeiten
hervor: Zum einen ist mehrdeu-
re Ableitungsbeziehung A-Nicht A hierar- bringen? tig, ob «die Andersheit» oder die
oder der «imaginäre Andere»
chisiert zu werden. Sie entkommt nicht auto- des oder der Anderen gemeint
matisch der additiv-identitären Logik, son- sind, und zum zweiten, inwiefern
es sich um den Grossen Anderen
dern muss dahingehend fortwährend im Das Problem mit dem Antagonismus ist, (im Sinne der symbolischen Ord-
Werden bleiben. Sonst wird sie als Spaltung dass er sich aus geschlechtertheoretischer nung), die oder den sozialen
oder Dopplung der Eins – der ehemaligen Perspektive schon immer als unterkomplex anderen oder Anderen handelt
– deshalb mein typographischer
oder potentiellen oder virtuellen Einheit – in erwiesen hat. So suchen marxistische Femi- Vorschlag, «oOther» zu schrei-
deren Abhängigkeit verbleiben. Wenn die nistinnen seit langem nach Politikformen, ben, vgl. Judith Butler, «Longing
for Recognition», in: dies.,
Zwei also Potential gewinnen soll, so entfal- die die Spaltung / en der Gruppe der Frauen Undoing Gender, New York 2004,
tet sich dieses gerade aus der Prekarität her- durch den Klassenwiderspruch ernst nimmt S. 131–151.
aus, der die Zwei als Handlanger_in hetero- und dennoch solidarische Praxen gegen klas-
normativer Macht (Identität, Komplementa- senübergreifende Ausbeutung weiblicher
rität des Paares, Begehren der Hierarchie) Reproduktions- und Sorgearbeit und patri-
unterliegt. Erst der fortwährende Einsatz archale Verfügung über Körper, sexuelle Pra-
eines Dritten kann die Zwei in die Unent- xen und A≠ekte umsetzen. Schwarze Femi-
scheidbarkeit von Einheit und Vielheit locken. nistinnen stellen Zusammenhänge zwischen
rassistischer und klassistischer Herrschaft
Meine These ist, dass die Figur der Dritten heraus, die jedoch keineswegs ausschliessen,
Seite des Spiegels genau diese Bewegung dass sich kapitalismuskritische Bezüge als
provozieren und Bilder liefern kann, die es rassistisch erweisen und Geschlecht sowohl
der Zwei ermöglichen, aus der binären Iden- durch rassistische als auch klassistische und
titäts- und Paarlogik herauszutreten. 3 Die (hetero-)sexistische Privilegiensysteme ge­-
Dritte Seite des Spiegels ist eine Heterotopie, prägt ist. Nicht zuletzt zeigen manche hete-
eine queere Überschreitung der Lacanschen ronormativitätskritische Analysen, dass
Spiegelmetapher, die nicht nur den Anderen, Homosexualität nicht vor Rassismus, natio-
sondern die Andere_n d_ Anderen (the other nalistisch-okzidentalen Überlegenheitsphan- 100
of the oOther) ins Spiel bringt. 4 Die Dritte tasien oder Androzentrismus schützt. Anta-
Seite des Spiegels vereinnahmt die Zwei gonismen addieren sich also nicht auf, son-
nicht, dringt nicht in sie ein, sondern treibt dern widerstreiten einander, und klare Gren-
sie über sich hinaus und lässt sie fliehen. Aus zen verwischen sich. Wenn die Komplexität
dem Unterstrich werden rhizomatische Lini- und Widersprüchlichkeit von Macht- und
en. Hiesse das aber auch, dass die Dritte Sei- Herrschaftsrelationen erfasst werden sollen,
te des Spiegels als Ort der Verbildlichung kann das Politische nicht über einen Antago-
und potentiellen Artikulation, das heisst, als nismus gedacht werden, der sich als Opposi-
Erscha≠ung dessen, was neuerdings / künf- tion von Entitäten formiert, und seien diese
tig politisch sprechbar wird, zu verstehen? In noch so imaginär. Selbst dann, wenn ein
diesem Artikel soll die Dritte Seite des Spie- Zusammenspiel unterschiedlicher Antago-
gels als eine politische Figur, eine Figur der nismen behauptet wird, sind weder parado-
Politik und des Politischen entworfen wer- xe Konstellationen zwischen diesen noch
den, die weit über eine Reartikulation von deren Verwobenheit, also die Frage, wie sie
Subjektivität und Intersubjektivität (Selbst, einander artikulieren, bedacht. Wird der
Andere, Vielheit) hinausgeht. Ausgelotet Antagonismus trotz dieser widersprüchli-
werden soll, inwiefern die Dritte Seite des chen Komplexitäten aus politischer Perspek-
Spiegels mit der Zwei eine Kollaboration tive als interessant angesehen, dann genau
­eingeht, und inwiefern dies eine Kollabo­ration deshalb, weil er homogenisierende Verein-
ist, welche das spannungsträchtigste und doch nahmungstendenzen oder harmonisierende
treueste Paar der politischen ­Philosophie, den Toleranzrhetoriken – das Feiern der Eins –
Antagonismus queer herausfordert. untergräbt und es erlaubt, Di≠erenzen als
Machtauseinandersetzungen zu artikulie-
ren. Um jedoch der Illusion klar umgrenzter,
homogener politischer Entitäten zu entge-
hen, ist es nötig zu fragen: Wie lässt sich Ant-
agonismus so denken, dass er nicht auf iden-
titären Gegensätzen oder eindimensionalen
Widersprüchen aufbaut? Und warum sollte
ausgerechnet die Figur der Zwei diesbezüg-
lich vielversprechend sein?
Eine artikulatorische Theorie des Antagonis- Idee der unzählbaren Geschlechterdi≠erenz_ 5 - Vgl. Ernesto Laclau / Chantal
Mouffe, Hegemonie und radikale
mus, wie sie beispielsweise von Ernesto en als unendliches Werden an. Demokratie. Zur Dekonstruktion
Laclau und Chantal Mou≠e sowie im queer- des Marxismus, Michael Hintz /
theoretischen Feld von Anna Marie Smith, Eben dieses Verständnis von Begehren ist es, Gerd Vorwallner (Übers.), Wien
1991; Anna Marie Smith, Laclau
Susanne Lummerding und Judith Butler das für Lummerding eine Nähe zwischen and Mouffe. The Radical Demo-
vertreten wird, sieht diesen nicht aus Positi- Hegemonietheorie und Queer Theory her- cratic Imaginary, London / New
York 1998.
vitäten formiert, sondern aus der unüber- stellt und ihr erlaubt, die Bedeutung der
6 - Zur Potentialität und zu den
brückbaren Kluft (unbridgable chasm), die Queer Theory für ein Denken des Politischen Mö­glichkeiten, die Spannung
die Unabschliessbarkeit jeglicher Identität hervorzuheben. Queer Theory lässt sich für zwischen den Antagonismen
und die Uneinheitlichkeit und Nicht-Har- Lummerding keineswegs auf Geschlechter- (im Plural), die sich laut Laclau /
Mouffe im Kontext sozio-dis­
monisierbarkeit des Gesellschaftlichen aus- und Sexualitätspolitiken verengen, sondern kursiver Politik entfalten und
drückt und sichert. 5 Diese Kluft ist nicht als verfehle sogar ihr Potential, wenn sie Ge­- dem Antagonismus (im Singu-
Abstand zwischen positiven Entitäten zu schlecht und Sexualität als sozio-diskursive lar), der als konstitutive Bedin-
gung des Politischen gilt, in eine
verstehen. Vielmehr entsteht sie aus einem Phänomene au≠asst. Vielmehr gehe es dar- queere Politik der Paradoxie
Scheitern der Einheit, einer Bewegung der um, queer als analytische Kategorie zu verste- zu übersetzen, vgl. Antke Engel,
«Desiring Tension: Towards a
Negation, die eben keine neue, weiter gefass- hen, die auf eine konstitutive Logik verweist, Queer Politics of Paradox», in:
te Totalität konstituiert, sondern die Unmög- die Logik des going beyond. Diese Logik der Tension / Spannung, Christoph
lichkeit der Schliessung unterstreicht. Dies Unmöglichkeit der Schliessung ist es, die eine Holzhey (Hg.), Wien 2010,
S. 225–248.
erinnert an das Bild der Zwei als unentscheid- immanente Beziehung zwischen dem Begeh-
7 - Bei Lummerding explizit als sym-
bar zwischen Einheit und Vielheit. ren und dem Politischen herstellt: bolische Positionen verstanden,
die zwei unterschiedliche Weisen
Wenn die Unmöglichkeit einer ungespalte- des Scheiterns am Wunsch ima-
«desire as a motion initiated and perpetuated ginärer Ganzheit signifizieren;
nen Ganzheit, die Unmöglichkeit einer Inte- by a logical impossibility. It is this impossibi- definitiv nicht als sozio-diskursi-
gration von Gesellschaft, Antagonismus lity – inherent to the logic of language – that ve Gender-Positionen, vgl.
Susanne Lummerding, agency@?
genannt wird, dann ist der Antagonismus die induces the need to produce meaning in the
Cyber-Diskurse, Subjektkonsti­
Vorbedingung des Politischen. Politik, auch first place and to incessantly seek for its tuierung und Handlungsfähigkeit
antagonistische Politik, wird dadurch poli- (impossible) completion as a stable totality. im Feld des Politischen, Wien 2005.
tisch, dass fortwährend Praxen und Entschei- And it is precisely this impossibility of closure, 8 - Susanne Lummerding, «Signi­
this going-beyond, which relates desire to fying theory_politics / queer»,
dungen notwendig sind, ohne dass diese sich in: Hegemony and Heteronorma­
the dimension of the political». 8
auf sichere Sachverhalte, praktische Notwen- tivity. Revisiting ‘The Political’
digkeiten oder die «Wahrheit» eines antago- in Queer Politics, Marìa do Mar
Antke
Engel Castro Varela u. a. (Hgg.),
nistischen Gegensatzes berufen könnten. Das Ich folge Lummerding in der Au≠assung, Aldershot 2011 (in Vorbereitung).
101 Politische ist damit nicht nur Kontingenz, dass eine artikulatorische Theorie des Politi- 9 - Ebd.
Zwei
sondern auch Potentialität. Doch entfaltet schen, die den Antagonismus als Kluft, als
sich diese Potentialität, wie Laclau / Mou≠e Unmöglichkeit der Schliessung fasst, nicht
und Butler nahelegen, als eine Potentialität primär auf provisorische Schliessungen und
der provisorischen Schliessungen? Oder ver- deren immer erneute Anfechtung, sondern
weist sie auf die unvorherbestimmbaren Mög- auf die Nicht-Schliessbarkeit selbst ausge-
lichkeiten, die sich aus der Negation ergeben richtet ist – dass es, wenn eine_ so will, dar-
– eine artikulatorische Potentialität, die sich um geht, die Kluft selbst zu artikulieren.
auf die kontingenten Möglichkeiten bezieht, Bezüglich letzteren Anliegens ist Lummer-
die Kluft hervortreten zu lassen? 6 ding allerdings ausnehmend skeptisch. Sie
fürchtet, dass alle Versuche, queer als ein
Susanne Lummerding vertritt im An­schluss anti-identitäres Konzept zu bestimmen,
an Laclau / Mou≠e und Lacan die Au≠assung, erneut eine signifizierende Schliessung vor-
dass provisorische Schliessungen nötig sind, nehmen: “to denote what anti-identitarian
um überhaupt Bedeutung zu konstituieren, approaches intend to address, are – as articu-
dass Identitäten nicht ohne Ausschluss lations – by definition attempts to ‘get hold’ of
daherkommen, aber dass ohne Identitäten ‘some-thing’ by signifying (i. e. by producing
kein politisches Leben möglich ist. Dies ist ‘some-thing’ in the place of ‘no-thing’)”. 9
ein Plädoyer für die Geschlechterdi≠erenz
des Männlichen und des Weiblichen. 7 Den- Ich halte es dennoch für sinnvoll darauf zu
noch betont sie, und darin liegt eine ent- beharren, dass unterschiedliche Weisen und
scheidende Verschiebung, dass der Fokus der Formen des Artikulierens möglich sind. Des-
politischen Aufmerksamkeit auf dem going halb soll hier gefragt werden, welcher Art die
beyond, auf dem unvermeidlichen Exzess Artikulationen sind, die auf die logische
jeglicher Identitätskonstruktion liegen solle. Unmöglichkeit der Schliessung antworten.
Um diese Bewegung des Überschreitens Sind Artikulationen möglich, die die o≠ene
oder der Überdeterminierung zu verstehen, Zukünftigkeit ausdrücken statt sie zu unter-
führt Lummerding den Begri≠ des Begeh- graben? Wären Ambiguität, Uneindeutigkeit,
rens ein. Das Begehren richtet sich für Lum- Paradox, Wanken und Schwanken entspre-
merding explizit nicht auf ein Objekt, sondern chend Formate eines going beyond? Würde
ist eine Bewegung, die genau durch die oben dies bedeuten, die Kluft zum Anlass einer
erwähnte Unmöglichkeit eines Abschliessens Bewegung des Begehrens zu nehmen, die
von Bedeutung initiiert ist. Dies deutet eine Fluchtlinien hervorbringt, die den gegebenen
symbo­lischen Ordnungen entkommen, wie
Gilles Deleuze und Félix Guatarri vorschla-
Spiegelung 10 - Vgl. Gilles Deleuze / Félix Guattari,
Tausend Plateaus. Kapitalismus

und
und Schizophrenie II, Berlin 1992.
gen? 10 Oder unterliegen die Artikulationen, 11 - Werden Spiegelung und Gespie-
wie Laclau / Mou≠e suggerieren, immer der
Tendenz, die Hänge der Kluft zu sichern, Gespiegeltes geltes nicht getrennt in den Blick
genommen, sondern gemeinsam,
so erscheinen sie notwendig aus-
indem sie provisorische Identitäten konsti- schnitthaft und perspektivisch
tuieren? Vielleicht erö≠net der Spiegel den idealen verschoben.
Zugang zur Zwei? In Anbetracht von Spiege- 12 - In diesem Buch, das den Unterti-
tel Wie verteilt sich Handlungs-
Wäre es im Hinblick auf diese Frage des Arti- lung und Gespiegeltem – die als «sich Spie- macht? trägt, werden Analysen
kulierens interessant, die Zwei ins Spiel zu gelnde» niemals gleichzeitig in ihrer Gänze politischer Macht- und Ungleich-
bringen? Die Zwei, die, insofern sie die betrachtet werden können – wird klar, 11 dass heitsverhältnisse dadurch eröff-
net, dass die Trennung von Sub-
Unendlichkeit der Potentialität ausdrückt die Zwei nicht eins ist, sondern sich aus jekt und Objekt durch deren
bzw. eine Figur der Unentscheidbarkeit zwi- etwas formiert, von dem sich weder sagen gegenseitige Verflochtenheit in
schen Einheit und Vielheit darstellt, in der lässt, dass es das Gleiche noch dass es unver- einer Unmenge hervorgehoben
wird: Unmenge – Wie verteilt sich
Lage ist, die Kluft sprechbar zu machen? gleichbar ist. Im Vergleichen entsteht eine Handlungsmacht?, Ilka Becker
Entstünde, um auf Lummerding zurückzu- paradoxe Bewegung, die jedoch der Gefahr u. a. (Hgg.), München 2008. Dies
geht notwendig mit einer Entpri-
kommen, mit der Zwei eine Figur, die sich unterliegt, die Ambivalenz aufzuheben und vilegierung des Subjekts einher,
zwischen Etwas und Nichts schiebt; die, statt entweder ins Gleiche oder in die endlose Ver- ohne dass dessen Position, z. B.
sich von einer solchen Alternative einfangen vielfältigung der Di≠erenz zu kippen oder als Machthaber_in, noch definitiv
bestimmbar wäre. Entsprechend
zu lassen, einen aufschiebenden Unterstrich die Zwei zum idealen Paar, die Spiegelung wird die Verteilung (von Hand-
aktiviert: some-thing_no-thing? Doch braucht zur optimalen Ergänzung zu erklären. Auch lungsmacht) nicht als Aufteilung
es, so meine These, einen Unterstrich oder letzteres, selbst wenn es die Unentscheidbar- eines bereits bestehenden Gan-
zen, sondern als Spannungsver-
irgendeine andere artikulatorische Praxis, keit zwischen Gleichheit und Di≠erenz auf- hältnis einer geteilten Situation
um in dem Dilemma, in dem die Zwei steht, recht erhält, ist ein Problem, insofern es die verstanden, vgl. ebd., S. 8.
die Verschiebung von der antagonistischen Zwei gegen aussen hin verschliesst und doch 13 - Ebd., S. 9.
Spaltung der Eins oder dem sich ergänzen- heimlich eine Einheit kreiert. Die paradoxe 14 - Vgl. Deleuze / Guatarri, Tausend
Plateaus (wie Anm. 10); Dimitris
den Paar zur Unmöglichkeit der Schliessung Spannung der Bewegungen aufzuheben, Papadopoulos u. a. (Hgg.), Escape
vorzunehmen. vom Vergleichen zum Vergleich zu kommen, Routes. Control and Subversion
hat in jedem Falle den E≠ekt, die Anerken- in the 21st Century, London 2008;
J. Simon Hutta, «Paradoxical
nung der Ermöglichungsbedingung der publicness. Becoming-impercep-
Zwei, die Unentscheidbarkeit von Einheit tible with the Brazilian LGBT
und Vielheit, zu verhindern. movement», in: Rethinking the
Public. Innovations in Research,
Theory and Policy, Janet Newman 102
Insofern ist es reizvoll, die Zwei als Unmen- u. a. (Hgg.), Bristol 2010, S. 143–161.
ge zu betrachten. Im Vorwort des gleichna-
migen Buches wird die Unmenge nicht als
grosse Zahl, 12 sondern als Unzählbarkeit
charakterisiert; sie bezeichnet das, was onto-
logisch oder repräsentational keinen Anteil
hat. In Anlehnung an Jacques Rancière
heisst es: «Die Unmenge umfasst (auch) den
Teil ohne Anteil, part san part.» 13 Wird also
die Ambivalenz im Inneren der Zwei auf-
rechterhalten und diese Ambivalenz zugleich
als eine angesehen, die die Zwei in paradoxer
Bewegung über sich hinaus, nach aussen, in
eine unzählbare Vielheit treibt, dann gerät
die politische Dimension der Zwei in den
Blick. Diese liegt gerade nicht darin, dass sie
das Paar als Grundfigur der politischen
Organisation, als Keimzelle der Pluralisie-
rung oder als Verkörperung antagonisti-
schen Kampfes fasst, sondern darin, dass sie
Raum für die so genannten unbemerkbaren
Politiken (imperceptible politics) erö≠net. 14
Dies sind Politiken, die in den identitätslogi-
schen Repräsentationsrastern nicht, oder
zumindest nicht als Artikulation politischer
Subjekte wahrgenommen werden können;
Politiken, die sich auf Ebenen oder Weisen
mit der Welt verbinden, die jenseits der übli-
chen Wahrnehmungsschwelle liegen, die
Verbindungen stiften, indem Intensitäten
sich a∞zieren und Bewegungen ungewöhn-
liche Wege oder Formen finden.
Doch wo findet sich die Szene, in denen sich
diese Politiken entfalten? Wie entsteht eine
Die 15 - Vgl. Hutta, Paradoxical public-
ness (wie Anm. 14).

Ö≠entlichkeit, die heterogene, unerwartete


Artikulationen schätzt und o≠en ist für
Dritte Seite 16 - Becker u. a., Unmengen (wie
Anm. 12), S. 10.

unbemerkbares Werden? 15 Oder: «Wie aber des 17 - Vgl. Jacques Lacan, «Die Bedeu-
tung des Phallus», Chantal
kann man mit dem rechnen, was noch keine
Adresse hat, sich noch nicht als Teil konstitu-
Spiegels Creusot u. a. (Übers.), in: ders.,
Schriften, 3 Bde., Norbert Haas
(Hg.), Weinheim / Berlin 1986–
iert hat, sondern dies erst in der polemischen 1991, Bd. 2, S. 120–132.
Szene des Politischen tun wird?» 16 Auf der Stellen wir uns vor, dass der Spiegel eine 18 - Vgl. Jacques Lacan, «Das Spie-
gelstadium als Bildner der Ich-
Suche nach der polemischen Szene, die absorbierende, eine reflektierende, aber funktion», Peter Stehlin
Raum für unbemerkbare Politiken scha≠t – auch di≠raktierende (ablenkende) Seite hat. (Übers.), in: ebd., Bd. 1, S. 61–70.
Raum, so würde ich fordern, sogar ohne dass Letztere entdeckt nicht, wer um den Spiegel
diese sich jemals «als Teil» konstituieren herumgeht oder ihn spaltet, sondern wer
müssen – erweist sich die duale Konstrukti- zwischen Spiegelung und Gespiegelten einen
on von Spiegelung und Gespiegeltem als Freiraum, eine Unterbrechung, einen Auf-
unbefriedigend. Auf dem Hintergrund der schub, ein Nichts entstehen lässt. Es geht um
Überlegungen, die die Zwei als Figur der eine Bewegung, die zögert, sich von der Spie-
Unmenge zu denken trachtet, möchte ich gelung einfangen zu lassen, und stattdessen
vorschlagen, eine Dritte Seite des Spiegels Interesse für die Bedingungen entwickelt,
mit ins Spiel zu bringen. die die Spiegelung möglich machen. Was
sind Bedingungen der Spiegelung und wie
(ver)führen diese uns zu einer Dritten Seite
des Spiegels? Da wäre zum einen die Spie-
gelachse, der Drehpunkt, um den herum sich
eine Doppelung entwickelt, die keine Doppe-
lung ist. Zum anderen das, was Lacan das
Begehren des Anderen nennt und womit er
darauf verweist, dass wir uns nur durch den
Anderen, im Begehren des Anderen und ver-
mittels der Bilder / Sprache des Anderen vor
Antke dem Spiegel stehen sehen. 17
Engel

103 Der Spiegel ist für das psychoanalytische


Zwei
Denken eine entscheidende Metapher, um
Identifizierungsprozesse zu thematisieren
und Subjektkonstituierung zu denken. Hier-
bei steht die Spiegelmetapher jedoch bei
Lacan nicht für eine Reflexion dessen, was
sich vor dem Spiegel befindet, sondern für
die reflektierende Kraft des Anderen. 18 Das
eigene Spiegelbild konfrontiert eine_n mit
Bildern und Phantasien, in die sowohl Bilder
von anderen einfliessen, die im Rahmen psy-
chischer Identifizierungsprozesse in die eige-
ne Subjektivität aufgenommen worden sind
(Imago), als auch Bilder d_ Anderen – idea-
lisierte kulturelle Vorstellungen «männli-
cher», «weiblicher», «schwarzer», «weisser»,
«gesunder», «befähigter» KörperSubjektivi-
tät sowie deren Rückseite, die Horrorvisio-
nen und Ängste verfehlter Körperlichkeit
oder Geschlechtlichkeit.

Die Dritte Seite des Spiegels ist eine Figur, die


für solche Identifizierungsprozesse steht, in
denen die Spiegelung nicht einfach den Ande-
ren reflektiert, sondern wo Identifizierung
eine «Andersheit de_ Anderen» an das Selbst
herantreten lässt. Donna Haraways Vor-
schlag, semiotisch-materielle Prozesse nicht
als Reflektion zu verstehen, sondern die
Di≠raktion hervorzuheben, erscheint mir in
diesem Zusammenhang hilfreich. Denn
Di≠raktion ist laut Haraway ein Prozess, der
keine mechanische Verbindung vordefinierter
Elemente (Selbst und Ander_), sondern das
Sich-Ausprägen unerwarteter Verbindungen Begehren ist 19 - Vgl. Donna Haraway, Simians,
Cyborgs, and Women. The Rein-
vention of Nature, New York 1991.
bezeichnet; Di≠raktion bewirkt «e≠ects of
connection, of embodiment, and of responsi-
immer 20 - Vgl. María do Mar Castro Varela,

Begehren der
Unzeitgemäße Utopien. Migran-
bility for an imagined elsewhere that we may tinnen zwischen Selbsterfindung
und gelehrter Hoffnung, Bielefeld
yet learn to see and build here». 19 Die Dritte
Seite des Spiegels als ein «vorgestelltes
Andersheit 2007.

Anderswo» («imagined elsewhere»), ein vir-


tueller Ort, an dem das, was wir noch lernen
de_ Anderen
müssen zu sehen, geschieht, nämlich, wie ich
formulieren möchte: das Aufeinandertre≠en Wenn Judith Butler in dem Aufsatz Longing
der verschiedenen Andersheiten de_s_r für Recognition den Vorschlag macht, dass
Anderen im Begehren. das Begehren nicht einfach das «Begehren
des Anderen» sei, sondern dass im Begehren
«the Other of the Other» (wie es im Engli-
schen ohne die geschlechtsmarkierenden
Pronomen heisst) wirke, so provoziert sie
damit eine subtile, aber entscheidende Um-
arbeitung des Lacanschen Spiegelstadiums.
Statt das Begehren um den Phallus herum zu
organisieren, schlägt sie eine andere Mög-
lichkeit vor, das Begehren triadisch zu den-
ken und der Opposition von aktivem Subjekt
und passivem Objekt des Begehrens zu ent-
gehen. Im Sinne der phantasmatischen
Wunscherfüllung ist das Begehren also nicht
als etwas, das sich zwischen Subjekt und
Objekt (oder Subjekt und Subjekt) abspielt,
sondern etwas, das immer für alle Beteiligten
um ein «Drittes» herum organisiert wird:
Die nicht-repräsentierbare «Andersheit d_
Anderen», die sich dennoch durch Zeichen,
Bilder und Phantasien vermittelt. Das «Drit- 104
te» bedeute, dass in Begehrensrelationen ein
Bruch oder eine Doppelung eingezogen ist:
Im Begehren seien immer zugleich ­«konkrete
soziale Andere» und das «Andere d_ Ande-
ren» gemeint – diese beiden Dimensionen
sind weder zu trennen noch gehen sie inein-
ander auf. Damit gibt es jedoch weder Ge-
schlechtsidentitäten noch Begehrensformen,
die glatt oder eindeutig in männlichen oder
weiblichen, homo- oder heterosexuellen For-
maten aufgehen. Entsprechend entsteht in
der Aufmerksamkeit für «the Other of the
Other» die Chance, Heteronormativität und
binäre Geschlechterarrangements zu unter-
laufen.

Dieses Unterlaufen benötigt jedoch einen


Ort, bedarf des Szenarios, wo diejenigen, die
Butler als ek-statisches Selbst bezeichnet,
dem Ganzheitsphantasma abschwören und
sich auf Begegnungen mit der Andersheit
des Selbst und der Andersheit d_ Anderen
einlassen können. Die Dritte Seite des Spie-
gels erö≠net den Raum dieser Begegnungen
zugleich als eine Heterotopie und als das,
was María do Mar Castro Varela eine «unzeit-
gemäße Utopie» nennt, eine utopische Pra-
xis, mittels derer in die Gegenwart produkti-
ve «Orte ohne Ort» eingefügt werden, die
neue Zukünfte antizipieren. 20 Kann diese
Dritte Seite des Spiegels, so soll nun ab­-
schliessend gefragt werden, zugleich auch
die polemische Szene der unbemerkbaren 31 N°- 14/15
The Figure of Two
Politiken bilden, in der antagonistische Aus-
einandersetzungen nicht zwischen definier- Vittorio Santoro

In Conflict
ten politischen Identitätspositionen geführt
werden, sondern um die Frage der Gestal-
tung der Szene und die Frage, ob dort das
unentscheidbare Dritte zwischen Einheit

with
und Vielheit artikulierbar wird?

Im Hinblick auf politische Praxen der Zwei


liesse sich also formulieren, dass das Anlie-
gen darin besteht, die Bilder der Dritten Sei-
te des Spiegels ins Feld der Politik und des
Politischen einzuspeisen. Dies ist als eine Static
Conditions
doppelte Herausforderung zu verstehen.
Zum einen geht es darum, vermittels dieser
Bilder die gesellschaftlich etablierten Anta-
gonismen durch Fluchtlinien zu irritieren.

A Portfolio
Diese stellen entweder unerwartete Verbin-
dungen zwischen den antagonistischen Posi-
tionen her – seien diese durch Begehren oder
durch Vereinnahmung bedingt – oder sie
lenken die Bewegungsrichtung der antago-
nistischen Kräfte ab («di≠raction rather than
reflection», wie Donna Haraway empfiehlt).
Um einen politischen Kampfplatz herum,
der ursprünglich durch eine Polarisierung
zweier Kräfte gekennzeichnet ist, entsteht
somit ein Netz von Bewegungen, die diese
Kräfte umlenken, auf sich selbst zurückver-
Antke weisen oder gewollte oder verhasste Bünd-
Engel
nisse zwischen Macht und Widerstand eröff-
105 nen. Die Potentialität, die sich aus der Un- Following pages:

Zwei
möglichkeit der Schliessung ergibt, bedeutet Defamiliarizing Tactics, Twice
also für eine Politik der Zwei, die den Anta- (2009–2010)
Diptych, two framed pigment
gonismus als Kluft, als unentscheidbaren prints on 210 gr. Canon Fine Art
Aufschub zwischen Einheit und Vielheit Premium paper, subsequently
folded, mounts
fasst, dass Fluchtlinien entstehen, auf denen 37 x 29 cm (each paper size),
Begehren reisen kann, so dass Andere de_ 54 x 64 cm (each frame size)
Anderen einander begegnen. Plate (Kids) (2001)
Diptych, 2 aluminium plates,
2 c-print divided in two parts,
plexi glass
Each panel 90 x 128 cm
How can I / Make it right, March–
August 2005 (2005)
Time-based text work
(6 months), diptych, pencil on
paper, wooden frames
Each 37 x 49 cm (including frame)
WHETHER IT HAS EVER COME
SI CELA ARRIVA JAMAIS
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Ich möchte im Folgenden vor allem darlegen, war- Der vorliegende Text
um ich den ursprünglich geplanten Text über basiert auf einem
­Vortrag, der im Rahmen
Ruth Sonderegger Rancières politische Theorie der Gleichheit nicht der Camille Graeser

Einheit,
geschrieben habe, zumindest nicht in der zuerst in Lectures 2010 am
Kunsthistorischen
Aussicht genommenen Form. ­Institut der Universität
In ihrem Exposé schreiben Markus Klam- Zürich gehalten wurde.

Zweiheit, (Un-) mer und Stefan Neuner ein paar Sätze, die sich
meinen anfänglichen Überlegungen hartnäckig in
1 - Markus Klammer /
Stefan Neuner,

Gleichheit
den Weg gestellt haben: «Die Figur der Zwei.
Exposé», in diesem
Heft, S. 19.
«Die Wurzel des griechischen Wortes für Zwei, δύο,

Blinde Flecken ist die gleiche wie die der Furcht (δείδω) und des
Schreckenerregenden (δεινός). Massimo Cacciari,
der auf diesen Umstand hingewiesen hat, lokalisiert

– nicht nur den Ursprung der Geste der philosophischen


Reflexion in jenem Moment, in dem sich die Welt

bei Rancière
(der Griechen) für immer in zwei Teile aufgespalten
hat, und die Figur der anderen als schreckenerregen-
de am Horizont aufgetaucht ist, als die persische
Expansion in die Ägäis hinauszugreifen begann.
Dem Denken der Einheit, welche die Philosophie
jetzt hinter diese Spaltung zurückzuprojizieren
beginnt, bleibt in dem Maße eine Tendenz der
Gewaltsamkeit eingeschrieben, als sie das Eigene
und das Andere, das Eine und das Viele als eine
dichotomische Entgegensetzung begreift. Für die
abendländische Tradition, die – wenn man hier folgt
– in einer gewalttätigen Konfrontation (der Grie-
chen mit den Persern) wurzelte, bleibt jedenfalls
charakteristisch, dem anderen eine absolute
Di≠erenz zu unterstellen, die entweder mit parano-
ider Faszination betrachtet wird oder das aggressive
Bestreben hervorruft, sie auszulöschen.» 1

112
Damit ist der Ursprung des abendländischen
Denkens unmissverständlich in einer gewalttäti-
gen Konfrontation lokalisiert. Diese Konfrontati-
on war mir – sicher nicht zuletzt als Philosophin –
o≠enbar unangenehm. Ich habe es daran gemerkt,
dass ich in der Beschäftigung mit der Figur der
Zwei nach immer neuen Ansätzen in der Philoso-
phiegeschichte gesucht habe, die ein solches ge-
waltsam dichotomisches Denken (bzw. Handeln)
zumindest temporär unterbrechen, grundsätzlich
unterlaufen oder jedenfalls produktiv verkompli-
zieren. Denn wäre dem und der Anderen qua
Denken tatsächlich «eine absolute Di≠erenz zu
unterstellen, die entweder mit paranoider Faszi-
nation betrachtet wird oder das aggressive Bestre-
ben hervorruft, sie auszulöschen», dann wollte
man wohl kaum mehr ein denkendes Wesen sein.
Zum Glück gibt es in der abendländischen Philo-
sophiegeschichte viele Vorschläge, die Auswege
versprechen: etwa die Tradition des universalisti-
schen Denkens; ein Denken, das von Anfang an
mit Überschüssen umgehen musste, die alle Räu-
me, Zeiten und Grenzen zwischen uns und den
anderen transzendieren, noch lange bevor es die
Idee der Menschenrechte gab. Ein anderes Bei-
spiel wäre Georg Wilhelm Friedrich Hegels Vor-
schlag, die Relation ­zwischen mir und der Ande-
ren als ein Anerkennungsverhältnis zu denken, in
dem Platz für Einheit und Di≠erenz ist. Eine wei-
tere Alternative stellt der von Johann Gottlieb
Fichte inspirierte Versuch einiger Frühromantiker
dar, Beziehungen als ein unendliches Schweben
zwischen zwei Polen zu entwerfen oder sie nach sondern Hierarchien. Auf der Suche nach Einheit 2 - Vgl. Theodor
dem Modell der Ellipse zu denken, die bekannt- produzieren wir eine hierarchische Zweiheit. Oder W. Adorno / Max
Horkheimer,
lich zwei Brennpunkte hat. Da wäre auch noch das genauer gesagt: Diese Zweiheit reproduziert sich ­Dialektik der Auf-
dialogische oder gar polylogische Denken von Pla- durch die Logik binärer Zeichensysteme selbst, klärung. Philoso­
phische Fragmente,
ton über Martin Buber und Hans-Georg Gadamer und zwar so, dass jeweils ein Teil von zweien als Frankfurt a. M.
bis zu Michail M. Bachtin oder Jürgen Habermas. der schlechtere erscheint und dann mit gutem 1986.
Vermutlich ist Ihnen diese Beispielreihe Gewissen untergeordnet oder ausgeschlossen 3 - Vgl. Theodor W.
nicht ganz geheuer – zumal wenn Sie mit post- werden kann. Wie bei Adorno kann dieser Gewalt- Adorno, Negative
strukturalistischen und dekonstruktiven Einwän- samkeit auch Derrida zufolge immer nur ex post Dialektik, Frankfurt
a. M. 1966.
den gegenüber nur scheinbar gewaltlosen Zweier- begegnet werden – nachdem sie schon passiert ist
Beziehungen vertraut sind. Diese jüngeren Ein- und gehandelt wurde. 4 - Vgl. insbesondere
Jacques Derrida,
wände sind genauso ernst zu nehmen wie etwa Wenn es einen Unterschied zwischen Der- Grammatologie,
Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dia- rida und Adorno gibt, dann ist es in meinen Augen Frankfurt a. M.
lektik der Aufklärung, der es schon 1944 um den der, dass bei Derrida per definitionem kein Weg 1983.

Nachweis ging, dass es eine Identitätsfindung – aus der abendländisch gewaltsamen Kette von
oder eher Identitätsbehauptung – ohne die Ge- Supplementen für eine so unau∞ndbare wie ein-
waltsamkeit der Zwei nicht gibt. 2 Jede Identitäts- zigartige Identität hinaus führt. 4 Es gibt kein
konstruktion – sei sie nun bezogen auf ein Ich, ein Aussen zu dieser Supplementlogik, die Derrida
Du oder einen Gegenstand – müsse so viel von je- auch als die Logik der Zeichen, des Textes und der
dem singulären Phänomen abschneiden, dass abendländischen Metaphysik bezeichnet. Adorno
zusammen mit der Identität das aus ihr Ausge- hingegen will die Ho≠nung auf eine Alternative
schiedene – der Abfall sozusagen – als das Andere nicht aufgeben. Andernfalls habe man sich damit
des Identischen mitproduziert werde. Dieses Zwei- abgefunden oder gar zu einer ontologischen
te, das Abfallprodukt der Identität, wird dann so Struktur verklärt, dass Identifizieren im Denken
sehr gehasst wie begehrt. Es ist verboten und ver- und Handeln mit einer Gewalt einhergeht, die
heisst doch alles, was man im identitären Leben man nur nachträglich reflektieren kann.
nicht bekommt. So meinte Adorno auch, es mache einen
Dass Adorno und Horkheimer diese Theo- riesigen Unterschied, ob die Gewalt des Identifi-
rie des identifizierenden Denkens im Exil und im zierens reflexiv erinnert oder einfach sich selbst
Angesicht des Holocaust entwickelt haben, ist überlassen wird. Zumindest zukünftigen Genera-
Ruth nicht unwichtig mitzudenken. Denn es erhellt tionen wird mit dieser Reflexion nämlich der Tür-
Sonderegger
schlagartig, wie weit entfernt ihre Überlegungen spalt zwischen dem status quo und einem Zustand,
113 von abstrakten Spekulationen sind. Aus dieser der so anders wäre, dass das Nichtidentische Platz
Einheit,
Zeitgebundenheit darf man aber nicht schliessen, bekäme, o≠engehalten. Damit bleibt auch jene
Zweiheit, (Un-)
Gleichheit
dass Adorno und Horkheimer ihre negative Iden- Di≠erenz zwischen Sein und Anderssein erhalten,
titätstheorie für die Zeit eines Unfalls oder Ex­- die Kritik ermöglicht. So gibt es bei Adorno durch-
tremfalls entwickelt hätten. Sie betonen vielmehr, aus etwas in unsere Verantwortung Gelegtes, das
dass der Holocaust eine lange (Vor-)Geschichte nicht ontologisch notwendig passiert. In Bezug auf
habe und nichts wahrscheinlicher sei als seine Derrida scheint mir eine solche ethisch-politische
Fortsetzung. Einen wirklichen Ausweg aus diesem Sinnhaftigkeit der Auseinandersetzung mit jener
Zwangszusammenhang gibt es Adorno und Hork- Zwei, die immer schon da zu sein scheint, wenn
heimer zufolge vorerst nicht. man Eins will, viel schwieriger zu verteidigen.
Das einzige, was jener behutsamen, aber Denn bei Derrida ist die supplementäre Gewalt
beharrlichen Reflexion, die Adorno später als der Zwei von einer historischen zu einer ontologi-
«negative Dialektik» entwickelt, 3 bleibt, besteht schen Struktur geworden, zu der ein Aussen weder
darin, nachträglich selbstreflexiv das Unrecht zu gedacht noch erho≠t werden kann. Es gibt nur das
thematisieren, welches Denken fortlaufend verur- nachträgliche Trauern.
sacht. In grösster Perversion zeigt sich die immer Adornos negative Dialektik oder Derridas
zu spät kommende Reflexion auf die Gewalt von Theorie der Supplementaritätslogik sind selbstre-
Identitätsbehauptungen heute wohl in bestimm- dend nicht die einzigen Entwürfe, der abendlän-
ten Formaten der Kriegsberichterstattung. Ich dischen Gewalt im Aufteilen zwischen dem Eige-
meine jene Nachrichtensendungen, die zuerst die nen und dem Fremden eine Alternative entgegen
Handlungen und Folgen kriegerischer Vernich- zu halten. Im schon zitierten Text von Klammer
tung zeigen, die nächsten Sekunden aber schon und Neuner wird beispielsweise auch Leo Bersa-
den Gesprächen jener staats- oder staatenlos nis Theorie einer Identitätskonstruktion nach
gewordenen Oberhäupter widmen, die sich bereits dem Modell der homoerotischen Liebe genannt;
Gedanken über den Wiederaufbau machen und einer Liebe zwischen Gleichen, aus der sich mög-
über Versöhnungsprogramme nachdenken, wäh- licherweise auch allgemeinere nicht-repressive
rend im Hintergrund weiter gemordet wird. Vorstellungen von Gleichheit entwickeln lassen
Die Nähe von Adornos Überlegungen zu könnten.
denen Jacques Derridas ist evident. Wie Adorno Wenn es um Alternativen zur Gewalt der
weist auch Derrida darauf hin, dass Identitäts­ Zwei geht, wären auch all jene Philosophien zu
denken als Reaktion auf sein Scheitern immer nennen, die so über das Subjekt hinaus denken,
neue Oppositionen produziert; Oppositionen, die dass es verschwindet, zumindest in den uns geläu-
keine Paare aus gleichberechtigten Partnern sind, figen Formen: sei es in einem Schwarm, in der
Multitude, in Kräfteparallelogrammen der Macht, führt am Ende des Buches auch zum bekannten 5 - Massimo ­Cacciari,
in einem Körper ohne Organe, wobei letzterer gar Paradox: Das aus dem Wesen des europäischen Gewalt und Har­
monie. Geo-Philo-
nicht weit von Adornos Utopie des Nichtidenti- Denkens abgeleitete Plädoyer für das Zulassen sophie Europas,
schen entfernt ist. All diese Entwürfe scheinen das von Andersheit und Vielstimmigkeit schliesst das ­Günter Memmert
(Übers.), Mün-
verlogene Identitätsversprechen der okzidentalen Andere durch die Superioritätsbehauptung auch chen / Wien 1995.
Philosophie so grundsätzlich zu unterlaufen, dass schon wieder aus. Das Fazit lautet: Lieber am
6 - Ebd., S. 172.
man meinen könnte, es gäbe zumindest denkbare eigenen Wesen zugrunde gehen als in Erwägung
Alternativen zur repressiven Figur der Zwei. ziehen, dass Einzigartiges, ja Wahrheit auch von 7 - Gayatri Chakra-
vorty Spivak, Can
Der Grund, warum ich mich auf keine der anderen kommen könnte. the Subaltern
genannten Alternativen unversehens stürzen Das Erstaunliche an Cacciaris Abhandlung Speak? Postkoloni-
alität und subalterne
möchte, ist nicht so sehr die Befürchtung, dass sie über das agonale Wesen Europas besteht darin, Artikula­tion, Wien
sich als ebenso gewalt-kontaminiert herausstellen dass sie das Kolonialisierende im europäischen 2008, S. 64; in der
könnten wie alles andere, was die abendländische Denken der Zwei permanent ausblendet und doch ­englischen Origi-
nalfassung: «Can
Philosophie bislang hervorgebracht hat. Je mehr fast mitartikuliert. Ich glaube, es war dieses Sagen the Subaltern
sich diese Tradition unter dem Fokus oder viel- im Nichtsagen, welches mich immer mehr davon Speak?», in: Cary
leicht besser: unter dem Vergrösserungsglas der überzeugt hat, dass man über die Figur der Zwei Nelson / Lawrence
Grossberg (Hgg.),
Zwei als ein Verblendungszusammenhang erweist, nicht sprechen kann, ohne zumindest anzufan- Marxism and the
desto naheliegender scheint es, eine ganz andere gen, ihre Verstrickung in den Imperialismus und Interpretation of
Culture, Chicago /
Richtung einzuschlagen; nämlich solchen Positi- Kolonialismus zum Thema zu machen. Bei der Urbana 1988, S. 291.
onen den Vortritt zu lassen, die sich in einem – Lektüre von Cacciari, aber auch in Bezug auf Jac-
8 - Von den in der west-
wenn auch halb eingeschlossenen – Aussen zur ques Rancières politische Theorie der Gleichheit, lichen Welt entwi-
europäischen und der darauf aufbauenden nord- auf die ich zurückkommen werde, habe ich mich ckelten postcolonial
amerikanischen Philosophie befinden. Ich meine an das erinnert gefühlt, was Gayatri Chakravorty studies unterschei-
den sich Theorien
die Positionen der ehemals oder noch immer Kolo- Spivak insbesondere Michel Foucault, letztlich der Dekolonialität
nisierten. aber auch anderen poststrukturalistischen Den- vor allem da­durch,
dass sie meistens
Auf die Problematik des Kolonialismus in kern zum Vorwurf macht: Indem diese Theoreti- in den ehemaligen
der Figur der Zwei hat mich absurderweise zu- ker Strukturen der Macht und Repression in Kolonien Europas
nächst einmal Massimo Cacciaris eingangs er- Bezug auf den immer gleichen westlichen Teil der entwickelt wurden
und in jedem Fall
wähntes Buch gebracht, das den aufschlussrei- Welt analysieren, suggerieren sie, es gäbe solche die dortigen politi-
chen Titel Gewalt und Harmonie. Geo-Philosophie Strukturen anderswo nicht, zumindest nicht in schen und intellek-
Europas trägt. 5 Cacciaris Europamanifest betont, einer der Analyse und Kritik würdigen Form. Das tuellen Erfahrungen
zum Ausgangs-
dass die Gewalt der Zwei im Krieg zwischen den ist Spivak zufolge keineswegs so selbstkritisch wie punkt machen,
Griechen und den Persern beginnt und dass in es auf den ersten Blick scheint. Es bedeutet viel- vgl. u. a. Ngũgĩ wa 114
diesem Krieg das Schicksal Europas entschieden Thiong’o, Decoloni-
mehr, dass die Verstrickung der eigenen mit der sing the Mind, Lon-
sowie sein Erbe bestimmt wird. Dieses Erbe ignorierten Welt ausgeblendet wird. So schreibt don u. a. 1986; Aní-
heisst: o≠ene Agonalität, Kampf und Vielstim- Spivak über Foucault: bal Quijano, «Colo-
niality and Moder-
migkeit. Es ist ein Erbe, welches es gegen alle nity / Rationality»,
«senile Toleranz» und das Harmoniedenken im «Manchmal hat es den Anschein, als ob gerade die in: Cultural Studies,
heutigen Europa wieder zu entdecken gilt – auf Brillanz von Foucaults Analyse der Jahrhunderte des 21, 2/3, 2007, S. 168–
178; Walter D. Mig-
die Gefahr hin, dass Europa den o≠en ausgetrage- europäischen Imperialismus eine Miniaturversion nolo, «The Geopoli-
nen Kampf nicht überlebt. Die letzten, nicht dieses heterogenen Phänomens [einer gezügelten tics of Knowledge
unkitschigen Sätze des Buches lauten: Version des Westens aufzusitzen / ‹to buy a self-con- and the Colonial
Difference»,
tained version of the West›, R. S.] produzieren wür-
in: The South Atlan-
«Europa will seine Erfüllung nicht, das heißt, es will de: Organisation von Raum – aber durch Ärzte; Ent- tic Quarterly, 101, 1,
sich selber nicht […]. Es fürchtet den Untergang, wicklung von Verwaltungsapparaten – aber in Irren- 2002, S. 57–94;
anstalten; Überlegungen zur Peripherie – aber in Walter D. Mignolo,
fasst ihn als bloßes unvermitteltes Schicksal auf, als «Grenzdenken und
Produkt äußerer Kräfte, anstatt sich als untergehend Bezug auf Geisteskranke, Gefängnisinsassen und
die dekolo­niale
zu wollen. Dabei ist das die einzige, wahre Entschei- Kinder. Die Klinik, die Irrenanstalt, das Gefängnis, Option. Über das
dung, die das Zeitalter von ihm fordert. Der Unter- die Universität – sie alle scheinen Deckkategorien zu Projekt Moderni-
sein, die eine Beschäftigung mit den größeren Nar- tät / Kolonialität /
gang bedeutet nicht ein Sichlosreißen von sich sel- Dekolonialität», in:
ber, sondern ein Sichzuwenden zum eigenen Grund, rativen des Imperialismus verhindern. (Eine ähnli-
Bildpunkt. Zeit-
um dort dem Letzten zu gehorchen, […]. Ist dies che Diskussion könnte bezüglich des Furcht erregen- schrift der IG Bilden-
das Unmögliche Europas? Das, was man nie für den Motivs der ‹Deterritorialisierung› bei Deleu- den Kunst, Winter
ze und Guattari erö≠net werden.)» 7 2009/2010, S. 4–7,
möglich gehalten hat? Doch diese Unmöglichkeit Marina Gržinić,
ist seine einzige Zukunft.» 6 «De-Coloniality.
Spivak zufolge sind Foucaults Kategorien durch- De-linking Episte-
mology from Capi-
Cacciaris Europamanifest legt schon im Untertitel aus hilfreich, um bestimmte Krisen des Westens tal and Pluri-Versa-
o≠en, dass es von Geopolitik handelt: von der Aus- zu analysieren, aber sie verdecken den Zusam- tilty – a Conversati-
zeichnung und Abgrenzung des europäischen Den- menhang dieser Krisen mit dem Imperialismus on with Walter Mig-
nolo» (3 Teile), in:
kens. Dieses Denken habe eine agonale Logik her- und Kolonialismus desselben Westens. Sie sind Reartikulacija, 4, 5
vorgebracht, die so einzigartig und o≠enbar auch Deckkategorien. u. 6, http://www.
reartikulacija.
die einzig wahre ist, dass Europa bei der Verwirkli- In Fortsetzung dieser Überlegung von Spi- org/?p=196; http://
chung seines besonderen Wesens auch untergehen vak könnte man sagen, dass die okzidentalen phi- www.reartikulacija.
darf bzw. soll. Mit dieser Wesensbehauptung ist losophischen Debatten über Identität, Di≠erenz org/?p=157; http://
www.reartikulacija.
nicht nur allen anderen Denktraditionen abge- und Zweiheit nichts anderes als weitere Deckka- org/?p=114 (5. Sep-
sprochen, dass sie ähnlich radikal agonal sind. Sie tegorien produzieren; und zwar auch dort, wo sie tember 2010).
die Zwei zugunsten einer Einheit unterlaufen. sprechenden Wesen – doch immer vorausgesetzt, 9 - Vgl. z. B. Nelson
Oder wo die Zwei im Namen der Vervielfältigung auch im Ausschliessen. Wem befohlen wird, dem Maldonado-Torres,
«The Topology and
von Di≠erenzen, der Unzählbarkeit, einer Netz- wird zugleich zugesprochen, dass sie versteht; und the Geopolitics of
oder Rhizomstruktur etc. nach oben hin über- zwar genauso versteht wie diejenige, die anscha≠t. Knowledge. Moder-
nity, Empire, Colo-
schritten wird, ohne auf die koloniale Matrix der So wird selbst im Ausschluss die Gleichheit der niality», in: City, 8,
abendländischen Zwei einzugehen. Aus der Per­ Ausgesonderten mit den Eingeschlossenen reali- 1, 2004, S. 29–56
spektive der Auseinandersetzung mit dem westli- siert und gleichzeitig negiert. Rancière spricht sowie das Gespräch
zwischen Gržinić
chen Imperialismus und Kolonialismus rückt die hier in bewusst paradoxer Weise auch vom Anteil und Mignolo (wie
Figur der Zwei sogar in die Position einer Art Mas- der an einem Gemeinwesen Anteillosen. Selbst in Anm. 8).
ter- oder Meta-Deckkategorie auf. der Zweiheit ist ein Gemeinsames, das zwischen 10 - Vgl. Jacques Ran-
Darauf haben Theoretiker_innen der ver- sprechenden Wesen nie gänzlich ausgelöscht wer- cière, Das Unver-
schiedensten europäischen Ex-Kolonien in den den kann. nehmen. Politik und
Philosophie,
letzten Jahrzehnten mit der Forderung nach Rancières Hinweise auf die minimale Sym- Richard Steurer
Dekolonialität gerade auch der Theorie reagiert. 8 metrie in Situationen extremer Ungleichbehand- (Übers.), Frankfurt
a. M. 2002, S. 29;
Sie weisen mit diesem Begri≠ auf das Faktum hin, lung ähneln zweifelsohne Habermas’ Argumenten vgl. zum Gleich-
dass wir keineswegs in einem postkolonialen Zeit- für den apriorischen Vorrang des dialogischen, an heitsbegriff auch
alter angekommen sind; dass nach dem formellen Gründen orientierten Handelns vor dem strate- ders., «Les usages
de la démocratie»,
Entlassen vormaliger Kolonien in ihre sogenann- gisch machtbasierten Agieren. Rancière setzt die in: ders., Aux bords
te Freiheit die mentale Dekolonialisierung viel- quasi-transzendentale Gleichheit aber anders ein: du politique, Paris
mehr noch nicht einmal begonnen hat. In Sprache nämlich zur Aktivierung aufständischen Han- 1998, S. 74–111.
und Denken gehe der Kolonialismus unvermin- delns. Im Unterschied zu Habermas geht es Ran- 11 - Diese Aktivität
dert weiter – ganz abgesehen von der wirtschafts- cière nicht darum, die Ungleichbehandler zur steht im Zentrum
von Todd Mays, The
und finanzpolitischen Bevormundung. Und zwar Räson zu rufen oder moralisch zu rügen. Es geht Political Thought of
sowohl in Ansätzen, die ihre Nordamerika- oder ihm nicht um den Beweis, dass ein klein wenig Jacques Rancière.
Creating Equality,
Europa-zentrierten geopolitischen Karten auf den Gleichheit gerade jene anerkennen müssen, ja Edinburgh 2008.
Tisch legen, wie das etwa bei Cacciari der Fall ist, immer schon anerkannt haben, welche die Gleich-
12 - Vgl. Jacques Ran-
als auch bei jenen subjekt- und identitätskriti- heit mit Füssen treten und Händen würgen. Denn cière, «Die
schen poststrukturalistischen Positionen, die ich erstens ändern solche moralischen Argumente Gemeinschaft der
oben als mögliche Auswege aus der fatalen Aus- wenig am Verhalten der derart über sich selbst Gleichen», in:
Joseph Vogl (Hg.),
grenzungslogik der Zwei erwähnt habe. Wo Spi- Belehrten. Und zweitens negieren solche Argu- Gemeinschaften.
Ruth vak die Kritik an Foucault und Gilles Deleuze ins mente, die in erster Instanz jene adressieren, die Positionen zu einer
Sonderegger
Zentrum stellt, haben andere Vertreterinnen der ungleich behandeln, den aktiven Part 11 der Ausge- Philosophie des
Politischen, Frank-
115 Dekolonialität gezeigt, dass Emmanuel Levinas, schlossenen im Herstellen einer Gemeinschaft der furt a. M. 1994,
Einheit,
Alain Badiou, Antonio Negri / Michael Hardt, Sla- Gleichen. 12 S. 101–132.
Zweiheit, (Un-)
Gleichheit
voj Žižek und viele andere mehr von diesem Vor- Dazu, dass sich an faktischen Ungleichbe- 13 - Zur «Aufteilung des
wurf keineswegs ausgenommen werden können. 9 handlungen etwas ändert, bedarf es Rancière Sinnlichen» vgl.
auch Jacques Ran-
Die dekoloniale Kritik zieht auch Rancières zufolge des dissensuellen Handelns der Benach- cière, «Die Auftei-
Gleichheitsdenken in Mitleidenschaft, welches teiligten oder Ausgeschlossenen. Nur ihr Handeln lung des Sinnlichen.
ich ursprünglich ins Zentrum meiner Überlegun- nennt Rancière politisch und stellt es dem soge- Ästhetik und Poli-
tik», in: ders., Die
gen stellen wollte. In vielerlei Hinsicht erscheint nannten polizeilichen Agieren gegenüber, das sich Aufteilung des Sinn-
mir Rancières politische Theorie der Gleichheit auf den jeweils von der Mehrheit getragenen Kon- lichen. Die Politik
zwar noch immer als vielversprechender Versuch, sens samt seinen institutionellen Apparaten beru- der Kunst und ihre
Paradoxien, Maria
die Einsichten des Poststrukturalismus für ein fen kann. Des weiteren behauptet Rancière, dass Muhle (Hg.), dies. /
Denken der Gleichheit (statt der üblichen Di≠e­ politisches Handeln aus Situationen des «Unver- Susanne Leeb /
Jürgen Link
renz) fruchtbar zu machen, ohne diese Gleichheit nehmens» entsteht, womit keine Missverständ- (Übers.), Berlin
so substantiell festzuschreiben, dass sie notwendi- nisse, sondern die Grenze dessen gemeint ist, was 2006, S. 21–73.
gerweise problematische Zweiheiten und Aus- innerhalb einer bestehenden gesellschaftlichen 14 - Jacques Rancière,
schlüsse produziert. Interessanterweise ist es aber Formation – Rancière spricht hier von einer «Auf- Das Unvernehmen
auch im Fall Rancières so, dass die Konfrontation teilung des Sinnlichen» 13 – wahrnehmbar, thema- (wie Anm. 10), S. 9ff.
mit dem Imperialismus und Kolonialismus des tisierbar und damit (ver-)handelbar ist:
Westens die Probleme überdeutlich hervortreten
lässt. Vor diesem Hintergrund möchte ich nun «Das Unvernehmen ist nicht der Konflikt zwischen
versuchen, kurz die Attraktivität von Rancières dem, der weiß und jenem, der schwarz sagt. Es ist
Theorie der Gleichheit im Kontext der Figur der der Konflikt zwischen dem, der ‹weiß› sagt und
Zwei zu skizzieren. Anschliessend soll es um das jenem, der auch ‹weiß› sagt, aber der keineswegs
Unbefriedigende dieser Theorie gehen, welches dasselbe darunter versteht bzw. nicht versteht, dass
gerade dann sofort sichtbar wird, wenn man auch der andere dasselbe unter dem Namen der Weiße
nur die o≠ensichtlichsten Züge kolonialer Ver- sagt. […] Das Unvernehmen betri≠t weniger die
Argumentation als das Argumentierbare […] Die
hältnisse in Erinnerung ruft.
Extremsituation des Unvernehmens ist jene, bei der
Gleichheit kommt bei Rancière in der hy­- X nicht den gemeinsamen Gegenstand sieht, den
briden Form einer Präsupposition, einer notwen- ihm Y präsentiert […].» 14
digen Voraussetzung ins Spiel. 10 Obwohl nur
­selten ausdrücklich anerkannt, wird Gleichheit
Rancière zufolge im menschlichen Handeln – Das in unserem Kontext vielleicht beste Beispiel
d. h. seiner Meinung nach im Handeln zwischen für ein Unvernehmen wäre wohl die Tatsache, dass
viele Repräsentant_innen akademischer Philoso- an Unvernehmen und Abstraktheit verlieren, 15 - Vgl. ebd., S. 61.
phie nicht wahrnehmen können, warum univer- damit aber auch zählbar und verwaltbar werden. 16 - Vgl. ebd., S. 18ff.
sell auftretende Begri≠e wie di≠érance, Zweiheit, (2) Darüber hinaus verknüpft Rancière die Kon-
17 - Ernst Tugendhat
Multitude – aber auch rancièresches Unverneh- frontation zwischen dem dominanten Einen und nennt das die Pers-
men – aus der Perspektive der Dekolonialität ein dem unvernommenen, darum schlechthin Zwei- pektive der Aufklä-
rung, die nichts mit
Problem verdecken und damit intensivieren. ten mit zwei Formen der Unendlichkeit bzw. einer bestimmten
Situationen des Unvernehmens, also Situa­ Unzählbarkeit. Aus der dominanten Perspektive Epoche zu tun habe,
tionen, in denen die eine Seite nicht wahrnimmt, sind die Anderen die Unzählbaren, weil es für den sondern zu jeder
Zeit gegen die Ord-
dass die andere Seite spricht, gibt es zweifellos un- Bereich des Unvernehmens und die Anliegen der nung des Zusam-
überschaubar viele. Damit daraus politisches Han- Unvernommenen (noch) keine Kategorien gibt. 16 menlebens durch
deln wird, muss die Präsupposition der Gleich­heit Eine bestimmte Unendlichkeit, ja prinzipielle Macht und / oder
Abstammung
ins Spiel kommen, und zwar gewissermassen von Universalität spielt aber auch aus der Perspektive gerichtet gewesen
unten. Rancière hebt immer wieder hervor, dass der Unvernommenen eine Rolle: dass sie nämlich sei, vgl. Ernst
politisches Handeln allein von jenen ausgehen ein Anliegen vertreten, zu dem sich unabsehbar Tugendhat, «Der
Ursprung der
kann, die ungleich behandelt oder ausgeschlossen viele (wenngleich faktisch oft wenige) dazuzählen Gleichheit in Recht
werden. Gleichheit ist nichts, was man – sei es als können. Grundsätzlich steht ihr Anliegen all jenen und Moral», in:
ders., Anthropolo-
Gnade oder Gabe – geben bzw. gewähren könnte. o≠en, denen es auf die Gleichheit aller ankommt. 17 gie statt Metaphysik,
Man muss sie nehmen. Denn die, die geben könn- Ich werde darauf zurückkommen, inwiefern die- München 2007,
ten, sehen gar nicht, was sie für sich reservieren ser uneingeschränkte Universalismus entgegen S. 136–155. Ich kann
hier nicht auf das
und anderen verweigern. Die sehr unterschiedli- Rancières apriorischen Beschwörungen immer Problem eingehen,
chen emphatisch politischen Ereignisse, die Ran- wieder neu und auch strategisch in Spiel gebracht dass Rancière poli-
cière diskutiert – etwa die Sezession der Plebejer werden muss. tische Agenten, die
nur für sich selbst
auf dem römischen Aventin oder das Insistieren So verknüpft Rancière nicht nur ein di≠e­ Gleichbehandlung
Saint-Simonistischer Handwerker im Paris der renztheoretisches mit einem universalistisch fordern, die Gleich-
heit aller aber
1830er und 1840er Jahre auf ihrer Anerkennung gleichheitlichen Denken. Seine Theorie des poli- ablehnen (womit
als Literaten und Philosophen – sind immer sol- tisch agonalen Handelns zwischen einem Konsens sich heute insbe-
che, in denen es Anteillosen gelingt, ihre Teilhabe und seiner dissensuellen Herausforderung bindet sondere rechtsra-
dikale Gruppierun-
an der Gemeinschaft der Gleichen so zu beanspru- den agonalen Streit um Gleichheit auch an ein gen hervortun),
chen, dass die Gegenseite den Ausschluss wahrzu- Unzählbares und Unsagbares, welches das Motiv aus dem Bereich
nehmen beginnt und dann auch seine Willkür- des Streits darstellt. So kann man in Bezug auf des Politischen
aus­schließt und
lichkeit zugibt oder gar korrigiert. Rancière von einer Verschränkung zwischen Ein- eigentlich über-
Das setzt voraus, dass es den aus einer be­- heit als Gleichheit, Zweiheit und Unzählbarkeit haupt keinen Ort
für sie hat; so als
stimmten Einteilung des Sinnlichen Ausgeschlos- sprechen. Die immer wieder notwendige Über- gäbe es derartige
116
senen gelingt, ihren Forderungen eine «Bühne» schreitung der Zwei nach unten, zur einen Gleich- Phänomene gar
zu scha≠en; 15 eine Bühne, auf der sie sich mit den- heit, und nach oben, zur Unzählbarkeit, ist dabei nicht.
jenigen tre≠en und auseinandersetzen können, als ein unabschliessbarer Prozess zu denken. 18 - Vgl. dazu z. B.
die gar nicht gemerkt haben, was und wie sie aus- Ich kann hier nicht auf die Kritik eingehen, Friedrich Balke,
«Einleitung. Die
schliessen und ungleich behandeln. Mit der Meta- die beispielsweise an Rancières Stilisierung einer große Hymne an
pher der Bühne hebt Rancière die im weitesten strikten Opposition zwischen den Vertreter_ die kleinen Dinge.
Sinn ästhetischen Momente der Verhandlung zwi- innen einer bestimmten polizeilichen Ordnung, Jacques Rancière
und die Aporien
schen den Repräsentant_innen einer konsensuel- d. h. der Aufteilung des Sinnlichen einerseits und des ästhetischen
len Einteilung des Sinnlichen und jenen, die Dis- den von ihr Ausgeschlossenen andererseits geübt Regimes», in:
Ästhetische Regime
sens anmelden, hervor. Er betont damit, dass die worden ist. 18 Ich will mich auf jene Probleme kon- um 1800, ders. u. a.
Einteilungen, die dem Ein- bzw. Ausschluss zu- zentrieren, die ins Auge stechen, wenn man Ran- (Hgg.), München
grunde liegen, meist nicht ausgesprochen werden, cières Theorie des Unvernehmens unter der Pers- 2009, S. 9–36.
sondern sich in habituellen Handlungs- und pektive der kolonialen Frage betrachtet. Dann 19 - Vgl. Ruth Sonder­
Wahrnehmungsmustern verbergen. Demonstrie- fällt einmal mehr eine Deckkategorie auf. Genau- egger, «What one
does (not) hear.
ren, markieren und entnaturalisieren kann man er gesagt: Das Konzept des Unvernehmens, mit Approaching can-
sie nur dadurch, dass man sie sinnlich erfahrbar dem Rancière bis zur Unsichtbarkeit gehende ned voices through
macht. Über diese Muster zu argumentieren hilft Ausgrenzungen thematisiert, ohne dass an irgend- Rancière», in:
What we see.
hingegen gewöhnlich nicht weiter und ist oft auch einer Stelle die imperiale und koloniale Seite der- Reconsidering an
gar nicht möglich, weil die entsprechenden Be- jenigen Kultur zur Sprache käme, der er seine Bei- Anthropometric
Collection and its
gri≠e fehlen. spiele entnimmt, wird als Deckkategorie sichtbar. Representational
Im Blick auf die eingangs skizzierte Pro­ Das heisst nicht, dass man nicht gerade auch die Claims by Means
blematik der Zwei ist Rancières Theorie des poli- Kategorie des Unvernehmens benutzen kann, um of Listening to its
Recorded Voices,
tischen Handelns im Namen der Gleichheit in koloniale Praktiken und Widerstand dagegen zu Anette Hoffmann
mehreren Hinsichten interessant: (1) Zunächst artikulieren. 19 Nichtsdestotrotz bestätigt sich an (Hg.), Basel 2009,
einmal deshalb, weil es ihm um eine Gleichheit Rancière Spivaks Hypothese, dass noch die di≠e­ S. 65–91.
geht, die nur aus der Position der Ausgeschlosse- renztheoretischsten und machtbewusstesten The-
nen, Anderen, Zweiten reklamiert und erstritten orien imperialistische Muster wiederholen und
werden kann. Das ist ihre handlungstheoretische bestärken, nicht zuletzt weil sie diese Muster un-
Bürde, aber auch ihr erkenntnistheoretischer Vor- kenntlich machen, indem sie nur von der westli-
sprung. Je erfolgreicher der Streit der Unvernom- chen Welt handeln. Sie sprechen von universellen
menen für die Gleichbehandlung verläuft, desto Strukturen (etwa der Ausgrenzung), thematisie-
mehr werden sie auch für die dominante Position ren bestimmte, zumal die mit dem Imperialismus
des Westens verbundenen Ausgrenzungen jedoch Unverhältnisse zu behaupten, prinzipiell hätten 20 - Auch direkt ­darauf
fast nie. 20 auch die Sklavenhändler die Sklaven (ein klein angesprochen will
Rancière sich auf
Hinzu kommt, dass Rancière davon aus- wenig) als gleiche anerkannt, sofern sie ihnen die post- oder
geht, dass die wie auch immer brutal Ausgegrenz- Befehle gaben und davon ausgingen, verstanden ­de-koloniale Her-
ausforderung nicht
ten für sich selbst sprechen können – genauso wie zu werden, ist zynisch. Einmal ganz abgesehen einlassen, vgl.
auch Deleuze und Foucault in jenem Gespräch, davon, dass gar nicht immer Befehle gegeben, Sudeep Dasgupta,
das Spivak in ihrem Aufsatz Can the Subaltern sondern Menschen einfach kaltschnäuzig ermor- «Art is going else-
where. And politics
Speak? zum Ausgangspunkt nimmt, behaupten, det oder dem sicheren Tod durch Krankheiten, has to catch it.
dass es «nichtswürdig» sei, sich herauszunehmen, Verhungern oder Verdursten ausgesetzt wurden. An Interview with
für andere zu sprechen. 21 Dem hält Spivak erstens Aber all das kommt in Rancières Texten Jacques Rancière»,
in: Krisis, 1, 2008,
entgegen, dass Foucault und Deleuze der edelmü- nicht vor. Er analysiert politische Szenarien – http://www.krisis.eu/
tigen These zum Trotz ständig über die unter- ­seien es die Plebejer auf dem römischen Aventin, content/2008-1/
2008-1-09-
drückten Arbeiter oder genauer «den» Arbeiter die Pariser Proletarier der 1840er Jahre oder die dasgupta.pdf (5.
sprechen würden statt mit ihnen. Sie zeigt zwei- Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht –, in September 2010).
tens, dass es insbesondere im kolonialen Kontext denen es um das Erfahrbarmachen eines Unver- 21 - Vgl. Michel Fou-
unendlich viele Situationen gibt, in denen vor nehmens in einem zwar nur beschränkt gleich- cault, «Die Intellek-
allem weibliche Subalterne nicht einfach sagen heitlichen, aber grundsätzlich die Gleichheitsidee tuellen und die
Macht (Gespräch
können, dass und wovon sie unterdrückt sind. anerkennenden Kontext geht. Koloniale Szenari- mit G. Deleuze; 4.
Denn sie sind von multiplen Formen des Unver- en spielen sich demgegenüber häufig in einem März 1972)», in:
nehmens geradezu umstellt. vollkommenen Gleichheitsvakuum ab. Wenn hier ders., Dits et Ecrits.
Schriften, 4 Bde.,
Rancière kann man zwar nicht vorwerfen, ein spezifisches und lokales Unvernehmen gel- Frankfurt a. M.
er habe nur über unvernommene Subjekte und tend gemacht wird, muss zugleich damit auch für 2002, Bd. 2, S. 385.
Gemeinschaften gesprochen, zumal er dieses Pro- die allgemeine, ja universelle Respektierung des 22 - Vgl. bes. Jacques
blem unablässig reflektiert und oftmals die Stim- Gleichheitsprinzips gekämpft und müssen Insti- Ranciere, La nuit
des prolétaires.
men und Handlungen von Ausgegrenzten durch tutionen gefordert werden, die das politische Ver- Archives du rêve
die Verö≠entlichung ihrer Schriften so wahr- handeln von Einteilungen des Sinnlichen über- ouvrier, Paris 1981;
nehmbar gemacht hat, dass sie mit eigenen Wor- haupt erst möglich machen. Im Gegensatz zu den Jacques Rancière
(Hg.), Louis-Gabriel
ten sprechen können. 22 Spivaksche Zweifel an von Rancière diskutierten Szenarien muss also Gauny. Le philo­sophe
Rancières Optimismus in Bezug auf die prinzipi- mindestens die doppelte Arbeit erbracht werden plébéien, Vincennes
elle Widerständigkeit der Unvernommenen sind – üblicherweise unter Lebensgefahr, so dass die 1985; Jacques
Rancière, Der un­-
Ruth aber umso ernster zu nehmen, zumal sich dieser als empowerment gemeinte Präsupposition der wissende Lehrmeis-
Sonderegger
Optimismus bei Rancière manchmal fast wie ein Gleichheit aberwitzig zynisch wird. ter. Fünf Lektionen
über die intellek­
117 Imperativ anhört. Er betri≠t den Kern von Ran- Daher macht gerade die koloniale Situati- tuelle Emanzipation,
Einheit,
cières politischer Theorie der Gleichheit, die on und die sie kennzeichnende Schwierigkeit, ja Richard Steurer
Zweiheit, (Un-)
Gleichheit
besagt, dass Widerstand prinzipiell immer und oft Unmöglichkeit, eine Bühne für das Verhan- (Übers.), Wien 2007.
überall möglich ist – eben weil die Präsupposition deln zwischen Polizei und Politik zu bauen, deut- 23 - In diese Richtung
der Gleichheit auch durch krasseste Missachtung lich, dass die Präsupposition der Gleichheit ent- argumentiert
Rancière in: «Who
nicht ausser Kraft gesetzt werden kann. weder, wie gerade hervorgehoben, zynisch ist oder Is the Subject of the
Zweifel an dieser Präsupposition werden trivial und dass politisch aus ihr wenig bis nichts Rights of Man?»,
insbesondere dann sofort laut, wenn man im Licht folgt; oder dass man sie anders als transzendental in: The South Atlantic
Quarterly, 103, 2/3,
des europäischen Kolonialismus und Imperialis- verstehen muss. Trivial ist die Präsupposition, so- 2004, S. 297–310.
mus nach der Gleichheit fragt. Selbst die ober­- fern sie nur besagt, dass, wer über den Begri≠ der
flächlichste Erinnerung an die Entwürdigung und Ungleichheit verfügt bzw. danach handelt, auch
Vernichtung von Millionen und Abermillionen den Begri≠ der Gleichheit kennt, weil die beiden
Menschen im Zug der imperialen und kolonialen Begri≠e einander di≠erentiell bestimmen. Das gilt
Bestrebungen Europas muss einen stutzig machen: sicher für die so genannten Kolonialherren und
sowohl hinsichtlich Rancières These, dass die ihr bestialisches Handeln; doch diese Hinweise
Gleichheit zwischen Sprechenden von allen sprach­- machen nur deutlich, wie wenig die transzenden-
lichen Wesen zumindest implizit anerkannt wird; tale Präsupposition nützt, wo man sie am drin-
aber auch in Bezug auf seinen Glauben daran, dass gendsten bräuchte.
diese Gleichheit in prinzipiell allen Situationen Manchmal hat es den Anschein, dass Ran-
aktualisiert und für emanzipatorisches Handeln cière mit der Präsupposition der Gleichheit nicht
geltend gemacht werden kann. auf eine transzendentale Gegebenheit zielt, son-
Denn es ist allzu gut dokumentiert, dass dern darauf hinweisen wollte, dass die Welt spä-
selbst Gesellschaften, denen die Gleichheitsidee testens seit der Athenischen Demokratie die Idee
durchaus nicht fremd war, ja Gemeinwesen, die der Gleichheit kennt und politische Kämpfe sich
auf einer Vorstellung gleicher Rechte aufruhten, seither auch dort auf den demokratischen Gleich-
selten Probleme damit hatten, das Reich der heitsgedanken berufen können, wo keine demo-
Gleichheit stark einzuschränken und seine Gren- kratischen Regeln instituiert sind. 23 Dann wäre
zen gut zu bewachen. Als Immanuel Kant den die angeblich «notwendig» vorausgesetzte Gleich-
Gedanken des kategorischen Imperativs entwi- heit nicht qua Sprachfähigkeit gegeben, sondern
ckelte, wonach man Menschen immer nur als eine historisch-politische Errungenschaft, von der
Selbstzweck und nicht als Mittel gebrauchen soll, sich erst noch erweisen muss, ob sie nie mehr in
wurden im europäischen Sklavenhandel Rekord- Vergessenheit geraten kann. Auch unter diesen
gewinne eingefahren. In Bezug auf derartige Umständen bleibt es freilich problematisch zu
behaupten, prinzipiell sei Gleichheit seitens der Argumenten gegen die volle Sprachfähigkeit der 24 - Vgl. dazu auch
Unvernommenen immer und überall aktualisier- Skla­ven auseinander gesetzt hat. 26 Zweitens ma- Nora Sternfeld,
«Wem gehört der
bar. Eine noch schwächere Lesart der Präsup­ chen die erwähnten Gleichheitsforderungen durch Universalismus»,
position der Gleichheit wäre folgende: Entgegen ihre appellative, ja imperativische Form deutlich, in: transveral,
http://translate.
Rancières transzendentaler Redeweise ist die Prä­ dass Gleichheit keine Präsupposition im apriori- eipcp.net/transver-
supposition nur dort wirksam, wo Gleichbehand- schen Sinn ist, sondern immer eine Forderung sal/0607/sternfeld/
lungsregeln nicht nur prinzipiell denkbar, son- und das historische Resultat von Kämpfen bleibt: de#redir (5. Sep-
tember 2010);
dern faktisch institutionalisiert sind, auch wenn sowohl von Kämpfen um die demokratische Insti- sowie Susan Buck-
sie vielleicht kaum ernst genommen werden. Die tutionalisierung des Gleich­heitsprinzips als auch Morss, Hegel, Haiti,
Beispiele Rancières sprechen für das letzte Szena- solcher um die Bestimmung von jenen «allen», and Universal
­History, Pittsburg
rio, stehen dann aber quer zu seiner These, dass die gleich behandelt werden sollen; nicht zuletzt 2009.
Institutionen der Beginn des Endes von politi- auch von Kämpfen um so konkrete Anliegen wie
25 - Vgl. Todd May,
schem Handeln sind und das Gegenteil von eman- etwa das der Befreiung aus der französischen Ko- «The Zapatistas.
zipatorischer Politik verkörpern. lonialherrschaft. In vielen Situationen des Unver- From Identity to
Equality», in: ders.:
Zu dieser Unklarheit in Bezug auf den Sta- nehmens – allen voran in den von Rancière disku- Contemporary Poli-
tus der Präsupposition der Gleichheit gesellen tierten europäischen – wird Gleichheit zwar nicht tical Movements
sich weitere Schwierigkeiten. Etwa das Problem, nur gefordert, sondern ist, wie vorläufig und man- and the Thought of
Jacques Rancière.
dass der rancièreschen verwandte Gleichheits- gelhaft auch immer, schon instituiert, institutio- Equality in Action,
konzeptionen – und hier meine ich Konzeptionen nalisiert und habitualisiert. Doch auch unter sol- Edinburgh 2010,
einer zwar immer nur lokal einklagbaren, aber alle chen Umständen ist die Gleichheit nicht unverlier- S. 97.
Grenzen der Zählbarkeit sprengenden universel- bar, sondern bleibt an ihre Einforderung und 26 - Vgl. Jacques Ran-
len Gleichheit – gerade auch in der kolonialen und Praxis gebunden. cière, Das Unver-
nehmen (wie Anm.
postkolonialen Situation entwickelt, theoretisiert Diesen aktiven, ja aktivistischen Aspekt der 10), S. 14ff.
und praktiziert worden sind. Vor diesem Hinter- Praxis der Gleichheit hat Rancière zwar zu Recht 27 - Badiou wirft Ran-
grund wie selbstverständlich daran festzuhalten, hervorgehoben wie sonst wohl nur Alain Badiou. 27 cière in diesem
dass die Athenische Demokratie und die Franzö- Aber er hat sich kaum Gedanken über jene Unver- Punkt tendenziell
sogar Plagiat vor,
sische Revolution die unzweifelhaften Meilenstei- nommenen gemacht, die sich auf keine institutio- vgl. Alain Badiou,
ne der Gleichheit darstellen, bedeutet einmal nelle Absicherung der Gleichheit verlassen kön- Abrégé de Métapoli-
mehr zu behaupten, dass relevante politische Phi- nen. Noch viel weniger hat er anerkannt, wie fast tique, Paris 1998.
losophie und Praxis nur aus Europa kommen kön- unmöglich es ist, unter solch erniedrigenden, ja
nen. Dabei ist gerade die Französische Revolution wörtlich vernichtenden Umständen an die Gleich- Ruth
Sonderegger
durch die Haitianische Revolution von 1793 in heit zu glauben oder sie gar ästhetisch-strategisch
den Schatten gestellt worden. Denn der Haitiani- so geschickt zu demonstrieren, dass die andere 118
sche Sklavenaufstand mit der Losung «Freiheit Seite sich angesprochen fühlt. Einheit,
für alle» machte unmissverständlich klar, inwie- Zweiheit, (Un-)
Gleichheit
fern jene, die den Kopf des französischen Königs
verlangten, die Sklaverei durchaus nicht aufgeben
wollten. 24 Damit will ich gerade nicht sagen, dass
Rancières Gleichheitskonzept nicht in Frankreich,
sondern im sich von Frankreich befreienden Haiti
zu sich selbst kommt. Das käme mir so problema-
tisch vor wie beispielsweise die gut gemeinte The-
se, die zapatistische Bewegung, die sich um die
Forderung «Alles für alle! Nichts für uns!» kristal-
lisiert, praktiziere den rancièreschen Gleichheits-
begri≠. 25 Denn warum sollte man immer von
einem rancièreschen Gleichheitsbegri≠ ausgehen,
anstatt von einem zapatistischen und seiner Wie-
derkehr bei Rancière zu sprechen?
Nicht zuletzt machen die gerade erwähnten
Gleichheitsforderungen der Haitianischen Revo-
lution sowie der zapatistischen Bewegung zwei
weitere problematische Aspekte von Rancières
Präsupposition der Gleichheit deutlich. Im Gegen-
satz zu Rancières Formulierung des Gleichheits-
prinzips verzichten sie erstens auf jede Beschrän-
kung – auch auf die beschränkende Auszeichnung
der sprechenden Wesen. Damit heben sie die Un-
zählbarkeit der Universalität hervor und verab-
schieden sich von Beschränkungen auf denkende,
sprechende oder sonstwie besondere Subjekte, die
hauptsächlich immer wieder Anlass waren, be-
stimmten Entitäten die Gleichheit abzustreiten.
Das sollte niemand besser als Rancière selbst wis-
sen, der sich in aller Ausführlichkeit mit Aristoteles’
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei

Bettina Carl

Ohne Titel
(Figur der Zwei)
(2010)

119 6 Blätter, Is the same one or two?


Buntstift, Bleistift, Dasselbe ist eins, das Gleiche ist zwei.
Kugelschreiber,
Aquarell, Collage
auf Papier But the figure in the mirror is the same
ca. 35,5 x 29,5 cm, (but)
32 x 24 cm,
27,5 x 21 cm,
29,7 x 21 cm, Einszweidreivierfünfsechssiebenneun: nein.
ca. 28,8 x 21 cm, Acht und Null immerhin: Zahlen wie Körper,
ca. 27,2 x 21 cm
figures eben.

Was wohl die Eins über die Zwei sagen würde,


spräche sie schlecht von ihr oder freundlich?
Die Zwei, die mal Eins war, jetzt verstummt ist,
getilgt in der Zwei, ein grosser Schluck und weg.
Es folgt ein Rülpsen: Wir.

Das Englische und das Im Quechua und in den


Deutsche kennen nur Mayasprachen gibt
ein Pronomen für wir. es diese semantische
Dieses Wir kann den Lücke nicht; das guate-
Adressaten einbeziehen maltekische Mam bei-
oder ausschliessen, spielsweise hat q’o für
so dass die Sprecherin wir, also auch Sie / du,
zunächst offen lassen während q’o-ya für wir,
muss, ob von uns als also Sie / du nicht steht.
einer Einheit die Rede
ist oder ob sie vielmehr
eine Zweiheit markieren
will: das sprechende
Wir und das ausgeson-
derte Gegenüber.
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei

Jürgen Link

Über Zwillings-
geschichten, die
den «Charakter»-­
Interaktionismus
­verweigern
und ­interpersonale ­
Handlungen als
diskursive Ereig-
nisse erzählen Personen in narrative Interak­
tion. Die Psychoanalyse hat dazu
die klassische Theorie entwi-
126

ckelt: Es handle sich um Projek-


tionen verdrängter Anteile des
Elisabeth Frenzel behandelt in ihren Moti- Unbewussten im Ich und die Geschichten
ven der Weltliteratur das «Motiv» der Zwil- spielten die gelingenden bzw. meistens
linge im Lemma «Doppelgänger». 1 Damit scheiternden Versuche des Ich durch, seine
vermengt sie zweierlei Figuren der Zwei, die Identität wiederzugewinnen, das Es ins Ich
die folgende Skizze analytisch zu di≠e­ren­ zu integrieren. Insofern ist das Motiv des
zieren vorschlägt. Das Doppelgängermotiv, Mordes am Doppelgänger zweifellos das am
das in Mythen und Märchen und etwa auch meisten symptomatische: Typischerweise
in deren mittelalterlichen Verarbeitungen erweist sich dieser Mord als Selbstmord – es
vorgegeben ist, erweist sich seit der Roman- ist das Ich, das tot zu Boden sinkt, wobei sich
tik als ein dominantes Faszinosum der mo- also die bloss scheinhafte Autonomie der
dernen Literatur. Es handelt von Identitäts- doppelgängerischen Ich-Abspaltung heraus-
krisen des Ich und von Ichspaltungen: Spie- stellt. Eine zweite weit verbreitete Schluss-
gelbilder, Schatten, Puppen, Porträts usw. formel ist der Wahnsinn, was die Psychoana-
des Ich bzw. mysteriöse spiegelförmige oder lyse für in der zugrunde liegenden realen
schattenhafte Fremde treten dem Ich als psychischen Problematik begründet hält.
scheinbar andere, autonome Personen gegen- Unter den Interaktionen dominiert natürlich
über und treten mit ihm sowie mit weiteren die Liebesverwicklung, häufig als Dreieck mit
dem Doppelgänger. Immer sind die Patholo- Der «Charakter» stellt also, mit Michel Fou-
gien des Spiegelbilds Symptome der Proble- caults Terminus, den Musterfall einer «empi-
matik eines integren und integralen Ich. risch-transzendentalen Dublette» dar. Bei
Nun gibt es auch Zwillingsgeschich- Arthur Schopenhauer heisst die Dublette
ten, deren Grundstruktur eine Spielart der principium individuationis und wird pessi-
Doppelgängergeschichten ist: Darin fungiert mistisch im Sinne eines, empirisch gesehen,
auch das jeweilige Zwillings­ge­schwister als mörderischen Konkurrenzkampfs gedeutet,
Spiegel des Ich, typischerweise als polar defor- dem transzendental ein gespaltener «Wille»
mierendes Spiegelbild, mit dem das Ich einen zugrunde liegt.
mörderischen Konkurrenzkampf ausfechten Wie der «Charakter» empirisch funk-
muss wie in Friedrich Maximilian Klingers tioniert, zeigt am besten die Literatur. Der
Zwillingen. Zu diesem Typ zählen tiefenstruk- literarische «Charakter» stellt eine individu-
turell auch Jean Pauls Flegeljahre, dessen elle Kombination von «Charakterzügen»
Fragmentcharakter die weitere Entwicklung dar. Frauen und Männer des Publikums «le-
der exponierten Polarität und Konkurrenz sen» die «Charaktere» aus den ihnen ent-
zwischen Walt und Vult o≠enlässt. Auch der sprechenden «Handlungen». «Der König
Konkurrenzkampf in Liebe und Opferbereit- hat geweint!» – also hat Philipp im innersten
schaft deutet für den weiteren Verlauf beun- Kern seines «Charakters» die Eigenschaft
ruhigend aggressive Implikationen an. «Herz». Franz Moor quetscht ein Taschen-
Jean Pauls fragmentarisches Meister- tuch vor die Augen, um Tränen zu simulieren
werk erlaubt, die Zwillingsgeschichten der – also hat er keins. In epischen Texten expo-
modernen Literatur tiefenstrukturell zu di≠e­- nieren insbesondere die Kindheitsgeschich-
Jürgen renzieren. Vult und Walt sind zwei (polare) ten die jeweiligen «Charaktere». Im Resultat
Link
«Charaktere» – der eine (grob und mit Schil- sind sie – aus begreiflichen Gründen stärker
127 lers Kategorien) «naiv», der andere «senti- im Drama als im Roman – «geschlossen»,
Über Zwillings­
mentalisch». Mit der Kategorie des «Charak- mit sich «identisch», über die Zeit «stabil».
geschichten ters» ist eine der absolut fundamentalen Als solche treten sie untereinander in Inter-
interdiskursiven Kategorien der okzidenta- aktion, so dass wir es mit «charakter-inter-
len Moderne genannt – fundamental für die aktionistischen» Narrationen zu tun haben.
Philosophie ebenso wie die Psychologie und Im Laufe dieser Narrationen können sie ihre
ganz besonders für die Literatur. Das Wissen «Charaktere» maskieren, können lügenhaft
vom Charakter ist zirkulär: Jede menschliche «falsche» Charaktere simulieren, was dann
Person besitzt einen individuellen Charakter- aber wiederum einem «Charakterzug» ihres
kern, der sie von jeder anderen unterscheidet, Tiefencharakters entspricht; können «le-
sonst ist sie keine gültige Person. Der Charak- bend sich entwickeln» – immer aber im Rah-
terkern ist mit sich identisch und bleibt es men der «geprägten Form».
über die Lebenszeit; er erweist sich bereits in Angewandt auf das Zwillingsmotiv
der Kindheit und muss mithin angeboren sein bedeutet das: Zwei gleiche «Charaktere» in
– was nicht «vererbt» heissen muss: Bei Im- einem Zwillingspaar sind unmöglich, weil
manuel Kant ist der empirische Charakter zwei gleiche «Charaktere» überhaupt unmög-
auf geheimnisvolle Weise vom «intelligiblen», lich sind. Das Zwillingsmotiv ist demnach
also metaphysischen, geprägt. Auch die «in- für die moderne interpersonal-interaktionis-
telligiblen Charaktere» sind indivi­duell, un- tische Literatur eine Art extreme «Versuchsan-
terscheiden sich voneinander, bilden eine Art
1 - Vgl. Elisabeth Frenzel, Motive der Weltliteratur. Ein Lexi-
«Republik» und fallen nicht in einer einzi- kon ­dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, Stuttgart
gen, undi≠erenzierten Gottheit zusammen. 1988, S. 94–113.
ordnung»: Unter dem Schein der äusseren je individuellen Kombinationen isolierbarer
Identität gilt es die wesenhafte Di≠erenz der «Charakterzüge» musste in der anthropolo-
«Charaktere» zu erzählen. Überall, wo Zwil- gischen Physiologie und Psychologie die Spe-
lingsgeschichten sich als Spielarten der kulation über die Vererbung solcher «Cha-
modernen Doppelgängerproblematik her- rakterzüge» stimulieren. Ein Phänomen wie
ausstellen, entsteht also jener E≠ekt einer Johann Caspar Lavaters Physiognomik war
(ironischerweise doppeldeutig) schwindel- symptomatisch für diese Zusammenhänge:
erregenden «Charakter-Tiefe», 2 der das Rät- Noch vor jeder humangenetischen Fassung
sel der Subjektidentität gleichermassen des Problems wurde dabei die Individualität
beschwört wie als solches zu einem positiven des Gesichts fest mit der angenommenen
Mysterium hypostasiert. Identität des «Charakters» verlötet: Das
Ganz anders die genuin komischen «Tiefen»-Gesicht als «Antlitz» galt als «Aus-
Zwillingsgeschichten seit Plautus und insbe- druck» des «Charakters». Auf solchen Vor-
sondere in der Renaissance, mit dem Mus- gaben entwickelte sich seit dem 19. Jahrhun-
terfall von William Shakespeares Comedy of dert eine Humangenetik, deren Grundan-
Errors. In ihnen geht es um «Verwechslung, nahmen bei Charles Darwins Vetter Francis
Stellvertretung, Unterschiebung» 3 – anders Galton, dem Begründer der «Eugenik»,
gesagt, um «horizontale» Episoden statt bereits vollständig im Sinne Arnold Gehlens
«vertikaler», typischerweise um Substitutio- «kristallisiert» waren: Jedes menschliche
nen in Liebesbeziehungen, um Proben auf Individuum beruht auf einer durch die Ver-
die Treue, um Doppellieben, die augenzwin- erbung festgelegten Kombination von «gem-
kernd mit der Doppelung des Liebesobjekts mules» – wofür sich später der Begri≠
motiviert werden usw. Diese Zwillingsge- «Gene» durchsetzte –, die die «Charakterzü-
schichten stehen den Verkleidungskomödien ge» weitestgehend determiniert. Im weite-
vom Typ Così fan tutte nahe. Tiefenstruktu- ren Verlauf ging es darum, diesen vorausge- 128
rell haben wir es also mit Interaktionen als setzten Mechanismus genauer zu analysie-
Ereignissen statt als Handlungen nach dem ren – zunächst durch indirekte Methoden
«Charakter»-Schema zu tun. Dementspre- (insbesondere das Verfahren der IQ-Mes-
chend sind die Figuren Funktionen von sung), seit der Entschlüsselung der DNA-
Ereignissen und entsprechend flexibel – es Struktur des Genoms durch direkte. Insbe-
geht nicht darum, die (symbolisch «tiefe») sondere drehte sich die humangenetische
«Wahrheit ihres Charakters» narrativ zu Forschung um das sogenannte «nature /
beschwören. nurture»-Problem, d. h. den jeweils ange-
Hat die aktualhistorische Situation setzten Anteil von genetischer Determinati-
sowohl «nach» den komischen («horizonta- on («nature») und kultureller Prägung
len») wie auch «nach» den modern doppel- («nurture»). Was ein deutscher Bundesban-
gängerisch überdeterminierten («vertika- ker im Jahre 2010 als wissenschaftliche Sen-
len») Zwillingsgeschichten noch neue Spiel- sation verkündet, nämlich dass die «Gene»
arten des Genres erö≠net? Zunächst ergibt zwischen «50 und 80 Prozent» die Persön-
sich die Möglichkeit der satirisch-kritischen lichkeit und insbeondere deren «Intelligenz»
Behandlung der Kategorie des «Tiefen-Cha- determinierten, zeigt bereits durch die wis-
rakters». Im Kontext dieser Frage ist zunächst senschaftlich völlig unbrauchbare, ange-
die Erinnerung an eine weitere historische nommene statistische Spanne die Aporien
Entwicklung – und zwar eine Entwicklung insbesondere der indirekten, IQ-messenden
ausserhalb der Literatur – notwendig: Das Methode: Man stelle sich vor, die Zulassung
literarische Schema von «Charakteren» als von Medikamenten etwa sollte auf der Basis
einer angenommenen Wirkung von «50 bis reflektieren und die Komik der Tatsache ent-
80 Prozent» entschieden werden! 4 Damit wickeln, dass erst Klonunfälle notwendig
erweist sich die IQ-messende Methode in sind, um die Vorstellung identischer Massen
ihrer Tiefenstruktur als «literarisch» – und zu wecken. Hierbei ist nicht an totalitär
zwar vom komischen Typ. erzwungene, äusserlich identische Massen
Das gilt sensu stricto, wenn es nun um wie in Jewgeni Iwanowitsch Samjatins Wir
die Rolle des «Zwillingsmotivs» in der Hu-­ oder in George Orwells 1984 zu denken, wo-
mangenetik geht: Bereits Galton hatte bei bei es dort ja gerade um die Bestätigung indi-
seinen Spekulationen die (als solche sicher- vidueller «Tiefen-Charaktere» geht – viel-
lich geniale) Idee gehabt, eineiige (monozy- mehr an die ganz «frei» in einer freien Kon-
gote) Zwillinge, die kurz nach der Geburt sumgesellschaft zustande gebrachte Identität
getrennt wurden, als Forschungsobjekt ein- von Massen, die zu Millionen Liebesschlager
zusetzen, weil bei ihnen ja das Erbgut völlig singen wie «Du bist so ganz anders als alle
übereinstimmen muss und man dessen de- die andern!»
terminierende Kraft gegen die der Verschie- Eine erste Möglichkeit neuer Zwil-
denheit von kulturellen Milieus abwägen kön- lingsgeschichten bestände also in der satiri-
nen sollte. Daraus entwickelte sich eine ex- schen Behandlung der urkomischen Aporie
uberante «Zwillingsforschung» (mit dem einer Kultur, die gleichzeitig an die geneti-
Zentrum der Minneapolis-Schule) – mit ur- sche Determination des «Charakters» und
komischen Jagden nach getrennt aufge- an seine strikt individuelle «Tiefe» glaubt –
wachsenen monozygoten Zwillingen und anders gesagt, in der satirischen Behandlung
deren «Exploration», die zu erwartbar sen- der «empirisch-transzendentalen Dublette».
Jürgen sationellen Übereinstimmungen im «Cha- Man könnte also etwa einen «politischen»
Link
rakter» führte. Wissenschaftlich gesehen und einen «unpolitischen Zwilling» erzählen
129 sind die indirekten Methoden heute epochal und einen Zwillingsforscher (avant la lettre
Über Zwillings­
antiquiert, weil durch die möglichen direk- vom Typ eines zwillingsforschenden deut-
geschichten ten überholt. Aber auch diese zeitigen sehr schen Bundesbankers) imaginieren, der das
literarische und insbesondere wiederum Rätsel eines «Politik-Gens» und eines «Un-
komische Resultate, wie sie sich vor allem im politik-Gens» bei monozygoten Zwillingen
Motiv des Klonens kristallisieren. Denn Klo- zu lösen versucht und dabei in den Wahn-
ne beschränken sich nicht länger auf eine sinn getrieben wird. 5 Eine zweite Möglich-
Dopplung – sie ermöglichen theoretisch keit könnte an der Ereignishaftigkeit der
Serien von identischen Kopien bis hin zur Zwillings-Interaktionen in der Komödie an-
auf neue, radikal «horizontale» Weise setzen. Das Ereignis der Verwechslung bildet
schwindel-erregenden Vorstellung identi-
scher Massen. Es ist bekanntlich die Trivial- 2 - Bei Frenzel: «der unheimliche und bedrohliche Charak­-
ter», vgl. Frenzel, Motive der Weltliteratur (wie Anm. 1),
literatur (konkret der triviale Film), die die- S. 98
ses Motiv bereits ausbeutet – vor allem im 3 - Ebd., S. 106
Thrillergenre (durch Genunfälle werden 4 - Zu diesem ganzen Komplex vgl. Jürgen Link, Versuch
etwa Achtlinge mit einem «Killergen» über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird,
­Göttingen 2009. Dort auch die wissenschaftliche ­Kritik
erzeugt, was ganz schön spannend zu werden der IQ-­Methode mit ihren höchst prekären und vermut­-
verspricht und sich dann aber als tiefen- lich nie von vielen «bias» zu reinigenden Erhebungs-
strukturell ganz schön langweilig erweist). «Batterien». Vor allem ist bereits die «Motiva­tion» der
Probanden, ihren IQ zu produzieren, mit determinierend
Eine wirklich spannende Literatur könnte – aber völlig verschieden.
auf die mit dem Klon-Motiv gegebene radi- 5 - Vgl. die nachfolgende «Zwillingsgeschichte Zwillings­-
kale Horizontalität und Ereignishaftigkeit forschung».
einen kleinen «Wirbel», in dem die Vorstel- tiefenstrukturell bedingt, dass in einem von
lung Schi≠bruch erleidet, eine Masse bestehe diesen Prämissen erö≠neten narrativen Feld
aus vielen unverwechselbaren, da in einer an der Schnittstelle von Zwillingsgeschichte
jeweiligen «Tiefe» wurzelnden «Charakte- und individuell-kollektiver Subjektivierungs-
ren». Damit besteht eine tiefenstrukturelle geschichte die Figur des Partisanen bzw. der
Verwandtschaft zwischen der Verwechselbar- Partisanin auftaucht: In ihr wird das Aus-
keit von Zwillingen und Ereignissen der Mas- Schwärmen des individuellen Wirbels (Zwil-
sendynamik wie Massenbildungen und Proli- linge) ins Kollektive einer neuen As-Sociation
ferationen, wozu Elias Canetti in Masse und Ereignis. Diese Art Ereignis galt es vorzuerin-
Macht alles Wesentliche gesagt hat. Man nern.
könnte also den von einer Zwillingsverwechs-
lung ausgelösten Wirbel erzählen, und wie
dieser Wirbel in eine religiöse und aufrühre-
rische Massendynamik proliferiert. 6 Damit
erzwänge ein solcher Typ von Zwillingsge-
schichten eine nicht «charakter»-reduktible,
nicht interpersonal-interaktionistische Er-
zählweise – auch über Geschichten mit dem
Zwillingsmotiv hinaus, könnte also an jene
modernen epischen Narrationen anknüpfen,
die ebenfalls mit der narrativen Mechanik des
identischen «Tiefen-Charakters» brechen
und «Handlungen» stattdessen als «Ereignis- Jürgen
Link
se» erzählen. Es wird dann auch erzählbar,
dass «Singularitäten» vom Typ des Ereignis- 130
ses und nicht vom Typ des «Charakters» sind, Über Zwillings­
dass sich Personen nicht entelechisch aus geschichten

einem vorgängigen ­«Charakterkern» entwi-


ckeln, sondern dass ­Subjekte je historische
Produkte ununter­b ro­c hener Prozesse der
Subjektivierung ­(einschliesslich von Meta-
morphosen: Konversionen und Apostasien)
sind, und wie sich individuelle und kollektive
Subjektivierungen ineinander verschachteln.
Es wird erzählbar, wie sich Ereignisse kollek-
tiver Subjektivierung (Bildung neuer As-Soci-
ationen) in die individuelle Subjektivierung
«hineinkopieren» und umgekehrt, wie etwa
interpersonale «Begegnungen» vom Typ der
Liebe, Freundschaft, des pädagogischen Eros,
des parteilichen Engagements usw. vom
Ereignis-Typ des gemeinsamen «Einschwin-
gens» in einen Diskurs sind und statt vom
Interaktions-Typ des «Aushandelns» zwi- 6 - Vgl. das Kapitel «Zwillingsgeschichte 2001» in: Jürgen
Link, Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der
schen zwei je mit sich identischen «Charakte- Roten Ruhr-Armee. Eine Vorerinnerung, Oberhausen
ren». Es ist keineswegs ein Zufall, sondern 2008, S. 255–273.
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Die Zwillingsgeschichte mit dem SFB 1 «Interdisziplinäre
Zwillingsforschung» und dem «Verdeckten Kamerad» mit
seinem «Informellen Zuarbeitbereich Zwillingsforschung»
Jürgen Link war auf etwa Mitte der 80er Jahre (oder etwas später) hoch-

Zwillings-­ gerechnet. Den «Verdeckten Kamerad» hatten wir als den


führenden Zwillingsforscher aller Ruhr-Unis und als sowohl
biologischen wie klinisch-medizinischen Humangenetiker

geschichte wie auch noch als Ethologen aussta∞ert, ganz abgesehen


von seiner Position als Spinne in mächtigen Psychologie

Zwillings­- und Psychiatrie einbeziehenden interdisziplinären Netzen


sowie seinen Drähten zur Terrorismus-Forschung und
damit auch zum TE 2-Komplex inclusive «Rote Ruhr-

forschung Armee». Außerdem sollte er durch Beraterverträge mit


großen Ruhrfirmen über Arbeitsmotivation zusätzlich
Schweinegeld machen. Er hatte nicht Sprecher des SFB sein
(Simulation sollen, wohl aber 1 von 3 Mitgliedern des Vorstands und
von 1975 auf ca. 1985) jedenfalls der entscheidende Mann des «Informellen Zuar-
beitbereichs» mit seinen undefinierbaren Strukturen und,
wie es schien, unerschöpflichen «Töpfen» aus undurch-
schaubaren Quellen. Die DFG 3 hatte für diesen SFB von
mehreren ihrer Prinzipien abgehen sollen: sie hatte einen
SFB an mehreren Unis akzeptiert, was aber durch die über-
geordnete Einheit «Ruhrgebiet» (unter Einschluss noch
von Düsseldorf wegen der dortigen Stärke einschlägiger
Forschungen) in gewisser Weise gerechtfertigt erschien,
1 - Sonderforschungsbereich und sie hatte die Anbindung
2 - Terrorismus des «Informellen Zuarbeit-
3 - Deutsche Forschungs- bereichs» geschluckt. Die
Gemeinschaft Geschichte hing als eine Art
1 2
131
Quertrieb an unseren Simulationen mit dem kalauerhaften sierung der Ewigen Wiederkehr, also der Glotzenkultur,
Titel «2. kultRuhrrevolution Ende der 80er». geben, was die Popkünstler eingesehen hatten. Später
Der «Verdeckte Kamerad» war eine Hochrechnung von haben wir diese These von der «Ewigen Wiederkehr» per
dem realen Volkstodastronomen aus, aber durch ­unsere Normalismus noch klarer gekriegt und haben das mit dem
KMAU 4-Maschine geschleust. Wir waren uns damals Normalismus nachträglich auch noch in diese Zwillings-
sicher, dass solch eine Figur und solch eine Connection geschichte eingebaut, wie man demnächst sehen wird.
ungefähr zu der von uns hochgerechneten Zeit aufkommen es war also irgendwann um die mitte der 80er jahre
müssten. Wir stützten uns bei dieser Hochrechnung auf gewesen, als unsere zwillinge über ihre mutter die einla-
unsere These der «Ewigen Wiederkehr» in der Ideologie dung bekommen hatten, bei den bio- und psychotests des
des V-Trägers: 5 Weil er für sein Kügelchen- und Konkur- SFB mitzumachen. das war noch in der vorbereitungspha-
renzspiel die Überzeugung brauchte, dass alles Kollektive se gewesen und bevor dass das bald berühmte zwillings-
immer nur zwischen Einzelkügelchen «ausgehandelt» projekt ruhr über die watz bekanntgemacht war wo sich
würde, wie er naiv formulierte, würde er tatsächlich nicht dann natürlich mehr oder weniger noch die allerletzten
aus der Sackgasse seiner Verschwörungstheorien mit den zwillinge freiwillig gemeldet hatten, die die ganze zeit vor-
Dramen zwischen den einzelnen Charakteren herauskom- her immer noch nichts spitzgekriegt hatten. die waren
men und müssten deshalb seine diversen Kopflanger, wie dann aber nur noch in den Informellen Zuarbeits-Bereich
Brecht sie genannt hatte, immer wieder die gleichen Denk- (IZB) reingekommen, weil sie ja sowieso außerhalb des
figuren wiederholen, nicht bloß in ihren Seifenopern an repräsentativen samples gelegen hatten, das der SFB über
den Glotzen sondern überall – egal was alles an neuen die akten der schulen gezogen gehabt hatte. o∞ziell hatte
Erfindungen wie Computer und an neuen Entdeckungen der SFB zuerst mal natürlich wieder die vererbungshypo-
wie Genetik ins Spiel gebracht werden würde. Wir hatten these gegen die gesellschaftshypothese gewichten gewollt
diese Überzeugung zuerst jedes einzeln aus eigener Erfah- gehabt, und zwar konkret in den dimensionen intelligenz,
rung gewonnen, als wir vor unserer Politisierung originel- neurotizität, volufortität (willensstärke: das würde nach
le moderne Kunst machen wollten und immer alles schon unseren hochrechnungen wieder hochkommen), und bei
dagewesen war, und auch das, was angeblich neu war und dieser letzten dimension besonders politizität, worunter
auf dem Kunstmarkt des V-Trägers groß rauskam, eben- politikinteresse, politikengagement, politikrichtung
4 - kleiner bis mittlerer anzu- falls alles schon dagewesen (rechts / links) und vor allem politische durchsetzungsfä-
nehmender Unfall war. Deshalb konnte es bloß higkeit (mit dem seltenen qualitativen sprung charisma)
5 - Verantwortungs-Träger noch Popkunst und Ironi- fallen sollte. der letzte punkt hing natürlich eng mit volu-
3 4
fortität zusammen, und dabei hatte das SFB-team vor, die aber und vor allem natürlich weil: er hatte dieses tolle the-
berühmten amerikanischen zwillingsstudien auszuste- ma irgendwelchen hergelaufenen konkurrenten natürlich
chen, bei denen volufortität und besonders politik total nicht direkt unter die nase reiben gewollt. der 2. grund hat-
unterbelichtet waren. eigentlich hatte aber der verdeckte te mit der psychologischen und auch humangenetischen
kamerad sich hauptsächlich für mehrere andere fragen terrorismusforschung zusammengehangen, von der die
interessiert gehabt, die aber in keinem o∞ziellen antrags- eigentlich interessanten projekte sowieso top secret bleiben
papier aufgetaucht waren: alle diese fragen hatten sich um gemusst haben.
die normalität gedreht und besonders um das verhältnis woher wir das alles so genau wissen? wir hatten es teils
zwischen den beiden enden der normalität, dem unteren mit hilfe der zwillinge dem turbo-hiwi auf der zwillingspar-
und dem oberen. alles was mit der normalität zusammen- ty im bootshaus an der ruhr aus der nase gezogen, als er nach
hing – das hatte der verdeckte kamerad schon im studium mitternacht von bier und den flirrenden und kreisenden
ahaerlebnismäßig kapiert –, würde den V-träger immer zwillingsgesichtern und zwillingsbecken schicker gegen die
brennend interessieren. es war dem verdeckten kamerad musik an- und in das gesicht von den beiden dünnen langen
dabei um eine einheitstheorie zu tun gewesen, weil er tuizwillingen mit den krüsseligen hellrotblonden locken, die
gewusst hatte, dass wissenschaftliche größe an der fähigkeit auch ohne musik immer so nervös gewippt hatten, einge-
hängt, eine einheitstheorie auf die beine zu stellen. das eine brüllt und nach und nach seine ressentiments gegen den
war die hypothese GN gewesen gleich ­General ­Normality, verdeckten kamerad ausgepackt hatte. dabei hatten wir
eine aufgrund des verdachts von dem verdeckten kamerad auch herausgekriegt, dass der verdeckte kamerad seine ori-
noch tiefere allgemeindimension als GI (General Intelligen- ginellen genialen ideen in der zwillingsforschung aus älte-
ce). GN war nach seiner theorie ein integrierter verbund aus ren deutschen theorien holte, die wegen brauner flecken
folgenden faktoren: GMo 6 (General Motivation), GNe immer noch unter tabu gestanden hatten und die man aber,
(General Neuroticism), GV (General Voluforce) und GR wenn man die quellen wegließ und die kennwörter übersetzt
(General Responsibility), der zusammenhang zwischen GN hat, ohne probleme ausbeuten gekonnt hat, weil kein
und GR würde natürlich ein echtes filetstück für den V-trä- schwein das alles noch gekannt hat. dazu hatte die dimen-
ger abgegeben haben. dieses forschungsziel hatte der ver- sion volufortität gehört, was mit der amerikanischen ich-
deckte kamerad nicht o≠en angegeben, teils weil: er hatte stärke nicht einfach identisch gewesen war. die ichstärke ist
dem spekulantenvorwurf ja mehr allgemein karrierebezogen und individualistisch
6 - Weil das Label GM schon von besonders in der 1. phase lie- und wird mehr oberflächlich antrainiert mit so ziemlich bil-
General Motors besetzt ist. ber ausweichen gewollt, teils ligen autosuggestionstricks wie «I’m okay», was nicht
5 6
132
besonders tief in den charakterschacht runtergeht, wogegen waren bereits die mutter, 2 muttertanten, der pastor und
die volufortität (übersetzt aus dem alten deutschen begri≠ mehrere lehrerinnen vorläufig konsultiert und exploriert
wollungsgemächte) ganz haarscharf den zusammenhang worden, wobei bereits die entscheidenden interessanten
zwischen schlagpower und durchhaltepower meint, womit daten herausgekommen waren: frappierende diskordanz im
du einerseits einen widerspenstigen willen schlagartig zu politischen interesse, das im einen fall o≠enbar sogar im
boden schmetterst wie old shatterhand und andererseits sel- engagementbereich und zwar sensationellerweise sogar im
ber jede menge schläge eines fremden willens überstehen extremismusbereich liegen würde, während es im anderen
kannst, was beides sehr tief in die tiefenschichten vom cha- fall quasi null betragen sollte, was alles bei monozygoten 7
rakter runterreicht und was immer stark p ­ olitisch ist. (vorbehaltlich einer humangenetischen eiigkeitsanalyse in
zu diesen deutschen schätzen hatte aber vor allem dem düsseldorf, obschon dass bereits die fotos kaum zweifel
verdeckten kamerad seine kategorie des «umsprungs» gehört, gelassen hatten) und dazu noch bei frauen eine wirkliche
die er aus dem dahlbergschen «umschlag» abgeleitet hatte. rarität gewesen war. außerdem hatte es einen interessanten
wie der turbo-hiwi gegenüber den tuizwillingen und damit widerspruch bei der vorexploration gegeben gehabt: die
dann auch gegenüber unseren zwillingen im su≠ ausgepackt mutter hatte zuerst ganz bestritten, dass der eine zwilling in
hatte, hatte sich der verdeckte kamerad für den eigenge- der 2. grundschulklasse 2 monate irrtümlich zur sonder-
brauch eine geheime übersetzungsliste gebastelt, an die die schule überwiesen worden wäre, obwohl dass die aktenlage
zwillinge kurz danach herangekommen waren, wo ganz sys- klar gewesen war und auch die lehrerinnen sich klar erin-
tematisch die modernen schlagwörter angegeben waren, die nert hatten, woraufhin die mutter hinterher die sache als
man statt der altdeutschen einsetzen soll, z. b. «ethnische typischen zwillingsstreich darstellen gewollt hatte, weil die
identität» statt «rasse» oder «ethniengut» statt «rassenmate- beiden sich in der sonderschule abgewechselt haben wür-
rial» oder «hybridisierung» statt «bastardisierung» und den, um sich zu beweisen, dass eigentlich die lehrer selber
«genetische stabilisierung» statt «ausmerze» usw. wenn der in die sonderschule gehören würden. in diesem punkt waren
verdeckte kamerad seine genialen momente gekriegt hatte, ganz sicher unklarheiten geblieben: zwar hatte das explora-
dann hatte er z. b. leise vor sich hingesagt: volufortität ist tionsteam, wobei einmal sogar der verdeckte kamerad
eigentlich nichts anderes als heideggers Ent-schlossenheit – höchstpersönlich dazugekommen war, was die zwillinge
da wären Sie nicht drauf gekommen was? oder: die alten aber erst später von der mutter rausgekriegt hatten, weil die
deutschen wörter wie «wollung» tre≠en die tatsachen viel spinne im netz wie fast immer «im einsatz vor ort» kein ein-
besser, aber die darf man ja leider nicht mehr laut sagen. ziges wort gesagt hatte und
als die zwillinge von ihrer einladung erfahren hatten, 7 - eineiigen bloß mit seinem ziemlich
7 8
unau≠älligen rundlichen sportlerkopf mit den hinter den der andere SPD gewesen war, aber da hatten die forscher
backenknochen tiefliegenden grauen augen und der halb- unter sich drüber witze gemacht und gesagt: da sieht man,
glatze im hintergrund gesessen und notizen gemacht hatte dass da wirklich gar kein unterschied mehr ist. das hatten
(woran die zwillinge ihn aber dann auch ­eindeutig erkannt ja auch die popularisierten medienaufgüsse von dieter e.
gehabt hatten: unverkennbar verdeckte ­kamera, woraus ja zimmer immer gebührend betont gehabt, wonach politi-
entstanden war: verdeckter kamerad). was der verdeckte sches interesse klar zum genetischen tiefen-charakter
kamerad notiert hatte, hatten die zwillinge erst einiger- anders gesagt zur vererbten kern-persönlichkeit gehört
maßen später raten können, als sie über das GN-projekt und hatte. später hatten die zwillinge rekonstruieren gekonnt,
das türkengenatlas-projekt und das sogenannte frauenpow- was wahrscheinlich im kopf des verdeckten kamerad ven-
ergenprojekt bescheid gewusst hatten: er hatte bei ihnen tiliert worden war: dass die amerikaner mit ihrer verer-
material gewittert über die integration von GI 8 und GN 9 bungsthese zwar grundsätzlich unbedingt ­richtig ­liegen
und über das verhältnis der dimensionen von GN, beson- würden, dass es aber bei extrem schwachnormalem mate-
ders die rolle der politik für GR 10, und nochmal wieder rial mit negativem vektor, womit ganz einfach unsere zwil-
besonders über die «umsprünge» der politik und die quan- linge gemeint waren, im alter zwischen 6 und 12 jahren
tifizierung der qualitätssprünge extremismus und terroris- einen «umsprung zwischen den phänodimensionen»
mus und das alles besonders noch aufs geschlecht bezogen. geben könnte: z. b. von sexuell auf politisch, oder von reli-
o∞ziell hatte das SFB-team damals die chance gesehen giös auf politisch, oder auch von religiös auf sexuell oder
gehabt, die konkurrenz aus den USA zu überholen: es war das ganze auch umgekehrt, woraus er sich die hypothese
ja aus den großen feldstudien von separierten monozygoten, gekocht haben würde, dass der unpolitische zwilling sexu-
soweit sie überhaupt politik erfasst hatten, was ja selten war ell stark unnormal sein müsste, weil er nicht nur mit poli-
und stets nur unter fernerliefen, angeblich klar hervorge- tik, sondern z. b. auch mit religion nie was am hut gehabt
gangen, dass politisches interesse als genetisch fest determi- haben sollte, woraus sich dann die ganzen komischen tests
niert betrachtet werden müsste, und zwar erst schon ein- mit den untergejubelten kirchenliedermelodien zwischen
mal grundsätzlich und dann nochmal besonders mit einer dem fickgestöhne auf den tanzmusikplatten erklärt gehabt
klaren geschlechtlichen di≠erenz (signifikant niedrigeres hatten. damit hatte der verdeckte kamerad über unbewuss-
politisches interesse von te symptomatische reaktionen eine phänodimension vor
8 - General Intelligence frauen). es hatte zwar einen dem umsprung rausschnü≠eln gewollt. umgekehrt hatte
9 - General Normality berühmten fall gegeben, wo ihn dabei dann auch noch besonders die komplementäre
10 - General Responsibility der eine zwilling CDU und these interessiert gehabt, dass also: je mehr ein material auf
Jürgen
Link
9 10
133
Zwillings-­
geschichte der normalitätsachse steigt, umso weniger umsprünge im männlichen wissenschaftler und künstler und wirtschafts-
Zwillings­-
forschung alter zwischen 6 und 12 jahren waren zu erwarten gewe- bosse und politiker und ganz besonders natürlich auch der
sen: ganz normal bist du, wenn du sofort schon anfängst, verhinderten und gescheiterten und bestimmt auch des
intensiv dein sparbuch zu verwalten oder deine puppe zu V-trägers selbst die heimliche frage ist, ob sie selber am
frisieren. aber genau da war dann noch das eigentlich für ende genies sind, was sie natürlich immer klammheimlich
ihn spannendste problem gekommen, nämlich die frage vermuten. daraus hatten die zwillinge im laufe der tests die
nach den nichtnormalen fällen mit positivem vektor, ein- hypothese gebaut, dass der verdeckte kamerad bestimmt
facher verständlich gesagt die frage nach den genies. es war die hypothese gebaut gehabt haben müsste, dass ein genie
ja seiner meinung nach überhaupt nicht zu leugnen gewe- und vielleicht sogar auch elitematerial allgemein in punk-
sen, dass da was drangewesen war an den alten theorien to extremismus und kriminalität usw. genetisch im allge-
von genie und wahnsinn. dass beides jederzeit aus heite- meinen robust normal ist (was ja die wichtigste bedingung
rem himmel umschlagen können sollte, war natürlich für die übernahme von verantwortung ist, wie auch sonst),
gottseidank ganz sicher stuss gewesen, das würde ja den aber auf einer weniger wichtigen dimension, z. b. religiosi-
gesunden genies das leben zur hölle gemacht haben, weil tät, eine kleine lockerung zeigen kann, womit wahrschein-
sie ja als genies auf die wahrheit gekommen sein würden, lich, was eben noch erforscht werden musste, die tatsache
und sie würden dann ja vor lauter angst nichts geniales zusammenhängen könnte, dass solche genies im alter zwi-
mehr auf die beine gebracht haben können und am ende schen 6 und 12 jahren umsprünge zeigen, wobei zu dieser
schon alleine ­deshalb durchgedreht sein und wirklich hypothese der zwillinge als pointe gehört hat, dass der ver-
wahnsinnig geworden, was ja dazu geführt haben würde, deckte kamerad sich selber an einen umsprung bei sich sel-
dass die genies von der evolution schon längst ausgemerzt ber erinnert gehabt haben dürfte und dass er jetzt die chan-
worden sein müssten, was ja wiederum gottseidank durch ce gewittert hatte, sich nebenbei endlich einwandfrei
einstein und ford eindeutig widerlegt gewesen war – aber beweisen zu können, dass er ein genie ist, woraus sich dann
dass die richtige genialität in irgendeiner dimension eine wieder ihre gegenexploration über den verdeckten kame-
leichte lockerung der normalität vorausgesetzt haben wür- rad als kind erklärt. diese gegenexploration war nicht
de, das war allerdings ziemlich wahrscheinlich gewesen. schwer gewesen, weil die zwillinge, die ja nach unseren vor-
die zwillinge hatten aber schon seit den techtelmechteln aussetzungen 1954 geboren sind, ungefähr genau gleich alt
der unpolitischen mit dem unehelichen sohn des ruhrcom- mit dem verdeckten kamerad gewesen waren. sie hatten
putergenies und V-gebers und dann mit dem unehelichen einfach (konkret über den politischen zwilling) uns
sohn des flugzeugerfinders gewusst, dass die fixe idee aller ursprüngliche chaoten ­kontaktiert gehabt, um unsere alten
11 12
unikontakte einzuspannen und dann per hölzchen und sen informationen sofort kapiert, ­warum alle diese wissen-
stöckchen ein paar ex-freundinnen des verdeckten kame- schaftler, die rund um die uhr einen auf total objektiv
rad aus seiner heißen pubertätszeit und aus den mehreren machen, bei jedem projekt, das sie wirklich interessiert,
tanzkursen, die er besucht gehabt hatte, aufzutun. (das war immer irgendein verdecktes ganz subjektives motiv im hin-
gewesen, nachdem der turbo-hiwi im su≠ rundum ausge- terkopf haben.
packt gehabt hatte; aber von diesen frühphasen hatte der jedenfalls hat der verdeckte kamerad, der sich ja im all-
keine ahnung gehabt.) der verdeckte kamerad war zwi- gemeinen sehr hat beherrschen können, stundenlang
schen 6 und 12 jahren und sogar noch etwas länger tatsäch- stumm auf der lauer zu sitzen, bei bestimmten sachen
lich regelrecht stinkfromm gewesen, so von der sorte, dass sofort regelrecht unter strom gestanden, und dazu haben
er keinen ausgezogenen tisch hat ansehen gekonnt, und die IQs über 140 gehört und die umsprünge zwischen 6 und
dann auf sex umgesprungen und gleichzeitig dabei von hei- 12 jahren. wie gesagt hat er im o∞ziellen SFB-team mit den
ligenbildchensammeln auf pinupfotos und gleichzeitig auf hypothesen, die ihn am meisten interessiert haben, mehr
statistik. aber natürlich hatte er im anfang ein paarmal den oder weniger ganz gemauert – aber weil ihn seine ange-
präcox gekriegt, was ja beim umsprung von superfromm nommene genialität sonst allzu grausam gefoltert haben
auf macho besonders zusammen mit braven mädchen und würde, hat er in seinem zuarbeitbereich manchmal schon
entjungferungsversuchen nicht ausbleiben kann, und dinge vorweggenommen. dazu hat z. b. das ino∞zielle teil-
wahrscheinlich hatte er damals große angst um seine nor- projekt begabungsförderung und spitzenverantwortung
malität gehabt und sich an magischen fetischen hochziehn gehört, wo er aus den hochbegabten schuljungen künftige
gewollt, bevor die eine erfahrene ex-freundin ihn von sei- spitzenpolitiker rauskämmen gewollt hat. dazu hat er
ner angst geschickt abgelenkt und beruhigt hatte, und das einen fragebogen entwickelt, der kleine männchen rausfin-
war sicher entscheidend gewesen für sein interesse an psy- den gesollt hat, bei denen gleichzeitig hohe IQs und hohe
chischer anlage und konstitution und vielleicht hatte er normalität gegeben waren und aber auch interessante
doch auch dadurch einen ganz kleinen zweifel an seiner umsprünge. er hatte sich für das projekt die SPD-kanal­
100%igen normalität zurückbehalten, was aber anderer- arbeiterma∞a des ruhrgebiets als partnerseilschaft ange-
seits ja seine chancen auf genialität erhöht haben würde. lacht gehabt, und zwar über die berühmten sogenannten
was damals mit ihm passiert war, dieser ganze umsprung SPD-profleten, bei denen der springende punkt gewesen
hat zwar bei den kollegen einfach den namen pubertät und war, dass: sie waren dem ruhrproletariat, d. h. konkret den
soll wohl sehr oft vorkommen, aber was den verdeckten kanalarbeitern also meistenteils freigestellten arbeits­
kamerad angegangen war, so hatten die zwillinge nach die- direktoren und betriebsräten aus den großen mitbestim-
13 14
134
mungskonzernen wie ruhrkohle, ruhrstahl, ruhrmetall, die 80er und 90er jahre (leute wie der spätere trampolin-
ruhrmotor, ruhrchemie usw. durch mitsaufen brüderlich springer-kleiderschrank) durch den kakao gezogen wür-
nahgerückt gewesen. der verdeckte kamerad hatte einen den und ihre umsprünge in der kindheit und jugend ent-
guten draht zum völkerrechtler und weltinnenpolitiker hüllt worden waren, wobei die reklamefreien basislokal-
gehabt, weil: sie waren beide reserveo∞ziere gewesen und sender, die wir für diese zeit (um 1985) neben den privat-
hatten manchmal zusammen tre≠en in der ruhrlandkaser- lokalglotzen simuliert hatten, jede menge zeugen und vor
ne 5 abgehalten. bei den besäufnissen mit den kanalarbei- allem zeuginnen aus der nachbarschaft der «senkrecht-
tern («wir hamm kanal noch lange nich voll») hatte der starter» mobilisiert hatten. wie das dann übergegangen
verdeckte kamerad ein paarmal pro forma mitgeso≠en, sein würde in boykott der o∞ziellen umfragen durch mas-
aber natürlich verdeckt, d. h. ohne sich zu besaufen. natür- senhafte «chaotische» antworten, alternative umfragen,
lich war ihm klar gewesen, dass du die deals sowieso am alternative infografiken, bis zum 1. expertenstreik.
nächsten tag festklopfen musst indem dass du behauptest aber so weit war es jetzt noch längst nicht gewesen,
dass ihr das am abend schon abgemacht haben würdet, wo noch ganz am anfang von allem, wie die zwillinge zuerst
die kanalarbeiter sich zwar nicht genau erinnern können für das projekt von dem verdeckten kamerad rekrutiert
aber ja sagen. so war das projekt «senkrechtstarter» fest- worden waren, und erst einmal hatte der nicht bloß ihre
geklopft worden, was das ziel gehabt hatte, für die ruhr- eiigkeit, sondern vor allem ihren erbmäßigen und soziali-
kanalarbeitermaffia die hochbegabungsreserven an politi- sierungsmäßigen status explorieren gewollt, also «nature»
kern für den nachwuchs für die 80er und 90er jahre auf- und «nurture», und da war er auf einige rätsel gestoßen,
zutun. die kanalarbeiter hatten solch einen nachwuchs schon was den vater betraf. weil die mutter von anfang an
immer gut brauchen gekonnt, und der verdeckte kamerad die ausfragerei nicht leiden gekonnt und weil sie wie immer
hatte die ho≠nung gehabt, einmalige daten über voluforti- den politischen zwilling schützen gewollt hat, hatte sie die
tät und vielleicht sogar ein paar fälle charisma auftun zu exploration sabotiert gehabt. sie hatte gesagt, dass die zwil-
können. das war ja schon vor dem großen knall angelau- linge einerseits «natürliche kinder» gewesen wären, und
fen gewesen in einer stillgelegten zeche untergebracht und dass sie aber den vater nicht identifizieren gedurft hätte
das hatten unsere hypothetischen «noch nicht total verlot- «aus absolut zwingenden gründen von absolut zwingender
terten medienleute» nach dem knall dann noch als zugabe diskretion». dasselbe hatte sie auch schon damals 1954 der
enthüllen sollen: wir hatten uns das heidengelächter der oma als marschroute dagelassen, als sie schwanger zusam-
kollegen und frauen in der ganzen ruhr ausgiebig vorweg men mit ihrem 1. ehemann für 2 jahre ins sauerland weg-
gegönnt, wenn die «senkrechtstarter» der ruhr-SPD für gezogen war, bis der mann sich endgültig totgeso≠en
15 16
gehabt hatte. über den vater der zwillinge waren dann 3 statt V-träger gesagt hatte, die, wenn sie erfolgreich sind,
sehr verschiedene gerüchte aufgekommen wie neue witz- was also exploriert werden müsste, garantiert einen spit-
sorten, du weißt nicht wer sie aufgebracht hat, aber sie sind zen-IQ haben, was als vater für die zwillinge höchstwahr-
im nu überall rum. das 1. gerücht war gewesen ein schwar- scheinlich aussscheidet – das wären total verschiedene IQ-
zes schaf aus den kriegskameraden des älteren bruders der klassen und auch normalitäts-klassen, hatte er zeigefinger-
mutter, ein kommunist, der auf der flucht nach drüben ein trommelnd wiederholt.
paar tage bei der mutter versteckt gewesen wäre. das 2. weiter war es auch mit der separierung unserer zwillin-
gerücht war gewesen ein vikar auf industrieseelsorgeprak- ge so eine sache gewesen, aber das SFB-team hatte gar
tikum. das 3. gerücht war gewesen ein kleiner V-träger von nicht so viel von den mediensensationen aus minneapolis
kohletransporten auf dem dortmund-ems-kanal. nur die gehalten gehabt: kurz nach der geburt trennung der eltern
oma hatte außer der mutter selber gewusst gehabt, dass und aufteilung der zwillinge, auswanderung des vaters mit
alle 3 gerüchte falsch waren (außerdem noch der 1. ehe- dem einen nach australien: trotzdem gleichzeitiger beginn
mann und später die zwillinge), aber sie hatten zu den einer kriminellen karriere genau mit 13 durch einen fuß-
gerüchten nur ihren spruch von den zwingenden gründen balldiebstahl, dann mit 17 wieder gleichzeitig auto geknackt
und der zwingenden diskretion wiederholt, wo sich dann und 1. jugendstrafe, mit 21 beide zuhälter geworden, mit
die vertreter von allen 3 gerüchtesorten durch ein angeb- 25 beide wegen scheckbetrug wieder in den knast. wenn
liches augenzucken oder mundzucken bestätigt gefühlt die kollegen von drüben in diesen fällen auch möglicher-
hatten und ihr jeweiliges gerücht bewiesen gesehen. die weise gutgläubig von der objektivität der erhobenen daten
tantenmütter waren auch nicht darüber hinausgekommen, überzeugt waren, so waren die phantasie der beteiligten
so dass das SFB-team ebenfalls diese 3 gerüchte jeweils als zwillingspaare und damit zwangsläufig auch ihre geschich-
eindeutiges faktum aufgetischt bekommen hatte. der ver- ten einfach viel zu klar von den medien auf einschaltquo-
deckte kamerad war feuer und flamme gewesen und hatte ten hin im vorhinein in bestimmte richtungen vorpro-
sofort gewettet, dass er das rätsel knacken wird ganz ein- grammiert worden, und zwar oft wahrscheinlich sogar
fach aufgrund der charaktereigenschaften der zwillinge: ganz spontan und ohne ausdrückliche manipulierende
o≠ensichtlich entweder krimineller, ob nun außerdem absprachen, und vor allem hatten die kollegen in minnea-
noch kommunist oder nicht, weil: es war ja schon 1954 polis den ganz entscheidenden faktor total übersehen
gewesen und also klar vor dem KPD-verbot – oder katho- gehabt, der in der ö≠entlichen bekanntheit aller grund-
lischer geistlicher (normalerweise oberes mittelfeld an IQ) muster der schon seit über 100 jahren laufenden zwillings-
oder «entrepreneur», wie der verdeckte kamerad immer forschung lag: wo auf der welt, einschließlich australien,
Jürgen
Link
17 18
135
Zwillings-­
geschichte sollte es eigentlich noch zwillinge, ob nun separiert oder falls überhaupt der 1. fall eines monozygoten zwillings mit
Zwillings­-
forschung nicht, gegeben haben, die nicht gewusst hatten, was von extremistischer politischer einstellung weltweit gewesen,
ihnen erwartet worden war? es waren in der zwillingsfor- und das dann noch eine frau! bei monozygoten frauen war,
scherszene ja überall schon die bekannten witze erzählt wenn sich der turbo-hiwi im moment richtig erinnert hat-
worden: «Herr Professor, Sie haben die Frage vergessen, te, vielleicht überhaupt noch nie ein politisches interesse
mit wieviel Jahren wir gleichzeitig ohne es vom andern zu über 4,0 auf der 7erskala ­festgestellt worden, es hatte nur
wissen eine Schlankheitskur gemacht haben, und von wie- ein normales politisches interesse unter 3,5 bei einigen
viel Kilo auf wieviel und wie lange das bei beiden genau männlichen monozygoten gegeben, aber selbstverständ-
gleich gedauert hat». lich jeweils genau das gleiche bei beiden gleichzeitig, wobei
das SFB-team hatte also die amerikaner schlagen wol- CDU und SPD (bzw. drüben republikaner und demokra-
len, und der verdeckte kamerad hatte dabei noch einmal ten) wissenschaftlich gesehen natürlich kein relevanter
das team schlagen wollen. am aktivsten in dem explorati- unterschied gewesen war. der turbo-hiwi hatte wahr-
onsteam war ein netter junger mann gewesen, der oben scheinlich auch schon damals mehr gewusst gehabt: näm-
schon erwähnte turbo-hiwi, diplomiert in kognitionspsy- lich dass der verdeckte kamerad u. a. auch eine geheime
chologie und wissenschaftliche hilfskraft, noch keine 25, studie laufen gehabt hatte über ätiologische schienen von
mit besonderem ehrgeiz. er hatte dem verdeckten kamerad terroristen, wobei er vor allem vollen zugri≠ gehabt hatte
zuerst den knüller gesteckt, den er auch als 1. gerochen auf das terroristenmaterial der roten ruhr-armee, mit
gehabt hatte, als nämlich sowohl die mutter wie die mut- schweinegeldern aus düsseldorf und bonn.
tertanten wie der pastor wie auch die lehrerinnen bei der was die frage der separierung angegangen war, so hat-
frage nach der politischen richtung des politischen zwil- te das team wie gesagt sowieso hauptsächlich mit dem
lings eindeutig angefangen hatten mit mauern, stottern design von einer konkordanz-diskordanz-analyse zwischen
und ablenken durch witzige anekdötchen aus der kindheit. monozygoten und dizygoten 11 arbeiten gewollt und mit der
der turbo-hiwi hatte sofort gerochen gehabt, dass es sich separierung bloß als zusatzinstrument. aber auch in punk-
o≠enbar nicht um eine normale richtung innerhalb des to separierung waren die entsprechenden phasen, das hat-
normalen spektrums gehandelt gehabt hatte, sondern ver- te auch später der verdeckte kamerad sofort so gesehen
mutlich etwas jenseits der extremismusgrenze. der turbo- gehabt, keineswegs einfach irrelevant gewesen: unsere
hiwi hatte sofort gewusst gehabt, dass er mit dieser infor- zwillinge waren ja immer wieder lange zeiten getrennt bei
mation bei dem verdeckten kamerad dicke punkte für die verschiedenen muttertan-
karriere machen können würde, denn das wäre gegebenen- 11 - zweieiig ten, also schwestern bzw.
19 20
cousinen der mutter, untergebracht gewesen, wenn die bauch liegend im «wilden» freibad am baggersee in der lip-
mutter als ganztagskraft gearbeitet hat, und das milieu die- pezone abgehalten. zuerst schon mal waren sie sich sofort
ser muttertanten ist teilweise stark diskordant gewesen einig gewesen, dass sie mitmachen, schon wegen dem
(streng katholisch vs. kommunistisch, fast subproletarisch zusätzlichen urlaub in der firma und dem moos, aber auch
vs. selbständiger mittelstand). wegen sicher jede menge spaß. aber dann waren sie sich
das explorationsteam hatte die mutter, den pastor und auch sofort einig gewesen, dass wenn die professoren mit
die lehrerinnen im namen der wissenschaft verdonnert, den ihnen experimente machen wollen, dass dann natürlich
beiden zwillingen keine vorabnachricht zu geben, was alle umgekehrt auch sie wieder mit den professoren experi-
feierlich versprochen hatten, aber woran sich die mutter mente machen würden, und zwar völlig astrein wissen-
selbstverständlich nicht gehalten hatte (wobei es noch die schaftlich. die idee hat sich von selbst ergeben bei ihrem
frage gewesen war, ob diese ganzen professoren wirklich so kriegsrat, als sie sofort angefangen hatten mit zusammen-
naiv sind oder am ende vielleicht bei ihrer ­ganzen ­forschung tragen, was sie alles über zwillingswissenschaft wissen aus
darauf angewiesen sind, dass es ständig heimliche querab- der schlagzeitung und «quick» und «brigitte» (die unpoli-
sprachen gibt, und deshalb so ein feierliches verbot anbrin- tische) und aus dem «stern» und dem «spiegel» und der
gen, dass auch alle wirklich wissen, dass es absolut darauf «zeit» (die politische) und beide auch aus dem fernsehen.
ankommt, dieses verbot zu brechen) die beiden würden da war es immer vor allem um die unglaublichen überein-
direkt von der uni aus kontaktiert werden, sie würden bloß stimmungen gegangen: z. b. die durch die berliner mauer
die adressen brauchen. die mutter hatte zu dem politischen getrennten zwillinge, die trotzdem sich beide ­gleichzeitig
zwilling am telefon gesagt, dass diese professoren sie über ihre schönen ­langen haare abgeschnitten hatten und genau
ihre politik aushorchen gewollt hätten und dass sie natür- gleichzeitig entjungfert wurden und später beide gleichzei-
lich nichts gesagt haben würde. außerdem würden die sich tig 3 monate mit einem ausländer zusammen waren und
auch für sie selber als mutter und für den vater interessie- danach beide mit 26 einen 5 jahre jüngeren bühnenarbei-
ren und für die muttertanten und sogar für die weitere ver- ter geheiratet hatten. die unterschiede, die es auch gegeben
wandtschaft und die großeltern, da würden wir schwer auf- hatte, hatten dann irgendwie erklärt werden gemusst. es
passen müssen, werweiß was die im schilde führen würden. war klar gewesen, dass das ganze spielchen nur gelaufen
den vater hätte sie natürlich diesen professoren schon mal war, wenn die professoren jeweils die beiden zwillinge,
gar nicht o≠engelegt, die sollten sich ruhig mit den gerüch- zwilling A und zwilling B mit zahl davor oder dahinter, wie
ten der muttertanten herumschlagen. sie die taufen, nicht verwechselt haben. also hatte sich das
den fälligen kriegsrat hatten die zwillinge auf dem als experiment angeboten gehabt, dass sie bäumchen ver-
21 22
136
wechseldich spielen, was ihnen immer wieder spaß der zwillingsecke hatten unsere zwillinge immer wieder
gemacht haben würde, und sich also abwechselnd bei den ganz automatisch jede menge zusätzliche interessante
tests und interviews austauschen, und dass sie dieses gan- informationen gekriegt du glaubst gar nicht, wie klein die
ze spielchen aber ganz fein säuberlich wissenschaftlich zu welt ist und wie der zufall spielt: die zwillinge hatten doch
protokoll geben beim kleinen juristen der unpolitischen tatsächlich eines tages ihren 3. vater in der schlange an der
schwester und dem seinem anwaltsbüro, der war noch eintopftheke erspäht! ihr 3. vater war der kürzeste gewe-
immer ihr liebster liebesspringer gewesen nach so vielen sen, sie hatten ihn nur 5 monate gehabt, und die mutter
jahren. beim anwaltsbüro würde also immer schon hinter- hatte ihn zum teufel gejagt, als es rausgekommen war, dass
legt werden, an welchem tag welche schwester welchen test er seinen su≠trieb nicht losgewesen war, wie er in der 1. zeit
gemacht haben würde, das war ganz im ernst ein ganz versprochen gehabt hatte. die zwillinge waren damals 11
enormer durchbruch in der zwillingsforschung gewesen, gewesen und traurig, weil er immer sehr lieb zu ihnen
sozusagen ein richtiger paradigmawechsel in der sprache gewesen war und ihnen ein kleines tandem geschenkt
der professoren, in unserer sprache eine kulturrevolution. gehabt und mit ihnen geübt hatte, beide immer abwech-
das projekt war ein mammutunternehmen gewesen, selnd vorne und hinten 100%ig gerecht. er hatte sie die 1.
eigentlich sogar mehrere mammutunternehmen überein- zeit noch manchmal nach der schule abgepasst und in die
ander, und viele tests und interviews waren parallel gelau- eisdiele eingeladen; dann war er weggezogen und sie hat-
fen, so dass die beiden ziemlich bald auch andere zwillings- ten ihn zwischendurch jahrelang nicht mehr zu sehen
paare kennengelernt hatten, teilweise auch bloß gekriegt. jetzt im moment hatte er ziemlich okay ausgese-
wiedergetro≠en von früheren ruhrzwillingstre≠en. vor hen und war aber verlegen gewesen und hatte behauptet,
allem hatte sich in der mensa eine zwillingsecke etabliert, er würde sie sowieso schon gesucht und ihnen alles erzäh-
wo besonders die sogenannten asozialen bzw. heute disso- len gewollt haben: er wäre von dem turbo-hiwi kontaktiert
zialen zwillinge ganze stunden teils mit klönen, flirten und worden und sie hätten ihn über die zwillinge ausge-
rumalbern, teils einfach mit rumsitzen überbrückt gehabt quetscht: ob er sie ab und zu geprügelt hätte und welche
hatten. es wäre ihnen egal gewesen, wenn die professoren von beiden mehr, ob er sie damals schon beim rauchen
vom team sie dort gesehen hätten, aber die professoren erwischt haben würde und welche von beiden, ob sie ver-
und auch alle mitarbeiter und hiwis gingen immer im pulk schiedene freundinnen gehabt hätten und welche, und
in der sogenannten teppichmensa essen, der verdeckte besonders hätten die professoren ihn glaubte er im ver-
kamerad selber war ganz selten dabei und schien über- dacht, dass er der richtige vater sein könnte, der später
haupt ziemlich oft anderswo in der welt rumzujetten. in zurückgekommen wäre. er würde das verneint gehabt
23 24
haben, aber die professoren würden ihm das nicht glauben. ein sportler aus dem mittelfeld, z. b. ein mittelstarker fuß-
sie würden ihm fotos von anderen mutmaßlichen vätern, ballspieler in einer mittelstarken fußballmannschaft, den
die er teilweise überhaupt nie gekannt haben würde, plötz- du dir auch nicht merken kannst, und da war er eben neben
lich mitten in einem sexfilm eingeblendet gehabt haben dem SFB-sprecher mit seinem blick ins unendliche und
und dabei seinen puls und sein gehirn mit elektroden dem silbernen aktenko≠er und neben dem 2. vorstands-
gemessen. die zwillinge hatten sich arm in arm totgelacht mitglied mit dem ständigen nervösen augenlidgeflatter
und hatten ihm erklärt, dass die professoren seinen eifer- und sogar neben dem turbo-hiwi wie eine verdeckte kame-
suchtspegel messen wollen und dadurch rauskriegen, wer ra meistens glatt übersehen ­worden. 2 wochen später, als
der richtige vater ist, dass sie nicht glauben, dass er selber dieser spitzname sich gerade durchgesetzt gehabt hatte,
es ist, sondern dass sie bloß aus seiner eifersucht was ablei- hatte ein männlicher zwilling, der beim bund war, diese
ten wollen. verdeckte kamera zusammen mit dem evangelischen wehr-
in der zwillingsecke war auch der name verdeckter geist der 4. ruhrlandkaserne und dem SA 2 12 beim gratis-
kamerad erfunden worden, und zwar zuerst verdeckte tanken ihres Y-kombis zu bedienen gehabt, sie hatten auch
kamera. sie waren an dem tag 5 zwillingspaare plus einige luftkontrolle und nachfüllen des scheibenwischwassers
zwillingssingles plus andere studenten gewesen und hat- machen lassen und waren zwischendurch ausgestiegen
ten mit der zeit ihre erfahrungen mit dem verdeckten und hatten geraucht: es waren also auch noch verdeckte
kamerad zusammengetan, nämlich dass die glatte hälfte kameraden gewesen.
von ihnen den verdeckten kamerad wochenlang und teils so hatten die zwillinge schnell eine ganze menge über
noch bis jetzt vor kurzem damals total übersehen gehabt das projekt herausgekriegt gehabt. zum beispiel war es klar
hatte; sie hatten sich noch nicht mal immer einigen kön- geworden, dass der verdeckte kamerad sich nur mit ihnen
nen, ob er an bestimmten testgruppen dabeigewesen war sehr oft selber beschäftigt gehabt hatte. sie hatten ihn mit
oder nicht. dabei waren sie sämtlich längst nicht mehr so der identität ganz billig mit kleidung und schminke her-
naiv gewesen, dass sie alle weißkittel mit brille als eine glei- einlegen gekonnt. ihre beiden handschriften hatten sie
che sorte götter angestaunt gehabt hätten, sie hatten mehr auch schon immer beide draufgehabt. das wichtigste war
oder weniger alle einen blick für die verschiedenen sorten aber natürlich gewesen, dass sie ihn perfekt an der charak-
tuimarotten gehabt gehabt. am ende hatten sie sich ternase herumführen gekonnt hatten: von anfang an war
geeinigt, dass es das gewesen war, dass er überhaupt nicht es klar gewesen, dass er bei ihnen auf sex und politik fixiert
wissenschaftlich ausgese- war mit zusatzzahl religion, was sie an seiner nichtgespiel-
12 - Stabsärztebruder 2 hen hatte sondern eher wie ten heimlichen aufgeregtheit bei diesen themen «verifi-
Jürgen
Link
25 26
137
Zwillings-­
geschichte ziert» hatten, nachdem es ihnen ja die mutter schon pro- gerade bei di≠erentialanalysen immer auch die gegenpro-
Zwillings­-
forschung phezeit gehabt hatte. für die unpolitische war es leichter be besonders sorgfältig durchziehen gemusst hast). daran
gewesen, sich als politisch zu geben, weil sie das ja schon haben sie gemerkt, dass dem kamerad seine objektivität bei
mehrfach in anderen zwillingsgeschichten praktiziert ihnen ganz schön ins schwimmen gekommen sein muss:
gehabt hatte. für den sex hatten sie nicht eine so klare pro- wahrscheinlich hatte er sich bei ihnen so geniale entde-
gnose gehabt, und seine reaktion auf das thema hatte ja ckungen eingebildet gehabt, dass er mit halb heimlicher
normal sein gekonnt. sie hatten aber aus dieter e. zimmer innerer siegeshymne und halb heimlicher innerer panik
soviel spitz gekriegt, dass die zwillingsforscher an zwillin- dem moment entgegengefiebert hatte, wo es sich entschei-
gen entweder eine verrückte gleichheit interessiert oder den gemusst hat, ob er 100% sicher ein genie ist, wobei er
wenn keine gleichheit da ist, dann schon am ehesten ein aber auch gebebt haben muss, weil es sich im gleichen
klarer gegensatz, weil sie den dann auf einen verbiesterten moment entscheiden wird, ob er ein gesundes genie ist
willen einiger zwillinge zurückführen wollen, die ihre erb- oder ein anormales genie, wo ihm dann im 2. fall, «den gott
gleichheit partout nicht akzeptieren wollen und sich künst- verhüten möge», wie seine kameraden von der bundes-
lich ungleich machen. sie hatten (als unsere guten schüle- wehr immer grinsend hinzufügten, wenn sie auf den ernst-
rinnen) «simuliert», dass der ­verdeckte kamerad bei ihnen fall zu sprechen kamen, der 1. schub des wahnsinns droht.
mit politik und sex wahrscheinlich eine solche dickköpfig- was er sich aus seinen interviews mit ihnen zusammenge-
keit entlarven wollen würde (die sache mit dem braut hatte, das hatte er selbst in einem (noch fragmenta-
«umsprung» hatten sie da noch nicht ahnen gekonnt). rischen) papier festgehalten, das der turbohiwi später in
natürlich hatte den verdeckten kamerad besonders die der durchdrehphase des verdeckten kamerad an den klei-
politik bzw. bei der unpolitischen die nichtpolitik interes- nen juristen gegeben hatte:
siert gehabt. sie hatten sehr bald spitz gehabt, dass er ver-
bindungen zwischen politik und anderen sachen ange- Der Fall der Zwillinge 21 AB (monozygot) verdient
nommen gehabt und also rauskitzeln gewollt hatte. außer- besondere Beachtung, weil er auf den 1. Blick eine
dem hatten sie bald durchschaut, dass er sich bei der unpo- Reihe von stark bestätigten Hypothesen der bishe-
litischen (die ja abwechselnd die politische gewesen war) rigen Zwillingsforschung zu invalidieren schien. Es
ziemlich stark für sex interessiert gehabt hatte, und bei der handelt sich bei 21 AB um weibliche Monozygoten
politischen (die ja abwechselnd die unpolitische gewesen (durch Fingerabdrucktest zweifelsfrei erwiesen),
war) dafür überhaupt nicht (was sie im stillen als wissen- Geburtsjahr 1954. Das Au≠allende am Fall 21 AB
schaftlichen schnitzer vermerkt gehabt hatten, weil du ja ist nun, dass in einem äußerst wichtigen Charak-
27 28
termerkmal (Merkmal des Tiefen-Kern-Charak- 21 B (- p) sich ausschließlich für die Volkstanzgrup-
ters), demjenigen des politischen Interesses, eine pe interessierte, o≠ensichtlich vor allem wegen der
vollständige Diskordanz vorzuliegen scheint. Wäh- Gelegenheit zu Jungenbekanntschaften und Flirts.
rend die Mutter nicht aus ihrer arztaversiven Hal- Im weiteren Verlauf wechselte die Probandin 21 A
tung, deren Motiv weiter unten erklärt wird, befreit (+ p) von der Jungen Union zu den Jusos und geriet
werden konnte, ergab sich aus der Exploration der von dort aus ins extremistische Fahrwasser (Leder-
Lehrerinnen mit genügender Sicherheit, dass die jackenfraktion des Weiberrats der sogenannten
Probandin 21B (- p) bereits ab der 5. Klasse den Antiautoritären Proletarier, sogenannte Rote
Geschichtsunterricht und insbesondere den zeitge- Gewerkschafts-Opposition, sogenannte Oppositio-
schichtlichen Unterricht und den Unterricht über nelle Liste, also sämtlich sogenannte Chaoten-
die demokratischen Institutionen derartig massiv Gruppen).
störte, dass sie von der Schulleitung verwarnt wer- Die Probandin 21 B (- p) entwickelte bereits in
den musste. Voll ausgebildet zeigte sich die Diskor- der Pubertät ein ausgesprochen promiskes Sexver-
danz während der Pubertät, als beide Probandin- halten (einschließlich bisexueller Tendenzen), das
nen sich an Aktivitäten der katholischen Pfarrju- sich bei ihr habituell kristallisierte (z. B. versuchte
gend beteiligten, wobei nach übereinstimmenden sie während der Interviews, nicht nur sämtliche
Aussagen des Pfarrers wie der Probandinnen die attraktiven männlichen Interviewer, sondern auch
Probandin 21 A (+ p) sich spontan in der Misereor- eine attraktive weibliche Interviewerin erotisch zu
Jugend engagierte, wo sie u. a. den Schaukasten bezirzen). Nicht bloß die bisexuellen Tendenzen (die
übernahm und mit Presseausschnitten, Fotos sowie gegenüber ihrer Zwillingsschwester mit hoher
eigenen Kartonmontagen gestaltete, wobei sie eben- Wahrscheinlichkeit bis zu inzestuösen Eskapaden
falls spontan grob unsachliche Überspitzungen agi- gehen), sondern auch acting-out und Intensitäten
tatorischen Charakters über angebliche wirtschaft- überschreiten bei 21 B (- p) eindeutig die Normali-
liche und politische Ursachen («internationale tätsgrenzen. Da sich die Probandin vollständig
Konzerne», «Großgrundbesitzer» und «Marionet- o≠en über ihre Frequenzen äußerte, und zwar
tenregierungen») der sozialen Lage in lateinameri- sowohl über die absoluten Frequenzen wie die Part-
kanischen Ländern am zuständigen Vikar vorbei nerwechselfrequenzen, die sie für bestimmte Phasen
zum Aushang bringen wollte, so dass sie mehrfach sogar mit Kalendereinträgen dokumentieren konn-
ermahnt werden musste, während die Probandin te, ist die Anormalität schon rein quantitativ gesi-
29 30
138
chert. Fast noch wichtiger erscheint aber der mimi- haltensweise, weder normal religiös noch anormal
sche Ton und die gestische Melodie ihrer Geständ- religiös wie bei der Schwester, beobachten können.
nisse, die von völliger Skrupellosigkeit, d. h. sowohl Er erinnerte sich deutlich, dass 21 B im Alter zwi-
Gewissenslosigkeit wie Verantwortungslosigkeit, schen 10 bis 13 Jahren, als sie unter dem Druck der
charakterisisiert sind. Hier besteht 100prozentige Familie und des Milieus notgedrungen zusammen
Konkordanz zu 21 A (+ p): In beiden Fällen besteht mit der Mutter und Schwester beichten und kom-
eine zweifellos genetisch determinierte Inhibition munizieren musste, auf das religiöse Ritual mit
gegen die Ausbildung eines Über-Ich (im einen Fall nicht gespielter Langeweile reagierte und heimlich
Verwerfung der staatlichen Ordnung, im anderen Comicheftchen las. Der Vikar erinnerte sich noch
Fall Verwerfung der sittlichen Ordnung). deutlich an 21 AB nebeneinander an der Kommu-
Analog zum Zusatztest Kontaktintensität und nionbank, wie sie beide ihm ihre Zungen für die
Kontaktstil bei 21 A (+ p) wurde 21 B (- p) einem Hostie präsentiert hatten: Allein daran hätte er sie
Zusatztest religiöse Normalität unterzogen. Hier jederzeit identifizieren können, wie er berichtete:
war der Vikar der Pfarrjugend eine wertvolle Infor- Während 21 A ihre Zunge mit deutlich hysteri-
mationsquelle. Auch diesen Vikar hatte 21 B (- p) schem Gestus anormal weit aus dem Mund heraus-
seinerzeit zum Sex verführen wollen, war aber fuhr (der Vikar hatte den Eindruck, dass sie ihm
selbstverständlich ­abgewiesen worden, was ihre ihre Zunge «hingeben» wollte), weil sie, wie sie im
Rachsucht erklärt. (21 B bestritt den Vorgang nicht, Beichtstuhl erklärt hatte, immer Angst hätte, dass
stellte ihn aber umgekehrt als Annäherungsversuch der Priester die Hostie nicht weit genug nach innen
des Vikars, und zwar nicht ihr gegenüber – «vor plazieren und fallen lassen könnte, wobei sie eine
mir hatte er Angst, kriegte jedesmal ne Bombe, wenn schreckliche Strafe Gottes erwartete –, hatte 21 B
ich schon am Horizont auftauchte, er war zu feige, ihm ihre Zunge jedesmal eindeutig mit dem
wenn er sich an mich gewagt hätte, hätte ich ihn aus bekannten «Ätsch»-Gestus herausgestreckt, was
Mitleid entjungfert, ich war damals schon 17 ½» – ihn für sie schon damals mit großer Sorge erfüllt
sondern gegenüber ihrer Schwester 21 A dar, die hatte.
angeblich entsetzt gewesen wäre und vom Glauben
abgefallen, dadurch wäre sie in Richtung Politik
gedrängt worden.) Nach Aussagen des Vikars hat er
bei 21 B (- p) niemals eine religiöse Regung oder Ver-
31 32
31 N°- 14/15
The Figure of Two
In 1790, sentenced to a forty two days-long house 1 - Voyage autour de
ma chambre was
arrest for fighting a duel, a young Savoyard o∞cer, first published in
Ewa Lajer-Burcharth Count Xavier de Maistre, writes an account of his 1794 in Chambéry.

Interior
involuntary interiorization. Titled Voyage autour 2 - See Richard
de ma chambre, the account takes the reader on a Howard’s percepti-
tour around both the dwelling in which the author ve remarks in his

& Interiority
introduction to the
is confined and his mind. 1 Written in a spirit of English edition of
defiance of rules and resistance to confinement, the de Maistre’s work:
Voyage inverts the format of a travel book to explore Voyage around my

Chantal the interior as at once a physical and a subjective


space. For De Maistre’s e≠ort to describe his imme-
Room. Selected
Works of Xavier de
Maistre, Stephen

Akerman’s
Sartarelli (transl.),
diate surroundings turns into a narrative of self- New York 1994,
reflection and self-discovery, the room transformed pp. vii–xiv.
into a space wherein a “dialogue of the soul with its

Là-bas
3 - Xavier de Maistre,
other” could be staged. The site of physical con- “Voyage autour de
straint thus becomes a tool for the expanded imagi- ma chamber,” in:
id., Œuvres complè-
nation of the self through which the self is repeat- tes du comte Xavier
edly confronted with its double, giving the author de Maistre, Paris
an opportunity to come to terms with the dichoto- 1854, p. 158.

mous structure of his own subjectivity. The Voyage 4 - The term of hyper-
thus maps out the interior not as the traditional realism has been
used in relation to
locus of subjective unity but as a topography of Ackerman’s œuvre
two-ness that recognizes the self to be that which is at large, see Ivone
Margulies, Nothing
not always itself. 2 As de Maistre puts it in the con- Happens. ­Chantal
clusion of his internal travelogue: “Never have I Akerman’s Hyper­
been more keenly aware of my double nature.” 3 realist Everyday,
Durham / London
Chantal Akerman’s 2006 film Là-bas (Down 1996.
there) harks back to de Maistre spatial self-inves-
5 - Akerman’s inter-
tigations. Interior is at the very core of this work view with Franck
which has been screened in cinemas and present- Nouchi, Paris,
ed as a gallery installation. Like the Voyage autour January 2006,
http://www.
de ma chambre, it is a highly idiosyncratic and berlinale.de/­
139 personally overdetermined work, in both aesthet- external/de/­
filmarchiv/doku_
ic and historical sense. Yet the questions it poses pdf/20064173.pdf
and its import also exceed, in my view, its strictly (September 21,
personal parameters. 2010), p. 111.
Là-bas was shot by Akerman during her 6 - Ibid.
short stay in a rented apartment in Tel Aviv where 7 - Ibid.
she lived while she was teaching film at the local
8 - Ibid.
university. Half-documentary, half personal rumi-
nation, the film is “about” Israel, or rather, about
Akerman’s ambivalent relation to it. At once hy-
perrealist and imaginary, it is, one can say, a (self )
portrait of a place. 4
It was not, it must be said, a film that Aker-
man, a Belgian-Jewish film maker who normally
lives in Paris, ever wanted to make. As she put it in
an interview: “I have never desired to make a film
about Israel. [When my producer] suggested it to
me, […] my immediate feeling was that it was a
bad idea, even an impossible idea – almost paralyz-
ing and downright repulsive.” 5 The artist’s initial
reluctance stemmed from her fear of lacking what
she thought was a necessary distance from Israel,
both emotional and geographic. “I was afraid my
subjectivity was an obstacle, dangerous, and con-
fused in relation to this theme.” 6 Moreover, she
thought that “to contemplate Israel, one had to go
to Afghanistan, or somewhere else, like New York,
but certainly not Israel.” 7 But then, after a while,
she came around to it. “Decisive was that one day I
took the camera and sat down somewhere and sud-
denly there was an image, a shot. I thought it was a
great picture. After that, all I had to do was wait
and let things run their course.” 8
Là-bas opens with this first shot – a view cast from by her reluctance to venture outside, to immerse 9 - Ibid.
inside out – that sets the tone for both what we herself in the place from which she feels es- 10 - See Henry James,
will see in the remaining part of the film and how tranged. 10 The bamboo-stick shades through The Europeans.
A Sketch, London
we will see it. From within a darkened interior, a which the sonorous vision of the exterior slowly 1984, pp. 3–6. The
luminous vision of the outside appears framed by seeps inside the room remain drawn most of the novel was first
the windows, awash with the distant sounds of time, enhancing the impression of this desired published in 1878.
deferral of the outside. Endowing vision with tex-
ture and a degree of opacity, (suggestive especially
in the views shot at dusk), they invite us to look at
it, at the vision itself.
About four minutes into the film, the silent
interior from within which we have been contem-
plating the outside suddenly comes alive as we
begin to hear the shuffling sounds of someone
moving about it, turning on the stove, preparing a
Chantal Akerman, Là-bas, 79 min., hot drink or a snack. We see no one, though, and
France / Belgium 2006 we never will. Throughout the film, the presence
of the room’s inhabitant – Akerman herself – will
tra∞c and street life. Fig. 1 Birds chirp, children be marked (with two exceptions) only by her voice
shout, a car passes by. A man could be seen at a which we will hear as she sporadically talks on the
distance leaning out from his balcony, talking to phone, in French, English, and Hebrew, and as
someone then rearranging his plants. The camera she reads, in a somewhat detached manner, frag-
remains fixed as if Akerman indeed just turned it ments of a narrative, partly autobiographical or
on and “let things run their course.” 9 The circa 79 family-related, partly an account of her life in Tel
minutes-long film consists of a series of such sus- Aviv interspersed with more general ruminations
tained views of a Tel Aviv neighborhood as seen about Israel. The voiceover will remain, though,
through the windows of Akerman’s apartment. unrelated to what we see at any given moment in
They are not, to be sure, the same: the camera the film, producing thus a sense of disjunction
peeks through di≠erent windows at the adjacent between the visual and the narrative / acoustic
buildings and its angle of vision occasionally registers, the inside and the outside, the objective
changes, as does the light as the day passes by, and the subjective, etc.
Là-Bas’s disjunctive interior functions both
as the privileged locus of the film, the place from 140
within which Akerman launches her cinematic
vision, and as a representation of interiority, a
metonymic figure of the author and subject of this
vision, Akerman herself. It is the ambivalent status
of this interior, its quality as a space that is at once
embedded in, and discontinuous with the exterior,
and with itself, that I find most intriguing.
Chantal Akerman, Là-bas, 79 min., A darkened chamber from within which we
France / Belgium 2006 look at the outside, Là-bas’s interior acts as a
framing or mediating device, not unlike a camera
from morning to dusk. Fig. 2 We get to see Aker- obscura that transmits, through a relay of mirrors,
man’s neighbors performing simple daily tasks – a vision of the outside world for the perusal of a
watering their plants, relaxing on their balconies,
drinking co≠ee – but these views remain consis­
tently uneventful, their voyeuristic potential de-
flated by the unimportance of the neighbors’ ac-
tions and by the manifest indi≠erence of the
camera to what it registers. If the furtive quality of
some shots rings familiar – one may think of
Hitchcock’s Rear Window – they never deliver on
the suspense that they generate. It is clearly not
indiscretion that motivated these views. Rather,
they suggest a sense of reluctance, a desire to keep
the exterior at bay, qualities that may well be asso-
ciated with Akerman’s initial unwillingness to
make the film, of her wish to keep Israel at bay. Athanasius Kircher, Camera obscura (Ars magna lucis
One is reminded of the image of downtown Bos- et umbrae, Rom 1646, Liber X, Magia Pars II, Fol. 807)
ton that opens Henry James’s novel The Europe-
ans. Seen by James’s heroine, Eugenia, a daughter detached observer. Fig. 3 As a model of vision, the
of an expatriate American who returns to her camera obscura is a particularly useful compari-
country in search of a better life, from the window son with Là-bas in that it makes evident Aker-
of her hotel room, it is a view of the city permeated man’s oblique position within the structure of her
own vision. In the camera obscura model, the as if she stumbled into someone else’s field of vision 11 - See Jonathan
­Crary, Techniques
observer is at the center of vision, at once its prime – and in the narrative sense, in that her voiceover of the Observer.
receiver and its source. The centrality of the monologue has manifestly nothing to do with any On Vision and
observer and the fixity of his position is, as Jona­ given view o≠ered by the film. As an author Aker- Modernity in the
Nineteenth Century,
than Crary has observed, key to this model. 11 In man refuses, then, to be identified with her vision Cambridge (Mass.) / ­
Là-bas, the ­camera is fixed – its immobility and in any straightforward way. The notion of author- London 1990,
the e≠ect of extended duration it produces is, in ship proposed by this work amounts not to a tissue esp. pp. 25–66.
fact, one of the most distinctive features of this of quotations, as in the classic Barthesian recasting
film and of Akerman’s filmic œuvre in general – of this notion, but rather to a texture of unrecon-
but it emphatically does not coincide with the ciled points of view, a structure of dis-aggregation.
body of the filmmaker. The moment we actually A curious sense of the relation between inte-
become aware of Akerman’s presence in the apart- rior and interiority is thus produced. On the one
ment, we also realize that her position is at best hand, it is quite obvious that the room that we see
contiguous to the camera’s field of vision rather stands, in the bodily absence of the narrator, for
than being its source. (E. g., while we hear her the narrator herself, for Akerman, this idea being
move about, the camera, and the view it produces, reinforced by the sound track in which she defines
remain immobile.) The two brief moments we get herself as the inhabitant of this interior and in
to see the top of the director’s head, when, as if which she talks about herself: “I live on Jonah
inadvertently, she walks into the camera’s pur- Hanavi street, which means street of the prophet
view, serve only to emphasize her marginal, rather Jonah. My grandfather was named Jonah, too.
And he was a descendent of the rabbi of Pelz. My
cousin explains that they were ultraorthodox.
They are called [here] ‘the blacks’ because of their
clothing. I walked to Jonah Hanavi street, I don’t
get lost. I watch TV, the French channel, I fall
asleep, I get up, the plant man is already on the
terrace. He seems to be watching the plants grow.
I think plants don’t grow that fast, not even in Isra-
el. On the other hand, you never know.” [1:12:30–
Chantal Akerman, Là-bas, 79 min., 1:13:10] On the other hand, it is just as clear that
Ewa
Lajer-
France / Belgium 2006 this interior is not her, that her relation to it is at
Burcharth
best contingent, unstable, that she is both inside
141 than central, place in this interior vision. Fig. 4 The and outside of it (or that it is both inside and out-
Interior
detached voiceover further dispels any remaining side of her). This impression is corroborated by
&
Interiority
illusion of internal unity of Akerman’s vision and those aspects of her stories that emphasize her sta-
its authorial consistency. Introducing an altogeth- tus as a mere tenant in the Tel Aviv apartment or
er di≠erent temporality, her narrative about the that express her worries about having somewhat
present and the past is never directly related to misused the space or abused her landlord’s hospi-
the space the narrator inhabits, or to the outside tality. (E. g., she is anxious that, having eaten all
space. the delicious bread she found in the fridge, she will
This deliberate emphasis on disconnection not be able to replace it.) In other words, she uses
between the visual, acoustic and narrative regis- the interior as a figure of her own interiority while
ters of the film, is, let us also note, precisely what at the same time insisting on its contingency, on
distinguishes the cinematic experience of Là-bas her tenuous relation to it.
from Hitchcocks’s Rear Window, the key di≠erence Cast from inside out, Akerman’s vision calls
being that the latter does everything to conflate to mind the long iconographic tradition in which
the view from the window with the a “view from the window” repre-
gaze of its male protagonist immo- sented the ­relation between the
bilized inside. Through the tradi- self and the world. The German
tional technique of reverse shot, Romantic painter Caspar David
Hitchcock iden­tifies the internal Friedrich enriched and complicat-
vision as that of the character ed this tradition by introducing a
played by James Stewart. Fig. 5 / 6 Là- figure looking out of the window,
bas, on the other hand, insists on
the view from the window as sepa-
rate from the person inside the
apartment. Shunning the tech-
nique of reverse shot, Akerman
remains independent or discon-
nected from her camera, both in
the phenomenological sense of her
body not coinciding with the cam-
era’s outlook – a fact made explicit
by the two instances when her
head grazes the camera’s purview, Alfred Hitchcock, Rear Window, 112 min., USA 1954
such as that in his Woman at the Window of
1822.Fig.7 Seen from behind, the woman in
Friedrich’s painting appears as a surrogate
of the viewer, mediator between the interior
from which we, like her, cast our view, and
the outside world. Yet, she is also an inter-
ruption in our access to the visible world, a
marker of our resolutely external position in
relation to the landscape, only a fragment of
which can be seen through the window. (The
shutters in the lower part of the window
underscore the role of the woman’s body as
an obstruction to, rather than a conduit of,
vision.) As Joseph Leo Koerner has argued,
the Rückenfigur in Friedrich’s painting thus
functions as a signpost of the self exiled from
the observed world; it conveys the viewer’s
Caspar David Friedrich, Woman Caspar David Friedrich, Right Window
belated and estranged relation to nature, an at the Window (1822), oil on can- of the Artist’s Studio (1805–1806),
estrangement that defines also the position vas, 44 x 37 cm (Staatliche Muse- sepia on paper, 31 x 24 cm (Kunsthisto-
of the painter who undertakes the task of en, Berlin) risches Museum, Vienna)
representing nature – belatedly. 12 That this
internal, subjective vision of nature is the artist’s explodes her studio apartment situated in a high 12 - See Joseph Leo
own is the more evident when we compare Frie- rise building in Brussels in an anarchic gesture of Koerner, ­Caspar
David Friedrich
drich’s painting with his earlier drawing, Right material and symbolic destruction of both domes- and the Subject
Window of the Artist’s Studio (dated 1805– tic interior and psychological interiority, a destruc- of Landscape,
London 1990,
1806). Fig. 8 The similarity of both the motif of the tion aimed at social (gender) as well as filmic con- esp. pp. 112–13.
window and the landscape it o≠ers on view make ventions (specifically, the association of femininity
13 - Margulies, Nothing
clear that the woman’s room represents the inte- with domesticity and the use of cinematic form as Happens (note 4),
rior, and interiority, of the artist, that it is, in other a tool of introspection.) Having manically per- esp. chap. 2: “Toward
words, not only a physical space but a subjective formed various domestic tasks that included eat- a Corporeal Cine-
ma,” pp. 42–63.
realm of his connection to, and estrangement ing, cleaning, messing up again, and polishing her
from, the visible world, the estrangement empha- shoes together with her calves – all of it while she 14 - Margulies refers,
among others, to
sized by the fact that his surrogate is a woman. insouciantly hums a jolly tune – Akerman throws Bruce Nauman’s 142
Something similar may be said of Akerman’s out her cat, seals her place with a scotch tape (note Lip Synch (1969),
vision the exquisitely composed frames of which the inscription “c’est moi” on the door), turns on Peter Campus’s
mem and dor ins-
remind one of painting. Là-bas’s interior that at her stove, lights up a match and – pu≠! – there tallation (1974),
once conveys and postpones, if not bars, the view of goes the “room of her own.” Fig. 9 / 10
The deferred Richard Serra’s
Boomerang (1974),
the exterior may also be seen to represent an essen- Linda Benglis’s Now
tially exilic position in relation to the outside world, (1973), and Joan
to Israel, which the artist can only contemplate Jonas Vertical Roll
(1972), all of which
from a position of an internal distance. The ­“involve the experi-
di≠erence is, though, that Akerman also distances ence of a presence
herself from the interior, that she problematizes never ­fully and
­instantaneously
the very assumption of the interior as the metaphor present. ‘Now’ and
of (authorial) interiority. In relation to Friedrich’s, ‘I’ were submitted
in these works to
Akerman’s interior is not a space entirely separate a constant vexing:
from the exterior but permeated by it. It appears they were ‘scree-
discontinuous with itself – and with Akerman as ned’ through video
­technology which
the producer of its vision. The two moments in delivered at most
which we catch a glimpse of the artist’s body – the a mirrored, split,
tip of her head we see once when she brushes her identity,” Margu-
lies, Nothing Hap-
teeth and, another time, when it appears briefly pens (note 4),
when she comes close to the window – may be seen p. 224, n. 29. One
could also ­mention
as residual instances of the Rückenfiguren, but, Jonas’s work with
contrary to Friedrich’s woman, these figural ghosts the mirror and
do not coincide with the artist. (She articulates her- Benglis’s Mumble
Jumble made in this
self by voice that does not coincide with these fugi- period.
tive images of her body.)
The ambivalent relation between the interior
and interiority formulated in Là-bas is in a sense Chantal Akerman, Saute ma ville, 13 min., ­
typical of Akerman’s entire filmic œuvre. Her stance Belgium 1968
in this regard became clear already in Saute ma ville
(Blow Up My Town, 1968), the thirteen-minutes quality of the image in the last sequence – we see
film with which, at the age of 18, Akerman has Akerman performing her highly stylized “last rite”
inaugurated her career as a film maker. In it, she not directly but as a reflection in an oval mirror –
not only underscores the ironic distance from 15 - Babette ­Mangolte,
who was the
which the young film maker looks at herself camera person for
throughout the film but also, more specifically, Rainer, was also
conveys the idea of internal duplication that Akerman’s ­favorite
early on. For aes-
traverses the space of the self constructed – and thetic connection
destroyed – in this work. between the work
The defiant treatment of the interior in Sau- of Rainer and
Akerman, see also
te ma ville must be situated in the context of the Maureen Turim,
avant-garde art and film practices of the late “Personal Pro-
nouncements in
1960s and 70s, both in Europe and in America, in I ... You ... He ... She
relation to which Akerman forged her own stance. and ­Portrait of
The common ground of these diverse practices A Young Girl at
the End of the 1960s
was their critical engagement with the notion of Chantal Akerman, Hotel Monterey, 62 min., in Brussels,” in:
interiority understood as psychological and seman- USA 1972 ­Identity and Memo-
tic depth, a notion which they rejected in favor of ry. The Films of
Chantal ­Akerman,
the e≠ects of surface, a thematic embrace of ba- appear. Fig. 11 The way Akerman films these interi- Gwendolyn A.
nal­ity of everyday life, and experimental filming ors, with her signature long takes and perpendic- ­Foster (ed.), Trow-
techniques, including that of real time. As Ivone ular deep focus shots with fixed camera and a total bridge 1999,
esp. pp. 24–25.
Margulies has demonstrated in her analysis of absence of a narrative (the circa one-hour long
16 - Bill Arning, “Down
Akerman’s œuvre, especially important for the film is mute), creates, as one scholar has noted, a There (Là-bas),” in:
artist’s early work was the concern with perfor­ “powerful impression of what it is to be an out- Terrie Sultan (ed.),
mance and duration evident in the minimalist / sider observing these locales.” 17 Patiently observed Exh.-cat. ­Chantal
Akerman Moving
structural film work of Michael Snow; in real- and carefully composed, these hotel interiors may Through Time and
time cinematic experiments of Andy Warhol, and be seen to reflect on the Heideggerian question: Space, Blaffer Gal-
in the performances and films of Yvonne Rainer, “What is it to dwell?” – a question, one may imag- lery, The Art Muse-
um of the Universi-
among others. 13 A number of other artists work- ine, of special resonance for the Jewish exiles who ty of Houston, New
ing in the 1970s, many among them using video as lived in the hotel. 18 York 2008, p. 42.
their medium, e. g. Bruce Nauman, Peter Campus, In a sense, Là-bas restages the visual scenar­ Akerman’s early
La Chambre 2 may
Richard Serra, Joan Jonas and Linda Benglis, io of Hotel Monterey for a similar, if more directly also be mentioned
explored di≠erent scenarios of dislocation of the personal purpose. From within, Akerman casts here. In it Akerman
uses rotation – the
Ewa
Lajer- self through simple performative acts marked by here an outsider’s look not only on others’ dwell- 360-degree pan
Burcharth
the sense of disjunction between the image and ings and on the apartment in which she temporar- – to account for her
143 the voice. 14 Nauman’s 1969 work Lip Synch epito- ily dwells, but onto herself. Her question, to para- space. This rotating
purview represents
Interior
mizes this play with the discrepancies between phrase one of her voiceover commentaries is, both the filmic space
&
Interiority
image and language that underlay most of the art “What is it to set the roots down in space?” – a ques­- and Akerman’s
done in this period. In it Nauman, holding the tion accompanied by her avowals of uprooted- interior, identifying
one with the other.
camera upside down, zeroed-in on a close-up of ness, her sense of not belonging, of being set
his mouth, producing an image of his lips and 17 - Margulies, Nothing
afloat, a condition in which she takes no pride or Happens (note 4).
tongue that articulated the words “lip sync” while pleasure. Nothing conveys this more explicitly
18 - See Martin Heideg-
the audio track shifted in and out of sync with the than Akerman’s long monologue accompanying ger, “Building
video. Closer to Akerman’s work in its focus on a an oblique shot of the building across the street Dwelling Thinking,”
female protagonist is Yvonne Rainer’s 1974 Film from her apartment appearing in a crack between in: id., Poetry,
­Language, Thought,
About a Woman Who …, in which the dialogue Albert Hofstadter
between the actors and the voiceover commentary (transl.), New York
are presented as text on flash cards that, much like 1971, p. 145.
the captions in the silent movies, interrupt the
flow of images. 15 Yet, what was at stake in this and
other experimental work was not only a disrup-
tion of the diegetic flow and a de-narrativization
of the image but above all a destabilization of the
idea of the self-same self.
In much of her work, Akerman, too, chal- Chantal Akerman, Là-bas, 79 min.,
lenged the notion of the self-same interiority, France / Belgium 2006
while keeping the image of a physical, inhabited
interior front and center. It has been noted that, the drawn blinds. Fig. 12 It is worth quoting in ex-
rather than a mere location, the interior space has tenso:
been the protagonist of her work. 16 This is per-
haps best illustrated by her 1972 film Hotel “I don’t feel like I belong. And that’s without real
Monterey. The film consists of a series of shots of pain, without pride. Pride happens. No, I am just dis-
connected. From practically everything. I have a few
a low-rent hotel in Manhattan, a dwelling of many
anchors, and sometimes I let them go, or they let me
Jewish exiles, which begins in the lobby at night go, and I drift. That is, most of the time. Sometimes
and ends on the roof in the morning. We are pre- I hang on for a few days, minutes, seconds. Then I let
sented with a sustained portrayal of the hotel’s go again. I can hardly look, I can hardly hear. Semi-
corridors, its elevator, and its desolate rooms blind, semi-deaf, I float. Sometimes I sink, but not
in which, occasionally, a lone dweller would quite. Something, sometimes a detail, brings me
back to the surface, and I start floating again. I feel both the means and the site. It is, though, not 19 - Transcription E.
L.-B., ­Chantal
so disconnected that I cannot even have a house with exactly a space used to acquire a critical distance Akerman, ­Là-bas,
bread, co≠ee, milk, toilet paper, and when I buy towards oneself, as one interpreter of the film has 79 min., ­France /
some, I feel like it is an heroic act. Basically, I don’t suggested. 20 Rather, it is a space that represents Belgium 2006,
know how to live, or go anywhere. When I take the the self ’s radically discontinuous relation – not
22:07–24:53.
bus, it is a state of heroism, too. And this all has to do 20
only to the place, but also to itself, this discontinu- - This is the one point
with that, with Israel or not-Israel. Of course, not in Bill Arning’s
real Israel, with Israel where all of the sudden I
ity being the very condition of the internal nego- perceptive ­analysis
would belong. But I know that’s also a mirage. Some- tiations the subject thus envisioned conducts with of the film that I
herself. disagree with, see
thing in me has been damaged, my relationship with Arning, Down there
the real, with daily life. How do you make a life in a The internal discontinuity of Là-bas distin- (note 16).
non-rarified air? It starts with bread in the house, a guishes it from some of the similar earlier projects 21 - This 16mm film has
minimum of order, a minimum of life. And besides of the European film avant-garde. I am reminded, been re-edited in
all that, I lose everything, my keys, my glasses, my for example, of Józef Robakowski’s From My 1999.
notes, my sister, and almost my mother. My notes on Window (Z mojego okna, 1978–1985), a classic of
Israel, too. Because after months of non-reflection, Polish filmic avant-garde that o≠ers a comparable
but reflection nonetheless, I finally accepted Xavier’s
investigation of the place from an interiorized
o≠er, and I started to take some notes. I lost my notes
position. 21 / Fig. 13 Produced in the
in Spain, a big, blue and white-checkered notebook.
I either left this big notebook at the movies – that was
span of nearly a decade, From My
the first time I had gone in months, and I went with Window is at once intensely de­-
my niece, otherwise I would have stayed in bed at the scriptive and a subtly ironic docu-
hotel – I either lost the notes at the movies, or at the ment of everyday life in Łódź as
fast food place we went to before the movies. I didn’t seen from Robakowski’s window in
go back to look for them – out of laziness, out of bore- a high-rise building. Yet, while
dom, but mostly out of lack of desire, or out of para- physically and ironically distanced Jozef Robakowski, Z Mojego
sites of desire, disrupted, or worse. Out of the feeling from the observed reality, this okna, 19 min., Poland 2000
that, if I sink, well, then I should just sink. I should vision – like that of Hitchcock’s in
just deny myself, like I usually do, except sometimes,
Rear Window, which it obviously tropes – is firmly
in spurts. That’s what I generally do, except for my
identified with Robakowski’s point of view, a point
notes, or work, when I still manage to work, I refuse
to let all the rest near the surface, sometimes, and it’s reinforced by his voiceover commenting on what
getting harder and harder.” 19 we see at any given moment. In Akerman, on the
other hand, the camera’s view is detached from
As this probing self-description makes clear, both Akerman – the narrator – and her physical
Akerman’s disconnection is evident even on the person. While in Robakowski’s work the authorial 144
most basic register of her existence – taking care persona of the film maker assumes, and sub-
of her daily needs, keeping house in order, getting sumes, the interior, in Là-bas, the interior is given
food and supplies – results from a kind of damage a quasi-autonomous existence as, indeed, an
within her which, as she puts it obliquely, “has to autonomous “actor” in the film, a space besides,
do with […] Israel, or not-Israel.” This damage, or and in excess of, the author.
disjuncture, also defines the film maker’s relation It is as such that the interior in Là-bas serves
to her work – her frequent incapacity to sustain or Akerman as a tool through which she situates her-
hold on to it – and inscribes the work itself, as the self in relation to Israel and, reversibly, envisions
oblique, deferred, and internally split view of the Israel in relation to herself. The country is thus
neighboring building from behind the bamboo located both inside and outside herself and, as
blinds indicates. As other voiced-over monologues such, it produces ambivalent e≠ects, registered on
suggest, Akerman accepts her uprootedness as both serious and trivial levels. On the one hand,
part of her heritage which she identifies less with we are told that part of the reason why Akerman
the traditional diasporic mode of Jewish existence remains enclosed in her Tel Aviv apartment is that
than with the burdens borne by the second gen- she got sick, as she recounts, from eating one of
eration survivors of the Holocaust to which she those “wonderful salads they have here in Israel,”
belongs. Her stories about her aunt Ruth who sur- a statement that, evoking the image of her “poi-
vived the Holocaust but was psychologically dam- soned” interior, links the notion of interiorization
aged and ended up committing suicide, appear at (of Israel) to contamination. On the other hand, it
several moments in the film, as do references to is a place that she feels connected to, if ambiva-
Amos Oz, the Israeli writer, whose mother also lently. It is like the Hebrew she had once learned
killed herself “on one rainy day in Israel.” These at school and thought to have forgotten, only to
stories obviously resonate with the confession of realize, when speaking to a Tel Aviv friend on the
the author’s own internal damage, her disoriented phone, that she remembered it better than she
and unmoored existence in the real world, her thought. She is inescapably Jewish, an identity
tangential relation to the requirement of everyday that her stay in Israel makes her particularly self-
life, and her readiness for resignation in the face conscious about. As she put it in her half-defiant,
of dispossession (as when she lost her notes for half-resigned response to the immigration o∞cer
the film but made no e≠ort to retrieve them: “If I who, upon her arrival in Israel, asked her if she
sink, well, then I should just sink.”) wanted him to stamp her passport: “Sure I do. […]
A curious space of self-reflection thus I will not escape the yellow star. It is written inside
emerges in Là-bas, one of which the interior is me.” [33:80] At the same time, she repeatedly
shows herself not to coincide with the place she seems to me to be posing a question that para- 22 - See Greg
Youmans’s rich
carries inside – she refuses it and yet cannot fully phrases Montesquieu’s famous query in the Per- ­discussion of the
reject it. sian letters: “How can one be Jewish?” 23 film in which this
These verbal and visual negotiations are, Ultimately, what Là-bas produces is a com- point is made:
“Ghosted Docu-
then, not exactly about distancing herself from plex account of a self which is both spatially and mentary. Chantal
Israel, or for that matter from herself. Rather, they historically located, and profoundly irreducible to Akerman’s Là-bas,”
put forward the idea of a self that is non-identical this location. Interiority is defined here as a spe- in: Millenium.
Film Journal, 51,
to itself. It is the at once personal and historical cific place but also as an imaginary space, nothing 2009, pp. 71–80.
ramifications of this idea that the film explores. one has or is but rather something one has to con-
23 - The original ­query
For if the Tel Aviv interior serves as a locus through tinuously re-imagine and re-present. It is in the was “How can
which Akerman visualizes her tenuous hold on process of re-presentation that the self can give an one be Persian?” ­
Uttered by an
her own self, it also indicates that this tenuous- account of itself, an account that is, in the version incredulous Parisi-
ness is both personally and historically deter- o≠ered by Akerman, at once lucid and opaque, as an confronted by a
mined, that it has to do with her history as the first is the room in which it unfolds, cast in shadow, yet foreigner on the
street, it was inten-
post-Holocaust generation Jew. The film insists with light seeping in, a room in which, between ded as a critique of
on the idea of the place – and what it stands for – light and darkness, the inside and the outside, a the inability of the
as key for one’s self-definition yet it also problem- vision of the irreducibly doubled – othered – French conceiving
of otherness, see
atizes the idea of identification with, and belong- structure of subjectivity may be seen to emerge. Montesquieu,
ing to the place. Granddaughter of a rabbi from It is not only that every moment of the film, ­Lettres persanes,
Jean Starobinski
Pelz, Akerman recites her family lineage as if it the very structure of each image, is doubled from (ed.), Paris 2003.
were a lesson she must learn, a heritage she has not within. It is also that the internal othering becomes
fully assumed. (“I feel it, no I don’t feel it,” she tergi­ the very principle according to which the film
versates [1:04].) Like Friedrich’s figure estranged unfolds in its discontinuous and disjunctive mode,
from nature which it contemplates, Akerman can its heterogenous structure becoming the more
only look at the place of her familial origins, Pelz, apparent as we move, with Akerman’s voice and
from afar, from Israel. She comes to it belatedly, as camera, back and forth, between the inside and
an exile from her own past, which is to say, from the outside, between the real and the imaginary
herself. spaces evoked by her narratives and her images.
Yet, she is equally disconnected from Israel, The three separate sequences in the film when the
desirable as this location may be for the post-Ho­ camera actually does take us outside of the apart-
Ewa
Lajer- locaust generation of Jews. Throughout the film, ment in which we for so long dwelled, reempha-
Burcharth
she remains ambivalent towards the “promised size this.
145 land” which does not always deliver on its promise First, not unlike in the Hotel Monterey, we
Interior
– not for her family, anyway. Not for Aunt Ruth, suddenly find ourselves on the roof of the building
&
Interiority
for whom it was too late to come “down there.” Not where Akerman’s Tel Aviv apartment is located.
for Akerman herself, though she speculates what We see the distant sea, then the sky, with thick
would have happened, what would her life be like, clouds and some views of the local beach with
had her father, a Polish Jew who survived the Ho­lo­
caust, followed up on his dream of settling “down
there,” rather than in Brussels. But he didn’t. Isra-
el has remained for Akerman a location “down
there,” at once familiar and strange, a site of repose
inscribed by violence – old and new. Her laconic
account of a bomb explosion that happened unex-
pectedly in her Tel Aviv neighborhood, killing four
people and injuring many others while she slept
ensconced in her apartment, serves as a reminder Chantal Akerman, Là-bas, 79 min., ­
of the new violence associated with the place. It is France / Belgium 2006
as if the violence of the past that left an indelible
mark on her family history, as it did more gener- people strolling on it. Fig. 14 Then, as abruptly, we
ally on the history of European Jews, was inescap- are brought back to the apartment. The second
ably, if di≠erently, part of the present. “It is com- cut to the outside comes in about three quarters of
plicated,” as she puts it. the film: this time the camera registers Akerman’s
Such a statement may well be seen as an own foray onto the beach to look at the sea. Fig. 15
ethical evasion: that Akerman does not even men-
tion Palestinians in her ruminations on Israel,
even when she talks about the problem of its
internal violence, has been seen as a regrettable
disavowal of political reality in this country. 22 Yet
it seems to me that the film sketches out instead
what may be called an ethics of ambivalence, an
ethics based, that is, in a resolutely non-identitar-
ian conception of the place and of the self. Rather
than deliberately “forgetting” about Palestinians, Chantal Akerman, Là-bas, 79 min.,
or reasserting the Jewishness of the place, the film France / Belgium 2006
We look at her from a distance while she stands Là-bas may indeed be seen as an investigation of 24 - See Ivone Margulies,
“Chambre Aker-
immobile, like a sentinel, in front of the lapping Akerman’s creativity, or, more precisely, of its spa- man. The Captive
waves. Then she turns around and leaves. The tial conditions. (The monologue in which the film as Creator,” http://
camera latches onto other people, walking and maker reminisces about her mother not allowing www.rouge.com.
au/10/­akerman.html
playing on the beach. The views are taken with a her to play outside with other kids when she was (September 9,
zooming lens, the distance made palpable by the young, the interdiction that led her to develop a 2010). For the func-
slight graininess of the image. The camera does habit of looking at length through the window – “I tion of ­enclosure
in Akerman’s work,
not follow the people’s movements: they come in look, and I get all holed up inside myself ” – does see also ­Jacques
and out of its field of vision, as does the family of indeed point in this direction, hinting at a para- Polet, “La problé­
matique de l’enfer­
the orthodox Jews that walks towards the camera, doxical link between maternal oppression, spatial mement dans
obviously without seeing it, before turning to the confinement, and budding creativity. 26 In this l’univers ­filmique
perspective, Akerman’s venturing outside could de ­Chantal Aker-
man,” in: Chantal
be seen as a self-assertive gesture, a circumnaviga- Akerman, ­Jacque­-
tion of the inside from the outside aimed at defin- line Aubenas (ed.),
ing the boundaries of the interior as the site of her Brussels 1982
(= Les ateliers des
creative autonomy. In other words, if Là-bas may arts, 1), p. 171.
be seen to represent the film maker’s creative “room
25 - Margulies, ­Chambre
of her own,” it is insofar as she constructs it by her- Akerman (note 24).
self both from within and without.
26 - Akerman, Là-bas
And yet, let us note that, as shown in Là-bas, (note 19), 1:05:00.
Chantal Akerman, Là-bas, 79 min., this “room of her own” does not entirely belong to For Akerman, ­there
seems to be, there-
France / Belgium 2006 Akerman, nor does she belong entirely to it. It is a fore, a direct link
heterogenous space, traversed by the visual and between the view
right and exiting the frame. Fig. 16 Life is going on narrative evocation of others, a doubled space, from the window,
such as the views
as usual. Sun sets, dusk falls. A plane crosses the discontinuous with itself. (It is as if the mother’s of Là-bas, and
sky. Akerman emphasizes the contingency of her room was not next to Akerman’s but rather inhab- creative impulse.
vision of the exterior, as if to avoid the picturesque ited, or haunted, from within.) The sequences shot 27 - Akerman 1982,
e≠ect, avoid, that is, visually to produce the exoti- outside further complicate the sense of belonging cited by Margulies,
cism of the place, the Jewishness of Israel. The conveyed by this vision of space. Rather than lib- Nothing happens
(note 4), p. 1.
orthodox family walking towards us is precisely eration from the constraint of interior, I would see
the kind of image that she could only present as if them as the representation of the exterior that Ewa
Lajer-
Burcharth
by chance, that hints at the kind of film about inscribes her vision not only from without but also
Israel that she did not want to make, could not from within. That is, I would see these sequences 146
imagine herself making. as an avowal of the radical – historical, cultural – Interior
Again, we return back into the apartment. permeability of the interior. It is in this regard, as &
Interiority
Time passes. More personal narrative ensues, an articulation of spatial, and temporal, disconti-
more views of the outside through the blinds. The nuity, that the film seems to me to be not only
third outdoor sequence occurs close to the end of “about” Akerman’s creativity but also about a cer-
the film. We are on the roof again. We see the tain conception of the self that, close as it may be
roofs of the surrounding buildings, the distant to Akerman’s own, is irreducible to her person,
sea, and the sky. We hear the noise of the street has a collective relevance. Akerman herself seems
and of the planes. Then again we are back in the to have left the possibility of discerning a public
apartment where a voice of a TV or radio speaker dimension in the personal material open. She has
could be heard. Out again – night sky, the lights once said: “I haven’t tried to find a compromise
of a crossing plane cut through it, somehow omi- between myself and others. I have thought that
nously, some confusion – and in again. The film the more particular I am the more I address the
ends with the view from the inside, with blinds general.” 27
pulled up. It seems to me then that, beyond its intimate
What, then, is the function of these outdoor agenda, Là-bas formulates something of a broad-
sequences in this sustained investigation of the er import. In its repeated staging of the interior as
interior? One could obviously see them as a form a split and splitting space, a space that is non-
of periodic liberation from the constraint of the identical to itself, it not only registers the internal
inside, a release from its claustrophobic enclo- heterogeneity of an individual person; it also sug-
sure. The at once protective and oppressive di- gests that such internally discontinuous notion of
mension of domestic space in Akerman’s filmic the individual may be useful for re-imagining a
œuvre has been recognized, notably by Ivone community, for developing a non-identitarian
Margulies. 24 In Margulies’s view, this ambiva- notion of collectivity: one based in history, rooted
lence has to do with the function of the interior as in the past, and in the place, but ultimately not
the means of negotiating the maternal space in identical with it. This is, to my mind, the ethical
relation to which Akerman develops her own cre- challenge posed by Là-bas.
ative realm. As Margulies has put it, while “the
opening sentence of [Beckett’s] Molloy is ‘I am in
my mother’s room,’” the phrase defining Aker-
man’s work could well be “I am in a room next to
my mother’s.” 25
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Théodore Géricaults lebensgrosses Gemälde einer
– vermutlich seiner – toten Katze, das er um 1820
Ralph Ubl malte, lässt sich nicht ohne weiteres der Gattung

Entzweiung
des Stilllebens zurechnen. Abb. 1 In der frühneuzeit-
lichen Tradition, bis zu Jean Siméon Chardin und
Francisco de Goya, waren es gefangene, erlegte

der oder geschlachtete, dabei stets verzehrbare Tiere,


die als nature morte gemalt wurden, nie aber ein

Malerei
toter Hausgenosse. Das Tier ist tatsächlich tot und
nicht eingeschlafen, auch wenn Katzenfreunde
mir versichert haben, dass ihre Tiere durchaus

Géricault gerne in dieser Lage schlafen. Der Sockel jedoch,


zumal seine scharfe vertikale Kante, macht mit
Nachdruck deutlich, dass der Katzenkörper auf

um ihn gelegt wurde, um gemalt zu werden – als totes


Tier, aber keineswegs als Kadaver, eine Unter-

1820 scheidung, die besonders betont werden muss.


Géricault hat sich nicht nur für Fell, Gestalt und
körperliche Spannung seiner toten Katze interes-
siert, sondern ebenso und ganz besonders für ihre
Wahrnehmungsorgane, für die Schnurrhaare, die
Pfoten und vor allem das Ohr, das in die bildpar-
allele Ebene gedreht und uns zugewandt erscheint.
Die einander berührenden Gliedmassen und das
dichte Fell bestärken den Eindruck, es handle sich
um einen empfindungsfähigen Körper – oder
zumindest um einen Körper, der noch dieselben
Empfindungen erregt wie eine lebendige Katze.
Im Unterschied zu den Bildern von abgetrennten
Köpfen oder toten Pferden, in denen Géricault das
Gewaltätige, Groteske und Unheimliche des
Todes, die leeren Blicke und aufgedunsenen Lei-
147 ber hervorstrich, hat er sich dem Katzenkörper in einer Weise zuge-
wandt, dass dieser, auch als toter, nicht aus der Welt der Lebenden als
Fremdkörper ausgestossen wird. In dieser Hinsicht – nicht aufgrund
irgendeiner ikonographischen Assoziation, sondern aufgrund der sor-
genden Geste, die das Gemälde selbst vollzieht –, lässt Eine tote Katze
an all die toten Märtyrer und Helden denken, die als tote, nicht aber als
Kadaver gemalt wurden: von Christus über Marat bis zu den Leichen
im Vordergrund von Géricaults Hauptwerk Das Floss der Medusa. 1
Wie sehr Géricault sich um die Darstellung dieses toten Körpers
sorgte, den er nicht als Kadaver darstellen wollte, zeigt sich auf symp-
tomatische Weise an der Verzeichnung des Sockels, der eigentümlich
verzerrt erscheint, so als würden die Kanten nicht parallel zueinander
verlaufen. Dass es schwer fällt, seine Grundfläche als Rechteck wahr-
zunehmen, resultiert unter anderem aus der Art und Weise, wie der
rechte Hinterlauf die rechte äussere Kante verdeckt, oder anders gesagt:
wie die Fluchtlinie durch das Bein ersetzt, in ihrer Tiefenwirkung
geschwächt und zum Körper hin umgelenkt wird. Der Sockel erzeugt
nicht einfach einen perspektivisch verkürzten Raum, der den Katzen-
körper aufnimmt, der Katzenkörper verleiht diesem Raum vielmehr
etwas von seiner eigenen physischen Dichte und Schwere.
Vermutlich ein Jahr zuvor, 1819, hatte Géricault eine andere
nature morte gescha≠en, die ebenso wenig wie Eine tote Katze in diese
Gattung fällt, die traditionell der Darstellung von Dingen, Früchten
und Lebewesen vorbehalten war, die
1- Die These, dass Géricault in der Darstellung vom Menschen gebraucht, gepflückt
von Tieren (von lebendigen Tieren oder, wie ich oder verspeist werden. Anders als Eine
hinzufügen würde, auch von umsorgten Tier-
leichen) ganz zu sich fand, entwickelte erstmals tote Katze bietet das Stillleben aus Lei-
Michael Fried in seinem für mein Verständnis chenteilen einen grotesken Anblick. Abb. 2
von Géricault grundlegenden Aufsatz «Géri-
cault’s Romanticism», in: Géricault, Régis
Umso mehr überrascht und beun-
Michel (Hg.), 2 Bde., Paris 1996, Bd. 2, S. 641– ruhigt, dass es ebenso wie – und viel-
670. Eine Ausarbeitung der hier vorgestellten leicht sogar mehr noch als – Eine tote
Überlegungen, die auf die reichen Erträge
der Géricault-Forschung eingeht, plane ich an Katze einen physisch dichten Nahraum
anderer Stelle zu veröffentlichen. ö≠net, aufgebaut aus Körperteilen, die
148

Abb. 1
Théodore Géricault, Tote Katze
(um 1820), Öl auf Leinwand, 50 x 61 cm
(Musée du Louvre, Paris)
Abb. 2
Théodore Géricault, Leichenteile
(1819?), Öl auf Leinwand, 52 x 64 cm
(Musée Fabre, Montpellier)
In der Diskussion um die moderne und auch die zeitgenös-
sische Malerei lassen sich, grob gesagt, zwei Standpunkte
unterscheiden: Auf der einen Seite hat sich ein Zugang als
ergiebig erwiesen, den man phänomenologisch nennen
könnte, weil er oft mit Berufung auf Maurice Merleau-­Ponty
(so zum Beispiel bei Richard Shi≠, Michael Fried oder Yve-
Alain Bois) einhergeht, auch wenn man ebenfalls nicht phä-
nomenologisch orientierte Philosophen wie Richard Woll-
heim oder Michael Podro als Gewährsleute anführen könn-
te. 3 Im Zentrum dieser Au≠assung steht die Vorstellung,
dass die Malerei als Kunst aus ihrem eigenen Nahraum her-
vorgehe, dem Nahraum des Gemäldes, in dem Malen und
Sehen so eng aufeinander bezogen seien, dass sie als Beispiel
Abb. 3
Théodore Géricault, Das Floss der Medusa (1819), Öl auf
und auch als Vollzug einer unauflöslichen Verschränkung
Leinwand, 491 x 716 cm (Musée du Louvre, Paris) von Wahrnehmung und Praxis hervortreten. Für diesen
Nahraum sei zudem konstitutiv, dass Gemälde nie flach
einander berühren und die auch dadurch, dass sie erschienen, sondern ihnen vielmehr eine eigene Tiefe oder Dichte
einander knapp verfehlen – wie die Finger und die zukomme – Tiefe nicht als dritte, der Fläche hinzugefügte Dimension,
Zehen –, Empfindungsfähigkeit suggerieren. Dass sondern, wie Maurice Merleau-Ponty in Das Auge und der Geist darge-
diese Verschränkung zweier Beine und eines rech- legt hat, als erste und ursprüngliche Dimension, an der all das, was das
ten Arms oftmals als unheimlich beschrieben Gemälde zu sehen gibt, teilhat. 4
wurde, rührt sicher von dieser Verlebendigung der Die stärkste Gegenposition zur phänomenologischen Hinwen-
membra disjecta durch ein Helldunkel, das selbst dung zum Nahraum der Malerei kommt in der radikalen Ö≠nung dieses
einer dichten, sensitiven Substanz gleicht. Genau- Nahraums auf andere Bildmedien und Produktionformen zum Aus-
so wirkungsvoll ist indes die Art und Weise, wie druck: auf drucktechnische, photographische und digitale Medien, die
das Gemälde den Betrachters adressiert, oder ge- eine Distanzierung der Bildwerdung vom Körper voraussetzen; und dar-
nauer gesagt: sich mit diesem zu verkoppeln droht. über hinaus auf die kapitalistische Warenproduktion, die in der Gestalt
Während die Füsse überkreuz gelegt sind, der rech- des Spektakels auch das Bild in seiner eidetischen Dimension umfasst.
te zu unserer Linken und der linke zu unserer Eine solche materialistische Perspektive, die z. B. von T. J. Clark, Rosalind
Rechten, ist die rechte Schulter genau gegenüber Krauss, Jonathan Crary oder Sebastian Egenhofer vertreten wird, 5 zielt
Ralph unserer rechten Schulter platziert, so, als würde sie zudem auch immer auf eine Kritik der allzu emphatischen Bezugnahme
Ubl
ein Gelenk bilden, das den zerstückelten Körper auf den Körper, der seinerseits als Produkt begri≠en wird – als Produkt
149 im Bild und den Körper vor dem Bild verbindet. 2 der epistemischen und sozialen Transformationen, auf die hier nur mit
Entzweiung
Zwei ungewöhnliche Stillleben, zwei sehr dem Stichwort der Disziplinarmacht verwiesen sei.
der
Malerei
unterschiedliche Todesbilder, die beide jedoch in Wohin immer man sich wendet, an diesem Scheideweg zwi-
einen Nahraum der Malerei führen, in dem wir schen phänomenologischer und materialistischer Malereigeschichte,
einer dieser Kunst eigenen Intimität inne werden, es ist wohl o≠ensichtlich, dass es Werke gibt, die eher die eine, und
die sich gerade an Motiven der Trennung oder gar Werke, die wiederum die andere Betrachtungsweise nahe legen. Man-
der Abstossung zu erkennen gibt. Ich möchte die- che zeitgenössische Malerinnen und Maler, wie z. B. Maria Lassnig,
se beiden Werke mit einem dritten konfrontieren, Brice Marden, Joseph Marioni oder Josh Smith, würden zweifellos der
dem Bild einer Gipsbrennerei, das ebenfalls unge- Bemerkung von Henri Matisse zustimmen, dass, von der Sta≠elei aus
fähr 50 x 60 cm misst und zur selben Zeit, 1820 gesehen, das Segelboot am Horizont genauso nahe sei wie die Gegen-
oder 1821, nach einem von Géricaults beiden Lon- stände im Atelier. Andere Maler wiederum folgen dem Beispiel eines
donaufenthalten, entstanden sein dürfte. Abb. 8 Um Georges Seurat, Marcel Duchamp oder Andy Warhol, die das Gemälde
darzulegen, warum ich diese Gegenüberstellung als Resultat von Produktionsprozessen begri≠en, die sich der Reich-
für signifikant halte, im Kontext von Géricaults weite des Malers entziehen, die dessen körperlichen Nahraum viel-
Œuvre und darüber hinaus für die moderne Kunst, mehr durchqueren und dezentrieren. Meine einleitenden Bemerkun-
werde ich zunächst einige allgemeine Überlegun- gen zusammenfassend möchte ich daher festhalten, dass die Geschich-
gen zur modernen Malerei vorstellen und danach te der modernen Malerei eine Spaltung durchzieht zwischen einer
Géricaults künstlerische Situation nach Vollen- Malerei, die sich in das Ineinander von Sehen und Tun, Wahrnehmung
dung seines Meisterwerks Das Floss der Medusa
im Jahr 1819 skizzieren, um von dort zu meiner 2 - Lateralität als rezeptionstheoretisches Problem ist ein zen­
trales Thema der Bücher von Michael Fried, so auch jüngst
Hauptthese zu gelangen: dass sich während und in seinem The Moment of Caravaggio, Princeton 2010.
nach der Arbeit am Floss der Medusa Géricaults 3 - Vgl. Richard Wollheim, Painting as an Art, London 1987;
Malerei aufspaltete, und zwar in eine Alternative, Michael Fried, Courbet’s Realism, Chicago 1990; Richard
die für die Moderne insgesamt prägend sein ­sollte. Shiff, «Cézanne’s Physicality. The Politics of Touch», in: The
Language of Art History, Salim Kemal / Ivan Gaskell (Hgg.),
Cambridge 1991, S. 128−180; Yve-Alain Bois, «On Matisse.
• The Blinding», in: October, 68, 1994, S. 61–121; Michael Podro,
Depiction, New Haven / London 1998.
4 - Vgl. Maurice Merleau-Ponty, L’Œil et l’Esprit, Paris 1964.
5 - Vgl. Rosalind Krauss, The Picasso Papers, New York 1998;
T. J. Clark, Farewell to an Idea. Episodes from a History of
Modernism, New Haven / London 1999; Jonathan Crary,
Suspensions of Perception Attention, Spectacle, and Modern
Culture, Cambridge (Mass.) / London 1999; Sebastian
Egenhofer, Abstraktion – Kapitalismus – Subjektivität. Die
Wahrheitsfunktion des Werks in der Moderne, München 2008.
und Praxis vertieft, und einer Malerei, die sich den
Kräften einer technischen und ökonomischen
Produktion von Wirklichkeit aussetzt, Kräften,
die, metaphorisch gesprochen, das Zwiegespräch
von Körper und Leinwand auf den Lärm der mo-
dernen Welt hin ö≠nen, ja jenes Zwiegespräch als
illusionären E≠ekt eben dieses Lärms entlarven.
In meinen Überlegungen zu Théodore Géricault
werde und möchte ich diese Alternative nicht auf-
heben oder gar versöhnen, mein Ziel ist vielmehr,
dem Wirken dieses Zwiespalts nachzuspüren,
dem Aufkla≠en dieser Entzweiung der modernen
Malerei, die einerseits ihren Nahraum entdeckt,
sich aber andererseits in ihrem Aussen situiert.

Géricaults kurze Karriere, von Chasseur de la Gar-


Abb. 4
de, seinem ersten Salonbild von 1812, bis zu seinem Jacques-Louis David, Der Schwur der Horatier (1784),
frühen Tod mit gerade 33 im Jahr 1824, war reich Öl auf Leinwand, 330 x 425 cm (Musée du Louvre, Paris)
an plötzlichen Wendungen, von denen mich im
Folgenden nur eine interessieren wird, nämlich Géricaults Abkehr von anschliessen sollte, indem er den Schi≠bruch als
der Historienmalerei nach der Vollendung von Das Floss der Medusa Entstehung eines heldenhaften Kollektivkörpers
im Jahr 1819. Abb. 3 Er vollzog keinen radikalen Bruch – in seinen Zeich- aus Mannschaft und O∞zieren, Weissen und
nungen finden sich noch Vorarbeiten für ein Historienbild zur Sklave- Schwarzen interpretierte. Abb. 4 Unter den mannig-
rei –, aber dennoch eine vom Künstler ö≠entlich markierte und privat fachen und auch tiefgehenden Unterschieden, die
auch programmatisch formulierte Neuorientierung. Das Floss der Davids und Géricaults Au≠assung der Historien-
Medusa, ein 491 × 716 cm messendes Monumentalgemälde, das den malerei als politischer Figuration voneinander
Überlebenskampf von Schi≠brüchigen darstellt, genauer: ihren Ver- trennen, möchte ich nur einen hervorheben, näm-
such, dem eben am Horizont auftauchenden Entsatzschi≠ ein retten- lich ihre grundverschiedene Bestimmung des
des Signal zuzusenden, hatte dem Künstler in der o∞ziellen Ausstel- politischen Raums. David hatte die Bühne des
lung des Jahres 1819 einen Achtungserfolg gebracht, aber auch nicht dramatischen Geschehens in einen Boden ver-
mehr. Die Kunstbürokratie entschied sich gegen den Ankauf und wandelt, einen als physisches Widerlager markant 150
verscha≠te Géricault bloss den Auftrag für ein Altarbild mit dem pas- hervor tretenden Boden, auf dem die Figuren
send-unpassenden Thema der Herz-Jesu-Verehrung, den er einem unter grösster Muskelanspannung stehen, einen
bedürftigen jungen Freund namens Eugène Delacroix weiter geben Boden ausserdem, dessen formale Vordringlich-
sollte. Er selbst gri≠ zu unkonventionelleren Methoden, um die beacht- keit nicht nur in die Darstellung hineinwirkt und
lichen Kosten für Materialien, Modelle und Ateliermiete einzuspielen, deren harte Fügung vorbestimmt, sondern der
die sich während der gut einjährigen Arbeit an Das Floss der Medusa auch auf die Vorbildlichkeit Roms als jenen Ort
summiert hatten. Er verschickte das Gemälde nach London und später verweist, an dem die exemplarischen Opfer und
auch nach Irland, wo es von kommerziellen Schaustellern präsentiert Taten der Geschichte stattgefunden haben. Bei
wurde und dem Maler tatsächlich beträchtliche Einkünfte bescherte. Géricault hingegen wurde das Handeln, sowohl
Géricault, der als Dandy, Pferdeliebhaber und Liberaler ohnehin immer als menschliches wie auch als politisches, seines
ein Faible für das Inselreich hatte, verfolgte in den wenigen Jahren, die angestammten Orts im Haus, in der Polis oder auf
ihm bis zu seinem Tod 1824 noch bleiben sollten, denn auch eine aus- dem Schlachtfeld beraubt. Die Akteure müssen
gesprochen britische Strategie. Darunter ist vor allem seine Abkehr sich auf dem o≠enen Meer behaupten, dessen
vom Staat als materieller und auch ideeller Instanz seiner Kunst zu ver- markierungsloser Raum nur durch die Bahnen
stehen. Anstatt sich durch die zeit- und kostenintensive Arbeit an der Zirkulation von Menschen und Waren artiku-
einem Monumentalgemälde noch einmal in die Abhängigkeit von liert wird. Wolfgang Kemp verdanken wir den
staatlicher Patronanz zu begeben, schuf er zahlreiche kleinformatige Hinweis, dass diese Ortlosigkeit auch das Gemäl-
Gemälde und vor allem Lithographien für Privatkunden und darüber de selbst einholen sollte, nicht nur durch seine
hinaus für den anonymen Markt. In einem Brief vom 12. Februar 1821, Verschickung nach London und Irland, sondern
den Géricault aus London an einen Pariser Freund schrieb, bekannte bereits zuvor im Salon von 1819, wo Géricault das
er: «Ich schwöre dem Theater und der Heiligen Schrift ab und schlie- Werk in verschiedenen Höhen anbringen liess,
sse mich solange im Pferdestall ein, bis ich in Geld schwimmen ohne je ganz zufrieden zu sein. 7
werde.» 6 Als Géricault jedoch am symbolischen
Wie der polemische Hinweis auf die Theatralität des Historien- Anspruch des Historiengemäldes zu zweifeln
bildes andeutet, ging diese ökonomische Neuausrichtung einher mit begann und sich als Spezialist für kleine Gemälde
einer symbolischen, mit der Abwendung von der höchsten Bildgattung, und Lithographien zu etablieren versuchte, setzte
die durch den Staat finanziert wird und die ihrerseits den Staat figu- er auf Zirkulation, auf die Zirkulation der Men-
riert, indem sie politische Gründungsakte vor Augen stellt. Dieses Ide- schen und ihrer Vehikel, der Waren, Rohsto≠e,
al der Historienmalerei hatte in Jacques-Louis Davids Schwur der Zugtiere und nicht zuletzt der Bilder. Seine Londo-
Horatier von 1784, einem Gemälde, das bekanntlich die Formierung ner Gemälde, Zeichnungen und Lithographien
männlicher Bürgertugend zum Thema hat, seine bis weit in das 19. handeln hauptsächlich von dieser Bewegung. Sie
Jahrhundert prägende Formulierung gefunden, an die auch Géricault zeigen Strassenszenen mit Fussgängern, Kutschen
Abb. 5
Théodore Géricault, Pferde auf dem Weg
zur Messe (1821), Lithographie, 25,2 x 35.4 cm
(Bibliothèque nationale, Paris)
Abb. 6
Théodore Géricault, Der flämische
Hufschmied (1821), Lithographie, 23 x 31,5 cm
(Bibliothèque nationale, Paris)
Abb. 7
Théodore Géricault, Eingang zur Adelphi
Wharf (1821), Lithographie, 25,3 x 31 cm
(Bibliothèque nationale, Paris)

weil sie Bilder in hohen Auflagen erzeugt, die ihrer-


seits an der allgemeinen Zirkulation teilhaben,
sondern auch aufgrund ihrer Farblosigkeit, ihrer
düsteren Grauwerte sowie der dichten, den Blick
blockierenden Schwärze, die das moderne Lon-
Ralph don als Welt ohne Aussen, als horizontlose Land-
Ubl
schaft charakterisiert.
151 und anderen Fuhrwerken, sie zeigen Vagabunden, Zurück in Paris zog Géricault aus seiner Auseinandersetzung mit der
Entzweiung
den Transport von Kohle, Gips, Bierfässern oder frühindustriellen Moderne radikale Konsequenzen für die Male-
der
Malerei
Müll, von Pferden, die zur Messe gebracht werden, rei. Abb. 8 Eine Gipsbrennerei, ein 50 × 61 cm messendes Gemälde, zeigt
oder eines Pferdekadavers auf seinem letzten Weg. eine Anhöhe auf dem Montmartre mit zwei Gebäuden, in denen sich
Auch die verschiedenen Darstellungen von Schmie- Öfen zur Verwandlung von Gypsum zu Gips befinden. Der Montmart-
dewerkstätten, von flämischen oder französischen re war bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts die wichtigste Abbaustät-
Hufschmieden, die ihre Pferde auf je andere Weise te von Gypsum und zugleich auch die Produktionsstätte des berühm-
beschlagen, zählen zu den Transportbildern, gleich- ten plâtre de Paris, der um 1800 in ganz Europa und auch in den USA
falls die Darstellungen sich stärkender Reiter oder Verwendung fand. Links von der Brennerei ist ein Karren abgestellt,
ruhender Pferde, wie z. B. in dem kleinen Ölgemäl- die vier Zugpferde fressen aus den vor ihr Maul gebundenen Futterbeu-
de eines Brauereifuhrwerks. Abb. 5 / 6 Wartung und teln. Im Eingang zum Gipsofen sehen wir einen zweiten Karren, der
Rast gehören ebenso zur Zirkulation wie die Be- von einem einzelnen Arbeiter, der nur bei genauem Hinsehen zu erken-
wegung selbst, zur Disziplin vielfach eingeübter nen ist, mit Gipssäcken beladen wird. Die Spuren im Schlamm ver-
Tätigkeiten, die von Mensch und Pferd in einer deutlichen zudem, dass es sich um vielfach wiederholte Abläufe han-
Welt vollzogen werden, in der es keine Handlun- delt, um ein ständiges Kommen und Gehen der Fuhren, ein regelmä-
gen, sondern nur Abläufe gibt. Dass einzelne litho- ssiges Ab- und Anspannen der Pferde, Be- und Entladen der Karren.
graphische Blätter und Zeichnungen an Das Floss An den massiven, von Strebepfeilern verstärkten Gebäuden sind die
der Medusa erinnern, indem sie ebenfalls vom Spuren der Zeit und des Gebrauchs ebenfalls überdeutlich. Aber eine
Betrachter weg in die Tiefe orientiert sind, macht solche Beschreibung, die ausschliesslich den repetitiven Charakter die-
diesen Kontrast zwischen Tat und Ablauf noch ser rudimentären industriellen Produktion hervorhebt, verkennt, dass
deutlicher, zwischen dem solidarischen Handeln es sich um ein Ereignisbild handelt, in dem allerdings kein menschli-
der Schi≠brüchigen und der Verkettung von cher Akteur als Urheber dieses Ereignisses auftritt. Der Arbeiter und
Arbeitern, Nutztieren und Fuhrwerken. Abb. 7 Auch die Pferde bilden zusammen mit dem Gelände und den Gebäuden den
die Szenerie dieser Bilder – Stadt und Brachland, Hintergrund, eine gleichsam im Imparfait gehaltene Beschreibung
Strassen, Lagerhallen, Werkstätten und Ställe – wiederkehrender Abläufe, gegen die sich etwas abzeichnet, von dem
ist ganz von diesen Abläufen durchdrungen. Es wir wohl wissen, dass es mit derselben Regelmässigkeit eintritt wie das
handelt sich um eine durch und durch vom Men-
schen produzierte Landschaft, in der die Natur 6 - «J’abdique le cothurne et la sainte Ecriture pour me renfer-
auf au≠ällige Weise abwesend ist und wo die mer dans l’écurie dont je ne sortirai que cousu d’or», zit. n.:
Atmosphäre weniger von den Jahreszeiten als von Ausst.-Kat. Géricault, Paris: Grand Palais, Paris 1991, S. 320;
Übers. R. U.
der notorisch schlechten Londoner Luft zeugt.
7 - Vgl. Wolfgang Kemp, Der Anteil des Betrachters. Rezeptions-
Auch die jüngst erfundene Technik der Lithogra- ästhetische Studien zur Malerei des 19. Jahrhunderts, München
phie ist ein Teil dieser steinernen Welt, nicht nur 1983, S. 103–113.
152

Abb. 8
Théodore Géricault, Die Gipsbrennerei
(1820–21), Öl auf ­Leinwand, 50 x 61 cm
(Musée du Louvre, Paris)
Abb. 9
Jackson Pollock, Number 1A, 1948 (1948),
Öl und Lack auf Leinwand, 172,7 x 264,2 cm
(The Museum of Modern Art, New York)
Füttern der Pferde oder das Beladen der Karren, in die Tiefe orientierte Pyramide, so, als wären ihre Körper die ­Elemente
das für uns jedoch, die Betrachter des Gemäldes, einer perspektivischen Konstruktion. Die Dramatik des Gemäldes
als Unterbrechung dieser Routine aufblitzt: Ich resultiert denn auch vor allem aus dem Kontrast zwischen dem aufge-
meine die Staubwolke, die die Szene plötzlich richteten Kollektivkörper und der Fläche des Meeres, die keine Orien-
erhellt, indem sie das von rechts oben einfallende tierungspunkte bietet ausser dem gerade zwei Zentimeter messenden
Sonnenlicht reflektiert. Motiv der rettenden Fregatte Argus, auf die die Körperperspektive der
Dass es sich zugleich um eine Licht- wie Figuren hin ausgerichtet ist. In dieser Körperperspektive deutet sich
um eine Staubwolke, um einen Reflex und um eine Bildtiefe an, die nicht nur optisch-visuell, sondern zugleich dicht
weisses Pulver handelt, dürfte Géricault beson- und somatisch ist. So gesehen lässt sich Das Floss der Medusa als
ders fasziniert haben. Denn das Weiss, das auf den Konflikt zwischen zwei Raumformen begreifen – zwischen dem Raum
Pferdekörpern, den Karren und den Gebäuden des o≠enen Meeres, der das menschliche Handeln dem Haus, der Polis
liegt, ist nicht einfach Licht, es gleicht ebenso sehr und dem Schlachtfeld entfremdet, und der verkörperten Perspektive
jenem grau-weissen Pulver, aus dem die Wolke der Figuren, die diesem Raum eine Richtung abgewinnt. In seinen
besteht. Insgesamt zeichnet sich das Gemälde kleinformatigen Werken löst Géricault diese Spannung des Historien-
durch scharfe Helldunkelkontraste aus – beson- bildes nach zwei Seiten hin auf: In den Londoner Bildern und Litho-
ders deutlich in der Gegenüberstellung der Gips- graphien sowie in Eine Gipsbrennerei geschieht dies durch Ö≠nung des
wolken und der dunklen Mauerö≠nungen –, die Bildes auf einen unbehausten Zirkulationsraum, auf die Themen der
sich zugleich als Kontraste im materiellen Aufbau Fahrt und der Ortlosigkeit, denen aber (anders als im Historienbild)
der Landschaft erweisen: Die Helligkeit verdich- kein Handlungsraum mehr abgerungen wird, da Menschen nur mehr
tet sich zum Weiss des Gipses, das Dunkel wieder- als Glieder in routinierten Abläufen tätig sind. Gemälde wie Stillleben
um sickert ein in den schlammigen Boden. Licht aus Leichenteilen und Eine tote Katze schliessen an Das Floss der Medu-
und Materie gehen unmerklich ineinander über, sa hingegen insofern an, als sie eben jene physische Tiefe und Dichte,
Reflexe sind von Staubflecken, Schatten von die sich in der Körperperspektive der Schi≠brüchigen andeutet, in
Schlamm nur schwer unterscheidbar, und diese einen intimen Nahraum übertragen, um die Malerei in der Sphäre kör-
eigentümliche Vermischung von optisch-visuellen perlicher Reichweite einzuhegen.
und materiellen Farben wird noch dadurch Wir haben es daher mit einem Zwiespalt zu tun, der insofern auf
betont, dass auch das Gemälde selbst überaus Das Floss der Medusa zurückweist, als dieses sowohl den somatisch-
dicht gemalt ist. Die Darstellung ist mit grösstem dichten Raum als auch den Zirkulationsraum in sich aufnimmt, um aus
Nachdruck in ihrem Träger verankert, so als dürf- deren Konflikt seinen eigenen Antagonismus zu gewinnen. Géricaults
te die Verwandlung von Erde in weissen Staub Entzweiung der Malerei weist indes nicht nur zurück auf das monu-
Ralph und von weissem Staub in Lichterspiel in keinem mentale Werk. Die Staubwolke in Eine Gipsbrennerei kündigt zudem
Ubl
Fall dazu führen, dass sich das Bild von seinem eine ganz andere, neue Möglichkeit der Malerei an, die aus der hier vor-
153 materiellen Substrat löst. Das Gemälde nimmt genommenen Unterscheidung zwischen Nahraum und Zirkulations-
Entzweiung
vielmehr selbst an dem Kreislauf teil, den es dar- raum hervorgeht und sie zugleich hinter sich lässt. Diese neue Malerei,
der
Malerei
stellt, an der Transformation von dichter Materie die für die Moderne genauso wichtig ist wie die beiden Enden der Ent-
in eine Lichterscheinung, die sich wieder als zweiung, zeichnet sich durch eine opake, dichte, eigene materielle Tie-
Staubschicht ablagern wird. So wie die Gipsbren- fe aus, die allerdings nicht auf den menschlichen Körper bezogen ist,
nerei nicht einfach in der Landschaft steht, son- sondern jenseits von dessen Reichweite in Erscheinung tritt. Industri-
dern diese tiefgehend verändert hat, so zeigt auch elles Gewölk ist in der Kunst eines Edouard Manet, Camille Pissarro
das Gemälde nicht einfach eine Landschaft mit oder Fernand Léger denn auch nicht einfach ein ikonographisches
Gipsbrennerei, sondern bezieht seine eigene Anzeichen von Modernität, es dient vielmehr als Figur einer Kunst, die
Genese auf diese doppelte Produktion, auf die sich in den flüchtigen Spuren maschineller Produktion verkörpert, eine
Herstellung von Gips und die damit einhergehen- Kunst der Kondensation, die die Gase und Dämpfe in den flüssigen und
de Scha≠ung einer neuen Landschaft, die ihr Zen- sich verfestigenden Zustand des gemalten Bildes überführt. 8 Diese
trum in einer rudimentären Chemiefabrik hat. künftige Malerei aus industrieller Farbe und optischem Flirren, die ich
in der atmosphärischen und zugleich materiell-dichten Erscheinung
• von Géricaults Staubwolke erkennen möchte, wird ihrerseits zu monu-
mentalen Werken führen, die wiederum den körperlichem Nahraum –
Die beiden Stillleben und Eine Gipsbrennerei und sei es auch nur durch einen Handabdruck – und maschinelle Rota-
erscheinen, so gesehen, als Antipoden. Während tionsbewegungen aufeinander beziehen. Abb. 9 Von diesem Endpunkt
Eine Gipsbrennerei die Malerei auf eine Welt aus gesehen endet die Geschichte, die von Géricaults Entzweiung des
mechanischer und chemischer Abläufe bezieht, dramatischen Tableau ausgeht, nicht im Dualismus, sondern mündet
auf Verkettungen, an denen Menschen als Glieder in jene Dialektik, die den Modernismus mit der Kunst der Vergangen-
beteiligt und mit Nutztieren, Fuhrwerken, Wegen, heit verbindet. 9
Gebäuden und Öfen zusammengefügt sind, so
wird die Malerei in Eine tote Katze und in Stillle-
ben aus Leichenteilen als eine Kunst bestimmt, die 8 - Vgl. auch T. J. Clark, The Painting of Modern Life. Paris
in the Art of Manet and his Followers (Revised Edition),
im Nahraum zwischen Gemälde und Maler ent- Princeton 1999, Preface to the Revised Edition,
steht, in Reichweite des menschlichen Körpers, S. x–xxx; ders., «Modernism, Postmodernism, and
Steam», in: October, 100, 2002, S. 154–174.
dessen eigene Dichte und Tiefe mit jener des
9 - Zu den Zweifeln an dieser Dialektik, wie sie in Jasper
Gemäldes in Korrespondenz tritt. Johns’ Diptychen formuliert wurden, vgl. Wolfram
Beides, die Dezentrierung der Malerei wie Pichler / Ralph Ubl, «Enden und Falten. Geschichte der
auch deren Rückzug auf den körperlichen Nah­ Malerei als Oberfläche», in: Neue Rundschau, 114, 4,
2002, S. 50–71; zur Fortdauer der modernistischen
raum, lässt sich auf Das Floss der Medusa bezie- Dialektik vgl. Michael Fried, Why Photography Matters
hen: Die Figuren der Schi≠brüchigen bilden eine as Art as Never Before, New Haven / London 2008.
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei

Christian Steinbacher

Mal so, mal Sauce


(Poemparaphrasierungen)
[3. Agrigentiner:] Ihr Bürger! Ich mag nichts mit diesen Zween / Ins künftige zu scha≠en haben.
(Hölderlin, Der Tod des Empedokles. Erster Entwurf)

1. DIE FLAUTE WIEDER WEGGEFEGT… 154

1.0. Zwiesprach halten

Wo drückt die Lösung? Füll ab den Schuh.


Ein Latz am Boden. Ein Bodenspatz?
Brioche mit Elster? Gefälscht, dein Bild.
Sag nichts, es wird nur. Ein brüsker Hirsch?
Galantes Huschen? Die Pirsch zeigt Tusch.
Kann uns egal sein. Die Neugier bockt
Sag nicht, es wird wohl. Das Übel lockt?
Gerahmt wie möglich? Nein, wie im Nu.
Verschmiert die Seife! Erhängt den Strick!
Umflort den Maulwurf! Sein Bestes glückt!
Sacht hecheln Hechte! Ich stech die See!
Farblos wie Gräten! Ich harke Klee!
Die Marmelade. Der Einspruch gilt?
Ich fahre, schade. Droht kein Gewinn?
Nein, nur Entkernung. Ja, Obst muss her.
Am Knochen unten? Elastik spießt,
Ich bleib am Boden. Die Decke gurrt,
Die Wespe teilt sich. Wie Gräten farblos?
Der Knurrhahn knurrt.
1.1. Ein störrisch Spiel
(in vagem, lockerem Erinnern dereinstiger Zwiesprache)

Man stört sich wenig. Was stünd dem Spiel heut?


Nur Zeit zu füllen? Nein, eher das da.
Du meinst mehr Zeilen? Das zeig auf gar nichts.
Willst schwatzen weithin? Nein, Grätschen breit ich.
Dehnt es sich fix so? Mag sein, es wächst ja.
Man nennt es Beitrag. Was klagt die Flaute?
Macht flau der Auflauf? Versohlt den Zollstab!
Schöpft aus die Mole! Steckt ab die Qualle!
Seht ab vom Lesen! Der Kern, er foppt uns.
Bloß Besen ernt ich. Vorm Ziel verweset!
Das hält zusammen. Solang du mitmachst.
Polyphemien? O, Wortspielzuber.
Lorgnon aus Zwickau? Nein, ein Herr Reißer.
Dem kämst du ungern? Stepp ab die Zacken,
Ihr Mark verbrieft es. Schon lange klebt’ ich.
Du denkst an beides. Wärn zwei denn dienlich?
Nicht Zweck, bloß Zwecken. Zusammen hält das.
Was drauf im Bild stand? Die Klatsche biegt sich.
Fliegst eben auf du. Geht Post noch ab hier?
Bald wird geschlossen. Rupft Ruf den Knurrhahn?
’nen Schnitter auftischt’s? Was geht, geht ab er.
Christian Was zustellt, zusteh. Noch liest du ein was.
Steinbacher
Die Tüpfel ablegt’s. Stoppt das Verfärben?
155 Hier reißt kein Besen. Knackt mir Piroggen.
Mal so,
Der Bock zum Dorn schielt? Auf Englisch Goji.
mal Sauce Stockt China auf schon? Mehr Trockenfrüchte!
Liebstöckel, schlüpf.

1.2. Fliehtrachtspalten
(Vokalise zum Basispoem «Zwiesprach halten»)

Schon duckt sich Losung? Früh schnapp ’nen Sou.


Rein klatsch Marodes. Ei, Mode-Klatsch?
Dior impft bestens? Bestellt kein Ziel.
Klagt schlicht Beschichtung. Sein Pflücken knirscht?
Fasane tuscheln? Nie fischt ein Gnu.
Mag ums Regal rein. Wie Scheu schier lockt?
Darwin entwischt dort. Am Dübel flockt’s?
Gekarrt biss Mogli? Einst Winnie Puuh.
Verziert die Schleife! Behängt den Blick!
Rumor-Hemd aufruft! Sein Letztes knüpft!
Schank schenke Henkel! Mich brech Cliché!
Pfandlos schwirrn Strecken. Dicht hachle Schnee.
Wie Hammelbraten. Kehrt ein zum Schild?
Wir Stare tanken. Fortschreitend Sims?
High Noon entfern uns. Tja, Bonus quert.
Galoschen drunter? Gestalt-Tic riss.
Gicht treibt Marodes. Im Schecken schnurrt’s.
Mit Restwert keilt die. Schwirrn Strecken pfandlos?
Mehr Spuknapf spuckt.
2. Gruß nach Zweibrücken

2.0. Monika Rinck:


Sinn und Gegensinn (Sang und Antisang)

Oh! Ob einen Pfirsich wage ich? Ich wünsche nicht, I do not wish
to add, der Welt nicht, anymore. Was ich nenne, verschwindet.
Ist weg. Fehlt nach Nennung für immer. Oh! Ein Todesengel
der Dinge. Hier: Pfirsich. Meeresmädels, sagt mir, was sing ich?
It was detected: Finnish. But the translation to English is:
Schreckenserfüllt. Spielt mit der Stummheit, reimt Dumpfes,
zwei stammelnde Dinge, keines ist Pfirsich. Ich habe gehört,
die Meeresmädels – sie singen. Ich glaube, für mich. Weißes
Haar der Wellen kämmten sie zurück. Wo und womit soll ich
beginnen zu locken? Wo lungern? Der Wunsch des vollen Worts
ist sich zu entscha≠en. Spezielle Stimme singt und singt dich hin,
hat nichts als Wind (verschwind), als schwarz (verschwind),
als weiß (verschwind) – und hätt sie nichts als einen Laut?
Die Stimme deiner Spezies weckt dich and you drown.

2.1. Stippvisite Mahagoni

zwei stammelnde Dinge, keines ist Pfirsich


M. R.

Aus süßestem Kirschholz gefertigt, diese Sentenz oder Kredenz,


und von einem Meister aus waldreicher Gegend, wie Anton
Pawlowitsch etwa, ja so merket auf, denn der Dichter 156
Franz Dodel notiert, dass strecken würden Namen die Dauer,
Farbnamen zum Beispiel retteten vorm Versinken ins Bild,
die Kollegin Köhler hinwieder weist auf ein Schrifttum, in dem
alles, was Namen habe, vergehe, wie also sei beizubringen
diesem Treiben es, dass wir dann und wann eben doch
noch ’nen Peperono à la Kirsch trügen hinüber bis nach
Zweibrücken oder gar hinauf bis zur See,

weiß unser aller dernier cri es doch längst, dass erst hinter
weitläufigeren Steppen welch Samarkand dann auch immer
würde geknüpft, und das nicht nur vor denen, die würfen
Schecken über bloß Decken oder stoppten ab ihre Naht,
legt ins Zeug sich unser Saum in reichlich betuchter Manier,
die das alles ebenso bestens zu ramponieren weiß wie
des herbeizitierten Pfirsichs obligatorisches Fruchtfleisch,
und auch weiße Kirschen, die gibt es, will passend ergänzen
eine Grußkarte an die dänische Delegation, aber auch
diese ausufernden Zweiteiler, und jetzt bitte das alles
abgestimmt aufeinand’, und für heute, almeno fare il gesto,
etwa ganz in Cornell, sollten uns gut und gerne erfreun,
steiget also mehr heraus aus euren Schuppen und Flossen
vom Grundl- bis zum Inari-See, zeigt, zeugt euch, getönt,
neu wie frisch, oder auch gefönt, und somit bald froh,
bald auch lockend, was ja nicht dasselbe nach sich ruft
im Betrachten späterer Verschleppungen oder Blessuren
wie etwa dieser Schramme, die dem zwar gern nachfolgt,
dann aber doch keine Schwemmen hervorbringen will,
wo Vandalen ihre freschi mit der Natur eines Rosses
abseits jeder Versteppung hätten besprayt, was Passanten
als Verunzierung ehemaliger Labungsplätze für Gäule
echt ärgert, und so hätt wohl selbst solch Text mit der Zeit
statt ’ner Pfirsichhaut oder des kaum durchkomponierten
Kompostierens mit Kirschkern und Kuriosa nötig ein Deo.

3. Bei schwindendem Pfandbestand

3.0. Christian Filips:

Am Anfang ein Betteln


um Neustart, die müden Versprechen,
ein paar vom Staatsgeld am Leben erhaltene
Sterne, schon werde, wie kein Auge je
gesehen, leuchten das All. Ein Schleppen
durch die laufenden Verluste. Da wieder!
zwei Schlingernde, Hand in Hand,
ein Satz vom Gipfeltre≠en, eben
eine Stunde alt, ganz ohne Richtwert,
sehr innig aneinander in die Tiefe.
O ihr abstoßenden Firmentöchter! Eure Anzeichen
verdichten sich. Ihr wisst, es hilft nicht mehr,
in einem Jet auf ein Atoll verschwinden.
Christian Nein, nein. Eheu! Auch dort, auch dort.
Steinbacher
Und doch, ich höre die Erde, den armen Mutterkonzern,
157 ganz leise um Euch weinen. Die schönste
Goldanlage ihre Tränen.
Mal so,
mal Sauce

3.1. Im Schwirrbazar ein paar Verhaltne bleiben


(Vokalise zu einer Heissen Fusion Filips’)

Als all das sehr Fette


uns freut, dass im Fügen mehr sprengt es
kein Schwarm, o Haargel-Adepten, verhaltener
wärm der. Noch werf es, wird fein ausgecheckt,

Geschehen, scheuet das Mal sein Ketteln.


Nur wie schaufeln? Kessel? Duster tankt, sintert
bei schwindendem Pfandbestand
kein Schmalz vorm Kippe≠ekt, des Schwebens

kleine Runde. Schabt am hohen Ziel wer?


Befinde das! Beim Garn der Klimmintrige
Au-pairs Kapp-Pfosten-Menhire tröpfeln, teure Abstreifer
verschwistern dich. Sie mixen schief, schlicht quer,

nie ein dem Hellauf-Seim das Pot-Beschildern.


Ei, sei echt Streu. Auf, schnorr! Au, ’s schmort.
Zum Zo≠ im Körnen nimm Schergen, wenn anders unverho≠t fern
schlackt Eiswelt, krumm bläu ein den dir. Dönner

voll Rhabarber sirr. Entlehn es.


Und oder alle allemal flott schlicht zurück
(der Heissen Fusion Kometenschweifung):

Die schönste Mutter konzertant auch dort verschwinde.


Nicht mehr an Zeichentiefe riecht, wer wehrt.
Eben Hand in Hand wieder schleppen!
Je erhaltene Versprechen betteln: Tränen …

Anmerkungen:
1 bezieht sich als anlässlich der vorliegenden Ausgabe des Magazins entstandene
Re-Aktion auf ein vor mehr als zehn Jahren gefertigtes eigenes
Gedicht, das ich dann damals in den Gedichtband der wandel motzt
(2000) aufgenommen habe.
2/3 geben Variationen zu Texten der geschätzten Kollegenschaft und werden
hier erstmals abgedruckt (sie finden sich auch auf http://die-liedertafel.de,
wo Christian Filips das Projekt Variations sérieuses in Szene setzt; gedankt sei
Monika Rinck und Christian Filips für das Einverständnis zur Wiedergabe
der betre≠enden «Basistexte» in dem jeweiligen Vorspann; Filips’ Heisse Fusion
ist eine Vorfassung der späteren Heißen Fusion beim Gipfeltre≠en seiner
von Urs Engeler als roughbook herausgegeben Textsammlung Heiße Fusionen.)

Christian
Steinbacher

158
Mal so,
mal Sauce
159
160
Autorinnen burg. Von 2007–2009 Research Fellow
am Institute for Cultural Inquiry/ ICI-
Jüngst erschienene Aufsätze: «Nicht
gespiegelt, sondern nach innen ge-
Niemands Frau. Gesänge, Frankfurt
a. M. 2007; On Borders. A lecture in

und Berlin. Antke Engel ist Gründerin und


Leiterin des Instituts für Queer Theory
( w w w. q u e e r - i n s t i t u t . d e ) u n d
stülpt. Ein kantisches Motiv in Marcel
Prousts Konzeption von ästhetischer
Erfahrung», in: Wolfram Pichler / Ral-
America and other writings, Oberlin
2010. Übersetzung von Gertrude Steins
Tender Buttons (Zarte knöpft, Frankfurt
Autoren freiberuflich in Wissenschaft und Kul-
turproduktion tätig.
ph Ubl (Hgg.), Topologie. Falten, Knoten,
Netze, Stülpungen in Kunst und Theorie,
a. M. 2004) und Samuel Becketts Mir-
litonnades (Trötentöne, Frankfurt a. M.
Publikationen (Auswahl): Queering Wien 2009; «Aroma, Bild, Erinnerung. 2005). Arbeit mit Texten im Raum,
• Zum Platonismus in Marcel Prousts Schriftbilder, Audio-Installationen
Demokratie (Mit-Hg.), Berlin 2000; Wi-
der die Eindeutigkeit, Frankfurt a. M. Ästhetik», in: Maria-Chris­-tine Leit- u. a.: words for windows I, Düsseldorf
Bettina Carl ist Künstlerin. Sie stu- geb / Stéphane Toussaint / Herbert 1996/97; lecture on space, Universität
dierte 1989–1994 Englische und Spani- 2002; Bilder von Sexualität und Ökono-
mie, Bielefeld 2009; Hegemony and He- Bannert (Hgg.), Platon, Plotin und Mar- Witten-Herdecke 1999/ 2000; stimm-
sche Literatur- und Sprachwissen- silio Ficino. Studien zu den Vorläufern führung, Diözesanmuseum Köln 2000.
schaften in München, Granada und teronormativity (Mit-Hg.), Alder­shot, in
Vorbereitung. und zur Rezeption des Florentiner Neu- lacarbonara@t-online.de
Berlin; 1994–2001 Bildende Kunst an platonismus, Wien 2009.
der HdK Berlin und am Chelsea College engel@queer-institut.de
richard.heinrich@univie.ac.at
of Art London; 2004–2005 Critical •
Studies im Postgraduate Course der

Konsthögskolan Malmö. Lehraufträge • Ewa Lajer-Burcharth ist ­Willian
in Rotterdam, Dresden und Bern. Di- Dorr Boardman Professor of Fine Arts
Zsuzsanna Gahse (*1946), flüchtete
verse kuratorische Projekte und Pub- Jörg Huber (*1948), Studium der an der Harvard University und Senior
1956 mit ihren Eltern aus Ungarn, ver-
likationen über Kunst. Germanistik, Kunstgeschichte, Volks- Advisor for Arts and Humanities am
brachte ihre Gymnasialzeit in Wien
Stipendien, Residenzen (Auswahl): und Kassel, lebte dann mehr als ein kunde und Geschichte in Bern, Mün- Radcliffe Institute for Advanced Study
Goldrausch Künstlerinnenprojekt Ber- Vierteljahrhundert in Stuttgart, später chen und Berlin. Professor für Kultur- in Harvard. Master am Institut für
lin, 2002–2003; Projektförderungen in Luzern und seit 1998 in Müllheim / theorie an der Zürcher Hochschule der Kunstgeschichte der Universität War-
des Berliner Senats und des Goethe In- Thurgau. Literarische Publikationen ­Künste (ZHdK). Leiter des Instituts für schau in Polen und PhD in Kunstge-
stituts, 2003; Arbeitsstipendium des seit 1969, Übersetzungen aus dem Un- ­Theorie. schichte an der City University von New
Berliner Senats, 2004; Villa Sträuli garischen u. a. von Werken von István Veröffentlichungen in den Bereichen York. Kuratorin am Contemporary Art
Winterthur, 2006; Akku Uster Zürich, Eörsi, Péter Esterházy, Miklós Meszöly Ästhetik und Kulturtheorie. Center Studio in Polen und u. a. Stipen-
2007. und Péter Nádas. 1989–1993 Lehrbe- dien von der Guggenheim Foundation
joerg.huber@zhdk.ch und dem Institute for Advanced Study
Einzel- und Gruppenausstellungen auftragte an der Universität Tübingen,
1996 Poetikdozentur an der Universi- in Princeton, New Jersey. Mit einem
(Auswahl): bei CAPRI Berlin, 2001,
2003, 2005; Lothringer 13 München, tät Bamberg, 2008 Chamisso-Poetik- • Fokus auf das 18. und 19. Jahrhundert
dozentur in Dresden. sowie auf zeitgenössische Kunst und
2003; loop raum Berlin, 2003; Kunst-
Markus Klammer (*1976), Studium kritische Theorie hat sie zu verschie­
raum Kreuzberg Bethanien Berlin, Publikationen (Auswahl): Zero, Mün-
der Philosophie, Kunstgeschichte und denen Themen der Kunst jener Zeit ge-
2003, 2009, 2010; Rooseum Malmö, chen 1983; Hundertundein Stilleben,
Komparatistik in Wien. Magisterarbeit lehrt.
2004, 2005; Preview art fair Berlin, Klagenfurt 1991; Kellnerroman, Ham-
2005; M.A.M.A. Rotterdam, 2005; Im- burg 1996; Nichts ist wie oder. Rosa kehrt zum System der Kunst und der Kunst Publikationen (Auswahl): The Art of
manence Espace d’art Paris, 2006; nicht zurück, Hamburg 1999; Instabile des Systems bei Niklas Luhmann, der- Jacques-Louis David after the Terror,
Temple Bar Gallery Dublin, 2006; Texte – zu zweit, Wien 2005; Oh, Roman, zeit Abschluss der Dissertation über New Haven 1999; in Vorbereitung sind:
Rach­ma­ninoff’s Gallery London, 2007; Wien 2007; Erzählinseln. Reden für «Bilder der Psychoanalyse». 2006– Paint and Person in Eighteenth Century
Städtische Galerie Uster Zürich, 2008; Dresden, Dresden 2009; Klotzkopf. 2008 Mitglied des Graduiertenkollegs Art und Interiority At Risks. Precarious
Galerie oqbo Berlin, 2008, 2009; Vegas Hausge­machte Fiktionen (gemeinsam Bild und Wissen bei eikones – NFS Bild- Spaces in Contemporary Art.
Gallery London, 2008, 2009, 2010; For- mit Christian Steinbacher), Ottens- kritik an der Universität Basel. 2008–
161 de espace d’art Genf, 2009; Dienstge- heim 2009; Donau­würfel. Gedichte, 2010 Junior Fellow des IFK Wien. Der-
bäude Zürich, 2009; VFO Zürich, 2009; zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am •
Wien 2010.
Trajector Art Fair Brüssel, 2010. SFB Ästhetische Erfahrung im Zeichen
zs.gahse@bluewin.ch der Entgrenzung der Künste der Freien Jürgen Link (*1940), lebt in Hattin-
www.bettinacarl.de gen/Ruhr und war bis zu seiner Emeri-
Universität Berlin.
• tierung 2005 Professor für Literatur-
Publikationen (Auswahl): Bilder und
• Gemeinschaften. Studien zur Konver-
wissenschaft und Diskurstheorie an
Julia Gelshorn (*1974), Studium der der Universität Dortmund, zuvor von
genz von Politik und Ästhetik in Kunst, Li- 1980–1992 an der Ruhr-Universität
Mladen Dolar ist Philosoph, Kultur- Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft teratur und Theorie, München 2011 (Hg.
theoretiker und Filmkritiker. 1978 Ab- und Italienischen Romanistik in Köln ­Bochum, 1992–1993 Gastprofessor in
zus. m. Beate Fricke u. Stefan Neuner, Paris-VIII (Saint-Denis). DFG-For-
schluss des Studiums der Philosophie und Bern. 2001–2008 wissenschaftli- in Vorbereitung); «‹fig 1.› Grund und
und Französischen Sprache an der che Assistentin am Institut für Kunst- schungsprojekte zur nationalen Kol-
Signatur der Psychoanalyse», in: Pre- lektivsymbolik und zum «Normalis-
Universität Laibach. Anschliessend geschichte der Universität Bern, 2005– käre Bilder, Thorsten Bothe / Robert
Studium an der Universität Paris VII 2010 wissenschaftliche Assistentin am mus». Seit 1982 Mitherausgeber von
Suter (Hgg.), München 2010, S. 85–101; kultuRRevolution. zeitschrift für ange-
und der University of Westminster. Mit Kunsthistorischen Institut der Univer- «Die Zeit des Palindroms. Zu Guy
Slavoj Žižek, Rastko Močnik und Alen- sität Zürich, 2006–2008 Habilitations- wandte diskurstheorie. Link nennt als
­Debords letztem Film ‹In girum imus seine wichtigsten Publikationen drei
ka Zupančič gehört er zu den Mitbe- stipendiatin am Deutschen Forum für nocte et consumimur igni›», in: Topo-
gründern der Laibacher Schule der Kunstgeschichte in Paris. 2008–2010 Bücher, die in verschiedenen Sprachen
logie. Falten, Knoten, Netze, Stülpungen von Erfahrungen eines nicht-konver-
Psychoanalyse, deren Hauptziel eine Vertretungsprofessorin am Institut für in Kunst und Theorie, Wolfram Pich-
Synthese zwischen Lacanianischer Kunstwissenschaft und Medientheorie tierten «68ers» sprechen: den Versuch
ler / Ralph Ubl (Hgg.), Wien 2009, S. über den Normalismus. Wie Normalität
Psychoanalyse und der Philosophie des der Hochschule für Gestaltung Karls- 323–360; «Der Traum und die Ursze-
deutschen Idealismus ist. Dolar hat seit ruhe, seit 2010 Universitätsprofessorin produziert wird, Göttingen 2009 in 4.
ne. Zur graphischen Repräsentation Aufl., die Studie Hölderlin–Rousseau.
1982 an der Universität Laibach unter- für Neueste Kunstgeschichte – Kunst der Psychoanalyse», in: Spuren erzeu-
richtet. Seit 2010 Advising Researcher der Gegenwart an der Universität Wien. Inventive Rückkehr, Opladen 1999, so-
gen. Zeichnen und Schreiben als Verfah- wie den Roman Bangemachen gilt nicht
in Theory an der Jan Van Eyck Acade- ren der Selbstaufzeichnung, Barbara
Publikationen zur zeitgenössischen auf der Suche nach der Roten Ruhr-Ar-
mie, Maastricht. Wittmann (Hg.), Berlin / Zürich 2009,
Kunst und zur Kunst und Kultur des 18. mee. Eine Vorerinnerung, Oberhausen
Publikationen (Auswahl): Ein Triumph Jahrhunderts. S. 69–107. 2008.
des Blicks über das Auge. ­Psychoanalyse markus.klammer@gmail.com
julia.gelshorn@univie.ac.at http//:bangemachen.com
bei Alfred Hitchcock (mit Miran Božovič
und Slavoj Žižek), Wien 1993; Kant und
das Unbewusste, Wien 1994; Wenn die • • •
Musik der Liebe Nahrung ist, Wien 2001;
His Master’s Voice. Eine Geschichte der Richard Heinrich, Professor für Barbara Köhler (*1959), lebt seit Florian Neuner (*1972), lebt als
Stimme, Frankfurt a. M. 2007. Analytische Philosophie am Institut für 1994 in Duisburg. 1985–1988 Studium Schriftsteller in Berlin. Mitherausge-
Philosophie der Universität Wien. am Literaturinstitut «Johannes R. Be- ber von Idiome. Hefte für Neue Prosa.
• Publikationen (Auswahl): Kants Erfah- cher» in Leipzig. 1997 Writer in resi- Journalistische Arbeit u. a. für Deut­sch­-
rungsraum. Metaphysischer Ursprung dence an der University of Warwick landradio. Psychogeographische Stu-
Antke Engel (*1965), Studium der und kritische Entwicklung, Freiburg und 2009 am Oberlin College; 2009 dien im Ruhrgebiet, Teilnehmer der
Philosophie, Soziologie, Pädagogik 1986; Die Erhebung des Gedankens. Es- Poet in residence an der Universität Ausstellung EMSCHERKUNST. 2010.
und Geographie an den Universitäten say, Wien 1990; Wittgensteins Grenze. Duisburg-Essen. Herausgeber von Materialienbänden
Bielefeld und Hamburg; Promotion in Essay, Wien 1993; Verzauberung, Metho- Publikationen (Auswahl): Deutsches über die Autorinnen Waltraud Seidlho-
Philosophie an der Universität Pots- de und Gewohnheit. Skizzen zur philoso- Roulette. Gedichte, Frankfurt a. M. 1991; fer, Linz 2000, und Elfriede Czurda,
dam. 2003–2005 Gastprofessorin für phischen Intelligenz. Aufsätze, Maria En- Wittgensteins Nichte. Vermischte Schrif­ Linz 2006 (gemeinsam mit Christian
Queer Studies an der Universität Ham- zersdorf 2003; Wahrheit, Wien 2009. ten. Mixed Media, Frankfurt a. M. 1999; Steinbacher); zusammen mit Thomas
Ernst Herausgabe der Anthologien Eu- Fields, and Mirrors, Kunsthaus Glarus Ruth Sonderegger (*1967), Studi- the Shadow, London 1997; Goya. The Last
ropa erlesen. Ruhr­gebiet, Klagenfurt 2010; Gruppenausstellung BINZ39, Stif- um der Philosophie und Literaturwis- Carnival (mit Anna Maria Co­derch),
2009, und Das Schwarze sind die Buch- tung Binz 39, Zürich 2010; Infinite Fold, senschaft in Innsbruck, Konstanz und London 1999; The Pygmalion Effect,
staben. Das Ruhrgebiet in der Gegen- Galerie Thaddaeus Ropac, Paris 2010; Berlin, 1998 Promotion in Philosophie Chicago 2008.
wartsliteratur, Oberhausen 2010. Bü- Quick Brown Fox & Lazy Dog, Karma In- an der FU Berlin. 1993–2001 wissen-
cher: Und käme schwarzer Sturm ge- ternational, Zürich 2010; FAX, Para/ schaftliche Mitarbeiterin am Philoso- •
rauscht, Linz u. a. 2001; Jena Paradies, Site Art Space, Hong Kong, SAR 2010; phischen Institut der FU Berlin. 2001–
Klagenfurt / Wien 2004; China Daily, FAX, Torrance Art Museum, Torran- 2009 Professorin am Philosophischen Ralph Ubl (*1969), Studium der
Wien 2006; Zitat Ende. Prosa, Klagen- ce, CA 2010; FAX, The Drawing Cen- Institut der Universiteit van Amster- Kunstgeschichte und Philosophie in
furt / Wien 2007; Ruhrtext. Eine Revier- ter, New York City 2009; Shifting Iden- dam. Seit 2009 Professorin für Phi­lo­ Wien, 1999–2003 wissenschaftlicher
lektüre, Wien 2010. tities – (Schweizer) Kunst heute, Kunst- sophie und ästhetische Theorie an der Mitarbeiter an der Hochschule der
idiome@snafu.de haus Zürich 2008; Vertrautes Terrain – Akademie der bildenden Künste Wien. Künste Berlin, 2003–2006 Laurenz
Aktuelle Kunst in und über Deutschland, Publikationen (Auswahl): Für eine Äs- Professor für zeitgenössische Kunst
ZKM | Zentrum für Kunst und Medi-
• entechnologie Karlsruhe 2008; NO-
thetik des Spiels. Hermeneutik, Dekon­ an der Universität Basel, 2006–2007
struktion und der Eigensinn der Kunst, Professor für Kunstgeschichte an der
LEFTOVERS, Kunsthalle Bern 2008. Frankfurt a. M. 2000; Falsche Gegen- Staatlichen Akademie der bildenden
Stefan Neuner (*1974), Studium der
Kunstgeschichte und Musikwissen- pamela.rosenkranz@gmx.ch sätze. Zeitgenössische Positionen zur Künste Karlsruhe, 2007–2010 Profes-
schaft in Wien. 1999–2005 wissen- philosophischen Ästhetik, Frankfurt sor für Kunstgeschichte und Mitglied
schaftlicher Assistent am Institut für a. M. 2002 (Hg. zus. m. Andrea Kern); des Committee on Social Thought an
• Golden Years – Queere Subkultur zwi- der University of Chicago, ab Dezem-
Kunstgeschichte der Universität Wien,
seit 2005 wissenschaftlicher Assistent schen 1959 und 1974, Graz 2006 (Hg. ber 2010 Professor für Kunstgeschich-
Dieter Roth (1930–1998), lebte zu-
am Kunsthistorischen Institut der zus. m. Diedrich Diederichsen, Chris- te an der Universität Basel. Gastpro-
letzt in Basel und auf Island. Konkre-
­Universität Zürich. 2009 und derzeit tine Frisinghelli, Matthias Haase, fessuren am Humanities Center der
te Anfänge im Kreis um Marcel Wyss
Postdoc-Stipendiat am Kunsthisto­ Christoph Gurk, Juliane Rebentisch Johns Hopkins University (2006 u.
und Eugen Gomringer im Bern der
rischen Institut / Max-Planck-Institut u. Martin Saar); Conceptions of Cri- 2007) und am Flaubert-Zentrum der
1950er Jahre. Filmexperimente und
in Florenz. tique in Modern and Contemporary Phi- LMU München (2009).
Schmuckdesign in Reykjavík, Buch-
losophy, New York u. a. 2011 (Hg. zus. Publikationen (Auswahl): Prähistori-
Jüngste Publikationen: ­Bilder und konzepte. In den 60er Jahren Arbeit
m. Karin de Boer, in Vorbereitung). sche Zukunft. Max Ernst und die Un-
Gemeinschaften. Studien zur Konver­ mit organischen Materialien, Schim-
genz von Politik und Ästhetik in Kunst, melbilder, Druckgraphik. Kollabora­ r.sonderegger@akbild.ac.at gleichzeitigkeit des Bildes, München
Literatur und Theorie, München 2010 tionen u. a. mit Richard Hamilton, 2004 (amerik. Übers. 2011), Eugène
(Hg. zus. m. Beate Fricke u. Markus Emmett Williams, Oswald Wiener. • Delacroix. Painting Comes From Afar,
Klammer, im Druck); Maskierung der 1966 Gedichtband Scheisse, zwischen (amerik. und frz. Ausgabe in Vorberei-
Malerei. Jasper Johns nach Willem de 1969 und 1987 kommen 26 der auf 40 Christian Steinbacher (*1960), tung), Topologie. Falten, Netze, Knoten,
Kooning, München 2008. Bände angelegten gesammelten werke lebt seit 1984 als Autor, Herausgeber Stülpungen in Kunst und Theorie, (Hg.
in der edition hansjörg mayer heraus. und Kurator u. a. des Poesiefestivals zus. m. Wolfram Pichler), Wien 2009.
neuner@khist.uzh.ch
1981 zwei Bücher mit «zweihändigen Für die Beweglichkeit in Linz. Häufige
Schnell­zeichnungen» (BATS und Kooperationen mit Kunstschaffenden •
• DOGS). Roths Beitrag für die Bienna- aus diversen Sparten, so u. a. auch
le in Venedig 1982 leitet ein radikal au- mit den Schweizer Autorinnen Elisa- Alenka Zupančič ist in Laibach ge­-
Wolfram Pichler (*1968), Studium
tobiographisches Spätwerk ein, das in beth Wandeler-Deck («Ach so nein boren und hat ihr Studium 1990 an
der Kunstgeschichte, Archäologie
einem neuerlichen Beitrag für Vene- also was drauf. Ein Zwischenraum der Universität Laibach abgeschlos-
und Philosophie in Wien, München
dig, der Video-Installation Solo-Sze- und Zwiegesang» für das Festival sen. Derzeit ist sie Forscherin am In-
und Cambridge (Mass.), Assistenz-
nen von 1998 terminiert. In den 90er Zwillinge, zweieiige, Bern 2004) und stitut für Philosophie der Sloweni-
professor am Institut für Kunstge-
schichte der Universität Wien. Jahren Ausstellungen als wuchernde, Zsuzsanna Gahse (für ein gemeinsa- schen Akademie der Wissenschaften 162
raumgreifende Environments (u. a. mes Projekt im Rahmen der Ranitz- und der Künste. Zupančič gehört zur
Publikationen (Auswahl): Was aus dem Seces­sion, Wien 1995, Galeries Con- Dialoge der Edition Thanhäuser). so ge-nannten Laibacher Schule der
Bild fällt. Figuren des Details in Kunst und temporaines des Musées de Marseille Psy­choanalyse, und ihre Philosophie
Letzte Buchpublika­tionen: Die Treff­
Literatur (Hg. zus. m. Edith Futscher, 1997). Unter dem Titel Da drinnen vor ist stark beeinflusst von slowenischen
sicherheit des Lamas. Oder: von Melan-
Stefan Neuner u. Ralph Ubl), Mün- dem Auge ist eine Auswahl aus Roths ­Lacanianern wie Mladen Dolar und
cholien, Maul-Würfen und deren Zu­-
chen 2007; Topologie. Falten, Knoten, lite­rarischem Werk greifbar (Frank- Slavoj Žižek.
rückweisung, Innsbruck / Wien 2004;
Netze, Stülpungen. Zur topologischen furt a. M. 2005). Zwirbeln, was es hält. Gedichte, Inns- Publikationen ­(Auswahl): Ethics of the
Imagination in Kunst und Theorie (Hg.
www.dieter-roth-foundation.com bruck / Wien 2006; Klotzkopf. Hausge- Real. Kant and Lacan, London 2000;
zus. m. Ralph Ubl), Wien 2009; Öffnun-
machte Fiktionen (gemeinsam mit The Shortest Shadow. Nietzsche’s Philo­
gen – zur Theorie und Geschichte der
Zsuzsanna Gahse), Ottensheim 2009. sophy of the Two, Cambridge (Mass.) /
Zeichnung (Hg. zus. m. Friedrich Teja •
Bach), München 2009; «Topologie des steinlicht@utanet.at London 2003; «The Fifth Condition»,
Bildes. Im Plural und im Singular», in: Vittorio Santoro (*1962), lebt und in: Think Again. Alain Badiou and the
David Ganz / Felix Thürlemann (Hgg.), arbeit als Künstler in Paris und Zü- • ­Future of Philosophy, London 2004; The
Das Bild im Plural, Berlin 2010. rich. Einzelausstellungen: Man Leaving Odd One In. On Comedy, Cambridge
Harbour on a Ship (in a Room), LaBF15, Victor I. Stoichita ist in Bukarest (Mass.) / London 2007.
wolfram.pichler@univie.ac.at
Lyon 2010; La chambre de Marlow, Ga- geboren und hat Kunstgeschichte in
• lerie Xippas, Paris 2009; Three Att- Rom, Paris und München studiert. Er •
empts to Avoid the Inevitable, les compli- ist Professor für Kunstgeschichte und

Laufende
ces*, Zürich 2008; You Are Still Here, zeitgenössische Kunst an der Univer-
Pamela Rosenkranz (*1979), ist sität Freiburg, Schweiz. Er war Gast-
Künstlerin und lebt und arbeitet Galerie 5213, Berlin 2008; Immortalité
professor an der Universität Madrid
ith-
nach einem Aufenthalt in New York Provisoire, Galerie Cortex Athletico,
Bordeaux 2006; It’s All In Your Mind / (Carlos III), der Hebrew University
in Zürich. von Jerusalem sowie in Harvard, Göt-
C’est tout dans ma tête, Yvon Lambert,
Einzelausstellungen: No Core, Centre
d’Art Contemporain Geneve, Genf
Paris 2003.
Seine Arbeiten und Installationen
tingen, Frankfurt, Santiago de Chile,
an der Scuola di Studi Umanistici von Forschungs-
2010; The most important Body of Wa-
ter is Yours, Karma International, Zü-
rich 2010; Pamela Rosenkranz – Our
waren kürzlich u. a. im Museum der
Moderne, Salzburg (2010), im Kunst-
Bologna, der Ecole des Hautes Etudes
en Sciences Sociales in Paris und am
Collège de France. Er war darüber
projekte
Sun, Istituto Svizzero di Venezia, Ve- museum St. Gallen (2010), in der Bur-
ger Collection, Berlin (2009), in der
hin­aus Stipendiat am Wissenschafs- •
nedig 2009; Pamela Rosenkranz, Taro kolleg in Berlin, Rudolf-Wittkower-
Nasu Gallery, Tokyo 2007; Pamela Ro- Fondation d’Entre­prise Ricard, Paris Professor an der Bibliotheca Hertzia-
(2008–2009), und im Kunstmuseum Prototyp II
senkranz, Kunstmuseum Thun 2007; na, Max-Plank-Institut für Kunstge-
Pamela Rosenkranz – Tatjana Pieters, Bern (2008), im CAC, Vilnius (2008), schichte in Rom, Visiting Scholar am Re-Präsentationen von Möbeln
OneTwenty, Gent 2007; Pamela Ro- im Kunsthaus Zürich (2008), im CAPC Getty Research Institute, Los Angeles, in Design und Kunst
senkranz – TEST, Store Gallery, Lon- Musée d’art contemporain de Bor- am Institute for Avanced Study in Leitung: Burkhard Meltzer
don 2006; Demonstration, Amberg & deaux (2007), in der Tate Modern, Lon- Princeton and am Center for Advan- SNF, DORE Forschungsprojekt
­Marti, Zürich 2006. don (2007), im Kunstmuseum Thun ced Study in Visual Arts (Washington Projektdauer: Oktober 2010 bis
(2006), im Mediamatic Groundfloor, D.C.). November 2011
Teilnahme an Gruppenausstellungen Amsterdam (2006), im Public, Paris
(Auswahl): Une Idée, une Forme, un Être (2005) sowie in der Galerie Bunkier Publikationen (Auswahl): L’instau­ «Prototyp II» ist eine Weiterentwick-
– Poésie / Politique du corporel, Migros Sztuki, Kraków (2005) zu sehen. ration du Tableau. Métapeinture à l’aube lung aus dem Projekt «Prototyp – Mö-
Museum für Gegenwartskunst, Zü- des Temps Modernes, Paris 1993; Visio- bel in Design und Kunst» (DORE-ge-
rich 2010; An unpardonable sin, Castil- vittorio.santoro@bluewin.ch nary Experience in the Golden Age of Spa- fördert, abgeschlossen Dezember 2009)
lo / Corrales, Paris 2010; Of Objects, • nish Art, London 1995; Short H ­ istory of und stützt sich auf die bereits erarbei-
teten Texte, Ergebnisse und eine Kom- Ausgangspunkt bildet die These, dass scher Gewalt beruhende soziale Ord­- tiert und transdisziplinär verfahren
bination von bild- und sozialwissen- die Imagination «Schweiz» einen nungen das Muster für «symbolische und sich nicht dem tradierten Modell
schaftlichen Methoden. komplexen kulturellen Raum darstellt, Gegengewalt» abgeben. Die Symbolik akademisch disziplinärer Wissen-
Das Forschungsprojekt setzt sich zum welcher von unterschiedlichsten Ak- der Gegengewalt lässt sich beispiels- schaftlichkeit fügen. Das Projekt will
Ziel, aktuelle Präsentationsformen und teuren immer wieder neu erfunden, mit weise am Umstürzen der Königsstatue diese neuartigen künstlerisch-wissen-
die Rezeption von Möbeln in den Feld- eigenen Bedeutungen aufgeladen und erkennen oder in der Übernahme von schaftlichen Mischformen in den
ern Design und Kunst zu untersuchen. reproduziert wird. Dies hat mit dem re- Prinzipien des Staatsterrors durch re- Grenzbereichen zwischen Bildender
Seit den späten 80er Jahren kommt es alen Land und der Nation Schweiz we- volutionäre oder Partisanengruppen. Kunst, Performance, Design und Phi-
u. a. durch den Musealisierungsprozess nig zu tun. Die Imaginationen setzen Gegenstand unserer Forschung in die- losophie herausarbeiten, untersuchen
im Design vermehrt zur Aneignung von sich vielmehr aus unterschiedlichen sem zweiten Unterprojekt soll daher und erproben.
(historischen) Designobjekten in der Motiven zusammen, die zum Teil durch eine «Kulturgeschichte der Demons­ Die leitende Annahme lautet, dass sich
Kunst sowie zur Verbreitung der Instal- historische, zum Teil durch persönliche tration» als Beispiel der Politik der solcherart hybride Wissensformen und
lation als Format räumlicher Präsenta- Ereignisse und Umstände motiviert Strasse sein. Bevor derartige Fälle un- ihre Methoden weder umfassend abbil-
tionen. Diese Entwicklung wird histo- sind. Ähnlich verhält es sich mit identi- tersucht werden können, muss die Fra- den noch disziplinär organisieren las-
risch vor dem Hintergrund einer ge- tätsstiftenden (vormals) nationalen gestellung philosophisch ausgearbei- sen, sondern sich vielmehr in «Mikro-
meinsamen Präsentations­geschichte Bildern und Bedeutungen im Kontext tet werden: Wie lassen sich Macht und logien» oder pluralen Ordnungen des
von Kunst und De­sign zwischen Waren- von Transnationalisierungsprozessen. Gewalt begrifflich fassen? Geht Macht Wissens etablieren. Aus diesem Grund
auslage (Schaufenster, Weltausstel- Versteht man «Nation» als eine kultu- aus Repräsentationen hervor? Wie ist das Forschungsprojekt in vier Teil-
lungen, Messen) und Kunst­ ­prä­sen- relle Einheit bestehend aus Sprache, verhalten sich die Begriffe «strukturel- projekte untergliedert. Das erste wid-
tation (öffentliche Museen, Galerien, Werten, Symbolen, Mythen und Ge- le», «symbolische» und «repräsenta- met sich der Malerei als ästhetischer
Kunsthallen) gesehen. In der jüngsten schichten, so konstituiert sich eine so tive» Gewalt zueinander? Was ist die Erkenntnisform und untersucht die
Gegenwart sind begrif­fliche Neuorien- genannte nationale Identität als ein Rolle der Architekturen, Techniken künstlerische Bildfindung und -gestal-
tierungen im Rahmen von Publikatio- kontinuierlich wiederkehrendes Pro- und Artefakte bei der Inszenierung von tung im Hinblick auf die ihr inhärente
nen und Ausstellungen entstanden, die jekt nationaler Rekonstruktion im Sin- Gewalt? Inwiefern strukturiert die per- Wissensbildung. Das zweite Teilprojekt
das grosse Interesse einer (Fach-) Öf- ne einer ‹imaginierten Gemeinschaft›. formative Kraft von Repräsentationen fokussiert die Performance als For-
fentlichkeit am Verhältnis zwischen Im Anschluss ans Forschungsprojekt soziale Handlungsfelder, inwiefern schungsmethode. Mit dem performa-
Kunst und Design unterstreichen. Je- sollen die Resultate schliesslich Ein- macht sie unumgängliche Vorgaben, tive turn und infolge der sogenannten
doch fehlt bisher eine trans­disziplinäre gang finden in eine Ausstellung zum inwiefern eignet ihr gar ein Befehlscha- Krise der Repräsentation wird der Er-
Untersuchung dieser jüngsten Ent- Thema «Schweiz» in Zusammenar- rakter, der alle Erscheinen können und kenntnisbildung qua Darstellung oder
wicklungen ebenso wie ein geeignetes beit mit dem Schweizer Landesmuse- jede Identifikation beherrscht? Warum Aufführung und dem Vollzugscharak-
begriffliches Werkzeug, das die Ge- um 2011/2012. greift das Aufbegehren gegen moder- ter von Forschung zunehmend Beach-
schichte der einzelnen Disziplin und ge- ne Machtsysteme nicht zum strategi- tung geschenkt. Investigation und Prä-
schen Mittel des Tyrannenmords oder
meinsame Themen sowie Präsentati- • der Fede, sondern artikuliert sich
sentation sind untrennbar verbunden.
onsformate gleichermassen berück- Im dritten Teilprojekt wird an diese
sichtigt. durch «blinde», symbolisch aufgela- Überlegungen anknüpfend nach der In-
Repräsentative Gewalt
dene Gewaltakte? Werden durch die szenierung des begrifflichen Denkens
Der Alltagsgegenstand «Möbel» hat Leitung: Ludger Schwarte Zerstörung von Machtsymbolen An-
sich im abgeschlossenen Forschungs- gefragt. Leitend ist hier die Idee, dass
Gefördert vom Schweizerischen sprüche auf soziale Repräsentation ar-
projekt bereits als signifikante Schnitt­- sich in der Bewegung des Begriffes, will
­Nationalfonds (SNF). tikuliert, die das System der Repräsen-
stelle zwischen materieller und visuel- sagen: in Reformulierungen, Weiterga-
Projektdauer: Juli 2009 tation nicht grundsätzlich in Frage stel- ben und Übersetzungen, neues Wissen
ler Kultur erwiesen und wird daher len, sondern vielmehr erhalten? Die
bis Juni 2012 generiert. Hier rücken die ästhetischen
weiterhin als Fokus der Untersuchung Klärung derartiger theoretischer
dienen – hier treffen Re-Präsentatio- Das Forschungsprojekt untersucht die Bedingungen der begrifflichen Er-
Grundfragen nach «Gewalt als symbo- kenntnis in den Blick. Schliesslich zielt
nen von ästhetischen, sozialen und Performanz der Gewalt, insofern die-
lischer Form», nach repräsentativen das letzte Teilprojekt auf die Designfor-
se ein Strukturelement der Repräsen-
163 ökonomischen Codes zusammen.
tation von Macht ist. Ob in demonstra-
Gewaltakten und nach Inszenierungs- schung. Ausgehend von der Annahme,
mustern der Gegengewalt soll durch dass sich unter ästhetischen Bedingun-
tiven oder bloss angedrohten Gewalt-
• detaillierte Fallstudien in den Unter- gen eine anders geartete Erkenntnis
akten, ob durch die Symbolik des
projekten materialreich unterstützt bildet als unter den Voraussetzung
Grausamen, durch die Inszenierung
und überprüft werden. begrifflicher Arbeit, wird das implizite
Swissness revisited von Krisen oder die nüchterne Ästhe-
tik von Selektion und Korrektion: die Wissen des Designs untersucht.
Imagination «Schweiz» im
­ ontext von Trans­­-
K wirklichkeitsgenerierende Wirkung •
der Gewalt wohnt auch den repräsen-
nationali­sierungsprozessen
tativen Akten moderner Machtsyste-

Leitung: Peter Spillmann Forschung in den Künsten
me inne. Unsere Hypothese ist, dass und die Transformation der
SNF, Dore-Forschungsprojekt eine Politik der Repräsentation die Institutions of Critique
Projektdauer: August 2009 Theorie
Ausübung von Gewalt nicht ablöst Leitung: Sönke Gau
bis Januar 2011 oder gar ausschliesst, sondern im Ge- Leitung: Elke Bippus SNF, Dore-Forschungsprojekt
Seit August 2009 geht das Forschung­s­ genteil auf die Inszenierung spezifi- CO-Leitung / Kooperation: Projektdauer: April 2010
team von «Swissness revisited» (Peter scher Gewaltakte angewiesen ist. Prof. Dr. Kathrin Busch, bis März 2012
Spillmann, Angela Sanders, Do­minik Merz Akademie Stuttgart
Wenn man der Inszenierung der Ge- Das Forschungsprojekt «Institutions
Linggi, Diana Palau) der Frage nach, wie walt in jüngster Zeit zunehmende Auf- Forschungsbeteiligte: of Critique» postuliert eine Entwick-
aktuelle Imaginationen von «Schweiz» merksamkeit gewidmet hat, so sind in Bildende Kunst: Prof. Christoph lungslinie zwischen der Institutionskri-
entstehen. Analysiert wird, wie diese im der Forschung zwei Aspekte unberück- Schenker / Adrian Schiess tik der 70er-Jahre über den New Insti-
Kontext von Globalisierungsprozessen, sichtigt geblieben: nämlich erstens die Performance_Performativität: Kristin tutionalism der 90er-Jahre bis hin zum
transnationaler Mobilität und wieder- Notwendigkeit von inszenierten Ge- Bauer / Sabina Pfenninger zeitgenössischen Bestreben, Kunstin-
kehrenden «Krisendiskursen» laufend waltanwendungen auch innerhalb von Philosophie: Christoph Brunner / stitutionen als Orte der künstlerischen
verändert und ausgehandelt werden Repräsentationssystemen, die sich le- Sheryl Doruff und kuratorischen Wissensgenerie-
und welche Akteure an deren (Re-)Pro- diglich durch strukturelle bzw. symbo- Design: Stefanie Kockot / rung und Forschung zu positionieren.
duktion beteiligt sind. lische Gewalt auszuzeichnen schienen, Clemens Bellut Als verbindendes Element dieses Pro-
Dies soll entlang der Realisation des und zweitens die Symbolik der Gegen- Praxispartner: diaphanes Verlag zesses wird dabei der Einfluss be-
Auftritts der Schweiz an der Expo 2010 gewalt, die strukturell auf das Reprä- Zürich, Berlin stimmter Formen von künstlerischer
in Shanghai untersucht werden. Dazu sentationssystem bezogen ist, das sie Projektdauer: April 2010 bis April 2011 Praxis auf die Institutionen angenom-
werden die unterschiedlichsten Perso- bekämpft. In einem ersten Schritt sol- Das Projekt widmet sich der Forschung men und in den Vordergrund gerückt.
nen, die mit der Initiierung, Finanzie- len daher die einschlägigen Macht- in den Künsten in ihren unterschiedli- Ausgehend von einer Analyse der
rung, Konzeption, Gestaltung, dem Theorien Bourdieus, Foucaults und chen Ausprägungen und interdiszipli- Institutionskritik und des New Insti­
Bau, Betrieb sowie der kulturellen Marins untersucht werden, um darauf nären Verschränkungen. Ziel ist die tutionalism soll der Frage nachgegan-
­Bespielung des Schweizer Pavillons zu aufbauend ein genaueres Verständnis Konturierung und Analyse divergenter gen werden, wie sich heute künstleri-
tun haben, befragt und begleitet. der Gewaltsymbolik in der Herr- künstlerisch-wissenschaftlicher Wis- sche und politische Praxen der Institu-
Um die gewünschte Mehrstimmigkeit schaftsrepräsentation zu erwerben. sensformen, deren Forschungsmetho- tionskritik innerhalb von Kunstinsti­
und Vielschichtigkeit zur Imagination Damit will das Projekt einen Beitrag den sich weder den klassischen Küns- tutionen artikulieren können, bzw. wie
«Schweiz» zu erhalten, werden Ak- zur Klärung der Frage liefern, inwie- ten noch den etablierten Wissenschaf- sie diese verändern und gestalten kön-
teure aus der Schweiz wie auch aus fern Gewalt durch Repräsentation zur ten eindeutig zuordnen lassen. In den nen. Neben Untersuchung der histo­
China, aus der Politik, Verwaltung, aus Macht transformiert wird. Zentrales Künsten, so die These, haben sich zu- rischen Entwicklungsstränge unter
dem Management, der Kulturszene, Beispiel ist hier die Theorie des Staats- nehmend hybride Weisen der Wissens- ­Bezugnahme auf politische Theorie,
aber auch Handwerker und speziali- streichs als gewaltsamer Durchset- bildung entwickelt, die sich mit neuen Soziologie, Kulturwissenschaften und
sierte Dienstleister, bis hin zu Reini- zung der Staatsräson. In einem zwei- Formaten der Wissenschaften, dem so Kunsttheorie, wird ein wesentlicher
gungskräften und Aufsichtspersonen ten Schritt soll der Frage nachgegan- genannten «Mode 2 Research», in dem Bestandteil des wissenschaftlichen
interviewt. gen werden, inwiefern auf symbo­li­ Punkt treffen, dass sie projektorien- Projektes die vergleichende Forschung
von bestehenden Konzepten der künst- und Ausstellung soll dazu beitragen, Und plötzlich China Maghreb Art
lerischen und kuratorischen Praxis in den Begriff der Ressource aus einer Das touristische Setting and Research Project
Europa mit einem Schwerpunkt auf bislang vorwiegend ökonomisch- ‹Schweiz› im globalisierten Leitung: Ursula Biemann
der Situation in der Schweiz sein. industriellen Bewertung herauszu­ ­Tourismus
lösen und um den ästhetischen und www.geobodies.org
kulturtheoretischen Kontext zu erwei- Leitung: Peter Spillmann

tern. Supply Lines entsteht in Partner- Ein KTI-Projekt. •
Migration Design schaft mit Goldsmiths College London Team: Flavia Caviezel (Wissenschaft-
Codes, Identitäten, und der Universidad Minas Gerais, liche Mitarbeit); Angela Sanders, Black Sea files
­Integrationen ­Brasilien. Nika Spalinger, Marion von Osten, Leitung: Ursula Biemann
Leitung: Christian Ritter Michael Zinganel (Mitarbeit Fall­
• studien); Diana Wyder, Silvia Oster­- www.geobodies.org
KTI-Projekt
Team: Patricia Bissig, Gabriela Muri, walder (Mitarbeit Recherche).
Basil Rogger (Wissenschaftliche Bilder verstehen •
­Mitarbeit). Untersuchung zur Visual •
Projektdauer: November 2008 bis ­literacy in der Schweiz Projekt Migration
Dezember 2010
Leitung: Matthias Vogel Brands & Branding Leitung: Marion von Osten und
Im Zentrum des Forschungsprojekts ­Kathrin Rhomberg
Die Zielsetzung des Forschunsprojekts Ein Forschungsprojekt
standen die Beobachtung und Analyse
fokussiert sich auf das Erfassen und zur (trans)kulturellen www.projektmigration.de
medialer und ästhetischer Prozesse
Entwickeln der «Visual literacy» in der Kommunikation www.transitmigration.org
der Selbstrepräsentation und Kom­
munikation von Jugendlichen aus den Schweiz. Bilder möglichst umfassend Leitung: Jörg Huber
westlichen Balkanstaaten. Untersucht wahrzunehmen, darauf zu reagieren, •
sie zu interpretieren und zu beurteilen, Ein DORE-Projekt.
wurde das Verhältnis der kulturellen
Hintergründe und Bedeutungen visu- um sie schliesslich zu verstehen, gehört Team: Renate Menzi, Flavia ­Caviezel,
Das Menschenbild im Bildarchiv
eller Codierungen zu ihren Rezeptions- zu den elementaren Kulturtechniken in Richard Feurer, Matthias Michel,
der gegenwärtigen Gesellschaft. Nur Christian Ritter (Wissenschaftliche Zur Funktion und Qualität
und Wirkungsweisen. Das Projekt er-
wenn das Individuum die Funktions- Mitarbeit). der Schweizer Photoarchive
weitert die visuelle und kommunika­tive
Kompetenz in der Praxis (z. B. Lehrbe- und Wirkungsweisen von Bildern Leitung: Matthias Vogel
triebe, Berufsintegration, Jugendhilfe) reflektiert und durchschaut, kann es
der grossen Informationsbelastung im • Ein KTI-Projekt.
hinsichtlich spezifischer Fragestellun-
visuellen Bereich standhalten und sei- Team: Flavia Caviezel, Ethnologin,
gen der Integration. Das Forschungs-
ne Orientierung in der Lebenswelt ge- Bilder im Medientransfer Filmwissenschaftlerin und Videastin,
projekt erarbeitete dafür ein präzises
währleisten. In diesem Sinn möchte Museen als Orte Ulrich Binder, Künstler und Publizist,
Setting an Anwendungsformaten. Sie
das Forschungsprojekt Wege aufzei- des ­Bildgedächtnisses und Dozent an der HGKZ
sind ausgerichtet an der interdiszipli-
gen, wie die sozialen Probleme (Verun- ­der ­Bildtransformation ­(Wissenschaftliche Mitarbeit).
nären Anlage des Forschungsprojekts
und an den unterschiedlichen Bedürf- sicherung, Orientierungslosigkeit bis
Leitung: Matthias Vogel
hin zur Gewaltbereitschaft), die durch
nissen und Tätigkeitsfeldern der Wirt-
den Anstieg der visuellen Informati- Ein KTI-Projekt. •
schaftspartner.
Das Forschungsprojekt endet mit onsdichte entstehen, reduziert werden Team: Ulrich Binder, Künstler, Aus­-
können. Japan Made in Switzerland
einer Publikation «Magische Ambiva- stellungsmacher und Dozent an der
lenz – Visualität und Identität im Trans- ZHdK (Wissenschaftliche Mitarbeit). Nonverbale und materielle Aspekte
interkultureller Kommunikation am
kulturellen Raum», Diaphanes Berlin / • Beispiel Schweiz-Japan
Zürich 2010. 164

Abgeschlos-
Leitung: Jürgen Krusche
• Landschaftsbilder

Forschungs- sene ith- Bildeinsatz in der visuellen


­ ermittlung eines komplexen
V

projekte Forschungs­ Landschaftsverständnisses


Leitung: Annemarie Bucher
Verletzbare Orte
Andere Körper auf der Bühne

in Planung projekte Ein KTI-Projekt.


Team: Manfred Gerig, ­Elisabeth
Leitung: Gesa Ziemer
Ein DORE-Projekt.
Sprenger und Michèle Novak Team: Benjamin Marius Schmidt, Kul-
Für eine ausführliche ­
• Dokumentation der abgeschlossenen
­(Wissenschaftliche Mitarbeit). turwissenschaftler, Gitta Gsell,
Filmerin (Wissenschaftliche Mitar-
Projekte siehe www.ith-z.ch.
Supply Lines: Visions of Global beit).
Resource Circulation •
Leitung: Ursula Biemann • •
city_space_transitions
Das visuelle Forschungs- und Ausstel- Prototyp Leitung: Jürgen Krusche Be Creative!
lungsprojekt erforscht die Interaktion
zwischen Menschen und natürlichen Möbel in Kunst und Design Ein DORE-Projekt. Der kreative Imperativ
Ressourcen (z. B. Wasser, Öl, Silber), Leitung: Burkhard Meltzer Team: Yana Milev, ­Raumforscherin
ihre Beziehungsräume und Handlungs­ Leitung: Marion von Osten
Ein DORE-Projekt. und Resonanzarchitektin, Angela
zusammenhänge. Dabei werden Res- Sanders, Ethnologin und Videoma-
sourcen nicht einfach als etwas extern Beginn: 1. Dezember 2008, cherin (Wissenschaftliche Mitarbeit).
Gegebenes verstanden – als vorhande- Dauer: 10 Monate.

ne Materie, die wir für bestimmte Zwe- Team: Norbert Wild
cke beanspruchen, sondern auch als (Wissenschaftliche Mitarbeit). • Das Menschenbild
etwas kollektiv Geschaffenes, das un- als kulturelles Konstrukt
terschiedliche Bereiche aufzugreifen Check it
und aufeinander zu beziehen vermag: • Zur visuellen Repräsentation und
Grenzgänge im Flughafen Rezeption anonymer Menschen in
Geschichte, Geographie, Ökonomie, Zürich
Bildung, Kultur und Natur. Mit dem Komplizenschaft Schweizer Tageszeitungen
wachsenden Bewusstsein für die glo- Arbeit in Zukunft Eine Installation für den virtuellen Leitung: Matthias Vogel
bale Erschöpfbarkeit lebenswichtiger und physischen Raum
Leitung: Gesa Ziemer
Ressourcen besteht ein akuter Bedarf Leitung: Flavia Caviezel und Susanna
an Darstellungs- und Interpretations- Ein KTI-Projekt. Kumschick
formen, welche diese sozialen, geopo- Team: Andrea Notroff, Nina Aemiseg- http://checkit.ith-z.ch
litischen, ökosystemischen und klima- ger (Wissenschaftliche Mitarbeit).
tischen Zusammenhänge verdeutli- Ein DORE-Projekt
Film: Barbara Weber (Visuelle
chen können. Die künstlerisch-wissen- Team: Denis Hänzi ­(Wissenschaftliche
Gestaltung und Montage), René
schaftliche Erarbeitung von neuen Mitarbeit), Jörg Huber (Supervision).
Baumann (Kamera).
visuellen Materialien, Texten, Karto-
graphien, öffentlichen Programmen,
einer Publikation, Internetplattform • •
Publikationen Reihe T:G
(Theorie:Gestaltung) Filme Design – ein Zwischenfall
Hgg.: ith und André V. Heiz, Verlag ith,
Zürich 2004
• T : G \ 01 •
Mit dem Auge Denken
– Das Magazin Strategien der Sichtbarma- Forschungsfilm •
des Instituts für Theorie chung in wissenschaftlichen Komplizenschaften
und virtuellen Welten Barbara Weber & Gesa Ziemer. Verletzbare Orte
Nr 01 Hgg.: Bettina Heintz & Jörg Huber, ith DVD, 33 min., Zürich 2007. Zur Ästhetik anderer Körper auf
(Oktober 2002) Edition Voldemeer Zürich / Springer der Bühne
[vergriffen] Wien / New York 2001 Benjamin Marius Schmidt
• und Gesa Ziemer
Nr 02 T : G \ 02
augen blicke N Netztext > www.ith-z.ch/publikationen/
Ästhetik der Kritik Stuff it weitere+publikationen/
Gitta Gsell & Gesa Ziemer. DVD,
(Juni 2003) The Video Essay
50 min., Zürich 2004.
in the Digital Age
Nr 03 Hg.: Ursula Biemann, ith, Englisch •
Heterotopien : Kulturen Edition Voldemeer Zürich / Springer •
(Dezember 2003) Wien / New York 2003 Design hören
[vergriffen] Chado & Shodo 21 Texte zur Theorie
Nr 04 Mit Suishu T. Klopfenstein-Arii und der ­Gestaltung von Platon
Ästhetische Entwürfe T : G \ 03 Soyu Yumi Mukai. bis heute
(Juni 2004) Norm der Abweichung Jürgen Krusche & Marcel Erdèlyi, Gelesen von Peter Schweiger
Hg.: Marion von Osten, ith DVD, 30 min. Farbe, HGKZ 2003.
Hgg.: Köbi Gantenbein ­(Hoch­-
Nr 05 Edition Voldemeer Zürich / Springer
parterre), Plinio Bachmann
Only A Swan Lake Wien / New York 2003 • und Jörg Huber (ith), Zürich 2004
(Dezember 2004)
Doppel-CD mit Booklet
Nr 06/07
Call for Images
T : G \ 04
Kultur Nicht Verstehen
Produktives Nichtverstehen und
Einzel­ [vergriffen]

Bilder an der Arbeit


(November 2005)
Verstehen als Gestaltung
Hgg.: Juerg Albrecht, Jörg Huber,
publikationen •
Kornelia Imesch, Karl Jost & Philipp JAPAN swiss made
Nr 08/09 Stoellger (Koproduktion vom Institut • In fact no one actually looks
Doing Theory für Kunstwissenschaft Zürich, ­Institut at architecture
(Dezember 2006)
[vergriffen]
für Hermeneutik und Religions­
philosophie der Universität Zürich ­Publikationen Jürgen Krusche & Rolf Gerber, HGKZ
2004
Nr 10/11
und dem ith)
Edition Voldemeer Zürich / Springer aus •
Paradoxien der Partizipation
(Dezember 2007)
Wien / New York 2005
Mit Beiträgen aus der Veranstaltung
«Kultur Nicht Verstehen» (Zürich,
Forschungs- Das Menschenbild im Bildarchiv
projekten
[vergriffen]
November 2003). Untersuchung zum visuellen
Nr 12/13 Gedächtnis der Schweiz
165 Taktilität T : G \ 05 Hgg.: Matthias Vogel, Ulrich Binder
Sinneserfahrung als Ästhetik der Kritik • und Flavia Caviezel, Limmatverlag
­Grenzerfahrung oder: Verdeckte Ermittlung Zürich 2006
Hgg.: Jörg Huber, Philipp Stoellger, Magische Ambivalenz
(Dezember 2008)
Gesa Ziemer & Simon Zumsteg Visualität und Identität im
Edition Voldemeer Zürich / Springer Transkulturellen Raum
Nr 14/15
Die Figur der Zwei Wien / New York 2007 Hgg.: Christian Ritter, Gabriela Muri
The Figure of Two Mit Beiträgen aus der Veranstaltung und Basil Rogger
(Dezember 2010) «Ästhetik der Kritik oder: Verdeckte Diaphanes, Berlin / Zürich 2010
Ermittlung» (Zürich, Juni 2006).
• T : G \ 06 •
Gestalten der Kontingenz
Interventionen Jahrbuch 1–14 Bilder, leicht verschoben
Ein Bilderbuch
Hgg.: Jörg Huber, Philipp Stoellger Zur Veränderung der Photogra-
Nr 10, Interventionen 2001 phie in den Medien
Edition Voldemeer Zürich / Springer
Kultur – Analysen
Wien / New York 2008 Hgg.: Ulrich Binder, Matthias Vogel
Hg.: Jörg Huber, Edition Voldemeer
Zürich / Springer Limmat Verlag, Zürich 2009
T : G \ 07
Wien / New York 2001,
Archipele des Imaginären
Hgg.: Jörg Huber, Gesa Ziemer BrandBody&Soul –
Nr 11, Interventionen 2002
& Simon Zumsteg gepflegt:krass
Singularitäten – Allianzen
Edition Voldemeer Zürich / Springer
Hg.: Jörg Huber / ith, Hgg.: Richard Feurer, Jörg Huber und
Wien / New York 2008
Edition Voldemeer Zürich / Springer Matthias Michel, Zürich 2008
Mit Beiträgen aus der Veranstaltung
Wien / New York 2002,
«I Imagine… Das Imaginäre als
­Provokation» (Zürich, 2007/2008). •
Nr 12, Interventionen 2003
Person – Schauplatz Komplizenschaft –
Hg.: Jörg Huber / ith, T : G \ 08 Andere Arbeitsformen
Edition Voldemeer Zürich / Springer >MIT-SINN< Gemeinschaft (K)ein Leitfaden
Wien / New York 2003, ontologische und politische
Hgg: Andrea Notroff, Erwin Ober-
Perspektivierungen
Nr 13, Interventionen 2004 hänsli, Gesa Ziemer, Zürich 2007
Hgg.: Jörg Huber, Elke Bippus,
Ästhetik – Erfahrung ­Dorothee Richter
Hg.: Jörg Huber / ith, Edition Voldemeer Zürich / Springer •
Edition Voldemeer Zürich / Springer Wien / New York 2010
Wien / New York 2004, Das tägliche Frauen-Bild
Zur visuellen Repräsentation
Nr 14, Interventionen 2005 • und Rezeption anonymer Frauen
Einbildungen in Schweizer Tageszeitungen
Hg.: Jörg Huber,
Hg.: Matthias Vogel, Verlag ith,
Edition Voldemeer Zürich / Springer
Zürich 2002
Wien / New York 2005,
Die Reihe Interventionen ist ­abgeschlossen. •
Impressum Ith Abbildungs
nachweis
• • •
Herausgeber und Verlag Das Institut für Theorie (ith), Leitung: Für den Umschlag
Bestellung und Abonnement Prof. Dr. Jörg Huber, ist Teil des Fred Attneave, «Multistability in Perception»,
Institut für Theorie (ith) Departements Kunst & Medien, in: Scientific American, 225 (6), 1971, S. 62–71
Hafnerstrasse 39 Leitung: Prof. Giaco Schiesser, an der
Postfach Zürcher Hochschule der Künste Für das Vorwort
CH-8031 Zürich (ZHdK), Zürcher Fachhochschule, Abb. 1: Ludwig Wittgenstein, «Philosophische
Rektor: Prof. Dr. Thomas D. Meier Untersuchungen», in: ders., Werkausgabe, 8 Bde.,
Telefon +41 43 446 65 00
Fax +41 43 446 45 39 Frankfurt a. M. 1989, Bd. 1, S. 520
E-Mail info.ith@zhdk.ch
www.ith-z.ch Für die Einführung
Abb. 1: Frank J. Thomas, Courtesy Leo Castelli
Gallery, New York
• Die Forschungsaktivitäten des ith
werden betreut vom Bereich Für den Beitrag von Wolfram Pichler
Preis Heft Forschung und Entwicklung, F+E der
SFr. 31.–, € 23.– Abb. 1-11, 13: Archiv des Autors
ZHdK. Abb. 12: Sebastian Schütze, Caravaggio.
Preis Abonnement Administration Das vollständige Werk, Köln 2009
SFr. 26.–, € 19.– Aracely Uzeda
Für den Beitrag von Victor I. Stoichita
• • Abb. 1: Ausst.-Kat. Zurbarán, Paris: Galeries
nationales du Grand Palais / New York: The Metro-
Redaktion ith-Team politan Museum of Art, Paris 1988
Jörg Huber Abb. 2–12: Archiv des Autors
Institutsleitung
Konzeption und Redaktion Prof. Dr. Jörg Huber
dieser Nummer Für den Beitrag von Dieter Roth
Stefan Neuner, Julia Gelshorn, Markus Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Ursula Biemann Alle Abbildungen, Hamburg: Dieter Roth Foundation
Klammer, Florian Neuner
Ulrich Binder
Koordination Elke Bippus Für den Beitrag von Pamela Rosenkranz
Katrin Stowasser Patricia Bissig Alle Abb.: © Pamela Rosenkranz
Korrektorat Christoph Brunner
Benjamin Marius Schmidt Francesca Falk Für den Beitrag von Vittorio Santoro
Gestaltung Sönke Gau Abb. S. 106 u. 107: Courtesy the Artist and Galerie
Bonbon – Valeria Bonin, Diego Bontognali Gabriel Hürlimann Xippas, Paris/Athens; Photo: Patrick Lafièvre
Burkhard Meltzer Abb. S. 109: Courtesy the Artist and Galerie Xippas,
Stefan Neuner Paris /Athens
• Roberto Nigro Abb. S. 110 u. 111 Courtesy Burger Collection, 166
Tido von Oppeln Hong Kong; Photo: Marco Blessano
Papier Kurt Reinhard
Graukarton 350 gm2 Dorothee Richter
Plakat- und Etikettenpapier 100 gm2 Christian Ritter Für den Beitrag von Bettina Carl
Schriften Basil Rogger Alle Abb. © Bettina Carl
Maple, Miller Angela Sanders
Druck Peter Spillmann Für den Beitrag von Ewa Lajer-Burcharth
Druckerei Feldegg Matthias Vogel Fig. 1 u. 2, 4–6, 9–16: Archiv der Autorin
Guntenbachstrasse 1 Administration und Koordination Fig. 3, 7 u. 8: Artstor, Repository of the image: The
8603 Schwerzenbach Katrin Stowasser University of California, San Diego, Repository

Für den Beitrag von Ralph Ubl


• Abb. 1–8: Archiv des Autors
Printed in Switzerland Abb. 9: The Museum of Modern Art, New York;
Photo: Kate Keller



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All rights reserved.
Textnachweis


Für den Beitrag von Gertrude Stein / Barbara Köhler
ISBN 978-3-906489-11-7 Der englische Text aus: Gertrude Stein, Stanzas in
ISSN 1660-2609 Meditation, Los Angeles: Sun & Moon Press, 1994;
© 1980 by Calman A. Levine, Executor of the Estate
• of Gertrude Stein

Auflage: 800 Exemplare


Für den Beitrag von Jürgen Link
Die Zwilingsgeschichte aus: Jürgen Link,
Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der
Roten Ruhr-Armee – Eine Vorerinnerung,
© 2008 by assoverlag Ingrid Gerlach, Oberhausen
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