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31 N°- 14/15
Das Magazin des Instituts für Theorie
Die The
Figur Figure
der of
Zwei Two
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Vieles beginnt mit einem Ein-fall (es war einmal …), so auch, 31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
was vorliegend zur Debatte steht. Und doch nicht ganz, denn
es begann eher zwie- und vielfältig in seiner Erö≠nung, was Jörg Huber
Editorial
gleich Fragen auslöste: Findet das Entscheidende einzig
«oberhalb oder unterhalb» der Zwei statt, beim Einen und
Einzelnen und/oder den Vielen? Oder «gibt» es die Eins gar
nicht, da alles stets mit der Zwei beginnt, unhintergehbar als
Zweiheit und in einem Dazwischen? Ist die Zwei als eine
Figur präzis und entschieden fassbar oder weist sie immer
auch über sich hinaus auf eine vorgängige Eins oder, als eine
Ö≠nung, auf die Drei und das Mehrere, das Unzählbare gar?
Man könnte dieses Fragen fortsetzen. Die Figur der
Zwei, Thema einer Vortragsreihe, die vom ith in Zusammen-
arbeit mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität
Zürich durchgeführt wurde und, umfassender ausgebaut, in
der vorliegenden Ausgabe von vor- und zur Diskussion
gestellt wird – diese Figur erweist sich als eine äusserst ver-
trackte und listige Konstellation, die wir hier als ein spezifi-
sches Dispositiv des Ästhetischen verstehen.1 Als ein, folg-
lich, Regime der Kunst und des Politischen (komplexe Zwei-
heit auch hier!) exponiert diese Figur, beispielhaft, einerseits
bildtheoretische Fragen: Geschlossenheit und O≠enheit des
Bildes, Spiegelungen, Serialisierung, Symmetrien und Spal-
tungen, Wiederholung und Re-Präsentation etc., anderer-
seits ein Feld der Subjekttheorien: Fragen des Selbst und der
Selbst-Bestimmung, der Individuation und der Figuren der
Alterität, der Inklusion und Exklusion. Sie weist damit, im
Weiteren, einerseits auf das Terrain des Philosophischen: auf
Fragen nach dem Anfang, der Zeitlichkeit und der Räum-
lichkeit, und führt somit, andererseits, in das Reich mathe-
matischer Topologien. Weitere Verzweigungen und Verweis
ungen könnten hier nicht verfolgt werden; sie sind im Heft
5 exponiert.
Die Figur der Zwei manifestiert sich als Figur der Kreuzungen,
Übergänge und Schnittstellen, als Dispositiv theoretischer Reflexion
und ästhetischer Praxis und als Konstellation der Versammlung und
Exposition von Diskursen der Kunsttheorie und des Politischen – und
damit der Theorie des Ästhetischen, wie sie das ith seit Jahren entwi-
ckelt. Die Arbeit an Begri≠en der Kontingenz und des Imaginären, an
einer Ästhetik der Kritik und der Partizipation; Forschungsprojekte zu
Problemstellungen der Migration, der Selbst-Brandings von Individu-
en und Kollektiven, der Wahrnehmung und Konstruktion des Eigenen
und des Fremden, der Narratologie und der Neuen Medien sowie der
Bildtheorien; Diskursprojekte zu Figuren der Gemeinschaft, der reprä-
sentativen Gewalt sowie der Neubewertung poststrukuralistischer
Theorien sind einige Beispiele aus dieser Theorie-Werkstatt. Das Dis-
positiv der Figur der Zwei schliesst auf ideale Weise an diese Topogra-
phie an und ermöglicht es, Zuspitzungen und Schärfungen vorzuneh-
men und neue Perspektiven zu erö≠nen. Wichtig ist uns vor diesem
Hintergrund zudem, entsprechend der ith-Devise, dass die Theorie der
Ästhetik sich auch als Ästhetik der Theorie versteht, Verbindungen und
Vermittlungen von Theoriefragen, künstlerischer Praxis und, hier neu,
Literatur, zu erproben, was in diesem erneut und explizit Prinzip ist.
Mein Dank für diese komplexe Intervention geht an die Projektver
antwortlichen Stefan Neuner, Julia Gelshorn, Markus Klammer und
Florian Neuner, an die AutorInnen für die Bereitschaft, an unserem Pro-
jekt mitzuwirken, sowie an Philip Ursprung für die kollegiale Zusam-
menarbeit. Der Camille Graeser Stiftung sei für die grosszügige Unter-
stützung des Projekts gedankt und der Dieter Roth Foundation, Ham-
burg, für die Reproduktionen der unverö≠entlichten Zeichnungen.
Vorwort
le Brücke zwischen der Zweiheit als for-
malem Phänomen und als theoreti-
schem Modell. Denn als Figur der Zwei
spricht Alenka Zupančič jenes Denk-
motiv an, das sie in The Shortest Sha-
dow in der Philosophie Friedrich Nietz-
sches verfolgt.5 Wäre der «H-E-Kopf»
nicht eine eindringliche «Figur» jener
«Philosophie der Zwei»? Und steckt im
Wort «Figur», wenn wir seine lateini-
Am Anfang dieses Projekts stand ein sche Etymologie ( figura: Gebilde,
lang gehegtes Interesse an einem ganz Gestalt, Gepräge, Form, Figur, Bild,
bestimmten Typus von Bildern, die eine Erscheinung, aber auch Wendung und
gespaltene Struktur aufweisen, wie es Redefigur) mitdenken und es zusam-
etwa Kippbilder tun, und die in der men mit seinem englischen Double
modernen und zeitgenössischen Kunst «figure» (Figur, Gestalt, Bild, Abbil-
eine nicht unwesentliche Rolle spielen.1 dung, Muster, sowie Symbol, Zi≠er,
Ein Fall ist der berühmte «H-E-Kopf» Redefigur) nehmen, nicht eine Polyse-
(«Hasen-Enten-Kopf»), den Ludwig mie (eben auch im Modus eines seman-
Wittgenstein in den Philosophischen tischen «Kippens»), die von sich aus
Untersuchungen als Beispiel heran- auf jene Übergänge zwischen der Arbeit
zieht, um verschiedene Fragen, die mit mit und an Wörtern zu jener mit und
dem Sehen zusammenhängen, zu dis- an Bildern hinführt, um die es uns in
kutieren und vor allem die Vorstellung, diesem Magazin zu tun ist? D. h.: Impli-
das Sehen sei ein einfacher, identifizie- ziert die Wendung der Figur der Zwei /
render Vorgang, zu problematisieren.2 The Figure of Two nicht schon eine
7 So einfach die Linienzeichnung auch ist, als die «Theorie», die sich ebenso formal wie diskursiv manifestiert und auf
Wittgenstein diesen Kopf wiedergibt, in der Wahr- beiden Ebenen produziert wird?
nehmung zerfällt sie in zwei «Aspekte», die nie- Das Magazin war stets als Plattform konzipiert, auf der es zu
mals in einem Akt des Sehens zusammenfinden Begegnungen von akademischem Diskurs und künstlerischer Produk-
können. Entweder sehen wir die Zeichnung als tion kommen soll. Unser neues Team ist mit dem Vorsatz angetreten,
Hasen- oder als Entenkopf, weder aber ist es mög- diese Akzentuierung noch weiter zu verstärken, aber nicht im Modus
lich, sie als beides zugleich, noch sie schlicht «neu- einer Vermischung, sondern im präzisen Sinne als eine Figur der Zwei:
tral» wahrzunehmen, ohne sie schon auf einen der als ein Zusammenspiel gleichursprünglicher, sich in ihrer Unterschei-
beiden «Aspekte» festzulegen. Wir können die dung berührender Praktiken. Das hiess für uns, in der Vorbereitung
beiden Bilder, in die sich der «H-E-Kopf» aufspal- dieses Heftes eine Situation zu scha≠en, in der die vertraute Ordnung,
tet, gewissermassen nicht abzählen. Sie stehen welche die «theoretische Reflexion» auf einen primären und «intuiti-
uns nicht nebeneinander vor Augen, sondern ven» Akt «künstlerischer Produktion» folgen lässt, aufgehoben ist.
immer nur einzeln, aber so, dass sie jederzeit im Stattdessen sollten ein Thema und sein Problemzusammenhang von
Auftauchen des zweiten Bildes verschwinden kön- beiden Seiten her gleichzeitig angegangen werden – verstehen wir doch
nen. Es ist, als ob ein – als solches nicht sichtbares «Theorie» nicht als akademisches Betätigungsfeld, sondern als Brü-
– Scharnier sich irgendwo in dieser simplen Zeich- ckenkopf und Schnittstelle nicht nur zwischen Kunst und Philosophie,
nung verberge, an dem sich ihre Oberfläche wie sondern auch zwischen den Künsten und den verschiedenen akademi-
der Flügel eines Altars, den man von vorne und schen Disziplinen. In diesem Sinne sollte am Anfang dieses Projekts
hinten betrachten kann, einmal nach rechts (wenn nicht ein Konzeptpapier mit universitären Adressaten stehen und am
wir den «Hasen» sehen) und einmal nach links Ende nicht eine Publikation, in der «passende» künstlerische Beiträge
(wenn die «Ente» auftaucht) wendete. Doch blei- den Diskurs lediglich illustrieren. Vielmehr haben wir ein Exposé ver-
ben die Linien, auf denen dieses phänomenale fasst (es ist auf den nachfolgenden Seiten wiedergegeben), das wir glei-
Schwanken «ruht», immer dieselben. Wir haben chermassen an Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler verschickt
es wohl mit der «minimalsten» Di≠erenz, die sich haben. Es entfaltet auf abstraktem Niveau eine Fragestellung, die sich
im Bereich des Bildlichen denken lässt, zu tun, sowohl auf konkrete formale wie auch auf diskursive Probleme bezieht.
minimaler noch als die zwischen Figur und Grund, So ist es gelungen, einen Arbeitsprozess anzustossen, bei dem eine The-
eine Di≠erenz, die sich in einer handfesten mate- orie der Zwei in der doppelten Perspektive von künstlerischer und aka-
riellen Identität, die sie letztlich in die Luft sprengt, demischer Produktion entwickelt werden konnte. Wir freuen uns, dass
«verbirgt».3 wir für die aktuelle Ausgabe von mit Bettina Carl, Zsuzsanna Gah-
Auf der anderen Seite gab es die Überle- se, Barbara Köhler, Jürgen Link, Pamela Rosenkranz, Vittorio Santoro
gung, theoretischen Figuren Jacques Lacans wei- und Christian Steinbacher Künstler und Schriftsteller gewinnen konn-
ter nachzugehen, die irreduzible duale Beziehun- ten, die, von unserem Exposé ausgehend, Arbeiten und Beiträge eigens
gen denken, wie jene des topologischen «Schnitts», für dieses Heft gescha≠en haben.
• S. 25–30 • S. 31–39 • S. 52–63
Zwei Beiträge dieses Heftes gehen – aus Vor einem ganz anderen, nämlich bild- Von genau dieser «Zwiefalt» sind auch
philosophischer und kunstkritischer ästhetischen Hintergrund kommt es in Dieter Roths Beidhandzeichnungen
Perspektive – der von uns aufgeworfe- der Malerei Caravaggios zu einer ähn gekennzeichnet, die wir hier in einer
nen Frage nach der Zwei als Figur lichen Bewegung der Übertretung der bisher unverö≠entlichten Auswahl prä-
unmittelbar nach. Richard Heinrich Einheit; dies auf doppelter Ebene, sentieren. Ähnlich wie Caravaggio
verortet sie im Spannungsfeld zwischen einerseits auf derjenigen der Bildkom- arbeitet Roth an der Aufspaltung der
der Tradition des metaphysischen Den- position als Einheitsstruktur, anderer- menschlichen Figur und setzt ein wei-
kens und der radikalen Di≠erenz seits auf derjenigen des primären teres Mal bei ihrer Symmetrie an. Die
philosophie von Gilles Deleuze. Erste- Gegenstandes der Malerei, der mensch- besondere Radikalität seines Verfah-
res vertritt Aristoteles, der in der Einlei- lichen Gestalt. Wolfram Pichler weist rens besteht nun darin, den eigenen
tung seiner Physik mit dem Gegensatz auf die aufspaltende Kraft hin, die Sym- Körper gleichsam zum Medium dieser
(es geht um die Veränderung zwischen metrie- und Paarbildung bei Caravag- Zerteilung werden zu lassen und den
gegensätzlichen Zuständen wie «weiss» gio entwickeln, als brächte sie der Maler Zeichenakt selbst zu ihrem Schauplatz.
und «nicht-weiss») ein Prinzip ein- durch einen Schnitt hervor, der eine Indem er mit beiden Händen zu Werke
führt, das eine genuine Zweiheit zu ver- Verbindung scha≠t, indem er trennt geht, führt er eine (körperliche) Dif
körpern scheint. Trotzdem wird diese und entzweit. So tre≠en wir auf Gemäl- ferenz in die Zeichnung ein, welche die-
Zweiheit dort in einer doppelten Rich- de (wie die Ruhe auf der Flucht nach se Kunst normalerweise zu überspielen
tung auf Einheit hin reduziert: auf der Ägypten oder den Ungläubigen Tho- trachtet: jene zwischen den unter-
einen Seite, weil Aristoteles mit der mas), deren symmetrische Anlage, schiedlichen Fertigkeiten der linken
«Materie» (ὕλη) eine wesenhafte «Sub anders als man dies gewohnt ist, weni- und rechten Hand, zwischen «linkisch»
stanz» (οὐσία) annimmt, die unwandel- ger Zusammenhalt und kompositori- und «richtig». Im gleichen Zuge aber
bar der Veränderung z wischen den sche Abrundung stiftet, als dem Bild geschieht dies nur, wie Ralph Ubl erläu-
Polen des Gegensatzes zugrunde liegt. die Struktur eines «latenten Dipty- tert, um die Hierarchie zwischen den
Zum anderen wird der Gegensatz selbst chons» zu verleihen. Genau diese Zwie- Körperhälften und den «kulturellen
als Einheit bestimmt, und zwar als phy- spältigkeit sieht Caravaggio auch in den Werten», die sie implizieren, umkehrbar
sikalischer Grundbegri≠ der «Form» Symmetrien der menschlichen Figur: werden zu lassen: Die Beidhandzeich-
(μορφή). Eben dieser gedankliche Schritt wenn etwa die Zusammengehörigkeit nungen sind zugleich mechanisch wie
– die Reduktion auf eine begriffliche der Körperglieder fraglich wird oder virtuos und werden von Körpern bevöl-
Einheit – bildet den Angri≠spunkt der wir einem Gesicht begegnen, dessen kert, deren auch obere und untere Sei-
deleuzeschen Kritik, die auf die Emanzi- eine Hälfte schon tot und dessen ande- ten (Haupt und Hintern) verwechsel-
pation uneingeschränkter Vielheit im re noch lebendig zu sein scheint (wie bei bar werden. Die Zwei, so wäre zu schlie-
Denken abhebt: Vielheit wahrhaft zu Judith und Holofernes). Die Zweihei- ssen, ist auch Figur der Reversibilität 8
denken, heisst «begri≠slos» zu denken. ten, die Caravaggios Malerei hervor- und Vermischung und kann (im Sinne
Doch zeigt Heinrich, dass es bei Deleu- treibt, bilden indes keine Figuren im der Topologie) als «nicht-orientiertes
ze neben der Parteinahme für das Sinne einer anschaulichen Paarigkeit: Gefüge» entfaltet werden.
Wuchern der Di≠erenzen und die Stel- Sie sind auf den Punkt der «Zwiefalt»
lung gegen die Eindimensionalität klas- gebracht, die – wie Pichler unterstreicht
sisch-philosophischer Begri≠e auch – nur dann vorliegt, wenn eine Zwei
Überlegungen zu einem Dritten gibt: In durch ein «unzählbares Drittes» kon
Di≠érence et répétition zitiert Deleuze stituiert wird: einen «Zwischenraum»,
Immanuel Kants Problem der Unter- der – wie das Scharnier eines Dipty-
scheidung zwischen «inkongruenten chons, das weder zum linken noch zum
Gegenstücken» (wie sie in einer spiegel rechten Flügel gehört – auf Abstand hält,
symmetrischen Beziehung vorliegt).6 was es verbindet.
Dem Paar der Hände des Menschen
kommt in der Anschauung eine eviden-
te Zusammengehörigkeit zu. Wir haben
den spontanen Eindruck einer wechsel-
seitigen Entsprechung (das Paar bildet
eine symmetrische Figur), aber doch
produziert die Symmetrie eine in geo-
metrischen Begri≠en irreduzible Unter- 1 — Dario Gamboni hat solche Bilder unter dem Stichwort der «Ambiguität»
in einer für das Thema grundlegenden Studie untersucht: Potential Images.
scheidung. Hier verortet Deleuze eine Ambiguity and Indeterminacy in Modern Art, London 2002.
begri≠slose Di≠erenz, die nicht schon 2 — Vgl. Ludwig Wittgenstein, «Philosophische Untersuchungen», in: ders.,
«multiplicité» ist, sondern sich gleich- Werkausgabe, 8 Bde., Frankfurt a. M. 1989, Bd. 1, S. 518ff.
sam an der Grenze zu ihr zeigt: Die 3 — Für einen Überblick über die bildtheoretische Diskussion, die sich an
Wittgensteins Überlegungen zum «Sehen-als» anschloss, aber in diesem
Zweiheit der beiden Hände ist nicht Heft nicht zum Thema gemacht wird, vgl. Patrick Maynard, «Seeing Double»,
rückführbar auf die Eins des Begri≠s, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism, 52/2, 1994, S. 155–167.
zugleich aber handelt es sich bei ihr 4 — Vgl. Mladen Dolar, «Touching Ground», in: «31». Das Magazin des Instituts
auch nicht um eine erste Stufe der Viel- für Theorie, 12/13, 2008, S. 59–70.
heit, kommt ihr doch zugleich eine 5 — Alenka Zupančič, The Shortest Shadow. Nietzsche’s Philosophy of the Two,
Cambridge (Mass.) / London 2003, S. 13.
spezifisch anschauliche Einheit zu, die
6 — Vgl. genauer zu Kants Problem der «inkongruenten Gegenstücke» in
man als figürliche ansprechen kann. diesem Heft: Markus Klammer / Stefan Neuner, «Die Figur der Zwei. Exposé /
The Figure of Two. Exposé», S. 17f.
• S. 105–111 • S. 119–125
Die Frage der rechten Orientierung steht auch im Santoros reversible Diptychen finden in Ausstellungsräumen ihr logi-
Mittelpunkt des Beitrags von Vittorio Santoro. sches Milieu an Orten der Richtungsänderung (wie in einer Raum
Drei Bildpaare stehen laut Titel In Conflict with ecke), oder nötigen den Beschauer, sich selber umzuwenden, wenn sie
Static Conditions. Die ersten beiden beruhen auf (wie How can I / Make it right, March–August 2005) an zwei gegen-
einem photographischen Bildverfahren, das dritte überliegenden Wänden angebracht werden. Ihre Transposition auf die
auf einem zeichnerischen. Im ersten Fall ist es das Seiten dieses Magazins reflektiert die ganz und gar unstatischen Kon-
Verfahren an sich, im zweiten seine besondere ditionen, die mit der Ausstellungsfläche eines beidseits bedruckten
Handhabung, die jene «statischen Bedingungen» Blattes gegeben sind, dessen Bestimmung es schliesslich ist, seine
mit sich bringen, mit denen Santoro den «Konflikt» räumliche Orientierung in der Hand eines Lesers beliebig oft zu verän-
sucht. Das Bild zweier Knaben, die sich in Startpo- dern. Eine Auseinandersetzung mit der Struktur dieses eigentümlichen
sition für einen Wettlauf begeben haben und wohl Ausstellungsraumes findet auch in Bettina Carls für dieses Heft
gespannt auf das Signal warten, das sie im nächs- gescha≠ener Bildserie statt. Das Verfahren der Künstlerin folgt einem
ten Augenblick hochschnellen lassen wird (Plate metonymischen Prinzip. Ihre Bilder und Bildreihen gehen aus einem
(Kids)), führt uns deutlich vor Augen, dass der Gestaltungsprozess hervor, der keinem vorab entschiedenen Plan folgt.
Schnitt ins Zeitkontinuum, den die Photographie Am Anfang steht meist ein einzelnes Motiv oder auch nur eine bestimm-
herstellt, ihre Motive in dem Moment, in dem sie te malerische oder graphische Markierung, andererseits auch Schrift
abgelichtet werden, gleichsam einfriert. Diese bild- und sprachliches Material, die in einer o≠en assoziativen Weise fortent-
technische «Bedingung» korrespondiert hier aber wickelt, ausgebaut, umgekehrt, semantisch verschoben, in Übergängen
auch mit einer sozialen, die nicht minder unbeweg- vom Malen zum Zeichnen in andere pikturale Aggregatzustände ver-
lich ist. Scheint doch der Akt des Bildermachens setzt werden und dabei oft mehrere Male zwischen abstrakten und
selbst, dessen Ergebnis wir vor Augen haben, in der figurativen Formen wie auch zwischen Bild und Schrift hin und her-
Starre der sozialen Konvention befangen zu sein, wechseln. Wenn Carl auf einem Blatt zu arbeiten beginnt, dann kann
dass Eltern die Freizeitbeschäftigung ihrer Kinder das Bildgeschehen sich über mehrere Blätter ausdehnen, die sich dann
festhalten; und zwar eine Beschäftigung, die in die- entweder zu einem grösseren Format zusammensetzen oder aber auch
sem Fall – die Einübung einer von den Massenme- als Reihe stehen bleiben, deren genaue Anordnung oder sogar Zusam-
dien vorgestanzten Pose – ein weiteres Mal einer mengehörigkeit nicht abschliessend entschieden ist. Doch sind diese
Julia
Konvention folgt. Dass das konfligierende Moment, Reihen nicht homogen im arithmetischen Sinne, nicht einfach beliebig
Gelshorn
Markus
das Santoros Arbeiten erzeugen, aber nicht darin erweiterbare Serien. Vielmehr kristallisieren sich Bildgruppen, die
Klammer
Florian besteht, aus den kulturellen Passformen, die über- aber dennoch nicht mit der Notwendigkeit einer Komposition aufein-
Neuner
Stefan all aufgerufen werden, einfach auszuscheren, ander verweisen, sondern in ihrer Verbindung den Abstand wahren.
Neuner
bringt die graphische Methode bei How can Die Struktur der Doppelseite und ihre Abfolge nutzt Carl in ihrem Bei-
9 I / Make it right, March–August 2005 auf den trag als einen Rahmen, der ihrer Arbeitsweise genauso entgegen-
Vorwort
Punkt. Sie bestand nämlich darin, die Zeichengeste kommt, wie er ihr eine ganz bestimmte Richtung gibt. Das erste Blatt,
ans Gängelband einer Schriftschablone zu legen, das im Original grösser ist als die folgenden fünf, ist ein Einzelbild, in
die Santoro während fünf Monaten Tag für Tag dem das ganze Bündel von Aspekten, die in der Serie ausgesponnen
dazu benutzte, den titelgebenden Fragesatz in zwei werden, sich schon als Knoten schürzt wie es auch Glied in der sich
Teile zerlegt immer von neuem auf dieselben beiden anschliessenden Bildkette ist. Das pikturale Gewebe ist dicht geknüpft.
Blätter zu schreiben. Doch zeigt uns diese Arbeit Ein paar Einzelfäden seien herausgezogen. Schwankt das Gebilde auf
o≠enkundig, wie Santoro es zum «Konflikt» mit dem ersten Blatt zwischen einer Auflösung ins Abstrakte und einer
Normen kommen lässt. Seine «verfremdenden Konzentration ins Figürliche, die nur in drei Gliedmassen eindeutig
Taktiken» – wie es im Titel des ersten Bilderpaares wird, so tritt auf dem zweiten Bild klar lesbar der Kopf hinzu, den man
heisst: Defamiliarizing Tactics, Twice – zielen dar- auf dem ersten gesucht hat. Doch gibt das zweite Blatt nicht nur eine
auf, sie gleichsam von innen her umzukehren. Die nachträgliche Ergänzung der Gestalt auf dem ersten, so dass beide eine
Schablone selbst legt es nahe, sie aus der «rechten» Art Paar bilden, auch regt das seltsame Doppelgesicht dazu an, es
lateralen wie vertikalen Orientierung zu drehen, bereits in die Formen auf der linken Heftseite hineinzusehen, aus
was es erlaubt, den Satz, der den Willen zur Unter- denen es formal entwickelt wurde. So haben wir so etwas wie zwei Ver-
werfung unter die gegebenen «Bedingungen» aus- sionen eines Bildes und zugleich eine Art Bilderpaar. Auf der nächsten
zusprechen scheint, in einer Weise aufs Papier zu Doppelseite mutiert der Kopf in einen malerisch vorgeführten, kopf
bringen, die es letztgültig unmöglich macht, die losen männlichen Torso, auf den in einer scheinbar schro≠en Kontrast-
beiden Bildteile in eine normgemässe Ordnung zu fügung auf Millimeterpapier ein ebenso kopfloser Leib folgt, der mit
bringen. Dasselbe Verfremdungspotential entdeckt einem weiblichen Geschlechtsattribut versehen wurde. Die binäre
Santoro auch in der photographischen Technik, die Opposition der Geschlechterdi≠erenz, die solcherart sich andeutet, ist
ihrerseits Umkehrungen mit sich bringt und mög- indessen instabil; die Formen des linken Torsos «weich», die des rech-
lich macht, welche im Ergebnis eines Normabzuges ten «hart» und teils mit dem Lineal gezogen. Und tauchen die Brüste
wieder verschwunden sind. Die Verkehrung ins auf dem zweiten Blatt nicht knapp über der Stelle zwischen den Bei-
Negativ bildet den ersten Ansatzpunkt, die Mög- nen auf, wo man Hoden erwarten könnte? Lässt sich diese Zeichnung,
lichkeit einer lateralen Reorientierung des Nega- die einen Unterleib zeigt, nicht auch als Fortsetzung und Ergänzung
tivs bei der Belichtung den zweiten. Und die Mani- der anderen sehen? Sehen wir einen oder zwei Körper, ein oder zwei
pulation auf beiden Ebenen hat bei Plate (Kids) zu Geschlechter? Die Doppelseite ist bei Bettina Carl, ähnlich wie bei
einem Doppelbild geführt, bei dem – weil es sich als Dieter Roths gefalteten Zeichnungen, eine Struktur, in der die mensch-
das Resultat einer zweifachen Umkehrung ausweist liche Gestalt einem destabilisierenden Vermischungsprozess ausge-
– fraglich, wenn nicht unentscheidbar geworden ist, setzt ist.
welche Seite die «richtige Orientierung» des Bildes,
seinen «originalen» Zustand zu sehen gibt.
• S. 70/71, 84/85, 92/93 • S. 81–91
Die Arbeit, die Pamela Rosenkranz für gestaltet hat, Der Beitrag Mladen Dolars nähert sich dem Problem der
unterbricht ohne weitere Kennzeichnung an drei Stellen des Zwei von einem lacanianischen Standpunkt aus an. Ausge-
Hefts die Folge der übrigen Beiträge. Wir stossen dort auf hend von der etymologischen Di≠erenz im Lateinischen zwi-
Photographien, die Details von Bildoberflächen in grosser schen alius bzw. secundus – als Zweites innerhalb einer Serie
Nahsicht zeigen. Es ist, als wollte uns Rosenkranz an der inti- von Vielen – und alter – als Anderes von Zweien – führt er
men Nähe, welche das Verhältnis eines Künstlers zu seinen eine grundlegende Unterscheidung zwischen einer zählba-
Werken im Atelier kennzeichnet, teilhaben lassen. Wir neh- ren und einer unzählbaren Zwei ein. Während die zählbare
men eine Perspektive ein, die nicht das Ganze – wie es Aus- Zwei den trivialen Fall einer Figur der Zwei darstellt – eine
stellungsbesucher später vor sich haben werden – visiert, son- Stelle in einer Zahlenreihe, eine Menge unter anderen Men-
dern Details, als gelte das Augenmerk der taktilen Ober gen –, markiert die unzählbare Zwei für Dolar einen ontolo-
flächenqualität der Bilder, dem Raum der handwerklichen gischen Bruch, der die Zwei als radikal verschieden von der
Verrichtungen, aus denen sie hervorgegangen sind. Diese Eins ausweist und als das hervortreten lässt, was Jacques
bestanden darin, Farbe auf Bögen der New York Times aufzu- Lacan als den «Grossen Anderen» bestimmt hat. Der Grosse
tragen, die dann entlang des vorgegebenen Falz’ zusammen- Andere wird durch einen Gegensatz strukturiert, den Dolar
geklappt wurden, wodurch sich beide Seiten aufeinander als «lacansche Antinomie» fasst. Der erste Satz dieser Anti-
abdrückten und eine beide Seiten umspannende und aufein- nomie lautet: «Es gibt den Grossen Anderen.» Der zweite,
ander beziehende symmetrische Konfiguration entstand. Das entgegengesetzte Satz lautet: «Der Grosse Andere fehlt.»
dünne Zeitungspapier löste sich bei diesem Abklatschprozess Mit anderen Worten: Der grosse Andere existiert nicht in
teils mit der Farbe ab, so dass – im Gegensatz zum «kleckso- der Art von Lebewesen oder Dingen, sondern er macht sich
graphischen» Verfahren, wie Justinus Kerner es übte und wie nur in seinem Fehlen bemerkbar. Aber auch in sich ist der
es auch den Bilder des Rorschachtests zugrunde liegt – nicht Grosse Andere gespalten, in einen sprachlich-symbolischen
einfach eine symmetrische Figur vor neutralem Grund und einen sexuell-biologischen Aspekt. Beide Aspekte des
erzeugt wurde, sondern der Untergrund selbst sich figural Grossen Anderen geben ihrerseits Anlass zu binarisierenden
verdoppelte. Das Zusammen- und Aufklappen einer Doppel- Vereinfachungen, die Dolar nun widerlegt: Wenn der Grosse
seite war die wesentliche bildgenerierende Operation. Im Andere die «Struktur» der Sprache meinte, dann würde es
Grunde ist sie kongruent mit der Handhabung dieses Heftes, naheliegen, diese Struktur, als eine di≠erentielle, unter das
wobei der Künstlerin, nicht anders als es einem Leser passie- Banner der Zählbarkeit einzureihen. Doch nicht die Struk-
ren wird, wenn er beim Blättern in diesem Magazin ihre tur an sich konstituiert den Grossen Anderen, sondern die
Arbeit entdeckt, beim Aufschlagen der Seiten ein überra- unvorhersehbaren Möglichkeiten, «Fehler», Abweichungen
schendes und nicht vorhergesehenes Bild entgegentrat. Einer innerhalb dieser Struktur zu begehen. Wenn der Grosse
solchen Kongruenz des taktilen Nahraums von Produktion Andere andererseits den Sex, den Schnitt, die Sektion der
und Rezeption begegnen wir immer wieder in der Buchkunst Geschlechter meint, dann könnte man darauf verfallen, ihn 10
der Moderne und insbesondere auch in Dieter Roths Publi- als duale Opposition zwischen dem Männlichen und dem
kationen der Beidhandzeichnungen. Rosenkranz jedoch vari- Weiblichen zu verstehen, mit dem Phallus als discrimen.
iert diese Strategie in einem sensiblen Punkt. So nahe liegend Dolar weist aber nach, dass die Psychoanalyse den Schnitt
es auch gewesen wäre, sie bringt den Falz ihrer «Rorschach- der Geschlechtlichkeit schon seit Freud nicht zwischen zwei
bilder» mit dem des Hefts nicht in Übereinstimmung, und Geschlechtern ansetzt, sondern zwischen dem natürlichen,
auch die Ebenen der Bilder und die der Papieroberfläche, auf instinkthaften Bedürfnis (Hunger und Durst), das physiolo-
der sie reproduziert werden, sind angular gegeneinander ver- gisch befriedigt werden kann, und den sexualisierten Trie-
schoben. Auf andere Weise ist auch hier die «rechte» Orien- ben, deren Begehrensstruktur von jedem konkreten Objekt
tierung Thema. Denn die symmetrischen Konfigurationen, und jedem konkreten Befriedigungserlebnis abgekoppelt ist
die das Abklatschverfahren entstehen lässt, implizieren so und damit in den Bereich des Phantasmatischen umschlägt.
stark wie wenige andere Bilder einen frontalen Blickpunkt, Gerade die Überlappung des Triebhaft-Körperlichen und
spiegeln sie doch die bilaterale Symmetrie des Körpers ihrer des Sprachlich-Symbolischen – in ihrer «Denaturierung»,
Beschauer und sind nicht zuletzt deshalb Gegenstand jener ihrer vielfältigen Möglichkeit der Abweichung von Struktur
projektiven Sehakte, die sich der Rorschachtest in psychodia einerseits und Biologie andrerseits – macht für Dolar den
gnostischer Absicht zunutze macht. So gewinnt man den Ein- Grossen Anderen aus. Der Text endet mit einer Rückkehr zu
druck, aus dem adäquaten Sichtwinkel der Figuren heraus- den Griechen und der Atomlehre von Demokrit und Lukrez.
gerückt zu sein, ja die Achse des Blicks, den die «Rorschach- In dem clinamen der frühen Atomisten, einem winzigen pri-
bilder» auf sich ziehen, mit dem eigenen Blick zu kreuzen. mordialen Einfluss auf die Bahnen der Atome, der nicht
Oder anders ausgedrückt: Wir sind in eine piktutrale Insze- nichts, aber auch nicht etwas ist und den Demokrit mit dem
nierung versetzt, in der sich die Stelle des Augpunktes aufge- Kunstwort δέν belegt (auf Deutsch etwa: «Ichts»), erkennt
spalten hat. Wir wissen gleichsam von einem «richtigen» Mladen Dolar die «minimale Figur der Zwei»: eine nicht
Betrachtungsstandort, den wir doch nicht einnehmen kön- zählbare Di≠erenz diesseits der Eins. Der Logik seines Tex-
nen. Und diese Entzweiung der Perspektive konterkariert tes folgend, identifiziert er letztere mit dem psychoanalyti-
jene imaginäre Dimension des Bildersehens, die Rosenkranz’ schen Partialobjekt, dem lacanschen kleinen anderen oder
Arbeit nicht nur im Motiv der «Rorschachfiguren» anzuspre- «objet a». Dolars Argumentation verfolgt aber die Spannung
chen scheint. Wenn wir zuerst den Eindruck gewinnen kön- zwischen den beiden Arten der irreduziblen, nicht zählbaren
nen, die Photographien lüden dazu ein, uns in den phänome- Zwei – der absoluten Spaltung und der inneren Di≠erenz –
nalen Raum des Ateliers und in die Perspektive der Künstle- nicht weiter.
rin hineinzuversetzen, so erweisen sich am Ende beide als
ihrerseits gespaltene: Ein Intervall ist eingeschoben zwischen
die Position der Malerin, die die Abklatschbilder hergestellt
und jener der Photographin, die sie aufgenommen hat.
• S. 94–99 • S. 112–118
Gerade diese Spannung aber untersucht Alenka Zupančič Sowohl bei Zupančič als auch bei Dolar wird die Figur der
in ihrem Text The Double and its Relationship to the Real. Zwei ganz wesentlich von der Spaltung, der Wiederholung,
Unter Bezugnahme auf die Schriften des französischen Phi- der Di≠erenz her gedacht. Dabei treten diese Begri≠e beina-
losophen Clément Rosset fasst sie die Figur der Zwei als die he ausschliesslich im Singular auf. Warum das so ist, darü-
des Doppels, das weder eines noch zwei ist. Auch für ber könnte der Beitrag von Ruth Sonderegger Aufschluss
Zupančič liegt die wesentliche Charakteristik der Zwei als geben. Sonderegger nähert sich der Problematik der Zwei
Doppel in ihrer Unzählbarkeit. Ein Doppel legt keine Bezie- unter dem Blickwinkel des Kolonialismus und der «abend-
hung oder Relation zwischen zwei unabhängig voneinander ländischen Gewalt im Aufteilen zwischen dem Eigenen und
bestehenden Entitäten fest, sondern führt vielmehr einen dem Fremden». Sie analysiert zunächst Massimo Cacciaris
fundamentalen Zweifel in die Existenz einer für sich beste- Europamanifest und die fatalistische Selbstauszeichnung
henden, «ursprünglichen» Einheit ein. Indem das Doppel des europäischen Denkens, die darin zu Wort kommt. Dem-
sich als ein Zweites, Identisches präsentiert, spaltet es gegenüber würde dessen gewalttätiges, kolonisierendes Ele-
zugleich die Eins. Ein Doppel, etwa in der notorischen Form ment vorwiegend ausgeblendet werden, so Sonderegger. Mit
des Doppelgängers, erzeugt eine ontologische Unvereinbar- Gayatri Chakravorty Spivak spricht Sonderegger von «Deck-
keit, einen Bruch der Realität: Exakt dieselbe Stelle in der kategorien», die zwar hilfreich sein mögen, die inneren Kri-
Raumzeit oder im sozialen Raum wird von zwei Prätenden- sen des Westens zu analysieren, aber zugleich deren Zusam-
ten beansprucht. Rosset bestimmt laut Zupančič das Reale menhang mit Imperialismus und Kolonialismus verdecken.
als das, was ist, wie es ist. Diese stupide Selbstidentität treibt Die Figur der Zwei kann in diesem Zusammenhang gerade-
die Menschen dazu an, es zu verdoppeln, und bringt sie dazu, zu als eine «Master- oder Meta-Deckkategorie» angespro-
unverbrüchlich an Illusionen zu glauben. Das grösste Skan- chen werden, gibt sie doch unter Titeln wie «Di≠erenz»,
dalon, welches die konstitutive Illusion der Menschen zer- «Unzählbarkeit», «Alterität» und ähnlichem einer – eben
reisst, dass es mehrere Varianten der Wirklichkeit gäbe, nur scheinbaren – Pluralität Raum. Den Hauptteil des Arti-
stellt für Rosset deswegen die eingetro≠ene Prophezeiung kels nimmt eine Auseinandersetzung mit der Theorie der
dar. Nicht ihr Eintre≠en entgegen aller Wahrscheinlichkeit Gleichheit, wie sie der französische Philosoph Jacques Ran-
ist das Erstaunliche, sondern die banale, identitäre Struktur cière entwickelt hat, ein. Gleichheit ist bei Rancière eine Prä-
der Wirklichkeit, die sich in ihm enthüllt. Darauf aufbauend supposition oder notwendige Voraussetzung, wie Sondereg-
Julia
entwickelt Rosset eine Theorie der Liebe, die zwischen rea- ger zeigt. Bevor sie diese Gleichheit nun Punkt für Punkt als
Gelshorn
Markus
ler / wahrer Liebe und leidenschaftlicher «romantischer» Deckkategorie im spivakschen Sinne entlarvt, hebt die Auto-
Klammer
Florian Liebe unterscheidet: Für die leidenschaftliche Liebe ist eine rin durchaus zustimmend zwei Grundzüge der rancière-
Neuner
Stefan phantasmatische Verdoppelung des geliebten Objekts cha- schen Konzeption hervor: Gleichheit kann nicht dekretiert,
Neuner
rakteristisch. Durch diese Verdoppelung werden sowohl das sondern nur aus der Position der Ausgeschlossenen, Unter-
11 geliebte Objekt als auch das phantasierte Objekt auf ewig drückten eingefordert und erstritten werden. Und: Dem
Vorwort
unerreichbar. Die reale / wahre Liebe hingegen besteht für Streit der Ausgeschlossenen, Unterdrückten um Anerken-
Rosset gerade im Zerreissen der phantasmatischen Illusion nung kommt eine prinzipielle Universalität zu. Er steht allen
und in dem darauf folgenden glückhaften Staunen, «dass du o≠en. Jeder muss sich ihm anschliessen können. Nichtsdes-
du bist». Hier setzt Zupančičs Kritik ein: Rosset huldige totrotz erweist sich die quasi-transzendentale Präsupposi
einem ontologischen Dualismus von Realem und Illusion, tion von Gleichheit als ausgesprochen problematisch: Nicht
den er zugunsten des selbstidentischen Realen aufzulösen alle Ausgegrenzten, besonders jene, die besonders brutal
trachte. Doch auch reale / wahre Liebe würde in einer unterdrückt werden, können für sich selbst sprechen. Nicht
Mischung aus beiden Komponenten bestehen, «preserving immer und überall ist Widerstand möglich. Die Präsupposi-
the transcendence in the very accessibility of the other». tion von Gleichheit ist keine transzendentale Gegebenheit,
Gerade in den jüngsten Schriften Rossets würde dieser Dua- sondern eine historisch-politische Errungenschaft, die immer
lismus Raum greifen, wenn Rosset das Reale als ebenso wieder neu zu verteidigen ist und vielerorts allererst herge-
ursprünglich wie unsichtbar, sich selbst verbergend kenn- stellt werden muss. Selbst Gesellschaften mit di≠erenzierten
zeichne. Aus diesem Argument lässt sich unmittelbar eine Vorstellungen von Gleichheit haben niemals Probleme
Kritik am Konzept des Grossen Anderen, wie es Dolar in gehabt, die Gleichheit auf bestimmte Gruppen einzuschrän-
Anlehnung an die kantischen Aporien präsentiert, herausle- ken und anderen vorzuenthalten. In diesem Zusammenhang
sen. Dementgegen bindet Zupančič das Doppel an die Figur weist Sonderegger auf den europäischen Sklavenhandel hin,
der «Wiederholung desselben». Die Wiederholung dessel- der zu Zeiten Kants und des kategorischen Imperativs eine
ben führt eine minimale Di≠erenz ein, welche die Selbst Hochblüte erlebte. So ist die Gleichheitspräsupposition Ran-
identität des «Originals» zerstört. Das Doppel als Wiederho- cières entweder zynisch oder trivial: Nicht jeder, der über
lung desselben oszilliert zwischen Eins und Zwei. In einer den Begri≠ der Gleichheit verfügt, muss auch danach han-
harschen Volte entlang dem rossetschen Paradigma der deln. Darüber hinaus sind Rancières Beispiele allesamt dem
erfüllten Prophezeiung und dem liebenden Erstaunen, «dass europäischen Kontext entnommen, einem Kontext, in dem
du du bist», definiert Zupančič das Reale nun als in sich dop- eine bestimmte faktische Institutionalisierung von Gleich-
pelt und das Doppel als das eigentlich Reale. Gegen ein heit schon vorausgesetzt werden konnte, deren Ausweitung
transzendentales Anderes kantischen Zuschnitts, das den oder Generalisierung es einzufordern galt.
ersten Teil von Dolars Text dominiert, nimmt sie Partei für
Nietzsches Begri≠ des «Mittags»: Mittag als «Augenblick
des kürzesten Schattens» ist für Nietzsche, wie Zupančič
nachweist, keinesfalls die Zeit ohne Schatten, es ist vielmehr
die Zeit, in der der Schatten eines Dings auf dieses selbst
fällt, es selbst als seinen Schatten setzend und um sich selbst
verdoppelnd. Es ist der Augenblick, wo aus Eins Zwei wird.
• S. 99–105 • S. 147–153
Wirft Ruth Sonderegger einen Blick «unter» die Figur der Zwei als Ein arithmetisches Problem anderer Art wirft in
«Meta-Deckkategorie» einer nur vermeintlichen Pluralität, so versucht der Moderne die Frage nach dem Wesen der ein-
Antke Engels Beitrag, die «Unzählbarkeit» der Zwei als politisches zelnen Künste auf. So schien die Entwicklung der
Potential zu erkennen und für die Queer Theory zu nutzen. Indem sie Malerei im vergangenen Jahrhundert ebensowohl
die Figur der Zwei gerade nicht als Paarung versteht, sondern vielmehr auf die Ergründung ihres allgemeinen Wesens
als «ununterscheidbares Drittes», kann Engel sie als Figur der Span- hinzugehen, wie wir auf der anderen Seite ihre
nung und des Aufschubs von Binaritäten und heterosexuellen Normen Ausdi≠erenzierung in eine unvereinbare Vielheit
fruchtbar machen. Erst jenes Dritte, das Engel auch mit der Schreib- sehr spezifischer Praxisformen beobachten kön-
weise eines Unterstrichs markiert, bringt die «Andere_n d_ Anderen» nen; auf der einen Seite die Leitvorstellung der
ins Spiel, so dass die Zwei für die Infragestellung identitärer Entitäten Aufhebung der verschiedenen Malereigattungen
dienlich gemacht werden kann. Es geht demnach aus queer-theoreti- (wie Historie oder Stillleben) in der Abstraktion
scher Perspektive um eine Ö≠nung der heteronormativen Logik von als Malerei an sich, auf der anderen Seite die Ten-
einer additiven Zwei hin zu einer Figur, die als ein «Werden» begri≠en denz zur Spezialisierung auf einzelne Gattungen
wird und die Zwei in der Unentscheidbarkeit von Einheit und Vielheit oder radikaler auf einzelne Motive, die zum
halten kann. Die Zwei ist demnach auch nicht als unterkomplexer Ant- Gegenstand eines ganzen malerischen Œuvres
agonismus zu denken, sondern im Sinne von Theoretikern wie Ernes- werden können. Ralph Ubls Beitrag zeigt, dass
to Laclau und Chantal Mou≠e, Judith Butler oder Anna Marie Smith diese charakteristische Unsicherheit in der Zäh-
als Unabschliessbarkeit jeglicher Identität und als Nicht-Harmonisier- lung der Künste weit ins 19. Jahrhundert zurück-
barkeit des Gesellschaftlichen. Insofern steht die Figur der Zwei auch reicht und einen ihrer Ursprünge im Konflikt zwi-
für die Unmöglichkeit der Schliessung und eine unvermeidliche Über- schen zwei Dimensionen der Malerei hatte, die
schreitung, strukturiert durch die Bewegung des Begehrens. Begehren gewissermassen diesseits der Frage nach der Gat-
wäre also nach Engel als eine Kraft zu denken, die – im Sinne von tungsspezifität angesiedelt ist. Es handelt sich um
Deleuze und Félix Guattari – «Fluchtlinien» schlagen kann und durch den Konflikt zwischen einer somatischen und sich
die den symbolischen Ordnungen zu entfliehen sei. Engel schlägt vor, im Nahraum der Ateliertätigkeiten und unmittel-
die Zwei als «Unmenge» zu betrachten, im Sinne einer Ö≠nung der barer Sinneseindrücke entfaltenden Dimension
Zwei über sich hinaus. In diesem Zusammenhang entwickelt Engel die des Malens und einer dezentrierenden Dynamik,
Ausweitung der Zwei in der Figur der «Dritten Seite des Spiegels»: die dort in Gang kommt, wo das Bild sich auf den
Jene Seite wird ebenso ablenkend wie absorbierend und damit als Fernhorizont anonymer Zirkulationsräume hin
Unterbrechung und Aufschub zwischen Spiegel und Gespiegeltem ö≠net. Beide Dimensionen waren noch in Théo-
gedacht. Der daraus entstehende Freiraum soll das Potential der psy- dore Géricaults Grossgemälde Das Floss der
choanalytischen Metapher des Spiegels, dergemäss sich Identifizie- Medusa verflochten und mit dem Anspruch,
rungsprozesse und Subjektkonstitutionen vermittels der reflektierenden Malerei als synthetische Einheit aus beidem her- 12
Kraft des Anderen vollziehen, weitertreiben, hin zur Identifizierung, vorzubringen, verknüpft. Charakteristisch für die
die eine «Andersheit de_ Anderen» an das Selbst herantreten lässt. Mit Moderne ist nun, wie sie im weiteren Werk Géri-
Donna Haraway macht Engel statt der «Reflektion» die «Di≠raktion» caults auseinandertreten – in Gemälden wie Eine
der «Dritten Seite des Spiegels» stark, die einen virtuellen Ort als ein tote Katze, die aus einer Art «Zwiegespräch von
Aufeinandertre≠en der verschiedenen «Andersheiten de_s_r Ande- Körper und Leinwand» hervorgegangen zu sein
ren» im Begehren etabliert. Explizit formuliert Engel dieses theoreti- scheinen, und Bildern wie Eine Gipsbrennerei, die
sche Modell als Forderung nach einer politischen Praxis, in der Anta- sich «den Kräften einer technischen und ökono-
gonismen durch Fluchtlinien zu durchqueren seien, um ein Netz aus mischen Produktion von Wirklichkeit» aussetzen.
Bewegungen zu erzeugen, in dem die unzählbare Zwei als Begegnung Das Gemälde wäre demnach in der Moderne als
und Kluft unschliessbar bliebe. Schauplatz eines Konflikts zu denken, auf dem die
widerstreitenden Aspekte eines Körper- und
Weltbezugs, von Handwerklichkeit und Techni-
sierung, wie ein Nah- und ein Fernraum, Innen
und Aussen sich entzweien und in einem dialekti-
schen Prozess wieder aufeinander bezogen wer-
den, ohne aber je in einer unproblematischen Ein-
heit zusammenzufinden.
• S. 139–146 • S. 40–51
Bei einer ähnlichen Spaltung des bildlichen Victor I. Stoichita diskutiert mit Francisco de Zurbaráns um die Mitte
Raumbezugs setzt auch Ewa Lajer-Burcharth in des 17. Jahrhundert entstandenen Hl. Franziskus aus dem Musée des
ihrem Beitrag an. Der Schauplatz des Konfliktes, Beaux-Arts in Lyon ein Gemälde, das den Zusammenhang der neuzeit-
den das Bild in seinem Verhältnis zu einem sensu- lichen europäischen Malerei mit unserem Thema auf grundlegender
ellen Nahraum einerseits und einem anonymisier- Ebene deutlich werden lässt. Das Sujet an sich gehört noch ganz in den
ten Fernraum andererseits austrägt, ist in Lajer- Kreis spätmittelalterlichen Wunderglaubens: Das Gemälde zeigt den hl.
Burcharths Analyse jedoch nicht länger das Franziskus, nicht wie er auf Erden wandelte und auch nicht wie er in
moderne Gemälde, sondern der Film. Die bel- den Himmel aufgenommen wurde, sondern wie sein Leichnam der
gisch-jüdische Filmemacherin Chantal Akerman Legende nach von Papst Nikolaus V. 1449 in unterirdischen Gewölben
untersucht in ihren Werken immer wieder die der Basilika von Assisi aufgefunden wurde: aufrecht, blutend und mit
dichotomische Struktur von Subjektivität als geö≠neten Augen in seinem Grab stehend. Ein Körper, der weder wirk-
zwiespältiges Verhältnis von Innen und Aussen lich tot noch wirklich lebendig ist, so dass die Grenze des Todes als eine
und repräsentiert dies, indem sie ein häusliches Schwelle figuriert, die nicht einfach zwischen Diesseits und Jenseits
Interieur zu seiner Aussenwelt in Bezug setzt. liegt, sondern keiner der beiden Sphären angehört und doch beiden
Dass Akerman mit dem Interieur als Innen-Raum zugleich. Diese Paradoxie, die in der Thematik von Zubaráns Gemälde
eine Metapher aufgreift, die in die Entstehung des angelegt ist, hat mit dem theoretischen Modell, das wir untersuchen,
bürgerlichen Diskurses um Innerlichkeit zurück- unmittelbar zu tun. Die Grenze, so eine allgemeine Schlussfolgerung, ist
reicht, zeigt Lajer-Burcharth mit Verweis auf eine genuine Figur der Zwei, insofern wir sie nicht als Passage eines all-
Xavier de Maistres Voyage autour de ma chambre mählichen Übergangs von einem Raum in einen anderen verstehen,
von 1790, der das literarische Genre einer imagi- sondern als einen Schnitt im besagten Sinne. Bei Zurbarán sind es nun
nären Reise ins Innere als einer Begegnung mit aber wesentlich neuzeitlich-moderne Darstellungsmittel, die in den
sich selbst etabliert. Akermans 2006 entstande- Dienst der Verbildlichung des Wunders gestellt werden. Als Trompe-
ner Film Là-bas, der einen Kurzaufenthalt der l’œil überträgt das Gemälde die Ungewissheit über die Lebendigkeit des
Künstlerin in Israel dokumentiert, inszeniert die- Körpers auf jene über Illusion und Wirklichkeit und lässt so das Sujet
se Begegnung als (Selbst)Portrait eines Ortes, wel- als eine Grenzerfahrung der Anschauung triftig werden. Die modernen
cher der Künstlerin ebenso eigen wie fremd ist. illusionistischen Darstellungsmittel ganz in den Dienst des Erfahrbar-
Julia
Vom Innern eines durch Akerman angemieteten werdens einer ikonischen Präsenz zu stellen, macht das Bild zu einer
Gelshorn
Markus
Appartments in Tel Aviv erö≠net die Kamera historischen Doppelfigur, in der eine künstlerische Selbstreflexion der
Klammer
Florian durch die Rahmung eines Fensters den Blick auf Malerei über ihre Macht, Totes lebendig erscheinen zu lassen, und die
Neuner
Stefan jene Aussenwelt, die das Interieur ebenso angemessene Repräsentation eines religiösen Sujets ununterscheidbar
Neuner
umschliesst wie sie von ihm abgekoppelt ist. werden. So gehört Zurbaráns Gemälde weder dem Zeitalter der Kunst,
13 Lajer-Burcharth analysiert ausführlich, wie noch dem, was davor lag, eindeutig an. Der religiöse Bildgebrauch stösst
Vorwort
sowohl auf visueller als auch auf akustischer Ebe- an eine Grenze, wo die ästhetische Erfahrung als autonome Erfahrung
ne eine diskontinuierliche Beziehung zwischen sich noch nicht von ihm vollständig abgekoppelt hat. Konsequenterwei-
Innen und Aussen, zwischen dem Kamerablick se zeigt die Geschichte des Gemäldes, wie es an der Wende zum 19. Jahr-
und demjenigen der Künstlerin produziert wird, hundert von einem Konvent bei Lyon in das Kunstmuseum der Stadt
während zudem das Gesehene nie mit dem Gehör- wanderte, die ganze Widersprüchlichkeit dieser Epochenschwelle. Den
ten koinzidiert. Autorschaft und Subjektivität Nonnen, die das Bild besassen und es schon längere Zeit auf den Dach-
werden als Textur kontingenter und instabiler boden verbannt hatten, war es unheimlich geworden, während es als
Beziehungen präsentiert, denn die Topographie Kunst im modernen Sinne ebenso verstörend wirkte.
der Zweiheit, die Akerman entwirft, führt zu einer
ständigen Durchdringung von Innen und Aussen, Wenn das Magazin des Instituts für Theorie jetzt sein Spektrum ver-
ohne dass beide Teile zu einer Einheit finden wür- breitert und neben der Kunst und ihrer Theorie auch literarische Tex-
den. Eine Selbst-Erkenntnis ist in dieser inkon- te präsentiert, dann liegt dem die Au≠assung zugrunde, dass diese
gruenten Doppelung unmöglich; Ort und Famili- Arbeiten dem Diskurs auf ihre Weise eigene Gesichtspunkte, Erzähl-
engeschichte bleiben der Künstlerin ebenso fremd und Sichtweisen beizutragen haben – mithin ebenso wenig wie die
– là-bas – wie ihr mit diesem Ort verkoppeltes auch bislang schon vertretenen Bildwerke als blosse Illustration theo-
«Selbst». Die Membran, an der sich die Durch- retischer Anstrengungen zu werten sind. So wird die Figur der Zwei in
dringung zwischen den vermeintlich geschiede- der Literatur schon materialiter virulent, wenn Autoren in ihr poeti-
nen Räumen des Innern und Aussen abspielt, ist sches Kalkül die Frage der Fassungen, der (Un)Abschliessbar- und
die des Filmbildes: Hier wird die Struktur der Tei- Feststellbarkeit von Werken einbeziehen, wenn sie sich schliesslich der
lung durch einen Schnitt, der ebenso trennt wie Frage der Übersetzungen und der Übersetzbarkeit stellen. Es geht in
verbindet, medial artikuliert. Dass der Film dafür der Literatur aber immer auch ganz konkret um das Zählen und das
das adäquate Medium ist, führt Lajer-Burcharth Aufzählen, ohne das weder das Erzählen zu denken ist noch die Suk-
in der Beobachtung aus, dass der Schnitt selbst zession einer Verszeile auf die voranstehende.
hier als Verkörperung jener Spaltung eingesetzt
wird: Akerman vermeidet das gängige Schuss-
Gegenschuss-Verfahren und kappt damit die ein-
deutige Korrespondenz jener aufeinander bezoge-
nen Räume. Akermans Filmbild inszeniert diese
Korrespondenz vielmehr als kontingente Berüh-
rung auf einer Membran, die dazwischen liegt und
zugleich durchlässig und unüberwindbar ist.
• S. 64–69 / 72–76 / 77–80 • S. 154–158 • S. 126–130 / 131–138
In Übersetzungen treten Texte in Ver- Unter der Überschrift Di≠erenz und / Jürgen Link überraschte 2008 mit
dopplungen auf, an denen sich Identität oder Wiederholung lässt sich auch die dem Roman Bangemachen gilt nicht
und Abweichung in besonderer Weise oft erbittert geführte Diskussion um auf der Suche nach der Roten Ruhr-
exemplifizieren lassen. Der alte Streit, Fassungen rubrizieren. Heute, da nicht Armee – kein aus der Eitelkeit eines
ob bewusst subjektiven Nachdichtungen nur die Philologie längst von der Chi- Literaturwissenschaftlers geborenes
oder um Objektivität bemühten Über- märe einer zweifelsfrei (re)konstruier- Nebenwerk, sondern ein Buch, das
tragungen eher zu trauen sei, markiert baren, letztgültigen Gestalt der Werke einen Platz im Gesamtprojekt eines
die Pole in dieser Debatte. Zsuzsanna abgerückt ist, sondern auch von der «68ers» behauptet, der anders als die
Gahse und Barbara Köhler sind zwei Produzentenseite her Texte häufig als Mehrzahl seiner Generationsgenossen
Autorinnen, die beide auch als Über fluid gedacht und konzipiert werden, nicht zum Renegaten wurde. In diesem
setzerinnen arbeiten. Gahse, als Zehn- kann das Nebeneinanderstellen von Projekt greifen wissenschaftliche, lite-
jährige aus dem ungarischen Sprach- Varianten als Spielart einer autore- rarische und praktische politische
raum in den deutschen verpflanzt, flexiven Poetik figurieren. So treibt Arbeit ineinander. Ein literarisches
begann auf Deutsch zu schreiben, ehe Christian Steinbacher auf nur weni- Sprechen ganz eigener Art muss Link
sie sich auch an Übersetzungen aus dem gen Seiten ein ungemein dichtes und entwickeln, weil er seine biographi-
Ungarischen wagte. Aber bereits ihr verwickeltes Spiel mit Fassungen, in schen Erfahrungen in einem aktualhis-
deutsches Schreiben war grundiert von dem nicht nur mehr als zehn Jahre alte torisch motivierten Entwurf bergen
einer Poetik der Zweisprachigkeit, mit eigene Gedichte zur Wiedervorlage will, der nicht in der Kontingenz des
der die – zumal wenn der Abstand so kommen. Daneben stehen auch auf Einzelschicksals versackt. Den Roman
gross ist wie zwischen dem Deutschen Texte von Kollegen antwortende Ge- durchzieht ein kollektiver Erzählstrom
und der nicht dem Indogermanischen dichte. Aber bildet nicht ohnehin die – der von der Erfahrung einer Genera-
zuzurechnenden Sprache – gar nicht so gesamte Textumgebung der vom Autor tion kündet, aber auch von einem
triviale Tatsache der Arbitrarität sprach- herangezogenen Bibliothek unter- Anspruch. In diesen Erzählstrom sind
licher Zeichen verstärkt ins schriftstel- schiedslos sein Material, bei Steinba- immer wieder so genannte Simulatio-
lerische Spiel und Bewusstsein kommt. cher noch dezidiert erweitert um den nen (beispielsweise von 1975 auf 1985)
Gahse hat darüber immer wieder in Sprachschutt des Alltags, an dem er eingeschaltet, prognostische Szenarien,
poetologischen Essais reflektiert. Für sich mit seinem hochmusikalischen die drohende Gefahren durchspielen,
das vorliegende Heft hat sie das (Er) lyrischen Sprechen reibt? Intertextuali- aber auch Alternativen pointieren. Dass
Zählen, die unterschiedlichen Weisen, tät ist hier Programm, Teil des poetolo- einige der bittersten Prognosen, etwa die
wie in verschiedenen Sprachen Ein- gischen Kalküls. Kein Text steht für Militarisierung der deutschen Aussen
und Mehrzahl, das Einzelne und das sich. Steinbachers Gedichte sind ein politik, mittlerweile als verifiziert gelten
Paar gedacht werden, in den Blick ge- Beleg für Harold Blooms Hinweis, dass können, macht die Brisanz von Links 14
nommen. Dass ihr dabei Gertrude Stein sich in poetischen Texten nur dann Erzählprojekt aus. Satirisch zugespitzt
in den Sinn kommt, ist kein Zufall. Bar- etwas ereignet, wenn sie auf andere ant- werden diese Szenarien in den das
bara Köhler, die in Sachsen aufgewach- worten. Seine Poetik ist dabei vor dem ganze Buch durchziehenden Zwillings
sene Lyrikerin, hat biographisch keine immer mitzudenkenden Hintergrund geschichten, in der eine politische und
Geschichte der Migration in andere der Konventionen eine der Di≠erenz eine unpolitische Schwester ihre Ver-
Sprachräume hinter sich, hat sich aber und der Abweichung, ein Hakenschla- wirrspiele treiben – und daran erin-
als Übersetzerin Texten von Samuel gen zur Vermeidung etwa semantisch nern, dass es auch vor dem Hinter-
Beckett und eben Gertrude Stein zuge- vorhersehbarer Schritte – seine Texte grund einer vermeintlichen geneti-
wandt. Ihre Übertragungen gehen an arbeiten sich gewissermassen an einem schen Prädisposition unterschiedliche
Grenzen und können sich dabei sowohl unsichtbaren, fiktiven Bezugstext ab, Handlungsoptionen gibt. «Vorerinne-
auf die avancierte Sprachreflexion als von dem sie sich distanzieren. rung» – so der Untertitel des Romans,
auch auf das experimentell Spielerische das programmatische Aushebeln von
des Originals berufen. Sie streben keine Zeitebenen pointierend – meint somit
ausgewogene Lesart an, sondern pre- das Beharren auf Alternativen. Neben
schen vor, indem sie Lektüre-Varian- die «eine» Sicht – sei es die o∞zielle
ten, und eben oft genug auch unerwar- Geschichtsschreibung, seien es die pro-
tete und unwahrscheinliche, herauskit- gnostischen Szenarien des «V-Trägers»
zeln: Übersetzung als radikale Inter- – werden andere gestellt. Die hegemo-
pretation. Steins Buchtitel Tender But- nialen Interpretationen werden nicht
tons mutiert dann etwa zu Zarte knöpft. akzeptiert, in der Fiktion wird die Be-
Die Stanzas in Meditation, aus denen hauptung zugespitzt, dass alles auch
Köhler eine Auswahl für übersetzt ganz anders laufen könnte.
hat, heissen Meditation ins Tanzen.
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei / The Figure of Two
Markus Klammer
Stefan Neuner
Deutsch English
15 In einer vielkommentierten Bemerkung aus dem Seminar In a much-discussed remark from the seminar … Or Worse
… ou pire behauptet Jacques Lacan, dass es nicht möglich sei Jacques Lacan asserts that it is not possible to arrive at 2
zur 2 zu gelangen, wenn man mit 0 und 1 zu zählen when one begins counting with 0 and 1:
beginne:
“With 0 and 1, if you add them or place one in an exponential rela-
«Avec 0 et 1, que vous les additionnez ou que vous les mettiez l’un tionship with the other, or even place one in an exponential rela-
à l’autre, voire l’un à lui-même dans une relation exponentielle, tionship with itself, 2 is never attained. With the number 2, in the
jamais le 2 ne s’atteint. Le nombre 2, au sens où je viens de le sense I have just suggested, the test of being produced from a
poser, qu’il puisse d’une sommation ou d’une exponentiation summation or exponentiation of smaller numbers proves to be
s’engendrer des nombres plus petits, ce test s’avère négatif: il n’y negative: there is no 2 that can be produced using 1 and 0.” 1
a pas de 2 qui s’engendre au moyen du 1 et du 0.» 1
An unbridgeable gap opens between 1 and 2, and thus 2 is
Zwischen 1 und 2 tue sich eine unüberbrückbare Kluft auf, already infinite. Here, Lacan exemplifies his theory of the
und insofern sei die 2 schon unendlich. Lacan erläutert dort other and underscores that the other can in no way be under-
seine Theorie des Anderen und unterstreicht damit, dass der stood as a “second one,” according to the arithmetic opera-
Andere auf keine Weise als «zweiter eine», gemäss der arith- tion 1 + 1. Instead, with the other, one is dealing with an
metischen Operation 1 + 1, verstanden werden könne. Man irreducibly dual constellation and is thus compelled to begin
hat es beim Problem des Anderen vielmehr mit einer irredu- counting with 2. 2
ziblen dualen Konstellation zu tun und ist so gezwungen, mit Apart from its subject-theoretical implications, this
2 zu zählen zu beginnen. 2 argument contains a generalizable insight about the nature
Einmal abgesehen von den subjekttheoretischen of all beginning. Two, and not one, is the number of onset.
Implikationen dieser Behauptung, enthält sie eine generali- We must always start counting with 2. Even Georg Wil-
sierbare Einsicht über das Wesen alles Beginnens. Die Zwei helm Friedrich Hegel, in The Science of Logic, when deter-
und nicht die Eins ist die Zahl des Anfangs. Wir müssen mining the “absolute beginning” or “ground” (of science),
immer mit 2 zu zählen beginnen. Selbst Georg Wilhelm cannot refrain from admitting that this beginning contains
Friedrich Hegel kann in der Wissenschaft der Logik bei der two aspects and must be thought of as an ambiguous “uni-
Bestimmung des «absoluten Anfangs» oder «Grundes» (der ty:” “The beginning thus contains both being and nothing-
Wissenschaft) nicht umhin zuzugeben, dass dieser Anfang ness; it is the unity of being and nothingness […].” 3 In an
Zweierlei enthalte und als zwieschlächtige «Einheit» gedacht entirely di≠erent context, this type of ambiguity was also
werden müsse: «Der Anfang enthält also beides, Sein und discovered by structural linguistics when Ferdinand de
Nichts; ist die Einheit von Sein und Nichts […].»3 Eine Saussure determined that in a linguistic system there are
solche Zwiespältigkeit entdeckte in einem ganz anderen no “positive terms,” but “only di≠erences.” 4 Thus, the mini-
Zusammenhang auch die strukturalistische Linguistik, als mal signifying element in any sign system must already be
Ferdinand de Saussure feststellte, dass es in einem sprachli- two-fold. Not “a” alone, but only the dyad “a / not a” can
chen System keine «positiven Einzelglieder», sondern «nur produce “meaning.”
Verschiedenheiten» gebe.4 Das minimale sinntragende Ele- In the concrete case of language acquisition in infants,
ment in jedem Zeichensystem muss daher bereits zwiefältig however, it is evident that the structure of such an element is
sein. Nicht «a» allein, sondern erst die Dyade «a / nicht-a» yet more complex. As is well known, an infant’s first word is
kann «Sinn» produzieren. not a single phoneme that emerges from prelingual silence
Im konkreten Fall des Spracherwerbs bei Kleinkindern as a significant sound; rather, it sets itself apart from the
zeigt sich aber, dass die Struktur eines solchen Elements noch babble and emerges as a linguistic utterance on the strength
komplexer ist. Das erste Wort eines Kindes ist bekanntlich of its double structure: “ma-ma.” The repetition is crucial. A
kein einzelner Laut, der aus einer vorsprachlichen Stille als word only appears when a sound is confirmed as an inten-
signifikanter Klang heraustritt, sondern hebt sich aus dem tional utterance through repetition. 5 It can also be said –
Gebrabbel kraft seiner gedoppelten Struktur als sprachliche and for the logic of the Figure of Two, this is of greatest
Äusserung heraus: «ma-ma». Die Wiederholung ist entschei- importance – that here, a prelingual sound is retroactively
dend. Ein Wort entsteht erst, wenn ein Laut durch seine Repe- endowed with meaning. The isolated “ma” will have been the
tition als intentionale Äusserung bestätigt wird.5 Man kann 1 from which the infant has arrived at the 2 of the word “ma-
auch sagen – und das ist für die Logik der Figur der Zwei von ma,” but only retroactively does this single sound become a 1
grösster Wichtigkeit –, dass hier ein vorsprachlicher Laut that in a linguistic arithmetic can be added with another 1.
retroaktiv mit Sinn begabt wird. Das isolierte «ma» wird die In this arithmetic as well, 2 is the first number. Anyone who
1 gewesen sein, von dem das Kind zur 2 des ersten Worts, «ma- has experienced an infant beginning to talk knows what this
ma» gelangt sein wird. Aber erst rückwirkend wird dieser eine divide that lies between 1 and 2 – according to Lacan –
Laut zu einer 1, die in einer sprachlichen Arithmetik mit einer means as a concrete phenomenon. It is not a gradual transi-
anderen 1 addiert werden kann. Auch in dieser Arithmetik ist tion, with language-like sounds slowly and ever more clearly
die 2 die erste Zahl. Und jeder, der ein Kleinkind zu sprechen separating themselves from babble. The first word seems to
beginnen erlebt hat, weiss, was die Kluft, die nach Lacan zwi- break vertically into the plane of prelingual sounds. It is a
schen 1 und 2 liegt, konkret als Phänomen bedeutet. Es gibt categorical leap, an event par excellence.
hier keinen graduellen Übergang zwischen einem Gebrabbel, This example leads to another important aspect of the
aus dem sich langsam sprachähnliche Laute immer bestimm- Figure of Two – namely, what it is that makes two into an
ter herauslösen. Das erste Wort scheint vertikal in die Ebene entirely specific figure. For the first word with the double
der vorsprachlichen Laute einzubrechen, ein kategorialer structure “a-a,” it is evidently critical to have exactly two
Sprung, ein Ereignis schlechthin. sounds come together. If a single “ma” is not yet a word, so
Aus diesem Beispiel ist ein weiterer wichtiger Aspekt “ma-ma-ma …” is not a word anymore and has become bab-
der Figur der Zwei zu erschliessen, nämlich: was die Zwei zu ble again. Repetition beyond two destroys meaning and
einer ganz spezifischen Figur macht. Für das erste Wort mit causes the material / phonetic aspect of language to begin to 16
der Doppelstruktur «a-a» ist es evidenterweise massgeblich, separate from the semantic aspect. Correspondingly, the
dass es sich um exakt zwei Laute handelt, die hier zueinan- three- or four-fold repetition of a syllable is only to be found
der treten. Ist ein einzelnes «ma» noch kein Wort, so ist in onomatopoeia, which, according to Lévi-Strauss,
«ma-ma-ma …» keines mehr und wieder Gebrabbel. Die
Repetition über die Zwei hinaus wirkt sinnzerstörend und “always [harbors] an ambiguity, since it does not clearly indicate
führt dazu, dass sich der materiell-klangliche Aspekt der whether the speaking subject, when it speaks onomatopoetically,
Sprache vom semantischen abzuspalten beginnt. Folgerich- is undertaking to reproduce a sound or to express a meaning.
tig kommt die Verdrei- oder gar Vervierfachung einer Silbe Through duplication, the second unit emphatically underscores
nur in Onomatopöien vor, die nach Claude Lévi-Strauss, the signifying intention, while if the unit had remained alone, one
could have doubted whether this intention were present in the
first unit.” 6
«immer eine Zweideutigkeit [bergen], da sie, […] nicht deutlich
darauf hinweisen, ob sich das sprechende Subjekt, wenn es sie
ausspricht, vornimmt, ein Geräusch zu reproduzieren oder einen It could thus also be said that two as a figure is strongly set
Sinn auszudrücken. Durch die Verdoppelung unterstreicht das apart both from one and from many. Just as two cannot be
zweite Glied emphatisch die signifikante Absicht, bei der man, attained from the addition of two units, so two does not con-
wäre es allein geblieben, hätte zweifeln können, ob sie im ersten stitute a rudimentary series.
vorhanden gewesen wäre.» 6
Die The
Figur Figure
der of
Zwei Two
23
24
31 N°- 14/15 Der vorliegende Text basiert auf einem
Die Figur der Zwei
Vortrag, der im Rahmen der Camille
Graeser Lectures 2010 am Kunsthisto-
Richard Heinrich rischen Institut der Universität Zürich
Zweiheit
gehalten wurde.
und
Vervielfältigung
Deleuze
Es ist ein durchgängiger Impuls in der Philosophie innerhalb des Begri≠es, und immer nur stabil
von Gilles Deleuze, die Vielheit aus diesem Zusam- gehalten von der Negation, der Ausschliesslichkeit
menhang zu emanzipieren, in dem sie traditionell der spezifischen Di≠erenz. Dagegen Deleuze:
mit der Einheit steht – seit, wie er das einmal aus-
Richard drückt, die jungen Leute bei Platon sich schick vor- «Die Di≠erenz muß zum Element, zur letzten Ein-
Heinrich
kamen, wenn sie zu sagen gelernt hatten: «Das heit werden, sie muß also auf andere Di≠erenzen
27 Eine ist das Viele, und das Viele ist das Eine». Das verweisen, durch die sie nie identifiziert, sondern
Zweiheit
steht in Di≠érence et répétition in dem Kapitel über di≠erenziert wird. Jeder Term einer Reihe, der schon
und die «ideelle Synthese der Di≠erenz», wo er als Vor- Di≠erenz ist, muß in ein variables Verhältnis zu
Vervielfältigung
bild für seinen eigenen Gebrauch von «multiplici- anderen Termen gesetzt werden […]. Noch inner-
té» die Mannigfaltigkeit im Sinne Bernhard Rie- halb der Reihe selbst muß die Divergenz und die
Dezentrierung bejaht werden.» 4
manns reklamiert und sagt:
«Die Mannigfaltigkeit darf nicht eine Kombination Hier ist jenes Programm einer Emanzipation des
aus Vielem und Einem bezeichnen, sondern im Vielen in den Ausdrücken einer Philosophie der
Gegenteil eine dem Vielen als solchem eigene Orga- Di≠erenz artikuliert – auf eine Weise, die bis in die
nisation, die keinerlei Einheit bedarf, um ein System spätesten Schriften konstant bleiben wird. Das
zu bilden. Das Eine und das Viele sind Verstandes Besondere an Di≠erenz und Wiederholung ist aber,
begri≠e, die die allzu weiten Maschen einer verfäl wie Deleuze dort über gleichsam nukleare Modelle
schten Dialektik bilden […].» 3 der Lösung der Di≠erenz vom Begri≠ nachdenkt.
Auf Aristoteles bezogen heisst das: Lösung vom
Als Instrumentarien jener verfälschten Dialektik Gegensatz, weil der Gegensatz eben die Form ist,
werden die Gegensätze identifiziert, das Konträre mit der die Di≠erenz in den Artbegri≠ eingebunden
und die Kontradiktion. ist. An diesem Punkt zeichnet sich tatsächlich ein
Interesse an der Figürlichkeit der Zwei ab, nämlich
Differenz und Wiederholung als Möglichkeit, gleichsam begri≠slos das darzustel-
len, was der Gegensatz in begriffliche Einheit fasst.
Deleuze sagt, die Aufgabe der modernen Philoso- Eine Nebenbemerkung: Wie stark die Einbindung
phie sei die Umkehrung des Platonismus, nur unter des Gegensatzes in die Identität des Begri≠es auch
dieser Voraussetzung könne man in eine «bejahte ausserhalb philosophischer Reflexion wirkt,
Welt der Di≠erenz» eintreten. Dazu ist Lösung der mögen zwei zufällig aufgegri≠ene Beispiele andeu-
Di≠erenz von der Repräsentation verlangt. Die ten. Das erste ist ein Hugo von Hofmannsthal-
Einleitung und die ersten Kapitel des Buches sind Zitat, aus dem Buch der Freunde: «Die einzige
im Subtext eine beinahe ununterbrochene Ausein- Gleichheit, die vor dem tiefer eindringenden Blick
andersetzung mit Aristoteles, dem Erfinder einer besteht, ist die Gleichheit des Gegensätzlichen.» 5
Konstruktion, mit der die Di≠erenz als Gegensatz Und bei Paul Klee, der unermüdlich die Dynami-
in die Organisation des Begri≠es eingebunden und ken gestaltet und reflektiert hat, die sich zwischen
domestiziert wird. Der Gegensatz – die «grösste Dualität und Einheit ergeben, z. B. im Verhältnis
Di≠erenz» bei Aristoteles. Die grösste aber nur der Linie zum Punkt (dazu einige schöne Seiten in
Mille plateaux), finden wir die Feststellung: «Der Einen objektiven Erkenntniswert stellt es nur in 5 - Hugo von
Hofmannsthal,
Begri≠ ohne Gegensatz nicht denkbar. […] Der der Deutung von begrifflichen Strukturen dar. «Das Buch der
Begri≠ ohne seinen Gegensatz nicht wirksam. […] Ähnlich verhält es sich bei Deleuze: Derar- Freunde», in: ders.,
Es gibt keinen Begri≠ an sich, sondern meistens tige Fälle von begri≠sloser Di≠erenz liegen in Gesammelte Werke,
Bernd Schoeller
nur Begri≠spaare.» 6 Dem Begri≠ den Gegensatz Wahrheit nicht jenseits der begrifflichen Identität, (Hg.), 10 Bde.,
zu nehmen führt ins Chaos. sondern existieren gleichsam an ihrer Grenze, als Frankfurt a. M.
Zurück zu Deleuze. Um hier die Beziehung Blockierung des virtuell unendlichen Inhalts eines 1980, Bd. 10.3,
S. 259.
zu Aristoteles schematisch festzuhalten, sollte man Begri≠es (man denke an das Chaos bei Klee). Wo
6 - Paul Klee, Das
drei Ebenen unterscheiden. Auf der mittleren Ebe- die begriffliche Spezifikation (z. B. im aristoteli- bildnerische Den-
ne liegt der Gegensatz im Sinne der Zweiheit sei- schen logischen Raum) endet, bleibt nicht einfach ken, Basel / Stutt-
gart 1964, S. 15.
ner Pole als Prinzipien. Eine Ebene höher liegt die ein Allgemeines «in der Luft hängen», sondern
7 - Giordano Bruno,
Form als Einheit dieses Gegensatzes, ein Allgemei- wird die Di≠erenz begri≠slos. (Das ist übrigens «Sigillus sigillo-
nes. Der Gegensatz aber ist, wenn auch einem All- genauso bei Giordano Bruno, bei der Bestimmung rum», in: ders.,
gemeinen untergeordnet, noch keineswegs «Figur». des «minimum» als Figur: «Quod nullius est figu- Jordani Bruni Nolani
opera latine con-
Er ist auch hier, in der Physik, eine negative logi- rae, non est minimum; pars nempe omnis alicuius scripta, 3 Bde.,
sche Struktur: Zum Weissen wird etwas aus dem est figurae» – das zweite der «theoremata mini- Faks.-Neudr. der
Nicht-Weissen. Das ist keine darstellbare Positivi- mi» aus den Articuli adversus mathematicos 9). Ausg. v. Tocco
Fiorentino u. a.,
tät. Aber Deleuze hat eine dritte, niedere Ebene im Dieses begri≠slos Di≠erente kann weder zusam- Neapel / Florenz
Blick, auf der die Di≠erenz figürlich, begri≠slos menfallen, noch kann es unterschieden – es kann 1879–1891, Stutt-
gart / Bad Cann-
präsent wäre, gleichsam aus dem Gegensatz her- nur wiederholt werden. statt 1962, Bd. 2.2,
aus genommen. Also noch einmal die drei Ebenen, Die Figur ist eine bestimmte Art von «blo- Buch II, 9.
von oben nach unten: Die Form – der Gegensatz cage» des Begri≠s. Daher ist die Figur (etwa die 8 - Deleuze, Differenz
selbst – die Figur. (Die Definition der «figura» bei der Zwei in den «inkongruenten Gegenstücken») und Wiederholung
(wie Anm. 3), S. 83.
Giordano Bruno, im Sigullus sigillorum – «per zwar eine Bewegung über den Gegensatz und
9 - Giordano Bruno,
figuram inquam visibilem formarum nobis ratio- über das Begriffliche hinaus, aber sie ist nicht «Articuli adversos
nes indicat natura» 7 – ist eine traditionelle und eine Emanzipation der Vielheit aus dem Einen. mathematicos»,
wenig riskante Variante davon). Dem entspricht in unserer gewöhnlichen Wahr- in: ders., Opera
latine (wie Anm. 7),
Der vielleicht interessanteste Gedanke von nehmung, dass die Figur nicht bloss Vielheit ist, Bd. 1.3.
Deleuze in diesem Kontext ist sein Bezug auf sondern vor allem Vielheit einschliesst, zusam- 10 - Giordano Bruno,
Kant: Dieser hat tatsächlich, zum ersten Mal in menschliesst, so dass sie, um noch einmal auf «De compositione
imaginum»,
einer Schrift von 1768 (Von dem ersten Grunde des (den hier durchgängig interessanten) Bruno zu in: ebd., Bd. 2.3,
Unterschiedes der Gegenden im Raum), reale und verweisen, immer schon eine Tendenz hat, zum Buch I, 3.
zugleich nicht-begriffliche Unterscheidungen (in Siegel zu werden. Das «sigillum» ist ja wesentlich 11 - Rainer Maria Rilke, 28
den sogenannten «inkongruenten Gegenstü- vom «signum» her bestimmt, dessen anschauli- «Das Wappen»,
in: ders., Sämtliche
cken») als konstitutiv für geometrische Identität cher Teil (eventuell auch dessen Verkürzung) es Werke, Rilke-
erkannt und daraus ein Argument zugunsten der ist: «Sigullum […] signi partem notabiliorem vel Archiv (Hg.), 12
Realität des Raumes gemacht. Deleuze: signum contractius acceptum significat.» 10 Als Bde., Frankfurt
a. M. 1975, Bd. 1,
Beleg dieser verschliessend-versiegelnden Kraft S. 390.
«Wir müssen dann die Existenz nicht-begrifflicher eines anschaulichen Zeichens möge ein Gedicht 12 - Gilles Deleuze /
Di≠erenzen zwischen diesen Objekten anerkennen. Rilkes dienen – eine richtiggehende Figuration Félix Guattari, Mille
plateaux. Capitalisme
Am deutlichsten kennzeichnete Kant die Korrelati- der Zwei: et schizophrénie 2,
on zwischen Begri≠en mit einer bloß unbestimmten Paris 1980, S. 31.
Spezifikation und nicht-begrifflichen, rein raum- Das Wappen 13 - Ebd.
zeitlichen oder gegensätzlichen Bestimmungen 14 - Ebd., S. 33.
(Paradox der symmetrischen Objekte).» 8 Wie ein Spiegel, der, von ferne tragend, 15 - Ebd.
lautlos in sich aufnahm, ist der Schild; 16 - Vgl. Aristoteles,
Hier zeichnet sich Zweiheit als Figur ab, und dar- o≠en einstens, dann zusammenschlagend Aristotelis Ethica
über einem Spiegelbild nicomachea,
über hinaus generiert sie als diese Figur sogar Ingram Bywater
einen eigenen Typ von Relationalität (Raum). (Hg.), Oxford 1894,
jener Wesen, die in des Geschlechts 1155b, 27ff.
Die Anspielung auf Kant ist deshalb will-
Weiten wohnen, nicht mehr zu bestreiten, 17 - Vgl. ebd., 1166b,
kommen, weil dieser selbst den Zusammenhang seiner Dinge, seiner Wirklichkeiten 30ff.
sehr genau – und im Grunde in derselben Absicht (rechte links und linke rechts), 18 - Übers. R. H., ebd.,
wie Deleuze – reflektiert hat. Er sollte ja später die 1156a, 1ff.
Ganzheiten solcher begri≠slos-di≠erenter Daten die er eingesteht und sagt und zeigt.
exakt mit dem Begri≠ einer «figürlichen Synthe- Drauf, mit Ruhm und Dunkel ausgeschlagen,
sis» bezeichnen, und der dazwischen liegende ruht der Spangenhelm, verkürzt,
Bruch in seiner Entwicklung besteht in nichts
anderem als der scharfen Aufwertung der nicht- den das Flügelkleinod übersteigt,
begrifflichen (intuitiven) Strukturen zu einer irre- während seine Decke, wie mit Klagen,
duziblen Agentur von Erkenntnis. Und doch kann reich und aufgeregt herniederstürzt. 11
man hier schon ahnen, was den Wert des ganzen
Gedankens von einer figürlichen Darstellung der
Zwei für Deleuze limitiert. Denn wir wissen ja,
dass bei Kant die Irreduzibilität des Intuitiven
keineswegs schon seine Autonomie bedeutet:
Mille plateaux d’unités […].» 13 Am klarsten, am positivsten
kommt die Absicht vielleicht an der Stelle heraus,
Die Emanzipation des Vielen muss also radikaler wo der Begri≠ des «plateau» erklärt wird: «Pour
betrieben werden. Im Raum der Euklidischen le multiple, il faut une méthode qui le fasse
Geometrie ist die Vielheit so wenig frei wie im logi- e≠ectivement […].» 14 Und davor: «Nous appe-
schen Raum des Aristoteles – auch wenn er statt lons plateau toute multiplicité connectable avec
nach Allgemeinheit und Di≠erenz nun nach den d’autres par tiges souterraines superficielles, de
euklidischen Axiomen oder etwa nach den «mini- manière à former un rhizome […]. Chaque pla-
ma» Brunos strukturiert ist. Der Immanenzplan, teau peut être lu à n’importe quelle place […]». 15
über oder durch den die Begri≠e in unendlicher Die Figur ist bei Deleuze grundsätzlich
Geschwindigkeit sich bewegen, legt keinerlei Glie- etwas Ambivalentes, ein Gegenstand der Ausein-
derung von vornherein fest, schliesst nichts aus. andersetzung, ein Weg, der abstrakten Einheit
In Mille plateaux, in der Einleitung über und ihrer Organisation durch den Gegensatz zu
das Rhizom, wird das unmissverständlich klar entkommen, aber immer im Verdacht, eine neue
gestellt: «Un devient deux: chaque fois que nous Art von Versiegelung, Verschluss – mit einem
rencontrons cette formule, fût-elle énoncée straté- Wort: Repräsentation – zu begründen. Man sieht
giquement par Mao, fût-elle comprise le plus Deleuze diese Auseinandersetzung in vielen ver-
dialectiquement du monde, nous nous trouvons schiedenen Zusammenhängen austragen. Einer
devant la pensée la plus classique et la plus ist das Buch über Francis Bacon, die Reflexionen
réfléchie, la plus vieille, la plus fatiguée.» 12 Dage- um die Begri≠e des Figurativen und des Figura-
gen das Rhizom: «Le rhizome ne se laisse ramener len, die Figur als Resultat einer Zerstörung der
ni à l’Un ni au multiple. Il n’est pas l’Un qui devi- Figur etc. Ein anderer ist mit dem Begri≠ der
ent deux […]. Il n’est pas un multiple qui dérive de Freundschaft gegeben – ein gutes Beispiel, weil es
l’Un, ni auquel l’Un s’ajouterait. Il n’est pas fait hier direkt um eine Figur der Zwei geht.
Freundschaft
Grundsätzliches Systematik willen muss man dazu auch eine Stelle
Richard im 9. Buch lesen, wo nämlich das Wohlwollen
Heinrich
Wenn nun noch einmal eine Erinnerung zu Aristote- (oder: Wohlmeinen, εὔνοια) im Gegensatz zum
29 les folgt, dann soll das nur den Hintergrund liefern Begehren (ὄρεξις) als der für die Freundschaft ent-
Zweiheit
für ein Verständnis von Marcel Prousts ziemlich scheidende Begri≠ fixiert wird. 17 Aber das Wohl-
und
Vervielfältigung
extravaganter Vorstellung von Freundschaft, der meinen als solches macht noch nicht die Freund-
Deleuzes intensive Aufmerksamkeit gewidmet hat. schaft, es muss gegenseitig sein (deshalb, wegen
Aristoteles macht einen radikalen Unter- der Unmöglichkeit der ἀντιφίλησις, können wir
schied auf semantischer Ebene zwischen Liebe und auch keine Freundschaft mit unbelebten Dingen
Freundschaft. Er läuft darauf hinaus, dass die unterhalten). Selbst das gegenseitige Wohlwollen,
Freundschaft eine charakteristische Figur der und das ist der entscheidende Punkt, stellt noch
Zweiheit als Gegenseitigkeit ist, die unkenntlich keine hinreichende Bedingung für Freundschaft
würde, definierte man Freundschaft einfach als dar: Das gegenseitige Wohlwollen muss ausserdem
«gegenseitige Liebe». Aristoteles hat der Freund- noch gegenseitig gewusst sein:
schaft als solcher das Profil einer hoch speziellen
Gegenseitigkeit verliehen, das man niemals rekon- «Viele nämlich sind wohlwollend gegenüber Men-
struieren kann, wenn man in einen formalen Begri≠ schen, die sie nie gesehen haben, die sie aber für
von Reziprozität irgendwelche Inhalte der Vorstel- anständig oder nützlich halten. Die gleichen Gefühle
lung der Liebe (das Begehren etwa) hineingiesst. könnte nun einer von jenen einem der ersteren gegen-
Wichtig ist allerdings, dass es hier wirklich nur um über haben. Solche [Menschen] scheinen also Wohl-
die Bedeutung geht und a priori weder etwas dar- wollen gegeneinander zu empfinden. Aber würde
über gesagt ist, wie Freundschaft gewonnen wird, jemand sie Freunde nennen, denen doch verborgen
ist, wie sie sich gegenseitig zueinander verhalten?» 18
noch ob es sie überhaupt gibt, und auch nicht dar-
über, ob die schönste Freundschaft nicht vielleicht
eine wäre, die sich mit Liebe erfüllt. Unverborgen muss das gegenseitige Wohlwollen
Jene relationale Vollkommenheit der Sym- sein, d. h. jedem der Freunde bewusst.
metrie begründet jedenfalls einen Vorzug der
Freundschaft vor der Liebe. Ich kann nicht wahr- Proust
heitsgemäss sagen, ich sei der Freund des X, wenn
nicht dieser auf Befragen sagte, er sei mein Freund. Das Interessante an Marcel Prousts Invektiven
Ich bin schon widerlegt, wenn er sagt, dass er mich gegen die Freundschaft ist nicht, dass er einer
nicht kennt. Es gibt eine Liebe, deren Vollkommen- solchen Analyse auf die Gegenseitigkeit hin miss-
heit der Erwiderung, ja der Anerkennung unbe- traute, sondern dass für ihn gerade das Überzeu-
dürftig ist, aber Freundschaft ist schon semantisch gende und Tre≠ende dieser Au≠assung gegen die
an Reziprozität gebunden. Das stellt Aristoteles im Freundschaft spricht. Zugunsten wovon? Zuguns-
8. Buch der Nikomachischen Ethik klar. 16 Um der ten der Liebe, natürlich. Vor allem aber ist die
Freundschaft das kardinale Hindernis auf dem Der «gemeinsame gute Willen» (εὔνοια), der die In- 19 - Marcel Proust, À la
recherche du temps
Weg zu der Quelle individueller (und insbesonde- dividuen in der Freundschaft zusammenschliesst, perdu, Jean-Yves
re künstlerischer) Kreativität. Zwei Zitate müssen in einer Figur der vollkommenen und gewussten Tadié (Hg.), 4 Bde.,
hier genügen: Gegenseitigkeit, wird hier verallgemeinert vorge- Paris 1991, Bd. 2,
S. 260f.
stellt, als universeller Geist der Verständigung mit
20 - Ebd., S. 691.
«La conversation même qui est le mode d’expression sich selbst. Das ist bereits die Kritik am «Bild des
21 - Gilles Deleuze,
de l’amitié est une divagation superficielle, qui ne Denkens» in Di≠erenz und Wiederholung, die Proust und die
nous donne rien à acquérir. Nous pouvons causer Kritik an der Lähmung des Denkens in seiner Nei- Zeichen, Frankfurt
pendant toute une vie sans rien dire que répéter gung, einem voraus entworfenen Bild von sich a. M. 1978, S. 78.
indéfiniment le vide d’une minute, tandis que la mar- selbst zu entsprechen. Der kritische Punkt ist 22 - Ebd., S. 99.
che de la pensée dans le travail solitaire de la créati- nicht, dass Vereinzelung als solche gegen diese
on artistique se fait dans le sens de la profondeur, la Universalität gestellt wird; die Vereinzelung
seule direction qui ne nous soit pas fermée, où nous
Prousts – «si j’étais resté seul …» – ist nur das Tor
puissions progresser, avec plus de peine il est vrai,
pour un résultat de vérité. Et l’amitié n’est pas seule-
zu einem Progress im Unbekannten, der – so
ment dénuée de vertu comme la conversation, elle Deleuze – einen Anstoss von aussen voraussetzt.
est de plus funeste.» 19 Was die Figur zur Vielheit hin ö≠net ist
also letztlich nicht ein anderes System, ein ande-
Vereinzelung erscheint als Bedingung der Kreati- res Schema, sondern immer die Kreativität, die
vität. So gibt es eine Stelle in «Guermantes II», wo einen unvorhersehbaren, kontingenten Anstoss
der Erzähler, während er gerade seinen Freund aufnimmt und weiterleitet.
Robert de Saint-Loup von der Wohnung auf die Zum Abschluss ein längeres Zitat aus dem
Strasse hinunter begleitet, eine poetische Einge- Proust-Buch, wo man vorgebildet sehen kann, wie
bung hat, intensivste Erinnerungen: «J’éprouvais der Begri≠ des «Immanenzplanes» eben gegen
à les percevoir un enthousiasme qui aurait pu être jede Vor-Gestaltung von Vielheit in Figuren eben-
fécond si j’étais resté seul […].» 20 so wie in Allgemeinheiten gerichtet sein wird:
Wie steht bei Proust die Liebe der Freund-
schaft gegenüber? Der Gegenseitigkeit in der «Dies ist wohl verantwortlich für jene außergewöhn-
Freundschaft kontrastiert in der Liebe die Eifer- liche Abfolge nicht aufeinander abgestimmter Teile
in der Recherche, mit irreduziblen Entfaltungs
sucht – die Zerstörung und Destruktion der
rhythmen oder Explikationsgeschwindigkeiten:
Gemeinsamkeit schlechthin. (Weder der Zusam- nicht nur bilden sie gemeinsam kein Ganzes, sondern
menhang mit der platonischen Theorie der Liebe sie bezeugen auch nicht jeweils ein Ganzes, aus dem Richard
Heinrich
als Begehren nach dem Mangelnden noch die sie herausgerissen wären, das unterschieden von dem
komplexen Beziehungen zwischen der Theorie Ganzen anderer wäre, so daß sich ein Dialog zwi- 30
der Eifersucht und der Poetologie des Romans bei schen den Welten herstellen würde. Die Kraft, mit Zweiheit
Proust können hier weiter verfolgt werden). der sie in die Welt geschleudert sind, gewalttätig und
Vervielfältigung
ineinandergefügt trotz ihrer nicht übereinstimmen-
Deleuze den Ränder, macht sie als Teile erkenntlich, ohne daß
sie indessen ein Ganzes, und sei es ein verborgenes,
bilden würden, ohne daß sie aus einer Totalität, und
Was Deleuze in seinem Buch über Proust vor
sei es einer verlorenen, hervorgehen würden. Indem
allem aufnimmt und sich zu eigen macht, ist der
er Stücke in Stücke setzt, findet Proust ein Mittel, um
Zusammenhang von Kritik der Freundschaft und sie alle denken zu lassen, doch ohne Bezug auf eine
Kreativität. Er weitet die Kritik an der Freund- Einheit, von der sie abgeleitet wären, oder die selbst
schaft aus zu einer Kritik an der Philosophie: von ihnen abzuleiten wäre.» 22
Caravaggio
Den raum verkürzt er um die hälfte
Die körper verdoppelt er
[…]
oder
Figuren die in sich selbst
Und zueinander im zwist
[…]
Zwiespalts * […]
(Rolf Winnewisser) 1
Abb. 3
Caravaggio, Amor als Sieger (1601–1602), Öl auf Leinwand,
156 x 113 cm (SMPK, Gemäldegalerie, Berlin)
Abb. 2
Caravaggio, Ruhe
auf der Flucht nach
Ägypten (1596–1597),
Öl auf Leinwand,
135,5 x 166,5 cm
(Galleria Doria
Pamphili, Rom)
uns ein paar Beispiele an, beginnend mit einem relativ frü- Kürass, kopf- und kernlos wie alle Kürasse ohne Träger,
Wolfram hen Werk, der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten in der Gal- dafür aber mit einigen Scharnieren und einem scharfen Bug
Pichler
leria Doria Pamphili. Abb. 2 Das Bildfeld ist so gegliedert, dass am Brustteil ausgestattet. Man braucht einige Zeit, um das
33 eine zweiseitige Struktur entsteht, in der sich ein Gegensatz Ding richtig zu sehen, so sehr ist es aus der Form geraten,
Caravaggio
verkörpert: links eine öde, rechts eine gedeihende Welt; fuori sagoma. Wenn man so weit ist, fällt eine Analogie mit
links geö≠nete Augen (am schönsten vielleicht das grosse dem Notenheft und dem Körper des Jungen auf. Der unsanf-
Auge des Grautiers), rechts geschlossene Augen und eine in te Bodenkontakt spreizt die Rüstung auf: Der linke Teil des
sich gerundete Gruppe von bergender Mutter und geborge- Beinschutzes ist auf forcierte Weise seitlich weggebogen.
nem Kind. In der Mitte die Figur des musizierenden Engels. Man vergleiche das malträtierte Notenheft, vor allem aber
Sein linker Flügel, genau in der Mittelachse des Gemäldes, den ebenso willkürlich abgespreizten linken Oberschenkel
gleicht einer o≠enen, sein rechter einer geschlossenen oder Amors. Wer nahe genug an das Gemälde herantritt, wird
angelehnten Türe, die die Gruppe von Mutter und Kind zudem bemerken, dass direkt unter diesem triumphieren-
beschirmt. Der heilige Josef hält dem Engel brav die Noten. den Amor, halb verborgen, ein Foliant liegt. Er ist gewaltsam
In der Doppelseitigkeit des Notenhefts und in der korres- geö≠net, man könnte auch sagen: verkehrt herum geschlos-
pondierenden Duplizität der Engelsflügel spiegelt sich die sen. Gleichzeitig wird, in der Achse über dem Buch, ein wei-
Zwiefalt des ganzen Bildes. Auch das Bild hat zwei Seiten wie teres in sich gedoppeltes Ding sichtbar, zwar nur ansatzwei-
das Heft oder zwei Flügel wie der Engel. Es ist ein latentes se, aber deutlich genug. Ich spreche vom Hinterteil des
Diptychon mit einem Falz in der Mittelachse – ein durchaus geflügelten Jungen, der zu verstehen gibt, dass er auf einige
passendes Schema, wenn man an die schöne alte Frage Dinge dieser Welt … Buchfalz und Körperfalte entsprechen
denkt, wie Maria Mutter werden, aber Jungfrau bleiben einander. Man muss sich nicht gleich in die Falte oder Inva-
konnte, eine mit einem Junggesellen verheiratete Jungfrau, gination in dem weissen Sto≠ vertiefen, auf dem der Junge
sogar. Hier sehen wir sie: die jungfräuliche Mutter et son céli- Platz genommen hat, um sagen zu können: Das Bild zeigt
bataire, même, dazwischen den schönen Scharnierengel. 2 au≠ällig viele geknickte und gefaltete Körper oder auch sol-
Gehen wir weiter und betrachten Amor als Sieger, ein che, die aus Faltungen hervorgehen, Faltkörper sozusagen.
Bild der Berliner Gemäldegalerie, das einst für Vincenzo Betrachten wir jetzt das Bild als Ganzes. Wir bemerken, dass
Giustiniani gemalt wurde. Abb. 3 Links liegen fünf bilateral die Mittelachse von Amors Oberkörper mit der vertikalen
symmetrische Dinge am Boden: eine Laute, eine Violine, ein Mittelachse des Gemäldes zusammenfällt, ebenso, dass der
Notenheft, ein Richtscheit und, verschränkt mit diesem, ein Kopf des Jungen nicht in dieser Achse, sondern rechts neben
Zirkel. Die Symmetrie des Notenhefts ist gestört, weil die ihr liegt. Die Mittelachse des Oberkörpers, die zugleich
eine Seite merkwürdig umgebogen ist und sich zu einer Art
Röhre formt. Umso au≠älliger wird eine spezifische Gemein- 2 - Winnewisser spricht davon, dass dieses Bild vom Engel «in
eine / ruhende und eine horchende Hälfte / unterteilt wird»,
samkeit von Heft, Richtscheit und Zirkel, nämlich dass alle Rolf Winnewisser, Sieben Teilungen. Ein Text zum Bild: «Die
drei in ihrer Mitte jeweils einen Falz, einen Winkel bzw. ein sieben Barmherzigkeiten» von Caravaggio 1607 (anlässlich
Gelenk aufweisen. Ein weiteres dieser am Boden liegenden der Ausstellung «Marginalien zu Caravaggio» in der Gale-
rie auf der Empore, Universität Konstanz, 1998), Arbeits-
oder eigentlich zu Boden geworfenen, erniedrigten Dinge ist gruppe Kunstwissenschaft der Universität Konstanz (Hg.),
rechts vorne im Bild zu sehen. Es handelt sich um einen Konstanz 1998, unpaginiert.
diejenige des Bildes ist, wird nicht durch ein Haupt bekrönt. das Gesicht ist ein Paradigma dessen, was wir Einheit oder
Bild und Körper sind, so gesehen, kopflos oder «unbehaup- Ganzheit nennen. Um es als potentiell gespaltenes Ding sehen
tet». Der Körper Amors nähert sich der Struktur von Heft zu können, bedarf es Anstrengungen wie jener, die Caravag-
und Buch, mehr noch derjenigen des Kürasses an, über den gio in der Gestaltung von Judiths Gesicht unternommen hat.
er eben nur scheinbar triumphiert. Er, der triumphierende Das Gesicht muss an seinem Median einen Knacks bekom-
Junge, ist selber drauf und dran, sich in einen kopflosen, men. In genau diesen Zusammenhang gehört wohl der – von
aber vielgliedrigen Klapp- und Faltkörper zu verwandeln. diesem Maler mehrfach angewendete – Kunstgri≠, ein Augen-
Hier möchte ich den Gang der Argumentation unter- paar dadurch zu entzweien, dass zwischen es die Di≠erenz von
brechen und einen Exkurs über verlorene Köpfe und zerbre- Leben und Tod getrieben wird. Der Kopf Goliaths im berühm-
chende Gesichter einschieben. Dass der Zusammenhang von ten Gemälde der Galleria Borghese ist das bekannteste, kei-
Kopf und Körper in Caravaggios Malerei insgesamt proble- neswegs das einzige Beispiel. Abb. 7 Ein Auge scheint gerade
matisch ist, muss kaum betont werden. Diese Malerei wider- noch lebendig, das andere gerade schon gebrochen. Zwischen
streitet der Idee vom Kopf als Bekrönung des Körpers. Nicht, den beiden Augen liegt die Kante des Todesmoments – jenes
dass Caravaggio etwas gegen Wirbelsäulen oder sonstige tödlichen Aufpralls, dessen Gewalt in der Stirnwunde nach-
markante Achsen hätte. Er will nur nicht, dass diese Achsen hallt, jetzt noch nachhallt. Die Wunde ist im Übrigen ein hei
zur Hauptsache oder Sache eines Hauptes werden. Er will sie kler Punkt. Sie hat etwas von einem Zyklopenauge, das die
als Falte, Kante oder Knick behandeln und auch selber noch Einheit des Gesichts auf monströse Weise wieder herstellen
einmal falten oder knicken können. Schlimmstenfalls muss könnte. Das mag ein Grund sein, weshalb Caravaggio dieses
daher das Haupt vom Körper abgetrennt werden. Aber man Gesicht nicht nur gespalten, sondern auch, wenigstens ansatz-
kann es auch zur Seite schieben oder umknicken. Der Berli- weise, verdoppelt hat. Dieses Gemälde ist ja voll von merk-
ner Amor lässt ein typisches Motiv erkennen. Caravaggio würdigen Echoe≠ekten. Abgesehen von der Resonanz zwi-
liebt es, den Kopf von Hauptfiguren seitlich wegzuklappen. schen den Gesichtern von Täter und Opfer bildet sich in
Zu den bekanntesten Fällen zählen die Loretomadonna in Davids Hemd eine Faltenhöhle, die dem aufkla≠enden Mund
S. Agostino in Rom, die Wiener Dornenkrönung und die für Goliaths antwortet, während ein herunterhängender weisser
S. Domenico Maggiore in Neapel gemalte Geisselung. Abb. 4/5 Gewandzipfel die Bewegung des herabströmenden Bluts
Manchmal scha≠t der Maler dem Kopf ein formales Gegen- nachzuahmen scheint. Die Brustwarze Davids kann in Analo-
gewicht, etwa in Form einer Schulter oder eines Flügels. gie zu Goliaths Stirnwunde und folglich als eine Art Auge
Dann ist der Kopf auf keinen Fall mehr das beherrschende gesehen werden. Es ist, als ob Goliaths Gesicht auf Davids
Prinzip einer Symmetrieachse, sondern er ist einer von zwei Körper abfärben oder sich in ihn einzeichnen würde.
symmetrisch aufeinander bezogenen Körperteilen, zwischen Aber kehren wir zurück zum Motiv des Buchs. Worin
denen eine imaginäre Achse verläuft. Im Bacchus der besteht seine besondere Bedeutung in und für Caravaggios
U∞zien gibt es, wie mir scheint, mindestens zwei Gegenmo- Malerei? Sie besteht vielleicht darin, dass das Buch mehr ist
tive, die mit dem Kopf paarig zusammen gesehen werden als bloss ein Motiv. Es ist auch ein Medium, das zwischen 34
können: einerseits die merkwürdig aufgeblähte rechte zwei Ebenen vermittelt, den gemalten Körpern einerseits,
Schulter des Jünglings, anderseits die Fruchtschüssel, die den Gemälden, in denen die Körper gemalt sind, anderer-
wirklich ein grotesker Gegenkopf ist. seits. Das Motiv oder Medium des aufgeschlagenen Buchs
Caravaggios ästhetische Kopfjägererei, wenn man sie liegt auf halbem Weg zwischen Körpern und Gemälden. Es
so nennen kann, ist allerdings ein Kapitel für sich. Sie gehört ist flächig wie die Gemälde und doch körperhaft wie die Kör-
zum grossen Problemkreis des Schnitts, über den Louis per. Wie einige von Caravaggios Gemälden ist es eine Art
Marin so geistreich geschrieben hat. 3 Dennoch kann dieses Diptychon. Und wie einige der von ihm gemalten Körper
Problem hier nicht ganz ausgeklammert werden. Manche wird seine Mittelachse von keinem Haupt beherrscht.
von Caravaggios zwiefältig-zwiespältigen Symmetrien Im Hieronymus der Galleria Borghese, meinem
schliessen Schnitte ein, und manche seiner Schnitte erzeugen nächsten Beispiel, werden Handlung und Bildstruktur
Symmetrien. Nehmen wir zum Beispiel Judith und Holofer- wesentlich von Büchern getragen.Abb. 8 Die Bücher gehören
nes aus der Galerie des Palazzo Barberini. Abb. 6 Mir scheint, zu den Akteuren oder Aktanten des Bildes. Auch wird man
dass das Bild durch mindestens zwei Entzweiungen gekenn- von keinem anderen Gemälde Caravaggios mit mehr Recht
zeichnet ist: Da ist auf der einen Seite natürlich der Schnitt, behaupten können, es sei ein latentes Diptychon. Hieronymus
der ein Haupt von seinem Körper trennt, auf der anderen Sei- ist klein genug, der Totenschädel auf der anderen Seite gross
te der Körper der Schnitterin, der im selben Moment in genug und auch hinreichend hoch platziert, damit die beiden
gewisser Weise aufplatzt oder sich spaltet. Nicht nur, dass als symmetrisches Paar erscheinen können. Das Autorenpaar
Judith ein entlang der Mittelachse ihres Körper gespaltenes Leo Bersani und Ulysse Dutoit hat diese Doppelfigur sehr
Kleid trägt, dessen zwei Seiten von der schwellenden Brust schön beschrieben. 5 In der Symmetrieachse des Bildes liegt
noch weiter auseinander getrieben werden. Dieser Riss läuft ein Buch. Mit dem Falz des Buchs verbindet sich die Beuge
weiter fort und geht durch das Gesicht der Frau. Au≠ällig ist von Hieronymus’ rechtem Arm. Dieses Motiv der Beuge wird
der hart gezeichnete Haarscheitel, noch au≠älliger und wich- von dem benachbarten roten Sto≠bausch im Gegensinn wie-
tiger der Zwiespalt an der Nasenwurzel. In der Bewegung des derholt. Man erinnert sich an die Assoziation zwiefältiger
Schnitts erfährt Judith selber eine Spaltung: «Gespaltenes Objekte – Notenheft, Richtscheit, Zirkel – im Berliner Amor.
und Zusammengehörendes liegen in / ihrem Blick.» 4 Der Unterschied liegt darin, dass die Motivgruppe hier, beim
Alles scheint sich zu verdoppeln oder zu entzweien. Hieronymus, zusätzlich gekoppelt ist mit dem virtuellen Bug
Zum Enthaupten gesellt sich die Kunst, Gesichter zu spalten
3 - Vgl. Louis Marin, Die Malerei zerstören, Bernhard Nessler
oder zu zerbrechen. Caravaggio ist gross darin. Man mag sich (Übers.), Berlin 2003.
fragen weshalb. Aus welchem Grund sollte er Gesichter spal- 4 - Winnewisser, Sieben Teilungen (wie Anm. 2).
ten, die doch schon von sich aus bilateral symmetrische Gebil- 5 - Vgl. Leo Bersani / Ulysse Dutoit, Caravaggio’s Secrets,
de sind? Vielleicht, weil es schwer fällt, sie als solche zu sehen. Cambridge (Mass.) / London 1998, S. 33−35.
Gewöhnlich nehmen wir ein Gesicht doch als Einheit wahr, ja 6 - Winnewisser, 18. 7. 1610 (wie Anm. 1), S. 13.
Abb. 4
Caravaggio, Loretomadonna (1603−1605), Öl auf
Leinwand, 260 x 150 cm (Sant’Agostino, Rom)
Abb. 5
Caravaggio, Dornenkrönung (1602–03), Öl auf Leinwand,
127 x 166 cm (Kunsthistorisches Museum, Wien)
Wolfram
Pichler
35
Caravaggio
Abb. 6
Caravaggio, Judith und Holofernes
(1598–1599), 154 x 195 cm (Galleria
Nazionale d’Arte Antica, Palazzo
Barberini, Rom)
Abb. 7
Caravaggio, David mit dem Haupt des
Goliath (1609–1610), Öl auf Leinwand,
125 x 101 cm (Galleria Borghese, Rom)
Abb. 8
Caravaggio, Hl. Hieronymus (1605–
1606), Öl auf Leinwand, 112 x 157 cm
(Galleria Borghese, Rom)
Abb. 9
Caravaggio, Der ungläubige
Thomas (1601–1602), Öl
auf Leinwand, 107 x 146 cm
(Schloss Sanssouci,
Bildergalerie, Potsdam)
Abb. 10
Caravaggio, Emmausmahl
(1606), Öl auf Leinwand,
141 x 175 cm (Pinacoteta di
Brera, Mailand)
36
Abb. 11
Caravaggio, Rosenkranzmadonna
(1604–1605), Öl auf Leinwand,
364 x 250cm (Kunsthistorisches
Museum, Wien)
Abb. 12
Caravaggio, Auferweckung des
Lazarus (1609), Öl auf Leinwand,
380 x 275 cm (Museo Regionale,
Messina)
oder Knick, der das zwiefältige Bild teilt und zusammenhält. Ich gebe gerne zu, dass das Einzelfälle sind. Jedes Gemälde
Links der Totenschädel, der seinerseits auf einem Buch Platz Caravaggios ist ein Einzelfall, der einer gesonderten Betrach-
genommen hat, natürlich ein wenig neben dessen Falz, ihn tung bedarf. Dennoch sind, was das Phänomen der Zwiefalt
also nicht bekrönend; rechts der in ein anderes Buch vertief- oder des Zwiespalts betri≠t, ein paar Verallgemeinerungen
te Schädel des lebendigen Übersetzers; zwischen beiden aber möglich. Etwas überspitzt könnte man sagen: Caravaggio
der Falz des Bildes oder Bildfalz. Den Totenkopf sehe ich als liebt bilaterale Symmetrien um ihrer Achsen willen. Was ihn
einen Beobachter, der die Schreibszene überwacht. Sein Blick aber an den Achsen fasziniert, dürfte im Vorhergehenden
ist da, ohne dass er Augen hätte, während der Blick des Hie- deutlich geworden sein: Achsen können wie Knicke oder
ronymus da ist, ohne dass seine Augen sichtbar wären. In die Falten funktionieren, sie unterbrechen Zusammenhänge,
Übersetzungsarbeit sind anscheinend beide Schädel mit ihren stellen sie aber auch her, und manchmal tun sie das eine,
unsichtbar-sichtbaren Blicken involviert, die Bücher sowieso. indem sie das andere tun. In der Mittelachse von Caravag-
Auch Totes und Unbelebtes schreibt sich mit ein: «Schrift gios Gemälden tauchen nicht selten Dinge auf, die durch
unterwegs zwischen schädel und schädel.» 6 Gehört der aus- eine Falte, einen Knick oder einen Bruch charakterisiert
gestreckte Arm dem Hieronymus allein? Er ist mitsamt der in sind: ein Lautenhals zum Beispiel wie im New Yorker Kon-
schwarze Tinte getunkten Feder in den Zwischenraum von zert, ein scharf geschnittenes Rahmenelement wie in der
Tod und Leben gestreckt, der in diesem Bild zugleich ein Zwi- Loretomadonna in S. Agostino in Rom, eine noch schärfere
schenraum der Farben Weiss und Rot ist. steinerne Kante wie in der Grablegung der Chiesa Nuova
Der Vergleich des Gemäldes mit einem aufgeschlage- oder ein gebrochenes, an der Kruste zerbrochenes Brot wie
nen Buch oder Heft kann selbstverständlich auch dann im Emmausmahl der Brera, wo die Symmetrieachse von Jesu’
erhellend sein, wenn das betre≠ende Bild von sich aus kein Gesicht genau auf diese zentrale Bruchstelle zuläuft. Abb. 4/10
Buch oder Heft oder dergleichen zeigt. Caravaggios vielleicht Nicht zuletzt wird man in den Mittelachsen vieler Bilder
am striktesten symmetrisch komponiertes Bild, der Potsda- Berührungen, speziell Selbstberührungen finden. Dass in
mer Ungläubige Thomas, kommt ganz ohne solche Dinge der Mitte der Ruhe auf der Flucht ein Engel seine Beine anein-
aus. Abb. 9 Man könnte bezweifeln, ob dieses Gemälde über- ander reibt, ist alles andere als untypisch. Ähnliche Motive
haupt ein imaginäres Scharnier aufweist, denn in der Mittel- sind beispielsweise in der Wiener Rosenkranzmadonna
achse des Bildes erscheint, die Komposition nach oben hin anzutre≠en. Abb. 11 Die Mittelachse dieses grossen Altarbildes
abschliessend, der Kopf eines Zeugen. Aber dieser Kopf ist ist, könnte man sagen, zwischen zwei Selbstberührungen
wirklich nicht die Hauptsache und kann daher die Sache des eingespannt: unten die übereinander gelegten Füsse eines
Hauptes nicht retten. Entscheidend ist vielmehr, dass Cara- Pilgers, 8 oben die Geste des Christuskindes, das seinen Leib
vaggio auf den Gedanken gekommen ist, die linke Konturli- – hoc es corpus meum – mehr berührt als zeigt. (Typisch übri-
Wolfram nie Christi und seine Seitenwunde nach rechts auf die ande- gens auch, dass dieses Kind nicht auf den Beinen der Mut-
Pichler
re Seite des Bildes zu spiegeln. Die gespiegelte Kontur hat er ter, sondern dazwischen steht.) Caravaggios Selbstberührun-
37 mit der Figur eines weiteren Jüngers gefüllt, die gespiegelte gen sind merkwürdig selbstverlorene Berührungen. An
Caravaggio
Wunde mit der aufgeplatzten Naht am Ärmelansatz des hl. ihnen wird deutlich, dass jede Berührung und folglich auch
Thomas identifiziert. Diese aufgeplatzte oder aufplatzende jede Selbstberührung eine Trennung voraussetzt. Natürlich
Naht, man könnte sie für das eigentliche Auge des Zweiflers muss ein Körper, um sich selber berühren zu können, zusam-
halten. Die Symmetrieachse wird durch Thomas’ vertikal menhängen. Aber er muss auch gegliedert sein, voneinander
fallenden Mantelsaum zusätzlich betont. Der Zusammen- verschiedene Teile aufweisen, ja in gewisser Weise ausser
hang zwischen Zweifel und Zwei, il dubbio e il doppio, aber sich sein, denn nur was auseinander liegt, kann sich einan-
auch zwischen Zweifel und Zwilling – der Apostel Thomas der annähern und berühren. Keine Selbstberührung ohne
wurde ja auch Didymus, Zwilling, genannt –, dieser Zusam- irgendeine Art von Falte: Platons Kugelmenschen könnten
menhang ist mit malerischen Mitteln vielleicht nie prägnan- sich nicht selbst berühren.
ter und präziser ausgedrückt worden als hier. 7 Es geht nicht Noch etwas ist wichtig: Wenn Caravaggio von bilate-
um die Zweizahl als solche, sondern um das, was zwischen ralen Symmetrien fasziniert war, so scheint es ihm weniger
zwei Dingen, Körpern oder Zuständen liegt und sie ausein- um die Gleichheit der Seiten gegangen zu sein als um den
ander hält, aber auch verbindet. Dem entspricht auf bildsyn- Gegensatz von links und rechts, den sie verkörpern können.
taktischer Ebene die als schwierige Passage aufgefasste Sym- Diesen höchst anschaulichen Gegensatz, von dem viele sei-
metrieachse. Thomas geht durch diese Achse, die Achse geht ner Gemälde leben, hat er häufig zur Darstellung unan-
durch ihn hindurch. Der starre Blick zeigt, dass er inzwi- schaulicher Dichotomien genützt. Am Gegensatz von Zwei-
schen nicht bei sich, daher auch nicht bei der Sache ist. Er fel und Gewissheit, wie er im Ungläubigen Thomas verarbei-
ist, ähnlich wie der ausgreifende Arm des Übersetzers Hie- tet wird, kann man sich vielleicht am besten verdeutlichen,
ronymus, in einen Raum gestellt, der kein Ort oder Zustand was Caravaggio an Dichotomien überhaupt interessiert hat:
ist, sondern ein Zwischen zwei Orten oder Zuständen. Er nicht die positiven Terme (falls es so etwas geben sollte), son-
zweifelt vielleicht nicht mehr, glaubt aber auch noch nicht. dern das Dazwischen-Liegende. Dem formalen Interesse an
Jeder Zweifler ist in einem Zwischen, er kann oder will sich Scharnieren und Falten korrespondiert o≠enbar ein ebenso
nicht festlegen. Er entzieht einer Sache ihre Autorität, ohne stark ausgeprägtes inhaltliches Interesse an Zwischenzu-
eine andere Sache an die Stelle der ersten zu setzen. Caravag- ständen und Knackpunkten oder, logisch gesprochen, am
gio zeigt etwas Komplizierteres. Er zeigt einen, der den Zwi- Weder-Noch und Sowohl-als-Auch. Was passiert zwischen
schenzustand des Zweifels verlassen hat, ohne schon am fes- Zweifel und Gewissheit oder zwischen Unglauben und
ten Land der Gewissheit angekommen zu sein. Was er zu 7 - Zu Thomas dem Zwilling und Zweifler vgl. etwa Walafrid
sehen gibt, liegt genau zwischen zwiespältigem Zweifel und Strabos Matthäuskommentar: «Glossa ordinaria in Evan-
einfältiger Gewissheit. Insofern findet in diesem Gemälde so gelium secundum Matthaeum», in: Jacques Paul Migne
(Hg.), Patrologia Latina, Paris 1852, Bd. 114, Sp. 117.
etwas wie eine abgründige Verdoppelung, die Mise en abyme
8 - Zu diesem Motiv, das auch in der frühen Ruhe auf der Flucht
des Inzwischen-Seins statt. eine wichtige Rolle spielt, vgl. Winnewisser, Sieben Teilungen
(wie Anm. 2).
Glauben? Wie können Jungfern- und Kindschaft in eins gegeneinander beweglich bleiben und gefaltet werden kön-
zusammen fallen (um noch einmal an die Ruhe auf der nen. Sofern das Scharnier weder zum einen, noch zum ande-
Flucht nach Ägypten zu erinnern)? Zu diesen paradoxen Zwi ren Flügel gehört, ist es ein Drittes. Aber es ist natürlich kein
schenzuständen oder Knackpunkten gehören auch Momen- dritter Flügel – so wenig wie die Falte ein Teil des Sto≠es ist,
te der Bekehrung und, nicht zuletzt, das Ereignis des Todes. in den sie sich legt, oder so wenig wie ein Schnitt ein Teil des
Caravaggio fasst den Tod als eine Art Kante auf, auf deren Dinges ist, durch den er hindurchgeht, oder sowenig wie der
zwei Seiten sich ein lebendiges und ein totes Wesen vertei- Tod der Seite des Lebendigen oder des Toten zugeschlagen
len, die durch sie, die Todeskante, getrennt, aber auch ver- werden kann. Caravaggios Malerei reimt sich also vielleicht
bunden werden. So lässt er den Todesmoment beispielswei- nur zum Schein mit der Zwei. Eher steht sie im Zeichen des
se in der zerbrochenen Symmetrie eines Gesichts anschau- Zwischen, der Zwiefalt und der zwiespältig-zwiefältigen
lich werden. Aber es gibt auch andere, komplexere Fälle. Ich Symmetrien. Wer so spricht, gerät in die Verlegenheit, dass
denke an die Auferweckung des Lazarus, die im Auftrag im Zwischen, in der Zwiefalt und im Zwiespalt ja doch wie-
eines genuesischen Kaufmanns namens de’ Lazzari für eine der die Zwei steckt, wenigstens in sprachlicher Hinsicht.
Kirche in Messina gemalt wurde. Abb. 12 Es handelt sich um Vielleicht müsste man aber zwischen zwei Zweien, nämlich
eines der letzten Bilder des Malers. Lazarus ist weder leben- Zweiheit und Zwiefalt unterscheiden. Die Zweiheit bezeich-
dig noch tot, oder er ist beides zugleich, denn er überquert net, wie ich in extensionaler Sprechweise sagen würde, die
gerade die Achse des Todes. Da er sie zum zweiten Mal über- Menge aller Paare. Eine Zwiefalt dagegen bringt Paariges
quert, geht die Bewegung nicht von lebendig zu tot, sondern hervor oder nistet sich im Zwischenraum von Paaren ein.
von tot zu lebendig. Aber wichtig ist eben das Inzwischen- Während die Zweiheit in den Bereich der Zahl gehört, ist
Sein. Wir sehen Lazarus halb aufgerichtet, in einer Mittel Zwiefalt unzählbar. Sie impliziert ein unzählbares Drittes,
lage zwischen Horizontaler und Vertikaler. Anders als der das beides verhindert: sowohl, dass eines ganz bei sich bleibt,
Totenschädel unter seiner Linken liegt er nicht mehr, anders wie auch, dass zwei klar unterschieden werden können.
als Christus auf der anderen Seite steht er noch nicht. Sein Caravaggios Gemälde sind demnach keine Figuren
Kopf liegt tot im Nacken, seine Rechte ist lebendig erhoben. der Zwei. Allenfalls sind sie Figuren dessen, was, wie Goethes
Das Gesicht des Lazarus und das Gesicht seiner sich über ihn Gingkoblatt, eins und doppelt ist. Aber sind diese Bilder
beugenden Schwester verhalten sich zueinander wie Positiv überhaupt Figuren? Auch darauf weiss ich keine andere als
und Negativ. Aber auch an diesem Punkt interessiert nicht eine zwiespältige Antwort. Ja, sie sind Figuren, nämlich
der Gegensatz als solcher, sondern das, was zwischen den insofern in ihnen etwas anschaulich wird. Nein, sie sind
beiden Gesichtern liegt: inhaltlich gesehen das Aus- oder keine Figuren, wenn man unter einer Figur ein artikuliertes
Einhauchen das Lebens, formal eine Wendung um 180 Grad, Gebilde verstehen will. Die genuine Kraft von Caravaggios
die ein Doppelgesicht erzeugt. Wenn wir jetzt das Bildfeld als Malerei liegt, meine ich, nicht im Artikulierten, sondern in
Ganzes überblicken, wird deutlich, dass die in sich zwiespäl- dem, was artikuliert oder desartikuliert. Sie liegt in Momen-
tige Figur des Lazarus nicht nur auf den Gegensatz von hori- ten der Artikulation und Desartikulation, Momenten des 38
zontal und vertikal, sondern zugleich auch auf den von links Trennens und Verbindens und der Verbindung von Trennen
und rechts bezogen ist, wobei die linke Seite Licht und Leben und Verbinden. Seine Gemälde sind keine Figuren, weil sie
ausströmt, während die Rechte nach Grab und Verwesung wie die Körper, die sie zu sehen geben, keinen Kopf oder
riecht. Die erhobene Rechte des Lazarus markiert die Mit- Abschluss haben. Sie sind o≠en, unversiegelt und bringen
telachse zwischen den zwei Seiten – nicht ohne diese Achse auf eigentümliche Weise zur Anschauung, dass der Akt des
leicht gegenüber der geometrischen Mitte zu verschieben Versiegelns oder Darstellens sich nicht selber versiegeln oder
oder verrücken. Ohnehin ist der Median dieses Bildes (wie darstellen kann. 11 Das dürfte übrigens der Grund sein, wes-
vieler anderer Gemälde Caravaggios) in sich geteilt oder halb Louis Marin auf den Gedanken kommen konnte, dass
zwiespältig. In seiner Nachbarschaft sind zwei voneinander
abgewandte, nach links und rechts orientierte Köpfe zu se- 9 - Rolf Winnewisser, Die Handleserin. La buona ventura:
hen, die durch ihre gegenstrebige Bewegung das Bild «schei- Caravaggio, Frauenfeld 1997, unpaginiert.
teln». Ausserdem bleibt unentscheidbar, ob Lazarus’ Hand 10 - Zu Bildform Diptychon, die bei Caravaggio in gewisser
Weise «nachlebt», vgl. den Beitrag von David Ganz
ein empfangende oder eine abwehrende Geste vollzieht: ob in dem von ihm und Felix Thürlemann herausgegebenen
die o≠ene Handfläche das Licht aufnimmt wie eine licht- Sammelband: Das Bild im Plural, Berlin 2011 (im Druck).
empfindliche Oberfläche oder ob sie es bloss reflektiert und 11 - Zum Zusammenhang von Figur und Siegel vgl. den
Beitrag von Richard Heinrich im vorliegenden Heft, S. 28.
wie ein Schirm zurückstrahlt. Sollte sich an dieser Stelle zei-
12 - Vgl. Marin, Die Malerei zerstören (wie Anm. 3).
gen, was es mit dem Sehen (bei Caravaggio) auf sich hat?
13 - Winnewisser, Die Handleserin (wie Anm. 9).
«Ein doppeltes Verhältnis vom / Sichtbaren im Berührbaren,
14 - … und bin umso mehr auf das Erscheinen von Michael
das / Sichtbare auf das Berührbare gedehnt.» 9 Frieds Caravaggio-Buch gespannt, von dem man sich
wesentliche Aufschlüsse über das Verhältnis von Vorder-
Jetzt kann ich die Frage, ob Caravaggios Malerei im Zeichen und Rückseite, Front und Rücken in Caravaggios Bildern
erwarten darf.
der Zwei stehe, nicht länger liegen lassen. Ich war zunächst
15 - E il contesto? E la storia? – Als zwiespältige Kunst steht
davon ausgegangen, dass es so sei: Caravaggios Malerei im Caravaggios Malerei im Widerspruch zur Politik der
Zeichen der Zwei. Mittlerweile sind mir starke Zweifel Gegenreformation, vgl. dazu die wichtigen Beobachtungen
gekommen. Sicher: Viele seiner Gemälde sind oder enthal- bei Jutta Held, Caravaggio. Politik und Martyrium der
Körper, Berlin 1996. Zu seiner Stellung in der Kunstge
ten latente Diptychen, und an der Zweizahl der Flügel eines schichte der Symmetrie vgl. Pichler, Il dubbio e il doppio
Diptychons lässt sich nicht zweifeln. Aber im Wort Dipty- (wie Anm.*), besonders S. 29−33. Was die technischen
Voraussetzungen der Symmetriebildungen und das Ver
chon steckt ptyx, das griechische Wort für Falten, Schluch- hältnis zu den klassischen Werkzeugen und Verfahren
ten und Scharniere. 10 Und so verhält es sich auch mit der der Euklidischen Geometrie betrifft, sind wichtige Publi
Sache selber: Zum Diptychon wird das Diptychon erst durch kationen von Marco Cardinali und Beatrice de Ruggeri
in Vorbereitung. Wie sich Caravaggios Malerei in eine
das Scharnier, das die zwei Flügel zugleich verbindet und Geschichte des Diptychons einschreibt, möchte ich an
auseinander hält, so dass sie zusammenhalten, aber auch anderer Stelle untersuchen.
in diese Malerei der Akt der Darstellung ins je-
weils Dargestellte einschneide und es unentwegt
aufstöre. Caravaggio oder die Achillesferse der
Repräsentation. 12
Aber greifen wir nicht zu hoch, bleiben wir
lieber bei der Malerei des Zwiespalts. Man bedürf-
te einer besonderen formalistischen Gewitztheit,
um diese Dinge wirklich gut beschreiben zu kön-
nen. Zum Beispiel Amor als Sieger, der immer
noch nicht umgekippt ist, sondern sich weiterhin
über unsern Stumpfsinn mokiert. Abb. 3 Haben wir
die Arbeit der Desartikulation übersehen? Cara-
Abb. 13
vaggio zerstört den Körper als Gestalt, er bringt Caravaggio, Hl. Matthäus
oder zwingt ihn aus der Form. Statt einen Körper mit dem Engel (1602),
Öl auf Leinwand,
mit bekrönendem Haupt zeigt er eher umgekehrt 223 x 183 cm (Ehem.
einen Körper, der aus seinem rechten Bein wie aus Gemäldegalerie des
einem Stamm herauswächst. Dieser Stamm ver- Kaiser-Friedrich-
Museums, Berlin, 1945
längert sich in den Rumpf. Linkes Bein und rech- verbrannt)
ter Arm können als Abzweigungen gesehen wer-
den. Als ob es darum gegangen wäre, das Einheitsprinzip zu Gelenkstellen und Achsen all dieser Zweiheiten arbeitet,
parodieren, indem man es statt auf das Haupt auf eines der indem es sie trennt und verbindet zugleich. Aber Paradoxi-
Beine abstellt, das folglich zum Haupt-Bein wird. Manchmal en lassen sich nicht behaupten. Sie lassen sich selbst dann
kann man auch beobachten, wie Caravaggio verschiedene nicht behaupten, wenn sie einem gemalt vor Augen stehen.
Körper so miteinander paart, dass die Zugehörigkeit der So bleibt die Wahrheit des Paradoxen unbehauptet. Stört
Glieder oder Organe fragwürdig wird. Die in sich gedoppel- das? Nicht alles, was Hand und Fuss hat, muss von einem
ten Körper verflechten sich dann miteinander. Hier denke Haupt beschlossen werden. 15
ich vor allem – aber es ist wieder nicht das einzige Beispiel –
an die erste, verworfene Version des Altarbildes für die Con-
tarellikapelle. Abb. 13 Die Flügel des Engels, das Buch am Knie
des Heiligen Matthäus, der Faltstuhl, auf dem er sitzt, die
Wolfram Zwiefalt der zwei Körper: Bei einer solchen Verflechtung von
Pichler
Dingen, die alle eins und doppelt sind, kann einem beinahe
39 schwindelig werden. Caravaggio bringt die paarweise gege-
Caravaggio
benen Glieder des menschlichen Körpers durcheinander –
nicht sosehr, um das Prinzip der Paarbildung überhaupt zu
unterlaufen, sondern um die Möglichkeit anderer Paarungen
sichtbar werden zu lassen. Man beachte den Kreuzreim der
Beine: ganz links ein abgewinkeltes Bein (wenn man das
«Bein» des Faltstuhls hinzunimmt sind es zwei), dann ein –
scheinbar – gestrecktes Bein, dann wieder ein abgewinkeltes,
schliesslich noch einmal ein gestrecktes, also: abgewinkelt –
gerade, abgewinkelt – gerade. Die Figur dieses Reims, wenn
es eine ist, wird geschickt gegen die gestalthafte Einheit der
Körper ausgespielt, denn was sich hier reimt, gehört verschie-
denen Körpern an. Ähnlich bei den Armen: Die Rechte des
Heiligen kommuniziert stärker mit der Rechten des Engels als
mit der eigenen Linken, die durch einen Schlagschatten abge-
schnitten ist und ihrerseits eher mit der Linken des Engels ein
Paar bildet. Selbst- und Fremdberührung werden in der Mit-
te dieses Gemäldes ununterscheidbar. Was bleibt, ist die Idee
eines Falt- und Klappkörpers, der sich fortwährend desartiku-
liert und wieder reartikuliert. Inspiration wird nicht als gött-
licher Hauch veranschaulicht, sondern als gegenstrebige
Verflechtung von Selbst und Anderem. «Das verschränkte
Nebeneinander / entspricht abgewendeter Zuwendung.» 13
Statt eine Figur der Inspiration zu geben, interpretiert der
Maler sie als Defiguration und Refiguration verflochtener
Körper.
Freilich bleiben das grobe, allzu grobe Andeutungen.
Ich fange erst an zu sehen. 14 Manchmal scheint es mir, als ob
man Caravaggios Kunst gründlich versiegelt hätte. Dabei ist
sie kein verschlossenes Buch, sondern durch und durch
latentes Diptychon oder Kreuzung von Diptychen. Sie ist
eine Malerei der Paare von Seiten, Flügeln, Armen und Bei-
nen, und sie ist vor allem eine Malerei dessen, was an den
Abb. 1
Francisco de Zurbarán,
Der unversehrte Leich-
nam des heiligen
Franziskus (um 1645),
40
Öl auf Leinwand,
209 x 110 cm (Musée des
Beaux-Arts, Lyon)
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Was man sieht, ist eine männliche Gestalt in Mönchskutte,
die mit verschränkten Händen bewegungslos dasteht, die
Victor I. Stoichita Augen zum Himmel erhoben. Abb. 1 Nichts weiter. Die Gestalt
Minimal
steht o≠ensichtlich in einer Nische. Der grosse Schatten
neben ihr zeigt an, dass links ausserhalb des Bildes eine
Lichtquelle vorhanden ist. Die Szenerie ist minimal und ent-
Zurbarán hält nichts ausser dieser einzigen, mit ihrem Schatten dop-
pelt abgebildeten Gestalt. Der Blick des Betrachters irrt über
die kahlen, schmucklosen Sto≠massen, gleitet über die raue
Oberfläche des härenen Gewandes, hält bei einem Knick
inne, versinkt in der dunklen Tiefe einer Furche. An einer
besonders dunklen Stelle in der Armbeuge tut sich – ein
klein wenig nur – eine Falte auf, die kaum sichtbar ist.
Aber ist das wirklich eine Falte, ist das nicht eher ein
Riss oder, genauer betrachtet, eine Wunde? Die männliche
Gestalt in der Kutte, die mit verschränkten Händen vor dem
Betrachter steht, die Augen zum Himmel erhoben, trägt ein
Zeichen, das kaum sichtbar ist, aber doch nicht zu leugnen:
ein Stigma. Diese Gestalt ist niemand anderer als Franz von
Assisi. Oder, präziser gesagt: Diese Gestalt ist ein Scheinbild,
ein minimales und hyperreales Abbild des hl. Franziskus.
Die erste schriftliche Quelle, die eine solche Darstel-
lung des Heiligen erwähnt, zeigt bereits einen Grossteil ihrer
Problematik auf. Diese Quelle, ein kurzer Kommentar von
Francisco Pacheco in seinem Werk Arte de la Pintura von
1649, das der Franziskus-Ikonographie ein paar Seiten wid-
met, ist doppelt wertvoll: Einerseits wird auf das Minimum
an Details hingewiesen, andererseits wird der Stellenwert
des Bildes als «Zeugnis» hervorgehoben:
«Er [der hl. Franziskus, V. S.] soll mit dem Riss im Gewand
gemalt werden, so dass die Wunde an der Seite sichtbar wird; der
41 Riss stammt von denen, die den Heiligen nach seinem Tode ein-
kleideten. Und den Gemälden ist es zu verdanken, dass wir [heu-
te] Kenntnis haben von der Art, wie er [immer noch] aufrecht
steht, dort in Assisi, als ob er noch am Leben wäre, so viele Jahre
nach seinem Hinscheiden. Und so ist er auch zu sehen im Klos-
ter des hl. Franziskus in Madrid, in der ersten Nische des Kreuz-
ganges, vortrefflich gemalt von Eugenio Caxes, (denn) Gemälde
sollen Zeugnis ablegen von der Wahrheit.» 1
das Haupt des Heiligen und von der Fackel in der Hand des
Mönchs in der Bildmitte. Eine der vier Gestalten zu Füssen des
I 42
Heiligen hebt die Soutane von Franziskus ein Stück hoch und Die Rezeption
entblösst einen seiner Füsse, auf dem ein Stigma zu erkennen
ist. Die Tiara auf dem Boden vor dem Sockel lässt in dieser des Bildes
Gestalt einen (den) Papst erkennen. Der Betrachter wird Zeu-
ge eines Geschehens, das sich in einem dunklen Souterrain Fangen wir also an – oder besser: Fahren wir also fort mit der
abspielt und das die Geschichte einer Entdeckung, einer Ent- Analyse der Perzeption bzw. Rezeption dieses Werkes. Die
hüllung, einer Zur-Schau-Stellung schildert. älteste schriftliche Quelle, die direkt Bezug nimmt auf das
Von dieser Geschichte sind auf dem Bild, das wir hier Gemälde, ist zwar relativ jung, liefert aber umso wertvollere
besprechen, nur noch vereinzelte Spuren zu finden. Aufs Informationen. Das Gemälde war irgendwie von Spanien
Höchste verdichtet macht das Gemälde den Betrachter zum nach Frankreich gelangt und befand sich, am Vorabend der
Akteur, der einen unsichtbaren Lichtschalter zu betätigen Französischen Revolution, im Franziskanerkloster Les Coli-
scheint oder eine verborgene Wahrheit ans Licht bringt. Vor nettes bei Lyon. Wie es scheint, hatten die Nonnen dieses
diesem Bild des hl. Franziskus erfolgt die Entdeckung in der Klosters grosse Mühe mit dem Bild, es war ihnen geradezu
Wahrnehmung als solcher: Wie in einem Spiegel wird der unerträglich. Dies geht hervor aus dem Bericht von François
Betrachter konfrontiert mit einem Anderen. Er berührt – Artaud, der um 1808 verfasst wurde, aber erst 1975 zum Vor-
aber «nur» mit den Augen – die Falten und Furchen, die die- schein kam und sich nun im Archiv in Lyon befindet:
sen anderen Körper und dieses andere Gesicht umgeben,
und versinkt schliesslich in der dunklen Furche, in der sich «[…] ein Gemälde von Caravaggio, oder eher von Lo Spagnolet-
die Wunde befindet. to […]. Die Nonnen hatten das Angst erregende Gemälde auf
Die Herausforderung, die dieses rätselhafte Bild für dem Dachboden verschwinden lassen, wo es von M. Morand
den Betrachter bedeutet, ist enorm. In den folgenden Überle- gefunden wurde. Sein Hund fing vor dem Bild zu bellen an.» 2
gungen möchte ich das scheinbar längst abgeschlossene Kapi-
tel seiner Rezeption nochmals aufrollen und die Geschichte Sehen wir uns diese Bemerkung etwas näher an. Das Unbe-
seiner Wahrnehmung neu hinterfragen. Dabei beabsichtige hagen des Hundes von M. Morand, das sich in seinem Gebell
ich, die Bildkonstruktion eingehend zu analysieren, um dann äussert, erinnert an die Verwirrung angesichts der Fälle von
den genauen Platz zu definieren, den dieses ungewöhnliche perfekter Mimesis in den alten Mythen, etwa bei den wun-
Bild in der Geschichte der Artefakte und des Imaginären derbaren Trauben des Zeuxis: Der Maler hatte diese so
einnimmt. naturgetreu wiedergegeben, dass ausgehungerte Vögel dar-
an zu picken begannen … Im Unterschied zu den Trauben
des Zeuxis ist die vom Trompe-l’œil-E≠ekt erzeugte Reakti-
on hier allerdings nicht Anziehung, sondern Ablehnung. Das
Unbehagen des Hundes ist nur eine Steigerung des Unbeha- Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen
gens, das schon die Nonnen diesem Bild gegenüber empfun- Wesens und umgekehrt darüber, ob ein lebloser Gegenstand
den hatten. Dass sie das Gemälde kurzerhand verschwinden nicht etwa beseelt sei».6 Freud knüpft an diesen Gedanken an:
liessen, ist höchstwahrscheinlich einem Verdrängungsme-
chanismus zuzuschreiben; der Grund dafür (oder sagen wir, «Im allerhöchsten Grade unheimlich erscheint vielen Menschen,
der «unbewusste» Grund dafür) liegt in der eigenwilligen was mit dem Tod, mit Leichen und mit der Wiederkehr der Toten,
Art dieses Bildes, das keinerlei Normen gehorcht. Diese mit Geistern und Gespenstern zusammenhängt.» 7
«Anormalität» besteht einmal darin, dass es auf einer Täu-
schung beruht, und dann darin, dass es sich nicht einfach an Wesentlich an Freuds Bemerkung ist, dass das Unheimliche
die Wand hängen und ausstellen lässt wie jedes andere als ein Phänomen der Wahrnehmung erscheint, und zwar
Gemälde. Die Perzeption des Bildes, so «Angst erregend» sie einer ungewissen, zweifelnden Wahrnehmung. Im Hinblick
auch sein mag, erzeugt eine geschickt in Szene gesetzte Dia- auf die Geschichte des Imaginären kann man sagen, dass das
lektik, bei der die Zensur des Sichtbaren am einen Pol steht Unheimliche auf ganz spezielle Weise mit dem Trompe-l’œil-
und die (überraschende) Zurschaustellung dieses zensurier- E≠ekt verknüpft ist. So gesehen ist der Hl. Franziskus von
ten Sichtbaren am anderen. Zurbarán als Gemälde in Lebensgrösse ein gutes Beispiel des
Das weitere Schicksal des Gemäldes ist etwas kompli- Trompe-l’œil, da es beim Betrachter einen doppelten Zwei-
ziert. Der Architekt Morand, der als erster weltlicher Besitzer fel auslöst in Bezug auf den Gegenstand seiner Betrachtung:
den Mut hatte, das Bild 1791 zu erwerben, wurde während des Auf eine erste Ungewissheit, ob es sich bei der Gestalt in der
Terror-Regimes mit der Guillotine hingerichtet. Das Bild Kutte um einen Toten oder einen Lebenden handelt, folgt
taucht erst im Jahre 1802 wieder auf, als es bei einer ö≠ent sogleich eine zweite: Ist dieser lebendige Tote (oder dieser
lichen Versteigerung auf dem Petersplatz in Lyon für 18 Francs tote Lebendige), der da aufrecht vor dem Betrachter steht,
an einen Händler von antiken Möbeln ging. Wenig später auch wirklich da?
wurde es vom Maler Jean-Jacques Boissieu erstanden, der Was im 17. Jahrhundert noch eine allgemein akzep-
eine Radierung davon anfertigte, bevor er es seinerseits im tierte strukturelle Forderung war (wie der Kommentar von
Jahre 1807 für 1200 Francs an das Museum in Lyon verkaufte. 3 Pacheco beweist), wird in der Aufklärung zum Problem. Die
Das Gemälde ist nun im Musée des Beaux-Arts in Nonnen des Franziskanerklosters fanden für dieses Problem
Lyon ausgestellt. Sein heutiger Titel Saint François debout, keine bessere Lösung als die, das Bild abzunehmen und ver-
momifié und der kurze historische Überblick deuten an, dass schwinden zu lassen und so eine permanente Zurschaustel-
die Verbannung des Bildes auf den Dachboden des Nonnen- lung zu unterbinden. Damit überliessen sich die Nonnen
klosters von Les Colinettes symbolisch zu verstehen ist und dem automatisch einsetzenden Mechanismus des Unheim-
Victor I. eine archaische, duale Struktur beleuchtet, die auf der ambi- lichen, das sich in sein Gegenteil, das Heimliche, verkehrte.
Stoichita
valenten Beziehung zwischen Verbergen und Zurschaustel- Als vertraute, jedoch verborgene Präsenz, die im Hause zwar
43 len basiert. vorhanden ist, jedoch unter Verschluss gehalten wird, wird
Minimal
Die duale Struktur von Zurbaráns Hl. Franziskus 4 das Simulacrum Gegenstand eines seltsamen Zusammen
Zurbarán wiederholt die alter Übergangsbilder, angesiedelt zwischen lebens. Freud hatte darauf bestanden, dass das Heimliche ins
Leben und Tod. Abb. 3 Als Intervall-Bilder sind diese – wie Unheimliche umschlagen kann und umgekehrt:
François Artaud in seiner Zusammenfassung ausdrücklich
hervorhebt – «Angst erregende Objekte». Um deren volle «Also heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambi-
Bedeutung zu erfassen, müssen wir Sigmund Freuds berühm- valenz hin entwickelt, bis es endlich mit seinem Gegensatz unheim-
te Abhandlung über Das Unheimliche aus dem Jahre 1919 lich zusammenfällt. Unheimlich ist irgendwie eine Art von
lesen oder wieder lesen. Für den Vater der Psychoanalyse hat heimlich.» 8
das «Unheimliche» den Status eines vagen Begri≠s, denn
Die Nonnen von Lyon hatten in ihrer Verunsicherung Zur-
«[…] ebenso sicher ist es, dass dies Wort nicht immer in einem baráns Bild gegenüber auf ihre eigene Art versucht, mit dem
scharf zu bestimmenden Sinne gebraucht wird, so dass es eben Unheimlichen fertig zu werden. Dieser Versuch sollte jedoch
meist mit dem Angsterregenden überhaupt zusammenfällt». 5 nicht der einzige bleiben, ein zweiter wird folgen, diesmal
von Jean-Jacques Boissieu, Maler und Radierer, der das
Schon Ernst Jentsch, dessen Artikel Zur Psychologie des Bild nach der Französischen Revolution erworben hatte.
Unheimlichen von 1906 den Ausgangspunkt für Freuds Boissieu war zweifellos angetan von diesem Bild, das er
Überlegungen bildet, bezeichnete das Unheimliche als «[…] Caravaggio oder José Ribeira zuschrieb, und erachtete es für
notwendig, eine Radierung des Gemäldes anzufertigen,
bevor er es ans Museum in Lyon verkaufte. Die Bedeutung
2 - François Artaud, zit. n.: Daniel Ternois, «Les Tableaux des
églises et des couvents de Lyon», in: L’Art baroque à Lyon. dieser Radierung liegt in dem prinzipiellen Missverständ-
Actes du Colloque (Lyon 27–29 Octobre 1972), Lyon 1975, S. 273. nis, auf dem sie beruht. Abb. 4
3 - Ich greife hier die Entstehungsgeschichte des Gemäldes Boissieu konnte der Versuchung nicht widerstehen,
wieder auf, wie sie von Jeannine Baticle geschildert wird im das Beunruhigende an diesem Bild abzuschwächen, indem
Ausst.-Kat. Zurbarán, Paris: Galéries nationales du Grand
Palais / New York: The Metropolitan Museum of Art, Paris er den räumlichen und narrativen Kontext völlig neu gestal-
1988, S. 334–336. tete. Er «ergänzte» also das Bild, dessen tieferen Sinn er ver-
4 - Das Gemälde wird ungefähr seit 1847 einstimmig Zurbarán mutlich nicht verstanden hatte, indem er Franziskus in der
zugeschrieben.
kataleptischen Pose der Ekstase darstellte, in einem zurück-
5 - Sigmund Freud, «Das Unheimliche», in: ders., Studienaus-
gabe, 10 Bde., Alexander Mitscherlich u. a. (Hgg.), Frankfurt
gezogenen Winkel des Waldes, vor einer tiefen Grotte und in
a. M. 1969–1974, Bd. 4, S. 243. Begleitung eines Glaubensbruders. Auch hier haben wir es
6 - Ebd., S. 250. mit dem Versuch einer Interpretation zu tun, ja mit einer
7 - Ebd., S. 264. «Entschärfung» des Unheimlichen des Originalgemäldes.
8 - Ebd., S. 250. Denn skandalös an Zurbaráns Bild war ja gerade das, was
Abb. 5
Francisco de Zurbarán,
Der heilige Franziskus
mit Totenschädel (1635– 44
1640), Öl auf Leinwand,
152 x 99 cm (National
Gallery, London)
Boissieu nicht sah oder nicht sehen wollte, nämlich das Feh- Gautiers Text beginnt mit einem hervorragenden Überblick
len einer «Fabel», oder genauer: dass die «Fabel» auf ein über das, was man als das «Paradigma Zurbarán» bezeich-
absolutes Minimum reduziert und das Bild zum Experiment nen könnte. In der Aufzählung der Gemälde werden an einer
an den Grenzen von Raum und Zeit wird. Bilder wie dieses Stelle, wenn auch nur ziemlich kurz, zwei Meisterwerke
sind äusserst selten; eine Analyse seiner eigentlichen Moti- lobend hervorgehoben. Das eine wird zwar nicht eindeutig
vation drängt sich also geradezu auf. genannt, ist aber höchstwahrscheinlich das Bild von Lyon,
Der zweite Akt der Rezeption dieses Gemäldes spielt während es sich beim zweiten ganz klar um den Knienden
nach seiner Ankunft im Museum von Lyon. Dabei handelt es hl. Franziskus handelt. Folgen wir ein Stück weit der Dra-
sich, wie nicht anders zu erwarten, um eine Rezeption über maturgie dieses Textes:
literarische Texte. Spuren davon finden sich bei den Dichtern
der Romantik, wo begeisterte Besucher der französischen «Sein [Zurbaráns, V.S.] Pinsel gefällt sich darin, diese Stirnen
Museen und vor allem von Louis Philippes «Galerie espag- noch glatter und glänzender zu gestalten als das Elfenbein von
nole» in Paris zu Wort kommen. Höchstwahrscheinlich Totenschädeln; diese tief in den Höhlen versunkenen Märtyrer-
gehörte das Gemälde mit zum Kult, den man um Zurbarán augen mit den bläulichen Lidern, die für die Erde erloschen sind
und nur für den Himmel noch Licht haben und sich höchstens
zu treiben begann, auch wenn der spanische Maler eigent-
noch mystischen Visionen ö≠nen; diese violetten Münder, die von
lich eher mit dem Bild Heiliger Franziskus mit Totenschädel Fasten und Fieber rissig und schuppig geworden sind und deren
von sich reden machte. 9/Abb. 5 Schon Etienne-Jean Delécluze totenblasse Ö≠nung eher an die kla≠ende Wunde in Christus’
hatte seinerzeit erkannt, dass Zurbarán mit diesem Werk auf Seite erinnert als an menschliche Lippen, gescha≠en zum
dem Gipfel seiner Kunst angelangt war: Sprechen und Küssen; diese eingesunkenen und hageren Wan-
gen, aus denen die Farbe des Lebens längst gewichen ist, diese
«Es gibt von ihm [Zurbarán, V. S.] eine ganze Sammlung von Hände, ewig verschränkt wie die der Statuen auf gotischen Grab-
Heiligen, deren Anzahl man zweifellos hätte beschränken kön- mälern, dieses sieche, bleierne Fleisch, das keiner Farbnuance
nen; denn alle diese Gestalten, von denen gewiss eine jede ihre mehr bedarf, um sich in Totenblässe zu verwandeln, und das die
Vorzüge hat, sind sozusagen in einer einzigen vereint, nämlich im Kutte darum herum wie ein Leichentuch erscheinen lässt. Dieses
hl. Franziskus auf den Knien und in Ekstase, dessen Ausdruck, ganze düstere Farbenspiel von Entsagung, Kasteiung und Selbst-
Wirkung und Kolorit eine bewundernswerte Einheit bilden. Die- verleugnung verstand niemand so gut wie er. Vor allem das Bild
se ergreifende und wahrheitsgetreue Komposition voll geballter eines betenden Mönches ist ausgesprochen ergreifend: Der
Energie ist das Werk von Zurbarán, der sowohl bei den Künstlern Mönch kniet betend auf dem Boden, sein Haupt in Ekstase nach
als auch beim Publikum gerechtfertigtes Aufsehen erregt.» 10 hinten geworfen, die Kapuze ist ihm über die Augen geglitten und
verbirgt die Hälfte seines Gesichtes, doch die Dicke des groben
Sto≠es entzieht ihm nicht die Sicht in den Himmel, sein halb
Victor I. Bei Théophile Gautier findet sich eine ähnliche Begeisterung geö≠neter Mund und sein angespannter Hals deuten auf ausser-
Stoichita
für das Gemälde Kniender hl. Franziskus. Eine aufmerksa- gewöhnliche Inbrunst und Frömmigkeit hin.» 11
45 me Lektüre seines Textes von 1837, der der Sammlung von
Minimal
spanischen Malern gewidmet ist, zeigt, dass Gautier genau In dem Gedicht, das Gautier 1844, nach seinem Aufenthalt
Zurbarán wie Delécluze zwischen dem «Vielen» und dem «Einen» in Sevilla, zu Ehren Zurbaráns verfasste, ist ebenfalls die
unterscheidet. Rede von den beiden Meisterwerken, auch wenn diese nicht
explizit beim Namen genannt werden. Abb. 1 / 5 Beide Gemäl-
de zusammen bilden eine Art «Anti-Kanon-Duo», das dem
Kanon, vertreten durch den französischen Maler Eustache
Le Sueur, keine Chance lässt:
Deine Mönche, Lesueur, sind neben diesen fad: Tes moines, Lesueur, près de ceux-là sont fades:
besser als du gemalt hat Zurbarán von Sevilla Zurbaran de Séville a mieux rendu que toi
Diese kranken Häupter, diese Augen in Ekstase entbrannt, Leurs yeux plombés d’extase et leurs têtes malades,
Diesen göttlichen Taumel, diese trunkene Inbrunst, Le vertige divin, l’enivrement de foi
die sie erglühen lässt in fiebernder Klarheit, Qui les fait rayonner d’une clarté fiévreuse,
so unheimlich sind sie, dass Grausen dich fasst! Et leur aspect étrange, à vous donner l’e≠roi.
Wie sein harter Pinsel sie höhlt und furcht! Comme son dur pinceau les laboure et les creuse!
Wie er den Büssertränen die Spur eingräbt Aux pleurs du repentir comme il ouvre des lits
in der fahlen Gesichter tiefen Rinnen! Dans les rides sans fond de leur face terreuse!
Wie er des düsteren Gewandes Falten in die Länge zieht Comme du froc sinistre il allonge les plis;
und ihm gekonnt des Leichentuchs Blässe verleiht, Comme il sait lui donner les pâleurs du suaire,
So trefflich, dass du eingehüllte Tote zu sehen meinst! Si bien que l’on dirait des morts ensevelis! 12
Zwei Nuancen nur, die eine leichenblass, die andre schattenschwarz, Deux teintes seulement, clair livide, ombre noire;
zwei Posen nur, die eine stehend, die andere auf den Knien, Deux poses, l’une droite et l’autre à deux genoux,
sind dem Künstler genug, zu bannen die ganze Geschichte. À l’artiste ont su∞ pour peindre votre histoire.
Victor I.
Stoichita
Dieter Roth
Beid
hand
zeich
nun
gen
52
Wird nicht jede Zeichnung von zwei
Händen gezeichnet? Ausser Stift, Papier
und zeichnender Hand kommt als vier-
tes Element in der Regel die nur schein-
bar unbeschäftigte zweite Hand zum
Einsatz, indem sie das Papier auf einer
festen Unterlage (das fünfte Element)
fixiert, zurecht rückt oder dreht und
dabei der zeichnenden Hand auch hilft,
sich auf dem Blatt zu orientieren. Ehe
der erste Strich gesetzt ist, befindet sich
der Körper des Zeichners also bereits in
einer spezifischen Lage, wird durch ein
materielles Dispositiv in seinen Bewe-
gungsmöglichkeiten eingeschränkt und
zugleich ausgerichtet und fokussiert.
Dieter Roth hat dieses Zeichnungsdis
Dieter Roth beim Zeichnen für Trophies, 1979
positiv, das uns so selbstverständlich er-
scheint, dass es kaum beachtet wird, in mancher Hinsicht Reversibiltät von Individuum und Paar, Phallus und
verändert, am stärksten in den Beidhandzeichnungen. Brüsten, Mann und Frau, Positiv und Negativ, Fläche
Er zeichnete gleichzeitig mit der linken und mit und Körper entdecken. Die Unterscheidung und
der rechten Hand; das Blatt ist durch einen Knick in zugleich Vertauschbarkeit von links und rechts ist also
zwei Hälften geteilt, und auch die Linien, die von bei- eine erste Setzung, aus der ein analoges Verhältnis für
den Händen gezeichnet wurden, entsprechen einander alle anderen räumlichen Orientierungen und darüber
spiegelbildlich. Mehr als eine Unterscheidung wird auf hinaus für Bestimmungen wie Individualität und Ge-
diese Weise verkehrt: nicht nur die zwischen zwei Rich- schlecht folgt. Indem die laterale Symmetrie vertieft
tungen (links und rechts), sondern auch die zwischen und auch in die Schädeldecke eingezeichnet wird, wird
zwei Händen, zwischen denen normalerweise eine Hier der Körper als ganzer in ein in sich verkehrtes und
archie der Geschicklichkeit und auch des kulturellen daher nicht-orientiertes Gefüge verwandelt, dem eine
Wertes (linkisch und richtig) besteht. Zugleich mit der ebenfalls nicht-orientierte Subjektivität entspricht.
Orientierung des Körpers wird auch der Raum des Aber diese Reversiblität, die die verschiedensten
Zeichnens neu bestimmt: denn Beidhandzeichnen for- Unterscheidungen kollabieren lässt, verfügt ihrerseits
53 dert eine andere Zusammenfügung von Körper, Zei- über eine Grundlage, keine feste, sondern eine verviel-
chenblatt, Tisch und Zeichenstift, ein anderes Zeich- fältigende. Ich meine das Buch. In Büchern wie DOGS,
nungsdispositiv, dessen wichtigstes Merkmal die Fal- TROPHIES oder BATS reproduzierte Roth seine Beid-
tung und damit symmetrische Teilung des Blatts ist. handzeichnungen und bezog sie zugleich auf jenes
Dieses wird mit Hilfe des Falzes gleichsam mit dem gefalzte Medium, das seit seinen frühen Versuchen als
Körper des Zeichners verkoppelt, entlang einer gemein- konkreter Künstler im Zentrum seiner Arbeit stand.
samen Mittelachse, die am Übergang von Zeichner zu Die letzte Doppelseite dieser Bücher füllt meistens eine
Zeichentisch um 90 Grad geknickt ist. Blatt und Zeich- originale Zeichnung. In einem Exemplar von DOGS,
ner bilden zusammen also ein bilateral symmetrisches das heute im Basler Kupferstichkabinett aufbewahrt
Gefüge, das die virtuose Synchronbewegung von linker wird, ist diese Originalzeichnung doppelt
und rechter Hand überhaupt erst möglich macht. Durch signiert. Die linke Hälfte «Björn Roth», die
den Falz gewinnt das Papier zudem eine eigene Dicke rechte «Dieter Roth». Ebenso findet sich 1 - Zu Dieter Roths
Beidhandzeichnun-
und Körperlichkeit, die sich motivisch oftmals in jenen diese doppelte Signatur in verschiedenen gen vgl. die beiden
promiskuösen Wesen manifestiert, die die vertikale Varianten auf den vier hier reproduzierten Aufsätze des Ver-
fassers: «‹Misch-
Mittelachse in vielen der Beidhandzeichnungen bevöl- Zeichnungen aus den Serien BATS und und Trennkunst›.
kern. Der Falz des Papiers und Roths Leibesmitte sind DOGS. Hier kommt erneut eine irreversible Dieter Roth als
also nicht nur so aneinandergefügt, dass der Bildträger Abfolge ins Spiel, diejenige von Vater und Zeichner», in: Öff-
nungen. Zur Theorie
zurück auf den Künstlerkörper verweist. Der Knick im Sohn, und wiederum liegt die Pointe in einer und Geschichte der
Papier bringt auch immer schon einen ersten Körper, Umkehrung des Unumkehrbaren. Wenn Zeichnung, Fried-
rich Teja Bach /
den Papierkörper, zutage, der wiederum gezeichnete Vater und Sohn zusammen eine beidhändige Wolfram Pichler
Körper generiert, die sich untereinander zu akrobati- Zeichnung scha≠en, vermengen sich ihre (Hgg.), München
schen Mischkörpern verbinden, zu denen auch der – Körper zu einem einzigen Mischkörper, in 2009, S. 215–237;
«Dieter Roths
ebenfalls akrobatisch tätige – Künstlerkörper gehört. 1 dem nicht nur vorn und hinten, links und Topologie des Sub-
In der ersten der hier abgebildeten Beidhand- rechts, linkisch und richtig, Individuum und jekts», in: Topolo-
zeichnungen (Trophies von 1979) stellte sich Dieter Paar austauschbar sind, sondern ebenso die gie. Falten, Knoten,
Netze, Stülpungen
Roth, so wie in vielen anderen Selbstbildnissen, mit Filiation. in Kunst und Theo-
einem in zwei Schädelbacken geteilten Kopf dar, an rie, Wolfram Pich-
ler / Ralph Ubl
dem im selben Moment nicht nur die Verkehrbarkeit Ralph Ubl (Hgg.), Wien 2009,
von links und rechts, sondern auch jene von hinten und S. 295–322.
vorn, Haupt und Hintern und damit auch von Gedan- Alle Zeichnungen der
ken und Ausscheidung, Bewusstsein und Welt vorstell- folgenden Seiten sind
bisher unveröffentlicht
bar wird. Man kann noch weiter gehen und in diesem (Hamburg: Dieter Roth
Motiv des gespaltenen Schädels die Möglichkeit einer Foundation).
TROPHIES (1979), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 25 x 36 cm
DOGS (1982), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 29 x 58 cm
BATS (1982), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 29 x 58 cm
DOGS (1984), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 29 x 58 cm
Bats (1984), beidhändige Schnellzeichnung,
Bleistift auf mittig gefaltetem Papier, 29 x 58 cm
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Zsuzsanna Gahse
Die Zwei
und
die Kluft
Stanzas Meditation
in Meditation ins Tanzen
(parts of) Teil IV
Part IV (teilweise)
English Deutsch
Stanza I Stanze I 72
Who should she would or would be he Wer sollte sie wollte oder wollte er sein
Now think of the di≠erence of not yet. Nun überdenke den unterschied von noch nicht.
It was I could not know Der war ich konnt nicht wissen
That any day or either so that they were Dass jeder tag oder die beiden so warn dass sie
Not more than if they could which they made be Nicht mehr warn als was sie falls sie’s konnten zuwege brachten
It is like this Ungefähr das wär der
I never knew which they can date when they say Ich wusste nie inwiefern sie einen bestimmen wo sie sagen
Hurry not hurry I could not only not do it Eilig nicht eilig ich könnt das nicht allein nicht tun
But they prepare. Doch die richten ein.
Let me think how many times I wished it. Lass mich überlegen wie oft ich’s wünschte.
It flattered me it flattered me it flattered me Es tat mir schön es tat mir schön es tat mir schön
And I was all prepared which they sent Und schon ich war eingerichtet von ihnen unterwiesen
Not only not why but where if they did not enjoy Nicht allein nicht wieso doch auch wo so sie nicht genossen
Their place where they meant with them Ihre stelle wo sie auch sie hiessen
And so they can be fitly retired. Und man sie so passend beruhn lassen kann.
This is what I saw when they went with them. Das ist was ich sah als die sie mit ihnen verliessen.
I could have been interested not only in what they said but in what I said. Mich hätte ja nicht allein interessieren können was sie sagten
I was interested not interested in what I said only in what I said. sondern auch was ich sagte.
I say this I change this I change this and this. Mich interessierte interessierte nicht was ich sagte allein was ich sagte.
Who hated who hated what. Ich sag das ich ändre das ich ändere das und das.
What was it that announced they will not mind it. Wer hasste wer hasste was.
I do think often that they will remember me. Was wars das besagte dass das sie nicht kümmern würde.
Now who remembers whom what not a room Ich denke ja oft sie werden meiner gedenken.
No not a room. Nun wer gedenkt wessen was kein gelass
And who did prepare which which vegetable very well Nein kein gelass.
And might I not only to feel it to be right to leave them to say Und wer richtete was was für gemüse sehr gut her
Yes any day it is because after which way Und genügt’s nicht zu spüren sie rechtens zu verlassen dass ich sag
They shell peas and of the pea shell they make a soup to eat and drink Ja jeder tag es ist wegen der weise auf die
And they might not amount to calls upon them. Sie erbsen schäln und aus erbsen schale suppe machen zum essen
They were in place of only where they went und trinken
Nobody notices need I be not there only Und die werden’s nicht dazu bringen sich an sie zu wenden.
Anstelle von allein waren sie wo sie gingen
Nimmt niemand notiz muss nicht allein ich da sein
But which they send it. Sondern auch das was sie überweisen.
Not to think but to think that they thought well of them. Nicht um zu denken doch um zu bedenken dass sie gut von denen dachten.
Here I only know that pumpkins and peas do not grow Hier weiss ich allein kürbis und erbsen gedeihn nicht
Well in wet weather. Recht bei schlechtem wetter.
And they think kindly of places as well as people. Und netterweise denken die von stellen so gut wie leute.
I should think it makes no di≠erence Ich würde denken es macht keinen unterschied
That so few people are me. Dass so wenig leute ich sind.
That is to say in each generation there are so few geniuses Das heisst in jeder generation gibt es so wenig genies
And why should I be one which I am Und wieso sollt ich eins sein was ich ja bin
This is one way of saying how do you do Dies ist nur eine weise zu sagen wie es so geht
There is this di≠erence Da gibt es diesen unterschied
I forgive you everything and there is nothing to forgive. Ich vergeb euch alles und es gibt nichts zu vergeben.
No one will pardon an indication of an interruption Weder wird eines ein zeichen einer unterbrechung verzeihn
Nor will they be kindly meant will be too or as a sound. Noch werden die nett gemeint sein werden auch sein oder als ein klang.
I am interested not only in what I hear but as if Mich interessiert nicht allein was ich höre sondern als ob
They would hear Sie hören würden
Or she can be plainly anxious. Oder sie schlicht besorgt sein kann.
How are ours not now or not as kind. Wie stunden unsre nicht jetzt oder nicht so nett.
They could be plainly as she is anxious Sie könnten schlicht wie sie’s ist besorgt sein
Or for their however they do Oder ihretwegen wie immer sie’s machen
Just as well and just as well not at all Genauso gut oder genauso gut gar nicht
How can you slowly be dulled reading it. Wie kannst du das langsam gelangweilt lesen.
It is not which they went for there were dishes Es ist nicht worauf sie aus waren da gab’s schüsseln
It is not why they were here not with their wishes Es ist nicht wozu sie hier waren mit ihren wünschen nicht
Or accidentally on account of clover Oder per zufall aufgrund von klee
I never manage to hammer but I did Ich bring’s nie zustande zuzuschlagen doch tat ich’s
In with all investigation Rein mit aller eindringlichkeit
And now I now I now have a brow Und nun ich nun ich nun hab eine stirn
Or call it wet as wet as it is by and by Oder nenn das nass so nass wie sie ist nach und nach
I feel very likely that they met with it Ich halt für ziemlich wahrscheinlich dass es sie traf
Which in no way troubles them Ohne sie irgendwie zu irritieren
Or is it like to. Oder das gern täte.
It did it a great deal of good to rub it Es tat es tut es eine menge gutes sie zu massieren
73 Stanza II Stanze II
I come back to think everything of one Mir kommt es nochmal auf alles von eins zu denken an
One and one Einer und eine drauf an
Or not which they were won Oder nicht was sie einzeln gewannen
I won. Gewann ein ich.
They will be called I win I won Sie wollen genannt werden ich gewinn ich gewann
Nor which they call not which one or one Auch was sie nicht nennen welch eine oder ein
I won. Ich gewann.
I will be winning I won. Ich will gewinnend sein ich gewann.
Nor not which one won for this is one. Auch nicht welche eins gewann denn das ist eins.
I will not think one and one remember not. Nicht denken will ich einer und einer nicht gedenken.
Not I won I won to win win I one won Nicht ich gewann ich gewann zu gewinnen gewinn ich eine gewann
And so they declare or they declare Und so stellen die fest oder sie stellen fest
To declare I declare I declare I win I won one Um festzustellen stelle ich fest stelle fest ich gewinne ich geh wann
I win in which way they manage they manage to win I won Ich gewinne so wie sie es zustande bringen zu gewinnen zu stand
In I one won in which I win which won I won ich geh wann
And so they might come to a stanza three Im ich gewann eins in dem ich gewinn was gewann geh ich wann
One or two or one two or one or two or one Und so könnt es mit ihnen kommen zu einer stanze drei
Or one two three all out but one two three Eins oder zwei oder eine zwei oder einer oder zwei oder eine
One of one two three or three of one two and one Oder eins zwei drei alle raus ausser einer zwei drei
Eine von eins zwei drei oder drei von einer zwei und einem
Stanza IV Stanze IV
Mama loves you best because you are Spanish Mama mag dich am meisten weil du welsch bist
Mama loves you best because you are Spanish Mama mag euch am meisten weil ihr welsch seid
Spanish or which or a day. Welsch oder welch oder ein tag.
But whether or which or is languish Aber ob oder welcher oder schwach ist
Which or which is not Spanish Was oder welches nicht welsch ist
Which or which not a way Welche oder was keineswegs
They will be manage or Spanish Sie werden zu stande gebracht sein oder welsch
They will be which or which manage Sie werden was sein oder die wwas zustande bringen
Which will they or which to say Was werden sie oder was sagen
That they will which which they manage Dass sie was wolln was sie zustande bringen
They need they plead they will indeed Sie ringen sie dringen sie wollen erzwingen
Refer to which which they will need Beziehn sich auf was das brauchen sie dringend
Which is which is not Spanish Welches ist welches nicht welsch
Fifty will vanish which which is not Spanish. Fu≠zich verziehn sich was was nicht welsch ist. 1
Stanza V Stanze V
I think very well of my way. Meineswegs sehr wohl bedacht.
Stanza VI Stanze VI
May be I do but I doubt it. Ich könnte ja tun nur ich zweifle.
Vielleicht mach ich einfach und bezweifle es.
Mach ich mag sein doch im zweifel.
Mai sei ich tu bloß verdächtig.
Mag sein mein tun zweifelhaftet.
Ich tu vermutlich was weiss ich. 74
Stanza X Stanze X
That is why I begin as much Daher fang ich so sehr an
Ein ich, das da, in der schrift ein durchaus bezweifeltes ist: Eine könnte beispielsweise Gertrude Stein heissen und
sein könnte, uneins. Eins allein (only or lonely?) von vie- eine Alice B. Toklas, sie könnten zum beispiel folgendes
len, von IHNEN (den «andern») jeweils eins. Jedes lesen- bei-spiel spielen: eine schreibt einer eine autobiographie.
de ich könnte sich damit identifizieren: eins sein. Oder
auch nicht. Oder di≠erenzieren, anders sein, anders als Im jahr 1932 schreibt Gertrude Stein THE AUTOBIOGRA-
ich. Anders = als ich. PHY OF ALICE B. TOKLAS, dabei sagt sie ICH, sagt es bei-
spielsweise – als Alice. Zu «sich», zu der im buch Gertrude
Stein genannten person hingegen sagt sie da «sie». Und Nicht der einfache weg von der einzahl stracks über mehr-
schreibt so ihre autobiographie: ihre und ihre, eine für und noch mehr zur vielzahl, wieviel-zahl, nicht der weg der
mehr als eine – für zwei. 1 quantität wird so gegangen, 1 + 1 + 1 + … nicht ein schritt
und noch ein schritt und noch einer ohne ende (– oder bis
Und schreibt an einer («anderen»?) stelle this is an auto- zum schluss). Das änderbare, die eigenheit, beweglichkeit
biography in two instances, schreibt dies womöglich sogar der wörter bewirkt eine wendung ins qualitative, in ein
gleichzeitig: in STANZAS IN MEDITATION, das im gleichen zahlloses, unzähliges: ins mannigfache. «There is no coun-
jahr (/zeitraum) entstand. Als ebenso IHRE, doch eine ting on that account». Ein wort ist, wo es wiederholt wird,
ganz andere autobiographie: AN AUTOBIOGRAPHY OF I zwar ein gleiches, doch nicht dasselbe; es kann sich unter
AND THEY – was ein möglicher titel wäre, aber auch eine umständen unterscheiden, in anderen verhältnissen auch
tautologie: AUTOBIOGRAPHIE heisst ja nichts anderes als anders verhalten, di≠erent.
I AND THEY, ICH UND DIE ANDEREN («SIE»). [Man
braucht im deutschen die ANDEREN, um THEY zu über- Auf etwas zurückkommen, ohne darauf zu bestehn. Der
setzen?] Weshalb diese dann STANZAS IN MEDITATION weg (iter) der wiederholung, iteration als be-WEGung; kei-
heisst. Und auch eine art grammatik aller autobiographie ne feststellung, festlegung, nicht der einzige, ausschliessli-
vorstellen könnte. (Was jedoch nicht heisst EVERYBODY’S che weg, die linie von hier nach da, nicht die eine, gemein-
AUTOBIOGRAPHY; die schreibt sie, schreibt Gertrude te, die richtige richtung; nicht bloß fort kommen, fort-
Stein erst ein paar jahre später.) schritt, nicht lediglich ein weg-von-hier. Eher etwas wie
das herstellen einer verbindung, auf die sich, auf der sich
Namen werden aber keine genannt. Doch wörter persön- zurückkommen liesse, auf den trampelpfad, der durch
lich: die können ziemlich viel tun («anrichten»), haben wiederholtes begehen zum weg (im englischen auch: walk)
möglichkeiten, raum. Sie heissen, sie deuten, sie haben wird – und einen unterschied bedenken zur strasse (eng-
mehr(-oder-weniger)-als-einen sinn: they mean. Was lisch auch: drive). Weg mit diesem ich-jetzt-hier-null-
nicht gleich heisst, dass sie meinen; so possessiv wird hier punkt, der in dieser, seiner bewegung eine einzelne, lebens-
nicht gedacht. Wörter meinen ja nicht; mit ihnen wird längliche linie ergäbe. Weg oder weg oder und?
gemeint, wird verbunden mit einer ersten person, in deren
intention, wird sich angeeignet. Bei Gertrude Stein aber Not only: nicht allein. Zu zwein oder vielen oder: auch,
sind wörter keine privatangelegenheiten. Auch wenn und nicht ausschliesslich. Nicht ausschliessen, nicht vernich-
gerade weil sie durchaus eigen erscheinen. Aber das ist die ten; andres sein lassen, anders und auch sein lassen – und
eigenart ihres gebrauchs. (Ihres gebrauchs von ihnen.) auch ihr. Ihr lassen und ihr tun; nicht nur eins, nicht nur
seins. Ihres wie unseres, ours, was auch nach stunden
Ein gebrauch, der ihnen [ihr und ihnen – und vielleicht klingt; unsres, gestundet – now think of the di≠erence of
sogar Ihnen, was meinen Sie?] raum gibt, bewegungsmög- not yet … 78
lichkeiten. Es sind einfache wörter, alltägliche und «alles in
allem» sind es nicht gerade viele – aber auch nicht grad
wenige – und immer wieder werden sie wiederholt, werden •
als einzelne derart vervielfacht. Einfache wörter, vielfach
wiederholt, gleiche wörter in unter-
schiedlichsten konstellationen, in kons- 1 - [zit. Stanza XIV/IV: Not yet, not only, not one: als ob dieses ich alles zur dispo-
tellationen, die sie verändern. Wer ver- This is her autobio- sition stellen würde, was es positioniert, was es feststellbar
graphy one of two]
ändert da wen? Die wörter die konstel- – und Alice B. macht, es als ein ich, als einzig bestätigt; als ob es aufgäbe
lationen oder die konstellationen die Toklas schreibt die festzustellen, es aufgäbe zu wollen; als ob es losliesse, lose
ein zweites mal, sie
wörter? Und warum oder, warum nicht tippt das manu-
[gewinne und nieten]: zufall zuliesse, alles andre: alles
beides, nicht gleichzeitig? Ja, warum skript ab. Meine mögliche, das nicht ICH ist oder auch: sogar dieses ich in
nicht … übertragung der nICHt, diese uneins. Not one, was ja keineswegs keiner
STANZAS folgt der
ausgabe von sun & heisst, no-one nicht und nicht nobody. Das problem wäre
moon press, Los als n-body-problem zu formulieren, das in der himmels-
Angeles 1994, die
sich von jener in
mechanik (und ganz ähnlich auch in der quantenmecha-
The Library of nik) allein iterativ gelöst werden kann: per wiederholung,
America, New York annähernd – als entfernung, di≠erenz, distanz, abstand,
1998, darin unter-
scheidet, dass an als zwischenraum, spielraum, wahrscheinlichkeitsraum,
vielen (jedoch nicht in dem bewegungen kaum je eindeutig linear vorhersag-
allen) stellen, wo in bar sind.
letzterer may steht,
ein can auftaucht
(can be can be man Identität (I-dentity) ist dabei nicht unmöglich, nur ein
zb), was einer anek-
tode zufolge auf
wenig wahrscheinlicher spezialfall (n ≤ 2); vielleicht eine
Alice Toklas zurück- selbstbehauptung monotheistischer götter – kontrollfana-
gehn soll und deren tiker, die glücksspiele hassen – deren allmacht gedacht
eifersucht auf May
Bookstaver (1932 wird als ein in zukunft unbedingt realisiertes wollen: fiat
ist auch das jahr, voluntas Tua – Thy will be done … Thy will – will be – be
in dem Q. E. D. wie-
der auftaucht, eine
done – diese seltsame verschränktheit von wollen und wer-
erzählung von den, die im englischen aufscheint, eine di≠erenz zwischen
1903, in der Stein den sprachen sichtbar macht – und darin eine idee von
ihre beziehung
mit Bookstaver göttlichkeit: dass zukunft bestimmbar sei, gewollt.
verarbeitete).
Mehr-als-eine sprache und das mannigfache jeder einzel- Bloß – sollte man [um auch mal ein bisschen beim bild zu
nen von ihnen: gespräch, bewegungen (mancher, vielleicht bleiben] mit Gertrude Stein nicht eher musical chairs spie-
ja vieler) im raum dazwischen, wo noch nicht fest steht, len? Mit mehreren (n) stühlen und noch mehreren (n + 1)
was ein wort bedeutet – nur o≠en, was es alles heissen beteiligten, die sich bewegen und nur gelegentlich zum sit-
kann (> everything of one), es freigestellt ist, sie freigestellt zen kommen und in unterschiedlichsten richtungen, kei-
sind und zu einander so, dass ihre möglichkeiten sichtbar nesfalls aber alle: 1, one, einer oder eine auch nicht. Jede
werden, realisiert werden können: wahrgenommen, als runde erzeugt aufs neue (wiederholt) die autobiographische
möglichkeiten, konjunktive, verbindlich, im kon-takt, ein- konstellation I AND THEY: die oder der eine ohne sitzplatz,
ander antwortend: korrespondierend. anders als sie, die anderen. Das ich, das da steht, entsteht
durch di≠erenz, dis-position, deplazierung; es besitzt kei-
Wie aber dies übersetzen? Was wiederholt die übersetzung nen stuhl, es hat keinen platz, der die stelle zum ort machen
eines satzes in eine andere sprache? Seinen «sinn»? Und würde, ist ja selbst dahingestellt, nicht sesshaft, verortet:
hiesse das: eine deutigkeit, und das möglichst ein-deutig, wäre («sozusagen») ein utopisches.
1:1, «richtig» gerichtet: ein eindeuten auf zb aussersprach-
liche sachverhalte? Was gemeint sei? «Was uns der dichter Die regel besagt nun, dass das vom spiel auszuschliessen
damit sagen wollte»? Thy will … der dichter, der deuter, sei.
der richter, zu deut’sch: ein diktator, sprachbeherrscher
mit weisungsbefugnis, der dem allgemeinen random walk Diese regel aber dreht Gertrude Stein kurzerhand um: In
orientierung geben kann, der sagt wo’s langgeht (und der one two three / All out but me. Das ist IHR spiel, ihres und
übersetzer sagt ihm das ganz genau nach?)??? ihrs, ohne das spiel aller sein zu sollen, zu wollen, zu kön-
nen; she (heisst es an einer anderen stelle) is not only but
Das ist nun tiefstes 20.jahrhundert, wird aber immernoch also all.
gern genommen. Nachlesen, nachdenken, nachfühlen,
nachspüren, nachgehen, nachdichten, sich identifizieren Deswegen gibt es in ihrem spiel auch noch andere andere,
(– Sie besitzen einen amtlichen ausweis für die erken- gibt es mehr als eine mehrzahl: when they went with them
nungsdienstliche behandlung von literatur?): die wort- wird auch der plural plural.
macht, die sprachgewalt, das sagen HABEN, behaupten,
beanspruchen mit der geste, die andre einschliesst: für sie Das stehende, deplaziert entstehende ich aber ist bei Gertru-
zu sprechen. Sie zum schweigen bringen, ausschliessen. de Stein nicht verlierer des spiels, sondern gewinn – im ein-
Ins unrecht setzen, recht haben wollen. Feststellen, veror- klang von ONE und WON, eine aus di≠erenz gewonnene ein-
Barbara ten, zb auch wo und wer vorn ist: avantgarde? heit: aus der nicht-einheit mit den «anderen» (womöglich
Köhler
«allen»?) in einer ersten person plural, als WIR – was auch
79 möglich wäre, ja doch gerade noch war: wir, die auf stühlen
Nebensetzen
• sassen, die wir unsere nannten, ours, uns gestundete, eine
zeitlang zustehende stühle; dieses WIR, das in I AND THEY
zerfallen ist. – Einerseits.
Übersetzen: sätze, die sitzen, wörter, die sich nicht von
der stelle rühren, an die sie gestellt sind, gestellt werden, Von der anderen seite aber zerfällt es in «WE AND ONE» –
wie stühle gestellt: tote dinge, objekte, auf denen sich platz bzw zerfällt das WIR eben nicht, sondern schliesst eins aus,
nehmen lässt, platz, den man dann objektiv hat oder nicht n – 1, was so bei Gertrude Stein nicht vorkommt; das ist
hat, («was man schwarz auf weiss besitzt»): einen stuhl nicht ihre seite. Ist nicht ihre art, WIR zu sagen: um ein
(den es ja sogar als heiligen gibt), position als possession einvernehmen, eine gruppe, eine gleichheit, um identität
und ein vorsitzender, der da das sagen hätte, im chefsessel herzustellen, damit eines als anders ausgeschlossen wer-
– the chair. Besitzer, inhaber, eigentümer. 1 zu 1, einer und den kann, in den negativen bereich verschoben, als verlie-
eins, eindeutig, per gesetz: seins. rer aus dem spiel geworfen, als loser.
Übertragen: etwas auf sich nehmen, es annehmen, tragen, Die komplementäre möglichkeit wäre eine positiv-ver-
um es weiterzubringen, weiterzugeben (vielleicht), weiter schiebung, 1 + n: ein ausnahme-ich, und nicht als gewin-
zu machen: als last, als auszeichnung; kraft darauf verwen- ner, sondern sieger, teil des WIR, aber darin gleichzeitig
den, energie, die man auch erhalten kann – erhalten als allen anderen überlegen. Das spiel entpuppt sich so als
bekommen sowie erhalten als nicht-nachlassen-lassen – wettbewerb, womit auf feststellung (behauptung) eines
hat wohl (aktiv) zu tun mit entropie. Etwas tragen: es bewe- «besten» gezielt wird, der oder das – ganz neutral, objek-
gen und halten, es in bewegung halten, vorübergehend nur tiv wie ein stuhl – gestellt werden kann, auf die oberste stu-
und nicht zu fest, eher lose, doch ohne es fallen zu lassen. fe vom treppchen: einer / eines über alle(s)… Kommt
Übertragen: eine bewegung, einen impuls, energie. Ihnen die melodie nicht auch bekannt vor? Das alte lied
vom bruder nr. 1 oder von der «sache», für die sich zu ster-
Der übersetzer, der den satz vom stuhl im anderen sprach- ben lohnt; der o∞zielle sound des 20. jahrhunderts.
raum exakt so plaziert, dass er dem blick eines darauf
platznehmenden lesers auf zb «die wirklichkeit» ein glei- WE ist das personalpronomen, das Gertrude Stein nur in
ches (ein identisches, 1:1) bild bietet? Keine abwegige vor- seltnen und auch eher seltsamen fällen verwendet. Ausge-
stellung; so wird das oft und gern gesehn. Im rahmen einer schlossen wird es aber keineswegs.
flächigen geometrie.
Diese erste person plural schliesst die erste singular ja ein:
es braucht ein ich, um WIR zu sagen; aber dieses ich kann
kaum eins sein, ist nur 1 als teil: UNSEREINS, es schliesst
seinerseits andre mit ein, was implizit wiederum andre alltägliches tun, etwas in der art von essenkochen, betten-
ausschliessen kann. Andere andere – doch ein pluraler plu- machen und abwasch, weit eher als heldenhaftes gehabe
ral wäre hier auch ausgeschlossen: es ist nur ein WIR mög- und singuläre leistung; ohne horror vor einer «ewigen wie-
lich, eine erste person plural, da sie von der ersten singu- derkehr des gleichen», eher mit zuversicht auf möglichkei-
lar identifiziert wird: es braucht ein ICH, um wir zu sagen. 2 ten, die dinge durch wiederholung zu ändern, sie auf sich
Die ANDEREN (zu denen dieses ich nicht gehört, mit zu nehmen mit leichter hand, zu tragen, zu bewegen, sich
denen es sich nicht identifizieren kann) können ja nicht zu bewegen und – may be, can be – auch andere: SIE.
WIR sein, nur THEY, nur SIE; ihre seite wäre die andere
seite – im minus, in der minderheit (wo di≠erenz das SIE als gegenüber, als zweite person: YOU – ebenso singular
ergebnis einer simplen subtraktion wäre und meist weni- wie plural, und deutsch bitte mit etwas höflichem abstand,
ger meint – als WIR; wir meint WIR ALLE). nicht gleich so einvernehmlich mit IHR oder per DU.
Ein eingeschlossenes ich, das mit sich andere einschliesst, SIE als gegenüber: SIE und SIE – und dabei scheint sie,
in diesem WIR, ist seinerseits auch permanent vom aus- Stein seltsamerweise auch kaum zwischen dingen, men-
schluss bedroht, von der vereinzelung, vom verlust seiner schen, tieren und wörtern zu unterscheiden: sie werden
zugehörigkeit, die ihm aberkannt werden kann oder gleichbehandelt, plural – als gegenüber. Es wird keinerlei
abhanden kommen. Dergestalt verkommt es auch zu einer unterlegenheit unterstellt, keine hierarchie errichtet; hier
privatangelegenheit; als einzahl ist es immer in der min- wird kein selbstmehrwert per herrschaft kreiert, wird
derheit gegenüber der mehrzahl, die das WIR einschliesst nicht nach gutdünken und gutsherrenart umgesprungen
– ausser im fall n = 2, in einem paar. Paarungen gelten als mit IHNEN, den ANDEREN als «material», als handle es
besonders private angelegenheiten. Dafür haben andre sich um einen besitz, privateigentum, das man ja auch
sprachen einen dualis. Im deutschen gibt es dafür akkusa- ungestraft verschleissen kann, kaputtmachen, wegwerfen
tiv und komparativ, fragt sich wer wen, wer weniger und oder meistbietend verhökern. dinge, tiere, menschen;
wer mehr; so wären wir wieder beim wettbewerb: wer wörter.
zählt, wer mehr zählt und wer in einer mehrzahl sicher wir
wäre (und wer nur eventuell mitgemeint) …
•
•
Schliessen möchte ich mit einem letzten satz, dem letzten
satz der ersten lecture von NARRATION; vier vorlesungen,
IHRE seite, ihre und ihre, einzahl wie plural, ist die ANDE- die Gertrude Stein in Chicago gehalten hat, 1934 – zu einer
RE seite, nicht die EINE, die seine, und die rede ist von gen- zeit also, als das jahrhundert der diktatoren, der eskalie- 80
der, grammatik: – beziehungsweisen; die rede ist auch von renden rassismen, nationalismen und ideologien gerade so
Gertrude Stein, but not only, nicht allein, die rede ist von richtig in fahrt kam. Ein satz als lecture: lektüre, lektion in
einem ICH, das SIE sein könnte, eine wie viele, auch sein pluralität – und in der tat.
kann, und auch sein, but not only, nicht allein: not one, not
only, not yet. Ein ich, das eher di≠erent als konkurrent wär I like the feeling of words doing as they want to do when
(konkurrent ist auch nur ein anderes wort für mitläufer) – they live where they have to live that is where they have
ich als konjunktiv: als möglicherweise, verbindlich, ein come to live which of course they do do. In der übertragung
vielleichtes. Ein nicht-allein-ein-ich; die uneins, womit von Ernst Jandl von 1971: Ich mag das gefühl von wörtern
auch das einspurige zufallsgewusel diverser random walks die tun was sie wollen und was sie tun müssen wenn sie
zum tanz werden könnte: eine ko-ordinierte bewegung. leben wo sie leben müssen also wo sie angekommen sind
Verhältnisse, die ins tanzen kommen. um zu leben was sie selbstverständlich auch tun. Und viel-
leicht der di≠erenz halber, nicht als konkurrenz, noch eine
[Ein ich, das SIE sein kann, nicht allein ER, und so auch eigene version: Ich mag das gefühl von wörtern die tun wie
das symbolische zu fall bringt; nicht bloß zu phall – zum sie belieben wenn sie leben wo sie zu leben haben wo sie zu
zufall.] leben gekommen sind was sie selbstredend doch tun.
One
bles itself, it poses two questions. On the
one hand we have the numerical two as
the first kind of two, raising the ques-
tion of counting, of what accounts for
counting, for getting from one to two.
Splits
What pushes the count in its forward
thrust? For if we have successfully man-
aged this heroic feat of accomplishing
the first step of addition, assuming that
one plus one makes two, then there
into
seems to be no stopping this process, we
can reproduce this step again and again,
and thus count to infinity. If we get from
one to two, then three is already impos-
ing itself, and four is on the horizon,
Two
and so forth. To be sure, what seems to
be a simple operation, the most ele-
mentary of all, the one acquired with
the first lesson in mathematics, is itself
full of pitfalls and hidden traps, and
one needs only to mention the name of
Gottlob Frege, the set theory, the discus-
sion about the suture, Alain Badiou’s
intricate theory of numbers, 1 to remind
us of the complexity of operations
involved. But I will not follow this path.
I can just simply suggest that the mys-
tery pertains not so much to the prob-
lem of how do we get from one to two,
81 “One splits into two, two doesn’t merge but prior to that to the enigma of how do
into one.” This slogan has made a date we get to the one at all. For it is already
in its time, and it has itself become dat- in counting something as one that there
ed, despite its air of universal truth. may lie a secret duplicity, a clandestine
People of a certain generation, to which doubling, a hidden split, a minimal
I belong myself, would immediately di≠erence that only comes forth, that
recognize it, quote it both emphatically comes to “express itself,” by progressing
and conversationally, appreciatively or to two. It lies in the initial move of how
ironically, whereas nowadays one can one, once posited, is already split and
stand in front of a class full of students redoubled “in itself ” before it redoubles
none of whom has ever heard this say- itself into two entities, and thus pro-
ing and has no inkling as to who might vides the initial fuel that can subse-
be its author nor what its bearing and quently be replicated into infinity. There
impact may be. It is like talking Chi- lurks a doubling already in the bosom of
nese. I take the risk of appearing as the the one, in the way in which we have
caricature of a relic of a certain era, the assumed its being given. There lurks the
risk to appear myself dated by taking hidden spring of its proliferation, some-
this particular cue. The slogan com- thing that will secure its infinite success.
bines the air of a purely mathematical But in this way one has not really arrived
axiom with a political guideline; under at two, firstly, because the two which has
the cloak of its mathematical demeanor been produced is still the hostage of the
there lies a political dagger, a battle-cry, one, its extrapolation and extension,
a call to class struggle. It takes under and secondly, one has not arrived at two
the same heading a mathematical but at more than two, at the two of many,
adage, an ontological statement and a since the process that one has instigated
political stance. So why does one split cannot stop with two, it is endowed with
into two, necessarily, both in mathe- the push forward to multiply itself, so
matics, in ontology and in social tex- that “two” is a mere provisional stop
ture? And why, once we arrive at two, a over, a halt from which we must hurry on.
1 - See Jacques-Alain Miller, foundational split, one can never get
“La suture,” in: Cahiers pour back to the supposed unity of one?
l’analyse, 1, 1966, pp. 37–49;
Alain Badiou, Le nombre et les
nombres, Paris 1990.
There is, however, the other side of this One can immediately appreciate the statement from a di≠erent quarter, the
question, which is precisely the side of high philosophical stakes in the matter. quote that Michel Foucault has emphat-
the Other. For what stands in opposi- A large part of modern philosophy, if ically placed on the back cover of his two
tion to the one is on the one hand the not all of it, has placed itself under the last books on the history of sexuality, the
numerical two, to which we arrive by banner of the Other, in one way or quote by René Char: “The history of
adding another one to the supposed another, whatever particular names it men is a long succession of synonyms of
initial one, the second one being just might have used to designate it, and if it the same word [in French: ‘vocable’]. To
another one on top of the first one, it is has thus espoused the slogan of the contradict this is a duty [in French: ‘Y
of the same nature and cut of the same Other it has done so in order to estab- contredire est un devoir’, M. D.].”
stu≠ as the first one. On the other hand lish a dimension which would be able to
there looms the other, the Other, its cap- break the spell of One, and in particular The French “autre,” for the other, stems
ital letter turning it into the “big Other,” its complicity with totality, with form- from the Latin alter, which basically
underscoring and highlighting its ing a whole. A simple opposition could means the other one of two, and two
emphatic nature and the drama implied be drawn between “one” and “One:” the only (as opposed to alius or secundus,
in it. The question of the Other brings one of the split that propels counting, the second of many). Many languages
forth not merely the numerical two, the and the One of unity and unification, have maintained a di≠erent word for
second one following the first one, but the common denominator of multiplic- the second of many and the second of
the question of something qualitatively ity, the antidote to the split – and per- merely two, not to be followed by a third
di≠erent, something which is not a mere haps the metaphysical tradition started and so forth. This etymological lead can
addition of another one, the extension of o≠ by the step which immediately already put us on the track of the prob-
the first one, but something which mapped “one” onto “One,” thus estab- lem of the two. It already gives us an
would really present a two, a two hetero- lishing an equation between the two. inkling that the two poses a di≠erent
geneous to the one and recalcitrant to Hence the hidden propensity of One to problem than the second of many and
the progression of successional ones into form the whole, to encompass multi- that there is something there that defies
infinity. For however much we count, plicity and heterogeneity within the counting. To get to the other of the two
however many ones we add to the first same underlying forming principle. di≠ers inherently from counting from
one, we cannot count to the two of the That program was pronounced at the one to two and then onwards, for if this
Other. The progression of counting dawn of philosophy, at its Parmenidian other / Other exists one would not need
extends the initial one into a homoge- origin, with the simple slogan of ἕν και to progress any further. There is the
neous and uniform process, while the πᾶν, one and all – to conceive the all as other of alterity and of alternative, to
Other is supposed to present a dimen- one, to encompass the whole in its uni- take two more words based on alter
sion which would be precisely “other” ty, and to take the one as the simple clue (there is also alteration and alterca-
in relation to this uniformity; some- to the whole and whatever multiplicity tion). The other forces us to stop at the 82
thing that would escape the propaga- it may present; to take the whole under figure of just two, not allowing us the
tion of ones and their infinite series. In the auspices of One. That slogan, ἕν και escape into infinity. Or rather, there is
a nutshell, the otherness of the Other, if πᾶν, the famous adage which has held another kind of infinity that one has to
it can be conceived, is a dimension that in check the whole history of philoso- envisage with the other as the other of
cannot be accounted for in terms of phy, was supposed to spell out philoso- just two, and one is immediately tempt-
One. If the Other exists then we have phy’s mission, its grand traditional ed to use the Hegelian opposition of a
some hope of escaping from the circle, overarching chart, its task and its call- bad and a good infinity. This other,
and the ban, of One. It would present a ing, in three simple words. So if the alter, is indeed something that resists
two that would really make a di≠erence, Other exists, if it can be conceived in the one and contravenes its oneness,
not merely a di≠erence between one terms other than the terms of one, then while the second merely extrapolates
and another one, that is, ultimately, this would permit us to get out of this what has already been encapsulated in
between one and itself, through its ban and this circle. Indeed, the task of the one and presents its prolongation.
internal split. It would make another modern philosophy, if I take the liberty A notorious book by Simone de Beau-
di≠erence, irreducible to the delightful of this grossly simplified and massive voir bears the title Le deuxième sexe, the
oxymoronic phrase “same di≠erence.” language, was set as the task to think second sex, a curious title upon reflec-
the Other which would not be in com- tion, which is indeed translated into
plicity and collusion with the One of ἕν German as Das andere Geschlecht, the
και πᾶν, and thus the task to think the other sex. For the title raises the simple
two, to conceive the Other which would question: the second of how many?
not fall in the register of the One. In this How many sexes are there? Isn’t this a
massive parlance, the mission of mod- paramount case where she should have
ern philosophy would then be nothing said “l’autre sexe?” 2 And as we will see,
less, and nothing more, than the inven- the question of the other is, in one of its
tion of two. To propose just one show- facets, intimately linked with the ques-
case, I can take Alenka Zupančič’s book tion of sex and cannot be quite disen-
2 - Another possibility in French
would be “le second sexe,” which The Shortest Shadow. Nietzsche’s Phi- tangled from it.
means the second of two. In losophy of the Two from 2004, a book
France they have “la deuxième
république,” but “le second
which lucidly and magisterially argues
Empire,” the assumption being that Nietzsche’s feat, inaugurational for
that the second republic is the modern philosophy, is his invention of
second out of five (so far), while
the Second Empire is the second the figure of the two. And I can cite as a
and the last one, this is it. further token another programmatic
I said “if the Other exists,” and this brings what agitates their intimacy. There is What, if anything, is the Other? I am
me to a very basic asset that lies at the the Other at the heart of all the entities taking this wording from Stephen Jay
heart of psychoanalysis and the work of that psychoanalysis has to deal with, Gould and his essay What, if anything,
Jacques Lacan. There is something like and this may be seen as a shorthand to is a zebra? 4 Even zebras are not to be
a spectacular antinomy at the bottom of pinpoint their specificity, to assemble taken for granted, their existence may
psychoanalytic theory, an antinomy them with a single stroke under one raise some questions, despite their
worthy of the famous antinomies of heading, the heading of the Other. What flamboyance. But asking “what” already
Immanuel Kant, who has brought the all these entities have in common is the precludes another way of asking, name-
notion of antinomy to a pinnacle. There fact that there is the Other at their core, ly “Who is the other, if anyone?” For the
lies, at the limit of all possible knowl- which is of a radically di≠erent nature question of the other, and this is just a
edge, a series of antinomies in which in relation to the realm of One. They digression, is first dramatically posed in
one can propose one statement and its present the rupture of unity, a crack in relation to another person, this alter
antinomic opposite without the possi- uniformity, a rift of counting and its ego next to me, the same as me and for
bility of resolving the matter, of decid- homogeneous proliferation. So the Oth- that very reason all the more the Other.
ing in favor of the one or the other, or er could be taken as their minimal com- This is where the whole drama comes
merging the two into one. Antinomies mon denominator. in of what Lacan famously called the
bear on such spectacular and essential mirror stage, the mirror stage “as for
questions as these: Does the world have Yet this is but the first part of the antin- mative of the function of the ego,” as the
a beginning in time or is it infinite? Are omy, the part positing the Other at the title of his inaugurational paper runs.
we ruled by inexorable necessity or do core, the irremovable otherness, the In this drama the alter ego is constitu-
we have access to freedom? The Kan- alterity, the intimate Other which turns tive of the ego, precisely insofar as it is
tian reason dwells on this at length, and any intimacy “extimate,” in Lacan’s the agent of alterity, opacity. The for-
has no means of resolving it – reason is excellent neologism. The second part of eignness of the Other emerges under
supposed to be the principle of unity, the antinomy, in stark contradiction to the auspices of “the same.” It is only by
yet it gets stuck in the “two” that it can- the first one, states bluntly: “The Other this other and through it that one can
not reduce or sublate, it dwells in an lacks.” One can find it in this minimal assume the self of the ego as “my own.”
irreconcilable gap. and straightforward form in one of The foreignness of the other intersects
Lacan’s last public statements: “L’Autre with the ownness of the self. On the one
There is a Lacanian antinomy of the manque. Ça me fait drôle à moi aussi. Je hand the other is homogenized, so that
two, pertaining to the nature of the tiens le coup pourtant, ce qui vous épate, I can recognize myself in it, but only at
Mladen Other. One can pose it as the antinomy mais je ne le fais pas pour cela.” / “The the price of alienating myself in this
Dollar
of two massively opposing statements, Other lacks. I don’t feel happy about it image of the other – the other is the
83 the first one being: “There is the Other,” myself. [As if it was a question of per- same as me, my double, and precisely
One
which is the essential dimension that sonal taste and preferences.] Yet, I because of that my competitor, oppo-
Splits
into
psychoanalysis has to deal with. Noto- endure, which fascinates you, but I am nent, my intimate enemy who threat-
Two
riously, Sigmund Freud spoke of the not doing it for that reason. [And one ens my life and integrity.
unconscious as “ein anderer Schau- can mark in passing that there is some-
platz,” the other scene, the other stage, thing like a draft of an ethics of psycho One can, in another quick aside, point
a stage inherently other in relation to analysis there: to endure in the face of to the fact that Emmanuel Levinas took
the one of consciousness, to its count the lack of the Other, M. D.]” 3 So the his cue from this same constellation,
and to what it can account for. It defies opposing part of the antinomy would be from the question of “Who is the oth-
the count of consciousness, which is to extend it: “The Other does not exist.” er?,” from the alterity of the other, epit-
ultimately the homogeneous count of omized strikingly and immediately by
“more of the same,” the count providing Now, how can the very dimension not his / her face, in a way that cannot be
sense as the unitary prospect, the One exist on which psychoanalysis ultimate- circumvented and which circumscribes
of unification. So there is the Other of ly depends, on which it is premised? the very notion of the self. His whole
the unconscious, and the unconscious, What is the status of this Other which is enterprise hinges massively on the
at the minimal, presents the Other of emphatically there, permeating the very question of the two and how to conceive
consciousness and its unitary sense. notion of the unconscious, of desire etc., it, and on the ethics which follows from
Lacan is notorious for his impossible and which at the same time emphati- there, taking the Other as its guideline.
style, the unreadable and undeciphera- cally lacks? Can the two statements be This is his particular way of taking up
ble enigmatic texts, yet in maximum reconciled in their glaring contradic- the question of the two. But I will not
opposition to this there are a handful of tion? Is this a case of a Kantian antino- pursue this further. •
his slogans, short, clear and lightening- my, exceeding the limits of knowledge
like, like proverbs, counterintuitive and and unitary reasoning? And how can
provocative, and one of them runs: one posit the Other as the very notion
“The unconscious is the discourse of the surpassing the boundaries and the
Other.” And another one runs: “The framework of One, while maintaining 3 - All translations from French and
desire is the desire of the Other.” These that it lacks? Is this an exhaustive alter- German in this essay M. D.,
Jacques Lacan, “Dissolution,” in:
two short statements place the uncon- native, covering all options? Ornicar?, 20/21, 1980, Paris, p. 12.
scious and the desire clearly under the 4 - See Stephen Jay Gould, “What,
banner of the Other. There is the uncon- if Anything, Is a Zebra?,” in: id.,
scious and there is desire, only insofar Hen’s Teeth and Horse’s Toes.
Further Reflections on Natural
as they intimately pertain to the Other, History, Harmondsworth 1983,
they are “of the Other,” and the Other is pp. 355–365.
What, if anything, is the Other? Lacan’s Thus we have two perspectives on this more radically and “really” Other. This
first answer goes into the direction of linguistic and more broadly symbolic is the point of Lacan’s thesis, another
the Other as the Other of the symbolic structure, which epitomizes the Other. one of his proverbs, that “there is no
order, the Other of language, the Other The first one, stemming from Ferdinand Other of the Other.” The Other of the
upholding the very realm of the sym- de Saussure, treats language as a system bug (of the unconscious) is not the Oth-
bolic, functioning as its guarantee, its in which all entities are di≠erential and er of the Other of language and struc-
necessary supposition, enabling it to oppositive. None of them has any iden- ture, they share the same location. The
signify. And if this claim is to be placed tity or substance of its own, they are only second Other cannot be seized and
within the general thrust of structural- defined by being di≠erent from one maintained independently as another
ism, then the name of the Other, in this another, their whole being is exhausted Other, the Others cannot be duplicated
view, would be the “structure.” The Oth- by their being di≠erent, and hence they and counted. 6 Yet, given that there is
er is the Other of structure, and one can cling together, they are bound together no Other of the Other, it would still be
nostalgically recall its Lévi-Straussian with an iron necessity of tight interde- misguided to say that there is only one
underpinnings. What follows from pendence. But the second perspective, Other, since it is not to be counted as
there, in the same general thrust, is the the one that Freud opens up with the One. It is cracked and haunted by lack,
notorious formula that “the unconscious unconscious, opens the slide of contin- pestered by a bug, and this is precisely
is structured like a language,” the for- gency within this well ruled system. The what makes it the Other. There may be
mula which points into the same direc- words contingently and erratically no Other of the Other, but this does not
tion as the other one, that “the uncon- sound alike, not ruled by grammar or make the Other one. The bug makes it
scious is the discourse of the Other.” But semantics, they contaminate each oth- uncountable.
what kind of Other is announcing itself er and reverberate, they slip, and this is
with the structure such that the uncon- where the unconscious takes its chance The unconscious opens up an alterity
scious is ruled by it, structured like it? of appearing in cracks and loopholes. within the Other which is of a di≠erent
What Other is the unconscious the dis- The first perspective hinges on neces- order than the symbolic Other and its
course of? It is clear that Freud’s three sity, ruled by di≠erentiality, and this is di≠erentiality. It presents a moment of
inaugurational books, The Interpreta- what makes linguistics possible; the heterogeneity within the homogeneity
tion of Dreams, The Psychopathology of second perspective hinges on contin- of di≠erences that constitute the sym-
Everyday Life and the book on jokes, gent similarities and cracks. It is the bolic. The structuralist structure was
all single out the unconscious as a series nightmare of linguistics, for its logic is based on the “univocity of di≠erence,” as
of “marginal” phenomena which per- quirky and unpredictable. It pertains to it were, on the postulate that di≠erences
tain to language, but which appear as what Lacan has called “linguisterie” can be predicated homogenously, univo-
its slips, its cracks, its short-circuits, its and “lalangue.” It pertains to what cally, in the same way for each element,
breaches, its temporary out-of-joint- Alfred Jarry, the immortal Jarry of Le which was only made of di≠erences. But 86
ness, not as something belonging to its roi Ubu, has called pataphysics, the sci- the alterity of the unconscious is not cut
normal, standard and universal use. ence which, as opposed to metaphysics, of the stu≠ of di≠erentiality, it opens a
They pertain to homonymy, 5 verbal deals with the exception, the contin- di≠erence which is not merely a symbolic
contaminations, puns, mix-ups, which gent, the non-universal. di≠erence, but which is, so to speak,
all condition what Freud has described di≠erent from di≠erence itself. It is a
as the process of the work of the uncon- So if we have on the one hand the Other “di≠erence within the di≠erence,” anoth-
scious, to be put under the two broad of the Saussurean structure, or system, er kind of di≠erence within the symbolic
headings of “condensation” and “dis- then the unconscious presents rather a one, a di≠erence recalcitrant to integra-
placement.” They are condensed and bug in this system, the fact that it can tion into the symbolic, and yet only
displaced in relation to the signifying never quite work without a bug. The emerging in its bosom, with no separate
One of language. structure slips. What was supposed to realm of its own.
work as the Other, the bearer of rule
and necessity, the guarantee of mean-
ing, shows its other face which is whim-
sy and ephemeral and which makes the
meaning slide. The Other is the Other
with the bug. And what is more, this is
what makes the Other Other – not the
5 - If the quote by Char used by structure but the bug which keeps
Foucault placed the history of
men under the banner of a long
derailing it. The bug is the anomaly of
succession of synonyms, then the Other, its face of inconsistency, that 6 - Which also means that there
in a first simple view one could which defies regularity and law. Inside cannot be a dialectics of the
maintain that what contradicts Other. In Hegelian terms the
synonymy can be seen as the the Other of language, which enables Other would be something
realm of homonymy. Against speech, there emerges another Other, that redoubles itself and thus
the unity of meaning which which derails speech and makes us say reflexively sublates itself,
can be expressed by different which would entail the
means while remaining the something else, or something more “Aufhebung,” the sublation of
same, there is the disruption than we intended. Yet these anomalies, the Other, its self-mediation
of erratic similarity of sounds with One, the alienation of One
which does not heed meaning.
these slips and cracks, do not form in the Other and then its
The unconscious, at its minimal, another system, they do not amount to return – by way of the Other
contradicts synonymy by another Other which would give rise to of the Other – to the initial One.
homonymy. Could one say: This seeming radicalization
the one of meaning vs. the two a parallel system, doubling the first of the Other would amount to
of homonymy? Other as something which would be its neutralization.
There is a problem which has haunted consistency, it nevertheless persists. It If in the first instance it seemed that the
the whole history of psychoanalysis, does not establish a separate Other of Other is a highly disembodied entity,
namely whether the goal of analysis the Other, it persists solely within the which has to do with signifiers and
should ultimately be the integration Other. So the bottom line would be: structures, then in this other aspect it
into the symbolic of what is recalcitrant there is an irreducible two, an irreduc- an Other which sticks to the body, most
to it, thus the integration of the uncon- ible gap between the One and the Oth- intimately, and presents its rift. Not the
scious, censured chapter of one’s histo- er, and the unconscious, at its minimal, rift of language, but the rift of our natu-
ry into the universe of meaning, in presents the figure of the two, not to be ral bodily being. This implies that the
order to make sense of it and eventually sublated or fused into one. The prob- sexual di≠erence, if this is the name of
do away with it. For to interpret means lem here that remains is that, well, the this rift, is not a di≠erence that could be
to endow with meaning that which has Other does not exist. encompassed or covered or accounted
defied meaning as an alien body, to for in terms of the signifying di≠erence,
arrive at the point where we are able to Where does this leave us with our ques- the di≠erence of Saussurean di≠erenti
understand what the unconscious tries tion of counting? The symbolic, with its ality, that is, in terms of One, its replica-
to say, to state in a straightforward minimal signifying element which is tion and its split. It does not present the
manner what it was saying in a round counted for one, can always be submit- two of counting, based on counting for
about way; which would amount to ted to a count, and it proceeds meto- one and then extending this count, it
remove it as the discourse of the Other, nymically. Its mathematical formula pertains to the “other” di≠erence which
and hopefully live happily ever after. could be (n + 1): for every signifier there cannot be counted and stops at two,
The second di≠erence of ineradicable is a (+ 1) signifier, always to be extended that is, at the di≠erence of the one and
alterity would thus be incorporated and continued. But the Other, which the Other. But according to the other
into the first di≠erence and would stop constitutes the two, as opposed to (n + part of our Lacanian antinomy, the
haunting us or determining us behind 1), cannot be counted. There is rather a Other lacks, it does not exist, it has no
our back. Let’s make the unconscious (n – 1), a subtraction from the battery of ontological consistency on its own, it
conscious? Let’s integrate the two back signifiers which leaves like a hole in the rather marks the persistence of a di≠er
into one? Is the aim of psychoanalysis system, a lack, a missing signifier, but ence which eludes the series of signify-
to do away with its object and thus to which is always presentified by an ing di≠erences and cannot be captured
make the analyst superfluous, to strive excess, a surplus, but a surplus which is by them. Consequently, it would follow
for his / her unemployment? To do not of the order of (+ 1), not a numerical that the Other, as “the Other sex,” does
away with the Other and reconcile it addition, a surplus which makes for the not exist either, and this is indeed the
Mladen with One? To lift one’s alienation in a two which cannot be seen as another consequence drawn by Lacan’s notori-
Dollar
self-reflexive appropriation of the self- one. To put it another way: it is the sig- ous dictum, which caused so much hav-
87 produced and self-inflicted Other? But nifier that enables counting, that makes oc, that “the Woman doesn’t exist”. If
One
all this comes to nothing, for the basic possible that something can be counted the Other is the Other sex, this conclu-
Splits
into
tenet of psychoanalysis is rather that no for one. 7 It is the mark of the unitary sion inevitably follows – but the trouble
Two
such lifting is possible, and that the trait Freud has called “ein einziger is that the non-existence does not make
very notion of subjectivity pertains pre- Zug.” 8 The signifying slip, however, is it vanish.
cisely to the impossibility of such self- not countable, it is not in the register of
appropriation. The subject is premised the unitary trait, it points to the Other There is an enigma which sticks to the
on “two.” One becomes the subject pre- of counting and thus makes for the two. very discovery of psychoanalysis. In his
cisely in relation to an alien kernel inaugurational three books Freud pre-
within the symbolic order that cannot Yet the figure of the Other as the Other sented the unconscious as the new
be symbolically sublated. This makes of language, structure, code, the sym- object of the new science, something
the subject of the unconscious of a bolic order, is but one face of the Other. that can be summed up by the Lacanian
di≠erent nature than the ego. There is In Lacan we can read the following, dictum “the unconscious structured
the Other which constitutes the inher- which seems to confront us with a very like a language,” that is, like a derail-
ent split of the two, the two not to be di≠erent agenda: “The Other, in my ment of language, its constant slippage.
merged back into one. Although the oth- parlance, cannot be anything else but Then in 1905 he published the Three
erness of the Other has no ontological the Other sex.” / “L’Autre, dans mon Essays on the Theory of Sexuality, a
langage, cela ne peut donc être que surprising work in respect of the first
l’Autre sexe.” 9 “The Other, if it may be three books. For the focus of this new
7 - Lacan takes up “la coche” as
the elementary function of the
one, must certainly have a relation to book is not the language and its vicis-
signifier, the mark, the cut, what appears as the other sex.” 10 “The situdes – there is rather an astounding
made by the primitive hunter Woman must be related to the signifier absence of any linguistic considerations
to count the killed animals.
He deals with this at length in of this Other insofar as, as the Other, it –, but the body and its vicissitudes, its
the unpublished seminar on can only remain always the Other.” 11 It deviations from natural needs and from
Identification (1961–1962). appears now that the other face of the natural maturation. It is not the body of
8 - See Sigmund Freud, “Massen Other may well be the face of the wom- firm substance and natural causality,
psychologie und Ich-Analyse,”
in: id., Studienausgabe, 10 vol., an, and that the Other is inherently and the physiological body, Freud analyzes
Alexander Mitscherlich u. a. at the same time the Other of sex, of sex but a body haunted by a cut, and it is
(Hgg.), Frankfurt a. M.
1969–1974, vol. 9, p. 100.
as the Other, sex under the auspices of this cut into the physiological causality
9 - Jacques Lacan, Encore, Paris
the irreducible two. But not the two of that conditions and produces the drives.
1975, p. 40. count. It is both an epistemological cut, sort-
10 - Ibid., p. 65. ing out the inside / outside divide and
11 - Ibid., p. 75. the transition between the two, and at
the same time a cut into enjoyment. Etymologically, sex is the cut, in many present the very model of the first
The epistemological cut appears as languages. But is it the cut in half (as in di≠erence, the oppositive and binary
something that can only be sustained Plato’s legendary theory, put into the di≠erence, the Saussurean di≠erence.
by the cut into enjoyment. Sexuality, mouth of Aristophanes, of all people, It would seem that in this relation to
such as Freud describes it, is placed and thus into the realm of comedy)? Is the sexed body it obtains its hidden ref-
within a cut into the body, causing the it the cut into two? How many sexes are erence point, standing at the core of
bodily needs to deviate from their natu- there? The question has already been production of signification (hence the
ral goal and espouse another aim. Their raised by the title of Beauvoir’s book. If title of one of Lacan’s notorious Écrits
natural path being cut, they get entan- sex is section, rather a vivisection, does it The Signification of the Phallus). 12 But
gled into a web of additional, surplus cut into two only? There is a wide-spread here is one of the basic tenets of psy-
enjoyments, coming on top and color- criticism going around that aims at the choanalysis: the sexual di≠erence can-
ing all the rest, the side-show taking the binary oppositions as the locus of not be accounted for in terms of phallic
center stage. To put it in our terms of enforced sexuality, its regimentation, its di≠erence. It eludes the phallic logic. It
counting, bodies can be counted, but imposed mold, its compulsory stricture. stands in di≠erence to this logic as such,
the cut makes for the uncountable enti- By the imposition of the binary code of as another di≠erence irreducible to pres-
ties, for what Freud most appropriately two sexes we are subjected to the basic ence or absence of di≠erential traits,
called “partial objects,” that is, the social constraint. But the problem is irreducible to phallus as signifier. This
objects “less than one,” not to be count- perhaps rather the opposite: the sexual is why the sexual di≠erence cannot be
ed as one. But this is precisely what di≠erence poses the problem of the two written – it is what does not cease not to
makes for the two, the two heterogene- precisely because it cannot be reduced be written. 13
ous to the numerical ones. to the binary opposition nor accounted
for in terms of the binary numerical
It seems that the discovery of psycho two. It is not a signifying di≠erence, such
analysis has taken two di≠erent entries, that defines the elements of structure. It
divided between two spheres that have is not to be described in terms of oppos-
no common ground nor common mea ing features nor as a relation of given
sure, but if we take the two entries to- entities pre-existing the di≠erence. It
gether, then one could propose that it is presents the figure of the two precisely
the very interface between those two by being irreducible to the one of count
heterogeneous realms that produces replicating itself. The two that we are
the object of psychoanalysis. We have after is not the binary two of equal or
two areas, one defined by the signifier, di≠erent ones, but the two of the one and
the unconscious, desire; and the other the Other. One could say: bodies can be 88
one defined by body, drive, sexuality, counted, sexes cannot. Sex presents a
enjoyment, partial objects. With Freud limit to the count of bodies, it cuts them
they appear in separate books and it from inside rather than grouping them
cost him a lot of trouble to try to recon- together under common headings. The
cile them. From here one could propose sexual di≠erence establishes the two pre-
Lacan’s major thesis on “what, if any- cisely because it cannot be numerically
thing, is the Other?” To make it quick, counted for two nor squeezed into a
both realms, language and body, taken binary opposition.
by the bias of the unconscious and of
sexuality, can be brought together under One can briefly hint at the question of
the same heading of the Other. The the phallus in this context. In the tradi-
Other of the unconscious (structured as tional view and as the pragmatic rule of
language) and the Other of body and thumb it has served as the simple dis- 12 - See Jacques Lacan, “The
Signification of the Phallus,”
sex both intersect in the Other as two criminatory factor supposed to distin- in: id., Écrits, Bruce Fink
faces of the same interface. One face of guish two sexes. One either has it or not, (transl.), New York 2006,
the Other points in the direction of the which should su∞ce. This is where a sim- pp. 575–584.
symbolic order and the signifier, the ple anatomic contingency meets the 13 - See Lacan, Encore (note 9),
p. 87. As opposed to this, phallus
other face is the face of the Other sex, basic trait of the signifying logic, the dif- is something that ceased not
that is, of sex as the Other, that which in ference between “marque” and “manque,” to be written with the advent of
psychoanalysis. “Phallus […]
every relation to sexuality presents the the mark and its absence. The presence – the analytic experience ceases
dimension of the heterogeneous and or absence of a privileged anatomic mar- its not being written. This to
pertains to the cut. ker follows the same logic which fuels cease being written implies the
point of what I have called
the di≠erential structure, it coincides contingency. […] Phallus, which
with its elementary matrix. The “phallic was in ancient times reserved
signifier” can thus serve as a model for for Mystery, has through
psychoanalysis ceased to be
the signifying di≠erence, based on pres- written precisely as a contin
ence or absence of di≠erential traits. The gency. Not any more,” ibid.,
pp. 86–87. What was veiled as
privilege of the phallus could thus be a Mystery turned out to be the
seen to follow from the overlapping of banal overlapping of the
two spheres, the signifier and the body, signifier and the bodily contin-
gency, see Zupančič, The Odd
which both coincide in this privileged One In. On Comedy, Cambridge
spot. The phallic di≠erence would thus (Mass.) / London 2008, pp. 205ff.
To be sure, language constantly attempts If there is a real of sexual di≠erence, a two, but no relation, not even, and espe-
to capture the sexual di≠erence by its real which makes for its two, irreducible cially not, the relation of count. There is
means, and perhaps this defines a very to the two of count or the expansion of the Other (of the unconscious, of sex),
basic linguistic gesture. The most gen- One, then it can be most simply and but it cannot be counted for one. It lacks,
eral classification of nouns, in most lan- economically epitomized by Lacan’s it does not exist, but nevertheless, and
guages, follows precisely the sexual pat- dictum: “There is no sexual relation” / “Il this is the whole problem, its non-exist-
tern in order to establish the roughest of n’y a pas de rapport sexuel.” There is a ence does not amount to a simple zero,
divides, that into masculine and femi- two, but there is no relation. The pro- a nothing.
nine gender. This opposition, suppos- gram for this series on the Figure of Two
edly taken from nature, is used as the invoked among other things the image What, if anything, is the Other? Of what
most elementary guideline to sort out of the two, the satisfaction or the spell the Other is the name? It is the Other of
the vocabulary. But the spectacular provided by a symmetrical image, a the symbolic, but naming the locus
metonymic proliferation in all direc- doubling structuring the image. Per- where the symbolic slips – the Other is
tions testifies to the impossibility of the haps the best known figure of such an the Other of the bug, not of the order –
task. When anything can be grammati- image is the image of yin-yang and its and this is the place where the uncon-
cally sexed, then nothing can be, and disposition in the Tao sign. It is an scious sneaks in and where the subject
the very instrument of such classifica- image which has massively served as of desire takes its slippery hold. And the
tion is ruined by its own success. In support for an entire cosmology, ontol- Other is the Other of sex, of the body, of
François Tru≠aut’s Jules et Jim there is ogy, social theory, astronomy. It gives enjoyment, the surplus enjoyment, the
a famous line where Oskar Werner, as a figure precisely to the two (and only drive, the partial objects, the heteroge-
German, tells Jeanne Moreau (not mere- two) poles of masculine and feminine, neous excess which is the bug of sexual-
ly a French woman, but a French wom- and the image is formed in such a way ity and can never be assigned to its
an par excellence): “What a strange lan- that they complement and complete place. Those are the two directions of
guage is French where ‘l’amour’ is mascu- each other, in perfect symmetry. There the initial discovery of psychoanalysis,
line and ‘la guerre’ feminine!” In Ger- is a circle, and the circle itself is divided and the notion of the Other takes them
man, with “die Liebe” and “der Krieg,” it by the half-circle lines. The masculine together under the same roof, it names
is the opposite, supposedly how it should and the feminine principle, their conflic- together, under one heading, in the
be if we are to follow “a natural pattern.” tual complementarity, are taken as the same framework, that which in lan-
In Germany love is the domain of wom- clue which informs every entity, indeed guage and in the body presents both
en and war is the domain of men, while the entire universe. What does this image lack and excess. And this lack / excess
Mladen in France, reputed for its hang for per- convey? There is a strong thesis pre- emerges precisely at the interface of
Dollar
version, it seems to be the other way sented in it which one could spell out bodies and languages, at the interface
89 round. “Make love not war!” would have like this: there is a relation. There is a of these countable entities, at their
One
a completely di≠erent meaning and sexual relation. Every relation is sexual. overlapping, their infringing of one
Splits
into
impact in Germany or in France. So tak- The relation exists emphatically, con- upon the other.
Two
ing the sexual di≠erence as the pattern spicuously, in a demonstrative manner,
of grammatical gender makes for the in the complementarity of the mascu-
general confusion. The infinite possi- line and the feminine, in their perfect
bilities of extension in any direction balance, the perfect match, and can
make the di≠erence flourish, while the serve as a paradigm for everything else.
guiding principle becomes completely Everything can be interpreted in the
blurred. Everything can be accounted light of this image. This thesis implies
for, and squeezed into the mold, in terms and manifests even more: there is sense.
of gender, except for the sexual differ- The image serves as the visual embodi-
ence itself which serves as the model. ment of sense that can provide every-
The di≠erence on which everything may thing else with sense. Sense consists in
be modeled persists as a real which can- the relation. The paradigm that regu- 14 - The same goes for the difference
not itself be seized as a di≠erence. 14 lates sense also regulates the sexual between activity as masculine
and passivity as feminine, the
relation. 15 It has the power to bestow common image describing the
sense, stemming from the two. So this sexes, which greatly preoccu-
pied Freud. In the New
sign states: one divides into two, and Introductory Lectures he speaks
the two merge into one. Exactly the about this spontaneous
opposite from the other notorious Chi- assumption and advises against
it: “Es erscheint mir unzweck-
nese dictum: one divides into two, but mäßig und es bringt keine neue
two does not merge into one. For Lacan Erkenntnis,” Sigmund Freud,
the Aristotelian ontology is like our “Neue Folge der Vorlesungen zur
Einführung in die Psychoana-
western version of yin-yang, it makes lyse,” in: Freud, Studienausgabe
analogous assumptions about ὕλη and (note 8), vol. 1, p. 547. This is an
imaginary difference, an image
μoρφή, matter and form, the feminine that we impute to sex, which
and the masculine. Ontology is always may be telling, but it is not an
secretly sexualized, it is premised on affair of knowledge.
the hidden assumption about the rela- 15 - Lacan comments briefly on
yin-yang in The Four Fundamental
tion. 16 So the thesis that there is no Concepts of Psycho-Analysis,
sexual relation implies a strong onto- Harmondsworth 1977, p. 151.
logical thesis: there is an irreducible 16 - See Lacan, Encore (note 9), p. 76.
On the first pages of his last big book The question of the two has a pre-So- So the minimal element of matter is not
Logiques des mondes Alain Badiou has cratic air to it, it aims straight at the the atom as the indivisible particle, but
proposed the term “democratic materi- first principles, it strives to pinpoint the a double entity composed of the parti-
alism” to name the prevailing and spon- minimal conditions of thought, start- cle and the void, of being and nothing;
taneous set of assumptions which form ing with one and two. So let me finish of “marque” and “manque.” The most
the contemporary doxa. According to with the pre-Socratics and the mini- palpably material seems to behave like
him, this democratic materialism can mal, and let me raise the final issue of a signifying structure. When matter is
be summarized with one “ontological” materialism (as opposed to its demo- submitted to count one hits upon the
statement: “There are only bodies and cratic variety). The first appearance of signifier and its dyad. One did not have
languages.” / “Il n’y que des corps et des materialism in the history of philosophy to wait for Saussure. However far we
langages.” 17 There is the firm being of is linked to the atomists, and most nota- divide, we always get to a split entity,
bodies, their proliferation, their striv- bly to the figure of Democritus. What is split into itself and its absence. Yet, the
ing for pleasures and enjoyment, the atomism, if not a radical attempt to sub- Hegelian view is not the whole story, for
increase, growth and expansion of life; mit bodies, and the whole matter, to in this way we would precisely get to the
and there is the multiplicity of languag- count. Matter can be counted, and the one of (numerical) count, thus perhaps
es, the democracy of their plurality and atoms are its indivisible elements, the catch and spell out the secret of counting
proliferation, multiculturalism, minor- hard particles that enable counting. Or at the dawn of philosophy, but we would
itarian practices, all of them entitled to so it would seem. The atom would thus not get to the figure of the (uncountable)
recognition. Democratic materialism is be the pure minimal element of matter two. But this figure is there in Democri-
the spontaneous idealism of our times that cannot be reduced any further, and tus, in the very way he conceives the
– nobody believes any longer in the sal- this is what enables them to be counted atom, and Lacan singled it out:
vation of the immortal soul, we firmly for one. Yet, this is not their su∞cient
believe in bodies and languages. Ba- definition, as Georg Wilhelm Friedrich “[…] tuché brings us back to the same
diou’s addition to this axiom is simple: Hegel was quick to point out. The par- point at which pre-Socratic philosophy
“There are only bodies and languages, ticles require the empty space, the void sought to motivate the world itself.
but apart from that there are truths.” / where they move and which surrounds It required a clinamen, an inclina-
“Il n’y a que des corps et des langages, them, and if we single them out as tion, at some point. When Democritus
sinon qu’il y a des vérités.” 18 There are units, we have to include the void as tried to designate it, presenting himself
truths which are of a di≠erent order than “the other half ” of their firm being. as already the adversary of a pure func-
tion of negativity in order to introduce
bodies and languages, they engage sub-
thought into it, he says, It is not the
jectivity and raise a claim to universal- “The atomistic principle, with these first μηδέν [non-being, M. D.] that is essen-
ity, but they do not exist on some sepa- thinkers, did not remain in exteriority, tial […] but a δέν, which, in Greek, is a
rate location somewhere else. For our but apart from its abstraction contained coined word. He did not say ἕν [one, M. 90
particular purpose we could say that a speculative determination, that the D.], let alone ὄν [being, M. D.]. What,
they emerge precisely with that excess void was recognized as the source of then, did he say? He said, answering the
at the interface of bodies and languag- movement. This implies a completely question I asked today, that of idealism,
es, something that psychoanalysis di≠erent relation between atoms and Nothing, perhaps? – not perhaps not-
the void than the mere one-beside-the- hing, but not nothing.” 20
brings together under the names of the
other [in German: ‘Nebeneinander,’ M.
unconscious and of sexuality. They D.] and mutual indi≠erence of the two.
emerge at the intersection which pre- […] The view that the cause of move- Lacan takes up the coinage of a new
vents the neutral coexistence of bodies ment lies in the void contains that deeper Greek word by Democritus, δέν, a strange
and languages, in a subtraction from thought that the cause of becoming per- entity which escapes the alternative
the regime of bodies and languages, tains to the negative.” 19 between being and nothing: it is not a
epitomized by the Other. Bodies and being but neither is it a nothing, it gives
signs can be counted, but the Other an existence to negativity, yet not by
makes for a two which is uncountable. being something that one could identi-
The axiom of democratic materialism fy or lay one’s hands on or count as one.
has a corollary: there are only bodies The word stems from the negation of
and languages, but there is no Other. ἕν, one, and this condenses our prob-
The promotion of their expansion and lem. ἕν can be negated in Greek in two
proliferation precludes the Other. And ways, either as ὀυδέν (objective nega-
this is where our adage that the Other tion) or as μηδέν (subjective negation),
lacks takes precisely the opposite direc- and they would both mean “nothing”
tion: it does not mean that, since it 17 - Alain Badiou, Logiques des (although with a di≠erent shading),
mondes, Paris 2006, p. 9.
lacks, we are only stuck with bodies and “not one” (or “not even one”). δέν, which
18 - Ibid., p. 12.
languages, happily or unhappily stuck, is an improper word formation, means
19 - Georg Wilhelm Friedrich Hegel,
it means that the very existence of bod- Wissenschaft der Logik, Eva like “less than one, but still not noth-
ies and languages has to be put into Moldenhauer / Karl Markus ing.” It is a tricky word that caused a lot
Michel (red.), Werke, vol. 6–7,
question. It is the two of the Other that Frankfurt a. M. 1979, vol. 6,
of headache to classical philologists –
undermines their multiplicity and pro- pp. 185–186. they have amply commented on this
liferation. The two which is neither one 20 - Lacan, The Four Fundamental famous fragment 156. Hermann Diels
nor multiple provides a precarious hold Concepts (note 15), pp. 63–64. translates this curious word by “das
on truth. 21 - Hermann Diels, Die Fragmente Ichts” (“Das Nichts existiert ebenso sehr
der Vorsokratiker, 3 vol., Walther
Kranz (ed.), Berlin 1934, vol. 2, als das Ichts” 21 – and most curiously,
p. 174, fragm. 156. the German neologism “das Ichts” was
introduced already by Meister Eckhart). Lacan speaks of clinamen, a deviation,
Barbara Cassin, a formidable French an inclination, which has already taken
scholar, proposes a French translation place with Democritus’ invention of
for δέν, which is “ien” – not “rien,” noth- δέν, a clinamen from the grand onto-
ing, but “ien,” precisely “not nothing,” as logical tradition which was then being
Lacan says; 22 or alternatively “iun,” not instituted, a deviation precisely from ἕν
one. The English translation by W. I. και πᾶν, clinamen from the One. Clina-
Matson proposes the “hing” as opposed men was the word used by Democritus’
to the thing: “Hing is no more real than follower Epicurus, in a further develop-
nothing” or “Hing exists no more than ment, the deviation of atoms which
nothing.” 23 So what is this entity, δέν? stands at the origin of the universe. Let
Not something, not nothing, not being, me just recall in passing that the young
not one, not positively existing, not Karl Marx in 1841 dedicated his doc-
absent, not countable – and thus pro- toral dissertation in philosophy to the
viding the minimal figure of the two. subject of The Di≠erence between the
Philosophy of Nature of Democritus
This is perhaps the closest that philoso- and Epicurus (Di≠erenz der demokri-
phy, at its dawn, would ever come to tischen und epikureischen Natur-
what Lacan, at the other end, would philosophie), where he insisted at
name “objet a,” the object a, and which length on the question of clinamen.
he saw as his crucial contribution to This has hardly ever been brought in
psychoanalysis, his key theoretical conceptual connection with his later
invention. I can only hint that Lacan philosophical path, but one could per-
speaks about this at the end of the ses- haps see in it something like a parable:
sion on repetition, where he raises the a clinamen, a glitch, which lies at the
question of τύχη and ἀυτόματον, and beginning of the post-Hegelian era, a
he brings together the Aristotelian τύχη slight inclination, a slip, a departure
with the δέν of Democritus, this not- from the horizon of the great philo-
nothing, as one of the clues of repeti- sophical tradition, from a grand narra-
tion. One can simply and rather sum- tive stretching from Parmenides to
Mladen marily say that δέν is also what is at Hegel, a δέν opening another era after
Dollar
stake in repetition, an entity which is the end of philosophy. There is the sort
91 being repeated without having a proper of history of materialism yet to be
One
consistency or identity, a cause of the written – from Democritus and Epicu-
Splits
into
derailment of causality, but which can- rus to Marx and Lacan 24, and to Samu-
Two
not be given a separate ontological stat- el Beckett.
ure, an entity inhabiting a crack, not a
positive being but not a nothing. I will leave the last word to Beckett.
When pressed about the philosophical
interpretation of his work he said in a
letter in 1967: “If I were in the unenvi-
able position of having to study my
work, my point of departure would be
the ‘Naught is more real …’ 25 So Beckett
22 - See Barbara Cassin, “Pour une
sécheresse logique,” in: Yannick himself proposed the Democritus frag-
Haenel / François Meyronnis ment 156 as the clue (one of the two
(ed.), Ligne de risqué, 1997–2005, clues) to his entire work. He used it
Paris 2005, p. 46. Now amply
and magisterially in Alain already in Murphy (1938), his early
Badiou / Barbara Cassin, Il n’y novel, and then again in Malone Dies
pas de rapport sexuel, Paris 2010,
pp. 60–94.
(1951), but more emphatically, δέν as
23 - W. I. Matson, “Democritus,
“not nothing” is precisely the “unnulla-
Fragment 156,” in: The Classical ble least” that Beckett singled out in
Quarterly, 13, 1963, pp. 26–29. one of his last works, Worstward Ho!
24 - “[Democritus] was no more (1981). It can be seen as the name of
materialist than anyone who has
some sense, for instance me or what is at stake in Beckett’s relentless
Marx,” Jacques Lacan, “L’Étour- endeavor of reduction and persever-
dit,” in: Autres écrits, Paris 2001, ance, and the “unnullable least” is per-
p. 494.
haps a very good name to think the fig-
25 - He proposes two points of depar-
ture: “‘Naught is more real …’ ure of the two which resists the One
and the ‘Ubi nihil vales …’, both and defies counting.
already in Murphy and neither
very rational,” Samuel Beckett,
Disjecta, New York 1984, p. 113.
The second one, ubi nihil vales
ibi nihi velis stems from the 17th
century Dutch occasionalist
Arnold Geulincx.
31 N°- 14/15
The Figure of Two
There is a very singular and undoubt- that induces a doubt into the (original) one as
edly very fascinating figure of the Two, ontological entity. Rosset is very right in pointing
Alenka Zupančič which has – among di≠erent figures of out this characteristic of the double. He reverses
The
the Two – a rather distinguished status, the standard diagnosis of Otto Rank who linked
due to the important role it has played the anxiety in the face of a double to our primor-
in art, especially in literature. This is the dial fear of death. We usually consider the reality
and Its
ing discussion of this figure I will not sents an immortal instance in relation to the sub-
speak so much about its history and its ject (which is Rank’s thesis). However, the real
articulations in literature, but will rath- source of our anxiety is not simply our future
However, if the figure of the double is the singular par moment of the “shortest shadow.” A chapter of
excellence, this does not mean that it is simply the figure of Twilight of Idols treats precisely our theme: “How
a One. Its singularity is, so to say, more radical than the sin- the ‘Real World’ at last became a Myth.” Nietzsche
gleness of a one. It does not count as one. Rather, it is an here replaces the di≠erence between the real
uncountable one. As I pointed out at the beginning, it is (world) and its appearance with the notion of the
something which, while introducing a split at the very onto- minimal di≠erence of the same. He writes:
logical level, makes an uncountable one out of a countable
one. When a double appears, we no longer have a one, nor do “We have abolished the real world: what world is
we simply have two. The double could of course be said to left? the apparent world perhaps?… But no! with the
duplicate, or repeat, a one (say an individual). Yet this repeti- real world we have also abolished the apparent
tion (when it “catastrophically succeeds”) is very much like world! (Mid-day; moment of the shortest shadow;
the Deleuzian centrifugal force that does away with the one- end of the longest error; zenith of mankind; incipit
ness (in the formal sense of counting-as-one or identity) of Zarathustra).” 14
what is repeated; not because we now have two, but because •
we have neither one nor two. In other words, something that
we can take from the “outside” reality as a one, is singular-
ized through repetition, which means, precisely, that it is the 12 - For a more detailed account
of this theme see Mladen Dolar,
same and unfamiliar at the same time – which accounts for “‘I Shall Be with You on Your
our surprise (at the same). Wedding-Night.’ Lacan and the
Another way of putting this would be to stress again Uncanny,” in: October, 58, 1991,
pp. 5–23.
that sameness and similarity / resemblance are two quite
13 - Friedrich Nietzsche, Beyond
di≠erent things. The figure of the double is not simply about Good and Evil. Prelude to a
resemblance / similarity, which is amply testified to in exam- Philosophy of the Future, Marion
Faber (ed. & transl.), Oxford /
ples of this figure in both comic and uncanny tradition and New York 1998, p. 180 (the
literature. The double is about two appearing at the same “Concluding Ode” of the book).
place-time, it is about splitting the real, and not about 14 - Friedrich Nietzsche, Twilight
replacing one real with another (more or less illusory). In an of Idols and Anti-Christ, Michael
Tanner (ed.), R. J. Hollingdale
analogous way, fulfilled prophecy, or love, reveal the split (transl.), Harmondsworth 1990,
(they reveal it as, and through, coincidence). They reveal the p. 51.
Midday is not the moment when the sun embraces 31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
everything, makes all shadows disappear, and
constitutes an undivided Unity of the world; it is Antke Engel
Zwei
the moment of the shortest shadow. And what is
the shortest shadow of a thing, if not this thing
itself? Yet, for Nietzsche, this does not mean that
the two become one, but, rather, that one becomes
two. Why? The thing (as one) no longer throws its
shadow upon another thing; instead, it throws its
shadow upon itself, thus becoming, at the same
time, the thing and its shadow, the real and its
Von der
appearance. When the sun is at its zenith, things
are not simply exposed (“naked,” as it were); they Handlanger_in
are, so to speak, dressed in their own shadows.
And at that moment it makes sense to won-
der, as lovers do, that “you are you.”
des Paares
zur queeren
Fluchthelfer_in
99 1 - Vgl. Annamarie Jagose, Queer Gerne wird betont, dass Queer sich einer umrissene, vorgeblich stabile Bestimmung
Theory. Eine Einführung, Corinna einheitlichen Definition widersetzt. Es wei- von Geschlecht erst ermöglicht, als Normie-
Genschel u. a. (Hgg. u. Übers.),
Berlin 2001. Sigrid Adorf und gere sich eine feste Form anzunehmen, wie rungsproblem und wird durch Verweise auf
Kerstin Brandes haben dies als Annamarie Jagose so tre≠end formuliert. 1 Ambiguitäten, Mehrdeutigkeiten, Verände-
Motto für das von ihnen heraus-
gegebene Themenheft zum The-
Dennoch lässt sich vermutlich unwiderspro- rungsprozesse sowie Strategien der Verun-
ma «Queer» der Zeitschrift FKW chen behaupten, dass queere Theorie und eindeutigung gekontert. 2
gewählt: Sigrid Adorf / Kerstin Bewegung durch die Kritik der These von
Brandes, «‹Indem es sich wei-
gert, eine feste Form anzuneh-
men› – Kunst, Sichtbarkeit,
der Binarität der Geschlechter gekennzeich-
net ist. Diese Kritik erfasst sowohl die nor- Zwei-fel
Queer Theory. Einleitung», in: mativ-hierarchische Zwei-Geschlechter-
FKW. Zeitschrift für Geschlechter-
forschung und visuelle Kultur, 45, Ordnung, die abendländische Kulturen und Vor diesem Hintergrund scheint es höchst
2008, S. 5–11. Gesellschaften strukturiert, als auch die ri- unwahrscheinlich, kontra-intuitiv oder gar
2 - Vgl. Antke Engel, Wider die Ein- gide Zweigeschlechtlichkeit, die das Ver- eine logische Unmöglichkeit, im Kontext der
deutigkeit. Sexualität und Ge-
schlecht im Fokus queerer Politik
ständnis von Subjektivität und Körper prägt. Queer Theory mit der Figur der Zwei zu
der Repräsentation, Frankfurt Vor dem Hintergrund einer naturalisierten arbeiten. Dennoch ist es verlockend, wenn
a. M. 2002. Unterscheidung zweier Geschlechter wer- im Konzept dieses Themenheftes behauptet
den Menschen in die strikte Alternative wird, dass die Zwei nicht als Paar, sondern
«entweder männlich oder weiblich» hinein- als «ununterscheidbares Drittes» zu verste-
gezwungen. Zudem wird ein heterosexuali- hen sei, angesiedelt zwischen Einheit und
siertes Ideal der gegenseitigen Ergänzung Vielheit, eine unzählbare Spaltung der Eins.
auch auf die binäre Konstruktion von, unter Lässt sich somit mit der Zweiheit der Ge-
anderem, Ö≠entlichkeit und Privatheit, von schlechter aus queertheoretischer Perspekti-
Körper und Geist oder Rationalität und ve doch etwas anfangen, was nicht auf eine
Emotionalität projiziert. Ohne die naturali- Bestätigung heterosexueller Paar- und Be-
sierte Binarität, so das heteronormativitäts- gehrensphantasien hinausläuft? Verschiebt
kritische Argument, sei es nicht möglich, die beispielsweise der Unterstrich, der bereits
sich fortwährend neu formierende Hierar- im Titel ein Zögern in die maskulin_femi-
chie der Geschlechter aufrechtzuerhalten nin-Dualität einführt, die Zwei von den bei-
und zu rechtfertigen. In diesem Sinne zeigen den Polen auf den Prozess des Aufbrechens
sich normative Heterosexualität und rigide oder des Aufschubs? Die Zwei als suspense /
Zweigeschlechtlichkeit als konstitutiv mit- Spannung?
einander verflochten. Zudem erweist sich
das Prinzip der Identität, das eine klar
Ich bezweifle jedoch, dass die Zwei ohne wei-
teren Aufwand, ohne Unterstrich, ohne unter-
Den 3 - Vgl. Antke Engel, Bilder von Sexu-
alität und Ökonomie. Queere kul-
Antagonismus
turelle Politiken im Neoliberalis-
stützendes Drittes ein vielversprechender mus, Bielefeld 2009.
Weg der Infragestellung identitärer Einhei-
ten und komplementärer Ergänzungen ist. zum 4 - Was bei Judith Butler schlicht
«The Other of the Other» heisst,
bringt im Deutschen diverse
Vielmehr unterliegt sie fortwährend der
Gefahr, vom Paar erfasst und durch die binä-
Fliehen Übersetzungsschwierigkeiten
hervor: Zum einen ist mehrdeu-
re Ableitungsbeziehung A-Nicht A hierar- bringen? tig, ob «die Andersheit» oder die
oder der «imaginäre Andere»
chisiert zu werden. Sie entkommt nicht auto- des oder der Anderen gemeint
matisch der additiv-identitären Logik, son- sind, und zum zweiten, inwiefern
es sich um den Grossen Anderen
dern muss dahingehend fortwährend im Das Problem mit dem Antagonismus ist, (im Sinne der symbolischen Ord-
Werden bleiben. Sonst wird sie als Spaltung dass er sich aus geschlechtertheoretischer nung), die oder den sozialen
oder Dopplung der Eins – der ehemaligen Perspektive schon immer als unterkomplex anderen oder Anderen handelt
– deshalb mein typographischer
oder potentiellen oder virtuellen Einheit – in erwiesen hat. So suchen marxistische Femi- Vorschlag, «oOther» zu schrei-
deren Abhängigkeit verbleiben. Wenn die nistinnen seit langem nach Politikformen, ben, vgl. Judith Butler, «Longing
for Recognition», in: dies.,
Zwei also Potential gewinnen soll, so entfal- die die Spaltung / en der Gruppe der Frauen Undoing Gender, New York 2004,
tet sich dieses gerade aus der Prekarität her- durch den Klassenwiderspruch ernst nimmt S. 131–151.
aus, der die Zwei als Handlanger_in hetero- und dennoch solidarische Praxen gegen klas-
normativer Macht (Identität, Komplementa- senübergreifende Ausbeutung weiblicher
rität des Paares, Begehren der Hierarchie) Reproduktions- und Sorgearbeit und patri-
unterliegt. Erst der fortwährende Einsatz archale Verfügung über Körper, sexuelle Pra-
eines Dritten kann die Zwei in die Unent- xen und A≠ekte umsetzen. Schwarze Femi-
scheidbarkeit von Einheit und Vielheit locken. nistinnen stellen Zusammenhänge zwischen
rassistischer und klassistischer Herrschaft
Meine These ist, dass die Figur der Dritten heraus, die jedoch keineswegs ausschliessen,
Seite des Spiegels genau diese Bewegung dass sich kapitalismuskritische Bezüge als
provozieren und Bilder liefern kann, die es rassistisch erweisen und Geschlecht sowohl
der Zwei ermöglichen, aus der binären Iden- durch rassistische als auch klassistische und
titäts- und Paarlogik herauszutreten. 3 Die (hetero-)sexistische Privilegiensysteme ge-
Dritte Seite des Spiegels ist eine Heterotopie, prägt ist. Nicht zuletzt zeigen manche hete-
eine queere Überschreitung der Lacanschen ronormativitätskritische Analysen, dass
Spiegelmetapher, die nicht nur den Anderen, Homosexualität nicht vor Rassismus, natio-
sondern die Andere_n d_ Anderen (the other nalistisch-okzidentalen Überlegenheitsphan- 100
of the oOther) ins Spiel bringt. 4 Die Dritte tasien oder Androzentrismus schützt. Anta-
Seite des Spiegels vereinnahmt die Zwei gonismen addieren sich also nicht auf, son-
nicht, dringt nicht in sie ein, sondern treibt dern widerstreiten einander, und klare Gren-
sie über sich hinaus und lässt sie fliehen. Aus zen verwischen sich. Wenn die Komplexität
dem Unterstrich werden rhizomatische Lini- und Widersprüchlichkeit von Macht- und
en. Hiesse das aber auch, dass die Dritte Sei- Herrschaftsrelationen erfasst werden sollen,
te des Spiegels als Ort der Verbildlichung kann das Politische nicht über einen Antago-
und potentiellen Artikulation, das heisst, als nismus gedacht werden, der sich als Opposi-
Erscha≠ung dessen, was neuerdings / künf- tion von Entitäten formiert, und seien diese
tig politisch sprechbar wird, zu verstehen? In noch so imaginär. Selbst dann, wenn ein
diesem Artikel soll die Dritte Seite des Spie- Zusammenspiel unterschiedlicher Antago-
gels als eine politische Figur, eine Figur der nismen behauptet wird, sind weder parado-
Politik und des Politischen entworfen wer- xe Konstellationen zwischen diesen noch
den, die weit über eine Reartikulation von deren Verwobenheit, also die Frage, wie sie
Subjektivität und Intersubjektivität (Selbst, einander artikulieren, bedacht. Wird der
Andere, Vielheit) hinausgeht. Ausgelotet Antagonismus trotz dieser widersprüchli-
werden soll, inwiefern die Dritte Seite des chen Komplexitäten aus politischer Perspek-
Spiegels mit der Zwei eine Kollaboration tive als interessant angesehen, dann genau
eingeht, und inwiefern dies eine Kollaboration deshalb, weil er homogenisierende Verein-
ist, welche das spannungsträchtigste und doch nahmungstendenzen oder harmonisierende
treueste Paar der politischen Philosophie, den Toleranzrhetoriken – das Feiern der Eins –
Antagonismus queer herausfordert. untergräbt und es erlaubt, Di≠erenzen als
Machtauseinandersetzungen zu artikulie-
ren. Um jedoch der Illusion klar umgrenzter,
homogener politischer Entitäten zu entge-
hen, ist es nötig zu fragen: Wie lässt sich Ant-
agonismus so denken, dass er nicht auf iden-
titären Gegensätzen oder eindimensionalen
Widersprüchen aufbaut? Und warum sollte
ausgerechnet die Figur der Zwei diesbezüg-
lich vielversprechend sein?
Eine artikulatorische Theorie des Antagonis- Idee der unzählbaren Geschlechterdi≠erenz_ 5 - Vgl. Ernesto Laclau / Chantal
Mouffe, Hegemonie und radikale
mus, wie sie beispielsweise von Ernesto en als unendliches Werden an. Demokratie. Zur Dekonstruktion
Laclau und Chantal Mou≠e sowie im queer- des Marxismus, Michael Hintz /
theoretischen Feld von Anna Marie Smith, Eben dieses Verständnis von Begehren ist es, Gerd Vorwallner (Übers.), Wien
1991; Anna Marie Smith, Laclau
Susanne Lummerding und Judith Butler das für Lummerding eine Nähe zwischen and Mouffe. The Radical Demo-
vertreten wird, sieht diesen nicht aus Positi- Hegemonietheorie und Queer Theory her- cratic Imaginary, London / New
York 1998.
vitäten formiert, sondern aus der unüber- stellt und ihr erlaubt, die Bedeutung der
6 - Zur Potentialität und zu den
brückbaren Kluft (unbridgable chasm), die Queer Theory für ein Denken des Politischen Möglichkeiten, die Spannung
die Unabschliessbarkeit jeglicher Identität hervorzuheben. Queer Theory lässt sich für zwischen den Antagonismen
und die Uneinheitlichkeit und Nicht-Har- Lummerding keineswegs auf Geschlechter- (im Plural), die sich laut Laclau /
Mouffe im Kontext sozio-dis
monisierbarkeit des Gesellschaftlichen aus- und Sexualitätspolitiken verengen, sondern kursiver Politik entfalten und
drückt und sichert. 5 Diese Kluft ist nicht als verfehle sogar ihr Potential, wenn sie Ge- dem Antagonismus (im Singu-
Abstand zwischen positiven Entitäten zu schlecht und Sexualität als sozio-diskursive lar), der als konstitutive Bedin-
gung des Politischen gilt, in eine
verstehen. Vielmehr entsteht sie aus einem Phänomene au≠asst. Vielmehr gehe es dar- queere Politik der Paradoxie
Scheitern der Einheit, einer Bewegung der um, queer als analytische Kategorie zu verste- zu übersetzen, vgl. Antke Engel,
«Desiring Tension: Towards a
Negation, die eben keine neue, weiter gefass- hen, die auf eine konstitutive Logik verweist, Queer Politics of Paradox», in:
te Totalität konstituiert, sondern die Unmög- die Logik des going beyond. Diese Logik der Tension / Spannung, Christoph
lichkeit der Schliessung unterstreicht. Dies Unmöglichkeit der Schliessung ist es, die eine Holzhey (Hg.), Wien 2010,
S. 225–248.
erinnert an das Bild der Zwei als unentscheid- immanente Beziehung zwischen dem Begeh-
7 - Bei Lummerding explizit als sym-
bar zwischen Einheit und Vielheit. ren und dem Politischen herstellt: bolische Positionen verstanden,
die zwei unterschiedliche Weisen
Wenn die Unmöglichkeit einer ungespalte- des Scheiterns am Wunsch ima-
«desire as a motion initiated and perpetuated ginärer Ganzheit signifizieren;
nen Ganzheit, die Unmöglichkeit einer Inte- by a logical impossibility. It is this impossibi- definitiv nicht als sozio-diskursi-
gration von Gesellschaft, Antagonismus lity – inherent to the logic of language – that ve Gender-Positionen, vgl.
Susanne Lummerding, agency@?
genannt wird, dann ist der Antagonismus die induces the need to produce meaning in the
Cyber-Diskurse, Subjektkonsti
Vorbedingung des Politischen. Politik, auch first place and to incessantly seek for its tuierung und Handlungsfähigkeit
antagonistische Politik, wird dadurch poli- (impossible) completion as a stable totality. im Feld des Politischen, Wien 2005.
tisch, dass fortwährend Praxen und Entschei- And it is precisely this impossibility of closure, 8 - Susanne Lummerding, «Signi
this going-beyond, which relates desire to fying theory_politics / queer»,
dungen notwendig sind, ohne dass diese sich in: Hegemony and Heteronorma
the dimension of the political». 8
auf sichere Sachverhalte, praktische Notwen- tivity. Revisiting ‘The Political’
digkeiten oder die «Wahrheit» eines antago- in Queer Politics, Marìa do Mar
Antke
Engel Castro Varela u. a. (Hgg.),
nistischen Gegensatzes berufen könnten. Das Ich folge Lummerding in der Au≠assung, Aldershot 2011 (in Vorbereitung).
101 Politische ist damit nicht nur Kontingenz, dass eine artikulatorische Theorie des Politi- 9 - Ebd.
Zwei
sondern auch Potentialität. Doch entfaltet schen, die den Antagonismus als Kluft, als
sich diese Potentialität, wie Laclau / Mou≠e Unmöglichkeit der Schliessung fasst, nicht
und Butler nahelegen, als eine Potentialität primär auf provisorische Schliessungen und
der provisorischen Schliessungen? Oder ver- deren immer erneute Anfechtung, sondern
weist sie auf die unvorherbestimmbaren Mög- auf die Nicht-Schliessbarkeit selbst ausge-
lichkeiten, die sich aus der Negation ergeben richtet ist – dass es, wenn eine_ so will, dar-
– eine artikulatorische Potentialität, die sich um geht, die Kluft selbst zu artikulieren.
auf die kontingenten Möglichkeiten bezieht, Bezüglich letzteren Anliegens ist Lummer-
die Kluft hervortreten zu lassen? 6 ding allerdings ausnehmend skeptisch. Sie
fürchtet, dass alle Versuche, queer als ein
Susanne Lummerding vertritt im Anschluss anti-identitäres Konzept zu bestimmen,
an Laclau / Mou≠e und Lacan die Au≠assung, erneut eine signifizierende Schliessung vor-
dass provisorische Schliessungen nötig sind, nehmen: “to denote what anti-identitarian
um überhaupt Bedeutung zu konstituieren, approaches intend to address, are – as articu-
dass Identitäten nicht ohne Ausschluss lations – by definition attempts to ‘get hold’ of
daherkommen, aber dass ohne Identitäten ‘some-thing’ by signifying (i. e. by producing
kein politisches Leben möglich ist. Dies ist ‘some-thing’ in the place of ‘no-thing’)”. 9
ein Plädoyer für die Geschlechterdi≠erenz
des Männlichen und des Weiblichen. 7 Den- Ich halte es dennoch für sinnvoll darauf zu
noch betont sie, und darin liegt eine ent- beharren, dass unterschiedliche Weisen und
scheidende Verschiebung, dass der Fokus der Formen des Artikulierens möglich sind. Des-
politischen Aufmerksamkeit auf dem going halb soll hier gefragt werden, welcher Art die
beyond, auf dem unvermeidlichen Exzess Artikulationen sind, die auf die logische
jeglicher Identitätskonstruktion liegen solle. Unmöglichkeit der Schliessung antworten.
Um diese Bewegung des Überschreitens Sind Artikulationen möglich, die die o≠ene
oder der Überdeterminierung zu verstehen, Zukünftigkeit ausdrücken statt sie zu unter-
führt Lummerding den Begri≠ des Begeh- graben? Wären Ambiguität, Uneindeutigkeit,
rens ein. Das Begehren richtet sich für Lum- Paradox, Wanken und Schwanken entspre-
merding explizit nicht auf ein Objekt, sondern chend Formate eines going beyond? Würde
ist eine Bewegung, die genau durch die oben dies bedeuten, die Kluft zum Anlass einer
erwähnte Unmöglichkeit eines Abschliessens Bewegung des Begehrens zu nehmen, die
von Bedeutung initiiert ist. Dies deutet eine Fluchtlinien hervorbringt, die den gegebenen
symbolischen Ordnungen entkommen, wie
Gilles Deleuze und Félix Guatarri vorschla-
Spiegelung 10 - Vgl. Gilles Deleuze / Félix Guattari,
Tausend Plateaus. Kapitalismus
und
und Schizophrenie II, Berlin 1992.
gen? 10 Oder unterliegen die Artikulationen, 11 - Werden Spiegelung und Gespie-
wie Laclau / Mou≠e suggerieren, immer der
Tendenz, die Hänge der Kluft zu sichern, Gespiegeltes geltes nicht getrennt in den Blick
genommen, sondern gemeinsam,
so erscheinen sie notwendig aus-
indem sie provisorische Identitäten konsti- schnitthaft und perspektivisch
tuieren? Vielleicht erö≠net der Spiegel den idealen verschoben.
Zugang zur Zwei? In Anbetracht von Spiege- 12 - In diesem Buch, das den Unterti-
tel Wie verteilt sich Handlungs-
Wäre es im Hinblick auf diese Frage des Arti- lung und Gespiegeltem – die als «sich Spie- macht? trägt, werden Analysen
kulierens interessant, die Zwei ins Spiel zu gelnde» niemals gleichzeitig in ihrer Gänze politischer Macht- und Ungleich-
bringen? Die Zwei, die, insofern sie die betrachtet werden können – wird klar, 11 dass heitsverhältnisse dadurch eröff-
net, dass die Trennung von Sub-
Unendlichkeit der Potentialität ausdrückt die Zwei nicht eins ist, sondern sich aus jekt und Objekt durch deren
bzw. eine Figur der Unentscheidbarkeit zwi- etwas formiert, von dem sich weder sagen gegenseitige Verflochtenheit in
schen Einheit und Vielheit darstellt, in der lässt, dass es das Gleiche noch dass es unver- einer Unmenge hervorgehoben
wird: Unmenge – Wie verteilt sich
Lage ist, die Kluft sprechbar zu machen? gleichbar ist. Im Vergleichen entsteht eine Handlungsmacht?, Ilka Becker
Entstünde, um auf Lummerding zurückzu- paradoxe Bewegung, die jedoch der Gefahr u. a. (Hgg.), München 2008. Dies
geht notwendig mit einer Entpri-
kommen, mit der Zwei eine Figur, die sich unterliegt, die Ambivalenz aufzuheben und vilegierung des Subjekts einher,
zwischen Etwas und Nichts schiebt; die, statt entweder ins Gleiche oder in die endlose Ver- ohne dass dessen Position, z. B.
sich von einer solchen Alternative einfangen vielfältigung der Di≠erenz zu kippen oder als Machthaber_in, noch definitiv
bestimmbar wäre. Entsprechend
zu lassen, einen aufschiebenden Unterstrich die Zwei zum idealen Paar, die Spiegelung wird die Verteilung (von Hand-
aktiviert: some-thing_no-thing? Doch braucht zur optimalen Ergänzung zu erklären. Auch lungsmacht) nicht als Aufteilung
es, so meine These, einen Unterstrich oder letzteres, selbst wenn es die Unentscheidbar- eines bereits bestehenden Gan-
zen, sondern als Spannungsver-
irgendeine andere artikulatorische Praxis, keit zwischen Gleichheit und Di≠erenz auf- hältnis einer geteilten Situation
um in dem Dilemma, in dem die Zwei steht, recht erhält, ist ein Problem, insofern es die verstanden, vgl. ebd., S. 8.
die Verschiebung von der antagonistischen Zwei gegen aussen hin verschliesst und doch 13 - Ebd., S. 9.
Spaltung der Eins oder dem sich ergänzen- heimlich eine Einheit kreiert. Die paradoxe 14 - Vgl. Deleuze / Guatarri, Tausend
Plateaus (wie Anm. 10); Dimitris
den Paar zur Unmöglichkeit der Schliessung Spannung der Bewegungen aufzuheben, Papadopoulos u. a. (Hgg.), Escape
vorzunehmen. vom Vergleichen zum Vergleich zu kommen, Routes. Control and Subversion
hat in jedem Falle den E≠ekt, die Anerken- in the 21st Century, London 2008;
J. Simon Hutta, «Paradoxical
nung der Ermöglichungsbedingung der publicness. Becoming-impercep-
Zwei, die Unentscheidbarkeit von Einheit tible with the Brazilian LGBT
und Vielheit, zu verhindern. movement», in: Rethinking the
Public. Innovations in Research,
Theory and Policy, Janet Newman 102
Insofern ist es reizvoll, die Zwei als Unmen- u. a. (Hgg.), Bristol 2010, S. 143–161.
ge zu betrachten. Im Vorwort des gleichna-
migen Buches wird die Unmenge nicht als
grosse Zahl, 12 sondern als Unzählbarkeit
charakterisiert; sie bezeichnet das, was onto-
logisch oder repräsentational keinen Anteil
hat. In Anlehnung an Jacques Rancière
heisst es: «Die Unmenge umfasst (auch) den
Teil ohne Anteil, part san part.» 13 Wird also
die Ambivalenz im Inneren der Zwei auf-
rechterhalten und diese Ambivalenz zugleich
als eine angesehen, die die Zwei in paradoxer
Bewegung über sich hinaus, nach aussen, in
eine unzählbare Vielheit treibt, dann gerät
die politische Dimension der Zwei in den
Blick. Diese liegt gerade nicht darin, dass sie
das Paar als Grundfigur der politischen
Organisation, als Keimzelle der Pluralisie-
rung oder als Verkörperung antagonisti-
schen Kampfes fasst, sondern darin, dass sie
Raum für die so genannten unbemerkbaren
Politiken (imperceptible politics) erö≠net. 14
Dies sind Politiken, die in den identitätslogi-
schen Repräsentationsrastern nicht, oder
zumindest nicht als Artikulation politischer
Subjekte wahrgenommen werden können;
Politiken, die sich auf Ebenen oder Weisen
mit der Welt verbinden, die jenseits der übli-
chen Wahrnehmungsschwelle liegen, die
Verbindungen stiften, indem Intensitäten
sich a∞zieren und Bewegungen ungewöhn-
liche Wege oder Formen finden.
Doch wo findet sich die Szene, in denen sich
diese Politiken entfalten? Wie entsteht eine
Die 15 - Vgl. Hutta, Paradoxical public-
ness (wie Anm. 14).
unbemerkbares Werden? 15 Oder: «Wie aber des 17 - Vgl. Jacques Lacan, «Die Bedeu-
tung des Phallus», Chantal
kann man mit dem rechnen, was noch keine
Adresse hat, sich noch nicht als Teil konstitu-
Spiegels Creusot u. a. (Übers.), in: ders.,
Schriften, 3 Bde., Norbert Haas
(Hg.), Weinheim / Berlin 1986–
iert hat, sondern dies erst in der polemischen 1991, Bd. 2, S. 120–132.
Szene des Politischen tun wird?» 16 Auf der Stellen wir uns vor, dass der Spiegel eine 18 - Vgl. Jacques Lacan, «Das Spie-
gelstadium als Bildner der Ich-
Suche nach der polemischen Szene, die absorbierende, eine reflektierende, aber funktion», Peter Stehlin
Raum für unbemerkbare Politiken scha≠t – auch di≠raktierende (ablenkende) Seite hat. (Übers.), in: ebd., Bd. 1, S. 61–70.
Raum, so würde ich fordern, sogar ohne dass Letztere entdeckt nicht, wer um den Spiegel
diese sich jemals «als Teil» konstituieren herumgeht oder ihn spaltet, sondern wer
müssen – erweist sich die duale Konstrukti- zwischen Spiegelung und Gespiegelten einen
on von Spiegelung und Gespiegeltem als Freiraum, eine Unterbrechung, einen Auf-
unbefriedigend. Auf dem Hintergrund der schub, ein Nichts entstehen lässt. Es geht um
Überlegungen, die die Zwei als Figur der eine Bewegung, die zögert, sich von der Spie-
Unmenge zu denken trachtet, möchte ich gelung einfangen zu lassen, und stattdessen
vorschlagen, eine Dritte Seite des Spiegels Interesse für die Bedingungen entwickelt,
mit ins Spiel zu bringen. die die Spiegelung möglich machen. Was
sind Bedingungen der Spiegelung und wie
(ver)führen diese uns zu einer Dritten Seite
des Spiegels? Da wäre zum einen die Spie-
gelachse, der Drehpunkt, um den herum sich
eine Doppelung entwickelt, die keine Doppe-
lung ist. Zum anderen das, was Lacan das
Begehren des Anderen nennt und womit er
darauf verweist, dass wir uns nur durch den
Anderen, im Begehren des Anderen und ver-
mittels der Bilder / Sprache des Anderen vor
Antke dem Spiegel stehen sehen. 17
Engel
Begehren der
Unzeitgemäße Utopien. Migran-
bility for an imagined elsewhere that we may tinnen zwischen Selbsterfindung
und gelehrter Hoffnung, Bielefeld
yet learn to see and build here». 19 Die Dritte
Seite des Spiegels als ein «vorgestelltes
Andersheit 2007.
In Conflict
ten politischen Identitätspositionen geführt
werden, sondern um die Frage der Gestal-
tung der Szene und die Frage, ob dort das
unentscheidbare Dritte zwischen Einheit
with
und Vielheit artikulierbar wird?
A Portfolio
Diese stellen entweder unerwartete Verbin-
dungen zwischen den antagonistischen Posi-
tionen her – seien diese durch Begehren oder
durch Vereinnahmung bedingt – oder sie
lenken die Bewegungsrichtung der antago-
nistischen Kräfte ab («di≠raction rather than
reflection», wie Donna Haraway empfiehlt).
Um einen politischen Kampfplatz herum,
der ursprünglich durch eine Polarisierung
zweier Kräfte gekennzeichnet ist, entsteht
somit ein Netz von Bewegungen, die diese
Kräfte umlenken, auf sich selbst zurückver-
Antke weisen oder gewollte oder verhasste Bünd-
Engel
nisse zwischen Macht und Widerstand eröff-
105 nen. Die Potentialität, die sich aus der Un- Following pages:
Zwei
möglichkeit der Schliessung ergibt, bedeutet Defamiliarizing Tactics, Twice
also für eine Politik der Zwei, die den Anta- (2009–2010)
Diptych, two framed pigment
gonismus als Kluft, als unentscheidbaren prints on 210 gr. Canon Fine Art
Aufschub zwischen Einheit und Vielheit Premium paper, subsequently
folded, mounts
fasst, dass Fluchtlinien entstehen, auf denen 37 x 29 cm (each paper size),
Begehren reisen kann, so dass Andere de_ 54 x 64 cm (each frame size)
Anderen einander begegnen. Plate (Kids) (2001)
Diptych, 2 aluminium plates,
2 c-print divided in two parts,
plexi glass
Each panel 90 x 128 cm
How can I / Make it right, March–
August 2005 (2005)
Time-based text work
(6 months), diptych, pencil on
paper, wooden frames
Each 37 x 49 cm (including frame)
WHETHER IT HAS EVER COME
SI CELA ARRIVA JAMAIS
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Ich möchte im Folgenden vor allem darlegen, war- Der vorliegende Text
um ich den ursprünglich geplanten Text über basiert auf einem
Vortrag, der im Rahmen
Ruth Sonderegger Rancières politische Theorie der Gleichheit nicht der Camille Graeser
Einheit,
geschrieben habe, zumindest nicht in der zuerst in Lectures 2010 am
Kunsthistorischen
Aussicht genommenen Form. Institut der Universität
In ihrem Exposé schreiben Markus Klam- Zürich gehalten wurde.
Zweiheit, (Un-) mer und Stefan Neuner ein paar Sätze, die sich
meinen anfänglichen Überlegungen hartnäckig in
1 - Markus Klammer /
Stefan Neuner,
Gleichheit
den Weg gestellt haben: «Die Figur der Zwei.
Exposé», in diesem
Heft, S. 19.
«Die Wurzel des griechischen Wortes für Zwei, δύο,
Blinde Flecken ist die gleiche wie die der Furcht (δείδω) und des
Schreckenerregenden (δεινός). Massimo Cacciari,
der auf diesen Umstand hingewiesen hat, lokalisiert
bei Rancière
(der Griechen) für immer in zwei Teile aufgespalten
hat, und die Figur der anderen als schreckenerregen-
de am Horizont aufgetaucht ist, als die persische
Expansion in die Ägäis hinauszugreifen begann.
Dem Denken der Einheit, welche die Philosophie
jetzt hinter diese Spaltung zurückzuprojizieren
beginnt, bleibt in dem Maße eine Tendenz der
Gewaltsamkeit eingeschrieben, als sie das Eigene
und das Andere, das Eine und das Viele als eine
dichotomische Entgegensetzung begreift. Für die
abendländische Tradition, die – wenn man hier folgt
– in einer gewalttätigen Konfrontation (der Grie-
chen mit den Persern) wurzelte, bleibt jedenfalls
charakteristisch, dem anderen eine absolute
Di≠erenz zu unterstellen, die entweder mit parano-
ider Faszination betrachtet wird oder das aggressive
Bestreben hervorruft, sie auszulöschen.» 1
112
Damit ist der Ursprung des abendländischen
Denkens unmissverständlich in einer gewalttäti-
gen Konfrontation lokalisiert. Diese Konfrontati-
on war mir – sicher nicht zuletzt als Philosophin –
o≠enbar unangenehm. Ich habe es daran gemerkt,
dass ich in der Beschäftigung mit der Figur der
Zwei nach immer neuen Ansätzen in der Philoso-
phiegeschichte gesucht habe, die ein solches ge-
waltsam dichotomisches Denken (bzw. Handeln)
zumindest temporär unterbrechen, grundsätzlich
unterlaufen oder jedenfalls produktiv verkompli-
zieren. Denn wäre dem und der Anderen qua
Denken tatsächlich «eine absolute Di≠erenz zu
unterstellen, die entweder mit paranoider Faszi-
nation betrachtet wird oder das aggressive Bestre-
ben hervorruft, sie auszulöschen», dann wollte
man wohl kaum mehr ein denkendes Wesen sein.
Zum Glück gibt es in der abendländischen Philo-
sophiegeschichte viele Vorschläge, die Auswege
versprechen: etwa die Tradition des universalisti-
schen Denkens; ein Denken, das von Anfang an
mit Überschüssen umgehen musste, die alle Räu-
me, Zeiten und Grenzen zwischen uns und den
anderen transzendieren, noch lange bevor es die
Idee der Menschenrechte gab. Ein anderes Bei-
spiel wäre Georg Wilhelm Friedrich Hegels Vor-
schlag, die Relation zwischen mir und der Ande-
ren als ein Anerkennungsverhältnis zu denken, in
dem Platz für Einheit und Di≠erenz ist. Eine wei-
tere Alternative stellt der von Johann Gottlieb
Fichte inspirierte Versuch einiger Frühromantiker
dar, Beziehungen als ein unendliches Schweben
zwischen zwei Polen zu entwerfen oder sie nach sondern Hierarchien. Auf der Suche nach Einheit 2 - Vgl. Theodor
dem Modell der Ellipse zu denken, die bekannt- produzieren wir eine hierarchische Zweiheit. Oder W. Adorno / Max
Horkheimer,
lich zwei Brennpunkte hat. Da wäre auch noch das genauer gesagt: Diese Zweiheit reproduziert sich Dialektik der Auf-
dialogische oder gar polylogische Denken von Pla- durch die Logik binärer Zeichensysteme selbst, klärung. Philoso
phische Fragmente,
ton über Martin Buber und Hans-Georg Gadamer und zwar so, dass jeweils ein Teil von zweien als Frankfurt a. M.
bis zu Michail M. Bachtin oder Jürgen Habermas. der schlechtere erscheint und dann mit gutem 1986.
Vermutlich ist Ihnen diese Beispielreihe Gewissen untergeordnet oder ausgeschlossen 3 - Vgl. Theodor W.
nicht ganz geheuer – zumal wenn Sie mit post- werden kann. Wie bei Adorno kann dieser Gewalt- Adorno, Negative
strukturalistischen und dekonstruktiven Einwän- samkeit auch Derrida zufolge immer nur ex post Dialektik, Frankfurt
a. M. 1966.
den gegenüber nur scheinbar gewaltlosen Zweier- begegnet werden – nachdem sie schon passiert ist
Beziehungen vertraut sind. Diese jüngeren Ein- und gehandelt wurde. 4 - Vgl. insbesondere
Jacques Derrida,
wände sind genauso ernst zu nehmen wie etwa Wenn es einen Unterschied zwischen Der- Grammatologie,
Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dia- rida und Adorno gibt, dann ist es in meinen Augen Frankfurt a. M.
lektik der Aufklärung, der es schon 1944 um den der, dass bei Derrida per definitionem kein Weg 1983.
Nachweis ging, dass es eine Identitätsfindung – aus der abendländisch gewaltsamen Kette von
oder eher Identitätsbehauptung – ohne die Ge- Supplementen für eine so unau∞ndbare wie ein-
waltsamkeit der Zwei nicht gibt. 2 Jede Identitäts- zigartige Identität hinaus führt. 4 Es gibt kein
konstruktion – sei sie nun bezogen auf ein Ich, ein Aussen zu dieser Supplementlogik, die Derrida
Du oder einen Gegenstand – müsse so viel von je- auch als die Logik der Zeichen, des Textes und der
dem singulären Phänomen abschneiden, dass abendländischen Metaphysik bezeichnet. Adorno
zusammen mit der Identität das aus ihr Ausge- hingegen will die Ho≠nung auf eine Alternative
schiedene – der Abfall sozusagen – als das Andere nicht aufgeben. Andernfalls habe man sich damit
des Identischen mitproduziert werde. Dieses Zwei- abgefunden oder gar zu einer ontologischen
te, das Abfallprodukt der Identität, wird dann so Struktur verklärt, dass Identifizieren im Denken
sehr gehasst wie begehrt. Es ist verboten und ver- und Handeln mit einer Gewalt einhergeht, die
heisst doch alles, was man im identitären Leben man nur nachträglich reflektieren kann.
nicht bekommt. So meinte Adorno auch, es mache einen
Dass Adorno und Horkheimer diese Theo- riesigen Unterschied, ob die Gewalt des Identifi-
rie des identifizierenden Denkens im Exil und im zierens reflexiv erinnert oder einfach sich selbst
Angesicht des Holocaust entwickelt haben, ist überlassen wird. Zumindest zukünftigen Genera-
Ruth nicht unwichtig mitzudenken. Denn es erhellt tionen wird mit dieser Reflexion nämlich der Tür-
Sonderegger
schlagartig, wie weit entfernt ihre Überlegungen spalt zwischen dem status quo und einem Zustand,
113 von abstrakten Spekulationen sind. Aus dieser der so anders wäre, dass das Nichtidentische Platz
Einheit,
Zeitgebundenheit darf man aber nicht schliessen, bekäme, o≠engehalten. Damit bleibt auch jene
Zweiheit, (Un-)
Gleichheit
dass Adorno und Horkheimer ihre negative Iden- Di≠erenz zwischen Sein und Anderssein erhalten,
titätstheorie für die Zeit eines Unfalls oder Ex- die Kritik ermöglicht. So gibt es bei Adorno durch-
tremfalls entwickelt hätten. Sie betonen vielmehr, aus etwas in unsere Verantwortung Gelegtes, das
dass der Holocaust eine lange (Vor-)Geschichte nicht ontologisch notwendig passiert. In Bezug auf
habe und nichts wahrscheinlicher sei als seine Derrida scheint mir eine solche ethisch-politische
Fortsetzung. Einen wirklichen Ausweg aus diesem Sinnhaftigkeit der Auseinandersetzung mit jener
Zwangszusammenhang gibt es Adorno und Hork- Zwei, die immer schon da zu sein scheint, wenn
heimer zufolge vorerst nicht. man Eins will, viel schwieriger zu verteidigen.
Das einzige, was jener behutsamen, aber Denn bei Derrida ist die supplementäre Gewalt
beharrlichen Reflexion, die Adorno später als der Zwei von einer historischen zu einer ontologi-
«negative Dialektik» entwickelt, 3 bleibt, besteht schen Struktur geworden, zu der ein Aussen weder
darin, nachträglich selbstreflexiv das Unrecht zu gedacht noch erho≠t werden kann. Es gibt nur das
thematisieren, welches Denken fortlaufend verur- nachträgliche Trauern.
sacht. In grösster Perversion zeigt sich die immer Adornos negative Dialektik oder Derridas
zu spät kommende Reflexion auf die Gewalt von Theorie der Supplementaritätslogik sind selbstre-
Identitätsbehauptungen heute wohl in bestimm- dend nicht die einzigen Entwürfe, der abendlän-
ten Formaten der Kriegsberichterstattung. Ich dischen Gewalt im Aufteilen zwischen dem Eige-
meine jene Nachrichtensendungen, die zuerst die nen und dem Fremden eine Alternative entgegen
Handlungen und Folgen kriegerischer Vernich- zu halten. Im schon zitierten Text von Klammer
tung zeigen, die nächsten Sekunden aber schon und Neuner wird beispielsweise auch Leo Bersa-
den Gesprächen jener staats- oder staatenlos nis Theorie einer Identitätskonstruktion nach
gewordenen Oberhäupter widmen, die sich bereits dem Modell der homoerotischen Liebe genannt;
Gedanken über den Wiederaufbau machen und einer Liebe zwischen Gleichen, aus der sich mög-
über Versöhnungsprogramme nachdenken, wäh- licherweise auch allgemeinere nicht-repressive
rend im Hintergrund weiter gemordet wird. Vorstellungen von Gleichheit entwickeln lassen
Die Nähe von Adornos Überlegungen zu könnten.
denen Jacques Derridas ist evident. Wie Adorno Wenn es um Alternativen zur Gewalt der
weist auch Derrida darauf hin, dass Identitäts Zwei geht, wären auch all jene Philosophien zu
denken als Reaktion auf sein Scheitern immer nennen, die so über das Subjekt hinaus denken,
neue Oppositionen produziert; Oppositionen, die dass es verschwindet, zumindest in den uns geläu-
keine Paare aus gleichberechtigten Partnern sind, figen Formen: sei es in einem Schwarm, in der
Multitude, in Kräfteparallelogrammen der Macht, führt am Ende des Buches auch zum bekannten 5 - Massimo Cacciari,
in einem Körper ohne Organe, wobei letzterer gar Paradox: Das aus dem Wesen des europäischen Gewalt und Har
monie. Geo-Philo-
nicht weit von Adornos Utopie des Nichtidenti- Denkens abgeleitete Plädoyer für das Zulassen sophie Europas,
schen entfernt ist. All diese Entwürfe scheinen das von Andersheit und Vielstimmigkeit schliesst das Günter Memmert
(Übers.), Mün-
verlogene Identitätsversprechen der okzidentalen Andere durch die Superioritätsbehauptung auch chen / Wien 1995.
Philosophie so grundsätzlich zu unterlaufen, dass schon wieder aus. Das Fazit lautet: Lieber am
6 - Ebd., S. 172.
man meinen könnte, es gäbe zumindest denkbare eigenen Wesen zugrunde gehen als in Erwägung
Alternativen zur repressiven Figur der Zwei. ziehen, dass Einzigartiges, ja Wahrheit auch von 7 - Gayatri Chakra-
vorty Spivak, Can
Der Grund, warum ich mich auf keine der anderen kommen könnte. the Subaltern
genannten Alternativen unversehens stürzen Das Erstaunliche an Cacciaris Abhandlung Speak? Postkoloni-
alität und subalterne
möchte, ist nicht so sehr die Befürchtung, dass sie über das agonale Wesen Europas besteht darin, Artikulation, Wien
sich als ebenso gewalt-kontaminiert herausstellen dass sie das Kolonialisierende im europäischen 2008, S. 64; in der
könnten wie alles andere, was die abendländische Denken der Zwei permanent ausblendet und doch englischen Origi-
nalfassung: «Can
Philosophie bislang hervorgebracht hat. Je mehr fast mitartikuliert. Ich glaube, es war dieses Sagen the Subaltern
sich diese Tradition unter dem Fokus oder viel- im Nichtsagen, welches mich immer mehr davon Speak?», in: Cary
leicht besser: unter dem Vergrösserungsglas der überzeugt hat, dass man über die Figur der Zwei Nelson / Lawrence
Grossberg (Hgg.),
Zwei als ein Verblendungszusammenhang erweist, nicht sprechen kann, ohne zumindest anzufan- Marxism and the
desto naheliegender scheint es, eine ganz andere gen, ihre Verstrickung in den Imperialismus und Interpretation of
Culture, Chicago /
Richtung einzuschlagen; nämlich solchen Positi- Kolonialismus zum Thema zu machen. Bei der Urbana 1988, S. 291.
onen den Vortritt zu lassen, die sich in einem – Lektüre von Cacciari, aber auch in Bezug auf Jac-
8 - Von den in der west-
wenn auch halb eingeschlossenen – Aussen zur ques Rancières politische Theorie der Gleichheit, lichen Welt entwi-
europäischen und der darauf aufbauenden nord- auf die ich zurückkommen werde, habe ich mich ckelten postcolonial
amerikanischen Philosophie befinden. Ich meine an das erinnert gefühlt, was Gayatri Chakravorty studies unterschei-
den sich Theorien
die Positionen der ehemals oder noch immer Kolo- Spivak insbesondere Michel Foucault, letztlich der Dekolonialität
nisierten. aber auch anderen poststrukturalistischen Den- vor allem dadurch,
dass sie meistens
Auf die Problematik des Kolonialismus in kern zum Vorwurf macht: Indem diese Theoreti- in den ehemaligen
der Figur der Zwei hat mich absurderweise zu- ker Strukturen der Macht und Repression in Kolonien Europas
nächst einmal Massimo Cacciaris eingangs er- Bezug auf den immer gleichen westlichen Teil der entwickelt wurden
und in jedem Fall
wähntes Buch gebracht, das den aufschlussrei- Welt analysieren, suggerieren sie, es gäbe solche die dortigen politi-
chen Titel Gewalt und Harmonie. Geo-Philosophie Strukturen anderswo nicht, zumindest nicht in schen und intellek-
Europas trägt. 5 Cacciaris Europamanifest betont, einer der Analyse und Kritik würdigen Form. Das tuellen Erfahrungen
zum Ausgangs-
dass die Gewalt der Zwei im Krieg zwischen den ist Spivak zufolge keineswegs so selbstkritisch wie punkt machen,
Griechen und den Persern beginnt und dass in es auf den ersten Blick scheint. Es bedeutet viel- vgl. u. a. Ngũgĩ wa 114
diesem Krieg das Schicksal Europas entschieden Thiong’o, Decoloni-
mehr, dass die Verstrickung der eigenen mit der sing the Mind, Lon-
sowie sein Erbe bestimmt wird. Dieses Erbe ignorierten Welt ausgeblendet wird. So schreibt don u. a. 1986; Aní-
heisst: o≠ene Agonalität, Kampf und Vielstim- Spivak über Foucault: bal Quijano, «Colo-
niality and Moder-
migkeit. Es ist ein Erbe, welches es gegen alle nity / Rationality»,
«senile Toleranz» und das Harmoniedenken im «Manchmal hat es den Anschein, als ob gerade die in: Cultural Studies,
heutigen Europa wieder zu entdecken gilt – auf Brillanz von Foucaults Analyse der Jahrhunderte des 21, 2/3, 2007, S. 168–
178; Walter D. Mig-
die Gefahr hin, dass Europa den o≠en ausgetrage- europäischen Imperialismus eine Miniaturversion nolo, «The Geopoli-
nen Kampf nicht überlebt. Die letzten, nicht dieses heterogenen Phänomens [einer gezügelten tics of Knowledge
unkitschigen Sätze des Buches lauten: Version des Westens aufzusitzen / ‹to buy a self-con- and the Colonial
Difference»,
tained version of the West›, R. S.] produzieren wür-
in: The South Atlan-
«Europa will seine Erfüllung nicht, das heißt, es will de: Organisation von Raum – aber durch Ärzte; Ent- tic Quarterly, 101, 1,
sich selber nicht […]. Es fürchtet den Untergang, wicklung von Verwaltungsapparaten – aber in Irren- 2002, S. 57–94;
anstalten; Überlegungen zur Peripherie – aber in Walter D. Mignolo,
fasst ihn als bloßes unvermitteltes Schicksal auf, als «Grenzdenken und
Produkt äußerer Kräfte, anstatt sich als untergehend Bezug auf Geisteskranke, Gefängnisinsassen und
die dekoloniale
zu wollen. Dabei ist das die einzige, wahre Entschei- Kinder. Die Klinik, die Irrenanstalt, das Gefängnis, Option. Über das
dung, die das Zeitalter von ihm fordert. Der Unter- die Universität – sie alle scheinen Deckkategorien zu Projekt Moderni-
sein, die eine Beschäftigung mit den größeren Nar- tät / Kolonialität /
gang bedeutet nicht ein Sichlosreißen von sich sel- Dekolonialität», in:
ber, sondern ein Sichzuwenden zum eigenen Grund, rativen des Imperialismus verhindern. (Eine ähnli-
Bildpunkt. Zeit-
um dort dem Letzten zu gehorchen, […]. Ist dies che Diskussion könnte bezüglich des Furcht erregen- schrift der IG Bilden-
das Unmögliche Europas? Das, was man nie für den Motivs der ‹Deterritorialisierung› bei Deleu- den Kunst, Winter
ze und Guattari erö≠net werden.)» 7 2009/2010, S. 4–7,
möglich gehalten hat? Doch diese Unmöglichkeit Marina Gržinić,
ist seine einzige Zukunft.» 6 «De-Coloniality.
Spivak zufolge sind Foucaults Kategorien durch- De-linking Episte-
mology from Capi-
Cacciaris Europamanifest legt schon im Untertitel aus hilfreich, um bestimmte Krisen des Westens tal and Pluri-Versa-
o≠en, dass es von Geopolitik handelt: von der Aus- zu analysieren, aber sie verdecken den Zusam- tilty – a Conversati-
zeichnung und Abgrenzung des europäischen Den- menhang dieser Krisen mit dem Imperialismus on with Walter Mig-
nolo» (3 Teile), in:
kens. Dieses Denken habe eine agonale Logik her- und Kolonialismus desselben Westens. Sie sind Reartikulacija, 4, 5
vorgebracht, die so einzigartig und o≠enbar auch Deckkategorien. u. 6, http://www.
reartikulacija.
die einzig wahre ist, dass Europa bei der Verwirkli- In Fortsetzung dieser Überlegung von Spi- org/?p=196; http://
chung seines besonderen Wesens auch untergehen vak könnte man sagen, dass die okzidentalen phi- www.reartikulacija.
darf bzw. soll. Mit dieser Wesensbehauptung ist losophischen Debatten über Identität, Di≠erenz org/?p=157; http://
www.reartikulacija.
nicht nur allen anderen Denktraditionen abge- und Zweiheit nichts anderes als weitere Deckka- org/?p=114 (5. Sep-
sprochen, dass sie ähnlich radikal agonal sind. Sie tegorien produzieren; und zwar auch dort, wo sie tember 2010).
die Zwei zugunsten einer Einheit unterlaufen. sprechenden Wesen – doch immer vorausgesetzt, 9 - Vgl. z. B. Nelson
Oder wo die Zwei im Namen der Vervielfältigung auch im Ausschliessen. Wem befohlen wird, dem Maldonado-Torres,
«The Topology and
von Di≠erenzen, der Unzählbarkeit, einer Netz- wird zugleich zugesprochen, dass sie versteht; und the Geopolitics of
oder Rhizomstruktur etc. nach oben hin über- zwar genauso versteht wie diejenige, die anscha≠t. Knowledge. Moder-
nity, Empire, Colo-
schritten wird, ohne auf die koloniale Matrix der So wird selbst im Ausschluss die Gleichheit der niality», in: City, 8,
abendländischen Zwei einzugehen. Aus der Per Ausgesonderten mit den Eingeschlossenen reali- 1, 2004, S. 29–56
spektive der Auseinandersetzung mit dem westli- siert und gleichzeitig negiert. Rancière spricht sowie das Gespräch
zwischen Gržinić
chen Imperialismus und Kolonialismus rückt die hier in bewusst paradoxer Weise auch vom Anteil und Mignolo (wie
Figur der Zwei sogar in die Position einer Art Mas- der an einem Gemeinwesen Anteillosen. Selbst in Anm. 8).
ter- oder Meta-Deckkategorie auf. der Zweiheit ist ein Gemeinsames, das zwischen 10 - Vgl. Jacques Ran-
Darauf haben Theoretiker_innen der ver- sprechenden Wesen nie gänzlich ausgelöscht wer- cière, Das Unver-
schiedensten europäischen Ex-Kolonien in den den kann. nehmen. Politik und
Philosophie,
letzten Jahrzehnten mit der Forderung nach Rancières Hinweise auf die minimale Sym- Richard Steurer
Dekolonialität gerade auch der Theorie reagiert. 8 metrie in Situationen extremer Ungleichbehand- (Übers.), Frankfurt
a. M. 2002, S. 29;
Sie weisen mit diesem Begri≠ auf das Faktum hin, lung ähneln zweifelsohne Habermas’ Argumenten vgl. zum Gleich-
dass wir keineswegs in einem postkolonialen Zeit- für den apriorischen Vorrang des dialogischen, an heitsbegriff auch
alter angekommen sind; dass nach dem formellen Gründen orientierten Handelns vor dem strate- ders., «Les usages
de la démocratie»,
Entlassen vormaliger Kolonien in ihre sogenann- gisch machtbasierten Agieren. Rancière setzt die in: ders., Aux bords
te Freiheit die mentale Dekolonialisierung viel- quasi-transzendentale Gleichheit aber anders ein: du politique, Paris
mehr noch nicht einmal begonnen hat. In Sprache nämlich zur Aktivierung aufständischen Han- 1998, S. 74–111.
und Denken gehe der Kolonialismus unvermin- delns. Im Unterschied zu Habermas geht es Ran- 11 - Diese Aktivität
dert weiter – ganz abgesehen von der wirtschafts- cière nicht darum, die Ungleichbehandler zur steht im Zentrum
von Todd Mays, The
und finanzpolitischen Bevormundung. Und zwar Räson zu rufen oder moralisch zu rügen. Es geht Political Thought of
sowohl in Ansätzen, die ihre Nordamerika- oder ihm nicht um den Beweis, dass ein klein wenig Jacques Rancière.
Creating Equality,
Europa-zentrierten geopolitischen Karten auf den Gleichheit gerade jene anerkennen müssen, ja Edinburgh 2008.
Tisch legen, wie das etwa bei Cacciari der Fall ist, immer schon anerkannt haben, welche die Gleich-
12 - Vgl. Jacques Ran-
als auch bei jenen subjekt- und identitätskriti- heit mit Füssen treten und Händen würgen. Denn cière, «Die
schen poststrukturalistischen Positionen, die ich erstens ändern solche moralischen Argumente Gemeinschaft der
oben als mögliche Auswege aus der fatalen Aus- wenig am Verhalten der derart über sich selbst Gleichen», in:
Joseph Vogl (Hg.),
grenzungslogik der Zwei erwähnt habe. Wo Spi- Belehrten. Und zweitens negieren solche Argu- Gemeinschaften.
Ruth vak die Kritik an Foucault und Gilles Deleuze ins mente, die in erster Instanz jene adressieren, die Positionen zu einer
Sonderegger
Zentrum stellt, haben andere Vertreterinnen der ungleich behandeln, den aktiven Part 11 der Ausge- Philosophie des
Politischen, Frank-
115 Dekolonialität gezeigt, dass Emmanuel Levinas, schlossenen im Herstellen einer Gemeinschaft der furt a. M. 1994,
Einheit,
Alain Badiou, Antonio Negri / Michael Hardt, Sla- Gleichen. 12 S. 101–132.
Zweiheit, (Un-)
Gleichheit
voj Žižek und viele andere mehr von diesem Vor- Dazu, dass sich an faktischen Ungleichbe- 13 - Zur «Aufteilung des
wurf keineswegs ausgenommen werden können. 9 handlungen etwas ändert, bedarf es Rancière Sinnlichen» vgl.
auch Jacques Ran-
Die dekoloniale Kritik zieht auch Rancières zufolge des dissensuellen Handelns der Benach- cière, «Die Auftei-
Gleichheitsdenken in Mitleidenschaft, welches teiligten oder Ausgeschlossenen. Nur ihr Handeln lung des Sinnlichen.
ich ursprünglich ins Zentrum meiner Überlegun- nennt Rancière politisch und stellt es dem soge- Ästhetik und Poli-
tik», in: ders., Die
gen stellen wollte. In vielerlei Hinsicht erscheint nannten polizeilichen Agieren gegenüber, das sich Aufteilung des Sinn-
mir Rancières politische Theorie der Gleichheit auf den jeweils von der Mehrheit getragenen Kon- lichen. Die Politik
zwar noch immer als vielversprechender Versuch, sens samt seinen institutionellen Apparaten beru- der Kunst und ihre
Paradoxien, Maria
die Einsichten des Poststrukturalismus für ein fen kann. Des weiteren behauptet Rancière, dass Muhle (Hg.), dies. /
Denken der Gleichheit (statt der üblichen Di≠e politisches Handeln aus Situationen des «Unver- Susanne Leeb /
Jürgen Link
renz) fruchtbar zu machen, ohne diese Gleichheit nehmens» entsteht, womit keine Missverständ- (Übers.), Berlin
so substantiell festzuschreiben, dass sie notwendi- nisse, sondern die Grenze dessen gemeint ist, was 2006, S. 21–73.
gerweise problematische Zweiheiten und Aus- innerhalb einer bestehenden gesellschaftlichen 14 - Jacques Rancière,
schlüsse produziert. Interessanterweise ist es aber Formation – Rancière spricht hier von einer «Auf- Das Unvernehmen
auch im Fall Rancières so, dass die Konfrontation teilung des Sinnlichen» 13 – wahrnehmbar, thema- (wie Anm. 10), S. 9ff.
mit dem Imperialismus und Kolonialismus des tisierbar und damit (ver-)handelbar ist:
Westens die Probleme überdeutlich hervortreten
lässt. Vor diesem Hintergrund möchte ich nun «Das Unvernehmen ist nicht der Konflikt zwischen
versuchen, kurz die Attraktivität von Rancières dem, der weiß und jenem, der schwarz sagt. Es ist
Theorie der Gleichheit im Kontext der Figur der der Konflikt zwischen dem, der ‹weiß› sagt und
Zwei zu skizzieren. Anschliessend soll es um das jenem, der auch ‹weiß› sagt, aber der keineswegs
Unbefriedigende dieser Theorie gehen, welches dasselbe darunter versteht bzw. nicht versteht, dass
gerade dann sofort sichtbar wird, wenn man auch der andere dasselbe unter dem Namen der Weiße
nur die o≠ensichtlichsten Züge kolonialer Ver- sagt. […] Das Unvernehmen betri≠t weniger die
Argumentation als das Argumentierbare […] Die
hältnisse in Erinnerung ruft.
Extremsituation des Unvernehmens ist jene, bei der
Gleichheit kommt bei Rancière in der hy- X nicht den gemeinsamen Gegenstand sieht, den
briden Form einer Präsupposition, einer notwen- ihm Y präsentiert […].» 14
digen Voraussetzung ins Spiel. 10 Obwohl nur
selten ausdrücklich anerkannt, wird Gleichheit
Rancière zufolge im menschlichen Handeln – Das in unserem Kontext vielleicht beste Beispiel
d. h. seiner Meinung nach im Handeln zwischen für ein Unvernehmen wäre wohl die Tatsache, dass
viele Repräsentant_innen akademischer Philoso- an Unvernehmen und Abstraktheit verlieren, 15 - Vgl. ebd., S. 61.
phie nicht wahrnehmen können, warum univer- damit aber auch zählbar und verwaltbar werden. 16 - Vgl. ebd., S. 18ff.
sell auftretende Begri≠e wie di≠érance, Zweiheit, (2) Darüber hinaus verknüpft Rancière die Kon-
17 - Ernst Tugendhat
Multitude – aber auch rancièresches Unverneh- frontation zwischen dem dominanten Einen und nennt das die Pers-
men – aus der Perspektive der Dekolonialität ein dem unvernommenen, darum schlechthin Zwei- pektive der Aufklä-
rung, die nichts mit
Problem verdecken und damit intensivieren. ten mit zwei Formen der Unendlichkeit bzw. einer bestimmten
Situationen des Unvernehmens, also Situa Unzählbarkeit. Aus der dominanten Perspektive Epoche zu tun habe,
tionen, in denen die eine Seite nicht wahrnimmt, sind die Anderen die Unzählbaren, weil es für den sondern zu jeder
Zeit gegen die Ord-
dass die andere Seite spricht, gibt es zweifellos un- Bereich des Unvernehmens und die Anliegen der nung des Zusam-
überschaubar viele. Damit daraus politisches Han- Unvernommenen (noch) keine Kategorien gibt. 16 menlebens durch
deln wird, muss die Präsupposition der Gleichheit Eine bestimmte Unendlichkeit, ja prinzipielle Macht und / oder
Abstammung
ins Spiel kommen, und zwar gewissermassen von Universalität spielt aber auch aus der Perspektive gerichtet gewesen
unten. Rancière hebt immer wieder hervor, dass der Unvernommenen eine Rolle: dass sie nämlich sei, vgl. Ernst
politisches Handeln allein von jenen ausgehen ein Anliegen vertreten, zu dem sich unabsehbar Tugendhat, «Der
Ursprung der
kann, die ungleich behandelt oder ausgeschlossen viele (wenngleich faktisch oft wenige) dazuzählen Gleichheit in Recht
werden. Gleichheit ist nichts, was man – sei es als können. Grundsätzlich steht ihr Anliegen all jenen und Moral», in:
ders., Anthropolo-
Gnade oder Gabe – geben bzw. gewähren könnte. o≠en, denen es auf die Gleichheit aller ankommt. 17 gie statt Metaphysik,
Man muss sie nehmen. Denn die, die geben könn- Ich werde darauf zurückkommen, inwiefern die- München 2007,
ten, sehen gar nicht, was sie für sich reservieren ser uneingeschränkte Universalismus entgegen S. 136–155. Ich kann
hier nicht auf das
und anderen verweigern. Die sehr unterschiedli- Rancières apriorischen Beschwörungen immer Problem eingehen,
chen emphatisch politischen Ereignisse, die Ran- wieder neu und auch strategisch in Spiel gebracht dass Rancière poli-
cière diskutiert – etwa die Sezession der Plebejer werden muss. tische Agenten, die
nur für sich selbst
auf dem römischen Aventin oder das Insistieren So verknüpft Rancière nicht nur ein di≠e Gleichbehandlung
Saint-Simonistischer Handwerker im Paris der renztheoretisches mit einem universalistisch fordern, die Gleich-
heit aller aber
1830er und 1840er Jahre auf ihrer Anerkennung gleichheitlichen Denken. Seine Theorie des poli- ablehnen (womit
als Literaten und Philosophen – sind immer sol- tisch agonalen Handelns zwischen einem Konsens sich heute insbe-
che, in denen es Anteillosen gelingt, ihre Teilhabe und seiner dissensuellen Herausforderung bindet sondere rechtsra-
dikale Gruppierun-
an der Gemeinschaft der Gleichen so zu beanspru- den agonalen Streit um Gleichheit auch an ein gen hervortun),
chen, dass die Gegenseite den Ausschluss wahrzu- Unzählbares und Unsagbares, welches das Motiv aus dem Bereich
nehmen beginnt und dann auch seine Willkür- des Streits darstellt. So kann man in Bezug auf des Politischen
ausschließt und
lichkeit zugibt oder gar korrigiert. Rancière von einer Verschränkung zwischen Ein- eigentlich über-
Das setzt voraus, dass es den aus einer be- heit als Gleichheit, Zweiheit und Unzählbarkeit haupt keinen Ort
für sie hat; so als
stimmten Einteilung des Sinnlichen Ausgeschlos- sprechen. Die immer wieder notwendige Über- gäbe es derartige
116
senen gelingt, ihren Forderungen eine «Bühne» schreitung der Zwei nach unten, zur einen Gleich- Phänomene gar
zu scha≠en; 15 eine Bühne, auf der sie sich mit den- heit, und nach oben, zur Unzählbarkeit, ist dabei nicht.
jenigen tre≠en und auseinandersetzen können, als ein unabschliessbarer Prozess zu denken. 18 - Vgl. dazu z. B.
die gar nicht gemerkt haben, was und wie sie aus- Ich kann hier nicht auf die Kritik eingehen, Friedrich Balke,
«Einleitung. Die
schliessen und ungleich behandeln. Mit der Meta- die beispielsweise an Rancières Stilisierung einer große Hymne an
pher der Bühne hebt Rancière die im weitesten strikten Opposition zwischen den Vertreter_ die kleinen Dinge.
Sinn ästhetischen Momente der Verhandlung zwi- innen einer bestimmten polizeilichen Ordnung, Jacques Rancière
und die Aporien
schen den Repräsentant_innen einer konsensuel- d. h. der Aufteilung des Sinnlichen einerseits und des ästhetischen
len Einteilung des Sinnlichen und jenen, die Dis- den von ihr Ausgeschlossenen andererseits geübt Regimes», in:
Ästhetische Regime
sens anmelden, hervor. Er betont damit, dass die worden ist. 18 Ich will mich auf jene Probleme kon- um 1800, ders. u. a.
Einteilungen, die dem Ein- bzw. Ausschluss zu- zentrieren, die ins Auge stechen, wenn man Ran- (Hgg.), München
grunde liegen, meist nicht ausgesprochen werden, cières Theorie des Unvernehmens unter der Pers- 2009, S. 9–36.
sondern sich in habituellen Handlungs- und pektive der kolonialen Frage betrachtet. Dann 19 - Vgl. Ruth Sonder
Wahrnehmungsmustern verbergen. Demonstrie- fällt einmal mehr eine Deckkategorie auf. Genau- egger, «What one
does (not) hear.
ren, markieren und entnaturalisieren kann man er gesagt: Das Konzept des Unvernehmens, mit Approaching can-
sie nur dadurch, dass man sie sinnlich erfahrbar dem Rancière bis zur Unsichtbarkeit gehende ned voices through
macht. Über diese Muster zu argumentieren hilft Ausgrenzungen thematisiert, ohne dass an irgend- Rancière», in:
What we see.
hingegen gewöhnlich nicht weiter und ist oft auch einer Stelle die imperiale und koloniale Seite der- Reconsidering an
gar nicht möglich, weil die entsprechenden Be- jenigen Kultur zur Sprache käme, der er seine Bei- Anthropometric
Collection and its
gri≠e fehlen. spiele entnimmt, wird als Deckkategorie sichtbar. Representational
Im Blick auf die eingangs skizzierte Pro Das heisst nicht, dass man nicht gerade auch die Claims by Means
blematik der Zwei ist Rancières Theorie des poli- Kategorie des Unvernehmens benutzen kann, um of Listening to its
Recorded Voices,
tischen Handelns im Namen der Gleichheit in koloniale Praktiken und Widerstand dagegen zu Anette Hoffmann
mehreren Hinsichten interessant: (1) Zunächst artikulieren. 19 Nichtsdestotrotz bestätigt sich an (Hg.), Basel 2009,
einmal deshalb, weil es ihm um eine Gleichheit Rancière Spivaks Hypothese, dass noch die di≠e S. 65–91.
geht, die nur aus der Position der Ausgeschlosse- renztheoretischsten und machtbewusstesten The-
nen, Anderen, Zweiten reklamiert und erstritten orien imperialistische Muster wiederholen und
werden kann. Das ist ihre handlungstheoretische bestärken, nicht zuletzt weil sie diese Muster un-
Bürde, aber auch ihr erkenntnistheoretischer Vor- kenntlich machen, indem sie nur von der westli-
sprung. Je erfolgreicher der Streit der Unvernom- chen Welt handeln. Sie sprechen von universellen
menen für die Gleichbehandlung verläuft, desto Strukturen (etwa der Ausgrenzung), thematisie-
mehr werden sie auch für die dominante Position ren bestimmte, zumal die mit dem Imperialismus
des Westens verbundenen Ausgrenzungen jedoch Unverhältnisse zu behaupten, prinzipiell hätten 20 - Auch direkt darauf
fast nie. 20 auch die Sklavenhändler die Sklaven (ein klein angesprochen will
Rancière sich auf
Hinzu kommt, dass Rancière davon aus- wenig) als gleiche anerkannt, sofern sie ihnen die post- oder
geht, dass die wie auch immer brutal Ausgegrenz- Befehle gaben und davon ausgingen, verstanden de-koloniale Her-
ausforderung nicht
ten für sich selbst sprechen können – genauso wie zu werden, ist zynisch. Einmal ganz abgesehen einlassen, vgl.
auch Deleuze und Foucault in jenem Gespräch, davon, dass gar nicht immer Befehle gegeben, Sudeep Dasgupta,
das Spivak in ihrem Aufsatz Can the Subaltern sondern Menschen einfach kaltschnäuzig ermor- «Art is going else-
where. And politics
Speak? zum Ausgangspunkt nimmt, behaupten, det oder dem sicheren Tod durch Krankheiten, has to catch it.
dass es «nichtswürdig» sei, sich herauszunehmen, Verhungern oder Verdursten ausgesetzt wurden. An Interview with
für andere zu sprechen. 21 Dem hält Spivak erstens Aber all das kommt in Rancières Texten Jacques Rancière»,
in: Krisis, 1, 2008,
entgegen, dass Foucault und Deleuze der edelmü- nicht vor. Er analysiert politische Szenarien – http://www.krisis.eu/
tigen These zum Trotz ständig über die unter- seien es die Plebejer auf dem römischen Aventin, content/2008-1/
2008-1-09-
drückten Arbeiter oder genauer «den» Arbeiter die Pariser Proletarier der 1840er Jahre oder die dasgupta.pdf (5.
sprechen würden statt mit ihnen. Sie zeigt zwei- Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht –, in September 2010).
tens, dass es insbesondere im kolonialen Kontext denen es um das Erfahrbarmachen eines Unver- 21 - Vgl. Michel Fou-
unendlich viele Situationen gibt, in denen vor nehmens in einem zwar nur beschränkt gleich- cault, «Die Intellek-
allem weibliche Subalterne nicht einfach sagen heitlichen, aber grundsätzlich die Gleichheitsidee tuellen und die
Macht (Gespräch
können, dass und wovon sie unterdrückt sind. anerkennenden Kontext geht. Koloniale Szenari- mit G. Deleuze; 4.
Denn sie sind von multiplen Formen des Unver- en spielen sich demgegenüber häufig in einem März 1972)», in:
nehmens geradezu umstellt. vollkommenen Gleichheitsvakuum ab. Wenn hier ders., Dits et Ecrits.
Schriften, 4 Bde.,
Rancière kann man zwar nicht vorwerfen, ein spezifisches und lokales Unvernehmen gel- Frankfurt a. M.
er habe nur über unvernommene Subjekte und tend gemacht wird, muss zugleich damit auch für 2002, Bd. 2, S. 385.
Gemeinschaften gesprochen, zumal er dieses Pro- die allgemeine, ja universelle Respektierung des 22 - Vgl. bes. Jacques
blem unablässig reflektiert und oftmals die Stim- Gleichheitsprinzips gekämpft und müssen Insti- Ranciere, La nuit
des prolétaires.
men und Handlungen von Ausgegrenzten durch tutionen gefordert werden, die das politische Ver- Archives du rêve
die Verö≠entlichung ihrer Schriften so wahr- handeln von Einteilungen des Sinnlichen über- ouvrier, Paris 1981;
nehmbar gemacht hat, dass sie mit eigenen Wor- haupt erst möglich machen. Im Gegensatz zu den Jacques Rancière
(Hg.), Louis-Gabriel
ten sprechen können. 22 Spivaksche Zweifel an von Rancière diskutierten Szenarien muss also Gauny. Le philosophe
Rancières Optimismus in Bezug auf die prinzipi- mindestens die doppelte Arbeit erbracht werden plébéien, Vincennes
elle Widerständigkeit der Unvernommenen sind – üblicherweise unter Lebensgefahr, so dass die 1985; Jacques
Rancière, Der un-
Ruth aber umso ernster zu nehmen, zumal sich dieser als empowerment gemeinte Präsupposition der wissende Lehrmeis-
Sonderegger
Optimismus bei Rancière manchmal fast wie ein Gleichheit aberwitzig zynisch wird. ter. Fünf Lektionen
über die intellek
117 Imperativ anhört. Er betri≠t den Kern von Ran- Daher macht gerade die koloniale Situati- tuelle Emanzipation,
Einheit,
cières politischer Theorie der Gleichheit, die on und die sie kennzeichnende Schwierigkeit, ja Richard Steurer
Zweiheit, (Un-)
Gleichheit
besagt, dass Widerstand prinzipiell immer und oft Unmöglichkeit, eine Bühne für das Verhan- (Übers.), Wien 2007.
überall möglich ist – eben weil die Präsupposition deln zwischen Polizei und Politik zu bauen, deut- 23 - In diese Richtung
der Gleichheit auch durch krasseste Missachtung lich, dass die Präsupposition der Gleichheit ent- argumentiert
Rancière in: «Who
nicht ausser Kraft gesetzt werden kann. weder, wie gerade hervorgehoben, zynisch ist oder Is the Subject of the
Zweifel an dieser Präsupposition werden trivial und dass politisch aus ihr wenig bis nichts Rights of Man?»,
insbesondere dann sofort laut, wenn man im Licht folgt; oder dass man sie anders als transzendental in: The South Atlantic
Quarterly, 103, 2/3,
des europäischen Kolonialismus und Imperialis- verstehen muss. Trivial ist die Präsupposition, so- 2004, S. 297–310.
mus nach der Gleichheit fragt. Selbst die ober- fern sie nur besagt, dass, wer über den Begri≠ der
flächlichste Erinnerung an die Entwürdigung und Ungleichheit verfügt bzw. danach handelt, auch
Vernichtung von Millionen und Abermillionen den Begri≠ der Gleichheit kennt, weil die beiden
Menschen im Zug der imperialen und kolonialen Begri≠e einander di≠erentiell bestimmen. Das gilt
Bestrebungen Europas muss einen stutzig machen: sicher für die so genannten Kolonialherren und
sowohl hinsichtlich Rancières These, dass die ihr bestialisches Handeln; doch diese Hinweise
Gleichheit zwischen Sprechenden von allen sprach- machen nur deutlich, wie wenig die transzenden-
lichen Wesen zumindest implizit anerkannt wird; tale Präsupposition nützt, wo man sie am drin-
aber auch in Bezug auf seinen Glauben daran, dass gendsten bräuchte.
diese Gleichheit in prinzipiell allen Situationen Manchmal hat es den Anschein, dass Ran-
aktualisiert und für emanzipatorisches Handeln cière mit der Präsupposition der Gleichheit nicht
geltend gemacht werden kann. auf eine transzendentale Gegebenheit zielt, son-
Denn es ist allzu gut dokumentiert, dass dern darauf hinweisen wollte, dass die Welt spä-
selbst Gesellschaften, denen die Gleichheitsidee testens seit der Athenischen Demokratie die Idee
durchaus nicht fremd war, ja Gemeinwesen, die der Gleichheit kennt und politische Kämpfe sich
auf einer Vorstellung gleicher Rechte aufruhten, seither auch dort auf den demokratischen Gleich-
selten Probleme damit hatten, das Reich der heitsgedanken berufen können, wo keine demo-
Gleichheit stark einzuschränken und seine Gren- kratischen Regeln instituiert sind. 23 Dann wäre
zen gut zu bewachen. Als Immanuel Kant den die angeblich «notwendig» vorausgesetzte Gleich-
Gedanken des kategorischen Imperativs entwi- heit nicht qua Sprachfähigkeit gegeben, sondern
ckelte, wonach man Menschen immer nur als eine historisch-politische Errungenschaft, von der
Selbstzweck und nicht als Mittel gebrauchen soll, sich erst noch erweisen muss, ob sie nie mehr in
wurden im europäischen Sklavenhandel Rekord- Vergessenheit geraten kann. Auch unter diesen
gewinne eingefahren. In Bezug auf derartige Umständen bleibt es freilich problematisch zu
behaupten, prinzipiell sei Gleichheit seitens der Argumenten gegen die volle Sprachfähigkeit der 24 - Vgl. dazu auch
Unvernommenen immer und überall aktualisier- Sklaven auseinander gesetzt hat. 26 Zweitens ma- Nora Sternfeld,
«Wem gehört der
bar. Eine noch schwächere Lesart der Präsup chen die erwähnten Gleichheitsforderungen durch Universalismus»,
position der Gleichheit wäre folgende: Entgegen ihre appellative, ja imperativische Form deutlich, in: transveral,
http://translate.
Rancières transzendentaler Redeweise ist die Prä dass Gleichheit keine Präsupposition im apriori- eipcp.net/transver-
supposition nur dort wirksam, wo Gleichbehand- schen Sinn ist, sondern immer eine Forderung sal/0607/sternfeld/
lungsregeln nicht nur prinzipiell denkbar, son- und das historische Resultat von Kämpfen bleibt: de#redir (5. Sep-
tember 2010);
dern faktisch institutionalisiert sind, auch wenn sowohl von Kämpfen um die demokratische Insti- sowie Susan Buck-
sie vielleicht kaum ernst genommen werden. Die tutionalisierung des Gleichheitsprinzips als auch Morss, Hegel, Haiti,
Beispiele Rancières sprechen für das letzte Szena- solcher um die Bestimmung von jenen «allen», and Universal
History, Pittsburg
rio, stehen dann aber quer zu seiner These, dass die gleich behandelt werden sollen; nicht zuletzt 2009.
Institutionen der Beginn des Endes von politi- auch von Kämpfen um so konkrete Anliegen wie
25 - Vgl. Todd May,
schem Handeln sind und das Gegenteil von eman- etwa das der Befreiung aus der französischen Ko- «The Zapatistas.
zipatorischer Politik verkörpern. lonialherrschaft. In vielen Situationen des Unver- From Identity to
Equality», in: ders.:
Zu dieser Unklarheit in Bezug auf den Sta- nehmens – allen voran in den von Rancière disku- Contemporary Poli-
tus der Präsupposition der Gleichheit gesellen tierten europäischen – wird Gleichheit zwar nicht tical Movements
sich weitere Schwierigkeiten. Etwa das Problem, nur gefordert, sondern ist, wie vorläufig und man- and the Thought of
Jacques Rancière.
dass der rancièreschen verwandte Gleichheits- gelhaft auch immer, schon instituiert, institutio- Equality in Action,
konzeptionen – und hier meine ich Konzeptionen nalisiert und habitualisiert. Doch auch unter sol- Edinburgh 2010,
einer zwar immer nur lokal einklagbaren, aber alle chen Umständen ist die Gleichheit nicht unverlier- S. 97.
Grenzen der Zählbarkeit sprengenden universel- bar, sondern bleibt an ihre Einforderung und 26 - Vgl. Jacques Ran-
len Gleichheit – gerade auch in der kolonialen und Praxis gebunden. cière, Das Unver-
nehmen (wie Anm.
postkolonialen Situation entwickelt, theoretisiert Diesen aktiven, ja aktivistischen Aspekt der 10), S. 14ff.
und praktiziert worden sind. Vor diesem Hinter- Praxis der Gleichheit hat Rancière zwar zu Recht 27 - Badiou wirft Ran-
grund wie selbstverständlich daran festzuhalten, hervorgehoben wie sonst wohl nur Alain Badiou. 27 cière in diesem
dass die Athenische Demokratie und die Franzö- Aber er hat sich kaum Gedanken über jene Unver- Punkt tendenziell
sogar Plagiat vor,
sische Revolution die unzweifelhaften Meilenstei- nommenen gemacht, die sich auf keine institutio- vgl. Alain Badiou,
ne der Gleichheit darstellen, bedeutet einmal nelle Absicherung der Gleichheit verlassen kön- Abrégé de Métapoli-
mehr zu behaupten, dass relevante politische Phi- nen. Noch viel weniger hat er anerkannt, wie fast tique, Paris 1998.
losophie und Praxis nur aus Europa kommen kön- unmöglich es ist, unter solch erniedrigenden, ja
nen. Dabei ist gerade die Französische Revolution wörtlich vernichtenden Umständen an die Gleich- Ruth
Sonderegger
durch die Haitianische Revolution von 1793 in heit zu glauben oder sie gar ästhetisch-strategisch
den Schatten gestellt worden. Denn der Haitiani- so geschickt zu demonstrieren, dass die andere 118
sche Sklavenaufstand mit der Losung «Freiheit Seite sich angesprochen fühlt. Einheit,
für alle» machte unmissverständlich klar, inwie- Zweiheit, (Un-)
Gleichheit
fern jene, die den Kopf des französischen Königs
verlangten, die Sklaverei durchaus nicht aufgeben
wollten. 24 Damit will ich gerade nicht sagen, dass
Rancières Gleichheitskonzept nicht in Frankreich,
sondern im sich von Frankreich befreienden Haiti
zu sich selbst kommt. Das käme mir so problema-
tisch vor wie beispielsweise die gut gemeinte The-
se, die zapatistische Bewegung, die sich um die
Forderung «Alles für alle! Nichts für uns!» kristal-
lisiert, praktiziere den rancièreschen Gleichheits-
begri≠. 25 Denn warum sollte man immer von
einem rancièreschen Gleichheitsbegri≠ ausgehen,
anstatt von einem zapatistischen und seiner Wie-
derkehr bei Rancière zu sprechen?
Nicht zuletzt machen die gerade erwähnten
Gleichheitsforderungen der Haitianischen Revo-
lution sowie der zapatistischen Bewegung zwei
weitere problematische Aspekte von Rancières
Präsupposition der Gleichheit deutlich. Im Gegen-
satz zu Rancières Formulierung des Gleichheits-
prinzips verzichten sie erstens auf jede Beschrän-
kung – auch auf die beschränkende Auszeichnung
der sprechenden Wesen. Damit heben sie die Un-
zählbarkeit der Universalität hervor und verab-
schieden sich von Beschränkungen auf denkende,
sprechende oder sonstwie besondere Subjekte, die
hauptsächlich immer wieder Anlass waren, be-
stimmten Entitäten die Gleichheit abzustreiten.
Das sollte niemand besser als Rancière selbst wis-
sen, der sich in aller Ausführlichkeit mit Aristoteles’
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Bettina Carl
Ohne Titel
(Figur der Zwei)
(2010)
Jürgen Link
Über Zwillings-
geschichten, die
den «Charakter»-
Interaktionismus
verweigern
und interpersonale
Handlungen als
diskursive Ereig-
nisse erzählen Personen in narrative Interak
tion. Die Psychoanalyse hat dazu
die klassische Theorie entwi-
126
Interior
involuntary interiorization. Titled Voyage autour 2 - See Richard
de ma chambre, the account takes the reader on a Howard’s percepti-
tour around both the dwelling in which the author ve remarks in his
& Interiority
introduction to the
is confined and his mind. 1 Written in a spirit of English edition of
defiance of rules and resistance to confinement, the de Maistre’s work:
Voyage inverts the format of a travel book to explore Voyage around my
Akerman’s
Sartarelli (transl.),
diate surroundings turns into a narrative of self- New York 1994,
reflection and self-discovery, the room transformed pp. vii–xiv.
into a space wherein a “dialogue of the soul with its
Là-bas
3 - Xavier de Maistre,
other” could be staged. The site of physical con- “Voyage autour de
straint thus becomes a tool for the expanded imagi- ma chamber,” in:
id., Œuvres complè-
nation of the self through which the self is repeat- tes du comte Xavier
edly confronted with its double, giving the author de Maistre, Paris
an opportunity to come to terms with the dichoto- 1854, p. 158.
mous structure of his own subjectivity. The Voyage 4 - The term of hyper-
thus maps out the interior not as the traditional realism has been
used in relation to
locus of subjective unity but as a topography of Ackerman’s œuvre
two-ness that recognizes the self to be that which is at large, see Ivone
Margulies, Nothing
not always itself. 2 As de Maistre puts it in the con- Happens. Chantal
clusion of his internal travelogue: “Never have I Akerman’s Hyper
been more keenly aware of my double nature.” 3 realist Everyday,
Durham / London
Chantal Akerman’s 2006 film Là-bas (Down 1996.
there) harks back to de Maistre spatial self-inves-
5 - Akerman’s inter-
tigations. Interior is at the very core of this work view with Franck
which has been screened in cinemas and present- Nouchi, Paris,
ed as a gallery installation. Like the Voyage autour January 2006,
http://www.
de ma chambre, it is a highly idiosyncratic and berlinale.de/
139 personally overdetermined work, in both aesthet- external/de/
filmarchiv/doku_
ic and historical sense. Yet the questions it poses pdf/20064173.pdf
and its import also exceed, in my view, its strictly (September 21,
personal parameters. 2010), p. 111.
Là-bas was shot by Akerman during her 6 - Ibid.
short stay in a rented apartment in Tel Aviv where 7 - Ibid.
she lived while she was teaching film at the local
8 - Ibid.
university. Half-documentary, half personal rumi-
nation, the film is “about” Israel, or rather, about
Akerman’s ambivalent relation to it. At once hy-
perrealist and imaginary, it is, one can say, a (self )
portrait of a place. 4
It was not, it must be said, a film that Aker-
man, a Belgian-Jewish film maker who normally
lives in Paris, ever wanted to make. As she put it in
an interview: “I have never desired to make a film
about Israel. [When my producer] suggested it to
me, […] my immediate feeling was that it was a
bad idea, even an impossible idea – almost paralyz-
ing and downright repulsive.” 5 The artist’s initial
reluctance stemmed from her fear of lacking what
she thought was a necessary distance from Israel,
both emotional and geographic. “I was afraid my
subjectivity was an obstacle, dangerous, and con-
fused in relation to this theme.” 6 Moreover, she
thought that “to contemplate Israel, one had to go
to Afghanistan, or somewhere else, like New York,
but certainly not Israel.” 7 But then, after a while,
she came around to it. “Decisive was that one day I
took the camera and sat down somewhere and sud-
denly there was an image, a shot. I thought it was a
great picture. After that, all I had to do was wait
and let things run their course.” 8
Là-bas opens with this first shot – a view cast from by her reluctance to venture outside, to immerse 9 - Ibid.
inside out – that sets the tone for both what we herself in the place from which she feels es- 10 - See Henry James,
will see in the remaining part of the film and how tranged. 10 The bamboo-stick shades through The Europeans.
A Sketch, London
we will see it. From within a darkened interior, a which the sonorous vision of the exterior slowly 1984, pp. 3–6. The
luminous vision of the outside appears framed by seeps inside the room remain drawn most of the novel was first
the windows, awash with the distant sounds of time, enhancing the impression of this desired published in 1878.
deferral of the outside. Endowing vision with tex-
ture and a degree of opacity, (suggestive especially
in the views shot at dusk), they invite us to look at
it, at the vision itself.
About four minutes into the film, the silent
interior from within which we have been contem-
plating the outside suddenly comes alive as we
begin to hear the shuffling sounds of someone
moving about it, turning on the stove, preparing a
Chantal Akerman, Là-bas, 79 min., hot drink or a snack. We see no one, though, and
France / Belgium 2006 we never will. Throughout the film, the presence
of the room’s inhabitant – Akerman herself – will
tra∞c and street life. Fig. 1 Birds chirp, children be marked (with two exceptions) only by her voice
shout, a car passes by. A man could be seen at a which we will hear as she sporadically talks on the
distance leaning out from his balcony, talking to phone, in French, English, and Hebrew, and as
someone then rearranging his plants. The camera she reads, in a somewhat detached manner, frag-
remains fixed as if Akerman indeed just turned it ments of a narrative, partly autobiographical or
on and “let things run their course.” 9 The circa 79 family-related, partly an account of her life in Tel
minutes-long film consists of a series of such sus- Aviv interspersed with more general ruminations
tained views of a Tel Aviv neighborhood as seen about Israel. The voiceover will remain, though,
through the windows of Akerman’s apartment. unrelated to what we see at any given moment in
They are not, to be sure, the same: the camera the film, producing thus a sense of disjunction
peeks through di≠erent windows at the adjacent between the visual and the narrative / acoustic
buildings and its angle of vision occasionally registers, the inside and the outside, the objective
changes, as does the light as the day passes by, and the subjective, etc.
Là-Bas’s disjunctive interior functions both
as the privileged locus of the film, the place from 140
within which Akerman launches her cinematic
vision, and as a representation of interiority, a
metonymic figure of the author and subject of this
vision, Akerman herself. It is the ambivalent status
of this interior, its quality as a space that is at once
embedded in, and discontinuous with the exterior,
and with itself, that I find most intriguing.
Chantal Akerman, Là-bas, 79 min., A darkened chamber from within which we
France / Belgium 2006 look at the outside, Là-bas’s interior acts as a
framing or mediating device, not unlike a camera
from morning to dusk. Fig. 2 We get to see Aker- obscura that transmits, through a relay of mirrors,
man’s neighbors performing simple daily tasks – a vision of the outside world for the perusal of a
watering their plants, relaxing on their balconies,
drinking co≠ee – but these views remain consis
tently uneventful, their voyeuristic potential de-
flated by the unimportance of the neighbors’ ac-
tions and by the manifest indi≠erence of the
camera to what it registers. If the furtive quality of
some shots rings familiar – one may think of
Hitchcock’s Rear Window – they never deliver on
the suspense that they generate. It is clearly not
indiscretion that motivated these views. Rather,
they suggest a sense of reluctance, a desire to keep
the exterior at bay, qualities that may well be asso-
ciated with Akerman’s initial unwillingness to
make the film, of her wish to keep Israel at bay. Athanasius Kircher, Camera obscura (Ars magna lucis
One is reminded of the image of downtown Bos- et umbrae, Rom 1646, Liber X, Magia Pars II, Fol. 807)
ton that opens Henry James’s novel The Europe-
ans. Seen by James’s heroine, Eugenia, a daughter detached observer. Fig. 3 As a model of vision, the
of an expatriate American who returns to her camera obscura is a particularly useful compari-
country in search of a better life, from the window son with Là-bas in that it makes evident Aker-
of her hotel room, it is a view of the city permeated man’s oblique position within the structure of her
own vision. In the camera obscura model, the as if she stumbled into someone else’s field of vision 11 - See Jonathan
Crary, Techniques
observer is at the center of vision, at once its prime – and in the narrative sense, in that her voiceover of the Observer.
receiver and its source. The centrality of the monologue has manifestly nothing to do with any On Vision and
observer and the fixity of his position is, as Jona given view o≠ered by the film. As an author Aker- Modernity in the
Nineteenth Century,
than Crary has observed, key to this model. 11 In man refuses, then, to be identified with her vision Cambridge (Mass.) /
Là-bas, the camera is fixed – its immobility and in any straightforward way. The notion of author- London 1990,
the e≠ect of extended duration it produces is, in ship proposed by this work amounts not to a tissue esp. pp. 25–66.
fact, one of the most distinctive features of this of quotations, as in the classic Barthesian recasting
film and of Akerman’s filmic œuvre in general – of this notion, but rather to a texture of unrecon-
but it emphatically does not coincide with the ciled points of view, a structure of dis-aggregation.
body of the filmmaker. The moment we actually A curious sense of the relation between inte-
become aware of Akerman’s presence in the apart- rior and interiority is thus produced. On the one
ment, we also realize that her position is at best hand, it is quite obvious that the room that we see
contiguous to the camera’s field of vision rather stands, in the bodily absence of the narrator, for
than being its source. (E. g., while we hear her the narrator herself, for Akerman, this idea being
move about, the camera, and the view it produces, reinforced by the sound track in which she defines
remain immobile.) The two brief moments we get herself as the inhabitant of this interior and in
to see the top of the director’s head, when, as if which she talks about herself: “I live on Jonah
inadvertently, she walks into the camera’s pur- Hanavi street, which means street of the prophet
view, serve only to emphasize her marginal, rather Jonah. My grandfather was named Jonah, too.
And he was a descendent of the rabbi of Pelz. My
cousin explains that they were ultraorthodox.
They are called [here] ‘the blacks’ because of their
clothing. I walked to Jonah Hanavi street, I don’t
get lost. I watch TV, the French channel, I fall
asleep, I get up, the plant man is already on the
terrace. He seems to be watching the plants grow.
I think plants don’t grow that fast, not even in Isra-
el. On the other hand, you never know.” [1:12:30–
Chantal Akerman, Là-bas, 79 min., 1:13:10] On the other hand, it is just as clear that
Ewa
Lajer-
France / Belgium 2006 this interior is not her, that her relation to it is at
Burcharth
best contingent, unstable, that she is both inside
141 than central, place in this interior vision. Fig. 4 The and outside of it (or that it is both inside and out-
Interior
detached voiceover further dispels any remaining side of her). This impression is corroborated by
&
Interiority
illusion of internal unity of Akerman’s vision and those aspects of her stories that emphasize her sta-
its authorial consistency. Introducing an altogeth- tus as a mere tenant in the Tel Aviv apartment or
er di≠erent temporality, her narrative about the that express her worries about having somewhat
present and the past is never directly related to misused the space or abused her landlord’s hospi-
the space the narrator inhabits, or to the outside tality. (E. g., she is anxious that, having eaten all
space. the delicious bread she found in the fridge, she will
This deliberate emphasis on disconnection not be able to replace it.) In other words, she uses
between the visual, acoustic and narrative regis- the interior as a figure of her own interiority while
ters of the film, is, let us also note, precisely what at the same time insisting on its contingency, on
distinguishes the cinematic experience of Là-bas her tenuous relation to it.
from Hitchcocks’s Rear Window, the key di≠erence Cast from inside out, Akerman’s vision calls
being that the latter does everything to conflate to mind the long iconographic tradition in which
the view from the window with the a “view from the window” repre-
gaze of its male protagonist immo- sented the relation between the
bilized inside. Through the tradi- self and the world. The German
tional technique of reverse shot, Romantic painter Caspar David
Hitchcock identifies the internal Friedrich enriched and complicat-
vision as that of the character ed this tradition by introducing a
played by James Stewart. Fig. 5 / 6 Là- figure looking out of the window,
bas, on the other hand, insists on
the view from the window as sepa-
rate from the person inside the
apartment. Shunning the tech-
nique of reverse shot, Akerman
remains independent or discon-
nected from her camera, both in
the phenomenological sense of her
body not coinciding with the cam-
era’s outlook – a fact made explicit
by the two instances when her
head grazes the camera’s purview, Alfred Hitchcock, Rear Window, 112 min., USA 1954
such as that in his Woman at the Window of
1822.Fig.7 Seen from behind, the woman in
Friedrich’s painting appears as a surrogate
of the viewer, mediator between the interior
from which we, like her, cast our view, and
the outside world. Yet, she is also an inter-
ruption in our access to the visible world, a
marker of our resolutely external position in
relation to the landscape, only a fragment of
which can be seen through the window. (The
shutters in the lower part of the window
underscore the role of the woman’s body as
an obstruction to, rather than a conduit of,
vision.) As Joseph Leo Koerner has argued,
the Rückenfigur in Friedrich’s painting thus
functions as a signpost of the self exiled from
the observed world; it conveys the viewer’s
Caspar David Friedrich, Woman Caspar David Friedrich, Right Window
belated and estranged relation to nature, an at the Window (1822), oil on can- of the Artist’s Studio (1805–1806),
estrangement that defines also the position vas, 44 x 37 cm (Staatliche Muse- sepia on paper, 31 x 24 cm (Kunsthisto-
of the painter who undertakes the task of en, Berlin) risches Museum, Vienna)
representing nature – belatedly. 12 That this
internal, subjective vision of nature is the artist’s explodes her studio apartment situated in a high 12 - See Joseph Leo
own is the more evident when we compare Frie- rise building in Brussels in an anarchic gesture of Koerner, Caspar
David Friedrich
drich’s painting with his earlier drawing, Right material and symbolic destruction of both domes- and the Subject
Window of the Artist’s Studio (dated 1805– tic interior and psychological interiority, a destruc- of Landscape,
London 1990,
1806). Fig. 8 The similarity of both the motif of the tion aimed at social (gender) as well as filmic con- esp. pp. 112–13.
window and the landscape it o≠ers on view make ventions (specifically, the association of femininity
13 - Margulies, Nothing
clear that the woman’s room represents the inte- with domesticity and the use of cinematic form as Happens (note 4),
rior, and interiority, of the artist, that it is, in other a tool of introspection.) Having manically per- esp. chap. 2: “Toward
words, not only a physical space but a subjective formed various domestic tasks that included eat- a Corporeal Cine-
ma,” pp. 42–63.
realm of his connection to, and estrangement ing, cleaning, messing up again, and polishing her
from, the visible world, the estrangement empha- shoes together with her calves – all of it while she 14 - Margulies refers,
among others, to
sized by the fact that his surrogate is a woman. insouciantly hums a jolly tune – Akerman throws Bruce Nauman’s 142
Something similar may be said of Akerman’s out her cat, seals her place with a scotch tape (note Lip Synch (1969),
vision the exquisitely composed frames of which the inscription “c’est moi” on the door), turns on Peter Campus’s
mem and dor ins-
remind one of painting. Là-bas’s interior that at her stove, lights up a match and – pu≠! – there tallation (1974),
once conveys and postpones, if not bars, the view of goes the “room of her own.” Fig. 9 / 10
The deferred Richard Serra’s
Boomerang (1974),
the exterior may also be seen to represent an essen- Linda Benglis’s Now
tially exilic position in relation to the outside world, (1973), and Joan
to Israel, which the artist can only contemplate Jonas Vertical Roll
(1972), all of which
from a position of an internal distance. The “involve the experi-
di≠erence is, though, that Akerman also distances ence of a presence
herself from the interior, that she problematizes never fully and
instantaneously
the very assumption of the interior as the metaphor present. ‘Now’ and
of (authorial) interiority. In relation to Friedrich’s, ‘I’ were submitted
in these works to
Akerman’s interior is not a space entirely separate a constant vexing:
from the exterior but permeated by it. It appears they were ‘scree-
discontinuous with itself – and with Akerman as ned’ through video
technology which
the producer of its vision. The two moments in delivered at most
which we catch a glimpse of the artist’s body – the a mirrored, split,
tip of her head we see once when she brushes her identity,” Margu-
lies, Nothing Hap-
teeth and, another time, when it appears briefly pens (note 4),
when she comes close to the window – may be seen p. 224, n. 29. One
could also mention
as residual instances of the Rückenfiguren, but, Jonas’s work with
contrary to Friedrich’s woman, these figural ghosts the mirror and
do not coincide with the artist. (She articulates her- Benglis’s Mumble
Jumble made in this
self by voice that does not coincide with these fugi- period.
tive images of her body.)
The ambivalent relation between the interior
and interiority formulated in Là-bas is in a sense Chantal Akerman, Saute ma ville, 13 min.,
typical of Akerman’s entire filmic œuvre. Her stance Belgium 1968
in this regard became clear already in Saute ma ville
(Blow Up My Town, 1968), the thirteen-minutes quality of the image in the last sequence – we see
film with which, at the age of 18, Akerman has Akerman performing her highly stylized “last rite”
inaugurated her career as a film maker. In it, she not directly but as a reflection in an oval mirror –
not only underscores the ironic distance from 15 - Babette Mangolte,
who was the
which the young film maker looks at herself camera person for
throughout the film but also, more specifically, Rainer, was also
conveys the idea of internal duplication that Akerman’s favorite
early on. For aes-
traverses the space of the self constructed – and thetic connection
destroyed – in this work. between the work
The defiant treatment of the interior in Sau- of Rainer and
Akerman, see also
te ma ville must be situated in the context of the Maureen Turim,
avant-garde art and film practices of the late “Personal Pro-
nouncements in
1960s and 70s, both in Europe and in America, in I ... You ... He ... She
relation to which Akerman forged her own stance. and Portrait of
The common ground of these diverse practices A Young Girl at
the End of the 1960s
was their critical engagement with the notion of Chantal Akerman, Hotel Monterey, 62 min., in Brussels,” in:
interiority understood as psychological and seman- USA 1972 Identity and Memo-
tic depth, a notion which they rejected in favor of ry. The Films of
Chantal Akerman,
the e≠ects of surface, a thematic embrace of ba- appear. Fig. 11 The way Akerman films these interi- Gwendolyn A.
nality of everyday life, and experimental filming ors, with her signature long takes and perpendic- Foster (ed.), Trow-
techniques, including that of real time. As Ivone ular deep focus shots with fixed camera and a total bridge 1999,
esp. pp. 24–25.
Margulies has demonstrated in her analysis of absence of a narrative (the circa one-hour long
16 - Bill Arning, “Down
Akerman’s œuvre, especially important for the film is mute), creates, as one scholar has noted, a There (Là-bas),” in:
artist’s early work was the concern with perfor “powerful impression of what it is to be an out- Terrie Sultan (ed.),
mance and duration evident in the minimalist / sider observing these locales.” 17 Patiently observed Exh.-cat. Chantal
Akerman Moving
structural film work of Michael Snow; in real- and carefully composed, these hotel interiors may Through Time and
time cinematic experiments of Andy Warhol, and be seen to reflect on the Heideggerian question: Space, Blaffer Gal-
in the performances and films of Yvonne Rainer, “What is it to dwell?” – a question, one may imag- lery, The Art Muse-
um of the Universi-
among others. 13 A number of other artists work- ine, of special resonance for the Jewish exiles who ty of Houston, New
ing in the 1970s, many among them using video as lived in the hotel. 18 York 2008, p. 42.
their medium, e. g. Bruce Nauman, Peter Campus, In a sense, Là-bas restages the visual scenar Akerman’s early
La Chambre 2 may
Richard Serra, Joan Jonas and Linda Benglis, io of Hotel Monterey for a similar, if more directly also be mentioned
explored di≠erent scenarios of dislocation of the personal purpose. From within, Akerman casts here. In it Akerman
uses rotation – the
Ewa
Lajer- self through simple performative acts marked by here an outsider’s look not only on others’ dwell- 360-degree pan
Burcharth
the sense of disjunction between the image and ings and on the apartment in which she temporar- – to account for her
143 the voice. 14 Nauman’s 1969 work Lip Synch epito- ily dwells, but onto herself. Her question, to para- space. This rotating
purview represents
Interior
mizes this play with the discrepancies between phrase one of her voiceover commentaries is, both the filmic space
&
Interiority
image and language that underlay most of the art “What is it to set the roots down in space?” – a ques- and Akerman’s
done in this period. In it Nauman, holding the tion accompanied by her avowals of uprooted- interior, identifying
one with the other.
camera upside down, zeroed-in on a close-up of ness, her sense of not belonging, of being set
his mouth, producing an image of his lips and 17 - Margulies, Nothing
afloat, a condition in which she takes no pride or Happens (note 4).
tongue that articulated the words “lip sync” while pleasure. Nothing conveys this more explicitly
18 - See Martin Heideg-
the audio track shifted in and out of sync with the than Akerman’s long monologue accompanying ger, “Building
video. Closer to Akerman’s work in its focus on a an oblique shot of the building across the street Dwelling Thinking,”
female protagonist is Yvonne Rainer’s 1974 Film from her apartment appearing in a crack between in: id., Poetry,
Language, Thought,
About a Woman Who …, in which the dialogue Albert Hofstadter
between the actors and the voiceover commentary (transl.), New York
are presented as text on flash cards that, much like 1971, p. 145.
the captions in the silent movies, interrupt the
flow of images. 15 Yet, what was at stake in this and
other experimental work was not only a disrup-
tion of the diegetic flow and a de-narrativization
of the image but above all a destabilization of the
idea of the self-same self.
In much of her work, Akerman, too, chal- Chantal Akerman, Là-bas, 79 min.,
lenged the notion of the self-same interiority, France / Belgium 2006
while keeping the image of a physical, inhabited
interior front and center. It has been noted that, the drawn blinds. Fig. 12 It is worth quoting in ex-
rather than a mere location, the interior space has tenso:
been the protagonist of her work. 16 This is per-
haps best illustrated by her 1972 film Hotel “I don’t feel like I belong. And that’s without real
Monterey. The film consists of a series of shots of pain, without pride. Pride happens. No, I am just dis-
connected. From practically everything. I have a few
a low-rent hotel in Manhattan, a dwelling of many
anchors, and sometimes I let them go, or they let me
Jewish exiles, which begins in the lobby at night go, and I drift. That is, most of the time. Sometimes
and ends on the roof in the morning. We are pre- I hang on for a few days, minutes, seconds. Then I let
sented with a sustained portrayal of the hotel’s go again. I can hardly look, I can hardly hear. Semi-
corridors, its elevator, and its desolate rooms blind, semi-deaf, I float. Sometimes I sink, but not
in which, occasionally, a lone dweller would quite. Something, sometimes a detail, brings me
back to the surface, and I start floating again. I feel both the means and the site. It is, though, not 19 - Transcription E.
L.-B., Chantal
so disconnected that I cannot even have a house with exactly a space used to acquire a critical distance Akerman, Là-bas,
bread, co≠ee, milk, toilet paper, and when I buy towards oneself, as one interpreter of the film has 79 min., France /
some, I feel like it is an heroic act. Basically, I don’t suggested. 20 Rather, it is a space that represents Belgium 2006,
know how to live, or go anywhere. When I take the the self ’s radically discontinuous relation – not
22:07–24:53.
bus, it is a state of heroism, too. And this all has to do 20
only to the place, but also to itself, this discontinu- - This is the one point
with that, with Israel or not-Israel. Of course, not in Bill Arning’s
real Israel, with Israel where all of the sudden I
ity being the very condition of the internal nego- perceptive analysis
would belong. But I know that’s also a mirage. Some- tiations the subject thus envisioned conducts with of the film that I
herself. disagree with, see
thing in me has been damaged, my relationship with Arning, Down there
the real, with daily life. How do you make a life in a The internal discontinuity of Là-bas distin- (note 16).
non-rarified air? It starts with bread in the house, a guishes it from some of the similar earlier projects 21 - This 16mm film has
minimum of order, a minimum of life. And besides of the European film avant-garde. I am reminded, been re-edited in
all that, I lose everything, my keys, my glasses, my for example, of Józef Robakowski’s From My 1999.
notes, my sister, and almost my mother. My notes on Window (Z mojego okna, 1978–1985), a classic of
Israel, too. Because after months of non-reflection, Polish filmic avant-garde that o≠ers a comparable
but reflection nonetheless, I finally accepted Xavier’s
investigation of the place from an interiorized
o≠er, and I started to take some notes. I lost my notes
position. 21 / Fig. 13 Produced in the
in Spain, a big, blue and white-checkered notebook.
I either left this big notebook at the movies – that was
span of nearly a decade, From My
the first time I had gone in months, and I went with Window is at once intensely de-
my niece, otherwise I would have stayed in bed at the scriptive and a subtly ironic docu-
hotel – I either lost the notes at the movies, or at the ment of everyday life in Łódź as
fast food place we went to before the movies. I didn’t seen from Robakowski’s window in
go back to look for them – out of laziness, out of bore- a high-rise building. Yet, while
dom, but mostly out of lack of desire, or out of para- physically and ironically distanced Jozef Robakowski, Z Mojego
sites of desire, disrupted, or worse. Out of the feeling from the observed reality, this okna, 19 min., Poland 2000
that, if I sink, well, then I should just sink. I should vision – like that of Hitchcock’s in
just deny myself, like I usually do, except sometimes,
Rear Window, which it obviously tropes – is firmly
in spurts. That’s what I generally do, except for my
identified with Robakowski’s point of view, a point
notes, or work, when I still manage to work, I refuse
to let all the rest near the surface, sometimes, and it’s reinforced by his voiceover commenting on what
getting harder and harder.” 19 we see at any given moment. In Akerman, on the
other hand, the camera’s view is detached from
As this probing self-description makes clear, both Akerman – the narrator – and her physical
Akerman’s disconnection is evident even on the person. While in Robakowski’s work the authorial 144
most basic register of her existence – taking care persona of the film maker assumes, and sub-
of her daily needs, keeping house in order, getting sumes, the interior, in Là-bas, the interior is given
food and supplies – results from a kind of damage a quasi-autonomous existence as, indeed, an
within her which, as she puts it obliquely, “has to autonomous “actor” in the film, a space besides,
do with […] Israel, or not-Israel.” This damage, or and in excess of, the author.
disjuncture, also defines the film maker’s relation It is as such that the interior in Là-bas serves
to her work – her frequent incapacity to sustain or Akerman as a tool through which she situates her-
hold on to it – and inscribes the work itself, as the self in relation to Israel and, reversibly, envisions
oblique, deferred, and internally split view of the Israel in relation to herself. The country is thus
neighboring building from behind the bamboo located both inside and outside herself and, as
blinds indicates. As other voiced-over monologues such, it produces ambivalent e≠ects, registered on
suggest, Akerman accepts her uprootedness as both serious and trivial levels. On the one hand,
part of her heritage which she identifies less with we are told that part of the reason why Akerman
the traditional diasporic mode of Jewish existence remains enclosed in her Tel Aviv apartment is that
than with the burdens borne by the second gen- she got sick, as she recounts, from eating one of
eration survivors of the Holocaust to which she those “wonderful salads they have here in Israel,”
belongs. Her stories about her aunt Ruth who sur- a statement that, evoking the image of her “poi-
vived the Holocaust but was psychologically dam- soned” interior, links the notion of interiorization
aged and ended up committing suicide, appear at (of Israel) to contamination. On the other hand, it
several moments in the film, as do references to is a place that she feels connected to, if ambiva-
Amos Oz, the Israeli writer, whose mother also lently. It is like the Hebrew she had once learned
killed herself “on one rainy day in Israel.” These at school and thought to have forgotten, only to
stories obviously resonate with the confession of realize, when speaking to a Tel Aviv friend on the
the author’s own internal damage, her disoriented phone, that she remembered it better than she
and unmoored existence in the real world, her thought. She is inescapably Jewish, an identity
tangential relation to the requirement of everyday that her stay in Israel makes her particularly self-
life, and her readiness for resignation in the face conscious about. As she put it in her half-defiant,
of dispossession (as when she lost her notes for half-resigned response to the immigration o∞cer
the film but made no e≠ort to retrieve them: “If I who, upon her arrival in Israel, asked her if she
sink, well, then I should just sink.”) wanted him to stamp her passport: “Sure I do. […]
A curious space of self-reflection thus I will not escape the yellow star. It is written inside
emerges in Là-bas, one of which the interior is me.” [33:80] At the same time, she repeatedly
shows herself not to coincide with the place she seems to me to be posing a question that para- 22 - See Greg
Youmans’s rich
carries inside – she refuses it and yet cannot fully phrases Montesquieu’s famous query in the Per- discussion of the
reject it. sian letters: “How can one be Jewish?” 23 film in which this
These verbal and visual negotiations are, Ultimately, what Là-bas produces is a com- point is made:
“Ghosted Docu-
then, not exactly about distancing herself from plex account of a self which is both spatially and mentary. Chantal
Israel, or for that matter from herself. Rather, they historically located, and profoundly irreducible to Akerman’s Là-bas,”
put forward the idea of a self that is non-identical this location. Interiority is defined here as a spe- in: Millenium.
Film Journal, 51,
to itself. It is the at once personal and historical cific place but also as an imaginary space, nothing 2009, pp. 71–80.
ramifications of this idea that the film explores. one has or is but rather something one has to con-
23 - The original query
For if the Tel Aviv interior serves as a locus through tinuously re-imagine and re-present. It is in the was “How can
which Akerman visualizes her tenuous hold on process of re-presentation that the self can give an one be Persian?”
Uttered by an
her own self, it also indicates that this tenuous- account of itself, an account that is, in the version incredulous Parisi-
ness is both personally and historically deter- o≠ered by Akerman, at once lucid and opaque, as an confronted by a
mined, that it has to do with her history as the first is the room in which it unfolds, cast in shadow, yet foreigner on the
street, it was inten-
post-Holocaust generation Jew. The film insists with light seeping in, a room in which, between ded as a critique of
on the idea of the place – and what it stands for – light and darkness, the inside and the outside, a the inability of the
as key for one’s self-definition yet it also problem- vision of the irreducibly doubled – othered – French conceiving
of otherness, see
atizes the idea of identification with, and belong- structure of subjectivity may be seen to emerge. Montesquieu,
ing to the place. Granddaughter of a rabbi from It is not only that every moment of the film, Lettres persanes,
Jean Starobinski
Pelz, Akerman recites her family lineage as if it the very structure of each image, is doubled from (ed.), Paris 2003.
were a lesson she must learn, a heritage she has not within. It is also that the internal othering becomes
fully assumed. (“I feel it, no I don’t feel it,” she tergi the very principle according to which the film
versates [1:04].) Like Friedrich’s figure estranged unfolds in its discontinuous and disjunctive mode,
from nature which it contemplates, Akerman can its heterogenous structure becoming the more
only look at the place of her familial origins, Pelz, apparent as we move, with Akerman’s voice and
from afar, from Israel. She comes to it belatedly, as camera, back and forth, between the inside and
an exile from her own past, which is to say, from the outside, between the real and the imaginary
herself. spaces evoked by her narratives and her images.
Yet, she is equally disconnected from Israel, The three separate sequences in the film when the
desirable as this location may be for the post-Ho camera actually does take us outside of the apart-
Ewa
Lajer- locaust generation of Jews. Throughout the film, ment in which we for so long dwelled, reempha-
Burcharth
she remains ambivalent towards the “promised size this.
145 land” which does not always deliver on its promise First, not unlike in the Hotel Monterey, we
Interior
– not for her family, anyway. Not for Aunt Ruth, suddenly find ourselves on the roof of the building
&
Interiority
for whom it was too late to come “down there.” Not where Akerman’s Tel Aviv apartment is located.
for Akerman herself, though she speculates what We see the distant sea, then the sky, with thick
would have happened, what would her life be like, clouds and some views of the local beach with
had her father, a Polish Jew who survived the Holo
caust, followed up on his dream of settling “down
there,” rather than in Brussels. But he didn’t. Isra-
el has remained for Akerman a location “down
there,” at once familiar and strange, a site of repose
inscribed by violence – old and new. Her laconic
account of a bomb explosion that happened unex-
pectedly in her Tel Aviv neighborhood, killing four
people and injuring many others while she slept
ensconced in her apartment, serves as a reminder Chantal Akerman, Là-bas, 79 min.,
of the new violence associated with the place. It is France / Belgium 2006
as if the violence of the past that left an indelible
mark on her family history, as it did more gener- people strolling on it. Fig. 14 Then, as abruptly, we
ally on the history of European Jews, was inescap- are brought back to the apartment. The second
ably, if di≠erently, part of the present. “It is com- cut to the outside comes in about three quarters of
plicated,” as she puts it. the film: this time the camera registers Akerman’s
Such a statement may well be seen as an own foray onto the beach to look at the sea. Fig. 15
ethical evasion: that Akerman does not even men-
tion Palestinians in her ruminations on Israel,
even when she talks about the problem of its
internal violence, has been seen as a regrettable
disavowal of political reality in this country. 22 Yet
it seems to me that the film sketches out instead
what may be called an ethics of ambivalence, an
ethics based, that is, in a resolutely non-identitar-
ian conception of the place and of the self. Rather
than deliberately “forgetting” about Palestinians, Chantal Akerman, Là-bas, 79 min.,
or reasserting the Jewishness of the place, the film France / Belgium 2006
We look at her from a distance while she stands Là-bas may indeed be seen as an investigation of 24 - See Ivone Margulies,
“Chambre Aker-
immobile, like a sentinel, in front of the lapping Akerman’s creativity, or, more precisely, of its spa- man. The Captive
waves. Then she turns around and leaves. The tial conditions. (The monologue in which the film as Creator,” http://
camera latches onto other people, walking and maker reminisces about her mother not allowing www.rouge.com.
au/10/akerman.html
playing on the beach. The views are taken with a her to play outside with other kids when she was (September 9,
zooming lens, the distance made palpable by the young, the interdiction that led her to develop a 2010). For the func-
slight graininess of the image. The camera does habit of looking at length through the window – “I tion of enclosure
in Akerman’s work,
not follow the people’s movements: they come in look, and I get all holed up inside myself ” – does see also Jacques
and out of its field of vision, as does the family of indeed point in this direction, hinting at a para- Polet, “La problé
matique de l’enfer
the orthodox Jews that walks towards the camera, doxical link between maternal oppression, spatial mement dans
obviously without seeing it, before turning to the confinement, and budding creativity. 26 In this l’univers filmique
perspective, Akerman’s venturing outside could de Chantal Aker-
man,” in: Chantal
be seen as a self-assertive gesture, a circumnaviga- Akerman, Jacque-
tion of the inside from the outside aimed at defin- line Aubenas (ed.),
ing the boundaries of the interior as the site of her Brussels 1982
(= Les ateliers des
creative autonomy. In other words, if Là-bas may arts, 1), p. 171.
be seen to represent the film maker’s creative “room
25 - Margulies, Chambre
of her own,” it is insofar as she constructs it by her- Akerman (note 24).
self both from within and without.
26 - Akerman, Là-bas
And yet, let us note that, as shown in Là-bas, (note 19), 1:05:00.
Chantal Akerman, Là-bas, 79 min., this “room of her own” does not entirely belong to For Akerman, there
seems to be, there-
France / Belgium 2006 Akerman, nor does she belong entirely to it. It is a fore, a direct link
heterogenous space, traversed by the visual and between the view
right and exiting the frame. Fig. 16 Life is going on narrative evocation of others, a doubled space, from the window,
such as the views
as usual. Sun sets, dusk falls. A plane crosses the discontinuous with itself. (It is as if the mother’s of Là-bas, and
sky. Akerman emphasizes the contingency of her room was not next to Akerman’s but rather inhab- creative impulse.
vision of the exterior, as if to avoid the picturesque ited, or haunted, from within.) The sequences shot 27 - Akerman 1982,
e≠ect, avoid, that is, visually to produce the exoti- outside further complicate the sense of belonging cited by Margulies,
cism of the place, the Jewishness of Israel. The conveyed by this vision of space. Rather than lib- Nothing happens
(note 4), p. 1.
orthodox family walking towards us is precisely eration from the constraint of interior, I would see
the kind of image that she could only present as if them as the representation of the exterior that Ewa
Lajer-
Burcharth
by chance, that hints at the kind of film about inscribes her vision not only from without but also
Israel that she did not want to make, could not from within. That is, I would see these sequences 146
imagine herself making. as an avowal of the radical – historical, cultural – Interior
Again, we return back into the apartment. permeability of the interior. It is in this regard, as &
Interiority
Time passes. More personal narrative ensues, an articulation of spatial, and temporal, disconti-
more views of the outside through the blinds. The nuity, that the film seems to me to be not only
third outdoor sequence occurs close to the end of “about” Akerman’s creativity but also about a cer-
the film. We are on the roof again. We see the tain conception of the self that, close as it may be
roofs of the surrounding buildings, the distant to Akerman’s own, is irreducible to her person,
sea, and the sky. We hear the noise of the street has a collective relevance. Akerman herself seems
and of the planes. Then again we are back in the to have left the possibility of discerning a public
apartment where a voice of a TV or radio speaker dimension in the personal material open. She has
could be heard. Out again – night sky, the lights once said: “I haven’t tried to find a compromise
of a crossing plane cut through it, somehow omi- between myself and others. I have thought that
nously, some confusion – and in again. The film the more particular I am the more I address the
ends with the view from the inside, with blinds general.” 27
pulled up. It seems to me then that, beyond its intimate
What, then, is the function of these outdoor agenda, Là-bas formulates something of a broad-
sequences in this sustained investigation of the er import. In its repeated staging of the interior as
interior? One could obviously see them as a form a split and splitting space, a space that is non-
of periodic liberation from the constraint of the identical to itself, it not only registers the internal
inside, a release from its claustrophobic enclo- heterogeneity of an individual person; it also sug-
sure. The at once protective and oppressive di- gests that such internally discontinuous notion of
mension of domestic space in Akerman’s filmic the individual may be useful for re-imagining a
œuvre has been recognized, notably by Ivone community, for developing a non-identitarian
Margulies. 24 In Margulies’s view, this ambiva- notion of collectivity: one based in history, rooted
lence has to do with the function of the interior as in the past, and in the place, but ultimately not
the means of negotiating the maternal space in identical with it. This is, to my mind, the ethical
relation to which Akerman develops her own cre- challenge posed by Là-bas.
ative realm. As Margulies has put it, while “the
opening sentence of [Beckett’s] Molloy is ‘I am in
my mother’s room,’” the phrase defining Aker-
man’s work could well be “I am in a room next to
my mother’s.” 25
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Théodore Géricaults lebensgrosses Gemälde einer
– vermutlich seiner – toten Katze, das er um 1820
Ralph Ubl malte, lässt sich nicht ohne weiteres der Gattung
Entzweiung
des Stilllebens zurechnen. Abb. 1 In der frühneuzeit-
lichen Tradition, bis zu Jean Siméon Chardin und
Francisco de Goya, waren es gefangene, erlegte
Malerei
toter Hausgenosse. Das Tier ist tatsächlich tot und
nicht eingeschlafen, auch wenn Katzenfreunde
mir versichert haben, dass ihre Tiere durchaus
Abb. 1
Théodore Géricault, Tote Katze
(um 1820), Öl auf Leinwand, 50 x 61 cm
(Musée du Louvre, Paris)
Abb. 2
Théodore Géricault, Leichenteile
(1819?), Öl auf Leinwand, 52 x 64 cm
(Musée Fabre, Montpellier)
In der Diskussion um die moderne und auch die zeitgenös-
sische Malerei lassen sich, grob gesagt, zwei Standpunkte
unterscheiden: Auf der einen Seite hat sich ein Zugang als
ergiebig erwiesen, den man phänomenologisch nennen
könnte, weil er oft mit Berufung auf Maurice Merleau-Ponty
(so zum Beispiel bei Richard Shi≠, Michael Fried oder Yve-
Alain Bois) einhergeht, auch wenn man ebenfalls nicht phä-
nomenologisch orientierte Philosophen wie Richard Woll-
heim oder Michael Podro als Gewährsleute anführen könn-
te. 3 Im Zentrum dieser Au≠assung steht die Vorstellung,
dass die Malerei als Kunst aus ihrem eigenen Nahraum her-
vorgehe, dem Nahraum des Gemäldes, in dem Malen und
Sehen so eng aufeinander bezogen seien, dass sie als Beispiel
Abb. 3
Théodore Géricault, Das Floss der Medusa (1819), Öl auf
und auch als Vollzug einer unauflöslichen Verschränkung
Leinwand, 491 x 716 cm (Musée du Louvre, Paris) von Wahrnehmung und Praxis hervortreten. Für diesen
Nahraum sei zudem konstitutiv, dass Gemälde nie flach
einander berühren und die auch dadurch, dass sie erschienen, sondern ihnen vielmehr eine eigene Tiefe oder Dichte
einander knapp verfehlen – wie die Finger und die zukomme – Tiefe nicht als dritte, der Fläche hinzugefügte Dimension,
Zehen –, Empfindungsfähigkeit suggerieren. Dass sondern, wie Maurice Merleau-Ponty in Das Auge und der Geist darge-
diese Verschränkung zweier Beine und eines rech- legt hat, als erste und ursprüngliche Dimension, an der all das, was das
ten Arms oftmals als unheimlich beschrieben Gemälde zu sehen gibt, teilhat. 4
wurde, rührt sicher von dieser Verlebendigung der Die stärkste Gegenposition zur phänomenologischen Hinwen-
membra disjecta durch ein Helldunkel, das selbst dung zum Nahraum der Malerei kommt in der radikalen Ö≠nung dieses
einer dichten, sensitiven Substanz gleicht. Genau- Nahraums auf andere Bildmedien und Produktionformen zum Aus-
so wirkungsvoll ist indes die Art und Weise, wie druck: auf drucktechnische, photographische und digitale Medien, die
das Gemälde den Betrachters adressiert, oder ge- eine Distanzierung der Bildwerdung vom Körper voraussetzen; und dar-
nauer gesagt: sich mit diesem zu verkoppeln droht. über hinaus auf die kapitalistische Warenproduktion, die in der Gestalt
Während die Füsse überkreuz gelegt sind, der rech- des Spektakels auch das Bild in seiner eidetischen Dimension umfasst.
te zu unserer Linken und der linke zu unserer Eine solche materialistische Perspektive, die z. B. von T. J. Clark, Rosalind
Rechten, ist die rechte Schulter genau gegenüber Krauss, Jonathan Crary oder Sebastian Egenhofer vertreten wird, 5 zielt
Ralph unserer rechten Schulter platziert, so, als würde sie zudem auch immer auf eine Kritik der allzu emphatischen Bezugnahme
Ubl
ein Gelenk bilden, das den zerstückelten Körper auf den Körper, der seinerseits als Produkt begri≠en wird – als Produkt
149 im Bild und den Körper vor dem Bild verbindet. 2 der epistemischen und sozialen Transformationen, auf die hier nur mit
Entzweiung
Zwei ungewöhnliche Stillleben, zwei sehr dem Stichwort der Disziplinarmacht verwiesen sei.
der
Malerei
unterschiedliche Todesbilder, die beide jedoch in Wohin immer man sich wendet, an diesem Scheideweg zwi-
einen Nahraum der Malerei führen, in dem wir schen phänomenologischer und materialistischer Malereigeschichte,
einer dieser Kunst eigenen Intimität inne werden, es ist wohl o≠ensichtlich, dass es Werke gibt, die eher die eine, und
die sich gerade an Motiven der Trennung oder gar Werke, die wiederum die andere Betrachtungsweise nahe legen. Man-
der Abstossung zu erkennen gibt. Ich möchte die- che zeitgenössische Malerinnen und Maler, wie z. B. Maria Lassnig,
se beiden Werke mit einem dritten konfrontieren, Brice Marden, Joseph Marioni oder Josh Smith, würden zweifellos der
dem Bild einer Gipsbrennerei, das ebenfalls unge- Bemerkung von Henri Matisse zustimmen, dass, von der Sta≠elei aus
fähr 50 x 60 cm misst und zur selben Zeit, 1820 gesehen, das Segelboot am Horizont genauso nahe sei wie die Gegen-
oder 1821, nach einem von Géricaults beiden Lon- stände im Atelier. Andere Maler wiederum folgen dem Beispiel eines
donaufenthalten, entstanden sein dürfte. Abb. 8 Um Georges Seurat, Marcel Duchamp oder Andy Warhol, die das Gemälde
darzulegen, warum ich diese Gegenüberstellung als Resultat von Produktionsprozessen begri≠en, die sich der Reich-
für signifikant halte, im Kontext von Géricaults weite des Malers entziehen, die dessen körperlichen Nahraum viel-
Œuvre und darüber hinaus für die moderne Kunst, mehr durchqueren und dezentrieren. Meine einleitenden Bemerkun-
werde ich zunächst einige allgemeine Überlegun- gen zusammenfassend möchte ich daher festhalten, dass die Geschich-
gen zur modernen Malerei vorstellen und danach te der modernen Malerei eine Spaltung durchzieht zwischen einer
Géricaults künstlerische Situation nach Vollen- Malerei, die sich in das Ineinander von Sehen und Tun, Wahrnehmung
dung seines Meisterwerks Das Floss der Medusa
im Jahr 1819 skizzieren, um von dort zu meiner 2 - Lateralität als rezeptionstheoretisches Problem ist ein zen
trales Thema der Bücher von Michael Fried, so auch jüngst
Hauptthese zu gelangen: dass sich während und in seinem The Moment of Caravaggio, Princeton 2010.
nach der Arbeit am Floss der Medusa Géricaults 3 - Vgl. Richard Wollheim, Painting as an Art, London 1987;
Malerei aufspaltete, und zwar in eine Alternative, Michael Fried, Courbet’s Realism, Chicago 1990; Richard
die für die Moderne insgesamt prägend sein sollte. Shiff, «Cézanne’s Physicality. The Politics of Touch», in: The
Language of Art History, Salim Kemal / Ivan Gaskell (Hgg.),
Cambridge 1991, S. 128−180; Yve-Alain Bois, «On Matisse.
• The Blinding», in: October, 68, 1994, S. 61–121; Michael Podro,
Depiction, New Haven / London 1998.
4 - Vgl. Maurice Merleau-Ponty, L’Œil et l’Esprit, Paris 1964.
5 - Vgl. Rosalind Krauss, The Picasso Papers, New York 1998;
T. J. Clark, Farewell to an Idea. Episodes from a History of
Modernism, New Haven / London 1999; Jonathan Crary,
Suspensions of Perception Attention, Spectacle, and Modern
Culture, Cambridge (Mass.) / London 1999; Sebastian
Egenhofer, Abstraktion – Kapitalismus – Subjektivität. Die
Wahrheitsfunktion des Werks in der Moderne, München 2008.
und Praxis vertieft, und einer Malerei, die sich den
Kräften einer technischen und ökonomischen
Produktion von Wirklichkeit aussetzt, Kräften,
die, metaphorisch gesprochen, das Zwiegespräch
von Körper und Leinwand auf den Lärm der mo-
dernen Welt hin ö≠nen, ja jenes Zwiegespräch als
illusionären E≠ekt eben dieses Lärms entlarven.
In meinen Überlegungen zu Théodore Géricault
werde und möchte ich diese Alternative nicht auf-
heben oder gar versöhnen, mein Ziel ist vielmehr,
dem Wirken dieses Zwiespalts nachzuspüren,
dem Aufkla≠en dieser Entzweiung der modernen
Malerei, die einerseits ihren Nahraum entdeckt,
sich aber andererseits in ihrem Aussen situiert.
Abb. 8
Théodore Géricault, Die Gipsbrennerei
(1820–21), Öl auf Leinwand, 50 x 61 cm
(Musée du Louvre, Paris)
Abb. 9
Jackson Pollock, Number 1A, 1948 (1948),
Öl und Lack auf Leinwand, 172,7 x 264,2 cm
(The Museum of Modern Art, New York)
Füttern der Pferde oder das Beladen der Karren, in die Tiefe orientierte Pyramide, so, als wären ihre Körper die Elemente
das für uns jedoch, die Betrachter des Gemäldes, einer perspektivischen Konstruktion. Die Dramatik des Gemäldes
als Unterbrechung dieser Routine aufblitzt: Ich resultiert denn auch vor allem aus dem Kontrast zwischen dem aufge-
meine die Staubwolke, die die Szene plötzlich richteten Kollektivkörper und der Fläche des Meeres, die keine Orien-
erhellt, indem sie das von rechts oben einfallende tierungspunkte bietet ausser dem gerade zwei Zentimeter messenden
Sonnenlicht reflektiert. Motiv der rettenden Fregatte Argus, auf die die Körperperspektive der
Dass es sich zugleich um eine Licht- wie Figuren hin ausgerichtet ist. In dieser Körperperspektive deutet sich
um eine Staubwolke, um einen Reflex und um eine Bildtiefe an, die nicht nur optisch-visuell, sondern zugleich dicht
weisses Pulver handelt, dürfte Géricault beson- und somatisch ist. So gesehen lässt sich Das Floss der Medusa als
ders fasziniert haben. Denn das Weiss, das auf den Konflikt zwischen zwei Raumformen begreifen – zwischen dem Raum
Pferdekörpern, den Karren und den Gebäuden des o≠enen Meeres, der das menschliche Handeln dem Haus, der Polis
liegt, ist nicht einfach Licht, es gleicht ebenso sehr und dem Schlachtfeld entfremdet, und der verkörperten Perspektive
jenem grau-weissen Pulver, aus dem die Wolke der Figuren, die diesem Raum eine Richtung abgewinnt. In seinen
besteht. Insgesamt zeichnet sich das Gemälde kleinformatigen Werken löst Géricault diese Spannung des Historien-
durch scharfe Helldunkelkontraste aus – beson- bildes nach zwei Seiten hin auf: In den Londoner Bildern und Litho-
ders deutlich in der Gegenüberstellung der Gips- graphien sowie in Eine Gipsbrennerei geschieht dies durch Ö≠nung des
wolken und der dunklen Mauerö≠nungen –, die Bildes auf einen unbehausten Zirkulationsraum, auf die Themen der
sich zugleich als Kontraste im materiellen Aufbau Fahrt und der Ortlosigkeit, denen aber (anders als im Historienbild)
der Landschaft erweisen: Die Helligkeit verdich- kein Handlungsraum mehr abgerungen wird, da Menschen nur mehr
tet sich zum Weiss des Gipses, das Dunkel wieder- als Glieder in routinierten Abläufen tätig sind. Gemälde wie Stillleben
um sickert ein in den schlammigen Boden. Licht aus Leichenteilen und Eine tote Katze schliessen an Das Floss der Medu-
und Materie gehen unmerklich ineinander über, sa hingegen insofern an, als sie eben jene physische Tiefe und Dichte,
Reflexe sind von Staubflecken, Schatten von die sich in der Körperperspektive der Schi≠brüchigen andeutet, in
Schlamm nur schwer unterscheidbar, und diese einen intimen Nahraum übertragen, um die Malerei in der Sphäre kör-
eigentümliche Vermischung von optisch-visuellen perlicher Reichweite einzuhegen.
und materiellen Farben wird noch dadurch Wir haben es daher mit einem Zwiespalt zu tun, der insofern auf
betont, dass auch das Gemälde selbst überaus Das Floss der Medusa zurückweist, als dieses sowohl den somatisch-
dicht gemalt ist. Die Darstellung ist mit grösstem dichten Raum als auch den Zirkulationsraum in sich aufnimmt, um aus
Nachdruck in ihrem Träger verankert, so als dürf- deren Konflikt seinen eigenen Antagonismus zu gewinnen. Géricaults
te die Verwandlung von Erde in weissen Staub Entzweiung der Malerei weist indes nicht nur zurück auf das monu-
Ralph und von weissem Staub in Lichterspiel in keinem mentale Werk. Die Staubwolke in Eine Gipsbrennerei kündigt zudem
Ubl
Fall dazu führen, dass sich das Bild von seinem eine ganz andere, neue Möglichkeit der Malerei an, die aus der hier vor-
153 materiellen Substrat löst. Das Gemälde nimmt genommenen Unterscheidung zwischen Nahraum und Zirkulations-
Entzweiung
vielmehr selbst an dem Kreislauf teil, den es dar- raum hervorgeht und sie zugleich hinter sich lässt. Diese neue Malerei,
der
Malerei
stellt, an der Transformation von dichter Materie die für die Moderne genauso wichtig ist wie die beiden Enden der Ent-
in eine Lichterscheinung, die sich wieder als zweiung, zeichnet sich durch eine opake, dichte, eigene materielle Tie-
Staubschicht ablagern wird. So wie die Gipsbren- fe aus, die allerdings nicht auf den menschlichen Körper bezogen ist,
nerei nicht einfach in der Landschaft steht, son- sondern jenseits von dessen Reichweite in Erscheinung tritt. Industri-
dern diese tiefgehend verändert hat, so zeigt auch elles Gewölk ist in der Kunst eines Edouard Manet, Camille Pissarro
das Gemälde nicht einfach eine Landschaft mit oder Fernand Léger denn auch nicht einfach ein ikonographisches
Gipsbrennerei, sondern bezieht seine eigene Anzeichen von Modernität, es dient vielmehr als Figur einer Kunst, die
Genese auf diese doppelte Produktion, auf die sich in den flüchtigen Spuren maschineller Produktion verkörpert, eine
Herstellung von Gips und die damit einhergehen- Kunst der Kondensation, die die Gase und Dämpfe in den flüssigen und
de Scha≠ung einer neuen Landschaft, die ihr Zen- sich verfestigenden Zustand des gemalten Bildes überführt. 8 Diese
trum in einer rudimentären Chemiefabrik hat. künftige Malerei aus industrieller Farbe und optischem Flirren, die ich
in der atmosphärischen und zugleich materiell-dichten Erscheinung
• von Géricaults Staubwolke erkennen möchte, wird ihrerseits zu monu-
mentalen Werken führen, die wiederum den körperlichem Nahraum –
Die beiden Stillleben und Eine Gipsbrennerei und sei es auch nur durch einen Handabdruck – und maschinelle Rota-
erscheinen, so gesehen, als Antipoden. Während tionsbewegungen aufeinander beziehen. Abb. 9 Von diesem Endpunkt
Eine Gipsbrennerei die Malerei auf eine Welt aus gesehen endet die Geschichte, die von Géricaults Entzweiung des
mechanischer und chemischer Abläufe bezieht, dramatischen Tableau ausgeht, nicht im Dualismus, sondern mündet
auf Verkettungen, an denen Menschen als Glieder in jene Dialektik, die den Modernismus mit der Kunst der Vergangen-
beteiligt und mit Nutztieren, Fuhrwerken, Wegen, heit verbindet. 9
Gebäuden und Öfen zusammengefügt sind, so
wird die Malerei in Eine tote Katze und in Stillle-
ben aus Leichenteilen als eine Kunst bestimmt, die 8 - Vgl. auch T. J. Clark, The Painting of Modern Life. Paris
in the Art of Manet and his Followers (Revised Edition),
im Nahraum zwischen Gemälde und Maler ent- Princeton 1999, Preface to the Revised Edition,
steht, in Reichweite des menschlichen Körpers, S. x–xxx; ders., «Modernism, Postmodernism, and
Steam», in: October, 100, 2002, S. 154–174.
dessen eigene Dichte und Tiefe mit jener des
9 - Zu den Zweifeln an dieser Dialektik, wie sie in Jasper
Gemäldes in Korrespondenz tritt. Johns’ Diptychen formuliert wurden, vgl. Wolfram
Beides, die Dezentrierung der Malerei wie Pichler / Ralph Ubl, «Enden und Falten. Geschichte der
auch deren Rückzug auf den körperlichen Nah Malerei als Oberfläche», in: Neue Rundschau, 114, 4,
2002, S. 50–71; zur Fortdauer der modernistischen
raum, lässt sich auf Das Floss der Medusa bezie- Dialektik vgl. Michael Fried, Why Photography Matters
hen: Die Figuren der Schi≠brüchigen bilden eine as Art as Never Before, New Haven / London 2008.
31 N°- 14/15
Die Figur der Zwei
Christian Steinbacher
1.2. Fliehtrachtspalten
(Vokalise zum Basispoem «Zwiesprach halten»)
Oh! Ob einen Pfirsich wage ich? Ich wünsche nicht, I do not wish
to add, der Welt nicht, anymore. Was ich nenne, verschwindet.
Ist weg. Fehlt nach Nennung für immer. Oh! Ein Todesengel
der Dinge. Hier: Pfirsich. Meeresmädels, sagt mir, was sing ich?
It was detected: Finnish. But the translation to English is:
Schreckenserfüllt. Spielt mit der Stummheit, reimt Dumpfes,
zwei stammelnde Dinge, keines ist Pfirsich. Ich habe gehört,
die Meeresmädels – sie singen. Ich glaube, für mich. Weißes
Haar der Wellen kämmten sie zurück. Wo und womit soll ich
beginnen zu locken? Wo lungern? Der Wunsch des vollen Worts
ist sich zu entscha≠en. Spezielle Stimme singt und singt dich hin,
hat nichts als Wind (verschwind), als schwarz (verschwind),
als weiß (verschwind) – und hätt sie nichts als einen Laut?
Die Stimme deiner Spezies weckt dich and you drown.
weiß unser aller dernier cri es doch längst, dass erst hinter
weitläufigeren Steppen welch Samarkand dann auch immer
würde geknüpft, und das nicht nur vor denen, die würfen
Schecken über bloß Decken oder stoppten ab ihre Naht,
legt ins Zeug sich unser Saum in reichlich betuchter Manier,
die das alles ebenso bestens zu ramponieren weiß wie
des herbeizitierten Pfirsichs obligatorisches Fruchtfleisch,
und auch weiße Kirschen, die gibt es, will passend ergänzen
eine Grußkarte an die dänische Delegation, aber auch
diese ausufernden Zweiteiler, und jetzt bitte das alles
abgestimmt aufeinand’, und für heute, almeno fare il gesto,
etwa ganz in Cornell, sollten uns gut und gerne erfreun,
steiget also mehr heraus aus euren Schuppen und Flossen
vom Grundl- bis zum Inari-See, zeigt, zeugt euch, getönt,
neu wie frisch, oder auch gefönt, und somit bald froh,
bald auch lockend, was ja nicht dasselbe nach sich ruft
im Betrachten späterer Verschleppungen oder Blessuren
wie etwa dieser Schramme, die dem zwar gern nachfolgt,
dann aber doch keine Schwemmen hervorbringen will,
wo Vandalen ihre freschi mit der Natur eines Rosses
abseits jeder Versteppung hätten besprayt, was Passanten
als Verunzierung ehemaliger Labungsplätze für Gäule
echt ärgert, und so hätt wohl selbst solch Text mit der Zeit
statt ’ner Pfirsichhaut oder des kaum durchkomponierten
Kompostierens mit Kirschkern und Kuriosa nötig ein Deo.
Anmerkungen:
1 bezieht sich als anlässlich der vorliegenden Ausgabe des Magazins entstandene
Re-Aktion auf ein vor mehr als zehn Jahren gefertigtes eigenes
Gedicht, das ich dann damals in den Gedichtband der wandel motzt
(2000) aufgenommen habe.
2/3 geben Variationen zu Texten der geschätzten Kollegenschaft und werden
hier erstmals abgedruckt (sie finden sich auch auf http://die-liedertafel.de,
wo Christian Filips das Projekt Variations sérieuses in Szene setzt; gedankt sei
Monika Rinck und Christian Filips für das Einverständnis zur Wiedergabe
der betre≠enden «Basistexte» in dem jeweiligen Vorspann; Filips’ Heisse Fusion
ist eine Vorfassung der späteren Heißen Fusion beim Gipfeltre≠en seiner
von Urs Engeler als roughbook herausgegeben Textsammlung Heiße Fusionen.)
Christian
Steinbacher
158
Mal so,
mal Sauce
159
160
Autorinnen burg. Von 2007–2009 Research Fellow
am Institute for Cultural Inquiry/ ICI-
Jüngst erschienene Aufsätze: «Nicht
gespiegelt, sondern nach innen ge-
Niemands Frau. Gesänge, Frankfurt
a. M. 2007; On Borders. A lecture in
Laufende
ces*, Zürich 2008; You Are Still Here, zeitgenössische Kunst an der Univer-
Pamela Rosenkranz (*1979), ist sität Freiburg, Schweiz. Er war Gast-
Künstlerin und lebt und arbeitet Galerie 5213, Berlin 2008; Immortalité
professor an der Universität Madrid
ith-
nach einem Aufenthalt in New York Provisoire, Galerie Cortex Athletico,
Bordeaux 2006; It’s All In Your Mind / (Carlos III), der Hebrew University
in Zürich. von Jerusalem sowie in Harvard, Göt-
C’est tout dans ma tête, Yvon Lambert,
Einzelausstellungen: No Core, Centre
d’Art Contemporain Geneve, Genf
Paris 2003.
Seine Arbeiten und Installationen
tingen, Frankfurt, Santiago de Chile,
an der Scuola di Studi Umanistici von Forschungs-
2010; The most important Body of Wa-
ter is Yours, Karma International, Zü-
rich 2010; Pamela Rosenkranz – Our
waren kürzlich u. a. im Museum der
Moderne, Salzburg (2010), im Kunst-
Bologna, der Ecole des Hautes Etudes
en Sciences Sociales in Paris und am
Collège de France. Er war darüber
projekte
Sun, Istituto Svizzero di Venezia, Ve- museum St. Gallen (2010), in der Bur-
ger Collection, Berlin (2009), in der
hinaus Stipendiat am Wissenschafs- •
nedig 2009; Pamela Rosenkranz, Taro kolleg in Berlin, Rudolf-Wittkower-
Nasu Gallery, Tokyo 2007; Pamela Ro- Fondation d’Entreprise Ricard, Paris Professor an der Bibliotheca Hertzia-
(2008–2009), und im Kunstmuseum Prototyp II
senkranz, Kunstmuseum Thun 2007; na, Max-Plank-Institut für Kunstge-
Pamela Rosenkranz – Tatjana Pieters, Bern (2008), im CAC, Vilnius (2008), schichte in Rom, Visiting Scholar am Re-Präsentationen von Möbeln
OneTwenty, Gent 2007; Pamela Ro- im Kunsthaus Zürich (2008), im CAPC Getty Research Institute, Los Angeles, in Design und Kunst
senkranz – TEST, Store Gallery, Lon- Musée d’art contemporain de Bor- am Institute for Avanced Study in Leitung: Burkhard Meltzer
don 2006; Demonstration, Amberg & deaux (2007), in der Tate Modern, Lon- Princeton and am Center for Advan- SNF, DORE Forschungsprojekt
Marti, Zürich 2006. don (2007), im Kunstmuseum Thun ced Study in Visual Arts (Washington Projektdauer: Oktober 2010 bis
(2006), im Mediamatic Groundfloor, D.C.). November 2011
Teilnahme an Gruppenausstellungen Amsterdam (2006), im Public, Paris
(Auswahl): Une Idée, une Forme, un Être (2005) sowie in der Galerie Bunkier Publikationen (Auswahl): L’instau «Prototyp II» ist eine Weiterentwick-
– Poésie / Politique du corporel, Migros Sztuki, Kraków (2005) zu sehen. ration du Tableau. Métapeinture à l’aube lung aus dem Projekt «Prototyp – Mö-
Museum für Gegenwartskunst, Zü- des Temps Modernes, Paris 1993; Visio- bel in Design und Kunst» (DORE-ge-
rich 2010; An unpardonable sin, Castil- vittorio.santoro@bluewin.ch nary Experience in the Golden Age of Spa- fördert, abgeschlossen Dezember 2009)
lo / Corrales, Paris 2010; Of Objects, • nish Art, London 1995; Short H istory of und stützt sich auf die bereits erarbei-
teten Texte, Ergebnisse und eine Kom- Ausgangspunkt bildet die These, dass scher Gewalt beruhende soziale Ord- tiert und transdisziplinär verfahren
bination von bild- und sozialwissen- die Imagination «Schweiz» einen nungen das Muster für «symbolische und sich nicht dem tradierten Modell
schaftlichen Methoden. komplexen kulturellen Raum darstellt, Gegengewalt» abgeben. Die Symbolik akademisch disziplinärer Wissen-
Das Forschungsprojekt setzt sich zum welcher von unterschiedlichsten Ak- der Gegengewalt lässt sich beispiels- schaftlichkeit fügen. Das Projekt will
Ziel, aktuelle Präsentationsformen und teuren immer wieder neu erfunden, mit weise am Umstürzen der Königsstatue diese neuartigen künstlerisch-wissen-
die Rezeption von Möbeln in den Feld- eigenen Bedeutungen aufgeladen und erkennen oder in der Übernahme von schaftlichen Mischformen in den
ern Design und Kunst zu untersuchen. reproduziert wird. Dies hat mit dem re- Prinzipien des Staatsterrors durch re- Grenzbereichen zwischen Bildender
Seit den späten 80er Jahren kommt es alen Land und der Nation Schweiz we- volutionäre oder Partisanengruppen. Kunst, Performance, Design und Phi-
u. a. durch den Musealisierungsprozess nig zu tun. Die Imaginationen setzen Gegenstand unserer Forschung in die- losophie herausarbeiten, untersuchen
im Design vermehrt zur Aneignung von sich vielmehr aus unterschiedlichen sem zweiten Unterprojekt soll daher und erproben.
(historischen) Designobjekten in der Motiven zusammen, die zum Teil durch eine «Kulturgeschichte der Demons Die leitende Annahme lautet, dass sich
Kunst sowie zur Verbreitung der Instal- historische, zum Teil durch persönliche tration» als Beispiel der Politik der solcherart hybride Wissensformen und
lation als Format räumlicher Präsenta- Ereignisse und Umstände motiviert Strasse sein. Bevor derartige Fälle un- ihre Methoden weder umfassend abbil-
tionen. Diese Entwicklung wird histo- sind. Ähnlich verhält es sich mit identi- tersucht werden können, muss die Fra- den noch disziplinär organisieren las-
risch vor dem Hintergrund einer ge- tätsstiftenden (vormals) nationalen gestellung philosophisch ausgearbei- sen, sondern sich vielmehr in «Mikro-
meinsamen Präsentationsgeschichte Bildern und Bedeutungen im Kontext tet werden: Wie lassen sich Macht und logien» oder pluralen Ordnungen des
von Kunst und Design zwischen Waren- von Transnationalisierungsprozessen. Gewalt begrifflich fassen? Geht Macht Wissens etablieren. Aus diesem Grund
auslage (Schaufenster, Weltausstel- Versteht man «Nation» als eine kultu- aus Repräsentationen hervor? Wie ist das Forschungsprojekt in vier Teil-
lungen, Messen) und Kunst präsen- relle Einheit bestehend aus Sprache, verhalten sich die Begriffe «strukturel- projekte untergliedert. Das erste wid-
tation (öffentliche Museen, Galerien, Werten, Symbolen, Mythen und Ge- le», «symbolische» und «repräsenta- met sich der Malerei als ästhetischer
Kunsthallen) gesehen. In der jüngsten schichten, so konstituiert sich eine so tive» Gewalt zueinander? Was ist die Erkenntnisform und untersucht die
Gegenwart sind begriffliche Neuorien- genannte nationale Identität als ein Rolle der Architekturen, Techniken künstlerische Bildfindung und -gestal-
tierungen im Rahmen von Publikatio- kontinuierlich wiederkehrendes Pro- und Artefakte bei der Inszenierung von tung im Hinblick auf die ihr inhärente
nen und Ausstellungen entstanden, die jekt nationaler Rekonstruktion im Sin- Gewalt? Inwiefern strukturiert die per- Wissensbildung. Das zweite Teilprojekt
das grosse Interesse einer (Fach-) Öf- ne einer ‹imaginierten Gemeinschaft›. formative Kraft von Repräsentationen fokussiert die Performance als For-
fentlichkeit am Verhältnis zwischen Im Anschluss ans Forschungsprojekt soziale Handlungsfelder, inwiefern schungsmethode. Mit dem performa-
Kunst und Design unterstreichen. Je- sollen die Resultate schliesslich Ein- macht sie unumgängliche Vorgaben, tive turn und infolge der sogenannten
doch fehlt bisher eine transdisziplinäre gang finden in eine Ausstellung zum inwiefern eignet ihr gar ein Befehlscha- Krise der Repräsentation wird der Er-
Untersuchung dieser jüngsten Ent- Thema «Schweiz» in Zusammenar- rakter, der alle Erscheinen können und kenntnisbildung qua Darstellung oder
wicklungen ebenso wie ein geeignetes beit mit dem Schweizer Landesmuse- jede Identifikation beherrscht? Warum Aufführung und dem Vollzugscharak-
begriffliches Werkzeug, das die Ge- um 2011/2012. greift das Aufbegehren gegen moder- ter von Forschung zunehmend Beach-
schichte der einzelnen Disziplin und ge- ne Machtsysteme nicht zum strategi- tung geschenkt. Investigation und Prä-
schen Mittel des Tyrannenmords oder
meinsame Themen sowie Präsentati- • der Fede, sondern artikuliert sich
sentation sind untrennbar verbunden.
onsformate gleichermassen berück- Im dritten Teilprojekt wird an diese
sichtigt. durch «blinde», symbolisch aufgela- Überlegungen anknüpfend nach der In-
Repräsentative Gewalt
dene Gewaltakte? Werden durch die szenierung des begrifflichen Denkens
Der Alltagsgegenstand «Möbel» hat Leitung: Ludger Schwarte Zerstörung von Machtsymbolen An-
sich im abgeschlossenen Forschungs- gefragt. Leitend ist hier die Idee, dass
Gefördert vom Schweizerischen sprüche auf soziale Repräsentation ar-
projekt bereits als signifikante Schnitt- sich in der Bewegung des Begriffes, will
Nationalfonds (SNF). tikuliert, die das System der Repräsen-
stelle zwischen materieller und visuel- sagen: in Reformulierungen, Weiterga-
Projektdauer: Juli 2009 tation nicht grundsätzlich in Frage stel- ben und Übersetzungen, neues Wissen
ler Kultur erwiesen und wird daher len, sondern vielmehr erhalten? Die
bis Juni 2012 generiert. Hier rücken die ästhetischen
weiterhin als Fokus der Untersuchung Klärung derartiger theoretischer
dienen – hier treffen Re-Präsentatio- Das Forschungsprojekt untersucht die Bedingungen der begrifflichen Er-
Grundfragen nach «Gewalt als symbo- kenntnis in den Blick. Schliesslich zielt
nen von ästhetischen, sozialen und Performanz der Gewalt, insofern die-
lischer Form», nach repräsentativen das letzte Teilprojekt auf die Designfor-
se ein Strukturelement der Repräsen-
163 ökonomischen Codes zusammen.
tation von Macht ist. Ob in demonstra-
Gewaltakten und nach Inszenierungs- schung. Ausgehend von der Annahme,
mustern der Gegengewalt soll durch dass sich unter ästhetischen Bedingun-
tiven oder bloss angedrohten Gewalt-
• detaillierte Fallstudien in den Unter- gen eine anders geartete Erkenntnis
akten, ob durch die Symbolik des
projekten materialreich unterstützt bildet als unter den Voraussetzung
Grausamen, durch die Inszenierung
und überprüft werden. begrifflicher Arbeit, wird das implizite
Swissness revisited von Krisen oder die nüchterne Ästhe-
tik von Selektion und Korrektion: die Wissen des Designs untersucht.
Imagination «Schweiz» im
ontext von Trans-
K wirklichkeitsgenerierende Wirkung •
der Gewalt wohnt auch den repräsen-
nationalisierungsprozessen
tativen Akten moderner Machtsyste-
•
Leitung: Peter Spillmann Forschung in den Künsten
me inne. Unsere Hypothese ist, dass und die Transformation der
SNF, Dore-Forschungsprojekt eine Politik der Repräsentation die Institutions of Critique
Projektdauer: August 2009 Theorie
Ausübung von Gewalt nicht ablöst Leitung: Sönke Gau
bis Januar 2011 oder gar ausschliesst, sondern im Ge- Leitung: Elke Bippus SNF, Dore-Forschungsprojekt
Seit August 2009 geht das Forschungs genteil auf die Inszenierung spezifi- CO-Leitung / Kooperation: Projektdauer: April 2010
team von «Swissness revisited» (Peter scher Gewaltakte angewiesen ist. Prof. Dr. Kathrin Busch, bis März 2012
Spillmann, Angela Sanders, Dominik Merz Akademie Stuttgart
Wenn man der Inszenierung der Ge- Das Forschungsprojekt «Institutions
Linggi, Diana Palau) der Frage nach, wie walt in jüngster Zeit zunehmende Auf- Forschungsbeteiligte: of Critique» postuliert eine Entwick-
aktuelle Imaginationen von «Schweiz» merksamkeit gewidmet hat, so sind in Bildende Kunst: Prof. Christoph lungslinie zwischen der Institutionskri-
entstehen. Analysiert wird, wie diese im der Forschung zwei Aspekte unberück- Schenker / Adrian Schiess tik der 70er-Jahre über den New Insti-
Kontext von Globalisierungsprozessen, sichtigt geblieben: nämlich erstens die Performance_Performativität: Kristin tutionalism der 90er-Jahre bis hin zum
transnationaler Mobilität und wieder- Notwendigkeit von inszenierten Ge- Bauer / Sabina Pfenninger zeitgenössischen Bestreben, Kunstin-
kehrenden «Krisendiskursen» laufend waltanwendungen auch innerhalb von Philosophie: Christoph Brunner / stitutionen als Orte der künstlerischen
verändert und ausgehandelt werden Repräsentationssystemen, die sich le- Sheryl Doruff und kuratorischen Wissensgenerie-
und welche Akteure an deren (Re-)Pro- diglich durch strukturelle bzw. symbo- Design: Stefanie Kockot / rung und Forschung zu positionieren.
duktion beteiligt sind. lische Gewalt auszuzeichnen schienen, Clemens Bellut Als verbindendes Element dieses Pro-
Dies soll entlang der Realisation des und zweitens die Symbolik der Gegen- Praxispartner: diaphanes Verlag zesses wird dabei der Einfluss be-
Auftritts der Schweiz an der Expo 2010 gewalt, die strukturell auf das Reprä- Zürich, Berlin stimmter Formen von künstlerischer
in Shanghai untersucht werden. Dazu sentationssystem bezogen ist, das sie Projektdauer: April 2010 bis April 2011 Praxis auf die Institutionen angenom-
werden die unterschiedlichsten Perso- bekämpft. In einem ersten Schritt sol- Das Projekt widmet sich der Forschung men und in den Vordergrund gerückt.
nen, die mit der Initiierung, Finanzie- len daher die einschlägigen Macht- in den Künsten in ihren unterschiedli- Ausgehend von einer Analyse der
rung, Konzeption, Gestaltung, dem Theorien Bourdieus, Foucaults und chen Ausprägungen und interdiszipli- Institutionskritik und des New Insti
Bau, Betrieb sowie der kulturellen Marins untersucht werden, um darauf nären Verschränkungen. Ziel ist die tutionalism soll der Frage nachgegan-
Bespielung des Schweizer Pavillons zu aufbauend ein genaueres Verständnis Konturierung und Analyse divergenter gen werden, wie sich heute künstleri-
tun haben, befragt und begleitet. der Gewaltsymbolik in der Herr- künstlerisch-wissenschaftlicher Wis- sche und politische Praxen der Institu-
Um die gewünschte Mehrstimmigkeit schaftsrepräsentation zu erwerben. sensformen, deren Forschungsmetho- tionskritik innerhalb von Kunstinsti
und Vielschichtigkeit zur Imagination Damit will das Projekt einen Beitrag den sich weder den klassischen Küns- tutionen artikulieren können, bzw. wie
«Schweiz» zu erhalten, werden Ak- zur Klärung der Frage liefern, inwie- ten noch den etablierten Wissenschaf- sie diese verändern und gestalten kön-
teure aus der Schweiz wie auch aus fern Gewalt durch Repräsentation zur ten eindeutig zuordnen lassen. In den nen. Neben Untersuchung der histo
China, aus der Politik, Verwaltung, aus Macht transformiert wird. Zentrales Künsten, so die These, haben sich zu- rischen Entwicklungsstränge unter
dem Management, der Kulturszene, Beispiel ist hier die Theorie des Staats- nehmend hybride Weisen der Wissens- Bezugnahme auf politische Theorie,
aber auch Handwerker und speziali- streichs als gewaltsamer Durchset- bildung entwickelt, die sich mit neuen Soziologie, Kulturwissenschaften und
sierte Dienstleister, bis hin zu Reini- zung der Staatsräson. In einem zwei- Formaten der Wissenschaften, dem so Kunsttheorie, wird ein wesentlicher
gungskräften und Aufsichtspersonen ten Schritt soll der Frage nachgegan- genannten «Mode 2 Research», in dem Bestandteil des wissenschaftlichen
interviewt. gen werden, inwiefern auf symboli Punkt treffen, dass sie projektorien- Projektes die vergleichende Forschung
von bestehenden Konzepten der künst- und Ausstellung soll dazu beitragen, Und plötzlich China Maghreb Art
lerischen und kuratorischen Praxis in den Begriff der Ressource aus einer Das touristische Setting and Research Project
Europa mit einem Schwerpunkt auf bislang vorwiegend ökonomisch- ‹Schweiz› im globalisierten Leitung: Ursula Biemann
der Situation in der Schweiz sein. industriellen Bewertung herauszu Tourismus
lösen und um den ästhetischen und www.geobodies.org
kulturtheoretischen Kontext zu erwei- Leitung: Peter Spillmann
•
tern. Supply Lines entsteht in Partner- Ein KTI-Projekt. •
Migration Design schaft mit Goldsmiths College London Team: Flavia Caviezel (Wissenschaft-
Codes, Identitäten, und der Universidad Minas Gerais, liche Mitarbeit); Angela Sanders, Black Sea files
Integrationen Brasilien. Nika Spalinger, Marion von Osten, Leitung: Ursula Biemann
Leitung: Christian Ritter Michael Zinganel (Mitarbeit Fall
• studien); Diana Wyder, Silvia Oster- www.geobodies.org
KTI-Projekt
Team: Patricia Bissig, Gabriela Muri, walder (Mitarbeit Recherche).
Basil Rogger (Wissenschaftliche Bilder verstehen •
Mitarbeit). Untersuchung zur Visual •
Projektdauer: November 2008 bis literacy in der Schweiz Projekt Migration
Dezember 2010
Leitung: Matthias Vogel Brands & Branding Leitung: Marion von Osten und
Im Zentrum des Forschungsprojekts Kathrin Rhomberg
Die Zielsetzung des Forschunsprojekts Ein Forschungsprojekt
standen die Beobachtung und Analyse
fokussiert sich auf das Erfassen und zur (trans)kulturellen www.projektmigration.de
medialer und ästhetischer Prozesse
Entwickeln der «Visual literacy» in der Kommunikation www.transitmigration.org
der Selbstrepräsentation und Kom
munikation von Jugendlichen aus den Schweiz. Bilder möglichst umfassend Leitung: Jörg Huber
westlichen Balkanstaaten. Untersucht wahrzunehmen, darauf zu reagieren, •
sie zu interpretieren und zu beurteilen, Ein DORE-Projekt.
wurde das Verhältnis der kulturellen
Hintergründe und Bedeutungen visu- um sie schliesslich zu verstehen, gehört Team: Renate Menzi, Flavia Caviezel,
Das Menschenbild im Bildarchiv
eller Codierungen zu ihren Rezeptions- zu den elementaren Kulturtechniken in Richard Feurer, Matthias Michel,
der gegenwärtigen Gesellschaft. Nur Christian Ritter (Wissenschaftliche Zur Funktion und Qualität
und Wirkungsweisen. Das Projekt er-
wenn das Individuum die Funktions- Mitarbeit). der Schweizer Photoarchive
weitert die visuelle und kommunikative
Kompetenz in der Praxis (z. B. Lehrbe- und Wirkungsweisen von Bildern Leitung: Matthias Vogel
triebe, Berufsintegration, Jugendhilfe) reflektiert und durchschaut, kann es
der grossen Informationsbelastung im • Ein KTI-Projekt.
hinsichtlich spezifischer Fragestellun-
visuellen Bereich standhalten und sei- Team: Flavia Caviezel, Ethnologin,
gen der Integration. Das Forschungs-
ne Orientierung in der Lebenswelt ge- Bilder im Medientransfer Filmwissenschaftlerin und Videastin,
projekt erarbeitete dafür ein präzises
währleisten. In diesem Sinn möchte Museen als Orte Ulrich Binder, Künstler und Publizist,
Setting an Anwendungsformaten. Sie
das Forschungsprojekt Wege aufzei- des Bildgedächtnisses und Dozent an der HGKZ
sind ausgerichtet an der interdiszipli-
gen, wie die sozialen Probleme (Verun- der Bildtransformation (Wissenschaftliche Mitarbeit).
nären Anlage des Forschungsprojekts
und an den unterschiedlichen Bedürf- sicherung, Orientierungslosigkeit bis
Leitung: Matthias Vogel
hin zur Gewaltbereitschaft), die durch
nissen und Tätigkeitsfeldern der Wirt-
den Anstieg der visuellen Informati- Ein KTI-Projekt. •
schaftspartner.
Das Forschungsprojekt endet mit onsdichte entstehen, reduziert werden Team: Ulrich Binder, Künstler, Aus-
können. Japan Made in Switzerland
einer Publikation «Magische Ambiva- stellungsmacher und Dozent an der
lenz – Visualität und Identität im Trans- ZHdK (Wissenschaftliche Mitarbeit). Nonverbale und materielle Aspekte
interkultureller Kommunikation am
kulturellen Raum», Diaphanes Berlin / • Beispiel Schweiz-Japan
Zürich 2010. 164
•
Abgeschlos-
Leitung: Jürgen Krusche
• Landschaftsbilder
•
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Copyright © 2010
Institut für Theorie (ith) and the
authors.
All rights reserved.
Textnachweis
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Für den Beitrag von Gertrude Stein / Barbara Köhler
ISBN 978-3-906489-11-7 Der englische Text aus: Gertrude Stein, Stanzas in
ISSN 1660-2609 Meditation, Los Angeles: Sun & Moon Press, 1994;
© 1980 by Calman A. Levine, Executor of the Estate
• of Gertrude Stein