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GDI _ IMPULS 4 _ 01

GDI _ IMPULS VIERTELJAHRESSCHRIFT


FÜR ENTSCHEIDUNGSTRÄGER
IN WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

__ DIE MILLENNIALS

__ VORSICHT, ANSTECKEND!!!

__ DIE GEWINN-FESSEL

__ SCHÖPFEN UND ZERSTÖREN

__ FORMATE DER ZUKUNFT

__ WAKE-UP-CALLS

__ HER MIT DEM LEID!


4/01 INHALT 5 Editorial 68 Ampuls:

6 Neil Howe und William Strauss Gundolf S. Freyermuth


DIE NÄCHSTE GROSSE GENERATION GLOBALISIERUNG VON UNTEN
Die «Millennials» widersprechen Die Vorreiter transnationaler Lebens-
allen Erwartungen entwürfe und hybrider Identitäten

14 Thomas Zorbach 73 Neu


VORSICHT, ANSTECKEND!!!
Marketingviren unter dem Mikroskop 76 Summaries

78 Autorenverzeichnis
24 Stefan Kühl und Wolfgang Schnelle
DIE GEWINN-FESSEL
Von Notwendigkeiten und Möglich-
keiten der Überlebenssicherung

31 Richard Foster und Sarah Kaplan


SCHÖPFEN UND ZERSTÖREN
Überleben im Zeitalter der Diskon-
tinuität

41 Anne Bordier
FORMATE DER ZUKUNFT
Die globale Hypermarkt-Revolution

49 Joachim Maier und Christof Schmitz


UNGEHEUER ERFOLGSGESTEUERT
«American Psycho» und andere
Wake-up-Calls

59 Peter Gross
HER MIT DEM LEID!
Stigma-Management und Passions-
waren
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von Haben die jüngsten Hiobsbotschaften auch den Wirtschaftstraum der Acht-
Joachim Maier
und
zigerjahre gegroundet? Sind unsere Hochleistungssysteme, die Verkünder
Christof Schmitz einer effizienteren Welt, betroffen worden? Und wie? Am Beispiel einer
zum Kult gewordenen Systementgrenzung zeigen Joachim Maier und Christof
Schmitz, in welche Richtung sich Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln,
wenn die Systeme immer einäugiger werden.

UNGEHEUER
ERFOLGSGESTEUERT
«AMERICAN PSYCHO» UND ANDERE WAKE-UP-CALLS

Der 11. September war kein Tag wie jeder andere. Er hat in ÜBERVOLLE ARSENALE DES LEBENS
teuflischer Weise verdeutlicht, wie sehr unsere globalisierte
Hochleistungswelt mit «unbeabsichtigten Nebenfolgen» ih- Paradoxerweise scheint es übergrosser Erfolg zu sein,
res eigenen Erfolges zu rechnen hat. – Hatte sie aber nicht. der uns schlafwandeln lässt – einschliesslich der Sorge, dass
Die Überraschung war unglaublich. Niemand hätte sich das wir erwachen könnten: «On the aromatic hillsides of Santa
so vorstellen können. Vor laufenden Kameras kam uns zu Barbara, the villas are all like funeral homes. Between the gar-
Bewusstsein, dass eine neue Art von Bedrohung gegeben ist, denias and the eucalyptus trees, among the profusion of plant
die uns nicht mehr ruhig werden lässt. Blitzartig zeigte sich, genuses and the monotony of the human species, lies the tra-
dass Verbindungen bestehen, wo keine angenommen wurden. gedy of a utopian dream made reality. In the very heartland of
Wer hätte schon islamistische Schattenkrieger mit dem World wealth and liberation, you always hear the same question:
Trade Center in Beziehung gebracht? Klar, irgendwer ahnte, <What are you doing after the orgy?> What do you do when
formulierte, szenierte, dass irgendwann irgendwo Ungeheu- everything is available – sex, flowers, the stereotypes of life
erliches mit weltumfassenden Folgen geschehen wird. Natür- and death? This is America’s problem and, through America,
lich waren da schon Anschläge anderswo gewesen und Osama it has become the whole world’s problem.» (Jean Baudrillard:
Bin Laden kein Unbekannter mehr. Doch die Attentate von America, 1988)
Nairobi und Aden waren noch keine Alarmsignale. Zwar hatte Die Suche ist zu Ende, alles ist da, alles ist verfügbar. Wo
etwas geklingelt, aber noch zu leise, um ausreichend Auf- vorher noch die Hoffnung auf ein Nächstes war (die nächste
merksamkeit zu erzeugen. In scheinbarer Sicherheit hatte Orgie, der nächste Abschluss, die nächste Eroberung), dro-
man sich dem Traum der Geborgenheit hingegeben und er- hen heute die übervollen Arsenale des Lebens traumatisie-
folgreich geschlafen. In diesem Sinne stellt der 11. September rend zu wirken. Konnte zumindest vermutet werden. Aber
einen Wake-up-Call dar. – «Heh da, aufgewacht!» Eine neue während die Subjekte des Wohlstands unter der Last der
Episode ist eingeläutet. Vehement stellen sich uns nun Fragen Überfülle stöhnen, steigern sich unsere Hochleistungssysteme
in den Weg. Eine der naheliegendsten: Weckrufe setzen Schla- unbeirrt weiter. Immer schneller, immer ausgreifender. Wäh-
fende voraus – aber wer hatte denn sein Wachbewusstsein ver- rend Einzelne getrieben sind von der Suche nach Grenzen,
loren? Sinn und Bedeutungen, gibt sich der Rest dem Schlummer-
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Paradoxerweise scheint es übergrosser Erfolg zu sein,


der uns schlafwandeln lässt.

trunk des entgrenzten Erfolgs hin. Die schlafwandlerische Erfolgsgesteuerten? Gewiss, einige Argumente ziehen sich auf
Selbststeigerung hat allerdings die Nebenwirkung, dass sich darwinistische Evolutionsmechanismen zurück und sprechen
die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Kontexte ringsum angesichts sich radikal verändernder Wettbewerbsumgebun-
einschränkt. gen vom notwendigen Scheitern einiger Anbieter. Manche
Gleichzeitig geraten die raumgreifenden Durchdrin- vertrauen darauf, dass Angebot und Nachfrage sich schon
gungen immer mächtiger. Utopische Träume werden zu Rea- wieder finden und zur bestmöglichen Angepasstheit der
lität gemacht. Las Vegas in der Wüste, Disneyland in Paris, Überlebenden führen werden. Es lässt sich auch trefflich über
Coca-Cola in Kabul, Mövenpick in Lhasa – die Vorreiter der Staatsbeteiligungen streiten. Alles wichtige Fragen, die aber
«effizienteren Welt» haben ihre Posten bereits bezogen. Sie ablenken vom Blick auf die Mechanismen, die dazu führen,
sind schon erfolgreich, bevor die lokalen sozialen Entwick- dass Erfolgreiche sich einschläfern, dass Erfolgsgesteuerte ihr
lungen nachhinken können. Nichts hält ihnen stand. Nichts Sensorium so weit verengen, bis das Klingeln des Weckers
kann dieser Selbststeigerung und ungeheuren Dynamik, die endgültig laut genug ist, um klar zu machen: Verdammt, zu
nicht nur für die Wirtschaft, sondern für alle funktional aus- lange geschlafen.
differenzierten Systeme gilt, Paroli bieten. Meinte man. Plötz- Das Grounding der Swissair lässt sich im Rahmen des
lich waren da Osama Bin Laden und al-Qaida. Hoppla, wur- Wirtschaftssystems behandeln – und entsprechend fern hal-
de geschlafen? Tatsächlich, wie es scheint, durchschlagender ten. Das Scheitern kann, wie angemessen auch immer, Perso-
Erfolg lässt das eigene Wiegenlied anstimmen. nen zugeordnet werden, womit die Sache überschaubar
bleibt, wenngleich teuer. Für «Ground Zero» gilt das nicht
mehr. Wem, welchem System liesse sich der 11. September zu-
DER SCHLAF DER ERFOLGREICHEN ordnen? Die Versuche, die Attentate in einer Umkehrung der
Täter-Opfer-Perspektive als quasi logische Folge der «miss-
Aber schliessen sich Erfolg und Schlafen nicht aus? ratenen» Politik der mächtigsten Supermacht erscheinen zu
Sind nicht gerade die erfolgreich, die alert sind, die unter- lassen, greifen zu kurz. Das beklemmende Gefühl bleibt:
wegs sind, die sich realitätsgerecht verhalten? Sind unsere Irgendetwas haben wir mit angerichtet – aber was? Was bleibt
Hochleistungssysteme von ABB über IBM bis Wallstreet nicht ausgeblendet, während wir zyklopenhaft nach vorne stürmen?
so wirksam, eben weil sie Bewusstheit erzwingen? Weil sie Wie wir im Folgenden sehen werden, sind einige (Alb-)
Autonomie, Effizienz, Entgrenzung, Weltläufigkeit mit dem Traumbilder aus den wohlrecherchierten Kulturfabriken von
Ausschluss blind machender ideologischer Verbrämungen Belletristik und Film den Eingeschlafenen schon dicht auf
verknüpfen? Sind nicht Wachheit und Pragmatismus gerade den Fersen.
auch das Wesen des Wirtschaftens? Was gibt es Realitätsnähe-
res, Reaktionsschnelleres und Wacheres als die Börse, die
Deutsche Bank, Wal-Mart, Novartis und Swissair ? WAKE-UP
Hoppla, das ist doch nicht Erfolg! Swissair, werden Sie
vielleicht denken, ist doch ein anderes Beispiel. Das ist doch Nur weil ein Wecker klingelt, muss man noch nicht auf-
das Gegenteil! Richtig, wie sich in den letzten Wochen zeigte. wachen. Schauen wir uns an, wie jemand sich bettet und wo-
Aber ist der Absturz der Swissair nicht gerade auch Resultat von jemand träumt, der schon alles hat – Patrick Bateman,
einer übergrossen Erfolgsgetriebenheit, die es nicht mehr zu- besser bekannt unter dem Namen «American Psycho»2:
liess, wahrzunehmen, was gegen, sondern nur was für die ein- Patrick Bateman (P. B.): I live in the American Gardens
geschlagene Strategie sprach? War man nicht gerade auch in Building on West 81st street, on the 11th floor. My name is Pat-
diesem Fall (wie in vielen anderen) höchst einäugig unter- rick Bateman, I’m 27 years old. I believe in taking care of myself,
wegs? Hatte man zu intensiv nach innen geblickt1 und wurde, in a balanced diet, and a rigorous exercise routine. In the morn-
geblendet von der eigenen Schönheit wie Narziss am Teich- ing if my face is a little puffy, I’ll put on an ice pack while doing
rand, Opfer der eigenen Pracht, sich selbst mit der Welt ver- my stomach crunches. I can do a thousand now.
wechselnd? Abgefedert gegenüber der Aussenwelt, sieges- Gefangen im übervollen Arsenal des Lebens, in der
sicher bis zum Wake-up-Call des 2. Oktobers, dem grossen Hauptstadt des 20. Jahrhunderts, in New York, erfüllt Bate-
Schock des Grounding. Die Flugzeuge am Boden, der Himmel man die Rolle eines Ego-Shooters in den Kulissen einer
über Zürich stürzt ein. Die Welt ist eine andere geworden. dekadent gewordenen Gesellschaft. Er ist das Abbild des
Ist das Swissair-Debakel ein Beispiel für den Schlaf der erfolgreichen, jungen Wertschöpfers, tätig im Wallstreet-
1 «Wer Rotwein kalt serviert, ist kein Konkurrent für uns» – aus einer Swissair- 2 Wir beziehen uns auf das gleichnamige Kultbuch von Bret Easton Ellis (1992)
Ausbildung. und dessen Verfilmung von Mary Harron (2000), die soeben unsere Kinos eroberte.
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Das beklemmende Gefühl bleibt: Irgendetwas haben wir


mit angerichtet – aber was?

Dunstkreis, Vizedirektorenbüro im WTC. Athletisch durch- P. B.: My pain is constant and sharp and I do not hope for a
trainiert, aufmerksam, aufs Ganze gehend und nicht träge better world for anyone. In fact I want my pain to be inflicted on
und unentschlossen – augenscheinlich eine perfekt angepasste others. I want no one to escape. But even after admitting this—
Identität für die Gesellschaftsspiele im Zentrum der Welt. The and I have, countless times, in just about every act I’ve com-
better you look, the more you see . Sein Dungeon sind die mited—and coming face-to-face with these truths, there is no
Achtzigerjahre. Sein Antrieb ist ein Zuviel von allem – und catharsis. I gain no deeper knowledge about myself, no new un-
sein Begehren will noch mehr. Er ist, ohne es zu merken, auf derstanding can be extracted from my telling. There has been no
der Suche nach den Grenzen seiner Existenz, die ihm als un- reason for me to tell you any of this. This confession has meant
hintergehbares, ungesteuertes Nichts erscheint. Er findet sich nothing.
als Gefangener eines albtraumhaften Spiels ohne Ausgang, «American Psycho» inszeniert sich als Beichte, die be-
eines Games ohne reset button . Noch ahnt er: Da war doch deutungslos bleibt. Kein Ablasshandel, keine Erlösung. Bate-
noch etwas? Da war etwas, das Bedeutung hatte. Sinn, Gemein- man bleibt zurück mit der verstörenden Einsicht, dass die
schaft, real existierende und persönlich bezogene Zuneigung. erlebte Wirklichkeit grenzen- und widerstandslos ist – und
Nichts mehr da. Seine Suche setzt ein. Sex und Tod als bevor- somit gegenstandslos und unwert. Der «Held» findet sich in
zugte Suchbegriffe seiner gewalttätigen Odyssee führen bei einer Art Simulation wieder. Was er für seine Wirklichkeit
Bateman zu nichts als kurzem emotionalem Aufflackern ohne hielt, erweist sich als nicht realer als die Sprechblasen in ei-
Konsequenzen. Your search got no results. Seine Leichen ver- nem Comic. Und das Fürchterliche darin ist: Er kann in sei-
schwinden ohne sein Zutun. Seine Geständnisse verhallen ner Blase tun, was er will – nichts passiert! Er kann Gesetze
ohne Wirkung. Sein Klopfen an die Glasscheiben des Ge- übertreten, kann anderen Schmerz zufügen, ihnen das Leben
wächshauses seiner Existenz wird von niemandem wahrge- nehmen – no response. An der Oberfläche bleibt alles gleich,
nommen. No way out. perfekt, ästhetisch. Keine persönliche Karthasis, keine soziale
Ahndung, kein Einbruch der Wirklichkeit. Die Blase ist per-
Rhizom und zugehörige Lesarten – sie laden zu eigenen Verknüpfungen: fekt, prall gefüllt mit deutbaren Zeichen. So makellos, dass
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«American Psycho» spielt mit dem Phantasma einer


ganzen Generation von Managementsüchtigen.

Bateman nicht einmal mit seinem eigenen Scheitern kon- Ein utopischer Traum wird Realität. Der Wunsch nach Erfolg
frontiert werden kann. hat hineingeführt. Das war alles, was wir wollten: mittun und
mindestens gleich erfolgreich sein. Listen, he just wants to fit
in. This is not an exit.
THIS IS NOT AN EXIT

P. B.: There is an idea of a Patrick Bateman. Some kind of SOZIALE SCHWERELOSIGKEIT


abstraction. But there is no real me, only an entity. Something
allusory. And though I can hide my cold gaze, and you can shake «Is there anybody out there?», haben Pink Floyd zum
my hand and feel flesh gripping yours, and maybe even sense Einstieg in die Achtzigerjahre auf «The Wall» gesungen und
that our lifestyles are probably comparable, I simply am not unzähligen Comic-Blasengefährten dieser Jahre aus den See-
there. len gesprochen. Auch dort ging es um Kontakt, der vermisst
«American Psycho» spielt mit dem Phantasma einer wurde. «American Psycho» erzählt von einer weiteren Eska-
ganzen Generation von Managementsüchtigen. Der angriffi- lationsstufe. Abgründe, aus denen man kaum entkommen
gen Romanvorlage wie dem Film mangelt es nicht an Raffi- kann, wenn der Erfolg zum fundamentalen Treiber geworden
nesse bei der Beschreibung dekadenter wie beängstigender ist. Alles wird dem Kalkül unterworfen und damit indiffe-
Szenen eines Yuppy-(Alb-)Traums. Alles ist machbar, alles rent. Das sorgt für ein Geschäften «ohne Ansehen der Person
ist Oberfläche. Egomaniker auf Erfolgstrips. Der Preis davon oder der Herkunft», führt aber auch zu Blutleere. Die hoch-
ist allerdings die Unmöglichkeit, der eigenen Simulationswelt getriebene Ideologie des freien Marktes etwa berauschte sich
zu entkommen. Die «Greed Society»-Software läuft auf an dieser Indifferentsetzung des ökonomischen Operierens
Bateman im Endlos-Loop – sein Tagesablauf ist, wie seine und der resultierenden unendlich scheinenden Selbststeige-
nächtliche Parallelexistenz, fest in sein Leben eingeschrieben. rungsmöglichkeiten. Ein Gedankengut, das – bezirzt von den
Oberflächlichkeit siegt und überzeugt. Das Ergebnis kann Sirenengesängen des eigenen Erfolges – im Kern daran
sich, wie Batemans Ivy-League-Verlobte Evelyn, sehen lassen. glaubt, auf die Wahrnehmung jenseitiger3 Irritation verzich-
Die andere Seite dieser Eingebildetheit allerdings nicht: Sie ten zu können. Eine wahrhaft «zyklopische Idee» (H. Willke).
ist ungeschminkte Gewalt. Die Verachtung Batemans trifft all Aus einer einäugigen Weltsicht lässt sich kein Sinn
jene, die im Spiel der Eitelkeiten nicht mithalten können. gewinnen. Isolierte Blasen sind sinnentleert, ewige Wider-
Menschliche Haut zählt weniger als ein hübscher Anzug oder standslosigkeit führt in die unendliche Leere. Der Schrecken
der Helikopter, um auf die Hamptons’ zu fliegen. Neid und «American Psychos» besteht im Spiel mit der Möglichkeit,
Gier sind in dieser Business-Welt die heftigsten Emotionen. dass die soziale Schwerkraft ausgesetzt hat. Es gibt keine Na-
Die besonders schöne Oberfläche einer Visitenkarte kann turgesetze mehr, die Schranken darstellen, keinen lebensnot-
Grund genug sein, die Fassung am Clubtisch zu verlieren wendigen Kontakt, keinen urteilenden Blick von aussen, der
oder den anderen umzubringen. uns etwas bedeuten kann. Der wirkliche Horror einer «Ame-
Und Bateman selbst? Zeitkonform attraktiv, harvardesk, rican Psycho»-Gesellschaft ist denn auch nicht ihre Bru-
jovial und unantastbar erscheint er als die ästhetische Anti- talität, sondern, dass nicht auf sie reagiert wird. Was auch
these zu Mary Shelleys «Frankenstein». Was wie der perfekte, passiert, die Logik des Spiels bleibt dieselbe. Die Versuche
stilbewusst veredelte Mensch daherkommt, erweist sich beim Batemans, Störungen anzurichten, um wieder einen Kontakt
Blick unter die glänzende Oberfläche als hoffnungsloser Fall. herzustellen, führen zu keinem Ergebnis. Seine Blase ist
Es gibt für ihn keinen Ausweg, unvermutet findet er sich schalldicht. Kein Knallen von Pistolenschüssen, keine blut-
ständig wieder in der Hölle seiner Realität, die allerdings mit verschmierten Apartment-Wände und kein nächtliches Krei-
noblen Restaurants, Kokain-Discos, Designermöbeln, Fitness- schen von Kreissägen erzeugt eine Reaktion. Es scheint, als ob
geräten und jeder Menge attraktiver Menschen nur so gepflas- wir tun können, was wir wollen – wenn nur die Vorzeichen
tert ist. Batemans Ego-Shooter-Game scheint im bonus mode stimmen. Es geht einzig um die Erhaltung der Leitdifferenz,
hängen geblieben zu sein: Ein Fehler im Programm gibt ihm darum, um jeden Preis auf der richtigen Seite zu erscheinen.
immer mehr von dem, was ihn immer mehr von sich ent- Im Falle Batemans geht es um die Reproduktion der glänzen-
fernt. Er ist zu beschäftigt mit dem Aufsammeln all der Boni, den Oberfläche: In the morning if my face is a little puffy, I’ll
als dass er sich noch umdrehen und bemerken könnte, dass er put on an ice pack while doing my stomach crunches. I can do a
allein im Gesellschaftsspiel der Ich-Fetischisten geblieben ist. thousand now.

3 Gemeint ist: Jenseits der Systemgrenzen. Jetzt zeichnet sich jedoch ab, dass auch
die Systeme für das tatsächliche Jenseits wieder ins Spiel kommen – als Differenzen
unterschiedlicher Religionen.
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«American Psycho» (Regie: Mary Harron, USA 2000)


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Der wirkliche Horror einer «American Psycho»-Gesellschaft ist


nicht ihre Brutalität, sondern, dass nicht auf sie reagiert wird.

SELBST-ERWECKUNG unähnlich dem heutigen Zustand am «Ground Zero», erin-


nernd auch an zerstörte Regionen in Afghanistan, die eben
Was hat Patrick Bateman mit dem 11. September zu tun? darum so tot wirken, weil ihnen jede Virtualität, gelesen als
Bei ihm gibt es keine Wake-up-Calls, nichts erreicht ihn. das, was aus ihnen werden könnte, genommen scheint. Es
Seine Geschichte ist die einer forcierten Einäugigkeit, eines sind Orte, an denen jede Irritation zu spät kommt. Unmarked
temporeichen Schlafens ohne Chance auf rechtzeitiges Erwa- space. Hoffnungslos, unbrauchbar, abgeschrieben.
chen. Was die populären Kulturprodukte «American Psycho» Aber halt! Da regt sich Leben:
als Buch und Film thematisieren und radikalisieren, ist das Morpheus: This is your last chance. After this, there is no
Lebensgefühl, das einen Mitläufer des Erfolgs beschleichen going back. You take the blue pill and the story ends. You wake
kann: Es ist verheerend, wenn die Erfolgssoftware in Endlos- up in your bed and you believe whatever you want to believe. You
schleifen läuft, Irritationen bleiben übersehen, Ungesteuer- take the red pill and you stay in Wonderland and I show you how
tes verliert sich aus dem Blick. Was dann? Bateman versucht deep the rabbit-hole goes. (The Matrix)
sich in Selbst-Erweckung, indem er sich nächtlichen Bluträu- Der Hauptakteur kann sich entscheiden, ob er alterna-
schen hingibt. Gewalt ist sein Medium beim Versuch, eine tive Realitätskonstruktionen wahrnehmen oder weiter den
Veränderung durchzusetzen. Traum virtuell vorgegebener Welten träumen will. Die blaue
Wie am 11. September. Doch dort kam die Gewalt nicht Pille führt ins Vergessen der gerade aufblitzenden Verun-
von innen, sondern von aussen. Ein grausames Erwachen. sicherung – wir können uns wieder wohlig dem eingespielten
Die Terroranschläge haben die USA aus ihrem «Urlaub von Programm hingeben, aufwachen und vergessen haben, vor
der Geschichte» geholt – so jedenfalls argumentiert Slavoj welcher Wahl wir standen. Die rote Pille bedeutet eine harte
Zizek in der «Zeit», eine Dialogzeile aus dem Film «The Landung im Wüstensand der Realität. Sie empfiehlt sich nur
Matrix» zitierend. Der 11. September bedeute ein «Will- denen, die bereit sind, auf die Überblendungssoftware der
kommen in der Wüste des Realen», ein re-entry in die Ge- Matrix zu verzichten. Mit der roten Pille platzt die Blase. Was
schichtlichkeit unserer Zeit nach dem Platzen der Blase. Ein passiert? Fragen stellen sich zuhauf: Was ist eigentlich los da
böses und überraschendes Erwachen aus der virtuellen Welt draussen? Was wurde übersehen? Hat der Wecker geklingelt?
der funktionierenden Hochleistungssysteme, erzielt mit bis- Zeit für ein Power-Frühstück und auf zur Arbeit?
lang nicht gekannten Mitteln. Eine Welt «da draussen» hat
sich zurückgemeldet, eine Welt jenseits der Finanzströme, der
globalisierten Märkte und der reibungslos verlaufenden SCHUTZ(T)RÄUME FÜR IRRITATIONSGETRIEBENE
Transaktionen. Diese Realität bricht herein in Form zu flie-
genden Bomben gewandelter Boeings . Und plötzlich ist die Nur weil ein Wecker klingelt, muss man noch nicht auf-
Irritation da. Wir schlagen blinzelnd die Augen auf. Ist das wachen. Wir alle kennen die Funktion von Schutz(t)räumen.
ein Aufwachen? Der Wecker läutet, und wir träumen von Kirchenglocken, die
Wechseln wir den Film, um unserer Gegenwart noch ein uns vorgaukeln, dass wir getrost weiterschlafen dürfen. Mich
Stück näher zu kommen. «The Matrix» von Andy und Larry friert, also träume ich von einer Reise zum Nordpol und
Wachowski (1999), in kurzer Zeit zum Kultfilm der nächsten schlafe weiter. Doch knapp bevor mich der Eisbär frisst …
Generation avanciert, beginnt in einer schlafenden Welt, die P. B.: There are no more barriers to cross. All I have in
nicht so ist, wie sie scheint. Die Matrix ist vollständig virtuell, common with the uncontrollable and the insane, the vicious and
eingespeist in die Köpfe der Menschen, denen sie Simulatio- the evil, all the mayhem I have caused and my utter indifference
nen eines «echten» Lebens vorspielt, während ihre Körper toward it, I have now surpassed. I still though, hold on to one
in einer Art Legebatterie gehalten werden, um als Energieer- single bleak truth: no one is safe, nothing is redeemed.
zeuger für eine übermächtig gewordene künstliche Intelligenz Nach dem 11. September kursierte in New Yorker Bank-
zu dienen. Einige Hacker brechen aus, schaffen den Grenz- kreisen das Gerücht, dass es sich beim Täter um einen wild
übertritt in die «wirkliche» Realität und bekämpfen die Mat- gewordenen Investor handle, der genug hatte von nach unten
rix. Diese Welt jenseits der programmierten Virtualität in ziehenden Märkten und den Anschlag inszenierte, um via
den Köpfen ist eine trostlose Wüste: Das zerstörte Chicago, Put-Options endlich wieder den grossen Reibach zu machen.
Überbleibsel eines langen Krieges der Menschheit gegen die Also steckte nichts Politisches, nichts Religiöses, nichts Wich-
von ihr erschaffene künstliche Intelligenz. Die Realität aus- tiges dahinter, sondern einfach einäugige Gier. Das wieder-
serhalb der Matrix ist eine sinnverlorene Schutthalde, nicht kehrende Greed-Society-Programm. – Eine abstruse Idee?
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«American Psycho» (Regie: Mary Harron, USA 2000)


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Unsere Hochleistungssysteme tendieren immer stärker


dazu, sich ihrer je eigenen Logik zu unterwerfen.

Völlig abwegig und irreal? Ja, das ist sie! Es lohnte sich nicht, Einäugigen», wobei Einäugigkeit meint: «eine Ausprägung
sie aufzugreifen, wenn sie uns nicht etwas Wichtiges verraten des Beobachtungsmodus sozialer Funktionssysteme, wonach
würde, nämlich, wie schön es wäre, wenn etwas an ihr dran sie die Fähigkeit verloren haben, ihren gesellschaftlichen
wäre. Wenn wir all die Irritationen der letzten Monate einfach Kontext als Bedingung ihrer eigenen Möglichkeit zu sehen».
wegwischen könnten, die Zeitungen von gestern zum Altpa- Seit längerem ist offensichtlich, dass es sehr erfolgreich sein
pier legen, um daraus Eintrittskarten zum Weiterschlafen zu kann, einäugig durch die Welt zu gehen. So hatten spätestens
drucken. 1989 die letzten realsozialistisch orientierten Fossile ihr
Fragen wir uns, was es bedeutet, auf so eine Idee zu Haupt zu beugen. Zyklopentum ist aber auch riskant. Das
kommen. Wofür könnte die Hypothese gut sein? Sie erlaubt Risiko der Schlaftrunkenheit war bis vor kurzem kaum im
zum Beispiel, sich weiterhin im Glauben zu wiegen, dass alles Bewusstsein, daran änderten auch die gewalttätigen Proteste
nur von innen kommt, dass es kein Draussen, kein Ausserhalb der Globalisierungsgegner von Seattle, Davos oder Genua
unseres Systems gibt, dass nur am selbst erzeugten Erfolg fest- nur wenig. Offensichtlich ermöglichen unsere lieb gewonne-
zuhalten ist, damit alles gut wird, dass angesichts von Irrita- nen success stories weiterhin, das eigene Wiegenlied zu sum-
tionen keinesfalls unsere Logik zu verändern ist. Selbst der men und sich dem Schlummertrunk hinzugeben – für den
schlimmste Fall ist ganz aus internen Mechanismen erklärbar. Schlaf, wenn schon nicht der Gerechten, dann wenigstens der
Das entlastet. Selbst in der Offensichtlichkeit der Katastro- Erfolgreichen.
phe, die grösser ist als alle je gemachten Vorstellungen, greift
das Gerücht zur Annahme, dass nur «einer von uns», ein
Systemmitspieler, es gewesen sein kann. Nur einer von uns MEHR STATT WENIGER?
kann so gut sein! Oder schärfer noch: Es gibt nichts ausser-
halb unserer Systemgrenzen – da ist keine mehrwertig existie- Unsere Hochleistungssysteme stehen an einem ent-
rende Realität. Kurz: Wir sind alles, was der Fall ist. What are scheidenden Punkt zwischen Selbstbindung und entfesselter
we doing after the orgy? Selbststeigerung. Die Entwicklungen der letzten Jahre deu-
teten auf Letzteres. Der 11. September hat vielleicht einen
Wendepunkt herbeigeführt. Jedenfalls hat er die Frage «Auf-
SCHLUMMERTRUNK FÜR ERFOLGSGESTEUERTE gewacht oder weiterschlafen?» radikalisiert. Und wer würde
sich schon angesichts der jüngsten Ereignisse für weiterschla-
Nachdem heute Schläfer und Einäugige Hochkonjunk- fen entscheiden wollen?
tur haben und in der Lage sind, tödliche Systemabstürze und Gleichwohl bleibt die Option der fortgesetzten Selbst-
Zusammenbrüche weit jenseits der Grenzen von Szenario- (über)steigerung sehr attraktiv. Diese Attraktivität sollte nicht
Workshops zu provozieren, sei die Frage nochmals gestattet: unterschätzt werden. Unsere Hochleistungssysteme tragen ge-
Wie wiegen wir uns in den Schlaf? Welches Lied lullt uns ein, nügend Energie in sich, um, so Willke pointiert, «einen tan-
welcher Trunk wirkt so verteufelt gut? Eine Hypothese stützt zenden Stern zu schaffen. Tatsächlich vibrieren die Akteure
sich auf Patrick Bateman, «The Matrix», die Swissair und des globalen Finanzsystems, die Experten der WTO, die Ana-
Wallstreet. Es ist die Aussage, dass unser aussergewöhnlicher lysten der Rating-Agenturen, die Patrone der Mafias, die
Erfolg uns ins Schlafwandeln bringt. Unser Schlummertrunk Kalkulateure der Rückversicherungen, die Kommunikatoren
wird gebraut aus: erstens den überaus erfolgreichen Selbst- der Medienkonzerne etc. in einer grenzenlosen Steigerung
steigerungen unserer grossen Weltsysteme, sei es in Wirt- ihres Selbst, in einer Selbsterhebung luziferischen Ausmasses,
schaft, Wissenschaft, Recht oder Sport. Zweitens deren feh- die zum Himmel schreit, um ihrer Hybris die angemessene
lendem Selbstbegrenzungspotenzial, das umso stärker ist, je Resonanz zu verleihen.» Diese Getriebenheit, gepaart mit
mehr externe Fesseln abgestreift werden. Und drittens ihrer ihrem Erfolg, verführt zur massiven Einäugigkeit.
internen Dynamik. Dieses Gebräu führt dazu, dass sich das Irritationen, schwache Signale, Hinweise auf Abwei-
Sehfeld für Kontextinformationen dieser Systeme massiv ver- chendes und sich Ankündigendes werden wegrationalisiert,
engt, während zugleich deren weltweite Durchdringungen Irritanten nicht befördert. Gesellschaftliche Kontexte müssen
immer mehr Raum greifen. dann nicht mehr beachtet werden. We are all in this together.
Unsere Hochleistungssysteme tendieren immer stärker Patrick Bateman muss weiter morden, Religion wird weiter als
dazu, sich ihrer je eigenen Logik zu unterwerfen. Helmut erledigt betrachtet, die Erosion kultureller Bezüge auf dem
Willke spricht in diesem Kontext von der «Herrschaft der globalen Spielfeld weiter verharmlost, soziale Ressourcen
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Hinweise auf Abweichendes und sich Ankündigendes werden


wegrationalisiert, Irritanten nicht befördert. Gesellschaftliche
Kontexte müssen dann nicht mehr beachtet werden.

dürfen weiter konsumiert werden.4 Warum? – Warum nicht?


Fast alle machen mit, fast alle möchten erfolgreich sein. Wer INGREDIENZIEN DES SCHLUMMERTRUNKS
könnte sich der Faszination des tanzenden Sterns entziehen.
Es ist mitreissend, spannend, es bringt Wohlstand und Auf- Selbststeigerung: Coca-Cola in Kabul, McDonald’s in
stieg. – Zu welchem Preis? Das leise Stöhnen des Investment- Islamabad – die Vorreiter der «effizienteren Welt» sind im-
Bankers in einer stillen Stunde, das Seufzen der Vertriebsvor- mer schon vor allen Cruise-Missiles vor Ort. In diesem Bild
ständin, schlaflos morgens zwischen vier und fünf, das Zittern symbolisiert sich die ungeheure expansive Dynamik unseres
der Hand des Bereichsleiters, der eben den Brief des Schei- Systems. Sie unterordnet immer mehr Weltanteile dem Ope-
dungsanwalts seiner dritten Frau erhalten hat, all diese Ge- rationsprinzip ihrer Logik und wird immer einfallsreicher in
räusche sprechen die Sprache der Sprachlosen und sind doch den Möglichkeiten, das Geschäft zu betreiben. Paradebei-
nur Symptome einer Entwicklung auf einer anderen Ebene. spiel: die Ausweitung von Finanzgeschäften. Deren Entwick-
Die Weltgesellschaft und ihre Dynamik operieren nicht auf lung bietet eine eindrückliche Geschichte von jeweils sich
der Basis individuellen Glücks. Individuelles Glück und selbst überbietenden Steigerungsformen.
womöglich gar «das gute Leben» sind bloss Abfallprodukte
funktional ausdifferenzierter Hochleistungssysteme. Selbstbegrenzung: Jedem dynamischen System stellt
Die Frage ist falsch gestellt: Nicht Glück oder Unglück sich die Frage, welche Kräfte der Selbstbindung, der selbst
ist die Alternative, um die es geht – so wie uns Bateman nur auferlegten Begrenzung, ihm innewohnen. Welche Kräfte
interessiert als ein auf die individuelle Ebene gespiegeltes können die mit grosser Unsicherheit belegten Systementwick-
Beispiel einer systemischen Entgrenzung. Worum es geht, lungen begrenzen? Die Frage stellt sich verstärkt, wenn die
sind neue Zusammenspiele zwischen Selbststeigerung und Bindungskräfte parallel operierender Systeme sich abschwä-
Selbstbindung, zwischen Irritations- und Erfolgsgesteuert- chen. So war das System der Wirtschaft lange an von der Re-
heit, individuellen und sozialen Ebenen. Welche Lösungen ligion gebotene Grenzen gebunden. Andere Einschränkun-
sind künftig möglich? Was sind die Alternativen? Wer kann gen ergeben sich durch die Politik oder die Grenzen der
sie benennen? Wie finden Sie zusammen? Was bleibt dabei Nationalstaaten. Diese Fesseln werden immer stärker zer-
unbesehen? Vielleicht liegt, dem alten Prinzip von Heinz von schlagen, jedoch stehen ihnen keine Selbstbegrenzungen
Förster folgend, die einzige Alternative in der Erweiterung gegenüber. Die Globalisierungskritik versuchte, darauf zu
von Optionen. Komplexität könnte dann nur mit der Er- reagieren, und die Wissenschaft hat die Frage freiwilliger
höhung von Komplexität begegnet werden. Reduktion bräch- Forschungsstopps aufgeworfen. Gibt es Selbstverzicht? Kön-
te allenfalls kurzfristige Wählerstimmen, vermeintliche Siege nen sich Wissenschaft, global operierende Firmen und ande-
in Winterkriegen oder gute Quartalsergebnisse. Als Entwick- re Weltsysteme selbst regulieren?
lungsoption führt sie nirgends hin. Wie Alternativen finden?
Innere Dynamik: Das Doppelspiel von Selbststeigerung
und Fehlen von Selbstbindungskräften führt – solange exter-
AFTER THE ORGY ne Kräfte nicht eingreifen – zu einer Dynamik, denen sich die
Akteure nicht entziehen können. Greenpeace muss sich
Angenommen, Sie wären eingeschlafen. Wie könnten ebenso professionalisieren wie Mobility-Car-Sharing oder
Sie das entdecken? Wer könnte es Ihnen sagen? Wo läutet ein SwissRe. Die Dynamik spielt so stark, dass Einäugigkeit fast
Wecker? Und wenn Sie wüssten, dass es zutrifft: Was könnten zur Bedingung wird, um mithalten zu können. Aber welche
Sie tun? Welche Fragen könnten Sie stellen? – Wir vermuten Chance auf zweite Blicke, auf wache Abweichungen beste-
Lösungen jenseits von Selbstbedienung, Selbstbindung und hen dann noch? Ins Visier geraten interne Operationsprinzi-
entfesselter Selbststeigerung; auch in nächster Nähe unseres pien, alles andere droht wegzufallen. Ökonomen reden vom
gegenwärtigen Handelns. Weil sich wichtige Aspekte unserer freien Spiel von Angebot und Nachfrage, das, kann man hin-
Welt in ihrer Einfachheit und Alltäglichkeit oft unserem Blick zufügen, sich zunehmend nur noch an sich selbst orientiert.
entziehen, weil wir Entscheidendes vielfach schon vor Augen Frei mitspielen kann nur, wer vieles ausser Acht lässt und
hatten. Drei Hinweise für einen ersten Schritt: das Verbleibende sehr ernst nimmt.
Stellen Sie Kontakt her: Wozu könnten andere Perspek-
tiven dienen? Wer müsste mit wem worüber reden? Wer
bleibt ausgeklammert und kommt nicht zu Wort? Wie können
4 England hat heute die geringsten Bindungskräfte – abzulesen an den Kindern, sozialer Netze: Die Ausschreitungen in mehreren Städten könnten ein Signal für
die nicht in Familien aufwachsen. Soziologen beschreiben die Gefahr fehlender eine riskante Entwicklung sein.
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Wie entkommen Sie der Gewissheit des Erfolgs?

diese Kontakte an Intensität gewinnen? Woran erkennen Sie,


dass Ihre Kontakte intensiv genug sind?
Remixen sie den Schlummertrunk: Wie können Sie Ihre
Ziele in Fehler umformulieren? Wie können Sie neben Selbst-
steigerung und Selbstbeschränkung andere Ingredienzien ins
dynamische Spiel Ihres Erfolgs einbringen? Wer zeigt Ihnen,
woran Sie scheitern können? Wie verhindern Sie die Verhin-
derung von Lernen? Wie entgehen Sie der Verführung, Ihr
Wissen dem aktuellen Stand Ihres Eingeschlafenseins anzu-
passen? Wie entkommen Sie der Gewissheit des Erfolgs?
Lassen Sie Abweichungen relevant werden: Hört Ihr Sys-
tem neben bestätigenden Nachrichten auch die irritieren-
den? Was können Sie tun, damit unerwartete Ereignisse als
essenzielle Information kundgetan werden? Wie geht man bei
Ihnen mit Abweichendem und Abweichlern um? Was passiert
konkret, wenn ...? Wie können Abweichungen so genutzt
werden, dass sie einen Unterschied machen und konstruktiv
werden können – im ungeheuer erfolgsgesteuerten, ganz
normalen Wahnsinn des Alltags?

Lektüre zum Thema

Jean Baudrillard Karl E. Weick, Slavoj Zizek


America Kataleen M. Sutcliffe Enjoy Your Symptom! Jacques
Verso, London 1989 Managing the Unexpected: Lacan in Hollywood and Out
Assuring High Performance Routledge, London 2001
Bret Easton Ellis in an Age of Complexity
American Psycho John Bass Wiley, 2000 Slavoj Zizek
Vintage Books, Willkommen in der Wüste
New York 1992 Helmut Willke des Realen
Atopia Die Zeit, 20. 11. 2001
Niklas Luhmann Suhrkamp,
Die Gesellschaft der Frankfurt am Main 2001 www.nic-las.com/matrix
Gesellschaft Web-Environment zu aktuellen
Suhrkamp, Managementthemen
Frankfurt am Main 1998
Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde,
als sich der «Harvard Manager» träumen lässt.

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Qualität der Beiträge bürgt der Schweizer Think Tank GDI.
Gegründet vom Visionär und Migros-Gründer Gottlieb
Duttweiler, ist das GDI seit bald vierzig Jahren eine wichtige
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jof Capra, Simonetta Carbonaro, Stan Davis, Vilém Flusser,
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Gundolf Freyermuth, Hans Geisslinger, Gerd Gerken, Neil


Gershenfeld, James Gilmore, Peter Glotz, Daniel Goleman,
Peter Gross, Gary Hamel, Niklas Luhmann, Franz Liebl, Avishai
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