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DENKMALPFLEGE

IN BADEN-WÜRTTEMBERG

NACH RICHTEN BLATT DES LANDESDENKMALAMTES ■ 1/1997


Inhalt

Dieter Planck Editorial

Peter Berkenkopf/ Dokumentation und Restaurierung der mittelalter-


Otto Wölbert lichen Ciasfenster aus St. Dionys in Esslingen 5

Jürgen Michler Bebenhausen, 1335: Das monumentale Prachtfenster


im Chor der Klosterkirche
Zeugnis eines kulturgeschichtlichen Umbruchs 11

Andrea Nölke Clasmalerei im Kleinformat:


Ein emailbemalter Becher des Hochmittelalters
aus Münstertal 17

Judith Breuer Zur Lichtführung in der Alexanderkirche


zu Marbach am Neckar 23

Ute Fahrbach-Dreher Evangelische Kirche und Pfarrhaus in Strümpfeibrunn -


ein Cruppenbau aus der Zeit des 1. Weltkrieges 29

Mitteilungen 35

Ausstellungen 35

Neuerscheinung 36

Titelbild
Esslingen, St. Dionys, Marienfenster (s II 7 d): Darstellung von Johannes des Täufers.
Zum Beitrag von Peter Berkenkopf / Otto Wölbert: Dokumentation und Restaurierung der mittelalterlichen Glasfenster aus
St. Dionys in Esslingen.

DENKMALPFLEGE IN BADEN-WÜRTTEMBERG ■ Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg


Herausgeber: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Mörikestraße 12, 70178 Stuttgart • Verantwortlich im Sinne des Presse-
rechts: Präsident Prof. Dr. Dieter Planck • Schriftleitung: Dr. S. Leutheußer-Holz • Stellvertreter: Dr. Christoph Unz • Redaktions-
ausschuß: Dr. H. C. Brand, Dr. J. Breuer, Prof. Dr. W. Stopfel, Dr. M. Untermann, Dr. P. Wichmann, Dr. J. Wilhelm • Produktion:
Verlagsbüro Wais & Partner, Stuttgart • Druck: Konradin Druck, Kohlhammerstraße 1-15, 70771 Leinfelden-Echterdingen • Post-
verlagsort: 70178 Stuttgart • Erscheinungsweise: vierteljährlich • Auflage: 20 000 ■ Gedruckt auf holzfreiem, chlorfrei gebleichtem
Papier • Beim Nachdruck sind Quellenangaben und die Überlassung von zwei Belegexemplaren an die Schriftleitung erforder-
lich.
Bankverbindung: Landesoberkasse Stuttgart, Baden-Württembergische Bank Stuttgart Konto 10 54 633100 (BLZ 600 200 30).
Verwendungszweck Kap. 0704, Titel 119 48.
Editorial

Dieter Planck

25 Jahre Landesdenkmalamt sche Denkmäler wurden in der Nach-


kriegszeit weitaus mehr zerstört als
Am I.Januar 1997 wurde das Landes- durch die Kriegseinwirkungen selbst.
denkmalamt 25 Jahre alt. Das im Juli
1971 verabschiedete landeseinheitli- Folglich war es Hauptaufgabe des
che Denkmalschutzgesetz von Baden- seinerzeit neu gegründeten Landes-
Württemberg trat am I.Januar 1972 in denkmalamtes, auf der Grundlage
Kraft. Damit verbunden war eine Neu- dieses landeseinheitlichen Gesetzes
strukturierung der Fachbehörde. Das dafür zu sorgen, daß die wichtigsten
Landesdenkmalamt Baden-Württem- Denkmäler für die nachfolgenden
berg, mit Sitz in Stuttgart und Außen- Generationen gesichert und erhalten
stellen in Freiburg, Karlsruhe und Tü- werden können.
bingen, fungiert mit Wirkung zum
I.Januar 1972 als Landesoberbehör- Des 25jährigen Jubiläums des Landes-
de. Damit erhielt das Land Baden- denkmalamtes wollen wir im Juli 1997
Württemberg zum erstenmal in seiner anläßlich des 7. Landesdenkmaltages
Geschichte eine einheitliche Fachbe- im Kloster Bronnbach (Main-Tauber-
hörde für Denkmalpflege und Denk- Kreis) besonders gedenken. Ein Rück-
malschutz. blick auf das Erreichte, vor allen Din-
gen aber die Entwicklung von Per-
Rückblickend ist bis zum Beginn der spektiven für die zukünftige Arbeit der
90er Jahre ein stetiger, den Anforde- Denkmalpflege in Baden-Württem-
rungen entsprechender Ausbau im berg, werden Themen dieser Veran-
personellen wie auch im finanziellen staltung sein.
Bereich zu verzeichnen. Die bis 1972
selbständigen Staatlichen Ämter für Jahresbilanz 1996
Denkmalpflege in Freiburg, Karlsruhe,
Stuttgart und Tübingen erhielten zahl- Das Jahr 1996 war gekennzeichnet
reiche Stellen für Gebietskonserva- von einschneidenden politischen Ent-
toren und den technischen Bereich. scheiden, insbesondere auf finanziel-
Erstmals konnte die Inventarisation lem Gebiet. Nach den Landtagswah-
der Kulturdenkmäler auf breiter per- len im Frühjahr hat die neue Landes-
soneller Basis durchgeführt werden. regierung zur Konsolidierung des
Neue technische und naturwissen- Landeshaushaltes im Laufe der fol-
schaftliche Sonderbereiche wurden genden Monate große Anstrengun-
geschaffen: Restaurierungsberatung, gen unternommen, in fast allen Be-
Photogrammetrie, archäologische reichen der Landesvetwaltung ein-
Prospektion (Luftbildarchäologie und schneidende Sparmaßnahmen ein-
Geophysik) sowie Archäobotanik zuleiten, die nicht nur den finanziel-
und -osteologie. Dieser Entwicklung len Rahmen und Spielraum betrafen,
entsprechend wurden auch die Ver- sondern auch in vielen Fällen struktu-
waltung und das Zuschußwesen aus- relle Veränderungen mit sich brach-
gebaut. In zahlreichen Publikationen ten.
schlagen sich die Arbeitsergebnisse
des Landesdenkmalamtes nieder. Von großer Bedeutung waren im ver-
gangenen Jahr auch die Überlegun-
Die Veränderungen unserer Städte, gen zur Umsetzung der umfassen-
Ausweisungen umfangreicher Neu- den Organisationsuntersuchung der
baugebiete und zahlreicher Fern- Denkmalschutzverwaltung in den
straßen, aber auch der Wandel in un- Jahren 1994 und 1995. Ergebnis dieser
seren Kulturlandschaften durch groß- Untersuchung war die Beibehaltung
räumige Flurbereinigungsmaßnah- der äußeren Struktur des Landes-
men und durch die Intensivierung der denkmalamtes als Landesoberbehör-
Landwirtschaft hatten bislang noch de für den Denkmalschutz mit seinen
nie dagewesene Zerstörungen am Außenstellen in Freiburg, Karlsruhe
Bestand unseres kulturellen Erbes zur und Tübingen. Der Erhalt der Außen-
Folge. Baudenkmäler und archäologi- stellen ist aus vielerlei Gründen not-

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wendig, nicht zuletzt, um eine Prä- der Inventarisation im Rahmen der
senz vor Ort zu gewährleisten. Daran Denkmallisten bzw. durch die nach-
soll auch in Zukunft festgehalten wer- richtliche Übernahme der Kultur-
den. denkmale in die Bauleitpläne bereit-
gestellt werden müssen. Es ist deshalb
Es wurden innerbetrieblich dringend dringend notwendig, so schnell wie
notwendige organisatorische Verbes- möglich, die noch nicht inventarisier-
serungen in zahlreichen Arbeitsgrup- ten Kreise flächendeckend zu er-
pen diskutiert, in einigen dieser Ar- schließen. Alle, die in diesen Berei-
beitsgruppen wirkten Vertreter des chen innerhalb des Landesdenkmal-
Wirtschaftsministeriums sowie der amtes arbeiten, sind gebeten, mit
kommunalen Spitzenverbände mit dazu beizutragen, daß dieses Ziel
und prüften infrastrukturelle Verbes- möglichst bald realisiert werden kann.
serungsvorschläge, die aus der Orga- Sowohl bei der Erfassung der Bau-
nisationsuntersuchung hervorgegan- denkmale als auch der der archäolo-
gen waren. Diese Überlegungen gischen Denkmale hat man sich zu-
mündeten in konkrete Vorschläge, sammen mit dem Wirtschaftsministe-
die teilweise inzwischen umgesetzt rium auf ein beschleunigtes Verfahren
worden sind. Zahlreiche Kolleginnen als ersten Erhebungsschritt geeinigt.
und Kollegen des Amtes haben im Die mittelalterlichen Bodendenkmale
Jahre 1996 neben ihrer eigentlichen - schwerpunktmäßig im Bereich mit-
Tätigkeit zusätzlich viel Zeit aufge- telalterlicher Städte - werden landes-
wandt und große Initiativen ergriffen, weit durch den Stadtkataster - einem
um sachdienliche Verbesserungsvor- gemeinsamen Projekt von Referat 25
schläge den einzelnen Arbeitsgrup- und 34 - als erstem Erhebungsschritt
pen vorlegen zu können. erfaßt.
Ein wichtiges Ergebnis der Organi- In weiteren Arbeitsgruppen galt es,
sationsuntersuchung war die innere das Zuschußverfahren weiter zu ver-
Neustrukturierung des Amtes. Der bessern, vor allen Dingen durch die
neue Organisationsplan und der da- Einführung einer Mehrkostenliste und
mit verbundene detaillierte Geschäfts- eines überarbeiteten Punktesystems
verteilungsplan halten die Gliederung für die Gewährung von Zuschüssen.
des Landesdenkmalamtes in drei Ab- Das schon seit Jahren angewandte
teilungen bei. Zur Durchführung der Punktesystem hat sich als notwendi-
praktischen Arbeit bilden die Außen- ges und sachgerechtes Kriterium be-
stellen eine wichtige Grundlage. währt. Darüber hinaus galt es, zu
überprüfen, wie die Zusammenarbeit
Sowohl in der Abteilung I wie auch in zwischen den Unteren Denkmal-
der Abteilung II wurde je ein neues schutzbehörden und der Fach-
Referat geschaffen: Referat 15 mit der behörde beschleunigt werden kann.
Restaurierungsberatung durch das Unter Vorsitz des Wirtschaftsministeri-
Amt und Referat 17, eine Einrichtung ums wurde eine weitere Arbeits-
am Bodensee, für die Feuchtboden- gruppe einberufen, an der die kom-
und Pfahlbauarchäologie. Die Bil- munalen Spitzenverbände, die Regie-
dung dieser beiden Referate ist Aus- rungspräsidien und das Landesdenk-
druck der großen Bedeutung, die den malamt beteiligt waren und die kon-
jeweiligen Bereichen zukommt. krete Vorschläge erarbeiteten. So
besteht zukünftig die Möglichkeit,
In einer anderen Arbeitsgruppe wur- zwischen den Unteren Denkmal-
den Vorschläge für eine Verstärkung schutzbehörden und der Fach-
und Beschleunigung der dringend behörde Vereinbarungen zu treffen
notwendigen Inventarisation der Bau- über ein etwaiges vorweggenomme-
denkmale und der archäologischen nes Einvernehmen für bestimmte Fall-
Denkmale vorgelegt. Vor allen Din- gruppen. Dies ist sicherlich ein ent-
gen durch die novellierte Landes- scheidender Beitrag für die Beschleu-
bauordnung (LBO), die beim Kennt- nigung der Verfahren.
nisgabeverfahren keine Regelanfrage
der Baurechtsbehörden an die Un- Die neue Landesregierung hat im
teren Denkmalschutzbehörden mehr Rahmen der Koalitionsvereinbarung
enthält, kommt der möglichst flä- auch Aussagen zur Denkmalpflege
chendeckenden Inventarisation eine und zum Denkmalschutz gemacht.
noch größere Bedeutung zu. Im Be- Die Absicht, das Einvernehmen mit
reich der Baudenkmalpflege sind der Unteren Denkmalschutzbehörde,
mehr als 30 % des Landes Baden- also den § 3 Abs. 3 des Denkmai-
Württemberg noch nicht erfaßt. Bei sch utzgesetzes, zu streichen, würde
der Archäologie ist dieser Prozentsatz bedeuten, daß die Entscheidung über
noch höher. Aufgrund der kurzen die Eigenschaftals Kulturdenkmal und
Verfahrensfristen der LBO sind die letztendlich auch über seinen Abriß
Denkmalschutzbehörden auf aussa- allein bei den Unteren Denkmal-
gekräftige Unterlagen über die Denk- schutzbehörden liegen würde. Eine
maleigenschaft angewiesen, die von solche Regelung brächte einen emp-

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findlichen Schaden für die Denkmal- DM, so fiel der Förderrahmen im Ver-
pflege mit sich. In der Vergangenheit lauf des Jahres 1996 auf 47,8 Mio DM
hat es sich immer wieder gezeigt, wie ab. Von insgesamt 1423 Zuwendungs-
wichtig das Gespräch, die Diskussion anträgen für die Erhaltung von Bau-
und letztendlich auch der Kompro- denkmalen konnten 1996 nur noch
miß zwischen Unterer Denkmal- ca. 770 Antragsteller berücksichtigt
schutzbehörde und der Fachbehör- werden. Dies bedeutet eine Ableh-
de, also dem Landesdenkmalamt, nungsquote von ca. 46 %, nachdem
sind. Nur so können oftmals vorder- die Ablehnungsquote im Jahre 1995
gründige lokale Gesichtspunkte bei nur 24,6 % betragen hatte.
der Entscheidung über die Erhaltung
eines Kulturdenkmals ausgeschlossen Gegenüber dem Urhaushalt des Am-
werden. tes im Jahre 1996 mit einem Gesamt-
volumen von 102,5 Mio DM sind im
Die bisherige Regelung ist eine Ge- Haushaltsentwurf 1997 nur noch rund
währ für eine landeseinheitliche 75,4 Mio DM veranschlagt. Das ist eine
Denkmalpflege. Würde sie entfallen, Verminderung um mehr als 25 %. Für
so bedeutete dies das Ende einer die Gewährung von Zuschüssen ste-
sinnvollen Praxis und letztendlich - hen bei den Toto-Lotto-Mitteln 1997
wenn man die Zahl der 199 Unteren nur Verpflichtungsermächtigungen
Denkmalschutzbehörden im Lande von 38 Mio DM zur Verfügung, von
Baden-Württemberg berücksichtigt - denen voraussichtlich nur 80 %, also
199 verschiedene Denkmalpflege- 30 Mio DM, freigegeben werden. Die
maßstäbe im Lande. Eine Verlagerung restlichen veranschlagten Mittel wer-
der alleinigen Entscheidung auf die den zur Deckung von Verpflichtun-
Unteren Denkmalschutzbehörden, gen aus Vorjahren benötigt. Diese
das heißt, auf die Gemeinden mit ei- rückläufige Entwicklung betrifft in
gener Baurechtszuständigkeit, hätte gleicher Weise die Archäologische
zur Konsequenz, daß die bisher nur in Denkmalpflege. Für diesen Bereich
den seltendsten Fällen ausreichend standen in den vergangenen Jahren
fachlich geschulten Kräfte und das regelmäßig etwa 15 Mio DM, ein-
dort eingesetzte Personal wesentlich schließlich der Personalmittel für An-
verstärkt und fortgebildet werden gestellte und Arbeiter, zur Verfügung.
müßten, um eine fachgerechte Ent- In diesem Jahr wird dieser Betrag auf
scheidung in eigener Zuständigkeit ca. 6 Mio DM reduziert. 1997 wird
zu fällen. Wir hoffen, daß die Landes- auch für die Archäologische Denk-
regierung die darin enthaltenen Pro- malpflege ein in höchstem Maße un-
blematiken erkennt: einerseits be- erfreuliches Jahr, da archäologische
stünde für die kommunalen Verwal- Rettungsgrabungen nur noch in sehr
tungen die Notwendigkeit, die Unte- beschränktem Rahmen durchgeführt
ren Denkmalschutzbenörden sowohl werden können. Das bedeutet ein
in fachlicher wie auch personeller Aufgeben und Zerstören wichtiger
Hinsicht auszubauen, andererseits Dokumente der Frühgeschichte unse-
drohte die Gefahr der Schwächung res Landes.
der Fachbehörde und damit die Auf-
gabe einer systematischen, landesein- Als Leiter des Landesdenkmalamtes
heitlichen Denkmalpflege. appelliere ich an die verantwortlichen
politischen Kräfte in unserem Lande,
Die Landesregierung steht vor einer auch weiterhin die finanziellen
schwierigen finanziellen Situation, die Voraussetzungen zu schaffen, um ei-
es notwendig macht, in allen Be- nerseits Denkmaleigentümern durch
reichen des Landeshaushaltes emp- Zuschüsse den Erhalt ihres Denkmals
findliche Einsparungen vorzunehmen. zu ermöglichen, und um andererseits
die erforderlichen Rettungsgrabun-
Vor diesem Hintergrund war zu be- gen durchführen zu können. Diese fi-
fürchten, daß auch der Haushalt des nanziellen Rahmenbedingungen sind
Landesdenkmalamtes diese schwie- notwendig, um eine sinnvolle und
rige Phase nicht unangetastet überste- verantwortungsvolle Denkmalpflege
hen würde. auch in Zukunft betreiben zu können.
Zudem gilt es, das Denkmalschutzge-
Der überwiegende Teil der Mittel zur setz von Baden-Württemberg, das in
Förderung der Denkmalpflege wird den letzten 25 Jahren bundesweit an-
seit Jahrzehnten aus zweckgebunde- erkannt wurde und das sich als wirk-
nen Toto-Lotto-Mitteln aufgebracht, sam für die Belange der Denkmal-
die bislang von Kürzungen ausge- pflege erwies, in der bewährten Fas-
nommen waren. Hiervon ist die Lan- sung unverändert zu erhalten. Die Be-
desregierung im Jahr 1996 erstmals ab- wahrung unserer Kulturdenkmale -
gekommen und hat diese Mittel emp- seien es Baudenkmale, bewegliche
findlich gekürzt. Standen im Jahre oder archäologische Denkmale-,
1994 noch 60,5 Mio DM für Zuschüs- untersteht der Kulturpolitik der Län-
se an Denkmaleigentümer zur Verfü- der. Sind Denkmäler nicht zu erhal-
gung und im Jahre 1995 ca. 59,7 Mio ten, verlieren wir landesspezifische

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Werte unserer südwestdeutschen Kul- Ziele, aber auch über die organisato-
turgeschichte, die nicht zu ersetzen rische Struktur des Landesdenkmal-
sind. amtes informiert. Den Auftakt für eine
Faltblattserie, die zu einzelnen The-
Insgesamt wird durch den enormen men der Denkmalpflege kurze Infor-
Rückgang der finanziellen Möglich- mationen liefert, wird der Abdruck
keiten die Arbeit des Landesdenk- des Denkmalschutzgesetzes bilden.
malamtes zusätzlich belastet. Bedingt
durch die allgemein bekannte Haus- Das Jahr 1997 versetzt uns zweifellos
haltssituation des Landes werden im in eine schwierige Zeit. Es ist sicherlich
Rahmen der künftigen Denkmalför- problematisch, ohne ausreichenden
derung viele konservatorische Aufga- finanziellen Rückhalt entsprechende
ben nur noch in begrenztem Rahmen Auflagen zu formulieren oder bei der
zu bewältigen sein. Zahlreiche Re- Ausweisung eines Neubaugebietes
staurierungs- und Erneuerungsmaß- auf die erforderliche Durchführung
nahmen müssen in den kommenden von Rettungsgrabungen hinzuwirken.
Jahren zurückgestellt werden. Der Es bedarf großer Anstrengungen, um
Sparzwang in der Förderpraxis der die Aufgaben und Ziele der Denkmal-
Bau- und Kunstdenkmalpflege führt pflege auch in dieser schwierig ge-
zwangsläufig zu einer noch stärkeren wordenen Zeit konsequent zu verfol-
Prioritätensetzung. Finanziell geför- gen. Die vielfältigen Kulturdenkmale
dert werden können nur noch unauf- - von den hlöhlen der Schwäbischen
schiebbare substanzerhaltende Maß- Alb, über die reiche Burgenlandschaft
nahmen; alles andere muß ohne unseres Landes, die prächtige Archi-
finanzielle Zuwendung durch das tektur der Gotik und des Barock, bis
Landesdenkmalamt erfolgen. Denk- hin zur Industriearchitektur des ausge-
maiverluste werden angesichts der henden 19. Jahrhunderts und der Ge-
geschilderten Situation nicht mehr genwart- bilden ein Charakteristikum
verhindert werden können. derKulturlandschaftvon Baden-Würt-
temberg. Ihre Eigenarten und beson-
Ein besonderes Anliegen wird es ge- dere Qualität zu erhalten, ist Auftrag
rade in dieser Zeit der schwieri- und Verpflichtung der Denkmalpfle-
gen finanziellen Situation sein, durch ge-
eine gezielte, wirksame Öffentlich-
keitsarbeit in allen Bereichen der
Denkmalpflege der Bevölkerung
deutlich zu machen, was Denkmal- Prof. Dr. Dieter Planck
pflege eigentlich will und leistet. Präsident des Landesdenkmalamtes
Baden-Württemberg
In Kürze können wir ein Faltblatt her- Mörikestraße 12
ausgeben, das über die Aufgaben und 70178 Stuttgart

Redaktionelle Mitteilung

Die Leser unseres Nachrichtenblattes werden über das späte Erscheinen


von Heft 1 verwundert sein. Wir entschuldigen uns für diese Verzögerung.
Sie steht im Zusammenhang mit der allgemeinen Haushaltslage, die auch
das Landesdenkmalamt zwingt, über Einsparungsmöglichkeiten nachzu-
denken.
Um das vierteljährliche Erscheinen des Nachrichtenblattes beibehalten zu
können, wird der Umfang jeder Ausgabe reduziert und ab Heft 2 auf das
farbige Titelbild verzichtet. Wir bitten für diese Maßnahme um Ihr Ver-
ständnis und hoffen, daß auch ein vorübergehend weniger umfangreiches
Heft Ihr Interesse findet.
In der vorliegenden Ausgabe vertiefen wir das Thema „Glas". Anlaß dazu ist
die Ausstellung „Von der Ordnung der Welt. Mittelalterliche Glasma-
lereien", die in Esslingen vom 11. Mai bis zum 3. August 1997 stattfindet. Ge-
zeigtwerden mittelalterliche Glasfenster aus der Zeit um 1300. Sie stammen
aus drei Esslinger Kirchen und stellen einen der bedeutendsten Bestände
mittelalterlicher Glasmalerei in Südwestdeutschland dar.
In Heft 2 stehen „Die Alamannen" im Mittelpunkt. Wir wollen damit auf die
große Landesausstellung in Stuttgart aufmerksam machen, die vom 14. Juni
bis zum 14. September1997 im SüdwestLB Forum stattfindet.

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Dokumentation und Restaurierung

der mittelalterlichen Glasfenster

aus St. Dionys in Esslingen

Peter Berkenkopf / Otto Wölbert

■ 1 Esslingen, St. Dionys „Papageienfenster


(n III 9d), Ausschnitt aus dem „Christus-Fen-
ster". Ehemals in der Franziskanerkirche Ess-
lingen.

Im Chor der evangelischen Stadtkir- dargestellten Stifter-Ehepaar Stainhö-


che St. Dionys in Esslingen befindet vel bezeichnet, auch Bibelfenster ge-
sich der wohl bedeutendste Bestand nannt, weil darin Personen und Sze-
an mittelalterlichen Glasfenstern in nen aus dem Alten und Neuen Testa-
Süddeutschland. Die erhaltenen 280 ment dargestellt sind. (Im Bereich des
Scheiben verteilen sich auf sechs Maßwerkes sind neuere Scheiben
Chorfenster. Sie wurden im späten eingesetzt).
13. Jahrhundert geschaffen. Es han- - Das Märtyrer-Fenster (nil), genannt
delt sich um folgende Fenster; nach den Darstellungen von Heili-
genmartyrien, die nach 1945 zusam-
- Das Stainhövel-Fenster (I), nach dem men mit dem Rest eines Passionszy-

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klus und der Erscheinung Christi hier kompletten Ausbau der alten Schei-
untergebracht wurden. ben behoben werden. In diesem Zu-
- Das Marien-Fenster (s II), mit Sze- sammenhang mußte zunächst nach
nen aus dem Marienleben (42 Felder dem tatsächlichen Zustand der Fen-
ergänzt durch 14 Nachschöpfungen ster gefragt werden.
nach 1945).
- Das Christus-Fenster (n III), beste- Würden sie den Aus- und Wiederein-
hend aus 26 Feldern mit Leben-Chri- bau unbeschadet überstehen? Wo
sti-Darstellungen und 26 Ornament- und wie sollte man diesen Bestand
feldern, die aus der Esslinger Franzis- lagern, der zu den größten mittelalter-
kanerkirche 1899 in die Dionyskirche lichen Glasbeständen in der Bundes-
verbracht wurden. republik zählt? Müßten gegebenen-
- Das Credo-und Tugenden-Fenster falls Konservierungsarbeiten durchge-
(s III); hier sind Scheiben aus vier ver- führt werden?
schiedenen Gruppen (1950) zusam-
mengefügt. Sie bestehen aus Darstel- All diese Fragen mußten nun schnell
lungen von Aposteln,Tugenden, Plato und fachgerecht beantwortet wer-
und Aristoteles, Tieren und Ornament- den. Hierzu wurde vom Landesdenk-
scheiben (letztere ebenfalls aus der malamt Baden-Württemberg ge-
Franziskanerkirche 1899 umgesetzt). meinsam mit der Kirchengemeinde
- Marien-Fenster (s IV); dieses Fen- ein Gutachtergremium einberufen,
ster zeigt Szenen aus dem Leben Ma- das bei den anstehenden Arbeiten
riens. beratend mitwirken soll. Aus der
Dombauhütte Köln erhielten wir auf
Ursprünglich war die jetzt stattfinden- Anfrage schnelle Hilfe. Sie stellte mit
de Konservierung und Restaurierung Peter Decker (Leiter der Glasrestau-
der Glasfenster von St. Dionys an- rierungswerkstatt), Peter Berkenkopf
gesichts der großen Belastungen, die (Glasrestaurator) sowie Ulrike Brink-
die Kirchengemeinde mit der Reno- mann (Mitarbeiterin des BMFT-For-
vierung der Außenfassade tragen schungsprojektes Glas) drei Mitarbei-
muß, nicht geplant. Und dies aus ter für eine Begutachtung der Schei-
gutem Grund. Denn die mittelalterli- ben zur Verfügung. Zusammen mit
chen Scheiben waren seit 1978 durch dem Landesdenkmalamt wurde bei
eine Schutzverglasung den aggres- einem Termin vom Gerüst aus der all-
siven Umwelteinflüssen weitestge- gemeine Zustand der Fenster begut-
hend entzogen. Die damit zusam- achtet. Es wurde sehr bald deutlich,
menhängende Erwartung, nichts un- daß die Scheiben im Vergleich zuein-
ternehmen zu müssen, wurde zudem ander sehr unterschiedliche Zustände
durch die Untersuchung des Fraun- aufwiesen. Die Beteiligten waren sich
hofer Institutes in Würzburg bestärkt, rasch einig, daß auf der Grundlage
die eine hohe Wirksamkeit der dieser Begutachtung eine Planung
Außenschutzverglasung nachgewie- notwendiger Konsetvierungsarbeiten
sen hatte. ohne eine detaillierte Untersuchung
nicht möglich ist. So fand ein zweiter
Im Zuge der Außeninstandsetzung Termin statt, an dem auch Restaurator
stellte man jedoch fest, daß die Maß- Valentin Saile, Stuttgart, teilnahm.
■ 2u. 3 Ausschnitt aus dem „Papageienfen- werkstreben der Chorfenster besorg- Dabei wurden verabredungsgemäß
ster". Reinigungsprobe P 1, links Korrosions- niserregend schwankten. Es mußte sechs repräsentative Scheiben aus-
ablagerungen mit fixierten Konturteilen; gehandelt werden. Die statischen gewählt. Für die Auswahl dieser
rechts gereinigte Fläche. Auflicht- und Schäden an den Streben konnten Scheiben waren folgende Kriterien
Durchlichtaufnahme. aber nur in Verbindung mit einem bestimmend:

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1. Standort (Exposition am Bauwerk), Graphischer Teil
2. Position im Fenster,
3. Erhaltungszustand, Von den sechs Scheiben wurden
4. Zykluszugehörigkeit. Zeichnungen jeweils im 1:1-Format
auf Klarsichtfolien übertragen. Die
Zum letztgenannten Punkt erhielten Zeichnung der Bleiverläufe erfolgte in
wir wichtige Hinweise von Prof. Rüdi- Doppellinie.
ger Becksmann, Leiter der Arbeits-
stelle des „Corpus Vitrearum Medii Durch dieses Format wurde es mög-
Aevi", Freiburg. Die sechs Scheiben lich, auf besonders genaue Weise die
wurden in der Werkstatt des Lan- unterschiedlichen Schadensphäno-
desdenkmalamtes zusammen mit mene und deren Verteilung an der
Peter Berkenkopf dann genauer un- Glasoberfläche und an den Bleiruten
tersucht, um eine Grundlage für ein detailliert wiederzugeben.
differenziertes Vorgehen an den ein-
zelnen Scheiben bzw. Fenstern zu er- Die Eintragungen erfolgten in Kürzeln.
arbeiten. Als Grundlage hierzu diente eine
Schadenslegende, die in der Kölner
Fürdas Landesdenkmalamtwares zu- Dombauhütte angewandt wird. Für
dem auch von großem Interesse, zu die Anwendung an den sechs ausge-
erfahren, auf welche Weise der ge- wählten Esslinger Scheiben bedurfte
genwärtige Zustand und eventuell an- es jedoch aufgrund der hier festge-
stehende Maßnahmen zu dokumen- stellten Schäden und Gegebenheiten
tieren sind, zumal auf diesem Gebiet spezifischer Umformulierungen und ■ 4 „Christusfenster" (n 13 c): Linien- und
ein großer Nachholbedarf gegenüber Zusätze. kraterförmige Korrosion. Ursprünglicher Auf-
anderen Restaurierungsfachrichtun- nahmemaßstab: 1:1.
gen besteht. Aus diesem Grunde Untersuchung und
wurde exemplarisch an diesen sechs
Scheiben eine sehr detaillierte Doku- Befunddarstellung
mentationsform erarbeitet und ange- Die Untersuchung und Befunderhe-
wandt. Damit soll sichergestellt sein, bung an den sechs Scheiben hat fol-
daß auch im Hinblick auf spätere War- gende Feststellungen ergeben: Es
tung und Pflege der Glasmalereien al- konnte, mit Ausnahme der Rand- und
le Informationen nachvollzogen und Bordürenstreifen, ein besonders gro-
überprüft werden können. ßer Bestand an mittelalterlichem Farb-
glas festgestellt werden. Die Palette
Diese Dokumentation besteht aus ei- der Farbtöne ist groß. Alle Scheiben
nem photographischen, einem gra- weisen ihre ursprüngliche Schwarz-
phischen und einem schriftlichen Teil. lotbemalung mit einem fürdas Mittel-
alter typischen Malaufbau - beste-
Photographischer Teil hend aus Konturen und ursprünglich
feucht aufgetragenen Überzügen -
Dieser beinhaltet; auf. Außenseitige Bemalung ließ sich
- Gesamtaufnahmen in der Durch- nur noch in Einzelfällen erkennen.
sicht von innen und in der Aufsicht, Übermalungen wurden nicht festge-
jeweils von innen und außen. Alle stellt.
Aufnahmen erfolgten farbig und
schwarz-weiß. Papierabzüge wurden Aufgrund der unterschiedlichen For-
im Format 18 x 24 cm angefertigt. men der Bleiruten und ihrer Alte-
- Verschiedene Abzüge von Aufnah- rungserscheinungen konnten vier
men von 1942, die Prof. Hans Wentzel verschiedene Phasen der Bleiverar-
anläßlich der Kriegsschutzmaßnah- beitung festgestellt werden:
men von Photograph Bothner vor-
nehmen ließ und die nunmehr in der 1. Mittelalterliche Entstehungszeit: aus-
Landesbildstelle Württemberg, Stutt- schließlich an der Ornamentscheibe
gart, archiviert sind. aus der Franziskanerkirche (n III 9d).
- Belegaufnahmen für jeden festge- 2. 19. Jahrhundert (1899/1900): aus
stellten Schadenstyp als Grundlage dieser Zeit stammt die hauptsächliche
der graphischen Schadensdokumen- Verbleiung der übrigen fünf Schei-
tation. Diese Bilder wurden in Klein- ben.
bild schwarz/weiß und Farbe angefer- 3. 1947-1952, Rand- und Bordürebe-
tigt. Man wählte einheitlich einen reich aller Scheiben, Doublierungs-
Aufnahmemaßstab von 1:1. maßnahme an 1.
- Kleinbildserien von sieben, auf alle 4. 1978-1979: Neueinfassung der
Scheiben verteilten, ausgewählten Ränder mit Blei-U-Profil und Anbrin-
Kontrollbereichen zur Nachsorge, gung von Bleilaschen. Diese Maß-
ebenfalls im Maßstab 1:1 (Durchlicnt, nahme erfolgte in Zusammenhang
Auflicht und Streiflicht, um spätere mit dem Einbau einer Außenschutz-
Veränderungen noch genauer erfas- verglasung.
sen zu können).
An allen Fenstern zeigen sich Verwit-
terungsspuren, dies jedoch in sehr

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unterschiedlicher Form und Inten- einfassung es ebenfalls zu Verände-
sität. Korrosionsablagerungen, die in- rungen des Bleiverbundes und daraus
folge der Glasverwitterung entstan- resultierend auch zu Bleibrüchen kam.
den sind, befinden sich, mit Ausnah-
me einer Scheibe, hauptsächlich auf Materialproben
den Außenseiten. Diese Ablagerun-
gen führen in der Durchsicht zu un- Zur Klärung noch offener Fragen wur-
terschiedlichen Abdunkelungen der den u.a. an einer der sechs Scheiben
Glasstücke. Dazu befinden sich auf kleinste Mengen von Materialproben
allen Scheiben Schmutzbeläge. einer dünnen, braunen Ablagerung
entnommen. Die Ergebnisse der Ana-
Am stärksten verschmutzt sind die In- lysen sollten Aufschluß darüber ge-
nenseiten der beiden Scheiben des ben, welche Ablagerungen sich hier
Nordfensters. Die Scheibe des Mittel- auf der Oberfläche befinden und in-
fensters ist wenig verschmutzt, und wieweit eine Reinigung in Betracht
die geringsten Ablagerungen zeigen gezogen werden kann.
sich an den beiden Scheiben der Süd-
fenster. Hier ist sicherlich ein Zusam- Arbeitsproben
menhang mit der seit langem beste-
henden Kirchenheizung zu sehen, Als Grundlage für die Maßnahmen-
deren mittlerweile stillgelegter Aus- vorschläge wurden an verschiedenen
gangsschacht sich an der Nordseite Scheiben kleine Arbeitsproben, vor
des Chores befindet. allem zum Thema „Reinigung", ange-
legt. Für diese Arbeitsproben wurden
Ob die Einbauhöhe der Scheiben repräsentative Glasstücke ausgewählt.
einen entscheidenden Einfluß auf die Die Kriterien der Auswahl richteten
Verschmutzung hat, konnte noch sich hauptsächlich nach dem Zustand
nicht eindeutig geklärt und muß an des Glases und der Bemalung, nach
den übrigen Scheiben des Fensters dem Erscheinungsbild der Ablage-
weiter untersucht werden. rungen sowie nach dem Farbton des
Glases.
Bezüglich des Zustandes der Bema-
lung ist zu differenzieren zwischen in- Es wurden beidseitig Reinigungs-
takter Bemalung - was in der Regel schnitte mit weichen Pinseln ange-
der Fall ist Bemalung, die bei Be- legt. Die Beurteilung der Ergebnisse
rührung gefährdet sein würde, und erfolgte jeweils in der Aufsicht und in
extrem gefährdeten Bemalungspar- der Durchsicht.
tien, wo die Farbe bald abzufallen
droht. Letzteres trat an den Orna- Maßnahmenkonzept
mentscheiben aus dem Fenster n III
fast generell auf. Mit der Untersuchung und den Ar-
beitsproben wurden für die sechs re-
An allen Feldern haben zu früheren präsentativen Scheiben spezifische
Zeiten Veränderungen des Glasbe- Maßnahmenvorschläge erarbeitet.
standes, besonders in den Randstrei- Daraus ergaben sich Leitlinien für die
fen und Bordüren stattgefunden. Als Behandlung der übrigen Scheiben.
Hinweis darauf können die teils sehr Dies bedeutet, daß es keine einheitli-
unterschiedlichen Glassorten und che Empfehlung für alle Scheiben und
Farbtöne sowie die verschiedenen alle eventuell auftretenden Problem-
Breitenmaße der Randabschlüsse an- stellungen gibt. Die Vorgehensweise
geführt werden. muß Schritt für Schritt für jedes Fenster
überprüft und festgelegt werden.
Ein Teil der Felder weist leichte Aus- Dazu wurde eine Fachkommission
bauchungen auf, was wohl auf gerin- gebildet, die den beauftragten Re-
ges Absacken des Bleiverbundes staurator bei den anstehenden Arbei-
zurückzuführen ist. Zudem zeigen ten berät und mit ihm die nächsten
sich am unteren Bleiprofilrand der Arbeitsschritte festlegt. Diese Zusam-
sechs Felder Stauchungen an den menkünfte erfolgen regelmäßig, die
Stellen, wo diese (seit 1978-79) auf Abstände richten sich nach der Dauer
Gewindestäben aufgesetzt waren. der jeweiligen Einzelmaßnahme. Die
Dies führte folglich stellenweise zu Kommission besteht aus Vertretern
Zugbrüchen im Bleiverband, da die der Dombauhütte Köln, dem Leiter
Scheiben in der eingebauten Situa- der Gorpusstelle Freiburg und dem
tion am oberen Rand durch die Deck- Landesdenkmalamt.
schiene arretiert waren. Eine Beson- Es wurden folgende Maßnahmen be-
derheit zeigte sich an der Scheibe des schlossen:
Bibelfensters. Der Ausschnitt des Me- - Stabilisierung der Felder durch Stär-
daillons wurde 1947-52 innenseitig kung der Randeinfassungen;
mit Gläsern im Abstand von 5 mm - Beseitigung der Ausbauchungen,
doubliert. Es zeigte sich, daß durch um ein weiteres Absacken der Felder
das Eigengewicht dieser zusätzlich zu verhindern;
angebrachten Gläser und ihrer Blei- - Löten der Bleibrüche;

8
■ 5 u. 6 Ausschnitt aus dem „Marienfen-
ster (s II 7 d): Auge des Johannes. Fehlstellen
in der Originalbemalung, ursprüngliche Ver-
läufe erkennbar (Durchlicht- und Streiflicht-
aufnahme).

- Sicherung der überstehenden und iung sind dabei die Hauptkriterien.


gefährdeten Glaskanten; Teilweise kann nur nach einer Vorsi-
- Entfernung des losen, überstehen- cherung der extrem gefährdeten Be-
den Kittes; malung gereinigt werden.
- Fixierung der extrem gefährdeten
Bemalung; Weiterhin muß der jeweilige Reini-
- Klebung der gefährdeten Sprünge; gungsgrad und die damit verbundene
- Abnahme der Doublierungen: Die Aufhellung auf das Cesamterschei-
Doublierungen im Stainhövef-Fenster nungsbild abgestimmt werden. Eine
(1) sollen wegen der oben beschrie- Entscheidung darüber wird in der
benen Schäden entfernt werden; Kommission getroffen. Eine feuchte
- partielle Reinigung der Clasober- Reinigung wird, um weitere Korrosion
flächen. an den bereits stark verwitterten
Oberflächen nicht zu begünstigen,
Aufgrund der oben beschriebenen generell ausgeschlossen.
Arbeitsproben muß festgestellt wer-
den, daß eine Reinigung generell Die in den exemplarisch untersuch-
nicht möglich ist, denn bei jeder ten Feldern angelegten Befundsteilen
Scheibe ist jeweils nach dem Zustand bleiben unangetastet. Sie stellen be-
der Vorder- und Rückseite zu unter- sonders sensible Kontrollbereiche
scheiden, ob und wieweit eine Trok- dar, an denen bei späteren Überprü-
kenreinigung vorgenommen werden fungen etwaige Veränderungen ab-
soll und kann. Die Festigkeit der Abla- lesbar sein sollen.
gerung und der Zustand der Bema-

9
Dokumentation erfaßt. Damit sind für die Zukunft bei
Wartungs- und Pflegemaßnahmen
Die exemplarische Dokumentation alle notwendigen Informationen ver-
der sechs Scheiben ist bis auf einige fügbar.
Nachträge abgeschlossen. Aufgrund
der Zielsetzung, eine sehr detaillierte Zur Finanzierung der gesamten Maß-
Dokumentation durchzuführen, fiel nahme tragen neben der Kirchen-
der Aufwand hierzu relativ groß aus. gemeinde, die Denkmalstiftung der
Bundesrepublik Deutschland, die
Für die übrigen Scheiben wird vorge- Denkmalstiftung Baden-Württemberg
schlagen, daß auf der Grundlage der und das Landesdenkmalamt bei.
bisher gewonnenen Kenntnisse ein
vom Umfang her reduziertes, aber in Die Dauer der Restaurierung und der
der Aussage vergleichbares Doku- damit verbundenen Dokumentation
mentationssystem angewendet wird. wird mindestens zwei Jahre betragen.
Wichtig ist, daß die bereits an den
Musterscheiben angewandte Scha- Die hier vorgestellten Scheiben ste-
dens- und Bestandslegende verbind- hen mit anderen, aus Esslinger Kir-
lich bleibt. Auf die doppellinige Aus- chen stammenden Glasfenstern im
führung der Bleiruten kann verzichtet Mittelpunkt der Ausstellung.
werden, da in den Bleinetzzeichnun-
gen der sechs ausgewählten Scheiben „Von der Ordnung der Weif - Mittel-
alle Rutentypen der Chorverglasung alterliche Glasmalereien.
mit ihren unterschiedlichen Stärken 11. Mai bis 3. August 1997 in der Fran-
erfaßt worden sind. ziskanerkirche am Blarerplatz, Esslin-
gen.
Der Photoaufwand zur Belegung der
Schadenslegende reduziert sich auto-
matisch, da sich viele der beobachte- Literatur:
ten Phänomene der Musterscheiben Hans Wentzel: Die Glasmalereien in Schwa-
wiederholen. Die Serie der Belegpho- ben von 1200-1350 (Corpus Vitrearum Medii
tos müßte aber, je nach beobachte- Aevi, Deutschland Band 1,1), Berlin 1958,
tem Schadensfall, erweitert werden. S. 11 -176, Farbtafeln 1 -6, Abb. 1 -401.
Sensorstudie zur Überprüfung von Außen-
Bei den Untersuchungen wurde fest- schutzverglasungen am Objekt Stadtkirche
gestellt, daß die Scheiben seit Ende St. Dionys, Bslingen. Fraunhofer Institut
des letzten Jahrhunderts keine extre- Würzburg, 18. 3.1991.
men Eingriffe oder übertriebenen Rei-
nigungsmaßnahmen erfahren haben.
Positiv auf den Erhaltungszustand hat Peter Berkenkopf
sich auch die Schutzverglasung aus Dombauhütte Köln, Restaurierung
den Jahren 1978-79 ausgewirkt. Roncalliplatz 2
50677 Köln
Mit der jetzt ausgearbeiteten umfang-
reichen Dokumentation werden zum
ersten Mal für die Scheiben von Otto Wölbert
St. Dionys der Zustand und alle LDA • Restaurierung
durchgeführten Konservierungs - und Mörikestraße 12
Restaurierungsmaßnahmen detailliert 70178 Stuttgart

10
Bebenhausen, 1335:

Das monumentale Prachtfenster

im Chor der Klosterkirche

Zeugnis eines kulturgeschichtlichen Umbruchs

Jürgen Michler

■ 1 Bebenhausen, Zisterzienser-Klosterkir-
che. Choransicht.

„Abt Konrad von Lustnau ließ im Jahre „Modernisierung" der damals etwa
1335 unter vielen anderen namhaften hundert Jahre alten romanischen Klo-
Bauten im Kloster Bebenhausen auch sterkirche.
das Kirchenfenster hinter dem Hoch-
altar mit seinem ganzen Schmuck Diese hatte - wie es bei romanischen
ausführen". So ist es chronikalisch Zisterzienserkirchen vielfach üblich
überliefert. Es handelte sich um eine war - einen „Rechteckchor^, das heißt

11
einen Altarraum über rechteckigem glasung versehen; nach den Traditio-
Grundriß, mit kleinen Rundbogen- nen des Zisterzienserordens waren
fenstern in der Höhe, und mit einer bis dahin nicht nur steinerne Fenster-
flachen Holzdecke. Auch die übrigen kreuze, sondern vor allem auch jegli-
Raumteile, Querschiff und Langhaus, cher figürlicher, insbesondere farbiger
waren damals flach gedeckt, und Schmuck verboten.
daran wurde 1335 auch noch nichts
geändert - die Gewölbe wurden erst Heute sind von der damaligen Farb-
sehr viel später, im 15. und 16. Jahr- verglasung in Bebenhausen selbst nur
hundert eingezogen. Die Moderni- noch geringe Teile erhalten: die Fül-
sierung von 1335 oetraf zunächst nur lung der kleinteiligen Öffnungen des
die Stirnwand des Chores. Aber auch Maßwerks (Abb. 2 und 7b). Hierbei
dies allein war schon ein äußerst be- handelt es sich um florale Ornamen-
merkenswerter Vorgang. te, dazu in der Mitte die Wappen der
württembergischen Schirmherren
Das massive romanische Mauerwerk des Klosters sowie das des Zisterzien-
der Ostwand wurde größtenteils aus- serordens. Die acht Bahnen der ei-
gebrochen und ein riesiges, fast die gentlichen Fensterfläche waren mit
ganze Weite der Wand öffnendes go- zwei Bilderzyklen des Neuen Testa-
tisches Maßwerkfenster eingebaut ments (einer Marien- und einer Chri-
(Abb. 1). Das war nicht nur eine be- stusfolge) sowie mit Bildern von Apo-
merkenswerte technische Leistung, es steln und Propheten geschmückt. Da-
war auch ein kulturgeschichtlich be- von sind Teile in den Sammlungen
merkenswerter Vorgang. Denn die der einstigen württembergischen
riesige Fensterfläche wurde zugleich Schirmherren in Schloß Aitshausen
mit einer reichen, figürlichen Farbver- und auf Schloß Lichtenstein erhalten
■ 3 Heiligkreuztal, Zisterzienserinnen-Klo-
sterkirche. Chorinneres. Historische Aufnah-

■ 2 Bebenhausen, Zisterzienser-Klosterkir-
che. Chorinneres.

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(Abb. 6). Nach diesen Überresten läßt von den Bettelorden aus - das Be- ■ 4 u. 5 Kloster Bebenhausen, Apostelschei-
sich eine Vorstellung vom ursprüngli- dürfnis nach einer neuen Religiosität, ben.
chen Erscheinungsbild der Farbver- und damit auch nach neuen Bildfor-
glasung gewinnen. Sie war von inten- men, war allgemein. Die neuen Bild-
siver Farbigkeit bestimmt: rote und formen wurden zunächst allerdings,
blaue Farbgründe (Flintergründe, Bild- und zwar auch bei den Bettelorden,
gründe) gaben den Ton an, dazu weniger dem „Volk" zur Schau ge-
goldgelbes Blattwerk auf grünen Rah- stellt, als der eigenen Meditation und
menfriesen. Eine so intensive Farbig- Glaubensvergewisserung reserviert -
keit muß geradezu als demonstrative meist im Chor, der dem Klerus vorbe-
Entgegensetzung gegenüber dem tra- halten und dem Laienvolk nicht zu-
ditionellen Farbverbot des Zisterzien- gänglich war. War das Bilderverbot
serordens erschienen sein. des Zisterzienserordens ursprünglich
(im 12. Jahrhundert!) damit begründet
Eine Epoche des Umbruchs gewesen, daß die Zisterzienser in Ab-
geschiedenheit lebten und keine Ver-
Was war geschehen? Die Zeit um mittlungsfunktion gegenüber Laien-
1300 war eine Epoche des Umbruchs, gemeinden zu übernehmen hatten,
in der die alten Claubenswahrheiten so entstand nun auch bei den Zister-
neu hinterfragt wurden. Die alten ziensern selbst ein eigenes Bedürfnis
Bildzeichen waren zu Formeln erstarrt nach bildlicher Andachtshilfe und
und wollten neu erfahren werden. In Vergegenwärtigung der Glaubens-
mystischer Andacht suchte der Gläu- wahrheiten. Dabei bediente man sich
bige nach einem neuen, unmittel- derselben Bildformen, die damals all-
baren Verhältnis zu den überlieferten gemein und auch besonders bei den
Glaubenswahrheiten. Dabei spielte Bettelorden ausgebildet worden wa-
die bildliche Vergegenwärtigung eine ren.
entscheidende Rolle. Die im 13. Jahr-
hundert entstehenden Bettelorden, Das Chorschlußfenster
voran Franziskaner und Dominikaner,
übermittelten die neuen Formen der als Bild über dem Altar
Religiosität predigend dem Volke Bereits um 1319 wurde die Zisterzien-
und gingen zugleich vielfach auch in serinnen-Klosterkirche Fteiligkreuztal
der neuen Bildlichkeit voran. Damals (bei Riedlingen) in der Chorstirnwand
kamen Altarbilder, Andachtsbilder, mit einem großen, raumhohen, vier-
dann auch wandelbare Flügelaltäre bahnigen Maßwerkfenster erbaut,
auf. Doch ging das alles nicnt allein dessen ursprüngliche Verglasung bis

13
heute erhalten ist (Abb. 3). Es wirkt im
Raum wie ein monumentales Altar-
bild über dem davor stehenden
Hochaltar. Vorbild dafür war vielleicht
die einstige Verglasung des mittleren
Chorstirnfensters der Dominikaner-
kirche in Konstanz (heute Inselhotel),
wovon bedeutende Reste in der
Schloßkapelie von Heiligenberg be-
wahrt werden.
Genauso wie ein monumentales
Altarbild muß auch das noch viel
größere Bebenhäuser Chorstirnfen-
ster von 1335 (Abb. 2) in seiner ur-
sprünglichen Verglasung gewirkt ha-
ben. Und in diesem Sinne wird es
wohl auch zu verstehen sein. Wie hier
wurden seit dieser Zeit zisterziensi-
sche Neubauten vielfach mit gro-
ßen, raumbeherrschenden Stirnfen-
stern ausgestattet: etwa in den Schwei-
zer Zisterzienserkirchen Kappel (Kt.
Zürich) und Hauterive (Kt. Fribourg);
und wie hier in Bebenhausen wurden
seit dieser Zeit auch bestehende ro-
manische Zisterzienserbauten nach-
träglich mit gotischen Prachtmaß-
werkfenstern „modernisiert": so die
Zisterzienserkirchen Maulbronn und
die nicht mehr bestehende von Ten-
nenbach (bei Emmendingen). Damit
wurde das monumentale Prachtfen-
ster in der Chorstirnwand für Zister-
zienserkirchen scheinbar so kenn-
zeichnend, daß es hinfort als eine
Eigentümlichkeit der Zisterzienser-
gotik gilt.

Tatsächlich haben die Zisterzienser


die Form des Prachtmaßwerkfensters
aberaus der allgemeinen Entwicklung
der hochgotischen Baukunst über-
nommen. Ein erstes, und im ^.Jahr-
hundert noch vereinzeltes Mal war
dies beim Neubau der hessischen Zi-
sterzienserkirche Haina der Fall, dort
in enger Anlehnung an Vorbilder der
nordfranzösischen Hochgotik. Das
Hainaer Chorstirnfenster war noch
nicht farbig und figürlich verglast, und
zu den zisterziensischen Prachtfen-
stern des 14. Jahrhunderts gibt es von
dorther auch keine direkte Verbin-
dung. Als Vergleichsbeispiel zeigt
Haina jedoch, wie sich Veränderun-
gen langsam anbahnen, bis sie zu ei-
nem Umbruch führen.
Als zisterziensisches Kennzeichen
kann das Chorstirnfenster dagegen
nur insoweit gelten, als der gerade
Abschluß eines Rechteckchores viel-
fach auch noch in gotischer Zeit als zi-
sterziensische Demutsform beibehal-
■ 6 Bebenhausen, Zisterzienser-Klosterkir- ten blieb - im Gegensatz zu reicheren
che. Chorfenster. Rekonstruktion des ur- Chorlösungen mit polygonalem Ab-
sprünglichen Verglasungs-Systems. a) Lan- schluß und Umgang (was es freilich
zettspitze (In situ erhalten); b) Apostelschei- auch bei den Zisterziensern in glei-
be (oben beschnitten, Altshausen, Schloß); chem Maße gab).
c) Einzug in Jerusalem (aus der Christus-
Folge, Burg Lichtenstein).

14
Zisterziensische Impulse derts, ausgehend von Notre-Dame in ■ 7 Bebenhausen, Zisterzienser-Klosterkir-
Paris, schon weiterverbreitet waren). che. Maßwerk des Chorfensters.
für die Entwicklung
des Maßwerks Für die in der gotischen Architektur
damals neuartige Zierform der Fisch-
Was man vielleicht als spezifisch blase gibt es Vorformen bereits in den
zisterziensisch an den Prachtmaß- Bildkünsten: gerade die Bebenhäuser
werkfenstern bezeichnen kann, das Scheiben, die in Altshausen bewahrt
ist deren damals avantgardistische werden, zeigen die Fischblase sowohl
Ausprägung der Maßwerkformen als Rahmenform als auch als Zwickel-
(Abb. 7a). Diese stellen gewisserma- füllung (Abb. 6b). Das Bebenhäuser
ßen ein abstraktes Ornament dar, und Chorstirnfenster ist das früheste Bei-
man möchte meinen, daß damit an- spiel, bei dem die Fischblase zugleich
geknüpft wird an eine zisterziensische in der Architektur des Maßwerks wie
Tradition der ungegenständlichen auch in der Verglasung zu belegen ist.
Ornamentik, die sich unter dem frü- Bei anderen frühen Beispielen von
her geltenden Bilderverbot entfaltet Fischblasenmaßwerk ist die zugehö-
hatte (insbesondere in der ornamen- rige Verglasung nicht mehr erhalten,
talen Crisailleverglasung der Kirchen- so auch in Salem. Es wäre interessant
fenster). Die innerhalb der klaren zu wissen, ob das dortige Prachtfen-
großen Maßwerkform des Beben- ster auch eine Verglasung aufwies, de-
häuser Chorfensters allenthalben wu- ren Binnengliederung ähnlich struk-
chernden „Fischblasen" stellen eine turiert war (auch wenn sie dort wahr-
damals noch kaum verbreitete, neu- scheinlich nur ornamental war). In der
artige Ornamentform dar, die erstmals Glasmalerei hat die Form der Fisch-
gegen Anfang des Jahrhunderts in der blase nämlich schon eine ältere Tradi-
Zisterzienserkirche Salem (Bodensee- tion. Diese geht über die elsässische
kreis) ausgeprägt worden war, dort Glasmalerei des späten 13. Jahrhun-
sogar gleich als monumentale Zen- derts weiter zurück, anknüpfend an
tralform (Abb. 8 a). Mit jenem Salemer Rahmensysteme der Buchmalerei, die
Prachtmaßwerkfenster wurde des- ihrerseits letztlich auf byzantinischen
halb unser Bebenhäuser Chorfenster und spätantiken Ornamentformen
schon immer verglichen, und man („römische Ranke") fußen. Die Auf-
meint, der Baumeister sei vielleicht nahme der Fischblase in das Formen-
von dort geholt worden, obwohl ein repertoire des hochgotischen Fen-
zeitlicher Abstand von etwa dreißig stermaßwerks könnte sehr wohl mit
Jahren beide Werke von einander den entsprechenden Formbildungen
trennt. (Nebenbei sei bemerkt, daß es der Glasmalerei zusammenhängen.
sich in Salem nicht um ein Chorstirn-
fenster, sondern um ein Querhausfas- Auch bei dieser zukunftsweisenden
sadenfenster handelte - und daß am Neuerung, die für die spätgotische
Querschiff solche Prachtmaßwerk- Baukunst grundlegend werden sollte,
fenster seit der Mitte des 13. Jahrhun- führten verschiedene tastende Vor-

15
■ 8 Fischblasen; a) Salem, Zisterzienser-
Klosterkirche. Nordquerschiff-Fenster; b) Be-
benhausen. Maßwerk des Chorfensters (Aus-
schnitt); c) Bebenhausen. Zwickelfüllungen
der ehem. Verglasung des Chorfensters;
d) Bebenhausen. Maßwerk des Chorfensters
(Ausschnitt).

formen zu dem entscheidenden Um- senformen in der Architektur mit der


bruch. Ein Beispiel dafür sind die kiel- Ornamentik der Bildkünste nachwei-
bogigen Arkadenformen in der Ver- sen läßt. Es ist damit auch in dieser
glasung des Chorfensters von Heilig- Hinsicht Zeugnis eines künstlerischen
kreuztal, dessen architektonisches Umbruchs an der Schwelle zur Spät-
Maßwerk noch keinerlei vergleich- gotik.
bare Verschleifungsformen aufweist,
sondern noch ganz in der traditionel-
len Form des 13. Jahrhunderts gebil- Literatur:
det ist. Da die Heiligkreuztaler Vergla- Hans Wentzel: Die Glasmalereien in Schwa-
sung stilistisch mit Salem in Verbin- ben von 1200-1350 (Corpus Vitrearum Medii
dung steht, könnten deren Kielbo- Aevi, Deutschland 1,1), Berlin 1958.
genrahmungen auf einen fortschrittli-
cheren Entwicklungsstand in Salem
schließen lassen. Wie dem auch sei - Dr. Jürgen Michler
das Bebenhäuser Chorstirnfenster ist IDA ■ Bau- und Kunstdenkmalpflege
jedenfalls das früheste Beispiel, an Gartenstraße 79
dem sich die Symbiose von Fischbla- 72074 Tübingen

16
Glasmalerei im Kleinformat;

Ein emailbemalter Becher

des Hochmittelalters aus Münstertal

Andrea Nölke

■ 1 Emailbemalter Glasbecher aus Münster-


tal, zeichnerische Abrollung. Höhe 13,5 cm.

Nicht selten konnten Archäologen in sen Nuppengläsern mit blauen Fa-


den letzten Jahren das Auffinden denauflagen und einem farblosen
emailbemalter Gläser, eines früher als Rippenbecher in einer Latrine, die zu
rar geltenden Hohlglastypus des 13. einem burgartigen Steinhaus aus dem
und frühen 14. Jahrhunderts, vermel- ersten Drittel des 13. Jahrhunderts
den. Mit den vermehrten Funden sol- gehörte, vielleicht dem Amtssitz des
cher Gläser in der Region am Ober- Vogtes. Nach Auswertung der Kera-
rhein und der angrenzenden Nord- mikfunde ist der Latrineninhalt in den
schweiz kristallisiert sich hier ein Zeitraum vom Ende des 1. Drittels des
Schwerpunkt ihrer Verbreitung her- 13. Jahrhunderts bis zum Ende des
aus. Vor diesem Hintergrund paßt der 14. Jahrhunderts zu datieren.
Fund eines emailbemalten Bechers,
der im Winter 1995/96 den Ausgrä- Bei dem Münstertaler Fund handelt es
bern der Stadtwüstung „Münster" in sich um einen Becher aus farbloser,
der Gemeinde Münstertal (Kreis vollständig transparenter Glasmasse,
Breisgau-Hochschwarzwald) gelang, die ausgesprochen viele kleine Luft-
gut ins Bild. Auch wenn der Becher bläschen aufweist (Abb. 3). Das Glas
nicht vollständig geblieben ist, kann führt mit seiner konischen Gefäßform
er doch zeichnerisch rekonstruiert und dem eingestochenen Boden auf
werden und macht mit seinen ver- glattem Standfaden die geläufigen
gleichsweise gut erhaltenen Glasma- Merkmale der Gruppe vor. Mit einer
lereien Bildmotive und Inschrift er- Höhe von 13,5 cm und einem Durch-
kennbar (Abb. 1; 2). Bemerkenswerte messer von 11,8 cm am Lippenrand
technologische und stilistische Merk- sowie ca. 7 cm am Boden gehört es zu
male sprechen für die Herstellung den größten Exemplaren des Typs.
dieses Glases nördlich der Alpen - als Bemerkenswerterweise ist die Bema-
zeitgenössische Nachbildung hoch- lung des Glases nur einseitig auf die
wertiger, emailbemalter Becher, wie Außenwandung aufgetragen. Im Un-
sie aus Venedig und den umliegen- terschied dazu ist die Mehrheit der
den Städten exportiert wurden. emailbemalten Gläser sowohl auf der
Außenwandung wie auch auf der In-
nenwandung bemalt. Dieselbe Be-
Ein Neufund aus der Latrine malungstechnik wie am Münstertaler
der abgegangenen Burg Glas läßt sich bislang nur an wenigen
in Münstertal emailbemalten Bechern - öfter mit
Wappendekor - nachweisen.
Das bemalte Glas fand sich zusam-
men mit Fragmenten von zwei farblo-

17
■ 2 Ciasbecher aus Münstertal. H. 13,5 cm. Das Bildthema: abhängenden Bänder - die Infuln der
drei heilige Bischöfe Mitra - dargestellt. Mitren, Gesichter,
■ 3 Ciasbecher aus Münstertal, nach der Hände sowie Untergewänder sind mit
Zusammensetzung der Fragmente. Oberhalb des glatten Standfadens so- einer stumpf wirkenden weißen Farbe,
wie eines niedrigen undekorierten die in ihrer Erscheinung von dem Weiß
Wandungsteils folgt die bemalte der Umrißkonturen deutlich unter-
Sockelzone mit einem weißen Wel- schieden ist, flächig ausgemalt. Ab-
lenband sowie einem breiten gelben schließend wurden hier Inskriptions-
Band, das oben und unten von dün- linien in roter Farbe eingetragen, wel-
nen roten Bändern begrenzt wird. In che die Physiognomie bzw. Gewand-
der darauffolgenden Bildzone finden musterung deutlich machen. Die gute
sich die ganzfigurigen Darstellungen Erhaltung der roten Inskriptionslinien
dreier nimbierter Personen, die je- an der rechten Bischofsfigur läßt bei-
weils von Pfianzenteilen flankiert wer- spielsweise die Schwierigkeiten des
den. Bei gleichem Figurenmaßstab Malers bei der Darstellung der Nase im
wird eine zumindest im Ansatz er- Dreiviertelprofil deutlich werden. Die
kennbare hierarchische Gruppierung beiden seitlichen Bischöfe thronen auf
der Personen deutlich: Die zentrale „Faltstühlen" (Faldistorien), die nur ho-
Mittelfigur, die steht und mit ausge- hen Würdenträgern zukommen. Ihre
breiteten Armen dem Betrachter fron- sitzende Position wird nicht in der Hal-
tal zugewandt ist, wird von zwei im tung der Figuren selbst ausgedrückt,
Dreiviertelprofil wiedergegebenen, sondern allein durch die Darstellung
sitzenden Figuren gerahmt. Die Sym- der oberen und unteren Enden der
metrie klassischer Dreierkompositio- Faltstühle, die Wolfsköpfe mit aufge-
nen ist allerdings nicht durchgehalten, rissenem Maul bzvy. krallen bewehr-
zumal die links und rechts der Zen- ten Tatzen zeigen. Über der rechten
trumsfigur wiedergegebenen Perso- Schulter beider Bischöfe ist ihr Krumm-
nen in Ausrichtung wie Figuranlage stab als Rangabzeichen sichtbar. Der
identisch sind, und damit die linke Fi- Bischof im Zentrum wird rechts und
gur merkwürdig isoliert, ohne Bezie- links von rotstieligen Pflanzen gerahmt,
hung zu der neben ihr stehenden Fi- deren im Umriß dreiteilige Blätter
gur, erscheint. Allein die rechte Person flächig mit gelbem Email ausgemalt
ist der Mittelfigur unmittelbar zuge- sind. Der Raum zwischen den beiden
wandt und zudem durch den ausge- äußeren Bischöfen ist derart vergrößert,
streckten, überlangen Finger, welcher daß die hier dargestellte Pflanze im Ver-
auf die Zentrumsfigur weist, deutlich gleich zu den anderen ungleich grö-
auf diese bezogen. Alle drei Personen ßer ausfällt. Signifikantes Merkmal der
tragen denselben Ornat: Über dem Pflanzen sind ringförmige Sproßran-
weißen Untergewand sind sie mit ei- ken, wie sie auch bei Weinreben vor-
ner roten Kasel, die teilweise auch kommen. Oberhalb des Bildfeldes
gelbe und blaue Musterungen auf- schließt sich ein Inschriftenfries an, der
weist, sowie dem Pallium, welches sie oben und unten wiederum von rot-
als Erzbischöfe auszeichnet, beklei- gelb-roten Emailstreifen eingeschlos-
det. Als Kopfbedeckung tragen alle sen wird. Als letztes Dekorationsmotiv
die Mitra, deren Darstellung oei den folgt eine weiße Punktreihe. Die goti-
flankierenden Bischöfen von beacht- schen Majuskel der weißen Inschrift
licher Detailfreude ist: mit feinen ro- lassen einen bislang auf keinem ande-
ten Linien am unteren Rand dürfte die ren emailbemalten Glas vorkommen-
waagerechte Goldborte angedeutet den Text erkennen:
sein, wie sie an dieser Stelle üblich
war. Zudem sind auf der rechten + • APORTA • TECUM • S1{U)!(S) •
Schulter die beiden im Nacken her- •COMEDE(R)E-ME-

18
„Bring mich herbei, wenn Du speisen halten. Ein solches Vorbild hatte der
willst". Hier wird auf den Gebrauchs- Glasmaler offensichtlich im Blick. Die
wert des Glases angespielt. Das Kreuz, Verkürzung der Krummstäbe auf dem
das üblicherweise den Textanfang an- Becher ist für die Bildwirkung nicht
zeigt, wurde vom Maler falsch einge- folgenlos: sie erscheinen recht unver-
fügt (es hätte vor dem „me" erschei- mittelt und ohne direkte Bindung an
nen müssen). Die Kombination einer die Insignienträger. Vage typologische
Inschrift von profanem Charakter und Ähnlichkeiten sind zwischen der Dar-
einem Bildthema aus dem kirchlichen stellung der Bischöfe auf dem Mün-
Bereich ist ungewöhnlich und konnte stertaler Becher und demselben Mo-
bislang an keinem weiteren email- tiv auf einem Becher in Basel festzu-
bemalten Glas beobachtet werden. stellen.
Gleichlautend war vielleicht die In-
schrift eines stark fragmentierten Be- Die auffällig unregelmäßigen Umriß-
chers aus dem Anwesen Salzstraße 28 linien der nicht unterteilten Blätter,
in Freiburg. Ganz ungewöhnlich sind welche wohl das Vorbild der sonst üb-
die als Worttrenner eingesetzten drei lichen dreiblättrigen Pflanzen nach-
übereinandergestellten Punkte. Au- ahmen, finden sich ebenso auf einem
ßer an dem Münstertaler Becher sind Nürnberger Becher. Für die einfarbig
sie bislang nur von einem (stark frag- gelbe Ausmalung der Blätter kennen
mentierten) Becher aus Mainz be- wir kein Pendant; vielmehr sind diese
kannt. Ein Schriftvergleich der goti- regelmäßig zweifarbig oder in selte-
schen Majuskelbuchstaben belegt ei- nen Fällen einfarbig grün ausgemalt.
ne insgesamt große Varianz der For- Ähnliche kreisförmige Sproßranken
men, im Fall des Münstertaler Bechers sind am sog. Aldrevandin-Becher (in
die individuelle Handschrift des Ma- London) zu beobachten. Die eher ad-
lers. ditive Zusammenstellung der Motive
auf dem Münstertaler Becher, die
Da mit fast jedem Neufund eines ohne erkennbaren Bedeutungszu-
emailbemalten Bechers auch neue sammenhang nebeneinanderstehen,
Bildprogramme und veränderte Mo- und die wohl auch eher zufällige
tivgestaltungen auftauchen, ist es we- Farbgebung lassen ein ikonographi-
nig erstaunlich, daß auch für den sches Programm nicht erkennen.
Münstertaler Fund keine überzeu-
gende Parallele zu nennen ist. Nur das
dreiteilige Dekorationsschema des Handwerkliche und techno-
Bechers (mit Inschriftenfries, Haupt- logische Besonderheiten
bildzone, Sockelfries) und die Dreitei-
lung der Hauptbildzone sind mit ei- Die Schwierigkeiten des Malers mit
nergroßen Anzahl von Bechern iden- einer symmetrischen Ausnutzung des
tisch. Die sitzenden Bischöfe finden Becherumfangs sind bereits bei der
eine Vielzahl von Parallelen auf Beschreibung der unterschiedlich
bischöflichen Siegelbildern ab dem großen Pflanzen deutlich geworden.
2. Viertel des 12. Jahrhunderts. Gut Die ungenaue zeichnerische Durch-
vergleichbar mit dem Münstertaler bildung der Figuren, welche zu er-
Glas Ist eine Miniatur in einer Kölner heblichen Unklarheiten v. a. im Be-
Urkunde von 1248, die dieselbe Figu- reich der Gewandsäume führt, Ver-
renhaltung zeigt (Abb. 4). Der Bi- zeichnungen bei den Inskriptionsli-
schofsstab wird dort (wie auch an den nien des Inkarnats, unproportionierte
Siegeln) diagonal vor dem Körper ge- Tierdarstellungen sowie die unregel-
mäßigen Umrißlinien der Blätter erge-
ben weitere Hinweise für die mindere
handwerkliche Kunstfertigkeit des
Bechermalers. Dieser Eindruck wird
durch die technologischen Merkmale
des Bechers bestätigt.
Im ersten Fertigungsgang der Glasver-
edelung mit Emailfarben wurden die
roten Streifen des Sockelfrieses und
Inschriftenfrieses gemalt. Damit war
die Höhe des Hauptbildstreifens fest-
gelegt. Hier wurden zunächst die
Hauptkonturen der Figuren (Ge-
wanddekor mit den Kreuzen des Pal-
liums, Gesichtsgrenzen, Nimben) mit
weißem Email und dann die der Pflan-
zen in Rot eingezeichnet. Vieles
■ 4 Miniatur mit der Darstellung des Erzbi- spricht dafür, daß nach dieser ersten
schofs Kunibert von Köln. Urkunde von 1248 Bemalungsphase das Glas gebrannt
(Köln, Historisches Archiv, Domstift, Urkun- wurde, zumal die Farben vollständig
de 3/184). gesintert sind. Die „Vorzeichnungen"

19
■ 5 Die Kasel des rechten Bischofs im Streif-
licht.

■ 6 Mittlerer Bischof, Detail.

wurden dann mit flächendeckenden ben zu. Den Grundstoff bildet eine
polychromen Überzügen ausgemalt. unterschiedliche Menge farblosen
Übermalungen der vorab gezeichne- Glases, dem die Färbemittel, aus-
ten Hauptkonturen sind hier häufig zu nahmslos Metalloxydverbindungen,
beobachten und führen vor allem im hinzugefügt werden: das sind für
Fall des flächendeckenden Rots der Gelb das Bleioxid, für Rot das Eisen-
Gewänder zu Deformierungen und oxid, für Grün das Kupferoxid, für
damit zu Verunklärungen der weißen blau das Kobaltoxid, für Weiß das
Gewandlinien. In der Regel - nicht Blei- und Zinnoxid. Im Farbenspek-
aber am Münstertaler Glas - wurden trum des Münstertaler Glases fehlt
die flächigen Bemalungen auch auf auffälligerweise das Grün - eine Far-
der Innenwandung emailverzierter be, deren chemische Zusammenset-
Gläser aufgebracht. Analog zu den zung ebenso wie Gelb differenzierte
erhaltenen Heiligenbechern wären Kenntnisse des Schmelzvorgangs vor-
dann beispielsweise die roten und aussetzt. Die Schwierigkeiten des mit-
blauen Gewandteile innen aufgemalt telalterlichen Glasmalers beim Auf-
worden, womit der optische Effekt schmelzen des gelben Emails, das nur
von „weicher Stofflichkeif' erzielt bei behutsamem Erhitzen und niedri-
worden wäre. Die beidseitige Bema- gen Temperaturen seine Tönung be-
lung als Stilmittel zur Erschließung wahrt, hat beim Münstertaler Glas
einer zweiten Wirkungsdimension eine ungenügende Adhäsion von Far-
hat der Glasmaler gleichsam „ver- be und Trägerglas zur Folge - und da-
schenkt". Die Farben sind der Kontur- mit den weitestgehenden Verlust die-
zeichnung lediglich beigefügt und ser Farbe. Nicht weniger problema-
nicht als eigenständiges Ausdrucks- tisch war das Aufschmelzen der roten
mittel verstanden worden. Zudem und blauen Farbe, deren Schmelz-
sorgt ihre unsymmetrische Verteilung punkt - ähnlich dem des Trägerglases
(z. B. bei den Nimben) für eine unaus- - erst bei hohen Temperaturen er-
gewogene Bildwirkung. All dies reicht wird. Am Münstertaler Glas hat
dürfte wiederum als Hinweis auf die dies zu Verformungen vor allem im
wenig sorgfältige und ausdruckslose Bereich der blauen Nimben geführt.
Maltechnik gelten. Der unverwech- Diese lassen sich an der Innenwan-
selbare Charakter emailbemalter Be- dung des Bechers gut beobachten
cher beruht vor allem auf dem Kolorit, und belegen, daß der Schmelzpunkt
das im Fall des Münstertaler Glases in des Becherglases beim Verschmelzen
erster Linie durch leuchtendes Gelb der Emailfarbe überschritten wurde.
und Rot bestimmt ist. Das Rot der Kasein sowie der Haar-
schöpfe ist von einer teigigen Konsi-
Chemische Untersuchungen sind bis- stenz und zudem derart stark aufge-
lang nur an wenigen emailbemalten tragen, daß im Streiflicht ihre wulstige
Gläsern vorgenommen worden. Eine Erhöhung deutlich wird (Abb. 5).
Analysenserie an Fragmenten aus Dem optischen Eindruck nach dürfte
Freiburg, Breisach, Konstanz, Lübeck es sich um eine pigmenthaltige Farbe
und Venedig (M. Veritä) läßt bereits ei- handeln, die im Unterschied zu den
nige grundsätzliche Aussagen über roten Konturlinien der Pflanzen und
die verwendeten, opaken Emailfar- Friesstreifen keinen gläsernen Über-

20
zug gebildet hat, aber dennoch ge- scheiben des 16. Jahrhunderts, die im hütten und die Glasmalereiwerkstät-
rade ausreichend anhaftet. Dieselben Zusammenhang mit der Entwicklung ten separate Handwerksbetriebe wa-
Eigenschaften zeichnet das Weiß der transluzider Emailfarben im späten ren, zumal arbeitsteilige Produktions-
Inkarnate und verschiedener Beklei- 15. Jahrhundert entstanden sind. Die abläufe auch im Bereich der Rohglas-
dungsteile aus. Vermutlich handelt es Bemalung monumentaler Glasfenster herstellung und -Weiterverarbeitung
sich bei den zwei Rot- bzw. Weißtö- wurde demgegenüber im 13. und archivaliscn belegt sind.
nen um unterschiedliche Farbgemen- 14. Jahrhundert von monochromer
ge. Bei den wie Glaspaste wirkenden Braun- oder Schwarzlotmalerei do-
Uberzügen dürften die schmelz- miniert. Schwarzlot besteht aus pul- Der Becher aus Münstertal:
punktverringernden Komponenten verisiertem Bleiglas (mit besonders Nachbildung eines venezia-
fehlen, was eine ungenügende Adhä- niedrigem Schmelzpunkt), dem die nischen Ciastyps
sion zur Folge hat. Daß es sich um ein- Färbezusätze Kupfer- oder Eisenoxid
bzw. mehrfach gebrannte Farben der- beigemischt wurden. Die Farbe wur- Ein wesentliches - in der bisherigen
selben Zusammensetzung handelt, de in einer dreistufigen Bemalungs- Forschung pauschal genanntes - In-
ist allerdings ebenso vorstellbar. Die technik aufgetragen, die bei entspre- diz für eine Herstellung der Becher in
komplexen chemischen Vorgänge chend veränderter Konsistenz des Venedig ist die Namensnennung von
beim Aufschmelzen der Emailfarben Schwarzlots einen flächig lasieren- Bechermalern in venezianischen
sind in der bisherigen Forschung erst den Überzug, eine halbdeckende Quellen des späten 13. und 14. Jahr-
in jüngster Zeit beachtet worden, so Schattierung und einen deckenden hunderts. Ein „Bartholameus pintor"
daß abschließende Aussagen zu den tiefschwarzen Konturstrich vorsieht. arbeitete sieben Monate für einen
hier formulierten Beobachtungen erst Dichtere Schattenlagen und gele- Glasmacher in Murano und bemalte
bei statistisch auswertbaren Proben- gentlich auch Hauptkonturen wurden Becher mit „tres figuras et illud quod
zahlen erwartet werden können. auf die Außenseiten der Farbvergla- oportunem erit de arboris circa".
sungen gemalt. Der abschließende Wenn auch das Münstertaler Glas
Nicht für den täglichen Brand verbindet die Malereien dauer- dasselbe Bildprogramm vorstellt, so
haft mit dem Trägerglas. Die Schwarz- kann doch diese Notiz vom 21. No-
Gebrauch geschaffen; lotmalerei wiederum wurde erst viel vember 1290 nicht als Hinweis auf
emailbemalte Prunkbecher später auch für die Dekoration von dessen Herkunft gewertet werden.
Flohlgläsern angewendet, im 17. Jahr- Mehrere Überlegungen sprechen da-
Die Frage nach der praktischen Be- hundert für die sog. Schapergläser. gegen: Zunächst die Tatsache, daß
nutzung ist für die überwiegende Während des ganzen Mittelalters sind eine Vielzahl der erhaltenen emailbe-
Mehrheit der emailbemalten Gläser keine Wechselwirkungen zwischen malten Becher Dreiergruppen von
bisher nicht zu klären. Insbesondere den beiden gängigen Techniken, Personen mit jeweils unterschiedli-
die Wasserlöslichkeit der meist beid- Schwarzlotbemalung für Flachgläser cher eigenständiger Malauffassung
seitig aufgetragenen, roten flächigen bzw. Emailmalerei auf Hohlgläsern, zeigen. Offenbar haben verschiedene
Bemalungen vieler Becher ist schwie- auszumachen. Dies mag als Reflex der Maler bzw. Werkstätten einen festen -
rig zu bewerten; sie stellt überdies ein unterschiedlichen ästhetischen Auf- wohl in Venedig geprägten - Kompo-
ernsthaftes Problem für Bergung und fassung von Monumentalmalerei und sitions- und Bildkanon übernommen
Konservierung solcher Bodenfunde Objektmalerei gelten. Gleichwohl und mit eigenen malerischen Mitteln
dar. Der heutige Zustand emailbemal- bleibt festzuhalten, daß die Malerei abgewandelt. Zudem zeigt der Ver-
ter Gläser läßt schwerlich an einen re- mit Schwarzlot und Emailfarben der gleich von zwei emailbemalten Be-
gelmäßigen Gebrauch als Trinkgefäße Idee nach dieselbe Absicht verfolgt, chern aus dem Foster-Lane-Komplex
denken. Allerdings belegen die weni- nämlich Farben dauerhaft mit Glas zu in London mit einem unpublizier-
gen als Reliquienbehälter nie im Bo- verbinden, und daß sie dabei die- ten Becherfund in Stralsund, deren
den gelagerten Gläser dieser Gruppe selbe Technik anwendet, nämlich gleichlautende Inschriften mit „Bar-
(aus Sevgein in Chur, in Frankfurt, Ald- Glas mit Glas zu verschmelzen. So tholameus me fecit" wohl auf den Be-
revandin-Becherin London) den her- spricht man bei der Schwarzlotmale- chermaler hinweisen, eine ganz und
vorragend gesinterten Zustand der rei auch von einer Sonderform der gar gegensätzliche Bild- und Malerei-
Farben auch im Bereich der Innen- Emailmalerei. auffassung. Sollten die Inschriften tat-
wandungen. Gravierende Nutzungs- sächlich den Bechermaler nennen,
spuren fehlen jedenfalls an beidseitig Obgleich für die hochmittelalterli- hätten wir es mit mehreren Malern
emailbemalten Gläsern. Dies spricht chen Glashütten eine Arbeitsgemein- desselben Namens zu tun. Es entsteht
dafür, daß sie nicht zur täglichen Nut- schaft von Hohl- und Flachglasma- hingegen der Verdacht, daß mit der
zung bestimmt, sondern - in der Art chern vielfach archäologisch und ar- Nennung eines venezianischen Mei-
unseres „Sonntagsgeschirrs" - beson- chivalisch belegt ist, schließen doch sters in der Inschrift eines Glases des-
deren Anlässen vorbehalten waren. die Unterschiede bei der Bemalung sen Wert beträchtlich gesteigert wer-
Hingegen ist der einseitig bemalte von Flach- und Hohlgläsern die An- den konnte.
Münstertaler Becher häufiger benutzt nahme einer gemeinsamen, ausfüh-
worden, wie es die stark bestoßene renden Malereiwerkstatt aus. Selten Das Münstertaler Glas stimmt in Bild-
Standfläche und die konzentrischen ist allerdings das Problem der Her- komposition wie Farben mit einem
Kratzer auf der Innenwandung anzei- kunft bzw. der Zuschreibung an eine geläufigen Typus emailbemalter Be-
gen. Werkstatt schwieriger zu lösen als im cher überein, führt diesen aber in ei-
Bereich der Hohlglasherstellung des ner offensichtlich schwächeren Aus-
In Europa gehören im 13. und 14. Jahr- 13. und 14. Jahrhunderts. Dies gilt ins- führung vor. Die Bildkomposition ist
hundert die emailbemalten Becherzu besondere für die emailbemalten weder inhaltlich oder künstlerisch
den einzig faßbaren Glasobjekten mit Gläser, für die nach wie vor die Fragen überzeugend ausgeführt, noch mit si-
polychromer, opaker Bemalung. Die zur Lokalisierung der Werkstätten, zur cherer Hand entworfen. Die motivi-
Farbwirkung monumentaler Glasfen- Identifikation der Glasmacher und sche Kongruenz der flankierenden
ster beruht hingegen auf durchgefärb- der Glasmaler sowie zu Organisation Bischöfe spricht für die Verwendung
tem Glas. Emailmalerei ist an Glasfen- und Zusammensetzung der Werkstät- von „Malschablonen" für die Umrißli-
stern erst deutlich später zur Anwen- ten ungeklärt sind. Vermutlich muß nien und belegt einen hohen Grad
dung gekommen: an den Kabinett- man davon ausgehen, daß die Glas- der Mechanisierung des Malprozes-

21
ses. Damit einher geht eine Verfla- Die rasche Sicherung und Restaurie-
chung des künstlerischen Ausdrucks. rung dieses Glasbechers wird dem
I. Krueger hat bei der Bearbeitung ei- Museum für Ur- und Frühgeschichte,
nes emailbemalten Bechers in Bonn Freiburg, verdankt.
bereits auf eine anzunehmende Ver-
wendung von Schablonen hinge- Literatur:
wiesen, die (nach Vorlagen gefertigt) E. Baumgartner/1. Krueger, Phönix aus Sand
auf die Innenwandung des Glases und Asche. Glas des Mittelalters. Ausstel-
gelegt und außen nachgezogen wur- lungskatalog (Bonn u. Basel 1988) 126-160.
den. Es scheint, als habe der Maler des R. Becksmann, Deutsche Glasmalerei des
Münstertaler Bechers versucht, die Mittelalters (Stuttgart 1988).
wenigen Bischofsdarstellungen in sei- L Galioto/S. Kaltwasser, Erste Grabungen in
nem Vorlagenbuch abzumalen, bei der Stadtwüstung „Münster", Gemeinde
sorgfältiger Vermeidung der Verwen- Münstertal, Kreis Breisgau-Hochschwarz-
dung freierer Stiimittel. Selbst an den wald. in: Archäologische Ausgrabungen in
Wandungsteilen, die Raum für eigen- Baden-Württemberg 1995 (1996), 279 ff.
ständige Ausdruckselemente ließen, I. Krueger, Mittelalterliches Glas aus dem
nämlich bei den Pflanzendarstellun- Rheinland. Ein Glasfundkomplex mit email-
gen, wird dieselbe Motivanlage bei bemaltem Becher der sogenannten syro-
lediglich verändertem Maßstab for- fränkischen Gruppe. In: Bonner Jahrbücher
184 (1984), 505-560.
melhaft wiederholt. Die aufgezeigten Ornamenta Ecdesiae. Kunst und Künstler der
technologischen Schwächen dürfen Romanik in Köln. Ausstellungskatalog (Köln
im Bereich der durch Überhitzung 1985) 11,19.
entstandenen Verformungen sowie S. Strobl, Glastechnik des Mittelalters (Stutt-
der pastenartigen Konsistenz der ro- gart 1990).
ten Farbe sicherlich als gravierend M. Veritä, Analytical investigation of European
bezeichnet werden. Der Glasbecher enameled beakers of the 13th and 14th cen-
aus Münstertal ist schwerlich als Pro- turies. In: Journal of Glass Studies 37 (1995),
dukt der für die Glasgeschichte so 83-98.
bedeutenden venezianischen Kunst- L. Zecchin, Eornaci Muranesi fra 111279 ed il
landschaft vorstellbar. Die malerische 1290. In: Journal of Glass Studies 12 (1970),
Auffassung des Bildthemas wie vor 79-83.
allem auch dessen technische Um-
setzung sprechen vielmehr für die Andrea Nölke M. A.
Annahme eines diesseits der Alpen Max-Planck-Straße 6
tätigen Glasmalers. 04105 Leipzig

22
Zur Lichtführung in der Alexanderkirche

zu Marbach am Neckar

Judith Breuer

■ 1 Die Alexanderkirche zu Marbach/Nek-


kar. Zeichnung von C. Loestl, um 1900, Plan-
archiv LDA Stuttgart.

1996 konnte mit den seit langem not- folgte auch eine Neubeschäftigung
wendigen Außeninstandsetzungsar- mit der Baugeschichte, der Bedeu-
beiten an der Alexanderkirche in Mar- tung des Baus und der seinem Kir-
bach/Neckar dank einer Spende der chenraum angemessenen Lichtfüh-
Wüstenrot-Stiftung (Ludwigsburg), rung.
die durch einen Zuschuß des Landes
ergänzt wird, begonnen werden, in Die Alexanderkirche nordöstlich der
Vorbereitung dieser Restaurierung er- Altstadt, jenseits des Strenzelbachs,

23
gelegen, war bis zur Reformation die dendrochronologischer Datierung
Hauptkirche Marbachs. Wie Grabun- des Turmholzwerks dürfte die spät-
gen im Zuge der Renovierungsarbei- gotische Alexanderkirche dann 1485
ten in den Jahren 1926 bis 1928 er- vollendet worden sein.
brachten, gingen dem Bau zwei Kir-
chen voraus. Laut Inschrift am Turm Das Schiff stellt eine netzgewölbte
wurde 1450 der Chor begonnen, die Pseudobasilika bzw. Staffelhalle dar.
bestehende zweijochige eingezoge- Die Höhe der zwischen Strebepfei-
ne Anlage mit 5/8-Schluß. An zwei lern eingezogenen Kapellen beträgt
Stellen ist der Chor durch das Wap- etwa 7 m, die der Seitenschiffe etwa
pen als Werk des gräflich-württem- 8,60 m, die des Mittelschiffs 11,80 m.
bergischen Baumeisters Aberlin Jörg Das gewaltige Langhausdach, das
gekennzeichnet. Der Marbacher 1766 neu abgezimmert wurde, über-
Chor ist demnach sein Frühwerk; als greift alle Schiffe. Durch die Wieder-
Baumeister war Jörg in der Folgezeit verwendung von Sparren, die den-
u.a. an der Stadtkirche in Cannstatt drochronologisch in dasjahr1476 da-
(um 1460), der Leonhardskirche in tieren, wurde die mittelalterliche
Stuttgart (um 1470), der Bartholo- Dachkontur über dem Schiff beibe-
mäuskirche in Markgröningen (1472), halten. Bei der Erneuerung des Chor-
der Stiftskirche in Stuttgart (1481) und dachs, die laut dendrochronologi-
am Münster in Schwäbisch Gmünd scher Datierung 1790 erfolgte, wurde
(1521) tätig. die Firsthöhe des Schiffsdachs über-
nommen. Bei der staffelartigen An-
Der Jahreszahl an der Südwestecke ordnung der Schiffe mit durchgängi-
des Schiffes und den Steinmetzzei- gem Dach trägt die Arkadennocn-
chen nach zu schließen, wurden die wand sonderbarerweise in fünf Jo-
Umfassungsmauern 1453, noch von chen blinde Fensteröffnungen, die
der Jörgschen Bauhütte begonnen. von Brettläden geschlossen, in den
Steinmetze dieser Hütte, ihren Zei- Dachraum münden.
chen nach zu schließen, schufen auch
die südlichen Nischengewölbe. Nach Diese Eigentümlichkeit wird in der Li-
einem durch Krieg bedingten Bau- teratur widersprüchlich gedeutet. So
stopp, während dessen Marbach pfäl- schreibt Ernst Fiechter, 1919 bis 1939
zisch wurde, erfolgte - laut Inschrift Mitarbeiter des Württembergischen
am Turm - 1463 der Fortbau des Landesamts für Denkmalpflege und
Schiffs. Tätig waren seitdem andere für die Renovierung der Alexanderkir-
Steinmetze, wahrscheinlich einer che in den Jahren 1926/28 mitverant-
Heidelberger Bauhütte. Auf Grund wortlicher Architekt, in der Broschüre
der Steinmetzzeichen läßt sich fol- „Die Alexanderkirche in Marbach
gender Baufortgang feststellen: Die a.N.": „Schon immer nahm man an,
neuen Leute errichteten zuerst die Ar- daß hier eine Planveränderung vor-
kadenpfeiler und die Hochwände, liege und daß ursprünglich hohes Sei-
wölbten dann das nördliche, darauf- tenlicht hätte in das Mittelschiff einge-
hin das südliche Seitenschiff und zu- führt werden sollen. Aber man
letzt das Mittelschiff. Zuallerletzt - ver- konnte keinen Beweis dafür finden.
mutlich parallel - dürften die äußer- Bei der genaueren Beobachtung an-
sten östlichen Joche der Seitenschiffe läßlich der vorgenommenen Reno-
und des Mittelschiffs ihre Gewölbe vierung der Kircne zeigte es sich, daß
■ 2 Querschnitt und Grundriß der Alexan- erhalten haben. Mit dem Turmbau das staffeiförmige Ansteigen der Ge-
derkirche, Bauaufnahme von Herbert Keim fing man - der bereits genannten wölbe ursprünglich nicht beabsichtigt
aus dem Jahre 1952. Planarchiv LDA Stuttgart. Turminschrift zufolge - 1481 an. Laut war, sondern daß die Seitenschiffge-
■ 3 Das Innere der Alexanderkirche vor
Beginn der Renovierungsarbeiten 1926 mit
dem Gestühl aus dem 17./18.|ahrhundert.
Photo LDA Stuttgart.

wölbe auf einem tiefen spitzen Kämp- schiffenster anzusehen; sie hätten
feransatz, etwa gleich noch wie die sonst den Spitzbogen und Maßwerk-
Gewölbe der Kapeliennischen hätten füllungen erhalten. Sie bilden eben
ruhen sollen. Ein Stück Rippenansatz nur Lückenbüßer an Stelle von beab-
davon findet sich noch an der West- sichtigten Hochschiffenstern, die am
wand, gerade bei der nördlichen Auf- Platze waren, solange man an eine
gangstreppe der Empore, während basilikale Anlage gedacht hatte. So
die nur rauh abgespitzten Ober- klärt sich dieses merkwürdige Rätsel"
flächen zwischen den Bögen der Ka- (ebda. S. 7 f.).
pellenöffnungen nur bei genauem
Beobachten sichtbar sind. Es ist also Eine abweichende Hypothese vertritt
anzunehmen, daß eine einschnei- Hans Koepf in seiner Veröffentlichung
dende Bauveränderung stattgefun- „Die Alexanderkirche in Marbach"
den hat. Möglich ist demnach, daß von 1951, in der er schreibt: „Rätsel-
die Arkadenbögen auch verändert haft sind die Rechteckfenster ober-
wurden, und daß, weil man an der halb derMittelschiffarkatur. Sie führen
Höhe des Mittelschiffs festhalten in den riesigen Dachraum und sind
wollte, die Hochwandfenster beibe- ohne Funktion für die Raumbelich-
halten worden sind, wiewohl sie kei- tung. Die Bedeutung der Fenster war
nen Sinn mehr hatten. Vielleicht war bislang umstritten und die unmög-
das ganze Hausteinwerk schon vor- lichsten Deutungsversuche wurden
bereitet, als diese Änderung vorge- schon vorgenommen. Am abwe-
nommen wurde. Die jetzigen Fenster gigsten ist natürlich die Meinung,
sind aber nicht als wirkliche Hoch- daß man lediglich dekorative Blend-

25
fenster zur Gliederung der oberen Fenster gewährleisten können... Diese
Wandfläche schaffen wollte ... Blend- großartige Planung von 1463 kam
fenster in Staffelräumen sind übrigens aber nie ganz zur Ausführung. Kurz
nirgends nachgewiesen. Dazu gab es vor der Vollendung des Langnauses
in Marbach gar keine Wandflächen zu nahm man um 1480 eine abermalige
gliedern. Diese mußten erst künstlich Planänderung vor. Ob diese Ände-
durch eine merkwürdige Gewölbe- rung mit einem Wechsel der leiten-
konstruktion geschaffen werden... Um den Meister zusammenhängt oder im
möglichst die gesamte Wandhöhe für Hinblick auf Schwierigkeiten bei der
die Fenster auszunützen, entschloß Eindeckung der Dacnkehlen vorge-
man sich zu einem oberen Rechteck- nommen wurde, sei dahingestellt. Da
abschluß. Aus dieser Rechteckform am Langhausbau sicher sechs Mei-
aber zu folgern, daß diese Öffnungen ster innerhalb von zwei Jahrzehnten
nie als Kircnenfenster dienen sollten, nachgewiesen werden können, ist
klingt unglaubhaft... In Marbach kön- die erste Annahme die wahrschein-
nen die Mittelschiff-Fenster nur dann lichere. Im östlichen Langhausjoch
erklärt werden, wenn man annimmt, fehlen die oberen Mittelschiff-Fen-
daß bei der ursprünglichen Planung ster" (ebda. S. 13 f.).
einzelne Walmdächer über den Sei-
tenschiffen und Kapellennischen vor- Bei der Behauptung, daß in Staffelräu-
gesehen waren. Diese in Schwaben men nirgends Blendfenster nachge-
zwar seltene, im Rheinland dagegen wiesen seien, irrte Koepf allerdings.
bei gotischen Kirchenbauten häufige An der Obergadenwand der 1534
Anordnung hätte allein eine ausrei- vollendeten Rottweiler Heiligkreuz-
chende Belichtung der Mittelschiff- kirche sind außen kleine Rundfenster,

■ 4 Das ausgeräumte Innere der Alexan-


derkirche bei Beginn der Renovierung 1926.
Photo LDA Stuttgart.

26
die sich über dem Mittelschiffsgewöl- annimmt, vor bzw. während der Ein-
be zum Dachstuhl öffnen, also Blend- wölbung der Seitenschiffe erfolgt
fenster, angeordnet. sein.
Die These von der Planänderung kurz Die Obergadenfensteröffnungen
vor Abschluß der Arbeiten vertritt schließen Brettläden, bestehend aus
Koepf auch in seinen späteren Publi- zum Teil älteren farbig gefaßten Bret-
kationen „Die Baukunst der Spätgo- tern mit aufgeschraubten Riegeln,
tik in Schwaben" (1958) und „Schwä- und zwar mittels Flacheisen, die in
bische Kunstgeschichte" (1961). Der den Steingewänden verkantet sind.
Marbacher Stadtarchivar Albrecht Die Läden datieren mit großer Wahr-
Cühring schloß sich Koepfs These in scheinlichkeit in die Renovierung der
seiner Rede zur Eröffnung der Ausstel- zwanziger Jahre. Ein Gewände an der
lung „Alexanderkirche" am 26. April Nordseite ist bezeichnet (durch Blei-
1992 an, indem er die abgesägten Bal- stift) mit „Adolf Essig 1926 Zimmer-
kenköpfe unter den Blendfenstern als mann Benningen", ein anderes „1928
Hinweis auf abgesenkte Seitenschiffs- Fritz Bühlen. Daneben findet sich mit
dächer deutete. Rötelstift in derselben nördlichen
Fensterlaibung die Aufschrift „Johann
Eine dritte These formulierte Josef Georg Haller 1766". Letztere Aufschrift
Hecht 1937 in seinem Artikel „Basi- stammt also von einem der Zimmer-
lika" im Reallexikon zur deutschen leute, diel766 die Schiffsdacherneue-
Kunstgeschichte, wie folgt: „Die tech- rung durchführten. Die eigentlichen
nischen Schwierigkeiten bei der Ein- Obergadenfensteröffnungen zeigen
wölbung dreier gleichweiter Hallen- - wie bei Wegnahme eines Ladens ■ 5 Blick in eine Obergadenöffnung nach
schiffe und bei deren gemeinsamen festzustellen ist - horizontale Fenster- Entfernen des Ladens, Aufnahme von 1996.
Verdachung verleitet im deutschen eisen und einen umlaufenden Falz Photo IDA Stuttgart.
Süden, besonders in Schwaben, da- zur Fensterhalterung. Die Hochwand-
zu, Gewölbe und Dach basilikal zu fenster haben dabei aber keinen Be-
staffeln; mitunter versucht man dabei, zug zu den Schleppgaupen. Wie aus
die dämmrige Cewölbezone des Mit- der Bauaufnahme des damaligen Ar- Schiffe allein von den Seiten durch
telschiffs durch eigene aus der Schild- ch itekturstudenten, heutigen Marba- die zweibahnigen Spitzbogenfenster
wand gebrochene Fenster indirekt cher Architekten Herbert Keim von belichtet wurden. Der lichteste Bau-
von den Dachböden her aufzuhellen 1952 hervorgeht - und diese Situation teil war der rundherum in sechs drei-
(Marbach)..." (ebda. 1. Bd. Sp. 1487). ist bis heute unverändert-, weist die und vierbahnigen Spitzbogenfen-
Südseite sechs bzw. zweimal drei stern geöffnete Chor. Reste seiner ur-
Die neuerliche Prüfung der Eigentüm- übereinander sitzende Schleppgau- sprünglichen Farbfenster haben sich
lichkeiten am Bau durch das Landes- Een auf, die verschoben zu den fünf im Maßwerk, u.a. im obersten Drei-
denkmalamt 1995/96 hat nun fol- zw. sechs Fensterachsen oberhalb paß des mittleren Chorfensters erhal-
gende Ergebnisse gebracht. Die Arka- der Balkenlage über dem Mittelschiff ten. Es handelt sich um eine Prophe-
denhochwand zum Dachstuhl zeigt plaziert sind. Die vier bzw. zweimal tendarstellung. Die Farbigkeit setzt
keinerlei Putzreste. Die Gewände der zwei übereinander liegenden Gau- sich aus Blau, Violett, Gelb und Rot
Rechteckfenster sind ohne Bewitte- pen an der Nordseite sind sogar zwi- zusammen, wobei das Blau des Grun-
rungsspuren; die Scharrierungen wir- schen den Fensterachsen positioniert. des und das Weißgrau der Figuren
ken wie frisch gemeißelt. Die Arka- Die Lage der Gaupen spricht also ge- und Architektur - wie Rüdiger Becks-
denhochwand stand also auch ur- gen ihre Funktion als Lichtspender. mann schließt - bestimmend gewe-
sprünglich nicht frei. Die vorhandenen Gaupen dienen sen sein dürften. Der Stilvergleich
vielmehr der Lüftung. Ehemals dürfte spricht, wie Becksmann ebenfalls dar-
Die Scheitel der Seitenschiffsgewölbe das Schiffsdach zudem keine Gaupen legt, nicht für eine Entstehung der
haben - wie die weitere Nachprüfung gehabt haben, wie aus der Ansicht im Scheiben in einer württembergischen
ergab - die gleiche Höhe wie die Forstlagerbuch des Andreas Kieser Werkstatt, sondern diese dürften nach
Simse der Obergadenfenster. Koepfs von 1686 und aus der kupfergesto- dem Übergang von Marbach in pfäl-
These einer bis kurz vor der Vollen- chenen Ansicht des Franz Schnorr zische Lehensnoheit bald nach 1463
dung gültigen Planung von Seiten- von etwa 1840 zu ersehen ist. Die durch eine Speyrer Werkstatt herge-
schiffsquerdächern ist allerdings inso- Obergadenöffnungen waren aber stellt worden sein.
fern nicht schlüssig, als die Auflager vermutlich, alles deutet darauf hin,
der Seitenschiffsgewölbe nicht aus- obwohl ohne direkte Lichtzufuhr, ur- Die ursprünglichen Fenster in Chor
reichend tief für quergestellte Walm- sprünglich mit Fenstern oder Ahn- und Schiff gingen wahrscheinlich
oder Zeltdachkonstruktionen ange- lichem versehen. Genaueres wäre zu infolge der Reformation, spätestens
legt sind. Auch die von Gühring erfahren, wenn man den Schutt in aber im 18. Jahrhundert verloren. An
erwähnten abgesägten Balkenköpfe, den Zwickeln der Seitenschiffsgewöl- ihre Stelle traten Blankverglasungen
die sich genau zwischen den Ober- be einmal bauhistorisch bzw. archäo- aus Butzen und aus Rechteckschei-
gadenöffnungen und auf der Höhe logisch untersuchte. Wann die Ober- ben. Um 1970 wurden die Butzen-
der Obergadenfenstersimse finden, gadenfenster beseitigt wurden, ist un- scheiben in den drei Fenstern des
können auf Grund ihrer Anordnung bekannt. Spätestens seit 1928 waren Chorhaupts - mit Ausnahme der
nicht im Zusammenhang mit der Pla- die Offnungen mit Brettläden ge- Verglasungen im Maßwerk- original-
nung von Seitenschiffquerdächem schlossen. getreu erneuert. Die neuzeitlichen
oder einem Seitenschiffschleppdach Rechteckscheibenverglasungen in den
entstanden sein. Es handelt sich wohl Die Lichtführung in der mittelalter- übrigen Fenstern blieben - bei mo-
um reine Gerüsthölzer. Die Planände- lichen und im 18. Jahrhundert neu dernen Farbverglasungen in den Maß-
rung mit dem Ziele einer Staffelhalle eingedeckten Staffelhalle hat man werken der Seitenschiffenster - erhal-
muß demzufolge schon, wie Eiechter sich also so vorzustellen, daß die ten. Die mittelalterliche, mystisch an-

27
■ 6 Mittelalterliche Farbverglasung im Chor
der Alexanderkirche mit Darstellung eines
Propheten (Außenaufnahme). Photo LDA
Stuttgart.

mutende dunkle Verglasung wurde che Beibehaltung der neuzeitlichen


also seit der Reformation gegen eine bzw. nachreformatorischen Lichtfüh-
der evangelischen Theologie ange- rung sein. Dabei kann die Denkmal-
messenere Blankverglasung ausge- pflege aber durchaus eine dezent ab-
tauscht. Die Lichtführung ist seitdem getönte Fensterverglasung zugunsten
grundlegend verändert. In diesem Zu- einer besseren Einbindung des Chors
sammenhang dürften auch die als in die Cesamtarchitektur akzeptieren.
Lichtspender ohnehin ungeeigneten
Obergadenverglasungenentfernt wor-
den sein. Quellen und Literatur;
Emst Fiechter: Aufzeichnungen zur Alexan-
Bis Ende 1996 wurden zimmermanns- derkirche in Marbach, um 1926/28. Archiv
mäßige Reparaturen an den Dach- LDA Stuttgart.
stühlen durchgeführt, die Dachein- Ernst Fiechter: Die Alexanderkirche in Mar-
deckung erneuert sowie Festigungs- bach a.N., Marbach o.J.(um 1928).
und steinmetzmäßige Austauschar- Josef Hecht: Basilika, in: Reallexikon zur deut-
beiten am äußeren Steinwerk vorge- schen Kunstgeschichte, 1. Bd., Stuttgart 1937,
nommen. Eine Renovierung des In- Sp.1487.
nenraums ist im Anschluß daran sei- Hans Koepf: Die Alexanderkirche in Mar-
tens der Stiftung und der Kirchenge- bach, Marbach o.J.(1951).
meinde angestrebt. Ein endgültiges Hans Koepf: Die Baukunst der Spätgotik in
Konzept war zum Jahresende noch Schwaben, Stuttgart 1958, S.53 f.
nicht erstellt. Angedacht wurde je- Hans Koepf: Schwäbische Kunstgeschichte,
doch eine Neuverglasung und da- Bd. 2: Baukunst der Gotik, Konstanz und
bei Abdunkelung des Chors. Schon Stuttgart 1961, S.80.
Fiechter empfand den Verlust der Corpus Vitrearum Medii Aevi, Deutschland
Farbgiasfenster als nachteilig für den Bd. 1,2; Rüdiger Becksmann (unter Mitwir-
Chor. So schreibt er in der bereits ge- kung von Fritz Herz): Die mittelalterlichen
nannten Broschüre: „Diese farbige Glasmalereien in Schwaben von 1350-1530,
Pracht fehlt leider jetzt und mit ihr et- ohne Ulm; Berlin 1986, S. 122 f.
was Wesentliches für die Raumwir- Albrecht Gühring: Die Alexanderkirche in
kung. Denn der Raum ist heute zu Marbach am Neckar aus Stadt- und landes-
hell..."(ebda. S. 5). Eine Neuvergla- geschichtlicher Sicht, Manuskripte zur Mar-
sung ist aus Sicht der heutigen Denk- bacher Stadtgeschichte, Marbach 1991.
malpflege jedoch nicht ohne weiteres Albrecht Gühring: Eröffnungsrede zur Aus-
zu begrüßen. Sie bedeutet nämlich stellung „Alexanderkirche" am 26.4.92 (Ma-
den Verlust einer zweiten historischen nuskript).
Schicht, der Blankglasfenster und da-
mit der Lichtführung aus nachrefor-
matorischerZeit. Ziel bei einer etwai-
gen Neubefensterung des Chors Dr. Judith Breuer
sollte vielmehr eine Reduzierung der LDA • Bau- und Kunstdenkmalpflege
Erneuerungsmaßnahme auf die mo- Mörikestraße12
dernen Fenster und die grundsätzli- 70178 Stuttgart

28
Evangelische Kirche und Pfarrhaus

in Strümpfeibrunn - ein Gruppenbau

aus der Zeit des 1. Weltkrieges

Ute Fahrbach-Dreher

Im Jahr 1995 konnte die Sanierung Mülben, Friedrichsdorf, Waldkatzen-


von Kirche und Pfarrhaus in Wald- bach und Oberdielbach sowie das
brunn-Strümpfelbrunn im Neckar- untergegangene Ferdinandsdorf. Zu-
Odenwald-Kreis glücklich abge- sammen mit dem kirchlich selbstän-
schlossen werden. Mit den Arbeiten digen Schollbrunn sind die Dörfer
war im Jahr 1978 begonnen worden. des Winterhauchs seit 1973 zur Ge-
Wegen mangelnder finanzieller Mit- meinde Waldbrunn zusammenge-
tel zogen sich die Arbeiten so lange schlossen.
hin. Da die Renovierung des Innen-
raumes erst am Schluß vorgenom- Planungsgeschichte
men wurde, war genügend Zeit,
um bei der Kirchengemeinde den Strümpfeibrunn war nach der Refor-
Wunsch nach der Wiederherstellung mation zunächst lutherisch, dann un-
des ursprünglichen Zustandes reifen ter Kurpfalz reformiert. Als Graf von
zu lassen. Wieser Ende des 17. Jahrhunderts die
Herrschaft erhielt, setzte er einen ka-
Strümpfeibrunn liegt südlich des Kat- tholischen F^arrer ein. Bei der pfälzi-
zenbuckels, der höchsten Erhebung schen Kirchenteilung von 1707 beka-
des Odenwaldes. Die Landschaft trägt men die Katholiken die Kirche und
den schönen und bezeichnenden alle Einkünfte, die Reformierten gin-
Namen Winterhauch, ein sanft hü- gen leer aus. Erst 1746 wurde eine Kir-
geliges Hochplateau mit weiten Wie- che gebaut, die Ende des 19. Jahrhun-
senflächen. Strümpfeibrunn ist dort derts in so schlechtem Zustand war,
das größte Dorf und verdankt seine daß man sich mit einem Neubau be-
Bedeutung, neben seiner vergleichs- faßte. Auch das evangelische Pfarr-
weise günstigen Verkehrslage, sicher haus, ein 100 Jahre altes, ehemaliges
auch der Tatsache, daß es der Haupt- Bauernhaus, genügte den Anforde-
ort eines Kirchspiels war. Ursprüng- rungen nicht mehr. Die ständigen Re-
lich gehörten dazu noch Weisbacn, paraturkosten für dieses Gebäude

29
verschlangen die geringen Einnah- das Gesuch zu beurteilen und zu
men aus der Kirchensteuer. berechnen. Mitte Januar 1913 berich-
tete die Kirchenbauinspektion, daß
Im November 1912 wurde die Bitte sich die beiden Plätze an der Mu-
vom Kirchengemeinderat an den dauer Landstraße besonders zum Bau
Oberkirchenrat in Karlsruhe gerichtet: der „Gebäudegruppe" eigneten. Be-
„die Kirche in Strümpfeibrunn ist reits zu diesem frühen Zeitpunkt war
überaus dürftig und unwürdig (...) Die der Beschluß gefaßt, Kirche und Pfarr-
frühere ev., jetzt kath. Kirche, wurde in haus aneinander zu bauen. Diese Ent-
neuester Zeit vollständig umgebaut scheidung muß in Gesprächen zwi-
und vergrößert, steht auf erhabenem schen allen Beteiligten gefällt worden
Platze und Ist eine der schönsten Kir- sein, denn über die Frage Gmppen-
chen in der ganzen weiteren Umge- bau oder Einzelbauten findet sich
bung. Die kath. Gemeinde wurde kein Niederschlag in den Akten. Die
dazu von überall her nam. auch von Bauinspektion legte dem Oberkir-
den kath. Vereinen und endl. (von S.) chenrat eine, gegebenenfalls noch zu
K. H. d. Großherzog mit reichlichen ändernde, Projektskizze vor und bat
Geldmitteln unterstützt. Ebenso ist um Entscheidung. „Jedenfalls soll die
das kath. Pfarrhaus ein ganz neuer, Baugruppe in ihrer äußeren Erschei-
dazu passender Bau." nung dem ländlichen Charakter des
Ortsbildes angemessen sich einglie-
Zwei wichtige Gesichtspunkte wur- dern und haben wir deshalb im Hin-
den in diesem Schreiben angespro- blick auf die ziemlich anspruchsvoll
chen. Erstens das als Konkurrenz em- als Kuppelbau ausgeführte neue ka-
pfundene katholische Kirchengebäu- tholische Kirche die äußere Aus-
de, dem man unbedingt einen eige- gestaltung der evangelischen Kirche
nen Kirchenbau entgegensetzen woll- in einer ganz schlichten Spitzbogen-
te. Dieser Aspekt spielte bei dem architektur gehalten, an welche die
ganzen Bauvorhaben eine zentrale Durcharbeitung der Pfarrhausfassa-
Rolle, zog sich wie ein roter Faden den angemessen sich anschließen
durch die ganzen Verhandlungen und soll." Weiter wurde im Schreiben die
beeinflußte die Planung bis ins Detail. Notwendigkeit eines Konfirmanden-
Zweitens wurde auf das Pfarrhaus hin- saales erläutert, der auch für sonsti-
gewiesen, was schließlich zu dem sel- ge Gemeindeveranstaltungen genutzt
tenen Gruppenbau von Kirche und werden könne. Dieser Konfirman-
Pfarrhaus führte. densaal war zwischen Kirche und
Pfarrhaus gesetzt und sollte beide
Die Notwendigkeit des Vorhabens Bauten architektonisch verbinden.
stand beim Oberkirchenrat außer Unterzeichnet sind die Entwürfe von
Zweifel, denn schon zweieinhalb Hermann Behagel, dem Leiter der
■ 2 u. 3 Ausgeführter Entwurf von Emil Wochen später beauftragte er die Evangelischen Kirchenbauinspektion
Döring, 1913. Kirchenbauinspektion in Heidelberg, in Heidelberg (vgl. Abb. 9-11).

30
Die Urteile über den Entwurf waren tekten besser auf den Bauplatz. „Kir- Öttingen ist erhalten und ein seltenes
deutlich ablehnend. Der Oberkir- che und Pfarrhaus sind so zusammen- Beispiel für Instrumente dieser Zeit.
chenrat vermißte gerade die Anpas- gebaut, daß die Kirche das Pfarrhaus
sung an die landschaftlichen Gege- gegen die rauhen Nordwinde ... Neben dem Gestühl und den ande-
benheiten und kritisierte die hohen schützt und so daß der Turm mitten ren Holzarbeiten wird der Hauptein-
Kosten. Der hohe, spitze Turm wirke aus der Baugruppe herauswächst." Es druck des Gebäudes von der Ausma-
bei den bescheidenen Abmessungen sollten möglichst viele Sitzplätze für lung und den Glasfenstern bestimmt.
des Baus dürftig und beeinträchtige wenig Geld untergebracht werden. Ursprünglich waren im Voranschlag
den Cesamteindruck. Er sollte eine Döring wählte deshalb das breite einfache Glasfenster vorgesehen. Dö-
kürzere und massigere Form, even- Langhaus und verzichtete auf die für ring versuchte aber im Laufe der Bau-
tuell ein Satteldach, erhalten. „Damit evangelische Kirchen typischen Sei- arbeiten doch figürliche Darstellun-
würde wohl auch die als Erfordernis tenemporen. Durch die radiale Grup- gen durchzusetzen und wandte sich
empfundene Anpassung an die länd- pierung des Gestühls wollte er eine zunächst an den Karlsruher Glasmaler
liche Bauweise und an das Land- gute Sicht auf Altar und Kanzel ge- Hans Drinneberg. Er bat ihn in einem
schaftsbild noch besser verwirklicht währleisten. Das Außere des Gebäu- ausführlichen Schreiben um Entwürfe
und zugleich dem Bauwerk, beson- des wurde als Putzbau mit Architek- und Kostenvoranschläge. „Alle Ver-
ders beim Verzicht auf die vollständig turteilen aus Haustein und Ziegeldach glasungen sollen möglichst hell und
symmetrische Durchführung, noch beschrieben. Im März 1914 wurde die Rcht gehalten werden, damit die Kir-
mehr eigenartiges Gepräge gegeben endgültige, gegenüber dem Vorent- che lichtdurchflutet wirkt." Interes-
werden." wurf nochmals kostenreduzierte, Pla- santerweise schrieb Döring nichts
nung vorgelegt. Beispielsweise waren über die Inhalte der Glasmalerei. Im
Die Kirchengemeinde wollte den grünglasierte Ziegel für den Turm und mit Abstand längsten Schreiben, das
Turm nicht verkürzen, wie es der eine Turmuhr vorgesehen, die bei der sich in den Akten findet, schilderte
Oberkirchenrat vorschlug, weil sonst Ausführung eingespart wurden. Döring daraufhin dem Oberkirchen-
die damaligen Filialgemeinden Weis- rat die Notwendigkeit von figürlichen
bach und Mülben das Geläute nicht Bau- und Instandsetzungs- Darstellungen. Für die großen Fenster
mehr hören würden. Außerdem sollte im Schiff schlug Döring Gruppenbil-
man Kirchen in Bergesgegenden von geschichte der vor: „Luther auf dem Reichstag zu
weither sehen. Allerdings sah auch Die Bauarbeiten begannen gleichzei- Worms" und „Melanchthon, die Bibel
die Gemeinde die Gefahr, daß der tig mit dem 1. Weltkrieg. Der Baufort- erklärend" oder das „Abendmahl und
Turm im Verhältnis zum Langhaus zu schritt verzögerte sich durch die Ein- die Bergpredigt', für die kleinen Fen-
dürftig sein würde, und machte den berufung von Arbeitern, den Ausfall ster kämen Medaillonbilder von Für-
Vorschlag, den Turm auf den Konfir- ganzer Betriebe und den Mangel an sten oder Reformatoren in Frage. Um
mandensaa! zu setzen: „weil dadurch Baumaterial. Trotzdem konnte das Kosten zu sparen, müßten bereits aus-
bei künstlerischem Aufbau die den Pfarrhaus im August 1915 bezogen geführte Entwürfe anderer Kirchen
Turm stützende Masse vergrößert werden. Im September 1916 war die verwendet werden. Die Ausmalung
wird, was nam. im Hinblick auf den Kirche bis auf Orgel und Geläut fertig- der Kirche sollte sich den Fenstern an-
imposanten Bau der kath. Kirche er- gestellt. passen.
strebenswert wäre." Deutlich sind bei
allen Überlegungen der ständige Blick Ziemlich umfangreich sind die Aussa- Döring konnte seine ehrgeizigen Plä-
auf das katholische Kirchengebäude gen der Akten über die Bauaus- ne jedoch nicht durchsetzen. Die Fen-
und die erstaunlich genauen Vorstel- führung. Von Interesse für uns ist beim ster erhielten eine ornamentale Ver-
lungen der Kirchengemeinde über Außenbau der Putz. Er wurde als ge- glasung von der Firma Meysen aus
ihren Neubau. Möglicherweise steht stockter Terranova-Verputz über ei- Heidelberg. Lediglich die kleinen Fen-
der damalige Pfarrer Sturm hinter den nem Untergrund aus Kalkmörtel be- ster unter der Empore schmücken
gewandten Formulierungen und den schrieben. An andererStelle bezeich- Darstellungen aus dem badischen
modernen Anschauungen. nete ihn der Architekt als rauhen Kel- Herrscherhaus und wurden vom
lenwurf. Dem teuren Terranova-Ver- Großherzog, dem Patronatsherr, selbst
Im August 1913 meldete sich die Be- putz wurde eine wasserabweisende bezahlt. Diese Fenster entwarf Drinne-
völkerung von Weisbach zu Wort. Sie Oberfläche und eine größere Haltbar- berg in enger Absprache mit den
forderte beim Oberkirchenrat den keit bei der rauhen Witterung zuge- großherzoglichen Behörden, die viel
Bau einer eigenen Kirche und bat um sprochen. Die Farbe des Putzes wur- Wert auf Portraitähnlichkeit und kor-
einen Teil derfürStrümpfelbrunn vor- de vom Architekt als silbergrau be- rekte Uniformen und Orden legten.
gesehenen Gelder. In bewegten Wor- schrieben. Die Fenster sind unverändert erhalten.
ten schilderten sie den vier Kilometer
langen steilen Weg nach Strümpfei- Das Innere präsentiert sich heute wie- Mit der Ausmalung wurde das Heidel-
brunn und die besonderen Erschwer- der in einem Zustand, der dem der Er- berger Maler- und Anstreichergeschäft
nisse zur Winterszeit. Der lang dau- bauungszeit nahekommt. Ursprüng- Martin Götzelmann beauftragt. Leider
ernde Streit endete damit, daß den lich standen Taufstein, Altar, Kanzel, schweigen die Quellen darüber, wer
Weisbachern ein Kirchenneubau ab- Christusfigur und Orgel in einer Ach- die Art der Ausmalung festlegte. Von
geschlagen wurde; er erfolgte erst se. Die Christusfigur wurde vom Ate- Döringgibt es nurdie Aussage, daßdie
1954. Der Bauplatz am südlichen lier für Kirchenausstattungen Gebrü- schlichte Architektur durch die feine,
Ortsrand von Strümpfeibrunn wurde der Marmon in Sigmaringen geliefert. farbige Behandlung gehoben werden
jedenfalls mit Rücksicht auf den süd- Sie ist nach der des segnenden Chri- könne. Original ist die rauhe Putzstruk-
lich gelegenen Filialort Weisbach aus- stus von Berthel Thorwaldsen ge- tur des Gewölbes, die er in den Unter-
gewählt. schaffen, die zur damaligen Zeit in der lagen als „Knollenwurf" bezeichnete.
protestantischen Welt überaus beliebt Das Gewölbe ist nicht massiv, sondern
Im Dezember 1913 stellte Emil Döring war und in vielen Variationen zu fin- eine Konstruktion aus Eisenträgern
von derKirchenbauinspektion in Hei- den ist. Christusfigur und Taufstein und Rabitzmatten.
delberg dem Oberkirchenrat einen sind Stiftungen von zwei Gemeinde-
Neubauentwurf vor. Das Projekt paß- mitgliedern für ihre gefallenen Söhne. Im Turm hängen die originalen Guß-
te nach der Einschätzung des Archi- Die Orgel der Firma Steinmeyer aus stahlglocken. Die Kirchengemeinde

31
■ 4 Blick von der Empore.
■ 5 Kirchenschiff und Empore.

■ 6 Orgelempore.

32
■ 7 u. 8 Glasfenster unter der Empore von
Hans Drinneberg, Karlsruhe, 1917: Croßher-
zog Leopold (1830-1852) und Croßherzog
Friedrich I. (1856-1907).

hatte größere Glocken als genehmigt Bei der zweiten Renovierung, die sich
angeschafft, sehr zum Ärger der Kir- von 1978 mit Unterbrechungen bis
chenbehörden. Grund dafür war das 1995 hinzog, wurde zunächst der
Geläut der Katholiken, dem man un- Außenputz in einem gelben Farbton
bedingt nacheifern wollte. gestrichen. Im ursprünglichen Silber-
grau dürfte die Gebäudegruppe
Die Kirche wurde am 25. März 1917 strenger, aber auch eleganter gewirkt
mit einer betont schlichten Feier ein- haben. Bereits damals wurde die Aus-
geweiht, da die meisten Männer im stattung des Altarraums wieder in den
Krieg waren, und sich ein Jubelfest alten Zustand versetzt. Seine Wände
von selbst verbot. Schon bald danach wurden ähnlich dem Originalzustand
häuften sich die Klagen über Bauschä- neu übermalt. Die Restaurierungsar-
den. Im Holzwerk der Innenausstat- beiten mußten aus Geldmangel un-
tung gab es Pilzbefall wegen schlech- terbrochen werden.
ten Materials. Die Dachdeckung war
undicht, so daß es besonders in den Erst von 1992 an wurden die Wände
Raum über der Orgel hineinschneite. restauratorisch untersucht und an-
Der neue Pfarrer Heinsius informierte schließend freigelegt. Durch die Fixie-
regelmäßig den Oberkirchenrat über rung der originalen Malerei in den
die Höhe von Schnee und Schmelz- 50er Jahren konnte die Übertünchung
wasser. Der Spitzenwert lag bei un- relativ problemlos abgenommen wer-
vorstellbaren 75 cm Schnee im Dach- den. Allerdings haben sich die Farb-
stuhl! Von den Kirchenbehörden kam töne durch die Fixierung sehr verän-
zunächst keine Hilfe, lediglich der dert, sie sind jetzt matt und dunkel im
Hinweis, den Schnee von Hand her- Vergleich zu früher. In den Gewölbe-
auszuschaffen, „am besten durch kalotten über den großen Fenstern
junge Mädchen, die beim Begehen gab es große Wassemecken, die retu-
des Gewölbes keine so große Bela- schiert werden mußten. Ebenso wur-
stung ausüben als Erwacnsene und den die schwarzen Konturstriche der
die auch besser in die Ecken und Win- Deckenmalerei nachgezeichnet.
kel schlüpfen können." Erst 1920
stellte ein Sachverständiger techni- Bei der evangelischen Kirche von
sche Mängel beim Bau fest, die dann Strümpfeibrunn ist die Summe erhal-
behoben wurden. tener Originalsubstanz ein seltener
Glücksfall, der die wenigen Verluste
1957 wurde die Kirche zum ersten fast vergessen läßt. In diesem Zusam-
Mal saniert. Man änderte den Außen- menhang ist auf kleine Details hinzu-
putz, im Inneren rückte man Kanzel weisen. So haben die Kirchenbänke
und Taufstein an die Seiten und über- noch ihre alten Oberflächen und wur-
deckte die originale Ausmalung, die den nicht neu lackiert. Die Tafeln zur
aus Leimkaseinfarbe bestand. Dieses Erinnerung an die Kriegstoten wurden
Material erwies sich als äußerst dauer- nicht abgehängt, der alte Liedanzei-
haft, denn es ließ sich weder abwa- ger ist noch an Ort und Stelle. Wün-
schen, abkratzen noch übermalen. So schenswert, aber nicht dringlich, wäre
überstrich man alles mit einem Fixativ eine Freilegung der originalen Malerei
und konnte dadurch die starken Far- im Chorraum und auf der Orgelem-
ben wenigstens einigermaßen über- pore, falls das wegen der starken Was-
decken. serschäden an dieser Stelle überhaupt

33
^rojeHskuie
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■ 9-11 NichtausgeführlerEntwurf von Her- möglich ist. Bedauerlich ist der Verlust toire ländlicher Kirchen angepaßt. In
mann Behagel, 1913. der originalen Fenster des Pfarrhauses einigen Details, wie Gestühl, Türen
und der alten Putzoberfläche am und vor allem den großen Fenstern,
Äußeren. gibt es aber auch Ähnlichkeiten.

Evangelische Kirche und Pfarrhaus in Die Anlage in Strümpfeibrunn zeich-


Strümpfeibrunn sind ein seltenes Bei- net sich jedenfalls durch hohes und
spiel für einen Gruppenbau dieser eigenständiges architektonisches Ni-
beiden Bauaufgaben. Zusammen mit veau aus. Das gilt für die geschickt ge-
dem Konfirmandensaal ergeben sie wählte Kubatur des Gebäudes mit
ein an die dörflichen Verhältnisse an- den geschwungenen Dächern und
gepaßtes Gemeindezentrum. Promi- den funktionalen Grundrissen von
nente städtische Beispiele für diesen Kirche und Pfarrhaus. Im Innern der
Bautyp sind die Lutherkirche in Karls- Kirche überzeugen die Details. So
ruhe und die Johanniskirche in Mann- sind die Fensterlaibungen dunkel ge-
heim-Lindenhof, beides Bauten von halten, damit die Fenster um so heller
Robert Curje! und Karl Moser, sowie erscheinen. Bei den Ornamenten
die Christuskirche in Mannheim-Ost- sind unterschiedliche Bronzetöne
stadt von Theophil Frey aus dem er- verwendet, ein matter, dunkler Ton
sten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts. und ein heller, glänzender. Dadurch
Allerdings zeigen diese Bauten ganz entsteht eine plastische Wirkung.
andere Grundrisse, Kubaturen und Gelungen ist die Steigerung der
Stile. Die Gebäudedisposition von Schwarztöne vom Gestühl - hier sind
Strümpfeibrunn mit über Eck gestell- sie sparsam eingesetzt - zum Altar-
ter Kirche und Pfarrhaus sowie dem raum, wo poliertes Schwarz Glanz-
Konfirmandensaal mit Turm als Ver- lichter setzt, korrespondierend mit
bindungsglied ist nicht von diesen dem Schwarz der Ornamentvergla-
Vorbildern abhängig, sondern findet sung. Döring selbst hat Kirche und
sich in der evangelischen Pfarrkirche Pfarrhaus als Bau mit „barockem Cha-
von Holzbronn, das heute zur Stadt rakter" bezeichnet, aus heutiger Sicht
Galw gehört. Die Kirche wurde in den sind sie dem Heimatstil zuzurechnen.
Jahren von 1907/08 nach Plänen von
Heinrich Dolmetsch errichtet. Die
Ähnlichkeit der gesamten Anlage ist Literatur:
groß, aberauch die stilistischen Unter- Horst Leyendecker: Evangelische Kirche in
schiede fallen ins Auge. Während Strümpfeibrunn, Restauratorische Untersu-
Holzbronn mit dem weit auskragen- chung (Manuskript), Karlsruhe 1992.
den Schopfenwalmdach ein typi-
sches Architekturdetai! des Schwarz-
walds aufgreift, wird in Strümpfei-
brunn eine direkte Reminiszenz an Dr. Ute Fahrbach-Dreher
den regionalen Baustil vermieden. LDA • Bau- und Kunstdenkmalpflege
Auch im Innern war Holzbronn eher Durmersheimer Straße 55
konservativ und an das Formenreper- 76185 Karlsruhe

34
Mehr als 20 Wissenschaftler sind an „Goldene Jahrhunderte" -
Mitteilungen diesem umfassenden Kompendium Die Bronzezeit in Südwestdeutschland
beteiligt. Wichtige Erkenntnisse zur
Bau- und Kunstgeschichte der Klo- Archäologisches
steranlage, zur Geschichte der Abtei Landesmuseum Baden-Württemberg
Denkmalschutzpreis 1997 und zu den denkmalpflegerischen Benediktinerplatz 5
der Württemberger Hypo und Aspekten werden hier erstmals und 78467 Konstanz
des Schwäbischen Heimatbundes umfassend veröffentlicht. Tel.: 0 75 31 /98 04-0
15. März - 2. November 1997
Mit dem Denkmalschutzpreis der Der Band „Maulbronn. Zur 850jähri- Dienstag-Sonntag: 10-18 Uhr
Württemberger Hypo und des gen Geschichte des Zisterzienserklo-
Schwäbischen Heimatbundes wer- sters" erscheint in der Reihe „For- Veranstalter:
den auch in diesem Jahr bis zu fünf schungen und Berichte zur Bau- und Archäologisches Landesmuseum Ba-
Privatleute aus Württemberg für bei- Kunstdenkmalpflege in Baden-Würt- den-Württemberg und Landesdenk-
spielhaftes denkmalpflegerisches En- temberg" im Sommer. malamt Baden-Württemberg
gagement ausgezeichnet. Der Preis ist
mit einer Geldprämie von jeweils Die Sonderausstellung gibt einen
10 000 DM dotiert. Überblick über die erste Metallhoch-
kultur in Südwestdeutschland, die
Prämiert werden Gebäude, die in den Ausstellungen Bronzezeit (ca. 2 300-750 v. Chr.).
vergangenen drei Jahren innen wie Vorgestellt werden mehr als 1000, z. T.
außen denkmalpflegerisch erhalten, erstmals gezeigte Exponate und die
gepflegt und - soweit nötig - erneuert aktuellen Grabungsergebnisse der
worden sind. Voraussetzung ist dabei, Von der Ordnung der Welt Landesarchäologie.
daß das Kulturdenkmal in seinem hi- Mittelalterliche Glasmalereien
storisch gewachsenen Erscheinungs- Das erste Metall revolutionierte die
bild soweit wie möglich bewahrt wur- Franziskanerkirche am Blarerplatz menschliche Gesellschaft. Die Aus-
de. 73728 Esslingen am Neckar breitung neuer Technologien - u. a.
Tel.; 07 11 / 35 12-32 40 der Metallurgie - vom Orient bzw.
Für den Preis der Württemberger Hy- dem Balkan über ganz Europa zeigt,
po und des Schwäbischen Heimat- 11. Mai-3. August 1997 welch intensives Netz von Beziehun-
bundes können sich private Bauher- Dienstag-Sonntag: 10-18 Uhr gen schon damals die Alte Welt um-
ren bewerben. Gefragt sind aber auch Gemeinsame Ausstellung von spannte: Südwestdeutschland war
Architekten, Denkmaipfieger und Evangelischer Gesamtkirchen- nur ein kleiner Teil im Bereich der
Mitarbeiter der Baurechts- und Denk- gemeinde Esslingen, nordalpinen Bronzezeit.
malschutzbehörden, die Vorschläge Landesdenkmalamt
einreichen können. Uber die Preisver- Baden-Württemberg und Zur Ausstellung erscheint ein reich
gabe entscheidet eine Juty. Stadt Esslingen bebildertes Begleitbuch.
Bewerbungen können bis zum In drei Kirchen hat Esslingen über 400
30. April 1997 an den Schwäbischen Glasfensterscheiben des späten 13. Schätze der Kelten und Gallier
Heimatbund, Weberstraße 2, 70182 und 14. Jahrhunderts bewahrt. Nahe- am Oberrhein
Stuttgart (Telefon 07 11 / 23 94 20) ge- zu alle Themen, die die Skulpturen-
richtet werden. programme der großen französischen Keltenmuseum Hochdorf/Enz
Kathedralen dieser Zeit zeigen, sind Keltenstraße 2
vertreten, auch die Darstellung der Tu- 71735 Eberdingen-Hochdorf
850 Jahre Kloster Maulbronn 1997 genden und Laster. In den Bildern des Tel.: 0 70 42 / 7 8911 bzw. 79 94 02
Marienlebens wird sogar das Alltagsle-
Kloster Maulbronn, einziges Weltkul- ben der Esslinger Bürger dargestellt. 8. Februar - 27. April 1997
turerbe der UNESCO in Baden-Würt- Dienstag-Sonntag: 9.30-12.00,
temberg, feiert 1997 das Jubiläum des Die aus nächster Nähe zu betrachten- 13.30-17 Uhr
Gründungsjahres 1147 mit zahlrei- den Glasgemälde erlauben einzigarti-
chen Veranstaltungen, Vorträgen, ge Einblicke in die Ordnung der mit- Nach Colmar, Biel und Freiburg kön-
Konzerten, Führungen im Kloster und telalterlichen Welt und in die techni- nen im Keltenmuseum Hochdorf/Enz
in die von den Zisterziensermönchen sche und künstlerische Gestaltung originale Funde aus 10 Fürsten- und
geprägte Kulturlandschaft der Umge- von Glasmalerei. Adelsgräbern der frühen Eisenzeit
bung. (6. Jh. v. Chr.) gezeigt werden, die im
Die Glasfenster sind z.T. in Konstanzer südlichen Oberrheintal entdeckt wor-
Informationen: und Speyerer Werkstätten entstanden den sind. Das Oberrheingebiet bilde-
Stadtverwaltung Maulbronn und spiegeln Einflüsse der Glasmalerei te in der Eisenzeit eine wichtige Zone
Postfach 47 von Paris und Rouen wider. der Hallstattkultur.
75429 Maulbronn
Tel.: 0 70 43/1 0312 Die mittelalterlichen Glasfenster be- In deutsch-französischer Zusammen-
weisen es: Esslingen war zu Beginn arbeit zwischen badischen und el-
Das Gründungsjubiläum von Kloster des 14. Jahrhunderts das bedeutend- sässischen Institutionen und Museen
Maulbronn ist für das Landesdenk- ste Kunstzentrum Schwabens. werden die reichen und prächtigen
malamt Baden-Württemberg Anlaß, Funde dieser keltischen Fürstengräber
diese einzigartige Klosteranlage in ei- Zur Ausstellung erscheint ein reich be- gemeinsam auch in Hochdorf prä-
ner eigenen Publikation vorzustellen. bilderter Katalog. sentiert.

35
Natürlich ist der Adressat eines sol- den ersten Blick tadelsfreien Ausfor-
Neuerscheinung chen Werkes in erster Linie der Fach- mung korrigiert.
gelehrte, doch erst die spezialisierte
Betrachtung, wie sie hier betrieben Schließlich finden sich auch die Fen-
wurde, eröffnet auch die Möglichkeit sterstiftungen des 19. und 20. Jahrhun-
Die mittelalterlichen Glasmalereien einer sachgerecht-breitenwincsamen derts thematisch aufgelistet. Ein erster
in Ulm Darstellung dieser Denkmalgruppe in Schritt zu einer Ausweitung der Cor-
Wort und Bild und nicht zuletzt in der pus-Konzeption? Eine solche wäre im
Bearbeitet von Hartmut Scholz (Cor- Form einer Ausstellung, wie sie höchst Blick auf die Verluste an Glasmalerei
pus Vitrearum Medii Aevi, Deutsch- eindrucksvoll unter dem Thema „Bil- des 19. Jahrhunderts nur allzu ge-
land I, 3), Berlin 1994. LXIV, 320 S. mit der aus Licht und Farbe" 1995 im Ul- rechtfertigt, denn der denkmalpflege-
108 Fig. und 58 Textabb., 226 Taf. mit mer Museum veranstaltet worden ist. rische Blick sucht, unbeschadet des
534 Abb. (davon 9 farbig) und 32 (Es bot diese Ausstellung nicht nur die Abbruchs glasmalerischer Tradition
Farbtafeln (ISBN 3-87157-168-7). Nahsicht auf einige der im Chor sonst im 16. Jahrhundert, Kontinuität auch
üblicherweise „entrückten" Scheiben. im Wandel: nur so überleben Denk-
Mit dem hier angezeigten Band liegt Vor allem erlaubte sie erstmals, die male. Er findet auch in diesem Band
das Corpuswerk zur mittelalterlichen nach Berlin und Darmstadt abgewan- das Weiterleben des Handwerks be-
Glasmalerei im württembergischen derten Rundscheiben des Ulmer Rats- stätigt und ebenso die Wiederbele-
Landesteil geschlossen vor. Vorange- saales mit Beispielen der genannten bung der Techniken unter dem Ein-
gangen waren die Bände Schwaben I jüngeren Fenster des Münsterchores, druck der faszinierenden Bilderwelt
(1958 als Erstling der gesamten Reihe Scheiben der Straßburger Magdale- der alten Fenster: in Ulm lassen die
erschienen) und Schwaben II (1986): nenkirche und der Uracher Stiftskir- Besserer noch 1850 die Fensterbilder
im zweiten Band hatten die nach der che zu vergleichen - dieser Zusam- Ihrer Kapelle in hergebrachter Weise
Mitte des 14. Jahrhunderts entstande- menhang war 1988 von R. Becks- reparieren, 1858 sind dann im neue-
nen Fenster Aufnahme gefunden, aus mann dargelegt worden. Zur Ausstel- ren Sinn denkmalpflegerische In-
Gründen des Umfangs aber ohne den lung erschien ein Katalog.) standsetzungen in Gang, und 1878
reichen Ulmer Bestand. Dieser um- setzen die neuen Fensterstiftungen
faßt im wesentlichen die mittelalter- Wie kenntnisreich der Verfasser die- ein.
liche Verglasung des Ulmer Münsters, ses sich vielschichtig darstellende Ma-
so die beiden Gruppen der älteren terial in den Rahmen der Bauge- Zuletzt sei noch vermerkt, daß Scholz
Chorverglasung, das Marnerfenster schichte des Münsters stellt, aus um- auch die Ulmer Scheiben als Bildquel-
im Langhaus (1408) und die brillanten, fassender Denkmälerkenntnis heraus len für Bauformen betrachtet hat: da
in Straßburg bestellten Chorfenster es in Beziehung zur vergleichbaren sind in den Besserer-Fenstern (bei
des Rates und der Kramerzunft als Buch-, Tafel- und Wandmalerei setzt, dem Bild der Fußwaschung und des
Schlußpunkt der neuen, seit 1462 in Parallelen auch zu Erscheinungen in Abendmahls) nicht nur Zellenge-
Gang gesetzten Chorausstattung. Eine der Skulptur aufweist, das läßt auch wölbe vorweggenommen, sondern
nach ihrer künstlerischen Eigenart den Leser Gewinn aus dem Werk zie- es ist auch, auf der berühmten Schei-
herausgehobene Gruppe bilden die hen, den die bildkünstlerische Aus- be mit der Arche Noah, ein „Gucka-
berühmten, fein gemalten Fenster der stattung des Münsters über die Vergla- hürle"zu sehen: In diesem Firstaufsatz
Besserer-Kapelle. Schließlich verdie- sung hinaus interessiert. Zugleich do- des ziegelgedeckten Daches hat sich
nen auch bisher unbekannte Frag- kumentiert Hartmut Scholz im Blick der Stammvater niedergelassen, um
mente der ehemaligen Langhausver- auf die Wiederherstellung der Fenster die Taube, und damit aas Ende der
glasung Aufmerksamkeit. durch Kellner (1869-1872) und Zettler Sintflut, zu erwarten. Kein früheres
(1908-1917) ein Kapitel Denkmal- Bild überliefert dieses nach Konstruk-
Der strengen Systematik dieser wis- pflege-Geschichte, und dieses hat um tion, Funktion und Vorkommen kaum
senschaftlichen Unternehmung fol- so mehr Gewicht, als die Wiederher- erforschte und früher in Ulm durch-
gend bildet die detaillierte Bestands- stellung und Vollendung des Ulmer aus verbreitete Bauglied.
aufnahme aller etwa 500 Scheiben Münsters zu den ganz großen Restau-
den Kern dieser Darstellung. Die rationsleistungen des 19. Jahrhun- Peter Findeisen
Scheidung nach Originalsubstanz derts in Deutschland zählt. Die älte-
und den - bereits seit dem 15. Jahr- ren Ergänzungen hat noch Konrad
hundert vorgenommenen - Er- Dietrich Haßler, seit 1858 der erste
gänzungen, die Bewertung der Schei- württembergische Konservator der
ben nach technischen, ikonographi- Denkmale, betreut. (Seine Schrift-
schen und stilistischen Gesichtspunk- sätze dazu sind im Abschnitt „Rege- Abbildungsnachweis
ten: dies alles ist gewissermaßen Stan- sten" abgedruckt, einer Quellen-
dard der Corpusbearbeitung und sammlung mit aufschlußreichen Bele-
hinfort unentbehrlich für jede weitere, gen von 1379 bis 1915).
nicht zuletzt denkmalpflegerische Be- Akademie der Wissenschaften und der
schäftigung mit diesem Gegenstand. Während die Ergänzungen Kellners Literatur Mainz: Corpus Vitrearum Me-
Im Ergebnis und in der Auseinander- noch ganz und gar typisiert erschei- dii Aevi Deutschland, Freiburg/ Breis-
setzung mit der bisherigen Forschung nen und daher förmlich aus dem gau: 13, 14 Abb. 6 b, c, 16 Abb. 8 c;
kommt der Verfasser zu Datierungen, Kontext der originalen Scheiben her- S. van Villigen, Freiburg: 17,18 Abb. 2;
Zuschreibungen und Lokalisierungen, ausspringen, sind die jüngeren Ver- H. G. Schiele, Freiburg: 18 Abb. 3, 20;
die z. B. die älteren Chorfenster in ein vollständigungen nur mit einiger Köln, Domstift, Historisches Archiv: 19;
anderes (besseres) Licht innerhalb des Mühe auszumachen: sie „stören" E. Paulus, Die Cisterzienser-Abtei Be-
Ost-West-Gefälles der Zeit um 1400 nicht und verführen darum zu unkriti- benhausen, Stuttgart 1888: 14 Abb.
rücken. In der Diskussion um die Au- scher Akzeptanz - der Sachverhalt ist 6 a, 15,16 Abb. 8 b, d;
torschaft der Besserer-Scheiben wird nicht ohne Parallelen. So wurde zu LDA- Karlsruhe: 29-34;
deren Verankerung in der Ulmer Tra- eben dieser Zeit auch am Schönen LDA-Stuttgart: Titelbild (J. Geiger), 5-9,
dition - bei Verarbeitung unterschied- Brunnen in Nürnberg die ältere Wie- 23-28;
lichen Vorlagenmaterials - belegt. derherstellung zu Gunsten einer auf LDA-Tübingen: 11,12,16 Abb. 8 a.

36
Veröffentlichungen des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg

ULRICH MÜLLER
Der römische Gutshof HOLZFUNDE Siedlungsarchäologie
bei Büßlingen AUS FREIBURG UND im Alpenvorland IV
KONSTANZ

Karin Heüigmann-Batsch

Landesdenkmalamt Baden-Württemberg LANDESDENKMALAMT BAOEN-WURTrEMBERG Landesdenkmalamt Baden-Württemberg


Konrad Thetss Verlag Stuttgart KONRAD THEISS VERLAG STUTTGART Konrad Thetss Veiiag Stuttgart

Der römische Gutshof bei Büßlingen, Kr. Kon- Holzfunde aus Freiburg/Augustinereremiten- Die Spätbronzezeil am nordwestlichen Boden-
stanz. Ein Beitrag zur Siedlungsgeschichte des kloster und Konstanz. see. Taucharchäologische Untersuchungen in
Hegaus. Herstellung und Funktion einer Material- Hagnau und Unteruhldingen 1982-1989. Sied-
Von Karin Heiligmann-Batsch. gruppe aus dem späten Mittelalter. lungsarchäologie im Alpenvorland IV.
Forschungen und Berichte zur Vor-und Früh- Von Ulrich Müller. Von Gunter Schöbel. Mit Beiträgen von Andre
geschichte in Baden-Württemberg, Band 65. Forschungen und Berichte der Archäologie Billamboz, Wolfgang Ostendorp und Manfred
158 Seiten mit 40 Abbildungen, 58 Tafeln, 1 des Mittelalters in Baden-Württemberg, Rösch.
Beilage. Preis DM 90, Kommissionsverlag Kon- Band 21.328 Seiten mit 81 Abbildungen, 52Ta- Forschungen und Berichte zur Vor- und Früh-
rad Theiss Verlag, Stuttgart 1997. feln. geschichte in Baden-Württemberg, Band 47.
Preis DM 110. Kommissionsverlag Konrad 312 Seiten mit 236 Abbildungen, 106 Tafeln, 16
Der weite Raum zwischen Oberer Donau, Bo- Theiss Verlag, Stuttgart 1996. Beilagen in einem Schuber. Preis DM 138.-
densee und Hochrhein galt bis vor kurzem für Kommissionsverlag Konrad Theiss Verlag,
die römische Epoche unseres Landes als fast Freiburg im Breisgau und Konstanz - zwei Zen- Stuttgart 1996.
siedlungsfreies Gebiet - ein Bild, das sich erst tren der mittelalterlichen Welt Südwest-
in den letzten Jahrzehnten verändert hat. deutschlands. Die Ausgrabungen in seewärti- Die spätbronzezeitlichen Pfahlbausiedlungen
Der seit langem bekannte römische Gutshof gen Auffüllungsbereichen von Konstanz sowie am nördlichen Bodenseeufer - seit der 2.
bei Büßlingen mußte in den 70er Jahren ausge- in der Latrine im Kloster der Augustinereremi- Hälfte des letzten Jahrhunderts bekannt - sind
graben werden, da er durch eine Flurbereini- ten zu Freiburg lieferten weit über 6000 höl- erst in den 80er Jahren wiederentdeckt wor-
gung und durch die landwirtschaftliche Nut- zerne Kleinfunde vom späten 13. bis zum 16. den. Prospektionen des 1979 eingerichteten
zung stark gefährdet war. Bereits durch die Jh. Diese bieten einen umfassenden Einblick in »Projekts Bodensee-Oberschwaben« in fast 20
Luftbildarchäologie waren Ausdehnung der die Alltagskultur mittelalterlicher Lebenswel- Stationen zeigten ihre Erhaltung und ihren
Hoffläche und die Innenbebauung mit neun ten, in denen Holz in seinen vielfältigen Er- heutigen Zustand, vor allem aber auch ihre
Gebäuden bekannt. So konnte durch gezielt scheinungsformen zum täglichen Gebrauchs- akute Gefährdung.
angelegte Suchschnitte und Flächen der Guts- gut der Menschen gehörte. Zwischen 1982 und 1989 konnten zwei spät-
hof weitgehend untersucht werden. Ein Schwerpunkt der Auswertung liegt auf der bronzezeitliche Dorfanlagen bei Unteruhldin-
Bei der Nähe der Büßlinger Anlage zu den Erforschung der Herstellungstechniken der gen und Hagnau als Pilotprojekte mit Hilfe der
nordschweizerischen Gutsanlagen ist es nicht Holzgeräte und ihrer Funktionsansprache. Die Luftbildarchäologie und durch größere Tauch-
erstaunlich, daß sich seine Bewohner nach Frage ihres Verwendungszwecks bildet einen sondagen genauer untersucht werden. Ent-
dieser Region orientierten. Aus diesem Raum weiteren Kernbereich der Arbeit. Die Identifi- deckt wurden zwei Dorfanlagen mit z. T. eng-
dürften auch die ersten Bewohner am Ende zierung und Ansprache der Funktion der Holz- zeilig angelegten Holzhäusern, die nach außen
des 1. nachchristlichen Jh. hergezogen sein. geräte liefert die Basis für ihre kulturhistorische durch Palisaden geschützt waren. Die Entwick-
Die Büßlinger Anlage erlebte im 2. Jh. ihre wirt- Einordnung, dabei werden Unterschiede und lung beider Dörfer kann durch dendrochrono-
schaftliche Blüte, Spuren römerzeitlicher Be- Gemeinsamkeiten zwischen städtischem und logische Untersuchungen der Eichenstämme
wirtschaftung finden sich aber bis ins 4. Jh. klösterlichem Leben deutlich. Damit liefert die genau aufgezeigt und zeitlich exakt festgelegt
Bei der Villa handelt es sich um einen der für Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Entschlüsse- werden.
Süddeutschland und die Nordschweiz charak- lung mittelalterlicher Lebenswirklichkeit. Die vorliegende Untersuchung gibt erstmals
teristischen, großen landwirtschaftlichen Be- eine Publikation der Befunde und der z. T. in
triebe, deren Produktionsschwerpunkt - auf- viele Museen verstreuten Funde. Die enge
grund der eher ertragsarmen Böden im interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen
Westhegau - in der Vieh- und Weidewirtschaft Archäologie und naturwissenschaftlichen Fä-
gelegen haben dürfte. Es zeigt sich dabei auch, chern, der Archäobotanik, der Dendrochro-
daß die Größe und Strukturen dieser römi- nologie und der Sedimentologie, erlaubt über-
schen Gutsanlagen stark von der Güte und raschende, neue Aussagen zur Baugeschichte
Formation des bewirtschafteten Gebietes ab- und Entwicklung zweier spätbronzezeitlicher
hängen. Dorfanlagen, zum wirtschaftlichen Handeln
ihrer Bewohner und zum Verhältnis des Men-
Bezug über den Buchhandel schen zu seiner Umwelt.
E 6594 F

DENKMALPFLEGE
IN BADEN-WÜRTTEMBERG
Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes
Baden-Württemberg
Mörikestraße 12, 70178 Stuttgart
ISSN 0342-0027
1/1997 26. Jahrgang Januar-März 1997

Die Dienststellen des Landesdenkmalamtes

Das Landesdenkmaiamt ist Landesoberbe- Landesdenkmaiamt Baden-Württemberg


hörde für Denkmalschutz und Denkmal-
pflege mit Sitz in Stuttgart; die örtlich zu- Amtsleitung, Abteilungsleitung, Verwaltung, Inventarisation,
ständigen Referate der Fachabteilungen Öffentlichkeitsarbeit, Technische Dienste, Mörikestraße 12,
Bau- und Kunstdenkmaipflege (I) und 70178 Stuttgart, Telefon (0711) 16 94-9, Telefax (0711) 16 94-513
Archäologische Denkmalpflege (II) sind
nach dem Zuständigkeitsbereich der Re-
gierungspräsidien jeweils in Außenstellen Dienststelle Stuttgart (zuständig für den Regierungsbezirk Stuttgart)
zusammengefaßt. Bau- und Kunstdenkmalpfiege Archäologische Denkmalpflege
Hauptaufgaben des Landesdenkmalam- Zentrale Planungsberatung Abteilungsleitung
tes als Fachbehörde sind; Überwachung Zentrale Restaurierungsberatung Archäologische Zentralbibliothek
des Zustandes der Kulturdenkmale; fach- Mörikestraße 12 Silberburgstraße 193
konservatorische Beratung der Denkmal- 70178 Stuttgart 70178 Stuttgart
schutzbehörden (Landratsämter; Untere
Baurechtsbehörden; Regierungspräsidien; Telefon (0711) 16 94-9 Telefon (0711) 16 94-7 00
Wirtschaftsministerium), Beteiligung als Telefax (0711) 16 94-5 13 Telefax (0711) 16 94-7 07
Träger öffentlicher Belange und Planungs- Arbeitsstelle Hemmenhofen
beratung zur Wahrung denkmalpflegeri- Fischersteig 9
scher Belange insbesondere bei Orts- 78343 Gaienhofen-Hemmenhofen
planung und Sanierung; Beratung der Telefon (0 77 35) 30 01
Eigentümervon Kulturdenkmalen und Be- Telefax (0 77 35) 16 50
treuung von Instandsetzungsmaßnahmen;
Gewährung von Zuschüssen für Erhal-
tungsmaßnahmen; Bergung von Boden- Außenstelle Karlsruhe (zuständig für den Regierungsbezirk Karlsruhe)
funden aus vor- und frühgeschichtlicher
Zeit und dem Mittelalter, planmäßige Bau- und Kunstdenkmalpflege Archäologische Denkmalpflege
Durchführung und Auswertung von ar- Durmersheimer Straße 55 Amalienstraße 36
chäologischen Ausgrabungen; wissen- 76185 Karlsruhe 76133 Karlsruhe
schaftliche Erarbeitung der Grundlagen Telefon (07 21) 50 08-0 Telefon (07 21) 91 85-4 00
der Denkmalpflege und Erforschung der Telefax (07 21) 50 08-1 00 Telefax (07 21) 91 85-410
vorhandenen Kulturdenkmale (Inventari-
sation). Archäologie des Mittelalters
Alle Fragen in Sachen der Denkmalpflege Durmersneimer Straße 55
und des Zuschußwesens sind entspre- 76185 Karlsruhe
chend bei der für den jeweiligen Regie- Telefon (07 21) 50 08-2 05
rungsbezirk zuständigen Dienststelle des Telefax (07 21)50 08-1 00
LDA vorzutragen.
Außenstelle Freiburg (zuständig für den Regierungsbezirk Freiburg)
Bau- und Kunstdenkmalpflege Archäologische Denkmalpflege
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