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Meditation als „mittlerer Zustand“

Wenn man innerlich erkraftet und erweckt die Seele, daß man
seine Gedanken gleichsam hört oder sieht, dann hat man das
Meditieren; es ist ein mittlerer Zustand. Es ist weder Denken
noch Wahrnehmen. Es ist ein Denken, das so lebendig in der
Seele lebt, wie das Wahrnehmen lebendig lebt, und es ist ein
Wahrnehmen, das nicht Äußeres, sondern Gedanken in der
Wahrnehmung hat. … Der meditierende Mensch, der in seinen
Gedanken so lebt, daß sie lebendig in ihm werden, wie
Wahrnehmungen in ihm sind, lebt in dem göttlichen
Dahinströmen.

Rudolf Steiner (28.08.1913): Die Geheimnisse der Schwelle. GA


147. Dornach 1997, Seite 99.

Ausbildung der Imagination als Zukunftsaufgabe

Doch dieses abstrakte Denken ist nur eine Durchgangsstufe der


denkerischen Fähigkeit. Wer es in seiner völligen Reinheit erlebt
hat, wer seine Kälte und Kraftlosigkeit, aber auch seine
Durchsichtigkeit mit vollem menschlichen Anteil in sich
aufgenommen hat, der kann bei ihm nicht stehen bleiben. Es ist
ein totes Denken; aber es kann zum Leben erweckt werden. Es
hat die Bildhaftigkeit verloren, die es als Traumerlebnis gehabt
hat; aber es kann diese wieder erringen im Lichte eines
intensiveren Bewußtseins. Von traumhafter Bildlichkeit durch
vollbewußte Abstraktion zur ebenso vollbewußten Imagination:
das ist der Entwickelungsgang des menschlichen Denkens. Der
Aufstieg zu dieser bewußten Imagination steht als
Zukunftsaufgabe vor der abendländischen Menschheit. Goethe
hat einen Anfang damit gemacht, indem er für das Verständnis
der Pflanzengestaltung das Ideenbild der Urpflanze forderte.
Und dieses imaginative Denken kann wieder Impulse des
Handelns aus sich heraustreiben.

Rudolf Steiner (20.08.1922): Die Flucht aus dem Denken. In:


Der Goetheanumgedanke inmitten der Kulturkrisis der
Gegenwart. Gesammelte Aufsätze 1921-1925. GA 036. Dornach
1961, S. 89.

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