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28.06.2018 aktualisiert: 28.06.2018

„Wir sind ein Störfaktor


in der Kirche“
1988 wurde der Piusbruder Bernard
Fellay unerlaubt zum Bischof geweiht.
Heute hofft er auf Versöhnung. Eine
Begegnung in Stuttgart. Von Regina
Einig

FILE) A file picture dated 29 June 2005 of Bishop Bernard


Fellay (R), Superior General of the Society of St. Pius X,
SSP... Foto: epa Keystone Maire (KEYSTONE_FILE)

Exzellenz, wie haben Sie vor 30 Jahren


Ihre Bischofsweihe wahrgenommen?
War das für Sie eine definitive
Trennung der Priesterbruderschaft
von Rom oder eine Zwischenetappe im
Konflikt, bei der Sie die Versöhnung
vor Augen hatten?

Hätte es sich damals um eine


Trennung von Rom gehandelt, wäre
ich heute nicht hier. Dafür hätte der
Erzbischof mich nicht geweiht, und
ich hätte das auch abgelehnt. Es ging
also nicht um eine Trennung von der
Kirche, sondern um eine Abgrenzung
von dem modernen Geist, von den
Früchten des Konzils. Inzwischen
gestehen auch andere ein, dass da
etwas falsch gelaufen ist. Viele
Gedanken und Aspekte, die wir
bekämpften und bekämpfen, werden
inzwischen auch von anderen
bestätigt. Wir haben nie gesagt, dass
das Konzil direkt häretische Aussagen
gemacht habe. Man hat aber den
Schutzwall gegen den Irrtum entfernt
und auf diese Weise den Irrtum
aufkommen lassen. Die Gläubigen
brauchen Schutz. Darin besteht der
ständige Kampf der streitenden
Kirche, um den Glauben zu
verteidigen.

Aber nicht alle, die Kritik am „Konzil


der Medien“ üben, dazu gehört ja auch
der emeritierte Papst Benedikt XVI.,
nehmen dafür einen Konflikt bis zur
Exkommunikation in Kauf. Warum
haben Sie nicht die Riege der
Traditionstreuen innerhalb der Kirche
verstärkt und in Einheit mit Rom für
die Wahrheit gekämpft?

Das liegt zum Teil sicher an der


Geschichte der Franzosen. Seit der
Französischen Revolution kämpft ein
guter Teil französischer Katholiken
gegen den Irrtum des Liberalismus.
Daher ist das Geschehen während und
nach des Konzils dort viel sensibler
und aufmerksamer wahrgenommen
worden als in Deutschland. Da ging es
nicht um krasse Irrtümer, sondern um
Tendenzen, darum, Türen und Fenster
zu öffnen. Die Reformen danach haben
es deutlicher gezeigt als das Konzil
selbst. Dazu kristallisierte sich das
Problem bei der neuen Messe. In Rom
sagte man Erzbischof Lefebvre:
„Entweder – oder. Sie zelebrieren
einmal die neue Messe, und alles ist in
Ordnung.“ Unsere Argumente gegen
die neue Messe zählten nicht. Dabei ist
das Missale Pauls VI. unter Mitarbeit
protestantischer Theologen verfasst
worden. Wenn man gedrängt wird,
diese Messe zu zelebrieren, dann gibt
es wirklich ein Problem. Und wir
wurden gedrängt. Hat Ihre Ablehnung
der neuen Messe Sie und auch
Erzbischof Lefebvre in der Auffassung
bestärkt, die Trennung von Rom sei
der Wille Gottes?

Ich bestehe darauf: Wir haben uns nie


von der Kirche getrennt.

Aber das Faktum der


Exkommunikation spricht doch für
sich. Warum hätte Papst Benedikt XVI.
sie sonst aufheben sollen?

Im katholischen Recht von 1917 gilt die


Bischofsweihe ohne Mandat des
Papstes nicht als Schisma, sondern
nur als Missbrauch der Gewalt und
sogar ohne Exkommunikation. Die
ganze Kirchengeschichte hat eine
andere Sicht auf das Problem der
Bischofsweihen, die ohne Auftrag des
Papstes stattfinden. Das ist sehr
wichtig.

Warum ist das so wichtig? 1988 galt


bereits das neue Gesetzbuch der
Kirche – und auch der CIC von 1917
verpflichtet den Bischof zur Treue
gegenüber dem Heiligen Stuhl.

Wir waren in einer Notlage, denn Rom


hatte einen Bischof für uns bestimmt.
Bei der Besprechung zwischen
Kardinal Ratzinger und Erzbischof
Lefebvre am 5. Mai 1988 ging es um
den Weihetermin. Erzbischof Lefebvre
und Kardinal Ratzinger konnten sich
nicht einigen. Erzbischof Lefebvre
hatte einen Vorschlag gemacht. Ich bin
sicher, hätte Kardinal Ratzinger
damals den 15. August als
Weihetermin ohne Kandidatsänderung
bestätigt, wäre der Erzbischof darauf
eingegangen. Doch der Termin blieb
offen. Als Erzbischof Lefebvre den
Kardinal fragte: „Warum nicht am
Ende des Jahres?“ erhielt er die
Antwort: „Ich weiß nicht, ich kann es
nicht sagen.“ Daher dachte der
Erzbischof, man spiele mit ihm. Das
war sicher ein Punkt des Misstrauens.
Und Misstrauen ist bis heute ein
Schlüsselwort unserer Geschichte. Wir
arbeiten daran, das zu überwinden und
dann kommt wieder etwas dazwischen
– es ist wirklich mühsam.

(Anmerkung der Redaktion: Der


emeritierte Papst teilte der Redaktion
mit, er erinnere sich nicht mehr an die
Details, sei aber ziemlich sicher, dass
die Personalfrage nur eine
untergeordnete Rolle gespielt habe.
Johannes Paul II. hatte fest eine
Bischofsweihe zugesagt. Einen Termin
zu fixieren sei nicht seine (Kardinal
Ratzingers) Aufgabe gewesen.
Erzbischof Lefebvre hatte am Ende des
Gesprächs das Protokoll
unterzeichnet, das – wenn er bei
seinem Ja geblieben wäre – die
Einigung bedeutet hätte. Ein
Mitarbeiter der Glaubenskongregation
habe vereinbarungsgemäß am Tag
darauf Lefebvre in Albano aufgesucht,
um das Papier abzuholen. Zum
Erschrecken aller erklärte Lefebvre, er
habe die Nacht hindurch nicht
schlafen können und sei zur
Erkenntnis gekommen, dass man in
Wirklichkeit die Einigkeit nur
benützen wollte, um sein Werk zu
zerstören.)

Warum hat Kardinal Ratzinger, ein


ausgewiesener Kenner und Förderer
der katholischen Tradition und ein
Freund der überlieferten Messe, das
Misstrauen des Erzbischofs nicht
beruhigen können?

Er hat nicht verstanden, wie tief die


Beweggründe des Erzbischofs und die
Verunsicherung der Gläubigen und
Priester waren. Viele haben einfach die
Nase voll gehabt über die
nachkonziliaren Skandale und
Ärgernisse sowie die Art und Weise,
wie die neue Messe zelebriert wurde.
Wenn Kardinal Ratzinger uns
verstanden hätte, hätte er nicht so
gehandelt. Und ich glaube, er hat das
bereut. Deshalb hat er dann als Papst
versucht, den Schaden mit dem Motu
proprio wieder gutzumachen und die
Exkommunikation aufgehoben. Wir
sind wirklich dankbar für seine
Versöhnungsversuche.

Aber Kardinal Ratzinger hatte als


Präfekt der Glaubenskongregation
auch die Schwierigkeiten und
Irritationen der anderen Gläubigen zu
bedenken: Es irritiert zum Beispiel,
dass sich Piusbrüder in so
wesentlichen Punkten wie der Frage
nach der Gültigkeit der Messe
widersprechen. Manche Ihrer
Anhänger sind der Auffassung, mit
dem Besuch der in ihren Augen
„häretischen“ neuen Messe sei die
Sonntagspflicht nicht erfüllt.

Da muss ich hart widersprechen: Wir


sprechen schon von der Ungültigkeit
vieler Messen. Aber zu behaupten, alle
Messen seien ungültig, das ist nicht
die Linie der Priesterbruderschaft. Das
haben wir nie gesagt. In der
Diskussion mit Rom haben wir immer
unterstrichen, dass wir die Gültigkeit
der neuen Messe anerkennen, wenn
sie nach den Büchern zelebriert wird
und mit der Intention, das zu tun, was
der Kirche aufgetragen ist. Dabei ist zu
unterscheiden zwischen gültig und
gut.

Wo liegt da für Sie der Unterschied?

Die neue Messe hat Mängel und birgt


Gefahren. Natürlich ist nicht jede neue
Messe direkt ein Skandal, aber die
wiederholte Feier der neuen Messe
führt zu einem schwachen Glauben
oder sogar zum Verlust des Glaubens.
Man sieht jeden Tag, wie immer
weniger Priester noch an die
Realpräsenz glauben. Bei der alten
Messe nährt die Liturgie den Glauben;
man geht da an den Fels, man wird
bestärkt in diesem Glauben; gewisse
Handlungen führen uns weiter im
Glauben, zum Beispiel an den Glauben
an die Realpräsenz, an das Opfer – nur
durch das Knien zum Beispiel, durch
die Stille, die Haltung des Priesters.
Bei der neuen Messe muss man den
Glauben mitbringen, man empfängt
kaum etwas direkt vom Ritus. Der
Ritus ist flach.

Aber auch vor der Liturgiereform gab


es Priester mit schwachem Glauben,
Modernisten und Häretiker. Die von
Ihnen kritisierten liberalen
Konzilsväter sind alle mit der alten
Messe aufgewachsen und im alten
Ritus geweiht worden. Halten Sie
Bekehrungen, die heute auch durch die
neue Messe gefördert werden –
denken Sie an Nightfever – für
Selbsttäuschungen?

Nein, das sage ich nicht. Ich sage nur:


Wenn Sie einen Staatspräsidenten
empfangen und die Wahl haben
zwischen einer Silbertrompete und
einer Blechtrompete, nehmen Sie die
Blechtrompete? Das wäre eine
Beleidigung, das macht man nicht.
Und auch die besten neuen Messen
sind wie Blechtrompeten im Vergleich
zur alten Liturgie. Für den lieben Gott
muss man das Beste nehmen.

In einer Predigt sagten Sie kürzlich:


„Wie konnten sie es nur wagen, eine
solche armselige, so leere und flache
Messe zu machen? So kann man Gott
nicht ehren.“ Dabei ist die neue Messe
auch heute für katholische Gläubige
das Kostbarste in ihrem Leben, und
auch heute bringt die Kirche Märtyrer
und Heilige hervor. Warum
differenzieren Sie in der Verkündigung
nicht?

Ich bin einverstanden, dass man in der


theologischen Diskussion
unterscheiden muss. Aber in einer
Predigt kann man nicht alles so
theologisch darstellen. Dazu gehört
auch ein bisschen Rhetorik, um die
Seelen ein bisschen zu erschüttern und
die Leute aufzuwecken und ihnen die
Augen zu öffnen.

Papst Franziskus will der


Priesterbruderschaft die Hand zur
Versöhnung geben. Rechnen Sie noch
mit einer Einigung oder ist dieser
Kairos verpasst worden?

Ich bin optimistisch. Aber ich kann


nicht die Stunde Gottes vorziehen.
Wenn der Heilige Geist fähig ist, den
jetzigen Papst zu beeinflussen, dann
wird er es auch mit dem nächsten
machen. Das ist tatsächlich so
geschehen. Und auch mit Papst
Franziskus. Als Papst Franziskus
gewählt wurde, dachte ich: Jetzt
kommt die Exkommunikation. Das
Gegenteil war der Fall: Kardinal Müller
hat unsere Exkommunikation
erreichen wollen und Papst Franziskus
hat es abgelehnt. Er hat mir persönlich
gesagt: „Ich werde Sie nicht
verurteilen!“ Die Versöhnung wird
kommen. Unsere Mutter Kirche ist
zurzeit unglaublich zerrissen. Die
Konservativen wollen uns und haben
das auch in der Glaubenskongregation
gesagt. Die deutschen Bischöfe wollen
uns überhaupt nicht. Rom muss mit all
diesen Elementen rechnen – das
verstehen wir. Wenn wir einfach so
angenommen würden, gäbe es Krieg in
der Kirche. Es gibt die Angst, wir
könnten triumphieren. Papst
Franziskus hat Journalisten gesagt:
„Ich werde dafür sorgen, dass es kein
Triumph für Sie ist.“

Spannungen und Ängste gibt es aber


auch innerhalb der Piusbrüder. In
Frankreich haben sich etliche Priester
und Laien von der
Priesterbruderschaft getrennt, weil
schon die Verhandlungen mit dem
Vatikan Misstrauen geschürt haben.
Wie würden die Piusbrüder eine
Versöhnung mit Rom aufnehmen?

Das wird davon abhängen, was Rom


von uns verlangt. Lässt man uns so
weitermachen und gibt uns genügend
Garantien – dann geht keiner weg. Das
Misstrauen beruht auf der Angst, das
Neue annehmen zu müssen. Wenn
man von uns verlangt, neue Wege zu
gehen, dann kommt keiner.

Was macht Sie so sicher, dass alle


mitgehen könnten? Allein die
Ankündigung der Gespräche hat doch
schon massive Unruhe und Austritte
ausgelöst. Welcher Abschluss könnte
ihre Anhänger beruhigen? Das
Misstrauen wäre doch nach einer
Einigung nicht einfach weg.

Das ist wahr. Aber die Güte ist da, das


Wohlwollen. Seit Jahren arbeiten wir
mit Rom, um das Vertrauen wieder
aufzubauen. Und wir haben sehr große
Fortschritte gemacht, trotz aller
Reaktionen. Wenn wir zu einer
vernünftigen Einigung mit normalen
Bedingungen kommen, werden sehr
wenige wegbleiben. Ich habe keine
große Angst vor einer neuen Spaltung
in der Tradition, wenn das Richtige
gefunden wird mit Rom. Wir dürfen
gewisse Punkte des Konzils in Frage
stellen. Unsere Gesprächspartner in
Rom haben uns gesagt: Die
Hauptpunkte – Religionsfreiheit,
Oekumenismus, neue Messe – sind
offene Fragen. Das ist ein
unglaublicher Fortschritt. Bis jetzt
hieß es: Sie müssen gehorchen.
Inzwischen sagen uns
Kurienmitarbeiter: Sie sollten ein
Seminar in Rom eröffnen, eine
Universität zur Verteidigung der
Tradition. Es ist nicht mehr alles
schwarz und weiß.

Wie sähe eine vernünftige Lösung aus?

Eine Personalprälatur.

Wenn die Rechtsform bereits gefunden


ist und die Gespräche in Rom gut
liefen, woran scheiterte der
entscheidende Schritt bisher?

Im vorigen Jahr sagte uns Erzbischof


Pozzo, die Glaubenskongregation habe
dem Text, den wir unterschreiben
sollten, zugestimmt. Damit sollten wir
einer Personalprälatur zustimmen.
Eineinhalb Monate später entschied
Kardinal Müller, den Text zu
überarbeiten und eine deutlichere
Annahme des Konzils und der
Legitimität der heiligen Messe zu
verlangen. Zunächst eröffnete man
uns Diskussionswege, dann versperrte
man sie. Was verlangt man wirklich
von uns? Hier wirkt der Teufel. Es ist
ein geistiger Kampf.

Vertrauen Sie dem Heiligen Vater


Papst Franziskus persönlich?

Wir haben eine sehr gute Beziehung.


Wenn wir ihn wissen lassen, dass wir
in Rom sind, steht die Tür zu ihm
offen. Er hilft uns ständig auf einer
kleineren Ebene. Er hat uns zum
Beispiel gesagt: „Ich habe Probleme,
wenn ich Ihnen was Gutes tue. Ich
helfe Protestanten und Anglikanern –
warum kann ich nicht den Katholiken
helfen?“ Manche wollen die Einigung
verhindern. Wir sind ein Störfaktor in
der Kirche. Der Papst steht
dazwischen.

(lächelt und zeigt ein


handschriftliches, französisch
verfasstes Schreiben des Heiligen
Vaters an ihn, das mit der Anrede
beginnt Cher frere, cher fils – lieber
Bruder, lieber Sohn).

Von Regina Einig

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