in der Kirche“ 1988 wurde der Piusbruder Bernard Fellay unerlaubt zum Bischof geweiht. Heute hofft er auf Versöhnung. Eine Begegnung in Stuttgart. Von Regina Einig
FILE) A file picture dated 29 June 2005 of Bishop Bernard
Fellay (R), Superior General of the Society of St. Pius X, SSP... Foto: epa Keystone Maire (KEYSTONE_FILE)
Exzellenz, wie haben Sie vor 30 Jahren
Ihre Bischofsweihe wahrgenommen? War das für Sie eine definitive Trennung der Priesterbruderschaft von Rom oder eine Zwischenetappe im Konflikt, bei der Sie die Versöhnung vor Augen hatten?
Hätte es sich damals um eine
Trennung von Rom gehandelt, wäre ich heute nicht hier. Dafür hätte der Erzbischof mich nicht geweiht, und ich hätte das auch abgelehnt. Es ging also nicht um eine Trennung von der Kirche, sondern um eine Abgrenzung von dem modernen Geist, von den Früchten des Konzils. Inzwischen gestehen auch andere ein, dass da etwas falsch gelaufen ist. Viele Gedanken und Aspekte, die wir bekämpften und bekämpfen, werden inzwischen auch von anderen bestätigt. Wir haben nie gesagt, dass das Konzil direkt häretische Aussagen gemacht habe. Man hat aber den Schutzwall gegen den Irrtum entfernt und auf diese Weise den Irrtum aufkommen lassen. Die Gläubigen brauchen Schutz. Darin besteht der ständige Kampf der streitenden Kirche, um den Glauben zu verteidigen.
Aber nicht alle, die Kritik am „Konzil
der Medien“ üben, dazu gehört ja auch der emeritierte Papst Benedikt XVI., nehmen dafür einen Konflikt bis zur Exkommunikation in Kauf. Warum haben Sie nicht die Riege der Traditionstreuen innerhalb der Kirche verstärkt und in Einheit mit Rom für die Wahrheit gekämpft?
Das liegt zum Teil sicher an der
Geschichte der Franzosen. Seit der Französischen Revolution kämpft ein guter Teil französischer Katholiken gegen den Irrtum des Liberalismus. Daher ist das Geschehen während und nach des Konzils dort viel sensibler und aufmerksamer wahrgenommen worden als in Deutschland. Da ging es nicht um krasse Irrtümer, sondern um Tendenzen, darum, Türen und Fenster zu öffnen. Die Reformen danach haben es deutlicher gezeigt als das Konzil selbst. Dazu kristallisierte sich das Problem bei der neuen Messe. In Rom sagte man Erzbischof Lefebvre: „Entweder – oder. Sie zelebrieren einmal die neue Messe, und alles ist in Ordnung.“ Unsere Argumente gegen die neue Messe zählten nicht. Dabei ist das Missale Pauls VI. unter Mitarbeit protestantischer Theologen verfasst worden. Wenn man gedrängt wird, diese Messe zu zelebrieren, dann gibt es wirklich ein Problem. Und wir wurden gedrängt. Hat Ihre Ablehnung der neuen Messe Sie und auch Erzbischof Lefebvre in der Auffassung bestärkt, die Trennung von Rom sei der Wille Gottes?
Ich bestehe darauf: Wir haben uns nie
von der Kirche getrennt.
Aber das Faktum der
Exkommunikation spricht doch für sich. Warum hätte Papst Benedikt XVI. sie sonst aufheben sollen?
Im katholischen Recht von 1917 gilt die
Bischofsweihe ohne Mandat des Papstes nicht als Schisma, sondern nur als Missbrauch der Gewalt und sogar ohne Exkommunikation. Die ganze Kirchengeschichte hat eine andere Sicht auf das Problem der Bischofsweihen, die ohne Auftrag des Papstes stattfinden. Das ist sehr wichtig.
Warum ist das so wichtig? 1988 galt
bereits das neue Gesetzbuch der Kirche – und auch der CIC von 1917 verpflichtet den Bischof zur Treue gegenüber dem Heiligen Stuhl.
Wir waren in einer Notlage, denn Rom
hatte einen Bischof für uns bestimmt. Bei der Besprechung zwischen Kardinal Ratzinger und Erzbischof Lefebvre am 5. Mai 1988 ging es um den Weihetermin. Erzbischof Lefebvre und Kardinal Ratzinger konnten sich nicht einigen. Erzbischof Lefebvre hatte einen Vorschlag gemacht. Ich bin sicher, hätte Kardinal Ratzinger damals den 15. August als Weihetermin ohne Kandidatsänderung bestätigt, wäre der Erzbischof darauf eingegangen. Doch der Termin blieb offen. Als Erzbischof Lefebvre den Kardinal fragte: „Warum nicht am Ende des Jahres?“ erhielt er die Antwort: „Ich weiß nicht, ich kann es nicht sagen.“ Daher dachte der Erzbischof, man spiele mit ihm. Das war sicher ein Punkt des Misstrauens. Und Misstrauen ist bis heute ein Schlüsselwort unserer Geschichte. Wir arbeiten daran, das zu überwinden und dann kommt wieder etwas dazwischen – es ist wirklich mühsam.
(Anmerkung der Redaktion: Der
emeritierte Papst teilte der Redaktion mit, er erinnere sich nicht mehr an die Details, sei aber ziemlich sicher, dass die Personalfrage nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe. Johannes Paul II. hatte fest eine Bischofsweihe zugesagt. Einen Termin zu fixieren sei nicht seine (Kardinal Ratzingers) Aufgabe gewesen. Erzbischof Lefebvre hatte am Ende des Gesprächs das Protokoll unterzeichnet, das – wenn er bei seinem Ja geblieben wäre – die Einigung bedeutet hätte. Ein Mitarbeiter der Glaubenskongregation habe vereinbarungsgemäß am Tag darauf Lefebvre in Albano aufgesucht, um das Papier abzuholen. Zum Erschrecken aller erklärte Lefebvre, er habe die Nacht hindurch nicht schlafen können und sei zur Erkenntnis gekommen, dass man in Wirklichkeit die Einigkeit nur benützen wollte, um sein Werk zu zerstören.)
Warum hat Kardinal Ratzinger, ein
ausgewiesener Kenner und Förderer der katholischen Tradition und ein Freund der überlieferten Messe, das Misstrauen des Erzbischofs nicht beruhigen können?
Er hat nicht verstanden, wie tief die
Beweggründe des Erzbischofs und die Verunsicherung der Gläubigen und Priester waren. Viele haben einfach die Nase voll gehabt über die nachkonziliaren Skandale und Ärgernisse sowie die Art und Weise, wie die neue Messe zelebriert wurde. Wenn Kardinal Ratzinger uns verstanden hätte, hätte er nicht so gehandelt. Und ich glaube, er hat das bereut. Deshalb hat er dann als Papst versucht, den Schaden mit dem Motu proprio wieder gutzumachen und die Exkommunikation aufgehoben. Wir sind wirklich dankbar für seine Versöhnungsversuche.
Aber Kardinal Ratzinger hatte als
Präfekt der Glaubenskongregation auch die Schwierigkeiten und Irritationen der anderen Gläubigen zu bedenken: Es irritiert zum Beispiel, dass sich Piusbrüder in so wesentlichen Punkten wie der Frage nach der Gültigkeit der Messe widersprechen. Manche Ihrer Anhänger sind der Auffassung, mit dem Besuch der in ihren Augen „häretischen“ neuen Messe sei die Sonntagspflicht nicht erfüllt.
Da muss ich hart widersprechen: Wir
sprechen schon von der Ungültigkeit vieler Messen. Aber zu behaupten, alle Messen seien ungültig, das ist nicht die Linie der Priesterbruderschaft. Das haben wir nie gesagt. In der Diskussion mit Rom haben wir immer unterstrichen, dass wir die Gültigkeit der neuen Messe anerkennen, wenn sie nach den Büchern zelebriert wird und mit der Intention, das zu tun, was der Kirche aufgetragen ist. Dabei ist zu unterscheiden zwischen gültig und gut.
Wo liegt da für Sie der Unterschied?
Die neue Messe hat Mängel und birgt
Gefahren. Natürlich ist nicht jede neue Messe direkt ein Skandal, aber die wiederholte Feier der neuen Messe führt zu einem schwachen Glauben oder sogar zum Verlust des Glaubens. Man sieht jeden Tag, wie immer weniger Priester noch an die Realpräsenz glauben. Bei der alten Messe nährt die Liturgie den Glauben; man geht da an den Fels, man wird bestärkt in diesem Glauben; gewisse Handlungen führen uns weiter im Glauben, zum Beispiel an den Glauben an die Realpräsenz, an das Opfer – nur durch das Knien zum Beispiel, durch die Stille, die Haltung des Priesters. Bei der neuen Messe muss man den Glauben mitbringen, man empfängt kaum etwas direkt vom Ritus. Der Ritus ist flach.
Aber auch vor der Liturgiereform gab
es Priester mit schwachem Glauben, Modernisten und Häretiker. Die von Ihnen kritisierten liberalen Konzilsväter sind alle mit der alten Messe aufgewachsen und im alten Ritus geweiht worden. Halten Sie Bekehrungen, die heute auch durch die neue Messe gefördert werden – denken Sie an Nightfever – für Selbsttäuschungen?
Nein, das sage ich nicht. Ich sage nur:
Wenn Sie einen Staatspräsidenten empfangen und die Wahl haben zwischen einer Silbertrompete und einer Blechtrompete, nehmen Sie die Blechtrompete? Das wäre eine Beleidigung, das macht man nicht. Und auch die besten neuen Messen sind wie Blechtrompeten im Vergleich zur alten Liturgie. Für den lieben Gott muss man das Beste nehmen.
In einer Predigt sagten Sie kürzlich:
„Wie konnten sie es nur wagen, eine solche armselige, so leere und flache Messe zu machen? So kann man Gott nicht ehren.“ Dabei ist die neue Messe auch heute für katholische Gläubige das Kostbarste in ihrem Leben, und auch heute bringt die Kirche Märtyrer und Heilige hervor. Warum differenzieren Sie in der Verkündigung nicht?
Ich bin einverstanden, dass man in der
theologischen Diskussion unterscheiden muss. Aber in einer Predigt kann man nicht alles so theologisch darstellen. Dazu gehört auch ein bisschen Rhetorik, um die Seelen ein bisschen zu erschüttern und die Leute aufzuwecken und ihnen die Augen zu öffnen.
Papst Franziskus will der
Priesterbruderschaft die Hand zur Versöhnung geben. Rechnen Sie noch mit einer Einigung oder ist dieser Kairos verpasst worden?
Ich bin optimistisch. Aber ich kann
nicht die Stunde Gottes vorziehen. Wenn der Heilige Geist fähig ist, den jetzigen Papst zu beeinflussen, dann wird er es auch mit dem nächsten machen. Das ist tatsächlich so geschehen. Und auch mit Papst Franziskus. Als Papst Franziskus gewählt wurde, dachte ich: Jetzt kommt die Exkommunikation. Das Gegenteil war der Fall: Kardinal Müller hat unsere Exkommunikation erreichen wollen und Papst Franziskus hat es abgelehnt. Er hat mir persönlich gesagt: „Ich werde Sie nicht verurteilen!“ Die Versöhnung wird kommen. Unsere Mutter Kirche ist zurzeit unglaublich zerrissen. Die Konservativen wollen uns und haben das auch in der Glaubenskongregation gesagt. Die deutschen Bischöfe wollen uns überhaupt nicht. Rom muss mit all diesen Elementen rechnen – das verstehen wir. Wenn wir einfach so angenommen würden, gäbe es Krieg in der Kirche. Es gibt die Angst, wir könnten triumphieren. Papst Franziskus hat Journalisten gesagt: „Ich werde dafür sorgen, dass es kein Triumph für Sie ist.“
Spannungen und Ängste gibt es aber
auch innerhalb der Piusbrüder. In Frankreich haben sich etliche Priester und Laien von der Priesterbruderschaft getrennt, weil schon die Verhandlungen mit dem Vatikan Misstrauen geschürt haben. Wie würden die Piusbrüder eine Versöhnung mit Rom aufnehmen?
Das wird davon abhängen, was Rom
von uns verlangt. Lässt man uns so weitermachen und gibt uns genügend Garantien – dann geht keiner weg. Das Misstrauen beruht auf der Angst, das Neue annehmen zu müssen. Wenn man von uns verlangt, neue Wege zu gehen, dann kommt keiner.
Was macht Sie so sicher, dass alle
mitgehen könnten? Allein die Ankündigung der Gespräche hat doch schon massive Unruhe und Austritte ausgelöst. Welcher Abschluss könnte ihre Anhänger beruhigen? Das Misstrauen wäre doch nach einer Einigung nicht einfach weg.
Das ist wahr. Aber die Güte ist da, das
Wohlwollen. Seit Jahren arbeiten wir mit Rom, um das Vertrauen wieder aufzubauen. Und wir haben sehr große Fortschritte gemacht, trotz aller Reaktionen. Wenn wir zu einer vernünftigen Einigung mit normalen Bedingungen kommen, werden sehr wenige wegbleiben. Ich habe keine große Angst vor einer neuen Spaltung in der Tradition, wenn das Richtige gefunden wird mit Rom. Wir dürfen gewisse Punkte des Konzils in Frage stellen. Unsere Gesprächspartner in Rom haben uns gesagt: Die Hauptpunkte – Religionsfreiheit, Oekumenismus, neue Messe – sind offene Fragen. Das ist ein unglaublicher Fortschritt. Bis jetzt hieß es: Sie müssen gehorchen. Inzwischen sagen uns Kurienmitarbeiter: Sie sollten ein Seminar in Rom eröffnen, eine Universität zur Verteidigung der Tradition. Es ist nicht mehr alles schwarz und weiß.
Wie sähe eine vernünftige Lösung aus?
Eine Personalprälatur.
Wenn die Rechtsform bereits gefunden
ist und die Gespräche in Rom gut liefen, woran scheiterte der entscheidende Schritt bisher?
Im vorigen Jahr sagte uns Erzbischof
Pozzo, die Glaubenskongregation habe dem Text, den wir unterschreiben sollten, zugestimmt. Damit sollten wir einer Personalprälatur zustimmen. Eineinhalb Monate später entschied Kardinal Müller, den Text zu überarbeiten und eine deutlichere Annahme des Konzils und der Legitimität der heiligen Messe zu verlangen. Zunächst eröffnete man uns Diskussionswege, dann versperrte man sie. Was verlangt man wirklich von uns? Hier wirkt der Teufel. Es ist ein geistiger Kampf.
Vertrauen Sie dem Heiligen Vater
Papst Franziskus persönlich?
Wir haben eine sehr gute Beziehung.
Wenn wir ihn wissen lassen, dass wir in Rom sind, steht die Tür zu ihm offen. Er hilft uns ständig auf einer kleineren Ebene. Er hat uns zum Beispiel gesagt: „Ich habe Probleme, wenn ich Ihnen was Gutes tue. Ich helfe Protestanten und Anglikanern – warum kann ich nicht den Katholiken helfen?“ Manche wollen die Einigung verhindern. Wir sind ein Störfaktor in der Kirche. Der Papst steht dazwischen.
(lächelt und zeigt ein
handschriftliches, französisch verfasstes Schreiben des Heiligen Vaters an ihn, das mit der Anrede beginnt Cher frere, cher fils – lieber Bruder, lieber Sohn).