Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Ferdinand Molnár
Epigenetik
des Menschen
Epigenetik des Menschen
Carsten Carlberg · Ferdinand Molnár
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht
ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und
die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in
diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung
zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die
Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in
diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch
die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des
Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen
und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.
V
VI Vorwort
die Rolle des Epigenoms als molekularer Speicher zellulärer Ereignisse nicht
nur im Gehirn, sondern auch in Stoffwechselorganen und im Immunsystem dis-
kutiert. In diesem Zusammenhang werden epigenetische Auswirkungen auf
neurodegenerative Erkrankungen und Autismus, Stoffwechselerkrankungen wie
T2D und ein gestörtes Immunsystem, z. B. bei Autoimmunerkrankungen, erläutert.
Inhaltlich knüpft das Buch an eine Reihe von Vorlesungen in an – „Molekulare
Medizin und Genetik“, „Molekulare Immunologie“, „Krebsbiologie“ und
„Nutrigenomik“ –, die von mir in unterschiedlicher Form seit 20 Jahren an der
Universität von Ostfinnland in Kuopio gehalten werden. Dort benutze ich die
englischsprachige Originalversion dieses Buchs – „Human Epigenetics: How
Science Works“ –, das ich nun in meine Muttersprache übersetzt habe, um auch
Studenten an deutschsprachigen Universitäten einen leichten Einstieg in die Epi-
genetik zu ermöglichen. Darüber hinaus hoffe ich, dass auch Ärzte und Forscher
in den Lebenswissenschaften Interesse an dem Thema haben werden.
Die ersten fünf Kapitel dieses Buchs erläutern die molekularen Grundlagen der
Epigenetik, während die folgenden sieben Kapitel Beispiele für die Auswirkungen
der Epigenetik auf unsere Gesundheit und Erkrankungen liefern. Ein Glossar im
Anhang erläutert die wichtigsten Fachbegriffe. Die Abbildungen wurden in ihrem
Original von meinem Coautor Prof. Ferdinand Molnár (Astana, Kasachstan)
erstellt und von Dr. Eunike Velleuer (Düsseldorf, Deutschland) farblich und
stilistisch überarbeitet.
Ich hoffe, dass die Leser dieses recht visuelle Buch genießen und sich genauso
für die Epigenetik begeistern lassen wie der Autor.
1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Was ist Epigenetik?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Die epigenetische Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3 Einfluss der Epigenetik auf Gesundheit und Krankheit. . . . . . . . 11
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2 Chromatin und Genexpression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.1 Nukleosomen: zentrale Einheiten des Chromatins . . . . . . . . . . . 15
2.2 Chromatinorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.3 Epigenetik und Genexpression. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.4 Chromatinarchitektur: Epigenetik in 3D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.5 Epigenetische Methoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3 DNA-Methylierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.1 Cytosine und ihre Methylierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.2 Das DNA-Methylom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3.3 Genetische Prägung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.4 DNA-Methylierung und Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
4 Histonmodifikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4.1 Histone und ihre Modifikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4.2 Epigenetische Merkmale der Transkriptionsregulation. . . . . . . . 48
4.3 Genomweite Interpretation des Histoncodes. . . . . . . . . . . . . . . . 50
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
5 Chromatinmodifizierende Proteine und RNAs . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
5.1 Chromatinmodifikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
5.2 Genregulation über Chromatinmodifikatoren . . . . . . . . . . . . . . . 60
IX
X Inhaltsverzeichnis
5.3 Chromatinremodellierer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
5.4 Lange ncRNAs als Chromatinorganisatoren. . . . . . . . . . . . . . . . 66
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
6 Embryogenese und Zelldifferenzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
6.1 Epigenetische Veränderungen während der Embryogenese . . . . 71
6.2 Stammzellen und zelluläre Pluripotenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
6.3 Epigenetische Dynamik während der Differenzierung. . . . . . . . 78
6.4 Entwicklung und Krankheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
7 Bevölkerungsepigenetik und Altern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
7.1 Transgenerationale epigenetische Vererbung. . . . . . . . . . . . . . . . 85
7.2 Populationsepigenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
7.3 Epigenetik des Alterns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
7.4 Epigenetik der circadianen Uhr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
8 Epigenetik von Krebs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
8.1 Epimutationen bei Krebs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
8.2 Epigenomweite Störungen als Kennzeichen von Krebs . . . . . . . 104
8.3 Epigenetische Umprogrammierung bei Krebs. . . . . . . . . . . . . . . 106
8.4 Epigenetische Mechanismen von Krebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
8.5 Epigenetische Krebstherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
9 Neuroepigenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
9.1 Die Rolle der Epigenetik bei der neuronalen Entwicklung. . . . . 115
9.2 Epigenetische Grundlagen des Gedächtnisses. . . . . . . . . . . . . . . 119
9.3 MECP2 und das Rett-Syndrom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
9.4 Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . 122
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
10 Ernährungsepigenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
10.1 Epigenetische Mechanismen der Nutrigenomik . . . . . . . . . . . . . 127
10.2 Energiestoffwechsel und Epigenetik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
10.3 Epigenetik intergenerationaler Stoffwechselerkrankungen. . . . . 135
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
11 Epigenetik der Immunfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
11.1 Epigenetik der Hämatopoese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
11.2 Die Rolle der Epigenetik bei Immunantworten. . . . . . . . . . . . . . 143
11.3 Epigenetische Grundlagen des immunologischen
Gedächtnisses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Inhaltsverzeichnis XI
Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Abkürzungsverzeichnis
3C Chromosomenkonformationserfassung
3D dreidimensional
5caC 5‑Carboxylcytosin
5fC 5‑Formylcytosin
5hmC 5-Hydroxymethylcytosin
5mC 5-Methylcytosin
5mU 5-Hydroxyuracil
ADP Adenosindiphosphat
AMPK Adenosinmonophosphat-(AMP-)aktivierte Proteinkinase
ARNTL aryl hydrocarbon receptor nuclear translocator-like, auch BMAL1
genannt
ASH1L ASH1-ähnliche Histonlysinmethyltransferase
ASIP Agouti-Signalprotein
ATAC-seq Assay für transposasezugängliches Chromatin mithilfe von
Sequenzierung
ATP Adenosintriphosphat
BDNF vom Gehirn stammender, neurotropher Faktor
BMI1 BMI1-Protoonkogen, Polycomb-Ringfinger
bp Basenpaar
BPTF Bromodomänen-PHD-Finger-Transkriptionsfaktor
BRD bromodomäneenthaltend
CAGE cap analysis of gene expression
cAMP zyklisches Adenosinmonophosphat
CBFB core-binding factor subunit β
CBX Chromobox
CDKN cyclinabhängiger Kinaseinhibitor
CEBP CCAAT-bindendes Protein
CHD1 Chromodomänen-Helikase-DNA-Bindungsprotein 1
ChIP Chromatinimmunpräzipitation
CIMP CpG-Insel-Methylator-Phänotyp
CLOCK clock circadian regulator
XIII
XIV Abkürzungsverzeichnis
IDH Isocitratdehydrogenase
IGF insulinähnlicher Wachstumsfaktor
IHEC International Human Epigenome Consortium
IL Interleukin
Indel Insertion/Deletion
INFG Interferon γ
INO80 INO80-Komplexuntereinheit
iPOP integrative persönliche Omik-Profil-Erstellung
iPS-Zelle induzierte pluripotente Stammzelle
ISWI imitation switch
kb Kilobasenpaar (1000 bp)
KCNQ1 Kalium-spannungsgesteuerter Kanal, Unterfamilie Q, Mitglied 1
KDM Lysindemethylase
KLF4 krüppelähnlicher Faktor 4
KMT Lysinmethyltransferase
LAD laminassoziierte Domäne
LCK LCK-Protoonkogen, Tyrosinkinase der Src-Familie
LINE langes eingestreutes Element
LOCK große organisierte Chromatin-K9-Modifikation
LSD1 lysinspezifische Demethylase 1, auch KDM1A genannt
LTR long terminal repeat
Mb Megabasenpaar (1.000.000 bp)
MBD Methyl-DNA-Bindungsdomäne
mCH Nicht-CpG-Methylierung
MECP2 Methyl-CpG-bindendes Protein 2
MeDIP-seq methylierte DNA-Immunpräzipitationssequenzierung
MEIS1 Meis-Homöobox 1
MEN1 Menin 1
MEP Megakaryozyten-Erythrozyten-Vorläufer
MHC Haupthistokompatibilitätskomplex
MIC MHC-Klasse-I-Polypeptid-verwandte Sequenz
miRNA microRNA
MLH1 MutL-Homolog 1
MPP multipotente Vorläuferzelle
mQTLs methylation quantitative trait loci
mRNA Messenger-RNA
MS multiple Sklerose
MTHFR Methylentetrahydrofolatreduktase
NAD+ Nicotinamidadenindinukleotid
NAMPT Nicotinamidphosphoribosyltransferase
NANOG Nanog-Homöobox
NCOR nukleärer Rezeptor Corepressor
ncRNA nichtcodierende RNA
NFκB nukleärer Faktor κB
XVI Abkürzungsverzeichnis
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
Epigenetik · Chromatin · Euchromatin · Heterochromatin ·
Genom des Menschen · Zentrales Dogma der Molekularbiologie ·
Epigenom · Epigenetische Landschaft · Big-Biology-Projekte
Die meisten von uns hatten wahrscheinlich den ersten Kontakt zur Epigenetik, als
wir uns durch ein Mikroskop geschaut haben oder in einem Lehrbuch Chromo-
somen gesehen haben. Unsere Zellen haben 22 autosomale Chromosomenpaare
und entweder zwei X-Chromosomen (bei Frauen) oder ein X- und ein Y-Chromo-
som (bei Männern). Chromosomen bestehen aus Chromatin, d. h. einem makro-
molekularen Komplex, der aus genomischer DNA und Kernproteinen geformt
ist. Chromatin verpackt unser Genom, also die 16–85 mm langen DNA-Moleküle
jedes Chromosoms, in Zellkernen, die nur einen Durchmesser von 6–10 µm
haben. Chromosomen sind jedoch nur während einer speziellen Phase des Zell-
zyklus sichtbar, die als Metaphase der Mitose (Zellteilung) bezeichnet wird
(Abschn. 2.2). Für eine erfolgreiche Mitose ist es wichtig, dass das Genom zu
gleichen Teilen auf beide Tochterzellen aufgeteilt wird. Darum werden die 46
DNA-Moleküle in die dichteste Form von Chromatin verpackt, die als Chromo-
somen bekannt ist. In dieser Phase des Zellzyklus sind alle Gene unseres Genoms
für etwa eine Stunde abgeschaltet, d. h., die Metaphase stellt einen extremen
Fall epigenetischer Regulation unseres Genoms dar.
Mehr als 99 % der etwa 30 Billionen (3 × 1013) Zellen unseres Körpers
sind terminal differenziert, d. h., sie teilen sich nicht mehr und befinden sich
in der Interphase. Die allermeisten Zellen unseres Körpers befinden sich in
der Interphase, in der innerhalb des Zellkerns nur hellere und dunklere Bereiche
zu unterscheiden sind (Abb. 1.1, oben). Die hellere Färbung von Euchromatin
spiegelt die weniger kompakte Chromatinstruktur wider. Im „Perlen-auf-einer-
Schnur“-Modell des Euchromatins (Abb. 1.1, unten rechts) sind regelmäßig
alle 200 bp Nukleosomen angeordnet, zwischen denen 50 bp große Lücken
(Linker) mit zugänglicher genomischer DNA verbleiben. Nukleosomen bestehen
aus 147 bp genomischer DNA, die um einen Komplex aus acht Histonproteinen
(das Histonoktamer) gewickelt ist (Abschn. 2.1). Euchromatin kondensiert nur
während der Mitose und hat eine deutlich höhere Dichte an Genen als Hetero-
chromatin. Gene können nur dann in RNA umgeschrieben, wenn sie sich im
Euchromatin befinden. Während die Euchromatinfaser einen Durchmesser von
11 nm hat, bildet kompakteres Heterochromatin eine 30-nm-Faser (Abb. 1.1, unten
links) oder sogar Strukturen höherer Ordnung mit 100 nm Durchmesser. Zum Ver-
gleich: Der Durchmesser eines Chromosoms beträgt sogar 700 nm.
Gene sind definiert als Segmente eines Chromosoms, d. h. Abschnitte
genomischer DNA, die, wenn sie in RNA transkribiert werden, entweder Proteine
codieren oder als ncRNA (nichtcodierende RNAs) wirken. Die Phänomene der
genetischen Prägung (gene imprinting, Abschn. 3.3) und der X-Chromosom-
Inaktivierung (Abschn. 6.3) waren die ersten Hinweise darauf, dass identisches
genetisches Material (von einzelnen Genen bis hin zu ganzen Chromosomen)
sowohl in einem „An“- als auch in einem „Aus“-Zustand vorliegen kann. Gene
können also entweder aktiv exprimiert werden, d. h., ihre Information wird
in RNA kopiert, oder sie sind inaktiv, d. h., sie werden nicht exprimiert. In
Analogie zum Begriff „Epigenese“ (d. h. der Morphogenese und Entwicklung
eines Organismus) schlug Conrad Waddington 1942 das Wort „Epigenetik“ vor,
um Veränderungen des Phänotyps zu beschreiben, die nicht auf Veränderungen
des Genotyps beruhen. Diese Definition wurde später erweitert auf Epigenetik
ist die Untersuchung von Veränderungen in der Genfunktion, die mitotisch
und/oder meiotisch vererbbar sind und keine Veränderung der DNA-
Sequenz nach sich ziehen. In den folgenden Kapiteln werde ich detaillierter
beschreiben, dass sich Epigenetik auf kovalente Modifikationen der genomischen
DNA (Kap. 3) und der Histonproteine (Kap. 4) bezieht, die keine Veränderung
der Nukleotidsequenz verursachen. Epigenetische Veränderungen erzeugen
also keine Mutationen in der DNA, es gibt aber Epimutationen, die im
Zusammenhang mit Krebs eine Rolle spielen (Abschn. 8.1).
1.1 Was ist Epigenetik? 3
Nukleolus
Zellkern
Nukleosom 50 bp
DNA
Heterochromatin Euchromatin
AKTIVE INAKTIVE
Gene Gene
Ac Ac Ac Ac Ac Ac Ac Ac Ac
K9 K K9 K K9 K9 K9 K9 K9 K9 K9 K9 K9 K9
K K
Me Me Me
Me Me Me
Unterdrücker der
Trankription
Unterdrückung
Aktivierung
Aktivatoren der
Trankription
Kasten 1.1
Das Genom des Menschen. Die vollständige Sequenz des anatomisch
modernen Menschen (Homo sapiens) und wurde vom Human Genome
Project (www.genome.gov/10001772) entschlüsselt. Diese Referenzsequenz
ist über verschiedene Genombrowser im Internet zugänglich (Kasten 2.2)
und basiert auf sieben jungen, gesunden Spendern. Mit Ausnahme von
Keimzellen, also weiblichen Eizellen und männlichen Spermien, die nur ein
haploides Genom haben, und Erythrozyten, die keinen Zellkern mehr haben,
enthält jede menschliche Zelle ein diploides Genom. Dieses Genom besteht
aus 2 × 3,05 Mrd. Basenpaaren (bp), also 3050 Mb, und ist auf 2 × 22
autosomalen Chromosomen sowie zwei X-Chromosomen (bei Frauen)
oder einem XY-Chromosomensatz (bei Männern) verteilt. Darüber hinaus
enthält jedes Mitochondrium 16,6 kb mitochondriale DNA. Das haploide
Genom enthält etwa 20.000 proteincodierende Gene und sogar etwa die
doppelte Anzahl von ncRNA-Genen. Die proteincodierende Sequenz deckt
weniger als 2 % unseres Genoms ab, d. h., der größte Teil des Genoms ist
nichtcodierend und scheint hauptsächlich eine regulatorische Funktion
zu haben.
6 1 Einleitung
Während das Genom in jeder Zelle eines Individuums identisch ist und über
das Leben der Person hinweg relativ stabil bleibt, verhält sich ein großer Teil
des Epigenoms sehr dynamisch. Das Epigenom unterscheidet sich von einem
Zelltyp zum anderen und kann auf verschiedene Signalübertragungswege
reagieren. Dementsprechend sind auch das Transkriptom (d. h. die Menge aller
synthetisierten RNAs) und das Proteom (d. h. die Menge aller produzierten
Proteine) einer Zelle dynamisch und zellspezifisch. Beispielsweise führt die
Methylierung eines Histons an dem Ort im Genom, an dem es Teil eines
Nukleosoms ist, zur reversiblen Ausbildung von Heterochromatin, während die
Methylierung von DNA meist zu einer stabilen Langzeitunterdrückung führt
(Abb. 1.2, unten rechts). In Regionen, in denen Histone durch die Wirkung von
HATs (Histonacetyltransferasen) acetyliert werden, bleibt die genomische
DNA nichtmethyliert. Im Gegensatz dazu werden Histone in nichtexprimierten
Regionen durch HDACs (Histondeacetylasen) deacetyliert und durch KMTs
1.1 Was ist Epigenetik? 7
Kasten 1.2
Das zentrale Dogma der Molekularbiologie. Das Dogma gibt eine klare
Richtung im Informationsfluss von der DNA über die RNA zum Protein
an (Abb. 1.3). Das impliziert, dass die genomische DNA, bis auf wenige
Ausnahmen wie etwa bei der reversen Transkription des RNA-Genoms
von Retroviren, den Bauplan eines Organismus speichert (in diesem
Buch werden wir sehen, dass darüber hinaus auch das Epigenom einen
großen Beitrag leistet). Dementsprechend werden Gene als Bereiche
der genomischen DNA definiert, die in RNA transkribiert werden
können. In der ursprünglichen Formulierung des Dogmas war mit „RNA“
nur „mRNA“ gemeint, also die RNA-Vorlage, die für die Proteinsynthese
verwendet wird, aber es gilt auch für ncRNAs wie rRNAs, tRNAs und
Mikro-RNAs (miRNA). Dennoch bestimmt die Expression der 20.000
proteincodierenden Gene unseres Genoms, also ihre Transkription
in mRNA und deren anschließende Übersetzung in Protein, welche
Proteine in einer bestimmten Zelle vorkommen.
Proteine sind die „Arbeiter“ innerhalb der Zelle, denn fast alle Funktionen wie
Signalübertragung, Katalyse und Steuerung von Stoffwechselreaktionen, Molekül-
transport und vieles mehr wird von ihnen ausgeführt. Darüber hinaus tragen
Proteine zur Struktur und Stabilität von Zellen und intrazellulären Matrices bei.
Daher bestimmt die Genexpression den Phänotyp, die Funktion und den Ent-
wicklungszustand von Zelltypen und Geweben. Genexpressionsmuster sind
8 1 Einleitung
Zellmembran
Abb. 1.3 Informationsfluss von der DNA zur RNA und zum Protein. Die TSS eines Gens
ist das erste Nukleotid, das in mRNA transkribiert wird, d. h., sie definiert den Start eines Gens,
hat aber keine definierte Sequenz. In Analogie dazu ist das Ende eines Gens die Position, an der
sich die RNA-Polymerase II (Pol II) von der DNA-Matrize trennt. Der Genkörper wird voll-
ständig in einzelsträngige Prä-mRNA transkribiert (i), die aus Exons (grüne und braune Zylinder)
und dazwischenliegenden Introns besteht. Die Introns werden durch Spleißen entfernt und
das 5'-Ende des mRNA-Moleküls wird durch eine Nukleotidkappe geschützt (Capping). Das
3'-Ende der RNA wird durch die Zugabe von Hunderten von Adeninen vor dem Verdau durch
Exonukleasen bewahrt (Polyadenylierung, Poly[A]; (ii). Reife mRNA wird dann mithilfe eines
aktiven, ATP-verbrauchenden Prozesses durch Kernporen aus dem Zellkern in das Cytoplasma
exportiert (iii). Kleine ribosomale Untereinheiten scannen das mRNA-Molekül von seinem
5'-Ende her auf das erste verfügbare AUG (das Startcodon), verschmelzen dann mit großen ribo-
somalen Untereinheiten zu Ribosomen. Diese führen die Translation durch, bis sie die Sequenzen
UAA, UAG oder UGA (die Stoppcodons) erreichen (iv). Die mRNA-Sequenzen stromaufwärts
(upstream) des Startcodons und stromabwärts (downstream) des Stoppcodons werden nicht
translatiert und als 5'- und 3'-untranslatierte Regionen (UTRs) bezeichnet. Die resultierenden
Polypeptidketten falten sich zu Proteinen, von denen die meisten weiter posttranslational modi-
fiziert werden, um ihr volles Funktionsprofil zu erreichen (v). Der Einfachheit halber ist in
diesem und in allen folgenden Abbildungen die Kernhülle als einzelne Lipiddoppelschicht und
nicht als doppelte Lipiddoppelschicht dargestellt. A, Adenin; C, Cytosin; G, Guanin; T, Thymin
(kommt nur in DNA vor); U, Uracil (kommt nur in RNA vor)
zellspezifisch, können sich aber auch drastisch ändern, wenn sie intra- und extra-
zellulären Signalen ausgesetzt wurden oder auf pathologische Zustände wie eine
Infektion mit Mikroben oder Krebs reagieren.
1.2 Die epigenetische Landschaft 9
Die epigenetische Landschaft ist ein sehr anschauliches Modell zum Verständ-
nis der zugrunde liegenden molekularen Mechanismen der Entscheidungen
über das Schicksal einer Zelle während ihrer Entwicklung (Abb. 1.4). Zelluläre
Differenzierung ist normalerweise ein irreversibler, sich vorwärts bewegender
Prozess, der zu hoch spezialisierten, terminal differenzierten Zelltypen führt.
In dem Modell der epigenetischen Landschaft kann die zelluläre
Differenzierung mit einem System von Tälern in einer Hügellandschaft ver-
glichen werden, in dem eine Zelle (oft dargestellt durch eine Kugel, Abb. 1.5),
beispielsweise eine Stammzelle, auf dem Gipfel beginnt und durch die Schwer-
kraft angetrieben wird, vorhandenen Pfaden zu folgen. Letztere Analogie soll
ausdrücken, dass der Weg der Differenzierung eine klare Richtung hat. Dieser
Vorgang lenkt die Zelle in eines von mehreren möglichen Schicksalen, die als
Täler dargestellt werden (Abb. 1.5, unten). Auf dem Weg bergab müssen an Weg-
gabelungen Entscheidungen über das Zellschicksal getroffen werden. Diese Ent-
scheidungen hängen oft von der Expression bestimmter Transkriptionsfaktoren ab,
die später besprochen werden (Abschn. 11.1). Sobald eine Zelle eine erste Ent-
scheidung getroffen hat, ist sie in den nachfolgenden Entscheidungen durch die
Route, die sie genommen hat, eingeschränkt.
Das Entwicklungspotenzial von Stammzellen auf dem Gipfel des Hügels
korreliert mit einer hohen Entropie (d. h. dem Potenzial, eine Vielzahl von Zell-
stadien anzunehmen), die während der Differenzierung zu wohldefinierten
ES-Zelle
ie
slin
mung Hämatopoetische
b stam Vorläuferzellen
eA
isch
elo
My
Zugängliches
Chromatin
Abb. 1.4 Modell der epigenetischen Landschaft. Die zelluläre Differenzierung wird begleitet
von der fortschreitenden Einschränkung der epigenetischen Landschaft, die durch die Verengung
der Talböden angezeigt wird. Hier werden Beispiele für die Differenzierung von lymphoiden
Zellen gezeigt
10 1 Einleitung
Stammzellen
Normale
Entwicklung/
Differenzierung
Neoplasie/Entdifferenzierung
Kasten 1.3
Potenz von Zellen. Die Potenz einer Zelle ist ihre Fähigkeit, sich in andere
Zelltypen zu differenzieren. Totipotente Zellen können alle Zelltypen in
einem Körper bilden, einschließlich extraembryonaler Plazentazellen. Nur
innerhalb der ersten sechs bis acht Zellteilungen nach der Befruchtung
sind embryonale Zellen totipotent. Aus pluripotenten Zellen wie ES-
Zellen können alle Zelltypen hervorgehen, die unseren Körper bilden. Multi-
potente Zellen wie adulte Stammzellen können sich zu mehr als einem
Zelltyp entwickeln, sind aber eingeschränkter als pluripotente Zellen. Im
Gegensatz dazu sind terminal differenzierte Zellen, d. h. mehr als 99 %
der Zellen in unserem Körper, unipotent. Durch die Überexpression pluri-
potenter Transkriptionsfaktoren können jedoch unipotente Zellen dazu
gebracht werden, pluripotent zu werden und sich z. B. in iPS-Zellen umzu-
wandeln.
Seit etwa 20 Jahren ist es sehr beliebt, einem molekularen Begriff die Nachsilbe
„omik“ hinzuzufügen, um auszudrücken, dass eine Reihe von Molekülen wie
DNA, RNA, Proteine oder Metaboliten auf umfassender und/oder globaler Ebene
untersucht werden. Nach der Veröffentlichung des Genoms des Menschen im
Jahr 2001 (Kasten 1.1) war die Genomik die erste „Omik-Disziplin“, die sich
auf die Untersuchung ganzer Genome konzentrierte, im Gegensatz zur Genetik,
die einzelne Gene untersucht. Die Genomik erwies sich als geeigneter Ansatz
für die Beschreibung und Untersuchung genetischer Varianten wie SNVs,
die zu komplexen Erkrankungen wie Krebs, T2D oder Alzheimer beitragen.
Technologische Fortschritte, insbesondere bei next generation sequencing-
(NGS-)Methoden (Abschn. 2.5), führten zur Entwicklung weiterer „Omik-
Disziplinen“, darunter Epigenomik, Transkriptomik, Proteomik, Metabolomik und
Nutrigenomik (Abschn. 10.1).
Epigenomik ist die globale, umfassende Sicht auf Prozesse, die Gen-
expressionsmuster in einer Zelle unabhängig von der Genomsequenz
modulieren. Diese Muster sind in erster Linie Methylierungszustände von
genomischer DNA (Abschn. 3.1) und kovalente Modifikationen von Histon-
proteinen (Abschn. 4.1), die die Architektur des Zellkerns organisieren, den
Zugang von Transkriptionsfaktoren zur genomischen DNA einschränken oder
erleichtern und eine epigenetische Erinnerung an vergangene genregulatorische
Aktivitäten bewahren. Das Epigenom kann als „zweite Dimension“ des
Genoms betrachtet werden, das zelltypspezifische Genexpressionsmuster
bei normalen Prozessen wie der Embryogenese (Abschn. 6.1) und dem Altern
(Abschn. 7.3) sowie bei Erkrankungen wie Krebs (Kap. 8), Autismus und Neuro-
12 1 Einleitung
degeneration (Kap. 9), T2D (Kap. 10) oder Autoimmunität (Kap. 11) aufrecht-
erhält.
Als Reaktion auf zelluläre Störungen durch Ernährung, Begegnung mit
Mikroben, Zellstress oder andere Umwelteinflüsse verändern sich die Epi-
genome der entsprechenden Zelltypen im Laufe der Zeit stark. Obwohl ver-
schiedene Personen Übereinstimmungen in den allgemeinen Epigenommustern
ihrer Gewebe zeigen, unterscheiden sich Individuen weit mehr auf der Ebene
ihrer Epigenome als auf der Ebene ihrer Genome (Abb. 1.6). Das bedeutet, dass
phänotypische Unterschiede zwischen Individuen (wie auch ihre Veranlagung
für Krankheiten) eher auf ihrem Epigenom als auf ihrem Genom beruhen
(Abschn. 12.1).
Der epigenomweite Zustand eines Gewebes oder Zelltyps hängt von einem
effektiven Zusammenspiel zwischen Umgebung und Chromatin ab. Grund-
sätzlich kann jede Störung der zellulären Homöostase über epigenetische
Veränderungen zu lang anhaltenden Wirkungen des Phänotyps führen, ins-
besondere, wenn es sich bei den gestörten Zellen um sich selbst erneuernde
Stammzellen oder langlebige, terminal differenzierte Zellen wie Neuronen oder
T-Gedächtniszellen handelt. Diese Störungen führen zur Aktivierung von Signal-
übertragungswegen, die oft den Zellkern erreichen. Innerhalb des Zellkerns
kommunizieren aktivierte Transkriptionsfaktoren mit Chromatinmodifikatoren und
Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me
Me Me Me Me Me Me
G Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me
G Me Me Me Me Me
G Me
G
A Me Me Me
A A Me Me Me
A Me Me Me Me
Person 1 T T T T
Gewebe
Gehirn Nebenniere Herz Darm
Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me
Me Me Me Me Me
T Me Me Me Me Me Me Me Me
T Me Me Me Me Me Me
T Me
T
C Me Me Me
C Me
C Me Me Me
C Me Me Me Me Me Me
Person 2 T T T T
Merkmale Markierungen
ENCODE verwendete hauptsächlich ChIP-seq Roadmap Epigenomics katalogisierte FANTOM5 benutzte die Methode CAGE,
bei etwa 150 menschlichen Zelllinen, um chemische Modifikationen im Genom in um TSS und Enhancer über transkribierte
Transkriptionsfaktorbindungsstellen und 127 primären Geweben und Zelltypen, RNA zu katalogisieren. Daten von 750
Histonmodifikationen zu identifizieren, die um Genexpression zu verstehen. primären Geweben und 250 Zelllinien.
eine Rolle in der genomweiten Genexpression
spielen.
NH 2
4
5 3N
N O
zugänglichkeit (5mC, 5hmC, 5fC, 5caC) H
(FAIRE-seq, ATAC-seq) Cytosin
Abb. 1.7 Epigenetische Big-Biology-Projekte. Überblick über die Art der Datensätze, die
von verschiedenen Big-Biology-Projekten mit epigenetischem Fokus gesammelt wurden.
Weitere Einzelheiten sind im Text angegeben. PTM, posttranslationale Modifikation. Weitere
Abkürzungen werden in den folgenden Kapiteln erklärt
Weiterführende Literatur
Buccitelli, C., and Selbach, M. (2020). mRNAs, proteins and the emerging principles of gene
expression control. Nat Rev Genet 21, 630–644.
Buchwalter, A., Kaneshiro, J.M. and Hetzer, M.W. (2019). Coaching from the sidelines: the
nuclear periphery in genome regulation. Nat Rev Genet 20, 39–50.
Carlberg, C., and Molnár, F. (2018). Human Epigenomics. Springer Textbook ISBN: 978-981-10-
7614-8.
Lappalainen, T., and Greally, J.M. (2017). Associating cellular epigenetic models with human
phenotypes. Nat Rev Genet 18, 441–451.
Michael, A.K., and Thoma, N.H. (2021). Reading the chromatinized genome. Cell 184, 3599–
3611.
Schoenfelder, S. and Fraser, P. (2019). Long-range enhancer-promoter contacts in gene
expression control. Nat Rev Genet 20, 437–455.
Stricker, S.H., Koferle, A., and Beck, S. (2017). From profiles to function in epigenomics. Nat
Rev Genet 18, 51–66.
Chromatin und Genexpression
2
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
Chromatin · Histonproteine · Nukleosom · Histonvarianten · Posttranslationale
Histonmodifikationen · Chromatinarchitektur · Enhancer · TSS ·
Genexpression · TADs · ChIP-seq · Einzelzellassays · Genombrowser
H1
H4
Molekül 2
H3
Molekül 2 Molekül 1 Molekül 1
H2A
Molekül 1 Molekül 2
H1
Nukleosom
H2B Molekül 2
Chromatosom
Molekül 1
einer Länge von 20–80 bp verbunden. Das bildet etwa alle 200 bp eine sich
wiederholende Einheit des Chromatins. Die regelmäßige Positionierung von
Nukleosomen hat den Effekt, dass die Position eines bestimmten Nukleosoms die
Position seiner Nachbarn bestimmt. Durch den Einsatz von ATP, also von Energie,
sind Chromatinremodellierer jedoch in der Lage, die Position und Zusammen-
setzung von Nukleosomen zu verändern (Abschn. 5.3).
Das Phosphatrückgrat einer 200 bp langen, genomischen DNA trägt 400
negative Ladungen, die teilweise durch die etwa 220 positiv geladenen Lysine und
Arginine des Histonoktamers neutralisiert werden. Die Faltung von Chromatin
in höherer Ordnung erfordert jedoch die Neutralisierung der verbleibenden 180
negativen Ladungen durch das positiv geladene Histon H1 und andere positiv
geladene Kernproteine, die mit Chromatin assoziieren.
Nukleosomen sind die sich regelmäßig wiederholenden Einheiten des
Chromatins, unterscheiden sich jedoch von einer Genomregion zur anderen
durch unterschiedliche posttranslationale Modifikationen der Aminosäurereste
ihrer Histone (Kasten 2.1, Abschn. 4.1) und die Einführung von Histonvarianten
(Kasten 4.1). Diese genomweiten, ortsspezifischen Histonmodifikationen sind
reversibel und ein wichtiger Bestandteil des epigenetischen Gedächtnisses.
Das beeinflusst die Bindung von Transkriptionsfaktoren und die Genexpression.
Somit sind Nukleosomen nicht einfach Barrieren, die den Zugang zu genomischer
DNA blockieren, sondern dienen auch als dynamische Plattformen, die viele bio-
logische Prozesse wie Transkription und Replikation verbinden und integrieren.
Kasten 2.1
2.2 Chromatinorganisation
Chromatin fungiert als Filter für den Zugang von DNA-bindenden Proteinen zu
funktionellen Elementen unseres Genoms, z. B. TSS-Regionen (sie werden auch
als Core-Promotoren bezeichnet) und Enhancer. Gene können nur dann in mRNA
transkribiert werden, wenn ihre TSS-Regionen für die basale Transkriptions-
maschinerie (d. h. Pol II und viele assoziierte Proteine) zugänglich sind.
Allerdings ist die mRNA-Synthese selbst bei zugänglichen TSS-Regionen
2.3 Epigenetik und Genexpression 19
Inaktiv Aktiv
Me Me Me Me Me Me Me Me
LEVEL 1
DNA-Methylierung
LEVEL 2
Nukleosomen
LEVEL 3 Me
Histonmodifikationen Me
Me
und -varianten
Me
TSS
LEVEL 4
Verdichtung von
Pol II
Nukleosomen
TF
me3 me3
TF
Lamina
Pol II
Kernpore TF
Transkriptions-
LEVEL 5 fabrik
Chromatinorganisation
des Zellkerns
Zellkernhülle
TSS
TF
TF TF
Pol II
TF TF
Gen X Enhancer B
Enhancer A
X
Gewebe A Gen
Pol II
CTCF
TF
Cohesin
Enhancer A
Enhancer B
Gewebe B TF
X
Gen Enhancer A
Pol II
CTCF
TF
Cohesin TF
TF
Enhancer B
Abb. 2.3 Die Funktion von Enhancern. Enhancer sind Abschnitte genomischer DNA, die
Bindungsstellen für einen oder mehrere Transkriptionsfaktoren (TFs) enthalten, die die Aktivi-
tät der basalen Transkriptionsmaschinerie (Pol II und assoziierte Proteine) stimulieren, welche an
die TSS-Region eines Zielgens gebunden ist. Enhancer befinden sich sowohl stromaufwärts als
auch stromabwärts ihrer Zielgene in linearen Abständen von bis zu 1 Mb (oben). Transkriptions-
faktorgebundene, aktive Enhancer werden durch DNA-Schleifen, die durch Komplexe aus
Cohesin, CTCF und anderen Proteinen stabilisiert werden, in die Nähe von TSS-Regionen
gebracht. Aktive TSS-Regionen und Enhancer zeigen eine Depletion von Nukleosomen, während
Nukleosomen, die aktive Enhancer flankieren, spezifische Histonmodifikationen aufweisen, z. B.
H3K27ac und H3K4me1 (Mitte, Gewebe A). Im Gegensatz dazu werden inaktive Enhancer
durch eine Reihe von Mechanismen abgeschaltet, beispielsweise durch die Unterdrückung der
Bindung von Polycomb-Proteinen an H3K27me3-Markierungen oder durch die Bindung unter-
drückender Transkriptionsfaktoren (unten, Gewebe B). Weitere Einzelheiten sind im Text
erläutert
2.4 Chromatinarchitektur: Epigenetik in 3D 21
Zellkern
Regulatorische
Schleife
TAD
TAD
Architektonische
Schleife
CTCF CTCF
Isolator/Grenze
Chromosom 1 Mb
Abb. 2.4 Organisation von Chromosomen in TADs. Unser Genom ist in einige Tausend
TADs unterteilt, die Regionen im Genom definieren, in denen die meisten Gene ihre spezifischen
regulatorischen Elemente wie Promotoren und Enhancer haben. TADs sind architektonische
Chromatinschleifen, die durch Isolatoren bzw. Grenzen, die Komplexe von CTCF und Cohesin
binden, voneinander isoliert sind. Innerhalb von TADs werden regulatorische Chromatinschleifen
zwischen Enhancern und Promotoren ausgebildet
2.4 Chromatinarchitektur: Epigenetik in 3D 23
SS-Regionen gebildet, die innerhalb derselben TAD liegen, d. h., sie sind kleiner
T
als TADs (Abb. 2.4). Diese regulatorischer Schleifen beruhen auf der Bindung
von Transkriptionsfaktoren an Enhancer und ihr funktionelles Ergebnis ist
die Stimulierung der Genexpression (Abb. 2.3).
Die innere Oberfläche der Kernhülle ist mit einer Lamina überzogen, die ein
Komplex aus Laminen und einer Reihe weiterer Proteine ist (Abb. 2.5). Lamine
erhalten die Form und die mechanischen Eigenschaften des Zellkerns und dienen
als Befestigungspunkte für LADs (Abschn. 2.2). LAD-Lamin-Wechselwirkungen
bilden ein Nukleoskelett, d. h., sie dienen als strukturelles Rückgrat für die
Organisation von Chromosomen in der Interphase. LADs variieren in ihrer Größe
von 0,1–10 Mb, decken bis zu 40 % unseres Genoms ab und bestehen haupt-
sächlich aus Heterochromatin. Sie haben eine geringe Gendichte, aber insgesamt
enthalten sie immer noch Tausende von Genen, von denen die meisten nicht
exprimiert werden. Dementsprechend ist die Kernperipherie mit Heterochromatin
angereichert, während Euchromatin eher im Zentrum des Zellkerns zu finden ist
(Abb. 1.1). Das deutet darauf hin, dass die Lage eines Gens innerhalb des
Zellkerns ein funktionell wichtiger epigenetischer Parameter ist.
Die Häufung von Heterochromatin an der Kernperipherie wird maßgeblich
durch sogenannte Polycomb-Körper erzeugt. Das sind Komplexe von Mit-
gliedern der Polycomb-Familie, darunter die Komponenten der Polycomb-
Repressionskomplexe (PRC) 1 und 2 (Abschn. 5.4). PRCs bewirken eine
transkriptionelle Unterdrückung, die für die Aufrechterhaltung gewebespezi-
fischer Genexpressionsprogramme essenziell ist, d. h., sie sorgen für das lang-
fristige Abschalten spezifischer Zielgene.
Die Position des Chromatins und damit die Position von Genen im Zell-
kern sind nicht festgelegt. Es gibt dynamische Veränderungen in den Kontakten
zwischen dem Nukleoskelett und der genomischen DNA, die einzelne Gene oder
kleine Gencluster betreffen. Diese Veränderungen sind während der Embryo-
genese am ausgeprägtesten. ES-Zellen haben von allen Zelltypen das am besten
zugängliche Genom, d. h., das Chromatin dieser Zellen ist weitgehend offen.
Während der Differenzierung verändern Zellen die Struktur ihres Chromatins
und es kommt in vielen Regionen des Genoms zu einer größeren Verdichtung
(Abschn. 6.1). Im Gegensatz dazu bereitet die physische Verlagerung eines Gens
von der Peripherie in das Zentrum des Kerns das Gen für die Expression in einem
zukünftigen Entwicklungsstadium vor.
Eine weitere Ebene in der Chromatinarchitektur während der Interphase ist
die Lage ganzer Chromosomen in separaten Chromosomenterritorien, die durch
ein interchromosomales Kompartiment getrennt sind. Chromosomen falten sich
in ihren Territorien so, dass aktive und inaktive TADs in unterschiedlichen Kern-
kompartimenten zu liegen kommen. Aktive Regionen befinden sich bevor-
zugt im Kerninneren, während sich inaktive TADs an der Peripherie des
Zellkerns anreichern. Außerdem befinden sich TADs, die gewebespezifische
Transkriptionsfaktoren binden, in anderen Regionen als diejenigen, die mit unter-
drückenden PRCs interagieren (Abb. 2.5, rechts). Bis zu einem gewissen Grad
vermischen sich Chromosomenterritorien, was interchromosomale Interaktionen
24 2 Chromatin und Genexpression
Mediatorkomplex
Me
me3
me3
me3
Me
me3
Me
Me
Enhancer
3
me
Topologisch
assoziierte
Domäne
CTCF
H3K27me3 PRC2-Komplex
Zellkern
Polycomb-reprimiertes Chromatin
H. sapien
apien
nss
n
sapiens
Immunogenomik
Epigenomik
z.B., Roadmap Krebsgenomik
Epigenomics z.B., TCGA Project
Project Metagenomik
H.. n
H neanderthalensis
Genomstatus
me3
Ac
DNA-Bindung
Ac
DNA-Methylierung
Me
Me
me3
Ac mRNA-Abbau
Histonmodifikation Schleifenbildung
mRNA Genomfaltung
Transkription
ncRNA
RNA-Spleißen
RNA-Lebenszyklus Protein
RNA-Export
Poly(A)
Translation
Abb. 2.6 Die zentrale Rolle von NGS-Methoden. Das Human Genome Project (Kasten 1.1)
hat ein Referenzgenom erstellt. Heutzutage sind auch die Genome aller anderen Primaten-
arten bekannt, einschließlich einiger ausgestorbener Menschenarten (oben links). In großen
Konsortien wie dem 1000 Genomes Project (oben Mitte) wurde die Sequenzierung der
kompletten Genome von mehreren Tausend Individuen durchgeführt. Darüber hinaus werden
die genetischen und epigenetischen Unterschiede zwischen Geweben und Zelltypen desselben
Individuums in Krebsgenom- und Epigenomprojekten wie The Cancer Genome Atlas (TCGA,
Der Krebsgenomatlas; Abschn. 8.1) und dem Roadmap Epigenomics Projekt (oben
rechts) gesammelt. Die Anwendung verschiedener NGS-Methoden, darunter ChIP-seq, RNA-seq
(RNA-Sequenzierung) oder ATAC-seq, ermöglicht die Integration vieler verschiedener Prozesse
innerhalb der Zelle (unten)
genomische DNA einfügt. Der Prozess ist auch der Kern der Methode ATAC-
seq (Assay für transposasezugängliches Chromatin mithilfe von Sequenzierung).
Die Sequenzbibliothek wird aus fragmentiertem und immunpräzipitiertem
Chromatin hergestellt, anstelle wie bei ChIP-seq aus gereinigter, d. h. protein-
freier, immunpräzipitierter, genomischer DNA. Dieser Tagmentierungsschritt
reduziert die Anzahl der in den Experimenten benötigten Zellen um den Faktor
10–100. Schließlich ermöglichen Einzelzellansätze (Kasten 2.2) sogar noch aus-
sagekräftigere Analysen von Chromatinzuständen und den damit verbundenen
genregulatorischen Netzwerken.
Kasten 2.2
Einzelzellanalysen. In der Vergangenheit wurden Epigenommethoden mit
größeren Zellzahlen durchgeführt. Da bekannt ist, dass Zellpopulationen
heterogen sind, repräsentieren die jeweiligen Ergebnisse den durchschnitt-
lichen Chromatinzustand für Tausende oder sogar Millionen von Zellen.
Jüngste technologische Fortschritte ermöglichten die Durchführung genom-
weiter Analysen an einzelnen Zellen. Einzelzell-RNA-seq zeigte bei-
spielsweise eine erhebliche Heterogenität von Zelltypen in verschiedenen
Geweben und identifizierte neue Zellpopulationen. Die Einzelzelltechno-
logie wurde auf das Genom und das DNA-Methylom ausgedehnt. Die
Bisulfitsequenzierung einzelner Zellen weist auf erhebliche Unterschiede
in den DNA-Methylierungsmustern bei ansonsten homologen Zellen hin,
die sich in denselben Geweben befinden. Im Weiteren wurde Einzelzell-
ATAC-seq entwickelt, das Einzelzellanalysen der Chromatinzugänglichkeit
ermöglicht. Die Einzelzellepigenomik gibt Einblicke in die kombinatorische
Natur von Chromatin, z. B. welche Kombinationen von epigenetischen
Markierungen und Strukturen möglich sind und welche Mechanismen sie
kontrollieren.
Cross-
Linking
Fragmentierung
von Chromatin
durch
Beschallung
Deutliche
Anreicherung
im Vergleich zur
ChIP ChIP-seq Kontrolle
- Proteolyse - Proteolyse
- Quantitative Real-Time-PCR - Adapterligation, Vorbereitung Beispiel für einen
der Bibliothek, experimentell
Sequenzierung erzeugten Peak
C C TT G T A G T C G A T G T C A T G A
Fluorescenz
10 20
Gen
TF-Bindung +/-100 bp vom Peakgipfel
0 5 10 15 20 25 30 35 40
PCR-Zyklen
Abb. 2.7 ChIP-seq und seine Analyse. Kurze Chromatinfragmente werden aus Zellen her-
gestellt, in denen Kernproteine durch kurzzeitige Formaldehydquervernetzung kovalent an
genomische DNA gebunden sind. Nach der Chromatinfragmentierung werden immobilisierte
Antikörper gegen ein ausgewähltes Protein, beispielsweise einen Transkriptionsfaktor (TF) oder
eine Histonmarkierung, verwendet, um die mit dem jeweiligen Protein assoziierten Chromatin-
fragmente zu präzipitieren (links). Alle DNA-Fragmente werden durch NGS sequenziert, bei-
spielsweise unter Verwendung eines Illumina Genome Analyzers. Typischerweise liefern
Sequenzierungsläufe mehrere 10 Mio. Sequence-Tags (kleine Pfeile), die eindeutig auf dem
Referenzgenom wiedergefunden werden können (rechts). Cluster dieser Tags bilden Peaks, die
Transkriptionsfaktorbindungsstellen darstellen, wenn sie eine signifikant höhere Bindung zeigen
als die Kontrollprobe
keit ist jedoch ATAC-seq, bei der die Tn5-Transposase für die Vorbereitung
der Sequenzbibliothek verwendet wird. Wie bei ChIPmentation reduziert
die Verwendung des Tagmentierungsschritts die Anzahl der pro Experiment
benötigten Zellen erheblich.
Zur Bewertung der 3D-Organisation von Chromatin werden 3C-(chromosomen
konformationserfassungs-)basierte Methoden verwendet, die Proteinvernetzung
und Näheligation von DNA kombinieren, um lang reichende Wechselwirkungen
innerhalb des Chromatins zu messen. Diese Methoden quantifizieren die Inter-
aktionshäufigkeit zwischen Orten im Genom, die in 3D nahe beieinander liegen,
aber im linearen Genom durch Tausende von Basen voneinander getrennt sein
können. Die Methoden identifizieren regulatorische Schleifen in genomischer
DNA, z. B. zwischen Promotor- und Enhancerregionen. Die genomweite
2.5 Epigenetische Methoden 29
Kasten 2.3
Visualisierung epigenomweiter Daten. Eine typische Art der
Visualisierung epigenomweiter Daten, wie etwa derjenigen aus dem
ENCODE-Projekt, besteht darin, eine ausgewählte Teilmenge davon in
einem Browser, z. B. dem UCSC genome browser (http://genome.ucsc.
edu/ENCODE), anzuzeigen. Datensätze können geprüft werden, ohne sie
herunterzuladen, indem ein dynamischer browser track hub erstellt wird.
Andere Visualisierungswerkzeuge, die das track hub-Format unterstützen,
z. B. Ensembl (www.ensembl.org), können ebenfalls verwendet werden.
Für jede gegebene Position im Genom bietet eine grafische Darstellung
eine intuitiv verständliche Beschreibung von Chromatinmerkmalen wie
Acetylierung und Methylierung von Histonen, die in Kombination mit
experimentell nachgewiesenen Informationen über die Bindung von
Transkriptionsfaktoren aus ChIP-seq-Experimenten ausgelesen werden
kann.
Weiterführende Literatur
Andersson, R. and Sandelin, A. (2020). Determinants of enhancer and promoter activities of
regulatory elements. Nat Rev Genet 21, 71–87.
Carlberg, C., and Molnár, F. (2020). Mechanisms of Gene Regulation: How Science Works.
Springer Textbook ISBN: 978-3-030-52321-3.
Gasperini, M., Tome, J.M. and Shendure, J. (2020). Towards a comprehensive catalogue of
validated and target-linked human enhancers. Nat Rev Genet 21, 292–310.
Haniffa, M., Taylor, D., Linnarsson, S., Aronow, B.J., Bader, G.D., Barker, R.A., Camara, P.G.,
Camp, J.G., Chedotal, A., Copp, A., et al. (2021). A roadmap for the Human Developmental
Cell Atlas. Nature 597, 196–205.
Jerkovic, I., and Cavalli, G. (2021). Understanding 3D genome organization by multidisciplinary
methods. Nat Rev Mol Cell Biol 22, 511–528.
Klemm, S.L., Shipony, Z. and Greenleaf, W.J. (2019). Chromatin accessibility and the regulatory
epigenome. Nat Rev Genet 20, 207–220.
Lappalainen, T., Scott, A.J., Brandt, M., and Hall, I.M. (2019). Genomic analysis in the age of
human genome sequencing. Cell 177, 70–84.
Minnoye, L., Marinov, G.K., Krausgruber, T., Pan, L., Marand, A.P., Secchia, S., Greenleaf, W.J.,
Furlong, E.E.M., Zhao, K., Schmitz, R.J., et al. (2021). Chromatin accessibility profiling
methods. Nature Reviews Methods Primers 1.
Moshitch-Moshkovitz, S., Dominissini, D., and Rechavi, G. (2022). The epitranscriptome
toolbox. Cell 185, 764–776.
Zhou, K., Gaullier, G. and Luger, K. (2019). Nukleosome structure and dynamics are coming of
age. Nat Struct Mol Biol 26, 3–13.
DNA-Methylierung
3
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
DNA-Methylierung · CpG-Inseln · DNA-Methyltransferase · TET-Proteine ·
5mC-Modifikationen · Abschaltung von Genen · Isolator · CTCF ·
Genetische Prägung · X-Chromosom-Inaktivierung · Xist · Störungen der
genetischen Prägung · Hypermethylierung
Die Identität jedes der 400 Gewebe und Zelltypen des Menschen basiert auf
ihren jeweiligen einzigartigen Genexpressionsmustern, die wiederum durch
Unterschiede in ihren Epigenomen bestimmt werden. Für die ordnungsgemäße
Funktion unserer Gewebe ist es unerlässlich, dass sich Zellen ihren jeweiligen
epigenetischen Status merken und diesen bei ihrer Teilung an die Tochterzellen
weitergeben. Der Hauptmechanismus für dieses epigenetische Langzeitgedächtnis
ist die Methylierung der genomischen DNA an der fünften Position von Cytosin
(5mC) (Abb. 3.1, unten links).
N OH N
5hmC NH2
O N 5caC O N
DNA DNA N
NH2
O N
N DNA
O N
Cytosin
DNA
Passiv oder aktiv Passiv
(TDG) Cytosin
Passiver Verlust
de novo-Methylierung
(DNMT3A/B/L) NH2 MBD1/2/4
CH3 MECP2
N
5mC Aktive Oxidation
O N (TET 1/2/3-Enzyme)
DNA
NH2
CH3
N
5mC
O N
Überprüfung
der Replikation
(DNMT1)
a Aufgrund dieser Bedingungen gehört nur eine Minderheit (10 %) aller CpGs zu
CpG-Inseln. Unser Genom enthält ungefähr 28.000 CpG-Inseln. Viele unserer
20.000 proteincodierenden Gene haben eine solche Region in der Nähe ihrer
TSS-Region, d. h., sie haben CpG-reiche Promotoren. Tatsächlich werden Gene
in solche mit und ohne CpG-Inseln in der Nähe ihrer Promotoren unterschieden.
Interessanterweise tragen aktiv transkribierte Genkörper sowohl 5mC- als auch
5hmC-Markierungen (5hmC für 5‑Hydroxymethylcytosin), während aktive
Promotoren nichtmethyliert sind (Abschn. 3.2).
DNMTs sind chromatinmodifizierende Enzyme, die in einer einstufigen
Reaktion die Übertragung einer Methylgruppe von SAM (S-Adenosyl-L-
Methionin) auf Cytosine der genomischen DNA katalysieren (Abb. 3.1). Da das
DNA-Methylierungsmuster ein epigenetisches Programm für die globale
Unterdrückung des Genoms und spezifische Einstellungen geprägter
Gene darstellt (Abschn. 3.3), ist es wichtig, das DNA-Methylom während der
Replikation zu erhalten. Das ist die Hauptaufgabe von DNMT1 in Zusammen-
arbeit mit seinem Partner UHRF1 (ubiquitinähnliche pflanzliche Homöodomäne
und Ringfingerdomäne 1), der bevorzugt halbmethylierte CpGs erkennt. Im Gegen-
satz dazu führen in Abwesenheit eines funktionellen DNMT1/UHRF1-Komplexes
aufeinanderfolgende Replikationszyklen zu einem passiven Verlust von 5mC, wie
bei der globalen Löschung von 5mC im mütterlichen Genom während der Prä-
implantationsphase (Abschn. 6.1). Insbesondere während der Entwicklung von
Urkeimzellen (PGCs) wird die genomische DNA weitgehend demethyliert. Das
schafft pluripotente Zustände in frühen Embryonen und löscht die meisten
der elterlichen herkunftsspezifischen Prägungen in den sich entwickelnden
Urkeimzellen. Mit Ausnahme von geprägten Genomregionen (Abschn. 3.3) führen
DNMT3A und DNMT3B während der frühen Embryogenese eine de novo-DNA-
Methylierung durch, d. h., zusammen mit DNMT1 agieren sie als writer der DNA-
Methylierung (Abb. 3.1, links). Interessanterweise blockiert das erste zugelassene
epigenetische Medikament, Decitabin (5-Aza-2′-desoxycytidin), die DNA-
Methylierung durch Inhibition von DNMTs (Abschn. 8.5). Decitabin wird zur
Therapie von Leukämien und anderen Formen von Blutkrebs eingesetzt, bei denen
hämatopoetische Vorläuferzellen nicht ausreifen.
Die aktive Demethylierung genomischer DNA ist ein mehrstufiger Prozess, an
dem die Dioxygenasen TET 1, 2 und 3 (TET für ten-eleven-translocation) beteiligt
sind, welche 5mC in 5hmC umwandeln (Abb. 3.1). 5hmC wird in den meisten
Zelltypen gefunden, macht aber nur 1–5 % des 5mC-Anteils aus. Erwachsene
Neuronen sind jedoch eine Ausnahme, da ihr 5hmC-Level 15–40 % von dem von
5mC beträgt (Abschn. 9.2). In zwei weiteren Oxidationsschritten wandeln TETs
5hmC in 5‑Formylcytosin (5fC) und in 5‑Carboxycytosin (5caC) um. 5fC und
5caC sind deutlich weniger verbreitet als 5hmC (0,06–0,6 % bzw. 0,01 % der
5mC-Raten), d. h., TETs neigen dazu, bevorzugt im 5hmC-Stadium anzuhalten.
Oxidierte Cytosine werden zu 5-Hydroxyuracil (5hU) desaminiert, sodass sie eine
5hU:G-Fehlpaarung erzeugen, die vom Enzym TDG (Thymin-DNA-Glykosylase)
erkannt und entfernt wird (Abb. 3.1, oben). Die Position wird dann durch die Basen-
exzisionsreparatur der DNA, d. h. durch einen regulären DNA-Reparaturprozess,
34 3 DNA-Methylierung
ersetzt und führt zur Demethylierung des entsprechenden Cytosins. Die oxidative
Modifikation von 5mC über den TET/TDG-Weg ermöglicht eine dynamische
Regulation von DNA-Methylierungsmustern. DNA-bindende Proteine, die ent-
weder nichtmethylierte oder methylierte genomische DNA spezifisch erkennen
(Abb. 3.1, rechts), lesen dann die in DNA-Methylierungsmustern gespeicherten
Informationen und übersetzen sie in biologische Aktionen.
Das DNA-Methylom ist eine genomweite Karte von 5mC-Mustern und seinen
oxidierten Modifikationen und ein wesentlicher Bestandteil des Epigenoms. Über
IHEC sind bereits viele Datensätze verschiedener Gewebe und Zelltypen des
Menschen öffentlich zugänglich (Abschn. 1.3). Globale DNA-Methylierungs-
methoden messen die Cytosinmethylierung mit Basenauflösung über das gesamte
menschliche Genom. Dabei handelt es sich entweder um affinitätsbasierte
Methoden wie MeDIP-seq (methylierte DNA-Immunpräzipitationssequenzierung)
oder um basenauflösende Kartierungsmethoden wie die Bisulfitsequenzierung
(Abb. 3.2). Beide Arten von Verfahren identifizieren Regionen im Genom, in
denen Cytosine häufig modifiziert werden. Affinitätsbasierte Assays verwenden
einen Antikörper, der methylierte Fragmente aus beschallter genomischer DNA
anreichert. Wie bei ChIP-seq (Abb. 2.7) hängt die Auflösung dieser Assays stark
von der DNA-Fragmentgröße und der CpG-Dichte ab, d. h., die Assays sind eher
qualitativ als quantitativ. Im Gegensatz dazu bestimmt die Bisulfitsequenzierung
direkt den Methylierungszustand jedes Cytosins des gesamten Genoms.
Bei diesem chemischen Verfahren wandelt die Natriumbisulfitbehandlung
genomischer DNA chemisch nichtmethylierte Cytosine in Uracile um. Durch die
PCR-Amplifikation werden alle nichtmethylierten Cytosine zu Thymidinen, d. h.,
die verbleibenden Cytosine entsprechen 5mC. Die Sequenzierung des gesamten
Genoms liefert dann eine Einzelbasenauflösung des Methylierungsmusters.
Interessanterweise ist die Bisulfitsequenzierung eine der ersten epigenomweiten
Methoden, die erfolgreich auf Einzelzellebene angewendet wird (Kasten 2.3).
Da 5mC und 5hmC, aber nicht 5fC oder 5caC, gegen Bisulfitumwandlung
resistent sind, können sie nicht voneinander unterschieden werden, d. h., eine
Antikörperanreicherung oder fortgeschrittenere chemische Umwandlungs-
methoden müssen angewendet werden. Eine interessante Alternative sind
Long-Read-Sequenzierungsmethoden wie Nanopore Sequencing, die neben
der kompletten Sequenz des Genoms auch 5mC und 5hmC unterscheiden
können.
Der durchschnittliche Prozentsatz an CG-Basenpaaren in unserem
Genom beträgt 42 %. Das heißt, die haploide Genomsequenz besteht aus etwa
700 Mio. Cytosinen. Im Prinzip kann jedes von ihnen methyliert werden, aber
die Methylierung von CpGs ist funktionell am wichtigsten. Unser Genom ent-
hält etwa 28 Mio. CpGs, von denen die meisten (70–80 %) in allen Geweben
und Zelltypen methyliert sind. Die meisten CpGs befinden sich in Regionen
3.2 Das DNA-Methylom 35
Probe
CpG
5mCpG
5hmCpG
Beschallung
DNA-
Fragmentierung
Zugabe von Linkern
O
S
HO O- Na+
Natriumbisulfit-
Anreicherung
behandlung
Antikörper
U C U C U C U
Sequenzierung
und Analyse
Abb. 3.2 Analyse der DNA-Methylierung. Genomweites 5mC und sein oxidiertes Derivat
5hmC werden durch auf Konversion und Anreicherung basierende Methoden mit anschließender
Sequenzierung gemessen. Die Bisulfitumwandlung ermöglicht die Quantifizierung von 5mC,
unterscheidet jedoch nicht zwischen 5mC und 5hmC, während die Antikörperanreicherung eine
qualitative Messung von 5mC und 5hmC ermöglicht. Bisulfitkonvertierte oder -angereicherte
genomische DNA wird gereinigt, eine Sequenzierungsbibliothek (library) erzeugt und dann
sequenziert. Schließlich werden die Sequenzierungsreads mit dem Referenzgenom abgeglichen
36 3 DNA-Methylierung
repetitiver genomischer DNA wie SINEs, LINEs und LTRs (Kasten 1.1). LINEs
und LTRs tragen starke Promotoren, die dauerhaft abgeschaltet werden, indem
sie in konstitutives Heterochromatin überführt werden (Abb. 3.3A). Daher sind
diese Regionen im Allgemeinen hypermethyliert. Das Stummschalten repetitiver
DNA erfolgt hauptsächlich während der frühen Embryogenese (Abschn. 6.1),
wohingegen in adulten Geweben das de novo-Abschalten durch die Proteine
MECP2, MBD1, MBD3 und MBD4 initiiert wird, die alle eine methylbindenden
Domäne (MBD) tragen. Diese Proteine binden symmetrisch an methylierte CpGs,
haben aber keine Sequenzspezifität, d. h., MBD-Proteine sind keine klassischen
Transkriptionsfaktoren, sondern fungieren als reader (Abb. 3.1, rechts) und
Adapter für die Rekrutierung von Chromatinmodifikatoren wie HDACs und
KMTs zur methylierten genomischen DNA.
Nichtmethylierte Genkörper
Nichtmethylierte CpG-Insel
Nichtmethylierte Stelle
die vom unserem Genom codiert werden, durch die Methylierung ihrer DNA-
Bindungsstellen positiv beeinflusst, die Hälfte von ihnen bindet DNA nicht,
wenn sie nichtmethyliert ist, und nur ein Viertel von ihnen wird durch DNA-
Methylierung negativ beeinflusst. Ein bekanntes Beispiel für letzteres Szenario ist
CTCF im Kontext der genetischen Prägung (Abschn. 3.3).
Zusammengenommen gibt es verschiedene Formen der Genabschaltung,
die von flexiblen Unterdrückungsmechanismen bis hin zu einem hochgradig
stabilen inaktiven Zustand reichen, der durch DNA-Methylierung aufrecht-
erhalten wird.
Isolatoren sind Regionen im Genom, die Gene, welche sich in einer TAD
befinden, von der promiskuitiven Regulation durch Transkriptionsfaktoren
trennen, die an Enhancer einer benachbarten TAD binden. In Abschn. 2.4 wurde
bereits der methylierungssensitive Transkriptionsfaktor CTCF als das wesent-
liche Protein vorgestellt, das an Isolatorregionen bindet. Im Komplex mit anderen
Proteinen wie Cohesin vermittelt CTCF die Ausbildung architektonischer sowie
regulatorischer Schleifen (Abb. 2.3, 2.4 und 2.5). Zusätzlich zur Verhinderung der
grenzüberschreitenden Enhanceraktivität können Isolatoren als Grenzen wirken,
welche die Ausbreitung von Heterochromatin aus abgeschalteten Regionen zu
transkriptionell aktiven Teilen des Genoms verhindern. Das bedeutet, dass diese
Grenzelemente geschlossenes von offenem Chromatin „isolieren“, also inaktive
von aktiven Genen trennen. Somit sind CTCF-gebundene Isolatoren epi-
genetische Strukturen, die sowohl für die spezifische Genregulation als auch
für die Chromatinarchitektur wichtig sind.
CTCF ist sowohl in seiner Proteinstruktur als auch in seinem DNA-Bindungs-
muster evolutionär sehr konserviert. Genomweit gibt es etwa 30.000 CTCF-
Bindungsstellen, von denen 15 % an der Ausbildung von TADs beteiligt sind,
aber nur wenige Hundert Regionen, die mit genetischer Prägung befasst sind. Alle
CTCF-Bindungsstellen sind empfindlich für eine Methylierung, d. h., die CTCF-
Bindung an methylierte DNA ist drastisch reduziert. Interessanterweise hält nur
eine kleine Untergruppe von nichtmethylierten Bindungsstellen CTCF-Proteine
während des gesamten Zellzyklus gebunden, um diese Stellen vor einer de novo-
Methylierung zu schützen. Somit können nur jene Chromatinstrukturen höherer
Ordnung, die durch nichtmethylierte CTCF-Stellen vermittelt werden, durch
Mitose vererbt werden. Das bedeutet, dass CTCF-vermittelte Chromatin-
strukturen eine vererbbare Komponente phänotypspezifischer epigenetischer
Programme darstellen.
Die für eine DNA-Methylierung sensitive Bindung von CTCF an ICRs
(Kontrollregionen der genetischen Prägung) liefert eine mechanistische
Erklärung des epigenetischen Prozesses der genetischen Prägung. ICRs stellen
eine spezielle Untergruppe von Isolatoren dar, welche die monoallelische
3.3 Genetische Prägung 39
Expression unserer mehr als 100 mütterlich und väterlich geprägten Gene
kontrollieren (www.geneimprint.com/site/genes-by-species.Homo+sapiens). Die
meisten geprägten Gene treten in Clustern auf. Ein Paradebeispiel ist die Region
in Chromosom 11p15, welche die proteincodierenden Gene IGF2 (insulinähn-
licher Wachstumsfaktor 2), KCNQ1 (Kalium-spannungsgesteuerter Kanal, Unter-
familie Q, Mitglied 1) und CDKN1C (cyclinabhängiger Kinaseinhibitor 1 C)
sowie die ncRNA-Gene H19 und KCNQ1OT1 enthält (Abb. 3.4, oben). Dieser
geprägte Genort enthält zwei ICRs und wird durch Enhancer stromabwärts
des H19-Gens reguliert. In mütterlich kontrollierten Allelen ist ICR1 nicht-
methyliert und bindet CTCF, während ICR2 methyliert und nicht gebunden ist
(Abb. 3.4, Mitte). Während der Embryonalentwicklung ist die Bindung von
CTCF essenziell, um den hypomethylierten Zustand von ICR1 aufrecht zu halten
und die Bindungsstelle vor einer de novo-Methylierung in Oozyten zu schützen.
CTCF blockiert die Fernkommunikation der Enhancer mit der TSS-Region
KCNQ1
H19 ICR1 IGF2 ICR2 CDKN1
KCNQ1OT1
Enhancer
CTCF
Maternales KCNQ1
H19 ICR1 IGF2 ICR2 CDKN1C
Allel KCNQ1OT1
Enhancer Isolator Me MeMe
DNA-Methylierung
Me Me Me
Paternales KCNQ1
H19 ICR1 IGF2 ICR2 CDKN1C
Allel KCNQ1OT1
Enhancer Isolator
DNA-
Methylierung
Suppressor-RNA
Me Me
des IGF2-Gens, e rmöglicht aber die Initiierung der Transkription von H19. Das
führt zur Expression von H19, KCNQ1 und CDKN1C sowie zur Unterdrückung
der Transkription von IGF2 und KCNQOT1. Im Gegensatz dazu ist in väter-
lich kontrollierten Allelen ICR1 methyliert und bindet nicht CTCF, während
ICR2 nichtmethyliert ist (Abb. 3.4, unten). Das kehrt das Expressionsmuster um,
sodass IGF2 und KCNQOT1 transkribiert werden, aber nicht H19, KCNQ1 und
CDKN1C. Die physiologische Folge dieser genetischen Prägung ist, dass in
mütterlich kontrollierten Zellen Wachstum und Zellzyklus begrenzt sind,
während väterlich kontrollierte Zellen auf maximales Wachstum vorbereitet
sind.
Ein weiteres gut untersuchtes Beispiel für genetische Prägung ist die
Inaktivierung eines der beiden X-Chromosomen in weiblichen Zellen. Das
inaktive X-Chromosom liegt in weiblichen Interphasezellen als Barr-Körper-
chen vor. Der epigenetische Prozess hinter der X-Chromosom-Inaktivierung
ist die lange ncRNA Xist (X-inaktives spezifisches Transkript) (Abschn. 5.4),
die ausschließlich vom X-Inaktivierungszentrum des inaktiven X-Chromosoms
exprimiert wird. Die Wirkung von Xist stellt eine besondere Form der genetischen
Prägung dar, die ein ganzes Chromosom betrifft.
Die etwa 100 geprägten Gene des Menschen spielen eine wichtige Rolle
während der Entwicklung, sodass Veränderungen in ihrer Expression und
Funktion zu Störungen der genetischen Prägung führen können. Beispiels-
weise beruhen das Silver-Russell-Syndrom, eine Krankheit, die zu Niederwuchs
und Asymmetrie führt, und das Beckwith-Wiedemann-Syndrom, eine Krank-
heit, die zu Überwuchs führt, auf epigenetischen Fehlern in der Region p15 auf
Chromosom 11 (Abb. 3.4). Kinder mit dem Beckwith-Wiedemann-Syndrom
haben ein 1000-fach erhöhtes Risiko, an Nierentumoren (meistens Wilms-
Tumoren) und anderen embryonalen Tumoren zu erkranken, die aus fötalen
Zellen entstehen und nach der Geburt persistieren. Das bedeutet, das epi-
genetische Veränderungen dem Krebsrisiko vorausgehen und es erhöhen,
anstatt sich nach der Tumorentstehung auszubilden. Die meisten Patienten
mit Beckwith-Wiedemann-Syndrom haben die Methylierung an ICR2 verloren,
was zur Expression von CDKN1C und zum Anhalten des Zellzyklus führt. Andere
Patienten mit diesem Syndrom zeigen eine Überexpression von IGF2, die durch
Deletionen in ICR1 auf dem mütterlichen Allel und eine gestörte CTCF-Bindung
verursacht wird, was zu einer biallelen IGF2-Expression und einem Verlust der
H19-Expression führt. Viele Personen mit Silver-Russell-Syndrom haben einen
entgegengesetzten epigenetischen Phänotyp, bei dem ICR1 nichtmethyliert ist,
was zu einer biallelen H19-Expression und einem Verlust der IGF2-Expression
führt.
3.4 DNA-Methylierung und Erkrankungen 41
A C
Regulatorisches Potenzial
Karzinom
Adenom
Zeit
B Normales Gewebe
Regulatorisches Potenzial
0 20 40 60 80 100
Methylierungsgrad (%)
Weiterführende Literatur
Lappalainen, T. and Greally, J.M. (2017). Associating cellular epigenetic models with human
phenotypes. Nat Rev Genet 18, 441–451.
Luo, C., Hajkova, P. and Ecker, J.R. (2018). Dynamic DNA methylation: in the right place at the
right time. Science 361, 1336–1340.
Weiterführende Literatur 43
Monk, D., Mackay, D.J.G., Eggermann, T., Maher, E.R., and Riccio, A. (2019). Genomic
imprinting disorders: lessons on how genome, epigenome and environment interact. Nat Rev
Genet 20, 235–248.
Stricker, S.H., Koferle, A. and Beck, S. (2017). From profiles to function in epigenomics. Nat
Rev Genet 18, 51–66.
Wang, Y., Zhao, Y., Bollas, A., Wang, Y., and Au, K.F. (2021). Nanopore sequencing technology,
bioinformatics and applications. Nat Biotechnol 39, 1348–1365.
Wu, X., and Zhang, Y. (2017). TET-mediated active DNA demethylation: mechanism, function
and beyond. Nat Rev Genet 18, 517–534.
Histonmodifikationen
4
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
Posttranslationale Histonmodifikation · Histonmethylierung ·
Histonacetylierung · Genomweite Profilerstellung · Histoncode ·
Epigenetisches Gedächtnis
Me Me
Ac Me Ac Me Me
Me Pr Ac Pr Ac Ac
Me Ac Bu Bu Cr Bu Bu
Me Ac Bu Cr Cr Hib Cr Cr
Me Ac Bu Cr Hib Hib Me Su Me Hib Hib
Ac Bu Ac Hib Hib Su Su Ac Me Ma Ac Su Su
Me Cr Me Cr Ph Su Me Fo Fo Me Ubq Ac Hib Ac Fo Hib Fo Ac Ac Fo
Cit Ph Hib Ph Cit Hib GlcPh Ubq Cit Ubq Ac Ubq Cit Ar Ph Glc Ubq Ar Me Ph Me Ph Ubq Ph Me Fo Ubq Ph Me Ph Ph Bu Ubq Me
H3 +
H3N- MARTKQTARKSTGGKAPRKQLATKAARKSAPATGGVKKPHRYRPGTV…QKST…IRKL…FKTDLRFQSS…DTN…AKR…PKD…ARRIRGERA
10 20 30 40 46 55 58 62 65 78 87 106 108 114 116 121 123 127 135
-COO –
Me
Me Me Ac Ac
Ac Me Ac Pr Me Pr
Me Pr Ac Pr Bu Ac Bu
Ac Ac Bu Pr Bu Me Cr Pr Cr
Pr Pr Cr Bu Hib Cr Hib Bu Hib
Bu Bu Hib Cr Su Pr Hib Su Hib Su
Me Cr Cr Su Hib Me Me Me Fo Bu Ph Ph Fo Fo Su Ph Fo
Ph Cit Hib Hib Fo Ar Cit Ph Cit Ac Me Ubq Me Hib Glc OH Me Ubq Me Ph Ph Ubq Me Fo OH Ubq Me
+
H3N- MSGRGKGGKGLGKGGAKRHRKVLRDNIQGITKPAIRR…VKRISGLIYEETRGVLKV…VIRDAVTYTEHAKRK…VVYALKRQGRTLYGFGG
10 20 30 36 43 50 60 65 70 79 84 90 99
-COO –
H4
Me
Ac
Pr
Ac Bu Me
Cr Cr Ac
Me Hib Hib Cr Me
Ac Ac Ac Su Me Su Hib Pr
Me Bu Hib Ubq Ac Fo Ac Fo Ph Fo Cr Cr
Ph Cit Hib Su Me Ar Ubq Me Ubq OH Me Ph Ph Me Hib Hib Me Ubq Me Glc Ubq Ubq Ph Ph Ubq Ac Ac
H2A +
H3N- MSGRGKQGGKARAKAKTRSSRAGLQFPVGRVHRLLRKGNYAERV…PVYL…LTA…ARDNKKT…IRNDE…KLLGKVTI…PKKTESHHKAKGK
10 20 30 40 43 48 51 58 60 70 76 87 91 95 100 102 117 129
-COO –
Me
Me Me Me Ac
Ac Me Me Ac Ac Cr
Bu Me Ac Me Cr Me Bu Cr Hib Ac
Cr Ac Me Bu Ac Hib Ac Hib Me Me Hib Ma Hib
Hib Ac Bu Ac Ac Cr Bu Su Hib Su Ac Ac Su Su Su
Su Bu Cr Bu Bu Hib Cr Ac Fo Ph Su Fo Hib Hib Fo Fo Fo
Ar Fo Ph Cr Hib Ph Cr Cr Ac Ubq Hib Hib Ar Ph Ubq Glc OH Fo Ubq Ph Ph Ubq Ph Ph Me OH Su Me Ph Ph Ph Me Me Ubq Ph Ubq Ph Ubq Ac
+
H3N- MPEPAKSA…PKKGSKKAVTKAQKKD…RKRSRKESYS…YKVLK…TGISSK…S…SEASRLAHYNKRSTITSRE…VRL…AKH…GTKAVTKY…K
7 10 20 25 29 38 42 46 52 57 64 75 80 90 93 98 100 107 109 114 120 125
-COO – H2B
Me Me Me Me
Ac Ac Ac Ac
Cr Ac Me Cr Ac Cr Cr
Hib Hib Me Ac Hib Ac Cr Hib Hib Me
Me Me Su Su Ac Hib Su Hib Hib Su Su Ac Me
Ac Me Ac Me Fo Ac Fo Hib Su Fo Ph Fo Hib Su Fo Fo Su Hib Hib Hib
Ph Ar Ph Fo Ac Hib Hib Hib Ubq Ph Ph Ubq Ac Ubq Cit Ph Fo Ubq OH Ubq Fo Fo Ubq Ubq Ph Ubq Ubq Ac Ubq Me Su
H1 +
H3N- MSETA…EKA…KKKAAKKA…RKASG…VSE…TKA…ASKERSG…LKKA…GYDVEKN…IKLGLKS…SKG…TKG…GSFKLNKKAASGEAKPKVKK…
4 15 17 20 27 32 36 39 41 44 46 49 55 61 64 69 75 79 85 88 90 95 97 102 110 120
Me
Ac
Cr
Me Fo Me Cr Fo Hib Me
Ubq Hib Hib Ubq Ph Hib Hib Ubq Ph Ubq Ac Ph Me Ac Hib
…TKPKK…AKKPKKA…ATPKK…AKKP…ATVTKKVAKSP…AKSAAK…K -COO –
125 129 134 140 144 148 157 160 163 170 173 185 190 212
H4 sowie H1 (Abb. 4.1). Die Enden und globulären Domänen dieser Histon-
proteine stellen über 130 Positionen für posttranslationale Modifikationen bereit,
deren Informationsgehalt als Histoncode zusammengefasst wird. Das allgemeine
Merkmal der Histonproteine ist ihre geringe Größe von etwa 11–15 kD und ihr
überproportional hoher Gehalt an den positiv geladenen Aminosäuren Lysin und
Arginin, insbesondere an ihren Aminotermini. Die Histone H2A, H2B und H3
existieren in mehreren Varianten (Kasten 4.1). Insgesamt werden Histonproteine
von mehr als 100 Genen codiert. Damit ist die Histongenfamilie eine der größten
innerhalb unseres Genoms. Jedoch ist die DNA-Bindung von Histonen, im
Gegensatz der von Transkriptionsfaktoren, nicht sequenzspezifisch.
Kasten 4.1
Histonvarianten. Die kanonischen Histone H2A, H2B, H3 und H4
repräsentieren die Mehrheit der Histonproteine. Darüber hinaus gibt es acht
4.1 Histone und ihre Modifikationen 47
C Acetyl- B
HAT gruppe
NH2
+ 9 14
A A R
K P 18
R
Acetyl-CoA K S
T K A
T L T
Q
HDAC K R
G G
K
23 A A
Q T A
4
R
auch in ihrer methylierten Form positiv geladen. Lysine können bis zu dreifach
und Arginine bis zu zweifach methyliert werden. Histonmethylierungen sind
stabilere Modifikationen als Phosphorylierungen oder Acetylierungen, d. h.,
ihre Fluktuationen sind geringer und sie markieren stabilere epigenetische
Zustände.
Posttranslationale Modifikationen von Histonen wirken sich entweder
direkt auf die Chromatindichte und Chromatinzugänglichkeit aus oder
dienen als Bindungsstellen für Effektorproteine, wie chromatinmodifizierende
Enzyme (Abschn. 5.1) oder Chromatinremodellierungskomplexe (Abschn. 5.3).
Das beeinflusst letztendlich die Initiierung und Verlängerung der Transkription,
d. h., Histonmodifikationen wirken sich auf das Transkriptom aus (Abb. 4.4).
Darüber hinaus können Histonmarker Informationen speichern (Abschn. 4.3).
Eine Reihe von Histonmodifikationen kann in Kombination wirken, um spezi-
fische Chromatinstrukturen zu erzeugen, die differenziert das Expressionsniveau
für jede Klasse von Genen bestimmen (Abschn. 5.2). Eine einzelne Histon-
modifikation wird als „Buchstabe“ des Histoncodes betrachtet, während
mehrere Modifikationen zu „Wörtern“ mit unterschiedlichen spezifischen
Bedeutungen kombiniert werden.
50 4 Histonmodifikationen
B R42
T118
Histon 3
K56
K122
K64
K79
K91
Histon 4
• Euchromatin ist durch allgemeine Acetylierung von Lysinen an den Enden der
Histone H3 und H4 sowie H3K27ac- und H3K4me3-Markierungen gekenn-
zeichnet.
• In Heterochromatin sind H3K9, H3K27 und H4K20 entweder ein-, zwei- oder
dreifach methyliert.
• Acetylierung und Deacetylierung von Histonenden sind wichtige Regulations-
mechanismen während der Genaktivierung und -unterdrückung.
• Aktiv transkribierte Regionen des Genoms sind tendenziell hyperacetyliert,
während inaktive Regionen hypoacetyliert sind.
• Der Gesamtgrad der Acetylierung und nicht irgendeine spezifische Amino-
säureposition ist kritisch.
• Im Gegensatz zur Acetylierung von Histonen gibt es bei ihrer Methylierung
eine klare funktionelle Unterscheidung, sowohl hinsichtlich der genauen
Aminosäuren in den Histonenden als auch ihres Modifikationsgrads, z. B. Ein-
fach-, Zweifach- oder Dreifachmethylierung.
• H3K9me3 und H4K20me3 sind in der Nähe von Grenzen großer Hetero-
chromatindomänen angereichert, während H3K9me1 und H4K20me1 haupt-
sächlich in aktiven Genen gefunden werden.
• H3K4me3 wird spezifisch an aktiven Promotoren nachgewiesen, während
H3K27me3 mit Genunterdrückung in größeren Regionen des Genoms
korreliert. Beide Modifikationen befinden sich normalerweise in verschiedenen
Chromatindomänen, aber wenn sie auf Enhancern und/oder Promotoren
koexistieren, werden die jeweiligen Regionen als bivalent bezeichnet.
• Latente Enhancer werden zunächst nicht durch H3K4me3 oder H3K27ac
markiert, erwerben aber diese aktiven Markierungen und Transkriptionsfaktor-
bindungen bei Stimulation zellulärer Signalübertragungswege (Abb. 4.4F).
52 4 Histonmodifikationen
A TF
Chromatin als Zugänglichkeitsbarriere
TF TF Offen oder
zugänglich
TF
TF TF
Geschlossen
B Aktiver Enhancer
C Core-Promotor
Ac
me
3
Ac
TSS me
3
Ac Ac
TFTF Pol II
TF TF
Enhancer Kern-Promotor
TF
Enhancer
F Latenter Enhancer
Ac Ac
Stimulus
TF
Enhancer
Aktive Inaktive
Gene Gene
P l II
Pol
Pol II
TF TF TF TF
Heterochromatin
Genkörper
Genkörper
Genom
Promotor
Promotor
Enhancer
Enhancer
DNA
Isolator
Chromatin- CTCF
zustand Topologisch assoziierte
Domänen (TADs) Cohesin
RNA
R ATAC-seq
Gen- EP300
expression TF TF
H3K27ac
H3K4me1
Protein
P n Nukleosomenposition und
H3K4me2
Chromatinzugänglichkeit
me3 H3K4me3
me3 me3
ac H3K9ac
me3
Pol II
H3K36me3
Histonmodifikationen H3K27me3
H2AK119ubq
Zellidentät,
Me Me Me Me Me Me Me
H3K9me3
Entwicklung H4K20me3
CpG-DNA-Methylierung DNAme
Abb. 4.5 Einfluss des Epigenoms auf die Genexpression. Chromatin fungiert als Filter für
das Genom bezüglich der Genexpression und bestimmt so die Zellidentität (unten links). Die
epigenomweite Regulation erfolgt auf verschiedenen Skalen von Chromatinzuständen (Mitte),
wie topologische Organisation, Chromatinzugänglichkeit, Histonmodifikationen und DNA-
Methylierung. Wichtige Histonmodifikationen und assoziierte Proteine, die für diese Chromatin-
zustände charakteristisch sind, erlauben die Unterscheidung zwischen aktiven und nicht-
exprimierten Genen (rechts). CTCF und Cohesin sind an der Chromatinorganisation beteiligt,
die HAT EP300 (E1A-Bindungsprotein p300, auch KAT3B genannt) markiert Enhancer, und
sowohl Pol II als auch H3K36me3 weisen auf aktiv transkribierte Gene hin. Bei Proteinbindung
oder Histonmodifikation markieren hellere Schattierungen einen geringeren oder variablen
Grad an Modifikationen, während sie bei DNA-Methylierung anzeigen, dass die Region durch
Methylierung reguliert werden kann
Weiterführende Literatur
Atlasi, Y. and Stunnenberg, H.G. (2017). The interplay of epigenetic marks during stem cell
differentiation and development. Nat Rev Genet 18, 643–658.
Blackledge, N.P., and Klose, R.J. (2021). The molecular principles of gene regulation by
Polycomb repressive complexes. Nat Rev Mol Cell Biol 22, 815–833.
Weiterführende Literatur 55
Janssen, S.M., and Lorincz, M.C. (2022). Interplay between chromatin marks in development
and disease. Nat Rev Genet 23, 137–153.
Li, X., Egervari, G., Wang, Y., Berger, S.L. and Lu, Z. (2018). Regulation of chromatin and gene
expression by metabolic enzymes and metabolites. Nat Rev Mol Cell Biol 19, 563–578.
Martire, S., and Banaszynski, L.A. (2020). The roles of histone variants in fine-tuning chromatin
organization and function. Nat Rev Mol Cell Biol 21, 522–541.
Sabari, B.R., Zhang, D., Allis, C.D., and Zhao, Y. (2017). Metabolic regulation of gene
expression through histone acylations. Nat Rev Mol Cell Biol 18, 90–101.
Chromatinmodifizierende Proteine
und RNAs 5
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
Chromatinmodifikatoren · Bromodomäne · Chromodomäne · PHD-
Finger · HATs · HDACs · KMTs · HDMs · writer · eraser · reader · ATP-
abhängige Chromatinremodellierer · Nukleosomendynamik · Lange
ncRNAs · Xist
5.1 Chromatinmodifikatoren
Eine durchschnittliche menschliche Zelle hat nur etwa 100.000 offene Stellen
in ihrem Chromatin, d. h., mehr als 90 % des Genoms sind in Heterochromatin
vergraben und für Transkriptionsfaktoren und die Pol II nicht zugänglich. Viele
dieser zugänglichen Chromatinregionen sind jedoch nicht statisch, sondern
werden dynamisch durch chromatinmodifizierende und -remodellierende
Proteine kontrolliert (Abb. 5.1). Diese Enzyme katalysieren die Methylierung
genomischer DNA (Abschn. 3.1), die posttranslationale Modifikation von Histon-
proteinen (Abschn. 4.1) oder die Positionierung von Nukleosomen (Abschn. 5.3).
Me
Me
Offenes Chromatin
e
M
Chromosom
Me
me3
Genomische
me3 Me
Histon DNA
Me
me3
Me Ac 5-Methylcytosin
me3
Me
me3
me
3
Histonmodifikationen
Geschlossenes Chromatin
Nukleosom
KMTs KDMs
Me Me me3
me3 Me
Me
Ac Bromo-, Chromo-,
Tudor-, PWWP-
Me Me und PHD-Finger-
Me Domänenproteine
Me
DNMTs TET-Enzyme
Ac “writer”
MBD-Proteine
Ac “reader”
“eraser”
HDACs HATs
Abb. 5.1 Zentrale Rolle des Chromatins. Kovalente Modifikationen von Histonen und
genomischer DNA wie Methylierungen kontrollieren die Zugänglichkeit von Chromatin
für Transkriptionsfaktoren und andere regulatorische Proteine (oben). Diese Chromatin-
markierungen werden von writer-Enzymen eingeführt, von reader-Proteinen interpretiert und
können durch eraser-Enzyme entfernt werden (unten). Das Zusammenspiel dieser Kernproteine
ist für die Kontrolle der Genexpression essenziell
Ac Me3
Chromodomäne
(Polycomb)
Me3
K12
K27
PDBID: 2DVQ
H3K27me3 PDBID: 1PDQ
H3
K9
Bromodomäne (BRD2)
H4 Chromodomäne (CBX5) PDBID: 1KNE
H3
Ac
H3/4Kac
H3K9me3
H3
H3 H3K4me3 H3K4me3
Me3 Me3
Zellen sind ständig einer Vielzahl von Signalen ausgesetzt, z. B. der extra-
zellulären Matrix, Cytokinen, Peptidhormonen und anderen Molekülen, von
denen die meisten von Membranrezeptoren erkannt und weitergeleitet werden.
Diese extrazellulären Signale induzieren intrazelluläre Signalübertragungs-
wege, die oft an Kernproteinen wie Transkriptionsfaktoren, Chromatinmodi-
fikatoren und Chromatinremodellierern enden, d. h., sie modulieren das
Epigenom und das Transkriptom. Die meisten Signale variieren im Laufe der
Zeit und haben normalerweise einen „An“- oder „Aus“-Charakter, wohingegen
die resultierenden Transkriptionsänderungen eher eine Wellenform haben
(Abb. 5.3, links). Beispielsweise kann ein Signal entweder direkt Chromatinmodi-
fikatoren aktivieren, die dann Histonmarkierungen einfügen oder löschen, oder
indirekt über die Aktivierung von Chromatinremodellierern wirken, welche die
Nukleosomenzusammensetzung verändern (Abschn. 5.3). Auf diese Weise wirken
chromatinassoziierte Proteine als Signalwandler und Signalintegratoren.
5.2 Genregulation über Chromatinmodifikatoren 61
Signal 3
reader-Bindung an modifizierte Stellen
Signal 2
Signal 1
writer
Remodelierer
oder eraser
reader-Bindung an angrenzenden Stellen
me3
Ac P
Enzym
Signalintegration
und -interpretation
Multivalente
Protein- oder Komplexerkennung
Enzyme
Transkriptionsstärke von
variierender Amplitude
Abb. 5.3 Signalspeicherung und -interpretation durch writer, eraser und reader des
Chromatins. Signale, die aus verschiedenen, meist membranbasierten Signalübertragungs-
wegen stammen, werden im Chromatin durch Modifikationen von Histonenden integriert.
Mehrere im Laufe der Zeit auftretende Signale können auf diese Weise gespeichert werden.
Diese Signale können das Chromatin direkt beeinflussen oder über Chromatinmodifikatoren wie
die writer HATs und KMTs sowie die eraser HDACs und KDMs und Chromatinremodellierer
(links) übertragen werden. Es gibt eine Reihe von Mechanismen, wie diese dynamische epi-
genetische Landschaft ständig von reader-Proteinen interpretiert wird: i) die Änderung der
Fähigkeit eines reader-Proteins, eine benachbarte Markierung zu erkennen, ii) die Rekrutierung
von Enzymen, die zusätzliche Stellen modifizieren, und iii) die multivalente Erkennung ver-
schiedener Bindungsereignisse (rechts). Das Endergebnis der Signalintegration ist die
Modulierung des Transkriptoms (unten links)
5.3 Chromatinremodellierer
A K4
me3 me3
me3
K4
me3 me3 me3
me3 me3
K4 Ac
me3
K4 Ac me3
K4 Ac
Ac Ac
K27 K27 K27 K K27 K K27 K
K K
Aktivierung
Aktiv
K K K K27 K
K27 K27 K27
Ac Ac Ac Ac
me3
K4 me3
K4
me3
K4 me3
K4
me3
me3 me3 me3
HATs
B me3
me3
me3
me3
me3
me3 me3
K4
me3
K4 me3
Ac Ac Ac
K27 K4 K27
K27 K27 K27 K K4 K K
HATs HDACs
HDACs
Bereit Ac
K K4
Ac Ac
Ac
me3
me3
Ac
HDACs K K4
me3
Abgeschaltet K27 K4 K27 K27 K27 K4 K27 K27 K27 K27 K4 K27
Unterdrückung
Abb. 5.4 Das Epigenom von aktiven (A), bereiten (B) und abgeschalteten (C) Genen.
Sowohl HATs als auch HDACs werden bei aktiven und bereiten Genen gefunden. HDACs ent-
fernen Acetylgruppen, die von HATs hinzugefügt wurden, nachdem sie durch Verlängerung von
Pol II rekrutiert worden waren. Niedrigere HATs- und HDACs-Spiegel werden bei vorbereiteten
Genen gefunden, die durch H3K4-Methylierung vorbereitet werden. HDACs verhindern die
Bindung der Pol II und unterdrücken die Transkription durch die Entfernung von Acetylgruppen,
die durch vorübergehend bindende HATs hinzugefügt wurden. An abgeschalteten Genen ohne
H3K4-Methylierung ist keine HAT- oder HDAC-Bindung nachweisbar
Gleiten Auswurf
Ausgeworfenes
Oktamer
H2A.Z
Ausgetauschtes H2A-H2B-
H2A-Dimer Dimerentfernung
Selektiver Dimer- Selektive Dimer-
austausch entfernung
DNA
DN
ODER
Regulärer Abstand
Ein klassisches Beispiel für ein RNA-Gerüst ist die RNA TERC, die den
Telomerasekomplex zusammensetzt. Eine Reihe von chromatinmodifizierenden
und -remodellierenden Proteinen wie die Komponenten der PRC-Komplexe,
KMT1C, KDM1A, DNMT1 und der SWI/SNF-Komplex, interagieren mit langen
ncRNAs im Zellkern. Diese RNA-Protein-Wechselwirkungen sind wichtig, um
Die bereits diskutierte lange ncRNA Xist (Abschn. 3.3) ist der Schlüsselinitiator
der X-Chromosom-Inaktivierung in weiblichen Zellen und dient als Musterbei-
spiel dafür, wie ncRNAs zur Chromatinorganisation beitragen (Abschn. 6.3).
Vor der Expression von Xist sind beide X-Chromosomen transkriptionell aktiv,
nicht stark mit der Kernlamina assoziiert und strukturell ähnlich wie autosomale
Chromosomen organisiert, d. h., sie sind in Hunderte von TADs unterteilt. In der
frühen Embryonalentwicklung wird Xist von einem Allel exprimiert, breitet sich
über das X-Chromosom aus und interagiert mit dem Lamin-B-Rezeptor, der das
Chromosom zur Kernlamina verlagert. In diesem Zusammenhang werden aktive
Gene in das Xist-Kompartiment sequestriert und abgeschaltet. Andere lange
ncRNAs wie HOTAIR (HOX transcript antisense RNA) dirigieren einige KDMs,
z. B. KDM1A innerhalb des RCOR-(REST-Corepressor-)Komplexes, zu ihren
Zielen im Chromatin. RCOR ist ein großer Proteinkomplex, der auch HDACs ent-
hält und zur Transkriptionsunterdrückung beiträgt.
68 5 Chromatin-modifizierende Proteine und RNAs
Polymerisationsavidität
1. Sequenzmotiv Chromatin-
-AUGGC- regulation
Flexible
“Linker” DNA- oder chromatinbindende
lange Proteine
ncRNA Transkriptions-
2. Sekundär- maschinerie
struktur
Spleißfaktoren
Modul 2
oder
Weiterführende Literatur
Blackledge, N.P., and Klose, R.J. (2021). The molecular principles of gene regulation by
Polycomb repressive complexes. Nat Rev Mol Cell Biol 22, 815–833.
Clapier, C.R., Iwasa, J., Cairns, B.R. and Peterson, C.L. (2017). Mechanisms of action and
regulation of ATP-dependent chromatin-remodeling complexes. Nat Rev Mol Cell Biol 18,
407–422.
Li, X., Egervari, G., Wang, Y., Berger, S.L. and Lu, Z. (2018). Regulation of chromatin and gene
expression by metabolic enzymes and metabolites. Nat Rev Mol Cell Biol 19, 563–578.
Morgan, M.A.J., and Shilatifard, A. (2020). Reevaluating the roles of histone-modifying enzymes
and their associated chromatin modifications in transcriptional regulation. Nat Genet 52,
1271–1281.
Weiterführende Literatur 69
Sabari, B.R., Zhang, D., Allis, C.D. and Zhao, Y. (2017). Metabolic regulation of gene expression
through histone acylations. Nat Rev Mol Cell Biol 18, 90–101.
Sheikh, B.N. and Akhtar, A. (2019). The many lives of KATs – detectors, integrators and
modulators of the cellular environment. Nat Rev Genet 20, 7–23.
Embryogenese und
Zelldifferenzierung 6
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
Embryogenese · ES-Zellen · Urkeimzellen · Zelluläre Neuprogrammierung ·
Induzierte Pluripotenz · Master-Transkriptionsfaktoren · Genregulatorische
Netzwerke · Adulte Stammzellen · Tumorentstehung
Unser Körper besteht aus etwa 30 Billionen Zellen, die mehr als 400 ver-
schiedene Gewebe und Zelltypen bilden. Die Embryonalentwicklung ist ein streng
regulierter Prozess, der diese große Vielfalt an Zelltypen aus einem identischen
Genom hervorbringt. In jeder Zelle dient Chromatin als spezifischer Filter für
die Informationen im Genom. Es bestimmt, welche Gene exprimiert werden und
welche nicht, d. h., zelluläre Diversität basiert eher auf Epigenomik als auf
Genomik. Das Differenzierungsprogramm der Embryogenese ist ein perfektes
System, um die Koordination der Abstammungslinien und der Spezifizierung
der Zellidentität zu beobachten. Die Embryogenese erfordert eine Koordination
zwischen der Zunahme der Zellmasse und der phänotypischen Diversifizierung
Embryonale Gewebe
Ursprüngliche
Keimzellen
Embryonaler Embryonales
Epiblast Ektoderm
(primitives Ektoderm)
Zygote Epiblast
Primitivstreifen Embryonales
Endoderm
Morula Innere Zellmasse Fruchtwasser-
ektoderm Embryonales
Mesoderm
Blastozyste
e Hypoblast Extraembryonales Dotter- Extraembryonales
(viszerales Endoderm) Endoderm beutel Mesoderm
Abb. 6.1 Fahrplan der frühen Entwicklung beim Menschen. Einzelheiten sind im Text
angegeben. Die gestrichelte Linie zeigt einen möglichen doppelten Ursprung des extra-
embryonalen Mesoderms an
6.1 Epigenetische Veränderungen während der Embryogenese 73
PGCs PGC-
Spezifizierung Soma
100 Spermien Spermien
80 Woche 2
CpG-Methylierung (%)
60 Zygote
PGCs
Oozyten
Wandernde PGCs
40 Oozyten Gonadale PGCs
20
Blastozyste Woche 5
(innere Zellmasse)
0 Woche 7 Woche 9
Chromatinreorganisation X-Reaktivierung
Demethylierung von Imprints und PGC-Genpromotoren
Präimplantation Postimplantation Erwachsener
der Eizelle viele Gene aktiv sind. Nach der Befruchtung, im Stadium der Zygote,
bleiben die beiden haploiden elterlichen Genome zunächst getrennt in ihren
unterschiedlichen Zuständen der Chromatinorganisation. Dann werden beide
Genome weitgehend demethyliert, aber das väterliche Genom viel schneller als
das mütterliche (Abb. 6.2, links). Parallel dazu werden die Protamine im väter-
lichen Chromatin wieder durch kanonische Histone ersetzt. In den folgenden
Zellteilungen, die dem Blastozystenstadium vorangehen, erfolgt in beiden Eltern-
genomen eine passive Demethylierung, bis die abstammungsspezifischen
DNA-Methylierungsmuster wieder hergestellt sind. Darüber hinaus gibt es im
väterlichen Epigenom einen schnellen Anstieg von 5hmC und 5fC/5caC, was ein
Zeichen für eine TET-vermittelte 5mC-Oxidation ist (Abschn. 3.1). Dieser Prozess
beschleunigt die Demethylierung des väterlichen Epigenoms. Es wird jedoch
keine vollständige Demethylierung des Epigenoms durchgeführt und etwa 5 %
der 5mC-Markierungen bleiben aktiv, möglicherweise durch Schutz durch methyl-
bindende Proteine wie MBD-Proteine (Abb. 6.2, rechts). Dieser Prozess dient als
Grundlage für die transgenerationale epigenetische Vererbung (Abschn. 7.1).
Die genomweite epigenetische Neuprogrammierung vor der Implantation
stellt das Epigenom von Zygoten auf naive Pluripotenz zurück. Dieser Prozess
ist in Urkeimzellen weitaus ausgeprägter als in anderen Zellen des Embryos, um
genetische Prägungen und die meisten anderen epigenetischen Erinnerungen
zu löschen (Abb. 6.2). Da DNA-Methylierung ein wichtiger epigenetischer
Schalter für das Abschalten von Genen ist, der die Genexpression moduliert und
die Genomstabilität aufrechterhält (Abschn. 3.1), birgt der vorübergehende Ver-
lust der DNA-Methylierung in Urkeimzellen das Risiko, die Aktivierung von
Retrotransposons, Proliferationsdefekte und sogar den Zelltod zu verursachen.
Daher sichert in dieser Phase der Embryogenese die genomweite Reorganisation
unterdrückender Histonmodifikationen über die Wirkung von pluripotenten
Transkriptionsfaktoren die Integrität des Genoms.
In der frühen Embryogenese unterscheiden sich die mütterlichen und
väterlichen Epigenome auch signifikant hinsichtlich ihrer Histonmodi-
fikationsmuster. Das globale Muster von Histonmarkierungen innerhalb des
mütterlichen Epigenoms ähnelt dem somatischer Zellen, während das väterliche
Epigenom aufgrund des Protamin-Histon-Austauschprozesses hyperacetyliert
ist, oft die Histonvariante H3.3 enthält und frei von H3K9me3- und H3K27me3-
Markierungen ist, welche Marker für konstitutives Heterochromatin darstellen.
Auf dem väterlichen Epigenom tritt die erste Einfachmethylierung bei H3K4,
H3K9, H3K27 und H4K20 auf. An diesen Positionen führen verschiedene
KMTs eine Zweifach- und Dreifachmethylierung durch. Dieser Prozess findet
auch auf dem mütterlichen Epigenom direkt nach der Befruchtung statt, wobei
Heterochromatinmarkierungen wie H4K20me3 und H3K64me3 aktiv entfernt
werden, während H3K9me3 passiv verloren geht. Diese anfängliche Asym-
metrie in der Methylierung von väterlichem und mütterlichem Epigenom gleicht
sich im Laufe der weiteren Entwicklung weitgehend aus. Bestimmte Regionen
im Genom, z. B. ICRs, bleiben jedoch zwischen beiden Allelen asymmetrisch,
nicht nur auf der Ebene der DNA-Methylierung, sondern auch in Bezug auf
6.2 Stammzellen und zelluläre Pluripotenz 75
ES-
Zelle
Histon 3-
K27ac/K4me1 K4me3 K36me3 K9me2/me3 Modifikation
K4me1
Ac Ac
Aktive Transkription Enhancer Promotor Pol II Pluripotenzgene Heterochromatin K4me3
Me Me Me Me
K9me2
K27me3
K4me3 K27me3 K9me3
Neuron Chromatin-
K9me2/me3 assozierte Proteine
K9me2
EP300 HP1
Dauerhafte Abschaltung Enhancer Promotor Pluripotenzgene Heterochromatin
Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me
K27ac/K4me1
K4me3 K36me3 K27me3
Ac Ac
Transkription Enhancer Promotor Pol II Neuronale Gene Intergenregion
K27me3 K27me3
oder sogar von einem Tal zum anderen wandern, ohne wieder bergauf zu gehen.
Letzterer Prozess wird als Transdifferenzierung bezeichnet und endet in einer
anderen Art von terminal differenzierter Zelle.
Während der Umprogrammierung von somatischen Zellen sind die primären
Ziele der pluripotenten Transkriptionsfaktoren zugängliche Regionen im Genom
mit H3K4me2- und H3K4me3-Markierungen. Die darauffolgenden Ziele
sind Regionen mit H3K4me1-Markierungen in einem vorbereiteten Zustand
(Abschn. 5.2). Umprogrammierende Transkriptionsfaktoren wirken als Pionier-
faktoren, d. h. als Transkriptionsfaktoren, die genomische DNA auch in Gegen-
wart von Nukleosomen binden können. Im Gegensatz dazu sind reguläre
Transkriptionsfaktoren nicht in der Lage, an nukleosomenbedeckte genomische
DNA zu binden. Pionierfaktoren rekrutieren dann andere Transkriptions-
faktoren und Chromatinmodifikatoren. Ziele dieser Proteine sind bivalente
Gene mit aktiven H3K4me3-Markierungen und unterdrückender H3K27me3-
Markierungen. Sie müssen von einem aktiven Zustand in somatischen Zellen in
einen für pluripotente Zellen typischen Bereitschaftszustand überführt werden.
Die schwierigsten Ziele für pluripotente Transkriptionsfaktoren sind Hetero-
chromatinregionen mit unterdrückenden H3K9me3-Markierungen. Diese
Regionen benötigen einen umfangreichen, mehrstufigen Chromatinumbau,
um transkriptionell aktiviert zu werden. Interessanterweise spielt die DNA-
Methylierung keine wesentliche Rolle bei der zellulären Umprogrammierung.
Im Gegensatz dazu ist die DNA-Demethylierung von Pluripotenzgenen, ent-
weder durch aktive oder passive Mechanismen, entscheidend für eine effektive
Umprogrammierung.
Die lange ncRNA Xist wurde bereits in Abschn. 3.3 und 5.4 für ihre zentrale
Rolle bei der X-Chromosom-Inaktivierung in weiblichen Zellen besprochen.
Xist rekrutiert eine Reihe regulatorischer Komplexe in verschiedenen Stadien
des Prozesses der transkriptionellen Abschaltung von Genen auf dem gesamten
zweiten X-Chromosom (Abb. 6.4). In weiblichen ES-Zellen werden beide
X-Chromosomen aktiv transkribiert und tragen Markierungen für aktives
Chromatin wie H3K4me1, H3ac und H4ac. In der frühen embryonalen Ent-
wicklung, während des Blastulastadiums von ungefähr 100 Zellen, wird die
X-Chromosom-Inaktivierung in einem der beiden X-Chromosomen initiiert,
indem die Expression von Xist induziert wird, die sich allmählich über das
gesamte Chromosom ausbreitet. Durch die Interaktion mit HNRNPU (hetero-
genes nukleäres Ribonukleoprotein U) rekrutiert Xist das RNA-bindende Protein
SHARP (SMRT/HDAC1‑assoziiertes Repressorprotein). Der Korepressorprotein
NCOR (nukleärer Rezeptor Corepressor) 2 rekrutiert dann HDAC3, was zur
Demethylierung von H3K4 und zur Ablösung der Pol II von ihrer DNA-Matrize
führt. Darüber hinaus rekrutiert Xist die Komplexe PRC1 und PRC2, die die
6.3 Epigenetische Dynamik während der Differenzierung 79
Xa Xi
Xist
Xa Xa
hnRNPK
me3
me3
me3
me3
me3
Ac me3
Me
Me
Ac Ac Me
Me
Ac
Me
Pol II n Ge
Gen Pol II Ge Ge n
n
Energiezustands-
diagramm
Aus
An
Aus
K27 K4 K27 K4
K27 K4
Locusspezifische me me
me
me me
me me me
me me
me
Mechanismen
me
KMT2A EZH2
EZH2 KMT2A KMT2A
EZH2 KDM6A
sowohl für die Bildung von iPS-Zellen als auch für die maligne Progression von
Melanomzellen.
Zusammengenommen sind die molekularen Merkmale der Epigenetik wie
Histonmodifikationen und DNA-Methylierung wichtig für die Identität normaler,
ausdifferenzierter Zellen. Die meisten dieser epigenetischen Merkmale sind jedoch
reversibel, z. B. durch die Anwendung von Inhibitoren chromatinmodifizierender
Enzyme (Abschn. 12.3). Somit dient dieser epigenetische Prozess als Grund-
lage für die Therapie von Krebs wie auch von neurologischen, metabolischen
und immunologischen Erkrankungen.
Weiterführende Literatur
Hekselman, I., and Yeger-Lotem, E. (2020). Mechanisms of tissue and cell-type specificity in
heritable traits and diseases. Nat Rev Genet 21, 137–150.
Li, M. and Belmonte, J.C. (2017). Ground rules of the pluripotency gene regulatory network. Nat
Rev Genet 18, 180–191.
Yadav, T., Quivy, J.P., and Almouzni, G. (2018). Chromatin plasticity: a versatile landscape that
underlies cell fate and identity. Science 361, 1332–1336.
Bevölkerungsepigenetik und
Altern 7
Zusammenfassung
Das Epigenom hat sowohl in somatischen Zellen als auch in Keimzellen eine
Gedächtnisfunktion. Letzteres ist die Grundlage für die transgenerationale epi-
genetische Vererbung. Verschiedene Typen von Kohorten ermöglichen es, die
Auswirkungen von Epigenetik auf Bevölkerungsebene zu untersuchen. Die
fortschreitende Abnahme der Funktion von Zellen, Geweben und Organen im
Zusammenhang mit dem Altern wird sowohl von genetischen als auch von
epigenetischen Faktoren beeinflusst. Das bedeutet, dass es charakteristische
epigenomweite Veränderungen während des Alterns gibt, die über Jahre und
Jahrzehnte hinweg als epigenetische Uhren wirken. Im Gegensatz dazu
koordinieren epigenetische circadiane Uhren im Gehirn sowie in peripheren
Geweben jeden Tag eine Vielzahl physiologischer Funktionen.
Schlüsselwörter
Epigenetisches Gedächtnis · Epigenetische Drift · Transgenerationale
epigenetische Vererbung · Alterung · Epigenetische Uhr · Circadiane Uhr
Das Epigenom ist in der Lage, die Ergebnisse zellulärer Störungen durch
Umweltfaktoren in Form von Änderungen in den DNA-Methylierungen,
den Histonmodifikationen und der 3D-Organisation des Chromatins zu
bewahren. Das Epigenom hat also Gedächtnisfunktionen. Veränderungen
in epigenomweiten Mustern, z. B. DNA-Methylierungskarten, werden als epi-
genetische Drifts bezeichnet. Sie beschreiben in erster Linie die lebenslange
Informationsaufnahme („Erfahrung“) von somatischen Zelltypen und Geweben,
können aber auch an Tochterzellen vererbt werden, wenn sich die Zellen
A Nicht während
Schwangerschaft supplementiert Während Schwangerschaft supplementiert
Eltern
Nachkommen
C
me me me me
Asip Asip
IAP IAP
Abb. 7.1 Mütterliche Nahrungsergänzung beeinflusst den Phänotyp und das Epigenom von Avy/
a-Nachkommen. Die Nahrung weiblicher Wildtyp-a/a-Mäuse wird entweder nicht supplementiert
(links) oder es werden für zwei Wochen vor der Paarung mit männlichen Avy/a-Mäusen, wie auch
während der Trächtigkeit und der Stillzeit Methyldonoren wie Folsäure, Cholin, Vitamin B12 und
Betain verabreicht (rechts) (A). Die Fellfarbe von Nachkommen, die von nichtsupplementierten
Müttern geboren werden, ist überwiegend gelb, während sie bei Nachkommen von Müttern,
die mit Methyldonoren supplementiert wurden, hauptsächlich braun ist (B) . Etwa die Hälfte
der Nachkommen enthält kein Avy-Allel und ist daher schwarz (a/a, hier nicht gezeigt).
Molekulare Erklärung der DNA-Methylierung und der Expression des Asip-Gens: Die mütter-
liche Hypermethylierung nach Nahrungsergänzung verschiebt die durchschnittliche Fellfarben-
verteilung der Nachkommen zu braun, indem das IAP-Retrotransposon stromaufwärts des Asip-
Gens im Durchschnitt stärker methyliert ist als bei den Nachkommen von Müttern, die eine nicht
ergänzte Diät erhalten haben (C). Weiße Kreise zeigen nichtmethylierte CpGs und gelbe Kreise
sind methylierte CpGs
7.2 Populationsepigenetik
Das Feld der epigenetischen Epidemiologie, also der Erforschung der Epi-
genetik in Populationen, kombiniert epigenomweite Methoden (Abschn. 2.5) mit
populationsbasierten epidemiologischen Ansätzen. Epigenetische Veränderungen
können zu jedem Zeitpunkt des Lebens auftreten, obwohl eine erhöhte Empfind-
lichkeit während der frühen Embryogenese besteht (Abschn. 6.1, Abb. 7.2). Unser
Epigenom verändert sich hauptsächlich aufgrund von Umwelteinflüssen, aber auch
aufgrund stochastischer epigenetischer Drifts, die mit dem Altern einhergehen
(Abschn. 7.3). Die epigenetische Epidemiologie untersucht verschiedene Typen
von Kohorten mit dem Ziel, sowohl die Ursachen als auch die phänotypischen
Kumulative
stochastische
Veränderungen
Keimzelle
Umprogrammiertes
Epigenom Altern
Epigenetische Drift,
verändertes Transkriptom
Erkrankung
Wachstumsphase
Epigenetische Drift,
Vererbung von
homöostatische
Erkrankungsrisiko
Transkriptionskontrolle
Die Lebensspanne des Menschen setzt sich aus einer Phase des Wachstums und
der Differenzierung, die in die Geschlechtsreife, d. h. in eine Phase maximaler
Fitness und Fruchtbarkeit, mündet, und einer Phase des Alterns, die mit einem
Funktionsverlust (loss of function) auf der Ebene von Zellen, Geweben und des
Organismus als Ganzes einhergeht. Aufgrund der relativ langen Zeit bis zur
Geschlechtsreife (12–15 Jahre) und etwa 15–20 Jahren, die für Kinderbetreuung
notwendig sind, haben wir uns evolutionär so entwickelt, dass wir für etwa
45 Jahre im Wesentlichen frei von nichtübertragbaren Krankheiten wie Krebs
sind. Somit haben wir eine Art Garantie der Natur, mindestens etwa 45 Jahre alt
zu werden, um das Überleben unserer Nachkommen zu gewährleisten. Die ver-
bleibenden 75 Jahre bis zu unserer maximalen Lebensspanne von 120 Jahren
sind eine Art Sicherheitsmarge. Diese letzte Phase des Lebens steht jedoch nicht
unter evolutionärer Kontrolle und ist daher mit einer Vielzahl von Krankheiten wie
92 7 Bevölkerungsepigenetik und Altern
Epigenom, während das anderer Personen bereits deutlich „älter“ ist als das des
Durchschnitts (Abb. 7.4). Dementsprechend kann erwartet werden, dass in letzt-
genannten Individuen altersbedingte Erkrankungen früher einsetzen und die
Personen früher sterben als die erstgenannten Individuen. Das wurde z. B. bei
Personen beobachtet, die an Syndromen vorzeitigen Alterns leiden. Im Gegensatz
dazu haben PBMCs der Nachkommen Superhundertjähriger, also Individuen, die
ein Alter von mindestens 105 Jahren erreicht haben, ein niedrigeres epigenetisches
Alter als das von gleichaltrigen Kontrollen. Somit dienen epigenomweite
“Älteres”
Epigenom Al om
m en
r
Biologisches Alter (Jahre)
te
he ig
isc Ep
og es
ol ich
on ttl
hr ni
i c sch
be rch
Du
“Jüngeres”
Epigenom
10 20
2 0 30 40 50 60 70 80 90 100
Chronologisches Alter (Jahre)
Abb. 7.4 Epigenetische Biomarker des Alters. Epigenomweite Muster überwachen nicht nur
zelluläre Identitäten, sondern auch Gesundheit und den Prozess des Alterns. Beispielsweise
dienen Änderungen im DNA-Methylierungsstatus von CpG-Inseln, wie sie in PBMCs von
Personen unterschiedlichen Alters gemessen werden, als Biomarker für das chronologische Alter.
Es gibt signifikante Abweichungen von der postulierten linearen Anpassung (diagonale Linie),
d. h., das Methylierungsmuster kann das biologische Alter darstellen
94 7 Bevölkerungsepigenetik und Altern
Signaturen als Biomarker des Alterns, anhand derer Moleküle und Therapien
untersucht werden können, die altersbedingte Krankheiten verzögern oder rück-
gängig machen.
Das biologische Alter eines bestimmten Gewebes, z. B. das der Leber einer
fettleibigen Person, kann signifikant höher sein als das anderer Gewebe, z. B.
von PBMCs oder die Muskeln derselben Person. Das auf DNA-Methylierung
basierende Alter eines Referenzgewebes wie PBMCs kann als epigenetische Uhr
betrachtet werden. Diese epigenetische Uhr erlaubt eine bessere Vorhersage für
Sterblichkeit als andere Biomarker des Alterns, z. B. die Telomerlänge. Epi-
genetische Uhren von Mäusen (durchschnittliche Lebensdauer etwa zwei Jahre)
ticken schneller als die des Menschen (durchschnittliche Lebenserwartung etwa
80 Jahre). Darüber hinaus ist ein quantitatives Modell des alternden Methyloms in
der Lage, relevante Faktoren des Alterns zu unterscheiden, z. B. das Geschlecht
und genetische Varianten.
Genomweite DNA-Instabilität ist ein Kennzeichen des Alterns, aber auch
der Tumorentstehung (Abschn. 8.1). Die Häufung von DNA-Mutationen oder
Aneuploidieen, wie sie während des Alterns auftreten, wirkt sich sowohl auf das
Transkriptom als auch auf das Epigenom aus. Während Zellen junger Individuen
ein robustes Transkriptom und normale Chromatinzustände aufweisen, wird das
Transkriptom mit zunehmendem Alter instabil und es häufen sich gleichzeitig
abnormale Chromatinzustände. Zum Beispiel stimuliert eine DNA-Schädigung
die Rekrutierung von Chromatinmodifikatoren, die abnorme Chromatinzustände
induzieren. Epigenomweite Veränderungen während des Alterns können wiederum
die Anfälligkeit des Genoms für Mutationen erhöhen und parallel dazu die
Genauigkeit der Transkription verringern. Darüber hinaus erhöhen Fehler bei der
DNA-Reparatur und das Versagen bei der korrekten Replikation des Genoms und
des Epigenoms nicht nur die Anzahl der DNA-Mutationen, sondern auch der Epi-
mutationen. Da sich die Überwachung des Genoms durch DNA-Reparatur und die
Remodellierung des Epigenoms gegenseitig beeinflussen, ist die umweltbedingte
Instabilität des Epigenoms ein wichtiger Treiber des Alterungsprozesses.
Neben Veränderungen in der DNA-Methylierung sind andere wichtige epi-
genetische Kennzeichen des Alterns:
• ein allgemeiner Verlust von Histonen aufgrund von lokaler und globaler
Chromatinremodellierung
• ein Ungleichgewicht von aktivierenden und unterdrückenden Histonmodi-
fikationen
• ortsspezifische Ab- oder Zunahme von Heterochromatin
• umfassende nukleäre Reorganisation
• globale Veränderungen im Transkriptom
Der allgemeine Verlust von Histonen in alternden Zellen ist eng mit der Zell-
teilung verbunden. Beispielsweise enthalten Kernbläschen von seneszenten
menschlichen Zellen eine große Anzahl von Histonen. Bei Seneszenz wird der
Zellzyklus angehalten, d. h., die Zellen können sich nicht mehr teilen. Seneszenz
7.4 Epigenetik der zirkadianen Uhr 95
entsteht als Reaktion auf Stress und ist mit altersbedingtem Gewebeabbau ver-
bunden. Die Zellen entwickeln dann seneszenzassoziierte Ansammlungen an
Heterochromatin. Das sind Regionen mit hoch kondensiertem Chromatin, die
entsprechende Histonmodifikationen, Heterochromatinproteine und die Histon-
variante MakroH2A aufweisen (Kasten 4.1). Das Epigenom seneszenter Zellen
zeigt eine Zunahme von H3K4me3- und H3K27me3-Markierungen innerhalb von
LADs und einen Verlust von H3K27me3-Markierungen außerhalb von LADs. Der
Verlust unterdrückender Histonmarkierungen und der Zugewinn aktivierender
Markierungen während des Alterns führt zu einer Veränderung der Genexpression,
bei der z. B. die DNA-Reparatur und die DNA-Replikation herunterreguliert
werden.
Konstitutives Heterochromatin an Telomeren, Centromeren und Pericentromeren
wird während der Embryogenese ausgebildet (Abschn. 6.1) und bleibt während der
gesamten Lebensspanne erhalten. Seneszente Zellen verlieren jedoch einige dieser
Regionen mit konstitutivem Heterochromatin, was zur Zunahme an Euchromatin
führt. Darüber hinaus führt ein Verlust der Kernlamina zum Zusammenbruch
der Organisation des Heterochromatins. Laminopathien wie die Expression
von Progerin, einem verkürzten, dominant-negativen Lamin-A-Protein, beim
Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom (HGPS) sind durch Veränderungen der
Organisation des Zellkerns gekennzeichnet. Zellen von HGPS-Patienten zeigen
Anomalien in der Kernmorphologie und in der DNA-Reparatur, eine veränderte
Chromosomenorganisation, erhöhte zelluläre Seneszenz und viele Veränderungen
in Heterochromatinproteinen, z. B. niedrige Spiegel von HP1, H3K9me3 und
H3K27me3 und erhöhte Spiegel von H4K20me3. Darüber hinaus verursacht der
Mangel im WRN-Gen (WRN für Werner-Syndrom RecQ-ähnliche Helikase) das
progeroide Werner-Syndrom und führt zu einem globalen Verlust der Chromatin-
verdichtung, verringerten H3K9me3- und H3K27me3-Spiegeln und einer erhöhten
Phosphorylierung der Histonvariante H2A.X an Centromeren.
A B
SCN
CL L
K
NT
OC
AR
E-Box PER1 PER1
CRY1
CL L
K
NT
OC
AR
12 E-Box CRY1
K
L
Tag/Nacht 9 3
OC
NT
CL L
K
AR
NT
CL
OC
6
AR
Zentrale Uhr
Hormone
E-Box RORA RORα
Metaboliten
CL L
K
NT
OC
AR
E-Box NR1D1 REV-ERBα
12
ARNTL
12 12 12 12 12
Periphere Uhren 9 3 9 3 9 3 9 3 9 3 9 3
RORE
6 6 6 6 6 6
CLOCK
Zielgen
Zielgen
Periphere Organe
Abb. 7.5 Die circadiane Uhr des Menschen. Elektrische und humorale Signale vom SCN
im Gehirn synchronisieren circadiane Uhren in peripheren Organen, die dann zeitabhängige
Rhythmen in Genexpression, Stoffwechsel und anderen physiologischen Aktivitäten erzeugen
(A). In der Rückkopplungsschleife des molekularen circadianen Oszillators werden positive
Elemente wie die Transkriptionsfaktoren ARNTL, CLOCK und RORα grün und negative
Elemente wie PER1, CRY1 und REV-ERBα rot dargestellt (B). Die kombinierten Wirkungen
von Hunderten von ARNTL-CLOCK-Zielgenen erzeugen dann circadiane physiologische
Effekte
im Gehirn als auch in peripheren Geweben, darunter auch die Gene PER1 (Periode
circadiane Uhr 1) und CRY1 (Cryptochrom circadiane Uhr 1). Die Proteine PER1
und CRY bilden einen heterodimeren, komplexen Korepressorkomplex, der
ARNTL-CLOCK inaktiviert und eine negative Rückkopplungsschleife erzeugt
(Abb. 7.5B). Die Gene NR1D1 und RORA, welche die Kernrezeptoren REV-
ERBα und RORα codieren, sind weitere Ziele von ARNTL-CLOCK. REV-ERBα
reguliert die Expression des ARNTL-Gens negativ und RORα positiv, d. h.,
beide Transkriptionsfaktoren bilden zusätzliche Rückkopplungsschleifen in der
Steuerung der molekularen Uhr.
Die molekulare Uhr ist eine sich selbst erhaltende Aktivität auf der Basis
von circadianer Gentranskription. Sie kann jedoch durch Metaboliten moduliert
werden, insbesondere durch solche, die mit dem Energiefluss verbunden sind.
Beispielsweise verknüpft die Kinase AMPK (AMP-aktivierte Proteinkinase,
Abschn. 10.3) die Funktion der inneren Uhr mit dem Level an Nährstoffen.
AMPK phosphoryliert CRY1 und induziert damit den proteasomalen Abbau
des Proteins, wodurch ARNTL-CLOCK reaktiviert wird. Darüber hinaus wird
die zyklische Aktivität von ARNTL-CLOCK durch die Demethylase KDM5A
moduliert, die wiederum über ihre Kofaktoren Fe(II) und α‑Ketoglutarat mit
zellulären Redoxvorgängen verbunden ist. Eine bidirektionale Interaktion
7.4 Epigenetik der zirkadianen Uhr 97
Überleben
Zeit
9
12
3
Circadiane Zyklen • Zirkadianes Epigenom
6
(regulär)
Zunahme
9
12
3
Circadiane Zyklen • Modulieren von
6
(gestört) Chromatinmodifikatoren
Abnahme
• Modulieren von
Bewegung Chromatinmodifikatoren
• Chromatinmodifikationen Zunahme
• Signalübertragung durch
Pheromone
Chromatinmodifikatoren
Zunahme
Steroidhormone • Chromatinstruktur
• Chromatinmodifikationen
Zunahme
Mechanistische Verbindung ?
Abb. 7.6 Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf Langlebigkeit und Chromatin. Viele
Umweltsignale, die die Lebensdauer modulieren, wirken sich auch auf das Chromatin aus. Das
sind diätetische Einschränkungen, der circadiane Zyklus, körperliche Aktivität und Sexual-
steroidhormone. Weitere Einzelheiten sind im Text angegeben
Weiterführende Literatur
Fitz-James, M.H., and Cavalli, G. (2022). Molecular mechanisms of transgenerational epigenetic
inheritance. Nat Rev Genet 23, 325–341.
Horvath, S. and Raj, K. (2018). DNA methylation-based biomarkers and the epigenetic clock
theory of ageing. Nat Rev Genet 19, 371–384.
Kabacik, S., Lowe, D., Fransen, L., Leonard, M., Ang, S.-L., Whiteman, C., Corsi, S., Cohen, H.,
Felton, S., Bali, R., et al. (2022). The relationship between epigenetic age and the hallmarks
of aging in human cells. Nature Aging 2, 484–493.
McMahon, M., Forester, C., and Buffenstein, R. (2021). Aging through an epitranscriptomic lens.
Nature Aging 1, 335–346.
Radford, E.J. (2018). Exploring the extent and scope of epigenetic inheritance. Nat Rev
Endocrinol 14, 345–355.
Seale, K., Horvath, S., Teschendorff, A., Eynon, N., and Voisin, S. (2022). Making sense of the
ageing methylome. Nat Rev Genet 23, 585–605.
Sun, W., Dong, H., Becker, A.S., Dapito, D.H., Modica, S., Grandl, G., Opitz, L., Efthymiou, V.,
Straub, L.G., Sarker, G., et al. (2018). Cold-induced epigenetic programming of the sperm
enhances brown adipose tissue activity in the offspring. Nat Med 24, 1372–1383.
Zimmet, P., Shi, Z., El-Osta, A., and Ji, L. (2018). Epidemic T2DM, early development and
epigenetics: implications of the Chinese Famine. Nat Rev Endocrinol 14, 738–746.
Epigenetik von Krebs
8
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
Epimutation · Epigenetische Umprogrammierung · Tumorentstehung ·
Merkmale von Krebs · Epigenetische Modifikatoren · Epigenetische
Mediatoren · Epigenetische Modulatoren · Epigenetische Therapie
Jeder zweite von uns wird im Laufe seines Lebens mit der Diagnose Krebs
konfrontiert, also mit der Entdeckung eines bösartigen Tumors. Krebs
ist keine einheitliche Krankheit, sondern eine Sammlung von Hunderten ver-
schiedener Arten von Hyperplasien. Darüber hinaus steckt hinter jedem neu
diagnostizierten Tumor eine individuelle Vorgeschichte von etwa 10–20 Jahren
Tumorentstehung. Krebs wird typischerweise als eine Erkrankung des Genoms
Me Me Me Me Me Me
Nukleosom H2A
H2B
H3 Histon
H4 Ac
Me
D
D-
D-2-H
D-2-Hydroxyglutarat
IDH1* Me
IDH2* Me
Ac
H3.3*
Histonvarianten
KMTs* KDMs* Methylierungs/Acetylierungs-reader HDACs HATs
Abnorme Methylierung reader-Mutationen Reduzierte Acetylierung
α-Ketoglutarat
* Mutationen/Dysregulation Abnorme
Chromatin-
struktur
Abb. 8.1 Epimutationen bei Krebs. Es gibt vier Haupttypen von Epimutationen, die Krebs
beeinflussen: DNA-Hypermethylierung an Promotoren (oben links), genomweite DNA-
Hypomethylierung (oben rechts), abnorme Modifikation von Histonen und/oder deren
Erkennung (Mitte) und abnorme Chromatinstrukturen, verursacht durch fehlfunktionierende
Chromatinremodellierer (unten). Weitere Einzelheiten sind im Text angegeben
Das Konzept der Kennzeichen von Krebs impliziert, dass die Prozesse „Auf-
rechterhaltung proliferativer Signalübertragung“, „Vermeidung von Wachstums-
unterdrückern“, „Widerstand gegen Zelltod“, „replikative Unsterblichkeit“,
„Induktion von Angiogenese“ und „Aktivierung von Invasion und Metastasierung“
in der Tumorentstehung von praktisch allen Krebsarten vorkommen (Abb. 8.2).
Später wurde das Konzept auf zehn bis zwölf Kennzeichen erweitert, darunter
„genomweite DNA-Instabilität und Mutation“ und „epigenomweite Störung“.
Dabei fließen die Ergebnisse von Krebsgenomprojekten wie TCGA zu genetischen
und epigenetischen Treibern verschiedener Krebsarten ein. Beispielsweise zeigten
diese Projekte eine hohe Häufigkeit von Mutationen in Genen, die epigenetische
Mediatoren codieren.
Krebsgenom und Epigenom beeinflussen sich gegenseitig auf vielfältige Weise
(Abb. 8.2). Sowohl die Genetik als auch die Epigenetik bieten komplementäre
Mechanismen, um ähnliche Ergebnisse zu erzielen, z. B. die Inaktivierung von
Tumorsuppressorgenen entweder durch Deletion essenzieller Bereiche des
Gens oder epigenetisches Abschalten des Promoters. Darüber hinaus kann eine
Funktionsgewinnaktivierung des für das Erreichen des Kennzeichens „Auf-
rechterhaltung proliferativer Signalübertragung“ wichtigen Onkogens PDGFRA
(Wachstumsfaktor aus Thrombozytenrezeptor α) entweder auf einer genetischen
Mutation innerhalb der codierenden Region des Gens beruhen oder auf einer Epi-
mutation, welche Isolatoren an den Grenzen des TAD, das das Gen trägt, unter-
bricht. Veränderungen in DNA-Methylierungsmustern sind wichtige epigenetische
Fehlregulationen, die während der Tumorentstehung auftreten. Im Vergleich zu
normalen Zellen desselben Individuums zeigt das Epigenom von Tumorzellen
einen massiven Gesamtverlust an DNA-Methylierung (Hypomethylierung),
während für bestimmte Gene auch eine Hypermethylierung an CpGs beobachtet
wird (Abb. 8.3).
Die globale DNA-Hypomethylierung während der Tumorentstehung erzeugt
chromosomale Instabilität, reaktiviert Transposons und verursacht einen Verlust
genetischer Prägung. Die resultierende geringe DNA-Methylierung begünstigt die
mitotische Rekombination, was zu Deletionen führt, und fördert chromosomale
Umlagerungen wie Translokationen. Die Störung der genetischen Prägung wie
8.2 Epigenom-weite Störungen als Kennzeichen von Krebs 105
Abb. 8.2 Zusammenspiel von Genom und Epigenom bei Krebs. Veränderungen im Genom
können das Epigenom beeinflussen und umgekehrt. Das bildet ein Netzwerk, welches genetisch
oder epigenetisch codierte Variationen im Phänotyp hervorbringt, die der darwinistischen
Selektion für Wachstumsvorteile unterliegen und so schließlich die Kennzeichen von Krebs
hervorbringen
beispielsweise die des IGF2-Gens (Abschn. 3.3) ist ein Risikofaktor für ver-
schiedene Krebsarten, z. B. Dickdarmkrebs oder Wilms-Tumor.
Hypermethylierte Promotorregionen von Tumorsuppressorgenen wie
TP53, RB1 (RB transkriptioneller Korepressor 1) und MGMT (O-6-Methyl-
guanin-DNA-Methyltransferase) können als Biomarker dienen, die ein erheb-
liches diagnostisches Potenzial bieten, insbesondere in der Früherkennung bei
Menschen mit einem hohen familiären Krebsrisiko. Viele CpGs werden bereits
früh in der Tumorentstehung methyliert, insbesondere bei CIMP (CpG-Insel-
Methylator-Phänotyp) von Dickdarmkrebs, Glioblastomen und Neuroblastomen.
Die Promotorhypermethylierung beeinflusst bevorzugt die Expression von
Genen, die am Karzinogenstoffwechsel, an Zell-Zell-Interaktionen und an der
Angiogenese beteiligt sind, und weniger klassische Tumorsuppressorgene, die
den Zellzyklus, die DNA-Reparatur und die Apoptose kontrollieren. Die Profile
der CpG-Hypermethylierung variieren je nach Tumortyp. Jede Krebsart kann
106 8 Epigenetik von Krebs
Tumorentstehung
Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me
E1 E2 E1 E2
Repetitive Sequenzen Repetitive Sequenzen
• Locus mit einer methylierten, • DNA-Hypomethylierung
5'-spezifischen Region, z.B. • Offene oder entspannte Chromatinkonformation
ein keimzellspezifisches Gen
Me Me Me Me Me MeMe
MeMe
Me
Me Me Me
Me
Me
Me Me Me Me Me Me Me
Me Me
Me
E1 E2 E3 E1 E2 E3
• Tumorsuppressorgen mit CpG-Insel im Promotor • Hypermethylierung von CpG-Inseln
• Offene Chromatinkonformation • Geschlossene Chromatinkonformation
Me
Tumorentstehung
Die Idee, dass Krebs grundsätzlich eine epigenetische Krankheit ist, spiegelt
sich auch in der Beziehung zwischen Krebs und der epigenetischen Land-
schaft wider. Da epigenetische Modifikatoren wie Gene, die für Chromatin-
modifikatoren codieren, bei Krebs häufig mutiert sind, beeinflussen diese
Mutationen weitgehend die Stabilität der epigenetischen Landschaft. Das wird
durch durchlässiges Chromatin veranschaulicht, das eine hohe Plastizitätsrate
aufweist (Abschn. 6.3, Abb. 6.5). Durchlässiges Chromatin ermöglicht es Krebs-
zellen, leicht eine Reihe verschiedener Transkriptionszustände zu erlangen,
von denen einige proonkogen sein können. Wenn sich ein solcher adaptiver
Chromatinzustand durch Mitose ausbreitet, entsteht ein neuer Zellklon, der auf-
grund der erhöhten Fitness andere Zellen überwuchern kann. Dieses Plastizi-
tätsmodell ist das epigenetische Gegenstück zum Modell der Genominstabilität,
die durch Exposition mit Karzinogenen oder DNA-Reparaturdefekte induziert
wird. Während durchlässige Chromatinzustände die Aktivierung von Onkogenen
oder nichtphysiologische Zellschicksalsübergänge ermöglichen, verhindern
restriktive Zustände die Induktion von Tumorsuppressoren oder blockieren die
Differenzierung.
110 8 Epigenetik von Krebs
A Glioblastom
(Tumor bei Erwachsenen) B Anaplastisches Astrozytom C Ependymom
(Tumor bei Kindern)
RB1
EGFR RB1 CDKN2A PTEN TERT TP53 Hypermethylierung CDKN2A DNA Epigenetischer EZH2 Nische
Amplifikation Mutation Deletion Deletion Promotor- Mutation IDH1 R132H-gesteuert Mutation CIMP Hintergrund
mutation Nichtgenetisch Ursprung in Nichtgenetisch Umwelt-
Ursache Stammzelle Ursache einfluss
Abb. 8.5 Genetische und epigenetische Mechanismen, die den Kennzeichen von Krebs
zugrunde liegen. Sowohl genetische (grün) als auch epigenetische (blau) Mechanismen sind
wichtige Faktoren bei der Tumorentstehung, aber ihr relativer Beitrag zu den Kennzeichen
von Krebs hängt von der Art des Krebses ab. Beim Glioblastom (links), einem Hirntumor bei
Erwachsenen, beziehen sich die meisten Kennzeichen auf genetische Treiber, während beim
Ependymom (rechts), einem kindlichen Tumor, hauptsächlich epigenetische Effekte dominieren.
Das anaplastische Astrozytom (Mitte) ist ein Beispiel, bei dem sowohl genetische als auch epi-
genetische Faktoren zu den Kennzeichen beitragen
• GSK126
• Tazemetostat
• A-366 • CPI-1205
• BIX-01294 • GSK343
• UNC0638 • CPI-169
• UNC0642 • EI1 • EPZ-5676
• BAY-598 • MM-401 • UNC0224 • UNC1999 Entwicklungs- • EPZ-4777
• LLY-507 • MIV-6R Chaetocin • E72 • SAH-EZH2 inhibitoren • SGC0946
p53
(K370) NH2 K4 K9 K27 K36 K76 COOH
me3 me3 m
me3 m
me3
me2
KM
KMT
KDM5A KDM1A KDM6A KDM4A
KDM5B KDM6B KDM4B K
KD
KDM
Mono-, Di- oder
Trimethylierung
• CPI-455 • GSK2879552 GSK-J4 NSC636819
• EPT-103182 • ORY-1001
• Tranylcypromin
• GSK354
• INCB059872
Weiterführende Literatur
Bates, S.E. (2020). Epigenetic therapies for cancer. N Engl J Med 383, 650–663.
Carlberg, C., and Velleuer, E. (2021). Cancer Biology: How Science Works. Springer Textbook
ISBN: 978–3–030–75699–4.
Corces, M.R., Granja, J.M., Shams, S., Louie, B.H., Seoane, J.A., Zhou, W., Silva, T.C.,
Groeneveld, C., Wong, C.K., Cho, S.W., et al. (2018). The chromatin accessibility landscape
of primary human cancers. Science 362, eaav1898.
Filbin, M. and Monje, M. (2019). Developmental origins and emerging therapeutic opportunities
for childhood cancer. Nat Med 25, 367–376.
Flavahan, W.A., Gaskell, E. and Bernstein, B.E. (2017). Epigenetic plasticity and the hallmarks
of cancer. Science 357, eaal2380.
Mohammad, H.P., Barbash, O. and Creasy, C.L. (2019). Targeting epigenetic modifications in
cancer therapy: erasing the roadmap to cancer. Nat Med 25, 403–418.
Zhao, S., Allis, C.D., and Wang, G.G. (2021). The language of chromatin modification in human
cancers. Nature Reviews Cancer 21, 413–430.
Neuroepigenetik
9
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
Neuronale Entwicklung · DNA-Methylierung · mCH-Methylierung · MECP2 ·
Rett-Syndrom · Histonacetylierung · HDAC-Inhibitoren · Neurodegenerative
Krankheiten · REST
Der frontale Kortex unseres Gehirns spielt eine Schlüsselrolle für unser Verhalten
und unsere Kognition (die Gesamtheit aller Prozesse, die mit dem Wahrnehmen
und Erkennen zusammenhängen) und erfordert ein koordiniertes Zusammenspiel
von neuronalen und nichtneuronalen Zellen, z. B. unterstützenden Gliazellen. Der
A B
1.6 25 Jahre mCG/CG 80
% mCG/CG
16 Jahre 55 Jahre
mCH/CH
64 Jahre
1.2 2 Jahre 12 Jahre 60
5 Jahre
% mCH/CH
Ausmaß
mC
0.8 40
hmC
Kind- Synapsen
Synapsendichte
heit
0.4 35 Tage 20
Heran- Erwachsener
wachsender
0 0
0 Geburt 10,000 20,
20,000 Geburt
urt Erwachsen
Erwachsener
Synaptische Entwicklung
Alter (Tage nach Zeugung)
und Reifung
zellen auf. Während der Entwicklung vom Fötus bis zum jungen Erwachsenen treten
mCH-Markierungen auf und werden zur dominierenden Form der Methylierung im
neuronalen Epigenom. Daher ändert sich das genomweite DNA-Methylierungs-
muster während der Entwicklung und Reifung des Gehirns signifikant. Das ist
die Grundlage für die neuronale Plastizität.
Der frontale Kortex entwickelt sich postnatal als Reaktion auf verschiedene
Signale und Eindrücke aus der Umwelt. Abhängig vom sensorischen Input führt
das zu einer spezifischen neuronalen DNA-Methylierung und verursacht Ver-
änderungen in der Genexpression und der synaptischen Entwicklung. Das
chromatinmodifizierende Enzym DNMT3A setzt diese mCH-Markierungen ins-
besondere bei CA-Dinukleotiden. Obwohl der durchschnittliche Prozentsatz an
Methylierungen bei CH deutlich niedriger ist als bei CG, CpGs aber seltener sind,
sind mCH-Markierungen im erwachsenen Gehirn zahlenmäßig sogar häufiger als
mCG-Markierungen. Daher ist mCA im reifenden Gehirn eine wichtige epi-
genetische Markierung, welche die Genexpression unterdrückt.
Im Allgemeinen dienen mCA-Markierungen als Plattform für das
Andocken methylbindender Proteine, beispielsweise im Bereich des Gens BDNF
(vom Gehirn stammender neurotropher Faktor). Der Methyl-CpG-bindende
Transkriptionsfaktor MECP2 fungiert als reader für DNA-Methylierungsmarker
(Abb. 3.1) und erkennt auch mCA-Markierungen. Daher rekrutieren Gene, die
während der neuronalen Entwicklung mit mCA angereichert werden, MECP2
und werden in ihrer transkriptionellen Initiation und Elongation unterdrückt.
Dieser Regulationsprozess vermittelt unterschiedliche Funktionen im Gehirn von
Erwachsenen im Vergleich zu dem von Neugeborenen. Dementsprechend ist die
Anzahl der mCA-Markierungen an Genkörpern aussagekräftiger für das Ausmaß
der Abschaltung von Genen als die Anzahl der mCG-Markierungen an Promotoren
oder irgendein Maß für die Zugänglichkeit von Chromatin. Darüber hinaus wird
der Einfluss von mCH-Markierungen durch die Beobachtung weiter unterstrichen,
dass mCH-Markierungen zwischen Individuen stärker konserviert sind als
mCG-Markierungen.
Interessanterweise zeigen verschiedene Regionen des Gehirns wie
der frontale Kortex, der Hippocampus und das Kleinhirn einen signifikanten
altersabhängigen Anstieg von 5hmC, den oxidierte Formen von 5mC (Abb. 9.1B).
Dieser Anstieg ist spezifisch für Neuronen, da sie bei Erwachsenen weitaus
höhere 5hmC-Werte aufweisen als jeder andere Zelltyp. TET-Enzyme vermitteln
die 5mC-Oxidation und aktive DNA-Demethylierung in Neuronen. Basierend
auf Knockout-Studien in Mausmodellen ist das TET1-Gen am wichtigsten für
die Neurogenese und die synaptische Plastizität. Somit ist die 5mC-Oxidation
und möglicherweise auch die DNA-Demethylierung zentrale epigenetische
Mechanismen der Entwicklung und Reifung des Gehirns.
Wie mCA-Markierungen rekrutiert auch 5hmC MECP2 und andere methyl-
bindende Proteine, aber in diesem Fall korreliert die Häufigkeit dieser
Transkriptionsfaktoren meist positiv mit der Genexpression. Dazu passt die
Beobachtung, dass die MECP2-Mutation R133C, die bei einigen Formen des Rett-
Syndroms, einer Autismus-Spektrum-Störung, auftritt (Abschn. 9.2), spezifisch
118 9 Neuroepigenetik
die Fähigkeit des Proteins behindert, an 5hmC zu binden. Somit erhöhen sowohl
die Anreicherung von 5hmC als auch die Verarmung von 5mC die Transkriptions-
aktivität und die Zugänglichkeit des Chromatins (Abb. 9.2). Das deutet auch
darauf hin, dass die 5mC-Oxidation der entscheidende epigenetische Mechanis-
mus bei der Kontrolle der Genexpression im Zusammenhang mit der synaptischen
Plastizität sein könnte, die für Lernen und Gedächtnis wichtig ist. Letzteres
betrifft Effekte auf die Langzeitpotenzierung, die Erregbarkeit und die aktivitäts-
abhängige synaptische Skalierung von Neuronen. Durch die Kontrolle der Aktivi-
tät von Genen, die Ionenkanäle, Rezeptoren und Transportmechanismen codieren,
hat das Epigenom die Fähigkeit, sowohl extrazelluläre Signale zu erfassen, die
Neuronen erreichen, als auch ihre Signalausgabe zu kontrollieren.
Zusammengenommen erwerben Neuronen während der Entwicklung des
Gehirns epigenetische Markierungen wie 5mC (bei CG und CH) und 5hmC, die
den neuronalen Phänotyp über unsere Lebensspanne stabilisieren. Obwohl all-
gemein angenommen wird, dass neuronale Entwicklungsstörungen irrever-
sibel sind, suggeriert die plastische Natur des dynamischen Teils des neuralen
mRNA
MECP2 MECP2 MECP2
Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me
DNA-Methylierung
Nicht-CpG
Me 5mCpG
5hmCpG
MECP2
mRNA ?
? MECP2 MECP2
Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me Me
Der Erwerb neuer Informationen wird als Lernen definiert, während die Fähig-
keit, Informationen für eine spätere Rekonstruktion zu behalten, Gedächt-
nis genannt wird. Erinnerungen bilden die Grundlage unseres Verhaltens, da
sie uns ermöglichen, zuverlässig durch unser Leben zu navigieren und mit
unserem (sozialen) Umfeld zu interagieren. Zur Festigung neuer Informationen
im Gedächtnis werden in unseren Neuronen unterschiedliche Genexpressions-
profile aktiviert, die auf Veränderungen unseres Epigenoms beruhen. Im Gegen-
satz dazu können Beeinträchtigungen des Lernens und des Gedächtnisses
verheerende Folgen für die Fähigkeit eines Individuums haben, unabhängig
in der Gesellschaft zu funktionieren. Darüber hinaus kann das Fortbestehen
von unerwünschten Erinnerungen wie von Traumata (z. B. Kriegsveteranen) oder
an Gewalt (z. B. Kindesmissbrauch) zu psychischen Erkrankungen beitragen, die
zu sozialer Hemmung führen. Die (soziale) Intelligenz basiert also auf unserem
neuronalen Epigenom.
Erinnerungen an unsere Kindheit beginnen ab einem Alter von ungefähr drei
Jahren und halten viele Jahrzehnte. DNA ist das einzige Molekül in unserem
Körper, das eine vergleichbare Halbwertszeit hat, d. h., nur unser Genom kann die
molekulare Grundlage für ein Langzeitgedächtnis sein (zusätzlich gibt es eine
strukturelle Basis des Gedächtnisse über Synapsen, d. h. die Verknüpfung von
Neuronen). Da Erinnerungen die Sequenzen unseres Genoms nicht verändern,
bleibt das neuronales Epigenom das bevorzugte Instrument für die Informations-
speicherung. In den vorangegangenen Kapiteln haben ich mehrfach den Begriff
„epigenetisches Gedächtnis“ verwendet (Abschn. 1.3, 2.1, 3.1, 5.3, 7.1 und 8.3) und
meinte damit die langfristige Stabilität von Zellidentitäten mithilfe von konservierten
Genexpressionszuständen und robusten genregulatorischen Netzwerken. Bei-
spielsweise führen die Wirkungen von Chromatinmodifikatoren und Chromatinre-
modellierern in Polycomb- und Trithorax-Komplexen (Abschn. 6.3) in Hunderten
von Genomregionen zu einer langfristigen, mitotisch vererbbaren Erinnerung an
inaktive und aktive Genexpressionszustände. Schlüsselproteine dieser Komplexe
sind KMTs und KDMs wie EZH2, KMT2A, KDM5C und KDM6B, während HATs
und HDACs fehlen. Das wiederholt das Prinzip, dass kurzfristige „alltägliche“
Reaktionen des Epigenoms hauptsächlich durch nichtvererbte Änderungen des
Niveaus an Histonacetylierung vermittelt werden, während langfristige Ent-
scheidungen, beispielsweise bezüglich der zellulären Differenzierung, in Form
von Histonmethylierungsmarkern gespeichert werden.
DNA-Methylierung inhibiert nicht nur die Genexpression (Abschn. 1.1),
sondern dient darüber hinaus auch als wesentlicher Mediator der Gedächtnis-
bildung und der Informationsspeicherung. Neuronen können sich nicht vermehren
120 9 Neuroepigenetik
und werden so alt wie wir, d. h., ihr Epigenom ist der wahrscheinlichste Ort für
unser Langzeitgedächtnis. Der Knockout der Gene Dnmt1 und/oder Dnmt3a in
Mäusen zeigte einen Verlust der Langzeitpotenzierung und konsekutiv Lern- und
Gedächtnisdefizite. Das weist darauf hin, dass Prozesse der Informations-
speicherung ohne aktive DNA-Methylierung nicht funktionieren können.
Allerdings ist die DNA-Methylierung nicht das primäre Ziel von extrazellulären
Signalen, sondern wirkt als Festiger für den zuvor etablierten Gedächtniserwerb
über Histonacetylierung und Histonmethylierung.
Zusammengenommen hat jedes der etwa 100 Mrd. (1011) Neuronen in unserem
Gehirn eine enorme Datenspeicherkapazität, da jedes Neuron etwa 2800 Mio.
Cytosine enthält, die methyliert werden können, und etwa 30 Mio. Nukleosomen,
die aus 240 Mio. Histonproteinen bestehen, welche auf mehr als 100 individuelle
Arten posttranslational modifiziert werden können.
MECP2 gehört zur Familie der intrinsisch ungeordneten Proteine, die sich
durch eine geringe Sekundärstruktur auszeichnen. Dadurch eignet sich MECP2
gut für die Interaktion mit einer Vielzahl unterschiedlicher Arten von Makro-
molekülen wie anderen Proteinen, DNA und RNA. Zentral für die Primärstruktur
des MECP2-Proteins ist seine DNA-Bindungsdomäne, die eine MBD und mehrere
andere Strukturen enthält. Dementsprechend ist methylierte DNA, insbesondere
CA-Dinukleotide, ein spezifisches Ziel von MECP2. Das Protein interagiert auch
mit einer Vielzahl anderer Proteine wie HP1, dem Korepressor NCOR1 und der
HAT CREBBP.
MECP2 wird schnell ubiquitiniert, was seine Halbwertszeit auf nur 4 h begrenzt.
Das Protein wird in fast allen Geweben und Zelltypen exprimiert, zeigt jedoch
den höchsten Spiegel im Gehirn, insbesondere in Neuronen. Dementsprechend
ist MECP2 im neuronalen Chromatin ein sehr häufig vorkommendes Protein, das
im Schnitt an jedem zweiten Nukleosom zu finden ist (Abb. 9.3). MECP2 und
Histon H1 (Abschn. 2.1) konkurrieren um die Bindung am Nukleosom. Darum
ersetzt MECP2 Histon H1, wenn die MECP2-Spiegel während der neuronalen
Entwicklung ansteigen. Dadurch verringert sich die Wiederholungslänge des
Chromatins, also der Abstand vom Zentrum eines Nukleosoms zum Zentrum seines
Nachbarn, von 200 bp auf 165 bp (Abb. 9.3). Auf diese Weise erhöht MECP2
die Dichte der Chromatinverpackung. In dieser Konfiguration ist MECP2 Teil
eng gefalteter Heterochromatinstrukturen und suggeriert, dass das Protein haupt-
sächlich als Repressor der Transkription fungiert. Dennoch gibt es eine Reihe
von MECP2-Interaktionspartnern, welche die Genexpression stimulieren. Das
weist darauf hin, dass MECP2 eher ein Transkriptionsregulator ist, der abhängig
von seinen Interaktionspartnern an Regionen aktivierter oder inaktiver Gene
bindet. Darüber hinaus hat MECP2 bei der Bindung an Promotorregionen oder
Genkörper entgegengesetzte Funktionen. Die DNA-Methylierung in TSS-Regionen
rekrutiert MECP2 im Komplex mit Korepressorproteinen und HDACs und führt
9.3 MECP2 und das Rett-Syndrom 121
200 bp
Nukleosomenabstand (bp)
MECP2
200
H1 Leber Astrozyten
H1 Me
180
Neuron
MECP2
Neuronen mC
160
0 7 14
Tage
MECP2-MBD Histon-H1-WHD
165 bp
Me Me Me
Astrozyt
165 bp
hm/mCpG [A/T] ≥4 AAATT
Me Me Me
Abb. 9.3 Bindung von MECP2 an Chromatin von Neuronen und Astrozyten. Astrozyten
haben niedrigere MECP2-Spiegel als Neuronen, was zu einer regulären Wiederholungslänge
des Chromatins von 200 bp im Vergleich zu 165 bp für Neuronen führt. In Neuronen ist MECP2
gleichmäßig über das Chromatin verteilt, bindet an Stellen methylierter DNA und ersetzt Histon
H1, wodurch die Wiederholungslänge verringert wird. Die Änderungen der Wiederholungslänge
des Chromatins während der Entwicklung (in Tagen, beobachtet in einem Mausmodell) vor und
nach der Geburt sind für Astrozyten, Neuronen und Lebergewebe (als Referenz) angegeben. Ein
höherer Anteil von MECP2 im Verhältnis zu Histon H1 führt zu einer kürzeren Wiederholungs-
länge (Einsatz oben links)
Das wird zumindest teilweise durch die Wechselwirkung von MECP2 mit BDNF
vermittelt, das als Modulator auf Glutamat- and GABA-bindende Synapsen
wirkt. Daher ist die streng regulierte Expression von MECP2 entscheidend für
die neuronale Homöostase. Da sowohl zu hohe als auch zu niedrige MECP2-
Proteinspiegel gegensätzliche Effekte bei der synaptischen Übertragung auslösen,
trägt eine Dysregulation der MECP2-Proteinexpression zu vielen neuropatho-
logischen Erkrankungen wie Alzheimer, Huntington, Schizophrenie und Epilepsie
bei (Tab. 9.1). Parallel dazu wurde eine abweichende DNA-Methylierung bei
einigen Autismus-Spektrum-Störungen, der Alzheimer-Krankheit, Epilepsie und
Schizophrenie beobachtet. Im Allgemeinen können epigenetische Mechanis-
men besonders relevant für komplexe Krankheiten mit geringer genetischer
Penetranz sein. Das sind z. B. Drogenabhängigkeit, posttraumatische Belastungs-
störung, Epilepsie und Schizophrenie, die epigenetische Entwicklungsmechanis-
men und erlerntes Verhalten beinträchtigen.
Die Histonacetylierung ist die am besten verstandene epigenetische Modi-
fikation. Mehrere neurodegenerative Erkrankungen beinhalten Störungen im
HAT/HDAC-Gleichgewicht, d. h., Patienten mit diesen Erkrankungen haben
abnorme Spiegel an Histonacetylierungen (Abb. 9.4). Ein Paradebeispiel ist das
Rubinstein-Taybi-Syndrom, das durch Kleinwuchs, geistige Behinderung, mittlere
bis schwere Lernschwierigkeiten, markante Gesichtszüge sowie breite Daumen
und große Zehen gekennzeichnet ist. Das Rubinstein-Taybi-Syndrom ist eine
monogenetische Erkrankung, die auf Mutationen des CREBBP-Gens beruht, das
eine HAT codiert. Die resultierende geringe Histonacetylierung kann durch die
Hemmung von HDACs ausgeglichen werden, d. h., HDAC-Inhibitoren sind eine
Therapieoption für Patienten mit dem Syndrom.
Ein weiteres Beispiel für eine monogenetische neurodegenerative Erkrankung
ist die Friedreich-Ataxie, die aus der Degeneration von Nervengewebe im Rücken-
mark resultiert, insbesondere in sensorischen Neuronen, die für die Steuerung der
Muskelbewegung von Armen und Beinen unerlässlich sind. Bei dieser Erkrankung
führt die Erweiterung einer Region mit Triplettwiederholungen innerhalb eines
Introns des Gens FXN (Frataxin) zum Verlust von H3ac- und H4ac-Markierungen
und zur Zunahme von H3K9me3-Markierungen, zur Ausbildung von Hetero-
chromatin und schließlich zum transkriptionellen Abschalten des Gens (Abb. 9.4).
In einem Mausmodell dieser Krankheit erhöhten HDAC-Inhibitoren die H3- und
H4-Acetylierung und korrigierten den Mangel an FXN-Expression. Das deutet
darauf hin, dass HDAC-Inhibitoren für die Behandlung der Friedreich-Ataxie
geeignet sein könnten.
In ähnlicher Weise wird die mit dem Fragile-X-Syndrom assoziierte mentale
Retardierung durch eine Expansion von CGG-Triplettwiederholungen in der
5'-UTR des Gens FMR1 (fragile X mental retardation 1) verursacht, die zu einer
umfassenden DNA-Methylierung an CpGs in der Nähe der TSS-Region führt
und das Gen abschaltet (Abb. 9.4). Auch in diesem Fall führte eine Behandlung
mit HDAC-Inhibitoren zu einer Reaktivierung der FMR1-Expression. Ins-
besondere SIRT1-Inhibitoren sind in der Lage, die Acetylierung zu erhöhen
und die Methylierung von Histonen am FMR1-Genlocus zu verringern.
124 9 Neuroepigenetik
Ac Ac CREBBP
HDAC
CpG
FMR1
EP300 Ac
HDAC1 MECP2
CREBBP
Huntington-Erkrankung HDAC8
HTT HDAC2
Transkriptionelle
Dysregulation
Friedreich’s Ataxie
Ac
FXN
PPARGC1A
Pol II Apoptotische und Stress-Gene
Polyglutamin- Zellkern
nukleäre Einschlüsse
Cytoplasma Niemann–Pick-
Mitochondrium Typ-C-Erkrankung
Parkinson-
Polyglutamin- Erkrankung MS, Ischämie Abnorme Cholesterin-
aggregate und Schlaganfall speicherung in
Lysosomen
Synuklein-
Neuron Proteasom Lysosom Aggregate
Alzheimer-Erkrankung
-Amyloid
Entzündungs-
aktivierung
Gliazelle Pol II
des frontalen Kortex und des Hippocampus des gesunden, alternden Gehirns
Gene abschaltet, die an Apoptose und oxidativem Stress beteiligt sind, geht diese
Funktion bei Patienten mit leichter oder schwerer kognitiver Beeinträchtigung
und Alzheimer-Krankheit verloren. Mit dem Auftreten fehlgefalteter Proteine wie
Aβ und Tau, die charakteristisch für die Entstehung der Alzheimer-Krankheit
sind, steigt die Rate der Autophagie. Unter diesen Bedingungen verschlingen
Autophagosomen nicht nur Aβ- und Tau-Komplexe, sondern auch REST. Der Ver-
lust von REST führt zu einer erhöhten Expression zuvor unterdrückter Gene, die
an oxidativem Stress und neuronalem Tod beteiligt sind. Somit erhöht der REST-
Entzug den Verlust von Neuronen in den entsprechenden Hirnregionen und
fördert das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit.
Zusammengenommen liefert die Neuroepigenetik alternative und/oder
zusätzliche mechanistische Erklärungen für den Beginn neurodegenerativer
Erkrankungen. Somit hat die Neuroepigenetik das Potenzial, das Design neu-
artiger therapeutischer Strategien zur Verbesserung der schädlichen Folgen
von kognitiven Defiziten und Neurodegeneration zu steuern.
Weiterführende Literatur
Campbell, R.R. and Wood, M.A. (2019). How the epigenome integrates information and
reshapes the synapse. Nat Rev Neurosci 20, 133–147.
Hwang, J.Y., Aromolaran, K.A. and Zukin, R.S. (2017). The emerging field of epigenetics in
neurodegeneration and neuroprotection. Nat Rev Neurosci 18, 347–361.
Ernährungsepigenetik
10
Zusammenfassung
Die Epigenetik der Ernährung ist eine Teildisziplin der Nutrigenomik und
beschreibt, wie Nahrungsbestandteile unser Epigenom beeinflussen. Chroma
tinmodifikatoren verwenden intermediäre Metaboliten wie Acetyl-CoA,
α-Ketoglutarat, NAD+, FAD, ATP oder SAM als Kosubstrate und/oder
Kofaktoren. Auf diese Weise fungieren Chromatinmodifikatoren als Sensoren
für den Ernährungszustand unserer Gewebe und Zelltypen und hinterlassen
entsprechende Spuren im Epigenom dieser Zellen. Der sparsame Phäno-
typ ist ein Konzept der epigenetischen Programmierung von Stoffwechsel-
geweben während der vorgeburtlichen Entwicklung. Die Prinzipien dieser
Programmierung gelten auch im Erwachsenenalter und können die fehlende
Vererbbarkeit der Anfälligkeit für komplexe Stoffwechselerkrankungen wie
T2D erklären.
Schlüsselwörter
Nutrigenomik · Energiestoffwechsel · Acetyl-CoA · NAD+ · SAM · Folsäure ·
sparsamer Phänotyp · T2D · Personalisierte Ernährung
Unsere Ernährung ist eine komplexe Mischung biologisch aktiver Moleküle, die
entweder Mikronährstoffe (Konzentration im Nano- bis Mikromolarbereich) wie
Vitamin D oder Makronährstoffe (Konzentration im Mikro- bis Millimolar-
bereich) wie Fettsäuren und Cholesterin sind. Einige dieser Nahrungsmoleküle
• haben einen direkten Einfluss auf die Genexpression, z. B. indem sie als Ligand
für einen Kernrezeptor wirken (Abb. 10.1A),
• modulieren nach ihrer Metabolisierung die Aktivität eines Transkriptionsfaktors
(Abb. 10.1B) oder
• stimulieren Signalübertragungswege, die mit der Induktion eines
Transkriptionsfaktors enden (Abb. 10.1C).
Ernährung
Nährstoff-
moleküle
Stoffwechsel
Signalübertragung
Insulin
Zellmembran
IR A/B
Cytoplasma PTPN1
SORBS1
CBL IRS1
CDC42 IRS2
RHOQ p85α
A
IRS3
PTEN p110α p55α
IRS4
p110β PI3K p50α
p110γ p85β Knotenpunkt 1
Glukoseaufnahme PRKCI PDPK
p55γ
Knotenpunkt 2
TBC1D4 AKT1
SHC
AKT2
MAPK8
AKT3 Zellwachstum,
Knoten- Differenzierung
punkt 3
GSK3 TOR
Glukosesynthese Proteinsynthese
Glukoneogenese
Genexpression
Normales Zellwachstum
Abb. 10.1 Grundlagen der Nutrigenomik. Nutrigenomik zielt darauf ab, ein molekulares Ver-
ständnis dafür zu liefern, wie Nährstoffe die Gesundheit beeinflussen, indem sie die Expression
eines größeren Satzes von Genen verändern. Es wurde gezeigt, dass Nährstoffmoleküle
die Genexpression auf verschiedene Weise verändern. Sie können als direkte Liganden für
Transkriptionsfaktoren fungieren (A), Transkriptionsfaktormodulatoren nach einer chemischen
Umwandlung in Stoffwechselwegen sein (B) oder als Aktivatoren von Signalübertragungswegen
dienen, die mit der Aktivierung eines Transkriptionsfaktors enden (C). Alle drei Aktivierungs-
wege modulieren physiologische Funktion wie das Zellwachstum
130 10 Ernährungsepigenetik
Kasten 10.1
Folatstoffwechsel und Methylierung. Tetrahydrofolat, ein Derivat des
B-Vitamins Folat, speist den C1-Zyklus, indem es als Methylgruppendonor
wirkt (Abschn. 7.1). Das zeigt einen direkten Zusammenhang zwischen
Ernährung und Epigenetik. Methylgruppendonoren sind entscheidend
für die epigenetische Programmierung während der Embryogenese. Ein
hoher Homocysteinspiegel ist ein etablierter Biomarker für die Störung des
C1-Zyklus und steht im Zusammenhang mit niedrigen Konzentrationen von
Folat, Vitamin B6 und B12, Cholin und Betain. Das kann zu einem erhöhten
Risiko für Frühgeburten, niedrigem Geburtsgewicht und Neuralrohrdefekten
führen. Darüber hinaus erhöht eine geringe Aufnahme von Folat oder
Methionin über die Nahrung das Risiko von Dickdarmadenomen, während
eine Exposition gegenüber mehr Folat in utero mit einem verringerten
Risiko von akuter lymphatischer Leukämie, Hirntumoren und Neuro-
blastomen im Kindesalter assoziiert ist. Das vom MTHFR-Gen (MTHFR
für Methylentetrahydrofolatreduktase) codierte Enzym katalysiert die
Umwandlung von 5,10-Methylentetrahydrofolat zu 5-Methyltetrahydrofolat.
10–15 % der Europäer tragen auf beiden Allelen die C677T-Variante
(rs1801133), welche die Aktivität des Enzyms um mehr als 50 % reduziert.
Dementsprechend sind Personen mit einem TT-Genotyp stärker von einer
niedrigen Zufuhr an Folat betroffen als Personen mit dem CC- oder CT-
Allel.
10.1 Epigenetische Mechanismen der Nutrigenomik 131
Nährstoffe Stoffwechsel
Signalmetaboliten
SAM, FAD, NAD, Acetyl-CoA, β-OHB, ATP
Ac
Ac Ac Me
Me Me
Der Energiestatus unserer Gewebe und Zelltypen ist die wichtigste Information
für unseren Körper, um Umweltbedingungen zu interpretieren und zu integrieren.
Die Ernährungsepigenetik untersucht, wie Stoffwechselwege mit Chromatin
kommunizieren und Informationen über die Nährstoffverfügbarkeit und den
Energiestatus liefern. Da zentrale Metaboliten wie AMP, NAD+, SAM und Acetyl-
CoA als Kofaktoren und/oder Kosubstrate von Chromatinmodifikatoren fungieren,
werden Genexpressionsprogramme vieler zentraler physiologischer Prozesse, z.
B. Proliferation und Differenzierung, durch den Stoffwechselstatus der Zellen
moduliert. Diese Ereignisse können im Epigenom von Skelettmuskeln und Fett-
gewebe gespeichert werden. Die beiden letztgenannten Stoffwechselorgane machen
mehr als die Hälfte unserer Körpermasse aus. Ihre relative Menge ist jedoch sehr
variabel und hängt von Umweltfaktoren wie körperliche Aktivität und Nahrungs-
aufnahme ab. Das bedeutet, dass unser Lebensstil ein metabolisch-epigenetisches
10.2 Energiestoffwechsel und Epigenetik 133
Gedächtnis schafft. So merkt sich nicht nur die Masse des Fettgewebes, sondern
auch das Epigenom unserer Muskeln und Fettgewebe, wie viel wir gegessen
und uns bewegt haben.
Das Verhältnis der oxidierten (NAD+) und reduzierten (NADH) Form des
Kofaktors NAD spiegelt den zellulären Redoxzustand wider und ist umgekehrt
proportional zum Energiezustand einer Zelle. Während des Fastens, d. h. bei
niedrigen Mengen an Nahrungsmetaboliten, steigt die intrazelluläre Konzentration
von NAD+ an. Das führt zu einer Aktivitätssteigerung von HDACs der SIRT-
Familie (die NAD+ als Kofaktor verwenden) und zur Deacetylierung ihrer
Zielproteine (Abb. 10.4, links). Die Angriffspunkte von SIRTs sind häufig
Histone, aber auch Transkriptionsfaktoren oder deren Kofaktoren wie p53
und PPARGC1A sind in ihrem Acetylierungsstatus betroffen. Eine verringerte
Nahrungsaufnahme ist vorteilhaft für die Stoffwechselgesundheit und kann das
Altern verlangsamen (Abschn. 7.3). Da die NAD+-Konzentrationen circadian
schwanken, ist die SIRT-vermittelte Genregulation mit der epigenetischen Uhr
verknüpft (Abschn. 7.4). Darüber hinaus wirkt der Metabolit D-β-Hydroxybutyrat
(β-OHB) als Inhibitor von HDAC 1–3. Während des Fastens oder der Ernährungs-
einschränkung steigen die β-OHB-Spiegel, was die Histonacetylierung fördert.
Im Gegensatz dazu werden Nährstoffe nach der Nahrungsaufnahme in kata-
bolische Stoffwechselwege eingeschleust, um unter anderem Acetyl-CoA zu
Nährstoffe
O
NH2
O NH2 N
N O O CH3 O O
Acetyllysin
O P O +
N
O O P O P CH2O C CH C NH CH2 CH2 C NH CH2 CH2 SH
N N
O
NAD+
O O CH3 OH
O OH OH
NH2 OH O
CoA
N N O P O
O
O P O N N
O
O
OH OH
Protein
NH2
N
N O O CH3 O O O
O
O P O P CH2O C CH C NH CH2 CH2 C NH CH2 CH2 S C CH3
N N
O P O
Acetyl-
OH O
O O O CH3 OH
Protein gruppe
O OH O
O
NH2
CH3 Acetylgruppe OH
O
O
P O
Acetyl-CoA
N N
O
O P O N N
O
O
OH OH
Acetyl-ADP-Ribose
Nährstoffe
Nährstoffe
Ac
Me
DNMT
KMT HAT
ATP SAM NADH Acetyl-CoA
P Ac
Nährstoffe
Ernährung und körperliche Bewegung spielen eine wichtigere Rolle in der Patho-
genese von Stoffwechselerkrankungen wie T2D als eine genetische Veranlagung
(Abschn. 12.1). Die Auswirkungen unserer Lebensstilentscheidungen in Bezug auf
Essen und Bewegung werden im Epigenom unserer Stoffwechselorgane gespeichert.
Beispielsweise haben epigenomweite Assoziationsstudien und Studien an Zwillings-
kohorten beim Vergleich von T2D-Patienten mit gesunden Personen unterschied-
lich methylierte CpG-Inseln in Stoffwechselorganen nachgewiesen. Wie bei Krebs
(Abschn. 8.2) können diese Regionen als frühe prognostische Biomarker für einen
prädiabetischen Zustand dienen. Änderungen des Lebensstils wie eine angepasste
Ernährung und erhöhte körperliche Aktivität können die epigenomweiten Ver-
änderungen rückgängig machen und die Entwicklung von T2D verhindern.
Beispielsweise zeigte ein sechsmonatiges Programm körperlicher Betätigung epi-
genomweite Veränderungen in Tausenden von Regionen im Genom.
Das Konzept der epigenetischen Programmierung über Nährstoffmoleküle
legt nahe, dass die Entscheidung für eine verringerte Nahrungsaufnahme, eine
136 10 Ernährungsepigenetik
Nährstoffarme
Umgebung (pränatal)
Nährstoffarme
e Entwicklungsbedingte Nährstoffreiche
Umgebung Programmierung Umgebung
des Epigenoms
Überlebensvorteil
rleben
b svor
ben Erhöhte
hte A
Anfälligkeit
nfäl
nfä
fälllli
ll
lligke für
des Nachwuchses Stoffwechselerkrankungen
Wenn dieses Konzept zutrifft, kann die weltweit wachsende Epidemie der
Fettleibigkeit und der Stoffwechselerkrankungen zu einer signifikant erhöhten
epigenetischen Prädisposition für das metabolische Syndrom in den nach-
folgenden Generationen führen, was zu einem Teufelskreis auswächst
(Abschn. 12.1).
Weiterführende Literatur
Carlberg, C., Ulven, S.M. and Molnár, F. (2020). Nutrigenomics: How Science Works. Springer
Textbook ISBN: 978-3-030-36948-4.
Di Francesco, A., Di Germanio, C., Bernier, M. and de Cabo, R. (2018). A time to fast. Science
362, 770–775.
Sales, V.M., Ferguson-Smith, A.C. and Patti, M.E. (2017). Epigenetic mechanisms of trans-
mission of metabolic disease across generations. Cell Metab 25, 559–571.
Epigenetik der Immunfunktion
11
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
Hämatopoese · HSCs · Balancierte Enhancer · Trainierte Immunität ·
Entzündung · Autoimmunität · Asthma · Epigenetische Profilerstellung
A PRC2
B
Trithorax-Gruppe
SUZ12 und EED PRC1 Expression von
KMT2A, KMT2E, Ausmaß an DNA-Methylierung
g
EZH1 oder EZH2 BMI1, CBX7 Chromatinmodifikatoren
MEN1 und ASH1L
z.B. LCK in T-Zellen
DNMT1 POU2AF1 in B-Zellen
CXCR2 in Neutrophilen PRC1 PRC2
Selbst-
Proliferation
erneuerung
Linienspezifische Gene
Differenzierungsgene
CDKN2A
CBX7
EZH2
BMI1
EHMT1, EHMT2 Engagement
EED
HSC
TET2-Enzym,
DNMT3A, DNMT3B
Differenzierung
MPP
PP
EZH1, EZH2,
DNMT1,
TET2-Enzym
CLP
BMI1
CMP
Multipotenzgene
B-Zelle
NK-Zelle
Erythrozyt Blut- Makrophage Neutrophiler
plättchen Lymphatische z.B. MEIS1 z.B. DACH1 in CLPs
Myeloische Differenzierung Differenzierung
phagen differenzieren können). Auf der anderen Seite produziert die lymphoide
Abstammungslinie die Hauptzellen des adaptiven Immunsystems – B- und
T-Zellen. Erythrozyten werden auch als rote Blutkörperchen bezeichnet, während
myeloide und lymphoide Zellen als Leukozyten (weiße Blutzellen) zusammen-
gefasst werden.
Eine Reihe von extrinsischen und intrinsischen Faktoren wie wachstumsfaktor-
stimulierte Signalübertragungswege, Transkriptionsfaktoren und Chromatin-
modifikatoren regulieren das Gleichgewicht zwischen Selbsterneuerung und
Differenzierung von HSCs. Im Gegensatz dazu kann eine Störung oder Fehl-
regulation dieses Prozesses zu hämatologischen Erkrankungen wie Leukämie,
Lymphom und Myelom führen. Bei diesen Krankheiten erhöht die übermäßige
Produktion von Leukozyten im Knochenmark deren Spiegel im Blutkreislauf
erheblich. Darüber hinaus beeinträchtigt eine Störung in jedem Stadium der
Hämatopoese die Produktion und Funktion von Blutzellen und kann schwer-
wiegende Folgen haben, z. B. die Unfähigkeit, Infektionen zu bekämpfen,
oder das Risiko unkontrollierter Blutungen.
Während der Hämatopoese ändert sich das genomweite DNA-Methylierungs-
muster von sich differenzierenden Blutzellen dynamisch und ist sehr ortsspezi-
fisch, d. h., in einigen Regionen im Genom steigt der DNA-Methylierungsgrad
an, während er in anderen Regionen abnimmt (Abb. 11.1B, links). Letzteres
korreliert mit der Hochregulation zellspezifischer Gene und der von ihnen
codierten Proteine wie der Tyrosinkinase LCK (LCK-Protoonkogen, Tyrosin-
kinase der Src-Familie) in T-Zellen, dem Kofaktor POU2AF1 in B-Zellen und dem
Chemokinrezeptor CXCR2 (C-X-C-Motiv-Chemokinrezeptor 2) in Neutrophilen.
Im Allgemeinen erhöht die Festlegung auf eine bestimmte Abstammungslinie den
Grad der DNA-Methylierung, da in diesen terminal differenzierten Zellen nur
ein reduzierter Satz von Genen benötigt wird. So werden bestimmte Gene spezi-
fisch abgeschaltet, z. B. der Transkriptionsfaktor MEIS1 (Meis-Homöobox 1),
der den undifferenzierten Zustand aufrechterhält, oder der myeloidspezifische
Transkriptionsfaktor DACH1 (Transkriptionsfaktor 1 der Dackelfamilie) in
lymphoiden Zellen. Interessanterweise ist die myeloische Abstammungslinie
das vorprogrammierte Ergebnis der Hämatopoese, da die Differenzierung in
diese Zellen weniger Korrektur durch erhöhte DNA-Methylierung erfordert als
die der lymphoiden Abstammungslinie. Somit können hämatopoetische Zellen
basierend auf ihrem DNA-Methylierungsprofil, d. h. ihrem DNA-Methylom,
leicht unterschieden werden.
Parallel zu Veränderungen im DNA-Methylierungsmuster verändern auch
wichtige Chromatinmodifikatoren ihre Expression während der Hämatopoese.
Beispielsweise ändert sich die Expression der meisten Mitglieder der Polycomb-
Familie während der HSC-Differenzierung (Abb. 11.1B, rechts). Die PRC1-
Komponenten CBX7 und BMI1 (BMI1-Protoonkogen, Polycomb-Ringfinger), die
für die Erkennung und Monoubiquitinierung von H2AK119 v erantwortlich sind
142 11 Epigenetik der Immunfunktion
(Abschn. 6.3), werden in HSCs stark exprimiert, aber während der Festlegung der
Abstammungslinie herunterreguliert. Dagegen ist der CBX7-Konkurrent CBX8
hochreguliert. Die PRC2-Komponente EED (embryonale Ektodermentwicklung)
verändert sich während der Hämatopoese nicht, während die H3K27-spezi-
fische KMT EZH2 herunterreguliert wird. In ähnlicher Weise tragen Mitglieder
der Familie der Trithorax-Gruppe wie KMT2A, KMT2E, ASH1L (ASH1-ähn-
liche Histonlysinmethyltransferase) und MEN1 (Menin 1) zur Hämatopoese bei.
Darüber hinaus hinterlegen die KMTs EHMT1 und EHMT2 unterdrückende
H3K9me2-Markierungen im Epigenom von HSCs (Abb. 11.1A). Dement-
sprechend kann eine Fehlregulation der Gene, die diese Chromatinmodi-
fikatoren codieren, zu hämatopoetischem Versagen führen, z. B. einem
Stillstand des Zellzyklus von HSCs, vorzeitiger Differenzierung, Apoptose und
fehlerhafter Selbsterneuerung und schließlich zu hämatologischen Malignomen.
Neben Chromatinmodifikatoren spielen einige Master-Transkriptions-
faktoren wie CEBPα (CCAAT-bindendes Protein α), PU.1 (purinreiche Box 1)
und GATA2 (GATA-Bindungsprotein 2) eine Schlüsselrolle bei der Hämatopoese.
Sie fungieren als Pionierfaktoren, die um Nukleosomen gewickelte genomische
DNA binden können. Diese Transkriptionsfaktoren rekrutieren dann Komplexe
von Chromatinmodifikatoren und Chromatinremodellierern, die wiederum die
Entfernung und posttranslationale Modifikation von Nukleosomen in diesen
Regionen erleichtern. Beispielsweise erzeugt die anhaltende Expression von
CEBPα in myeloiden Vorläufern Makrophagen, während unter anhaltender
Expression von GATA2 Mastzellen erzeugt werden. Wenn jedoch zunächst
CEBPα und danach GATA2 exprimiert wird, werden Eosinophile produziert,
während die umgekehrte Reihenfolge zu Basophilen führt. Darüber hinaus inter-
agiert CEBPα mit dem DNA-demethylierenden Enzym TET2, sodass seine Ziel-
gene während der Hämatopoese demethyliert werden. Die Aktivität von TET2
könnte der Schlüsselmechanismus sein, warum myeloide Zellen näher an HSCs
sind als lymphoide Zellen. Das passt zu der Beobachtung, dass das TET2-Gen
in mehreren myeloischen Malignomen mutiert ist. Darüber hinaus könnte TET2
Umwelteinflüsse wie Nährstoffverfügbarkeit (Abschn. 10.2) mit der myeloiden
Differenzierung in Verbindung bringen, da der Metabolit 2-Hydroxyglutarat die
Aktivität von TET2 inhibiert und zu einer DNA-Hypermethylierung führt.
Zusammengenommen ist die Hämatopoese ein wichtiger Prozess, der ständig
neue Zellen bereitstellt, die für den Sauerstofftransport (Erythrozyten), die Blut-
gerinnung nach Verletzungen (Blutplättchen) und die Immunität (Leukozyten)
benötigt werden. Transkriptionsfaktoren und Chromatinmodifikatoren
arbeiten zusammen, um geeignete epigenetische Profile auf der Ebene der
DNA-Methylierung und Histonmodifikationen zu erstellen, welche die
jeweiligen Funktionen der mehr als 100 verschiedenen Zelltypen des hämato-
poetischen Systems bestimmen.
11.2 Die Rolle der Epigenetik bei Immunantworten 143
Unser Immunsystem ist ein System aus biologischen Strukturen wie dem Lymph-
system, Zelltypen wie Leukozyten (zelluläre Immunität) und Proteinen wie
Antikörpern und Komplementproteinen (humorale Immunität), die uns vor
Infektionskrankheiten und Krebs schützen. Die meisten Zellen des Immun-
systems werden alle paar Tage bis Wochen erneuert. Das impliziert auch, dass ihr
epigenetisches Training durch Begegnungen mit Mikroben und anderen Antigenen
ein fortlaufendes Lernereignis ist, das zu einem transienten epigenetischen
Gedächtnis in kurzlebigen Zellen sowie zu einem persistenten Gedächtnis in
langlebigen B- und T-Gedächtniszellen führt (Abschn. 11.3).
Das Immunsystem erkennt eine Vielzahl von Molekülen, sogenannte Anti-
gene, die potenziell pathogenen Ursprungs sind. Antigene befinden sich z. B.
auf der Oberfläche von Mikroben oder Krebszellen und unterscheiden diese von
unseren eigenen, gesunden Geweben. Die Funktionen des Immunsystems werden
in angeborene und adaptive Immunität unterteilt. Die angeborene Immunität ist
evolutionär älter, basiert auf den Zelltypen Monozyten/Makrophagen, Neutro-
phile und natürliche Killerzellen (NK-Zellen). Diese Form der Immunität nutzt
antimikrobielle Peptide und Proteine des Komplementsystems sowie die Phago-
zytose als destruktive Mechanismen gegen Krankheitserreger. Die adaptive
Immunität wendet ausgeklügeltere Abwehrmechanismen an, bei denen T- und
B-Zellen hoch spezifische Oberflächenrezeptoren gegen Antigene wie T- und
B-Zell-Rezeptoren verwenden. Letztere werden schließlich in sezernierte Anti-
körper umgewandelt. Darüber hinaus schafft das adaptive Immunsystem nach
einer anfänglichen spezifischen Reaktion auf ein Pathogen ein persistentes
Gedächtnis in Form von T- und B-Zell-Gedächtniszellen, das zu einer verstärkten
Reaktion auf nachfolgende Begegnungen mit demselben Antigen führt.
Monozyten werden von GMPs im Knochenmark produziert (Abb. 11.1),
in den Blutstrom freigesetzt und wandern innerhalb von ein bis drei Tagen
durch das Endothel von Blutgefäßen in verschiedene Gewebe. In Geweben
differenzieren sich Monozyten in Makrophagen oder dendritische Zellen. Dieser
Differenzierungsprozess basiert auf Veränderungen des Epigenoms als Reaktion
auf Kontakte mit Antigenen wie pathogenen Mikroben. Diese epigenetischen
Veränderungen schaffen eine Erinnerung an die Begegnung mit Mikroben
(Abschn. 11.3). Als Reaktion auf ihre Aktivierung durch Krankheitserreger
oder Metaboliten sezernieren Makrophagen eine Reihe von Signalproteinen wie
Cytokine, Chemokine und Wachstumsfaktoren, welche die Migration und Aktivi-
tät anderer Immunzellen beeinflussen. Diese Reaktion wird unabhängig davon,
ob sie durch eine Infektion oder Verletzung verursacht wird, als akute Ent-
zündung bezeichnet. Akute Entzündungen gehen mit Rötungen, Wärmebildung,
Schwellungen und Schmerzen einher, klingen aber innerhalb weniger Tage bis
Wochen ab. Entzündungen können auch auf Änderungen in der Konzentration von
144 11 Epigenetik der Immunfunktion
Krebs
Entzündliche Darmerkrankung
Genetische
Prädis-
position
Entzündung
Neurodegenerative Allergie
Erkrankungen Veränderungen des Autoimmun-
Epigenoms erkrankungen
und Transkriptoms
Epigenomweite
Stoffwechsel Programmierung
der Immun-
systems
Lebensstil-
entscheid-
ungen Fettleibigkeit
Insulinresistenz
T2D
Atherosklerose
Enhancer- Promotor-
region region
H3K27me3
H3K4me3
Ac Ac
IFNG IL4
CpG CpG
TH1-Differenzierung TH2-Differenzierung
Unterdrückter Enhancer Primär reagierendes Gen Sekundär reagierendes Gen
H3K4me3
H3K4me3
H3K4me1
Ac H3K27ac Ac Ac Ac Ac Ac
PAMP PAMP
TF TF TH1-Zelle TH2-Zelle
6 Stunden 1 Stunde Pol II Pol II CpG CpG
T-Zellen machen bis zu 30 % aller zirkulierenden Leukozyten aus und sind eine
wichtige Komponente des adaptiven Immunsystems. Sie kommen in einer Reihe
von Subtypen vor, z. B. TH-Zellen, zytotoxischen T- und regulatorischen T-Zellen.
Der Einfluss epigenetischer Veränderungen im Rahmen der regulatorischen T-Zell-
Proliferation wird am Beispiel des FOXP3-Gens (Forkhead-Box P3) demonstriert
(Abb. 11.4). In diesem Fall binden die Transkriptionsfaktoren REL (REL Proto-
onkogen, NFκB-Untereinheit), CBFB (core-binding factor subunit β) und RUNX1
(runt-related transcription factor 1) beide Enhancer stromabwärts des FOXP3-
Promotors und stimulieren die Expression des FOXP3-Gens. Die Bindung der
Transkriptionsfaktoren an die Enhancer führt zu deren schneller Demethylierung,
was eine Bindung des FOXP3-Proteins für eine stabile Autoregulation ermöglicht.
Somit erzeugt die transkriptionsfaktorvermittelte, lokale Demethylierung
einer Enhancerregion ein epigenetisches Gedächtnis, das die Progression der
T-Zell-Linie über mehrere Zellteilungen hinweg stabilisiert.
Neuere Studien, insbesondere des BLUEPRINT-Konsortiums (www.blueprint-
epigenome.eu), zeigten, dass Zellen des angeborenen Immunsystems wie Mono-
zyten/Makrophagen und NK-Zellen auch eine Gedächtnisfunktion haben, die
als trainierte Immunität bezeichnet wird (Abb. 11.5). Dieses eher kurzfristige
epigenetische Gedächtnis überwacht die enge Beziehung zwischen Immun-
herausforderungen und Auswirkungen auf das Chromatin. Die trainierte
Immunität basiert auf epigenetischen Veränderungen wie DNA-Methylierung
11.3 Epigenetische Grundlagen des immunologischen Gedächtnisses 149
TSS
Niedrig
Heterochromatin
TSS Heterochromatin
me3
me3 Heterochromatin
me3 me3
Ac
Ac
Ac Ac
Genexpressionsstärke
Treg-Zell-Differenzierung
Me Me Me
Me
REL
Me
Me Me
Me
Me Me
Me
Me Me
Me
Me Me
TSS
me3
me3
me3 me3
Heterochromatin
Ac Ac
Ac Ac
Me Me
Me
Me
REL
Me Me
Me
Me
Me
CBFB RUNX1
TSS
me3
me3 me3
me3
Ac
Ac Ac
Ac
Me Me Me
Me
REL
Hoch
Me
Me Me
Me
CBFB
Me
RUNX1
FOXP3
Infektion
Histonmodifikation
Ac
Angepasste
Zustände
Toleranz- Schleimhauttoleranz
Epigenetische
programm Beschränkung von Gewebe-
Reprogrammierung
vo
von Zellen des angeborenen DNA-Methylierung Transkriptionelle und schäden bei Impfungen
Immunsystems Funktionsprogramme Trainierte- Reifung von angepasster
Me Me Me
von trainierter Immunität programm Immunität
Unspezifischer Schutz durch
oder Impfungen
Modulierung von miRNA Nichtangepasste
Makrophage Zustände
Toleranz-
programm Immunlähmung bei Sepsis
Impfung
und Histonmodifikationen sowie auf der Wirkung von miRNAs und langen
ncRNAs. Die recht lange Halbwertszeit der letztgenannten Moleküle macht sie
gut geeignet für eine dauerhafte Programmierung des Epigenoms.
Die trainierte Immunität ermöglicht angeborenen Immunzellen, mit einer
quantitativ anderen Antwort zu reagieren, d. h. mit einer stärkeren Genex-
pression, wenn sie erneut von einem Pathogen herausgefordert werden (Abb. 11.6,
oben links). Diese Antwort kann zum Teil auch qualitativ unterschiedlich
sein, etwa durch die Expression eines alternativen Mustererkennungsrezeptors
(Abb. 11.6, unten links). Ein zentraler Mechanismus der trainierten Immuni-
tät ist die Vorbereitung von Enhancern (Abschn. 4.2), d. h. das Hinzufügen von
persistierenden Histonmarkierungen wie H3K4me1, die eine starke Reaktion nach
erneuter Stimulation ermöglichen (Abb. 11.6, rechts).
Die meisten Immunzellen sind sehr mobil und erleben viele verschiedene
Mikroumgebungen in unserem Körper. Das führt zu einer Vielzahl unter-
schiedlicher Signale und einer entsprechenden adaptiven epigenetischen
Programmierung des Enhancerrepertoires dieser Zellen. Es besteht ein
Gleichgewicht zwischen der Persistenz eines Epigenoms, das durch frühere
Stimuli programmiert wurde, und der Neuprogrammierung als Reaktion auf eine
sich ändernde Umgebung.
Weiterführende Literatur 151
Naiver Makrophage/NK-Zelle
e Aktivierter Makrophage/NK-Zelle
Stimulation
Geringe Genexpression Aktive Genexpression
me3 H3K4me3 me3 me3 me3
Ac Ac H3K27ac Ac Ac
Ruhend
Trainierter (stimulierter) Trainierter (ruhender)
Makrophage/NK-Zelle Makrophage/NK-Zelle
Hohe Genexpression Wiederholte
Stimulation Geringe Genexpression
me3 H3K4me3 me3
H3K4me1 Latente Enhancer
me me me me
me H3K4me1 me
Ac Ac H3K27ac Ac Ac
Weiterführende Literatur
Carlberg, C., and Velleuer, E. (2022). Molecular Immunology: How Science Works. Springer
Textbook ISBN: 978-3-031-04024-5.
Ellmeier, W. and Seiser, C. (2018). Histone deacetylase function in CD4+ T cells. Nat Rev
Immunol 18, 617–634.
Fitzgerald, K.A. and Kagan, J.C. (2020). Toll-like receptors and the control of immunity. Cell
180, 1044–1066.
Huber-Lang, M., Lambris, J.D. and Ward, P.A. (2018). Innate immune responses to trauma. Nat
Immunol 19, 327–341.
Monticelli, S. and Natoli, G. (2017). Transcriptional determination and functional specificity of
myeloid cells: making sense of diversity. Nat Rev Immunol 17, 595–607.
Epigenom-Umwelt-Interaktionen
und Therapie 12
Zusammenfassung
Trotz der enormen Zahl von mehr als 88 Mio. Variationen unseres Genoms, die
das 1000 Genomes Project aufgedeckt hat, können bei den meisten verbreiteten
multigenen Krankheiten nur etwa 20 % des genetischen Risikos erklärt werden.
Ein Teil dieser fehlenden Erblichkeit könnte durch die zukünftige Identi-
fizierung seltener SNVs behoben werden, aber die Hauptbeiträge zu diesem
Phänomen sind Umweltfaktoren und Lebensstilentscheidungen, die das Epi-
genom modulieren. Aus dem gleichen Grund sind Bevölkerungsgruppen,
die in nur wenigen Generationen den Übergang von Hungern zu Nahrungs-
überschuss vollzogen haben, einem höheren Risiko ausgesetzt, Stoffwechsel-
krankheiten zu entwickeln, als solche, die ihre Ernährungsbedingungen über
viele Generationen hinweg verbessert haben. Das Projekt iPOP (integrative
persönliche Omik-Profilerstellung) stellte bei seiner Veröffentlichung 2012 die
umfassendste Bewertung von Individuen dar und dient weiterhin als Musterbei-
spiel für die Erkennung von Genom-Umwelt-Interaktionen. Die meisten epi-
genetischen Veränderungen sind reversibel, was ein erhebliches therapeutisches
Potenzial für Inhibitoren von Chromatinmodifikatoren impliziert. Diese
Moleküle werden in der Therapie von Immunerkrankungen und insbesondere
in der Immuntherapie von Krebs eingesetzt.
Schlüsselwörter
Genetik · GWAS · Fehlende Erblichkeit · Integrative persönliche
Omik-Profilerstellung · Chromatinmodifikatorinhibitoren · Krebsimmuntherapie
Das 1000 Genomes Project hat gezeigt, dass Menschen insgesamt mehr als
88 Mio. Varianten im Genom haben (Kasten 1.1). Jeder von uns unterscheidet sich
jedoch von jedem nichtverwandten Individuum nur durch durchschnittlich etwa
4 Mio. genetische Varianten, die aufgrund einiger Tausend größerer struktureller
Varianten etwa 12 Mb DNA-Sequenz umfassen. Das bedeutet, dass 99,6 % des
Genoms aller Menschen identisch sind, während nur 0,4 % unsere individuellen
Merkmale wie Größe, Augen- und Haarfarbe sowie unsere Veranlagung für
häufige multigenetische Erkrankungen wie T2D, Atherosklerose und Alzheimer
erklären.
Humangenetische Studien legten die Grundlage für das molekulare Verständ-
nis von Erkrankungen, bei denen in den meisten Fällen eine einzige SNV das
Auftreten der Krankheit erklären kann, d. h., sie sind monogen. In den letzten
20 Jahren waren genomweite Assoziationsstudien (GWASs) für die genetische
Analyse komplexer Erkrankungen sehr populär. GWASs verwenden einen
„agnostischen“ Ansatz bei der Suche nach unbekannten Krankheitsvarianten, d. h.,
Hunderttausende von SNVs werden in großen Kohorten von Patienten im Ver-
gleich zu gesunden Kontrollen auf Assoziation mit einer Krankheit getestet. Der-
zeit (März 2023) enthält die Datenbank GWAS Catalogue (www.ebi.ac.uk/gwas)
die Resultate von mehr als 48.000 Studien.
Der Einfluss von SNVs auf die proteincodierende Sequenz unseres Genoms
(weniger als 2 % der gesamten Sequenz) ist gut belegt. Synonyme Mutationen ver-
ändern das codierte Protein nicht, aber nichtsynonyme Mutationen verursachen
eine Veränderung in der Aminosäuresequenz (Missense) oder führen ein vor-
zeitiges Stoppcodon ein (Nonsense). Indels sowie CNVs in Exonsequenzen
können Leserastermutationen erzeugen. Darüber hinaus können Variationen
in Intronsequenzen zu alternativem Spleißen führen. Die überwiegende Mehr-
heit der genetischen Varianten befindet sich jedoch in regulatorischen und
nicht in codierenden Regionen von Genen, d. h., die phänotypischen Folgen
der meisten genetischen Varianten beruhen eher auf epigenetischen oder
genregulatorischen Prozessen als auf einer Veränderung der Proteinfunktion.
Funktionell relevante, epigenomweite Variationen treten an genregulatorischen
Elementen auf, z. B. an CpGs oder Transkriptionsfaktorbindungsstellen in
Promotor- und Enhancerregionen. Beispielsweise erleichtert, verstärkt oder
hemmt ein SNV innerhalb der DNA-Bindungsstelle eines Transkriptionsfaktors
die Bindung des entsprechenden Proteins. Der Transkriptionsfaktor beeinflusst
dann die lokale Chromatinstruktur über die Rekrutierung von chromatinmodi-
fizierenden Enzymen, hinterlässt Markierungen in der lokalen Chromatinregion
und führt schließlich zur Aktivierung der Pol II und der Transkription des ent-
sprechenden Gens. Das kann sich positiv auf das Merkmal auswirken. Wenn der
Transkriptionsfaktor dagegen nicht binden kann, bleibt die Region inaktiv und
das Gen wird nicht transkribiert, was sich negativ auf das untersuchte Merkmal
auswirken kann. Insgesamt werden die DNA-Methylierungsgrade bei Tausenden
12.1 Umwelt versus Genetik 155
von CpGs von genetischen Varianten beeinflusst. Diese Stellen im Genom werden
als mQTLs (methylation quantitative trait loci) bezeichnet. Die überwiegende
Mehrheit der epigenetischen Variationen besitzen eine cis-Aktivität bezüglich
ihrer Auswirkungen auf die Chromatinaktivität und die Genexpression, d. h., sie
treten innerhalb derselben Region auf, z. B. einem TAD. Im Gegensatz dazu sind
trans-wirkende epigenetische Variationen wie Epimutationen in pluripotenten
Transkriptionsfaktoren sehr spärlich, was darauf hindeutet, dass sie höchst schäd-
lich sind. Tatsächlich sind sie Schlüsselmutationen in der Epigenetik von Krebs
(Kap. 8).
GWASs mit 2000–5000 Personen identifizierten zuverlässig häufige Varianten
mit Effektstärken, die als odds ratios (ORs) bezeichnet werden, von 1,5 oder
mehr, d. h. einem um 50 % erhöhten Risiko für die getestete Krankheit. Größere
Stichprobenumfänge wurden erreicht, indem mehrere GWASs in Metaana-
lysen zusammengefasst wurden. Beispielsweise bieten Stichprobengrößen von
mindestens 60.000 Probanden eine ausreichende Aussagekraft, um die Mehrheit
der Varianten mit ORs von 1,1 zu identifizieren, d. h. einem um 10 % erhöhten
Risiko. Trotz einiger bemerkenswerter Erfolge bei der Aufdeckung zahlreicher
neuer SNVs und Orten im Genom, die mit komplexen Phänotypen assoziiert sind,
lassen sich bei den meisten polygenen Merkmalen weniger als 20 % ihrer
Erblichkeit durch die gemeinsamen Varianten erklären.
SNVs einer komplexen multigenen Erkrankung haben meist niedrige ORs
(Abb. 12.1, rechts), während seltene monogenetische Formen einer Erkrankung
hohe ORs aufweisen (Abb. 12.1, links). Es wird erwartet, dass die Sequenzierung
des gesamten Genoms einer großen Anzahl von Individuen in Zukunft viel mehr
niederfrequente SNVs mit intermediären ORs identifizieren wird (Abb. 12.1,
Mitte), um das genetische Krankheitsrisiko einer Person besser erklären zu
können. Allerdings wird das Phänomen der fehlenden Erblichkeit bestehen
bleiben, bei der bis zu 80 % des Risikos für eine bestimmte Krankheit nicht ver-
lässlich abgeschätzt werden kann. Die Bewertung des Krankheitsrisikos auf der
Grundlage der Sequenzierung des gesamten Genoms ist begrenzt, da es die Rolle
der Umwelt, die das Epigenom maßgeblich beeinflusst, nicht erfasst. Die einzigen
bekannten Ausnahmen sind die altersbedingte Makuladegeneration und Typ-1-
Diabetes, für die die Kombinationen von häufigen und seltenen Varianten ein
quantifizierbares Risikoprofil liefern können. Daher kann ein Teil der fehlenden
Erblichkeit durch bisher nicht identifizierte, seltene Varianten mit hohen ORs
erklärt werden, der größte Teil jedoch durch epigenetische Varianten.
Die Zusammensetzung von Nahrungsfetten beeinflusst die DNA-Methylierung
in Adipozyten, was einer von mehreren Hinweisen darauf ist, dass das meta-
bolische Syndrom und verwandte Störungen mit epigenetischen Veränderungen
zusammenhängen. Die Lebensstilentscheidung, eine westliche Ernährung (western
diet) zu bevorzugen, ist die Hauptursache für T2D und mehrere Arten von Krebs.
Parallel dazu verursacht die Exposition mit Nicotin und anderen Toxinen erheb-
liche epigenetische Veränderungen in verschiedenen Organen, was erklärt,
warum Rauchen die Hauptursache für verschiedene Krebsarten ist und auch
zu Atemwegs- und Autoimmunerkrankungen beiträgt. Alle diese umwelt- und
156 12 Epigenom-Umwelt-Interaktionen und Therapie
50,0
Seltene Allele, Wenige Beispiele
Hoch von häufige Varianten
die monogenetische
mit großem Effekt auf
Erkrankungen häufige Erkrankungen
verursachen
Effektgröße (OR)
3,0 Niederfrequente
Mittel
Varianten mit
mittlerem Effekt
Gering Bescheiden
SSehr
h selten
lt SSelten
lt Wenig Häufig
Innerhalb von mehr oder weniger einer Generation (33 Jahre) zwischen 1981 und
2014 hat sich die weltweite Prävalenz für Fettleibigkeit verdoppelt. Ganz offen-
sichtlich sind westliche Ernährung in Kombination mit verminderter körperlicher
12.2 Epigenomweite Diagnose 157
Erste Generation
Intrauterine Verbessertes Über-
Unterernährung Wachstums- leben und Wachstum
beschränkung Normale/erhöhte Fettleibig
Nahrungs-
Makrosom/ verfügbarkeit
Überernährung
erhöhtes Körperfett Fett- und
kalorienreiche
Ernährung
Normale/erhöhte
Zweite Generation
Nahrungs-
Makrosom/ verfügbarkeit
Fettleibig Fett- und Fettleibig
erhöhtes Körperfett
kalorienreiche
Ernährung
wird durch eine iPOP-Analyse von etwa 100 Personen veranschaulicht (http://
snyderlab.stanford.edu/iPOP.html), die das Potenzial von NGS-Technologien
demonstriert (Abb. 12.3). Die iPOP-Studie umfasste eine vollständige Genom-
sequenzierung und Probenentnahme von:
Gewebeproben, Füssigkeiten,
Oberflächen und Ausscheidungen Krankheits-
RNA-Editing
des Körpers geschichte
Heteroallele SNVs
Genom
DNA
Methylom Proteinexpression
Mikrobiom Metagenom
Datenintegration
iPOP
RNA-Expression
RNA Transkriptom
T1 iPOP Indels
Verdopplungen
Deletionen
Proteom Chromosomen-
Protein ideogramm
Autoantikörper
Chromosomen-
nummer
Metaboliten Metabolom Da
iPOP ten
int
iPOP eg
iPOP rat
ion
Pharmako- T2 iPOP
genom T3 iPOP
T4
T5 Databank
Prävention Tn
(anonym)
Behandlung
Rückmeldung an
Hausarzt und
genetischen Berater
Ze
it ve
rla
uf
Während des Alterns ändert sich die Acetylierung und Methylierung der Histone
vieler Regionen im Genom, weil SIRTs das Abschalten von Genen und damit
Langlebigkeit fördern können (Abschn. 7.3). In ähnlicher Weise wird auch das
Epigenom von Krebszellen während des Transformationsprozesses von normalen
Zellen umprogrammiert. Die Kartierung aktiver und inaktiver Chromatinregionen
in Krebszellen ermöglicht eine genauere Prognose und kann sogar die Therapie
erleichtern. Beispielsweise sind DNMT- und HDAC-Inhibitoren bereits für die
Krebsbehandlung zugelassen (Abschn. 8.5). Darüber hinaus können zahlreiche
psychiatrische Erkrankungen wie Angst und Depression mit HDAC-Inhibitoren
behandelt werden (Abschn. 9.3). Interessanterweise verstärken diese nieder-
molekularen Inhibitoren auch die Wirksamkeit von Immuntherapeutika wie
etwa eine Blockade der Wechselwirkung zwischen dem hemmenden Rezeptor
PDCD1 (programmierter Zelltod 1, auch PD1 genannt) auf zytotoxischen
T-Zellen und CD274 (CD274-Molekül) auf Krebszellen (Abb. 12.4). Gegen-
wärtig ist die Immuntherapie die vielversprechendste Krebstherapie, da sie sich
die allgemeine Immunüberwachungsfunktion zytotoxischer T-Zellen zunutze
macht. In diesen Zellen würden PDCD1-induzierte Signalübertragungswege
ihre Aktivierung inhibieren, was durch Blockierung von PDCD1 verhindert
wird. Diese sogenannte Immuncheckpointblockade kann die Antitumorimmun-
antwort des Wirts verstärken, wenn zytotoxische T-Zellen ihr Wachstum und
ihre Effektorfunktion wieder aufnehmen. Darüber hinaus induzieren die DNMT-
Inhibitoren Azacitidin und Decitabin die Expression von Genen, die MHCs
(Haupthistokompatibilitätskomplexe) oder Tumorantigene codieren. Das erhöht
die Sichtbarkeit der Krebszelle für zytotoxische T-Zellen und deren anschließende
Eliminierung. Darüber hinaus erhöht Decitabin die Empfindlichkeit von Krebs-
zellen gegenüber einer Wachstumshemmung durch Typ-I-Interferone. Das führt
zu einer „viralen Mimikry“, bei der die DNA-Demethylierung die Transkription
endogener retroviraler Elemente in den Krebszellen aktiviert, was zu einer
durch doppelsträngige RNA vermittelten Immunantwort führt. Die Kombination
mit einem epigenetischen Mediator, z. B. Chromatinmodifikatorinhibitoren,
gibt der Immuncheckpointblockade von T-Zellen einen breiteren Ansatz zur
Behandlung von Krebs und chronischen Infektionen. Beispielsweise zeigten
162 12 Epigenom-Umwelt-Interaktionen und Therapie
Typ-I-Interferone
Anti-CTLA4
Blockade von
“Virales Mimikry”
PDCD1-CD274-
Interaktion
Krebszelle BET-
Inhibitoren CTLA4
DNMT-
Inhibitoren Zytotoxische
HDAC- CD274 PDCD1
T-Zelle
Inhibitoren
EZH2- CD40 CD154
Inhibitoren
Aktivierung
Tumor- Tumor-
antigene MHC- TCR infiltration
Antigen- Klasse I
prozessierung
Proliferation
MICA
MICB Chemokine
Interleukine HDAC-
Interferone Inhibitoren
TReg-Zelle
Tumor-
infiltration
Aktivierung
Histon- KMTi
mimetika • Stammzell- HDACi
• Infektion umprogrammierung
• Pathogene • Medikamentenresistente
Krebszellen
Metaboliten ncRNAs
SAM
Acetyl-CoA Kofaktoren Chromatin-reader iBET
NAD/NADH
• Stoffwechsel • Krebs
• circadiane Rhythmen • Entzündung
HDACi
DNMTi
• Verhalten Me Me Me Me Me Me
• Lernen
• Komplexe Erkr
Erkrankungen • Krebs
• Krebs
b • DNA-Reparatur
HDACi
DNMTi Höher geordnete PARPi
SIRTi DNA-Methylierung hromaatinstr
tinstrukture
u tu en
Chromatinstrukturen n
• Krebs
• Immunaktivierung • Chromosomemstabilität
• Tumorsuppression
HDACi
DNMTi KDMi
Weiterführende Literatur
Berdasco, M., and Esteller, M. (2019). Clinical epigenetics: seizing opportunities for translation.
Nat Rev Genet 20, 109–127.
Feinberg, A.P. (2018). The key role of epigenetics in human disease prevention and mitigation. N
Engl J Med 378, 1323–1334.
Ghoneim, H.E., Fan, Y., Moustaki, A., Abdelsamed, H.A., Dash, P., Dogra, P., Carter, R., Awad,
W., Neale, G., Thomas, P.G., et al. (2017). De novo epigenetic programs inhibit PD-1
blockade-mediated T cell rejuvenation. Cell 170, 142–157.
Green, E.D., Gunter, C., Biesecker, L.G., Di Francesco, V., Easter, C.L., Feingold, E.A., Felsen-
feld, A.L., Kaufman, D.J., Ostrander, E.A., Pavan, W.J., et al. (2020). Strategic vision for
improving human health at The Forefront of Genomics. Nature 586, 683–692.
Karczewski, K.J. and Snyder, M.P. (2018). Integrative omics for health and disease. Nat Rev
Genet 19, 299–310.
Glossar
CpG: ist ein CG-Dinukleotid (das „p“ zeigt das Phosphat an, das die beiden
Nukleoside verbindet). Von 16 möglichen Dinukleotiden sind CpGs die ein-
zigen, die symmetrisch methyliert werden können, d. h. die DNA-Methylierung
kann nur durch CpGs an beide Tochterzellen vererbt werden.
CpG-Insel: ist eine Region von mindestens 200 bp, die einen CG-Prozentsatz von
mehr als 55 % aufweist. Typische CpG-Inseln sind jedoch 300–3000 bp lang.
CTCF: ist ein Transkriptionsfaktor mit einer Elf-Zinkfinger-DNA-Bindungs-
domäne, der an vielen zellulären Prozessen beteiligt ist, z. B. an der
Transkriptionsregulation, an der Isolatoraktivität und der Regulation der
Chromatinarchitektur.
DNA-Methylierung: ist das kovalente Anfügen einer Methylgruppe an die
C5-Position eines Cytosins.
DNA-Methyltransferasen (DNMTs): sind eine Familie von Enzymen,
welche die Übertragung einer Methylgruppe auf Cytosine genomischer DNA
katalysieren.
Effektgröße (odds ratio, OR): ist der mathematische Ausdruck der Beziehung
zwischen dem Vorhandensein oder Fehlen einer DNA-Variante, z. B. eines
SNVs, und dem Vorhandensein oder Fehlen eines Merkmals, z. B. einer Krank-
heit, in einer Population.
Einzelnukleotidvariante (SNV): ist die Substitution eines einzelnen Nukleotids
an einer bestimmten Position im Genom.
Ektoderm: ist die äußerste Schicht der drei embryonalen Keimschichten, aus der
Haut, Haare und Augen und Nervensystem entstehen.
Embryogenese: wird auch Embryonalentwicklung genannt und ist der Prozess,
durch den sich der Embryo formt und entwickelt. Bei Säugetieren wird der
Begriff ausschließlich für die frühen Stadien der pränatalen Entwicklung ver-
wendet, während die Begriffe Fötus und fötale Entwicklung spätere Stadien
beschreiben.
Embryonale Stammzelle (ES-Zelle): ist eine pluripotente Stammzelle, die aus
der inneren Zellmasse des frühen Embryos gewonnen wird. Pluripotente Zellen
sind in der Lage, praktisch alle Zelltypen des Organismus zu erzeugen.
Endoderm: ist die innerste Schicht der drei embryonalen Keimschichten, aus
der die Epithelien des Verdauungs- und Atmungssystems wie Leber, Bauch-
speicheldrüse und Lunge hervorgehen.
Enhancer: ist ein kurzer Abschnitt des Genoms, der (wie ein Promotor) Cluster
von Transkriptionsfaktorbindungsstellen enthält, die ein Gen innerhalb der-
selben TAD regulieren.
Enhancer-RNAs (eRNAs): sind eine Klasse von relativ kurzen ncRNA-
Molekülen (50–2000 Nukleotide), die von Enhancerregionen transkribiert
168 Glossar
werden. Die Expression einer bestimmten eRNA korreliert mit der Aktivität
ihres entsprechenden Enhancers.
Epigenetik: ist die Untersuchung vererbbarer Veränderungen in der Gen-
funktion, die keine Veränderungen in der DNA-Sequenz beinhalten. Zu den
epigenetischen Mechanismen gehören die kovalenten Modifikationen von DNA
und Histonen.
Epigenetische Epidemiologie: ist die Untersuchung der Beziehung zwischen
epigenetischen Varianten und Krankheitsphänotypen in der Bevölkerung.
Epigenetische Landschaft: ist eine Metapher der Zellentwicklung, in der
Täler und Berge veranschaulichen, wie eine pluripotente Zelle in einen wohl-
definierten differenzierten Zustand geführt wird, dargestellt durch einen Ball,
der in ein Tal hinunterrollt.
Epigenetische Mediatoren: sind Gene, deren Produkte die Ziele der epi-
genetischen Modifikatoren sind.
Epigenetische Medikamente: sind niedermolekulare Inhibitoren, die auf
chromatinmodifizierende Enzyme wie DNMTs, HATs, HDACs, KMTs oder
KDMs abzielen.
Epigenetische Programmierung: ist der Prozess, der auf spezifischen kovalenten
Modifikationen von genomischer DNA und Histonen basiert und zu stabilen
und dauerhaften Veränderungen des Epigenoms führt.
Epigenetische Uhr: ist ein Begriff, der verwendet wird, um das Alter auf der
Ebene der DNA-Methylierung zu messen.
Epigenetische Drift: ist eine Divergenz des Epigenoms in Abhängigkeit vom
Alter aufgrund stochastischer Veränderungen der DNA-Methylierung oder
stabiler Histonmodifikationen.
Epigenetischer Modifikator: ist meist identisch mit einem chromatinmodi-
fizierenden Enzym oder den enzymcodierenden Genen.
Epigenetische Modulatoren: sind Gene, die den epigenetischen Modifikatoren
und Mediatoren vorgeschaltet sind. Die Produkte dieser Gene vermitteln Ver-
letzungen, Entzündungen und andere Formen von zellulärem Stress.
Epigenetisches Gedächtnis: ist eine vererbbare Veränderung der Genexpression,
die durch einen früheren Entwicklungs- oder Umweltreiz induziert wird. Es
erfordert chromatinbasierte Veränderungen wie DNA-Methylierung, Histon-
modifikationen oder den Einbau von Histonvarianten.
Epigenom: ist der vollständige Satz epigenetischer Modifikationen im gesamten
Genom eines Individuums.
Epigenomik: umfasst Studien des Epigenoms.
Glossar 169
Multipotent: ist die Fähigkeit einer Zelle, sich in mehrere, aber eine begrenzte
Anzahl von Zelltypen zu differenzieren. Beispielsweise sind Zellen der
embryonalen Keimblätter und adulte Stammzellen multipotent.
Nichtcodierende RNA (ncRNA): ist ein RNA-Molekül, das nicht in ein Protein
übersetzt wird.
Nukleosom: ist die Grundeinheit der DNA-Verpackung in Eukaryoten und
besteht aus 147 bp genomischer DNA, die um ein Histonoktamer gewickelt ist.
Pathogenassoziierte molekulare Muster (PAMPs): sind kleine molekulare
Strukturen, die von Mikroben stammen, z. B. Lipopolysaccharide. Sie werden
von Toll-like-Rezeptoren und anderen Mustererkennungsrezeptoren auf der
Oberfläche von Zellen des angeborenen Immunsystems erkannt.
Phänotyp: ist die Gesamtzahl beobachtbarer Merkmale eines Individuums, die
sich aus der Wechselwirkung seines Genotyps mit der Umwelt ergeben.
PHD-Finger: ist eine Proteindomäne mit einer Länge von 50–80 Aminosäuren,
die dreifach methylierte Lysine erkennt. Es kommt in mehr als 100 Proteinen
beim Menschen vor, darunter Koaktivatoren, Polycomb-Proteinen, Proteinen
der Trithorax-Gruppe und KDMs.
Pionierfaktoren: sind Transkriptionsfaktoren, die direkt an Heterochromatin
binden können. Sie können positive und negative Auswirkungen auf
die Transkription haben und sind wichtig für die Rekrutierung anderer
Transkriptionsfaktoren und histonmodifizierender Enzyme sowie für die
Kontrolle der DNA-Methylierung.
Plastizität: ist die Reversibilität epigenetischer Markierungen auf DNA und
Proteinen.
Pluripotenz: ist die Fähigkeit einer Zelle, sich in alle drei Keimblätter zu
differenzieren und alle fötalen oder adulten Zelltypen hervorzubringen. Bei-
spielsweise sind Zellen der inneren Zellmasse von Blastozysten pluripotent.
Polycomb-Repressionskomplexe (PRCs): sind große Proteinkomplexe, die den
Zugang von Chromatin zu Transkriptionsfaktoren und damit die Genexpression
einschränken.
Posttranslationale Modifikationen: sind kovalente Modifikationen, durch
welche die meisten Proteine ihr volles Funktionsprofil erreichen. Aufgrund
posttranslationaler Modifikationen ist das Proteom weitaus komplexer als das
Transkriptom und variiert auch stark in Reaktion auf extra- und intrazelluläre
Signale.
Promotoren: sind Abschnitte genomischer DNA, die zur produktiven
Transkriptionsinitiation genutzt werden und mindestens eine TSS-Region
umfassen.
Glossar 173
A
Acetyl-CoA, 134 Chromatinzugänglichkeit, 4
Agouti-Maus-Modell, 86 Chromodomäne, 59
Akute Entzündung, 143 Chromosom, 1
α‑Ketoglutarat, 130 Chromosomenterritorium, 23
Alzheimer-Krankheit, 125 Chronische Entzündung, 144
AMPK, 96 CpG-Insel, 32
Antigen, 145 CTCF (CCCTC-Bindungsfaktor), 21, 38
ATAC-seq, 27
ATPase, 64
Autismus, 121 D
Autoimmunerkrankung, 147 DAMP, 144
Autophagie, 134 Depletion eines Nukleosoms, 77
DNA-Methylierung, 32
DNA-Methylom, 34
B DNA-Methyltransferase (DNMT), 7, 33
Bereites Gen, 61 DNA-Reparatur, 94
Big-Biology-Projekt, 13 DNA-Schleifenbildung, 21
Biomarker, 42 DNase-seq, 27
Biomarker des Alterns, 92 DNMT (DNA-Methyltransferase), 7, 33
Bisulfitsequenzierung, 34 DNMT-Inhibitor, 111
Bivalent, 51 DOHaD, 136
Bromodomäne, 59
E
C Effektor-T-Zelle, 148
CA-Dinukleotid, 120 Einzelzellanalyse, 27
CCCTC-Bindungsfaktor (CTCF), 21 Embryogenese, 71
CEBPα, 142 ENCODE-Projekt, 13
CHD-Remodellierer, 65 Energiestatus, 97
ChIPmentation, 26 Energiestoffwechsel, 136
ChIP-seq, 25 Enhancer, 21
Chromatinarchitektur, 38 Epidermale Differenzierung, 81
Chromatinimmunpräzipitation, 25 Epigenetik, 1
Chromatinmodellierer, 58 Epigenetische Barriere, 109
Chromatinmodifikator, 48 Epigenetische Drift, 86
Chromatinstatus, 51 Epigenetische Epidemiologie, 89
Chromatinstruktur, 2 Epigenetische Krankheit, 109
Chromatinverpackung, 120 Epigenetische Krebstherapie, 110
H L
Hämatopoese, 139 Lange ncRNA, 66
HAT (Histonacetyltransferase), 6 Langzeitgedächtnis, 119
HAT-Familie, 58 Latenter Enhancer, 51
HDAC (Histondeacetylase), 6 Lebensspanne, 91
Stichwortverzeichnis 179
M R
Makronährstoff, 127 Regulatorische T-Zelle, 148
Makrophage, 145 Repetitive genomische DNA, 36
Master-Transkriptionsfaktor, 75 REST, 125
MECP2, 117 Rett-Syndrom, 117
MeDIP-seq, 34 Roadmap-Epigenomics-Projekt, 50
Metabolisches Syndrom, 137 Rubinstein-Taybi-Syndrom, 123
Methylgruppendonor, 86
Methylierungssensitiver Transkriptionsfaktor,
37 S
Mikrobe, 145 SAM, 130
Mikronährstoff, 127 Seneszenz, 94
Molekulare Uhr, 96 Sequenzierungsmethode, 34
Morbus Crohn, 147 Sexualsteroidhormon, 97
Multiple Sklerose, 147 Signalintegrator, 60
Multipotente Zelle, 11 Signalübertragungsweg, 48
Myeloische Abstammungslinie, 140 Sirtuin, 58
sparsamen Phänotyp, 88
Stammzelle, 75
N Stoffwechselorgan, 135
NAD+, 132 Störung der genetischen Prägung, 40
Neuroepigenetik, 116 Super-Enhancer, 80
Neuronale Entwicklung, 116 SWI/SNF-Remodellierer, 65
Neuronale Plastizität, 117 Syndrom vorzeitigen Alterns, 93
Next generation sequencing (NGS), 11
NGS (next generation sequencing), 11
Nicht-CpG-Methylierung (mCH), 32 T
NK-Zelle, 148 T2D, 160
Nukleosom, 16 TAD (topologisch assoziierte Domäne), 22
Nutrigenomik, 128 Terminal differenzierte Zelle, 11
Terminale Differenzierung, 10
TET, 33
O T-Helferzelle, 146
Onkogen, 102 Totipotente Zelle, 11
Trainierte Immunität, 148
Transformation, 109
P Transgenerationale epigenetische Vererbung,
PAMP, 144 74
Parkinson-Krankheit, 125 Transkriptionsfaktor, 18
PBMC, 92 Treiber, 107
Personalisierte Ernährung, 160 TSS-Region, 18
Personalisierte Medizin, 158 Tumorentstehung, 41
Pharmakogenomik, 128 Tumorsuppressorgen, 41
Pionierfaktor, 78
180 Stichwortverzeichnis
U Z
Unipotente Zelle, 11 Zellkern, 23
Urkeimzelle, 72 Zelluläre Homöostase, 12
Zelluläre Umprogrammierung, 77
Zellzustandsübergang, 79
V Zentrales Dogma der Molekularbiologie, 7
Verringerte Nahrungsaufnahme, 97 Zygote, 72
Zytotoxische T-Zelle, 161
W
Werner-Syndrom, 95
X
X-Chromosom, 67
X-Chromosom-Inaktivierung, 78
Xist, 67