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Olaf G. Schmidt
Genetik
und Molekular-
biologie
2. Auflage
Kompaktwissen Biologie
Reihenherausgeber:
Olaf Fritsche, Ratekau, Deutschland
In mehreren Bänden, die sich jeweils auf ein Fach im Kanon der Lebenswissenschaften konzentrieren,
bietet sie Studierenden das ideale Material für die Prüfungsvorbereitung und nach der Prüfung ein
kompaktes Nachschlagewerk auf hohem Niveau. Kurz und prägnant präsentieren sie das gesamte not-
wendige Wissen auf wenig Raum – und decken zudem die Anforderungen des für Mediziner wichtigen
Gegenstandskatalogs ab. Indem die Bände der Buchreihe Kompaktwissen den Inhalt ähnlich struktu-
rieren, wie er in den Vorlesungen abgehandelt wird, erhalten sie die fachlichen Zusammenhänge, wo-
durch sie auch vorlesungsbegleitend genutzt werden können.
Olaf G. Schmidt
Genetik und
Molekularbiologie
2. Auflage
Olaf G. Schmidt
Essen, Deutschland
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2017, 2023
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht aus-
drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das
gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
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diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung
zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die
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Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in
diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch
die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des
Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen
und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.
„So dünn? Und das soll ein Lehrbuch sein?“, werden Sie sich vermutlich fragen,
wenn Sie zum ersten Mal einen Band aus der Reihe Kompaktwissen in den Händen
halten. Falls Sie die Reihe bereits kennen, haben Sie sicherlich schon bemerkt, dass
jeder Band auf rund 200 Seiten die gleichen Informationen bereithält wie ein
herkömmliches Lehrbuch von 1000 Seiten. Wie ist das möglich?
Das Kompaktwissen verzichtet auf die ausführlichen Erklärungen und zahl-
reichen Beispiele, mit denen andere Lehrbücher ihre Seiten füllen. Stattdessen setzt
es ganz auf knappe und klare Darstellungen von Fakten, Zusammenhängen und
Prinzipien – sowohl im Text als auch bei den Abbildungen. Die Bände sind ge-
wissermaßen der Espresso unter den Lehrbüchern.
Damit eignen sie sich besonders …
… zur Nachbereitung der Lehrveranstaltungen an der Universität oder Hoch-
schule. Das Wissen der Vorlesung oder des Seminars ist in den Büchern struktu-
riert aufgeführt und kann so schnell wiederholt werden.
… zur Vorbereitung auf Prüfungen. Die Bücher bieten den Lernstoff ohne Bal-
last und im richtigen Kontext an. Sie verschaffen damit einen Überblick und liefern
das nötige Faktenwissen. Speziell für Mediziner wurde der Inhalt des Gegen-
standskatalogs berücksichtigt und aufgenommen.
… zum Nachschlagen. Wenn Sie im Laufe des späteren Studiums oder nach des-
sen Abschluss Teile Ihres früheren Wissens vergessen haben, können Sie es mit
wenig Zeitaufwand wieder auffrischen.
Jeder Band Kompaktwissen behandelt ein Thema aus dem Fächerkanon der
Lebenswissenschaften, sodass die Reihe insgesamt auf wenig Raum das Wissen zur
Biologie und ihren Schwesterwissenschaften, wie es zum Bachelor oder zum ersten
Staatsexamen verlangt wird, zusammenfasst.
Die Autoren, der Herausgeber und der Verlag hoffen, Ihnen damit eine wert-
volle Hilfe für das Studium und die Prüfungsvorbereitung an die Hand zu geben.
Olaf Fritsche
Heidelberg, Deutschland
Juni 2016
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
Selten schaffen es wissenschaftliche Ergebnisse bis in die Tagesschau. Bei der Ge-
netik ist das anders: Sequenzierung des menschlichen Erbguts, Embryonen mit
drei Eltern, neueste Methoden zur Manipulation des Erbguts – immer wieder kom-
men derartige Schlagwörter in den Nachrichten vor. Offensichtlich ist diese Wissen-
schaft nicht ganz unbedeutend. Die Genetik ist in den vergangenen Jahren mehr
und mehr zu einer Leitwissenschaft gereift.
Der Zuwachs an Wissen hat die Genetik-Lehrbücher enorm anschwellen lassen.
Wer sich jetzt Prüfungs- und Berufswissen aneignen möchte, muss straffen und
weiß nicht wie. Wer eine Antwort auf eine Frage sucht, muss viel blättern und
lesen. Vielleicht kann dieses Buch dem Leser die lästige Arbeit abnehmen. Wenn
das gelingt und das Buch nützlich und hilfreich ist, so ist es auch das Verdienst mei-
ner Testleser und Kolleginnen und Kollegen, die mich auf Fehler und Wege zur
Verbesserung aufmerksam gemacht haben.
Die Idee zu dieser Buchreihe hatte Olaf Fritsche, dem ich dafür danke, dass ich
mit diesem Genetik-Band an der Reihe mitwirken kann, und dem ich für zahlreiche
Hinweise zur Verbesserung Dank schulde.
Ich möchte mich auch bedanken bei Merlet Behncke-Braunbeck vom Springer-
Verlag, die dieses Projekt mit ins Leben gerufen hat, und bei Meike Barth, für ihre
sehr freundliche Unterstützung und hilfreiche Begleitung, als dieses Buch allmäh-
lich Gestalt annahm.
VII
Seit dem Erscheinen der ersten Auflage von Genetik und Molekularbiologie ist das
Buch freundlich aufgenommen worden. Mittlerweile hat die wissenschaftliche Dy-
namik zu einem neuen Kenntnisstand geführt, sodass der Springer-Verlag eine
zweite Auflage herausgibt. Für diese ist das bisherige Konzept von klaren und
übersichtlichen Darstellungen mit relevanten Beispielen beibehalten worden. Auch
die Gliederung ist geblieben, sodass neue Erkenntnisse und Ergebnisse die bisher
vorhandenen Kapitel ergänzen. Weitere Abschnitte sind hinzugekommen und
fügen das neue Wissen ein. Naturgemäß fallen die Aktualisierungen unterschied-
lich umfangreich aus. Umfassender sind beispielsweise die Ausführungen zur
Genomorganisation, zur Epigenetik oder zur RNA-Welt erweitert worden. Denn
es zeigt sich immer deutlicher, wie sehr gerade diese Gebiete miteinander ver-
schränkt sind. So sind viele Faktoren, die das Genom und seine Architektur orga-
nisieren, auch an der Regulation der Expression beteiligt. Die Querverweise in dem
Text, welche Bedeutung die Faktoren noch in anderen Zusammenhängen zeigen,
sollen weiterhin beim Lernen helfen. Neue Abbildungen sind hinzugekommen, ei-
nige veraltete weggefallen.
Meike Barth vom Springer-Verlag hat auch diese Auflage vom Anfang bis zur
Fertigstellung freundlich, engagiert und mit Unterstützung begleitet. Vielen Dank
dafür.
Olaf Schmidt
Essen, Deutschland
Juni 2016/Oktober 2023
Einleitung
Es kommt nicht oft vor, dass die Umgangssprache Begriffe einer Einzelwissen-
schaft aufgreift und sich einverleibt. Doch mittlerweile spricht jeder gern von „Mu-
tieren“, wenn sich etwas bloß ändert oder wandelt. Ebenso sagen wir, eine Eigen-
schaft, die zu uns gehört, liege in unserer DNA. Diese Metaphern aus der Genetik
belegen nicht nur die Bedeutung der Disziplin, sie zeigen auch, wie sie in den ver-
gangenen Jahren ins Bewusstsein der Menschen gerückt ist. Spätestens mit den
mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 wurden auch Laien mit genetischen Grund-
begriffen konfrontiert.
Ob PCR, Mendel’sche Regeln oder das Genome Editing, die Beschäftigung mit
den Inhalten beginnt bereits in der Schule. Dabei gehört die Genetik zu den dyna-
mischsten Fächern. Dank der Fortschritte in der Genetik kann man viele Phäno-
mene auf zellulärer und molekularer Ebene verstehen und beschreiben. Es gelingt
immer besser, lückenlose Erklärungsketten für komplexe Vorgänge zu formulieren.
Hier verschmelzen Genetik und Molekularbiologie und sind nicht mehr von-
einander zu trennen. Diese Betrachtung der modernen Genetik als molekular aus-
gerichtete Disziplin hat dem Buch den Titel gegeben.
Der Umfang der Genetik, ihre Konzepte und Begriffe nehmen weiterhin in be-
eindruckendem Tempo zu. Dadurch wird es nicht einfacher, sich die Inhalte anzu-
eignen. Den Überblick zu bewahren und sich nicht in Details zu verlieren, wird zu-
nehmend schwieriger. Hier möchte das vorliegende Buch ansetzen. Es soll klare
und schnell erfassbare Darstellungen geben, lieber knapp als zu weitschweifig wer-
den. Das Layout, vor allem die Auflistung von Einzelpunkten und Schritten, will
das Lernen und Nachschlagen, generell die Orientierung im Dschungel der Fakten
erleichtern.
Der Band Kompaktwissen Genetik ist so aufgebaut, wie die Themen an den
meisten Universitäten/Hochschulen vorgestellt werden: Er beginnt mit der Be-
schreibung des genetischen Materials und den grundlegenden Vorgängen der Re-
plikation, Transkription und Translation. Anschließend geht er über zu den Ge-
bieten Regulation, Mutation und Reparatur und kommt zu den spezielleren The-
men wie der medizinisch ausgerichteten Humangenetik und Teilgebieten wie der
Entwicklungsgenetik. Aufgrund der Sequenzierung kompletter Genome ist die Ge-
nomik zu einem eigenständigen Gebiet herangewachsen, das hier mit seiner Vor-
gehensweise und seinen Fragestellungen vorgestellt wird. Eine Übersicht über Me-
thoden und Modellorganismen beendet den Band.
IX
Inhaltsverzeichnis
3 DNA-Replikation......................................................................................................................... 47
3.1 Worum geht es?................................................................................................................................ 49
3.2 Prinzipien............................................................................................................................................ 49
3.2.1 Überblick.................................................................................................................................................... 49
X Inhaltsverzeichnis
4 Transkription................................................................................................................................ 73
4.1 Worum geht es?................................................................................................................................ 75
4.2 Überblick und Grundbegriffe....................................................................................................... 75
4.2.1 RNA-Moleküle........................................................................................................................................... 76
4.2.2 Veränderungen an den RNA-Molekülen......................................................................................... 77
4.3 Funktionell gleiche Elemente und Strukturen bei Bakterien,
Archaeen und Eukaryoten............................................................................................................ 78
4.3.1 RNA-Polymerase...................................................................................................................................... 78
4.3.2 Regulierende DNA-Elemente (cis-Elemente)................................................................................ 78
4.3.3 Regulierende Proteine (trans-Faktoren).......................................................................................... 79
4.4 Prinzip der Transkriptionsinitiation........................................................................................... 81
4.5 Initiation bei E. coli .......................................................................................................................... 83
4.5.1 Aufbau der RNA-Polymerase............................................................................................................... 83
4.5.2 Aufbau der Promotoren........................................................................................................................ 83
4.6 Initiation bei Archaeen und Eukaryoten ................................................................................. 85
4.6.1 RNA-Polymerase und Promotoren von Archaeen....................................................................... 85
4.6.2 Eukaryotische RNA-Polymerasen und ihre Promotoren........................................................... 85
4.6.3 Aufbau des Präinitiationskomplexes für die Pol II....................................................................... 89
XI
Inhaltsverzeichnis
4.7 Elongation.......................................................................................................................................... 91
4.7.1 Elongation bei E. coli ............................................................................................................................. 91
4.7.2 Elongation bei Archaeen und Eukaryoten .................................................................................... 92
4.8 Termination........................................................................................................................................ 92
4.8.1 Terminaton bei Bakterien..................................................................................................................... 92
4.8.2 Termination bei Archaeen und Eukaryoten ................................................................................. 94
4.9 Prozessierung von Transkripten.................................................................................................. 94
4.9.1 Prozessierung bei Bakterien................................................................................................................ 94
4.9.2 Prozessierung bei Eukaryoten............................................................................................................ 95
4.10 RNA-Editing........................................................................................................................................102
4.10.1 Editing bei Trypanosomen ..................................................................................................................103
4.11 Abbau von mRNA-Molekülen......................................................................................................103
4.11.1 Abbau von mRNAs in E. coli.................................................................................................................104
4.11.2 Abbau von mRNAs in Eukaryoten.....................................................................................................104
4.12 Charakteristika der mitochondrialen Transkription.............................................................106
5 Translation......................................................................................................................................109
5.1 Worum geht es?................................................................................................................................111
5.2 Überblick und Grundbegriffe.......................................................................................................111
5.2.1 An der Translation sind folgende Moleküle beteiligt.................................................................111
5.3 Der genetische Code ......................................................................................................................112
5.4 tRNA -Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“)...................................................................115
5.4.1 Struktur der tRNA ...................................................................................................................................115
5.4.2 Beladung der tRNA ................................................................................................................................117
5.4.3 Der Wobble-Effekt ..................................................................................................................................118
5.5 Das Ribosom .....................................................................................................................................118
5.5.1 Struktur der Ribosomen.......................................................................................................................119
5.5.2 Heterogenität der Ribosomen: Variationen im Aufbau.............................................................121
5.6 Translation bei Bakterien...............................................................................................................121
5.6.1 Initiation ....................................................................................................................................................122
5.6.2 Elongation ................................................................................................................................................123
5.6.3 Termination ..............................................................................................................................................125
5.6.4 Geschwindigkeit und Genauigkeit ..................................................................................................125
5.7 Translation bei Archaeen...............................................................................................................126
5.7.1 Gemeinsamkeiten zwischen Archaeen und Bakterien..............................................................126
5.7.2 Gemeinsamkeiten zwischen Archaeen und Eukaryoten..........................................................126
5.8 Translation bei Eukaryoten...........................................................................................................126
5.8.1 Initiation.....................................................................................................................................................126
5.8.2 Elongation ................................................................................................................................................128
5.8.3 Termination ..............................................................................................................................................129
5.9 Prozessierung von Proteinen.......................................................................................................129
5.9.1 Proteinfaltung..........................................................................................................................................130
5.9.2 Spaltung und Transport von Proteinen ..........................................................................................132
5.9.3 Chemische Veränderungen und Modifikationen........................................................................133
5.9.4 Proteinspleißen........................................................................................................................................134
5.10 Abbau von Proteinen, Degradation ..........................................................................................134
XII Inhaltsverzeichnis
12 Humangenetik.............................................................................................................................293
12.1 Worum geht es?................................................................................................................................294
12.2 Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale......................................................................294
12.2.1 Kennzeichen mendelnder Erbgänge...............................................................................................294
12.2.2 Kennzeichen mitochondrialer Erbgänge.......................................................................................300
12.2.3 Schwierigkeiten bei der Interpretation von Stammbäumen..................................................301
12.2.4 Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Genen.........................................................................305
12.3 Untersuchungsmethoden in der Humangenetik..................................................................307
12.3.1 Pränataldiagnostik..................................................................................................................................307
12.3.2 Genetischer Fingerabdruck.................................................................................................................309
12.3.3 Kartierung von Krankheitsgenen......................................................................................................310
12.3.4 Assoziationsstudien...............................................................................................................................311
12.3.5 Nachweis von Mutationen...................................................................................................................311
12.4 Komplexe Erkrankungen...............................................................................................................313
12.4.1 Diabetes mellitus.....................................................................................................................................313
12.4.2 Allgemeines zu Krebs und Tumorgenetik......................................................................................315
12.4.3 Tumorsuppressorgene..........................................................................................................................317
12.4.4 Onkogene..................................................................................................................................................320
12.4.5 Mutatorgene.............................................................................................................................................323
12.5 Behandlung erblich bedingter Krankheiten...........................................................................323
13 Immungenetik.............................................................................................................................325
13.1 Worum geht es?................................................................................................................................326
13.2 Überblick.............................................................................................................................................326
13.2.1 Einteilung des Immunsystems...........................................................................................................326
13.2.2 Die genetische Komplexität der erworbenen Immunantwort...............................................327
13.3 B-Lymphocyten.................................................................................................................................327
13.3.1 Einteilung der Antikörper.....................................................................................................................327
13.3.2 Struktur der Antikörper oder Immunglobuline...........................................................................328
13.4 Aufbau der Immunglobulingene und Antikörpervielfalt...................................................329
13.4.1 DNA-Rearrangement der Gene für die Regionen.........................................................................329
13.4.2 Zurechtschneiden...................................................................................................................................330
13.4.3 Somatische Hypermutation................................................................................................................331
13.4.4 Auswahl eines Allels...............................................................................................................................331
13.5 T-Zell-Rezeptoren.............................................................................................................................331
13.6 Haupthistokompatibilitätskomplex..........................................................................................332
14 Entwicklungsgenetik...............................................................................................................335
14.1 Worum geht es?................................................................................................................................336
14.2 Entwicklungsphasen.......................................................................................................................336
14.3 Die Entwicklung von Drosophila.................................................................................................337
14.3.1 Ablauf der Entwicklung........................................................................................................................337
XVI Inhaltsverzeichnis
15 Genomik...........................................................................................................................................355
15.1 Worum geht es?................................................................................................................................356
15.2 Überblick und Einteilung des Gebiets......................................................................................356
15.3 Kartierung von Genomen..............................................................................................................357
15.3.1 Biologische Karten..................................................................................................................................357
15.3.2 Physikalische Karten..............................................................................................................................359
15.3.3 Sequenzierung.........................................................................................................................................361
15.3.4 Annotierung..............................................................................................................................................363
15.4 Variabilität und Individualität im menschlichen Genom...................................................363
15.4.1 Einzelnucleotidpolymorphismen und Einzelnucleotidvarianten..........................................364
15.4.2 Kopienzahlvarianten (CNVs)................................................................................................................365
15.4.3 Mikrosatelliten.........................................................................................................................................366
15.5 Funktionelle Genomik....................................................................................................................367
15.5.1 Untersuchung des Transkriptoms.....................................................................................................367
15.5.2 Proteomik...................................................................................................................................................370
15.6 Komparative Genomik...................................................................................................................374
15.6.1 Einteilung homologer Gene................................................................................................................374
15.7 Evolution des Menschen................................................................................................................375
16 Methoden........................................................................................................................................377
16.1 Worum geht es?................................................................................................................................379
16.2 Isolierung von Nucleinsäuren......................................................................................................379
16.2.1 Isolierung von DNA................................................................................................................................379
16.2.2 Isolierung von RNA.................................................................................................................................380
16.2.3 Präparation von Plasmid-DNA............................................................................................................380
XVII
Inhaltsverzeichnis
Serviceteil
Stichwortverzeichnis.....................................................................................................................407
1 1
1.5 RNA-Moleküle – 13
1.5.1 Funktionen der RNA – 14
Die DNA ist der Träger der Erbanlagen. Sie speichert die Information für die Bil-
dung und Erhaltung eines Organismus.
Heute spricht man statt von Erbanlagen oder Erbfaktoren von Genen, die
Gesamtheit der Gene eines Organismus heißt Genom. Gene sind begrenzte Abschnitte
der DNA, welche die Information für die Herstellung eines RNA-Moleküls ent-
halten (siehe 7 Kap. 4). Das Genom von Viren oder Bakteriophagen (Viren, die Bak-
terien infizieren, wörtlich: „Bakterienfresser“) kann auch aus RNA bestehen. Somit
besitzen alle lebenden Zellen DNA- bzw. RNA-Moleküle, egal ob sie zu den Bakterien
(Bacteria), zu den Archaeen (Archaea) oder zu den Eukaryoten (Eukarya) gehören.
DNA und RNA sind die Abkürzungen für die englischen Ausdrücke deoxyri-
bonucleic acid und ribonucleic acid, also Desoxyribonucleinsäure und Ribonuclein-
säure.
Als Erster isolierte Friedrich Miescher 1869 in Tübingen DNA und sprach von
„Nuclein“. Es handelte sich jedoch nicht um reine DNA, sondern um ein DNA-
Protein-Gemisch. Erst später gelang die Isolierung von reiner Nucleinsäure, und
dieser Begriff wurde gebräuchlich. Mit der Untersuchung der Chromosomen
drängte sich immer mehr die Frage auf, aus welchem Stoff die Gene bestehen.
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts identifizierten mehrere Wissen-
schaftler die Chromosomen als Träger der Gene im Zellkern. Allerdings sind
Chromosomen Gebilde aus DNA und Proteinen. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein
hielt man sogar die Proteine für die Gene, weil sie so verschieden aufgebaut waren
und man damit die genetische Vielfalt eher erklären konnte.
Ein Sinneswandel setzte erst nach und nach ein. Er begann Ende der 1920er-Jahre
dank einer Reihe von Experimenten, die Frederick Griffith begann und Oswald
Avery mit Kollegen fortsetzte. Griffith arbeitete mit zwei Stämmen des Bakteriums
Streptococcus pneumoniae, das Lungenentzündungen hervorrufen kann (. Abb. 1.1).
1.2 · Nachweis der DNA als Erbmolekül
3 1
a b
c d
Virulenter Stamm
(durch Hitze abgetötet)
55 Der S-Stamm hat seinen Namen vom glatten (engl. smooth) Aussehen der Ko-
lonien. Die Bakterienzellen bilden eine Schleimkapsel und entgehen somit dem
Immunsystem, sie sind virulent. Griffith infizierte Mäuse mit dem Stamm,
woraufhin diese starben (. Abb. 1.1a).
55 Der R-Stamm sieht rau aus (engl. rough). Diese Zellen können keine Schleim-
kapsel bilden und sind nichtvirulent, Mäuse überleben daher eine Infektion
(. Abb. 1.1b).
Offenbar ist die Erbinformation zum Auslösen der Krankheit hitzestabil. Sie über-
steht die Prozedur, die lebenden Zellen können sie aufnehmen und verwerten. Grif-
fith sprach vom transformierenden Prinzip. Avery zeigte später, dass es sich dabei
um DNA handelt. Die Aufnahme und Verwertung nackter DNA durch eine Zelle
wird Transformation genannt. Sie dient bis heute als alltägliche Methode im Labor,
um Zellen genetisch zu verändern.
4 Kapitel 1 · Das genetische Material
Proteinhülle DNA
mit 35S markiert mit 32P markiert
32P
Adsorption
32P
32P 32P
32P 32P
Synthese und
Zusammenbau
der Phagen
In Zellen ohne Zellkern, den Prokaryoten, liegt die DNA im Cytoplasma. Zu den
Prokaryoten gehören Bakterien und Archaeen.
In Zellen mit Zellkern, den Eukaryoten, findet man DNA im Zellkern und in
Mitochondrien und Plastiden, jedoch nicht im Cytoplasma. Zu den Eukaryoten
zählen Einzeller mit Zellkern und Mehrzeller: Pilze, Pflanzen und Tiere.
RNA liegt bei Prokaryoten im Cytoplasma vor, bei Eukaryoten im Zellkern, in
den Mitochondrien und Plastiden sowie im Cytoplasma.
Chemisch gesehen sind DNA und RNA sehr ähnliche Moleküle. Sie können eine
beträchtliche Größe annehmen und damit zu den Makromolekülen zählen: sehr
große Moleküle, die aus kleineren Bausteinen bestehen.
Die Bausteine haben eine bestimmte Abfolge. Darin ist die Information ge-
speichert wie in der Abfolge von Buchstaben in Wörtern. Die Bausteine von DNA
und RNA heißen Nucleotide. Daher bezeichnet man Nucleinsäuren auch als Poly-
nucleotide.
Jedes Nucleotid von DNA und RNA besteht aus drei Bausteinen:
55 Aus einem Phosphatrest der Phosphorsäure. Er wird durch das „A“ in DNA
für Säure (engl. acid) angezeigt.
55 Aus einem Fünffachzucker, der Pentose: 2′-Desoxyribose in der DNA und Ri-
bose in der RNA. „2′-Desoxy“ deutet an, dass dem zweiten Kohlenstoffatom
des Zuckers eine OH-Gruppe fehlt.
55 Aus einer von vier Basen. Diese sind variabel.
Der Basenanteil
1 Die Basen der DNA sind (. Abb. 1.3):
55 Adenin (A),
55 Thymin (T),
55 Guanin (G) und
55 Cytosin (C).
In der RNA ersetzt Uracil (U) das Thymin. Dem Uracil fehlt die 5-Methylgruppe
des Thymins. Chemisch gesehen gehören Adenin und Guanin zu den Purinen, Thy-
min, Uracil und Cytosin zu den Pyrimidinen.
.. Abb. 1.3 Die fünf Basen der DNA und RNA und ihre Verknüpfung über Wasserstoffbrücken in
der DNA-Doppelhelix. (Nach Schaaf und Zschocke 2013)
1.3 · Chemie von DNA und RNA
7 1
Zur Benennung werden die Kohlenstoffatome der Basen durchnummeriert von
1 bis 6 (Pyrimidine) bzw. 1 bis 9 (Purine) und die Kohlenstoffatome des Zuckers
von 1′ bis 5′, gelesen als „eins Strich“ (engl. prime). So kann man angeben, welche
Atome an Reaktionen der DNA und der RNA beteiligt sind.
Von Bedeutung für bestimmte Prozesse ist es außerdem, ob Adenin und/oder
Cytosin eine Methylgruppe tragen und als N6-Methyladenin bzw. 5-Methylcytosin
vorliegen (s. u.: Modifikationen).
In reifen RNA-Molekülen findet man noch andere Basen, weil die Zelle einige
Nucleotide nach Bildung eines RNA-Moleküls chemisch verändert oder in be-
stimmten RNA-Molekülen ungewöhnliche Basen von vornherein vorkommen
(siehe 7 Kap. 4).
Wenn die Basen in die DNA eingebaut sind, nehmen Zellen charakteristische Me-
thylierungen an definierten Stellen vor.
Dazu übertragen Methyltransferasen (MT) einen Methylrest von S-Adenosyl-
Methionin (SAM) auf die Zielposition der Base. Die Methylierungen stellen einen
Informationswert dar, der nicht genetisch durch die Basen-Sequenz gegründet ist,
sondern epigenetisch. Sie geben eine eigene, zusätzliche Information über die Ba-
sen-Sequenz hinaus.
55 In Eukaryoten ist die dominante Form die Methylierung von Cytosin zu
5-Methylcytosin (5mC). Methyliertes Cytosin ist ein entscheidendes Element
für die Regulation der Genexpression (siehe 7 Abschn. 7.8.3). N6-Methyl-
adenin (6mA) kommt zwar ebenfalls vor, aber deutlich seltener.
55 In Prokaryoten kommen drei Formen der Methylierung vor: (1) N6-
Methyladenin (6mA), die häufigste Form, (2) N4-Methylcytosin (4mC), (3)
5-Methylcytosin (5mC). In jedem Bakterium erkennen die Methyltransferasen
nur bestimmte, jeweils unterschiedliche kurze Motive. In E. coli beispielsweise
modifizieren die DNA-Adeninmethylase (Dam) nur 5′-GATC-3′ und die
DNA-Cytosinmethyltransferase (Dcm) 5′-CCWGG-3′ (W steht für A oder T).
Über die epigenetische Regulation hinaus sind Methyltransferasen wichtig als Teil
des Restriktions-Modifikations-System (RM-System). Die Zelle erkennt methy-
lierte DNA als „eigen“, nichtmethylierte DNA gilt als „fremd“ und wird von
8 Kapitel 1 · Das genetische Material
Über die 3′-OH-Gruppe kann ein Nucleotid mit dem Phosphatrest am Kohlen-
stoffatom 5′ eines zweiten Nucleotids eine Veresterung eingehen, wodurch eine
Phosphodiesterbindung entsteht. Die 3′-OH-Gruppe des zweiten Nucleotids kann
sich mit dem Phosphatrest eines dritten verknüpfen usw. Auf diese Weise ergibt
sich ein Polynucleotid, eine Nucleinsäure (. Abb. 1.4). Sie besteht aus einem
Rückgrat, in dem sich Zucker- und Phosphatgruppen abwechseln. Von den Zucker-
gruppen gehen die Basen ab.
Die Basen sind die eigentlichen Informationsträger. Ihre Abfolge oder Sequenz
trägt die Erbinformation.
Man notiert die Sequenzen mit dem 5′-Phosphat voran (5′-Ende ) in Richtung
der 3′-OH-Gruppe (3′-Ende ), beispielsweise 5′-TGGTACACAT-3′ oder 5′-UCUG-
GAGACU-3′.
Die Länge einer DNA gibt man in Basenpaaren (bp) an. Ab 1000 bp schreibt
man Kilobasen (kb), ab 1000 kb Megabasen (Mb), ab 1000 Mb Gigabasen (Gb).
Gelegentlich findet man Angaben des DNA-Gehalts in Picogramm (pg).
1.4 · Die Struktur der DNA
9 1
NH2
5'-Ende N
N
OH A Adenosin
O P O N N
O
O– H H
O
H H
O H
N
NH
G Guanosin
O P O
N N NH2
O– O
H H
O
H H
O H H3C
NH
T Thymidin
O P O
N O
O– O
H H
NH2
H H
O H
N
HO C Cytidin
OH O P O
O N O
O– O
H H
H H
H H H H
OH H OH H
2'-Desoxyribose 3'-Ende
.. Abb. 1.4 Die Verknüpfung der Nucleotide zu einem DNA-Strangausschnitt und die 2′-Desoxy-
ribose. (Nach Fritsche 2015)
Francis Crick und James Watson schlugen 1953 das bis heute gültige Modell der
DNA als Doppelhelix vor. Grundlegend dafür sind die Chargaff-Regeln (nach
Erwin Chargaff), die das Verhältnis der Basen zueinander angeben. Demnach ist
bei jedem Organismus der Adeninanteil genauso groß wie der Thyminanteil und der
Guaningehalt genauso groß wie der Cytosingehalt. Watson und Crick verwerteten
experimentelle Daten von Röntgenbeugungs- oder Röntgendiffraktionsexperi-
10 Kapitel 1 · Das genetische Material
1 a b
Große Furche
Kleine Furche
3,3 nm
2,37 nm
B-DNA
.. Abb. 1.5 Kalottenmodell (a) und Strickleitermodell (b) der B-Form der DNA. (Nach Schaaf und
Zschocke 2013)
Die Struktur der Furchen ist wichtig, weil viele Proteine sich dort an die DNA bin-
den und darüber Prozesse regulieren. Das ist nur möglich, wenn Furchungstiefe
und -breite die Bindung zulassen. Vermutlich kann die Zelle über die Konforma-
tion Reaktionen an der DNA kontrollieren.
Die DNA-Sequenz ist typisch für jede Art von Organismen, daher weist jede Art
einen spezifischen Gehalt an GC- und AT-Paaren auf.
Die Paarung der DNA-Stränge über Wasserstoffbrückenbindungen verleiht
der DNA besondere Eigenschaften:
55 Die Wasserstoffbrücken lassen sich trennen oder aufschmelzen.
55 Die Trennung erfolgt durch Erhitzen oder durch Chemikalien und ist umkehr-
bar, also reversibel.
55 Die Wasserstoffbrücken formen sich spontan neu, wenn man die äußeren Be-
dingungen wieder ändert.
12 Kapitel 1 · Das genetische Material
Einzelsträngige
1 DNA
1,4
Denaturierung
Relative Absorption bei 260 nm
schreitet fort
1,3
Temperatur, bei der
eine vollständige
Trennung der
DNA-Stränge
1,2 erfolgt
Denaturierung
beginnt
1,1
1,0
30 50 70 90 110
Tm Temperatur (°C)
1.5 RNA-Moleküle
In einigen Viren und Phagen besteht das Genom aus doppelsträngiger RNA.
Doppelsträngige RNA-Moleküle oder -Molekülabschnitte sind eher Aus-
nahmen:
55 Sie treten vorübergehend auf während der Bildung regulatorischer RNA-
Moleküle und innerhalb der mRNAs. Damit lassen sich bestimmte Prozesse
(bei der Transkription oder Translation) steuern.
55 Sie sind dauerhaft in den tRNAs (Transfer-RNAs) anzutreffen, welche die
Aminosäuren zum Ort der Proteinbiosynthese transportieren.
H H
OH OH
Ribose
14 Kapitel 1 · Das genetische Material
Nachdem das erste Kapitel den molekularen Aufbau des genetischen Materials
2 vorgestellt hat, wird jetzt seine Organisation besprochen. Das Genom ist bei Pro-
und Eukaryoten auf mehrere DNA-Moleküle verteilt. Den Hauptanteil daran
haben DNA-Moleküle in den Chromosomen. In den prokaryotischen Zellen der
Bakterien und Archaeen ist das Chromosom oft zirkulär (ringförmig). Es enthält
die lebenswichtigen Gene. Weitere Gene liegen auf kleineren, meist zirkulären
DNA-Molekülen, den Plasmiden. Bei Eukaryoten ist der Hauptanteil im Kern in
mehreren linearen Chromosomen organisiert und stellt das Kerngenom dar. Die
Mitochondrien und Plastiden enthalten ebenfalls DNA. Egal, ob die DNA linear
oder zirkulär vorkommt, sie ist deutlich länger als die Zellen. Damit sie sich nicht
verknotet, geben unspezifische DNA-bindende Proteine ihr eine Ordnung.
Das Genom von E. coli umfasst rund 4,6 Mb (4,6 × 106 bp) und ist damit etwa
mittelgroß für ein Bakteriengenom.
Die Größe bakterieller Chromosomen liegt zwischen etwas mehr als 100 kb und
über 10 Mb (in Sorangium cellulosum etwa 14 Mb). Die genaue Größe hängt immer
von dem jeweiligen Stamm einer Art ab.
Die geringste Anzahl an Genen haben endosymbiontisch lebende Bakterien
oder Krankheitserreger wie die Mycoplasmen. Da sie viele Nährstoffe von ihrem
Wirt beziehen, müssen sie selbst nicht mehr so viele Stoffe herstellen. Sie benötigen
folglich nicht die Gene für deren Synthese und kommen schon mit wenigen Hun-
dert Genen aus.
2.2 · Struktur des Chromosoms und Organisation des Genoms bei…
19 2
E. coli stellt seine Stoffwechselprodukte jedoch selbst her und benötigt dafür
mehr als 4000 Gene. Die Anzahl der Gene zwischen den einzelnen Stämmen von E.
coli unterscheidet sich indes um mehr als 1000.
Beispiele: Mycoplasma genitalium besitzt nur ein einziges Gen für die Bio-
synthese von Aminosäuren, E. coli K12 verfügt über mehr als 130.
In E. coli kennt man vier Topoisomerasen: I, III, IV und die Gyrase. Die Topo-
isomerasen I und III sind vom Typ I, die Gyrase und die Topoisomerase IV vom
Typ II.
Die DNA-bindenden Proteine für die höhere Ordnung der DNA zählen zu den ge-
nerellen oder unspezifischen DNA-Bindeproteinen. Man fasst sie zusammen als
Nucleoid-assoziierte Proteine (NAPs, nucleoid-associated proteins). Einige von
ihnen müssen keine bestimmte Nucleotidabfolge in der DNA erkennen, um sich an
diese zu heften. Spezifische DNA-Bindeproteine für die Transkription hingegen
sind angewiesen auf definierte Sequenzen.
Zu den NAPs zählen beispielsweise (siehe . Abb. 2.2):
55 Histonähnliche Proteine, H-NS oder histone like nucleoid structuring proteins.
Ihr Name weist auf die funktionelle Verwandtschaft zu den eukaryotischen
Histonen hin: Mehrere positiv geladene Aminosäuren binden sich an die nega-
tiv geladenen Phosphatreste der DNA. H-NS Proteine binden sich an ein DNA-
Filament oder legen sich als Brückenglieder zwischen zwei DNA-Abschnitte,
um diese zu verbinden. Da Bakterien meist nur ein Chromosom besitzen, resul-
tiert daraus eine großformatige Schlaufe.
55 HU-Proteine, IHF (integration host factor ist ein Protein, das bei der Re-
kombination von Bakterien- und Phagen-DNA benötigt wird) und Fis (factor
for inversion stimulation) lagern sich so der DNA an, dass sie diese unterschied-
lich stark abbiegen oder knicken. Bei Fis ergibt sich ein Winkel zwischen 50°
und 90°, bei IHF von 160°. HU bildet eine Art Scharnier.
55 Bakterielle Condensine. Man unterscheidet zwei Gruppen: (1) SMC-Proteine
(structural maintenance of chromosomes) in verschiedenen Bakterien, aber auch
in Archaeen. Sie kommen paarweise vor. Mit zwei weiteren Proteinen (Kleisin
2.2 · Struktur des Chromosoms und Organisation des Genoms bei…
21 2
a b Anlagerung von Anlagerung von
Nukleosom: DNA, Schwanz-an-Schwanz Bindung an DNA Kopf-an-Kopf
gewickelt um ein Histon-Oktamer
Filament
nicht übernehmen
Brücke
c SMC Scharnier d e
.. Abb. 2.2 DNA-bindende Proteine in Eukaryoten (a, Histonoktamer) und Bakterien (b bis e). (b)
Je nachdem, wie sich H-NS Proteine an die DNA anlagern, ergibt sich eine Filament- oder eine
Brückenanordnung. (c) Die SMC-Komplexe aus mehreren Proteinen bilden eine Ringstruktur, durch
die die DNA wie eine Schlaufe geführt wird. (d) Fis führt zu einer Biegung der DNA, (e) IHF oder
HU zu einem Knick. (Nach Dame, Rashid und Grainger 2020; mit freundlicher Genehmigung von
Springer Nature)
und kite oder hawk) bilden sie SMC-Komplexe. Gemeinsam formen sie einen
Ring oder verdoppeln sich zu zwei Ringen, wodurch die DNA so gezogen wird,
dass eine Schlaufe herausschaut. (2) Die Muk-Proteine MukB, MukE, MukF
findet man in E. coli. Dieser MukBEF-Komplex kondensiert nach der Replika-
tion die DNA-Moleküle und bereitet sie auf die Verteilung in die zwei ent-
stehenden Tochterzellen vor.
z Funktionen
Die NAPs sorgen dafür, dass genetische Prozesse und die Architektur des Nucleo-
ids aneinander gekoppelt sind und zusammen koordiniert werden.
55 Die strukturierenden Proteine legen die superspiralisierte DNA in Schlaufen.
Es ergibt sich ein Bild mit einem Proteinkern, aus dem überspiralisierte
DNA-Schleifen wie Strahlen herausragen. So passt die etwa 1,6 mm lange
DNA von E. coli überhaupt erst in die nur 2 μm lange Zelle.
22 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
55 Allerdings dienen die NAPs nicht nur der Verpackung. Darüber hinaus sind sie
beteiligt an der Regulation der Transkription oder Replikation. In dieser Hin-
sicht hat man in den vergangenen Jahren immer mehr funktionelle Parallelen zu
2 den Eukaryoten gefunden.
Das Genom besteht aus nichtcodierenden und codierenden Abschnitten. Von den
codierenden Sequenzen bildet die Zelle eine RNA-Kopie.
Innerhalb der nichtcodierenden Abschnitte gibt es Sequenzen mit besonderen
Funktionen:
55 Der Abschnitt, an dem die Zelle die Replikation der DNA beginnt (der
Replikationsursprung ori, origin of replication) oder endet (ter, termination).
55 Signalsequenzen wie Promotor und Operator, welche die Transkription regulie-
ren.
55 Bindungsstellen für Proteine mit verschiedenen Aufgaben. Sie liegen in der
Regel zwischen den Genen.
Nichtcodierende Sequenzen innerhalb von Genen kennt man nur von einigen Bak-
terien, hier insbesondere in rRNA- und tRNA-Genen. Insgesamt ist der Anteil
nichtcodierender DNA gering, bei E. coli beträgt er etwa ein Zehntel. Diese Se-
quenzen haben vor allem regulatorische Funktionen. In Bakterien gilt die Regel: Je
höher die Anzahl der Gene, desto größer ist das Genom.
Bei Bakterien sind funktionell zusammenhängende Gene meistens zu Einheiten
organisiert, einzeln liegende Gene kommen seltener vor. So gewährleistet die Zelle,
dass Gene für einen gemeinsamen Stoffwechselweg zusammen reguliert und ab-
gelesen werden. Eine solche Einheit bezeichnet man als Operon. Die Zelle transkri-
biert alle Gene eines Operons zusammen als polycistronische mRNA. Die mRNA
für ein Einzel-Gen heißt monocistronisch.
Obwohl man viele Genome von Pro- wie von Eukaryoten mittlerweile sequen-
ziert hat und eine konkrete Anzahl identifizierter Gene angibt, kann man durch-
schnittlich 25 % der Gene noch keine Funktion zuordnen.
Die meisten Gene kommen nur in einem Exemplar im Genom vor. Bekannte Aus-
nahmen sind die Gene für ribosomale RNAs. E. coli besitzt z. B. sieben Operons
(rrn-Operons) mit den Genen für rRNA-Moleküle. Diese Anzahl ist notwendig,
damit E. coli in kurzer Zeit ausreichend Ribosomen aufbaut und die Translation
neuer Proteine ankurbelt. So gelingt dem Bakterium in kurzer Zeit die Anpassung
an wechselnde Umweltbedingungen.
Bei einigen Bakterien liegen auch zwischen den Genen kurze Nucleotidfolgen, die
sich mehrmals im Genom wiederholen. Solche kurzen Wiederholungen nennt man
repetitive Sequenzen. Bei Prokaryoten ist ihre Zahl gering, bei Eukaryoten hoch.
2.2 · Struktur des Chromosoms und Organisation des Genoms bei…
23 2
Andere DNA-Elemente kommen mehrfach im Genom vor, ohne dass man sie zu
den repetitiven Sequenzen zählt. Es handelt sich dabei um bewegliche DNA. Ihre
Position im Genom und ihre Anzahl variieren. Man unterscheidet Insertions-
elemente (IS-Elemente) und Transposons.
Transposons können DNA-Abschnitte, die sie umschließen, an eine andere
Stelle im Genom verschieben. Dieser Vorgang wird als Transposition bezeichnet
(siehe 7 Abschn. 9.4).
Außerdem können sich einige Plasmide und manche Phagen in das Chromo-
som integrieren.
2.2.6 Plasmide
Plasmide sind selbstständige genetische Elemente. Sie sind nicht Teil des Chromo-
soms und werden von der Zelle unabhängig repliziert.
Plasmide sind in der Regel als extrachromosomale DNA nicht in das Chromo-
som integriert. Typen, die sich auch in das Bakterienchromosom integrieren und
später wieder herausschneiden können, heißen Episom.
Sie sind meistens ringförmig, aber es gibt auch lineare Plasmide, vor allem bei
Streptomyceten. Die Größe schwankt beträchtlich von weniger als 1 kb bis zu meh-
reren Mb.
Die Zahl der Exemplare eines Plasmids innerhalb einer Zelle ist charakteris-
tisch für das jeweilige Plasmid:
55 Low-copy-Plasmide kommen in 1–10 Kopien pro Zelle vor.
55 High-copy-Plasmide liegen in mehr als 20 Kopien vor.
55 Die Verteilung von Plasmiden auf die Tochterzellen hängt dabei von ihrer
Kopienzahl ab. Teilt sich eine Wirtszelle mit high-copy-Plasmiden, erfolgt die
Aufteilung statistisch. Die hohe Kopienzahl sichert quasi automatisch, dass
jede entstehende Tochterzelle Plasmide erhält, wenn die Anzahl auch variiert.
Anders bei low-copy-Plasmiden. Sie nutzen einen Mechanismus zur Aufteilung,
das partitioning-System. Es umfasst prinzipiell drei Komponenten, (1) eine cis-
Erkennungssequenz auf dem Plasmid, (2) ein Motorprotein, das die Plasmide
in die Tochterzellen hinein schiebt und dafür ATP verbraucht, und (3) ein Ver-
bindungs-Protein, das die cis-Sequenz erkennt und sich an das Motorprotein
bindet.
Die Gene auf den Plasmiden sind oft nicht überlebenswichtig, verschaffen ihren
Trägern allerdings einen Vorteil unter bestimmten Lebensbedingungen:
55 Resistenzplasmide verleihen dem Wirt Resistenz gegenüber Antibiotika.
2 55 Abbau- oder Degradationsplasmide verschaffen Zugang zu einer besonderen
Nahrungsquelle.
55 Bacteriocinplasmide codieren die Synthese von Bacteriocinen, die andere Bak-
terien hemmen oder töten.
55 Virulenzplasmide codieren Toxine oder andere Pathogenitätsfaktoren, die einen
Stamm zum Krankheitserreger machen.
55 Das Ti-Plasmid aus Agrobacterium tumefaciens löst, wie der Name andeutet
(Ti = Tumor induzierend), Tumoren in Pflanzen aus. Man nutzt es zur Her-
stellung transgener Pflanzen, indem die tumorinduzierenden Gene entfernt und
durch Fremdgene ersetzt werden.
Medizinisch sind diese Plasmide wichtig für die Entstehung von Krankheiten oder
für die Verbreitung der Antibiotikaresistenzgene, ökologisch sind sie interessant
für den Abbau von umweltgefährdenden Stoffen, und gentechnologisch dienen sie
als Werkzeuge für die Klonierung von Genen (siehe 7 Abschn. 16.7).
Will man die Genome der Archaeen beschreiben, sieht man ein Bild, das einem
immer wieder begegnet: Archaeen zeigen Gemeinsamkeiten mit Bakterien, weisen
aber gleichzeitig Merkmale auf, die sie mit Eukaryoten gemeinsam haben und die
bei Eukaryoten komplexer sind. Grob gesagt, ähneln Stoffwechselgene eher den
Pendants bei Bakterien, Gene für Replikation, Transkription und Translation eher
den Gegenstücken von Eukaryoten.
Archaeen und Bakterien haben im Laufe der Evolution viele Gene ausgetauscht,
vor allem, wenn sie im selben Habitat leben. So soll rund ein Viertel der Gene des
thermophilen Bakteriums Thermotoga maritima ursprünglich aus Archaeen stam-
men.
2.4 · Genom von Eukaryoten
25 2
Zum Aufwickeln des DNA-Fadens verwenden Archaeen Histonproteine. Wäh-
rend Bakterien Proteine nutzen, die mit den eukaryotischen Histonen nur funktio-
nell verwandt sind, besitzen die Archaeen zu den Eukaryoten verwandte (homo-
loge) Gene und Proteine. Archaeen ohne Histone verwenden für die
DNA-Strukturierung wie Bakterien histonähnliche Proteine.
Die Genome der Eukaryoten sind erheblich größer als prokaryotische Genome.
Während sich die Anzahl der Basenpaare von Prokaryoten in der Größenordnung
zwischen 105 und 107 bp bewegt, reicht sie bei Eukaryoten von 106–1011 bp.
55 Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae verfügt über rund 1,2 × 107 bp.
55 Die Säugergenome liegen in der Größenordnung von 109 bp, also im Giga-
basenbereich, Beispiel Mensch: etwa 3,1 Gb.
55 Eukaryotische Gene codieren längere Proteine. Durchschnittliche Polypeptid-
Länge in E. coli 317 Aminosäuren, in S. cerevisiae 484 Aminosäuren.
55 Nicht zwingend besitzen komplexere Organismen ein größeres Genom. Beispiel:
Erdkröte (Bufo bufo). Ihr Genom ist etwa doppelt so groß wie das des Men-
schen.
55 Zudem steigt die Anzahl der Gene nicht unbegrenzt proportional mit der
Komplexität an. Beispiel: Die Taufliege Drosophila melanogaster verfügt über
rund 13.500 Gene, der einfache Fadenwurm Caenorhabditis elegans über etwa
19.000 Gene und der Mensch über etwa 23.000 Gene. Die Angaben schwanken
allerdings.
55 Die komplexere Organisation eines Organismus schlägt sich jedoch nieder in
einer höheren Anzahl von Proteinen und Regulationselementen.
Dass ein größeres Genom nicht zwingend (proportional) mehr Gene besitzt, liegt
an der Organisation des Erbguts. Eukaryotische Genome zeigen einen erheblich
größeren Anteil nichtcodierender DNA. Nichtcodierende Abschnitte kommen zwi-
schen den Genen und innerhalb der Gene vor.
Das Missverhältnis zwischen Anzahl der Basenpaare und Anzahl der Gene
nennt man C-Wert-Paradox. Der C-Wert entspricht der DNA-Menge in einem ha-
ploiden, also einfachen Chromosomensatz. Den haploiden Chromosomensatz, ge-
kennzeichent als „n“, findet man in Geschlechtszellen. In den meisten Körper-
zellen (somatischen Zellen) der meisten Eukaryoten kommt jedes Chromosom
zweimal vor, ergibt also einen doppelten oder diploiden Chromosomensatz, 2n. Vor
allem bei Pflanzen finden sich auch polyploide Sätze. Der moderne Saatweizen bei-
spielsweise hat einen hexaploiden Chromosomensatz.
26 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
Das Kerngenom ist verteilt auf lineare Chromosomen. Auch hier besteht keine
Beziehung zwischen der Anzahl der Chromosomen und der Komplexität des
Organismus. Die Bäckerhefe hat 16 Chromosomen, die Taufliege 4. Chromosomen-
2 zahl und -aufbau sind allerdings ein Ergebnis der Evolution. So besitzt der Mensch
23 verschiedene Chromosomen, der verwandte Schimpanse 24.
Das Kerngenom der Eukaryoten (ncDNA, nucleus) wird ergänzt um das Genom
in den Organellen:
55 Mitochondrien-DNA (mtDNA) und
55 Plastiden-DNA bei Pflanzen (Plastom, ptDNA, in Chloroplasten auch cpDNA
genannt).
Die DNA in den zwei Organelltypen fasst man gelegentlich zusammen als Plasmo-
typ oder Plasmon. Das Plasmon ist in der Regel zirkulär. Rein quantitativ fällt es
kaum ins Gewicht. Aber es besitzt eine begrenzte Autonomie gegenüber dem Kern-
genom.
Ein Sonderfall ist der Einzeller Giardia lamblia (auch bezeichnet als G. intesti-
nalis, G. duodenalis): Er besitzt keine Mitochondrien, vermutlich hat er sie im Laufe
der Evolution wieder verloren.
Plasmide kommen bei Einzellern, Pilzen und Pflanzen vor.
2.4.2 Organisationsebenen
Im Kern liegt die DNA als Chromatin vor, als Komplex mit gebundenen Proteinen
und RNA-Molekülen.
Nimmt man die Gesamt-DNA einer menschlichen Zelle zusammen, kommt
man auf eine Länge von mehr als 1 m. Das Chromatin wird dabei nicht einfach im
Zellkern verstaut, es liegt geordnet und dreidimensional organisiert vor.
Die Organisation muss mehrere Bedingungen erfüllen:
1. Die Architektur des Chromatins muss stabil und robust sein.
2. Das Wechselspiel zwischen DNA und Proteinen ist nicht starr, sondern dyna-
misch. Beteiligte Faktoren und ihr Status wechseln je nach Anforderungen an
die Zelle.
3. Die Gene sind räumlich so positioniert, dass sie sämtliche Reaktionen an der
DNA wie Transkription, Reparatur etc. gestatten oder verhindern. Die Ab-
schnitte müssen also je nach Bedarf und Anforderung für Proteine zugänglich
oder unzugänglich sein.
Deshalb ist die DNA nicht überall und nicht immer gleich dicht gepackt. Da wäh-
rend der Interphase (siehe 7 Abschn. 3.7.2) die Organisation auf mehreren Ebe-
nen stattfindet, spricht man von einer hierarchischen Faltung des Chromatins.
Daran beteiligt sind verschiedene Histone und Proteine, aber auch RNAs mit
zweierlei Aufgaben. Sie dienen (1) einerseits als Architektur-Elemente, (2) anderer-
seits als Regulator-Elemente (Beispiele, die immer wieder erwähnt werden: Media-
tor, Cohesin, CTCF, ncRNA/noncoding RNA).
2.4 · Genom von Eukaryoten
27 2
Histone und der 10-nm-Faden
Histone bewirken die erste Verdichtung zu einem Faden von 10 nm Durchmesser
(. Abb. 2.3). Wie wichtig die Proteine sind, sieht man daran, dass sie evolutionär
stark konserviert sind. Das heißt, ihre Sequenz hat sich von einfachen Einzellern
bis zu komplexen Vielzellern nur sehr wenig verändert.
Die Histone H2A, H2B, H3 und H4 sind die Core-Histone. Sie bilden zu-
sammen eine Art Tonne, das Histonoktamer. Varianten von diesen Standard-
Histonen finden sich in Abschnitten mit besonderen Funktionen wie dem Centro-
mer oder ersetzen ein Standard-Histon für bestimmte Vorgänge, bspw. die Tran-
skription. Während der Spermatogenese in männlichen Säugetieren ersetzen
Protamine die Histone.
Funktional gesehen ist das Oktamer eine Art Spule, um welche sich die DNA
wickelt. Oktamer und DNA zusammen nennt man Nucleosom. Durch Experi-
mente mit einer DNA-abbauenden Nuclease (DNase I) konnte man ermitteln, wie
lang das DNA-Stück in einem Nucleosom ist. Als man die DNase kurz einwirken
ließ, fand man beim Menschen 200 bp lange Abschnitte. Ließ man der Nuclease
mehr Zeit für den Abbau, verkürzte sich das Stückchen auf 146 bp. Daraus schloss
man, dass sich diese 146 bp fest um das Oktamer wickeln und vor dem Abbau ge-
schützt sind, während eine freie Linker-DNA die Nucleosomen verbindet. Die
Länge der Linker-DNA variiert bei verschiedenen Zellen und Arten zwischen we-
nigen bp und mehr als hundert bp.
Entgegen früheren Vorstellungen sind die Nucleosomen nicht starr aufgereiht,
sondern flexibel verkuppelt zu heterogenen Gruppen, sogenannten clutches.
Histone fehlen allerdings in regulatorischen Sequenzen wie Enhancern oder Iso-
latoren. Das ist sinnvoll, damit die DNA zugänglich bleibt für Transkriptions-
faktoren und/oder andere Proteine der Genregulation. Andererseits ist ein solcher
Abschnitt nackter DNA nicht mehr geschützt vor dem Abbau durch die DNase I,
er ist dadurch hypersensitiv für die DNase I. Diesen Befund nutzt man aus, um re-
inaktives Gen
Kernporen-
Komplex aktives Gen
inaktiv
membrannahe c TADs
bzw.
zentrumsnahe
Lage
CTCF
Aktiv
Nucleolus
Lamina
Kernmembran
Schlaufen
d
YY1
CTCF
Ausbreitung der
Schlaufe
Cohesine
.. Abb. 2.4 Hierarchische Organisation des Chromatins im Kern: Von den Chromosom-Territorien
(a) und Kompartimenten (b) über die TADs (c) und Schlaufen (d) hinab bis zu den Nukleosomen. Die
Kernhüllen-nahen B-Kompartimente (LAD: Lamina-assoziierte Domäne) sind in der Regel
transkriptionsinaktiv, die zentraleren A-Kompartimente dagegen aktiv. CTCF, Cohesin und YY1
(Yin Yang 1) sind Strukturproteine, die die Schlaufen stabilisieren. (Nach Wang, Han und Qi 2021;
mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
Das organisierende Prinzip auf den Ebenen bewirkt, dass Bereiche oder Abschnitte
in räumliche Nachbarschaft kommen, die den gleichen Regulationsstatus haben,
beispielsweise den gleichen epigenetischen Status. Das Prinzip ähnelt der Funktion
der bakteriellen NAPs, die Architektur und genetische Prozesse miteinander ver-
knüpfen.
In einigen Abschnitten der Chromosomen unterscheidet sich der Grad der
DNA-Kondensierung während der Zellteilung und der Interphase. Da die Zelle
während der Interphase die gespeicherte Information der DNA abruft, muss die
DNA für Proteine zugänglich sein. Ihr Verpackungsgrad ist somit an transkriptions-
aktiven Abschnitten geringer (siehe . Abb. 2.5). Diese Abschnitte lassen sich für
die Lichtmikroskopie nicht so gut anfärben.
55 Die Regionen mit aufgelockerter DNA heißen Euchromatin. Vor der Zell-
teilung wird das Euchromatin ebenfalls kondensiert.
55 Das Heterochromatin ist transkriptionsinaktiv und bleibt daher während der
Interphase kondensiert. Man unterscheidet zwei Formen. Konstitutionelles
Heterochromatin ist dauerhaft kondensiert und umfasst stets gleiche Abschnitte
des Chromosoms mit besonderen Strukturmerkmalen (Centromer, Telomer).
Fakultatives Heterochromatin ist dagegen zeitweise kondensiert, weil ein be-
stimmter Abschnitt stillgelegt ist, dessen Geninformation die Zelle zeitweise
nicht benötigt oder zufällig als Ergebnis der Dosiskompensation (Beispiel:
X-Inaktivierung, 7 Abschn. 8.9.2).
.. Abb. 2.5 Je offener und lockerer die Nucleosomen-Organisation wird, desto zugänglicher wird
die DNA für wichtige Regulationsproteine wie Transkriptionsfaktoren und schließlich für die Poly-
merase. (Nach Klemm, Shipony und Greenleaf 2019; mit freundlicher Genehmigung von Springer
Nature)
2.4 · Genom von Eukaryoten
31 2
.. Abb. 2.6 Verschiedene Proteine wechselwirken miteinander und bilden auf der unteren Ebene
der Chromatin-Ordnung DNA-Schlaufen oder kompakte Strukturen. (Nach Bonev und Cavalli
2016; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
Ob tatsächlich und in welcher Form der 30-nm-Faden in der Zelle vorkommt, ist
mittlerweile umstritten.
2.4.3 Färbemethoden
Bänderung
Metaphasechromosomen sind aufgrund der Kondensierung der langen DNA schon
ungefärbt im Lichtmikroskop zu sehen und daher beliebte Studienobjekte für die
Forschung. Für Untersuchungen an Tieren und dem Menschen isoliert man die
Chromosomen meist aus Lymphocyten.
Färbt man die Chromosomen an, sind sie noch besser erkennbar.
55 Den Giemsa-Farbstoff (eigentlich eine Mischung mehrerer Farbstoffe) ver-
wendet man für verschiedene Färbetechniken. Am bedeutendsten ist das Ver-
fahren, das zur G-Bänderung führt: Erst gibt man zu den Chromosomen eine
Protease wie Trypsin, dann den Farbstoff. Man erhält ein Muster aus hellen
und dunklen G-Banden oder negativen und positiven Banden (siehe . Abb. 2.8).
Wenn man an Stelle der Trypsinbehandlung die Proteine mittels Hitze denaturiert
und dann anfärbt, tauschen die hellen und dunklen Banden ihr Aussehen, daher
der Name R-Banden für reversed banding. R-Banden entsprechen den hellen
G-Banden.
55 Der Farbstoff Quinacrin erzeugt Q-Banden. Sie sind identisch mit den G-
Banden.
Die Bänderung geht einher mit weiteren Eigenschaften, in denen sich helle und
dunkle Banden unterscheiden. Sie erklären letztlich das Färbeverhalten. In der
Regel gilt:
55 Die hellen Banden sind GC-reich, und das Chromatin ist weniger gefaltet. Sie
replizieren früh und sind reich an bestimmten Genen.
55 Die dunklen Banden sind das Gegenteil: AT-reich, stärker gefaltet, replizieren
spät und sind arm an Genen.
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH)
Die FISH ist eine Methode zur Untersuchung von Chromosomen mit höherer Auf-
lösung als die Bänderungstechniken. Man setzt sie vor allem dann ein, wenn man
ein bestimmtes chromosomales Segment untersuchen möchte, z. B. wenn der Ver-
dacht besteht, dass dieses Segment fehlt und einer Erkrankung zugrunde liegt
(siehe 7 Abschn. 15.3.2).
Dazu markiert man eine einzelsträngige DNA-Sonde mit einem Fluoreszenz-
farbstoff und lässt sie gegen die Chromosomen hybridisieren. Man setzt dabei eine
Testsonde und anschließend eine Kontrollsonde mit jeweils unterschiedlicher
Farbe ein, um die erfolgreiche Versuchsdurchführung zu bestätigen. Die Unter-
suchung erfolgt mikroskopisch. Die FISH ist geeignet für die Chromosomen der
Metaphase und der Interphase.
Centromere sind die Orte, an denen die Chromatiden eines Chromosoms ver-
bunden sind und an die sich die Spindelfasern anheften, um die Chromosomen
34 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
während der Mitose und Meiose gleichmäßig auf die Tochterzellen zu verteilen.
Das macht die Centromere zu einer genarmen Region, sie gehören zum Hetero-
chromatin. Seine Funktion erfüllt dieses Element über eine Wechselwirkung aus
2 charakteristischen DNA-Sequenzmotiven einerseits und DNA-bindenden Protei-
nen andererseits (siehe . Abb. 2.7).
a b
Mikrotubuli
Plusende der
K Mikrotubuli
MAP-Motor- K
K
proteine Schnittstelle
K
zum Centromer
K
Centromer-
Chromosom Abschnitt
der DNA Nucleosom
.. Abb. 2.7 (a) Centromer-Abschnitt mit dem Schichtaufbauf der Kinetochor-Proteine bei der
Hefe. (b) Die Abschnitte des Kinetochors werden aus vielteiligen Komplexen aufgebaut. Cse4:
Chromosom- Segregation-4-Nucleosom. CCAN: konstitutives Centromer-assoziiertes Netzwerk;
KMN steht für die Anfangsbuchstaben der Hauptproteine: KNL1 (in Hefe: Spc105, spindle pole body
component 105), MIS12 (Mtw1 in Hefe) und NDC80 Komplex, MAP: Mikrotubuli-assoziierte Pro-
teine. Der Zusammenhalt erfolgt über die vielfältige Wechselwirkung der Proteine untereinander.
(Nach Lampert und Westermann 2011; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
2.4 · Genom von Eukaryoten
35 2
55 Ein mehrschichtiger Proteinkomplex, das Kinetochor, ist der DNA aufgelagert.
Er dient den Mikrotubuli als Ansatzpunkte für den Spindelapparat.
55 Hinzu treten nichtspezifische Proteine wie Proteinkinasen und eine Topoiso-
merase.
55 Die Bäckerhefe zeigt einen abweichenden Aufbau des Centromers. Sie hat ein
einziges kurzes DNA-Element von rund 120 bp, an welches sich mehrere Pro-
teine binden (siehe . Abb. 2.7).
Ohne Centromer und Kinetochor kann die Zelle die Chromosomen nicht korrekt
auf die Tochterzellen aufteilen.
Telomere
Die Telomere erfüllen mehrere Funktionen:
55 Sie ermöglichen die Replikation des Chromosoms, ohne dass genetische Infor-
mation verlorengeht.
55 Sie schützen die Enden vor dem Abbau durch Exonucleasen.
55 Sie sind an der Kernmembran befestigt und positionieren dadurch die Chromo-
somen im Zellkern.
Das typische Bild der Metaphasechromosomen vieler Organismen zeigt sie mehr
oder weniger x-förmig mit den zwei Chromatiden, die an einer Region, der
Paarungsdomäne, verbunden sind (. Abb. 2.8).
Um dieses Bild zu erhalten, hat man die Zellen vorher mit Colchicin behandelt.
Dieses Gift aus der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) stoppt die Mitose, weil
es den Aufbau des Spindelapparats verhindert.
36 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
.. Abb. 2.8 Metaphase-Chromosom mit Banden nach Giemsa-Färbung. (Nach Buselmaier und Ta-
riverdian 2007)
Die Lage des Centromers dient zur einfachen Bestimmung der Chromosomen:
55 Bei akrozentrischen Chromosomen befindet sich das Centromer eher im Endbe-
reich.
55 Liegt es mehr mittig, handelt es sich um ein metazentrisches Chromosom.
In der Regel liegt das Centromer meist zwischen einer mittleren und einer end-
ständigen Position.
Bei der Chromosomenanalyse eines Karyogramms legt man die Centromeren
auf eine Linie. Auf diese Weise sieht man die unterschiedlich langen Arme auf
einen Blick und kann die Bänderung vergleichen. Die kurzen Chromosomenarme
heißen beim Menschen p-Arm (franz. petit = klein), die langen q-Arm (franz.
queue = Schweif, Schwanz). Bei Drosophila spricht man von L- und R- (linkem und
rechtem) Arm.
An den kurzen Armen der akrozentrischen Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22
des Menschen stechen weitere Strukturen hervor. Sichtbar werden sie nach An-
färbung mit Silbersalzen im Elektronenmikroskop. Man sieht dann dunkle Be-
reiche, die Nucleoli (Singular: Nucleolus). Der chromosomale Abschnitt heißt ent-
sprechend Nucleolusorganisatorregion, NOR, früher auch SAT genannt. Die
NOR enthält die wichtigen rRNA-Gene. Sie werden besonders häufig transkri-
biert. Die zahlreichen rRNA-Moleküle assoziieren sich dann mit Proteinen zu
einem Nucleolus.
2.4 · Genom von Eukaryoten
37 2
2.4.6 Ungewöhnliche Chromosomen
In Drosophila verteilt sich etwas mehr als ein Drittel aller Gene auf drei Funktio-
nen: (1) Enzymaktivität, (2) DNA- oder RNA-bindende Proteine, (3) Protein-
Bindung.
Die Gene sind in der Regel wie Mosaike gestückelt und bestehen aus codieren-
den Exons und nichtcodierenden Introns (. Abb. 2.10).
55 Exons können nur einige wenige Basenpaare bis mehrere Tausend Basenpaare
umfassen. In höheren Eukaryoten nimmt die Anzahl an Exons in den Genen
zu. Ihr Anteil am Genom bleibt aber gering. Im menschlichen Genom beträgt
der Anteil der Exon-DNA etwa 1 %.
55 Exons enthalten oft die Information für eine spezielle Funktion oder Teilauf-
gabe des Proteins. Eine wichtige Funktion wie die Bindung des Proteins an
DNA wird also von einem Exon codiert.
55 Exons sind daher auch konservierter als Introns. Die Sequenzen der Exons ver-
wandter Gene wie den verschiedenen Globin-Genen ähneln sich innerhalb
eines Organismus ebenso wie zwischen Organismen. Introns unterscheiden sich
stärker.
55 Introns reichen von einigen Tausend bis mehreren Hunderttausend Basen-
paaren. Ihr Anteil beträgt beim Menschen etwa 24 %. Introns sind nur Bestand-
2.4 · Genom von Eukaryoten
39 2
a Transkription
P E I E I E T
Transkriptionsstart Termination
.. Abb. 2.10 Allgemeiner Aufbau eines eukaryotischen Gens (a) und das beta-Globingen (b) des
Menschen
teil der Prä-RNA, aber nicht der reifen RNA (siehe 7 Abschn. 4.9.2, Spleißen).
Introns kommen zwar auch im Genom von Bakterien vor, sind dort aber selten
und untypisch.
55 Die Länge eines Gens ist in erster Linie abhängig von der Länge der Introns,
nicht so sehr von der Länge oder Anzahl der Exons.
Auch die Abschnitte mit regulatorischer Funktion wie der Promotor sind Teil des
Gens (. Abb. 2.10).
Hinter der Bezeichnung „genähnliche Sequenzen“ verbergen sich evolutionäre
Fußspuren:
Genfragmente und Pseudogene.
55 Genfragmente sind Reste von Genen, die durch Rekombinationen entstanden
sind.
55 Pseudogene enthalten Stoppcodons und/oder Insertionen/Deletionen („In-
dels“, zusätzliche oder fehlende Basen) und sind daher nichtfunktionelle Ko-
pien von Genen. Man unterscheidet zwei Typen:
–– Konventionelle Pseudogene verfallen mit der Zeit. Die Funktion kann von
anderen Kopien im Genom erfüllt werden. Dadurch werden diese Pseudo-
gene nicht zwingend benötigt. Sie unterliegen keinem Selektionsdruck, und
mit der Zeit häufen sich Mutationen an. Unter Umständen entsteht aus
ihnen ein Gen mit einer neuen Funktion.
–– Ein prozessiertes Pseudogen hat seinen Ursprung in einer mRNA. Die Zelle
hat diese mRNA wieder in eine DNA umgeschrieben (revers transkribiert)
und in das Genom integriert. Dort liegt die Gensequenz jedoch ohne regula-
torische Sequenzen wie dem Promotor vor. Daher bleibt sie stumm.
Das Genom des Menschen umfasst etwa 20.000 Pseudogene. Sie sind mit noch
funktionstüchtigen Genen verwandt. Beispiel: Pseudogene der Globingene.
40 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
Sind Gene innerhalb eines Organismus verwandt, wie das Myoglobin- und das
Cytoglobingen, spricht man von paralogen Genen. Verwandte Gene bei ver-
schiedenen Organismen, also Maus- und Mensch-Myoglobingen, nennt man ortho-
loge Gene.
z Repetitive Elemente:
Sie bilden eine eigene Gruppe. Mehr als 50 % des menschlichen Erbguts besteht
aus repetitiven Elementen. Funktionen sind meist nicht bekannt. Sie unterscheiden
sich in ihrer Länge und in der Kopienzahl.
Hochrepetitive Sequenzen oder Satelliten-DNA liegen in der Regel tandemartig
vor. Man gruppiert sie nach der Größe des Elements. Die Angaben zu den Längen
und zur Wiederholungszahl schwanken in der Literatur.
55 Mikrosatelliten (STR, short tandem repeats) oder Mikrosatelliten-VNTR
(VNTR-Loci steht für variable nucleotide/number of tandem repeats). Mikro-
satelliten sind ein bis wenige Basenpaare lang und bilden Cluster von wenigen
Hundert Basenpaaren Länge. Zusätzlich sind Mikrosatelliten noch über das
Genom verteilt. Da sich ihre Länge bei den Menschen individuell unterscheidet
(Längenpolymorphismus), nutzt man sie für den genetischen Fingerabdruck.
55 Minisatelliten (ebenfalls als STR angesehen, auch bezeichnet als Minisatelliten-
VNTR) sind etwa 10–100 bp lange Stückchen, die 5 bis 50 Mal wiederholt wer-
den. Minisatelliten rekombinieren sehr häufig und sie unterscheiden sich sehr
zwischen den Individuen. Man nutzt sie ebenfalls für den genetischen Finger-
abdruck.
2.4 · Genom von Eukaryoten
41 2
55 Die alphoide DNA oder Alpha-Sequenzwiederholungen in den Centromeren
zeichnet sich durch mehrere Hundert oder Tausend bp lange Sequenzen aus, die
bis zu einer Million Mal wiederholt werden. Man nennt sie auch Makro-
satelliten.
LINEs und SINEs fasst man zusammen zu den Retroposons oder Non-LTR-
Retrotransposons, wenn sie von den LTR-Retrotransposons abgegrenzt werden
sollen.
Mitochondriengenome
Mitochondriale Chromosomen sind meist zirkulär und kommen in mehreren Kopien
vor. Beim Menschen sind es etwa zehn. Lineare Formen kennt man aus ver-
2 schiedenen Einzellern. Die mitochondriale DNA wird mit mtDNA abgekürzt.
Die Größe der Mitochondriengenome variiert. Auch hier gilt, dass komplexere
Lebewesen kein komplexeres Erbgut in dem Organell haben. Die menschliche
mtDNA ist rund 16,6 kb klein, das Genom der Bäckerhefe ist mit 85,8 kb erheblich
größer und das der Pflanze Arabidopsis thaliana ist mit 367 kb mehr als 20-mal so
groß.
Beim Menschen ist das Mitochondriengenom sehr kompakt und enthält somit
nur wenig nichtcodierende DNA (. Abb. 2.11). Es trägt die Information für
rRNAs, einige tRNAs und für 13 Proteine der Atmungskette. Auch lange, nichtco-
dierende RNAs (lncRNAs) kommen vor, ihr Funktionen sind bisher unbekannt.
Die Genome sind für die Evolutionsbiologie wichtig: Durch den Vergleich von
menschlichen mtDNAs ist es möglich, einen Stammbaum des Menschen aufzu-
stellen und seine Stammesgeschichte nachzuvollziehen.
.. Abb. 2.11 Mitochondriale DNA des Menschen und ihre Gene. (Nach Buselmaier und Tariver-
dian 2007)
2.4 · Genom von Eukaryoten
43 2
Beispiel: Von den 13 Untereinheiten des Komplex IV (Cytochrom-c-Oxidase)
sind nur drei mitochondrial codiert.
Weitere Proteine der Mitochondrien sind kerncodiert. Bei manchen Organis-
men ist der Anteil mitochondrial codierter tRNAs so gering, dass ihre Mito-
chondrien auf tRNAs aus dem Cytoplasma angewiesen sind.
Größere Mitochondriengenome enthalten weitere Gene, aber auch Introns und
extragene Bereiche.
Pflanzliche Mitochondrien weisen zuweilen Plasmide auf und zeigen über-
raschende Besonderheiten: Man fand Chloroplasten-DNA im Mitochondrien-
genom und umgekehrt, die sogenannte promiske oder promiskuitive DNA.
Mitochondrien replizieren unabhängig von den Chromosomen. Die Weitergabe
der Mitochondrien an die Nachkommen erfolgt beim Menschen, bei den meisten
Säugetieren und bei Angiospermen über die Mutter (uniparental maternal), bei
Hefen hingegen biparental und bei vielen Gymnospermen über den Vater (uni-
parental paternal).
Mutationen sind in der mtDNA etwa zehnmal häufiger als in der Kern-DNA,
und Schäden in der mtDNA sind korreliert mit dem Alterungsprozess.
Plastiden
Pflanzen besitzen Plastiden, die über eigene DNA verfügen. Die Gesamtheit der ge-
netischen Information dieser Organellen nennt man Plastom. Für diese DNA ver-
wendet man die Abkürzung ptDNA.
Die ptDNA ist in der Regel zirkulär, lineare Formen bilden die Ausnahme. Eine
so auffällige Variationsbreite wie die mtDNA zeigt die ptDNA nicht. So sind Ge-
nome der Chloroplasten relativ einheitlich groß und liegen meist zwischen 120 und
170 kb. Größere Genome kommen jedoch vor. Hier gilt erneut, dass keine Ver-
bindung zwischen Größe und Komplexität besteht. Reis (Oryza sativa) hat mit
einer 134,5 kb langen cpDNA ein kleineres Chloroplastengenom als die Grünalge
Chlamydomonas reinhardtii mit 203 kb.
Der Aufbau der cpDNA (oder ctDNA, . Abb. 2.12) aus Chloroplasten ist ein-
heitlicher als bei der mitochondrialen mtDNA. Bei vielen niederen und höheren
Pflanzen gliedert sich die cpDNA in vier Abschnitte. Zwei Inverted Repeats liegen
gegenläufig zueinander vor und sind getrennt durch jeweils einen kurzen und lan-
gen Einzelkopieabschnitt, LSC für large single copy und SSC für small single copy.
Das Chloroplastengenom ist auch genreicher als die mtDNA. Es umfasst mehr
als 100 Gene. Dazu gehören alle RNA-Gene, die rRNA-Gene liegen in den Inverted
Repeats. Chloroplasten sind somit nicht auf den Transport von tRNAs aus dem
Cytoplasma angewiesen. Dagegen sind nur wenige Proteine der Chloroplasten auf
der cpDNA codiert, die meisten ihrer Gene liegen auf der Kern-DNA. Zu den
cpDNA-codierten Proteinen gehören beispielsweise
55 etwa ein Drittel der ribosomalen Proteine,
55 viele Proteinkomponenten für die Photosynthese,
55 die (acht) großen Untereinheiten für das Enzym zur CO2-Fixierung: Rubisco
oder Ribulose-1,5-Bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase.
44 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
atpA
atpE
atpH
rbcL atpI
2 atpE
psaA psaB
atpB
psbJ LSC
psaJ psbL psbM
psbF
psbE
psbB psbC
Oryza sativa psbD
psbH psbN psbI
cpDNA
psbK
~134,5 Kb
psbA
IRB IRA
16S
SSC
23S
4,5S
5S
Die Vererbung ähnelt derjenigen der mtDNA. Bei Angiospermen ist sie meist
mütterlich, bei einigen Arten biparental, bei einigen Gymnospermen väterlich.
Einige Viren und Phagen können sich in das Wirtsgenom integrieren. Die Zelle re-
pliziert sie dann zusammen mit dem Chromosom und gibt somit auch die DNA an
die Tochterzellen weiter. Das erinnert an die Plasmide. Tatsächlich hat man eine
evolutive Verwandtschaft festgestellt zwischen einigen bakteriellen Plasmiden und
Phagen. Im eukaryotischen Genom haben solche Viren ihre Spuren in repetitiven
Elementen hinterlassen. Manche beweglichen Elemente waren früher Viren, die
ihre Infektiosität verloren haben.
47 3
DNA-Replikation
Inhaltsverzeichnis
Die Replikation sorgt für eine Verdopplung der DNA und ist ein grundlegender
Vorgang in allen Zellen. Sie gewährleistet, dass bei der Weitergabe des Erbgutes an
Tochterzellen beide das komplette Erbgut erhalten und im Normalfall keine Infor-
mation verlorengeht. Da die Struktur der DNA bei Bakterien, Archaeen, Eukaryo-
ten, Phagen und DNA-Viren gleich ist, gleicht sich auch der biochemische
Mechanismus der Replikation in seinen Prinzipien. Der Ablauf unterteilt sich in
drei Phasen.
Insbesondere die Initiation der Replikation wird genau kontrolliert. Die Repli-
kation in Organellen zeigt ebenso Variationen wie die von Viren und Phagen.
3.2 Prinzipien
3.2.1 Überblick
Semikonservativer Mechanismus
Aufgrund der Basenpaarung ist der Weg zur Verdopplung im Grunde vor-
gezeichnet. Denn kennt man die Nucleotidfolge des einen Strangs, so kann man
den komplementären Strang ergänzen. Das entspricht in der Praxis dem semi-
konservativen Mechanismus (. Abb. 3.1): Die Zelle trennt die DNA-Doppelhelix
in ihre zwei Stränge auf und stellt zu den getrennten Einzelsträngen jeweils einen
neuen Gegenstrang her. Der alte Strang dient als Vorlage, also Matrize (engl. tem-
50 Kapitel 3 · DNA-Replikation
3
DNA nach der
1. Replikation
DNA nach der
2. Replikation
plate), für die Herstellung des neuen Gegenstrangs. Nach der Replikation bestehen
dann beide DNA-Helices aus je einem alten und einem neuen Strang.
Theoretisch möglich wären noch zwei andere Mechanismen, der konservative
und der dispersive.
Beim konservativen Mechanismus bliebe die alte DNA aus alten Strängen be-
stehen und die neue DNA bestünde aus zwei neuen Strängen.
Beim dispersiven Mechanismus sollte es eine Art Mosaik geben. In beiden
DNA-Molekülen würden sich zufällig alte und neue Abschnitte abwechseln.
Meselson-Stahl-Experiment
Matthew Meselson und Franklin Stahl führten 1958 mit dem Bakterium Escheri-
chia coli ein Experiment durch, um die Frage nach dem Mechanismus der Replika-
tion zu beantworten (. Abb. 3.1). Im Detail ist der Versuch zwar eher historisch
interessant, das Prinzip der Markierung von Molekülen wendet man jedoch heute
noch an.
Will man den Weg von Molekülen verfolgen, markiert man sie, um sie so in-
direkt sichtbar zu machen. Früher verwendeten die Wissenschaftler dazu oft radio-
aktive Isotope, heute markiert man in der Regel mithilfe von Fluoreszenzfarb-
stoffen.
Meselson und Stahl nahmen das Stickstoffisotop 15N, das ein Neutron mehr im
Kern besitzt als das häufigere Isotop 14N und deshalb schwerer ist. Sie ließen E. coli
so lange auf einem Nährmedium mit dem schweren Stickstoff in Form von
Ammoniumchlorid (15NH4Cl) wachsen, bis die DNA nur 15N enthielt. Darauf
folgte eine erste neue Generation und damit eine Verdopplung der DNA auf
14N-Medium. Meselson und Stahl untersuchten die DNA über Dichtegradienten-
Hilfsproteine
Die DNA-Polymerase arbeitet als Holoenzym. Also nicht allein, sondern im Kom-
plex aus mehreren Untereinheiten und im Verbund mit weiteren Proteinen. Dazu
gehören u. a. eine Gleitklammer und ein Klammerlader, die als eine Art Führungs-
schiene für die Polymerase fungieren (s. u.).
Einzelstrangbindende Proteine binden sich nach dem Öffnen der DNA an die
Einzelstränge. Damit stabilisieren sie die Abschnitte und verhindern, dass sich die
DNA wieder schließt. Helikasen, Primasen, Polymerasen und Hilfsproteine bilden
zusammen einen Komplex, das Replisom.
52 Kapitel 3 · DNA-Replikation
nd)
tra
3
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Primase
gg
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SSB
ng
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Primase
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Helikase
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Vo
rw
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DNA Polymerase III
st
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Holoenzym
ng
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a
di
ng
str
an
d)
5'
3'
Die Enzyme und Proteine führen – zum Teil zusammen mit anderen Protei-
nen – auch die Rekombination und DNA-Reparaturen aus. Diese Prozesse sind
miteinander gekoppelt.
Damit aus der nackten, replizierten DNA das Chromatin wird, muss die Zelle
auch DNA-bindende Proteine und Hilfsproteine neu synthetisieren und zusammen-
setzen. Eukaryotische Zellen stellen daher eine funktionelle Verbindung her zwi-
schen Replisom, Synthese von Hilfsproteinen und Zusammenbau der Histone.
Hilfsproteine setzen die einzelnen Histone zu den Oktameren zusammen, um die
sich die DNA winden und Nucleosomen bilden kann.
3.2.4 Syntheserichtung
Jeder DNA-Strang hat ein 5′-Phosphatende und ein 3′-OH-Ende. Das 5′-Ende
trägt eine Phosphatgruppe am 5′-C-Atom des Zuckers, das 3′-C-Atom besitzt eine
OH-Gruppe. Die zwei DNA-Stränge der Doppelhelix liegen gegenläufig zu-
einander vor, antiparallel.
Alle bekannten DNA-Polymerasen arbeiten nur in eine Richtung: Sie lesen die
Matrize vom 3′-Ende zum 5′-Ende hin ab und bauen den neuen Strang von 5′ nach
3′ auf.
Beim Einbau eines Nucleosidtriphosphats in den neu zu synthetisierenden
DNA-Strang bindet die Polymerase unter Abspaltung von Pyrophosphat den ver-
bleibenden Phosphatrest mit einer Esterbindung an das 3′-C-Atom am Ende der
vorhandenen Kette. Die Abspaltung des Pyrophosphats liefert die notwendige
Energie.
Wenn sich das Replisom auf der DNA fortbewegt und die Doppelhelix öffnet,
bewegt es sich auf dem einen Strang von 3′ nach 5′ fort, auf dem anderen von 5′
nach 3′. Das bedeutet:
55 Nur an einem Strang kann unmittelbar die Synthese beginnen. Hier entsteht der
Leitstrang (gelegentlich Vorwärtsstrang genannt), bei dem das Replisom dem
Matrizenstrang von 3′ nach 5′ folgt. Am gegenläufigen Strang wächst der Folge-
strang (Rückwärtsstrang), dessen Matrize das Replisom von 5′ nach 3′ abfährt.
55 Daraus folgt, dass die Synthese des Leitstrangs in einem Stück oder kontinuier-
lich von 5′ nach 3′ möglich ist. Denn er wächst in die gleiche Richtung, wie sich
die Replikationsgabel fortbewegt.
55 Die Synthese des Folgestrangs ist aber nur diskontinuierlich möglich, weil die
Syntheserichtung weg von der Replikationsgabel erfolgt. Also muss die Heli-
kase immer wieder einen längeren Einzelstrangabschnitt erzeugen, damit die
Synthese erneut einsetzen kann. Die Polymerase repliziert diesen Abschnitt, bis
sie auf das Stück stößt, das sie unmittelbar zuvor hergestellt hat. Auf diese
Weise entstehen Teilstücke, die man Okazaki-Fragmente nennt. Sie haben bei
Bakterien etwa eine Länge von 1000–2000 bp, bei Eukaryoten nur von 200 bp.
Das liegt möglicherweise daran, dass 200 bp mit einem Nucleosom assoziiert
sind.
54 Kapitel 3 · DNA-Replikation
3'
Leitstrang
5' Vorwärtsstrang
Folgestrang 3'
(aus Okazaki- Rückwärtsstrang
Fragmenten) 5' mit Schleife
.. Abb. 3.3 Die Bildung einer Schlaufe am Rückwärtsstrang ermöglicht die simultane Replikation
Wäre die DNA gestreckt, so müsste die Polymerase beim Folgestrang erst auf dem
Rückwärtsstrang entlanggleiten (von der Replikationsgabel weg), sich nach Ab-
schluss eines Okazaki-Fragments schließlich von der DNA lösen und nach vorn
springen, um sich erneut an die DNA zu binden. Das wäre zu aufwendig. Statt-
dessen bildet der Rückwärtsstrang eine Schleife (. Abb. 3.3). Er macht eine Kehrt-
wende, sodass die Verlängerung in Richtung der Replikationsgabel möglich ist.
Durch die Einschlaufung können zwei Polymerasen arbeiten, sich in Richtung der
Replikationsgabel fortbewegen und Leit- und Folgestrang parallel synthetisieren.
Die Größe der Schlaufe entspricht dabei der Länge eines Okazaki-Fragments.
Die Initiation dient der Vorbereitung, bis die DNA-Polymerase ihre Arbeit auf-
nimmt. Sie umfasst mehrere Teilschritte:
55 Identifizierung des Replikationsursprungs durch ein Initiatorprotein,
55 Öffnen und Entwinden der DNA,
55 Stabilisierung der Einzelstränge und
55 Synthese eines RNA-Primers.
Wenn die Helikase die DNA weiter auftrennt, läuft ihr eine Topoisomerase II (die
Gyrase) voraus, um die Überwindungen herauszunehmen.
Die Archaeen stehen in diesem Kapitel vor den Eukaryoten, weil sich die eukaryo-
tische Zelle (vermutlich) aus den Archaeen entwickelt hat. Das spiegelt sich darin
wider, dass Archaeen- und Eukaryotenproteine miteinander verwandt sind, der
Replikationsapparat bei den Archaeen aber einfacher aufgebaut ist.
Einige Abläufe und Enzyme entsprechen ihren Gegenstücken bei Bakterien,
tragen aber einen anderen Namen.
55 Auch Archaeen besitzen ein ringförmiges Chromosom.
55 Es kommen Arten mit einem Replikationsursprung vor, es gibt aber auch Arten
mit zwei oder drei Ursprungsorten.
55 Sie enthalten mehrere Origin Recognition Boxes genannte Motive.
55 Daran bindet sich ein Initiatorproteinkomplex ORC, origin recognition com-
plex, aus mehreren Proteinen.
55 Die MCM-Proteine, minichromosome maintenance proteins, bauen die Helikase
auf.
55 Mehrere einzelstrangbindende Proteine vom replication protein A, RPA stabili-
sieren die Einzelstränge.
55 Die MCM-Proteine führen die Primase für die Synthese der Primer an die
DNA heran.
56 Kapitel 3 · DNA-Replikation
Der Ablauf der Initiation bei Eukaryoten ist von mehreren Faktoren abhängig:
55 Es gibt sehr unterschiedliche Organismen, darunter Einzeller, Mehrzeller und
Gewebeorganismen mit spezifischen Anforderungen.
55 Innerhalb der Gewebeorganismen sind die Bedingungen für die Replikation
3 unterschiedlich. Embryonale Zellen teilen sich schneller und sollten die Repli-
kation beschleunigen können. Ausdifferenzierte Zellen teilen sich dagegen in
der Regel nicht mehr.
55 Die Zelle muss mehrere Prozesse innerhalb des Zellzyklus koordinieren. So ist
die Replikation mit der Zellteilung und damit auch mit der Auflösung der Kern-
membran verknüpft. Bei Einzellern gehen Replikation und Zellteilung mit der
Vermehrung einher. Bei höheren Pflanzen und Tieren sind sie mit der Differen-
zierung und/oder dem Wachstum gekoppelt.
55 Die Chromosomen sind länger als in Prokaryoten. Es kann daher mehrere
Zehntausend Replikationsstartpunkte geben.
Das Centromer ist ein besonderer Abschnitt, der zuletzt repliziert wird. Vermutlich
können embryonale Zellen die Replikation vorantreiben, indem sie mehrere
Replikationsursprünge gleichzeitig aktivieren.
Recht gut untersucht ist die Initiation bei Hefe (S. cerevisiae). In vitro kann man
die Inititation mittlerweile nachbilden. Dazu sind 16 Proteine notwendig.
Als Replikationsursprünge hat man mehrere 200 bp lange Abschnitte identi-
fiziert und sie autonomously replicating sequence (ARS oder ARS-Element) ge-
tauft. Eine ARS besitzt vier Sequenzmotive, A, B1, B2 und B3.
Die Abschnitte A und B1 bilden die Erkennungssequenz für den Initiator-
proteinkomplex ORC, origin recognition complex, aus sechs Proteinen (nummeriert
als ORC1 bis ORC6). Die Aktivierung eines Replikationsursprungs nennt man
auch „feuern“ oder „zünden“.
Der Initiationsprozess verläuft in aufeinanderfolgenden Schritten:
1. Der ARS-Bindungsfaktor 1, ABF1, bindet sich an B3 und spannt die DNA da-
durch wohl so weit, dass sie sich an B2 öffnet.
2. Nacheinander lagern sich weitere Proteine an die DNA an und bauen den
Prä-Replikationskomplex auf. Unerlässlich für die weiteren Schritte ist das Pro-
tein Cdc6. Es gilt als ein licensing factor. Wie das Protein DnaA aus E. coli stel-
len diese Faktoren sicher, dass genau eine Replikation pro Zellzyklus erfolgt.
Sie erscheinen während des Zellzyklus in einem aktiven und einem inaktiven
Zustand. Vor der Replikation ist Cdc6 aktiv. In diesem Zustand führt es dazu,
3.4 · Elongation der Replikation
57 3
dass zwei MCM-Proteinkomplexe mit Helikasefunktion hinzutreten, sich an-
lagern und den Prä-Replikationskomplex weiter aufbauen. Das einzelstrang-
bindende Protein RPA (replication protein A) lagert sich an. Nach Beginn der
Replikation inaktiviert die Zelle Cdc6.
3. Die Zelle nutzt weitere licensing Faktoren wie das Protein Cdt1. Auch Cdt1 tritt
in den Prä-Replikationskomplex ein. Nach Beginn der Replikation inaktiviert
die Zelle auch diesen Faktor. Die abgeschalteten Proteine Cdc6 und Cdt1 lösen
sich von dem ORC. In dem inaktiven Zustand ist keine weitere Replikation
möglich.
4. Anders als E. coli nutzt die Hefe für die Initiation Untereinheiten einer
DNA-Polymerase (Polymerase α) mit Primasefunktion. Sie bauen einen
RNA-Primer aus acht bis zehn Nucleotiden auf.
5. Der ORC bleibt auch nach der Initiation und im weiteren Verlauf an den
Replikationsursprung der DNA gebunden (Post-Replikationskomplex).
Die Elongation ist die Synthesephase der DNA-Replikation. Eine Polymerase ver-
arbeitet Desoxynucleosidtriphosphate, indem sie an das freie 3′-OH-Ende des be-
reits eingebauten Nucleotids das 5′-Phosphatende eines neuen hängt. Dabei spaltet
sie zwei Phosphatreste von dem neuen Nucleosidtriphosphat ab und knüpft eine
Phosphodiesterbindung.
Sowohl Pro- als auch Eukaryoten verfügen über mehrere DNA-Polymerasen.
Eine ist jeweils das Hauptenzym während der Replikation, sie heißt dann Repli-
kase. Weitere Polymerasen beteiligen sich an der Reparatur von DNA-Schäden,
entfernen den RNA-Primer mittels einer 5′–3′-Exonucleaseaktivität oder replizie-
ren bei Eukaryoten die Mitochondrien-DNA.
Die Hauptenzyme bei Bakterien und Eukaryoten besitzen eine 3′-5′-Exo-
nucleaseaktivität. Diese dient zur Korrektur und wird als proof-reading oder
Korrekturlesefunktion bezeichnet. Hat eine Polymerase ein falsches Nucleotid an
das 3′-Ende gehängt, erkennt sie, dass die Basenpaarung ausbleibt, und entfernt
das Nucleotid wieder.
Damit wird klar, warum die Synthese nur in eine Richtung möglich ist: Würde
die Polymerase jeweils ein neues Nucleotid an das 5′-Phosphatende heften, wo sich
drei Phosphatreste und somit die Energie für die Verknüpfung befinden, so würde
die Exonuclease mit dem (falschen) Nucleotid auch die Energiebereitstellung für
die Verknüpfung entfernen. Für den Einbau des richtigen Nucleotids stünden
keine energiereichen Bindungen mehr zur Verfügung und die Synthese müsste
stoppen.
58 Kapitel 3 · DNA-Replikation
Die Replikase bei E. coli ist die DNA-Polymerase III. Neben der Polymerasefunk-
tion zeigt sie die 3′-5′-Exonucleaseaktivität für das Korrekturlesen. Sie besteht aus
mehreren Untereinheiten, im Kern aus den Untereinheiten α (alpha, Polymerase-
funktion), ε (epsilon, Exonuclease), θ (theta, verbindet DNA-Polymerase-III-
3 Dimere) und τ (tau, verbindet die Dimere der DNA-Polymerase). Zwei Unterein-
heiten β (beta) bilden je eine von zwei Gleitklammern, mit deren Hilfe die Polyme-
rase auf der DNA entlanggleitet, γ (gamma) ist eine Untereinheit für den
Klammerlader, der die Gleitklammer auf der DNA positioniert.
Die Polymerase I (auch Kornberg-Enzym genannt) wirkt an der Replikation
und an der Reparatur mit. Sie verfügt über alle drei Enzymfunktionen: 5′-3′-Exo-
nucleasefunktion, um die RNA-Primer zu entfernen, Polymerasefunktion, um die
Lücken wieder aufzufüllen, und 3′-5′-Exonucleaseaktivität. Da sie langsamer
arbeitet als die Pol III, kommt sie für die Zelle als Hauptenzym nicht infrage.
Nach Ersetzen der RNA-Primer durch DNA-Nucleotide verknüpft die
DNA-Ligase die Nucleotide mit einer Phosphodiesterbindung.
Am Ende eines Okazaki-Fragments dissoziiert der Polymerase-Komplex und
reassoziiert von neuem mit einem Primer, um das nächste Fragment zu bilden.
Die Polymerasen II, IV und V sind an der DNA-Reparatur beteiligt.
Die Proteine von Archaeen sind verwandt mit denen von Eukaryoten und nach
ihnen benannt worden. Auch Archaeen verfügen über mehrere DNA-Polymerasen.
55 Das Trimer PCNA bildet die ringförmige Gleitklammer, um dem Polymerase-
dimer Halt an der DNA zu geben. Es hat seinen Namen von seinem eukaryoti-
schen Vorbild erhalten: proliferating cell nuclear antigen.
55 PCNA muss stets neu aufgebaut und aufgeladen werden, daran wirkt das Hilfs-
protein RF-C mit, replication factor C, der Klammerlader. Das Zusammenspiel
ähnelt den Untereinheiten β und γ der Polymerase III von E. coli.
55 Auch hier beendet eine DNA-Ligase die Elongation.
Die Zahl der bei Eukaryoten bekannten Polymerasen ist mittlerweile zweistellig.
Zur Unterscheidung hat man sie mit griechischen Buchstaben versehen. Dabei
muss man aufpassen, um sie nicht mit den Untereinheiten der Polymerase III von
E. coli zu verwechseln. Auch hier kann man manchen Enzymen noch eine 3´-5´-Exo-
nucleaseaktivität oder eine Exonucleaseaktivität in 5´-3´-Richtung zuweisen.
Die wichtigsten DNA-Polymerasen sind:
3.4 · Elongation der Replikation
59 3
DNA-Polymerase
Einzelstrang-
3’
bindendes Protein
Helicase 5’
3’
Klammer (PCNA)
Klammerlader (RFC)
5’
Primase
RNA-Primer Laufrichtung der Replikationsgabel
Die RNA-DNA-Primer werden in zwei Schritten entfernt. Erst setzt die RNaseH
einen Schnitt in dem Strang, dann entfernt die flap-Endonuclease FEN1 (auch
MF1 genannt) die RNA.
Von den Archaeen bekannt ist die Gleitklammer, das PCNA-Trimer, und ihr
Helfer, der Klammerlader RF-C. Dieser hält und sichert auch bei Eukaryoten die
Polymerase an der DNA und erhöht ihre Leistung, die Prozessivität.
Die DNA-Ligase verbindet die Okazaki-Fragmente, sie beteiligt sich außerdem
an Reparaturvorgängen (Nucleotidexzisionsreparatur und Basenexzisions-
reparatur, 7 Kap. 11, DNA-Reparatur).
Mutationen in den Genen für die Polymerasen sind oft die Ursache für schwer-
wiegende Syndrome. Beispiel: Mutationen in den zwei Allelen des LIG1-Gens des
Menschen führen zur DNA-Ligase-I-Defizienz. Patienten zeigen verzögertes
Wachstum, Immunschwäche und sind empfindlicher gegenüber Sonnenlicht.
Bestimmte Sequenzmotive (siehe . Abb. 3.5) erlauben, dass die DNA an die-
sen Stellen ungewöhnliche Strukturen ausbildet. Hier kommt es erst zum Stopp der
Replikation, dann, mit Hilfe von speziellen Enzymen, zur Fortsetzung. Die Aus-
hilfsenzyme gewährleisten allerdings nicht die gleiche Kopiergenauigkeit, sondern
bauen Fehler ein.
60 Kapitel 3 · DNA-Replikation
G-Quadruplex
Eingriff einer
Helikase
Kreuz
Haarnadel
.. Abb. 3.5 Ungewöhnliche Konformationen der DNA in kurzen Abschnitten führen zur Unter-
brechung der Replikation. Verschiedene Faktoren erreichen, dass der Replikationsapparat wieder
neu startet (Repriming). An der Wiederaufnahme beteiligt sind spezialisierte Helikasen, Transläsions-
DNA-Polymerasen und spezialisierte Primasen, die für die Repriming-Synthese stromabwärts der
Barriere verantwortlich sind (wie die Primase-Polymerase). RPA, Replikationsprotein A, ein R-Loop
bildet sich durch die Anlagerung einer RNA an die DNA, am Slippage-Loop kommt es zum Slippage,
d. h. die Polymerase verrutscht und überspringt oder wiederholt Basen. (Nach Técher 2017; mit
freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
Die Replikation bei E. coli endet am Terminator oder Terminus, gegenüber vom
oriC.
Die ter-Sequenz enthält mehrfach ein Bindungsmotiv, an das sich das Protein
Tus (terminus utilizing substance) bindet. Tus stoppt die DnaB-Helikase. Es ist eher
einem Ventil vergleichbar, weil es eine Orientierung zeigt und die Passage der Heli-
kase in die eine Richtung erlaubt, nicht jedoch in die entgegengesetzte Richtung.
Die Tus-Moleküle liegen in umgekehrter Orientierung zueinander auf der DNA,
sodass die DnaB-Helikase aus der einen Richtung ein Tus-Protein noch überfahren
kann, dann von einem anderen in umgekehrter Orientierung aber gestoppt wird.
Die Proteine des Replisoms lösen sich von der DNA.
Bilden die DNA-Moleküle nun zwei ineinander verschlungene Ringe, öffnen
Topoisomerasen II die DNA und trennen die Ringe. Solche Strukturen aus ver-
knüpften Ringen oder Kettengliedern heißen Catenane.
Für die Replikation des Chromosoms benötigt E. coli etwa 40 min.
3.5 · Termination der Replikation
61 3
3.5.2 Termination bei Eukaryoten, die Telomere
Eine Terminationssequenz und Tus-ähnliche Proteine sind wohl nicht bei allen Eu-
karyoten erforderlich. Auch bei Eukaryoten können Topoisomerasen DNA-
Moleküle entwirren, die eigentliche Trennung erfolgt in der Mitose allerdings über
einen aufwendigeren Mechanismus.
5’
a
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C – 5' AA C C C CAA C
3
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG – 3'
5’
b
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C AA C C C C AA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG T T G
5’
c
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C AA C C C C AA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG T T G
5’
d
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C AA C C C C AA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG T T G GG GT TG
Auf die Replikation der DNA folgt manchmal keine Kern- und Zellteilung. Diesen
Fall nennt man Endomitose. Sie führt zur Vermehrung der Chromosomenzahl in
der Zelle.
Man kann mehrere Typen unterscheiden:
55 Bei der Polytänie bleiben die replizierten Chromatiden in Kontakt zueinander.
Sie bilden dann Polytänchromosomen. Man findet sie beispielsweise in Suspen-
sorzellen von Samenpflanzen. Sehr gut untersucht sind die hochpolytänen
Speicheldrüsenchromosomen von Drosophila und einigen Zuckmücken.
64 Kapitel 3 · DNA-Replikation
Am Beginn der Replikation liegt ein point of no return. Einmal in Gang gebracht,
stoppt die Replikation jetzt nicht mehr.
Eukaryoten koppeln die Replikation an die Kern- und Zellteilung. Die eukaryo-
tische Zelle hat Kontrollstellen eingebaut, welche die Zelle passieren muss, um im
Zellzyklus voranzuschreiten.
Die Zelle stellt nicht nur sicher, dass nur eine Replikation pro Zellzyklus erfolgt.
Falls die DNA zu viele Schäden aufweist oder eine Replikation nicht möglich ist,
schaltet sich das Selbstmordprogramm der Zelle ein. Die Apoptose, der program-
mierte Zelltod, läuft ab. Die Apoptose verhindert, dass sich schadhafte, defekte
Zellen ansammeln. Wie gefährlich die unkontrollierte Zellteilung ist, sieht man an
Tumorzellen.
Für schnelle Zellteilungen beginnt E. coli eine neue Replikationsrunde, bevor es die
alte abgeschlossen hat.
Die Replikation ist eine von vier Phasen, die eine sich teilende Zelle immer wieder
durchläuft. Hintereinander ergeben sie den Zellzyklus.
55 In der Mitose oder M-Phase teilen sich der Zellkern und die Zelle.
55 G1-, S- und G2-Phase fasst man zur Interphase zusammen.
–– Die G1-Phase (G von gap, eine Zwischenphase) ist die genetisch aktive Phase.
In ihr finden Transkription und Translation sowie andere Aktivität statt. Die
Zelle wächst in dieser Zeit.
–– In der Synthese- oder S-Phase läuft die DNA-Replikation ab.
–– Daran schließt sich die G2-Phase an als zweite Zwischenphase, die die Mi-
tose vorbereitet.
55 Ausdifferenzierte Zellen gehen oft von der Mitose aus in die G0-Phase über. Sie
ähnelt der G1-Phase, es folgt danach aber keine S-Phase mehr.
Von den vier Übergängen sind drei so kritisch, dass die Zelle zuvor Kontrollstellen
oder checkpoints eingerichtet hat. Es handelt sich um die Übergänge
55 von der G1-Phase in die S-Phase,
55 von der G2-Phase in die M-Phase sowie
55 die Kontrolle der Spindeln während der Mitose.
55 Kontrolliert wird beispielsweise
–– ob die DNA frei von Schäden ist,
–– ob die Versorgung mit Nährstoffen ausreichend ist (beim Übergang von G1
zu S) und
–– ob die Replikation und Reparatur der DNA abgeschlossen sind (beim Über-
gang von G2 zu M).
M i t o se
Cyclin
e
as
G1
G2-Ph
-Ph a se
Cyclinabhängige
Kinase
Mitose-Promoting-
S-Ph Faktor
a se
.. Abb. 3.7 Cyclinabhängige Kinasen kontrollieren mithilfe ihrer Bindungspartner den Zellzyklus
3.7 · Kontrolle der Replikation
67 3
55 Weitere Komponenten, die den Cyclin-CDK-Komplex regulieren. Die CAKs,
CDK-aktivierende Kinasen, aktivieren den Komplex, die CKIs, Cyclin-
abhängige Kinase-Inhibitoren, hemmen ihn. Beispiele für CKIs sind die Pro-
teine p21 und p27. Diese Proteine sind wichtig, weil sie die Regulation der Cyc-
lin-CDK-Komplexe beim Menschen verknüpfen (1) mit der Überprüfung des
DNA-Zustands und (2) den Tumorsuppressorgenen TP53 und RB1 (siehe
7 Abschn. 12.4.3).
55 Cyclin und CDK bilden einen Proteinkomplex, den Mitose-Promoting-Faktor.
Er leitet die Mitose ein.
55 Wenn die Zelle jedoch Schäden in der DNA ermittelt, stoppt sie die Vor-
bereitungen. Dazu aktiviert sie p53. Das Protein p53 schaltet mehrere Gene an,
deren Produkte dann die Cyclin/CDK-Komplexe hemmen und in-
aktivieren. Über das Protein p53 erfolgt die Verknüpfung mit dem Selbstmord-
programm.
Die Kontrollstelle G1-S liegt unmittelbar vor der Initiation der Replikation. Bei der
Hefe heißt der Punkt START-Punkt, bei Säugern Restriktionspunkt.
Die Kontrolle der Aktivierung eines Replikationsursprungs teilt die Initiation in
zwei Phasen und verknüpft sie mit der G1-Phase. Für die Hefe beschreibt man den
Ablauf folgendermaßen (. Abb. 3.8):
1. Beladung der DNA mit MCM-Helikasen: In der G1-Phase ist die Aktivität der
CDK gering. Dadurch kann ein Helikase-Beladungs-Komplex die Replikations-
ursprünge mit je zwei MCM-Helikasen beladen. Alle Ursprünge werden nur
einmal beladen. Die Helikasen sind noch inaktiv, die Beladungsproteine lösen
sich wieder (. Abb. 3.8a).
2. Aktivierung der Helikasen: Im zweiten Schritt steigt zunächst die Aktivität der
CDK vor der S-Phase an. Während der G1-Phase hatte sich zudem eine weitere
Kinase, die DDK (Dbf4-dependent kinase, Dbf4-abhängige Kinase) an-
gesammelt.
CDK und DDK phosphorylieren mehrere Substrate und bewirken damit, dass (1)
keine weiteren MCM-Helikasen auf die DNA geladen werden, dass andererseits
(2) die Proteine Cdc45 und GINS (go-ichi-ni-san) sich an die Helikasen binden.
Das Gebilde aus Cdc45, MCM und GINS heißt jetzt CMG-Helikase-Komplex
(. Abb. 3.8b).
Nach Eintritt des Proteins Mcm10 (für das Entwinden der DNA, . Abb. 3.8c)
und der α-Polymerase (Primase, . Abb. 3.8d) nimmt er seine Arbeit auf.
68 Kapitel 3 · DNA-Replikation
a b
Inaktive
MCM-Helikase Cdc45
DDK + CDK
Helikase-
3 beladungs-
Beladungs-
faktoren
Aktive GINS
komplex CMG-Helikase
G1 S
G1-Phase, CDK CDK DDK
c d
Mcm10 DNA-Polymerase
-Primase
.. Abb. 3.8 Initiation der DNA-Replikation bei der Hefe. (Nach Weinreich 2015; mit freundlicher
Genehmigung der Nature Publishing Group)
Die Replikation bei Bakteriophagen und Viren liefert nicht eine, sondern bis zu
hundert neue DNA-Kopien, weil daraus entsprechend viele neue Phagen/Viren ent-
stehen.
Die Variationen im Ablauf hängen von der Genomstruktur ab:
55 Besteht das Genom aus DNA oder RNA?
55 Liegt es einzelsträngig (ss) oder doppelsträngig (ds) vor?
55 Bildet die ssRNA den sogenannten Plus- oder Minusstrang? Ein Plusstrang
kann als mRNA dienen, die direkt translatiert wird.
Sowohl einige DNA-Viren als auch RNA-Viren, die Retroviren, benötigen für die
Replikation ein RNA- oder DNA-Zwischenprodukt.
Die Synthese bei Viren mit linearer ds-DNA ähnelt der Replikation linearer
Chromosomen ohne Telomerasen: Nach dem Abbau der Primer liegen über-
hängende 3′-Enden vor. Komplementäre Enden lagern sich aneinander und er-
möglichen das Auffüllen mithilfe der Polymerase.
Adenoviren nutzen als Primer Proteine, die an die Enden gebunden sind. Sie tra-
gen eine freie OH-Gruppe, an die sich die Nucleotide heften.
3.8 · Phagen und Viren
69 3
3'
5'
5'
5'
Das Genom von Viren mit zirkulärer ds-DNA wie λ repliziert die Wirtszelle
nach dem rolling-circle-Mechanismus (. Abb. 3.9), der an ein Fließband erinnert
und von der Replikationsgabel abweicht.
1. Nach einem Einzelstrangbruch in dem „äußeren“ Strang der Ring-DNA kann
das 3′-Ende unmittelbar verlängert werden.
2. Es verdrängt dabei das 5′-Ende und läuft ununterbrochen im Kreis um den „in-
neren“ Strang herum.
3. An dem immer länger werdenden, freien 5′-Ende entstehen dann Okazaki-
Fragmente.
4. Die neu synthetisierten DNA-Kopien hängen also hintereinander. Man nennt
sie concatemere DNA. Das Enzym Terminase trennt sie in Einzel-Virengenome
und befördert sie in die Hülle der λ-Phagen.
Retroviren wie HIV sind RNA-Viren mit ssRNA, die als Plusstrang vorliegt. Der
Plusstrang wird jedoch nicht direkt als mRNA translatiert, sondern mithilfe des
Enzyms Reverse Transkriptase (RT) in DNA umgeschrieben. Nach der Ergänzung
des komplementären DNA-Strangs schleust sich die ds-DNA in das Wirtsgenom
ein und liegt als Provirus vor (siehe 7 Kap. 10).
70 Kapitel 3 · DNA-Replikation
Auch manche dsDNA-Viren enthalten RT. Es sind dies die mit den Retroviren ver-
wandten Hepadnaviren wie das Hepatitis B Virus. Neben dem Besitz der Reversen
Transkriptase zeigen sie eine zweite Auffälligkeit: Ihre DNA ist nicht durchgängig
doppelsträngig. Abschnittsweise liegt sie einzelsträngig vor. Nach einer Infektion
3 erfolgt als Erstes der Lückenschluss über ein RNA-Zwischenprodukt. Die RT syn-
thetisiert an der RNA einen DNA-Strang. Anders als Retroviren integrieren sich
Hepadnaviren jedoch nicht in das Kerngenom.
Das Genom von Mitochondrien und Plastiden ist meist zirkulär. Die verantwort-
liche Polymerase γ ist mit der Polymerase I von Prokaryoten verwandt. Allerdings
wird sie vom Kern codiert.
Die Kontrolle der Replikation erfolgt zwar vom Kern aus, aber sie ist nicht an
die Replikation der Kern-DNA gekoppelt.
Die Replikation der zirkulären Säuger-mtDNA verläuft nach der gängigen Vor-
stellung nach dem Verdrängungsmechanismus, also nicht über die Replikations-
gabel. Man spricht auch von der Verdrängungsreplikation. Die Replikation ist
asymmetrisch.
Ausgangspunkt dafür ist ein Abschnitt, in dem die mtDNA dreisträngig vor-
liegt und eine sogenannte D-Schleife bildet: Während sich in dem Mitochondrien-
genom fast durchgehend der äußere Heavy- oder H-Strang und der innere Light-
oder L-Strang komplementär aneinander lagern, bindet sich an einer Stelle ein
RNA-Primer an den H-Strang. Dieser Abschnitt ist der oriH.
Am oriH binden sich auch zwei mitochondriale Transkriptionsfaktoren, TFAM
und TFB2M. Sie dienen der DNA-Verpackung und der Kontrolle von Replikation
und Transkription. Am oriH hat eine RNA-Polymerse, POLRMT, einen RNA-
Primer synthetisiert (dunkelblau in . Abb. 3.10), er ist an den L-Strang gebunden.
1. Die Bindung des Primers drängt die zwei Stränge auseinander, sodass der
H-Strang von seinem komplementären Gegenstrang gelöst ist. Daher stammt
die Bezeichnung Verdrängungsreplikation oder -mechanismus und D-Schleife
von displacement-loop (. Abb. 3.10).
2. Die Helikase TWNK trennt die zwei Stränge, die Polymerase γ verlängert den
Primer und stellt einen neuen DNA-Strang her (hellblau).
3. Der H-Strang wird immer weiter verdrängt. Die einzelstrangbindenden Pro-
teine der Mitochondrien, SSBP1, heften sich an den verdrängten Strang und
stabilisieren ihn.
3.9 · Replikation des Mitochondrien- und Plastidengenoms
71 3
.. Abb. 3.10 Asymmetrische Replikation der DNA
Replikation in Mitochondrien
TFB2M
über eine D-Schleife, weitere TFAM
POLRMT
Erläuterungen im Text. (Nach
Rackham und Filipovska
2022; mit freundlicher Ge- OH
nehmigung von Springer
Nature)
SSBP1
POLγ
TWNK
SSBP1
OL POLγ
72 Kapitel 3 · DNA-Replikation
4. Erst nach etwa zwei Dritteln der Replikationsrunde liegt auch der oriL des
L-Strangs frei. Er bildet eine Haarnadel aus, um die Anlagerung der SSBP1 zu
verhindern. Die POLRMT synthetisiert wieder einen Primer.
5. Die Polymerase verlängert diesen Primer, sodass sie den zweiten Strang her-
stellt.
Transkription
Inhaltsverzeichnis
4.7 Elongation – 91
4.7.1 Elongation bei E. coli – 91
4.7.2 Elongation bei Archaeen und Eukaryoten – 92
Die DNA ist ein Bauplan, sie speichert die Information für den Bau und die Er-
haltung eines Organismus. Damit die Zelle biochemische Prozesse ausführen kann,
muss sie die Information auslesen und nach diesem Plan RNA-Moleküle und Pro-
teine herstellen. Realisiert wird diese Information durch die Genexpression. Sie
umfasst zwei Schritte: Erstens die Transkription – die Zelle stellt von einem be-
grenzten DNA-Abschnitt eine Abschrift aus komplementärer RNA her. Zweitens
die Translation – die RNA-Sequenz wird in ein Protein übersetzt (s. 7 Kap. 5).
Auch die Transkription ist ein Vorgang, der bei Bakterien, Archaeen und Eukaryo-
ten nach einem Grundschema gleich abläuft, aber jeweils Variationen erfährt. Im
Vergleich zur Replikation sind die Unterscheide zwischen den drei Zelltypen aller-
dings zahlreicher und markanter.
Bei der Transkription liest die Zelle einen definierten DNA-Abschnitt von einem
Startpunkt bis zu einem Endpunkt ab und stellt dabei nach der Nucleotidfolge
eines Strangs eine RNA-Kopie her (. Abb. 4.1).
55 Das Produkt einer Transkription heißt Transkript.
55 Alle RNAs einer Zelle zusammen bilden das charakteristische Transkriptom.
55 Bei Bakterien unterscheidet es sich je nach Umwelt- und Lebensbedingungen
der jeweiligen Art.
55 In Säugerzellen beispielsweise unterscheidet sich das Transkriptom der einzel-
nen Zellen wie Leber- oder Nervenzellen voneinander.
Initiation Termination
(Transkriptionsstart) (Transkriptionsende)
Stromaufwärts/+ Stromabwärts/–
+1
–
DNA
Silencer Enhancer
+ Promotor Elongation
(RNA-Polymerase- (RNA-Synthese)
Bindungsstelle)
UTR UTR
5' 3' RNA-Transkript
ATG (Start) UAG (Stop)
Offenes Leseraster
.. Abb. 4.1 Grundbegriffe zum Verständnis der Transkription. Enhancer und Silencer sind
Regulationselemente, die vor allem bei Eukaryoten wichtig sind
76 Kapitel 4 · Transkription
4.2.1 RNA-Moleküle
Es gibt unterschiedliche Klassen von RNA-Molekülen, die man nach ihrer Funktion
4 einteilt und benennt.
55 Messenger-RNAs (mRNAs) enthalten die Information für die Herstellung von
Proteinen, sie werden nach der Transkription translatiert.
–– Eine mRNA ist dabei länger als der Bereich, der in ein Protein übersetzt
wird. Den Bereich, der das Protein codiert, nennt man offenen Leserahmen
oder offenes Leseraster (ORF, open reading frame).
–– Zwei untranslatierte Abschnitte (UTR, untranslated region) flankieren den
ORF am 5′- und am 3′-Ende. Sie vermitteln oft wichtige Signale, welche die
Zelle als Information auswertet zur Häufigkeit der Translation einer mRNA
und zu ihrer Lebensdauer. In einer typischen mRNA von Bakterien liegen
zwischen den zwei UTRs mehrere ORFs.
–– Die mRNA von Prokaryoten, die hintereinander ORFs mit der Information
für die Translation mehrerer Proteine enthält, nennt man polycistronische
RNA. Der Abschnitt (bis etwa 40 bp) zwischen den ORFs heißt intercistro-
nische Region. ORFs können allerdings auch überlappen, d. h. die letzten
Basen des einen sind schon die ersten des nachfolgenden zweiten ORFs.
–– Bei Eukaryoten kommen demgegenüber fast nur monocistronische RNAs
vor, welche die Information für ein einziges Protein bereithalten.
55 An die Synthese der ribosomalen RNAs (rRNA) und der Transfer-RNAs
(tRNA) schließt sich keine Translation an.
–– Die rRNAs bauen zusammen mit Proteinen die Ribosomen auf, die Orte der
Translation. Ihre Genanzahl schwankt von einigen wenigen in Prokaryoten
bis zu mehreren Hundert in höheren Eukaryoten. Die verschiedenen rRNA-
Moleküle machen mit einem Anteil von 80 % und mehr den Löwenanteil
aller Transkriptionsprodukte aus.
–– Die tRNAs führen während der Translation die Aminosäuren zum Ribosom.
55 In den vergangenen Jahren haben Genetiker eine zunehmend größer werdende
RNA-Welt nichtcodierender Moleküle zusammengestellt. Diese RNAs regulie-
ren die Genaktivität, helfen mit, die anderen RNAs zu bearbeiten, oder organi-
sieren und strukturieren das Genom.
–– Mikro- oder miRNAs wirken über einen speziellen Mechanismus, die RNA-
Interferenz (RNAi), an der Regulierung der Genaktivität mit.
–– Small interfering oder siRNAs sind verwandt mit den miRNAs und erfüllen
ähnliche Funktionen.
–– Guide- oder gRNAs dirigieren Prozesse, beispielsweise beim Editing.
–– Small nucleolar oder snoRNAs wirken an der Prozessierung und Modi-
fikation anderer RNAs mit und bilden zusammen mit Proteinen die snoRNP:
small nucleolar ribonucleoprotein particles.
4.2 · Überblick und Grundbegriffe
77 4
–– Small nuclear oder snRNAs wirken beim Spleißen (oder Splicen) mit und bil-
den zusammen mit Proteinen die small nuclear ribonucleoprotein particles.
Diese werden gerne auch als „snurps“ bezeichnet.
–– Long non-coding oder lncRNAs sind lange nichtcodierende RNAs mit Funk-
tionen für die Genregulation. Manche Autoren fassen die kurzen (bis 40 Nu-
cleotide) nichtcodierenden RNAs zur Gruppe der short/small non-coding
RNAs (sRNA) zusammen und stellen sie der lncRNA gegenüber.
Nach der Termination ist eine RNA noch nicht gebrauchsfertig. Insbesondere bei
Eukaryoten wird ein RNA-Molekül während der Transkription (cotranskriptio-
nal) und danach (posttranskriptional) noch bearbeitet. Dieses Bearbeiten fasst
man unter dem Begriff Prozessieren oder Prozessierung (processing) zusammen
(. Abb. 4.2):
55 Dazu gehören Veränderungen am 5′ und am 3′-Ende.
–– Das 5′-Ende bekommt eine als Cap bezeichnete Kappe,
–– das 3′-Ende einen Poly(A)-Schwanz (poly(A) tail). Das A steht für „Ade-
nin“.
55 Beim Spleißen (Splicing) und auch beim alternativen Spleißen schneiden be-
sondere Komplexe, die Spleißosomen, Introns genannte Abschnitte heraus und
setzen die RNA neu zusammen.
55 Beim alternativen Spleißen werden aus einer RNA-Vorlage unterschiedliche
mRNA-Moleküle für verschiedene Proteine erzeugt.
55 Durch RNA-Editing oder Redigieren werden einzelne Nucleotide in der RNA
verändert.
18S-rRNA
+ 33 Proteine A P
= 40S-Untereinheit
28S- + 5,8S-rRNA
+ 5S-rRNA
+ 49 Proteine
= 60S-Untereinheit
.. Abb. 4.2 Prozessierung der eukaryotischen rRNA für den Aufbau der Ribosomen. (Nach Busel-
maier und Tariverdian 2007)
78 Kapitel 4 · Transkription
Die eukaryotische proteincodierende RNA ist somit eine direkte Kopie der DNA,
die noch nicht für den Gebrauch fertig ist. Manche Autoren bezeichnen dieses di-
rekte Transkript als heterogene nucleäre RNA (hnRNA).
Das entscheidende Enzym ist wie schon bei der Replikation eine Polymerase, die
DNA-abhängige RNA-Polymerase, meist nur RNA-Polymerase genannt. E. coli
besitzt nur eine RNA-Polymerase, eukaryotische Zellen nutzen mehrere für ver-
schiedene Gene.
Die Lage von DNA-Abschnitten wird im Zusammenhang mit der Transkription re-
lativ zur ersten Base angegeben, die in RNA umgesetzt wird.
4.3 · Funktionell gleiche Elemente und Strukturen bei Bakterien,…
79 4
55 Dieses Nucleotid selbst erhält als Transkriptionsstart die Nummer + 1. Eine
Nummer 0 gibt es nicht. Alle folgenden Nucleotide werden der Reihe nach
durchnummeriert. Man sagt, sie liegen stromabwärts. Der offene Leserahmen
kann sich bis zu mehrere Hundert Nucleotide stromabwärts befinden.
55 Nucleotide, die vor dem Transkriptionsstart und damit stromaufwärts liegen,
erhalten negative Nummern. Die Nummern steigen mit der Entfernung vom
Startnucleotid an.
Auch Proteine spielen eine erhebliche Rolle bei der Transkription. Für die Tran-
skription sind sowohl DNA- als auch RNA-bindende Proteine wichtig. Letztere
führen zusammen mit RNA-Molekülen beispielsweise das Spleißen und das Edit-
ing aus.
.. Abb. 4.3 Regulation des Transkriptionsstarts bei Eukaryoten durch mehrere Faktoren. (Nach
Buselmaier und Tariverdian 2007)
Mit der Bindung der Proteine an die DNA und untereinander geht eine Krümmung
oder ein Biegen der DNA einher. Dieses Biegen erfüllt Funktionen für die Organi-
sation des Genoms und die Regulation seiner Expression.
RNA-Polymerase
Core-Promotor
σ
5' 3'
3' 5'
4
5' 3'
3' 5'
Geschlossener Promotorkomplex
5' 3'
3' 5'
Offener Promotorkomplex
+ ATP/GTP
5' 3'
3' 5'
5' 3'
3'
3' 5'
5' Elongationskomplex
.. Abb. 4.4 Transkriptionsstart mit dem Ablösen des σ-Faktors aus der RNA-Polymerase
4.5 · Initiation bei E. coli
83 4
4.5 Initiation bei E. coli
b Consensussequenzen
UP-Element +1
–59 –38 –35 15–18 Nucleotide –10 6–7 Nucleotide
5' NNAAAAA T A TTTTNNNAAANNN TT G A C A TATAAT
TT T
Core-Promotor
.. Abb. 4.5 Verschiedene Promotoren bei E. coli (a) und die Consensussequenz (b)
4.6 · Initiation bei Archaeen und Eukaryoten
85 4
Starke Promotoren vor den rRNA-Genen sind sinnvoll, denn die Gene müs-
sen sehr häufig transkribiert werden, sonst beschränken sie die Proteinsynthese.
55 In einem nährstoffreichen Medium erhöht E. coli die Synthese von FIS. So
kann das Bakterium dank FIS mehr rRNAs und Ribosomen bilden, seine
Proteinsynthese insgesamt ankurbeln und die guten Wachstumsbedingungen
ausnutzen.
Wie Bakterien haben Archaeen einen einzigen Typ von Polymerase. Sie ist ver-
wandt mit der bakteriellen und den eukaryotischen Polymerasen und besteht aus
mehr als zehn Untereinheiten. Mit den Eukarya haben die Archaeen gemeinsam,
dass nicht die Polymerase den Promotor erkennt. Die Funktion des bakteriellen
σ-Faktors ist ausgelagert auf externe Proteine. Diese Faktoren kommen zu-
sammen, binden sich an die DNA und schaffen damit erst die Arbeitsbühne für die
Polymerase.
Promotoren von Archaeen sind weniger ausführlich untersucht. Als wichtige
Merkmale gelten:
55 Promotoren besitzen eine TATA-Box bei − 25 bis − 30.
55 Der Transkriptionsstart liegt innerhalb eines Initiatorelements.
55 Die TATA-Box ist die Zielsequenz für das TATA-Box-bindende Protein, aTBP.
Es ist verwandt mit dem eukaryotischen TBP, „a“ steht für archaeal.
55 Stromaufwärts von der TATA-Box liegt ein DNA-Abschnitt, an den sich ein
weiterer Transkriptionsfaktor heftet: TFB. Dementsprechend heißt das DNA-
Motiv TFB response element.
55 Optional kann ein weiterer Transkriptionsfaktor, TFE, die Initiation fördern.
Er kommt bei schwachen Promotoren zum Einsatz.
In Eukaryoten ist die Ausgangssituation anders. Die DNA ist mit einer Vielzahl an
Proteinen assoziiert und liegt als Chromatin vor. Sie ist mindestens an die Histone
gebunden. Die Zelle muss die Nucleosomen immer wieder verschieben, damit die
DNA für die Polymerase zugänglich wird. Insbesondere in mehrzelligen Organis-
men, die Entwicklungsstufen durchlaufen, ist das An- und Abschalten von Genen
notwendig. Die Initiation bei Eukaryoten ist daher komplexer, erfordert und ge-
stattet feinere Differenzierungen als bei Prokaryoten. Diese größere Variabilität ist
an mehreren Umständen sichtbar:
86 Kapitel 4 · Transkription
Dieser Abschnitt behandelt die RNA-Polymerasen I bis III, ihre Gene und die Pro-
4 motoren, an welche sich die Enzyme binden. Die RNA-Polymerasen IV und V
transkribieren siRNAs bei Pflanzen.
RNA-Polymerase I
Die RNA-Polymerase I besteht aus 13 Untereinheiten.
Sie transkribiert eine Prä-rRNA, aus der die 5,8S-rRNA, 18S-rRNA und
28S-rRNA hervorgehen. In einem Spacer-Abschnitt der DNA liegt zudem ein Pro-
motor für eine regulatorische pRNA.
55 Die Promotoren für die Polymerase I liegen zwischen den geclusterten rRNA-
Genen in intergenen Spacern.
55 Die Polymerase benötigt keine TATA-Box.
55 Der Core-Promotor reicht von − 50 bis + 20 (die Angaben schwanken in der Li-
teratur) und enthält ein AT-reiches ribosomales Initiatorelement (ribosomaler
Initiator, rInr).
55 Weitere Elemente sind die UCEs oder UPEs (upstream control elements oder
upstream promoter elements). Sie liegen stromaufwärts bei etwa − 180 bis
− 110 und verstärken die Promotorwirkung deutlich.
55 Die RNA-Polymerase I benötigt wenige generelle Transkriptionsfaktoren. Sie
unterscheiden sich zwischen den Organismen: Hefe benötigt beispielsweise
UAF (upstream activating factor), TBP (TATA-Box-bindendes Protein) und
weitere Faktoren wie den Core-Faktor. Die menschliche Polymerase I arbeitet
mit dem UBF-Protein (upstream binding factor), das die UCEs/UPEs erkennt.
Nach der Anlagerung an die DNA stimuliert es die Anheftung des Fak-
tors SL1 (selectivity factor 1) an den Core-Promotor. SL1 heißt auch
TIF-1B. Der Faktor enthält das TBP, das TATA-Box-bindende Protein. Dieser
allgemeine Transkriptionsfaktor ist für alle drei Polymerasen der Eukaryoten
wichtig, um sie zu positionieren.
RNA-Polymerase II
Das Enzym setzt sich aus zwölf Untereinheiten zusammen.
Es transkribiert proteincodierende Gene, lncRNAs, miRNAs und eRNAs (En-
hancer-RNAs). Es ist der Angriffspunkt für das Gift σ-Amanitin aus dem Grünen
Knollenblätterpilz.
4.6 · Initiation bei Archaeen und Eukaryoten
87 4
Promotoren für die RNA-Polymerase II zeigen ein höheres Maß an Plastizität
und Variabilität als die Promotoren für die Polymerasen I und III. Den Abschnitt
von − 35 bis + 25 betrachtet man als Core-Promotor. Dazu kommen stromauf-
wärts oder stromabwärts weitere Promotor-Elemente, sodass sich der Promotor
ausdehnt bis − 200. Für die Region von − 200 bis zum Core-Promotor findet man
auch die Bezeichnung proximaler Promotor.
Verschiedene Elemente können in den Promotoren vorkommen:
55 Bei − 30/− 25 liegt oft eine TATA-Box, sie ist aber nicht zwingend vorhanden.
Beim Menschen kommt sie in etwa einem Drittel der Promotoren vor. Der Ab-
schnitt ähnelt der bakteriellen − 35- bis − 10-Region.
55 Nicht weit von der TATA-Box liegt stromaufwärts oder stromabwärts ein
TFIIB recognition element (BRE): BREu (upstream) bzw. BREd (downstream).
Es arbeitet gewissermaßen als Verlängerung der TATA-Box. Ein BRE unter-
stützt die Bindung der generellen Transkriptionsfaktoren TFIIB und TFIID.
55 Ein pyrimidinreiches Initiatorelement (Inr-Element) kann hinzutreten, braucht
aber ebenfalls nicht vorzuliegen. Es umfasst wie bei Archaea das Startnucleotid
+ 1. Dieses liegt wenige bp bis mehrere Hundert bp vor dem späteren Trans-
lationsstart und gegenüber von einem Adenin.
55 Ein motif ten element (MTE) stromabwärts von + 1 unterstützt den Initiator
und fördert die Initiation.
55 Weiter stromabwärts findet man das downstream promotor element (DPE), etwa
im Bereich von + 28 bis + 32, vor allem in Promotoren ohne TATA-Box. An das
DPE bindet sich der Faktor TFIID.
Die Elemente sind nicht sehr hoch konserviert, deswegen weisen Consensus-
sequenzen mehrere variable Stellen aus.
Weitere Regulationselemente für die spezifische Regulation treten proximal
oder distal hinzu. Sie dienen als Zielsequenzen für spezifische Transkriptions-
faktoren, sowohl für Aktivatoren als auch für Repressoren. Oft wirken mehrere
Elemente mit ihren DNA-bindenden Proteinen zusammen.
Die Vermittlung oder Koordination erfolgt hierbei über den Mediator, einen
Komplex aus mehr als 20 Proteinen (s. u.: Initiation). Man könnte ihn als Relais-
oder Schaltstelle ansehen, weil er eine Brücke darstellt zwischen der RNA-
Polymerase II und den Transkriptionsfaktoren. Er nimmt die Information von den
Nicht-Promotor-Regulationselementen auf und leitet sie an die RNA-Polymerase
weiter. Beispiele: Kernhormonrezeptoren, Tumorsuppressorprotein p53.
Die generellen Transkriptionsfaktoren für die Polymerase II heißen TFIIA, B,
D, E, F und H. Hinzu kommen TBP und weitere Faktoren.
Im Grunde besitzen auch die zwei anderen Polymerasen die entsprechenden
Funktionen der Faktoren, sie sind aber in das Enzym schon integriert. Bei der Po-
lymerase II sind die Faktoren auf separate Proteine ausgelagert, um eine jeweils ab-
gestimmte Regulation an den Genen zu erlauben. Diese Differenzierung in der Re-
gulation ist für die Arbeit der Polymerasen I und III nicht notwendig.
88 Kapitel 4 · Transkription
55 Proximale Regulationselemente:
–– Proximal und (oft) stromaufwärts liegen Response-Elemente.
–– Mit Response-Elementen antwortet eine Zelle auf Signale.
–– Sie sind die Bindungsstelle für regulatorische Transkriptionsfaktoren. Diese
werden z. B. über die Signaltransduktion aktiviert.
–– Beispiel: das cAMP-Response-Element (CRE), daran binden sich das CRE-
bindende Protein (CREB) und weitere Faktoren.
55 Distale Regulationselemente: Enhancer, Silencer, Isolatoren
4 –– Zu den distalen Elementen gehören Enhancer und Silencer. Sie sind wichtig
für die Expression von Genen der Differenzierung und Embryonalent-
wicklung. Beispiel: Shh/SHH (sonic hedgehog) codiert ein Signalprotein (ein
sogenanntes Morphogen), das in Säugetieren notwendig ist für die Aus-
bildung von Organen, des zentralen Nervensystems, der Gliedmaßen, der
Fingerglieder u. a. Ein Enhancer-Element für Shh/SHH ist in Wirbeltieren
stark konserviert. Punktmutationen in diesem Element erzeugen bei Men-
schen Polydaktylie (Vielfingerigkeit).
–– Die Lage ist variabel: Sie können stromaufwärts oder stromabwärts vom Pro-
motor liegen, in Introns des Zielgens oder in Introns anderer, fremder Gene.
Beispiel: Das o. g. Enhancer-Element liegt vom Shh-Promotor 850 kb entfernt
im Intron eines Fremd-Gens. In Hefe findet man entsprechende Elemente, die
allerdings stromaufwärts liegen müssen: UAS, upstream activating sequences.
–– Die Anzahl aller Enhancer-Elemente im menschlichen Genom wird auf
1 Mio. geschätzt.
–– Die Steigerung eines Enhancers ist ein Super-Enhancer, ein besonders aktiver
und Zelltyp-spezifischer Enhancer. Kennzeichen sind eine ausgeprägte
Histon-Modifikation (Acetylierung von Lysin: H3K27ac, Monomethylie-
rung von Lysin H3K4me1, siehe 7 Abschn. 7.8.2 Histon-Modifikationen),
sowie eine lange Sequenz für die Bindung der Transkriptionsfaktoren und
des Mediators. Sie bilden große Mengen kurzer Enhancer-RNAs, eRNA.
55 Sie dienen als Bindungsstellen für Aktivatoren, Repressoren oder Isolatoren, die
alle mit generellen Transkriptionsfaktoren wechselwirken.
–– Isolatoren oder Isolator-Elemente sind Grenzelemente (insulator, boundary
element), d. h. sie grenzen größere Abschnitte voneinander ab, welche die
Zelle unterschiedlich reguliert. Sie verhindern ein Überspringen von einer
Aktivierung/Repression auf andere Bereiche. Sie schirmen beispielsweise
Heterochromatin-Bereiche ab von aktiven Regionen. Wie Platzanweiser wei-
sen sie den Enhancern oder Silencern gezielt bestimmte Promotoren zu,
damit diese über die große Entfernung nicht wahllos Promotoren aktivieren.
–– Der CCCTC-bindende Faktor (CTCF) heftet sich an Isolatoren. CTCF ist
sowohl für die Architektur und Organisation des Chromatins wichtig wie für
die Regulation der Gen-Aktivität.
–– Enhancer wirken nicht nur als cis-aktive Elemente. In den letzten Jahren fand
man zunehmend nichtcodierende RNAs, die von Enhancern aus transkribiert
werden, die eRNAs. Enhancer können somit auch Promotoren sein. Da man
umgekehrt Promotoren identifiziert hat, die als Enhancer wirken, ist die frühere
Unterscheidung zwischen Promotor und Enhancer nicht mehr so eindeutig.
4.6 · Initiation bei Archaeen und Eukaryoten
89 4
An der Ausbildung des Initiationskomplexes beteiligen sich mehr als 70 Proteine,
sodass eine Gesamtstruktur vom Ausmaß der Ribosomen entsteht. Gelegentlich
liest man dafür den Begriff Transkriptosom. Nicht zuletzt wirkt auch die
Chromatinstruktur mit, wenn die DNA gebogen wird.
RNA-Polymerase III
Die RNA-Polymerase III ist aus 17 Untereinheiten aufgebaut. Welche generellen
Transkriptionsfaktoren sie benötigt, hängt von dem jeweiligen Gen ab. Der Faktor
TFIIIB, der das TBP beinhaltet, ist der einzige Faktor, der immer dabei ist.
Sie synthetisiert tRNAs, die 5S-rRNA und kleinere RNAs (U6-snRNA, 7SL-
RNA).
Die Promotoren für die Polymerase III unterteilt man in drei Gruppen.
55 Die Promotoren können jeweils eine TATA-Box enthalten.
55 In den Promotor-Typen I und II liegen regulierende Elemente innerhalb der co-
dierenden Sequenz, die sogenannten Boxen A, B oder C.
55 Typ I enthält eine Box-A-Sequenz, ein Intermediärelement, dann eine
Box-C-Sequenz.
55 Typ II enthält Box-A- und -B-Sequenzen, kurze typische Abschnitte.
55 An die Boxen binden sich Transkriptionsfaktoren.
55 In Typ III kommt zu einer echten TATA-Box noch ein upstream element.
Die Aufgabe der RNA-Polymerase bei Eukaryoten ist nur die Synthese der RNA.
Die Erkennung des Promotors ist von der Pol II ausgelagert. Die Funktion des
bakteriellen σ-Faktors übernehmen mehrere einzelne Proteine, die in ihrem Zu-
sammenspiel die sehr feine Regulation ermöglichen. Sie schaffen eine Arbeits-
grundlage für die RNA-Polymerase.
Jede Polymerase benötigt ihre eigenen Faktoren. Die Zuordnung spiegelt sich in
dem Namen wider: Die generellen Transkriptionsfaktoren der Polymerase II (TFII
A, B, D, E, F, H) werden von spezielle Transkriptionsfaktoren (siehe 7 Abschn. 7.4)
ergänzt. Sie verfügen über eine DNA-Bindungsdomäne und können die Promotor-
Elemente (TATA-Box, Inr, BRE, DPE) erkennen.
Zunächst wird der Präinitiationskomplex (PIC, preinitiation complex) gebildet.
Er besteht aus den generellen Transkriptionsfaktoren TFIIA, B, D, E, F und H,
dem Mediator und der Pol II.
Der Präinitiationskomplex wird schrittweise aufgebaut:
1. Der Aufbau beginnt mit TFIID, dem TATA-Box-bindenden Protein (TBP) und
14 TBP-assoziierten Faktoren, TAFs.
55 Das TBP enthält eine spezifische Domäne, um die TATA-Box zu erkennen
und sich an den Promotor zu binden. Funktionell entspricht es somit dem
bakteriellen σ-Faktor. TBP errichtet buchstäblich eine Art Grundlage oder
Plattform für weitere Faktoren. Als Charakterisierung des TBP sagt man
gern, es sitze wie ein Sattel auf der DNA.
90 Kapitel 4 · Transkription
55 Die TAFs unterstützen die TBP-Bindung an die TATA-Box und wirken als
Coaktivatoren. Ist kein TATA-Element vorhanden, erkennen sie einen Inr
oder ein DPE und heften sich daran. Die TAFs sind die kommunizierenden
Elemente. TAF1 hat besondere Enzymfunktionen für die Modulation an
den Histonen: Acetylierung von H3 und H4, Phosphorylierung von H2B,
Ubiquitinierung von H1.
55 Ist weder eine TATA-Box vorhanden noch ein Inr-Element, springen (Tran-
skriptions-) Aktivatoren ein, um Motive wie GC-Boxen (GGGCGG) zu er-
4 kennen oder andere kurze Sequenzen.
4.7 Elongation
Nach neun bis elf Nucleotiden ist der Elongationskomplex bei E. coli stabil.
55 Er überspannt die Transkriptionsblase (Transkriptionsauge) von 12–14 bp, wo
die DNA geöffnet vorliegt und wo sich die neue RNA mit der DNA über 8–9 bp
paart.
55 Der Abschnitt, den die RNA -Polymerase abdeckt, ist etwa 30 bp lang.
55 Die RNA tritt durch einen eigenen Kanal aus dem Enzym heraus.
Auch bei Archaeen und Eukaryoten geht die Initiation erst nach einigen Nucleoti-
den in die Elongation über. Ebenso stoppt die RNA-Synthese immer wieder. Dem
bakteriellen GreA und GreB entspricht bei Archaeen ein Elongationsfaktor TFS.
Bei Eukaryoten ist das Pausieren nach etwa 30 Nucleotiden indes notwendig, um
die 5′-Cap anzuhängen.
Während die Synthese bakterieller Transkripte nach Minuten beendet ist, dau-
4 ert beispielsweise die Synthese der Prä-mRNA des menschlichen Dystrophingens
16 h.
Hinzu kommt die besondere Chromatinstruktur: Die DNA ist um die Nucleo-
somen gewickelt. Die Transkription erfordert also weitere Faktoren:
55 positive und negative Faktoren,
55 Faktoren, welche die Assoziierung mit den Histonen lösen.
Beispiele:
–– Der von Säugetieren bekannte TFIIS entspricht den bakteriellen GreA und
B. Er hilft bei der Überwindung des Pausierens und spaltet die RNA.
–– Elongin C (eine Proteinuntereinheit des TFIIB) gehört zu den „Munter-
machern“ und aktiviert die Polymerase.
–– P-TEFb (positive transcription elongation factor b) ist ebenfalls ein positiver
Faktor. Er phosphoryliert eine Reihe von Proteinen, beispielsweise negative
Faktoren wie NELF (negative elongation factor). Unphosphoryliert fördert
NELF das Pausieren der Polymerase, die Phosphorylierung inaktiviert
NELF. P-TEFb schaltet somit vom Pausieren in die Elongation.
–– Der Faktor CSB ist auch an der DNA-Reparatur beteiligt. Mutationen in
dem Gen für CSB führen beim Menschen zum Cockayne-Syndrom.
–– FACT ist bei Säugern ein Elongationsfaktor (facilitates chromatin transcrip-
tion), der mit den Histonen H2A und H2B interagiert und die Passage an den
Nucleosomen vorbei erleichtert.
4.8 Termination
Bei Bakterien unterscheidet man zwei Mechanismen zur Beendigung der Tran-
skription.
Rho-unabhängiger Mechanismus
Dieser wird auch als intrinsische Termination bezeichnet (. Abb. 4.6a). Man fin-
det ihn bei Bacillus subtilis oder Staphylococcus aureus.
Hier ist ein DNA-Motiv wesentlich. Das auslösende Sequenzmotiv ist ein GC-
reiches Palindrom, an das sich Adeninreste anschließen.
4.8 · Termination
93 4
GC
5'
CG
RNA-Polymerase RNA-Polymerase
GG
CU
Labile Hybridhelix mRNA
5'
G
A
CC
mRNA
5' 3'
3' 5'
5' 3'
5'
3' CGGCGGT C GACCGCCG UUUUUUUUUUU 5'
AAAAAAAAAAA
G C
C G ATP ADP + Pi
C G
5' G C
C G
C G
A U
G C
Terminationsschleife 5' 3'
3' 5'
5'
5' 3'
3' CGGCGGT C GACCGCCG AAAAAAAAAAA 5'
5' 3'
UUUUUUUUUUU 3' 3' 5'
G C
C G 3'
C G 5'
5' G C
C G
C G
A U
G C
a b
1. Der schwache Zusammenhalt zwischen den Uracilresten der RNA und den
Adeninresten der DNA bewirkt, dass die Polymerase pausiert.
2. Guanine und Cytosine innerhalb des RNA-Einzelstrangs gehen Wasserstoff-
brückenbindungen ein und bilden einen internen Doppelstrangabschnitt, der
Haarnadelstruktur oder kurz Haarnadel, hairpin oder stem-loop genannt wird.
3. Die Haarnadel zieht förmlich die RNA aus dem Elongationskomplex und be-
endet die Transkription.
4. Antiterminatoren verhindern die Termination, indem sie den U- A-
Doppelstrangabschnitt stabilisieren. Die Polymerase pausiert nicht mehr, die
Haarnadel kann sich nicht ausbilden und die Polymerase liest weiter durch (re-
adthrough). Phagen nutzen oft Antiterminatoren. Beispiele für den Phagen λ
sind seine Proteine N und Q. Der Phage setzt seine Antiterminatoren nach-
einander ein. So stellt λ sicher, dass die eigenen Genen von der Wirtszelle in
festgelegter Reihenfolge transkribiert werden.
94 Kapitel 4 · Transkription
Auch Archaeen nutzen für die Termination Palindromstrukturen und wohl auch
Terminationsfaktoren.
Bei Eukaryoten erfolgt die Termination bei den drei Polymerasen unterschied-
lich:
55 Die Polymerase I wird von Terminations-Sequenzen und Terminationsfaktoren
wie TTFI gestoppt. Sie blockieren die Polymerase, und der Elongationskomplex
löst sich auf.
55 Die Polymerase III erkennt ein Terminationssignal der DNA, durch das sich
die DNA-RNA-Bindung lockert. Besondere Terminationsfaktoren sind nicht
notwendig.
55 Die Termination der Transkription durch die Polymerase II ist verknüpft mit
der Polyadenylierung (s. u.). Hat die Polymerase II das Signal für die Polyade-
nylierung transkribiert, läuft sie noch weiter, während spezifische Spaltungs-
Proteine (cleavage factors) das Signal erkennen, die RNA schneiden und poly-
adenylieren. Die Polymerase stoppt schließlich ohne klares, eindeutiges Termi-
nations-Signal.
Sowohl Pro- als auch Eukaryoten bearbeiten ihre RNA-Moleküle während und/
oder nach der Transkription, sodass aus den Prä-RNAs reife RNAs werden.
Capping
Wenn die Polymerase II 25 bis 30 Nucleotide synthetisiert hat, setzen drei Enzyme
dem 5′-Ende der mRNA eine Kappe auf. Sie besteht aus mindestens einem Methyl-
rest am Guanosin (7-Methyl-Guanosin, m7G), eventuell kommen zusätzliche
Methylreste an anderen Stellen hinzu. Die snRNAs bekommen G-Caps mit ande-
ren Methylierungen.
Die ausführenden Enzyme stehen in Kontakt mit der hyperphosphorylierten
carboxyterminalen Domäne der Polymerase II, CTD, und sichern somit das Cap-
ping direkt nach dem Start der Transkription.
Die Cap hat mehrere Funktionen:
55 Sie schützt vor Nucleaseabbau.
55 Sie gewährleistet die Initiation der Translation und das Spleißen.
55 Sie ist für den Export aus dem Zellkern wichtig.
96 Kapitel 4 · Transkription
Promotor- Transkriptions-
Region start
Startcodon Stoppcodon Polyadenylierungs-
(ATG) (TAA/TAG/TGA) signal
5'UTR 3'UTR
Transkription
Polyadenylierungs-
4 AUG Stopp signal
RNA
primäres Exon1 GU AG Exon 2 GU AG Exon3 AAUAAA
Transkript 3'UTR
5'UTR Intron1 Intron 2
AUG Stopp
RNA
7-Methyl-
reifes Exon1 Exon 2 Exon3 AAAAAAA Poly(A)-Schwanz
Guanosin
Transkript
5'UTR 3'UTR
.. Abb. 4.7 Transkription und begleitende Prozesse bei Eukaryoten mit Signalsequenzen. (Nach
Schaaf und Zschocke 2013)
.. Abb. 4.8 Im Intron 26 des Gens für Neurofibromatose Typ I liegen drei kleine Gene (nach Busel-
maier und Tariverdian 2007). OMG (oder auch OMGP) ist ein membrangebundenes Glykoprotein
des Oligodendrozyten-Myelins, EVI2B und 2A sind virale Insertionssequenzen
Spleißen
Das Spleißen oder Splicing ist ein Vorgang, bei dem die Introns aus RNA-Molekülen
entfernt und die verbleibenden Exons in richtiger Reihenfolge zusammengesetzt
werden.
Man charakterisiert Introns als nichtcodierende, Exons als codierende Ab-
schnitte. In einem Intron kann jedoch ein kleineres Gen lokalisiert sein (. Abb. 4.8).
Die Länge der Introns erreicht bis zu mehrere Tausend bp, Exons sind erheblich
kürzer. Daher ist die Länge eines Gens in erster Linie von der Länge der Introns ab-
hängig. Beispiele: Die 117 Introns des Typ-VII-Kollagen-Gens (31 kb) machen
72 % des Gesamtgens aus, die 78 Introns des Dystrophingens (2400 kb) sogar 98 %.
Gespleißt werden die Prä-mRNAs, -tRNAs und -rRNAs im Kern sowie RNAs
in Mitochondrien und Chloroplasten.
4.9 · Prozessierung von Transkripten
97 4
Der Spleißprozess kann einfach oder komplex ablaufen:
55 Im einfachsten Fall arbeitet ein Intron selbstständig oder autokatalytisch, es
spleißt sich selbst heraus.
55 Komplexer ist der Vorgang in sogenannten Spleißosomen. Hier kommen etliche
Proteine und rRNA-Moleküle zusammen. Da beim Spleißen keine Nucleotide
verlorengehen dürfen, muss es so korrekt wie möglich erfolgen. Dazu bilden
Consensussequenzen die Grundlage.
Die Speißosomen
Diese Variante des Spleißens kommt bei den meisten eukaryotischen Genen vor.
Wie in Gruppe-II-Introns wird dabei ebenfalls ein Lasso gebildet (. Abb. 4.9).
98 Kapitel 4 · Transkription
Donatorstelle Akzeptorstelle
Branch site
Exon 1 GU A AG Exon 2
Exon 1 GU A AG Exon 2
4 Lassobildung
UG
Exon 1 A AG Exon 2
Exon 1 Exon 2 A AG
.. Abb. 4.9 Vereinfachte Darstellung des Spleißens. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
Das eigentliche Spleißen wird vorbereitet, wenn die snRNA des U1-snRNP die
5′-Spleißstelle erkennt und sich anheftet:
55 Spleißfaktoren verteilen sich auf die Consensussequenzen und führen Donor-
und Akzeptorstelle zueinander.
55 Der U2-snRNP bindet sich an die Intronregion mit dem angreifenden Adeno-
sin und wird dann zur Donorstelle gelenkt. Dabei helfen RNA-bindende Pro-
teine mit, z. B. setzt sich das branch point binding protein an den Adenosinver-
zweigungspunkt.
55 Das Spleißosom ist dynamisch: Seine Proteine ändern ihre Konformation. Wäh-
rend die U4/U6-snRNPs (enthält die zwei snRNAs) und U5-snRNP eintreten,
tritt das U1-snRNP aus dem Komplex aus, und auch U4-snRNP verlässt ihn
wieder. Die snRNAs arrangieren sich, und das Spleißen läuft ab.
55 Durch Mutationen an den Spleißstellen kommt es zu Fehlern. Beispiel beim
Menschen: Bei der Erbkrankheit β-Thalassämie bilden die Betroffenen zu
wenig β-Globin. Hier sind verschiedene Mutationen in Spleißstellen der Introns
bekannt, die den β-Globin-Mangel verursachen.
Wie das Capping und Tailing ist auch das Spleißen an die Transkription gekoppelt.
Die hyperphosphorylierte CTD führt den Spleißapparat an die Prä-mRNA. Eine
Untergruppe der SR-Proteine stellt dazu die Verbindung her, sie heißen CTD-
assoziierte SR-ähnliche Proteine (CASP).
RNA-Moleküle, die mit Proteinen assoziiert sind und zusammen mit diesen
ihre Funktion ausüben, bezeichnet man als Ribonucleoprotein. Da allerdings
RNAs von der Synthese bis zum Abbau immer mit Proteinen assoziiert sind, liegen
sie im weiteren Wortsinne immer als Ribonucleoproteine vor.
An den Exon-Intron-Grenzen lagern sich Proteine an. Die mRNA verlässt als
Ribonucleoprotein den Kern ins Cytoplasma. Der Transport erfolgt mit Hilfe von
Transportproteinen. Verschiedene Proteine lagern sich an die RNAs an und bauen
sie schließlich ab.
100 Kapitel 4 · Transkription
Exonskipping
Gegenseitiger Ausschluss
Alternative 5'-Donorspleißstellen
Alternative 3'-Akzeptorspleißstellen
Intronretention
Tailing
Am 3′-OH-Ende des Transkripts fügt die Poly(A)-Polymerase, PAP, einen Adenin-
schwanz aus 100 bis 200 Nucleotiden an. Diese Polymerase arbeitet unabhängig
von einer Matrize.
1. Die Polymerase II transkribiert bei Säugetieren das charakteristische Po-
ly(A)-Signal AAUAAA, etwa 20 bis 30 Nucleotide stromabwärts folgt ein CA,
dahinter folgt nach zehn bis 20 Nucleotiden ein GU-reicher Abschnitt.
Die Polymerase führt mehrere Proteine mit für die Spaltung und Adenylie-
rung, die CPA-Maschinerie (cleavage and polyadenylation):
102 Kapitel 4 · Transkription
4.10 RNA-Editing
und wie viele tRNAs für die Proteinsynthese vorhanden sind. Am deutlichsten und
stärksten ausgeprägt ist der stetige Umbau bei mRNA-Molekülen. Er gewährleistet
die passende Proteinausstattung einer Zelle, je nach äußeren Bedingungen und
Zellfunktion.
In E. coli liegt die durchschnittliche Halbwertszeit von mRNAs bei drei Minu-
ten. Sie reicht je nach Molekül von 20 s bis 90 min. Die mRNAs vielzelliger Tiere
bleiben länger erhalten, die Halbwertszeit erstreckt sich von Minuten bis Stunden
oder dauert sogar Tage.
4 Der Abbau von RNAs erfolgt mit Hilfe von Ribonucleasen, im RNA-Kontext
oft nur Nucleasen genannt.
55 Riboendonucleasen spalten eine RNA im Inneren.
55 Riboexonucleasen bauen die RNA vom 3′- oder vom 5′-Ende her ab.
55 Distributive Nucleasen entfernen nur ein Nucleotid oder einige wenige.
55 Processive Nucleasen bauen die RNA Nucleotid für Nucleotid weiter ab.
In Eukaryoten wie der Hefe verhindern die Methyl-Kappe am 5′-Ende und der Po-
ly(A)-Schwanz am 3′-Ende die Zerstörung der mRNA. Solange der Poly(A)-Schwanz
erhalten und mit Bindeproteinen (PABP) besetzt ist, heftet sich der Faktor
eIF4F-Komplex an diese Proteine, an das 5′-Ende und formt eine schützende
Schlaufe.
4.11 · Abbau von mRNA-Molekülen
105 4
Die mRNAs liegen nie nackt vor, vielmehr sind stets verschiedene Proteine an eine
mRNA gebunden, die jeweils individuellen Einfluss auf die Lebensdauer haben
(siehe . Abb. 4.11) und sie verlängern können.
106 Kapitel 4 · Transkription
Nucleolus
Export
4 Kern
Cytoplasma
Lokalisation AAAAAAA
Translation
AA
AA
AA AA
A
A
Abbau A
A
.. Abb. 4.11 Während der Prozesse Transkription, Spleißen, Translation und Lokalisation der
mRNA sind Proteine an die mRNA gebunden, die ihren Abbau verzögern können. (Nach Gebauer
2021; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
lineare
ringförmiges Chromosom Chromosomen
Poly(A)-Schwänze Poly(A)-Schwänze
destabilisieren AAAAA stabilisieren mRNAs AAAAA
mRNAs
.. Abb. 4.12 Vergleich der Genexpression von Mitochondrien mit Bakterien und dem Kern-Ge-
nom. Graue Boxen heben Gemeinsamkeiten hervor. (Nach Rackham und Filipovska 2022; mit
freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
55 In den Transkripten liegen tRNAs und mRNAs nebeneinander vor, durch Pro-
zessieren werden sie getrennt und einzelne mRNAs entstehen.
55 Eine Gemeinsamkeit mit der eukaryotischen Transkription im Kern sind die
stabilisierenden Poly(A)-Schwänze der mRNAs.
55 Anders als mRNAs in Bakterien und im Kern nutzen die mRNAs der Mito-
chondrien keine UTRs für die Translation.
109 5
Translation
Inhaltsverzeichnis
Die Translation ist einer der grundlegenden Vorgänge in allen lebenden Zellen. Sie
markiert den zweiten Schritt nach der Transkription, um die in der DNA ge-
speicherte Information über eine mRNA in Proteine zu übersetzen. Somit stellt sie
die eigentliche, in den Ribosomen ablaufende Proteinbiosynthese dar. Die daran
beteiligten Komponenten und der Vorgang sind im Prinzip sowohl bei Bakterien,
Archaeen und Eukaryoten als auch in den Mitochondrien und Chloroplasten
gleich. Bei Prokaryoten beginnt die Zelle mit der Translation, während die Tran-
skription noch läuft, bei Eukaryoten muss die Zelle die mRNA vor der Translation
aus dem Zellkern ins Cytoplasma transportieren. Ebenso wie die Replikation und
die Transkription teilt man die Translation ein in Initiation, Elongation und Termi-
nation. Nach der Synthese können die Proteine durch posttranslationale Modi-
fikationen noch weiter bearbeitet und verändert werden.
Das Prinzip der Translation lässt sich mit dem Morsen vergleichen. So wie im
Morsealphabet eine Folge akustischer Zeichen übersetzt wird in einen Buchstaben
des lateinischen Alphabets, so übersetzt eine Zelle eine Folge von drei Basen in eine
Aminosäure (. Abb. 5.1).
55 ein mRNA-Molekül,
55 rRNAs und zahlreiche Proteine, welche zusammen die Ribosomen aufbauen
(die rRNAs üben die entscheidende Peptidyltransferasefunktion aus),
Ribosom
Codons
tRNA
H H O H O H O H O
Anfang des
Polypeptids/Proteins H N N C C N C C N C C N C C
(Aminoende, H H CH 2 H CH 2 H CH 3 H H O
N-Terminus)
SH
Die Anzahl der Basenbausteine, die für eine Aminosäure stehen, ergibt sich mathe-
matisch.
55 Um Codewörter für die 22 proteinogenen Aminosäuren bilden zu können, sind
bei vier verschiedenen Buchstabenbasen (A, C, G und U) mindestens drei Buch-
staben pro Wort notwendig.
55 Hat man an einer Position vier Basen zur Auswahl, könnte man damit bei einem
Verhältnis Basen:Aminosäuren von 1:1 nur vier Aminosäuren codieren.
55 Kombiniert man die vier Basen auf zwei Positionen, hätte man 42 = 4 × 4 = 16
Kombinationen von Codons.
55 Erst bei drei Positionen hat man mit vier Basen 43 = 4 × 4 × 4 = 64 Möglichkeiten
und damit mehr Codons zur Verfügung, als Aminosäuren zu codieren sind
(. Tab. 5.1).
5.3 · Der genetische Code
113 5
.. Tab. 5.1 Genetischer Code für 20 Aminosäuren und Stoppcodons. (Nach Schaaf
und Zschocke 2013)
Die Eigenschaften des genetischen Codes folgen direkt oder indirekt aus der Codie-
rung in Basentripletts:
55 Er ist ein Triplettcode: Drei Basen codieren eine Aminosäure.
55 Der Code ist degeneriert oder redundant. Mehrere Codons codieren die gleiche
Aminosäure, sie sind synonym.
55 Er ist nahezu universell bei allen Lebewesen.
–– Auch das Startcodon für die Translation und somit die erste Aminosäure
sind fast überall gleich.
–– Es gibt Ausnahmen von diesem Standardcode (s. u.).
55 Er ist kommafrei: Lückenlos schließt sich in der mRNA Codon an Codon.
5 55 Früher galt der genetische Code als nicht-überlappend. Genomweite Analysen
ergeben mittlerweile ein anderes Bild. Überlappende Gene kommen in allen
Genomen vor, bei Viren, Prokaryoten und Eukaryoten. Die Definitionen „über-
lappende Gene“ weichen allerdings voneinander ab.
55 In Prokaryoten und Viren überlappen die codierenden Sequenzen. In Eukaryo-
ten spricht man von einer Überlappung, wenn innerhalb der Grenzen des pri-
mären Transkripts mindestens eine Base Teil von zwei Transkripten ist. Hier
dürfen sich also auch nichtcodierende Abschnitte überlappen. Oft überlappen
sogar nur die 5′- oder 3′-UTRs.
55 Drei verschiedene Anordnungen für eine Überlappung sind möglich. (1) Gene
oder ORFs auf demselben DNA-Strang überschneiden sich (Tandem-
Anordnung). Diese Anordnung kommt häufiger in Viren- und Bakterien-
Genomen vor. In Eukaryoten findet man häufiger die Anordnungen zwei und
drei: (2) Gene oder ORFs liegen auf gegenüberliegenden Strängen, sie über-
schneiden sich an den 5′-Enden und laufen in entgegengesetzte Richtungen (di-
vergente Anordnung, head-to-head. (3) Gene oder ORFs liegen auf gegenüber-
liegenden Strängen. Sie überschneiden sich an den 3′-Enden und laufen auf-
einander zu (konvergente Anordnung, tail-to-tail).
Die Zuordnung der Aminosäuren zu den Codons wird häufig als Codesonne dar-
gestellt. Die Basen werden von innen (5′-Ende) nach außen (3′-Ende) abgelesen.
Die Nummern werden bei der Angabe des Tripletts weggelassen. Eine andere An-
ordnung erfolgt in Form einer Tabelle.
Das Startcodon ist meistens 5′-AUG-3′ (selten: GUG oder CUG). In der
. Tab. 5.1 kann man von links nach rechts ablesen, dass AUG Methionin codiert.
Einige Protozoen verwenden alternative Startcodons.
Es gibt drei Stoppcodons, für die keine tRNAs vorhanden sind.
Die Organismen zeigen artspezifische Vorlieben für einzelne Codons. Sie haben
eine charakteristische Codonverwendung (Codon Usage oder Codon Bias).
55 Verwendet eine Art ein für sie seltenes Codon, kann das zum Abbruch der
Translation führen.
55 Daher muss man die Codon Usage berücksichtigen, wenn man ein menschliches
Protein gentechnologisch von Bakterien synthetisieren lassen möchte.
55 Unterscheidet sich ein Gen zweier Menschen an einer Position und ist dabei ein
seltenes Codon beteiligt, kann sich das auf die Effizienz der Proteinsynthese
und damit gesundheitlich auswirken.
5.4 · tRNA -Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“)
115 5
Abweichungen vom Standardcode findet man in den Mitochondrien beispielsweise
von Säugern oder Pilzen. UGA bedeutet darin nicht „Stopp“, sondern codiert
Tryptophan, ebenso im Genom des Prokaryoten Mycoplasma spec. Einige Proto-
zoen (Trypanosomen, Paramecien) weichen im Kerngenom von dem Standard ab,
UAG bedeutet dann nicht „Stopp“, sondern codiert Glutamin.
Eine Umwidmung eines Codons führt zum Einbau von Selenocystein, Sec, (21.
Aminosäure) oder Pyrrolysin, Pyl, (22. Aminosäure).
55 Ob die Ribosomen Selenocystein verwenden, hängt nicht vom Codon selbst ab,
sondern vom Kontext: Folgt auf UGA in der mRNA eine Sequenz, die eine
Haarnadel ausbildet, so führt UGA eben nicht zum Stopp, sondern ein
Elongationsfaktor erkennt darin das Signal, eine eigene, mit Sec beladene
tRNA zum Ribosom zu führen.
55 Einige methanogene Archaeen bauen Pyrrolysin in ihre Proteine ein. Vermut-
lich codiert das „Stoppcodon“ UAG direkt Pyl, weil es seine Funktion als
Stoppcodon verloren hat.
55 Auch bei GUG bestimmt der Kontext den Sinn. Während das Triplett regulär
Valin codiert, bedeutet es hinter einer Shine-Dalgarno-Sequenz (s. u.: Initia-
tion), dass es als Startcodon für fMet fungiert.
Die tRNAs (Transfer-RNAs) sind das verbindende Glied zwischen der mRNA und
einer Aminosäuresequenz, dem Protein. Bakterien nutzen 30 bis 45 verschiedene
tRNAs, Eukaryoten bis zu 50.
Es gibt zwei Kriterien, um die tRNAs (des Kerngenoms) Familien zuzuordnen.
Je nach Betrachtungsweise ist eine tRNA
55 Mitglied einer Isoakzeptor-Familie. Die Mitglieder unterscheiden sich zwar in
ihrem Anticodon, werden aber gleich beladen und führen somit die gleiche
Aminosäure an die mRNA.
55 Mitglied einer Isodecoder-Familie. Das sind tRNAs mit gleichen Anticodons,
aber Unterschieden in der übrigen Nucleotid-Sequenz.
Das menschliche Kerngenom enthält rund 500 Gene für tRNAs. Ihre Expression
erfolgt Gewebe- und Zelltyp-spezifisch.
ip
A A
der tRNA für Serin. (Nach
U
Buselmaier und Tariverdian
2007)
A A A G A
C U
U
U
U U U Me
U
C
G
G
H2 e
C
H2 U A A
G
M
Di G G
C
U G
G C
C
5
H 2U G G
G C
OMe
Me
C C C
G
G
Ac
G
A G
U U
C
C
DHU-Schleife
A
G
G
U
G T
G U U G U C G C C A
A A C
C
T C-
U C
C
G Schleife
A G
G C
pG
Serin
55 Aus den Haarnadeln folgt eine Struktur, die zweidimensional als Kleeblatt-
struktur dargestellt und auch als solche bezeichnet wird. Die Haarnadel-
strukturen bilden die drei Kleeblätter und sind benannt nach der Anti-
codon-Funktion (Anticodonschleife) oder nach auffälligen Basen (TψC-
Schleife enthält ψ = Pseudouridin, D-Schleife enthält Dihydrouridin ).
55 Zwischen Anticodon- und TψC-Schleife kann eine weitere Schleife unter-
schiedlicher Länge ausgebildet sein: die V-Schleife oder variable Schleife.
55 Die tRNAs von Bakterien, Archaeen und Eukaryoten haben die gleiche
Sekundärstruktur, an einigen Stellen sogar gleiche Basen, die vor allem für eine
stabile Tertiärstruktur wichtig sind.
55 Dreidimensional ähnelt ein tRNA-Molekül einem in sich verdrehten L. Das 5′-
und das 3′-Ende bilden über Wasserstoffbrücken zusammen den Akzeptorarm.
Das 3′-Ende läuft zum Ende hin einzelsträngig aus mit den Basen CCA. Am
OH-Ende hängt die Aminosäure.
55 In tRNAs findet man zahlreiche modifizierte Basen: Ribothymidin, Inosin,
Wyosin, Thiouridin etc. Sie beeinflussen die Basen-Paarung und spezifizieren
die tRNA exakter.
5.4 · tRNA -Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“)
117 5
Obwohl die Struktur der tRNAs hoch konserviert ist, gibt es neben der V-Schleife
noch weitere Abweichungen vom Standard. Man findet sie in tRNAs der Mito-
chondrien von Wirbeltieren. So kann z. B. die D-Schleife fehlen.
Die Schreibweise zeigt an, welche Aminosäure eine tRNA trägt. Eine tRNA für
Methionin schreibt man tRNAMet und liest sie als Methionyl-tRNA. Ist sie auch
korrekt mit Methionin beladen, schreibt man Met-tRNAMet.
Die Aminoacyl-tRNA-Synthetasen beladen die tRNA in zwei Schritten mit der
vorgesehenen Aminosäure:
1. Das Enzym aktiviert die Aminosäure. Dazu spaltet es von ATP ein Pyro-
phosphat ab und hängt das verbleibende AMP an die Aminosäure an. Es ent-
steht ein Molekül Aminoacyl-AMP.
2. Das Enzym verestert unter Abspaltung von AMP die COOH-Gruppe der
Aminosäure mit der OH-Gruppe der Ribose am 3′-Ende der tRNA.
Bei einigen Bakterien und Archaeen liegen für Glutamin und Asparagin keine eige-
nen Synthetasen vor. Das heißt, dass die Aminoacyl-tRNA-Synthetase die
tRNAGlutamin und tRNAAsparagin erst mit Glutaminsäure bzw. Asparaginsäure be-
lädt. Ein zweites Enzym, eine Transamidase, wandelt dann die Säure in das
gewünschte Amid (Glutamin oder Asparagin) um.
118 Kapitel 5 · Translation
5 Die Genauigkeit der Beladung ist der erste Schritt, um die genetische Information
fehlerfrei umzusetzen. Der zweite Schritt ist die Wechselwirkung zwischen Anti-
codon und Codon.
Da man eine Nucleinsäure stets vom 5′- zum 3′-Ende angibt, paart sich die erste
Base des Codons mit der dritten des Anticodons und umgekehrt. Man darf sich
diese Paarung allerdings nicht linear übereinander vorstellen. Die Anticodon-
schleife der tRNA ist etwas verdreht oder gekrümmt. Daher erfolgt die Interaktion
nicht passgenau, und zwischen der dritten Codonbase und der ersten des Anti-
codons kommt es zum Wobble-Effekt. Damit ist gemeint, dass es hier nicht nur zu
den Watson-Crick-Basenpaarungen kommt.
Auch eigentlich falsche Paarungen sind hier möglich, allerdings nicht alle.
55 Bei Bakterien beobachtet man G-U sowie Paare von Inosin (I) mit A, C oder U.
55 Ist die erste Base im Anticodon beispielsweise ein G, kann ihr gegenüber ein re-
guläres C, aber auch ein U liegen.
55 Ist diese Position umgekehrt mit einem U besetzt, kann es sich mit einem regu-
lären A oder G paaren.
Mit dem Wobble-Effekt erklärt man, dass für einige Codons die dritte Base varia-
bel ist, um eine Aminosäure zu codieren und die Zelle daher tRNAs einsparen
kann. Sie muss nicht für jedes Codon eine eigene tRNA im Genom bereitstellen.
55 Deswegen lesen Bakterien ihre mRNAs mit rund 30 tRNAs ab.
55 Bei Eukaryoten findet man den Wobble-Effekt zwar ebenfalls mit den ge-
nannten Paarungen, im Kerngenom jedoch nicht so häufig. Daher nutzt der
Mensch mehr (48) tRNA-Moleküle.
Für die korrekte Positionierung der beiden RNA-Moleküle sind vor allem die
Struktur und Funktion des Ribosoms entscheidend. Sie sind die Orte und Maschi-
nen der Proteinbiosynthese und fungieren als Ribozyme aus rRNA-Molekülen
und Proteinen, wobei die rRNAs die enzymatischen Funktionen ausüben, wohin-
gegen die Proteine eher unterstützend wirken.
5.5 · Das Ribosom
119 5
5.5.1 Struktur der Ribosomen
40S-Untereinheit
A = Akzeptorstelle
P = Peptidylstelle
E = Exitstelle
120 Kapitel 5 · Translation
Reaktionszentrum
5 50S
mRNA 30S
Wachsende
Peptidkette
b
Prokaryoten Eukaryoten
70S-Ribosom 80S-Ribosom
29 nm 32 nm
21 nm 22 nm
2,8 × 10 6 Da ~ 4,2 × 10 6 Da
1,8 × 10 6 Da 1 × 10 6 Da
Lange Zeit galt das Ribosom als eine molekulare Fabrik, die einheitlich aufgebaut
ist. Seit einigen Jahren mehren sich jedoch die Belege, dass dies nicht der Fall ist.
Statt dessen findet man feine Unterschiede auf der Protein- und der rRNA-Ebene.
Während der Translation sind Ribosomen nicht starr, sondern dynamische Ge-
bilde, ihre Konformation ändert sich also während des Prozesses.
Pro Sekunde verknüpfen sie 15 bis 20 Aminosäuren. In der Regel translatieren
mehrere Ribosomen gleichzeitig eine mRNA. Es entsteht ein perlenkettenartiges
Polyribosom oder Polysom.
Trotz ihrer Komplexität läuft die Translation mit den benötigten Aminosäuren,
Energieträgern und einer mRNA auch in vitro ab.
122 Kapitel 5 · Translation
5.6.1 Initiation
C H3
S
C H2
fMet-tRNA
O C H2 O
Peptidyl Aminoacyl-tRNA 3'
O C C NH C
(P-Site) (A-Site)
P-5' H H
GTP
IF3 GTP
30S IF2 IF2
IF1 IF1 IF1
P A IF3 IF3
fMet Shine-Dalgarno-Sequenz
GDP
IF2 Pi 2. Aminoacyl-tRNA
IF2 GTP
5' 3' 5' AUG 3'
IF1
2. Aminoacyl- P A 16S rRNA IF3
tRNA fMet 2. Amino- fMet
IF1 IF3 50S
säure 30S-Initiationskomplex
pt
Pe
idb in d u n g
70S
.. Abb. 5.5 Initiation der Translation: Zusammenbau des Ribosoms (Ribosom ohne E-Stelle ge-
zeichnet)
5.6 · Translation bei Bakterien
123 5
55 IF1 besetzt die A-Stelle und stabilisiert den Initiationskomplex.
55 IF2 dirigiert die Initiator-tRNA in die P-Stelle. Diese trägt ein Methionin
mit einem Formylrest an der Aminogruppe, N-Formylmethionin.
2. Die kleine Untereinheit lagert sich an die mRNA an. Dazu dient eine Con-
sensussequenz, die wenige Nucleotide vor dem Startcodon AUG liegt. Sie bin-
det sich an eine komplementäre Sequenz in der 16S-rRNA. Diese Ribosomen-
bindestelle (RBS) der mRNA heißt Shine-Dalgarno-Sequenz. Bei E. coli lautet
die Consensussequenz AGGAGGU.
3. IF1 und IF3 treten aus dem Komplex aus.
4. Unter Spaltung von GTP vermittelt der IF2 die Assoziation mit der großen
Untereinheit und verlässt ebenfalls den nun fertigen 70S-Initiationskomplex.
Als Ergebnis ist die mRNA im Ribosom gebunden und die Initiatior-tRNA sitzt in
der P-Stelle.
5.6.2 Elongation
GTP
Aminoacyl- EF-Tu/GTP
tRNA EF-Ts
124 Kapitel 5 · Translation
Aminoacyl-tRNA
EF-Tu/GTP
E P A E P A
5' 5'
5
EF-Tu/GDP
E P A E P A
5' 5'
EF-G/GTP E P A
5'
EF-G/GDP
.. Abb. 5.7 Elongation: Eine tRNA besetzt nacheinander die drei Bindungsstellen
5.6.3 Termination
Die Zelle nimmt die Fehler jedoch aus mehreren Gründen in Kauf:
55 Die Fehler werden nicht gespeichert. Bei der Replikation wird ein Fehler da-
gegen an die Nachkommen weitergegeben.
55 Die Zelle produziert von einer mRNA mehrere Proteine, bei denen wahrschein-
lich nicht der gleiche Fehler auftritt. Es entstehen dadurch ausreichend kor-
rekte Proteine.
55 Ein Zellmechanismus erkennt die falsche Tertiärstruktur eines fehlerhaften
Proteins und sorgt dafür, dass es abgebaut wird.
Das vorliegende Wissen zur Translation bei Archaeen ist geringer. Wie bei der
Transkription nehmen Archaeen eine Zwischenstellung zwischen Bakterien und
Eukaryoten ein, indem sie Gemeinsamkeiten mit den anderen beiden Zelltypen
zeigen.
55 Die Initiationsfaktoren sind homolog. Auch ihre Anzahl ist größer als bei Bak-
terien: Bei Archaeen sind es elf Initiationsfaktoren (aIF), bei Eukaryoten (eIF)
zwölf.
55 Die Startaminosäure ist unformyliertes Methionin.
55 Einige Elongationsfaktoren sind mit den eukaryotischen Faktoren verwandt.
55 Der einzige bekannte Terminationsfaktor ähnelt einem eukaryotischen Faktor.
5.8.1 Initiation
Die Initiation bei Eukaryoten zeigt einige Gemeinsamkeiten zum Ablauf bei Bak-
terien:
55 Es entsteht ein Komplex aus dem Ribosom, der mRNA und der beladenen tRNA
in der P-Stelle, die ein Startcodon AUG erkennt.
55 GTP dient als Energieträger.
5.8 · Translation bei Eukaryoten
127 5
Es gibt aber auch eine Reihe von Unterschieden zwischen der eukaryotischen Trans-
lation und dem bakteriellen Prozess:
55 Eukaryotische mRNA-Moleküle besitzen keine Shine-Dalgarno-Sequenz.
55 Die Zahl der Initiationsfaktoren ist bei Eukaryoten höher, ihr Aufbau ist kom-
plexer.
55 Als Aminosäure der Initiator-tRNA dient Methionin statt N-Formylmethionin.
55 Eine Helikaseaktivität im eIF4 spaltet unter ATP-Verbrauch mögliche
Sekundärstrukturen.
Manche mRNAs verzichten auf die 5′-Cap und das Scanning. Diese mRNAs ver-
fügen über eine interne Ribosomeneintrittsstelle (IRES). Es ist quasi ein Express-
start für die Proteinbiosynthese. Daher findet man IRES vor allem in mRNAs für
Stressproteine, um schnell auf eine bedrohliche Situation zu antworten, und in vi-
ralen mRNAs. In diesem zweiten Fall sorgen die Viren für das Decapping der
mRNAs des Wirts und die IRES sorgt für die bevorzugte Translation viraler Gene.
5.8.2 Elongation
5 Die Elongation von Bakterien und Eukaryoten ähneln sich mehr als die Initiation.
Die unterstützenden Elongationsfaktoren (eEF) haben die gleichen Funktionen
wie ihre bakteriellen Pendants:
55 eEF1α entspricht dem bakteriellen EF-Tu. Der Faktor führt die beladene
tRNA heran und liefert gebundenes GTP als Energieträger.
55 eEF1β entspricht dem bakteriellen EF-Ts. eEF1β belädt eEF1α mit neuem
GTP.
55 eEF2 entspricht dem bakteriellen EF-G und ermöglicht unter GTP-Spaltung
die Fortbewegung des Ribosoms.
Der Faktor eEF2 ist außerdem durch zwei weitere Eigenschaften interessant:
55 Er fungiert in gewisser Weise als Schaltstelle: Wird er phosphoryliert, so ver-
langsamt sich die Translation. Beispiel: Einige Säugetiere nutzen diese Phos-
phorylierung, um den geringeren Bedarf an Proteinen für den Winterschlaf an-
zupassen.
55 Zweitens ist eEF2 der Angriffspunkt für das Diphtherietoxin, genauer: die
histidinähnliche Aminosäure Diphthamid in dem Elongationsfaktor
(. Abb. 5.9). Das Toxin überträgt ADP-Ribose unter Abspaltung von Nicotin-
amid auf Diphthamid und blockiert somit eEF2 in seiner Funktion, die Trans-
lation stoppt.
EF2
(inaktiv)
H H O
N C C
C H2
AD P
C H3
O N
H 3C N C H 3
H2C N Diphthamid
C H2 C H2 C H
OH HO (His-Derivat)
Diphtherietoxin C O
O NH 2
NAD + Nicotinamid
.. Abb. 5.9 Das Diphtherietoxin modifiziert eEF2 und blockiert die Translation
5.9 · Prozessierung von Proteinen
129 5
Die Einzelschritte der Elongation entsprechen dem Ablauf bei Bakterien. Auch in
Eukaryoten führt eine rRNA der großen Untereinheit die Peptidyltransferase-
Aktivität aus.
5.8.3 Termination
Auch die Termination zeigt mit dem bakteriellen Prozess weitgehend Überein-
stimmungen.
55 Der eukaryotische Faktor eRF1 entspricht den bakteriellen Freisetzungs-
faktoren (release factors) RF1 und 2. Er erkennt alle drei Stoppcodons und
führt zur Freisetzung des Proteins.
55 Ein zweiter Faktor heißt eRF3. Er besitzt GTPase-Aktivität und erreicht wohl
die Ablösung von eRF1 vom Ribosom.
Die Vorgänge kommen oft kombiniert vor. So muss die Zelle ein Protein erst pro-
teolytisch spalten, damit es anschließend richtig gefaltet werden kann.
130 Kapitel 5 · Translation
5.9.1 Proteinfaltung
Während kleine Proteine spontan die richtige räumliche Struktur einnehmen kön-
nen, ist die Zahl der möglichen Anordnungen bei großen Proteinen zu hoch. Sie be-
nötigen darum Chaperone genannte Hilfsproteine.
Es gibt zwei Gruppen von Chaperonen:
55 Hitzeschockproteine und
55 Chaperonine.
Hitzeschockproteine
5 Hitzeschockproteine bildet die Zelle bei hohen Temperaturen. Die Namen von eu-
karyotischen Proteinen bestehen aus dem Kürzel Hsp und einer Zahl, die die un-
gefähre Molekülmasse angibt, Beispiel Hsp70. Hitzeschockproteine kommen so-
wohl bei Pro- als auch bei Eukaryoten vor.
Sie übernehmen mehrere Funktionen:
55 Sie tragen zur korrekten Faltung bei,
55 sie unterstützen den Transport von Proteinen durch Membranen,
55 sie lösen Verklumpungen von Proteinen auf, die sich nach Hitzeeinwirkung ge-
bildet haben,
55 sie helfen Proteinen, sich zu einem Komplex zusammenzulagern.
Bei Eukaryoten entspricht Hsp70 dem DnaK von E. coli und Hsp40 entspricht
DnaJ.
Chaperonine
Chaperonine kommen als Komplexe vor, beispielsweise GroEL/GroES bei E. coli
und Hsp60 und Hsp10 bei Eukaryoten. Das ungefaltete Protein gelangt in einen
Hohlraum des Chaperonins, woraufhin dieses unter ATP-Verbrauch seine Konfor-
mation ändert. Freigesetzt wird das korrekt gefaltete Protein.
5.9 · Prozessierung von Proteinen
131 5
Fehlfaltung von Proteinen
Die fehlerhafte Faltung von Proteinen und ihre Ansammlung kann schwere Er-
krankungen verursachen. Dabei grenzt man gegeneinander ab, ob die Fehlfaltung
von einem Organismus auf einen anderen übertragbar, infektiös, ist oder jeweils indi-
viduell entsteht. Zur Unterscheidung spricht man von Prionen und von Prionoiden.
z Prionen
Prionen-Erkrankungen, PrD (Prion deseases), sind von einem Individuum auf ein
anderes übertragbar. Die bekanntesten Fälle sind die Übertragung des "Rinder-
wahns" BSE auf den Menschen, wo die Prionen eine Variante der Creutzfeld-
Jakob-Krankheit auslösen. Auf Prionen-Erkrankungen treffen mehrere Kenn-
zeichen zu:
55 Es handelt sich um neurodegenerative Erkrankungen mit schwerem und unheil-
barem Verlauf.
55 Prionen (sprachlich abgeleitet aus Protein + Infektion) bestehen aus PrPSc,
krankhaften Ansammlungen von fehlerhaft gefalteten zellulären Proteinen
PrPC. Die Fehlfaltung ist also ansteckend, fehlgefaltete Proteine übertragen sie
auf ursprünglich korrekt gefaltete Proteine der Zelle. In etwa vergleichbar mit
der Kristallisation, wo ein Kristallisationskeim zur Ausweitung führt und der
Kristall wächst.
55 Man bezeichnet PrD daher als übertragbare oder transmissible spongiforme
Enzephalopathien. Spongiform oder schwammartig deutet auf die ent-
sprechend aussehende Veränderung des Gehirngewebes hin, mit welcher der
Verlust der Nervenzellen einhergeht.
55 PrD des Menschen unterteilt man in genetisch, sporadisch und erworben. Die
genetischen Formen werden alle verursacht durch eine Mutation in dem PRNP-
Gen, welches das PrPC codiert. Je nach Mutation kommt es zur genetischen
Form der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung, zum Gerstmann-Sträussler-
Scheinker-Syndrom oder zur tödlichen familiären Schlaflosigkeit. Die sporadi-
schen Formen haben eine unbekannte Ursache, die erworbenen werden über-
tragen wie BSE vom Rind auf den Menschen.
z Prionoide
Der Begriff ist (relativ) neu. Auch bei Prionoiden handelt es sich um Aggregate von
fehlerhaft gefalteten Proteinen, und auch hier kann sich die Fehlfaltung über-
tragen zwischen den Zellen. Sie ist aber nicht zwischen Individuen übertragbar.
Man spricht eher von Protein-Fehlfaltungs-Erkrankungen. Beispiele sind Morbus
Parkinson oder die Alzheimersche Demenz.
132 Kapitel 5 · Translation
Insulin ist ein Beispiel, das beide Spaltungen kombiniert. Das Präproinsulin setzt
sich zusammen aus N-terminalem Signalpeptid, B-, C- und A-Kette. Durch Ent-
fernen des Signalpeptids entsteht das Proinsulin. B- und A-Kette bilden Disulfid-
brücken, die mittlere C-Kette wird herausgeschnitten, sodass dann Insulin vorliegt.
1. Der SRP-Komplex führt das Protein an die Membran heran, indem er sich an
einen Rezeptor in der Membran bindet (FtsY).
2. Der Rezeptor reicht das Protein weiter an das Sec-Translocon, das zusammen
mit dem Protein YidC das Protein während der Translation in die Membran
einfädelt.
3. Die Signalpeptidase in der Membran spaltet schließlich die Signalsequenz ab.
55 Einen ähnlichen SRP-abhängigen Weg kennt man auch aus Archaeen und Eu-
karyoten. Bei Eukaryoten ist die 7SL-RNA Bestandteil des Erkennungs-
komplexes. Der SRP-Rezeptor wird SR abgekürzt.
Die Zellen verändern Aminosäuren nach der Translation, indem sie kleine oder
komplexe chemische Gruppen an bestimmte Aminosäuren hängen.
55 Kleine Gruppen sind Acetyl-, Methyl- und Phosphatgruppen.
55 Komplexe Gruppen umfassen Zuckerreste, Fettsäuren oder Biotin (Vitamin B7
oder H).
55 Die komplexen Gruppen sind zwar nicht auf Eukaryoten beschränkt, hier aller-
dings deutlich häufiger zu finden als bei Bakterien.
5.9.4 Proteinspleißen
Das Proteinspleißen ist ein autokatalytischer Prozess. Das Protein selbst schneidet
(meist) einen Intein genannten Abschnitt heraus und setzt die verbleibenden zwei
Exteine genannten Abschnitte wieder zusammen. Die Trennstellen nennt man
Spleißstellen. Vergleicht man ihre Sequenzen, findet man ebenfalls einige Überein-
stimmungen.
Die meisten Inteine sind zusätzliche sequenzspezifische Endonucleasen, die ihr
eigenes Gen aufschneiden. Dabei läuft ein intein homing genannter Vorgang ab: Be-
sitzt die Zelle eine zusätzliche Kopie des Gens ohne inteincodierenden Abschnitt
5 (Intein-Minus-Gen), kann die Intein-Endonuclease diese Genkopie an den
Extein -Intein-Grenzen auftrennen. Die Zelle erkennt den DNA-Bruch als Schaden
und repariert ihn, indem sie den inteincodierenden Abschnitt kopiert und einfügt.
Aus dem Minus-Gen wird dadurch ein Plus-Gen. Da das Intein so für seine eigene
Verbreitung sorgt, bezeichnet man die DNA als eigennützig (selfish DNA ). Es sind
einige Hundert Fälle dazu bekannt von Bakterien, Archaeen und Eukaryoten.
H – S – E1 – SH
O
Ubiquitin C – S – E2
Abzubauendes
Protein
Ubiquitin-
Protein
Ligase (E3)
H – S – E2
O N Abzubauendes
Ubiquitin C – N – CH 2 – CH 2 – CH 2 – CH 2 – C – H Protein
H C
Lysin
.. Abb. 5.10 Die Enzyme E1 bis E3 übertragen in einer Reaktionsfolge mit Thioestern und unter
ATP-Verbrauch Ubiquitin auf das abzubauende Protein (a), bevor dieses vom Proteasom erkannt
und abgebaut wird (b)
Für den Abbau im Proteasom erhält das Protein eine Markierung mit dem Peptid
Ubiquitin:
1. Enzyme übertragen erst eine Ubiquitinkette auf einen Lysinrest des Proteins.
2. Danach werden an das vorhandene Ubiquitin weitere Ketten gehängt, sodass
das abzubauende Protein mit bis zu zehn Ketten ubiquitiniert ist.
3. Anschließend wird das Protein entfaltet und im Proteasom zu kleinen Peptiden
zerschnitten.
4. Peptidasen bauen die Peptidfragmente ab.
Regulation der
Genexpression: Allgemeines
und Regulation bei
Prokaryoten
Inhaltsverzeichnis
Die vorhergehenden Kapitel stellten dar, wie die Information in den Genen ab-
gelesen und exprimiert wird. Hier geht es um die Regulation der Genexpression
auf den verschiedenen Ebenen wie Chromatin, Transkription oder Translation.
DNA-bindende Proteine sind bei Pro- wie bei Eukaryoten von entscheidender Be-
deutung. Für die Bindung an die DNA besitzen sie bestimmte Sequenzen, die Mo-
tive genannt werden. Prokaryoten regulieren die Expression vor allem auf der
Ebene der Transkription, im Zentrum steht die Regulation des Operons. Die Regu-
lation der Translation erfolgt mittels Antisense-RNA.
6.2 Grundlagen
6
Man unterscheidet zwei Prinzipien der Regulation (negativ/positiv), die sich in zwei
verschiedenen Varianten (Einschalten oder Ausschalten der Regulation) zeigen
(siehe unten, Abschn. 7 6.3.1):
55 Bei der negativen Regulation unterdrückt ein Repressor die Genexpression: (1)
Ist der Repressor allein noch nicht aktiv, so aktiviert ihn erst ein Corepressor:
„Einschalten“ des Repressors, dadurch Unterdrückung der Genexpression. (2)
Ist der Repressor aktiv und unterdrückt die Genexpression, so inaktiviert ihn
ein Induktor und hebt die Repression auf („Ausschalten“ des Repressors, aber
Beginn der Genexpression).
55 Bei der positiven Regulation veranlasst ein Aktivator die Genexpression: (1)
Der Aktivator allein ist nicht aktiv, erst wenn sich ein Induktor an ihn bindet,
heftet sich der Aktivator an die DNA und erlaubt die Genexpression („Ein-
schalten“ und Beginn der Expression). (2) Der Aktivator ist aktiv, aber durch
die Bindung eines Corepressors wird er deaktiviert („Ausschalten“, keine Gen-
expression).
Beide Prinzipien kommen bei Pro- und Eukaryoten vor. Grob gesagt sind negative
und positive Kontrolle bei Prokaryoten gleichermaßen von Bedeutung, bei Euka-
ryoten mehr die positive Kontrolle.
Ausgeübt wird die Kontrolle von regulatorischen DNA-Elementen – unmittel-
bar vor Genen liegend oder weit davon entfernt (s. 7 Abschn. 4.3.2) – und regula-
torischen Genen. Bei den Produkten der regulatorischen Gene handelt es sich ent-
weder um RNA-Moleküle oder um DNA-bindende Proteine. In den meisten Fäl-
len binden sich die Proteine an die regulatorischen DNA-Elemente.
6.2.3 Regulationsebenen
Da die Vielfalt der spezifischen DNA-bindenden Proteine bei Eukaryoten größer ist
als bei Prokaryoten, nimmt man für Eukaryoten eine weitere Einteilung vor:
55 Die generellen (oder allgemeinen) Transkriptionsfaktoren (s. 7 Kap. 4) ermög-
lichen eine basale Transkription, die ständig abläuft, wenngleich auf einem
niedrigen Niveau.
55 Die regulatorischen (oder spezifischen) Transkriptionsfaktoren (s. 7 Kap. 7)
stimulieren die Transkription, indem sie diese auf bestimmte Signale hin hoch-
regulieren.
6.2 · Grundlagen
141 6
Die spezifischen Proteine der Pro- und Eukaryoten zeichnen sich durch Struktur-
merkmale aus: Sie besitzen Motive von 20 bis 60 Aminosäuren, die für die Bindung
verantwortlich sind. Diese Abschnitte oder Domänen mit bestimmter Funktion la-
gern sich in der Regel in die große Furche der DNA und entfalten ihre Wirkung.
Viele spezifische DNA-bindende Proteine interagieren über eine zweite Domäne
mit anderen Proteinen (mit allgemeinen Transkriptionsfaktoren, mit Co-
aktivatoren), um die Regulation abzustimmen, oder sorgen beispielsweise für die
Lokalisation im Zellkern.
Das Helix -turn-Helix-Motiv ist das typische Motiv bei Prokaryoten. Zwei
α-Helices sind über eine Kehre aus wenigen Aminosäuren (turn) verbunden. Die
zweite Helix ist die Erkennungshelix für die große Furche.
Beispiele: lac-Repressor, λ-Repressor (s. u.).
55 Bei Eukaryoten:
55 Homöodomäne:
Zwei Helices mit basischen Aminosäuren sind über eine Schleife verbunden. Basi-
sche Abschnitte heften sich grundsätzlich leicht an die (negativ geladene) DNA. Die
Domäne kommt oft in Proteinen vor, die sich an Enhancer binden.
Beispiel für Transkriptionsfaktoren mit bHLH: Die E12/E47-Proteine aktivie-
ren die Expression von Immunglobulingenen.
55 Zinkfingerdomäne (. Abb. 6.1):
142 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten
C H C H C H
Zn Zn Zn
C H C H C H
+ –
H 3N COO
Bildet Bildet
6 -Helix -Faltblatt
Mehrere Aminosäuren legen sich in eine Schleife um ein Zinkion, das sie ko-
ordinativ binden. So entsteht der Eindruck eines Fingers mit dem Metallatom an
der Wurzel. Je nachdem, ob zwei Cysteine und zwei Histidine das Zinkion binden
oder vier Cysteine, spricht man von Cys2-His2-Zinkfingern oder Cys4-Zinkfingern.
Proteine können jeweils einige wenige Zinkfinger ausbilden oder bis über 30.
Beispiele: (1) CTCF (CCCTC-Bindungsfaktor) mit 11 Zinkfinger-Domänen,
CTCF arbeitet als Architekturprotein, als Regulationsprotein und als
Transkriptionsfaktor. (2) Krüppel bei Drosophila, Krüppel fungiert als Produkt
eines Gapgens in der Entwicklung der Fliegen (siehe 7 Abschn. 14.3.5), mit Krüp-
pel verwandt sind der Pionierfaktor KLF4 und KRAB-ZFP zur Stilllegung von
transposablen Elementen (siehe 7 Abschn. 9.4.3). (3) Der Transkriptionsfaktor
TFIIIA für die RNA-Polymerase III. (4) Steroid-Rezeptoren: Ein Ligand lagert
sich an den Rezeptor an und aktiviert diesen. Als Dimer binden sich die Steroid-
Rezeptoren an die DNA und wirken als Transkriptions-Faktoren.
55 Basische Leucin-Zipper-Domäne (bZip-Domäne, . Abb. 6.2):
Das Motiv besteht aus zwei langen α-Helices. Die eine Helix enthält basische, die
andere hydrophobe Aminosäuren. Jede siebte Aminosäure ist Leucin. Die Helices
können sich aneinanderlagern und sich somit wie ein Reißverschluss schließen. Die
Helices können auch auf zwei getrennte Proteine verteilt sein.
Beispiele: CREB-Proteine oder Myc.
6.3 · Regulation der Transkription bei Prokaryoten
143 6
a Helix-turn-Helix b Leucin-Zipper
+
NH 3
Hydrophobe
Wechselwirkungen
Schleife
+
„turn“ NH3 COO –
Erkennungshelix COO –
H-Brücken DNA
Prokaryoten kontrollieren ihre Transkription als Antwort auf äußere oder innere
Signale. Zu den Signalen gehören
55 die Versorgung mit Nährstoffen (Zucker, Aminosäuren) oder verschiedenen
Stickstoffquellen,
55 die Temperatur,
55 die Sauerstoffkonzentration,
55 die Bakteriendichte (Quorum sensing).
Im einfachen Fall ist das Signal ein Stoff, beispielsweise ein Zucker, der durch ein
Membranprotein ins Zellinnere gelangt und dort direkt mit einem DNA-bindenden
Protein interagiert (s. 7 Abschn. 6.2.2).
In den Fällen der Signaltransduktion erkennt die Zelle das äußere Signal, leitet
es ins Zellinnere und wandelt es um.
144 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten
Allolactose
LacI Repression – LacI
inaktiv LacI –35 –40 +1
aktiv + Derepression
5' 3'
PlacI lacI CBS P O1 lacZ lacY lacA
3' 5'
CAP +
mRNA mRNA
Positive
cAMP Operon
Regulation
Über den lac-Repressor (codiert von lacI) ist das Operon negativ induzierbar:
1. Wenn Lactose nicht vorliegt, bindet sich der Repressor an den Operator. Der
Operator besteht aus einem Palindrom-Sequenzmotiv aus 26 bp. Dieses Motiv
kommt mehrfach vor. Der Repressor blockiert die RNA-Polymerase. Er liegt
als Tetramer vor. Für eine Bindung ist ein Dimer ausreichend. Das zweite
Dimer bindet sich an ein zweites Operator-Sequenzmotiv. Dadurch entsteht ein
Bogen in der DNA und die RNA-Polymerase wird eingeklemmt. Allerdings ist
die negative Kontrolle nicht hundertprozentig, eine minimale Transkription fin-
det statt. Das ist wichtig, damit in der Membran Permeasemoleküle vorliegen
und diese den Eintritt von Lactose in die Zelle erlauben.
2. Findet die Zelle Lactose im Medium vor, nimmt sie den Zucker durch die Per-
mease auf.
3. In der Zelle wandelt die β-Galactosidase Lactose in Allolactose um. Vier Mole-
küle binden sich an ein Repressortetramer.
4. Das Repressortetramer ändert dadurch seine Konformation, löst sich vom
Operator und gibt den Promotor für die Bindung der RNA-Polymerase frei.
Der zweite Mechanismus ist eine positive Kontrolle und von Glucose abhängig:
So lange Glucose als Zucker vorliegt, bevorzugt E. coli diese Energiequelle,
denn Lactose müsste erst gespalten werden. Die Verwertung von Glucose ist also
einfacher.
Allgemein verhindert Glucose die Transkription von Strukturgenen für den
Abbau anderer Zucker (Galactose, Maltose u. a.), man nennt das Phänomen Ka-
tabolitrepression.
1. Verringert sich der Glucosegehalt jedoch, so steigt in der Zelle die Menge des
Second Messengers cAMP an. cAMP fungiert als Induktor.
2. cAMP bindet sich an das Aktivator-Protein CAP (catabolite activator protein),
auch CRP genannt (cAMP receptor protein). CAP ändert nach der Anlagerung
von cAMP seine Konformation, es wird aktiviert, bindet sich nun an die
CAP-Bindestelle (CBS) der DNA und fördert die Bindung der RNA-Polymerase
an den Promotor.
146 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten
Generell ist die positive wie die negative Kontrolle in Prokaryoten in etwa gleich
häufig. In Eukaryoten kommt die positive Kontrolle hingegen häufiger vor.
Die Verschaltung von Glucose- und Lactosestoffwechsel erfolgt über das
Phosphotransferasesystem (PTS, eigentlich Phosphoenolpyruvat-PTS). Phos-
phoenolpyruvat (PEP) ist ein Kohlenhydrat aus dem Glucoseabbau.
Das Phosphotransferasesystem veranschaulicht die Bedeutung von Phosphory-
lierungen.
55 Das PTS transportiert mittels spezifischer Transporter Zuckermoleküle in die
Zelle und phosphoryliert sie.
55 Die EIIA-Domäne der Glucose-Permease verknüpft Zuckertransport mit Gen-
regulation.
55 In Abwesenheit von Glucose ist die EIIA-Domäne phosphoryliert. Dieser Zu-
stand aktiviert das Enzym Adenylat-Cyclase, das aus ATP den Second Messen-
6 ger cAMP herstellt.
55 In Anwesenheit von Glucose wird der Phosphatrest von EIIA entfernt und letzt-
lich auf Glucose übertragen. Die Aktivierung der Adenylat-Cyclase bleibt aus,
das nichtphosphorylierte EIIA hemmt zusätzlich die Lactose-Permease LacY,
Lactose gelangt nicht in die Zelle (Induktorausschluss).
Das trp-Operon umfasst die Gene für die Synthese der Aminosäure Tryptophan
(Trp). Wenn kein Tryptophan im Nährmedium vorhanden ist, muss E. coli die
Aminosäure herstellen. Ist es hingegen vorhanden, schaltet das Bakterium die
Transkription ab und spart die Energie für die Synthese der Enzyme ein.
Das trp-Operon gliedert sich in
55 den Promotor,
55 den Operator,
55 fünf Strukturgene für die Synthese von Trp aus Chorisminsäure,
55 ein weiteres Kontrollelement, die Leader-Sequenz oder Leitsequenz (trpL), zwi-
schen dem Operator und dem ersten Strukturgen,
55 das Gen trpR für einen Repressor in einiger Entfernung. Der Repressor vermag
sich allein nicht an den Operator zu binden.
U A
–AAAGGU UGGUGGCGCACUUCCUGAAAC GGGCAGUGUAU CACCA UGCGUAAAGCAAUCAG AUACCCAGCCCGCCUAAU G GCGGGCU UUUUUUU–mRNA
Region 1 Region 2 Region 3 Region 4
Met Lys Ala Ile Phe Val Leu Lys Gly Trp Trp Arg Thr Ser
55 Die zweite Kontrolle führt einen neuen Mechanismus ein, die Attenuation. Sie
kontrolliert nicht die Initiation wie die bisherigen Wege, sondern die Elongation
der Transkription. Die Attenuation führt zu ihrem vorzeitigen Abbruch, falls
die negative Repression nicht vollständig war.
Der Schlüssel zum Verständnis liegt in dem Leader trpL. Er weist besondere
Strukturmerkmale auf (. Abb. 6.4):
55 einen offenen Leserahmen von 14 Codons, zwei davon für Tryptophan,
55 vier Abschnitte oder Regionen, welche die Ausbildung von verschiedenen
Haarnadeln der mRNA erlauben. Diese Unterregion heißt Attenuator.
Die Wirksamkeit der Attenuation basiert darauf, dass bei Bakterien die Trans-
lation an die Transkription gekoppelt abläuft.
55 Sollte es in Anwesenheit von Trp zur Transkription des Operons kommen, so
beginnt E. coli mit der Translation.
55 In Abwesenheit von Trp ist die entsprechende tRNA unbeladen. Folglich ist der
Attenuator frei und kann aus seinen vorderen Bereichen 2 und 3 eine Haar-
nadel ausbilden. Diese Struktur stoppt die RNA-Polymerase jedoch nicht, und
die Transkription läuft weiter (. Abb. 6.5b).
a RNA-
DNA
Polymerase
1 2
mRNA
Ribosom 3 4
Leader-Peptid
b RNA-
DNA
Polymerase
mRNA 1 4
6 Leader-Peptid Ribosom
2 3
.. Abb. 6.5 Regulation des trp-Operons durch Attenuation. Die Ziffern kennzeichnen die vier Ab-
schnitte, die Haarnadeln ausbilden können
Der Phage λ (Lambda) ist ein beliebtes Beispiel für verschachtelte Regulationen.
Sobald der Phage λ seine DNA in eine E.-coli-Wirtszelle injiziert hat, sind zwei
grundverschiedene Wege möglich:
55 Vermehrung, Herstellung neuer Phagen, Zerstörung der Wirtszelle (lytischer
Zyklus)
55 oder Integration der DNA ins Wirtsgenom und Weitergabe mit jeder Zellteilung
von E. coli (lysogener Zyklus, s. 7 Abschn. 9.3.3 und 7 10.4.2).
Die cI- und cro-Gene und die Zielsequenzen der zwei Repressoren sind verschachtelt
und überlappen einander.
6.3 · Regulation der Transkription bei Prokaryoten
149 6
Ob es nach der Infektion zum lytischen oder zum lysogenen Zyklus kommt,
hängt davon ab, welcher Repressor sich eher an seine Zieloperatoren heftet. Denn
dadurch unterbindet er die Expression des jeweils anderen Repressorgens.
Der λ-Repressor des cI-Gens ist ein Angriffspunkt der SOS-Antwort von E.
coli. Darunter versteht man ein Notfallprogramm, das die Zelle in kritischen Situ-
ationen anschaltet (UV-Bestrahlung, chemische Mutagenese, s. 7 Abschn. 11.7.7).
Es sichert das Überleben, der Preis dafür ist eine erhöhte Mutationsrate. Innerhalb
dieser Antwort induziert die Zelle die Bildung der RecA-Protease. RecA spaltet
u. a. den λ-Repressor. Damit ist der Weg frei für den lytischen Zyklus.
Die RNA-Polymerase ist aufgebaut aus dem Core-Enzym und dem σ-Faktor (s.
7 Abschn. 4.5). Der σ-Faktor ist jedoch nur für die Promotorerkennung wichtig.
Nach der Initiation der Transkription löst er sich von dem Core-Enzym.
55 Der Standard-σ-Faktor bei E. coli ist σ70. Insgesamt nutzt das Bakterium sieben
σ-Faktoren.
55 Unter besonderen Umständen (vor allem Stress) ist einer von sechs anderen
σ-Faktoren notwendig, die sich an andere −35- und −10-Regionen des Promo-
tors binden.
55 Sie erkennen Promotoren von Genen, welche die Anpassung an die Stress-
situation gewährleisten. σ32 ist beispielsweise für die Hitzeschockreaktion und
Bildung der Hitzeschockproteine wichtig (. Abb. 6.6 und 7 Abschn. 5.9.1).
70
rpoH-Gen
mRNA
32 Abbau
RNA-Polymerase
Fördert
den Abbau
Hemmt 32
die Bindung
Hitzeschockgene
Hitzeschockproteine,
u. a. Dnaj
.. Abb. 6.6 Unter bestimmten Bedingungen kommt es zur Bildung des σ32-Faktors. Mit diesem
Faktor ist die Transkription weiterer Gene möglich (Hitzeschockproteine). Diese fördern wiederum
den Abbau des σ-Faktors, sodass das System sich selbst reguliert
150 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten
Bacillus subtilis liefert weitere Beispiele für den Einsatz verschiedener σ-Faktoren
als Antwort auf äußere Umstände. Nährstoffmangel ist beispielsweise ein Auslöser
für die Bildung einer Endospore. Die Sporen zeigen keine erkennbare Stoffwechsel-
aktivität und erlauben dem Bakterium, „schlechte Zeiten“ zu überdauern.
55 Die Sporenbildung oder Sporulation ist ein Prozess in mehreren Schritten, bei
dem die Mutterzelle in ihrem Plasma die Endospore bildet.
55 Die Stufen laufen kaskadenartig ab. Auf unterschiedlichen Stufen kommen für
die Genexpression die verschiedenen σ-Faktoren zum Einsatz. Auf einer Stufe
liest die Zelle Strukturgene ab und ein Gen für einen σ-Faktor, mit dessen Hilfe
die RNA-Polymerase die nächstfolgende Stufe betritt und dann die Gene dieser
Stufe abliest usw.
55 Die Sporulation gilt als ein Beispiel für eine Zelldifferenzierung bei Bakterien.
6
6.3.6 Stringente Kontrolle
6.4.2 CRISPR/Cas
a Immunisierung
Repeats
6 L 1 2 3 4 5 6
b cas-Gene Spacer
Guide-RNA
Cas-Komplex
(crRNA)
Protospacer
Immunität
.. Abb. 6.7 Etablierung einer Immunität gegen Phagen über das CRISPR/Cas-System. (Nach Mar-
raffini 2015; mit freundlicher Genehmigung der Nature Publishing Group)
Cas10-
Komplex
PAM
Cas3 PAM
Transkript
.. Abb. 6.8 Je nach beteiligten Cas-Proteinen und Struktur der crRNA unterscheidet man drei
Typen des Mechanismus. PAM bei Typ I und II steht für protospacer adjacent motif, es ist ein kurzes
Motiv vor dem Protospacer. Cas3, Cas6 und Cas9 sind Nucleasen. (Nach Marraffini 2015; mit
freundlicher Genehmigung der Nature Publishing Group)
Mechanismus
1. Die Zelle transkribiert zunächst den gesamten CRISPR-Abschnitt als lange
Prä-crRNA und spaltet diese in die kleineren crRNAs (CRISPR-derived RNA)
oder psiRNAs (prokaryotic siRNA). Diese sind aufgebaut aus einem Spacer,
flankiert von zwei Teilrepeats, den PAMs (protospacer-adjacent motifs). Obwohl
PAM-Sequenzen sehr kurz sind (2 bis 5 bp), sind sie für die Spaltung not-
wendig. Sie werden von den Cas-Proteinen erkannt, und die Zelle unterscheidet
mit ihrer Hilfe fremd von zelleigen.
2. Die als Guide-RNA dienenden crRNAs und die Cas-Proteine bilden zusammen
Ribonucleoproteine.
3. Die crRNA aus den Spacern ist komplementär zur eingedrungenen Phagen-
DNA (Protospacer). Ein Abschnitt des Spacers, die seed-Sequenz, leitet die
Basenpaarung ein. Wenn die crRNA die Phagen-DNA erkannt und gebunden
hat, beginnen die Cas-Proteine mit dem Abbau der Phagen-DNA (. Abb. 6.7
und 6.8).
Regulation der
Genexpression bei
Eukaryoten
Inhaltsverzeichnis
Die Regulation unterscheidet sich bei Eukaryoten zum Teil deutlich von der bei
Prokaryoten:
55 Eukaryoten regulieren in der Regel einzelne Gene und keine Operons.
55 Transkription und Translation der Kern-DNA sind räumlich getrennt. Die
Transkription findet im Zellkern statt, die Translation im Cytoplasma.
55 Auch Eukaryoten nutzen zur Regulation das Prinzip DNA-bindender Proteine.
Es ist indes erheblich facettenreicher, so ist die Vielfalt DNA-bindender Motive
deutlich größer (s. 7 Abschn. 6.2.4).
55 Promotorelemente zeigen mehr Variationen im Aufbau.
55 Weitere cis-regulatorische Elemente kommen hinzu.
55 Die beteiligten Faktoren konkurrieren oder kooperieren miteinander.
55 Sie wirken direkt oder indirekt auch über weite Strecken in der DNA hinweg.
55 Bei Eukaryoten spielen chemische Modifikationen an der DNA eine erhebliche
Rolle. Die Chromatinstruktur und ihre Veränderung gehen einher mit der Regu-
lation der Expression.
55 Die Vielfalt und Anzahl regulatorischer RNA-Moleküle ist erheblich größer als
bei Prokaryoten.
7.3.1 Allgemeines
Der Mensch besitzt mehrere Globingene (. Abb. 7.1), die zu verschiedenen Zeiten
in verschiedenen Geweben exprimiert werden. Die Globinproteine, die zusätzlich
einen Häm-Cofaktor enthalten, transportieren Sauerstoff in verschiedenen Zellen:
55 Das Hämoglobin transportiert Sauerstoff in Erythrocyten,
55 Myoglobin in Muskelzellen,
55 Neuroglobin in Nervenzellen,
55 Cytoglobin kommt in fast allen Zellen vor.
158 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
J1 J2
5' 3'
31 32 99 100 141
Pseudogene
Embryonal Adult
J1 J2
5' 3'
.. Abb. 7.1 Organisation der Globingene auf den Chromosomen 16 und 11. (Nach Buselmaier und
Tariverdian 2007)
Hämoglobin (Hb) ist ein Tetramer, es besteht aus zwei Proteinenketten zweier ver-
schiedener Globine. Man bezeichnet die verschiedenen Varianten mit griechischen
Buchstaben (α, β, γ, δ ε, ζ). Die Proteine von adulten Säugetieren sind vor allem
vom α- und β-Typ.
Thalassämien sind Erkrankungen des Blutes, bei denen die Zellen nicht aus-
reichend Globine bilden.
55 Bei den häufigeren β-Thalassämien fehlen die β-Ketten, sie gehen auf Fehler
beim Spleißen zurück (s. 7 Abschn. 4.9.2).
55 Bei den selteneren α-Thalassämien fehlen die α-Ketten. Die häufigste Ursache
für α-Thalassämien ist ein ungleiches Crossing over während der Meiose mit der
Folge einer Deletion.
In 7 Kap. 4 wurde die Initiation der Transkription und damit auch der Prä-
initiationskomplex vorgestellt. An seinem Aufbau sind allgemeine (oder generelle)
Transkriptionsfaktoren und eine RNA-Polymerase beteiligt. Als Antwort auf ein
Signal sind regulatorische Transkriptionsfaktoren notwendig (auch spezielle oder
spezifische Transkriptionsfaktoren genannt), um die Transkriptionsrate zu er-
höhen.
Die Einteilung erfolgt in Aktivatoren oder Repressoren. Zusätzliche Cofaktoren
(Coaktivatoren oder Corepressoren) unterstützen oder behindern sie dabei. Co-
faktoren können auch Enzyme sein, welche die DNA verändern, z. B. Histon-
Acetyltransferasen. Weitere DNA-Elemente sind ebenfalls beteiligt.
Der Regulationsapparat setzt sich somit zusammen aus:
55 allgemeinen Transkriptionsfaktoren für eine basale Transkription,
55 regulatorischen Transkriptionsfaktoren für die zelltypspezifische und zeitliche
Expression,
55 Cofaktoren für die Unterstützung und Feinregulation, die keinen direkten
Kontakt mit der DNA haben, sondern als Brücke andere, DNA-bindende Pro-
teine verknüpfen,
55 dem Mediatorkomplex (verknüpft Transkriptionsfaktoren miteinander und mit
der RNA-Polymerase II),
55 Chromatinmodulatoren, Antirepressoren und/oder Architektur-Proteine, wel-
che die Chromatin-Struktur ändern,
55 cis-Elementen.
160 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
Eine Hochregulation ist wichtig, weil für die Zellteilung die Menge der rRNAs ver-
doppelt werden muss. Beteiligt daran sind u. a.
55 die Erhöhung der UBF-Konzentration,
55 der Transkriptionsinitiationsfaktor TIFIA,
55 cyclinabhängige Kinasen (CDK1, 2 und 4), die in die Regulation des Zellzyklus
involviert sind und UBF phosphorylieren.
Regulatorische Transkriptionsfaktoren
Das menschliche Genom enthält Gene für rund 1600 Transkriptionsfaktoren,
TF. Sie erlauben die differenzierte Regulation. Die Zahl der Zielgene ist dabei recht
unterschiedlich.
TF besitzen Bindungsmotive und heften sich damit sequenzspezifisch an die
DNA. Ihre Erkennungsmotive sind recht kurz und unterschiedlich. Einige TF bin-
7.4 · Regulation der Gene
161 7
den sich bevorzugt an Sequenzmotive, die methyliert sind, andere TF bevorzugen
unmethylierte Motive.
Beispiele:
55 Sp1 (specificity protein 1) besitzt drei Zinkfinger und bindet sich an GC-Boxen
im proximalen Promotor. Das Protein ist beteiligt an mehreren Prozessen (Zell-
differenzierung, -wachstum, Apoptose u. a.). Es kann mit etlichen Proteinen
interagieren.
55 Das MYC/MAX-Heterodimer mit einem bHLH-Motiv und Leucin-Zipper
(. Abb. 7.2). MYC- und MAX-Proteine sind Schalter für die Zellproliferation
und damit oftmals beteiligt an der Entstehung von Tumoren.
55 ZFP57 besitzt mehrere Zink-Finger. Das Protein erkennt in embryonalen
Stammzellen ein methyliertes Hexanucleotid-Motiv (TGCCGC). Zusammen
mit dem Cofaktor KAP1 binden sich ZFP57/KAP1 an das Motiv innerhalb
von Imprinting-Kontroll-Regionen (ICR, imprinting control region). Diese regu-
lieren die Expression von sogenannten geprägten Genen (s. u., 7 Abschn. 7.8.3).
55 NF-κB ("NF-kappaB") ist ein Komplex. Er kommt in nahezu allen tierischen
Zelltypen vor. Er ist wichtig für Stress- und Immunantworten (beispielsweise
um die κ-Immunglobulin-Gene in B-Lymphocyten zu aktivieren), für Alterungs-
prozesse und den Zelltod. NF-κB erkennt ein Motiv von etwa 10 bp vor den
Zielgenen. Der Komplex liegt im Cytoplasma vor. Hier ist ein Inhibitor-Protein
angelagert, das sich erst auf ein Signal hin von NF-κB löst. Danach gelangt der
Transkriptionsfaktor in den Zellkern und aktiviert seine Zielgene.
a Allgemeine Amplifikation
mRNA-
Gene Transkripte Myc
Myc
Promotor
Zelle
X Y Z X Y Z Myc Y Myc
X Z
.. Abb. 7.2 Wege, wie Myc Gene reguliert: In einigen Zellen führt Myc zu einer allgemeinen Ver-
stärkung oder Amplifikation der Expression (a), zusammen mit anderen Transkriptionsfaktoren
arbeitet Myc selektiv (b), abnormal erhöhte Myc-Konzentrationen bewirken eine Wechselwirkung
mit Enhancern und eine erhöhte Expression über das chromosomale Looping (c). (Nach Dang 2014;
mit freundlicher Genehmigung der Nature Publishing Group)
162 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
Locus-Kontrollregionen
Eine Locus-Kontrollregion (LCR) erhöht die Expression von gekoppelten Genen
der Genfamilien. Beim Menschen stehen mehr als 20 Genfamilien unter der Regu-
lation einer LCR. Eine LCR aktiviert dabei mehrere Promotoren. Die gesamte
LCR besteht aus mehreren einzelnen LCR oder Kopien. Je mehr Kopien vor-
handen sind, desto höher ist die Transkriptionsrate.
Beispiel: Vor den β-Globingenen liegen vier LCRs mit Bindestellen für
Transkriptionsfaktoren, z. B. NF-E2, der die Transkriptionsrate bis auf das 100-
fache erhöht.
Anders als bei Enhancern zeigen sie ihre Wirkung abhängig von der Position vor
den Genen. Gemeinsam mit Enhancern ist ihnen, dass sie über weite Strecken die
Transkription beeinflussen.
Die RNA -Polymerase III transkribiert von drei verschiedenen Promotortypen aus.
Unabhängig vom Promotortyp ist für den Präinitiationskomplex der TFIIIB-
Komplex nötig. Er besteht aus drei Untereinheiten, dem TBP, BRF1/2 und BDP1.
Abhängig vom Promotortyp kommen allgemeine Transkriptionsfaktoren hinzu
wie TFIIIA oder C.
7.5 · Signaltransduktion bei Eukaryoten
163 7
7.5 Signaltransduktion bei Eukaryoten
7.5.1 Überblick
Die Signaltransduktion gewährleistet die Reaktion auf Signale aus der Außenwelt
(äußere Umgebung oder andere Körperzellen). Diese Reaktion setzt dann auf
DNA-Ebene Prozesse in Gang. Beispiele: Reaktion auf Sinnesreize, Krankheits-
erreger oder Hormone.
Grundsätzlich umfasst die Signaltransduktion die Informationsweiterleitung in
die Zelle und ihre Umsetzung. Am Ende steht die Transkriptionskontrolle, jedoch
werden auch Stoffwechselwege (Enzymreaktionen oder Transportvorgänge) beein-
flusst.
Die folgenden möglichen Komponenten findet man immer wieder in Signal-
kaskaden (. Abb. 7.3):
55 Das äußere Signal ist ein Stoff (ein Ligand), der sich an seinen Rezeptor bindet.
Dieses Signal ist der primäre Botenstoff. Durch die Bindung des Liganden ver-
ändert der Rezeptor seine Konformation. Damit ändert sich auch die cyto-
plasmatische Domäne, und sie interagiert mit einem anderen Molekül in der
Zelle.
55 Das Signal gelangt durch die Membran hinweg in die Zelle und bindet sich an
ein anderes Protein.
55 Die Signalweitergabe löst den Transport eines Transkriptionsfaktors in den
Zellkern aus.
Ligand Plasmamembran
P
Rezeptor Cytoplasma Kinase
Nucleus Protein Protein
Plasmamembran Phosphatase
Cytoplasma
a b c
O O O
N N
Ub
P Ub
–O O cAMP Ub
d e OH f Ub
P ATP
ADP
ADP ATP
P Substrat ADP ATP MAPK
P
P (nucleär) (Erk)
DNA Nucleus
JAK-STAT-Signalweg
Signale: Cytokine (Interferon γ, Interleukin IL-1β, IL-6, TNF-α u. a.)
Wirkung: Zellwachstum, Zelldifferenzierung, Migration, Überleben von
Immunzellen
Wichtige Komponenten: JAK (Janus-Kinase oder just another kinase: eine Tyr-
Kinase) und ein STAT-Protein (signal transducer and activator of transcription: ein
Transkriptionsfaktor). Beim Menschen kennt man mehrere verschiedene STAT-
Proteine.
166 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
Ablauf:
1. Ein Cytokin heftet sich an seine Rezeptormoleküle. Die zwei Rezeptormoleküle
lagern sich dann zu einem Dimer zusammen. Auf der cytoplasmatischen Seite
der Rezeptormoleküle ist die JAK am Rezeptor angelagert.
2. Die Bindung des Cytokins an den Rezeptor aktiviert die JAK.
3. Die Kinase phosphoryliert sich selbst, interagiert mit einem STAT-Protein und
phosphoryliert es.
4. Dieses löst sich von dem Rezeptor-JAK-Komplex, dimerisiert und gelangt in
den Zellkern.
Auch andere Signalwege führen zu CREB und aktivieren es. In diesen Wegen fehlt
cAMP, andere Proteinkinasen ersetzen darin die PKA.
Die verschiedenen Signalwege laufen nicht einfach hierarchisch ab. Vielmehr
sind sie miteinander verschränkt und kreuzen sich: crosstalk. Vor allem Phospha-
7.6 · Regulation der Translation
167 7
tasen bilden ein Netzwerk aus. Damit sich die Wege nicht stören, enthalten die je-
weiligen regulatorischen DNA-Sequenzen nicht nur das CRE, sondern auch an-
dere Elemente. In unterschiedlicher Kombination gestatten sie dann eine differen-
zierte Regulation.
Da die Komponenten so vielfältig eingesetzt werden, zeigen Mutationen im CBP-
Gen des Menschen auch vielfältige Auffälligkeiten. Patienten mit dem Rubinstein-
Taybi-Syndrom sind geistig stark eingeschränkt, minderwüchsig, haben abstehende
Daumen und/oder große Zehen und Missbildungen in inneren Organen.
7.5.4 Steroidhormone
7.6.1 eIF4E
7.6.2 eIF2
Der Faktor eIF2 bildet in der Initiation einen ternären Komplex mit der Initiatior-
RNA Met-tRNAMet und GTP. Es entsteht dann eIF2-GDP, und die Zelle muss den
Faktor regenerieren mittels des Austauschfaktors eIF2B.
7.7 · Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz
169 7
Der Faktor eIF2 besteht aus drei Untereinheiten. Die α-Untereinheit trägt ein
Serin, das phosphoryliert wird. In diesem Zustand bilden jedoch die eIF2-Faktoren
einen stabilen Komplex. Der Zelle fehlt dann freier eIF2, und die Proteinsynthese
stoppt.
7.7.1 Überblick
RNA-Interferenz ist ein Vorgang, der die Genexpression auf der Ebene der Trans-
lation reguliert. Sie führt den Abbau der mRNA herbei und/oder verhindert die
Translation. Als wesentliches Charakteristikum tritt doppelsträngige RNA auf.
Die Klasse der regulatorischen RNA-Moleküle umfasst:
55 siRNA: kleine interferierende RNA oder small interfering RNA,
55 miRNA: Mikro-RNA,
55 piRNA: Piwi-interagierende RNA (piwi interacting RNA).
Der Mechanismus der Interferenz für siRNA und miRNA ist ähnlich, Ähnlich-
keiten zu piRNA sind erst zum Ende des Vorgangs vorhanden.
Allgemeiner Ablauf:
Der Kernvorgang für den siRNA- und miRNA-Weg arbeitet mit zwei Komponen-
ten (siehe . Abb. 7.5):
55 Dicer: eine RNase vom Typ III. Dicer spaltet dsRNA-Moleküle in kleinere
doppelsträngige RNA-Schnipsel.
170 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
.. Abb. 7.5 Vergleich der Schritte während der RNA-Interferenzen mit miRNA, siRNA und
piRNA. (Nach Ozata 2019; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
Argonautenproteine:
Argonautenproteine besitzen drei Domänen:
7.7 · Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz
171 7
55 Die PAZ-Domäne (benannt nach den Proteinen Piwi, AGO, Zwille) liegt am
Amino-Ende. Sie bindet das 3′-Ende der jeweiligen RNA.
55 Die Mid-Domäne bindet das 5′-Ende.
55 Die Piwi-Domäne ist eine RNase. Sie übernimmt somit die Spaltung.
Der Weg beginnt mit langen dsRNAs. Diese sind das Ergebnis beispielsweise einer
Virusinfektion bei Pflanzen oder eines genomischen Transkripts der Zelle, transkri-
biert von der RNA-Polymerase III.
1. Das Enzym Dicer spaltet im Cytoplasma die lange dsRNA in kürzere Frag-
mente. Erst diese 21–25 bp kleinen dsRNAs nennt man siRNAs.
2. RISC bindet die Einzelstränge und unterscheidet sie nach der Asymmetrie-
regel: Der Strang mit dem schwächer gepaarten 5′-Ende gilt als Leitstrang und
wird von dem RISC gebunden. Der andere Begleit- oder Passagierstrang wird
abgebaut.
3. RISC bindet den Leistrang so, dass die Basen nach außen zeigen und einen
Köder für eine komplementäre mRNA bilden.
4. Findet der Komplex eine komplementäre RNA, wird sie von dem Argonauten-
protein zerschnitten. Exonucleasen bauen die Produkte weiter ab.
Die siRNAs kommen zwar in Zellen natürlich vor (endogene siRNAs), doch gen-
technologisch nutzt man hergestellte siRNAs mittlerweile als Werkzeuge, um Gene
stillzulegen.
Der Komplex aus siRNA/Argonautenprotein ist auch verknüpft mit der Me-
thylierung von Histonen und der DNA. In S. pombe und A. thaliana sind die drei
Elemente verwoben zu einer sich selbstverstärkenden Schleife. Die Methylierung
rekrutiert Proteine, die die Bildung von siRNAs fördern. Der Komplex aus siRNA/
Argonauten bindet wiederum Proteine, die die Methylierung fördern. Diese posi-
tive Rückkopplung soll die epigenetische Information stabil halten. Die Ver-
knüpfung von Methylierung mit siRNA/Argonauten ist auch aus anderen Organis-
men bekannt, nicht aber die positive Rückkopplung (siehe . Abb. 7.13).
Die miRNA s sind in Zellen deutlich weiter verbreitet, man findet sie in allen höhe-
ren Eukaryoten. Sie werden von eigenen Genen codiert oder liegen in Introns an-
derer Gene. Die miRNAs sind etwa 21 bp kurze, nichtcodierende RNA-Moleküle,
172 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
Die Bindung an ein Zieltranskript ist oft nicht so vollständig wie bei einer siRNA, bei
Tieren kann sie auf die seed-Region (Nucleotide 2 bis 8 der miRNA) beschränkt sein.
Der weitere Weg zur Stilllegung eines Gens hängt von der Komplementarität
ab, der Abbau wie bei einer siRNA ist nur eine Möglichkeit (. Abb. 7.6). Man hat
die Regel aufgestellt: Je besser die Basenpaarung mit der Ziel-mRNA erfolgt, desto
.. Abb. 7.6 Der miRNA induzierte silencing Komplex (miRISC) führt über verschiedene Wege zur
Stilllegung von Genen: Verhinderung der Translation, Deadenylierung der mRNA, Entfernen der
Kappe (decapping) der mRNA und nachfolgender Abbau von 5′ > 3′. (Nach Jonas und Izaurralde
2015; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
7.7 · Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz
173 7
wahrscheinlicher wird ihr Abbau. Von einigen Fällen weiß man mittlerweile, dass
miRNA die Translation auch aktivieren kann. Am häufigsten hemmt der RISC mit
einer miRNA allerdings bloß die Translation der mRNA. Die Hemmung ist über
verschiedene Wege möglich.
1. Kein Ribosomen-Aufbau: Die Argonauten-Proteine holen einen Faktor (eIF6)
heran, der verhindert, dass sich die Untereinheiten der Ribosomen aneinander-
lagern.
2. Keine Elongation: Der RISC-Komplex blockiert die Elongation, weil er den
Ribosomen den Weg versperrt und sich diese von der mRNA wieder ablösen.
3. Cotranslationaler Abbau: Schon während der Translation wird das Protein
wieder abgebaut.
4. Konkurrenz um die 5′-Kappe und Destabilisierung der mRNA: Die Argonau-
ten-Proteine besitzen eine Domäne, die homolog zu dem Abschnitt des eIF4E
ist, der sich an die 5′-Kappe der mRNA heftet. Wenn die mRNA die Bindung
an eIF4E verliert, geht eine wichtige Unterstützung für die Translation ver-
loren. Darüber hinaus kann der RISC-Komplex anderweitig die Schlaufen-
bildung der mRNA unterbinden und/oder die mRNA deadenylieren und die
Kappe entfernen.
Der Weg über eine kurze, zurechtgeschnittene Antisense-RNA als Köder, dem Ein-
fangen einer komplementären Ziel-RNA und dem Abbau dieser RNA in einem
speziellen Komplex ähnelt prinzipiell dem CRISPR-Mechanismus in Bakterien
(siehe . Abb. 7.7).
Nucleus
CRISPR-Locus
Herkunft piRNA-Locus miRNA-Locus
Repeat Repeat Repeat
CRISPR-
Drosha
Transkription
? miRNA siRNA
Cas oder RNase III
crRNA RNA-Synthese piRNA 3' Dicer
5' 3'
crRNA-geführter Überwachungskomplex RNA-induzierter Silencing-Komplex
Cas-Proteine AGO/PIWI
Seed Seed
5' 3' Interferenz 5'
Zielinterferenz Zielinterferenz
Die piRNAs sind in Vorkommen und Funktion deutlich eingeschränkter. Man fin-
det sie vor allem in der männlichen Keimbahn. Ihre vordringliche Aufgabe besteht
darin, schädliche Transpositionen zu unterdrücken, die über eine RNA-
Zwischenstufe laufen.
Darüber hinaus kennt man in einigen Tieren spezielle Funktionen. Beispiel: In
Drosophila wirken sie am Erhalt der Telomere mit. Außerdem sammeln sich Hin-
weise, dass die piRNAs wie ihre Schwestern an der Regulation von mRNAs be-
teiligt sind.
Ihren Namen haben die RNAs von ihrer Bindung an die PIWI-Unterfamilie der
Argonautenproteine.
Unterschiede zum miRNA-Weg:
55 Die piRNAs sind mit 21–35 bp etwas länger als siRNAs und miRNAs.
55 Die Zelle stellt zunächst eine lange, einzelsträngige RNA als Vorläufer her und
7 schneidet diese in die kleinere piRNA.
55 Es entfallen daher die Drosha-/Dicer-Schritte und die Auswahl eines Leit-
strangs.
55 Typische piRNAs tragen am 3′-Ende eine 2′-O-Methylgruppe.
Mechanismus:
55 piRNAs wirken im Kern und im Cytoplasma.
55 Im Kern rekrutieren sie DNA- und Histon-Methyltransferasen. Somit be-
wirken sie eine Methylierung von DNA und Histonen, führen darüber zur He-
terochromatisierung und verhindern die Transkription der Gene von Trans-
posons.
55 Im Cytoplasma erreichen sie (wie die siRNA und miRNA), dass Transkripte
geschnitten werden.
55 Die doppelte Wirkung ist sinnvoll, weil Zellen im Laufe der Spermatogenese
(männlicher Mäuse) das epigenetische Markierungsmuster verändern und der
Schutz vor Transposition somit verloren gehen könnte.
55 trans lncRNAs wirken entfernt von ihrem Genlocus im Kern oder im Cyto-
plasma. Über ihre Funktion im Cytoplasma können sie eingebunden sein in
komplexe Zellvorgänge. Beispiel: NORAD, noncoding RNA activated by DNA
damage, ist eine 5,3 kb lange RNA in menschlichen Zellen verschiedener Ge-
webe. Sie liegt in 300 bis 1400 Kopien pro Zelle vor. DNA Schäden induzieren
die Expression von NORAD. Die RNA wirkt dann mit an dem Zusammenbau
eines Topoisomerase-Komplexes (NARC1), der wesentlich zur DNA-Stabilität
beiträgt.
7.7.6 Transkriptions-Interferenz
Ringförmige RNA-Moleküle sind noch nicht sehr lange bekannt. Wie der Name
besagt, sind das 3′- und das 5′-Ende miteinander verbunden. Auch sie können sich
an Proteine binden, vor allem aber an miRNA-Moleküle.
7.8 Epigenetik
Epigenetik umfasst die Phänome, die für die Genexpression, -funktion und Aus-
bildung des Phänotyps wichtig sind, die aber nicht in der Abfolge der Basen ge-
speichert sind.
Epigenetische Vorgänge basieren auf Modifikationen von (1) Histonen, (2)
DNA-bindenden Proteinen und (3) DNA-Basen (siehe . Abb. 7.8). Oft wirken sie
gemeinsam, beeinflussen sich wechselseitig und erzeugen Veränderungen in der Re-
gulation während der Entwicklung und Differenzierung. Manche Autoren zählen
hierzu auch die RNA-Interferenz und die Dosiskompensation des X-Chromosoms.
Das Epigenom (die Gesamtheit der epigenetischen Information) ist stabil und
bleibt während der Zellteilungen erhalten. Allerdings unterliegt es Umweltein-
flüssen. Der Ernährungszustand der Mutter während der Schwangerschaft wirkt
7.8 · Epigenetik
177 7
alle entscheidenden
Chromatin-
TFs, TAFs
Veränderungen p300/HAT
und PCAF
epigenomische TRR KMT
RNA polymerase Promotor- Signatur
Aktivität Funktion der
(RNA processing) Enhancer
Kontrolle der
Wechselwirkung zwischen
Transkription
Enhancer und Promotor
Trithorax- MLL-SET1
CTCF Architektur-Proteine
Stimulation Familie
SWI/SNF Remodeling
Polycomb- EZH2 und EED
Stilllegung
BAF PRC1 und PRC2
DNA-Reparatur
DNA-Methylierung
DAXX and ATRX
DNMT und TET
H2A.X
Stilllegung
repetitiver X-Inaktivierung
Elemente
konstitutives Imprinting
DNA-me Heterochromatin RNAi
ESET Repression
SUV39H1
HP1
sich auf die epigenetischen Zustände der Nachkommen aus. Dadurch können die
Nachkommen anfälliger werden für Erkrankungen oder Störungen wie beispiels-
weise Diabetes.
Epigenetische Regulation führt auch zur genetischen Prägung oder zum Im-
printing. Die Expression sogenannter geprägter Gene ist abhängig davon, ob es
sich um das mütterliche oder das väterliche Allel handelt. Dabei exprimiert die
Zelle jeweils nur das vom Vater oder von der Mutter stammende Gen.
Beispiel: Igf2-Gen (insulin-like growth factor) der Maus. Der Embryo exprimiert
nur das väterliche Allel (siehe auch Prader-Willi-/Angelman-Syndrom, 7 Abschn.
12.2.3).
55 In der frühen Phase der Keimzellentwicklung löscht die Zelle das alte Muster
und erstellt später ein neues, geschlechtsspezifisches Muster.
55 Für das Imprinting sind vor allem Methylierungen der DNA durch Methyl-
transferasen verantwortlich. Die Regulation geht von einer Kontroll-Region
aus.
7.8.1 Chromatin-Remodeling
7.8.2 Histonmodifikationen
Überblick
Die Histone der Nucleosomen besitzen:
55 innere Proteindomänen, für die Wechselwirkung mit anderen Histonen und den
Aufbau des Kernbereichs,
55 flexible N-terminale Schwänze oder tails für die chemischen Modifikationen.
Die N-Termini sind wie eine Angelschnur mit Haken, der die Proteine ködert
sowie heranzieht und die DNA bindet oder, je nach Modifikation, die Bindung
zur DNA löst.
Da die DNA negativ geladen ist, zeichnen sich die Abschnitte für die DNA-
Bindung (meist) durch positiv geladene Aminosäurereste aus. Hier kommt es zu
den Modifikationen. In erster Linie sind die folgenden vier Reaktionen wichtig:
55 Phosphorylierung,
55 Acetylierung,
55 Methylierung und
55 Ubiquitinierung/Ubiquitinylierung
55 weitere, seltenere oder weniger erforschte Modifikationen sind z. B. Sumoylie-
rung, Lactylierung, Serotonylierung oder Dopaminylierung (die letzten zwei in
Nervenzellen des Gehirns).
7.8 · Epigenetik
179 7
HATs MBD2
UHRF1 KDMs + HDACs
HMTs
HP1 TET
DNMTs BRG1 TDG
DNA Histon-
oktamer
.. Abb. 7.9 Überblick über die Etablierung und Entfernung epigenetischer Informationen an den
Histonen und der DNA. BRG1: Brahma-related gene 1, MBD2: Methyl-CpG-bindendes Domänen-
protein, UHRF1: Protein, das Methylierung erhält, TDG: Thymin-DNA-Glykosylase; weitere Er-
läuterungen im Text
Heterochromatin-
ausdehnung
55 Die Acetylierung von Lysin-Resten schafft eine Andockstelle für Proteine mit
einer Bromodomäne (siehe . Abb. 7.12). Proteine mit dieser 110-Aminosäuren
umfassenden Domäne lockern die Nucleosomen-Ordnung weiter auf und ma-
chen die Region wieder zugänglich (Beispiel: H3K14ac).
55 Die Ubiquitinierung von Lysin in der Position H2AK119 reprimiert die Tran-
skription.
Methylierung
Zielaminosäuren für die Methylierung sind in der Regel Lysin und Arginin. Lysin
erhält bis zu drei Methyl-Reste angehängt, Arginin bis zu zwei.
55 Histon-Methyltransferasen (HMT) übertragen einen Methylrest.
55 Histon-Demethylasen (HDM) entfernen ihn. Spezifische Methylasen heißen
z. B. Lysin-Demethylasen (KDM, K für Lysin).
Acetylierung
Acetylierungen lockern das dicht gepackte Chromatin auf und fördern die Tran-
skription.
55 Histon-Acetyltransferasen (HAT) übertragen den Acetylrest, Beispiele: Eine
Untereinheit (TAF1, TBP-assoziierter Faktor 1) des allgemeinen Transkriptions-
faktors TFIID und viele Coaktivatoren wie p300/CBP (CREB-binding protein)
besitzen Acetyltransferase-Aktivität.
55 Histon -Deacetylasen (HDAC) entfernen ihn.
55 Im Heterochromatin fehlt die Histon-Acetylierung. Das gilt für das fakultative
wie für das konstitutive Heterochromatin.
182 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
7.8.3 DNA-Methylierung
Mütterlich Väterlich
Körperzellen
Primordiale
Imprinting-Muster
Keimzellen
gelöscht
Gameten
Geschlechtsspezifische
Imprinting-Erneuerung
BEFRU
CHTUNG
Zygote
Korrektes Imprinting-Muster hergestellt
und permanent etabliert
Mütterlich imprimiert
Väterlich imprimiert
.. Abb. 7.11 Genomisches Imprinting: Während der Bildung der Gameten bekommen die Chromo-
somen ein neues Imprinting-Muster. (Nach Schaaf und Zschocke 2013)
184 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
.. Abb. 7.12 An acetylierte Histone kann sich die Bromo-Domäne von Proteinen binden und das
Chromatin aktivieren, während sich an methylierte Histone die Chromo-Domäne von Proteinen hef-
tet und das Chromatin deaktiviert. HAT Histon-Acetyltransferase, KMT Lysin-Methyltransferase.
(Nach Allis und Jenuwein 2016; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
7.8 · Epigenetik
185 7
TRAMP und
Exosom
H3K9me2 oder
H3K9me3
Repeats
des Centromers
.. Abb. 7.13 Epigenetische Vorgänge verstärken einander über positive Rückkopplung (hier in S.
pombe). Die Zelle verkuppelt miteinander die Synthese von siRNA und die Modifikation von Chro-
matin. In dem RITS-Komplex (RNA induzierte transkriptionale Stillung) lagern sich eine lncRNA
und siRNA aneinander. Der RDRC (RNA-abhängiger RNA-Polymerase Komplex) verlängert die
siRNA zu einer doppelsträngigen RNA. Dicer1 stellt daraus weitere siRNA-Moleküle her. Die neuen
siRNA-Moleküle bilden weitere RITS-Komplexe mit den Proteinen Ago1 und Chp1. Das Chp1-Pro-
tein heftet sich selbst und damit den Komplex an Nucleosomen. Die Verankerung erfolgt über methy-
liertes Lysin in den Histonen. In dem Komplex ist eine Methyltransferase vorhanden (Clr4), die für
die weitere Methylierung an den Histonen sorgt. An die frisch methylierten Histon-Lysine binden
sich Proteine (Swi6), die einerseits die Bindung des RDRC verstärken und andererseits (zusammen
mit Chp2) zur Deacetylierung von Histon führen (mit Hilfe von SHREC). Dadurch ist der weitere
Zugang der RNA-Pol II zur DNA verhindert. Darüber hinaus werden RNAs abgebaut von TRAMP
und Exosomen. (Nach Holoch und Moazed 2015; mit freundlicher Genehmigung von Springer Na-
ture)
187 8
Formalgenetik und
Geschlechtsbestimmung
Inhaltsverzeichnis
Die Formalgenetik umfasst die klassische Genetik mit den Vererbungsregeln nach
Mendel, den sogenannten Mendel’schen Regeln, der Weitergabe genetischer Infor-
mationen von einer Generation zur nächsten und der Ausprägung des Phänotypen.
Man unterscheidet bei Eukaryoten zwei Kernteilungen, Mitose und Meiose. Die
Meiose ist die Voraussetzung zur Bildung der Keimzellen, in ihr werden Chromo-
somen gebrochen und neu verknüpft (Rekombination). Genkarten geben die Lage
von Genen an. Die Geschlechtsbestimmung erfolgt bei höheren Organismen geno-
typisch. Fehler während der Rekombination können die Ursache für Fehlbildungen
beim Menschen sein. Die Populationsgenetik untersucht Vererbungsvorgänge in
Populationen.
8.2 Grundbegriffe
8.2.3 Schreibweise
8
Betrachtet man die Vererbung von Merkmalen, gibt man für Allele nur einen Buch-
staben als Symbol an. Ein kursiver Großbuchstabe A steht für das Allel des domi-
nanten Merkmals, ein Kleinbuchstabe a für das rezessive. So steht Aa für einen
heterozygoten Genotypen. Mehrere Gene listet man hintereinander auf: AAbb.
Liegen die Gene auf einem Chromosom eng beieinander, so werden sie zu-
sammen vererbt und bilden eine Kopplungsgruppe. Dann gibt man den Genotypen
pro Chromosom an und trennt durch Schräg- oder Bruchstrich die Chromosomen:
ABc/abc. Die Lage eines Gens auf einem Chromosom ist sein Genort oder Genlo-
cus (Plural: -loci).
Die Korrelation zwischen dem Genotypen und dem Phänotypen ist nicht immer
simpel und nicht in allen Fällen ergibt der gleiche Genotyp den gleichen Phäno-
typen. Ob ein Gen tatsächlich zur Ausprägung eines Phänotypen führt oder nicht,
gibt die Penetranz an. Bei vollständiger Penetranz führt das Gen immer zur Aus-
bildung des Merkmals, bei unvollständiger Penetranz nicht. Die Eigenschaft ist
unter Umständen gar nicht vorhanden. Penetranz ist zur Beschreibung erblich be-
dingter Erkrankungen wichtig (Kap. 7 12).
Sind Individuen beispielsweise trotz gleicher Mutation von einer Erbkrankheit
unterschiedlich stark betroffen, liegt eine variable Expressivität des Genotyps vor.
Ist ein Merkmal wie bei einer erblich bedingten Krankheit auf ein einzelnes
Gen zurückzuführen, ist es monogen. Ein polygenes Merkmal wird von vielen
Genen erzeugt. Umgekehrt kann ein Gen auch mehrere Merkmale bestimmen
oder ausprägen, was man als Pleiotropie bezeichnet. Ist ein solches Gen beim Men-
schen mutiert, ergeben sich oft ungewöhnliche Kombinationen von Symptomen.
8.3 · Mitose und Meiose
191 8
8.2.5 Unterscheidung von Merkmalen
Bei eukaryotischen Zellen bilden Kern- und Zellteilung mit der Interphase einen
typischen Zellzyklus. Die Interphase umfasst die Phasen G1, S und G2.
8 Am Ende der Meiose sind aus einer Zelle, die jeweils zwei homologe Chromo-
somen mit jeweils zwei Schwesterchromatiden enthielt, vier Zellen entstanden mit
jeweils einer Chromatide.
A B
A b
Einfach-
Crossing- a × b
a B
Genkopplung
aufgehoben
over
A B
A B
Doppelt-
Crossing-
over
a × × ab a b
Genkopplung
erhalten
A B
A b
Dreifach-
Crossing-
over
a × × × b a B
Genkopplung
aufgehoben
A B
A B
Vierfach-
Crossing-
over
a × × × × b a b
Genkopplung
erhalten
8.3.2 Kernphasenwechsel
Je nachdem, wann Meiose und Befruchtung aufeinander folgen, ist der entstehende
Organismus ein Diplont, Haplont oder Haplo-Diplont (. Abb. 8.2).
55 Diplonten sind Tiere (und manche Einzeller).
55 Beispiel Mensch: Aus der Zygote entwickelt sich der Organismus mit diploiden
Körperzellen (Somazellen). Die spezialisierten Keimdrüsen produzieren hap-
loide Gameten: Eizellen und Spermien.
55 Viele Pilze und einige Einzeller sind Haplonten. Die entstandene Zygote teilt
sich unmittelbar nach der Befruchtung meiotisch und erzeugt haploide Sporen.
Aus ihnen wachsen haploide Organismen heran, die haploide Gameten bilden,
aus denen die Zygote entsteht.
55 Viele Pflanzen und manche Einzeller sind Haplo-Diplonten. Aus der Zygote
entwickelt sich ein diploider Organismus (Sporophyt). Bestimmte Zellen teilen
sich meiotisch und bilden haploide Meiosporen. Aus diesen wächst ein haploi-
der Organismus heran (Gametophyt), der haploide Gameten bildet, die wieder
zur Zygote fusionieren.
194 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
a Haplont b Diplont
(viele Pilze und einige Einzeller) (Tiere und manche Einzeller)
Gameten
Gameten
n
n Zygote Befruchtung
Befruchtung 2n n n n n Zygote
Sporen Meiocyte II
n n n n 2n
n n n n
M ei n n
os Meiocyte I
e se
n io 2n
2n
e
M
n
2n
n
M
os s
it
e
2n M it o
n
n 2n
Haplo-Diplont
8 (viele Pflanzen und einige Einzeller)
c Gameten
n Zygote
Befruchtung 2n
n
2n
hyt
n
G a meto p
os
M it
Spo r o ph yt
M i t o se
2n
n
ei
M
n n o se
n n
2n
Sporen n n
2n
Meiocyte II
Meiocyte I
Meiose I
In der S-Phase hat die Zelle die DNA von jedem homologen Chromosomenpaar
verdoppelt. Jedes Chromatid liegt vierfach vor. Der C-Wert gibt den Gesamt-
DNA-Gehalt an: 4C. Die zwei Chromatiden eines Chromosoms heißen Schwester-
chromatiden. Die Zelle tritt in die Meiose I ein.
8.3 · Mitose und Meiose
195 8
a Interphase b Prophase I: Leptotän c Prophase I: Zygotän
1
2 1
Inter -
locking
3 2
3
X
2 3
3 2 1
1
3
X X
2
g Metaphase II h Anaphase II
3 X 2 1 3 2 1
3 2 1 3 2 1
i Telophase II
.. Abb. 8.3 Die einzelnen Stadien und Phasen der Meiose am Beispiel von drei Autosomen und dem
X-Chromosom. Beim Interlocking sind Homologe zwischen anderen Paarungschromosomen ein-
geschlossen
55 Zygotän: Paarungsbeginn.
–– Die homologen Chromosomen richten sich von den Telomeren her aus und
lagern sich aneinander. Den Prozess der Paarung nennt man Synapsis. Die
zusammenliegenden Chromosomen heißen Bivalente. Will man hervor-
heben, dass in einem Bivalent vier Chromatiden vorliegen, verwendet man
den Ausdruck Tetrade.
–– Ein Proteingerüst hält die Bivalente zusammen. Chromosomen und Protein-
gerüst zusammen bilden den synaptonemalen Komplex.
55 Pachytän: vollständige Paarung.
–– Die Bivalente sind jetzt voll ausgebildet und beginnen die Kondensierung, sie
verkürzen und verdicken sich.
–– Die Nicht-Schwesterchromatiden eines homologen Chromosomenpaares
überkreuzen sich (Crossing over). Längere Chromosomen überkreuzen sich
oft mehrfach.
–– Die Geschlechtschromosomen (Gonosomen) sind oft unterschiedlich auf-
gebaut. Das Y-Chromosom des Menschen ist beispielsweise deutlich kürzer
als das X-Chromosom. Sie besitzen aber jeweils zueinander kurze homologe
Bereiche, die pseudoautosomale Region. Dort kommt es bei den Gonosomen
8 zum Crossing over (s. u.).
55 Diplotän: Die Chromosomen verdicken sich weiter.
–– Die homologen Chromosomen bewegen sich voneinander weg, bleiben aber
an den Crossing-over-Punkten noch durch sichtbare Kreuzstrukturen, so-
genannte Chiasmata (Singular: Chiasma), verbunden.
–– Es kommt schließlich zum Bruch der Chromatiden und zur Neuverknüpfung
(Rekombination) von mütterlichen und väterlichen DNA-Abschnitten.
–– Die Zelle baut allmählich den synaptonemalen Komplex ab.
55 Diakinese: Die Trennung der homologen Chromosomen geht weiter, ebenso die
Verdickung. Die Chromosomen lösen sich von der Kernmembran, diese be-
ginnt sich aufzulösen. Der Kern tritt in die nächste Meiosephase ein.
55 Metaphase I: Die Kernmembran löst sich auf. Die Chromosomen ordnen sich
in der Äquatorialebene an. Sie sind jetzt stark kondensiert.
55 Anaphase I: Die Spindelfasern aus Tubulinproteinen und den Motorproteinen
Dynein sowie Kinesin ziehen die homologen Chromosomen zu den Polen der
Zelle. Dadurch erfolgt die Segregation genannte zufällige Trennung und Ver-
teilung väterlicher und mütterlicher Chromosomen.
55 Telophase I: Die Zelle bildet neue Kernhüllen, und es formen sich neue Zell-
kerne um die getrennten Chromosomen.
In einigen Fällen geht die Zelle direkt von der Anaphase I in die Prophase II der
zweiten Teilung über. Ansonsten folgt eine kurze Zwischenstufe, die Interkinese, in
der die Chromosomen ihre Struktur etwas auflockern.
8.3 · Mitose und Meiose
197 8
Meiose II und Mitose
Formal sind die Meiose II und die Mitose einander sehr ähnlich.
55 Während die erste Teilung (Meiose I) die homologen Chromosomen re-
kombiniert und getrennt hat, trennt die Meiose II die unterschiedlichen
Schwesterchromatiden. Die Meiose II ist die Äquationsteilung.
55 Die Mitose von Körperzellen trennt die Schwesterchromatiden der homologen
Chromosomenpaare. Es entstehen zwei Tochterzellen, die jeweils beide homo-
logen Chromosomenpaare, bestehend aus je einem Chromatid, besitzen.
55 Die Zellen nach der Meiose II haben einen C-Wert 1C, die Zellen der Mitose 2C.
Der Spindelapparat bei der Mitose und Meiose bildet zwei Pole aus Mikrotubuli
strukturen. Er erscheint sternförmig.
1. Die Centrosomen organisieren den Spindelapparat. Ein Paar Centriolen (be-
stehend aus Mikrotubuli) bildet ein Centrosom. Während der S-Phase wird das
Centrosom verdoppelt.
2. Vor Beginn der Teilung trennen sich die Centrosomen und bewegen sich jeweils
zu den Polen.
3. Die Centrosomen schieben die Mikrotubuli zu den Polen.
4. An den Mikrotubuli kommen zwei Transportproteine vor: Dynein und Kinesin.
Sie ermöglichen den gerichteten, entgegengesetzten Transport an den Mikrotu-
buli. Dazu binden sie ihre „Fracht“ und bewegen sich an den Mikrotubuli ent-
lang.
5. Während der Metaphase ordnen sich die Chromosomen in der Äquatorial-
platte an und bilden eine sternförmige Struktur (Monaster).
6. Wenn sie während der Anaphase zu den Polen gezogen werden, bilden sich zwei
sternförmige Strukturen (Diaster).
7. Geht die Zelle in die Zellteilung über, bildet sie einen kontraktilen Ring aus
Actin und Myosin, der die Zelle ein- und zusammenschnürt, bis die Membra-
nen aufeinandertreffen und sich zwei getrennte Zellen bilden.
8. Die Mikrotubuli depolymerisieren wieder.
198 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
Urgeschlechtszelle
Spermatogonien I. Vermehrungsperiode
II. Wachstumsperiode
Spermatocyten I
z Spermatogenese
1. Ein Teil der Spermatogonien wandert zu den Hodenkanälchen und wird nun
als primäre Spermatocyten bezeichnet. Ein Teil bleibt als Reservoir zurück und
kann sich bis ins hohe Alter mitotisch teilen und später zu Spermien werden.
2. Die primären Spermatocyten durchlaufen die Meiose I und werden zu sekundä-
ren Spermatocyten, diese durchlaufen die Meiose II und bilden dann insgesamt
vier Spermatiden. In der Spermiogenese reifen sie zu Spermien heran.
z Oogenese
Die Oogenese verläuft asymmetrisch.
1. Oogonien differenzieren sich zu primären Oocyten. Die Mitosen enden im ers-
ten Lebensjahr.
2. Primäre Oocyten teilen sich in der Meiose I in eine große sekundäre Oocyte und
einen kleinen Polkörper.
3. Das Diplotän der Prophase I kann allerdings Monate bis Jahre dauern. Dieses
Stadium des angehaltenen Diplotäns heißt Dictyotän.
4. Das Ergebnis der Meiose II ist dann eine große Eizelle und drei kleine Pol-
körper. Nur die Eizelle kann befruchtet werden.
8.3 · Mitose und Meiose
199 8
In männlichen Zellen treten im Durchschnitt etwa 55 Crossing over pro Zelle auf,
in der weiblichen Zelle können es um die 80 sein.
Fehler
Mögliche Fehler während der Zellteilungen, die zu Mutationen führen, sind:
55 Non-Disjunction (Nondisjunktion). Gepaarte Chromosomen werden in der
Anaphase I nicht getrennt. Die resultierenden Zellen weisen Chromosomen
dann in Über- oder Unterzahl auf.
55 Dieser Fall kann auch in der Anaphase II oder in einer normalen Mitose ein-
treten und dann die Schwesterchromatiden betreffen.
55 Nichthomologe Chromosomen lagern sich aneinander und rekombinieren.
Fehler während der Meiose haben Auswirkungen auf die Nachkommen, Fehler in
der Mitose führen zu einem Mosaik im Gewebe: Es weist normale Zellen auf und
solche mit der Mutation.
Wichtig für die Auflösung des Zellkerns ist der Einfluss auf die Lamine. Diese fila-
mentösen Proteine tragen zur Stabilität der inneren Kernmembran bei. Man unter-
scheidet A-Typ-Lamine und B-Typ-Lamine.
Die von dem MPF phosphorylierten Proteine führen zur:
55 Depolymerisation der Lamine. Die Lamine lösen sich von ihren Bindungs-
partnern in der Kernhülle, wodurch sich die Kernlamina und die Kernhülle auf-
lösen. B-Typ-Lamine bleiben an Membranfragmente gebunden.
55 Kondensation des Chromatins.
55 Ausbildung des Spindelapparats aus Mikrotubuli. Mikrotubuli bestehen aus
zahlreichen Tubulinproteinmolekülen. Kinetochormikrotubuli setzen am Kine-
tochor an und reichen zu einem Pol, polare Mikrotubuli erstrecken sich vom Pol
durch die Zelle zum anderen Pol.
200 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
Das Punnett-Schema erlaubt eine schnelle Übersicht über die möglichen Geno-
und Phänotypen, vor allem bei mehreren Allelen. Man zeichnet eine Tabelle und
trägt in die oberste Zeile die möglichen Genotypen der weiblichen Gameten, in die
erste Spalte die möglichen Genotypen der männlichen Gameten. Aus dem Schnitt-
punkt oder den Schnittpunkten folgen die möglichen Genotypen der Zygote.
Bei einem intermediären Erbgang, bei dem sich das dominante Allel in der F1
unvollständig ausprägt, liegt der Phänotyp zwischen dem der Eltern. Rote und
weiße Blüten führen zu rosa Blüten der F1, aber auch hier ist die F1 uniform. Die
Farben von Blüten oder dem Gefieder von Vögeln sind typische Beispiele für inter-
Punnett-Schema
Phänotyp
P-Generation A
Genotyp × Aa
AA aa
P-Generation
a
Gametentypen der
A a
P-Generation
F1-Generation Aa
mediäre Erbgänge. Meist codiert das dominante Allel ein Enzym für die Farbstoff-
synthese, dessen Dosis durch den heterozygoten Genotypen zu gering ist.
A a
Phänotyp AA Aa
F1-Generation
A
Genotyp Aa × Aa
F1-Generation
Aa aa
Gametentypen der
A a A a
F1-Generation a
II Rr II rr Ii Rr Ii rr
Ir
I i I i Ii RR Ii Rr ii RR ii Rr
iR
R r r R
Ii Rr Ii rr ii Rr ii rr
IR ir Ir iR ir
z Beispiel
Die Merkmalspaare glatte (R)/runzelige (r) Samenoberfläche und grüne (I)/gelbe
(i) Samenfarbe liegen auf getrennten Chromosomen (. Abb. 8.7). Die P-Generation
mit den Genotypen RRII („glatt und grün“) und rrii („runzelig und gelb“) bildet
die Gameten RI und ri. Die Zygote enthält dann den Genotypen RrIi. Somit sind
die Individuen der F1-Generation uniform heterozygot („glatt und grün“), und die
erste Regel ist bestätigt.
Das Punnett-Schema zeigt, welche Gameten die F1 bildet, welche Genotypen
und Phänotypen daraus resultieren und welche neuen Kombinationen sich zeigen.
Die vier Phänotypen spalten sich im Verhältnis 9:3:3:1 auf. Kombiniert man ein
dominant-rezessives Merkmal mit einem unvollständig dominanten, ändert sich
das Verhältnis und fächert sich weiter auf.
8.5 Statistik
8.6 Kopplung
Mendel wusste nicht, dass seine untersuchten Merkmale tatsächlich von Genen
auf zwei verschiedenen Chromosomen codiert waren.
Liegen zwei Gene auf einem Chromosom nahe beieinander, bilden sie eine
Kopplungsgruppe. Sie werden gemeinsam vererbt, und die dritte Mendel’sche Regel
trifft nicht zu.
Ein Crossing over in der Meiose hebt die Kopplung auf.
55 Bei vollständig gekoppelten Genen passiert das nicht. Aber je weiter entfernt
zwei Gene auf einem Chromosom voneinander sind, desto wahrscheinlicher ist
ein Crossing over und desto größer ist ihre Rekombinationshäufigkeit (RF).
55 Gene, die nahe an den zwei Enden eines Chromosoms liegen, erscheinen dann
nicht mehr wie gekoppelt, sondern wie auf getrennten Chromosomen liegend.
Die RF kann 50 % nicht überschreiten.
Betrachtet man Gene, die auf einem Chromosom liegen, so ergeben sich nach
einem Crossing over Abweichungen in den Zahlenverhältnissen der Mendel’schen
Regeln. Da andererseits das Zahlenverhältnis nie exakt erreicht wird, muss man bei
mehreren Merkmalen entscheiden, ob die Abweichungen noch „statistisch“ sind
oder auf eine Kopplung hindeuten. Dazu wendet man wieder den χ2-Test an.
8.7 · Biologische und physikalische Genkarten
205 8
8.7 Biologische und physikalische Genkarten
Genkarten geben die Lage von Genen und regulatorischen Elementen im Genom
an. Die erste Genkarte stellte man für Drosophila auf.
Die Vorgehensweise stützt sich auf die Wahrscheinlichkeiten von Re-
kombinationen:
55 Man untersucht, ob nach Kreuzungen Merkmale in neuer Kombination auf-
treten. Eine neue Kombination ist ein Hinweis auf eine homologe Re-
kombination.
55 Je häufiger man Rekombinationen feststellt, desto weiter entfernt sind zwei
Genloci auf einem Chromosom.
55 Um festzustellen, ob ein zweifaches Crossing over stattgefunden hat, arbeitet
man mit drei Merkmalen. Man spricht von einer Drei-Faktor-Kreuzung.
55 So gelingt es, Gene relativ zueinander zu kartieren und damit die Reihenfolge zu
bestimmen.
Man sieht dabei die Gene nicht als ausgedehnte DNA-Abschnitte an, sondern als
Punkte oder punktuelle Genmarker. Als Einheit führte man zu Ehren des Geneti-
kers Thomas Hunt Morgan das Centimorgan (cM) ein. 1 cM entspricht einer Re-
kombinationshäufigkeit von 1 %.
Die Methode lässt indes außer Acht:
55 Oft ergeben sich mehrere Crossing over in einem Chromosom.
55 Ein Crossing over unterdrückt wiederum ein weiteres in seiner unmittelbaren
Nachbarschaft (Chiasmainterferenz).
55 Bei weiblichen Organismen ergeben sich mehr Crossing over als bei männlichen.
55 In der Nähe der Telomere erfolgen Crossing over häufiger als in der Nähe eines
Centromers.
Für eine biologische Genkarte des Menschen und die Kartierung von Krankheits-
genen untersuchte man unter anderem Familienstammbäume und Polymorphismen
(s. a. 7 Abschn. 15.3 und 15.4).
Durch die Sequenzierung ganzer Genome ist das Kreuzungsverfahren weit-
gehend aus der Mode gekommen. Die Genomsequenzierung führt zu einer physika-
lischen oder molekularen Karte, bei der die Basenabfolge bestimmt wird. Größen
und Abstände gibt man somit in bp, kb oder Mb an.
Da eine einzelne Sequenz noch keine Information über die Funktion liefert, hat
man in Datenbanken Sequenzinformationen und experimentelle Ergebnisse zu An-
notierungen von Genomen (s7 . Abschn. 15.3.4) vereinigt.
206 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
8.8.1 Abweichungen
z Beispiele
55 Von Ratten kennt man eine Knorpelanomalie, die homozygot einen abnormalen
Brustkorb und Herzversagen hervorruft.
55 Menschen mit der autosomal-rezessiven Erbkrankheit Xeroderma pigmento-
sum sterben oft in den ersten Lebensjahren wegen eines Defekts in DNA-
Reparaturenzymen.
Das Kerngenom kontrolliert die meisten Merkmale. Man bezeichnet sie als men-
delnde Merkmale und sagt, „sie mendeln“. Beim Menschen zählen dazu die Blut-
gruppen und monogene Erbkrankheiten.
Demgegenüber unterliegt das Erbgut in Mitochondrien oder Plastiden nicht
den Mendel’schen Regeln.
55 Es wird davon unabhängig vererbt, weil es anders repliziert wird (s.
7 Abschn. 3.9).
55 Zudem erfolgt die Weitergabe statistisch: Die Tochterzellen erhalten nicht
zwingend die gleiche Anzahl an Organellen.
55 In Zellen können unterschiedliche Mitochondrien oder Plastiden vorliegen,
wenn die DNA mutiert und repliziert wird.
–– Haben die Organellen den gleichen Genotypen, spricht man von Homoplas-
mie.
–– Unterscheiden sich die Organellen, liegt Heteroplasmie vor. In diesem Fall
kann es passieren, dass sich die zwei Organelltypen so unterschiedlich auf
die Tochterzellen verteilen, dass eine Zelle überwiegend das Organell mit der
Mutation erhält und dann beispielsweise kein Chlorophyll mehr synthetisiert
und farblos ist.
55 Die cytoplasmatische Vererbung betrifft auch endosymbiontische Bakterien, die
im Zellplasma leben.
Haplonten (s. 7 Abschn. 8.2.2) bieten Vorteile für die genetische Analyse:
55 Da sie zu Zygoten fusionieren, die sich meiotisch teilen, kann man an ihnen alle
Aspekte der Meiose studieren.
55 Man braucht nur eine Meiose zu untersuchen und nicht zwei unterschiedliche
wie bei diploiden Organismen mit Meiosen in männlichen und weiblichen Ga-
meten.
208 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
55 Da die Organismen haploid leben, hat man keine Probleme mit Dominanz und
Rezessivität. Der Genotyp zeigt sich unmittelbar im Phänotypen.
55 Sie sind einfache, billige, schnell wachsende Untersuchungsobjekte.
55 Viele Organismen wie Pilze und Bäckerhefe sind auch biotechnologisch rele-
vant.
Bei der Tetradenanalyse vergleicht man die vier Sporen eines Organismus, die aus
einer Meiose der Zygote hervorgehen. Die Methode wird zum Studium von Cros-
sing over, Interferenz und abnormen Chromosomensätzen eingesetzt.
Pilze zieht man auch heran, um die mitotische Rekombination und Segregation
zu untersuchen. Ein Modellorganismus ist z. B. der Gießkannenschimmel
Aspergillus. Sein Sporenträger sieht aus wie ein Gießkannenstrahl.
1. Dazu sind diploide Zellen notwendig, die man erhält, indem man zwei haploide
Kulturen vermischt.
2. Die Hyphen verschmelzen, und es liegen zunächst zwei unterschiedliche Kerne
im Cytoplasma. Die Zelle ist ein Heterokaryon.
3. Schließlich verschmelzen die zwei Kerne spontan, wodurch die Zelle diploid
wird.
8 4. Diese teilt sich erst meiotisch, anschließend mitotisch.
Chemische Signale für die Geschlechtswahl stammen oft von Artgenossen. Man
kennt beispielsweise im Meer lebende Igelwürmer (Bonellia viridis), deren adulte
weibliche Tiere Pheromone bilden.
55 Trifft eine undifferenzierte Igelwurmlarve auf ein adultes weibliches Tier,
nimmt dieses die Larve auf.
55 Signale der Weibchen lösen die Entwicklung zu Männchen aus, die im Uterus
der Weibchen leben.
Pflanzen
Bei Pflanzen findet man nur in wenigen Fällen zwei phänotypisch unterscheidbare
Individuen, wie man es von Tieren oft gewohnt ist. Diese Pflanzen nennt man diö-
zisch oder zweihäusig. Sie bilden männlich und weiblich getrennte Pflanzen mit ver-
schiedenen Blüten aus. Diözie ist unter den Pflanzenfamilien zwar weit verbreitet,
210 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
aber nicht häufig. Nur einige Familien sind ausschließlich zweihäusig, z. B. die
Weidengewächse.
Die meisten Pflanzen (z. B. Mais) sind monözisch oder einhäusig. Sie haben
männliche und weibliche Blüten auf einer Pflanze. Allerdings kann der Anteil
männlicher oder weiblicher Blüten überwiegen. Die Gesamtpflanze ist damit zwar
„zwittrig“, den Ausdruck verwendet man jedoch ebenso wie „getrenntgeschlecht-
lich“ eher für Tiere.
Tiere
Bei Tieren gibt es verschiedene Wege, das Geschlecht festzulegen.
55 Haplodiploidie kommt beispielsweise bei Bienen, Ameisen oder Käfern vor.
Deren Männchen sind in den allermeisten Fällen haploid. Sie entstehen aus un-
befruchteten Eiern oder aus befruchteten, die eine Hälfte des Chromosomen-
satzes wieder verlieren. Weibchen entstehen aus befruchteten Eiern und sind
(bzw. bleiben) diploid.
55 Bei Drosophila legt das Verhältnis von X-Chromosomen zu Autosomen das Ge-
schlecht fest (s. u.).
55 Bei Säugern und Vögeln bestimmen zwei unterschiedliche Gonosomen
8 (Geschlechtschromosomen) das Geschlecht. Sie ergeben verschiedene Game-
ten, was als Heterogametie bezeichnet wird.
55 Bei Säugern besitzen die männlichen Tiere zwei verschiedene Geschlechts-
chromosomen, X und Y (s. u.).
55 Bei Vögeln sind die Weibchen hemizygot mit W- und Z-Chromosom, die Männ-
chen sind mit einem ZZ-Satz homozygot. Dieses System kommt beispielsweise
auch bei Schlangen vor.
z Drosophila
Auch Drosophila besitzt X- und Y-Chromosomen. Doch das Y-Chromosom spielt
keine Rolle für die Geschlechtsbestimmung. Dafür ist der Geschlechtsindex (I) ent-
scheidend, der das Verhältnis von X-Chromosomen (X) zu Autosomen (A) angibt.
Genauer gesagt bezieht er sich auf Autosomensätze, denn es kommen auch tri- und
tetraploide Tiere vor. Auch die Zahl der X-Geschlechtschromosomen ist variabel,
denn sie verringert oder erhöht sich durch mitotische Non-Disjunction.
55 Ist I = X/A größer als oder gleich 1, entstehen Weibchen.
55 Beispiele: (2X, 2A) oder (2X, 2Y, 2A) oder (3X, 2A).
55 Ist I = X/A = 0,5 oder kleiner, resultieren daraus Männchen.
55 Beispiele: (X, Y, 2A) oder (2X, 4A).
55 Liegt der Wert für I zwischen 0,5 und 1, sind die Tiere Intersexe. Beispiele: (3X,
4A) oder (2X, 3A).
8.9 · Geschlechtsbestimmung und -ausbildung
211 8
Die molekularen Faktoren für die Geschlechtsbestimmung von Drosophila sind die
Genprodukte von „Sexgenen“, die alternativ gespleißt werden.
55 Wenn I = 0,5 oder kleiner ist und damit das Verhältnis auf Seiten der Auto-
somen liegt, so spleißt die Zelle die Prä-mRNA des sxl-Gens (sex lethal) so,
dass ein Stoppcodon resultiert und kein Sxl-Protein entsteht.
Das fehlende Sxl-Protein hat Auswirkungen auf das alternative Spleißen bei den
transformer-Genen (tra).
Letztlich resultiert daraus das DsxM-Protein (doublesex), das weibliche
Differenzierungsgene unterdrückt.
55 Bei einem Verhältnis zugunsten des X-Chromosoms spleißt die Zelle die mRNA
von sxl alternativ und bildet ein Sxl-Protein.
Säugetiere
Bei Säugern legen die Gonosomen das genetische Geschlecht fest.
55 Männliche Säugetiere besitzen ein X-Chromosom und ein deutlich kleineres
Y-Chromosom.
55 Weibliche Individuen haben zwei X-Chromosomen.
55 Nach der Lyon-Hypothese von Mary Frances Lyon legen weibliche Zellen ein
X-Chromosom still und gleichen somit die zusätzliche Kopie aus. Dieser epi-
gentische Vorgang wird X-Inaktivierung oder Lyonisierung genannt.
55 Dieses Chromosom ist dann stark kondensiert, transkriptionsinaktiv und im
Lichtmikroskop als Barr-Körperchen erkennbar, in Leukocyten als sogenannte
Drumsticks (. Abb. 8.8a, b).
Ob die Zelle das mütterliche oder väterliche X-Chromosom inaktiviert, ist ein Zu-
fallsergebnis. Unterscheiden sich die Chromosomen durch eine Mutation, dann ist
in manchen Zellen das mutierte Exemplar stillgelegt, in anderen der Wildtyp. Mit
dieser Annahme kann man die fleckige Fellfarbe von Katzen oder Mäusen er-
klären, weil auf einem Chromosom ein Allel für die Fellfarbe mutiert ist. Das weib-
liche Individuum ist folglich ein genetisches Mosaik.
212 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
Tatsächlich ist nicht das komplette Chromosom inaktiv. Die Zelle transkribiert
noch einen Teil der Gene, der benötigt wird. Deswegen unterscheiden sich Frauen
mit dem Ullrich-Turner-Syndrom (45,X0), denen letztlich diese Gene fehlen, von
Frauen mit normalem Genotypen 46,XX.
Da die starke Kondensierung in der nächsten Generation wieder aufgehoben
wird, spricht man von einem fakultativen Heterochromatin im Gegensatz zum
konstitutiven Heterochromatin am Centromer und an den Telomeren.
Die Kontrolle der X-Inaktivierung geht von einer Region aus, die man X-
chromosome-inactivation-centre (XIC) nennt. Diese Region exprimiert einige
lncRNAs. Die entscheidende Rolle von ihnen übernimmt das XIST-Gen (X
inactive-specific transcript).
55 Die Zelle stellt eine XIST-RNA her. Da es sich um eine lncRNA handelt, wird
sie nicht translatiert. Sie lagert sich an das X-Chromosom an und umhüllt es
(Xi specific transcript). Die Besonderheit: Die Zelle stellt XIST-RNA auch von
dem zu inaktivierenden X-Chromosom her. Dieses Gen steht somit im Gegen-
satz zu den Genen, die außerhalb von XIC liegen und stillgelegt sind.
55 XIST holt die Proteinkomplexe PRC1 und 2 heran. Diese zwei Komplexe (Po-
lycomb repressive complex 1, 2) enthalten Proteine der Polycomb-Gruppe,
PcG. Die Mitglieder der PcG sind in vielfältigen Zusammenhängen bekannt als
8.9 · Geschlechtsbestimmung und -ausbildung
213 8
Faktoren für die Repression (ursprünglich entdeckt als Faktoren in der Ent-
wicklung von Drosophila). PRC1 und 2 bewirken letztlich umfangreiche Modi-
fikationen an den Histonen, und das Chromosom wird inaktiviert.
55 Auf dem aktiven X-Chromosom wird ein Repressor zu XIST exprimiert: TSIX.
Es ist ebenfalls eine lncRNA. TSIX bildet den Gegenstrang zu XIST und
schützt das Chromosom vor Inaktivierung.
Männliche Spermien des Menschen verhalten sich je nach Typ des Gonosoms im
Zellkern unterschiedlich.
55 Transportieren sie ein X-Chromosom, leben sie länger im weiblichen Genital-
trakt.
55 Transportieren sie ein Y-Chromosom, schwimmen sie jedoch schneller.
Dadurch verschiebt sich das Verhältnis der Geschlechter bei den Geburten
leicht auf die Seite männlicher Nachkommen zu 1,05:1.
p
SRY
p
q
Y
PAR 2
X
214 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
z Das Y-Chromosom
Die Gonosomen sind in der Evolution wohl aus einem gemeinsamen Autosomen-
Paar hervorgegangen. Das X-Chromosom hat den Großteil der Gene behalten, die
Gendichte ist vergleichbar mit einem Autosom. Das Y-Chromosom hat die meis-
ten Gene verloren. Die verbliebenen Abschnitte, die außerhalb der PAR liegen,
nennt man nicht-rekombinierende oder male-specific Region. Man grenzt drei Ab-
schnitte ab:
1. X-degenerierte Abschnitte enthalten Gene oder Pseudogene, die mit Genen auf
dem X-Chromosom verwandt sind.
2. Das X-transponierte Segment ist durch Transposition von der Bande Xq21 ent-
standen.
3. Ampliconische Abschnitte sind innerhalb des Y-Chromosoms vervielfacht, also
amplifiziert worden. Sie umfassen mehrere Genfamilien mit bis zu 35 Mit-
gliedern.
Die Geschlechtsentwicklung geht vom SRY-Gen aus (sex determining region of Y).
Es liegt auf dem kurzen Arm des Y-Chromosoms außerhalb der PAR.
55 SRY codiert einen Transkriptionsfaktor, den hodenbestimmenden Faktor (testis
8 determining factor, Mensch: TDF, Maus: Tdf), der die Entwicklung von in-
differenten Keimzellen zu Hoden einleitet.
Das genetische Geschlecht muss nicht übereinstimmen mit dem gonadalen Ge-
schlecht, das durch vorhandene männliche oder weibliche Gonaden bestimmt wird,
oder mit dem hormonalen Geschlecht, das von den Sexualhormonen abhängig ist.
Entwickeln sich die Gonaden fehlerhaft mit Störung der Fertilität, so spricht man
allgemein von einer Gonadendysgenesie.
55 Bei der XX-Gonadendysgenesie sind die Ovarien unterentwickelt und fehler-
haft. Sie bilden sogenannte Stranggonaden ohne Follikel und endokrines Ge-
webe. Die XX-Gonadendysgenesie kommt isoliert oder zusammen mit weiteren
Symptomen bei verschiedenen Syndromen vor wie dem Denys-Drash-Syndrom
durch Mutationen im WT1-Gen. Da die Ursache Mutationen in einzelnen
Genen sein können, erscheint der Karyotyp dann weiblich normal.
55 Auch bei der XY-Gonadendysgenesie spricht man von Stranggonaden. Die
Sertoli-Zellen des fetalen Hodens, die normalerweise das Anti-Müller-Hormon
(AMH) bilden, fehlen. Durch den Mangel an AMH bleibt der Müller-Gang als
Genitalanlage für Eileiter, Scheide und Gebärmutter bestehen. Es bildet sich
ein weiblicher Phänotyp mit Hypogonadismus aus. Die Ursache können struk-
turelle Aberrationen des Y-Chromosoms sein, aber auch Mutationen in einzel-
nen Genen wie dem SRY-Gen oder dem WT1-Gen, das auch bei XX-
Gonadendysgenesien betroffen sein kann.
8.10 Populationsgenetik
Die Populationsgenetik befasst sich mit dem Vorkommen von Allelen in einer Popu-
lation sowie deren Häufigkeiten und Veränderungen mit der Zeit.
Eine Population ist definiert als Gesamtheit aller Individuen einer Gruppe, die sich
fortpflanzen können und eine neue Generation bilden. Alle Gene und Allele, die in
dieser Population vorkommen, bilden den Genpool.
Ein Genpool ist nicht stabil. Mehrere Faktoren haben Einfluss auf seine Zu-
sammensetzung:
55 Genetische Faktoren: Mutation, Rekombination.
55 Evolutionäre Faktoren: Selektion, Migration, Isolation. Ändert sich der Gen-
pool durch Zufallsabweichungen, liegt genetische Drift vor. Das kann sich in
kleinen Populationen auswirken. Ein Sonderfall ist der Gründereffekt (Founder-
Effekt). Dabei geht die Ausbreitung eines Allels auf den Genotypen eines oder
weniger Individuen während der Stammesgründung oder -etablierung zurück.
216 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
Aus medizinischer Sicht ist dieser Effekt bei der Verbreitung von Erbkrank-
heiten von Bedeutung.
55 Faktoren bei der Partnerwahl: Als Paarungssiebung wird die Auswahl eines be-
stimmten Phänotypen und damit Genotypen als Partner bezeichnet, umgangs-
sprachlich mit „gleich und gleich gesellt sich gern“ zusammengefasst. Beispiels-
weise heiraten Gehörlose oft untereinander.
55 Tatsächliche Abweichungen von der Panmixie. Unter Panmixie oder random
mating versteht man die idealisierte Annahme, dass sich jeder Vertreter des
einen Geschlechts mit gleicher Wahrscheinlichkeit mit jedem Vertreter des an-
deren Geschlechts paaren kann. Inzucht ist ein deutliches Beispiel für eine Ab-
weichung von der Panmixie.
55 Weitere Faktoren sind beispielsweise Infektionskrankheiten, Ernährung und
kulturell-gesellschaftliche Einflüsse.
Die Häufigkeit von Allelen kann man mithilfe des Hardy-Weinberg-Gesetzes be-
8 rechnen. Dabei geht man von idealisierten Bedingungen aus:
55 Die Paarungen erfolgen zufällig.
55 Die Population ist sehr groß.
55 Zwischen den Populationen erfolgt keine Migration.
55 Es ereignen sich keine Mutationen.
55 Die Allele unterliegen nicht der Selektion.
Der zentrale Begriff ist die Frequenz. Unter Genfrequenz versteht man die Häufig-
keit eines Allels an einem Genlocus in einer Population.
55 Kommt in einer Population nur ein Allel, A, vor, so ist seine Frequenz p(A) = 1,0.
55 Kommt neben A noch das Allel a mit der Frequenz q(a) vor, so ist p(A) +
q(a) = 1,0; oder bezogen auf p gilt: p(A) = 1 − q(a).
55 Man unterscheidet Frequenzen eines Genotyps von den Frequenzen eines Al-
lels.
55 Der Genotyp AA wird mathematisch ausgedrückt als p2, pq steht für Aa und q2
steht für aa.
55 Die Häufigkeit und Verteilung der Genotypen gehorcht dem 1. Binominalsatz
(p + q)2 und es gilt p2 + 2pq + q2 = 1 (. Abb. 8.10).
p p²
q q2 pq
q p
Solche Angaben beziehen sich immer auf bestimmte Populationen und ändern sich
im Lauf der Evolution.
55 In Gebieten mit Malaria kommt das Sichelzellallel deutlich häufiger vor, weil
der gesunde Konduktor (Aa) einen Evolutionsvorteil, in diesem Fall einen
Heterozygotenvorteil, besitzt:
55 Homozygot Gesunde (AA) sterben eher an Malaria.
55 An Sichelzellanämie Erkrankte (aa) können an dieser Krankheit sterben.
55 In der Tier- und Pflanzenzucht nutzt man einen Heterozygotenvorteil gezielt
aus, wenn heterozygote Nachkommen einen gewinnbringenden Vorteil gegen-
über den homozygoten Eltern zeigen, wenn beispielsweise der Ertrag von Pflan-
zen dadurch höher wird. Man spricht vom Heterosis-Effekt.
55 Die Isolation von Ethnien führt oft zu Blutsverwandtschaft und somit zu einer
höheren Indizidenz für Krankheiten. Unter den Aschkenasim (mittel-, nord-
und osteuropäische Juden) ist beispielsweise die Tay-Sachs-Erkrankung rund
zehnmal so häufig wie in der übrigen Bevölkerung.
55 Bekannt ist die weltweit unterschiedliche Verteilung der Blutgruppen des AB0-
Systems.
55 Die Lactoseintoleranz erwachsener Menschen ist eine evolutionär ursprüng-
liche Eigenschaft. Sie beträgt in Asien zum Teil mehr als 80 %, in Europa nimmt
sie von Süden nach Norden hin ab und liegt in Dänemark/Schweden bei 2–5 %.
Die Mehrheit in Skandinavien bildet also auch als Erwachsene noch Lactase.
218 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
55 Entwickelt und durchgesetzt hat sich diese Lactasepersistenz seit der Ein-
führung der Viehmilchwirtschaft und dem Verzehr lactosehaltigen Käses.
55 Genetisch geht sie zurück auf zwei SNPs im MCM6-Gen. Das Genprodukt ist
zwar für die DNA-Replikation wichtig, innerhalb zweier Introns liegen aber re-
gulatorische Elemente für das Lactasegen. Durch die Polymorphismen wirken
sie als Enhancer.
55 Angeborener Lactasemangel, der schon bei Säuglingen eine Intoleranz gegen-
über Lactose bewirkt, ist hingegen eine autosomal-rezessive Erkrankung.
55 Auch die Evolution der Gene für die Isoformen der Speichelamylase geht einher
mit Lebens- und Ernährungsbedingungen des Menschen.
8
219 9
Rekombination
und Variabilität
Inhaltsverzeichnis
Von zentraler Bedeutung ist jeweils ein Protein, das zwischen Bakterien (RecA),
Archaeen (RadA) und Eukaryoten (Rad51) konserviert ist.
Holliday-Modell
Das bekannteste Modell heißt nach seinem Erstbeschreiber Holliday-Modell
(. Abb. 9.1).
55 Zwei homologe DNA-Moleküle liegen zunächst gepaart aneinander.
55 Das Modell setzt voraus, dass in jeweils einem Strang der zwei DNA-Moleküle
ein Bruch vorliegt.
55 Die gebrochenen DNA-Stränge in gleicher Orientierung leiten die Re-
kombination ein, also beispielsweise die zwei Stränge in 5′-3′-Richtung.
55 Sie tauschen ihre Position und werden neu verknüpft, sodass sie sich über-
kreuzen. Die entstehende Struktur nennt man Holliday-Struktur (. Abb. 9.2).
9.2 · Homologe Rekombination
221 9
a X Y
x y
Einzelstrangbrüche in zwei DNA-Molekülen
X Y X y
x y x Y
b
X Y
x y
branch migration
X Y
x y
.. Abb. 9.1 Ablauf der homologen Rekombination (a) mit Veranschaulichung der branch migration (b)
222 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
Entscheidend ist: Die Holliday-Struktur ist stabil, dabei aber dynamisch. Das
heißt, die Überkreuzungsstelle bewegt sich strangauf- oder strangabwärts. Man
spricht von branch migration oder Wanderung der Verzweigungsstelle. Je weiter die
Verzweigungsstelle wandert, desto länger wird der Abschnitt, in dem sich jeweils
zwei „fremde“ Stränge gegenüberliegen. Es entsteht eine Heteroduplex-DNA.
Dreht oder rotiert man die vier miteinander verbundenen DNA-Stränge so,
dass sich die Überkreuzungsstelle aufhebt, ergibt sich aus den vier linearen Strän-
gen die x-förmige Chi-Konformation. Jetzt sind zwei Auflösungen mit verschiedenen
Ergebnissen möglich.
55 Ein Schnitt der innenliegenden Stränge durch das Kreuz mit Neuverknüpfung
9 ergibt, dass die DNA-Moleküle jeweils nur einen kurzen Einzelstrangabschnitt
getauscht haben (linker Weg in . Abb. 9.1).
55 Ein Schnitt der außenliegenden Stränge mit Neuverknüpfung führt zu einem
wechselseitigen Austausch (rechter Weg in . Abb. 9.1).
9.2.2 Genkonversion
Genkonversion (. Abb. 9.3) ist die Übertragung der Information von einem Allel
auf das entsprechende Allel des homologen DNA-Moleküls. Dabei wird das Allel
im DNA-Molekül mit dem Doppelstrangbruch zu dem anderen Allel umgewandelt,
wenn die abgebauten Einzelstränge nach der Vorlage der komplementären Gegen-
stränge verlängert werden.
224 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
Heteroduplex-DNA Genkonversion
(mit Mismatch-Nucleotidpaaren) (Mismatch-Reparatur) Genotyp
T C
+ +
A G
x + G C
x +
G C C G
A T T A
+ y + y
A T
G A
x y
C T
.. Abb. 9.3 Heteroduplex-DNA, als Folge der Reparatur kommt es zur Genkonversion (+ steht für
Wildtyp, x, y für andere Allele)
Dieser Abschnitt stellt nur die wichtigsten und die rekombinationstypischen Pro-
teine vor. Proteine wie die SSB, Topoisomerasen oder Ligasen wirken bereits an der
Replikation mit (s. 7 Abschn. 3.2.2) und werden daher hier nicht mehr detailliert
vorgestellt.
ATP
ADP + Pi
2 3'
5'
ATP
ADP + Pi
3 3'
5'
ATP Beladung
ADP + Pi mit RecA
4 3'
5'
ATP
ADP + Pi
5 3'
5'
RecA-Filament
6
–– RecC hält den Komplex zusammen und ist für die spezifische DNA-Bindung
wichtig. Der Komplex führt schließlich RecA an einzelsträngige DNA heran.
–– Da sich der RecBCD-Komplex auf der DNA bewegt, stellt er ein Motor-
protein dar.
55 RecA: Das RecA-Protein gilt als das zentrale Protein. Es ist ein evolutionär altes
Protein, Homologe kennt man von Archaeen (RadA) und von Eukaryoten (Hefe:
Rad51, Mensch: RAD51). Es leitet außerdem die SOS-Reparatur ein. RecA tritt
als Multimer auf und bindet ATP. Seine Funktionen lassen sich umreißen:
–– Das Protein bindet sich mit Unterstützung des RecBCD-Komplexes an ein-
zelsträngige DNA.
–– Dabei lagern sich mehrere RecA-Moleküle an den Einzelstrang und bilden
ein RecA-DNA-Filament.
–– Das RecA-DNA-Filament sucht nach homologen Sequenzen. Als eine Art
Brückenkopf leitet es die Stranginvasion ein.
–– RecA tauscht also den intakten DNA-Strang gegen den geschnittenen
Einzelstrang gleicher Orientierung aus, lässt diesen mit seinem Gegenstrang
eine Doppelhelix bilden und richtet die Holliday-Struktur ein.
Ruv-Proteine
Die Ruv-Proteine identifizierte man in den ruv-Mutanten, die empfindlicher gegen-
über UV-Strahlung sind. So steht ruv für resistent gegenüber UV-Strahlung. Daran
zeigt sich wiederum die Verquickung von Rekombination und Reparatur von
UV-Schäden.
226 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
a b
Bindung an die Überkreuzung 5' 3'
3' 5'
3' 5'
5' 3'
branch migration
Oben
5' 3'
3' 5'
Links Rechts
3' 5'
5' 3'
Unten
9 RuvB-Protein formt
eine Ringstruktur
und dreht die DNAs
Proteine RuvA
und RuvB lösen Links/Rechts oder Oben/Unten
sich vermutlich ab
Auflösung
5' 3'
3' 5'
3' 5'
5' 3'
Heteroduplex
5' 3'
RuvC-Protein schneidet 3' 5'
zwei Einzelstränge und löst
die Holliday-Struktur auf 3' 5'
5' 3'
Heteroduplex + rekombinant
Die Ruv-Proteine sind zuständig für die Wanderung der Verzweigungsstelle und
für die Auflösung der Holliday-Struktur (. Abb. 9.5).
55 RuvA erkennt die Holliday-Struktur und bindet sich daran.
55 RuvB formt aus seinen Untereinheiten einen Ring, der sich um die DNA legt. Es
ist eine Helikase, die die Verzweigungsstelle wandern lässt (branch migration).
55 RuvC ist eine Endonuclease und löst die Holliday-Struktur auf. RuvA und
RuvB haben sich von der DNA gelöst.
9.2 · Homologe Rekombination
227 9
Rec-Proteine führen auch die Rekombination aus, die im Zuge einer DNA-
Reparatur notwendig sein kann (siehe 7 Abschn. 11.7.6 und 7 11.7.7).
Bei E. coli rekombiniert DNA nicht nur über die genannten Proteine. Ein ande-
res System arbeitet mit anderen Helikasen, Nucleasen und weiteren Proteinen.
Der Einstieg in die meiotische Rekombination ist naturgemäß auf Eukaryoten be-
schränkt, die Kernschritte (Strangbruch, Strangabbau, Stranginvasion, Über-
kreuzung) sind mit denen bei Prokaryoten vergleichbar.
Um die Holliday-Strukturen aufzulösen, sind wieder die verschiedenen Varian-
ten möglich:
55 Nach der Stranginvasion lagert sich der verdrängte Einzelstrang an sein kom-
plementäres Gegenstück an. Beide Einzelstränge finden also ihr komplementä-
res Gegenstück und an beiden Strängen nutzt die Polymerase diese als Matrize,
um die zwei Einzelstränge zu verlängern. Dieser Weg kann zum Crossing over
führen.
55 Nach der Stranginvasion lagert sich der verdrängte Einzelstrang nicht an sein
komplementäres Gegenstück an. Nur der invasive Einzelstrang findet seinen
komplementären Gegenstrang, der als Matrize dient. Die Polymerase ver-
längert nur hier den Einzelstrang. Es kommt nicht zum Crossing over.
In evolutionärer Hinsicht ist die Rekombination in der Meiose eine junge Weiter-
entwicklung des Phänomens und ein Sonderfall. Sie kommt nur in Keimzellen der
Eukaryoten vor, erzeugt regelmäßig Crossing over und beginnt mit einem be-
sonderen Protein, SPO11.
228 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
SPO11
Das SPO11 (bei der Sporulation von Hefe identifiziert) ist verwandt mit einer
Topoisomerase vom Typ II, der Topoisomerase VIa. Es leitet die Rekombination
während der Meiose ein, denn es erzeugt die Doppelstrangbrüche in einem DNA-
Molekül. Anschließend heftet es sich an die freien Enden. Für andere Re-
kombinationen ist SPO11 nicht nötig. In diesen Fällen bewirken äußere Einflüsse
oder Topoisomerasen die Strangbrüche. Da SPO11 auf die Meiose beschränkt ist,
kennt man auch kein bakterielles Gegenstück.
Nicht alle untersuchten Eukaryoten leiten die Rekombination mit Hilfe von
Doppelstrangbrüchen ein. Beispielsweise schreitet der Prozess in C. elegans von
den Telomeren aus voran. Auch weibliche Taufliegen bilden eine Ausnahme.
MRX/N-Komplex
Der MRX-Komplex der Hefe umfasst mehrere Proteine, deren Anfangsbuch-
staben zu der Abkürzung führten: MRE11, RAD50, XRS2. Beim Menschen
spricht man vom MRN-Komplex, weil der dritte Baustein NBS1 (Nibrin) heißt.
Der Komplex übernimmt mehrere Aufgaben in verschiedenen Zusammenhängen.
Für die Rekombination: Hier ist die Nucleaseaktivität, zusammen mit weiteren
Enzymen, wohl die wichtigste, also der Abbau der DNA-Enden. Wie bei E. coli
bauen Nucleasen die zwei 5′-Enden der Bruchstelle ab (Resection) und produzieren
9 auf beiden Seiten überhängende 3′-Enden.
Für die Reparatur nach einem Doppelstrangbruch: Der Komplex bearbeitet die
DNA-Stränge, bevor die homologe Reparatur oder die NHEJ-Reparatur (siehe
7 Abschn. 11.7.6) einsetzen.
Mutationen in dem Gen NBS1 verursachen im Menschen das Nijmegen-
Breakage-Syndrom. Die Betroffenen leiden an körperlichen und geistigen Entwi-
cklungs- sowie Wachstumsstörungen, Immundefekten und einer erhöhten An-
fälligkeit für bestimmte Krebsformen.
RAD-Proteine
Die Bezeichnung RAD leitet sich von radiation (Strahlung) ab, weil die Mutanten
strahlungsempfindlich sind. RAD51 und DMC1 sind eukaryotische Homologe zu
RecA bei E. coli, DMC steht für disrupted meiotic cDNA. DMC1 und RAD-
Proteine sind wie SPO11 Meiose-spezifisch. Ihre Funktionen:
55 Mediatorproteine wie RAD52 oder BRCA2 binden sich an DNA und Proteine
und stimulieren RAD51.
55 RAD51-Proteine heften sich unter der Mithilfe der Mediatorproteine an die 3′-
Enden. Sie bilden Protein-DNA-Filamente, suchen nach dem homologen
Gegenstrang (homology search) und führen die Überhänge in das intakte DNA-
Molekül ein. Inwieweit RAD51 und DMC1 zusammenarbeiten oder sich die
Arbeit aufteilen, ist noch ungeklärt.
55 RAD54-Proteine stabilisieren die Übergangszustände. Die RAD-Proteine
rufen die Holliday-Struktur und das Crossing over hervor.
55 RAD51C löst zusammen mit XRCC3 (X-ray repair cross-complementing p rotein
3) die Holliday-Struktur auf.
9.2 · Homologe Rekombination
229 9
DNA -Polymerase β
Die DNA-Polymerase β verlängert die abgebauten Stränge anhand der DNA-
Stränge des intakten Moleküls. Es entstehen die Heteroduplex-DNA und die
D-Schleife. Eine Ligase verbindet die offenen Enden.
55 Nach dem Schnitt in der DNA am MAT-Locus lagert sich die gegensätzliche
stillgelegte Kassette an. Sie fungiert im Folgenden als Donor-DNA. Befindet
sich in dem Locus die Gen-Sequenz von HMLα, lagert sich HMRa an und um-
gekehrt. Die Sequenz im MAT-Locus wird abgebaut und neu aufgebaut an-
hand der Vorlage der Donor-DNA. Die Zelle setzt dafür Rekombinations-
Proteine ein. Es kommt zur Genkonversion und somit zum anderen Paarungs-
typ: HMLα wird abgebaut und ersetzt durch HMRa und umgekehrt.
55 Im aktiven MAT-Locus ist nun HMRa vorhanden. HMLα und HMRa bleiben
jeweils beide als Reserve für die Donor-Funktion in den stillgelegten Kassetten
zurück. Es findet immer nur ein Austausch im MAT-Locus durch homologe Re-
kombination statt.
55 Einen vergleichbaren Mechanismus nutzt Trypanosoma brucei, der Erreger der
Schlafkrankheit, um dem Immunsystem zu entgehen. Auch Trypanosomen
switchen zwischen Oberflächenproteinen hin und her. Sie besitzen ein Revervoir
aus zahlreichen, stillgelegten Genen für verschiedene Glykoproteine in der
Plasmamembran (variable surface glycoproteins, VSG). Eines von ihnen re-
kombiniert in den aktiven Locus hinein und wird von diesem aus transkribiert.
Bevor es dem Immunsystem des Wirts gelingt, alle Trypanosomen zu neutrali-
sieren, kommt es zum Gen-Wechsel. Ein anderes VSG-Gen gelangt in den akti-
ven Locus, auf der Oberfläche erscheint ein neues Glykoprotein und der Kampf
9 des Immunsystems beginnt von Neuem.
Der Ablauf der Rekombination hängt von der Orientierung der Rekombinations-
motive und ihrer Lokalisation ab:
55 Die Motive können auf nur einem oder auf beiden DNA-Molekülen liegen.
55 Wenn sich die Motive auf nur einem DNA-Molekül befinden, gibt es zwei wei-
tere Möglichkeiten:
–– Sie können antiparallel orientiert sein (Kopf an Schwanz).
–– Sie können parallel ausgerichtet sein (Kopf an Kopf).
Inversion
Die zwei Motive liegen Kopf an Kopf in einem DNA-Molekül und flankieren einen
Bereich, der herausgeschnitten und umgekehrt wieder eingebaut wird.
Inversionen kommen bei Phasenvariationen vor, wie sie beispielsweise in der
Genexpression von Flagellengenen bei Salmonellen auftreten (s. u.).
Diese Enzyme werden nach der Aminosäure im aktiven Zentrum in zwei Familien
eingeteilt:
55 Tyrosin-Rekombinasen und
55 Serin-Rekombinasen.
Die Tyrosinfamilie ist umfangreicher. Die beiden Familien sind nicht homolog zu-
einander.
232 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
Tyrosin-Rekombinasen
An der Reaktion arbeiten vier Enzymmoleküle als Tetramer. Es sind jedoch immer
nur zwei aktiv. Der Ablauf ihrer Aktivität:
1. Die ersten zwei aktiven Untereinheiten führen in den zwei Rekombinations-
stellen jeweils einen Einzelstrangbruch ein.
2. Kurzzeitig sind die 3′-Enden mit den Tyrosinresten kovalent verbunden.
3. Dann führen die Untereinheiten die freien 5′-Enden jeweils an den anderen
Strang heran, verknüpfen die DNAs über Kreuz und erzeugen dadurch eine
Holliday-Struktur.
4. Anschließend werden diese Untereinheiten inaktiv.
5. Die bisher ruhenden Untereinheiten schneiden nun die anderen zwei DNA-
Stränge und verknüpfen auch diese über Kreuz, sodass sie auch die Holli-
day-Struktur wieder auflösen.
Exzision
Insertion
Die Rekombinationsstelle ist 34 bp lang und wird loxP abgekürzt (locus of crossing
over of P1 phage). Sie ist dreiteilig aufgebaut: in der Mitte die nicht symmetrische
Crossing-over-Region, links und rechts flankiert und in entgegengesetzter Orientie-
rung die Bindestellen für die Cre-Rekombinase.
Das System ist recht simpel. Daher nutzt man es als gentechnologisches Werk-
zeug, auch wenn es allmählich durch modernere Methoden abgelöst wird.
Serin-Rekombinasen
Auch die Serin-Rekombinasen treten als Tetramer auf, allerdings sind alle vier
Untereinheiten gleichzeitig aktiv, und jede Untereinheit spaltet einen Strang. Die
Serin-Rekombinasen haben spezielle Eigenschaften:
55 Sie führen zwei Doppelstrangbrüche ein.
55 Die Schnittstellen sind dabei um zwei Nucleotide versetzt.
55 Das 5′-Ende ist mit dem Serin des aktiven Zentrums verbunden, und das 3′-
Ende ist frei.
55 Die Untereinheiten brechen und verknüpfen die DNA-Stränge in koordinierter
Aktion.
Pathogene Salmonellen tragen Flagellen, die aus einem der beiden möglichen
Flagelline H1 und H2 aufgebaut sein können. Exprimiert wird stets nur eine der
Varianten. Um der Antikörperabwehr des Wirts zu entgehen, wechseln die Bakte-
rien gelegentlich durch Inversion des entscheidenden DNA-Abschnitts das aktive
Gen.
Der entscheidende DNA-Bereich, den die Rekombination umdreht oder in-
vertiert, liegt zwischen den Rekombinationsstellen inv1 und inv2. Er enthält:
55 das hin-Gen für die Hin-Rekombinase,
55 einen Promotor für die Transkription von Genen außerhalb des Abschnitts und
55 eine Bindungsstelle für das bakterielle Protein Fis (factor for inversion stimula-
tion).
Außerhalb des Bereichs liegen auf der einen Seite das Gen für das Flagellin H2 und
für einen Repressor, auf der anderen Seite das Gen für das Flagellin H1.
55 In dem einen Zustand sorgt der Promotor für die Expression des Gens für H2
und für den Repressor. Dieser unterdrückt die Transkription des Gens für H1.
55 Dreht die Rekombinase das Element um, so führt der Promotor zur Expression
des Gens für H1.
Damit die Rekombinase aktiv ist, muss sie mit Fis-Proteinen wechselwirken. Die
9 Zelle reguliert jedoch nicht die Rekombination. Es gibt also kein äußeres Signal
dafür, wann die Expression umschlägt.
9.4.1 Überblick
Die illegitime Rekombination ist sequenzunabhängig. Sie geht einher mit der Trans-
position und Retrotransposition. Darunter versteht man Ortswechsel von geneti-
schen Elementen innerhalb des Genoms. Umgangssprachlich wird dieser Orts-
wechsel auch als „Springen“ bezeichnet. Die Vorgänge sorgen für genetische
Plastizität (ein Vorteil), aber auch für Instabilität (ein Nachteil).
Bei der illegitimen Rekombination bewegen sich DNA-Elemente von ihrem Ur-
sprungsort zufällig an einen anderen Ort im Genom, daher die Einstufung als ille-
gitim.
Der Anteil beweglicher DNA-Elemente im Genom kann sehr hoch sein. In
Bakterien ist er eher gering, aber im menschlichen Genom beträgt er beispielsweise
um die 40 %. Es sind jedoch nicht mehr alle beweglichen Elemente aktiv. In Pflan-
zen liegt ihr Anteil bei 80 %.
Die Häufigkeit der illegitimen Rekombination wird durch Regulation durch
das Element selbst oder von der Zelle herunterreguliert. Ausführende Moleküle
sind dabei Proteine oder regulatorische RNA-Moleküle.
9.4 · Illegitime Rekombination
235 9
Springt ein bewegliches Element in ein Gen, zerstört es dieses in der Regel.
Somit erzeugen bewegliche Elemente Mutationen und verursachen beim Menschen
Krankheiten. Man nimmt an, dass sie für eine hohe Zahl an Mutationen ver-
antwortlich sind.
Wertfrei gesehen sind sie bedeutsam für die Evolution, beispielsweise für die Du-
plikation von Genen oder von Exons beim exon shuffling. Beim exon shuffling wer-
den Exons durch Transposition, Retroposition oder Crossing over neu zusammen-
gestellt.
Es gibt zwei Klassen von beweglichen DNA-Elementen, die eine illegitime Re-
kombination durchführen:
55 Zu den Klasse-II-Transposons zählen Insertionselemente und DNA-
Transposons. Sie erscheinen nur als DNA. Die entscheidenden Enzyme für den
Vorgang heißen Transposasen. Sie schneiden einen oder zwei DNA-Stränge am
Ursprungsort, von dem aus das Element springt. Wird nur ein DNA-Strang ge-
schnitten, bleibt dort eine Kopie zurück. Klasse-II-Transposons kommen in
Pro- und Eukaryoten vor.
55 Die Klasse-I-Transposons umfasst die Retrotransposons. Es wird keine DNA
am Ursprungsort, von dem aus das Element springt, geschnitten. Das ist mög-
lich, weil die Zelle erst eine RNA als Zwischenstufe anfertigt, die dann in DNA
umgeschrieben wird. Für diesen zweiten Schritt benötigen Retrotransposons
eine eigene oder fremde Reverse Transkriptase. Eine Kopie des Elements bleibt
am Ursprungsort zurück. Klasse-I-Transposons sind hauptsächlich auf Euka-
ryoten beschränkt.
9.4.2 DNA-Transposons
Bewegliche DNA-Elemente bei Bakterien
Die beweglichen DNA-Elemente bei Bakterien unterscheiden sich in Größe und
Komplexität voneinander.
55 Insertionselemente sind klein und einfach aufgebaut.
55 Transposons sind größer und komplexer.
Insertionselemente
Die Insertionselemente (IS) sind recht klein. E. coli enthält verschiedene IS mit
mehreren Kopien. Die Größe liegt etwa zwischen 800 und 2000 bp. Ihr Aufbau ist
einfach:
55 An den Enden sitzen ähnliche, aber nicht identische Wiederholungssequenzen
umgekehrter Orientierung (Inverted Repeats, IR) von etwa 15–41 bp.
55 Die IR flankieren mindestens einen offenen Leserahmen mit der Information
für die Transposasen. Diese Proteine nehmen das Springen oder die Trans-
position vor.
236 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
Die IS schneiden die Integrationsstelle als Zielsequenz so, dass versetzte Enden aus
kurzen Einzelstrangüberhängen entstehen. Sie setzen sich dann in die Lücke und
füllen die kurzen Einzelstrangabschnitte auf. Sie verdoppeln also die Intergrations-
stelle, indem sie angrenzend an die IR kurze direkte Wiederholungen erzeugen, die
Direct Repeats.
Transposons
Transposons (Tn) sind größer als die Insertionselemente und komplexer, denn sie
enthalten neben den Genen für die Transpositionsproteine weitere Gene. Hier fin-
det man vor allem viele Gene, die dem Bakterium Resistenz gegenüber einem Anti-
biotikum verschaffen.
Die Größe der Transposons liegt im unteren kb-Bereich. Tn9 ist 2650 bp lang,
Tn10 umfasst 9300 bp.
Innerhalb der Transposons kann man zwei Gruppen unterscheiden:
55 Die einfacheren Transposons sind aufgebaut wie große IS plus Zusatzgen. IR
flankieren die Gene für die Transpositionsproteine und weitere Gene. Beispiele:
Tn3 vermittelt Resistenz gegenüber dem Antibiotikum Ampicillin, Tn501
gegenüber Quecksilbersalzen.
55 Die komplexeren oder zusammengesetzten Transposons besitzen an ihren
Enden zwei einzelne IS. Diese IS rahmen dann die Transpositionsgene und wei-
9 tere Gene ein. Tn10 verleiht beispielsweise Resistenz gegenüber Tetracyclin. Die
IS sind ähnlich, aber nicht zwingend identisch. Beispiel: Die Enden des Tn5 be-
stehen aus den IS 50 R und IS 50 L. Allerdings ist nur das IS 50 R in der Lage,
auch allein ohne den Rest des Transposons zu transponieren, während das IS
50 L keine intakte Transposase mehr codiert.
Ziel der Experimente ist häufig, Gene der Fliege auszuschalten und anhand der
9 Folgen etwas über ihre Funktion zu erfahren.
z TLE/MLE
Diese Transposons bilden eine umfangreiche Familie, auch als Tc1/mariner Super-
familie bezeichnet.
55 TLE bedeutet Tc1-like elements. Tc1 ist das namensgebende Transposon, das
man zuerst bei Caenorhabditis elegans gefunden hat.
55 MLE leitet sich von mariner like elements ab; mariner ist ein bei Drosophila
identifiziertes Transposon.
55 Tatsächlich sind die Elemente von der Hefe bis zum Menschen weit verbreitet.
55 Die Transposons tragen das Gen für die Transposase und haben IR. Viele von
ihnen besitzen jedoch kein intaktes Transposasegen mehr und sind abhängige
Transposons geworden. Die Elemente in Vertebraten sind alle inaktiv. Es ist al-
lerdings gelungen, durch die Rekonstruktion einer Consensus-Sequenz ein ak-
tives Transposon zu rekonstruieren (es wurde sleeping beaty getauft) und für
Mutagenese-Experimente zu nutzen.
LINE
LINEs bestehen aus Genen, die von unauffälligen Enden eingefasst werden. Im
Gegensatz zu den u. g. LTR-Retrotransposons heißen sie daher auch Non-LTR-
Retrotransposons. Beispiel: L1, (. Abb. 9.7): Das Element ist rund 6,1 kb lang. Es
besteht aus UTRs an den beiden Enden, am 3′-UTR liegt die Poly(A)-Sequenz.
Die UTRs rahmen zwei ORFs ein. ORF2 codiert eine doppelte Enzymaktivität:
für eine Endonuclease und eine Reverse Transkriptase.
Die Bewegung im Genom erfolgt über ein RNA-Zwischenprodukt:
1. Von einem internen Promotor erfolgt die Transkription einer mRNA.
2. Die mRNA gelangt ins Cytoplasma und wird translatiert.
3. Die beiden synthetisierten Proteine heften sich gleich an die mRNA. Der Kom-
plex wird zurück in den Kern transportiert.
4. Nun schneidet die Endonuclease einen Strang der Zielstelle.
5. Über eine Wechselwirkung zwischen Poly(A)-Sequenz und Thyminen bindet
sich die mRNA an die DNA.
6. Die Reverse Transkriptase synthetisiert komplementär zur RNA den ersten
DNA-Strang nach. Sie stellt also eine cDNA her.
7. Es kommt zum zweiten, versetzten Schnitt in der Zielstelle.
8. Der zweite Strang wird synthetisiert.
.. Abb. 9.7 Aufbau eines LINE1-Elements. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
240 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
.. Abb. 9.8 Aufbau des Alu-Repeats. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
SINE
SINEs codieren keine eigene Reverse Transkriptase, RT. Sie sind daher angewiesen
auf eine RT eines anderen Retrotransposons. Man bezeichnet sie daher als nicht-
autonom oder abhängiges Retrotransposon, Auch die Bezeichnung Retroposon
wird verwendet. Beispiel: AluI (. Abb. 9.8), mit seiner Länge von rund 300 bp
kann es nicht eigenständig transponieren, sondern nutzt dazu die Enzym-
Ausstattung von L1. SINEs sind abhängige Elemente, weil sie durch zufällige
Retrotransposition von Polymerase-III-Transkripten (tRNAs, 7SL-RNAs) ent-
standen sind und nie eine eigene RT codierten. So weisen die Alu-Elemente bei-
spielsweise enge Verwandtschaft zu 7SL-RNAs auf.
Der Mechanismus verläuft über die RNA des Elements:
9 1. Die RNA-Polymerase III transkribiert das Alu-Element und stellt ein RNA-
Molekül her.
2. Die RNA stellt mithilfe der Reversen Transkriptase funktionsfähiger
LINE-1-Elemente eine cDNA her.
3. Die cDNA wird vervollständigt und integriert sich in das Genom.
4. An der Insertionsstelle entstehen durch Duplikation flankierende Wieder-
holungssequenzen.
LTR-Retrotransposon s
LTR-Retrotransposons (. Abb. 9.9) haben ihren Namen erhalten aufgrund ihrer
langen Sequenzwiederholungen an den Enden (LTR für long terminal repeats oder
auch lange terminale Repeats). Die LTR flankieren Gene, unter anderem für eine
Reverse Transkriptase und eine Integrase. Im linken LTR sitzt ein Promotor für die
Transkription.
Der Ablauf hat mit der Transposition von L1 die ersten Schritte gemeinsam:
1. Vom Promotor aus beginnt die Transkription der mRNA.
2. Die mRNA gelangt ins Cytoplasma und wird translatiert.
3. Dadurch entsteht auch die Reverse Transkriptase, die anhand der mRNA dop-
pelsträngige DNA herstellt.
4. Die Transposition mit Hilfe der Integrase ähnelt dann derjenigen von
DNA-Transposons.
Beispiel: Das endogene Retrovirus HERV (human endogenous retrovirus) von rund
9,2 kb im menschlichen Genom. Im Gegensatz zu den Retroviren wie HIV sind die
endogenen Vertreter in der Regel nicht infektiös, weil ihnen die dafür nötigen
funktionsfähigen Gene fehlen.
9.4 · Illegitime Rekombination
241 9
.. Abb. 9.9 Aufbau des LTR-Transposons
(P: Promotor). (Nach Buselmaier
und Tariverdian 2007)
Es kommt auch vor, dass eine mRNA eines proteincodierenden Gens über den
Weg der reversen Transkription transponiert. Das Ergebnis ist dann ein prozessier-
tes Pseudogen. Es enthält keine Introns mehr. Darin unterscheidet es sich von
Pseudogenen, die durch Duplikation entstanden sind und im Laufe der Evolution
ihre Funktion eingebüßt haben.
Grundsätzlich sind Transpositionen selten. Pro Genom gibt man oft eine Trans-
position in jeder Generation an. Da sie aber vorkommen, verursachen sie auch
Krankheiten.
Trotz der Mechanismen zur Stilllegung werden die Gene transposabler Elemente
transkribiert. Oft ist ihre Expression sogar charakteristisch für bestimmte Ent-
wicklungsstadien oder Krankheiten, hier vor allem für Krebsformen.
55 Stilllegung von Retrotransposons: Die Transposition benötigt die obligatori-
sche cDNA. Hier greifen die Zellen ein. Das Enzym APOBEC3 (aus der Fami-
lie der Cytidin-Desaminasen) entfernt auch in der cDNA die Aminogruppe
und überführt Cytosin in Uracil. Die so beschädigte Sequenz wird gespalten
und abgebaut. Der Mechanismus setzt auch an cDNAs von Retroviren an.
Retroviren
Retroviren sind verantwortlich für Infektionen und die Entstehung von Tumoren:
55 HIV (human immune deficiency virus) kann zu AIDS führen.
55 HTLV I und II (human T cell leukemia virus oder humanes T-lymphotropes
Virus), rufen beim Menschen Leukämien hervor.
Horizontaler Gentransfer
bei Bakterien
Inhaltsverzeichnis
10.2 Überblick
Die Aufnahme fremder DNA über diese Mechanismen wird als horizontaler Gen-
10 transfer bezeichnet. Es ist der Austausch von Genmaterial zwischen Zellen, die
nicht in einer Beziehung von Eltern/Nachkommen stehen.
Der Schwerpunkt liegt in diesem Kapitel auf Bakterien. Allerdings findet man
horizontalen Gentransfer überall. Konjugation kommt beispielsweise auch in
Protozoen vor (als wechselseitiger Austausch), Transformation und Transduktion
kennt man ebenso von Archaeen. Auch der Gentransfer von Bakterien in das
Genom von Eukaryoten ist bekannt, selbst in das menschliche Genom. Horizonta-
ler Gentransfer ist daher für die Evolution von erheblicher Bedeutung.
10.3 Konjugation
Unter Konjugation versteht man die Übertragung von DNA von einer Donorzelle in
eine Rezipientenzelle während eines physischen Zellkontakts, den eine Pilus ge-
nannte fädige Zellstruktur herstellt.
Die Konjugation erfolgt unidirektional vom Spender zum Empfänger. Die
Spenderzelle stellt den Kontakt her und führt die Konjugation durch. Nur sie über-
trägt Genmaterial auf den Partner.
Der Unterschied zwischen Spender- und Empfängerzelle wird durch zusätzliche
genetische Informationen festgelegt, über die nur der Spender verfügt. Die ent-
sprechenden Gene liegen in der Regel auf extrachromosomalen Elementen, den
Plasmiden.
10.3 · Konjugation
247 10
Das bekannteste Konjugationssystem stellt das F-Plasmid von E. coli dar. F
steht für engl. fertility oder Fertilität, weshalb das Plasmid auch Fertilitätsfaktor
heißt.
Das F-Plasmid kann sich durch Rekombination in das bakterielle Chromosom
integrieren und wieder exzisionieren. Liegt es während der Konjugation als eigen-
ständiges Plasmid vor, bleibt es meistens das einzige Genmaterial, das übertragen
wird. Ist es dagegen in das Chromosom integriert, wandert häufig auch zusätzliche
chromosomale DNA in die Empfängerzelle.
Zwischen Gram-positiven Bakterien ist die Konjugation auch über Trans-
posons und nicht über Plasmide möglich.
Generell ist die Konjugation ein horizontaler Gentransfer zwischen Bakterien.
Als Ausnahme gelten Agrobakterien-Arten. Sie nutzen den Mechanismus der
Konjugation zum Transfer von Genen in Pflanzenzellen, Beispiel: Ti-Plasmid.
100
Transferregion 90 10 IS3
IS2
80 20
70 30
60 40
oriT
50
inc oriV
248 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien
IS3
tra-Gene
oriT
w x IS3 IS3 y z
oriT tra-Gene
55 Das F-Plasmid besitzt eine Kopie des IS2, zwei Kopien des IS3 und eine Kopie
des Tn1000. IS-Elemente kommen auch im Chromosom vor. Über sie läuft die
Rekombination ab. Da es mehrere Kopien der IS-Elemente im Chromosom
gibt, kann sich das Plasmid auch an verschiedenen Stellen integrieren
(. Abb. 10.2).
55 Die inc-Region steht für Inkompatibilität und verhindert, dass sich verwandte
Plasmide in der Zelle einnisten.
Integration und Exzision laufen über die IS-Elemente in der Plasmid-DNA und
10 der chromosomalen DNA ab. Die Rekombination erfolgt somit nur an diesen Se-
quenzen. Sie ähnelt der Integration und Exzision von lysogenen Phagen in das
Bakterienchromosom (s. 7 Abschn. 9.3.3).
Die Exzision verläuft nicht immer exakt an den Plasmid-Chromosom-Grenzen.
55 Eine Typ-I-Exzision schneidet das Plasmid nicht vollständig heraus, sondern
lässt Sequenzinformationen im Chromosom zurück. Umgekehrt enthält das
Plasmid nun auch chromosomale DNA. Auch dieses Ergebnis ist bei der Ex-
zision von Phagen-DNA möglich.
–– Fehlen dem herausgeschnittenen Plasmid die rep-Gene, kann es nicht mehr
replizieren.
–– Sind die tra-Gene verloren gegangen, so ist kein Transfer mehr möglich.
55 Eine Typ-II-Exzision schneidet das Plasmid vollständig heraus und nimmt zu-
sätzlich chromosomale DNA mit. Es ist damit funktionstüchtig und überträgt
zudem einen chromosomalen Anteil.
Die entscheidenden Gene für die Konjugation sind die tra-Gene. traA codiert das
Pilinprotein, das den F-Pilus aufbaut. Tra-Proteine heften sich an die DNA, spal-
ten sie, entwinden sie und transportieren einen Strang in den Konjugationspartner.
Auch eine Hfr-Zelle kann das Plasmid übertragen. Dazu ist keine Exzision des
Plasmids notwendig (. Abb. 10.3). Vielmehr wird jetzt das komplette Chromo-
som gewissermaßen wie das Plasmid behandelt. Der Transfer beginnt am oriT, in-
klusive der angrenzenden Plasmidgene, erfasst dann die folgenden chromosomalen
Gene und erst ganz zum Schluss die verbleibenden Anteile des Plasmids. T
heoretisch
kann auf diese Weise das ganze Chromosom inklusive des Plasmids übertragen
werden. In der Praxis hält die Pilusröhre jedoch den Kontakt nicht so lange auf-
recht, und der Vorgang bricht vorher ab.
Da sich das Plasmid an verschiedenen Stellen integrieren und dabei jeweils zwei
verschiedene Orientierungen annehmen kann, folgen je nach Intergrationsort
unterschiedliche chromosomale Gene auf die tra-Region und werden übertragen.
Den Transfer von Hfr-Zellen nutzte man in der Frühzeit der Molekularbiologie
aus, um die Gene auf dem E.-coli-Chromosom zu kartieren. In den Experimenten
führte man mehrere Konjugationen durch, die nach unterschiedlich langen Zeiten
unterbrochen wurden. Durch dieses sogenannte interrupted mating wurden ver-
schieden lange Abschnitte der Chromosomen übertragen.
250 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien
M N N A A B
G F E D C
F E D C B
L
N
K J H G
L K J H
M L
B A
C
G
F
E D K
H
J
Hfr F– Hfr F–
G
N
F E D C
M L K J
C B A K J H
M L
E D
G F A N
H
B
C D B
E F
L M N A
G H J
Hfr F–
Als Ergebnis erhielt man die Reihenfolge und die relativen Abstände der Genmar-
ker auf dem bakteriellen Chromosom. Die Abstände wurden in Minuten an-
gegeben. Allerdings war die Auflösung gering: Einer Minute entspricht ein
DNA-Abschnitt von rund 46 kb.
Später konnte man mithilfe der Transduktion die Karte verfeinern.
10.4 Transduktion
Transduktion ist die Übertragung von DNA einer Zelle durch Phagen als Trans-
porter. Die Übertragung der DNA erfolgt in mehreren Phasen:
1. Der Phage infiziert eine Zelle, die zum Donor wird.
2. Das Phagengenom wird in das bakterielle Chromosom integriert.
3. Bei der Exzision wird ein Teil des Chromosoms mit ausgeschnitten.
10.4 · Transduktion
251 10
4. Die ausgeschnittene chromosomale DNA wird mit der Phagen-DNA in die
Phagenhülle verpackt und verlässt die Donorzelle.
5. Die neuen Phagen infizieren weitere Zellen, die damit zu Empfängerzellen wer-
den. Sie erhalten die zusätzlich ausgeschnittene DNA der Donoren.
Im einfachsten Fall bestehen Phagen aus Erbmaterial, das von einer Proteinhülle
(Capsid ) verpackt und geschützt wird. Die Hüllproteine dienen außerdem der Ad-
sorption an den Wirt. Sie erkennen ihr Wirtsprotein sehr spezifisch.
Das Erbmaterial kann DNA oder RNA sein, linear oder zirkulär und einzel-
oder doppelsträngig vorliegen.
Beispiele von drei E.-coli-Phagen:
55 λ hat lineare dsDNA (. Abb. 10.4).
55 ΦΧ174 hat zirkuläre ssDNA.
55 MS2 hat lineare ssRNA.
Welchen Weg ein temperenter Phage verfolgt, hängt vom Verhältnis verschiedener
Regulationsproteine ab.
Lytischer Weg
Intrazelluläre Phagenvermehrung Lyse
UV-Licht
(Induktion)
E.-coli-DNA Virus-DNA
Zellteilung
E.-coli-DNA mit
eingebauter
Virus-DNA
Lysogener Weg
Die Infektion beginnt mit dem Einbringen der DNA in die Wirtszelle:
1. Bei der Injektion der Phagen-DNA kontrahiert das Schwanzstück nicht.
2. In der Wirtszelle bildet die lineare DNA über ihre cos-sites einen Ring, und die
Ligase des Wirts verbindet die Enden miteinander.
3. Die Polymerase des Wirts heftet sich an zwei Promotoren und beginnt mit der
Transkription und Translation.
254 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien
Replikation
Regulation
PM PE „späte“ Regulation
PL
cII OP
cro
cI Lyse
N Q
Rekombi- PR S
ga cII R m‘ (cos)
nation m I
red PR‘ m
A
PI
xis
int B Phagen-
att kopf
C
D
E
b Z
U
V
„Stumme G
Region“ T
J MH
K L
10 Phagenschwanz
Die Entscheidung für den lytischen oder lysogenen Zyklus fällt über die Konkur-
renz zwischen den Proteinen CII und Cro. Beides sind Produkte der ersten („sehr
frühen“) Phagen-Gene:
55 CII wirkt in Richtung eines lysogenen Zyklus. Das Protein ist ein Aktivator
und Transkriptionsfaktor, der die Transkription der Gene cI und int för-
dert. Das Produkt des cI-Gens ist der wichtige CI-Repressor oder λ-Repressor.
Das Protein CIII schützt dabei CII und verhindert seinen Abbau.
55 Der CI-Repressor verhindert die Expression von Genen für den lytischen Zyk-
lus, erlaubt (und fördert) aber die eigene Expression. Er versetzt weite Teile des
Phagengenoms in den Ruhemodus. Der CI-Repressor wirkt in trans und legt
somit auch später eindringende Lambda-Phagen still. Er sorgt also für die
Immunität.
55 Das Protein Cro arbeitet als Gegenspieler von CI. Es wirkt als Repressor für
den Repressor, kurz: als Antirepressor. Cro arbeitet daher auf einen lytischen
Zyklus zu. Es bindet sich wie CI an die Promotor-Operator-Abschnitte PL/OL
und PR/OR. Diese Regionen setzen sich wiederum zusammen aus jeweils drei
Abschnitten mit unterschiedlichen Bindungsaffinitäten für Cro und CI. Cro
unterdrückt die Expression des cI-Gens und fördert die Transkription der Gene
für den lytischen Weg. Cro führt folgerichtig zur Replikation der Phagen-DNA
und zur Expression der Strukturgene für die Phagenhülle und der Lysegene.
10.4 · Transduktion
255 10
Unterstützung erfährt Cro dabei von den Phagen-Proteinen N und Q. Dabei
handelt es sich um Antiterminatoren. Sie verhindern den vorzeitigen Abbruch
der Transkription und erlauben somit die Transkription auch der späten Gene.
Neben den internen Abläufen wirken sich über die Aktivitäten bakterieller Pro-
teine auch die Umweltbedingungen auf das Verhältnis von CII und Cro aus.
gal BP‘ N
bio
J
PB‘
A
m m‘ R
A R
m m‘
mA J att N R m‘
-DNA
PP‘
.. Abb. 10.7 Exzision und Integration von λ über die ortsspezifische Rekombination
256 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien
55 Die Integrase spaltet die Doppelstränge von Phage und Bakterium mit ver-
setzten Enden etwa in der Mitte des Motivs und rekombiniert die Enden über
Kreuz, sodass das Chromosom die Phagen-DNA aufnimmt. Man spricht jetzt
vom Prophagen.
Der Übergang in den lytischen Zyklus findet statt, wenn der Prophage wieder aus
dem Chromosom herausgeschnitten wird. Diese Exzision nimmt die Integrase
zusammen mit dem Enzym Exzisionase vor, die das Produkt des xis-Gens des
Phagen ist.
Die Kontrolle über den Wechsel des Zyklus hängt mit den Prozessen der SOS-
Antwort der Bakterienzelle zusammen. Dieser Mechanismus repariert Schäden in
der DNA, nimmt dafür jedoch Mutationen in Kauf. Das zentrale Protein in der
SOS-Antwort ist RecA. Es spaltet unter anderem den Repressor CI. Die Still-
legung wird damit aufgehoben und der lytische Zyklus eingeläutet. Dieser dauert
dann rund 60 min und liefert etwa 100 neue Phagenpartikel.
Die Exzision des Prophagen erfolgt nicht immer genau an den Rekombinations-
stellen. Deshalb wird häufig ein Stück chromosomaler DNA mit ausgeschnitten.
Dabei unterscheidet man zwei Varianten:
10 55 Bei der speziellen oder spezifischen Transduktion nimmt der Phage nur bestimmte
Wirtsgene mit. Beispiel: λ integriert sich nur in der attB-Stelle. Dieses Motiv liegt
zwischen dem Galactose- und dem Biotinoperon. Eine ungenaue Exzision nimmt
somit Gene oder Genteile aus diesen Operons mit und keine anderen.
55 Bei der generellen oder allgemeinen Transduktion kann der Phage beliebige
DNA-Abschnitte des Wirts mitnehmen (. Abb. 10.8). Das bakterielle Chromo-
som wird während der lytischen Phase zerstückelt, sodass Bruchstücke davon
1. 2. 3.
Bakterien-DNA Viren-DNA
4. 5. 6.
Nimmt die Empfängerzelle die übertragene bakterielle DNA auf, kann sie diese
über homologe Rekombination in ihr Chromosom integrieren. In manchen Fällen
erlangt die Zelle dadurch neue Eigenschaften.
Je nach Organismus wird die Aufnahme freier Fremd-DNA in eine Zelle mit ver-
schiedenen Begriffen belegt:
55 Bei Bakterien spricht man von Transformation.
55 Bei Eukaryoten ist die Bezeichnung Transfektion üblich.
Transformation ist die Übertragung von DNA in eine Zelle, ohne dass ein direkter
Spender vorliegt. Es ist die Aufnahme „nackter“ DNA aus dem Medium. Die
DNA kann beispielsweise von einer abgestorbenen und lysierten Zelle stammen.
Die Empfänger-Zelle nimmt die DNA durch Membranproteine auf. Dabei spalten
Nucleasen einen Strang ab, der übriggebliebene Einzelstrang gelangt in die Zelle
und wird dort zum Doppelstrang ergänzt.
Historisch ist die Transformation relevant durch das Transformationsexperi-
ment zum Nachweis von DNA als genetisches Material (s. 7 Abschn. 1.2.1).
Heutzutage nutzt man die Transformation im Wesentlichen im Labor, um eine
Empfängerzelle genetisch zu verändern. Beispielsweise indem die Zelle ein zuvor
produziertes genetisches Konstrukt wie ein rekombinantes Plasmid aufnimmt und
dessen genetische Information verwertet.
Bakterienzellen sind in unterschiedlichem Maß von Natur aus zur Trans-
formation bereit. Sogenannte kompetente Zellen nehmen freie DNA auf. Im Labor
erhöht man die Bereitschaft dazu, indem man die Zelle mit Elektroschocks oder
Chemikalien behandelt, wodurch ihre Membran durchlässiger wird.
258 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien
10
259 11
Mutationen und
DNA-Reparatur
Inhaltsverzeichnis
z Mutagenitätstest
Der klassische Test auf die mutagene (und karzinogene) Wirkung ist der Ames-
11 Test. Er arbeitet mit Stämmen von Salmonella typhimurium. Die Zellen zeichnen
sich durch mehrere Eigenschaften aus: (1) Sie besitzen mehrere Mutationen im his-
Gen, können daher ohne Histidin im Nährmedium nicht wachsen. Mutagene
Stoffe rufen Veränderungen hervor, sodass genau diese Eigenschaft wieder-
gewonnen wird. Tatsächlich fügt man dem Minimalmedium eine geringe Histi-
din-Menge hinzu. So ist eine geringe Replikation möglich und man kann auch die
Stoffe erkennen, die erst in Folge der Replikation wirksam sind. (2) Sie besitzen
weitere Defekte: im Reparatursystem, damit sie eine Mutation nicht beheben kön-
nen, in der Zellwandsynthese, damit der Stoff leichter aufgenommen wird.
Moderne Mutagenitätstests arbeiten mit Säugerzell-Kulturen oder mit trans-
genen Mäusen, in die Konstrukte mit Reportergenen eingeschleust wurden.
Elektromagnetische Strahlung
Die mutagenen elektromagnetischen Strahlungsarten umfassen:
55 UV-Strahlung oder ultraviolettes Licht,
55 Röntgenstrahlung und
55 Gammastrahlung.
Sie unterscheiden sich in der Wellenlänge und damit in ihrer Energie. Gamma-
strahlung ist am energiereichsten, gefolgt von Röntgenstrahlung und UV-Strahlung.
Der erbgutschädigende Mechanismus am Beispiel der Auswirkungen von UV-
Strahlung:
55 DNA absorbiert UV-Strahlung im UV-B- und UV-C-Bereich mit einem Ab-
sorptionsmaximum bei 260 nm.
55 Die UV-Strahlen lösen mit ihrer Energie chemische Reaktionen zwischen den
benachbarten Basen eines Strangs aus.
55 Vor allem aufeinanderfolgende Pyrimidine reagieren miteinander zu Dimeren
wie beispielsweise zum Cyclobutandimer, auch Cyclobutyldimer genannt, oder
TT-Dimeren.
55 Erfolgt die Verbindung der Basen über die Kohlenstoffatome 6 und 4, spricht
man von 6-4-Läsionen oder 6-4-Photoprodukten.
55 DNA-Sequenzen mit mehreren aufeinanderfolgenden Pyrimidinen sind be-
sonders anfällig für UV-Schäden. Solche mutationsgefährdeten Stellen nennt
man Hotspots.
55 Die Dimerisierung von Purin beobachtet man viel seltener.
Teilchenstrahlung
Die verschiedenen Arten von Teilchenstrahlung bestehen aus Bausteinen der
Atome, die in der Regel durch radioaktive Zerfallsprozesse freigesetzt werden:
55 Alphastrahlung besteht aus Heliumkernen, die wiederum aus zwei Protonen
und zwei Neutronen zusammengesetzt sind. Die Strahlen sind zweifach positiv
elektrisch geladen. Wegen ihrer Größe dringen sie nicht tief in Gewebe ein.
55 Betastrahlung besteht meistens aus Elektronen. Die Strahlen sind einfach nega-
tiv elektrisch geladen.
55 Betastrahlung aus positiv geladenen Positronen ist seltener.
55 Protonen sind Kernbausteine, die eine positive Ladung tragen.
55 Neutronen sind elektrisch neutrale Kernbausteine.
Die Wirkung auf das Erbgut geht auf die Ionisierung chemischer Moleküle zurück.
Dafür gibt es mehrere Mechanismen:
55 Langsame Teilchen kann ein Molekül direkt einfangen und dadurch deren elek-
trische Ladung übernehmen.
55 Energiereichere und elektrisch neutrale Teilchen schlagen durch Effekte wie
Stöße und Streuung Elektronen oder gar Protonen aus dem Molekül heraus.
55 Treffen die Teilchen auf einen Atomkern, können sie diesen instabilisieren und
einen radioaktiven Zerfall des Kerns provozieren. Ändert sich dabei die Zahl
der Protonen, passt die Elektronenzahl des Atoms nicht mehr, um die Kern-
ladung auszugleichen.
11 55 Zusätzlich können Atomkerne, die langsame Protonen aufgenommen haben,
Gammastrahlung aussenden.
55 Mutagene wie die Aflatoxine des Schimmelpilzes Aspergillus flavus und poly-
zyklische aromatische Kohlenwasserstoffe werden von körpereigenen Enzymen
in reaktive Stoffe umgewandelt, die sich an die Basen heften. Sie verändern die
DNA-Struktur derart, dass sie die Transkription und Replikation blockieren.
Normale Prozesse der Zelle können zu Mutationen führen. Diese können entstehen
55 durch Fehler während der Replikation,
55 durch Transposition,
55 durch Fehler in der Meiose.
Bei E. coli bleibt die Synthese des Folgestrangs auch nach dem proof reading fehler-
11 hafter, hier häufen sich bis zu 20 Mal mehr Fehler an als im neusynthetisierten
Leitstrang.
Das Korrekturlesen erkennt nicht alle Schäden. Dafür gibt es mehrere Ursa-
chen:
55 Die Basen können in zwei verschiedenen tautomeren Formen vorliegen, in der
Keto- oder in der Enolform.
Thymin liegt meist in der Ketoform vor, gelegentlich aber in der Enolvari-
ante. Als Enol paart es sich mit Guanin, die Paarung wird nicht als fehlerhaft
erkannt.
55 Wenn in der DNA Sequenzwiederholungen vorliegen, gerät die Replikations-
maschinerie ins Rutschen, was als replication slippage bezeichnet wird.
Beispielsweise an Mikrosatelliten wie CA-Wiederholungen:
–– Wegen der Fehler sind CA-Repeats variabel.
–– Liegen schon mehrere CA-Repeats in der Matrize vor, verrutscht oft der
Replikationsapparat so weit, dass neue komplementäre Repeats vor oder
hinter ihrem eigentlichen Paarungspartner zum Liegen kommen.
–– Es werden Repeats zusätzlich eingebaut oder können fehlen.
Replication slippage erzeugt also kleine Insertionen oder Deletionen, was mit dem
Begriff Indels zusammengefasst wird.
11.2 · Ursachen von Mutationen
265 11
Fehler bei der Replikation und Krankheiten
Möglicherweise sind replication slippages der Grund für bestimmte neuro-
degenerative Erkrankungen des Menschen wie Chorea Huntington, das Fragi-
le-X-Syndrom oder die Friedreich-Ataxie.
Gemeinsam ist diesen Erkrankungen, dass bereits vorhandene Trinucleotidein-
heiten vervielfältigt werden.
55 Bei gesunden Menschen kommt das Codon CAG für Glutamin im Huntington-
Protein sechs- bis 35 Mal vor. Patienten mit Chorea Huntington weisen 36- bis
121 Mal CAG auf. Je häufiger CAG auftritt, desto stärker ist das Krankheits-
bild. In der Folge degenerieren letztlich bestimmte Nervenzellen.
55 Das FMR1-Gen liegt auf dem X-Chromosom, sein Genprodukt ist
ein RNA-Bindeprotein. Das normale FMR1-Allel umfasst zehn bis 50 Kopien
des Trinucleotids CGG. Seine Expansion ist mit zwei Syndromen assoziiert, das
Krankheitsbild ist von der Anzahl abhängig.
–– Bei 50 bis 200 Kopien liegt eine Prämutation vor, sie führt zu einer Über-
expression von FMR1, allerdings erst im höheren Alter zu einem Krank-
heitsbild, dem Fragilen-X-assoziierten Tremor-/Ataxiesyndrom (FXTAS).
–– Mehr als 200 Kopien verursachen das Fragile-X-Syndrom (FXS, FRAXA),
hier ist das Gen jedoch stillgelegt, der Mangel an dem Protein bedingt letzt-
lich geistige Behinderung, vergrößerte Hoden bei Männern und ein läng-
liches Gesicht.
–– Bei FXTAS liegt also ein Funktionsgewinn vor (gain of function), bei FXS ein
Funktionsverlust (loss of function).
Man bezeichnet die Mutationen als dynamisch, weil sich der Prozess in nach-
folgenden Replikationsrunden weiter fortsetzen kann. Dabei gilt im Allgemeinen,
dass eine höhere Anzahl an Wiederholungen ein ausgeprägteres Krankheitsbild
hervorruft.
Mit dem einfachen Verrutschen lassen sich hohe Wiederholungszahlen von Se-
quenzen wie bei FXTAS und FXS eigentlich nicht mehr erklären. Eine zu-
treffendere Erklärung könnte sein, dass GC-reiche Abschnitte in den Okazaki-
Fragmenten Sekundärstrukturen ausbilden, die dann eine mehrfache Replikation
dieser Stellen nach sich ziehen und nicht als Fehler behoben werden.
Transposition
Bewegliche DNA-Elemente können ebenfalls Mutationen verursachen (s. 7 Kap. 9).
Die Auswirkungen von Transpositionen hängen von der Funktion des DNA-
Abschnitts ab, in den sie springen:
55 Sprünge in nichtcodierende Abschnitte bleiben oft ohne Wirkung.
55 Die Insertion in ein Gen kann seine Funktion beeinträchtigen oder ganz zer-
stören.
55 Bestimmte Transposons wirken über die Veränderung der Genexpression. Dabei
sind zwei Möglichkeiten vorhanden:
–– Das Transposon kann die Transkription unterdrücken,
–– oder es kann sie verstärken.
266 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
11
.. Abb. 11.1 Gonosomale Aneuploidien entstehen durch Non-Disjunction während der 1. oder 2.
Meiose der Oogenese (a) oder der Spermatogenese (b). (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
11.3 · Mutationsklassen
267 11
11.3 Mutationsklassen
Von welchem Mutationstyp man spricht, ist abhängig vom Umfang der Ver-
änderung:
55 Punktmutationen betreffen eine oder wenige Basen. Sie wirken sich meist nur
auf ein Gen aus und heißen daher auch Genmutationen.
55 Strukturelle Anomalien betreffen einen längeren DNA-Abschnitt, gelegentlich
nennt man sie auch Chromosomenmutationen.
55 Genommutationen erfassen ein komplettes Chromosom oder den Chromo-
somensatz, gelegentlich bezeichnet man sie als numerische Aberrationen.
Mutationen kann man auch nach den Zellen und somit nach der Erblichkeit ein-
teilen:
55 Somatische Mutationen betreffen Körperzellen. Sie bleiben auf den Träger be-
schränkt und werden nicht weitergegeben.
55 Keimbahnmutationen betreffen Spermien, Eizellen oder die Zellen, aus denen
sie hervorgehen. Sie werden an die Nachkommen vererbt.
11.3.1 Punktmutationen
Thymin
Adenin Guanin
Cytosin
.. Abb. 11.2 Beziehungen zwischen Transitionen (durchgezogene Pfeile) und Transversionen (ge-
strichelte Pfeile). (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
268 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
Glu
Val Leu Ser Pro Ala Asp Lys Thr Asp Val Lys Ala Ala
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Val
Val His Leu Thr Pro Glu Lys Ser Ala Val Thr Ala Leu
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
.. Abb. 11.3 Aminosäureaustausch bei Sichelzellanämie. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
270 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
Nomenklatur im Karyotyp
Der Karyotyp umfasst alle Chromosomen einer Zelle. Stellt man sie geordnet dar,
erhält man ein Karyogramm (siehe 7 Abb. 12.10 und 7 12.11).
Der Karyotyp eines Patienten umfasst dann:
55 die Anzahl der Chromosomen,
55 die Angabe der Geschlechtschromosomen,
55 eventuelle numerische oder strukturelle Aberrationen.
Duplikation
Eine Duplikation liegt vor, wenn die Zelle einen Chromosomenabschnitt verdoppelt
(. Abb. 11.5).
Nach der Lage und Orientierung der Kopie werden mehrere Varianten unter-
schieden:
55 Bei einer Tandemduplikation liegen die Segmente in gleicher Orientierung
hintereinander.
55 Bei einer Inversduplikation sind sie entgegengesetzt orientiert.
55 Die Duplikation eines Exons ist ein Weg des exon shuffling. Darunter versteht
man den Mechanismus, dass neue Gene entstehen können, indem Exons neu
zusammengestellt werden (s. 7 Abschn. 9.4.1). Man erklärt die Evolution vieler
Gene aufgrund von exon shuffling.
Eine Duplikation kann sich beispielsweise durch ein Crossing over zwischen
Schwesterchromatiden, zwischen homologen oder nichthomologen Chromosomen
ereignen.
Evolutionsbiologen erklären die Entstehung der Genfamilien, der rRNA-Gene
und der hochrepetitiven Satelliten-DNA mit Duplikationen.
Beispiel: Globingene
55 Bei den Vorfahren des Menschen ereignete sich wohl vor etwa 800 Mio. Jahren
die erste Verdopplung eines Globin-Vorfahrgens.
55 Weitere Verdopplungen folgten, sodass schließlich mehrere Gene auf ver-
schiedenen Chromosomen vorlagen, die sich getrennt entwickelten.
55 Es entstanden die α- und β-Gene für das Hämoglobin auf den Chromosomen
11 16 bzw. 11, das Myoglobingen (Chromosom 22), das Neuroglobingen (Chromo-
som 14) und das Gen für Cytoglobin (Chromosom 17).
Translokationen
Translokationen versetzen einen Chromosomenabschnitt von einem Chromosom
auf ein anderes, nichthomologes Chromosom.
Es gibt verschiedene Arten von Translokationen:
d c
c b
b c
a b
a
11.3 · Mutationsklassen
273 11
55 Eine reziproke Translokation liegt vor, wenn zwei Chromosomen Abschnitte
untereinander austauschen. Beispielsweise verliert Chromosom 7 ein Segment
an Chromosom 12, erhält aber seinerseits ein Teilstück von Chromosom 12.
55 Bei einer balancierten Translokation verändert sich die Gesamtmenge des Erb-
guts in der Zelle nicht.
Solange bei einer Translokation keine Gene zerstört werden, ändert sich der Phäno-
typ des Trägers nicht.
Findet die Mutation in der Keimbahn statt, kann eine Translokation schwer-
wiegende Folgen für die Nachkommen haben. Da jedes Chromosom in zwei Exem-
plaren vorliegt, von denen meistens nur eines betroffen ist, entstehen unterschied-
liche Keimzellen mit und ohne mutierte Chromosomen. Aus ihnen gehen ver-
schiedene Zygoten hervor:
55 Zellen, die nur unmutierte Chromosomen enthalten.
55 Zellen mit beiden Chromosomen, die an der Translokation beteiligt waren, so-
dass eine balancierte Translokation vorliegt.
55 Zellen mit partieller Monosomie, die ein verkürztes Chromosom erhalten
haben. Die zweite Keimzelle trägt mit ihrem unmutierten Chromosom den feh-
lenden Teil bei.
55 Zellen mit partieller Trisomie, in denen ein verlängertes Chromosom vor-
kommt.
Zwei Translokationen sind so häufig, dass sie eigene Namen erhalten haben.
55 Die Robertson-Translokation ereignet sich zwischen nichthomologen akrozen-
trischen Chromosomen, die einen sehr kurzen und einen langen Arm haben,
beim Menschen also zwischen den Chromosomen 13, 14, 15, 21, 22 und dem
Y-Chromosom.
–– Die langen Arme mitsamt der Centromere verbinden sich so, dass die beiden
Centromere dicht beieinander in der Mitte eines überlangen dizentrischen
Chromosoms liegen. Man spricht von einer zentrischen Fusion (. Abb. 11.6).
Die beiden Centromere agieren wie ein einziges Centromer. Das neu ge-
bildete Chromosom kann daher problemlos Mitosen und Meiosen durch-
laufen.
–– Die kurzen Arme verbinden sich miteinander. Dabei entsteht eine Art
Fusionsfussel ohne Centromer, das bei der nächsten Zellteilung verloren
geht.
Der Verlust der kurzen Arme stellt eine Deletion dar. Insgesamt wird die Zahl der
Chromosomen also um eins reduziert.
Der Träger einer balancierten Robertson-Translokation bildet je nach Segrega-
tion der normalen und nichtnormalen Chromosomen verschiedene Keimzellen, aus
denen nach der Befruchtung mit normalen Gameten verschiedene Zygoten ent-
stehen. Beispiele:
55 Eine Keimzelle erhält das Fusionschromosom und eines der nichtfusionierten
akrozentrischen Chromosomen. Die Zygote wird dann eine Trisomie auf-
weisen.
274 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
.. Abb. 11.6 Entstehung einer zentrischen Fusion. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
55 Für die andere Keimzelle bleibt nur das zweite nichtfusionierte akrozentrische
Chromosom. Die Zygote trägt eine Monosomie (für die weiteren Fälle
. Abb. 11.7).
55 Das Philadelphia-Chromosom ist ein verkürztes Chromosom 22 aufgrund einer
reziproken Translokation (. Abb. 11.8) zwischen den menschlichen Chromo-
somen 9 und 22: t(9;22)(q34;q11).
–– Das Chromosom 9 bricht im Bereich des ABL-Gens. Der Abschnitt wird in
das BCR-Gen (breakpoint cluster region) auf Chromosom 22 übertragen, es
11 entsteht das BCR-ABL-Gen auf Chromosom 22.
–– Umgekehrt wandert ein Teil des BCR-Gens von Chromosom 22 zu Chromo-
som 9 und lagert sich an den Rest des ABL-Gens.
55 Die Translokation verursacht bei ihren Trägern häufig Leukämie:
–– Das Produkt des ABL-Gens ist eine Tyrosin-Kinase, die unter anderem an
der Regulation der Zellteilung mitwirkt. Das Produkt des BCR-ABL-Gens
ist ein Fusionsprotein, bei dem die Kinaseaktivität erhalten geblieben ist.
–– Die Kontrolle über das BCR-ABL-Gen liegt beim BCR-Promotor, der das
fusionierte Gen überaktiviert.
–– Dadurch ist die Regulation der Zellteilung über die Tyrosin-Kinase gestört,
und die Zelle wird zur Tumorzelle. Es kann sich eine chronische myeloische
Leukämie oder eine akute lymphatische Leukämie entwickeln.
Der Austausch zwischen den Chromosomen 9 und 22 wird durch ihre benach-
barten Chromosomenterritorien im Zellkern begünstigt.
Auch Ringchromosomen betrachtet man als Resultat von Translokationen. Bei
der Mitose werden die (vorher verdoppelten) Ringchromosomen oft regelrecht zer-
rissen.
Isochromosomen sind seltene Translokationen. Die Isochromosomen haben
einen ihrer beiden Arme verloren. Stattdessen tragen sie zwei Exemplare des glei-
chen Arms. Die Ursache liegt darin, dass das ursprüngliche Chromosom während
11.3 · Mutationsklassen
275 11
Translokationstrisomie 21
Monosomie 21
Balancierte
Translokation 14/21
14/21 Normal
Translokation
Translokationstrisomie 14
Monosomie 14
.. Abb. 11.7 Entstehungswege ungewöhnlicher Zygoten. Ein Elternteil trägt eine zentrische Fusion
zwischen den Chromosomen 14 und 21 und kann verschiedene Keimzellen bilden. (Nach Buselmaier
und Tariverdian 2007)
r
r q
q p
h p o
g o n h
f n f g
e m e m
d l d l
c k c k
Centromer
b j b j
a i a i
.. Abb. 11.8 Entstehung einer reziproken Translokation. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
276 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
der Zellteilung nicht ordnungsgemäß längsgeteilt wurde, sondern quer. Beim Men-
schen kommen Isochromosomen i(Xq) und i(21q) vermehrt vor. I(21q) kann eine
Ursache für das Down-Syndrom sein, das Isochromosom mit dem langen Arm
von Chromosom X für das Ullrich-Turner-Syndrom.
Inversion
Bei der Inversion wird ein DNA-Abschnitt innerhalb eines Chromosoms gedreht
(. Abb 11.9).
Es gibt zwei Varianten:
55 Bei einer perizentrischen Inversion umfasst der gedrehte Abschnitt das Centro-
mer.
55 Eine parazentrische Inversion ist auf einen Arm beschränkt.
a f b
f
e e
d c
c d
b b
a a
.. Abb. 11.9 Entstehung einer Inversion. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
11.3 · Mutationsklassen
277 11
55 Polyploidie: Ein ganzer Chromosomensatz ist in Überzahl vorhanden. Bei-
spielsweise besitzt eine triploide Zelle einen dreifachen Chromosomensatz.
55 Aneuploidie: Die Änderung betrifft ein einzelnes Chromosom. Es handelt sich
damit um eine numerische Chromosomenaberration. Man unterscheidet meh-
rere Varianten:
–– Hyperploidie: Es sind ein oder mehrere überzählige Chromosomen vor-
handen wie beispielsweise bei einer Trisomie.
–– Hypoploidie: Es fehlen ein oder mehrere Chromosomen. Beispielsweise fehlt
bei einer Monosomie ein einzelnes Chromosom.
55 Im Umgang mit Aneuploidien verwendet man meist die konkreteren Begriffe
Trisomie oder Monosomie.
55 Nullisomie: Ein Paar homologer Chromosomen fehlt. Der Fall führt meist zum
Tod.
.. Abb. 11.11 Entstehungswege einer autosomalen Trisomie durch Non-Disjunction in der 1. (a)
oder 2. (b) Meiose oder durch mitotische Non-Disjunction (c). (Nach Buselmaier und Tariverdian
2007)
55 Bei einer Mosaiktrisomie gibt es eine Zelllinie mit einem dreifachen und eine
Zelllinie mit einem gewöhnlichen diploiden Chromosomensatz.
55 Bei einer partiellen Trisomie enthalten alle Zellen einen diploiden Chromo-
somensatz. Eines der Chromosomen ist aber aufgrund eines duplizierten Ab-
schnitts deutlich verlängert. In Bezug auf die Gene dieses Abschnitts verfügen
die Zellen über einen dreifachen Satz.
55 Bei einer Translokationstrisomie wurde ein Chromosom oder ein großer Teil
von diesem durch eine Translokation an ein anderes Chromosom angelagert.
Dass diese Trisomien überhaupt lebensfähig sind, ist auf die geringe Gendichte der
drei Chromosomen zurückzuführen. Auf das Genom bezogen sind also relativ we-
nige Gene verdreifacht.
280 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
11
l l
ll
ll
ll
.. Abb. 11.12 Entstehungswege einer Triploidie durch Störungen in der Spermatogenese (a) oder
der Oogenese (b). (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
11.5 · Spontane und induzierte Mutationen
281 11
11.4 Häufigkeit von Mutationen
Die Fehlerrate der DNA-Synthese von E. coli liegt zunächst bei 1 auf 107 bp. Die
Fehlerrate der Gesamtreplikation des Chromosoms verringert sich durch die Re-
paratur auf 1 pro 1010 bis 1011.
Bei einem Mutatorphänotyp ist die Mutationsrate erhöht, weil sich eine Muta-
tion ereignet hat in einem Gen des Replikations- und Reparatursystems, das eigent-
lich Mutationen beheben soll.
Die Angaben von Mutationsraten weichen oft voneinander ab, weil der Bezugs-
punkt jeweils ein anderer ist. (1) Die Mutationsrate eines Basenpaares beträgt 1
Mutation in 109 bis 1010 Generationen. (2) Die Mutationsrate eines beliebigen
Gens ist dementsprechend höher und liegt bei 1 Mutation in 105 bis 106 Generatio-
nen. (3) Die Rate des (bakteriellen) Genoms 1iegt bei 1 Mutation in 300 Generatio-
nen.
Prokaryoten haben eine niedrigere Mutationsrate als Eukaryoten, wenn man
die Mutationsrate für Prokaryoten als Mutanten pro Gen und Vermehrungszyklus
und für Eukaryoten als Anzahl von Mutationen pro Gen und Gameten angibt.
Mäuse und Menschen haben dann eine höhere Mutationsrate.
Man begründet den Unterschied damit, dass eukaryotische Gene größer sind
und dass sich die Zellen häufiger bis zur Bildung der Gameten geteilt haben. Mu-
tationen können sich somit anhäufen.
Bei höheren Eukaryoten ist die Mutationsrate in somatischen Zellen höher als
in Zellen der Keimbahn.
Das Experiment erbrachte eine große Streuung der Anzahlen und wies damit auf
die Zufälligkeit von Mutationen hin.
Ein Experiment von 1988 ergab jedoch, dass manche Bakterien ihre Mutations-
rate als Reaktion auf äußere Bedingungen erhöhen können. Mutanten von E. coli,
die durch eine Mutation im lacZ-Gen keine Lactose aufnehmen konnten, zeigten
11 bei Zusatz von Lactose eine erhöhte Zahl von Mutationen. Ein möglicher
Mechanismus für derartige adaptive Mutationen wäre der Einsatz einer fehler-
anfälligeren Polymerase. Endgültig geklärt ist das Phänomen nicht.
Es gibt mehrere mögliche Gründe, aus denen eine Mutation ohne Auswirkungen
bleiben kann.
55 Stille Mutationen codieren für die gleiche Aminosäure und verändern daher
nicht das Protein.
55 Direkte Rückmutationen oder Reversionen stellen durch eine zweite Mutation
an der gleichen Stelle den Ursprungszustand wieder her. Sie sind sehr selten.
55 Bei einer Suppression unterdrückt eine zweite Mutation an einer anderen Stelle
die erste Mutation. Nach dem Ort der zweiten Mutation werden zwei Fälle
unterschieden:
–– Intragenisch tritt die zweite Mutation im gleichen Gen auf wie die erste. Bei-
spielsweise wandelt sie das Codon so, dass doch die ursprüngliche Amino-
säure codiert wird. Oder eine Insertion hebt eine Deletion wieder auf und
stellt den alten Leserahmen wieder her.
11.7 · Reparatur von DNA-Schäden
283 11
–– Intergenisch ist die zweite Mutation in einem anderen Gen lokalisiert. Hier-
für gibt es mehrere Varianten:
–– Eine Mutation in einer tRNA kann die Mutation verdecken. Nach dem
Prinzip „Minus mal Minus ergibt Plus“ führt die mutierte tRNA die ur-
sprünglich codierte Aminosäure heran.
–– Ein Mutation in der U1snRNA, die am Spleißen beteiligt ist, hebt eine ent-
sprechende Spleißmutation auf.
–– Auf Funktions- oder Proteinebene kann eine Mutation in einem Gen kom-
pensiert werden, wenn eine andere Mutation ein zweites Protein so ver-
ändert, dass es die Aufgabe des nutzlosen Proteins übernimmt. Von E. coli
kennt man Regulationsmutationen im Gen für den Lactosetransporter, wo-
durch dieser für einen defekten Maltosetransporter einspringen kann.
Sowohl Pro- als auch Eukaryoten reparieren DNA-Schäden. Vor allem in Euka-
ryoten ist die DNA-Reparatur eingebunden in ein Zusammenspiel von Transkrip-
tion, Replikation und Reparatur. Die Zelle versucht nicht nur, den Schaden zu be-
heben, sie verknüpft die Reparatur mit grundlegenden Zellprozessen. So stoppt sie
u. U. erst den Zellzyklus, damit ein Schaden nicht an Tochterzellen weitergegeben
284 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
wird. Ist das Ausmaß des Schadens zu groß, leitet die Zelle das Selbstmord-
programm ein, damit sich keine Tochterzellen mit Defekten anhäufen.
Sind die Reparatur-Gene selbst schadhaft, multiplizieren sich die Schäden
geradezu. Einige Erkrankungen zeigen beispielhaft die Verknüpfungen auf:
55 Lynch-Syndrom (erblicher Dickdarmkrebs ohne Polyposis, hereditary nonpoly-
posis colorectal cancer, HNPCC) geht auf Mutationen in Genen des DNA-
Mismatch-Reparatursystems zurück.
55 Das Bloom-Syndrom wird von Mutationen im Gen für das Bloom-Syndrom-
Protein hervorgerufen. Das Protein ist eine Helikase, die an der Reparatur, der
Replikation und der Rekombination beteiligt ist.
55 Das Werner-Syndrom (ein Progerie- oder „beschleunigte Alterung“-Syndrom)
ist die Folge von Mutationen im Gen einer weiteren Helikase, die für ver-
schiedene Prozesse benötigt wird.
55 Patienten mit Xeroderma pigmentosum (XP) sind äußerst empfindlich gegen-
über UV-Strahlen. Sie leiden an trockener, stark pigmentierter und schnell al-
ternder Haut und haben ein erheblich höheres Risiko, an Hautkrebs zu er-
kranken. Bei XP-Betroffenen ist das System, das die UV-Schäden reparieren
soll, selbst geschädigt. Die Ursache sind Mutationen in mehreren unterschied-
lichen Genen der Nucleotidexzisionsreparatur (s. 7 Abschn. 11.7.4).
Die direkte Reparatur von Schäden ist nur in wenigen Fällen möglich.
55 Alkyltransferasen entfernen Alkylgruppen. Relativ unspezifisch arbeitet das
11 ADA-Enzym von E. coli. Spezifischer ist die O6-Methylguanin-DNA-
Methyltransferase (MGMT) des Menschen. Sie entfernt eine Methylgruppe
von Guanin. Nachdem sie die Alkylgruppe aufgenommen hat, wird sie selbst
von Proteasen abgebaut. Deswegen hat sie den Namen „Selbstmordenzym“ be-
kommen.
55 Lichtabhängige Photolyasen behandeln UV-Schäden. Bei E. coli kommt die
Desoxyribopyrimidin-Photolyase vor, kurz DNA-Photolyase. Sie trennt Cyclo-
butyldimere. Licht mit einer Wellenlänge zwischen 300 und 500 nm aktiviert die
Photolyase. Man spricht daher von Photoaktivierung, die DNA wird photore-
aktiviert. Die Lyase kommt bei vielen Bakterien und bei wenigen Eukaryoten
vor. Die (6-4)-Photoprodukt-Photolyase einiger Arten (nicht bei E. coli) repa-
riert die (6-4)-Photoprodukt-Schäden.
11.7.3 Basenexzisionsreparatur
Die Basenexzisionsreparatur (BER) ist bedeutsamer als die direkte Reparatur. Sie
behebt oxidative Schäden, Alkylierungen und desaminierte Basen.
Beim Menschen sind an dem Mechanismus die Gene für 40 Faktoren beteiligt.
Verwandte Gene findet man bei Bakterien und Archaeen.
Der Mechanismus folgt einem von zwei möglichen Wegen:
11.7 · Reparatur von DNA-Schäden
285 11
1. Der Beginn ist für beide Wege der gleiche: Erkennen und Entfernen der ge-
schädigten Base. Es entsteht eine AP-Stelle.
–– Monofunktionale Glykosylasen trennen nur die Base ab. Sie benötigen an-
schließend eine AP-Endonuclease, die den betroffenen DNA-Strang schnei-
det und eine Einzelnucleotidlücke herstellt. Weiter mit 2.
–– Bifunktionale Glykosylasen vereingen zwei Funktionen. Erst trennen sie die
Base ab, dann wirken sie als Lyase. Dabei spalten sie die Phosphodiesterbin-
dung und öffnen den Zuckerring. Weiter mit 3.
2. Nach dem Schnitt durch die Endonuclease (APE1 bei Säugern) treten Enzyme
der Replikation hinzu und werden aktiv. Die DNA-Polymerase δ/ε synthetisiert
die Umgebung um die fehlende Base nach, die FEN1-Endonuclease entfernt
den ausgetauschten Abschnitt, die Ligase 1 schließt die Lücke. Da hierbei bis zu
10 Nucleotide ausgetauscht werden, spricht man vom long-patch-Weg.
3. Hier füllt die DNA-Polymerase β die Lücke auf und der XRCC1/Ligase 3-Kom-
plex versiegelt sie (short-patch-Weg).
Beteiligt sind außerdem einige Proteine, die die beteiligten Reparaturenzyme an die
Schadensstelle heranführen oder sie in ihrer Arbeit unterstützen.
11.7.4 Nucleotidexzisionsreparatur
Auch bei der NER entsteht durch Herausschneiden entweder eine kürzere (short-
patch) oder längere (long-patch) Lücke in einem Strang. Eine DNA-Polymerase
und eine Ligase füllen die Lücke wieder auf und schließen sie.
Der short-patch entspricht im Umfang etwa dem long-patch der BER. Die long-
patch-Reparatur der NER von E. coli erzeugt eine Lücke von bis zu 2 kb. Uvr-
Proteine sind auch an dem long-patch beteiligt.
Trotz der zwei Bezeichnungen findet man gleiche Gene in den zwei Wegen. Mehrere
11 autosomal-rezessive Erkrankungen gehen auf Mutationen in den beteiligten
Genen zurück:
55 Xeroderma pigmentosum mit mehreren Subtypen. Sie sind den Genen XPA bis
XPG zugeordnet, deren Produkte Proteinkomplexe aufbauen. Die XPB- und
XPD-Proteine sind Teil des basalen Transkriptionsfaktors TFIIH.
55 Patienten mit Cockayne-Syndrom (CS) haben Mutationen in zwei Genen für
die TCR-spezifischen Reparaturproteine CSA und CSB. Die Betroffenen sind
körperlich und mental retardiert. CSB gehört zu den Proteinen der SWI/SNF-
Familie (s. 7 Abschn. 7.8.1).
55 Trichothiodystrophie (TTD) ist ein Krankheitsbild mit brüchigen, schwefel-
armen Haaren aufgrund von Mutationen in XPB, XPD oder in dem TTDA-
Gen. Auch das TTDA-Protein ist Bestandteil des Transkriptionsfaktors TFIIH.
Beim Menschen werden über diesen Weg die UV-Schäden auch im Dunkeln repa-
riert, es ist keine Photoaktivierung notwendig.
„Mut“ leitet sich ab von Mutator, weil Mutationen in diesen Genen die Fehler-
quote deutlich erhöhen.
Im Ablauf sind die Mut-Proteine für die Erkennung des auszutauschenden
Strangs verantwortlich:
1. MutS und MutL binden sich an die DNA. MutL holt MutH heran.
2. Sie aktivieren MutH mit seiner Nucleaseaktivität.
288 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
Das System ist von E. coli über die Hefe bis zum Menschen konserviert. Die Ab-
folge beim Menschen ist ähnlich, und die Proteine sind verwandt. Beispielsweise ist
das menschliche MSH homolog zu MutS. Allerdings sind beim Menschen mehr
Proteine in den Reparaturprozess involviert. An der Erkennung der Fehlpaarungs-
stelle sind mehrere Proteine beteiligt: MSH2 und 6, MLH1 und 3, PMS1 und 2.
Ein MutH-homologes Protein ist in Eukaryoten indes nicht bekannt. Seine Auf-
gabe übernimmt ein MutL-homologes Protein. Die Polymerase für den Wiederauf-
bau ist hier die DNA-Polymerase δ.
Mutationen in den Reparaturgenen sind mit einigen Krebsformen assoziiert.
Mutationen in den Genen für MSH2, MLH1, MSH6, PMS2 verursachen das
Lynch-Syndrom.
Einzelstrangbrüche
11 Einzelstrangbrüche sind relativ harmlos. Nach Einzelstrangbrüchen kann die Li-
gase jedoch nicht sofort das Problem beheben, weil ihr nicht die notwendigen 3′-
OH- oder 5′-Phosphatgruppen zur Verfügung stehen. Die Zelle muss die passen-
den Enden erst erzeugen. Unter Umständen schneidet sie dazu weitere Nucleotide
heraus. An der eigentlichen Reparatur sind einige Enzyme der Basenexzisions-
reparatur beteiligt. Der Prozess läuft analog dazu ab.
Doppelstrangbrüche
Viel gravierender sind Doppelstrangbrüche. Ein DNA-Bruch kann auch indirekt
als Folge einer Verletzung der DNA-Struktur entstehen. Der Schaden verhindert
in diesem Fall die Replikation der DNA. Das Replisom stoppt. Solange der
Vorlage-Strang als Einzelstrang ungeschützt vorliegt, ist die Gefahr gegeben, dass
Endonucleasen ihn spalten und dass faktisch ein Doppelstrangbruch entsteht.
Zunächst unterscheidet man zwei Wege:
55 die Reparatur durch homologe Rekombination,
55 die nichthomologe Verknüpfung von Enden.
Bei der Reparatur durch homologe Rekombination liegt mindestens eine zweite
Kopie der DNA vor. Diese muss natürlich intakt sein. In Prokaryoten wie E. coli
liegt die zweite Kopie vor, wenn sich die Zellen so schnell teilen, dass sie die nächste
Replikation beginnen, bevor die erste abgeschlossen ist. E. coli arbeitet mit RecA
11.7 · Reparatur von DNA-Schäden
289 11
a b
NHEJ HR
3’ 3’
5’ 5’
3’ 3’
5’ 5’
5’ 5’
3’ 3’
3’ 3’ 3’
5’ 5’ 5’
5’ 5’ 5’
3’ 3’ 3’
3’ 3’ 3’
5’ 5’ 5’
5’ 5’
3’ 3’ 3’
dHJ
SDSA BIR
andere Ergebnisse sind möglich
.. Abb. 11.13 Die Zelle repariert Doppelstrangbrüche auf verschiedenen Wegen: über eine Ver-
bindung der Enden ohne homologe Rekombination (NHEJ) oder mittels homologer Rekombination
(HR). Hier sind mehrere Ausgänge möglich: ohne eine zweite Stranginvasion (SDSA), mit zweiter
Stranginvasion und Bildung einer doppelten Holliday-Struktur (dHJ) oder über Bruch-induzierte
Replikation (BIR, weitere Erläuterungen im Text). (Nach Liu und Malkova 2022; mit freundlicher
Genehmigung von Elsevier)
als Rekombinase, Eukaryoten mit Rad-Proteinen. Die Zelle repariert den Doppel-
strangbruch, indem sie einen Einzelstrang an das homologe Chromosom anlagert
und die homologe Rekombination ausführt.
Der Ablauf ist nicht einheitlich immer der gleiche, es treten verschiedene Varia-
tionen auf. Man untersucht die Variationen v. a. in S. cerevisiae (siehe . Abb. 11.13).
Einheitlich sind die ersten Schritte bis zur Nachsynthese:
1. Bearbeitung der zwei gebrochenen 5′-Enden (Resection).
2. Mittels Rad51: Stranginvasion eines losen Strangs an sein komplementäres
Gegenstück der intakten DNA.
3. Bildung eines D-loops.
4. Verlängerung (Nachsynthese) des eingedrungenen Einzelstrangs durch die
DNA-Polymerase δ.
Variationen treten auf, weil diese Situation unterschiedlich aufgelöst wird. Je nach
Weg sind unterschiedliche Proteine beteiligt:
290 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
Bei der Aufbereitung der Enden entstehen Mutationen wie kleine Deletionen oder
Insertionen. Die Zelle nimmt diese jedoch als geringeres Übel in Kauf, um zu über-
leben.
Die Immunzellen des Menschen nutzen die Mutationen durch das NHEJ aus.
Sie erzeugen unter anderem darüber die hohe Vielfalt an Antikörpern.
Ist der Reparaturmechanismus selbst durch Mutationen beeinträchtigt, so sind
die Betroffenen aufgrund immunologischer Probleme oft anfällig für Infekte oder
tragen bei Mutationen in XRCC4 ein höheres Krebsrisiko.
Dass die NHEJ-Reparatur auch während der Entwicklung der Nervenzellen
und des Gehirns wichtig ist, sieht man an der Mikrocephalie vieler Betroffenen mit
Mutationen. Sie haben einen kleineren Kopf und sind oft mental retardiert.
Ist keine Reparatur mehr möglich, leitet die Zelle die Apoptose ein.
11.7 · Reparatur von DNA-Schäden
291 11
11.7.7 SOS-Mechanismus und Transläsionssynthese
In E. coli spricht man von der SOS-Antwort. Zentrale Proteine sind hier in E. coli
das Rekombinationsprotein RecA und der Repressor LexA. Im Gegensatz zu den
anderen Reparaturproteinen wird LexA nicht direkt am Ort des Schadens aktiv,
sondern reguliert die Genexpression.
Die Einleitung:
1. Unter normalen Umständen bindet sich LexA als Repressor vor die Gene der
SOS-Box oder LexA-Box und verhindert deren Transkription.
2. Liegt bei einem ernsthaften Schaden ein Teil der DNA als Einzelstrang vor, bin-
det sich das Protein RecA an einen solchen Einzelstrangabschnitt. Es spaltet ei-
nige Proteine, darunter LexA.
3. Das gespaltene LexA kann sich nicht mehr an die Box binden und gibt die
Gene zur Transkription frei.
Die Integrität der DNA ist unerlässlich für die Funktion einer Zelle. Deswegen
kontrolliert eine Zelle an mehreren Checkpoints, ob ein Vorgang korrekt ab-
geschlossen ist, bevor sie in das nächste Stadium eintritt.
Beim Menschen zeigen beispielsweise die Gene für die Reparaturproteine
BRCA1 und 2 (Breast Cancer) die Verknüpfung zwischen DNA-Reparatur und
Zellzykluskontrolle.
Erbliche Fälle von Brustkrebs gehen zurück auf Mutationen in den Genen
BRCA1 oder BRCA2. Diese vermitteln im Zusammenspiel mit weiteren Proteinen
zwischen DNA-Schäden, der Reparatur und dem Zellzyklus. BRCA1 und 2 gelten
als Tumorsuppressorgene (s. 7 Abschn. 12.4.3). Mutationen in den Genen sind
auch mit anderen Krebsformen assoziiert. Auch Mutationen in RAD51C führen zu
Brustkrebs.
11
293 12
Humangenetik
Inhaltsverzeichnis
Beim Menschen macht man sich die Mendel’schen Regeln zunutze, um den Ver-
erbungsmodus einer Krankheit zu bestimmen. Dabei wird die diagnostizierte
Krankheit als Merkmal betrachtet.
Es gibt fünf Grundmuster (s. 7 Abschn. 12.2.1), wie ein solches Merkmal
weitergegeben wird. Diese unterscheiden sich in zwei Hinsichten:
55 Das Gen kann auf einem Autosom oder einem Gonosom und hier auf dem X-
Chromosom oder dem Y-Chromosom liegen.
55 Das Merkmal kann dominant oder rezessiv weitergegeben werden.
Merkmale, die auf Chromosomen des Zellkerns lokalisisert sind, folgen einem der
fünf grundlegenden Erbgänge:
55 autosomal-dominant,
55 autosomal-rezessiv,
55 X-gekoppelt rezessiv,
55 X-gekoppelt dominant oder
55 Y-gekoppelt.
12.2 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
295 12
.. Abb. 12.1 Symbole in
oder Männliches Individuum
Stammbäumen. (Nach Busel-
maier und Tariverdian 2007) oder Weibliches Idividuum
oder Individuum unbekannten oder
nicht angegebenen Geschlechts
2 2 männliche Individuen, ohne Berück-
sichtigung der Stellung in der
Geschwisterreihe
3 3 Individuen, Geschlecht unbekannt
oder nicht spezifiziert
Proband
Geschwister
Zwillinge
Abort
Totgeburt
Schwangerschaft zur Zeit der
Untersuchung
Keine Nachkommen
Autosomal-dominanter Erbgang
Die Charakteristika eines autosomal-dominanten Erbgangs (. Abb. 12.2) sind:
55 Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen und können das ver-
ursachende Allel weitergeben.
55 Eine erkrankte Person hat mindestens einen erkrankten Elternteil, und die Er-
krankung tritt in jeder Generation auf. Eine Ausnahme stellt die Neumutation
dar, wenn die Mutation das erste Mal auftritt.
55 Es reicht eine Kopie des Allels, um die Krankheit auszulösen.
55 Dieses Allel kann vom Vater oder von der Mutter weitergegeben werden.
55 Ist die Zelle für das Allel homozygot, prägt sich das Merkmal oft drastischer
aus oder führt sogar zum Tod.
12 55 Ist nur ein Elternteil betroffen und heterozygot, beträgt das Erkrankungsrisiko
für ein Kind 50 %.
Autosomal-rezessiver Erbgang
Die Charakteristika eines autosomal-rezessiven Erbgangs (. Abb. 12.3) sind:
55 Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen und können das ver-
ursachende Allel weitergeben.
55 Das Merkmal prägt sich nur aus, wenn das mutierte Allel homozygot vorliegt.
55 Die Betroffenen haben phänotypisch gesunde Eltern. Diese sind aber jeweils
Überträger oder Konduktoren.
55 In blutsverwandten Ehen tritt die Krankheit häufiger auf.
55 Sind beide Eltern Überträger, beträgt das Erkrankungsrisiko für ein Kind 25 %.
z Beispiele
55 Okulokutaner Albinismus Typ OCA 1–4. Mutationen lösen eine gestörte Syn-
these von Melanin aus. Bei Typ 1 ist beispielsweise das Enzym Tyrosinase
fehlerhaft oder es fehlt gänzlich. Die Betroffenen zeigen hellere Haut-, Haar-
und Augenfarben, worunter auch blonde Haare und blaue Augen fallen. Sind
vor allem die Augen betroffen (okulärer Typ), liegt der X-chromosomal ver-
erbte Typ OA vor. Die Häufigkeit liegt weltweit bei etwa 1:20.000, in Afrika ist
sie höher.
55 Phenylketonurie. Aufgrund von Mutationen vor allem im Phenylalanin-
Hydroxylase-Gen (PAH-Gen) erfolgt kein Abbau von Phenylalanin zu Tyrosin.
Daher häuft sich Phenylalanin an, was eine mentale Retardierung hervorruft.
Die Inzidenz liegt in Deutschland bei etwa 1:8000 pro Jahr.
Bei einer Compound-Heterozygotie trägt jedes der beiden Allele eine andere Muta-
tion. Dieser Fall tritt beispielsweise auf bei:
55 Patienten mit Mukoviszidose.
55 Patienten mit Phenylketonurie.
55 Patienten mit dem Androgenitalen Syndrom (AGS). In den Allelen für das
Enzym C21-Hydroxylase können verschiedene Mutationen wie Deletionen,
Punktmutationen oder Genkonversion auftreten. Der Ausfall des Enzyms führt
zu einem Mangel an Cortisol, der letztlich eine verstärkte Synthese androgener
Hormone auslöst. In Deutschland beträgt der Anteil an compound-
heterozygoten Patienten mit AGS etwa 90 %.
12 XY XX
XX XY XX
XY XX
XY XX XY XX
XX XY
XY XY XX XX XY XY XX XX
z Beispiele
55 Muskeldystrophie Duchenne: Die Mutationen bedingen in den meisten Fällen
eine Leserasterverschiebung. In der Folge bildet die Muskelzelle kein Struktur-
protein Dystrophin. Die Inzidenz in der männlichen Bevölkerung wird mit
1:3500 bis 1:4500 in verschiedenen Industrienationen angegeben.
55 Hämophilien: Mutationen in Genen für Gerinnungsfaktoren verhindern die
Blutgerinnung:
–– Bei Hämophilie A treten die Mutationen im Faktor-VIII-Gen auf. Die In-
zidenz-Werte in westlichen Populationen liegen zwischen 1:5000 bis 1:10.000
pro Jahr (für den männlichen Anteil).
–– Bei Hämophilie B sind die Mutationen im Faktor-IX-Gen, dem Christmas-
Faktor, lokalisiert. Die Inzidenz-Werte liegen für westliche Populationen bei
rund 1:30.000 pro Jahr (für den männlichen Anteil).
55 Ein erkrankter Vater und eine gesunde Mutter bekommen betroffene Töchter,
aber gesunde Söhne.
55 Eine erkrankte Mutter bekommt mit einem Risiko von 50 % ein betroffenes
Kind, unabhängig vom Geschlecht.
z Beispiel
Oro-fazio-digitales Syndrom Typ 1 (OFD1), auch bekannt als Papillon-Léage-
Psaume-Syndrom. Symptome sind Fehlbildungen an den Fingern, Zahnfehl-
stellungen und eine Gaumenspalte.
Y-gekoppelter Erbgang
Vom Y-gekoppelten Erbgang sind nur Männer betroffen. Ein erkrankter Vater
zeugt erkrankte Söhne.
Die Existenz dieses Erbgangs ist allerdings fraglich. Mit Sicherheit kennt man
nur Defekte, welche die Spermatogenese stören und dann völlige oder teilweise Un-
fruchtbarkeit verursachen.
Zellteilung
Zellteilung
Aufgrund der Funktion der Mitochondrien (ATP-Synthese) und des hohen Be-
darfs an ATP in Nerven- und Muskelzellen zeigen sich vor allem in entsprechenden
Geweben die Symptome der mitochondrialen Krankheiten.
Durch eine Verteilung der betroffenen Mitochondrien in die Oocyten können
die Nachkommen deutlich stärker von der Krankheit betroffen sein als die Mutter.
Mitochondriale Erbgänge zeigen dann eine unvollständige Penetranz.
Mehrere Faktoren erschweren das Ableiten eines Erbgangs aus einem Stammbaum:
55 Viele Familien sind zu klein, um ausreichend Zahlenmaterial zu liefern.
55 Die Expressivität und Penetranz eines Merkmals liegt nicht immer bei 100 %,
sondern variiert.
55 Mehrere Faktoren tragen zu einem Merkmal bei.
55 Neumutationen täuschen eigentlich gesunde Eltern als Überträger vor.
55 Keimzellenmosaike ergeben unterschiedlich ausgestattete Keimzellen vom sel-
ben Elter.
55 Chimären mischen Zellen mit unterschiedlichen Allelkompositionen.
55 Imprinting führt zu ungleicher Behandlung mütterlicher und väterlicher Gene.
Unter den Sammelbegriff „Faktor“ fallen alle Parameter, die auf ein Merkmal ein-
wirken:
55 Gene,
55 Umwelteinflüsse,
55 epigenetische Markierungen,
55 Einfluss der Mutter während der Embryonalentwicklung.
302 Kapitel 12 · Humangenetik
Multifaktorielle Merkmale werden nicht von einem einzelnen Gen, sondern von
mehrere Faktoren bestimmt. Dabei kann man keine klare Trennung ziehen zwi-
schen unvollständig penetrant mendelnden und multifaktoriellen Merkmalen.
Durch variable Expression zeigt sich bei verschiedenen Familienmitgliedern ein
unterschiedlich schweres Krankheitsbild. Wie bei der unvollständigen Penetranz
sind andere Gene oder Umweltfaktoren die Ursache dafür.
z Beispiel
Patienten mit dem Tumor Neurofibromatose Typ 1 können „nur“ einige Café-au-
lait-Flecken aufweisen, es kann aber auch der Körper von Neurofibromen bedeckt
sei, und der Patient zeigt Lerndefizite. Da das Merkmal etwa 100 % Penetranz auf-
weist, ist es aber immer im Phänotyp ausgeprägt.
Ein Sonderfall ist die Antizipation: Die Krankheit tritt bei den Kindern früher
oder stärker ausgeprägt auf als bei den Eltern. Antizipation beobachtet man häu-
fig bei Erkrankungen, denen eine Vervielfältigung von Trinucleotiden zu Grunde
liegt, Beispiel Chorea Huntington. Mit der weiteren Vererbung des Allels nimmt
die Anzahl des Trinucleotids (hier: CAG) von Generation zu Generation zu (dyna-
12 mische Mutation, siehe 7 Kap. 11, Fehler bei der Replikation und Krankheiten).
z Beispiel
Mehr als 90 % der Fälle von Achondroplasie gehen auf eine Neumutation zurück.
Die Mutationsrate nimmt hier mit dem Alter des Vaters zu.
Imprinting
Imprinting ist eine epigenetische Markierung, welche die Herkunft eines Gens von
der Mutter oder vom Vater anzeigt und seine Expression beeinflusst. Das Imprin-
ting beruht meist auf der Methylierung von CpG-Inseln. Nach der Befruchtung
liegen in der Zygote die Chromosomen mit dem Methylierungsgrad vor, den sie
auch in der Eizelle und im Spermium aufweisen. Die Keimzellen ändern dieses vor-
gegebene Muster, wenn sie heranreifen: Erst entfernen sie an allen Chromosomen
die Methylierungen, bevor sie dann das geschlechtsspezifische Muster ausbilden.
Spermien und Oocyten unterscheiden sich folglich darin.
Grundsätzlich ändert sich zwar das Methylierungsmuster von Genen im Laufe
der Entwicklung somatischer Zellen: Um Gene während der somatischen Reifung
zu regulieren, demethyliert die Zelle einige Gene, während andere methyliert blei-
ben. 100 bis 200 Gene sind im Menschen jedoch geprägt oder imprinted: Väterliche
und mütterliche Allele sind verschieden methyliert und unterschiedlich
transkriptions-aktiv. Dieses geschlechtsspezifische Muster bleibt in den Körper-
zellen (anders als in Keimzellen) erhalten. Die Mehrheit der geprägten Gene liegt
geclustert in der Nähe einer Imprinting Kontrollregion, ICR (imprinting control re-
gion oder Imprinting Zentrum). Eine ICR ist eine regulatorische Regionen, die für
die richtige monoallelische Expression von Genen zuständig ist. Über kurze
Sequenzmotive werden die ICRs in der Keimbahn differenziert methyliert (gDMR,
germline differentially methylated region) und behalten ihren Chromatin-Zustand.
Daraus resultieren verschiedene mögliche Ursachen für eine Imprinting-Störung:
55 Mutationen in Genen,
55 Kopienzahlveränderungen (CNV),
55 Uniparentale Disomie (UPD): es sind zwei Genkopien vorhanden, aber beide
stammen von einem Elter, sind also beide von der Mutter oder beide vom Vater,
55 Veränderungen des epigenetischen Status der ICR und/oder der Gene: die Re-
gulation geprägter Abschnitte ist gestört (Epimutation).
Mütterliche Allele sind vorhanden, aber methyliert (imprinted) und somit still-
gelegt. Patienten sind körperlich und geistig auffällig, besonders gilt das für ihr
unstillbares Hungergefühl.
55 Angelman-Syndrom. 70 % der Patienten fehlt der Abschnitt auf dem mütter-
lichen Chromosom, 5 % zeigen eine väterliche uniparentale Disomie
Zygote Zygote
UPD
„trisomy rescue”
UPD
12
Zygote Zygote
„monosomy rescue”
durch Duplikation
UPD
„monosomy rescue”
UPD
.. Abb. 12.7 Entstehungswege einer uniparentalen Disomie (UPD): In (a) liegt zunächst eine Tri-
somie, in (b) eine Monosomie vor, die zum Preis einer UPD korrigiert wird. Die Verschmelzung von
disomer und nullisomer Keimzelle (c) ist selten. Auch eine postzygotische Korrektur ist möglich (d).
(Nach Schaaf und Zschocke 2013)
12.2 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
305 12
(. Abb. 12.7). 1 % der Patienten hat einen Imprinting-Defekt. Knapp 25 % der
Patienten tragen Mutationen in dem Gen UBE3A. Als Folge der Deletion fehlt
das mütterlich exprimierte Allel. Das väterliche Allel ist zwar vorhanden,
aber stillgelegt. Das klinische Bild umfasst ebenfalls körperliche und geistige
Auffälligkeiten. Wegen des charakteristischen Gangs und des unmotivierten
Lachens heißt die Krankheit auch Happy-Puppet-Syndrom.
z Beispiele
55 Angeborene Verrenkung (Luxation) des Hüftgelenks männlich zu weiblich 1:6.
55 Verengung des Magenpförtners (hypertrophische Pylorusstenose) männlich zu
weiblich 5:1.
Man nimmt an, dass sich die auslösenden Faktoren nicht mehr in einer Art Gleich-
gewicht befinden. Die bei jedem Menschen vorhandene Anfälligkeit hat bei den Be-
troffenen dann einen kritischen Schwellenwert überschritten (. Abb. 12.8). Bei der
Pylorusstenose liegt dieser Schwellenwert für Jungen niedriger als für Mädchen.
Mit der geschlechtlich ungleichen Verteilung geht der Carter-Effekt einher:
Wenn die Eltern des seltener betroffenen Geschlechts erkranken, haben sie häufiger
erkrankte Kinder.
Der Phänotyp kann auf Mutationen in verschiedenen Genen zurückgeführt
werden, was man genetische Heterogenität nennt (. Abb. 12.9).
306 Kapitel 12 · Humangenetik
Schwelle Prädisposition
b
Schwellen - Prädisposition
wertbereich
12
.. Abb. 12.9 Genetische Heterogenität bei homozygoten Eltern kann zu gesunden Nachkommen
führen. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
12.3 · Untersuchungsmethoden in der Humangenetik
307 12
z Beispiel
Eltern, die aufgrund verschiedener autosomal-rezessiver Mutationen gehörlos
sind, können Kinder bekommen, die für jedes Gen heterozygot sind und daher
hören können. Die Kinder sind jedoch zweifach Überträger.
Die Humangenetik nutzt allgemeine genetische Methoden und Verfahren der Prä-
nataldiagnostik, um verschiedene Fragen von Patienten/Ratsuchenden zu be-
antworten:
55 Sind bei unklaren Familienverhältnissen Menschen miteinander verwandt?
(Beispiel: Vaterschaftstest)
55 Trägt eine Person ein Allel, das eine Krankheit ausprägt? (Beispiel: Test auf
Chorea Huntington)
55 Trägt eine Person ein Allel, das eine Unverträglichkeit für ein Medikament be-
dingt? (Beispiel: Test auf Antigene humaner Leukocyten, HLA)
55 Liegt bei einem Embryo ein genetischer Defekt vor?
55 Liegt bei einem Neugeborenen ein Defekt vor, sodass u. U. frühzeitig eine The-
rapie notwendig wird? (Beispiel: Untersuchung von Neugeborenen auf Phenyl-
ketonurie)
12.3.1 Pränataldiagnostik
12
.. Abb. 12.10 Ablauf der Chorionzottenbiopsie. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
.. Abb. 12.11 Ablauf der Amniocentese. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
Polymorphismen
Als Orientierungspunkte oder DNA-Marker dienen Polymorphismen genannte
Sequenzvariationen im Genom. Ihre Positionen auf den Chromosomen sind genau
bekannt und kartiert.
Man unterscheidet verschiedene Polymorphismen:
55 Mikrosatellitenpolymorphismen, beispielsweise CA-Repeats. Sie unterscheiden
sich bei Menschen in der Zahl ihrer Wiederholungen. Es steht ein Katalog über
mehr als 20.000 Sequenzen zur Verfügung. Mikrosatelliten untersucht man
mittels PCR (Polymerasekettenreaktion, polymerase chain reaction).
55 Einzelnucleotidpolymorphismen (oder single nucleotide polymorphisms, SNP,
lies: „snip“). Die Varianten unterscheiden sich in einem einzelnen Basenpaar an
der jeweiligen Position. Man kennt mittlerweile mehrere Millionen SNPs, die in
einer Datenbank (dbSNP) abgelegt sind. Ein Teil der SNPs liegt in codierenden
Regionen. SNPs untersucht man in großem Maßstab mittels DNA-Chips.
55 Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus, RFLP. Wenn ein SNP eine
Schnittstelle für ein Restriktionsenzym innerhalb eines Fragments erzeugt oder
auslöscht, kann man recht einfach die DNA mehrerer Personen vergleichen,
indem man die Fragmente nach Einwirken des Restriktionsenzyms untersucht.
55 Weitere Polymorphismen setzt man für genomische Untersuchungen ein (s.
7 Abschn. 15.3).
12
Wahrscheinlichkeiten für eine Kopplung
Um Krankheitsgene mithilfe der DNA-Marker zu kartieren, gleicht man die
Markergenotypen mit den Familienstammbäumen ab. Man schaut dabei nach der
gemeinsamen Vererbung oder Cosegregation von Krankheitsbild und DNA-
Marker. Die Cosegregation kann verschiedene Gründe haben:
55 DNA-Marker und Krankheitsgen sind gekoppelt, weil beide natürlicherweise
auf demselben Chromosom liegen.
55 DNA-Marker und Krankheitsgen liegen durch Rekombination auf demselben
Chromosom.
55 DNA-Marker und Krankheitsgen sind auf verschiedenen Chromosomen loka-
lisiert und wurden zufällig gemeinsam weitergegeben.
12.3.4 Assoziationsstudien
Vorgehen
Um die hohe Datenzahl zu erhalten, wendet man Hochdurchsatzverfahren an.
Man genotypisiert dabei mehrere Hunderttausend SNPs, die über das Genom ver-
streut sind. SNPs haben gegenüber Mikrosatelliten den Vorteil, dass sie seltener
mutieren.
Bei einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) genotypisiert man die SNPs
innerhalb der Gruppe der Betroffenen und einer Kontrollgruppe.
Beispiel: Verschiedene Allele machen anfällig für eine Erkrankung wie Diabetes
oder Depression. Die Anwesenheit dieser Allele ist für die Erkrankung weder hin-
reichend noch notwendig, sie erhöht jedoch das Risiko.
Da sich eine GWAS nicht auf ausgesuchte Kandidatengene beschränkt, son-
dern hypothesenfrei das Gesamtgenom untersucht, liefert sie viele potenziell
krankheitsfördernde Allele, die vorher unbekannt waren. Das deCode-Projekt zur
Daten-Erfassung in der isländischen Bevölkerung ist ein Beispiel dafür.
.. Abb. 12.12 Indirekte Diagnostik bei einer autosomal-rezessiven Erkrankung. (Nach Buselmaier
und Tariverdian 2007)
12
Deletion: z. B. cF
Punktmutation: z. B. Sichelzellanämie
An komplexen Erkrankungen wirken äußere Faktoren und mehrere Gene mit. Die
komplexen Erkrankungen sind also multifaktoriell und polygen, daher zeigen sie
nicht die Kennzeichen mendelnder Erbgänge. Multifaktoriell kann sich dabei auf
äußere Faktoren und Gene beziehen oder nur auf mehrere Gene.
Das bedeutet:
55 Die kausale Beziehung zwischen einem Allel und der Erkrankung ist nicht so
strikt wie bei monogenen Erkrankungen, man trägt „nur“ eine genetische Prä-
disposition.
55 Durch den Lebensstil oder Lebenswandel kann man die Erkrankung eventuell
verhindern. Beispiele: Diabetes mellitus, Bluthochdruck (Hypertonie).
Der Beitrag der einzelnen Gene an der Entstehung kann unterschiedlich groß sein.
Möglich ist:
55 Einige wenige Gene haben einen großen Anteil am Ausbruch.
55 Mehrere Gene wirken gleichmäßig mit jeweils gleich großem Anteil.
55 Viele Gene mit jeweils geringem Anteil sind verantwortlich.
Diabetes erhöht das Risiko für tödliche Erkrankungen wie Schlaganfall und Herz-
infarkt, aber auch für Gefäßschäden oder Blindheit.
314 Kapitel 12 · Humangenetik
Typ-II-Diabetes
Der Typ-II-Diabetes zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
55 Er ist die häufigste Diabetesform, 90–95 % der Erkrankten leiden daran.
55 Die Häufigkeit in der Bevölkerung beträgt 2–5 % und macht ihn zur Volks-
krankheit.
55 Er ist nicht von Insulin abhängig. Das gebildete Insulin reicht nicht mehr aus,
um den Blutzuckergehalt zu senken. Man spricht von Insulinresistenz.
55 Die Form trat früher vor allem im Alter auf und trug den Beinamen „Altersdiabetes“.
Typ-II-Diabetes ist das Musterbeispiel für eine komplexe Erkrankung, bei der äu-
ßere Faktoren wie die Ernährung und genetische Faktoren verquickt sind.
Die genetische Prädisposition macht sich dadurch bemerkbar, dass sich das Er-
krankungsrisiko um 30–40 % erhöht, wenn ein Elternteil erkrankt ist.
Beispiele für genetische Faktoren (Suszeptibilitätsgene) sind:
55 das Gen für Calpain 10 (eine calciumabhängige Cystein-Protease) und
55 das Gen für den Transkriptionsfaktor TCF7L2 (oder TCF4 genannt).
55 TCF7L2 wirkt u. a. an der Insulinsekretion mit. Ein SNP innerhalb des
TCF7L2-Gens gilt derzeit als entscheidender genetischer Marker. Das Allel er-
höht das Erkrankungsrisiko um das 1,5-Fache.
55 Insgesamt haben genomweite Assoziationsstudien mittels SNPs zahlreiche Loci
12 identifiziert, die mit einem höheren Risiko einhergehen. Einige genetische
Risikofaktoren erhöhen auch das Risiko für Fettleibigkeit.
Typ-I-Diabetes
Der Typ-I-Diabetes zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
55 Er liegt in 5–10 % aller Diabetesfälle vor.
55 Die Häufigkeit in der Bevölkerung liegt bei 0,2–0,3 %.
55 Typ I ist von Insulin abhängig.
55 Er tritt meist schon in der Jugend auf.
55 Eineiige Zwillinge erkranken häufiger, es müssen aber nicht zwingend beide
betroffen sein.
12.4 · Komplexe Erkrankungen
315 12
Anders als die an Typ-II-Erkrankten verlieren die Betroffenen die Fähigkeit, Insu-
lin zu synthetisieren. Die Ursache liegt darin, dass der Körper selbst die produzie-
renden β-Zellen des Pankreas zerstört. Typ I gilt damit als Autoimmunerkrankung:
Die Erkrankten bilden gegen eigenes Gewebe gerichtete Autoantikörper.
Man erklärt Typ I damit, dass die Risikopatienten Kombinationen bestimmter
Allele des HLA-Systems tragen. HLA-Gene sind von zentraler Bedeutung für die
Funktion des Immunsystems. Die Proteine präsentieren den Immunzellen Peptide
als Antigene (s. 7 Abschn. 13.5).
Man bezeichnet die Kombination der Allele mehrerer gekoppelter Gene auf
demselben Chromosom als Haplotyp, was sich von „haploider Genotyp“ ableitet.
Man nimmt an, dass äußere Faktoren den krankmachenden Haplotypen ver-
anlassen, die Autoantikörper zu bilden.
55 sie können sich aus ihrem ursprünglichen Zellverband herauslösen und in ein
anderes Gewebe einwandern,
55 sie verlieren ihre biochemisch-genetischen Charakteristika einer aus-
differenzierten Zelle.
Das Ausmaß dieser Eigenschaften ist unterschiedlich stark ausgeprägt, sodass man
darauf die biologische Einteilung von Tumoren aufbaut:
55 Gutartige oder benigne Tumore: Diese bestehen aus differenzierten, langsam
und örtlich begrenzt wachsenden Zellen. Sie verdrängen Nachbargewebe, in-
filtrieren es aber nicht.
55 Bösartige oder maligne Tumore: Diese werden auch als Krebs bezeichnet und
bestehen aus dedifferenzierten, schnell und aggressiv wachsenden Zellen. Sie
zerstören umliegendes Gewebe, verlassen ihren angestammten Gewebeverband
und streuen in den Körper. Sie sind invasiv und bilden Metastasen.
55 Semimaligne Tumore: Sie bilden zwar keine Metastasen, zerstören aber Nach-
bargewebe und wachsen in dieses hinein.
Die histologische Einteilung schaut nach dem Gewebe, dem die Zellen ent-
wicklungsbiologisch entstammen.
Beispiele:
55 Epitheliale Tumore: entstehen aus Ektoderm und Entoderm. Hierzu gehören
gutartige Adenome, Papillome oder bösartige Carcinome.
55 Mesenchymale Tumore: entstehen aus dem Mesoderm. Dazu zählen gutartige
Fibrome und bösartige Sarkome.
55 Embryonale Tumore: entstehen aus undifferenziertem Gewebe. Beispiele hier-
für sind Retinoblastom und Neuroblastom.
12
Krebs als genetischer Defekt
Man unterscheidet erbliche und nicht-erbliche oder sporadische Krebserkrankungen.
In beiden Gruppen sind die gleichen Gene betroffen.
Eine erbliche Prädisposition liegt in etwa 5 % der Krebserkrankungen vor. Im
Wesentlichen entstehen die Mutationen in den Genen durch:
55 Punktmutationen in den somatischen Zellen,
55 Translokationen,
55 Aneuploidien,
55 Erhöhung der Kopienzahl (Amplifikation),
55 Insertionen viraler Gensequenzen,
55 Imprinting-Mutationen.
12.4.3 Tumorsuppressorgene
Kann die Zelle den DNA-Schaden nicht reparieren, löst das Gen letztlich die Apo-
ptose aus.
Mutationen führen zu einem Verlust der Funktion (loss of function) und damit
der Kontrolle des Wachstums.
Zwei-Treffer-Theorie
Nach der Zwei-Treffer-Theorie oder Knudson-Hypothese müssen zwei Mutationen
zusammenkommen, damit eine Zelle anfängt, sich unkontrolliert zu teilen. Die Mu-
tationen schalten beide Exemplare des Kontrollgens aus, die der Patient von beiden
Eltern erhalten hat.
Dabei unterscheidet man zwei verschiedene Abläufe:
55 Entweder ereignen sich im Lauf des Lebens zwei sporadische Mutationen in
den beiden Allelen. Es kommt zu einer sporadischen Krebserkrankung.
55 Oder die erste Mutation ereignet sich bereits bei der Gametenentwicklung in der
Keimbahn eines Elternteils. Sie erzeugt allein keinen Krebs, bewirkt aber eine
genetische Prädisposition.
Die erste Mutation ist oft eine Punktmutation, die zweite beispielsweise eine Dele-
tion eines größeren Abschnitts. Sie führt zu einem Zustand, den man als Loss of
Heterozygosity (LOH) bezeichnet.
Die zwei Mutationen führen zwar zur unkontrollierten Zellteilung, aber nicht
zwingend zu einem malignen Tumor. Dafür können weitere Mutationen notwendig
sein. Beispielsweise verläuft die Bildung eines Adenom-Carcinoms mehrstufig:
55 Die Entwicklung des colorectalen Carcinoms (Dickdarmkrebs) beginnt mit den
Mutationen im Tumorsuppressorgen APC.
55 Erst wenn weitere Gene mutieren, entwickeln sich die malignen Eigenschaften.
318 Kapitel 12 · Humangenetik
z Beispiel 2: Retinoblastom
Das Retinoblastom ist die häufigste Krebsform am Auge bei Kindern. Erkennt man
den Tumor zu spät, greift er auch auf das Gehirn über.
Charakteristika des Retinoblastoms:
55 Die Inzidenz liegt im Mittel etwa bei 1:20.000.
55 Die Krebsform ist ein Beispiel für eine Erkrankung mit hoher Penetranz, nahezu
jeder Betroffene mit den Anlagen entwickelt ein Retinoblastom.
12
.. Abb. 12.14 Die Signalkaskade von Wachstumsfaktoren bis zum Eintritt in die S-Phase und die
Bedeutung von Tumorsuppressorgenen. Grüne + oder – symbolisieren den üblichen Weg, rote Sym-
bole symbolisieren die Auswirkung der Mutationen an den verschiedenen Stellen. Einige Zwischen-
schritte sind zusammengefasst. (a) Nach der Signaltransduktion und Genexpression phosphoryliert
der aktive Komplex aus CYCLIN D und CDK das Retinoblastom-Protein pRb. Dadurch löst sich
der Transkriptionsfaktor E2F davon ab und schaltet Gene an, die den Übertritt in die S-Phase ein-
leiten. Alle Voraussetzungen für den Eintritt sind auch erfüllt, die Zelle ist gewissermaßen „gesund
und fit“. Die Funktion von p53 als Genomwächter gewährleistet, dass die Kette jedoch unterbrochen
wird, falls DNA-Schäden vorliegen. Dann aktivieren diese p53 und p53 führt zur Bildung von p21.
p21 ist ein Kinase-Inhibitor und deaktiviert den CYCLIN D-CDK-Komplex. Letztlich stoppt p53
bei DNA-Schäden somit die Zellteilung. (b) Eine Mutation in dem Gen für RAS aktiviert auch ohne
Signal die Kaskade. Der Prozess kann aber noch gestoppt werden. (c) und (d) Mutationen in den
Genen für p53 und pRb sorgen für den Ausfall dieser zwei Proteine. Trotz vorliegender DNA-Schä-
den (die Zelle ist nicht „gesund und fit“) kann dann p53 den Prozess nicht stoppen (c). Das ge-
schädigte pRb vermag auch ohne Phosphorylierung E2F nicht an sich zu binden. Die Zelle tritt in die
S-Phase ein, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (d)
12.4 · Komplexe Erkrankungen
319 12
a
Signal:
Wachstumsfaktor
b ohne Signal:
Mutation
Signal- RAS RAS
transduktion
RAF
Gen-
expression
CDK CYCLIN
inaktiv
CYCLIN-CDK
aktiv
p53 DNA-Schaden
Mutation
+E2F
Rb
d Mutation
55 40 % der Fälle sind erblich, davon ist ein Viertel familiär, während drei Viertel
von Neumutationen in der Keimbahn verursacht werden. Meistens sind beide
Augen betroffen.
55 60 % der Fälle sind sporadisch und gehen auf somatische Mutationen in der Re-
tina zurück. Hierbei ist in aller Regel nur ein Auge betroffen. Diese Fälle treten
erst in späteren Jahren auf.
55 Das Retinoblastom gilt als autosomal-dominant. Aber auch hier bildet sich der
Tumor erst nach einer weiteren Mutation, einem „zweiten Treffer“ im zweiten
Allel, sodass die Betroffenen compound heterozygot sind. Da mehr als 90 % der
Träger letztlich einen Tumor entwickeln, behält man die Einstufung „domi-
nant“ trotzdem bei.
12.4.4 Onkogene
Die Gene der Viren verhindern die DNA-Reparatur und die Apoptose.
Das Abelson-Leukämie-Virus der Maus verursacht chronische myeloische Leu-
kämien der B-Lymphocyten. Entscheidend ist das Abl-Gen, das eine Tyrosin-
Kinase für die Signalweiterleitung codiert. Ein weiteres Gen regt es zu erhöhter
Aktivität an.
Verwandt mit diesem Gen ist das menschliche ABL-Gen auf Chromosom 9. Es
codiert ebenfalls eine Tyrosin-Kinase (s. Philadelphia-Chromosom, 7 Abschn. 11.3.2).
Durch eine Translokation entsteht ein Fusionsprotein, das der Kontrolle eines
anderen Promotors unterliegt und verstärkt exprimiert wird.
Das Epstein-Barr-Virus und das Burkitt-Lymphom (. Abb. 12.15) erzeugen
Tumorzellen, die sich durch eine Translokation am Chromosom 8 auszeichnen,
beispielsweise die balancierte reziproke Translokation t(8;14)(q24;q32).
55 Diese Translokation bringt das MYC-Protoonkogen in die Nähe des IGH-Gens
für eine schwere Immunglobulinkette.
55 Da Lymphocyten Immunglobuline (also Antikörper) synthetisieren, überexpri-
mieren sie dann das MYC-Gen, das für den Transkriptionsfaktor MYC co-
diert.
322 Kapitel 12 · Humangenetik
Chromosom 8 Chromosom 14
Bruchstelle Bruchstelle
1 2 3 C C C Wechsel Vn V2 V1
C C C 2 3
IGH MYC
.. Abb. 12.15 Translokation zur Entstehung des Burkitt-Lymphoms. (Nach Buselmaier und Tari-
verdian 2007)
Beim Menschen gibt es drei homologe Gene zum Ras-Gen: HRAS, NRAS und
KRAS. Mutationen in diesen Genen zählen zu den häufigsten Mutationen in
menschlichen Tumoren. Sie sind beteiligt an Lungen-, Dickdarm, Pankreas- oder
auch Blasenkrebs.
Auch beim Menschen reicht eine Punktmutation aus, die zum Verlust der
GTPase-Bindungsaktivität von RAS führt (s. . Abb. 12.14).
Einer der Forschungsansätze, um die Aktivität des Gens einzudämmen, setzt
auf Antisense-Moleküle und die RNA-Interferenz.
12.5 · Behandlung erblich bedingter Krankheiten
323 12
12.4.5 Mutatorgene
Mutatorgene sind an der DNA-Reparatur beteiligt. Fallen sie also aus, so kann die
Zelle Schäden in der DNA nicht ordnungsgemäß reparieren, und es kommt ver-
mehrt zu Mutationen.
Mutationen in Mutatorgenen wirken sich rezessiv aus. Es genügt also ein intak-
tes Allel zum Funktionserhalt.
Beispiele beim Menschen: Xeroderma pigmentosum und das Cockayne-
Syndrom (s. 7 Kap. 11).
Grundsätzlich ist eine Behandlung auf verschiedenen Ebenen möglich: von der
Organtransplantation (z. B. Herz oder Lunge) oder der Organprothese
(z. B. Cochlea-Implantat bei Gehörlosigkeit) bis herab zur Molekülebene, auf der
man die fehlenden Stoffe wie Insulin oder den Blutgerinnungsfaktor VIII bei
Hämophilie A ersetzt.
Auf genetischer Ebene setzen verschiedene Methoden an, die zum größten Teil
noch entwickelt oder erprobt werden:
55 Somatische Gentherapie: Dabei wird eine intakte DNA-Sequenz in Zellen mit
Mutation übertragen.
–– Sie erzeugt transgene Zellen und will damit den Defekt in der Sequenz be-
heben. Vektoren wie Adenoviren oder nichtpathogene Retroviren schleusen
die intakte DNA in die Zelle hinein.
–– Erste Erfolge erzielte man bei der Behandlung von SCID (severe combined
immunodeficiency), einer X-Chromosom-gekoppelten Immunschwäche.
–– Die somatische Gentherapie kämpft jedoch mit zwei grundsätzlichen Proble-
men: der Integration der transgenen DNA und deren Expression. Beispiels-
weise entwickelten einige Patienten mit SCID eine Leukämie, weil sich die
eingeschleuste DNA in ein Onkogen inseriert hatte.
–– Man hat zwar Viren entwickelt, die sich nicht mehr integrieren, hier wird das
Transgen jedoch nicht dauerhaft exprimiert, sondern nur übergangsweise
(transient).
–– Typische Vektoren basieren auf Adenoviren, Adeno-assoziierten Viren oder
Retroviren. Zunehmend untersucht man jedoch, wie ein Transfer ohne Vek-
tor gelingen kann, vergleichbar den Lipopartikeln der RNA-Impfstoffe
gegen Covid-19.
324 Kapitel 12 · Humangenetik
12
325 13
Immungenetik
Inhaltsverzeichnis
Die Immungenetik beschreibt die Vorgänge, die für die Vielfalt und Komplexität
der erworbenen Immunantwort wichtig sind. Grundlagen dazu sind bekannte Pro-
zesse wie die Rekombination, aber auch der Einbau von Mutationen.
Das Immunsystem ermöglicht einem Organismus, sich gegen Krankheits-
erreger wie Viren, Bakterien oder Pilze zu wehren und zu verteidigen.
13.2 Überblick
Die Immunabwehr höherer Tiere umfasst eine Fülle von Komponenten, die sich in
zwei große Kategorien einteilen lassen:
55 angeborene oder unspezifische Immunantwort,
55 erworbene, spezifische oder adaptive Immunantwort.
Die erworbene Immunität zeichnet sich durch genetische Vielfalt auf drei Ebenen
aus:
55 Vielfalt der Immunglobulingene und der Immunglobuline. Diese Gene sind in
den B-Lymphocyten aktiv.
55 Vielfalt der T-Zell-Rezeptoren. Dabei handelt es sich um Strukturen der T-
Lymphocyten.
55 Vielfalt der Gene für den Haupthistokompatibilitätskomplex (major histocom-
patibility complex genes, MHC-Gene). Beim Menschen werden sie HLA (human
leukocyte antigene) genannt. Je nach Typ sind sie in speziellen Immunzellen
oder in nahezu allen Körperzellen aktiv.
13.3 B-Lymphocyten
Antikörper kommen als Monomere, Dimere oder Polymere vor (. Abb. 13.1).
Man unterscheidet fünf Klassen: IgM, A, G, E und D. Die Klasse bestimmt die
Lokalisation des Antikörpers und welche Reaktionen des Immunsystems er aus-
löst.
328 Kapitel 13 · Immungenetik
Antigen- Strukturen
bindungsstelle des Epitops
N
An
Variable Region der
tig
S S
en
N schweren Kette (VH)
S S
S S S S
S S S S
Leichte S S S S
S S
Kette S S S
C C S Variable Region der
S S leichten Kette (VL)
SS
Konstante Region der
Schwere Kette SS leichten Kette (CL)
C C
Der Zelle steht eine hohe Zahl an Genen für die einzelnen Regionen zur Auswahl.
Beim Menschen sind es beispielsweise:
55 Bei der schweren Kette rund 100 VH-Gene, 30 DH-Gene und neun JH-Gene
für den variablen Teil sowie elf Gene für den konstanten Teil.
55 Bei der leichten Kette 80 VK-Gene und 5 JK-Gene für den variablen sowie ein
Gen für den konstanten Teil.
330 Kapitel 13 · Immungenetik
V V V V D D D D J J J J C
V V V V D D J C
D D J J J
V V V V D DJ C
V V DJ C
V V D
VDJ-Rekombination
V V DJ C
Verbindung mit
einem C-Segment
Die Zelle rekombiniert zufällig aus jedem Bereich ein Gensegment. Grundsätzlich
kann jedes Gensegment für eine Region mit jedem Abschnitt für eine andere Re-
13 gion verknüpft werden. Die Gensegmente tragen dazu an den Enden Signal-
sequenzen (RSS, recombination site sequences), die den IR von Transposons ähneln.
Den Rekombinationsvorgang bezeichnet man als V(D)J-Rekombination oder
somatische Rekombination. Er verbindet ein V-Segment mit einem D-Segment,
einem J-Segment und einem C-Segment (. Abb. 13.3).
Die VDJ-Rekombination entspricht einer ortsspezifischen Transposition. Die
beiden Proteine RAG1 und RAG2 (recombination-activating gene) wirken dabei wie
das Enzym Transposase. Sie schneiden die Abschnitte heraus und verknüpfen sie.
13.4.2 Zurechtschneiden
Wenn die Zelle die Gensegmente zurechtschneidet, arbeitet sie nicht nucleotidgenau.
Sie verbindet die Genregionen über eine nichthomologe End-zu-End-Verknüpfung
(NHEJ). Dabei schneidet sie die DNA der Elemente so, dass Lücken entstehen. Das
Enzym Terminale Transferase füllt die Lücken auf, arbeitet aber ungenau.
13.5 · T-Zell-Rezeptoren
331 13
13.4.3 Somatische Hypermutation
13.5 T-Zell-Rezeptoren
Bei der Rekombination der Gene für T-Zell-Rezeptoren findet keine somatische
Hypermutation statt.
13.6 Haupthistokompatibilitätskomplex
-Mikro-
globulin
Entwicklungsgenetik
Inhaltsverzeichnis
14.2 Entwicklungsphasen
Man unterscheidet fünf Phasen der Entwicklung einer Zygote zum mehrzelligen
Organismus:
1. Furchungsteilungen: Die Zygote teilt sich mehrfach direkt hintereinander, ohne
dass die Zellen wachsen. Auf die Replikation der DNA folgt unmittelbar die
nächste Mitose.
2. Musterbildung: Die Zellen fangen an, sich asymmetrisch zu teilen und im Em-
bryo unterschiedlich zu verteilen. Räumlich und zeitlich erkennt man Unter-
schiede in der genetischen Aktivität. Dadurch entwickelt der Embryo eine
Polarität und man erkennt Achsen. Bei bilateralsymmetrischen Tieren sind das
zwei Achsen:
–– Die dorso-ventrale Achse unterscheideteine Vorder- oder Bauchseite und
eine Rückseite.
–– Die anterior-posteriore Achse führt zur Kopf-Schwanz-Orientierung.
–– Bei Pflanzen bildet sich eine apikal-basale Achse aus von der Wachstums-
spitze zu den Wurzeln.
3. Morphogenese (Gestaltbildung): Der anatomisch- morphologische Bauplan
wird erkennbar.
4. Zelldifferenzierung: Die einzelnen Zelltypen entwickeln und differenzieren sich
14 weiter.
5. Wachstum: Die Zelltypen vermehren sich, nehmen an Volumen zu und sind
aktiv.
Die Entwicklung vom Ei zum adulten Tier dauert bei der Taufliege Drosophila
melanogaster neun Tage. Genetisch interessant ist jedoch vor allem die Zeit von der
Reifung der unbefruchteten Eizelle bis zum etwa 10 h alten Embryo.
Die Stadien vor der Befruchtung:
1. Die weibliche Urkeimzelle oder Oogonie teilt sich im mütterlichen Organismus
viermal mitotisch.
2. Von den 16 resultierenden Zellen reift eine zur Oocyte heran, die übrigen 15 ge-
netisch gleichen Zellen werden zu Nährzellen für die Oocyte. Sie stehen über
cytoplasmatische Verbindungen mit der Oocyte in Kontakt.
3. Vor allem die Nährzellen sind genetisch aktiv und synthetisieren mRNAs von
den mütterlichen oder maternalen Genen (maternal effect genes). Die mRNAs
werden in das Cytoplasma der Oocyte transportiert und verbleiben darin.
4. Die Translation erfolgt während der Oogenese oder erst nach der Befruchtung
in der Zygote. Die Proteine der maternalen Gene leiten die Genexpression von
zygotischen Genen ein.
Wenn der Embryo als syncytiales Blastoderm vorliegt, beginnt er mit der Aus-
bildung der anterior-posterioren Achsen und der dorso-ventralen Achse.
338 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
1. Nach etwa 10 h erkennt man die Zahl und Orientierung der Segmente. Die
einzelnen Segmente bekommen ihre Identität:
–– der Kopfbereich,
–– der Thorax mit seinen drei Segmenten,
–– und das Abdomen mit mehreren Segmenten.
2. Es folgen in den nächsten drei Tagen drei Larvenstadien.
3. Nach fünf Tagen bildet sich die Puppe.
4. Nach neun Tagen ist ein adultes Tier (Imago) vorhanden.
Viele Erkenntnisse hat man an Mutanten gewonnen. Ihr Aussehen verlieh den
Genen teils plastische, teils ungewöhnliche Namen wie Krüppel oder spätzle.
Nachdem der Embryo die Grundachsen ausgebildet hat, schließt sich die für In-
sekten typische Segmentierung in die einzelnen Segmente an. Die Gene transkri-
biert der Embryo selbst.
Segmentierungsgene sind für die Zahl und Organisation der Segmente ver-
antwortlich.
Sie bilden eine Kaskade: Gap-Gene oder Lückengene → Paarregelgene →
Segmentpolaritätsgene.
Gapgene
Die Produkte der Gap-Gene sind Transkriptionsfaktoren.
Gap-Gene teilen den Embryo entlang der anterior-posterioren Achse grob ein.
Ein Ausfall eines Gens führt zum Verlust einer Region und damit zum Entstehen
einer „Lücke“ (gap).
Beispiele: hunchback, Krüppel (den Mutanten fehlen mehrere anteriore Seg-
mente für die Kopf-Thorax-Ausbildung).
Gap-Gene können auch gemeinsam agieren. Beispielsweise ist hunchback
ebenso an der Regulation von Krüppel beteiligt wie an anderen Gap-Genen.
Gap-Gene sind auch die Regulatoren für die nachgeordneten Paarregelgene.
Sie wirken noch auf breiterer Region im Embryo, wenn sich die Wirkung auf
den Ebenen der Paarregelgene und der Segmentpolaritätsgene jeweils weiter ein-
grenzt.
Paarregelgene
Paarregelgene regulieren die feinere Einteilung der Segmente.
z Beispiele
55 even-skipped-Mutanten haben die geradzahligen Segmente verloren und be-
stehen aus den Segmenten Nummer 1, 3 usw.
55 fushi-tarazu-Mutanten bestehen nur aus den geradzahligen Segmenten.
14 Auch Paarregelgene interagieren miteinander.
Paarregelgene sind die übergeordneten Transkriptionsfaktoren für die Segment-
polaritätsgene.
Segmentpolaritätsgene
Segmentpolaritätsgene regulieren innerhalb der Segmente die Ausrichtung und
Polarität der Zellen, abhängig von den Nachbarsegmenten.
Die Genprodukte sorgen dabei für die Abstimmung benachbarter Segmente,
also des posterioren Teils eines Segments und des anterioren Teils des Nachbar-
segments.
Beispiel: Bei gooseberry-Mutanten fehlen die posterioren Hälften von Segmen-
ten. Sie sind ersetzt durch die Spiegelbilder der anterioren Hälften der Nachbar-
segmente.
14.3 · Die Entwicklung von Drosophila
341 14
Weitere wichtige Segmentpolaritätsgene sind hedgehog (hh) und wingless (wg).
Hedgehog und Wingless sind integriert in wichtige Signaltransduktionswege der
Zelle.
Die Konzentrationsgradienten, die hierarchische Gliederung der Gene und die
Interaktionen der Proteine auf einer Ebene führen dazu, dass die einzelnen Zellen
sehr genau und differenziert genetisch (an)gesteuert werden.
Homöotische Gene legen die Identität der einzelnen Segmente fest. Beispielsweise
bildet jedes der drei thorakalen Segmente Beinpaare aus, das zweite auch die Flü-
gel (der Dipteren), das dritte die Halteren.
Charakteristika der homöotischen Gene und verwandter Gene:
55 Sie codieren ebenfalls Transkriptionsfaktoren.
55 Gemeinsam ist den Genen ein 180 bp langes Motiv, das man als Homöobox be-
zeichnet. Sie codiert die Protein-Homöodomäne, die sich an die DNA bindet.
Die Bindedomäne weist drei Helices auf mit einem Helix-turn-Helix-Motiv.
55 Die homöotischen Gene von Drosophila sind in zwei Komplexen organisiert:
–– Dem Antennapedia-Komplex für den Kopf und den vorderen Thorax
–– und dem Bithorax-Komplex für den hinteren Thorax und das Abdomen.
Die Gene bilden den homöotischen Komplex (HOM-C) und sind auf dem Chromo-
som in der passenden Reihenfolge organisiert. Beispielsweise liegt das lab-Gen auf
dem Chromosom vor dem pb-Gen und ist auch dem davor liegenden Segment zu-
geordnet.
Die Homöobox ist bei Genen für Transkriptionsfaktoren weit verbreitet:
55 Homöobox-Gene findet man sowohl bei Pilzen und Pflanzen als auch bei Ne-
matoden oder Säugetieren. Sie kommen nicht nur in homöotischen Genen vor.
55 Die homöotischen Gene bilden mit homologen Genen bei anderen Tieren die
Hox/HOX-Gene. Dem HOM-C Cluster bei Drosophila entsprechen bei Säuge-
tieren die vier HOX-Cluster von HOX A bis HOX D.
55 Sie übernehmen beim Menschen ebenfalls Funktionen für die Entwicklung.
Mutationen sind daher verantwortlich für schwere Fehlbildungen von Gesicht
und Schädel.
Beispiel: Verwandt mit dem hedgehog-Gen von Drosophila ist das Sonic Hedge-
hog (SHH) des Menschen. Mutationen führen zu dem Krankheitsbild Holopro-
sencephalie, bei dem das Frontalhirn, das Gesicht und der Schädel betroffen sind.
Die Symptome sind variabel, sie reichen von der Verschmelzung zweier Schneide-
zähne zu einem einzigen bis zur Ausbildung nur eines Auges in der Gesichtsmitte
(Zyklopie).
55 Bei den HOX-Genen der Wirbeltiere besteht ein Zusammenhang zwischen der
Anordnung in einem Cluster und der zeitlichen Expression. Unter einem Gen-
Cluster versteht man eine Gruppe benachbarter Gene, die identisch oder ver-
342 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
wandt sind (anderes Beispiel: β-Globin-Gene). Im Falle der HOX-Gene liest die
Zelle vorn liegende Gene während der Entwicklung ab, bevor sie die hinteren
exprimiert.
55 Proteine der Polycomb-Gruppe (PcG) remodellieren das Chromatin und schal-
ten Hox-Gene bei Drosophila ab. PcG-Proteine sind weit verbreitet in viel-
zelligen Tieren. Ihre allgemeine Funktion als Chromatin-Regulatoren besteht
darin, die Entwicklungslinie von Zellen zu erhalten. Dazu unterdrücken sie
Gene, die sonst das Zell-Schicksal (cell fate) ändern würden. Die Polycomb-
Funktion gilt sowohl in der Embryonalentwicklung als auch für die Regulation
adulter Stammzellen.
Weitere Tranksriptionsfaktoren
Auch die Transkriptionsfaktoren der POU-Familie enthalten eine Homöodomäne.
Sie wirken ebenfalls mit an der Entwicklung von Organismen, beispielsweise bei
Mensch, Drosophila, Caenorhabditis u. a., aber nicht bei Pflanzen oder Pilzen. POU
ist ein Akronym der Anfangsbuchstaben dreier Transkriptionsfaktoren (Pit-1,
Oct-1/Oct-2, Unc-86, vgl. Oct-4 bei Stammzellen).
Pax-Gene (paired-box-Gene) codieren gewebespezifische Transkriptions-
faktoren, die eine teilweise oder vollständige Homöodomäne enthalten. paired ist
ein Drosophila-Gen, die paired box ist ebenfalls eine DNA-bindende Domäne.
Eine andere DNA-bindende Domäne findet man in Forkhead-Box-Proteinen
(FOX). Auch die Fox-Proteine arbeiten als Transkriptionsfaktoren in der Ent-
wicklung und Zell-Differenzierung. Die Domäne besteht ebenfalls aus drei Helices,
die über zwei Schleifen verbunden sind. Forkhead-Box heißt der DNA-Abschnitt,
der die Protein-Domäne codiert. Ein bekanntes FOX-Protein in Wirbeltieren ist
FOXP2, bekannt als Sprachprotein, weil es beim Menschen für den Erwerb der
Sprache wichtig ist. Mutationen in dem FOXP2-Gen führen im Menschen zu
Sprachstörungen.
Aus den Mutanten lässt sich das ABC-System ableiten, aus dem hervorgeht, wel-
che Interaktion von Genen für welchen Typ von Blütenblatt erforderlich ist:
55 Expression von Klasse-A-Genen ergibt Kelchblätter,
55 Expression von Klasse-A- und -B-Genen ergibt Kronblätter,
55 Expression von Klasse-B- und -C-Genen ergibt Staubblätter,
55 Expression von Klasse-C-Genen ergibt Fruchtblätter.
Zelle beginnt
zu schrumpfen
Zelle zefällt
in Vesikel
14
3
Makrophagen phago-
cytieren die Zellreste
Auslöser für die Apoptose können mehrere extrinsische und intrinsische Faktoren
sein, beispielsweise Cortisol in Lymphocyten, Fas-Ligand oder TNF.
Im Ablauf zerstört sich die Zelle selbst und wird schließlich von Immunzellen
beseitigt (. Abb. 14.1):
1. TNF bindet sich an einen Todesrezeptor, beispielsweise den Fas-Rezeptor.
2. Die Ligand-Rezeptor-Bindung aktiviert bestimmte Enzyme, die man Caspasen
nennt. Caspasen sind Cystein-Proteasen. Ein Beispiel ist die Caspase 8.
3. Es folgen automatisch weitere Schritte. Aus den Mitochondrien wird Cyto-
chrom c freigesetzt. Das führt zur Bildung des Apoptosom-Komplexes. Dieser
aktiviert weitere Caspasen, die verschiedene Proteine zersetzen.
4. DNasen spalten die DNA.
5. Die DNA wird nach und nach fragmentiert und abgebaut. Die Kern-
fragmentierung nennt man Karyorrhexis.
6. Das Cytoplasma schwindet.
7. In einem Karyopyknose genannten Prozess schrumpft der Zellkern und ver-
dichtet sich das Chromatin zu einer Masse.
8. Membranversiegelte Apoptosekörperchen (apoptotic bodies) beinhalten die
Zellüberreste. Schließlich phagocytieren Makrophagen diese Apoptosekörper-
chen.
Durch die Phagocytose baut der Organismus die Inhaltsstoffe weiter ab und ver-
wertet sie wieder. Er vermeidet dadurch auch Entzündungsreaktionen.
Man bezeichnet die Apoptose als physiologischen Zelluntergang.
14.6 Stammzellen
Im Lauf des Keimstadiums und der frühen Embryonalentwicklung beginnt auch die
Differenzierung der Zellen:
1. Zunächst teilt sich die Zygote mehrfach und bildet einen kugeligen Zellhaufen.
Dieser Zellhaufen hat das gleiche Volumen wie die Zygote.
2. Ab dem 16-Zellstadium spricht man beim Menschen von der Morula.
Mit weiteren Zellteilungen sondern sich Zellen nach außen hin ab und formen
eine Trophoblast genannte Zellschicht. Im Inneren des Trophoblasten bilden an-
dere Zellen in einer flüssigkeitsgefüllten Höhle den Embryoblasten. Aus der Mo-
rula ist die Blastula geworden. Bei höheren Säugetieren nennt man sie Blastocyste.
3. Aus dem Trophoblast werden die Placenta und die Eihäute, aus dem Embryo-
blast die drei Keimblätter Ento, Ekto- und Mesoderm, aus denen sich später die
Gewebe differenzieren.
Das Schicksal der Zellen im Embryo engt sich damit immer weiter ein:
55 Die Zellen werden determiniert und sind in ihrer weiteren Entwicklung ab
einem bestimmten Punkt festgelegt.
55 Je weiter sie sich zu bestimmten Zelltypen differenzieren, desto mehr nimmt
ihre Entwicklungsfähigkeit ab.
Totipotent
Oocyte
Menschlicher Fetus
Spermium
Morula
14 Pluripotent Blastocyste
Innere Zellmasse
Beispiele: Multipotent
Stammzellen sind Körperzellen, die sich in die Zelltypen und Gewebe differenzieren
können. Die Zellen des Embryoblasten bezeichnet man als embryonale Stammzellen
(ES) oder pluripotente Stammzellen.
Sie zeigen besondere Eigenschaften:
55 Sie können sich in die drei Keimblätter und nachfolgende Zelltypen differenzieren.
55 Grundsätzlich sind sie unsterblich, was man Immortalität nennt.
348 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
55 Sie teilen sich unbegrenzt. Die Teilung erfolgt asymmetrisch. Die Mutterzelle
bleibt eine Stammzelle, die Tochterzelle kann sich differenzieren oder den Sta-
tus als Stammzelle beibehalten.
Stammzellen besitzen ein erhebliches Potenzial für die Forschung und die Medizin:
55 Man verspricht sich von ihnen, dass sie geschädigtes Gewebe regenerieren kön-
nen, beispielsweise nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt.
55 Aus menschlichen embryonalen Stammzellen hat man bereits Neuronen ge-
wonnen, die Dopamin ausschütten. In Gehirnen von Mäusen und Ratten ohne
die entsprechenden Zellen konnten sie die Dopaminversorgung übernehmen.
Da man embryonale Stammzellen aus der inneren Zellmasse von Blastocysten von
Embryonen für eine eventuelle In-vitro-Fertilisaton gewinnt, sind Gewinnung und
Umgang mit ihnen ethisch höchst umstritten. Wegen unterschiedlicher ethisch-
religiöser Rahmenbedingungen sind die Gesetze dazu international verschieden.
z Beispiele
55 Ende der 1960er-Jahre transplantierte John Gurdon Zellkerne von Darmzellen
des Krallenfrosches Xenopus und erhielt fruchtbare Individuen.
55 1996 klonten Ian Wilmut und seine Mitarbeiter das Schaf „Dolly “. Sie trans-
ferierten dazu einen Zellkern aus Brustdrüsenzellen. Mittlerweile konnte man
weitere Säugetiere auf diese Weise klonen.
Kerntransplantationen sind mit einer Reihe von Problemen behaftet: Ihre Erfolgs-
quote ist gering. Bei Dolly betrug sie 1:277.
14.6 · Stammzellen
349 14
55 Nicht alle adulten Zellen sind reprogrammierbar, das gilt beispielsweise für
Nervenzellen der Maus.
55 Die Tiere kommen genetisch alt auf die Welt. In adulten Zellen verkürzen sich
die Telomere, auch Mutationen können sich schon angehäuft haben. Dolly litt
beispielsweise an mehreren Krankheiten und musste im Alter von sechs Jahren
eingeschläfert werden.
55 Da man bei einem derartigen Transfer nur den Kern überführt, nicht aber die
Mitochondrien, handelt es sich bei dem Nachkommen im strengen Sinn nicht
um einen genetisch gleichen Organismus oder Klon.
Klf4 Oct4
Sox2
Myc
.. Abb. 14.3 Um- oder Reprogrammieren von differenzierten Zellen mithilfe von Oct4, Sox2, Klf4,
Myc. Diese Faktoren rekrutieren Coaktivatoren wie Tet2 ebenso wie Repressoren wie Mbd3, das die
Aktivierung noch verhindern kann. Erst wenn sich Mbd3 löst, kommt es zur Aktivierung
350 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
kompaktes
Chromatin
Anstieg von 5mC
Abbau von H3K4me1
Pionierfaktor
Chromatin wird kompakt
zugängliches
Chromatin
Veränderung der Methylierung der DNA Abbau von H3K27ac und H3K4me1
wieder Zunahme an 5mC
H3K4me1
Vorbereitung des
Enhancers
H3K27ac
Umwandlung von 5mC zu 5hmC Ablösung von Transkriptionsfaktoren und
Expression von eRNA epigenetischen Modifizierern
wieder Zunahme an 5mC
.. Abb. 14.4 Durch wechselnde Bindung und Ablösung von Proteinen und die Änderung des epi-
genetischen Status werden Enhancer aktiviert oder stillgelegt. (Nach Atlasi und Stunnenberg 2017;
mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
p300
schnelle, aber
Enhancer noch schwache
Bindung
kompaktes, unzugängliches Beginn der Umwandlung Vorbereitung des Enhancers aktiver Enhancer
Chromatin
.. Abb. 14.5 Pionierfaktoren binden sich an geschlossenes, kompaktes Chromatin. Dadurch lagern
sich andere Faktoren an, der epigenetische Status ändert sich und das Chromatin wird offen, zugäng-
lich. (Nach Balsalobre und Drouin 2022; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
Es ergibt sich ein menschliches In-vitro-Modell, mit dem sich (1) Mutationen und
Störungen genauer nachvollziehen und (2) Reaktionen des Organismus auf Subs-
tanzen testen lassen.
55 Als Avatar für die personalisierte Medizin: Entnimmt man einem Patienten
Zellen und gewinnt daraus induzierte pluripotente Stammzellen, so lassen sich
diese in die Organ-Chips einbauen. Man konstruiert ein individuelles patienten-
spezifisches Modell, um die Wirkung einzelner Substanzen zu ermitteln. Bei-
spiel: Ein Organoid-Modell, gewonnen von Patienten mit Cystischer Fibrose,
erlaubt bereits die präklinische Vorhersage, wie Betroffene auf Arzneistoffe re-
agieren.
352 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
iPS Zellen
Organoide
Vorläuferzellen
vs vs
seltene tödliche
genetische Strahlung
Störungen
.. Abb. 14.6 Anwendungen von menschlichen Organ-Chips. Als Grundlage entnimmt man Patien-
ten Zellen und gewinnt über den Weg der iPS die Organoide für Einzelorgan-Chips oder Multiorgan-
Chips. Die Chips dienen als Modelle für seltene genetische Erkrankungen, zur Testung der Toxizität
von möglichen Arzneistoffen auf einzelne Gruppen oder Personen. (Nach Ingber 2022; mit freund-
licher Genehmigung von Springer Nature)
Leidet die Spenderin an einer Mitochondropathie, vermeidet man den Transfer der
Mitochondrien mit Mutationen und erzeugt dadurch ein gesundes Kind. Eine an-
schließende genetische Analyse soll künstliche Heteroplasmie ausschließen, also
sicherstellen, dass keine Mitochondrien übertragen worden sind und keinerlei ge-
schädigte, sondern nur intakte Mitochondrien vorliegen.
14.6 · Stammzellen
353 14
a Darm Leber Niere
...
poröse
Membran
gleichmäßiger Durchfluss
Testsubstanz
...
poröse
Membran
Endothel
gleichmäßiger Durchfluss
intravenöse
Verabreichung
poröse Membran
Endothel
I I I I
I
automatisierte flüssige Versorgung
.. Abb. 14.7 Bei Multiorgan-Chips befinden sich Organoide von Darm, Leber, Niere usw. in defi-
nierten Positionen oder Kammern. Ein Kanalsystem, das das Blutsystem simuliert, verbindet diese
Kammern und gewährleistet den Transport von Testsubstanzen zu den Kammern. Die Testsubstanz
verabreicht man in das Kanalsystem oder in eine Organoid-Kammer. Im Detail unterscheiden sich
die Chips durch Aufbau, Anordnung und Automatisierung. (Nach Ingber 2022; mit freundlicher Ge-
nehmigung von Springer Nature)
55 Beim Vorkerntransfer nimmt man den Austausch kurz nach den Befruchtungen
der zwei Eizellen vor.
Die Methoden sind ethisch umstritten, grundsätzlich wegen des Eingriffs in die
Keimbahn, der unausgereiften Technik und weil man ein Kind erzeugt, das Erbgut
von drei Personen bekommt, also drei Eltern hat. Die rechtliche Situation zur For-
schung und Durchführung ist weltweit sehr unterschiedlich.
355 15
Genomik
Inhaltsverzeichnis
Die Genomik untersucht komplette Genome. Dazu gehört die Erstellung bio-
logischer und physikalischer Karten einschließlich der Sequenzierung. Mit ver-
schiedenen Methoden kann man die Variabilität des menschlichen Erbguts unter-
suchen. Die funktionelle Genomik analysiert das Transkriptom (die Gesamtheit
der Transkripte), das Epigenom (die Gesamtheit der epigenetischen Information)
und das Proteom (die Gesamtheit der Proteine). Als Modellorganismen in der ge-
netischen Forschung dienen mehrere Arten unterschiedlicher Komplexität.
Die Genomik ist ein Teilgebiet innerhalb der Genetik. Sie untersucht und vergleicht
von kompletten Genomen
55 den Aufbau,
55 die Organisation,
55 die Funktion und Interaktion genetischer Elemente,
55 die Evolution von Genen und genetischen Elementen.
Die Kartierung eines Genoms ist die Grundlage für die späteren Arbeiten. Man
unterscheidet zwei Arten von Karten:
55 Biologische, genetische oder Kopplungskarte. Sie gibt nicht die Sequenzen der
DNA-Basen wieder, sondern spiegelt wider, wie eng die Kopplung der einzel-
nen DNA-Abschnitte und/oder Marker bzw. Gene ist. Damit sagt sie nur aus,
welche Regionen häufig gemeinsam auftreten und deshalb wohl eng beieinander
liegen und welche eher locker assoziiert sind und darum wohl weiter von-
einander entfernt oder sogar auf getrennten Chromosomen lokalisiert sind. Als
Einheit wurde das centiMorgan mit dem Symbol cM eingeführt. 1 cM ent-
spricht einer Rekombinationshäufigkeit von 1 %. Je größer der Wert ist, desto
weniger eng ist die Kopplung zweier DNA-Abschnitte.
55 Physikalische Karte. Im Idealfall und als Ziel listet sie die Nucleotidsequenz
der DNA auf. Die Reihenfolge der DNA-Abschnitte ist auf beiden Kartentypen
gleich.
DNA-Abschnitte S S
S
homologer Chromosomen
1 2 3 1 3 1 3
A B C
x + y
Autoradiografie nach
Southern-Blot-Hybridisie- x
rung mit S als DNA-Sonde
.. Abb. 15.1 Nachweis eines RFLP. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
In den Untersuchungen wurde für mehr als 5000 Marker überprüft, wie eng ge-
15 koppelt sie auftraten. Das Ergebnis war eine Karte des menschlichen Genoms mit
einer Auflösung von etwa 0,7 cM oder rund 520 Mb.
Die Allele oder Varianten, die auf einem Chromosom beieinander liegen, also
gekoppelt sind und zusammen vererbt werden, bilden einen Haplotypen.
a b
1 2 3 4 5
A B
6 7 8 9 10 11 12 X
C
13 14 15 16 17 18 350
D E 550
2000
19 20 21 22
F G Y
.. Abb. 15.2 Karyotyp eines Mannes (a) und die Bänderung von Chromosom 11 bei verschiedenen
Kondensationsgraden (b)
Physikalische Karten haben eine feine Auflösung und geben exakte Nucleotid-
abstände für DNA-Abschnitte auf einem Chromosom an.
Für physikalische Karten ohne Sequenzierung nutzt man mehrere Methoden, die
sich miteinander kombinieren lassen und teilweise aufeinander aufbauen:
360 Kapitel 15 · Genomik
55 Restriktionskartierung. Die Methode darf nicht mit der RFLP der biologischen
Kartierung verwechselt werden. Bei der Restriktionskartierung werden die
Fragmente nach der Behandlung mit verschiedenen Enzymen zu einer Karte
kombiniert:
55 Sequence tagged sites (STS) sind DNA-Sequenzen von 200–500 bp Länge, die
nur ein einziges Mal im Genom vorkommen. Sie lassen sich mit spezifischen
Primern leicht über eine PCR erkennen und vervielfältigen. Damit dienen STS
als Marker zur Identifizierung von DNA-Abschnitten:
55 Von STS zum Contig. In der Regel überlappen die Inserts der BACs, ein STS
sollte also in mehreren BACs zu finden sein (. Abb. 15.3a). Darauf aufbauend
kann man die überlappenden BACs ordnen und es ergibt sich eine Abfolge von
15 BACs, die das Chromosom lückenlos überspannt. Das Ergebnis nennt man
Contig (von contiguous: zusammenhängend, angrenzend; . Abb. 15.3b).
55 FISH, Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung. Man kann ein kurzes DNA-Stück
mit einem Fluoreszenzfarbstoff versehen und als Sonde einsetzen, die einen
spezifischen DNA-Abschnitt findet. Die Sonde hybridisiert mit ihrer komple-
mentären Gegensequenz im Chromosom, und der Farbstoff zeigt die Lage der
DNA-Sequenz im Chromosom an.
Die Methode erreicht nur eine geringe Auflösung. Man setzt sie in der Diagnostik
von Erbkrankheiten ein, beispielsweise als Test für eine chromosomale Deletion.
15.3 · Kartierung von Genomen
361 15
a b
B1
B2
B3
* B4
B5
S1 S2 S3 S4 S5
.. Abb. 15.3 Überlappende Klone ergeben ein Contig aus den BACs B1 bis B5. Der Stern markiert
den Ausgangspunkt, S1 bis S5 sind STS-Marker
15.3.3 Sequenzierung
Mit der Sequenzierung der DNA ermittelt man ihre Basenabfolge. Da die Sequenz,
die man in einem Durchgang sequenzieren kann, oft nicht sehr lang ist, lassen sich
auch die Inserts von BACs nicht direkt in einem Durchgang sequenzieren.
Für die Sequenzierung des menschlichen Genoms haben das staatlich geförderte
Humangenomprojekt und das private Unternehmen Celera Genomics verschiedene
Strategien angewandt:
55 Das Humangenomprojekt hat nach der kartenbasierten hierarchischen Me-
thode gearbeitet. Dabei wird zuerst die Lage eines DNA-Abschnitts bestimmt
und danach seine Sequenz ermittelt.
55 Celera Genomics hat die Methode der Schrotschuss-Sequenzierung angewandt.
Bei diesem Verfahren werden zunächst DNA-Abschnitte sequenziert und an-
schließend wird ihre Lokalisation geklärt.
Schrotschuss-Sequenzierung
Das Prinzip der Schrotschuss-Sequenzierung (whole genome shotgun sequencing,
. Abb. 15.4):
1. Mit Hilfe von Scherkräften, beispielsweise durch Ultraschall, zerteilt man das
ganze Genom gleichzeitig. Daraus resultieren kurze, unterschiedlich lange, zum
Teil überlappende Fragmente.
362 Kapitel 15 · Genomik
2. Man kloniert die Fragmente in Plasmidvektoren und sequenziert die Inserts von
den Enden her.
3. Computer suchen nach überlappenden Sequenzen und setzen die Fragmente zu
einem Contig zusammen.
Das Verfahren ist mit einigen Problemen behaftet und liefert nicht auf Anhieb die
gewünschte komplette Sequenz:
15 55 Wegen der unvermeidlichen Sequenzierungsfehler muss man die DNA-Sequenz
mehrfach sequenzieren. Üblich sind zehn reads genannte Lesedurchgänge, die
eine zehnfache Abdeckung oder coverage liefern.
55 Die Genome höherer Tiere und Pflanzen enthalten repetitive Sequenzen. Wenn
nicht bekannt ist, wie viele Wiederholungen aufeinander folgen, kann die be-
rechnete Sequenz zu kurz oder zu lang werden. Zur Absicherung sequenziert
man die Enden von langen Genomfragmenten mit bis zu 50 kb und überprüft,
ob die Endsequenzen im Contig in der richtigen Abfolge verankert sind.
15.3.4 Annotierung
Der Vergleich zweier Genome mit dem Ziel, evolutionär oder funktionell konser-
vierte Abschnitte zu finden, heißt Alignment.
Das Ergebnis der Annotierung sind Aussagen über:
55 proteincodierende und nichtproteincodierende Gene,
55 Pseudogene,
55 RNA-Moleküle,
55 Repeats,
55 die Einordnung der Gene in Funktionskategorien wie Replikation, Regulation
oder Stoffwechsel.
55 Eine Mutation ist eine Abweichung, die nur bei wenigen Menschen auftritt.
55 Polymorphismen sind innerhalb einer Population häufiger anzutreffen. Sie
gehen aus Mutationen hervor, die sich erhalten und durch weitere Vererbung
ausbreiten konnten.
15.4.1 Einzelnucleotidpolymorphismen
und Einzelnucleotidvarianten
SNPs oder SNVs sind die molekularbiologische Grundlage für den klassischen
Begriff „Allel“ als Erscheinungsform eines Gens.
Ein Beispiel für einen stabilen SNP liegt für das Gen für die Lactosetoleranz
vor. Eine Mutation, die dazu führt, dass das Enzym Lactase auch noch im Er-
wachsenenalter produziert wird, hat sich bei einigen Populationen durchgesetzt.
Lactosetoleranz bei Erwachsenen ist im Norden Europas häufiger als im Süden.
Um die SNPs eines Menschen zu erfassen, arbeitet man mit DNA-Chips. Die Chips
enthalten kurze, bekannte DNA-Sequenzen, die mit passenden DNA-Abschnitten
einer Probe hybridisieren. Die Bindung kann beispielsweise mit Fluoreszenz-
markern sichtbar gemacht werden.
Durch diese Genotypisierung lassen sich in kurzer Zeit Tausende von SNPs
eines Menschen ermitteln.
Eine genomweite Assoziationsstudie liefert über den Vergleich der Daten von
Erkrankten mit den Daten von Kontrollgruppen Hinweise auf eine Kopplung von
SNPs mit dem Krankheitsbild.
Die Unterteilung von Deletionen und Insertionen erfolgt nach der Größe des be-
troffenen DNA-Abschnitts:
55 Sind nur einzelne oder wenige Nucleotide verloren gegangen oder hinzu-
gekommen, spricht man von Einzelnucleotidvarianten (SNVs). Aus den kleinen
Insertionen oder Deletionen ist das Kofferwort Indel entstanden.
55 Große Verluste oder Zugewinne von mehreren Millionen Basenpaaren be-
zeichnet man als strukturelle Aberration (siehe 7 Abschn. 11.3.2).
55 Mittlere Veränderungen fasst man als Kopienzahlvarianten oder Kopienzahl-
variationen (CNVs, copy number variants oder variations) zusammen. Die
Länge einer Sequenz, deren Kopienzahl reduziert oder verändert ist, beträgt
50 bp und weit darüber. Die Kategorie CNV kann daher auch ganze Gene ein-
schließen.
15.4.3 Mikrosatelliten
Mikrosatelliten sind kurze DNA-Sequenzen, die fünf- bis 100-mal wiederholt wer-
den (siehe 7 Abschn. 2.4.7). Die Zahl der Wiederholungen an einem Ort im
Genom ist individuell unterschiedlich.
Größere Repeats wie die LINEs und SINEs verursachen weitere Polymorphismen,
die man Retrotransposon-Insertionspolymorphismen (RIPs) nennt.
Die funktionelle Genomik untersucht die Funktion von Genen und anderen Sequen-
zen im Genom. Dazu erforscht sie
55 das Transkriptom als die Gesamtheit aller RNA-Moleküle in einer Zelle zu
einem bestimmten Zeitpunkt,
55 das Proteom als die Gesamtheit aller Proteine,
55 das Epigenom als die Gesamtheit der epigenetischen Information im Genom.
55 Allgemein verwendet man die Endung -om/-omik, um eine gesamtheitliche
Untersuchung einer Frage auszudrücken.
Northern Blot
Der Northern-Blot ist die klassische Methode, um die Transkription eines protein-
codierenden Gens zu untersuchen:
1. Die Probe wird vorbereitet, indem sie von Proteinen und DNA gereinigt wird.
2. Die mRNA-Moleküle werden durch Gelelektrophorese nach ihrer Größe auf-
getrennt.
3. Durch das Übertragen oder Blotten vom Gel auf Nitrocellulosepapier werden
die mRNA-Moleküle wieder zugänglich.
4. Sonden aus RNA oder DNA mit bekannten Sequenzen dienen als spezifische
Sonden für gesuchte RNA-Moleküle. Komplementäre Abschnitte hybridisieren
zu Doppelsträngen. Nicht hybridisierte Sonden werden ausgewaschen.
5. Die Sonden sind mit Markern wie radioaktiven Isotopen versehen und können
so nachgewiesen werden.
368 Kapitel 15 · Genomik
Durch den Einsatz verschiedener Fluoreszenzfarbstoffe, die rot und grün leuchten,
lassen sich zwei Transkriptome gleichzeitig analysieren und miteinander ver-
gleichen. Die Methode arbeitet also relativ.
Beispielsweise kann die Probe aus einer normalen Zelle rot markiert sein, das
Transkriptom einer Tumorzelle grün. Dann ergeben sich für jeden Punkt im Gitter
vier Möglichkeiten:
55 Farblos: Das zugehörige Gen wird von keiner der beiden Zellen transkribiert.
55 Rot: Nur die gesunde Zelle exprimiert das Gen.
55 Grün: Nur die Tumorzelle exprimiert das Gen.
55 Gelb: Beide Zelltypen exprimieren das Gen.
55 Ein Anwendungsbeispiel aus der Praxis sind die CYP450-SNP Chips. CYP450
steht für die Gruppe der Cytochrome P450. Dabei handelt es sich um Oxido-
15 reduktasen, die an der Verstoffwechselung von Arzneistoffen mitwirken und, je
nach Typ, den Stoff schneller oder langsamer abbauen. Die individuelle Wir-
kung eines Medikaments auf den Patienten ist somit von seinem CYP450 ab-
hängig. Um diese Wirkung zu ermitteln, entnimmt man dem Patienten eine
DNA-Probe und charakterisiert seine Genvariante über den CYP450 Chip, der
die verschiedenen SNPs enthält.
15.5 · Funktionelle Genomik
369 15
Normale Zellen Tumorzellen DNA-Klone
Mikrotiterplatte
mRNA
PCR
Reverse Transkription
unter Verwendung DNA wird auf
fluoreszenzmarkierter Glasträger
Nucleotide fixiert
Cy3
Cy5
cDNA
Glasträger
Gemischte cDNA
wird mit fixierter
DNA hybridisiert
Laserscanner:
Kanal 1 Kanal 2
15.5.2 Proteomik
Die Proteomik verfügt über verschiedene Methoden, die jeweils spezielle Ziele ver-
folgen:
55 Der Nachweis und die Identifikation von Proteinen erfordert häufig die Auf-
trennung eines Proteingemischs.
55 Die biologischen Eigenschaften eines Proteins umfassen beispielsweise die
Interaktion mit anderen Proteinen oder DNA.
Das Ergebnis ist ein zweidimensionales Muster von Proteinflecken oder Spots, die
semiquantitativ zeigen, welche Proteine in welchen Mengen in der Probe vorliegen.
Proteine in geringen Mengen gehen allerdings leicht verloren.
15.5 · Funktionelle Genomik
371 15
Mr
pH 3 Isoelektrische Fokussierung (1. Dimension) pH 11 (in KDa)
SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese (2. Dimension)
250
150
100
75
50
37
25
20
Funktionelle Untersuchungen
Die Interaktion zweier Proteine kann man mit dem yeast two-hybrid system (Y2H)
überprüfen.
372 Kapitel 15 · Genomik
DNA- DNA-
BD BD
55 Die Grundlage für den Test ist die Expression des Reportergens β-Galactosidase,
dessen Aktivität durch den Zusatz von X-Gal nachgewiesen werden kann. Das
aktive Enzym spaltet X-Gal und setzt einen blauen Farbstoff frei.
55 Für die Expression ist ein Transkriptionsfaktor aus zwei Untereinheiten not-
wendig (. Abb. 15.8a).
Für den Test werden die zu prüfenden Proteine und die Untereinheiten des
Transkriptionsfaktors miteinander verbunden:
1. Das Protein D1 wird mit der ersten Untereinheit des Transkriptionsfaktors fu-
sioniert, das Protein D2 mit der zweiten Untereinheit.
2. Lagern sich D1 und D2 eng aneinander, verbinden sich auch die Untereinheiten
zu einem funktionstüchtigen Transkriptionsfaktor. Das Reportergen wird ex-
primiert, und durch seine katalytische Aktivität entsteht der blaue Farbstoff.
Interagieren die Proteine D1 und D2 nicht miteinander, bleibt die Expression der
β-Galactosidase aus, sodass es keine Blaufärbung gibt.
DNA-bindende Proteine
G AT C A C G G T C C AG C C T C T GC C G G A G C C C CA G T C T CC G C A G T
260 270 280 290
.. Abb. 15.9 Identifizierung von DNA-Abschnitten, an die sich Proteine binden, mittels ChIP
–– Man kann die DNA gegen die DNA-Sonden eines Chips hybridisieren. Das
Vorgehen heißt ChIP-Chip und ermittelt den regulatorischen Status einer
Zelle.
Die Methode arbeitet mit einer hyperaktiven Transposase. Sie soll einen DNA-
Abschnitt aus seiner Umgebung herausschneiden, der dann mit Sequenzierungs-
adaptoren versehen wird. Bekommt man einen Abschnitt damit nicht zu fassen,
schließt man daraus, dass die DNA für die Transposase nicht frei zugänglich ist,
weil sie als dichtgepacktes Chromatin vorliegt und epigenetisch reguliert wird.
Die Informationen fließen in das ENCODE-Projekt (encyclopedia of DNA ele-
ments) ein, das alle funktionellen Elemente des menschlichen Genoms analysiert
und charakterisiert.
Der Vergleich der Genome verschiedener Arten erlaubt Aussagen über die Evolu-
tion der Organismen. Das Genom des Menschen wird häufig mit dem Erbgut des
Schimpansen verglichen. Es zeigt aber auch noch genetische Übereinstimmungen
mit dem Genom des Bakteriums E. coli.
Konservierte Sequenzen stimmen bei mehreren Organismen überein. Sie er-
füllen häufig wichtige Funktionen von grundlegender Bedeutung. Bei großer
Übereinstimmung sind die Gene hoch konserviert, wie es beispielsweise die Histon-
gene sind.
Sind Gene oder Gensegmente bei mehreren Arten in der gleichen Reihenfolge
auf den Chromosomen lokalisiert, spricht man von Syntänie oder Syntenie.
Beispiele:
55 Das menschliche Chromosom 20 erkennt man prinzipiell im Chromosom 2 der
Maus wieder.
55 Die Chromosomen 12 und 13 des Schimpansen zusammengenommen ent-
sprechen dem großen Chromosom 2 des Menschen.
Homologe Gene haben einen gemeinsamen Ursprung. Sie codieren oft für Proteine
mit gleichen Funktionen wie beispielsweise die Gene für die α- und die β-Untereinheit
des Hämoglobins.
15 Man unterscheidet verschiedene Formen homologer Gene:
55 Paraloge Gene sind durch die Duplikation des gemeinsamen Vorläufergens ent-
standen und haben sich innerhalb einer Spezies getrennt voneinander weiter-
entwickelt. Beispiele sind die Hox-Gene, die an der Bildung der Körperachsen
in der Entwicklung bilateral organisierter Tiere beteiligt sind.
55 Orthologe Gene entstehen, wenn sich eine (Ursprungs-) Art aufspaltet, sodass
die homologen Gene dann in verschiedenen Spezies liegen. Beispielsweise be-
sitzen Mensch und Maus orthologe Gene, die auf ein Ursprungsgen im letzten
gemeinsamen Vorfahren zurückgehen.
Neben ganzen Genen können auch nur Teilabschnitte von Genen eine Funktions-
verwandtschaft aufweisen, die im Protein als Domäne auftreten. Dies ist beispiels-
15.7 · Evolution des Menschen
375 15
weise bei der Homöobox der Hox-Gene der Fall. Die entsprechende Homöo-
domäne der Proteine befähigt diese dazu, sich an die DNA zu binden.
Oft entspricht eine Domäne einem Exon. Kopiert die Zelle das Exon mit der
Domäne in ein anderes Gen, so erhält das Empfängergen eine zusätzliche Funk-
tion, und es kann ein neues Protein entstehen. Dieses Hineinkopieren von Exons
nennt man exon shuffling.
Bei Chemotherapeutika kommt hinzu, dass diese Substanzen selbst mutagen sein
können.
377 16
Methoden
Inhaltsverzeichnis
Für die Isolierung oder Extraktion von genomischer DNA gibt es verschiedene Vor-
schriften, die jeweils Besonderheiten der Zielzellen berücksichtigen, beispielsweise die
Anwesenheit und den Aufbau von Zellwänden bei Pflanzen bzw. Bakterien.
Im Wesentlichen basieren die Vorschriften auf folgenden Prinzipien:
1. Aufschluss der Zellen. Bei tierischen Zellen reicht oft Natriumdodecylsulfat
(SDS) zur Zerstörung der Membran. Bei Bakterien muss eventuell die Zell-
wand durch Lysozym aufgelöst werden. Bei Pflanzen arbeitet man mit SDS und
CTAB (Cetyltrimethylammoniumbromid), um Polysaccharide zu entfernen.
2. Inaktivierung von DNasen und anderen Proteinen. Da DNasen zweiwertige
Kationen wie Mg2+ benötigen, gibt man den Komplexbildner EDTA hinzu, der
den Enzymen die Ionen entzieht. Zusätzlich fügt man die Proteinase K hinzu,
welche die Proteine abbaut.
3. Zentrifugation. Schwerere Zelltrümmer werden in der Zentrifuge von der DNA
getrennt.
4. Extraktion mit Phenol und Phenol/Chloroform. Dabei entfernt man Zell- und
Proteinreste, die sich noch in der Probe befinden. Die DNA bleibt in der wäss-
rigen Phase (. Abb. 16.1).
5. Präzipitation (Fällung). Ethanol entzieht der DNA die Hydrathülle, sodass sich
die DNA nicht mehr löst und ausfällt.
6. Zentrifugieren und Aufnahme in einem Puffer.
+ 1 Vol. + 1 Vol.
Phe/Chl Chl
+ 1 Vol.
Phe
Interphase
DNA-Lösung
.. Abb. 16.1 DNA-Isolierung über schrittweise Zugabe von Phenol und Chloroform. (Nach Mül-
hardt 2013)
380 Kapitel 16 · Methoden
Proteine Einzel-
Nucleotide rRNA strängige Plasmid-
Oligomere tRNA mRNA DNA DNA
Ausbeute
.. Abb. 16.2 Elutionsmuster in Abhängigkeit von der Salzkonzentration. (Nach Mülhardt 2013)
Eine andere Variante ist die Extraktion von DNA durch Säulenchromatografie mit
Anionenaustauschersäulen (. Abb. 16.2):
1. Die ersten drei Schritte verlaufen wie oben aufgeführt. Wegen der Umwelt- und
Gesundheitsgefahren verzichtet man auf Phenol und Chloroform.
2. Die DNA mit ihren negativ geladenen Resten bindet sich an die positiv ge-
ladenen Gruppen der Säulenmatrix.
3. Moleküle mit weniger negativ geladenen Resten binden sich weniger gut an das
Säulenmaterial.
4. Verändert man die Ionenstärke des Wasch- und Elutionspuffers, kann man
nach und nach Proteine, RNA-Moleküle und schließlich DNA von der Matrix
ablösen (eluieren).
Eine PCR ist ein zyklischer Prozess. Bei jedem der 25 bis 40 Durchläufe wird die
DNA verdoppelt, sodass die Menge exponentiell anwächst.
16.3.1 Standard-PCR
Ein Zyklus besteht aus drei Schritten, die jeweils 30 s dauern (. Abb. 16.3). Spe-
zielle Geräte, sogenannte Thermocycler oder Cycler, führen die PCR automatisch
durch:
1. Hitzedenaturierung oder Schmelzen. Der Cycler erhöht die Temperatur auf
95 °C, sodass sich die DNA-Stränge trennen.
2. Annealing. Der Cycler kühlt auf die spezifische Temperatur herunter, bei der
sich die Primer an ihre komplementären Abschnitte binden. Die Bindungs-
temperatur der Primer ist von ihrer Länge und ihrem GC-Gehalt abhängig.
3. Synthese oder Elongation. Der Cycler erhöht die Temperatur auf 72 °C. Die
Taq-Polymerase synthetisiert von den Primern ausgehend neue komplementäre
DNA-Stränge. Die hohe Temperatur beschleunigt die Synthese.
382 Kapitel 16 · Methoden
.. Abb. 16.3 Die ersten drei Zyklen der PCR. (Nach Mülhardt 2013)
Anwendungsfall: Bei Proben mit einer komplexen bzw. langen DNA-Sequenz (z. B.
genomischer DNA aus einem Menschen) kann es auch außerhalb des Ziel-
abschnitts mehrere Bindestellen für die Primer geben. Im Laufe der PCR werden
16 dadurch unerwünschte DNA-Abschnitte als Nebenprodukt vervielfältigt.
Die nested PCR arbeitet mit einer zweiten PCR, bei der die Primer innerhalb
der ersten Primer liegen:
1. Die erste PCR vervielfältigt den Zielbereich und als Nebenprodukte einige an-
dere DNA-Abschnitte.
2. Eine kleine Teilmenge aus der ersten PCR setzt man für eine zweite PCR ein.
3. Für die Primer der zweiten PCR bietet nur die Ziel-DNA dem neuen Primer-Paar
Bindungsstellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eines der Nebenprodukte zu-
fällig auch für diese Primer Bindungsstellen besitzt, ist extrem gering.
16.3 · Polymerasekettenreaktion (PCR)
383 16
SP1 AP1
1. PCR
SP2 AP2
2. PCR
.. Abb. 16.4 Nested PCR mit einem zweitem Paar Primer. (Nach Mülhardt 2013)
16.3.4 Multiplex-PCR
16.4 Gelelektrophorese
Elektrophoresen trennen elektrisch geladene Moleküle wie DNA und Proteine mit-
hilfe eines angelegten elektrischen Felds. Die Moleküle wandern dabei in einem
Trägermaterial.
Die Trennung erfolgt im Wesentlichen nach zwei Kriterien:
55 Je mehr Ladungen ein Molekül trägt, desto schneller wandert es im elektrischen
Feld.
55 Je stärker das Molekül mit dem Trägermaterial für die Probe wechselwirkt,
desto langsamer wandert es. Beispielsweise halten siebartige Materialien wie
Agarosegele längere DNA-Moleküle stärker zurück als kürzere.
DNA ist aufgrund der Phosphatgruppen negativ geladen, wobei die Ladung pro-
portional zur Länge des Moleküls ist. DNA-Moleküle werden daher nach der
Länge aufgetrennt.
Die wichtigsten Komponenten einer Gelelektrophorese sind:
55 Ein Gemisch von DNA-Molekülen als Probe.
55 Ein gelartiges Trägermaterial. In der Regel wird ein großporiges Agarosegel
mit einer Konzentration von 0,7–3 % verwendet oder ein feinporiges Polyacry-
lamidgel.
55 Ein elektrisch leitender Laufpuffer, in dem das Gel liegt.
55 Ein Lauffarbstoff, der schneller als die DNA wandert und den Fortschritt der
Auftrennung anzeigt, weil man die DNA selbst während des Vorgangs nicht
sehen kann.
16 55 Eine Elektrophoreseapparatur, zwischen deren Elektroden das elektrische Feld
herrscht.
55 Ein Farbstoff zum Anfärben der DNA. Häufig wird Ethidiumbromid verwendet,
das allerdings mutagen ist.
16.4 · G elelektrophorese
385 16
.. Abb. 16.5 Ergebnis einer Gelelektrophorese. GM A B C
GM: Größenmarker, A zeigt zu viel DNA, B zeigt
eine optimale DNA-Menge, bei C war die DNA
zunächst in Lösung mit hoher Salzkonzentration
gelöst und erscheint im Gel aufgrund des Laufver-
haltens größer. (Nach Mülhardt 2013)
Für besonders große oder kleine DNA-Moleküle gibt es spezielle Varianten der
Elektrophorese:
55 Die Pulsfeldgelelektrophorese ermöglicht die Auftrennung größerer DNA-
Stücke etwa ab 15 kb, indem wechselnde oder pulsierende elektrische Felder an-
gelegt werden.
55 Die Polyacrylamidgelelektrophorese erlaubt es, Fragmente aufzutrennen, die
kleiner als 200 bp sind.
386 Kapitel 16 · Methoden
Mit Blotting-Verfahren überträgt man DNA oder RNA nach einer Gelelektropho-
rese auf eine Trägermembran, auf der die Nucleinsäuren für Sonden erreichbar
sind.
Spezifische Sonden spüren anschließend über Hybridisierung passende DNA
oder RNA auf. Voraussetzung ist, dass die Sequenz der gesuchten Nucleinsäure
ganz oder annähernd bekannt ist.
Die wichtigsten Komponenten für das Blotten sind:
55 Ein Gel mit einem aufgetrennten Gemisch von Nucleinsäuren.
55 Eine Membran, auf welche die Nucleinsäuren übertragen werden. Meistens be-
steht die Membran aus Nylon oder Nitrocellulose.
55 Ein Transferpuffer.
Die Vorgehensweise ist bei den ersten zwei Methoden im Prinzip gleich:
1. Das Gel mit den Nucleinsäurebanden wird in Kontakt mit der Membran ge-
bracht. Beim Southern-Blot stellt man einen alkalischen pH-Wert ein, um die
DNA-Stränge voneinander zu trennen.
2. Durch Kapillarkräfte, ein Vakuum oder elektrischen Strom wandern die
16 Nucleinsäuren aus dem Gel auf die Membran (. Abb. 16.6). Diesen Vorgang
nennt man Blotten.
3. Durch UV-Licht oder Erhitzen („Backen“) kann man die Nucleinsäuren auf
der Membran fixieren.
4. Die Sonde wird durch Erhitzen in Einzelstränge zerlegt. Bei 40–60 °C hybridi-
siert sie mit ihrer Zielsequenz auf der Membran. Nicht h ybridisierte Sonden
werden ausgewaschen.
5. Der Röntgenfilm wird auf die Membran gelegt und durch die abgegebene
β-Strahlung im Bereich der Sonden-Nucleinsäure-Hybriden geschwärzt.
16.6 · DNA-Sequenzierung
387 16
Papiertücher
Filterpapier
Membran
Gel
Schwamm
a
Brücke aus
Filterpapier
Wanne
b
.. Abb. 16.6 Drei Wege zur Herstellung eines Blots. (Nach Mülhardt 2013)
16.6 DNA-Sequenzierung
Die DNA-Sequenzierung nach Sanger ist auch unter den Synonymen Didesoxyme-
thode oder Kettenabbruchsynthese bekannt.
Das Verfahren arbeitet nach dem Prinzip, komplementäre Stränge zu der vor-
liegenden DNA zu produzieren, deren Synthese an unterschiedlichen Stellen ab-
bricht. Die Analyse der Fragmente verrät die Abfolge der Nucleotide.
Die wichtigsten Komponenten für die moderne Variante der Methode sind:
55 Eine Proben-DNA, deren Sequenz bestimmt werden soll.
55 Ein Sequenzier-Primer, der sich an den Startbereich der DNA heftet.
55 Eine DNA-Polymerase für die Synthese der komplementären Fragmente.
55 Desoxynucleosidtriphosphate (dATP, dGTP, dCTP und dTTP) als Bausteine
für die komplementären Stränge.
55 Markierte Didesoxynucleosidtriphosphate (ddATP, ddGTP, ddCTP und
ddTTP) zum Abbrechen der Synthese. Diesen Nucleotiden fehlt an der 3′-Posi-
tion die Hydroxylgruppe zum Anbinden des nächsten Nucleotids, sodass die
Kette mit ihnen zwangsweise endet. Jede Variante dieser terminalen Bausteine
ist mit einem eigenen Fluoreszenzfarbstoff markiert.
388 Kapitel 16 · Methoden
16
Erhält man hellere Lichtsignale, hat die Polymerase mehrmals die gleiche Base
hintereinander eingebaut.
Die Pyrosequenzierung ist geeignet für einen automatisierten Ablauf und paral-
lele Analysen.
16.6.3 Hochdurchsatzsequenzierung:
Next Generation Sequencing
Die Verfahren eignen sich besonders für die Analyse großer DNA-Proben bei
geringen Kosten:
55 Sequenzierung ganzer Genome oder besonderer Funktionen: Sequenzierung
des Exoms, des Transkriptoms,
55 Genotypisierung zur klinischen Diagnose,
55 Aufnahme eines Metagenoms, also die Sequenzierung aller DNA-Moleküle in
einem Lebensraum.
Nachteile: Die Fehlerrate ist gemeinhin höher und die Längen der ermittelten Se-
quenzen (die read lengths) sind kürzer.
Professionelle Anbieter haben unterschiedliche Verfahren entwickelt. Die meis-
ten Arten von Hochdurchsatzsequenzierung folgen dem gleichen dreistufigen Prin-
zip:
1. Library-Präparation. Die DNA wird in mehreren Schritten vorbereitet:
–– Sie wird enzymatisch oder mechanisch fragmentiert.
–– An die Enden der Fragmente werden Adaptoren oder Adapter genannte Se-
quenzen angehängt. Die Adapter bestehen aus zwei Teilen:
–– einer Bindestelle für das spätere Anheften an den Träger,
–– einem Primer für die folgende Amplifikation. Die vorbereiteten Fragmente
nennt man DNA-Bibliothek.
2. Amplifikation. Die Vervielfältigung findet an einem festen Träger statt. Bei-
spiel: Bei der Brückenamplifikation oder Brückensynthese ist dies eine Glas-
platte. Auf der Glasplatte sind zahlreiche unterschiedliche Primer immobilisiert.
–– Die Fragmente der Template-DNA besitzen ein Adapter-Ende. Dieses hybri-
disiert mit seinem komplementären Gegenstück, dem befestigten Primer auf
der Glasplatte.
–– Die distalen Enden der Templates hybridisieren mit benachbarten befestigten
Primern und schlagen geradezu eine Brücke von Primer zu Primer. Wie bei
der PCR werden die Fragmente vervielfältigt. Es entstehen lokale Cluster
mit DNA-Stücken, die alle Klone des gleichen Fragments sind. Man spricht
von klonaler Clusteramplifikation.
–– Die DNA-Stücke werden denaturiert und die komplementären Stränge ent-
fernt.
Ein anderer Hersteller nennt sein Verfahren template walking. Auch hier
sind zahlreiche verschiedene Primer auf einem Trägermaterial befestigt.
Fragmente hybridisieren über ihren Adapter mit den Primern. Die PCR syn-
16 thetisiert den Gegenstrang. Der Doppelstrang wird denaturiert, das freie
Ende des Templates bindet sich an einen benachbarten Primer.
3. Sequenzierung. Die Sequenzierung erfolgt beispielsweise über Bestimmung der
Lichtsignale beim Einbau, beispielsweise wie bei der Pyrosequenzierung.
4. Das Hochdurchsatzsequenzieren generiert eine Vielzahl von Daten. Programme
gleichen diese mit Sequenzen in Datenbanken ab. Die bioinformatorische Aus-
wertung ist umfangreich.
5. Die nächste Stufe, als Third Generation Sequencing bezeichnet, arbeitet ohne
Amplifikation. Die Methode arbeitet mit einer Nanopore in einer Lipid-
membran, durch die ein Motorprotein die DNA-Sequenz schleust. Das dop-
16.7 · Klonierung von DNA
391 16
pelsträngige DNA-Fragment erhält dazu Adaptoren an den Enden und an
einem Ende das Motorprotein angeheftet. An die Membran wird eine Span-
nung angelegt. Die Adaptoren bringen die DNA an die Nanopore, das Motor-
protein schiebt einen Strang durch die Pore auf die andere Seite der Membran.
Die einzelnen Nucleotide verändern dabei das elektrische Feld unterschiedlich.
Von der jeweiligen Änderung der Stromstärke schließt man auf die Sequenz.
Die direkte Sequenzierung (dRNA-seq) ist erst in den vergangenen Jahren ent-
wickelt worden. Sie nutzt die Nanoporen-Methode eines Herstellers. Sie verzichtet
also sowohl auf den Schritt der reversen Transkription als auch auf die PCR. Die
RNAs erhalten ebenfalls Adaptoren und das Motorprotein, das die RNA durch
die Nanopore bugsiert. Man erhofft sich von der Methode auch die direkte Unter-
suchung von modifizierten Basen, um Hinweise auf das Epitranskriptom zu sam-
meln.
Unter Klonierung versteht man die Produktion großer Mengen identischer Kopien
eines DNA-Moleküls.
Sie ist der erste Schritt für eine Reihe von Untersuchungen, beispielsweise:
55 Analyse von DNA-Sequenzen,
55 Veränderung der Sequenz,
392 Kapitel 16 · Methoden
55 Genkartierung,
55 Expression der Genprodukte.
Plasmid 3 kb
Phagemid 10 kb
16 20 kb
Cosmid 50 kb
BAC 300 kb
YAC 1000 kb
ORI
.. Abb. 16.9 Das Plasmid pUC19 mit seiner multiple cloning site (MCS). (Nach Mülhardt 2013)
55 In der sogenannten multiple cloning site (MCS) befinden sich viele Schnitt-
stellen für Restriktionsenzyme (. Abb. 16.9).
P
Fragment 1 P
Dephosphorylierung
P
Fragment 2 P
Ligation
P P
P P
P
P
.. Abb. 16.10 Dephosphoryliert man DNA-Fragmente vor der Ligation, kann man die Selbst-
ligation des Vektors unterdrücken. (Nach Mülhardt 2013)
Den Ort des Geneinbaus kann man mit flankierenden Sequenzen für eine gezielte
Rekombination steuern. Dafür muss das gewünschte Gen an seinen Enden mit
Basenfolgen versehen werden, die homolog zu der Zielregion im Genom sind.
Auf diese Weise kann man verschiedene Typen von transgenen Tieren produzie-
ren:
55 Bei Knock-out-Organismen hat man gezielt durch den Einbau des zusätzlichen
Gens ein endogenes Zielgen ausgeschaltet.
55 Bei Knock-in-Organismen wird das zusätzliche Gen eingebaut, ohne Störungen
zu verursachen.
55 Eine Variante trägt das Cre-Gen. Es muss so in das Genom integriert sein, dass
es unter der Kontrolle eines Promotors steht, der nur in dem späteren Ziel-
gewebe aktiv wird.
55 Eine Variante trägt das Zielgen mit zusätzlichen loxP-Sequenzen an seinen
Enden. Den Einbau dieser Sequenzen bezeichnet man als „floxen“ (von flanked
by loxP).
16.8.3 Knock-down
Mit den Methoden des Genome Editing kann man gezielt DNA-Abschnitte in das
Genom einbringen, austauschen oder entfernen.
16.9 · Genome Editing
397 16
16.9.1 CRISPR/Cas9-System
Das CRISPR/Cas9-System leitet sich von einem Abwehrsystem ab, mit dem Bak-
terien gegen Fremd-DNA in Form von Phagen oder Plasmiden vorgehen.
Hinter dem Leader wechseln sich Repeats und Spacer bis zu mehrere Hundert
Male ab. CRISPR steht für clustered regularly interspaced short palindromic re-
peats.
55 Cas steht für CRISPR-associated. Die cas-Gene liegen in der Nähe des
CRISPR-Locus. Sie codieren für Nucleasen, Helikasen, Integrasen und weitere
Proteine für die Arbeit mit DNA.
Nach dem Schnitt der DNA gibt es zwei mögliche Reparaturwege und damit zwei
verschiedene Ergebnisse:
55 Die Zelle repariert die Doppelstrangbrüche mithilfe des NHEJ (nonhomologous
end joining). Da diese Reparatur fehlerhaft abläuft, kommt es zu Mutationen.
55 Man bietet der Zelle eine vorbereitete Sequenz mit entsprechenden homologen
Enden an.
55 Die Zelle repariert die Brüche nun über HDR (homology directed repair), einen
Weg der homologen Rekombinationsreparatur, und baut somit die vorbereitete
Sequenz ein.
Nach dem Schnitt der DNA gibt es wie beim CRISPR/Cas9-Mechanismus eben-
falls zwei verschiedene Wege und Ergebnisse:
55 Nach der NHEJ ist das Gen unterbrochen.
55 Gibt man ein vorbereitetes DNA-Molekül mit passenden Enden hinzu, baut
die Zelle es per HDR an der Schnittstelle in die eigene DNA ein.
16
16.10 Modellorganismen
Escherichia coli ist ein Darmbakterium und gehört zu den Enterobacteriaceae. Von
E. coli kennt man zahlreiche Stämme, der bekannteste ist E. coli K12. Einige
Stämme sind pathogen.
E. coli verfügt über 4000 bis mehr als 5000 Gene. Die genaue Zahl ist jeweils
von dem Stamm abhängig.
E. coli ist mit großem Abstand das am häufigsten eingesetzte Bakterium in der
Genetik. Die Arbeit mit ihm hat weitreichende Erkenntnisse auf allen Gebieten ge-
bracht unter anderem aus den Gebieten zur Genom- und Genorganisation, Repli-
kation, Transkription, Translation, Expression, Mutationsanalyse, Rekombination,
Reparatur, horizontaler Gentransfer etc.
Die englische Bezeichnung für Drosophila melanogaster ist fruit fly, auf Deutsch
heißt sie Taufliege, wird aber häufig auch Fruchtfliege genannt. Die Fliege ist
2–3 mm lang und hat im Wildtyp charakteristische rote Augen.
Die Taufliege besitzt etwa 13.500 Gene.
An der Taufliege wurden Erkenntnisse auf mehreren Gebieten gewonnen, dar-
unter zu Mutanten und Mutationen, Kopplung von Genen, Kartierung von Genen,
Epistase, Geschlechtschromosomen, Verhaltens- und Entwicklungsgenetik.
Die Maus ist dem Menschen genetisch, biochemisch, physiologisch und etho-
logisch sehr ähnlich. Sie wird daher häufig zu Forschungen in der Humanbiologie
und Humanmedizin verwendet, beispielsweise bei Untersuchungen zu X-
Inaktivierung, Krankheiten, Immungenetik, Verhaltensgenetik und Krebs. Die
diabetes-Maus, eine rezessive Mutante mit einer Mutation im Gen für den Lep-
tin-Rezeptor, dient beispielsweise als Modell für die Fettleibigkeit beim Menschen.
Die Maus besitzt etwa 25.000 Gene.
Serviceteil
Stichwortverzeichnis – 407
Stichwortverzeichnis
A Alignment 363
Alkylgruppe 284
Abbau von Proteinen 134
Alkylierung 284
ABC-System 343
Alkyltransferase 284
Abelson-Leukämie-Virus 322
Allel 296, 299, 364
Aberration
–– dominantes 190
–– numerische 267
–– Frequenz 216
–– strukturelle 270
–– Häufigkeit 216
Abl-Gen 322
–– homozygotes 297
Abort, habitueller 270
–– rezessives 190
Abschnitte, untranslatierte (UTR, untranslated
–– Vorkommen 215
region) 76
Allelausschluss 331
Absorption 12
Allolactose 145
AB0-System 217
Alphastrahlung 262
Ac (activator) 237
Altersdiabetes 314
Ac/Ds-System 237
Alterung-Syndrom 284
Acetylgruppe 133
Alu-Element 41, 240
Acetylierung 178, 181
Alzheimer-Demenz 313
Acetylrest 28
σ-Amanitin 86
Achondroplasie 297, 302
Ameisen 210
Achse 336
Ames-Test 260
–– anterior-posteriore 336, 337, 339
Aminoacyl-AMP 117
–– dorso-ventrale 336, 337, 339
Aminoacylstelle 119
Ackerschmalwand 402
Aminoacyl-tRNA-Synthetase 112, 117
Acridinfarbstoff 263
Aminosäure, proteinogene 112
Actin 197
Amniocentese 308
Acylierung 133
Ampicillin 236
Adaptermolekül Grb2 164
Amplifikation 381, 390
Adaptor 390
Anämie 271
Adenin 6
Anaphase
Adenosin 7
–– I 196
Adenosindesaminase 102
–– II 197
Adenosine desaminase acting on RNA
Anbindungs-Element 162
(ADAR) 102
Androgeninsensitivität 167
Adenosinphosphosulfat (APS) 389
Androgeninsensitivitätssyndrom 215
Adenylat-Cyclase 146, 164
Androgenitales Syndrom (AGS) 298
Adrenalin 166
Androgenresistenz 167, 215
Aflatoxine 264
Androgenrezeptor 167, 214
A-Form 11
Aneuploidie 277
agamous-Gen 343
–– beim Menschen 277
Agarosegel 384
Angelman-Syndrom 304
Ago-Protein 171
Anheftungsprotein 249
Agrobacterium tumefaciens 19, 402
Annealing 12, 381
AICDA 331
Annotation 205
AID 331
Annotierung 205, 363
Akquisitionsphase 397
Anomalie, strukturelle 267, 270
Aktivator 88, 139, 144, 159, 254
Antibiotika 19, 83, 120, 236
Akzeptorarm 116
Anticodon 112
Akzeptorstelle 98
Anticodonschleife 116
Albinismus Typ OCA 1–4, 297
408 Stichwortverzeichnis
N
Nabelschnurpunktion 308
O
NADH-Dehydrogenasekomplex 300 O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase
Nährstoffmangel 150 (MGMT) 284
nanos-Gen 339 Oct-Faktor 141
NaOH 380 –– Oct4 141
Natriumdodecylsulfat (SDS) 379 Okazaki-Fragmente 53
Natronlauge 380 Oktamer 27
NBS1 228 Oligonucleotid 381
NC2 91 ompF-Gen 151
421 M–P
Stichwortverzeichnis
Upstream-Element 84 X
Uracil 6, 13
Uridin 7 φX174 45
Urkeimzelle 337 X-chromosome-inactivation-centre (XIC) 212
UV-Licht, Wellenlänge 12 Xenopus 348
UvrABC-Enzymkomplex 285 XerC 233
uvrAB-Gen 291 XerD 233
Uvr-Komplex 285 Xeroderma pigmentosum 90, 206, 284
UV-Schäden 284, 286 X-Inaktivierung 211
UV-Strahlung 261 –– Kontrolle 212
Xis-Protein 232
XIST-Gen (X inactive-specific transcript) 212
V XIST-RNA 212
XPB 90
Variabilität 363 XPD 90
Vaterschaftstest 307, 309 XRCC3 (X-ray repair cross-complementing
V(D)J-Rekombination 330 protein 3) 228
Vektoren, lentivirale 349 XRCC4 290
Veränderungen, chemische 262 XRS2 228
Verdrängungsreplikation 70
Verdrillung 19
Vererbung, cytoplasmatische 207 Y
Vererbungsmodus 294 Yeast two-hybrid system (Y2H) 371, 372
Verhältnis von X-Chromosomen (X) zu YidC-Protein 133
Autosomen (A) 210
Viren 44, 68, 251
–– Größe 251 Z
–– humane T-lymphotrope 242 Z-Chromosom 210
Viroide 251 Z-DNA 11
Vitamin Zebrabärbling 402
–– B7 133 Zelldifferenzierung 336
–– B12 151 Zellen
VNTR (variable number of tandem –– antigenpräsentierende 332
repeats) 40 –– diploide 192
Volkskrankheiten 311, 313 –– haploide 192
Vorkerntransfer 353 –– kompetente 257, 392
Vorwärtsstrang 53 –– polyenergide 64
V-Region 328 –– transgene 323
V-Schleife 116 Zellkerne, polyploide 64
Zellteilung 321
–– Regulation 274
W Zelluntergang 345
Wachstum 321, 336 Zellzyklus 63, 65, 160
Wahrscheinlichkeitsdiagnose 311 Zellzykluskontrolle 292, 318
Wanderung der Verzweigungsstelle 222, 225 Zinkfingerdomäne 141
Warkany-Syndrom 2 280 Zinkfingernuclease 398
Wasserstoffbrückenbindung 10 Zinkion 142
W-Chromosom 210 Zweikomponentensystem 144
Weg Zwei-Treffer-Theorie 317
–– lysogener 232 Zwillingsforschung 191
–– lytischer 232 Zygotän 196
Werner-Syndrom 284 Zygote, Entwicklung 336
Wildtyp 189 Zyklus
wingless-Gen 341 –– lysogener 148, 253
Wobble-Effekt 118 –– lytischer 148, 252
WT1-Gen 215 ZZ-Satz 210