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Kompaktwissen Biologie

Olaf Fritsche Hrsg.

Olaf G. Schmidt

Genetik
und Molekular-
biologie
2. Auflage
Kompaktwissen Biologie

Reihenherausgeber:
Olaf Fritsche, Ratekau, Deutschland
In mehreren Bänden, die sich jeweils auf ein Fach im Kanon der Lebenswissenschaften konzentrieren,
bietet sie Studierenden das ideale Material für die Prüfungsvorbereitung und nach der Prüfung ein
kompaktes Nachschlagewerk auf hohem Niveau. Kurz und prägnant präsentieren sie das gesamte not-
wendige Wissen auf wenig Raum – und decken zudem die Anforderungen des für Mediziner wichtigen
Gegenstandskatalogs ab. Indem die Bände der Buchreihe Kompaktwissen den Inhalt ähnlich struktu-
rieren, wie er in den Vorlesungen abgehandelt wird, erhalten sie die fachlichen Zusammenhänge, wo-
durch sie auch vorlesungsbegleitend genutzt werden können.
Olaf G. Schmidt

Genetik und
Molekularbiologie
2. Auflage
Olaf G. Schmidt
Essen, Deutschland

ISSN 2569-8648     ISSN 2569-8648 (electronic)


Kompaktwissen Biologie
ISBN 978-3-662-66946-4    ISBN 978-3-662-66947-1 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1

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V

Vorwort zur ersten Auflage der Reihe


Kompaktwissen

„So dünn? Und das soll ein Lehrbuch sein?“, werden Sie sich vermutlich fragen,
wenn Sie zum ersten Mal einen Band aus der Reihe Kompaktwissen in den Händen
halten. Falls Sie die Reihe bereits kennen, haben Sie sicherlich schon bemerkt, dass
jeder Band auf rund 200 Seiten die gleichen Informationen bereithält wie ein
herkömmliches Lehrbuch von 1000 Seiten. Wie ist das möglich?
Das Kompaktwissen verzichtet auf die ausführlichen Erklärungen und zahl-
reichen Beispiele, mit denen andere Lehrbücher ihre Seiten füllen. Stattdessen setzt
es ganz auf knappe und klare Darstellungen von Fakten, Zusammenhängen und
Prinzipien – sowohl im Text als auch bei den Abbildungen. Die Bände sind ge-
wissermaßen der Espresso unter den Lehrbüchern.
Damit eignen sie sich besonders …
… zur Nachbereitung der Lehrveranstaltungen an der Universität oder Hoch-
schule. Das Wissen der Vorlesung oder des Seminars ist in den Büchern struktu-
riert aufgeführt und kann so schnell wiederholt werden.
… zur Vorbereitung auf Prüfungen. Die Bücher bieten den Lernstoff ohne Bal-
last und im richtigen Kontext an. Sie verschaffen damit einen Überblick und liefern
das nötige Faktenwissen. Speziell für Mediziner wurde der Inhalt des Gegen-
standskatalogs berücksichtigt und aufgenommen.
… zum Nachschlagen. Wenn Sie im Laufe des späteren Studiums oder nach des-
sen Abschluss Teile Ihres früheren Wissens vergessen haben, können Sie es mit
wenig Zeitaufwand wieder auffrischen.
Jeder Band Kompaktwissen behandelt ein Thema aus dem Fächerkanon der
Lebenswissenschaften, sodass die Reihe insgesamt auf wenig Raum das Wissen zur
Biologie und ihren Schwesterwissenschaften, wie es zum Bachelor oder zum ersten
Staatsexamen verlangt wird, zusammenfasst.
Die Autoren, der Herausgeber und der Verlag hoffen, Ihnen damit eine wert-
volle Hilfe für das Studium und die Prüfungsvorbereitung an die Hand zu geben.

Olaf Fritsche
Heidelberg, Deutschland
Juni 2016
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage

Selten schaffen es wissenschaftliche Ergebnisse bis in die Tagesschau. Bei der Ge-
netik ist das anders: Sequenzierung des menschlichen Erbguts, Embryonen mit
drei Eltern, neueste Methoden zur Manipulation des Erbguts – immer wieder kom-
men derartige Schlagwörter in den Nachrichten vor. Offensichtlich ist diese Wissen-
schaft nicht ganz unbedeutend. Die Genetik ist in den vergangenen Jahren mehr
und mehr zu einer Leitwissenschaft gereift.
Der Zuwachs an Wissen hat die Genetik-Lehrbücher enorm anschwellen lassen.
Wer sich jetzt Prüfungs- und Berufswissen aneignen möchte, muss straffen und
weiß nicht wie. Wer eine Antwort auf eine Frage sucht, muss viel blättern und
lesen. Vielleicht kann dieses Buch dem Leser die lästige Arbeit abnehmen. Wenn
das gelingt und das Buch nützlich und hilfreich ist, so ist es auch das Verdienst mei-
ner Testleser und Kolleginnen und Kollegen, die mich auf Fehler und Wege zur
Verbesserung aufmerksam gemacht haben.
Die Idee zu dieser Buchreihe hatte Olaf Fritsche, dem ich dafür danke, dass ich
mit diesem Genetik-Band an der Reihe mitwirken kann, und dem ich für zahlreiche
Hinweise zur Verbesserung Dank schulde.
Ich möchte mich auch bedanken bei Merlet Behncke-Braunbeck vom Springer-­
Verlag, die dieses Projekt mit ins Leben gerufen hat, und bei Meike Barth, für ihre
sehr freundliche Unterstützung und hilfreiche Begleitung, als dieses Buch allmäh-
lich Gestalt annahm.
VII

Vorwort zur zweiten Auflage

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage von Genetik und Molekularbiologie ist das
Buch freundlich aufgenommen worden. Mittlerweile hat die wissenschaftliche Dy-
namik zu einem neuen Kenntnisstand geführt, sodass der Springer-Verlag eine
zweite Auflage herausgibt. Für diese ist das bisherige Konzept von klaren und
übersichtlichen Darstellungen mit relevanten Beispielen beibehalten worden. Auch
die Gliederung ist geblieben, sodass neue Erkenntnisse und Ergebnisse die bisher
vorhandenen Kapitel ergänzen. Weitere Abschnitte sind hinzugekommen und
fügen das neue Wissen ein. Naturgemäß fallen die Aktualisierungen unterschied-
lich umfangreich aus. Umfassender sind beispielsweise die Ausführungen zur
Genomorganisation, zur Epigenetik oder zur RNA-Welt erweitert worden. Denn
es zeigt sich immer deutlicher, wie sehr gerade diese Gebiete miteinander ver-
schränkt sind. So sind viele Faktoren, die das Genom und seine Architektur orga-
nisieren, auch an der Regulation der Expression beteiligt. Die Querverweise in dem
Text, welche Bedeutung die Faktoren noch in anderen Zusammenhängen zeigen,
sollen weiterhin beim Lernen helfen. Neue Abbildungen sind hinzugekommen, ei-
nige veraltete weggefallen.
Meike Barth vom Springer-Verlag hat auch diese Auflage vom Anfang bis zur
Fertigstellung freundlich, engagiert und mit Unterstützung begleitet. Vielen Dank
dafür.

Olaf Schmidt
Essen, Deutschland
Juni 2016/Oktober 2023
Einleitung

Es kommt nicht oft vor, dass die Umgangssprache Begriffe einer Einzelwissen-
schaft aufgreift und sich einverleibt. Doch mittlerweile spricht jeder gern von „Mu-
tieren“, wenn sich etwas bloß ändert oder wandelt. Ebenso sagen wir, eine Eigen-
schaft, die zu uns gehört, liege in unserer DNA. Diese Metaphern aus der Genetik
belegen nicht nur die Bedeutung der Disziplin, sie zeigen auch, wie sie in den ver-
gangenen Jahren ins Bewusstsein der Menschen gerückt ist. Spätestens mit den
mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 wurden auch Laien mit genetischen Grund-
begriffen konfrontiert.
Ob PCR, Mendel’sche Regeln oder das Genome Editing, die Beschäftigung mit
den Inhalten beginnt bereits in der Schule. Dabei gehört die Genetik zu den dyna-
mischsten Fächern. Dank der Fortschritte in der Genetik kann man viele Phäno-
mene auf zellulärer und molekularer Ebene verstehen und beschreiben. Es gelingt
immer besser, lückenlose Erklärungsketten für komplexe Vorgänge zu formulieren.
Hier verschmelzen Genetik und Molekularbiologie und sind nicht mehr von-
einander zu trennen. Diese Betrachtung der modernen Genetik als molekular aus-
gerichtete Disziplin hat dem Buch den Titel gegeben.
Der Umfang der Genetik, ihre Konzepte und Begriffe nehmen weiterhin in be-
eindruckendem Tempo zu. Dadurch wird es nicht einfacher, sich die Inhalte anzu-
eignen. Den Überblick zu bewahren und sich nicht in Details zu verlieren, wird zu-
nehmend schwieriger. Hier möchte das vorliegende Buch ansetzen. Es soll klare
und schnell erfassbare Darstellungen geben, lieber knapp als zu weitschweifig wer-
den. Das Layout, vor allem die Auflistung von Einzelpunkten und Schritten, will
das Lernen und Nachschlagen, generell die Orientierung im Dschungel der Fakten
erleichtern.
Der Band Kompaktwissen Genetik ist so aufgebaut, wie die Themen an den
meisten Universitäten/Hochschulen vorgestellt werden: Er beginnt mit der Be-
schreibung des genetischen Materials und den grundlegenden Vorgängen der Re-
plikation, Transkription und Translation. Anschließend geht er über zu den Ge-
bieten Regulation, Mutation und Reparatur und kommt zu den spezielleren The-
men wie der medizinisch ausgerichteten Humangenetik und Teilgebieten wie der
Entwicklungsgenetik. Aufgrund der Sequenzierung kompletter Genome ist die Ge-
nomik zu einem eigenständigen Gebiet herangewachsen, das hier mit seiner Vor-
gehensweise und seinen Fragestellungen vorgestellt wird. Eine Übersicht über Me-
thoden und Modellorganismen beendet den Band.
IX

Inhaltsverzeichnis

1 Das genetische Material........................................................................................................  1


1.1 Worum geht es?................................................................................................................................  2
1.2 Nachweis der DNA als Erbmolekül.............................................................................................  2
1.2.1 Das transformierende Prinzip.............................................................................................................  2
1.2.2 Radioaktive Markierung von Viren....................................................................................................  4
1.2.3 Lokalisation von DNA und RNA.........................................................................................................  5
1.3 Chemie von DNA und RNA............................................................................................................  5
1.3.1 Das einzelne Nucleotid ........................................................................................................................  5
1.3.2 Modifikationen der Basen....................................................................................................................  7
1.3.3 Die Verknüpfung der Nucleotide......................................................................................................  8
1.4 Die Struktur der DNA .....................................................................................................................  9
1.4.1 Das Doppelhelixmodell von Watson und Crick............................................................................  9
1.4.2 Konformationen der DNA.................................................................................................................... 11
1.4.3 Schmelzen und Hybridisieren ........................................................................................................... 11
1.5 RNA-Moleküle.................................................................................................................................... 13
1.5.1 Funktionen der RNA .............................................................................................................................. 14

2 Organisation des Erbguts..................................................................................................... 17


2.1 Worum geht es?................................................................................................................................ 18
2.2 Struktur des Chromosoms und Organisation des Genoms bei Bakterien.................... 18
2.2.1 Anzahl der Gene und Größenvergleich von Genomen............................................................. 18
2.2.2 Topologie von DNA-Ringen und Verdrillung ............................................................................... 19
2.2.3 Ordnung durch DNA-bindende Proteine....................................................................................... 20
2.2.4 Organisation von Genen und nichtcodierende DNA................................................................. 22
2.2.5 Wiederholungssequenzen und bewegliche DNA....................................................................... 22
2.2.6 Plasmide..................................................................................................................................................... 23
2.3 Genom von Archaeen..................................................................................................................... 24
2.4 Genom von Eukaryoten................................................................................................................. 25
2.4.1 Größe, Komplexität und Teilgenome............................................................................................... 25
2.4.2 Organisationsebenen ........................................................................................................................... 26
2.4.3 Färbemethoden....................................................................................................................................... 32
2.4.4 Klassifizierung von DNA-Abschnitten.............................................................................................. 33
2.4.5 Gestalt von Metaphasechromosomen............................................................................................ 35
2.4.6 Ungewöhnliche Chromosomen........................................................................................................ 37
2.4.7 Struktur des Genoms bei Eukaryoten.............................................................................................. 37
2.4.8 Mitochondriengenom und Plastom ................................................................................................ 41
2.4.9 Viren und Bakteriophagen .................................................................................................................. 44

3 DNA-Replikation......................................................................................................................... 47
3.1 Worum geht es?................................................................................................................................ 49
3.2 Prinzipien............................................................................................................................................ 49
3.2.1 Überblick.................................................................................................................................................... 49
X Inhaltsverzeichnis

3.2.2 Enzymfunktionen und Hilfsproteine................................................................................................ 51


3.2.3 Startpunkte der Replikation ............................................................................................................... 52
3.2.4 Syntheserichtung ................................................................................................................................... 53
3.3 Initiation der Replikation .............................................................................................................. 54
3.3.1 Initiation bei Bakterien.......................................................................................................................... 54
3.3.2 Initiation bei Archaeen.......................................................................................................................... 55
3.3.3 Initiation bei Eukaryoten ..................................................................................................................... 56
3.4 Elongation der Replikation .......................................................................................................... 57
3.4.1 Elongation bei Bakterien...................................................................................................................... 58
3.4.2 Elongation bei Archaeen ..................................................................................................................... 58
3.4.3 Elongation bei Eukaryoten ................................................................................................................. 58
3.5 Termination der Replikation ........................................................................................................ 60
3.5.1 Termination bei Bakterien.................................................................................................................... 60
3.5.2 Termination bei Eukaryoten, die Telomere.................................................................................... 61
3.6 Replikation ohne Zellteilung........................................................................................................ 63
3.7 Kontrolle der Replikation ............................................................................................................. 64
3.7.1 Kontrolle bei Bakterien.......................................................................................................................... 64
3.7.2 Kontrolle bei Eukaryoten...................................................................................................................... 65
3.8 Phagen und Viren............................................................................................................................. 68
3.8.1 Replikation von ds-DNA-Viren ........................................................................................................... 68
3.8.2 Replikation von ds-RNA-Viren und Minusstrang-ss-RNA-­Viren ............................................. 69
3.8.3 Retroviren (Plusstrang-ss-RNA).......................................................................................................... 69
3.8.4 Replikation von Viren mit partiell doppelsträngiger DNA....................................................... 70
3.9 Replikation des Mitochondrien- und Plastidengenoms..................................................... 70
3.9.1 Der Ablauf.................................................................................................................................................. 70

4 Transkription................................................................................................................................ 73
4.1 Worum geht es?................................................................................................................................ 75
4.2 Überblick und Grundbegriffe....................................................................................................... 75
4.2.1 RNA-Moleküle........................................................................................................................................... 76
4.2.2 Veränderungen an den RNA-Molekülen......................................................................................... 77
4.3 Funktionell gleiche Elemente und Strukturen bei Bakterien,
Archaeen und Eukaryoten............................................................................................................ 78
4.3.1 RNA-Polymerase...................................................................................................................................... 78
4.3.2 Regulierende DNA-Elemente (cis-Elemente)................................................................................ 78
4.3.3 Regulierende Proteine (trans-Faktoren).......................................................................................... 79
4.4 Prinzip der Transkriptionsinitiation........................................................................................... 81
4.5 Initiation bei E. coli .......................................................................................................................... 83
4.5.1 Aufbau der RNA-Polymerase............................................................................................................... 83
4.5.2 Aufbau der Promotoren........................................................................................................................ 83
4.6 Initiation bei Archaeen und Eukaryoten ................................................................................. 85
4.6.1 RNA-Polymerase und Promotoren von Archaeen....................................................................... 85
4.6.2 Eukaryotische RNA-Polymerasen und ihre Promotoren........................................................... 85
4.6.3 Aufbau des Präinitiationskomplexes für die Pol II....................................................................... 89
XI
Inhaltsverzeichnis

4.7 Elongation.......................................................................................................................................... 91
4.7.1 Elongation bei E. coli ............................................................................................................................. 91
4.7.2 Elongation bei Archaeen und Eukaryoten .................................................................................... 92
4.8 Termination........................................................................................................................................ 92
4.8.1 Terminaton bei Bakterien..................................................................................................................... 92
4.8.2 Termination bei Archaeen und Eukaryoten ................................................................................. 94
4.9 Prozessierung von Transkripten.................................................................................................. 94
4.9.1 Prozessierung bei Bakterien................................................................................................................ 94
4.9.2 Prozessierung bei Eukaryoten............................................................................................................ 95
4.10 RNA-Editing........................................................................................................................................102
4.10.1 Editing bei Trypanosomen ..................................................................................................................103
4.11 Abbau von mRNA-Molekülen......................................................................................................103
4.11.1 Abbau von mRNAs in E. coli.................................................................................................................104
4.11.2 Abbau von mRNAs in Eukaryoten.....................................................................................................104
4.12 Charakteristika der mitochondrialen Transkription.............................................................106

5 Translation......................................................................................................................................109
5.1 Worum geht es?................................................................................................................................111
5.2 Überblick und Grundbegriffe.......................................................................................................111
5.2.1 An der Translation sind folgende Moleküle beteiligt.................................................................111
5.3 Der genetische Code ......................................................................................................................112
5.4 tRNA -Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“)...................................................................115
5.4.1 Struktur der tRNA ...................................................................................................................................115
5.4.2 Beladung der tRNA ................................................................................................................................117
5.4.3 Der Wobble-Effekt ..................................................................................................................................118
5.5 Das Ribosom .....................................................................................................................................118
5.5.1 Struktur der Ribosomen.......................................................................................................................119
5.5.2 Heterogenität der Ribosomen: Variationen im Aufbau.............................................................121
5.6 Translation bei Bakterien...............................................................................................................121
5.6.1 Initiation ....................................................................................................................................................122
5.6.2 Elongation ................................................................................................................................................123
5.6.3 Termination ..............................................................................................................................................125
5.6.4 Geschwindigkeit und Genauigkeit ..................................................................................................125
5.7 Translation bei Archaeen...............................................................................................................126
5.7.1 Gemeinsamkeiten zwischen Archaeen und Bakterien..............................................................126
5.7.2 Gemeinsamkeiten zwischen Archaeen und Eukaryoten..........................................................126
5.8 Translation bei Eukaryoten...........................................................................................................126
5.8.1 Initiation.....................................................................................................................................................126
5.8.2 Elongation ................................................................................................................................................128
5.8.3 Termination ..............................................................................................................................................129
5.9 Prozessierung von Proteinen.......................................................................................................129
5.9.1 Proteinfaltung..........................................................................................................................................130
5.9.2 Spaltung und Transport von Proteinen ..........................................................................................132
5.9.3 Chemische Veränderungen und Modifikationen........................................................................133
5.9.4 Proteinspleißen........................................................................................................................................134
5.10 Abbau von Proteinen, Degradation ..........................................................................................134
XII Inhaltsverzeichnis

6  egulation der Genexpression: Allgemeines


R
und Regulation bei Prokaryoten.....................................................................................137
6.1 Worum geht es?................................................................................................................................138
6.2 Grundlagen........................................................................................................................................138
6.2.1 Notwendigkeit zur Regulation...........................................................................................................138
6.2.2 Allgemeine Regulationsmöglichkeiten und beteiligte Elemente.........................................139
6.2.3 Regulationsebenen................................................................................................................................139
6.2.4 DNA-bindende Proteine bei Pro- und Eukaryoten.....................................................................140
6.3 Regulation der Transkription bei Prokaryoten......................................................................143
6.3.1 Einleitung und grundsätzliche Regulationsmöglichkeiten.....................................................143
6.3.2 Das lac-Operon von E. coli: Regulation eines Abbauwegs.......................................................144
6.3.3 Das trp-Operon von E. coli: Regulation eines Synthesewegs..................................................146
6.3.4 Regulation an der DNA des Phagen λ.............................................................................................148
6.3.5 Regulation über σ-Faktoren................................................................................................................149
6.3.6 Stringente Kontrolle ..............................................................................................................................150
6.3.7 Riboswitches (RNA-Schalter) ..............................................................................................................150
6.4 Regulation der Translation............................................................................................................151
6.4.1 Antisense-RNA und Codon-Usage .....................................................................................................151
6.4.2 CRISPR/Cas.................................................................................................................................................151

7 Regulation der Genexpression bei Eukaryoten.....................................................155


7.1 Worum geht es?................................................................................................................................157
7.2 Allgemeiner Vergleich zur Regulation bei Prokaryoten.....................................................157
7.3 Gewebe- und entwicklungsspezifische Regulation der Globingene
beim Menschen................................................................................................................................157
7.3.1 Allgemeines..............................................................................................................................................157
7.3.2 Differenzielle Genexpression der Globingene..............................................................................158
7.4 Regulation der Gene ......................................................................................................................159
7.4.1 Regulation der RNA-Polymerase-I-Gene........................................................................................160
7.4.2 Regulation der RNA-Polymerase-II-Gene.......................................................................................160
7.4.3 Regulation der RNA-Polymerase-III-Gene......................................................................................162
7.5 Signaltransduktion bei Eukaryoten...........................................................................................163
7.5.1 Überblick....................................................................................................................................................163
7.5.2 Beispiele für Signalwege: vom äußeren Signal zur Regulation der Transkription...........164
7.5.3 cAMP und CREB-Signalweg ................................................................................................................166
7.5.4 Steroidhormone......................................................................................................................................167
7.6 Regulation der Translation ...........................................................................................................167
7.6.1 eIF4E.............................................................................................................................................................168
7.6.2 eIF2............................................................................................................................................................... 168
7.7 Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz...........................................................169
7.7.1 Überblick....................................................................................................................................................169
7.7.2 Ablauf mit siRNAs....................................................................................................................................171
7.7.3 Ablauf mit miRNAs..................................................................................................................................171
7.7.4 Ablauf mit piRNA ....................................................................................................................................174
7.7.5 Lange nichtcodierende RNA, lncRNA..............................................................................................174
7.7.6 Transkriptions-Interferenz...................................................................................................................176
XIII
Inhaltsverzeichnis

7.7.7 Ringförmige RNA, circRNA...................................................................................................................176


7.8 Epigenetik ..........................................................................................................................................176
7.8.1 Chromatin-Remodeling.........................................................................................................................177
7.8.2 Histonmodifikationen...........................................................................................................................178
7.8.3 DNA-Methylierung.................................................................................................................................182

8 Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung........................................................187


8.1 Worum geht es?................................................................................................................................189
8.2 Grundbegriffe....................................................................................................................................189
8.2.1 Charakterisierung von Genen.............................................................................................................189
8.2.2 Allele für das gleiche Merkmal können miteinander konkurrieren......................................190
8.2.3 Schreibweise.............................................................................................................................................190
8.2.4 Einflüsse von Genen...............................................................................................................................190
8.2.5 Unterscheidung von Merkmalen......................................................................................................191
8.3 Mitose und Meiose ..........................................................................................................................191
8.3.1 Zusammenfassung zur Meiose..........................................................................................................192
8.3.2 Kernphasenwechsel ..............................................................................................................................193
8.3.3 Phasen der Meiose..................................................................................................................................194
8.3.4 Besondere Aspekte zur Mitose ..........................................................................................................199
8.4 Mendel’sche Regeln ........................................................................................................................200
8.4.1 Mendels Kreuzungsexperimente .....................................................................................................200
8.4.2 Erste Mendel’sche Regel: Uniformitätsregel .................................................................................201
8.4.3 Zweite Mendel’sche Regel: Spaltungsregel ..................................................................................202
8.4.4 Dritte Mendel’sche Regel: Unabhängigkeitsregel oder Neukombinationsregel ............202
8.5 Statistik ...............................................................................................................................................203
8.6 Kopplung ...........................................................................................................................................204
8.7 Biologische und physikalische Genkarten..............................................................................205
8.8 Abweichungen von den Mendel’schen Regeln und Ausnahmen....................................206
8.8.1 Abweichungen.........................................................................................................................................206
8.8.2 Vererbung ohne Mendel’sche Regeln: cytoplasmatisch ..........................................................207
8.8.3 Haploide Organismen ..........................................................................................................................207
8.9 Geschlechtsbestimmung und -ausbildung ............................................................................208
8.9.1 Phänotypische Geschlechtsbestimmung......................................................................................208
8.9.2 Genotypische Geschlechtsbestimmung und Fehlbildungen beim Menschen................209
8.10 Populationsgenetik ........................................................................................................................215
8.10.1 Der Genpool .............................................................................................................................................215
8.10.2 Frequenzen und das Hardy-Weinberg-Gesetz ............................................................................216

9 Rekombination und Variabilität......................................................................................219


9.1 Worum geht es?................................................................................................................................220
9.2 Homologe Rekombination...........................................................................................................220
9.2.1 Modelle für die homologe Rekombination ..................................................................................220
9.2.2 Genkonversion ........................................................................................................................................223
9.2.3 Proteine der Rekombination bei E. coli............................................................................................224
9.2.4 Proteine der Rekombination bei Eukaryoten................................................................................227
XIV Inhaltsverzeichnis

9.3 Ortsspezifische Rekombination .................................................................................................230


9.3.1 Allgemeines und Bedeutung..............................................................................................................230
9.3.2 Der Ablauf im Überblick.......................................................................................................................231
9.3.3 Die Rekombinasen..................................................................................................................................231
9.4 Illegitime Rekombination..............................................................................................................234
9.4.1 Überblick....................................................................................................................................................234
9.4.2 DNA-Transposons ...................................................................................................................................235
9.4.3 Retrotransposons bei Eukaryoten.....................................................................................................238

10 Horizontaler Gentransfer bei Bakterien.....................................................................245


10.1 Worum geht es?................................................................................................................................246
10.2 Überblick.............................................................................................................................................246
10.3 Konjugation.......................................................................................................................................246
10.3.1 Das F-Plasmid...........................................................................................................................................247
10.3.2 Integration und Exzision.......................................................................................................................248
10.3.3 Ablauf der Konjugation.........................................................................................................................249
10.3.4 Frühe Genkartierung bei E. coli..........................................................................................................249
10.4 Transduktion......................................................................................................................................250
10.4.1 Der Aufbau von Phagen.......................................................................................................................251
10.4.2 Infektionswege von Phagen...............................................................................................................252
10.4.3 Aufnahme chromosomaler DNA.......................................................................................................256
10.4.4 Folgen für die Empfängerzelle...........................................................................................................257
10.5 Transformation und Transfektion...............................................................................................257
10.5.1 Transformation bei Bakterienzellen..................................................................................................257
10.5.2 Transfektion bei eukaryotischen Zellen..........................................................................................258

11 Mutationen und DNA-­Reparatur.....................................................................................259


11.1 Worum geht es?................................................................................................................................260
11.2 Ursachen von Mutationen.............................................................................................................260
11.2.1 Physikalische Strahlung........................................................................................................................260
11.2.2 Chemische Veränderungen.................................................................................................................262
11.2.3 Biologische Ursachen............................................................................................................................264
11.3 Mutationsklassen.............................................................................................................................267
11.3.1 Punktmutationen....................................................................................................................................267
11.3.2 Strukturelle Anomalien oder Aberrationen oder Chromosomenmutationen..................270
11.3.3 Numerische Aberrationen...................................................................................................................276
11.4 Häufigkeit von Mutationen...........................................................................................................281
11.5 Spontane und induzierte Mutationen......................................................................................281
11.5.1 Experimente zu induzierter Mutation.............................................................................................282
11.6 Mechanismen zur Aufhebung von Mutationen.....................................................................282
11.7 Reparatur von DNA-Schäden.......................................................................................................283
11.7.1 Einbettung in Zellprozesse..................................................................................................................283
11.7.2 Direkte Reparatur....................................................................................................................................284
11.7.3 Basenexzisionsreparatur.......................................................................................................................284
11.7.4 Nucleotidexzisionsreparatur...............................................................................................................285
11.7.5 Mismatch-Reparatur (Fehlpaarungsreparatur).............................................................................287
XV
Inhaltsverzeichnis

11.7.6 Reparatur von DNA-Brüchen..............................................................................................................288


11.7.7 SOS-Mechanismus und Transläsionssynthese..............................................................................291
11.7.8 Brustkrebs und DNA-Reparatur.........................................................................................................292

12 Humangenetik.............................................................................................................................293
12.1 Worum geht es?................................................................................................................................294
12.2 Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale......................................................................294
12.2.1 Kennzeichen mendelnder Erbgänge...............................................................................................294
12.2.2 Kennzeichen mitochondrialer Erbgänge.......................................................................................300
12.2.3 Schwierigkeiten bei der Interpretation von Stammbäumen..................................................301
12.2.4 Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Genen.........................................................................305
12.3 Untersuchungsmethoden in der Humangenetik..................................................................307
12.3.1 Pränataldiagnostik..................................................................................................................................307
12.3.2 Genetischer Fingerabdruck.................................................................................................................309
12.3.3 Kartierung von Krankheitsgenen......................................................................................................310
12.3.4 Assoziationsstudien...............................................................................................................................311
12.3.5 Nachweis von Mutationen...................................................................................................................311
12.4 Komplexe Erkrankungen...............................................................................................................313
12.4.1 Diabetes mellitus.....................................................................................................................................313
12.4.2 Allgemeines zu Krebs und Tumorgenetik......................................................................................315
12.4.3 Tumorsuppressorgene..........................................................................................................................317
12.4.4 Onkogene..................................................................................................................................................320
12.4.5 Mutatorgene.............................................................................................................................................323
12.5 Behandlung erblich bedingter Krankheiten...........................................................................323

13 Immungenetik.............................................................................................................................325
13.1 Worum geht es?................................................................................................................................326
13.2 Überblick.............................................................................................................................................326
13.2.1 Einteilung des Immunsystems...........................................................................................................326
13.2.2 Die genetische Komplexität der erworbenen Immunantwort...............................................327
13.3 B-Lymphocyten.................................................................................................................................327
13.3.1 Einteilung der Antikörper.....................................................................................................................327
13.3.2 Struktur der Antikörper oder Immunglobuline...........................................................................328
13.4 Aufbau der Immunglobulingene und Antikörpervielfalt...................................................329
13.4.1 DNA-Rearrangement der Gene für die Regionen.........................................................................329
13.4.2 Zurechtschneiden...................................................................................................................................330
13.4.3 Somatische Hypermutation................................................................................................................331
13.4.4 Auswahl eines Allels...............................................................................................................................331
13.5 T-Zell-Rezeptoren.............................................................................................................................331
13.6 Haupthistokompatibilitätskomplex..........................................................................................332

14 Entwicklungsgenetik...............................................................................................................335
14.1 Worum geht es?................................................................................................................................336
14.2 Entwicklungsphasen.......................................................................................................................336
14.3 Die Entwicklung von Drosophila.................................................................................................337
14.3.1 Ablauf der Entwicklung........................................................................................................................337
XVI Inhaltsverzeichnis

14.3.2 Genetische Charakteristika..................................................................................................................338


14.3.3 Musterbildung und Einteilung der Gene nach Stadien............................................................338
14.3.4 Maternale Gene.......................................................................................................................................339
14.3.5 Zygotische Gene......................................................................................................................................340
14.3.6 Homöotische Gene.................................................................................................................................341
14.4 Entwicklungsgene bei Arabidopsis............................................................................................342
14.4.1 Mutanten von Arabidopsis...................................................................................................................342
14.4.2 Das ABC-System.......................................................................................................................................343
14.5 Apoptose – programmierter Zelltod.........................................................................................344
14.5.1 Vergleich mit verwandten Prozessen..............................................................................................345
14.6 Stammzellen......................................................................................................................................346
14.6.1 Embryonale Stammzellen....................................................................................................................347
14.6.2 Kerntransfer und Klonen......................................................................................................................348
14.6.3 Somatische Stammzellen und induzierte pluripotente Stammzellen.................................349
14.6.4 Transfer und Keimbahntherapie........................................................................................................352

15 Genomik...........................................................................................................................................355
15.1 Worum geht es?................................................................................................................................356
15.2 Überblick und Einteilung des Gebiets......................................................................................356
15.3 Kartierung von Genomen..............................................................................................................357
15.3.1 Biologische Karten..................................................................................................................................357
15.3.2 Physikalische Karten..............................................................................................................................359
15.3.3 Sequenzierung.........................................................................................................................................361
15.3.4 Annotierung..............................................................................................................................................363
15.4 Variabilität und Individualität im menschlichen Genom...................................................363
15.4.1 Einzelnucleotidpolymorphismen und Einzelnucleotidvarianten..........................................364
15.4.2 Kopienzahlvarianten (CNVs)................................................................................................................365
15.4.3 Mikrosatelliten.........................................................................................................................................366
15.5 Funktionelle Genomik....................................................................................................................367
15.5.1 Untersuchung des Transkriptoms.....................................................................................................367
15.5.2 Proteomik...................................................................................................................................................370
15.6 Komparative Genomik...................................................................................................................374
15.6.1 Einteilung homologer Gene................................................................................................................374
15.7 Evolution des Menschen................................................................................................................375

16 Methoden........................................................................................................................................377
16.1 Worum geht es?................................................................................................................................379
16.2 Isolierung von Nucleinsäuren......................................................................................................379
16.2.1 Isolierung von DNA................................................................................................................................379
16.2.2 Isolierung von RNA.................................................................................................................................380
16.2.3 Präparation von Plasmid-DNA............................................................................................................380
XVII
Inhaltsverzeichnis

16.3 Polymerasekettenreaktion (PCR)............................................................................................381


16.3.1 Standard-PCR............................................................................................................................................381
16.3.2 Nested PCR.................................................................................................................................................382
16.3.3 RT-PCR (Reverse-Transkriptase-PCR)................................................................................................383
16.3.4 Multiplex-PCR...........................................................................................................................................383
16.3.5 Echtzeit-PCR (real-time PCR)................................................................................................................384
16.4 Gelelektrophorese...........................................................................................................................384
16.5 Blotting und Hybridisierung........................................................................................................386
16.6 DNA-Sequenzierung.......................................................................................................................387
16.6.1 DNA-Sequenzierung nach Sanger....................................................................................................387
16.6.2 Pyrosequenzierung................................................................................................................................389
16.6.3 Hochdurchsatzsequenzierung: Next Generation Sequencing..................................................389
16.6.4 Sequenzierung von RNA......................................................................................................................391
16.7 Klonierung von DNA.......................................................................................................................391
16.7.1 Bibliotheken und Banken.....................................................................................................................394
16.8 Transgene Tiere.................................................................................................................................394
16.8.1 Gene-Targeting oder gezielte Genmanipulation..........................................................................395
16.8.2 Konditionale Knock-out-Mäuse..........................................................................................................396
16.8.3 Knock-down...............................................................................................................................................396
16.9 Genome Editing...................................................................................................................................396
16.9.1 CRISPR/Cas9-System..............................................................................................................................397
16.9.2 TALEN (Transcription activator-like effector nucleases)................................................................398
16.10 Modellorganismen..........................................................................................................................398
16.10.1 Kriterien für Modellorganismen........................................................................................................399
16.10.2 Escherichia coli..........................................................................................................................................400
16.10.3 Bäcker- oder Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae).......................................................................400
16.10.4 Taufliege (Drosophila melanogaster)................................................................................................401
16.10.5 Caenorhabditis elegans..........................................................................................................................401
16.10.6 Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana).......................................................................................402
16.10.7 Zebrabärbling oder Zebrafisch (Danio rerio).................................................................................402
16.10.8 Hausmaus (Mus musculus)...................................................................................................................403

Serviceteil
Stichwortverzeichnis.....................................................................................................................407
1 1

Das genetische Material


Inhaltsverzeichnis

1.1 Worum geht es? – 2


1.2 Nachweis der DNA als Erbmolekül – 2
1.2.1  as transformierende Prinzip – 2
D
1.2.2 Radioaktive Markierung von Viren – 4
1.2.3 Lokalisation von DNA und RNA – 5

1.3 Chemie von DNA und RNA – 5


1.3.1  as einzelne Nucleotid – 5
D
1.3.2 Modifikationen der Basen – 7
1.3.3 Die Verknüpfung der Nucleotide – 8

1.4 Die Struktur der DNA – 9


1.4.1  as Doppelhelixmodell von Watson und Crick – 9
D
1.4.2 Konformationen der DNA – 11
1.4.3 Schmelzen und Hybridisieren – 11

1.5 RNA-Moleküle – 13
1.5.1 Funktionen der RNA – 14

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_1
2 Kapitel 1 · Das genetische Material

1.1 Worum geht es?


1
Genetik als Wissenschaft von der Vererbung untersucht den Aufbau des genetischen
Materials, seine Eigenschaften, Funktionen und die Prozesse der Vererbung. Dieses
Kapitel stellt den Aufbau des genetischen Materials vor. In verschiedenen Experi-
menten konnte DNA als Träger der Erbanlagen nachgewiesen werden. Diese be-
steht aus einer Abfolge von Nucleotiden. Deren wichtigster Baustein ist der Basen-
anteil, von dem es vier Varianten gibt. Die dreidimensionale Struktur der DNA be-
schreibt man mit dem Modell der Doppelhelix. Die zweite genetisch wichtige
Molekülklasse bilden verschiedenartige RNA-Moleküle. Sie übernehmen vielfältige
Funktionen bei der Umsetzung der genetischen Information und ihrer Regulation.

1.2 Nachweis der DNA als Erbmolekül

Die DNA ist der Träger der Erbanlagen. Sie speichert die Information für die Bil-
dung und Erhaltung eines Organismus.
Heute spricht man statt von Erbanlagen oder Erbfaktoren von Genen, die
Gesamtheit der Gene eines Organismus heißt Genom. Gene sind begrenzte Abschnitte
der DNA, welche die Information für die Herstellung eines RNA-­Moleküls ent-
halten (siehe 7 Kap. 4). Das Genom von Viren oder Bakteriophagen (Viren, die Bak-
terien infizieren, wörtlich: „Bakterienfresser“) kann auch aus RNA bestehen. Somit
besitzen alle lebenden Zellen DNA- bzw. RNA-Moleküle, egal ob sie zu den Bakterien
(Bacteria), zu den Archaeen (Archaea) oder zu den Eukaryoten (Eukarya) gehören.
DNA und RNA sind die Abkürzungen für die englischen Ausdrücke deoxyri-
bonucleic acid und ribonucleic acid, also Desoxyribonucleinsäure und Ribonuclein-
säure.
Als Erster isolierte Friedrich Miescher 1869 in Tübingen DNA und sprach von
„Nuclein“. Es handelte sich jedoch nicht um reine DNA, sondern um ein DNA-­
Protein-­Gemisch. Erst später gelang die Isolierung von reiner Nucleinsäure, und
dieser Begriff wurde gebräuchlich. Mit der Untersuchung der Chromosomen
drängte sich immer mehr die Frage auf, aus welchem Stoff die Gene bestehen.
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts identifizierten mehrere Wissen-
schaftler die Chromosomen als Träger der Gene im Zellkern. Allerdings sind
Chromosomen Gebilde aus DNA und Proteinen. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein
hielt man sogar die Proteine für die Gene, weil sie so verschieden aufgebaut waren
und man damit die genetische Vielfalt eher erklären konnte.

1.2.1 Das transformierende Prinzip

Ein Sinneswandel setzte erst nach und nach ein. Er begann Ende der 1920er-Jahre
dank einer Reihe von Experimenten, die Frederick Griffith begann und Oswald
Avery mit Kollegen fortsetzte. Griffith arbeitete mit zwei Stämmen des Bakteriums
Streptococcus pneumoniae, das Lungenentzündungen hervorrufen kann (. Abb. 1.1).
1.2 · Nachweis der DNA als Erbmolekül
3 1
a b

S-Stamm Tot R-Stamm Lebend


Virulenter Stamm Nichtvirulenter Stamm

c d

Virulenter Stamm
(durch Hitze abgetötet)

Virulenter Stamm Lebend Tot


(durch Hitze Nichtvirulenter
abgetötet) Stamm

..      Abb. 1.1 Die Experimente von Griffith

55 Der S-Stamm hat seinen Namen vom glatten (engl. smooth) Aussehen der Ko-
lonien. Die Bakterienzellen bilden eine Schleimkapsel und entgehen somit dem
Immunsystem, sie sind virulent. Griffith infizierte Mäuse mit dem Stamm,
woraufhin diese starben (. Abb. 1.1a).
55 Der R-Stamm sieht rau aus (engl. rough). Diese Zellen können keine Schleim-
kapsel bilden und sind nichtvirulent, Mäuse überleben daher eine Infektion
(. Abb. 1.1b).

Griffith führte weitere Experimente durch:


55 Mäuse überleben eine Infektion, wenn der S-Stamm vorher durch Hitze ab-
getötet wurde (. Abb. 1.1c).
55 Sie sterben jedoch, wenn sie mit dem hitzeabgetöteten S-Stamm und dem leben-
den R-Stamm infiziert werden (. Abb. 1.1d).

Offenbar ist die Erbinformation zum Auslösen der Krankheit hitzestabil. Sie über-
steht die Prozedur, die lebenden Zellen können sie aufnehmen und verwerten. Grif-
fith sprach vom transformierenden Prinzip. Avery zeigte später, dass es sich dabei
um DNA handelt. Die Aufnahme und Verwertung nackter DNA durch eine Zelle
wird Transformation genannt. Sie dient bis heute als alltägliche Methode im Labor,
um Zellen genetisch zu verändern.
4 Kapitel 1 · Das genetische Material

1.2.2 Radioaktive Markierung von Viren


1
Alfred Hershey und Martha Chase konnten diese Ergebnisse 1952 bestätigen. Sie
experimentierten mit dem Darmbakterium Escherichia coli (E. coli) und seinem
Phagen T2. Hershey und Chase infizierten E. coli mit mehreren Varianten von T2,
deren DNA und Proteinhülle sie unterschiedlich radioaktiv markiert hatten: Die
Phagen-DNA enthielt radioaktiven Phosphor (32P) und die Proteinhülle radio-
aktiven Schwefel (35S). Das Element Phosphor kommt in DNA, aber nicht in Pro-
teinen vor, Schwefel dagegen in Proteinen, aber nicht in DNA. Durch die radio-
aktive Markierung ließ sich der Weg der Komponenten verfolgen (. Abb. 1.2).
Kurz nach Adsorption und Beginn des Infektionszyklus, also nach Injektion
des Phagenerbguts in die Wirtszelle, untersuchten Hershey und Chase die Bakte-
rien. Sie fanden darin und später in den freigesetzten fertigen Phagen den radio-
aktiven Phosphor. Folglich war die DNA weitergegeben worden, nicht aber das
Protein. Das Ergebnis überzeugte nicht alle, aber doch weitere Wissenschaftler,
dass das Erbgut aus DNA besteht und nicht aus Proteinen.

Proteinhülle DNA
mit 35S markiert mit 32P markiert
32P
Adsorption

32P

32P 32P

Freisetzen der DNA-freie


fertigen Phagen Phagenhülle
wird entfernt
32P 32P

32P 32P

Synthese und
Zusammenbau
der Phagen

..      Abb. 1.2 Die Experimente von Hershey und Chase


1.3 · Chemie von DNA und RNA
5 1
1.2.3 Lokalisation von DNA und RNA

In Zellen ohne Zellkern, den Prokaryoten, liegt die DNA im Cytoplasma. Zu den
Prokaryoten gehören Bakterien und Archaeen.
In Zellen mit Zellkern, den Eukaryoten, findet man DNA im Zellkern und in
Mitochondrien und Plastiden, jedoch nicht im Cytoplasma. Zu den Eukaryoten
zählen Einzeller mit Zellkern und Mehrzeller: Pilze, Pflanzen und Tiere.
RNA liegt bei Prokaryoten im Cytoplasma vor, bei Eukaryoten im Zellkern, in
den Mitochondrien und Plastiden sowie im Cytoplasma.

1.3 Chemie von DNA und RNA

Chemisch gesehen sind DNA und RNA sehr ähnliche Moleküle. Sie können eine
beträchtliche Größe annehmen und damit zu den Makromolekülen zählen: sehr
große Moleküle, die aus kleineren Bausteinen bestehen.
Die Bausteine haben eine bestimmte Abfolge. Darin ist die Information ge-
speichert wie in der Abfolge von Buchstaben in Wörtern. Die Bausteine von DNA
und RNA heißen Nucleotide. Daher bezeichnet man Nucleinsäuren auch als Poly-
nucleotide.

1.3.1 Das einzelne Nucleotid

Jedes Nucleotid von DNA und RNA besteht aus drei Bausteinen:
55 Aus einem Phosphatrest der Phosphorsäure. Er wird durch das „A“ in DNA
für Säure (engl. acid) angezeigt.
55 Aus einem Fünffachzucker, der Pentose: 2′-Desoxyribose in der DNA und Ri-
bose in der RNA. „2′-Desoxy“ deutet an, dass dem zweiten Kohlenstoffatom
des Zuckers eine OH-Gruppe fehlt.
55 Aus einer von vier Basen. Diese sind variabel.

Nucleotide heißen beispielsweise Desoxyadenosin-5′-monophosphat, kurz dAMP,


oder Adenosin-5′-triphosphat, kurz ATP. Die Substrate, die die Zelle für den Auf-
bau von DNA und RNA verwendet, sind die Triphosphate, also (d)ATP, (d)CTP,
dTTP bzw. UTP (in der RNA, s. u.) und (d)GTP.
ATP und GTP sind nicht nur Bausteine von Nucleinsäuren, sondern über-
nehmen zusätzlich Aufgaben im Energiestoffwechsel und als Signalmoleküle.
6 Kapitel 1 · Das genetische Material

Der Basenanteil
1 Die Basen der DNA sind (. Abb. 1.3):
55 Adenin (A),
55 Thymin (T),
55 Guanin (G) und
55 Cytosin (C).

In der RNA ersetzt Uracil (U) das Thymin. Dem Uracil fehlt die 5-­Methylgruppe
des Thymins. Chemisch gesehen gehören Adenin und Guanin zu den Purinen, Thy-
min, Uracil und Cytosin zu den Pyrimidinen.

..      Abb. 1.3 Die fünf Basen der DNA und RNA und ihre Verknüpfung über Wasserstoffbrücken in
der DNA-Doppelhelix. (Nach Schaaf und Zschocke 2013)
1.3 · Chemie von DNA und RNA
7 1
Zur Benennung werden die Kohlenstoffatome der Basen durchnummeriert von
1 bis 6 (Pyrimidine) bzw. 1 bis 9 (Purine) und die Kohlenstoffatome des Zuckers
von 1′ bis 5′, gelesen als „eins Strich“ (engl. prime). So kann man angeben, welche
Atome an Reaktionen der DNA und der RNA beteiligt sind.
Von Bedeutung für bestimmte Prozesse ist es außerdem, ob Adenin und/oder
Cytosin eine Methylgruppe tragen und als N6-Methyladenin bzw. 5-Methylcytosin
vorliegen (s. u.: Modifikationen).
In reifen RNA-Molekülen findet man noch andere Basen, weil die Zelle einige
Nucleotide nach Bildung eines RNA-Moleküls chemisch verändert oder in be-
stimmten RNA-Molekülen ungewöhnliche Basen von vornherein vorkommen
(siehe 7 Kap. 4).

Der Zuckeranteil als zentrale Nucleotidkomponente


Jeder Zucker ist mit einem Phosphatrest und einer Base verbunden. Die Bindung
des Stickstoffs einer Base an die Pentose heißt N-glykosidische Bindung und ergibt
ein Nucleosid, also ein Nucleotid ohne Phosphat: Adenosin, Guanosin, Cytidin,
Thymidin und Uridin.
Der Phosphatrest ist über eine Esterbindung an den 5′-Kohlenstoff des Zuckers
geknüpft. Die Veresterung oder die Auflösung der Esterbindung sind wichtige Re-
aktionen der Nucleotide bzw. der Nucleinsäuren bei der Replikation, der Tran-
skription sowie bei Reparaturprozessen.

1.3.2 Modifikationen der Basen

Wenn die Basen in die DNA eingebaut sind, nehmen Zellen charakteristische Me-
thylierungen an definierten Stellen vor.
Dazu übertragen Methyltransferasen (MT) einen Methylrest von S-Adenosyl-­
Methionin (SAM) auf die Zielposition der Base. Die Methylierungen stellen einen
Informationswert dar, der nicht genetisch durch die Basen-Sequenz gegründet ist,
sondern epigenetisch. Sie geben eine eigene, zusätzliche Information über die Ba-
sen-Sequenz hinaus.
55 In Eukaryoten ist die dominante Form die Methylierung von Cytosin zu
5-Methylcytosin (5mC). Methyliertes Cytosin ist ein entscheidendes Element
für die Regulation der Genexpression (siehe 7 Abschn. 7.8.3). N6-Methyl-
adenin (6mA) kommt zwar ebenfalls vor, aber deutlich seltener.
55 In Prokaryoten kommen drei Formen der Methylierung vor: (1) N6-­
Methyladenin (6mA), die häufigste Form, (2) N4-Methylcytosin (4mC), (3)
5-Methylcytosin (5mC). In jedem Bakterium erkennen die Methyltransferasen
nur bestimmte, jeweils unterschiedliche kurze Motive. In E. coli beispielsweise
modifizieren die DNA-Adeninmethylase (Dam) nur 5′-GATC-3′ und die
DNA-Cytosinmethyltransferase (Dcm) 5′-CCWGG-3′ (W steht für A oder T).

Über die epigenetische Regulation hinaus sind Methyltransferasen wichtig als Teil
des Restriktions-Modifikations-System (RM-System). Die Zelle erkennt methy-
lierte DNA als „eigen“, nichtmethylierte DNA gilt als „fremd“ und wird von
8 Kapitel 1 · Das genetische Material

Restriktionsenzymen (RE) in kleinere Fragmente geschnitten und dann abgebaut.


1 Die Zelle schützt sich damit beispielsweise vor einer Phagen-Infektion.
Man unterscheidet drei Typen, abhängig von der Zusammensetzung der Enzym-
komplexe und der Lage von Modifikations- und Schnittstellen zueinander.
1. Um die Schnittstelle zu erkennen, arbeiten MT und RE gemeinsam. Die
Schnittstelle kann weit entfernt sein (mehrere Tausend Basenpaare) von dem
Methylierungsmotiv.
2. MT und RE erkennen das gleiche Motiv. Sie arbeiten unabhängig voneinander.
Das (einzelne) RE zerschneidet das unmethylierte Motiv. Dieser Typ der
Restriktionsenzyme dient als Standardwerkzeug in der Gentechnologie, um
DNA gezielt zu schneiden.
3. Auch hier arbeiten MT und RE zusammen, weil die Schnittstelle nicht der
Methylierungsstelle entspricht. Allerdings liegt die Schnittstelle nur etwa 25
Basenpaare von dem Methylierungsmotiv entfernt.

1.3.3 Die Verknüpfung der Nucleotide

Über die 3′-OH-Gruppe kann ein Nucleotid mit dem Phosphatrest am Kohlen-
stoffatom 5′ eines zweiten Nucleotids eine Veresterung eingehen, wodurch eine
Phosphodiesterbindung entsteht. Die 3′-OH-Gruppe des zweiten Nucleotids kann
sich mit dem Phosphatrest eines dritten verknüpfen usw. Auf diese Weise ergibt
sich ein Polynucleotid, eine Nucleinsäure (. Abb. 1.4). Sie besteht aus einem
Rückgrat, in dem sich Zucker- und Phosphatgruppen abwechseln. Von den Zucker-
gruppen gehen die Basen ab.
Die Basen sind die eigentlichen Informationsträger. Ihre Abfolge oder Sequenz
trägt die Erbinformation.
Man notiert die Sequenzen mit dem 5′-Phosphat voran (5′-Ende ) in Richtung
der 3′-OH-Gruppe (3′-Ende ), beispielsweise 5′-TGGTACACAT-3′ oder 5′-UCUG-
GAGACU-3′.
Die Länge einer DNA gibt man in Basenpaaren (bp) an. Ab 1000 bp schreibt
man Kilobasen (kb), ab 1000 kb Megabasen (Mb), ab 1000 Mb Gigabasen (Gb).
Gelegentlich findet man Angaben des DNA-Gehalts in Picogramm (pg).
1.4 · Die Struktur der DNA
9 1
NH2

5'-Ende N
N
OH A Adenosin
O P O N N
O
O– H H
O
H H
O H
N
NH
G Guanosin
O P O
N N NH2
O– O
H H
O
H H
O H H3C
NH
T Thymidin
O P O
N O
O– O
H H
NH2
H H
O H
N
HO C Cytidin
OH O P O
O N O
O– O
H H
H H
H H H H
OH H OH H
2'-Desoxyribose 3'-Ende

..      Abb. 1.4 Die Verknüpfung der Nucleotide zu einem DNA-Strangausschnitt und die 2′-Desoxy-
ribose. (Nach Fritsche 2015)

1.4 Die Struktur der DNA

1.4.1 Das Doppelhelixmodell von Watson und Crick

Francis Crick und James Watson schlugen 1953 das bis heute gültige Modell der
DNA als Doppelhelix vor. Grundlegend dafür sind die Chargaff-Regeln (nach
Erwin Chargaff), die das Verhältnis der Basen zueinander angeben. Demnach ist
bei jedem Organismus der Adeninanteil genauso groß wie der Thyminanteil und der
Guaningehalt genauso groß wie der Cytosingehalt. Watson und Crick verwerteten
experimentelle Daten von Röntgenbeugungs- oder Röntgendiffraktionsexperi-
10 Kapitel 1 · Das genetische Material

1 a b

Große Furche

Kleine Furche
3,3 nm

2,37 nm
B-DNA

..      Abb. 1.5 Kalottenmodell (a) und Strickleitermodell (b) der B-Form der DNA. (Nach Schaaf und
Zschocke 2013)

menten an DNA-Kristallen. Dabei beschießt man die Kristalle mit Röntgen-


strahlen. Aus dem Muster hinter der Probe schließt man auf die Struktur der Mo-
leküle. Diese Methode bildet noch heute ein wichtiges Verfahren zur Strukturauf-
klärung von Proteinen.
Das Modell der Doppelhelix beschreibt die DNA folgendermaßen (. Abb. 1.5):
55 DNA liegt in Zellen doppelsträngig vor. Zwei Polynucleotideinzelstränge sind
umeinander gewunden und bilden eine verdrehte Strickleiter oder rechtsgängige
Doppelhelix.
55 Die Basen Adenin (A) und Thymin (T) sowie Guanin (G) und Cytosin (C) sind
jeweils komplementär zueinander und bilden Watson-Crick-Basenpaarungen.
55 Zusammengehalten werden die Stränge über Wasserstoffbrückenbindungen.
Davon entstehen zwei zwischen AT bzw. TA und drei zwischen GC bzw. CG.
1.4 · Die Struktur der DNA
11 1
55 Damit legt die Sequenz des einen Strangs die Sequenz des anderen (komplemen-
tären) Strangs fest.
55 Die Orientierung ist dabei gegenläufig oder antiparallel. Dem 5′-Ende des einen
Strangs liegt das 3′-Ende des zweiten gegenüber und umgekehrt. Außen liegt
das Rückgrat der Zucker-Phosphat-Kette. Dass sich jeweils eine Purinbase mit
einer Pyrimidinbase paart, sichert den gleichen Abstand zwischen den Strän-
gen.

1.4.2 Konformationen der DNA

55 Die beschriebene Raumstruktur oder Konformation der DNA bezeichnet man


als B-Form der DNA. Charakterisiert ist sie durch eine kleine und große Fur-
che, einen Helixdurchmesser von 2 nm und einer Windung, die etwa 10 bp um-
fasst. Die B-Form ist die gängige Konformation in lebenden Zellen.
55 Die A-Form ist die „kristalline“ oder wasserarme bis wasserfreie Struktur mit
größerem Durchmesser, geringerem Basenabstand zueinander und ab-
weichenden Furchen. Sie kommt beispielsweise in wasserfreien Sporen von
Bakterien vor, mit deren Hilfe die Mikroorganismen Mangelzustände über-
dauern.
55 Die Zickzackform der Z-DNA hat einen kleineren Durchmesser als die B-Form,
schwächer ausgeprägte Furchen und ist linksgängig. Man nimmt an, dass ein
DNA-Molekül von der B-Form in die Z-Form übergehen kann, wenn das für
bestimmte Prozesse notwendig ist.

Die Struktur der Furchen ist wichtig, weil viele Proteine sich dort an die DNA bin-
den und darüber Prozesse regulieren. Das ist nur möglich, wenn Furchungstiefe
und -breite die Bindung zulassen. Vermutlich kann die Zelle über die Konforma-
tion Reaktionen an der DNA kontrollieren.

1.4.3 Schmelzen und Hybridisieren

Die DNA-Sequenz ist typisch für jede Art von Organismen, daher weist jede Art
einen spezifischen Gehalt an GC- und AT-Paaren auf.
Die Paarung der DNA-Stränge über Wasserstoffbrückenbindungen verleiht
der DNA besondere Eigenschaften:
55 Die Wasserstoffbrücken lassen sich trennen oder aufschmelzen.
55 Die Trennung erfolgt durch Erhitzen oder durch Chemikalien und ist umkehr-
bar, also reversibel.
55 Die Wasserstoffbrücken formen sich spontan neu, wenn man die äußeren Be-
dingungen wieder ändert.
12 Kapitel 1 · Das genetische Material

Einzelsträngige
1 DNA

1,4

Denaturierung
Relative Absorption bei 260 nm

schreitet fort
1,3
Temperatur, bei der
eine vollständige
Trennung der
DNA-Stränge
1,2 erfolgt

Denaturierung
beginnt
1,1

Doppelsträngige DNA Schmelz-


temperatur

1,0
30 50 70 90 110
Tm Temperatur (°C)

..      Abb. 1.6 Schmelzkurve von DNA

Den unterschiedlichen GC-Gehalt nutzt man aus, um Schmelzkurven zu erstellen


(. Abb. 1.6). Das war vor allem früher ein Weg, um die DNA-Moleküle von ver-
schiedenen Arten zu vergleichen. Je höher der GC-Gehalt einer DNA ist, desto
mehr Wasserstoffbrücken müssen aufgebrochen werden und desto höher ist ihre
Schmelztemperatur TM.
Überführt man die Doppelstränge in Einzelstränge, nennt man das auch De-
naturierung. Sie lässt sich mit UV-Licht von 260 nm Wellenlänge verfolgen. Einzel-
stränge absorbieren stärker als Doppelstränge, sodass man beim Erhöhen der
Temperatur eine Zunahme der Absorption beobachten kann. Diese Absorption
bei 260 nm trägt man in Schmelzkurven gegen die Temperatur auf.
Die Schmelztemperatur ist die Temperatur, bei der die DNA zu 50 % denaturiert
vorliegt. Kühlt man den Ansatz ab, verbinden sich die Einzelstränge wieder zu
Doppelsträngen, was man als Renaturierung oder Annealing bezeichnet.
Renaturiert man nicht-zusammengehörende DNA-Einzelstränge verschiedener
Arten oder DNA- und RNA-Einzelstränge miteinander, spricht man von Hybridi-
sierung. Je genauer die Nucleotidabfolge übereinstimmt, desto fester verbinden
sich die Einzel- zu Doppelsträngen und desto näher sind die Arten miteinander
verwandt bzw. umso mehr entspricht die RNA der DNA.
1.5 · RNA-Moleküle
13 1
DNA-RNA-Hybridisierungen führt man beispielsweise durch, wenn man wis-
sen möchte, ob in einem Gewebe ein Gen aktiv ist und die Zellen eine mRNA von
dem DNA-Abschnitt bilden. Je nachdem, wie man die Reaktionsbedingungen
wählt (wie stringent sie sind), kann man Hybridisierungen zwischen unterschied-
lichen Nucleinsäuren erlauben oder ausschließen.
In der heutigen Laborpraxis zeichnet man keine Schmelzkurven auf, sondern
markiert eine der Nucleinsäuren radioaktiv oder mit einem Fluoreszenzfarbstoff.
In der Regel nimmt man dafür die kleinere Sequenz, z. B. die RNA. Sie dient als
Sonde. Erhält man am Ende ein radioaktives oder ein Fluoreszenzsignal, hat sich
die Sonde an die andere Nucleinsäure gebunden.
Die DNA-Chip-Technologie nutzt das Prinzip aus, um im großen Maßstab Se-
quenzen auf Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu untersuchen (siehe 7 Abschn.
15.4.1).

1.5 RNA-Moleküle

RNA unterscheidet sich im Aufbau und Vorkommen in mehreren Punkten von


DNA:
55 Die Base Thymin ist durch Uracil ersetzt.
55 RNA enthält als Zuckerbaustein Ribose. Dieser Zucker trägt am zweiten und
dritten C-Atom je eine OH-Gruppe (. Abb. 1.7).
55 In manchen RNA-Molekülen kommen ungewöhnliche Basen vor, z. B. Pseu-
douridin in tRNAs.
55 RNA-Moleküle liegen einzel- oder doppelsträngig vor.
55 In Eukaryoten kommen RNA-Moleküle nicht nur im Zellkern, in den Mito-
chondrien und Plastiden vor, sondern auch im Cytoplasma.

In einigen Viren und Phagen besteht das Genom aus doppelsträngiger RNA.
Doppelsträngige RNA-Moleküle oder -Molekülabschnitte sind eher Aus-
nahmen:
55 Sie treten vorübergehend auf während der Bildung regulatorischer RNA-­
Moleküle und innerhalb der mRNAs. Damit lassen sich bestimmte Prozesse
(bei der Transkription oder Translation) steuern.
55 Sie sind dauerhaft in den tRNAs (Transfer-RNAs) anzutreffen, welche die
Aminosäuren zum Ort der Proteinbiosynthese transportieren.

..      Abb. 1.7 Struktur der Ribose. (Nach Mülhardt 2013) HO


OH
O
H H

H H
OH OH
Ribose
14 Kapitel 1 · Das genetische Material

Doppelsträngige RNA-Abschnitte innerhalb eines Moleküls sind eine besondere


1 Sekundärstruktur. Sie heißt Haarnadelschleife (engl. hair pin oder stem loop).
Haarnadelschleifen bilden sich aus, wenn zwei Abschnitte desselben Moleküls
zueinander komplementär sind und eine Art „U-Turn“ bilden.
Die Bildung von Sekundärstrukturen stellt eine Möglichkeit dar, RNA-­
Moleküle zu regulieren oder mit ihrer Hilfe eine Regulation auszuüben. Ähnlich
wie Proteine bestimmte Faktoren binden und daraufhin ihre Konformation ändern
und aktiviert/reprimiert werden, können manche RNA-Moleküle auf die Bindung
von Faktoren reagieren, indem sie bestimmte Sekundärstrukturen ausbilden und
dadurch aktiviert/reprimiert werden.
Grundsätzlich kann auch die DNA Haarnadeln formen, wenn sie einzelsträngig
vorliegt. Das ist möglich, wenn eine Sequenz zweimal hintereinander mit geringem
Abstand zwischen den Abschnitten auftritt, wobei beide Abschnitte die entgegen-
gesetzte Richtung zueinander haben, sich also wie Spiegelbilder zueinander ver-
halten. Diesen Fall nennt man Inverted Repeat. Von einem Palindrom spricht man,
wenn ein Abschnitt in sich selbst spiegelsymmetrisch aufgebaut ist (wie das Wort
„Lagerregal“). Haarnadeln in der DNA wirken sich jedoch oft störend für die Pro-
zesse in der Zelle aus. Deswegen binden sich beispielsweise während der Replika-
tion schnell stabilisierende Proteine an Einzelstrangabschnitte der DNA.

1.5.1 Funktionen der RNA

Die verschiedenen Typen von RNA-Molekülen kennzeichnet man mit kleinen


Buchstaben vor RNA. Man grenzt zwei große Gruppen voneinander ab:
55 Die erste Gruppe bilden die Messenger- oder mRNAs. Sie sind die Zwischen-
stufen auf dem Weg zur Bildung eines Proteins und daher codierend.
55 Die größere Gruppe umfasst nichtcodierende RNAs oder ncRNAs. Sie sind
Funktionsmoleküle, die in Zellprozesse eingreifen, diese ermöglichen oder re-
gulieren. Dazu zählen die rRNA, tRNA, snRNA, snoRNA, miRNA und
siRNA. Sie machen mit mehr als 90 % auch den Löwenanteil der RNA-Menge
aus. Davon bilden rRNA-Moleküle wiederum den Großteil. Die Vorsilbe „Prä“
kennzeichnet jeweils ein Vorläufermolekül, das weiter bearbeitet wird.
55 Darüber hinaus können einige RNA-Moleküle wie Enzyme spezifische Re-
aktionen katalysieren. Diese RNAs werden Ribozyme genannt. Beispiele für
Ribozyme findet man beim Spleißen und in der Translation.

Einzelnen RNA-Typen und ihre Aufgaben:


55 Boten-RNA, Messenger-RNA, mRNA: Codierung von Information für die
Synthese von Proteinen
55 Transfer-RNA, tRNA: Transfer von Aminosäuren an die mRNA während der
Proteinbiosynthese
55 ribosomale RNA, rRNA: Aufbau von Ribosomen, Funktion in der Proteinbio-
synthese
1.5 · RNA-Moleküle
15 1
55 Mikro-RNA, miRNA: Regulation der Translation
55 small interfering RNA, siRNA: Regulation der Translation
55 piwi interacting RNA, piRNA: Unterdrückung der Retrotransposition während
der Spermatogenese
55 small nuclear RNA, snRNA: Spleißen von mRNA
55 small nucleolar RNA, snoRNA: Reifung der rRNA-Moleküle
55 7SL-RNA: Proteintranslokation durch Membranen
55 long noncoding RNA, lncRNA: Regulation der Genexpression
55 Enhancer-RNA, eRNA, und Promotor-RNA (Promoter upstream transcript
oder PROMPT, pRNA): kurze RNAs, die an Enhancern bzw. von beiden Strän-
gen eines Promotors gebildet werden, Regulation der Genexpression
17 2

Organisation des Erbguts


Inhaltsverzeichnis

2.1 Worum geht es? – 18


2.2  truktur des Chromosoms und Organisation
S
des Genoms bei Bakterien – 18
2.2.1  nzahl der Gene und Größenvergleich von Genomen – 18
A
2.2.2 Topologie von DNA-Ringen und Verdrillung – 19
2.2.3 Ordnung durch DNA-bindende Proteine – 20
2.2.4 Organisation von Genen und nichtcodierende DNA – 22
2.2.5 Wiederholungssequenzen und bewegliche DNA – 22
2.2.6 Plasmide – 23

2.3 Genom von Archaeen – 24

2.4 Genom von Eukaryoten – 25


2.4.1  röße, Komplexität und Teilgenome – 25
G
2.4.2 Organisationsebenen – 26
2.4.3 Färbemethoden – 32
2.4.4 Klassifizierung von DNA-Abschnitten – 33
2.4.5 Gestalt von Metaphasechromosomen – 35
2.4.6 Ungewöhnliche Chromosomen – 37
2.4.7 Struktur des Genoms bei Eukaryoten – 37
2.4.8 Mitochondriengenom und Plastom – 41
2.4.9 Viren und Bakteriophagen – 44

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_2
18 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

2.1 Worum geht es?

Nachdem das erste Kapitel den molekularen Aufbau des genetischen Materials
2 vorgestellt hat, wird jetzt seine Organisation besprochen. Das Genom ist bei Pro-
und Eukaryoten auf mehrere DNA-Moleküle verteilt. Den Hauptanteil daran
haben DNA-Moleküle in den Chromosomen. In den prokaryotischen Zellen der
Bakterien und Archaeen ist das Chromosom oft zirkulär (ringförmig). Es enthält
die lebenswichtigen Gene. Weitere Gene liegen auf kleineren, meist zirkulären
DNA-Molekülen, den Plasmiden. Bei Eukaryoten ist der Hauptanteil im Kern in
mehreren linearen Chromosomen organisiert und stellt das Kerngenom dar. Die
Mitochondrien und Plastiden enthalten ebenfalls DNA. Egal, ob die DNA linear
oder zirkulär vorkommt, sie ist deutlich länger als die Zellen. Damit sie sich nicht
verknotet, geben unspezifische DNA-bindende Proteine ihr eine Ordnung.

2.2  truktur des Chromosoms und Organisation


S
des Genoms bei Bakterien

2.2.1 Anzahl der Gene und Größenvergleich von Genomen

z Zusammenhang zwischen Organisationsform eines Lebewesens und Genzahl


Die Anzahl der Gene ist abhängig von der Lebensform und wie komplex ein
Organismus aufgebaut ist. Je komplexer, desto mehr Gene sind grundsätzlich not-
wendig. Die Beziehung ist allerdings eher grob als streng linear. Der Mensch als
„komplexestes Tier“ hat nicht die meisten Gene. Die Mindestzahlen liegen in der
Größenordnung
55 für intrazellulär bzw. parasitisch lebende Bakterien bei 500 Genen,
55 für frei lebende Bakterien bei 1500 Genen,
55 für Zellen mit Zellkern, also für einzellige Eukaryoten bei 5000 Genen,
55 für mehrzellige Organismen bei 10.000 Genen,
55 für mehrzellige Organismen mit Nervensystem bei 13.000 Genen.

Das Genom von E. coli umfasst rund 4,6 Mb (4,6 × 106 bp) und ist damit etwa
mittelgroß für ein Bakteriengenom.
Die Größe bakterieller Chromosomen liegt zwischen etwas mehr als 100 kb und
über 10 Mb (in Sorangium cellulosum etwa 14 Mb). Die genaue Größe hängt immer
von dem jeweiligen Stamm einer Art ab.
Die geringste Anzahl an Genen haben endosymbiontisch lebende Bakterien
oder Krankheitserreger wie die Mycoplasmen. Da sie viele Nährstoffe von ihrem
Wirt beziehen, müssen sie selbst nicht mehr so viele Stoffe herstellen. Sie benötigen
folglich nicht die Gene für deren Synthese und kommen schon mit wenigen Hun-
dert Genen aus.
2.2 · Struktur des Chromosoms und Organisation des Genoms bei…
19 2
E. coli stellt seine Stoffwechselprodukte jedoch selbst her und benötigt dafür
mehr als 4000 Gene. Die Anzahl der Gene zwischen den einzelnen Stämmen von E.
coli unterscheidet sich indes um mehr als 1000.
Beispiele: Mycoplasma genitalium besitzt nur ein einziges Gen für die Bio-
synthese von Aminosäuren, E. coli K12 verfügt über mehr als 130.

2.2.2 Topologie von DNA-Ringen und Verdrillung

Bakterien verteilen ihre lebenswichtigen Gene auf ein Chromosom (Beispiel: E.


coli) oder auf zwei (Beispiel: Agrobacterium tumefaciens). Da es nicht dem struktu-
rierten Aufbau von eukaryotischen Chromosomen entspricht, spricht man ein-
schränkend vom Bakterienchromosom.
Meistens sind Bakterienchromosomen zirkulär, es kommen aber auch lineare
Chromosomen vor (Beispiel: Streptomyces coelicolor), A. tumefaciens besitzt ein zir-
kuläres und ein lineares Chromosom.
Lineare Chromosomen müssen gesondert geschützt sein, denn ein freies DNA-­
Ende deutet die Zelle als Fehler oder Schaden und beginnt eventuell mit dem
Abbau der DNA. Zum Schutz sind Proteine an die Enden gebunden, oder die
DNA bildet Haarnadelschleifen aus, wodurch die Enden doppelsträngig er-
scheinen.
Das Chromosom liegt nicht willkürlich verteilt im Cytoplasma vor, sondern
füllt einen begrenzten Raum aus, das Nucleoid, und einzelne Abschnitte sind mit
bestimmten Positionen in der Zelle verbunden. So liegen der DNA-Abschnitt, mit
dem die Replikation beginnt, und der Replikationsapparat in der Mitte der Zelle.
Eine höhere Ordnung erhält das Chromosom über eine weitere Verdrillung der
DNA und mittels DNA-bindender Proteine.
Die Verdrillung heißt Überspiralisierung (engl. supercoiling): Schneidet man
einen Strang auf und dreht ihn so um den zweiten, dass man die Windung heraus-
nimmt, fehlt der DNA auf ihrer Gesamtlänge eine Windung. Verknüpft man die
Enden dann wieder miteinander, steht die DNA so unter Spannung, dass sie sich in
sich selbst verdreht und kompakter wird (. Abb. 2.1). Eine herausgenommene
Windung nennt man negatives Supercoiling, eine eingeführte Windung positives
Supercoiling. Solche Erscheinungsformen der DNA heißen Topoisomere.
Die Zelle verwendet zum Supercoiling besondere Enzyme, die Topoisomerasen.
Man unterscheidet zwei Typen, abhängig davon, ob ein Strang oder beide Stränge
der DNA gebrochen werden.
55 Typ-I-Topoisomerasen brechen einen Strang auf,
55 Typ-II-Topoisomerasen brechen beide Stränge auf. Sie benötigen ATP.

Topoisomerasen sind eingebunden in die Replikation, Rekombination, Reparatur


und Transkription, allgemein also in alle Prozesse, bei denen sich die DNA-­
Windungen ändern. Ihre Funktion ist für das Überleben der Zellen notwendig.
Die Topoisomerase, die positives Supercoiling entspannt und negatives Super-
coiling bewirkt, heißt Gyrase. Da sie für ein Bakterium lebensnotwendig ist, dient
sie als Angriffspunkt für Antibiotika.
20 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

..      Abb. 2.1 Superhelikale Kon-


formation ringförmiger DNA

In E. coli kennt man vier Topoisomerasen: I, III, IV und die Gyrase. Die Topo-
isomerasen I und III sind vom Typ I, die Gyrase und die Topoisomerase IV vom
Typ II.

2.2.3 Ordnung durch DNA-bindende Proteine

Die DNA-bindenden Proteine für die höhere Ordnung der DNA zählen zu den ge-
nerellen oder unspezifischen DNA-Bindeproteinen. Man fasst sie zusammen als
Nucleoid-assoziierte Proteine (NAPs, nucleoid-associated proteins). Einige von
ihnen müssen keine bestimmte Nucleotidabfolge in der DNA erkennen, um sich an
diese zu heften. Spezifische DNA-Bindeproteine für die Transkription hingegen
sind angewiesen auf definierte Sequenzen.
Zu den NAPs zählen beispielsweise (siehe . Abb. 2.2):
55 Histonähnliche Proteine, H-NS oder histone like nucleoid structuring proteins.
Ihr Name weist auf die funktionelle Verwandtschaft zu den eukaryotischen
Histonen hin: Mehrere positiv geladene Aminosäuren binden sich an die nega-
tiv geladenen Phosphatreste der DNA. H-NS Proteine binden sich an ein DNA-­
Filament oder legen sich als Brückenglieder zwischen zwei DNA-Abschnitte,
um diese zu verbinden. Da Bakterien meist nur ein Chromosom besitzen, resul-
tiert daraus eine großformatige Schlaufe.
55 HU-Proteine, IHF (integration host factor ist ein Protein, das bei der Re-
kombination von Bakterien- und Phagen-DNA benötigt wird) und Fis (factor
for inversion stimulation) lagern sich so der DNA an, dass sie diese unterschied-
lich stark abbiegen oder knicken. Bei Fis ergibt sich ein Winkel zwischen 50°
und 90°, bei IHF von 160°. HU bildet eine Art Scharnier.
55 Bakterielle Condensine. Man unterscheidet zwei Gruppen: (1) SMC-Proteine
(structural maintenance of chromosomes) in verschiedenen Bakterien, aber auch
in Archaeen. Sie kommen paarweise vor. Mit zwei weiteren Proteinen (Kleisin
2.2 · Struktur des Chromosoms und Organisation des Genoms bei…
21 2
a b Anlagerung von Anlagerung von
Nukleosom: DNA, Schwanz-an-Schwanz Bindung an DNA Kopf-an-Kopf
gewickelt um ein Histon-Oktamer

Filament

nicht übernehmen
Brücke

Einheit aus H-NS Proteinen

c SMC Scharnier d e

Fis biegt die DNA


IHF oder HU knicken die DNA
Kleisin
SMC Kopf

..      Abb. 2.2 DNA-bindende Proteine in Eukaryoten (a, Histonoktamer) und Bakterien (b bis e). (b)
Je nachdem, wie sich H-NS Proteine an die DNA anlagern, ergibt sich eine Filament- oder eine
Brückenanordnung. (c) Die SMC-Komplexe aus mehreren Proteinen bilden eine Ringstruktur, durch
die die DNA wie eine Schlaufe geführt wird. (d) Fis führt zu einer Biegung der DNA, (e) IHF oder
HU zu einem Knick. (Nach Dame, Rashid und Grainger 2020; mit freundlicher Genehmigung von
Springer Nature)

und kite oder hawk) bilden sie SMC-Komplexe. Gemeinsam formen sie einen
Ring oder verdoppeln sich zu zwei Ringen, wodurch die DNA so gezogen wird,
dass eine Schlaufe herausschaut. (2) Die Muk-Proteine MukB, MukE, MukF
findet man in E. coli. Dieser MukBEF-Komplex kondensiert nach der Replika-
tion die DNA-Moleküle und bereitet sie auf die Verteilung in die zwei ent-
stehenden Tochterzellen vor.

Unter besonderen Lebensbedingungen werden weitere DNA-bindende Proteine


aktiv.

z Funktionen
Die NAPs sorgen dafür, dass genetische Prozesse und die Architektur des Nucleo-
ids aneinander gekoppelt sind und zusammen koordiniert werden.
55 Die strukturierenden Proteine legen die superspiralisierte DNA in Schlaufen.
Es ergibt sich ein Bild mit einem Proteinkern, aus dem überspiralisierte
­DNA-­Schleifen wie Strahlen herausragen. So passt die etwa 1,6 mm lange
DNA von E. coli überhaupt erst in die nur 2 μm lange Zelle.
22 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

55 Allerdings dienen die NAPs nicht nur der Verpackung. Darüber hinaus sind sie
beteiligt an der Regulation der Transkription oder Replikation. In dieser Hin-
sicht hat man in den vergangenen Jahren immer mehr funktionelle Parallelen zu
2 den Eukaryoten gefunden.

2.2.4 Organisation von Genen und nichtcodierende DNA

Das Genom besteht aus nichtcodierenden und codierenden Abschnitten. Von den
codierenden Sequenzen bildet die Zelle eine RNA-Kopie.
Innerhalb der nichtcodierenden Abschnitte gibt es Sequenzen mit besonderen
Funktionen:
55 Der Abschnitt, an dem die Zelle die Replikation der DNA beginnt (der
Replikationsursprung ori, origin of replication) oder endet (ter, termination).
55 Signalsequenzen wie Promotor und Operator, welche die Transkription regulie-
ren.
55 Bindungsstellen für Proteine mit verschiedenen Aufgaben. Sie liegen in der
Regel zwischen den Genen.

Nichtcodierende Sequenzen innerhalb von Genen kennt man nur von einigen Bak-
terien, hier insbesondere in rRNA- und tRNA-Genen. Insgesamt ist der Anteil
nichtcodierender DNA gering, bei E. coli beträgt er etwa ein Zehntel. Diese Se-
quenzen haben vor allem regulatorische Funktionen. In Bakterien gilt die Regel: Je
höher die Anzahl der Gene, desto größer ist das Genom.
Bei Bakterien sind funktionell zusammenhängende Gene meistens zu Einheiten
organisiert, einzeln liegende Gene kommen seltener vor. So gewährleistet die Zelle,
dass Gene für einen gemeinsamen Stoffwechselweg zusammen reguliert und ab-
gelesen werden. Eine solche Einheit bezeichnet man als Operon. Die Zelle transkri-
biert alle Gene eines Operons zusammen als polycistronische mRNA. Die mRNA
für ein Einzel-Gen heißt monocistronisch.
Obwohl man viele Genome von Pro- wie von Eukaryoten mittlerweile sequen-
ziert hat und eine konkrete Anzahl identifizierter Gene angibt, kann man durch-
schnittlich 25 % der Gene noch keine Funktion zuordnen.

2.2.5 Wiederholungssequenzen und bewegliche DNA

Die meisten Gene kommen nur in einem Exemplar im Genom vor. Bekannte Aus-
nahmen sind die Gene für ribosomale RNAs. E. coli besitzt z. B. sieben Operons
(rrn-Operons) mit den Genen für rRNA-Moleküle. Diese Anzahl ist notwendig,
damit E. coli in kurzer Zeit ausreichend Ribosomen aufbaut und die Translation
neuer Proteine ankurbelt. So gelingt dem Bakterium in kurzer Zeit die Anpassung
an wechselnde Umweltbedingungen.
Bei einigen Bakterien liegen auch zwischen den Genen kurze Nucleotidfolgen, die
sich mehrmals im Genom wiederholen. Solche kurzen Wiederholungen nennt man
repetitive Sequenzen. Bei Prokaryoten ist ihre Zahl gering, bei Eukaryoten hoch.
2.2 · Struktur des Chromosoms und Organisation des Genoms bei…
23 2
Andere DNA-Elemente kommen mehrfach im Genom vor, ohne dass man sie zu
den repetitiven Sequenzen zählt. Es handelt sich dabei um bewegliche DNA. Ihre
Position im Genom und ihre Anzahl variieren. Man unterscheidet Insertions-
elemente (IS-Elemente) und Transposons.
Transposons können DNA-Abschnitte, die sie umschließen, an eine andere
Stelle im Genom verschieben. Dieser Vorgang wird als Transposition bezeichnet
(siehe 7 Abschn. 9.4).
Außerdem können sich einige Plasmide und manche Phagen in das Chromo-
som integrieren.

2.2.6 Plasmide

Plasmide sind selbstständige genetische Elemente. Sie sind nicht Teil des Chromo-
soms und werden von der Zelle unabhängig repliziert.
Plasmide sind in der Regel als extrachromosomale DNA nicht in das Chromo-
som integriert. Typen, die sich auch in das Bakterienchromosom integrieren und
später wieder herausschneiden können, heißen Episom.
Sie sind meistens ringförmig, aber es gibt auch lineare Plasmide, vor allem bei
Streptomyceten. Die Größe schwankt beträchtlich von weniger als 1 kb bis zu meh-
reren Mb.
Die Zahl der Exemplare eines Plasmids innerhalb einer Zelle ist charakteris-
tisch für das jeweilige Plasmid:
55 Low-copy-Plasmide kommen in 1–10 Kopien pro Zelle vor.
55 High-copy-Plasmide liegen in mehr als 20 Kopien vor.
55 Die Verteilung von Plasmiden auf die Tochterzellen hängt dabei von ihrer
Kopienzahl ab. Teilt sich eine Wirtszelle mit high-copy-Plasmiden, erfolgt die
Aufteilung statistisch. Die hohe Kopienzahl sichert quasi automatisch, dass
jede entstehende Tochterzelle Plasmide erhält, wenn die Anzahl auch variiert.
Anders bei low-copy-Plasmiden. Sie nutzen einen Mechanismus zur Aufteilung,
das partitioning-System. Es umfasst prinzipiell drei Komponenten, (1) eine cis-­
Erkennungssequenz auf dem Plasmid, (2) ein Motorprotein, das die Plasmide
in die Tochterzellen hinein schiebt und dafür ATP verbraucht, und (3) ein Ver-
bindungs-Protein, das die cis-Sequenz erkennt und sich an das Motorprotein
bindet.

Eine Zelle kann verschiedene Plasmide beherbergen. Vorausgesetzt sie gehören zu


verschiedenen Inkompatibilitätsgruppen. Ein Plasmid duldet kein anderes aus der-
selben Gruppe neben sich in der Zelle. Verschiedene Mechanismen verhindern
dabei die Replikation des zweiten Plasmids, wenn es zur selben Inkompatibilitäts-
gruppe zählt. Welche Plasmide kombiniert werden können, bestimmen Inc-Gene.
Plasmide können Artgrenzen überschreiten, das gleiche Plasmid kann also bei
verschiedenen Arten vorkommen. Bakterien können viele Plasmide durch horizon-
talen Transfer an andere Zellen übertragen (siehe 7 Abschn. 10.3).
24 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

Die Gene auf den Plasmiden sind oft nicht überlebenswichtig, verschaffen ihren
Trägern allerdings einen Vorteil unter bestimmten Lebensbedingungen:
55 Resistenzplasmide verleihen dem Wirt Resistenz gegenüber Antibiotika.
2 55 Abbau- oder Degradationsplasmide verschaffen Zugang zu einer besonderen
Nahrungsquelle.
55 Bacteriocinplasmide codieren die Synthese von Bacteriocinen, die andere Bak-
terien hemmen oder töten.
55 Virulenzplasmide codieren Toxine oder andere Pathogenitätsfaktoren, die einen
Stamm zum Krankheitserreger machen.
55 Das Ti-Plasmid aus Agrobacterium tumefaciens löst, wie der Name andeutet
(Ti = Tumor induzierend), Tumoren in Pflanzen aus. Man nutzt es zur Her-
stellung transgener Pflanzen, indem die tumorinduzierenden Gene entfernt und
durch Fremdgene ersetzt werden.

Medizinisch sind diese Plasmide wichtig für die Entstehung von Krankheiten oder
für die Verbreitung der Antibiotikaresistenzgene, ökologisch sind sie interessant
für den Abbau von umweltgefährdenden Stoffen, und gentechnologisch dienen sie
als Werkzeuge für die Klonierung von Genen (siehe 7 Abschn. 16.7).

2.3 Genom von Archaeen

Will man die Genome der Archaeen beschreiben, sieht man ein Bild, das einem
immer wieder begegnet: Archaeen zeigen Gemeinsamkeiten mit Bakterien, weisen
aber gleichzeitig Merkmale auf, die sie mit Eukaryoten gemeinsam haben und die
bei Eukaryoten komplexer sind. Grob gesagt, ähneln Stoffwechselgene eher den
Pendants bei Bakterien, Gene für Replikation, Transkription und Translation eher
den Gegenstücken von Eukaryoten.

z Gemeinsamkeiten der Genome von Archaeen und Bakterien


55 Die Chromosomen sind ringförmig.
55 Die meisten Archaeen haben wenige Chromosomen, in der Regel ein einziges
(Sulfolobus acidocaldarius), andere zwei (Haloarcula marismortui), selten mehr
als zwei.
55 Ihre Größe ist der Genomgröße von Bakterien vergleichbar, von einigen Hun-
dert kb bis wenige Mb.
55 Vor allem funktionell zusammenhängende Gene sind auch bei Archaeen in Ope-
rons organisiert, sodass sie polycistronische mRNAs bilden.
55 Ebenfalls findet man Insertionselemente in ihnen und Plasmide.

Archaeen und Bakterien haben im Laufe der Evolution viele Gene ausgetauscht,
vor allem, wenn sie im selben Habitat leben. So soll rund ein Viertel der Gene des
thermophilen Bakteriums Thermotoga maritima ursprünglich aus Archaeen stam-
men.
2.4 · Genom von Eukaryoten
25 2
Zum Aufwickeln des DNA-Fadens verwenden Archaeen Histonproteine. Wäh-
rend Bakterien Proteine nutzen, die mit den eukaryotischen Histonen nur funktio-
nell verwandt sind, besitzen die Archaeen zu den Eukaryoten verwandte (homo-
loge) Gene und Proteine. Archaeen ohne Histone verwenden für die
­DNA-­Strukturierung wie Bakterien histonähnliche Proteine.

2.4 Genom von Eukaryoten

2.4.1 Größe, Komplexität und Teilgenome

Die Genome der Eukaryoten sind erheblich größer als prokaryotische Genome.
Während sich die Anzahl der Basenpaare von Prokaryoten in der Größenordnung
zwischen 105 und 107 bp bewegt, reicht sie bei Eukaryoten von 106–1011 bp.
55 Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae verfügt über rund 1,2 × 107 bp.
55 Die Säugergenome liegen in der Größenordnung von 109 bp, also im Giga-
basenbereich, Beispiel Mensch: etwa 3,1 Gb.
55 Eukaryotische Gene codieren längere Proteine. Durchschnittliche Polypeptid-­
Länge in E. coli 317 Aminosäuren, in S. cerevisiae 484 Aminosäuren.
55 Nicht zwingend besitzen komplexere Organismen ein größeres Genom. Beispiel:
Erdkröte (Bufo bufo). Ihr Genom ist etwa doppelt so groß wie das des Men-
schen.
55 Zudem steigt die Anzahl der Gene nicht unbegrenzt proportional mit der
Komplexität an. Beispiel: Die Taufliege Drosophila melanogaster verfügt über
rund 13.500 Gene, der einfache Fadenwurm Caenorhabditis elegans über etwa
19.000 Gene und der Mensch über etwa 23.000 Gene. Die Angaben schwanken
allerdings.
55 Die komplexere Organisation eines Organismus schlägt sich jedoch nieder in
einer höheren Anzahl von Proteinen und Regulationselementen.

Dass ein größeres Genom nicht zwingend (proportional) mehr Gene besitzt, liegt
an der Organisation des Erbguts. Eukaryotische Genome zeigen einen erheblich
größeren Anteil nichtcodierender DNA. Nichtcodierende Abschnitte kommen zwi-
schen den Genen und innerhalb der Gene vor.
Das Missverhältnis zwischen Anzahl der Basenpaare und Anzahl der Gene
nennt man C-Wert-Paradox. Der C-Wert entspricht der DNA-Menge in einem ha-
ploiden, also einfachen Chromosomensatz. Den haploiden Chromosomensatz, ge-
kennzeichent als „n“, findet man in Geschlechtszellen. In den meisten Körper-
zellen (somatischen Zellen) der meisten Eukaryoten kommt jedes Chromosom
zweimal vor, ergibt also einen doppelten oder diploiden Chromosomensatz, 2n. Vor
allem bei Pflanzen finden sich auch polyploide Sätze. Der moderne Saatweizen bei-
spielsweise hat einen hexaploiden Chromosomensatz.
26 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

Das Kerngenom ist verteilt auf lineare Chromosomen. Auch hier besteht keine
Beziehung zwischen der Anzahl der Chromosomen und der Komplexität des
Organismus. Die Bäckerhefe hat 16 Chromosomen, die Taufliege 4. Chromosomen-
2 zahl und -aufbau sind allerdings ein Ergebnis der Evolution. So besitzt der Mensch
23 verschiedene Chromosomen, der verwandte Schimpanse 24.
Das Kerngenom der Eukaryoten (ncDNA, nucleus) wird ergänzt um das Genom
in den Organellen:
55 Mitochondrien-DNA (mtDNA) und
55 Plastiden-DNA bei Pflanzen (Plastom, ptDNA, in Chloroplasten auch cpDNA
genannt).

Die DNA in den zwei Organelltypen fasst man gelegentlich zusammen als Plasmo-
typ oder Plasmon. Das Plasmon ist in der Regel zirkulär. Rein quantitativ fällt es
kaum ins Gewicht. Aber es besitzt eine begrenzte Autonomie gegenüber dem Kern-
genom.
Ein Sonderfall ist der Einzeller Giardia lamblia (auch bezeichnet als G. intesti-
nalis, G. duodenalis): Er besitzt keine Mitochondrien, vermutlich hat er sie im Laufe
der Evolution wieder verloren.
Plasmide kommen bei Einzellern, Pilzen und Pflanzen vor.

2.4.2 Organisationsebenen

Im Kern liegt die DNA als Chromatin vor, als Komplex mit gebundenen Proteinen
und RNA-Molekülen.
Nimmt man die Gesamt-DNA einer menschlichen Zelle zusammen, kommt
man auf eine Länge von mehr als 1 m. Das Chromatin wird dabei nicht einfach im
Zellkern verstaut, es liegt geordnet und dreidimensional organisiert vor.
Die Organisation muss mehrere Bedingungen erfüllen:
1. Die Architektur des Chromatins muss stabil und robust sein.
2. Das Wechselspiel zwischen DNA und Proteinen ist nicht starr, sondern dyna-
misch. Beteiligte Faktoren und ihr Status wechseln je nach Anforderungen an
die Zelle.
3. Die Gene sind räumlich so positioniert, dass sie sämtliche Reaktionen an der
DNA wie Transkription, Reparatur etc. gestatten oder verhindern. Die Ab-
schnitte müssen also je nach Bedarf und Anforderung für Proteine zugänglich
oder unzugänglich sein.

Deshalb ist die DNA nicht überall und nicht immer gleich dicht gepackt. Da wäh-
rend der Interphase (siehe 7 Abschn. 3.7.2) die Organisation auf mehreren Ebe-
nen stattfindet, spricht man von einer hierarchischen Faltung des Chromatins.
Daran beteiligt sind verschiedene Histone und Proteine, aber auch RNAs mit
zweierlei Aufgaben. Sie dienen (1) einerseits als Architektur-Elemente, (2) anderer-
seits als Regulator-Elemente (Beispiele, die immer wieder erwähnt werden: Media-
tor, Cohesin, CTCF, ncRNA/noncoding RNA).
2.4 · Genom von Eukaryoten
27 2
Histone und der 10-nm-Faden
Histone bewirken die erste Verdichtung zu einem Faden von 10 nm Durchmesser
(. Abb. 2.3). Wie wichtig die Proteine sind, sieht man daran, dass sie evolutionär
stark konserviert sind. Das heißt, ihre Sequenz hat sich von einfachen Einzellern
bis zu komplexen Vielzellern nur sehr wenig verändert.
Die Histone H2A, H2B, H3 und H4 sind die Core-Histone. Sie bilden zu-
sammen eine Art Tonne, das Histonoktamer. Varianten von diesen Standard-­
Histonen finden sich in Abschnitten mit besonderen Funktionen wie dem Centro-
mer oder ersetzen ein Standard-Histon für bestimmte Vorgänge, bspw. die Tran-
skription. Während der Spermatogenese in männlichen Säugetieren ersetzen
Protamine die Histone.
Funktional gesehen ist das Oktamer eine Art Spule, um welche sich die DNA
wickelt. Oktamer und DNA zusammen nennt man Nucleosom. Durch Experi-
mente mit einer DNA-abbauenden Nuclease (DNase I) konnte man ermitteln, wie
lang das DNA-Stück in einem Nucleosom ist. Als man die DNase kurz einwirken
ließ, fand man beim Menschen 200 bp lange Abschnitte. Ließ man der Nuclease
mehr Zeit für den Abbau, verkürzte sich das Stückchen auf 146 bp. Daraus schloss
man, dass sich diese 146 bp fest um das Oktamer wickeln und vor dem Abbau ge-
schützt sind, während eine freie Linker-DNA die Nucleosomen verbindet. Die
Länge der Linker-DNA variiert bei verschiedenen Zellen und Arten zwischen we-
nigen bp und mehr als hundert bp.
Entgegen früheren Vorstellungen sind die Nucleosomen nicht starr aufgereiht,
sondern flexibel verkuppelt zu heterogenen Gruppen, sogenannten clutches.
Histone fehlen allerdings in regulatorischen Sequenzen wie Enhancern oder Iso-
latoren. Das ist sinnvoll, damit die DNA zugänglich bleibt für Transkriptions-
faktoren und/oder andere Proteine der Genregulation. Andererseits ist ein solcher
Abschnitt nackter DNA nicht mehr geschützt vor dem Abbau durch die DNase I,
er ist dadurch hypersensitiv für die DNase I. Diesen Befund nutzt man aus, um re-

..      Abb. 2.3 Aufsicht auf ein Nucleosom.


Positionen ausgewählter Modifikationen
an den Histon-­Schwänzen. K: Lysin, Y:
Tyrosin, T: Threonin, Q: Glutamin; ac:
Acetylierung, glut: Glutarylierung, me:
Methylierung, ph: Phosphorylierung,
succ: Succinylierung. (Nach Millán-Zam-
brano 2022, mit freundlicher Ge-
nehmigung von Springer Nature)
28 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

gulatorische Abschnitte zu identifizieren. Nicht abgebaute DNA ist demnach von


einem (Regulations-)Protein besetzt.
Zwischen den Nucleosomen liegt ein fünftes Histon, ein Linker-Histon. Das be-
2 kannteste Beispiel für ein Linker-Histon ist H1. Es bindet sich an die Linker-­DNA
und das Nucleosom und führt diese näher zueinander. In besonderen DNA-­
Abschnitten wie dem Centromer oder an der Grenze zum Heterochromatin liegen
besondere Varianten der Standard-Core-Histone.

Histone wechselwirken mit verschiedenen Proteinen:


55 Histone enthalten relativ viel Arginin und Lysin. Diese basischen (also positiv
geladenen) Aminosäuren binden die DNA über deren negative Ladung.
55 Für wichtige Vorgänge wie die Transkription muss die Zelle diese Bindung auf-
lockern, damit die DNA zugänglich wird. Acetylasen heften dazu einen Acetyl-
rest an diese Aminosäuren.
55 Andere Proteine hängen einen Phosphat– oder Methylrest an.
55 Mehrere Proteine sind in der Lage, die Nucleosomen aktiv, ATP-­abhängig, zu
verschieben und die Transkription dadurch zu erleichtern. Die Verschiebung
und Neuorganisation der Nucleosomen heißt Chromatin-Remodeling. Die Pro-
teine kommen in allen Eukaryoten vor. Die wichtigsten fasst man zusammen in
vier Familien mit verwandten ATPase-Untereinheiten: SWI/SNF (von engl.
switch), ISWI – (imitator of switch, sie arbeiten entgegengesetzt zur SWI/SNF-­
Familie), CHD, INO80/SWRI.

 D (dreidimensionale) Genomorganisation: Loops, TADs,


3
Kompartimente und Territorien (. Abb. 2.4)
55 Chromatin-Schlaufen (chromatin loops): Auf der nächst höheren Ebene nach
den Nucleosomen bildet das Chromatin Schlaufen über Bereiche von einigen
kb (siehe . Abb. 2.6). Grundlage sind funktionell zusammenhänge DNA-­
Abschnitte, die weit auseinander liegen: Enhancer und Promotor in Wirbel-
tieren, Transkriptions-Start und -Ende bei Hefe, Polycomb-regulierte Gene in
Drosophila. In Wirbeltieren führen Protein-Komplexe Enhancer und Promotor
so zueinander, dass sich eine Schlaufe bildet. Der Protein-Komplex setzt sich
zusammen aus Cohesin, CTCF, Mediatorprotein und Transkriptionsfak-
tor(en).
55 CTCF zeigt vielfältige Funktionen, deswegen bezeichnet man das Protein wahl-
weise als Transkriptionsfaktor, Isolator oder Architektur-Protein. Der Faktor
erkennt spezifisch eigene Sequenzabschnitte: CTCF-Bindestellen (CBS, CTCF-­
binding sites).
55 Auch Cohesine erfüllen mehrere Funktionen: (1) Regulation der Expression, (2)
Organisation und Stabilität des Chromatins, (3) Unterstützung der Re-
kombination. (4) Während der Mitose halten sie die Schwesterchromatiden zu-
sammen. Das Cohesin als ein Protein zu bezeichnen ist eine häufige Verein-
fachung. Tatsächlich handelt es sich um Proteinkomplexe, die aus mehreren,
von verschiedenen Genen codierten Proteinen aufgebaut werden. Diese formen
einen Ring um das Chromatin, vergleichbar mit einem Serviettenring. Kompo-
2.4 · Genom von Eukaryoten
29 2
Territorium eines Chromosomen-
a Chromosoms b Kompartiment LADs
Kernkörperchen
Chromatin

inaktives Gen
Kernporen-
Komplex aktives Gen
inaktiv

membrannahe c TADs
bzw.
zentrumsnahe
Lage
CTCF

Aktiv
Nucleolus

Lamina
Kernmembran
Schlaufen
d

YY1

CTCF

Ausbreitung der
Schlaufe

Cohesine

..      Abb. 2.4 Hierarchische Organisation des Chromatins im Kern: Von den Chromosom-Territorien
(a) und Kompartimenten (b) über die TADs (c) und Schlaufen (d) hinab bis zu den Nukleosomen. Die
Kernhüllen-nahen B-Kompartimente (LAD: Lamina-assoziierte Domäne) sind in der Regel
transkriptionsinaktiv, die zentraleren A-Kompartimente dagegen aktiv. CTCF, Cohesin und YY1
(Yin Yang 1) sind Strukturproteine, die die Schlaufen stabilisieren. (Nach Wang, Han und Qi 2021;
mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)

nenten von Cohesin sind beispielsweise das DNA-Reparatur-Protein RAD21


und mehrere Struktur-Erhaltungsproteine SMC (structural maintenance of
chromosomes protein). Fehler in der Cohesin-Funktion führen zu Krankheiten,
die man als Cohesinopathien bezeichnet. Da hier eine Funktion von grund-
legender Bedeutung gestört ist, fällt das Krankheitsbild oft sehr komplex aus,
Beispiel: Cornelia-de-Lange-Syndrom (umfangreiche Fehlbildungen mit kogni-
tiven Beeinträchtigungen).
55 TAD (topologisch zueinander gehörende Domänen, topologically associating
domains): Damit die Schlaufen untereinander interagieren, bilden sie einen ab-
gegrenzten Bereich, eine Superschlaufe oder Domäne. Oft liegen an der Grenze
der Domäne die Proteine Cohesin und CTCF. Sie formen einen Hals. Die
Bindestelle CBS markiert dann die Grenze.
55 Kompartiment: Mehrere TADs rücken zusammen und bilden einen Regulations-
raum (compartment). Auf dem linearen, ausgestreckten Chromatin-Faden wür-
den diese Abschnitte sehr weit auseinander liegen. Regulationsraum heißt, dass
das Chromatin eher transkriptionsaktiv ist (Kompartiment A, zum Kern-
zentrum hin) oder stillgelegt (Kompartiment B, an der Peripherie des Kerns).
30 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

55 Territorium: Jedes Chromosom nimmt im Kern einen Raum in Anspruch, das


Territorium.
55 Kern-Lamina: Unterhalb der Kernmembran liegt ein filamentöses Geflecht, die
2 Kern-Lamina. Sie besteht aus verschiedenen Proteinen, den Laminen und La-
min-bindenden Proteinen. Die Lamina ist assoziiert mit Membranproteinen
und dem Chromatin. Sie wirkt entscheidend mit an der dreidimensionalen Or-
ganisation des Genoms. Ihre Bedeutung sieht man daran, dass Defekte in der
Lamina umfangreiche Krankheitsbilder erzeugen, die Laminopathien. Sie
zeichnen sich aus durch z. B. frühzeitiges Altern (Progerie), Neuropathien oder
Herzerkrankungen.

Das organisierende Prinzip auf den Ebenen bewirkt, dass Bereiche oder Abschnitte
in räumliche Nachbarschaft kommen, die den gleichen Regulationsstatus haben,
beispielsweise den gleichen epigenetischen Status. Das Prinzip ähnelt der Funktion
der bakteriellen NAPs, die Architektur und genetische Prozesse miteinander ver-
knüpfen.
In einigen Abschnitten der Chromosomen unterscheidet sich der Grad der
DNA-Kondensierung während der Zellteilung und der Interphase. Da die Zelle
während der Interphase die gespeicherte Information der DNA abruft, muss die
DNA für Proteine zugänglich sein. Ihr Verpackungsgrad ist somit an transkriptions-
aktiven Abschnitten geringer (siehe . Abb. 2.5). Diese Abschnitte lassen sich für
die Lichtmikroskopie nicht so gut anfärben.
55 Die Regionen mit aufgelockerter DNA heißen Euchromatin. Vor der Zell-
teilung wird das Euchromatin ebenfalls kondensiert.
55 Das Heterochromatin ist transkriptionsinaktiv und bleibt daher während der
Interphase kondensiert. Man unterscheidet zwei Formen. Konstitutionelles
Heterochromatin ist dauerhaft kondensiert und umfasst stets gleiche Abschnitte
des Chromosoms mit besonderen Strukturmerkmalen (Centromer, Telomer).
Fakultatives Heterochromatin ist dagegen zeitweise kondensiert, weil ein be-
stimmter Abschnitt stillgelegt ist, dessen Geninformation die Zelle zeitweise
nicht benötigt oder zufällig als Ergebnis der Dosiskompensation (Beispiel:
X-Inaktivierung, 7 Abschn. 8.9.2).

kompaktes, unzugängliches Chromatin zugängliches Chromatin geöffnetes Chromatin

..      Abb. 2.5 Je offener und lockerer die Nucleosomen-Organisation wird, desto zugänglicher wird
die DNA für wichtige Regulationsproteine wie Transkriptionsfaktoren und schließlich für die Poly-
merase. (Nach Klemm, Shipony und Greenleaf 2019; mit freundlicher Genehmigung von Springer
Nature)
2.4 · Genom von Eukaryoten
31 2

Wechselwirkung von Enhancer und Promotor Genschlaufe

Chromatin-Schlaufe durch Architektur-Proteine Polycomb-Proteine führen zur Stilllegung von Genen

..      Abb. 2.6 Verschiedene Proteine wechselwirken miteinander und bilden auf der unteren Ebene
der Chromatin-Ordnung DNA-Schlaufen oder kompakte Strukturen. (Nach Bonev und Cavalli
2016; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)

55 Eu- und Heterochromatin liegen im Zellkern getrennt vor. Heterochromatin


liegt eher an der Kernperipherie (Kompartiment B) und ist assoziiert mit der
Lamina. Wenn die Zelle fakultatives Heterochromatin öffnet, aktiviert und
somit in Euchromatin überführt, gelangt es näher ins Kernzentrum (Komparti-
ment A).
55 Die Zelle repliziert das Heterochromatin später als das Euchromatin.

An dem Chromatin oder zwischen den Chromatinfäden findet man Kernkörper.


Diese Bezeichnung umfasst mehrere membranlose Organellen aus DNA-­bindenden
Proteinen und verschiedenen RNA-Molekülen. Beispiele sind die Nucleoli und die
Paraspeckles. Die Rolle der letzteren für die Genom-­Organisation, für das Spleißen
und/oder die Aufbewahrung von RNA-Molekülen ist nicht völlig geklärt.
Während der Zellteilungen ist die DNA verpackt und stark kondensiert. Es bil-
den sich die Metaphase-Chromosomen. Nach einem alten Modell geht man davon
aus, dass sich auf die Nucleosomen folgende Strukturebenen anschließen.
32 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

55 Sekundärstruktur: Der 10-nm-Faden legt sich in superhelikale Schlaufen, wel-


che die Nucleosomen aufwickeln. Der entstehende 30-nm-Faden wird Solenoid
genannt,
2 55 Tertiärstruktur: Gerüstproteine (Scaffold-Proteine) bewirken die Bildung einer
Art Rosette. Die Gerüstproteine sind Nicht-Histon-Proteine.
55 Quartärstruktur: Der Rosettenfaden legt sich in helikale Windungen und ergibt
den Chromatidfaden. Mit der Quartärstruktur ist die Transportform während
der Metaphase der Zellteilungen erreicht (Metaphasechromosom).

Ob tatsächlich und in welcher Form der 30-nm-Faden in der Zelle vorkommt, ist
mittlerweile umstritten.

2.4.3 Färbemethoden
Bänderung
Metaphasechromosomen sind aufgrund der Kondensierung der langen DNA schon
ungefärbt im Lichtmikroskop zu sehen und daher beliebte Studienobjekte für die
Forschung. Für Untersuchungen an Tieren und dem Menschen isoliert man die
Chromosomen meist aus Lymphocyten.
Färbt man die Chromosomen an, sind sie noch besser erkennbar.
55 Den Giemsa-Farbstoff (eigentlich eine Mischung mehrerer Farbstoffe) ver-
wendet man für verschiedene Färbetechniken. Am bedeutendsten ist das Ver-
fahren, das zur G-Bänderung führt: Erst gibt man zu den Chromosomen eine
Protease wie Trypsin, dann den Farbstoff. Man erhält ein Muster aus hellen
und dunklen G-Banden oder negativen und positiven Banden (siehe . Abb. 2.8).
Wenn man an Stelle der Trypsinbehandlung die Proteine mittels Hitze denaturiert
und dann anfärbt, tauschen die hellen und dunklen Banden ihr Aussehen, daher
der Name R-Banden für reversed banding. R-Banden entsprechen den hellen
G-Banden.
55 Der Farbstoff Quinacrin erzeugt Q-Banden. Sie sind identisch mit den G-­
Banden.
Die Bänderung geht einher mit weiteren Eigenschaften, in denen sich helle und
dunkle Banden unterscheiden. Sie erklären letztlich das Färbeverhalten. In der
Regel gilt:
55 Die hellen Banden sind GC-reich, und das Chromatin ist weniger gefaltet. Sie
replizieren früh und sind reich an bestimmten Genen.
55 Die dunklen Banden sind das Gegenteil: AT-reich, stärker gefaltet, replizieren
spät und sind arm an Genen.

In hellen Banden findet man vor allem Housekeeping-Gene oder Haushaltsgene.


Diese Gene werden stärker abgelesen als andere, weil sie für Grundfunktionen der
Zelle, also die Erhaltung des Zellhaushalts, notwendig sind. Die Abschnitte be-
herbergen allerdings auch gewebe- oder entwicklungsspezifische Gene. Demgegen-
über liegen in den dunklen Banden nur gewebe- oder entwicklungsspezifische Gene,
die überwiegend stumm bleiben.
2.4 · Genom von Eukaryoten
33 2
Die Bänderung ist für jedes Chromosom so charakteristisch, dass das Muster
mit den G-Banden in der pränatalen Diagnostik des Menschen verwendet wird. Je
nach Mitosestadium sind die Chromosomen noch locker oder schon stark konden-
siert und die Banden noch zahlreich und fein oder schon zu wenigen hell-dunkel-­
Blöcken verschmolzen. Liegt eine Auflösung mit mindestens 400 Banden pro hap-
loidem Chromosomensatz vor, ordnet man die Chromosomen nach absteigender
Größe und erhält das Karyogramm eines Menschen. Es erlaubt erste Aussagen
über numerische oder strukturelle Veränderungen der Chromosomen und mög-
liche erblich bedingte Krankheiten (siehe 7 Abschn. 12.3.1 und . Abb. 12.10).

Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH)
Die FISH ist eine Methode zur Untersuchung von Chromosomen mit höherer Auf-
lösung als die Bänderungstechniken. Man setzt sie vor allem dann ein, wenn man
ein bestimmtes chromosomales Segment untersuchen möchte, z. B. wenn der Ver-
dacht besteht, dass dieses Segment fehlt und einer Erkrankung zugrunde liegt
(siehe 7 Abschn. 15.3.2).
Dazu markiert man eine einzelsträngige DNA-Sonde mit einem Fluoreszenz-
farbstoff und lässt sie gegen die Chromosomen hybridisieren. Man setzt dabei eine
Testsonde und anschließend eine Kontrollsonde mit jeweils unterschiedlicher
Farbe ein, um die erfolgreiche Versuchsdurchführung zu bestätigen. Die Unter-
suchung erfolgt mikroskopisch. Die FISH ist geeignet für die Chromosomen der
Metaphase und der Interphase.

 ergleichende genomische Hybridisierung (CGH, comparative


V
genomic hybridization)
Die CGH arbeitet ebenfalls mit markierter DNA, basiert aber darauf, dass man
zwei genomische DNA-Proben einsetzt und diese unterschiedlich markiert. Da man
die CGH vorzugsweise für die Tumorcytogenetik verwendet, stammt die eine geno-
mische DNA aus einer Tumorzellpopulation, die andere kommt aus einer norma-
len Kontrollperson und dient als Referenz. Beide DNAs lässt man kompetitiv
gegen Metaphasechromosomen hybridisieren. Man analysiert die farblich unter-
schiedlichen Markierungen, und aus dem Mustervergleich schließt man auf Ab-
weichungen in den Chromosomen.

2.4.4 Klassifizierung von DNA-Abschnitten

Die Chromosomen der Eukaryoten zeichnen sich auch durch Funktionsabschnitte


oder -elemente aus. Solche Abschnitte muss ein Chromosom besitzen, wenn es in
der Zelle stabil erhalten bleiben und in der Mitose verteilt werden soll:
55 Centromere, die Einschnürungsstellen des Metaphase-Chromosoms,
55 Telomere, die Enden der Chromosomen,
55 Replikationsursprünge.

Centromere sind die Orte, an denen die Chromatiden eines Chromosoms ver-
bunden sind und an die sich die Spindelfasern anheften, um die Chromosomen
34 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

während der Mitose und Meiose gleichmäßig auf die Tochterzellen zu verteilen.
Das macht die Centromere zu einer genarmen Region, sie gehören zum Hetero-
chromatin. Seine Funktion erfüllt dieses Element über eine Wechselwirkung aus
2 charakteristischen DNA-Sequenzmotiven einerseits und DNA-bindenden Protei-
nen andererseits (siehe . Abb. 2.7).

Aufbau der Centromer-DNA


55 Charakteristisch sind repetitive Sequenzen. Kurze Abschnitte liegen tausend-
fach hintereinander vor.
55 Beim Menschen ist das Grundelement die 171 bp lange alphoide DNA, weil sie
in alpha-Satelliten (s. u.) vorkommt. Je nach Chromosom liegen davon 1500 bis
30.000 Kopien vor. Die Centromere umfassen somit zwischen 0,3 und 5 Mb.
55 Bei der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) liegt ein vergleichbarer Auf-
bau vor: Ein Grundelement von 180 bp wird mehrfach wiederholt und verleiht
den Centromeren eine Länge von mehr als 500 kb.
55 An die Centromer-DNA binden sich Proteine. Beispielsweise bei Säugern meh-
rere CENPs (centromere proteins): Bei CENP-A handelt es sich um eine
Centromer-­spezifische Variante des Histons H3. CENP-B ist ein Protein, das
an die alphoide DNA gebunden ist und sich an CENP-A heftet. Weitere identi-
fizierte CENPs sind CENP-C und CENP-E.

a b

Mikrotubuli
Plusende der
K Mikrotubuli

MAP-Motor- K
K

proteine Schnittstelle
K
zum Centromer
K
Centromer-
Chromosom Abschnitt
der DNA Nucleosom

..      Abb. 2.7 (a) Centromer-Abschnitt mit dem Schichtaufbauf der Kinetochor-Proteine bei der
Hefe. (b) Die Abschnitte des Kinetochors werden aus vielteiligen Komplexen aufgebaut. Cse4:
Chromosom-­ Segregation-4-Nucleosom. CCAN: konstitutives Centromer-assoziiertes Netzwerk;
KMN steht für die Anfangsbuchstaben der Hauptproteine: KNL1 (in Hefe: Spc105, spindle pole body
component 105), MIS12 (Mtw1 in Hefe) und NDC80 Komplex, MAP: Mikrotubuli-assoziierte Pro-
teine. Der Zusammenhalt erfolgt über die vielfältige Wechselwirkung der Proteine untereinander.
(Nach Lampert und Westermann 2011; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
2.4 · Genom von Eukaryoten
35 2
55 Ein mehrschichtiger Proteinkomplex, das Kinetochor, ist der DNA aufgelagert.
Er dient den Mikrotubuli als Ansatzpunkte für den Spindelapparat.
55 Hinzu treten nichtspezifische Proteine wie Proteinkinasen und eine Topoiso-
merase.
55 Die Bäckerhefe zeigt einen abweichenden Aufbau des Centromers. Sie hat ein
einziges kurzes DNA-Element von rund 120 bp, an welches sich mehrere Pro-
teine binden (siehe . Abb. 2.7).

Ohne Centromer und Kinetochor kann die Zelle die Chromosomen nicht korrekt
auf die Tochterzellen aufteilen.

Telomere
Die Telomere erfüllen mehrere Funktionen:
55 Sie ermöglichen die Replikation des Chromosoms, ohne dass genetische Infor-
mation verlorengeht.
55 Sie schützen die Enden vor dem Abbau durch Exonucleasen.
55 Sie sind an der Kernmembran befestigt und positionieren dadurch die Chromo-
somen im Zellkern.

Um die Funktion auszuüben, zeigen die Enden besondere DNA-Motive und


Proteinkomplexe:
55 Die Telomer-DNA enthälte kurze repetitive, G-reiche Elemente (siehe auch
Termination der Replikation bei Eukaryoten). Die G-reiche Wiederholung er-
möglicht, dass sich ein G-Quadruplex (oder Tetraplex, G-Quartett) ausbildet.
In diesem Strukturmerkmal liegt die DNA einzelsträngig vor und faltet sich
dreimal vor und zurück. Dadurch ergeben sich vier kurze Abschnitte, die hin-
ter- und nebeneinander liegen. Vier Guanine bilden somit untereinander vier
Bindungen, keine Basenpaare, sondern Quartette. Da diese Struktur die Repli-
kation stört, muss die Zelle sie vorher auflösen. Dazu nutzt sie eine besondere
Helikase (7 Abb. 3.5 veranschaulicht das Problem in größerem Zusammen-
hang).
55 Mehrere Proteine bauen den Shelterin-Komplex auf. Er verhindert, dass die
Zelle die Enden als gebrochene DNA einstuft, die sie reparieren müsste.
55 RNA und die Reverse Transkriptase bilden den Telomerase-Komplex, der die
Enden mit Hilfe der RNA als Matrize repliziert.

2.4.5 Gestalt von Metaphasechromosomen

Das typische Bild der Metaphasechromosomen vieler Organismen zeigt sie mehr
oder weniger x-förmig mit den zwei Chromatiden, die an einer Region, der
Paarungsdomäne, verbunden sind (. Abb. 2.8).
Um dieses Bild zu erhalten, hat man die Zellen vorher mit Colchicin behandelt.
Dieses Gift aus der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) stoppt die Mitose, weil
es den Aufbau des Spindelapparats verhindert.
36 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

..      Abb. 2.8 Metaphase-Chromosom mit Banden nach Giemsa-Färbung. (Nach Buselmaier und Ta-
riverdian 2007)

Die Lage des Centromers dient zur einfachen Bestimmung der Chromosomen:
55 Bei akrozentrischen Chromosomen befindet sich das Centromer eher im Endbe-
reich.
55 Liegt es mehr mittig, handelt es sich um ein metazentrisches Chromosom.

In der Regel liegt das Centromer meist zwischen einer mittleren und einer end-
ständigen Position.
Bei der Chromosomenanalyse eines Karyogramms legt man die Centromeren
auf eine Linie. Auf diese Weise sieht man die unterschiedlich langen Arme auf
einen Blick und kann die Bänderung vergleichen. Die kurzen Chromosomenarme
heißen beim Menschen p-Arm (franz. petit = klein), die langen q-Arm (franz.
queue = Schweif, Schwanz). Bei Drosophila spricht man von L- und R- (linkem und
rechtem) Arm.
An den kurzen Armen der akrozentrischen Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22
des Menschen stechen weitere Strukturen hervor. Sichtbar werden sie nach An-
färbung mit Silbersalzen im Elektronenmikroskop. Man sieht dann dunkle Be-
reiche, die Nucleoli (Singular: Nucleolus). Der chromosomale Abschnitt heißt ent-
sprechend Nucleolusorganisatorregion, NOR, früher auch SAT genannt. Die
NOR enthält die wichtigen rRNA-Gene. Sie werden besonders häufig transkri-
biert. Die zahlreichen rRNA-Moleküle assoziieren sich dann mit Proteinen zu
einem ­Nucleolus.
2.4 · Genom von Eukaryoten
37 2
2.4.6 Ungewöhnliche Chromosomen

55 Minichromosomen oder Mikrochromosomen findet man bei Vögeln, einigen


Reptilien, Fischen und Amphibien. Sie sind kurz, aber genreich. Von den 39
Chromosomen des Hühnergenoms sind 33 Minichromosomen. Sie machen
lediglich etwa ein Viertel der DNA-Menge aus, tragen aber drei Viertel der
Gene.
55 Holozentrische oder holokinetische Chromosomen zeichnen sich durch mehrere
Centromere und Kinetochore aus, die über das Chromosom verteilt sind. Man
findet sie beispielsweise bei dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans.
55 B-Chromosomen sind zusätzliche oder überzählige Chromosomen, möglicher-
weise Bruchstücke von anderen Chromosomen. Verbreitet sind sie vor allem bei
Pflanzen, aber auch bei Pilzen und Tieren.
55 Lampenbürstenchromosomen sind in erster Linie aus den Oocyten von Amphi-
bien bekannt. Ihren Namen haben sie nach ihrem Aussehen erhalten. Die DNA
ist während der Meiose entkondensiert. Es werden DNA-Bereiche transkri-
biert, die keine sinnvollen Proteine ergeben. Man kennt diese Chromosomen
seit Jahrzehnten, doch sind sie bis heute rätselhaft.
55 Polytänchromosomen sind das Ergebnis eines unvollständigen Zellzyklus. Die
Zelle verdoppelt oder vermehrt die DNA, aber die Mitose unterbleibt. Es bil-
den sich Bündel von einigen oder zahlreichen Chromatiden, die in Kontakt
bleiben. Das Phänomen ist vor allem von Insekten bekannt.

2.4.7 Struktur des Genoms bei Eukaryoten

Um einen besseren Überblick über komplexe eukaryotische Genome zu be-


kommen, versucht man Ordnung in das Erbgut zu bringen. Dazu kann man die
DNA nach verschiedenen Kriterien einteilen (siehe . Abb. 2.9).
55 Nach der Information:
–– proteincodierend oder
–– nichtproteincodierend.
55 Nach der Kopienzahl:
–– Einzelgene,
–– wiederholte Gene (z. B. proteincodierende Histongene, nichtproteincodie-
rendes U6-snRNA-Gen)
–– Genfamilien.
38 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

..      Abb. 2.9 Anteile am Kerngenom. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)

Einteilung des Genoms nach Information, Exons und Introns


55 Gene und genähnliche Sequenzen. Ein Gen ist nach der allgemeinen Definition
ein Abschnitt im Erbgut, der die Information zur Herstellung einer RNA trägt.
–– Strukturgene codieren Strukturproteine oder Enzyme.
–– Gene, die grundlegend benötigt werden, bezeichnet man als Haushaltsgene.
Transkription, Translation, Stoffwechsel oder Transport sind entsprechende
Funktionsbereiche solcher Haushaltsgene.
–– Regulatorgene codieren Transkriptionsfaktoren oder Repressoren.
55 Extra- oder intragene DNA. Diese hat man früher verächtlich als junk- oder
Müll-DNA bezeichnet. Mittlerweile erkennt man in ihr jedoch zunehmend eine
Bedeutung, die vor allem in der Regulation liegt. Beispielsweise hat man hier et-
liche Gene für long noncoding RNA, lncRNA, identifiziert.

In Drosophila verteilt sich etwas mehr als ein Drittel aller Gene auf drei Funktio-
nen: (1) Enzymaktivität, (2) DNA- oder RNA-bindende Proteine, (3) Protein-­
Bindung.
Die Gene sind in der Regel wie Mosaike gestückelt und bestehen aus codieren-
den Exons und nichtcodierenden Introns (. Abb. 2.10).
55 Exons können nur einige wenige Basenpaare bis mehrere Tausend Basenpaare
umfassen. In höheren Eukaryoten nimmt die Anzahl an Exons in den Genen
zu. Ihr Anteil am Genom bleibt aber gering. Im menschlichen Genom beträgt
der Anteil der Exon-DNA etwa 1 %.
55 Exons enthalten oft die Information für eine spezielle Funktion oder Teilauf-
gabe des Proteins. Eine wichtige Funktion wie die Bindung des Proteins an
DNA wird also von einem Exon codiert.
55 Exons sind daher auch konservierter als Introns. Die Sequenzen der Exons ver-
wandter Gene wie den verschiedenen Globin-Genen ähneln sich innerhalb
eines Organismus ebenso wie zwischen Organismen. Introns unterscheiden sich
stärker.
55 Introns reichen von einigen Tausend bis mehreren Hunderttausend Basen-
paaren. Ihr Anteil beträgt beim Menschen etwa 24 %. Introns sind nur Bestand-
2.4 · Genom von Eukaryoten
39 2
a Transkription

Promotor Exon 1 Intron 1 Exon 2 Intron 2 Exon 3 Terminator

b Basenpaare 90 116 222 646 126

P E I E I E T

Transkriptionsstart Termination

..      Abb. 2.10 Allgemeiner Aufbau eines eukaryotischen Gens (a) und das beta-Globingen (b) des
Menschen

teil der Prä-RNA, aber nicht der reifen RNA (siehe 7 Abschn. 4.9.2, Spleißen).
Introns kommen zwar auch im Genom von Bakterien vor, sind dort aber selten
und untypisch.
55 Die Länge eines Gens ist in erster Linie abhängig von der Länge der Introns,
nicht so sehr von der Länge oder Anzahl der Exons.

Auch die Abschnitte mit regulatorischer Funktion wie der Promotor sind Teil des
Gens (. Abb. 2.10).
Hinter der Bezeichnung „genähnliche Sequenzen“ verbergen sich evolutionäre
Fußspuren:
Genfragmente und Pseudogene.
55 Genfragmente sind Reste von Genen, die durch Rekombinationen entstanden
sind.
55 Pseudogene enthalten Stoppcodons und/oder Insertionen/Deletionen („In-
dels“, zusätzliche oder fehlende Basen) und sind daher nichtfunktionelle Ko-
pien von Genen. Man unterscheidet zwei Typen:
–– Konventionelle Pseudogene verfallen mit der Zeit. Die Funktion kann von
anderen Kopien im Genom erfüllt werden. Dadurch werden diese Pseudo-
gene nicht zwingend benötigt. Sie unterliegen keinem Selektionsdruck, und
mit der Zeit häufen sich Mutationen an. Unter Umständen entsteht aus
ihnen ein Gen mit einer neuen Funktion.
–– Ein prozessiertes Pseudogen hat seinen Ursprung in einer mRNA. Die Zelle
hat diese mRNA wieder in eine DNA umgeschrieben (revers transkribiert)
und in das Genom integriert. Dort liegt die Gensequenz jedoch ohne regula-
torische Sequenzen wie dem Promotor vor. Daher bleibt sie stumm.

Das Genom des Menschen umfasst etwa 20.000 Pseudogene. Sie sind mit noch
funktionstüchtigen Genen verwandt. Beispiel: Pseudogene der Globingene.
40 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

Einteilung des Genoms nach der Kopienzahl


z Genfamilien:
55 Die 5S-rRNA-Gene bilden eine einfache oder klassische Multigenfamilie. Tan-
2 demartig hintereinander findet man immer die gleiche Sequenz, insgesamt mehr
als 2000 Genkopien der 5S-rRNA.
55 Die Evolution führte stets zu Duplikationen von Genen, sodass höhere Organis-
men mehr verwandte Gene (und Proteine) besitzen als niedere Arten und die
Anzahl von Genen für eine jeweilige Genfamilie höher ist.
55 Statt von einer Genfamilie spricht man oft von Proteinfamilien. Ihre Mitglieder
besitzen gleiche Domänen und haben (in der Regel) gleiche Funktionen. Bei-
spiele: FOX-Proteine, G-Proteine, Ionenkanäle, Rezeptor-­Tyrosin-­Kinasen.
55 Die Mitglieder einer komplexen Genfamilie unterscheiden sich in ihrer Sequenz.
Beispiele sind die proteincodierenden alpha- und beta-Globingene. Je zwei Glo-
bine vom Typ alpha und beta bauen das Hämoglobin auf. Sowohl von alpha als
auch von beta gibt es mehrere verwandte Gene, die eine Familie bilden. Die
Zelle liest die verschiedenen Gene zu unterschiedlichen Stadien der Entwicklung
ab.
55 Darüber hinaus gibt es weitere Globingene, beispielsweise für ein Myoglobin
oder Cytoglobin, sodass man Multigenfamilien gelegentlich zu einer Super-
familie zusammenfasst.

Sind Gene innerhalb eines Organismus verwandt, wie das Myoglobin- und das
Cytoglobingen, spricht man von paralogen Genen. Verwandte Gene bei ver-
schiedenen Organismen, also Maus- und Mensch-Myoglobingen, nennt man ortho-
loge Gene.

z Repetitive Elemente:
Sie bilden eine eigene Gruppe. Mehr als 50 % des menschlichen Erbguts besteht
aus repetitiven Elementen. Funktionen sind meist nicht bekannt. Sie unterscheiden
sich in ihrer Länge und in der Kopienzahl.
Hochrepetitive Sequenzen oder Satelliten-DNA liegen in der Regel tandemartig
vor. Man gruppiert sie nach der Größe des Elements. Die Angaben zu den Längen
und zur Wiederholungszahl schwanken in der Literatur.
55 Mikrosatelliten (STR, short tandem repeats) oder Mikrosatelliten-VNTR
(VNTR-Loci steht für variable nucleotide/number of tandem repeats). Mikro-
satelliten sind ein bis wenige Basenpaare lang und bilden Cluster von wenigen
Hundert Basenpaaren Länge. Zusätzlich sind Mikrosatelliten noch über das
Genom verteilt. Da sich ihre Länge bei den Menschen individuell unterscheidet
(Längenpolymorphismus), nutzt man sie für den genetischen Fingerabdruck.
55 Minisatelliten (ebenfalls als STR angesehen, auch bezeichnet als Minisatelliten-­
VNTR) sind etwa 10–100 bp lange Stückchen, die 5 bis 50 Mal wiederholt wer-
den. Minisatelliten rekombinieren sehr häufig und sie unterscheiden sich sehr
zwischen den Individuen. Man nutzt sie ebenfalls für den genetischen Finger-
abdruck.
2.4 · Genom von Eukaryoten
41 2
55 Die alphoide DNA oder Alpha-Sequenzwiederholungen in den Centromeren
zeichnet sich durch mehrere Hundert oder Tausend bp lange Sequenzen aus, die
bis zu einer Million Mal wiederholt werden. Man nennt sie auch Makro-
satelliten.

Mittelrepetitive Sequenzen werden im Unterschied zur Satelliten-DNA in der


Regel transkribiert. Damit einhergehend handelt es sich um mobile Elemente, die
sich über das Genom bewegen. Sie werden dafür in eine RNA-Zwischenstufe tran-
skribiert und durch das Enzym Reverse Transkriptase wieder in DNA um-
geschrieben, die sich in das Genom integriert. Ein Hinweis auf diesen Mechanis-
mus ist die Poly(A)-Sequenz in vielen Elementen.
55 Die langen Elemente oder LINEs (long interspersed nuclear elements) können
mehrere kb lang sein und bis zu 100.000 Mal im menschlichen Genom vor-
liegen. Die bekannteste Untergruppe sind die im Menschen über 6 kb langen
LINE1-Elemente mit einem Promotor für die RNA-Polymerase II und einem
Gen für eine Reverse Transkriptase. Der Anteil am menschlichen Genom be-
trägt knapp 20 %.
55 Die kurzen Elemente oder SINEs (short interspersed nuclear elements) bestehen
aus kürzeren Grundsequenzen. Ein Beispiel sind Alu-Elemente. Ihren Namen
haben sie von der Erkennungssequenz für das Restriktionsenzym AluI (aus Ar-
throbacter luteus). Sie sind etwa 300 bp lang und kommen mehr als eine Million
Mal im menschlichen Genom vor. Alu-Elemente besitzen einen Promotor für
die RNA-Polymerase III. SINEs können sich in der Regel nicht eigenständig im
Genom bewegen, sondern benötigen dafür Hilfen. Sie gelten als nicht-­autonom.
Ihr Anteil am menschlichen Genom liegt zwischen 10 und 15 %.
55 LTR-Retrotransposons sind zwischen 5 und 10 kb groß, die Kopienzahl über-
schreitet die Hunderttausend. Namensgebend sind die endständigen long termi-
nal repeats von mehreren Hundert bp Länge. Auch sie nutzen eine Reverse
Transkriptase. Ihr Anteil am menschlichen Genom beträgt rund 8 %.

LINEs und SINEs fasst man zusammen zu den Retroposons oder Non-LTR-­
Retrotransposons, wenn sie von den LTR-Retrotransposons abgegrenzt werden
sollen.

2.4.8 Mitochondriengenom und Plastom

Nach der Endosymbiontentheorie sind Mitochondrien und Plastiden aus früher


eigenständigen Prokaryoten hervorgegangen. Als Beleg dafür dient unter anderem
die Ähnlichkeit zwischen den Genomen. Sie sind in ihrer Organisation, Regulation
und in einzelnen Sequenzen näher verwandt mit prokaryotischen Genomen als mit
dem Kerngenom. Beispielsweise weisen sie Gemeinsamkeiten auf mit Bakterien in
der Transkription, zeigen aber ebenso eigenständige Merkmale.
42 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

Mitochondriengenome
Mitochondriale Chromosomen sind meist zirkulär und kommen in mehreren Kopien
vor. Beim Menschen sind es etwa zehn. Lineare Formen kennt man aus ver-
2 schiedenen Einzellern. Die mitochondriale DNA wird mit mtDNA abgekürzt.
Die Größe der Mitochondriengenome variiert. Auch hier gilt, dass komplexere
Lebewesen kein komplexeres Erbgut in dem Organell haben. Die menschliche
mtDNA ist rund 16,6 kb klein, das Genom der Bäckerhefe ist mit 85,8 kb erheblich
größer und das der Pflanze Arabidopsis thaliana ist mit 367 kb mehr als 20-mal so
groß.
Beim Menschen ist das Mitochondriengenom sehr kompakt und enthält somit
nur wenig nichtcodierende DNA (. Abb. 2.11). Es trägt die Information für
rRNAs, einige tRNAs und für 13 Proteine der Atmungskette. Auch lange, nichtco-
dierende RNAs (lncRNAs) kommen vor, ihr Funktionen sind bisher unbekannt.
Die Genome sind für die Evolutionsbiologie wichtig: Durch den Vergleich von
menschlichen mtDNAs ist es möglich, einen Stammbaum des Menschen aufzu-
stellen und seine Stammesgeschichte nachzuvollziehen.

..      Abb. 2.11 Mitochondriale DNA des Menschen und ihre Gene. (Nach Buselmaier und Tariver-
dian 2007)
2.4 · Genom von Eukaryoten
43 2
Beispiel: Von den 13 Untereinheiten des Komplex IV (Cytochrom-c-Oxidase)
sind nur drei mitochondrial codiert.
Weitere Proteine der Mitochondrien sind kerncodiert. Bei manchen Organis-
men ist der Anteil mitochondrial codierter tRNAs so gering, dass ihre Mito-
chondrien auf tRNAs aus dem Cytoplasma angewiesen sind.
Größere Mitochondriengenome enthalten weitere Gene, aber auch Introns und
extragene Bereiche.
Pflanzliche Mitochondrien weisen zuweilen Plasmide auf und zeigen über-
raschende Besonderheiten: Man fand Chloroplasten-DNA im Mitochondrien-
genom und umgekehrt, die sogenannte promiske oder promiskuitive DNA.
Mitochondrien replizieren unabhängig von den Chromosomen. Die Weitergabe
der Mitochondrien an die Nachkommen erfolgt beim Menschen, bei den meisten
Säugetieren und bei Angiospermen über die Mutter (uniparental maternal), bei
Hefen hingegen biparental und bei vielen Gymnospermen über den Vater (uni-
parental paternal).
Mutationen sind in der mtDNA etwa zehnmal häufiger als in der Kern-DNA,
und Schäden in der mtDNA sind korreliert mit dem Alterungsprozess.

Plastiden
Pflanzen besitzen Plastiden, die über eigene DNA verfügen. Die Gesamtheit der ge-
netischen Information dieser Organellen nennt man Plastom. Für diese DNA ver-
wendet man die Abkürzung ptDNA.
Die ptDNA ist in der Regel zirkulär, lineare Formen bilden die Ausnahme. Eine
so auffällige Variationsbreite wie die mtDNA zeigt die ptDNA nicht. So sind Ge-
nome der Chloroplasten relativ einheitlich groß und liegen meist zwischen 120 und
170 kb. Größere Genome kommen jedoch vor. Hier gilt erneut, dass keine Ver-
bindung zwischen Größe und Komplexität besteht. Reis (Oryza sativa) hat mit
einer 134,5 kb langen cpDNA ein kleineres Chloroplastengenom als die Grünalge
Chlamydomonas reinhardtii mit 203 kb.
Der Aufbau der cpDNA (oder ctDNA, . Abb. 2.12) aus Chloroplasten ist ein-
heitlicher als bei der mitochondrialen mtDNA. Bei vielen niederen und höheren
Pflanzen gliedert sich die cpDNA in vier Abschnitte. Zwei Inverted Repeats liegen
gegenläufig zueinander vor und sind getrennt durch jeweils einen kurzen und lan-
gen Einzelkopieabschnitt, LSC für large single copy und SSC für small single copy.
Das Chloroplastengenom ist auch genreicher als die mtDNA. Es umfasst mehr
als 100 Gene. Dazu gehören alle RNA-Gene, die rRNA-Gene liegen in den Inverted
Repeats. Chloroplasten sind somit nicht auf den Transport von tRNAs aus dem
Cytoplasma angewiesen. Dagegen sind nur wenige Proteine der Chloroplasten auf
der cpDNA codiert, die meisten ihrer Gene liegen auf der Kern-DNA. Zu den
cpDNA-codierten Proteinen gehören beispielsweise
55 etwa ein Drittel der ribosomalen Proteine,
55 viele Proteinkomponenten für die Photosynthese,
55 die (acht) großen Untereinheiten für das Enzym zur CO2-Fixierung: Rubisco
oder Ribulose-1,5-Bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase.
44 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts

atpA
atpE
atpH
rbcL atpI
2 atpE
psaA psaB
atpB
psbJ LSC
psaJ psbL psbM
psbF
psbE
psbB psbC
Oryza sativa psbD
psbH psbN psbI
cpDNA
psbK
~134,5 Kb

psbA
IRB IRA
16S
SSC

16S 4,5S 23S


5S
psaC

23S
4,5S
5S

..      Abb. 2.12 Chloroplasten-DNA von Oryza sativa

Die Vererbung ähnelt derjenigen der mtDNA. Bei Angiospermen ist sie meist
mütterlich, bei einigen Arten biparental, bei einigen Gymnospermen väterlich.

2.4.9 Viren und Bakteriophagen

Viren befallen eukaryotische Zellen, Bakteriophagen Bakterien. Letztere kürzt


man gern als Phagen ab.
Viren und Phagen sind keine eigenständigen Lebewesen. Für Vererbung oder
Stoffwechsel sind sie auf Organismen angewiesen. Dabei infizieren sie eine Wirts-
zelle, nutzen deren Replikations- und Proteinbiosyntheseapparat aus und ver-
mehren sich auf deren Kosten. Sie sind folglich recht spezifisch an einen Wirt oder
einen Zelltyp angepasst.
Trotz ihrer geringen Komplexität zeigen die Genome eine große Vielfalt. Das
Erbgut kann aus einzelsträngiger DNA oder RNA bestehen oder aus doppelsträn-
giger DNA oder RNA. Liegt ein RNA-Strang vor, unterscheidet man, ob er direkt
als mRNA für die Translation dient (Plusstrang) oder als Vorlage (Minusstrang) für
einen komplementären RNA-Strang, der erst dann translatiert wird. Bei einigen
RNA-Viren schreibt die Reverse Transkriptase die RNA zunächst in eine DNA um.
Die genaueren Abläufe werden in Kap. 7 3 (Replikation) vorgestellt. Das Genom
kann linear oder zirkulär vorliegen. Segmentierte Genome sind ebenfalls bekannt.
2.4 · Genom von Eukaryoten
45 2
Die Größe des Genoms liegt meist im ein- bis unteren dreistelligen kb-Bereich.
Das Mimivirus der Amöben erreicht indes 1,2 Mb. Virengenome sind nicht zwin-
gend größer als Phagengenome. Der E.-coli-Phage λ (Lambda) hat ein Genom von
48,5 kb, das Säuger-Poliovirus ist dagegen 7,5 kb kurz.
Schaut man sich beispielhaft drei E.-coli-Phagen an, erkennt man wiederum
eine Beziehung zwischen Genomgröße und Anzahl der Gene. Die 3,6 kb von MS2
enthalten vier Gene, φX174 hat eine 5,4 kb DNA und elf Gene, und die rund
169 kb von T4 beherbergen rund 300 Gene.
Kleine Phagengenome besitzen überlappende Gene. Bei φX174 ist ein komplet-
tes Gen Teil der Nucleotidsequenz eines anderen Gens. Beide codieren unterschied-
liche Proteine, weil die Gene verschiedene Leserahmen nutzen.
Gene von Viren und Phagen codieren häufig folgende typische Proteine:
55 eine eigene RNA-Polymerase,
55 Reifungsproteine,
55 Hüll- oder Verpackungsproteine,
55 Regulatorproteine.

Einige Viren und Phagen können sich in das Wirtsgenom integrieren. Die Zelle re-
pliziert sie dann zusammen mit dem Chromosom und gibt somit auch die DNA an
die Tochterzellen weiter. Das erinnert an die Plasmide. Tatsächlich hat man eine
evolutive Verwandtschaft festgestellt zwischen einigen bakteriellen Plasmiden und
Phagen. Im eukaryotischen Genom haben solche Viren ihre Spuren in repetitiven
Elementen hinterlassen. Manche beweglichen Elemente waren früher Viren, die
ihre Infektiosität verloren haben.
47 3

DNA-Replikation
Inhaltsverzeichnis

3.1 Worum geht es? – 49


3.2 Prinzipien – 49
3.2.1  berblick – 49
Ü
3.2.2 Enzymfunktionen und Hilfsproteine – 51
3.2.3 Startpunkte der Replikation – 52
3.2.4 Syntheserichtung – 53

3.3 Initiation der Replikation – 54


3.3.1 I nitiation bei Bakterien – 54
3.3.2 Initiation bei Archaeen – 55
3.3.3 Initiation bei Eukaryoten – 56

3.4 Elongation der Replikation – 57


3.4.1 E longation bei Bakterien – 58
3.4.2 Elongation bei Archaeen – 58
3.4.3 Elongation bei Eukaryoten – 58

3.5 Termination der Replikation – 60


3.5.1 T ermination bei Bakterien – 60
3.5.2 Termination bei Eukaryoten, die Telomere – 61

3.6 Replikation ohne Zellteilung – 63

3.7 Kontrolle der Replikation – 64


3.7.1  ontrolle bei Bakterien – 64
K
3.7.2 Kontrolle bei Eukaryoten – 65

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_3
3.8 Phagen und Viren – 68
3.8.1  eplikation von ds-DNA-Viren – 68
R
3.8.2 Replikation von ds-RNA-Viren
und Minusstrang-ss-RNA-Viren – 69
3.8.3 Retroviren (Plusstrang-ss-RNA) – 69
3.8.4 Replikation von Viren mit partiell doppelsträngiger DNA – 70

3.9  eplikation des Mitochondrien- und


R
Plastidengenoms – 70
3.9.1 Der Ablauf – 70
3.2 · Prinzipien
49 3
3.1 Worum geht es?

Die Replikation sorgt für eine Verdopplung der DNA und ist ein grundlegender
Vorgang in allen Zellen. Sie gewährleistet, dass bei der Weitergabe des Erbgutes an
Tochterzellen beide das komplette Erbgut erhalten und im Normalfall keine Infor-
mation verlorengeht. Da die Struktur der DNA bei Bakterien, Archaeen, Eukaryo-
ten, Phagen und DNA-Viren gleich ist, gleicht sich auch der biochemische
Mechanismus der Replikation in seinen Prinzipien. Der Ablauf unterteilt sich in
drei Phasen.
Insbesondere die Initiation der Replikation wird genau kontrolliert. Die Repli-
kation in Organellen zeigt ebenso Variationen wie die von Viren und Phagen.

3.2 Prinzipien

3.2.1 Überblick

Im Wesentlichen zeigt die Replikation folgende Charakteristika:


Sie erfolgt semikonservativ, ein Strang bleibt erhalten, der zweite wird nach-
synthetisiert.
Mehrere Enzyme arbeiten koordiniert und führen die Replikation gemeinsam
aus. Das eigentliche Syntheseenzym ist stets eine DNA-Polymerase.
Hilfsproteine unterstützen die Enzyme.
Die Replikation erfolgt nur in eine Richtung: vom 5′-Ende zum 3′-Ende der
DNA, daher unterscheiden sich die Synthesen an den beiden Strängen. Daraus
folgt eine kontinuierliche Synthese des einen Strangs und eine diskontinuierliche,
aber gleichzeitige Synthese des zweiten.
Die Replikation ist sehr genau, aber nicht fehlerfrei. Die Enzyme erkennen und
korrigieren viele Fehler, aber nicht alle.
Es gibt festgesetzte Startpunkte für die Replikation, die wichtig für die
Replikationskontrolle sind.
Man unterteilt den Ablauf in die drei Phasen: Inititation, Elongation und Ter-
mination.
Abweichungen von diesem allgemeinen Muster gibt es bei der Replikation der
DNA von Viren und Phagen sowie der Mitochondrien- und Plastiden-DNA.

Semikonservativer Mechanismus
Aufgrund der Basenpaarung ist der Weg zur Verdopplung im Grunde vor-
gezeichnet. Denn kennt man die Nucleotidfolge des einen Strangs, so kann man
den komplementären Strang ergänzen. Das entspricht in der Praxis dem semi-
konservativen Mechanismus (. Abb. 3.1): Die Zelle trennt die DNA-Doppelhelix
in ihre zwei Stränge auf und stellt zu den getrennten Einzelsträngen jeweils einen
neuen Gegenstrang her. Der alte Strang dient als Vorlage, also Matrize (engl. tem-
50 Kapitel 3 · DNA-Replikation

Dispersiv Konservativ Semikonservativ


Erwartete Erwartete Erwartete Beobachtete
DNA-Dichte DNA-Dichte DNA-Dichte DNA-Dichte
Elterliche DNA-
Doppelhelix

3
DNA nach der
1. Replikation
DNA nach der
2. Replikation

..      Abb. 3.1 Das Meselson-Stahl-Experiment beweist die semikonservative Replikation

plate), für die Herstellung des neuen Gegenstrangs. Nach der Replikation bestehen
dann beide DNA-Helices aus je einem alten und einem neuen Strang.
Theoretisch möglich wären noch zwei andere Mechanismen, der konservative
und der dispersive.
Beim konservativen Mechanismus bliebe die alte DNA aus alten Strängen be-
stehen und die neue DNA bestünde aus zwei neuen Strängen.
Beim dispersiven Mechanismus sollte es eine Art Mosaik geben. In beiden
DNA-Molekülen würden sich zufällig alte und neue Abschnitte abwechseln.

Meselson-Stahl-Experiment
Matthew Meselson und Franklin Stahl führten 1958 mit dem Bakterium Escheri-
chia coli ein Experiment durch, um die Frage nach dem Mechanismus der Replika-
tion zu beantworten (. Abb. 3.1). Im Detail ist der Versuch zwar eher historisch
interessant, das Prinzip der Markierung von Molekülen wendet man jedoch heute
noch an.
Will man den Weg von Molekülen verfolgen, markiert man sie, um sie so in-
direkt sichtbar zu machen. Früher verwendeten die Wissenschaftler dazu oft radio-
aktive Isotope, heute markiert man in der Regel mithilfe von Fluoreszenzfarb-
stoffen.
Meselson und Stahl nahmen das Stickstoffisotop 15N, das ein Neutron mehr im
Kern besitzt als das häufigere Isotop 14N und deshalb schwerer ist. Sie ließen E. coli
so lange auf einem Nährmedium mit dem schweren Stickstoff in Form von
Ammoniumchlorid (15NH4Cl) wachsen, bis die DNA nur 15N enthielt. Darauf
folgte eine erste neue Generation und damit eine Verdopplung der DNA auf
14N-Medium. Meselson und Stahl untersuchten die DNA über Dichtegradienten-

zentrifugation und fanden nur halbschwere DNA („beobachtete DNA-Dichte“,


. Abb. 3.1), deren Stickstoff jeweils zur Hälfte den beiden Isotopen angehörte.
Nach einer weiteren Verdopplung der DNA auf 14N-Medium enthielt die nächste
Generation von Bakterien teilweise normale und teilweise halbschwere DNA. Aus
diesen Ergebnissen und dem Bild nach der dritten Generation schlossen die For-
3.2 · Prinzipien
51 3
scher auf den semikonservativen Mechanismus. Die Resultate konnte man an Eu-
karyoten über Markierungen mit radioaktivem Wasserstoff in einer der Basen (3H-­
Thymidin) bestätigen.

3.2.2 Enzymfunktionen und Hilfsproteine

Im Wesentlichen führen sechs Enzymfunktionen die Replikation aus.


55 Topoisomerasen lösen das topologische Problem, das sich aus der Helixstruktur
der DNA ergibt: Trennt man die Stränge auf und entspiralisiert die DNA, be-
ginnt eine DNA mit freiem Ende zu rotieren. Nimmt man beispielsweise für das
menschliche Chromosom 1 eine Länge von 250 Mb an und umfasst eine Win-
dung 10 bp, so müsste sich das Chromosom 25 Mio. Mal drehen. Topoiso-
merasen lösen das Problem, indem sie einen Einzelstrangbruch (Typ I) oder
einen Doppelstrangbruch (Typ II) in die DNA einführen. Sie entwinden die
DNA, nehmen dadurch die Spannung heraus und schließen die Lücke(n) wie-
der. Während der Replikation arbeiten sie vor dem eigentlichen
­Replikationsapparat. Die Substanz Camptothecin (aus Camptotheca acumi-
nata, dem Chinesischen Glücksbaum) hemmt in Säugerzellen eine Topoiso-
merase Typ I. Camptothecin ist daher grundsätzlich wirksam gegen die Zell-
teilung in Krebszellen. Als Medikamente verwendet man allerdings Weiter-
entwicklungen mit weniger Nebenwirkungen.
55 Helikasen spalten unter ATP-Verbrauch die Wasserstoffbrückenbindungen
zwischen den Basen. Dadurch öffnen sie die DNA-Doppelhelix und erzeugen
Einzelstränge (. Abb. 3.2).
55 Primasen synthetisieren ein Startmolekül aus wenigen Nucleotiden, den Pri-
mer. Der Primer besteht aus RNA, die Primasen sind somit RNA-­Polymerasen.
55 DNA-Polymerasen lesen die Nucleotidfolge eines Einzelstrangs ab und stellen
dazu den neuen komplementären Strang her, indem sie Desoxynucleosidtri-
phosphate (dNTPs) als DNA-Bausteine verknüpfen. Sie sind somit die eigent-
lichen Syntheseenzyme.
55 Ligasen verknüpfen Stücke eines DNA-Strangs miteinander.
55 Entfernung der Primer. Diese Enzymfunktion kann Bestandteil der DNA-­
Polymerasen sein oder separat ausgeführt werden, Beispiel dafür: die RNase
H-Klasse.

Hilfsproteine
Die DNA-Polymerase arbeitet als Holoenzym. Also nicht allein, sondern im Kom-
plex aus mehreren Untereinheiten und im Verbund mit weiteren Proteinen. Dazu
gehören u. a. eine Gleitklammer und ein Klammerlader, die als eine Art Führungs-
schiene für die Polymerase fungieren (s. u.).
Einzelstrangbindende Proteine binden sich nach dem Öffnen der DNA an die
Einzelstränge. Damit stabilisieren sie die Abschnitte und verhindern, dass sich die
DNA wieder schließt. Helikasen, Primasen, Polymerasen und Hilfsproteine bilden
zusammen einen Komplex, das Replisom.
52 Kapitel 3 · DNA-Replikation

..      Abb. 3.2 Überblick über die 5'


an einer Replikationsgabel akti- 3'
ven Enzymfunktionen und 5'-3'-Exonuclease
­Proteine

nd)
tra
3

gs
in
Primase

gg
(la
SSB

ng
ra
st
ts
är
Primase

w
ck
Helikase


3'
5'

SSB

Vo
rw
är
ts
DNA Polymerase III

st
ra
Holoenzym

ng
(le
a
di
ng
str
an
d)
5'
3'

Die Enzyme und Proteine führen – zum Teil zusammen mit anderen Protei-
nen – auch die Rekombination und DNA-Reparaturen aus. Diese Prozesse sind
miteinander gekoppelt.
Damit aus der nackten, replizierten DNA das Chromatin wird, muss die Zelle
auch DNA-bindende Proteine und Hilfsproteine neu synthetisieren und zusammen-
setzen. Eukaryotische Zellen stellen daher eine funktionelle Verbindung her zwi-
schen Replisom, Synthese von Hilfsproteinen und Zusammenbau der Histone.
Hilfsproteine setzen die einzelnen Histone zu den Oktameren zusammen, um die
sich die DNA winden und Nucleosomen bilden kann.

3.2.3 Startpunkte der Replikation

Die Replikation beginnt nur an festgelegten Stellen, den Replikationsursprüngen.


Bei Bakterien nennt man diese DNA-Abschnitte origin of replication (ori), bei Hefe
spricht man von der autonomously replicating sequence (ARS).
E. coli hat einen Replikationsursprung, die Hefe Saccharomyces cerevisiae be-
sitzt mehrere Hundert, der Mensch und die Maus haben mehrere Zehntausend.
Das ist notwendig, weil die Neusynthese eines Säugetierchromosoms sonst viel zu
lange dauerte.
3.2 · Prinzipien
53 3
Über die Initiation findet im Wesentlichen auch die Regulation statt.
Initiatorproteine erkennen einen ori bzw. die ARS und binden sich daran. An
diesen Stellen wird die DNA geöffnet. Schematisch ergeben sich zwei gegenüber-
liegende Ypsilons, die Replikationsgabeln. Es entsteht dadurch eine Replikations-
blase, die sich dann zunehmend vergrößert, indem sich die Replikationsgabeln von-
einander wegbewegen. Denn die Enzyme arbeiten während der Elongation bi-
direktional in beide Richtungen.
Ein Replikon ist eine Replikationseinheit, die von diesem ori oder ARS bis zur
Termination reicht. Bei E. coli ist somit das gesamte Chromosom ein Replikon, bei
Eukaryoten gibt es auf jedem Chromosom mehrere Replikons.

3.2.4 Syntheserichtung

Jeder DNA-Strang hat ein 5′-Phosphatende und ein 3′-OH-Ende. Das 5′-Ende
trägt eine Phosphatgruppe am 5′-C-Atom des Zuckers, das 3′-C-Atom besitzt eine
OH-Gruppe. Die zwei DNA-Stränge der Doppelhelix liegen gegenläufig zu-
einander vor, antiparallel.
Alle bekannten DNA-Polymerasen arbeiten nur in eine Richtung: Sie lesen die
Matrize vom 3′-Ende zum 5′-Ende hin ab und bauen den neuen Strang von 5′ nach
3′ auf.
Beim Einbau eines Nucleosidtriphosphats in den neu zu synthetisierenden
DNA-Strang bindet die Polymerase unter Abspaltung von Pyrophosphat den ver-
bleibenden Phosphatrest mit einer Esterbindung an das 3′-C-Atom am Ende der
vorhandenen Kette. Die Abspaltung des Pyrophosphats liefert die notwendige
Energie.
Wenn sich das Replisom auf der DNA fortbewegt und die Doppelhelix öffnet,
bewegt es sich auf dem einen Strang von 3′ nach 5′ fort, auf dem anderen von 5′
nach 3′. Das bedeutet:
55 Nur an einem Strang kann unmittelbar die Synthese beginnen. Hier entsteht der
Leitstrang (gelegentlich Vorwärtsstrang genannt), bei dem das Replisom dem
Matrizenstrang von 3′ nach 5′ folgt. Am gegenläufigen Strang wächst der Folge-
strang (Rückwärtsstrang), dessen Matrize das Replisom von 5′ nach 3′ abfährt.
55 Daraus folgt, dass die Synthese des Leitstrangs in einem Stück oder kontinuier-
lich von 5′ nach 3′ möglich ist. Denn er wächst in die gleiche Richtung, wie sich
die Replikationsgabel fortbewegt.
55 Die Synthese des Folgestrangs ist aber nur diskontinuierlich möglich, weil die
Syntheserichtung weg von der Replikationsgabel erfolgt. Also muss die Heli-
kase immer wieder einen längeren Einzelstrangabschnitt erzeugen, damit die
Synthese erneut einsetzen kann. Die Polymerase repliziert diesen Abschnitt, bis
sie auf das Stück stößt, das sie unmittelbar zuvor hergestellt hat. Auf diese
Weise entstehen Teilstücke, die man Okazaki-Fragmente nennt. Sie haben bei
Bakterien etwa eine Länge von 1000–2000 bp, bei Eukaryoten nur von 200 bp.
Das liegt möglicherweise daran, dass 200 bp mit einem Nucleosom assoziiert
sind.
54 Kapitel 3 · DNA-Replikation

3'
Leitstrang
5' Vorwärtsstrang
Folgestrang 3'
(aus Okazaki- Rückwärtsstrang
Fragmenten) 5' mit Schleife

3 Laufrichtung der Replikationsgabel

..      Abb. 3.3 Die Bildung einer Schlaufe am Rückwärtsstrang ermöglicht die simultane Replikation

Wäre die DNA gestreckt, so müsste die Polymerase beim Folgestrang erst auf dem
Rückwärtsstrang entlanggleiten (von der Replikationsgabel weg), sich nach Ab-
schluss eines Okazaki-Fragments schließlich von der DNA lösen und nach vorn
springen, um sich erneut an die DNA zu binden. Das wäre zu aufwendig. Statt-
dessen bildet der Rückwärtsstrang eine Schleife (. Abb. 3.3). Er macht eine Kehrt-
wende, sodass die Verlängerung in Richtung der Replikationsgabel möglich ist.
Durch die Einschlaufung können zwei Polymerasen arbeiten, sich in Richtung der
Replikationsgabel fortbewegen und Leit- und Folgestrang parallel synthetisieren.
Die Größe der Schlaufe entspricht dabei der Länge eines Okazaki-Fragments.

3.3 Initiation der Replikation

Die Initiation dient der Vorbereitung, bis die DNA-Polymerase ihre Arbeit auf-
nimmt. Sie umfasst mehrere Teilschritte:
55 Identifizierung des Replikationsursprungs durch ein Initiatorprotein,
55 Öffnen und Entwinden der DNA,
55 Stabilisierung der Einzelstränge und
55 Synthese eines RNA-Primers.

3.3.1 Initiation bei Bakterien

Der Replikationsursprung bei E. coli heißt oriC (chromosomal origin of replication).


Wenn von hier aus die Replikation bidirektional jeweils gleich schnell voran-
schreitet, treffen sich die Replikationsgabeln am gegenüberliegenden Ende des
Ringchromosoms. Dort endet dann die Replikation, es kommt zur Termination,
der Abschnitt heißt terC.
Zwischendurch ähnelt das Replikon dem griechischen Großbuchstaben Theta
(Θ), man spricht daher von der Theta-Struktur.
55 OriC umfasst etwa 245 bp. Er beinhaltet zwei Sequenzmotive.
55 Dreimal kommt an einem Ende ein AT-reiches Motiv von je 13 bp vor. Die zwei
Wasserstoffbrückenbindungen der A-T-Paarung erleichtern das Aufschmelzen
der DNA.
55 Mehrfach taucht ein kürzeres, 9 bp langes Motiv auf, verstreut über den Rest
von oriC. Dieses kürzere Motiv ist die DnaA-Box.
3.3 · Initiation der Replikation
55 3
Der Initiationsprozess läuft am oriC ab:
1. Mehrere Moleküle des Initiatorproteins DnaA binden sich an die DnaA-Boxen,
sodass sich die Helix um die DnaA-Moleküle wie um eine Tonne herumwickelt
und sich auf einer Länge von etwa 60 bp öffnet. DnaA hat die Funktion eines
licensing factors. Das Protein stellt sicher, dass die Zelle die DNA nur einmal
für die Teilung repliziert. Nach der Initation baut die Zelle das Protein wieder
ab und erst wieder auf, wenn die Zellteilung abgeschlossen ist.
2. Anschließend greift die Helikase DnaB ein, unterstützt von dem Hilfsprotein
DnaC. DnaC tritt recht schnell wieder aus dem Komplex aus. Helikase-­DnaB-­
Moleküle öffnen die Helix weiter zu längeren Einzelsträngen. Dazu bewegen sie
sich von 5′ nach 3′ auf den Einzelsträngen fort.
3. Zur Stabilisierung und zum Schutz vor Nucleasen binden sich mehrere Mole-
küle des Einzelstrangbindeproteins SSB (single strand binding protein) an die
zwei Stränge. Sie werden später von Replikationsmediatorproteinen (RMPs)
entfernt.
4. Die Helikase DnaB aktiviert die Primase DnaG. Die Primase stellt einen
RNA-Primer von elf bis zwölf Nucleotiden her, erst am Vorwärts-, dann am
Rückwärtsstrang. Am Rückwärtsstrang muss die Primase im Folgenden immer
wieder Primer für die Okazaki-Fragmente herstellen. Ein Primer ist notwendig,
weil die DNA-Polymerasen ein vorhandenes 3′-OH-Ende benötigen, um daran
eine 5′-Phosphatgruppe zu hängen.

Wenn die Helikase die DNA weiter auftrennt, läuft ihr eine Topoisomerase II (die
Gyrase) voraus, um die Überwindungen herauszunehmen.

3.3.2 Initiation bei Archaeen

Die Archaeen stehen in diesem Kapitel vor den Eukaryoten, weil sich die eukaryo-
tische Zelle (vermutlich) aus den Archaeen entwickelt hat. Das spiegelt sich darin
wider, dass Archaeen- und Eukaryotenproteine miteinander verwandt sind, der
Replikationsapparat bei den Archaeen aber einfacher aufgebaut ist.
Einige Abläufe und Enzyme entsprechen ihren Gegenstücken bei Bakterien,
tragen aber einen anderen Namen.
55 Auch Archaeen besitzen ein ringförmiges Chromosom.
55 Es kommen Arten mit einem Replikationsursprung vor, es gibt aber auch Arten
mit zwei oder drei Ursprungsorten.
55 Sie enthalten mehrere Origin Recognition Boxes genannte Motive.
55 Daran bindet sich ein Initiatorproteinkomplex ORC, origin recognition com-
plex, aus mehreren Proteinen.
55 Die MCM-Proteine, minichromosome maintenance proteins, bauen die Helikase
auf.
55 Mehrere einzelstrangbindende Proteine vom replication protein A, RPA stabili-
sieren die Einzelstränge.
55 Die MCM-Proteine führen die Primase für die Synthese der Primer an die
DNA heran.
56 Kapitel 3 · DNA-Replikation

3.3.3 Initiation bei Eukaryoten

Der Ablauf der Initiation bei Eukaryoten ist von mehreren Faktoren abhängig:
55 Es gibt sehr unterschiedliche Organismen, darunter Einzeller, Mehrzeller und
Gewebeorganismen mit spezifischen Anforderungen.
55 Innerhalb der Gewebeorganismen sind die Bedingungen für die Replikation
3 unterschiedlich. Embryonale Zellen teilen sich schneller und sollten die Repli-
kation beschleunigen können. Ausdifferenzierte Zellen teilen sich dagegen in
der Regel nicht mehr.
55 Die Zelle muss mehrere Prozesse innerhalb des Zellzyklus koordinieren. So ist
die Replikation mit der Zellteilung und damit auch mit der Auflösung der Kern-
membran verknüpft. Bei Einzellern gehen Replikation und Zellteilung mit der
Vermehrung einher. Bei höheren Pflanzen und Tieren sind sie mit der Differen-
zierung und/oder dem Wachstum gekoppelt.
55 Die Chromosomen sind länger als in Prokaryoten. Es kann daher mehrere
Zehntausend Replikationsstartpunkte geben.

Die Zelle aktiviert ihre zahlreichen Replikationsursprünge nicht gleichzeitig. Es


gibt eine Reihenfolge:
1. Zuerst repliziert sie das Euchromatin,
2. dann das Heterochromatin,
3. zum Schluss folgen die Centromere der Chromosomen.

Das Centromer ist ein besonderer Abschnitt, der zuletzt repliziert wird. Vermutlich
können embryonale Zellen die Replikation vorantreiben, indem sie mehrere
Replikationsursprünge gleichzeitig aktivieren.
Recht gut untersucht ist die Initiation bei Hefe (S. cerevisiae). In vitro kann man
die Inititation mittlerweile nachbilden. Dazu sind 16 Proteine notwendig.
Als Replikationsursprünge hat man mehrere 200 bp lange Abschnitte identi-
fiziert und sie autonomously replicating sequence (ARS oder ARS-Element) ge-
tauft. Eine ARS besitzt vier Sequenzmotive, A, B1, B2 und B3.
Die Abschnitte A und B1 bilden die Erkennungssequenz für den Initiator-
proteinkomplex ORC, origin recognition complex, aus sechs Proteinen (nummeriert
als ORC1 bis ORC6). Die Aktivierung eines Replikationsursprungs nennt man
auch „feuern“ oder „zünden“.
Der Initiationsprozess verläuft in aufeinanderfolgenden Schritten:
1. Der ARS-Bindungsfaktor 1, ABF1, bindet sich an B3 und spannt die DNA da-
durch wohl so weit, dass sie sich an B2 öffnet.
2. Nacheinander lagern sich weitere Proteine an die DNA an und bauen den
Prä-Replikationskomplex auf. Unerlässlich für die weiteren Schritte ist das Pro-
tein Cdc6. Es gilt als ein licensing factor. Wie das Protein DnaA aus E. coli stel-
len diese Faktoren sicher, dass genau eine Replikation pro Zellzyklus erfolgt.
Sie erscheinen während des Zellzyklus in einem aktiven und einem inaktiven
Zustand. Vor der Replikation ist Cdc6 aktiv. In diesem Zustand führt es dazu,
3.4 · Elongation der Replikation
57 3
dass zwei MCM-Proteinkomplexe mit Helikasefunktion hinzutreten, sich an-
lagern und den Prä-Replikationskomplex weiter aufbauen. Das einzelstrang-
bindende Protein RPA (replication protein A) lagert sich an. Nach Beginn der
Replikation inaktiviert die Zelle Cdc6.
3. Die Zelle nutzt weitere licensing Faktoren wie das Protein Cdt1. Auch Cdt1 tritt
in den Prä-Replikationskomplex ein. Nach Beginn der Replikation inaktiviert
die Zelle auch diesen Faktor. Die abgeschalteten Proteine Cdc6 und Cdt1 lösen
sich von dem ORC. In dem inaktiven Zustand ist keine weitere Replikation
möglich.
4. Anders als E. coli nutzt die Hefe für die Initiation Untereinheiten einer
DNA-Polymerase (Polymerase α) mit Primasefunktion. Sie bauen einen
RNA-Primer aus acht bis zehn Nucleotiden auf.
5. Der ORC bleibt auch nach der Initiation und im weiteren Verlauf an den
Replikationsursprung der DNA gebunden (Post-Replikationskomplex).

Zwar unterscheiden sich die Sequenzen der Replikationsursprünge bei Eukaryoten


deutlich, vom Mechanismus her betrachtet man die Hefe aber als Modell auch für
den Menschen.

3.4 Elongation der Replikation

Die Elongation ist die Synthesephase der DNA-Replikation. Eine Polymerase ver-
arbeitet Desoxynucleosidtriphosphate, indem sie an das freie 3′-OH-Ende des be-
reits eingebauten Nucleotids das 5′-Phosphatende eines neuen hängt. Dabei spaltet
sie zwei Phosphatreste von dem neuen Nucleosidtriphosphat ab und knüpft eine
Phosphodiesterbindung.
Sowohl Pro- als auch Eukaryoten verfügen über mehrere DNA-Polymerasen.
Eine ist jeweils das Hauptenzym während der Replikation, sie heißt dann Repli-
kase. Weitere Polymerasen beteiligen sich an der Reparatur von DNA-Schäden,
entfernen den RNA-Primer mittels einer 5′–3′-Exonucleaseaktivität oder replizie-
ren bei Eukaryoten die Mitochondrien-DNA.
Die Hauptenzyme bei Bakterien und Eukaryoten besitzen eine 3′-5′-Exo-
nucleaseaktivität. Diese dient zur Korrektur und wird als proof-reading oder
Korrekturlesefunktion bezeichnet. Hat eine Polymerase ein falsches Nucleotid an
das 3′-Ende gehängt, erkennt sie, dass die Basenpaarung ausbleibt, und entfernt
das Nucleotid wieder.
Damit wird klar, warum die Synthese nur in eine Richtung möglich ist: Würde
die Polymerase jeweils ein neues Nucleotid an das 5′-Phosphatende heften, wo sich
drei Phosphatreste und somit die Energie für die Verknüpfung befinden, so würde
die Exonuclease mit dem (falschen) Nucleotid auch die Energiebereitstellung für
die Verknüpfung entfernen. Für den Einbau des richtigen Nucleotids stünden
keine energiereichen Bindungen mehr zur Verfügung und die Synthese müsste
stoppen.
58 Kapitel 3 · DNA-Replikation

3.4.1 Elongation bei Bakterien

Die Replikase bei E. coli ist die DNA-Polymerase III. Neben der Polymerasefunk-
tion zeigt sie die 3′-5′-Exonucleaseaktivität für das Korrekturlesen. Sie besteht aus
mehreren Untereinheiten, im Kern aus den Untereinheiten α (alpha, Polymerase-
funktion), ε (epsilon, Exonuclease), θ (theta, verbindet DNA-Polymerase-III-­
3 Dimere) und τ (tau, verbindet die Dimere der DNA-Polymerase). Zwei Unterein-
heiten β (beta) bilden je eine von zwei Gleitklammern, mit deren Hilfe die Polyme-
rase auf der DNA entlanggleitet, γ (gamma) ist eine Untereinheit für den
Klammerlader, der die Gleitklammer auf der DNA positioniert.
Die Polymerase I (auch Kornberg-Enzym genannt) wirkt an der Replikation
und an der Reparatur mit. Sie verfügt über alle drei Enzymfunktionen: 5′-3′-Exo-
nucleasefunktion, um die RNA-Primer zu entfernen, Polymerasefunktion, um die
Lücken wieder aufzufüllen, und 3′-5′-Exonucleaseaktivität. Da sie langsamer
arbeitet als die Pol III, kommt sie für die Zelle als Hauptenzym nicht infrage.
Nach Ersetzen der RNA-Primer durch DNA-Nucleotide verknüpft die
DNA-Ligase die Nucleotide mit einer Phosphodiesterbindung.
Am Ende eines Okazaki-Fragments dissoziiert der Polymerase-Komplex und
reassoziiert von neuem mit einem Primer, um das nächste Fragment zu bilden.
Die Polymerasen II, IV und V sind an der DNA-Reparatur beteiligt.

3.4.2 Elongation bei Archaeen

Die Proteine von Archaeen sind verwandt mit denen von Eukaryoten und nach
ihnen benannt worden. Auch Archaeen verfügen über mehrere DNA-Polymerasen.
55 Das Trimer PCNA bildet die ringförmige Gleitklammer, um dem Polymerase-
dimer Halt an der DNA zu geben. Es hat seinen Namen von seinem eukaryoti-
schen Vorbild erhalten: proliferating cell nuclear antigen.
55 PCNA muss stets neu aufgebaut und aufgeladen werden, daran wirkt das Hilfs-
protein RF-C mit, replication factor C, der Klammerlader. Das Zusammenspiel
ähnelt den Untereinheiten β und γ der Polymerase III von E. coli.
55 Auch hier beendet eine DNA-Ligase die Elongation.

3.4.3 Elongation bei Eukaryoten

Die Zahl der bei Eukaryoten bekannten Polymerasen ist mittlerweile zweistellig.
Zur Unterscheidung hat man sie mit griechischen Buchstaben versehen. Dabei
muss man aufpassen, um sie nicht mit den Untereinheiten der Polymerase III von
E. coli zu verwechseln. Auch hier kann man manchen Enzymen noch eine 3´-5´-Exo-
nucleaseaktivität oder eine Exonucleaseaktivität in 5´-3´-Richtung zuweisen.
Die wichtigsten DNA-Polymerasen sind:
3.4 · Elongation der Replikation
59 3

DNA-Polymerase
Einzelstrang-
3’
bindendes Protein
Helicase 5’
3’
Klammer (PCNA)

Klammerlader (RFC)
5’
Primase
RNA-Primer Laufrichtung der Replikationsgabel

..      Abb. 3.4 DNA-Elongation am Vorwärts- und Rückwärtsstrang bei Eukaryoten

55 Die DNA-Polymerase α vermittelt zwischen der Initiation und Elongation, weil


sie eine Primase- und Polymeraseaktivität besitzt. Der Primer besteht erst aus
RNA, dann aus DNA.
55 Die Replikase für den Folgestrang ist die DNA-Polymerase δ (delta). Sie kann
auch Korrekturlesen. (. Abb. 3.4).
55 Die Replikase für den Leitstrang ist die DNA-Polymerase ε (epsilon).
55 Für unterschiedliche Reparaturmechanismen nutzt die Zelle jeweils spezifische
Polymerasen. Die Funktion der Polymerase β ist beispielsweise die Basen-
exzisionsreparatur.
55 Die Polymerase γ arbeitet in Plastiden und Mitochondrien.

Die RNA-DNA-Primer werden in zwei Schritten entfernt. Erst setzt die RNaseH
einen Schnitt in dem Strang, dann entfernt die flap-Endonuclease FEN1 (auch
MF1 genannt) die RNA.
Von den Archaeen bekannt ist die Gleitklammer, das PCNA-Trimer, und ihr
Helfer, der Klammerlader RF-C. Dieser hält und sichert auch bei Eukaryoten die
Polymerase an der DNA und erhöht ihre Leistung, die Prozessivität.
Die DNA-Ligase verbindet die Okazaki-Fragmente, sie beteiligt sich außerdem
an Reparaturvorgängen (Nucleotidexzisionsreparatur und Basenexzisions-
reparatur, 7 Kap. 11, DNA-Reparatur).
Mutationen in den Genen für die Polymerasen sind oft die Ursache für schwer-
wiegende Syndrome. Beispiel: Mutationen in den zwei Allelen des LIG1-Gens des
Menschen führen zur DNA-Ligase-I-Defizienz. Patienten zeigen verzögertes
Wachstum, Immunschwäche und sind empfindlicher gegenüber Sonnenlicht.
Bestimmte Sequenzmotive (siehe . Abb. 3.5) erlauben, dass die DNA an die-
sen Stellen ungewöhnliche Strukturen ausbildet. Hier kommt es erst zum Stopp der
Replikation, dann, mit Hilfe von speziellen Enzymen, zur Fortsetzung. Die Aus-
hilfsenzyme gewährleisten allerdings nicht die gleiche Kopiergenauigkeit, sondern
bauen Fehler ein.
60 Kapitel 3 · DNA-Replikation

G-Quadruplex
Eingriff einer
Helikase

Stopp der Transläsions-


DNA- Polymerase RPA
Polymerase Triplex-DNA B-DNA Z-DNA
Neustart
3 R-Loop Slippage-Loop
Addition
Deletion

Kreuz

Haarnadel

..      Abb. 3.5 Ungewöhnliche Konformationen der DNA in kurzen Abschnitten führen zur Unter-
brechung der Replikation. Verschiedene Faktoren erreichen, dass der Replikationsapparat wieder
neu startet (Repriming). An der Wiederaufnahme beteiligt sind spezialisierte Helikasen, Transläsions-­
DNA-­Polymerasen und spezialisierte Primasen, die für die Repriming-Synthese stromabwärts der
Barriere verantwortlich sind (wie die Primase-Polymerase). RPA, Replikationsprotein A, ein R-Loop
bildet sich durch die Anlagerung einer RNA an die DNA, am Slippage-Loop kommt es zum Slippage,
d. h. die Polymerase verrutscht und überspringt oder wiederholt Basen. (Nach Técher 2017; mit
freundlicher Genehmigung von Springer Nature)

3.5 Termination der Replikation

3.5.1 Termination bei Bakterien

Die Replikation bei E. coli endet am Terminator oder Terminus, gegenüber vom
oriC.
Die ter-Sequenz enthält mehrfach ein Bindungsmotiv, an das sich das Protein
Tus (terminus utilizing substance) bindet. Tus stoppt die DnaB-Helikase. Es ist eher
einem Ventil vergleichbar, weil es eine Orientierung zeigt und die Passage der Heli-
kase in die eine Richtung erlaubt, nicht jedoch in die entgegengesetzte Richtung.
Die Tus-Moleküle liegen in umgekehrter Orientierung zueinander auf der DNA,
sodass die DnaB-Helikase aus der einen Richtung ein Tus-Protein noch überfahren
kann, dann von einem anderen in umgekehrter Orientierung aber gestoppt wird.
Die Proteine des Replisoms lösen sich von der DNA.
Bilden die DNA-Moleküle nun zwei ineinander verschlungene Ringe, öffnen
Topoisomerasen II die DNA und trennen die Ringe. Solche Strukturen aus ver-
knüpften Ringen oder Kettengliedern heißen Catenane.
Für die Replikation des Chromosoms benötigt E. coli etwa 40 min.
3.5 · Termination der Replikation
61 3
3.5.2 Termination bei Eukaryoten, die Telomere

Eine Terminationssequenz und Tus-ähnliche Proteine sind wohl nicht bei allen Eu-
karyoten erforderlich. Auch bei Eukaryoten können Topoisomerasen DNA-­
Moleküle entwirren, die eigentliche Trennung erfolgt in der Mitose allerdings über
einen aufwendigeren Mechanismus.

Problem der Replikation der Chromosomenenden (Telomere)


Da eukaryotische Chromosomen linear sind, folgen daraus zwei Probleme: (1) Sie
könnten als beschädigte, fehlerhafte freie Enden gedeutet werden. (2) Sie müssten
nach jeder Replikationsrunde ein Stück kürzer werden, weil der Folgestrang nicht
vollständig wäre. Zwei mögliche Situationen bereiten bei diesem zweiten Punkt das
Problem:
55 Am 3′-Ende des Rückwärtsstrangs wird kein Primer angesetzt, und das letzte
Okazaki-Fragment wird nicht gebildet. Das passiert, wenn der Abstand zum
vorletzten Fragment weniger als 200 bp beträgt. Ein neues Okazaki-Fragment
wird jedoch erst nach 200 bp wieder initiiert. Also wird das letzte Stück zum
Ende hin nicht repliziert, und die Zelle verliert es in der nächsten Replikation.
55 Am 3′-Ende des Rückwärtsstrangs sitzt ein RNA-Primer. Wird er entfernt,
kann die Lücke nicht geschlossen werden, weil die DNA-Polymerase keine
DNA-Nucleotide als Anschlusspunkt vorfindet.

Diese Probleme haben alle linearen DNA-Moleküle. Zellen oder Phagen/Viren


haben dafür unterschiedliche Lösungen entwickelt: (1) Das Erbgut ist zirkulär. (2)
Die Enden besitzen kovalent gebundene Peptide, die das Erbgut schützen und als
Primer dienen. (3) Die Nucleinsäure bildet Sekundärstrukturen aus wie Haar-
nadeln.
Die Lösung von eukaryotischen Zellen: Sie replizieren die Telomere separat.
Wie die Centromere zeichnen sich die Enden durch besondere Sequenzmerkmale
aus. Bei Ciliaten, Pflanzen und Tieren findet man mehrere Hundert Wieder-
holungen eines kurzen Motivs hintereinander. Typisch dafür ist der hohe
(G + T)-Anteil. Der G-Anteil kann G-Quadruplex-Strukturen ausbilden, die den
Telomeren Schutz vor Abbau bieten könnten. Bei dem Ciliaten Tetrahymena ist das
charakteristische Motiv 5′TTGGGG3′, beim Menschen 5′TTAGGG3′. Protozoen
wie die Ciliaten sind beliebte Modellorganismen, weil sie zu bestimmten Ent-
wicklungsphasen ihre Chromosomen zerkleinern und alle Teilstücke mit Telome-
ren ausstatten.
In Zellen von Säugern und anderen Eukaryoten bauen sechs Proteine einen
Schutzkomplex auf: Shelterin. Der Komplex umgibt die überhängenden Enden der
Telomere. Er verhindert, dass die Zelle die freien Enden als Schadstellen identi-
fiziert und bearbeitet.
Für die eigentliche Replikation steht ein besonderes Enzym, die Telomerase,
zur Verfügung (. Abb. 3.6)
62 Kapitel 3 · DNA-Replikation

5’
a
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C – 5' AA C C C CAA C

3
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG – 3'

5’
b
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C AA C C C C AA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG T T G

5’
c

3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C AA C C C C AA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG T T G

5’
d
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C AA C C C C AA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG T T G GG GT TG

..      Abb. 3.6 Replikation der Telomere durch die Telomerase

Replikation der Telomere


Die Telomerase ist eine Reverse Transkriptase. Sie stellt also nach einer RNA-­
Matrize einen komplementären DNA-Abschnitt her. Die Telomerase ist ein Ribo-
nucleoprotein, das aus RNA und Protein besteht.
Die notwendige RNA ist Bestandteil des Enzyms. Das RNA-Stück ist beim
Menschen 450 Nucleotide lang. Charakteristisch ist der hohe (C + A)-Anteil. Die
RNA bindet sich an das komplementäre Telomermerkmal der DNA mit der Se-
quenz 5′TTAGGG3′, ragt aber über dessen Ende hinaus. Dieses überhängende
RNA-Ende dient als Matrize. Die Telomerase verlängert nun anhand dieser Mat-
rize die DNA-Sequenz am 3′-Ende. Das reicht aus, um der DNA-Polymerase die
Synthese eines weiteren Okazaki-Fragments zu erlauben.
3.6 · Replikation ohne Zellteilung
63 3
Kontrolle des Prozesses
Entscheidend ist das Protein TRF1. Es baut eine negative Rückkopplungsschleife
auf.
55 Sind die Telomere lang genug, binden sich TRF1-Proteine daran und führen zu
einer Faltung der DNA (der T-Schleife), sodass sie für die Telomerase nicht zu-
gänglich ist.
55 Verkürzen sich die Telomere allerdings, binden sich zu wenige TRF1-Moleküle
daran, die Faltung kommt nicht zustande, und die Telomerase bindet sich an
die DNA.

Telomere, Altern und Krebs


Die Telomerase ist bei Säugern nur in der frühen Embryonalphase aktiv, also in em-
bryonalen Stammzellen, nach der Geburt jedoch nur in Reproduktionszellen, pro-
liferierenden Lymphocyten und Stammzellen des Knochenmarks.
Danach werden die Telomere bei den Replikationen kürzer, und man kann an ihrer
Länge das Alter eines Organismus ablesen. Als schottische Wissenschaftler zum ers-
ten Mal ein Tier klonten (das Schaf Dolly) und dafür einen Zellkern aus einer adul-
ten Zelle in eine Eizelle einsetzten, kam das Tier in genetischer Hinsicht schon alt auf
die Welt, weil die Telomere der übertragenen Kern-DNA verkürzt waren.
Sind die Telomere zu kurz, lebt eine Zelle zwar weiter, kann sich jedoch nicht
mehr teilen. Das bedeutet das Ende der Zelllinie. Damit dürften die Telomere mit
der Alterung der Zellen in Verbindung stehen. In mehreren menschlichen Krank-
heitsbildern, die sich durch vorzeitiges Altern (Progerie) auszeichnen, hat man tat-
sächlich Defekte in der Erhaltung der Telomere gefunden. Man fasst die Krank-
heitsbilder daher zu Telomeropathien zusammen.
Manche Wissenschaftler nehmen an, dass sich an die verkürzten Telomere
keine Proteine mehr als Schutzkappen heften können. Fehlt jedoch diese Protein-
kappe, können Reparaturenzyme die Enden falsch verknüpfen, und der Zellzyklus
ist unterbrochen.
Krebszellen hingegen altern nicht. 85 bis 90 % der menschlichen Krebsformen
reaktivieren die Telomerase wieder. Eine alternative Verlängerung der Telomere
(ALT, alternative lengthening of telomeres) erfolgt mittels homologer Re-
kombination und Crossing over. Sie ist seltener und nur in 10 bis 15 % der Krebs-
formen zu finden.

3.6 Replikation ohne Zellteilung

Auf die Replikation der DNA folgt manchmal keine Kern- und Zellteilung. Diesen
Fall nennt man Endomitose. Sie führt zur Vermehrung der Chromosomenzahl in
der Zelle.
Man kann mehrere Typen unterscheiden:
55 Bei der Polytänie bleiben die replizierten Chromatiden in Kontakt zueinander.
Sie bilden dann Polytänchromosomen. Man findet sie beispielsweise in Suspen-
sorzellen von Samenpflanzen. Sehr gut untersucht sind die hochpolytänen
Speicheldrüsenchromosomen von Drosophila und einigen Zuckmücken.
64 Kapitel 3 · DNA-Replikation

55 In polyploiden Zellkernen trennen sich die Chromatiden voneinander und es


kommt zur Vervielfältigung des Chromosomensatzes. Beispiel: die Spinndrüsen
des Seidenspinners. Die Autopolyploidie bei Kulturpflanzen zählt man nicht
dazu.
55 Findet zwar eine Kernteilung statt, aber keine Zellteilung, liegen anschließend
mehrere Zellkerne in der Zelle vor. Diese polyenergiden Zellen findet man zum
3 Beispiel in Leberzellen. Syncytien gehören nicht dazu. Sie sind durch Ver-
schmelzung von Zellen entstanden.

3.7 Kontrolle der Replikation

Bei der Replikation kontrolliert die Zelle


55 die einmalige Synthese, damit das Erbgut nicht vervielfacht wird,
55 die Verteilung der DNA, damit jede Tochterzelle einmal das komplette Erbgut
erhält.

Am Beginn der Replikation liegt ein point of no return. Einmal in Gang gebracht,
stoppt die Replikation jetzt nicht mehr.
Eukaryoten koppeln die Replikation an die Kern- und Zellteilung. Die eukaryo-
tische Zelle hat Kontrollstellen eingebaut, welche die Zelle passieren muss, um im
Zellzyklus voranzuschreiten.
Die Zelle stellt nicht nur sicher, dass nur eine Replikation pro Zellzyklus erfolgt.
Falls die DNA zu viele Schäden aufweist oder eine Replikation nicht möglich ist,
schaltet sich das Selbstmordprogramm der Zelle ein. Die Apoptose, der program-
mierte Zelltod, läuft ab. Die Apoptose verhindert, dass sich schadhafte, defekte
Zellen ansammeln. Wie gefährlich die unkontrollierte Zellteilung ist, sieht man an
Tumorzellen.

3.7.1 Kontrolle bei Bakterien

Die Aussagen beziehen sich wieder auf E. coli.


Die Kontrolle muss während der Initiation erfolgen. Nach der Initiation kann
das Bakterium die Replikation nicht mehr stoppen.
Es gibt zwei Kontrollmechanismen:
55 Da DnaA der licensing factor und das einzige Initiationsprotein ist, muss die
erste Kontrolle über DnaA geschehen. Das aktive DnaA-Protein (DnaA mit ge-
bundenem ATP) bindet sich an DnaA-Boxen und leitet die Initiation ein. Diese
Boxen liegen auch im Promotor des dnaA-Gens. Das Protein kann sich folglich
an den eigenen Promotor heften und damit seine eigene Transkription hem-
men. Über diese Rückkopplung reguliert es sich selbst (Autoregulation).
55 Um zu unterscheiden, ob die Replikation vom oriC schon erfolgt ist oder nicht,
überprüft die Zelle den Methylierungsgrad der Adenine in der Sequenz
GATC. In der alten DNA sind beide Adenine methyliert. In frisch replizierter
3.7 · Kontrolle der Replikation
65 3
DNA hat die Dam-Methylase das Adenin im neuen Strang aber noch nicht me-
thyliert. Die DNA liegt hemimethyliert vor. In dieser Form heftet sich das Pro-
tein SeqA an die DNA und befestigt sie an der Zellmembran. So lange ist der
Zutritt von DnaA zu den Boxen nicht möglich. Erst im vollmethylierten Zu-
stand löst sich SeqA und erlaubt letztlich DnaA den Zugang.

Für schnelle Zellteilungen beginnt E. coli eine neue Replikationsrunde, bevor es die
alte abgeschlossen hat.

3.7.2 Kontrolle bei Eukaryoten

Die Replikation ist eine von vier Phasen, die eine sich teilende Zelle immer wieder
durchläuft. Hintereinander ergeben sie den Zellzyklus.
55 In der Mitose oder M-Phase teilen sich der Zellkern und die Zelle.
55 G1-, S- und G2-Phase fasst man zur Interphase zusammen.
–– Die G1-Phase (G von gap, eine Zwischenphase) ist die genetisch aktive Phase.
In ihr finden Transkription und Translation sowie andere Aktivität statt. Die
Zelle wächst in dieser Zeit.
–– In der Synthese- oder S-Phase läuft die DNA-Replikation ab.
–– Daran schließt sich die G2-Phase an als zweite Zwischenphase, die die Mi-
tose vorbereitet.
55 Ausdifferenzierte Zellen gehen oft von der Mitose aus in die G0-Phase über. Sie
ähnelt der G1-Phase, es folgt danach aber keine S-Phase mehr.

Von den vier Übergängen sind drei so kritisch, dass die Zelle zuvor Kontrollstellen
oder checkpoints eingerichtet hat. Es handelt sich um die Übergänge
55 von der G1-Phase in die S-Phase,
55 von der G2-Phase in die M-Phase sowie
55 die Kontrolle der Spindeln während der Mitose.
55 Kontrolliert wird beispielsweise
–– ob die DNA frei von Schäden ist,
–– ob die Versorgung mit Nährstoffen ausreichend ist (beim Übergang von G1
zu S) und
–– ob die Replikation und Reparatur der DNA abgeschlossen sind (beim Über-
gang von G2 zu M).

Verschiedene Strukturmerkmale der DNA können die Replikation aufhalten. Zu


diesen Merkmalen gehören: Z-Konformation der DNA, verschiedene, einzelne
oder doppelte Schlaufen, Haarnadelstrukturen, Triplex- oder G-Quadruplex-­
Abschnitte, die zahlreichen repetitiven Elemente im Genom, Kollisionen mit der
Transkription (siehe . Abb. 3.5). Auf dem Weg des Replisoms bilden diese Struk-
turen, bildhaft gesprochen, Schlaglöcher und Stolpersteine. Die Replikation
stoppt.
66 Kapitel 3 · DNA-Replikation

Spezielle Helikasen und Polymerasen springen als „Erste-Hilfe“-Enzyme ein.


Zwar beheben sie das Problem und die Replikation läuft weiter. Allerdings ge-
schieht dieser Eingriff auf Kosten der Genauigkeit. Es entstehen dabei gravierende
Schäden bzw. Mutationen (siehe dazu: Reparatur von Doppelstrangbrüchen).
Der Zellzyklus schreitet nur voran, wenn die Bedingungen für den Wechsel gut
erscheinen. Der bevorzugte Modellorganismus für die Studien zur Kontrolle des
3 Zellzyklus ist die Hefe.
Zu den Schlüsselfaktoren der Kontrolle gehören generell Proteinkinasen und
Proteasen (diese Enzyme sind immer wieder bei der Kontrolle von Vorgängen im
Spiel) und Zellzyklusgene cdc (cell division cycle) mit ihren Proteinen (siehe Initia-
tion der Replikation: Cdc6). Im Einzelnen müssen mehrere Elemente miteinander
reagieren:
55 cyclinabhängige Kinasen CDK (. Abb. 3.7, cyclin-dependent kinases). Kinasen
sind generell Enzyme, die an Aminosäurereste anderer Proteine Phosphat-
gruppen hängen und die Aktivität dieser Proteine dadurch ändern. Ein CDK-­
Molekül ist erst einmal inaktiv, solange es allein vorliegt. Für die Aktivierung
ist notwendig, dass sich ein Cyclin an eine CDK anlagert.
55 Cycline sind Proteine, deren Konzentration sich im Zellzyklus ändert. Für die
Hefe unterscheidet man vier Cycline, Cyclin A, B, D und E, die an der Regula-
tion der einzelnen Phasen beteiligt sind.
55 Da die Konzentration der Kinasen im Zellzyklus gleich bleibt, verlagert sich die
Kontrolle auf die Ebene der Cyclinkonzentration.

M i t o se
Cyclin
e
as

G1
G2-Ph

-Ph a se

Cyclinabhängige
Kinase

Mitose-Promoting-
S-Ph Faktor
a se

..      Abb. 3.7 Cyclinabhängige Kinasen kontrollieren mithilfe ihrer Bindungspartner den Zellzyklus
3.7 · Kontrolle der Replikation
67 3
55 Weitere Komponenten, die den Cyclin-CDK-Komplex regulieren. Die CAKs,
CDK-aktivierende Kinasen, aktivieren den Komplex, die CKIs, Cyclin-­
abhängige Kinase-Inhibitoren, hemmen ihn. Beispiele für CKIs sind die Pro-
teine p21 und p27. Diese Proteine sind wichtig, weil sie die Regulation der Cyc-
lin-CDK-Komplexe beim Menschen verknüpfen (1) mit der Überprüfung des
DNA-Zustands und (2) den Tumorsuppressorgenen TP53 und RB1 (siehe
7 Abschn. 12.4.3).
55 Cyclin und CDK bilden einen Proteinkomplex, den Mitose-Promoting-Faktor.
Er leitet die Mitose ein.
55 Wenn die Zelle jedoch Schäden in der DNA ermittelt, stoppt sie die Vor-
bereitungen. Dazu aktiviert sie p53. Das Protein p53 schaltet mehrere Gene an,
deren Produkte dann die Cyclin/CDK-Komplexe hemmen und in-
aktivieren. Über das Protein p53 erfolgt die Verknüpfung mit dem Selbstmord-
programm.

Die Kontrollstelle G1-S liegt unmittelbar vor der Initiation der Replikation. Bei der
Hefe heißt der Punkt START-Punkt, bei Säugern Restriktionspunkt.
Die Kontrolle der Aktivierung eines Replikationsursprungs teilt die Initiation in
zwei Phasen und verknüpft sie mit der G1-Phase. Für die Hefe beschreibt man den
Ablauf folgendermaßen (. Abb. 3.8):
1. Beladung der DNA mit MCM-Helikasen: In der G1-Phase ist die Aktivität der
CDK gering. Dadurch kann ein Helikase-Beladungs-Komplex die Replikations-
ursprünge mit je zwei MCM-Helikasen beladen. Alle Ursprünge werden nur
einmal beladen. Die Helikasen sind noch inaktiv, die Beladungsproteine lösen
sich wieder (. Abb. 3.8a).
2. Aktivierung der Helikasen: Im zweiten Schritt steigt zunächst die Aktivität der
CDK vor der S-Phase an. Während der G1-Phase hatte sich zudem eine weitere
Kinase, die DDK (Dbf4-dependent kinase, Dbf4-abhängige Kinase) an-
gesammelt.

CDK und DDK phosphorylieren mehrere Substrate und bewirken damit, dass (1)
keine weiteren MCM-Helikasen auf die DNA geladen werden, dass andererseits
(2) die Proteine Cdc45 und GINS (go-ichi-ni-san) sich an die Helikasen binden.
Das Gebilde aus Cdc45, MCM und GINS heißt jetzt CMG-Helikase-Komplex
(. Abb. 3.8b).
Nach Eintritt des Proteins Mcm10 (für das Entwinden der DNA, . Abb. 3.8c)
und der α-Polymerase (Primase, . Abb. 3.8d) nimmt er seine Arbeit auf.
68 Kapitel 3 · DNA-Replikation

a b
Inaktive
MCM-Helikase Cdc45
DDK + CDK

Helikase-
3 beladungs-
Beladungs-
faktoren
Aktive GINS
komplex CMG-Helikase
G1 S
G1-Phase, CDK CDK DDK

c d
Mcm10 DNA-Polymerase
-Primase

..      Abb. 3.8 Initiation der DNA-Replikation bei der Hefe. (Nach Weinreich 2015; mit freundlicher
Genehmigung der Nature Publishing Group)

3.8 Phagen und Viren

Die Replikation bei Bakteriophagen und Viren liefert nicht eine, sondern bis zu
hundert neue DNA-Kopien, weil daraus entsprechend viele neue Phagen/Viren ent-
stehen.
Die Variationen im Ablauf hängen von der Genomstruktur ab:
55 Besteht das Genom aus DNA oder RNA?
55 Liegt es einzelsträngig (ss) oder doppelsträngig (ds) vor?
55 Bildet die ssRNA den sogenannten Plus- oder Minusstrang? Ein Plusstrang
kann als mRNA dienen, die direkt translatiert wird.

Sowohl einige DNA-Viren als auch RNA-Viren, die Retroviren, benötigen für die
Replikation ein RNA- oder DNA-Zwischenprodukt.

3.8.1 Replikation von ds-DNA-Viren

Die Synthese bei Viren mit linearer ds-DNA ähnelt der Replikation linearer
Chromosomen ohne Telomerasen: Nach dem Abbau der Primer liegen über-
hängende 3′-Enden vor. Komplementäre Enden lagern sich aneinander und er-
möglichen das Auffüllen mithilfe der Polymerase.
Adenoviren nutzen als Primer Proteine, die an die Enden gebunden sind. Sie tra-
gen eine freie OH-Gruppe, an die sich die Nucleotide heften.
3.8 · Phagen und Viren
69 3

3'
5'
5'

5'

..      Abb. 3.9 Replikation über den rolling-circle-Mechanismus

Das Genom von Viren mit zirkulärer ds-DNA wie λ repliziert die Wirtszelle
nach dem rolling-circle-Mechanismus (. Abb. 3.9), der an ein Fließband erinnert
und von der Replikationsgabel abweicht.
1. Nach einem Einzelstrangbruch in dem „äußeren“ Strang der Ring-DNA kann
das 3′-Ende unmittelbar verlängert werden.
2. Es verdrängt dabei das 5′-Ende und läuft ununterbrochen im Kreis um den „in-
neren“ Strang herum.
3. An dem immer länger werdenden, freien 5′-Ende entstehen dann Okazaki-­
Fragmente.
4. Die neu synthetisierten DNA-Kopien hängen also hintereinander. Man nennt
sie concatemere DNA. Das Enzym Terminase trennt sie in Einzel-Virengenome
und befördert sie in die Hülle der λ-Phagen.

Auch Plasmide als ringförmige ds-DNA replizieren nach dem rolling-circle-­


Mechanismus. Das Gen für das Initiationsprotein liegt auf dem Plasmid. Gen-
produkte des Plasmids kontrollieren auch seine Kopienzahl. Liegt ein Plasmid ein-
mal pro Zelle vor, wird seine Replikation anders kontrolliert als bei höherer Kopien-
zahl.

3.8.2  eplikation von ds-RNA-Viren


R
und Minusstrang-ss-RNA-Viren

Viren mit dsRNA wie Reoviren besitzen eine RNA-abhängige RNA-Polymerase.


Das Virus bringt diese mit in die Wirtszelle. Das Enzym verwendet zunächst nur
den Minusstrang als Matrize, um mehrere Plusstränge zu synthetisieren. Damit
liegt eine Art von konservativem Replikationsmechanismus vor.
Auch ss(-)RNA-Viren benötigen eine RNA-abhängige RNA-Polymerase.

3.8.3 Retroviren (Plusstrang-ss-RNA)

Retroviren wie HIV sind RNA-Viren mit ssRNA, die als Plusstrang vorliegt. Der
Plusstrang wird jedoch nicht direkt als mRNA translatiert, sondern mithilfe des
Enzyms Reverse Transkriptase (RT) in DNA umgeschrieben. Nach der Ergänzung
des komplementären DNA-Strangs schleust sich die ds-DNA in das Wirtsgenom
ein und liegt als Provirus vor (siehe 7 Kap. 10).
70 Kapitel 3 · DNA-Replikation

3.8.4 Replikation von Viren mit partiell doppelsträngiger DNA

Auch manche dsDNA-Viren enthalten RT. Es sind dies die mit den Retroviren ver-
wandten Hepadnaviren wie das Hepatitis B Virus. Neben dem Besitz der Reversen
Transkriptase zeigen sie eine zweite Auffälligkeit: Ihre DNA ist nicht durchgängig
doppelsträngig. Abschnittsweise liegt sie einzelsträngig vor. Nach einer Infektion
3 erfolgt als Erstes der Lückenschluss über ein RNA-Zwischenprodukt. Die RT syn-
thetisiert an der RNA einen DNA-Strang. Anders als Retroviren integrieren sich
Hepadnaviren jedoch nicht in das Kerngenom.

3.9 Replikation des Mitochondrien- und Plastidengenoms

Das Genom von Mitochondrien und Plastiden ist meist zirkulär. Die verantwort-
liche Polymerase γ ist mit der Polymerase I von Prokaryoten verwandt. Allerdings
wird sie vom Kern codiert.
Die Kontrolle der Replikation erfolgt zwar vom Kern aus, aber sie ist nicht an
die Replikation der Kern-DNA gekoppelt.
Die Replikation der zirkulären Säuger-mtDNA verläuft nach der gängigen Vor-
stellung nach dem Verdrängungsmechanismus, also nicht über die Replikations-
gabel. Man spricht auch von der Verdrängungsreplikation. Die Replikation ist
asymmetrisch.
Ausgangspunkt dafür ist ein Abschnitt, in dem die mtDNA dreisträngig vor-
liegt und eine sogenannte D-Schleife bildet: Während sich in dem Mitochondrien-
genom fast durchgehend der äußere Heavy- oder H-Strang und der innere Light-
oder L-Strang komplementär aneinander lagern, bindet sich an einer Stelle ein
RNA-Primer an den H-Strang. Dieser Abschnitt ist der oriH.
Am oriH binden sich auch zwei mitochondriale Transkriptionsfaktoren, TFAM
und TFB2M. Sie dienen der DNA-Verpackung und der Kontrolle von Replikation
und Transkription. Am oriH hat eine RNA-Polymerse, POLRMT, einen RNA-­
Primer synthetisiert (dunkelblau in . Abb. 3.10), er ist an den L-Strang gebunden.

3.9.1 Der Ablauf

1. Die Bindung des Primers drängt die zwei Stränge auseinander, sodass der
H-Strang von seinem komplementären Gegenstrang gelöst ist. Daher stammt
die Bezeichnung Verdrängungsreplikation oder -mechanismus und D-Schleife
von displacement-loop (. Abb. 3.10).
2. Die Helikase TWNK trennt die zwei Stränge, die Polymerase γ verlängert den
Primer und stellt einen neuen DNA-Strang her (hellblau).
3. Der H-Strang wird immer weiter verdrängt. Die einzelstrangbindenden Pro-
teine der Mitochondrien, SSBP1, heften sich an den verdrängten Strang und
stabilisieren ihn.
3.9 · Replikation des Mitochondrien- und Plastidengenoms
71 3
..      Abb. 3.10 Asymmetrische Replikation der DNA
Replikation in Mitochondrien
TFB2M
über eine D-Schleife, weitere TFAM
POLRMT
Erläuterungen im Text. (Nach
Rackham und Filipovska
2022; mit freundlicher Ge- OH
nehmigung von Springer
­Nature)

SSBP1

POLγ
TWNK

SSBP1

OL POLγ
72 Kapitel 3 · DNA-Replikation

4. Erst nach etwa zwei Dritteln der Replikationsrunde liegt auch der oriL des
L-Strangs frei. Er bildet eine Haarnadel aus, um die Anlagerung der SSBP1 zu
verhindern. Die POLRMT synthetisiert wieder einen Primer.
5. Die Polymerase verlängert diesen Primer, sodass sie den zweiten Strang her-
stellt.

3 In einigen Chloroplasten sieht man auch zwei Verdrängungsschleifen. Auch hier


läuft die Replikation asymmetrisch (. Abb. 3.10).
73 4

Transkription
Inhaltsverzeichnis

4.1 Worum geht es? – 75


4.2 Überblick und Grundbegriffe – 75
4.2.1  NA-Moleküle – 76
R
4.2.2 Veränderungen an den RNA-Molekülen – 77

4.3  unktionell gleiche Elemente und Strukturen


F
bei Bakterien, Archaeen und Eukaryoten – 78
4.3.1  NA-Polymerase – 78
R
4.3.2 Regulierende DNA-Elemente (cis-Elemente) – 78
4.3.3 Regulierende Proteine (trans-Faktoren) – 79

4.4 Prinzip der Transkriptionsinitiation – 81

4.5 Initiation bei E. coli – 83


4.5.1  ufbau der RNA-Polymerase – 83
A
4.5.2 Aufbau der Promotoren – 83

4.6 Initiation bei Archaeen und Eukaryoten – 85


4.6.1  NA-Polymerase und Promotoren von Archaeen – 85
R
4.6.2 Eukaryotische RNA-Polymerasen und ihre Promotoren – 85
4.6.3 Aufbau des Präinitiationskomplexes für die Pol II – 89

4.7 Elongation – 91
4.7.1 Elongation bei E. coli – 91
4.7.2 Elongation bei Archaeen und Eukaryoten – 92

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_4
4.8 Termination – 92
4.8.1 T ermination bei Bakterien – 92
4.8.2 Termination bei Archaeen und Eukaryoten – 94

4.9 Prozessierung von Transkripten – 94


4.9.1  rozessierung bei Bakterien – 94
P
4.9.2 Prozessierung bei Eukaryoten – 95

4.10 RNA-Editing – 102


4.10.1 Editing bei Trypanosomen – 103

4.11 Abbau von mRNA-Molekülen – 103


4.11.1  bbau von mRNAs in E. coli – 104
A
4.11.2 Abbau von mRNAs in Eukaryoten – 104

4.12 Charakteristika der mitochondrialen Transkription – 106


4.2 · Überblick und Grundbegriffe
75 4
4.1 Worum geht es?

Die DNA ist ein Bauplan, sie speichert die Information für den Bau und die Er-
haltung eines Organismus. Damit die Zelle biochemische Prozesse ausführen kann,
muss sie die Information auslesen und nach diesem Plan RNA-Moleküle und Pro-
teine herstellen. Realisiert wird diese Information durch die Genexpression. Sie
umfasst zwei Schritte: Erstens die Transkription – die Zelle stellt von einem be-
grenzten DNA-Abschnitt eine Abschrift aus komplementärer RNA her. Zweitens
die Translation – die RNA-Sequenz wird in ein Protein übersetzt (s. 7 Kap. 5).
Auch die Transkription ist ein Vorgang, der bei Bakterien, Archaeen und Eukaryo-
ten nach einem Grundschema gleich abläuft, aber jeweils Variationen erfährt. Im
Vergleich zur Replikation sind die Unterscheide zwischen den drei Zelltypen aller-
dings zahlreicher und markanter.

4.2 Überblick und Grundbegriffe

Bei der Transkription liest die Zelle einen definierten DNA-Abschnitt von einem
Startpunkt bis zu einem Endpunkt ab und stellt dabei nach der Nucleotidfolge
eines Strangs eine RNA-Kopie her (. Abb. 4.1).
55 Das Produkt einer Transkription heißt Transkript.
55 Alle RNAs einer Zelle zusammen bilden das charakteristische Transkriptom.
55 Bei Bakterien unterscheidet es sich je nach Umwelt- und Lebensbedingungen
der jeweiligen Art.
55 In Säugerzellen beispielsweise unterscheidet sich das Transkriptom der einzel-
nen Zellen wie Leber- oder Nervenzellen voneinander.

Man unterteilt auch die Transkription in Initiation, Elongation und Termination


(. Abb. 4.1).

Initiation Termination
(Transkriptionsstart) (Transkriptionsende)
Stromaufwärts/+ Stromabwärts/–
+1

DNA
Silencer Enhancer
+ Promotor Elongation
(RNA-Polymerase- (RNA-Synthese)
Bindungsstelle)
UTR UTR
5' 3' RNA-Transkript
ATG (Start) UAG (Stop)
Offenes Leseraster

..      Abb. 4.1 Grundbegriffe zum Verständnis der Transkription. Enhancer und Silencer sind
Regulationselemente, die vor allem bei Eukaryoten wichtig sind
76 Kapitel 4 · Transkription

Da das Transkriptom je nach Zelltyp und Lebensbedingungen charakteristisch


ist, wendet die Zelle mehr Mühe auf für die Initiation und kontrolliert sie sehr dif-
ferenziert.

4.2.1 RNA-Moleküle

Es gibt unterschiedliche Klassen von RNA-Molekülen, die man nach ihrer Funktion
4 einteilt und benennt.
55 Messenger-RNAs (mRNAs) enthalten die Information für die Herstellung von
Proteinen, sie werden nach der Transkription translatiert.
–– Eine mRNA ist dabei länger als der Bereich, der in ein Protein übersetzt
wird. Den Bereich, der das Protein codiert, nennt man offenen Leserahmen
oder offenes Leseraster (ORF, open reading frame).
–– Zwei untranslatierte Abschnitte (UTR, untranslated region) flankieren den
ORF am 5′- und am 3′-Ende. Sie vermitteln oft wichtige Signale, welche die
Zelle als Information auswertet zur Häufigkeit der Translation einer mRNA
und zu ihrer Lebensdauer. In einer typischen mRNA von Bakterien liegen
zwischen den zwei UTRs mehrere ORFs.
–– Die mRNA von Prokaryoten, die hintereinander ORFs mit der Information
für die Translation mehrerer Proteine enthält, nennt man polycistronische
RNA. Der Abschnitt (bis etwa 40 bp) zwischen den ORFs heißt intercistro-
nische Region. ORFs können allerdings auch überlappen, d. h. die letzten
Basen des einen sind schon die ersten des nachfolgenden zweiten ORFs.
–– Bei Eukaryoten kommen demgegenüber fast nur monocistronische RNAs
vor, welche die Information für ein einziges Protein bereithalten.
55 An die Synthese der ribosomalen RNAs (rRNA) und der Transfer-RNAs
(tRNA) schließt sich keine Translation an.
–– Die rRNAs bauen zusammen mit Proteinen die Ribosomen auf, die Orte der
Translation. Ihre Genanzahl schwankt von einigen wenigen in Prokaryoten
bis zu mehreren Hundert in höheren Eukaryoten. Die verschiedenen rRNA-­
Moleküle machen mit einem Anteil von 80 % und mehr den Löwenanteil
aller Transkriptionsprodukte aus.
–– Die tRNAs führen während der Translation die Aminosäuren zum Ribosom.
55 In den vergangenen Jahren haben Genetiker eine zunehmend größer werdende
RNA-Welt nichtcodierender Moleküle zusammengestellt. Diese RNAs regulie-
ren die Genaktivität, helfen mit, die anderen RNAs zu bearbeiten, oder organi-
sieren und strukturieren das Genom.
–– Mikro- oder miRNAs wirken über einen speziellen Mechanismus, die RNA-­
Interferenz (RNAi), an der Regulierung der Genaktivität mit.
–– Small interfering oder siRNAs sind verwandt mit den miRNAs und erfüllen
ähnliche Funktionen.
–– Guide- oder gRNAs dirigieren Prozesse, beispielsweise beim Editing.
–– Small nucleolar oder snoRNAs wirken an der Prozessierung und Modi-
fikation anderer RNAs mit und bilden zusammen mit Proteinen die snoRNP:
small nucleolar ribonucleoprotein particles.
4.2 · Überblick und Grundbegriffe
77 4
–– Small nuclear oder snRNAs wirken beim Spleißen (oder Splicen) mit und bil-
den zusammen mit Proteinen die small nuclear ribonucleoprotein particles.
Diese werden gerne auch als „snurps“ bezeichnet.
–– Long non-coding oder lncRNAs sind lange nichtcodierende RNAs mit Funk-
tionen für die Genregulation. Manche Autoren fassen die kurzen (bis 40 Nu-
cleotide) nichtcodierenden RNAs zur Gruppe der short/small non-­coding
RNAs (sRNA) zusammen und stellen sie der lncRNA gegenüber.

4.2.2 Veränderungen an den RNA-Molekülen

Nach der Termination ist eine RNA noch nicht gebrauchsfertig. Insbesondere bei
Eukaryoten wird ein RNA-Molekül während der Transkription (cotranskriptio-
nal) und danach (posttranskriptional) noch bearbeitet. Dieses Bearbeiten fasst
man unter dem Begriff Prozessieren oder Prozessierung (processing) zusammen
(. Abb. 4.2):
55 Dazu gehören Veränderungen am 5′ und am 3′-Ende.
–– Das 5′-Ende bekommt eine als Cap bezeichnete Kappe,
–– das 3′-Ende einen Poly(A)-Schwanz (poly(A) tail). Das A steht für „Ade-
nin“.
55 Beim Spleißen (Splicing) und auch beim alternativen Spleißen schneiden be-
sondere Komplexe, die Spleißosomen, Introns genannte Abschnitte heraus und
setzen die RNA neu zusammen.
55 Beim alternativen Spleißen werden aus einer RNA-Vorlage unterschiedliche
mRNA-Moleküle für verschiedene Proteine erzeugt.
55 Durch RNA-Editing oder Redigieren werden einzelne Nucleotide in der RNA
verändert.

5' Intron Exon Intron Exon Intron Exon 3'-Präkursor-mRNA


18S 5,8S 28S

18S 5,8S 28S mRNA

18S-rRNA
+ 33 Proteine A P
= 40S-Untereinheit
28S- + 5,8S-rRNA
+ 5S-rRNA
+ 49 Proteine
= 60S-Untereinheit

..      Abb. 4.2 Prozessierung der eukaryotischen rRNA für den Aufbau der Ribosomen. (Nach Busel-
maier und Tariverdian 2007)
78 Kapitel 4 · Transkription

Die eukaryotische proteincodierende RNA ist somit eine direkte Kopie der DNA,
die noch nicht für den Gebrauch fertig ist. Manche Autoren bezeichnen dieses di-
rekte Transkript als heterogene nucleäre RNA (hnRNA).

4.3  unktionell gleiche Elemente und Strukturen bei Bakterien,


F
Archaeen und Eukaryoten
4
4.3.1 RNA-Polymerase

Das entscheidende Enzym ist wie schon bei der Replikation eine Polymerase, die
DNA-abhängige RNA-Polymerase, meist nur RNA-Polymerase genannt. E. coli
besitzt nur eine RNA-Polymerase, eukaryotische Zellen nutzen mehrere für ver-
schiedene Gene.

Eigenschaften der RNA-Polymerase


55 Sie liest die DNA von 3′ nach 5′ ab,
55 synthetisiert die RNA von 5′ nach 3′,
55 benötigt keine Primer,
55 verwendet die Nucleosidtriphosphate ATP, CTP und GTP, aber UTP anstelle
von TTP,
55 besitzt keine Nucleasefunktion, sie baut daher mehr Fehler ein,
55 stellt nur zu einem definierten Abschnitt von einem DNA-Strang die komple-
mentäre RNA her.

Für den abgelesenen DNA-Strang existieren mehrere Namen: Matrizenstrang,


Template, Gegensinnstrang oder codogener Strang.
Der gegenüberliegende Strang entspricht in seiner Nucleotidabfolge der ent-
stehenden RNA-Sequenz, wobei anstelle von Thymin die Base Uracil steht. Er
heißt codierender Strang, Nichtmatrizenstrang oder Sinnstrang.
Beide Stränge der DNA können grundsätzlich als codogener Strang dienen.
Welches jeweils der codogene Strang ist, kann von Gen zu Gen wechseln.
Die Fehlerrate der Transkription ist höher als bei der Replikation. Für die Zelle
ergibt sich daraus kein größerer Schaden, weil die Fehler nicht gespeichert werden.
Die Zelle überwacht die korrekte Transkription (RNA-Überwachung oder sur-
veillance) und hat mehrere Mechanismen zur Verfügung, um mRNAs abzubauen.
Zudem kann die RNA-Polymerase ein Gen mehrfach transkribieren, und sie macht
den gleichen Fehler höchstwahrscheinlich kein zweites Mal.

4.3.2 Regulierende DNA-Elemente (cis-Elemente)

Die Lage von DNA-Abschnitten wird im Zusammenhang mit der Transkription re-
lativ zur ersten Base angegeben, die in RNA umgesetzt wird.
4.3 · Funktionell gleiche Elemente und Strukturen bei Bakterien,…
79 4
55 Dieses Nucleotid selbst erhält als Transkriptionsstart die Nummer + 1. Eine
Nummer 0 gibt es nicht. Alle folgenden Nucleotide werden der Reihe nach
durchnummeriert. Man sagt, sie liegen stromabwärts. Der offene Leserahmen
kann sich bis zu mehrere Hundert Nucleotide stromabwärts befinden.
55 Nucleotide, die vor dem Transkriptionsstart und damit stromaufwärts liegen,
erhalten negative Nummern. Die Nummern steigen mit der Entfernung vom
Startnucleotid an.

Verschiedene DNA-Elemente ermöglichen die Transkription oder beeinflussen sie:


55 Ein bestimmter DNA-Abschnitt ist für die Initiation der Transkription ver-
antwortlich. Er fördert die Transkription (engl. promote) und heißt daher Pro-
motor oder Promoter.
55 Bei Bakterien ist der Promotor die Erkennungssequenz für die RNA-­Polymerase.
Zwar unterscheiden sich die Promotoren von Art zu Art und auch innerhalb
einer Art voneinander, aber sie bestehen alle aus vergleichbaren kurzen Boxen
oder Abschnitten vor dem eigentlichen Transkriptionsstart.
55 Bei Eukaryoten sehen Promotoren nicht so einheitlich aus, oft kommen mehrere
Promotorelemente zusammen, sodass es einen basalen oder Core-Promotor
gibt, der zwar allein ausreichend, aber nicht sehr effektiv ist. DNA-Abschnitte
stromaufwärts oder stromabwärts ergänzen ihn.
55 Bei Eukaryoten wirken an der Regulation der Initiation DNA-Sequenzen mit,
die weit weg vom Genort liegen können.
–– Enhancer verbessern oder verstärken die Transkription,
–– Silencer unterdrücken sie.
55 Dabei gilt, dass beispielsweise ein Enhancer auch mehrere Gene beeinflussen
kann (. Abb. 4.1 und 4.3).
55 Die Transkription endet, wenn die RNA-Polymerase auf ein Terminations-
signal trifft.

4.3.3 Regulierende Proteine (trans-Faktoren)

Auch Proteine spielen eine erhebliche Rolle bei der Transkription. Für die Tran-
skription sind sowohl DNA- als auch RNA-bindende Proteine wichtig. Letztere
führen zusammen mit RNA-Molekülen beispielsweise das Spleißen und das Edit-
ing aus.

Nichtspezifische DNA-bindende Proteine


Dazu gehören die Verpackungsproteine der DNA, also die Histone der Eukaryoten
und die Nucleoidproteine der Bakterien.
Besonders Histone stellen eine Hürde für die Genaktivierung dar. Da sie die
DNA verpacken, ist die Helix für spezifische DNA-bindende Proteine (. Abb. 4.3)
nicht mehr zugänglich und ruht.
80 Kapitel 4 · Transkription

..      Abb. 4.3 Regulation des Transkriptionsstarts bei Eukaryoten durch mehrere Faktoren. (Nach
Buselmaier und Tariverdian 2007)

Spezifische DNA-bindende Proteine


Sie haben eine bestimmte Ziel- oder Erkennungssequenz, an die sie sich heften.
Auch die RNA-Polymerase fällt in diese Gruppe.
Da das Transkriptom einer Zelle die Lebens- und Umweltbedingungen wider-
spiegelt, nutzt die Zelle Proteine, die Informationen aufnehmen und letztlich die
Transkription aktivieren oder deaktivieren.
55 Bei Eukaryoten unterscheidet man verschiedene Typen von Transkriptions-
faktoren:
–– Die generellen Transkriptionsfaktoren binden sich an die jeweilige RNA-­
Polymerase. Sie bilden die Grundausstattung für eine allgemeine oder basale
Transkription.
–– Die spezifischen Transkriptionsfaktoren aktivieren die Transkription als
Antwort auf ein Signal. Sie werden auch als spezielle oder regulatorische
Faktoren bezeichnet. Viele Signalweiterleitungswege führen zum Einsatz von
speziellen Transkriptionsfaktoren.
4.4 · Prinzip der Transkriptionsinitiation
81 4
–– Zunehmend grenzt man von diesen Transkriptionsfaktoren, die am zugäng-
lichen Chromatin ansetzen, diejenigen Transkriptionsfaktoren ab, die das
abgeschlossene Chromatin erst öffnen und für weitere Faktoren überhaupt
zugänglich machen, die Pionierfaktoren (siehe 7 Abschn. 14.6.3, induzierte
pluripotente Stammzellen).
55 Transkriptionsaktivatoren lagern sich an Enhancer an und fördern die Tran-
skription dadurch.
–– Coaktivatoren können sie darin unterstützen.
–– Repressoren und Corepressoren bewirken das Gegenteil.

Mit der Bindung der Proteine an die DNA und untereinander geht eine Krümmung
oder ein Biegen der DNA einher. Dieses Biegen erfüllt Funktionen für die Organi-
sation des Genoms und die Regulation seiner Expression.

4.4 Prinzip der Transkriptionsinitiation

In allen Zelltypen lassen sich vier Phasen der Transkriptionsinitiation erkennen:


1. Die RNA-Polymerase heftet sich an die DNA und gleitet auf ihr entlang. Man
nimmt an, dass sie sich immer wieder von der DNA löst und neu anheftet. Da
die DNA in Schlaufen liegt, überspringt die RNA-Polymerase auf diese Weise
große Entfernungen auf dem langen Faden. Sie löst und bindet sich, bis sie
einen Promotor erkennt.
2. Sie erkennt den Promotor und bleibt dort stehen, eventuell unterstützen Hilfs-
proteine sie dabei. Damit bildet sie den geschlossenen Promotorkomplex
(. Abb. 4.4).
3. Die Polymerase öffnet die Doppelhelix über einen Abschnitt von etwa zwei
Windungen, der den Transkriptionsstart + 1 enthält. Jetzt liegt der offene
Promotorkomplex vor. Die Polymerase hat ihre Konformation verändert und
beginnt mit der Transkription.
4. Die Polymerase bewegt sich voran und verlässt den Promotor (Promotorfrei-
gabe oder promotor clearance ). Lässt die Polymerase den Promotor hinter sich,
ändert das Enzym seine Konformation und die Inititation geht in die Elonga-
tion über. Oft sind dafür mehrere Anläufe nötig, weil das Enzym zunächst am
Promotor verharrt und kurze RNA-Schnipsel zu früh freilässt (abortive Initia-
tion).
82 Kapitel 4 · Transkription

RNA-Polymerase

Core-Promotor
σ
5' 3'
3' 5'

4
5' 3'
3' 5'

Geschlossener Promotorkomplex

5' 3'
3' 5'

Offener Promotorkomplex
+ ATP/GTP

5' 3'
3' 5'

Synthese abortiver Initialtranskriptionskomplex


RNA-Moleküle
ATP
+ GT P σ
CTP
UT P
Beginn der Elongationsphase

5' 3'
3'
3' 5'

5' Elongationskomplex

..      Abb. 4.4 Transkriptionsstart mit dem Ablösen des σ-Faktors aus der RNA-Polymerase
4.5 · Initiation bei E. coli
83 4
4.5 Initiation bei E. coli

4.5.1 Aufbau der RNA-Polymerase

Escherichia coli besitzt eine RNA-Polymerase aus fünf verschiedenen Unterein-


heiten: α, β, β′, σ und ω (alpha, beta, beta′, sigma und omega). In dieser Zu-
sammensetzung spricht man vom Holoenzym. Die enzymatisch entscheidende Ein-
heit ist β; α ist zweifach vorhanden.
Der σ-Faktor (Sigma-Faktor) ist wichtig, um den Promotor zu erkennen. Nach
der Initiation löst er sich aus dem Komplex (. Abb. 4.4).
Ohne σ-Faktor liegt das Core-Enzym vor und führt die Elongation aus. Die
Untereinheiten β und β′ sind eng verwandt mit Untereinheiten des eukaryotischen
Enzyms und haben Kernaufgaben wie die Bindung von Nucleotid und DNA.
Insgesamt sind die Unterschiede zwischen bakterieller und eukaryotischer Po-
lymerase groß genug, dass man zur Bekämpung bakterieller Infektionen Anti-
biotika einsetzen kann, welche die bakterielle Polymerase selektiv hemmen.
Beispiele: Rifampicin (aus der Klasse der Rifamycine), Streptolydigin.

4.5.2 Aufbau der Promotoren

Promotoren enthalten zwei signifikante Abschnitte, die Grundelemente:


55 Für den Transkriptionsstart muss die DNA geöffnet werden. Das ist umso
leichter möglich, je mehr A und T vorkommen. So hat man eine AT-reiche Se-
quenz TATAAT um − 10 herum identifiziert: die TATA- oder Pribnow-Box
(manche Autoren verwenden „TATA-Box“ nur für Eukaryoten, „Pribnow-­
Box“ nur für Bakterien).
55 Bei − 35 liegen sechs Nucleotide, an die sich der σ-Faktor bindet. Hier erkennt
der σ-Faktor den Promotor.
55 Diese Grundelemente sind durch ein Zwischenstück von 15 bis 18 Nucleotiden
getrennt.

Im Detail unterscheiden sich Promotorsequenzen sowohl von Genen verschiedener


Bakterien als auch die von Genen innerhalb einer Art wie E. coli. Ihnen allen ist
aber der grundsätzliche Aufbau gemeinsam.
55 Durch den Vergleich kann man eine Art ideale Sequenz erstellen, die in dieser
Abfolge vielleicht nicht vorkommt, die aber angibt, welches Nucleotid an den
Positionen am häufigsten ist.
55 Man nennt sie Consensussequenz. Je mehr ein tatsächlicher Promotor der (idea-
len) Consensussequenz ähnelt, desto besser bindet sich der σ-Faktor daran.
Seine Affinität ist also höher.
55 Auf dieser Grundlage unterscheidet man starke von schwachen Promotoren.
84 Kapitel 4 · Transkription

55 Mutationen im Promotor verändern seine Effizienz. (1) Mutation in dem Ab-


schnitt um − 35 beeinflussen v. a. die Bindung der RNA-Polymerase, (2) Muta-
tionen in der TATA-Box beeinflussen v. a., wie leicht sich die DNA öffnen
lässt. Wird der Promotor durch einen Basenaustausch der Consensussequenz
ähnlicher, wird er auch stärker.

Um Gene abgestimmt auf Umwelt- und Lebensbedingungen zu transkribieren, nut-


zen Bakterien verschiedene σ-Faktoren, die jeweils andere Consensussequenzen er-
4 kennen (. Abb. 4.5).
55 Der Standardfaktor für die durchschnittliche Lebenslage bei E. coli ist σ70.
55 Auf besondere Situationen wie einen Hitzeschock oder Nahrungsstress reagiert
das Bakterium, indem es mittels anderer σ-Faktoren andere Promotoren er-
kennt und die Gene anschaltet (vgl. 7 Abschn. 6.3.5). Die Genprodukte er-
lauben dann eine physiologische Anpassung an die neuen Bedingungen.

Der DNA-Abschnitt von − 40 bis zum Transkriptionsstart + 1 gilt als Core-­


Promotor. Weitere stromaufwärts liegende Elemente unterstützen ihn und ver-
stärken die Promotorwirkung:
55 Bei − 50 liegen die upstream-Elemente oder upstream activator sequences (UAS).
Sie sind etwa 20 bp lang und AT-reich. An die UP-Elemente bindet sich die
α-Untereinheit der Polymerase.
55 Stromaufwärts liegen möglicherweise FIS-Bindungsstellen für den Stimula­
tionsfaktor FIS, factor for inversion stimulation, der die Promotionswirkung
noch weiter erhöht. So ergeben sich besonders starke Promotoren. Ein Beispiel
dafür sind die Promotoren vor den rRNA-Operons von E. coli, an die sich FIS
bindet.

a Core-Promotor-Sequenzen –35-Region –10-Region


(Pribnow-Box) +1
17 Nucleotide 6 Nucleotide
lac-Operon 5' TT T A C A TATGAT
+1
17 Nucleotide 7 Nucleotide
trp-Operon 5' TT G A C A TTAACT
+1
16 Nucleotide 7 Nucleotide
tRNATyr 5' TT T A C A TATGAT
+1
16 Nucleotide 7 Nucleotide
recA 5' TTGATA TATAAT

b Consensussequenzen
UP-Element +1
–59 –38 –35 15–18 Nucleotide –10 6–7 Nucleotide
5' NNAAAAA T A TTTTNNNAAANNN TT G A C A TATAAT
TT T

Core-Promotor

..      Abb. 4.5 Verschiedene Promotoren bei E. coli (a) und die Consensussequenz (b)
4.6 · Initiation bei Archaeen und Eukaryoten
85 4
Starke Promotoren vor den rRNA-Genen sind sinnvoll, denn die Gene müs-
sen sehr häufig transkribiert werden, sonst beschränken sie die Proteinsynthese.
55 In einem nährstoffreichen Medium erhöht E. coli die Synthese von FIS. So
kann das Bakterium dank FIS mehr rRNAs und Ribosomen bilden, seine
Proteinsynthese insgesamt ankurbeln und die guten Wachstumsbedingungen
­ausnutzen.

4.6 Initiation bei Archaeen und Eukaryoten

4.6.1 RNA-Polymerase und Promotoren von Archaeen

Wie Bakterien haben Archaeen einen einzigen Typ von Polymerase. Sie ist ver-
wandt mit der bakteriellen und den eukaryotischen Polymerasen und besteht aus
mehr als zehn Untereinheiten. Mit den Eukarya haben die Archaeen gemeinsam,
dass nicht die Polymerase den Promotor erkennt. Die Funktion des bakteriellen
σ-Faktors ist ausgelagert auf externe Proteine. Diese Faktoren kommen zu-
sammen, binden sich an die DNA und schaffen damit erst die Arbeitsbühne für die
Polymerase.
Promotoren von Archaeen sind weniger ausführlich untersucht. Als wichtige
Merkmale gelten:
55 Promotoren besitzen eine TATA-Box bei − 25 bis − 30.
55 Der Transkriptionsstart liegt innerhalb eines Initiatorelements.
55 Die TATA-Box ist die Zielsequenz für das TATA-Box-bindende Protein, aTBP.
Es ist verwandt mit dem eukaryotischen TBP, „a“ steht für archaeal.
55 Stromaufwärts von der TATA-Box liegt ein DNA-Abschnitt, an den sich ein
weiterer Transkriptionsfaktor heftet: TFB. Dementsprechend heißt das DNA-­
Motiv TFB response element.
55 Optional kann ein weiterer Transkriptionsfaktor, TFE, die Initiation fördern.
Er kommt bei schwachen Promotoren zum Einsatz.

4.6.2 Eukaryotische RNA-Polymerasen und ihre Promotoren

In Eukaryoten ist die Ausgangssituation anders. Die DNA ist mit einer Vielzahl an
Proteinen assoziiert und liegt als Chromatin vor. Sie ist mindestens an die Histone
gebunden. Die Zelle muss die Nucleosomen immer wieder verschieben, damit die
DNA für die Polymerase zugänglich wird. Insbesondere in mehrzelligen Organis-
men, die Entwicklungsstufen durchlaufen, ist das An- und Abschalten von Genen
notwendig. Die Initiation bei Eukaryoten ist daher komplexer, erfordert und ge-
stattet feinere Differenzierungen als bei Prokaryoten. Diese größere Variabilität ist
an mehreren Umständen sichtbar:
86 Kapitel 4 · Transkription

55 Fünf RNA-Polymerasen I bis V transkribieren jeweils ihnen zugeordnete Gene.


55 Die Promotorsequenzen zeigen mehr Variationen und werden ergänzt um wei-
tere regulatorische Sequenzen.
55 Es gibt eine Vielfalt und Differenzierung an weiteren Faktoren wie
Transkriptionsfaktoren und Aktivatoren. Sie erlauben wechselseitige Bindun-
gen untereinander, an andere Proteine und an die DNA.

Dieser Abschnitt behandelt die RNA-Polymerasen I bis III, ihre Gene und die Pro-
4 motoren, an welche sich die Enzyme binden. Die RNA-Polymerasen IV und V
transkribieren siRNAs bei Pflanzen.

RNA-Polymerase I
Die RNA-Polymerase I besteht aus 13 Untereinheiten.
Sie transkribiert eine Prä-rRNA, aus der die 5,8S-rRNA, 18S-rRNA und
28S-rRNA hervorgehen. In einem Spacer-Abschnitt der DNA liegt zudem ein Pro-
motor für eine regulatorische pRNA.
55 Die Promotoren für die Polymerase I liegen zwischen den geclusterten rRNA-­
Genen in intergenen Spacern.
55 Die Polymerase benötigt keine TATA-Box.
55 Der Core-Promotor reicht von − 50 bis + 20 (die Angaben schwanken in der Li-
teratur) und enthält ein AT-reiches ribosomales Initiatorelement (ribosomaler
Initiator, rInr).
55 Weitere Elemente sind die UCEs oder UPEs (upstream control elements oder
upstream promoter elements). Sie liegen stromaufwärts bei etwa − 180 bis
− 110 und verstärken die Promotorwirkung deutlich.
55 Die RNA-Polymerase I benötigt wenige generelle Transkriptionsfaktoren. Sie
unterscheiden sich zwischen den Organismen: Hefe benötigt beispielsweise
UAF (upstream activating factor), TBP (TATA-Box-bindendes Protein) und
weitere Faktoren wie den Core-Faktor. Die menschliche Polymerase I arbeitet
mit dem UBF-Protein (upstream binding factor), das die UCEs/UPEs erkennt.
Nach der Anlagerung an die DNA stimuliert es die Anheftung des Fak-
tors SL1 (selectivity factor 1) an den Core-Promotor. SL1 heißt auch
TIF-­1B. Der Faktor enthält das TBP, das TATA-Box-bindende Protein. Dieser
allgemeine Transkriptionsfaktor ist für alle drei Polymerasen der Eukaryoten
wichtig, um sie zu positionieren.

Die Synthese und Prozessierung der rRNAs erfolgt konzentriert in bestimmten


Zentren des Zellkerns, den Nucleoli.

RNA-Polymerase II
Das Enzym setzt sich aus zwölf Untereinheiten zusammen.
Es transkribiert proteincodierende Gene, lncRNAs, miRNAs und eRNAs (En-
hancer-RNAs). Es ist der Angriffspunkt für das Gift σ-Amanitin aus dem Grünen
Knollenblätterpilz.
4.6 · Initiation bei Archaeen und Eukaryoten
87 4
Promotoren für die RNA-Polymerase II zeigen ein höheres Maß an Plastizität
und Variabilität als die Promotoren für die Polymerasen I und III. Den Abschnitt
von − 35 bis + 25 betrachtet man als Core-Promotor. Dazu kommen stromauf-
wärts oder stromabwärts weitere Promotor-Elemente, sodass sich der Promotor
ausdehnt bis − 200. Für die Region von − 200 bis zum Core-Promotor findet man
auch die Bezeichnung proximaler Promotor.
Verschiedene Elemente können in den Promotoren vorkommen:
55 Bei − 30/− 25 liegt oft eine TATA-Box, sie ist aber nicht zwingend vorhanden.
Beim Menschen kommt sie in etwa einem Drittel der Promotoren vor. Der Ab-
schnitt ähnelt der bakteriellen − 35- bis − 10-Region.
55 Nicht weit von der TATA-Box liegt stromaufwärts oder stromabwärts ein
TFIIB recognition element (BRE): BREu (upstream) bzw. BREd (downstream).
Es arbeitet gewissermaßen als Verlängerung der TATA-Box. Ein BRE unter-
stützt die Bindung der generellen Transkriptionsfaktoren TFIIB und TFIID.
55 Ein pyrimidinreiches Initiatorelement (Inr-Element) kann hinzutreten, braucht
aber ebenfalls nicht vorzuliegen. Es umfasst wie bei Archaea das Startnucleotid
+ 1. Dieses liegt wenige bp bis mehrere Hundert bp vor dem späteren Trans-
lationsstart und gegenüber von einem Adenin.
55 Ein motif ten element (MTE) stromabwärts von + 1 unterstützt den Initiator
und fördert die Initiation.
55 Weiter stromabwärts findet man das downstream promotor element (DPE), etwa
im Bereich von + 28 bis + 32, vor allem in Promotoren ohne TATA-Box. An das
DPE bindet sich der Faktor TFIID.

Die Elemente sind nicht sehr hoch konserviert, deswegen weisen Consensus-
sequenzen mehrere variable Stellen aus.
Weitere Regulationselemente für die spezifische Regulation treten proximal
oder distal hinzu. Sie dienen als Zielsequenzen für spezifische Transkriptions-
faktoren, sowohl für Aktivatoren als auch für Repressoren. Oft wirken mehrere
Elemente mit ihren DNA-bindenden Proteinen zusammen.
Die Vermittlung oder Koordination erfolgt hierbei über den Mediator, einen
Komplex aus mehr als 20 Proteinen (s. u.: Initiation). Man könnte ihn als Relais-
oder Schaltstelle ansehen, weil er eine Brücke darstellt zwischen der RNA-­
Polymerase II und den Transkriptionsfaktoren. Er nimmt die Information von den
Nicht-Promotor-Regulationselementen auf und leitet sie an die RNA-Polymerase
weiter. Beispiele: Kernhormonrezeptoren, Tumorsuppressorprotein p53.
Die generellen Transkriptionsfaktoren für die Polymerase II heißen TFIIA, B,
D, E, F und H. Hinzu kommen TBP und weitere Faktoren.
Im Grunde besitzen auch die zwei anderen Polymerasen die entsprechenden
Funktionen der Faktoren, sie sind aber in das Enzym schon integriert. Bei der Po-
lymerase II sind die Faktoren auf separate Proteine ausgelagert, um eine jeweils ab-
gestimmte Regulation an den Genen zu erlauben. Diese Differenzierung in der Re-
gulation ist für die Arbeit der Polymerasen I und III nicht notwendig.
88 Kapitel 4 · Transkription

55 Proximale Regulationselemente:
–– Proximal und (oft) stromaufwärts liegen Response-Elemente.
–– Mit Response-Elementen antwortet eine Zelle auf Signale.
–– Sie sind die Bindungsstelle für regulatorische Transkriptionsfaktoren. Diese
werden z. B. über die Signaltransduktion aktiviert.
–– Beispiel: das cAMP-Response-Element (CRE), daran binden sich das CRE-­
bindende Protein (CREB) und weitere Faktoren.
55 Distale Regulationselemente: Enhancer, Silencer, Isolatoren
4 –– Zu den distalen Elementen gehören Enhancer und Silencer. Sie sind wichtig
für die Expression von Genen der Differenzierung und Embryonalent-
wicklung. Beispiel: Shh/SHH (sonic hedgehog) codiert ein Signalprotein (ein
sogenanntes Morphogen), das in Säugetieren notwendig ist für die Aus-
bildung von Organen, des zentralen Nervensystems, der Gliedmaßen, der
Fingerglieder u. a. Ein Enhancer-Element für Shh/SHH ist in Wirbeltieren
stark konserviert. Punktmutationen in diesem Element erzeugen bei Men-
schen Polydaktylie (Vielfingerigkeit).
–– Die Lage ist variabel: Sie können stromaufwärts oder stromabwärts vom Pro-
motor liegen, in Introns des Zielgens oder in Introns anderer, fremder Gene.
Beispiel: Das o. g. Enhancer-Element liegt vom Shh-Promotor 850 kb entfernt
im Intron eines Fremd-Gens. In Hefe findet man entsprechende Elemente, die
allerdings stromaufwärts liegen müssen: UAS, upstream activating sequences.
–– Die Anzahl aller Enhancer-Elemente im menschlichen Genom wird auf
1 Mio. geschätzt.
–– Die Steigerung eines Enhancers ist ein Super-Enhancer, ein besonders aktiver
und Zelltyp-spezifischer Enhancer. Kennzeichen sind eine ausgeprägte
Histon-­Modifikation (Acetylierung von Lysin: H3K27ac, Monomethylie-
rung von Lysin H3K4me1, siehe 7 Abschn. 7.8.2 Histon-Modifikationen),
sowie eine lange Sequenz für die Bindung der Transkriptionsfaktoren und
des Mediators. Sie bilden große Mengen kurzer Enhancer-RNAs, eRNA.
55 Sie dienen als Bindungsstellen für Aktivatoren, Repressoren oder Isolatoren, die
alle mit generellen Transkriptionsfaktoren wechselwirken.
–– Isolatoren oder Isolator-Elemente sind Grenzelemente (insulator, boundary
element), d. h. sie grenzen größere Abschnitte voneinander ab, welche die
Zelle unterschiedlich reguliert. Sie verhindern ein Überspringen von einer
Aktivierung/Repression auf andere Bereiche. Sie schirmen beispielsweise
Heterochromatin-Bereiche ab von aktiven Regionen. Wie Platzanweiser wei-
sen sie den Enhancern oder Silencern gezielt bestimmte Promotoren zu,
damit diese über die große Entfernung nicht wahllos Promotoren aktivieren.
–– Der CCCTC-bindende Faktor (CTCF) heftet sich an Isolatoren. CTCF ist
sowohl für die Architektur und Organisation des Chromatins wichtig wie für
die Regulation der Gen-Aktivität.
–– Enhancer wirken nicht nur als cis-aktive Elemente. In den letzten Jahren fand
man zunehmend nichtcodierende RNAs, die von Enhancern aus transkribiert
werden, die eRNAs. Enhancer können somit auch Promotoren sein. Da man
umgekehrt Promotoren identifiziert hat, die als Enhancer wirken, ist die frühere
Unterscheidung zwischen Promotor und Enhancer nicht mehr so eindeutig.
4.6 · Initiation bei Archaeen und Eukaryoten
89 4
An der Ausbildung des Initiationskomplexes beteiligen sich mehr als 70 Proteine,
sodass eine Gesamtstruktur vom Ausmaß der Ribosomen entsteht. Gelegentlich
liest man dafür den Begriff Transkriptosom. Nicht zuletzt wirkt auch die
Chromatinstruktur mit, wenn die DNA gebogen wird.

RNA-Polymerase III
Die RNA-Polymerase III ist aus 17 Untereinheiten aufgebaut. Welche generellen
Transkriptionsfaktoren sie benötigt, hängt von dem jeweiligen Gen ab. Der Faktor
TFIIIB, der das TBP beinhaltet, ist der einzige Faktor, der immer dabei ist.
Sie synthetisiert tRNAs, die 5S-rRNA und kleinere RNAs (U6-snRNA, 7SL-­
RNA).
Die Promotoren für die Polymerase III unterteilt man in drei Gruppen.
55 Die Promotoren können jeweils eine TATA-Box enthalten.
55 In den Promotor-Typen I und II liegen regulierende Elemente innerhalb der co-
dierenden Sequenz, die sogenannten Boxen A, B oder C.
55 Typ I enthält eine Box-A-Sequenz, ein Intermediärelement, dann eine
­Box-C-­Sequenz.
55 Typ II enthält Box-A- und -B-Sequenzen, kurze typische Abschnitte.
55 An die Boxen binden sich Transkriptionsfaktoren.
55 In Typ III kommt zu einer echten TATA-Box noch ein upstream element.

4.6.3 Aufbau des Präinitiationskomplexes für die Pol II

Die Aufgabe der RNA-Polymerase bei Eukaryoten ist nur die Synthese der RNA.
Die Erkennung des Promotors ist von der Pol II ausgelagert. Die Funktion des
bakteriellen σ-Faktors übernehmen mehrere einzelne Proteine, die in ihrem Zu-
sammenspiel die sehr feine Regulation ermöglichen. Sie schaffen eine Arbeits-
grundlage für die RNA-Polymerase.
Jede Polymerase benötigt ihre eigenen Faktoren. Die Zuordnung spiegelt sich in
dem Namen wider: Die generellen Transkriptionsfaktoren der Polymerase II (TFII
A, B, D, E, F, H) werden von spezielle Transkriptionsfaktoren (siehe 7 Abschn. 7.4)
ergänzt. Sie verfügen über eine DNA-Bindungsdomäne und können die Promotor-­
Elemente (TATA-Box, Inr, BRE, DPE) erkennen.
Zunächst wird der Präinitiationskomplex (PIC, preinitiation complex) gebildet.
Er besteht aus den generellen Transkriptionsfaktoren TFIIA, B, D, E, F und H,
dem Mediator und der Pol II.
Der Präinitiationskomplex wird schrittweise aufgebaut:
1. Der Aufbau beginnt mit TFIID, dem TATA-Box-bindenden Protein (TBP) und
14 TBP-assoziierten Faktoren, TAFs.
55 Das TBP enthält eine spezifische Domäne, um die TATA-Box zu erkennen
und sich an den Promotor zu binden. Funktionell entspricht es somit dem
bakteriellen σ-Faktor. TBP errichtet buchstäblich eine Art Grundlage oder
Plattform für weitere Faktoren. Als Charakterisierung des TBP sagt man
gern, es sitze wie ein Sattel auf der DNA.
90 Kapitel 4 · Transkription

55 Die TAFs unterstützen die TBP-Bindung an die TATA-Box und wirken als
Coaktivatoren. Ist kein TATA-Element vorhanden, erkennen sie einen Inr
oder ein DPE und heften sich daran. Die TAFs sind die kommunizierenden
Elemente. TAF1 hat besondere Enzymfunktionen für die Modulation an
den Histonen: Acetylierung von H3 und H4, Phosphorylierung von H2B,
Ubiquitinierung von H1.
55 Ist weder eine TATA-Box vorhanden noch ein Inr-Element, springen (Tran-
skriptions-) Aktivatoren ein, um Motive wie GC-Boxen (GGGCGG) zu er-
4 kennen oder andere kurze Sequenzen.

2. Nacheinander treten nun die TFII -Proteine hinzu.


55 TFIIA und B stabilisieren TFIID.
Das TBP biegt die DNA so weit, dass TFIIB einen besseren Zugang zur
DNA bekommt. TFIIB legt den Transkriptionsstart fest.
55 TFIIH hat zwei entscheidende Funktionen: (1) Eine Helikasefunktion, der
Faktor öffnet die DNA. Mit dieser Eigenschaft ist er auch wichtig für die
DNA-­Reparatur (Nucleotidexzisionsreparatur). Fehler in den TFIIH-Un-
tereinheiten XPB und XPD verursachen das erbliche Cockayne-Syndrom
und Xeroderma pigmentosum (siehe 7 Abschn. 11.7.4).
(2) Zudem ist TFIIH eine Kinase und phosphoryliert einen Abschnitt der
größten Untereinheit der Polymerase II. Dieser Abschnitt der Polymerase liegt
am C-Terminus und heißt carboxyterminale Domäne (CTD). In Säugern
wiederholt die CTD ein Motiv aus sieben Aminosäuren: Tyr-Ser-Pro-Thr-Ser-
Pro-Ser. Diese Repeats kommen 52 Mal vor. Die CTD ist wesentlich daran be-
teiligt, den Ablauf der Transkription zu koordinieren. Entscheidend ist dafür
der Phosphorylierungsgrad an den Serinresten des Motivs. Ohne Phosphory-
lierung tritt die Polymerase in den Präinitiationskomplex ein. Der erste
Phosphorylierungs-­Schritt reguliert die Anheftung der 5′-Cap an die RNA, die
zweite Phosphorylierung ist wichtig für den Übergang in die Elongation.
55 TFIIH tritt außerdem in Wechselwirkung mit regulatorischen Transkriptions-
faktoren wie p53 oder E2F und wirkt somit als Cofaktor.
55 Der Mediatorkomplex ist die Schaltzentrale für die Integration von regula-
torischen Signalen. Gelegentlich nennt man ihn Masterregulator der Tran-
skription. Der Mediatorkomplex selbst besteht aus mehr als 20 Einzel-
proteinen (Hefe: 21, Mensch: 26). Es gibt ihn in zwei verschiedenen funktio-
nalen und strukturellen Einheiten: a) Als Mediatorkomplex, b) als
CDK-­Mediatorkomplex, sobald das Mediator-Kinase-Modul (MKM)
hinzugetreten ist. Das MKM besteht aus vier Untereinheiten, unter ande-
rem der Cyclin-abhängigen Kinase 8 und dem Cyclin C.
55 Die Konformation des Mediators ist extrem flexibel. Er besitzt Bindungs-
stellen zu etlichen Transkriptionsfaktoren und zur RNA-Pol II. Erkennt er
ein Protein und es kommt zur Bindung, reagiert er mit einer Konformations-
änderung darauf. Diese Antwort aktiviert oder blockiert die Pol II-Initia-
tion. Er unterstützt beispielsweise TFIIH und stimuliert den Transkriptions-
start. Später reguliert er die Elongation. Das MKM verhindert die Assozia-
tion des Mediators mit der Pol II und kontrolliert darüber seine Funktion.
4.7 · Elongation
91 4
3. Die beteiligten Faktoren haben die Polymerase positioniert und gewissermaßen
eingespannt. Durch die verstärkte Phosphorylierung, als Hyperphosphorylierung
bezeichnet, löst der Initiationskomplex die Blockade, und die Polymerase be-
ginnt mit der Transkription. Wie bei der bakteriellen Initiation markiert erst die
Promotor-Clearance den Übergang in die Elongation.

Die Arbeitsbühne wird anschließend nicht komplett abgebaut. Die Faktoren


TFIID, A und H bleiben installiert. So kann die Zelle schneller eine erneute Tran-
skription starten.

Wirkung von Repressoren


Beispiele: Die Hefeproteine Mot1 und NC2 binden sich beide an das TBP. Mot1
führt zur Ablösung des TBP von der DNA, NC2 verhindert den Einbau von TFIIA
und B und somit den Aufbau des Präinitiationskomplexes.

4.7 Elongation

4.7.1 Elongation bei E. coli

Nach neun bis elf Nucleotiden ist der Elongationskomplex bei E. coli stabil.
55 Er überspannt die Transkriptionsblase (Transkriptionsauge) von 12–14 bp, wo
die DNA geöffnet vorliegt und wo sich die neue RNA mit der DNA über 8–9 bp
paart.
55 Der Abschnitt, den die RNA -Polymerase abdeckt, ist etwa 30 bp lang.
55 Die RNA tritt durch einen eigenen Kanal aus dem Enzym heraus.

Da die RNA-Polymerase immer wieder pausiert, kann man die durchschnittliche


Geschwindigkeit nur grob mit bis zu 80 Nucleotiden pro Sekunde angeben.
Ein Grund für das Pausieren kann der Einbau eines falschen Nucleotids sein.
Das Enzym läuft dann zurück (backtracking):
1. Das 3′-Ende löst sich von der DNA.
2. Es rutscht in einen zweiten Ausgangskanal hinein und blockiert die Polymerase
vollends.
3. Als Pannenhelfer greifen GreA und GreB ein. Man bezeichnet sie auch als
Elongationsfaktoren oder Spaltungsfaktoren. Sie dringen in den zweiten Kanal
ein, aktivieren die Polymerase, und das 3′-Ende des Transkripts wird ab-
gespalten.
4. Die Polymerase kann die Synthese fortsetzen.
92 Kapitel 4 · Transkription

4.7.2 Elongation bei Archaeen und Eukaryoten

Auch bei Archaeen und Eukaryoten geht die Initiation erst nach einigen Nucleoti-
den in die Elongation über. Ebenso stoppt die RNA-Synthese immer wieder. Dem
bakteriellen GreA und GreB entspricht bei Archaeen ein Elongationsfaktor TFS.
Bei Eukaryoten ist das Pausieren nach etwa 30 Nucleotiden indes notwendig, um
die 5′-Cap anzuhängen.
Während die Synthese bakterieller Transkripte nach Minuten beendet ist, dau-
4 ert beispielsweise die Synthese der Prä-mRNA des menschlichen Dystrophingens
16 h.
Hinzu kommt die besondere Chromatinstruktur: Die DNA ist um die Nucleo-
somen gewickelt. Die Transkription erfordert also weitere Faktoren:
55 positive und negative Faktoren,
55 Faktoren, welche die Assoziierung mit den Histonen lösen.
Beispiele:
–– Der von Säugetieren bekannte TFIIS entspricht den bakteriellen GreA und
B. Er hilft bei der Überwindung des Pausierens und spaltet die RNA.
–– Elongin C (eine Proteinuntereinheit des TFIIB) gehört zu den „Munter-
machern“ und aktiviert die Polymerase.
–– P-TEFb (positive transcription elongation factor b) ist ebenfalls ein positiver
Faktor. Er phosphoryliert eine Reihe von Proteinen, beispielsweise negative
Faktoren wie NELF (negative elongation factor). Unphosphoryliert fördert
NELF das Pausieren der Polymerase, die Phosphorylierung inaktiviert
NELF. P-TEFb schaltet somit vom Pausieren in die Elongation.
–– Der Faktor CSB ist auch an der DNA-Reparatur beteiligt. Mutationen in
dem Gen für CSB führen beim Menschen zum Cockayne-Syndrom.
–– FACT ist bei Säugern ein Elongationsfaktor (facilitates chromatin transcrip-
tion), der mit den Histonen H2A und H2B interagiert und die Passage an den
Nucleosomen vorbei erleichtert.

4.8 Termination

4.8.1 Termination bei Bakterien

Bei Bakterien unterscheidet man zwei Mechanismen zur Beendigung der Tran-
skription.

Rho-unabhängiger Mechanismus
Dieser wird auch als intrinsische Termination bezeichnet (. Abb. 4.6a). Man fin-
det ihn bei Bacillus subtilis oder Staphylococcus aureus.
Hier ist ein DNA-Motiv wesentlich. Das auslösende Sequenzmotiv ist ein GC-­
reiches Palindrom, an das sich Adeninreste anschließen.
4.8 · Termination
93 4

DNA 5' 3'


5' 3' 3' 5'
3' CGGCGGT C GACCGCCG UUUUUUUUUUU 5'
AAAAAAAAAAA

GC
5'

CG
RNA-Polymerase RNA-Polymerase

GG
CU
Labile Hybridhelix mRNA
5'
G
A
CC

GC-reiche, palindrome Sequenz


CG
GC

mRNA

5' 3'
3' 5'

5' 3'
5'
3' CGGCGGT C GACCGCCG UUUUUUUUUUU 5'
AAAAAAAAAAA

G C
C G ATP ADP + Pi
C G
5' G C
C G
C G
A U
G C
Terminationsschleife 5' 3'
3' 5'

5'

5' 3'
3' CGGCGGT C GACCGCCG AAAAAAAAAAA 5'
5' 3'
UUUUUUUUUUU 3' 3' 5'
G C
C G 3'
C G 5'
5' G C
C G
C G
A U
G C

a b

..      Abb. 4.6 Termination: rho-unabhängig (a) und rho-abhängig (b)

1. Der schwache Zusammenhalt zwischen den Uracilresten der RNA und den
Adeninresten der DNA bewirkt, dass die Polymerase pausiert.
2. Guanine und Cytosine innerhalb des RNA-Einzelstrangs gehen Wasserstoff-
brückenbindungen ein und bilden einen internen Doppelstrangabschnitt, der
Haarnadelstruktur oder kurz Haarnadel, hairpin oder stem-loop genannt wird.
3. Die Haarnadel zieht förmlich die RNA aus dem Elongationskomplex und be-
endet die Transkription.
4. Antiterminatoren verhindern die Termination, indem sie den U-­ A-­
Doppelstrangabschnitt stabilisieren. Die Polymerase pausiert nicht mehr, die
Haarnadel kann sich nicht ausbilden und die Polymerase liest weiter durch (re-
adthrough). Phagen nutzen oft Antiterminatoren. Beispiele für den Phagen λ
sind seine Proteine N und Q. Der Phage setzt seine Antiterminatoren nach-
einander ein. So stellt λ sicher, dass die eigenen Genen von der Wirtszelle in
festgelegter Reihenfolge transkribiert werden.
94 Kapitel 4 · Transkription

Rho-Faktor-abhängige Termination (. Abb. 4.6b)


Dieser Mechanismus kommt bspw. bei E. coli vor. Namensgebend ist das Protein-
hexamer Rho (ρ). Es heftet sich an sogenannte rut-Stellen der transkribierten RNA
(rho-utilization sites). Unter ATP-Verbrauch bewegt sich das ρ-Hexamer auf die
Polymerase zu. Hat die Polymerase angehalten, kann ρ sie einholen. Mit seiner He-
likasefunktion trennt das Hexamer die RNA von der DNA.

4 4.8.2 Termination bei Archaeen und Eukaryoten

Auch Archaeen nutzen für die Termination Palindromstrukturen und wohl auch
Terminationsfaktoren.
Bei Eukaryoten erfolgt die Termination bei den drei Polymerasen unterschied-
lich:
55 Die Polymerase I wird von Terminations-Sequenzen und Terminationsfaktoren
wie TTFI gestoppt. Sie blockieren die Polymerase, und der Elongationskomplex
löst sich auf.
55 Die Polymerase III erkennt ein Terminationssignal der DNA, durch das sich
die DNA-RNA-Bindung lockert. Besondere Terminationsfaktoren sind nicht
notwendig.
55 Die Termination der Transkription durch die Polymerase II ist verknüpft mit
der Polyadenylierung (s. u.). Hat die Polymerase II das Signal für die Polyade-
nylierung transkribiert, läuft sie noch weiter, während spezifische Spaltungs-­
Proteine (cleavage factors) das Signal erkennen, die RNA schneiden und poly-
adenylieren. Die Polymerase stoppt schließlich ohne klares, eindeutiges Termi-
nations-Signal.

4.9 Prozessierung von Transkripten

Sowohl Pro- als auch Eukaryoten bearbeiten ihre RNA-Moleküle während und/
oder nach der Transkription, sodass aus den Prä-RNAs reife RNAs werden.

4.9.1 Prozessierung bei Bakterien


Prozessierung von rRNAs und tRNAs und Editing von rRNAs
Sieben rrn-Operon s kommen bei E. coli vor. Sie enthalten die DNA für die (in die-
ser Reihenfolge) 16S-, 23S- und 5S-rRNA und dazwischen tRNA-Gene. Weitere
tRNA-Gene liegen einzeln oder geclustert verstreut im Genom.
RNasen trennen die Transkriptabschnitte voneinander:
1. Die RNA-Polymerase stellt zunächst ein großes Primärtranskript her. Es um-
fasst die Gene für die rRNAs und tRNAs. Spacer-Sequenzen liegen zwischen
den späteren, reifen RNA-Molekülen.
4.9 · Prozessierung von Transkripten
95 4
2. In diesem Primärtranskript bilden die Abschnitte für die rRNAs jeweils Haar-
nadeln, die tRNAs bilden schon ihre charakteristischen Kleeblätter aus.
3. Mehrere RNasen (RNase III, E, P, D) setzen an diesen Sekundärstrukturen an
und schneiden die rRNAs und tRNAs heraus, zerschneiden die Prä-­tRNAs
und trimmen sie zurecht.

Einzelne Nucleotide der Prä-rRNAs werden beim RNA-Editing noch verändert.


Dazu gehören Methylierung, Umwandlung zu Pseudouridin u. a.
Umfangreicher ist das RNA-Editing der Prä-tRNAs. Ungewöhnliche Basen
sind geradezu das Markenzeichen für tRNAs. Hierzu gehören Dihydrouridin oder
Inosin. Die Zelle nimmt dazu Veränderungen vor wie Methylierung, Des-
aminierung, Isomerisierung der Base, Austausch von Sauerstoff gegen Schwefel,
oder sie tauscht ein ganzes Nucleotid aus.

Prozessierung vom mRNAs


Mittlerweile kennt man auch aus Bakterien mRNAs mit nichtcodierenden Ab-
schnitten. Da sich bei Bakterien die Translation direkt an die Transkription an-
schließt, muss das Herausspleißen schnell erfolgen. Dies geschieht autokatalytisch
aus der RNA, weil es sich um Introns der Gruppe I (s. u.) handelt.

4.9.2 Prozessierung bei Eukaryoten

Bei Eukaryoten werden die Prä-mRNA-Moleküle am umfangreichsten prozessiert


(. Abb. 4.7). Das reife mRNA-Molekül entsteht durch
55 Capping: Die mRNA erhält eine 5′-Cap oder Kappe.
55 Splicing oder Spleißen: Die Zelle schneidet aus einem RNA-Molekül Introns
heraus und setzt die Exons zusammen.
55 Tailing: Spaltung und Polyadenylierung. Die mRNA wird geschnitten und er-
hält einen Poly(A)-Schwanz am 3′-Ende.

Capping
Wenn die Polymerase II 25 bis 30 Nucleotide synthetisiert hat, setzen drei Enzyme
dem 5′-Ende der mRNA eine Kappe auf. Sie besteht aus mindestens einem Methyl-
rest am Guanosin (7-Methyl-Guanosin, m7G), eventuell kommen zusätzliche
Methylreste an anderen Stellen hinzu. Die snRNAs bekommen G-Caps mit ande-
ren Methylierungen.
Die ausführenden Enzyme stehen in Kontakt mit der hyperphosphorylierten
carboxyterminalen Domäne der Polymerase II, CTD, und sichern somit das Cap-
ping direkt nach dem Start der Transkription.
Die Cap hat mehrere Funktionen:
55 Sie schützt vor Nucleaseabbau.
55 Sie gewährleistet die Initiation der Translation und das Spleißen.
55 Sie ist für den Export aus dem Zellkern wichtig.
96 Kapitel 4 · Transkription

Promotor- Transkriptions-
Region start
Startcodon Stoppcodon Polyadenylierungs-
(ATG) (TAA/TAG/TGA) signal

5' GT AG GT AG AATAAA …CA … TTT …


DNA Exon1 Intron1 Exon2 Intron2 Exon3

5'UTR 3'UTR
Transkription
Polyadenylierungs-
4 AUG Stopp signal
RNA
primäres Exon1 GU AG Exon 2 GU AG Exon3 AAUAAA
Transkript 3'UTR
5'UTR Intron1 Intron 2

Capping, Spleißen, Polyadenylierung

AUG Stopp
RNA
7-Methyl-
reifes Exon1 Exon 2 Exon3 AAAAAAA Poly(A)-Schwanz
Guanosin
Transkript
5'UTR 3'UTR

..      Abb. 4.7 Transkription und begleitende Prozesse bei Eukaryoten mit Signalsequenzen. (Nach
Schaaf und Zschocke 2013)

..      Abb. 4.8 Im Intron 26 des Gens für Neurofibromatose Typ I liegen drei kleine Gene (nach Busel-
maier und Tariverdian 2007). OMG (oder auch OMGP) ist ein membrangebundenes Glykoprotein
des Oligodendrozyten-Myelins, EVI2B und 2A sind virale Insertionssequenzen

Spleißen
Das Spleißen oder Splicing ist ein Vorgang, bei dem die Introns aus RNA-­Molekülen
entfernt und die verbleibenden Exons in richtiger Reihenfolge zusammengesetzt
werden.
Man charakterisiert Introns als nichtcodierende, Exons als codierende Ab-
schnitte. In einem Intron kann jedoch ein kleineres Gen lokalisiert sein (. Abb. 4.8).
Die Länge der Introns erreicht bis zu mehrere Tausend bp, Exons sind erheblich
kürzer. Daher ist die Länge eines Gens in erster Linie von der Länge der Introns ab-
hängig. Beispiele: Die 117 Introns des Typ-VII-Kollagen-Gens (31 kb) machen
72 % des Gesamtgens aus, die 78 Introns des Dystrophingens (2400 kb) sogar 98 %.
Gespleißt werden die Prä-mRNAs, -tRNAs und -rRNAs im Kern sowie RNAs
in Mitochondrien und Chloroplasten.
4.9 · Prozessierung von Transkripten
97 4
Der Spleißprozess kann einfach oder komplex ablaufen:
55 Im einfachsten Fall arbeitet ein Intron selbstständig oder autokatalytisch, es
spleißt sich selbst heraus.
55 Komplexer ist der Vorgang in sogenannten Spleißosomen. Hier kommen etliche
Proteine und rRNA-Moleküle zusammen. Da beim Spleißen keine Nucleotide
verlorengehen dürfen, muss es so korrekt wie möglich erfolgen. Dazu bilden
Consensussequenzen die Grundlage.

Das einfache Spleißen


Anhand des Ablaufs unterteilt man mehrere Typen des einfachen Spleißens:
55 Gruppe-I- und Gruppe-II-Introns
–– Das Spleißen erfordert nicht zwingend weitere Proteine, es erfolgt autokata-
lytisch. Allerdings unterstützen oft Maturasen die Spleißaktivität. In erster
Linie helfen sie der RNA, die notwendige Konformation für das Spleißen
einzunehmen. Zum Teil codieren die Introns selbst diese Enzymaktivität,
zum Teil sind es unabhängige Enzyme.
–– Die RNA ist ein Ribozym, eine Ribonucleinsäure, die enzymatisch arbeitet.
–– Gruppe-I-Introns kommen in Prä-rRNAs im Zellkern von Einzellern, in
RNAs von Organellen und von Bakterien vor. Das Spleißen benötigt ein ex-
ternes Guanosin oder Guanosinphosphat. Es legt sich an die Intron-Exon-­
Grenze, die 3′-OH-Gruppe greift ein Phosphoratom an der 5′-Spleißstelle an
und trennt Exon und Intron voneinander. Chemisch betrachtet kommt es zu
Umesterungen (das Guanosinphosphat hat daher keine Bedeutung als
Energieträger).
–– Gruppe-II-Introns in Organellen und bei Prokaryoten kommen ohne externe
Moleküle aus. Hier übernimmt ein Adenosin mit einer 2′-OH-Gruppe, das
sich im Intron befindet, die Aufgabe des externen angreifenden Guanin-
nucleotids. Es greift an anderer Stelle wieder an, sodass das Intron sich selbst
verknüpft zu einem Lasso oder Lariat.
55 Introns von tRNA-Genen
–– Das Spleißen nutzt ATP-abhängige Ribonucleasereaktionen. Eine
Endonuclease-­Aktivität schneidet das Intron heraus, hinterlässt allerdings
chemisch unbrauchbare Enden. Die Esterase- und die Kinase-Funktion
müssen die Enden erst bearbeiten, bevor die Ligase-Funktion sie wieder mit-
einander verknüpft und somit die Lücke schließt.
–– Diesem Weg ähnelt auch das Spleißen bei Archaeen. Sie besitzen Introns in
rRNA- und tRNA-Genen, die eine Ribonuclease herausschneidet.

Die Speißosomen
Diese Variante des Spleißens kommt bei den meisten eukaryotischen Genen vor.
Wie in Gruppe-II-Introns wird dabei ebenfalls ein Lasso gebildet (. Abb. 4.9).
98 Kapitel 4 · Transkription

Donatorstelle Akzeptorstelle
Branch site
Exon 1 GU A AG Exon 2

Schnitt an der 5'- Exon-Intron-Grenze

Exon 1 GU A AG Exon 2

4 Lassobildung

UG
Exon 1 A AG Exon 2

Schnitt an der 3'- Exon-Intron-Grenze


UG

Exon 1 Exon 2 A AG

..      Abb. 4.9 Vereinfachte Darstellung des Spleißens. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)

Chemisch gesehen ist der Ablauf in Gruppe-II-Introns und in den Spleißoso-


men eine zweifache Umesterung.
1. Die 2′-OH-Gruppe des inneren Adenosins greift das Startnucleosid des Introns
am 5´-Exon-Intron-Übergang an. Das Adenosin knüpft sich an das Nucleosid,
bildet eine 5′-2′-Phosphodiesterbindung, gibt das Exon frei und bildet das
Lasso.
2. Die 3′-OH-Gruppe des letzten Exon-Nucleosids greift das Intron an der
3′-Spleißstelle an, spaltet es heraus und verbindet sich mit dem ersten Nucleo-
sid des nachfolgenden Exons. Das Lasso fällt heraus.

z Das Spleißen mit einem Spleißosom erfüllt mehrere Anforderungen


55 Der Vorgang muss exakt erfolgen. Ein Fehler an den Exon-Intron-Grenzen
oder ein Spleißen an einer Stelle, die gar kein Exon-Intron-Übergang ist, ver-
ändert die nachfolgende mRNA und somit die Aminosäuresequenz (s. u., Mu-
tationen).
55 Introns überspannen eventuell mehrere Tausend Nucleotide. Die Prä-mRNA
könnte sich dadurch selbst „verknoten“ und unerwünschte Sekundärstrukturen
ausbilden.
55 Die Exons müssen geordnet aufeinander folgen und nicht in zufälliger Reihung.

Das Spleißosom nutzt mehrere Mechanismen für die Präzision:


55 Consensussequenzen markieren die Exon-Intron-Grenzen.
–– GU-AG-Introns. Am häufigsten sind GU die ersten beiden Nucleotide des
Introns an der 5′-Spleißstelle (Donorstelle) und AG die letzten beiden Nuc-
leotide an der 3′-Spleißstelle (Akzeptorstelle). Vor dem AG liegen einige
Pyrimidinnucleotide.
–– AU-AC-Introns. Ein anderer, seltenerer Typ sind die AU-AC Introns.
4.9 · Prozessierung von Transkripten
99 4
55 Kleine, uracilreiche RNAs bilden das katalytische Zentrum. Sie heißen U1-,
U2-, U4-, U5- und U6-snRNAs oder small nuclear-RNAs.
55 snRNPs. An die U-snRNAs binden sich Proteine. Sie koordinieren und regulie-
ren den Vorgang und bringen die räumlich getrennten Nucleotide zueinander.
Die entstehenden Mischkomplexe heißen small nuclear ribonucloproteins, kurz
snRNPs oder „Snurps“.
55 Spleißfaktoren. Zusätzlich zu den snRNPs kommen weitere, zahlreiche Pro-
teine mit der Funktion als Spleißfaktoren hinzu. Beispiel: SR-Proteine. Ihre
Funktion erfordert zwei Domänen: (1) SR-Proteine tragen eine Serin-Arginin-­
reiche Domäne (S und R sind die 1-Buchstaben-Abkürzungen für die Amino-
säuren). Diese SR-Domänen sind „Kommunikationsabschnitte“, mit denen die
Proteine untereinander interagieren. (2) Sie besitzen eine weitere Bindungs-
domäne, das RNA-Erkennungsmotiv (RRM, RNA recognition motif). Ein
unter RNA-bindenden Proteinen weit verbreitetes Motiv, um sich an die RNA
zu heften.

Das eigentliche Spleißen wird vorbereitet, wenn die snRNA des U1-snRNP die
5′-Spleißstelle erkennt und sich anheftet:
55 Spleißfaktoren verteilen sich auf die Consensussequenzen und führen Donor-
und Akzeptorstelle zueinander.
55 Der U2-snRNP bindet sich an die Intronregion mit dem angreifenden Adeno-
sin und wird dann zur Donorstelle gelenkt. Dabei helfen RNA-bindende Pro-
teine mit, z. B. setzt sich das branch point binding protein an den Adenosinver-
zweigungspunkt.
55 Das Spleißosom ist dynamisch: Seine Proteine ändern ihre Konformation. Wäh-
rend die U4/U6-snRNPs (enthält die zwei snRNAs) und U5-snRNP eintreten,
tritt das U1-snRNP aus dem Komplex aus, und auch U4-snRNP verlässt ihn
wieder. Die snRNAs arrangieren sich, und das Spleißen läuft ab.
55 Durch Mutationen an den Spleißstellen kommt es zu Fehlern. Beispiel beim
Menschen: Bei der Erbkrankheit β-Thalassämie bilden die Betroffenen zu
wenig β-Globin. Hier sind verschiedene Mutationen in Spleißstellen der Introns
bekannt, die den β-Globin-Mangel verursachen.

Wie das Capping und Tailing ist auch das Spleißen an die Transkription gekoppelt.
Die hyperphosphorylierte CTD führt den Spleißapparat an die Prä-­mRNA. Eine
Untergruppe der SR-Proteine stellt dazu die Verbindung her, sie heißen CTD-­
assoziierte SR-ähnliche Proteine (CASP).
RNA-Moleküle, die mit Proteinen assoziiert sind und zusammen mit diesen
ihre Funktion ausüben, bezeichnet man als Ribonucleoprotein. Da allerdings
RNAs von der Synthese bis zum Abbau immer mit Proteinen assoziiert sind, liegen
sie im weiteren Wortsinne immer als Ribonucleoproteine vor.
An den Exon-Intron-Grenzen lagern sich Proteine an. Die mRNA verlässt als
Ribonucleoprotein den Kern ins Cytoplasma. Der Transport erfolgt mit Hilfe von
Transportproteinen. Verschiedene Proteine lagern sich an die RNAs an und bauen
sie schließlich ab.
100 Kapitel 4 · Transkription

Das alternative Spleißen


Die Zelle kann manche Exons auswählen, andere weglassen, sodass aus einem Gen
verschiedene Proteine werden können. Das nennt man alternatives oder differen-
zielles Spleißen.
Dabei kommen verschiedene Möglichkeiten vor (. Abb. 4.10).
55 Am häufigsten: Exons werden ausgelassen, in der reifen mRNA folgt auf das
erste vielleicht das dritte Exon (exon skipping).
55 Dieses Auslassen kann auch das erste oder letzte Exon betreffen, sodass die
4 reife mRNA mit dem zweiten Exon der Prä-mRNA beginnt oder mit dem
zweitletzten endet. In diesem Fall spricht man von alternativem ersten/letzten
Exon.
55 Gegenseitiger Ausschluss: Die mRNA enthält immer eines von zwei Exons,
aber nicht beide gleichzeitig.
55 In einem Exon liegen mehrere Spleißstellen vor. Die Zelle erkennt alternative 5′-
Donor- oder 3′-Akzeptorspleißstellen.
55 Die reife mRNA behält Introns (intron retention). Dies kommt bei Pflanzen, Pil-
zen und Protozoen häufiger vor als bei Tieren.

Alternatives Spleißen ermöglicht, in einem DNA-Molekül noch mehr Information


zu speichern, weil aus einem DNA-Molekül mehrere Proteine hergestellt werden.
Damit erklärt man die für den komplexen Menschen relativ geringe Anzahl an
Genen.
Beispiel von Drosophila: Bei der Ausprägung des Geschlechts spleißen Männ-
chen und Weibchen mehrere Prä-mRNAs unterschiedlich. Es ergeben sich jeweils
verschiedene funktionstüchtige Proteine, die das Geschlecht ausprägen.

Exonskipping

Gegenseitiger Ausschluss

Alternative 5'-Donorspleißstellen

Alternative 3'-Akzeptorspleißstellen

Intronretention

..      Abb. 4.10 Mögliche Wege des alternativen Spleißens


4.9 · Prozessierung von Transkripten
101 4
Beispiele beim Menschen:
55 Die Exons für das SLO-Protein im Innenohr werden in vielen verschiedenen
Variationen gespleißt. Dadurch kommen im Ohr viele Isoformen des Proteins
vor, die letztlich dazu dienen, den Bereich der Wahrnehmung von Frequenzen
zu erweitern.
55 Das Peptidhormon Calcitonin senkt den Calciumgehalt. Genau wie das ver-
wandte Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) wird es von dem CALCA-­
Gen codiert. Durch gewebespezifisches alternatives Spleißen bilden Zellen von
dem primären mRNA-Transkript in der Schilddrüse überwiegend Calcitonin
und in bestimmten Nervenzellen vorwiegend CGRP.

Beim trans-Spleißen werden Exons aus mehreren verschiedenen Prä-mRNA-­


Molekülen miteinander verbunden. Insgesamt tritt es selten auf. Diese Variante
des Spleißens kommt beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans und bei den
Trypanosomen vor, den Erregern der Schlafkrankheit. Trypanosomen beispiels-
weise translatieren ihre mRNAs nur, wenn diese am 5′-Ende eine Leader-Sequenz
tragen, die SL-RNA (spliced leader RNA). Die eine Hälfte des Introns besteht aus
dem 3′-Ende der Leader-Sequenz, die andere aus dem 5′-Ende der mRNA. Das
trans-­Spleißen spaltet beide ab und heftet den Leader vor die mRNA-Sequenzen.

Regulation beim alternativen Spleißen


Stoppt die RNA-Polymerase während der Transkription, kann der Spleißapparat
alternative schwache Spleißstellen erkennen und nutzen. Für den Stopp gibt es ver-
schiedene Gründe:
55 Regulatorische Sequenzen in Exons oder Introns, an die sich Proteine binden.
–– Spleiß-Enhancer-Elemente fördern den Vorgang,
–– Spleiß-Silencer-Elemente unterdrücken ihn.
Mutationen in solchen Sequenzen können beim Menschen Erbkrankheiten ver-
ursachen. Humangenetiker führen einen Typus der spinalen Muskelatrophie
auf eine Punktmutation in einem Splice-Enhancer von SMN1 zurück.
55 Die Aktivität der SR-Proteine.

Tailing
Am 3′-OH-Ende des Transkripts fügt die Poly(A)-Polymerase, PAP, einen Adenin-
schwanz aus 100 bis 200 Nucleotiden an. Diese Polymerase arbeitet unabhängig
von einer Matrize.
1. Die Polymerase II transkribiert bei Säugetieren das ­charakteristische Po-
ly(A)-Signal AAUAAA, etwa 20 bis 30 Nucleotide stromabwärts folgt ein CA,
dahinter folgt nach zehn bis 20 Nucleotiden ein GU-reicher Abschnitt.
Die Polymerase führt mehrere Proteine mit für die Spaltung und Adenylie-
rung, die CPA-Maschinerie (cleavage and polyadenylation):
102 Kapitel 4 · Transkription

55 den Spezifitätsfaktor für Spaltung und Polyadenylierung (CPSF, cleavage


and polyadenylation specificity factor),
55 den Stimulationsfaktor für die Spaltung (CstF, cleavage stimulation factor)
und
55 Spaltungsfaktoren (cleavage factor) CFI und CFII.
2. Sobald die Polymerase das Polyadenylierungssignal transkribiert hat, wechseln
diese Faktoren von dem Enzym auf die RNA über.
3. Die mRNA wird nach dem CA geschnitten.
4 4. Die Poly(A)-Polymerase synthetisiert den Poly(A)-Schwanz, und poly(A)-bin-
dende Proteine, PABP, heften sich an ihn und stabilisieren ihn. Im Cytoplasma
binden sich PABP an den eIF4F-Komplex und erleichtern die Translation. His-
ton-mRNAs bilden einen stem loop aus an Stelle des Poly(A)-Schwanzes.

Alternative Spaltung und Polyadenylierung (APA) der Prä-mRNAs führt dazu,


dass mRNAs für ein Protein unterschiedliche 3′-UTRs besitzen. In verschiedenen
Zelltypen unterscheiden sich die 3′-UTRs spezifisch für bestimmte Gene. Man
nennt sie mRNA-Isoformen. Die Expression alternativer 3′-UTRs erfolgt kontrol-
liert als Reaktion auf Umweltsignale.
Der Poly(A)-Schwanz umfasst verschiedene regulatorische Elemente, mit denen
er mehrere Funktionen erfüllt:
55 Schutz vor Abbau durch Exonucleasen,
55 Interaktion mit Proteinen für den Transport aus dem Kern heraus,
55 Sicherung der Translation.
55 In mRNA-Isoformen modulieren die verschiedenen 3′-UTRs diese Funktionen.
Beispiele: (1) Verschiedene 3′-UTRs bestimmen, wo Proteine in Nervenzellen
(Zellkörper oder Axon) translatiert werden. (2) In Krebszellen entgehen einige
Onkogene der RNA-Interferenz durch die miRNA (7 Abschn. 7.7.3), weil sie
eine Isoform mit kurzer 3′-UTR bilden. Der kürzeren 3′-UTR fehlt das
Bindungsmotiv für den Köder in der miRNA.

4.10 RNA-Editing

Eukaryoten editieren rRNAs, tRNAs, mRNAs und miRNAs durch sequenzspezi-


fische Insertion oder Deletion (Beispiel: Pan-Editing, s. u.) oder enzymatische
Modifikation.
55 Häufig kommen Desaminierungen von Adenosin zu Inosin vor. Die Um-
wandlung erfolgt mittels der Adenosindesaminasen für RNA (ADAR, adenosine
desaminase acting on RNA).
Eine A-zu-I-Desaminierung in einer mRNA führt dazu, dass sich eine an-
dere tRNA an das Codon heftet. Denn die tRNA liest das Inosin als Guanosin
und baut eine andere Aminosäure in das Protein ein.
Säugetiere editieren so Prä-mRNAs, um verschiedene Glutamat- oder
­Serotoninrezeptoren herzustellen.
55 Eine andere Modifikation ist die Umwandlung von Cytidin zu Uridin. Sie ist
nicht so weit verbreitet wie die Desaminierung von Adenosin.
4.11 · Abbau von mRNA-Molekülen
103 4
Ein Beispiel liefert die menschliche Prä-mRNA für das Apoliporotein B.
Davon gibt es zwei Formen für den Transport von Lipiden im menschlichen
Körper: Leberzellen bilden ein langes Protein (Apo-B 100), Darmzellen eine
verkürzte Variante (Apo-B 48). Das kleinere Apo-B 48 entsteht wegen einer en-
zymatischen Desaminierung von Cytidin in der Prä-mRNA. Daraus resultiert
ein Uridin und damit ein Stoppcodon.

Um rRNA-Moleküle zu editieren, stellen Eukaryoten weitere kleine RNA-­


Moleküle her, die im Nucleolus vorkommen. Daher der Name small nucleolar
RNAs oder snoRNAs. Die snoRNAs fallen in zwei Gruppen. Die Einteilung ba-
siert auf kurzen Abschnitten oder Boxen in ihrer Sequenz. Die snoRNAs der C/D-­
Gruppe methylieren die Ribose an der 2′-Position („D“ steht für A, G oder T),
snoRNAs der H/ACA-Gruppe überführen Uridin in Pseudouridin („H“ steht für
A, C oder T). Die snoRNAs sind sehr spezifisch. Für (fast) jede zu verändernde
Position in der Prä-rRNA gibt es ein eigenes Molekül.
Sie agieren zusammen mit Proteinen in snoRNPs genannten Ribonucleoprot-
einpartikeln. Die snoRNAs haben die Funktion einer guideRNA oder gRNAs. So
bezeichnet man RNAs, welche die Zielnucleotide festlegen.

4.10.1 Editing bei Trypanosomen

In großer Zahl findet man gRNAs in den Mitochondrien von Trypanosomen.


Trypanosoma brucei verursacht beim Menschen die Afrikanische Schlafkrankheit.
Trypanosomen besitzen ein besonderes Mitochondriengenom, das auch
Kinetoplast-­DNA genannt wird. Es besteht aus vielen, bis zu mehreren Tausend
kleinen DNA-Ringen (Minicircles) und einigen wenigen, großen DNA-Ringen
(Maxicircles).
Die Maxicircles enthalten Kryptogene. Diese werden erst durch das Editing zu
vollständigen Genen. Notwendig dafür sind die gRNAs, die von den Minicircles
codiert werden. Sie bekommen an ihr 3′-Ende einen Poly-Uridin-Schwanz (Po-
ly(U)-Schwanz) angehängt. Sie sind komplementär zu den Prä-mRNAs der Kryp-
togene, lagern sich an und insertieren U in die Prä-mRNAs, sodass diese ihr richti-
ges Leseraster erhalten. Das Uridin stammt aus dem 3′-Poly(U)-Schwanz. Da das
Editing nicht nur einzelne Nucleotide betrifft, sondern im großen Maßstab abläuft,
hat man es Pan-Editing getauft.

4.11 Abbau von mRNA-Molekülen

Die Lebensdauer von mRNA-Molekülen ist begrenzt, sehr unterschiedlich und


charakteristisch für jede mRNA.
Während die DNA grundsätzlich stabil ist und erhalten bleibt, synthetisiert die
Zelle RNA immer wieder neu und zerstört sie nach der Verwendung. Das gilt
grundsätzlich für alle RNA-Typen. So bauen Zellen die RNA-Primer für die Repli-
kation wieder ab, und in Bakterien bestimmen die Nahrunsbedingungen, welche
104 Kapitel 4 · Transkription

und wie viele tRNAs für die Proteinsynthese vorhanden sind. Am deutlichsten und
stärksten ausgeprägt ist der stetige Umbau bei mRNA-Molekülen. Er gewährleistet
die passende Proteinausstattung einer Zelle, je nach äußeren Bedingungen und
Zellfunktion.
In E. coli liegt die durchschnittliche Halbwertszeit von mRNAs bei drei Minu-
ten. Sie reicht je nach Molekül von 20 s bis 90 min. Die mRNAs vielzelliger Tiere
bleiben länger erhalten, die Halbwertszeit erstreckt sich von Minuten bis Stunden
oder dauert sogar Tage.
4 Der Abbau von RNAs erfolgt mit Hilfe von Ribonucleasen, im RNA-Kontext
oft nur Nucleasen genannt.
55 Riboendonucleasen spalten eine RNA im Inneren.
55 Riboexonucleasen bauen die RNA vom 3′- oder vom 5′-Ende her ab.
55 Distributive Nucleasen entfernen nur ein Nucleotid oder einige wenige.
55 Processive Nucleasen bauen die RNA Nucleotid für Nucleotid weiter ab.

4.11.1 Abbau von mRNAs in E. coli

In E. coli wirken Endonucleasen, Exonucleasen und weitere Faktoren zusammen in


einem Komplex, der Degradosom heißt.
1.) Zunächst entfernt die Zelle am 5′-Ende ein Pyrophosphat.
2.) Im nächsten Schritt zerschneidet eine Endonuclease (z. B. RNase E) nahe des
5′-Endes die Sequenz.
3.) Dann trennt eine Exonuclease vom 3′-Ende her die Nucleotide dieses Teil-
stücks ab (z. B. PNPase, Polynucleotid-Phosphorylase). Schritt 2 und 3 wieder-
holen sich nun nacheinander wie bei einem häppchenweisen Abbeißen und
Verdauen. Sekundärstrukturen wie stem loops verzögern den Abbau.

4.11.2 Abbau von mRNAs in Eukaryoten

In Eukaryoten wie der Hefe verhindern die Methyl-Kappe am 5′-Ende und der Po-
ly(A)-Schwanz am 3′-Ende die Zerstörung der mRNA. Solange der Poly(A)-Schwanz
erhalten und mit Bindeproteinen (PABP) besetzt ist, heftet sich der Faktor
eIF4F-Komplex an diese Proteine, an das 5′-Ende und formt eine schützende
Schlaufe.
4.11 · Abbau von mRNA-Molekülen
105 4

Vor allem die 3′-UTR enthält stabilisierende oder destabilisierende Elemente.


Sie beeinflussen die Lebensdauer der mRNA. Beispiel: Die mRNA für Transferrin
mit dem IRE (iron-response element) in der 3′-UTR. Transferrin ist ein Leber-
protein für den Eisentransport. Das IRE kann mehrere Haarnadeln ausbilden. Ist
der Eisengehalt gering, heftet sich ein IRE-Bindungsprotein (IBP) an diese Haar-
nadeln, schützt die mRNA vor dem Abbau, und es wird Transferrin gebildet, um
den Eisentransport aus dem Blut sicherzustellen. Ist der Eisengehalt allerdings
hoch, ist Transferrin entbehrlich. In diesem Fall lagert sich das vorhandene Eisen
an das IBP, das nun seine Konformation ändert und sich von der mRNA löst.
Diese wird daraufhin schneller abgebaut.
Eine Deadenylase (oder Poly(A)-Nuclease) leitet generell die Zerstörung ein,
indem sie den Poly(A)-Schwanz zersetzt. Das Enzym baut den Poly(A)-Schwanz
soweit ab, dass nur ein Fragment von etwa 10 Adenin-Resten übrig bleibt. Die
Schlaufe löst sich. Der eigentliche Abbau kann nun vom 5′-Ende oder vom 3′-Ende
her erfolgen.
55 Vom 5′-Ende: 1.) Dcp (decapping enzymes) entfernen die Methyl-Kappe. 2.) Die
Exonuclease Xrn1 zerstört dann vom 5′-Ende her die Sequenz.
55 Vom 3′-Ende: Ein Komplex aus mehreren Proteinen, das Exosom, arbeitet als
3′-5′-Exonuclease und spaltet die Nucleotide ab. Das Exosom ähnelt dem De-
gradosom in E. coli und kommt auch in Archaeen vor.
55 Qualitätskontrollen sorgen für den beschleunigten Abbau abweichender, fehler-
hafter oder irrtümlich hergestellter mRNA-Moleküle. Ein RNA-­
Überwachungssystem (RNA surveillance system) im Zellkern verwendet z. B. in
Hefe den Proteinkomplex TRAMP. Er heftet sich an die mRNA und aktiviert
das Exosom für den Abbau dieser unerwünschten RNA.
55 Andere Qualitätskontrollen arbeiten im Cytoplasma. Sie setzen während der
Translation ein und unterscheiden sich je nach Situation. (1) Die mRNA ent-
hält ein vorzeitiges Stoppcodon, z. B. als Ergebnis einer Nonsense-Mutation.
Einige Organismen erkennen den zu langen 3′-UTR, der daraus folgt, als Signal
für eine fehlerhafte mRNA. Die Zelle leitet mit Hilfe von UPF-Proteinen (up
frameshift protein) den Nonsense-vermittelten Abbau (NMD, nonsense-­mediated
decay) ein. (2) Die mRNA enthält kein Stoppcodon in ihrem Leserahmen und
die Ribosomen rücken bis zum Ende des mRNA-Moleküls vor. In diesem Fall
markieren SKI-Proteine die mRNA für den Abbau (NSD, nonstop decay). (3)
Die Ribosomen werden im Vorrücken blockiert. Ihr Anhalten leitet den Abbau
der mRNA ein (NGD, no-go decay).

Die mRNAs liegen nie nackt vor, vielmehr sind stets verschiedene Proteine an eine
mRNA gebunden, die jeweils individuellen Einfluss auf die Lebensdauer haben
(siehe . Abb. 4.11) und sie verlängern können.
106 Kapitel 4 · Transkription

Nucleolus

Transkription Spleißen AAAAAAA

Export

4 Kern

Cytoplasma

Lokalisation AAAAAAA

Translation

AA
AA
AA AA
A
A
Abbau A
A

RBPs Cytoskelett RNA-Polymerase II Spleißosom Ribosom RNase

..      Abb. 4.11 Während der Prozesse Transkription, Spleißen, Translation und Lokalisation der
mRNA sind Proteine an die mRNA gebunden, die ihren Abbau verzögern können. (Nach Gebauer
2021; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)

4.12 Charakteristika der mitochondrialen Transkription

Mitochondrien haben bakterielle Vorfahren. Belege dafür sind z. B. das ring-


förmige Chromosom und der Aufbau der Ribosomen. Daher haben sie einige
Merkmale der Transkription mit Bakterien gemeinsam. Die Symbiose mit dem
Kerngenom hat aber ebenfalls zu eukaryotischen Kennzeichen geführt. Zusätzlich
zeigen die Organellen eigenständige Charakteristika (siehe . Abb. 4.12).
55 Gemeinsam mit Bakterien hat die mRNA der Mitochondrien ein freies 5′-Ende
und keine Kappe.
55 Wie in (den allermeisten) bakteriellen mRNAs fehlen auch in Mitochondrien
Introns. Das Spleißen entfällt.
55 Ebenfalls gemeinsam mit Bakterien ist die Kopplung von Transkription und
Translation.
55 Allerdings transkribieren Mitochondrien (nahezu) das gesamte Genom und
keine Regulationseinheiten wie die bakteriellen Operons.
4.12 · Charakteristika der mitochondrialen Transkription
107 4
Bakterien Mitochondrien Kerngenom, Cytoplasma

lineare
ringförmiges Chromosom Chromosomen

mRNAs mRNAs werden durch mRNAs werden


werden Prozessieren der separat
separat tRNAs gewonnen transkribiert
transkribiert

Poly(A)-Schwänze Poly(A)-Schwänze
destabilisieren AAAAA stabilisieren mRNAs AAAAA
mRNAs

mRNA besitzt 5′-


mRNA besitzt freies 5′-P Kappe

Transkription und Transkription und


Translation laufen Translation sind
parallel räumlich getrennt

UTRs notwendig keine UTRs für UTRs notwendig


um Ribosomen Translation um Ribosomen
zu binden RBS notwendig Kozak zu binden

Translation ergibt nur Translation von Translation ergibt


verschiedenartige Membranproteinen verschiedenartige
Proteine Proteine

..      Abb. 4.12 Vergleich der Genexpression von Mitochondrien mit Bakterien und dem Kern-Ge-
nom. Graue Boxen heben Gemeinsamkeiten hervor. (Nach Rackham und Filipovska 2022; mit
freundlicher Genehmigung von Springer Nature)

55 In den Transkripten liegen tRNAs und mRNAs nebeneinander vor, durch Pro-
zessieren werden sie getrennt und einzelne mRNAs entstehen.
55 Eine Gemeinsamkeit mit der eukaryotischen Transkription im Kern sind die
stabilisierenden Poly(A)-Schwänze der mRNAs.
55 Anders als mRNAs in Bakterien und im Kern nutzen die mRNAs der Mito-
chondrien keine UTRs für die Translation.
109 5

Translation
Inhaltsverzeichnis

5.1 Worum geht es? – 111


5.2 Überblick und Grundbegriffe – 111
5.2.1 An der Translation sind folgende Moleküle beteiligt – 111

5.3 Der genetische Code – 112

5.4 tRNA -Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“) – 115


5.4.1 S truktur der tRNA – 115
5.4.2 Beladung der tRNA – 117
5.4.3 Der Wobble-Effekt – 118

5.5 Das Ribosom – 118


5.5.1 S truktur der Ribosomen – 119
5.5.2 Heterogenität der Ribosomen: Variationen im Aufbau – 121

5.6 Translation bei Bakterien – 121


5.6.1 I nitiation – 122
5.6.2 Elongation – 123
5.6.3 Termination – 125
5.6.4 Geschwindigkeit und Genauigkeit – 125

5.7 Translation bei Archaeen – 126


5.7.1  emeinsamkeiten zwischen Archaeen und Bakterien – 126
G
5.7.2 Gemeinsamkeiten zwischen Archaeen und Eukaryoten – 126

5.8 Translation bei Eukaryoten – 126


5.8.1 I nitiation – 126
5.8.2 Elongation – 128
5.8.3 Termination – 129

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_5
5.9 Prozessierung von Proteinen – 129
5.9.1  roteinfaltung – 130
P
5.9.2 Spaltung und Transport von Proteinen – 132
5.9.3 Chemische Veränderungen und Modifikationen – 133
5.9.4 Proteinspleißen – 134

5.10 Abbau von Proteinen, Degradation – 134


5.2 · Überblick und Grundbegriffe
111 5
5.1 Worum geht es?

Die Translation ist einer der grundlegenden Vorgänge in allen lebenden Zellen. Sie
markiert den zweiten Schritt nach der Transkription, um die in der DNA ge-
speicherte Information über eine mRNA in Proteine zu übersetzen. Somit stellt sie
die eigentliche, in den Ribosomen ablaufende Proteinbiosynthese dar. Die daran
beteiligten Komponenten und der Vorgang sind im Prinzip sowohl bei Bakterien,
Archaeen und Eukaryoten als auch in den Mitochondrien und Chloroplasten
gleich. Bei Prokaryoten beginnt die Zelle mit der Translation, während die Tran-
skription noch läuft, bei Eukaryoten muss die Zelle die mRNA vor der Translation
aus dem Zellkern ins Cytoplasma transportieren. Ebenso wie die Replikation und
die Transkription teilt man die Translation ein in Initiation, Elongation und Termi-
nation. Nach der Synthese können die Proteine durch posttranslationale Modi-
fikationen noch weiter bearbeitet und verändert werden.

5.2 Überblick und Grundbegriffe

Das Prinzip der Translation lässt sich mit dem Morsen vergleichen. So wie im
Morsealphabet eine Folge akustischer Zeichen übersetzt wird in einen Buchstaben
des lateinischen Alphabets, so übersetzt eine Zelle eine Folge von drei Basen in eine
Aminosäure (. Abb. 5.1).

5.2.1 An der Translation sind folgende Moleküle beteiligt

55 ein mRNA-Molekül,
55 rRNAs und zahlreiche Proteine, welche zusammen die Ribosomen aufbauen
(die rRNAs üben die entscheidende Peptidyltransferasefunktion aus),

Ribosom
Codons

mRNA 5' U G C U U C G C C G G A G A A 3'

tRNA
H H O H O H O H O
Anfang des
Polypeptids/Proteins H N N C C N C C N C C N C C
(Aminoende, H H CH 2 H CH 2 H CH 3 H H O
N-Terminus)
SH

Cystein Phenylalanin Alanin Glycin

..      Abb. 5.1 Prinzip der Translation


112 Kapitel 5 · Translation

55 tRNAs, um die Aminosäuren an die Ribosomen heranzuführen (die eigent-


lichen Dolmetscher bei der Translation sind tRNAs mit einer spezifischen
Aminosäure, sogenannte Aminoacyl-tRNAs),
55 für das erste Codon, das Startcodon, eine besondere Initiator-tRNA, die nur
hier eingesetzt wird,
55 Translationsfaktoren für die Koordinierung der einzelnen Schritte (Initiations-,
Elongations- und Terminationsfaktoren),
55 GTP als Energieträger,
55 im weiteren Umkreis: Enzyme, welche die tRNAs spezifisch mit den Amino-
säuren beladen: Aminoacyl-tRNA-Synthetasen.
5 Die wesentlichen Strukturen und Abläufe der Translation sind bei allen Organis-
men gleich:
55 Die Einheit von drei Basen, das Basentriplett, heißt Codon.
55 Im genetischen Code ist festgelegt, welches Codon welche Aminosäure codiert.
55 Die eigentlichen Orte und Maschinen der Proteinbiosynthese sind die Ribo-
somen. Sie setzen sich an die mRNA und führen die jeweiligen tRNAs heran.
55 Dabei lagert sich eine tRNA mit drei Basen komplementär an ein Codon an.
Diese drei Basen der tRNA nennt man Anticodon.
55 Die tRNA-Moleküle weisen alle eine charakteristische zwei- und drei-
dimensionale Struktur auf. Es kommen auch ungewöhnliche Basen in den
tRNAs vor.
55 Die Aminosäure hängt am 3′-Ende. Jede tRNA trägt eine spezifische Amino-
säure.
55 Die Ribosomen wandern die mRNA von 5′ nach 3′ entlang, führen die be-
nötigten tRNAs heran und übertragen die mitgeführte Aminosäure an die wei-
ter wachsende Aminosäure- oder Polypeptidkette.

5.3 Der genetische Code

Die Anzahl der Basenbausteine, die für eine Aminosäure stehen, ergibt sich mathe-
matisch.
55 Um Codewörter für die 22 proteinogenen Aminosäuren bilden zu können, sind
bei vier verschiedenen Buchstabenbasen (A, C, G und U) mindestens drei Buch-
staben pro Wort notwendig.
55 Hat man an einer Position vier Basen zur Auswahl, könnte man damit bei einem
Verhältnis Basen:Aminosäuren von 1:1 nur vier Aminosäuren codieren.
55 Kombiniert man die vier Basen auf zwei Positionen, hätte man 42 = 4 × 4 = 16
Kombinationen von Codons.
55 Erst bei drei Positionen hat man mit vier Basen 43 = 4 × 4 × 4 = 64 Möglichkeiten
und damit mehr Codons zur Verfügung, als Aminosäuren zu codieren sind
(. Tab. 5.1).
5.3 · Der genetische Code
113 5

..      Tab. 5.1 Genetischer Code für 20 Aminosäuren und Stoppcodons. (Nach Schaaf
und Zschocke 2013)

Erstes Zweites Drittes Codierte Abkürzung


Nukleotid Nukleotid Nukleotid Aminosäure

A A A oder G Lysin Lys, K


U oder C Asparagin Asn, N
C jedes Threonin Thr, T
G A oder G Arginin Arg, R
U oder C Serin Ser, S
U U, C oder A Isoleucin Ile, I
G Methionin (Start) Met, M
C A A oder G Glutamin Gln, Q
U oder C Histidin His, H
C jedes Prolin Pro, P
G jedes Arginin Arg, R
U jedes Leucin Leu, L
G A A oder G Glutamat Glu, E
U oder C Aspartat Asp, D
C jedes Alanin Ala, A
G jedes Glycin Gly, G
U jedes Valin Val, V
U A A oder G (Stopp) Ter, X
U oder C Tyrosin Tyr, Y
C jedes Serin Ser, S
G A (Stopp) Ter, X
G Tryptophan Trp, W
U oder C Cystein Cys, C
U A oder G Leucin Leu, L
U oder C Phenylalanin Phe, F
114 Kapitel 5 · Translation

Die Eigenschaften des genetischen Codes folgen direkt oder indirekt aus der Codie-
rung in Basentripletts:
55 Er ist ein Triplettcode: Drei Basen codieren eine Aminosäure.
55 Der Code ist degeneriert oder redundant. Mehrere Codons codieren die gleiche
Aminosäure, sie sind synonym.
55 Er ist nahezu universell bei allen Lebewesen.
–– Auch das Startcodon für die Translation und somit die erste Aminosäure
sind fast überall gleich.
–– Es gibt Ausnahmen von diesem Standardcode (s. u.).
55 Er ist kommafrei: Lückenlos schließt sich in der mRNA Codon an Codon.
5 55 Früher galt der genetische Code als nicht-überlappend. Genomweite Analysen
ergeben mittlerweile ein anderes Bild. Überlappende Gene kommen in allen
Genomen vor, bei Viren, Prokaryoten und Eukaryoten. Die Definitionen „über-
lappende Gene“ weichen allerdings voneinander ab.
55 In Prokaryoten und Viren überlappen die codierenden Sequenzen. In Eukaryo-
ten spricht man von einer Überlappung, wenn innerhalb der Grenzen des pri-
mären Transkripts mindestens eine Base Teil von zwei Transkripten ist. Hier
dürfen sich also auch nichtcodierende Abschnitte überlappen. Oft überlappen
sogar nur die 5′- oder 3′-UTRs.
55 Drei verschiedene Anordnungen für eine Überlappung sind möglich. (1) Gene
oder ORFs auf demselben DNA-Strang überschneiden sich (Tandem-­
Anordnung). Diese Anordnung kommt häufiger in Viren- und Bakterien-­
Genomen vor. In Eukaryoten findet man häufiger die Anordnungen zwei und
drei: (2) Gene oder ORFs liegen auf gegenüberliegenden Strängen, sie über-
schneiden sich an den 5′-Enden und laufen in entgegengesetzte Richtungen (di-
vergente Anordnung, head-to-head. (3) Gene oder ORFs liegen auf gegenüber-
liegenden Strängen. Sie überschneiden sich an den 3′-Enden und laufen auf-
einander zu (konvergente Anordnung, tail-to-tail).

Die Zuordnung der Aminosäuren zu den Codons wird häufig als Codesonne dar-
gestellt. Die Basen werden von innen (5′-Ende) nach außen (3′-Ende) abgelesen.
Die Nummern werden bei der Angabe des Tripletts weggelassen. Eine andere An-
ordnung erfolgt in Form einer Tabelle.
Das Startcodon ist meistens 5′-AUG-3′ (selten: GUG oder CUG). In der
. Tab. 5.1 kann man von links nach rechts ablesen, dass AUG Methionin codiert.
Einige Protozoen verwenden alternative Startcodons.
Es gibt drei Stoppcodons, für die keine tRNAs vorhanden sind.
Die Organismen zeigen artspezifische Vorlieben für einzelne Codons. Sie haben
eine charakteristische Codonverwendung (Codon Usage oder Codon Bias).
55 Verwendet eine Art ein für sie seltenes Codon, kann das zum Abbruch der
Translation führen.
55 Daher muss man die Codon Usage berücksichtigen, wenn man ein menschliches
Protein gentechnologisch von Bakterien synthetisieren lassen möchte.
55 Unterscheidet sich ein Gen zweier Menschen an einer Position und ist dabei ein
seltenes Codon beteiligt, kann sich das auf die Effizienz der Proteinsynthese
und damit gesundheitlich auswirken.
5.4 · tRNA -Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“)
115 5
Abweichungen vom Standardcode findet man in den Mitochondrien beispielsweise
von Säugern oder Pilzen. UGA bedeutet darin nicht „Stopp“, sondern codiert
Tryptophan, ebenso im Genom des Prokaryoten Mycoplasma spec. Einige Proto-
zoen (Trypanosomen, Paramecien) weichen im Kerngenom von dem Standard ab,
UAG bedeutet dann nicht „Stopp“, sondern codiert Glutamin.
Eine Umwidmung eines Codons führt zum Einbau von Selenocystein, Sec, (21.
Aminosäure) oder Pyrrolysin, Pyl, (22. Aminosäure).
55 Ob die Ribosomen Selenocystein verwenden, hängt nicht vom Codon selbst ab,
sondern vom Kontext: Folgt auf UGA in der mRNA eine Sequenz, die eine
Haarnadel ausbildet, so führt UGA eben nicht zum Stopp, sondern ein
Elongationsfaktor erkennt darin das Signal, eine eigene, mit Sec beladene
tRNA zum Ribosom zu führen.
55 Einige methanogene Archaeen bauen Pyrrolysin in ihre Proteine ein. Vermut-
lich codiert das „Stoppcodon“ UAG direkt Pyl, weil es seine Funktion als
Stoppcodon verloren hat.
55 Auch bei GUG bestimmt der Kontext den Sinn. Während das Triplett regulär
Valin codiert, bedeutet es hinter einer Shine-Dalgarno-Sequenz (s. u.: Initia-
tion), dass es als Startcodon für fMet fungiert.

5.4 tRNA -Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“)

Die tRNAs (Transfer-RNAs) sind das verbindende Glied zwischen der mRNA und
einer Aminosäuresequenz, dem Protein. Bakterien nutzen 30 bis 45 verschiedene
tRNAs, Eukaryoten bis zu 50.
Es gibt zwei Kriterien, um die tRNAs (des Kerngenoms) Familien zuzuordnen.
Je nach Betrachtungsweise ist eine tRNA
55 Mitglied einer Isoakzeptor-Familie. Die Mitglieder unterscheiden sich zwar in
ihrem Anticodon, werden aber gleich beladen und führen somit die gleiche
Aminosäure an die mRNA.
55 Mitglied einer Isodecoder-Familie. Das sind tRNAs mit gleichen Anticodons,
aber Unterschieden in der übrigen Nucleotid-Sequenz.

Das menschliche Kerngenom enthält rund 500 Gene für tRNAs. Ihre Expression
erfolgt Gewebe- und Zelltyp-spezifisch.

5.4.1 Struktur der tRNA

Die Struktur der tRNAs (. Abb. 5.2) zeigt Gemeinsamkeiten:


55 Eine tRNA ist relativ kurz, die Länge beträgt durchschnittlich etwa 76 Nucleo-
tide, kann gleichwohl auch 90 Nucleotide überschreiten.
55 Als RNA-Molekül ist sie einzelsträngig. Jedoch können ihre Basen intra-
molekular Wasserstoffbrücken eingehen und dadurch Haarnadelstrukturen
ausbilden.
116 Kapitel 5 · Translation

..      Abb. 5.2 Zwei-


dimensionale Darstellung I G A

ip
A A
der tRNA für Serin. (Nach

U
Buselmaier und Tariverdian
2007)

A A A G A
C U
U

U
U U U Me

U
C
G
G
H2 e

C
H2 U A A

G
M
Di G G

C
U G
G C

C
5
H 2U G G

G C
OMe

Me
C C C

G
G
Ac

G
A G

U U

C
C
DHU-Schleife

A
G

G
U
G T

G U U G U C G C C A
A A C

C
T C-

U C

C
G Schleife
A G
G C
pG

Serin

55 Aus den Haarnadeln folgt eine Struktur, die zweidimensional als Kleeblatt-
struktur dargestellt und auch als solche bezeichnet wird. Die Haarnadel-
strukturen bilden die drei Kleeblätter und sind benannt nach der Anti-
codon-Funktion (Anticodonschleife) oder nach auffälligen Basen (TψC-
Schleife enthält ψ = Pseudouridin, D-Schleife enthält Dihydrouridin ).
55 Zwischen Anticodon- und TψC-Schleife kann eine weitere Schleife unter-
schiedlicher Länge ausgebildet sein: die V-Schleife oder variable Schleife.
55 Die tRNAs von Bakterien, Archaeen und Eukaryoten haben die gleiche
Sekundärstruktur, an einigen Stellen sogar gleiche Basen, die vor allem für eine
stabile Tertiärstruktur wichtig sind.
55 Dreidimensional ähnelt ein tRNA-Molekül einem in sich verdrehten L. Das 5′-
und das 3′-Ende bilden über Wasserstoffbrücken zusammen den Akzeptorarm.
Das 3′-Ende läuft zum Ende hin einzelsträngig aus mit den Basen CCA. Am
OH-Ende hängt die Aminosäure.
55 In tRNAs findet man zahlreiche modifizierte Basen: Ribothymidin, Inosin,
Wyosin, Thiouridin etc. Sie beeinflussen die Basen-Paarung und spezifizieren
die tRNA exakter.
5.4 · tRNA -Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“)
117 5
Obwohl die Struktur der tRNAs hoch konserviert ist, gibt es neben der V-Schleife
noch weitere Abweichungen vom Standard. Man findet sie in tRNAs der Mito-
chondrien von Wirbeltieren. So kann z. B. die D-Schleife fehlen.

5.4.2 Beladung der tRNA

Die Schreibweise zeigt an, welche Aminosäure eine tRNA trägt. Eine tRNA für
Methionin schreibt man tRNAMet und liest sie als Methionyl-tRNA. Ist sie auch
korrekt mit Methionin beladen, schreibt man Met-tRNAMet.
Die Aminoacyl-tRNA-Synthetasen beladen die tRNA in zwei Schritten mit der
vorgesehenen Aminosäure:
1. Das Enzym aktiviert die Aminosäure. Dazu spaltet es von ATP ein Pyro-
phosphat ab und hängt das verbleibende AMP an die Aminosäure an. Es ent-
steht ein Molekül Aminoacyl-AMP.
2. Das Enzym verestert unter Abspaltung von AMP die COOH-­Gruppe der
Aminosäure mit der OH-Gruppe der Ribose am 3′-Ende der tRNA.

Je nachdem, ob die Verbindung an der 2′-OH-Gruppe oder an der 3′-OH-­Gruppe


der Ribose erfolgt, ordnet man die Synthetase der Klasse I (2′-OH) oder der Klasse
II (3′-OH) der Enzyme zu. Die zwei Klassen von Aminoacyl-tRNA-­Synthetasen
unterscheiden sich darüber hinaus auch sehr deutlich (1) in der Struktur des akti-
ven Zentrums und (2) darin, wie sie die tRNA erkennen und mit ihr wechselwirken.
Erkennung von tRNA und Aminosäure und Beladung müssen korrekt erfol-
gen, damit die Translation fehlerfrei erfolgt. Das Enzym ist selbst in der Lage, Kor-
rektur zu lesen und Fehler zu beheben:
1. Die allgemeine Selbstkorrektur (proof-reading) der Synthetase: Verwechselt die
Synthetase die tRNA oder die Aminosäure, verzögern sich die Folgeschritte
bzw. die Struktur passt nicht mehr. Das Enzym erkennt die Störung und löst die
Bindung von tRNA und Aminosäure wieder.
2. Bei den Aminosäuren, die sich ähneln, kommen Fehler häufiger vor:
55 Valin und Isoleucin sind sich chemisch so ähnlich, dass die Synthetase für
Isoleucin zunächst gelegentlich Valin an die tRNAIle hängt.
55 Mithilfe einer Editing-Aktivität (editing activity) korrigiert sie den Fehler
und spaltet Valin wieder ab.

Bei einigen Bakterien und Archaeen liegen für Glutamin und Asparagin keine eige-
nen Synthetasen vor. Das heißt, dass die Aminoacyl-tRNA-Synthetase die
tRNAGlutamin und tRNAAsparagin erst mit Glutaminsäure bzw. Asparaginsäure be-
lädt. Ein zweites Enzym, eine Transamidase, wandelt dann die Säure in das
­gewünschte Amid (Glutamin oder Asparagin) um.
118 Kapitel 5 · Translation

Weitere Beispiele für nachträgliche Modifikationen sind bei Prokaryoten und


Organellen die Umwandlung von Methionin zu N-Formylmethionin, das beim
Start der Translation eingesetzt wird. Die Zelle kann die Initiator-tRNAfMet unter-
scheiden von der Elongations-tRNAMet aufgrund struktureller Unterschiede. Bei
Pro- wie bei Eukaryoten modifiziert die Zelle nachträglich Serin zu Selenocystein
an der tRNA für Selenocystein.

5.4.3 Der Wobble-Effekt

5 Die Genauigkeit der Beladung ist der erste Schritt, um die genetische Information
fehlerfrei umzusetzen. Der zweite Schritt ist die Wechselwirkung zwischen Anti-
codon und Codon.
Da man eine Nucleinsäure stets vom 5′- zum 3′-Ende angibt, paart sich die erste
Base des Codons mit der dritten des Anticodons und umgekehrt. Man darf sich
diese Paarung allerdings nicht linear übereinander vorstellen. Die Anticodon-
schleife der tRNA ist etwas verdreht oder gekrümmt. Daher erfolgt die Interaktion
nicht passgenau, und zwischen der dritten Codonbase und der ersten des Anti-
codons kommt es zum Wobble-Effekt. Damit ist gemeint, dass es hier nicht nur zu
den Watson-Crick-Basenpaarungen kommt.
Auch eigentlich falsche Paarungen sind hier möglich, allerdings nicht alle.
55 Bei Bakterien beobachtet man G-U sowie Paare von Inosin (I) mit A, C oder U.
55 Ist die erste Base im Anticodon beispielsweise ein G, kann ihr gegenüber ein re-
guläres C, aber auch ein U liegen.
55 Ist diese Position umgekehrt mit einem U besetzt, kann es sich mit einem regu-
lären A oder G paaren.

Mit dem Wobble-Effekt erklärt man, dass für einige Codons die dritte Base varia-
bel ist, um eine Aminosäure zu codieren und die Zelle daher tRNAs einsparen
kann. Sie muss nicht für jedes Codon eine eigene tRNA im Genom bereitstellen.
55 Deswegen lesen Bakterien ihre mRNAs mit rund 30 tRNAs ab.
55 Bei Eukaryoten findet man den Wobble-Effekt zwar ebenfalls mit den ge-
nannten Paarungen, im Kerngenom jedoch nicht so häufig. Daher nutzt der
Mensch mehr (48) tRNA-Moleküle.

5.5 Das Ribosom

Für die korrekte Positionierung der beiden RNA-Moleküle sind vor allem die
Struktur und Funktion des Ribosoms entscheidend. Sie sind die Orte und Maschi-
nen der Proteinbiosynthese und fungieren als Ribozyme aus rRNA-Molekülen
und Proteinen, wobei die rRNAs die enzymatischen Funktionen ausüben, wohin-
gegen die Proteine eher unterstützend wirken.
5.5 · Das Ribosom
119 5
5.5.1 Struktur der Ribosomen

Funktionelle Ribosomen bestehen aus zwei Untereinheiten. Um ihre Größe anzu-


geben, schaut man sich das Sedimentationsverhalten während einer Zentrifugation
an und verwendet die Maßeinheit S (Svedberg).
55 Das 70S-Ribosom der Prokaryoten setzt sich zusammen aus einer kleinen 30S-
und einer großen 50S-Untereinheit.
55 Im Cytoplasma der Eukaryoten bilden eine kleine 40S-Untereinheit und eine
große 60S-Untereinheit ein 80S-Ribosom (. Abb. 5.3).

Beide Untereinheiten sind Komplexe aus rRNAs und Proteinen:


55 In der kleinen Untereinheit findet man jeweils die mittelgroßer RNA (16S-rRNA
bei Prokaryoten, 18S-rRNA bei Eukaryoten) und die S-Proteine (small). Die
S-Proteine sind durchnummeriert, also S1, S2 usw. Bei Prokaryoten sind es 21
Proteine, bei Eukaryoten 33 (. Abb. 5.4).
55 Die kurzen und die langen rRNAs (5S und 23S bei Prokaryoten; 5S, 5,8S und
28S bei Eukaryoten) bauen zusammen mit L-Proteinen (large) die große Unter-
einheit auf. Bei Prokaryoten sind es 31 Proteine, bei Eukaryoten 49. Aus histo-
rischen Gründen stimmen Anzahl und Nummerierung hier nicht überein.
55 Die kleine Untereinheit sorgt für die Bindung an die mRNA, fördert die Paa-
rung von mRNA und tRNA und transportiert die mRNA weiter.
55 Die große Untereinheit verknüpft die Aminosäuren miteinander, sie führt die
Peptidyltransferaseaktivität aus. Sie hat auch einen Ausgangskanal für die
wachsende Peptidkette.

Ribosomen haben drei Bindungsstellen für die tRNA (. Abb. 5.3):


55 An die Aminoacylstelle oder A-Stelle bindet sich die beladene tRNA.
55 An der Peptidylstelle oder P-Stelle verknüpft das Ribosom eine Aminosäure
mit der Peptidkette.
55 Von der Exitstelle oder E-Stelle verlässt die unbeladene tRNA das Ribosom.

..      Abb. 5.3 Modelldarstellung 60S-Untereinheit


eines eukaryotischen Ribosoms
mit den drei Bindungsstellen.
(Nach Schaaf und Zschocke
2013)
E P A
5' 3'
mRNA

40S-Untereinheit
A = Akzeptorstelle
P = Peptidylstelle
E = Exitstelle
120 Kapitel 5 · Translation

Reaktionszentrum

5 50S

mRNA 30S

Wachsende
Peptidkette

b
Prokaryoten Eukaryoten
70S-Ribosom 80S-Ribosom
29 nm 32 nm

21 nm 22 nm

2,8 × 10 6 Da ~ 4,2 × 10 6 Da

50S-Untereinheit 30S-Untereinheit 60S-Untereinheit 40S-Untereinheit

1,8 × 10 6 Da 1 × 10 6 Da

23S-rRNA 31 16S-rRNA 21 28S-rRNA 49 18S-rRNA 33


~ 3000 b Proteine ~ 1500 b Proteine ~ 5000 b Proteine ~ 2000 b Proteine
5,8S-rRNA
~ 160 b
5S-rRNA 5S-rRNA
~ 120 b ~ 120 b

..      Abb. 5.4 Aufbau der Ribosomen

Die Unterschiede zwischen bakteriellen und eukaryotischen Ribosomen sind An-


satzpunkte, um bakterielle Infektionen zu bekämpfen. Antibiotika greifen dabei in
erster Linie in die bakterielle Translation ein, zum Teil auch in die Translation in
den Mitochondrien (und Chloroplasten), und hemmen die Vermehrung oder töten
die Bakterien ab. Zu diesen Antibiotika zählen beispielsweise Erythromycine
(A, B, C), Streptomycin und Tetracyclin.
5.6 · Translation bei Bakterien
121 5
Dass es evolutionäre Konservierungen gibt, zeigt beispielsweise das SBDS-Gen.
Man findet das Gen bei allen Archaeen und Eukaryoten. Man nimmt an, dass das
Protein eine grundsätzliche Funktion bei der Zusammensetzung der Ribosomen
hat. Mutationen in dem Gen rufen im Menschen das Shwachman-Bodian-­
Diamond-­Syndrom hervor mit exokriner Insuffizienz der Bauchspeicheldrüse,
Funktionsstörungen des Knochenmarks und Skelettanomalien.

5.5.2 Heterogenität der Ribosomen: Variationen im Aufbau

Lange Zeit galt das Ribosom als eine molekulare Fabrik, die einheitlich aufgebaut
ist. Seit einigen Jahren mehren sich jedoch die Belege, dass dies nicht der Fall ist.
Statt dessen findet man feine Unterschiede auf der Protein- und der rRNA-Ebene.

z Heterogenität der Proteine


55 Nicht überall sind alle grundständigen ribosomalen Proteine (RP) gleicher-
maßen vorhanden. Einzelne RP fehlen in einigen Ribosomen.
55 Bestimmte RP können gegen paraloge (verwandte) Proteine ausgetauscht wer-
den.
55 Die RP erfahren posttranslationale Modifikationen.
55 Zusätzlich zu den RP kommen Ribosomen-assoziierte Proteine (RAPs) hinzu
mit unterschiedlichen Funktionen.

z Heterogenität der rRNAs


55 Die rRNAs unterscheiden sich in der Sequenz.
55 Sie werden unterschiedlich von den snoRNAs modifiziert.

Die heterogene Zusammensetzung von Ribosomen findet man intrazellulär und


(beispielsweise) in Wirbeltieren interzellulär, hier mit Unterschieden zwischen ver-
schiedenen Zelltypen und während der Entwicklung auf verschiedenen Stufen. Bei
Einzellern und/oder Parasiten wie Plasmodium gehen die Unterschiede einher mit
den verschiedenen Stadien. Man diskutiert daher, inwieweit die Zusammensetzung
der Ribosomen für die differenzielle Regulation der Translation relevant ist.

5.6 Translation bei Bakterien

Während der Translation sind Ribosomen nicht starr, sondern dynamische Ge-
bilde, ihre Konformation ändert sich also während des Prozesses.
Pro Sekunde verknüpfen sie 15 bis 20 Aminosäuren. In der Regel translatieren
mehrere Ribosomen gleichzeitig eine mRNA. Es entsteht ein perlenkettenartiges
Polyribosom oder Polysom.
Trotz ihrer Komplexität läuft die Translation mit den benötigten Aminosäuren,
Energieträgern und einer mRNA auch in vitro ab.
122 Kapitel 5 · Translation

5.6.1 Initiation

An der Initiation beteiligt sind


55 die mRNA,
55 die zwei Untereinheiten des Ribosoms,
55 die beladene fMet-tRNAfMet als Initiator-tRNA,
55 drei Initiationsfaktoren (IF) und GTP als Energiequelle.

Ablauf der Initiation:


Es entsteht das mit der mRNA beladene Ribosom:
5 1. Anfangs sind die zwei Untereinheiten getrennt (. Abb. 5.5):
55 IF3 verhindert den Zusammenschluss mit der großen Untereinheit und gilt
daher als Anti-Assoziationsfaktor. Er verhilft der kleinen Untereinheit zur
Bindung an die mRNA. Zudem überprüft IF3, ob die mRNA die passende
Initator-tRNA genau erkennt.

C H3
S
C H2
fMet-tRNA
O C H2 O
Peptidyl Aminoacyl-tRNA 3'
O C C NH C
(P-Site) (A-Site)
P-5' H H
GTP
IF3 GTP
30S IF2 IF2
IF1 IF1 IF1
P A IF3 IF3
fMet Shine-Dalgarno-Sequenz

5' AUG 3' mRNA


Startcodon

GDP
IF2 Pi 2. Aminoacyl-tRNA

IF2 GTP
5' 3' 5' AUG 3'
IF1
2. Aminoacyl- P A 16S rRNA IF3
tRNA fMet 2. Amino- fMet
IF1 IF3 50S
säure 30S-Initiationskomplex
pt
Pe

idb in d u n g

70S

..      Abb. 5.5 Initiation der Translation: Zusammenbau des Ribosoms (Ribosom ohne E-Stelle ge-
zeichnet)
5.6 · Translation bei Bakterien
123 5
55 IF1 besetzt die A-Stelle und stabilisiert den Initiationskomplex.
55 IF2 dirigiert die Initiator-tRNA in die P-Stelle. Diese trägt ein Methionin
mit einem Formylrest an der Aminogruppe, N-Formylmethionin.
2. Die kleine Untereinheit lagert sich an die mRNA an. Dazu dient eine Con-
sensussequenz, die wenige Nucleotide vor dem Startcodon AUG liegt. Sie bin-
det sich an eine komplementäre Sequenz in der 16S-rRNA. Diese Ribosomen-
bindestelle (RBS) der mRNA heißt Shine-Dalgarno-Sequenz. Bei E. coli lautet
die Consensussequenz AGGAGGU.
3. IF1 und IF3 treten aus dem Komplex aus.
4. Unter Spaltung von GTP vermittelt der IF2 die Assoziation mit der großen
Untereinheit und verlässt ebenfalls den nun fertigen ­70S-­Initiationskomplex.

Als Ergebnis ist die mRNA im Ribosom gebunden und die Initiatior-tRNA sitzt in
der P-Stelle.

5.6.2 Elongation

An der Elongation sind zusätzlich drei Elongationsfaktoren (EF-Tu, EF-Ts, EF-G)


und die beladenen tRNAs beteiligt (. Abb. 5.7). Als Energieträger dienen GTP-­
Moleküle.
Die Elongationsfaktoren unterstützen die katalytischen Vorgänge im Ribosom:
55 Der Faktor EF-Tu heftet sich an eine beladene tRNA und führt sie an die
A-Stelle heran. EF-Tu liefert auch über gebundenes GTP die Energie für die
Verknüpfung von fMet auf die zweite Aminosäure zu einer Dipeptidyl-­
tRNA. Die Dipeptidyl-tRNA sitzt in der A-Stelle.
55 Der Faktor EF-Ts versorgt EF-Tu nach der GTP-Spaltung mit frischem GTP
(. Abb. 5.6).
55 Der dritte Faktor EF-G braucht ebenfalls GTP. Er vermittelt nun das Vor-
rücken auf der mRNA um ein Codon. Die Dipeptidyl-tRNA rutscht in die
P-Stelle, die A-Stelle ist frei.
55 Erst wenn EF-G das Ribosom wieder verlässt, kann sich EF-Tu erneut binden.

..      Abb. 5.6 Über EF-Ts wird EF-Tu/GTP


wiederhergestellt
EF-Ts
GDP
EF-Tu/GDP

GTP

Aminoacyl- EF-Tu/GTP
tRNA EF-Ts
124 Kapitel 5 · Translation

Aminoacyl-tRNA
EF-Tu/GTP

E P A E P A
5' 5'

5
EF-Tu/GDP
E P A E P A
5' 5'

EF-G/GTP E P A
5'

EF-G/GDP

..      Abb. 5.7 Elongation: Eine tRNA besetzt nacheinander die drei Bindungsstellen

Die Einzelschritte der Elongation wiederholen sich immer wieder:


1. Eine beladene tRNA tritt in den Komplex ein, sie besetzt dabei die A-Stelle.
2. Die 23S-rRNA führt die Peptidyltransferaseaktivität aus: Sie überträgt die vor-
handene Aminosäure(kette) auf die neu hinzugekommene Aminosäure. Dass
die erste Aminosäure, das N-Formylmethionin, an der Aminogruppe den
Formylrest trägt, sichert die Richtung der Verknüpfung: Die neue Aminosäure
wird mit der Carboxylgruppe der schon vorhandenen verbunden.
3. Das Ribosom rutscht drei Nucleotide weiter, und die Peptidyl-­tRNA gelangt in
die P-Stelle.
4. Die unbeladene tRNA verlässt über die E-Stelle das Ribosom.
5. Das Ribosom rückt asymmetrisch vor: Die große Untereinheit geht vorweg, die
kleine folgt nach.
5.6 · Translation bei Bakterien
125 5
Nicht immer rückt das Ribosom um drei Nucleotide vor. An einigen mRNAs nut-
zen Bakterien und andere Organismen die programmierte Rasterverschiebung
(programmed frameshifting), um von einer mRNA verschiedene Proteine zu gewin-
nen. Dabei bewegt sich das Ribosom beispielsweise zurück oder springt nach vorn
und führt die begonnene Translation in einem neuen Leseraster weiter.
Beispiele: (1) E. coli kommt auf diesem Weg von dem dnaX-Gen zu zwei ver-
schiedenen Untereinheiten für seine DNA-Polymerase III. (2) Retroviren nutzen
zurückrutschende tRNAs. Am letzten Codon vor dem Stoppcodon des ersten
Gens rutscht die tRNA um eine Base zurück und erzeugt einen anderen ­Leserahmen.
Das eigentlich folgende Stoppcodon fällt aus dem Rahmen heraus. Das Virus kann
die Translation für ein zweites Gen fortsetzen. Das Zurückrutschen geschieht sel-
ten, um die Translation des zweiten Gens gering zu halten.

5.6.3 Termination

An der Termination sind bei E. coli drei Terminationsfaktoren oder Freisetzungs-


faktoren (RF1 bis RF3, release factor) beteiligt und ein Ribosomenrecyclingfaktor
(RRF, ribosome recycling factor).
Die Termination löst den Komplex aus Ribosom, mRNA und Polypeptid in
mehreren Schritten auf:
1. Sobald in die A-Stelle ein Stoppcodon gelangt, besetzen je nach Codon RF1
oder RF2 die A-Stelle, weil es keine tRNA mit entsprechendem Anticodon gibt.
2. Das synthetisierte Protein löst sich aus dem Komplex,
3. RF3 vermittelt die Ablösung von RF1 oder RF2 aus dem Ribosom. Dafür ist
wieder GTP notwendig.
4. Der Elongationsfaktor EF-G bewirkt zusammen mit dem RRF die Aufspaltung
des Ribosoms in die Untereinheiten, sodass sich nun IF3 wieder an die kleine
Untereinheit anlagert und die erneute Zusammenlagerung unterbindet.
5. Die A-Stelle wird hintereinander, je nach Teilschritt der Translation, von funk-
tionell definierten Faktoren besetzt: erst EF-Tu/tRNA, dann EF-G, RF 1 bis 3
und schließlich RRF. Die vier Komplexe ähneln sich im Aufbau und sichern die
korrekte Abfolge der Teilschritte.

5.6.4 Geschwindigkeit und Genauigkeit

Die Geschwindigkeit der Translation beträgt etwa 20 Transferasereaktionen pro


Sekunde.
Die Fehlerrate der Translation liegt bei 0,1–0,5 %. Nach der Fehlerkorrektur
der Beladung der tRNAs besitzen die Zellen keinen proof-reading-Mechanismus
der Translation.
Fehler können bei mehreren Prozessen geschehen:
55 beim Anlagern der beladenen tRNA an das Ribosom,
55 bei der Paarung von Codon und Anticodon,
55 beim Vorrücken der Ribosomen.
126 Kapitel 5 · Translation

Die Zelle nimmt die Fehler jedoch aus mehreren Gründen in Kauf:
55 Die Fehler werden nicht gespeichert. Bei der Replikation wird ein Fehler da-
gegen an die Nachkommen weitergegeben.
55 Die Zelle produziert von einer mRNA mehrere Proteine, bei denen wahrschein-
lich nicht der gleiche Fehler auftritt. Es entstehen dadurch ausreichend kor-
rekte Proteine.
55 Ein Zellmechanismus erkennt die falsche Tertiärstruktur eines fehlerhaften
Proteins und sorgt dafür, dass es abgebaut wird.

5 5.7 Translation bei Archaeen

Das vorliegende Wissen zur Translation bei Archaeen ist geringer. Wie bei der
Transkription nehmen Archaeen eine Zwischenstellung zwischen Bakterien und
Eukaryoten ein, indem sie Gemeinsamkeiten mit den anderen beiden Zelltypen
­zeigen.

5.7.1 Gemeinsamkeiten zwischen Archaeen und Bakterien

55 Die Ribosomen gehören zum 70S-Typ.


55 Viele Gene haben eine Shine-Dalgarno-Sequenz.
55 Einige Elongationsfaktoren ähneln sich.

5.7.2 Gemeinsamkeiten zwischen Archaeen und Eukaryoten

55 Die Initiationsfaktoren sind homolog. Auch ihre Anzahl ist größer als bei Bak-
terien: Bei Archaeen sind es elf Initiationsfaktoren (aIF), bei Eukaryoten (eIF)
zwölf.
55 Die Startaminosäure ist unformyliertes Methionin.
55 Einige Elongationsfaktoren sind mit den eukaryotischen Faktoren verwandt.
55 Der einzige bekannte Terminationsfaktor ähnelt einem eukaryotischen Faktor.

5.8 Translation bei Eukaryoten

5.8.1 Initiation

Die Initiation bei Eukaryoten zeigt einige Gemeinsamkeiten zum Ablauf bei Bak-
terien:
55 Es entsteht ein Komplex aus dem Ribosom, der mRNA und der beladenen tRNA
in der P-Stelle, die ein Startcodon AUG erkennt.
55 GTP dient als Energieträger.
5.8 · Translation bei Eukaryoten
127 5
Es gibt aber auch eine Reihe von Unterschieden zwischen der eukaryotischen Trans-
lation und dem bakteriellen Prozess:
55 Eukaryotische mRNA-Moleküle besitzen keine Shine-Dalgarno-Sequenz.
55 Die Zahl der Initiationsfaktoren ist bei Eukaryoten höher, ihr Aufbau ist kom-
plexer.
55 Als Aminosäure der Initiator-tRNA dient Methionin statt N-Formylmethionin.
55 Eine Helikaseaktivität im eIF4 spaltet unter ATP-Verbrauch mögliche
Sekundärstrukturen.

Zwei eukaryotische Initiationsfaktoren (eIF) sind besonders wichtig:


55 Die Met-tRNA ist an den Faktor eIF2 gebunden. Er besteht aus drei
­Untereinheiten, welche die tRNA, GTP und weitere eIFs binden. Diese weite-
ren Faktoren vermitteln die Bindung an die kleine Untereinheit. Den Komplex
aus eIF2, tRNA und GTP nennt man ternären Komplex.
55 Der komplexe Faktor eIF4F. Er heißt Cap-Bindungskomplex, weil er sich an
die 5′-Cap einer eukaryotischen mRNA heftet. Der eIF4F besteht aus drei
eIFs: eIF4A, E und G. Der Faktor eIF4E heftet sich an die Cap-Struktur an,
allerdings kann er sich nicht an die mRNA anlagern, diese Aufgabe übernimmt
eIF4G. Der Faktor eIF4G ist notwendig einerseits für die Bindung an die kleine
Untereinheit des Ribosoms, andererseits für die Bindung der PABP. Darunter
versteht man die Proteine, die an den Poly(A)-Schwanz geheftet sind. Der dritte
Faktor eIF4A ist eine RNA-Helikase. Alle Untereinheiten des eIF4F-­
Komplexes zusammen erfassen beide Enden der mRNA, formen sie zu einem
Ring und binden sie an die ribosomale Untereinheit (. Abb. 5.8).

Ablauf der Initiation:


1. Der Präinitiationskomplex bewegt sich auf der mRNA fort und sucht sie nach
dem Startcodon ab (ribosome scanning ). Während des Scannings wird ATP
hydrolysiert. Die Helikaseaktivität löst unter ATP-­ Verbrauch eventuelle
Sekundärstrukturen in der langen mRNA auf, damit der Komplex voran-
schreiten kann.
2. Das Startcodon wird durch eine Consensussequenz identifiziert, die Kozak-Sequenz
mit Startcodon. Sie lautet ACCAUGG bei Tieren und AAAAUGU bei Hefen.
3. Ist das Startcodon erkannt, hält der Komplex an. Der Faktor eIF5 ermöglicht
unter GTP-Spaltung den Zusammenbau mit der großen ribosomalen
­Untereinheit.

..      Abb. 5.8 Initiation über die Wechsel- AAU


wirkung des eIF4G mit den PABP
PABP
3'
elF4G
m7G AUG
elF4E elF4A
128 Kapitel 5 · Translation

Manche mRNAs verzichten auf die 5′-Cap und das Scanning. Diese mRNAs ver-
fügen über eine interne Ribosomeneintrittsstelle (IRES). Es ist quasi ein Express-
start für die Proteinbiosynthese. Daher findet man IRES vor allem in mRNAs für
Stressproteine, um schnell auf eine bedrohliche Situation zu antworten, und in vi-
ralen mRNAs. In diesem zweiten Fall sorgen die Viren für das Decapping der
mRNAs des Wirts und die IRES sorgt für die bevorzugte Translation viraler Gene.

5.8.2 Elongation

5 Die Elongation von Bakterien und Eukaryoten ähneln sich mehr als die Initiation.
Die unterstützenden Elongationsfaktoren (eEF) haben die gleichen Funktionen
wie ihre bakteriellen Pendants:
55 eEF1α entspricht dem bakteriellen EF-Tu. Der Faktor führt die beladene
tRNA heran und liefert gebundenes GTP als Energieträger.
55 eEF1β entspricht dem bakteriellen EF-Ts. eEF1β belädt eEF1α mit neuem
GTP.
55 eEF2 entspricht dem bakteriellen EF-G und ermöglicht unter GTP-Spaltung
die Fortbewegung des Ribosoms.

Der Faktor eEF2 ist außerdem durch zwei weitere Eigenschaften interessant:
55 Er fungiert in gewisser Weise als Schaltstelle: Wird er phosphoryliert, so ver-
langsamt sich die Translation. Beispiel: Einige Säugetiere nutzen diese Phos-
phorylierung, um den geringeren Bedarf an Proteinen für den Winterschlaf an-
zupassen.
55 Zweitens ist eEF2 der Angriffspunkt für das Diphtherietoxin, genauer: die
histidinähnliche Aminosäure Diphthamid in dem Elongationsfaktor
(. Abb. 5.9). Das Toxin überträgt ADP-Ribose unter Abspaltung von Nicotin-
amid auf Diphthamid und blockiert somit eEF2 in seiner Funktion, die Trans-
lation stoppt.

EF2
(inaktiv)
H H O
N C C
C H2
AD P
C H3
O N
H 3C N C H 3
H2C N Diphthamid
C H2 C H2 C H
OH HO (His-Derivat)
Diphtherietoxin C O
O NH 2
NAD + Nicotinamid

..      Abb. 5.9 Das Diphtherietoxin modifiziert eEF2 und blockiert die Translation
5.9 · Prozessierung von Proteinen
129 5
Die Einzelschritte der Elongation entsprechen dem Ablauf bei Bakterien. Auch in
Eukaryoten führt eine rRNA der großen Untereinheit die Peptidyltransferase-­
Aktivität aus.

5.8.3 Termination

Auch die Termination zeigt mit dem bakteriellen Prozess weitgehend Überein-
stimmungen.
55 Der eukaryotische Faktor eRF1 entspricht den bakteriellen Freisetzungs-
faktoren (release factors) RF1 und 2. Er erkennt alle drei Stoppcodons und
führt zur Freisetzung des Proteins.
55 Ein zweiter Faktor heißt eRF3. Er besitzt GTPase-Aktivität und erreicht wohl
die Ablösung von eRF1 vom Ribosom.

5.9 Prozessierung von Proteinen

So wie die Zelle RNA-Moleküle noch prozessiert, um reife RNAs zu erhalten, so


verändert die Zelle auch Proteine während der Translation (cotranslational) oder
danach (posttranslational), bis diese einsatzfähig sind.
Die Prozessierung umfasst:
55 Proteinfaltung: Die Polypeptidkette erhält ihre dreidimensionale korrekte
Tertiärstruktur, in der sie aktiv ist. Dazu gehört auch die Faltung für den Trans-
port in oder durch Membranen.
55 Proteolytische Spaltung: Proteasen trennen Abschnitte von den Enden ab oder
spalten das Protein in Teilstücke. Wichtig ist die Abspaltung eines Signal-
peptids, das den Transport in eine Membran oder aus der Zelle heraus ver-
anlasst.
55 Chemische Veränderung oder Modifikation: Manche Aminosäuren erhalten
vorübergehend oder dauerhaft eine chemische Gruppe angehängt. Das be-
kannteste Beispiel dafür sind die posttranslationalen Modifikationen der His-
tone. Im Zuge der Chromatin-Ordnung und Gen-Regulation bekommen die
Histone fortlaufend Reste angehängt oder abgenommen (siehe 7 Abschn.
7.8.2).
55 Proteinspleißen: Analog zu den Introns in RNAs gibt es in einigen Proteinen
Inteine: Abschnitte, die herausgeschnitten werden. Die verbleibenden Exteine
setzt die Zelle dann wieder zum funktionellen Protein zusammen.

Die Vorgänge kommen oft kombiniert vor. So muss die Zelle ein Protein erst pro-
teolytisch spalten, damit es anschließend richtig gefaltet werden kann.
130 Kapitel 5 · Translation

5.9.1 Proteinfaltung

Während kleine Proteine spontan die richtige räumliche Struktur einnehmen kön-
nen, ist die Zahl der möglichen Anordnungen bei großen Proteinen zu hoch. Sie be-
nötigen darum Chaperone genannte Hilfsproteine.
Es gibt zwei Gruppen von Chaperonen:
55 Hitzeschockproteine und
55 Chaperonine.

Hitzeschockproteine
5 Hitzeschockproteine bildet die Zelle bei hohen Temperaturen. Die Namen von eu-
karyotischen Proteinen bestehen aus dem Kürzel Hsp und einer Zahl, die die un-
gefähre Molekülmasse angibt, Beispiel Hsp70. Hitzeschockproteine kommen so-
wohl bei Pro- als auch bei Eukaryoten vor.
Sie übernehmen mehrere Funktionen:
55 Sie tragen zur korrekten Faltung bei,
55 sie unterstützen den Transport von Proteinen durch Membranen,
55 sie lösen Verklumpungen von Proteinen auf, die sich nach Hitzeeinwirkung ge-
bildet haben,
55 sie helfen Proteinen, sich zu einem Komplex zusammenzulagern.

Chaperone erfüllen ihre Aufgaben, indem sie hydrophobe Aminosäuren abschirmen.


55 Bei E. coli heften sich beispielsweise mehrere DnaK genannte Proteine an hydro-
phobe Aminosäuren.
55 Sie schirmen diese im wässrigen Milieu der Zelle ab
55 und führen dann die Proteinbereiche zusammen, die im aktiven Protein bei-
einander liegen.
55 Dazu bindet und löst sich DnaK mehrfach unter ATP-Verbrauch.
55 DnaJ fördert die ATP-Aktivität von DnaK, und das Protein GrpE entfernt das
entstandene ADP.
55 DnaJ und GrpE sind unterstützende Co-Chaperone.

Bei Eukaryoten entspricht Hsp70 dem DnaK von E. coli und Hsp40 entspricht
DnaJ.

Chaperonine
Chaperonine kommen als Komplexe vor, beispielsweise GroEL/GroES bei E. coli
und Hsp60 und Hsp10 bei Eukaryoten. Das ungefaltete Protein gelangt in einen
Hohlraum des Chaperonins, woraufhin dieses unter ATP-Verbrauch seine Konfor-
mation ändert. Freigesetzt wird das korrekt gefaltete Protein.
5.9 · Prozessierung von Proteinen
131 5
Fehlfaltung von Proteinen
Die fehlerhafte Faltung von Proteinen und ihre Ansammlung kann schwere Er-
krankungen verursachen. Dabei grenzt man gegeneinander ab, ob die Fehlfaltung
von einem Organismus auf einen anderen übertragbar, infektiös, ist oder jeweils indi-
viduell entsteht. Zur Unterscheidung spricht man von Prionen und von Prionoiden.

z Prionen
Prionen-Erkrankungen, PrD (Prion deseases), sind von einem Individuum auf ein
anderes übertragbar. Die bekanntesten Fälle sind die Übertragung des "Rinder-
wahns" BSE auf den Menschen, wo die Prionen eine Variante der Creutzfeld-­
Jakob-­Krankheit auslösen. Auf Prionen-Erkrankungen treffen mehrere Kenn-
zeichen zu:
55 Es handelt sich um neurodegenerative Erkrankungen mit schwerem und unheil-
barem Verlauf.
55 Prionen (sprachlich abgeleitet aus Protein + Infektion) bestehen aus PrPSc,
krankhaften Ansammlungen von fehlerhaft gefalteten zellulären Proteinen
PrPC. Die Fehlfaltung ist also ansteckend, fehlgefaltete Proteine übertragen sie
auf ursprünglich korrekt gefaltete Proteine der Zelle. In etwa vergleichbar mit
der Kristallisation, wo ein Kristallisationskeim zur Ausweitung führt und der
Kristall wächst.
55 Man bezeichnet PrD daher als übertragbare oder transmissible spongiforme
Enzephalopathien. Spongiform oder schwammartig deutet auf die ent-
sprechend aussehende Veränderung des Gehirngewebes hin, mit welcher der
Verlust der Nervenzellen einhergeht.
55 PrD des Menschen unterteilt man in genetisch, sporadisch und erworben. Die
genetischen Formen werden alle verursacht durch eine Mutation in dem PRNP-­
Gen, welches das PrPC codiert. Je nach Mutation kommt es zur genetischen
Form der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung, zum Gerstmann-Sträussler-­
Scheinker-Syndrom oder zur tödlichen familiären Schlaflosigkeit. Die sporadi-
schen Formen haben eine unbekannte Ursache, die erworbenen werden über-
tragen wie BSE vom Rind auf den Menschen.

z Prionoide
Der Begriff ist (relativ) neu. Auch bei Prionoiden handelt es sich um Aggregate von
fehlerhaft gefalteten Proteinen, und auch hier kann sich die Fehlfaltung über-
tragen zwischen den Zellen. Sie ist aber nicht zwischen Individuen übertragbar.
Man spricht eher von Protein-Fehlfaltungs-Erkrankungen. Beispiele sind Morbus
Parkinson oder die Alzheimersche Demenz.
132 Kapitel 5 · Translation

5.9.2 Spaltung und Transport von Proteinen

Die Spaltung durch Proteasen bietet zwei Möglichkeiten.


55 Enzyme spalten Endstücke ab. Beispiel: Melittin, Hauptbestandteil im
­Bienengift. Damit das Gift dem Produzenten selbst nicht schadet, stellt die
Zelle erst eine inaktive Vorstufe her, Promelittin. Diese wird herausgeschleust
(sezerniert oder sekretiert). Außerhalb der Zelle wird die Vorstufe durch Ab-
spaltung eines Endstücks in die aktive Form umgewandelt.
55 Enzymeschneiden Abschnitte heraus oder zerlegen das Protein in Teilproteine.
Beispiele: virale Proteine. So codieren die Gene gag, pol und env des mensch-
5 lichen HI-Virus jeweils zunächst Polyproteine, welche die Proteasen dann in
Einzelproteine aufspalten. Vom env (envelope)-Gen entstehen somit die Hüll-
proteine. Auch manche Peptidhormone von Wirbeltieren werden erst als Poly-
protein synthetisiert, bis die Zelle dann mehrere einzelne Hormone heraus-
schneidet.

Insulin ist ein Beispiel, das beide Spaltungen kombiniert. Das Präproinsulin setzt
sich zusammen aus N-terminalem Signalpeptid, B-, C- und A-Kette. Durch Ent-
fernen des Signalpeptids entsteht das Proinsulin. B- und A-Kette bilden Disulfid-
brücken, die mittlere C-Kette wird herausgeschnitten, sodass dann Insulin vorliegt.

Einbau in die Membran und Sekretion von Proteinen


Ein N-terminales Signalpeptid enthält charakteristischerweise hydrophobe Amino-
säuren. Es ist allgemein verantwortlich für den Einbau eines integralen Membran-
proteins in die Membran oder für den Transport durch eine Membran.
Der Zeitpunkt des Transports liegt entweder nach der Translation (posttransla-
tional) oder während der Translation (cotranslational). Modellhaft sind die Ab-
läufe bei E. coli. Die beiden Varianten verlaufen nach dem gleichen Muster:
1. Erkennungsproteine heften sich an das Signalpeptid.
2. Ein Proteinkomplex übernimmt den Transport.
3. Eine Signalpeptidase trennt die Signalsequenz ab.

Der Hauptweg ist der posttranslationale Transport oder Sec-Weg (secretion-­Weg).


1. Das Protein ist dabei noch ungefaltet.
2. Die ersten Proteine heißen SecA und SecB. Sie erkennen das Signalpeptid,
3. führen das Protein an das Sec-Translocon in der Membran heran,
4. und das Protein wird energieabhängig aus der Zelle herausgeschleust.
5. Eine Signalpeptidase in der Membran spaltet die Signalsequenz ab, und Chape-
rone verhelfen zur Faltung.
5.9 · Prozessierung von Proteinen
133 5
Der cotranslationale Weg verhilft zum Einbau von Proteinen in die Membran oder
zur Sekretion.
55 Der Baustein, der die Signalsequenz erkennt, heißt bei E. coli SRP (signal re-
cognition particle) und besteht aus einem Protein und einer RNA.

1. Der SRP-Komplex führt das Protein an die Membran heran, indem er sich an
einen Rezeptor in der Membran bindet (FtsY).
2. Der Rezeptor reicht das Protein weiter an das Sec-Translocon, das zusammen
mit dem Protein YidC das Protein während der Translation in die Membran
einfädelt.
3. Die Signalpeptidase in der Membran spaltet schließlich die ­Signalsequenz ab.

55 Einen ähnlichen SRP-abhängigen Weg kennt man auch aus Archaeen und Eu-
karyoten. Bei Eukaryoten ist die 7SL-RNA Bestandteil des Erkennungs-
komplexes. Der SRP-Rezeptor wird SR abgekürzt.

5.9.3 Chemische Veränderungen und Modifikationen

Die Zellen verändern Aminosäuren nach der Translation, indem sie kleine oder
komplexe chemische Gruppen an bestimmte Aminosäuren hängen.
55 Kleine Gruppen sind Acetyl-, Methyl- und Phosphatgruppen.
55 Komplexe Gruppen umfassen Zuckerreste, Fettsäuren oder Biotin (Vitamin B7
oder H).
55 Die komplexen Gruppen sind zwar nicht auf Eukaryoten beschränkt, hier aller-
dings deutlich häufiger zu finden als bei Bakterien.

Die Art der angehängten chemischen Gruppe bestimmt die Funktion:


55 Acetyl-, Methyl- oder Phosphatreste wirken wie Schalter und dienen somit der
Regulation.
–– Die Acetyl- und Methylreste der Histone regulieren die DNA-­Verpackung
und damit auch die Genaktivität.
–– Phosphorylierungen regulieren beispielsweise Enzyme, die Signaltrans-
duktion und Wechselwirkungen zwischen Proteinen.
–– Im Zuge der Replikation spielt die hyperphosphorylierte CTD der Polyme-
rase eine wichtige Rolle.
55 Veränderungen zur Regulation sind naturgemäß nicht dauerhaft.
55 Angehängte Zuckerreste (durch Glykosylierung ) bestimmen oft die Lokalisa-
tion eines Proteins in der Zelle.
55 Ebenso die Verknüpfung mit Fettsäuren (Acylierung ), in diesem Fall die Loka-
lisation in der Membran.
55 Die Biotinylierung (Verknüpfung mit Biotin ) ist beispielsweise essenziell für En-
zyme, die Kohlenstoffdioxid oder eine Carboxylgruppe übertragen.
134 Kapitel 5 · Translation

5.9.4 Proteinspleißen

Das Proteinspleißen ist ein autokatalytischer Prozess. Das Protein selbst schneidet
(meist) einen Intein genannten Abschnitt heraus und setzt die verbleibenden zwei
Exteine genannten Abschnitte wieder zusammen. Die Trennstellen nennt man
Spleißstellen. Vergleicht man ihre Sequenzen, findet man ebenfalls einige Überein-
stimmungen.
Die meisten Inteine sind zusätzliche sequenzspezifische Endonucleasen, die ihr
eigenes Gen aufschneiden. Dabei läuft ein intein homing genannter Vorgang ab: Be-
sitzt die Zelle eine zusätzliche Kopie des Gens ohne inteincodierenden Abschnitt
5 (Intein-Minus-Gen), kann die Intein-Endonuclease diese Genkopie an den
Extein -Intein-Grenzen auftrennen. Die Zelle erkennt den DNA-Bruch als Schaden
und repariert ihn, indem sie den inteincodierenden Abschnitt kopiert und einfügt.
Aus dem Minus-Gen wird dadurch ein Plus-Gen. Da das Intein so für seine eigene
Verbreitung sorgt, bezeichnet man die DNA als eigennützig (selfish DNA ). Es sind
einige Hundert Fälle dazu bekannt von Bakterien, Archaeen und Eukaryoten.

5.10 Abbau von Proteinen, Degradation

Proteine haben eine begrenzte Lebensdauer.


Die Proteine einer Zelle lassen sich in zwei große Gruppen einordnen:
55 Haushaltsproteine müssen immer vorhanden sein, um die Basisfunktionen auf-
rechtzuhalten. Zu ihnen gehören beispielsweise Proteine der Atmungskette.
55 Alle anderen Proteine oder Nicht-Haushaltsproteine synthetisiert die Zelle als
Anpassung an die jeweiligen Umwelt- und Lebensbedingungen. Dies trifft bei-
spielsweise für Transkriptionsfaktoren und Proteine für die Replikation zu.

Die Zusammenstellung der Nicht-Haushaltsproteine wird reguliert, indem be-


nötigte Proteine synthetisiert und überflüssige abgebaut werden. Die dafür zu-
ständigen Prozesse müssen schnell und selektiv sein.
Das Signal für die Lebensdauer eines Proteins findet sich in seinem N-­Terminus.
Es wird als Degron bezeichnet. Die Zelle spaltet nach der Translation bei vielen
Proteinen das N-terminale Methionin oder Formylmethionin ab, wodurch eine
neue Aminosäure als Degron den N-Terminus bildet. Es gibt dabei zwei Gruppen:
55 Stabilisierende Aminosäuren wie Alanin oder Serin erhöhen die Halbwertszeit.
55 Destabilisierende Aminosäuren wie Phenylalanin, Tryptophan oder Tyrosin
verkürzen bei E. coli die Lebensdauer des Proteins.

Die Abbauwege der Proteine sind bei Eukaryoten besser bekannt:


55 Proteasomen sind große Proteinkomplexe, die spezifisch markierte Proteine zu
Peptiden zerlegen (. Abb. 5.10).
55 In Lysosomen genannten Organellen werden unspezifisch Proteine, Lipide und
Nucleinsäuren abgebaut. Meistens werden Proteine mit längerer Halbwertszeit
in Lysosomen von Proteasen verdaut.
5.10 · Abbau von Proteinen, Degradation
135 5
a O b
Ubiquitin C Ub
76 AS iqu
O– itin
H – S – E1
ATP

AMP + PPi Abzubauendes


H 2O Protein
2 Pi
O
Ubiquitin C – S – E1 20S-Kernkomplex
19S-Komplexe (14 + 14 -UE)
Substraterkennung 3 proteolytische
H – S – E2 – SH Aktivitäten

H – S – E1 – SH

O
Ubiquitin C – S – E2

Abzubauendes
Protein
Ubiquitin-
Protein
Ligase (E3)
H – S – E2

O N Abzubauendes
Ubiquitin C – N – CH 2 – CH 2 – CH 2 – CH 2 – C – H Protein
H C
Lysin

..      Abb. 5.10 Die Enzyme E1 bis E3 übertragen in einer Reaktionsfolge mit Thioestern und unter
ATP-Verbrauch Ubiquitin auf das abzubauende Protein (a), bevor dieses vom Proteasom erkannt
und abgebaut wird (b)

Für den Abbau im Proteasom erhält das Protein eine Markierung mit dem Peptid
Ubiquitin:
1. Enzyme übertragen erst eine Ubiquitinkette auf einen Lysinrest des Proteins.
2. Danach werden an das vorhandene Ubiquitin weitere Ketten gehängt, sodass
das abzubauende Protein mit bis zu zehn Ketten ubiquitiniert ist.
3. Anschließend wird das Protein entfaltet und im Proteasom zu kleinen Peptiden
zerschnitten.
4. Peptidasen bauen die Peptidfragmente ab.

Verwandt mit Ubiquitin sind die SUMOs (small ubiqutin-related modifier).


Sumoylierung heißt der Prozess, in dem ein Zielprotein ein SUMO angehängt
bekommt. Formal ähnelt diese posttranslationale Modifikation der
­Ubiquitinylierung:
136 Kapitel 5 · Translation

55 In einem dreistufigen Prozess hängen die Enzyme E1 bis E3 SUMO(s) an Lysin-


reste eines Zielproteins.
55 Proteasen entfernen SUMO(s) wieder: Desumoylierung

z Lokalistion und Funktionen sind jedoch gänzlich andere


55 Die Sumoylierung erfolgt vor allem im Zellkern und ist essentiell für dortige
Prozesse.
55 Beispiele für Kern- oder Zellprozesse, die durch SUMO reguliert werden: Tran-
skription, Prozessieren der RNA, Reaktion auf DNA-Schäden, Transport vom
Kern ins Cytoplasma, Erhaltung der Pluripotenz. Fehlfunktionen in der Su-
5 moylierung können im Menschen an der Krebsentstehung beteiligt sein.
55 Beispiel für ein SUMO-Zielprotein, das sumoyliert wird ist RanGAP1. SUMO
reguliert dabei die Aktivität von RanGAP1. Dieses aktiviert die GTPase-­
Funktion von RAN. RAN ist beteiligt am Transport zwischen Kern und Cyto-
plasma, sodass SUMO letztlich diesen Kerntransport zu regulieren mithilft.
137 6

Regulation der
Genexpression: Allgemeines
und Regulation bei
Prokaryoten
Inhaltsverzeichnis

6.1 Worum geht es? – 138

6.2 Grundlagen – 138


6.2.1  otwendigkeit zur Regulation – 138
N
6.2.2 Allgemeine Regulationsmöglichkeiten
und beteiligte Elemente – 139
6.2.3 Regulationsebenen – 139
6.2.4 DNA-bindende Proteine bei Pro- und Eukaryoten – 140

6.3 Regulation der Transkription bei Prokaryoten – 143


6.3.1 E inleitung und grundsätzliche Regulationsmöglichkeiten – 143
6.3.2 Das lac-Operon von E. coli: Regulation eines Abbauwegs – 144
6.3.3 Das trp-Operon von E. coli: Regulation eines
Synthesewegs – 146
6.3.4 Regulation an der DNA des Phagen λ – 148
6.3.5 Regulation über σ-Faktoren – 149
6.3.6 Stringente Kontrolle – 150
6.3.7 Riboswitches (RNA-Schalter) – 150

6.4 Regulation der Translation – 151


6.4.1  ntisense-RNA und Codon-Usage – 151
A
6.4.2 CRISPR/Cas – 151

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_6
138 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten

6.1 Worum geht es?

Die vorhergehenden Kapitel stellten dar, wie die Information in den Genen ab-
gelesen und exprimiert wird. Hier geht es um die Regulation der Genexpression
auf den verschiedenen Ebenen wie Chromatin, Transkription oder Translation.
DNA-­bindende Proteine sind bei Pro- wie bei Eukaryoten von entscheidender Be-
deutung. Für die Bindung an die DNA besitzen sie bestimmte Sequenzen, die Mo-
tive genannt werden. Prokaryoten regulieren die Expression vor allem auf der
Ebene der Transkription, im Zentrum steht die Regulation des Operons. Die Regu-
lation der Translation erfolgt mittels Antisense-RNA.

6.2 Grundlagen
6

6.2.1 Notwendigkeit zur Regulation

Pro- und Eukaryoten müssen kontrollieren und regulieren, welche Geninformation


sie zu welchem Zeitpunkt nutzen. Die jeweilige regulierte und an Bedingungen an-
gepasste Expression bezeichnet man als differenzielle Genexpression oder -aktivität.
Die Schwerpunkte der differenziellen Genexpression sind unterschiedlich:
55 Prokaryoten reagieren auf wechselnde Umweltbedingungen, Reize und
Wachstumsbedingungen.
55 Ein Darmbakterium findet im Darm mehr Nährstoffe vor als außerhalb des
Darms. Es kann diese Stoffe aufnehmen und sich die Synthese z. B. von Amino-
säuren sparen. In nährstoffarmer Umgebung muss es diese selbst herstellen.
55 Je nach Zuckerquelle produziert ein Darmbakterium nur die dafür notwendigen
Abbauenzyme und unterdrückt die Synthese anderer Abbauenzyme.
55 Bodenbakterien wie Bazillen müssen längere Zeiten mit Trockenheit oder Nähr-
stoffmangel überdauern. Dafür bilden sie Dauerformen, die Sporen, deren Bil-
dung sie über ein eigenes Genprogramm einleiten.
55 Auch Eukaryoten müssen auf sich ändernde Umweltbedingungen, Reize und
Wachstumsbedingungen reagieren. Hinzu kommt, dass viele Eukaryoten Mehr-
zeller sind, die aus ein und derselben Zygote hervorgehen. Die späteren Zellen
besitzen alle die gleiche Erbinformation, aber die Zellen differenzieren sich in
verschiedene Zelltypen.
55 So unterscheiden sich eine menschliche Leber- und Nervenzelle in der Protein-
ausstattung erheblich. Als Grundlage dafür lesen die Zellen ihre spezifischen
Gene ab, andere bleiben unbeachtet. Im Menschen exprimiert das Gehirn die
größte Zahl proteincodierender Gene.
55 Grob betrachtet fällt die Hälfte der gesamten mRNA einer eukaryotischen
Zelle auf rund 100 Gene, von denen etwa 1000 bis 10.000 mRNA-Kopien vor-
liegen (häufige oder abundante mRNAs). Die andere Hälfte teilen sich die
­tausenden Gene, von denen die Zelle wenige mRNA-Kopien bildet, oft weniger
als 10 (seltene mRNAs).
6.2 · Grundlagen
139 6
55 In Leber- und Nierenzellen der Maus sind rund 90 % der seltenen mRNAs
identisch. Sie repräsentieren im Wesentlichen die Haushaltsgene, die alle Zellen
eines Organismus exprimieren. Daraus folgt, dass (vor allem) die abundanten
mRNAs spezifisch für den Zelltyp sind.

6.2.2  llgemeine Regulationsmöglichkeiten und beteiligte


A
Elemente

Man unterscheidet zwei Prinzipien der Regulation (negativ/positiv), die sich in zwei
verschiedenen Varianten (Einschalten oder Ausschalten der Regulation) zeigen
(siehe unten, Abschn. 7 6.3.1):
55 Bei der negativen Regulation unterdrückt ein Repressor die Genexpression: (1)
Ist der Repressor allein noch nicht aktiv, so aktiviert ihn erst ein Corepressor:
„Einschalten“ des Repressors, dadurch Unterdrückung der Genexpression. (2)
Ist der Repressor aktiv und unterdrückt die Genexpression, so inaktiviert ihn
ein Induktor und hebt die Repression auf („Ausschalten“ des Repressors, aber
Beginn der Genexpression).
55 Bei der positiven Regulation veranlasst ein Aktivator die Genexpression: (1)
Der Aktivator allein ist nicht aktiv, erst wenn sich ein Induktor an ihn bindet,
heftet sich der Aktivator an die DNA und erlaubt die Genexpression („Ein-
schalten“ und Beginn der Expression). (2) Der Aktivator ist aktiv, aber durch
die Bindung eines Corepressors wird er deaktiviert („Ausschalten“, keine Gen-
expression).

Beide Prinzipien kommen bei Pro- und Eukaryoten vor. Grob gesagt sind negative
und positive Kontrolle bei Prokaryoten gleichermaßen von Bedeutung, bei Euka-
ryoten mehr die positive Kontrolle.
Ausgeübt wird die Kontrolle von regulatorischen DNA-Elementen – unmittel-
bar vor Genen liegend oder weit davon entfernt (s. 7 Abschn. 4.3.2) – und regula-
torischen Genen. Bei den Produkten der regulatorischen Gene handelt es sich ent-
weder um RNA-Moleküle oder um DNA-bindende Proteine. In den meisten Fäl-
len binden sich die Proteine an die regulatorischen DNA-Elemente.

6.2.3 Regulationsebenen

Es gibt mehrere Ebenen der Regulation:


1. Veränderung auf DNA-Ebene: Die Rekombination von DNA als Regulations-
mechanismus kennt man von Pro- und Eukaryoten. Dabei wird die DNA um-
gebaut durch Deletion oder Inversion.
55 Beispiel bei Prokaryoten: Das pathogene Bakterium Salmonella enterica
kann verschiedene Flagellen bilden. Die Flagellen nutzt es zur Fort-
bewegung, gleichzeitig sind es Antigene, die der Wirtsorganismus zur Ab-
wehr erkennt und ausnutzt. Durch Umschalten auf die Synthese eines ande-
140 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten

ren Flagellinproteins kann das Bakterium der Immunabwehr entgehen. Der


„Schalter“ besteht aus einem Promotor, der durch Inversion seine Leserich-
tung ändert und je nach Orientierung verschiedene Gene abliest. Das Phä-
nomen heißt Phasenvariation.
55 Beispiel bei Eukaryoten: Die Antikörpervielfalt des Menschen beruht dar-
auf, dass DNA-Elemente zur Synthese der Immunproteine modulartig zu-
sammengesetzt werden und es dabei zu Deletionen, Mutationen und In-
versionen kommt (s. 7 Abschn. 13.4).
2. Veränderung auf Chromatinebene: Vor allem bei Eukaryoten ist die DNA unter-
schiedlich methyliert, und Histone können acetyliert, phosphoryliert, methy-
liert oder ubiquitiniert sein. Dadurch ist die DNA für DNA-bindende Proteine
verschieden gut zugänglich und wird besser oder schlechter abgelesen (s. Epi-
genetik, 7 Abschn. 7.8).
6 3. Transkription: Die Bildung von RNA-Molekülen wird differenziert reguliert.
Das betrifft sowohl mRNAs als auch nichtcodierende RNA-Typen.
4. Prozessierung von mRNA und Halbwertszeit: Eukaryotische Zellen verändern
ihre mRNA-Moleküle so, dass sie darüber die Stabilität beeinflussen oder den
Transport ins Cytoplasma. Signalsequenzen in den UTRs an den Enden beein-
flussen die Lebensdauer von mRNAs.
5. Translation: Die Bildung von Proteinen wird begünstigt oder verhindert.
6. Posttranslation: Durch Modifikationen an den Proteinen beeinflusst die Zelle
die Aktivität von Proteinen und auch ihre Lebensdauer.

6.2.4 DNA-bindende Proteine bei Pro- und Eukaryoten


 nterscheidung von unspezifischen und spezifischen DNA-
U
bindenden Proteinen
DNA-bindende Proteine sind für Pro- wie Eukaryoten grundlegend für die Gen-
regulation. Man unterscheidet zwischen unspezifischen und spezifischen DNA-­
bindenden Proteinen.
55 Zu den unspezifischen DNA-bindenden Proteinen gehören beispielsweise die
Histone bei Eukaryoten und die histonähnlichen Proteine bei Prokaryoten. Sie
erfordern keine besondere DNA-Sequenz, um sich anzulagern.
55 Die spezifischen DNA-bindenden Proteine lagern sich nur an bestimmte Se-
quenzen. Sie gestatten die Regulation einzelner Gene bei Pro- und Eukaryoten
und erlauben eine Reaktion auf die physiologische Situation der Zelle.

Da die Vielfalt der spezifischen DNA-bindenden Proteine bei Eukaryoten größer ist
als bei Prokaryoten, nimmt man für Eukaryoten eine weitere Einteilung vor:
55 Die generellen (oder allgemeinen) Transkriptionsfaktoren (s. 7 Kap. 4) ermög-
lichen eine basale Transkription, die ständig abläuft, wenngleich auf einem
niedrigen Niveau.
55 Die regulatorischen (oder spezifischen) Transkriptionsfaktoren (s. 7 Kap. 7)
stimulieren die Transkription, indem sie diese auf bestimmte Signale hin hoch-
regulieren.
6.2 · Grundlagen
141 6
Die spezifischen Proteine der Pro- und Eukaryoten zeichnen sich durch Struktur-
merkmale aus: Sie besitzen Motive von 20 bis 60 Aminosäuren, die für die Bindung
verantwortlich sind. Diese Abschnitte oder Domänen mit bestimmter Funktion la-
gern sich in der Regel in die große Furche der DNA und entfalten ihre Wirkung.
Viele spezifische DNA-bindende Proteine interagieren über eine zweite Domäne
mit anderen Proteinen (mit allgemeinen Transkriptionsfaktoren, mit Co-
aktivatoren), um die Regulation abzustimmen, oder sorgen beispielsweise für die
Lokalisation im Zellkern.

Strukturmotive für die Bindung an die DNA


Man ordnet die Proteine nach dem charakteristischen Aufbau des Strukturmotivs
verschiedenen Gruppen zu:
55 Bei Prokaryoten und Phagen:
55 Helix-turn-Helix (Helix-Kehre-Helix, . Abb. 6.2):

Das Helix -turn-Helix-Motiv ist das typische Motiv bei Prokaryoten. Zwei
α-Helices sind über eine Kehre aus wenigen Aminosäuren (turn) verbunden. Die
zweite Helix ist die Erkennungshelix für die große Furche.
Beispiele: lac-Repressor, λ-Repressor (s. u.).
55 Bei Eukaryoten:
55 Homöodomäne:

Sie ist mit dem prokaryotischen Helix-turn-Helix-Motiv verwandt, mit 60 Amino-


säuren aber länger. Drei α-Helices sind hintereinander angeordnet, der turn liegt
zwischen zweiter und dritter Helix. Die dritte ist die Erkennungshelix, sie lagert
sich in die große Furche. Viele Proteine mit der Homöodomäne spielen eine Rolle
bei der Zelldifferenzierung und der Gestaltbildung von Organismen.
Beispiele: UBX bei Drosophila, Oct-Faktoren wie der Pionierfaktor Oct4
(Transkriptionsfaktoren in embryonalen Stammzellen).
Der entsprechende codierende Abschnitt der DNA für die Domäne heißt
Homöobox und man spricht von den HOX-Genen. Einige Proteine mit Homöo-
domäne binden sich an DNA und RNA, Beispiel: Bicoid bei Drosophila (für die
Ausbildung der anterior-posterioren Körperachse).
Homöotische Gene sind evolutionär hoch konserviert.
55 Basische Helix-loop-Helix-Domäne (bHLH):

Zwei Helices mit basischen Aminosäuren sind über eine Schleife verbunden. Basi-
sche Abschnitte heften sich grundsätzlich leicht an die (negativ geladene) DNA. Die
Domäne kommt oft in Proteinen vor, die sich an Enhancer binden.
Beispiel für Transkriptionsfaktoren mit bHLH: Die E12/E47-Proteine aktivie-
ren die Expression von Immunglobulingenen.
55 Zinkfingerdomäne (. Abb. 6.1):
142 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten

C H C H C H

Zn Zn Zn

C H C H C H

+ –
H 3N COO

Bildet Bildet
6 -Helix -Faltblatt

..      Abb. 6.1 Struktur der Zinkfingerdomäne

Mehrere Aminosäuren legen sich in eine Schleife um ein Zinkion, das sie ko-
ordinativ binden. So entsteht der Eindruck eines Fingers mit dem Metallatom an
der Wurzel. Je nachdem, ob zwei Cysteine und zwei Histidine das Zinkion binden
oder vier Cysteine, spricht man von Cys2-His2-Zinkfingern oder Cys4-­Zinkfingern.
Proteine können jeweils einige wenige Zinkfinger ausbilden oder bis über 30.
Beispiele: (1) CTCF (CCCTC-Bindungsfaktor) mit 11 Zinkfinger-Domänen,
CTCF arbeitet als Architekturprotein, als Regulationsprotein und als
Transkriptionsfaktor. (2) Krüppel bei Drosophila, Krüppel fungiert als Produkt
eines Gapgens in der Entwicklung der Fliegen (siehe 7 Abschn. 14.3.5), mit Krüp-
pel verwandt sind der Pionierfaktor KLF4 und KRAB-ZFP zur Stilllegung von
transposablen Elementen (siehe 7 Abschn. 9.4.3). (3) Der Transkriptionsfaktor
TFIIIA für die RNA-Polymerase III. (4) Steroid-Rezeptoren: Ein Ligand lagert
sich an den Rezeptor an und aktiviert diesen. Als Dimer binden sich die Steroid-­
Rezeptoren an die DNA und wirken als Transkriptions-Faktoren.
55 Basische Leucin-Zipper-Domäne (bZip-Domäne, . Abb. 6.2):

Das Motiv besteht aus zwei langen α-Helices. Die eine Helix enthält basische, die
andere hydrophobe Aminosäuren. Jede siebte Aminosäure ist Leucin. Die Helices
können sich aneinanderlagern und sich somit wie ein Reißverschluss schließen. Die
Helices können auch auf zwei getrennte Proteine verteilt sein.
Beispiele: CREB-Proteine oder Myc.
6.3 · Regulation der Transkription bei Prokaryoten
143 6
a Helix-turn-Helix b Leucin-Zipper
+
NH 3

Hydrophobe
Wechselwirkungen

Schleife
+
„turn“ NH3 COO –
Erkennungshelix COO –

H-Brücken DNA

..      Abb. 6.2 Helix-turn-Helix-Domäne und Leucin-Zipper

6.3 Regulation der Transkription bei Prokaryoten

6.3.1 Einleitung und grundsätzliche Regulationsmöglichkeiten

Prokaryoten kontrollieren ihre Transkription als Antwort auf äußere oder innere
Signale. Zu den Signalen gehören
55 die Versorgung mit Nährstoffen (Zucker, Aminosäuren) oder verschiedenen
Stickstoffquellen,
55 die Temperatur,
55 die Sauerstoffkonzentration,
55 die Bakteriendichte (Quorum sensing).

Im einfachen Fall ist das Signal ein Stoff, beispielsweise ein Zucker, der durch ein
Membranprotein ins Zellinnere gelangt und dort direkt mit einem DNA-­bindenden
Protein interagiert (s. 7 Abschn. 6.2.2).
In den Fällen der Signaltransduktion erkennt die Zelle das äußere Signal, leitet
es ins Zellinnere und wandelt es um.
144 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten

Beispiel: Das Zweikomponentensystem besteht aus zwei Proteinen:


55 Eine Sensorkinase reagiert spezifisch auf das Umweltsignal. Sie ist in der Mem-
bran verankert. Auf die Wahrnehmung des äußeren Signals hin ändert sie ihre
Konformation und phosphoryliert im Zellinneren einen eigenen Histidinrest
(Selbst- oder Autophosphorylierung).
55 Ein intrazelluläres Protein, der Antwortregulator, reagiert auf die Veränderung
an der Sensorkinase. Es handelt sich meist um ein DNA-bindendes Protein,
oder es interagiert mit einem solchen. Eine Phosphatase schaltet den Signalweg
ab.

Die Signaltransduktionswege oder -kaskaden sind bei Prokaryoten im Ver-


gleich zu Eukaryoten recht einfach und schnell.
Die Zelle reguliert die Transkription, indem sie diese
6 55 anschaltet, also aktiviert oder positiv kontrolliert
55 oder abschaltet, reprimiert oder negativ kontrolliert.

Daran können sich mehrere Proteine beteiligen:


55 Die Regulatoren:
55 Aktivatoren aktivieren Gene,
55 Repressoren unterdrücken sie.
55 Es kann sein, dass diese Proteine ihre Wirkung allein erzielen oder dass weitere
Moleküle unterstützend notwendig sind: Coaktivatoren und Corepressoren.
55 Ein Repressor wird dabei erst durch seinen Corepressor aktiv, das heißt, erst
dann schaltet er die Transkription ab. Der Gegenspieler zum Corepressor heißt
Induktor (inducer), er inaktiviert einen Repressor, sodass dadurch die Tran-
skription angeschaltet wird.

6.3.2 Das lac-Operon von E. coli: Regulation eines Abbauwegs


Bei Bakterien sind die Strukturgene für Stoffwechselwege, z. B. für den Abbau des
Zuckers Lactose, in der Regel geclustert. Sie liegen im Genom direkt hintereinander
und werden gemeinsam transkribiert.
Eine solche Transkriptionseinheit heißt Operon. Ein Operon besteht aus einem
Promotor und einem Operator als Regulationselementen und den nachfolgenden
Strukturgenen. Es steht unter der Kontrolle eines Regulatorproteins, dessen Pro-
motor und Gen nicht Teil des Operons ist und woanders im Genom liegt.
Das lac-Operon dient seit Jahren als Paradigma für das Operonmodell. Es wird
induziert und dadurch werden die lac-Gene transkribiert. Das Operon umfasst
neben Promotor und Operator die Gene für den Stoffwechsel von Lactose.
1. Das lacZ-Gen codiert die β-Galactosidase. Das Enzym wandelt Lactose in die
isomere Allolactose um und spaltet den Zucker in Glucose und Galactose.
2. Das lacY-Gen codiert den Membrantransporter für Lactose, die Permease.
3. lacA codiert eine Transacetylase mit nicht endgültig geklärter Funktion.

Das lac-Operon unterliegt einer doppelten Kontrolle (. Abb. 6.3).


6.3 · Regulation der Transkription bei Prokaryoten
145 6
366734 Ausschnitt aus dem E. coli-Genom 360473

Allolactose
LacI Repression – LacI
inaktiv LacI –35 –40 +1
aktiv + Derepression
5' 3'
PlacI lacI CBS P O1 lacZ lacY lacA
3' 5'
CAP +
mRNA mRNA
Positive
cAMP Operon
Regulation

..      Abb. 6.3 Das lac-Operon unter positiver und negativer Kontrolle

Über den lac-Repressor (codiert von lacI) ist das Operon negativ induzierbar:
1. Wenn Lactose nicht vorliegt, bindet sich der Repressor an den Operator. Der
Operator besteht aus einem Palindrom-Sequenzmotiv aus 26 bp. Dieses Motiv
kommt mehrfach vor. Der Repressor blockiert die RNA-Polymerase. Er liegt
als Tetramer vor. Für eine Bindung ist ein Dimer ausreichend. Das zweite
Dimer bindet sich an ein zweites Operator-Sequenzmotiv. Dadurch entsteht ein
Bogen in der DNA und die RNA-Polymerase wird eingeklemmt. Allerdings ist
die negative Kontrolle nicht hundertprozentig, eine minimale Transkription fin-
det statt. Das ist wichtig, damit in der Membran Permeasemoleküle vorliegen
und diese den Eintritt von Lactose in die Zelle erlauben.
2. Findet die Zelle Lactose im Medium vor, nimmt sie den Zucker durch die Per-
mease auf.
3. In der Zelle wandelt die β-Galactosidase Lactose in Allolactose um. Vier Mole-
küle binden sich an ein Repressortetramer.
4. Das Repressortetramer ändert dadurch seine Konformation, löst sich vom
Operator und gibt den Promotor für die Bindung der RNA-Polymerase frei.

Der zweite Mechanismus ist eine positive Kontrolle und von Glucose abhängig:
So lange Glucose als Zucker vorliegt, bevorzugt E. coli diese Energiequelle,
denn Lactose müsste erst gespalten werden. Die Verwertung von Glucose ist also
einfacher.
Allgemein verhindert Glucose die Transkription von Strukturgenen für den
Abbau anderer Zucker (Galactose, Maltose u. a.), man nennt das Phänomen Ka-
tabolitrepression.
1. Verringert sich der Glucosegehalt jedoch, so steigt in der Zelle die Menge des
Second Messengers cAMP an. cAMP fungiert als Induktor.
2. cAMP bindet sich an das Aktivator-Protein CAP (catabolite activator protein),
auch CRP genannt (cAMP receptor protein). CAP ändert nach der Anlagerung
von cAMP seine Konformation, es wird aktiviert, bindet sich nun an die
CAP-Bindestelle (CBS) der DNA und fördert die Bindung der RNA-­Polymerase
an den Promotor.
146 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten

Generell ist die positive wie die negative Kontrolle in Prokaryoten in etwa gleich
häufig. In Eukaryoten kommt die positive Kontrolle hingegen häufiger vor.
Die Verschaltung von Glucose- und Lactosestoffwechsel erfolgt über das
Phosphotransferasesystem (PTS, eigentlich Phosphoenolpyruvat-PTS). Phos-
phoenolpyruvat (PEP) ist ein Kohlenhydrat aus dem Glucoseabbau.
Das Phosphotransferasesystem veranschaulicht die Bedeutung von Phosphory-
lierungen.
55 Das PTS transportiert mittels spezifischer Transporter Zuckermoleküle in die
Zelle und phosphoryliert sie.
55 Die EIIA-Domäne der Glucose-Permease verknüpft Zuckertransport mit Gen-
regulation.
55 In Abwesenheit von Glucose ist die EIIA-Domäne phosphoryliert. Dieser Zu-
stand aktiviert das Enzym Adenylat-Cyclase, das aus ATP den Second Messen-
6 ger cAMP herstellt.
55 In Anwesenheit von Glucose wird der Phosphatrest von EIIA entfernt und letzt-
lich auf Glucose übertragen. Die Aktivierung der Adenylat-Cyclase bleibt aus,
das nichtphosphorylierte EIIA hemmt zusätzlich die Lactose-Permease LacY,
Lactose gelangt nicht in die Zelle (Induktorausschluss).

6.3.3 Das trp-Operon von E. coli: Regulation eines


Synthesewegs

Das trp-Operon umfasst die Gene für die Synthese der Aminosäure Tryptophan
(Trp). Wenn kein Tryptophan im Nährmedium vorhanden ist, muss E. coli die
Aminosäure herstellen. Ist es hingegen vorhanden, schaltet das Bakterium die
Transkription ab und spart die Energie für die Synthese der Enzyme ein.
Das trp-Operon gliedert sich in
55 den Promotor,
55 den Operator,
55 fünf Strukturgene für die Synthese von Trp aus Chorisminsäure,
55 ein weiteres Kontrollelement, die Leader-Sequenz oder Leitsequenz (trpL), zwi-
schen dem Operator und dem ersten Strukturgen,
55 das Gen trpR für einen Repressor in einiger Entfernung. Der Repressor vermag
sich allein nicht an den Operator zu binden.

Das trp-Operon unterliegt ebenfalls doppelter Kontrolle.


55 Die erste Kontrolle dient als Beispiel für negative Repression.
–– In Abwesenheit von Trp findet die RNA-Polymerase ungehindert Zugang
zum Promotor und transkribiert die Strukturgene.
–– In Anwesenheit von Trp bindet sich die Aminosäure jedoch an den Repressor
und aktiviert ihn: Er ändert seine Konformation, heftet sich an den Operator
und verhindert somit, dass sich die RNA-Polymerase an den Promotor
­bindet.
6.3 · Regulation der Transkription bei Prokaryoten
147 6
5' 3'
Promotor Operator Leader Attenuator trpE trpD trpC trpB trpA t t'
3' 5'

U A
–AAAGGU UGGUGGCGCACUUCCUGAAAC GGGCAGUGUAU CACCA UGCGUAAAGCAAUCAG AUACCCAGCCCGCCUAAU G GCGGGCU UUUUUUU–mRNA
Region 1 Region 2 Region 3 Region 4

Met Lys Ala Ile Phe Val Leu Lys Gly Trp Trp Arg Thr Ser

..      Abb. 6.4 Ausschnitt aus der Sequenz des trp-Operons

55 Die zweite Kontrolle führt einen neuen Mechanismus ein, die Attenuation. Sie
kontrolliert nicht die Initiation wie die bisherigen Wege, sondern die Elongation
der Transkription. Die Attenuation führt zu ihrem vorzeitigen Abbruch, falls
die negative Repression nicht vollständig war.

Der Schlüssel zum Verständnis liegt in dem Leader trpL. Er weist besondere
Strukturmerkmale auf (. Abb. 6.4):
55 einen offenen Leserahmen von 14 Codons, zwei davon für Tryptophan,
55 vier Abschnitte oder Regionen, welche die Ausbildung von verschiedenen
Haarnadeln der mRNA erlauben. Diese Unterregion heißt Attenuator.

Die Wirksamkeit der Attenuation basiert darauf, dass bei Bakterien die Trans-
lation an die Transkription gekoppelt abläuft.
55 Sollte es in Anwesenheit von Trp zur Transkription des Operons kommen, so
beginnt E. coli mit der Translation.

1. Ribosomen und Trp-tRNATrp heften sich an die Codons der Leader-Sequenz.


2. Während sich die Ribosomen an den Abschnitt lagern, bilden die hinteren Ab-
schnitte die Haarnadel aus (. Abb. 6.5a).
3. Diese Sekundärstruktur stoppt jedoch die RNA-Polymerase und damit die wei-
tere Transkription.

55 In Abwesenheit von Trp ist die entsprechende tRNA unbeladen. Folglich ist der
Attenuator frei und kann aus seinen vorderen Bereichen 2 und 3 eine Haar-
nadel ausbilden. Diese Struktur stoppt die RNA-Polymerase jedoch nicht, und
die Transkription läuft weiter (. Abb. 6.5b).

Attenuation findet man bei E. coli auch in weiteren Aminosäureoperons, beispiels-


weise in denen für Histidin oder Leucin, aber auch bei anderen Bakterien.
148 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten

a RNA-
DNA
Polymerase
1 2
mRNA
Ribosom 3 4

Leader-Peptid

b RNA-
DNA
Polymerase
mRNA 1 4
6 Leader-Peptid Ribosom

2 3

..      Abb. 6.5 Regulation des trp-Operons durch Attenuation. Die Ziffern kennzeichnen die vier Ab-
schnitte, die Haarnadeln ausbilden können

6.3.4 Regulation an der DNA des Phagen λ

Der Phage λ (Lambda) ist ein beliebtes Beispiel für verschachtelte Regulationen.
Sobald der Phage λ seine DNA in eine E.-coli-Wirtszelle injiziert hat, sind zwei
grundverschiedene Wege möglich:
55 Vermehrung, Herstellung neuer Phagen, Zerstörung der Wirtszelle (lytischer
Zyklus)
55 oder Integration der DNA ins Wirtsgenom und Weitergabe mit jeder Zellteilung
von E. coli (lysogener Zyklus, s. 7 Abschn. 9.3.3 und 7 10.4.2).

Je nachdem, welcher Weg eingeschlagen wird, werden verschiedene Gene exprimiert


und andere reprimiert. Der λ-Repressor (vom cI-Gen codiert, mit Helix-turn-­Helix-
Motiv) ist dazu die zentrale Schaltstelle.
55 Lysogener Zyklus. Ist die DNA in das E.-coli-Chromosom integriert, hält der
λ-Repressor diesen Zustand aufrecht. Dimere des Proteins heften sich an Ope-
ratoren und lassen nur noch die Expression von cI zu, während sie die Tran-
skription anderer λ-Gene und somit den lytischen Weg verhindern.
55 Lytischer Zyklus. Schlägt λ nach der Infektion den lytischen Weg ein, so unter-
drückt das Cro-Protein (von cro codiert, ebenfalls mit Helix-turn-Helix-Motiv)
die Expression von cI. Es wird daher auch Antirepressor genannt oder
Repressor-­Repressor.

Die cI- und cro-Gene und die Zielsequenzen der zwei Repressoren sind verschachtelt
und überlappen einander.
6.3 · Regulation der Transkription bei Prokaryoten
149 6
Ob es nach der Infektion zum lytischen oder zum lysogenen Zyklus kommt,
hängt davon ab, welcher Repressor sich eher an seine Zieloperatoren heftet. Denn
dadurch unterbindet er die Expression des jeweils anderen Repressorgens.
Der λ-Repressor des cI-Gens ist ein Angriffspunkt der SOS-Antwort von E.
coli. Darunter versteht man ein Notfallprogramm, das die Zelle in kritischen Situ-
ationen anschaltet (UV-Bestrahlung, chemische Mutagenese, s. 7 Abschn. 11.7.7).
Es sichert das Überleben, der Preis dafür ist eine erhöhte Mutationsrate. Innerhalb
dieser Antwort induziert die Zelle die Bildung der RecA-Protease. RecA spaltet
u. a. den λ-Repressor. Damit ist der Weg frei für den lytischen Zyklus.

6.3.5 Regulation über σ-Faktoren

Die RNA-Polymerase ist aufgebaut aus dem Core-Enzym und dem σ-Faktor (s.
7 Abschn. 4.5). Der σ-Faktor ist jedoch nur für die Promotorerkennung wichtig.
Nach der Initiation der Transkription löst er sich von dem Core-Enzym.
55 Der Standard-σ-Faktor bei E. coli ist σ70. Insgesamt nutzt das Bakterium sieben
σ-Faktoren.
55 Unter besonderen Umständen (vor allem Stress) ist einer von sechs anderen
σ-Faktoren notwendig, die sich an andere −35- und −10-Regionen des Promo-
tors binden.
55 Sie erkennen Promotoren von Genen, welche die Anpassung an die Stress-
situation gewährleisten. σ32 ist beispielsweise für die Hitzeschockreaktion und
­Bildung der Hitzeschockproteine wichtig (. Abb. 6.6 und 7 Abschn. 5.9.1).

70

rpoH-Gen

mRNA

32 Abbau

RNA-Polymerase

Fördert
den Abbau
Hemmt 32
die Bindung
Hitzeschockgene

Hitzeschockproteine,
u. a. Dnaj

..      Abb. 6.6 Unter bestimmten Bedingungen kommt es zur Bildung des σ32-Faktors. Mit diesem
Faktor ist die Transkription weiterer Gene möglich (Hitzeschockproteine). Diese fördern wiederum
den Abbau des σ-Faktors, sodass das System sich selbst reguliert
150 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten

Bacillus subtilis liefert weitere Beispiele für den Einsatz verschiedener σ-Faktoren
als Antwort auf äußere Umstände. Nährstoffmangel ist beispielsweise ein Auslöser
für die Bildung einer Endospore. Die Sporen zeigen keine erkennbare Stoffwechsel-
aktivität und erlauben dem Bakterium, „schlechte Zeiten“ zu überdauern.
55 Die Sporenbildung oder Sporulation ist ein Prozess in mehreren Schritten, bei
dem die Mutterzelle in ihrem Plasma die Endospore bildet.
55 Die Stufen laufen kaskadenartig ab. Auf unterschiedlichen Stufen kommen für
die Genexpression die verschiedenen σ-Faktoren zum Einsatz. Auf einer Stufe
liest die Zelle Strukturgene ab und ein Gen für einen σ-Faktor, mit dessen Hilfe
die RNA-Polymerase die nächstfolgende Stufe betritt und dann die Gene dieser
Stufe abliest usw.
55 Die Sporulation gilt als ein Beispiel für eine Zelldifferenzierung bei Bakterien.

6
6.3.6 Stringente Kontrolle

Bedeutung und Ablauf der stringenten Kontrolle:


55 Die stringente Kontrolle greift bei Aminosäuremangel ein, wenn die Zelle
daraufhin die Vermehrungsrate drosseln muss.
55 Als Antwort reduziert sie die Synthese von rRNA und tRNA und fährt die Bil-
dung von Ribosomen herunter.
55 Auslöser sind unbeladene tRNAs in der A-Stelle der Ribosomen. Sie aktivieren
ein Enzym, das mit den Ribosomen assoziiert ist, die pppGpp-Synthetase, auch
stringent factor genannt oder RelA. (Die Bezeichnung stammt von dem Gen
relA her, Bakterien mit Mutationen in diesem Gen heißen relaxed mutants.)
55 Weitere Enzyme führen letztlich zur Synthese von ppGpp. Dieses Guanosinte-
traphosphat arbeitet zusammen mit seinem Hilfsprotein DksA (DnaK suppres-
sor A), bindet sich an die RNA-Polymerase an den Promotoren der rrn-Ope-
rons (der rRNA-Gene) und blockiert die Transkription. Das ppGpp ist ein
Signalnucleotid oder Alarmon.

6.3.7 Riboswitches (RNA-Schalter)

RNAs können unterschiedliche Sekundärstrukturen ausbilden. Dabei kann eine


Sekundärstruktur eine wichtige Sequenz wie ein Startcodon beinhalten und somit
unzugänglich machen, weil das Codon als Teil der Sekundärstruktur verdeckt ist.
Riboswitches ähneln der Attenuation. Grundlage sind Elemente in mRNAs, die
Sekundärstrukturen ausbilden, welche zum Abbruch der Transkription führen oder
die Translation verhindern. Während in der Attenuation aber die mRNA allein die
Strukturen ausbildet, binden sich für die Riboswitches Liganden an die mRNA. Die
mRNA reagiert darauf, indem sie andere Sekundärstrukturen formt (vergleichbar
der Konformationsänderung von Proteinen nach Anlagerung eines Faktors). Als
Liganden fungieren Cofaktoren, Nucleotide oder Aminosäuren. Sie binden sich
bevorzugt an die 5′-UTR (untranslatierte Region) der mRNA.
6.4 · Regulation der Translation
151 6
Beispiel: Die Synthese von Vitamin B12. Wenn das Vitamin vorhanden ist, bin-
det es sich an die 5′-UTR, der Riboswitch wird eingeschaltet. Die mRNA wird
nicht mehr translatiert, weil die Ribosomenbindestelle jetzt verdeckt ist. In Ab-
wesenheit von B12 bildet die mRNA andere Sekundärstrukturen aus und die Ribo-
somenbindestelle ist für die Translation zugänglich.

6.4 Regulation der Translation

6.4.1 Antisense-RNA und Codon-Usage

Bakterien regulieren überwiegend die Transkription. Möglichkeiten, die Trans-


lation zu kontrollieren, basieren auf der Synthese einer Antisense-RNA oder der
Nutzung bestimmter Codons.
55 Beispiel Antisense-RNA: Komplementär zu einer mRNA oder nur zu einem
Abschnitt einer mRNA stellt die Zelle ein RNA-Molekül her, das sich an diese
mRNA bindet und die Translation verhindert. Verdeutlicht an der Kontrolle
des ompF-Gens bei E. coli. Das Genprodukt OmpF ist ein Porenprotein in der
äußeren Membran, das Wasser und Ionen hindurchlässt. Die Expression des
Gens ist der Regelfall.
Ändert sich die Osmolarität des Außenmediums, muss die Zelle Ein- oder
Austritt durch OmpF verhindern und die Proteinmenge reduzieren. Dazu in-
duziert sie die Synthese des micF-Gens (mRNA-interfering complementary
RNA) für eine nichtcodierende RNA. Die RNA ist komplementär zum 5′-UTR-
Ende der ompF-­mRNA. Sie lagert sich an die mRNA, verdeckt somit die Ribo-
somenbindestelle und unterbindet die Translation.
55 Beispiel Codon-Usage: Der genetische Code ist degeneriert. Es codieren meh-
rere Codons die gleiche Aminosäure. Jeder Organismus bevorzugt dabei be-
stimmte Codons, nutzt diese also häufiger und verfügt über mehr tRNAs mit
dem Anticodon. Ein ORF mit häufigen tRNAs wird dann schneller translatiert
als ein ORF mit seltenen tRNAs.

6.4.2 CRISPR/Cas

Das CRISPR/Cas-System hat man bei Archaeen und Bakterien gefunden. Es


arbeitet mit regulatorischen RNA-Molekülen, um eine Immunität gegen Phagen-­
DNA aufzubauen (. Abb. 6.7).
Es ist das prokaryotische Pendant zur eukaryotischen RNA -Interferenz, die
ebenfalls auf regulatorischen RNAs aufbaut und fremde DNA damit abwehrt.
Das Besondere an dem CRISPR/cas-Mechanismus ist die adaptive Immunität.
Die Bakterien passen sich an die Phagen an und geben ihre Immunität an die
Tochterzellen weiter. Der Schlüssel dazu: Bakterien bauen Phagen-DNA in den
CRISPR-Locus auf ihrem Chromosom ein.
152 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten

a Immunisierung

Repeats

6 L 1 2 3 4 5 6

b cas-Gene Spacer

Guide-RNA
Cas-Komplex
(crRNA)

Protospacer

Immunität

..      Abb. 6.7 Etablierung einer Immunität gegen Phagen über das CRISPR/Cas-System. (Nach Mar-
raffini 2015; mit freundlicher Genehmigung der Nature Publishing Group)

Aufbau des Locus


CRISPR steht für clustered regularly interspaced short palindromic repeats. Der
Locus setzt sich zusammen aus
55 einer Leitsequenz (dem Leader) mit einem Promotor für die Transkription,
55 den 24–48 bp (die Angaben schwanken) kurzen palindromen Repeats und
55 20–72 bp kurze Spacer. Sie enthalten die Phagen-DNA.

Repeats und Spacer folgen abwechselnd aufeinander. Neue Phagen-DNA-­


Abschnitte baut die Zelle hinter die Leitsequenz ein.
Nicht weit von dem CRISPR-Locus liegen die cas-Gene (CRISPR associated
genes), deren Produkte bei der Phagenabwehr mithelfen. Sie stellen dazu ein RNA-­
prozessierendes System zur Verfügung. Es umfasst mehrere Funktionen: Polyme-
rase, Helikase, DNase, RNase, RNA-bindende Proteine. Fünf Cas-Proteine wir-
ken zusammen und bauen einen Komplex auf: Cascade (CRISPR-associated com-
plex for antiviral defense). Cascade erbringt sowohl die adaptive Immunität als
auch die Abwehr der Phagen-DNA.
6.4 · Regulation der Translation
153 6
a Cascade
b c
Prä-crRNA Cas9 tracrRNA Cas6 Prä-crRNA
Prä-crRNA

Cas10-
Komplex

PAM
Cas3 PAM

Transkript

Typ I Typ II Typ III

..      Abb. 6.8 Je nach beteiligten Cas-Proteinen und Struktur der crRNA unterscheidet man drei
Typen des Mechanismus. PAM bei Typ I und II steht für protospacer adjacent motif, es ist ein kurzes
Motiv vor dem Protospacer. Cas3, Cas6 und Cas9 sind Nucleasen. (Nach Marraffini 2015; mit
freundlicher Genehmigung der Nature Publishing Group)

Mechanismus
1. Die Zelle transkribiert zunächst den gesamten CRISPR-­Abschnitt als lange
Prä-crRNA und spaltet diese in die kleineren crRNAs (CRISPR-derived RNA)
oder psiRNAs (prokaryotic siRNA). Diese sind aufgebaut aus einem Spacer,
flankiert von zwei Teilrepeats, den PAMs (protospacer-adjacent motifs). Obwohl
PAM-Sequenzen sehr kurz sind (2 bis 5 bp), sind sie für die Spaltung not-
wendig. Sie werden von den Cas-Proteinen erkannt, und die Zelle unterscheidet
mit ihrer Hilfe fremd von zelleigen.
2. Die als Guide-RNA dienenden crRNAs und die Cas-Proteine bilden zusammen
Ribonucleoproteine.
3. Die crRNA aus den Spacern ist komplementär zur eingedrungenen Phagen-­
DNA (Protospacer). Ein Abschnitt des Spacers, die seed-Sequenz, leitet die
Basenpaarung ein. Wenn die crRNA die Phagen-DNA erkannt und gebunden
hat, beginnen die Cas-Proteine mit dem Abbau der Phagen-DNA (. Abb. 6.7
und 6.8).

Das CRISPR/Cas9-System hat sich zu einem wichtigen Werkzeug im Laboralltag


entwickelt, wenn man Mutationen in Gene einbauen will (s. 7 Abschn. 16.8).
155 7

Regulation der
Genexpression bei
Eukaryoten
Inhaltsverzeichnis

7.1 Worum geht es? – 157

7.2  llgemeiner Vergleich zur Regulation


A
bei Prokaryoten – 157

7.3  ewebe- und entwicklungsspezifische Regulation


G
der Globingene beim Menschen – 157
7.3.1  llgemeines – 157
A
7.3.2 Differenzielle Genexpression der Globingene – 158

7.4 Regulation der Gene – 159


7.4.1  egulation der RNA-Polymerase-I-Gene – 160
R
7.4.2 Regulation der RNA-Polymerase-II-Gene – 160
7.4.3 Regulation der RNA-Polymerase-III-Gene – 162

7.5 Signaltransduktion bei Eukaryoten – 163


7.5.1  berblick – 163
Ü
7.5.2 Beispiele für Signalwege: vom äußeren
Signal zur Regulation der Transkription – 164
7.5.3 cAMP und CREB-Signalweg – 166
7.5.4 Steroidhormone – 167

7.6 Regulation der Translation – 167


7.6.1  IF4E – 168
e
7.6.2 eIF2 – 168

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_7
7.7 Regulatorische RNA-Moleküle
und RNA-Interferenz – 169
7.7.1  berblick – 169
Ü
7.7.2 Ablauf mit siRNAs – 171
7.7.3 Ablauf mit miRNAs – 171
7.7.4 Ablauf mit piRNA – 174
7.7.5 Lange nichtcodierende RNA, lncRNA – 174
7.7.6 Transkriptions-Interferenz – 176
7.7.7 Ringförmige RNA, circRNA – 176

7.8 Epigenetik – 176


7.8.1 Chromatin-Remodeling – 177
7.8.2 Histonmodifikationen – 178
7.8.3 DNA-Methylierung – 182
7.3 · Gewebe- und entwicklungsspezifische Regulation der…
157 7
7.1 Worum geht es?

Im Vergleich zur Genexpression bei Prokaryoten verläuft die eukaryotische Regulation


erheblich feiner und abgestufter. Globingene veranschaulichen das Phänomen der dif-
ferenziellen Genexpression beim Menschen. Bei Eukaryoten gibt es ein sehr differen-
ziertes Zusammenspiel von allgemeinen und spezifischen Transkriptionsfaktoren, die
sich an die DNA binden. Signalwege illustrieren, wie Zellen auf ein äußeres Signal hin
mit der Regulation der Expression reagieren. Das Gebiet der Epigenetik umfasst regu-
latorische RNAs, Veränderungen der Histonproteine und der DNA.

7.2 Allgemeiner Vergleich zur Regulation bei Prokaryoten

Die Regulation unterscheidet sich bei Eukaryoten zum Teil deutlich von der bei
Prokaryoten:
55 Eukaryoten regulieren in der Regel einzelne Gene und keine Operons.
55 Transkription und Translation der Kern-DNA sind räumlich getrennt. Die
Transkription findet im Zellkern statt, die Translation im Cytoplasma.
55 Auch Eukaryoten nutzen zur Regulation das Prinzip DNA-bindender Proteine.
Es ist indes erheblich facettenreicher, so ist die Vielfalt DNA-bindender Motive
deutlich größer (s. 7 Abschn. 6.2.4).
55 Promotorelemente zeigen mehr Variationen im Aufbau.
55 Weitere cis-regulatorische Elemente kommen hinzu.
55 Die beteiligten Faktoren konkurrieren oder kooperieren miteinander.
55 Sie wirken direkt oder indirekt auch über weite Strecken in der DNA hinweg.
55 Bei Eukaryoten spielen chemische Modifikationen an der DNA eine erhebliche
Rolle. Die Chromatinstruktur und ihre Veränderung gehen einher mit der Regu-
lation der Expression.
55 Die Vielfalt und Anzahl regulatorischer RNA-Moleküle ist erheblich größer als
bei Prokaryoten.

7.3  ewebe- und entwicklungsspezifische Regulation der


G
Globingene beim Menschen

7.3.1 Allgemeines

Der Mensch besitzt mehrere Globingene (. Abb. 7.1), die zu verschiedenen Zeiten
in verschiedenen Geweben exprimiert werden. Die Globinproteine, die zusätzlich
einen Häm-Cofaktor enthalten, transportieren Sauerstoff in verschiedenen Zellen:
55 Das Hämoglobin transportiert Sauerstoff in Erythrocyten,
55 Myoglobin in Muskelzellen,
55 Neuroglobin in Nervenzellen,
55 Cytoglobin kommt in fast allen Zellen vor.
158 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

J1 J2
5' 3'

31 32 99 100 141
Pseudogene

Chromosom 16 5' 3'

Embryonal Adult

J1 J2
5' 3'

30 31 104 105 146


Pseudogen
7
Chromosom 11 5' 3'

Embryonal Fetal Adult

..      Abb. 7.1 Organisation der Globingene auf den Chromosomen 16 und 11. (Nach Buselmaier und
Tariverdian 2007)

Hämoglobin (Hb) ist ein Tetramer, es besteht aus zwei Proteinenketten zweier ver-
schiedener Globine. Man bezeichnet die verschiedenen Varianten mit griechischen
Buchstaben (α, β, γ, δ ε, ζ). Die Proteine von adulten Säugetieren sind vor allem
vom α- und β-Typ.
Thalassämien sind Erkrankungen des Blutes, bei denen die Zellen nicht aus-
reichend Globine bilden.
55 Bei den häufigeren β-Thalassämien fehlen die β-Ketten, sie gehen auf Fehler
beim Spleißen zurück (s. 7 Abschn. 4.9.2).
55 Bei den selteneren α-Thalassämien fehlen die α-Ketten. Die häufigste Ursache
für α-Thalassämien ist ein ungleiches Crossing over während der Meiose mit der
Folge einer Deletion.

7.3.2 Differenzielle Genexpression der Globingene


Die entwicklungsspezifische Expression
Die Expression ändert sich während der Embryonalentwicklung:
55 Bis zur achten Woche kommt Hb Gower 1 vor, es besteht aus zwei ζ- (zeta-) und
zwei ε- (epsilon-)Proteinketten mit hoher Bindungsaffinität für Sauerstoff,
55 Ab der achten Woche kommt HbF (F für fetal) vor, bestehend aus zwei α- und
zwei γ-Ketten, außerdem Hb Gower 2 aus zwei α- und zwei ε-Ketten sowie Hb
Portland aus zwei ζ- und zwei γ-Ketten,
7.4 · Regulation der Gene
159 7
55 Etwa ab dem 6. Monat und nach der Geburt macht HbA1 mit 97 % den Löwen-
anteil aus, es besteht aus zwei α- und zwei β-Ketten, dann kommen HbA2
(2,5 %) aus zwei α- und zwei δ-Ketten und HbF (0,5 %).

Die Ursache für die unterschiedliche Zusammensetzung während der Entwicklung


liegt in den unterschiedlichen Bedingungen für den Sauerstofftransport und, daran
gekoppelt, in dem Sauerstoffaustausch mit dem mütterlichen Blut. Solange der
Embryo über keine eigene Sauerstoffversorgung verfügt, muss sein Hämoglobin
Sauerstoff mit höherer Affinität binden als das Hämoglobin der Mutter. Erfolgt
später die bessere Versorgung über die Lungen, darf das Globin eine geringere
Bindungsaffinität aufweisen.
Die Expression der Globinsynthese ist außerdem gewebespezifisch und erfolgt:
55 während der ersten drei Monate im Dottersack,
55 anschließend in Leber und Milz,
55 nach der Geburt im Knochenmark.

7.4 Regulation der Gene

In 7 Kap. 4 wurde die Initiation der Transkription und damit auch der Prä-
initiationskomplex vorgestellt. An seinem Aufbau sind allgemeine (oder generelle)
Transkriptionsfaktoren und eine RNA-Polymerase beteiligt. Als Antwort auf ein
Signal sind regulatorische Transkriptionsfaktoren notwendig (auch spezielle oder
spezifische Transkriptionsfaktoren genannt), um die Transkriptionsrate zu er-
höhen.
Die Einteilung erfolgt in Aktivatoren oder Repressoren. Zusätzliche Cofaktoren
(Coaktivatoren oder Corepressoren) unterstützen oder behindern sie dabei. Co-
faktoren können auch Enzyme sein, welche die DNA verändern, z. B. Histon-­
Acetyltransferasen. Weitere DNA-Elemente sind ebenfalls beteiligt.
Der Regulationsapparat setzt sich somit zusammen aus:
55 allgemeinen Transkriptionsfaktoren für eine basale Transkription,
55 regulatorischen Transkriptionsfaktoren für die zelltypspezifische und zeitliche
Expression,
55 Cofaktoren für die Unterstützung und Feinregulation, die keinen direkten
Kontakt mit der DNA haben, sondern als Brücke andere, DNA-bindende Pro-
teine verknüpfen,
55 dem Mediatorkomplex (verknüpft Transkriptionsfaktoren miteinander und mit
der RNA-Polymerase II),
55 Chromatinmodulatoren, Antirepressoren und/oder Architektur-Proteine, wel-
che die Chromatin-Struktur ändern,
55 cis-Elementen.
160 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

Die allgemeinen Transkriptionsfaktoren sind je nach RNA-Polymerase andere.


Eine Ausnahme davon bildet das TATA-Box-bindende Protein oder TBP, das jede
der drei folgenden Polymerasen benötigt. Die speziellen Transkriptionsfaktoren
sind je nach Gen unterschiedlich und sehr spezifisch.
Die Faktoren/Proteine besitzen oft Motive oder Domänen: (1) für die Bindung
an die DNA, (2) für die Interaktion mit einem weiteren Protein, sodass dieses zu
einem bestimmten DNA-Abschnitt dirigiert und/oder aktiviert wird.

7.4.1 Regulation der RNA-Polymerase-I-Gene

Die RNA-Polymerase I transkribiert die meisten rRNA-Moleküle (5,8S; 18S und


28S). Die von der RNA-Polymerase I synthetisierten rRNAs machen rund 80 %
der gesamten RNA-Menge einer Zelle aus.
Allgemeine Transkriptionsfaktoren sind der
7 55 upstream binding factor (UBF), der sich an das upstream-Promotorelement bin-
det,
55 der SL1-Komplex (Selektivitätskomplex oder TFIB). Der SL1-Komplex ent-
hält auch das TBP (TATA-Box-bindendes Protein).

Eine Hochregulation ist wichtig, weil für die Zellteilung die Menge der rRNAs ver-
doppelt werden muss. Beteiligt daran sind u. a.
55 die Erhöhung der UBF-Konzentration,
55 der Transkriptionsinitiationsfaktor TIFIA,
55 cyclinabhängige Kinasen (CDK1, 2 und 4), die in die Regulation des Zellzyklus
involviert sind und UBF phosphorylieren.

Der Auslöser für die Regulation sind Wachstumsfaktoren.

7.4.2 Regulation der RNA-Polymerase-II-Gene

Den Präinitiationskomplex bauen die RNA -Polymerase II und die allgemeinen


Transkriptionsfaktoren (TFIIA, B, D, E, F, H) mit dem Mediatorkomplex auf. Die
Transkriptionsfaktoren besitzen DNA-Bindungsdomänen, um Promotorelemente
zu erkennen (s. 7 Kap. 4). Hinzu kommen regulatorische Transkriptionsfaktoren,
mit denen der Organismus Gene zu bestimmten Zeiten oder unter bestimmen Be-
dingungen anschaltet.

Regulatorische Transkriptionsfaktoren
Das menschliche Genom enthält Gene für rund 1600 Transkriptionsfaktoren,
TF. Sie erlauben die differenzierte Regulation. Die Zahl der Zielgene ist dabei recht
unterschiedlich.
TF besitzen Bindungsmotive und heften sich damit sequenzspezifisch an die
DNA. Ihre Erkennungsmotive sind recht kurz und unterschiedlich. Einige TF bin-
7.4 · Regulation der Gene
161 7
den sich bevorzugt an Sequenzmotive, die methyliert sind, andere TF bevorzugen
unmethylierte Motive.
Beispiele:
55 Sp1 (specificity protein 1) besitzt drei Zinkfinger und bindet sich an GC-Boxen
im proximalen Promotor. Das Protein ist beteiligt an mehreren Prozessen (Zell-
differenzierung, -wachstum, Apoptose u. a.). Es kann mit etlichen Proteinen
interagieren.
55 Das MYC/MAX-Heterodimer mit einem bHLH-Motiv und Leucin-Zipper
(. Abb. 7.2). MYC- und MAX-Proteine sind Schalter für die Zellproliferation
und damit oftmals beteiligt an der Entstehung von Tumoren.
55 ZFP57 besitzt mehrere Zink-Finger. Das Protein erkennt in embryonalen
Stammzellen ein methyliertes Hexanucleotid-Motiv (TGCCGC). Zusammen
mit dem Cofaktor KAP1 binden sich ZFP57/KAP1 an das Motiv innerhalb
von Imprinting-Kontroll-Regionen (ICR, imprinting control region). Diese regu-
lieren die Expression von sogenannten geprägten Genen (s. u., 7 Abschn. 7.8.3).
55 NF-κB ("NF-kappaB") ist ein Komplex. Er kommt in nahezu allen tierischen
Zelltypen vor. Er ist wichtig für Stress- und Immunantworten (beispielsweise
um die κ-Immunglobulin-Gene in B-Lymphocyten zu aktivieren), für Alterungs-
prozesse und den Zelltod. NF-κB erkennt ein Motiv von etwa 10 bp vor den
Zielgenen. Der Komplex liegt im Cytoplasma vor. Hier ist ein Inhibitor-­Protein
angelagert, das sich erst auf ein Signal hin von NF-κB löst. Danach gelangt der
Transkriptionsfaktor in den Zellkern und aktiviert seine Zielgene.

a Allgemeine Amplifikation

mRNA-
Gene Transkripte Myc

Myc

Promotor

Zelle

b Selektive Amplifikation c Enhancer-Invasion


Enhancer
Transkriptions- Myc
faktoren W

X Y Z X Y Z Myc Y Myc
X Z

..      Abb. 7.2 Wege, wie Myc Gene reguliert: In einigen Zellen führt Myc zu einer allgemeinen Ver-
stärkung oder Amplifikation der Expression (a), zusammen mit anderen Transkriptionsfaktoren
arbeitet Myc selektiv (b), abnormal erhöhte Myc-Konzentrationen bewirken eine Wechselwirkung
mit Enhancern und eine erhöhte Expression über das chromosomale Looping (c). (Nach Dang 2014;
mit freundlicher Genehmigung der Nature Publishing Group)
162 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

Enhancer und Isolatoren


Enhancer sind cis-regulatorische DNA-Elemente, die in großer Entfernung des
Zielpromotors liegen können. Ihre Orientierung spielt dabei keine Rolle. Enhancer
und Promotor werden zu einer Schlaufe zusammengeführt. Unterstützt wird die
Zusammenführung von weiteren cis-regulatorischen Elementen, den Anbindungs-­
Elementen (tethering elements). Anbindungs-Elemente kennt man von Drosophila.
Sie sind allerdings bisher wenig erforscht.
Das Verhältnis Enhancer:Promotor muss dabei nicht eins zu eins sein, d. h.
nicht jedem Promotor ist genau ein Enhancer zugeordnet. Manche Gene kommen
ohne Enhancer aus, andere werden von zehn oder mehr Enhancern reguliert.
Wegen der großen Entfernung besteht die Gefahr, dass der Enhancer auf einen
anderen als einen Zielpromotor wirkt. Das verhindern Isolatoren und die be-
kannten Promotorelemente.
Beispiel: Das autoregulatorische Element 1 (AE1) bei Drosophila ist von zwei
Genen etwa gleich weit entfernt, von Sex combs reduced (Scr) und von fushi tarazu
7 (ftz). Sein Zielpromotor ist der von ftz, die Aktivierung erfolgt zielgenau, weil der
ftz-Promotor eine TATA-Box beinhaltet, der Scr-Promotor hingegen Inr und
DPE.

Locus-Kontrollregionen
Eine Locus-Kontrollregion (LCR) erhöht die Expression von gekoppelten Genen
der Genfamilien. Beim Menschen stehen mehr als 20 Genfamilien unter der Regu-
lation einer LCR. Eine LCR aktiviert dabei mehrere Promotoren. Die gesamte
LCR besteht aus mehreren einzelnen LCR oder Kopien. Je mehr Kopien vor-
handen sind, desto höher ist die Transkriptionsrate.
Beispiel: Vor den β-Globingenen liegen vier LCRs mit Bindestellen für
Transkriptionsfaktoren, z. B. NF-E2, der die Transkriptionsrate bis auf das 100-
fache erhöht.
Anders als bei Enhancern zeigen sie ihre Wirkung abhängig von der Position vor
den Genen. Gemeinsam mit Enhancern ist ihnen, dass sie über weite Strecken die
Transkription beeinflussen.

7.4.3 Regulation der RNA-Polymerase-III-Gene

Die RNA -Polymerase III transkribiert von drei verschiedenen Promotortypen aus.
Unabhängig vom Promotortyp ist für den Präinitiationskomplex der TFIIIB-­
Komplex nötig. Er besteht aus drei Untereinheiten, dem TBP, BRF1/2 und BDP1.
Abhängig vom Promotortyp kommen allgemeine Transkriptionsfaktoren hinzu
wie TFIIIA oder C.
7.5 · Signaltransduktion bei Eukaryoten
163 7
7.5 Signaltransduktion bei Eukaryoten

7.5.1 Überblick

Die Signaltransduktion gewährleistet die Reaktion auf Signale aus der Außenwelt
(äußere Umgebung oder andere Körperzellen). Diese Reaktion setzt dann auf
DNA-Ebene Prozesse in Gang. Beispiele: Reaktion auf Sinnesreize, Krankheits-
erreger oder Hormone.
Grundsätzlich umfasst die Signaltransduktion die Informationsweiterleitung in
die Zelle und ihre Umsetzung. Am Ende steht die Transkriptionskontrolle, jedoch
werden auch Stoffwechselwege (Enzymreaktionen oder Transportvorgänge) beein-
flusst.
Die folgenden möglichen Komponenten findet man immer wieder in Signal-
kaskaden (. Abb. 7.3):
55 Das äußere Signal ist ein Stoff (ein Ligand), der sich an seinen Rezeptor bindet.
Dieses Signal ist der primäre Botenstoff. Durch die Bindung des Liganden ver-
ändert der Rezeptor seine Konformation. Damit ändert sich auch die cyto-
plasmatische Domäne, und sie interagiert mit einem anderen Molekül in der
Zelle.
55 Das Signal gelangt durch die Membran hinweg in die Zelle und bindet sich an
ein anderes Protein.
55 Die Signalweitergabe löst den Transport eines Transkriptionsfaktors in den
Zellkern aus.

Spezifische Ligand- Cytoplasma-Zellkern- Phosphorylierung von


Rezeptor-Interaktion Translokation Proteinen durch Kinasen

Ligand Plasmamembran
P
Rezeptor Cytoplasma Kinase
Nucleus Protein Protein
Plasmamembran Phosphatase
Cytoplasma
a b c

Bildung von Second-Messenger-


G-Protein als Schalter Molekülen (z. B. cAMP) Abbau von Proteinen
NH2
ATP Protein
O O O N
N
–O P O P O P O
N N
O– O– O– O
GDP GTP Protea-
RAS RAS Ubiquiti-
GEF
Inaktiv Aktiv Adenylat- OH OH
NH2
nierung som
GAP Cyclase N
N

O O O
N N
Ub
P Ub
–O O cAMP Ub
d e OH f Ub

..      Abb. 7.3 Komponenten von Signalübertragungswegen


164 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

55 Phosphorylierungen mittels Kinasen regulieren die Proteinaktivität. Phospho-


rylierungen sind die wichtigste posttranslationale Modifikation.
55 Bei Eukaryoten unterscheidet man zwei Klassen von Kinasen: Serin/Threonin-­
Kinasen (Ser/Thr-Kinasen) und Tyrosin-Kinasen (Tyr-Kinasen).
55 Kinasen kommen im Cytoplasma und im Zellkern vor, aber auch die Membran-
rezeptoren können eine Kinasefunktion haben. Ihre Gegenspieler sind die
Phosphatasen.
55 Rezeptoren sind oft verbunden mit GTP-Proteinen (oder kurz G-Proteinen).
Das sind Proteine, die GTP binden und zu GDP hydrolysieren.
–– Monomere G-Proteine sind klein; trimere G-Proteine bestehen aus den drei
Untereinheiten α, β und γ und sind membranständig.
–– Haben sie GTP gebunden, sind sie aktiv und interagieren mit anderen Protei-
nen der Signalkette. Ist GDP gebunden, sind sie inaktiv.
–– G-Proteine stehen in der Kaskade zwischen Rezeptor und einem Second Mes-
senger: Sie können Enzyme aktivieren, die Second Messenger herstellen oder
7 abbauen. Beispielsweise aktivieren sie die Adenylat-Cyclase, die cAMP syn-
thetisiert.
55 Die Signalweiterleitung bindet einen sekundären Botenstoff oder Second Mes-
senger ein. Beispiele dafür sind cAMP, cGMP, Calciumionen oder IP3 (Inositol-
triphosphat). Sekundäre Botenstoffe wirken nicht spezifisch auf ein Gen, son-
dern vervielfältigen das Signal. So schalten Zellen mehrere – bis zu ­hundert –
Gene an, wenn sie die Konzentration von cAMP erhöhen.

7.5.2  eispiele für Signalwege: vom äußeren Signal zur


B
Regulation der Transkription
MAP-Kinase-Signalweg (mitogen activated protein kinase, MAPK,
. Abb. 7.4)
Signale: Wachstumsfaktoren
Wirkung: Förderung des Zellwachstums
Wichtige Komponenten: mehrere Kinasen, Tyr- ebenso wie Ser/Thr-Kinasen,
das G-Protein RAS
Ablauf:
1. Ein Wachstumsfaktor (Beispiel: EGF, epidermaler Wachstumsfaktor) bindet
sich an seine Rezeptormoleküle, die darauhin ein Dimer bilden.
2. Der Rezeptor ist eine Rezeptor-Tyrosin-Kinase. Die Tyrosin-­Kinase ist in der
cytoplasmatischen Domäne lokalisiert, womit die Moleküle des Dimers sich
gegenseitig phosphorylieren.
3. Daraufhin kann sich das Adaptermolekül Grb2 andocken.
4. Grb2 holt das Protein SOS heran zu einem Komplex aus Rezeptor mit Ligand,
Grb2 und SOS.
5. Das SOS-Protein aktiviert RAS. RAS ist ein G-Protein und wichtiger Schalter.
6. Das aktive GTP-RAS bringt eine Kaskade von drei Kinasen in Gang, die jeweils
das nachgeschaltete Protein phosphorylieren.
7.5 · Signaltransduktion bei Eukaryoten
165 7
Ligand Rezeptor-
Tyrosin-
Kinase Inaktiv Aktiv
Plasmamembran
RAS P P RAS RAS MAPKKK
P P GDP GTP
(Raf )
P P
GTP GDP ATP
Cytoplasma ADP
GrB SOS
Substrat MAPKK
P
(cytoplasmatisch) (MEK)

P ATP
ADP
ADP ATP
P Substrat ADP ATP MAPK
P
P (nucleär) (Erk)

DNA Nucleus

..      Abb. 7.4 Der MAP-Kinase-Signalweg

7. Erst phosphoryliert GTP-RAS die Ser/Thr-Kinase RAF.


8. RAF phosphoryliert dann MEK.
9. Als Drittes hängt MEK an die Ser/Thr-Kinase ERK einen Phosphatrest. ERK
ist eine MAP-Kinase. Um die Hierarchie in der Kaskade oberhalb der MAP-­
Kinase zu verdeutlichen, nennt man RAF auch MAP-Kinase-Kinase-­Kinase
und MEK MAP-Kinase-Kinase.

Das phosphorylierte ERK aktiviert Transkriptionsfaktoren im Cytoplasma, die


dann in den Zellkern gelangen: MYC, JUN und FOS. Es dringt aber auch selbst in
den Zellkern und aktiviert dort Transkriptionsfaktoren, beispielsweise die
bZip-Proteine AP1 oder das Protein ELK1.
Die Zelle muss den Weg streng kontrollieren, sonst kommt es zur Hyper-
proliferation. Eine Mutation im RAS-Gen erzeugt einen Funktionsgewinn (gain of
function), sodass eine RAS-Mutante als Onkoprotein wirkt (vgl. dazu Abb. 12.14,
wie die Proteine von Tumorsuppressorgenen die Signalweiterleitung verhindern).

JAK-STAT-Signalweg
Signale: Cytokine (Interferon γ, Interleukin IL-1β, IL-6, TNF-α u. a.)
Wirkung: Zellwachstum, Zelldifferenzierung, Migration, Überleben von
Immunzellen
Wichtige Komponenten: JAK (Janus-Kinase oder just another kinase: eine Tyr-­
Kinase) und ein STAT-Protein (signal transducer and activator of transcription: ein
Transkriptionsfaktor). Beim Menschen kennt man mehrere verschiedene STAT-­
Proteine.
166 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

Ablauf:
1. Ein Cytokin heftet sich an seine Rezeptormoleküle. Die zwei Rezeptormoleküle
lagern sich dann zu einem Dimer zusammen. Auf der cytoplasmatischen Seite
der Rezeptormoleküle ist die JAK am Rezeptor angelagert.
2. Die Bindung des Cytokins an den Rezeptor aktiviert die JAK.
3. Die Kinase phosphoryliert sich selbst, interagiert mit einem STAT-Protein und
phosphoryliert es.
4. Dieses löst sich von dem Rezeptor-JAK-Komplex, dimerisiert und gelangt in
den Zellkern.

Im Zellkern binden sich die STAT-Dimere an ihre Zielsequenzen der zu regulieren-


den Gene. Zu diesen Genen gehören beispielsweise: CL-1, es verhindert eine Apo-
ptose, und Gene für die Regulation von Interleukin IL-4.
Mutationen in Genen der beteiligten Proteine verursachen Erkrankungen des
Immunsystems, z. B. Leukämien, Lymphome.
7
7.5.3 cAMP und CREB-Signalweg

Signale: verschiedene, z. B. Hormone wie Adrenalin oder Glucagon


Wirkung: vielfältig, Differenzierung verschiedener Zellarten
Wichtige Komponenten: G-Protein-gekoppelter Rezeptor, der sekundäre Boten-
stoff cAMP, Proteinkinase K, Transkriptionsfaktor CREB, Coaktivator CBP
Ablauf:
1. Ein Ligand bindet sich an seinen G-Protein-gekoppelten Rezeptor. In Ver-
bindung mit diesem Komplex steht die Adenylat-Cyclase. Die Aktivierung des
G-Proteins aktiviert die Cyclase.
2. Das Enzym stellt cAMP aus ATP her. Der sekundäre Botenstoff bindet sich an
die Proteinkinase A (PKA) und aktiviert sie.
3. Die PKA besteht aus zwei regulatorischen und zwei katalytischen Unterein-
heiten. Nach der Aktivierung lösen sich die katalytischen Untereinheiten ab
und gelangen in den Zellkern.
4. Dort phosphorylieren sie den Transkriptionsfaktor CREB, ein bZIP-Protein.
5. Das phosphorylierte CREB heftet sich an seine DNA-­Zielsequenz. Die Sequenz
heißt cAMP response element oder CRE. Daher CREB: CRE-­binding Protein.
6. CREB interagiert mit den allgemeinen Transkriptionsfaktoren TFIIB und D.
7. Zudem aktiviert es ein weiteres Protein, den Coaktivator CBP (CREB-binding
protein). CBP acetyliert Histone (und andere Proteine) und stellt somit die Ver-
bindung zum Chromatin-Remodeling her. (Sehr eng verwandt mit CBP ist das
Protein p300, deswegen spricht man in der Literatur oft gleichzeitig von p300/
CBP, ohne zu differenzieren.)

Auch andere Signalwege führen zu CREB und aktivieren es. In diesen Wegen fehlt
cAMP, andere Proteinkinasen ersetzen darin die PKA.
Die verschiedenen Signalwege laufen nicht einfach hierarchisch ab. Vielmehr
sind sie miteinander verschränkt und kreuzen sich: crosstalk. Vor allem Phospha-
7.6 · Regulation der Translation
167 7
tasen bilden ein Netzwerk aus. Damit sich die Wege nicht stören, enthalten die je-
weiligen regulatorischen DNA-Sequenzen nicht nur das CRE, sondern auch an-
dere Elemente. In unterschiedlicher Kombination gestatten sie dann eine differen-
zierte Regulation.
Da die Komponenten so vielfältig eingesetzt werden, zeigen Mutationen im CBP-
Gen des Menschen auch vielfältige Auffälligkeiten. Patienten mit dem Rubinstein-­
Taybi-Syndrom sind geistig stark eingeschränkt, minderwüchsig, haben abstehende
Daumen und/oder große Zehen und Missbildungen in inneren Organen.

7.5.4 Steroidhormone

Auslöser: Steroidhormone: Glucocorticoide, Östrogene, Ecdyson


Wirkung: vielfältig
Wichtige Komponente: intrazellulärer Rezeptor
Ablauf für Glucocorticoide:
1. Die Steroidhormone gehören zu den Lipiden. Daher kann das Hormon
problemlos die lipophile Zellmembran durchtreten und in das Cytoplasma ge-
langen.
2. Es bindet sich dort an den Glucocorticoidrezeptor (GR), der mit weiteren Pro-
teinen einen Komplex bildet.
3. Diese Proteine lösen sich dann von dem Steroid-GR.
4. Der Steroid-GR-Komplex ändert seine Konformation, tritt durch die Kern-
membran in den Zellkern, heftet sich dort als Dimer an seine DNA-­Zielsequenz,
das Glucocorticoid-Response-Element (GRE), und aktiviert die Transkription.

Beispiel: Bedeutung des Androgenrezeptors


1. Ein Enzym setzt das Geschlechtshormon Testosteron zunächst in Dihydrotes-
tosteron (DHT) um.
2. DHT bindet sich dann an den Androgenrezeptor, AR, im Zellkern und akti-
viert diesen.
3. AR ist ein Transkriptionsfaktor. Der aktivierte AR schaltet die Genexpression
mehrerer Gene an, sodass sich männliche Geschlechtsmerkmale ausbilden.

Mutationen im AR-Gen auf dem X-Chromosom bewirken somit, dass Testosteron


nicht wirkt und sich selbst bei einem männlichen Karyotyp ein weiblicher Phäno-
typ ausbildet. Das Ausmaß dieser Androgeninsensitivität oder -resistenz kann
unterschiedlich ausgeprägt sein, bis hin zu testikulärer Feminisierung.

7.6 Regulation der Translation

Da eukaryotische mRNAs eine längere Halbwertszeit aufweisen als prokaryotische


und sie somit für eine Translation länger vorliegen, ist die Regulation aufwendiger
als in Prokaryoten. Die Zelle nutzt daher mehrere Möglichkeiten wie die Modi-
fikation von Translationsfaktoren oder die RNA-Interferenz.
168 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

Die Zelle reguliert die Translation v. a. im Initiationsschritt. Sie bestimmt die


Effizienz unter anderem über Abschnitte der mRNA.
55 Dafür ist die Erkennung des Startcodons AUG Voraussetzung. In 7 Kap. 5
wurde die Kozak-Sequenz vorgestellt. Weicht die Umgebung um AUG von der
Kozak-Sequenz ab, so ist die Initiation schlechter.
55 Auch Sekundärstrukturen, vor allem im 5′-UTR, verhindern die flüssige Initia-
tion.
55 Die eigentliche Regulation der Translation läuft vor allem über die zwei Trans-
lationsfaktoren eIF4E und eIF2.

7.6.1 eIF4E

Funktion von eIF4E:


55 Der Faktor eIF4E bindet sich an die Cap-Struktur am 5′-Ende einer mRNA.
7 55 An den Poly(A)-Schwanz am 3′-Ende heftet sich der Faktor eIF4G, der wiede-
rum mit 4E interagiert und somit herbeiführt, dass die mRNA einen Ring bil-
det (siehe 7 Abb. 5.8).
55 Repressoren verhindern diesen Ringschluss. Die Proteine binden sich an 4E, sie
heißen eIF4E-bindende Proteine, eIF4E-BP. Sie besitzen das gleiche Bindungs-
motiv wie 4G und verhindern dadurch die Interaktion von 4E und 4G, also den
Ringschluss und die Initiation. Ohne diese verknüpften Enden baut die Zelle
die mRNA schneller ab.

Als Regulationsschalter fungieren wieder Phosphorylierungen:


55 Im aktiven Zustand ist eIF4E phosphoryliert.
55 Dephosphoryliertes eIF4E unterdrückt die Translation.
55 Über äußere Signale wie Cytokine und Wachstumsfaktoren stellt die Zelle die
Verbindung her zur Signaltransduktion. So kann ein Signalweg zu phosphor-
ylierten eIF4E-BPs führen, die Phosphorylierung verhindert die Bindung und
erlaubt die Interaktion zwischen 4E und 4G.
55 Eine wichtige Ser/Thr-Kinase ist mTOR (mammalian/mechanistic Target of Ra-
pamycin. Rapamycin ist ein Wirkstoff gegen Pilzinfektionen und unterdrückt
Immunreaktionen nach Transplantationen).
55 Die Kinase mTOR ist in Signalketten eingebunden. Sie fördert die Initiation
auf zwei Wegen: Sie phosphoryliert eine Kinase, welche letztlich die Herstellung
ribosomaler Proteine fördert und sie phosphoryliert die eIF4E-BP. Über diesen
Weg arbeitet mTOR somit als Repressor der Repression.

7.6.2 eIF2

Der Faktor eIF2 bildet in der Initiation einen ternären Komplex mit der Initiatior-­
RNA Met-tRNAMet und GTP. Es entsteht dann eIF2-GDP, und die Zelle muss den
Faktor regenerieren mittels des Austauschfaktors eIF2B.
7.7 · Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz
169 7
Der Faktor eIF2 besteht aus drei Untereinheiten. Die α-Untereinheit trägt ein
Serin, das phosphoryliert wird. In diesem Zustand bilden jedoch die eIF2-­Faktoren
einen stabilen Komplex. Der Zelle fehlt dann freier eIF2, und die Proteinsynthese
stoppt.

7.7 Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz


Mittlerweile ist bekannt, dass der Großteil des eukaryotischen Genoms transkri-
biert wird. Die entstehenden Transkripte codieren indes überwiegend keine Pro-
teine. Diese nicht-codierenden RNAs oder ncRNAs wirken meist als regulatorische
RNAs. Sie kommen bei Prokaryoten sowie bei verschiedensten Eukaryoten vor wie
Pilzen, Pflanzen, Wirbellosen und Wirbeltieren einschließlich der Säugetiere. Sie
wehren Viren ab und sind von erheblicher Bedeutung für die Regulation der Ex-
pression.
Im Menschen zeigen Störungen in den Vorgängen mit ncRNAs vielfältige Aus-
wirkungen: Tumorbildung, neurologische Erkrankungen, Herz-Kreislauf-­
Störungen oder Entwicklungsverzögerungen. In der Anwendung nutzen Wissen-
schaftler verschiedene ncRNAs inzwischen für die Diagnostik, als Therapie-
möglichkeiten und als Werkzeuge im Laboralltag.
Erst in jüngerer Zeit haben Methoden gezeigt, dass die Zelle
55 Abschnitte zwischen Genen transkribiert,
55 dass sie etliche Antisense-RNAs herstellt,
55 dass sie regulatorische Regionen wie Promotoren und Enhancer transkribiert.
Transkripte dieser regulatorischen Regionen heißen pRNAs (oder PROMPT)s
und eRNAs.

7.7.1 Überblick

RNA-Interferenz ist ein Vorgang, der die Genexpression auf der Ebene der Trans-
lation reguliert. Sie führt den Abbau der mRNA herbei und/oder verhindert die
Translation. Als wesentliches Charakteristikum tritt doppelsträngige RNA auf.
Die Klasse der regulatorischen RNA-Moleküle umfasst:
55 siRNA: kleine interferierende RNA oder small interfering RNA,
55 miRNA: Mikro-RNA,
55 piRNA: Piwi-interagierende RNA (piwi interacting RNA).

Der Mechanismus der Interferenz für siRNA und miRNA ist ähnlich, Ähnlich-
keiten zu piRNA sind erst zum Ende des Vorgangs vorhanden.

Allgemeiner Ablauf:
Der Kernvorgang für den siRNA- und miRNA-Weg arbeitet mit zwei Komponen-
ten (siehe . Abb. 7.5):
55 Dicer: eine RNase vom Typ III. Dicer spaltet dsRNA-Moleküle in kleinere
doppelsträngige RNA-Schnipsel.
170 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

..      Abb. 7.5 Vergleich der Schritte während der RNA-Interferenzen mit miRNA, siRNA und
piRNA. (Nach Ozata 2019; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)

55 RISC-Komplex (RNA-induced silencing complex): ein Proteinkomplex. Zur


Unterscheidung spricht man vom siRISC und miRISC.
–– Er enthält ein Argonautenprotein.
–– Das Argonautenprotein nimmt die dsRNAs auf,
–– spaltet einen Strang ab und
–– nutzt den anderen, um komplementäre mRNA-Moleküle damit einzu-
fangen.
–– Bindet sich dieser einzelsträngige Köder an eine Ziel-mRNA, so wird diese
abgebaut und nicht translatiert.

Am Anfang des piRNA-Wegs steht einzelsträngige RNA, im weiteren Verlauf tritt


jedoch auch ein Komplex mit einem RNA-Köder auf, der komplementäre RNA
einfängt und abbaut.

Argonautenproteine:
Argonautenproteine besitzen drei Domänen:
7.7 · Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz
171 7
55 Die PAZ-Domäne (benannt nach den Proteinen Piwi, AGO, Zwille) liegt am
Amino-Ende. Sie bindet das 3′-Ende der jeweiligen RNA.
55 Die Mid-Domäne bindet das 5′-Ende.
55 Die Piwi-Domäne ist eine RNase. Sie übernimmt somit die Spaltung.

Man teilt die Familie in zwei Unterfamilien ein.


55 AGO-Proteine sind weiter verbreitet. Sie arbeiten vornehmlich mit siRNA und
miRNA. Das menschliche Ago2-Protein heißt auch Slicer.
55 Die PIWI-Proteine kommen in erster Linie in der Keimbahn vor und be-
arbeiten piRNA.

7.7.2 Ablauf mit siRNAs

Der Weg beginnt mit langen dsRNAs. Diese sind das Ergebnis beispielsweise einer
Virusinfektion bei Pflanzen oder eines genomischen Transkripts der Zelle, transkri-
biert von der RNA-Polymerase III.
1. Das Enzym Dicer spaltet im Cytoplasma die lange dsRNA in kürzere Frag-
mente. Erst diese 21–25 bp kleinen dsRNAs nennt man siRNAs.
2. RISC bindet die Einzelstränge und unterscheidet sie nach der Asymmetrie-
regel: Der Strang mit dem schwächer gepaarten 5′-Ende gilt als Leitstrang und
wird von dem RISC gebunden. Der andere Begleit- oder Passagierstrang wird
abgebaut.
3. RISC bindet den Leistrang so, dass die Basen nach außen zeigen und einen
Köder für eine komplementäre mRNA bilden.
4. Findet der Komplex eine komplementäre RNA, wird sie von dem Argonauten-
protein zerschnitten. Exonucleasen bauen die Produkte weiter ab.

Die siRNAs kommen zwar in Zellen natürlich vor (endogene siRNAs), doch gen-
technologisch nutzt man hergestellte siRNAs mittlerweile als Werkzeuge, um Gene
stillzulegen.
Der Komplex aus siRNA/Argonautenprotein ist auch verknüpft mit der Me-
thylierung von Histonen und der DNA. In S. pombe und A. thaliana sind die drei
Elemente verwoben zu einer sich selbstverstärkenden Schleife. Die Methylierung
rekrutiert Proteine, die die Bildung von siRNAs fördern. Der Komplex aus siRNA/
Argonauten bindet wiederum Proteine, die die Methylierung fördern. Diese posi-
tive Rückkopplung soll die epigenetische Information stabil halten. Die Ver-
knüpfung von Methylierung mit siRNA/Argonauten ist auch aus anderen Organis-
men bekannt, nicht aber die positive Rückkopplung (siehe . Abb. 7.13).

7.7.3 Ablauf mit miRNAs

Die miRNA s sind in Zellen deutlich weiter verbreitet, man findet sie in allen höhe-
ren Eukaryoten. Sie werden von eigenen Genen codiert oder liegen in Introns an-
derer Gene. Die miRNAs sind etwa 21 bp kurze, nichtcodierende RNA-­Moleküle,
172 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

die vornehmlich von der RNA-Polymerase II transkribiert werden. Eine miRNA


kann mehr als hundert mRNAs als Ziel haben. Andererseits kann eine mRNA von
verschiedenen miRNAs erkannt werden.
Die Synthese verläuft anders als die der siRNAs:
1. Die Polymerase stellt ein primäres einzelsträngiges miRNA-­Transkript (Pri-
miRNA, primary miRNA) her, das eine charakteristische Haarnadel ausbildet.
2. Im Zellkern beginnt die Vorarbeit. Eine RNase vom Typ III verkürzt die Enden.
Das Enzym heißt bei Tieren Drosha und dicerähnliches Enzym Dcl1 bei Pflanzen.
3. Das Ergebnis ist die Prä-miRNA (pre-miRNA, precursor miRNA) mit Einzel-
strangabschnitten. Die Prä-miRNA gelangt dann ins Cytoplasma.
4. Das Enzym Dicer (ebenfalls eine RNase III) bearbeitet die RNA und liefert
eine dsRNA mit etwa 21 bp und einem 2 bp-überhängenden 3′-Ende. Dicer be-
sitzt zudem eine Helikase-Funktion.
5. Die dsRNA wird auf den RISC-Komplex geladen. Der miRISC wählt einen
Leitstrang aus.
7 6. Der miRISC baut den komplementären Gegenstrang (den Passagier-­Strang) ab
und bindet den übriggebliebenen Leitstrang an die 3′-UTR der Ziel-mRNA.

Die Bindung an ein Zieltranskript ist oft nicht so vollständig wie bei einer siRNA, bei
Tieren kann sie auf die seed-Region (Nucleotide 2 bis 8 der miRNA) beschränkt sein.
Der weitere Weg zur Stilllegung eines Gens hängt von der Komplementarität
ab, der Abbau wie bei einer siRNA ist nur eine Möglichkeit (. Abb. 7.6). Man hat
die Regel aufgestellt: Je besser die Basenpaarung mit der Ziel-mRNA erfolgt, desto

Unterdrückung der Translation Deadenylierung

Entfernen der Kappe und


Abbau von 5’ nach 3’

..      Abb. 7.6 Der miRNA induzierte silencing Komplex (miRISC) führt über verschiedene Wege zur
Stilllegung von Genen: Verhinderung der Translation, Deadenylierung der mRNA, Entfernen der
Kappe (decapping) der mRNA und nachfolgender Abbau von 5′ > 3′. (Nach Jonas und Izaurralde
2015; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
7.7 · Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz
173 7
wahrscheinlicher wird ihr Abbau. Von einigen Fällen weiß man mittlerweile, dass
miRNA die Translation auch aktivieren kann. Am häufigsten hemmt der RISC mit
einer miRNA allerdings bloß die Translation der mRNA. Die Hemmung ist über
verschiedene Wege möglich.
1. Kein Ribosomen-Aufbau: Die Argonauten-Proteine holen einen Faktor (eIF6)
heran, der verhindert, dass sich die Untereinheiten der Ribosomen aneinander-
lagern.
2. Keine Elongation: Der RISC-Komplex blockiert die Elongation, weil er den
Ribosomen den Weg versperrt und sich diese von der mRNA wieder ablösen.
3. Cotranslationaler Abbau: Schon während der Translation wird das Protein
wieder abgebaut.
4. Konkurrenz um die 5′-Kappe und Destabilisierung der mRNA: Die Argonau-
ten-Proteine besitzen eine Domäne, die homolog zu dem Abschnitt des eIF4E
ist, der sich an die 5′-Kappe der mRNA heftet. Wenn die mRNA die Bindung
an eIF4E verliert, geht eine wichtige Unterstützung für die Translation ver-
loren. Darüber hinaus kann der RISC-Komplex anderweitig die Schlaufen-
bildung der mRNA unterbinden und/oder die mRNA deadenylieren und die
Kappe entfernen.

Der Weg über eine kurze, zurechtgeschnittene Antisense-RNA als Köder, dem Ein-
fangen einer komplementären Ziel-RNA und dem Abbau dieser RNA in einem
speziellen Komplex ähnelt prinzipiell dem CRISPR-Mechanismus in Bakterien
(siehe . Abb. 7.7).

CRISPR-vermittelte Interferenz Eukaryotische RNA-Interferenz

Fremde DNA Fremde RNA

Nucleus
CRISPR-Locus
Herkunft piRNA-Locus miRNA-Locus
Repeat Repeat Repeat
CRISPR-
Drosha
Transkription

? miRNA siRNA
Cas oder RNase III
crRNA RNA-Synthese piRNA 3' Dicer
5' 3'
crRNA-geführter Überwachungskomplex RNA-induzierter Silencing-Komplex
Cas-Proteine AGO/PIWI
Seed Seed
5' 3' Interferenz 5'

Zielinterferenz Zielinterferenz

..      Abb. 7.7 Gegenüberstellung von CRISPR-Mechanismus und eukaryotischer RNA-Interferenz.


(Nach Wiedenheft, Sternberg und Doudna 2012; mit freundlicher Genehmigung der Nature Publi-
shing Group)
174 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

7.7.4 Ablauf mit piRNA

Die piRNAs sind in Vorkommen und Funktion deutlich eingeschränkter. Man fin-
det sie vor allem in der männlichen Keimbahn. Ihre vordringliche Aufgabe besteht
darin, schädliche Transpositionen zu unterdrücken, die über eine RNA-­
Zwischenstufe laufen.
Darüber hinaus kennt man in einigen Tieren spezielle Funktionen. Beispiel: In
Drosophila wirken sie am Erhalt der Telomere mit. Außerdem sammeln sich Hin-
weise, dass die piRNAs wie ihre Schwestern an der Regulation von mRNAs be-
teiligt sind.
Ihren Namen haben die RNAs von ihrer Bindung an die PIWI-Unterfamilie der
Argonautenproteine.
Unterschiede zum miRNA-Weg:
55 Die piRNAs sind mit 21–35 bp etwas länger als siRNAs und miRNAs.
55 Die Zelle stellt zunächst eine lange, einzelsträngige RNA als Vorläufer her und
7 schneidet diese in die kleinere piRNA.
55 Es entfallen daher die Drosha-/Dicer-Schritte und die Auswahl eines Leit-
strangs.
55 Typische piRNAs tragen am 3′-Ende eine 2′-O-Methylgruppe.

Mechanismus:
55 piRNAs wirken im Kern und im Cytoplasma.
55 Im Kern rekrutieren sie DNA- und Histon-Methyltransferasen. Somit be-
wirken sie eine Methylierung von DNA und Histonen, führen darüber zur He-
terochromatisierung und verhindern die Transkription der Gene von Trans-
posons.
55 Im Cytoplasma erreichen sie (wie die siRNA und miRNA), dass Transkripte
geschnitten werden.
55 Die doppelte Wirkung ist sinnvoll, weil Zellen im Laufe der Spermatogenese
(männlicher Mäuse) das epigenetische Markierungsmuster verändern und der
Schutz vor Transposition somit verloren gehen könnte.

7.7.5 Lange nichtcodierende RNA, lncRNA

Lange nichtcodierende RNAs, lncRNAs (long non-coding RNA), werden definiert


als über 200 bp lange RNAs, die in keine andere Gruppe nichtcodierender RNAs
passen.
Im Zuge jüngerer Sequenzierungen und Analysen von Genomen hat man eine
Vielzahl von ihnen in allen Organismen gefunden. Die Definition fällt so allgemein
aus, weil man bisher keine vertiefende systematische Ordnung vorgenommen hat.
Kennzeichen der lncRNAs:
55 Ihre Länge von 200 bp und mehr ist willkürlich festgelegt.
55 Ihre Herstellung ähnelt derjenigen von mRNAs: Sie werden transkribiert von
der RNA-Polymerase II, sie werden gespleißt, erhalten oft eine 5′-Kappe und
7.7 · Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz
175 7
einen 3′-Poly(A)-Schwanz. Häufig stellt die Zelle nur einige wenige Kopien von
ihnen her.
55 Sie wirken als regulatorische RNAs, indem sie die Transkription aktivieren
oder reprimieren.
55 Damit geht einher, dass ihre Bildungsorte oft in der Nähe von Genen für Regu­
lationsproteine liegen oder in regulatorischen Sequenzen wie einem Enhancer.
Es sind viele lncRNAs bekannt, die von demselben Promotor aus transkribiert
werden wie eine mRNA, aber in entgegengesetzter Richtung. Der Promotor
funktioniert also bidirektional und liefert eine Sense- und eine Antisense-­
RNA. Man nennt das divergente Transkription.
55 Die Funktion der jeweiligen lncRNA ist überwiegend unbekannt. Möglicher-
weise geschieht die Transkription einer lncRNA sogar nur zufällig und stellt
bloß ein stochastisches Ergebnis dar. Man unterscheidet daher drei Gruppen:
(1) Nicht-funktionale lncRNAs, die wahrscheinlich einer zufälligen Transkrip-
tion entstammen, einer Art Hintergrundrauschen (transcriptional noise). (2)
lncRNAs, deren Sequenz unerheblich ist. Sie wirken allein durch die Tatsache,
dass die Zelle sie an einem Locus zu einer Zeit transkribiert (siehe Transkriptions-­
Interferenz). (3) Funktionale lncRNAs, deren Sequenz wichtig ist. Hier können
Mutationen bestimmte Krankheiten verursachen.
55 lncRNAs können sich über Domänen binden an (1) DNA, (2) Proteine oder (3)
andere RNA-Moleküle. Man unterscheidet eine Funktion in cis oder in trans.
55 cis lncRNAs wirken (in der Regel) in unmittelbarer Nähe ihrer Transkription.
Um die Transkription zu steigern, vermitteln sie oft zwischen einem Enhancer
und einem Promotorbereich. Wenn eine lncRNA an einem Enhancer gebildet
wird und dort wirkt, holt sie Proteine heran wie CTCF oder den Mediator-
komplex, die sich an weit entfernt liegende Enhancer und Promotoren binden.
Diese rekrutierten Proteine führen ihrerseits die regulatorischen DNA-­
Sequenzen zueinander. Das Chromatin bildet dabei eine Schlaufe.
55 lncRNAs können jedoch auch Repressoren binden oder zu einer Chromatin-­
Schlaufe führen, die einen Enhancer von seinem Promotor trennt, in solchen
Fällen unterdrücken die lncRNAs die Transkription. Beispiel für eine lncRNA
im Menschen: HOTAIR (HOX transcript antisense RNA). Der Genlocus liegt
in der HOXC-Region auf Chromosom 12. HOTAIR arbeitet als Gerüst am
Chromatin, allerdings am HOXD-Cluster auf Chromosom 2. HOX-­
Entwicklungsgene müssen zu definierten Zeitpunkten abgelesen und später
wieder stillgelegt werden. Als Gerüst-RNA verankert HOTAIR PCR2-Proteine
(Polycomb repressive complex) am Chromatin. Diese Chromatin-Remodeler
sorgen für Histonmodifikationen, die wiederum zur Stilllegung führen. In be-
stimmten Krebszellen hat man eine Überexpression von HOTAIR ermittelt.
Ein bekanntes Beispiel für die Stilllegung eines Chromosoms durch eine
lncRNA liefert die RNA XIST (siehe 7 Kap. 8).
176 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

55 trans lncRNAs wirken entfernt von ihrem Genlocus im Kern oder im Cyto-
plasma. Über ihre Funktion im Cytoplasma können sie eingebunden sein in
komplexe Zellvorgänge. Beispiel: NORAD, noncoding RNA activated by DNA
damage, ist eine 5,3 kb lange RNA in menschlichen Zellen verschiedener Ge-
webe. Sie liegt in 300 bis 1400 Kopien pro Zelle vor. DNA Schäden induzieren
die Expression von NORAD. Die RNA wirkt dann mit an dem Zusammenbau
eines Topoisomerase-Komplexes (NARC1), der wesentlich zur DNA-Stabilität
beiträgt.

7.7.6 Transkriptions-Interferenz

Der Mechanismus stört die Transkription eines proteincodierenden Gens durch


Transkription einer nicht-codierenden RNA.
Zum Vergleich:
7 55 Die RNA-Interferenz basiert auf zwei komplementären RNA-Molekülen.
RNA und Antisense-RNA lagern sich aneinander. Die Translation wird (meist)
verhindert.
55 Bei der Transkriptions-Interferenz ist die Sequenz der störenden RNA unerheb-
lich. Allein der Umstand, dass die Zelle in der Nähe eines codierenden Gens
eine Transkription beginnt, blockiert den Promotor für die Transkription des
codierenden Gens. Die störende - interferierende - Transkription kann von dem
gegenüberliegenden Strang erfolgen und sich so überlagern oder auch von dem
gleichen DNA-Strang aus erfolgen und den zweiten Promotor überspannen.

7.7.7 Ringförmige RNA, circRNA

Ringförmige RNA-Moleküle sind noch nicht sehr lange bekannt. Wie der Name
besagt, sind das 3′- und das 5′-Ende miteinander verbunden. Auch sie können sich
an Proteine binden, vor allem aber an miRNA-Moleküle.

7.8 Epigenetik

Epigenetik umfasst die Phänome, die für die Genexpression, -funktion und Aus-
bildung des Phänotyps wichtig sind, die aber nicht in der Abfolge der Basen ge-
speichert sind.
Epigenetische Vorgänge basieren auf Modifikationen von (1) Histonen, (2)
DNA-bindenden Proteinen und (3) DNA-Basen (siehe . Abb. 7.8). Oft wirken sie
gemeinsam, beeinflussen sich wechselseitig und erzeugen Veränderungen in der Re-
gulation während der Entwicklung und Differenzierung. Manche Autoren zählen
hierzu auch die RNA-Interferenz und die Dosiskompensation des X-­Chromosoms.
Das Epigenom (die Gesamtheit der epigenetischen Information) ist stabil und
bleibt während der Zellteilungen erhalten. Allerdings unterliegt es Umweltein-
flüssen. Der Ernährungszustand der Mutter während der Schwangerschaft wirkt
7.8 · Epigenetik
177 7
alle entscheidenden
Chromatin-
TFs, TAFs
Veränderungen p300/HAT
und PCAF
epigenomische TRR KMT
RNA polymerase Promotor- Signatur
Aktivität Funktion der
(RNA processing) Enhancer
Kontrolle der
Wechselwirkung zwischen
Transkription
Enhancer und Promotor

Trithorax- MLL-SET1
CTCF Architektur-Proteine
Stimulation Familie

SWI/SNF Remodeling
Polycomb- EZH2 und EED
Stilllegung
BAF PRC1 und PRC2

H3.3, Austausch von


H3A.Z Histon-Varianten
relevante H3K4me3 und
Histonpositionen
und andere H3K27me3

DNA-Reparatur
DNA-Methylierung
DAXX and ATRX
DNMT und TET
H2A.X
Stilllegung
repetitiver X-Inaktivierung
Elemente

konstitutives Imprinting
DNA-me Heterochromatin RNAi
ESET Repression
SUV39H1
HP1

..      Abb. 7.8 Die Beteiligung der Chromatin-Modifikationen an epigenetischen Prozessen. (Nach


Allis und Jenuwein 2016; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)

sich auf die epigenetischen Zustände der Nachkommen aus. Dadurch können die
Nachkommen anfälliger werden für Erkrankungen oder Störungen wie beispiels-
weise Diabetes.
Epigenetische Regulation führt auch zur genetischen Prägung oder zum Im-
printing. Die Expression sogenannter geprägter Gene ist abhängig davon, ob es
sich um das mütterliche oder das väterliche Allel handelt. Dabei exprimiert die
Zelle jeweils nur das vom Vater oder von der Mutter stammende Gen.
Beispiel: Igf2-Gen (insulin-like growth factor) der Maus. Der Embryo exprimiert
nur das väterliche Allel (siehe auch Prader-Willi-/Angelman-Syndrom, 7 Abschn.
12.2.3).
55 In der frühen Phase der Keimzellentwicklung löscht die Zelle das alte Muster
und erstellt später ein neues, geschlechtsspezifisches Muster.
55 Für das Imprinting sind vor allem Methylierungen der DNA durch Methyl-
transferasen verantwortlich. Die Regulation geht von einer Kontroll-Region
aus.

7.8.1 Chromatin-Remodeling

Chromatin-Remodeling ist immer dann notwendig, wenn Proteine Zugang zur


DNA benötigen. Das ist z. B. der Fall bei der Transkription oder der Reparatur
von DNA-Schäden.
178 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

Nach der Replikation konkurrieren Histone mit einigen Transkriptions-­


Faktoren um den Zugang zur DNA. Die Veränderungen der Chromatinstruktur
und chemische Veränderungen an der DNA verhindern den Zugriff von Proteinen
auf die DNA oder erleichtern ihn. Im dicht verpackten Zustand ist DNA ab-
geschottet vom Transkriptionsapparat.
DNA ist um Histonoktamere gewickelt und bildet mit diesen die Nucleosomen.
In den Nucleosomen ist die DNA schlechter zugänglich. Beim Remodeling ordnen
Proteine, die Chromatin-Remodeling-Komplexe, die Nucleosomen unter ATP-­
Verbrauch so um, dass beispielsweise verdeckte Promotorabschnitte freigelegt und
zugänglich oder wieder verschlossen werden. Die Histonoktamere werden ver-
schoben oder entfernt.
Beispiel: SWI-SNF Komplex bei Drosophila und beim Menschen: Er lockert die
Ordnung der Nucleosomen auf, erzeugt eine unregelmäßigere Abfolge und ver-
schiebt so die DNA auf den Nucleosomen. ISWI-Proteine kehren den Prozess wie-
der um. Chromatin-Remodeling-Komplexe stehen mit DNA-bindenden Proteinen
7 in Kontakt und führen diese an die frei gewordenen Bereiche heran.
Chromatin-Remodeling kann sich ausbreiten, ähnlich wie eine Kette um-
fallender Domino-Steine, und angrenzende Bereiche erfassen. Isolatoren ver-
hindern jedoch ein Überspringen auf Abschnitte, die grundsätzlich anders reguliert
werden.

7.8.2 Histonmodifikationen
Überblick
Die Histone der Nucleosomen besitzen:
55 innere Proteindomänen, für die Wechselwirkung mit anderen Histonen und den
Aufbau des Kernbereichs,
55 flexible N-terminale Schwänze oder tails für die chemischen Modifikationen.
Die N-Termini sind wie eine Angelschnur mit Haken, der die Proteine ködert
sowie heranzieht und die DNA bindet oder, je nach Modifikation, die Bindung
zur DNA löst.

Da die DNA negativ geladen ist, zeichnen sich die Abschnitte für die DNA-­
Bindung (meist) durch positiv geladene Aminosäurereste aus. Hier kommt es zu
den Modifikationen. In erster Linie sind die folgenden vier Reaktionen wichtig:
55 Phosphorylierung,
55 Acetylierung,
55 Methylierung und
55 Ubiquitinierung/Ubiquitinylierung
55 weitere, seltenere oder weniger erforschte Modifikationen sind z. B. Sumoylie-
rung, Lactylierung, Serotonylierung oder Dopaminylierung (die letzten zwei in
Nervenzellen des Gehirns).
7.8 · Epigenetik
179 7
HATs MBD2
UHRF1 KDMs + HDACs
HMTs
HP1 TET
DNMTs BRG1 TDG

DNA Histon-
oktamer

Aufbau Proteine, die die Abbau


der Modifikation Modifikation auslesen der Modifikation

..      Abb. 7.9 Überblick über die Etablierung und Entfernung epigenetischer Informationen an den
Histonen und der DNA. BRG1: Brahma-related gene 1, MBD2: Methyl-CpG-bindendes Domänen-
protein, UHRF1: Protein, das Methylierung erhält, TDG: Thymin-DNA-Glykosylase; weitere Er-
läuterungen im Text

Die Phosphorylierung ist zwar der "Ein/Aus-Schalter" schlechthin für Moleküle


oder Prozesse in der Zelle. An den Histonen sind indes vor allem die enzymatische
Methylierung/Demethylierung und die Acetylierung/Deacetylierung entscheidend.
Die verantwortlichen Enzyme gelangen als Teil von Proteinkomplexen an ihren
Zielort und/oder durch die Wechselwirkung mit den Proteinen. Die Ubiquitinie-
rung kommt nicht mit der gleichen Häufigkeit vor.
Für Histonmodifikationen ebenso wie für DNA-Methylierungen teilt man die
Proteine ein in solche, (1) die die Modifikation aufbauen (writers), (2) sie er-
kennen und darauf reagieren (readers) oder (3) sie wieder entfernen (erasers), (siehe
. Abb. 7.9).
Alle Modifikationen ergeben den Histon-Code. Demnach definieren bestimmte,
immer wiederkehrende Veränderungen an den Aminosäuren den Regulationsstatus,
ob ein Gen oder DNA-Abschnitt aktiv ist oder nicht.
In der Regel sind Modifikationen reversibel. Man sollte sie nicht betrachten als
unveränderbare Zustände, sondern eher als fortwährenden, ständigen Auf- und
Abbau, mit dem die Zelle auf aktuelle Erfordernisse reagiert. Am besten erforscht
ist die Bedeutung von Modifikationen für die Transkription. Sie erfolgen aber auch
koordiniert für die Replikation, Reparatur oder Genomarchitektur.
Als Faustregeln für die Auswirkungen gelten:
55 Veränderungen an den Histonschwänzen zeigen keine unmittelbare Aus-
wirkung, sondern dienen der Anlagerung weiterer Proteine. Erst diese beein-
flussen den Transkriptionsstatus.
55 Veränderungen im Histoninneren oder an der Außenseite zeigen jedoch direk-
tere Auswirkungen, weil sie die Nucleosomenstruktur destabilisieren oder die
Bindung der DNA an die Nucleosomen auflockern.
180 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

55 Acetylierung und Phosphorylierung von Lysin-Resten bringen negative Ladun-


gen, welche die negativ geladene DNA abstoßen. Die kompakte Struktur lo-
ckert sich daraufhin, die Transkription wird zugänglicher.
55 Methylierungen kommen ein-, zwei- oder dreifach vor und sind sehr positions-
spezifisch.

Beispiele für typische Modifikationen:


55 Ein methyliertes Histon aktiviert oder reprimiert die Transkription. Ent-
scheidend ist folglich nicht die Methylierung als solche, sondern an welcher
Position sie erfolgt und wieviel Methylreste angehängt werden (me1, me2 oder
me3). Mehrere Methylreste verstärken den Effekt.
55 Eine bekannte Methylierung ist H3K4me3. Die Abkürzung bedeutet, im His-
ton H3 befindet sich an der vierten Position ein Lysin-Rest (Abkürzung K), der
drei Methylgruppen trägt. Die Methylierung von Lysin zu H3K4me3 ist ver-
bunden mit Gen-Aktivierung (vgl. dazu unten: Methylierungsgrad von CpG-­
7 Inseln). Umgekehrt ist die Methylierung von Lysin in H3K27me3 verbunden
mit Repression. Es ist typisch für fakultatives Chromosom.
55 H3K4me3 und H3K27me3 müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. In Pro-
motoren der Entwicklungsgene von Säugern kommen beide Modifikationen
gleichzeitig vor. Der Promotor ist bivalent. Bivalente Promotoren hat man bei-
spielsweise identifiziert in embryonalen Stammzellen von Mäusen und Men-
schen, in primären T-Zellen des Menschen und in weiteren Wirbeltieren. Ihre
Anzahl liegt in embryonalen Stammzellen zwischen 2000 und 4000. Mit der zu-
nehmenden Ausdifferenzierung von Zellen nimmt der Anteil der bivalenten
Promotoren der Entwicklungsgene ab.
55 H3K9me3 gilt als Kennzeichen von konstitutivem Heterochromatin. Es dient als
Andockstelle für Proteine mit der 60 Aminosäuren langen Chromodomäne.
Beispiel: HP1, Heterochromatin Protein 1 (siehe . Abb. 7.9). HP1 fungiert als
reader und rekrutiert die Methyltransferase SUV39, die weitere Methylierun-
gen vornimmt.
55 In der Nähe von stillgelegten Genen hat man auch H3K9me2 identifiziert.Die
Positionseffekt-Variegation bei Drosophila zeigt den Einfluss von Hetero-
chromatin: Durch eine Inversion gelangt das aktive white-Gen in den Hetero-
chromatinbereich des Chromosoms und wird stillgelegt (siehe . Abb. 7.10).
55 Die genannten Methylierungen H3K27me3 und H3K9me2 für Repressionen
findet man beispielsweise in Regionen von Chromosomen, die mit der Lamina
des Zellkerns verbunden sind. Generell gilt, dass stillgelegtes Heterochromatin
mehr an oder in der Nähe der Lamina vorliegt, während sich das aktive Chro-
matin im Inneren des Kerns befindet.
55 Eine Acetylierung an dieser Lysin-Position (H3K9ac) aktiviert die Transkrip-
tion.
7.8 · Epigenetik
181 7
white-Gen

Die Inversion bringt das white-Gen in den


Heterochromatin
Heterochromatinbereich, wodurch es
stillgelegt wird

Heterochromatin-
ausdehnung

..      Abb. 7.10 Positionseffekt-Variegation bei Drosophila

55 Die Acetylierung von Lysin-Resten schafft eine Andockstelle für Proteine mit
einer Bromodomäne (siehe . Abb. 7.12). Proteine mit dieser 110-Aminosäuren
umfassenden Domäne lockern die Nucleosomen-Ordnung weiter auf und ma-
chen die Region wieder zugänglich (Beispiel: H3K14ac).
55 Die Ubiquitinierung von Lysin in der Position H2AK119 reprimiert die Tran-
skription.

Methylierung
Zielaminosäuren für die Methylierung sind in der Regel Lysin und Arginin. Lysin
erhält bis zu drei Methyl-Reste angehängt, Arginin bis zu zwei.
55 Histon-Methyltransferasen (HMT) übertragen einen Methylrest.
55 Histon-Demethylasen (HDM) entfernen ihn. Spezifische Methylasen heißen
z. B. Lysin-Demethylasen (KDM, K für Lysin).

Acetylierung
Acetylierungen lockern das dicht gepackte Chromatin auf und fördern die Tran-
skription.
55 Histon-Acetyltransferasen (HAT) übertragen den Acetylrest, Beispiele: Eine
Untereinheit (TAF1, TBP-assoziierter Faktor 1) des allgemeinen Transkriptions-
faktors TFIID und viele Coaktivatoren wie p300/CBP (CREB-binding protein)
besitzen Acetyltransferase-Aktivität.
55 Histon -Deacetylasen (HDAC) entfernen ihn.
55 Im Heterochromatin fehlt die Histon-Acetylierung. Das gilt für das fakultative
wie für das konstitutive Heterochromatin.
182 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

7.8.3 DNA-Methylierung

Diese Veränderung der Chromatinstruktur betrifft die DNA direkt.


55 Cytosinbasen erhalten einen Methylrest und werden zu 5-Methylcytosin bei
Eukaryoten. Die Methylierung erfolgt durch DNA-Methyltransferasen
(DNMT). Es existieren mehrere DNMTs mit getrennten Zuständigkeiten.
DNMT3A und 3B methylieren die DNA de novo, DNMT1 hängt nach der Re-
plikation an halbseitig methylierte DNA die Methylreste an. Hier ist auch der
Zusammenhang zwischen Epigenetik und Umwelt augenscheinlich: Umwelt-
faktoren beeinflussen die Aktivität der Enzyme. Bestimmte Gifte hemmen sie.
Ernährungsweisen können die benötigte Menge an SAM (S-Adenosyl-­
Methionion) limitieren. SAM stellt die Methylgruppe für den Transfer bereit.
55 Während Deacetylasen und Demethylasen die Modifikation von Histonen ent-
fernen, fehlt eine entsprechende direkte Demethylierung für 5mC. Die Entfernung
der Modifikation erfolgt über einen Umweg. In Säugetieren nehmen die Enzyme
7 TET, ten-eleven translocation, schrittweise Veränderungen vor. Zunächst oxidie-
ren sie 5mC zu 5hmC, 5-Hydroxymethyl-Cytosin, dann überführen sie es zu
5-Formylcytosin (5fC) und weiter zu 5-Carboxylcytosin (5caC), Anschließend
entfernen Glykosylasen die Base und die Basen-Exzisions-­Reparatur (BER) korri-
giert die Fehlstelle. Eine zweite Möglichkeit besteht in der Ausdünnung von 5mC
in den nachfolgenden Replikationsrunden, das heißt nach der Replikation unter-
bleibt die de novo Methylierung. In Pflanzen erkennen und schneiden die Glyko-
sylasen 5mC heraus und die BER repariert die Stelle.
55 Bevorzugtes Ziel für die Methylierungen/Nichtmethylierungen sind die
5′-CpG3′-Stellen (das kleine P steht für den Phosphatrest). Aufgrund der
Basenkomplementarität liegt im gegenüberliegenden Strang ebenfalls ein CpG
vor, und die Methylierungen bündeln sich. Mehrere CpG, die CpG-Inseln oder
CGI, findet man oft in der Nähe von Transkriptionsstartstellen, vor allem in
der Nähe der Promotoren für Haushaltsgene.
55 Methylierungen der DNA in CpG-Inseln von Promotoren unterdrücken die
Transkription bei Wirbeltieren und Pflanzen. Hingegen ist intragene DNA me-
thyliert in transkriptionsaktiven Genen. Hier beeinflusst die Methylierung die
Elongation und das Spleißen.
55 Nichtmethylierte CpG-Inseln findet man oft in der Nähe von H3K4me3. His-
ton- und DNA-Methylierungen wirken sich wechselseitig auf die jeweils andere
Modifikation aus (Crosstalk). Beispiel: Je höher H3K4 methyliert ist, desto
stärker gehemmt ist die Aktivität der DNA-Methyltransferase DNMT3A. Me-
thylierung von Histon und Nichtmethylierung von Cytosin verstärken den Ef-
fekt, die Aktivierung der Promotoren.
7.8 · Epigenetik
183 7
55 Auch eine Inaktivierung von Regionen kann sich epigenetisch verstärken:
Mitglieder der HP1- (Heterochromatin-Protein 1-) Familie heften sich an
­
H3K9me2/me3. HP1-Proteine wirken wiederum als Adaptoren für spezifische
H3K9-Lysin-Methyltransferasen wie SUV39H1. Die Enzyme methylieren
Lysin, werden durch die Modifikation jedoch selbst allosterisch wieder akti-
viert. Es entsteht eine Rückkopplung, die dazu führt, dass sich der Chromatin-­
Status (hier: Heterochromatin) ausbreitet und angrenzende Bereiche erfasst.
Diese Ausbreitung stoppen begrenzende Elemente, die Isolatoren.
55 In Krebszellen ist das Methylierungsmuster verändert, oft ist es untermethyliert.
55 Das Muster ändert sich während der Reifung der Gameten ebenso wie im Laufe
des Lebens in alternden Zellen (epigenetic drift). Vermutlich ist das einer der
Gründe, warum bei eineiigen Zwillingen die Variabilität im Phänotyp zunimmt,
wenn sie älter werden (. Abb. 7.11).

Mütterlich Väterlich

Körperzellen

Primordiale
Imprinting-Muster
Keimzellen
gelöscht

Gameten
Geschlechtsspezifische
Imprinting-Erneuerung
BEFRU
CHTUNG

Zygote
Korrektes Imprinting-Muster hergestellt
und permanent etabliert

Mütterlich imprimiert
Väterlich imprimiert

..      Abb. 7.11 Genomisches Imprinting: Während der Bildung der Gameten bekommen die Chromo-
somen ein neues Imprinting-Muster. (Nach Schaaf und Zschocke 2013)
184 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten

55 Verschiedene Syndrome des Menschen veranschaulichen die Bedeutung der


DNA-Methylierung für die normale Entwicklung. Oft zeigen Patienten dieser
Syndrome tiefgreifende neurologische Störungen. Beispiel 1, Rett-­Syndrom:
Unter anderem sind die Betroffenen erheblich geistig beeinträchtigt, wächst der
Schädel langsamer und verläuft die Sprachentwicklung verzögert. Ursache für
das Syndrom ist eine Mutation in dem Gen MECP2 (Methyl-CpG-­Bindeprotein
2). Intaktes MeCP2 reguliert die Genexpression. Man nimmt an, dass es sich an
Methyl-Cytosin heftet und beispielsweise CREB1 (cyclic AMP-­responsive ele-
ment-binding protein 1) heranholt, um Promotoren zu aktivieren. Beispiel 2,
Mutationen in Genen der Lysin-Methyltransferasen wirken sich wegen des
Crosstalks auf die Methylierung von CpG-Inseln aus und sind mit ver-
schiedenen neurologischen Entwicklungsstörungen assoziiert.
55 Epigenetische Vorgänge beeinflussen einander und können sich verstärken
(. Abb. 7.13).

7 Aktiver Zustand Reprimierter Zustand

..      Abb. 7.12 An acetylierte Histone kann sich die Bromo-Domäne von Proteinen binden und das
Chromatin aktivieren, während sich an methylierte Histone die Chromo-Domäne von Proteinen hef-
tet und das Chromatin deaktiviert. HAT Histon-Acetyltransferase, KMT Lysin-Methyltransferase.
(Nach Allis und Jenuwein 2016; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
7.8 · Epigenetik
185 7

TRAMP und
Exosom

H3K9me2 oder
H3K9me3
Repeats
des Centromers

..      Abb. 7.13 Epigenetische Vorgänge verstärken einander über positive Rückkopplung (hier in S.
pombe). Die Zelle verkuppelt miteinander die Synthese von siRNA und die Modifikation von Chro-
matin. In dem RITS-Komplex (RNA induzierte transkriptionale Stillung) lagern sich eine lncRNA
und siRNA aneinander. Der RDRC (RNA-abhängiger RNA-Polymerase Komplex) verlängert die
siRNA zu einer doppelsträngigen RNA. Dicer1 stellt daraus weitere siRNA-Moleküle her. Die neuen
siRNA-­Moleküle bilden weitere RITS-Komplexe mit den Proteinen Ago1 und Chp1. Das Chp1-Pro-
tein heftet sich selbst und damit den Komplex an Nucleosomen. Die Verankerung erfolgt über methy-
liertes Lysin in den Histonen. In dem Komplex ist eine Methyltransferase vorhanden (Clr4), die für
die weitere Methylierung an den Histonen sorgt. An die frisch methylierten Histon-Lysine binden
sich Proteine (Swi6), die einerseits die Bindung des RDRC verstärken und andererseits (zusammen
mit Chp2) zur Deacetylierung von Histon führen (mit Hilfe von SHREC). Dadurch ist der weitere
Zugang der RNA-Pol II zur DNA verhindert. Darüber hinaus werden RNAs abgebaut von TRAMP
und Exosomen. (Nach Holoch und Moazed 2015; mit freundlicher Genehmigung von Springer Na-
ture)
187 8

Formalgenetik und
Geschlechtsbestimmung
Inhaltsverzeichnis

8.1 Worum geht es? – 189

8.2 Grundbegriffe – 189


8.2.1  harakterisierung von Genen – 189
C
8.2.2 Allele für das gleiche Merkmal können miteinander
konkurrieren – 190
8.2.3 Schreibweise – 190
8.2.4 Einflüsse von Genen – 190
8.2.5 Unterscheidung von Merkmalen – 191

8.3 Mitose und Meiose – 191


8.3.1  usammenfassung zur Meiose – 192
Z
8.3.2 Kernphasenwechsel – 193
8.3.3 Phasen der Meiose – 194
8.3.4 Besondere Aspekte zur Mitose – 199

8.4 Mendel’sche Regeln – 200


8.4.1  endels Kreuzungsexperimente – 200
M
8.4.2 Erste Mendel’sche Regel: Uniformitätsregel – 201
8.4.3 Zweite Mendel’sche Regel: Spaltungsregel – 202
8.4.4 Dritte Mendel’sche Regel: Unabhängigkeitsregel
oder Neukombinationsregel – 202

8.5 Statistik – 203

8.6 Kopplung – 204

8.7 Biologische und physikalische Genkarten – 205

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_8
8.8  bweichungen von den Mendel’schen Regeln
A
und Ausnahmen – 206
8.8.1  bweichungen – 206
A
8.8.2 Vererbung ohne Mendel’sche Regeln: cytoplasmatisch – 207
8.8.3 Haploide Organismen – 207

8.9 Geschlechtsbestimmung und -ausbildung – 208


8.9.1  hänotypische Geschlechtsbestimmung – 208
P
8.9.2 Genotypische Geschlechtsbestimmung und Fehlbildungen beim
Menschen – 209

8.10 Populationsgenetik – 215


8.10.1  er Genpool – 215
D
8.10.2 Frequenzen und das Hardy-Weinberg-Gesetz – 216
8.2 · Grundbegriffe
189 8
8.1 Worum geht es?

Die Formalgenetik umfasst die klassische Genetik mit den Vererbungsregeln nach
Mendel, den sogenannten Mendel’schen Regeln, der Weitergabe genetischer Infor-
mationen von einer Generation zur nächsten und der Ausprägung des Phänotypen.
Man unterscheidet bei Eukaryoten zwei Kernteilungen, Mitose und Meiose. Die
Meiose ist die Voraussetzung zur Bildung der Keimzellen, in ihr werden Chromo-
somen gebrochen und neu verknüpft (Rekombination). Genkarten geben die Lage
von Genen an. Die Geschlechtsbestimmung erfolgt bei höheren Organismen geno-
typisch. Fehler während der Rekombination können die Ursache für Fehlbildungen
beim Menschen sein. Die Populationsgenetik untersucht Vererbungsvorgänge in
Populationen.

8.2 Grundbegriffe

8.2.1 Charakterisierung von Genen

Organismen und Individuen sind gekennzeichnet durch Merkmale und unter-


scheiden sich in der konkreten Ausprägung eines Merkmals voneinander. Vererb-
bare Merkmale sind in den Genen codiert, zum Teil prägen sie sich durch die Mit-
wirkung der Umwelt aus. Ein Merkmal ist eine beobachtbare Eigenschaft. Ein
klassisches Beispiel ist die Blütenfarbe. Es muss aber keine mit bloßem Auge sicht-
bare Eigenschaft sein, sondern kann auch beispielsweise ein bestimmter Stoff-
wechselweg oder eine Antibiotikaresistenz sein.
Oft kommt ein Gen bei Organismen in verschiedenen Erscheinungsformen vor,
man spricht von Allelen. Bei multipler Allelie kennt man von einem Gen zahlreiche
Allele. Beispiel: Allele im AB0-Blutgruppensystem des Menschen.
Dasjenige Allel, das natürlicherweise bei einem Organismus häufig vorkommt
oder das man als erstes identifiziert hat, bezeichnet man als den Wildtyp (symbol-
haft oft durch ein „+“ wiedergegeben).
Sind bei einem diploiden Organismus die Allele eines Gens gleich, nennt man
ihn homozygot, sind sie unterschiedlich, ist er heterozygot. Liegt ein Gen oder ein
Chromosom (wie das X-Chromosom bei Männern) nur einfach vor, spricht man
von Hemizygotie.
Der Genotyp gibt an, welche Allele bei einem Individuum vorliegen. Der Phäno-
typ ist das Resultat des Genotyps, das äußere Erscheinungsbild des Organismus. In
der Regel konzentriert man sich dabei auf ein einzelnes oder wenige Merkmale,
deren Vererbung man untersucht.
190 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

8.2.2  llele für das gleiche Merkmal können miteinander


A
konkurrieren

55 In einem heterozygoten Phänotypen kann ein Allel zu einem sichtbaren Merk-


mal führen und das von dem anderen Allel codierte Merkmal überdecken oder
zurückdrängen. Das Merkmal des ersten Allels ist dominant, das zweite rezessiv
(Beispiel: Blütenfarben). Den Erbgang nennt man dominant-rezessiv.
55 Bei einer Kodominanz der Allele zeigen sich beide Merkmale, man sieht also bei
heterozygotem Genotypen beide Ausprägungen der zwei Allele (Beispiel:
menschliche Blutgruppe AB: AB-Träger besitzen die beiden Allele für zwei ver-
schiedene Enzyme und lesen beide Allele ab).
55 Ergeben zwei Allele einen Phänotypen, der zwischen den Phänotypen bei
Homozygotie liegt, spricht man von einem intermediären Erbgang. Er wird oft
von einem unvollständig dominanten Merkmal verursacht.

8.2.3 Schreibweise
8
Betrachtet man die Vererbung von Merkmalen, gibt man für Allele nur einen Buch-
staben als Symbol an. Ein kursiver Großbuchstabe A steht für das Allel des domi-
nanten Merkmals, ein Kleinbuchstabe a für das rezessive. So steht Aa für einen
heterozygoten Genotypen. Mehrere Gene listet man hintereinander auf: AAbb.
Liegen die Gene auf einem Chromosom eng beieinander, so werden sie zu-
sammen vererbt und bilden eine Kopplungsgruppe. Dann gibt man den Genotypen
pro Chromosom an und trennt durch Schräg- oder Bruchstrich die Chromosomen:
ABc/abc. Die Lage eines Gens auf einem Chromosom ist sein Genort oder Genlo-
cus (Plural: -loci).

8.2.4 Einflüsse von Genen

Die Korrelation zwischen dem Genotypen und dem Phänotypen ist nicht immer
simpel und nicht in allen Fällen ergibt der gleiche Genotyp den gleichen Phäno-
typen. Ob ein Gen tatsächlich zur Ausprägung eines Phänotypen führt oder nicht,
gibt die Penetranz an. Bei vollständiger Penetranz führt das Gen immer zur Aus-
bildung des Merkmals, bei unvollständiger Penetranz nicht. Die Eigenschaft ist
unter Umständen gar nicht vorhanden. Penetranz ist zur Beschreibung erblich be-
dingter Erkrankungen wichtig (Kap. 7 12).
Sind Individuen beispielsweise trotz gleicher Mutation von einer Erbkrankheit
unterschiedlich stark betroffen, liegt eine variable Expressivität des Genotyps vor.
Ist ein Merkmal wie bei einer erblich bedingten Krankheit auf ein einzelnes
Gen zurückzuführen, ist es monogen. Ein polygenes Merkmal wird von vielen
Genen erzeugt. Umgekehrt kann ein Gen auch mehrere Merkmale bestimmen
oder ausprägen, was man als Pleiotropie bezeichnet. Ist ein solches Gen beim Men-
schen mutiert, ergeben sich oft ungewöhnliche Kombinationen von Symptomen.
8.3 · Mitose und Meiose
191 8
8.2.5 Unterscheidung von Merkmalen

Merkmale lassen sich in zwei Kategorien einordnen:


55 Bei qualitativen Merkmalen kann man Eigenschaften klar gegeneinander ab-
grenzen, z. B. weiße oder rote Blütenfarbe.
55 Bei quantitativen Merkmalen findet man einen kontinuierlichen, stetigen Über-
gang. Sie sind mess- oder zählbar und werden oft von mehreren Allelen oder
sogar von mehreren Genen und/oder der Umwelt bestimmt.
55 Die Reaktionsnorm ist der genetisch festgelegte Bereich, in dem sich das Merk-
mal ausprägen kann, beispielsweise die Größe von Individuen.

Bestimmen Gene und Umweltfaktoren zusammen das äußere Erscheinungsbild,


gibt man als Maß für die Erblichkeit einer Eigenschaft die Heritabilität (h2) an.
Taucht ein Merkmal immer wieder auf, wenn die Träger genetisch verwandt oder
identisch sind, die Umweltfaktoren jedoch verschieden, so ist es eher genetisch ver-
ursacht.
Beispiele: Körperliche Merkmale wie die Größe oder der Body-Mass-Index
werden vor allem vererbt. Die Heritabilität wird für die Größe bei Männern mit
etwa 0,9 angegeben, bei Frauen schwankt sie zwischen 0,68 und 0,9. Für psychi-
sche oder Verhaltensmerkmale sinkt der Wert, für schwere Depressionen liegt er
bei 0,37. Die Umwelt oder "das Leben" zeigen also einen deutlichen Anteil an der
Ausprägung des Merkmals.
Eine bekannte Methode, mit der sich ein Merkmal auf eine genetische Ursache
oder auf die Umwelt zurückführen lässt, ist die Zwillingsforschung:
55 Zweieiige Zwillinge unterscheiden sich genetisch, unterliegen aber gleichen
Umweltbedingungen.
55 Eineiige Zwillinge, die bei verschiedenen Adoptiveltern aufwachsen, sind gene-
tisch identisch, unterliegen aber verschiedenen Umweltbedingungen.

8.3 Mitose und Meiose

Grundsätzlich verdoppeln Bakterien, Archaeen und Eukaryoten ihre DNA, teilen


sich und verteilen die DNA auf die Tochterzellen. Eukaryoten teilen dabei den
Zellkern.
Es gibt zwei Prozeduren zur Kernteilung:
55 Die Mitose verteilt „nur“ die Chromosomensätze gleichmäßig auf die Tochter-
zellen. Sie erzeugt also genetisch (weitgehend) identische Tochterzellen. Sie
kommt in allen eukaryotischen Zellen mit Zellkern vor.
55 Demgegenüber sorgt die Meiose oder Reifeteilung zusammen mit der an-
schließenden Befruchtung für eine Rekombination der DNA und Neukombination
der Chromosomen. Damit erhöht sie die genetische Vielfalt und ist ein ent-
scheidender Faktor der Evolution. Sie läuft in zwei Teilungen ab, Meiose I und
II, die zweite Teilung entspricht im Ablauf einer Mitose. Die Meiose ist not-
wendig, um die Geschlechtszellen zu bilden.
192 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

Bei eukaryotischen Zellen bilden Kern- und Zellteilung mit der Interphase einen
typischen Zellzyklus. Die Interphase umfasst die Phasen G1, S und G2.

8.3.1 Zusammenfassung zur Meiose


Ergebnisse der Meiose
55 Sie reduziert in der ersten Teilung den doppelten Chromosomensatz auf einen
einfachen Satz. Aus diploiden Zellen werden haploide. Daher der Zweitname
für die Meiose I: Reduktionsteilung.
55 Sie trennt die homologen Chromosomen zufällig, verteilt also mütterliche und
väterliche Chromosomen nach dem Zufallsprinzip auf die Tochterzellen (Se-
gregation). In einer menschlichen Keimzelle sind bei 23 Chromosomenpaaren
223 Kombinationen möglich.
55 In der zweiten Teilung werden die Schwesterchromatiden getrennt. Gelegent-
lich findet man den Ausdruck Äquationsteilung für die Meiose II.

8 Am Ende der Meiose sind aus einer Zelle, die jeweils zwei homologe Chromo-
somen mit jeweils zwei Schwesterchromatiden enthielt, vier Zellen entstanden mit
jeweils einer Chromatide.

Bedeutung der Prophase I


Man unterteilt die Meiose I und II in Phasen mit den gleichen Namen und be-
zeichnet sie als Prophase I und II, Metaphase I und II, Anaphase I und II, Telo-
phase I und II.
Genetisch interessant ist die Prophase I. In ihr lagern sich die homologen
Chromosomen parallel aneinander, sie bilden Bivalente, überkreuzen sich (Cros-
sing over) und tauschen wechselseitig die überkreuzten Abschnitte aus. Ein väter-
liches Chromosom erhält somit einen mütterlichen Abschnitt und umgekehrt
(. Abb. 8.1). Diese Neuzusammenstellung der DNA (Rekombination) erzeugt
also homologe Chromosomen mit neuen Kombinationen der Allele (neuen
Kopplungsgruppen). Die Zellen heißen Rekombinanten.
Die haploiden Zellen aus der Meiose verschmelzen später bei der Befruchtung
und erzeugen eine diploide Zygote.
8.3 · Mitose und Meiose
193 8
Homologenpaarung und
Position der Crossing over in Gametentypen
der Prophase I der Meiose

A B
A b
Einfach-
Crossing- a × b
a B
Genkopplung
aufgehoben
over

A B
A B
Doppelt-
Crossing-
over
a × × ab a b
Genkopplung
erhalten

A B
A b
Dreifach-
Crossing-
over
a × × × b a B
Genkopplung
aufgehoben

A B
A B
Vierfach-
Crossing-
over
a × × × × b a b
Genkopplung
erhalten

..      Abb. 8.1 Crossing over führt zu neuen Kopplungsgruppen

8.3.2 Kernphasenwechsel
Je nachdem, wann Meiose und Befruchtung aufeinander folgen, ist der entstehende
Organismus ein Diplont, Haplont oder Haplo-Diplont (. Abb. 8.2).
55 Diplonten sind Tiere (und manche Einzeller).
55 Beispiel Mensch: Aus der Zygote entwickelt sich der Organismus mit diploiden
Körperzellen (Somazellen). Die spezialisierten Keimdrüsen produzieren hap-
loide Gameten: Eizellen und Spermien.
55 Viele Pilze und einige Einzeller sind Haplonten. Die entstandene Zygote teilt
sich unmittelbar nach der Befruchtung meiotisch und erzeugt haploide Sporen.
Aus ihnen wachsen haploide Organismen heran, die haploide Gameten bilden,
aus denen die Zygote entsteht.
55 Viele Pflanzen und manche Einzeller sind Haplo-Diplonten. Aus der Zygote
entwickelt sich ein diploider Organismus (Sporophyt). Bestimmte Zellen teilen
sich meiotisch und bilden haploide Meiosporen. Aus diesen wächst ein haploi-
der Organismus heran (Gametophyt), der haploide Gameten bildet, die wieder
zur Zygote fusionieren.
194 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

a Haplont b Diplont
(viele Pilze und einige Einzeller) (Tiere und manche Einzeller)
Gameten
Gameten
n
n Zygote Befruchtung
Befruchtung 2n n n n n Zygote
Sporen Meiocyte II
n n n n 2n
n n n n
M ei n n
os Meiocyte I
e se
n io 2n
2n

e
M
n

2n
n
M

os s
it

e
2n M it o
n
n 2n
Haplo-Diplont
8 (viele Pflanzen und einige Einzeller)
c Gameten
n Zygote
Befruchtung 2n
n
2n
hyt

n
G a meto p

os
M it

Spo r o ph yt
M i t o se

2n
n

ei
M

n n o se
n n
2n
Sporen n n
2n
Meiocyte II
Meiocyte I

..      Abb. 8.2 Kernphasenwechsel und der Lebenszyklus von Organismen

8.3.3 Phasen der Meiose (. Abb. 8.3)

Meiose I
In der S-Phase hat die Zelle die DNA von jedem homologen Chromosomenpaar
verdoppelt. Jedes Chromatid liegt vierfach vor. Der C-Wert gibt den Gesamt-­
DNA-­Gehalt an: 4C. Die zwei Chromatiden eines Chromosoms heißen Schwester-
chromatiden. Die Zelle tritt in die Meiose I ein.
8.3 · Mitose und Meiose
195 8
a Interphase b Prophase I: Leptotän c Prophase I: Zygotän

1
2 1

Inter -
locking
3 2

3
X

d Prophase I: Pachytän e Späte Prophase f Anaphase I

2 3

3 2 1
1
3

X X
2

g Metaphase II h Anaphase II

3 X 2 1 3 2 1
3 2 1 3 2 1

i Telophase II

..      Abb. 8.3 Die einzelnen Stadien und Phasen der Meiose am Beispiel von drei Autosomen und dem
X-Chromosom. Beim Interlocking sind Homologe zwischen anderen Paarungschromosomen ein-
geschlossen

55 Prophase I: Die Prophase I rekombiniert die homologen Chromosomen und


schafft neues genetisches Material. Um diesen Prozess exakter zu erfassen,
unterteilt man die Prophase in weitere Stadien:
55 Leptotän: Die Telomere genannten Chromosomenenden der Autosomen (so be-
zeichnet man alle Chromosomen mit Ausnahme der Geschlechtschromosomen)
sind mit der Kernmembran verbunden. Die Chromosomen liegen noch als lange,
dünne Fäden vor. Die homologen Chromosomen sind voneinander getrennt.
196 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

55 Zygotän: Paarungsbeginn.
–– Die homologen Chromosomen richten sich von den Telomeren her aus und
lagern sich aneinander. Den Prozess der Paarung nennt man Synapsis. Die
zusammenliegenden Chromosomen heißen Bivalente. Will man hervor-
heben, dass in einem Bivalent vier Chromatiden vorliegen, verwendet man
den Ausdruck Tetrade.
–– Ein Proteingerüst hält die Bivalente zusammen. Chromosomen und Protein-
gerüst zusammen bilden den synaptonemalen Komplex.
55 Pachytän: vollständige Paarung.
–– Die Bivalente sind jetzt voll ausgebildet und beginnen die Kondensierung, sie
verkürzen und verdicken sich.
–– Die Nicht-Schwesterchromatiden eines homologen Chromosomenpaares
überkreuzen sich (Crossing over). Längere Chromosomen überkreuzen sich
oft mehrfach.
–– Die Geschlechtschromosomen (Gonosomen) sind oft unterschiedlich auf-
gebaut. Das Y-Chromosom des Menschen ist beispielsweise deutlich kürzer
als das X-Chromosom. Sie besitzen aber jeweils zueinander kurze homologe
Bereiche, die pseudoautosomale Region. Dort kommt es bei den Gonosomen
8 zum Crossing over (s. u.).
55 Diplotän: Die Chromosomen verdicken sich weiter.
–– Die homologen Chromosomen bewegen sich voneinander weg, bleiben aber
an den Crossing-over-Punkten noch durch sichtbare Kreuzstrukturen, so-
genannte Chiasmata (Singular: Chiasma), verbunden.
–– Es kommt schließlich zum Bruch der Chromatiden und zur Neuverknüpfung
(Rekombination) von mütterlichen und väterlichen DNA-­Abschnitten.
–– Die Zelle baut allmählich den synaptonemalen Komplex ab.
55 Diakinese: Die Trennung der homologen Chromosomen geht weiter, ebenso die
Verdickung. Die Chromosomen lösen sich von der Kernmembran, diese be-
ginnt sich aufzulösen. Der Kern tritt in die nächste Meiosephase ein.
55 Metaphase I: Die Kernmembran löst sich auf. Die Chromosomen ordnen sich
in der Äquatorialebene an. Sie sind jetzt stark kondensiert.
55 Anaphase I: Die Spindelfasern aus Tubulinproteinen und den Motorproteinen
Dynein sowie Kinesin ziehen die homologen Chromosomen zu den Polen der
Zelle. Dadurch erfolgt die Segregation genannte zufällige Trennung und Ver-
teilung väterlicher und mütterlicher Chromosomen.
55 Telophase I: Die Zelle bildet neue Kernhüllen, und es formen sich neue Zell-
kerne um die getrennten Chromosomen.

In einigen Fällen geht die Zelle direkt von der Anaphase I in die Prophase II der
zweiten Teilung über. Ansonsten folgt eine kurze Zwischenstufe, die Interkinese, in
der die Chromosomen ihre Struktur etwas auflockern.
8.3 · Mitose und Meiose
197 8
Meiose II und Mitose
Formal sind die Meiose II und die Mitose einander sehr ähnlich.
55 Während die erste Teilung (Meiose I) die homologen Chromosomen re-
kombiniert und getrennt hat, trennt die Meiose II die unterschiedlichen
Schwesterchromatiden. Die Meiose II ist die Äquationsteilung.
55 Die Mitose von Körperzellen trennt die Schwesterchromatiden der homologen
Chromosomenpaare. Es entstehen zwei Tochterzellen, die jeweils beide homo-
logen Chromosomenpaare, bestehend aus je einem Chromatid, besitzen.
55 Die Zellen nach der Meiose II haben einen C-Wert 1C, die Zellen der Mitose 2C.

Die Phasen der Schwesterchromatidenteilung:


1. Prophase II: Nach der Interkinese verdichten sich die Chromosomen wieder.
Spindelfasern bilden sich an entgegengesetzten Polen. Die Kernhülle beginnt
sich aufzulösen.
2. Metaphase II: Die Chromosomen sind stark kondensiert und ordnen sich wie-
der in der Äquatorialebene an. Die Kinetochore, an denen die Spindelfasern an-
setzen, zeigen zu den Polen. Cohesine halten als Klebstoff-Proteine die
Schwesterchromatiden zusammen. Proteasen bauen die Cohesine allmählich
von den Centromeren zu den Telomeren hin ab, um die Trennung und die Be-
wegung zu den Polen zu ermöglichen.
3. Anaphase II: Die Centromeren teilen sich, und die Spindelfasern ziehen die
Chromatiden zu den entgegengesetzten Polen.
4. Telophase II: Die Chromosomen lockern sich wieder auf ­(Entspiralisierung).
Lamine werden dephosphoryliert, dadurch ermöglichen sie den Wiederaufbau
der Kernhülle.

Der Spindelapparat bei der Mitose und Meiose bildet zwei Pole aus Mikrotubuli­
strukturen. Er erscheint sternförmig.
1. Die Centrosomen organisieren den Spindelapparat. Ein Paar Centriolen (be-
stehend aus Mikrotubuli) bildet ein Centrosom. Während der S-Phase wird das
Centrosom verdoppelt.
2. Vor Beginn der Teilung trennen sich die Centrosomen und bewegen sich jeweils
zu den Polen.
3. Die Centrosomen schieben die Mikrotubuli zu den Polen.
4. An den Mikrotubuli kommen zwei Transportproteine vor: Dynein und Kinesin.
Sie ermöglichen den gerichteten, entgegengesetzten Transport an den Mikrotu-
buli. Dazu binden sie ihre „Fracht“ und bewegen sich an den Mikrotubuli ent-
lang.
5. Während der Metaphase ordnen sich die Chromosomen in der Äquatorial-
platte an und bilden eine sternförmige Struktur (Monaster).
6. Wenn sie während der Anaphase zu den Polen gezogen werden, bilden sich zwei
sternförmige Strukturen (Diaster).
7. Geht die Zelle in die Zellteilung über, bildet sie einen kontraktilen Ring aus
Actin und Myosin, der die Zelle ein- und zusammenschnürt, bis die Membra-
nen aufeinandertreffen und sich zwei getrennte Zellen bilden.
8. Die Mikrotubuli depolymerisieren wieder.
198 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

Urgeschlechtszelle

Spermatogonien I. Vermehrungsperiode

II. Wachstumsperiode
Spermatocyten I

III. Reifungs- oder


Meiose I
Spermatocyten II Reduktionsperiode
Präspermatiden
Meiose II
Spermatiden
IV. Umbildungsperiode
Spermien

8 ..      Abb. 8.4 Meiose I und II in der Spermatogenese

Bildung von Gameten (Spermien und Eizellen)


Die Meiose beim Menschen ist eingebettet in die Gametogenese, in welcher der
Körper Gameten bildet (. Abb. 8.4).
1. Am Anfang liegen primordiale Keim(bahn)zellen vor. Sie wandern während der
Embryogenese in die Anlagen für die Keimdrüsen (Gonaden) ein und bilden
dort Spermatogonien oder Oogonien.
2. In den Gonadenanlagen teilen sich die Zellen zunächst mitotisch. In den Hoden
läuft dann die Spermatogenese ab, im Eierstock die Oogenese.

z Spermatogenese
1. Ein Teil der Spermatogonien wandert zu den Hodenkanälchen und wird nun
als primäre Spermatocyten bezeichnet. Ein Teil bleibt als Reservoir zurück und
kann sich bis ins hohe Alter mitotisch teilen und später zu Spermien werden.
2. Die primären Spermatocyten durchlaufen die Meiose I und werden zu sekundä-
ren Spermatocyten, diese durchlaufen die Meiose II und bilden dann insgesamt
vier Spermatiden. In der Spermiogenese reifen sie zu Spermien heran.

z Oogenese
Die Oogenese verläuft asymmetrisch.
1. Oogonien differenzieren sich zu primären Oocyten. Die Mitosen enden im ers-
ten Lebensjahr.
2. Primäre Oocyten teilen sich in der Meiose I in eine große sekundäre Oocyte und
einen kleinen Polkörper.
3. Das Diplotän der Prophase I kann allerdings Monate bis Jahre dauern. Dieses
Stadium des angehaltenen Diplotäns heißt Dictyotän.
4. Das Ergebnis der Meiose II ist dann eine große Eizelle und drei kleine Pol-
körper. Nur die Eizelle kann befruchtet werden.
8.3 · Mitose und Meiose
199 8
In männlichen Zellen treten im Durchschnitt etwa 55 Crossing over pro Zelle auf,
in der weiblichen Zelle können es um die 80 sein.

Fehler
Mögliche Fehler während der Zellteilungen, die zu Mutationen führen, sind:
55 Non-Disjunction (Nondisjunktion). Gepaarte Chromosomen werden in der
Anaphase I nicht getrennt. Die resultierenden Zellen weisen Chromosomen
dann in Über- oder Unterzahl auf.
55 Dieser Fall kann auch in der Anaphase II oder in einer normalen Mitose ein-
treten und dann die Schwesterchromatiden betreffen.
55 Nichthomologe Chromosomen lagern sich aneinander und rekombinieren.

Fehler während der Meiose haben Auswirkungen auf die Nachkommen, Fehler in
der Mitose führen zu einem Mosaik im Gewebe: Es weist normale Zellen auf und
solche mit der Mutation.

8.3.4 Besondere Aspekte zur Mitose


Die Einleitung der Mitose
Sie erfolgt durch den Mitose-Promoting-Faktor (oder maturation-promoting fac-
tor, MPF):
55 Der MPF ist ein Cyclin-CDK-Proteinkomplex (die Einleitung der Mitose ist
verknüpft mit der DNA-Replikation und der Überprüfung der DNA auf Schä-
den, siehe hierzu die 7 Abschn. 3.7.2 und 7 12.4.3).
55 Am Ende der G2-Phase wird der MPF durch Umphosphorylierungen aktiviert.
55 MPF phosphoryliert mehrere Proteine (Beispiel: Histon H1 und H3, Lamine)
und ermöglicht den Eintritt in die Mitose.

Wichtig für die Auflösung des Zellkerns ist der Einfluss auf die Lamine. Diese fila-
mentösen Proteine tragen zur Stabilität der inneren Kernmembran bei. Man unter-
scheidet A-Typ-Lamine und B-Typ-Lamine.
Die von dem MPF phosphorylierten Proteine führen zur:
55 Depolymerisation der Lamine. Die Lamine lösen sich von ihren Bindungs-
partnern in der Kernhülle, wodurch sich die Kernlamina und die Kernhülle auf-
lösen. B-Typ-Lamine bleiben an Membranfragmente gebunden.
55 Kondensation des Chromatins.
55 Ausbildung des Spindelapparats aus Mikrotubuli. Mikrotubuli bestehen aus
zahlreichen Tubulinproteinmolekülen. Kinetochormikrotubuli setzen am Kine-
tochor an und reichen zu einem Pol, polare Mikrotubuli erstrecken sich vom Pol
durch die Zelle zum anderen Pol.
200 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

Mitose und Krebs


Der Mitoseindex berechnet das Verhältnis von Zellen in einer Population, die sich
in der Mitose befinden, zur Zahl aller Zellen in der Population. Er ist ein Maß für
die zelluläre Proliferation und dient als Prognosefaktor, um die Wirkung einer
Chemotherapie vorhersagen zu können.
Mithilfe von Proteinantigenen wie KI-67 kann man den Anteil proliferierender
Zellen in einer Population bestimmen. Während des Zellzyklus verändert das Pro-
tein seine Lokalisation, was sich nachweisen lässt. Geeignet sind auch Antikörper
gegen die DNA-Klammer PCNA (s. 7 Abschn. 3.3.3). PCNA ist ein möglicher
Angriffspunkt für eine Chemotherapie.

8.4 Mendel’sche Regeln

8.4.1 Mendels Kreuzungsexperimente

8 Johann Gregor Mendel führte in den 1860er-Jahren zahlreiche Kreuzungsversuche


mit Erbsen durch.
55 Er untersuchte die Beziehung zwischen Genotyp und Phänotyp bei verschiedenen
Kreuzungen.
55 Er postulierte, dass es einzelne Erbfaktoren geben müsse,
55 und erkannte, dass jede Generation diese an die Nachkommen weitergibt.

Mendel kreuzte Erbsenrassen,


55 die sich in einem Merkmal (monohybride Kreuzung) oder in zwei Merkmalen
(dihybride Kreuzung) unterschieden, also ein bzw. zwei Merkmalspaare bilde-
ten (z. B. Blütenfarbe, Samenform);
55 die homozygot waren.

Die Ausgangspflanzen bildeten die Eltern – oder Parentalgeneration (P). Eine


einzelne Pflanze entspricht dabei einem Elter. Die Nachkommen stellten die Toch-
ter – oder Filialgeneration dar.

Durchführung einer Kreuzung:


55 Mendel übertrug mit einem Pinsel Pollen des einen Elter auf die Stempel des
zweiten Elter. Die Staubgefäße der zweiten Pflanze hatte er entfernt, um Selbst-
befruchtung zu verhindern. Diese kommt sonst bei Erbsen vor und bringt die
homozygoten Pflanzen hervor.
55 Er führte auch das umgekehrte Experiment durch, die reziproke Kreuzung, und
nahm von der zweiten Pflanze den Pollen und übertrug ihn auf die erste. So
zeigte er, dass die Ausprägung des Merkmals (z. B. Samenform: glatt oder run-
zelig) nicht an das Geschlecht gebunden war.
55 Mendel sammelte die Früchte und säte sie aus. So erhielt er die Nachkommen,
die 1. Filialgeneration (F1).
8.4 · Mendel’sche Regeln
201 8
55 Diese wertete er aus, kreuzte dann die Pflanzen der F1 untereinander, erzeugte
so eine 2. Filialgeneration (F2) und wertete diese ebenfalls aus.
55 Da sich die Eltern der Parentalgeneration in einem Merkmal unterschieden,
waren die Individuen der F1-Generation Hybride oder Bastarde.

8.4.2 Erste Mendel’sche Regel: Uniformitätsregel

Kreuzt man homozygote Individuen miteinander, die sich in einem Merkmalspaar


unterscheiden, so sind die Nachkommen in der F1 uniform und heterozygot und
zeigen den gleichen Phänotypen, sind also uniform (daher als Uniformitätsregel
bezeichnet).
Beispiel:
55 Das Merkmalspaar ist die farbige bzw. weiße Blüte.
55 Die Nachkommen der F1 haben alle farbige Blüten. Das Allel für „farbig“ zeigt
sich dominant, erhält also einen großen Buchstaben, beispielsweise A. Das Allel
für „weiß“ ist rezessiv und bekommt den kleinen Buchstaben a.
55 Der Elter mit farbigen Blüten und dem Genotypen AA erzeugt nur Gameten mit
A, der Elter mit den weißen Blüten und dem Genotypen aa erzeugt nur Game-
ten mit a. Die Zygote der F1 enthält somit Aa, der Phänotyp ist farbig.
55 Für die Darstellung einer solchen Kreuzung wählt man heute meist ein Punnett-­
Schema oder -Quadrat (. Abb. 8.5).

Das Punnett-Schema erlaubt eine schnelle Übersicht über die möglichen Geno-
und Phänotypen, vor allem bei mehreren Allelen. Man zeichnet eine Tabelle und
trägt in die oberste Zeile die möglichen Genotypen der weiblichen Gameten, in die
erste Spalte die möglichen Genotypen der männlichen Gameten. Aus dem Schnitt-
punkt oder den Schnittpunkten folgen die möglichen Genotypen der Zygote.
Bei einem intermediären Erbgang, bei dem sich das dominante Allel in der F1
unvollständig ausprägt, liegt der Phänotyp zwischen dem der Eltern. Rote und
weiße Blüten führen zu rosa Blüten der F1, aber auch hier ist die F1 uniform. Die
Farben von Blüten oder dem Gefieder von Vögeln sind typische Beispiele für inter-

Punnett-Schema
Phänotyp
P-Generation A
Genotyp × Aa
AA aa
P-Generation
a
Gametentypen der
A a
P-Generation

F1-Generation Aa

..      Abb. 8.5 Uniformitätsregel, dargestellt im Punnett-Schema


202 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

mediäre Erbgänge. Meist codiert das dominante Allel ein Enzym für die Farbstoff-
synthese, dessen Dosis durch den heterozygoten Genotypen zu gering ist.

8.4.3 Zweite Mendel’sche Regel: Spaltungsregel

Kreuzt man die uniformen, heterozygoten Individuen der F1 untereinander, so spal-


ten sich die Phänotypen der Nachkommen in der F2 im (statistischen) Verhältnis
3:1 auf, die Genotypen im Verhältnis 1:2:1 (Spaltungsregel, . Abb. 8.6).
Die F1-Individuen verteilen in der Meiose die homologen Chromosomen und
können zwei verschiedene Gameten bilden: A oder a. Damit sind drei Kombinatio-
nen der Zygote möglich: AA, aa oder Aa. Das Punnett-Schema zeigt die Zahlen-
verhältnisse und illustriert, dass die Kreuzung dreimal zu farbigen Blüten führt
(AA und Aa) und einmal zu weißen (aa).

8.4.4  ritte Mendel’sche Regel: Unabhängigkeitsregel oder


D
8 Neukombinationsregel

Kreuzt man homozygote Individuen, die sich in zwei Merkmalspaaren unter-


scheiden, so sind die Ausprägungen frei kombinierbar, und die F2 bringt neue
Phäntoypen hervor (Unabhängigkeits- oder Neukombinationsregel).
Die Ursache für die freie Kombinierbarkeit der Merkmale liegt in der Meiose I.
55 Die väterlichen und mütterlichen Chromosomen werden zufällig auf die
Tochterzellen verteilt.
55 Wenn die Gene für die Merkmalsausprägung auf zwei getrennten Chromo-
somen liegen, so kann die F1 Gameten bilden, in denen wieder die zwei väter-
lichen Chromosomen (z. B. mit den rezessiven Allelen) in eine Tochterzelle ge-
langen und die zwei mütterlichen Chromosomen (dann mit den dominanten Al-
lelen) in die andere,
55 oder ein väterliches und ein mütterliches Chromosom werden kombiniert und
neu verteilt.

A a
Phänotyp AA Aa
F1-Generation
A
Genotyp Aa × Aa
F1-Generation
Aa aa
Gametentypen der
A a A a
F1-Generation a

..      Abb. 8.6 Spaltungsregel, dargestellt im Punnett-Schema


8.5 · Statistik
203 8
a b F1 IR
I R
ir
I R
i r
F2 IR Ir iR ir
i r
II RR II Rr Ii RR Ii Rr
IR

II Rr II rr Ii Rr Ii rr
Ir

I i I i Ii RR Ii Rr ii RR ii Rr
iR
R r r R
Ii Rr Ii rr ii Rr ii rr
IR ir Ir iR ir

..      Abb. 8.7 Unabhängigkeitsregel, dargestellt im Punnett-Schema

z Beispiel
Die Merkmalspaare glatte (R)/runzelige (r) Samenoberfläche und grüne (I)/gelbe
(i) Samenfarbe liegen auf getrennten Chromosomen (. Abb. 8.7). Die P-­Generation
mit den Genotypen RRII („glatt und grün“) und rrii („runzelig und gelb“) bildet
die Gameten RI und ri. Die Zygote enthält dann den Genotypen RrIi. Somit sind
die Individuen der F1-Generation uniform heterozygot („glatt und grün“), und die
erste Regel ist bestätigt.
Das Punnett-Schema zeigt, welche Gameten die F1 bildet, welche Genotypen
und Phänotypen daraus resultieren und welche neuen Kombinationen sich zeigen.
Die vier Phänotypen spalten sich im Verhältnis 9:3:3:1 auf. Kombiniert man ein
dominant-rezessives Merkmal mit einem unvollständig dominanten, ändert sich
das Verhältnis und fächert sich weiter auf.

Test– oder Rückkreuzung


Will man einen unbekannten Genotypen von Pflanzen der F2 ermitteln, so führt
man eine Test- oder Rückkreuzung durch.
55 Dazu kreuzt man die Pflanze mit dem unbekannten Genotypen mit einer
Pflanze, von der man weiß, dass sie homozygot rezessiv ist.
55 Resultieren aus dieser Kreuzung zwei Phänotypen (bei einem Merkmal), so war
der Elter mit unbekanntem Genotypen heterozygot.

8.5 Statistik

Die Aufspaltungsverhältnisse 3:1 oder 9:3:3:1 sind gemittelte statistische Werte.


Tatsächlich kommen aus einer Kreuzung bei beispielsweise 416 Gesamtnach-
kommen die zwei Phänotypen der F2 vielleicht im Verhältnis 318:98 heraus, also
3,24:1. Mendel hatte vergleichbare Werte erhalten und auf 3:1 gerundet.
204 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

Ob die Abweichungen geringfügig sind und daher vernachlässigbar oder ob sie


die Regel widerlegen, errechnet man mit dem chi-Quadrat-Test (χ2-Test). Die
Grundlage dafür bilden die tatsächlichen Werte (observed number, O) von 318 und
98 und die theoretischen Werte (expected number, E) bei 416 Gesamtindividuen.
Bei einem 3:1-Verhältnis und 416 Gesamtindividuen hätte man erwartet (E):
312:104. O (318, 98) und E (312, 104) weichen für die zwei Phänotypen also um +6
bzw. −6 ab. Gemäß der Formel für den Test
χ2 = ∑ (O − E)2/E für n = 2 Phänotypen
ergibt sich χ2 = 36/312 + 36/104 = 0,46.
Statistiker erlauben meist eine 5 %ige Abweichung von der „reinen Theorie“
und liefern Tabellen zur Einordnung des χ2-Werts.
Die tabellarischen Vergleichswerte sind dabei Freiheitsgraden (degrees of free-
dom, df) zugeordnet: df = Anzahl der Phänotypen −1.
55 Je höher der Freiheitsgrad, desto größer darf χ2 sein, weil mehr Phänotypen
mehr Schwankungen mit sich bringen.
55 Wenn eine 5-prozentige Abweichung erlaubt ist, dann darf bei einem Freiheits-
grad χ2 laut statistischer Tabellen nicht größer als 3,841 sein, um die ursprüng-
liche Arbeitshypothese zu bestätigen.
8

8.6 Kopplung

Mendel wusste nicht, dass seine untersuchten Merkmale tatsächlich von Genen
auf zwei verschiedenen Chromosomen codiert waren.
Liegen zwei Gene auf einem Chromosom nahe beieinander, bilden sie eine
Kopplungsgruppe. Sie werden gemeinsam vererbt, und die dritte Mendel’sche Regel
trifft nicht zu.
Ein Crossing over in der Meiose hebt die Kopplung auf.
55 Bei vollständig gekoppelten Genen passiert das nicht. Aber je weiter entfernt
zwei Gene auf einem Chromosom voneinander sind, desto wahrscheinlicher ist
ein Crossing over und desto größer ist ihre Rekombinationshäufigkeit (RF).
55 Gene, die nahe an den zwei Enden eines Chromosoms liegen, erscheinen dann
nicht mehr wie gekoppelt, sondern wie auf getrennten Chromosomen liegend.
Die RF kann 50 % nicht überschreiten.

Betrachtet man Gene, die auf einem Chromosom liegen, so ergeben sich nach
einem Crossing over Abweichungen in den Zahlenverhältnissen der Mendel’schen
Regeln. Da andererseits das Zahlenverhältnis nie exakt erreicht wird, muss man bei
mehreren Merkmalen entscheiden, ob die Abweichungen noch „statistisch“ sind
oder auf eine Kopplung hindeuten. Dazu wendet man wieder den χ2-Test an.
8.7 · Biologische und physikalische Genkarten
205 8
8.7 Biologische und physikalische Genkarten

Genkarten geben die Lage von Genen und regulatorischen Elementen im Genom
an. Die erste Genkarte stellte man für Drosophila auf.
Die Vorgehensweise stützt sich auf die Wahrscheinlichkeiten von Re-
kombinationen:
55 Man untersucht, ob nach Kreuzungen Merkmale in neuer Kombination auf-
treten. Eine neue Kombination ist ein Hinweis auf eine homologe Re-
kombination.
55 Je häufiger man Rekombinationen feststellt, desto weiter entfernt sind zwei
Genloci auf einem Chromosom.
55 Um festzustellen, ob ein zweifaches Crossing over stattgefunden hat, arbeitet
man mit drei Merkmalen. Man spricht von einer Drei-Faktor-Kreuzung.
55 So gelingt es, Gene relativ zueinander zu kartieren und damit die Reihenfolge zu
bestimmen.

Man sieht dabei die Gene nicht als ausgedehnte DNA-Abschnitte an, sondern als
Punkte oder punktuelle Genmarker. Als Einheit führte man zu Ehren des Geneti-
kers Thomas Hunt Morgan das Centimorgan (cM) ein. 1 cM entspricht einer Re-
kombinationshäufigkeit von 1 %.
Die Methode lässt indes außer Acht:
55 Oft ergeben sich mehrere Crossing over in einem Chromosom.
55 Ein Crossing over unterdrückt wiederum ein weiteres in seiner unmittelbaren
Nachbarschaft (Chiasmainterferenz).
55 Bei weiblichen Organismen ergeben sich mehr Crossing over als bei männlichen.
55 In der Nähe der Telomere erfolgen Crossing over häufiger als in der Nähe eines
Centromers.

Für eine biologische Genkarte des Menschen und die Kartierung von Krankheits-
genen untersuchte man unter anderem Familienstammbäume und Polymorphismen
(s. a. 7 Abschn. 15.3 und 15.4).
Durch die Sequenzierung ganzer Genome ist das Kreuzungsverfahren weit-
gehend aus der Mode gekommen. Die Genomsequenzierung führt zu einer physika-
lischen oder molekularen Karte, bei der die Basenabfolge bestimmt wird. Größen
und Abstände gibt man somit in bp, kb oder Mb an.
Da eine einzelne Sequenz noch keine Information über die Funktion liefert, hat
man in Datenbanken Sequenzinformationen und experimentelle Ergebnisse zu An-
notierungen von Genomen (s7 . Abschn. 15.3.4) vereinigt.
206 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

8.8  bweichungen von den Mendel’schen Regeln und


A
Ausnahmen

8.8.1 Abweichungen

Abweichungen treten auf, wenn die (früher angenommene) Regel „ein-Gen-ein-­


Merkmal“ nicht gilt. Entweder, weil ein Merkmal von mehreren Genen beeinflusst
wird, Polygenie (siehe 7 Kap. 12, komplexe Erkrankungen) oder umgekehrt, weil
ein Gen die Ausprägung mehrerer Merkmale beeinflusst, Pleiotropie.
Deutliche Abweichungen von den Zahlenverhältnissen in der F2 haben ihre
Ursache oft in mehreren Genwirkungen oder in Wechselwirkungen, wenn Gene
ein­ander beeinflussen. Die Fellfarbe ist dafür ein bekanntes Beispiel:
Kreuzt man Mäuse einer F1 mit gelber Fellfarbe untereinander, spalten sich die
Nachkommen im Verhältnis „gelbe“ Mäuse: „normale“ Mäuse von 2:1 auf. Das
Verhältnis weicht von 3:1 ab, weil das Allel AY, das die Gelbfärbung verursacht,
zwar heterozygot dominant ist, aber homozygot letal wirkt. Das bedeutet, der
8 Genotyp AYAY ist nicht lebensfähig und kommt deshalb nicht vor.
Solche Letalfaktoren oder letalen Gene sind pleiotrop, sie kontrollieren meh-
rere Merkmale. Heterozygot führt das eine Merkmal zu einem besonderen Phäno-
typen, wegen des zweiten Merkmals führt der homozygote Genotyp jedoch zum
Tod.

z Beispiele
55 Von Ratten kennt man eine Knorpelanomalie, die homozygot einen abnormalen
Brustkorb und Herzversagen hervorruft.
55 Menschen mit der autosomal-rezessiven Erbkrankheit Xeroderma pigmento-
sum sterben oft in den ersten Lebensjahren wegen eines Defekts in DNA-­
Reparaturenzymen.

Neben Letalgenen gibt es noch weitere Ursachen für abweichende Zusammen-


setzungen der Filialgenerationen und für Widersprüche zu den Regeln:
55 Bei der Epistase überdeckt eine homozygote Kombination eines Allels die Ex-
pression von anderen Genen, die sich an der Ausbildung eines Merkmals wie
der Fellfarbe beteiligen. Bei Mäusen verhindert die Kombination cc die Fell-
farbe, die Tiere sind Albinos, unabhängig von den anderen Genen. Die anderen
Gene prägen ihren Phänotypen also nicht aus und liefern damit ein Beispiel für
unvollständige Penetranz.
55 Unterdrückt ein dominantes Allel ein dominantes Allel eines zweiten Gens,
liegt Suppression vor. Bei Primeln bewirkt beispielsweise ein dominantes Allel
die Malvidinsynthese. Das dominante Allel eines anderen Gens unterdrückt
diese jedoch.
55 Ein modifizierendes Gen oder Modifier-Gen bestimmt die Intensität eines
Phänotyps. Die Fellfarbe von Mäusen verblasst dadurch. Beim Menschen kann
ein Modifier-Gen eine monogene Erkrankung verschlimmern.
8.8 · Abweichungen von den Mendel’schen Regeln und Ausnahmen
207 8
55 Von Erbsen kennt man rote Blüten, die von zwei Genen hervorgerufen werden,
wenn diese jeweils mindestens einmal im dominanten Allel vorliegen. Die zwei
Allele ergänzen sich und zeigen komplementäre Genwirkung.
55 Paramutation: Darunter versteht man die erbliche und gerichtete Veränderung
eines Allels an bestimmten einzelnen Genloci, ausgehend von dem anderen,
paramutagenen Allel. Ähnlich einer Genkonversion, allerdings ist der Mechanis-
mus ein anderer. Dem Phänomen liegen epigenetische Vorgänge zugrunde. Sie
unterscheiden sich in den verschiedenen Fällen. Gemeinsam ist ihnen, dass
kleine RNA-Moleküle DNA- und Histonmodifikationen und RNA-Silencing
herbeiführen, wodurch das paramutierbare Allel die veränderte Genexpression
erfährt. Sie wird stabil vererbt, selbst nach Abwesenheit des auslösenden para-
mutagenen Allels.

8.8.2 Vererbung ohne Mendel’sche Regeln: cytoplasmatisch

Das Kerngenom kontrolliert die meisten Merkmale. Man bezeichnet sie als men-
delnde Merkmale und sagt, „sie mendeln“. Beim Menschen zählen dazu die Blut-
gruppen und monogene Erbkrankheiten.
Demgegenüber unterliegt das Erbgut in Mitochondrien oder Plastiden nicht
den Mendel’schen Regeln.
55 Es wird davon unabhängig vererbt, weil es anders repliziert wird (s.
7 Abschn. 3.9).
55 Zudem erfolgt die Weitergabe statistisch: Die Tochterzellen erhalten nicht
zwingend die gleiche Anzahl an Organellen.
55 In Zellen können unterschiedliche Mitochondrien oder Plastiden vorliegen,
wenn die DNA mutiert und repliziert wird.
–– Haben die Organellen den gleichen Genotypen, spricht man von Homoplas-
mie.
–– Unterscheiden sich die Organellen, liegt Heteroplasmie vor. In diesem Fall
kann es passieren, dass sich die zwei Organelltypen so unterschiedlich auf
die Tochterzellen verteilen, dass eine Zelle überwiegend das Organell mit der
Mutation erhält und dann beispielsweise kein Chlorophyll mehr synthetisiert
und farblos ist.
55 Die cytoplasmatische Vererbung betrifft auch endosymbiontische Bakterien, die
im Zellplasma leben.

8.8.3 Haploide Organismen

Haplonten (s. 7 Abschn. 8.2.2) bieten Vorteile für die genetische Analyse:
55 Da sie zu Zygoten fusionieren, die sich meiotisch teilen, kann man an ihnen alle
Aspekte der Meiose studieren.
55 Man braucht nur eine Meiose zu untersuchen und nicht zwei unterschiedliche
wie bei diploiden Organismen mit Meiosen in männlichen und weiblichen Ga-
meten.
208 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

55 Da die Organismen haploid leben, hat man keine Probleme mit Dominanz und
Rezessivität. Der Genotyp zeigt sich unmittelbar im Phänotypen.
55 Sie sind einfache, billige, schnell wachsende Untersuchungsobjekte.
55 Viele Organismen wie Pilze und Bäckerhefe sind auch biotechnologisch rele-
vant.

Bei der Tetradenanalyse vergleicht man die vier Sporen eines Organismus, die aus
einer Meiose der Zygote hervorgehen. Die Methode wird zum Studium von Cros-
sing over, Interferenz und abnormen Chromosomensätzen eingesetzt.
Pilze zieht man auch heran, um die mitotische Rekombination und Segregation
zu untersuchen. Ein Modellorganismus ist z. B. der Gießkannenschimmel
­Aspergillus. Sein Sporenträger sieht aus wie ein Gießkannenstrahl.
1. Dazu sind diploide Zellen notwendig, die man erhält, indem man zwei haploide
Kulturen vermischt.
2. Die Hyphen verschmelzen, und es liegen zunächst zwei unterschiedliche Kerne
im Cytoplasma. Die Zelle ist ein Heterokaryon.
3. Schließlich verschmelzen die zwei Kerne spontan, wodurch die Zelle diploid
wird.
8 4. Diese teilt sich erst meiotisch, anschließend mitotisch.

8.9 Geschlechtsbestimmung und -ausbildung

Sex erhöht die genetische Variabilität und ermöglicht Anpassungen an neue


Umweltbedingungen.
Wie bei vielen Phänomenen hat sich Geschlechtsausbildung in der Evolution
unterschiedlich entwickelt.

8.9.1 Phänotypische Geschlechtsbestimmung

Die phänotypische Geschlechtsbestimmung


55 erfolgt durch Umweltfaktoren (Umgebungstemperatur, chemische Signale
u. a.),
55 geschieht erst nach der Befruchtung und
55 legt die Geschlechter zahlenmäßig oft so fest, dass sich kein Verhältnis von 1:1
ergibt.
55 Man findet sie bei sehr verschiedenen Tiergruppen wie Rädertierchen, Nemato-
den, Krebsen, Schildkröten, Eidechsen und Krokodilen.

Ob warme oder kalte Umgebungstemperaturen des Geleges zu Männchen oder


Weibchen führen, ist unterschiedlich.
55 Bei Eidechsen oder Krokodilen lösen kühle Temperaturen die Festlegung auf
Weibchen aus, warme Temperaturen auf Männchen, eine mittlere Temperatur
erzeugt beide Geschlechter.
8.9 · Geschlechtsbestimmung und -ausbildung
209 8
55 Bei Schildkröten ist es umgekehrt: „Kalt“ ergibt Männchen, „warm“ ergibt
Weibchen.
55 Es ist aber auch bei allen drei genannten Gruppen möglich, dass extremere
Temperaturen zu Weibchen führen, während mittlere Temperaturen Männchen
hervorbringen.
55 Als Erklärung nimmt man an, dass die zuständigen Promotoren oder andere
Regulationselemente wie RNA-Bindeproteine temperaturabhängig reagieren.
55 Beispiel Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans):
–– Zentrale Elemente sind (1) die Lysin-Demethylase KDM6B, (2) das Gen, das
den Sex-bestimmenden Transkriptionsfaktor DMRT1(doublesex- and mab-­
3-­related transcription factor 1) codiert, (3) die H3K27-Schaltstelle (methy-
liert/unmethyliert) für die Promotorregulation von Dmrt1.
–– Die Männchen-produzierende Temperatur ist 26 °C. KDM6B wird gebildet
und demethyliert H3K27. Die Zellen aktivieren den Promotor und bilden
DMRT1. Die Tiere entwickeln männliche Gonaden.
–– Die Weibchen-produzierende Temperatur ist 32 °C. Das Gen für KDM6B
wird herunterreguliert. H3K27 bleibt methyliert, Dmrt1 wird nicht ex-
primiert. Die Tiere entwickeln weibliche Gonaden.
–– Man nimmt an, dass die Bildung von KDM6B unter der Regulation eines
RNA-Bindeproteins steht: CIRBP (cold-inducible RNA binding protein). Die-
ses Temperatur-induzierte RNA-Bindeprotein stabilisert die mRNA und re-
guliert die Translation.

Chemische Signale für die Geschlechtswahl stammen oft von Artgenossen. Man
kennt beispielsweise im Meer lebende Igelwürmer (Bonellia viridis), deren adulte
weibliche Tiere Pheromone bilden.
55 Trifft eine undifferenzierte Igelwurmlarve auf ein adultes weibliches Tier,
nimmt dieses die Larve auf.
55 Signale der Weibchen lösen die Entwicklung zu Männchen aus, die im Uterus
der Weibchen leben.

8.9.2  enotypische Geschlechtsbestimmung und


G
Fehlbildungen beim Menschen

Die genotypische Geschlechtsbestimmung


55 beruht auf Gonosomen und darauf lokalisierten Genen,
55 legt mit der Befruchtung das genetische Geschlecht fest,
55 führt in der Regel zu einem Geschlechterverhältnis von ungefähr 1:1.

Pflanzen
Bei Pflanzen findet man nur in wenigen Fällen zwei phänotypisch unterscheidbare
Individuen, wie man es von Tieren oft gewohnt ist. Diese Pflanzen nennt man diö-
zisch oder zweihäusig. Sie bilden männlich und weiblich getrennte Pflanzen mit ver-
schiedenen Blüten aus. Diözie ist unter den Pflanzenfamilien zwar weit verbreitet,
210 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

aber nicht häufig. Nur einige Familien sind ausschließlich zweihäusig, z. B. die
Weidengewächse.
Die meisten Pflanzen (z. B. Mais) sind monözisch oder einhäusig. Sie haben
männliche und weibliche Blüten auf einer Pflanze. Allerdings kann der Anteil
männlicher oder weiblicher Blüten überwiegen. Die Gesamtpflanze ist damit zwar
„zwittrig“, den Ausdruck verwendet man jedoch ebenso wie „getrenntgeschlecht-
lich“ eher für Tiere.

Tiere
Bei Tieren gibt es verschiedene Wege, das Geschlecht festzulegen.
55 Haplodiploidie kommt beispielsweise bei Bienen, Ameisen oder Käfern vor.
Deren Männchen sind in den allermeisten Fällen haploid. Sie entstehen aus un-
befruchteten Eiern oder aus befruchteten, die eine Hälfte des Chromosomen-
satzes wieder verlieren. Weibchen entstehen aus befruchteten Eiern und sind
(bzw. bleiben) diploid.
55 Bei Drosophila legt das Verhältnis von X-Chromosomen zu Autosomen das Ge-
schlecht fest (s. u.).
55 Bei Säugern und Vögeln bestimmen zwei unterschiedliche Gonosomen
8 (Geschlechtschromosomen) das Geschlecht. Sie ergeben verschiedene Game-
ten, was als Heterogametie bezeichnet wird.
55 Bei Säugern besitzen die männlichen Tiere zwei verschiedene Geschlechts-
chromosomen, X und Y (s. u.).
55 Bei Vögeln sind die Weibchen hemizygot mit W- und Z-Chromosom, die Männ-
chen sind mit einem ZZ-Satz homozygot. Dieses System kommt beispielsweise
auch bei Schlangen vor.

Da sich die Geschlechter in Quantität und/oder Qualität der Chromosomen unter-


scheiden, haben sie unterschiedlich viele Genprodukte und müssen ihre Gendosis
ausbalancieren. Diese Dosiskompensation geschieht, indem die Zelle ein X-­
Chromosom transkriptionell stilllegt oder inaktiviert (z. B. bei Säugern) oder
indem sie ein Chromosom hyperaktiviert (z. B. das X-Chromosom bei Drosophila-­
Männchen).

z Drosophila
Auch Drosophila besitzt X- und Y-Chromosomen. Doch das Y-Chromosom spielt
keine Rolle für die Geschlechtsbestimmung. Dafür ist der Geschlechtsindex (I) ent-
scheidend, der das Verhältnis von X-Chromosomen (X) zu Autosomen (A) angibt.
Genauer gesagt bezieht er sich auf Autosomensätze, denn es kommen auch tri- und
tetraploide Tiere vor. Auch die Zahl der X-Geschlechtschromosomen ist variabel,
denn sie verringert oder erhöht sich durch mitotische Non-Disjunction.
55 Ist I = X/A größer als oder gleich 1, entstehen Weibchen.
55 Beispiele: (2X, 2A) oder (2X, 2Y, 2A) oder (3X, 2A).
55 Ist I = X/A = 0,5 oder kleiner, resultieren daraus Männchen.
55 Beispiele: (X, Y, 2A) oder (2X, 4A).
55 Liegt der Wert für I zwischen 0,5 und 1, sind die Tiere Intersexe. Beispiele: (3X,
4A) oder (2X, 3A).
8.9 · Geschlechtsbestimmung und -ausbildung
211 8
Die molekularen Faktoren für die Geschlechtsbestimmung von Drosophila sind die
Genprodukte von „Sexgenen“, die alternativ gespleißt werden.
55 Wenn I = 0,5 oder kleiner ist und damit das Verhältnis auf Seiten der Auto-
somen liegt, so spleißt die Zelle die Prä-mRNA des sxl-Gens (sex lethal) so,
dass ein Stoppcodon resultiert und kein Sxl-Protein entsteht.

Das fehlende Sxl-Protein hat Auswirkungen auf das alternative Spleißen bei den
transformer-Genen (tra).
Letztlich resultiert daraus das DsxM-Protein (doublesex), das weibliche
Differenzierungsgene unterdrückt.
55 Bei einem Verhältnis zugunsten des X-Chromosoms spleißt die Zelle die mRNA
von sxl alternativ und bildet ein Sxl-Protein.

Das vorhandene Sxl-Protein erzeugt andere Spleißprodukte der tra-Gene, und am


Ende der Reaktionsfolge steht ein DsxF-Protein, das männliche Differenzierungs-
gene unterdrückt.
Bei Drosophila wird auch die Augenfarbe geschlechtsgebunden vererbt. Der
Wildtyp von Drosophila trägt rote Augen. Das Merkmal „weiße Augen“ liegt auf
dem X-Chromosom. Kreuzt man homozygote Weibchen mit weißen Augen mit ro-
täugigen Männchen, die ein X- und ein Y-Chromosom besitzen, so kommen rotäu-
gige Weibchen und weißäugige Männchen heraus. Denn die weiblichen Nach-
kommen verfügen jetzt über ein Wildtyp-X-Chromosom, während die hemizygoten
männlichen Nachkommen nur das Merkmal „weiße Augen“ auf dem einen
X-Chromosom geerbt haben – neben dem Y-Chromosom.

Säugetiere
Bei Säugern legen die Gonosomen das genetische Geschlecht fest.
55 Männliche Säugetiere besitzen ein X-Chromosom und ein deutlich kleineres
Y-Chromosom.
55 Weibliche Individuen haben zwei X-Chromosomen.
55 Nach der Lyon-Hypothese von Mary Frances Lyon legen weibliche Zellen ein
X-Chromosom still und gleichen somit die zusätzliche Kopie aus. Dieser epi-
gentische Vorgang wird X-Inaktivierung oder Lyonisierung genannt.
55 Dieses Chromosom ist dann stark kondensiert, transkriptionsinaktiv und im
Lichtmikroskop als Barr-Körperchen erkennbar, in Leukocyten als sogenannte
Drumsticks (. Abb. 8.8a, b).

Ob die Zelle das mütterliche oder väterliche X-Chromosom inaktiviert, ist ein Zu-
fallsergebnis. Unterscheiden sich die Chromosomen durch eine Mutation, dann ist
in manchen Zellen das mutierte Exemplar stillgelegt, in anderen der Wildtyp. Mit
dieser Annahme kann man die fleckige Fellfarbe von Katzen oder Mäusen er-
klären, weil auf einem Chromosom ein Allel für die Fellfarbe mutiert ist. Das weib-
liche Individuum ist folglich ein genetisches Mosaik.
212 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

..      Abb. 8.8 Barr-Körperchen


a
einer Patientin mit XXX (a),
Drumsticks oder Trommel-
schlägel einer Frau mit XX (b).
(Nach Buselmaier und Tariver-
dian 2007)

Tatsächlich ist nicht das komplette Chromosom inaktiv. Die Zelle transkribiert
noch einen Teil der Gene, der benötigt wird. Deswegen unterscheiden sich Frauen
mit dem Ullrich-Turner-Syndrom (45,X0), denen letztlich diese Gene fehlen, von
Frauen mit normalem Genotypen 46,XX.
Da die starke Kondensierung in der nächsten Generation wieder aufgehoben
wird, spricht man von einem fakultativen Heterochromatin im Gegensatz zum
konstitutiven Heterochromatin am Centromer und an den Telomeren.
Die Kontrolle der X-Inaktivierung geht von einer Region aus, die man X-­
chromosome-inactivation-centre (XIC) nennt. Diese Region exprimiert einige
lncRNAs. Die entscheidende Rolle von ihnen übernimmt das XIST-Gen (X
inactive-­specific transcript).
55 Die Zelle stellt eine XIST-RNA her. Da es sich um eine lncRNA handelt, wird
sie nicht translatiert. Sie lagert sich an das X-Chromosom an und umhüllt es
(Xi specific transcript). Die Besonderheit: Die Zelle stellt XIST-RNA auch von
dem zu inaktivierenden X-Chromosom her. Dieses Gen steht somit im Gegen-
satz zu den Genen, die außerhalb von XIC liegen und stillgelegt sind.
55 XIST holt die Proteinkomplexe PRC1 und 2 heran. Diese zwei Komplexe (Po-
lycomb repressive complex 1, 2) enthalten Proteine der Polycomb-Gruppe,
PcG. Die Mitglieder der PcG sind in vielfältigen Zusammenhängen bekannt als
8.9 · Geschlechtsbestimmung und -ausbildung
213 8
Faktoren für die Repression (ursprünglich entdeckt als Faktoren in der Ent-
wicklung von Drosophila). PRC1 und 2 bewirken letztlich umfangreiche Modi-
fikationen an den Histonen, und das Chromosom wird inaktiviert.
55 Auf dem aktiven X-Chromosom wird ein Repressor zu XIST exprimiert: TSIX.
Es ist ebenfalls eine lncRNA. TSIX bildet den Gegenstrang zu XIST und
schützt das Chromosom vor Inaktivierung.

Männliche Spermien des Menschen verhalten sich je nach Typ des Gonosoms im
Zellkern unterschiedlich.
55 Transportieren sie ein X-Chromosom, leben sie länger im weiblichen Genital-
trakt.
55 Transportieren sie ein Y-Chromosom, schwimmen sie jedoch schneller.
Dadurch verschiebt sich das Verhältnis der Geschlechter bei den Geburten
leicht auf die Seite männlicher Nachkommen zu 1,05:1.

Die Gonosomen tragen an den Enden pseudoautosomale Regionen, PAR


(. Abb. 8.9).
55 PAR1 (etwa 2,6 Mb) am Ende des kurzen Arms, PAR2 (etwa 0,32 Mb) am
Ende des langen Arms.
55 Hier ereignen sich Crossing over, in PAR1 obligatorisch, in PAR2 selten.
55 Die PAR sind von der X-Inaktivierung ausgeschlossen.

..      Abb. 8.9 Pseudoautosomale Regionen 1 und 2


der menschlichen Gonosomen. (Nach Buselmaier
und Tariverdian 2007)
PAR 1

p
SRY
p

q
Y

PAR 2

X
214 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

z Das Y-Chromosom
Die Gonosomen sind in der Evolution wohl aus einem gemeinsamen Autosomen-­
Paar hervorgegangen. Das X-Chromosom hat den Großteil der Gene behalten, die
Gendichte ist vergleichbar mit einem Autosom. Das Y-Chromosom hat die meis-
ten Gene verloren. Die verbliebenen Abschnitte, die außerhalb der PAR liegen,
nennt man nicht-rekombinierende oder male-specific Region. Man grenzt drei Ab-
schnitte ab:
1. X-degenerierte Abschnitte enthalten Gene oder Pseudogene, die mit Genen auf
dem X-Chromosom verwandt sind.
2. Das X-transponierte Segment ist durch Transposition von der Bande Xq21 ent-
standen.
3. Ampliconische Abschnitte sind innerhalb des Y-Chromosoms vervielfacht, also
amplifiziert worden. Sie umfassen mehrere Genfamilien mit bis zu 35 Mit-
gliedern.

Die Geschlechtsentwicklung geht vom SRY-Gen aus (sex determining region of Y).
Es liegt auf dem kurzen Arm des Y-Chromosoms außerhalb der PAR.
55 SRY codiert einen Transkriptionsfaktor, den hodenbestimmenden Faktor (testis
8 determining factor, Mensch: TDF, Maus: Tdf), der die Entwicklung von in-
differenten Keimzellen zu Hoden einleitet.

Die Hoden bilden das Androgen Testosteron. Nach Umwandlung in Dihydrotes-


tosteron (DHT) aktiviert DHT den Androgenrezeptor, der die Transkription weite-
rer geschlechtsbestimmender Gene anschaltet.
55 Fehlt das SRY-Gen, entwickeln sich die Gonadenanlagen zu Ovarien.

Das genetische Geschlecht muss nicht übereinstimmen mit dem gonadalen Ge-
schlecht, das durch vorhandene männliche oder weibliche Gonaden bestimmt wird,
oder mit dem hormonalen Geschlecht, das von den Sexualhormonen abhängig ist.

Medizinische Aspekte von Fehlbildungen bei Säugetieren


Verschiedene Abweichungen stören die Geschlechtsentwicklung:
55 Gelangt das SRY-Gen durch fehlerhafte Rekombination auf ein X-­Chromosom,
so entwickelt das Individuum einen männlichen Phänotypen bei weiblichem
Karyotyp (46,XX). Überführt man per Mikroinjektion ein SRY-Genkonstrukt
in Oocyten von Mäusen mit XX-Genotyp, erzeugt man männliche Mäuse.
55 Auf dem langen Arm des Y-Chromosoms liegen auch Gene für die Spermien-
reifung. Mutationen können zur Azoospermie führen. Die Reifung unterbleibt,
und es fehlen Samenzellen im Ejakulat. Die zuständigen Gene sind auf drei Re-
gionen verteilt und werden Azoospermiefaktor a–c (AZFa–c) genannt.
55 Die Azoospermie aufgrund gestörter Spermienreifung heißt nichtobstruktive
Azoospermie.
55 Eine Verstopfung der Samenleiter wäre die Ursache für die obstruktive Azoo-
spermie.
55 Das AR-Gen für den Androgenrezeptor liegt auf dem X-Chromosom. Durch
eine Mutation kann die Funktion teilweise oder vollständig ausfallen.
8.10 · Populationsgenetik
215 8
55 Ein partieller Funktionsverlust ruft verschiedene sexuelle Zwischenstufen her-
vor.
55 Betroffene mit vollständigem Funktionsverlust entwickeln zunächst Hoden und
bilden Testosteron, aber das Gewebe kann darauf nicht reagieren und die Tran-
skription nicht aktivieren. Man spricht von Androgenresistenz, einem Androge-
ninsensitivitätssyndrom oder testikulärer Feminisierung. Die Patienten ent-
wickeln sich anatomisch weiter zur Frau, allerdings mit blind endender Vagina
und ohne Gebärmutter. Die Hoden liegen innen.

Entwickeln sich die Gonaden fehlerhaft mit Störung der Fertilität, so spricht man
allgemein von einer Gonadendysgenesie.
55 Bei der XX-Gonadendysgenesie sind die Ovarien unterentwickelt und fehler-
haft. Sie bilden sogenannte Stranggonaden ohne Follikel und endokrines Ge-
webe. Die XX-Gonadendysgenesie kommt isoliert oder zusammen mit weiteren
Symptomen bei verschiedenen Syndromen vor wie dem Denys-Drash-­Syndrom
durch Mutationen im WT1-Gen. Da die Ursache Mutationen in einzelnen
Genen sein können, erscheint der Karyotyp dann weiblich normal.
55 Auch bei der XY-Gonadendysgenesie spricht man von Stranggonaden. Die
Sertoli-­Zellen des fetalen Hodens, die normalerweise das Anti-Müller-Hormon
(AMH) bilden, fehlen. Durch den Mangel an AMH bleibt der Müller-Gang als
Genitalanlage für Eileiter, Scheide und Gebärmutter bestehen. Es bildet sich
ein weiblicher Phänotyp mit Hypogonadismus aus. Die Ursache können struk-
turelle Aberrationen des Y-Chromosoms sein, aber auch Mutationen in einzel-
nen Genen wie dem SRY-Gen oder dem WT1-Gen, das auch bei XX-­
Gonadendysgenesien betroffen sein kann.

8.10 Populationsgenetik
Die Populationsgenetik befasst sich mit dem Vorkommen von Allelen in einer Popu-
lation sowie deren Häufigkeiten und Veränderungen mit der Zeit.

8.10.1 Der Genpool

Eine Population ist definiert als Gesamtheit aller Individuen einer Gruppe, die sich
fortpflanzen können und eine neue Generation bilden. Alle Gene und Allele, die in
dieser Population vorkommen, bilden den Genpool.
Ein Genpool ist nicht stabil. Mehrere Faktoren haben Einfluss auf seine Zu-
sammensetzung:
55 Genetische Faktoren: Mutation, Rekombination.
55 Evolutionäre Faktoren: Selektion, Migration, Isolation. Ändert sich der Gen-
pool durch Zufallsabweichungen, liegt genetische Drift vor. Das kann sich in
kleinen Populationen auswirken. Ein Sonderfall ist der Gründereffekt (Founder-­
Effekt). Dabei geht die Ausbreitung eines Allels auf den Genotypen eines oder
weniger Individuen während der Stammesgründung oder -etablierung zurück.
216 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

Aus medizinischer Sicht ist dieser Effekt bei der Verbreitung von Erbkrank-
heiten von Bedeutung.
55 Faktoren bei der Partnerwahl: Als Paarungssiebung wird die Auswahl eines be-
stimmten Phänotypen und damit Genotypen als Partner bezeichnet, umgangs-
sprachlich mit „gleich und gleich gesellt sich gern“ zusammengefasst. Beispiels-
weise heiraten Gehörlose oft untereinander.
55 Tatsächliche Abweichungen von der Panmixie. Unter Panmixie oder random
mating versteht man die idealisierte Annahme, dass sich jeder Vertreter des
einen Geschlechts mit gleicher Wahrscheinlichkeit mit jedem Vertreter des an-
deren Geschlechts paaren kann. Inzucht ist ein deutliches Beispiel für eine Ab-
weichung von der Panmixie.
55 Weitere Faktoren sind beispielsweise Infektionskrankheiten, Ernährung und
kulturell-gesellschaftliche Einflüsse.

8.10.2 Frequenzen und das Hardy-Weinberg-Gesetz

Die Häufigkeit von Allelen kann man mithilfe des Hardy-Weinberg-Gesetzes be-
8 rechnen. Dabei geht man von idealisierten Bedingungen aus:
55 Die Paarungen erfolgen zufällig.
55 Die Population ist sehr groß.
55 Zwischen den Populationen erfolgt keine Migration.
55 Es ereignen sich keine Mutationen.
55 Die Allele unterliegen nicht der Selektion.

Der zentrale Begriff ist die Frequenz. Unter Genfrequenz versteht man die Häufig-
keit eines Allels an einem Genlocus in einer Population.
55 Kommt in einer Population nur ein Allel, A, vor, so ist seine Frequenz p(A) = 1,0.
55 Kommt neben A noch das Allel a mit der Frequenz q(a) vor, so ist p(A) +
q(a) = 1,0; oder bezogen auf p gilt: p(A) = 1 − q(a).
55 Man unterscheidet Frequenzen eines Genotyps von den Frequenzen eines Al-
lels.
55 Der Genotyp AA wird mathematisch ausgedrückt als p2, pq steht für Aa und q2
steht für aa.
55 Die Häufigkeit und Verteilung der Genotypen gehorcht dem 1. Binominalsatz
(p + q)2 und es gilt p2 + 2pq + q2 = 1 (. Abb. 8.10).

Rechenbeispiel: Eine autosomal-rezessiv vererbte Krankheit (aa = q2) kommt bei


einem von 40.000 Neugeborenen vor, die Indizidenz beträgt also 1:40.000. Dann ist
q2 = 1/40.000, q = 1/200 = 0,005 und p ≈ 1. Heterozygote (Überträger) kommen
dann mit einer Häufigkeit von 2pq = 0,01 = 1/100 oder 1:100 vor. 2pq ist die Hetero-
zygotenfrequenz.
8.10 · Populationsgenetik
217 8
..      Abb. 8.10 Darstellung des Allelfrequenzen
Hardy-Weinberg-Gesetzes mit q p
p+q=1
entsprechenden Flächengrößen.
(Nach Schaaf und Zschocke
2013) qp Genotypfrequenzen
(p + q)(p + q) = 1
p2 + 2pq + q2 = 1

p p²

q q2 pq
q p

Beispiele für autosomal-rezessive Erkrankungen in Europa mit gerundeten


Werten:
55 Mukoviszidose/Cystische Fibrose: Inzidenz 1:2000, Heterozygotenfrequenz
1:22
55 Sichelzellanämie: Inzidenz 1:10.000, Heterozygotenfrequenz 1:50
55 Phenylketonurie: Inzidenz 1:10.000, Heterozygotenfrequenz 1:50
55 Tay-Sachs-Erkrankung: Inzidenz 1:25.000, Heterozygotenfrequenz 1:80

Solche Angaben beziehen sich immer auf bestimmte Populationen und ändern sich
im Lauf der Evolution.
55 In Gebieten mit Malaria kommt das Sichelzellallel deutlich häufiger vor, weil
der gesunde Konduktor (Aa) einen Evolutionsvorteil, in diesem Fall einen
Heterozygotenvorteil, besitzt:
55 Homozygot Gesunde (AA) sterben eher an Malaria.
55 An Sichelzellanämie Erkrankte (aa) können an dieser Krankheit sterben.
55 In der Tier- und Pflanzenzucht nutzt man einen Heterozygotenvorteil gezielt
aus, wenn heterozygote Nachkommen einen gewinnbringenden Vorteil gegen-
über den homozygoten Eltern zeigen, wenn beispielsweise der Ertrag von Pflan-
zen dadurch höher wird. Man spricht vom Heterosis-Effekt.
55 Die Isolation von Ethnien führt oft zu Blutsverwandtschaft und somit zu einer
höheren Indizidenz für Krankheiten. Unter den Aschkenasim (mittel-, nord-
und osteuropäische Juden) ist beispielsweise die Tay-Sachs-Erkrankung rund
zehnmal so häufig wie in der übrigen Bevölkerung.
55 Bekannt ist die weltweit unterschiedliche Verteilung der Blutgruppen des AB0-­
Systems.
55 Die Lactoseintoleranz erwachsener Menschen ist eine evolutionär ursprüng-
liche Eigenschaft. Sie beträgt in Asien zum Teil mehr als 80 %, in Europa nimmt
sie von Süden nach Norden hin ab und liegt in Dänemark/Schweden bei 2–5 %.
Die Mehrheit in Skandinavien bildet also auch als Erwachsene noch Lactase.
218 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung

55 Entwickelt und durchgesetzt hat sich diese Lactasepersistenz seit der Ein-
führung der Viehmilchwirtschaft und dem Verzehr lactosehaltigen Käses.
55 Genetisch geht sie zurück auf zwei SNPs im MCM6-Gen. Das Genprodukt ist
zwar für die DNA-Replikation wichtig, innerhalb zweier Introns liegen aber re-
gulatorische Elemente für das Lactasegen. Durch die Polymorphismen wirken
sie als Enhancer.
55 Angeborener Lactasemangel, der schon bei Säuglingen eine Intoleranz gegen-
über Lactose bewirkt, ist hingegen eine autosomal-rezessive Erkrankung.
55 Auch die Evolution der Gene für die Isoformen der Speichelamylase geht einher
mit Lebens- und Ernährungsbedingungen des Menschen.

8
219 9

Rekombination
und Variabilität
Inhaltsverzeichnis

9.1 Worum geht es? – 220

9.2 Homologe Rekombination – 220


9.2.1  odelle für die homologe Rekombination – 220
M
9.2.2 Genkonversion – 223
9.2.3 Proteine der Rekombination bei E. coli – 224
9.2.4 Proteine der Rekombination bei Eukaryoten – 227

9.3 Ortsspezifische Rekombination – 230


9.3.1  llgemeines und Bedeutung – 230
A
9.3.2 Der Ablauf im Überblick – 231
9.3.3 Die Rekombinasen – 231

9.4 Illegitime Rekombination – 234


9.4.1  berblick – 234
Ü
9.4.2 DNA-Transposons – 235
9.4.3 Retrotransposons bei Eukaryoten – 238

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_9
220 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

9.1 Worum geht es?

Beim Vorgang der Rekombination entstehen durch Bruch und Wiederverknüpfung


neue DNA-Moleküle. Auf diesem Weg erhöht die Rekombination die genetische
Vielfalt. Somit ist sie von grundlegender Bedeutung für Pro- und Eukaryoten, aber
auch für Viren und Phagen. Sie ist geknüpft an andere Vorgänge wie Meiose, Re-
plikation, Reparatur von Doppelstrangbrüchen, Konjugation oder Infektion
durch Viren oder Phagen. Man unterscheidet drei Mechanismen: homologe, orts-
spezifische und illegitime Rekombination. Alle drei nutzen jeweils charakteristi-
sche Enzyme. Die zufällige neue Zusammenstellung der väterlichen und mütter-
lichen homologen Chromosomen (ohne physischen Austausch) in der Meiose ist
hingegen eine Neukombination.

9.2 Homologe Rekombination

Unter einer homologen Rekombination versteht man den wechselseitigen Bruch


mit Wiederverknüpfung zwischen langen, identischen oder annähernd identischen
DNA-Sequenzen.
Die homologe Rekombination tritt ein,
9 55 um eine Störung als Ursache für eine unterbrochene Replikation zu beheben,
55 um Doppelstrangbrüche zu reparieren,
55 während der Meiose der Eukaryoten und
55 während der Konjugation der Prokaryoten. Beteiligt sind das Chromosom und
ein Plasmid.

Von zentraler Bedeutung ist jeweils ein Protein, das zwischen Bakterien (RecA),
Archaeen (RadA) und Eukaryoten (Rad51) konserviert ist.

9.2.1 Modelle für die homologe Rekombination

Um den Ablauf zu verstehen und zu beschreiben, begann man in den 1960er-­


Jahren Modelle aufzustellen.

Holliday-Modell
Das bekannteste Modell heißt nach seinem Erstbeschreiber Holliday-Modell
(. Abb. 9.1).
55 Zwei homologe DNA-Moleküle liegen zunächst gepaart aneinander.
55 Das Modell setzt voraus, dass in jeweils einem Strang der zwei DNA-Moleküle
ein Bruch vorliegt.
55 Die gebrochenen DNA-Stränge in gleicher Orientierung leiten die Re-
kombination ein, also beispielsweise die zwei Stränge in 5′-3′-Richtung.
55 Sie tauschen ihre Position und werden neu verknüpft, sodass sie sich über-
kreuzen. Die entstehende Struktur nennt man Holliday-Struktur (. Abb. 9.2).
9.2 · Homologe Rekombination
221 9
a X Y

x y
Einzelstrangbrüche in zwei DNA-Molekülen

Gebrochene DNA-Stränge verbinden sich über Kreuz ...

... und bilden eine Holliday-Struktur

Kreuzungsstelle bewegt sich: branch migration

Enzyme lösen die Holliday-Struktur auf und


können zu verschiedenen Ergebnissen führen

Verknüpfung Verknüpfung führt zu


neuer Genkombination
Rekombinationspartner
nimmt nur einen Einzel-
strangabschnitt auf

X Y X y

x y x Y
b

X Y

x y
branch migration
X Y

x y

..      Abb. 9.1 Ablauf der homologen Rekombination (a) mit Veranschaulichung der branch migration (b)
222 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

..      Abb. 9.2 Vereinfachte Darstellung einer Holli-


day-Struktur. Jeder Strang hat noch seinen alten komple-
mentären Gegenstrang, aber auch schon seinen neuen

Entscheidend ist: Die Holliday-Struktur ist stabil, dabei aber dynamisch. Das
heißt, die Überkreuzungsstelle bewegt sich strangauf- oder strangabwärts. Man
spricht von branch migration oder Wanderung der Verzweigungsstelle. Je weiter die
Verzweigungsstelle wandert, desto länger wird der Abschnitt, in dem sich jeweils
zwei „fremde“ Stränge gegenüberliegen. Es entsteht eine Heteroduplex-DNA.
Dreht oder rotiert man die vier miteinander verbundenen DNA-Stränge so,
dass sich die Überkreuzungsstelle aufhebt, ergibt sich aus den vier linearen Strän-
gen die x-förmige Chi-Konformation. Jetzt sind zwei Auflösungen mit verschiedenen
Ergebnissen möglich.
55 Ein Schnitt der innenliegenden Stränge durch das Kreuz mit Neuverknüpfung
9 ergibt, dass die DNA-Moleküle jeweils nur einen kurzen Einzelstrangabschnitt
getauscht haben (linker Weg in . Abb. 9.1).
55 Ein Schnitt der außenliegenden Stränge mit Neuverknüpfung führt zu einem
wechselseitigen Austausch (rechter Weg in . Abb. 9.1).

Kritik am Holliday-Modell, Erweiterung durch Meselson und Radding


Hollidays Voraussetzung der Brüche in den Einzelsträngen gleicher Orientierung
blieb problematisch. Holliday setzte eine Präzision voraus, die man nicht nach-
weisen konnte. Daher überarbeiteten Meselson und Radding das Modell und wan-
delten es ab.
Meselson und Radding gingen von einem Einzelstrangbruch in nur einem DNA-­
Molekül aus.
1. Der Einzelstrang dringt in einem Stranginvasion genannten Prozess buchstäb-
lich in das intakte DNA-Molekül ein und verdrängt sein Pendant.
2. Der verdrängte Strang lagert sich an seinen komplementären Gegenstrang des
anderen DNA-Moleküls, es entstehen eine Überkreuzungsstelle und eine
D-Schleife.
3. Nachfolgend bricht der verdrängte Strang auf der Höhe der Bruchstelle im ers-
ten DNA-Molekül ein, und die Enden werden wieder geschlossen.

Erweiterung durch das Doppelstrangbruchmodell


Auch die Erweiterung durch Meselson und Radding konnte nicht alle Re-
kombinationsphänomene erklären, und man hat das Modell wiederum erweitert.
Das Konzept der Holliday-Struktur und der Stranginvasion hat man beibehalten.
9.2 · Homologe Rekombination
223 9
Das neue Modell geht davon aus, dass die zwei Stränge eines DNA-Moleküls
brechen. Ein entscheidender Unterschied zu den Vorläufermodellen: Der Ausgang
ist nicht immer gleich, es treten Variationen auf.
Ablauf der homologen Rekombination im Doppelstrangbruchmodell:
1. Nach dem Bruch oder den Schnitten in den zwei Strängen der DNA bauen Nu-
cleasen die 5′-Enden so ab, dass jeweils ein 3′-Überhang verbleibt (DNA-­
Resection). Schutzproteine umgeben die überhängenden Enden, um ihren
Abbau zu verhindern und Sekundärstrukturen aufzulösen.
2. Das Ende eines Einzelstrangs sucht ein homologes DNA-­Molekül (homology
search), dringt in das intakte DNA-Molekül ein, verdrängt den Strang gleicher
Orientierung (Stranginvasion) und lagert sich an den komplementären Strang
an. Dadurch bildet sich an dieser Stelle ein D-Loop.
3. Das freie Ende dient als Primer für DNA-Polymerase, die diesen Strang anhand
der komplementären Vorlage verlängert und den anderen weiter verdrängt.
4. Ab diesem Punkt sind unterschiedliche Wege möglich (a oder b). Je nachdem, ob
der verdrängte Strang des D-Loops allein bleibt oder selber eine Stranginvasion
vornimmt und sich seinem komplementären, gebrochenen Gegenstrang anlagert.
4a. Der verdrängte Strang aus dem D-Loop verdrängt selbst einen DNA-Strang,
indem er sich seinem komplementären Gegenstrang anlagert. Damit liegt auch
in dem homologen DNA-Molekül die Situation vor, dass die Polymerase das
zweite freie Ende des Einzelstrangs verlängert und die Lücken schließt.
4b. Die Stranginvasion des verdrängten D-Loops unterbleibt. Die Polymerase ver-
längert nur einen DNA-Strang.
5a. Die Ligase versiegelt schließlich die Enden über Kreuz und erzeugt eine zweite
Holliday-Struktur. Die Auflösung dieser Struktur ist auf mehreren Wegen mög-
lich: Abhängig davon, welche DNA-Stränge geschnitten werden, resultiert dar-
aus ein Crossing over oder nicht.
5b. Dieser kehrt anschließend zurück in sein ursprüngliches DNA-Molekül
(synthesis-dependent strand annealing, SDSA). Aus dieser Variante resultiert
kein Crossing over.

Die Vorteile des Doppelstrangbruchmodells:


55 Es zeigt die Verknüpfung der Rekombination mit der DNA-Reparatur.
55 Es kann die Genkonversion erklären, wenn sich kein Crossing over ereignet.

9.2.2 Genkonversion

Genkonversion (. Abb. 9.3) ist die Übertragung der Information von einem Allel
auf das entsprechende Allel des homologen DNA-Moleküls. Dabei wird das Allel
im DNA-Molekül mit dem Doppelstrangbruch zu dem anderen Allel umgewandelt,
wenn die abgebauten Einzelstränge nach der Vorlage der komplementären Gegen-
stränge verlängert werden.
224 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

Heteroduplex-DNA Genkonversion
(mit Mismatch-Nucleotidpaaren) (Mismatch-Reparatur) Genotyp
T C
+ +
A G

x + G C
x +
G C C G
A T T A
+ y + y
A T
G A
x y
C T

..      Abb. 9.3 Heteroduplex-DNA, als Folge der Reparatur kommt es zur Genkonversion (+ steht für
Wildtyp, x, y für andere Allele)

Eine Genkonversion findet oft beispielsweise bei Hefen und Schimmelpilzen


statt. Sie ist leicht zu erkennen, wenn Varianten der Allele aus den meiotischen Tei-
lungen nicht im Verhältnis 1:1 hervorgehen.

9 9.2.3 Proteine der Rekombination bei E. coli

Die beteiligten Proteine fallen in zwei Gruppen:


55 Die Rec-Proteine führen die ersten Schritte aus: DNA-Schnitt und Strang-
invasion.
55 Die Ruv-Proteine übernehmen die späteren Aufgaben wie die Auflösung der
Holliday-Struktur.

Dieser Abschnitt stellt nur die wichtigsten und die rekombinationstypischen Pro-
teine vor. Proteine wie die SSB, Topoisomerasen oder Ligasen wirken bereits an der
Replikation mit (s. 7 Abschn. 3.2.2) und werden daher hier nicht mehr detailliert
vorgestellt.

Rec-Proteine (. Abb. 9.4)


Die Rec-Proteine tragen ihren Namen nach den ersten identifizierten Mutanten
recA, recB usw., die keine Rekombination ausführen konnten. Erst später ordnete
man den Genorten die Proteine zu und nannte sie RecA(-Protein) etc.
55 RecBCD-Komplex: Der Komplex setzt sich zusammen aus den drei Unterein-
heiten RecB, RecC und RecD. Er ist ebenfalls an der Replikation beteiligt.
Wenn die Replikatiosgabel stoppt, dann löst der Komplex die Blockade. Er
übernimmt mehrere Funktionen:
–– Er erkennt das acht Basenpaar lange Chi-Motiv, wo bevorzugt die Re-
kombination stattfindet. Das Chi-Motiv ist somit ein Hotspot der Rekombination.
–– RecB ist eine Helikase von 3′ nach 5′. RecD führt die Helikasefunktion von
5′ nach 3′ aus.
–– RecB arbeitet zudem als Nuclease. Der Komplex stellt die einzelsträngige
DNA bereit.
9.2 · Homologe Rekombination
225 9
..      Abb. 9.4 Die Funktionen Chi-Sequenz RecBCD
der Rec-Proteine 1

ATP
ADP + Pi
2 3'
5'
ATP
ADP + Pi
3 3'
5'
ATP Beladung
ADP + Pi mit RecA
4 3'
5'
ATP
ADP + Pi
5 3'
5'

RecA-Filament
6

–– RecC hält den Komplex zusammen und ist für die spezifische DNA-Bindung
wichtig. Der Komplex führt schließlich RecA an einzelsträngige DNA heran.
–– Da sich der RecBCD-Komplex auf der DNA bewegt, stellt er ein Motor-
protein dar.
55 RecA: Das RecA-Protein gilt als das zentrale Protein. Es ist ein evolutionär altes
Protein, Homologe kennt man von Archaeen (RadA) und von Eukaryoten (Hefe:
Rad51, Mensch: RAD51). Es leitet außerdem die SOS-Reparatur ein. RecA tritt
als Multimer auf und bindet ATP. Seine Funktionen lassen sich umreißen:
–– Das Protein bindet sich mit Unterstützung des RecBCD-Komplexes an ein-
zelsträngige DNA.
–– Dabei lagern sich mehrere RecA-Moleküle an den Einzelstrang und bilden
ein RecA-DNA-Filament.
–– Das RecA-DNA-Filament sucht nach homologen Sequenzen. Als eine Art
Brückenkopf leitet es die Stranginvasion ein.
–– RecA tauscht also den intakten DNA-Strang gegen den geschnittenen
Einzelstrang gleicher Orientierung aus, lässt diesen mit seinem Gegenstrang
eine Doppelhelix bilden und richtet die Holliday-Struktur ein.

Ruv-Proteine
Die Ruv-Proteine identifizierte man in den ruv-Mutanten, die empfindlicher gegen-
über UV-Strahlung sind. So steht ruv für resistent gegenüber UV-Strahlung. Daran
zeigt sich wiederum die Verquickung von Rekombination und Reparatur von
UV-Schäden.
226 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

a b
Bindung an die Überkreuzung 5' 3'
3' 5'

3' 5'
5' 3'

RuvA-Protein 5' 3'


3' 5'
bindet sich an
Holliday-Struktur 3' 5'
5' 3'

branch migration

Oben
5' 3'
3' 5'
Links Rechts
3' 5'
5' 3'
Unten

9 RuvB-Protein formt
eine Ringstruktur
und dreht die DNAs

Proteine RuvA
und RuvB lösen Links/Rechts oder Oben/Unten
sich vermutlich ab
Auflösung
5' 3'
3' 5'

3' 5'
5' 3'
Heteroduplex

5' 3'
RuvC-Protein schneidet 3' 5'
zwei Einzelstränge und löst
die Holliday-Struktur auf 3' 5'
5' 3'
Heteroduplex + rekombinant

..      Abb. 9.5 Funktion der Ruv-Proteine und Auflösung der Holliday-Struktur

Die Ruv-Proteine sind zuständig für die Wanderung der Verzweigungsstelle und
für die Auflösung der Holliday-Struktur (. Abb. 9.5).
55 RuvA erkennt die Holliday-Struktur und bindet sich daran.
55 RuvB formt aus seinen Untereinheiten einen Ring, der sich um die DNA legt. Es
ist eine Helikase, die die Verzweigungsstelle wandern lässt (branch migration).
55 RuvC ist eine Endonuclease und löst die Holliday-Struktur auf. RuvA und
RuvB haben sich von der DNA gelöst.
9.2 · Homologe Rekombination
227 9
Rec-Proteine führen auch die Rekombination aus, die im Zuge einer DNA-­
Reparatur notwendig sein kann (siehe 7 Abschn. 11.7.6 und 7 11.7.7).
Bei E. coli rekombiniert DNA nicht nur über die genannten Proteine. Ein ande-
res System arbeitet mit anderen Helikasen, Nucleasen und weiteren Proteinen.

9.2.4 Proteine der Rekombination bei Eukaryoten


Allgemeines
Die eukaryotische Rekombination hat man vor allem bei Saccharomyces cerevisiae
untersucht. Für Eukaryoten ist die Rekombination wichtig (1) als Vorgang in der
Meiose, (2) als Teil von Reparaturvorgängen, (3) für spezielle Vorgänge in Organis-
men oder Zellen:
55 Sie leitet während der Meiose ein Crossing over ein und führt zu neuen Allel-
kombinationen.
55 Während der Mitose tritt die Rekombinationsreparatur oder mitotische Re-
kombination auf. Sie ist deutlich seltener als die meiotische Rekombination und
führt selten zu Crossing over.
55 Sie behebt eventuelle Blockaden der Replikationsgabel.
55 Sie hat spezielle Funktionen für bestimmte Gensysteme (z. B.: Paarungstyp-
wechsel bei Hefe (führt zur Genkonversion), Reifung der Antikörper).

Der Einstieg in die meiotische Rekombination ist naturgemäß auf Eukaryoten be-
schränkt, die Kernschritte (Strangbruch, Strangabbau, Stranginvasion, Über-
kreuzung) sind mit denen bei Prokaryoten vergleichbar.
Um die Holliday-Strukturen aufzulösen, sind wieder die verschiedenen Varian-
ten möglich:
55 Nach der Stranginvasion lagert sich der verdrängte Einzelstrang an sein kom-
plementäres Gegenstück an. Beide Einzelstränge finden also ihr komplementä-
res Gegenstück und an beiden Strängen nutzt die Polymerase diese als Matrize,
um die zwei Einzelstränge zu verlängern. Dieser Weg kann zum Crossing over
führen.
55 Nach der Stranginvasion lagert sich der verdrängte Einzelstrang nicht an sein
komplementäres Gegenstück an. Nur der invasive Einzelstrang findet seinen
komplementären Gegenstrang, der als Matrize dient. Die Polymerase ver-
längert nur hier den Einzelstrang. Es kommt nicht zum Crossing over.

In evolutionärer Hinsicht ist die Rekombination in der Meiose eine junge Weiter-
entwicklung des Phänomens und ein Sonderfall. Sie kommt nur in Keimzellen der
Eukaryoten vor, erzeugt regelmäßig Crossing over und beginnt mit einem be-
sonderen Protein, SPO11.
228 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

SPO11
Das SPO11 (bei der Sporulation von Hefe identifiziert) ist verwandt mit einer
Topoisomerase vom Typ II, der Topoisomerase VIa. Es leitet die Rekombination
während der Meiose ein, denn es erzeugt die Doppelstrangbrüche in einem DNA-­
Molekül. Anschließend heftet es sich an die freien Enden. Für andere Re-
kombinationen ist SPO11 nicht nötig. In diesen Fällen bewirken äußere Einflüsse
oder Topoisomerasen die Strangbrüche. Da SPO11 auf die Meiose beschränkt ist,
kennt man auch kein bakterielles Gegenstück.
Nicht alle untersuchten Eukaryoten leiten die Rekombination mit Hilfe von
Doppelstrangbrüchen ein. Beispielsweise schreitet der Prozess in C. elegans von
den Telomeren aus voran. Auch weibliche Taufliegen bilden eine Ausnahme.

MRX/N-Komplex
Der MRX-Komplex der Hefe umfasst mehrere Proteine, deren Anfangsbuch-
staben zu der Abkürzung führten: MRE11, RAD50, XRS2. Beim Menschen
spricht man vom MRN-Komplex, weil der dritte Baustein NBS1 (Nibrin) heißt.
Der Komplex übernimmt mehrere Aufgaben in verschiedenen Zusammenhängen.
Für die Rekombination: Hier ist die Nucleaseaktivität, zusammen mit weiteren
Enzymen, wohl die wichtigste, also der Abbau der DNA-Enden. Wie bei E. coli
bauen Nucleasen die zwei 5′-Enden der Bruchstelle ab (Resection) und produzieren
9 auf beiden Seiten überhängende 3′-Enden.
Für die Reparatur nach einem Doppelstrangbruch: Der Komplex bearbeitet die
DNA-Stränge, bevor die homologe Reparatur oder die NHEJ-Reparatur (siehe
7 Abschn. 11.7.6) einsetzen.
Mutationen in dem Gen NBS1 verursachen im Menschen das Nijmegen-­
Breakage-­Syndrom. Die Betroffenen leiden an körperlichen und geistigen Entwi-
cklungs- sowie Wachstumsstörungen, Immundefekten und einer erhöhten An-
fälligkeit für bestimmte Krebsformen.

RAD-Proteine
Die Bezeichnung RAD leitet sich von radiation (Strahlung) ab, weil die Mutanten
strahlungsempfindlich sind. RAD51 und DMC1 sind eukaryotische Homologe zu
RecA bei E. coli, DMC steht für disrupted meiotic cDNA. DMC1 und RAD-­
Proteine sind wie SPO11 Meiose-spezifisch. Ihre Funktionen:
55 Mediatorproteine wie RAD52 oder BRCA2 binden sich an DNA und Proteine
und stimulieren RAD51.
55 RAD51-Proteine heften sich unter der Mithilfe der Mediatorproteine an die 3′-
Enden. Sie bilden Protein-DNA-Filamente, suchen nach dem homologen
Gegenstrang (homology search) und führen die Überhänge in das intakte DNA-­
Molekül ein. Inwieweit RAD51 und DMC1 zusammenarbeiten oder sich die
Arbeit aufteilen, ist noch ungeklärt.
55 RAD54-Proteine stabilisieren die Übergangszustände. Die RAD-Proteine
rufen die Holliday-Struktur und das Crossing over hervor.
55 RAD51C löst zusammen mit XRCC3 (X-ray repair cross-complementing p­ rotein
3) die Holliday-Struktur auf.
9.2 · Homologe Rekombination
229 9
DNA -Polymerase β
Die DNA-Polymerase β verlängert die abgebauten Stränge anhand der DNA-­
Stränge des intakten Moleküls. Es entstehen die Heteroduplex-DNA und die
D-Schleife. Eine Ligase verbindet die offenen Enden.

MLH1 und MSH4


MLH1 und MSH4 reparieren Fehlpaarungen im Heteroduplexbereich. Dabei ist
eine Genkonversion möglich.

Verschiedene Möglichkeiten der Auflösung


Die Auflösung der Holliday-Strukturen mit oder ohne Crossing over:
55 Das erwähnte Doppel RAD51C-XRCC3 geht den „erwarteten“ Weg mit Cros-
sing over.
55 Die Helikase SRS2 (suppressor of RAD six screen mutant 2) vermittelt eine
Nebenvariante ohne Crossing over. Sie entfernt RAD51 von den Einzelstrang-
enden und verhindert eine zweifache Holliday-Struktur.

 eiteres Beispiel für die homologe Rekombination:


W
Paarungstypwechsel in S. cerevisiae
55 Der Paarungstypwechsel ermöglicht die besondere Lebensweise der Bäcker-
hefe, vom haploiden in den diploiden Zustand überzugehen. Damit die haploi-
den Zellen zu diploiden fusionieren können, müssen die Zellen als zwei ver-
schiedene Typen, zwei „Geschlechter“, vorliegen. Dazu muss u. U. eine der ha-
ploiden Zellen ihren Typus wechseln. Dieser Wechsel basiert auf einer
homologen Rekombination.
55 Die zwei Paarungstypen bezeichnet man als MATa und MATα. MAT steht für
mating type. Die Paarungstypen setzen unterschiedliche Lockstoffe frei, die
sich an Rezeptoren des jeweils anderen Typs anlagern und die Fusion einleiten.
Liegen nur Zellen eines Paarungstyps vor, muss mindestens eine Zelle den
Paarungstyp wechseln oder switchen. Dies geschieht spontan.
55 Beteiligt sind an dem Vorgang drei Genabschnitte und eine Endonuclease: (1)
der Paarungstyp-Locus MAT auf einem Chromosom, er erscheint entweder als
MATa oder MATα, weil er eine aktive Gen-­Kassette enthält, entweder HMLα
oder HMRa. Die zwei Sequenzen HMLα/HMRa sind homolog zueinander. (2)
Eine auf dem Chromosom links von der aktiven Kassette liegende stillgelegte
Gen-Kassette mit HMLα, (3) eine rechts davon liegende stillgelegte Gen-­
Kassette mit HMRa. Die stillgelegten Kassetten dienen als dauerhaftes Reser-
voir, auf das die Zelle für den Wechsel zurückgreift. (4) Die Zelle besitzt ein
HO-Allel.
55 HO codiert die Endonuclease. Sie verursacht einen Doppelstrangbruch in einer
Erkennungssequenz am MAT-Locus.
230 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

55 Nach dem Schnitt in der DNA am MAT-Locus lagert sich die gegensätzliche
stillgelegte Kassette an. Sie fungiert im Folgenden als Donor-DNA. Befindet
sich in dem Locus die Gen-Sequenz von HMLα, lagert sich HMRa an und um-
gekehrt. Die Sequenz im MAT-Locus wird abgebaut und neu aufgebaut an-
hand der Vorlage der Donor-DNA. Die Zelle setzt dafür Rekombinations-­
Proteine ein. Es kommt zur Genkonversion und somit zum anderen Paarungs-
typ: HMLα wird abgebaut und ersetzt durch HMRa und umgekehrt.
55 Im aktiven MAT-Locus ist nun HMRa vorhanden. HMLα und HMRa bleiben
jeweils beide als Reserve für die Donor-Funktion in den stillgelegten Kassetten
zurück. Es findet immer nur ein Austausch im MAT-Locus durch homologe Re-
kombination statt.
55 Einen vergleichbaren Mechanismus nutzt Trypanosoma brucei, der Erreger der
Schlafkrankheit, um dem Immunsystem zu entgehen. Auch Trypanosomen
switchen zwischen Oberflächenproteinen hin und her. Sie besitzen ein Revervoir
aus zahlreichen, stillgelegten Genen für verschiedene Glykoproteine in der
Plasmamembran (variable surface glycoproteins, VSG). Eines von ihnen re-
kombiniert in den aktiven Locus hinein und wird von diesem aus transkribiert.
Bevor es dem Immunsystem des Wirts gelingt, alle Trypanosomen zu neutrali-
sieren, kommt es zum Gen-Wechsel. Ein anderes VSG-Gen gelangt in den akti-
ven Locus, auf der Oberfläche erscheint ein neues Glykoprotein und der Kampf
9 des Immunsystems beginnt von Neuem.

9.3 Ortsspezifische Rekombination

9.3.1 Allgemeines und Bedeutung

Die ortsspezifische Rekombination ist beschränkt auf spezifische, gleiche DNA-­


Motive, die recht kurz sind (20–250 bp). Sie müssen nicht identisch sein. Diese kur-
zen DNA-Motive dienen als Rekombinationsstellen, zwischen denen der Prozess
abläuft. Anders als bei der homologen Rekombination unterscheiden sich die
davor und dahinter liegenden DNA-Sequenzen voneinander.
Die wesentlichen Enzyme für die ortsspezifische Rekombination sind Rekombi-
nasen. Sie erkennen die Motive, schneiden die DNA und verknüpfen sie kreuz-
weise.
Diese Art der Rekombination kommt nur bei Prokaryoten und Hefen vor. Die
ortsspezifische Rekombination ist von Bedeutung für:
55 den Infektionszyklus von Phagen; hier übernimmt sie die Integration und Ex-
zision der Phagen-DNA in das Chromosom;
55 die Genexpression über Phasenvariation;
55 die Auflösung der Chromosomendimere nach der Replikation.
9.3 · Ortsspezifische Rekombination
231 9
9.3.2 Der Ablauf im Überblick

Der Ablauf der Rekombination hängt von der Orientierung der Rekombinations-
motive und ihrer Lokalisation ab:
55 Die Motive können auf nur einem oder auf beiden DNA-Molekülen liegen.
55 Wenn sich die Motive auf nur einem DNA-Molekül befinden, gibt es zwei wei-
tere Möglichkeiten:
–– Sie können antiparallel orientiert sein (Kopf an Schwanz).
–– Sie können parallel ausgerichtet sein (Kopf an Kopf).

Die Rekombinasen führen in den zwei Motiven jeweils einen Doppelstrangbruch


ein und verknüpfen die Teilstücke neu über Kreuz.

Integration von einem DNA-Molekül in ein anderes


Dies ist der Weg, wie sich Phagen-DNA in das bakterielle Chromosom integriert.
Ein Rekombinationsmotiv liegt auf dem Chromosom, das zweite bringt der Phage
mit.
Durch den Bruch und die Neuverknüpfung über Kreuz wird die kleinere
Phagen-­DNA in das Chromosom eingebaut.

 xzision oder Deletion von einem DNA-Bereich aus einem DNA-


E
Molekül
Hierfür liegen die Motive Kopf an Schwanz im Chromosom und flankieren einen
Abschnitt, der entfernt wird. Handelt es sich dabei um den Prophagen, so spricht
man von Exzision, also die Umkehrung der Integration.
Durch den Bruch und die Neuverknüpfung über Kreuz wird der Abschnitt zwi-
schen den Rekombinationsmotiven aus dem DNA-Molekül herausgeschnitten.
Das Resultat entspricht einer Deletion.

Inversion
Die zwei Motive liegen Kopf an Kopf in einem DNA-Molekül und flankieren einen
Bereich, der herausgeschnitten und umgekehrt wieder eingebaut wird.
Inversionen kommen bei Phasenvariationen vor, wie sie beispielsweise in der
Genexpression von Flagellengenen bei Salmonellen auftreten (s. u.).

9.3.3 Die Rekombinasen

Diese Enzyme werden nach der Aminosäure im aktiven Zentrum in zwei Familien
eingeteilt:
55 Tyrosin-Rekombinasen und
55 Serin-Rekombinasen.

Die Tyrosinfamilie ist umfangreicher. Die beiden Familien sind nicht homolog zu-
einander.
232 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

Tyrosin-Rekombinasen
An der Reaktion arbeiten vier Enzymmoleküle als Tetramer. Es sind jedoch immer
nur zwei aktiv. Der Ablauf ihrer Aktivität:
1. Die ersten zwei aktiven Untereinheiten führen in den zwei Rekombinations-
stellen jeweils einen Einzelstrangbruch ein.
2. Kurzzeitig sind die 3′-Enden mit den Tyrosinresten kovalent ­verbunden.
3. Dann führen die Untereinheiten die freien 5′-Enden jeweils an den anderen
Strang heran, verknüpfen die DNAs über Kreuz und erzeugen dadurch eine
Holliday-Struktur.
4. Anschließend werden diese Untereinheiten inaktiv.
5. Die bisher ruhenden Untereinheiten schneiden nun die anderen zwei DNA-
Stränge und verknüpfen auch diese über Kreuz, sodass sie auch die Holli-
day-Struktur wieder auflösen.

z Tyr-Rekombinasen, Beispiel 1: Integration und Exzision des Phagen λ


Der E.-coli-Phage λ kann zwei verschiedene Infektionszyklen durchlaufen.
55 Der lytische Weg mündet in die Vermehrung von Phagen.
55 Der lysogene Weg führt zur Integration der Phagen-DNA in das bakterielle
Genom. Dieser Prophage vermehrt sich mit dem Bakterium und kann später
seine DNA wieder herausschneiden und den lytischen Weg einschlagen.
9
Die Integration und die Exzision der Phagen-DNA auf dem lysogenen Weg ver-
laufen über eine ortsspezifische Rekombination.
Die Rekombinase von λ heißt Integrase. Integrasen arbeiten nach einem
Mechanismus, der verwandt ist mit dem von Topoisomerasen Typ I (Einzelstrang-
schnitt, Schritt 1 oben). Im Gegensatz zu Topoisomerasen verbinden Integrasen
nach diesem Schnitt aber die Enden von verschiedenen DNA-Molekülen.
Das Charakteristische des Mechanismus:
55 Das attP-Motiv befindet sich als Rekombinationsstelle im λ-Genom, die andere
Rekombinationsstelle liegt als attB im Chromosom. Die Motive sind nicht
identisch. Das attP-Motiv ist komplexer.
55 Durch die Integration entstehen daher zwei verschiedene Stellen: attL und attR.
55 Die Integrase benötigt für die Rekombination weitere Proteine: für die Integra-
tion das bakterielle IHF (integration host factor), für die Exzision IHF und das
Phagenprotein Xis (excision).
55 Durch diese Asymmetrie (IHF oder IHF + Xis) reguliert λ, ob es zur Integra-
tion oder Exzision kommt.

z Tyr-Rekombinasen, Beispiel 2: Das Cre-loxP-System (. Abb. 9.6)


Auch der Phage P1 benötigt in seinem Lebenszyklus eine Rekombinase, die
Cre-Rekombinase (causes recombination). Sie ist wichtig für
55 die Auflösung dimerer Chromosomen,
55 die Ringbildung linearer Phagenchromosomen.
9.3 · Ortsspezifische Rekombination
233 9
..      Abb. 9.6 Insertion und Exzision
über das Cre-loxP-System

Exzision

Insertion

Die Rekombinationsstelle ist 34 bp lang und wird loxP abgekürzt (locus of crossing
over of P1 phage). Sie ist dreiteilig aufgebaut: in der Mitte die nicht symmetrische
Crossing-over-Region, links und rechts flankiert und in entgegengesetzter Orientie-
rung die Bindestellen für die Cre-Rekombinase.
Das System ist recht simpel. Daher nutzt man es als gentechnologisches Werk-
zeug, auch wenn es allmählich durch modernere Methoden abgelöst wird.

z Tyr-Rekombinasen, Beispiel 3: Die Auflösung von Chromosomendimeren


Ein Crossing over in der Replikation mündet in ein Chromosomendimer. Für die
korrekte Aufteilung der zusammenhängenden Chromosomen auf die Tochter-
zellen muss das Dimer in zwei Monomere geteilt werden. Der entsprechende Pro-
zess ist eine ortsspezifische Rekombination, die irreversibel sein muss.
Im Gegensatz zu den beiden Beispielen zuvor arbeitet die Rekombinase als
Tetramer aus den beiden unterschiedlichen Proteinen XerC und XerD. Das Re-
kombinationsmotiv dif liegt in der Nähe des Terminus der DNA, der Terminus
wiederum in der Nähe des Septums. XerC heftet sich an zwei dif-Sequenzen und
bildet zwischen ihnen eine Holliday-Struktur aus.
XerC und XerD lösen die Holliday-Struktur noch nicht auf, dazu ist ein
Regulatorprotein notwendig, das integrale Membranprotein FtsK, das die Zelle in
das Septum einbaut. Wenn die Zelle die Chromosomen nicht aufteilen kann,
kommt der Komplex dadurch in die Nähe von FtsK. Das Protein aktiviert XerD,
erst dann vollendet XerD die Rekombination und überführt das Dimer wieder in
zwei Monomere.

Serin-Rekombinasen
Auch die Serin-Rekombinasen treten als Tetramer auf, allerdings sind alle vier
Untereinheiten gleichzeitig aktiv, und jede Untereinheit spaltet einen Strang. Die
Serin-Rekombinasen haben spezielle Eigenschaften:
55 Sie führen zwei Doppelstrangbrüche ein.
55 Die Schnittstellen sind dabei um zwei Nucleotide versetzt.
55 Das 5′-Ende ist mit dem Serin des aktiven Zentrums verbunden, und das 3′-
Ende ist frei.
55 Die Untereinheiten brechen und verknüpfen die DNA-Stränge in koordinierter
Aktion.

z Ser-Rekombinasen, Beispiel: Phasenvariation bei Salmonella


Unter der Phasenvariation bei Salmonella enterica versteht man eine variable Gen-
expression mittels Inversion eines DNA-Elements.
234 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

Pathogene Salmonellen tragen Flagellen, die aus einem der beiden möglichen
Flagelline H1 und H2 aufgebaut sein können. Exprimiert wird stets nur eine der
Varianten. Um der Antikörperabwehr des Wirts zu entgehen, wechseln die Bakte-
rien gelegentlich durch Inversion des entscheidenden DNA-Abschnitts das aktive
Gen.
Der entscheidende DNA-Bereich, den die Rekombination umdreht oder in-
vertiert, liegt zwischen den Rekombinationsstellen inv1 und inv2. Er enthält:
55 das hin-Gen für die Hin-Rekombinase,
55 einen Promotor für die Transkription von Genen außerhalb des Abschnitts und
55 eine Bindungsstelle für das bakterielle Protein Fis (factor for inversion stimula-
tion).

Außerhalb des Bereichs liegen auf der einen Seite das Gen für das Flagellin H2 und
für einen Repressor, auf der anderen Seite das Gen für das Flagellin H1.
55 In dem einen Zustand sorgt der Promotor für die Expression des Gens für H2
und für den Repressor. Dieser unterdrückt die Transkription des Gens für H1.
55 Dreht die Rekombinase das Element um, so führt der Promotor zur Expression
des Gens für H1.

Damit die Rekombinase aktiv ist, muss sie mit Fis-Proteinen wechselwirken. Die
9 Zelle reguliert jedoch nicht die Rekombination. Es gibt also kein äußeres Signal
dafür, wann die Expression umschlägt.

9.4 Illegitime Rekombination

9.4.1 Überblick

Die illegitime Rekombination ist sequenzunabhängig. Sie geht einher mit der Trans-
position und Retrotransposition. Darunter versteht man Ortswechsel von geneti-
schen Elementen innerhalb des Genoms. Umgangssprachlich wird dieser Orts-
wechsel auch als „Springen“ bezeichnet. Die Vorgänge sorgen für genetische
Plastizität (ein Vorteil), aber auch für Instabilität (ein Nachteil).
Bei der illegitimen Rekombination bewegen sich DNA-Elemente von ihrem Ur-
sprungsort zufällig an einen anderen Ort im Genom, daher die Einstufung als ille-
gitim.
Der Anteil beweglicher DNA-Elemente im Genom kann sehr hoch sein. In
Bakterien ist er eher gering, aber im menschlichen Genom beträgt er beispielsweise
um die 40 %. Es sind jedoch nicht mehr alle beweglichen Elemente aktiv. In Pflan-
zen liegt ihr Anteil bei 80 %.
Die Häufigkeit der illegitimen Rekombination wird durch Regulation durch
das Element selbst oder von der Zelle herunterreguliert. Ausführende Moleküle
sind dabei Proteine oder regulatorische RNA-Moleküle.
9.4 · Illegitime Rekombination
235 9
Springt ein bewegliches Element in ein Gen, zerstört es dieses in der Regel.
Somit erzeugen bewegliche Elemente Mutationen und verursachen beim Menschen
Krankheiten. Man nimmt an, dass sie für eine hohe Zahl an Mutationen ver-
antwortlich sind.
Wertfrei gesehen sind sie bedeutsam für die Evolution, beispielsweise für die Du-
plikation von Genen oder von Exons beim exon shuffling. Beim exon shuffling wer-
den Exons durch Transposition, Retroposition oder Crossing over neu zusammen-
gestellt.
Es gibt zwei Klassen von beweglichen DNA-Elementen, die eine illegitime Re-
kombination durchführen:
55 Zu den Klasse-II-Transposons zählen Insertionselemente und DNA-­
Transposons. Sie erscheinen nur als DNA. Die entscheidenden Enzyme für den
Vorgang heißen Transposasen. Sie schneiden einen oder zwei DNA-Stränge am
Ursprungsort, von dem aus das Element springt. Wird nur ein DNA-Strang ge-
schnitten, bleibt dort eine Kopie zurück. Klasse-II-Transposons kommen in
Pro- und Eukaryoten vor.
55 Die Klasse-I-Transposons umfasst die Retrotransposons. Es wird keine DNA
am Ursprungsort, von dem aus das Element springt, geschnitten. Das ist mög-
lich, weil die Zelle erst eine RNA als Zwischenstufe anfertigt, die dann in DNA
umgeschrieben wird. Für diesen zweiten Schritt benötigen ­Retrotransposons
eine eigene oder fremde Reverse Transkriptase. Eine Kopie des Elements bleibt
am Ursprungsort zurück. Klasse-I-Transposons sind hauptsächlich auf Euka-
ryoten beschränkt.

9.4.2 DNA-Transposons
Bewegliche DNA-Elemente bei Bakterien
Die beweglichen DNA-Elemente bei Bakterien unterscheiden sich in Größe und
Komplexität voneinander.
55 Insertionselemente sind klein und einfach aufgebaut.
55 Transposons sind größer und komplexer.

Insertionselemente
Die Insertionselemente (IS) sind recht klein. E. coli enthält verschiedene IS mit
mehreren Kopien. Die Größe liegt etwa zwischen 800 und 2000 bp. Ihr Aufbau ist
einfach:
55 An den Enden sitzen ähnliche, aber nicht identische Wiederholungssequenzen
umgekehrter Orientierung (Inverted Repeats, IR) von etwa 15–41 bp.
55 Die IR flankieren mindestens einen offenen Leserahmen mit der Information
für die Transposasen. Diese Proteine nehmen das Springen oder die Trans-
position vor.
236 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

Die IS schneiden die Integrationsstelle als Zielsequenz so, dass versetzte Enden aus
kurzen Einzelstrangüberhängen entstehen. Sie setzen sich dann in die Lücke und
füllen die kurzen Einzelstrangabschnitte auf. Sie verdoppeln also die Intergrations-
stelle, indem sie angrenzend an die IR kurze direkte Wiederholungen erzeugen, die
Direct Repeats.

Transposons
Transposons (Tn) sind größer als die Insertionselemente und komplexer, denn sie
enthalten neben den Genen für die Transpositionsproteine weitere Gene. Hier fin-
det man vor allem viele Gene, die dem Bakterium Resistenz gegenüber einem Anti-
biotikum verschaffen.
Die Größe der Transposons liegt im unteren kb-Bereich. Tn9 ist 2650 bp lang,
Tn10 umfasst 9300 bp.
Innerhalb der Transposons kann man zwei Gruppen unterscheiden:
55 Die einfacheren Transposons sind aufgebaut wie große IS plus Zusatzgen. IR
flankieren die Gene für die Transpositionsproteine und weitere Gene. Beispiele:
Tn3 vermittelt Resistenz gegenüber dem Antibiotikum Ampicillin, Tn501
gegenüber Quecksilbersalzen.
55 Die komplexeren oder zusammengesetzten Transposons besitzen an ihren
Enden zwei einzelne IS. Diese IS rahmen dann die Transpositionsgene und wei-
9 tere Gene ein. Tn10 verleiht beispielsweise Resistenz gegenüber Tetracyclin. Die
IS sind ähnlich, aber nicht zwingend identisch. Beispiel: Die Enden des Tn5 be-
stehen aus den IS 50 R und IS 50 L. Allerdings ist nur das IS 50 R in der Lage,
auch allein ohne den Rest des Transposons zu transponieren, während das IS
50 L keine intakte Transposase mehr codiert.

Wenn die Transposons mit Resistenzgenen in Plasmid -DNA transponieren, können


sie über die Konjugation in andere Bakterien gelangen und diesen Resistenz
­verleihen.

Vorgang der Transposition


Die Transposition ist über zwei Mechanismen möglich:
55 Der nichtreplikative Ablauf (cut and paste) lässt am Ursprungsort keine Kopie
zurück. Beispiel: IS 50.
1. Das Transposon wird aus seinem Ursprungsort über Doppelstrangbrüche
der DNA herausgeschnitten.
2. In einem Zwischenstadium sind die zwei 5′- und 3′-Enden des Transposons
kovalent miteinander verbunden und bilden Haarnadeln.
3. Die Transposase schneidet die Zielstelle mit freien, versetzten 3′-Enden. Sie
schneidet die Haarnadeln wieder auf, setzt das Transposon in die Lücke und
füllt die kurzen Einzelstrangabschnitte der versetzten Enden auf.
4. Da der Ursprungsort beschädigt zurückbleibt, muss das Reparatursystem
den Doppelstrangbruch beheben.
9.4 · Illegitime Rekombination
237 9
Der Mechanismus verändert den Zielort und je nach Reparatur des Doppelstrang-
bruchs auch den Ursprungsort.
Auch dieser Mechanismus kann die Kopienzahl erhöhen, beispielsweise dann,
wenn das Transposon von dem Chromosom in ein Plasmid springt, das in höherer
Kopienzahl vorliegt und noch repliziert wird.
55 Der replikative Ablauf (copy and paste) erhöht direkt die Kopienzahl, weil er
am Ursprungsort eine Kopie zurücklässt. Beispiel: Tn3.
1. Auch in diesem Ablauf schneidet die Transposase die Zielstelle mit freien 3′-
Enden.
2. Jedoch erfolgt am Transposon an beiden Enden jeweils nur ein Einzelstrang-
bruch der DNA.
3. Die Transposase setzt das Element nun so an den Zielort, dass jeweils ein
Ende eines jeden Strangs an der Herkunfts-DNA bleibt, das andere mit der
Ziel-DNA verbunden wird.
4. Die 3′-Enden der Ziel-DNA sind die Primer für die Nachsynthese des kom-
pletten Transposons. Herkunfts- und Ziel-DNA sind über Kreuz mit-
einander verbunden und bilden ein Cointegrat.
5. Wie bei der ortsspezifischen Rekombination löst ein zusätzliches Enzym, die
Resolvase, diese Struktur auf.

Transposons bei Eukaryoten


Auch die DNA-Transposons in Eukaryoten arbeiten mit einer Transposase, welche
die Exzision und Insertion besorgt. Im Detail arbeiten sie unterschiedlich, einige
von ihnen verändern dabei den Ursprungsort. Der Mechanismus läuft nichtreplika-
tiv ab (cut and paste).
Eine grobe Charakterisierung erfolgt, indem man das Transposon als autonom
(selbsttransponierend) oder nicht-autonom (abhängig und für die Transposition
auf autonome Transposons angewiesen) ausweist.

z Ac/Ds-System bei Mais


Das Transpositionssystem ist die Ursache für die Sprenkelung von Maiskörnern an
demselben Kolben. In den Folgegenerationen tritt häufig wieder die Wildtypfär-
bung auf. Die Mutation in den Pigmentgenen ist reversibel, weil sie instabil ist.
Diese Instabilität beruht auf den beweglichen Elementen, die aus den Genen wie-
der herausgesprungen sind.
Das System verfügt über zwei bewegliche Elemente:
55 Ac steht für activator. Es ist ein rund 4,6 kb langes Transposon aus IR an den
Enden und Genen für die Transpositionsproteine. Auch hier erzeugt die Trans-
position in der Zielstelle DR.
55 Ds bedeutet dissociation, weil man früh erkannte, dass das Phänomen mit dem
Bruch der DNA in Zusammenhang steht. Ds wirkt wie ein verkümmertes Ac,
weil es zwar die IR noch besitzt, aber weite Deletionen aufweist und nicht mehr
zur eigenständigen Transposition in der Lage ist. Es ist ein abhängiges, nicht-­
autonomes Transposon, das für die Transposition auf Ac angewiesen ist.
238 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

z P-Element bei Drosophila


Das P-Element ist ein etwa 2,9 kb langes Transposon mit 31 bp kurzen IR. Es ver-
ursacht die Hybriddysgenese. Darunter versteht man die Fehlbildungen, wenn
Männchen eines P-Stamms (paternal) mit Weibchen eines M-Stamms (maternal,
ohne P-Element) gekreuzt werden. In der Zygote werden die P-Elemente aktiv und
transponieren. Die Nachkommen sind steril, tragen Mutationen und strukturauf-
fällige Chromosomen. Die reziproke Kreuzung ergibt nicht das gleiche Bild, weil
piRNAs die Transposition in der Keimbahn unterdrücken.
Das P-Element liegt vielfach vor – in bis zu 50 Kopien –, ist aber im P-Stamm
stabil. Durch die Kreuzung wird eine aktive Transposase gebildet, und die Trans-
position beginnt.
Man nutzt das P-Element als gentechnologisches Werkzeug, um transgene Flie-
gen mit Mutationen zu erzeugen. Das geschieht nach folgendem Prinzip:
55 Das bewegliche Element und die Transposasefunktion liegen auf zwei ge-
trennten Plasmiden. Die IR rahmen dabei den Bereich ein, der in das Genom
transponieren soll.
55 Beide Plasmide werden in einen Embryo eines M-Stamms injiziert.
55 Die Transposase trägt die fremde DNA in das Genom.

Ziel der Experimente ist häufig, Gene der Fliege auszuschalten und anhand der
9 Folgen etwas über ihre Funktion zu erfahren.

z TLE/MLE
Diese Transposons bilden eine umfangreiche Familie, auch als Tc1/mariner Super-
familie bezeichnet.
55 TLE bedeutet Tc1-like elements. Tc1 ist das namensgebende Transposon, das
man zuerst bei Caenorhabditis elegans gefunden hat.
55 MLE leitet sich von mariner like elements ab; mariner ist ein bei Drosophila
identifiziertes Transposon.
55 Tatsächlich sind die Elemente von der Hefe bis zum Menschen weit verbreitet.
55 Die Transposons tragen das Gen für die Transposase und haben IR. Viele von
ihnen besitzen jedoch kein intaktes Transposasegen mehr und sind abhängige
Transposons geworden. Die Elemente in Vertebraten sind alle inaktiv. Es ist al-
lerdings gelungen, durch die Rekonstruktion einer Consensus-Sequenz ein ak-
tives Transposon zu rekonstruieren (es wurde sleeping beaty getauft) und für
Mutagenese-Experimente zu nutzen.

9.4.3 Retrotransposons bei Eukaryoten

Retrotransposons oder Retroelemente springen, indem sie am Ursprungsort immer


eine Kopie zurücklassen. Daher liegen sie im Genom z. T. in hoher Kopienzahl vor
und bilden somit eine Gruppe der repetitiven Elemente. Die Bewegung erfolgt mit-
tels einer RNA-Abschrift als Transportform. Zu ihnen zählen:
9.4 · Illegitime Rekombination
239 9
55 LINE (long interspersed nucleotide elements, Non-LTR-Retrotransposons),
55 SINE (short interspersed nucleotide elements),
55 LTR-Retrotransposons und Retroviren.

Die einzelnen Mitglieder von LINEs und LTR-Retrotransposons unterscheiden


sich in der Anzahl der Gene und darin, ob die Transposition an der Zielstelle zu
kurzen Direct Repeats führt (TSD, target site duplications).

LINE
LINEs bestehen aus Genen, die von unauffälligen Enden eingefasst werden. Im
Gegensatz zu den u. g. LTR-Retrotransposons heißen sie daher auch Non-LTR-­
Retrotransposons. Beispiel: L1, (. Abb. 9.7): Das Element ist rund 6,1 kb lang. Es
besteht aus UTRs an den beiden Enden, am 3′-UTR liegt die Poly(A)-Sequenz.
Die UTRs rahmen zwei ORFs ein. ORF2 codiert eine doppelte Enzymaktivität:
für eine Endonuclease und eine Reverse Transkriptase.
Die Bewegung im Genom erfolgt über ein RNA-Zwischenprodukt:
1. Von einem internen Promotor erfolgt die Transkription einer mRNA.
2. Die mRNA gelangt ins Cytoplasma und wird translatiert.
3. Die beiden synthetisierten Proteine heften sich gleich an die mRNA. Der Kom-
plex wird zurück in den Kern transportiert.
4. Nun schneidet die Endonuclease einen Strang der Zielstelle.
5. Über eine Wechselwirkung zwischen Poly(A)-Sequenz und Thyminen bindet
sich die mRNA an die DNA.
6. Die Reverse Transkriptase synthetisiert komplementär zur RNA den ersten
DNA-Strang nach. Sie stellt also eine cDNA her.
7. Es kommt zum zweiten, versetzten Schnitt in der Zielstelle.
8. Der zweite Strang wird synthetisiert.

Von den mehreren Hunderttausend L1-Retrotransposons im menschlichen Genom


(Anteil am Genom: etwa 20 %) sind wohl nur noch wenige Tausend ­Elemente aktiv,
weil die Synthese der cDNA vorzeitig abbricht. Über 90 % der LINE-­1-­Kopien er-
reichen daher auch nicht die Länge von 6,1 kb.
Bei einigen wenigen Patienten mit der Bluterkrankheit Hämophilie A fand man
eine Insertion des L1-Elements in dem F8-Gen auf dem X-Chromosom, das den
Gerinnungsfaktor VIII codiert. Bei einem Sprung in das Dystrophingen führt L1
zu Muskeldystrophie.

..      Abb. 9.7 Aufbau eines LINE1-Elements. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
240 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

..      Abb. 9.8 Aufbau des Alu-Repeats. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)

SINE
SINEs codieren keine eigene Reverse Transkriptase, RT. Sie sind daher angewiesen
auf eine RT eines anderen Retrotransposons. Man bezeichnet sie daher als nicht-­
autonom oder abhängiges Retrotransposon, Auch die Bezeichnung Retroposon
wird verwendet. Beispiel: AluI (. Abb. 9.8), mit seiner Länge von rund 300 bp
kann es nicht eigenständig transponieren, sondern nutzt dazu die Enzym-­
Ausstattung von L1. SINEs sind abhängige Elemente, weil sie durch zufällige
Retrotransposition von Polymerase-III-Transkripten (tRNAs, 7SL-RNAs) ent-
standen sind und nie eine eigene RT codierten. So weisen die Alu-Elemente bei-
spielsweise enge Verwandtschaft zu 7SL-RNAs auf.
Der Mechanismus verläuft über die RNA des Elements:
9 1. Die RNA-Polymerase III transkribiert das Alu-Element und stellt ein RNA-­
Molekül her.
2. Die RNA stellt mithilfe der Reversen Transkriptase funktionsfähiger
­LINE-1-Elemente eine cDNA her.
3. Die cDNA wird vervollständigt und integriert sich in das Genom.
4. An der Insertionsstelle entstehen durch Duplikation flankierende Wieder-
holungssequenzen.

LTR-Retrotransposon s
LTR-Retrotransposons (. Abb. 9.9) haben ihren Namen erhalten aufgrund ihrer
langen Sequenzwiederholungen an den Enden (LTR für long terminal repeats oder
auch lange terminale Repeats). Die LTR flankieren Gene, unter anderem für eine
Reverse Transkriptase und eine Integrase. Im linken LTR sitzt ein Promotor für die
Transkription.
Der Ablauf hat mit der Transposition von L1 die ersten Schritte gemeinsam:
1. Vom Promotor aus beginnt die Transkription der mRNA.
2. Die mRNA gelangt ins Cytoplasma und wird translatiert.
3. Dadurch entsteht auch die Reverse Transkriptase, die anhand der mRNA dop-
pelsträngige DNA herstellt.
4. Die Transposition mit Hilfe der Integrase ähnelt dann derjenigen von
DNA-Transposons.

Beispiel: Das endogene Retrovirus HERV (human endogenous retrovirus) von rund
9,2 kb im menschlichen Genom. Im Gegensatz zu den Retroviren wie HIV sind die
endogenen Vertreter in der Regel nicht infektiös, weil ihnen die dafür nötigen
funktionsfähigen Gene fehlen.
9.4 · Illegitime Rekombination
241 9
..      Abb. 9.9 Aufbau des LTR-Transposons
(P: Promotor). (Nach Buselmaier
und Tariverdian 2007)

Es kommt auch vor, dass eine mRNA eines proteincodierenden Gens über den
Weg der reversen Transkription transponiert. Das Ergebnis ist dann ein prozessier-
tes Pseudogen. Es enthält keine Introns mehr. Darin unterscheidet es sich von
Pseudogenen, die durch Duplikation entstanden sind und im Laufe der Evolution
ihre Funktion eingebüßt haben.
Grundsätzlich sind Transpositionen selten. Pro Genom gibt man oft eine Trans-
position in jeder Generation an. Da sie aber vorkommen, verursachen sie auch
Krankheiten.

Stilllegung von Transposons


Die Transposition kann Vor- oder Nachteile mit sich bringen.
55 Für die Evolution sind (Retro-)Transposons von erheblicher Bedeutung. Beweg-
liche Elemente stellen ein Reservoir dar an genetischer und epigenetischer Viel-
falt. Sie erlauben adaptive Veränderungen. Transposable Elemente be-
schleunigen den Erwerb der Zelle von (1) neuen oder neuartigen Proteinen und
(2) regulatorischen Elementen wie Promotoren, Enhancern, ncRNAs und
Transkriptionsfaktoren.
55 Auf der anderen Seite gelten sie als egoistische genetische Elemente, die dem
Wirt schaden können. Sie erzeugen genetische Instabilität und verursachen
Mutationen.

Um die genetische Instabilität für den Organismus einzudämmen, unterdrückt die


Zelle die Mobilität von Transposons. Da für die Transposition die Expression von
entsprechenden Genen notwendig ist, greifen hier überwiegend die gleichen Prinzi-
pien wie für die Regulation zelleigener Gene.
55 piRNAs (siehe 7 Abschn. 7.7): Diese kleinen RNA-Moleküle schalten die
Transposition in der Keimbahn ab. Das kann erfolgen: (1) Auf der Ebene der
Transkription. piRNAs holen DNA-Methyltransferasen und Histon-­
Methyltransferasen heran. Die Enzyme überführen die DNA in einen
Heterochromatin-­ Zustand. Die Transkription der Transposon-Gene unter-
bleibt. (2) Nach der Transkription. Im Cytoplasma besorgen piRNA/PIWI-­
Komplexe den Abbau von mRNAs transposabler Elemente.
55 KRAB-ZFP in Landwirbeltieren. Das Protein KRAB-ZFP (Krüppel-­associated
box zinc finger protein) besitzt eine Zink-Finger-Domäne, mit der es sich an die
DNA anlagert. Es rekrutiert ebenfalls verschiedene Chromatin-Remodeler wie
die DNA-Methyltransferase oder das Heterochromatin Protein 1 (HP1). Auch
hier wird die DNA in einen Heterochromatin-Zustand überführt.
242 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität

55 RNA-Modifikation. In Pflanzen und Tieren hat man N6-Methyladenosin


(m6A) gefunden, in Säugetieren neben m6A auch die 3′-Uridylierung und
5-Hydroxymethylcytosin (5hmC) an der mRNA einiger endogener Retroviren.
Die Modifikationen der RNAs bewirken ihren Abbau.

Trotz der Mechanismen zur Stilllegung werden die Gene transposabler Elemente
transkribiert. Oft ist ihre Expression sogar charakteristisch für bestimmte Ent-
wicklungsstadien oder Krankheiten, hier vor allem für Krebsformen.
55 Stilllegung von Retrotransposons: Die Transposition benötigt die obligatori-
sche cDNA. Hier greifen die Zellen ein. Das Enzym APOBEC3 (aus der Fami-
lie der Cytidin-Desaminasen) entfernt auch in der cDNA die Aminogruppe
und überführt Cytosin in Uracil. Die so beschädigte Sequenz wird gespalten
und abgebaut. Der Mechanismus setzt auch an cDNAs von Retroviren an.

Retroviren
Retroviren sind verantwortlich für Infektionen und die Entstehung von Tumoren:
55 HIV (human immune deficiency virus) kann zu AIDS führen.
55 HTLV I und II (human T cell leukemia virus oder humanes T-lymphotropes
Virus), rufen beim Menschen Leukämien hervor.

9 z Das Wesentliche des genetischen Aufbaus


55 Das Erbgut von Retroviren besteht aus einer RNA mit den Merkmalen euka-
ryotischer mRNAs, also mit einer 7-Methylguanosin-Cap am 5′-Ende und dem
Poly(A)-Schwanz am 3′-Ende. Die RNA ist eine +(plus)-Strang-RNA.
55 Retroviren besitzen LTR, invertierte lange Sequenzwiederholungen mit einem
Transkriptionspromotor und Bindungsstellen für die Primer. Die LTR er-
lauben die Integration des Virus in das Genom der Wirtszelle.
55 Das 5′-Ende weist einen Repeat (R) auf von 70 Nucleotiden und innenliegend
eine U5 genannte einzigartige Sequenz (unique sequence) von etwa 70 Nucleotiden.
55 Das 3′-Ende besitzt ebenfalls den Repeat (R) von 70 Nucleotiden und eine
innenliegende unique sequence, die als U3 bezeichnet wird. Sie ist mit bis zu 800
Nucleotiden länger als die U5-Sequenz.
55 Die Enden rahmen drei Genbereiche ein: gag (gruppenspezifisches Antigen), pol
(Polymerase) und env (envelope).
55 Nach der Translation liegen zunächst Polyproteine vor, die noch gespalten wer-
den. Jedes Gen liefert also mehrere Proteine.
–– So liefert die Expression von gag schließlich vier Proteine (nach der Molekül-
masse bezeichnet als p10, p12, p15, p30) für den Aufbau der inneren Virus-
struktur.
–– Die Expression von pol führt zu mehreren Enzymen: einer Protease, der Re-
versen Transkriptase mit RNase-H-Funktion und der Integrase. Die Integ-
rase ist eine Transposase, also keine ortsspezifische Rekombinase wie die In-
tegrase von λ.
–– Die Expression von env schließlich stellt zwei miteinander verbundene Glyko-
proteine zur Verfügung. Diese Glykoproteine gp70 und gp15E sind Bestand-
teile der Lipidhülle.
9.4 · Illegitime Rekombination
243 9
z Aufbau des Viruspartikels
Im Inneren des Virus liegen zwei RNA-Moleküle, die Reverse Transkriptase und
tRNAs, die als Primer für das Enzym dienen. Die gag-Genprodukte bilden den
Viruskern und umhüllen die Funktionsbestandteile. Auf den Kern aufgelagert ist
die Lipidhülle, in welche die Glykoproteine gebettet sind. Die Lipidhülle stammt
von der Wirtszelle.
Der Ablauf der Integration:
1. Nach der Infektion stellt die Reverse Transkriptase von den RNA-Molekülen
DNA-Kopien her: −(minus)-Strang-DNA.
2. Die Synthese des ersten DNA-Strangs beginnt am 5′-Ende der Virus-RNA. Als
Primer nutzt die Reverse Transkriptase das 3′-Ende der mitgelieferten tRNA.
3. Der komplementäre DNA-Strang wird von der 3′-Primerbindungsstelle der
RNA aus synthetisiert. Nach den Syntheseschritten liegt die DNA doppels-
trängig vor. Erst die DNA besitzt an den Enden die typischen LTR-­Strukturen.
Hier bestehen sie jetzt aus U3, Repeat und U5.
4. Die Integrase nimmt die Transposition vor. Das Enzym schneidet versetzte
Enden in den LTR und in der Zielstelle. Die LTR-Überhänge sind jedoch kür-
zer. Die Virus-DNA integriert, die Lücken werden nachsynthetisiert und die
Übergänge an den LTR abgebaut.
5. Das Virus liegt jetzt als Provirus vor und gelangt mit jeder Zellteilung in die
Tochterzellen. Vom Promotor im linken LTR erfolgt die Transkription.
6. Die RNA dient als mRNA für die Translation oder als Erbgut für die nächsten
Virenpartikel.

Der Ablauf führt zu mehreren Kopien von Provirus-DNA in den Wirtschromo-


somen. Es können also mehrere Insertionsmutanten entstehen.
245 10

Horizontaler Gentransfer
bei Bakterien
Inhaltsverzeichnis

10.1 Worum geht es? – 246

10.2 Überblick – 246

10.3 Konjugation – 246


10.3.1  as F-Plasmid – 247
D
10.3.2 Integration und Exzision – 248
10.3.3 Ablauf der Konjugation – 249
10.3.4 Frühe Genkartierung bei E. coli – 249

10.4 Transduktion – 250


10.4.1  er Aufbau von Phagen – 251
D
10.4.2 Infektionswege von Phagen – 252
10.4.3 Aufnahme chromosomaler DNA – 256
10.4.4 Folgen für die Empfängerzelle – 257

10.5 Transformation und Transfektion – 257


10.5.1 T ransformation bei Bakterienzellen – 257
10.5.2 Transfektion bei eukaryotischen Zellen – 258

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_10
246 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien

10.1 Worum geht es?

Bakterien können über drei Mechanismen Genmaterial untereinander aus-


tauschen: Konjugation, Transduktion und Transformation. Das genetische Mate-
rial wandert dabei von einer Donorzelle zu einer Empfängerzelle der gleichen Ge-
neration. Man spricht von horizontalem Gentransfer. Die Vererbung von Gen-
material an Tochterzellen wird dagegen als vertikaler Gentransfer bezeichnet.
Über eine Rekombination kann Genmaterial, das über den horizontalen Transfer
in die Zelle gelangt, stabil in das Wirtsgenom integriert werden.

10.2 Überblick

Außer von der Mutterzelle können Bakterienzellen über mehrere Mechanismen


Genmaterial von anderen Zellen erhalten:
55 Bei der Konjugation stehen die Spender- oder Donorzelle und die Empfänger-
oder Rezipientenzelle in direktem Kontakt zueinander.
55 Bei einer Transduktion wird das Genmaterial von Viren übertragen.
55 Bei einer Transformation nimmt die Zelle nackte DNA aus der Umgebung auf
(vgl. das transformierende Prinzip, 7 Kap. 1).

Die Aufnahme fremder DNA über diese Mechanismen wird als horizontaler Gen-
10 transfer bezeichnet. Es ist der Austausch von Genmaterial zwischen Zellen, die
nicht in einer Beziehung von Eltern/Nachkommen stehen.
Der Schwerpunkt liegt in diesem Kapitel auf Bakterien. Allerdings findet man
horizontalen Gentransfer überall. Konjugation kommt beispielsweise auch in
Protozoen vor (als wechselseitiger Austausch), Transformation und Transduktion
kennt man ebenso von Archaeen. Auch der Gentransfer von Bakterien in das
Genom von Eukaryoten ist bekannt, selbst in das menschliche Genom. Horizonta-
ler Gentransfer ist daher für die Evolution von erheblicher Bedeutung.

10.3 Konjugation

Unter Konjugation versteht man die Übertragung von DNA von einer Donorzelle in
eine Rezipientenzelle während eines physischen Zellkontakts, den eine Pilus ge-
nannte fädige Zellstruktur herstellt.
Die Konjugation erfolgt unidirektional vom Spender zum Empfänger. Die
Spenderzelle stellt den Kontakt her und führt die Konjugation durch. Nur sie über-
trägt Genmaterial auf den Partner.
Der Unterschied zwischen Spender- und Empfängerzelle wird durch zusätzliche
genetische Informationen festgelegt, über die nur der Spender verfügt. Die ent-
sprechenden Gene liegen in der Regel auf extrachromosomalen Elementen, den
Plasmiden.
10.3 · Konjugation
247 10
Das bekannteste Konjugationssystem stellt das F-Plasmid von E. coli dar. F
steht für engl. fertility oder Fertilität, weshalb das Plasmid auch Fertilitätsfaktor
heißt.
Das F-Plasmid kann sich durch Rekombination in das bakterielle Chromosom
integrieren und wieder exzisionieren. Liegt es während der Konjugation als eigen-
ständiges Plasmid vor, bleibt es meistens das einzige Genmaterial, das übertragen
wird. Ist es dagegen in das Chromosom integriert, wandert häufig auch zusätzliche
chromosomale DNA in die Empfängerzelle.
Zwischen Gram-positiven Bakterien ist die Konjugation auch über Trans-
posons und nicht über Plasmide möglich.
Generell ist die Konjugation ein horizontaler Gentransfer zwischen Bakterien.
Als Ausnahme gelten Agrobakterien-Arten. Sie nutzen den Mechanismus der
Konjugation zum Transfer von Genen in Pflanzenzellen, Beispiel: Ti-Plasmid.

10.3.1 Das F-Plasmid

Die Spenderzellen, die ein extrachromosomales F-Plasmid besitzen, heißen F+-Zel-


len. Ist das Plasmid in das Chromosom integriert, spricht man von Hfr-Zellen
(high frequency of recombination).
Empfängerzellen ohne Plasmid werden demgegenüber F–-Zellen genannt. Ge-
legentlich bezeichnet man die Spender auch als männlich, die Empfänger als weib-
lich und charakterisiert den Vorgang als parasexuell.
Das F-Plasmid ist rund 99 kb groß und trägt zahlreiche Gene und DNA-­
Elemente (. Abb. 10.1):
55 Die tra-Gene sind für den Transfer zuständig, also den Konjugationsvorgang.
Der Transfer beginnt am origin of transfer oder oriT.
55 Die rep-Gene ermöglichen die Replikation. Sie erfolgt nach dem rolling-circle-­
Mechanismus und beginnt am oriV.

..      Abb. 10.1 Karte des F-Plasmids IS3


Tn1000

100
Transferregion 90 10 IS3
IS2
80 20

70 30

60 40
oriT
50

inc oriV
248 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien

..      Abb. 10.2 Integration des w x IS3 y z


F-Plasmids über IS3

IS3
tra-Gene

oriT
w x IS3 IS3 y z
oriT tra-Gene

55 Das F-Plasmid besitzt eine Kopie des IS2, zwei Kopien des IS3 und eine Kopie
des Tn1000. IS-Elemente kommen auch im Chromosom vor. Über sie läuft die
Rekombination ab. Da es mehrere Kopien der IS-Elemente im Chromosom
gibt, kann sich das Plasmid auch an verschiedenen Stellen integrieren
(. Abb. 10.2).
55 Die inc-Region steht für Inkompatibilität und verhindert, dass sich verwandte
Plasmide in der Zelle einnisten.

10.3.2 Integration und Exzision

Integration und Exzision laufen über die IS-Elemente in der Plasmid-DNA und
10 der chromosomalen DNA ab. Die Rekombination erfolgt somit nur an diesen Se-
quenzen. Sie ähnelt der Integration und Exzision von lysogenen Phagen in das
Bakterienchromosom (s. 7 Abschn. 9.3.3).
Die Exzision verläuft nicht immer exakt an den Plasmid-Chromosom-Grenzen.
55 Eine Typ-I-Exzision schneidet das Plasmid nicht vollständig heraus, sondern
lässt Sequenzinformationen im Chromosom zurück. Umgekehrt enthält das
Plasmid nun auch chromosomale DNA. Auch dieses Ergebnis ist bei der Ex-
zision von Phagen-DNA möglich.
–– Fehlen dem herausgeschnittenen Plasmid die rep-Gene, kann es nicht mehr
replizieren.
–– Sind die tra-Gene verloren gegangen, so ist kein Transfer mehr möglich.
55 Eine Typ-II-Exzision schneidet das Plasmid vollständig heraus und nimmt zu-
sätzlich chromosomale DNA mit. Es ist damit funktionstüchtig und überträgt
zudem einen chromosomalen Anteil.

F-Plasmide mit chromosomaler DNA heißen substituierte Plasmide oder F′-


Plasmide. Wenn sie transferieren und chromosomale DNA mitnehmen, ist an-
schließend die Empfängerzelle partiell diploid oder merodiploid für die chromo-
somalen Gene. Handelt es sich dabei um zwei verschiedene Allele eines Gens, er-
langt der Empfänger neue Eigenschaften und ermöglicht Untersuchungen zur
Wirkung der Gendosis oder Genfunktion.
10.3 · Konjugation
249 10
10.3.3 Ablauf der Konjugation

Die entscheidenden Gene für die Konjugation sind die tra-Gene. traA codiert das
Pilinprotein, das den F-Pilus aufbaut. Tra-Proteine heften sich an die DNA, spal-
ten sie, entwinden sie und transportieren einen Strang in den Konjugationspartner.

Die Phasen der Konjugation


1. Der Pilus stellt den Kontakt zum Empfänger her, verkürzt sich dann und nähert
Spender und Empfänger einander an. Sobald der direkte Kontakt hergestellt
ist, bildet sich eine Plasmabrücke für den Transfer.
2. Der Transfer des Plasmids beginnt mit einer endonucleolytischen Spaltung
(durch TraI) eines Strangs im oriT, sodass ein 5′-Ende vorliegt.
3. Mit einem Anheftungsprotein und dem 5′-Ende voran wird der gespaltene
DNA-Strang vom Donor in die Empfängerzelle übertragen. Der ungespaltene
Strang bleibt in der Donorzelle zurück.
4. Den jeweils fehlenden Strang ergänzt die Zelle sowohl in der Donor- als auch in
der Empfängerzelle. Dazu nutzt die Zelle chromosomal codierte und plasmidal
codierte Proteine.
5. Nach Abschluss des Transfers liegt in beiden Zellen je eine Kopie des F-Plas-
mids vor. Die ursprüngliche F−-Zelle ist dadurch ebenfalls zu einer F+-Zelle ge-
worden.
6. Zu den tra-Genen gehören auch traS und traT. Sie codieren Proteine, die ver-
hindern, dass eine Donor-Zelle angedockt wird und selbst als Rezipient fun-
giert. Das Phänomen heißt Oberflächen-Ausschluss.

Auch eine Hfr-Zelle kann das Plasmid übertragen. Dazu ist keine Exzision des
Plasmids notwendig (. Abb. 10.3). Vielmehr wird jetzt das komplette Chromo-
som gewissermaßen wie das Plasmid behandelt. Der Transfer beginnt am oriT, in-
klusive der angrenzenden Plasmidgene, erfasst dann die folgenden chromosomalen
Gene und erst ganz zum Schluss die verbleibenden Anteile des Plasmids. T
­ heoretisch
kann auf diese Weise das ganze Chromosom inklusive des Plasmids übertragen
werden. In der Praxis hält die Pilusröhre jedoch den Kontakt nicht so lange auf-
recht, und der Vorgang bricht vorher ab.
Da sich das Plasmid an verschiedenen Stellen integrieren und dabei jeweils zwei
verschiedene Orientierungen annehmen kann, folgen je nach Intergrationsort
unterschiedliche chromosomale Gene auf die tra-Region und werden übertragen.

10.3.4 Frühe Genkartierung bei E. coli

Den Transfer von Hfr-Zellen nutzte man in der Frühzeit der Molekularbiologie
aus, um die Gene auf dem E.-coli-Chromosom zu kartieren. In den Experimenten
führte man mehrere Konjugationen durch, die nach unterschiedlich langen Zeiten
unterbrochen wurden. Durch dieses sogenannte interrupted mating wurden ver-
schieden lange Abschnitte der Chromosomen übertragen.
250 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien

M N N A A B

G F E D C
F E D C B
L

N
K J H G

L K J H

M L
B A
C

G
F
E D K

H
J

Hfr F– Hfr F–

G
N

F E D C
M L K J

C B A K J H

M L
E D

G F A N
H

B
C D B
E F
L M N A

G H J

Hfr F–

..      Abb. 10.3 Konjugation von einer Hfr-Zelle aus

Der Ablauf beim interrupted mating:


10 1. Ausgangsmaterial waren verschiedene Hfr-Stämme, bei denen das Plasmid an
verschiedenen Stellen im Chromosom integriert war.
2. Die Hfr-Stämme konjugierte man mit Stämmen, die durch den Transfer und
die anschließende Rekombination der Donor-DNA merodiploid wurden und
neue Eigenschaften erwarben.
3. Mithilfe eines Küchenmixers unterbrach man die Paarung.
4. Das Ergebnis war eine Übertragung von Genmarkern und neuen Eigenschaften
in Abhängigkeit von der Zeit.

Als Ergebnis erhielt man die Reihenfolge und die relativen Abstände der Genmar-
ker auf dem bakteriellen Chromosom. Die Abstände wurden in Minuten an-
gegeben. Allerdings war die Auflösung gering: Einer Minute entspricht ein
DNA-Abschnitt von rund 46 kb.
Später konnte man mithilfe der Transduktion die Karte verfeinern.

10.4 Transduktion

Transduktion ist die Übertragung von DNA einer Zelle durch Phagen als Trans-
porter. Die Übertragung der DNA erfolgt in mehreren Phasen:
1. Der Phage infiziert eine Zelle, die zum Donor wird.
2. Das Phagengenom wird in das bakterielle Chromosom integriert.
3. Bei der Exzision wird ein Teil des Chromosoms mit ausgeschnitten.
10.4 · Transduktion
251 10
4. Die ausgeschnittene chromosomale DNA wird mit der Phagen-­DNA in die
Phagenhülle verpackt und verlässt die Donorzelle.
5. Die neuen Phagen infizieren weitere Zellen, die damit zu Empfängerzellen wer-
den. Sie erhalten die zusätzlich ausgeschnittene DNA der Donoren.

10.4.1 Der Aufbau von Phagen

Im einfachsten Fall bestehen Phagen aus Erbmaterial, das von einer Proteinhülle
(Capsid ) verpackt und geschützt wird. Die Hüllproteine dienen außerdem der Ad-
sorption an den Wirt. Sie erkennen ihr Wirtsprotein sehr spezifisch.
Das Erbmaterial kann DNA oder RNA sein, linear oder zirkulär und einzel-
oder doppelsträngig vorliegen.
Beispiele von drei E.-coli-Phagen:
55 λ hat lineare dsDNA (. Abb. 10.4).
55 ΦΧ174 hat zirkuläre ssDNA.
55 MS2 hat lineare ssRNA.

Die Morphologie der Phagen ist sehr unterschiedlich:


55 M13 ist recht einfach aufgebaut. Er sieht aus wie ein langes, dünnes Fila-
ment aus DNA, umgeben von einem Hüllprotein.
55 Die Proteinhülle von MS2 bildet einen Ikosaeder, also einen nahezu kugel-
förmigen, regelmäßigen Körper mit 20 gleichseitigen Dreiecksflächen.
55 Komplizierter sind die E.-coli-Phagen der T-Reihe (T steht für Typ, . Abb. 10.4).
T2 und T4 erinnern ein wenig an frühe Raumsonden. Ein Ikosaeder verpackt
die dsDNA. An ihn schließen sich ein Kragenteil und ein röhrenförmiger
Schwanzteil an. Der Schwanzteil endet in einer Basisplatte, an welcher lange
Schwanzfasern ansetzen. Die Schwanzfasern stellen den ersten Kontakt zum
Wirt her.
55 Größenordnung: Phagen und Viren sind deutlich kleiner als Zellen. 200 nm
lang ist der T4-Phage, 200 nm im Durchmesser haben einige Herpesviridae,
Adenoviridae sind kleiner, etwa 80 nm im Durchmesser. Der Durchmesser des
Corona-Virus SARS-CoV2 wird angegeben mit 60–140 nm.
55 Viroide sind nackte infektiöse RNA-Partikel, die Pflanzenzellen infizieren. Sie
codieren keine Proteine. Vermutlichen entfalten sie ihre störende Wirkung über
Eingriffe in die Transkription und/oder einen RNA-Interferenz ähnlichen Weg.

..      Abb. 10.4 Der Phage λ (a) und der Phage T4 (b). a b


(Nach Mülhardt 2013)
252 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien

10.4.2 Infektionswege von Phagen

Phagen können nach dem Infektionsweg eingeteilt werden (. Abb. 10.5):


55 Virulente Phagen programmieren ihren Wirt unmittelbar nach der Infektion so
um, dass er anfängt, bis zu 200 neue Phagen zu bilden. Nach deren Fertig-
stellung lysiert die Zelle und entlässt die neuen Phagen. Damit folgen virulente
Phagen immer dem lytischen Infektionszyklus. Beispiele: T2, T4 und ΦX174.
55 Temperente Phagen können nach der Infektion zwei verschiedene Wege ein-
schlagen:
–– Beim lysogenen Infektionszyklus wird die Phagen-DNA in das Wirtschromo-
som integriert. Es existiert darin als sogenannter Prophage. Für die Zelle ist
der Prophage ein Teil des Bakterienchromosoms, den sie mitrepliziert und an
Tochterzellen weitergibt. Der Prophage verhindert auch eine weitere Infek-
tion mit Phagen des gleichen Typs und vermittelt somit Immunität. Der lyso-
gene Zyklus kann auf ein äußeres Signal hin in den lytischen Zyklus über-
gehen.
–– Beim lytischen Infektionszyklus wird die Wirtszelle gezwungen, neue
Phagenpartikel herzustellen und freizusetzen.

Welchen Weg ein temperenter Phage verfolgt, hängt vom Verhältnis verschiedener
Regulationsproteine ab.

10 Infektionen mit T2 und T4 als Beispiel für den lytischen Zyklus


Die Infektion mit den Phagen T2 und T4 führt schnell zur Freisetzung neuer
Phagenpartikel:
1. Sobald die Schwanzfasern Kontakt zur Wirtszelle aufgenommen haben, staucht
sich der Schwanzteil zusammen und injiziert die DNA aus dem Kopf durch die
Schwanzröhre in die Zelle.

Lytischer Weg
Intrazelluläre Phagenvermehrung Lyse

UV-Licht
(Induktion)
E.-coli-DNA Virus-DNA

Zellteilung

E.-coli-DNA mit
eingebauter
Virus-DNA
Lysogener Weg

..      Abb. 10.5 Lysogener und lytischer Infektionszyklus


10.4 · Transduktion
253 10
2. Das Erbgut der Phagen ist so organisiert, dass es
–– die Vermehrung neuer Partikel sicherstellt,
–– und die wirtseigenen Lebensvorgänge ausschaltet.
3. Man unterscheidet frühe und späte Gene.
–– Die frühen Gene stehen unter der Regulation von Promotoren, die wie bei E.
coli aufgebaut sind. Dadurch kann sich die Polymerase von E. coli unmittel-
bar an die Phagengene anlagern und mit der Genexpression beginnen. In der
frühen Phase bereitet der Phage seine Vermehrung vor. Er programmiert die
Wirtszelle um, sodass sie Phagen-Proteine herstellt (1) für die Regulation der
Transkription von späten Phagen-Genen, (2) für die Replikation der Pha-
gen-DNA und (3) zur Zerstörung der bakteriellen DNA.
–– Die späten Phagengene codieren die Proteine des Capsids und der Schwanz-
strukturen sowie einige Enzyme für deren Synthese. Die späte Phase er-
streckt sich von der Replikation der Phagen-DNA bis zur Lyse der Zelle.
–– Die Hüllproteine setzen sich von selbst zusammen und schließen dabei die
replizierte DNA des Phagen ein.
4. Das Enzym Lysozym spaltet die Zellwand von innen. Die Zelle platzt und setzt
bis zu 200 neue Phagen frei.

Ein Zyklus dauert etwa 30 min.

Infektionen mit λ als Beispiel für den lysogenen Zyklus


Der wichtigste Vertreter eines temperenten Phagen ist λ (Lambda, . Abb. 10.6).
Er ist ein gut untersuchtes Studienwerkzeug und mit entsprechenden Ver-
änderungen seines Erbguts auch ein wichtiges Laborwerkzeug.
Die Hülle von λ besteht aus einem ikosaedrischen Capsid und einem Schwanz-
stück mit Fibern am Ende.
Das Erbgut liegt als linearer, doppelsträngiger DNA-Faden von rund 48,5 kb
Länge vor. Die Enden bestehen aus komplementären 5′-überhängenden Einzel-
strängen, sodass die Basen sich über komplementäre Paarungen verbinden kön-
nen. Die λ-Enden heißen daher kohäsive Enden oder cos-sites (von engl. cohesive:
kohäsiv, klebrig). Das Genom gliedert sich in mehrere Genbereiche:
55 Strukturgene für den Phagenkopf und den Phagenschwanz,
55 Gene für die endgültige Lyse der Wirtszelle,
55 Regulationsgene für die Replikation und den lytischen Zyklus,
55 Regulationsgene für den lysogenen Zyklus,
55 Strukturgene für die Rekombination,
55 eine „stumme Region “, die austauschbar ist.

Die Infektion beginnt mit dem Einbringen der DNA in die Wirtszelle:
1. Bei der Injektion der Phagen-DNA kontrahiert das Schwanzstück nicht.
2. In der Wirtszelle bildet die lineare DNA über ihre cos-sites einen Ring, und die
Ligase des Wirts verbindet die Enden miteinander.
3. Die Polymerase des Wirts heftet sich an zwei Promotoren und beginnt mit der
Transkription und Translation.
254 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien

Replikation
Regulation
PM PE „späte“ Regulation
PL
cII OP

cro
cI Lyse
N Q
Rekombi- PR S
ga cII R m‘ (cos)
nation m I
red PR‘ m

A
PI
xis
int B Phagen-
att kopf
C
D
E
b Z
U
V
„Stumme G
Region“ T
J MH
K L

10 Phagenschwanz

..      Abb. 10.6 Karte des Phagen λ mit Zuordnung von Genfunktionen

Die Entscheidung für den lytischen oder lysogenen Zyklus fällt über die Konkur-
renz zwischen den Proteinen CII und Cro. Beides sind Produkte der ersten („sehr
frühen“) Phagen-Gene:
55 CII wirkt in Richtung eines lysogenen Zyklus. Das Protein ist ein Aktivator
und Transkriptionsfaktor, der die Transkription der Gene cI und int för-
dert. Das Produkt des cI-Gens ist der wichtige CI-Repressor oder λ-Repressor.
Das Protein CIII schützt dabei CII und verhindert seinen Abbau.
55 Der CI-Repressor verhindert die Expression von Genen für den lytischen Zyk-
lus, erlaubt (und fördert) aber die eigene Expression. Er versetzt weite Teile des
Phagengenoms in den Ruhemodus. Der CI-Repressor wirkt in trans und legt
somit auch später eindringende Lambda-Phagen still. Er sorgt also für die
Immunität.
55 Das Protein Cro arbeitet als Gegenspieler von CI. Es wirkt als Repressor für
den Repressor, kurz: als Antirepressor. Cro arbeitet daher auf einen lytischen
Zyklus zu. Es bindet sich wie CI an die Promotor-Operator-Abschnitte PL/OL
und PR/OR. Diese Regionen setzen sich wiederum zusammen aus jeweils drei
Abschnitten mit unterschiedlichen Bindungsaffinitäten für Cro und CI. Cro
unterdrückt die Expression des cI-Gens und fördert die Transkription der Gene
für den lytischen Weg. Cro führt folgerichtig zur Replikation der Phagen-DNA
und zur Expression der Strukturgene für die Phagenhülle und der Lysegene.
10.4 · Transduktion
255 10
Unterstützung erfährt Cro dabei von den Phagen-Proteinen N und Q. Dabei
handelt es sich um Antiterminatoren. Sie verhindern den vorzeitigen Abbruch
der Transkription und erlauben somit die Transkription auch der späten Gene.

Neben den internen Abläufen wirken sich über die Aktivitäten bakterieller Pro-
teine auch die Umweltbedingungen auf das Verhältnis von CII und Cro aus.

Der Phage λ: Integration und Exzision


Die Integration des Phagengenoms im lysogenen Zyklus erfolgt nach dem
Mechanismus einer ortsspezifischen Rekombination (. Abb. 10.7).
55 Dazu nutzt der Phage Rekombinationsmotive in der Phagen-DNA und im
Bakterienchromosom:
–– Das Phagenmotiv heißt attP (attachment of phage).
–– Das E.-coli-Homolog heißt attB (attachment of bacterium).
55 Die Rekombination erfordert das Enzym Integrase. Es handelt sich dabei um
eine Rekombinase, die das Produkt des int-Gens des Phagen ist. Es ist ein
Enzym vom Tyrosintyp.
55 Notwendig sind außerdem bakterielle Proteine wie der IHF oder integration
host factor.

gal att N R m‘ m A J att bio


DNA der lysogenen Zelle
BP‘ PB‘

gal BP‘ N
bio
J
PB‘

A
m m‘ R

gal pgl BB‘ bio


Bakterien-DNA
J N
PP‘

A R
m m‘

mA J att N R m‘
-DNA
PP‘

..      Abb. 10.7 Exzision und Integration von λ über die ortsspezifische Rekombination
256 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien

55 Die Integrase spaltet die Doppelstränge von Phage und Bakterium mit ver-
setzten Enden etwa in der Mitte des Motivs und rekombiniert die Enden über
Kreuz, sodass das Chromosom die Phagen-DNA aufnimmt. Man spricht jetzt
vom Prophagen.

Der Übergang in den lytischen Zyklus findet statt, wenn der Prophage wieder aus
dem Chromosom herausgeschnitten wird. Diese Exzision nimmt die Integrase
zusammen mit dem Enzym Exzisionase vor, die das Produkt des xis-Gens des
Phagen ist.
Die Kontrolle über den Wechsel des Zyklus hängt mit den Prozessen der SOS-­
Antwort der Bakterienzelle zusammen. Dieser Mechanismus repariert Schäden in
der DNA, nimmt dafür jedoch Mutationen in Kauf. Das zentrale Protein in der
SOS-Antwort ist RecA. Es spaltet unter anderem den Repressor CI. Die Still-
legung wird damit aufgehoben und der lytische Zyklus eingeläutet. Dieser dauert
dann rund 60 min und liefert etwa 100 neue Phagenpartikel.

10.4.3 Aufnahme chromosomaler DNA

Die Exzision des Prophagen erfolgt nicht immer genau an den Rekombinations-
stellen. Deshalb wird häufig ein Stück chromosomaler DNA mit ausgeschnitten.
Dabei unterscheidet man zwei Varianten:
10 55 Bei der speziellen oder spezifischen Transduktion nimmt der Phage nur bestimmte
Wirtsgene mit. Beispiel: λ integriert sich nur in der attB-Stelle. Dieses Motiv liegt
zwischen dem Galactose- und dem Biotinoperon. Eine ungenaue Exzision nimmt
somit Gene oder Genteile aus diesen Operons mit und keine anderen.
55 Bei der generellen oder allgemeinen Transduktion kann der Phage beliebige
DNA-Abschnitte des Wirts mitnehmen (. Abb. 10.8). Das bakterielle Chromo-
som wird während der lytischen Phase zerstückelt, sodass Bruchstücke davon

1. 2. 3.

Bakterien-DNA Viren-DNA

4. 5. 6.

..      Abb. 10.8 Allgemeine Transduktion


10.5 · Transformation und Transfektion
257 10
zufällig in den Phagenkopf gelangen können. Da die Menge an DNA, die ein
Phagenkopf aufnehmen kann, begrenzt ist, fehlen im Phagenpartikel unter
Umständen Phagengene für den nächsten Infektionszyklus.

10.4.4 Folgen für die Empfängerzelle

Nimmt die Empfängerzelle die übertragene bakterielle DNA auf, kann sie diese
über homologe Rekombination in ihr Chromosom integrieren. In manchen Fällen
erlangt die Zelle dadurch neue Eigenschaften.

10.5 Transformation und Transfektion

Je nach Organismus wird die Aufnahme freier Fremd-DNA in eine Zelle mit ver-
schiedenen Begriffen belegt:
55 Bei Bakterien spricht man von Transformation.
55 Bei Eukaryoten ist die Bezeichnung Transfektion üblich.

10.5.1 Transformation bei Bakterienzellen

Transformation ist die Übertragung von DNA in eine Zelle, ohne dass ein direkter
Spender vorliegt. Es ist die Aufnahme „nackter“ DNA aus dem Medium. Die
DNA kann beispielsweise von einer abgestorbenen und lysierten Zelle stammen.
Die Empfänger-Zelle nimmt die DNA durch Membranproteine auf. Dabei spalten
Nucleasen einen Strang ab, der übriggebliebene Einzelstrang gelangt in die Zelle
und wird dort zum Doppelstrang ergänzt.
Historisch ist die Transformation relevant durch das Transformationsexperi-
ment zum Nachweis von DNA als genetisches Material (s. 7 Abschn. 1.2.1).
Heutzutage nutzt man die Transformation im Wesentlichen im Labor, um eine
Empfängerzelle genetisch zu verändern. Beispielsweise indem die Zelle ein zuvor
produziertes genetisches Konstrukt wie ein rekombinantes Plasmid aufnimmt und
dessen genetische Information verwertet.
Bakterienzellen sind in unterschiedlichem Maß von Natur aus zur Trans-
formation bereit. Sogenannte kompetente Zellen nehmen freie DNA auf. Im Labor
erhöht man die Bereitschaft dazu, indem man die Zelle mit Elektroschocks oder
Chemikalien behandelt, wodurch ihre Membran durchlässiger wird.
258 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien

10.5.2 Transfektion bei eukaryotischen Zellen

Die analoge Methode, um genetisches Material in eukaryotische Zellen einzu-


bringen, heißt Transfektion. Gelegentlich beschränkt man den Begriff Transfek-
tion auf die Transformation eukaryotischer Zellen mit veränderter Virus-DNA.
In der Onkologie versteht man unter Transformation allerdings den Übergang
zu unkontrolliertem Wachstum von Zellen.

10
259 11

Mutationen und
DNA-­Reparatur
Inhaltsverzeichnis

11.1 Worum geht es? – 260

11.2 Ursachen von Mutationen – 260


11.2.1  hysikalische Strahlung – 260
P
11.2.2 Chemische Veränderungen – 262
11.2.3 Biologische Ursachen – 264

11.3 Mutationsklassen – 267


11.3.1  unktmutationen – 267
P
11.3.2 Strukturelle Anomalien oder Aberrationen
oder Chromosomenmutationen – 270
11.3.3 Numerische Aberrationen – 276

11.4 Häufigkeit von Mutationen – 281

11.5 Spontane und induzierte Mutationen – 281


11.5.1 Experimente zu induzierter Mutation – 282

11.6 Mechanismen zur Aufhebung von Mutationen – 282

11.7 Reparatur von DNA-Schäden – 283


11.7.1 E inbettung in Zellprozesse – 283
11.7.2 Direkte Reparatur – 284
11.7.3 Basenexzisionsreparatur – 284
11.7.4 Nucleotidexzisionsreparatur – 285
11.7.5 Mismatch-Reparatur (Fehlpaarungsreparatur) – 287
11.7.6 Reparatur von DNA-Brüchen – 288
11.7.7 SOS-Mechanismus und Transläsionssynthese – 291
11.7.8 Brustkrebs und DNA-Reparatur – 292

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_11
260 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

11.1 Worum geht es?

Zu den Kennzeichen des Lebens gehören sowohl Fortpflanzung und Vermehrung


als auch Veränderung. Für alle Lebewesen ebenso wie für Phagen und Viren gilt:
Das Erbgut verändert sich. Eine vererbbare Veränderung der Nucleotidsequenz
heißt Mutation. Sie ereignet sich zufällig und ungerichtet. Dass die Gene veränder-
bar sind, ist eine Eigenschaft, die man als Mutabilität bezeichnet. Ursachen von
Mutationen können physikalisch, chemisch und biologisch sein. Anhand des Um-
fangs der betroffenen DNA teilt man Mutationen ein in Punktmutationen, struk-
turelle und numerische Aberrationen. Alle Zelltypen nutzen Mechanismen, um
DNA-Schäden zu beheben. In welchem Umfang die Zelle die DNA repariert, ist
dabei von dem Schaden abhängig und betrifft eine einzelne Base, ein Nucleotid
oder mehrere Nucleotide.

11.2 Ursachen von Mutationen

Mutationen entstehen durch physikalische Strahlung, chemische Substanzen oder


durch biologische Vorgänge. Der Begriff des Mutagens, also Mutationen er-
zeugend oder auslösend, bleibt aber auf physikalische und chemische Ursachen be-
schränkt.

z Mutagenitätstest
Der klassische Test auf die mutagene (und karzinogene) Wirkung ist der Ames-­
11 Test. Er arbeitet mit Stämmen von Salmonella typhimurium. Die Zellen zeichnen
sich durch mehrere Eigenschaften aus: (1) Sie besitzen mehrere Mutationen im his-
Gen, können daher ohne Histidin im Nährmedium nicht wachsen. Mutagene
Stoffe rufen Veränderungen hervor, sodass genau diese Eigenschaft wieder-
gewonnen wird. Tatsächlich fügt man dem Minimalmedium eine geringe Histi-
din-Menge hinzu. So ist eine geringe Replikation möglich und man kann auch die
Stoffe erkennen, die erst in Folge der Replikation wirksam sind. (2) Sie besitzen
weitere Defekte: im Reparatursystem, damit sie eine Mutation nicht beheben kön-
nen, in der Zellwandsynthese, damit der Stoff leichter aufgenommen wird.
Moderne Mutagenitätstests arbeiten mit Säugerzell-Kulturen oder mit trans-
genen Mäusen, in die Konstrukte mit Reportergenen eingeschleust wurden.

11.2.1 Physikalische Strahlung

Organismen können zwei Typen von Strahlung ausgesetzt sein:


55 Elektromagnetische Strahlung ist eine wellenförmige Schwingung des elektri-
schen und magnetischen Felds.
55 Teilchenstrahlung besteht aus subatomaren Materieteilchen.
11.2 · Ursachen von Mutationen
261 11
Die schädlichen Auswirkungen der Strahlung können auf verschiedene Weisen ent-
stehen:
55 Durch unterschiedliche direkte Wechselwirkungen mit der DNA werden Teile
des Moleküls ionisiert oder energetisiert und dadurch chemisch reaktions-
freudiger:
–– Sind die Basen betroffen, können sie sich chemisch verändern. Beispielsweise
können sie sich mit einer benachbarten Base zu einem Dimer verbinden.
–– Ist das Rückgrat des Moleküls aus Zucker- und Phosphatgruppen betroffen,
kann ein Strangbruch auftreten.
55 Auf indirekten Wegen, indem andere Moleküle verändert werden und beispiels-
weise als Radikale oder Peroxide die DNA angreifen.

Das Ausmaß der Schäden kann unterschiedlich ausfallen:


55 Punktuelle Schäden sind räumlich eng begrenzt. Hierzu zählen beispielsweise
Quervernetzungen zwischen den Basen der Einzelstränge.
55 Durch Strangbrüche kann es zu verschieden umfangreichen Deletionen oder
Chromosomenbrüchen kommen.

Elektromagnetische Strahlung
Die mutagenen elektromagnetischen Strahlungsarten umfassen:
55 UV-Strahlung oder ultraviolettes Licht,
55 Röntgenstrahlung und
55 Gammastrahlung.

Sie unterscheiden sich in der Wellenlänge und damit in ihrer Energie. Gamma-
strahlung ist am energiereichsten, gefolgt von Röntgenstrahlung und UV-­Strahlung.
Der erbgutschädigende Mechanismus am Beispiel der Auswirkungen von UV-­
Strahlung:
55 DNA absorbiert UV-Strahlung im UV-B- und UV-C-Bereich mit einem Ab-
sorptionsmaximum bei 260 nm.
55 Die UV-Strahlen lösen mit ihrer Energie chemische Reaktionen zwischen den
benachbarten Basen eines Strangs aus.
55 Vor allem aufeinanderfolgende Pyrimidine reagieren miteinander zu Dimeren
wie beispielsweise zum Cyclobutandimer, auch Cyclobutyldimer genannt, oder
TT-Dimeren.
55 Erfolgt die Verbindung der Basen über die Kohlenstoffatome 6 und 4, spricht
man von 6-4-Läsionen oder 6-4-Photoprodukten.
55 DNA-Sequenzen mit mehreren aufeinanderfolgenden Pyrimidinen sind be-
sonders anfällig für UV-Schäden. Solche mutationsgefährdeten Stellen nennt
man Hotspots.
55 Die Dimerisierung von Purin beobachtet man viel seltener.

Die Photoprodukte verursachen zwei Probleme:


55 Sie blockieren die RNA-Polymerase und damit die Transkription.
55 Sie lösen bei der Replikation Deletionen aus oder den falschen Einbau von
Adenin.
262 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

Organismen, die der UV-Strahlung ausgesetzt sind, haben Reparatursysteme ent-


wickelt, um diese Schäden zu beheben.

Teilchenstrahlung
Die verschiedenen Arten von Teilchenstrahlung bestehen aus Bausteinen der
Atome, die in der Regel durch radioaktive Zerfallsprozesse freigesetzt werden:
55 Alphastrahlung besteht aus Heliumkernen, die wiederum aus zwei Protonen
und zwei Neutronen zusammengesetzt sind. Die Strahlen sind zweifach positiv
elektrisch geladen. Wegen ihrer Größe dringen sie nicht tief in Gewebe ein.
55 Betastrahlung besteht meistens aus Elektronen. Die Strahlen sind einfach nega-
tiv elektrisch geladen.
55 Betastrahlung aus positiv geladenen Positronen ist seltener.
55 Protonen sind Kernbausteine, die eine positive Ladung tragen.
55 Neutronen sind elektrisch neutrale Kernbausteine.

Die Wirkung auf das Erbgut geht auf die Ionisierung chemischer Moleküle zurück.
Dafür gibt es mehrere Mechanismen:
55 Langsame Teilchen kann ein Molekül direkt einfangen und dadurch deren elek-
trische Ladung übernehmen.
55 Energiereichere und elektrisch neutrale Teilchen schlagen durch Effekte wie
Stöße und Streuung Elektronen oder gar Protonen aus dem Molekül heraus.
55 Treffen die Teilchen auf einen Atomkern, können sie diesen instabilisieren und
einen radioaktiven Zerfall des Kerns provozieren. Ändert sich dabei die Zahl
der Protonen, passt die Elektronenzahl des Atoms nicht mehr, um die Kern-
ladung auszugleichen.
11 55 Zusätzlich können Atomkerne, die langsame Protonen aufgenommen haben,
Gammastrahlung aussenden.

11.2.2 Chemische Veränderungen

Mutagene chemische Substanzen können zwei Ursprünge haben:


55 Sie entstehen in der Zelle selbst.
55 Es sind Substanzen von außen.

Beispiele für zelleigene Mutagene


Die Bindungen innerhalb der Nucleotide selbst sind instabil. So verlieren Cytosin
oder 5-Methylcytosin ihre Aminogruppen. Aus Cytosin wird dann Uracil, aus
5-Methylcytosin wird Thymin. Auch die Bindung zwischen einer Base und dem
Zucker kann aufbrechen.
Die mutagenen Substanzen sind Bestandteil der Zelle oder entstehen durch ihre
Stoffwechselprozesse.
55 Organismen mit Sauerstoffatmung schädigen sich im Lauf ihres Lebens durch
Hydroxidradikale, die als Nebenprodukt der Atmungskette entstehen. Die Ra-
dikale rufen Schäden an den Basen oder am Zucker der DNA hervor.
11.2 · Ursachen von Mutationen
263 11
Die häufigste Reaktion ist die Bildung von 8-Oxoguanin. Das veränderte Nucleo-
tid führt zum fehlerhaften Einbau von Adenin im gegenüberliegenden Strang.
55 Wasser wirkt auf zwei Wegen:
–– Es spaltet DNA hydrolytisch zwischen Zucker und Base, wodurch es zu
einem Strangbruch kommt.
Es verändert einzelne Nucleotide chemisch, indem es in einer Des-
aminierung Aminogruppen von den Basen abspaltet. Der Verlust der Base
ergibt eine sogenannte AP-Stelle, die je nach Art der betroffenen Base ap-
urinisch oder apyrimidinisch genannt wird.
Eine AP-Stelle stellt eine Lücke im betroffenen Strang dar, welche die
Reparaturmechanismen einer Zelle grundsätzlich beheben können. Bei
manchen Zellen wie E. coli aktiviert diese Lücke die SOS-Antwort
(s. 7 Abschn. 11.7.7), welche die Lücke zwar repariert, dabei aber zu
Mutationen führt.

In bakteriellen Endosporen ist der Wassergehalt reduziert, um Schäden an der


DNA zu reduzieren.

Beispiele für äußere Mutagene


55 Basenanaloga sind Substanzen, die ähnlich wie Nucleotidbasen aufgebaut sind.
Ein Beispiel ist 5-Bromuracil (5-bU). Die DNA-Polymerase baut bei der Repli-
kation in den neuen Strang 5-bU anstelle von Thymin ein. Anders als Thymin
liegt das Analogon aber häufiger in einer isomeren Form (Enolform) vor, an die
sich Guanin anlagert. Es kommt zu einer Punktmutation (s. u.).
55 Desaminierende Stoffe entfernen eine Aminogruppe.
–– Die Desaminierung von Adenin ergibt die Base Hypoxanthin, die sich mit
Cytosin paart.
–– Desaminiertes Cytosin ist Uracil, dem gegenüber ein Adenin eingebaut wird.

CG-reiche Abschnitte sind besonders mutationsanfällig und stellen Hotspots dar.


Auch die desaminierenden Substanzen lösen Punktmutationen aus.
Beispiele: Salpetersäure, Natriumbisulfit (wirkt desaminierend auf Cytosin).
55 Alkylierende und methylierende Stoffe wie Ethylmethansulfonat und Nitros-
amin rufen Punktmutationen hervor. Beispielsweise paart sich 6-Methylguanin
mit Thymin.
Diese Mutagene können auch die Replikation hemmen, weil sie wie Senfgas
die DNA quervernetzen.
55 Interkalatorische Mutagene oder Interkalatoren schieben sich zwischen die
Basen und verursachen Frameshift -Mutationen.
Zu ihnen zählen Acridinfarbstoffe und Ethidiumbromid. Mit Ethidiumbro-
mid färbt man im Labor häufig nach einer Elektrophorese die DNA-Banden
an. Auch Mitomycin C, ein Antibiotikum und Zellgift gegen Tumore, zählt zu
den Interkalatoren.
264 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

55 Mutagene wie die Aflatoxine des Schimmelpilzes Aspergillus flavus und poly-
zyklische aromatische Kohlenwasserstoffe werden von körpereigenen Enzymen
in reaktive Stoffe umgewandelt, die sich an die Basen heften. Sie verändern die
DNA-Struktur derart, dass sie die Transkription und Replikation blockieren.

11.2.3 Biologische Ursachen

Normale Prozesse der Zelle können zu Mutationen führen. Diese können ­entstehen
55 durch Fehler während der Replikation,
55 durch Transposition,
55 durch Fehler in der Meiose.

Fehler bei der Replikation


DNA-Polymerasen bauen gelegentlich falsche Nucleotide ein. Die Häufigkeit liegt
bei etwa 1 Fehler auf 104 Nucleotiden.
Die Zelle kann den Fehler oft korrigieren. Manche Polymerasen sind zusätzlich
3′-5′-Exonucleasen. Das ermöglicht ihnen ein Korrekturlesen oder proof reading:
55 Ist es zum Einbau einer falscher Base gekommen, paart diese sich nicht mit der
gegenüberliegenden Base.
55 Aufgrund der unterbrochenen Helixharmonie stoppt die Polymerase kurz, die
Exonuclease schneidet die falsche Base heraus, und die Polymerase baut die
richtige ein.

Bei E. coli bleibt die Synthese des Folgestrangs auch nach dem proof reading fehler-
11 hafter, hier häufen sich bis zu 20 Mal mehr Fehler an als im neusynthetisierten
Leitstrang.
Das Korrekturlesen erkennt nicht alle Schäden. Dafür gibt es mehrere Ursa-
chen:
55 Die Basen können in zwei verschiedenen tautomeren Formen vorliegen, in der
Keto- oder in der Enolform.
Thymin liegt meist in der Ketoform vor, gelegentlich aber in der Enolvari-
ante. Als Enol paart es sich mit Guanin, die Paarung wird nicht als fehlerhaft
erkannt.
55 Wenn in der DNA Sequenzwiederholungen vorliegen, gerät die Replikations-
maschinerie ins Rutschen, was als replication slippage bezeichnet wird.
Beispielsweise an Mikrosatelliten wie CA-Wiederholungen:
–– Wegen der Fehler sind CA-Repeats variabel.
–– Liegen schon mehrere CA-Repeats in der Matrize vor, verrutscht oft der
Replikationsapparat so weit, dass neue komplementäre Repeats vor oder
hinter ihrem eigentlichen Paarungspartner zum Liegen kommen.
–– Es werden Repeats zusätzlich eingebaut oder können fehlen.

Replication slippage erzeugt also kleine Insertionen oder Deletionen, was mit dem
Begriff Indels zusammengefasst wird.
11.2 · Ursachen von Mutationen
265 11
Fehler bei der Replikation und Krankheiten
Möglicherweise sind replication slippages der Grund für bestimmte neuro-
degenerative Erkrankungen des Menschen wie Chorea Huntington, das Fragi-
le-X-Syndrom oder die Friedreich-Ataxie.
Gemeinsam ist diesen Erkrankungen, dass bereits vorhandene Trinucleotidein-
heiten vervielfältigt werden.
55 Bei gesunden Menschen kommt das Codon CAG für Glutamin im Huntington-­
Protein sechs- bis 35 Mal vor. Patienten mit Chorea Huntington weisen 36- bis
121 Mal CAG auf. Je häufiger CAG auftritt, desto stärker ist das Krankheits-
bild. In der Folge degenerieren letztlich bestimmte Nervenzellen.
55 Das FMR1-Gen liegt auf dem X-Chromosom, sein Genprodukt ist
ein RNA-Bindeprotein. Das normale FMR1-Allel umfasst zehn bis 50 Kopien
des ­Trinucleotids CGG. Seine Expansion ist mit zwei Syndromen assoziiert, das
Krankheitsbild ist von der Anzahl abhängig.
–– Bei 50 bis 200 Kopien liegt eine Prämutation vor, sie führt zu einer Über-
expression von FMR1, allerdings erst im höheren Alter zu einem Krank-
heitsbild, dem Fragilen-X-assoziierten Tremor-/Ataxiesyndrom (FXTAS).
–– Mehr als 200 Kopien verursachen das Fragile-X-Syndrom (FXS, FRAXA),
hier ist das Gen jedoch stillgelegt, der Mangel an dem Protein bedingt letzt-
lich geistige Behinderung, vergrößerte Hoden bei Männern und ein läng-
liches Gesicht.
–– Bei FXTAS liegt also ein Funktionsgewinn vor (gain of function), bei FXS ein
Funktionsverlust (loss of function).

Man bezeichnet die Mutationen als dynamisch, weil sich der Prozess in nach-
folgenden Replikationsrunden weiter fortsetzen kann. Dabei gilt im Allgemeinen,
dass eine höhere Anzahl an Wiederholungen ein ausgeprägteres Krankheitsbild
hervorruft.
Mit dem einfachen Verrutschen lassen sich hohe Wiederholungszahlen von Se-
quenzen wie bei FXTAS und FXS eigentlich nicht mehr erklären. Eine zu-
treffendere Erklärung könnte sein, dass GC-reiche Abschnitte in den Okazaki-­
Fragmenten Sekundärstrukturen ausbilden, die dann eine mehrfache Replikation
dieser Stellen nach sich ziehen und nicht als Fehler behoben werden.

Transposition
Bewegliche DNA-Elemente können ebenfalls Mutationen verursachen (s. 7 Kap. 9).
Die Auswirkungen von Transpositionen hängen von der Funktion des DNA-­
Abschnitts ab, in den sie springen:
55 Sprünge in nichtcodierende Abschnitte bleiben oft ohne Wirkung.
55 Die Insertion in ein Gen kann seine Funktion beeinträchtigen oder ganz zer-
stören.
55 Bestimmte Transposons wirken über die Veränderung der Genexpression. Dabei
sind zwei Möglichkeiten vorhanden:
–– Das Transposon kann die Transkription unterdrücken,
–– oder es kann sie verstärken.
266 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

Fehler während der Meiose


Eine fehlerhaft ablaufende Meiose macht sich auf der Ebene der Chromosomen
bemerkbar:
55 Aus einem Crossing over zwischen homologen Chromosomen ohne anschließende
Trennung resultiert eine Fehlsegregation oder Non-Disjunction. Nach Be-
fruchtung der Keimzelle liegt eine Trisomie oder Monosomie vor (. Abb. 11.1).
55 Nach einem Crossing over zwischen Chromosomenabschnitten, die nicht Allel-­
gleich sind, aber eine starke Homologie zeigen, einem sogenannten ungleichen
Crossing over, verfügt eines der Chromosomen über zusätzliche DNA-­Abschnitte,
die dem anderen Chromosom fehlen. Die Crossing-over-Stellen sind zwar homo-
log zueinander, aber die Nicht-Schwesterchromatiden liegen über ihre gesamte
Länge asymmetrisch aneinander. Ein ungleiches Crossing over kommt beispiels-
weise zwischen tandemartig wiederholten Sequenzen ­relativ häufig vor.

11

..      Abb. 11.1 Gonosomale Aneuploidien entstehen durch Non-Disjunction während der 1. oder 2.
Meiose der Oogenese (a) oder der Spermatogenese (b). (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
11.3 · Mutationsklassen
267 11
11.3 Mutationsklassen

Von welchem Mutationstyp man spricht, ist abhängig vom Umfang der Ver-
änderung:
55 Punktmutationen betreffen eine oder wenige Basen. Sie wirken sich meist nur
auf ein Gen aus und heißen daher auch Genmutationen.
55 Strukturelle Anomalien betreffen einen längeren DNA-Abschnitt, gelegentlich
nennt man sie auch Chromosomenmutationen.
55 Genommutationen erfassen ein komplettes Chromosom oder den Chromo-
somensatz, gelegentlich bezeichnet man sie als numerische Aberrationen.

Mutationen kann man auch nach den Zellen und somit nach der Erblichkeit ein-
teilen:
55 Somatische Mutationen betreffen Körperzellen. Sie bleiben auf den Träger be-
schränkt und werden nicht weitergegeben.
55 Keimbahnmutationen betreffen Spermien, Eizellen oder die Zellen, aus denen
sie hervorgehen. Sie werden an die Nachkommen vererbt.

11.3.1 Punktmutationen

Es gibt drei Arten von Punktmutationen:


55 Eine Substitution liegt vor, wenn bei einer Punktmutation eine Base gegen eine
andere Base ausgetauscht ist. Man unterscheidet zwei Varianten:
–– Bei einer Transition wird eine Base gegen den verwandten Typ getauscht,
also Pyrimidin gegen Pyrimidin oder Purin gegen Purin (. Abb. 11.2).
–– Bei einer Transversion ändert sich der Basentyp, also von einer Purin- zu
einer Pyrimidinbase oder umgekehrt.
55 Bei einer Deletion gehen eine oder wenige Nucleotide verloren.
55 Bei einer Insertion werden ein oder wenige zusätzliche Nucleotide in die DNA
eingefügt.

Thymin

Adenin Guanin

Cytosin

..      Abb. 11.2 Beziehungen zwischen Transitionen (durchgezogene Pfeile) und Transversionen (ge-
strichelte Pfeile). (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
268 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

Auswirkungen von Punktmutationen


Die Folgen von Punktmutationen können sehr unterschiedlich ausfallen:
55 Bei einer stummen Mutation (silent mutation) entsteht ein verändertes Codon,
das aber für die gleiche Aminosäure codiert. Die Mutation wirkt sich auf der
Proteinebene nicht aus.
55 Eine Nonsense-Mutation liegt vor, wenn durch die Mutation ein Stoppcodon
entsteht und die Translation dadurch abgebrochen wird. Das entstehende Pro-
tein ist unvollständig und kann häufig seine Funktion nicht übernehmen. Die
Auswirkung hängt dabei von der Position (am Anfang oder am Ende) ab.
55 Durch eine Missense-Mutation entsteht ein Codon, das für eine andere Amino-
säure codiert. Die Auswirkungen für das Protein hängen ab (1) von der Be-
deutung der veränderten Aminosäure, (2) von den Eigenschaften und (3) von
der Position im Protein:
–– Hat die neue Aminosäure vergleichbare Eigenschaften wie im Wildtyp und
befindet sie sich an keiner wichtigen Stelle, ist das Protein häufig voll
funktionsfähig.
–– Ein Aminosäureaustausch in einem wichtigen Bereich wie der Bindungs-
stelle eines Rezeptors oder der DNA-Bindungsdomäne kann die Tertiär-
struktur des Proteins verändern und es unbrauchbar machen.
–– Eine veränderte Aminosäure im aktiven Zentrum eines Enzyms beeinflusst
die Qualität der Katalyse. Meistens arbeitet das Enzym schlechter oder gar
nicht mehr, selten verbessert sich die Effizienz.
55 Bei Spleißmutationen betrifft die Mutation die Spleiß-Consensussequenzen.
Eine Spleißstelle fällt weg oder entsteht. Exons oder Introns werden falsch ge-
11 spleißt.
55 Wie sich Deletionen und Insertionen auswirken, wird davon bestimmt, ob die
Anzahl der verlorenen oder hinzugekommenen Basen durch drei teilbar ist:
–– Ist die Zahl der Basen durch drei teilbar, fehlt im Protein für jede Dreier-
gruppe eine Aminosäure bzw. es kommt jeweils eine Aminosäure hinzu. Die
Folgen für das Protein hängen wie bei Missense-Mutationen von den Eigen-
schaften und der Bedeutung der betreffenden Aminosäuren ab.
–– Umfasst die Insertion um eine oder mehr Dreiergruppen ein Stoppcodon,
bricht die Translation früher ab, und das Protein ist zu kurz. Geht bei einer
Deletion ein Stoppcodon verloren, läuft die Translation weiter, und das Pro-
tein wird zu lang. In beiden Fällen kann das Protein seine Funktion ein-
büßen.
–– Ist die Zahl der verlorenen oder zusätzlichen Basen nicht durch drei teilbar,
verschiebt sich durch die Deletion oder Insertion das Leseraster oder der
Leserahmen. Bei einer solchen Rasterschubmutation oder Frameshift-­
Mutation übersetzt das Ribosom verkehrte Dreiergruppen als Codons und
synthetisiert ein Protein mit einer oft unsinnigen Aminosäuresequenz. Häufig
entsteht durch die Leserasterverschiebung ein Stoppcodon, sodass die
Proteinsynthese vorzeitig abgebrochen wird. Wichtig für die Auswirkung ist
wieder die Position. Am Ende ist die Auswirkung weniger dramatisch als am
Anfang.
11.3 · Mutationsklassen
269 11
Man unterteilt die Mutationen im Hinblick auf die Funktion auch in zwei Kate-
gorien:
55 Eine Funktionsverlustmutation (loss of function mutation) inaktiviert das Gen
oder reduziert die Funktion des Genprodukts. In diese Kategorie fallen die
meisten Mutationen.
55 Eine Funktionsgewinnmutation (gain of function mutation) erhöht die Aktivi-
tät. Mutationen mit gain of function liegen oft in regulatorischen Bereichen.
Tatsächlich sind sie seltener als Mutationen mit Funktionsverlust.

Eine andere Klasse sind temperatur-sensitive Mutationen (ts-Mutationen):


55 Sie wirken sich erst ab einer bestimmten Temperatur aus.
55 Bei der permissiven Temperatur arbeitet das Protein normal, bei der restrikti-
ven (oder nichtpermissiven) Temperatur verliert es seine Funktion.
55 Man unterscheidet hitzelabile von kältelabilen ts-Mutationen.
55 Die Ursache für eine ts-Mutation kann der Austausch einer verwandten Amino-
säure sein.
55 Mithilfe von ts-Mutanten kann man die Funktion von Proteinen untersuchen,
indem man den Organismus bei permissiver und restriktiver Temperatur ver-
gleicht.

Beispiele für Mutationen in Globingenen und damit verbundene Krankheiten:


55 β-Thalassämien: Die Patienten bilden aufgrund von Spleißmutationen keine
β-Ketten des Hämoglobins.
55 α-Thalassämien: Die Patienten bilden keine α-Ketten des Hämoglobins. Ursa-
che ist oft eine Deletion aufgrund eines ungleichen Crossing over während der
Meiose.
55 Sichelzellanämie (. Abb. 11.3): Homozygote Patienten bilden abnormes
Hämoglobin (HbS) und bei geringerem Sauerstoffpartialdruck sichelförmige
Erythrocyten. Ursache ist eine Punktmutation, die in der β-Globin-Kette die
Aminosäure Glutaminsäure an Position 6 durch Valin ersetzt. Heterozygote
Anlageträger zeigen einen Selektionsvorteil gegenüber Malaria.

Glu

Val Leu Ser Pro Ala Asp Lys Thr Asp Val Lys Ala Ala
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Val
Val His Leu Thr Pro Glu Lys Ser Ala Val Thr Ala Leu
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

..      Abb. 11.3 Aminosäureaustausch bei Sichelzellanämie. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
270 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

11.3.2  trukturelle Anomalien oder Aberrationen


S
oder Chromosomenmutationen

Mutationen können längere Abschnitte eines Chromosoms betreffen:


55 Bei einer Deletion (im Karyotyp mit del abgekürzt) fehlt ein Segment des
Chromosoms.
55 Bei einer Duplikation (dup) ist ein Segment verdoppelt.
55 Bei einer Inversion (inv) ist ein Teil des Chromosoms mit falscher Richtung ein-
gesetzt.
55 Bei einer Insertion (ins) wird ein zusätzlicher Abschnitt, der oft von einer Du-
plikation stammt, in das Chromosom eingebaut.
55 Bei einer Translokation (t) wechselt ein Segment zu einem anderen Chromo-
som. Oft wechseln zwei Segmente von zwei Chromosomen im Tausch. Der
unten beschriebene Spezialfall der Robertson-Translokation wird im Karyotyp
mit rob abgekürzt.

Derartige Chromosomenmutationen sind häufig die Ursache


55 für komplexe erblich bedingte Krankheiten oder Fehlbildungen,
55 für wiederholte Fehlgeburten oder habituelle Aborte.

Strukturelle Anomalien entstehen, wenn ein oder mehrere Chromosomen brechen


und falsch repariert werden. Sie ergeben sich
55 als Folge einer fehlerhaften Reparatur, nachdem die DNA durch Chemikalien
geschädigt wurde,
11 55 oder als Folge einer Rekombination, wenn sich in der Meiose nichthomologe
Chromosomen falsch paaren.

Strukturelle Anomalien können sich in Körperzellen ereignen oder in Keimzellen.

Nomenklatur im Karyotyp
Der Karyotyp umfasst alle Chromosomen einer Zelle. Stellt man sie geordnet dar,
erhält man ein Karyogramm (siehe 7 Abb. 12.10 und 7 12.11).
Der Karyotyp eines Patienten umfasst dann:
55 die Anzahl der Chromosomen,
55 die Angabe der Geschlechtschromosomen,
55 eventuelle numerische oder strukturelle Aberrationen.

Die Schreibweise im Karyotyp gibt Chromosomenmutationen in einer bestimmten


Reihenfolge an:
55 erst die Art der Veränderung,
55 dann die beteiligten Chromosomen,
55 dann die Bruchpunkte in den Abschnitten der Chromosomen.

Beispiel: 46,XY,t(4;8)(p14;q22) eine Translokation mit einer Bruchstelle zwischen


4p14 und 8q22. Abschnitte wie 14 werden gelesen als „eins, vier“, nicht als „vier-
zehn“.
11.3 · Mutationsklassen
271 11
Deletion
Bei einer Deletion geht ein Teil des Chromosoms verloren.
Man unterscheidet zwei Varianten:
55 Bei der terminalen Deletion fehlt ein Endsegment des Chromosoms.
55 Bei einer inneren oder interstitiellen Deletion ist der mittlere Abschnitt des
Chromosoms verloren gegangen (. Abb. 11.4). Die Auswirkungen können
unterschiedlich sein:
–– Überspannt dieser innere Abschnitt das Centromer, gehen die Endbruchstü-
cke bei der Zellteilung verloren, und dem Rest-„Chromosom“ fehlen die Te-
lomere.
–– Findet die Deletion innerhalb des Heterochromatins statt, kann das Indivi-
duum den Verlust oft ohne Nachteile verschmerzen.

z Beispiele für terminale Deletionen und Syndrome beim Menschen


55 5p–: Ein Teil des kurzen Arms von Chromosom 5 fehlt. Es kommt zum Katzen-
schreisyndrom (Cri-du-chat-Syndrom): Die betroffenen Kinder schreien katzen-
artig. Zahlreiche weitere Symptome sind möglich, liegen aber nicht alle gleich-
zeitig vor.
55 5q–: Ein Teil des langen Arms fehlt. Dies zählt zu den myelodysplastischen Syn-
dromen mit Anämie und Leukopenie.

..      Abb. 11.4 Mögliche Entstehung a h h


und Folgen von terminalen (a) und g g
interstitiellen (b, c) Deletionen. (Nach f f
Buselmaier und Tariverdian 2007) e e
d d
c c
b b
a a
b
h h
g g
f f
c
e e b
d d
b c
c
b a
a
c
h h
g g f
f
e e
d d
c c
b b
a a
272 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

Duplikation
Eine Duplikation liegt vor, wenn die Zelle einen Chromosomenabschnitt verdoppelt
(. Abb. 11.5).
Nach der Lage und Orientierung der Kopie werden mehrere Varianten unter-
schieden:
55 Bei einer Tandemduplikation liegen die Segmente in gleicher Orientierung
hintereinander.
55 Bei einer Inversduplikation sind sie entgegengesetzt orientiert.
55 Die Duplikation eines Exons ist ein Weg des exon shuffling. Darunter versteht
man den Mechanismus, dass neue Gene entstehen können, indem Exons neu
zusammengestellt werden (s. 7 Abschn. 9.4.1). Man erklärt die Evolution vieler
Gene aufgrund von exon shuffling.

Eine Duplikation kann sich beispielsweise durch ein Crossing over zwischen
Schwesterchromatiden, zwischen homologen oder nichthomologen Chromosomen
ereignen.
Evolutionsbiologen erklären die Entstehung der Genfamilien, der rRNA-Gene
und der hochrepetitiven Satelliten-DNA mit Duplikationen.
Beispiel: Globingene
55 Bei den Vorfahren des Menschen ereignete sich wohl vor etwa 800 Mio. Jahren
die erste Verdopplung eines Globin-Vorfahrgens.
55 Weitere Verdopplungen folgten, sodass schließlich mehrere Gene auf ver-
schiedenen Chromosomen vorlagen, die sich getrennt entwickelten.
55 Es entstanden die α- und β-Gene für das Hämoglobin auf den Chromosomen
11 16 bzw. 11, das Myoglobingen (Chromosom 22), das Neuroglobingen (Chromo-
som 14) und das Gen für Cytoglobin (Chromosom 17).

Translokationen
Translokationen versetzen einen Chromosomenabschnitt von einem Chromosom
auf ein anderes, nichthomologes Chromosom.
Es gibt verschiedene Arten von Translokationen:

..      Abb. 11.5 Entstehung von Duplikationen.


(Nach Buselmaier und Tariverdian 2007) f
f e
e d

d c

c b

b c

a b

a
11.3 · Mutationsklassen
273 11
55 Eine reziproke Translokation liegt vor, wenn zwei Chromosomen Abschnitte
untereinander austauschen. Beispielsweise verliert Chromosom 7 ein Segment
an Chromosom 12, erhält aber seinerseits ein Teilstück von Chromosom 12.
55 Bei einer balancierten Translokation verändert sich die Gesamtmenge des Erb-
guts in der Zelle nicht.

Solange bei einer Translokation keine Gene zerstört werden, ändert sich der Phäno-
typ des Trägers nicht.
Findet die Mutation in der Keimbahn statt, kann eine Translokation schwer-
wiegende Folgen für die Nachkommen haben. Da jedes Chromosom in zwei Exem-
plaren vorliegt, von denen meistens nur eines betroffen ist, entstehen unterschied-
liche Keimzellen mit und ohne mutierte Chromosomen. Aus ihnen gehen ver-
schiedene Zygoten hervor:
55 Zellen, die nur unmutierte Chromosomen enthalten.
55 Zellen mit beiden Chromosomen, die an der Translokation beteiligt waren, so-
dass eine balancierte Translokation vorliegt.
55 Zellen mit partieller Monosomie, die ein verkürztes Chromosom erhalten
haben. Die zweite Keimzelle trägt mit ihrem unmutierten Chromosom den feh-
lenden Teil bei.
55 Zellen mit partieller Trisomie, in denen ein verlängertes Chromosom vor-
kommt.

Zwei Translokationen sind so häufig, dass sie eigene Namen erhalten haben.
55 Die Robertson-Translokation ereignet sich zwischen nichthomologen akrozen-
trischen Chromosomen, die einen sehr kurzen und einen langen Arm haben,
beim Menschen also zwischen den Chromosomen 13, 14, 15, 21, 22 und dem
Y-Chromosom.
–– Die langen Arme mitsamt der Centromere verbinden sich so, dass die beiden
Centromere dicht beieinander in der Mitte eines überlangen dizentrischen
Chromosoms liegen. Man spricht von einer zentrischen Fusion (. Abb. 11.6).
Die beiden Centromere agieren wie ein einziges Centromer. Das neu ge-
bildete Chromosom kann daher problemlos Mitosen und Meiosen durch-
laufen.
–– Die kurzen Arme verbinden sich miteinander. Dabei entsteht eine Art
Fusionsfussel ohne Centromer, das bei der nächsten Zellteilung verloren
geht.

Der Verlust der kurzen Arme stellt eine Deletion dar. Insgesamt wird die Zahl der
Chromosomen also um eins reduziert.
Der Träger einer balancierten Robertson-Translokation bildet je nach Segrega-
tion der normalen und nichtnormalen Chromosomen verschiedene Keimzellen, aus
denen nach der Befruchtung mit normalen Gameten verschiedene Zygoten ent-
stehen. Beispiele:
55 Eine Keimzelle erhält das Fusionschromosom und eines der nichtfusionierten
akrozentrischen Chromosomen. Die Zygote wird dann eine Trisomie auf-
weisen.
274 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

Akrozentrische Chromosomen Translokations- Gehen verloren


chromosom

..      Abb. 11.6 Entstehung einer zentrischen Fusion. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)

55 Für die andere Keimzelle bleibt nur das zweite nichtfusionierte akrozentrische
Chromosom. Die Zygote trägt eine Monosomie (für die weiteren Fälle
. Abb. 11.7).
55 Das Philadelphia-Chromosom ist ein verkürztes Chromosom 22 aufgrund einer
reziproken Translokation (. Abb. 11.8) zwischen den menschlichen Chromo-
somen 9 und 22: t(9;22)(q34;q11).
–– Das Chromosom 9 bricht im Bereich des ABL-Gens. Der Abschnitt wird in
das BCR-Gen (breakpoint cluster region) auf Chromosom 22 übertragen, es
11 entsteht das BCR-ABL-Gen auf Chromosom 22.
–– Umgekehrt wandert ein Teil des BCR-Gens von Chromosom 22 zu Chromo-
som 9 und lagert sich an den Rest des ABL-Gens.
55 Die Translokation verursacht bei ihren Trägern häufig Leukämie:
–– Das Produkt des ABL-Gens ist eine Tyrosin-Kinase, die unter anderem an
der Regulation der Zellteilung mitwirkt. Das Produkt des BCR-ABL-Gens
ist ein Fusionsprotein, bei dem die Kinaseaktivität erhalten geblieben ist.
–– Die Kontrolle über das BCR-ABL-Gen liegt beim BCR-Promotor, der das
fusionierte Gen überaktiviert.
–– Dadurch ist die Regulation der Zellteilung über die Tyrosin-Kinase gestört,
und die Zelle wird zur Tumorzelle. Es kann sich eine chronische myeloische
Leukämie oder eine akute lymphatische Leukämie entwickeln.

Der Austausch zwischen den Chromosomen 9 und 22 wird durch ihre benach-
barten Chromosomenterritorien im Zellkern begünstigt.
Auch Ringchromosomen betrachtet man als Resultat von Translokationen. Bei
der Mitose werden die (vorher verdoppelten) Ringchromosomen oft regelrecht zer-
rissen.
Isochromosomen sind seltene Translokationen. Die Isochromosomen haben
einen ihrer beiden Arme verloren. Stattdessen tragen sie zwei Exemplare des glei-
chen Arms. Die Ursache liegt darin, dass das ursprüngliche Chromosom während
11.3 · Mutationsklassen
275 11

Translokationstrisomie 21

Monosomie 21

Balancierte
Translokation 14/21

14/21 Normal
Translokation

Translokationstrisomie 14

Monosomie 14

Normal 1. Meiose 2. Meiose

..      Abb. 11.7 Entstehungswege ungewöhnlicher Zygoten. Ein Elternteil trägt eine zentrische Fusion
zwischen den Chromosomen 14 und 21 und kann verschiedene Keimzellen bilden. (Nach Buselmaier
und Tariverdian 2007)

r
r q
q p
h p o
g o n h
f n f g
e m e m
d l d l
c k c k
Centromer
b j b j
a i a i

..      Abb. 11.8 Entstehung einer reziproken Translokation. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
276 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

der Zellteilung nicht ordnungsgemäß längsgeteilt wurde, sondern quer. Beim Men-
schen kommen Isochromosomen i(Xq) und i(21q) vermehrt vor. I(21q) kann eine
Ursache für das Down-Syndrom sein, das Isochromosom mit dem langen Arm
von Chromosom X für das Ullrich-Turner-Syndrom.

Inversion
Bei der Inversion wird ein DNA-Abschnitt innerhalb eines Chromosoms gedreht
(. Abb 11.9).
Es gibt zwei Varianten:
55 Bei einer perizentrischen Inversion umfasst der gedrehte Abschnitt das Centro-
mer.
55 Eine parazentrische Inversion ist auf einen Arm beschränkt.

Eine Inversion macht sich unter bestimmten Bedingungen bemerkbar:


55 Falls die Bruchstellen innerhalb eines Gens liegen, so wird die Sequenz zerstört.
55 Trennt die Inversion ein Gen von seinen regulierenden Regionen und stellt es
unter die Kontrolle anderer Mechanismen, verändert sich seine Aktivität. Diese
Situation wird als Positionseffekt bezeichnet und kann ähnliche Folgen haben
wie beim Philadelphia-Chromosom.

11.3.3 Numerische Aberrationen

Numerische Aberrationen reichen von einzelnen, ganzen Chromosomen, die fehlen


oder überzählig sind, bis hin zur Vervielfältigung oder Reduzierung des kompletten
11 Chromosomensatzes, den Genommutationen. Genommutationen kommen vor
allem bei Pflanzen vor.
Begriffe zur Einteilung:
55 Euploidie: Es liegt der übliche, komplette Chromosomensatz vor. Beispielsweise
in somatischen Zellen des Menschen ein doppelter (diploider) Chromosomen-
satz.
55 Haploidie: Die Zelle enthält einen einfachen Chromosomensatz. Beispielsweise
in Keimzellen des Menschen zu finden.

a f b
f
e e
d c
c d

b b

a a

..      Abb. 11.9 Entstehung einer Inversion. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
11.3 · Mutationsklassen
277 11
55 Polyploidie: Ein ganzer Chromosomensatz ist in Überzahl vorhanden. Bei-
spielsweise besitzt eine triploide Zelle einen dreifachen Chromosomensatz.
55 Aneuploidie: Die Änderung betrifft ein einzelnes Chromosom. Es handelt sich
damit um eine numerische Chromosomenaberration. Man unterscheidet meh-
rere Varianten:
–– Hyperploidie: Es sind ein oder mehrere überzählige Chromosomen vor-
handen wie beispielsweise bei einer Trisomie.
–– Hypoploidie: Es fehlen ein oder mehrere Chromosomen. Beispielsweise fehlt
bei einer Monosomie ein einzelnes Chromosom.
55 Im Umgang mit Aneuploidien verwendet man meist die konkreteren Begriffe
Trisomie oder Monosomie.
55 Nullisomie: Ein Paar homologer Chromosomen fehlt. Der Fall führt meist zum
Tod.

Auswirkungen bei Pflanzen


Pflanzen zeigen erheblich weniger Probleme mit Aneuploidien. Von der Tomate
(Lycopersicon) oder der Gerste (Hordeum) beispielsweise sind Trisomien jedes
einzelnen Chromosoms bekannt. Diese Mutanten bilden verschiedene Frucht-
formen aus. In der Züchtung ist das durchaus erwünscht.
55 Pflanzen mit Haploidie sind häufig lebensfähig.
55 Polyploidien kommen bei Pflanzen häufig vor. Man unterscheidet zwei Formen:
(1) Bei der Autopolyploidie hat sich der eigene Chromosomensatz vervielfacht,
ein Beispiel ist die Kartoffel (Solanum tuberosum). (2) Bei der Allopolyploidie ist
es zur Vervielfachung gekommen, indem durch Kreuzungen fremde Chromo-
somensätze sich vereinigt haben, Beispiel: Weizen (Triticum aestivum).

Auswirkungen bei Tieren


Bei Tieren verursachen Aneuploidien oft erhebliche Probleme.
Für die meisten Tiere ist eine Haploidie tödlich, Ausnahmen hiervon bilden In-
sekten wie Hautflügler oder Hymenoptera, zu denen beispielsweise Bienen ge-
hören. Bei ihnen bestimmt die Anzahl des Chromosomensatzes das Geschlecht.
55 Unbefruchtete und somit haploide Zellen entwickeln sich zu männlichen Tie-
ren.
55 Befruchtete, diploide Zellen werden zu Weibchen.

Andere haplo-diploide Arten sind unter Spinnen und Rädertierchen zu finden.

Medizinisch relevante Aneuploidien beim Menschen


Theoretisch gibt es beim Menschen 23 verschiedene Trisomien, es sind aber längst
nicht alle lebensfähig.
Man muss zwischen den Trisomien der Autosomen und der Gonosomen unter-
scheiden, weil überzählige Geschlechtschromosomen weniger gravierend sind. Beim
Y-Chromosom liegt das daran, dass es keine lebensnotwendigen Gene enthält,
beim X-Chromosom an der Inaktivierung weiterer X-Chromosomen.
278 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

..      Abb. 11.10 Entstehungswege eines gonosomalen Mosaiks aufgrund von Non-Disjunctionen im


Blastocystenstadium. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)

Beispiele für Aneuploidien von Gonosomen:


55 Frauen mit dem Karyotyp 47,XXX sind oft phänotypisch unauffällig.
55 Liegt der Karyotyp 45,X0 vor, spricht man vom Ullrich-Turner-Syndrom. Es
kommt mit einer Häufigkeit von etwa 1:2500 (bezogen auf Geburten von Mäd-
11 chen) vor und entsteht meist durch postzygotischen Verlust des Y-Chromo-
soms, es kann allerdings auch ein Mosaik vorliegen: mos 45,X0/46,XX. Die
Frauen sind u. a. minderwüchsig und infertil. Trägt das vorhandene X-Chromo-
som die Mutation für die Rot-Grün-Sehschwäche, leiden auch die Frauen an
dieser Fehlsichtigkeit.
55 Der Karyotyp 47,XXY bildet das Klinefelter-Syndrom aus. Die Häufigkeit liegt
etwa bei 1:700. Man zählt dazu auch die selteneren Karyotypen wie 48,XXYY
oder 48,XXXY sowie Mosaike. Die Betroffenen sind zwar männlich, aber mit
der Fettverteilung einer Frau. Sie sind hochgewachsen und infertil.
55 Der Fall von Männern mit dem Karyotyp 47,XYY war früher umstritten, da
manche der Betroffenen als aggressiv galten und man glaubte, diesen Karyotyp
unter Gefängnisinsassen häufiger gefunden zu haben. Der angenommene Zu-
sammenhang ist mittlerweile widerlegt.
55 Von den Gonosomen sind weitere Mosaike bekannt. So können Frauen mit
normalem Karyotyp auch Zellen mit Y-Chromosom besitzen (. Abb. 11.10).

Aneuploidien der Autosomen wie Trisomien wiegen erheblich schwerer


(. Abb. 11.11). Etwa 50 % der Fehlgeburten haben ihre Ursache in autosomalen
Trisomien
Man unterscheidet verschiedene Formen der Trisomie:
55 Bei der freien Trisomie besitzt jede Körperzelle drei Exemplare des betreffenden
Chromosoms.
11.3 · Mutationsklassen
279 11
a b c

..      Abb. 11.11 Entstehungswege einer autosomalen Trisomie durch Non-Disjunction in der 1. (a)
oder 2. (b) Meiose oder durch mitotische Non-Disjunction (c). (Nach Buselmaier und Tariverdian
2007)

55 Bei einer Mosaiktrisomie gibt es eine Zelllinie mit einem dreifachen und eine
Zelllinie mit einem gewöhnlichen diploiden Chromosomensatz.
55 Bei einer partiellen Trisomie enthalten alle Zellen einen diploiden Chromo-
somensatz. Eines der Chromosomen ist aber aufgrund eines duplizierten Ab-
schnitts deutlich verlängert. In Bezug auf die Gene dieses Abschnitts verfügen
die Zellen über einen dreifachen Satz.
55 Bei einer Translokationstrisomie wurde ein Chromosom oder ein großer Teil
von diesem durch eine Translokation an ein anderes Chromosom angelagert.

Es gibt nur drei lebensfähige freie Trisomien:


55 Trisomie 13 löst das Pätau-Syndrom aus. Etwa die Hälfte der Betroffenen stirbt
im ersten Lebensmonat.
55 Trisomie 18 ist die Ursache für das Edwards-Syndrom. Die meisten Betroffenen
überleben das erste Lebensjahr nicht.
55 Trisomie 21 führt zum Down-Syndrom. Die Betroffenen erreichen das Er-
wachsenenalter. Menschen mit Down-Syndrom sind meistens geistig ein-
geschränkt oder mental retardiert, hinzu kommen beispielsweise Herzfehler
und Gesichtsfehlbildungen. Trisomie 21 ist mit einer Häufigkeit von 1:700 die
häufigste Trisomie. Je älter die Mutter ist, desto wahrscheinlicher tritt diese Tri-
somie auf. Mit Anfang 40 liegt die Häufigkeit bei 1:50.

Dass diese Trisomien überhaupt lebensfähig sind, ist auf die geringe Gendichte der
drei Chromosomen zurückzuführen. Auf das Genom bezogen sind also relativ we-
nige Gene verdreifacht.
280 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

Bei überlebenden Patienten mit Trisomie 8 (Warkany-Syndrom 2) liegt ein Mo-


saik vor. Einige Zellen besitzen den normalen Chromosomensatz, andere sind tri-
som für das Chromosom 8. Der Karyotyp lautet 46,XX/47,XX+8 oder
46,XY/47,XY+8.
Polyploidien sind bei Tier und Mensch in der Regel tödlich. Auch wenn sie beim
Menschen zunächst gar nicht so selten auftreten, nämlich dann, wenn zwei Sper-
mien eine Eizelle befruchten. Rund ein Zehntel der menschlichen Fehlgeburten hat
den Karyotyp 69,XXY oder 69,XXX (. Abb. 11.12).

11
l l

ll

ll

ll

..      Abb. 11.12 Entstehungswege einer Triploidie durch Störungen in der Spermatogenese (a) oder
der Oogenese (b). (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
11.5 · Spontane und induzierte Mutationen
281 11
11.4 Häufigkeit von Mutationen

Mutationen sind seltene Ereignisse. Um sie quantitativ zu erfassen, verwendet man


den Begriff der spontanen Mutationsrate für die Wahrscheinlichkeit, mit der eine
Mutation pro Generation eintritt.
Ob sich Mutationen ereignen und weitergegeben werden, hängt von zwei Fak-
toren ab:
55 von der Genauigkeit der DNA-Replikation und
55 von der Effektivität der Reparaturmechanismen.

Die Fehlerrate der DNA-Synthese von E. coli liegt zunächst bei 1 auf 107 bp. Die
Fehlerrate der Gesamtreplikation des Chromosoms verringert sich durch die Re-
paratur auf 1 pro 1010 bis 1011.
Bei einem Mutatorphänotyp ist die Mutationsrate erhöht, weil sich eine Muta-
tion ereignet hat in einem Gen des Replikations- und Reparatursystems, das eigent-
lich Mutationen beheben soll.
Die Angaben von Mutationsraten weichen oft voneinander ab, weil der Bezugs-
punkt jeweils ein anderer ist. (1) Die Mutationsrate eines Basenpaares beträgt 1
Mutation in 109 bis 1010 Generationen. (2) Die Mutationsrate eines beliebigen
Gens ist dementsprechend höher und liegt bei 1 Mutation in 105 bis 106 Generatio-
nen. (3) Die Rate des (bakteriellen) Genoms 1iegt bei 1 Mutation in 300 Generatio-
nen.
Prokaryoten haben eine niedrigere Mutationsrate als Eukaryoten, wenn man
die Mutationsrate für Prokaryoten als Mutanten pro Gen und Vermehrungszyklus
und für Eukaryoten als Anzahl von Mutationen pro Gen und Gameten angibt.
Mäuse und Menschen haben dann eine höhere Mutationsrate.
Man begründet den Unterschied damit, dass eukaryotische Gene größer sind
und dass sich die Zellen häufiger bis zur Bildung der Gameten geteilt haben. Mu-
tationen können sich somit anhäufen.
Bei höheren Eukaryoten ist die Mutationsrate in somatischen Zellen höher als
in Zellen der Keimbahn.

11.5 Spontane und induzierte Mutationen

Mutationen sind zufällige, statistische, spontane Ereignisse. Es ist nicht vorher-


sehbar, wo sie sich ereignen. Allerdings gibt es Stellen im Genom, an denen es häu-
figer zu Mutationen kommt (s. Abschn. 7 11.2.1 und 7 11.2.2).
Wirbeltiere mit Immunsystem erhöhen mithilfe des Enzyms Activation Induced
Cytidine Deaminase (AID oder AICDA) die Mutationsrate in Immunzellen (s.
7 Abschn. 13.4). Diese vorteilhaften sogenannten Hypermutationen sorgen für
die Vielfalt der Immunglobuline und damit für mehr Abwehrmöglichkeiten.
282 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

11.5.1 Experimente zu induzierter Mutation

In den 1940er-Jahren sollte der Fluktuationstest oder das Luria-Delbrück-­


Experiment überprüfen, ob Mutationen spontan oder durch die Umwelt-
bedingungen induziert auftreten. Für den Versuch wurden zahlreiche Kolonien des
Bakteriums E. coli nach mehreren Wachstumszyklen mit dem tödlichen Phagen T1
infiziert. Anschließend wurde untersucht, wie viele E.-coli-Zellen resistent gegen
T1 geworden sind. Es gab zwei Hypothesen:
55 Sind Mutationen spontan und ungerichtet, so ereignen sie sich bereits während
der Wachstumsphase der Bakterien vor der Infektion. In einigen der Kulturen
entstehen durch Zufall schon sehr früh resistente Zellen, die sich anschließend
stark vermehren können, in anderen Kulturen treten resistente Zellen erst spät
oder gar nicht auf und bleiben daher niedrig in der Anzahl. Die Zahl der resis-
tenten Zellen schwankt somit sehr stark.
55 Entstehen Mutationen als Reaktion auf äußere Veränderungen, bilden sich erst
nach der Infektion resistente Bakterien. Da alle etwa zur gleichen Zeit auf-
treten, schwankt die Zahl der betroffenen Zellen zwischen den Kolonien nur
wenig.

Das Experiment erbrachte eine große Streuung der Anzahlen und wies damit auf
die Zufälligkeit von Mutationen hin.
Ein Experiment von 1988 ergab jedoch, dass manche Bakterien ihre Mutations-
rate als Reaktion auf äußere Bedingungen erhöhen können. Mutanten von E. coli,
die durch eine Mutation im lacZ-Gen keine Lactose aufnehmen konnten, zeigten
11 bei Zusatz von Lactose eine erhöhte Zahl von Mutationen. Ein möglicher
Mechanismus für derartige adaptive Mutationen wäre der Einsatz einer fehler-
anfälligeren Polymerase. Endgültig geklärt ist das Phänomen nicht.

11.6 Mechanismen zur Aufhebung von Mutationen

Es gibt mehrere mögliche Gründe, aus denen eine Mutation ohne Auswirkungen
bleiben kann.
55 Stille Mutationen codieren für die gleiche Aminosäure und verändern daher
nicht das Protein.
55 Direkte Rückmutationen oder Reversionen stellen durch eine zweite Mutation
an der gleichen Stelle den Ursprungszustand wieder her. Sie sind sehr selten.
55 Bei einer Suppression unterdrückt eine zweite Mutation an einer anderen Stelle
die erste Mutation. Nach dem Ort der zweiten Mutation werden zwei Fälle
unterschieden:
–– Intragenisch tritt die zweite Mutation im gleichen Gen auf wie die erste. Bei-
spielsweise wandelt sie das Codon so, dass doch die ursprüngliche Amino-
säure codiert wird. Oder eine Insertion hebt eine Deletion wieder auf und
stellt den alten Leserahmen wieder her.
11.7 · Reparatur von DNA-Schäden
283 11
–– Intergenisch ist die zweite Mutation in einem anderen Gen lokalisiert. Hier-
für gibt es mehrere Varianten:
–– Eine Mutation in einer tRNA kann die Mutation verdecken. Nach dem
Prinzip „Minus mal Minus ergibt Plus“ führt die mutierte tRNA die ur-
sprünglich codierte Aminosäure heran.
–– Ein Mutation in der U1snRNA, die am Spleißen beteiligt ist, hebt eine ent-
sprechende Spleißmutation auf.
–– Auf Funktions- oder Proteinebene kann eine Mutation in einem Gen kom-
pensiert werden, wenn eine andere Mutation ein zweites Protein so ver-
ändert, dass es die Aufgabe des nutzlosen Proteins übernimmt. Von E. coli
kennt man Regulationsmutationen im Gen für den Lactosetransporter, wo-
durch dieser für einen defekten Maltosetransporter einspringen kann.

11.7 Reparatur von DNA-Schäden

In der Evolution haben sich unterschiedliche Möglichkeiten zur Reparatur von


Schäden an der DNA entwickelt, die alle nach dem gleichen Prinzip vorgehen:
55 Spezialisierte Proteine erkennen die Schadstelle,
55 entfernen diese,
55 und Enzyme der Replikation füllen die mehr oder weniger große Lücke wieder
auf.

Zum Kernbestand der Reparaturenzyme gehören daher: Endo- sowie Exo-


nucleasen, Resolvasen, Helikasen und DNA-Polymerasen. Je nach Reparaturweg
kommen spezifische Enzyme hinzu.
Im Einzelnen unterscheidet man zwischen folgenden Wegen:
55 Direkte Reparatur: Enzyme beheben den Schaden unmittelbar.
55 Basenexzisionreparatur: Die defekte Base wird ausgetauscht.
55 Nucleotidexzisionsreparatur: Ein Teil des DNA-Strangs wird ausgetauscht.
55 Mismatch-Reparatur: Eine Variante der Nucleotidexzisionsreparatur, die zeit-
lich in Verbindung mit der Replikation steht. Die Zelle unterscheidet hierbei
den alten und neuen Strang.
55 Reparatur von DNA-Strangbrüchen: Sie behebt sowohl Einzel- als auch Doppel-
strangbrüche.
55 SOS-Reparatur: Bei dieser nimmt die Zelle Mutationen in Kauf, um die Integri-
tät des Genoms überhaupt zu wahren.

11.7.1 Einbettung in Zellprozesse

Sowohl Pro- als auch Eukaryoten reparieren DNA-Schäden. Vor allem in Euka-
ryoten ist die DNA-Reparatur eingebunden in ein Zusammenspiel von Transkrip-
tion, Replikation und Reparatur. Die Zelle versucht nicht nur, den Schaden zu be-
heben, sie verknüpft die Reparatur mit grundlegenden Zellprozessen. So stoppt sie
u. U. erst den Zellzyklus, damit ein Schaden nicht an Tochterzellen weitergegeben
284 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

wird. Ist das Ausmaß des Schadens zu groß, leitet die Zelle das Selbstmord-
programm ein, damit sich keine Tochterzellen mit Defekten anhäufen.
Sind die Reparatur-Gene selbst schadhaft, multiplizieren sich die Schäden
geradezu. Einige Erkrankungen zeigen beispielhaft die Verknüpfungen auf:
55 Lynch-Syndrom (erblicher Dickdarmkrebs ohne Polyposis, hereditary nonpoly-
posis colorectal cancer, HNPCC) geht auf Mutationen in Genen des DNA-­
Mismatch-­Reparatursystems zurück.
55 Das Bloom-Syndrom wird von Mutationen im Gen für das Bloom-Syndrom-­
Protein hervorgerufen. Das Protein ist eine Helikase, die an der Reparatur, der
Replikation und der Rekombination beteiligt ist.
55 Das Werner-Syndrom (ein Progerie- oder „beschleunigte Alterung“-Syndrom)
ist die Folge von Mutationen im Gen einer weiteren Helikase, die für ver-
schiedene Prozesse benötigt wird.
55 Patienten mit Xeroderma pigmentosum (XP) sind äußerst empfindlich gegen-
über UV-Strahlen. Sie leiden an trockener, stark pigmentierter und schnell al-
ternder Haut und haben ein erheblich höheres Risiko, an Hautkrebs zu er-
kranken. Bei XP-Betroffenen ist das System, das die UV-Schäden reparieren
soll, selbst geschädigt. Die Ursache sind Mutationen in mehreren unterschied-
lichen Genen der Nucleotidexzisionsreparatur (s. 7 Abschn. 11.7.4).

11.7.2 Direkte Reparatur

Die direkte Reparatur von Schäden ist nur in wenigen Fällen möglich.
55 Alkyltransferasen entfernen Alkylgruppen. Relativ unspezifisch arbeitet das
11 ADA-Enzym von E. coli. Spezifischer ist die O6-Methylguanin-DNA-­
Methyltransferase (MGMT) des Menschen. Sie entfernt eine Methylgruppe
von Guanin. Nachdem sie die Alkylgruppe aufgenommen hat, wird sie selbst
von Proteasen abgebaut. Deswegen hat sie den Namen „Selbstmordenzym“ be-
kommen.
55 Lichtabhängige Photolyasen behandeln UV-Schäden. Bei E. coli kommt die
Desoxyribopyrimidin-Photolyase vor, kurz DNA-Photolyase. Sie trennt Cyclo-
butyldimere. Licht mit einer Wellenlänge zwischen 300 und 500 nm aktiviert die
Photolyase. Man spricht daher von Photoaktivierung, die DNA wird photore-
aktiviert. Die Lyase kommt bei vielen Bakterien und bei wenigen Eukaryoten
vor. Die (6-4)-Photoprodukt-Photolyase einiger Arten (nicht bei E. coli) repa-
riert die (6-4)-Photoprodukt-Schäden.

11.7.3 Basenexzisionsreparatur

Die Basenexzisionsreparatur (BER) ist bedeutsamer als die direkte Reparatur. Sie
behebt oxidative Schäden, Alkylierungen und desaminierte Basen.
Beim Menschen sind an dem Mechanismus die Gene für 40 Faktoren beteiligt.
Verwandte Gene findet man bei Bakterien und Archaeen.
Der Mechanismus folgt einem von zwei möglichen Wegen:
11.7 · Reparatur von DNA-Schäden
285 11
1. Der Beginn ist für beide Wege der gleiche: Erkennen und Entfernen der ge-
schädigten Base. Es entsteht eine AP-Stelle.
–– Monofunktionale Glykosylasen trennen nur die Base ab. Sie benötigen an-
schließend eine AP-Endonuclease, die den betroffenen DNA-Strang schnei-
det und eine Einzelnucleotidlücke herstellt. Weiter mit 2.
–– Bifunktionale Glykosylasen vereingen zwei Funktionen. Erst trennen sie die
Base ab, dann wirken sie als Lyase. Dabei spalten sie die Phosphodiesterbin-
dung und öffnen den Zuckerring. Weiter mit 3.
2. Nach dem Schnitt durch die Endonuclease (APE1 bei Säugern) treten Enzyme
der Replikation hinzu und werden aktiv. Die DNA-Polymerase δ/ε synthetisiert
die Umgebung um die fehlende Base nach, die FEN1-Endonuclease entfernt
den ausgetauschten Abschnitt, die Ligase 1 schließt die Lücke. Da hierbei bis zu
10 Nucleotide ausgetauscht werden, spricht man vom long-patch-Weg.
3. Hier füllt die DNA-Polymerase β die Lücke auf und der XRCC1/Ligase 3-Kom-
plex versiegelt sie (short-patch-Weg).

Beteiligt sind außerdem einige Proteine, die die beteiligten Reparaturenzyme an die
Schadensstelle heranführen oder sie in ihrer Arbeit unterstützen.

11.7.4 Nucleotidexzisionsreparatur

Die Nucleotidexzisionsreparatur (NER) ist als DNA-­Reparaturmechanismus be-


deutender als die BER.
55 Sie erkennt und behebt größere und schwierigere DNA-Schäden wie beispiels-
weise Quervernetzungen und Störungen der Helixstruktur.
55 Der Mechanismus ist weniger spezifisch.
55 Er ist ubiquitär verbreitet. Der Mechanismus findet sich bei Prokaryoten und
Eukaryoten. Er läuft in den zwei Zelltypen aber unterschiedlich mit ver-
schiedenen Enzymen ab.

Auch bei der NER entsteht durch Herausschneiden entweder eine kürzere (short-
patch) oder längere (long-patch) Lücke in einem Strang. Eine DNA-­Polymerase
und eine Ligase füllen die Lücke wieder auf und schließen sie.

z Short-patch-Reparatur bei E. coli


Bei E. coli erledigt der UvrABC-Endonucleasekomplex die wesentlichen
Schritte. Die NER kann an die Transkription gekoppelt ablaufen, dann beginnt sie
bei 1. Ohne Kopplung beginnt sie bei 2.
1. Ein Kopplungsfaktor, der TRCF (transcription repair coupling factor), auch als
Mfd-Protein (mutation frequency declining) bekannt, erkennt, dass die RNA-Po-
lymerase wegen des DNA-Schadens nicht weiterkommt. TRCF leitet die Ant-
wort an einem transkribierten Strang ein. Er bindet sich an die Polymerase, die
sich dann von der DNA löst, und holt den Uvr-Komplex heran.
2. Der Uvr-Komplex erkennt, dass eine DNA-Helix verformt ist.
286 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

3. Ein UvrAB-Trimer mit zwei UvrA-Proteinen und einem UvrB-­Protein erkennt


die Schadensstelle und bindet sich an sie.
4. Die zwei UvrA-Moleküle trennen sich vom UvrB, sodass sich UvrC anlagern
kann.
5. Der UvrBC-Komplex fügt Schnitte in den DNA-Einzelstrang ein, die rund
zwölf Nucleotide um die Schadensstelle herum erfassen.
6. Eine Helikase (UvrD) löst das short-patch genannte DNA-­Stückchen heraus.
UvrB sichert die Lücke.
7. UvrB führt die DNA-Polymerase I und die Ligase heran. Die Lücke wird wie-
der aufgefüllt und versiegelt.

Der short-patch entspricht im Umfang etwa dem long-patch der BER. Die long-­
patch-­Reparatur der NER von E. coli erzeugt eine Lücke von bis zu 2 kb. Uvr-­
Proteine sind auch an dem long-patch beteiligt.

Nucleotidexzisionsreparatur bei Eukaryoten


Bei Eukaryoten unterscheidet man die zwei Wege namentlich, je nachdem, ob die
Reparatur an die Transkription gekoppelt ist oder nicht.
55 Die globale genomische Reparatur (GGR) findet an DNA im Ruhezustand
statt.
55 Die transkriptionsgekoppelte Reparatur (TCR) wird eingeschaltet, wenn ein
Schaden das Vorankommen der RNA-Polymerase blockiert und die Transkrip-
tion zu stoppen droht.

Trotz der zwei Bezeichnungen findet man gleiche Gene in den zwei Wegen. Mehrere
11 autosomal-rezessive Erkrankungen gehen auf Mutationen in den beteiligten
Genen zurück:
55 Xeroderma pigmentosum mit mehreren Subtypen. Sie sind den Genen XPA bis
XPG zugeordnet, deren Produkte Proteinkomplexe aufbauen. Die XPB- und
XPD-Proteine sind Teil des basalen Transkriptionsfaktors TFIIH.
55 Patienten mit Cockayne-Syndrom (CS) haben Mutationen in zwei Genen für
die TCR-spezifischen Reparaturproteine CSA und CSB. Die Betroffenen sind
körperlich und mental retardiert. CSB gehört zu den Proteinen der SWI/SNF-­
Familie (s. 7 Abschn. 7.8.1).
55 Trichothiodystrophie (TTD) ist ein Krankheitsbild mit brüchigen, schwefel-
armen Haaren aufgrund von Mutationen in XPB, XPD oder in dem TTDA-
Gen. Auch das TTDA-Protein ist Bestandteil des Transkriptionsfaktors TFIIH.

Beim Menschen werden über diesen Weg die UV-Schäden auch im Dunkeln repa-
riert, es ist keine Photoaktivierung notwendig.

Das Prinzip der globalen genomischen Reparatur beim Menschen


An dem Prozess sind beim Menschen wohl mehr als 30 Proteine beteiligt. Sie sind
nicht verwandt mit den Uvr-Proteinen von E. coli.
Der Ablauf:
11.7 · Reparatur von DNA-Schäden
287 11
1. Das XPC-Protein erkennt die Schadstelle mit Unterstützung von weiteren Fak-
toren. Es leitet die weiteren Schritte ein.
2. XPC holt den Transkriptionsfaktor TFIIH mit den Helikasen XPB und XPD
heran. Sie entwinden die DNA über eine Länge von etwa 20 bp.
3. Die Endonucleasen XPG und XPF-ERCC1 schneiden etwa 25 bp der be-
schädigten Stelle heraus.
4. Die Proteine der Replikation (DNA-Polymerase δ/ε, PCNA, RF-C) füllen die
Lücke wieder auf, der Komplex aus XRCC1-Ligase 3 versiegelt sie.

 as Prinzip der transkriptionsgekoppelten Reparatur beim


D
Menschen
Die TCR kann man für den Menschen grob charakterisieren als schnellere GGR
mit einleitenden Faktoren.
Die Ausgangssituation bildet eine RNA-Polymerase II, die wegen eines DNA-­
Schadens steckengeblieben ist. Bevorzugt repariert wird daher der abgelesene
DNA-Strang. Beim Menschen werden CSA und der Chromatin-Remodeler CSB
aktiv und entfernen die Polymerase. Weitere Faktoren stabilisieren und markieren
die Stelle, und die eigentliche Reparatur beginnt. Ihr Ablauf ist weitgehend mit
dem Prozess der GGR identisch.

11.7.5 Mismatch-Reparatur (Fehlpaarungsreparatur)

Die Mismatch-Reparatur oder Fehlpaarungsreparatur unterscheidet sich von den


anderen Mechanismen in zwei Punkten:
55 Sie repariert keine Basen, die durch chemische oder physikalische Mutagene
verursacht wurden, sondern Fehlpaarungen nach der proof-reading-Kontrolle
der DNA-Polymerase bei der Replikation.
55 Beide DNA-Stränge sind aus regulären Bausteinen mit intakten Basen auf-
gebaut. Damit ist für die Zelle nicht sofort erkennbar, in welchem Strang der
Schaden steckt. Zur Unterscheidung vergleicht die Zelle den Methylierungs-
grad der Stränge. Während der Tochterstrang noch nicht durchgehend methy-
liert ist, zeigt der Elternstrang das vertraute Methylierungsmuster.

Die beteiligten Proteine bei E. coli und ihre Funktionen:


55 MutS erkennt die Fehlpaarungsstelle.
55 MutH erkennt den Methylierungsgrad.
55 MutH und MutS werden von einem dritten Faktor, MutL, unterstützt.

„Mut“ leitet sich ab von Mutator, weil Mutationen in diesen Genen die Fehler-
quote deutlich erhöhen.
Im Ablauf sind die Mut-Proteine für die Erkennung des auszutauschenden
Strangs verantwortlich:
1. MutS und MutL binden sich an die DNA. MutL holt MutH heran.
2. Sie aktivieren MutH mit seiner Nucleaseaktivität.
288 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

3. MutH schneidet die nicht-methylierte DNA.


4. Die Helikase UvrD trennt die Wasserstoffbrückenbindungen, Exonucleasen
bauen den Strang ab und entfernen dadurch die Fehlpaarung.
5. Die Polymerase III baut den Strang wieder korrekt auf und die Ligase schließt
die Lücke.

Das System ist von E. coli über die Hefe bis zum Menschen konserviert. Die Ab-
folge beim Menschen ist ähnlich, und die Proteine sind verwandt. Beispielsweise ist
das menschliche MSH homolog zu MutS. Allerdings sind beim Menschen mehr
Proteine in den Reparaturprozess involviert. An der Erkennung der Fehlpaarungs-
stelle sind mehrere Proteine beteiligt: MSH2 und 6, MLH1 und 3, PMS1 und 2.
Ein MutH-homologes Protein ist in Eukaryoten indes nicht bekannt. Seine Auf-
gabe übernimmt ein MutL-homologes Protein. Die Polymerase für den Wiederauf-
bau ist hier die DNA-Polymerase δ.
Mutationen in den Reparaturgenen sind mit einigen Krebsformen assoziiert.
Mutationen in den Genen für MSH2, MLH1, MSH6, PMS2 verursachen das
Lynch-Syndrom.

11.7.6 Reparatur von DNA-Brüchen

Vor allem ionisierende Strahlen, Röntgenstrahlen und Chemikalien erzeugen DNA-­


Brüche.

Einzelstrangbrüche
11 Einzelstrangbrüche sind relativ harmlos. Nach Einzelstrangbrüchen kann die Li-
gase jedoch nicht sofort das Problem beheben, weil ihr nicht die notwendigen 3′-
OH- oder 5′-Phosphatgruppen zur Verfügung stehen. Die Zelle muss die passen-
den Enden erst erzeugen. Unter Umständen schneidet sie dazu weitere Nucleotide
heraus. An der eigentlichen Reparatur sind einige Enzyme der Basenexzisions-
reparatur beteiligt. Der Prozess läuft analog dazu ab.

Doppelstrangbrüche
Viel gravierender sind Doppelstrangbrüche. Ein DNA-Bruch kann auch indirekt
als Folge einer Verletzung der DNA-Struktur entstehen. Der Schaden verhindert
in diesem Fall die Replikation der DNA. Das Replisom stoppt. Solange der
Vorlage-­Strang als Einzelstrang ungeschützt vorliegt, ist die Gefahr gegeben, dass
Endonucleasen ihn spalten und dass faktisch ein Doppelstrangbruch entsteht.
Zunächst unterscheidet man zwei Wege:
55 die Reparatur durch homologe Rekombination,
55 die nichthomologe Verknüpfung von Enden.

Bei der Reparatur durch homologe Rekombination liegt mindestens eine zweite
Kopie der DNA vor. Diese muss natürlich intakt sein. In Prokaryoten wie E. coli
liegt die zweite Kopie vor, wenn sich die Zellen so schnell teilen, dass sie die nächste
Replikation beginnen, bevor die erste abgeschlossen ist. E. coli arbeitet mit RecA
11.7 · Reparatur von DNA-Schäden
289 11
a b
NHEJ HR

3’ 3’
5’ 5’

Ligation der Enden


5’
3’
3’
5’

3’ 3’
5’ 5’

5’ 5’
3’ 3’

(i) (ii) (iii)

3’ 3’ 3’
5’ 5’ 5’

5’ 5’ 5’
3’ 3’ 3’

3’ 3’ 3’
5’ 5’ 5’

5’ 5’
3’ 3’ 3’

dHJ
SDSA BIR
andere Ergebnisse sind möglich

..      Abb. 11.13 Die Zelle repariert Doppelstrangbrüche auf verschiedenen Wegen: über eine Ver-
bindung der Enden ohne homologe Rekombination (NHEJ) oder mittels homologer Rekombination
(HR). Hier sind mehrere Ausgänge möglich: ohne eine zweite Stranginvasion (SDSA), mit zweiter
Stranginvasion und Bildung einer doppelten Holliday-Struktur (dHJ) oder über Bruch-­induzierte
Replikation (BIR, weitere Erläuterungen im Text). (Nach Liu und Malkova 2022; mit freundlicher
Genehmigung von Elsevier)

als Rekombinase, Eukaryoten mit Rad-Proteinen. Die Zelle repariert den Doppel-
strangbruch, indem sie einen Einzelstrang an das homologe Chromosom anlagert
und die homologe Rekombination ausführt.
Der Ablauf ist nicht einheitlich immer der gleiche, es treten verschiedene Varia-
tionen auf. Man untersucht die Variationen v. a. in S. cerevisiae (siehe . Abb. 11.13).
Einheitlich sind die ersten Schritte bis zur Nachsynthese:
1. Bearbeitung der zwei gebrochenen 5′-Enden (Resection).
2. Mittels Rad51: Stranginvasion eines losen Strangs an sein komplementäres
Gegenstück der intakten DNA.
3. Bildung eines D-loops.
4. Verlängerung (Nachsynthese) des eingedrungenen Einzelstrangs durch die
DNA-Polymerase δ.

Variationen treten auf, weil diese Situation unterschiedlich aufgelöst wird. Je nach
Weg sind unterschiedliche Proteine beteiligt:
290 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

5a. Zurückführen des verlängerten Stranges: Der nachsynthetisierte Strang löst


sich von seinem Template, Rad52/Rad59 führen ihn zurück in die ursprüngliche
Doppelhelix mit anschließender Religation oder Annealing. Der Weg wird SDSA
abgekürzt, synthesis-dependent strand annealing.
5b. Ausbildung einer doppelten Holliday-Struktur: Der verdrängte Strang
aus dem D-loop und der zweite gebrochene DNA-Strang lagern sich ebenfalls
aneinander. In beiden DNAs kommt es zur Nachsynthese. Die zwei Holli-
day-Strukturen werden mit oder ohne Crossing over aufgelöst. Es kommt zur
Genkonversion.
5c. Bruchinduzierte Replikation (BIR, break-induced replication): Die Aus-
gangssituation ist hier anders. Der gebrochene Strang liegt unvollständig vor, nur
mit den zwei Enden einer Bruchstelle, die gegenüberliegende DNA (und somit die
gegenüberliegende Bruchstelle) fehlt. Dieser fehlende Abschnitt muss anhand der
homologen Vorlage in beiden Strängen nachsynthetisiert werden. Der Weg ist sehr
störanfällig und kann chromosomale Anordnungen verändern. BIR wird daher
mit Krebs assoziiert.
Bei der nichthomologen Verknüpfung von Enden (nonhomologous end-joining,
NHEJ) fehlt das Reserve-Chromosom, das als Vorlage dient, um die Enden richtig
zusammenzufügen. Die Reparatur folgt daher einem anderen Mechanismus:
1. Bei Säugetieren fixieren die Heterodimer-Proteinkomplexe Ku70 (Gen: XRCC6)
und Ku80 (Gen: XRCC5) die Enden.
2. Die DNA-abhängige Proteinkinase, DNA-PK, lagert sich an den Komplex. Zu-
sätzlich tritt das Protein Artemis (Gen: DCLRE1C) hinzu und wird von der
DNA-PK phosphoryliert und dadurch aktiviert. Artemis ist eine Endonuclease.
Sie bearbeitet die überhängenden Enden, sodass aus ihnen glatte Enden hervor-
11 gehen.
3. Die Ligase IV schließt zusammen mit dem Komplex XRCC4 die Enden.

Bei der Aufbereitung der Enden entstehen Mutationen wie kleine Deletionen oder
Insertionen. Die Zelle nimmt diese jedoch als geringeres Übel in Kauf, um zu über-
leben.
Die Immunzellen des Menschen nutzen die Mutationen durch das NHEJ aus.
Sie erzeugen unter anderem darüber die hohe Vielfalt an Antikörpern.
Ist der Reparaturmechanismus selbst durch Mutationen beeinträchtigt, so sind
die Betroffenen aufgrund immunologischer Probleme oft anfällig für Infekte oder
tragen bei Mutationen in XRCC4 ein höheres Krebsrisiko.
Dass die NHEJ-Reparatur auch während der Entwicklung der Nervenzellen
und des Gehirns wichtig ist, sieht man an der Mikrocephalie vieler Betroffenen mit
Mutationen. Sie haben einen kleineren Kopf und sind oft mental retardiert.
Ist keine Reparatur mehr möglich, leitet die Zelle die Apoptose ein.
11.7 · Reparatur von DNA-Schäden
291 11
11.7.7 SOS-Mechanismus und Transläsionssynthese

Die Transläsionssynthese ist ein Bypass-Mechanismus. Sie umgeht eine Schadstelle


bzw. synthetisiert über diese hinweg, weil sonst die DNA-Replikation blockiert ist.
Dabei nimmt sie Mutationen in Kauf, um das Überleben zu gewährleisten.
Die Polymerase η (eta) ist ein Enzym der Transläsionssynthese im Menschen,
codiert von dem Gen XPV. Sie besitzt einige ungewöhnliche Eigenschaften:
55 Die Polymerase ist ein Mutator-Enzym sowohl für A/T- als auch für C/G-Paare.
Sehr häufig baut sie fälschlicherweise ein G gegenüber von T ein und erzeugt
eine Transition von A zu G.
55 Sie zeigt Aktivität als Reverse Transkriptase. Man nimmt an, dass sie als
Reparatur-­Polymerase die DNA sowohl von einem RNA-Strang als Vorlage als
auch von einem DNA-Strang ausführen kann.
55 Ihre Eigenschaft, Mutationen zu erzeugen, nutzt die Zelle aus für die Vielfalt
von Antikörpern. Die Polymerase ist beteiligt am Phänomen der somatischen
Hypermutation (siehe 7 Abschn. 13.4).

In E. coli spricht man von der SOS-Antwort. Zentrale Proteine sind hier in E. coli
das Rekombinationsprotein RecA und der Repressor LexA. Im Gegensatz zu den
anderen Reparaturproteinen wird LexA nicht direkt am Ort des Schadens aktiv,
sondern reguliert die Genexpression.
Die Einleitung:
1. Unter normalen Umständen bindet sich LexA als Repressor vor die Gene der
SOS-Box oder LexA-Box und verhindert deren Transkription.
2. Liegt bei einem ernsthaften Schaden ein Teil der DNA als Einzelstrang vor, bin-
det sich das Protein RecA an einen solchen Einzelstrangabschnitt. Es spaltet ei-
nige Proteine, darunter LexA.
3. Das gespaltene LexA kann sich nicht mehr an die Box binden und gibt die
Gene zur Transkription frei.

LexA reprimiert mehrere wichtige Gene, die nun abgelesen werden:


55 das recA-Gen selbst,
55 Gene, die die Zellteilung stoppen,
55 uvrAB, die beteiligt sind an der NER sowie
55 die Gene dinB und umuDC für die Polymerasen IV und V. Diese Polymerasen
haben keine Korrekturaktivität. Sie füllen Lücken mit falschen Nucleotiden auf
und erzeugen dadurch Mutationen. Ihre Aktivität ist allerdings begrenzt auf
kurze Abschnitte.
292 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur

11.7.8 Brustkrebs und DNA-Reparatur

Die Integrität der DNA ist unerlässlich für die Funktion einer Zelle. Deswegen
kontrolliert eine Zelle an mehreren Checkpoints, ob ein Vorgang korrekt ab-
geschlossen ist, bevor sie in das nächste Stadium eintritt.
Beim Menschen zeigen beispielsweise die Gene für die Reparaturproteine
BRCA1 und 2 (Breast Cancer) die Verknüpfung zwischen DNA-Reparatur und
Zellzykluskontrolle.
Erbliche Fälle von Brustkrebs gehen zurück auf Mutationen in den Genen
BRCA1 oder BRCA2. Diese vermitteln im Zusammenspiel mit weiteren Proteinen
zwischen DNA-Schäden, der Reparatur und dem Zellzyklus. BRCA1 und 2 gelten
als Tumorsuppressorgene (s. 7 Abschn. 12.4.3). Mutationen in den Genen sind
auch mit anderen Krebsformen assoziiert. Auch Mutationen in RAD51C führen zu
Brustkrebs.

11
293 12

Humangenetik
Inhaltsverzeichnis

12.1 Worum geht es? – 294


12.2 Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale – 294
12.2.1  ennzeichen mendelnder Erbgänge – 294
K
12.2.2 Kennzeichen mitochondrialer Erbgänge – 300
12.2.3 Schwierigkeiten bei der Interpretation von Stammbäumen – 301
12.2.4 Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Genen – 305

12.3 Untersuchungsmethoden in der Humangenetik – 307


12.3.1  ränataldiagnostik – 307
P
12.3.2 Genetischer Fingerabdruck – 309
12.3.3 Kartierung von Krankheitsgenen – 310
12.3.4 Assoziationsstudien – 311
12.3.5 Nachweis von Mutationen – 311

12.4 Komplexe Erkrankungen – 313


12.4.1  iabetes mellitus – 313
D
12.4.2 Allgemeines zu Krebs und Tumorgenetik – 315
12.4.3 Tumorsuppressorgene – 317
12.4.4 Onkogene – 320
12.4.5 Mutatorgene – 323

12.5 Behandlung erblich bedingter Krankheiten – 323

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_12
294 Kapitel 12 · Humangenetik

12.1 Worum geht es?

Die Humangenetik untersucht menschliche Erbkrankheiten. Mendelnde Merk-


male kann man anhand von Stammbäumen analysieren. Verschiedene Phänomene
wie die unvollständige Penetranz des Merkmals erschweren solche Analysen. Die
Pränataldiagnostik und Assoziationsstudien sind Beispiele für wichtige Unter-
suchungsmethoden. Multifaktorielle Erkrankungen wie Diabetes und Krebs sind
sehr komplex. Innerhalb der Tumorgenetik unterscheidet man Tumorsuppressor-
gene und Onkogene. Für die Behandlung erblich bedingter Krankheiten sind neue
Methoden vielversprechend.

12.2 Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale

Beim Menschen macht man sich die Mendel’schen Regeln zunutze, um den Ver-
erbungsmodus einer Krankheit zu bestimmen. Dabei wird die diagnostizierte
Krankheit als Merkmal betrachtet.
Es gibt fünf Grundmuster (s. 7 Abschn. 12.2.1), wie ein solches Merkmal
weitergegeben wird. Diese unterscheiden sich in zwei Hinsichten:
55 Das Gen kann auf einem Autosom oder einem Gonosom und hier auf dem X-
Chromosom oder dem Y-Chromosom liegen.
55 Das Merkmal kann dominant oder rezessiv weitergegeben werden.

Die Analyse erfolgt anhand des Familienstammbaums. Im einfachsten Fall führt


eine Mutation in einem Gen immer zu demselben klar umrissenen Krankheitsbild.
. Abb. 12.1 zeigt die standardisierten Symbole, die für Stammbäume verwendet
werden.
12 Kennt man den Erbgang einer mendelnden Erbkrankheit, so kann man das
Risiko angeben, mit dem ein Kind betroffen sein wird. Das ist ein Kernpunkt in der
humangenetischen Beratung.
Die Standarddatenbank für mendelnde Merkmale mit den Genen und den zu-
gehörigen Mutationen beim Menschen trägt die Bezeichnung Online Mendelian In-
heritance in Men (OMIM).

12.2.1 Kennzeichen mendelnder Erbgänge

Merkmale, die auf Chromosomen des Zellkerns lokalisisert sind, folgen einem der
fünf grundlegenden Erbgänge:
55 autosomal-dominant,
55 autosomal-rezessiv,
55 X-gekoppelt rezessiv,
55 X-gekoppelt dominant oder
55 Y-gekoppelt.
12.2 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
295 12
..      Abb. 12.1 Symbole in
oder Männliches Individuum
Stammbäumen. (Nach Busel-
maier und Tariverdian 2007) oder Weibliches Idividuum
oder Individuum unbekannten oder
nicht angegebenen Geschlechts
2 2 männliche Individuen, ohne Berück-
sichtigung der Stellung in der
Geschwisterreihe
3 3 Individuen, Geschlecht unbekannt
oder nicht spezifiziert
Proband

oder Ehe oder Partnerschaft


Verwandtenehe

Geschwister

Zwillinge

Eineiige Zwillinge (EZ)

Zweieiige Zwillinge (ZZ)


ZZ

Abort

Totgeburt
Schwangerschaft zur Zeit der
Untersuchung
Keine Nachkommen

»Single«, nicht verheiratet

Merkmalträger, u.U. auch Homozygoter


oder Heterozygoter
Verlässlich als Merkmalträger
bezeichnet (Anamnese etc.)
Fraglich als Merkmalträger bezeichnet
3 Verstorben
oder Kennzeichen für untersuchte Personen
o.ä. Angaben evtl. mehrerer Merkmale
100 u.U. Zahlenwerte für biochemische und
50 und andere Merkmale
+65 Sterbealter
12 J.
Alter bei Untersuchung
Hans
1953 Name, Geburtsjahr
296 Kapitel 12 · Humangenetik

Stoffwechselerkrankungen sind meistens rezessiv, da das noch intakte Gen den


Ausfall des fehlerhaften Gens kompensieren kann, indem es beispielsweise aktiver
ist und mehr Protein bildet.
Bei einer Haploinsuffizienz gelingt dieser Ausgleich nicht. Beispielsweise reicht
die Menge des produzierten Proteins nicht aus, wenn nur ein Gen aktiv ist. In die-
sen Fällen ist das Merkmal dominant.
Die Angaben zur Häufigkeit schwanken in der Literatur oft um rund 10 %.
Man unterscheidet zwischen zwei Kennzahlen:
55 Die Inzidenz oder Inzidenzrate gibt an, wie viele Neuerkrankungen es in einer
Gruppe von einer bestimmten Größe in einem vorgegebenen Zeitraum gibt. Sie
wird beispielsweise als „Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Ein-
wohner“ aufgeführt.
55 Die Prävalenz umfasst alle Erkrankten in einer Gruppe von bestimmter Größe,
unabhängig vom Zeitpunkt der Erkrankung. Sie wird beispielsweise als „Zahl
der Erkrankten pro 100.000 Einwohner“ angegeben.

Autosomal-dominanter Erbgang
Die Charakteristika eines autosomal-dominanten Erbgangs (. Abb. 12.2) sind:
55 Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen und können das ver-
ursachende Allel weitergeben.
55 Eine erkrankte Person hat mindestens einen erkrankten Elternteil, und die Er-
krankung tritt in jeder Generation auf. Eine Ausnahme stellt die Neumutation
dar, wenn die Mutation das erste Mal auftritt.
55 Es reicht eine Kopie des Allels, um die Krankheit auszulösen.
55 Dieses Allel kann vom Vater oder von der Mutter weitergegeben werden.
55 Ist die Zelle für das Allel homozygot, prägt sich das Merkmal oft drastischer
aus oder führt sogar zum Tod.
12 55 Ist nur ein Elternteil betroffen und heterozygot, beträgt das Erkrankungsrisiko
für ein Kind 50 %.

..      Abb. 12.2 Schematischer


autosomal-dominanter Erbgang
mit möglichen Genotypen.
(Nach Buselmaier und Tariver-
dian 2007)
12.2 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
297 12
z Beispiel
Achondroplasie. Mutationen im Fibroblastenwachstumsfaktor-Rezeptor-3-Gen
(FGFR3-Gen) auf Chromosom 4 verursachen Minderwuchs mit kurzen Extremi-
täten (dysproportionierter Minderwuchs), übergroßen Schädel (Makrocephalus)
und Fehlbildungen (Dysmorphien) des Gesichts. Die Inzidenz in Deutschland wird
meist mit 1:20.000 pro Jahr angegeben, die Werte in verschiedenen Industrie-
nationen reichen von rund 1:10.000 bis rund 1:30.000. 90 % aller Fälle treten durch
eine Neumutation auf.

Autosomal-rezessiver Erbgang
Die Charakteristika eines autosomal-rezessiven Erbgangs (. Abb. 12.3) sind:
55 Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen und können das ver-
ursachende Allel weitergeben.
55 Das Merkmal prägt sich nur aus, wenn das mutierte Allel homozygot vorliegt.
55 Die Betroffenen haben phänotypisch gesunde Eltern. Diese sind aber jeweils
Überträger oder Konduktoren.
55 In blutsverwandten Ehen tritt die Krankheit häufiger auf.
55 Sind beide Eltern Überträger, beträgt das Erkrankungsrisiko für ein Kind 25 %.

z Beispiele
55 Okulokutaner Albinismus Typ OCA 1–4. Mutationen lösen eine gestörte Syn-
these von Melanin aus. Bei Typ 1 ist beispielsweise das Enzym Tyrosinase
fehlerhaft oder es fehlt gänzlich. Die Betroffenen zeigen hellere Haut-, Haar-
und Augenfarben, worunter auch blonde Haare und blaue Augen fallen. Sind
vor allem die Augen betroffen (okulärer Typ), liegt der X-­chromosomal ver-
erbte Typ OA vor. Die Häufigkeit liegt weltweit bei etwa 1:20.000, in Afrika ist
sie höher.
55 Phenylketonurie. Aufgrund von Mutationen vor allem im Phenylalanin-­
Hydroxylase-Gen (PAH-Gen) erfolgt kein Abbau von Phenylalanin zu Tyrosin.
Daher häuft sich Phenylalanin an, was eine mentale Retardierung hervorruft.
Die Inzidenz liegt in Deutschland bei etwa 1:8000 pro Jahr.

..      Abb. 12.3 Schematischer


autosomal-rezessiver Erbgang
mit möglichen Genotypen.
(Nach Buselmaier und Tariver-
dian 2007)
298 Kapitel 12 · Humangenetik

55 Mukoviszidose oder Cystische Fibrose. Mutationen im CFTR-Gen auf


Chromosom 7 lassen keinen funktionsfähigen Chloridionenkanal entstehen
und bedingen zähflüssigen Schleim verschiedener Drüsen. Die Indizidenz liegt
bei etwa 1:2000 pro Jahr in Deutschland.

Bei einer Compound-Heterozygotie trägt jedes der beiden Allele eine andere Muta-
tion. Dieser Fall tritt beispielsweise auf bei:
55 Patienten mit Mukoviszidose.
55 Patienten mit Phenylketonurie.
55 Patienten mit dem Androgenitalen Syndrom (AGS). In den Allelen für das
Enzym C21-Hydroxylase können verschiedene Mutationen wie Deletionen,
Punktmutationen oder Genkonversion auftreten. Der Ausfall des Enzyms führt
zu einem Mangel an Cortisol, der letztlich eine verstärkte Synthese androgener
Hormone auslöst. In Deutschland beträgt der Anteil an compound-­
heterozygoten Patienten mit AGS etwa 90 %.

X-gekoppelter rezessiver Erbgang


Die Charakteristika des X-gekoppelten rezessiven Erbgangs (. Abb. 12.4) sind:
55 Betroffen sind fast nur Männer.
55 Sie haben in der Regel phänotypisch gesunde Eltern, aber die Mutter ist Kon-
duktorin.
55 Ist der Vater ebenfalls erkrankt und die Mutter ist Konduktorin, entsteht der
falsche Eindruck, dass die Krankheit vom Vater an den Sohn weitergegeben
wurde.
55 Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie Frauen erkranken können:

12 XY XX

XX XY XX

XY XX

XY XX XY XX
XX XY

XY XY XX XX XY XY XX XX

..      Abb. 12.4 Schematischer X-gekoppelt-rezessiver Erbgang mit möglichen Genotypen. (Nach


Buselmaier und Tariverdian 2007)
12.2 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
299 12
–– Der Vater ist erkrankt und die Mutter ist Konduktorin.
–– Es liegt das Ullrich-Turner-Syndrom mit dem Karyotyp 45,X0 vor.
–– Das X-Chromosom mit dem nicht geschädigten Allel ist inaktiviert.

z Beispiele
55 Muskeldystrophie Duchenne: Die Mutationen bedingen in den meisten Fällen
eine Leserasterverschiebung. In der Folge bildet die Muskelzelle kein Struktur-
protein Dystrophin. Die Inzidenz in der männlichen Bevölkerung wird mit
1:3500 bis 1:4500 in verschiedenen Industrienationen angegeben.
55 Hämophilien: Mutationen in Genen für Gerinnungsfaktoren verhindern die
Blutgerinnung:
–– Bei Hämophilie A treten die Mutationen im Faktor-VIII-Gen auf. Die In-
zidenz-Werte in westlichen Populationen liegen zwischen 1:5000 bis 1:10.000
pro Jahr (für den männlichen Anteil).
–– Bei Hämophilie B sind die Mutationen im Faktor-IX-Gen, dem Christmas-­
Faktor, lokalisiert. Die Inzidenz-Werte liegen für westliche Populationen bei
rund 1:30.000 pro Jahr (für den männlichen Anteil).

X-gekoppelter dominanter Erbgang


Die Charakteristika eines X-gekoppelten dominanten Erbgangs (. Abb. 12.5)
sind:
55 Betroffen sind beide Geschlechter, Frauen allerdings häufiger.
55 Die Auswirkungen sind aber oft bei Männern größer. Nicht selten ist die Er-
krankung letal.

..      Abb. 12.5 Schematischer X-gekoppelter-dominanter Erbgang mit möglichen Genotypen. (Nach


Buselmaier und Tariverdian 2007)
300 Kapitel 12 · Humangenetik

55 Ein erkrankter Vater und eine gesunde Mutter bekommen betroffene Töchter,
aber gesunde Söhne.
55 Eine erkrankte Mutter bekommt mit einem Risiko von 50 % ein betroffenes
Kind, unabhängig vom Geschlecht.

z Beispiel
Oro-fazio-digitales Syndrom Typ 1 (OFD1), auch bekannt als Papillon-Léage-­
Psaume-Syndrom. Symptome sind Fehlbildungen an den Fingern, Zahnfehl-
stellungen und eine Gaumenspalte.

Y-gekoppelter Erbgang
Vom Y-gekoppelten Erbgang sind nur Männer betroffen. Ein erkrankter Vater
zeugt erkrankte Söhne.
Die Existenz dieses Erbgangs ist allerdings fraglich. Mit Sicherheit kennt man
nur Defekte, welche die Spermatogenese stören und dann völlige oder teilweise Un-
fruchtbarkeit verursachen.

12.2.2 Kennzeichen mitochondrialer Erbgänge

Die Charakteristika eines mitochondrialen Erbgangs sind:


55 Ursache sind Mutationen im Genom der Mitochondrien.
55 Die Weitergabe der Mitochondrien erfolgt maternal oder matrilinear über die
Mutter an die Nachkommen.
55 Der Erbgang gehorcht nicht den Mendel’schen Regeln.
55 Beide Geschlechter können von Erkrankungen durch Mutationen betroffen
sein.
12
z Beispiel
Leber’sche hereditäre Opticusneuropathie oder -atrophie (LHON). Die häufigste
Mutation an Position 11778 der mtDNA betrifft dann ein Protein des NADH-­
Dehydrogenasekomplexes der Atmungskette (ND4). Sie führt zu einer ver-
minderten ATP-Synthese. Der Energiemangel lässt Ganglienzellen der Sehnerven
absterben. Die Betroffenen erblinden etwa ab dem 15. Lebensjahr. Die Häufigkeit
wird angegeben mit 1:50.000 bis 1:100.000.
Oft sind nicht alle Mitochondrien einer Zelle von der Mutation betroffen
(. Abb. 12.6). Man unterscheidet zwei Varianten:
55 Bei einer Heteroplasmie tragen einige Mitochondrien in der Zelle die Mutation,
andere nicht. Dafür gibt es zwei mögliche Gründe:
–– In einem der Mitochondrien ist eine Neumutation entstanden.
–– Bei der Zellteilung wurden die Mitochondrien mit und ohne Mutation un-
gleich auf die Tochterzellen verteilt.
55 Bei einer Homoplasmie ist die Ausstattung der Mitochondrien einheitlich (mit
oder ohne Mutation).
12.2 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
301 12
..      Abb. 12.6 Mitochondriale
Vererbung mit Heteroplasmie.
Mitochondrien
(Nach Buselmaier und Tariver-
dian 2007) Mutation

Zellteilung

Zellteilung

Aufgrund der Funktion der Mitochondrien (ATP-Synthese) und des hohen Be-
darfs an ATP in Nerven- und Muskelzellen zeigen sich vor allem in entsprechenden
Geweben die Symptome der mitochondrialen Krankheiten.
Durch eine Verteilung der betroffenen Mitochondrien in die Oocyten können
die Nachkommen deutlich stärker von der Krankheit betroffen sein als die Mutter.
Mitochondriale Erbgänge zeigen dann eine unvollständige Penetranz.

12.2.3  chwierigkeiten bei der Interpretation von


S
Stammbäumen

Mehrere Faktoren erschweren das Ableiten eines Erbgangs aus einem Stammbaum:
55 Viele Familien sind zu klein, um ausreichend Zahlenmaterial zu liefern.
55 Die Expressivität und Penetranz eines Merkmals liegt nicht immer bei 100 %,
sondern variiert.
55 Mehrere Faktoren tragen zu einem Merkmal bei.
55 Neumutationen täuschen eigentlich gesunde Eltern als Überträger vor.
55 Keimzellenmosaike ergeben unterschiedlich ausgestattete Keimzellen vom sel-
ben Elter.
55 Chimären mischen Zellen mit unterschiedlichen Allelkompositionen.
55 Imprinting führt zu ungleicher Behandlung mütterlicher und väterlicher Gene.

Unter den Sammelbegriff „Faktor“ fallen alle Parameter, die auf ein Merkmal ein-
wirken:
55 Gene,
55 Umwelteinflüsse,
55 epigenetische Markierungen,
55 Einfluss der Mutter während der Embryonalentwicklung.
302 Kapitel 12 · Humangenetik

Expressivität und Penetranz


Für dominant vererbte Krankheiten gibt man einen Grad der Penetranz an. Die Pe-
netranz zeigt an, wie vollständig sich ein Allel bei einem dominanten Erbgang aus-
prägt:
55 Eine Penetranz von 100 % bedeutet, dass sich das Merkmal immer zeigt. Bei-
spielsweise hat das Retinoblastom eine hohe Penetranz.
55 Bei unvollständiger Penetranz prägt sich das Krankheitsbild nicht in jedem
Allelträger aus. Die Ursache dafür sind andere, weitere Gene oder Umwelt-
faktoren.

Multifaktorielle Merkmale werden nicht von einem einzelnen Gen, sondern von
mehrere Faktoren bestimmt. Dabei kann man keine klare Trennung ziehen zwi-
schen unvollständig penetrant mendelnden und multifaktoriellen Merkmalen.
Durch variable Expression zeigt sich bei verschiedenen Familienmitgliedern ein
unterschiedlich schweres Krankheitsbild. Wie bei der unvollständigen Penetranz
sind andere Gene oder Umweltfaktoren die Ursache dafür.

z Beispiel
Patienten mit dem Tumor Neurofibromatose Typ 1 können „nur“ einige Café-au-­
lait-Flecken aufweisen, es kann aber auch der Körper von Neurofibromen bedeckt
sei, und der Patient zeigt Lerndefizite. Da das Merkmal etwa 100 % Penetranz auf-
weist, ist es aber immer im Phänotyp ausgeprägt.
Ein Sonderfall ist die Antizipation: Die Krankheit tritt bei den Kindern früher
oder stärker ausgeprägt auf als bei den Eltern. Antizipation beobachtet man häu-
fig bei Erkrankungen, denen eine Vervielfältigung von Trinucleotiden zu Grunde
liegt, Beispiel Chorea Huntington. Mit der weiteren Vererbung des Allels nimmt
die Anzahl des Trinucleotids (hier: CAG) von Generation zu Generation zu (dyna-
12 mische Mutation, siehe 7 Kap. 11, Fehler bei der Replikation und Krankheiten).

Neumutationen, Mosaike und Chimären


Neumutationen ereignen sich bei der Gametenbildung eines Elternteils während der
meiotischen Teilung. Sie erschweren die Erkennung autosomal-dominanter Erb-
gänge, weil die Eltern gesund sind und irrigerweise als Überträger erscheinen.

z Beispiel
Mehr als 90 % der Fälle von Achondroplasie gehen auf eine Neumutation zurück.
Die Mutationsrate nimmt hier mit dem Alter des Vaters zu.

Sind bei einem autosomal-dominanten Erbgang mehrere Geschwister be-


troffen, die Eltern aber gesund, so sind mehrere Neumutationen unwahrscheinlich.
Stattdessen ist es während einer mitotischen Teilung in den Vorläuferzellen der Ga-
meten zu einer Mutation gekommen. Sie führt zu einem Keimzellmosaik, in dem
einige Keimzellen die Mutation tragen, andere Keimzellen sind mutationsfrei.
12.2 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
303 12
z Beispiel
Viele sporadische Fälle der „Glasknochenkrankheit“ Osteogenesis imperfecta
gehen auf ein Keimzellmosaik zurück. Das Risiko für ein weiteres betroffenes
Kind beträgt etwa 6 %.

Chimären entstehen aus zwei verschiedene Zygoten, die miteinander fusionieren,


einen Zellverband bilden und sich zu einem Organismus entwickeln. Patienten nach
einer Knochenmarkstransplantation sind Chimären hinsichtlich der Blutzellen.

Imprinting
Imprinting ist eine epigenetische Markierung, welche die Herkunft eines Gens von
der Mutter oder vom Vater anzeigt und seine Expression beeinflusst. Das Imprin-
ting beruht meist auf der Methylierung von CpG-Inseln. Nach der Befruchtung
liegen in der Zygote die Chromosomen mit dem Methylierungsgrad vor, den sie
auch in der Eizelle und im Spermium aufweisen. Die Keimzellen ändern dieses vor-
gegebene Muster, wenn sie heranreifen: Erst entfernen sie an allen Chromosomen
die Methylierungen, bevor sie dann das geschlechtsspezifische Muster ausbilden.
Spermien und Oocyten unterscheiden sich folglich darin.
Grundsätzlich ändert sich zwar das Methylierungsmuster von Genen im Laufe
der Entwicklung somatischer Zellen: Um Gene während der somatischen Reifung
zu regulieren, demethyliert die Zelle einige Gene, während andere methyliert blei-
ben. 100 bis 200 Gene sind im Menschen jedoch geprägt oder imprinted: Väterliche
und mütterliche Allele sind verschieden methyliert und unterschiedlich
transkriptions-­aktiv. Dieses geschlechtsspezifische Muster bleibt in den Körper-
zellen (anders als in Keimzellen) erhalten. Die Mehrheit der geprägten Gene liegt
geclustert in der Nähe einer Imprinting Kontrollregion, ICR (imprinting control re-
gion oder Imprinting Zentrum). Eine ICR ist eine regulatorische Regionen, die für
die richtige monoallelische Expression von Genen zuständig ist. Über kurze
Sequenzmotive werden die ICRs in der Keimbahn differenziert methyliert (gDMR,
germline differentially methylated region) und behalten ihren Chromatin-Zustand.
Daraus resultieren verschiedene mögliche Ursachen für eine Imprinting-­Störung:
55 Mutationen in Genen,
55 Kopienzahlveränderungen (CNV),
55 Uniparentale Disomie (UPD): es sind zwei Genkopien vorhanden, aber beide
stammen von einem Elter, sind also beide von der Mutter oder beide vom Vater,
55 Veränderungen des epigenetischen Status der ICR und/oder der Gene: die Re-
gulation geprägter Abschnitte ist gestört (Epimutation).

Beispiele zur Verdeutlichung: Das Prader-Willi-Syndrom und das Angelman-­


Syndrom resultieren aus Schäden im gleichen Abschnitt von Chromosom 15
(15q11.2–q12).
55 Prader-Willi-Syndrom. 70 % der Patienten fehlt durch eine Mikrodeletion der
Abschnitt auf dem väterlichen Chromosom, auf dem mütterlichen ist er vor-
handen. 30 % besitzen zwei Genkopien, aber beide sind mütterlichen Ur-
sprungs (. Abb. 12.7). Rund 1 % der Patienten zeigt einen Imprinting-Defekt.
In PWS-Patienten fehlen transkriptions-aktive Allele von snoRNA-Genen.
304 Kapitel 12 · Humangenetik

Mütterliche Allele sind vorhanden, aber methyliert (imprinted) und somit still-
gelegt. Patienten sind körperlich und geistig auffällig, besonders gilt das für ihr
unstillbares Hungergefühl.
55 Angelman-Syndrom. 70 % der Patienten fehlt der Abschnitt auf dem mütter-
lichen Chromosom, 5 % zeigen eine väterliche uniparentale Disomie

a Keimzelle A Keimzelle B c Keimzelle A Keimzelle B

Zygote Zygote

UPD

„trisomy rescue”

UPD

b Keimzelle A Keimzelle B d Keimzelle A Keimzelle B

12

Zygote Zygote

„monosomy rescue”
durch Duplikation

UPD

„monosomy rescue”

UPD

..      Abb. 12.7 Entstehungswege einer uniparentalen Disomie (UPD): In (a) liegt zunächst eine Tri-
somie, in (b) eine Monosomie vor, die zum Preis einer UPD korrigiert wird. Die Verschmelzung von
disomer und nullisomer Keimzelle (c) ist selten. Auch eine postzygotische Korrektur ist möglich (d).
(Nach Schaaf und Zschocke 2013)
12.2 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
305 12
(. Abb. 12.7). 1 % der Patienten hat einen Imprinting-Defekt. Knapp 25 % der
Patienten tragen Mutationen in dem Gen UBE3A. Als Folge der Deletion fehlt
das mütterlich exprimierte Allel. Das väterliche Allel ist zwar vorhanden,
aber stillgelegt. Das klinische Bild umfasst ebenfalls körperliche und geistige
Auffälligkeiten. Wegen des charakteristischen Gangs und des unmotivierten
Lachens heißt die Krankheit auch Happy-Puppet-Syndrom.

Die Auswirkungen vom Imprinting unterscheiden sich von mendelschen Erb-


gängen:
55 Die unterschiedlichen Krankheitsbilder prägen sich aus, je nachdem, ob väter-
liche oder mütterliche Sequenzen fehlen oder betroffen sind.
55 Ein Krankheitsbild prägt sich aus, obwohl zwei intakte Sequenzen des Gens
vorliegen.

12.2.4 Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Genen

Die Stammbaumanalyse gibt Hinweise auf den Vererbungsmodus eines Merkmals.


Allerdings lässt sich das Merkmal dadurch nicht auf ein Gen oder Allel zurück-
führen. Dafür gibt es mehrere Gründe:
55 Mehrere Gene oder Faktoren wirken zusammen an dem Phänotypen mit, er ist
also polygen und/oder multifaktoriell. Man spricht eher von multifaktoriellen
oder auch komplexen Merkmalen oder Erkrankungen.
55 Beispiele für qualitative multifaktorielle Merkmale:
–– Lippen-Kiefer-Gaumenspalten,
–– Fehlbildungen des Hüftgelenks,
–– Fehlbildungen des Gesichts,
–– Neuralrohrdefekte.
55 Wenn gonosomale Gene mitwirken und die Ausprägung beeinflussen, ver-
schieben sie die Verteilung innerhalb der Geschlechter.

z Beispiele
55 Angeborene Verrenkung (Luxation) des Hüftgelenks männlich zu weiblich 1:6.
55 Verengung des Magenpförtners (hypertrophische Pylorusstenose) männlich zu
weiblich 5:1.

Man nimmt an, dass sich die auslösenden Faktoren nicht mehr in einer Art Gleich-
gewicht befinden. Die bei jedem Menschen vorhandene Anfälligkeit hat bei den Be-
troffenen dann einen kritischen Schwellenwert überschritten (. Abb. 12.8). Bei der
Pylorusstenose liegt dieser Schwellenwert für Jungen niedriger als für Mädchen.
Mit der geschlechtlich ungleichen Verteilung geht der Carter-Effekt einher:
Wenn die Eltern des seltener betroffenen Geschlechts erkranken, haben sie häufiger
erkrankte Kinder.
Der Phänotyp kann auf Mutationen in verschiedenen Genen zurückgeführt
werden, was man genetische Heterogenität nennt (. Abb. 12.9).
306 Kapitel 12 · Humangenetik

..      Abb. 12.8 Multi- a Gesund Betroffen


faktorielle Vererbung mit
Schwellenwerteffekt (a). Die
Schwelle kann für die Ge-
schlechter unterschiedlich
liegen (b). (Nach Buselmaier
und Tariverdian 2007)

Schwelle Prädisposition
b

Schwellen - Prädisposition
wertbereich

12

..      Abb. 12.9 Genetische Heterogenität bei homozygoten Eltern kann zu gesunden Nachkommen
führen. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
12.3 · Untersuchungsmethoden in der Humangenetik
307 12
z Beispiel
Eltern, die aufgrund verschiedener autosomal-rezessiver Mutationen gehörlos
sind, können Kinder bekommen, die für jedes Gen heterozygot sind und daher
hören können. Die Kinder sind jedoch zweifach Überträger.

12.3 Untersuchungsmethoden in der Humangenetik

Die Humangenetik nutzt allgemeine genetische Methoden und Verfahren der Prä-
nataldiagnostik, um verschiedene Fragen von Patienten/Ratsuchenden zu be-
antworten:
55 Sind bei unklaren Familienverhältnissen Menschen miteinander verwandt?
(Beispiel: Vaterschaftstest)
55 Trägt eine Person ein Allel, das eine Krankheit ausprägt? (Beispiel: Test auf
Chorea Huntington)
55 Trägt eine Person ein Allel, das eine Unverträglichkeit für ein Medikament be-
dingt? (Beispiel: Test auf Antigene humaner Leukocyten, HLA)
55 Liegt bei einem Embryo ein genetischer Defekt vor?
55 Liegt bei einem Neugeborenen ein Defekt vor, sodass u. U. frühzeitig eine The-
rapie notwendig wird? (Beispiel: Untersuchung von Neugeborenen auf Phenyl-
ketonurie)

12.3.1 Pränataldiagnostik

Die Pränataldiagnostik ist eingebunden in eine humangenetische Beratung. Damit


steht am Anfang eine konkrete einzelne Frage oder eine konkrete Indikation für die
Untersuchung wie beispielsweise ein Verdacht auf eine Hämophilie.
Man unterscheidet die Verfahren nach invasiven und nichtinvasiven Methoden
sowie nach dem Zeitpunkt der Untersuchung:
55 Vor der Schwangerschaft untersucht man bei einer In-vitro-Fertilisation im
Rahmen einer Präimplantationsdiagnostik (PID) die Polkörper der Eizelle oder
entnimmt der Blastocyste im Wenigzellstadium eine Zelle.
55 Die nichtinvasiven molekulargenetischen Methoden während der
­Schwangerschaft nehmen immer weiter zu. Da man selbst im mütterlichen Blut
zumindest DNA-Fragmente des Embryos findet, kann man diese für die Ana-
lyse heranziehen.
55 Für die wichtigsten invasiven Methoden während der Schwangerschaft ent-
nimmt man dem Umfeld des Fötus eine Probe:
–– Chorionzottenbiopsie (Chorionbiopsie): Ab der 11. Schwangerschaftswoche
kann man mit einer Nadel 15–25 mg Zottengewebe, das den Embryo umgibt,
entnehmen und daraus DNA isolieren. Für weitere Untersuchungen kulti-
viert man die Zellen (. Abb. 12.10).
308 Kapitel 12 · Humangenetik

12
..      Abb. 12.10 Ablauf der Chorionzottenbiopsie. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)

–– Fruchtwasseruntersuchung (Amniocentese): Zwischen der 15. und 18.


Schwangerschaftswoche entnimmt man mit einer Nadel 10–20 ml Frucht-
wasser mit darin schwimmenden embryonalen Zellen. Das Fruchtwasser
wird aufbereitet, die Zellen werden abzentrifugiert und in vitro kultiviert.
Nach einigen Tagen untersucht man den Karyotyp und kann verschiedene
Analysen durchführen (. Abb. 12.11). Risiken bei der Methode: Ver-
letzungen des Fötus oder der Schwangeren, Fehlgeburten.
–– Nabelschnurpunktion (Chordocentese): Etwa ab der 20. Schwangerschafts-
woche entnimmt man 1–2 ml Nabelschnurblut, isoliert daraus die Lympho-
cyten und kultiviert sie. Die Nabelschnurpunktion dient der Diagnose von
Blut- und Infektionskrankheiten sowie möglicher Stoffwechselstörungen.
12.3 · Untersuchungsmethoden in der Humangenetik
309 12

..      Abb. 12.11 Ablauf der Amniocentese. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)

12.3.2 Genetischer Fingerabdruck

Der genetische Fingerabdruck erlaubt die Identifizierung eines Individuums, bei-


spielsweise bei der Verbrechensaufklärung oder als Vaterschaftstest. Eineiige
Mehrlinge lassen sich mit ihm nicht unterscheiden.
Der Test stützt sich auf Mikrosatelliten aus zwei bis vier Basen
(s. 7 Abschn. 2.4.7). Das entscheidende Kriterium ist die Häufigkeit der Wieder-
holungen des Motivs. Die Satelliten aus vier Basen sind verlässlicher, weil ihre Re-
plikation störungsfreier verläuft. Für eine größere Aussagekraft untersucht man
mehrere Mikrosatelliten. Bei acht Mikrosatelliten liegt die Wahrscheinlichkeit,
zwei gleiche Muster zu finden, bei 1:1 Billion.
Für die Analyse vervielfältigt man die DNA-Abschnitte mit den Mikrosatelliten
mittels PCR und trennt sie elektrophoretisch nach der Länge auf. Es ergeben sich
Muster der amplifizierten Fragmente, die sich wegen des sogenannten Fragment-
längenpolymorphismus zwischen verschiedenen Personen unterscheiden. Ein Ver-
gleich der Muster einer Probe und einer Referenz zeigt an, ob beide vom gleichen
Individuum stammen.
310 Kapitel 12 · Humangenetik

12.3.3 Kartierung von Krankheitsgenen

Kopplungsstudien führt man in Familien durch, um seltene, monogene Er-


krankungen zu kartieren. Ziel ist es, die relative Lage der betreffenden Genorte zu-
einander zu bestimmen. Die reine Sequenz des menschlichen Genoms gibt keine
eindeutige Auskunft über die Lage von Krankheitsgenen.

Polymorphismen
Als Orientierungspunkte oder DNA-Marker dienen Polymorphismen genannte
Sequenzvariationen im Genom. Ihre Positionen auf den Chromosomen sind genau
bekannt und kartiert.
Man unterscheidet verschiedene Polymorphismen:
55 Mikrosatellitenpolymorphismen, beispielsweise CA-Repeats. Sie unterscheiden
sich bei Menschen in der Zahl ihrer Wiederholungen. Es steht ein Katalog über
mehr als 20.000 Sequenzen zur Verfügung. Mikrosatelliten untersucht man
mittels PCR (Polymerasekettenreaktion, polymerase chain reaction).
55 Einzelnucleotidpolymorphismen (oder single nucleotide polymorphisms, SNP,
lies: „snip“). Die Varianten unterscheiden sich in einem einzelnen Basenpaar an
der jeweiligen Position. Man kennt mittlerweile mehrere Millionen SNPs, die in
einer Datenbank (dbSNP) abgelegt sind. Ein Teil der SNPs liegt in codierenden
Regionen. SNPs untersucht man in großem Maßstab mittels DNA-Chips.
55 Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus, RFLP. Wenn ein SNP eine
Schnittstelle für ein Restriktionsenzym innerhalb eines Fragments erzeugt oder
auslöscht, kann man recht einfach die DNA mehrerer Personen vergleichen,
indem man die Fragmente nach Einwirken des Restriktionsenzyms untersucht.
55 Weitere Polymorphismen setzt man für genomische Untersuchungen ein (s.
7 Abschn. 15.3).
12
Wahrscheinlichkeiten für eine Kopplung
Um Krankheitsgene mithilfe der DNA-Marker zu kartieren, gleicht man die
Markergenotypen mit den Familienstammbäumen ab. Man schaut dabei nach der
gemeinsamen Vererbung oder Cosegregation von Krankheitsbild und DNA-­
Marker. Die Cosegregation kann verschiedene Gründe haben:
55 DNA-Marker und Krankheitsgen sind gekoppelt, weil beide natürlicherweise
auf demselben Chromosom liegen.
55 DNA-Marker und Krankheitsgen liegen durch Rekombination auf demselben
Chromosom.
55 DNA-Marker und Krankheitsgen sind auf verschiedenen Chromosomen loka-
lisiert und wurden zufällig gemeinsam weitergegeben.

Aus den Vererbungswegen von DNA-Marker und Krankheitsgen im Familien-


stammbaum errechnet ein Algorithmus den sogenannten Likelihood-Quotienten.
Der Logarithmus dieses Werts dient als Maß für die Kopplung und wird als LOD-­
Score oder LOD-Wert (von „log of the odds“) bezeichnet. Ein LOD-Wert von 3 und
12.3 · Untersuchungsmethoden in der Humangenetik
311 12
mehr gilt als sichere Kopplung, bei einem Wert von −2 betrachtet man die Kopp-
lung als ausgeschlossen.
Die Kopplungsanalyse von DNA-Markern und defekten Allelen ist eine in-
direkte Bestimmung und erlaubt nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose. Für eine
verlässliche Diagnose ist eine umfassende Familienuntersuchung notwendig.

12.3.4 Assoziationsstudien

Assoziationsstudien sind vereinfacht gesagt die jüngere Schwester der Kopplungs-


untersuchungen, aber sie unterscheiden sich von Kopplungsuntersuchungen in meh-
reren Punkten:
55 Nicht Familien, sondern Populationen werden gescreent, entweder Betroffene
innerhalb einer Population oder die gesamte Population.
55 Nicht seltene, monogene, sondern häufige, komplexe Erkrankungen werden
untersucht, z. B. „Volkskrankheiten“.
55 Dabei untersucht man nicht ihre Kopplung zu Genorten, sondern ihre Be-
ziehung zu Allelen.

Vorgehen
Um die hohe Datenzahl zu erhalten, wendet man Hochdurchsatzverfahren an.
Man genotypisiert dabei mehrere Hunderttausend SNPs, die über das Genom ver-
streut sind. SNPs haben gegenüber Mikrosatelliten den Vorteil, dass sie seltener
mutieren.
Bei einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) genotypisiert man die SNPs
innerhalb der Gruppe der Betroffenen und einer Kontrollgruppe.
Beispiel: Verschiedene Allele machen anfällig für eine Erkrankung wie Diabetes
oder Depression. Die Anwesenheit dieser Allele ist für die Erkrankung weder hin-
reichend noch notwendig, sie erhöht jedoch das Risiko.
Da sich eine GWAS nicht auf ausgesuchte Kandidatengene beschränkt, son-
dern hypothesenfrei das Gesamtgenom untersucht, liefert sie viele potenziell
krankheitsfördernde Allele, die vorher unbekannt waren. Das deCode-Projekt zur
Daten-Erfassung in der isländischen Bevölkerung ist ein Beispiel dafür.

12.3.5 Nachweis von Mutationen (. Abb. 12.12 und 12.13)

Mit der Methode des Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus kann man di-


rekt eine Mutation nachweisen, durch die eine neue Schnittstelle für ein Restriktions-
enzym entstanden ist oder eine bekannte Schnittstelle verloren gegangen ist. Ist die
Mutation bekannt, so ist eine pränatale Analyse ohne Familienuntersuchung mög-
lich. Das Verfahren ist nahezu fehlerfrei.
Die direkte Diagnostik wird beispielsweise beim Test auf Sichelzellanämie oder
Chorea Huntington durchgeführt. Chorea Huntington ist eine sogenannte
­Trinucleotiderkrankung, bei der ein Basentriplett vervielfältigt ist. Zur Analyse
312 Kapitel 12 · Humangenetik

..      Abb. 12.12 Indirekte Diagnostik bei einer autosomal-rezessiven Erkrankung. (Nach Buselmaier
und Tariverdian 2007)

..      Abb. 12.13 Direkte Diag-


nostik bei einer autosomal-rezes-
siven Erkrankung. (Nach Busel-
maier und Tariverdian 2007)

12

Deletion: z. B. cF

Punktmutation: z. B. Sichelzellanämie

wird der entsprechende Abschnitt amplifiziert und über eine Gelelektrophorese


seine Länge bestimmt. Eine oben liegende Bande deutet hin auf ein langes Frag-
ment aus einer hohen Anzahl an Wiederholungen. Dieses Allel würde die Krank-
heit auslösen.
12.4 · Komplexe Erkrankungen
313 12
12.4 Komplexe Erkrankungen

An komplexen Erkrankungen wirken äußere Faktoren und mehrere Gene mit. Die
komplexen Erkrankungen sind also multifaktoriell und polygen, daher zeigen sie
nicht die Kennzeichen mendelnder Erbgänge. Multifaktoriell kann sich dabei auf
äußere Faktoren und Gene beziehen oder nur auf mehrere Gene.
Das bedeutet:
55 Die kausale Beziehung zwischen einem Allel und der Erkrankung ist nicht so
strikt wie bei monogenen Erkrankungen, man trägt „nur“ eine genetische Prä-
disposition.
55 Durch den Lebensstil oder Lebenswandel kann man die Erkrankung eventuell
verhindern. Beispiele: Diabetes mellitus, Bluthochdruck (Hypertonie).

Zu den komplexen Erkrankungen zählen


55 die Volkskrankheiten der westlichen Welt,
55 seltenere Störungen wie Depressionen oder Schizophrenie,
55 Alterserkrankungen wie die Alzheimer-Demenz oder Krebs.

Der Beitrag der einzelnen Gene an der Entstehung kann unterschiedlich groß sein.
Möglich ist:
55 Einige wenige Gene haben einen großen Anteil am Ausbruch.
55 Mehrere Gene wirken gleichmäßig mit jeweils gleich großem Anteil.
55 Viele Gene mit jeweils geringem Anteil sind verantwortlich.

Epidemiologisch wird erforscht, wie häufig die einzelnen Allele in verschiedenen


Population vorkommen und ob man auch darüber erklären kann, warum in eini-
gen Population mehr Menschen erkranken als in anderen.

12.4.1 Diabetes mellitus

Der Diabetes mellitus wird meist kurz „Diabetes“ oder umgangssprachlich


„Zuckerkrankheit“ genannt, weil man im Blut der Betroffenen dauerhaft einen
erhöhten Gehalt von Glucose findet.
Die Senkung des Glucosegehalts im Blut gesunder Menschen läuft über das
Peptidhormon Insulin:
1. Glucose bewirkt die Ausschüttung des Insulins aus der Bauchspeicheldrüse
(Pankreas).
2. Der Blutstrom transportiert das Insulin durch den Körper zu den Zielzellen.
3. Dort bindet es sich an ein Insulinrezeptormolekül.
4. Die Bindung löst eine Signalkaskade aus, an deren Ende die Zelle Glucose aus
dem Blut aufnimmt.

Diabetes erhöht das Risiko für tödliche Erkrankungen wie Schlaganfall und Herz-
infarkt, aber auch für Gefäßschäden oder Blindheit.
314 Kapitel 12 · Humangenetik

Man unterscheidet verschiedene Diabetesformen nach ihrer Abhängigkeit von


Insulin und ihrem zeitlichen Auftreten. Damit verbunden sind unterschiedliche
Grade der genetischen Komplexität. Die drei wichtigsten Diabetesformen sind:
55 Typ-II-Diabetes,
55 Typ-I-Diabetes,
55 MODY (maturity-onset diabetes of the young).

Typ-II-Diabetes
Der Typ-II-Diabetes zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
55 Er ist die häufigste Diabetesform, 90–95 % der Erkrankten leiden daran.
55 Die Häufigkeit in der Bevölkerung beträgt 2–5 % und macht ihn zur Volks-
krankheit.
55 Er ist nicht von Insulin abhängig. Das gebildete Insulin reicht nicht mehr aus,
um den Blutzuckergehalt zu senken. Man spricht von Insulinresistenz.
55 Die Form trat früher vor allem im Alter auf und trug den Beinamen „Altersdiabetes“.

Typ-II-Diabetes ist das Musterbeispiel für eine komplexe Erkrankung, bei der äu-
ßere Faktoren wie die Ernährung und genetische Faktoren verquickt sind.
Die genetische Prädisposition macht sich dadurch bemerkbar, dass sich das Er-
krankungsrisiko um 30–40 % erhöht, wenn ein Elternteil erkrankt ist.
Beispiele für genetische Faktoren (Suszeptibilitätsgene) sind:
55 das Gen für Calpain 10 (eine calciumabhängige Cystein-Protease) und
55 das Gen für den Transkriptionsfaktor TCF7L2 (oder TCF4 genannt).
55 TCF7L2 wirkt u. a. an der Insulinsekretion mit. Ein SNP innerhalb des
TCF7L2-Gens gilt derzeit als entscheidender genetischer Marker. Das Allel er-
höht das Erkrankungsrisiko um das 1,5-Fache.
55 Insgesamt haben genomweite Assoziationsstudien mittels SNPs zahlreiche Loci
12 identifiziert, die mit einem höheren Risiko einhergehen. Einige genetische
Risikofaktoren erhöhen auch das Risiko für Fettleibigkeit.

Zu den äußeren Faktoren, die einen Typ-II-Diabetes begünstigen, gehören Er-


nährung und Lebensstil. Bewegung verringert das Risiko, ungesunde Ernährung
erhöht es. Im 20. Jahrhundert („niederländischer Hungerwinter“) hat man fest-
gestellt, dass einerseits in hungernden Populationen der Anteil der Diabetesfälle
zurückgeht, andererseits die Unterernährung von Schwangeren Auswirkungen auf
die Embryonen hat und sich die Auswirkungen Jahrzehnte später manifestieren
(gestörter Stoffwechsel, Übergewicht).

Typ-I-Diabetes
Der Typ-I-Diabetes zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
55 Er liegt in 5–10 % aller Diabetesfälle vor.
55 Die Häufigkeit in der Bevölkerung liegt bei 0,2–0,3 %.
55 Typ I ist von Insulin abhängig.
55 Er tritt meist schon in der Jugend auf.
55 Eineiige Zwillinge erkranken häufiger, es müssen aber nicht zwingend beide
­betroffen sein.
12.4 · Komplexe Erkrankungen
315 12
Anders als die an Typ-II-Erkrankten verlieren die Betroffenen die Fähigkeit, Insu-
lin zu synthetisieren. Die Ursache liegt darin, dass der Körper selbst die produzie-
renden β-Zellen des Pankreas zerstört. Typ I gilt damit als Autoimmunerkrankung:
Die Erkrankten bilden gegen eigenes Gewebe gerichtete Autoantikörper.
Man erklärt Typ I damit, dass die Risikopatienten Kombinationen bestimmter
Allele des HLA-Systems tragen. HLA-Gene sind von zentraler Bedeutung für die
Funktion des Immunsystems. Die Proteine präsentieren den Immunzellen Peptide
als Antigene (s. 7 Abschn. 13.5).
Man bezeichnet die Kombination der Allele mehrerer gekoppelter Gene auf
demselben Chromosom als Haplotyp, was sich von „haploider Genotyp“ ableitet.
Man nimmt an, dass äußere Faktoren den krankmachenden Haplotypen ver-
anlassen, die Autoantikörper zu bilden.

MODY (maturity-onset diabetes of the young)


MODY zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
55 MODY diagnostiziert man bei jungen Erwachsenen unter 25 Jahren.
55 Diese Diabetesform ist eine monogene Erkrankung mit autosomal-dominantem
Erbgang.
55 Etwa 1–2 % der Diabetiker leiden an MODY.
55 Man unterscheidet wiederum mehrere MODY-Typen, abhängig von den be-
troffenen Genen. Beispiele:
–– Bei MODY 2 ist das Glucokinasegen betroffen,
–– bei MODY 10 das Insulingen,
–– bei MODY 13 das Gen für einen Kaliumionenkanal. Die Betroffenen zeigen
daher auch neurologische Auffälligkeiten.

12.4.2 Allgemeines zu Krebs und Tumorgenetik


Begriffsklärung
Auch Krebs zählt zu den komplexen Erkrankungen, weil sowohl Mutationen in
Genen als auch äußere Faktoren wie Lebensweise und Umweltfaktoren zur Ent-
stehung beitragen.
Krebs ist eine Sammelbezeichnung für die bösartige Neubildung von Gewebe.
Der Begriff Tumor hat zwei Bedeutungen:
55 Im weiteren Sinn meint er die örtlich begrenzte Zunahme des Gewebevolumens.
Die Ursache kann nach diesem Verständnis auch eine Entzündung sein.
55 Im engeren Sinn ist ein Tumor die gut- oder bösartige Neubildung von Gewebe,
die man als Neoplasie bezeichnet.

Ursachen und Einteilung


Die Ursache für die Neoplasie liegt im gestörten Verhalten der Tumorzellen:
55 Sie teilen sich unkontrolliert,
55 ihre Lebensdauer kann verlängert sein,
316 Kapitel 12 · Humangenetik

55 sie können sich aus ihrem ursprünglichen Zellverband herauslösen und in ein
anderes Gewebe einwandern,
55 sie verlieren ihre biochemisch-genetischen Charakteristika einer aus-
differenzierten Zelle.

Das Ausmaß dieser Eigenschaften ist unterschiedlich stark ausgeprägt, sodass man
darauf die biologische Einteilung von Tumoren aufbaut:
55 Gutartige oder benigne Tumore: Diese bestehen aus differenzierten, langsam
und örtlich begrenzt wachsenden Zellen. Sie verdrängen Nachbargewebe, in-
filtrieren es aber nicht.
55 Bösartige oder maligne Tumore: Diese werden auch als Krebs bezeichnet und
bestehen aus dedifferenzierten, schnell und aggressiv wachsenden Zellen. Sie
zerstören umliegendes Gewebe, verlassen ihren angestammten Gewebeverband
und streuen in den Körper. Sie sind invasiv und bilden Metastasen.
55 Semimaligne Tumore: Sie bilden zwar keine Metastasen, zerstören aber Nach-
bargewebe und wachsen in dieses hinein.

Die histologische Einteilung schaut nach dem Gewebe, dem die Zellen ent-
wicklungsbiologisch entstammen.
Beispiele:
55 Epitheliale Tumore: entstehen aus Ektoderm und Entoderm. Hierzu gehören
gutartige Adenome, Papillome oder bösartige Carcinome.
55 Mesenchymale Tumore: entstehen aus dem Mesoderm. Dazu zählen gutartige
Fibrome und bösartige Sarkome.
55 Embryonale Tumore: entstehen aus undifferenziertem Gewebe. Beispiele hier-
für sind Retinoblastom und Neuroblastom.

12
Krebs als genetischer Defekt
Man unterscheidet erbliche und nicht-erbliche oder sporadische Krebserkrankungen.
In beiden Gruppen sind die gleichen Gene betroffen.
Eine erbliche Prädisposition liegt in etwa 5 % der Krebserkrankungen vor. Im
Wesentlichen entstehen die Mutationen in den Genen durch:
55 Punktmutationen in den somatischen Zellen,
55 Translokationen,
55 Aneuploidien,
55 Erhöhung der Kopienzahl (Amplifikation),
55 Insertionen viraler Gensequenzen,
55 Imprinting-Mutationen.

Damit Tumorzellen ihre speziellen Eigenschaften ausbilden, müssen Gene aus-


geschaltet werden, die das Zellwachstum regulieren. Viele von ihnen sind in Signal-
wege eingeschaltet.
12.4 · Komplexe Erkrankungen
317 12
Man hat die tumorauslösenden Gene in mehrere Gruppen eingeteilt:
55 Tumorsuppressorgene kontrollieren den Zellzyklus oder lösen Apoptose aus.
55 Onkogene bewirken den Übergang vom normalen zum ungebremsten
Wachstum.
55 Mutatorgene beeinflussen die Mutationsrate anderer Gene. Sie werden nur ge-
legentlich als eigene Gruppe tumorauslösender Gene gezählt.

12.4.3 Tumorsuppressorgene

Normalerweise verhindern Tumorsuppressorgene die Entstehung von Tumoren,


indem sie das Zellwachstum regulieren. Dazu hemmen sie die Bildung verschiedener
Genprodukte:
55 auf der cytologischen Ebene beispielsweise Komponenten zur Regulation der
Zellteilung,
55 auf der genetischen Ebene beispielsweise Systeme zur DNA-Reparatur.

Kann die Zelle den DNA-Schaden nicht reparieren, löst das Gen letztlich die Apo-
ptose aus.
Mutationen führen zu einem Verlust der Funktion (loss of function) und damit
der Kontrolle des Wachstums.

Zwei-Treffer-Theorie
Nach der Zwei-Treffer-Theorie oder Knudson-Hypothese müssen zwei Mutationen
zusammenkommen, damit eine Zelle anfängt, sich unkontrolliert zu teilen. Die Mu-
tationen schalten beide Exemplare des Kontrollgens aus, die der Patient von beiden
Eltern erhalten hat.
Dabei unterscheidet man zwei verschiedene Abläufe:
55 Entweder ereignen sich im Lauf des Lebens zwei sporadische Mutationen in
den beiden Allelen. Es kommt zu einer sporadischen Krebserkrankung.
55 Oder die erste Mutation ereignet sich bereits bei der Gametenentwicklung in der
Keimbahn eines Elternteils. Sie erzeugt allein keinen Krebs, bewirkt aber eine
genetische Prädisposition.

Die erste Mutation ist oft eine Punktmutation, die zweite beispielsweise eine Dele-
tion eines größeren Abschnitts. Sie führt zu einem Zustand, den man als Loss of
Heterozygosity (LOH) bezeichnet.
Die zwei Mutationen führen zwar zur unkontrollierten Zellteilung, aber nicht
zwingend zu einem malignen Tumor. Dafür können weitere Mutationen notwendig
sein. Beispielsweise verläuft die Bildung eines Adenom-Carcinoms mehrstufig:
55 Die Entwicklung des colorectalen Carcinoms (Dickdarmkrebs) beginnt mit den
Mutationen im Tumorsuppressorgen APC.
55 Erst wenn weitere Gene mutieren, entwickeln sich die malignen Eigenschaften.
318 Kapitel 12 · Humangenetik

z Beispiel 1: Das Protein p53


Eines der berühmtesten Moleküle in der Tumorgenetik ist das Protein p53. Codiert
wird dieses Protein von dem Tumorsuppressorgen TP53.
Wegen seiner Funktion nennt man p53 auch den „Genomwächter“:
55 p53 ist ein Transkriptionsfaktor.
55 p53 hat eine Schlüsselfunktion an einer Schaltstelle der Zellzykluskontrolle. Es
kontrolliert den Übergang von der G1- zur S-Phase und stoppt die Replikation,
falls Schäden in der DNA vorliegen (siehe . Abb. 12.14).
55 Das Protein p53 induziert mehrere Gene, beispielsweise das Gen für einen cyc-
linabhängigen Kinaseinhibitor.
55 Die mittels p53 gebildeten Proteine halten den Zellzyklus an, um die
­DNA-­Reparatur zu ermöglichen oder, wenn das nicht gelingt, um die Apoptose
einzuleiten.
55 Fällt p53 aus, lebt die Zelle weiter und häuft wegen der Schäden Mutationen an.

Mutationen in TP53 können das Li-Fraumeni-Syndrom verursachen, bei dem in


frühen Lebensjahren verschiedene Tumoren auftreten wie Brustkrebs, Leukämie,
Gehirntumore und Osteosarkome. Da das DNA-Reparatursystem betroffen ist,
wäre eine Chemotherapie mit mutagener Wirkung gefährlich.

z Beispiel 2: Retinoblastom
Das Retinoblastom ist die häufigste Krebsform am Auge bei Kindern. Erkennt man
den Tumor zu spät, greift er auch auf das Gehirn über.
Charakteristika des Retinoblastoms:
55 Die Inzidenz liegt im Mittel etwa bei 1:20.000.
55 Die Krebsform ist ein Beispiel für eine Erkrankung mit hoher Penetranz, nahezu
jeder Betroffene mit den Anlagen entwickelt ein Retinoblastom.
12

..      Abb. 12.14 Die Signalkaskade von Wachstumsfaktoren bis zum Eintritt in die S-Phase und die
Bedeutung von Tumorsuppressorgenen. Grüne + oder – symbolisieren den üblichen Weg, rote Sym-
bole symbolisieren die Auswirkung der Mutationen an den verschiedenen Stellen. Einige Zwischen-
schritte sind zusammengefasst. (a) Nach der Signaltransduktion und Genexpression phosphoryliert
der aktive Komplex aus CYCLIN D und CDK das Retinoblastom-Protein pRb. Dadurch löst sich
der Transkriptionsfaktor E2F davon ab und schaltet Gene an, die den Übertritt in die S-Phase ein-
leiten. Alle Voraussetzungen für den Eintritt sind auch erfüllt, die Zelle ist gewissermaßen „gesund
und fit“. Die Funktion von p53 als Genomwächter gewährleistet, dass die Kette jedoch unterbrochen
wird, falls DNA-Schäden vorliegen. Dann aktivieren diese p53 und p53 führt zur Bildung von p21.
p21 ist ein Kinase-Inhibitor und deaktiviert den CYCLIN D-CDK-Komplex. Letztlich stoppt p53
bei DNA-­Schäden somit die Zellteilung. (b) Eine Mutation in dem Gen für RAS aktiviert auch ohne
Signal die Kaskade. Der Prozess kann aber noch gestoppt werden. (c) und (d) Mutationen in den
Genen für p53 und pRb sorgen für den Ausfall dieser zwei Proteine. Trotz vorliegender DNA-Schä-
den (die Zelle ist nicht „gesund und fit“) kann dann p53 den Prozess nicht stoppen (c). Das ge-
schädigte pRb vermag auch ohne Phosphorylierung E2F nicht an sich zu binden. Die Zelle tritt in die
S-Phase ein, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (d)
12.4 · Komplexe Erkrankungen
319 12
a
Signal:
Wachstumsfaktor

b ohne Signal:
Mutation
Signal- RAS RAS
transduktion

RAF

MYC, JUN, FOS

Gen-
expression

CDK CYCLIN
inaktiv

CYCLIN-CDK
aktiv

p21 c p53 DNA-Schaden

p53 DNA-Schaden
Mutation

Rb-E2F Rb-P +E2F

+E2F
Rb
d Mutation

G1- S-Phase und Zellteilung


320 Kapitel 12 · Humangenetik

55 40 % der Fälle sind erblich, davon ist ein Viertel familiär, während drei Viertel
von Neumutationen in der Keimbahn verursacht werden. Meistens sind beide
Augen betroffen.
55 60 % der Fälle sind sporadisch und gehen auf somatische Mutationen in der Re-
tina zurück. Hierbei ist in aller Regel nur ein Auge betroffen. Diese Fälle treten
erst in späteren Jahren auf.
55 Das Retinoblastom gilt als autosomal-dominant. Aber auch hier bildet sich der
Tumor erst nach einer weiteren Mutation, einem „zweiten Treffer“ im zweiten
Allel, sodass die Betroffenen compound heterozygot sind. Da mehr als 90 % der
Träger letztlich einen Tumor entwickeln, behält man die Einstufung „domi-
nant“ trotzdem bei.

Das Gen und die Funktion des Proteins pRb:


55 Das betroffene Gen heißt RB1, es codiert das Protein pRb.
55 pRb hat wie p53 eine Schaltfunktion am Übergang von der G1- zur S-Phase
(s. . Abb. 12.14).
55 In pRB münden die Wege, die zum Eintritt der Zelle in die S-Phase führen oder
die S-Phase verhindern. Die Entscheidung trifft pRB (siehe . Abb. 12.14).
55 (1) Das Protein pRb ist verbunden mit dem Transkriptionsfaktor E2F. Ein
Wachstumssignal bewirkt über mehrere Stufen die Bildung eines aktiven Cyclin
D-CDK-Komplexes. Der Komplex phosphoryliert pRb. Daraufhin gibt pRb
den Transkriptionsfaktor frei. Dieser gelangt in den Zellkern und aktiviert
Gene, die zum Eintritt in die S-Phase führen.
55 (2) Im Falle eines DNA-Schadens erkennen die Proteine ATR oder ATM die
Verletzung und aktivieren p53. Der Transkriptionsfaktor p53 schaltet DNA-­
Reparaturgene an sowie den Cyclin-abhängigen Kinase-Inhibitor p21, der den
Cyclin D-CDK-Komplex hemmt. pRb wird nicht phosphoryliert, hält E2F fest
12 und schaltet die Transkription von Genen ab, die für die Replikation notwendig
sind.
55 Letztlich zählen zu den Zielgenen von pRb DNA-Synthesegene, weitere Regu-
latoren für den Phasenübergang, Protoonkogene und Apoptoseregulatoren.

z Beispiel 3: Brustkrebs, BRCA1 und BRCA2


Etwa 5–10 % der Brustkrebsfälle gehen mit einer erblichen Prädisposition einher.
Die meisten Mutationen liegen in den Genen BRCA1 und BRCA2. Beide Gen-
produkte haben Funktionen für die DNA-Reparatur und Regulation des Zell-
zyklus.

12.4.4 Onkogene

Onkogene sind in gewisser Weise die Gegenspieler der Tumorsuppressorgene. Wäh-


rend Tumorsuppressorgene die Zellteilung hemmen, aktivieren die Onkogene die
Zellteilung.
12.4 · Komplexe Erkrankungen
321 12
In ihrer normalen, nicht mutierten Form bezeichnet man die Gene als Proto-
onkogene. Manche Wissenschaftler sprechen lieber von Onkogenen und nach der
Mutation von aktivierten Onkogenen.
Protoonkogene steuern Prozesse wie Wachstum, Zellteilung und Differenzie-
rung von Zellen.
Für den Übergang vom Protoonkogen zum Onkogen reicht eine einzige Muta-
tion in einem einzelnen Allel aus. Das Gen verliert keine Funktion, sondern die
Mutation erzeugt einen Funktionsgewinn (gain of function). Die Veränderung kann
in sporadischen wie erblichen Tumoren vorkommen.
Das Onkogen wirkt dominant.
Man unterscheidet zwei Typen von Onkogenen:
55 Virale Onkogene werden von Krankheitserregern wie Viren, aber auch Bakte-
rien oder eukaryotischen Parasiten in die Zelle getragen.
55 Zelluläre Onkogene sind Bestandteil des zelleigenen Genoms.

Beispiele für virale Onkogene


Krebsauslösende Viren sind oft endogene Retroviren oder haben zelluläre Gene
aufgenommen.
Humane Papillomviren (HPV) umfassen mehrere Hundert Typen. Es sind
DNA-Viren, die gutartige oder bösartige Tumoren verursachen können.
55 Zu den gutartigen Tumoren zählt man Warzen, beispielsweise Feigwarzen.
55 Zu den bösartigen Tumoren gehört der Gebärmutterhalskrebs. Die WHO emp-
fiehlt daher eine Impfung gegen die verursachenden HP-Viren vom Typ 16 und
18 vor dem ersten Sexualkontakt der Mädchen.

Die Gene der Viren verhindern die DNA-Reparatur und die Apoptose.
Das Abelson-Leukämie-Virus der Maus verursacht chronische myeloische Leu-
kämien der B-Lymphocyten. Entscheidend ist das Abl-Gen, das eine Tyrosin-­
Kinase für die Signalweiterleitung codiert. Ein weiteres Gen regt es zu erhöhter
Aktivität an.
Verwandt mit diesem Gen ist das menschliche ABL-Gen auf Chromosom 9. Es
codiert ebenfalls eine Tyrosin-Kinase (s. Philadelphia-Chromosom, 7 Abschn. 11.3.2).
Durch eine Translokation entsteht ein Fusionsprotein, das der Kontrolle eines
anderen Promotors unterliegt und verstärkt exprimiert wird.
Das Epstein-Barr-Virus und das Burkitt-Lymphom (. Abb. 12.15) erzeugen
Tumorzellen, die sich durch eine Translokation am Chromosom 8 auszeichnen,
beispielsweise die balancierte reziproke Translokation t(8;14)(q24;q32).
55 Diese Translokation bringt das MYC-Protoonkogen in die Nähe des IGH-Gens
für eine schwere Immunglobulinkette.
55 Da Lymphocyten Immunglobuline (also Antikörper) synthetisieren, überexpri-
mieren sie dann das MYC-Gen, das für den Transkriptionsfaktor MYC co-
diert.
322 Kapitel 12 · Humangenetik

Chromosom 8 Chromosom 14
Bruchstelle Bruchstelle

5' 3' 3' 5'

1 2 3 C C C Wechsel Vn V2 V1

Exons am MYC-Locus Konstant Variabel


Locus für die schwere Immunglobulinkette

3' 5' 5' 3'

C C C 2 3
IGH MYC

..      Abb. 12.15 Translokation zur Entstehung des Burkitt-Lymphoms. (Nach Buselmaier und Tari-
verdian 2007)

55 MYC ist entscheidend wichtig für die Induktion pluripotenter Stammzellen


(siehe 7 Abschn. 14.6.3).

Beispiele für zelluläre Onkogene


Die zellulären Onkogene bzw. Protoonkogene codieren Wachstumsfaktoren,
Tyrosin-­Kinasen, G-Proteine, Transkriptionsfaktoren oder Zellzyklusregulatoren.
Bekannte Beispiele liefern die Ras-Proteine. Der Name Ras stammt von Rat
12 sarcoma.
55 Das Protein ist ein kleines G-Protein. G-Proteine oszillieren zwischen einem ak-
tiven Zustand mit gebundenem GTP und einem inaktiven Zustand, dann ist
GDP gebunden. Aktives Ras führt zur Aktivierung nachfolgender Kinasen und
leitet letztlich die Teilung der Zelle ein (siehe 7 Abschn. 7.5.1).
55 Eine Punktmutation in dem Protoonkogen Ha-Ras überführt es in die onko-
gene Form. Damit ist das Ras-Onkoprotein dauerhaft aktiv und stimuliert die
Zellteilung auch ohne Signal von außen.

Beim Menschen gibt es drei homologe Gene zum Ras-Gen: HRAS, NRAS und
KRAS. Mutationen in diesen Genen zählen zu den häufigsten Mutationen in
menschlichen Tumoren. Sie sind beteiligt an Lungen-, Dickdarm, Pankreas- oder
auch Blasenkrebs.
Auch beim Menschen reicht eine Punktmutation aus, die zum Verlust der
GTPase-Bindungsaktivität von RAS führt (s. . Abb. 12.14).
Einer der Forschungsansätze, um die Aktivität des Gens einzudämmen, setzt
auf Antisense-Moleküle und die RNA-Interferenz.
12.5 · Behandlung erblich bedingter Krankheiten
323 12
12.4.5 Mutatorgene

Mutatorgene sind an der DNA-Reparatur beteiligt. Fallen sie also aus, so kann die
Zelle Schäden in der DNA nicht ordnungsgemäß reparieren, und es kommt ver-
mehrt zu Mutationen.
Mutationen in Mutatorgenen wirken sich rezessiv aus. Es genügt also ein intak-
tes Allel zum Funktionserhalt.
Beispiele beim Menschen: Xeroderma pigmentosum und das Cockayne-­
Syndrom (s. 7 Kap. 11).

12.5 Behandlung erblich bedingter Krankheiten

Grundsätzlich ist eine Behandlung auf verschiedenen Ebenen möglich: von der
Organtransplantation (z. B. Herz oder Lunge) oder der Organprothese
(z. B. Cochlea-Implantat bei Gehörlosigkeit) bis herab zur Molekülebene, auf der
man die fehlenden Stoffe wie Insulin oder den Blutgerinnungsfaktor VIII bei
Hämophilie A ersetzt.
Auf genetischer Ebene setzen verschiedene Methoden an, die zum größten Teil
noch entwickelt oder erprobt werden:
55 Somatische Gentherapie: Dabei wird eine intakte DNA-Sequenz in Zellen mit
Mutation übertragen.
–– Sie erzeugt transgene Zellen und will damit den Defekt in der Sequenz be-
heben. Vektoren wie Adenoviren oder nichtpathogene Retroviren schleusen
die intakte DNA in die Zelle hinein.
–– Erste Erfolge erzielte man bei der Behandlung von SCID (severe combined
immunodeficiency), einer X-Chromosom-gekoppelten Immunschwäche.
–– Die somatische Gentherapie kämpft jedoch mit zwei grundsätzlichen Proble-
men: der Integration der transgenen DNA und deren Expression. Beispiels-
weise entwickelten einige Patienten mit SCID eine Leukämie, weil sich die
eingeschleuste DNA in ein Onkogen inseriert hatte.
–– Man hat zwar Viren entwickelt, die sich nicht mehr integrieren, hier wird das
Transgen jedoch nicht dauerhaft exprimiert, sondern nur übergangsweise
(transient).
–– Typische Vektoren basieren auf Adenoviren, Adeno-assoziierten Viren oder
Retroviren. Zunehmend untersucht man jedoch, wie ein Transfer ohne Vek-
tor gelingen kann, vergleichbar den Lipopartikeln der RNA-Impfstoffe
gegen Covid-19.
324 Kapitel 12 · Humangenetik

55 Genome Editing: Hierbei verändert man die DNA-Sequenz durch verschiedene


Nucleasen (7 Kap. 16):
–– Zinkfingernucleasen,
–– TALENS,
–– CRISPR/Cas9-Endonucleasen.
–– Die Systeme beheben die Mutation wie bei der normalen DNA-Reparatur.
55 RNA-Interferenz (RNAi): Dabei setzt man Antisense-RNA Moleküle ein, um
die Translation der mRNA zu unterbinden. Kleinere Antisense-Oligonucleotide
können sich an mRNAs heften und deren weitere Reifung verhindern oder
deren Abbau erzwingen. Ribozyme zerschneiden mRNAs direkt.

12
325 13

Immungenetik
Inhaltsverzeichnis

13.1 Worum geht es? – 326


13.2 Überblick – 326
13.2.1 E inteilung des Immunsystems – 326
13.2.2 Die genetische Komplexität der er-
worbenen Immunantwort – 327

13.3 B-Lymphocyten – 327


13.3.1 E inteilung der Antikörper – 327
13.3.2 Struktur der Antikörper oder Immunglobuline – 328

13.4  ufbau der Immunglobulin-


A
gene und Antikörpervielfalt – 329
13.4.1  NA-Rearrangement der Gene für die Regionen – 329
D
13.4.2 Zurechtschneiden – 330
13.4.3 Somatische Hypermutation – 331
13.4.4 Auswahl eines Allels – 331

13.5 T-Zell-Rezeptoren – 331

13.6 Haupthistokompatibilitätskomplex – 332

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_13
326 Kapitel 13 · Immungenetik

13.1 Worum geht es?

Die Immungenetik beschreibt die Vorgänge, die für die Vielfalt und Komplexität
der erworbenen Immunantwort wichtig sind. Grundlagen dazu sind bekannte Pro-
zesse wie die Rekombination, aber auch der Einbau von Mutationen.
Das Immunsystem ermöglicht einem Organismus, sich gegen Krankheits-
erreger wie Viren, Bakterien oder Pilze zu wehren und zu verteidigen.

13.2 Überblick

13.2.1 Einteilung des Immunsystems

Die Immunabwehr höherer Tiere umfasst eine Fülle von Komponenten, die sich in
zwei große Kategorien einteilen lassen:
55 angeborene oder unspezifische Immunantwort,
55 erworbene, spezifische oder adaptive Immunantwort.

Die angeborene oder unspezifische Immunantwort ist der stammesgeschichtlich äl-


tere Teil und daher im Tierreich weiter verbreitet.
Die Antwort ist genetisch vorgegeben und erlaubt keine Anpassung an die
Krankheitserreger.
Zur angeborenen Immunantwort gehören Abwehrmechanismen auf ver-
schiedenen Ebenen:
55 mechanische Barrieren und Systeme wie Häute, Schleimhäute und Flimmer-
härchen,
55 chemische Abwehr wie Magensäure,
55 Abwehr- und Kommunikationsmoleküle wie Interleukine und das Komple-
13 mentsystem,
55 zelluläre Bestandteile wie Makrophagen, Granulocyten und natürliche Killer-
zellen.

Beispiel für eine angeborene Immunantwort: Entzündungsreaktionen.


Die erworbene, spezifische oder adaptive Immunantwort ist beschränkt auf
Wirbeltiere. Aufgrund der individuellen genetischen Ausstattung und der geneti-
schen Mechanismen erlaubt sie eine individuelle und anpassungsfähige Immun-
antwort.
Ihre Mechanismen fallen in zwei Gruppen:
55 Zu den zellulären Bestandteilen gehören die B- und T-Lymphocyten.
55 Zu den molekularen Bestandteilen gehören die Antikörper, die auch als Immun-
globuline bezeichnet werden.
13.3 · B-Lymphocyten
327 13
Angeborene und erworbene Immunantwort kommunizieren miteinander, ebenso
die zellulären und nichtzellulären Bestandteile des Immunsystems.
Da die nichtzellulären Bestandteile wie Antikörper oder Interleukine in den
Körperflüssigkeiten Blut und Lymphe zirkulieren, fasst man sie oft zur humoralen
Immunantwort (von lat. (h)umor für Flüssigkeit, Feuchtigkeit) zusammen.

13.2.2  ie genetische Komplexität der erworbenen


D
Immunantwort

Die erworbene Immunität zeichnet sich durch genetische Vielfalt auf drei Ebenen
aus:
55 Vielfalt der Immunglobulingene und der Immunglobuline. Diese Gene sind in
den B-Lymphocyten aktiv.
55 Vielfalt der T-Zell-Rezeptoren. Dabei handelt es sich um Strukturen der T-­
Lymphocyten.
55 Vielfalt der Gene für den Haupthistokompatibilitätskomplex (major histocom-
patibility complex genes, MHC-Gene). Beim Menschen werden sie HLA (human
leukocyte antigene) genannt. Je nach Typ sind sie in speziellen Immunzellen
oder in nahezu allen Körperzellen aktiv.

Die Spezifität der Immunantwort entsteht in den Immunzellen. B- und T-­


Lymphocyten sind genetisch so programmiert, dass jede Zelle nur ein Antigen er-
kennt.
55 Nach dem ersten Antigenkontakt vermehren sich die B- und T-Zellen und lösen
weitere Schritte aus.
55 Die B-Zellen produzieren Antikörper, die T-Zellen vermitteln die zelluläre
Immunität.
55 Nach dem Abklingen der Immunreaktion bleiben Gedächtniszellen zurück, die
oft lebenslange Immunität vermitteln.
55 Bei einem zweiten Kontakt mit dem gleichen Antigen kann der Organismus
dank der Gedächtniszellen auch Jahre später schneller reagieren und den Ein-
dringling bekämpfen.

13.3 B-Lymphocyten

13.3.1 Einteilung der Antikörper

Antikörper kommen als Monomere, Dimere oder Polymere vor (. Abb. 13.1).
Man unterscheidet fünf Klassen: IgM, A, G, E und D. Die Klasse bestimmt die
Lokalisation des Antikörpers und welche Reaktionen des Immunsystems er aus-
löst.
328 Kapitel 13 · Immungenetik

Monomer Dimer Pentamer


IgD, IgE, IgG IgA IgM

..      Abb. 13.1 Verschiedene Immunglobuline und ihre Erscheinungsformen

Antikörper sind membranständig oder frei zirkulierend:


1. Zunächst sind Antikörper in der Membran von B-Zellen verankert.
2. Nach einem Antigenkontakt werden die Zellen zur Proliferation angeregt.
3. Die B-Plasmazellen produzieren dann Antikörper, die sie sezernieren und die
im Blut zirkulieren. Sie heften sich an das Antigen und leiten die Zerstörung der
Eindringlinge ein.

13.3.2 Struktur der Antikörper oder Immunglobuline

Antikörper gleichen sich in ihrem Aufbau (. Abb. 13.2):


55 Ein Antikörper ist ein Immunglobulinkomplex. Er besteht aus zwei gleichen
schweren Polypetidketten und zwei gleichen leichten Ketten, die über Disulfid-
brücken zusammengehalten werden.
55 Die Ketten sind untergliedert in Regionen:
–– Die schweren Ketten besitzen jeweils eine variable oder V-Region, eine D-Re-
13 gion (diversity), eine J-Region (joining) und drei konstante oder C-Regionen.
–– Die leichten Ketten umfassen eine V-, eine J- und eine C-Region.
55 Die V-, D- und J-Regionen vermitteln die Antikörperspezifität.
–– Die Enden der V-Region einer leichten und einer schweren Kette bilden zu-
sammen jeweils eine Antigenbindungsstelle.
–– Der Abschnitt, an dem ein Antikörper ein Antigen erkennt, heißt Epitop. Bei
fremden Proteinen ist er nur wenige Aminosäuren groß.
55 Die konstante Region charakterisiert die Antikörperklasse. IgA enthält die
schweren Ketten α, IgD enthält δ, IgE ε, IgG γ und IgM μ.
13.4 · Aufbau der Immunglobulingene und Antikörpervielfalt
329 13

Antigen- Strukturen
bindungsstelle des Epitops
N

An
Variable Region der

tig
S S

en
N schweren Kette (VH)
S S

S S S S

S S S S

Leichte S S S S
S S
Kette S S S
C C S Variable Region der
S S leichten Kette (VL)
SS
Konstante Region der
Schwere Kette SS leichten Kette (CL)

Disulfidbrücken SS Konstante Region der


schweren Kette (CH)
SS

C C

..      Abb. 13.2 Allgemeiner Aufbau der Immunglobuline am Beispiel des IgG-Antikörpers

13.4 Aufbau der Immunglobulingene und Antikörpervielfalt

Die Vielfalt der Antikörper resultiert aus den drei Vorgängen:


1. Kombination einer Vielzahl von Genen, die nur für jeweils eine Region der Poly-
peptidkette codieren.
2. Ungenaue Verknüpfung dieser Gensegmente durch Rekombination.
3. Erhöhte Mutationsrate durch den Eingriff eines Enzyms.

13.4.1 DNA-Rearrangement der Gene für die Regionen

Der Zelle steht eine hohe Zahl an Genen für die einzelnen Regionen zur Auswahl.
Beim Menschen sind es beispielsweise:
55 Bei der schweren Kette rund 100 VH-Gene, 30 DH-Gene und neun JH-Gene
für den variablen Teil sowie elf Gene für den konstanten Teil.
55 Bei der leichten Kette 80 VK-Gene und 5 JK-Gene für den variablen sowie ein
Gen für den konstanten Teil.
330 Kapitel 13 · Immungenetik

Gene für die schwere Kette

V V V V D D D D J J J J C

Entfernung von D- und J-Segmenten

V V V V D D J C

D D J J J

Verbindung (Rekombination) eines D- und eines J-Segments

V V V V D DJ C

Entfernung von V- und D-Segmenten

V V DJ C

V V D

VDJ-Rekombination

V V DJ C

Verbindung mit
einem C-Segment

..      Abb. 13.3 Ablauf der somatischen Rekombination

Die Zelle rekombiniert zufällig aus jedem Bereich ein Gensegment. Grundsätzlich
kann jedes Gensegment für eine Region mit jedem Abschnitt für eine andere Re-
13 gion verknüpft werden. Die Gensegmente tragen dazu an den Enden Signal-
sequenzen (RSS, recombination site sequences), die den IR von Transposons ähneln.
Den Rekombinationsvorgang bezeichnet man als V(D)J-Rekombination oder
somatische Rekombination. Er verbindet ein V-Segment mit einem D-Segment,
einem J-Segment und einem C-Segment (. Abb. 13.3).
Die VDJ-Rekombination entspricht einer ortsspezifischen Transposition. Die
beiden Proteine RAG1 und RAG2 (recombination-activating gene) wirken dabei wie
das Enzym Transposase. Sie schneiden die Abschnitte heraus und verknüpfen sie.

13.4.2 Zurechtschneiden

Wenn die Zelle die Gensegmente zurechtschneidet, arbeitet sie nicht nucleotidgenau.
Sie verbindet die Genregionen über eine nichthomologe End-zu-End-­Verknüpfung
(NHEJ). Dabei schneidet sie die DNA der Elemente so, dass Lücken entstehen. Das
Enzym Terminale Transferase füllt die Lücken auf, arbeitet aber ungenau.
13.5 · T-Zell-Rezeptoren
331 13
13.4.3 Somatische Hypermutation

Das Enzym aktivierungsinduzierte Cytidin-Desaminase (Activation Induced


Cytidine Deaminase, AID oder AICDA) erhöht die Mutationsrate der Anti-
körpergene:
1. Die AID entfernt von Cytosinbasen Aminoreste und wandelt sie zu Uracil um.
2. Die Zelle erkennt die Uracilbasen als fehlerhaft und startet die Reparatur.
3. Bei der Reparatur treten Fehler auf, die in Mutationen resultieren. Ein Enzym
für die Reparatur an dieser Stelle ist beispielsweise die Polymerase η.

13.4.4 Auswahl eines Allels

Die Zusammenstellung der unterschiedlichen Immunglobulinvarianten findet wäh-


rend der Differenzierung der B-Zellen im Knochenmark statt.
Die Rekombination der Gensegmente zu einem endgültigen Ig-Gen erfolgt nur
an einem der beiden Allele, der homologe Strang bleibt unverändert. Diese Vor-
gehensweise nennt man Allelausschluss oder allelic exclusion.
Während der Reifung nimmt der Organismus eine Selektion vor, damit keine
Antikörper gegen körpereigenes Gewebe entstehen. Ist also diese Reifung gestört
oder fehlerhaft, können Autoimmunerkrankungen entstehen.
Nach dem ersten Kontakt mit einem Antigen rekombiniert die bereits diffe-
renzierte Zelle später noch die konstante Region. Die Spezifität für das Antigen
ändert sich dadurch nicht, wohl aber die Antikörperklasse, weshalb man vom
Klassenwechsel spricht. Die Antikörperklasse legt die weitere Reaktion des
Immunsystems fest.

13.5 T-Zell-Rezeptoren

T-Zell-Rezeptoren (T cell receptors, TCR) sind das Pendant der T-Lymphocyten


zu den Antikörpern der B-Lymphocyten. TCR und Antikörper ähneln sich gene-
tisch und strukturell.
Die Funktion der T-Zell-Rezeptoren liegt in der Erkennung von Antigenen, die
von den MHC-Komplexen anderer Körperzellen präsentiert werden. Erkennt ein
Rezeptor ein Antigen, wird er aktiviert, woraufhin sich die Genaktivität der T-Zelle
verändert und sie sich zur T-Helferzelle oder cytotoxischen T-Zelle entwickelt.
Die Struktur der T-Zell-Rezeptoren weist zwei Polypeptidketten auf, die man
als α und β bezeichnet (. Abb. 13.4). Die Ketten werden über Disulfidbrücken zu-
sammengehalten und sind in der Zellmembran verankert. Es gibt eine variable und
eine konstante Region. Die variablen Regionen der Ketten binden das Antigen.
Die Gene der Rezeptorproteine gehören zur Immunglobulinsuperfamilie.
332 Kapitel 13 · Immungenetik

..      Abb. 13.4 Aufbau des T-Zell-Rezeptors aus


seinen Untereinheiten

Die transkriptionsfertigen Gene entstehen durch Rekombination mehrerer


Gensegmente:
55 Für die α-Kette sind das V-, J- und C-Segmente.
55 Für die β-Kette gibt es neben V-, J- und C-Segmenten zusätzlich D-Segmente.

Bei der Rekombination der Gene für T-Zell-Rezeptoren findet keine somatische
Hypermutation statt.

13.6 Haupthistokompatibilitätskomplex

Den Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) bezeichnet man auch als Haupt-


gewebeverträglichkeitskomplex oder HLA-System (humanes Leukocytenantigen-­
System).
Die Moleküle sind ausschlaggebend für die Unterscheidung zwischen eigenen
und körperfremden Zellen. Sie nehmen also wie die Antikörper und die TCR eine
Schlüsselrolle ein bei Immunreaktionen und in der immunologischen Individuali-
13 tät, z. B. bei der Abstoßungsreaktion nach einer Transplantation.
Es gibt drei Klassen:
55 MHC-I-Komplexe sind auf den Oberflächen fast aller kernhaltiger Zellen zu
finden (. Abb. 13.5). Sie haben zwei Funktionen:
–– An ihnen erkennen Killerzellen, dass die Zelle zum eigenen Körper gehört.
–– Infizierte oder entartete Zellen präsentieren mit dem MHC-I-Komplex den
cytotoxischen T-Zellen Teile der fremden oder veränderten Proteine als Anti-
gene.
55 MHC-II-Komplexe sind auf sogenannte professionelle antigenpräsentierende
Zellen wie Makrophagen und Monocyten beschränkt (. Abb. 13.6). Diese Zel-
len nehmen Krankheitserreger auf und präsentieren Peptidbruchstücke von
diesen mit ihren MHC-Komplexen. T-Helferzellen erkennen mit ihren T-Zell-­
Rezeptoren die Antigene und leiten eine entsprechende Immunantwort ein.
55 MHC-III-Komplexe sind Plasmaproteine der unspezifischen Immunantwort.

MHC-Gene zählen zu den variationsreichsten Genen des Menschen. Nur eineiige


Zwillinge gleichen sich in den MHC-Molekülen.
13.6 · Haupthistokompatibilitätskomplex
333 13
..      Abb. 13.5 MHC-Klasse-I-Proteinkomplex. Das
β-Mikroglobulin ist eine lösliche Untereinheit

-Mikro-
globulin

..      Abb. 13.6 MHC-Klasse-II-Proteinkomplex


335 14

Entwicklungsgenetik
Inhaltsverzeichnis

14.1 Worum geht es? – 336


14.2 Entwicklungsphasen – 336

14.3 Die Entwicklung von Drosophila – 337


14.3.1  blauf der Entwicklung – 337
A
14.3.2 Genetische Charakteristika – 338
14.3.3 Musterbildung und Einteilung der Gene nach Stadien – 338
14.3.4 Maternale Gene – 339
14.3.5 Zygotische Gene – 340
14.3.6 Homöotische Gene – 341

14.4 Entwicklungsgene bei Arabidopsis – 342


14.4.1  utanten von Arabidopsis – 342
M
14.4.2 Das ABC-System – 343

14.5 Apoptose – programmierter Zelltod – 344


14.5.1 Vergleich mit verwandten Prozessen – 345

14.6 Stammzellen – 346


14.6.1 E mbryonale Stammzellen – 347
14.6.2 Kerntransfer und Klonen – 348
14.6.3 Somatische Stammzellen und induzierte
pluripotente Stammzellen – 349
14.6.4 Transfer und Keimbahntherapie – 352

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_14
336 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik

14.1 Worum geht es?

Die Entwicklungsgenetik untersucht die Vorgänge, die zur Ausbildung komplexer


vielzelliger Organismen führen. Modellorganismen sind z. B. die Taufliege Droso-
phila melanogaster und die Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana. Wichtige Prin-
zipien bilden mütterliche Gene und Kaskaden von Transkriptionsfaktoren. Für die
Entwicklung ist auch der programmierte Zelltod von Bedeutung. Stammzellen, in-
duzierte pluripotente Stammzellen und Klonen sind wichtige Gebiete der Grund-
lagenforschung und der angewandten Forschung.

14.2 Entwicklungsphasen

Man unterscheidet fünf Phasen der Entwicklung einer Zygote zum mehrzelligen
Organismus:
1. Furchungsteilungen: Die Zygote teilt sich mehrfach direkt hintereinander, ohne
dass die Zellen wachsen. Auf die Replikation der DNA folgt unmittelbar die
nächste Mitose.
2. Musterbildung: Die Zellen fangen an, sich asymmetrisch zu teilen und im Em-
bryo unterschiedlich zu verteilen. Räumlich und zeitlich erkennt man Unter-
schiede in der genetischen Aktivität. Dadurch entwickelt der Embryo eine
Polarität und man erkennt Achsen. Bei bilateralsymmetrischen Tieren sind das
zwei Achsen:
–– Die dorso-ventrale Achse unterscheideteine Vorder- oder Bauchseite und
eine Rückseite.
–– Die anterior-posteriore Achse führt zur Kopf-Schwanz-Orientierung.
–– Bei Pflanzen bildet sich eine apikal-basale Achse aus von der Wachstums-
spitze zu den Wurzeln.
3. Morphogenese (Gestaltbildung): Der anatomisch-­ morphologische Bauplan
wird erkennbar.
4. Zelldifferenzierung: Die einzelnen Zelltypen entwickeln und differenzieren sich
14 weiter.
5. Wachstum: Die Zelltypen vermehren sich, nehmen an Volumen zu und sind
aktiv.

Bei den höheren Säugetieren unterscheidet man gelegentlich drei Stadien:


1. Keimstadium: Dieses beginnt mit der Befruchtung der Eizelle und erstreckt sich
bis zur Bildung der Blastocyste oder Keimblase.
2. Embryogenese oder Embryonalperiode: Diese setzt nach der Nidation oder Ein-
nistung in die Gebärmutterschleimhaut ein; beim Menschen fünf bis sechs Tage
nach der Befruchtung. In der Embryonalperiode werden ab der dritten Ent-
wicklungswoche die Organanlagen ausgebildet.
14.3 · Die Entwicklung von Drosophila
337 14
3. Fetale Phase: Sie beginnt, sobald sich die inneren Organe gebildet haben, was
beim Menschen etwa in der neunten Woche der Fall ist. Der Fetus wächst nun
schnell, und die Organe und Gewebe differenzieren sich.

Insbesondere die Musterbildung ist in den vergangenen Jahren gut erforscht


­worden.

14.3 Die Entwicklung von Drosophila

14.3.1 Ablauf der Entwicklung

Die Entwicklung vom Ei zum adulten Tier dauert bei der Taufliege Drosophila
melanogaster neun Tage. Genetisch interessant ist jedoch vor allem die Zeit von der
Reifung der unbefruchteten Eizelle bis zum etwa 10 h alten Embryo.
Die Stadien vor der Befruchtung:
1. Die weibliche Urkeimzelle oder Oogonie teilt sich im mütterlichen Organismus
viermal mitotisch.
2. Von den 16 resultierenden Zellen reift eine zur Oocyte heran, die übrigen 15 ge-
netisch gleichen Zellen werden zu Nährzellen für die Oocyte. Sie stehen über
cytoplasmatische Verbindungen mit der Oocyte in Kontakt.
3. Vor allem die Nährzellen sind genetisch aktiv und synthetisieren mRNAs von
den mütterlichen oder maternalen Genen (maternal effect genes). Die mRNAs
werden in das Cytoplasma der Oocyte transportiert und verbleiben darin.
4. Die Translation erfolgt während der Oogenese oder erst nach der Befruchtung
in der Zygote. Die Proteine der maternalen Gene leiten die Genexpression von
zygotischen Genen ein.

Die Stadien nach der Befruchtung:


1. Zunächst teilt sich nur der Kern der Zygote, nicht jedoch die Zelle. Es bildet
sich somit ein mehrkerniges Syncytium.
2. Nach acht bis neun Kernteilungen, also nach etwa 2 h, begeben sich die Kerne
an die Peripherie und bilden das syncytiale Blastoderm.
3. Einzelne Kerne wandern zum hinteren Ende, bilden Polkerne und werden spä-
ter zu Keimzellen.
4. Wenn nach weiteren Teilungen rund 6000 Kerne vorliegen, bilden sich Memb-
ranen aus, wodurch einzelne Zellen entstehen. Das syncytiale Blastoderm wird
zum zellulären, einschichtigen Blastoderm mit Polzellen. Seit der Befruchtung
sind rund 3 h vergangen.

Wenn der Embryo als syncytiales Blastoderm vorliegt, beginnt er mit der Aus-
bildung der anterior-posterioren Achsen und der dorso-ventralen Achse.
338 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik

1. Nach etwa 10 h erkennt man die Zahl und Orientierung der Segmente. Die
einzelnen Segmente bekommen ihre Identität:
–– der Kopfbereich,
–– der Thorax mit seinen drei Segmenten,
–– und das Abdomen mit mehreren Segmenten.
2. Es folgen in den nächsten drei Tagen drei Larvenstadien.
3. Nach fünf Tagen bildet sich die Puppe.
4. Nach neun Tagen ist ein adultes Tier (Imago) vorhanden.

14.3.2 Genetische Charakteristika

Die Determination und Differenzierung kombiniert mehrere Phänomene:


55 Die Gene gliedern sich in ein hierarchisches System. Wie in einer Kaskade mit
zeitlich klarer Reihenfolge werden nacheinander Gene exprimiert.
55 Die Genprodukte sind Transkriptionsfaktoren und RNA-bindende Regulations-
proteine.
55 Die mRNAs und Proteine liegen innerhalb des Embryos in verschiedenen Kon-
zentrationen vor. Sie bilden unterschiedliche, bestimmte Konzentrations-
gradienten.
55 Die ersten Schritte werden von maternalen Genen ausgelöst. Sie schalten die
Expression der zygotischen Gene an.

Viele Erkenntnisse hat man an Mutanten gewonnen. Ihr Aussehen verlieh den
Genen teils plastische, teils ungewöhnliche Namen wie Krüppel oder spätzle.

14.3.3 Musterbildung und Einteilung der Gene nach Stadien


Gene und ihre Produkte steuern die Entwicklung der Stadien. Bei Drosophila
unterscheidet man vor allem drei Gruppen verantwortlicher Gene:
55 Maternale Gene werden bereits vor der Befruchtung transkribiert. Die Wir-
14 kung der Transkriptionsprodukte hängt von deren Konzentration ab, die mit
zunehmender Entfernung vom Transkriptionsort abfällt. Ein sichtbarer Effekt
ist die Ausbildung der Symmetrieachsen.
55 Zygotische Gene steuern die Bildung von Segmenten (Segmentierungsgene). Sie
werden erst nach den maternalen Genen aktiv.
55 Homöotische Gene weisen den Segmenten eine Funktion und Identität zu. Sie
bestimmen also, welche Organe und Strukturen sich im jeweiligen Segment ent-
wickeln.
14.3 · Die Entwicklung von Drosophila
339 14
14.3.4 Maternale Gene
Die Bedeutung maternaler Gene
Im syncytialen Blastoderm liegen die Zellkerne an der Peripherie, wo sie eine Art
Schicht um das Periplasma bilden. Hier befinden sich noch die mRNAs aus den
Nährzellen, die einen gemeinsamen Ursprung mit der Oocyte haben und damit
einen genetischen Klon darstellen.
Die von den mRNAs translatierten Proteine erzeugen über ihre Konzentrations-
gradienten Pole, die entscheidend zur Ausbildung der zwei Achsen dorso-ventral
und anterior-posterior beitragen. Sie regulieren somit morphologische Muster.
Derartige Substanzen bezeichnet man als Morphogene.

Maternale Gene für die dorso-ventrale Achse


Exemplarisch die Regulation der drei maternalen Gene dorsal, cactus und toll.
55 Die mRNA von dorsal und das während der Oogenese translatierte Protein sind
in der Zelle zunächst gleichmäßig verteilt. Das Protein Dorsal ist ein
Transkriptionsfaktor. Wenn die Kerne an die Peripherie wandern, ändert sich
seine Verteilung in der Zelle:
–– Zur dorsalen Seite bleibt Dorsal im Plasma.
–– Zur ventralen Seite wird Dorsal in die Kerne aufgenommen.
55 Die Aufnahme in den Kern hinein regulieren Toll und Cactus.
–– Cactus bindet sich an Dorsal und verhindert die Aufnahme.
–– Wenn Toll jedoch Cactus phosphoryliert, wird Cactus abgebaut und gibt den
Weg in den Kern für Dorsal frei.
55 Abhängig von Dorsal beginnt die Zelle mit der Expression zygotischer Gene:
–– Ventral, wo Dorsal im Kern liegt, schaltet die Zelle das Gen twist an.
–– Bei geringer Konzentration von Dorsal im Kern beginnt die Transkription
von decapentaplegic (dpp).

Maternale Gene für die anterior-posteriore Achse


Exemplarisch die Regulation der beiden maternalen Gene bicoid und nanos:
55 Die mRNA von bicoid wird mithilfe weiterer Gene an dem anterioren Ende des
Eis lokalisiert.
–– Das Gen codiert den Transkriptionsfaktor Bicoid.
–– Das Protein bildet einen Konzentrationsgradienten über den Embryo hin-
weg.
55 Der Gegenspieler zur bicoid-mRNA ist die nanos-mRNA.
–– Sie wird am posterioren Ende lokalisiert.
–– Nanos errichtet einen umgekehrt verlaufenden Konzentrationsgradienten.
55 Auch funktionell sind Bicoid und Nanos Gegenspieler: Bicoid aktiviert das
zygotische Gen hunchback, Nanos reprimiert es. Hunchback liegt damit eben-
falls in einem Konzentrationsgradienten vor und reguliert die Transkription
weiterer Gene für die Ausbildung anteriorer Strukturen.
340 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik

14.3.5 Zygotische Gene

Nachdem der Embryo die Grundachsen ausgebildet hat, schließt sich die für In-
sekten typische Segmentierung in die einzelnen Segmente an. Die Gene transkri-
biert der Embryo selbst.
Segmentierungsgene sind für die Zahl und Organisation der Segmente ver-
antwortlich.
Sie bilden eine Kaskade: Gap-Gene oder Lückengene → Paarregelgene →
Segmentpolaritätsgene.

Gapgene
Die Produkte der Gap-Gene sind Transkriptionsfaktoren.
Gap-Gene teilen den Embryo entlang der anterior-posterioren Achse grob ein.
Ein Ausfall eines Gens führt zum Verlust einer Region und damit zum Entstehen
einer „Lücke“ (gap).
Beispiele: hunchback, Krüppel (den Mutanten fehlen mehrere anteriore Seg-
mente für die Kopf-Thorax-Ausbildung).
Gap-Gene können auch gemeinsam agieren. Beispielsweise ist hunchback
ebenso an der Regulation von Krüppel beteiligt wie an anderen Gap-Genen.
Gap-Gene sind auch die Regulatoren für die nachgeordneten Paarregelgene.
Sie wirken noch auf breiterer Region im Embryo, wenn sich die Wirkung auf
den Ebenen der Paarregelgene und der Segmentpolaritätsgene jeweils weiter ein-
grenzt.

Paarregelgene
Paarregelgene regulieren die feinere Einteilung der Segmente.

z Beispiele
55 even-skipped-Mutanten haben die geradzahligen Segmente verloren und be-
stehen aus den Segmenten Nummer 1, 3 usw.
55 fushi-tarazu-Mutanten bestehen nur aus den geradzahligen Segmenten.
14 Auch Paarregelgene interagieren miteinander.
Paarregelgene sind die übergeordneten Transkriptionsfaktoren für die Segment-
polaritätsgene.

Segmentpolaritätsgene
Segmentpolaritätsgene regulieren innerhalb der Segmente die Ausrichtung und
Polarität der Zellen, abhängig von den Nachbarsegmenten.
Die Genprodukte sorgen dabei für die Abstimmung benachbarter Segmente,
also des posterioren Teils eines Segments und des anterioren Teils des Nachbar-
segments.
Beispiel: Bei gooseberry-Mutanten fehlen die posterioren Hälften von Segmen-
ten. Sie sind ersetzt durch die Spiegelbilder der anterioren Hälften der Nachbar-
segmente.
14.3 · Die Entwicklung von Drosophila
341 14
Weitere wichtige Segmentpolaritätsgene sind hedgehog (hh) und wingless (wg).
Hedgehog und Wingless sind integriert in wichtige Signaltransduktionswege der
Zelle.
Die Konzentrationsgradienten, die hierarchische Gliederung der Gene und die
Interaktionen der Proteine auf einer Ebene führen dazu, dass die einzelnen Zellen
sehr genau und differenziert genetisch (an)gesteuert werden.

14.3.6 Homöotische Gene

Homöotische Gene legen die Identität der einzelnen Segmente fest. Beispielsweise
bildet jedes der drei thorakalen Segmente Beinpaare aus, das zweite auch die Flü-
gel (der Dipteren), das dritte die Halteren.
Charakteristika der homöotischen Gene und verwandter Gene:
55 Sie codieren ebenfalls Transkriptionsfaktoren.
55 Gemeinsam ist den Genen ein 180 bp langes Motiv, das man als Homöobox be-
zeichnet. Sie codiert die Protein-Homöodomäne, die sich an die DNA bindet.
Die Bindedomäne weist drei Helices auf mit einem Helix-turn-Helix-Motiv.
55 Die homöotischen Gene von Drosophila sind in zwei Komplexen organisiert:
–– Dem Antennapedia-Komplex für den Kopf und den vorderen Thorax
–– und dem Bithorax-Komplex für den hinteren Thorax und das Abdomen.

Die Gene bilden den homöotischen Komplex (HOM-C) und sind auf dem Chromo-
som in der passenden Reihenfolge organisiert. Beispielsweise liegt das lab-­Gen auf
dem Chromosom vor dem pb-Gen und ist auch dem davor liegenden Segment zu-
geordnet.
Die Homöobox ist bei Genen für Transkriptionsfaktoren weit verbreitet:
55 Homöobox-Gene findet man sowohl bei Pilzen und Pflanzen als auch bei Ne-
matoden oder Säugetieren. Sie kommen nicht nur in homöotischen Genen vor.
55 Die homöotischen Gene bilden mit homologen Genen bei anderen Tieren die
Hox/HOX-Gene. Dem HOM-C Cluster bei Drosophila entsprechen bei Säuge-
tieren die vier HOX-Cluster von HOX A bis HOX D.
55 Sie übernehmen beim Menschen ebenfalls Funktionen für die Entwicklung.
Mutationen sind daher verantwortlich für schwere Fehlbildungen von Gesicht
und Schädel.

Beispiel: Verwandt mit dem hedgehog-Gen von Drosophila ist das Sonic Hedge-
hog (SHH) des Menschen. Mutationen führen zu dem Krankheitsbild Holopro-
sencephalie, bei dem das Frontalhirn, das Gesicht und der Schädel betroffen sind.
Die Symptome sind variabel, sie reichen von der Verschmelzung zweier Schneide-
zähne zu einem einzigen bis zur Ausbildung nur eines Auges in der Gesichtsmitte
(Zyklopie).
55 Bei den HOX-Genen der Wirbeltiere besteht ein Zusammenhang zwischen der
Anordnung in einem Cluster und der zeitlichen Expression. Unter einem Gen-­
Cluster versteht man eine Gruppe benachbarter Gene, die identisch oder ver-
342 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik

wandt sind (anderes Beispiel: β-Globin-Gene). Im Falle der HOX-Gene liest die
Zelle vorn liegende Gene während der Entwicklung ab, bevor sie die hinteren
exprimiert.
55 Proteine der Polycomb-Gruppe (PcG) remodellieren das Chromatin und schal-
ten Hox-Gene bei Drosophila ab. PcG-Proteine sind weit verbreitet in viel-
zelligen Tieren. Ihre allgemeine Funktion als Chromatin-Regulatoren besteht
darin, die Entwicklungslinie von Zellen zu erhalten. Dazu unterdrücken sie
Gene, die sonst das Zell-Schicksal (cell fate) ändern würden. Die Polycomb-­
Funktion gilt sowohl in der Embryonalentwicklung als auch für die Regulation
adulter Stammzellen.

Weitere Tranksriptionsfaktoren
Auch die Transkriptionsfaktoren der POU-Familie enthalten eine Homöodomäne.
Sie wirken ebenfalls mit an der Entwicklung von Organismen, beispielsweise bei
Mensch, Drosophila, Caenorhabditis u. a., aber nicht bei Pflanzen oder Pilzen. POU
ist ein Akronym der Anfangsbuchstaben dreier Transkriptionsfaktoren (Pit-1,
Oct-1/Oct-2, Unc-86, vgl. Oct-4 bei Stammzellen).
Pax-Gene (paired-box-Gene) codieren gewebespezifische Transkriptions-
faktoren, die eine teilweise oder vollständige Homöodomäne enthalten. paired ist
ein Drosophila-Gen, die paired box ist ebenfalls eine DNA-bindende Domäne.
Eine andere DNA-bindende Domäne findet man in Forkhead-Box-Proteinen
(FOX). Auch die Fox-Proteine arbeiten als Transkriptionsfaktoren in der Ent-
wicklung und Zell-Differenzierung. Die Domäne besteht ebenfalls aus drei Helices,
die über zwei Schleifen verbunden sind. Forkhead-Box heißt der DNA-Abschnitt,
der die Protein-Domäne codiert. Ein bekanntes FOX-Protein in Wirbeltieren ist
FOXP2, bekannt als Sprachprotein, weil es beim Menschen für den Erwerb der
Sprache wichtig ist. Mutationen in dem FOXP2-Gen führen im Menschen zu
Sprachstörungen.

14.4 Entwicklungsgene bei Arabidopsis


14
Der pflanzliche Modellorganismus par excellence ist die Ackerschmalwand, Arabi-
dopsis thaliana.
Auch Arabidopsis durchläuft eine Embryogenese, in welcher der frühe Embryo
eine apikal-basale Polaritätsachse und ein radiales Muster ausbildet.

14.4.1 Mutanten von Arabidopsis

Um die Entwicklung mit Drosophila zu vergleichen und homöotische Gene zu fin-


den, schaut man sich die Blütenentwicklung an. Auch wenn man mit Arabidopsis
arbeitet, untersucht man Mutanten.
14.4 · Entwicklungsgene bei Arabidopsis
343 14
Auf die Blühentwicklung bezogen, unterscheidet man verschiedene Klassen von
Mutationen:
55 Mutationen, welche die Blühinduktion betreffen, also den Beginn der Blüten-
bildung als Reaktion auf äußere Faktoren wie Licht oder Tageslänge.
55 Mutationen, welche zu einem veränderten Aufbau der Blüten führen.
55 Bei ihnen findet man homöotische Mutanten, wie man sie von Drosophila kennt.
Sie führen zu abweichenden Identitäten der Blütenbestandteile:
–– Die normale Blüte von Arabidopsis besteht aus jeweils einem Wirtel ge-
nannten Ring von vier Kelchblättern, vier weißen Blütenblättern, sechs
Staubblättern und zwei Fruchtblättern. Bei den Mutanten sind die Identi-
täten in den Wirteln verändert.
–– Klasse-A-Mutanten haben in dem äußersten oder ersten Wirtel und dem
vierten Wirtel Fruchtblätter, in den übrigen Wirteln Staubblätter.
–– Klasse-B-Mutanten haben zwei äußere Wirtel aus Kelchblättern und zwei in-
nere Wirtel aus Fruchtblättern.
–– Klasse-C-Mutanten weisen im äußersten und innersten Wirtel Kelchblätter
auf, während die Wirtel dazwischen aus Blütenblättern bestehen.

14.4.2 Das ABC-System

Aus den Mutanten lässt sich das ABC-System ableiten, aus dem hervorgeht, wel-
che Interaktion von Genen für welchen Typ von Blütenblatt erforderlich ist:
55 Expression von Klasse-A-Genen ergibt Kelchblätter,
55 Expression von Klasse-A- und -B-Genen ergibt Kronblätter,
55 Expression von Klasse-B- und -C-Genen ergibt Staubblätter,
55 Expression von Klasse-C-Genen ergibt Fruchtblätter.

In diesem ABC-System hat man homöotische Gene identifiziert, die ebenfalls


Transkriptionsfaktoren codieren.
Die DNA-bindende Domäne ist hier die MADS-Box. MADS steht für die An-
fangsbuchstaben der Gene: MCM1 bei Saccharomyces cerevisiae, ag oder agamous
bei A. thaliana, def-a oder deficiens bei Antirrhinum majus (Großes Löwenmäul-
chen), SRF beim Menschen. Mutationen in ag oder def-a legen die Blütenorgane
anders als im Wildtyp fest.
MADS-Box-Gene zählen zu den homöotischen Genen, sind mit den
Homöobox-­Genen jedoch nicht weiter homolog.
Neben den homöotischen Genen kann man weitere Parallelen in der Ent-
wicklung von Drosophila und von Arabidopsis erkennen:
55 In beiden Organismen wirken und interagieren zahlreiche Gene auf mehreren
Ebenen.
55 Die Gene arbeiten in Kaskaden.
55 Transkriptionsfaktoren regulieren die Expression nachfolgender Gene.
344 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik

14.5 Apoptose – programmierter Zelltod

Die Apoptose (. Abb. 14.1) erfüllt im Organismus zwei wesentliche Funktionen:


55 Sie ist unverzichtbarer Bestandteil für eine korrekte Entwicklung. Beispiels-
weise erhält die Hand des Menschen erst dann ihre Form, wenn das Gewebe
zwischen den Fingern durch den Tod der verbindenden Zellen verschwindet.

Gesunde Zelle Kranke Zelle

Zelle beginnt
zu schrumpfen

Zelle zefällt
in Vesikel
14
3
Makrophagen phago-
cytieren die Zellreste

Die kranke Zelle wurde entfernt.


Im Gewebe wird sich die gesunde
Nachbarzelle mitotisch teilen, um
4 die Lücke zu schließen.

..      Abb. 14.1 Ablauf der Apoptose


14.5 · Apoptose – programmierter Zelltod
345 14
55 Gefährliche Zellen, deren DNA irreparabel geschädigt ist oder die mit einem
Virus infiziert sind, werden über diesen Weg zerstört.

Auslöser für die Apoptose können mehrere extrinsische und intrinsische Faktoren
sein, beispielsweise Cortisol in Lymphocyten, Fas-Ligand oder TNF.
Im Ablauf zerstört sich die Zelle selbst und wird schließlich von Immunzellen
beseitigt (. Abb. 14.1):
1. TNF bindet sich an einen Todesrezeptor, beispielsweise den Fas-­Rezeptor.
2. Die Ligand-Rezeptor-Bindung aktiviert bestimmte Enzyme, die man Caspasen
nennt. Caspasen sind Cystein-Proteasen. Ein Beispiel ist die Caspase 8.
3. Es folgen automatisch weitere Schritte. Aus den Mitochondrien wird Cyto-
chrom c freigesetzt. Das führt zur Bildung des Apoptosom-Komplexes. Dieser
aktiviert weitere Caspasen, die verschiedene Proteine zersetzen.
4. DNasen spalten die DNA.
5. Die DNA wird nach und nach fragmentiert und abgebaut. Die Kern-
fragmentierung nennt man Karyorrhexis.
6. Das Cytoplasma schwindet.
7. In einem Karyopyknose genannten Prozess schrumpft der Zellkern und ver-
dichtet sich das Chromatin zu einer Masse.
8. Membranversiegelte Apoptosekörperchen (apoptotic bodies) beinhalten die
Zellüberreste. Schließlich phagocytieren Makrophagen diese Apoptosekörper-
chen.

Durch die Phagocytose baut der Organismus die Inhaltsstoffe weiter ab und ver-
wertet sie wieder. Er vermeidet dadurch auch Entzündungsreaktionen.
Man bezeichnet die Apoptose als physiologischen Zelluntergang.

14.5.1 Vergleich mit verwandten Prozessen


Die programmierte Nekrose oder Nekroptose beginnt wie die Apoptose als Re-
aktion auf einen aktivierten Todesrezeptor. Sie verläuft aber ohne die Beteiligung
von Caspasen und endet mit Selbstverdauung.
Die unkontrollierte Nekrose oder einfach Nekrose ist ein traumatischer Prozess,
der nicht vom Organismus beabsichtigt ist. Die Zelle platzt und fließt aus, wobei es
zu Entzündungsreaktionen kommt. Oft betrifft die Nekrose nicht nur einzelne Zel-
len, sondern mehrere Zellen bis zu Gewebeabschnitten.
Im Gegensatz zur Apoptose definiert man die Nekrose als pathologischen Zell-
untergang.
Bei der Autophagie oder Autophagocytose baut die Zelle alte Zellbestandteile
wie Proteine bis hin zu ganzen Organellen ab. Beispielsweise werden in den Leber-
zellen des Menschen Mitochondrien nach etwa zehn Tagen durch sogenannte Mit-
ophagie zerlegt und die Bestandteile wiederverwertet.
346 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik

14.6 Stammzellen

Im Lauf des Keimstadiums und der frühen Embryonalentwicklung beginnt auch die
Differenzierung der Zellen:
1. Zunächst teilt sich die Zygote mehrfach und bildet einen kugeligen Zellhaufen.
Dieser Zellhaufen hat das gleiche Volumen wie die Zygote.
2. Ab dem 16-Zellstadium spricht man beim Menschen von der Morula.
Mit weiteren Zellteilungen sondern sich Zellen nach außen hin ab und formen
eine Trophoblast genannte Zellschicht. Im Inneren des Trophoblasten bilden an-
dere Zellen in einer flüssigkeitsgefüllten Höhle den Embryoblasten. Aus der Mo-
rula ist die Blastula geworden. Bei höheren Säugetieren nennt man sie Blastocyste.
3. Aus dem Trophoblast werden die Placenta und die Eihäute, aus dem Embryo-
blast die drei Keimblätter Ento, Ekto- und Mesoderm, aus denen sich später die
Gewebe differenzieren.

Das Schicksal der Zellen im Embryo engt sich damit immer weiter ein:
55 Die Zellen werden determiniert und sind in ihrer weiteren Entwicklung ab
einem bestimmten Punkt festgelegt.
55 Je weiter sie sich zu bestimmten Zelltypen differenzieren, desto mehr nimmt
ihre Entwicklungsfähigkeit ab.

Die Entwicklungsfähigkeit einer Zelle wird in verschiedene Kategorien eingeordnet


(. Abb. 14.2):

Totipotent
Oocyte

Menschlicher Fetus

Spermium
Morula

14 Pluripotent Blastocyste

Innere Zellmasse

Beispiele: Multipotent

Herz-Kreislauf-System Nervensystem Immunsystem

..      Abb. 14.2 Totipotente, pluripotente und multipotente Stammzellen


14.6 · Stammzellen
347 14
55 Totipotenz ist die Eigenschaft einer Zelle, einen kompletten Organismus zu
bilden.
–– Eine Zygote oder Sporen sind also totipotent.
55 Bei Pflanzen und Pilzen behalten viele Zelle die Eigenschaft dauerhaft bei, bei
Tieren geht sie nach einigen Zellteilungen verloren. Die Anzahl der Zell-
teilungen bis zu diesem Punkt ist artspezifisch. Beim Menschen sind Zellen
wahrscheinlich maximal bis zum Achtzellstadium totipotent.
55 Pluripotenz ist die Eigenschaft einer Zelle, sich noch in alle Zelltypen der drei
Keimblätter und der Keimbahn zu differenzieren. Aus einer pluripotenten Zelle
kann sich jedoch kein vollständiger Organismus entwickeln.
55 Multipotente Zellen können nur noch bestimmte Zelltypen bilden.

Beispiel: Hämatopoetische Stammzellen oder Blutstammzellen im Knochenmark


differenzieren sich in die drei großen Zelltypen des Bluts: Erythrocyten, Leukocy-
ten und Thrombocyten.
Der Verlust der Entwicklungsfähigkeit ist die Folge einer geänderten Genex-
pression. Dazu gehören umfangreiche epigenetische Vorgänge (z. B. DNA-­
Methylierung, modifizierte Chromatinstruktur, miRNAs) und die Transkription
einzelner Transkriptionsfaktoren in den somatischen Zellen. Die Zelle nimmt
schubartig, in Wellen, epigenetische Reprogrammierungen vor:
55 Nach der Fertilisation verlieren das väterliche und mütterliche Erbgut seinen jewei-
ligen Zustand aus den Gameten und werden aufeinander abgestimmt. Die Zygote
baut ein eigenes Epigenom auf, das zur zygotischen Genaktivierung (ZGA) führt.
55 Während der Bildung der Blastocyste tritt der nächste Schub ein. Die Zelle ent-
fernt DNA-Methylierungen, nimmt neue Histonmodifikationen vor und löst
alte auf oder verteilt sie um.
55 Nach der Implantation (Einnistung, Nidation) wird das Chromatin begrenzt
zugänglich. Die Zelle nimmt typische epigenetische Markierungen vor:
­Trimethylierung von Lysin (H3K27me), DNA-Methylierung.
55 Auf einen Nenner gebracht, überführt der Embryo das Chromatin immer mehr
von einem offenen in geschlossene Zustände, die sich in einzelnen Zellen von-
einander mehr und mehr unterscheiden. Anders verläuft die epigenetische Pro-
grammierung in den Keimzellen. Hier kommt es zu einer eigenständigen Pro-
grammierung. Das Epigenom von Spermien mit X-Chromosom unterscheidet
sich beispielsweise vom Epigenom männlicher Somazellen.

14.6.1 Embryonale Stammzellen

Stammzellen sind Körperzellen, die sich in die Zelltypen und Gewebe differenzieren
können. Die Zellen des Embryoblasten bezeichnet man als embryonale ­Stammzellen
(ES) oder pluripotente Stammzellen.
Sie zeigen besondere Eigenschaften:
55 Sie können sich in die drei Keimblätter und nachfolgende Zelltypen differenzieren.
55 Grundsätzlich sind sie unsterblich, was man Immortalität nennt.
348 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik

55 Sie teilen sich unbegrenzt. Die Teilung erfolgt asymmetrisch. Die Mutterzelle
bleibt eine Stammzelle, die Tochterzelle kann sich differenzieren oder den Sta-
tus als Stammzelle beibehalten.

Stammzellen besitzen ein erhebliches Potenzial für die Forschung und die Medizin:
55 Man verspricht sich von ihnen, dass sie geschädigtes Gewebe regenerieren kön-
nen, beispielsweise nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt.
55 Aus menschlichen embryonalen Stammzellen hat man bereits Neuronen ge-
wonnen, die Dopamin ausschütten. In Gehirnen von Mäusen und Ratten ohne
die entsprechenden Zellen konnten sie die Dopaminversorgung übernehmen.

Da man embryonale Stammzellen aus der inneren Zellmasse von Blastocysten von
Embryonen für eine eventuelle In-vitro-Fertilisaton gewinnt, sind Gewinnung und
Umgang mit ihnen ethisch höchst umstritten. Wegen unterschiedlicher ethisch-­
religiöser Rahmenbedingungen sind die Gesetze dazu international verschieden.

14.6.2 Kerntransfer und Klonen

Wie frühere Experimente zeigten, sind adulte differenzierte Zellen grundsätzlich


wieder reprogrammierbar und haben somit keine Gene verloren.
Ein Schlüsselexperiment dazu ist der Kerntransfer oder die Kerntransplantation:
1. Man entnimmt einer adulten somatischen Zelle den Zellkern und überführt ihn
in eine ebenfalls entkernte Eizelle. Der Kern der adulten somatischen Zelle er-
setzt somit den Kern der Eizelle.
2. Diese veränderte Eizelle wird durch Stromstöße oder chemische Substanzen
dazu stimuliert, sich zu einem Embryo zu entwickeln.

Durch Kerntransfer gewonnene Embryonen können für verschiedene Zwecke ge-


nutzt werden:
55 Beim reproduktiven Klonen setzt man den Embryo einer Leihmutter ein, die
diesen austrägt.
14 55 Beim therapeutischen Klonen entwickelt sich der Embryo in der Petrischale zu-
nächst weiter, dann isoliert man einzelne Zellen, um daraus beispielsweise Ge-
webe zu gewinnen, und zerstört den Embryo.

z Beispiele
55 Ende der 1960er-Jahre transplantierte John Gurdon Zellkerne von Darmzellen
des Krallenfrosches Xenopus und erhielt fruchtbare Individuen.
55 1996 klonten Ian Wilmut und seine Mitarbeiter das Schaf „Dolly “. Sie trans-
ferierten dazu einen Zellkern aus Brustdrüsenzellen. Mittlerweile konnte man
weitere Säugetiere auf diese Weise klonen.

Kerntransplantationen sind mit einer Reihe von Problemen behaftet: Ihre Erfolgs-
quote ist gering. Bei Dolly betrug sie 1:277.
14.6 · Stammzellen
349 14
55 Nicht alle adulten Zellen sind reprogrammierbar, das gilt beispielsweise für
Nervenzellen der Maus.
55 Die Tiere kommen genetisch alt auf die Welt. In adulten Zellen verkürzen sich
die Telomere, auch Mutationen können sich schon angehäuft haben. Dolly litt
beispielsweise an mehreren Krankheiten und musste im Alter von sechs Jahren
eingeschläfert werden.
55 Da man bei einem derartigen Transfer nur den Kern überführt, nicht aber die
Mitochondrien, handelt es sich bei dem Nachkommen im strengen Sinn nicht
um einen genetisch gleichen Organismus oder Klon.

14.6.3  omatische Stammzellen und induzierte


S
pluripotente Stammzellen

Stammzellen kommen auch im adulten Organismus vor, beispielsweise im Knochen-


mark, in der Leber, in bestimmten Gehirnregionen oder im Darm. Diese adulten
oder somatischen Stammzellen dienen der Regeneration in dem Organ.
Die Umprogrammierung ist bereits experimentell möglich:
1. Man transfiziert die Gene der vier Transkriptionsfaktoren Oct4, Sox2, Klf4 und
Myc mittels lentiviraler Vektoren in die Zellen (. Abb. 14.3).
2. Die Expression der Gene von den Vektoren erfolgt außerhalb des Zellkerns,
was man als außerörtlich oder ektopisch bezeichnet. Um Gene zu exprimieren,
führt die Zelle umfangreiche epigenetische Änderungen (z. B. durch DNA-­
Methylierung und Histonmodifikation) und Reprogrammierungen durch.

Ausdifferen- Reprogrammierende Zwischen-


zierte Zellen Transkriptionsfaktoren stadium iPS-Zellen

Klf4 Oct4
Sox2
Myc

Oct4 Mbd3 Oct4


Mbd3
Tet2 Tet2

Ruhendes Unklare Aktivierung


Stammzellgen Situation des Gens

..      Abb. 14.3 Um- oder Reprogrammieren von differenzierten Zellen mithilfe von Oct4, Sox2, Klf4,
Myc. Diese Faktoren rekrutieren Coaktivatoren wie Tet2 ebenso wie Repressoren wie Mbd3, das die
Aktivierung noch verhindern kann. Erst wenn sich Mbd3 löst, kommt es zur Aktivierung
350 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik

Aktivierung des Enhancers Stilllegung des Enhancers

kompaktes
Chromatin
Anstieg von 5mC
Abbau von H3K4me1
Pionierfaktor
Chromatin wird kompakt

zugängliches
Chromatin

Veränderung der Methylierung der DNA Abbau von H3K27ac und H3K4me1
wieder Zunahme an 5mC
H3K4me1

Vorbereitung des
Enhancers

DNase hypersensitiver Abschnitt

H3K27ac
Umwandlung von 5mC zu 5hmC Ablösung von Transkriptionsfaktoren und
Expression von eRNA epigenetischen Modifizierern
wieder Zunahme an 5mC

Aktivierung des Transkriptionsfaktoren und


Enhancers epigenetische Modifizierer
Pionierfaktor 5mC H3K4me1

eRNA 5hmC H3K27ac

..      Abb. 14.4 Durch wechselnde Bindung und Ablösung von Proteinen und die Änderung des epi-
genetischen Status werden Enhancer aktiviert oder stillgelegt. (Nach Atlasi und Stunnenberg 2017;
mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)

3. Einige der Zellen werden nach rund zweiwöchiger Kultivierung wieder


pluripotent.
4. Epigenetische Änderungen erfolgen generell während der Zellentwicklung,
nicht nur im Rahmen dieser künstlichen experimentellen Umprogrammierung
(siehe . Abb. 14.4).

Man spricht von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen). Beliebtes


Ausgangsmaterial sind Zellen aus dem Nabelschnurblut oder dem Knochenmark.
Inzwischen gelingt auch die Umprogrammierung von adulten Fibroblasten.
14 z Pionierfaktoren
Die genannten Transkriptionsfaktoren Oct4, Sox2 und Klf4 gelten als Pionier-
faktoren. So nennen manche Autoren seit einiger Zeit Transkriptionsfaktoren, die
am Beginn einer epigenetischen Umwandlung stehen. Sie überführen das Chroma-
tin von einem abgeschlossenen Zustand in einen offenen, aktiven und erlauben
somit weiteren Faktoren den Zugang (siehe . Abb. 14.5).
55 Besonderes Kennzeichen von Pionierfaktoren: Sie sind in der Lage, sich an an-
sonsten unzugängliches Chromatin zu binden, vor allem an Enhancer zwischen
Genen oder in Introns.
55 Die Histone tragen das Kennzeichen von fakultativem Heterochromatin:
H3K9me2. Das dreifach methylierte Lysin (H3K9me3) im konstitutiven
Heterochromatin bleibt dagegen unzugänglich.
14.6 · Stammzellen
351 14
zeitliche Abfolge Minuten Stunden Tage
aktivierender H3K27ac
H3K9me2 1 Pionierfaktor 2 Pionierfaktor H3K4me1 3 Transkriptionsfaktor

p300
schnelle, aber
Enhancer noch schwache
Bindung
kompaktes, unzugängliches Beginn der Umwandlung Vorbereitung des Enhancers aktiver Enhancer
Chromatin

..      Abb. 14.5 Pionierfaktoren binden sich an geschlossenes, kompaktes Chromatin. Dadurch lagern
sich andere Faktoren an, der epigenetische Status ändert sich und das Chromatin wird offen, zugäng-
lich. (Nach Balsalobre und Drouin 2022; mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)

55 Pionierfaktoren ändern die Modifikationen der Histone und verschieben die


Nucleosomen.
55 Sie erlauben dadurch kooperierenden Transkriptionsfaktoren wie MYC und
allgemeinen Cofaktoren wie p300/CBP den Zugang. Der Enhancer wird aktiv.
55 Pionierfaktoren bewirken letztlich eine Änderung der Zellentwicklung, des
Zellschicksals (cell fate).
55 Aufgrund der Eigenschaft, die Zellentwicklung zu beeinflussen, verspricht man
sich therapeutischen Einsatz.
55 Fehlfunktionen der Proteine können mit Krebs assoziiert sein.

z Organoide und Organ-Chips


Stammzellen sollen künftig als Substrate dienen für regenerative Zelltherapien, um
geschädigtes Gewebe zu ersetzen. Sie bilden die Grundlage für Organoide und
Organ-Chips (siehe . Abb. 14.6). Die Anwendungen sind vielfältig:
55 In Form von Organoiden als Ersatz für Tierversuche: Organoide sind kleine und
miniaturisierte Organe, die aus Stammzellen in vitro gezüchtet werden. Die Zellen
liegen einer extrazellulären Matrix auf und werden zur Teilung angeregt von exo-
und/oder endogenen Signalen. Die Zellen eines Organoids zeichnen sich durch
ihre Selbstorganisation aus, sodass sie zu einer dreidimensionalen, ana-
tomisch entsprechenden Kleinausgabe des Organs heranwachsen. Sie entwickeln
gewebespezifische Strukturen und Funktionen. Mittlerweile arbeitet man an Bo-
dy-on-Chips. Diese bestehen aus mehreren Organimitaten auf Chips, die über
Mikrokanäle aus Zellen miteinander verbunden sind (siehe . Abb. 14.7).

Es ergibt sich ein menschliches In-vitro-Modell, mit dem sich (1) Mutationen und
Störungen genauer nachvollziehen und (2) Reaktionen des Organismus auf Subs-
tanzen testen lassen.
55 Als Avatar für die personalisierte Medizin: Entnimmt man einem Patienten
Zellen und gewinnt daraus induzierte pluripotente Stammzellen, so lassen sich
diese in die Organ-Chips einbauen. Man konstruiert ein individuelles patienten-
spezifisches Modell, um die Wirkung einzelner Substanzen zu ermitteln. Bei-
spiel: Ein Organoid-Modell, gewonnen von Patienten mit Cystischer Fibrose,
erlaubt bereits die präklinische Vorhersage, wie Betroffene auf Arzneistoffe re-
agieren.
352 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik

Einzelorgan-Chip oder Mehrfach-Organ-Chip

iPS Zellen
Organoide
Vorläuferzellen

Vergleich von Arzneimittel-


Modell für Krankheiten Toxizitäts-Untersuchung Verträglichkeit personalisierte Medizin

vs vs
seltene tödliche
genetische Strahlung
Störungen

verschiedene genetische Vorfahren


oder ähnliche Komorbiditäten
vs
pränatale
Untersuchung

gezielte klinische Studien

..      Abb. 14.6 Anwendungen von menschlichen Organ-Chips. Als Grundlage entnimmt man Patien-
ten Zellen und gewinnt über den Weg der iPS die Organoide für Einzelorgan-Chips oder Multiorgan-­
Chips. Die Chips dienen als Modelle für seltene genetische Erkrankungen, zur Testung der Toxizität
von möglichen Arzneistoffen auf einzelne Gruppen oder Personen. (Nach Ingber 2022; mit freund-
licher Genehmigung von Springer Nature)

14.6.4 Transfer und Keimbahntherapie

Die Reproduktionsmedizin will Transfertechniken mit der In-vitro-Befruchtung


kombinieren, um Erbkrankheiten zu behandeln.
14 Man diskutiert zwei Methoden:
55 Beim Spindeltransfer wird der Kern vor der Befruchtung ausgetauscht:
–– Man entnimmt die Kern-DNA (genauer: den Spindel-­Chromosomen-­
Komplex) einer Eizelle vor der Befruchtung und überträgt ihn in eine ent-
kernte Empfängerzelle einer zweiten Frau.
–– Nach der In-vitro-Fertilisation transplantiert man dann die Zelle.
–– Die Mitochondrien lässt man dabei in der Spenderzelle zurück.

Leidet die Spenderin an einer Mitochondropathie, vermeidet man den Transfer der
Mitochondrien mit Mutationen und erzeugt dadurch ein gesundes Kind. Eine an-
schließende genetische Analyse soll künstliche Heteroplasmie ausschließen, also
sicherstellen, dass keine Mitochondrien übertragen worden sind und keinerlei ge-
schädigte, sondern nur intakte Mitochondrien vorliegen.
14.6 · Stammzellen
353 14
a Darm Leber Niere

...

poröse
Membran
gleichmäßiger Durchfluss
Testsubstanz

b Darm Leber Niere

...

poröse
Membran
Endothel
gleichmäßiger Durchfluss
intravenöse
Verabreichung

c Darm Leber intravenöse Niere


Verabreichung
arteriovenöses
Mischblut
oral verabreicht

poröse Membran
Endothel
I I I I

I
automatisierte flüssige Versorgung

..      Abb. 14.7 Bei Multiorgan-Chips befinden sich Organoide von Darm, Leber, Niere usw. in defi-
nierten Positionen oder Kammern. Ein Kanalsystem, das das Blutsystem simuliert, verbindet diese
Kammern und gewährleistet den Transport von Testsubstanzen zu den Kammern. Die Testsubstanz
verabreicht man in das Kanalsystem oder in eine Organoid-Kammer. Im Detail unterscheiden sich
die Chips durch Aufbau, Anordnung und Automatisierung. (Nach Ingber 2022; mit freundlicher Ge-
nehmigung von Springer Nature)

55 Beim Vorkerntransfer nimmt man den Austausch kurz nach den Befruchtungen
der zwei Eizellen vor.

Die Methoden sind ethisch umstritten, grundsätzlich wegen des Eingriffs in die
Keimbahn, der unausgereiften Technik und weil man ein Kind erzeugt, das Erbgut
von drei Personen bekommt, also drei Eltern hat. Die rechtliche Situation zur For-
schung und Durchführung ist weltweit sehr unterschiedlich.
355 15

Genomik
Inhaltsverzeichnis

15.1 Worum geht es? – 356


15.2 Überblick und Einteilung des Gebiets – 356

15.3 Kartierung von Genomen – 357


15.3.1  iologische Karten – 357
B
15.3.2 Physikalische Karten – 359
15.3.3 Sequenzierung – 361
15.3.4 Annotierung – 363

15.4  ariabilität und Individualität


V
im menschlichen Genom – 363
15.4.1 Einzelnucleotidpolymorphismen
und Einzelnucleotidvarianten – 364
15.4.2 Kopienzahlvarianten (CNVs) – 365
15.4.3 Mikrosatelliten – 366

15.5 Funktionelle Genomik – 367


15.5.1  ntersuchung des Transkriptoms – 367
U
15.5.2 Proteomik – 370

15.6 Komparative Genomik – 374


15.6.1 Einteilung homologer Gene – 374

15.7 Evolution des Menschen – 375

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_15
356 Kapitel 15 · Genomik

15.1 Worum geht es?

Die Genomik untersucht komplette Genome. Dazu gehört die Erstellung bio-
logischer und physikalischer Karten einschließlich der Sequenzierung. Mit ver-
schiedenen Methoden kann man die Variabilität des menschlichen Erbguts unter-
suchen. Die funktionelle Genomik analysiert das Transkriptom (die Gesamtheit
der Transkripte), das Epigenom (die Gesamtheit der epigenetischen Information)
und das Proteom (die Gesamtheit der Proteine). Als Modellorganismen in der ge-
netischen Forschung dienen mehrere Arten unterschiedlicher Komplexität.

15.2 Überblick und Einteilung des Gebiets

Die Genomik ist ein Teilgebiet innerhalb der Genetik. Sie untersucht und vergleicht
von kompletten Genomen
55 den Aufbau,
55 die Organisation,
55 die Funktion und Interaktion genetischer Elemente,
55 die Evolution von Genen und genetischen Elementen.

Daher ergibt sich folgende Einteilung:


55 Die Untersuchung der Organisation und die Ermittlung der Sequenz fasst man
auch zusammen zur strukturellen Genomik.
55 Wenn nur die nackten Sequenzdaten vorliegen, versteht man das Genom je-
doch noch nicht. Erst die funktionelle Genomik ermittelt Gene, ihre Funktion,
die Transkription und die Genprodukte. Die funktionelle Genomik untersucht
daher auch das Transkriptom, das Epigenom und das Proteom.
55 Ähnlichkeiten zwischen Sequenzen verschiedener Organismen deuten auf eine
evolutionäre Konservierung und Funktion hin, sie werden von der ver-
gleichenden Genomik herausgearbeitet.

Je nach Erkenntnisstand und Inhalt kann man drei Arbeitsebenen abgrenzen:


55 Die Kartierung ermittelt die Lage von genetischen Elementen wie Genen, mar-
kanten DNA-Abschnitten und regulatorischen Elementen auf den Chromo-
15 somen und relativ zueinander.
55 Die Sequenzierung bestimmt die Abfolge der Nucleotide auf den Chromo-
somen.
55 Die Annotierung schreibt den Sequenzen Bedeutungen und Funktionen zu, teilt
Gene in Kategorien ein und untersucht Genome mehrerer Organismen mit-
einander auf verwandte Sequenzen.
15.3 · Kartierung von Genomen
357 15
15.3 Kartierung von Genomen

Die Kartierung eines Genoms ist die Grundlage für die späteren Arbeiten. Man
unterscheidet zwei Arten von Karten:
55 Biologische, genetische oder Kopplungskarte. Sie gibt nicht die Sequenzen der
DNA-Basen wieder, sondern spiegelt wider, wie eng die Kopplung der einzel-
nen DNA-Abschnitte und/oder Marker bzw. Gene ist. Damit sagt sie nur aus,
welche Regionen häufig gemeinsam auftreten und deshalb wohl eng beieinander
liegen und welche eher locker assoziiert sind und darum wohl weiter von-
einander entfernt oder sogar auf getrennten Chromosomen lokalisiert sind. Als
Einheit wurde das centiMorgan mit dem Symbol cM eingeführt. 1 cM ent-
spricht einer Rekombinationshäufigkeit von 1 %. Je größer der Wert ist, desto
weniger eng ist die Kopplung zweier DNA-Abschnitte.
55 Physikalische Karte. Im Idealfall und als Ziel listet sie die Nucleotidsequenz
der DNA auf. Die Reihenfolge der DNA-Abschnitte ist auf beiden Kartentypen
gleich.

15.3.1 Biologische Karten

Biologische Karten geben an, wie wahrscheinlich DNA-Abschnitte, Marker oder


Gene bei der Zellteilung miteinander verbunden bleiben. Als trennendes Element
wirken Crossing over.
Bei den biologischen oder genetischen Karten richtet sich das Vorgehen nach
dem Organismus. Die Arbeit mit Modellorganismen erlaubt andere Methoden als
die Bestimmung einer Genkarte des Menschen.

 as Musterbeispiel für eine genetische Karte ist


D
die Kartierung des Drosophila-Genoms.
55 Man kreuzt Drosophila-Individuen mit verschiedenen Merkmalen und sucht
nach neuen Kombinationen.
55 Diese beruhen dann auf homologen Rekombinationen.
55 Das Ergebnis ist eine Karte, die nicht so sehr absolute Abstände oder Orte an-
gibt, sondern Rekombinationshäufigkeiten und die Lage von Markern relativ
zueinander.

Kartierung des menschlichen Genoms


Für die biologische Karte des Menschen konnte man sich nicht auf Kreuzungen
stützen. Man verwendete individuelle Unterschiede in der Sequenz, die Poly-
morphismen. Der Begriff stammt aus der Populationsgenetik. Ein Polymorphis-
mus ist ein Sequenzunterschied, der die unterschiedlichen Allele eines Gens aus-
macht.
358 Kapitel 15 · Genomik

Proband A Proband B Proband C


1 2 3 1 3 1 2 3

DNA-Abschnitte S S
S
homologer Chromosomen

1 2 3 1 3 1 3

Schnittstellen auf den x + y x x+ y y


x y
homologen Chromosomen

A B C

x + y
Autoradiografie nach
Southern-Blot-Hybridisie- x
rung mit S als DNA-Sonde

..      Abb. 15.1 Nachweis eines RFLP. (Nach Buselmaier und Tariverdian 2007)

Man nutzte verschiedene Polymorphismen als Marker:


55 Schnittstellen für Restriktionsendonucleasen. Nach dem Einwirken der Enzyme
ergeben sich DNA-Stücke unterschiedlicher Länge. Den Effekt bezeichnet man
als Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus (RFLP) (. Abb. 15.1).
55 Einzelnucleotidpolymorphismen (single nucleotide polymorphisms, SNP, lies:
„snip“). Dabei handelt es sich um Unterschiede in einzelnen Basenpaaren.
Einerseits nutzt man SNPs als Marker, andererseits erhält man dank der Se-
quenzierung weitere SNPs und kann damit individuelle Unterschiede greifbar
machen.
55 Mikrosatelliten genannte kurze, nichtcodierende DNA-Sequenzen von zwei bis
vier Basen, die sich wiederholen.

In den Untersuchungen wurde für mehr als 5000 Marker überprüft, wie eng ge-
15 koppelt sie auftraten. Das Ergebnis war eine Karte des menschlichen Genoms mit
einer Auflösung von etwa 0,7 cM oder rund 520 Mb.
Die Allele oder Varianten, die auf einem Chromosom beieinander liegen, also
gekoppelt sind und zusammen vererbt werden, bilden einen Haplotypen.

Nachteile biologischer Karten


Die biologischen Karten haben mehrere große Nachteile:
55 Die Auflösung ist gering, dadurch liefern sie wenige Details.
55 Die Charakterisierung über die Bänderung der Chromosomen ist zu grob
(. Abb. 15.2).
15.3 · Kartierung von Genomen
359 15

a b

1 2 3 4 5
A B

6 7 8 9 10 11 12 X
C

13 14 15 16 17 18 350
D E 550

2000
19 20 21 22
F G Y

..      Abb. 15.2 Karyotyp eines Mannes (a) und die Bänderung von Chromosom 11 bei verschiedenen
Kondensationsgraden (b)

55 Die Größenangaben basieren auf Rekombinationen. Dadurch lassen sich die


Abstände in centiMorgan nicht in Nucleotiden umrechnen. Zusätzlich er-
scheinen die Genkarten von weiblichen Individuen größer, weil in ihren Meio-
sen mehr Crossing over ablaufen.

15.3.2 Physikalische Karten

Physikalische Karten haben eine feine Auflösung und geben exakte Nucleotid-
abstände für DNA-Abschnitte auf einem Chromosom an.

Methoden der physikalischen Kartierung


Die verschiedenen Verfahren zum Erstellen einer physikalischen Karte lassen sich
in zwei große Gruppen einteilen:
55 Sequenzierungsmethoden, mit denen die Nucleotidsequenz mit einer Auflösung
von einer Base ermittelt wird.
55 Nichtsequenzierungsmethoden, die eine geringere Auflösung haben. Sie werden
für schnelle Analysen oder spezielle Aufgaben angewandt.

Für physikalische Karten ohne Sequenzierung nutzt man mehrere Methoden, die
sich miteinander kombinieren lassen und teilweise aufeinander aufbauen:
360 Kapitel 15 · Genomik

55 Restriktionskartierung. Die Methode darf nicht mit der RFLP der biologischen
Kartierung verwechselt werden. Bei der Restriktionskartierung werden die
Fragmente nach der Behandlung mit verschiedenen Enzymen zu einer Karte
kombiniert:

1. Man schneidet die DNA mit verschiedenen Restriktionsenzymen. Beispiels-


weise führt man einen getrennten Verdau mit den selten schneidenden Enzymen
NotI und MluI durch.
2. Man trennt dann die Fragmente auf einem Agarosegel auf und bestimmt die
Größe.
3. Kombiniert man anschließend die Enzyme in einem Ansatz, ergeben sich an-
dere Fragmentlängen.
4. Computerprogramme vergleichen und ordnen die Fragmente, sodass sich eine
durchgehende Karte ergibt, die das Chromosom abbildet. Sie gibt die Abstände
der Schnittstellen mit einer Auflösung von weniger als 1 Mb an.

55 Sequence tagged sites (STS) sind DNA-Sequenzen von 200–500 bp Länge, die
nur ein einziges Mal im Genom vorkommen. Sie lassen sich mit spezifischen
Primern leicht über eine PCR erkennen und vervielfältigen. Damit dienen STS
als Marker zur Identifizierung von DNA-Abschnitten:

1. Das Chromosom wird in mehrere DNA-Fragmente zerschnitten.


2. Die DNA-Fragmente werden als Inserts in künstliche Hefechromosomen
(YACs, yeast artificial chromosomes) oder in künstliche Bakterienchromosomen
(BACs, bacterial artificial chromosomes) eingebaut. BACs basieren auf dem
F-Plasmid und dürfen nicht zu groß werden. Daher entfernt man vor dem Ein-
bringen eines Inserts mehrere Plasmidgene.
3. Die künstlichen Chromosomen werden im jeweiligen Organismus vervielfältigt.
4. Mit spezifischen Primern und PCR wird jedes künstliche Chromosom auf die
Anwesenheit von STS überprüft.

55 Von STS zum Contig. In der Regel überlappen die Inserts der BACs, ein STS
sollte also in mehreren BACs zu finden sein (. Abb. 15.3a). Darauf aufbauend
kann man die überlappenden BACs ordnen und es ergibt sich eine Abfolge von
15 BACs, die das Chromosom lückenlos überspannt. Das Ergebnis nennt man
Contig (von contiguous: zusammenhängend, angrenzend; . Abb. 15.3b).
55 FISH, Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung. Man kann ein kurzes DNA-Stück
mit einem Fluoreszenzfarbstoff versehen und als Sonde einsetzen, die einen
spezifischen DNA-Abschnitt findet. Die Sonde hybridisiert mit ihrer komple-
mentären Gegensequenz im Chromosom, und der Farbstoff zeigt die Lage der
DNA-Sequenz im Chromosom an.

Die Methode erreicht nur eine geringe Auflösung. Man setzt sie in der Diagnostik
von Erbkrankheiten ein, beispielsweise als Test für eine chromosomale Deletion.
15.3 · Kartierung von Genomen
361 15
a b
B1
B2
B3
* B4
B5

S1 S2 S3 S4 S5

..      Abb. 15.3 Überlappende Klone ergeben ein Contig aus den BACs B1 bis B5. Der Stern markiert
den Ausgangspunkt, S1 bis S5 sind STS-Marker

15.3.3 Sequenzierung

Mit der Sequenzierung der DNA ermittelt man ihre Basenabfolge. Da die Sequenz,
die man in einem Durchgang sequenzieren kann, oft nicht sehr lang ist, lassen sich
auch die Inserts von BACs nicht direkt in einem Durchgang sequenzieren.
Für die Sequenzierung des menschlichen Genoms haben das staatlich geförderte
Humangenomprojekt und das private Unternehmen Celera Genomics verschiedene
Strategien angewandt:
55 Das Humangenomprojekt hat nach der kartenbasierten hierarchischen Me-
thode gearbeitet. Dabei wird zuerst die Lage eines DNA-Abschnitts bestimmt
und danach seine Sequenz ermittelt.
55 Celera Genomics hat die Methode der Schrotschuss-Sequenzierung angewandt.
Bei diesem Verfahren werden zunächst DNA-Abschnitte sequenziert und an-
schließend wird ihre Lokalisation geklärt.

Kartenbasierte, hierarchische Sequenzierung


Das Prinzip der hierarchischen Sequenzierung:
1. Das Humangenomprojekt erstellte zunächst eine physikalische Karte eines
Contigs.
2. Einzelne Inserts wurden dann an den kartierten Restriktionsschnittstellen zer-
kleinert und kloniert. Die Inserts der einzelnen Klone sollten sich überlappen,
dann wurden sie sequenziert.
3. Der Überlappungsbereich erlaubte die Anordnung und richtige Reihenfolge der
kurzen Sequenzen.

Schrotschuss-Sequenzierung
Das Prinzip der Schrotschuss-Sequenzierung (whole genome shotgun sequencing,
. Abb. 15.4):
1. Mit Hilfe von Scherkräften, beispielsweise durch Ultraschall, zerteilt man das
ganze Genom gleichzeitig. Daraus resultieren kurze, unterschiedlich lange, zum
Teil überlappende Fragmente.
362 Kapitel 15 · Genomik

..      Abb. 15.4 Vergleich von hierarchischer und ganzer Genom-Schrotschuss-Sequenzierung. (Nach


Buselmaier und Tariverdian 2007)

2. Man kloniert die Fragmente in Plasmidvektoren und sequenziert die Inserts von
den Enden her.
3. Computer suchen nach überlappenden Sequenzen und setzen die Fragmente zu
einem Contig zusammen.

Das Verfahren ist mit einigen Problemen behaftet und liefert nicht auf Anhieb die
gewünschte komplette Sequenz:
15 55 Wegen der unvermeidlichen Sequenzierungsfehler muss man die DNA-Sequenz
mehrfach sequenzieren. Üblich sind zehn reads genannte Lesedurchgänge, die
eine zehnfache Abdeckung oder coverage liefern.
55 Die Genome höherer Tiere und Pflanzen enthalten repetitive Sequenzen. Wenn
nicht bekannt ist, wie viele Wiederholungen aufeinander folgen, kann die be-
rechnete Sequenz zu kurz oder zu lang werden. Zur Absicherung sequenziert
man die Enden von langen Genomfragmenten mit bis zu 50 kb und überprüft,
ob die Endsequenzen im Contig in der richtigen Abfolge verankert sind.

Die Methode der Schrotschuss-Sequenzierung wurde zunächst an kleineren Geno-


men durchgeführt. Die Sequenzierung des menschlichen Genoms war erst mit der
Entwicklung leistungsfähigerer Computer möglich, die aus den Sequenzfrag-
15.4 · Variabilität und Individualität im menschlichen Genom
363 15
menten eine durchgehende Folge erstellen konnten. Inzwischen kann man mit dem
Verfahren die Genome von Einzelindividuen ermitteln. Das 1000 Genomes Project
Consortium hat das Ziel verfolgt, weltweit die Genome von mehr als 1000 Men-
schen zu sequenzieren und die Daten öffentlich zugänglich zu machen.
Die Seite 7 www.­ensembl.­org bietet zahlreiche aktuelle Informationen über se-
quenzierte Genome, Annotationen und Analysewerkzeuge für Sequenzen.

15.3.4 Annotierung

Die Annotierung weist den sequenzierten DNA-Abschnitten eine Funktion zu.


Sie stützt sich auf
55 experimentelle Daten,
55 Vergleiche mit Sequenzen anderer Genome,
55 die Identifikation bekannter Muster wie offene Leserahmen, repetitive Ele-
mente u. a.

Der Vergleich zweier Genome mit dem Ziel, evolutionär oder funktionell konser-
vierte Abschnitte zu finden, heißt Alignment.
Das Ergebnis der Annotierung sind Aussagen über:
55 proteincodierende und nichtproteincodierende Gene,
55 Pseudogene,
55 RNA-Moleküle,
55 Repeats,
55 die Einordnung der Gene in Funktionskategorien wie Replikation, Regulation
oder Stoffwechsel.

15.4 Variabilität und Individualität im menschlichen Genom


Das Humangenomprojekt kombinierte die DNA-Sequenzen mehrerer Personen
zu einer Referenzsequenz. Diese Referenz entspricht daher nicht dem tatsächlichen
Genom eines einzelnen Menschen. Hinzu kommt, dass somatische Zellen in der
Regel diploid sind und sich die Sequenzen der homologen Chromosomen unter-
scheiden.
Die Unterschiede zwischen den Individuen und zur Referenzsequenz haben meh-
rere genetische Ursachen, die man als Polymorphismen bezeichnet:
55 Durch Einzelnucleotidpolymorphismen (SNP) und Einzelnucleotidvarianten
(SNV) liegen Gene in Form verschiedener Allele vor.
55 Mittelgroße Deletionen und Insertionen verändern die Kopienzahl einzelner
Gene.
55 Die repetitiven Sequenzen von Mikrosatelliten werden unterschiedlich oft
wiederholt.

Von den Polymorphismen wird die Mutation unterschieden:


364 Kapitel 15 · Genomik

55 Eine Mutation ist eine Abweichung, die nur bei wenigen Menschen auftritt.
55 Polymorphismen sind innerhalb einer Population häufiger anzutreffen. Sie
gehen aus Mutationen hervor, die sich erhalten und durch weitere Vererbung
ausbreiten konnten.

15.4.1 Einzelnucleotidpolymorphismen
und Einzelnucleotidvarianten

Die Sequenzen von DNA-Abschnitten können sich in einzelnen Basen voneinander


unterscheiden:
55 Einzelnucleotidpolymorphismen (SNPs, single nucleotide polymorphisms) sind
Variationen an einer Position der DNA.
55 Schließt man auch Insertionen und Deletionen (Indels) von einzelnen Basen
mit ein, spricht man von Einzelnucleotidvarianten (SNVs, single nucleotide
variants).

SNPs oder SNVs sind die molekularbiologische Grundlage für den klassischen
­Begriff „Allel“ als Erscheinungsform eines Gens.
Ein Beispiel für einen stabilen SNP liegt für das Gen für die Lactosetoleranz
vor. Eine Mutation, die dazu führt, dass das Enzym Lactase auch noch im Er-
wachsenenalter produziert wird, hat sich bei einigen Populationen durchgesetzt.
Lactosetoleranz bei Erwachsenen ist im Norden Europas häufiger als im Süden.

Häufigkeit von SNPs:


55 Durchschnittlich kommt im menschlichen Genom ein SNP auf 1330 Basen.
­Allerdings sind SNPs nicht gleichmäßig verteilt.
55 SNPs kommen sowohl in codierenden als auch in nichtcodierenden Abschnitten
vor. In nichtcodierenden allerdings häufiger, weil sie hier keinem Selektions-
druck unterliegen.
55 Aufgrund der Häufigkeit unterteilt man SNPs in zwei Gruppen. Die häufigen
kommen bei mehr als 10 % der Bevölkerung vor, die seltenen in weniger als 10 %.
55 Datenbanken listen die minor allele frequency (MAF) in Prozent auf, sie geben
also das seltenere Allel an (. Abb. 15.5). Die Gesamtzahl für den Menschen
15 schätzt man auf etwa 50 Mio. Sie machen die häufigsten Unterschiede im
Genom zwischen Menschen aus.

SNP = Unterschiede in den


Nucleotidsequenzen
verschiedener Personen

Häufigkeit in der Population


94 % GA T C TGAGTACGGA T A Allel 1
6% GA T C TGAGTGCGGA T A Allel 2

..      Abb. 15.5 MAF in einer Population


15.4 · Variabilität und Individualität im menschlichen Genom
365 15
Entstehung von SNPs und SNVs
Die Mutationen, die sich zu SNPs und SNVs entwickeln, treten durch Fehler wäh-
rend der „R-Prozesse“ auf: Replikation, Reparatur oder Rekombination der DNA.

Bedeutung von SNPs


SNPs bilden die Grundlage für individuelle, vererbbare Eigenschaften wie den
Phänotypen. So können SNPs einhergehen mit:
55 der individuellen Reaktion auf Medikamente, einschließlich Nebenwirkungen
(die gründliche Kenntnis der SNPs soll künftig zu einer personalisierten Medi-
zin führen),
55 komplexen Erkrankungen wie Asthma,
55 bestimmten Phänotypen wie der Haarfarbe.

Um die SNPs eines Menschen zu erfassen, arbeitet man mit DNA-Chips. Die Chips
enthalten kurze, bekannte DNA-Sequenzen, die mit passenden ­DNA-­Abschnitten
einer Probe hybridisieren. Die Bindung kann beispielsweise mit Fluoreszenz-
markern sichtbar gemacht werden.
Durch diese Genotypisierung lassen sich in kurzer Zeit Tausende von SNPs
eines Menschen ermitteln.
Eine genomweite Assoziationsstudie liefert über den Vergleich der Daten von
Erkrankten mit den Daten von Kontrollgruppen Hinweise auf eine Kopplung von
SNPs mit dem Krankheitsbild.

15.4.2 Kopienzahlvarianten (CNVs)

Die Unterteilung von Deletionen und Insertionen erfolgt nach der Größe des be-
troffenen DNA-Abschnitts:
55 Sind nur einzelne oder wenige Nucleotide verloren gegangen oder hinzu-
gekommen, spricht man von Einzelnucleotidvarianten (SNVs). Aus den kleinen
Insertionen oder Deletionen ist das Kofferwort Indel entstanden.
55 Große Verluste oder Zugewinne von mehreren Millionen Basenpaaren be-
zeichnet man als strukturelle Aberration (siehe 7 Abschn. 11.3.2).
55 Mittlere Veränderungen fasst man als Kopienzahlvarianten oder Kopienzahl-
variationen (CNVs, copy number variants oder variations) zusammen. Die
Länge einer Sequenz, deren Kopienzahl reduziert oder verändert ist, beträgt
50 bp und weit darüber. Die Kategorie CNV kann daher auch ganze Gene ein-
schließen.

Häufigkeit von CNVs


55 Die Datenbank für CNVs (Database of Genomic Variants, DGV) listet mehr als
2 Mio. CNVs auf. Ihr Gesamtanteil am Genom wird unterschiedlich angegeben
und schwankt zwischen 5 bis 13 %.
55 CNVs kommen in codierenden wie in nichtcodierenden Abschnitten vor.
366 Kapitel 15 · Genomik

Entstehung von CNVs


Die Deletionen oder Insertionen entstehen durch Fehler bei den R-Prozessen Re-
kombination, Reparatur oder Replikation der DNA.

Bedeutung von CNVs


Es gibt keine Regel für die Auswirkungen von CNVs. Die Folgen reichen von un-
auffällig oder harmlos über erkennbare Merkmale bis tödlich.
Durch die Deletion oder Insertion mittelgroßer DNA-Abschnitte können ganze
Gene verloren gehen oder verdoppelt werden. Entsteht dabei eine „überschüssige“
Kopie, kann sie durch nachfolgende Mutationen verändert werden, während das
andere Exemplar die natürliche Funktion sicherstellt. Auf diese Weise können sich
neue Gene entwickeln. Kopienzahlvarianten sind daher wichtig für die Evolution
von Genen.
CNVs sind oft mit komplexen Erkrankungen assoziiert, vor allem mit Entwi-
cklungs- und geistigen Störungen. Beispielsweise erklärt man einige Fälle aus dem
Spektrum der Autismusstörungen (autism spectrum disorders, ASDs) mit CNVs in
Genen, die am Aufbau von Nervenzellen beteiligt sind.
Die Untersuchung von CNVs erfolgt wie bei SNPs mit DNA-Chips.

15.4.3 Mikrosatelliten

Mikrosatelliten sind kurze DNA-Sequenzen, die fünf- bis 100-mal wiederholt wer-
den (siehe 7 Abschn. 2.4.7). Die Zahl der Wiederholungen an einem Ort im
Genom ist individuell unterschiedlich.

Häufigkeit von Mikrosatelliten


55 Mikrosatelliten kommen an Tausenden Stellen im Genom vor.
55 Sie kommen in codierenden wie nichtcodierenden Abschnitten vor.

Entstehung von Mikrosatelliten:


55 durch slippage, Verrutschen des Replisoms während der DNA-­Synthese,
55 durch ungleiches Crossing over.

15 Bedeutung von Mikrosatelliten


55 Mikrosatelliten sind hochpolymorph. Verschiedene Personen besitzen daher am
gleichen Genort unterschiedliche Anzahlen von Wiederholungen des Nucleotid-
grundmotivs.
55 Diese Eigenschaft nutzt man in der Kriminalistik zur Identifikation von Perso-
nen und beim Vaterschaftstest zum Nachweis von Verwandtschaftsbeziehungen.

Einige Erbkrankheiten basieren auf Trinucleotidwiederholungen.


Beispiele:
55 Gesunde Menschen haben im 5′-UTR des FMR1-Gens (fragile X mental retar-
dation 1) zehn bis 50 Wiederholungen der Folge CGG. Bei Menschen mit dem
15.5 · Funktionelle Genomik
367 15
Fragilen-X-Syndrom beträgt die Wiederholungszahl mehrere Hundert bis Tau-
send (siehe 7 Abschn. 11.2.3, FXS, FXTAS).
55 Gesunde Menschen haben in dem Huntingtin-Gen sechs bis 35 Kopien der
Folge CAG. Liegt die Kopienzahl wesentlich darüber, verursacht der daraus
folgende Proteindefekt Chorea Huntington.

Größere Repeats wie die LINEs und SINEs verursachen weitere Polymorphismen,
die man Retrotransposon-Insertionspolymorphismen (RIPs) nennt.

15.5 Funktionelle Genomik

Die funktionelle Genomik untersucht die Funktion von Genen und anderen Sequen-
zen im Genom. Dazu erforscht sie
55 das Transkriptom als die Gesamtheit aller RNA-Moleküle in einer Zelle zu
einem bestimmten Zeitpunkt,
55 das Proteom als die Gesamtheit aller Proteine,
55 das Epigenom als die Gesamtheit der epigenetischen Information im Genom.
55 Allgemein verwendet man die Endung -om/-omik, um eine gesamtheitliche
Untersuchung einer Frage auszudrücken.

15.5.1 Untersuchung des Transkriptoms

Es gibt mehrere Methoden, um die mRNA einer Zelle zu erfassen:


55 Beim Northern-Blot spürt eine Sonde passende RNA auf.
55 Ein DNA-Chip arbeitet mit zahlreichen Sonden gleichzeitig und kann zwei Ge-
nome parallel untersuchen. Die RNA wird zuvor mit dem Enzym Reverse
Transkriptase in eine cDNA umgewandelt.
55 Eine cDNA kann auch teilweise sequenziert oder mit Echtzeit-PCR verviel-
fältigt werden.

Northern Blot
Der Northern-Blot ist die klassische Methode, um die Transkription eines protein-
codierenden Gens zu untersuchen:
1. Die Probe wird vorbereitet, indem sie von Proteinen und DNA gereinigt wird.
2. Die mRNA-Moleküle werden durch Gelelektrophorese nach ihrer Größe auf-
getrennt.
3. Durch das Übertragen oder Blotten vom Gel auf Nitrocellulosepapier werden
die mRNA-Moleküle wieder zugänglich.
4. Sonden aus RNA oder DNA mit bekannten Sequenzen dienen als spezifische
Sonden für gesuchte RNA-Moleküle. Komplementäre Abschnitte hybridisieren
zu Doppelsträngen. Nicht hybridisierte Sonden werden ausgewaschen.
5. Die Sonden sind mit Markern wie radioaktiven Isotopen versehen und können
so nachgewiesen werden.
368 Kapitel 15 · Genomik

Der Northern-Blot macht Aussagen zur Zusammensetzung des Transkriptoms und


zur Menge der jeweiligen mRNA. Durch den Vergleich verschiedener Proben kann
man Unterschiede zwischen Individuen, Entwicklungsstadien oder Gesundheits-
zuständen feststellen.
Im Zeitalter von Hochdurchsatztechnologien ist die Methode zu schwerfällig.
Sie hat die Nachteile, dass sie zu ungenau ist und sich nicht alle mRNAs gleich-
zeitig analysieren lassen.

Hybridisierung mit dem DNA-Chip


Bei DNA-Chips oder DNA-Microarrays (. Abb. 15.6) hybridisieren ebenfalls
Nucleinsäuren. Sie arbeiten aber nur mit DNA-Molekülen:
1. Die aufgereinigte mRNA der Probe wird mit dem Enzym Reverse Transkriptase
in eine komplementäre DNA oder cDNA umgewandelt.
2. Die cDNA wird mit einem Fluoreszenzfarbstoff als Marker versetzt.
3. Auf dem Chip befinden sich in einem Array genannten Gitter Tausende einzel­
strängiger DNA-Moleküle als Sonden.
4. Die cDNAs werden auf den Chip gegeben und verbinden sich mit den passen-
den Sonden-DNAs zu Hybridmolekülen. Nicht hybridisierte Moleküle werden
ausgewaschen.
5. Mit Lasern und optischen Sensoren werden die Ergebnisse der Hybridisierung
ausgelesen.

Durch den Einsatz verschiedener Fluoreszenzfarbstoffe, die rot und grün leuchten,
lassen sich zwei Transkriptome gleichzeitig analysieren und miteinander ver-
gleichen. Die Methode arbeitet also relativ.
Beispielsweise kann die Probe aus einer normalen Zelle rot markiert sein, das
Transkriptom einer Tumorzelle grün. Dann ergeben sich für jeden Punkt im Gitter
vier Möglichkeiten:
55 Farblos: Das zugehörige Gen wird von keiner der beiden Zellen transkribiert.
55 Rot: Nur die gesunde Zelle exprimiert das Gen.
55 Grün: Nur die Tumorzelle exprimiert das Gen.
55 Gelb: Beide Zelltypen exprimieren das Gen.
55 Ein Anwendungsbeispiel aus der Praxis sind die CYP450-SNP Chips. CYP450
steht für die Gruppe der Cytochrome P450. Dabei handelt es sich um Oxido-
15 reduktasen, die an der Verstoffwechselung von Arzneistoffen mitwirken und, je
nach Typ, den Stoff schneller oder langsamer abbauen. Die individuelle Wir-
kung eines Medikaments auf den Patienten ist somit von seinem CYP450 ab-
hängig. Um diese Wirkung zu ermitteln, entnimmt man dem Patienten eine
DNA-Probe und charakterisiert seine Genvariante über den CYP450 Chip, der
die verschiedenen SNPs enthält.
15.5 · Funktionelle Genomik
369 15
Normale Zellen Tumorzellen DNA-Klone

Mikrotiterplatte

mRNA

PCR
Reverse Transkription
unter Verwendung DNA wird auf
fluoreszenzmarkierter Glasträger
Nucleotide fixiert

Cy3
Cy5
cDNA

Glasträger

Gemischte cDNA
wird mit fixierter
DNA hybridisiert

Laserscanner:
Kanal 1 Kanal 2

Kanal 1 und 2 überlagert

..      Abb. 15.6 Verwendung eines Chips


370 Kapitel 15 · Genomik

Sequenzierung von cDNA


Die Teilsequenz einer mRNA reicht häufig schon aus, um Informationen über die
Genexpression zu erhalten:
1. Die mRNA wird mit der Reversen Transkriptase in eine cDNA umgewandelt.
2. Die cDNA wird kloniert.
3. Die Enden der cDNA werden sequenziert. Die Sequenzen bezeichnet man als
expressed sequence tags (ESTs).

15.5.2 Proteomik

Die Proteomik untersucht die Gesamtheit der Proteine daraufhin,


55 wie viele Proteine vorhanden sind,
55 welche Proteine vorliegen,
55 wann oder wie lange sie in der Zelle vorkommen,
55 und sie ermittelt die Struktur von Proteinen.

Auf diese Fragen liefert das Transkriptom keine Antworten,


55 weil Prä-mRNAs zu verschiedenen Proteinen führen,
55 weil mRNAs unterschiedlich oft translatiert werden,
55 und weil die Proteine nach der Translation noch weitere Modifikationen er-
fahren.

Die Proteomik verfügt über verschiedene Methoden, die jeweils spezielle Ziele ver-
folgen:
55 Der Nachweis und die Identifikation von Proteinen erfordert häufig die Auf-
trennung eines Proteingemischs.
55 Die biologischen Eigenschaften eines Proteins umfassen beispielsweise die
Interaktion mit anderen Proteinen oder DNA.

Trennung von Proteinen


Die zweidimensionale Polyacrylamidgelelektrophorese(2D-PAGE) trennt Proteine
einer Probe in zwei Dimensionen auf:
1. Zuerst werden die Proteine in einem elektrischen Feld nach ihrer Ladung ge-
15 trennt (isoelektrische Fokussierung, IEF).
2. Anschließend werden die Proteine mit Natriumdodecylsulfat (SDS) versetzt.
SDS ist negativ elektrisch geladen und überdeckt die Eigenladung der Proteine.
Die Menge des gebundenen SDS hängt von der Masse des jeweiligen Proteins
ab, sodass die zweite Gelelektrophorese senkrecht zur ersten eine Auftrennung
nach der Masse ergibt (SDS-PAGE).
3. Die getrennten Proteine werden angefärbt (. Abb. 15.7).

Das Ergebnis ist ein zweidimensionales Muster von Proteinflecken oder Spots, die
semiquantitativ zeigen, welche Proteine in welchen Mengen in der Probe vorliegen.
Proteine in geringen Mengen gehen allerdings leicht verloren.
15.5 · Funktionelle Genomik
371 15
Mr
pH 3 Isoelektrische Fokussierung (1. Dimension) pH 11 (in KDa)
SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese (2. Dimension)

250
150

100

75

50

37

25

20

..      Abb. 15.7 2D-Gelelektrophorese

Chromatografien wie die Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (high per-


formance liquid chromatography, HPLC) trennen Proteine nach ihrer Affinität zum
Material der Säule. Proteine, die stark oder eng damit wechselwirken, verbleiben
länger in der Trennsäule und treten deshalb später aus ihr aus. Die austretenden
Proteine werden getrennt aufgefangen und mit einem Detektor nachgewiesen und
quantitativ vermessen.
Ein Massenspektrometer trennt Proteine nach ihren Massen:
1. Die Proteine werden mit Trypsin in Peptide gespalten und künstlich ionisiert.
2. Ein elektrisches Feld beschleunigt die geladenen Peptide und schickt sie durch
einen Analysator, der die Teilchen nach dem Verhältnis von Masse zu Ladung
auftrennt.
3. Ein Detektor erfasst die Teilströme.
4. Das resultierende Profil wird mit Datenbanken abgeglichen.
5. Als Ergebnis erhält man eine Liste der Peptide, aus der sich auf die ursprüng-
lichen Proteine schließen lässt.

Funktionelle Untersuchungen
Die Interaktion zweier Proteine kann man mit dem yeast two-hybrid system (Y2H)
überprüfen.
372 Kapitel 15 · Genomik

..      Abb. 15.8 Prinzip des yeast two-hybrid systems a b


(Y2H). Es kommt in (b) zur Aktivierung, weil die
Bindung und Interaktion der Proteine D1 und D2 die AD
Aktivierungsdomäne (AD) und die Bindungsdomäne
(BD) wieder zusammenführt wie in (a). D2
(Nach Mülhardt 2013) AD
D1

DNA- DNA-
BD BD

Aktivierung +++ +++

55 Die Grundlage für den Test ist die Expression des Reportergens β-Galactosidase,
dessen Aktivität durch den Zusatz von X-Gal nachgewiesen werden kann. Das
aktive Enzym spaltet X-Gal und setzt einen blauen Farbstoff frei.
55 Für die Expression ist ein Transkriptionsfaktor aus zwei Untereinheiten not-
wendig (. Abb. 15.8a).

Für den Test werden die zu prüfenden Proteine und die Untereinheiten des
Transkriptionsfaktors miteinander verbunden:
1. Das Protein D1 wird mit der ersten Untereinheit des Transkriptionsfaktors fu-
sioniert, das Protein D2 mit der zweiten Untereinheit.
2. Lagern sich D1 und D2 eng aneinander, verbinden sich auch die Untereinheiten
zu einem funktionstüchtigen Transkriptionsfaktor. Das Reportergen wird ex-
primiert, und durch seine katalytische Aktivität entsteht der blaue Farbstoff.

Interagieren die Proteine D1 und D2 nicht miteinander, bleibt die Expression der
β-Galactosidase aus, sodass es keine Blaufärbung gibt.

Suche nach der DNA-Zielsequenz


Die Chromatinimmunpräzipitation (ChIP) weist nach, welche DNA-Abschnitte
mit Proteinen wie beispielsweise Transkriptionsfaktoren assoziiert sind
(. Abb. 15.9):
15 1. Die gebundenen Proteine werden mittels Formaldehyd in einem Prozess, den
man cross-linking nennt, an der DNA fixiert. Gleichzeitig tötet das Form-
aldehyd die Zelle, friert eine augenblickliche Situation ein und liefert somit eine
Art Standbild.
2. Die Zellen und Zellkerne werden zerstört. Nucleasen oder Scherkräfte zer-
kleinern das Chromatin in Fragmente.
3. Spezifische Antikörper gegen die Proteine binden sich an diese und fällen die
Protein-DNA-Komplexe aus (Präzipitation).
4. Die Proteine werden von der DNA gelöst.
5. Die DNA wird über verschiedene Verfahren analysiert:
–– Man kann die DNA mittels PCR amplifizieren und sequenzieren. Bestimmt
man die Sequenzen mittels Hochdurchsatzsequenziertechniken (siehe
7 Abschn. 16.6.3), spricht man von ChIP-Seq.
15.5 · Funktionelle Genomik
373 15
Zellen

DNA-bindende Proteine

Zerschneiden der DNA

Antikörper binden sich an Proteine

Trennung der DNA von Proteinen

Sequenzierung der DNA

G AT C A C G G T C C AG C C T C T GC C G G A G C C C CA G T C T CC G C A G T
260 270 280 290

..      Abb. 15.9 Identifizierung von DNA-Abschnitten, an die sich Proteine binden, mittels ChIP

–– Man kann die DNA gegen die DNA-Sonden eines Chips hybridisieren. Das
Vorgehen heißt ChIP-Chip und ermittelt den regulatorischen Status einer
Zelle.

Entzifferung des Chromatins: ATAC-Seq (Assay for transposase-accessible chroma-


tin with high-throughput sequencing)
374 Kapitel 15 · Genomik

Die Methode arbeitet mit einer hyperaktiven Transposase. Sie soll einen DNA-­
Abschnitt aus seiner Umgebung herausschneiden, der dann mit Sequenzierungs-
adaptoren versehen wird. Bekommt man einen Abschnitt damit nicht zu fassen,
schließt man daraus, dass die DNA für die Transposase nicht frei zugänglich ist,
weil sie als dichtgepacktes Chromatin vorliegt und epigenetisch reguliert wird.
Die Informationen fließen in das ENCODE-Projekt (encyclopedia of DNA ele-
ments) ein, das alle funktionellen Elemente des menschlichen Genoms analysiert
und charakterisiert.

15.6 Komparative Genomik

Der Vergleich der Genome verschiedener Arten erlaubt Aussagen über die Evolu-
tion der Organismen. Das Genom des Menschen wird häufig mit dem Erbgut des
Schimpansen verglichen. Es zeigt aber auch noch genetische Übereinstimmungen
mit dem Genom des Bakteriums E. coli.
Konservierte Sequenzen stimmen bei mehreren Organismen überein. Sie er-
füllen häufig wichtige Funktionen von grundlegender Bedeutung. Bei großer
Übereinstimmung sind die Gene hoch konserviert, wie es beispielsweise die Histon-
gene sind.
Sind Gene oder Gensegmente bei mehreren Arten in der gleichen Reihenfolge
auf den Chromosomen lokalisiert, spricht man von Syntänie oder Syntenie.
Beispiele:
55 Das menschliche Chromosom 20 erkennt man prinzipiell im Chromosom 2 der
Maus wieder.
55 Die Chromosomen 12 und 13 des Schimpansen zusammengenommen ent-
sprechen dem großen Chromosom 2 des Menschen.

15.6.1 Einteilung homologer Gene

Homologe Gene haben einen gemeinsamen Ursprung. Sie codieren oft für Proteine
mit gleichen Funktionen wie beispielsweise die Gene für die α- und die β-Untereinheit
des Hämoglobins.
15 Man unterscheidet verschiedene Formen homologer Gene:
55 Paraloge Gene sind durch die Duplikation des gemeinsamen Vorläufergens ent-
standen und haben sich innerhalb einer Spezies getrennt voneinander weiter-
entwickelt. Beispiele sind die Hox-Gene, die an der Bildung der Körperachsen
in der Entwicklung bilateral organisierter Tiere beteiligt sind.
55 Orthologe Gene entstehen, wenn sich eine (Ursprungs-) Art aufspaltet, sodass
die homologen Gene dann in verschiedenen Spezies liegen. Beispielsweise be-
sitzen Mensch und Maus orthologe Gene, die auf ein Ursprungsgen im letzten
gemeinsamen Vorfahren zurückgehen.

Neben ganzen Genen können auch nur Teilabschnitte von Genen eine Funktions-
verwandtschaft aufweisen, die im Protein als Domäne auftreten. Dies ist beispiels-
15.7 · Evolution des Menschen
375 15
weise bei der Homöobox der Hox-Gene der Fall. Die entsprechende Homöo-
domäne der Proteine befähigt diese dazu, sich an die DNA zu binden.
Oft entspricht eine Domäne einem Exon. Kopiert die Zelle das Exon mit der
Domäne in ein anderes Gen, so erhält das Empfängergen eine zusätzliche Funk-
tion, und es kann ein neues Protein entstehen. Dieses Hineinkopieren von Exons
nennt man exon shuffling.

15.7 Evolution des Menschen

Bluthochdruck und Fettleibigkeit demonstrieren, dass der Mensch genetisch durch


seine Evolution und die früheren Lebensumstände geprägt ist:
55 Er hat sich genetisch nicht an den Überfluss von Nahrung und Bewegungs-
mangel der westlichen Welt angepasst, verbraucht die Nährstoffe nicht und legt
überflüssige Fettreserven an.
55 In jüngeren Jahren kann hoher Blutdruck die Leistungsfähigkeit sichern und
„eine gesunde Gesichtsfarbe“ signalisieren. Im Alter zählt er als Risikofaktor
für eine ganze Reihe von Komplikationen.

Der niederländische Hungerwinter 1944/1945 zeigt einen Zusammenhang zwischen


genetischer Prägung und Umweltfaktoren. Die Unterernährung der Mütter hatte
direkt Auswirkungen auf ihre Nachkommen in der Embryonalentwicklung. An ei-
nigen Genorten konnte man epigenetische Veränderungen nachweisen, beispiels-
weise am IGF2-Gen, das weniger methyliert war als in einer Vergleichsgruppe. Die
im Hungerwinter Geborenen neigten in späteren Jahren zu Fettleibigkeit.
Evolution verläuft auch in kurzen Zeiträumen. Dies wird beispielsweise an den
Resistenzen von Bakterien gegenüber Antibiotika und von Tumorzellen gegenüber
Chemotherapeutika deutlich:
1. Zufällige Mutationen erschaffen resistente Zellen, die aber in der Population
bzw. im Zellverband in der Minderheit sind.
2. Durch die Medikamente entsteht ein Selektionsdruck, der die resistenten Zellen
bevorzugt. Sie vermehren sich schneller als die nicht resistenten Konkurrenten.

Bei Chemotherapeutika kommt hinzu, dass diese Substanzen selbst mutagen sein
können.
377 16

Methoden
Inhaltsverzeichnis

16.1 Worum geht es? – 379


16.2 Isolierung von Nucleinsäuren – 379
16.2.1 I solierung von DNA – 379
16.2.2 Isolierung von RNA – 380
16.2.3 Präparation von Plasmid-DNA – 380

16.3 Polymerasekettenreaktion (PCR) – 381


16.3.1 S tandard-PCR – 381
16.3.2 Nested PCR – 382
16.3.3 RT-PCR (Reverse-Transkriptase-PCR) – 383
16.3.4 Multiplex-PCR – 383
16.3.5 Echtzeit-PCR (real-time PCR) – 384

16.4 Gelelektrophorese – 384

16.5 Blotting und Hybridisierung – 386

16.6 DNA-Sequenzierung – 387


16.6.1  NA-Sequenzierung nach Sanger – 387
D
16.6.2 Pyrosequenzierung – 389
16.6.3 Hochdurchsatzsequenzierung: Next Generation Sequencing – 389
16.6.4 Sequenzierung von RNA – 391

16.7 Klonierung von DNA – 391


16.7.1 Bibliotheken und Banken – 394

16.8 Transgene Tiere – 394

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1_16
16.8.1  ene-Targeting oder gezielte Genmanipulation – 395
G
16.8.2 Konditionale Knock-out-Mäuse – 396
16.8.3 Knock-down – 396

16.9 Genome Editing – 396


16.9.1 CRISPR/Cas9-System – 397
16.9.2 TALEN (Transcription activator-like effector nucleases) – 398

16.10 Modellorganismen – 398


16.10.1  riterien für Modellorganismen – 399
K
16.10.2 Escherichia coli – 400
16.10.3 Bäcker- oder Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae) – 400
16.10.4 Taufliege (Drosophila melanogaster) – 401
16.10.5 Caenorhabditis elegans – 401
16.10.6 Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) – 402
16.10.7 Zebrabärbling oder Zebrafisch (Danio rerio) – 402
16.10.8 Hausmaus (Mus musculus) – 403
16.2 · Isolierung von Nucleinsäuren
379 16
16.1 Worum geht es?

Bestimmte Arbeitsmethoden sind in der genetischen und molekularbiologischen


Forschung zu Standards geworden. Obwohl ihr Ablauf im Detail von dem jeweili-
gen Experiment und dem Laborprotokoll abhängt, sind die Grundlagen und der
prinzipielle Verlauf stets gleich. Methoden wie die Sequenzierung von Nuclein-
säuren oder das Genome Editing werden ständig weiterentwickelt.

16.2 Isolierung von Nucleinsäuren

16.2.1 Isolierung von DNA

Für die Isolierung oder Extraktion von genomischer DNA gibt es verschiedene Vor-
schriften, die jeweils Besonderheiten der Zielzellen berücksichtigen, beispielsweise die
Anwesenheit und den Aufbau von Zellwänden bei Pflanzen bzw. Bakterien.
Im Wesentlichen basieren die Vorschriften auf folgenden Prinzipien:
1. Aufschluss der Zellen. Bei tierischen Zellen reicht oft Natriumdodecylsulfat
(SDS) zur Zerstörung der Membran. Bei Bakterien muss eventuell die Zell-
wand durch Lysozym aufgelöst werden. Bei Pflanzen arbeitet man mit SDS und
CTAB (Cetyltrimethylammoniumbromid), um Polysaccharide zu entfernen.
2. Inaktivierung von DNasen und anderen Proteinen. Da DNasen zweiwertige
Kationen wie Mg2+ benötigen, gibt man den Komplexbildner EDTA hinzu, der
den Enzymen die Ionen entzieht. Zusätzlich fügt man die Proteinase K hinzu,
welche die Proteine abbaut.
3. Zentrifugation. Schwerere Zelltrümmer werden in der Zentrifuge von der DNA
getrennt.
4. Extraktion mit Phenol und Phenol/Chloroform. Dabei entfernt man Zell- und
Proteinreste, die sich noch in der Probe befinden. Die DNA bleibt in der wäss-
rigen Phase (. Abb. 16.1).
5. Präzipitation (Fällung). Ethanol entzieht der DNA die Hydrathülle, sodass sich
die DNA nicht mehr löst und ausfällt.
6. Zentrifugieren und Aufnahme in einem Puffer.

+ 1 Vol. + 1 Vol.
Phe/Chl Chl

+ 1 Vol.
Phe
Interphase

DNA-Lösung

..      Abb. 16.1 DNA-Isolierung über schrittweise Zugabe von Phenol und Chloroform. (Nach Mül-
hardt 2013)
380 Kapitel 16 · Methoden

Proteine Einzel-
Nucleotide rRNA strängige Plasmid-
Oligomere tRNA mRNA DNA DNA
Ausbeute

0 0,5 1 1,5 M KCl/NaCl

..      Abb. 16.2 Elutionsmuster in Abhängigkeit von der Salzkonzentration. (Nach Mülhardt 2013)

Eine andere Variante ist die Extraktion von DNA durch Säulenchromatografie mit
Anionenaustauschersäulen (. Abb. 16.2):
1. Die ersten drei Schritte verlaufen wie oben aufgeführt. Wegen der Umwelt- und
Gesundheitsgefahren verzichtet man auf Phenol und Chloroform.
2. Die DNA mit ihren negativ geladenen Resten bindet sich an die positiv ge-
ladenen Gruppen der Säulenmatrix.
3. Moleküle mit weniger negativ geladenen Resten binden sich weniger gut an das
Säulenmaterial.
4. Verändert man die Ionenstärke des Wasch- und Elutionspuffers, kann man
nach und nach Proteine, RNA-Moleküle und schließlich DNA von der Matrix
ablösen (eluieren).

16.2.2 Isolierung von RNA

Die Isolierung von RNA funktioniert nach dem gleichen Prinzip.


Um den störenden Effekt von RNA abbauenden RNasen zu vermeiden, muss
man einige zusätzliche Vorkehrungen treffen:
55 Die Gefäße und Geräte werden vor der Arbeit erhitzt und sterilisiert.
55 Die Experimentatoren müssen Handschuhe tragen.
55 Zusätzlich können RNase-Inhibitoren zugegeben werden.

16.2.3 Präparation von Plasmid-DNA


16
Bei den zu extrahierenden Plasmiden handelt es sich meist um Plasmide aus/in E.
coli, die man gern als Klonierungsvektoren einsetzt. Sie werden mit kommerziellen
Kits, die alle Chemikalien und Materialien wie Reinigungssäulen beinhalten, nach
Anleitung des Herstellers isoliert.
Das Vorgehen baut auf folgenden Schritten auf:
1. Zugabe von SDS und NaOH:
–– Das SDS zerstört die Membran.
–– Die Natronlauge erhöht den pH-Wert so weit, dass Proteine und DNA-­
Moleküle denaturiert werden.
16.3 · Polymerasekettenreaktion (PCR)
381 16
2. Erniedrigung des pH-Werts. Durch die Ansäuerung renaturiert die DNA wie-
der. Proteine bleiben denaturiert.

Wegen der unterschiedlichen Struktur von genomischer DNA und Plasmid-­DNA


renaturieren die kleinen Plasmidringe schneller, und man kann sie abtrennen.

16.3 Polymerasekettenreaktion (PCR)

Mit der Polymerasekettenreaktion (PCR, polymerase chain reaction) vervielfältigt


(amplifiziert) man definierte DNA-Abschnitte, die man anschließend für weitere
Fragestellungen einsetzt.
Die wichtigsten Komponenten einer PCR sind:
55 Die Ausgangs-DNA. Sie ist doppelsträngig und enthält den Template genannten
Abschnitt, der amplifiziert werden soll.
55 Primer für den Anfangs- und Endpunkt des gewünschten DNA-Abschnitts. Die
Oligonucleotide oder „Oligos“, wie sie im Laborjargon genannt werden, haben
eine Länge von etwa 15 bis 25 Basen. Sie sind komplementär zu den 3′-Enden
des Zielabschnitts auf beiden Strängen der DNA. Auf diese Weise begrenzen
sie den Bereich der Vervielfältigung.
55 Eine hitzestabile DNA-Polymerase. Häufig stammt das Enzym aus thermo-
philen Bakterien, z. B. die Taq-Polymerase aus Thermus aquaticus. Die Polyme-
rase verlängert die Primer und synthetisiert die neuen DNA-Stränge von 5′
nach 3′.
55 Desoxynucleosidtriphosphate. Sie dienen als Bausteine für die neuen DNA-­
Stränge.
55 Ionen und Puffer. Die chemischen Bedingungen müssen dem Arbeitsbereich
der Polymerase entsprechen. Beispielsweise sind Mg2+-Ionen notwendig.

Eine PCR ist ein zyklischer Prozess. Bei jedem der 25 bis 40 Durchläufe wird die
DNA verdoppelt, sodass die Menge exponentiell anwächst.

16.3.1 Standard-PCR

Ein Zyklus besteht aus drei Schritten, die jeweils 30 s dauern (. Abb. 16.3). Spe-
zielle Geräte, sogenannte Thermocycler oder Cycler, führen die PCR automatisch
durch:
1. Hitzedenaturierung oder Schmelzen. Der Cycler erhöht die Temperatur auf
95 °C, sodass sich die DNA-Stränge trennen.
2. Annealing. Der Cycler kühlt auf die spezifische Temperatur herunter, bei der
sich die Primer an ihre komplementären Abschnitte binden. Die Bindungs-
temperatur der Primer ist von ihrer Länge und ihrem GC-Gehalt abhängig.
3. Synthese oder Elongation. Der Cycler erhöht die Temperatur auf 72 °C. Die
Taq-Polymerase synthetisiert von den Primern ausgehend neue komplementäre
DNA-Stränge. Die hohe Temperatur beschleunigt die Synthese.
382 Kapitel 16 · Methoden

Denaturierung (95 °C)

Denaturierung (95 °C)

Denaturierung (95 °C)

Annealing (55 °C)


Annealing (55 °C)
Annealing (55 °C)

Elongation (72 °C)


Elongation (72 °C)

Elongation (72 °C)

..      Abb. 16.3 Die ersten drei Zyklen der PCR. (Nach Mülhardt 2013)

Am Ende der Vervielfältigung bleibt der Ansatz auf 95 °C erhitzt.


Baut man in die Primer Schnittstellen für Restriktionsenzyme ein, so kann man
die gewonnene DNA leichter klonieren.

16.3.2 Nested PCR (. Abb. 16.4)

Anwendungsfall: Bei Proben mit einer komplexen bzw. langen DNA-Sequenz (z. B.
genomischer DNA aus einem Menschen) kann es auch außerhalb des Ziel-
abschnitts mehrere Bindestellen für die Primer geben. Im Laufe der PCR werden
16 dadurch unerwünschte DNA-Abschnitte als Nebenprodukt vervielfältigt.
Die nested PCR arbeitet mit einer zweiten PCR, bei der die Primer innerhalb
der ersten Primer liegen:
1. Die erste PCR vervielfältigt den Zielbereich und als Nebenprodukte einige an-
dere DNA-Abschnitte.
2. Eine kleine Teilmenge aus der ersten PCR setzt man für eine zweite PCR ein.
3. Für die Primer der zweiten PCR bietet nur die Ziel-DNA dem neuen Primer-Paar
Bindungsstellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eines der Nebenprodukte zu-
fällig auch für diese Primer Bindungsstellen besitzt, ist extrem gering.
16.3 · Polymerasekettenreaktion (PCR)
383 16

SP1 AP1
1. PCR

SP2 AP2
2. PCR

..      Abb. 16.4 Nested PCR mit einem zweitem Paar Primer. (Nach Mülhardt 2013)

16.3.3 RT-PCR (Reverse-Transkriptase-PCR)

Anwendungsfall: Die RT-PCR (Reverse-Transkriptase-PCR ) wird beispielsweise


angewandt, um eukaryotische Gene über die Zwischenstufen ihrer mRNA und
cDNA in prokaryotische Expressionsvektoren zu klonieren oder um das Tran-
skriptom einer Zelle mittels PCR zu analysieren. RNA kann nicht direkt durch
eine PCR vervielfältigt werden, sondern muss zuvor in DNA umgewandelt werden.
Die RT-PCR kombiniert in zwei Teilreaktionen eine Reverse Transkription und
eine anschließende konventionelle PCR.
1. In dem ersten Teil schreibt man die RNA mithilfe des Enzyms Reverse Tran-
skriptase in cDNA um.
2. Die cDNA verwendet man dann als Vorlage für die PCR.

16.3.4 Multiplex-PCR

Anwendungsfall: Man amplifiziert gleichzeitig mehrere Gene oder Exons eines


Gens, um zu analysieren, welche DNA-Abschnitte vorhanden sind oder fehlen.
Die Multiplex-PCR arbeitet mit mehreren Primer-Paaren für die verschiedenen
DNA-Abschnitte gleichzeitig.
Trennt man die amplifizierten DNA-Abschnitte auf, sieht man, welche Bereiche
in der Probe vorhanden waren.
Die Multiplex-PCR wird für verschiedene medizinische Diagnosen eingesetzt:
55 Bei Erkrankungen, für die verschiedene Viren oder Bakterien verantwortlich
sein können, verrät die Multiplex-PCR den tatsächlichen Erreger.
55 Manche erblich bedingte Krankheiten gehen auf ein fehlendes Exon in einem
Gen zurück.
55 Eine Multiplex-PCR kann alle Exons gleichzeitig überprüfen.
384 Kapitel 16 · Methoden

16.3.5 Echtzeit-PCR (real-time PCR)

Anwendungsfall: Der Fortgang der Amplifikation soll in Echtzeit verfolgt werden,


oder die Vervielfältigung soll nur bis zu einer bestimmten Kopienzahl ablaufen.
Die Echtzeit-PCR, auch real-time PCR oder quantitative PCR genannt, läuft
unter Zugabe eines Fluoreszenzfarbstoffs ab. Der Farbstoff wird erst aktiv, wenn er
sich in doppelsträngige DNA einlagern kann. Die Fluoreszenz nimmt daher mit
der Amplifikation zu.
Da die Intensität der Fluoreszenz proportional zur Kopienzahl der DNA ist,
kann die PCR quantitativ durchgeführt werden.

16.4 Gelelektrophorese

Elektrophoresen trennen elektrisch geladene Moleküle wie DNA und Proteine mit-
hilfe eines angelegten elektrischen Felds. Die Moleküle wandern dabei in einem
Trägermaterial.
Die Trennung erfolgt im Wesentlichen nach zwei Kriterien:
55 Je mehr Ladungen ein Molekül trägt, desto schneller wandert es im elektrischen
Feld.
55 Je stärker das Molekül mit dem Trägermaterial für die Probe wechselwirkt,
desto langsamer wandert es. Beispielsweise halten siebartige Materialien wie
Agarosegele längere DNA-Moleküle stärker zurück als kürzere.

DNA ist aufgrund der Phosphatgruppen negativ geladen, wobei die Ladung pro-
portional zur Länge des Moleküls ist. DNA-Moleküle werden daher nach der
Länge aufgetrennt.
Die wichtigsten Komponenten einer Gelelektrophorese sind:
55 Ein Gemisch von DNA-Molekülen als Probe.
55 Ein gelartiges Trägermaterial. In der Regel wird ein großporiges Agarosegel
mit einer Konzentration von 0,7–3 % verwendet oder ein feinporiges Polyacry-
lamidgel.
55 Ein elektrisch leitender Laufpuffer, in dem das Gel liegt.
55 Ein Lauffarbstoff, der schneller als die DNA wandert und den Fortschritt der
Auftrennung anzeigt, weil man die DNA selbst während des Vorgangs nicht
sehen kann.
16 55 Eine Elektrophoreseapparatur, zwischen deren Elektroden das elektrische Feld
herrscht.
55 Ein Farbstoff zum Anfärben der DNA. Häufig wird Ethidiumbromid verwendet,
das allerdings mutagen ist.
16.4 · G elelektrophorese
385 16
..      Abb. 16.5 Ergebnis einer Gelelektrophorese. GM A B C
GM: Größenmarker, A zeigt zu viel DNA, B zeigt
eine optimale DNA-Menge, bei C war die DNA
zunächst in Lösung mit hoher Salzkonzentration
gelöst und erscheint im Gel aufgrund des Laufver-
haltens größer. (Nach Mülhardt 2013)

Der Ablauf besteht aus zwei Teilprozessen:


1. Die Trennung der Moleküle:
(a) Die Proben werden in Kammern im Gel eingebracht.
(b) Nach Anlegen der Spannung wandern die negativ geladenen DNA-­
Moleküle im Gel auf die positive Elektrode zu.
(c) Kurz bevor der Farbstoff das Ende des Gels erreicht, bricht man die Auf-
trennung ab. Man verhindert, dass kleine DNA-Proben aus dem Gel
herauslaufen.
2. Das Anfärben der DNA. Der Farbstoff kann bereits vor der Trennungsphase
zugegeben werden oder nach deren Abschluss. Fluoreszenzfarbstoffe wie Ethi-
diumbromid werden erst bei Anregung mit passendem Licht sichtbar. Ethidi-
umbromid emittiert beispielsweise im UV-Licht rötliches Licht, wenn es sich
zwischen die Basen der DNA lagert, die DNA-Moleküle sieht man dann als
Banden (. Abb. 16.5).

Für besonders große oder kleine DNA-Moleküle gibt es spezielle Varianten der
Elektrophorese:
55 Die Pulsfeldgelelektrophorese ermöglicht die Auftrennung größerer DNA-­
Stücke etwa ab 15 kb, indem wechselnde oder pulsierende elektrische Felder an-
gelegt werden.
55 Die Polyacrylamidgelelektrophorese erlaubt es, Fragmente aufzutrennen, die
kleiner als 200 bp sind.
386 Kapitel 16 · Methoden

16.5 Blotting und Hybridisierung

Mit Blotting-Verfahren überträgt man DNA oder RNA nach einer Gelelektropho-
rese auf eine Trägermembran, auf der die Nucleinsäuren für Sonden erreichbar
sind.
Spezifische Sonden spüren anschließend über Hybridisierung passende DNA
oder RNA auf. Voraussetzung ist, dass die Sequenz der gesuchten Nucleinsäure
ganz oder annähernd bekannt ist.
Die wichtigsten Komponenten für das Blotten sind:
55 Ein Gel mit einem aufgetrennten Gemisch von Nucleinsäuren.
55 Eine Membran, auf welche die Nucleinsäuren übertragen werden. Meistens be-
steht die Membran aus Nylon oder Nitrocellulose.
55 Ein Transferpuffer.

Die wichtigsten Komponenten für die Hybridisierung sind:


55 Eine Membran mit darauf geblotteter Nucleinsäure.
55 Eine radioaktiv markierte DNA-Sonde mit der passenden Komplementär-
sequenz zur gesuchten Nucleinsäure.
55 Ein Röntgenfilm zur Detektion der radioaktiven Strahlung.
55 Alternativ kann man die Sonde auch mit chemischen Markern versehen. Diese
sind aber weniger sensitiv.

Beide Prozesse werden nacheinander durchgeführt. Die Bezeichnung der Methode


richtet sich nach der Art der Nucleinsäure:
55 Beim Southern-Blot weist man vorgegebene DNA-Sequenzen nach.
55 Beim Northern-Blot weist man bestimmte RNA-Sequenzen nach.
55 Beim Western-Blot analysiert man Proteine mittels Antikörper, für
einen Southwestern-­Blot setzt man eine DNA-Sonde ein, um die Wechsel-
wirkung mit Proteinen zu untersuchen, für einen Northwestern-Blot verwendet
man RNA-Proben für die Proteinanalyse.

Die Vorgehensweise ist bei den ersten zwei Methoden im Prinzip gleich:
1. Das Gel mit den Nucleinsäurebanden wird in Kontakt mit der Membran ge-
bracht. Beim Southern-Blot stellt man einen alkalischen pH-Wert ein, um die
DNA-Stränge voneinander zu trennen.
2. Durch Kapillarkräfte, ein Vakuum oder elektrischen Strom wandern die
16 Nucleinsäuren aus dem Gel auf die Membran (. Abb. 16.6). Diesen Vorgang
nennt man Blotten.
3. Durch UV-Licht oder Erhitzen („Backen“) kann man die Nucleinsäuren auf
der Membran fixieren.
4. Die Sonde wird durch Erhitzen in Einzelstränge zerlegt. Bei 40–60 °C hybridi-
siert sie mit ihrer Zielsequenz auf der Membran. Nicht h­ ybridisierte Sonden
werden ausgewaschen.
5. Der Röntgenfilm wird auf die Membran gelegt und durch die abgegebene
β-Strahlung im Bereich der Sonden-Nucleinsäure-Hybriden geschwärzt.
16.6 · DNA-Sequenzierung
387 16

Papiertücher
Filterpapier
Membran
Gel

Schwamm
a
Brücke aus
Filterpapier

Wanne
b

..      Abb. 16.6 Drei Wege zur Herstellung eines Blots. (Nach Mülhardt 2013)

16.6 DNA-Sequenzierung

Über eine Sequenzierung bestimmt man die Nucleotidabfolge der DNA.

16.6.1 DNA-Sequenzierung nach Sanger

Die DNA-Sequenzierung nach Sanger ist auch unter den Synonymen Didesoxyme-
thode oder Kettenabbruchsynthese bekannt.
Das Verfahren arbeitet nach dem Prinzip, komplementäre Stränge zu der vor-
liegenden DNA zu produzieren, deren Synthese an unterschiedlichen Stellen ab-
bricht. Die Analyse der Fragmente verrät die Abfolge der Nucleotide.
Die wichtigsten Komponenten für die moderne Variante der Methode sind:
55 Eine Proben-DNA, deren Sequenz bestimmt werden soll.
55 Ein Sequenzier-Primer, der sich an den Startbereich der DNA heftet.
55 Eine DNA-Polymerase für die Synthese der komplementären Fragmente.
55 Desoxynucleosidtriphosphate (dATP, dGTP, dCTP und dTTP) als Bausteine
für die komplementären Stränge.
55 Markierte Didesoxynucleosidtriphosphate (ddATP, ddGTP, ddCTP und
ddTTP) zum Abbrechen der Synthese. Diesen Nucleotiden fehlt an der 3′-Posi-
tion die Hydroxylgruppe zum Anbinden des nächsten Nucleotids, sodass die
Kette mit ihnen zwangsweise endet. Jede Variante dieser terminalen Bausteine
ist mit einem eigenen Fluoreszenzfarbstoff markiert.
388 Kapitel 16 · Methoden

Das Vorgehen gliedert sich in zwei große Blöcke:


1. Synthesephase:
–– Die Synthese des komplementären Strangs verläuft wie eine modifizierte
PCR, bei der nur ein Primer eingesetzt wird. Die DNA wird dadurch nur er-
gänzt, nicht amplifiziert.
–– Die Polymerase baut meistens die herkömmlichen Desoxynucleotide in den
neuen Strang ein.
–– Durch Zufall hängt die Polymerase auch Didesoxynucleotide an die Kette.
Die Synthese des betreffenden Strangs endet damit sofort. Wegen der großen
Anzahl der Synthesen geschieht dies nach jeder Base mehrmals und es ent-
stehen Fragmente aller Längen.
2. Analysephase:
–– Die Fragmente werden in einer Kapillarelektrophorese nach ihrer Länge
aufgetrennt.
–– Anschließend wandern sie der Reihe nach an einem Laser vorbei, der die
Marker zur Fluoreszenz anregt. Da jede Variante der Didesoxynucleotide in
einer anderen Farbe fluoresziert, gibt das Muster direkt die DNA-Sequenz
des neu synthetisierten komplementären Strangs wieder (. Abb. 16.7, siehe
auch 7 Abb. 15.9 als Kombination verschiedener Methoden).

Bei der ursprünglichen Vorgehensweise waren die Didesoxynucleosidtriphosphate


radioaktiv markiert. Weil sich die Marker so nicht voneinander unterscheiden lie-
ßen, führte man die Synthese in vier getrennten Ansätzen mit je einer Art von Di-
desoxybaustein durch. Die Auftrennung nach der Größe erfolgte mit einem Poly-
acrylamidgel.

z Ermitteln von Methylcytosin


Bisulfit-Sequenzierung: Die Sanger-Sequenzierung ermittelt die Abfolge der vier
Basen G, A, T, C unabhängig vom Methylierungszustand. Um Positionen von
5mC zu ermitteln, behandelt man die Sequenz vorher mit Bisulfit. Dabei wird nur
Cytosin zu Uracil umgewandelt, nicht jedoch 5mC. Der Vergleich der Sequenzie-
rung mit und ohne Bisulfit erlaubt somit Rückschlüsse auf die Position der methy-
lierten Base.

16

..      Abb. 16.7 Ergebnis einer typischen Sequenzierung mit fluoreszenzmarkierten Nucleotiden.


(Nach Mülhardt 2013)
16.6 · DNA-Sequenzierung
389 16
16.6.2 Pyrosequenzierung

Anwendungsfall: Kurze DNA-Stücke wie beispielsweise SNPs sollen sequenziert


werden.
Die Pyrosequenzierung arbeitet nach dem Prinzip, der Polymerase nach-
einander die verschiedenen Bausteine anzubieten und den Einbau des jeweils pas-
senden Nucleotids per Lichtsignal zu erkennen. Das Lichtsignal entsteht in einer
Nebenreaktion.
Die wichtigsten Komponenten für die Pyrosequenzierung sind:
55 Eine Proben-DNA, deren Sequenz bestimmt werden soll.
55 Ein Sequenzier-Primer, der sich an den Startbereich der DNA heftet.
55 Eine DNA-Polymerase für die Synthese der komplementären Fragmente.
55 Desoxynucleosidtriphosphate (dATP, dGTP, dCTP und dTTP) als Bausteine
für die komplementären Stränge.
55 Die Enzyme ATP-Sulfurylase und Luciferase sowie ihre Substrate Adenosin-
phosphosulfat (APS) und Luciferin und das Enzym Apyrase.

Der Prozess analysiert die Sequenz während der laufenden Synthese:


1. Der Primer bindet sich an die einzelsträngige DNA.
2. In den Ansatz gibt man das erste Desoxynucleosidtriphosphat, beispielsweise
dCTP.
3. Die Polymerase prüft, ob der Baustein komplementär zum nächsten freien Nu-
cleotid des Matrizenstrangs ist.
–– Passt der Baustein nicht, gibt es kein Lichtsignal.
–– Passt der Baustein, baut die Polymerase ihn in die wachsende Kette ein.
Dabei spaltet sie Pyrophosphat (PPi) ab. Die ATP-Sulfurylase setzt dieses
Pyrophosphat mit APS zu ATP um. Mit dem ATP treibt die Luciferase die
Oxidation von Luziferin an, wobei die freiwerdende Energie als Licht frei-
gesetzt wird. Ein Detektor registriert das Licht.
4. Nichtgebundene getestete Bausteine werden von der Apyrase entfernt, und das
nächste Desoxynucleosidtriphosphat wird zugegeben und geprüft.

Erhält man hellere Lichtsignale, hat die Polymerase mehrmals die gleiche Base
hintereinander eingebaut.
Die Pyrosequenzierung ist geeignet für einen automatisierten Ablauf und paral-
lele Analysen.

16.6.3 Hochdurchsatzsequenzierung:
Next Generation Sequencing

Hochdurchsatzsequenzierung, Next Generation Sequencing (NGS)oder Second Ge-


neration Sequencing ist ein Sammelbegriff für die einzelnen Verfahren verschiedener
Hersteller, mit denen mehrere Millionen kurzer DNA-Fragmente gleichzeitig, par-
allel, sequenziert werden können.
390 Kapitel 16 · Methoden

Die Verfahren eignen sich besonders für die Analyse großer DNA-Proben bei
geringen Kosten:
55 Sequenzierung ganzer Genome oder besonderer Funktionen: Sequenzierung
des Exoms, des Transkriptoms,
55 Genotypisierung zur klinischen Diagnose,
55 Aufnahme eines Metagenoms, also die Sequenzierung aller DNA-Moleküle in
einem Lebensraum.

Nachteile: Die Fehlerrate ist gemeinhin höher und die Längen der ermittelten Se-
quenzen (die read lengths) sind kürzer.
Professionelle Anbieter haben unterschiedliche Verfahren entwickelt. Die meis-
ten Arten von Hochdurchsatzsequenzierung folgen dem gleichen dreistufigen Prin-
zip:
1. Library-Präparation. Die DNA wird in mehreren Schritten vorbereitet:
–– Sie wird enzymatisch oder mechanisch fragmentiert.
–– An die Enden der Fragmente werden Adaptoren oder Adapter genannte Se-
quenzen angehängt. Die Adapter bestehen aus zwei Teilen:
–– einer Bindestelle für das spätere Anheften an den Träger,
–– einem Primer für die folgende Amplifikation. Die vorbereiteten Fragmente
nennt man DNA-Bibliothek.
2. Amplifikation. Die Vervielfältigung findet an einem festen Träger statt. Bei-
spiel: Bei der Brückenamplifikation oder Brückensynthese ist dies eine Glas-
platte. Auf der Glasplatte sind zahlreiche unterschiedliche Primer immobilisiert.
–– Die Fragmente der Template-DNA besitzen ein Adapter-Ende. Dieses hybri-
disiert mit seinem komplementären Gegenstück, dem befestigten Primer auf
der Glasplatte.
–– Die distalen Enden der Templates hybridisieren mit benachbarten befestigten
Primern und schlagen geradezu eine Brücke von Primer zu Primer. Wie bei
der PCR werden die Fragmente vervielfältigt. Es entstehen lokale Cluster
mit DNA-Stücken, die alle Klone des gleichen Fragments sind. Man spricht
von klonaler Clusteramplifikation.
–– Die DNA-Stücke werden denaturiert und die komplementären Stränge ent-
fernt.
Ein anderer Hersteller nennt sein Verfahren template walking. Auch hier
sind zahlreiche verschiedene Primer auf einem Trägermaterial befestigt.
Fragmente hybridisieren über ihren Adapter mit den Primern. Die PCR syn-
16 thetisiert den Gegenstrang. Der Doppelstrang wird denaturiert, das freie
Ende des Templates bindet sich an einen benachbarten Primer.
3. Sequenzierung. Die Sequenzierung erfolgt beispielsweise über Bestimmung der
Lichtsignale beim Einbau, beispielsweise wie bei der Pyrosequenzierung.
4. Das Hochdurchsatzsequenzieren generiert eine Vielzahl von Daten. Programme
gleichen diese mit Sequenzen in Datenbanken ab. Die bioinformatorische Aus-
wertung ist umfangreich.
5. Die nächste Stufe, als Third Generation Sequencing bezeichnet, arbeitet ohne
Amplifikation. Die Methode arbeitet mit einer Nanopore in einer Lipid-
membran, durch die ein Motorprotein die DNA-Sequenz schleust. Das dop-
16.7 · Klonierung von DNA
391 16
pelsträngige DNA-Fragment erhält dazu Adaptoren an den Enden und an
einem Ende das Motorprotein angeheftet. An die Membran wird eine Span-
nung angelegt. Die Adaptoren bringen die DNA an die Nanopore, das Motor-
protein schiebt einen Strang durch die Pore auf die andere Seite der Membran.
Die einzelnen Nucleotide verändern dabei das elektrische Feld unterschiedlich.
Von der jeweiligen Änderung der Stromstärke schließt man auf die Sequenz.

16.6.4 Sequenzierung von RNA

Auch Methoden zur Sequenzierung von RNA (RNA-seq) haben zunehmend an


Bedeutung gewonnen. Man nutzt sie für zahlreiche Anwendungen und Gebiete der
RNA-Biologie: Analyse des Transkriptoms, der differenziellen Genexpression, der
Einzelzell-Genexpression, des differenziellen Spleißens, der RNA-Strukturen (des
Strukturoms) oder der räumlichen Transkription (dieses Teilgebiet heißt Spatialo-
mik von spatial transcriptomics).
Die indirekte Sequenzierung ist seit Jahren etabliert. Die Vorgehensweise ent-
spricht der DNA-Sequenzierung mit einer vorgeschalteten reversen Transkription:
1. Abhängig davon, welche RNA von Interesse ist, isoliert man die mRNA oder
die Gesamt-RNA.
2. DNasen entfernen DNA-Verunreinigungen. Die RNA-Moleküle werden frag-
mentiert.
3. Das Enzym Reverse Transkriptase wandelt die RNA in cDNA um.
4. Die Analyse erfolgt mittels DNA-Sequenzierung der nächsten Generation. Das
bedeutet wie bei der DNA-Sequenzierung: Da man mit dieser Methode gleich-
zeitig große Datenmengen gewinnt, muss man diese anschließend analysieren.
Man untersucht die Rohdaten auf Artefakte und Fehler und setzt die Tran-
skripte zusammen. Nach Möglichkeit ergänzt man Daten aus der Sequenzie-
rung mit experimentellen Daten aus Expressionsanalysen.

Die direkte Sequenzierung (dRNA-seq) ist erst in den vergangenen Jahren ent-
wickelt worden. Sie nutzt die Nanoporen-Methode eines Herstellers. Sie verzichtet
also sowohl auf den Schritt der reversen Transkription als auch auf die PCR. Die
RNAs erhalten ebenfalls Adaptoren und das Motorprotein, das die RNA durch
die Nanopore bugsiert. Man erhofft sich von der Methode auch die direkte Unter-
suchung von modifizierten Basen, um Hinweise auf das Epitranskriptom zu sam-
meln.

16.7 Klonierung von DNA

Unter Klonierung versteht man die Produktion großer Mengen identischer Kopien
eines DNA-Moleküls.
Sie ist der erste Schritt für eine Reihe von Untersuchungen, beispielsweise:
55 Analyse von DNA-Sequenzen,
55 Veränderung der Sequenz,
392 Kapitel 16 · Methoden

55 Genkartierung,
55 Expression der Genprodukte.

Die wichtigsten Komponenten für die Klonierung sind:


55 Ein DNA-Molekül, das kloniert werden soll. Es wird auch als Insert bezeichnet,
sobald es in einen Klonierungsvektor eingesetzt wurde.
55 Ein Klonierungsvektor. Häufig verwendet man bakterielle Plasmide, die in
hoher Kopienzahl in einer Bakterienzelle vorliegen können. Andere Möglich-
keiten sind Phagen-DNA, künstliche Bakterienchromosomen (BACs), künst-
liche Hefechromosomen (YACs) oder künstliche menschliche Chromosomen
(HACs), die 10 Mb und mehr aufnehmen.
55 Eine aufnahmebereite oder kompetente Zelle. Weit verbreitet ist das Bakterium
E. coli, in das die rekombinante DNA transformiert wird.
55 Eine Reihe von Enzymen für die Arbeit mit DNA.

Die verschiedenen Klonierungsvektoren zeichnen sich durch besondere Eigen-


schaften aus:
55 Die Aufnahmekapazitäten der Klonierungsvektoren sind begrenzt und reichen
von wenigen kb bei Plasmiden bis hin zu rund 1000 kb bei YACs (. Abb. 16.8).
55 Sie tragen Selektionsmarker genannte Gene, mit denen man überprüfen kann,
ob die Übertragung der Ziel-DNA in die Zelle gelungen ist:
55 Ein Resistenzgen gegen ein Antibiotikum wie z. B. Ampicillin sorgt dafür, dass
nur (Bakterien-)Zellen mit dem Vektor auf einem antibiotikahaltigen Nähr-
boden überleben können. Bei diesen Zellen ist die Transformation gelungen.
55 Ein Indikatorgen wie lacZ zeigt den erfolgreichen Einbau der Ziel-DNA in den
Vektor an. Der Insertionsort befindet sich innerhalb des Gens. Wurde die DNA
eingefügt, ist das lacZ-Gen funktionsuntüchtig und kann nicht mehr exprimiert
werden. Das Genprodukt lacZ ist das Enzym Galactosidase, das eine Substanz
im Medium umsetzt (X-Gal) und dabei eine Farbreaktion erzeugt. Eine blau ge-
färbte Zelle besitzt also den Vektor ohne inserierte Ziel-DNA, eine farblose
Zelle trägt einen Vektor mit Ziel-DNA. Diese Prüfung bezeichnet man als
Blau-Weiß-Screening/-Selektion.

Plasmid 3 kb
Phagemid 10 kb

16 20 kb
Cosmid 50 kb
BAC 300 kb
YAC 1000 kb

..      Abb. 16.8 Klonierungsvektoren und ihre Aufnahmekapazität. (Nach Mülhardt 2013)


16.7 · Klonierung von DNA
393 16
EcoRI
SacI
KpnI
SmaI
XmaI
lacZ BamHI
MCS Sal I
Ac cI
HincII
PstI
Amp pUC19 lacI SphI
2686 bp HindIII

ORI

..      Abb. 16.9 Das Plasmid pUC19 mit seiner multiple cloning site (MCS). (Nach Mülhardt 2013)

55 In der sogenannten multiple cloning site (MCS) befinden sich viele Schnitt-
stellen für Restriktionsenzyme (. Abb. 16.9).

Die Vorgehensweise erfolgt in mehreren Schritten:


1. Vorbereitung der Ziel-DNA. Das zu klonierende DNA-Molekül muss in größe-
rer Anzahl vorliegen und geeignete Enden für den Einbau in den Vektor auf-
weisen. Diese Bedingungen können auf verschiedene Weisen erfüllt werden:
–– Das Genom mit der Ziel-DNA wird mit Restriktionsenzymen zerschnitten,
die Ziel-DNA über eine Gelelektrophorese isoliert und mit einer PCR ver-
vielfältigt.
–– Die Ziel-DNA kann auch in der PCR mit Enden versehen werden, deren Se-
quenzen den Schnittstellen von Restriktionsenzymen entsprechen. Dafür
werden beim Amplifizieren Primer mit der passenden Sequenz eingesetzt.
2. Insertion in den Vektor. Der Vektor wird mit dem gleichen Restriktionsenzym
geschnitten wie die Ziel-DNA. Gibt man diese im Überschuss hinzu, fügt sie
sich von selbst in den Vektor ein. Ligasen schließen die Lücken
(. Abb. 16.10).
3. Transformation des Vektors in die Zielzelle. Der Vektor wird in die Wirtszelle
eingeschleust. Über die Selektionsmarker lassen sich Zellen auswählen, die tat-
sächlich den Vektor mit Ziel-DNA tragen. Diese Zellen werden kultiviert und
vervielfältigen bei ihrem Wachstum die Ziel-DNA.
394 Kapitel 16 · Methoden

P
Fragment 1 P

Dephosphorylierung

P
Fragment 2 P
Ligation

P P
P P

P
P

..      Abb. 16.10 Dephosphoryliert man DNA-Fragmente vor der Ligation, kann man die Selbst-
ligation des Vektors unterdrücken. (Nach Mülhardt 2013)

16.7.1 Bibliotheken und Banken

Eine Genombibliothek, genomische Bibliothek oder Genbank besteht aus einer


Sammlung von Vektoren, in die alle DNA-Sequenzen inseriert sind, um eine be-
stimmte Fragestellung zu bearbeiten.
Man unterscheidet verschiedene Typen:
55 Eine Genombibliothek umfasst die gesamte DNA eines Organismus. Jeder Vek-
tor enthält einen Abschnitt, alle zusammen decken das komplette Genom ab.
Um die Zahl der Konstrukte zu begrenzen, wählt man dazu Vektoren wie Cos-
mide oder BACs, die deutlich größere Inserts aufnehmen können als Plasmide.
Eine Genombibliothek wird häufig als Vorbereitung auf die Sequenzierung des
Genoms angelegt.
55 Eine cDNA-Bibliothek enthält das Transkriptom einer Zelle. Dazu isoliert man
die mRNA einer Zelle oder eines Gewebes und schreibt sie mithilfe der Reversen
Transkriptase in cDNA um.

16.8 Transgene Tiere


16
Für verschiedene Zwecke werden genetisch veränderte Tiere verwendet:
55 um komplexere Zusammenhänge zu studieren,
55 als Modelle für genetisch bedingte Erkrankungen des Menschen,
55 für die Produktion von Medikamenten.
16.8 · Transgene Tiere
395 16
Die traditionelle Vorgehensweise ist wenig selektiv:
1. Das gewünschte Gen wird in einen Vektor inseriert.
2. Der Vektor wird in eine befruchtete Eizelle eingebracht. Das kann beispiels-
weise durch.
3. Mikroinjektion oder Elektroporation geschehen.
4. Der Vektor integriert sich an einem unbekannten Ort in das Genom der Eizelle.
5. Die transgene Eizelle wird in ein empfangsbereites Muttertier eingepflanzt.

Das Verfahren hat mehrere Nachteile:


55 Das Gen kann sich in ein Wirtsgen integrieren und dieses dadurch funktionslos
machen.
55 Das eingeführte Gen kann nicht zielgerichtet an- oder ausgeschaltet werden.

16.8.1 Gene-Targeting oder gezielte Genmanipulation

Den Ort des Geneinbaus kann man mit flankierenden Sequenzen für eine gezielte
Rekombination steuern. Dafür muss das gewünschte Gen an seinen Enden mit
Basenfolgen versehen werden, die homolog zu der Zielregion im Genom sind.
Auf diese Weise kann man verschiedene Typen von transgenen Tieren produzie-
ren:
55 Bei Knock-out-Organismen hat man gezielt durch den Einbau des zusätzlichen
Gens ein endogenes Zielgen ausgeschaltet.
55 Bei Knock-in-Organismen wird das zusätzliche Gen eingebaut, ohne Störungen
zu verursachen.

Die Überprüfung des Einbaus erfolgt über Selektionsmarker im eingeführten


DNA-Stück:
55 Marker für eine positive Selektion ermöglichen transgenen Zellen das Über-
leben. Beispiel: Antibiotikaresistenzgene.
55 Marker für eine negative Selektion töten als eine Art Selbstmordgen die Zelle
oder hemmen ihr Wachstum. Bei einer erfolgreichen Integration in die Ziel-
region geht der Selektionsmarker verloren, und die Zelle überlebt. Beispiel:
Toxingene.

Das Ziel von Gene-Targeting sind embryonale Stammzellen, die anschließend in


eine Blastocyste injiziert werden. Da der Embryo transgene Zellen und unver-
änderte Zellen besitzt, wächst er als Chimäre heran.
Transgene Tiere entstehen als Nachkommen jener Chimären, bei denen die
Keimzellen das zusätzliche Gen tragen.
Gene-Targeting ist bei verschiedenen Modellorganismen als Methode etabliert.
Für medizinische Forschungen sind vor allem Knock-out-Mäuse und Knock-in-­
Mäuse verbreitet.
396 Kapitel 16 · Methoden

16.8.2 Konditionale Knock-out-Mäuse

Möchte man das Gen zelltypspezifisch ausschalten, erzeugt man konditionale


Knock-out-Mäuse und nutzt dazu das Cre-loxP-System (s. 7 Abschn. 9.3.3).
Das System umfasst mehrere Komponenten:
55 Cre ist eine Rekombinase, die an bestimmten Sequenzen die DNA zerschneidet
und dadurch DNA-Abschnitte aus dem Chromosom löst.
55 loxP ist die Erkennungssequenz für Cre.

Die Vorgehensweise erstreckt sich über zwei Generationen von Versuchstieren:


1. Vorbereitung der ersten Generation. Man benötigt zwei Varianten von trans-
genen Tieren:

55 Eine Variante trägt das Cre-Gen. Es muss so in das Genom integriert sein, dass
es unter der Kontrolle eines Promotors steht, der nur in dem späteren Ziel-
gewebe aktiv wird.
55 Eine Variante trägt das Zielgen mit zusätzlichen loxP-Sequenzen an seinen
Enden. Den Einbau dieser Sequenzen bezeichnet man als „floxen“ (von flanked
by loxP).

2. Kreuzung. Unter den Nachkommen der beiden transgenen Versionen befinden


sich Individuen, die beide Veränderungen tragen. Bei ihnen kommt es im Ziel-
gewebe durch den Promotor zur Expression der Cre-Rekombinase. Das Enzym
führt an den loxP-Stellen die Rekombination durch, wodurch es das Zielgen
entfernt.

16.8.3 Knock-down

Beim Knock-down-Verfahren bleibt das Genom des Zielorganismus unverändert.


Die Genexpression wird stattdessen durch RNA-Interferenz oder Inhibitoren ver-
mindert.
Es gibt zwei Varianten:
55 Ein transienter Knock-down wirkt nur vorübergehend. Man löst ihn durch Zu-
fuhr von Reagenzien wie spezifischer RNA oder Inhibitoren aus.
55 Ein persistenter Knock-down mindert die Genexpression dauerhaft. Dazu muss
16 die Zelle einen Vektor mit dem Gen für die hemmende RNA tragen, die sie
dann selbst synthetisiert.

16.9 Genome Editing

Mit den Methoden des Genome Editing kann man gezielt DNA-Abschnitte in das
Genom einbringen, austauschen oder entfernen.
16.9 · Genome Editing
397 16
16.9.1 CRISPR/Cas9-System

Das CRISPR/Cas9-System leitet sich von einem Abwehrsystem ab, mit dem Bak-
terien gegen Fremd-DNA in Form von Phagen oder Plasmiden vorgehen.

Die natürliche Funktionsweise


Das System besteht aus zwei mehrteiligen Komponenten:
55 Der CRISPR-Locus ist ein Abschnitt auf dem bakteriellen Chromosom. Er
umfasst drei Elemente:
55 Leader enthält (1) einen Promotor für die Transkription der nachfolgenden Se-
quenzen und (2) regulatorische Elemente.
55 Repeats sind 23–55 bp lange Sequenzen, die oft palindromisch aufgebaut sind
und sich wiederholen.
55 Spacer sind 21–72 bp lange variable Sequenzen, die zwischen den einzelnen Re-
peats liegen. Sie entsprechen Abschnitten der eingedrungenen Fremd-DNA.

Hinter dem Leader wechseln sich Repeats und Spacer bis zu mehrere Hundert
Male ab. CRISPR steht für clustered regularly interspaced short palindromic re-
peats.
55 Cas steht für CRISPR-associated. Die cas-Gene liegen in der Nähe des
CRISPR-Locus. Sie codieren für Nucleasen, Helikasen, Integrasen und weitere
Proteine für die Arbeit mit DNA.

Der Mechanismus ist dreiteilig:


1. Immunisierung- oder Akquisitionsphase. Beim ersten Kontakt mit einer Fremd-
DNA integriert die Zelle Fragmente davon als Spacer hinter dem CRISPR-Lea-
der. Diese Sequenzen stellen eine Art immunologisches Gedächtnis der Zelle
dar.
2. Bearbeitungsphase. Ausgehend vom CRISPR-Locus werden spezifische
RNA-Moleküle für die verschiedenen Fremd-DNA-Fragmente hergestellt:
(a) Von dem Promotor im Leader ausgehend, transkribiert die Zelle den ge-
samten Locus als durchgehende Vorläufer-RNA oder Prä-crRNA.
(b) Cas-Proteine prozessieren die Prä-crRNA und schneiden einzelne crRNAs
heraus, die komplementäre Abschnitte zu ihrer jeweiligen Fremd-DNA ent-
halten.
(c) Zusammen mit der Nuclease Cas9 bildet jede crRNA einen Effektor-
komplex.
3. Interferenzphase. Gelangt eine bekannte Fremd-DNA erneut in die Zelle, wird
sie vom passenden Effektorkomplex erkannt, gebunden und zerschnitten.

Die Anwendung in der Gentechnologie


Für das Genome Editing nutzt man die hohe Spezifität des Systems und seine enzy-
matische Aktivität:
398 Kapitel 16 · Methoden

1. Als einzelsträngige Leit-RNAs (sgRNAs, singlestranded guide RNAs) konstru-


iert man crRNA-Moleküle, bei denen die Spacer-Sequenz durch eine RNA-­
Sequenz ersetzt ist, die passend zur Zielsequenz im Genom ist.
2. Die maßgeschneiderte crRNA wird mit Cas9 kombiniert.
3. In der Zelle erkennt die RNA die Zielsequenz, und Cas9 durchschneidet beide
DNA-Stränge nahe der Bindestelle. Die Nuclease führt Doppelstrangbrüche
aus.

Nach dem Schnitt der DNA gibt es zwei mögliche Reparaturwege und damit zwei
verschiedene Ergebnisse:
55 Die Zelle repariert die Doppelstrangbrüche mithilfe des NHEJ (nonhomologous
end joining). Da diese Reparatur fehlerhaft abläuft, kommt es zu Mutationen.
55 Man bietet der Zelle eine vorbereitete Sequenz mit entsprechenden homologen
Enden an.
55 Die Zelle repariert die Brüche nun über HDR (homology directed repair), einen
Weg der homologen Rekombinationsreparatur, und baut somit die vorbereitete
Sequenz ein.

Gegenüber dem Genome Editing mithilfe von Zinkfingernucleasen oder TALENs


ist das System billiger, und die Zielsequenzen sind einfacher zu erstellen.

16.9.2 TALEN (Transcription activator-like effector nucleases)

Transcription activator-like effector nucleases (TALENs) sind künstliche Fusions-


proteine mit zwei funktionellen Domänen:
55 Die Tal-Effector-Domäne erkennt Nucleotidsequenzen der DNA und ist für
die spezifische Bindung des Proteins verantwortlich.
55 Die Endonucleasedomäne führt einen unspezifischen Doppelstrangbruch in die
gebundene DNA ein.

Nach dem Schnitt der DNA gibt es wie beim CRISPR/Cas9-Mechanismus eben-
falls zwei verschiedene Wege und Ergebnisse:
55 Nach der NHEJ ist das Gen unterbrochen.
55 Gibt man ein vorbereitetes DNA-Molekül mit passenden Enden hinzu, baut
die Zelle es per HDR an der Schnittstelle in die eigene DNA ein.
16
16.10 Modellorganismen

Modellorganismen sind Spezies, an denen ein Großteil der genetischen Forschung


durchgeführt wird, die z. B. beim Menschen nicht durchführbar ist oder wofür der
Mensch zu komplex ist.
16.10 · Modellorganismen
399 16
16.10.1 Kriterien für Modellorganismen

Geeignete Arten müssen einige Kriterien erfüllen:


55 Sie sind leicht zu untersuchen.
55 Die Generationszeit ist kurz, die Organismen vermehren sich schnell.
55 Sie sind leicht zu kultivieren oder zu pflegen, kostengünstig und anspruchslos.
55 Sie benötigen wenig Platz im Labor oder auf der Freifläche.
55 Sie erlauben Kreuzungen und erzeugen viele Nachkommen.
55 Man kennt viele verschiedene Mutanten, die man an ihren unterschiedlichen
Phänotypen unterscheiden kann.

Dank der umfangreichen Sequenzierungen von Genomen in den vergangenen


Jahrzehnten stehen für Modellorganismen in Datenbanken zahlreiche Informatio-
nen abrufbar zur Verfügung. Für die Maus stellen beispielsweise das Jackson-­
Labor oder das Europäische Mausmutanten-Archiv Material bereit.
Für die Nomenklatur der Gene gelten Richtlinien. Hier folgen nur Kernpunkte,
da die Regeln für die einzelnen Organismen in Detailfragen sehr umfangreich sind.
55 Die Namen von Genen schreibt man kursiv, die Bezeichnungen von Proteinen in
Normalschrift mit großem Anfangsbuchstaben.
55 Die Groß- und Kleinschreibung der Namen von Genen hängt vom Organismus ab:
–– Gene von Prokaryoten schreibt man mit drei kleinen Buchstaben, die oft
einen Hinweis auf die Funktion geben. Tragen mehrere Gene den gleichen
Namen, sorgt ein angehängter Großbuchstabe für die Unterscheidung.
–– Beispiel: Die lac-Gene codieren Proteine für den Lactoseabbau. Unter ihnen
trägt lacZ die Informationen für das Enzym β-Galactosidase oder LacZ.
–– Für Gene höherer Tiere und des Menschen verwendet man auch nur zwei
oder mehr als drei Buchstaben. Mitglieder einer Genfamilie erhalten eine
Nummer hinter den Buchstaben. Beispiel: Pax3.
–– Gene von Drosophila erhalten ihre Bezeichnung häufig nach dem Aussehen
des Mutantenphänotypen. Beispiel: white für weiße Augen.
–– Hefegene schreibt man klein, wenn sie rezessiv sind, oder bei dominanten
Genen durchgehend groß. Ein hochgestelltes „+“ hinter dem Namen kenn-
zeichnet den Wildtyp.
–– Bei Genen von Arabidopsis schreibt man die Wildtypallele groß, mutierte Al-
lele klein. Ein zusätzliches „d“ markiert eine dominante Mutation.
–– Mausgene schreibt man mit großem Anfangsbuchstaben.
–– Menschgene schreibt man durchgehend groß.
–– Grundsätzlich sollten orthologe Gene bei Vertebraten die gleiche Be-
zeichnung erhalten. Beispiel: SHH beim Menschen ist homolog zu Shh bei
Maus und Ratte sowie shh beim „Zebrafisch“, Danio rerio.
–– Im Folgenden beziehen sich die Zahlen auf proteincodierende Gene.
400 Kapitel 16 · Methoden

16.10.2 Escherichia coli

Escherichia coli ist ein Darmbakterium und gehört zu den Enterobacteriaceae. Von
E. coli kennt man zahlreiche Stämme, der bekannteste ist E. coli K12. Einige
Stämme sind pathogen.
E. coli verfügt über 4000 bis mehr als 5000 Gene. Die genaue Zahl ist jeweils
von dem Stamm abhängig.
E. coli ist mit großem Abstand das am häufigsten eingesetzte Bakterium in der
Genetik. Die Arbeit mit ihm hat weitreichende Erkenntnisse auf allen Gebieten ge-
bracht unter anderem aus den Gebieten zur Genom- und Genorganisation, Repli-
kation, Transkription, Translation, Expression, Mutationsanalyse, Rekombination,
Reparatur, horizontaler Gentransfer etc.

Vorteile von E. coli:


55 E. coli ist anspruchslos, wächst prototroph und kann leicht unter aeroben Be-
dingungen in einem Minimalmedium kultiviert werden, das nur eine Kohlen-
stoffquelle und Nährsalze beinhaltet.
55 Die Bakterien vermehren sich schnell. Unter optimalen Bedingungen teilen sich
die Zellen alle 20 min.
55 E. coli wird in der Genetik auch als Werkzeug für Untersuchungen an Genen
anderer Organismen genutzt:
–– Es ist der Standardwirt für Arbeiten mit rekombinanter DNA.
–– Plasmide von E. coli dienen als Vektoren bei Klonierungen.

16.10.3 Bäcker- oder Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae)

Die Bäckerhefe oder Bierhefe, Saccharomyces cerevisiae, zählt zu den Echten


Hefen. Die Zellen sind rund bis oval. Der Lebenszyklus der Hefe umfasst eine ein-
zellige diploide und eine haploide Phase. Die vier Zellen einer Meiose bleiben in
einem Ascus zusammen (Ascosporen). Ihre Untersuchung ist als Tetradenanalyse
bekannt.
Die Bäckerhefe besitzt etwa 6000 Gene. In ihnen sind wenige repetitive Sequen-
zen und Introns zu finden. Rund 5 % der Gene enthalten Introns.
Die Bäckerhefe ist einer der ältesten Mikroorganismen, den die Menschheit in
der Nahrungsmittelproduktion nutzt, beispielsweise zur Produktion von Bier, Teig
16 und Wein.
S. cerevisiae stellt den einfachsten eukaryotischen Modellorganismus dar. An
der Bäckerhefe wurden Erkenntnisse zu verschiedenen Themen gewonnen wie zum
Zellzyklus, zu Meiose, Rekombination, DNA-Reparatur, Apoptose und zur Unter-
suchung des Alterns.
Methodenwerkzeuge, die der Bäckerhefe entstammen, sind die künstlichen
Hefechromosomen YACs zur Klonierung oder das two-hybrid-System.
16.10 · Modellorganismen
401 16
Vorteile von S. cerevisiae:
55 Die Bäckerhefe ist recht anspruchslos und leicht zu kultivieren. Sie wächst
aerob, kann aber unter anaeroben Bedingungen leben.
55 S. cerevisiae dient als Instrument für genetische Untersuchungen. Künstliche
Hefechromosomen mit Centromer und Telomer (yeast artificial chromosome,
YAC) dienen als Klonierungsvektoren, um deutlich größere Fragmente zu klo-
nieren, als es bakterielle Plasmide erlauben.

16.10.4 Taufliege (Drosophila melanogaster)

Die englische Bezeichnung für Drosophila melanogaster ist fruit fly, auf Deutsch
heißt sie Taufliege, wird aber häufig auch Fruchtfliege genannt. Die Fliege ist
2–3 mm lang und hat im Wildtyp charakteristische rote Augen.
Die Taufliege besitzt etwa 13.500 Gene.
An der Taufliege wurden Erkenntnisse auf mehreren Gebieten gewonnen, dar-
unter zu Mutanten und Mutationen, Kopplung von Genen, Kartierung von Genen,
Epistase, Geschlechtschromosomen, Verhaltens- und Entwicklungsgenetik.

Vorteile von D. melanogaster:


55 Taufliegen vermehren sich schnell und in großen Mengen. Die Generationszeit
beträgt nur zehn Tage, Weibchen legen rund 400 Eier.
55 Die Fliege besitzt ein kleines Genom von drei Autosomenpaaren und einem
Geschlechtschromosomenpaar.
55 Klassische Mutanten zeichnen sich aus durch veränderte Augenfarben, Flügel-
sowie Körperformen und sind daher leicht identifizierbar.
55 Das P-Element, ein Transposon, nutzt man als methodisches Werkzeug zur
Mutagenese.

16.10.5 Caenorhabditis elegans

Caenorhabditis elegans gehört zu den Fadenwürmern oder Nematoden. Das adulte


Tier ist etwa 1 mm lang. Sein Lebensraum sind Böden. Der Lebenszyklus beginnt
nach der Eiablage mit der Embryonalentwicklung von etwa 12–14 h, daran schlie-
ßen sich vier Larvenstadien an, die 7–12 h dauern. Unter Laborbedingungen lebt
der Wurm zwei bis drei Wochen.
C. elegans besitzt rund 18.500 Gene.
An dem Fadenwurm wurden unter anderem Erkenntnisse zur Entwicklungs-
genetik, Genetik des Alterns, Apoptose und Verhaltensgenetik gewonnen.
402 Kapitel 16 · Methoden

Vorteile von C. elegans:


55 C. elegans ernährt sich von Bakterien und ist daher ebenfalls recht leicht im
Labor zu halten.
55 Die Zahl der somatischen Zellen ist exakt festgelegt und konstant: Beim Zwit-
ter sind es 959 Zellen, beim Männchen 1031. Die Zahl der Keimzellen variiert
jedoch. Man kennt das Zellschicksal so genau, dass man die einzelnen Zellen in
eine Abstammung oder Genealogie einordnen kann.
55 Die Ei- und Wurmhülle sind transparent, sodass sich die Vorgänge an den Zel-
len gut beobachten lassen.

16.10.6 Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana)

Die Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana, ist der wichtigste pflanzliche Modell-


organismus. Sie rückte in den Fokus der Forschung, nachdem in den frühen
1980er-Jahren detaillierte genetische Karten erstellt worden waren. Die Pflanze ge-
hört zur Familie der Kreuzblütler. Sie ist von Portugal und Nordafrika bis nach
Ostasien verbreitet.
Die Ackerschmalwand verfügt über mehr als 27.000 Gene.
Die Arbeiten mit A. thaliana lieferten Erkenntnisse zu den pflanzenspezifischen
Fragen nach der Blütenbildung, der pflanzlichen Genomorganisation, Entwicklung
und Genregulation.

Vorteile von A. thaliana:


55 Bei der Ackerschmalwand sind Selbst- und Kreuzbefruchtung möglich.
55 Die Generationszeit ist kurz (Blüte nach der Aussaat: 8 bis 12 Wochen), die Re-
produktionsrate hoch. Eine Pflanze produziert mehrere Tausend Samen, die mit
hoher Quote auskeimen.
55 Über das Ti-Plasmid aus Agrobacterium tumefaciens kann man Fremdgene in
den Modellorganismus einschleusen und untersuchen.
55 Es gibt natürliche Mutanten. Künstliche Mutationen sind leicht zu erzeugen.

16.10.7 Zebrabärbling oder Zebrafisch (Danio rerio)

Der Zebrabärbling, Danio rerio, wird im Laborsprachgebrauch auch als Zebrafisch


16 bezeichnet (zebrafish ist auch die gängige englische Bezeichnung). Er gehört zu den
Knochenfischen und ist insbesondere für die Entwicklungsgenetik ein beliebter
Modellorganismus geworden. Seine Lebensdauer beträgt zwei bis vier Jahre.
Danio rerio besitzt etwa 26.000 Gene.
D. rerio liefert besonders Ergebnisse zur Entwicklungs- und Verhaltensgenetik
sowie zu Krankheiten des Menschen.
16.10 · Modellorganismen
403 16
Vorteile von D. rerio:
55 In Aquarien ist D. rerio recht leicht zu halten. Die Zucht gelingt problemlos.
55 Für ein Wirbeltier ist die Zahl der Nachkommen recht hoch. Ein Weibchen legt
mehr als 200 Eier ab.
55 Die Embryonen sind transparent und recht groß. Sie entwickeln sich außerhalb
der Mutter.
55 Die Embryonalentwicklung verläuft schnell: Schon nach 24 h sind in der
Embryonalentwicklung Organe erkennbar. Die Larve schlüpft nach zwei Tagen.
Nach drei bis vier Monaten sind die Tiere geschlechtsreif.
55 Die Embryonen lassen sich relativ leicht manipulieren.
55 Wichtige Organe können nachwachsen.

16.10.8 Hausmaus (Mus musculus)

Die Maus ist dem Menschen genetisch, biochemisch, physiologisch und etho-
logisch sehr ähnlich. Sie wird daher häufig zu Forschungen in der Humanbiologie
und Humanmedizin verwendet, beispielsweise bei Untersuchungen zu X-­
Inaktivierung, Krankheiten, Immungenetik, Verhaltensgenetik und Krebs. Die
diabetes-Maus, eine rezessive Mutante mit einer Mutation im Gen für den Lep-
tin-Rezeptor, dient beispielsweise als Modell für die Fettleibigkeit beim Menschen.
Die Maus besitzt etwa 25.000 Gene.

Vorteile der Maus


55 Die Maus ist klein und reproduktionsfreudig. Ein Wurf umfasst acht bis zehn
Jungtiere.
55 Die Generationszeit ist kurz. Von der Befruchtung bis zum geschlechtsreifen
Tier vergehen etwa neun Wochen, die Schwangerschaft dauert 21 Tage.
55 Es gibt zahlreiche Linien transgener Mäuse sowie Knock-out- und Knock-in-­
Mäuse.
55 Die ethische Hemmschwelle, in den Reproduktionszyklus einzugreifen und ihn
zu beeinflussen, ist geringer als beim Menschen.
55 Die Inzucht von Geschwistertieren ist möglich.
405

Serviceteil
Stichwortverzeichnis – 407

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023


O. G. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, Kompaktwissen Biologie,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66947-1
407 A

Stichwortverzeichnis

A Alignment 363
Alkylgruppe 284
Abbau von Proteinen 134
Alkylierung 284
ABC-System 343
Alkyltransferase 284
Abelson-Leukämie-Virus 322
Allel 296, 299, 364
Aberration
–– dominantes 190
–– numerische 267
–– Frequenz 216
–– strukturelle 270
–– Häufigkeit 216
Abl-Gen 322
–– homozygotes 297
Abort, habitueller 270
–– rezessives 190
Abschnitte, untranslatierte (UTR, untranslated
–– Vorkommen 215
region) 76
Allelausschluss 331
Absorption 12
Allolactose 145
AB0-System 217
Alphastrahlung 262
Ac (activator) 237
Altersdiabetes 314
Ac/Ds-System 237
Alterung-Syndrom 284
Acetylgruppe 133
Alu-Element 41, 240
Acetylierung 178, 181
Alzheimer-Demenz 313
Acetylrest 28
σ-Amanitin 86
Achondroplasie 297, 302
Ameisen 210
Achse 336
Ames-Test 260
–– anterior-posteriore 336, 337, 339
Aminoacyl-AMP 117
–– dorso-ventrale 336, 337, 339
Aminoacylstelle 119
Ackerschmalwand 402
Aminoacyl-tRNA-Synthetase 112, 117
Acridinfarbstoff 263
Aminosäure, proteinogene 112
Actin 197
Amniocentese 308
Acylierung 133
Ampicillin 236
Adaptermolekül Grb2 164
Amplifikation 381, 390
Adaptor 390
Anämie 271
Adenin 6
Anaphase
Adenosin 7
–– I 196
Adenosindesaminase 102
–– II 197
Adenosine desaminase acting on RNA
Anbindungs-Element 162
(ADAR) 102
Androgeninsensitivität 167
Adenosinphosphosulfat (APS) 389
Androgeninsensitivitätssyndrom 215
Adenylat-Cyclase 146, 164
Androgenitales Syndrom (AGS) 298
Adrenalin 166
Androgenresistenz 167, 215
Aflatoxine 264
Androgenrezeptor 167, 214
A-Form 11
Aneuploidie 277
agamous-Gen 343
–– beim Menschen 277
Agarosegel 384
Angelman-Syndrom 304
Ago-Protein 171
Anheftungsprotein 249
Agrobacterium tumefaciens 19, 402
Annealing 12, 381
AICDA 331
Annotation 205
AID 331
Annotierung 205, 363
Akquisitionsphase 397
Anomalie, strukturelle 267, 270
Aktivator 88, 139, 144, 159, 254
Antibiotika 19, 83, 120, 236
Akzeptorarm 116
Anticodon 112
Akzeptorstelle 98
Anticodonschleife 116
Albinismus Typ OCA 1–4, 297
408 Stichwortverzeichnis

Antikörper 227, 327 Autosom 277, 294


–– IgA 327 Azoospermie 214
–– IgD 327 Azoospermiefaktor 214
–– IgE 327
–– IgG 327
–– IgM 327 B
–– Struktur 328 Bacillus subtilis 150
Antikörperklasse 328 Backtracking 91
Antikörperspezifität 328 Bakterien
Antikörpervielfalt 329 –– endosymbiontische 207
Anti-Müller-Hormon (AMH) 215 –– Gram-positive 247
Antiparallel 11 Bakterienchromosom 19
Antirepressor 148, 159 –– künstliches 360, 392
Antirrhinum majus 343 Bakteriophagen 44, 68
Antiterminator 93 Bänderung 31
Antizipation 302 Banken 394
Antwortregulator 144 Barr-Körperchen 211
Apoliporotein B 103 Basen 6
Apoptose 64, 166, 344 –– komplementär 10
Apoptosekörperchen 345 Basenanalogon 263
AP-Stelle Basenexzisionsreparatur (BER) 284
–– apurinische 263 Basenpaare (bp) 8
–– apyrimidinische 263 Basentriplett 112
Apyrase 389 Bastarde 201
Äquationsteilung 192 Bazillen 138
Äquatorialebene 196 B-Chromosom 36
Arabidopsis 342 BCR-ABL-Gen 274
Arabidopsis thaliana 33, 402 BDP1 162
Architektur-Protein 159 Bearbeitungsphase 397
AR-Gen 167, 214 Begleit-oder Passagierstrang 171
Argonautenprotein 170 Beratung, humangenetische 294
Artemis 290 Beta-Galactosidase 144
Arthrobacter luteus 41 Betastrahlung 262
Aspergillus 208 B-Form 11
Aspergillus flavus 264 Bibliotheken 394
Assoziationsstudie 311 bicoid-Gen 339
–– genomweite 311, 365 Bienen 210, 277
ATP-Sulfurylase 389 Bienengift 132
attB 232 Bindung, N-glykosidische 7
Attenuation 147 Biotin 133
Attenuator 147 Biotinylierung 133
attL 232 Bivalente 192, 196
attP 232 Blastocyste 395
attR 232 Blastoderm 337, 339
Aufspaltungsverhältnis 203 Blastula 346
Augenfarbe 211 Blau-Weiß-Screening 392
Ausschluss, gegenseitiger 100 Bloom-Syndrom 284
Autismusstörung 366 Blotting 386
Autoimmunerkrankung 315 Blühinduktion 343
Autonomously replicating sequence Blütenentwicklung 342
(ARS oder ARS-Element) 52, 56 Blutgruppe 190
Autophagie 345 Bluthochdruck 375
Autophagocytose 345 B-Lymphocyten 327
409 A–C
Stichwortverzeichnis

Bodenbakterien 138 Chaperonine 130


Bonellia viridis 209 Chargaff-Regeln 9
Botenstoff CHD 28
–– primärer 163 Checkpoint 65, 292
–– sekundärer 164 Chemotherapie 200
B-Plasmazellen 328 Chiasma 196
Branch migration 222 Chiasmainterferenz 205
BRCA1-Gen 292, 321 Chi-Konformation 222
BRCA2-Gen 292, 321 Chimäre 301, 302, 395
BRE 89 Chi-Motiv 224
BREd (downstream) 87 Chi-Quadrat-Test 204
BREu (upstream) 87 Chloroplasten 43
BRF1/2 162 Chordocentese 308
5-Bromuracil 263 Chorea Huntington 265
Brustkrebs 292 Chorionbiopsie 307
Burkitt-Lymphom 322 Chorionzottenbiopsie (Chorionbiopsie) 307
Christmas-Faktor 299
Chromatid 194
C Chromatin 26, 140, 342
C21-Hydroxylase 298 –– Remodeling 177, 342
Caenorhabditis elegans 401 Chromatinimmunpräzipitation (ChIP) 372
CALCA-Gen 101 –– ChIP-Chip 373
Calcitonin 101 –– ChIP-Seq 372
Calciumion 164 Chromatinmodulator 159
Calpain 10 314 Chromatin-Remodeling 28
cAMP 145, 164, 166 Chromatografie 371
–– response element (CER) 166 –– Säulen-380
–– Response-Element (CRE) 88 Chromosom 392
CAP (catabolite activator protein) 77, 145 –– akrozentrisches 36, 273
Cap-Bindungskomplex 127 –– B-Chromosom 36
Capping 95 –– Geschlechtschromosom 211
Capsid 251, 253 –– Größe 18
Cap-Struktur 168 –– holokinetisches 36
Carboxyterminale Domäne 90, 95, 133 –– holozentrisches 36
CA-Repeats 310 –– homologes 195, 266
Carter-Effekt 305 –– künstliches 360, 392
Cas3-Nuclease 153 –– Lampenbürstenchromosom 37
Cas6-Nuclease 153 –– metazentrisches 36
Cas9-Nuclease 153 –– Mikrochromosom 36
cas-Gen 152, 397 –– Minichromosom 36
Caspase 345 –– Polytänchromosom 37
Catenane 60 –– X 211, 277, 294
CBP 166 –– Y 211, 277, 294
Cdc6 56 Chromosomenanalyse 36
cDNA-Bibliothek 394 Chromosomendimer 233
Cdt1 57 Chromosomenmutation 267, 270
CENP 33 Chromosomensatz
Centimorgan 205 –– diploider 25
Centriolen 197 –– haploider 25
Centromer 33, 56, 197, 271 –– polyploider 25
Cetyltrimethylammoniumbromid 379 CII-Protein 254
CFTR-Gen 298 Ciliaten 61
cGMP 164 cis-Elemente 78, 159, 162
Chaperone 130, 132 CL-1-Gen 166
410 Stichwortverzeichnis

Cluster 341 Cyclin-CDK-Proteinkomplex 199


Clusteramplifikation 390 Cycline 66
CMG-Helikase-Komplex 67 Cyclobutandimer 261
Coaktivator 81, 90, 141, 144, 159, 349 Cyclobutyldimer 261
–– CBP 166 Cystische Fibrose 298
Cochaperone 130 Cytidin 7
Cockayne-Syndrom 90, 92 Cytidin-Desaminase, aktivierungs-
Code, genetischer 112 induzierte 331
–– degenerierter 114 Cytoglobin 40, 157
–– Eigenschaften 114 Cytokine 165
–– redundanter 114 Cytosin 6
Codesonne 114
Codon 112
–– Bias 114 D
–– Usage 114
Codonverwendung 114 Dam-Methylase 65
Cofaktor 90, 159 Danio rerio 402
Cohesin 197 Darmbakterium 138
Colchicin 36 Dcl1-Enzym 172
Compound-Heterozygotie 298, 318 DDK (Dbf4-dependent kinase) 67
Consensussequenz 83, 98, 123, 127 decapentaplegic (dpp) 339
Contig 360, 362 deficiens-Gen 343
Core-Enzym 83 Degradation 134
Core-Histone 27 Degradosom 104
Corepressor 144, 159 Degrees of freedom 204
Corepressoren 81 Degron 134
Core-Promotor 84, 86, 87 Deletion 158, 231, 267, 268, 270, 271,
Cortisol 345 317, 365
cos-sites 253 –– innere 271
coverage 362 –– interstitielle 271
CpG-Insel 182 –– terminale 271
CREB 166 Denaturierung 12
CREB-Protein 142 Denys-Drash-Syndrom 215
CREB-Signalweg 166 Deoxyribonucleic acid 2
C-Region 328 Depression 311, 313
Cre-loxP-System 232, 396 Desaminierung 95, 102, 263, 284
Cre-Rekombinase 233 Desoxyribopyrimidin-Photolyase 284
Cri-du-chat-Syndrom 271 2′-Desoxyribose 5
CRISPR associated genes 152 Determination 338
CRISPR/Cas9-System 397 Determinierung 346
CRISPR/Cas-System 151 Diabetes 311
Cro 254 –– Formen 314
Cro-Protein 148 –– mellitus 313
Crossing over 192, 196, 204, 213, 227, 266 –– MODY 315
–– ungleiches 158 –– Typ I 314
Cross-linking 372 –– Typ II 314
Crosstalk 166, 182 Diagnostik 360
CRP (cAMP receptor protein) 145 –– pränatale 32
CSB 92 Diakinese 196
CTAB (Cetyltrimethylammoniumbromid) 379 Diaster 197
CTCF 88 Dicer 171
Cut and paste 236 Dickdarmkrebs 317
C-Wert 25, 194 –– erblicher, ohne Polyposis 284
C-Wert-Paradox 25 Didesoxymethode 387
Cycler 381 Differenzierung 321, 338, 346
411 C–E
Stichwortverzeichnis

dif-Motiv 233 DnaC 55


Dihydrouridin 95, 116 DNA-Elemente
Dimer, TT-Dimer 261 –– cis-regulatorische 162
dinB-Gen 291 –– regulatorische 139
Diphthamid 128 DnaG 55
Diphtherietoxin 128 DnaJ 130
Diploidie 210 DnaK 130
Diplonten 193 DNA-RNA-Hybridisierung 13
Diplotän 196 DNase 345
Direct Repeats 236 DNA-Sequenzierung 387
Displacement 70 Dolly 348
DksA (DnaK suppressor A) 150 Domäne 141, 170
DNA 2 Donor 246
–– alphoide 33, 41 Donorstelle 98
–– Chemie 5 Doppelhelix
–– Chip 365, 366 –– linksgängige 11
–– Chloroplasten-DNA (cpDNA) 26 –– rechtsgängige 10
–– cpDNA 43 Doppelhelixmodell 9
–– ctDNA 43 Doppelstrangbruch 228, 233, 288, 398
–– Elemente 78 Doppelstrangbruchmodell 223
–– extragene 38 Dosiskompensation 210
–– generelles oder unspezifisches Binde- doublesex 211
protein 20 Downstream promotor element (DPE) 87
–– hemimethylierte 65 Down-Syndrom 276, 279
–– heteroduplexe 222 DPE 89
–– intragene 38 D-Region 328
–– junk-oder Müll-DNA 38 Drei-Faktor-Kreuzung 205
–– Kerngenom (ncDNA) 26 Drift, genetische 215
–– Klonierung 391 Drosha 172
–– Ligase 58 Drosophila
–– Ligase-I-Defizienz 59 –– Entwicklung 337
–– Methylierung 182 –– melanogaster 401
–– Methyltransferasen (DNMT) 182 Drumsticks 211
–– Microarray 368 Ds (dissociation) 237
–– mitochondriale (mtDNA) 26, 42 D-Schleife 70, 116, 222
–– nichtcodierende 22 ds-DNA-Viren 68
–– Phagen 231 ds-RNA-Viren 69
–– Plasmid 236 DsxF-Protein 211
–– Plastiden-DNA (ptDNA) 26 DsxM-Protein 211
–– Polymerase 51, 58, 381 Duplikation 235, 270, 272
–– α 59 Dynein 197
–– β 229 Dystrophin 239
–– δ 59
–– promiske 43
–– promiskuitive 43
–– ptDNA 43
E
–– Rearrangment 329 Ecdyson 167
–– selfish 134 Edwards-Syndrom 279
–– Struktur 9 EF-1A 123
–– Transposon 235 EF-1B 123
DnaA 55, 64 EF-2 123
DnaA-Box 54, 64 Effektorkomplex 397
DnaB 55 EF-G 123
DnaB-Helikase 60 EF-Ts 123
DNA-Brüche 288 EF-Tu 123
412 Stichwortverzeichnis

Einzelnucleotidpolymorphismus 310, 358, 364 –– Kennzeichen 294


Einzelnucleotidvarianten 364 –– mendelnder 294
Einzelstrangbindeprotein 55 –– mitochondrialer 300
Einzelstrangbruch 222, 288 –– X-gekoppelter dominanter 299
Eizelle 198, 301 –– X-gekoppelter rezessiver 298
–– transgene 395 –– Y-gekoppelter 300
Elektroporation 395 Erbkrankheit
Element –– autosomal-rezessive 297
–– autoregulatorisches 1 (AE1) 162 –– Behandlung 323
–– cis-regulatorisches 157 –– Diagnostik 360
–– mobiles 41 –– Häufigkeit 296
–– repetitives 40 –– X-gekoppelte dominante 299
Elongation 49, 128, 381 –– X-gekoppelte rezessive 298
Elongationsfaktoren 91, 126, 128 Erk 165
–– eEF1A 128 Erkrankung
–– eEF1B 128 –– komplexe 311, 313
–– eEF2 128 –– multifaktorielle 313
–– TFS 92 –– neurodegenerative 265
Elongationskomplex 91 –– polygene 313
Elongin C 92 Erkrankungsrisiko 296, 297
Elterngeneration 200 eRNA 169
Elution 380 Erythromycin 120
Embryo 337 Escherichia coli 400
Embryoblast 346 Ethidiumbromid 263, 384
Embryogenese 336 Ethylmethansulfonat 263
Embryonalentwicklung 346 Euchromatin 30, 56
Embryonalperiode 336 Eukaryoten 5
Empfänger 246, 257 Euploidie 276
3′-Ende 8 even-skipped-Mutant 340
5′-Ende 8 Evolution 217, 235, 272, 374
Enden –– des Menschen 375
–– kohäsive 253 Exitstelle 119
–– nichthomologen Verknüpfung 290 Exo 105
Endomitose 63 Exon 38, 96
Endospore 150, 263 –– shuffling 272
Endosymbiontentheorie 41 –– skipping 100
End-zu-End-Verknüpfung, nichthomologe Exonuclease 58
(NHEJ) 330 5′-3′-Exonucleaseaktivität 57
Enhancer 79, 88, 162 5′-3′-Exonucleasefunktion 58
–– Super-Enhancer 88 3′-5′-Exonucleasen 264
Enolform 263, 264 Exosom 105
Entspiralisierung 197 Expressed sequence tags (ESTs) 370
Entwicklungsgene 342 Expressionsvektor 383
Entzündungsreaktion 326, 345 Expressivität 190, 302
env 132, 242 Extein 129, 134
Epigenetik 176 Extraktion 380
Epigenom 176, 367 Exzision 230, 232, 248, 255
Episom 23
Epistase 206
Epstein-Barr-Virus 322
F
Erbfaktoren 200 Facilitates chromatin transcription 92
Erbgang FACT 92
–– autosomal-dominanter 296 Faktor
–– autosomal-rezessiver 297 –– CSB 92
–– intermediärer 190, 201 –– eIF2 127, 168
413 E–G
Stichwortverzeichnis

–– eIF4 127 Fragmentlängenpolymorphismus 309


–– eIF4G 127, 168 Frameshift 263
–– eIF5 127 Frameshift-Mutation 268
–– eRF1 129 Freisetzungsfaktoren 125
–– eRF3 129 Friedreich-Ataxie 265
–– hodenbestimmender 214 Fruchtfliege 401
–– IX 299 Fruchtwasseruntersuchung 308
–– TBP-assoziierter 89 FtsK-Protein 233
–– VIII 299 FtsY 133
–– σ70 149 Funktionsgewinn 265
Färbemethode 31 Funktionsgewinnmutation (gain of function
Fas-Ligand 345 mutation) 269
Fehlbildungen 214, 270 Funktionsverlust 265
–– des Gesichts 305 Funktionsverlustmutation (loss of function
–– des Hüftgelenks 305 mutation) 269
Fehler Furche 11, 141
–– bei der Replikation 264 Furchungsteilung 336
–– bei Meiose 266 fushi tarazu (ftz) 162, 340
–– Replikationen und Krankheiten 265 Fusionsprotein 274
–– Sequenzierung 362 F+-Zellen 247
–– Zellteilungen 199
Fehlgeburt 270
Fehlpaarungsreparatur 287 G
Fellfarbe 206 gag 132, 242
Feminisierung 215 Galactosidase 392
FEN1 59 Gameten 198
Fertilitätsfaktor 247 Gametogenese 198
Fettleibigkeit 375 Gametophyt 193
Fettsäure 133 Gammastrahlung 261, 262
F8-Gen 239 Gapgene 340
Fibroblastenwachstumsfaktor-Rezeptor-3-Gen G-Bänderung 31
(FGFR3-Gen) 297 GC-Gehalt 12
Filialgeneration 200 Gegensinnstrang 78
–– erste (F1) 200 Gegenstrang 49
–– zweite (F2) 201 Gelelektrophorese 384
Fingerabdruck, genetischer 309 –– Größenmarker 385
Fis 20 –– Polyacrylamid 385
Fis (factor for inversion stimulation) 234 –– Polyacrylamidgelelektrophorese 370
FIS-Bindungsstelle 84 –– Pulsfeld-385
Fliegen, transgene 238 –– 2D 371
Fluktuationstest 282 Gene
Fluoreszenzfarbstoff 360, 368 –– Anzahl 18, 25, 400, 401
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung –– bicoid 339
(FISH) 32, 360 –– cactus 339
fMet-tRNAfMet 122 –– Definition 2
FMR1-Gen 265 –– dorsal 339
Folgestrang 53 –– entwicklungsspezifische 32
–– diskontinuierliche Synthese 53 –– frühe 253
Forkhead-Box 342 –– gekoppelte 162
Form, tautomere 264 –– gewebespezifische 32
F-Pilus 249 –– homologe 374
F-Plasmid 247, 248 –– homöotische 141, 338, 341
Fragiles-X-assoziiertes Tremor-/Ataxiesyndrom –– Housekeeping (Haushaltsgene) 32
(FXTAS) 265 –– Indikatoren 392
Fragiles-X-Syndrom 265 –– letale 206
414 Stichwortverzeichnis

Gene (Fort.) –– funktionelle 356, 367


–– maternale (mütterliche) 337, 338 –– komparative 374
–– modifizierende 206 –– strukturelle 356
–– nanos 339 –– vergleichende 356
–– Nomenklatur 399 Genommutation 267
–– Organisation 22 –– Pflanzen 277
–– orthologe 40, 374 –– Tiere 277
–– paraloge 40, 374 Genomsequenzierung 205
–– Regulation 159 Genomwächter 318
–– regulatorische 139 Genort 190
–– Resistenzgen 392 Genotyp 189, 200
–– Selbstmordgen 395 Genotypisierung 365
–– Sexgen 211 Genpool 215
–– späte 253 Gentherapie, somatische 323
–– 5S-rRNA-Gene 40 Gentransfer, horizontaler 246
–– toll 339 Gerinnungsfaktor 239
–– tRNA-Gene 94 Gerste (Hordeum) 277
–– Zuordnung 305 Geschlecht 214
–– zygotische 337, 338, 340 Geschlechtsausbildung 208
Genealogie 402 Geschlechtsbestimmung 208
Gene-Related Peptide (CGRP) 101 –– Drosophila 210
Gene-Targeting 395 –– genotypische 209
Genexpression 347 –– Pflanzen 209
–– differenzielle 138, 158 –– phänotypische 208
–– Notwendigkeit 138 –– Säugetiere 211
–– Regulationsebenen 139 –– Tiere 210
–– Regulationsmöglichkeiten 139 Geschlechtschromosom 210
Genfamilie 40, 162 Geschlechtsentwicklung 214
–– komplexe 40 Geschlechtsindex 210
Genfragment 39 Gestaltbildung 336
Genkarten Giemsa-Farbstoff 31
–– biologische 205 Gießkannenschimmel 208
–– physikalische 205 Gigabasen (Gb) 8
Genkartierung 249 Glasknochenkrankheit 303
Genkonversion 223, 229 Gleitklammer 58, 59
Genlocus 190 β-Globin 99
Genmanipulation 395 Globingen 39, 157
Genmarker 250 Glucagon 166
Genmutation 267 Glucocorticoid 167
Genom 2, 363 Glucocorticoid-Response-Element (GRE) 167
–– Einteilung nach der Kopienzahl 40 Glucocorticoidrezeptor (GR) 167
–– Einteilung nach Information 38 Glucose 146, 313
–– Größe bei Bakterien 18 Glykosylierung 133
–– Größe bei Eukaryoten 25 Gonadendysgenesie 215
–– Größe der mtDNA 42 Gonosom 211, 213, 278, 294
–– Kartierung 357 Gonosomen 196, 209
–– Organellen 26 gooseberry 340
–– Organisation bei Archaeen 24 gp15E-Protein 242
–– Organisation bei Bakterien 18 gp70-Protein 242
–– Organisation bei Eukaryoten 25 G1-Phase 65
–– Struktur bei Eukaryoten 37 G2-Phase 65
–– Viren und Bakteriophagen 44 G-Protein 164, 323
Genombibliothek 394 GreA 91
Genome Editing 324, 396 GreB 91
Genomik GroEL/GroES 130
415 G–H
Stichwortverzeichnis

Großes Löwenmäulchen 343 Heterogenität, genetische 305


GrpE 130 Heterokaryon 208
Gründereffekt (Founder-Effekt) 215 Heteroplasmie 207, 300
Gruppe-II-Intron 97 –– künstliche 352
Gruppe-I-Intron 97 Heterosis 217
GTP 112, 123, 128, 164 Heterozygotenfrequenz 216
Guanin 6 Heterozygotenvorteil 217
Guanosin 7 Heterozygotie 189, 296
Guanosintetraphosphat 150 Hfr-Zellen (high frequency of recombi-
Gyrase 19, 55 nation) 247, 249
Hilfsproteine 130
HilfsproteinE
H –– RFC 58
Haarnadel 14, 93, 147 hin-Gen 234
Haarnadelschleife 14 Hin-Rekombinase 234
Haarnadelstruktur 93 Histidin 147
Hair pin 14 Histon 25
Haloarcula marismortui 24 –– Acetyltransferasen (HAT) 181
Häm-Cofaktor 157 –– Deacetylasen (HDAC) 181
Hämoglobin 40, 157 –– Demethylasen (HDM) 181
Hämophilie 299 –– Methyltransferasen (HMT) 181
–– A 239 Histon-Code 179
Haplodiploidie 210 Histone 79, 140
Haplo-Diplonten 193 –– 10-nm-Faden 27
Haploidie 210, 276 Histone like nucleoid structuring protein 20
Haploinsuffizienz 296 Histonmodifikation 178
Haplonten 193 Histonoktamer 27
Haplotyp 315, 358 Histonoktamere 178
Hardy-Weinberg-Gesetz 216 Hitzedenaturierung 381
Hauptgewebeverträglichkeitskomplex 332 Hitzeschockproteine (Hsp) 130, 149
Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) 332 –– Hsp10 130
Haushaltsgene 32, 38 –– Hsp60 130
Haushaltsprotein 134 –– Hsp70 130
Hausmaus 403 Hitzeschockreaktion 149
Hautflügler 277 HIV (human immune deficiency virus) 69,
Heavy-oder H-Strang 70 132, 242
hedgehog-Gen 341 HLA-Gen 315
Hefechromosom, künstliches 360, 392 HLA-System (humanes Leukocytenantigen-­
Helikase 51, 55, 224, 227, 286 System) 332
Helix, α-Helix 141 Hochdurchsatzsequenziertechnik 372
Helix-loop-Helix-Domäne, basische Hochdurchsatzsequenzierung 389
(bHLH) 141 Hochdurchsatztechnologie 368
Helix-turn-Helix (Helix-Kehre-Helix) 141 Holliday-Modell 220
Hemizygotie 189 Holliday-Struktur 220, 227, 232
Hepadnaviren 70 Holoenzym 83
Hepatitis-B-Virus 70 Holoprosencephalie 341
Hereditary nonpolyposis colorectal cancer, Homology directed repair (HDR) 398
HNPCC 284 Homöobox 141, 341
Heritabilität (h2) 191 Homöodomäne 141, 341
HERV (human endogenous retrovirus) 240 Homoplasmie 207, 300
Heterochromatin 30, 56, 212, 271 Homozygotie 189, 296
Heteroduplex-DNA 222 Hormon 166
Heterogametie 210 Hotspot 224, 261, 263
Heterogenität HOX-Gene 141, 341
–– genetische 306 3H-Thymidin 51
416 Stichwortverzeichnis

HTLV (human T cell leukemia virus) 242 –– lysogener Zyklus 253


Hülle 253 –– lytischer Weg 232
Hüll-oder Verpackungsprotein 45 –– lytischer Zyklus 252
Humane Papillomviren (HPV) 321 Initiationsfaktoren 122, 126, 127
Humangenetik Initiationskomplex
–– Untersuchungsmethoden 307 –– 70S 123
Humangenomprojekt 361 Initiatior
hunchback-Gen 339 –– RNA 168
HU-Protein, hitzeinstabiles 20 Initiator
Hybriddysgenese 238 –– ribosomaler (rlnr) 86
Hybride 201 Initiatorelement 85
Hybridisierung 11, 12, 386 –– pyrimidinreiches (Inr-Element) 87
–– vergleichende genomische (CGH, Initiatorproteinkomplex ORC (origin
comparative genomic hybridization) 33 recognition complex) 55, 56
Hydroxidradikale 262 Initiator-tRNA 112, 122, 127
Hymenoptera 277 Inititation 49
Hypermutation, somatische 291, 331 Inkompatibilität 23
Hyperphosphorylierung 91, 133 INO80/SWRI 28
Hyperploidie 277 Inosin 95, 102
Hyperproliferation 165 Inr 89
Hypogonadismus 215 Insekten 277
Hypoploidie 277 Insert 392
Insertion 267, 268, 270, 365
Insertionselement 235, 248
I Insulin 132, 313
Igelwürmer 209 Insulinresistenz 314
Igf2-Gen (insulin-like growth factor) 177, 375 Integrase 232, 242, 255
IGH-Gen 322 Integration 230, 232, 243, 248, 255
IHF (integration host factor) 20, 255 integration host factor (IHF) 232
Ikosaeder 251 Intein 129, 134
Immunantwort –– Homing 134
–– adaptive 326 Interferenz 176
–– anpassungsfähige 326 –– Transkription 176
–– erworbene 326 Interferenzphase 397
–– humorale 327 Interferon 165
–– individuelle 326 Intergrationsstelle 236
–– spezifische 326 Interkalator 263
Immungenetik 326 Interkinese 196
Immunglobulin 328 Interleukin 165
–– Gene 329 Interphase 65
Immunglobulinsuperfamilie 331 Interrupted mating 249
Immunisierungsphase 397 int-Gen 255
Immunsystem 326 Intron 38, 96
Imprinting 177, 301, 303 –– AU-AC-Intron 98
–– Kontrollregion 303 –– GU-AG-Intron 98
inc 248 –– Retention 100
Indel 39 –– von tRNA-Genen 97
Indikation 307 inv1 234
Indikatorgen 392 inv2 234
Individualität 363 Inversduplikation 272
Indizidenz 216 Inversion 231, 270, 276
Induktor 144 –– parazentrische 276
Induktorausschluss 146 –– perizentrische 276
Infektion 252, 253 Inverted Repeats (IR) 14, 235
–– lysogener Weg 232 In-vitro-Fertilisaton 348
417 H–K
Stichwortverzeichnis

Inzucht 216 Kinase 164


Ionisierung 262 –– cyclinabhängige (CDK) 66, 160
IP3 (Inositoltriphosphat) 164 –– Dbf4-abhängige 67
iron-response element 105 Kinesin 197
Isochromosom 276 Kinetoplast-DNA 103
Isoform 218 Klammer 200
Isolator 88, 162 Klammerlader 58, 59
Isolatoren 88 Klassenwechsel 331
Isolierung von RNA 380 Kleeblattstruktur 116
Isomerisierung 95 Klinefelter-Syndrom 278
ISWI (imitator of switch) 28 Klonen 348
Klonierung 391
Klonierungsvektor 380, 392
J Knock-down 396
Knock-in 395
JAK (Janus-Kinase) 165
Knock-out 395
JAK-STAT-Signalweg 165
–– konditionales 396
J-Region 328
Knudson-Hypothese 317
Kodominanz 190
K Kohlenwasserstoff, polyzyklischer
aromatischer 264
Käfer 210 Kombinierbarkeit, freie 202
Kalottenmodell 10 Komplex
Kappe 77 –– IV (Cytochrom-c-Oxidase) 43
Karte –– ternärer 127
–– biologische 357 Konduktor 297
–– genetische 357 Konduktorin 298
–– physikalische 359 Konjugation 246
Kartierung des menschlichen Genoms 357 Kontrolle, stringente 150
Karyogramm 32, 270 Kontrollstelle 64, 65
Karyorrhexis 345 Konzentrationsgradient 338
Karyotyp 270 Kopf
–– 47,XYY 278 –– an Kopf 231
Karypyknose 345 –– an Schwanz 231
Kaskade 340 Kopienzahlvarianten (CNVs) 365
Katabolitrepression 145 Kopplung 204, 310
Katzenschreisyndrom 271 Kopplungsfaktor 285
Keimbahnmutation 267 Kopplungsgruppe 190, 204
Keimbahntherapie 352 Kopplungskarte 357
Keimblatt 346 Kopplungsstudien 310
Keimstadium 336 Kornberg-Enzym 58
Keimzellenmosaik 301 Korrekturlesefunktion 57
Keimzellmosaik 302 Korrekturlesen 59, 264
Kernfragmentierung 345 Kozak-Sequenz 127, 168
Kernhormonrezeptor 87 Kragenteil 251
Kernkörper 31 Krankheitsgene, Kartierung 310
Kernphasenwechsel 193 Krebs 315
Kerntransfer 348 –– genetischer Defekt 316
Kerntransplantation 348 Krebserkrankung
Kette, schwere 328 –– erbliche 316
Kettenabbruchsynthese 387 –– sporadische 316
KI-67-Proteinantigen 200 Krebszellen 63
Killerzellen 332 Kreuzung 200
Kilobasen (kb) 8 Kreuzungsexperimente 200
418 Stichwortverzeichnis

Krüppel 142, 340 LOD-Wert 310


Kryptogene 103 Long patch 285
Ku70 290 Looping 161
Ku80 290 Loss of function 317
Loss of Heterozygosity (LOH) 317
loxP 233
L L-Protein 119
lacA 144 L1-Retrotransposon 239
lac-Operon 144 LSC (large single copy) 43
lac-Repressor 145 LTR (long terminal repeats) 240
Lactose 144 –– Retrotransposon 41, 240
Lactoseintoleranz 217 Luciferase 389
Lactosetoleranz 364 Luciferin 389
lacY-Gen 144 Luria-Delbrück-Experiment 282
lacZ-Gen 144, 392 Luxation 305
Lambda 45 Lymphom 166
Lamine 197, 199 Lynch-Syndrom 284
Lampenbürstenchromosom 37 Lyon-Hypothese 211
Längenpolymorphismus 40 Lyonisierung 211
6-4-Läsion 261 Lyse 253
Laufpuffer 384 Lysin-Demethylase 181
LCR 162 Lysosom 134
Leader 152, 397 Lysozym 253, 379
Leader-Sequenz 101, 146
Lebensdauer 134
Leber‘sche hereditäre Opticusneuropathie
M
oder-atrophie (LHON) 300 MADS-Box 343
Leitsequenz 146, 152 Makrophagen 332, 345
Leitstrang 53 Makrosatelliten 41
–– kontinuierliche Synthese 53 Malaria 217
Leptotän 195 MAP-Kinase 165
Leserahmen, offener 76 MAP-Kinase-Signalweg 164
Leseraster, offenes (ORF, open reading Marker 357
frame) 76 Markierung
Letalfaktoren 206 –– epigenetische 303
Leucin 147 –– radioaktive 4
Leucin-Zipper-Domäne, basische (bZip-­ –– von Molekülen 50
Domäne) 142 Massenspektrometer 371
Leukämie 166, 274 Matrize (template) 49
–– chronische myeloische der B-­ Matrizenstrang 78
Lymphocyten 322 Maturase 97
Leukopenie 271 Maturation-promoting factor (MPF) 199
Library-Präparation 390 Maxicircles 103
licensing factor 55 MCM1-Gen 343
Li-Fraumeni-Syndrom 318 Mcm10 67
Ligand 163 MCM-Helikase 67
Ligase 51, 224, 393 MCM-Protein 57
Ligase IV 290 MCM-Protein (minichromosome
Likelihood-Quotient 310 maintenance protein) 55
LINEs (long interspersed nuclear elements) 41, Mechanismus
239, 367 –– dispersiver 50
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte 305 –– konservativer 50
Locus-Kontrollregion 162 –– Rho-unabhängiger 92
LOD-Score 310 –– semikonservativer 49
419 K–M
Stichwortverzeichnis

Mediator 87, 159 Missense-Mutation 268


Mediatorkomplex 90 Mitochondrien 207, 300
Megabasen (Mb) 8 –– biparentale Weitergabe 43
Meiose 191, 204 –– uniparentale maternale Weitergabe 43
–– I 192, 194, 198 –– uniparentale paternale Weitergabe 43
–– II 192, 197, 198 Mitochondriengenom 41
–– Phasen 194 Mitochondropathie 352
Meiosporen 193 Mitogen activated protein kinase (MAPK) 164
MEK 165 Mitophagie 345
Melanin 297 Mitose 65, 191, 197, 227
Melittin 132 –– besondere Aspekte 199
Membran 386 –– Krebs 200
Mendel’sche Regeln 200 Mitoseindex 200
–– Abweichungen 206 Mitose-Promoting-Faktor 67, 199
–– Ausnahmen 206 MLE (mariner like elements) 238
Merkmal 189, 294 MLH1 229
–– monogenes 190 Modellorganismus 398
–– multifaktorielles 302, 305 Modifier-Gen 206
–– polygenes 190 Modifikation 129, 133
–– qualitatives 191 MODY 315
–– quantitatives 191 Monaster 197
–– unvollständig dominantes 190 Monocyten 332
merodiploid 248 Monosomie 277
Meselson-Stahl-Experiment 50 –– partielle 273
Metaphase Morphogen 88, 339
–– I 196 Morphogenese 336
–– II 197 Morula 346
Metaphase-Chromosom 31 Mosaik 211, 278, 302
5-Methylcytosin 7, 182 Mot1 91
Methylgruppe 7, 133 Motif ten element (MTF) 87
6-Methylguanin 263 Motive 141
7′Methylguanosin-Cap 242 M-Phase 65
Methylierung 95, 178, 181 MRE11 228
Methylierungsgrad 287 MRX-Komplex 228
Methylrest 28 MS2 45
Met-tRNA 127, 168 MSH 288
Mfd-Protein 285 MSH4 229
micF-Gen 151 mTOR (mammalian Target of Rapamycin) 168
Mid-Domäne 171 Mukoviszidose 298
Mikrochromosom 36 Mukoviszidose/Cystische Fibrose 217
Mikroglobulin 333 Multigenfamilie 40
Mikroinjektion 395 Multiple cloning site (MCS) 393
Mikrosatelliten (STR, short tandem re- Multiplex-PCR 383
peats) 309, 366 Multipotenz 347
Mikrosatellitenpolymorphismus 310 Mus musculus 403
Mikrotubuli 199 Muskelatrophie 101
Minichromosom 36 Muskeldystrophie 239
Minicircles 103 –– Duchenne 299
Minisatelliten 40 Musterbildung 336, 338
Minor allele frequency (MAF) 364 Mutagen
Minusstrang 44 –– äußeres 263
Minusstrang-ss-RNA-Viren 69 –– interkalatorisches 263
miRISC 172 –– zelleigenes 262
Mismatch-Reparatur 287 Mutant, homöotischer 343
420 Stichwortverzeichnis

Mutation 260, 265 ND4 300


–– Aufhebung 282 Nekroptose 345
–– biologische Ursachen 264 Nekrose 345
–– dynamisch 265 NELF (negative elongation factor) 92
–– dynamische 265 Neoplasie 315
–– Einteilung 267 Neukombinationsregel 202
–– elektromagnetische Strahlung 260 Neumutation 301, 302
–– Funktionsgewinn 269 Neuralrohrdefekt 305
–– Funktionsverlust 269 Neuroblastom 316
–– Häufigkeit 281 Neurofibromatose Typ 1 302
–– induzierte 282 Neuroglobin 157
–– intergenische 283 Neutronen 262
–– intragenische 282 Nicht-Haushaltsproteine 134
–– Missense 268 Nichtmatrizenstrang 78
–– Nonsense 268 Nitrocellulose 386
–– physikalische Strahlung 260 Nitrosamin 263
–– Regulationsmutation 283 N6-Methyladenin 7
–– somatische 267 Nomenklatur 270, 399
–– stille 282 Non-Disjunction 199
–– stumme 268 –– mitotische 210
–– Teilchenstrahlung 260 Nonhomologous end-joining (NHEJ) 290, 398
–– temperatur-sensitive 269 Non-LTR-Retrotransposon 41
–– Thalassämie 269 Nonsense-Mutation 268
–– Ursachen 260 Northern Blot 367, 386
Mutation frequency declining 285 N-Terminus 134
Mutationsklassen 267 Nuclease 27, 224, 227
Mutationsrate 149, 281 –– Cas3 153
Mutationstyp 267 –– Cas6 153
Mutator 287 –– Cas9 153
Mutatorgen 323 Nuclein 2
Mutatorphänotyp 281 Nucleoid 19
MutH 287 Nucleoid-assoziierte Proteine 20
MutS 287 Nucleoidprotein 79
Muttertier, empfangsbereites 395 Nucleolus 36, 86
MYC 165 Nucleolusorganisatorregion (NOR) 36
Myc/Max-Heterodimer 161 Nucleosid 7
Mycoplasma 115 Nucleosom 27
Myc-Protein 142 Nucleotid 5
MYC-Protoonkogen 322 –– stromabwärts 79
Myoglobin 40, 157 Nucleotidexzisionsreparatur (NER) 285, 286
Myosin 197 Nullisomie 277
Nylon 386

N
Nabelschnurpunktion 308
O
NADH-Dehydrogenasekomplex 300 O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase
Nährstoffmangel 150 (MGMT) 284
nanos-Gen 339 Oct-Faktor 141
NaOH 380 –– Oct4 141
Natriumdodecylsulfat (SDS) 379 Okazaki-Fragmente 53
Natronlauge 380 Oktamer 27
NBS1 228 Oligonucleotid 381
NC2 91 ompF-Gen 151
421 M–P
Stichwortverzeichnis

Onkogen 321 PAZ-Domäne 171


–– virales 321 p300/CBP 166, 181
–– zelluläres 322 PCNA 58, 200
Oocyte 198, 301, 337 –– Trimer 59
Oogenese 198 PCR
Oogonie 337 –– Echtzeit (real-time PCR) 384
Oogonien 198 –– Multiplex 383
Operator 22, 144 –– nested PCR 382
Operon 22, 24, 144 –– RT-PCR (Reverse-Transkriptase-PCR) 383
–– rrn-Operons 22 –– Standard 381
Organ-Chip 351 P-Element 238
Organisationsebenen 26 Penetranz 190, 206, 301, 302, 318
Organismus Pentose 5
–– haploider 207 Peptidhormon 313
Organoid 351 Peptidylstelle 119
Organprothese 323 Peptidyltransferaseaktivität 124
Organtransplantation 323 Permease 144
oriC (chromosomal origin of replication) 54 Pflanzen
Origin of replication (ori) 52 –– diözische (zweihäusige) 209
Origin Recognition Box 55 –– monözische (einhäusige) 210
oriT 249 Phagen
oriV 247 –– als Transporter 250
Oro-fazio-digitales Syndrom Typ 1 (OFD1) 300 –– DNA 231
Osteogenesis imperfecta 303 –– Morphologie 251
Östrogen 167 –– P1 232
8-Oxoguanin 263 –– T1 282
–– temperente 252
–– virulente 252
–– λ 232
P Phänotyp 189, 200
Paarregelgene 340 Phase, fetale 337
Paarung, falsche 118 Phasenvariation 140, 230, 233
Paarungsdomäne 36 Phenylalanin 297
Paarungssiebung 216 Phenylalanin-Hydroxylase 297
Paarungstypwechsel 227 Phenylketonurie 217, 297
PABP 127 Philadelphia-Chromosom 274
Pachytän 196 Phosphatase 144, 164
paired-box-Gen 342 Phosphatgruppe 133
paired-Gen 342 Phosphatrest 5, 28
Palindrom 14, 152 Phosphoenolpyruvat (PEP) 146
PAM (protospacer adjacent motif) 153 Phosphoenolpyruvat-PTS 146
Pan-Editing 103 Phosphor, radioaktiver (32P) 4
Panmixie 216 Phosphorylierung 146, 164, 168, 178, 199
Papillon-Léage-Psaume-Syndrom 300 Phosphotransferasesystem 146
Paramutation 207 Photoaktivierung 284
Parasexuell 247 Photolyase 284
Paraspeckles 31 6-4-Photoprodukt 261
Parentalgeneration 200 Pilinprotein 249
p-Arm 36 Pilus 246
partitioning 23 Pionierfaktor 81
Pätau-Syndrom 279 Pionierfaktoren 350
Pathogenitätsfaktor 24 Piwi-Domäne 171
Pax-Gene 342 Piwi-Protein 171
422 Stichwortverzeichnis

Plasmid-DNA pppGpp-Synthetase 150


–– Isolierung 380 Prader-Willi-Syndrom 303
–– Präparation 380 Prädisposition 314, 316
Plasmide 23, 69, 236 Prägung, genetische 177, 375
–– Abbau-oder Degradationsplasmide 24 Präimplantationsdiagnostik (PID) 307
–– Bacteriocinplasmide 24 Präinitiationskomplex 89, 127, 160
–– high-copy 23 –– Aufbau 89
–– low-copy 23 Prä-mRNA 95
–– pUC19 393 Pränataldiagnostik 307
–– Resistenzplasmide 24 Präparation von Plasmid-DNA 380
–– substituierte 248 Prä-rRNA 95
–– Virulenzplasmide 24 Prä-tRNA 95
Plastiden 43, 207 Präzipitation 372
Plastom 26, 41, 43 pRb-Protein 318
Pleiotropie 190, 206 Pribnow-Box 83
Pluripotenz 347 Primase 51, 55
Plusstrang 44 Primer 51, 381
Plusstrang-ss-RNA 69 –– Sequenzier-387
Point of no return 64 Prionen 131
pol 132, 242 Prionoide 131
Polkerne 337 pRNA 169
Polyacrylamidgel 384 Prognosefaktor 200
Polyacrylamidgelelektrophorese 370, 385 Prokaryoten 5
Polyadenylierung 94 proliferating cell nuclear antigen 58
Poly(A)-Polymerase 101 Promelittin 132
Poly(A)-Schwanz 95, 168, 242 Promotor 22, 79, 144
Poly(A)-Schwanz (poly(A) tail) 77 –– Aufbau bei Archaeen 85
Poly(A)-Signal 101 –– Aufbau bei E. coli 83
Polycomb-Gruppe 212 –– Aufbau bei Eukaryoten 85
Polygenie 206 –– Clearance 81, 91
Polymerase 58, 291 –– proximaler 87
–– I 94 –– starker/schwacher 83
–– II 58 Promotorelement 157, 162
–– III 94 Promotorfreigabe 81
–– IV 58, 291 Promotorkomplex
–– V 58, 291 –– geschlossener 81
–– α 67 –– offener 81
–– β 59 Promotorsequenz 83
–– γ 59, 70 PROMPT 15, 169
–– η 291 proof-reading 117
Polymerasekettenreaktion (PCR) 381 Proof-reading 57, 125, 264, 287
Polymorphismus 309, 310, 363 Prophage 256
–– Einzelnucleotid 358 Prophase
–– Mikrosatelliten 358 –– I 192, 195
Polynucleotide 5 –– II 197
Polyploidie 277 Protamin 27
Polyribosom 121 Protease 129, 132, 242
Polysom 121 Proteasom 135
Polytänchromosom 37, 63 Protein
Polytänie 63 –– Abbau 134
Polzellen 337 –– Cactus 339
Populationsgenetik 215 –– CRE-bindendes (CREB) 88
Positionseffekt 276 –– CTD-assoziierte SR-ähnliches 99
423 P–R
Stichwortverzeichnis

–– DNA-bindendes 20, 79, 140 Q


–– nichtspezifisches 79
–– spezifisches 80, 140 q-Arm 36
–– unspezifisches 140 Q-Bande 32
–– Dorsal 339 Quadruplex 61
–– E12/E47 141 Quinacrin 32
–– eIF4E-bindendes (eIF4E-BP) 168 Quorum sensing 143
–– funktionelle Untersuchung 371
–– histonähnliches (H-NS) 20, 140
–– Interaktion 371
R
–– MutH 287 RAD50 228
–– MutS 287 RAD51C-XRCC3 229
–– p53 318 Rädertierchen 277
–– poly(A)-bindendes 102 RAD-Protein 228
–– Polycomb-Gruppe (PcG) 342 Raf 165
–– Prozessierung 129 RAG1-Protein 330
–– regulierendes 79 RAG2-Protein 330
–– RNA-bindendes 79 Random mating 216
–– S-Protein 119 Rapamycin 168
–– TATA-Box-bindendes 85, 160 Ras-Protein 164, 322
–– Toll 339 Rasterschubmutation 268
–– Transport 132 Rasterverschiebung, programmierte
–– Trennung 370 (programmed frameshifting) 125
Proteinfaltung 129 R-Bande 32
Proteinhülle 251 RB1-Gen 318
Proteinkinase reads 362
–– A 166 Reaktionsnorm 191
Proteinspleißen 129, 134 RecA 225, 256
Proteom 367 recA-Gen 291
Proteomik 370 RecA-Protease 149
Protonen 262 RecB 224
Protoonkogen 321 RecBCD-Komplex 224
Protozoen 61 RecC 224
Provirus 69, 243 RecD 224
Prozessieren 77 Rec-Protein 224
Prozessierung 77 Reduktionsteilung 192
–– bei Bakterien 94 Region
–– bei Eukaryoten 95 –– konstante 328
–– von mRNAs 95 –– pseudoautosomale (PAR) 196, 213
–– von Proteinen 129 –– stumme 253
–– von Transkripten 94 –– variable 328
Pseudogen 39, 241 Regulation
Pseudouridin 13, 116 –– der Gene 159
P-TEFb (positive transcription elongation –– der RNA-Polymerase-I-Gene 160
factor b) 92 –– der RNA-Polymerase-II-Gene 160
Pulsfeldgelelektrophorese 385 –– der RNA-Polymerase-III-Gene 162
Punktmutation 267, 317 –– der Transkription 164
Punnett-Schema/-Quadrat 201 –– der Translation 167
Purine 6 –– eines Abbauwegs 144
Pylorusstenose 305 –– eines Synthesewegs 146
Pyrimidine 6 –– entwicklungsspezifische 157
Pyrophosphat 389 –– gewebespezifische 157
Pyrosequenzierung 389 –– negative 139
424 Stichwortverzeichnis

Regulation (Fort.) –– Nucleotidexzision 285, 286


–– Phage λ 148 –– transkriptionsgekoppelte 286
–– positive 139 –– von DNA-Brüchen 288
–– über σ-Faktoren 149 –– von DNA-Schäden 283
Regulationsapparat 159 Repeats 152, 367, 397
Regulationsebenen 139 rep-Gene 247
Regulationselement Replication factor C 58
–– distales 88 Replication protein A (RPA) 55
–– proximales 88 Replication slippage 264
Regulationsgene 253 Replikase 57, 59
Regulationsmutation 283 Replikation 49
Regulationsprotein, RNA-bindendes 338 –– asymmetrische 70
Regulatorgene 38 –– Elongation 57
Regulatorprotein 45, 144 –– Elongation bei Archaeen 58
Reifeteilung 191 –– Elongation bei Eukaryoten 58
Reifungsprotein 45 –– Enzyme 51
Rekombinanten 192 –– Hilfsproteine 51
Rekombinase 230, 231, 255 –– Initiation 54
–– Cre-Rekombinase 233 –– bei Archaeen 55
–– Enzyme 233 –– bei Eukaryoten 56
–– Tyrosin-Rekombinase-Rekombinase 232 –– Kontrolle 64
Rekombination 192, 196, 248 –– bei Bakterien 64
–– Chromosomenmutation 270 –– bei Eukaryoten 65
–– DNA-Transposon 235 –– Mitochondrien 70
–– Doppelstrangbruchmodell 223 –– ohne Zellteilung 63
–– Enzyme 231 –– Phagen und Viren 68
–– fehlerhafte 214 –– Plasmide 69
–– Häufigkeit 205 –– Plastiden 70
–– Holliday-Modell 220 –– semikonservative 49
–– homologe 220, 288 –– Startpunkt 52
–– illegitime 234 –– Termination 60
–– Insertionselemente 235 –– Termination bei Bakterien 60
–– meiotische 227 –– Ursprung 52, 54, 56
–– Meselson und Radding 222 Replikationsgabel 227
–– mitotische 208, 227 Replikationsstartpunkt 56
–– Modelle 220 Replikationsursprung (ori, origin of replica-
–– ortsspezifische 230 tion) 22, 33
–– Proteine 224, 225 Replisom 51
–– Proteine bei Eukaryoten 227 Repressor 88, 91, 139, 144, 159, 168
–– Rekombinationsstelle 230 –– LexA 291
–– Reparatur 223, 227 –– λ-Repressor 148
–– somatische 330 Repressorn 81
–– Wahrscheinlichkeit 205 Reprogrammierbarkeit 348
Rekombinationshäufigkeit (RF) 204 Resection 228
Rekombinationsmotiv 255 Resistenzgen 236, 392
Rekombinationsprotein, RecA 291 Response-Element 88
Rekombinationsvorgang 330 Restriktionsenzym 360, 382, 393
Reoviren 69 Restriktionsfragmentlängenpolymorphis-
Reparatur 323 mus 310, 311
–– Basenexzision 284 Restriktionskartierung 360
–– Brustkrebs 292 Restriktions-Modifikations-System 7
–– direkte 284 Restriktionspunkt 67
–– fehlerhafte 270 Retinoblastom 302, 316, 318
–– globale genomische 286 Retroposon 41
–– Mismatch 287 Retrotransposition 234
425 R–S
Stichwortverzeichnis

Retrotransposon –– Interferenz 151, 169, 324, 396


–– abhängiges 240 –– Isolierung 380
–– LTR-Retrotransposon 240 –– long non-coding (lncRNA) 15, 77
Retrovirus 68, 69, 240, 242, 321 –– Messenger-RNA (mRNA) 14, 76
Reverse Transkriptase 41, 44, 62, 70, 239, 242, –– polycistronische 22
291 –– Mikro-RNA (miRNA) 15, 76, 169, 171
Reverse-Transkriptase-PCR 383 –– monocistronische 76
Reverse Transkription 383 –– mRNA-interfering complementary 151
Reversion 282 –– nichtcodierende (ncRNA) 14
Rezeptor, G-Protein-gekoppelter 166 –– piwi interacting (piRNA) 15, 169, 174
Rezeptor-Tyrosin-Kinase 164 –– polycistronische 76
Rezipient 246 –– Polymerase 78, 79, 83, 85, 86, 91, 149
RF2 125 –– I 86, 160
Rho (ρ) 94 –– II 86, 160, 287
rho-utilization sites 94 –– III 89, 162, 240
Ribonuclease 97 –– Primer 55
ribonucleic acid 2 –– pRNA 86, 169
Ribonucleoprotein 62, 153 –– prokaryotic siRNA 153
Ribose 5, 13 –– Prozessieren von rRNAs, tRNAs 94
Ribosom 118 –– regulatorische 151, 169
–– 70S 119 –– ribosomale (rRNA) 14, 76
–– 80S 119 –– Sequenzierung 391
–– Scanning 127 –– short/small non-coding (sRNA) 77
–– Struktur 119 –– 7SL 15
–– 70S-Typ 126 –– 7SL-RNA 89, 133
–– 30S-Untereinheit 119 –– small interfering (siRNA) 15, 76, 169
–– 40S-Untereinheit 119 –– small nuclear (snRNA) 15, 77
–– 50S-Untereinheit 119 –– small nucleolar (snoRNA) 15
–– 60S-Untereinheit 119 –– 16S-RNA 94
Ribosomenbindestelle (RBS) 123 –– 23S-RNA 94
Ribosomeneintrittsstelle, interne (IRES) 128 –– 5,8S-rRNA 86
Ribosomenrecyclingfaktor (RRF) 125 –– 5S-rRNA 89, 94
Riboswitches (RNA-Schalter) 150 –– 18S-rRNA 86
Ribozyme 14, 324 –– 23S-rRNA 124
Ribulose-1,5-Bisphosphat-Carboxylase/Oxyge- –– 28S-rRNA 86
nase 43 –– Transfer-RNA (tRNA) 14, 76
Rifampicin 83 –– als Dolmetscher 115
Ringchromosom 274 –– Beladung 117
RNA 2, 15 –– Struktur 115
–– Antisense-RNA 151 –– U6-snRNA 89
–– Aufbau 13 –– Überwachung 78
–– Bindeprotein 265 –– Überwachungssystem 105
–– Boten-RNA (mRNA) 14 –– uracilreiche 99
–– Chemie 5 –– Zwischenprodukt 239
–– CRISPR-derived 153 RNA-DNA-Primer 59
–– crRNA 398 RNA-Moleküle, regulatorische 169
–– doppelsträngige 13 RNA-Polymerase 45
–– Editing 77, 95, 102 –– RNA-abhängige 69
–– von rRNAs 94 RNase 95, 169, 172, 242
–– eRNA 15 RNA-Welt 76
–– Funktionen 14 Robertson-Translokation 270, 273
–– gRNA 103 Rolling circle 69, 247
–– Guide-RNA (gRNA) 76 Röntgenbeugung 9
–– heterogene nucleäre (hnRNA) 78 Röntgendiffraktion 9
–– infektiöse Partikel 251 Röntgenstrahlung 261
426 Stichwortverzeichnis

rrn-Operon 94 Selbst-oder Autophosphorylierung 144


Rubinstein-Taybi-Syndrom 167 Selektion 331, 395
Rubisco 43 Selektionsdruck 375
Rückkopplungsschleife, negative 63 Selektionsmarker 392
Rückkreuzung 203 Selektivitätskomplex 160
Rückmutation 282 Selenocystein 118
Rückwärtsstrang 53 selfish DNA 134
rut 94 Sensorkinase 144
ruv-Mutanten 225 Sequence tagged sites (STS) 360
Ruv-Protein 224, 225 Sequenz
–– hochrepetitive 40
–– mittelrepetitive 41
S –– repetitive 33
Saccharomyces cerevisiae 343, 400 Sequenzier-Primer 387
Salmonella 233 Sequenzierung 361, 388
–– enterica 139 –– Didesoxymethode 387
Sarkom 316 –– DNA 387
SAT 36 –– hierarchische 361
Satelliten-DNA 40 –– Kettenabbruchsynthese 387
Sauerstofftransport 159 –– Pyrosequenzierung 389
Säulenchromatografie 380 –– RNA 391
SBDS-Gen 121 –– Sanger-Methode 387
Scaffold 31 –– Schrotschuss 361
Schäden 284 –– von cDNA 370
Schizophrenie 313 Sequenzierungsfehler 362
Schmelzen 11, 381 Serin-Rekombinase 233
Schmelzkurven 12 Serin/Threonin-Kinase 164
Schmelztemperatur TM 12 Serotoninrezeptor 102
Schrotschuss-Sequenzierung 361 Sertoli-Zellen 215
Schwangerschaft 307 Sex combs reduced (Scr) 162
Schwanzstruktur 253 Sex determining region of Y 214
Schwanzteil 251 Sex lethal 211
Schwefel, radioaktiver (35S) 4 Sexgene 211
Schwellenwert 305 Shelterin 61
Schwesterchromatiden 192, 194, 197 Shine-Dalgarno-Sequenz 123, 126
SCID (severe combined immunodeficiency) 323 Short-patch-Reparatur 285
SDS 380 Shwachman-Bodian-Diamond-Syndrom 121
SecA-Protein 132 Sichelzellallel 217
SecB-Protein 132 Sichelzellanämie 217, 269
Second Messenger 164 Sigma-Faktor (σ-Faktor) 83, 84, 149
Sec-Translocon 132 Signalkaskade 163
Sec-Weg (secretion-Weg) 132 Signalpeptid 129, 132
seed-Region 172 Signaltransduktion 143, 163
Segmente 340 Signaltransduktionswege 341
Segmentierung 340 Signalweg 164
Segmentierungsgen 338, 340 Silencer 79, 88
Segmentpolaritätsgene 340 SINEs (short interspersed nuclear elements) 41,
Segregation 196, 208 240, 367
Seidenspinner 64 Single nucleotide polymorphisms (SNP) 310,
Sekretion 132 358, 364
Sekundärstruktur 14, 265 Single nucleotide variants (SNVs) 364
Selbstligation 394 Sinnstrang 78
Selbstmordenzym 284 SL1-Komplex 160
Selbstmordgen 395 Slicer 171
427 S–T
Stichwortverzeichnis

Slippage 366 ss(-)RNA-Viren 69


SLO-Protein 101 Stammbaum 295
SL-RNA 101 –– Interpretation 301
Small nucleolar RNA (snoRNA) 103 Stammbaumanalyse 294, 305
SMN1 101 Stammzellen 346, 395
SNP 314, 364 –– adulte 349
Solenoid 31 –– embryonale 347
Sonde 360 –– induzierte 349
Sonic Hedgehog (SHH) 341 –– pluripotente 347
SOS-Antwort 149, 256, 263, 291 –– somatische 349
SOS-Mechanismus 291 Standardcode 114
SOS-Protein 164 Startcodon 114, 168
SOS-Reparatur 225 START-Punkt 49, 67
Southern Blot 386 Statistik 203
Sp1 (specificity protein 1) 161 STAT-Protein 165
Spacer 94, 152, 397 Stem loop 14
Spaltung, proteolytische 129, 132 Steroidhormon 167
Spaltungsfaktoren 91, 102 Stimulatonsfaktor
Spaltungsregel 202 –– FIS (factor for inversion stimulation) 84
Speißosom 97 –– für die Spaltung (CstF, cleavage stimulation
Spender 246 factor) 102
Spermatogenese 198 Stoffwechselerkrankung 296
Spermatogonien 198 Stoppcodon 268
Spermium 198 Strahlung
Spezifitätsfaktor für Spaltung und –– Gammastrahlung 262
Polyadenylierung (CPSF, cleavage and –– Teilchenstrahlung 262
polyadenylation specificity factor) 102 Strang
S-Phase 65 –– codierender 78
Spindelfaser 33, 196 –– codogener 78
Spindeltransfer 352 Strangbruch 261, 263
Spinnen 277 Stranggonaden 215
Spleißen 77, 95, 96 Stranginvasion 222
–– bei Archaeen 97 Streptococcus pneumoniae 2
–– einfaches 97 Streptomyces coelicolor 19
–– Regulation beim alternativen Spleißen 101 Streptomycin 120
–– trans-Spleißen 101 Strickleitermodell 10
Spleiß-Enhancer 101 Stringent factor 150
Spleißfaktoren 99 Strukturgene 38, 144, 253
Spleißmutation 268 Strukturmerkmale 141
Spleiß-Silencer 101 Strukturmotive 141
Spleißstellen 101, 134 Substitution 267
Splicing 77, 95 Sulfolobus acidocaldarius 24
SPO11 228 Supercoiling (Überspiralisierung) 19
Sporen 138 Suppression 206, 282
Sporophyt 193 Surveillance 78
Sporulation 150 Suszeptibilitätsgen 314
SRF-Gen 343 Svedberg 119
SRP (signal recognition particle) 133 SWI/SNF-Familie 28
SR-Protein 101 SWI-SNF-Komplex 178
SRS2 (suppressor of RAD six screen mutant sxl-Gen 211
2) 229 Sxl-Protein 211
SRY-Gen 214, 215 Symmetrieachse 338
SSB (single strand binding protein) 55, 224 Synapsis 196
SSC (small single copy) 43 Syncytium 337
428 Stichwortverzeichnis

Syntänie 374 Thermocycler 381


Synthese 381 Thermotoga maritima 24
–– diskontinuierliche 49 Thermus aquaticus 381
–– kontinuierliche 49 Thymidin 7
Syntheseenzym 51 Thymin 6
Syntheserichtung 53 Tiere, transgene 394
Ti-Plasmid 24, 402
TLE (Tc1-like elements) 238
T TNF 345
T2 4 Tochtergeneration 200
T4 45 Todesrezeptor 345
Tailing 95, 101 Tomate (Lycopersicon) 277
TALEN (transcription activator-like effector Topoisomerase 19, 51, 55, 224
nuclease) 398 Topoisomere 19
Tandemduplikation 272 Topologie 19
Taq-Polymerase 381 Totipotenz 347
TATA-Box 83, 85, 86, 89 Toxine 24
TATA-Box-bindende Protein 86 tra 249
Taufliege 401 tra-Gene 247
Tay-Sachs-Erkrankung 217 Transacetylase 144
TBP 86, 162 Transamidase 117
Teilchenstrahlung 262 Transduktion 250
Telomer 33, 61 –– allgemeine 256
–– Altern 63 –– generelle 256
Telomerase 61 –– spezielle 256
Telophase –– spezifische 256
–– I 196 trans-Faktoren 79
–– II 197 Transfektion 257
Template 78, 381 Transfer 249, 352
ter (termination). 22 Transferpuffer 386
terC 54 Transformation 3, 257
Terminale Transferase 330 transformer-Gen (tra) 211
Termination 49, 54 Transition 267
–– intrinsische 92 Transkription 175
Terminationsfaktor 125, 126 –– divergent 175
Terminationssignal 79, 94 –– Elongation bei Archaeen und Eukaryoten 92
ter-Sequenz 60 –– Elongation bei E. coli 91
Testis determining factor 214 –– Initiation 81
Testkreuzung 203 –– Initiation bei Archaeen und Eukaryoten 85
Testosteron 167, 214 –– Initiation bei E. coli 83
Tetracyclin 120 –– Termination bei Archaeen und
Tetrade 196 Eukaryoten 94
Tetradenanalyse 208 –– Terminaton bei Bakterien 92
TFB 85 Transkriptionsaktivatoren 81
–– response element 85 Transkriptionsfaktor 80, 140, 159, 318,
TFIB 160 338–341
TFII 89, 90 –– allgemeine 89
TFIIB 87 –– generelle 80, 89
–– recognition element (BRE) 87 –– Myc 322
TFIID 87 –– regulatorische 88, 160
TFIIIB 162 –– spezifische 80
TFIIS 92 –– TCF7L2 314
Thalassämie 158, 269 –– TFIIIA 142
β-Thalassämie 99 Transkriptionsstart 79, 84
T-Helferzellen 332 Transkriptionsterminationsfaktor (TTFI) 94
429 T–V
Stichwortverzeichnis

Transkriptom 367 –– 21 279


Transkriptosom 89 –– beim Menschen 277
Transläsionssynthese 291 –– freie 278
Translation –– Mosaik 279
–– bei Archaeen 126 –– partielle 273
–– bei Bakterien 121 –– Translokation 279
–– bei Eukaryoten 126 Trophoblast 346
–– Elongation bei Bakterien 123 trp-Operon 146
–– Fehler 125 Trypanosoma brucei 230
–– Genauigkeit 125 Trypanosomen 103
–– Geschwindigkeit 125 Trypsin 371
–– Initiation Tryptophan 146
–– bei Bakterien 122 Tumor 315
–– bei Eukaryoten 126 –– bösartiger (maligner) 316
–– Regulation 167 –– embryonaler 316
–– Termination –– epithelialer 316
–– bei Bakterien 125 –– gutartiger (benigner) 316
–– bei Eukaryoten 129 –– semimaligner 316
Translationsfaktoren Tumorcytogenetik 33
–– eIF2 168 Tumorgenetik 315
–– eIF4E 168 Tumorsuppressorgen 317
Translokation 270, 272 –– APC 317
–– balancierte 273 Tumorsuppressorprotein p53 87
–– reziproke 273, 274 Tumorzelle 274
Transport von Proteinen 132 Tus (terminus utilizing substance) 60
Transportform 31 twist-Gen 339
Transposase 235, 242, 330 Tyrosin 297
Transposition 234, 236, 241, 243, 330 Tyrosinase 297
–– nichtreplikative 236 Tyrosin-Kinase 164, 274
–– replikative 237 Tyrosin-Rekombinase 232, 233
–– und Mutation 265 T-Zellen, cytotoxische 332
Transposon 247 T-Zell-Rezeptor 331
–– bei Eukaryoten 237 TψC-Schleife 116
–– einfaches 236
–– komplexes 236
–– Retrotransposon 239 U
–– Tn3 236 U2-snRNP 99
–– Tn5 236 Überspiralisierung 19
–– Tn9 236 Überträger 297
–– Tn10 236 UBF 160
–– Tn501 236 Ubiquitin 135
–– zusammengesetztes 236 Ubiquitinierung 178
Transversion 267 UBX 141
TRCF (transcription repair coupling Ullrich-Turner-Syndrom 212, 276, 278, 299
factor) 285 Umprogrammierung 348, 349
TRF1 63 umuDC-Gen 291
Trinucleotideinheit 265 Umweltfaktoren 191, 208
Triphosphate 5 Unabhängigkeitsregel 202
–– (d)ATP 5 Uniformitätsregel 201
–– (d)GTP 5 Uniparentale Disomie 303
Triplettcode 114 Unique sequence 242
Trisomie 277 Upstream activator sequences (UAS) 84
–– 8 280 Upstream binding factor (UBF) 160
–– 13 279 Upstream control element 86
–– 18 279 Upstream promoter element 86
430 Stichwortverzeichnis

Upstream-Element 84 X
Uracil 6, 13
Uridin 7 φX174 45
Urkeimzelle 337 X-chromosome-inactivation-centre (XIC) 212
UV-Licht, Wellenlänge 12 Xenopus 348
UvrABC-Enzymkomplex 285 XerC 233
uvrAB-Gen 291 XerD 233
Uvr-Komplex 285 Xeroderma pigmentosum 90, 206, 284
UV-Schäden 284, 286 X-Inaktivierung 211
UV-Strahlung 261 –– Kontrolle 212
Xis-Protein 232
XIST-Gen (X inactive-specific transcript) 212
V XIST-RNA 212
XPB 90
Variabilität 363 XPD 90
Vaterschaftstest 307, 309 XRCC3 (X-ray repair cross-complementing
V(D)J-Rekombination 330 protein 3) 228
Vektoren, lentivirale 349 XRCC4 290
Veränderungen, chemische 262 XRS2 228
Verdrängungsreplikation 70
Verdrillung 19
Vererbung, cytoplasmatische 207 Y
Vererbungsmodus 294 Yeast two-hybrid system (Y2H) 371, 372
Verhältnis von X-Chromosomen (X) zu YidC-Protein 133
Autosomen (A) 210
Viren 44, 68, 251
–– Größe 251 Z
–– humane T-lymphotrope 242 Z-Chromosom 210
Viroide 251 Z-DNA 11
Vitamin Zebrabärbling 402
–– B7 133 Zelldifferenzierung 336
–– B12 151 Zellen
VNTR (variable number of tandem –– antigenpräsentierende 332
repeats) 40 –– diploide 192
Volkskrankheiten 311, 313 –– haploide 192
Vorkerntransfer 353 –– kompetente 257, 392
Vorwärtsstrang 53 –– polyenergide 64
V-Region 328 –– transgene 323
V-Schleife 116 Zellkerne, polyploide 64
Zellteilung 321
–– Regulation 274
W Zelluntergang 345
Wachstum 321, 336 Zellzyklus 63, 65, 160
Wahrscheinlichkeitsdiagnose 311 Zellzykluskontrolle 292, 318
Wanderung der Verzweigungsstelle 222, 225 Zinkfingerdomäne 141
Warkany-Syndrom 2 280 Zinkfingernuclease 398
Wasserstoffbrückenbindung 10 Zinkion 142
W-Chromosom 210 Zweikomponentensystem 144
Weg Zwei-Treffer-Theorie 317
–– lysogener 232 Zwillingsforschung 191
–– lytischer 232 Zygotän 196
Werner-Syndrom 284 Zygote, Entwicklung 336
Wildtyp 189 Zyklus
wingless-Gen 341 –– lysogener 148, 253
Wobble-Effekt 118 –– lytischer 148, 252
WT1-Gen 215 ZZ-Satz 210

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