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In mehreren Bänden, die sich jeweils auf ein Fach im Kanon der Lebenswissen-
schaften konzentrieren, bietet das Kompaktwissen Biologie Studierenden das ide-
ale Material für die Prüfungsvorbereitung und nach der Prüfung ein kompaktes
Nachschlagewerk auf hohem Niveau. Kurz und prägnant präsentieren sie das
gesamte notwendige Wissen auf wenig Raum – und decken zudem die Anforde-
rungen des für Mediziner wichtigen Gegenstandskatalogs vollständig ab. Indem
die Bände der Buchreihe Kompaktwissen den Inhalt ähnlich strukturieren, wie
er in den Vorlesungen abgehandelt wird, erhalten sie die fachlichen Zusammen-
hänge, wodurch sie auch vorlesungsbegleitend genutzt werden können.
Genetik und
Molekularbiologie
Autor: Olaf Schmidt
Essen
Nordrhein-Westfalen
Deutschland
Kompaktwissen Biologie
ISBN 978-3-662-50273-0 ISBN 978-3-662-50274-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-50274-7
Springer Spektrum
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017
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wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
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Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt
sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich
oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen.
„So dünn? Und das soll ein Lehrbuch sein?“, werden Sie sich vermutlich fragen, wenn
Sie zum ersten Mal einen Band aus der Reihe Kompaktwissen in den Händen halten.
Falls Sie die Reihe bereits kennen, haben Sie sicherlich schon bemerkt, dass jeder Band
auf rund 200 Seiten die gleichen Informationen bereithält wie ein herkömmliches
Lehrbuch von 1000 Seiten. Wie ist das möglich?
… zur Vorbereitung auf Prüfungen. Die Bücher bieten den Lernstoff ohne Ballast
und im richtigen Kontext an. Sie verschaffen damit einen Überblick und liefern das
nötige Faktenwissen. Speziell für Mediziner wurde der Inhalt des Gegenstandskatalogs
berücksichtigt und aufgenommen.
… zum Nachschlagen. Wenn Sie im Laufe des späteren Studiums oder nach dessen
Abschluss Teile Ihres früheren Wissens vergessen haben, können Sie es mit wenig
Zeitaufwand wieder auffrischen.
Jeder Band Kompaktwissen behandelt ein Thema aus dem Fächerkanon der Lebens-
wissenschaften, sodass die Reihe insgesamt auf wenig Raum das Wissen zur Biologie
und ihren Schwesterwissenschaften, wie es zum Bachelor oder zum ersten Staatsex-
amen verlangt wird, zusammenfasst.
Die Autoren, der Herausgeber und der Verlag hoffen, Ihnen damit eine wertvolle Hilfe
für das Studium und die Prüfungsvorbereitung an die Hand zu geben.
Selten schaffen es wissenschaftliche Ergebnisse bis in die Tagesschau. Bei der Genetik
ist das anders: Sequenzierung des menschlichen Erbguts, Embryonen mit drei Eltern,
neueste Methoden zur Manipulation des Erbguts – immer wieder kommen derartige
Schlagwörter in den Nachrichten vor. Offensichtlich ist diese Wissenschaft nicht ganz
unbedeutend. Die Genetik ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einer
Leitwissenschaft „mutiert“.
Der Zuwachs an Wissen hat die Genetik-Lehrbücher enorm anschwellen lassen. Wer
sich jetzt Prüfungs- und Berufswissen aneignen möchte, muss straffen und weiß nicht
wie. Wer eine Antwort auf eine Frage sucht, muss viel blättern und lesen. Vielleicht
kann dieses Buch dem Leser die lästige Arbeit abnehmen. Wenn das gelingt und das
Buch nützlich und hilfreich ist, so ist es auch das Verdienst meiner Testleser und Kol-
leginnen und Kollegen, die mich auf Fehler und Wege zur Verbesserung aufmerksam
gemacht haben. Daher möchte ich mich sehr herzlich bedanken bei Jan Mantke, Luca
David Simon, Sara Rezaei, Felike Haase und Dagmar Knopf.
Die Idee zu dieser Buchreihe hatte Olaf Fritsche, dem ich dafür danke, dass ich mit
diesem Genetik-Band an der Reihe mitwirken kann, und dem ich für zahlreiche
Hinweise zur Verbesserung Dank schulde.
Ich möchte mich auch bedanken bei Merlet Behncke-Braunbeck vom Springer-
Verlag, die dieses Projekt mit ins Leben gerufen hat, und bei Meike Barth, für ihre
sehr freundliche Unterstützung und hilfreiche Begleitung, als dieses Buch allmählich
Gestalt annahm.
Olaf Schmidt
Essen, Juni 2016
VII
Einleitung
Vererbungslehre ist der alte deutsche Name für Genetik. Griffig und prägnant ist
er immer noch. Denn die Genetik befasst sich mit den Vererbungsvorgängen. Sie
beschreibt Aufbau und Organisation des genetischen Materials, erforscht die Gesetz-
mäßigkeiten und Vorgänge zum Erhalt desselben, zu seiner Weitergabe, seiner Ver-
änderung und der Ausprägung der im Erbgut gespeicherten Information.
Der Blick der Genetik ist weit. Daher gibt es eigene, umfangreiche Genetik-
Vorlesungen, Seminare und Praktika an Universitäten und Hochschulen. Als Teil-
gebiet der allgemeinen Biologie ist sie nicht auf bestimmte Organismen beschränkt,
sondern nimmt alle Lebewesen und Lebensformen ins Visier, sucht nach Gemein-
samkeiten und Unterschieden zwischen ihnen. Deswegen vergleicht dieser Band in
den ersten Kapiteln immer wieder die drei Domänen Bakterien, Archaeen und Euka-
ryoten miteinander.
Der Band Kompaktwissen Genetik ist dabei so aufgebaut, wie die Themen an
den meisten Universitäten/Hochschulen auch vorgestellt werden: Er beginnt mit der
Beschreibung des genetischen Materials und den grundlegenden Vorgängen der Rep-
likation, Transkription und Translation. Anschließend geht er über zu den Gebieten
Regulation, Mutation und Reparatur und kommt zu den spezielleren Themen wie
der medizinisch ausgerichteten Humangenetik und Teilgebieten wie der Entwick-
lungsgenetik. Aufgrund der Sequenzierung kompletter Genome ist die Genomik zu
einem eigenständigen Gebiet herangewachsen, das hier mit seiner Vorgehensweise
und seinen Fragestellungen vorgestellt wird. Eine Übersicht über Methoden und
Modellorganismen beendet den Band.
Dank der unglaublichen Fortschritte in der Genetik kann man viele Phänomene
auf zellulärer und molekularer Ebene verstehen und beschreiben. Es gelingt immer
besser, lückenlose Erklärungsketten für komplexe Vorgänge zu formulieren. Hier
verschmelzen Genetik und Molekularbiologie und sind nicht mehr voneinander zu
trennen. Diese Betrachtung der modernen Genetik als molekular ausgerichtete Dis-
ziplin hat dem Buch den Titel gegeben.
IX
Inhaltsverzeichnis
3 DNA-Replikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
3.1 Prinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3.1.1 Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
3.1.2 Enzymfunktionen und Hilfsproteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3.1.3 Startpunkte der Replikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.1.4 Syntheserichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.2 Initiation der Replikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.2.1 Initiation bei Bakterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
X Inhaltsverzeichnis
4 Transkription. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
4.1 Überblick und Grundbegriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.2 Funktionell gleiche Elemente und Strukturen bei Bakterien, Archaeen
und Eukaryoten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.2.1 RNA-Polymerase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.2.2 Regulierende DNA-Elemente (cis-Elemente). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
4.2.3 Regulierende Proteine (trans-Faktoren). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.3 Prinzip der Transkriptionsinitiation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.4 Initiation bei E. coli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.4.1 Aufbau der RNA-Polymerase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.4.2 Aufbau der Promotoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
4.5 Initiation bei Archaeen und Eukaryoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.5.1 RNA-Polymerase und Promotoren von Archaeen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.5.2 Eukaryotische RNA-Polymerasen und ihre Promotoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.5.3 Aufbau des Präinitiationskomplexes für die Pol II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
4.6 Elongation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
4.6.1 Elongation bei E.coli. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
4.6.2 Elongation bei Archaeen und Eukaryoten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
4.7 Termination. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.7.1 Terminaton bei Bakterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.7.2 Termination bei Archaeen und Eukaryoten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.8 Prozessierung von Transkripten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.8.1 Prozessierung bei Bakterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.8.2 Prozessierung bei Eukaryoten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
4.9 RNA-Editing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5 Translation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
5.1 Überblick und Grundbegriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
5.2 Der genetische Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
5.3 tRNA-Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
5.3.1 Struktur der tRNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
XI
Inhaltsverzeichnis
12 Humangenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
12.1 Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
12.1.1 Kennzeichen mendelnder Erbgänge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
12.1.2 Kennzeichen mitochondrialer Erbgänge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
12.1.3 Schwierigkeiten bei der Interpretation von Stammbäumen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
12.1.4 Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Genen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
12.2 Untersuchungsmethoden in der Humangenetik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
12.2.1 Pränataldiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
12.2.2 Genetischer Fingerabdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
12.2.3 Kartierung von Krankheitsgenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
12.2.4 Assoziationsstudien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
12.2.5 Nachweis von Mutationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
12.3 Komplexe Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
12.3.1 Diabetes mellitus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
12.3.2 Allgemeines zu Krebs und Tumorgenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
12.3.3 Tumorsuppressorgene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
12.3.4 Onkogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
12.3.5 Mutatorgene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
12.4 Behandlung erblich bedingter Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
13 Immungenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
13.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
13.1.1 Einteilung des Immunsystems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
13.1.2 Die genetische Komplexität der erworbenen Immunantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
13.2 B-Lymphocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
13.2.1 Einteilung der Antikörper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
13.2.2 Struktur der Antikörper oder Immunglobuline. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
13.3 Aufbau der Immunglobulingene und Antikörpervielfalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
13.4 T-Zell-Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
13.5 Haupthistokompatibilitätskomplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
14 Entwicklungsgenetik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
14.1 Entwicklungsphasen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
14.2 Die Entwicklung von Drosophila . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
14.2.1 Ablauf der Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
14.2.2 Genetische Charakteristika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
XV
Inhaltsverzeichnis
15 Genomik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
15.1 Überblick und Einteilung des Gebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
15.2 Kartierung von Genomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
15.2.1 Biologische Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
15.2.2 Physikalische Karten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
15.2.3 Sequenzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
15.2.4 Annotierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
15.3 Variabilität und Individualität im menschlichen Genom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
15.3.1 Einzelnucleotidpolymorphismen und Einzelnucleotidvarianten. . . . . . . . . . . . . . . . . 270
15.3.2 Kopienzahlvarianten (CNVs). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
15.3.3 Mikrosatelliten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
15.4 Funktionelle Genomik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
15.4.1 Untersuchung des Transkriptoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
15.4.2 Proteomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
15.5 Komparative Genomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
15.6 Evolution des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
16 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
16.1 Isolierung von Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
16.1.1 Isolierung von DNA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
16.1.2 Isolierung von RNA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
16.1.3 Präparation von Plasmid-DNA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
16.2 Polymerasekettenreaktion (PCR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
16.2.1 Standard-PCR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
16.2.2 Nested PCR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
16.2.3 RT-PCR (Reverse-Transkriptase-PCR). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
16.2.4 Multiplex-PCR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
16.2.5 Echtzeit-PCR (real-time PCR). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
16.3 Gelelektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
16.4 Blotting und Hybridisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
16.5 DNA-Sequenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
16.5.1 DNA-Sequenzierung nach Sanger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
16.5.2 Pyrosequenzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
XVI Inhaltsverzeichnis
Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
1 1
1.4 RNA-Moleküle – 10
Die DNA ist der Träger der Erbanlagen. Sie speichert die Information für die Bildung und Erhal-
tung eines Organismus.
Heute spricht man statt von Erbanlagen oder Erbfaktoren von Genen, die Gesamtheit der
Gene eines Organismus heißt Genom. Gene sind begrenzte Abschnitte der DNA, welche die
Information für die Herstellung eines RNA-Moleküls enthalten (siehe 7 Kap. 4 Transkription).
Das Genom von Viren oder Bakteriophagen (Viren, die Bakterien infizieren, wörtlich: „Bakte-
rienfresser“) kann auch aus RNA bestehen. Somit besitzen alle lebenden Zellen DNA- bzw. RNA-
Moleküle, egal ob sie zu den Bakterien (Bacteria), zu den Archaeen (Archaea) oder zu den Euka-
ryoten (Eukarya) gehören.
DNA und RNA sind die Abkürzungen für die englischen Ausdrücke deoxyribonucleic acid
und ribonucleic acid, also Desoxyribonucleinsäure und Ribonucleinsäure.
Als Erster isolierte Friedrich Miescher 1869 in Tübingen DNA und sprach von „Nuclein“. Es han-
delte sich jedoch nicht um reine DNA, sondern um ein DNA-Protein-Gemisch. Erst später gelang
die Isolierung von reiner Nucleinsäure, und dieser Begriff wurde gebräuchlich. Mit der Unter-
suchung der Chromosomen drängte sich immer mehr die Frage auf, aus welchem Stoff die Gene
bestehen. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts identifizierten mehrere Wissenschaftler
die Chromosomen als Träger der Gene im Zellkern. Allerdings sind Chromosomen Komplexe aus
DNA und Proteinen. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hielt man sogar die Proteine für die Gene,
weil sie so verschieden aufgebaut waren und man damit die genetische Vielfalt eher erklären konnte.
Ein Sinneswandel setzte erst nach und nach ein. Er begann Ende der 1920er-Jahre dank einer
Reihe von Experimenten, die Frederick Griffith begann und Oswald Avery mit Kollegen fort-
setzte. Griffith arbeitete mit zwei Stämmen des Bakteriums Streptococcus pneumoniae, das
Lungenentzündungen hervorrufen kann (. Abb. 1.1).
55 Der S-Stamm hat seinen Namen vom glatten (engl. smooth) Aussehen der Kolonien. Die
Bakterienzellen bilden eine Schleimkapsel und entgehen somit dem Immunsystem, sie sind
virulent. Griffith infizierte Mäuse mit dem Stamm, woraufhin diese starben (. Abb. 1.1a).
55 Der R-Stamm sieht rau aus (engl. rough). Diese Zellen können keine Schleimkapsel bilden
und sind nichtvirulent, Mäuse überleben daher eine Infektion (. Abb. 1.1b).
1.1 · Nachweis der DNA als Erbmolekül
3 1
Tot Lebend
S-Stamm R-Stamm
Virulenter Stamm Nichtvirulenter Stamm
a b
Virulenter Stamm
(durch Hitze abgetötet)
Offenbar ist die Erbinformation zum Auslösen der Krankheit hitzestabil. Sie übersteht die Pro-
zedur, die lebenden Zellen können sie aufnehmen und verwerten. Griffith sprach vom transfor-
mierenden Prinzip. Avery zeigte später, dass es sich dabei um DNA handelt. Die Aufnahme und
Verwertung nackter DNA durch eine Zelle wird Transformation genannt und ist bis heute eine
alltägliche Methode im Labor.
Alfred Hershey und Martha Chase konnten diese Ergebnisse 1952 bestätigen. Sie experimen-
tierten mit dem Darmbakterium Escherichia coli (E. coli) und seinem Phagen T2. Hershey und
Chase infizierten E.coli mit mehreren Varianten von T2, deren DNA und Proteinhülle sie unter-
schiedlich radioaktiv markiert hatten: Die Phagen-DNA enthielt radioaktiven Phosphor (32P)
und die Proteinhülle radioaktiven Schwefel (35S). Das Element Phosphor kommt in DNA, aber
nicht in Proteinen vor, Schwefel dagegen in Proteinen, aber nicht in DNA. Durch die radioaktive
Markierung ließ sich der Weg der Komponenten verfolgen (. Abb. 1.2).
Kurz nach Adsorption und Beginn des Infektionszyklus, also nach Injektion des Phagenerb-
guts in die Wirtszelle, untersuchten Hershey und Chase die Bakterien. Sie fanden darin und später
4 Kapitel 1 · Das genetische Material
Proteinhülle
42
1 mit 35S markiert
DNA
mit 32P markiert
32P
Adsorption
32P
32P 32P
32P
32P
Synthese und
Zusammenbau
der Phagen
in den freigesetzten fertigen Phagen den radioaktiven Phosphor. Folglich war die DNA weiter-
gegeben worden, nicht aber das Protein. Das Ergebnis überzeugte nicht alle, aber doch weitere
Wissenschaftler, dass das Erbgut aus DNA und nicht aus Proteinen besteht.
In Zellen ohne Zellkern, den Prokaryoten, liegt die DNA im Cytoplasma. Zu den Prokaryoten
gehören Bakterien und Archaeen.
In Zellen mit Zellkern, den Eukaryoten, findet man DNA im Zellkern und in Mitochondrien
und Plastiden, jedoch nicht im Cytoplasma. Zu den Eukaryoten zählen Einzeller mit Zellkern
und Mehrzeller: Pilze, Pflanzen und Tiere.
RNA liegt bei Prokaryoten im Cytoplasma vor, bei Eukaryoten im Zellkern, in den Mitochon-
drien und Plastiden sowie im Cytoplasma.
Chemisch gesehen sind DNA und RNA sehr ähnliche Moleküle. Sie können eine beträchtliche
Größe annehmen und damit zu den Makromolekülen zählen: sehr große Moleküle, die aus klei-
neren Bausteinen bestehen.
1.2 · Chemie von DNA und RNA
5 1
Die Bausteine haben eine bestimmte Abfolge. Darin ist die Information gespeichert wie in
der Abfolge von Buchstaben in Wörtern. Die Bausteine von DNA und RNA heißen Nucleotide.
Daher bezeichnet man Nucleinsäuren auch als Polynucleotide.
Jedes Nucleotid von DNA und RNA besteht aus drei Bausteinen:
55 Aus einem Phosphatrest der Phosphorsäure. Er wird durch das „A“ in DNA für Säure
(engl. acid) angezeigt.
55 Aus einem Fünffachzucker, der Pentose: 2′-Desoxyribose in der DNA und Ribose in
der RNA. „2′-Desoxy“ deutet an, dass dem zweiten Kohlenstoffatom des Zuckers eine
OH-Gruppe fehlt.
55 Aus einer von vier Basen. Diese sind variabel.
z Der Basenanteil
Die Basen der DNA sind (. Abb. 1.3):
55 Adenin (A),
55 Thymin (T),
55 Guanin (G) und
55 Cytosin (C).
In der RNA ersetzt Uracil (U) das Thymin. Dem Uracil fehlt die 5-Methylgruppe des Thymins.
Chemisch gesehen gehören Adenin und Guanin zu den Purinen, Thymin, Uracil und Cytosin
zu den Pyrimidinen.
Zur Benennung werden die Kohlenstoffatome der Basen durchnummeriert von 1 bis 6 (Pyri-
midine) bzw. 1 bis 9 (Purine) und die Kohlenstoffatome des Zuckers von 1′ bis 5′, gelesen als
„eins Strich“ (engl. prime). So kann man angeben, welche Atome an Reaktionen der DNA und
der RNA beteiligt sind.
Von Bedeutung für bestimmte Prozesse ist es außerdem, ob Adenin und/oder Cytosin (bei
Mikroorganismen) oder nur Cytosin (bei Pflanzen oder Tieren) eine Methylgruppe tragen und
als N6-Methyladenin bzw. 5-Methylcytosin vorliegen.
In reifen RNA-Molekülen findet man noch andere Basen, weil die Zelle einige Nucleotide
nach Bildung eines RNA-Moleküls chemisch verändert oder in bestimmten RNA-Molekülen
ungewöhnliche Basen von vornherein vorkommen (siehe 7 Kap. 4, Transkription).
42
1
. Abb. 1.3 Die fünf Basen der DNA und RNA und ihre Verknüpfung über Wasserstoffbrücken in der DNA-
Doppelhelix (nach Schaaf und Zschocke 2013)
Der Phosphatrest ist über eine Esterbindung an den 5′-Kohlenstoff des Zuckers
geknüpft. Die Veresterung oder die Auflösung der Esterbindung sind wichtige Reaktionen
der Nucleotide bzw. der Nucleinsäuren bei der Replikation, der Transkription sowie bei
Reparaturprozessen.
Über die 3′-OH-Gruppe kann ein Nucleotid mit dem Phosphatrest am Kohlenstoffatom 5′ eines
zweiten Nucleotids eine Veresterung eingehen, wodurch eine Phosphodiesterbindung entsteht.
Die 3′-OH-Gruppe des zweiten Nucleotids kann sich mit dem Phosphatrest eines dritten ver-
knüpfen usw. Auf diese Weise ergibt sich ein Polynucleotid, eine Nucleinsäure (. Abb. 1.4). Sie
1.3 · Die Struktur der DNA
7 1
NH2
5'-Ende N
N
OH A Adenosin
O P O N N
O
O– H H
O
H H
O H
N
NH
G Guanosin
O P O
N N NH2
O– O
H H
O
H H
O H H3C
NH
T Thymidin
O P O
N O
O– O
H H
NH2
H H
O H
N
HO C Cytidin
OH O P O
O N O
O– O
H H
H H
H H H H
OH H OH H
2'-Desoxyribose 3'-Ende
. Abb. 1.4 Die Verknüpfung der Nucleotide zu einem DNA-Strangausschnitt und die 2′-Desoxyribose (nach
Fritsche 2015)
besteht aus einem Rückgrat, in dem sich Zucker- und Phosphatgruppen abwechseln. Von den
Zuckergruppen gehen die Basen ab.
Die Basen sind die eigentlichen Informationsträger. Ihre Abfolge oder Sequenz trägt die
Erbinformation.
Man notiert die Sequenzen mit dem 5′-Phosphat voran (5′-Ende) in Richtung der 3′-OH-
Gruppe (3′-Ende), beispielsweise 5′-TGGTACACAT-3′ oder 5′-UCUGGAGACU-3′.
Die Länge einer DNA gibt man in Basenpaaren (bp) an. Ab 1000 bp schreibt man Kilobasen
(kb), ab 1000 kb Megabasen (Mb), ab 1000 Mb Gigabasen (Gb). Gelegentlich findet man Angaben
des DNA-Gehalts in Picogramm (pg).
Francis Crick und James Watson schlugen 1953 das bis heute gültige Modell der DNA als Dop-
pelhelix vor. Grundlegend sind die Chargaff-Regeln (nach Erwin Chargaff), die das Verhältnis
8 Kapitel 1 · Das genetische Material
42
1
Große Furche
Kleine Furche
3,3 nm
2,37 nm
a B-DNA b
. Abb. 1.5 Kalottenmodell (a) und Strickleitermodell (b) der B-Form der DNA (nach Schaaf und Zschocke 2013)
der Basen zueinander angeben. Demnach ist bei jedem Organismus der Adeninanteil genauso
groß wie der Thyminanteil und der Guaningehalt genauso groß wie der Cytosingehalt. Watson
und Crick verwerteten experimentelle Daten von Röntgenbeugungs- oder Röntgendiffraktions
experimenten an DNA-Kristallen. Dabei beschießt man die Kristalle mit Röntgenstrahlen. Aus
dem Muster hinter der Probe schließt man auf die Struktur der Moleküle. Diese Methode bildet
noch heute ein wichtiges Verfahren zur Strukturaufklärung von Proteinen.
Das Modell der Doppelhelix beschreibt die DNA folgendermaßen (. Abb. 1.5):
55 DNA liegt in Zellen doppelsträngig vor. Zwei Polynucleotideinzelstränge sind umeinander
gewunden und bilden eine verdrehte Strickleiter oder rechtsgängige Doppelhelix.
55 Die Basen Adenin (A) und Thymin (T) sowie Guanin (G) und Cytosin (C) sind jeweils
komplementär zueinander und bilden Watson-Crick-Basenpaarungen.
55 Zusammengehalten werden die Stränge über Wasserstoffbrückenbindungen. Davon
entstehen zwei zwischen AT bzw. TA und drei zwischen GC bzw. CG.
55 Damit legt die Sequenz des einen Strangs die Sequenz des anderen (komplementären)
Strangs fest.
55 Die Orientierung ist dabei gegenläufig oder antiparallel. Dem 5′-Ende des einen Strangs
liegt das 3′-Ende des zweiten gegenüber und umgekehrt. Außen liegt das Rückgrat der
Zucker-Phosphat-Kette. Dass sich jeweils eine Purinbase mit einer Pyrimidinbase paart,
sichert den gleichen Abstand zwischen den Strängen.
1.3 · Die Struktur der DNA
9 1
1.3.2 Konformationen der DNA
55 Die beschriebene Raumstruktur oder Konformation der DNA bezeichnet man als B-Form
der DNA. Charakterisiert ist sie durch eine kleine und große Furche, einen Helixdurch-
messer von 2 nm und einer Windung, die etwa 10 bp umfasst. Die B-Form ist die gängige
Konformation in lebenden Zellen.
55 Die A-Form ist die „kristalline“ oder wasserarme bis wasserfreie Struktur mit größerem
Durchmesser, geringerem Basenabstand zueinander und abweichenden Furchen. Sie
beispielsweise wasserfreien Sporen von Bakterien vor, mit deren Hilfe die Mikroorga-
nismen Mangelzustände überdauern.
55 Die Zickzackform der Z-DNA hat einen kleineren Durchmesser als die B-Form, schwächer
ausgeprägte Furchen und ist linksgängig. Man nimmt an, dass ein DNA-Molekül von der
B-Form in die Z-Form übergehen kann, wenn das für bestimmte Prozesse notwendig ist.
Die Struktur der Furchen ist wichtig, weil viele Proteine sich dort an die DNA binden und darüber
Prozesse regulieren. Das ist nur möglich, wenn Furchungstiefe und -breite die Bindung zulas-
sen. Vermutlich kann die Zelle über die Konformation Reaktionen an der DNA kontrollieren.
Die DNA-Sequenz ist typisch für jede Art von Organismen, daher weist jede Art einen spezifi-
schen Gehalt an GC- und AT-Paaren auf.
Die Paarung der DNA-Stränge über Wasserstoffbrückenbindungen verleiht der DNA beson-
dere Eigenschaften:
55 Die Wasserstoffbrücken lassen sich trennen oder aufschmelzen.
55 Die Trennung erfolgt durch Erhitzen oder durch Chemikalien und ist umkehrbar, also
reversibel.
55 Die Wasserstoffbrücken formen sich spontan neu, wenn man die äußeren Bedingungen
wieder ändert.
Den unterschiedlichen GC-Gehalt nutzt man aus, um Schmelzkurven zu erstellen (. Abb. 1.6).
Das war vor allem früher ein Weg, um die DNA-Moleküle von verschiedenen Arten zu verglei-
chen. Je höher der GC-Gehalt einer DNA ist, desto mehr Wasserstoffbrücken müssen aufgebro-
chen werden und desto höher ist ihre Schmelztemperatur TM.
Überführt man die Doppelstränge in Einzelstränge, nennt man das auch Denaturierung. Sie
lässt sich mit UV-Licht von 260 nm Wellenlänge verfolgen. Einzelstränge absorbieren stärker als
Doppelstränge, sodass man beim Erhöhen der Temperatur eine Zunahme der Absorption beob-
achten kann. Diese Absorption bei 260 nm trägt man in Schmelzkurven gegen die Temperatur auf.
Die Schmelztemperatur ist die Temperatur, bei der die DNA zu 50 % denaturiert vorliegt.
Kühlt man den Ansatz ab, verbinden sich die Einzelstränge wieder zu Doppelsträngen, was man
als Renaturierung oder Annealing bezeichnet.
Renaturiert man nicht zusammengehörende DNA-Einzelstränge verschiedener Arten oder
DNA-Einzelstränge mit RNA, spricht man von Hybridisierung. Je genauer die Nucleotidabfolge
übereinstimmt, desto fester verbinden sich die Einzel- zu Doppelsträngen und desto näher sind
die Arten miteinander verwandt bzw. umso mehr entspricht die RNA der DNA.
DNA-RNA-Hybridisierungen führt man beispielsweise durch, wenn man wissen möchte,
ob in einem Gewebe ein Gen aktiv ist und dann eine mRNA von dem DNA-Abschnitt bildet. Je
10 Kapitel 1 · Das genetische Material
Einzelsträngige
42
1 DNA
1,4
Denaturierung
Relative Absorption bei 260 nm
schreitet fort
1,3
Temperatur, bei der
eine vollständige
Trennung der
DNA-Stränge
1,2 erfolgt
Denaturierung
beginnt
1,1
1,0
30 50 70 90 110
Tm Temperatur (°C)
nachdem, wie man die Reaktionsbedingungen wählt (wie stringent sie sind), kann man Hybri-
disierungen zwischen unterschiedlichen Nucleinsäuren erlauben oder ausschließen.
In der heutigen Laborpraxis zeichnet man keine Schmelzkurven auf, sondern markiert eine
der Nucleinsäuren radioaktiv oder mit einem Fluoreszenzfarbstoff. In der Regel nimmt man dafür
die kleinere Sequenz, z. B. die RNA. Sie dient als Sonde. Erhält man am Ende ein radioaktives oder
ein Fluoreszenzsignal, hat sich die Sonde an die andere Nucleinsäure gebunden.
Die DNA-Chip-Technologie nutzt das Prinzip aus, um im großen Maßstab Sequenzen auf
Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu untersuchen (siehe 7 Abschn. 15.4.1).
1.4 RNA-Moleküle
RNA unterscheidet sich im Aufbau und Vorkommen in mehreren Punkten von DNA:
55 Die Base Thymin ist durch Uracil ersetzt.
55 RNA enthält als Zuckerbaustein Ribose. Dieser Zucker trägt am zweiten und dritten
C-Atom je eine OH-Gruppe (. Abb. 1.7).
55 In manchen RNA-Molekülen kommen ungewöhnliche Basen vor, z. B. Pseudouridin in
tRNAs.
55 RNA-Moleküle liegen einzel- oder doppelsträngig vor.
1.4 · RNA-Moleküle
11 1
. Abb. 1.7 Struktur der Ribose (nach Mülhardt 2013) HO
OH
O
H H
H H
OH OH
Ribose
In einigen Viren und Phagen besteht das Genom aus doppelsträngiger RNA.
Doppelsträngige RNA-Moleküle oder RNA-Molekülabschnitte sind sonst die Ausnahme:
55 Sie treten vorübergehend während der Bildung regulatorischer RNA-Moleküle und
innerhalb der mRNAs auf, um damit bestimmte Prozesse (bei der Transkription oder
Translation) zu steuern.
55 Sie sind dauerhaft in den tRNAs (TransferRNAs) anzutreffen, welche die Aminosäuren
zum Ort der Proteinbiosynthese transportieren.
Doppelsträngige RNA-Abschnitte sind eine Sekundärstruktur des Moleküls. Diese heißt Haar-
nadelschleife (engl. hair pin oder stem loop).
Haarnadelschleifen bilden sich aus, wenn zwei Abschnitte desselben Moleküls zueinander
komplementär sind. Grundsätzlich kann auch die DNA Haarnadeln formen, wenn sie einzelsträn-
gig vorliegt. Das ist möglich, wenn eine Sequenz zweimal hintereinander mit geringem Abstand
zwischen den Abschnitten auftritt, wobei beide Abschnitte die entgegengesetzte Richtung zuei-
nander haben, sich also wie Spiegelbilder zueinander verhalten. Diesen Fall nennt man Inverted
Repeat. Von einem Palindrom spricht man, wenn ein Abschnitt in sich selbst spiegelsymmetrisch
aufgebaut ist (wie das Wort Lagerregal). Haarnadeln in der DNA wirken sich jedoch oft störend
für die Prozesse in der Zelle aus. Deswegen binden sich beispielsweise während der Replikation
schnell stabilisierende Proteine an Einzelstrangabschnitte der DNA.
55 Transfer RNA, tRNA: Transfer von Aminosäuren an die mRNA während der
42
1 Proteinbiosynthese
55 ribosomale RNA, rRNA: Aufbau von Ribosomen, Funktion in der Proteinbiosynthese
55 Mikro-RNA, miRNA: Regulation der Translation
55 small interfering RNA, siRNA: Regulation der Translation
55 piwi interacting RNA, piRNA: Unterdrückung der Retrotransposition während der
Spermatogenese
55 small nuclear RNA, snRNA: Spleißen von mRNA
55 small nucleolar RNA, snoRNA: Reifung der rRNA-Moleküle
55 7SL-RNA: Proteintranslokation durch Membranen
55 long noncoding RNA, lncRNA: Regulation der Genexpression
13 2
2.1.1 Größenvergleich
Das Genom von E. coli umfasst rund 4,6 Mb (4,6 ×106 bp) und ist damit etwa mittelgroß.
Die Größe bakterieller Chromosomen liegt zwischen etwas mehr als 100 kb und über 10 Mb.
Die geringste Anzahl an Genen haben endosymbiontisch lebende Bakterien oder Krankheits-
erreger wie die Mycoplasmen. Da sie viele Nährstoffe von ihrem Wirt beziehen, müssen sie selbst
nicht mehr so viele Stoffe herstellen und kommen schon mit wenigen Hundert Genen aus. E. coli
stellt seine Stoffwechselprodukte jedoch selbst her und benötigt dafür mehr als 4000 Gene.
Beispiel: Mycoplasma genitalium besitzt nur ein einziges Gen für die Biosynthese von Ami-
nosäuren, E. coli K12 verfügt über mehr als 130.
Bakterien verteilen ihre lebenswichtigen Gene auf ein Chromosom (Beispiel: E. coli) oder auf
zwei (Beispiel: Agrobacterium tumefaciens). Da es nicht dem strukturierten Aufbau von euka-
ryotischen Chromosomen entspricht, spricht man einschränkend vom Bakterienchromosom.
Meistens sind Bakterienchromosomen zirkulär, es kommen aber auch lineare Chromoso-
men vor (Beispiel: Streptomyces coelicolor), A.tumefaciens besitzt ein zirkuläres und ein lineares
Chromosom. Lineare Chromosomen müssen gesondert geschützt sein, denn ein freies DNA-
Ende deutet die Zelle als Fehler oder Schaden und beginnt eventuell mit dem Abbau der DNA.
Zum Schutz sind Proteine an die Enden gebunden, oder die DNA bildet Haarnadelschleifen aus,
wodurch die Enden doppelsträngig sind.
Das Chromosom liegt nicht willkürlich verteilt im Cytoplasma vor, sondern füllt einen
begrenzten Raum aus, das Nucleoid, und einzelne Abschnitte sind an bestimmte Positionen
in der Zelle gekoppelt. So liegen der DNA-Abschnitt, mit dem die Replikation beginnt, und der
Replikationsapparat in der Mitte der Zelle.
Eine höhere Ordnung erhält das Chromosom über eine weitere Verdrillung der DNA und
mittels DNA-bindender Proteine.
Die Verdrillung heißt Überspiralisierung (engl. supercoiling): Schneidet man einen Strang
auf und dreht ihn so um den zweiten, dass man die Windung herausnimmt, fehlt der DNA auf
2.1 · Struktur des Chromosoms und Organisation des Genoms
15 2
. Abb. 2.1 Superhelikale Konformation
ringförmiger DNA
ihrer Gesamtlänge eine Windung. Verknüpft man die Enden dann wieder miteinander, steht die
DNA so unter Spannung, dass sie sich in sich selbst verdreht und kompakter wird (. Abb. 2.1).
Eine herausgenommene Windung nennt man negatives Supercoiling, eine eingeführte Windung
positives Supercoiling. Solche Erscheinungsformen der DNA heißen Topoisomere.
Die Zelle verwendet zum Supercoiling besondere Enzyme, die Topoisomerasen.
55 Typ-I-Topoisomerasen brechen einen Strang auf,
55 Typ-II-Topoisomerasen brechen beide Stränge auf. Sie benötigen ATP.
Die Topoisomerase II, die positives Supercoiling entspannt und negatives Supercoiling bewirkt,
heißt Gyrase. Da sie für ein Bakterium lebensnotwendig ist, dient sie als Angriffspunkt für
Antibiotika.
Topoisomerasen sind eingebunden in die Replikation, Rekombination, Reparatur und Tran-
skription, allgemein in alle Prozesse, bei denen sich die DNA-Windungen ändern.
Die DNA-bindenden Proteine für die höhere Ordnung der DNA zählen zu den generellen oder
unspezifischen DNA-Bindeproteinen. Sie müssen also keine bestimmte Nucleotidabfolge in der
DNA erkennen, um sich an diese zu heften. Spezifische DNA-Bindeproteine für die Transkrip-
tion sind auf bestimmte Sequenzen angewiesen.
Die wichtigsten Proteine zum Formen von DNA sind die nucleoidstrukturierenden Proteine
(nucleoid proteins):
55 Histonähnliche Proteine, H-NS oder histone like nucleoid structuring proteins. Ihr Name
weist auf die funktionelle Verwandtschaft zu den eukaryotischen Histonen hin: Mehrere
positiv geladene Aminosäuren binden sich an die negativ geladenen Phosphatreste der
DNA.
55 Hitzeinstabile HU-Proteine, heat unstable nucleoid proteins.
Die strukturierenden Proteine legen die superspiralisierte DNA in weitere Schlaufen. Es ergibt
sich ein Bild mit einem Proteinkern, aus dem überspiralisierte DNA-Schleifen wie Strahlen her-
ausragen. So passt die etwa 1,6 mm lange DNA von E. coli in die nur 2 µm lange Zelle.
2
2.1.4 Organisation von Genen und nichtcodierende DNA
Das Genom besteht aus nichtcodierenden und codierenden Abschnitten. Von den codierenden
Sequenzen bildet die Zelle eine RNA-Kopie.
Innerhalb der nichtcodierenden Abschnitte gibt es Sequenzen mit besonderen Funktionen:
55 Der Abschnitt, an dem die Zelle die Replikation der DNA beginnt (der Replikationsur-
sprung ori, origin of replication) oder endet (ter, termination).
55 Signalsequenzen wie Promotor und Operator, welche die Transkription regulieren.
55 Bindungsstellen für Proteine mit verschiedenen Aufgaben. Sie liegen in der Regel
zwischen den Genen.
Nichtcodierende Sequenzen innerhalb von Genen kennt man nur von einigen Bakterien, hier
insbesondere in rRNA- und tRNA-Genen. Insgesamt ist der Anteil nichtcodierender DNA
gering, bei E. coli beträgt er etwa ein Zehntel. Diese Sequenzen haben vor allem regulatorische
Funktionen.
Bei Bakterien sind funktionell zusammenhängende Gene meistens zu Einheiten organisiert,
einzeln liegende Gene kommen seltener vor. So gewährleistet die Zelle, dass Gene für einen Stoff-
wechselweg zusammen reguliert und abgelesen werden. Eine solche Einheit bezeichnet man als
Operon. Die Zelle transkribiert alle Gene eines Operons zusammen als polycistronische mRNA.
Die mRNA für ein einzelnes Gen heißt monocistronisch.
Die meisten Gene kommen nur in einem Exemplar im Genom vor. Bekannte Ausnahmen
sind die rRNA-Gene. E. coli besitzt z. B. sieben Operons (rrn-Operons) mit den Genen für
rRNA- Moleküle.
Bei einigen Bakterien liegen auch zwischen den Genen kurze Nucleotidfolgen, die sich mehr-
mals im Genom wiederholen. Solche kurzen Wiederholungen nennt man repetitive Sequenzen.
Bei Prokaryoten ist ihre Zahl gering, bei Eukaryoten hoch.
Andere DNA-Elemente kommen mehrfach im Genom vor, ohne dass man sie zu den repeti-
tiven Sequenzen zählt. Es handelt sich dabei um bewegliche DNA. Ihre Position im Genom und
ihre Anzahl variiert. Man unterscheidet Insertionselemente (IS-Elemente) und Transposons.
Transposons können DNA-Abschnitte, die sie umschließen, an eine andere Stelle im Genom
verschieben. Dieser Vorgang wird als Transposition bezeichnet (siehe 7 Abschn. 9.3).
Außerdem können sich einige Plasmide und manche Phagen in das Chromosom integrieren.
2.1.6 Plasmide
Plasmide sind selbstständige genetische Elemente. Sie sind nicht Teil des Chromosoms und
werden von der Zelle unabhängig repliziert.
2.2 · Genom von Archaeen
17 2
Plasmide sind in der Regel als extrachromosomale DNA nicht in das Chromosom integriert.
Typen, die sich auch in das Bakterienchromosom integrieren und später wieder herausschnei-
den können, heißen Episom.
Sie sind meistens ringförmig, aber es gibt auch lineare Plasmide, vor allem bei Streptomyce-
ten. Die Größe schwankt beträchtlich von weniger als 1 kb bis zu mehreren Mb.
Die Zahl der Exemplare eines Plasmids innerhalb einer Zelle ist charakteristisch für das
jeweilige Plasmid:
55 Low-copy-Plasmide kommen in 1–10 Kopien pro Zelle vor.
55 High-copy-Plasmide liegen in mehr als 20 Kopien vor.
Eine Zelle kann verschiedene Plasmide beherbergen, vorausgesetzt sie gehören zu verschiedenen
Inkompatibilitätsgruppen. Ein Plasmid duldet kein anderes aus derselben Gruppe neben sich in
der Zelle. Welche Plasmide kombiniert werden können, bestimmen die Inc-Gene.
Plasmide können Artgrenzen überschreiten, das gleiche Plasmid kann also bei verschiede-
nen Arten vorkommen. Bakterien können viele Plasmide durch horizontalen Transfer an andere
Zellen übertragen (siehe 7 Abschn. 10.2).
Die Gene auf Plasmiden sind oft nicht überlebenswichtig, verschaffen ihren Trägern aller-
dings einen Vorteil unter bestimmten Lebensbedingungen:
55 Resistenzplasmide verleihen dem Wirt Resistenz gegenüber Antibiotika.
55 Abbau- oder Degradationsplasmide verschaffen Zugang zu einer besonderen Nahrungsquelle.
55 Bacteriocinplasmide codieren die Synthese von Bacteriocinen, die andere Bakterien
hemmen oder töten.
55 Virulenzplasmide codieren Toxine oder andere Pathogenitätsfaktoren, die einen Stamm
zum Krankheitserreger machen.
Medizinisch sind diese Plasmide wichtig für die Entstehung von Krankheiten oder für die Ver-
breitung der Antibiotikaresistenzgene, ökologisch sind sie interessant für den Abbau von umwelt-
gefährdenden Stoffen, und gentechnologisch dienen sie als Werkzeuge für die Klonierung von
Genen (siehe 7 Abschn. 16.6).
Will man die Genome der Archaeen beschreiben, sieht man ein Bild, das einem immer wieder
begegnet: Archaeen zeigen Gemeinsamkeiten mit Bakterien, weisen aber gleichzeitig Merkmale
auf, die sie mit Eukaryoten gemeinsam haben und die bei Eukaryoten komplexer sind. Grob
gesagt, ähneln Stoffwechselgene eher den Pendants bei Bakterien, Gene für Replikation, Tran-
skription und Translation eher den Gegenstücken von Eukaryoten.
Gemeinsamkeiten der Genome von Archaeen und Bakterien:
55 Die Chromosomen sind ringförmig.
55 Die meisten Archaeen haben wenige Chromosomen, in der Regel ein einziges (Sulfolobus
acidocaldarius), andere zwei (Haloarcula marismortui), selten mehr als zwei.
55 Ihre Größe ist der Genomgröße von Bakterien vergleichbar, von einigen Hundert kb bis
wenige Mb.
55 Vor allem funktionell zusammenhängende Gene sind auch bei Archaeen in Operons
organisiert, sodass sie polycistronische mRNAs bilden.
55 Ebenfalls findet man Insertionselemente in ihnen und Plasmide.
18 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
Archaeen und Bakterien haben im Laufe der Evolution viele Gene ausgetauscht, vor allem, wenn
sie im selben Habitat leben. So soll rund ein Viertel der Gene des thermophilen Bakterium Ther-
motoga maritima ursprünglich aus Archaeen stammen.
2 Zum Aufwickeln des DNA-Fadens verwenden Archaeen Histonproteine. Während Bakterien
Proteine nutzen, die mit den eukaryotischen Histonen nur funktionell verwandt sind, besitzen die
Archaeen zu den Eukaryoten verwandte (homologe) Gene und Proteine. Archaeen ohne
Histone verwenden für die DNA-Strukturierung wie Bakterien histonähnliche Proteine.
Die Genome der Eukaryoten sind erheblich größer als prokaryotische Genome. Während sich
die Anzahl der Basenpaare von Prokaryoten in der Größenordnung zwischen 105 und 107 bp
bewegt, reicht sie bei Eukaryoten von 106–1011 bp.
55 Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae verfügt über rund 1,2 × 107 bp.
55 Die Säugergenome liegen in der Größenordnung von 109 bp, also im Gigabasenbereich,
Beispiel: Mensch 3,3 Gb.
55 Nicht zwingend besitzen komplexere Organismen ein größeres Genom.
55 Beispiel: Erdkröte (Bufo bufo). Ihr Genom ist etwa doppelt so groß wie das des Menschen.
55 Zudem steigt die Anzahl der Gene nicht mit der Komplexität an.
55 Beispiel: Die Taufliege Drosophila melanogaster verfügt über rund 13.500 Gene, der
einfache Fadenwurm Caenorhabditis elegans über etwa 19.000 Gene und der Mensch über
etwa 23.000 Gene. Die Angaben schwanken allerdings bis zu 30.000.
55 Die komplexere Organisation eines Organismus schlägt sich jedoch in einer höheren
Anzahl von Proteinen nieder.
Dass ein größeres Genom nicht zwingend (proportional) mehr Gene besitzt, liegt an der Organi-
sation des Erbguts. Eukaryotische Genome zeigen einen erheblich größeren Anteil nichtcodieren-
der DNA. Nichtcodierende Abschnitte kommen zwischen den Genen und innerhalb der Gene vor.
Das Missverhältnis zwischen Anzahl der Basenpaare und Anzahl der Gene nennt man C-Wert-
Paradox. Der C-Wert entspricht der DNA-Menge in einem haploiden, also einfachen Chromoso-
mensatz. Den haploiden Chromosomensatz, gekennzeichent als „n“, findet man in Geschlechts-
zellen. In den meisten Körperzellen (somatischen Zellen) der meisten Eukaryoten kommt jedes
Chromosom zweimal vor, also ein doppelter oder diploider Chromosomensatz, 2n. Vor allem
bei Pflanzen finden sich auch polyploide Sätze. Der moderne Saatweizen beispielsweise hat einen
hexaploiden Chromosomensatz.
Das Kerngenom ist verteilt auf lineare Chromosomen. Auch hier besteht keine Beziehung
zwischen der Anzahl der Chromosomen und der Komplexität des Organismus. Die Bäcker-
hefe hat 16 Chromosomen, die Taufliege 4. Chromosomenzahl und -aufbau sind allerdings ein
Ergebnis der Evolution. So besitzt der Mensch 23 verschiedene Chromosomen, der verwandte
Schimpanse 24.
Das Kerngenom der Eukaryoten (ncDNA, nucleus) wird ergänzt um das Genom in den
Organellen:
55 Mitochondrien-DNA (mtDNA) und
55 Plastiden-DNA bei Pflanzen (Plastom, ptDNA, in Chloroplasten auch cpDNA genannt).
2.3 · Genom von Eukaryoten
19 2
Die DNA in den zwei Organelltypen fasst man gelegentlich zusammen als Plasmotyp oder
Plasmon. Das Plasmon ist in der Regel zirkulär. Rein quantitativ fällt es kaum ins Gewicht. Aber
es besitzt eine begrenzte Autonomie gegenüber dem Kerngenom.
Ein Sonderfall ist der Einzeller Giardia lamblia ist: Er besitzt keine Mitochondrien, vermut-
lich hat er sie im Laufe der Evolution wieder verloren.
Plasmide kommen bei Einzellern, Pilzen und Pflanzen vor.
2.3.2 Organisationsebenen
Im Kern liegt die DNA als Chromatin vor, als Komplex mit Proteinen und RNA-Molekülen.
Nimmt man die Gesamt-DNA einer menschlichen Zelle zusammen, kommt man auf eine
Länge von mehr als 1 m. Um sie im Zellkern unterzubringen, wird das Chromatin auf mehreren
Ebenen dicht gepackt. Dabei müssen Abschnitte der DNA für Proteine zugänglich sein, weil
die Zelle sonst Prozesse wie die Transkription oder die DNA-Reparatur nicht ausführen kann.
Deshalb ist die DNA nicht überall und nicht immer gleich dicht gepackt. Während der Inter-
phase (siehe 7 Abschn. 3.6.2 Zellzyklus) sind viele Bereiche zugänglich, während der Zellteilun-
gen ist die DNA verpackt und stark kondensiert. Man unterscheidet mehrere Ebenen, in denen
die DNA organisiert ist (. Abb. 2.2).
Chromatin
2
DNA 2 nm Histone Nicht-Histon-Proteine
2 x H2A, 2 x H2B
2 x H3, 2 x H 4
H1
Linker-DNA Nucleosomencore
Nucleosom
DNA-Faden 10 nm
Chromatinfaser 30 nm
. Abb. 2.2 Organisationsebenen: von der DNA zum Chromatin (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
z Weitere Strukturebenen
Mithilfe von Proteinen wird die DNA weiter verpackt (. Abb. 2.3). Früher sprach man von:
55 Sekundärstruktur: Der 10-nm-Faden legt sich in superhelikale Schlaufen, welche die
Nucleosomen aufwickeln. Der entstehende 30-nm-Faden wird Solenoid genannt,
55 Tertiärstruktur: Gerüstproteine (scaffold-Proteine) bewirken die Bildung einer Art Rosette.
Die Gerüstproteine sind Nicht-Histon-Proteine.
55 Quartärstruktur: Der Rosettenfaden legt sich in helikale Windungen und bilden den
Chromatidfaden. Mit der Quartärstruktur ist die Transportform während der Metaphase
der Zellteilungen erreicht (Metaphasechromosomen).
2.3 · Genom von Eukaryoten
21 2
DNA
H1-Histon
Offene Nucleo-
somenstruktur
Linker-DNA
Nucleosomencore Nucleosomencore
DNA
10 nm Oktamer
Chromatin-
faser 30 nm
Schleifen-
strukturen
600 nm
Metaphase- Schwesterchromatiden
chromosom
. Abb. 2.3 Das Nucleosom und weitere Strukturebenen zur Verpackung der DNA (nach Buselmaier und
Tariverdian 2007)
22 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
Ob und in welcher Form der 30-nm-Faden in der Zelle vorkommt, ist umstritten.
In einigen Abschnitten der Chromosomen unterscheidet sich der Grad der DNA-Konden-
sierung während der Zellteilung und der Interphase. Da die Zelle während der Interphase die
2 gespeicherte Information der DNA abruft, muss die DNA für Proteine zugänglich sein. Ihr Ver-
packungsgrad ist somit an transkriptionsaktiven Abschnitten geringer. Diese Abschnitte lassen
sich nicht so gut anfärben.
55 Die Regionen mit aufgelockerter DNA heißen Euchromatin. Vor der Zellteilung wird das
Euchromatin ebenfalls kondensiert.
55 Das Heterochromatin ist in der Regel transkriptionsinaktiv und bleibt daher auch während
der Interphase kondensiert.
2.3.3 Färbemethoden
z Bänderung
Metaphasechromosomen sind aufgrund der Kondensierung der langen DNA schon ungefärbt
im Lichtmikroskop zu sehen und daher beliebte Studienobjekte für die Forschung. Für Untersu-
chungen an Tieren und dem Menschen isoliert man die Chromosomen meist aus Lymphocyten.
Färbt man die Chromosomen an, sind sie noch besser erkennbar.
55 Den Giemsa-Farbstoff verwendet man für verschiedene Färbetechniken. Am bedeu-
tendsten ist das Verfahren, das zur G-Bänderung führt (. Abb. 2.4): Erst gibt man zu den
Chromosomen die Protease Trypsin, dann den Farbstoff. Man erhält ein Muster aus hellen
und dunklen G-Banden oder negativen und positiven Banden.
Wenn man an Stelle der Trypsinbehandlung die Proteine mittels Hitze denaturiert und dann
anfärbt, tauschen die hellen und dunklen Banden ihr Aussehen, daher der Name R-Banden für
reversed banding. R-Banden entsprechen den hellen G-Banden.
55 Der Farbstoff Quinacrin erzeugt Q-Banden. Sie sind identisch mit den G-Banden.
. Abb. 2.4 Schematische Darstellung eines Metaphasechromosoms mit G-Banden (nach Buselmaier und
Tariverdian 2007)
2.3 · Genom von Eukaryoten
23 2
Die Bänderung geht einher mit weiteren Eigenschaften, in denen sich helle und dunkle Banden
unterscheiden. Sie erklären letztlich das Färbeverhalten. In der Regel gilt:
55 Die hellen Banden sind GC-reich, und das Chromatin ist weniger gefaltet. Sie replizieren
früh und sind reich an bestimmten Genen.
55 Die dunklen Banden sind das Gegenteil: AT-reich, stärker gefaltet, replizieren spät und
sind arm an Genen.
In hellen Banden findet man vor allem Housekeeping-Gene oder Haushaltsgene. Diese Gene
werden stärker abgelesen als andere, weil sie für Grundfunktionen der Zelle, also die Erhaltung
des Zellhaushalts, notwendig sind. Die Abschnitte beherbergen allerdings auch gewebe- oder ent-
wicklungsspezifische Gene. Demgegenüber liegen in den dunklen Banden nur gewebe- oder
entwicklungsspezifische Gene, die überwiegend stumm bleiben.
Die Bänderung ist für jedes Chromosom so charakteristisch, dass das Muster mit den G-Ban-
den in der pränatalen Diagnostik des Menschen verwendet wird. Je nach Mitosestadium sind die
Chromosomen noch locker oder schon stark kondensiert und die Banden noch zahlreich und fein
oder schon zu wenigen Hell-dunkel-Blöcken verschmolzen. Liegt eine Auflösung mit mindestens
400 Banden pro haploidem Chromosomensatz vor, ordnet man die Chromosomen nach absteigen-
der Größe und erhält das Karyogramm eines Menschen. Es erlaubt erste Aussagen über numerische
oder strukturelle Veränderungen der Chromosomen und mögliche erblich bedingte Krankheiten.
z Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH)
Die FISH ist eine Methode zur Untersuchung von Chromosomen mit höherer Auflösung als die
Bänderungstechniken. Man setzt sie vor allem dann ein, wenn man ein bestimmtes chromoso-
males Segment untersuchen möchte, z. B. wenn der Verdacht besteht, dass dieses Segment fehlt
und einer Erkrankung zugrunde liegt (siehe 7 Abschn. 15.2.2).
Dazu markiert man eine einzelsträngige DNA-Sonde mit einem Fluoreszenzfarbstoff und
lässt sie gegen die Chromosomen hybridisieren. Man setzt dabei eine Testsonde und anschlie-
ßend eine Kontrollsonde mit jeweils unterschiedlicher Farbe ein, um die erfolgreiche Versuchs-
durchführung zu bestätigen. Die Untersuchung erfolgt mikroskopisch. Die FISH ist geeignet für
die Chromosomen der Metaphase und der Interphase.
Die Chromosomen der Eukaryoten zeichnen sich auch durch Funktionsabschnitte oder -ele-
mente aus. Solche Abschnitte muss ein Chromosom besitzen, wenn es in der Zelle stabil erhalten
bleiben und in der Mitose verteilt werden soll. Bekannt sind folgende Elemente:
55 Centromere,
55 Telomere,
55 Replikationsursprünge
24 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
Telomer
Paarungsdomäne der
Centromere
Innere Platte
Centromer Mittlere (trilaminare
Äußere Organisation)
Corona
Zentrale Domäne
q-Arm
Schwesterchromatiden
Ohne Centromer und Kinetochor kann die Zelle die Chromosomen nicht korrekt auf die Toch-
terzellen aufteilen.
Das typische Bild der Metaphasechromosomen vieler Organismen zeigt sie mehr oder weniger
x-förmig mit den zwei Chromatiden, die an einer Region, der Paarungsdomäne, verbunden sind.
Um dieses Bild zu erhalten, hat man die Zellen vorher mit Colchicin behandelt. Das Gift der
Herbstzeitlosen stoppt die Mitose, weil es den Aufbau des Spindelapparats verhindert.
Die Lage des Centromers dient zur einfachen Bestimmung der Chromosomen:
55 Bei akrozentrischen Chromosomen befindet sich das Centromer eher im Endbereich.
55 Liegt es mehr mittig, handelt es sich um ein metazentrisches Chromosom.
In der Regel liegt das Centromer meist zwischen einer mittleren und einer endständigen Position.
Bei der Chromosomenanalyse eines Karyogramms legt man die Centromeren auf eine Linie.
Auf diese Weise sieht man die unterschiedlich langen Arme auf einen Blick und kann die Bände-
rung vergleichen. Die kurzen Chromosomenarme heißen beim Menschen p-Arm (franz. petit =
klein), die langen q-Arm (franz. queue = Schweif, Schwanz). Bei Drosophila spricht man von L-
und R- (linkem und rechtem) Arm.
An den kurzen Armen der akrozentrischen Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22 des Men-
schen stechen weitere Strukturen hervor. Sichtbar werden sie nach Anfärbung mit Silbersalzen
im Elektronenmikroskop. Man sieht dann dunkle Bereiche, die Kernkörperchen oder Nucleoli
(Singular: Nucleolus). Der chromosomale Abschnitt heißt entsprechend Nucleolusorganisatorre-
gion, NOR, früher auch SAT genannt. Die NOR enthält die wichtigen rRNA-Gene, die besonders
stark transkribiert werden. Die zahlreichen rRNA-Moleküle assoziieren sich dann mit Proteinen.
P E I E I E T
b
Transkriptionsstart Termination
. Abb. 2.7 Allgemeiner Aufbau eines eukaryotischen Gens (a) und das beta-Globingen (b) des Menschen
55 Extra- oder intragene DNA. Diese hat man früher verächtlich als junk- oder Müll-DNA
bezeichnet. Mittlerweile erkennt man in ihr jedoch zunehmend eine Bedeutung, die vor
allem in der Regulation liegt.
Die Gene sind in der Regel wie Mosaike gestückelt und bestehen aus codierenden Exons und
nichtcodierenden Introns (. Abb. 2.7).
55 Exons können nur einige wenige Basenpaare bis mehrere Tausend Basenpaare umfassen.
55 Introns reichen von einigen Tausend bis mehreren Hunderttausend Basenpaaren. Sie sind
nur Bestandteil der Prä-RNA, aber nicht der reifen RNA (siehe 7 Abschn. 4.8.2, Spleißen).
55 Auch die Abschnitte mit regulatorischer Funktion wie der Promotor sind Teil des Gens.
Das Genom des Menschen umfasst etwa 20.000 Pseudogene. Sie sind mit noch funktionstüchti-
gen Genen verwandt. Beispiel: Pseudogene der Globingene.
hintereinander findet man immer die gleiche Sequenz, insgesamt mehr als 2000
Genkopien der 5S-rRNA.
55 Die Mitglieder einer komplexen Genfamilie unterscheiden sich in ihrer Sequenz. Beispiele
2 sind die proteincodierenden alpha- und beta-Globingene. Je zwei Globine vom Typ alpha
und beta bauen das Hämoglobin auf. Sowohl von alpha als auch von beta gibt es mehrere
verwandte Gene, die eine Familie bilden. Die Zelle liest die verschiedenen Gene zu unter-
schiedlichen Stadien der Entwicklung ab.
55 Darüber hinaus gibt es weitere Globingene, beispielsweise für ein Myoglobin oder
Cytoglobin, sodass man Multigenfamilien gelegentlich zu einer Superfamilie
zusammenfasst.
Sind Gene innerhalb eines Organismus verwandt, wie das Myoglobin- und das Cytoglobingen,
spricht man von paralogen Genen. Verwandte Gene bei verschiedenen Organismen, also Maus-
und Mensch-Myoglobingen, nennt man orthologe Gene.
Repetitive Elemente:
Sie bilden eine eigene Gruppe. Funktionen sind meist nicht bekannt. Sie unterscheiden sich in
ihrer Länge und in der Kopienzahl.
Hochrepetitive Sequenzen oder Satelliten-DNA liegen in der Regel tandemartig vor. Man
gruppiert sie nach der Größe des Elements. Die Angaben zu den Längen und zur Wiederholungs-
zahl schwanken in der Literatur.
55 Mikrosatelliten (STR, short tandem repeats) sind ein bis wenige Basenpaare lang und bilden
Cluster von wenigen Hundert Basenpaaren Länge. Zusätzlich sind Mikrosatelliten noch
über das Genom verteilt. Da sich ihre Länge bei den Menschen individuell unterscheidet
(Längenpolymorphismus), nutzt man sie für den genetischen Fingerabdruck.
55 Minisatelliten (ebenfalls als STR angesehen) sind etwa 10–100 bp lange Stückchen,
die 5 bis 50 Mal wiederholt werden. Auch Minisatelliten unterscheiden sich
sehr zwischen den Individuen und heißen daher VNTR-Loci (variable nucleotide/number
of tandem repeats). Man nutzt sie ebenfalls für den genetischen Fingerabdruck.
55 Die alphoide DNA oder Alpha-Sequenzwiederholungen in den Centromeren zeichnet
sich durch mehrere Hundert oder Tausend bp lange Sequenzen aus, die bis zu einer Million
Mal wiederholt werden. Man nennt sie auch Makrosatelliten.
LINEs und SINEs fasst man zusammen zu den Retroposons oder Non-LTR-Retrotransposons,
wenn sie von den LTR-Retrotransposons abgegrenzt werden sollen.
Nach der Endosymbiontentheorie sind Mitochondrien und Plastiden aus früher eigenständigen
Prokaryoten hervorgegangen. Als Beleg dafür dient unter anderem die Ähnlichkeit zwischen
den Genomen. Sie sind in ihrer Organisation und in einzelnen Sequenzen näher verwandt mit
prokaryotischen Genomen als mit dem Kerngenom.
z Mitochondriengenome
Mitochondriale Chromosomen sind meist zirkulär und kommen in mehreren Kopien vor. Beim
Menschen sind es etwa zehn. Lineare Formen kennt man aus verschiedenen Einzellern. Die mito-
chondriale DNA wird mit mtDNA abgekürzt.
Die Größe der Mitochondriengenome variiert. Auch hier gilt, dass komplexere Lebewesen
kein komplexeres Erbgut in dem Organell haben. Die menschliche mtDNA ist rund 16,6 kb klein,
das Genom der Bäckerhefe ist mit 85,8 kb erheblich größer und das der Pflanze Arabidopsis tha-
liana ist mit 367 kb mehr als 20-mal so groß.
Beim Menschen ist das Mitochondriengenom sehr kompakt und enthält somit nur wenig
nichtcodierende DNA (. Abb. 2.8). Es trägt die Information für rRNAs, einige tRNAs und für 13
Proteine der Atmungskette.
Beispiel: Von den 13 Untereinheiten des Komplex IV (Cytochrom-c-Oxidase) sind nur drei
mitochondrial codiert.
Weitere Proteine der Mitochondrien sind kerncodiert. Bei manchen Organismen ist der
Anteil mitochondrial codierter tRNAs so gering, dass ihre Mitochondrien auf tRNAs aus dem
Cytoplasma angewiesen sind.
Größere Mitochondriengenome enthalten weitere Gene, aber auch Introns und extragene
Bereiche.
Pflanzliche Mitochondrien weisen zuweilen Plasmide auf und zeigen überraschende Beson-
derheiten: Man fand Chloroplasten-DNA im Mitochondriengenom und umgekehrt, die soge-
nannte promiske oder promiskuitive DNA.
Mitochondrien replizieren unabhängig von den Chromosomen. Die Weitergabe der Mito-
chondrien an die Nachkommen erfolgt beim Menschen, bei den meisten Säugetieren und bei
Angiospermen über die Mutter (uniparental maternal), bei Hefen hingegen biparental und bei
vielen Gymnospermen über den Vater (uniparental paternal).
Mutationen sind in der mtDNA etwa zehnmal häufiger als in der Kern-DNA, und Schäden
in der mtDNA sind korreliert mit dem Alterungsprozess.
30 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
. Abb. 2.8 Mitochondriale DNA des Menschen und ihre Gene (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
z Plastiden
Pflanzen besitzen Plastiden, die über eigene DNA verfügen. Die Gesamtheit der genetischen
Information dieser Organellen nennt man Plastom. Für diese DNA verwendet man die Abkür-
zung ptDNA.
Die ptDNA ist in der Regel zirkulär, lineare Formen bilden die Ausnahme. Eine so auffällige
Variationsbreite wie die mtDNA zeigt die ptDNA nicht. So sind Genome der Chloroplasten relativ
einheitlich groß und liegen meist zwischen 120 und 170 kb. Größere Genome kommen jedoch
vor. Hier gilt wiederum, dass keine Verbindung zwischen Größe und Komplexität besteht. Reis
(Oryza sativa) hat mit einer 134,5 kb langen cpDNA ein kleineres Chloroplastengenom als die
Grünalge Chlamydomonas reinhardtii mit 203 kb.
Der Aufbau der cpDNA (oder ctDNA, . Abb. 2.9) aus Chloroplasten ist einheitlicher als bei
der mitochondrialen mtDNA. Bei vielen niederen und höheren Pflanzen gliedert sich die cpDNA
in vier Abschnitte. Zwei Inverted Repeats liegen gegenläufig zueinander vor und sind getrennt
durch jeweils einen kurzen und langen Einzelkopieabschnitt, LSC für large single copy und SSC
für small single copy.
Das Chloroplastengenom ist auch genreicher als die mtDNA. Es umfasst mehr als 100 Gene.
Dazu gehören alle RNA-Gene, die rRNA-Gene liegen in den Inverted Repeats. Chloroplasten sind
somit nicht auf den Transport von tRNAs aus dem Cytoplasma angewiesen. Dagegen sind nur
wenige Proteine der Chloroplasten auf der cpDNA codiert, die meisten ihrer Gene liegen auf der
Kern-DNA. Zu den cpDNA-codierten Proteinen gehören beispielsweise
55 etwa ein Drittel der ribosomalen Proteine,
2.3 · Genom von Eukaryoten
31 2
atpA
atpE
atpH
rbcL atpI
psaA psaB
atpE
atpB
psbJ LSC
psaJ psbL psbM
psbF
psbE
psbB psbC
Oryza sativa psbD
psbH psbN psbI
cpDNA
psbK
~134,5 Kb
psbA
IRB IRA
16S
SSC
23S
4,5S
5S
Die Vererbung ähnelt derjenigen der mtDNA. Bei Angiospermen ist sie meist mütterlich, bei
einigen Arten biparental, bei Gymnospermen auch väterlich.
Viren befallen eukaryotische Zellen, Bakteriophagen Bakterien. Letztere kürzt man gern als
Phagen ab.
Viren und Phagen sind keine eigenständige Lebewesen. Für Vererbung oder Stoffwechsel
sind sie auf Organismen angewiesen. Dabei infizieren sie eine Wirtszelle, nutzen deren Replika-
tions- und Proteinbiosyntheseapparat aus und vermehren sich auf deren Kosten. Sie sind folg-
lich recht spezifisch an einen Wirt oder einen Zelltyp angepasst.
Trotz ihrer geringen Komplexität zeigen die Genome eine große Vielfalt. Das Erbgut
kann aus einzelsträngiger DNA oder RNA bestehen oder aus doppelsträngiger DNA oder
RNA. Liegt ein RNA-Strang vor, unterscheidet man, ob er direkt als mRNA für die Trans-
lation dient (Plusstrang) oder als Vorlage (Minusstrang) für einen komplementären RNA-
Strang, der erst dann translatiert wird. Bei einigen RNA-Viren schreibt die Reverse Transkrip-
tase die RNA zunächst in eine DNA um. Die genaueren Abläufe werden in 7 Kap. 3 (Repli-
kation) vorgestellt. Das Genom kann linear oder zirkulär vorliegen. Segmentierte Genome
sind ebenfalls bekannt.
32 Kapitel 2 · Organisation des Erbguts
Die Größe des Genoms liegt meist im ein- bis unteren dreistelligen kb-Bereich. Das Mimi-
virus erreicht indes 1,2 Mb. Virengenome sind nicht zwingend größer als Phagengenome. Der
E.-coli- Phage λ (Lambda) hat ein Genom von 48,5 kb, das Säuger-Poliovirus ist dagegen 7,5 kb
2 kurz. Schaut man sich beispielhaft drei E.-coli-Phagen an, erkennt man hier eine Beziehung zwi-
schen Genomgröße und Anzahl der Gene. Die 3,6 kb von MS2 enthalten vier Gene, φX174 hat
eine 5,4 kb DNA und elf Gene, und die rund 169 kb von T4 beherbergen rund 300 Gene.
Kleine Phagengenome besitzen überlappende Gene. Bei φX174 ist ein komplettes Gen Teil
der Nucleotidsequenz eines anderen Gens. Beide codieren unterschiedliche Proteine, weil die
Gene verschiedene Leserahmen nutzen.
Gene von Viren und Phagen codieren häufig folgende typische Proteine:
55 eine eigene RNA-Polymerase,
55 Reifungsproteine,
55 Hüll- oder Verpackungsproteine,
55 Regulatorproteine.
Einige Viren und Phagen können sich in das Wirtsgenom integrieren. Die Zelle repliziert sie
dann zusammen mit dem Chromosom und gibt somit auch die DNA an die Tochterzellen weiter.
Das erinnert an die Plasmide. Tatsächlich hat man eine evolutive Verwandtschaft festgestellt
zwischen einigen bakteriellen Plasmiden und Phagen. Im eukaryotischen Genom haben solche
Viren ihre Spuren in repetitiven Elementen hinterlassen. Manche beweglichen Elemente waren
früher Viren, die ihre Infektiosität verloren haben.
33 3
DNA-Replikation
3.1 Prinzipien – 34
3.1.1 Überblick – 34
3.1.2 Enzymfunktionen und Hilfsproteine – 35
3.1.3 Startpunkte der Replikation – 37
3.1.4 Syntheserichtung – 37
3.1 Prinzipien
3.1.1 Überblick
z Semikonservativer Mechanismus
Aufgrund der Basenpaarung ist der Weg zur Verdopplung im Grunde vorgezeichnet. Denn kennt
man die Nucleotidfolge des einen Strangs, kann man den komplementären Strang ergänzen. Das
entspricht in der Praxis dem semikonservativen Mechanismus (. Abb. 3.1): Die Zelle trennt die
DNA-Doppelhelix in ihre zwei Stränge auf und stellt zu den getrennten Einzelsträngen jeweils
einen neuen Gegenstrang her. Der alte Strang dient als Vorlage, also Matrize (engl. template),
für die Herstellung des neuen Gegenstrangs. Nach der Replikation bestehen dann beide DNA-
Helices aus je einem alten und einem neuen Strang.
Theoretisch möglich wären noch zwei andere Mechanismen, der konservative und der
dispersive.
Beim konservativen Mechanismus bliebe die alte DNA aus alten Strängen bestehen und die
neue DNA bestünde aus zwei neuen Strängen.
Beim dispersiven Mechanismus sollte es eine Art Mosaik geben. In beiden DNA-Molekülen
würden sich zufällig alte und neue Abschnitte abwechseln.
3.1 · Prinzipien
35 3
Dispersiv Konservativ Semikonservativ
Erwartete Erwartete Erwartete Beobachtete
DNA-Dichte DNA-Dichte DNA-Dichte DNA-Dichte
Elterliche DNA-
Doppelhelix
DNA nach der
1. Replikation
DNA nach der
2. Replikation
z Meselson-Stahl-Experiment
Matthew Meselson und Franklin Stahl führten 1958 mit dem Bakterium Escherichia coli ein Expe-
riment durch, um die Frage nach dem Mechanismus der Replikation zu beantworten (. Abb. 3.1).
Im Detail ist der Versuch zwar eher historisch interessant, das Prinzip der Markierung von Mole-
külen wendet man jedoch heute noch an.
Will man den Weg von Molekülen verfolgen, markiert man sie, um sie so indirekt sichtbar
zu machen. Früher verwendeten die Wissenschaftler dazu oft radioaktive Isotope, heute markiert
man in der Regel mithilfe von Fluoreszenzfarbstoffen.
Meselson und Stahl nahmen das Stickstoffisotop 15N, das ein Neutron mehr im Kern besitzt
als das häufigere Isotop 14N und deshalb schwerer ist. Sie ließen E. coli so lange auf einem Nähr-
medium mit dem schweren Stickstoff in Form von Ammoniumchlorid (15NH4Cl) wachsen, bis
die DNA nur 15N enthielt. Darauf folgte eine erste neue Generation und damit eine Verdopp-
lung der DNA auf 14N-Medium. Meselson und Stahl untersuchten die DNA über Dichtegradien-
tenzentrifugation und fanden nur halbschwere DNA („beobachtete Dichte“, . Abb. 3.1), deren
Stickstoff jeweils zur Hälfte den beiden Isotopen angehörte. Nach einer weiteren Verdopplung
der DNA auf 14N-Medium, enthielt die nächste Generation von Bakterien teilweise normale
und teilweise halbschwere DNA. Aus diesen Ergebnissen und dem Bild nach der dritten Gene-
ration schlossen die Forscher auf den semikonservativen Mechanismus. Die Resultate konnte
man an Eukaryoten über Markierungen mit radioaktivem Wasserstoff in einer der Basen (3H-
Thymidin) bestätigen.
)
nd
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SSB
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DNA-Polymerase III
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Holoenzym
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sich das Chromosom 25 Mio. Mal drehen. Topoisomerasen lösen das Problem, indem
sie einen Einzelstrangbruch (Typ I) oder einen Doppelstrangbruch (Typ II) in die
DNA einführen. Sie entwinden die DNA, nehmen dadurch die Spannung heraus und
schließen die Lücke(n) wieder. Während der Replikation arbeiten sie vor dem eigentlichen
Replikationsapparat.
55 Helikasen spalten unter ATP-Verbrauch die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen
den Basen. Dadurch öffnen sie die DNA-Doppelhelix und erzeugen Einzelstränge
(. Abb. 3.2).
55 Primasen synthetisieren ein Startmolekül aus wenigen Nucleotiden, den Primer. Der
Primer besteht aus RNA, die Primasen sind somit RNA-Polymerasen.
55 DNA-Polymerasen lesen die Nucleotidfolge eines Einzelstrangs ab und stellen dazu den
neuen komplementären Strang her, indem sie Desoxynucleosidtriphosphate (dNTPs) als
DNA-Bausteine verknüpfen. Sie sind somit die eigentlichen Syntheseenzyme.
55 Ligasen verknüpfen Stücke eines DNA-Strangs miteinander.
z Hilfsproteine
Einzelstrangbindende Proteine binden sich nach dem Öffnen der DNA an Einzelstränge. Damit
stabilisieren sie die Abschnitte und verhindern, dass sich die DNA wieder schließt Helikasen, Pri-
masen, Polymerasen und Hilfsproteine bilden zusammen einen Komplex, das Replisom.
Die Enzyme und Proteine führen zum Teil zusammen mit anderen Proteinen auch die Rekom-
bination und Reparatur aus. Diese Prozesse sind miteinander gekoppelt.
3.1 · Prinzipien
37 3
3.1.3 Startpunkte der Replikation
Die Replikation beginnt nur an festgelegten Stellen, den Replikationsursprüngen. Bei Bakte-
rien nennt man diese DNA-Abschnitte origin of replication (ori), bei Hefe spricht man von der
autonomously replicating sequence (ARS).
E. coli hat einen Replikationsursprung, die Hefe Saccharomyces cerevisiae besitzt mehrere
Hundert, der Mensch und die Maus haben mehrere Zehntausend. Das ist notwendig, weil die
Neusynthese eines Säugetierchromosoms sonst viel zu lange dauerte.
Über die Initiation findet im Wesentlichen auch die Regulation statt.
Initiatorproteine erkennen einen ori bzw. die ARS und binden sich daran. An diesen Stellen
wird die DNA geöffnet. Schematisch ergeben sich zwei gegenüberliegende Ypsilons, die Repli-
kationsgabeln. Es entsteht dadurch eine Replikationsblase, die sich dann zunehmend vergrö-
ßert, indem sich die Replikationsgabeln voneinander wegbewegen. Denn die Enzyme arbeiten
während der Elongation bidirektional in beide Richtungen.
Ein Replikon ist eine Replikationseinheit, die von diesem ori oder ARS aus bis zur Termina-
tion reicht. Bei E. coli ist somit das gesamte Chromosom ein Replikon, bei Eukaryoten gibt es auf
jedem Chromosom mehrere Replikons.
3.1.4 Syntheserichtung
Jeder DNA-Strang hat ein 5′-Phosophatende und ein 3′-OH-Ende. Das 5′-Ende trägt eine Phos-
phatgruppe am 5′-C-Atom des Zuckers, das 3′-C-Atom besitzt eine OH-Gruppe. Die zwei DNA-
Stränge der Doppelhelix liegen gegenläufig zueinander vor, antiparallel.
Alle bekannten DNA-Polymerasen arbeiten nur in eine Richtung: Sie lesen die Matrize vom
3′-Ende zum 5′-Ende hin ab und bauen den neuen Strang von 5′ nach 3′ auf.
Beim Einbau eines Nucleosidtriphosphats in den neu zu synthetisierenden DNA-Strang
bindet die Polymerase unter Abspaltung von Pyrophosphat den verbleibenden Phosphatrest
mit einer Esterbindung an das 3′-C-Atom am Ende der vorhandenen Kette. Die Abspaltung des
Pyrophosphats liefert die notwendige Energie.
Wenn sich das Replisom auf der DNA fortbewegt und die Doppelhelix öffnet, bewegt es sich
auf dem einen Strang von 3′ nach 5′ fort, auf dem anderen von 5′ nach 3′. Das bedeutet:
55 Nur an dem einen Strang kann unmittelbar die Synthese beginnen. Hier entsteht der
Leitstrang (gelegentlich Vorwärtsstrang genannt), bei dem das Replisom dem Matrizen-
strang von 3′ nach 5′ folgt. Am gegenläufigen Strang wächst der Folgestrang (Rückwärts-
strang), dessen Matrize das Replisom von 5′ nach 3′ abfährt.
55 Daraus folgt, dass die Synthese des Leitstrangs in einem Stück oder kontinuierlich von 5′
nach 3′möglich ist. Denn er wächst in die gleiche Richtung, wie sich die Replikationsgabel
fortbewegt.
55 Die Synthese des Folgestrangs ist aber nur diskontinuierlich möglich, weil die Synthese-
richtung weg von der Replikationsgabel erfolgt. Also muss die Helikase immer wieder
einen längeren Einzelstrangabschnitt erzeugen, damit die Synthese erneut einsetzen kann.
Die Polymerase repliziert diesen Abschnitt, bis sie auf das Stück stößt, das sie unmittelbar
zuvor hergestellt hat. Auf diese Weise entstehen Teilstücke, die man Okazaki-Fragmente
nennt. Sie haben bei Bakterien etwa eine Länge von 1000–2000 bp, bei Eukaryoten nur
von 200 bp. Das liegt möglicherweise daran, dass 200 bp mit einem Nucleosom
assoziiert sind.
38 Kapitel 3 · DNA-Replikation
3'
Leitstrang
5' Vorwärtsstrang
Folgestrang
3' Rückwärtsstrang
(aus Okazaki-
Fragmenten) mit Schleife
5'
42
3
Laufrichtung der Replikationsgabel
. Abb. 3.3 Die Bildung einer Schlaufe am Rückwärtsstrang ermöglicht die simultane Replikation
Wäre die DNA gestreckt, so müsste die Polymerase beim Folgestrang erst auf dem Rückwärts-
strang entlanggleiten (von der Replikationsgabel weg), sich nach Abschluss eines Okazaki-Frag-
ments schließlich von der DNA lösen und nach vorn springen, um sich erneut an die DNA zu
binden. Das wäre zu aufwendig. Stattdessen bildet der Rückwärtsstrang eine Schleife (. Abb. 3.3).
Er macht sozusagen einen U-turn, sodass die Verlängerung in Richtung der Replikationsgabel
möglich ist. Durch die Einschlaufung können zwei Polymerasen arbeiten, sich in Richtung der
Replikationsgabel fortbewegen und Leit- und Folgestrang parallel synthetisieren. Die Größe der
Schlaufe entspricht dabei der Länge eines Okazaki-Fragments.
Die Initiation dient der Vorbereitung, bis die DNA-Polymerase ihre Arbeit aufnimmt. Sie umfasst
mehrere Teilschritte:
55 Identifizierung des Replikationsursprungs durch ein Initiatorprotein,
55 Öffnen und Entwinden der DNA,
55 Stabilisierung der Einzelstränge und
55 Synthese eines RNA-Primers.
Der Replikationsursprung bei E. coli heißt oriC (chromosomal origin of replication). Wenn von
hier aus die Replikation bidirektional jeweils gleich schnell voranschreitet, treffen sich die Rep-
likationsgabeln am gegenüberliegenden Ende des Ringchromosoms. Dort endet dann die Rep-
likation, es kommt zur Termination, der Abschnitt heißt terC.
Zwischendurch ähnelt das Replikon dem griechischen Großbuchstaben Theta (Θ), man
spricht daher von der Theta-Struktur.
55 OriC umfasst etwa 245 bp. Er beinhaltet zwei Sequenzmotive.
44Dreimal kommt an einem Ende ein AT-reiches Motiv von je 13 bp vor. Die zwei Wasser-
stoffbrückenbindungen der A-T-Paarung erleichtern das Aufschmelzen der DNA.
44Fünfmal taucht ein kürzeres, 9 bp langes Motiv auf, verstreut über den Rest von oriC.
Dieses kürzere Motiv ist die DnaA-Box.
Wenn die Helikase die DNA weiter auftrennt, läuft ihr eine Topoisomerase II (die Gyrase) voraus,
um die Überwindungen herauszunehmen.
Die Archaeen stehen in diesem Kapitel vor den Eukaryoten, weil sich die eukaryotische Zelle
(vermutlich) aus den Archaeen entwickelt hat. Das spiegelt sich darin wider, dass Archaeen- und
Eukaryotenproteine miteinander verwandt sind, der Replikationsapparat bei den Archaeen
aber einfacher aufgebaut ist.
Einige Abläufe und Enzyme entsprechen ihren Gegenstücken bei Bakterien, tragen aber
einen anderen Namen.
55 Auch Archaeen besitzen ein ringförmiges Chromosom.
55 Es kommen Arten mit einem Replikationsursprung vor, es gibt aber auch Arten mit zwei
oder drei Ursprungsorten.
55 Sie enthalten mehrere Origin Recognition Boxes genannte Motive.
55 Daran bindet sich ein Initiatorproteinkomplex ORC, origin recognition complex, aus
mehreren Proteinen.
55 Die MCM-Proteine, minichromosome maintenance proteins, bauen die Helikase auf.
55 Mehrere Einzelstrangbindende Proteine, das replication protein A, RPA, stabilisieren die
Einzelstränge.
55 Die MCM-Proteine führen die Primasen für die Synthese der Primer an die DNA heran.
Der genaue Ablauf der Initiation bei Eukaryoten ist von mehreren Faktoren abhängig:
55 Es gibt sehr unterschiedliche Organismen, darunter Einzeller, Mehrzeller und
Gewebeorganismen.
55 Innerhalb der Gewebeorganismen sind die Bedingungen für die Replikation unter-
schiedlich. Embryonale Zellen teilen sich schneller und sollten die Replikation beschleu-
nigen können. Ausdifferenzierte Zellen teilen sich dagegen in der Regel nicht mehr.
55 Die Zelle muss mehrere Prozesse innerhalb des Zellzyklus koordinieren. So ist die
Replikation mit der Zellteilung und damit auch mit der Auflösung der Kernmembran
verknüpft. Bei Einzellern gehen Replikation und Zellteilung mit der Vermehrung
40 Kapitel 3 · DNA-Replikation
einher. Bei höheren Pflanzen und Tieren sind sie mit der Differenzierung und/oder dem
Wachstum gekoppelt.
55 Die Chromosomen sind länger, es kann mehrere Zehntausend Replikationsstartpunkte geben.
Die Zelle aktiviert ihre zahlreichen Replikationsursprünge nicht gleichzeitig. Es gibt eine
Reihenfolge:
42
3 1. Zuerst repliziert sie das Euchromatin,
2. dann das Heterochromatin,
3. zum Schluss folgen die Centromere der Chromosomen.
Das Centromer ist ein besonderer Abschnitt, der als Letzter repliziert wird. Vermutlich können
embryonale Zellen die Replikation vorantreiben, indem sie mehrere Replikationsursprünge
gleichzeitig aktivieren.
Recht gut untersucht ist die Initiation bei Hefe (S. cerevisiae). In vitro kann man die Initita-
tion mittlerweile nachbilden. Dazu sind 16 Proteine notwendig.
Als Replikationsursprünge hat man mehrere 200 bp lange Abschnitte identifiziert und sie
autonomously replicating sequence (ARS oder ARS-Element) getauft. Eine ARS besitzt vier
Motive, A, B1, B2 und B3.
Die Abschnitte A und B1 bilden die Erkennungssequenz für den Initiatorproteinkomplex
ORC, origin recognition complex, aus sechs Proteinen. Die Aktivierung eines Replikationsur-
sprungs nennt man auch „feuern“ oder „zünden“.
Der Initiationsprozess verläuft in aufeinanderfolgenden Schritten:
1. Der ARS-Bindungsfaktor 1, ABF1, bindet sich an B3 und spannt die DNA dadurch wohl so
weit, dass sie sich an B2 öffnet.
2. Nun lagern sich weitere Proteine an: Das Cdc6-Protein (cell division cycle) und die
MCM-Proteine mit der Helikasefunktion.
3. Das einzelstrangbindende Protein RPA (replication protein A) hat Ähnlichkeit zu dem
gleichnamigen Protein bei Archaeen.
4. Anders als E. coli nutzt die Hefe für die Initiation Untereinheiten einer DNA-Polymerase
(Polymerase α) mit Primasefunktion. Sie bauen einen RNA-Primer aus acht bis zehn
Nucleotiden auf. Überraschenderweise bleibt der ORC auch nach der Initiation an die
DNA gebunden. Vermutlich markiert er diesen Abschnitt somit als bereits repliziert, und
die zahlreichen Replikationsursprünge koordinieren darüber die Replikation.
Zwar unterscheiden sich die Sequenzen der Replikationsursprünge bei Eukaryoten deutlich,
vom Mechanismus her gesehen betrachtet man die Hefe aber als Modell auch für den Menschen.
Die Elongation ist die Synthesephase der DNA-Replikation. Eine Polymerase verarbeitet Des-
oxynucleosidtriphosphate, indem sie an das freie 3′-OH-Ende des bereits eingebauten Nucleo-
tids das 5′-Phosphatende eines neuen hängt. Dabei spaltet sie zwei Phosphatreste von dem neuen
Nucleosidtriphosphat ab und knüpft eine Phosphodiesterbindung.
Sowohl Pro- als auch Eukaryoten verfügen über mehrere DNA-Polymerasen. Eine ist jeweils
das Hauptenzym während der Replikation, sie heißt dann Replikase. Weitere Polymerasen
beteiligen sich an der Reparatur von DNA-Schäden, entfernen den RNA-Primer mittels einer
5′-3′-Exonucleaseaktivität oder replizieren bei Eukaryoten die Mitochondrien-DNA.
3.3 · Elongation der Replikation
41 3
Die Hauptenzyme bei Bakterien und Eukaryoten besitzen eine 3′-5′-Exonucleaseaktivität.
Diese dient zur Korrektur und wird als proof-reading oder Korrekturlesefunktion bezeichnet.
Hat eine Polymerase ein falsches Nucleotid an das 3′-Ende gehängt, erkennt sie, dass die Basen-
paarung ausbleibt, und entfernt das Nucleotid wieder.
Damit wird klar, warum die Synthese nur in eine Richtung möglich ist: Würde die Polyme-
rase jeweils ein neues Nucleotid an das 5′-Phosphatende heften, wo sich drei Phosphatreste und
somit die Energie für die Verknüpfung befinden, so würde die Exonuclease mit dem (falschen)
Nucleotid auch die Energie für die Verknüpfung entfernen. Für den Einbau des richtigen Nuc-
leotids stünden keine energiereichen Bindungen mehr zur Verfügung und die Synthese müsste
stoppen.
Die Replikase bei E. coli ist die DNA-Polymerase III. Neben der Polymerasefunktion zeigt sie die
3′-5′-Exonucleaseaktivität für das Korrekturlesen. Sie besteht aus mehreren Untereinheiten,
im Kern aus den Untereinheiten α (alpha, Polymerasefunktion), ε (epsilon, Exonuclease) und
θ (theta, verbindet DNA-Polymerase-III-Dimere). Die Untereinheiten β (beta) und γ (gamma)
bilden eine Gleitklammer, mit deren Hilfe die Polymerase auf der DNA entlanggleitet, weitere
Untereinheiten wirken zur Unterstützung.
Die Polymerase I (auch Kornberg-Enzym genannt) wirkt an der Replikation und an der
Reparatur mit. Sie verfügt über alle drei Enzymfunktionen: 5′-3′-Exonucleasefunktion, um
die RNA-Primer zu entfernen, Polymerasefunktion, um die Lücken wieder aufzufüllen, und
3′-5′-Exonucleaseaktivität.
Nach Ersetzen der RNA-Primer durch DNA-Nucleotide verknüpft die DNA-Ligase die Nuc-
leotide mit einer Phosphodiesterbindung.
Die Polymerasen II, IV und V sind an der DNA-Reparatur beteiligt.
Die Proteine von Archaeen sind verwandt mit denen von Eukaryoten und nach ihnen benannt
worden. Auch Archaeen verfügen über mehrere DNA-Polymerasen.
55 Das Trimer PCNA bildet die ringförmige Gleitklammer, um dem Polymerasedimer Halt
an der DNA zu geben. Es hat seinen Namen von seinem eukaryotischen Vorbild erhalten:
proliferating cell nuclear antigen.
55 PCNA muss stets neu aufgebaut und aufgeladen werden, daran wirkt das Hilfsprotein RFC
mit, replication factor C, auch Klammerlader genannt. Das Zusammenspiel ähnelt den
Untereinheiten β und γ der Polymerase III von E. coli.
55 Auch hier beendet eine DNA-Ligase die Elongation.
Die Zahl der bei Eukaryoten bekannten Polymerasen ist mittlerweile zweistellig. Zur Unter-
scheidung hat man sie mit griechischen Buchstaben versehen. Dabei muss man aufpassen, um
sie nicht mit den Untereinheiten der Polymerase III von E. coli zu verwechseln. Auch hier kann
42 Kapitel 3 · DNA-Replikation
DNA-Polymerase
Einzelstrang-
3’
bindendes Protein
Helicase 5’
3’
42
3 Klammer (PCNA)
Klammerlader (RFC)
5’
Primase
RNA-Primer Laufrichtung der Replikationsgabel
Die RNA-DNA-Primer werden erst durch die RNaseH entfernt, dann durch die flap-Endonuclease
FEN1 (auch MF1 genannt).
Von den Archaeen bekannt ist die Gleitklammer, das PCNA-Trimer, und ihr „Steigbügelhal-
ter“, der Klammerlader RFC. Dieser hält und sichert auch bei Eukaryoten die Polymerase an der
DNA und erhöht ihre Leistung, die Prozessivität.
Die DNA-Ligase verbindet die Okazaki-Fragmente, sie beteiligt sich außerdem an Repa-
raturvorgängen (Nucleotidexzisionsreparatur und Basenexzisionsreparatur, 7 Kap. 11 ,
DNA-Reparatur).
Mutationen in den Genen für die Polymerasen sind oft die Ursache für schwerwiegende Syn-
drome. Mutationen in den zwei Allelen des LIG1-Gens des Menschen führen zur DNA-Ligase-
I-Defizienz. Patienten zeigen verzögertes Wachstum, Immunschwäche und sind empfindlicher
gegenüber Sonnenlicht.
Die Replikation bei E. coli endet am Terminator oder Terminus, gegenüber vom oriC.
3.4 · Termination der Replikation
43 3
Die ter-Sequenz enthält mehrfach ein Bindungsmotiv, an das sich das Protein Tus (termi-
nus utilizing substance) bindet. Tus stoppt die DnaB-Helikase. Es ist vielleicht eher einem Ventil
vergleichbar, weil es eine Orientierung zeigt und die Passage der Helikase in die eine Richtung
erlaubt, nicht jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Die Tus-Moleküle liegen in umgekehr-
ter Orientierung zueinander auf der DNA, sodass die DnaB-Helikase aus der einen Richtung
ein Tus-Protein noch überfahren kann, dann von einem anderen in umgekehrter Orientierung
aber gestoppt wird.
Die Proteine des Replisoms lösen sich von der DNA.
Bilden die DNA-Moleküle zwei ineinander verschlungene Ringe, öffnen Topoisomerasen II
die DNA und trennen die Ringe. Solche Strukturen heißen Catenane.
Für die Replikation des Chromosoms benötigt E. coli etwa 40 min.
Eine Terminationssequenz und Tus-ähnliche Proteine sind wohl nicht bei allen Eukaryoten erfor-
derlich. Auch bei Eukaryoten können Topoisomerasen DNA-Moleküle entwirren, die eigentliche
Trennung erfolgt in der Mitose allerdings über einen aufwendigeren Mechanismus.
5’
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C – 5' AA C C C CAA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG – 3'
42
3
a
5’
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C AA C C C C AA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG T T G
b
5’
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C AA C C C C AA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG T T G
5’
3’
UC
UA AC
AA UU
C C C CAA C C C CAA C C C AA C C C C AA C
GG GG T TGG GG T T GG GG T TGG GG T T GG GG T T G GG GT TG
Die notwendige RNA ist Bestandteil des Enzyms. Das RNA-Stück ist beim Menschen 450
Nucleotide lang. Es bindet sich an das komplementäre Telomermerkmal der DNA mit der
Sequenz 5′TTAGGG3′, ragt aber über dessen Ende hinaus. Dieses überhängende Ende dient
nun als Matrize, und die Telomerase kann anhand dieser Matrize die DNA-Sequenz am 3′-Ende
verlängern. Das reicht aus, um der DNA-Polymerase die Synthese eines weiteren Okazaki-Frag-
ments zu erlauben.
Auf die Replikation der DNA folgt manchmal keine Kern- und Zellteilung. Diesen Fall nennt
man Endomitose. Sie führt zur Vermehrung der Chromosomenzahl in der Zelle.
Man kann mehrere Typen unterscheiden:
55 Bei der Polytänie bleiben die replizierten Chromatiden in Kontakt zueinander. Sie bilden
dann Polytänchromosomen. Man findet sie beispielsweise in Suspensorzellen von Samen-
pflanzen. Sehr gut untersucht sind die hochpolytänen Speicheldrüsenchromosomen von
Drosophila und einigen Zuckmücken.
55 In polyploiden Zellkernen trennen sich die Chromatiden voneinander und es kommt zur
Vervielfältigung des Chromosomensatzes. Beispiel: die Spinndrüsen des Seidenspinners.
Die Autopolyploidie bei Kulturpflanzen zählt man nicht dazu.
55 Findet zwar eine Kernteilung statt, aber keine Zellteilung, liegen anschließend mehrere
Zellkerne in der Zelle vor. Diese polyenergiden Zellen findet man zum Beispiel in
Leberzellen. Syncytien gehören nicht dazu. Sie sind durch Verschmelzung von Zellen
entstanden.
Am Beginn der Replikation liegt ein point of no return. Einmal in Gang gebracht, stoppt die Rep-
likation nicht mehr.
Eukaryoten koppeln die Replikation mit der Kern- und Zellteilung . Die eukaryoti-
sche Zelle hat Kontrollstellen eingebaut, welche die Zelle passieren muss, um im Zellzyklus
voranzuschreiten.
46 Kapitel 3 · DNA-Replikation
Falls die DNA zu viele Schäden aufweist oder eine Replikation nicht möglich ist, schaltet sich
das Selbstmordprogramm der Zelle ein. Die Apoptose, der programmierte Zelltod, läuft ab. Wie
gefährlich die unkontrollierte Zellteilung ist, sieht man an Tumorzellen.
Für schnelle Zellteilungen beginnt E. coli eine neue Replikationsrunde, bevor es die alte abge-
schlossen hat.
Die Replikation ist eine von vier Phasen, die eine sich teilende Zelle immer wieder durchläuft.
Hintereinander ergeben sie den Zellzyklus.
55 In der Mitose oder M-Phase teilen sich der Zellkern und die Zelle.
55 G1-, S- und G2-Phase fasst man zur Interphase zusammen.
44Die G1-Phase (G von gap, eine Zwischenphase) ist die genetisch aktive Phase. In ihr
finden Transkription und Translation sowie andere Aktivität statt. Die Zelle wächst in
dieser Zeit.
44In der Synthese- oder S-Phase läuft die DNA-Replikation ab.
44Daran schließt sich die G2-Phase an als zweite Zwischenphase, die die Mitose vorbereitet.
55 Ausdifferenzierte Zellen gehen oft von der Mitose aus in die G0-Phase über. Sie ähnelt der
G1-Phase, es folgt danach aber keine S-Phase mehr.
Von den vier Übergängen sind drei so kritisch, dass die Zelle zuvor Kontrollstellen oder check-
points eingerichtet hat. Es handelt sich um die Übergänge
55 von der G1-Phase in die S-Phase,
55 von der G2-Phase in die M-Phase sowie
3.6 · Kontrolle der Replikation
47 3
M i t o se
Cyclin
e
as
G1
G 2 - Ph
-Ph a se
Cyclinabhängige
Kinase
Mitose-Promoting-
S- P h Faktor
a se
. Abb. 3.6 Cyclinabhängige Kinasen kontrollieren mithilfe ihrer Bindungspartner den Zellzyklus
55 die Kontrolle der Spindeln während der Mitose. Kontrolliert wird beispielsweise
44ob die DNA frei von Schäden ist,
44ob die Versorgung mit Nährstoffen ausreichend ist (beim Übergang von G1 zu S) und
44ob die Replikation und Reparatur der DNA abgeschlossen sind (beim Übergang von
G2 zu M).
Der Zellzyklus schreitet nur voran, wenn die Bedingungen für den Wechsel gut erscheinen. Der
bevorzugte Modellorganismus für die Studien zur Kontrolle des Zellzyklus ist die Hefe.
Zu den Schlüsselfaktoren der Kontrolle gehören:
55 Proteinkinasen und Proteasen (diese Enzyme sind immer wieder bei der Kontrolle von
Vorgängen im Spiel),
55 Zellzyklusgene cdc (cell division cycle) mit ihren Proteinen (siehe Initiation der Repli-
kation: Cdc6),
55 cyclinabhängige Kinasen CDK (. Abb. 3.6, cyclin-dependent kinases).
55 Cycline sind Proteine, deren Konzentration sich im Zellzyklus ändert.
55 Kinasen sind Enzyme, die an Aminosäurereste anderer Proteine Phosphatgruppen
hängen und die Aktivität dieser Proteine dadurch ändern. Ihre Konzentration
bleibt im Zellzyklus gleich. Die Kontrolle verschiebt sich somit auf die Ebene der
Cyclinkonzentration.
55 Die CDK sind inaktiv, wenn sie allein vorliegen. Mit den Cyclinen bilden sie aktive
Komplexe.
55 Cyclin und CDK bilden einen Proteinkomplex, den Mitose-Promoting-Faktor. Er leitet die
Mitose ein.
Die Kontrollstelle G1-S liegt unmittelbar vor der Initiation der Replikation. Bei der Hefe heißt er
START-Punkt, bei Säugern Restriktionspunkt.
Die Kontrolle der Aktivierung eines Replikationsursprungs teilt die Initiation in zwei Phasen
und verknüpft sie mit der G1-Phase. Für die Hefe beschreibt man den Ablauf folgendermaßen
(. Abb. 3.7):
48 Kapitel 3 · DNA-Replikation
a b
Inaktive
MCM-Helikase Cdc45
DDK + CDK
Helikase-
Beladungs-
42
3 beladungs-
komplex
faktoren
Aktive
CMG-Helikase
GINS
G1 S
G1-Phase, CDK CDK DDK
c d
Mcm10 DNA-Polymerase
-Primase
. Abb. 3.7 Initiation der DNA-Replikation bei der Hefe (nach Weinreich 2015; mit freundlicher Genehmigung
der Nature Publishing Group)
1. Beladung der DNA mit MCM-Helikasen: In der G1-Phase ist die Aktivität der CDK gering.
Dadurch kann ein Helikase-Beladungs-Komplex die Replikationsursprünge mit je zwei
MCM-Helikasen beladen. Alle Ursprünge werden nur einmal beladen. Die Helikasen sind
noch inaktiv, die Beladungsproteine lösen sich wieder (. Abb. 3.7a).
2. Aktivierung der Helikasen: Im zweiten Schritt steigt zunächst die Aktivität der CDK vor
der S-Phase an. Während der G1-Phase hatte sich zudem eine weitere Kinase, die DDK
(Dbf4-dependent kinase, Dbf4-abhängige Kinase) angesammelt.
CDK und DDK phosphorylieren mehrere Substrate und bewirken damit, dass einerseits keine
weiteren MCM-Helikasen auf die DNA geladen werden, dass andererseits die Proteine Cdc45 und
GINS sich an die Helikasen binden. Das Gebilde heißt jetzt CMG-Helikase-Komplex (. Abb. 3.7b).
Nach Eintritt des Proteins Mcm10 (für das Entwinden der DNA, . Abb. 3.7c) und der α-
Polymerase (Primase, . Abb. 3.7d) nimmt er seine Arbeit auf.
Die Replikation bei Bakteriophagen und Viren liefert nicht eine, sondern bis zu hundert neue
DNA-Kopien, weil daraus entsprechend viele neue Phagen/Viren entstehen.
Die Variationen im Ablauf hängen von der Genomstruktur ab:
55 Besteht das Genom aus DNA oder RNA?
55 Liegt es einzelsträngig (ss) oder doppelsträngig (ds) vor?
55 Bildet die ssRNA den sogenannten Plus- oder Minusstrang. Ein Plusstrang kann als mRNA
dienen, die direkt translatiert wird.
Sowohl einige DNA-Viren als auch RNA-Viren, die Retroviren, benötigen für die Replikation ein
RNA- oder DNA-Zwischenprodukt.
3.7 · Phagen und Viren
49 3
3'
5'
5'
5'
Auch Plasmide als ringförmige ds-DNA replizieren nach dem rolling-circle-Mechanismus. Das
Gen für das Initiationsprotein liegt auf dem Plasmid. Genprodukte des Plasmids kontrollieren
auch seine Kopienzahl. Liegt es einmal pro Zelle vor, wird seine Replikation anders kontrolliert
als bei höherer Kopienzahl.
z Retroviren (Plusstrang-ss-RNA)
Retroviren wie HIV sind RNA-Viren mit ssRNA, die als Plusstrang vorliegt. Der Plusstrang wird
jedoch nicht direkt als mRNA translatiert, sondern mithilfe des Enzyms Reverse Transkriptase
(RT) in DNA umgeschrieben. Nach der Ergänzung des komplementären DNA-Strangs schleust
sich die ds-DNA in das Wirtsgenom ein und liegt als Provirus vor (7 Kap. 10).
H-Ring
L-Ring D-Loop
or
iC
42
3
oriC
RNA-Zwischenprodukt. Die RT synthetisiert an der RNA einen DNA-Strang. Anders als Retro-
viren integrieren sich Hepadnaviren jedoch nicht in das Kerngenom.
Das Genom von Mitochondrien und Plastiden ist meist zirkulär. Die verantwortliche Polyme-
rase γ ist mit der Polymerase I von Prokaryoten verwandt. Allerdings wird sie vom Kern codiert.
Die Kontrolle der Replikation erfolgt zwar vom Kern aus, aber sie ist nicht an die Replika-
tion der Kern-DNA gekoppelt.
Die Replikation der zirkulären Säuger-mtDNA verläuft nach der gängigen Vorstellung nach
dem Verdrängungsmechanismus, also nicht über die Replikationsgabel. Man spricht auch von
der Verdrängungsreplikation. Die Replikation ist asymmetrisch.
Ausgangspunkt dafür ist ein Abschnitt, in dem die mtDNA dreisträngig vorliegt und eine
sogenannte D-Schleife bildet: Während sich in dem Mitochondriengenom fast durchgehend der
innere Heavy- oder H-Strang und der äußere Light- oder L-Strang komplementär aneinander
lagern, bindet sich an einer Stelle ein RNA-Primer an den H-Strang. Dieser Abschnitt ist der ori.
z Der Ablauf
1. Der Primer verdrängt am ori den L-Strang, sodass dieser von seinem komplementären
Gegenstrang gelöst ist. Daher stammt die Bezeichnung Verdrängungsreplikation oder -
mechanismus und D-Schleife von displacement (. Abb. 3.9).
2. Zunächst dient der H-Strang als Matrize für einen neuen L-Strang.
3. Die Replikation beginnt an dem Primer, er wird zu einem neuen L-Strang verlängert. Der
neue Strang ist komplementär zum H-Strang und verdrängt somit den alten L-Strang mehr
und mehr. Der L-Strang löst sich also weiter von dem H-Strang ab und liegt zunehmend
einzelsträngig vor.
4. Erst nach etwa zwei Dritteln der Replikationsrunde liegt auch der ori des L-Strangs frei,
jetzt synthetisiert eine Primase dazu eine kurze komplementäre RNA, die als Primer dient.
5. Die Polymerase verlängert diesen Primer, sodass sie einen neuen H-Strang herstellt.
In einigen Chloroplasten sieht man auch zwei Verdrängungsschleifen. Auch hier läuft die Rep-
likation asymmetrisch.
51 4
Transkription
4.1 Überblick und Grundbegriffe – 52
4.6 Elongation – 64
4.6.1 Elongation bei E. coli – 64
4.6.2 Elongation bei Archaeen und Eukaryoten – 64
4.7 Termination – 65
4.7.1 Terminaton bei Bakterien – 65
4.7.2 Termination bei Archaeen und Eukaryoten – 66
4.9 RNA-Editing – 72
Bei der Transkription liest die Zelle einen definierten DNA-Abschnitt von einem Startpunkt bis
zu einem Endpunkt ab und stellt dabei nach der Nucleotidfolge eines Strangs eine RNA-Kopie
her (. Abb. 4.1).
55 Das Produkt einer Transkription heißt Transkript.
55 Alle RNAs einer Zelle zusammen bilden das charakteristische Transkriptom.
55 Bei Bakterien unterscheidet es sich je nach Umwelt- und Lebensbedingungen der jewei-
ligen Art.
55 In Säugerzellen beispielsweise unterscheidet sich das Transkriptom der einzelnen Zellen
wie Leber- oder Nervenzellen voneinander.
Man unterteilt auch die Transkription in Initiation, Elongation und Termination (. Abb. 4.1).
Da das Transkriptom je nach Zelltyp und Lebensbedingungen charakteristisch ist, wendet
die Zelle mehr Mühe auf die Initiation auf und kontrolliert sie sehr differenziert.
z RNA-Moleküle
Es gibt unterschiedliche Klassen von RNA-Molekülen, die man nach ihrer Funktion einteilt und
benennt.
Initiation Termination
(Transkriptionsstart) (Transkriptionsende)
Stromaufwärts/+ Stromabwärts/–
+1
DNA
Silencer Enhancer Promotor
+ Elongation
(RNA-Polymerase- (RNA-Synthese)
Bindungsstelle)
UTR UTR
5' 3' RNA-Transkript
ATG (Start) UAG (Stop)
Offenes Leseraster
. Abb. 4.1 Grundbegriffe zum Verständnis der Transkription. Enhancer und Silencer sind Regulationselemente,
die vor allem bei Eukaryoten wichtig sind
4.1 · Überblick und Grundbegriffe
53 4
55 Messenger-RNAs (mRNAs) enthalten die Information für die Herstellung von Proteinen,
sie werden nach der Transkription translatiert.
44Eine mRNA ist dabei länger als der Bereich, der in ein Protein übersetzt wird. Den
Bereich, der das Protein codiert, nennt man offenen Leserahmen oder offenes Lese
raster (ORF, open reading frame).
44Zwei kurze untranslatierte Abschnitte (UTR, untranslated region) flankieren den ORF
am 5′- und am 3′Ende.
44Die mRNA von Prokaryoten enthält oft hintereinander die Information für die Trans-
lation mehrerer Proteine, man nennt sie polycistronische RNA.
44Bei Eukaryoten kommen demgegenüber fast nur monocistronische RNAs vor, welche
die Information für ein einziges Protein bereithalten.
55 An die Synthese der ribosomalen RNAs (rRNA) und der Transfer-RNAs (tRNA) schließt sich
keine Translation an.
44Die rRNAs bauen zusammen mit Proteinen die Ribosomen auf, die Orte der
Translation.
44Die tRNAs führen während der Translation die Aminosäuren zum Ribosom.
55 In den vergangenen Jahren haben Genetiker zudem einen Zoo verschiedener kleinerer
RNA-Moleküle zusammengestellt. Diese RNAs regulieren die Genaktivität oder helfen
mit, die anderen RNAs zu bearbeiten.
44Mikro- oder miRNAs wirken über einen speziellen Mechanismus, die RNA-Interferenz
(RNAi), an der Regulierung der Genaktivität mit.
44Small interfering oder siRNAs sind verwandt mit den miRNAs und erfüllen ähnliche
Funktionen.
44Guide- oder gRNAs dirigieren Prozesse, beispielsweise beim Editing.
44Small nucleolar oder snoRNAs wirken an der Prozessierung und Modifikation anderer
RNAs mit und bilden zusammen mit Proteinen die snoRNP: small nucleolar ribonucleo-
protein particles.
44Small nuclear oder snRNAs wirken beim Spleißen (oder Splicen) mit und bilden
zusammen mit Proteinen die small nuclear ribonucleoprotein particles. Diese werden
gerne auch als „snurps“ bezeichnet.
44Long non-coding oder lncRNAs sind lange nichtcodierende RNAs mit Funktionen für
die Genregulation (siehe 7 Abschn. 8.8.2). Manche Autoren fassen die kurzen (bis 40
Nucleotide) nichtcodierenden RNAs zur Gruppe der short/small non-coding RNAs
(sRNA) zusammen und stellen sie der lncRNA gegenüber.
4
18S-rRNA
+ 33 Proteine A P
= 40S-Untereinheit
28S- + 5,8S-rRNA
+ 5S-rRNA
+ 49 Proteine
= 60S-Untereinheit
. Abb. 4.2 Prozessierung der eukaryotischen rRNA für den Aufbau der Ribosomen (nach Buselmaier und
Tariverdian 2007)
Die eukaryotische proteincodierende RNA ist somit eine direkte Kopie der DNA, die noch nicht
für den Gebrauch fertig ist. Manche Autoren bezeichnen dieses direkte Transkript als hetero-
gene nucleäre RNA (hnRNA).
4.2.1 RNA-Polymerase
Das entscheidende Enzym ist wie schon bei der Replikation eine Polymerase, die DNA-abhängige
RNA-Polymerase, meist nur RNA-Polymerase genannt. E. coli besitzt nur eine RNA-Polymerase,
eukaryotische Zellen haben drei verschiedene.
Die Lage von DNA-Abschnitten wird im Zusammenhang mit der Transkription relativ zur ersten
Base angegeben, die in RNA umgesetzt wird.
55 Dieses Nucleotid selbst erhält als Transkriptionsstart die Nummer +1. Eine Nummer 0
gibt es nicht. Alle folgenden Nucleotide werden der Reihe nach durchnummeriert. Man
sagt, sie liegen stromabwärts. Der offene Leserahmen kann sich bis zu mehrere Hundert
Nucleotide stromabwärts befinden.
55 Nucleotide, die vor dem Transkriptionstart und damit stromaufwärts liegen, erhalten
negative Nummern. Die Nummern steigen mit der Entfernung vom Startnucleotid an.
. Abb. 4.3 Regulation des Transkriptionsstarts bei Eukaryoten durch mehrere Faktoren (nach Buselmaier und
Tariverdian 2007)
Auch Proteine spielen eine erhebliche Rolle bei der Transkription. Für die Transkription sind
sowohl DNA- als auch RNA-bindende Proteine wichtig. Letztere führen zusammen mit RNA-
Molekülen beispielsweise das Spleißen und das Editing aus.
Escherichia coli besitzt eine RNA-Polymerase aus fünf Untereinheiten: α, β, β′, σ und ω (alpha,
beta, beta′, sigma und omega). In dieser Zusammensetzung spricht man vom Holoenzym. Die
enzymatisch entscheidende Einheit ist β, α ist zweifach vorhanden.
Der σ-Faktor (Sigma-Faktor) ist wichtig, um den Promotor zu erkennen. Nach der Initiation
löst er sich aus dem Komplex (. Abb. 4.4).
Ohne σ-Faktor liegt das Core-Enzym vor und führt die Elongation aus. Die Untereinheiten
β und β′ sind eng verwandt mit Untereinheiten des eukaryotischen Enzyms und haben Kernauf-
gaben wie die Bindung von Nucleotid und DNA.
Insgesamt sind die Unterschiede zwischen bakterieller und eukaryotischer Polymerase groß
genug, dass man zur Bekämpung bakterieller Infektionen Antibiotika einsetzen kann, welche
die Polymerase hemmen.
Beispiele: Rifampicin (aus der Klasse der Rifamycine), Streptolydigin.
58 Kapitel 4 · Transkription
RNA-Polymerase
Core-Promotor
σ
5' 3'
3' 5'
4
5' 3'
3' 5'
Geschlossener Promotorkomplex
5' 3'
3' 5'
Offener Promotorkomplex
+ A TP/GTP
5' 3'
3' 5'
5' 3'
3'
3' 5'
5' Elongationskomplex
. Abb. 4.4 Transkriptionsstart mit dem Ablösen des σ-Faktors aus der RNA-Polymerase
4.4 · Initiation bei E. coli
59 4
4.4.2 Aufbau der Promotoren
Consensussequenzen
UP-Element +1
–59 –38 –35 15–18 Nucleotide –10 6–7 Nucleotide
5' NNAAA AA T A T T T T NNNA A A NNN T T GA C A TATAAT
TT T
b Core-Promotor
. Abb. 4.5 Verschiedene Promotoren bei E. coli (a) und die Consensussequenz (b)
60 Kapitel 4 · Transkription
Der DNA-Abschnitt von −40 bis zum Transkriptionsstart +1 gilt als Core-Promotor. Weitere
stromaufwärts liegende Elemente unterstützen ihn und verstärken die Promotorwirkung:
55 Bei −50 liegen die upstream-Elemente oder upstream activator sequences (UAS). Sie sind
etwa 20 bp lang und AT-reich. An die up-Elemente bindet sich die α-Untereinheit der
Polymerase.
55 Stromaufwärts liegen möglicherweise FIS-Bindungsstellen für den Stimulatonsfaktor FIS,
factor for inversion stimulation, der die Promotionswirkung noch weiter erhöht. So ergeben
sich besonders starke Promotoren, wie sie vor den rRNA-Operons von E. coli liegen.
4 Starke Promotoren vor den rRNA-Genen sind sinnvoll, denn die Gene müssen sehr häufig
transkribiert werden, sonst beschränken sie die Proteinsynthese.
Wie Bakterien haben Archaeen einen einzigen Typ von Polymerase. Sie ist verwandt mit der
bakteriellen und den eukaryotischen Polymerasen und besteht aus mehr als zehn Untereinhei-
ten. Mit den Eukarya haben sie gemeinsam, dass nicht die Polymerase den Promotor erkennt.
Die Funktion des bakteriellen σ-Faktors ist ausgelagert auf externe Proteine. Diese Faktoren
kommen zusammen, binden sich an die DNA und schaffen damit erst die Arbeitsbühne für die
Polymerase.
Promotoren von Archaeen sind noch nicht so gut untersucht. Als wichtige Merkmale gelten:
55 Promotoren besitzen eine TATA-Box bei −25 bis −30.
55 Der Transkriptionsstart liegt innerhalb eines Initiatorelements.
55 Die TATA-Box ist die Zielsequenz für das TATA-Box-bindende Protein, aTBP. Es ist
verwandt mit dem eukaryotischen TBP, „a“ steht für archaeal.
55 Stromaufwärts von der TATA-Box liegt ein DNA-Abschnitt, an den sich ein weiterer
Transkriptionsfaktor heftet: TFB. Dementsprechend heißt das DNA-Motiv TFB response
element.
55 Optional kann ein weiterer Transkriptionsfaktor, TFE, die Initiation fördern. Er kommt bei
schwachen Promotoren zum Einsatz.
Die Initiation bei Eukaryoten ist komplexer und gestattet feinere Differenzierungen als bei Pro-
karyoten. Diese größere Variabilität ist an mehreren Umständen sichtbar:
55 Fünf RNA-Polymerasen I bis V transkribieren jeweils ihnen zugeordnete Gene.
55 Die Promotorsequenzen zeigen mehr Variationen und werden ergänzt um weitere
regulatorische Sequenzen.
55 Es gibt eine Vielfalt und Differenzierung an weiteren Faktoren wie Transkriptionsfaktoren
und Aktivatoren.
Die Synthese und Prozessierung der rRNAs erfolgt konzentriert in bestimmten Zentren des
Zellkerns, den Nucleoli.
z RNA-Polymerase II
Das Enzym setzt sich aus zwölf Untereinheiten zusammen.
Es transkribiert proteincodierende Gene, lncRNAs und miRNAs. Es ist der Angriffspunkt für
das Gift σ-Amanitin aus dem Grünen Knollenblätterpilz.
Promotoren für die RNA-Polymerase II ähneln am meisten den bisher bekannten bakteriellen
Promotoren. Den Abschnitt von −35 bis +25 betrachtet man als Core-Promotor. Dazu kommen
stromaufwärts oder stromabwärts weitere Promotor-Elemente, sodass sich der Promotor aus-
dehnt bis −200. Für die Region von −200 bis zum Core-Promotor findet man auch die Bezeich-
nung proximaler Promotor.
Folgende Elemente bauen die Promotoren auf:
55 Bei −30 liegt eine TATA-Box, sie ist aber nicht zwingend vorhanden. Beim Menschen
kommt sie in etwa einem Drittel der Promotoren vor. Der Abschnitt ähnelt der bakteriellen
−35- bis −10-Region.
55 Nicht weit von der TATA-Box liegt stromaufwärts oder stromabwärts ein TFIIB recognition
element (BRE): BREu (upstream) bzw. BREd (downstream). Es arbeitet gewissermaßen als
Verlängerung der TATA-Box. Ein BRE unterstützt die Bindung der generellen Transkrip-
tionsfaktoren TFIIB und TFIID.
55 Ein pyrimidinreiches Initiatorelement (Inr-Element) kann hinzutreten, braucht aber
ebenfalls nicht vorzuliegen. Es umfasst wie bei Archaea das Startnucleotid +1. Dieses liegt
wenige bp bis mehrere Hundert bp vor dem späteren Translationsstart und gegenüber von
einem Adenin.
55 Ein motif ten element (MTF) stromabwärts von +1 unterstützt den Initiator und fördert die
Initiation.
55 Weiter stromabwärts findet man das downstream promotor element (DPE), etwa im
Bereich von +28 bis +32, vor allem in Promotoren ohne TATA-Box.
Die Elemente sind nicht sehr hoch konserviert, deswegen weisen Consensussequenzen mehrere
variable Stellen aus.
Weitere Regulationselemente für die spezifische Regulation treten proximal oder distal
hinzu. Sie dienen als Zielsequenzen für spezifische Transkriptionsfaktoren, sowohl für Aktiva-
toren als auch für Repressoren. Oft wirken mehrere Elemente mit ihren DNA-bindenden Pro-
teinen zusammen.
62 Kapitel 4 · Transkription
Die Vermittlung oder Koordination erfolgt hierbei über den Mediator, einen Komplex aus
rund 30 Proteinen. Man könnte ihn als Relais- oder Schaltstelle ansehen, weil er eine Brücke dar-
stellt zwischen der RNA-Polymerase II und den Transkriptionsfaktoren. Er nimmt die Informa-
tion von den Nicht-Promotor-Regulationselementen auf und leitet sie an die RNA-Polymerase
weiter. Beispiele: Kernhormonrezeptoren, Tumorsuppressorprotein p53.
55 Proximale Regulationselemente:
44Proximal und (oft) stromaufwärts liegen Response-Elemente.
44Mit Response-Elementen antwortet eine Zelle auf Signale.
4 44Sie sind die Bindungsstelle für regulatorische Transkriptionsfaktoren. Diese werden
z. B. über die Signaltransduktion aktiviert.
44Beispiel: das cAMP-Response-Element (CRE), daran binden sich das CRE-bindende
Protein (CREB) und weitere Faktoren.
55 Distale Regulationselemente:
44Zu den distalen Elementen gehören Enhancer und Silencer. Sie sind wichtig für
Differenzierungen und bei der Embroynalentwicklung.
44Sie können bis 100 kb entfernt vom Promotor und stromaufwärts oder stromabwärts
liegen, sogar in Introns.
55 Sie dienen als Bindungsstellen für Aktivatoren, Repressoren oder Isolatoren, die alle mit
generellen Transkriptionsfaktoren wechselwirken.
44Isolatoren oder Isolatorelemente wirken wie Platzanweiser: Sie weisen den Enhancern
oder Silencern gezielt bestimmte Promotoren zu, damit diese über die große Entfernung
nicht wahllos irgendeinen Promotor aktivieren.
44Der CCCTC-bindende Faktor (CTCF) heftet sich an die Isolatoren.
An der Ausbildung des Initiationskomplexes beteiligen sich derart viele Faktoren, dass eine
Gesamtstruktur vom Ausmaß der Ribosomen entsteht. Nicht zuletzt die Chromatinstruktur
wirkt entscheidend mit, wenn die DNA gebogen wird. Gelegentlich liest man dafür den Begriff
Transkriptosom.
z RNA-Polymerase III
Die RNA-Polymerase III ist aus 17 Untereinheiten aufgebaut.
Sie synthetisiert tRNAs, die 5S-rRNA und kleinere RNAs (U6-snRNA, 7SL-RNA).
Die Promotoren für die Polymerase III unterteilt man in drei Gruppen.
55 Die Promotoren können jeweils eine TATA-Box enthalten.
55 In den Promotor-Typen I und II liegen regulierende Elemente innerhalb der codierenden
Sequenz.
55 Typ I enthält Box A und C mit Intermediärelement,
55 Typ II enthält Box A und B.
55 An die Boxen binden sich Transkriptionsfaktoren.
55 In Typ III kommt zu einer echten TATA-Box noch ein upstream element.
Die Aufgabe der RNA-Polymerase bei Eukaryoten ist nur die Synthese der RNA.
Die Erkennung des Promotors ist ausgelagert. Die Funktion des σ-Faktors übernehmen
mehrere einzelne Proteine, die in ihrem Zusammenspiel die sehr feine Regulation ermöglichen.
Sie schaffen eine Arbeitsgrundlage für die RNA-Polymerase.
4.5 · Initiation bei Archaeen und Eukaryoten
63 4
Jede Polymerase benötigt ihre eigenen Faktoren. Die Zuordnung spiegelt sich in dem Namen
wider: Die sieben allgemeinen oder generellen Transkriptionsfaktoren der Polymerase II heißen
TFIIA, B, D, E, F, H und S (spezielle Transkriptionsfaktoren: s. 7 Abschn. 7.3). Sie verfügen über
eine DNA-Bindungsdomäne und können die Promotor-Elemente (TATA-Box, Inr, BRE, DPE)
erkennen.
Der Präinitiationskomplex wird schrittweise gebildet:
1. Der Aufbau beginnt mit dem TFIID, einem Komplex aus dem TATA-Box-bindendem
Protein (TBP) und 14 TBP-assoziierten Faktoren, TAFs.
44Das TBP enthält eine spezifische Domäne, um die TATA-Box zu erkennen und sich an
den Promotor zu binden. Funktionell entspricht es somit dem bakteriellen σ-Faktor.
TBP errichtet buchstäblich eine Art Grundlage oder Plattform für weitere Faktoren.
Als Charakterisierung des TBP sagt man gern, es sitze wie ein „Sattel“ auf der DNA. Es
kommt auch in den Transkriptionsfaktoren der Polymerasen I und III vor.
44Die TAFs unterstützen die TBP-Bindung an die TATA-Box und wirken als Coaktiva-
toren. Ist kein TATA-Element vorhanden, erkennen sie einen Inr oder ein DPE und
heften sich daran. Die TAFs sind die kommunizierenden Elemente. TAF1 hat besondere
Enzymfunktionen für die Modulation an den Histonen: Acetylierung von H3 und H4,
Phosphorylierung von H2B, Ubiquitinierung von H1.
44Ist weder eine TATA-Box vorhanden noch ein Inr-Element, springen (Transkriptions-)
Aktivatoren ein, um Motive wie GC-Boxen (GGGCGG) zu erkennen oder andere kurze
Sequenzen.
2. Nacheinander treten nun die sieben TFII-Proteine hinzu und bilden den Präinitiations-
komplex aus.
44TFIIA und B stabilisieren TFIID.
Das TBP biegt die DNA so weit, dass TFIIB einen besseren Zugang zur DNA bekommt.
TFIIB legt den Transkriptionsstart fest.
44TFIIH hat Helikasefunktion und öffnet die DNA.
Mit dieser Eigenschaft ist es auch wichtig für die DNA-Reparatur
(Nucleotidexzisionsreparatur).
Fehler in den TFIIH-Untereinheiten XPB und XPD verursachen das erbliche Cockay-
ne-Syndrom und Xeroderma pigmentosum (7 Abschn. 11.6.3).
Zudem ist TFIIH eine Kinase und phosphoryliert einen Abschnitt der größten Unter-
einheit der Polymerase II. Dieser Abschnitt der Polymerase liegt am C-Terminus
und heißt carboxyterminale Domäne (CTD). Er ist bei Säugern ein Motiv aus sieben
Aminosäuren – Tyr-Ser-Pro-Thr-Ser-Pro-Ser – und kommt 52-mal vor. Zwei Serinreste
können jeweils phosphoryliert werden. Diese Phosphorylierung ist entscheidend für die
Aktivierung des Inititationskomplexes.
44TFIIH tritt außerdem in Wechselwirkung mit regulatorischen Transkriptionsfaktoren
wie p53 oder E2F, wirkt somit als Cofaktor.
44Der Mediator kann TFIIH unterstützen und so den Transkriptionsstart nochmals
stimulieren. Der Mediatorkomplex gehört zu den Coaktivatoren oder -faktoren.
3. Die beteiligten Faktoren haben die Polymerase positioniert und gewissermaßen eingespannt.
Durch die geballte Phosphorylierung, als Hyperphosphorylierung bezeichnet, löst der Initia-
tionskomplex die Blockade, und die Polymerase beginnt mit der Transkription. Wie bei der
bakteriellen Initiation markiert erst die Promotor-Clearance den Übergang in die Elongation.
Die Arbeitsbühne wird anschließend nicht komplett abgebaut. Die Faktoren TFIID, A und H
bleiben installiert. So kann die Zelle schneller eine erneute Transkription starten.
64 Kapitel 4 · Transkription
4.6 Elongation
Nach neun bis elf Nucleotiden ist der Elongationskomplex bei E. coli stabil.
55 Er überspannt die Transkriptionsblase (Transkriptionsauge) von 12–14 bp, wo die DNA
geöffnet vorliegt und wo sich die neue RNA mit der DNA paart.
55 Der Abschnitt, den die RNA-Polymerase abdeckt, ist etwa 30 bp lang.
55 Die RNA tritt durch einen eigenen Kanal aus dem Enzym heraus.
Da die RNA-Polymerase immer wieder pausiert, kann man die durchschnittliche Geschwindig-
keit nur grob mit bis zu 80 Nucleotiden pro Sekunde angeben.
Ein Grund für das Pausieren kann der Einbau eines falschen Nucleotids sein. Das Enzym
läuft dann zurück (backtracking):
1. Das 3′-Ende löst sich von der DNA.
2. Es rutscht in einen zweiten Ausgangskanal hinein und blockiert die Polymerase vollends.
3. Als Pannenhelfer greifen GreA und GreB ein. Man bezeichnet sie auch als Elongations-
faktoren oder Spaltungsfaktoren. Sie dringen in den zweiten Kanal ein, aktivieren die
Polymerase, und das 3′-Ende des Transkripts wird abgespalten.
4. Die Polymerase kann die Synthese fortsetzen.
Auch bei Archaeen und Eukaryoten geht die Initiation erst nach einigen Nucleotiden in die Elon-
gation über. Ebenso stoppt die RNA-Synthese immer wieder. Dem bakteriellen GreA und GreB
entspricht bei Archaaen ein Elongationsfaktor TFS. Bei Eukaryoten ist das Pausieren nach etwa
30 Nucleotiden indes notwendig, um die 5′-Cap anzuhängen.
Während die Synthese bakterieller Transkripte nach Minuten beendet ist, dauert beispiels-
weise die Synthese der Prä-mRNA des menschlichen Dystrophingens 16 h.
Hinzu kommt die besondere Chromatinstruktur: Die DNA ist um die Nucleosomen gewi-
ckelt. Die Transkription erfordert also weitere Faktoren:
55 positive und negative Faktoren,
55 Faktoren, welche die Assoziierung mit den Histonen lösen.
Beispiele:
44TFIIS entspricht bei Säugern den bakteriellen GreA und B. Er hilft bei der Überwindung
des Pausierens und spaltet die RNA.
44Elongin C (eine Proteinuntereinheit des TFIIB) gehört zu den „Muntermachern“ und
aktiviert die Polymerase.
44P-TEFb (positive transcription elongation factor b) ist ebenfalls ein positiver Faktor. Er
phosphoryliert negative Faktoren wie NELF (negative elongation factor). Unphospho
ryliert fördert NELF das Pausieren der Polymerase.
4.7 · Termination
65 4
44Der Faktor CSB ist auch an der DNA-Reparatur beteiligt. Mutationen in dem Gen für
CSB führen beim Menschen zum Cockayne-Syndrom.
44FACT ist bei Säugern ein Elongationsfaktor (facilitates chromatin transcription), der mit
den Histonen H2A und H2B interagiert.
4.7 Termination
Bei Bakterien unterscheidet man zwei Mechanismen zur Beendigung der Transkription.
z Rho-unabhängiger Mechanismus
Dieser wird auch als intrinsische Termination bezeichnet (. Abb. 4.6a)
5'
CG
RNA-Polymerase RNA-Polymerase
GG
CU
mRNA
5' 3'
3' 5'
5' 3'
5'
3' CGGCGGT C GACCGCCG UUUUUUUUUUU 5'
AAAAAAAAAAA
G C
C G ATP ADP + Pi
C G
5' G C
C G
C G
A U
G C
Terminationsschleife 5' 3'
3' 5'
5'
5' 3'
3' CGGCGGT C GACCGCCG AAAAAAAAAAA 5'
5' 3'
UUUUUUUUUUU 3' 3' 5'
G C
C G 3'
C G 5'
5' G C
C G
C G
A U
G C
a b
Hier ist ein DNA-Motiv wesentlich. Das auslösende Sequenzmotiv ist ein GC-reiches Palin-
drom, an das sich Adeninreste anschließen.
1. Der schwache Zusammenhalt zwischen den Uracilresten der RNA und den Adeninresten
der DNA bewirkt, dass die Polymerase pausiert.
2. Guanine und Cytosine innerhalb des RNA-Einzelstrangs gehen Wasserstoffbrücken-
bindungen ein und bilden einen internen Doppelstrangabschnitt, der Haarnadelstruktur
oder kurz Haarnadel, hairpin oder stem-loop genannt wird.
3. Die Haarnadel zieht förmlich die RNA aus dem Elongationskomplex und beendet die
4 Transkription.
4. Antiterminatoren stabilisieren den U-A-Doppelstrangabschnitt, die Polymerase pausiert
nicht mehr und die Haarnadel kann sich nicht ausbilden. Beispiel: Protein Q des Phagen λ.
Auch Archaeen nutzen für die Termination Palindromstrukturen und wohl auch
Terminationsfaktoren.
Bei Eukaryoten erfolgt die Termination bei den drei Polymerasen unterschiedlich:
55 Die Polymerase I wird von dem Transkriptionsterminationsfaktor, TTFI, gestoppt. Er
blockiert die Polymerase, und der Elongationskomplex löst sich auf.
55 Die Polymerase III erkennt ein Terminationssignal der DNA.
55 Die Termination der Transkription durch die Polymerase II ist verknüpft mit der Polyade-
nylierung (s. u.). Hat die Polymerase II das Signal für die Polyadenylierung transkribiert,
läuft sie noch weiter, während Proteine das Signal erkennen, die RNA schneiden und
polyadenylieren.
Sowohl Pro- als auch Eukaryoten bearbeiten ihre RNA-Moleküle während und/oder nach der
Transkription, sodass aus den Prä-RNAs reife RNAs werden.
Einzelne Nucleotide der Prä-rRNAs werden beim RNA-Editing noch verändert. Dazu gehören
Methylierung, Umwandlung zu Pseudouridin u. a.
Umfangreicher ist das RNA-Editing der Prä-tRNAs. Ungewöhnliche Basen sind gerade das
Markenzeichen für tRNAs. Hierzu gehören Dihydrouridin oder Inosin. Die Zelle nimmt dazu
Veränderungen vor wie Methylierung, Desaminierung, Isomerisierung der Base, Austausch von
Sauerstoff gegen Schwefel, oder sie tauscht ein ganzes Nucleotid aus.
z Capping
Wenn die Polymerase II 25 bis 30 Nucleotide synthetisiert hat, setzen drei Enzyme dem 5′-Ende
der mRNA eine Kappe aus einem 7-Methyl-Guanosin oder m7G auf.
Die ausführenden Enzyme stehen in Kontakt mit der hyperphosphorylierten carboxytermi-
nalen Domäne der Polymerase II, CTD, und sichern somit das Capping direkt nach dem Start.
Die snRNAs bekommen G-Caps mit anderen Methylierungen. Die Cap hat mehrere
Funktionen:
55 Sie schützt vor Nucleaseabbau.
55 Sie gewährleistet die Initiation der Translation und das Spleißen.
55 Sie ist für den Export aus dem Zellkern wichtig.
z Spleißen
Das Spleißen oder Splicing ist ein Vorgang, bei dem die Introns aus RNA-Molekülen entfernt und
die verbleibenden Exons in richtiger Reihenfolge zusammengesetzt werden.
68 Kapitel 4 · Transkription
Promotor- Transkriptions-
Region start
Startcodon Stoppcodon Polyadenylierungs-
(ATG) (TAA/TAG/TGA) signal
5'UTR 3'UTR
Transkription
4 AUG
Polyadenylierungs-
Stopp signal
RNA
primäres Exon1 GU AG Exon 2 GU AG Exon3 AAUAAA
Transkript 3'UTR
5'UTR Intron1 Intron 2
AUG Stopp
RNA
7-Methyl-
reifes Exon1 Exon 2 Exon3 AAAAAAA Poly(A)-Schwanz
Guanosin
Transkript
5'UTR 3'UTR
. Abb. 4.7 Transkription und begleitende Prozesse bei Eukaryoten mit Signalsequenzen (nach Schaaf und
Zschocke 2013)
Man charakterisiert Introns als nichtcodierende, Exons als codierende Abschnitte. In einem
Intron kann jedoch ein kleineres Gen lokalisiert sein (. Abb. 4.8).
Die Länge der Introns erreicht bis zu mehrere Tausend bp, Exons sind erheblich kürzer. Bei-
spiele: Die 117 Introns des Typ-VII-Kollagen-Gens (31 kb) machen 72 % des Gesamtgens aus,
die 78 Introns des Dystrophingens (2400 kb) sogar 98 %.
Gespleißt werden die Prä-mRNAs, -tRNAs und -rRNAs im Kern sowie RNAs in Mitochon-
drien und Chloroplasten.
Der Spleißprozess kann einfach oder komplex ablaufen:
55 Im einfachsten Fall arbeitet ein Intron selbstständig oder autokatalytisch, es spleißt sich
selbst heraus.
55 Komplexer ist der Vorgang in sogenannten Spleißosomen. Hier kommen etliche Proteine
und rRNA-Moleküle zusammen. Da beim Spleißen keine Nucleotide verloren gehen
dürfen, muss es so korrekt wie möglich erfolgen. Dazu bilden Consensussequenzen die
Grundlage.
. Abb. 4.8 Im Intron 26 des Gens für Neurofibromatose Typ I liegen drei kleine Gene (nach Buselmaier und
Tariverdian 2007)
4.8 · Prozessierung von Transkripten
69 4
z Das einfache Spleißen
Anhand des Ablaufs unterteilt man mehrere Typen des einfachen Spleißens:
55 Gruppe-I- und Gruppe-II-Introns
44Das Spleißen erfordert keine weiteren Proteine, es erfolgt autokatalytisch.
44Die RNA ist ein Ribozym, eine Ribonucleinsäure, die enzymatisch arbeitet.
44Gruppe-I-Introns kommen in Prä-rRNAs im Zellkern von Einzellern, in RNAs von
Organellen und von Bakterien vor. Das Spleißen benötigt ein externes Guanosin oder
Guanosinphosphat. Es legt sich an die Intron-Exon-Grenze, die 3′-OH-Gruppe greift
ein Phosphoratom an der 5′-Spleißstelle an und trennt Exon und Intron voneinander.
44Gruppe-II-Introns in Organellen und bei Prokaryoten kommen ohne externe Moleküle
aus. Hier übernimmt ein Adenosin mit einer 2′-OH-Gruppe, das sich im Intron
befindet, die Aufgabe des externen angreifenden Guaninnucleotids. Es greift eine Stelle
im Intron an und verknüpft sich zu einem Lasso oder Lariat.
55 Introns von tRNA-Genen
44Das Spleißen basiert auf ATP-abhängigen Ribonucleasereaktionen. Das Enzym besitzt
eine Esterase-, Kinase- und Ligasefunktion, um die Enden letztlich wieder miteinander
zu verknüpfen.
44Diesem Weg ähnelt auch das Spleißen bei Archaeen. Sie besitzen Introns in rRNA- und
tRNA-Genen, die eine Ribonuclease herausschneidet.
z Die Speißosomen
Diese Variante des Spleißens kommt bei den meisten eukaryotischen Genen vor. Wie in Grup-
pe-II-Introns wird dabei ebenfalls ein Lasso gebildet (. Abb. 4.9).
Chemisch gesehen ist der Ablauf in Gruppe-II-Introns und in den Spleißosomen eine zwei-
fache Umesterung.
1. Die 2′-OH-Gruppe des inneren Adenosins greift das Startnucleosid des Introns am
5´-Exon-Intron-Übergang an. Das Adenosin knüpft sich an das Nucleosid, bildet eine
5′-2′-Phosphodiesterbindung, gibt das Exon frei und bildet das Lasso.
Donatorstelle Akzeptorstelle
Branch site
Exon 1 GU A AG Exon 2
Exon 1 GU A AG Exon 2
Lassobildung
UG
Exon 1 A AG Exon 2
Exon 1 Exon 2 A AG
. Abb. 4.9 Vereinfachte Darstellung des Spleißens (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
70 Kapitel 4 · Transkription
2. Die 3′-OH-Gruppe des letzten Exon-nucleosids greift das Intron an der 3′-Spleißstelle an,
spaltet es heraus und verbindet sich mit dem ersten Nucleosid des nachfolgenden Exons.
Das Lasso fällt heraus.
Das eigentliche Spleißen wird vorbereitet, wenn die snRNA des U1-snRNP die 5′-Spleißstelle
erkennt und sich anheftet:
55 Spleißfaktoren verteilen sich auf die Consensussequenzen und führen Donor- und
Akzeptorstelle zueinander.
55 Der U2-snRNP bindet sich an die Intronregion mit dem angreifenden Adenosin und wird
dann zur Donorstelle gelenkt. Dabei helfen RNA-bindende Proteine mit, z. B. setzt sich das
branch point binding protein an den Adenosinverzweigungspunkt.
55 Das Spleißosom ist dynamisch: Proteine ändern ihre Konformation: Während die U4/
U6-snRNPs (enthält die zwei snRNAs) und U5-snRNP eintreten, tritt das U1-snRNP aus
dem Komplex aus, und auch U4-snRNP verlässt ihn wieder. Die snRNAs arrangieren sich,
und das Spleißen läuft ab.
Wie das Capping und Tailing ist auch das Spleißen an die Transkription gekoppelt. Die
hyperphosphorylierte CTD führt den Spleißapparat an die Prä-mRNA. Eine Untergruppe
der SR-Proteine stellt dazu die Verbindung her, sie heißen CTD-assoziierte SR-ähnliche Pro-
teine (CASP).
Durch Mutationen an den Spleißstellen kommt es zu Fehlern.
Beispiel beim Menschen: Bei der Erbkrankheit β-Thalassämie bilden die Betroffenen zu wenig
β-Globin. Hier sind verschiedene Mutationen in Splice-sites der Introns bekannt, die den β-Glob-
in-Mangel verursachen.
4.8 · Prozessierung von Transkripten
71 4
. Abb. 4.10 Mögliche Wege
des alternativen Spleißens Exonskipping
Gegenseitiger Ausschluss
Alternative 5'-Donorspleißstellen
Alternative 3'-Akzeptorspleißstellen
Intronretention
des Spleißens kommt beispielsweise beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans und bei den Try-
panosomen vor, den Erregern der Schlafkrankheit.
z Tailing
Am 3′-OH-Ende des Transkripts fügt die Poly(A)-Polymerase einen Adeninschwanz aus 100 bis
200 Nucleotiden an. Diese Polymerase arbeitet unabhängig von einer Matrize.
1. Die Polymerase II transkribiert bei Säugertieren das charakteristische Poly(A)-Signal
AAUAAA, etwa 20 bis 30 Nucleotide stromabwärts folgt ein CA, dahinter folgt nach zehn
bis 20 Nucleotiden ein GU-reicher Abschnitt.
Die Polymerase führt mehrere Proteine mit:
44den Spezifitätsfaktor für Spaltung und Polyadenylierung (CPSF, cleavage and polyade-
nylation specificity factor),
44den Stimulationsfaktor für die Spaltung (CstF, cleavage stimulation factor)und
44Spaltungsfaktoren (cleavage factor) CFI und CFII.
2. Sobald die Polymerase das Polyadenylierungssignal transkribiert hat, wechseln diese
Faktoren von dem Enzym auf die RNA über.
3. Die mRNA wird nach dem CA geschnitten.
4. Die Poly(A)-Polymerase synthetisiert den Poly(A)-Schwanz, und poly(A)-bindende
Proteine heften sich an ihn und stabilisieren ihn.
4.9 RNA-Editing
Eukaryoten editieren rRNAs, tRNAs, mRNAs und miRNAs durch sequenzspezifische Insertion
oder Deletion (Beispiel: Pan-Editing, s. u.) oder enzymatische Modifikation.
55 Häufig kommen Desaminierungen von Adenosin zu Inosin vor. Die Umwandlung erfolgt
mittels der Adenosindesaminasen für RNA (ADAR, adenosine desaminase acting on RNA).
Eine A-zu-I-Desaminierung in einer mRNA führt dazu, dass sich eine andere tRNA an das
Codon heftet. Denn die tRNA liest das Inosin als Guanosin und baut eine andere Amino-
säure in das Protein ein.
4.9 · RNA-Editing
73 4
Säugetiere editieren so Prä-mRNAs, um verschiedene Glutamat- oder Serotoninrezeptoren
herzustellen.
55 Ein anderes Beispiel ist die Umwandlung von Cytidin zu Uridin.
Das passiert beispielsweise in der menschlichen Prä-mRNA für das Apoliporotein B.
Davon gibt es zwei Formen für den Transport von Lipiden im menschlichen Körper:
Leberzellen bilden ein langes Protein (Apo-B 100), Darmzellen eine verkürzte Variante
(Apo-B 48). Das kleinere Apo-B 48 entsteht wegen einer enzymatischen Desaminierung
von Cytidin in der Prä-mRNA. Daraus resultiert ein Uridin und damit ein Stoppcodon.
Translation
5.1 Überblick und Grundbegriffe – 76
Das Prinzip der Translation lässt sich mit dem Morsen vergleichen. So wie im Morsealphabet
eine Folge akustischer Zeichen übersetzt wird in einen Buchstaben des lateinischen Alphabets,
so übersetzt eine Zelle eine Folge von drei Basen in eine Aminosäure (. Abb. 5.1).
Ribosom
Codons
tRNA
H H O H O H O H O
Anfang des
Polypeptids/Proteins H N N C C N C C N C C N C C
(Aminoende, H H CH 2 H CH 2 H CH 3 H H O
N-Terminus)
SH
Die Anzahl der Basenbausteine, die für eine Aminosäure stehen, ergibt sich mathematisch.
55 Um Codewörter für die 22 proteinogenen Aminosäuren bilden zu können, sind bei vier
verschiedenen Buchstabenbasen (A, C, G und U) mindestens drei Buchstaben pro Wort
notwendig.
55 Hat man an einer Position vier Basen zur Auswahl, könnte man damit bei einem Verhältnis
Basen:Aminosäuren von 1:1 nur vier Aminosäuren codieren.
55 Kombiniert man die vier Basen auf zwei Positionen, hätte man 42 = 4 × 4 = 16 Kombina-
tionen von Codons.
55 Erst bei drei Positionen hat man mit vier Basen 43 = 4 × 4 × 4 = 64 Möglichkeiten und
damit mehr Codons zur Verfügung, als Aminosäuren zu codieren sind (. Tab. 5.1).
Die Eigenschaften des genetischen Codes folgen direkt oder indirekt aus der Codierung in
Basentripletts:
55 Er ist ein Triplettcode: Drei Basen codieren eine Aminosäure.
55 Der Code ist degeneriert oder redundant. Mehrere Codons codieren die gleiche Amino-
säure, sie sind synonym.
55 Er ist nahezu universell bei allen Lebewesen.
44Auch das Startcodon für die Translation und somit die erste Aminosäure sind fast
überall gleich.
44Es gibt Ausnahmen von diesem Standardcode (s. u.).
55 Er ist kommafrei und in der Regel nicht überlappend:
44Lückenlos schließt sich in der mRNA Codon an Codon an.
44Jede Base ist nur Teil eines einzigen Codons und nicht mehrerer.
44Ausnahmen bilden die Phagen mit dicht gepackten und dabei überlappenden
Genen.
Die Zuordnung der Aminosäuren zu den Codons wird häufig als Codesonne dargestellt. Die
Basen werden von innen (5′-Ende) nach außen (3′-Ende) abgelesen. Die Nummern werden bei
der Angabe des Tripletts weggelassen.
78 Kapitel 5 · Translation
. Tab. 5.1 Genetischer Code für 20 Aminosäuren und Stoppcodons (nach Schaaf und Zschocke 2013)
G A (Stopp) Ter, X
G Tryptophan Trp, W
Das Startcodon ist meistens 5′-AUG-3′ (selten: GUG oder CUG). In der Tabelle kann man
von links nach rechts ablesen, dass AUG Methionin codiert. Einige Protozoen verwenden alter-
native Startcodons.
Es gibt drei Stoppcodons, für die keine tRNAs vorhanden sind.
Die Organismen zeigen artspezifische Vorlieben für einzelne Codons. Sie haben eine cha-
rakteristische Codonverwendung (Codon Usage oder Codon Bias).
55 Verwendet eine Art ein für sie seltenes Codon, kann das zum Abbruch der Translation
führen.
5.3 · tRNA-Moleküle als Dolmetscher („Adaptoren“)
79 5
55 Daher muss man die Codon Usage berücksichtigen, wenn man ein menschliches Protein
gentechnologisch von Bakterien synthetisieren lassen möchte.
55 Unterscheidet sich ein Gen zweier Menschen an einer Position und ist dabei ein seltenes
Codon beteiligt, kann sich das auf die Proteinsynthese und damit gesundheitlich
auswirken.
Abweichungen vom Standardcode findet man in den Mitochondrien beispielsweise von Säugern
oder Pilzen. UGA bedeutet darin nicht „Stopp“, sondern codiert Tryptophan, ebenso im Genom
des Prokaryoten Mycoplasma spec. Einige Protozoen (Trypanosomen, Paramecien) weichen im
Kerngenom von dem Standard ab, UAG bedeutet dann nicht „Stopp“, sondern codiert Glutamin.
Eine Umwidmung eines Codons führt zum Einbau von Selenocystein, Sec, (21. Aminosäure)
oder Pyrrolysin, Pyl, (22. Aminosäure).
55 Ob die Ribosomen Selenocystein verwenden, hängt nicht vom Codon selbst ab, sondern
vom Kontext: Folgt auf UGA in der mRNA eine Sequenz, die eine Haarnadel ausbildet, so
führt UGA eben nicht zum Stopp, sondern ein Elongationsfaktor erkennt darin das Signal,
eine mit Sec beladene tRNA zum Ribosom zu führen.
55 Einige methanogene Archaeen bauen Pyrrolysin in ihre Proteine ein. Vermutlich codiert
das „Stoppcodon“ UAG direkt Pyl, weil es seine Funktion als Stoppcodon verloren hat.
Die tRNAs (Transfer-RNAs) sind das verbindende Glied zwischen der mRNA und einer Amino-
säuresequenz, dem Protein. Bakterien nutzen 30 bis 45 verschiedene tRNAs, Eukaryoten bis zu 50.
Obwohl die Struktur der tRNAs hoch konserviert ist, gibt es neben der V-Schleife noch weitere
Abweichungen vom Standard. Man findet sie in tRNAs der Mitochondrien von Wirbeltieren. So
kann z. B. die D-Schleife fehlen.
80 Kapitel 5 · Translation
ip
A A
U
Buselmaier und Tariverdian 2007)
A A A G A
C U
U
U
U U U Me
U
C
G
G
H2 e
C
H2 U A A
G
M
Di G G
C
U G
G C
C
H 2U G G
G C
5 OMe
Me
C C C
G
G
Ac
G
A G
U U
C
C
DHU-Schleife
A
G
G
U
G T
G U U G U C G C C A
A A C
C
T C-
U C
C
G Schleife
A G
G C
pG
Serin
Die Schreibweise zeigt an, welche Aminosäure eine tRNA trägt. Eine tRNA für Methionin
schreibt man tRNAMet und liest sie als Methionyl-tRNA. Ist sie korrekt mit Methionin beladen,
schreibt man Met-tRNAMet.
Die Aminoacyl-tRNA-Synthetasen beladen die tRNA in zwei Schritten mit der vorgesehe-
nen Aminosäure:
1. Das Enzym aktiviert die Aminosäure. Dazu spaltet es von ATP ein Pyrophosphat ab und
hängt das verbleibende AMP an die Aminosäure an. Es entsteht ein Molekül Aminoacyl-AMP.
2. Das Enzym verestert unter Abspaltung von AMP die COOH-Gruppe der Aminosäure mit
der OH-Gruppe der Ribose am 3′-Ende der tRNA.
Wechselwirkung und Beladung müssen korrekt erfolgen, damit die Translation fehlerfrei erfolgt.
Bei den Aminosäuren, die sich ähneln, kommen Fehler häufiger vor.
55 Valin und Isoleucin unterscheiden sich kaum, sodass die Synthetase für Isoleucin zunächst
gelegentlich Valin an die tRNAIle hängt.
55 Mithilfe einer Editing-Aktivität (editing activity) korrigiert sie den Fehler und spaltet Valin
wieder ab.
Je nachdem, ob die Verbindung an der 2′-OH-Gruppe oder an der 3′-OH-Gruppe der Ribose
erfolgt, ordnet man die Synthetase der Klasse I (2′-OH) oder der Klasse II (3′-OH) der Enzyme zu.
5.4 · Das Ribosom
81 5
Die zwei Klassen von Aminoacyl-tRNA-Synthetasen unterscheiden sich darüber hinaus auch sehr
deutlich in der Struktur des aktiven Zentrums und in der Interaktion mit der tRNA.
Bei einigen Bakterien und Archaeen liegen für Glutamin und Asparagin keine eigenen
Synthetasen vor. Das heißt, dass die Aminoacyl-tRNA-Synthetase die tRNAGlutamin und
tRNAAsparagin erst mit Glutaminsäure bzw. Asparaginsäure belädt. Ein zweites Enzym, eine
Transamidase, wandelt dann die Säure in das gewünschte Amid (Glutamin oder Aspara-
gin) um.
Weitere Beispiele für nachträgliche Modifikationen sind bei Prokaryoten und Organellen
die Umwandlung von Methionin zu N-Formylmethionin, das beim Start der Translation einge-
setzt wird, und bei Pro- wie bei Eukaryoten die Umwandlung von Serin zu Selenocystein an der
tRNA für Selenocystein.
Die Genauigkeit der Beladung ist der erste Schritt, um die genetische Information
fehlerfrei umzusetzen. Der zweite Schritt ist die Wechselwirkung zwischen Anticodon und
Codon.
Da man eine Nucleinsäure stets vom 5′- zum 3′-Ende angibt, paart sich die erste Base des
Codons mit der dritten des Anticodons und umgekehrt. Man darf sich diese Paarung allerdings
nicht linear übereinander vorstellen. Die Anticodonschleife der tRNA ist etwas verdreht oder
gekrümmt. Daher erfolgt die Interaktion nicht passgenau, und zwischen der dritten Codonbase
und der ersten des Anticodons kommt es zum Wobble-Effekt. Damit ist gemeint, dass es hier
nicht nur zu den Watson-Crick-Basenpaarungen kommt.
Auch eigentlich falsche Paarungen sind hier möglich, allerdings nicht alle.
55 Bei Bakterien beobachtet man G-U sowie Paare von Inosin (I) mit A, C oder U.
55 Ist die erste Base im Anticodon beispielsweise ein G, kann ihr gegenüber ein reguläres C,
aber auch ein U liegen.
55 Ist diese Position umgekehrt mit einem U besetzt, kann es sich mit einem regulären A oder
G paaren.
Mit dem Wobble-Effekt erklärt man, dass für einige Codons die dritte Base variabel ist, um eine
Aminosäure zu codieren und die Zelle daher tRNAs einsparen kann. Sie muss nicht für jedes
Codon eine eigene tRNA im Genom bereitstellen.
55 Deswegen lesen Bakterien ihre mRNAs mit rund 30 tRNAs ab.
55 Bei Eukaryoten findet man den Wobble-Effekt zwar ebenfalls mit den genannten
Paarungen, im Kerngenom jedoch nicht so häufig. Daher nutzt der Mensch mehr (48)
tRNA-Moleküle.
Für die korrekte Positionierung der beiden RNA-Moleküle sind vor allem die Struktur und Funk-
tion des Ribosoms entscheidend. Sie sind die Orte und „Maschinen“ der Proteinbiosynthese und
fungieren als Ribozyme aus rRNA-Molekülen und Proteinen, wobei die rRNAs die enzymatischen
Funktionen ausüben, wohingegen die Proteine eher unterstützend wirken.
82 Kapitel 5 · Translation
E P A
5' 3'
mRNA
40S-Untereinheit
A = Akzeptorstelle
P = Peptidylstelle
E = Exitstelle
5
5.4.1 Struktur der Ribosomen
Funktionelle Ribosomen bestehen aus zwei Untereinheiten. Um ihre Größe anzugeben, schaut
man sich das Sedimentationsverhalten während einer Zentrifugation an und verwendet die Maß-
einheit S (Svedberg).
55 Das 70S-Ribosom der Prokaryoten setzt sich zusammen aus einer kleinen 30S- und einer
großen 50S-Untereinheit.
55 Im Cytoplasma der Eukaryoten bilden eine kleine 40S-Untereinheit und eine große
60S-Untereinheit ein 80S-Ribosom(. Abb. 5.3).
Reaktionszentrum
50S
mRNA 30S
Wachsende
a Peptidkette
Prokaryoten Eukaryoten
70S-Ribosom 80S-Ribosom
29 nm 32 nm
21 nm 22 nm
2,8 × 10 6 Da ~ 4,2 × 10 6 Da
1,8 × 10 6 Da 1 × 10 6 Da
und hemmen die Vermehrung oder töten die Bakterien ab. Zu diesen Antibiotika zählen bei-
spielsweise Erythromycine (A, B, C), Streptomycin und Tetracyclin.
Dass es evolutionäre Konservierungen gibt, zeigt beispielsweise das SBDS-Gen. Man
findet das Gen bei allen Archaeen und Eukaryoten. Man nimmt an, dass das Protein eine
grundsätzliche Funktion bei der Zusammensetzung der Ribosomen hat. Mutationen in
84 Kapitel 5 · Translation
Während der Translation sind Ribosomen nicht starr, sondern dynamische Gebilde, ihre Kon-
formation ändert sich also während des Prozesses.
Pro Sekunde verknüpfen sie 15 bis 20 Aminosäuren. In der Regel translatieren mehrere Ribo-
5 somen gleichzeitig eine mRNA. Es entsteht ein perlenkettenartiges Polyribosom oder Polysom.
Trotz ihrer Komplexität läuft die Translation mit den benötigten Aminosäuren, Energieträ-
gern und einer mRNA auch in vitro ab.
5.5.1 Initiation
Als Ergebnis ist die mRNA im Ribosom gebunden und die Initiatior-tRNA sitzt in der P-Stelle.
5.5.2 Elongation
An der Elongation sind zusätzlich drei Elongationsfaktoren (EF-Tu, EF-Ts, EF-G) und die belade-
nen tRNAs beteiligt (. Abb. 5.7). Als Energieträger dienen GTP-Moleküle.
5.5 · Translation bei Bakterien
85 5
C H3
S
C H2
fMet-tRNA
O C H2 O
Peptidyl Aminoacyl-tRNA 3'
O C C NH C
(P-Site) (A-Site)
P-5' H H
GTP
IF3 GTP
30S IF2 IF2
IF1 IF1 IF1
P A IF3 IF3
fMet Shine-Dalgarno-Sequenz
GDP
IF2 Pi 2. Aminoacyl-tRNA
IF2 GTP
5' 3' 5' AUG 3'
IF1
2. Aminoacyl- P A 16S rRNA IF3
tRNA fMet 2. Amino- fMet
IF1 IF3 50S
säure 30S-Initiationskomplex
pt
Pe
idb in d u n g
70S
GTP
Aminoacyl- EF-Tu/GTP
tRNA EF-Ts
86 Kapitel 5 · Translation
Aminoacyl-tRNA
EF-Tu/GTP
E P A E P A
5' 5'
EF-Tu/GDP
E P A E P A
5' 5'
EF-G/GTP E P A
5'
EF-G/GDP
. Abb. 5.7 Elongation: Eine tRNA besetzt nacheinander die drei Bindungsstellen
5.5 · Translation bei Bakterien
87 5
3. Das Ribosom rutscht drei Nucleotide weiter und die Peptidyl-tRNA in die P-Stelle.
4. Die unbeladene tRNA verlässt über die E-Stelle das Ribosom.
Nicht immer rückt das Ribosomen um drei Nucleotide vor. An einigen mRNAs nutzen Bakterien
und andere Organismen die programmierte Rasterverschiebung (programmed frameshifting),
um von einer mRNA verschiedene Proteine zu gewinnen. Dabei bewegt sich das Ribosom bei-
spielsweise zurück oder springt nach vorn und führt die begonnene Translation in einem neuen
Leseraster weiter.
Beispiel: E. coli kommt auf diesem Weg von dem dnaX-Gen zu zwei verschiedenen Unter-
einheiten für seine DNA-Polymerase III.
5.5.3 Termination
An der Termination sind bei E. coli drei Terminationsfaktoren oder Freisetzungsfaktoren (RF1
bis RF3, release factor) beteiligt und ein Ribosomenrecyclingfaktor (RRF, ribosome recycling
factor).
Die Termination löst den Komplex aus Ribosom, mRNA und Polypeptid in mehreren Schrit-
ten auf:
1. Sobald in die A-Stelle ein Stoppcodon gelangt, besetzen je nach Codon RF1 oder RF2 die
A-Stelle, weil es keine tRNA mit entsprechendem Anticodon gibt.
2. Das synthetisierte Protein löst sich aus dem Komplex,
3. RF3 vermittelt die Ablösung von RF1 oder RF2 aus dem Ribosom. Dafür ist wieder GTP
notwendig.
4. Der Elongationsfaktor EF-G bewirkt zusammen mit dem RRF die Aufspaltung des
Ribosoms in die Untereinheiten, sodass sich nun IF3 wieder an die kleine Untereinheit
anlagert und die erneute Zusammenlagerung unterbindet.
Die Zelle nimmt die Fehler jedoch aus mehreren Gründen in Kauf:
55 Die Fehler werden nicht gespeichert. Bei der Replikation wird ein Fehler dagegen an die
Nachkommen weitergegeben.
55 Die Zelle produziert von einer mRNA mehrere Proteine, bei denen wahrscheinlich nicht
der gleiche Fehler auftritt. Es entstehen dadurch ausreichend korrekte Proteine.
55 Ein Zellmechanismus erkennt die falsche Tertiärstruktur eines fehlerhaften Proteins und
sorgt dafür, dass es abgebaut wird.
88 Kapitel 5 · Translation
Das vorliegende Wissen zur Translation bei Archaeen ist geringer. Wie bei der Transkription
nehmen Archaeen eine Art Zwischenstellung zwischen Bakterien und Eukaryoten ein, indem
sie Gemeinsamkeiten mit den anderen beiden Zelltypen zeigen.
5.7.1 Initiation
Die Initiation bei Eukaryoten zeigt einige Gemeinsamkeiten zum Ablauf bei Bakterien:
55 Es entsteht ein Komplex aus dem Ribosom, der mRNA und der beladenen tRNA in der
P-Stelle, die ein Startcodon AUG erkennt.
55 GTP dient als Energieträger.
Es gibt aber auch eine Reihe von Unterschieden zwischen der eukaryotischen Translation und
dem bakteriellen Prozess:
55 Eukaryotische mRNA-Moleküle besitzen keine Shine-Dalgarno-Sequenz.
55 Die Zahl der Initiationsfaktoren ist bei Eukaryoten höher, ihr Aufbau ist komplexer.
55 Als Aminosäure der Initiator-tRNA dient Methionin statt N-Formylmethionin.
55 Eine Helikaseaktivität im eIF4 spaltet unter ATP-Verbrauch mögliche Sekundärstrukturen.
Manche mRNAs verzichten auf die 5′-Cap und das Scanning. Diese mRNAs verfügen über
eine interne Ribosomeneintrittsstelle (IRES). Es ist quasi ein Expressstart für die Proteinbio-
synthese. Daher findet man IRES vor allem in viralen mRNAs, damit die Zelle rasch virale Pro-
teine herstellt, und in mRNAs für Stressproteine, um schnell auf eine bedrohliche Situation zu
antworten.
5.7.2 Elongation
Die Elongation von Bakterien und Eukaryoten ähneln sich mehr als die Initiation.
Die unterstützenden Elongationsfaktoren (eEF) haben die gleichen Funktionen wie ihre
bakteriellen Pendants:
55 eEF1A entspricht dem bakteriellen EF-Tu. Der Faktor führt die beladene tRNA heran und
liefert gebundenes GTP als Energieträger.
55 eEF1B entspricht dem bakteriellen EF-Ts. eEF1B belädt eEF1A mit neuem GTP.
55 eEF2 entspricht dem bakteriellen EF-G und ermöglicht unter GTP-Spaltung die Fortbe-
wegung des Ribosoms.
Der Faktor eEF2 ist außerdem durch zwei weitere Eigenschaften interessant:
55 Er fungiert in gewisser Weise als Schaltstelle: Wird er phosphoryliert, so verlangsamt
sich die Translation. Einige Säugetiere nutzen diese Phosphorylierung, um den geringeren
Bedarf an Proteinen für den Winterschlaf anzupassen.
55 Zweitens ist eEF2 der Angriffspunkt für das Diphtherietoxin, genauer: die histidinähnliche
Aminosäure Diphthamid in dem Elongationsfaktor (. Abb. 5.9). Das Toxin überträgt
ADP-Ribose unter Abspaltung von Nicotinamid auf Diphthamid und blockiert somit eEF2
in seiner Funktion, die Translation stoppt.
EF2
(inaktiv)
H H O
N C C
C H2
AD P
C H3
O N
H 3C N C H 3
H2C N Diphthamid
C H2 C H2 C H
OH HO (His-Derivat)
Diphtherietoxin C O
5 O NH 2
NAD + Nicotinamid
. Abb. 5.9 Das Diphtherietoxin modifiziert eEF2 und blockiert die Translation
5.7.3 Termination
So wie die Zelle RNA-Moleküle noch prozessiert, um reife RNAs zu erhalten, so verändert die
Zelle auch Proteine während der Translation (cotranslational) oder danach (posttranslational),
bis diese einsatzfähig sind.
Die Prozessierung umfasst:
55 Proteinfaltung: Die Polypeptidkette erhält ihre dreidimensionale korrekte Tertiär-
struktur, in der sie aktiv ist. Dazu gehört auch die Faltung für den Transport in oder durch
Membranen.
55 Proteolytische Spaltung: Proteasen trennen Abschnitte von den Enden ab oder spalten
das Protein in Teilstücke. Wichtig ist die Abspaltung eines Signalpeptids, das den
Transport in eine Membran oder aus der Zelle heraus veranlasst.
55 Chemische Veränderung oder Modifikation: Manche Aminosäuren erhalten vorüber-
gehend oder dauerhaft eine chemische Gruppe angehängt.
55 Proteinspleißen: Analog zu den Introns in RNAs gibt es in einigen Proteinen Inteine:
Abschnitte, die herausgeschnitten werden. Die verbleibenden Exteine setzt die Zelle dann
wieder zum funktionellen Protein zusammen.
Die Vorgänge kommen oft kombiniert vor. So muss die Zelle ein Protein erst proteolytisch spalten,
damit es anschließend richtig gefaltet werden kann.
5.8 · Prozessierung von Proteinen
91 5
5.8.1 Proteinfaltung
Während kleine Proteine spontan die richtige räumliche Struktur einnehmen können, ist die
Zahl der möglichen Anordnungen bei großen Proteinen zu hoch. Sie benötigen darum Chape-
rone genannte Hilfsproteine.
Es gibt zwei Gruppen von Chaperonen:
55 Hitzeschockproteine und
55 Chaperonine.
z Hitzeschockproteine
Hitzeschockproteine bildet die Zelle bei hohen Temperaturen. Die Namen von eukaryotischen
Proteinen bestehen aus dem Kürzel Hsp und einer Zahl, die die ungefähre Molekülmasse angibt,
Beispiel Hsp70. Hitzeschockproteine kommen sowohl bei Pro- als auch bei Eukaryoten vor.
Sie übernehmen mehrere Funktionen:
55 Sie tragen zur korrekten Faltung bei,
55 sie unterstützen den Transport von Proteinen durch Membranen,
55 sie lösen Verklumpungen von Proteinen auf, die sich nach Hitzeeinwirkung gebildet haben,
55 sie helfen Proteinen, sich zu einem Komplex zusammenzulagern.
Bei Eukaryoten entspricht Hsp70 dem DnaK von E. coli und Hsp40 entspricht DnaJ.
z Chaperonine
Chaperonine kommen als Komplexe vor, beispielsweise GroEL/GroES bei E. coli und Hsp60
und Hsp10 bei Eukaryoten. Das ungefaltete Protein gelangt in einen Hohlraum des Chapero-
nins, woraufhin dieses unter ATP-Verbrauch seine Konformation ändert. Freigesetzt wird das
korrekt gefaltete Protein.
Insulin ist ein Beispiel, das beide Spaltungen kombiniert. Das Präproinsulin setzt sich zusam-
men aus N-terminalem Signalpeptid, B-, C- und A-Kette. Durch Entfernen des Signalpeptids
entsteht das Proinsulin. B- und A-Kette bilden Disulfidbrücken, die mittlere C-Kette wird her-
ausgeschnitten, sodass dann Insulin vorliegt.
Der cotranslationale Weg verhilft zum Einbau von Proteinen in die Membran oder zur
Sekretion.
55 Der Baustein, der die Signalsequenz erkennt, heißt bei E. coli SRP (signal recognition
particle) und besteht aus einem Protein und einer RNA.
1. Der SRP-Komplex führt das Protein an die Membran heran, indem er sich an einen
Rezeptor in der Membran bindet (FtsY).
2. Der Rezeptor reicht das Protein weiter an das Sec-Translocon, das zusammen mit dem
Protein YidC das Protein während der Translation in die Membran einfädelt.
3. Die Signalpeptidase in der Membran spaltet schließlich die Signalsequenz ab.
55 Einen ähnlichen SRP-abhängigen Weg kennt man auch aus Archaeen und Eukaryoten.
Bei Eukaryoten ist die 7SL-RNA Bestandteil des Erkennungskomplexes. Der SRP-Rezeptor
wird SR abgekürzt.
Die Zellen verändern Aminosäuren nach der Translation, indem sie kleine oder komplexe che-
mische Gruppen an bestimmte Aminosäuren hängen.
5.9 · Abbau von Proteinen, Degradation
93 5
55 Kleine Gruppen sind Acetyl-, Methyl- und Phosphatgruppen.
55 Komplexe Gruppen umfassen Zuckerreste, Fettsäuren oder Biotin (Vitamin B7 oder H).
55 Die komplexen Gruppen sind zwar nicht auf Eukaryoten beschränkt, hier allerdings
deutlich häufiger zu finden als bei Bakterien.
5.8.4 Proteinspleißen
Das Proteinspleißen ist ein autokatalytischer Prozess. Das Protein selbst schneidet (meist)
einen Intein genannten Abschnitt heraus und setzt die verbleibenden zwei Exteine genannten
Abschnitte wieder zusammen. Die Trennstellen nennt man Spleißstellen. Vergleicht man ihre
Sequenzen, findet man ebenfalls einige Übereinstimmungen.
Die meisten Inteine sind zusätzliche sequenzspezifische Endonucleasen, die ihr eigenes Gen
aufschneiden. Dabei läuft ein intein homing genannter Vorgang ab: Besitzt die Zelle eine zusätz-
liche Kopie des Gens ohne inteincodierenden Abschnitt (Intein-Minus-Gen), kann die Intein-
Endonuclease diese Genkopie an den Extein-Intein-Grenzen auftrennen. Die Zelle erkennt den
DNA-Bruch als Schaden und repariert ihn, indem sie den inteincodierenden Abschnitt kopiert
und einfügt. Aus dem Minus-Gen wird dadurch ein Plus-Gen. Da das Intein so für seine eigene
Verbreitung sorgt, bezeichnet man die DNA als eigennützig (selfish DNA). Es sind einige Hundert
Fälle dazu bekannt bei Bakterien, Archaeen und Eukaryoten.
O
Ubiquitin C Ub
76 AS iqu
O– itin
H – S – E1
ATP
H – S – E1 – SH
O
Ubiquitin C – S – E2 b
Abzubauendes
Protein
Ubiquitin-
Protein
Ligase (E3)
H – S – E2
O N Abzubauendes
Ubiquitin C – N – CH 2 – CH 2 – CH 2 – CH 2 – C – H Protein
H C
a Lysin
. Abb. 5.10 Die Enzyme E1 bis E3 übertragen in einer Reaktionsfolge mit Thioestern und unter ATP-Verbrauch
Ubiquitin auf das abzubauende Protein (a), bevor dieses vom Proteasom erkannt und abgebaut wird (b)
5.9 · Abbau von Proteinen, Degradation
95 5
55 In Lysosomen genannten Organellen werden unspezifisch Proteine, Lipide und Nuclein-
säuren abgebaut. Meistens werden Proteine mit längerer Halbwertszeit in Lysosomen von
Proteasen verdaut.
Für den Abbau im Proteasom erhält das Protein eine Markierung mit dem Peptid Ubiquitin:
1. Enzyme übertragen erst eine Ubiquitinkette auf einen Lysinrest des Proteins.
2. Danach werden an das vorhandene Ubiquitin weitere Ketten gehängt, sodass das
abzubauende Protein mit bis zu zehn Ketten ubiquitiniert ist.
3. Anschließend wird das Protein entfaltet und im Proteasom zu kleinen Peptiden
zerschnitten.
4. Peptidasen bauen die Peptidfragmente ab.
Vorsicht: Vom Aufbau her verwandt mit Ubiquitin sind SUMO-Proteine (small ubiqutin-related
modifier). Sie werden auch an Proteine gebunden, erfüllen aber andere Funktionen:
55 Sie verhindern die Anheftung von Ubiquitin,
55 sie schalten eine andere Proteinfunktion ein,
55 sie beeinflussen die Beweglichkeit von Kernproteinen.
97 6
6.1 Grundlagen
Beide Formen kommen bei Pro- und Eukaryoten vor. Sehr grob gesagt ist die negative Kontrolle
eher bei Prokaryoten von Bedeutung, die positive Kontrolle bei Eukaryoten.
6.1 · Grundlagen
99 6
Ausgeübt wird die Kontrolle von regulatorischen DNA-Elementen – unmittelbar vor Genen
liegend oder weit davon entfernt (s. 7 Abschn. 4.2.2) – und regulatorischen Genen. Bei den
Produkten der regulatorischen Gene handelt es sich entweder um RNA-Moleküle oder um
DNA-bindende Proteine. In den meisten Fällen binden sich die Proteine an die regulatorischen
DNA-Elemente.
6.1.3 Regulationsebenen
Da die Vielfalt der spezifischen DNA-bindenden Proteine bei Eukaryoten größer ist als bei Pro-
karyoten, nimmt man für Eukaryoten eine weitere Einteilung vor:
55 Die generellen (oder allgemeinen) Transkriptionsfaktoren (s. 7 Kap. 4) ermöglichen eine
basale Transkription, die ständig abläuft, wenngleich auf einem niedrigen Niveau.
55 Die regulatorischen (oder spezifischen) Transkriptionsfaktoren (s. 7 Kap. 7) stimulieren
die Transkription, indem sie diese auf bestimmte Signale hin hochregulieren.
Die spezifischen Proteine der Pro- und Eukaryoten zeichnen sich durch Strukturmerkmale aus:
Sie besitzen Motive von 20 bis 60 Aminosäuren, die für die Bindung verantwortlich sind. Diese
Abschnitte oder Domänen mit bestimmter Funktion lagern sich in der Regel in die große Furche
der DNA und entfalten ihre Wirkung.
Viele spezifische DNA-bindende Proteine interagieren über eine zweite Domäne mit anderen
Proteinen (den allgemeinen Transkriptionsfaktoren, Coaktivatoren), um die Regulation abzu-
6 stimmen, oder sorgen beispielsweise für die Lokalisation im Zellkern.
C H C H C H
Zn Zn Zn
C H C H C H
+ –
H 3N COO
Bildet Bildet
-Helix -Faltblatt
Helix-turn-Helix Leucin-Zipper
+
NH 3
Hydrophobe
Wechselwirkungen
Schleife
+
„turn“ NH3 COO –
Erkennungshelix COO – b
H-Brücken DNA
a
. Abb. 6.2 Helix-turn-Helix-Domäne und Leucin-Zipper
aneinanderlagern und sich somit wie ein Reißverschluss schließen. Die Helices können
auch auf zwei getrennte Proteine verteilt sein.
44Beispiele: CREB-Proteine oder Myc.
Prokaryoten kontrollieren ihre Transkription als Antwort auf äußere oder innere Signale. Zu
den Signalen gehören
55 die Versorgung mit Nährstoffen (Zucker, Aminosäuren) oder verschiedenen
Stickstoffquellen,
6 55 die Temperatur,
55 die Sauerstoffkonzentration,
55 die Bakteriendichte (Quorum sensing).
Im einfachen Fall ist das Signal ein Stoff, beispielsweise ein Zucker, der durch ein Membran-
protein ins Zellinnere gelangt und dort direkt mit einem DNA-bindenden Protein interagiert
(s. 7 Abschn. 6.2.2).
In den Fällen der Signaltransduktion erkennt die Zelle das äußere Signal, leitet es ins Zell-
innere und wandelt es um.
Beispiel: Das Zweikomponentensystem besteht aus zwei Proteinen:
55 Eine Sensorkinase reagiert spezifisch auf das Umweltsignal. Sie ist in der Membran
verankert. Auf die Wahrnehmung des äußeren Signals hin ändert sie ihre Konfor-
mation und phosphoryliert im Zellinneren einen eigenen Histidinrest (Selbst- oder
Autophosphorylierung).
55 Ein intrazelluläres Protein, der Antwortregulator, reagiert auf die Veränderung an der
Sensorkinase. Es handelt sich meist um ein DNA-bindendes Protein, oder es interagiert
mit einem solchen.
Allolactose
LacI Repression – LacI
inaktiv LacI –35 –40 +1
aktiv + Derepression
5' 3'
PlacI lacI CBS P O1 lacZ lacY lacA
3' 5'
CAP +
mRNA mRNA
Positive
cAMP Operon
Regulation
Der zweite Mechanismus ist eine positive Kontrolle und von Glucose abhängig:
1. So lange Glucose als Zucker vorliegt, bevorzugt E. coli diese Energiequelle, denn Lactose
müsste erst gespalten werden.
Allgemein verhindert Glucose die Transkription von Strukturgenen für den Abbau anderer
Zucker (Galactose, Maltose u. a.), man nennt das Phänomen Katabolitrepression.
104 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten
2. Verringert sich der Glucosegehalt jedoch, so steigt in der Zelle die Menge des Second
Messengers cAMP an.
3. cAMP bindet sich an CAP (catabolite activator protein), auch CRP genannt (cAMP receptor
protein). CAP ändert nach der Anlagerung von cAMP seine Konformation, es wird
aktiviert, bindet sich nun an die CAP-Bindestelle (CBS) der DNA und fördert die Bindung
der RNA-Polymerase an den Promotor.
Die Verschaltung von Glucose- und Lactosestoffwechsel erfolgt über das Phosphotransferase-
system (PTS, eigentlich Phosphoenolpyruvat-PTS). Phosphoenolpyruvat (PEP) ist ein Kohlen-
hydrat aus dem Glucoseabbau.
Das Phosphotransferasesystem veranschaulicht die Bedeutung von Phosphorylierungen.
55 Das PTS transportiert mittels spezifischer Transporter Zuckermoleküle in die Zelle und
phosphoryliert sie.
6 55 Die EIIA-Domäne der Glucose-Permease verknüpft Zuckertransport mit Genregulation.
55 In Abwesenheit von Glucose ist die EIIA-Domäne phosphoryliert. Dieser Zustand
aktiviert das Enzym Adenylat-Cyclase, das aus ATP den Second Messenger cAMP herstellt.
55 In Anwesenheit von Glucose wird der Phosphatrest von EIIA entfernt und letztlich auf
Glucose übertragen. Die Aktivierung der Adenylat-Cyclase bleibt aus, das nichtphospho
rylierte EIIA hemmt zusätzlich die Lactose-Permease LacY, Lactose gelangt nicht in die
Zelle (Induktorausschluss).
Das trp-Operon umfasst die Gene für die Synthese der Aminosäure Tryptophan (Trp). Wenn kein
Tryptophan im Nährmedium vorhanden ist, muss E. coli die Aminosäure herstellen. Ist es hingegen
vorhanden, schaltet das Bakterium die Transkription ab und spart die Energie für die Synthese ein.
Das trp-Operon gliedert sich in
55 den Promotor,
55 den Operator,
55 fünf Strukturgene für die Synthese von Trp aus Chorisminsäure,
55 ein weiteres Kontrollelement, die Leader-Sequenz oder Leitsequenz (trpL), zwischen dem
Operator und dem ersten Strukturgen,
55 das Gen trpR für einen Repressor in einiger Entfernung. Der Repressor vermag sich allein
nicht an den Operator zu binden.
U A
–AAAGGU UGGUGGCGCACUUCCUGAAAC GGGCAGUGUAU CACCA UGCGUAAAGCAAUCAG AUACCCAGCCCGCCUAAU G GCGGGCU UUUUUUU–mRNA
Region 1 Region 2 Region 3 Region 4
Met Lys Ala Ile Phe Val Leu Lys Gly Trp Trp Arg Thr Ser
RNA-
DNA
Polymerase
1 2
mRNA
Ribosom 3 4
a Leader-Peptid
RNA-
DNA
Polymerase
mRNA 1 4
Leader-Peptid Ribosom
2 3
. Abb. 6.5 Regulation des trp-Operons durch Attenuation. Die Ziffern kennzeichnen die vier Abschnitte, die
Haarnadeln ausbilden können
Der Schlüssel zum Verständnis liegt in dem Leader trpL. Er weist besondere Strukturmerkmale
auf (. Abb. 6.4):
55 einen offenen Leserahmen von 14 Codons, zwei davon für Tryptophan,
55 vier Abschnitte oder Regionen, welche die Ausbildung von verschiedenen Haarnadeln der
mRNA erlauben. Diese Unterregion des Leaders heißt Attenuator.
Die Wirksamkeit der Attenuation basiert darauf, dass bei Bakterien die Translation an die Tran-
skription gekoppelt abläuft.
55 Sollte es in Anwesenheit von Trp zur Transkription des Operons kommen, so beginnt
E. coli mit der Translation.
1. Ribosomen und Trp-tRNATrp heften sich an die Codons der Leader-Sequenz.
2. Während sich die Ribosomen an den Abschnitt lagern, bilden die hinteren Abschnitte
die Haarnadel aus (. Abb. 6.5a).
106 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten
3. Diese Sekundärstruktur stoppt jedoch die RNA-Polymerase und damit die weitere
Transkription.
55 In Abwesenheit von Trp ist die entsprechende tRNA unbeladen. Folglich ist der Attenuator
frei und kann aus seinen vorderen Bereichen 2 und 3 eine Haarnadel ausbilden. Diese Struktur
stoppt die RNA-Polymerase jedoch nicht, und die Transkription läuft weiter (. Abb. 6.5b).
Attenuation findet man bei E. coli auch in weiteren Aminosäureoperons, beispielsweise in denen
für Histidin oder Leucin, aber auch bei anderen Bakterien.
Der Phage λ (Lambda) ist ein beliebtes Beispiel für verschachtelte Regulationen. Sobald der Phage
6 λ seine DNA in eine E.-coli-Wirtszelle injiziert hat, sind zwei grundverschiedene Wege möglich:
55 Vermehrung, Herstellung neuer Phagen, Zerstörung der Wirtszelle (lytischer Zyklus)
55 oder Integration der DNA ins Wirtsgenom und Weitergabe mit jeder Zellteilung von
E. coli (lysogener Zyklus, s. 7 Abschn. 9.2.2 und 10.3.2).
Je nachdem, welcher Weg eingeschlagen wird, werden verschiedene Gene exprimiert und andere
reprimiert. Der λ-Repressor (vom cI-Gen codiert, mit Helix-turn-Helix-Motiv) ist dazu die zen-
trale Schaltstelle.
55 Lysogener Zyklus. Ist die DNA in das E.-coli-Chromosom integriert, hält der λ-Repressor
diesen Zustand aufrecht. Dimere des Proteins heften sich an Operatoren und lassen nur
noch die Expression von cI zu, während sie die Transkription anderer λ-Gene und somit
den lytischen Weg verhindern.
55 Lytischer Zyklus. Schlägt λ nach der Infektion den lytischen Weg ein, so unterdrückt der
Cro-Repressor (von cro codiert, ebenfalls mit Helix-turn-Helix-Motiv) die Expression von
cI. Das Cro-Protein wird daher auch Antirepressor genannt.
Die cI- und cro-Gene und die Zielsequenzen der zwei Repressoren sind verschachtelt und über-
lappen einander.
Ob es nach der Infektion zum lytischen oder zum lysogenen Zyklus kommt, hängt davon
ab, welcher Repressor sich eher an seine Zieloperatoren heftet. Denn dadurch unterbindet er die
Expression des jeweils anderen Repressorgens.
Der Repressor ist ein Angriffspunkt der SOS-Antwort von E. coli. Darunter versteht man ein
Notfallprogramm, das die Zelle in kritischen Situationen anschaltet (UV-Bestrahlung, chemi-
sche Mutagenese, s. 7 Abschn. 11.6.6). Es sichert das Überleben, der Preis dafür ist eine erhöhte
Mutationsrate. Innerhalb dieser Antwort induziert die Zelle die Bildung der RecA-Protease. RecA
spaltet (auch) den λ-Repressor. Damit ist der Weg frei für den lytischen Zyklus.
Die RNA-Polymerase ist aufgebaut aus dem Core-Enzym und dem σ-Faktor (s. 7 Abschn. 4.4.1).
Der σ-Faktor ist jedoch nur für die Promotorerkennung wichtig. Nach der Initiation der Tran-
skription löst er sich von dem Core-Enzym.
55 Der Standard-σ-Faktor bei E. coli ist σ70.
6.2 · Regulation der Transkription bei Prokaryoten
107 6
70
rpoH-Gen
mRNA
32 Abbau
RNA-Polymerase
Fördert
den Abbau
Hemmt 32
die Bindung
Hitzeschockgene
Hitzeschockproteine,
u. a. Dnaj
. Abb. 6.6 Unter bestimmten Bedingungen kommt es zur Bildung des σ32-Faktors. Mit diesem Faktor ist die
Transkription weiterer Gene möglich (Hitzeschockproteine). Diese fördern wiederum den Abbau des σ-Faktors,
sodass das System sich selbst reguliert
55 Unter besonderen Umständen (vor allem Stress) ist einer von sechs anderen σ-Faktoren
notwendig, die sich an andere −35- und −10-Regionen des Promotors binden.
55 Sie erkennen Promotoren von Genen, welche die Anpassung an die Stresssituation gewähr-
leisten. σ32 ist beispielsweise für die Hitzeschockreaktion und Bildung der Hitzeschock-
proteine wichtig (. Abb. 6.6).
Bacillus subtilis liefert weitere Beispiele für den Einsatz verschiedener σ-Faktoren als Antwort auf
äußere Umstände. Nährstoffmangel ist beispielsweise ein Auslöser für die Bildung einer Endo-
spore. Die Sporen zeigen keine erkennbare Stoffwechselaktivität und erlauben dem Bakterien,
„schlechte Zeiten“ zu überdauern.
55 Die Sporenbildung oder Sporulation ist ein Prozess in mehreren Stufen, bei dem die
Mutterzelle in ihrem Plasma die Spore bildet.
55 Die Stufen laufen kaskadenartig ab. Auf unterschiedlichen Stufen kommen für die Genex-
pression die verschiedenen σ-Faktoren zum Einsatz.
55 Die Sporulation gilt als ein Beispiel für eine Zelldifferenzierung bei Bakterien.
55 Das Enzym führt letztlich zur Synthese von ppGpp. Dieses Guanosintetraphosphat
arbeitet zusammen mit seinem Hilfsprotein DksA (DnaK suppressor A), bindet sich an
die RNA-Polymerase an den Promotoren der rrn-Operons und hemmt das Enzym. Das
ppGpp ist ein Signalnucleotid oder Alarmon.
Riboswitches ähneln der Attenuation. Grundlage sind Elemente in mRNAs, die Sekundärstruk-
turen ausbilden, welche zum Abbruch der Transkription führen oder die Translation verhindern.
Während in der Attenuation aber die mRNA allein die Strukturen ausbildet, binden sich für die
Riboswitches Liganden an die mRNA und leiten die Ausbildung der Sekundärstrukturen ein.
Als Liganden fungieren Cofaktoren, Nucleotide oder Aminosäuren. Sie binden sich bevorzugt
6 an den 5′-UTR (untranslatierte Region) der mRNA.
Beispiel: Die Synthese von Vitamin B12. Wenn das Vitamin vorhanden ist, bindet es sich an
den 5′-UTR, der Riboswitch wird „eingeschaltet“. Die mRNA wird nicht mehr translatiert, weil
die Ribosomenbindestelle jetzt verdeckt ist. In Abwesenheit von B12 bildet die mRNA andere
Sekundärstrukturen aus und die Ribosomenbindestelle ist für die Translation zugänglich.
6.3.1 Antisense-RNA
Bakterien regulieren überwiegend die Transkription. Eine Möglichkeit, die Translation zu kon
trollieren, basiert auf der Synthese einer Antisense-RNA. Komplementär zu einer mRNA oder nur
zu einem Abschnitt einer mRNA stellt die Zelle ein RNA-Molekül her, das sich an diese mRNA
bindet und die Translation verhindert.
55 Beispiel: Kontrolle des ompF-Gens bei E. coli.
Das Genprodukt OmpF ist ein Porenprotein in der äußeren Membran, das Wasser und
Ionen hindurchlässt. Die Expression des Gens ist der Regelfall.
Ändert sich die Osmolarität des Außenmediums, muss die Zelle Ein- oder Austritt durch
OmpF verhindern und die Proteinmenge reduzieren. Dazu induziert sie die Synthese des
micF-Gens (mRNA-interfering complementary RNA) für eine nichtcodierende RNA. Die
RNA ist komplementär zum 5′-UTR-Ende der ompF-mRNA. Sie lagert sich an die mRNA,
verdeckt somit die Ribosomenbindestelle und unterbindet die Translation.
6.3.2 CRISPR/Cas
Das CRISPR/Cas-System hat man bei Archaeen und Bakterien gefunden. Es arbeitet mit regu-
latorischen RNA-Molekülen, um eine Immunität gegen Phagen-DNA aufzubauen (. Abb. 6.7).
Es ist das prokaryotische Pendant zur eukaryotischen RNA-Interferenz, die ebenfalls auf
regulatorischen RNAs aufbaut und fremde DNA damit abwehrt.
Das Besondere an dem CRISPR/cas-Mechanismus ist die adaptive Immunität. Die Bakte-
rien passen sich an die Phagen an und geben ihre Immunität an die Tochterzellen weiter. Der
Schlüssel dazu: Bakterien bauen Phagen-DNA in den CRISPR-Locus auf ihrem Chromosom ein.
6.3 · Regulation der Translation
109 6
Immunisierung
Repeats
L 1 2 3 4 5 6
a cas-Gene Spacer
Guide-RNA
Cas-Komplex
(crRNA)
Protospacer
Immunität
b
. Abb. 6.7 Etablierung einer Immunität gegen Phagen über das CRISPR/Cas-System (nach Marraffini 2015; mit
freundlicher Genehmigung der Nature Publishing Group)
Cas10-
Komplex
PAM
Cas3 PAM
Transkript
. Abb. 6.8 Je nach beteiligten Cas-Proteinen und Struktur der crRNA unterscheidet man drei Typen des
Mechanismus. PAM bei Typ I und II steht für protospacer adjacent motif, es ist ein kurzes Motiv vor dem Protospacer.
Cas3, Cas6 und Cas9 sind Nucleasen (nach Marraffini 2015; mit freundlicher Genehmigung der Nature Publishing
Group)
110 Kapitel 6 · Regulation der Genexpression: Allgemeines und Regulation bei Prokaryoten
Repeats und Spacer folgen abwechselnd aufeinander. Neue Phagen-DNA-Abschnitte baut die
Zelle hinter der Leitsequenz ein. Nicht weit von dem CRISPR-Locus liegen die cas-Gene (CRISPR
associated genes), deren Produkte bei der Phagenabwehr mithelfen.
z Mechanismus
1. Die Zelle transkribiert zunächst den CRISPR-Abschnitt als lange Prä-crRNA und spaltet
6 diese in die kleineren crRNAs (CRISPR-derived RNA) oder psiRNAs (prokaryotic siRNA).
2. Die als Guide-RNA dienenden crRNAs und die Cas-Proteine bilden zusammen
Ribonucleoproteine.
3. Die crRNA aus den Spacern ist komplementär zur eingedrungenen Phagen-DNA
(Protospacer), lagert sich an diese Sequenz an und löst den Abbau der Phagen-DNA aus
(. Abb. 6.7 und 6.8).
Das CRISPR/Cas9-System hat sich zu einem wichtigen Werkzeug im Laboralltag entwickelt, wenn
man Mutationen in Gene einbauen will (s. 7 Abschn. 16.8 Genome Editing).
111 7
Die Regulation unterscheidet sich bei Eukaryoten zum Teil deutlich von der bei Prokaryoten:
55 Eukaryoten regulieren in der Regel einzelne Gene und keine Operons.
55 Transkription und Translation der Kern-DNA sind räumlich getrennt. Die Transkription
findet im Zellkern statt, die Translation im Cytoplasma.
55 Auch Eukaryoten nutzen zur Regulation das Prinzip DNA-bindender Proteine. Es ist
erheblich facettenreicher, so ist die Vielfalt DNA-bindender Motive deutlich größer
(s. 7 Abschn. 6.1.4).
55 Promotorelemente zeigen mehr Variationen im Aufbau.
55 Weitere cis-regulatorische Elemente kommen hinzu.
55 Die beteiligten Faktoren konkurrieren oder kooperieren miteinander.
55 Sie wirken direkt oder indirekt auch über weite Strecken in der DNA hinweg.
55 Bei Eukaryoten spielen chemische Modifikationen an der DNA eine erhebliche Rolle. Die
Veränderung der Chromatinstruktur geht einher mit der Regulation der Expression.
55 Die Vielfalt und Anzahl regulatorischer RNA-Moleküle ist größer als bei Prokaryoten.
7.2.1 Allgemeines
Der Mensch besitzt mehrere Globingene (. Abb. 7.1), die zu verschiedenen Zeiten in verschie-
denen Geweben exprimiert werden. Die Globinproteine, die zusätzlich einen Häm-Cofaktor
enthalten, transportieren Sauerstoff in verschiedenen Zellen:
55 Das Hämoglobin transportiert Sauerstoff in Erythrocyten,
55 Myoglobin in Muskelzellen,
55 Neuroglobin in Nervenzellen,
55 Cytoglobin kommt in fast allen Zellen vor.
Hämoglobin (Hb) ist ein Tetramer, es besteht aus zwei Proteinenketten zweier verschiedener
Globine. Man bezeichnet die verschiedenen Varianten mit griechischen Buchstaben (α, β, γ, δ ε,
ζ). Die Proteine von adulten Säugetieren sind vor allem vom α- und β-Typ.
Thalassämien sind Erkrankungen des Blutes, bei denen die Zellen nicht ausreichend Globine
bilden.
114 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
J1 J2
5' 3'
31 32 99 100 141
Pseudogene
Embryonal Adult
J1 J2
5' 3'
. Abb. 7.1 Organisation der Globingene auf den Chromosomen 16 und 11 (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
55 Bei den häufigeren β-Thalassämien fehlen die β-Ketten, sie gehen auf Fehler beim
Spleißen zurück (s. 7 Abschn. 4.8.2).
55 Bei den selteneren α-Thalassämien fehlen die α-Ketten. Die häufigste Ursache für
α-Thalassämien ist ein ungleiches Crossing over während der Meiose mit der Folge einer
Deletion.
Die Ursache für die unterschiedliche Zusammensetzung während der Entwicklung liegt in den
unterschiedlichen Bedingungen für den Sauerstofftransport und, daran gekoppelt, in dem
Sauerstoffaustausch mit dem mütterlichen Blut. Solange der Embryo über keinen eigenen Blut-
kreislauf verfügt, muss das Hämoglobin Sauerstoff mit höherer Affinität binden als das Hämo-
globin der Mutter. Erfolgt später die bessere Versorgung über die Lungen, darf das Globin eine
geringere Bindungsaffinität aufweisen.
Die Expression der Globinsynthese ist außerdem gewebespezifisch und erfolgt:
7.3 · Regulation der Gene
115 7
55 während der ersten drei Monate im Dottersack,
55 anschließend in Leber und Milz,
55 nach der Geburt im Knochenmark.
In 7 Kap. 4 über die Transkription wurde die Initiation der Transkription und damit auch der Prä-
initiationskomplex vorgestellt. An seinem Aufbau sind die allgemeine Transkriptionsfaktoren
und eine RNA-Polymerase beteiligt. Als Antwort auf ein Signal sind spezielle Transkriptions-
faktoren notwendig (auch regulatorische oder spezifische Transkriptionsfaktoren genannt), um
die Transkriptionsrate zu erhöhen.
Die Einteilung erfolgt in Aktivatoren oder Repressoren. Zusätzliche Cofaktoren (Coak-
tivatoren oder Corepressoren) unterstützen oder behindern sie dabei. Cofaktoren können
auch Enzyme sein, welche die DNA verändern, z. B. Histon-Acetyltransferasen. Weitere DNA-
Elemente sind ebenfalls beteiligt.
Der Regulationsapparat setzt sich somit zusammen aus:
55 allgemeinen Transkriptionsfaktoren für eine basale Transkription,
55 speziellen Transkriptionsfaktoren für die zelltypspezifische und zeitliche Expression,
55 Cofaktoren für die Unterstützung und Feinregulation,
55 dem Mediatorkomplex (verknüpft Transkriptionsfaktoren miteinander und mit der
RNA-Polymerase),
55 Chromatinmodulatoren,
55 cis-Elementen.
Die allgemeinen Transkriptionsfaktoren hängen von der RNA-Polymerase ab. Eine Ausnahme
davon bildet das TATA-Box-bindende Protein oder TBP, das jede der drei folgenden Polymerasen
benötigt. Die speziellen Transkriptionsfaktoren sind je nach Gen unterschiedlich und sehr spezifisch.
Die RNA-Polymerase I transkribiert die meisten rRNA-Moleküle (5,8S, 18S und 28S). Die von der RNA-
Polymerase I synthetisierten rRNAs machen rund 80 % der gesamten RNA-Menge einer Zelle aus.
Generelle Transkriptionsfaktoren sind der
55 upstream binding factor (UBF), der sich an das upstream-Promotorelement bindet,
55 der SL1-Komplex (Selektivitätskomplex oder TFIB). Der SL1-Komplex enthält auch das
TBP (TATA-Box-bindendes Protein).
Eine Hochregulation ist wichtig, weil für die Zellteilung die Menge der rRNAs verdoppelt werden
muss. Beteiligt daran sind u. a.
55 die Erhöhung der UBF-Konzentration,
55 der Transkriptionsinitiationsfaktor TIFIA,
55 cyclinabhängige Kinasen (CDK1, 2 und 4), die in die Regulation des Zellzyklus involviert
sind und UBF phosphorylieren.
a Allgemeine Amplifikation
mRNA-
Gene Transkripte Myc
Myc
Promotor
Zelle
X Y Z X Y Z Myc Y Myc
X Z
. Abb. 7.2 Wege, wie Myc Gene reguliert: In einigen Zellen führt Myc zu einer allgemeinen Amplifikation
der Expression (a), zusammen mit anderen Transkriptionsfaktoren arbeitet Myc selektiv (b), abnormal erhöhte
Myc-Konzentrationen bewirken eine Wechselwirkung mit Enhancern und eine erhöhte Expression über das
chromosomale Looping (c) (nach Dang 2014; mit freundlicher Genehmigung der Nature Publishing Group)
z Regulatorische Transkriptionsfaktoren
Sie binden sich sequenzspezifisch an die DNA und erlauben die differenzierte Regulation.
Beispiele:
55 Sp1 (specificity protein 1) besitzt drei Zinkfinger und bindet sich an GC-Boxen im proxi-
malen Promotor. Es ist beteiligt an mehreren Prozessen (Zelldifferenzierung, -wachstum,
Apoptose u. a.). Es kann mit etlichen Proteinen interagieren.
55 Das Myc/Max-Heterodimer mit einem bHLH-Motiv und Leucin-Zipper (. Abb. 7.2).
Die RNA-Polymerase III transkribiert von drei verschiedenen Promotortypen aus. Unabhängig
vom Promotortyp ist für den Präinitiationskomplex der TFIIIB-Komplex nötig. Er besteht aus drei
Untereinheiten, dem TBP, BRF1/2 und BDP1. Abhängig vom Promotortyp kommen generelle
Transkriptionsfaktoren hinzu wie TFIIIA oder C.
7.4.1 Überblick
Die Signaltransduktion gewährleistet die Reaktion auf Signale aus der Außenwelt (äußere Umge-
bung oder andere Körperzellen), die dann auf DNA-Ebene Prozesse in Gang setzt. Beispiele:
Reaktion auf Sinnesreize, Krankheitserreger oder Hormone.
Grundsätzlich umfasst die Signaltransduktion die Informationsweiterleitung in die Zelle
und ihre Umsetzung. Am Ende steht die Transkriptionskontrolle, jedoch werden auch Stoff-
wechselwege (Enzymreaktionen oder Transportvorgänge) beeinflusst.
Die folgenden möglichen Komponenten findet man immer wieder in Signalkaskaden
(. Abb. 7.3):
55 Das äußere Signal ist ein Stoff (ein Ligand), der sich an seinen Rezeptor bindet. Dieses
Signal ist der primäre Botenstoff. Durch die Bindung des Liganden verändert der Rezeptor
seine Konformation. Damit ändert sich auch die cytoplasmatische Domäne, und sie inter-
agiert mit einem anderen Molekül in der Zelle.
55 Das Signal gelangt durch die Membran hinweg in die Zelle und bindet sich an ein anderes
Protein.
55 Die Signalweitergabe löst den Transport eines Transkriptionsfaktors in den Zellkern aus.
55 Phosphorylierungen mittels Kinasen regulieren die Proteinaktivität. Phosphorylierungen
sind die wichtigste posttranslationale Modifikation.
55 Bei Eukaryoten unterscheidet man zwei Klassen von Kinasen: Serin/Threonin-Kinasen
(Ser/ Thr-Kinasen) und Tyrosin-Kinasen (Tyr-Kinasen). Kinasen kommen im Cytoplasma
und im
55 Zellkern vor, aber auch die Membranrezeptoren können eine Kinasefunktion haben. Ihre
Gegenspieler sind die Phosphatasen.
55 Rezeptoren sind oft verbunden mit GTP-Proteinen (oder kurz G-Proteinen). Das sind
Proteine, die GTP binden und zu GDP hydrolysieren.
44Monomere G-Proteine sind klein; trimere G-Proteine bestehen aus den drei Unterein-
heiten α, β und γ und sind membranständig.
118 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
Ligand Plasmamembran
P
Rezeptor Cytoplasma Kinase
Nucleus Protein Protein
Plasmamembran Phosphatase
Cytoplasma
a b c
GAP Cyclase N
N
O O O
N N
Ub
P Ub
–O O cAMP Ub
d e OH f Ub
44Haben sie GTP gebunden, sind sie aktiv und interagieren mit anderen Proteinen der
Signalkette. Ist GDP gebunden, sind sie inaktiv.
44G-Proteine stehen in der Kaskade zwischen Rezeptor und einem Second Messenger:
Sie können Enzyme aktivieren, die Second Messenger herstellen oder abbauen.
Beispielsweise aktivieren sie die Adenylat-Cyclase, die cAMP synthetisiert.
55 Die Signalweiterleitung bindet einen sekundären Botenstoff oder Second Messenger
ein. Beispiele dafür sind cAMP, cGMP, Calciumionen oder IP3 (Inositoltriphosphat).
Sekundäre Botenstoffe wirken nicht spezifisch auf ein Gen, sondern vervielfältigen das
Signal. So schalten Zellen mehrere – bis zu hundert – Gene an, wenn sie die Konzentration
von cAMP erhöhen.
Ligand Rezeptor-
Tyrosin-
Kinase Inaktiv Aktiv
Plasmamembran
RAS P P RAS RAS MAPKKK
P P GDP GTP
(Raf )
P P
GTP GDP ATP
Cytoplasma ADP
GrB SOS
Substrat MAPKK
P
(cytoplasmatisch) (MEK)
P ATP
ADP
ADP ATP
P Substrat ADP ATP MAPK
P
P (nucleär) (Erk)
DNA Nucleus
Das phosphorylierte Erk aktiviert Transkriptionsfaktoren im Cytoplasma, die dann in den Zell-
kern gelangen. Es dringt aber auch selbst in den Zellkern und aktiviert dort Transkriptionsfak-
toren, beispielsweise die bZip-Proteine AP1 oder das Protein Elk1.
Die Zelle muss den Weg streng kontrollieren, sonst kommt es zur Hyperproliferation. Eine
Ras-Mutante wirkt daher als Onkoprotein.
z JAK-STAT-Signalweg
Signale: Cytokine (Interferon γ, Interleukin IL-1β, IL-6, TNF-α u. a.)
Wirkung: Zellwachstum, Zelldifferenzierung, Migration, Überleben von Immunzellen Wich-
tige Komponenten: JAK (Janus-Kinase oder just another kinase: eine Tyr-Kinase) und ein STAT-
Protein (signal transducer and activator of transcription: ein Transkriptionsfaktor). Beim Men-
schen kennt man sieben verschiedene STAT-Proteine.
Ablauf:
1. Ein Cytokin heftet sich an seine Rezeptormoleküle. Die zwei Rezeptormoleküle lagern sich
dann zu einem Dimer zusammen. Auf der cytoplasmatischen Seite der Rezeptormoleküle
ist die JAK am Rezeptor angelagert.
120 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
Im Zellkern binden sich die STAT-Dimere an ihre Zielsequenzen der zu regulierenden Gene.
Zu diesen Genen gehören beispielsweise: CL-1, es verhindert eine Apoptose, und Gene für die
Regulation von Interleukin IL-4.
Mutationen in Genen der beteiligten Proteine verursachen Erkrankungen des Immunsys-
tems, z. B. Leukämien, Lymphome.
Auch andere Signalwege führen zu CREB und aktivieren es. In diesen Wegen fehlt cAMP, andere
Proteinkinasen ersetzen darin die PKA.
Die verschiedenen Signalwege kreuzen sich: crosstalk. Damit sich die Wege nicht stören, ent-
halten die jeweiligen regulatorischen DNA-Sequenzen nicht nur das CRE, sondern auch andere
Elemente. In unterschiedlicher Kombination gestatten sie dann eine differenzierte Regulation.
Da die Komponenten so vielfältig eingesetzt werden, zeigen Mutationen im CBP-Gen des
Menschen auch vielfältige Auffälligkeiten. Patienten mit dem Rubinstein-Taybi-Syndrom sind
geistig stark eingeschränkt, minderwüchsig, haben abstehende Daumen und/oder große Zehen
und Missbildungen in inneren Organen.
7.4.4 Steroidhormone
Mutationen im AR-Gen auf dem X-Chromosom bewirken somit, dass Testosteron nicht wirkt
und sich auch bei männlichem Karyotyp ein weiblicher Phänotyp ausbildet. Das Ausmaß dieser
Androgeninsensitivität oder -resistenz kann unterschiedlich ausgeprägt sein, bis hin zu testi-
kulärer Feminisierung.
Die Zelle reguliert die Translation im Initiationsschritt. Sie bestimmt die Effizienz unter anderem
über Abschnitte der mRNA.
55 Dafür ist die Erkennung des Startcodons AUG Voraussetzung. In 7 Kap. 5 wurde die
Kozak-Sequenz vorgestellt. Weicht die Umgebung von AUG von der Kozak-Sequenz ab, so
ist die Initiation schlechter.
55 Auch Sekundärstrukturen, vor allem im 5′-UTR, verhindern die flüssige Initiation.
55 Die eigentliche Regulation der Translation läuft vor allem über die zwei Translationsfak-
toren eIF4E und eIF2.
7.5.1 eIF4E
7 7.5.2 eIF2
Der Faktor eIF2 bildet in der Initiation einen ternären Komplex mit der Initiatior-RNA Met-
tRNAMet und GTP. Es entsteht dann eIF2-GDP, und die Zelle muss den Faktor regenerieren mittels
des Austauschfaktors eIF2B.
Der Faktor eIF2 besteht aus drei Untereinheiten. Die α-Untereinheit trägt ein Serin, das phos-
phoryliert wird. In diesem Zustand bilden jedoch die eIF2-Faktoren einen stabilen Komplex. Der
Zelle fehlt dann freier eIF2, und die Proteinsynthese stoppt.
Regulatorische RNAs kommen bei Prokaryoten sowie bei verschiedensten Eukaryoten wie Pilzen,
Pflanzen, Wirbellosen und Wirbeltieren einschließlich der Säugetiere vor. Sie sind von Bedeutung
für die Abwehr von Viren, die Kontrolle der Expression, für Krankheiten einschließlich Krebs.
Wissenschaftler nutzen diese RNAs inzwischen für die Diagnostik, als Therapiemöglichkeiten
und als Werkzeuge im Laboralltag.
7.6.1 Überblick
RNA-Interferenz ist ein Vorgang, der Gene auf RNA-Ebene ausschaltet. Als wesentliches Cha-
rakteristikum tritt doppelsträngige RNA auf.
Die Klasse der regulatorischen RNA-Moleküle umfasst:
55 siRNA: kleine interferierende RNA oder small interfering RNA,
55 miRNA: Mikro-RNA,
55 piRNA: piwi-interagierende RNA (piwi interacting RNA).
Der Mechanismus der Interferenz für siRNA und miRNA ist ähnlich, Ähnlichkeiten zu piRNA
sind erst zum Ende des Wegs vorhanden.
7.6 · Regulatorische RNA-Moleküle und RNA-Interferenz
123 7
z Allgemeiner Ablauf:
Der Kernvorgang für den siRNA- und miRNA-Weg arbeitet mit zwei Komponenten:
55 einer RNase vom Typ III: Dicer spaltet dsRNA-Moleküle in kleinere doppelsträngige
RNA-Schnipsel,
55 einem Proteinkomplex: RISC-Komplex (RNA-induced silencing complex). Zur Unter-
scheidung spricht man vom siRISC und miRISC.
44Er enthält ein Argonautenprotein.
44Das Argonautenprotein nimmt die dsRNAs auf,
44spaltet einen Strang ab und
44nutzt den anderen, um komplementäre mRNA-Moleküle damit einzufangen.
44Bindet sich dieser einzelsträngige Köder an eine Ziel-mRNA, so wird diese abgebaut
und nicht translatiert.
Am Anfang des piRNA-Wegs steht einzelsträngige RNA, im weiteren Verlauf tritt jedoch auch ein
Komplex mit einem RNA-Köder auf, der komplementäre RNA einfängt und abbaut.
z Argonautenproteine:
Argonautenproteine besitzen drei Domänen:
55 Die PAZ-Domäne (benannt nach den Proteinen Piwi, AGO, Zwille) bindet das 3′-Ende
von siRNA und miRNA.
55 Die Mid-Domäne bindet das 5′-Ende.
55 Die Piwi-Domäne ist eine RNase und übernimmt somit die Spaltung.
Der Weg beginnt mit langen dsRNAs. Diese sind das Ergebnis beispielsweise einer Virusinfek-
tion bei Pflanzen oder eines genomischen Transkripts der Zelle, transkribiert von der RNA-
Polymerase III.
1. Das Enzym Dicer spaltet im Cytoplasma die lange dsRNA in kürzere Fragmente. Erst diese
21–25 bp kleinen dsRNAs nennt man siRNAs.
2. RISC bindet die Einzelstränge und unterscheidet sie nach der Asymmetrieregel: Der
Strang mit dem schwächer gepaarten 5′-Ende gilt als Leitstrang und wird von dem RISC
gebunden. Der andere Begleit- oder Passagierstrang wird abgebaut.
3. RISC bindet den Leistrang so, dass die Basen nach außen zeigen und einen Köder für eine
komplementäre mRNA bilden.
4. Findet der Komplex eine komplementäre RNA, wird sie von dem Argonautenprotein
zerschnitten. Exonucleasen bauen die Produkte weiter ab.
Die siRNAs kommen zwar in Zellen natürlich vor (endogene siRNAs), doch meist stellt man
siRNAs als Werkzeuge her, um Gene stillzulegen (. Abb. 7.5).
124 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
100 %
Menge
mRNA
siRNA
Instabiles Protein
Stabiles Protein
Zeit
. Abb. 7.5 Nach Transfektion von siRNA in eine Zelle sinkt die Menge von mRNA und bei einem Protein mit
geringer Halbwertszeit (instabiles Protein) auch dessen Menge (nach Mülhardt 2013)
7 Die miRNAs sind in Zellen deutlich weiter verbreitet, man findet sie bei allen höheren Eukaryo-
ten. Sie werden von eigenen Genen codiert oder liegen in Introns anderer Gene. Die miRNAs
sind etwa 21 bp kurze, nichtcodierende RNA-Moleküle, die vornehmlich von der RNA-Poly-
merase II transkribiert und anders als siRNAs gewonnen werden:
1. Die Polymerase stellt ein primäres einzelsträngiges miRNA-Transkript (pri-miRNA,
primary-miRNA) her, das charakteristische Haarnadeln ausbildet.
2. Im Zellkern beginnt die Vorarbeit. Eine RNase vom Typ III spaltet die Haarnadeln ab. Das
Enzym heißt bei Tieren Drosha und dicerähnliches Enzym Dcl1bei Pflanzen.
3. Das Ergebnis ist die Prä-miRNA (pre-miRNA, precursor miRNA) mit Einzelstrangab-
schnitten, die dann ins Cytoplasma gelangt.
4. Dicer trennt die Einzelstränge ab und liefert eine dsRNA mit 21 bp.
5. Der miRISC wählt einen Leitstrang aus und bindet die nun reife miRNA.
Die Bindung an ein Zieltranskript ist oft nicht so vollständig wie bei einer siRNA, bei Tieren
kann sie auf die seed-Region (Nucleotide 2 bis 8 der miRNA) beschränkt sein. Der weitere Weg
zur Stilllegung eines Gens hängt von der Komplementarität ab, der Abbau wie bei einer siRNA
ist nur eine Möglichkeit (. Abb. 7.6).
Die piRNAs sind in Vorkommen und Funktion deutlich eingeschränkter. Man findet sie in der
männlichen Keimbahn, wo ihre Aufgabe darin besteht, schädliche Transpositionen zu unter-
drücken, die über eine RNA-Zwischenstufe laufen.
Ihren Namen haben die RNAs von ihrer Bindung an die Piwi-Unterfamilie der Argonauten-
proteine. Die piRNAs sind mit 24–31 bp etwas länger als siRNAs und miRNAs. Die Sequenz
eines piRNA-Gens ist komplementär zur einem Transposontranskript.
Da die Zelle eine einzelsträngige RNA als Vorläufer für die piRNA herstellt, fällt der Dicer-
Schritt hier weg.
1. Eine Antisense-piRNA wird von Piwi-Proteinen an ein Sense-Transkript eines mobilen
Elementes gebunden, getrimmt und geschnitten, sodass das ein Stück des ehemaligen
Transposons jetzt eine Sense-piRNA geworden ist.
7.7 · Epigenetik
125 7
CRISPR-vermittelte Interferenz Eukaryotische RNA-Interferenz
Nucleus
CRISPR-Locus
Herkunft piRNA-Locus miRNA-Locus
Repeat Repeat Repeat
CRISPR-
Drosha
Transkription
? miRNA siRNA
Cas oder RNase III
crRNA RNA-Synthese piRNA 3' Dicer
5' 3'
crRNA-geführter Überwachungskomplex RNA-induzierter Silencing-Komplex
Cas-Proteine AGO/PIWI
Seed Seed
5' 3' Interferenz 5'
Zielinterferenz Zielinterferenz
2. Damit kann der Proteinkomplex ein Antisense-Transkript des Transposons binden und
ausschalten.
7.7 Epigenetik
Epigenetik umfasst die Phänome, die für die Genexpression und -funktion wichtig sind, aber
nicht in der Abfolge der Basen gespeichert sind. Sie basiert auf Modifikationen der Histone und
der DNA-Basen, die Veränderungen in der Regulation während der Entwicklung und Differen-
zierung erzeugen. Manche Autoren zählen hierzu auch die RNA-Interferenz und die Dosiskom-
pensation des X-Chromosoms.
Das Epigenom (die Gesamtheit der epigenetischen Information) ist stabil und bleibt
während der Zellteilungen erhalten. Das Epigenom unterliegt aber Umwelteinflüssen. Der
Ernährungszustand der Mutter während der Schwangerschaft wirkt sich auf die epigenetischen
Zustände der Nachkommen aus. Dadurch können die Nachkommen anfälliger werden für
Erkrankungen oder Störungen.
Epigenetische Regulation bildet die Basis für die genetische Prägung oder das Imprinting.
Die Expression mancher Gene ist dann abhängig davon, ob es sich um das mütterliche oder
das väterliche Allel handelt. Dabei exprimiert die Zelle nur das vom Vater oder von der Mutter
stammende Gen.
Beispiel: Igf2-Gen (insulin-like growth factor) der Maus. Der Embryo exprimiert nur das väter-
liche Allel. (s. Prader-Willi-/Angelman-Syndrom, 7 Abschn. 12.1.3).
55 In der frühen Phase der Keimzellentwicklung löscht die Zelle das alte Muster und erstellt
später ein neues, geschlechtsspezifisches Muster.
55 Für das Imprinting sind vor allem Methylierungen der DNA durch Methyltransferasen
verantwortlich. Die Regulation geht von einem Imprinting Center aus (IC) aus.
126 Kapitel 7 · Regulation der Genexpression bei Eukaryoten
7.7.1 Chromatin-Remodeling
In der dicht gepackten Form ist die DNA abgeschottet vom Transkriptionsapparat. Die Verän-
derungen der Chromatinstruktur und chemische Veränderungen an der DNA verhindern oder
erlauben den besseren Zugriff von Proteinen auf die DNA.
Auf der ersten Stufe der Verpackung ist die DNA um Histonoktamere gewickelt und bildet
mit diesen die Nucleosomen. In den Nucleosomen ist die DNA jedoch nicht zugänglich. Beim
Remodeling ordnen Proteine, die Chromatin-Remodeling-Komplexe, die Nucleosomen unter
ATP-Verbrauch so um, dass bisher verdeckte Promotorabschnitte freigelegt werden.
Beispiel: SWI-SNF Komplex bei Drosophila und beim Menschen: Er lockert die Ordnung der
Nucleosomen auf, erzeugt eine unregelmäßigere Abfolge und verschiebt so die DNA auf den
Nucleosomen. ISWI-Proteine kehren den Prozess wieder um. Chromatin-Remodeling-Kom-
plexe stehen mit DNA-bindenden Proteinen in Kontakt und führen diese an die frei geworde-
nen Bereiche.
7
7.7.2 Histonmodifikationen
Da die DNA negativ geladen ist, besitzt diese zweite Domäne positiv geladenen Aminosäurereste.
Hier kommt es zu den Modifikationen. Es sind vier Reaktionen:
55 Phosphorylierung,
55 Acetylierung,
HATs MBD2
KDMs + HDACs
HMTs UHRF1
HP1 TET
DNMTs BRG1 TDG
DNA Histon-
oktamer
. Abb. 7.7 Überblick über die Etablierung und Entfernung epigenetischer Information an den
Histonen und der DNA. Die Abkürzungen stehen für Enzyme: HAT, HMT, DNMT, KDM, HDAC: s. Text, HP1:
Heterochromatinprotein 1, BRG1: Brahma-related gene 1, MBD2: Methyl-CpG- bindendes Domänenprotein,
UHRF1: Protein, das Methylierung erhält, TET: ten eleven translocation Dioxygenase, TDG: Thymin-DNA-Glykosylase
7.7 · Epigenetik
127 7
55 Methylierung und
55 Ubiquitinierung.
z Methylierung
Ein methyliertes Histon aktiviert oder reprimiert die Transkription. Das ist abhängig von der
Aminosäure und ihrer Position. Zielaminosäuren für die Methylierung sind in der Regel Lysin
und Arginin.
55 Histon-Methyltransferasen (HMT) übertragen einen Methylrest.
55 Histon-Demethylasen (HDM) entfernen ihn. Spezifische Methylasen heißen z. B. Lysin-
Demethylasen (KDM, K steht im Ein-Buchstaben-Code der Aminosäuren für Lysin).
Beispiele:
55 Eine bekannte Methylierung ist H3K4me3. Das bedeutet, im Histon H3 befindet sich
an der vierten Position ein Lysin (Abkürzung K), das drei Methylgruppen trägt. Die
Methylierung von Lysin liegt in der Nähe von Promotoren. Im Zusammenspiel mit
weiteren Proteinen, die H3K4me3 erkennen, führt die Modifikation zu einer Öffnung des
Chromatins und sie aktiviert die Transkription.
55 In der Nähe von stillgelegten Genen hat man H3K9me2 identifiziert, während man im
genarmen, konstitutiven Heterochromatin H3K9me3 gefunden hat.
55 Die Positionseffekt-Variegation bei Drosophila zeigt den Einfluss von Heterochromatin:
Durch eine Inversion gelangt das aktive white-Gen in den Heterochromatinbereich des
Chromosoms und wird stillgelegt (. Abb. 7.8).
z Acetylierung
Acetylierungen lockern das dicht gepackte Chromatin auf und fördern die Transkription.
55 Histon-Acetyltransferasen (HAT) übertragen den Acetylrest,
55 Histon-Deacetylasen (HDAC) entfernen ihn.
white-Gen
Heterochromatin-
ausdehnung
Transkriptions-
faktor
Promotor
Invertebraten
5mC
Vertebraten
CGI- CG-armer
Promotor Promotor
. Abb. 7.9 Die Verteilung von methyliertem Cytosin in Genomen von Wirbellosen und Wirbeltieren. Die
7 Balkenhöhe entspricht dem Methylierungsgrad. Bei Wirbeltieren unterscheidet man CpG-Inseln (CGI) von CG-
armen Abschnitten. Bei Wirbeltieren sind die entscheidenden Abschnitte vor aktiven Genen nicht methyliert (nach
Schübeler 2015; mit freundlicher Genehmigung der Nature Publishing Group)
Mütterlich Väterlich
Körperzellen
Primordiale
Imprinting-Muster
Keimzellen
gelöscht
Gameten
Geschlechtsspezifische
Imprinting-Erneuerung
BEFRU
CHTU NG
Zygote
Korrektes Imprinting-Muster hergestellt
und permanent etabliert
Mütterlich imprimiert
Väterlich imprimiert
. Abb. 7.10 Genomisches Imprinting: Während der Bildung der Gameten bekommen die Chromosomen ein
neues Imprinting-Muster (nach Schaaf und Zschocke 2013)
7.7.3 DNA-Methylierung
Formalgenetik und
Geschlechtsbestimmung
8.1 Grundbegriffe – 133
8.1 Grundbegriffe
z Schreibweise
Betrachtet man die Vererbung von Merkmalen, gibt man für Allele nur einen Buchstaben als
Symbol an. Ein kursiver Großbuchstabe A steht für das Allel des dominanten Merkmals, ein
134 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
Kleinbuchstabe a für das rezessive. So steht Aa für einen heterozygoten Genotypen. Mehrere
Gene listet man hintereinander auf: AAbb.
Liegen die Gene auf einem Chromosom eng beieinander, so werden sie zusammen vererbt
und bilden eine Kopplungsgruppe. Dann gibt man den Genotypen pro Chromosom an und
trennt durch Schräg- oder Bruchstrich die Chromosomen: ABc/abc. Die Lage eines Gens auf
einem Chromosom ist sein Genort oder Genlocus (Plural: -loci).
Bestimmen Gene und Umweltfaktoren zusammen das äußere Erscheinungsbild, gibt man als
Maß für die Erblichkeit einer Eigenschaft die Heritabilität (h2) an. Taucht ein Merkmal immer
wieder auf, wenn die Träger genetisch verwandt oder identisch sind, die Umweltfaktoren jedoch
verschieden, so ist es eher genetisch verursacht.
Eine bekannte Methode, mit der sich ein Merkmal auf eine genetische Ursache oder auf die
Umwelt zurückführen lässt, ist die Zwillingsforschung:
55 Zweieiige Zwillinge unterscheiden sich genetisch, unterliegen aber gleichen
Umweltbedingungen.
55 Eineiige Zwillinge, die bei verschiedenen Adoptiveltern aufwachsen, sind genetisch
identisch, unterliegen aber verschiedenen Umweltbedingungen.
Bakterien, Archaeen und Eukaryoten verdoppeln ihre DNA, teilen sich und verteilen die DNA
auf die Tochterzellen.
8.2 · Mitose und Meiose
135 8
Es gibt zwei Prozeduren zur Kernteilung:
55 Die Mitose verteilt „nur“ die Chromosomensätze gleichmäßig auf die Tochterzellen. Sie
erzeugt also genetisch (weitgehend) identische Tochterzellen. Sie kommt bei Prokaryoten
und Eukaryoten vor.
55 Demgegenüber sorgt die Meiose oder Reifeteilung zusammen mit der anschließenden
Befruchtung für eine Rekombination der DNA und Neukombination der Chromosomen.
Damit erhöht sie die genetische Vielfalt und ist ein entscheidender Faktor der Evolution.
Sie läuft in zwei Teilungen ab, Meiose I und II, die zweite Teilung entspricht im Ablauf der
Mitose. Die Meiose kommt nur bei Organismen vor, die sich sexuell fortpflanzen, also bei
höheren Pflanzen und Tieren.
Bei eukaryotischen Zellen sind die Teilungen in den Zellzyklus aus Interphase mit den Phasen
G1, S und G2 sowie die Kern- und Zellteilung integriert.
Am Ende der Meiose sind aus einer Zelle, die jeweils zwei homologe Chromosomen mit jeweils
zwei Schwesterchromatiden enthielt, vier Zellen entstanden mit jeweils einer Chromatide.
8.2.2 Kernphasenwechsel
Je nachdem, wann Meiose und Befruchtung aufeinander folgen, ist der entstehende Organis-
mus ein Diplont, Haplont oder Haplo-Diplont (. Abb. 8.2).
136 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
Homologenpaarung und
Position der Crossing over in Gametentypen
der Prophase I der Meiose
A B
A b
Einfach-
Crossing- a × b
a B
Genkopplung
aufgehoben
over
A B
A B
Doppelt-
Crossing-
over
a × × ab a b
Genkopplung
erhalten
A B
A b
Dreifach-
Crossing- a × × × b a B
Genkopplung
aufgehoben
8 over
A B
A B
Vierfach-
Crossing-
over
a × × × × b a b
Genkopplung
erhalten
z Meiose I
In der S-Phase hat die Zelle die DNA von jedem homologen Chromosomenpaar verdoppelt. Jedes
Chromatid liegt vierfach vor. Der C-Wert gibt den Gesamt-DNA-Gehalt an: 4C. Die zwei Chro-
matiden eines Chromosoms heißen Schwesterchromatiden. Die Zelle tritt in die Meiose I ein.
8.2 · Mitose und Meiose
137 8
Haplont Diplont
(viele Pilze und einige Einzeller) (Tiere und manche Einzeller)
Gameten
Gameten
n
n Zygote Befruchtung
Befruchtung 2n n n n n Zygote
Sporen Meiocyte II
n n n n 2n
n n n n
M ei n n
os Meiocyte I
e se
n io 2n
2n
e
M
n
2n
n
M
os
os
it
e
t
2n Mi
a n b
n 2n
Haplo-Diplont
(viele Pflanzen und einige Einzeller)
Gameten
n Zygote
Befruchtung 2n
n
2n
h yt
n
G a metop
os
M it
Sp o r o p h y t
M i t o se
2n
n
ei
M
n n os
e
n n
2n
Sporen n n
2n
Meiocyte II
c Meiocyte I
1. Prophase I: Die Prophase I rekombiniert die homologen Chromosomen und schafft neues
genetisches Material. Um diesen Prozess exakter zu erfassen, unterteilt man die Prophase
in weitere Stadien:
44Leptotän: Die Telomere genannten Chromosomenenden der Autosomen (so
bezeichnet man alle Chromosomen mit Ausnahme der Geschlechtschromosomen) sind
mit der Kernmembran verbunden. Die Chromosomen liegen noch als lange, dünne
Fäden vor. Die homologen Chromosomen sind voneinander getrennt.
44Zygotän: Paarungsbeginn.
138 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
1
2 1
Inter -
locking
3 2
3
X
A B C
2 3
3 2 1
8 3
1
X X
2
D E F
Metaphase II Anaphase II
3 X 2 1 3 2 1
3 2 1 3 2 1
G H
Telophase II
. Abb. 8.3 Die einzelnen Stadien und Phasen der Meiose am Beispiel von drei Autosomen und dem
X-Chromosom. Beim Interlocking sind Homologe zwischen anderen Paarungschromosomen eingeschlossen
–– Die homologen Chromosomen richten sich von den Telomeren her aus und lagern
sich aneinander. Den Prozess der Paarung nennt man Synapsis. Die zusammen-
liegenden Chromosomen heißen Bivalente. Will man hervorheben, dass in einem
Bivalent vier Chromatiden vorliegen, verwendet man den Ausdruck Tetrade.
–– Ein Proteingerüst hält die Bivalente zusammen. Chromosomen und Proteingerüst
zusammen bilden den synaptonemalen Komplex.
8.2 · Mitose und Meiose
139 8
44Pachytän: vollständige Paarung.
–– Die Bivalente sind jetzt voll ausgebildet und beginnen die Kondensierung, sie
verkürzen und verdicken sich.
–– Die Nicht-Schwesterchromatiden eines homologen Chromosomenpaares
überkreuzen sich (Crossing over). Längere Chromosomen überkreuzen sich oft
mehrfach.
–– Die Geschlechtschromosomen (Gonosomen) sind oft unterschiedlich aufgebaut.
Das Y-Chromosom des Menschen ist beispielsweise deutlich kürzer als das X-Chro-
mosom. Sie besitzen aber jeweils zueinander kurze homologe Bereiche, die pseudo-
autosomale Region. Dort kommt es bei den Gonosomen zum Crossing over (s. u.).
44Diplotän: Die Chromosomen verdicken sich weiter.
–– Die homologen Chromosomen bewegen sich voneinander weg, bleiben aber an
den Crossing-over-Punkten noch durch sichtbare Kreuzstrukturen, sogenannte
Chiasmata (Singular Chiasma), verbunden.
–– Es kommt schließlich zum Bruch der Chromatiden und zur Neuverknüpfung
(Rekombination) von mütterlichen und väterlichen DNA-Abschnitten.
–– Die Zelle baut allmählich den synaptonemalen Komplex ab.
44Diakinese: Die Trennung der homologen Chromosomen geht weiter, ebenso die
Verdickung. Die Chromosomen lösen sich von der Kernmembran, diese beginnt sich
aufzulösen. Der Kern tritt in die nächste Meiosephase ein.
2. Metaphase I: Die Kernmembran löst sich auf. Die Chromosomen ordnen sich in der
Äquatorialebene an. Sie sind jetzt stark kondensiert.
3. Anaphase I: Die Spindelfasern ziehen die homologen Chromosomen zu den Polen der
Zelle. Dadurch erfolgt die Segregation genannte zufällige Trennung und Verteilung väter-
licher und mütterlicher Chromosomen.
4. Telophase I: Die Zelle bildet neue Kernhüllen, und es formen sich neue Zellkerne um die
getrennten Chromosomen.
In einigen Fällen geht die Zelle direkt von der Anaphase I in die Prophase II der zweiten Teilung
über. Ansonsten folgt eine kurze Zwischenstufe, die Interkinese, in der die Chromosomen ihre
Struktur etwas auflockern.
Spermatogonien I. Vermehrungsperiode
II. Wachstumsperiode
Spermatocyten I
8 3. Anaphase II: Die Centromeren teilen sich, und die Spindelfasern ziehen die Chromatiden
zu den entgegengesetzten Polen.
4. Telophase II: Die Chromosomen lockern sich wieder auf (Entspiralisierung).
Lamine (s. u. 7 Abschn. 8.2.4) werden dephosphoryliert, dadurch ermöglichen sie den
Wiederaufbau der Kernhülle.
Der Spindelapparat bei der Mitose und Meiose bildet zwei Pole aus Mikrotubulistrukturen. Er
erscheint sternförmig.
1. Die Centrosomen organisieren den Spindelapparat. Ein Paar Centriolen (bestehend
aus Mikrotubuli) bildet ein Centrosom. Während der S-Phase wird das Centrosom
verdoppelt.
2. Vor Beginn der Teilung trennen sich die Centrosomen und bewegen sich jeweils zu den
Polen.
3. Die Centrosomen schieben die Mikrotubuli zu den Polen.
4. An den Mikrotubuli kommen zwei Transporterproteine vor: Dynein und Kinesin. Sie
ermöglichen den gerichteten, entgegengesetzten Transport an den Mikrotubuli. Dazu
binden sie ihre „Fracht“ und bewegen sich an den Mikrotubuli entlang.
5. Während der Metaphase lagern sich die Chromosomen in der Äquatorialplatte und bilden
eine sternförmige Struktur (Monaster).
6. Wenn sie während der Anaphase zu den Polen gezogen werden, bilden sich zwei stern-
förmige Strukturen (Diaster).
7. Geht die Zelle in die Zellteilung über, bildet sie einen kontraktilen Ring aus Actin und
Myosin, der die Zelle ein- und zusammenschnürt, bis die Membranen aufeinandertreffen
und sich zwei getrennte Zellen bilden.
8. Die Mikrotubuli depolymerisieren wieder.
Spermatogenese:
1. Ein Teil der Spermatogonien wandert zu den Hodenkanälchen und wird nun als primäre
Spermatocyten bezeichnet. Ein Teil bleibt als „Reservoir“ zurück und kann sich bis ins
hohe Alter mitotisch teilen und später zu Spermien werden.
2. Die primären Spermatocyten durchlaufen die Meiose I und werden zu sekundären
Spermatocyten, diese durchlaufen die Meiose II und bilden dann insgesamt vier Sperma-
tiden. In der Spermiogenese reifen sie zu Spermien heran.
Oogenese:
Die Oogenese verläuft asymmetrisch.
1. Oogonien differenzieren sich zu primären Oocyten. Die Mitosen enden im ersten Lebensjahr.
2. Primäre Oocyten teilen sich in der Meiose I in eine große sekundäre Oocyte und einen
kleinen Polkörper.
3. Das Diplotän der Prophase I kann allerdings Monate bis Jahre dauern. Dieses Stadium des
angehaltenen Diplotäns heißt Dictyotän.
4. Das Ergebnis der Meiose II ist dann eine große Eizelle und drei kleine Polkörper. Nur die
Eizelle kann befruchtet werden.
In männlichen Zellen treten im Durchschnitt etwa 55 Crossing over pro Zelle auf, in der weibli-
chen Zelle können es um die 80 sein.
z Fehler
Mögliche Fehler während der Zellteilungen, die zu Mutationen führen, sind:
55 Non-Disjunction (Nondisjunktion). Gepaarte Chromosomen werden in der Anaphase I nicht
getrennt. Die resultierenden Zellen weisen Chromosomen dann in Über- oder Unterzahl auf.
55 Dieser Fall kann auch in der Anaphase II oder in einer normalen Mitose eintreten und
dann die Schwesterchromatiden betreffen.
55 Nichthomologe Chromosomen lagern sich aneinander und rekombinieren.
Fehler während der Meiose haben Auswirkungen auf die Nachkommen, Fehler in der Mitose
führen zu einem Mosaik im Gewebe: Es weist normale Zellen und solche mit der Mutation auf.
Wichtig für die Auflösung des Zellkerns ist der Einfluss auf die Lamine. Diese filamentösen Pro-
teine tragen zur Stabilität der inneren Kernmembran bei. Man unterscheidet A-Typ-Lamine und
B-Typ-Lamine.
Die von dem MPF phosphorylierten Proteine führen zur:
55 Depolymerisation der Lamine. Die Lamine lösen sich von ihren Bindungspartnern in
der Kernhülle, wodurch sich die Kernlamina und die Kernhülle auflösen. B-Typ-Lamine
bleiben an Membranfragmente gebunden.
55 Kondensation des Chromatins.
55 Ausbildung des Spindelapparats aus Mikrotubuli. Mikrotubuli bestehen aus zahlreichen
Tubulinproteinmolekülen. Kinetochormikrotubuli setzen am Kinetochor an und reichen
zu einem Pol, polare Mikrotubuli erstrecken sich vom Pol durch die Zelle zum anderen Pol.
Johann Gregor Mendel führte in den 1860er-Jahren zahlreiche Kreuzungsversuche mit Erbsen
durch.
55 Er untersuchte die Beziehung zwischen Genotyp und Phänotyp bei verschiedenen
Kreuzungen.
55 Er postulierte, dass es einzelne Erbfaktoren geben müsse,
55 und erkannte, dass jede Generation diese an die Nachkommen weitergibt.
Die Ausgangspflanzen bildeten die Eltern- oder Parentalgeneration (P). Eine einzelne Pflanze
entspricht dabei einem Elter. Die Nachkommen stellten die Tochter- oder Filialgeneration dar.
F1-Generation Aa
55 Er führte auch das umgekehrte Experiment durch, die reziproke Kreuzung, und nahm
von der zweiten Pflanze den Pollen und übertrug ihn auf die erste. So zeigte er, dass die
Ausprägung des Merkmals (z. B. Samenform: glatt oder runzelig) nicht an das Geschlecht
gebunden war.
55 Mendel sammelte die Früchte und säte sie aus. So erhielt er die Nachkommen, die 1.
Filialgeneration (F1).
55 Diese wertete er aus, kreuzte dann die Pflanzen der F1 untereinander, erzeugte so eine 2.
Filialgeneration (F2) und wertete diese ebenfalls aus.
55 Da sich die Eltern der Parentalgeneration in einem Merkmal unterschieden, waren die
Individuen der F1-Generation Hybride oder Bastarde.
Kreuzt man homozygote Individuen miteinander, die sich in einem Merkmalspaar unterschei-
den, so sind die Nachkommen in der F1 uniform und heterozygot und zeigen den gleichen Phä-
notyp, sind also uniform (daher als Uniformitätsregel bezeichnet).
Beispiel:
55 Das Merkmalspaar ist die farbige bzw. weiße Blüte.
55 Die Nachkommen der F1 haben alle farbige Blüten. Das Allel für „farbig“ zeigt sich
dominant, erhält also einen großen Buchstaben, beispielsweise A. Das Allel für „weiß“ ist
rezessiv und bekommt den kleinen Buchstaben a.
55 Der Elter mit farbigen Blüten und dem Genotypen AA erzeugt nur Gameten mit A, der
Elter mit den weißen Blüten und dem Genotypen aa erzeugt nur Gameten mit a. Die
Zygote der F1 enthält somit Aa, der Phänotyp ist farbig.
55 Für die Darstellung einer solchen Kreuzung wählt man heute meist ein Punnett-Schema
oder -Quadrat (. Abb. 8.5).
Das Punnett-Schema erlaubt eine schnelle Übersicht über die möglichen Geno- und Phänoty-
pen, vor allem bei mehreren Allelen. Man zeichnet eine Tabelle und trägt in die oberste Zeile
die möglichen Genotypen der weiblichen Gameten, in die erste Spalte die möglichen Genoty-
pen der männlichen Gameten. Aus dem Schnittpunkt oder den Schnittpunkten folgen die mög-
lichen Genotypen der Zygote.
Bei einem intermediären Erbgang, bei dem sich das dominante Allel in der F1 unvollständig
ausprägt, liegt der Phänotyp zwischen dem der Eltern. Rote und weiße Blüten führen zu rosa
Blüten der F1, aber auch hier ist die F1 uniform. Die Farben von Blüten oder dem Gefieder von
144 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
A a
Phänotyp AA Aa
F1-Generation
A
Genotyp Aa × Aa
F1-Generation
Aa aa
Gametentypen der
A a A a
F1-Generation a
Vögeln sind typische Beispiele für intermediäre Erbgänge. Meist codiert das dominante Allel ein
Enzym für die Farbstoffsynthese, dessen Dosis durch den heterozygoten Genotypen zu gering ist.
Kreuzt man homozygote Individuen, die sich in zwei Merkmalspaaren unterscheiden, so sind
die Ausprägungen frei kombinierbar, und die F2 bringt neue Phäntoypen hervor (Unabhängig-
keits- oder Neukombinationsregel).
Die Ursache für die freie Kombinierbarkeit der Merkmale liegt in der Meiose I.
55 Die väterlichen und mütterlichen Chromosomen werden zufällig auf die Tochterzellen
verteilt.
55 Wenn die Gene für die Merkmalsausprägung auf zwei getrennten Chromosomen liegen,
so kann die F1 Gameten bilden, in denen wieder die zwei väterlichen Chromosomen
(z. B. mit den rezessiven Allelen) in eine Tochterzelle gelangen und die zwei mütterlichen
Chromosomen (dann mit den dominanten Allelen) in die andere,
55 oder ein väterliches und ein mütterliches Chromosom werden kombiniert und neu
verteilt.
Beispiel:
Die Merkmalspaare glatte (R)/runzelige (r) Samenoberfläche und grüne (I)/gelbe (i) Samen-
farbe liegen auf getrennten Chromosomen (. Abb. 8.7). Die P-Generation mit den Genotypen
RRII („glatt und grün“) und rrii („runzelig und gelb“) bildet die Gameten RI und ri. Die Zygote
8.4 · Statistik
145 8
F1 IR
I R
ir
I R
i r
F2 IR Ir iR ir
i r
II RR II Rr Ii RR Ii Rr
IR
II Rr II rr Ii Rr Ii rr
Ir
I i I i Ii RR Ii Rr ii RR ii Rr
iR
R r r R
Ii Rr Ii rr ii Rr ii rr
IR ir Ir iR ir
a b
enthält dann den Genotypen RrIi. Somit sind die Individuen der F1-Generaton uniform hetero-
zygot („glatt und grün“), und die erste Regel ist bestätigt.
Das Punnett-Schema zeigt, welche Gameten die F1 bildet, welche Genotypen und Phäno-
typen daraus resultieren und welche neuen Kombinationen sich zeigen. Die vier Phänotypen
spalten sich im Verhältnis 9:3:3:1 auf. Kombiniert man ein dominant-rezessives Merkmal mit
einem unvollständig dominanten, ändert sich das Verhältnis und fächert sich weiter auf.
z Test-, Rückkreuzung
Will man einen unbekannten Genotypen von Pflanzen der F2 ermitteln, so führt man eine Test-
oder Rückkreuzung durch.
55 Dazu kreuzt man die Pflanze mit dem unbekannten Genotypen mit einer Pflanze, von der
man weiß, dass sie homozygot rezessiv ist.
55 Resultieren aus dieser Kreuzung zwei Phänotypen (bei einem Merkmal), so war der Elter
mit unbekanntem Genotypen heterozygot.
8.4 Statistik
Die Aufspaltungsverhältnisse 3:1 oder 9:3:3:1 sind gemittelte statistische Werte. Tatsächlich
kommen aus einer Kreuzung bei beispielsweise 416 Gesamtnachkommen die zwei Phänoty-
pen der F2 vielleicht im Verhältnis 318:98 heraus, also 3,24:1. Mendel hatte vergleichbare Werte
erhalten und auf 3:1 gerundet.
Ob die Abweichungen geringfügig sind und daher vernachlässigbar oder ob sie die Regel
widerlegen, errechnet man mit dem chi-Quadrat-Test (χ²-Test). Die Grundlage dafür bilden die
tatsächlichen Werte (observed number, O) von 318 und 98 und die theoretischen Werte (expec-
ted number, E) bei 416 Gesamtindividuen. Bei einem 3:1-Verhältnis und 416 Gesamtindividuen
hätte man erwartet (E): 312:104. O (318, 98) und E (312, 104) weichen für die zwei Phänotypen
also um +6 bzw. −6 ab. Gemäß der Formel für den Test
χ² = ∑ (O − E)2/E für n = 2 Phänotypen
ergibt sich χ² = 36/312 + 36/104 = 0,46.
146 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
Statistiker erlauben meist eine 5 %ige Abweichung von der „reinen Theorie“ und liefern
Tabellen zur Einordnung des chi-Quadrat-Werts.
Die tabellarischen Vergleichswerte sind dabei Freiheitsgraden (degrees of freedom, df) zuge-
ordnet: df = Anzahl der Phänotypen −1.
55 Je höher der Freiheitsgrad, desto größer darf chi-Quadrat sein, weil mehr Phänotypen
mehr Schwankungen mit sich bringen.
55 Wenn eine 5-prozentige Abweichung erlaubt ist, dann darf bei einem Freiheitsgrad
chi-Quadrat laut statistischer Tabellen nicht größer als 3,841 sein, um die ursprüngliche
Arbeitshypothese zu bestätigen.
8.5 Kopplung
Mendel wusste nicht, dass seine untersuchten Merkmale tatsächlich von Genen auf zwei ver-
schiedenen Chromosomen codiert waren.
Liegen zwei Gene auf einem Chromosom nahe beieinander, bilden sie eine Kopplungs-
gruppe. Sie werden gemeinsam vererbt, und die dritte Mendel'sche Regel trifft nicht zu.
8 Ein Crossing over in der Meiose hebt die Kopplung auf.
55 Bei vollständig gekoppelten Genen passiert das nicht. Aber je weiter entfernt zwei Gene
auf einem Chromosom voneinander sind, desto wahrscheinlicher ist ein Crossing over und
desto größer ist ihre Rekombinationshäufigkeit (RF).
55 Gene, die nahe an den zwei Enden eines Chromosoms liegen, erscheinen dann nicht mehr
wie gekoppelt, sondern wie auf getrennten Chromosomen liegend. Die RF kann 50 % nicht
überschreiten.
Betrachtet man Gene, die auf einem Chromosom liegen, so ergeben sich nach einem Crossing
over Abweichungen in den Zahlenverhältnissen der Mendel'schen Regeln. Da andererseits das
Zahlenverhältnis nie exakt erreicht wird, muss man bei mehreren Merkmalen entscheiden, ob
die Abweichungen noch „statistisch“ sind oder auf eine Kopplung hindeuten. Dazu wendet man
wieder den chi-Quadrat-Test an.
Genkarten geben die Lage von Genen und regulatorischen Elementen im Genom an. Die erste
Genkarte stellte man für Drosophila auf.
Die Vorgehensweise stützt sich auf die Wahrscheinlichkeiten von Rekombinationen:
55 Man untersucht, ob nach Kreuzungen Merkmale in neuer Kombination auftreten. Eine
neue Kombination ist ein Hinweis auf eine homologe Rekombination.
55 Je häufiger man Rekombinationen feststellt, desto weiter entfernt sind zwei Genloci auf
einem Chromosom.
55 Um festzustellen, ob ein zweifaches Crossing over stattgefunden hat, arbeitet man mit drei
Merkmalen. Man spricht von einer Drei-Faktor-Kreuzung.
55 So gelingt es, Gene relativ zueinander zu kartieren und damit die Reihenfolge zu bestimmen.
Man sieht dabei die Gene nicht als ausgedehnte DNA-Abschnitte an, sondern als punktuelle Gen-
marker. Als Einheit führte man zu Ehren des Genetikers Thomas Hunt Morgan das Centimorgan
(cM) ein. 1 cM entspricht einer Rekombinationshäufigkeit von 1 %.
8.7 · Abweichungen von den Mendel'schen Regeln und Ausnahmen
147 8
Die Methode lässt indes außer Acht:
55 Oft ergeben sich mehrere Crossing over in einem Chromosom.
55 Ein Crossing over unterdrückt wiederum ein weiteres in seiner unmittelbaren Nachbar-
schaft (Chiasmainterferenz).
55 Bei weiblichen Organismen ergeben sich mehr Crossing over als bei männlichen.
55 In der Nähe der Telomere erfolgen Crossing over häufiger als in der Nähe eines
Centromers.
Für eine biologische Genkarte des Menschen und die Kartierung von Krankheitsgenen unter-
suchte man unter anderem Familienstammbäume und Polymorphismen (s. a. 7 Abschn. 15.2).
Durch die Sequenzierung ganzer Genome ist das Kreuzungsverfahren weitgehend aus der
Mode gekommen. Die Genomsequenzierung führt zu einer physikalischen oder molekularen
Karte, bei der die Basenabfolge bestimmt wird. Größen und Abstände gibt man somit in bp, kb
oder Mb an.
Da eine einzelne Sequenz noch keine Information über die Funktion liefert, hat man in Daten-
banken Sequenzinformationen und experimentelle Ergebnisse zu Annotierungen von Genomen
(s. 7 Abschn. 15.2.4) vereinigt.
8.7.1 Abweichungen
Deutliche Abweichungen von den Zahlenverhältnissen in der F2 haben ihre Ursache oft in meh-
reren Genwirkungen oder in Wechselwirkungen, wenn Gene einander beeinflussen. Die Fell-
farbe ist dafür ein bekanntes Beispiel:
Kreuzt man Mäuse einer F1 mit gelber Fellfarbe untereinander, spalten sich die Nachkom-
men im Verhältnis „gelbe“ Mäuse: „normale“ Mäuse von 2:1 auf. Das Verhältnis weicht von
3:1 ab, weil das Allel AY, das die Gelbfärbung verursacht, zwar heterozygot dominant ist, aber
homozygot letal wirkt. Das bedeutet, der Genotyp AYAY ist nicht lebensfähig und kommt deshalb
nicht vor.
Solche Letalfaktoren oder letalen Gene sind pleiotrop, sie kontrollieren mehrere Merkmale.
Heterozygot führt das eine Merkmal zu einem besonderen Phänotypen, wegen des zweiten Merk-
mals führt der homozygote Genotyp jedoch zum Tod.
Beispiele:
55 Von Ratten kennt man eine Knorpelanomalie, die homozygot einen abnormalen Brustkorb
und Herzversagen hervorruft.
55 Menschen mit der autosomal-rezessiven Erbkrankheit Xeroderma pigmentosum sterben
oft in den ersten Lebensjahren wegen eines Defekts in DNA-Reparaturenzymen.
Neben Letalgenen gibt es noch weitere Ursachen für abweichende Zusammensetzungen der
Filialgenerationen:
55 Bei der Epistase überdeckt eine homozygote Kombination eines Allels die Expression
von anderen Genen, die sich an der Ausbildung eines Merkmals wie der Fellfarbe betei-
ligen. Bei Mäusen verhindert die Kombination cc die Fellfarbe, die Tiere sind Albinos,
unabhängig von den anderen Genen. Die anderen Gene prägen ihren Phänotypen also
nicht aus und liefern damit ein Beispiel für unvollständige Penetranz.
148 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
55 Unterdrückt ein dominantes Allel ein dominantes Allel eines zweiten Gens, liegt
Suppression vor. Bei Primeln bewirkt beispielsweise ein dominantes Allel die Malvidin-
synthese. Das dominante Allel eines anderen Gens unterdrückt dies jedoch.
55 Ein modifizierendes Gen oder Modifier-Gen bestimmt die Intensität eines Phänotyps.
Die Fellfarbe von Mäusen verblasst dadurch. Beim Menschen kann ein Modifier-Gen eine
monogene Erkrankung verschlimmern.
55 Von Erbsen kennt man rote Blüten, die von zwei Genen hervorgerufen werden, wenn diese
jeweils mindestens einmal im dominanten Allel vorliegen. Die zwei Allele ergänzen sich
und zeigen komplementäre Genwirkung.
Das Kerngenom kontrolliert die meisten Merkmale. Man bezeichnet sie als mendelnde Merk-
male und sagt, „sie mendeln“. Beim Menschen zählen dazu die Blutgruppen und monogene
Erbkrankheiten.
Demgegenüber unterliegt das Erbgut in Mitochondrien oder Plastiden nicht den Mendel'-
8 schen Regeln.
55 Es wird davon unabhängig vererbt, weil es anders repliziert wird (s. 7 Abschn. 3.8).
55 Zudem erfolgt die Weitergabe statistisch: Die Tochterzellen erhalten nicht zwingend die
gleiche Anzahl an Organellen.
55 In Zellen können unterschiedliche Mitochondrien oder Plastiden vorliegen, wenn die
DNA mutiert und repliziert wird.
44Haben die Organellen den gleichen Genotypen, spricht man von Homoplasmie.
44Unterscheiden sich die Organellen, liegt Heteroplasmie vor. In diesem Fall kann es
passieren, dass sich die zwei Organelltypen so unterschiedlich auf die Tochterzellen
verteilen, dass eine Zelle überwiegend das Organell mit der Mutation erhält und dann
beispielsweise kein Chlorophyll mehr synthetisiert und farblos ist.
55 Die cytoplasmatische Vererbung betrifft auch endosymbiontische Bakterien, die im
Zellplasma leben.
Haplonten (s. 7 Abschn. 8.2.2) bieten Vorteile für die genetische Analyse:
55 Da sie zu Zygoten fusionieren, die sich meiotisch teilen, kann man an ihnen alle Aspekte
der Meiose studieren.
55 Man braucht nur eine Meiose zu untersuchen und nicht zwei unterschiedliche wie bei
diploiden Organismen mit Meiosen in männlichen und weiblichen Gameten.
55 Da die Organismen haploid leben, hat man keine Probleme mit Dominanz und Rezessi-
vität. Der Genotyp zeigt sich unmittelbar im Phänotypen.
55 Sie sind einfache, billige, schnell wachsende Untersuchungsobjekte.
55 Viele Organismen wie Pilze und Bäckerhefe sind auch biotechnologisch relevant.
Bei der Tetradenanalyse vergleicht man die vier Sporen eines Organismus, die aus einer Meiose
der Zygote hervorgehen. Die Methode wird zum Studium von Crossing over, Interferenz und
abnormen Chromosomensätzen eingesetzt.
8.8 · Geschlechtsbestimmung und -ausbildung
149 8
Pilze zieht man auch heran, um die mitotische Rekombination und Segregation zu unter-
suchen. Ein Modellorganismus ist z. B. der Gießkannenschimmel Aspergillus. Sein Sporenträger
sieht aus wie ein Gießkannenstrahl.
1. Dazu sind diploide Zellen notwendig, die man erhält, indem man zwei haploide Kulturen
vermischt.
2. Die Hyphen verschmelzen, und es liegen zunächst zwei unterschiedliche Kerne im
Cytoplasma. Die Zelle ist ein Heterokaryon.
3. Schließlich verschmelzen die zwei Kerne spontan, wodurch die Zelle diploid wird.
4. Diese teilt sich erst meiotisch, anschließend mitotisch.
Sex erhöht die genetische Variabilität und ermöglicht Anpassungen an neue Umweltbedingungen.
Wie bei vielen Phänomenen hat sich Geschlechtsausbildung in der Evolution unterschied-
lich entwickelt.
Chemische Signale für die Geschlechtswahl stammen oft von Artgenossen. Man kennt beispiels-
weise im Meer lebende Igelwürmer (Bonellia viridis), deren adulte weibliche Tiere Pheromone
bilden.
55 Trifft eine undifferenzierte Igelwurmlarve auf ein adultes weibliches Tier, nimmt dieses die
Larve auf.
55 Signale der Weibchen lösen die Entwicklung zu Männchen aus, die im Uterus der
Weibchen leben.
150 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
z Pflanzen
Bei Pflanzen findet man nur in wenigen Fällen zwei phänotypisch unterscheidbare Individuen,
wie man es von Tieren oft gewohnt ist. Diese Pflanzen nennt man diözisch oder zweihäusig. Sie
bilden männlich und weiblich getrennte Pflanzen mit verschiedenen Blüten aus. Diözie ist unter
den Pflanzenfamilien zwar weit verbreitet, aber nicht häufig. Nur einige Familien sind ausschließ-
lich zweihäusig, z. B. die Weidengewächse.
Die meisten Pflanzen (z. B. Mais) sind monözisch oder einhäusig. Sie haben männliche und
weibliche Blüten auf einer Pflanze. Allerdings kann der Anteil männlicher oder weiblicher Blüten
überwiegen. Die Gesamtpflanze ist damit zwar „zwittrig“, den Ausdruck verwendet man jedoch
8 ebenso wie „getrenntgeschlechtlich“ nur für Tiere.
z Tiere
Bei Tieren gibt es verschiedene Wege, das Geschlecht festzulegen.
55 Haplodiploidie kommt beispielsweise bei Bienen, Ameisen oder Käfern vor. Deren
Männchen sind in den allermeisten Fällen haploid. Sie entstehen aus unbefruchteten Eiern
oder aus befruchteten, die eine Hälfte des Chromosomensatzes wieder verlieren. Weibchen
entstehen aus befruchteten Eiern und sind (bzw. bleiben) diploid.
55 Bei Drosophila legt das Verhältnis von X-Chromosomen zu Autosomen das Geschlecht fest
(s. u.).
55 Bei Säugern und Vögeln bestimmen zwei unterschiedliche Gonosomen (Geschlechtschro-
mosomen) das Geschlecht. Sie ergeben verschiedene Gameten, was als Heterogametie
bezeichnet wird.
44Bei Säugern besitzen die männlichen Tiere zwei verschiedene Geschlechtschromo-
somen, X und Y (s. u.).
44Bei Vögeln sind die Weibchen hemizygot mit W- und Z-Chromosom, die Männchen
sind mit einem ZZ-Satz homozygot. Dieses System kommt beispielsweise auch bei
Schlangen vor.
Die molekularen Faktoren für die Geschlechtsbestimmung von Drosophila sind die Genpro
dukte von „Sexgenen“, die alternativ gespleißt werden.
55 Wenn I = 0,5 oder kleiner ist und damit das Verhältnis auf Seiten der Autosomen liegt, so
spleißt die Zelle die prä-mRNA des sxl-Gens (sex lethal) so, dass ein Stoppcodon resultiert
und kein Sxl-Protein entsteht.
Das fehlende Sxl-Protein hat Auswirkungen auf das alternative Spleißen bei den trans-
former-Genen (tra).
Letztlich resultiert daraus das DsxM-Protein (doublesex), das weibliche Differenzie-
rungsgene unterdrückt.
55 Bei einem Verhältnis zugunsten des X-Chromosoms spleißt die Zelle die mRNA von sxl
alternativ und bildet ein Sxl-Protein.
Das vorhandene Sxl-Protein erzeugt andere Spleißprodukte der tra-Gene, und am
Ende der Reaktionsfolge steht ein DsxF-Protein, das männliche Differenzierungsgene
unterdrückt.
Bei Drosophila wird auch die Augenfarbe geschlechtsgebunden vererbt. Der Wildtyp von Dro-
sophila trägt rote Augen. Das Merkmal „weiße Augen“ liegt auf dem X-Chromosom. Kreuzt man
homozygote Weibchen mit weißen Augen mit rotäugigen Männchen, die ein X und ein Y-Chro-
mosom besitzen, so kommen rotäugige Weibchen und weißäugige Männchen heraus. Denn die
weiblichen Nachkommen verfügen jetzt über ein Wildtyp-X-Chromosom, während die hemi-
zygoten männlichen Nachkommen nur das Merkmal „weiße Augen“ auf dem einen X-Chromo-
som geerbt haben – neben dem Y-Chromosom.
z Säugetiere
Bei Säugern legen die Gonosomen das genetische Geschlecht fest.
55 Männliche Säugetiere besitzen ein X-Chromosom und ein deutlich kleineres
Y-Chromosom.
55 Weibliche Individuen haben zwei X-Chromosomen.
44Nach der Lyon-Hypothese von Mary Frances Lyon legen weibliche Zellen ein X-Chro-
mosom still und gleichen somit die zusätzliche Kopie aus. Dieser epigentische Vorgang
wird X-Inaktivierung oder Lyonisierung genannt.
44Dieses Chromosom ist dann stark kondensiert, transkriptionsinaktiv und im Licht-
mikroskop als Barr-Körperchen erkennbar, in Leukocyten als sogenannte Drumsticks
(. Abb. 8.8a, b).
Ob die Zelle das mütterliche oder väterliche X-Chromosom inaktiviert, ist ein Zufallsergebnis.
Unterscheiden sich die Chromosomen durch eine Mutation, dann ist in manchen Zellen das
mutierte Exemplar stillgelegt, in anderen das normale. Das weibliche Individuum ist folglich
152 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
ein genetisches Mosaik. Tatsächlich ist nicht das komplette Chromosom inaktiv. Die Zelle tran-
skribiert noch rund ein Fünftel der Gene. Deswegen unterscheiden sich Frauen mit dem Ullrich-
Turner-Syndrom (45, X0) von Frauen mit normalem Genotyp 46, XX.
Da die starke Kondensierung in der nächsten Generation wieder aufgehoben wird, spricht
man von einem fakultativen Heterochromatin im Gegensatz zum konstitutiven Heterochro-
matin am Centromer.
Die Kontrolle der X-Inaktivierung geht von einer Region aus, die man X-chromosome- inac-
tivation-centre (XIC) nennt. Diese Region enthält mehrere Gene, eine entscheidende Rolle über-
nimmt das XIST-Gen (X inactive-specific transcript).
55 Die Zelle stellt eine XIST-RNA her, die sich an das X-Chromosom anlagert und es umhüllt
(Xi specific transcript). Die RNA wird nicht translatiert. Es handelt sich also um eine
lncRNA.
55 XIST wechselwirkt mit Enzymen, welche die Histone und die DNA modifizieren.
Männliche Spermien des Menschen verhalten sich je nach Typ des Gonosoms im Zellkern
unterschiedlich.
55 Transportieren sie ein X-Chromosom, leben sie länger im weiblichen Genitaltrakt.
55 Transportieren sie ein Y-Chromosom, schwimmen sie jedoch schneller.
Dadurch verschiebt sich das Verhältnis der Geschlechter bei den Geburten leicht auf die Seite
männlicher Nachkommen zu 1,05:1.
8.8 · Geschlechtsbestimmung und -ausbildung
153 8
. Abb. 8.9 Pseudoautosomale Regionen 1 und 2 der
menschlichen Gonosomen (nach Buselmaier und Tariverdian
2007)
PAR 1
p
SRY
p
q
Y
PAR 2
Die Gonosomen tragen an den Enden pseudoautosomale Regionen, PAR (. Abb. 8.9).
55 PAR1 (etwa 2,6 Mb) am Ende des kurzen Arms, PAR2 (etwa 0,32 Mb) am Ende des langen Arms.
55 Hier ereignen sich Crossing over, in PAR1 obligatorisch, in PAR2 selten. Aufgrund von
Rekombinationsereignissen hat man vor kurzem eine PAR3 beschrieben.
55 Die PAR sind von der X-Inaktivierung ausgeschlossen.
Die Geschlechtsentwicklung geht vom SRY-Gen aus (sex determining region of Y). Es liegt auf
dem kurzen Arm des Y-Chromosoms außerhalb der PAR.
55 SRY codiert einen Transkriptionsfaktor, den hodenbestimmenden Faktor (testis deter-
mining factor, Mensch: TDF, Maus: Tdf), der die Entwicklung von indifferenten Keimzellen
zu Hoden einleitet.
Die Hoden bilden das Androgen Testosteron. Nach Umwandlung in Dihydrotestosteron
(DHT) aktiviert DHT den Androgenrezeptor, der die Transkription weiterer geschlechts-
bestimmender Gene anschaltet.
55 Fehlt das SRY-Gen, entwickeln sich die Gonadenanlagen zu Ovarien.
Das genetische Geschlecht muss nicht übereinstimmen mit dem gonadalen Geschlecht, das
durch vorhandene männliche oder weibliche Gonaden bestimmt wird, oder mit dem hormona-
len Geschlecht, das von den Sexualhormonen abhängig ist.
Überführt man per Mikroinjektion ein SRY-Genkonstrukt in Oocyten von Mäusen mit
XX-Genotyp, erzeugt man männliche Mäuse.
55 Auf dem langen Arm des Y-Chromosoms liegen auch Gene für die Spermienreifung.
Mutationen können zur Azoospermie führen. Die Reifung unterbleibt, und es fehlen
Samenzellen im Ejakulat. Die zuständigen Gene sind auf drei Regionen verteilt und werden
Azoospermiefaktor a–c (AZFa–c) genannt.
44Die Azoospermie aufgrund gestörter Spermienreifung heißt nichtobstruktive
Azoospermie.
44Eine Verstopfung der Samenleiter wäre die Ursache für die obstruktive
Azoospermie.
55 Das AR-Gen für den Androgenrezeptor liegt auf dem X-Chromosom. Durch eine
Mutation kann die Funktion teilweise oder vollständig ausfallen.
44Ein partieller Funktionsverlust ruft verschiedene sexuelle Zwischenstufen hervor.
44Betroffene mit vollständigem Funktionsverlust entwickeln zunächst Hoden und bilden
Testosteron, aber das Gewebe kann darauf nicht reagieren und die Transkription nicht
aktivieren. Man spricht von Androgenresistenz, einem Androgeninsensitivitäts-
syndrom oder testikulärer Feminisierung. Die Patienten entwickeln sich anatomisch
8 weiter zur Frau, allerdings mit blind endender Vagina und ohne Gebärmutter. Die
Hoden liegen innen.
Entwickeln sich die Gonaden fehlerhaft mit Störung der Fertilität, so spricht man allgemein von
einer Gonadendysgenesie.
55 Bei der XX-Gonadendysgenesie sind die Ovarien unterentwickelt und fehlerhaft. Sie
bilden sogenannte Stranggonaden ohne Follikel und endokrines Gewebe. Die XX-Gona-
dendysgenesie kommt isoliert oder zusammen mit weiteren Symptomen bei verschiedenen
Syndromen vor wie dem Denys-Drash-Syndrom durch Mutationen im WT1-Gen. Da
die Ursache Mutationen in einzelnen Genen sein können, erscheint der Karyotyp dann
weiblich normal.
55 Auch bei der XY-Gonadendysgenesie spricht man von Stranggonaden. Die Sertoli-Zellen
des fetalen Hodens, die normalerweise das Anti-Müller-Hormon (AMH) bilden, fehlen.
Durch den Mangel an AMH bleibt der Müller-Gang als die Genitalanlage für Eileiter,
Scheide und Gebärmutter bestehen. Es bildet sich ein weiblicher Phänotyp mit Hypogona-
dismus aus. Die Ursache können strukturelle Aberrationen des Y-Chromosoms sein, aber
auch Mutationen in einzelnen Genen wie dem SRY-Gen oder dem WT1-Gen, das auch bei
XX-Gonadendysgenesien betroffen sein kann.
8.9 Populationsgenetik
Die Populationsgenetik befasst sich mit dem Vorkommen von Allelen in einer Population sowie
deren Häufigkeiten und Veränderungen mit der Zeit.
Eine Population ist definiert als Gesamtheit aller Individuen einer Gruppe, die sich fortpflanzen
können und eine neue Generation bilden. Alle Gene und Allele, die in dieser Population vor-
kommen, bilden den Genpool.
8.9 · Populationsgenetik
155 8
Ein Genpool ist nicht stabil. Mehrere Faktoren haben Einfluss auf seine Zusammensetzung:
55 Genetische Faktoren: Mutation, Rekombination.
55 Evolutionäre Faktoren: Selektion, Migration, Isolation. Ändert sich der Genpool durch
Zufallsabweichungen, liegt genetische Drift vor. Das kann sich in kleinen Populationen
auswirken. Ein Sonderfall ist der Gründereffekt (Founder-Effekt). Dabei geht die
Ausbreitung eines Allels auf den Genotypen eines oder weniger Individuen während der
Stammesgründung oder -etablierung zurück. Aus medizinischer Sicht ist dieser Effekt bei
der Verbreitung von Erbkrankheiten von Bedeutung.
55 Faktoren bei der Partnerwahl: Als Paarungssiebung wird die Auswahl eines bestimmten
Phänotypen und damit Genotypen als Partner bezeichnet, umgangssprachlich mit „gleich
und gleich gesellt sich gern“ zusammengefasst. Beispielsweise heiraten Gehörlose oft
untereinander.
55 Tatsächliche Abweichungen von der Panmixie. Unter Panmixie oder random mating
versteht man die idealisierte Annahme, dass sich jeder Vertreter des einen Geschlechts mit
gleicher Wahrscheinlichkeit mit jedem Vertreter des anderen Geschlechts paaren kann.
Inzucht ist ein deutliches Beispiel für eine Abweichung von der Panmixie.
55 Weitere Faktoren sind beispielsweise Infektionskrankheiten, Ernährung und kulturell-
gesellschaftliche Einflüsse.
Die Häufigkeit von Allelen kann man mithilfe des Hardy-Weinberg-Gesetzes berechnen. Dabei
geht man von idealisierten Bedingungen aus:
55 Die Paarungen erfolgen zufällig.
55 Die Population ist sehr groß.
55 Zwischen den Populationen erfolgt keine Migration.
55 Es ereignen sich keine Mutationen.
55 Die Allele unterliegen nicht der Selektion.
Der zentrale Begriff ist die Frequenz. Unter Genfrequenz versteht man die Häufigkeit eines Allels
an einem Genlocus in einer Population.
55 Kommt in einer Population nur ein Allel, A, vor, so ist seine Frequenz p(A) = 1,0.
55 Kommt neben A noch das Allel a mit der Frequenz q(a) vor, so ist p(A) + q(a) = 1,0, oder
bezogen auf p gilt: p(A) = 1 − q(a).
55 Man unterscheidet Frequenzen eines Genotyps von den Frequenzen eines Allels.
55 Der Genotyp AA wird mathematisch ausgedrückt als p2, pq steht für Aa und q2 steht für aa.
55 Die Häufigkeit und Verteilung der Genotypen gehorcht dem 1. Binominalsatz (p + q)2 und
es gilt p2+2pq+q2= 1 (. Abb. 8.10).
Rechenbeispiel: Eine autosomal-rezessiv vererbte Krankheit (aa = q2) kommt bei einem von
40.000 Neugeborenen vor, die Indizidenz beträgt also 1:40.000. Dann ist q2 = 1/40.000, q = 1/200
= 0,005 und p ≈ 1. Heterozygote (Überträger) kommen dann mit einer Häufigkeit von 2pq = 0,01
= 1/100 oder 1:100 vor. 2pq ist die Heterozygotenfrequenz.
Beispiele für autosomal-rezessive Erkrankungen in Europa mit gerundeten Werten:
55 Mukoviszidose/Cystische Fibrose: Inzidenz 1:2000, Heterozygotenfrequenz 1:22
55 Sichelzellanämie: Inzidenz 1:10.000, Heterozygotenfrequenz 1:50
156 Kapitel 8 · Formalgenetik und Geschlechtsbestimmung
p p²
q q2 pq
q p
Solche Angaben beziehen sich immer auf bestimmte Populationen und ändern sich im Lauf der
Evolution.
55 In Gebieten mit Malaria kommt das Sichelzellallel deutlich häufiger vor, weil der gesunde
Konduktor (Aa) einen Evolutionsvorteil, in diesem Fall einen Heterozygotenvorteil,
besitzt:
44Homozygot Gesunde (AA) sterben eher an Malaria.
44An Sichelzellanämie Erkrankte (aa) können an der Krankheit sterben.
55 Die Isolation von Ethnien führt oft zu Blutsverwandtschaft und somit zu einer höheren
Indizidenz für Krankheiten. Unter den Aschkenasim (mittel-, nord- und osteuropäische
Juden) ist beispielsweise die Tay-Sachs-Erkrankung rund zehnmal so häufig wie in der
übrigen Bevölkerung.
55 Bekannt ist die weltweit unterschiedliche Verteilung der Blutgruppen des AB0-Systems.
55 Die Lactoseintoleranz erwachsener Menschen ist eine evolutionär ursprüngliche Eigen-
schaft. Sie beträgt in Asien zum Teil mehr als 80 %, in Europa nimmt sie von Süden nach
Norden hin ab und liegt in Dänemark/Schweden bei 2–5 %. Die Mehrheit in Skandinavien
bildet also auch als Erwachsene noch Lactase.
55 Entwickelt und durchgesetzt hat sich diese Lactasepersistenz seit der Einführung der
Viehmilchwirtschaft und dem Verzehr lactosehaltigen Käses.
55 Genetisch geht sie zurück auf zwei SNPs im MCM6-Gen. Das Genprodukt ist zwar für die
DNA-Replikation wichtig, innerhalb zweier Introns liegen aber regulatorische Elemente
für das Lactasegen. Durch die Polymorphismen wirken sie als Enhancer.
55 Angeborener Lactasemangel, der schon bei Säuglingen eine Intoleranz gegenüber Lactose
bewirkt, ist hingegen eine autosomal-rezessive Erkrankung.
55 Auch die Evolution der Gene für die Isoformen der Speichelamylase geht einher mit
Lebens- und Ernährungsbedingungen des Menschen.
157 9
Rekombination und
Variabilität
9.1 Homologe Rekombination – 158
9.1.1 Modelle für die homologe Rekombination – 158
9.1.2 Genkonversion – 161
9.1.3 Proteine der Rekombination bei E. coli – 161
9.1.4 Proteine der Rekombination bei Eukaryoten – 163
Unter einer homologen Rekombination versteht man den wechselseitigen Bruch mit Wiederver-
knüpfung zwischen langen, identischen oder annähernd identischen DNA-Sequenzen.
Die homologe Rekombination tritt ein,
55 um eine Störung als Ursache für eine unterbrochene Replikation zu beheben,
55 um Doppelstrangbrüche zu reparieren,
55 bei Eukaryoten während der Meiose und
55 bei Prokaryoten während der Konjugation. Beteiligt sind das Chromosom und ein
9 Plasmid.
Von zentraler Bedeutung ist jeweils ein Protein, das zwischen Bakterien (RecA), Archaeen (RadA)
und Eukaryoten (Rad51) konserviert ist.
Um den Ablauf zu verstehen und zu beschreiben, begann man in den 1960er-Jahren Modelle
aufzustellen.
z Holliday-Modell
Das bekannteste Modell heißt nach seinem Erstbeschreiber Holliday-Modell (. Abb. 9.1).
55 Zwei homologe DNA-Moleküle liegen zunächst gepaart aneinander.
55 Das Modell setzt voraus, dass in jeweils einem Strang der zwei DNA-Moleküle ein Bruch
vorliegt.
55 Die gebrochenen DNA-Stränge in gleicher Orientierung leiten die Rekombination ein, also
beispielsweise die zwei Stränge in 5′-3′-Richtung.
55 Sie tauschen ihre Position und werden neu verknüpft, sodass sie sich überkreuzen. Die
entstehende Struktur nennt man Holliday-Struktur(. Abb. 9.2).
Entscheidend ist: Die Holliday-Struktur ist stabil, dabei aber dynamisch. Das heißt, die Über-
kreuzungsstelle bewegt sich strangauf- oder strangabwärts. Man spricht von branch migration
oder Wanderung der Verzweigungsstelle. Je weiter die Verzweigungsstelle wandert, desto länger
wird der Abschnitt, in dem sich jeweils zwei „fremde“ Stränge gegenüberlegen. Es entsteht eine
Heteroduplex-DNA.
9.1 · Homologe Rekombination
159 9
X Y
x y
Einzelstrangbrüche in zwei DNA-Molekülen
X Y X y
x y x Y
a
X Y
x y
branch migration
X Y
b x y
. Abb. 9.1 Ablauf der homologen Rekombination (a) mit Veranschaulichung der branch migration (b)
160 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
Dreht oder rotiert man die vier miteinander verbundenen DNA-Stränge so, dass sich die
Überkreuzungsstelle aufhebt, ergibt sich aus den vier Strängen die x-förmige Chi-Konformation.
Jetzt sind zwei Auflösungen mit verschiedenen Ergebnissen möglich.
55 Ein horizontaler Schnitt durch das Kreuz mit Neuverknüpfung ergibt, dass die DNA-
Moleküle jeweils nur einen kurzen Einzelstrangabschnitt getauscht haben.
55 Ein vertikaler Schnitt mit Neuverknüpfung führt zu einem wechselseitigen Austausch.
x + G C
x +
G C C G
A T T A
+ y + y
A T
G A
x y
C T
. Abb. 9.3 Heteroduplex-DNA, als Folge der Reparatur kommt es zur Genkonversion (+ steht für Wildtyp, x, y
für andere Allele)
Auch in einer Variante des Doppelstrangbruchmodells taucht kein Crossing over auf. Dazu
nimmt man an, dass nach Stranginvasion eine Polymerase den Einzelstrang zwar ebenfalls ver-
längert, dass dieser anschließend aber wieder zu seinem ursprünglichen komplementären Strang
zurückkehrt und Ligasen dann die Enden versiegeln.
Die Vorteile des Doppelstrangbruchmodells oder seiner Varianten:
55 Es zeigt die Verknüpfung der Rekombination mit der DNA-Reparatur.
55 Es kann die Genkonversion erklären.
9.1.2 Genkonversion
Genkonversion (. Abb. 9.3) ist die Übertragung der Information von einem Allel auf das ent-
sprechende Allel des homologen DNA-Moleküls. Dabei wird das Allel im DNA-Molekül mit dem
Doppelstrangbruch zu dem anderen Allel umgewandelt, wenn die abgebauten Einzelstränge nach
der Vorlage der komplementären Gegenstränge verlängert werden.
Eine Genkonversion findet beispielsweise bei Hefen und Schimmelpilzen statt. Sie ist leicht
zu erkennen, wenn Varianten der Allele aus den meiotischen Teilungen nicht im Verhältnis 1:1
hervorgehen.
Dieser Abschnitt stellt nur die wichtigsten und die rekombinationstypischen Proteine vor.
Proteine wie die SSB, Topoisomerasen oder Ligasen wirken ebenfalls an der Replikation mit
(s. 7 Abschn. 3.1.2), werden hier aber nicht mehr detailliert vorgestellt.
ATP
ADP + Pi
2 3'
5'
ATP
ADP + Pi
3 3'
5'
ATP Beladung
ADP + Pi mit RecA
4 3'
5'
ATP
ADP + Pi
5 3'
5'
RecA-Filament
6
9.1 · Homologe Rekombination
163 9
44RecA sucht nach homologen Sequenzen und dirigiert dann die Stranginvasion.
44RecA tauscht also den intakten DNA-Strang gegen den geschnitten Einzelstrang
gleicher Orientierung aus, lässt diesen mit seinem Gegenstrang eine Doppelhelix bilden
und richtet die Holliday-Struktur ein.
z Ruv-Proteine
Die Ruv-Proteine identifizierte man in den ruv-Mutanten, die empfindlicher gegenüber
UV-Strahlung sind. So steht ruv für resistent gegenüber UV-Strahlung. Daran zeigt sich wiede-
rum die Verquickung von Rekombination und Reparatur von UV-Schäden.
Die Ruv-Proteine sind zuständig für die Wanderung der Verzweigungsstelle und für die
Auflösung der Holliday-Struktur (. Abb. 9.5).
55 RuvA erkennt die Holliday-Struktur und bindet sich daran.
55 RuvB formt aus seinen Untereinheiten einen Ring, der sich um die DNA legt. Es ist eine
Helikase, die die Verzweigungsstelle wandern lässt.
55 RuvC setzt Schnitte in der DNA und löst die Holliday-Struktur auf. RuvA und RuvB haben
sich von der DNA gelöst.
Bei E. coli rekombiniert DNA nicht nur über die genannten Proteine. Ein anderes System arbei-
tet mit anderen Helikasen, Nucleasen und weiteren Proteinen.
z Allgemeines
Die eukaryotische Rekombination hat man vor allem bei Saccharomyces cerevisiae untersucht.
Für Eukaryoten hat die Rekombination folgende Bedeutung:
55 Sie leitet während der Meiose ein Crossing over ein.
55 Während der Mitose tritt die Rekombinationsreparatur oder mitotische Rekombination
auf. Sie ist deutlich seltener als die meiotische Rekombination und führt selten zu
Crossing over.
55 Sie behebt eventuelle Blockaden der Replikationsgabel.
55 Sie hat spezielle Funktionen für bestimmte Gensysteme (z. B.: Paarungstypwechsel bei
Hefe, Reifung der Antikörper).
Der Einstieg in die meiotische Rekombination ist naturgemäß auf Eukaryoten beschränkt, die
Kernschritte (Strangabbau, Stranginvasion, Überkreuzung) sind mit denen bei Prokaryoten
vergleichbar.
Um die Holliday-Strukturen aufzulösen, können die Zellen verschiedene Wege mit oder
ohne Crossing over einschlagen.
In evolutionärer Hinsicht ist die Rekombination in der Meiose eine junge Weiterentwicklung
des Phänomens und ein Sonderfall. Sie kommt nur in Keimzellen der Eukaryoten vor, erzeugt
regelmäßig Crossing over und beginnt mit einem besonderen Protein, SPO11.
z SPO11
Das SPO11 (bei der Sporulation von Hefe identifiziert) leitet die Rekombination während der
Meiose ein, denn es erzeugt die Doppelstrangbrüche in einem DNA-Molekül. Für andere
Rekombinationen ist SPO11 nicht nötig. In diesen Fällen bewirken äußere Einflüsse oder
164 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
3' 5'
5' 3'
branch migation
Oben
5' 3'
3' 5'
Links Rechts
3' 5'
5' 3'
Unten
RuvB-Protein formt
9 eine Ringstruktur
und dreht die DNAs
Proteine RuvA
und RuvB lösen Links/Rechts oder Oben/Unten
sich vermutlich ab
Auflösung
5' 3'
3' 5'
3' 5'
5' 3'
Heteroduplex
5' 3'
RuvC-Protein schneidet 3' 5'
zwei Einzelstränge und löst
die Holliday-Struktur auf 3' 5'
5' 3'
a b Heteroduplex + rekombinant
Topoisomerasen die Strangbrüche. Da SPO11 auf die Meiose beschränkt ist, kennt man auch
kein bakterielles Gegenstück.
z MRX-Komplex
Der MRX-Komplex umfasst mehrere Proteine, deren Anfangsbuchstaben zu der Abkürzung
führten: MRE11, RAD50, XRS2. Er übernimmt mehrere Aufgaben. Die wichtigste ist wohl zusam-
men mit weiteren Enyzmen die Exonucleaseaktivität, also die Bearbeitung der DNA-Enden.
Wie bei E. coli bauen Exonucleasen die DNA-Stränge an den Strangbrüchen ab und produzieren
überhängende 3′-Enden.
9.2 · Ortsspezifische Rekombination
165 9
z RAD-Proteine
Die Bezeichnung RAD leitet sich von radiation (engl. für Strahlung) ab, weil die Mutanten strah-
lungsempfindlich sind. RAD51 und DMC1 sind eukaryotische Homologe zu RecA bei E. coli,
DMC steht für disrupted meiotic cDNA. RAD-Proteine sind wie SPO11 auf die Meiose beschränkt.
Ihre Funktionen:
55 RAD51-Proteine heften sich unter der Mithilfe von Mediatorproteinen an die 3′-Enden.
Sie bilden Proteinfilamente, führen die Überhänge in das intakte DNA-Molekül ein und
suchen nach Homologien.
55 RAD52 bindet sich an DNA und Proteine und stimuliert RAD51.
55 RAD54-Proteine stabilisieren die Übergangszustände. Die RAD-Proteine rufen die
Holliday-Struktur und das Crossing over hervor.
55 RAD51C löst zusammen mit XRCC3 (X-ray repair cross-complementing protein 3) die
Holliday-Struktur auf.
z DNA-Polymerase β
Die DNA-Polymerase β verlängert die abgebauten Stränge anhand der DNA-Stränge des
intakten Moleküls. Es entstehen die Heteroduplex-DNA und die D-Schleife. Eine Ligase ver-
bindet die offenen Enden, sodass sich die zweite Holliday-Struktur oder das zweite Crossing
over bildet.
Die ortsspezifische Rekombination ist beschränkt auf spezifische, gleiche DNA-Motive, die recht
kurz sind (20–250 bp). Diese kurzen DNA-Motive dienen als Rekombinationsstellen, zwischen
denen der Prozess abläuft. Anders als bei der homologen Rekombination unterscheiden sich die
davor und dahinter liegenden DNA-Sequenzen voneinander.
Die wesentlichen Enzyme für die ortsspezifische Rekombination sind Rekombinasen, welche
die Motive erkennen, die Brüche einführen und die DNAs kreuzweise neu verknüpfen.
Diese Art der Rekombination kommt nur bei Prokaryoten und Hefen vor. Die ortsspezifi-
sche Rekombination ist von Bedeutung für:
55 den Infektionszyklus von Phagen; hier übernimmt sie die Integration und Exzision der
Phagen-DNA in das Chromosom;
166 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
Der Ablauf der Rekombination hängt von der Orientierung der Rekombinationsmotive und
ihrer Lokalisation ab:
55 Die Motive können auf nur einem oder auf beiden DNA-Molekülen liegen.
55 Wenn sich die Motive auf nur einem DNA-Molekül befinden, gibt es zwei weitere
Möglichkeiten:
44Sie können antiparallel orientiert sein (Kopf an Schwanz).
44Sie können parallel ausgerichtet sein (Kopf an Kopf).
Die Rekombinasen führen in den zwei Motiven jeweils einen Doppelstrangbruch ein und ver-
knüpfen die vier Teilstücke neu über Kreuz.
z Inversion
Die zwei Motive liegen Kopf an Kopf in einem DNA-Molekül und flankieren einen Bereich, der
herausgeschnitten und umgekehrt wieder eingebaut wird.
Inversionen kommen bei Phasenvariationen vor, wie sie beispielsweise in der Genexpres-
sion von Flagellengenen bei Salmonellen auftreten (s.u.).
Diese Enzyme werden nach der Aminosäure im aktiven Zentrum in zwei Familien eingeteilt:
55 Tyrosin-Rekombinasen und
55 Serin-Rekombinasen.
Die Tyrosinfamilie ist umfangreicher. Die beiden Familien sind nicht homolog zueinander.
z Tyrosin-Rekombinasen
An der Reaktion arbeiten vier Enzymmoleküle als Tetramer. Es sind jedoch immer nur zwei aktiv.
Der Ablauf ihrer Aktivität:
9.2 · Ortsspezifische Rekombination
167 9
1. Die ersten zwei aktiven Untereinheiten führen in den zwei Rekombinationsstellen jeweils
einen Einzelstrangbruch ein.
2. Kurzzeitig sind die 3′-Enden mit den Tyrosinresten kovalent verbunden.
3. Dann führen die Untereinheiten die freien 5′-Enden jeweils an den anderen Strang heran,
verknüpfen die DNAs über Kreuz und erzeugen dadurch eine Holliday-Struktur.
4. Anschließend werden diese Untereinheiten inaktiv.
5. Die bisher ruhenden Untereinheiten schneiden nun die anderen zwei DNA-Stränge und
verknüpfen auch diese über Kreuz, sodass sie auch die Holliday-Struktur wieder auflösen.
Die Integration und die Exzision der Phagen-DNA auf dem lysogenen Weg verlaufen über eine
ortspezifische Rekombination.
Die Rekombinase von λ heißt Integrase.
Das Charakteristische des Mechanismus:
55 Das attP-Motiv befindet sich als Rekombinationsstelle im λ-Genom, die andere Rekombi-
nationsstelle liegt als attB im Chromosom. Die Motive sind nicht identisch. Das attP-Motiv
ist komplexer.
55 Durch die Integration entstehen daher zwei verschiedene Stellen: attL und attR.
55 Die Integrase benötigt für die Rekombination weitere Proteine: für die Integration das
bakterielle IHF (integration host factor), für die Exzision IHF und das Phagenprotein Xis
(excision).
55 Durch diese Asymmetrie (IHF oder IHF + Xis) reguliert λ, ob es zur Integration oder
Exzision kommt.
Die Rekombinationsstelle ist 34 bp lang und wird loxP abgekürzt (locus of crossing over of P1
phage). Sie ist dreiteilig aufgebaut: in der Mitte die nicht symmetrische Crossing-over-Region,
links und rechts flankiert und in entgegengesetzter Orientierung die Bindestellen für die
Cre-Rekombinase.
Exzision
Insertion
168 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
Das System ist recht simpel. Daher nutzt man es gern als gentechnologisches Werkzeug, um
Genome von Pro- und Eukaryoten (vor allem von Mäusen) zu untersuchen.
Tyr-Rekombinasen, Beispiel 3: Die Auflösung von Chromosomendimeren
Ein Crossing over in der Replikation mündet in ein Chromosomendimer. Für die korrekte
Aufteilung der zusammenhängenden Chromosomen auf die Tochterzellen muss das Dimer in
zwei Monomere geteilt werden. Der entsprechende Prozess ist eine ortsspezifische Rekombina-
tion, die irreversibel sein muss.
Im Gegensatz zu den beiden Beispielen zuvor arbeitet die Rekombinase als Tetramer aus den
beiden unterschiedlichen Proteinen XerC und XerD. Das Rekombinationsmotiv dif liegt in der
Nähe des Terminus der DNA, der Terminus wiederum in der Nähe des Septums.
Das Regulatorprotein ist das integrale Membranprotein FtsK, das die Zelle in das Septum
einbaut. Wenn die Zelle die Chromosomen nicht aufteilen kann, kommt der Komplex dadurch in
die Nähe von FtsK. Das Protein aktiviert XerD, und erst dann vollendet XerD die Rekombination.
z Serin-Rekombinasen
Auch die Serin-Rekombinasen treten als Tetramer auf, allerdings sind alle vier Untereinheiten
gleichzeitig aktiv, und jede Untereinheit spaltet einen Strang. Die Serin-Rekombinasen haben
spezielle Eigenschaften:
55 Sie führen zwei Doppelstrangbrüche ein.
55 Die Schnittstellen sind dabei um zwei Nucleotide versetzt.
9 55 Das 5′-Ende ist mit dem Serin des aktiven Zentrums verbunden, und das 3′-Ende ist frei.
55 Die Untereinheiten brechen und verknüpfen die DNA-Stränge in koordinierter Aktion.
Außerhalb des Bereichs liegen auf der einen Seite das Gen für das Flagellin H2 und für einen
Repressor, auf der anderen Seite das Gen für das Flagellin H1.
55 In dem einen Zustand sorgt der Promotor für die Expression des Gens für H2 und für den
Repressor. Dieser unterdrückt die Transkription des Gens für H1.
55 Dreht die Rekombinase das Element um, so führt der Promotor zur Expression des Gens
für H1.
Damit die Rekombinase aktiv ist, muss sie mit Fis-Proteinen wechselwirken. Die Zelle reguliert jedoch
nicht die Rekombination. Es gibt also kein äußeres Signal dafür, wann die Expression umschlägt.
9.3 · Illegitime Rekombination
169 9
9.3 Illegitime Rekombination
9.3.1 Überblick
Die illegitime Rekombination ist sequenzunabhängig. Zu ihr zählen die Ereignisse der Trans-
position und Retrotransposition.
Bei der illegitimen Rekombination bewegen sich DNA-Elemente von ihrem Ursprungsort
zufällig an einen anderen Ort im Genom, daher die Charakterisierung als illegitim. Umgangs-
sprachlich wird der Ortswechsel auch als „Springen“ bezeichnet.
Einige DNA-Elemente lassen an ihrem Ursprungsort eine Kopie zurück. Ihr Anteil im Genom
kann dadurch recht hoch sein. Bei Bakterien ist er eher gering, aber beim Menschen beträgt er
beispielsweise um die 40 %. Es sind jedoch nicht mehr alle beweglichen Elemente aktiv.
Andere DNA-Elemente werden aus ihrem Ursprungsort restlos herausgeschnitten.
Die Häufigkeit der illegitimen Rekombination wird durch Selbstregulation durch das Element
selbst oder von der Zelle herunterreguliert. Ausführende Moleküle sind dabei Proteine oder
regulatorische RNA.
Springt ein bewegliches Element in ein Gen, zerstört es dieses in der Regel. Somit erzeugen
bewegliche Elemente Mutationen und verursachen beim Menschen Krankheiten. Man nimmt
an, dass sie für eine hohe Zahl an Mutationen verantwortlich sind.
Wertfrei gesehen sind sie bedeutsam für die Evolution, beispielsweise für die Duplikation
von Genen oder von Exons beim exon shuffling. Beim exon shuffling werden Exons durch Trans-
position, Retroposition oder Crossing over neu zusammengestellt.
Es gibt zwei Klassen von DNA-Elementen , die eine illegitime Rekombination
durchführen:
55 Insertionselemente und DNA-Transposons bewegen sich direkt an den anderen Ort. Sie
stellen die Klasse-I-Transposons.
55 Poly(A)-Retrotransposons und LTR-Retrotransposons bewegen sich über eine RNA-
Zwischenstufe und bilden die Klasse-II-Transposons.
9.3.2 DNA-Transposons
z Insertionselemente
Die Insertionselemente (IS) sind recht klein. E. coli enthält verschiedene IS mit mehreren Kopien.
Die Größe liegt etwa zwischen 800 und 2000 bp. Ihr Aufbau ist einfach:
55 An den Enden sitzen ähnliche, aber nicht identische Wiederholungssequenzen
umgekehrter Orientierung (Inverted Repeats, IR) von etwa 15–41 bp.
55 Die IR flankieren mindestens einen offenen Leserahmen mit der Information für die
Transposasen. Diese Proteine nehmen das Springen oder die Transposition vor.
170 Kapitel 9 · Rekombination und Variabilität
Die IS schneiden die Integrationsstelle als Zielsequenz so, dass versetzte Enden aus kurzen Ein-
zelstrangüberhängen entstehen. Sie setzen sich dann in die Lücke und füllen die kurzen Einzel-
strangabschnitte auf. Sie verdoppeln also die Intergrationsstelle, indem sie angrenzend an die
IR kurze direkte Wiederholungen erzeugen, die Direct Repeats.
z Transposons
Transposons (Tn) sind größer als die Insertionselemente und komplexer, denn sie enthalten
neben den Genen für die Transpositionsproteine weitere Gene. Hier findet man vor allem viele
Gene, die dem Bakterium Resistenz gegenüber einem Antibiotikum verschaffen.
Die Größe der Transposons liegt im unteren kb-Bereich. Tn9 ist 2650 bp lang, Tn10 umfasst
9300 bp.
Innerhalb der Transposons kann man zwei Gruppen unterscheiden:
55 Die einfacheren Transposons sind aufgebaut wie große IS plus Zusatzgen. IR flankieren die
Gene für die Transpositionsproteine und weitere Gene. Beispiele: Tn3 vermittelt Resistenz
gegenüber dem Antibiotikum Ampicillin, Tn501 gegenüber Quecksilbersalzen.
55 Die komplexeren oder zusammengesetzten Transposons besitzen an ihren Enden
zwei einzelne IS. Diese IS rahmen dann die Transpositionsgene und weitere Gene ein.
Tn10 verleiht beispielsweise Resistenz gegenüber Tetracyclin. Die IS sind gleich, aber
nicht zwingend identisch. Beispiel: Die Enden des Tn5 bestehen aus den IS 50 R und
IS 50 L. Allerdings ist nur das IS 50 R in der Lage, auch allein ohne den Rest des
9 Transposons zu transponieren, während das IS 50 L keine intakte Transposase mehr
codiert.
Wenn die Transposons mit Resistenzgenen in Plasmid-DNA transponieren, können sie über die
Konjugation in andere Bakterien gelangen und diesen Resistenz verleihen.
P-Element bei Drosophila Das P-Element ist ein etwa 2,9 kb langes Transposon mit 31 bp kurzen
IR. Es verursacht die Hybriddysgenese. Darunter versteht man die Fehlbildungen, wenn Männ-
chen eines P-Stamms mit Weibchen eines M-Stamms gekreuzt werden. Die Nachkommen sind
steril, tragen Mutationen und strukturauffällige Chromosomen.
Das P-Element liegt vielfach vor – in bis zu 50 Kopien –, ist aber im P-Stamm stabil. Durch
die Kreuzung wird eine aktive Transposase gebildet, und die Transposition beginnt.
Man nutzt das P-Element inzwischen als gentechnologisches Werkzeug, um transgene
Fliegen zu erzeugen. Das geschieht nach folgendem Prinzip:
55 Das bewegliche Element und die Transposasefunktion liegen auf zwei getrennten
Plasmiden. Die IR rahmen dabei den Bereich ein, der in das Genom transponieren soll.
55 Beide Plasmide werden in einen Embryo eines M-Stamms injiziert.
55 Die Transposase trägt die fremde DNA in das Genom.
Ziel der Experimente ist häufig, Gene der Fliege auszuschalten und anhand der Folgen etwas
über ihre Funktion zu erfahren.
Sie stellen nichtvirale Retroelemente dar. Ihr Anteil im menschlichen Genom erreicht ungefähr
ein Drittel.
Zellen können die Retrotransposition auch unterdrücken. APOBEC3 ist ein Protein, das die
Transpositionshäufigkeit senkt.
z LINE
LINE am Beispiel von LINE 1 (L1, . Abb. 9.7): Das Element ist rund 6,1 kb lang. Es besteht aus
UTRs an den beiden Enden, am 3′-UTR liegt die Poly(A)-Sequenz. Die UTRs rahmen zwei Gene
für die Proteine ORF1p und ORF2p ein. ORF2p ist interessant, weil es eine doppelte Enzymak-
tivität zeigt: als Endonuclease und als Reverse Transkriptase.
Die Bewegung im Genom erfolgt über ein RNA-Zwischenprodukt:
1. Von einem internen Promotor erfolgt die Transkription von L1.
2. Die mRNA gelangt ins Cytoplasma und wird translatiert.
3. Die beiden synthetisierten Proteine heften sich gleich an die mRNA. Der Komplex wird
9 zurück in den Kern transportiert.
4. Nun schneidet die Endonuclease einen Strang der Zielstelle.
5. Über eine Wechselwirkung zwischen Poly(A)-Sequenz und Thyminen bindet sich die
mRNA an die DNA.
6. Die Reverse Transkriptase synthetisiert komplementär zur RNA den ersten DNA-Strang
nach. Sie stellt also eine cDNA her.
7. Es kommt zum zweiten, versetzten Schnitt in der Zielstelle.
8. Der zweite Strang wird synthetisiert.
z SINE
AluI als Beispiel für SINE ist ein abhängiges Retrotransposon (. Abb. 9.8). Mit seiner Länge von
rund 300 bp kann es nicht eigenständig transponieren, sondern nutzt dazu den Apparat von L1.
Der Mechanismus verläuft über die RNA des Elements:
1. Die RNA-Polymerase III transkribiert das Alu-Element und stellt ein RNA-Molekül her.
. Abb. 9.7 Aufbau eines LINE1-Elements (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
9.3 · Illegitime Rekombination
173 9
. Abb. 9.8 Aufbau des Alu-Repeats (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
z LTR-Retrotransposons
LTR-Retrotransposons (. Abb. 9.9) haben ihren Namen aufgrund ihrer langen Sequenzwie-
derholungen an den Enden (LTR für long terminal repeats oder auch lange terminale Repeats)
erhalten. Die LTR flankieren Gene, unter anderem für eine Reverse Transkriptase. Im linken LTR
sitzt ein Promotor für die Transkription.
Der Ablauf hat mit der Transposition von L1 die ersten Schritte gemeinsam:
1. Vom Promotor aus beginnt die Transkription der mRNA.
2. Die mRNA gelangt ins Cytoplasma und wird translatiert.
3. Dadurch entsteht auch die Reverse Transkriptase, die dann doppelsträngige DNA
herstellt.
4. Die Transposition ähnelt derjenigen von DNA-Transposons.
Beispiel: Das endogene Retrovirus HERV (human endogenous retrovirus) von rund 9,2 kb im
menschlichen Genom. Im Gegensatz zu den Retroviren wie HIV sind die endogenen Vertreter
in der Regel nicht infektiös, weil ihnen die dafür nötigen funktionsfähigen Gene fehlen.
Es kommt auch vor, dass eine mRNA eines proteincodierenden Gens über den Weg der rever-
sen Transkription transponiert. Das Ergebnis ist dann ein prozessiertes Pseudogen.
Grundsätzlich sind Transpositionen selten. Pro Genom gibt man oft eine Transposition in
jeder Generation an. Da sie aber vorkommen, verursachen sie auch Krankheiten.
Beispiele: L1 kann in das Faktor-VIII-Gen transponieren und löst dann die Bluterkrankheit
aus. Bei einem Sprung in das Dystrophingen führt es zu Muskeldystrophie.
z Retroviren
Retroviren sind verantwortlich für Infektionen und die Entstehung von Tumoren:
55 HIV (human immune deficiency virus) kann zu AIDS führen.
55 HTLV I und II (human T cell leukemia virus oder humanes T-lymphotropes Virus), rufen
beim Menschen Leukämien hervor.
55 Das 5′-Ende besteht darüber hinaus aus einem Repeat (R) von 70 Nucleotiden und
innen liegend einer U5 genannten einzigartigen Sequenz (unique sequence) von etwa 70
Nucleotiden.
55 Das 3′-Ende besitzt ebenfalls den Repeat (R) von 70 Nucleotiden und eine innen liegende
unique sequence, die als U3 bezeichnet wird. Sie ist mit bis zu 800 Nucleotiden länger als die
U5-Sequenz.
55 Die Enden rahmen drei Genbereiche ein: gag (gruppenspezifisches Antigen), pol
(Polymerase) und env (envelope).
55 Nach der Translation liegen zunächst Polyproteine vor, die noch gespalten werden.
44So liefert die Expression von gag schließlich vier Proteine (nach der Molekülmasse
bezeichnet als p10, p12, p15, p30) für den Aufbau der inneren Virusstruktur.
9 44Die Expression von pol führt zu mehreren Enzymen: einer Protease, der Reversen
Transkriptase mit RNase-H-Funktion und der Integrase. Die Integrase ist eine Trans-
posase, also keine ortsspezifische Rekombinase wie die Integrase von λ.
44Die Expression von env schließlich stellt zwei miteinander verbundene Glykoproteine
zur Verfügung. Diese Glykoproteine gp70 und gp15E sind Bestandteile der Lipidhülle.
Aufbau des Viruspartikels Im Inneren des Virus liegen zwei RNA-Moleküle, die Reverse Tran-
skriptase und tRNAs, die als Primer für das Enzym dienen. Die gag-Genprodukte bilden den
Viruskern und umhüllen die Funktionsbestandteile. Auf den Kern aufgelagert ist die Lipidhülle,
in welche die Glykoproteine gebettet sind. Die Lipidhülle stammt von der Wirtszelle.
Der Ablauf der Integration:
1. Nach der Infektion stellt die Reverse Transkriptase von den RNA-Molekülen DNA-Kopien
her.
2. Als Primer nutzt sie das 3′-Ende der mitgelieferten tRNA.
3. Nach mehreren Syntheseschritten liegt die DNA doppelsträngig vor. Erst die DNA besitzt
an den Enden die typischen LTR-Strukturen. Hier bestehen sie jetzt aus U3, Repeat und
U5.
4. Die Integrase nimmt die Transposition vor. Das Enzym schneidet versetzte Enden in
den LTR und in der Zielstelle. Die LTR-Überhänge sind jedoch kürzer. Die Virus-DNA
integriert, die Lücken werden nachsynthetisiert und die Übergänge an den LTR abgebaut.
5. Das Virus liegt jetzt als Provirus vor und gelangt mit jeder Zellteilung in die Tochterzellen.
Vom Promotor im linken LTR erfolgt die Transkription.
6. Die RNA dient als mRNA für die Translation oder als Erbgut für die nächsten
Virenpartikel.
Der Ablauf führt zu mehreren Kopien von Provirus-DNA in den Wirtschromosomen. Es können
also mehrere Insertionsmutanten entstehen.
175 10
Horizontaler Gentransfer
bei Bakterien
10.1 Überblick – 176
10.1 Überblick
Außer von der Mutterzelle können Bakterienzellen über mehrere Mechanismen Genmaterial
von anderen Zellen erhalten:
55 Bei der Konjugation stehen die Spender- oder Donorzelle und die Empfänger- oder
Rezipientenzelle in direktem Kontakt zueinander.
55 Bei einer Transduktion wird das Genmaterial von Viren übertragen.
55 Bei einer Transformation nimmt die Zelle nackte DNA aus der Umgebung auf.
Die Aufnahme fremder DNA über diese Mechanismen wird als horizontaler Gentransfer
bezeichnet.
10.2 Konjugation
10
42
Unter Konjugation versteht man die Übertragung von DNA von einer Donorzelle in eine Rezi-
pientenzelle während eines physischen Zellkontakts, den eine Pilus genannte fädige Zellstruk-
tur herstellt.
Die Konjugation erfolgt unidirektional vom Spender zum Empfänger. Die Spenderzelle stellt
den Kontakt her und führt die Konjugation durch. Nur sie überträgt Genmaterial auf den Partner.
Der Unterschied zwischen Spender- und Empfängerzelle wird durch zusätzliche genetische
Informationen festgelegt, über die nur der Spender verfügt. Die entsprechenden Gene liegen in
der Regel auf extrachromosomalen Elementen, den Plasmiden.
Das bekannteste Konjugationssystem stellt das F-Plasmid von E. coli dar. F steht für engl. Fer-
tility oder Fertilität, weshalb das Plasmid auch Fertilitätsfaktor heißt.
Das F-Plasmid kann sich durch Rekombination in das bakterielle Chromosom integrieren
und wieder exzisionieren. Liegt es während der Konjugation als eigenständiges Plasmid vor, bleibt
es meistens das einzige Genmaterial, das übertragen wird. Ist es dagegen in das Chromosom inte-
griert, wandert häufig auch zusätzliche chromosomale DNA in die Empfängerzelle.
Zwischen Gram-positiven Bakterien ist die Konjugation auch über Transposons und nicht
über Plasmide möglich.
100
Transferregion 90 10 IS3
IS2
80 20
70 30
60 40
oriT
50
inc oriV
IS3
tra-Gene
oriT
w x IS3 IS3 y z
oriT tra-Gene
Integration und Exzision laufen über die IS-Elemente in der Plasmid-DNA und der chromoso-
malen DNA ab. Die Rekombination erfolgt somit gemäß dem homologen Rekombinationsme-
chanismus (s. 7 Abschn. 9.1).
Die Exzision verläuft nicht immer exakt an den Plasmid-Chromosom-Grenzen.
178 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien
55 Eine Typ-I-Exzision schneidet das Plasmid nicht vollständig heraus, sondern lässt
Sequenzinformationen im Chromosom zurück. Umgekehrt enthält das Plasmid nun auch
chromosomale DNA.
44Fehlen dem herausgeschnittenen Plasmid die rep-Gene, kann es nicht mehr
replizieren.
44Sind die tra-Gene verloren gegangen, so ist kein Transfer mehr möglich.
55 Eine Typ-II-Exzision schneidet das Plasmid vollständig heraus und nimmt zusätzlich
chromosomale DNA mit. Es ist damit funktionstüchtig und überträgt zudem einen
chromosomalen Anteil.
F-Plasmide mit chromosomaler DNA heißen substituierte Plasmide oder F‘-Plasmide. Wenn sie
transferieren und chromosomale DNA mitnehmen, ist anschließend die Empfängerzelle partiell
diploid oder merodiploid für die chromosomalen Gene. Handelt es sich dabei um zwei verschie-
dene Allele eines Gens, erlangt der Empfänger neue Eigenschaften und ermöglicht Untersuchun-
gen zur Wirkung der Gendosis oder Genfunktion.
Ein wichtiges Gen für die Konjugation ist traA. Es codiert das Pilinprotein, das den F-Pilus
aufbaut.
10
42 z Die Phasen der Konjugation:
1. Der Pilus stellt den Kontakt zum Empfänger her, verkürzt sich dann und nähert Spender
und Empfänger einander an. Sobald der direkte Kontakt hergestellt ist, bildet sich eine
Plasmabrücke für den Transfer.
2. Der Transfer des Plasmids beginnt mit einer endonucleolytischen Spaltung eines Strangs
im oriT, sodass ein 5′-Ende vorliegt.
3. Mit einem Anheftungsproteinund dem 5′-Ende voran wird der gespaltene DNA-Strang
vom Donor in die Empfängerzelle übertragen. Der ungespaltene Strang bleibt in der
Donorzelle zurück.
4. Den jeweils fehlenden Strang ergänzt die Zelle sowohl in der Donor- als auch in der
Empfängerzelle. Dazu nutzt die Zelle chromosomal codierte und plasmidal codierte
Proteine.
5. Nach Abschluss des Transfers liegt in beiden Zellen je eine Kopie des F-Plasmids vor. Die
ursprüngliche F–-Zelle ist dadurch ebenfalls zu einer F+-Zelle geworden.
Auch eine Hfr-Zelle kann das Plasmid übertragen. Dazu ist keine Exzision des Plasmids notwen-
dig (. Abb. 10.3). Vielmehr wird jetzt das komplette Chromosom gewissermaßen wie das Plasmid
behandelt. Der Transfer beginnt am oriT, inklusive der angrenzenden Plasmidgene, erfasst dann
die folgenden chromosomalen Gene und erst ganz zum Schluss die verbleibenden Anteile des
Plasmids. Theoretisch kann auf diese Weise das ganze Chromosom inklusive des Plasmids über-
tragen werden. In der Praxis hält die Pilusröhre jedoch den Kontakt nicht so lange aufrecht, und
der Vorgang bricht vorher ab.
Da sich das Plasmid an verschiedenen Stellen integrieren und dabei jeweils zwei verschiedene
Orientierungen annehmen kann, folgen je nach Intergrationsort unterschiedliche chromosomale
Gene auf die tra-Region und werden übertragen.
10.3 · Transduktion
179 10
. Abb. 10.3 Konjugation von einer Hfr- M
N
N A A B
Zelle aus
G F E D C
F E D C B
L
N
K J H G
L K J H
M L
B A
C
G
E D K
H
J
Hfr F– Hfr F–
G
F E D C
M L K J
C B A K J H
M L
E D
H F
G A N
B
C D
B
L M N A
E F
K
G H J
Hfr F–
Den Transfer von Hfr-Zellen nutzte man in der Frühzeit der Molekularbiologie aus, um die
Gene auf dem E.-coli-Chromosom zu kartieren. In den Experimenten führte man mehrere
Konjugationen durch, die nach unterschiedlich langen Zeiten unterbrochen wurden. Durch
dieses sogenannte interrupted mating wurden verschieden lange Abschnitte der Chromoso-
men übertragen.
Der Ablauf beim interrupted mating:
1. Ausgangsmaterial waren verschiedene Hfr-Stämme, bei denen das Plasmid an verschie-
denen Stelle im Chromosom integriert war.
2. Die Hfr-Stämme konjugierte man mit Stämmen, die durch den Transfer und die anschlie-
ßende Rekombination der Donor-DNA merodiploid wurden und neue Eigenschaften
erwarben.
3. Mithilfe eines Küchenmixers unterbrach man die Paarung.
4. Das Ergebnis war eine Übertragung von Genmarkern und neuen Eigenschaften in
Abhängigkeit von der Zeit.
Als Ergebnis erhielt man die Reihenfolge und die relativen Abstände der Genmarker auf dem
bakteriellen Chromosom. Die Abstände wurden in Minuten angegeben. Allerdings war die Auf-
lösung gering: Einer Minute entspricht ein DNA-Abschnitt von rund 46 kb.
Später konnte man mithilfe der Transduktion die Karte verfeinern.
10.3 Transduktion
Transduktion ist die Übertragung von DNA einer Zelle durch Phagen als Transporter. Die Über-
tragung der DNA erfolgt in mehreren Phasen:
180 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien
. Abb. 10.4 Der Phage λ (a) und der Phage T4 (b) (nach Mülhardt
2013)
a b
Im einfachsten Fall bestehen Phagen aus Erbmaterial, das von einer Proteinhülle (Capsid) ver-
packt und geschützt wird. Die Hüllproteine dienen außerdem der Adsorption an den Wirt. Sie
10
42 erkennen ihr Wirtsprotein sehr spezifisch.
Das Erbmaterial kann DNA oder RNA sein, linear oder zirkulär und einzel- oder doppels-
trängig vorliegen.
Beispiele von drei E.-coli-Phagen:
55 λ hat lineare dsDNA (. Abb. 10.4).
55 ΦΧ174 hat zirkuläre ssDNA.
55 MS2 hat lineare ssRNA.
UV-Licht
(Induktion)
E.-coli-DNA Virus-DNA
Zellteilung
E.-coli-DNA mit
eingebauter
Virus-DNA
Lysogener Weg
und entlässt die neuen Phagen. Damit folgen virulente Phagen immer dem lytischen
Infektionszyklus. Beispiele: T2, T4 und ΦX174.
55 Temperente Phagen können nach der Infektion zwei verschiedene Wege einschlagen:
44Beim lysogenen Infektionszyklus wird die Phagen-DNA in das Wirtschromosom
integriert. Es existiert darin als sogenannter Prophage. Für die Zelle ist der Prophage
ein Teil des Bakterienchromosoms, den sie mitrepliziert und an Tochterzellen
weitergibt. Der lysogene Zyklus kann auf ein äußeres Signal hin in den lytischen Zyklus
übergehen.
44Beim lytischen Infektionszyklus wird die Wirtszelle gezwungen, neue Phagenpartikel
herzustellen und freizusetzen.
Welchen Weg ein temperenter Phage verfolgt, hängt vom Verhältnis verschiedener
Regulationsproteine ab.
44Die Hüllproteine setzen sich von selbst zusammen und schließen dabei die replizierte
DNA des Phagen ein.
4. Das Enzym Lysozym spaltet die Zellwand von innen. Die Zelle platzt und setzt bis zu 200
neue Phagen frei.
10
42
Replikation
Regulation
PM PE „späte“ Regulation
PL
cII OP
cro
cI Lyse
N Q
Rekombi- PR S
cII
ga R m‘ (cos)
I
nation m
red PR‘ m
A
PI
xis
int B Phagen-
att kopf
C
D
E
b Z
U
V
„Stumme G
Region“ T
J MH
K L
Phagenschwanz
Die Infektion beginnt mit dem Einbringen der DNA in die Wirtszelle:
1. Bei der Injektion der Phagen-DNA kontrahiert das Schwanzstück nicht.
2. In der Wirtszelle bildet die lineare DNA über ihre cos-sites einen Ring, und die Ligase des
Wirts verbindet die Enden miteinander.
3. Die Polymerase des Wirts heftet sich an zwei Promotoren und beginnt mit der
Transkription und Translation.
Die Entscheidung für den lytischen oder lysogenen Zyklus fällt über die Konkurrenz zwischen
den Proteinen CII und Cro:
55 CII wirkt in Richtung eines lysogenen Zyklus. Das Protein ist ein Aktivator und Transkrip-
tionsfaktor, der die Transkription der Gene cI und int fördert und die Synthese des
CI-Repressors als Produkt des cI-Gens bewirkt.
55 Der CI-Repressor versetzt weite Teile des Phagengenoms in den Ruhemodus. Er wirkt in
trans und legt somit auch weitere später eindringende Lambda-Phagen still.
55 Der Repressor Cro arbeitet auf einen lytischen Zyklus zu. Er unterdrückt die Expression
des cI-Gens und fördert die Transkription der Gene für den lytischen Weg. Cro führt somit
zur Replikation der Phagen-DNA und zur Expression der Strukturgene für die Phagen-
hülle und der Lysegene.
Neben den internen Abläufen wirken sich über die Aktivitäten bakterieller Proteine auch die
Umweltbedingungen auf das Verhältnis von CII und Cro aus.
Der Übergang in den lytischen Zyklus findet statt, wenn der Prophage wieder aus dem Chromo-
som herausgeschnitten wird. Diese Exzision nimmt die Integrase zusammen mit dem Enzym
Exzisionase vor, die das Produkt des xis-Gens des Phagen ist.
Die Kontrolle über den Wechsel des Zyklus hängt mit den Prozessen der SOS-Ant-
wort der Bakterienzelle zusammen. Dieser Mechanismus repariert Schäden in der DNA,
184 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien
gal BP‘ N
bio
J
PB‘
A
m m‘ R
A R
m m‘
mA J att N R m‘
-DNA
PP‘
. Abb. 10.7 Exzision und Integration von λ über die ortsspezifische Rekombination
10
42
nimmt dafür jedoch Mutationen in Kauf. Das zentrale Protein ist der SOS-Antwort ist RecA.
Es spaltet unter anderem den Repressor cI. Die Stilllegung wird damit aufgehoben und
der lytische Zyklus eingeläutet. Dieser dauert dann rund 60 min und liefert etwa 100 neue
Phagenpartikel.
Die Exzision des Prophagen erfolgt nicht immer genau an den Rekombinationsstellen. Deshalb
wird häufig ein Stück chromosomaler DNA mit ausgeschnitten.
Dabei unterscheidet man zwei Varianten:
55 Bei der speziellen oder spezifischen Transduktion nimmt der Phage nur bestimmte
Wirtsgene mit. Beispiel: λ integriert sich nur in der attB-Stelle. Dieses Motiv liegt zwischen
dem Galactose- und dem Biotinoperon. Eine ungenaue Exzision nimmt somit Gene oder
Genteile aus diesen Operons mit und keine anderen.
55 Bei der generellen oder allgemeinen Transduktion kann der Phage beliebige DNA-Ab-
schnitte des Wirts mitnehmen (. Abb. 10.8). Das bakterielle Chromosom wird während
der lytischen Phase zerstückelt, sodass Bruchstücke davon zufällig in den Phagenkopf
gelangen können. Da die Menge an DNA, die ein Phagenkopf aufnehmen kann, begrenzt
ist, fehlen im Phagenpartikel unter Umständen Phagengene für den nächsten erfolgreichen
Infektionszyklus.
10.4 · Transformation und Transfektion
185 10
1. 2. 3.
Bakterien-DNA Viren-DNA
4. 5. 6.
Nimmt die Empfängerzelle die übertragene bakterielle DNA auf, kann sie diese über homologe
Rekombination in ihr Chromosom integrieren. In manchen Fällen erlangt die Zelle dadurch
neue Eigenschaften.
Je nach Organismus wird die Aufnahme freier Fremd-DNA in eine Zelle mit verschiedenen Begrif-
fen belegt:
55 Bei Bakterien spricht man von Transformation.
55 Bei Eukaryoten ist die Bezeichnung Transfektion üblich.
Transformation ist die Übertragung von DNA in eine Zelle, ohne dass ein direkter Spender vor-
liegt. Es ist die Aufnahme „nackter“ DNA aus dem Medium. Die DNA kann beispielsweise von
einer abgestorbenen und lysierten Zelle stammen.
Historisch ist die Transformation relevant durch das Transformationsexperiment zum Nach-
weis von DNA als genetisches Material (s. 7 Abschn. 1.1.1).
Heutzutage nutzt man die Transformation im Wesentlichen im Labor, um eine Empfänger-
zelle genetisch zu verändern. Beispielsweise indem die Zelle ein zuvor produziertes genetisches
Konstrukt wie ein rekombinantes Plasmid aufnimmt und dessen genetische Information verwertet.
Bakterienzellen sind in unterschiedlichem Maß von Natur aus zur Transformation bereit.
Sogenannte kompetente Zellen nehmen freie DNA auf. Im Labor erhöht man die Bereitschaft
dazu, indem man die Zelle mit Elektroschocks oder Chemikalien behandelt, wodurch ihre
Membran durchlässiger wird.
186 Kapitel 10 · Horizontaler Gentransfer bei Bakterien
Die analoge Methode, um genetisches Material in eukaryotische Zellen einzubringen heißt Trans-
fektion. Gelegentlich beschränkt man den Begriff Transfektion auf die Transformation eukaryo-
tischer Zellen mit veränderter Virus-DNA.
In der Onkologie versteht man unter Transformation allerdings den Übergang zu unkont-
rolliertem Wachstum von Zellen.
10
42
187 11
Mutationen und
DNA-Reparatur
11.1 Ursachen von Mutationen – 188
11.1.1 Physikalische Strahlung – 188
11.1.2 Chemische Veränderungen – 190
11.1.3 Biologische Ursachen – 191
Mutationen entstehen durch physikalische Strahlung, chemische Substanzen oder durch biolo-
gische Vorgänge. Der Begriff des Mutagens, also Mutationen erzeugend oder auslösend, bleibt
aber auf physikalische und chemische Ursachen beschränkt.
z Elektromagnetische Strahlung
Die mutagenen elektromagnetischen Strahlungsarten umfassen:
55 UV-Strahlung oder ultraviolettes Licht,
55 Röntgenstrahlung und
55 Gammastrahlung.
11.1 · Ursachen von Mutationen
189 11
Sie unterscheiden sich in der Wellenlänge und damit in ihrer Energie. Gammastrahlung ist am
energiereichsten, gefolgt von Röntgenstrahlung und UV-Strahlung.
Der erbgutschädigende Mechanismus am Beispiel der Auswirkungen von UV-
Strahlung:
55 DNA absorbiert UV-Strahlung im UV-B- und UV-C-Bereich mit einem Absorptions-
maximum bei 260 nm.
55 Die UV-Strahlen lösen mit ihrer Energie chemische Reaktionen zwischen den benach-
barten Basen eines Strangs aus.
55 Vor allem aufeinanderfolgende Pyrimidine reagieren miteinander zu Dimeren wie
beispielsweise zum Cyclobutandimer, auch Cyclobutyldimer genannt, oder TT-Dimeren.
55 Erfolgt die Verbindung der Basen über die Kohlenstoffatome 6 und 4, spricht man von
6-4-Läsionen oder 6-4-Photoprodukten.
55 DNA-Sequenzen mit mehreren aufeinanderfolgenden Pyrimidinen sind besonders
anfällig für UV-Schäden. Solche mutationsgefährdeten Stellen nennt man
Hotspots.
55 Dimerisierung von Purin beobachtet man viel seltener.
z Teilchenstrahlung
Die verschiedenen Arten von Teilchenstrahlung bestehen aus Bausteinen der Atome, die in der
Regel durch radioaktive Zerfallsprozesse freigesetzt werden:
55 Alphastrahlung besteht aus Heliumkernen, die wiederum aus zwei Protonen und zwei
Neutronen zusammengesetzt sind. Sie sind zweifach positiv elektrisch geladen. Wegen
ihrer Größe dringen sie nicht tief in Gewebe ein.
55 Betastrahlung besteht meistens aus Elektronen. Sie sind einfach negativ elektrisch
geladen.
55 Betastrahlung aus positiv geladenen Positronen ist seltener.
55 Protonen sind Kernbausteine, die eine positive Ladung tragen.
55 Neutronen sind elektrisch neutrale Kernbausteine.
Die Wirkung auf das Erbgut geht auf die Ionisierung chemischer Moleküle zurück. Dafür gibt
es mehrere Mechanismen:
55 Langsame Teilchen kann ein Molekül direkt einfangen und dadurch deren elektrische
Ladung übernehmen.
55 Energiereichere und elektrisch neutrale Teilchen schlagen durch Effekte wie Stöße und
Streuung Elektronen oder gar Protonen aus dem Molekül heraus.
55 Treffen die Teilchen auf einen Atomkern, können sie diesen instabilisieren und einen
radioaktiven Zerfall des Kerns provozieren. Ändert sich dabei die Zahl der Protonen, passt
die Elektronenzahl des Atoms nicht mehr, um die Kernladung auszugleichen.
55 Zusätzlich können Atomkerne, die langsame Protonen aufgenommen haben,
Gammastrahlung aussenden.
190 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
Die häufigste Reaktion ist die Bildung von 8-Oxoguanin. Das veränderte Nucleotid führt zum
fehlerhaften Einbau von Adenin im gegenüberliegenden Strang.
55 Wasser wirkt auf zwei Wegen:
44Es spaltet DNA hydrolytisch zwischen Zucker und Base, wodurch es zu einem Strang-
bruch kommt.
Es verändert einzelne Nucleotide chemisch, indem es in einer Desaminierung
Aminogruppen von den Basen abspaltet. Der Verlust der Base ergibt eine sogenannte
AP-Stelle, die je nach Art der betroffenen Base apurinisch oder apyrimidinisch
genannt wird.
Eine AP-Stelle stellt eine Lücke im betroffenen Strang dar, welche die Reparatur-
mechanismen einer Zelle grundsätzlich beheben können. Bei manchen Zellen wie
E. coli aktiviert diese Lücke die SOS-Antwort(s. 7 Abschn. 11.6.6), welche die Lücke zwar
11 repariert, dabei aber zu Mutationen führt.
Normale Prozesse der Zelle können zu Mutationen führen. Diese können entstehen
55 durch Fehler während der Replikation,
55 durch Transposition,
55 durch Fehler in der Meiose.
Bei E. coli bleibt die Synthese des Folgestrangs auch nach dem proof reading fehlerhafter, hier
häufen sich bis zu 20-mal mehr Fehler an als im neusynthetisierten Leitstrang.
Das Korrekturlesen erkennt nicht alle Schäden. Dafür gibt es mehrere Ursachen:
55 Die Basen können in zwei verschiedenen tautomeren Formen vorliegen, in der Keto- oder
in der Enolform.
Thymin liegt meist in der Ketoform vor, gelegentlich aber in der Enolvariante. Als Enol
paart es sich mit Guanin, die Paarung wird nicht als fehlerhaft erkannt.
55 Wenn in der DNA Sequenzwiederholungen vorliegen, gerät die Replikationsmaschinerie
ins Rutschen, was als replication slippage bezeichnet wird.
Beispielsweise an Mikrosatelliten wie CA-Wiederholungen:
44Wegen der Fehler sind CA-Repeats variabel.
44Liegen schon mehrere CA-Repeats in der Matrize vor, verrutscht oft der Replikations-
apparat so weit, dass neue komplementäre Repeats vor oder hinter ihrem eigentlichen
Paarungspartner zum Liegen kommen.
44Es werden Repeats zusätzlich eingebaut oder können fehlen.
Replication slippage erzeugt also kleine Insertionen oder Deletionen, was mit dem Begriff
Indels zusammengefasst wird.
192 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
Man bezeichnet die Mutationen als dynamisch, weil sich der Prozess in nachfolgenden Repli-
kationsrunden weiter fortsetzen kann. Dabei gilt im Allgemeinen, dass eine höhere Anzahl an
11 Wiederholungen ein ausgeprägteres Krankheitsbild hervorruft.
Mit dem einfachen Verrutschen lassen sich hohe Wiederholungszahlen von Sequenzen wie
bei FXTAS und FXS eigentlich nicht mehr erklären. Eine zutreffendere Erklärung könnte sein,
dass GC-reiche Abschnitte in den Okazaki-Fragmenten Sekundärstrukturen ausbilden, die dann
eine mehrfache Replikation dieser Stellen nach sich ziehen und nicht als Fehler behoben werden.
z Transposition
Bewegliche DNA-Elemente können ebenfalls Mutationen verursachen (s. 7 Kap. 9).
Die Auswirkungen von Transpositionen hängen von der Funktion des DNA-Abschnitts, in
den sie springen, ab:
55 Sprünge in nichtcodierende Abschnitte bleiben oft ohne Wirkung.
55 Die Insertion in ein Gen kann seine Funktion beeinträchtigen oder ganz zerstören.
55 Bestimmte Transposons wirken über die Veränderung der Genexpression. Dabei sind
zwei Möglichkeiten vorhanden:
44Das Transposon kann die Transkription unterdrücken,
44oder es kann sie verstärken.
. Abb. 11.1 Gonosomale Aneupoloidien entstehen durch Non-Disjunction während der 1. oder 2. Meiose der
Oogenese (a) oder der Spermatogenese (b) (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
11.2 Mutationsklassen
Von welchem Mutationstyp man spricht, ist abhängig vom Umfang der Veränderung:
55 Punktmutationen betreffen eine oder wenige Basen. Sie wirken sich meist nur auf ein Gen
aus und heißen daher auch Genmutationen.
55 Strukturelle Anomalien betreffen einen längeren DNA-Abschnitt, gelegentlich nennt man
sie auch Chromosomenmutationen.
55 Genommutationen erfassen ein komplettes Chromosom oder den Chromosomensatz,
gelegentlich bezeichnet man sie als numerische Aberrationen.
194 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
Mutationen kann man auch nach den Zellen und somit nach der Erblichkeit einteilen:
55 Somatische Mutationen betreffen Körperzellen. Sie bleiben auf den Träger beschränkt und
werden nicht weitergegeben.
55 Keimbahnmutationen betreffen Spermien, Eizellen oder die Zellen, aus denen sie hervor-
gehen. Sie werden an die Nachkommen vererbt.
11.2.1 Punktmutationen
Thymin
Adenin Guanin
Cytosin
. Abb. 11.2 Beziehungen zwischen Transitionen (durchgezogene Pfeile) und Transversionen (gestrichelte
Pfeile) (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
11.2 · Mutationsklassen
195 11
44Ein Aminosäureaustausch in einem wichtigen Bereich wie der Bindungsstelle eines
Rezeptors oder der DNA-Bindungsdomäne kann die Tertiärstruktur des Proteins
verändern und es unbrauchbar machen.
44Eine veränderte Aminosäure im aktiven Zentrum eines Enzyms beeinflusst die Qualität
der Katalyse. Meistens arbeitet das Enzym schlechter oder gar nicht mehr, selten
verbessert sich die Effizienz.
55 Bei Spleißmutationen betrifft die Mutation die Spleiß-Consensussequenzen. Eine Spleiß-
stelle fällt weg oder entsteht. Exons oder Introns werden falsch gespleißt.
55 Wie sich Deletionen und Insertionen auswirken, wird davon bestimmt, ob die Anzahl der
verlorenen oder hinzugekommenen Basen durch drei teilbar ist:
44Ist die Zahl der Basen durch drei teilbar, fehlt im Protein für jede Dreiergruppe eine
Aminosäure bzw. es kommt jeweils eine Aminosäure hinzu. Die Folgen für das Protein
hängen wie bei Missense-Mutationen von den Eigenschaften und der Bedeutung der
betreffenden Aminosäuren ab.
44Enthält die Insertion um eine oder mehr Dreiergruppen ein Stoppcodon, bricht die
Translation früher ab, und das Protein ist zu kurz. Geht bei einer Deletion ein Stopp-
codon verloren, läuft die Translation weiter, und das Protein wird zu lang. In beiden
Fällen kann das Protein seine Funktion einbüßen.
44Ist die Zahl der verlorenen oder zusätzlichen Basen nicht durch drei teilbar, verschiebt
sich durch die Deletion oder Insertion das Leseraster oder der Leserahmen. Bei einer
solchen Rasterschubmutation oder Frameshift-Mutation übersetzt das Ribosom
verkehrte Dreiergruppen als Codons und synthetisiert ein Protein mit einer oft
unsinnigen Aminosäuresequenz. Häufig entsteht durch die Leserasterverschiebung ein
Stoppcodon, sodass die Proteinsynthese vorzeitig abgebrochen wird. Wichtig für die
Auswirkung ist wieder die Position. Am Ende ist die Auswirkung weniger dramatisch
als am Anfang.
Man unterteilt die Mutationen im Hinblick auf die Funktion auch in zwei Kategorien:
55 Eine Funktionsverlustmutation (loss of function mutation) inaktiviert das Gen oder
reduziert die Funktion des Genprodukts. In diese Kategorie fallen die meisten Mutationen.
55 Eine Funktionsgewinnmutation (gain of function mutation) erhöht die Aktivität.
Mutationen mit gain of function liegen oft in regulatorischen Bereichen. Tatsächlich sind
sie seltener als Mutationen mit Funktionsverlust.
Glu
Val Leu Ser Pro Ala Asp Lys Thr Asp Val Lys Ala Ala
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Val
Val His Leu Thr Pro Glu Lys Ser Ala Val Thr Ala Leu
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
. Abb. 11.3 Aminosäureaustausch bei Sichelzellanämie (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
Strukturelle Anomalien entstehen, wenn ein oder mehrere Chromosomen brechen und falsch
repariert werden. Sie ergeben sich
55 als Folge einer fehlerhaften Reparatur, nachdem die DNA durch Chemikalien geschädigt
wurde,
55 oder als Folge einer Rekombination, wenn sich in der Meiose nichthomologe Chromo-
somen falsch paaren.
Beispiel für eine Translokation zwischen den Chromosomen 4 und 14 bei sonst normalem Karyo-
typ: 46,XY,t(4;14)(p14;q22).
Die Bruchpunkte liegen also im Abschnitt 14 (lies: „eins, vier“, nicht: „vierzehn“) auf dem kurzen
Arm von Chromosom 4 und im Abschnitt 22 („zwei, zwei“) auf dem langen Arm von Chromosom 22.
z Deletion
Bei einer Deletion geht ein Teil des Chromosoms verloren.
Man unterscheidet zwei Varianten:
55 Bei der terminalen Deletion fehlt ein Endsegment des Chromosoms.
55 Bei einer inneren oder interstitiellen Deletion ist der mittlere Abschnitt des Chromosoms
verloren gegangen (. Abb. 11.4). Die Auswirkungen können unterschiedlich sein:
44Überspannt dieser innere Abschnitt das Centromer, gehen die Endbruchstücke bei der
Zellteilung verloren, und dem Rest-„Chromosom“ fehlen die Telomere.
44Findet die Deletion innerhalb des Heterochromatins statt, kann das Individuum den
Verlust oft ohne Nachteile verschmerzen.
Beispiele für terminale Deletionen und Syndrome beim Menschen:
55 5p–: Ein Teil des kurzen Arms von Chromosom 5 fehlt. Es kommt zum Katzenschrei-
syndrom (Cri-du-chat-Syndrom): Die betroffenen Kinder schreien katzenartig. Zahlreiche
weitere Symptome sind möglich, liegen aber nicht alle gleichzeitig vor.
55 5q–: Ein Teil des langen Arms fehlt. Dies zählt zu den myelodysplastischen Syndromen
mit Anämie und Leukopenie.
z Duplikation
Eine Duplikation liegt vor, wenn die Zelle einen Chromosomenabschnitt verdoppelt
(. Abb. 11.5).
Nach der Lage und Orientierung der Kopie werden mehrere Varianten unterschieden:
55 Bei einer Tandemduplikation liegen die Segmente in gleicher Orientierung hintereinander.
55 Bei einer Inversduplikation sind sie entgegengesetzt orientiert.
55 Die Duplikation eines Exons ist ein Weg des exon shuffling. Darunter versteht man den
Mechanismus, dass neue Gene entstehen können, indem Exons neu zusammengestellt
werden (s. 7 Abschn. 9.3.1). Man erklärt die Evolution vieler Gene aufgrund von exon
shuffling.
198 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
h h
g g
f f
c
e e b
d d
b c
c
b a
b a
h h
g g f
f
e e
d d
c c
b b
c a a
d c
c b
b c
a b
Eine Duplikation kann sich beispielsweise durch ein Crossing over zwischen Schwesterchroma-
tiden, zwischen homologen oder nichthomologen Chromosomen ereignen.
Evolutionsbiologen erklären die Entstehung der Genfamilien, der rRNA-Gene und der hoch-
repetitiven Satelliten-DNA mit Duplikationen.
Beispiel: Globingene.
55 Bei den Vorfahren des Menschen ereignete sich wohl vor etwa 800 Mio. Jahren die erste
Verdopplung eines Globin-Vorfahrgens.
55 Weitere Verdopplungen folgten, sodass schließlich mehrere Gene auf verschiedenen
Chromosomen vorlagen, die sich getrennt entwickelten.
11.2 · Mutationsklassen
199 11
55 Es entstanden die α- und β-Gene für das Hämoglobin auf den Chromosomen 16 bzw. 11,
das Myoglobingen (Chromosom 22), das Neuroglobingen (Chromosom 14) und das Gen
für Cytoglobin (Chromosom 17).
z Translokationen
Translokationen versetzen einen Chromosomenabschnitt von einem Chromosom auf ein
anderes, nichthomologes Chromosom.
Es gibt verschiedene Arten von Translokationen:
55 Eine reziproke Translokation liegt vor, wenn zwei Chromosomen Abschnitte unterein-
ander austauschen. Beispielsweise verliert Chromosom 7 ein Segment an Chromosom 12,
erhält aber seinerseits ein Teilstück von Chromosom 12.
55 Bei einer balancierten Translokation verändert sich die Gesamtmenge des Erbguts in der
Zelle nicht.
Solange bei einer Translokation keine Gene zerstört werden, ändert sich der Phänotyp des Trägers
nicht.
Findet die Mutation in der Keimbahn statt, kann eine Translokation schwerwiegende Folgen für
die Nachkommen haben. Da jedes Chromosom in zwei Exemplaren vorliegt, von denen meistens
nur eines betroffen ist, entstehen unterschiedliche Keimzellen mit und ohne mutierte Chromo-
somen. Aus ihnen gehen verschiedene Zygoten hervor:
55 Zellen, die nur unmutierte Chromosomen enthalten.
55 Zellen mit beiden Chromosomen, die an der Translokation beteiligt waren, sodass eine
balancierte Translokation vorliegt.
55 Zellen mit partieller Monosomie, die ein verkürztes Chromosom erhalten haben. Die
Keimzelle des Partners trägt mit seinem unmutierten Chromosom den fehlenden
Teil bei.
55 Zellen mit partieller Trisomie, in denen ein verlängertes Chromosom vorkommt.
Zwei Translokationen sind so häufig, dass sie eigene Namen erhalten haben.
55 Die Robertson-Translokation ereignet sich zwischen nichthomologen akrozentrischen
Chromosomen, die einen sehr kurzen und einen langen Arm haben, beim Menschen also
zwischen den Chromosomen 13, 14, 15, 21, 22 und dem Y-Chromosom.
44Die langen Arme mitsamt der Centromere verbinden sich so, dass die beiden
Centromere dicht beieinander in der Mitte eines überlangen dizentrischen
Chromosoms liegen. Man spricht von einer zentrischen Fusion (. Abb. 11.6). Die
beiden Centromere agieren wie ein einziges Centromer. Das neu gebildete Chromosom
kann daher problemlos Mitosen und Meiosen durchlaufen.
44Die kurzen Arme verbinden sich miteinander. Dabei entsteht eine Art Fusionsfussel
ohne Centromer, das bei der nächsten Zellteilung verloren geht.
Der Verlust der kurzen Arme stellt eine Deletion dar. Insgesamt wird die Zahl der
Chromosomen also um eins reduziert.
Der Träger einer balancierten Robertson-Translokation bildet je nach Segregation der
normalen und nichtnormalen Chromosomen verschiedene Keimzellen, aus denen nach
der Befruchtung mit normalen Gameten verschiedene Zygoten entstehen. Beispiele:
44Eine Keimzelle erhält das Fusionschromosom und eines der nichtfusionierten akrozen-
trischen Chromosomen. Die Zygote wird dann eine Trisomie aufweisen.
44Für die andere Keimzelle bleibt nur das zweite nichtfusionierte akrozentrische
Chromosom. Die Zygote trägt eine Monosomie (für die weiteren Fälle . Abb. 11.7).
200 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
. Abb. 11.6 Entstehung einer zentrischen Fusion (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
Translokationstrisomie 21
Monosomie 21
Balancierte
11 Translokation 14/21
14/21 Normal
Translokation
Translokationstrisomie 14
Monosomie 14
. Abb. 11.7 Entstehungswege ungewöhnlicher Zygoten. Ein Elternteil trägt eine zentrische Fusion zwischen
den Chromosomen 14 und 21 und kann verschiedene Keimzellen bilden (nach Buselmaier und Tariverdian
2007)
11.2 · Mutationsklassen
201 11
r
r q
q p
h p o
g o n h
f n f g
e m e m
d l d l
c k c k
Centromer
b j b j
a i a i
. Abb. 11.8 Entstehung einer reziproken Translokation (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
Auch Ringchromosomen betrachtet man als Resultat von Translokationen. Bei der Mitose werden
die (vorher verdoppelten) Ringchromosomen oft regelrecht zerrissen.
Isochromosomen sind seltene Translokationen. Die Isochromosomen haben einen ihrer
beiden Arme verloren. Stattdessen tragen sie zwei Exemplare des gleichen Arms. Die Ursache
liegt darin, dass das ursprüngliche Chromosom während der Zellteilung nicht ordnungsgemäß
längsgeteilt wurde, sondern quer. Beim Menschen kommen Isochromosomen i(Xq) und i(21q)
vermehrt vor. I(21q) kann eine Ursache für das Down-Syndrom sein, das Isochromosom mit
dem langen Arm von Chromosom X für das Ullrich-Turner-Syndrom.
z Inversion
Bei der Inversion wird ein DNA-Abschnitt innerhalb eines Chromosoms gedreht (. Abb. 11.9).
Es gibt zwei Varianten:
202 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
f f
e e
d c
c d
b b
a a a b
. Abb. 11.9 Entstehung einer Inversion (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
55 Bei einer perizentrischen Inversion umfasst der gedrehte Abschnitt das Centromer.
55 Eine parazentrische Inversion ist auf einen Arm beschränkt.
11 Numerische Aberrationen reichen von einzelnen, ganzen Chromosomen, die fehlen oder über-
zählig sind, bis hin zur Vervielfältigung oder Reduzierung des kompletten Chromosomensatzes,
den Genommutationen. Genommutationen kommen vor allem bei Pflanzen vor.
Begriffe zur Einteilung:
55 Euploidie: Es liegt der übliche, komplette Chromosomensatz vor. Beispielsweise in
somatischen Zellen des Menschen ein doppelter Chromosomensatz.
55 Haploidie: Die Zelle enthält einen einfachen Chromosomensatz. Beispielsweise in
Keimzellen des Menschen zu finden.
55 Polyploidie: Ein ganzer Chromosomensatz ist in Überzahl vorhanden. Beispielsweise
besitzt eine triploide Zelle einen dreifachen Chromosomensatz.
55 Aneuploidie: Die Änderung betrifft ein einzelnes Chromosom. Es handelt sich damit um
eine numerische Chromosomenaberration. Man unterscheidet mehrere Varianten:
44Hyperploidie: Es sind ein oder mehrere überzählige Chromosomen vorhanden wie
beispielsweise bei einer Trisomie.
44Hypoploidie: Es fehlen ein oder mehrere Chromosomen. Beispielsweise fehlt bei einer
Monosomie ein einzelnes Chromosom.
Im Umgang mit Aneuploidien verwendet man meist die konkreteren Begriffe Trisomie
oder Monosomie.
55 Nullisomie: Ein Paar homologer Chromosomen fehlt. Der Fall führt meist
zum Tod.
11.2 · Mutationsklassen
203 11
z Auswirkungen bei Pflanzen
Pflanzen zeigen erheblich weniger Probleme mit Aneuploidien. Von der Tomate (Lycopersicon) oder
der Gerste (Hordeum) beispielsweise sind Trisomien jedes einzelnen Chromosoms bekannt. Diese
Mutanten bilden verschiedene Fruchtformen aus. In der Züchtung ist das durchaus erwünscht.
55 Pflanzen mit Haploidie sind häufig lebensfähig.
55 Polyploidien kommen bei Pflanzen häufig vor. Die Evolution des Saatweizens ist eine
Geschichte der Polyploidisierungen in mehreren Akten. Mehrfach haben die Vorfahren
ganze Chromosomensätze anderer Gräserarten aufgenommen.
11 a b
. Abb. 11.11 Entstehungswege einer autosomalen Trisomie durch Non-Disjunction in der 1. (a) oder 2. (b)
Meiose oder durch mitotische Non-Disjunction (c) (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
Aneuploidien der Autosomen wie Trisomien wiegen erheblich schwerer (. Abb. 11.11). Etwa
50 % der Fehlgeburten haben ihre Ursache in autosomalen Trisomien.
Man unterscheidet verschiedene Formen der Trisomie:
55 Bei der freien Trisomie besitzt jede Körperzelle drei Exemplare des betreffenden
Chromosoms.
11.3 · Häufigkeit von Mutationen
205 11
55 Bei einer Mosaiktrisomie gibt es eine Zelllinie mit einem dreifachen und eine Zelllinie mit
einem gewöhnlichen diploiden Chromosomensatz.
55 Bei einer partiellen Trisomie enthalten alle Zellen eine diploiden Chromosomensatz. Eines
der Chromosomen ist aber aufgrund eines duplizierten Abschnitts deutlich verlängert. In
Bezug auf die Gene dieses Abschnitts verfügen die Zellen über einen dreifachen Satz.
55 Bei einer Translokationstrisomie wurde ein Chromosom oder ein großer Teil von diesem
durch eine Translokation an ein anderes Chromosom angelagert.
Dass diese Trisomien überhaupt lebensfähig sind, ist auf die geringe Gendichte der drei
Chromosomen zurückzuführen. Auf das Genom bezogen sind also relativ wenige Gene
verdreifacht.
Bei überlebenden Patienten mit Trisomie 8 (Warkany-Syndrom 2) liegt ein Mosaik vor. Einige
Zellen besitzen den normalen Chromosomensatz, andere sind trisom für das Chromosom 8. Der
Karyotyp lautet 46,XX/47,XX+8 oder 46,XY/47,XY+8.
Polyploidien sind bei Tier und Mensch in der Regel tödlich. Auch wenn sie beim Menschen
zunächst gar nicht so selten auftreten, nämlich dann, wenn zwei Spermien eine Eizelle befruch-
ten. Rund ein Zehntel der menschlichen Fehlgeburten hat den Karyotyp 69,XXY oder 69,XXX
(. Abb. 11.12).
Mutationen sind seltene Ereignisse. Um sie quantitativ zu erfassen, verwendet man den Begriff
der spontanen Mutationsrate für die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Mutation pro Genera-
tion eintritt.
Die Mutationsrate hängt von zwei Faktoren ab:
55 von der Genauigkeit der DNA-Replikation und
55 von der Effektivität des Reparaturmechanismus.
Die Fehlerrate der DNA-Synthese von E. coli liegt zunächst bei 1 auf 107 bp. Die Fehlerrate der
Gesamtreplikation des Chromosoms verringert sich durch die Reparatur auf 1 pro 1010 bis 1011.
Bei einem Mutatorphänotyp ist die Mutationsrate durch eine Mutation in einem Gen für das
Replikations- oder Reparatursystem erhöht.
Prokaryoten haben eine niedrigere Mutationsrate als Eukaryoten, wenn man die Muta-
tionsrate für Prokaryoten als Mutanten pro Gen und Vernehrungszyklus und für Eukaryoten
als Anzahl von Mutationen pro Gen und Gameten angibt. Beispielsweise haben Mäuse und
206 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
l l
ll
11
ll
ll
. Abb. 11.12 Entstehungswege einer Triploidie durch Störungen in der Spermatogenese (a) oder der
Oogenese (b) (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
Menschen etwa eine Mutation pro Gen pro 105 bis 106 Gameten, Prokaryoten erreichen eine
Mutante pro Gen erst nach rund 106 bis 1010 Vermehrungen.
Man begründet den Unterschied damit, dass eukaryotische Gene größer sind und dass sich
die Zellen häufiger bis zur Bildung der Gameten geteilt haben. Mutationen können sich somit
anhäufen.
Bei höheren Eukaryoten ist die Mutationsrate in somatischen Zellen höher als in Zellen der
Keimbahn.
11.5 · Mechanismen zur Aufhebung von Mutationen
207 11
11.4 Spontane und induzierte Mutationen
Mutationen sind zufällige, statistische, spontane Ereignisse. Es ist nicht vorhersehbar, wo sie
sich ereignen. Allerdings gibt es Stellen im Genom, an denen es häufiger zu Mutationen kommt
(s. 7 Abschn. 11.1.1 und 11.1.2).
Wirbeltiere mit Immunsystem erhöhen mithilfe des Enzyms Activation Induced Cytidine
Deaminase (AID oder AICDA) die Mutationsrate in Immunzellen (s. 7 Abschn. 13.3). Diese soge-
nannten Hypermutationen sorgen für die Vielfalt der Immunglobuline und damit für mehr
Abwehrmöglichkeiten.
Das Experiment erbrachte eine große Streuung der Anzahlen und wies damit auf die Zufällig-
keit von Mutationen hin.
Ein Experiment von 1988 ergab jedoch, dass manche Bakterien ihre Mutationsrate als Reak-
tion auf äußere Bedingungen erhöhen können. Mutanten von E. coli, die durch eine Mutation
im lacZ-Gen keine Lactose aufnehmen konnten, zeigten bei Zusatz von Lactose eine erhöhte
Zahl von Mutationen. Ein möglicher Mechanismus für derartige adaptive Mutationen wäre der
Einsatz einer fehleranfälligeren Polymerase. Endgültig geklärt ist das Phänomen jedoch nicht.
Es gibt mehrere mögliche Gründe, aus denen eine Mutation ohne Auswirkungen bleiben kann.
55 Stille Mutationen codieren für die gleiche Aminosäure und verändern daher nicht das
Protein.
55 Direkte Rückmutationen oder Reversionen stellen durch eine zweite Mutation an der
gleichen Stelle den Ursprungszustand wieder her. Sie sind sehr selten.
55 Bei einer Suppression unterdrückt eine zweite Mutation an einer anderen Stelle die erste
Mutation. Nach dem Ort der zweiten Mutation werden zwei Fälle unterschieden:
44Intragenisch tritt die zweite Mutation im gleichen Gen auf wie die erste. Beispielsweise
wandelt sie das Codon so, dass doch die ursprüngliche Aminosäure codiert wird. Oder
eine Insertion hebt eine Deletion wieder auf und stellt den alten Leserahmen wieder her.
208 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
55 Intergenisch ist die zweite Mutation in einem anderen Gen lokalisiert. Hierfür gibt es
mehrere Varianten:
44Eine Mutation in einer tRNA kann die Mutation verdecken. Nach dem Prinzip „Minus
mal Minus ergibt Plus“ führt die mutierte tRNA die ursprünglich codierte Aminosäure
heran.
44Ein Mutation in der U1snRNA, die am Spleißen beteiligt ist, hebt eine entsprechende
Spleißmutation auf.
44Auf Funktions- oder Proteinebene kann eine Mutation in einem Gen kompensiert
werden, wenn eine andere Mutation ein zweites Protein so verändert, dass es die
Aufgabe des nutzlosen Proteins übernimmt. Von E. coli kennt man Regulations-
mutationen im Gen für den Lactosetransporter, wodurch dieser für einen defekten
Maltosetransporter einspringen kann.
In der Evolution haben sich unterschiedliche Möglichkeiten zur Reparatur von Schäden an der
DNA entwickelt, die alle nach dem gleichen Prinzip vorgehen:
55 Spezialisierte Proteine erkennen die Schadstelle,
55 entfernen diese,
55 und Enzyme der Replikation füllen die mehr oder weniger große Lücke wieder auf.
z Einbettung in Zellprozesse
Die DNA-Reparatur ist eingebunden in ein Zusammenspiel von Transkription, Replikation und
Reparatur. Einige Erkrankungen zeigen beispielhaft die Verknüpfungen auf:
55 Erblicher Dickdarmkrebs ohne Polyposis (hereditary nonpolyposis colorectal cancer,
HNPCC, Lynch-Syndrom) geht auf Mutationen in Genen des DNA-Mismatch-Reparatur-
systems zurück.
55 Das Bloom-Syndrom wird von Mutationen im Gen für das Bloom-Syndrom-Protein
hervorgerufen. Das Protein ist eine Helikase, die an der Reparatur, der Replikation und der
Rekombination beteiligt ist.
55 Das Werner-Syndrom (ein Progerie- oder „beschleunigte Alterung“-Syndrom) ist die
Folge von Mutationen im Gen einer weiteren Helikase, die an verschiedenen Prozessen
beteiligt ist.
55 Patienten mit Xeroderma pigmentosum (XP) sind äußerst empfindlich gegenüber
UV-Strahlen. Sie leiden an trockener, stark pigmentierter und schnell alternder Haut und
11.6 · Reparatur von DNA-Schäden
209 11
haben ein erheblich höheres Risiko, an Hautkrebs zu erkranken. Bei XP-Betroffenen ist das
System, das die UV-Schäden reparieren soll, selbst geschädigt. Die Ursache sind Mutationen
in mehreren unterschiedlichen Genen der Nucleotidexzisionsreparatur (s. 7 Abschn. 11.6.3).
Die direkte Reparatur von Schäden ist nur in wenigen Fällen möglich.
55 Alkyltransferasen entfernen Alkylgruppen. Relativ unspezifisch arbeitet das ADA-Enzym
von E. coli. Spezifischer ist die O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase (MGMT) des
Menschen. Sie entfernt eine Methylgruppe von Guanin. Nachdem sie die Alkylgruppe
aufgenommen hat, wird sie selbst von Proteasen abgebaut. Deswegen hat sie den Namen
„Selbstmordenzym“ bekommen.
55 Photolyasen behandeln UV-Schäden. Bei E. coli kommt die Desoxyribopyrimidin-
Photolyase vor, kurz DNA-Photolyase. Sie trennt Cyclobutyldimere. Licht mit einer
Wellenlänge zwischen 300 und 500 nm aktiviert die Photolyase. Man spricht daher von
Photoaktivierung, die DNA wird photoreaktiviert. Die Lyase kommt bei vielen Bakterien
und bei wenigen Eukaryoten vor. Die (6-4)-Photoprodukt-Photolyase einiger Arten (nicht
bei E.coli) repariert die (6-4)- Photoprodukt-Schäden.
11.6.2 Basenexzisionsreparatur
Die Basenexzisionsreparatur (BER) ist bedeutsamer als die direkte Reparatur. Sie behebt oxida-
tive Schäden, Alkylierungen und desaminierte Basen.
Beim Menschen sind an dem Mechanismus die Gene für 40 Elemente beteiligt. Verwandte
Gene findet man bei Bakterien und Archaeen.
Der Mechanismus variiert im Detail, folgt aber im Wesentlichen immer dem gleichen Verlauf:
1. Entfernen der geschädigten Base. Es entsteht eine AP-Stelle.
44Bifunktionale Glykosylasen trennen die Base ab und spalten den Einzelstrang.
44Monofunktionale Glykosylasen trennen nur die Base ab. Sie benötigen anschließend
AP-Endonucleasen, die eine Einzelnucleotidlücke herstellen.
2. Spaltung der Phosphodiesterbindung und eventuell Entfernen des Zuckers. Einige
Nucleasen schneiden auch den Zucker heraus, andere nicht. An diese schließt sich dann
eine Phosphodiesterase an.
3. Wiederauffüllen der Lücke. Polymerasen schließen die Lücke. Die Ligase versiegelt den
Einzelstrang wieder.
Beteiligt sind außerdem noch einige Proteine, die beispielsweise andere Proteine an die Scha-
densstelle heranführen oder die Hauptenzyme in ihrer Arbeit unterstützen.
11.6.3 Nucleotidexzisionsreparatur
Auch bei der NER entsteht durch Herausschneiden entweder eine kürzere (short patch) oder
längere (long patch) Lücke in einem Strang, welche die Enzyme Polymerase und Ligase wieder
auffüllen und schließen.
Dieser Mechanismus findet sich bei Prokaryoten und Eukaryoten. Er läuft in den zwei Zell-
typen aber unterschiedlich mit verschiedenen Enzymen ab.
Short-patch-Reparatur bei E. coli
Bei E. coli erledigt der UvrABC-Enzymkomplex die wesentlichen Schritte:
1. Ein Kopplungsfaktor, der TRCF (transcription repair coupling factor), auch als Mfd-
Protein (mutation frequency declining) bekannt, leitet die Antwort an einem transkri-
bierten Strang ein. Er bindet sich an die Polymerase, die sich dann von der DNA löst und
den Weg frei macht für den Uvr-Komplex.
2. Der Uvr-Komplex erkennt, dass eine DNA-Helix verformt ist. Die DNA braucht dabei
keine Transkription durchzuführen.
3. Ein UvrAB-Trimer mit zwei UvrA-Proteinen und einem UvrB-Protein erkennt die
Schadensstelle und als Erstes und bindet sich an sie.
4. Die zwei UvrA-Moleküle trennen sich vom UvrB, sodass sich UvrC anlagern
kann.
5. Der UvrBC-Komplex fügt Schnitte in den DNA-Einzelstrang ein, die rund zwölf Nucleotide
um die Schadensstelle herum erfassen.
6. Eine Helikase (UvrD) trennt das short patch genannte DNA-Stückchen heraus. UvrB sichert
die Lücke.
7. UvrB führt die DNA-Polymerase I und die Ligase heran. Die Lücke wird wieder
11 aufgefüllt.
Die Long-patch-Reparatur von E. coli erzeugt eine Lücke von bis zu 2 kb. Uvr-Proteine sind auch
an dem long patch beteiligt.
Beim Menschen werden über diesen Weg die UV-Schäden auch im Dunkeln repariert, es also ist
keine Photoaktivierung notwendig.
„Mut“ leitet sich ab von Mutator, weil Mutationen in diesen Genen die Fehlerquote deutlich
erhöhen.
Im Ablauf sind die Mut-Proteine für die Erkennung des auszutauschenden Strangs
verantwortlich:
1. MutS und MutL binden sich an die DNA.
2. Sie aktivieren MutH mit seiner Nucleaseaktivität.
3. MutH schneidet die DNA.
212 Kapitel 11 · Mutationen und DNA-Reparatur
Das System ist von E. coli über die Hefe bis zum Menschen konserviert. Die Abfolge beim Men-
schen ist ähnlich, und die Proteine sind verwandt. Beispielsweise ist das menschliche MSH
homolog zu MutS. Allerdings sind beim Menschen mehr Proteine in den Reparaturprozess invol-
viert: An der Erkennung der Fehlpaarungsstelle sind mehrere Proteine beteiligt: MSH2 und 6,
MLH1 und 3, PMS1 und 2. Mutationen in den Reparaturgenen sind mit einigen Krebsformen
assoziiert. Mutationen in den Genen für MSH2, MLH1, MSH6, PMS2 verursachen das heredi-
täre non-polypöse Coloncarcinom (HNPCC).
z Einzelstrangbrüche
Einzelstrangbrüche sind relativ harmlos. Nach Einzelstrangbrüchen kann die Ligase jedoch nicht
sofort das Problem beheben, weil ihr nicht die notwendigen 3′OH- oder 5′-Phosphatgruppen zur
Verfügung stehen. Die Zelle muss die passenden Enden erst erzeugen. Unter Umständen schnei-
det sie dazu weitere Nucleotide heraus. An der eigentlichen Reparatur sind einige Enzyme der
Basenexzisionsreparatur beteiligt. Der Prozess läuft analog dazu ab.
z Doppelstrangbrüche
11 Viel gravierender sind Doppelstrangbrüche. Ist keine Reparatur möglich, leitet die Zelle die
poptose ein.
A
Man unterscheidet zwei Fälle:
55 die Reparatur durch homologe Rekombination,
55 die nichthomologe Verknüpfung von Enden.
Bei der Reparatur durch homologe Rekombination liegt mindestens eine zweite Kopie der DNA
vor. Diese muss natürlich intakt sein. Die Zelle repariert den Doppelstrangbruch, indem sie einen
Einzelstrang an das homologe Chromosom anlagert und die homologe Rekombination ausführt.
Diese Reparatur geschieht fehlerfrei.
Bei der nichthomologen Verknüpfung von Enden (nonhomologous end-joining, NHEJ) fehlt
das „Reserve“-Chromosom, das als Vorlage dient, um die Enden richtig zusammenzufügen. Die
Reparatur folgt daher einem anderen Mechanismus:
1. Bei Säugetieren fixieren die Heterodimer-Proteinkomplexe Ku70 und Ku80 die
Enden. Nucleasen des MNR-Komplexes (Mre11-Rad50-Nbs1) bereiten die Enden zur
Verknüpfung vor.
2. Im Verbund mit der DNA-abhängigen Proteinkinase verbindet die Ligase IV zusammen
mit dem Komplex XRCC4 die Enden.
Bei der Aufbereitung der Enden entstehen Mutationen wie kleine Deletionen oder Insertionen.
Die Zelle nimmt diese jedoch als geringeres Übel in Kauf, um zu überleben.
Die Immunzellen des Menschen nutzen die Mutationen des NHEJ aus. Sie erzeugen unter
anderem darüber die hohe Vielfalt an Antikörpern.
11.6 · Reparatur von DNA-Schäden
213 11
Ist der Reparaturmechanismus selbst durch Mutationen beeinträchtigt, so sind die Betrof-
fenen aufgrund immunologischer Probleme oft anfällig für Infekte oder tragen bei Mutationen
in XRCC4 ein höheres Krebsrisiko.
Dass die NHEJ-Reparatur auch während der Entwicklung der Nervenzellen und des Gehirns
wichtig ist, sieht man an der Mikrocephalie vieler Betroffenen mit Mutationen. Sie haben einen
kleineren Kopf und sind oft mental retardiert.
11.6.6 SOS-Mechanismus
Auch der SOS-Mechanismus nimmt Mutationen in Kauf. Die Zelle behebt damit Schäden, die
die Replikation verhindern. Man hat die SOS-Antwort bei Prokaryoten wie E. coli gefunden.
Zentrale Proteine sind hier das Rekombinationsprotein RecA und der Repressor LexA. Im
Gegensatz zu den anderen Reparaturproteinen wird LexA nicht direkt am Ort des Schadens aktiv,
sondern reguliert die Genexpression.
Der Ablauf erfolgt schrittweise:
1. Unter normalen Umständen bindet sich LexA als Repressor vor die Gene der SOS-Box
oder LexA-Box und verhindert deren Transkription.
2. Liegt bei einem ernsthaften Schaden ein Teil der DNA als Einzelstrang vor, bindet sich das
Protein RecA an einen solchen Einzelstrangabschnitt. Es spaltet einige Proteine, darunter
LexA.
3. Das gespaltene LexA kann sich nicht mehr an die Box binden und gibt die Gene zur
Transkription frei.
Die Integrität der DNA ist unerlässlich für die Funktion einer Zelle. Deswegen kontrolliert eine
Zelle an mehreren Checkpoints, ob ein Vorgang korrekt abgeschlossen ist, bevor sie in das nächste
Stadium eintritt.
Beim Menschen zeigen beispielsweise die Gene für die Reparaturproteine BRCA1 und 2
(Breast Cancer) die Verknüpfung zwischen DNA-Reparatur und Zellzykluskontrolle.
Erbliche Fälle von Brustkrebs gehen zurück auf Mutationen in den Genen BRCA1 oder BRCA2.
Diese vermitteln im Zusammenspiel mit weiteren Proteinen zwischen DNA-Schäden, der Repa-
ratur und dem Zellzyklus. BRCA1 und 2 gelten als Tumorsuppressorgene (s. 7 Abschn. 12.3.4).
Mutationen in den Genen sind auch mit anderen Krebsformen assoziiert. Auch Mutationen in
RAD51C führen zu Brustkrebs.
215 12
Humangenetik
12.1 Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale – 216
12.1.1 Kennzeichen mendelnder Erbgänge – 216
12.1.2 Kennzeichen mitochondrialer Erbgänge – 221
12.1.3 Schwierigkeiten bei der Interpretation von
Stammbäumen – 222
12.1.4 Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Genen – 224
Beim Menschen macht man sich die Mendel'schen Regeln zunutze, um den Vererbungsmodus
einer Krankheit zu bestimmen. Dabei wird die diagnostizierte Krankheit als Merkmal betrachtet.
Es gibt fünf Grundmuster (s. 7 Abschn. 12.1.1), wie ein solches Merkmal weitergegeben wird.
Diese unterscheiden sich in zwei Hinsichten:
55 Das Gen kann auf einem Autosom oder einem Gonosom und hier auf dem X-
Chromosom oder dem Y-Chromosom liegen.
55 Das Merkmal kann dominant oder rezessiv weitergegeben werden.
Die Analyse erfolgt anhand des Familienstammbaums. Im einfachsten Fall führt eine Mutation
in einem Gen immer zu demselben klar umrissenen Krankheitsbild. . Abbildung 12.1 zeigt die
standardisierten Symbole, die für Stammbäume verwendet werden.
Kennt man den Erbgang einer mendelnden Erbkrankheit, so kann man das Risiko angeben,
mit dem ein Kind betroffen sein wird. Das ist ein Kernpunkt in der humangenetischen Beratung.
Die Standarddatenbank für mendelnde Merkmale mit den Genen und den zugehörigen
Mutationen beim Menschen trägt die Bezeichnung Online Mendelian Inheritance in Men (OMIM).
12
12.1.1 Kennzeichen mendelnder Erbgänge
Merkmale, die auf Chromosomen des Zellkerns lokalisisert sind, folgen einem der fünf grund-
legenden Erbgänge:
55 autosomal-dominant,
55 autosomal-rezessiv,
55 X-gekoppelt rezessiv,
55 X-gekoppelt dominant oder
55 Y-gekoppelt.
Stoffwechselerkrankungen sind meistens rezessiv, da das noch intakte Gen den Ausfall des feh-
lerhaften Gens kompensieren kann, indem es beispielsweise aktiver ist und mehr Protein bildet.
Bei einer Haploinsuffizienz gelingt dieser Ausgleich nicht. Beispielsweise reicht die Menge
des produzierten Proteins nicht aus, wenn nur ein Gen aktiv ist. In diesen Fällen ist das Merkmal
dominant.
Die Angaben zur Häufigkeit schwanken in der Literatur oft um rund 10 %. Man unterschei-
det zwischen zwei Kennzahlen:
12.1 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
217 12
Geschwister
Zwillinge
Abort
Totgeburt
Schwangerschaft zur Zeit der
Untersuchung
Keine Nachkommen
55 Die Inzidenz oder Inzidenzrate gibt an, wie viele Neuerkrankungen es in einer Gruppe
von einer bestimmten Größe in einem vorgegebenen Zeitraum gibt. Sie wird beispielsweise
als „Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Einwohner“ aufgeführt.
55 Die Prävalenz umfasst alle Erkrankten in einer Gruppe von bestimmter Größe,
unabhängig vom Zeitpunkt der Erkrankung. Sie wird beispielsweise als „Zahl der
Erkrankten pro 100.000 Einwohner“ angegeben.
z Autosomal-dominanter Erbgang
Die Charakteristika eines autosomal-dominanten Erbgangs (. Abb. 12.2) sind:
55 Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen und können das verursachende Allel
weitergeben.
55 Eine erkrankte Person hat mindestens einen erkrankten Elternteil, und die Erkrankung
tritt in jeder Generation auf. Eine Ausnahme stellt die Neumutation dar, wenn die
12 Mutation das erste Mal auftritt.
55 Es reicht eine Kopie des Allels, um die Krankheit auszulösen.
55 Dieses Allel kann vom Vater oder von der Mutter weitergegeben werden.
55 Ist die Zelle für das Allel homozygot, prägt sich das Merkmal oft drastischer aus oder führt
sogar zum Tod.
55 Ist nur ein Elternteil betroffen und heterozygot, beträgt das Erkrankungsrisiko für ein
Kind 50 %.
Beispiel:
Achondroplasie. Mutationen im Fibroblastenwachstumsfaktor-Rezeptor-3-Gen (FGFR3-
Gen) auf Chromosom 4 verursachen Minderwuchs mit kurzen Extremitäten (dysproportionier-
ter Minderwuchs), übergroßen Schädel (Makrocephalus) und Fehlbildungen (Dysmorphien) des
Gesichts. Die Inzidenz in Deutschland wird meist mit 1:20.000 pro Jahr angegeben, die Werte in
verschiedenen Industrienationen reichen von rund 1:10.000 bis rund 1:30.000. 90 % aller Fälle
treten durch eine Neumutation auf.
z Autosomal-rezessiver Erbgang
Die Charakteristika eines autosomal-rezessiven Erbgangs (. Abb. 12.3) sind:
55 Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen und können das verursachende Allel
weitergeben.
12.1 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
219 12
. Abb. 12.3 Autosomal-rezessiver
Erbgang mit möglichen Genotypen (nach
Buselmaier und Tariverdian 2007)
55 Das Merkmal prägt sich nur aus, wenn das mutierte Allel homozygot vorliegt.
55 Die Betroffenen haben phänotypisch gesunde Eltern. Diese sind aber jeweils Überträger
oder Konduktoren.
55 In blutsverwandten Ehen tritt die Krankheit häufiger auf.
55 Sind beide Eltern Überträger, beträgt das Erkrankungsrisiko für ein Kind 25 %.
Beispiele:
55 Albinismus Typ OCA 1–4. Mutationen lösen eine gestörte Synthese von Melanin aus.
Bei Typ 1 ist beispielsweise das Enzym Tyrosinase fehlerhaft, oder es fehlt gänzlich. Die
Betroffenen zeigen hellere Haut-, Haar- und Augenfarben, worunter auch blonde Haare
und blaue Augen fallen. Sind vor allem die Augen betroffen, liegt der X-chromosomal
vererbte Typ OA vor. Die Häufigkeit liegt weltweit bei etwa 1:20.000, in Afrika ist sie höher.
55 Phenylketonurie. Aufgrund von Mutationen vor allem im Phenylalanin-Hydroxylase-Gen
(PAH-Gen) erfolgt kein Abbau von Phenylalanin zu Tyrosin. Daher häuft sich Phenyl-
alanin an, was eine mentale Retardierung hervorruft. Die Inzidenz liegt in Deutschland bei
etwa 1:8000 pro Jahr.
55 Mukoviszidose oder Cystische Fibrose. Mutationen im CFTR-Gen auf Chromosom 7
lassen keinen funktionsfähigen Chloridionenkanal entstehen und bedingen zähflüs-
sigen Schleim verschiedener Drüsen. Die Indizidenz liegt bei etwa 1:2000 pro Jahr in
Deutschland.
Bei einer Compound-Heterozygotie trägt jedes der beiden Allele eine andere Mutation. Dieser
Fall tritt beispielsweise auf bei:
55 Patienten mit Mukoviszidose.
55 Patienten mit Phenylketonurie.
55 Patienten mit dem Androgenitalen Syndrom (AGS). In den Allelen für das Enzym
C21-Hydroxylase können verschiedene Mutationen wie Deletionen, Punktmutationen
oder Genkonversion auftreten. Der Ausfall des Enzyms führt zu einem Mangel an Cortisol,
der letztlich eine verstärkte Synthese androgener Hormone auslöst. In Deutschland beträgt
der Anteil an compound-heterozygoten Patienten mit AGS etwa 90 %.
XY XX
XX XY XX
XY XX
XY XX XY XX
XX XY
XY XY XX XX XY XY XX XX
. Abb. 12.4 X-gekoppelt-rezessiver Erbgang mit möglichen Genotypen (nach Buselmaier und Tariverdian
2007)
Beispiele:
55 Muskeldystrophie Duchenne: Die Mutationen bedingen in den meisten Fällen eine Lese
rasterverschiebung. In der Folge bildet die Muskelzelle kein Strukturprotein Dystrophin.
Die Inzidenz in der männlichen Bevölkerung wird mit 1:3500 bis 1:4500 in verschiedenen
Industrienationen angegeben,
55 Hämophilien: Mutationen in Genen für Gerinnungsfaktoren verhindern die
Blutgerinnung:
44Bei Hämophilie A treten die Mutationen im Faktor-VIII-Gen auf. Die Inzidenz-Werte
in westlichen Populationen liegen zwischen 1:5000 bis 1:10.000 pro Jahr (für den
männlichen Anteil).
44Bei Hämophilie B sind die Mutationen im Faktor-IX-Gen, dem Christmas-Faktor,
lokalisiert. Die Inzidenz-Werte liegen für westliche Populationen bei rund 1:30.000 pro
Jahr (für den männlichen Anteil).
. Abb. 12.5 X-gekoppelter-dominanter Erbgang mit möglichen Genotypen (nach Buselmaier und Tariverdian
2007)
55 Die Auswirkungen sind aber oft bei Männern größer. Nicht selten ist die Erkrankung letal.
55 Ein erkrankter Vater und eine gesunde Mutter bekommen betroffene Töchter, aber
gesunde Söhne.
55 Eine erkrankte Mutter bekommt mit einem Risiko von 50 % ein betroffenes Kind,
unabhängig vom Geschlecht.
Beispiel:
Oro-fazio-digitales Syndrom Typ 1 (OFD1), auch bekannt als Papillon-Léage-Psaume-
Syndrom . Symptome sind Fehlbildungen an den Fingern, Zahnfehlstellungen und eine
Gaumenspalte.
z Y-gekoppelter Erbgang
Vom Y-gekoppelten Erbgang sind nur Männer betroffen. Ein erkrankter Vater zeugt erkrankte
Söhne.
Die Existenz dieses Erbgangs ist allerdings fraglich. Mit Sicherheit kennt man nur Defekte,
welche die Spermatogenese stören und dann völlige oder teilweise Unfruchtbarkeit verursachen.
Zellteilung
Zellteilung
Beispiel:
Leber'sche hereditäre Opticusneuropathie oder -atrophie (LHON). Die häufigste Mutation an
Position 11778 der mtDNA betrifft dann ein Protein des NADH-Dehydrogenasekomplexes der
Atmungskette (ND4). Sie führt zu einer verminderten ATP-Synthese. Der Energiemangel lässt
Ganglienzellen der Sehnerven absterben. Die Betroffenen erblinden etwa ab dem 15. Lebens-
jahr. Die Häufigkeit wird angegeben mit 1:50.000 bis 1:100.000.
Oft sind nicht alle Mitochondrien einer Zelle von der Mutation betroffen (. Abb. 12.6). Man
unterscheidet zwei Varianten:
55 Bei einer Heteroplasmie tragen einige Mitochondrien in der Zelle die Mutation, andere
Zellen nicht. Dafür gibt es zwei mögliche Gründe:
44In einem der Mitochondrien ist eine Neumutation entstanden.
12 44Bei der Zellteilung wurden die Mitochondrien mit und ohne Mutation ungleich auf die
Tochterzellen verteilt.
55 Bei einer Homoplasmie ist die Ausstattung der Mitochondrien einheitlich mit oder ohne
Mutation.
Durch eine „unglückliche“ Verteilung der betroffenen Mitochondrien in die Oocyten können
die Nachkommen deutlich stärker von der Krankheit betroffen sein als die Mutter. Mitochond-
riale Erbgänge zeigen dann eine unvollständige Penetranz.
Mehrere Faktoren erschweren das Ableiten eines Erbgangs aus einem Stammbaum:
55 Viele Familien sind zu klein, um ausreichend Zahlenmaterial zu liefern.
55 Die Expressivität und Penetranz eines Merkmals liegt nicht immer bei 100 %, sondern variiert.
55 Mehrere Faktoren tragen zu einem Merkmal bei.
55 Neumutationen täuschen eigentlich gesunde Eltern als Überträger vor.
55 Keimzellenmosaike ergeben unterschiedlich ausgestattete Keimzellen vom selben Elter.
12.1 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
223 12
55 Chimären mischen Zellen mit unterschiedlichen Allelkompositionen.
55 Imprinting führt zu ungleicher Behandlung mütterlicher und väterlicher Gene.
Unter den Sammelbegriff „Faktor“ fallen alle Parameter, die auf ein Merkmal einwirken:
55 Gene,
55 Umwelteinflüsse,
55 epigenetische Markierungen,
55 Einfluss der Mutter während der Embryonalentwicklung,
weitere Einflüsse.
Multifaktorielle Merkmale werden nicht von einem einzelnen Gen, sondern von mehrere Fakto-
ren bestimmt. Dabei kann man keine klare Trennung ziehen zwischen unvollständig penetrant
mendelnden und multifaktoriellen Merkmalen.
Durch variable Expression zeigt sich bei verschiedenen Familienmitgliedern ein unterschied-
lich schweres Krankheitsbild. Wie bei der unvollständigen Penetranz sind andere Gene oder
Umweltfaktoren die Ursache dafür.
Beispiel:
Patienten mit dem Tumor Neurofibromatose Typ 1 können „nur“ einige Café-au-lait-Fle-
cken aufweisen, es kann aber auch der Körper von Neurofibromen bedeckt sei, und der Patient
zeigt Lerndefizite. Da das Merkmal etwa 100 % Penetranz aufweist, ist es aber immer im Phä-
notyp ausgeprägt.
Ein Sonderfall ist die Antizipation: Die Krankheit tritt bei den Kindern früher oder stärker
ausgeprägt auf als bei den Eltern.
Beispiel:
Mehr als 90 % der Fälle von Achondroplasie gehen auf eine Neumutation zurück. Die Muta-
tionsrate nimmt hier mit dem Alter des Vaters zu.
Sind bei einem autosomal-dominanten Erbgang mehrere Geschwister betroffen, die Eltern
aber gesund, so sind mehrere Neumutationen unwahrscheinlich. Stattdessen ist es während einer
mitotischen Teilung in den Vorläuferzellen der Gameten zu einer Mutation gekommen. Sie führt
zu einem Keimzellmosaik, in dem einige Keimzellen die Mutation tragen, andere Keimzellen
sind mutationsfrei.
224 Kapitel 12 · Humangenetik
Beispiel:
Viele sporadische Fälle der „Glasknochenkrankheit“ Osteogenesis imperfecta gehen auf ein
Keimzellmosaik zurück. Das Risiko für ein weiteres betroffenes Kind beträgt etwa 6 %.
Chimären entstehen aus zwei verschiedene Zygoten, die miteinander fusionieren, einen Zell-
verband bilden und sich zu einem Organismus entwickeln. Patienten nach einer Knochenmarks-
transplantation sind Chimären hinsichtlich der Blutzellen.
z Imprinting
Imprinting ist eine epigenetische Markierung, welche die Herkunft eines Gens von der Mutter
oder vom Vater anzeigt und seine Expression beeinflusst.
Beispiele: Das Prader-Willi-Syndrom und das Angelman-Syndrom resultieren aus Schäden
im gleichen Abschnitt von Chromosom 15 (15q11.2–q12).
55 Prader-Willi-Syndrom. 70 % der Patienten fehlt durch eine Mikrodeletion der Abschnitt
auf dem väterlichen Chromosom. 30 % besitzen beide homologen Sequenzen, aber beide
sind mütterlichen Ursprungs, was als uniparentale Disomie bezeichnet wird (. Abb. 12.7).
Rund 1 % der Patienten zeigt einen Imprinting-Defekt. Sie sind körperlich und geistig
auffällig, besonders gilt das für ihr unstillbares Hungergefühl.
55 Angelman-Syndrom. 70 % der Patienten fehlt der Abschnitt auf dem mütterlichen
Chromosom, 5 % zeigen eine väterliche uniparentale Disomie (. Abb. 12.7). 1 % der
Patienten hat einen Imprinting-Defekt. Knapp 25 % der Patienten tragen Mutationen
in einem weiteren Gen (UBE3A-Gen). Das klinische Bild umfasst ebenfalls körperliche
und geistige Auffälligkeiten. Wegen des charakteristischen Gangs und des unmotivierten
Lachens heißt die Krankheit auch Happy-Puppet-Syndrom.
Die Stammbaumanalyse gibt Hinweise auf den Vererbungsmodus eines Merkmals. Allerdings lässt
sich das Merkmal dadurch nicht auf ein Gen oder Allel zurückführen. Dafür gibt es mehrere Gründe:
55 Mehrere Gene oder Faktoren wirken zusammen an dem Phänotypen mit, er ist also
polygen und/oder multifaktoriell. Man spricht jedoch eher von multifaktoriellen oder auch
komplexen Merkmalen oder Erkrankungen.
55 Beispiele für qualitative multifaktorielle Merkmale:
44Lippen-Kiefer-Gaumenspalten,
44Fehlbildungen des Hüftgelenks,
44Fehlbildungen des Gesichts,
44Neuralrohrdefekte.
55 Wenn gonosomale Gene mitwirken und die Ausprägung beeinflussen, verschieben sie die
Verteilung innerhalb der Geschlechter.
Beispiele:
44Angeborene Verrenkung (Luxation) des Hüftgelenks männlich zu weiblich 1:6.
44Verengung des Magenpförtners (hypertrophische Pylorusstenose) männlich zu weiblich 5:1.
12.1 · Stammbaumanalysen mendelnder Merkmale
225 12
Keimzelle A Keimzelle B Keimzelle A Keimzelle B
Zygote Zygote
UPD
c
„trisomy rescue”
UPD
a
Zygote Zygote
„monosomy rescue”
durch Duplikation
UPD
b
„monosomy rescue”
UPD
d
. Abb. 12.7 Entstehungswege einer uniparentalen Disomie (UPD): In (a) liegt zunächst eine Trisomie, in (b)
eine Monosomie vor, die zum Preis einer UPD korrigiert wird. Die Verschmelzung von disomer und nullisomer
Keimzelle (c) ist selten. Auch eine postzygotische Korrektur ist möglich (d) (nach Schaaf und Zschocke 2013)
Man nimmt an, dass sich die auslösenden Faktoren nicht mehr in einer Art Gleichgewicht befin-
den. Die bei jedem Menschen vorhandene Anfälligkeit hat bei den Betroffenen dann einen kri-
tischen Schwellenwert überschritten (. Abb. 12.8). Bei der Pylorusstenose liegt dieser Schwel-
lenwert für Jungen niedriger als für Mädchen.
Mit der geschlechtlich ungleichen Verteilung geht der Carter-Effekt einher: Wenn die Eltern
des seltener betroffenen Geschlechts erkranken, haben sie häufiger erkrankte Kinder.
Der Phänotyp kann auf Mutationen in verschiedenen Genen zurückgeführt werden, was
man genetische Heterogenität nennt (. Abb. 12.9).
226 Kapitel 12 · Humangenetik
a Schwelle Prädisposition
b Schwellen - Prädisposition
wertbereich
12
. Abb. 12.9 Genetische Heterogenität bei homozygoten Eltern kann zu gesunden Nachkommen führen (nach
Buselmaier und Tariverdian 2007)
Die Humangenetik nutzt allgemeine genetische Methoden und Verfahren der Pränataldiag-
nostik, um verschiedene Fragen von Patienten/Ratsuchenden zu beantworten:
55 Sind bei unklaren Familienverhältnissen Menschen miteinander verwandt? (Beispiel:
Vaterschaftstest)
12.2 · Untersuchungsmethoden in der Humangenetik
227 12
55 Trägt eine Person ein Allel, das eine Krankheit ausprägt? (Beispiel: Test auf Chorea Huntington)
55 Trägt eine Person ein Allel, das eine Unverträglichkeit für ein Medikament bedingt?
(Beispiel: Test auf Antigene humaner Leukocyten, HLA)
55 Liegt bei einem Embryo ein genetischer Defekt vor?
55 Liegt bei einem Neugeborenen ein Defekt vor, sodass u. U. frühzeitig eine Therapie
notwendig wird? (Beispiel: Untersuchung von Neugeborenen auf Phenylketonurie)
12.2.1 Pränataldiagnostik
12 . Abb. 12.10 Ablauf der Chorionzottenbiopsie (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
z Polymorphismen
Als Orientierungspunkte oder DNA-Marker dienen Polymorphismen genannte Sequenz-
variationen im Genom. Ihre Positionen auf den Chromosomen sind genau bekannt und
kartiert.
Man unterscheidet verschiedene Polymorphismen:
55 Mikrosatellitenpolymorphismen, beispielsweise CA-Repeats. Sie unterscheiden sich bei
Menschen in der Zahl ihrer Wiederholungen. Es steht ein Katalog über mehr als 20.000
12.2 · Untersuchungsmethoden in der Humangenetik
229 12
. Abb. 12.11 Ablauf der Amniocentese (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
12.2.4 Assoziationsstudien
z Vorgehen
12 Um die hohe Datenzahl zu erhalten, wendet man Hochdurchsatzverfahren an. Man genotypisiert
dabei mehrere Hunderttausend SNPs, die über das Genom verstreut sind. SNPs haben gegenüber
Mikrosatelliten den Vorteil, dass sie seltener mutieren.
Bei einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) genotypisiert man die SNPs innerhalb
der Gruppe der Betroffenen und einer Kontrollgruppe.
Beispiel: Verschiedene Allele machen anfällig für eine Erkrankung wie Diabetes oder Depres-
sion. Die Anwesenheit dieser Allele ist für die Erkrankung weder hinreichend noch notwendig,
sie erhöht jedoch das Risiko.
Da sich eine GWAS nicht auf ausgesuchte Kandidatengene beschränkt sondern hypothe-
senfrei das Gesamtgenom untersucht, liefert sie viele potenziell krankheitsfördernde Allele, die
vorher unbekannt waren. Das deCode-Projekt, mit dem die isländische Population untersucht
wird, ist ein Beispiel dafür.
Mit der Methode des Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus kann man direkt eine Muta-
tion nachweisen, durch die eine neue Schnittstelle für ein Restriktionsenzym entstanden ist oder
eine bekannte Schnittstelle verloren gegangen ist. Ist die Mutation bekannt, so ist eine pränatale
Analyse ohne Familienuntersuchung möglich. Das Verfahren ist nahezu fehlerfrei.
12.3 · Komplexe Erkrankungen
231 12
. Abb. 12.12 Indirekte Diagnostik bei einer autosomal-rezessiven Erkrankung (nach Buselmaier und
Tariverdian 2007)
Deletion: z. B. cF
Punktmutation: z. B. Sichelzellanämie
Die direkte Diagnostik wird beispielsweise beim Test auf Sichelzellanämie oder Chorea Hun-
tington durchgeführt. Chorea Huntington ist eine sogenannte Trinucleotiderkrankung, bei der
ein Basentriplett vervielfältigt ist. Zur Analyse wird der entsprechende Abschnitt amplifiziert
und über eine Gelelektrophorese seine Länge bestimmt.
An komplexen Erkrankungen wirken äußere Faktoren und mehrere Gene mit. Die komplexen
Erkrankungen sind also multifaktoriell und polygen, daher zeigen sie nicht die Kennzeichen
mendelnder Erbgänge.
232 Kapitel 12 · Humangenetik
Das bedeutet:
55 Die kausale Beziehung zwischen einem Allel und der Erkrankung ist nicht so strikt wie bei
monogenen Erkrankungen, man trägt „nur“ eine genetische Prädisposition.
55 Durch den Lebensstil oder Lebenswandel kann man die Erkrankung eventuell verhindern.
Beispiele: Diabetes mellitus, Bluthochdruck (Hypertonie).
Der Beitrag der einzelnen Gene an der Entstehung kann unterschiedlich groß sein.
Möglich ist:
55 Einige wenige Gene haben einen großen Anteil am Ausbruch.
55 Mehrere Gene wirken gleichmäßig mit jeweils gleich großem Anteil.
55 Viele Gene mit jeweils geringem Anteil sind verantwortlich.
Epidemiologisch wird erforscht, wie häufig die einzelnen Allele in verschiedenen Population
vorkommen und ob man auch darüber erklären kann, warum in einigen Population mehr Men-
schen erkranken als in anderen.
Der Diabetes mellitus wird meist kurz „Diabetes“ oder umgangssprachlich „Zuckerkrankheit“
genannt, weil man im Blut der Betroffenen dauerhaft einen erhöhten Gehalt von Glucose findet.
Die Senkung des Glucosegehalts im Blut gesunder Menschen läuft über das Peptidhor-
12 mon Insulin:
1. Glucose bewirkt die Ausschüttung des Insulins aus der Bauchspeicheldrüse (Pankreas).
2. Der Blutstrom transportiert das Insulin durch den Körper zu den Zielzellen.
3. Dort bindet es sich an ein Insulinrezeptormolekül.
4. Die Bindung löst eine Signalkaskade aus, an deren Ende die Zelle Glucose aus dem Blut
aufnimmt.
Diabetes erhöht das Risiko für tödliche Erkrankungen wie Schlaganfall und Herzinfarkt, aber
auch für Gefäßschäden oder Blindheit.
Man unterscheidet verschiedene Diabetesformen nach ihrer Abhängig von Insulin und
ihrem zeitlichen Auftreten. Damit verbunden sind unterschiedliche Grade der genetischen Kom-
plexität. Die drei wichtigsten Diabetesformen sind:
55 Typ-II-Diabetes,
55 Typ-I-Diabetes,
55 MODY (maturity-onset diabetes of the young).
z Typ-II-Diabetes
Der Typ-II-Diabetes zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
55 Er ist die häufigste Diabetesform, 90–95 % der Erkrankten leiden daran.
55 Die Häufigkeit in der Bevölkerung beträgt 2–5 % und macht ihn zur Volkskrankheit.
12.3 · Komplexe Erkrankungen
233 12
55 Er ist nicht von Insulin abhängig. Das gebildete Insulin reicht nicht mehr aus, um den
Blutzuckergehalt zu senken. Man spricht von Insulinresistenz.
55 Die Form trat früher vor allem im Alter auf und trug den Beinamen „Altersdiabetes“.
Typ-II-Diabetes ist das Musterbeispiel für eine komplexe Erkrankung, bei der äußere Faktoren
wie die Ernährung und genetische Faktoren verquickt sind.
Die genetische Prädisposition macht sich dadurch bemerkbar, dass sich das Erkrankungs-
risiko um 30–40 % erhöht, wenn ein Elternteil erkrankt ist.
Beispiele für genetische Faktoren (Suszeptibilitätsgene) sind:
55 das Gen für Calpain 10 (eine calciumabhängige Cystein-Protease) und
55 das Gen für den Transkriptionsfaktor TCF7L2 (oder TCF4 genannt).
55 TCF7L2 wirkt u. a. an der Insulinsekretion mit. Ein SNP innerhalb des TCF7L2-Gens gilt
derzeit als entscheidender genetischer Marker. Das Allel erhöht das Erkrankungsrisiko um
das 1,5-Fache.
55 Insgesamt haben genomweite Assoziationsstudien mittels SNPs mehr als zehn Chromoso-
menabschnitte identifiziert, die mit einem höheren Risiko einhergehen. Einige genetische
Risikofaktoren erhöhen auch das Risiko für Fettleibigkeit.
Zu den äußeren Faktoren, die einen Typ-II-Diabetes begünstigen, gehören Ernährung und
Lebensstil. Bewegung verringert das Risiko, ungesunde Ernährung erhöht es. Im 20. Jahrhun-
dert hat man festgestellt, dass einerseits in hungernden Populationen der Anteil der Diabetesfälle
zurückgeht, die Unterernährung weiblicher Embryonen oder Kinder aber andererseits deren
Erkrankungsrisiko im Alter erhöht.
z Typ-I-Diabetes
Der Typ-I-Diabetes zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
55 Er liegt in 5–10 % aller Diabetesfälle vor.
55 Die Häufigkeit in der Bevölkerung liegt bei 0,2–0,3 %.
55 Typ I ist von Insulin abhängig.
55 Er tritt meist schon in der Jugend auf.
55 Eineiige Zwillinge erkranken häufiger, es müssen aber nicht zwingend beide betroffen sein.
Anders als die an Typ-II-Erkrankten verlieren die Betroffenen die Fähigkeit, Insulin zu syntheti-
sieren. Die Ursache liegt darin, dass der Körper selbst die produzierenden β-Zellen des Pankreas
zerstört. Typ II gilt damit als Autoimmunerkrankung: Die Erkrankten bilden gegen ihr eigenes
Gewebe gerichtete Autoantikörper.
Man erklärt Typ I damit, dass die Risikopatienten Kombinationen bestimmter Allele des
HLA-Systems tragen. HLA-Gene sind von zentraler Bedeutung für die Funktion des Immun-
systems. Die Proteine präsentieren den Immunzellen Peptide als Antigene (s. 7 Abschn. 13.5).
Man bezeichnet die Kombination der Allele mehrerer gekoppelter Gene auf demselben Chro-
mosom als Haplotyp, was sich von „haploider Genotyp“ ableitet. Man nimmt an, dass äußere
Faktoren wie Virusinfektionen den krankmachenden Haplotyp veranlassen, die Autoantikör-
per zu bilden.
z Begriffsklärung
Auch Krebs zählt zu den komplexen Erkrankungen, weil sowohl Mutationen in Genen als auch
äußere Faktoren wie Lebensweise und Umweltfaktoren zur Entstehung beitragen.
Krebs ist eine Sammelbezeichnung für die bösartige Neubildung von Gewebe. Der Begriff
Tumor hat zwei Bedeutungen:
55 Im weiteren Sinn meint er die örtlich begrenzte Zunahme des Gewebevolumens. Die
Ursache kann nach diesem Verständnis auch eine Entzündung sein.
55 Im engeren Sinn ist ein Tumor die gut- oder bösartige Neubildung von Gewebe, die man
als Neoplasie bezeichnet.
Das Ausmaß dieser Eigenschaften ist unterschiedlich stark ausgeprägt, sodass man darauf die
biologische Einteilung von Tumoren aufbaut:
55 Gutartige oder benigne Tumore: Diese bestehen aus differenzierten, langsam und örtlich
begrenzt wachsenden Zellen. Sie verdrängen Nachbargewebe, infiltrieren es aber nicht.
55 Bösartige oder maligne Tumore: Diese werden auch als Krebs bezeichnet und bestehen
aus dedifferenzierten, schnell und aggressiv wachsenden Zellen. Sie zerstören umliegendes
Gewebe, verlassen ihren angestammten Gewebeverband und streuen in den Körper. Sie
sind invasiv und bilden Metastasen.
55 Semimaligne Tumore: Sie bilden zwar keine Metastasen, zerstören aber Nachbargewebe
und wachsen in dieses hinein.
Die histologische Einteilung schaut nach dem Gewebe, dem die Zellen entwicklungsbiologisch
entstammen.
Beispiele:
55 Epitheliale Tumore: entstehen aus Ektoderm und Entoderm. Hierzu gehören gutartige
Adenome, Papillome oder bösartige Carcinome.
12.3 · Komplexe Erkrankungen
235 12
55 Mesenchymale Tumore: entstehen aus dem Mesoderm. Dazu zählen gutartige Fibrome
und bösartige Sarkome.
55 Embryonale Tumore: entstehen aus undifferenziertem Gewebe. Beispiele hierfür sind
Retinoblastom und Neuroblastom.
Damit Tumorzellen ihre speziellen Eigenschaften ausbilden, müssen Gene ausgeschaltet werden,
die das Zellwachstum regulieren. Viele von ihnen sind in Signalwege eingeschaltet.
Man hat die tumorauslösenden Gene in mehrere Gruppen eingeteilt:
55 Tumorsuppressorgene kontrollieren den Zellzyklus oder lösen Apoptose aus.
55 Onkogene bewirken den Übergang vom normalen zum ungebremsten Wachstum.
55 Mutatorgene beeinflussen die Mutationsrate anderer Gene. Sie werden nur gelegentlich als
eigene Gruppe tumorauslösender Gene gezählt.
12.3.3 Tumorsuppressorgene
Normalerweise verhindern Tumorsuppressorgene die Entstehung von Tumoren, indem sie das
Zellwachstum regulieren. Dazu hemmen sie die Bildung verschiedener Genprodukte:
55 auf der cytologischen Ebene beispielsweise Komponenten zur Regulation der Zellteilung,
55 auf der genetischen Ebene beispielsweise Systeme zur DNA-Reparatur.
Kann die Zelle den DNA-Schaden nicht reparieren, leitet das Gen die Apoptose ein.
Mutationen führen zu einem Verlust der Funktion (loss of function) und damit der Kont-
rolle des Wachstums.
z Zwei-Treffer-Theorie
Nach der Zwei-Treffer-Theorie oder Knudson-Hypothese müssen zwei Mutationen zusammen-
kommen, damit eine Zelle anfängt, sich unkontrolliert zu teilen. Die Mutationen schalten beide
Exemplare des Kontrollgens aus, die der Patient von seinen beiden Eltern erhalten hat.
Dabei unterscheidet man zwei verschiedene Abläufe:
55 Entweder ereignen sich im Lauf des Lebens zwei sporadische Mutationen in den beiden
Allelen. Es kommt zu einer sporadischen Krebserkrankung.
55 Oder die erste Mutation ereignet sich bereits bei der Gametenentwicklung in der
Keimbahn eines Elternteils. Sie erzeugt allein keinen Krebs, bewirkt aber eine genetische
Prädisposition.
236 Kapitel 12 · Humangenetik
Die erste Mutation ist oft eine Punktmutation, die zweite beispielsweise eine Deletion eines größe-
ren Abschnitts. Sie führt zu einem Zustand, den man als Loss of Heterozygosity (LOH) bezeichnet.
Die zwei Mutationen führen zwar zur unkontrollierten Zellteilung, aber nicht zwingend zu
einem malignen Tumor. Dafür können weitere Mutationen notwendig sein. Beispielsweise ver-
läuft die Bildung eines Adenom-Carcinoms mehrstufig:
55 Die Entwicklung des colorectalen Carcinoms (Dickdarmkrebs) beginnt mit den
Mutationen im Tumorsuppressorgen APC.
55 Erst wenn weitere Gene mutieren, entwickeln sich die malignen Eigenschaften.
Mutationen in TP53 können das Li-Fraumeni-Syndrom verursachen, bei dem in frühen Lebens-
jahren verschiedene Tumoren auftreten wie Brustkrebs, Leukämie, Gehirntumore und Osteo-
sarkome. Da das DNA-Reparatursystem betroffen ist, wäre eine Chemotherapie mit mutagener
Wirkung gefährlich.
12
Beispiel 2: Retinoblastom
Das Retinoblastom ist die häufigste Krebsform am Auge bei Kindern. Erkennt man den
Tumor zu spät, greift er auch auf das Gehirn über.
Charakteristika des Retinoblastoms:
55 Die Inzidenz liegt im Mittel etwa bei 1:20.000.
55 Die Krebsform ist ein Beispiel für eine Erkrankung mit hoher Penetranz, nahezu jeder
Betroffene mit den Anlagen entwickelt ein Retinoblastom.
55 40 % der Fälle sind erblich, davon ist ein Viertel familiär, während drei Viertel von
Neumutationen in der Keimbahn verursacht werden. Meistens sind beide Augen betroffen.
55 60 % der Fälle sind sporadisch und gehen auf somatische Mutationen in der Retina
zurück. Hierbei ist in aller Regel nur ein Auge betroffen. Diese Fälle treten erst in späteren
Jahren auf.
55 Das Retinoblastom gilt als autosomal-dominant. Aber auch hier bildet sich der Tumor
erst nach einer weiteren Mutation, einem „zweiten Treffer“ im zweiten Allel, sodass die
Betroffenen compound heterozygot sind. Da mehr als 90 % der Träger letztlich einen
Tumor entwickeln, behält man die Einstufung „dominant“ trotzdem bei.
12.3.4 Onkogene
Onkogene sind in gewisser Weise die Gegenspieler der Tumorsuppressorgene. Während Tumor-
suppressorgene die Zellteilung hemmen, aktivieren die Onkogene die Zellteilung.
In ihrer normalen, nicht mutierten Form bezeichnet man die Gene als Protoonkogene.
Manche Wissenschaftler sprechen lieber von Onkogenen und nach der Mutation von aktivier-
ten Onkogenen.
Protoonkogene steuern Prozesse wie Wachstum, Zellteilung und Differenzierung von
Zellen.
Für den Übergang vom Protoonkogen zum Onkogen reicht eine einzige Mutation in einem
einzelnen Allel aus. Das Gen verliert keine Funktion, sondern die Mutation erzeugt einen Funk-
tionsgewinn (gain of function). Die Veränderung kann in sporadischen wie erblichen Tumoren
vorkommen.
Das Onkogen wirkt dominant.
Man unterscheidet zwei Typen von Onkogenen:
55 Virale Onkogene werden von Krankheitserregern wie Viren, aber auch Bakterien oder
eukaryotischen Parasiten in die Zelle getragen.
55 Zelluläre Onkogene sind Bestandteil des zelleigenen Genoms.
Die Gene der Viren verhindern die DNA-Reparatur und die Apoptose.
Das Abelson-Leukämie-Virus der Maus verursacht chronische myeloische Leukämien der
B-Lymphocyten. Entscheidend ist das Abl-Gen, das eine Tyrosin-Kinase für die Signalweiterlei-
tung codiert. Ein weiteres Gen regt es zu erhöhter Aktivität an.
Verwandt mit diesem Gen ist das menschliche ABL-Gen auf Chromosom 9. Es codiert eben-
falls eine Tyrosin-Kinase (s. Philadelphia-Chromosom, 7 Abschn. 11.2.2).
238 Kapitel 12 · Humangenetik
Chromosom 8 Chromosom 14
Bruchstelle Bruchstelle
1 2 3 C C C Wechsel Vn V2 V1
C C C 2 3
IGH MYC
. Abb. 12.14 Translokation zur Entstehung des Burkitt-Lymphoms (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
Durch eine Translokation entsteht ein Fusionsprotein, das der Kontrolle eines anderen Pro-
motors unterliegt und verstärkt exprimiert wird.
Das Epstein-Barr-Virus und das Burkitt-Lymphom (. Abb. 12.14) erzeugen Tumorzellen,
die sich durch eine Translokation am Chromosom 8 auszeichnen, beispielsweise die balancierte
reziproke Translokation t(8;14)(q24;q32).
55 Diese Translokation bringt das MYC-Protoonkogen in die Nähe des IGH-Gens für eine
schwere Immunglobulinkette.
55 Da Lymphocyten Immunglobuline (also Antikörper) synthetisieren, überexprimieren sie
dann das MYC-Gen, das für den Transkriptionsfaktor Myc codiert.
12 55 Myc ist entscheidend wichtig für die Induktion pluripotenter Stammzellen (siehe 7 Abschn.
14.5.3).
Beim Menschen gibt es drei homologe Gene zum Ras-Gen: HRAS, NRAS und KRAS. Mutatio-
nen in diesen Genen zählen zu den häufigsten Mutationen in menschlichen Tumoren. Sie sind
beteiligt an Lungen-, Dickdarm, Pankreas- oder auch Blasenkrebs.
Auch beim Menschen reicht eine Punktmutation aus, die zum Verlust der GTPase-Bindungs-
aktivität von RAS führt.
12.4 · Behandlung erblich bedingter Krankheiten
239 12
Einer der Forschungsansätze, um die Aktivität des Gens einzudämmen, setzt auf Antisense-
Moleküle und die RNA-Interferenz.
12.3.5 Mutatorgene
Mutatorgene sind an der DNA-Reparatur beteiligt. Fallen sie also aus, so kann die Zelle Schäden
in der DNA nicht ordnungsgemäß reparieren, und es kommt vermehrt zu Mutationen.
Mutationen in Mutatorgenen wirken sich rezessiv aus. Es genügt also ein intaktes Allel zum
Funktionserhalt.
Beispiele beim Menschen: Xeroderma pigmentosum und das Cockayne-Syndrom
(s. 7 Kap. 11).
Grundsätzlich ist eine Behandlung auf verschiedenen Ebene möglich: von der Organtransplan-
tation (z. B. Herz oder Lunge) oder der Organprothese (z. B. Cochlea-Implantat bei Gehörlosig-
keit) bis herab zur Molekülebene, auf der man die fehlenden Stoffe wie Insulin oder den Blutge-
rinnungsfaktor VIII bei Hämophilie A ersetzt.
Auf genetischer Ebene, setzen verschiedene Methoden an, die zum größten Teil noch ent-
wickelt oder erprobt werden:
55 Somatische Gentherapie: Dabei wird eine intakte DNA-Sequenz in Zellen mit Mutation
übertragen.
44Sie erzeugt transgene Zellen und will damit den Defekt in der Sequenz beheben.
Vektoren wie Adenoviren oder nichtpathogene Retroviren schleusen die intakte DNA
in die Zelle hinein.
44Erste Erfolge erzielte man bei der Behandlung von SCID (severe combined immunodefi-
ciency), einer X-Chromosom-gekoppelten Immunschwäche.
44Die somatische Gentherapie kämpft jedoch mit zwei grundsätzlichen Problemen: der
Integration der transgenen DNA und deren Expression. Beispielsweise entwickelten
einige Patienten mit SCID eine Leukämie, weil sich die eingeschleuste DNA in ein
Onkogen inseriert hatte.
44Man hat zwar Viren entwickelt, die sich nicht mehr integrieren, hier wird das Transgen
jedoch nicht dauerhaft exprimiert, sondern nur übergangsweise (transient).
55 Genome Editing: Hierbei verändert man die DNA-Sequenz durch verschiedene Nucleasen
(7 Kap. 16):
44Zinkfingernucleasen,
44TALENS,
44CRISPR/Cas9-Endonucleasen.
44Die Systeme beheben die Mutation wie bei der normalen DNA-Reparatur.
55 RNA-Interferenz (RNAi): Dabei setzt man Antisense-RNA Moleküle ein, um die Translation
der mRNA zu unterbinden. Kleinere Antisense-Oligonucleotide können sich an mRNAs
binden und deren weitere Reifung unterbinden oder deren Abbau erzwingen. Ribozyme
zerschneiden mRNAs direkt.
241 13
Immungenetik
13.1 Überblick – 242
13.1.1 Einteilung des Immunsystems – 242
13.1.2 Die genetische Komplexität der erworbenen
Immunantwort – 242
13.1 Überblick
Die Immunabwehr höherer Tiere umfasst eine Fülle von Komponenten, die sich in zwei große
Kategorien einteilen lassen:
55 angeborene oder unspezifische Immunantwort,
55 erworbene, spezifische oder adaptive Immunantwort.
Die angeborene oder unspezifische Immunantwort ist der stammesgeschichtlich ältere Teil und
daher im Tierreich weiter verbreitet.
Die Antwort ist genetisch vorgegeben und erlaubt keine Anpassung an die Krankheitserreger.
Zur angeborenen Immunantwort gehören Abwehrmechanismen auf verschiedenen Ebenen:
55 mechanische Barrieren und Systeme wie Häute, Schleimhäute und Flimmerhärchen,
55 chemische Abwehr wie Magensäure,
55 Abwehr- und Kommunikationsmoleküle wie Interleukine und das Komplementsystem,
55 zelluläre Bestandteile wie Makrophagen, Granulocyten und natürliche Killerzellen.
Die erworbene Immunität zeichnet sich durch genetische Vielfalt auf drei Ebenen aus:
55 Vielfalt der Immunglobulingene und der Immunglobuline. Diese Gene sind in den
B-Lymphocyten aktiv.
13.2 · B-Lymphocyten
243 13
55 Vielfalt der T-Zell-Rezeptoren. Dabei handelt es sich um Strukturen der T-Lymphocyten.
55 Vielfalt der Gene für den Haupthistokompatibilitätskomplex (major histocompatibility
complex genes, MHC-Gene). Beim Menschen werden sie HLA (human leukocyte antigene)
genannt. Je nach Typ sind sie in speziellen Immunzellen oder in nahezu allen Körperzellen aktiv.
Die Spezifität der Immunantwort entsteht in den Immunzellen. B- und T-Lymphocyten sind
genetisch so programmiert, dass jede Zelle nur ein Antigen erkennt.
55 Nach dem ersten Antigenkontakt vermehren sich die B- und T-Zellen und lösen weitere
Schritte aus.
55 Die B-Zellen produzieren Antikörper, die T-Zellen vermitteln die zelluläre Immunität.
55 Nach dem Abklingen der Immunreaktion bleiben Gedächtniszellen zurück, die oft lebens-
lange Immunität vermitteln.
55 Bei einem zweiten Kontakt mit dem gleichen Antigen kann der Organismus dank der
Gedächtniszellen auch Jahre später schneller reagieren und den Eindringling bekämpfen.
13.2 B-Lymphocyten
Antikörper kommen als Monomere, Dimere oder Polymere vor (. Abb. 13.1).
Man unterscheidet fünf Klassen: IgM, A, G, E und D. Die Klasse bestimmt die Lokalisation des
Antikörpers und welche Reaktionen des Immunsystems er auslöst.
Antikörper sind membranständig oder frei zirkulierend:
1. Zunächst sind Antikörper in der Membran von B-Zellen verankert.
2. Nach einem Antigenkontakt werden die Zellen zur Proliferation angeregt.
3. Die B-Plasmazellen produzieren dann Antikörper, die sie sezernieren und die im Blut
zirkulieren. Sie heften sich an das Antigen und leiten die Zerstörung der Eindringlinge ein.
An
Variable Region der
tig
S S
en
N schweren Kette (VH)
S S
S S S S
S S S S
Leichte S S S S
S S
Kette S S S
C C S Variable Region der
S S leichten Kette (VL)
SS
Konstante Region der
Schwere Kette SS leichten Kette (CL)
C C
V V V V D D J C
D D J J J
V V V V D DJ C
V V DJ C
V V D
VDJ-Rekombination
V V DJ C
Verbindung mit
einem C-Segment
Die Zelle rekombiniert zufällig aus jedem Bereich ein Gensegment. Grundsätzlich kann jedes
Gensegment für eine Region mit jedem Abschnitt für eine andere Region verknüpft werden. Die
Gensegmente tragen dazu an den Enden Signalsequenzen (RSS, recombination site sequences),
die den IR von Transposons ähneln.
Den Rekombinationsvorgang bezeichnet man als V(D)J-Rekombination oder somatische
Rekombination. Er verbindet ein V-Segment mit einem D-Segment, einem J-Segment und einem
C-Segment (. Abb. 13.3).
Die VDJ-Rekombination entspricht einer ortsspezifischen Transposition. Die beiden Proteine
RAG1 und RAG2 (recombination-activating gene) wirken dabei wie das Enzym Transposase. Sie
schneiden die Abschnitte heraus und verknüpfen sie.
z Zurechtschneiden
Wenn die Zelle die Gensegmente zurechtschneidet, arbeitet sie nicht nucleotidgenau. Sie verbin-
det die Genregionen über eine nichthomologe End-zu-End-Verknüpfung (NHEJ). Dabei schnei-
det sie die DNA der Elemente so, dass Lücken entstehen. Das Enzym Terminale Transferase füllt
die Lücken auf, arbeitet aber ungenau.
z Somatische Hypermutation
Das Enzym aktivierungsinduzierte Cytidin-Desaminase (Activation Induced Cytidine Deami-
nase, AID oder AICDA) erhöht die Mutationsrate der Antikörpergene:
1. Die AID entfernt von Cytosinbasen Aminoreste und wandelt sie zu Uracil um.
246 Kapitel 13 · Immungenetik
2. Die Zelle erkennt die Uracilbasen als fehlerhaft und startet die Reparatur.
3. Bei der Reparatur treten Fehler auf, die in Mutationen resultieren.
13.4 T-Zell-Rezeptoren
T-Zell-Rezeptoren (T cell receptors, TCR) sind das Pendant der T-Lymphocyten zu den Antikör-
pern der B-Lymphocyten. TCR und Antikörper ähneln sich genetisch und strukturell.
Die Funktion der T-Zell-Rezeptoren liegt in der Erkennung von Antigenen, die von den
MHC-Komplexen anderer Körperzellen präsentiert werden. Erkennt ein Rezeptor ein Antigen,
wird er aktiviert, woraufhin sich die Genaktivität der T-Zelle verändert und sie sich zur
T-Helferzelle oder cytotoxischen T-Zelle entwickelt
Die Struktur der T-Zell-Rezeptoren weist zwei Polypeptidketten auf, die man als α und β
bezeichnet (. Abb. 13.4). Die Ketten werden über Disulfidbrücken zusammengehalten und sind
in der Zellmembran verankert. Es gibt eine variable und eine konstante Region. Die variablen
13 Regionen der Ketten binden das Antigen.
Die Gene der Rezeptorproteine gehören zur Immunglobulinsuperfamilie.
Die transkriptionsfertigen Gene entstehen durch Rekombination mehrerer Gensegmente:
55 Für die α-Kette sind das V-, J- und C-Segmente.
55 Für die β-Kette gibt es neben V-, J- und C-Segmenten zusätzlich D-Segmente.
-Mikro-
globulin
Bei der Rekombination der Gene für T-Zell-Rezeptoren findet keine somatische Hypermuta-
tion statt.
13.5 Haupthistokompatibilitätskomplex
MHC-Gene zählen zu den variationsreichsten Genen des Menschen. Nur eineiige Zwillinge glei-
chen sich in den MHC-Molekülen.
249 14
Entwicklungsgenetik
14.1 Entwicklungsphasen – 250
14.1 Entwicklungsphasen
Man unterscheidet fünf Phasen der Entwicklung einer Zygote zum mehrzelligen Organismus:
1. Furchungsteilungen: Die Zygote teilt sich mehrfach direkt hintereinander, ohne dass die
Zellen wachsen. Auf die Replikation der DNA folgt unmittelbar die nächste Mitose.
2. Musterbildung: Die Zellen fangen an, sich asymmetrisch zu teilen und im Embryo
unterschiedlich zu verteilen. Räumlich und zeitlich erkennt man Unterschiede in der
genetischen Aktivität. Dadurch entwickelt der Embryo eine Polarität und man erkennt
Achsen. Bei bilateralsymmetrischen Tieren sind das zwei Achsen:
44Die dorso-ventrale Achse unterscheidet eine Vorder- oder Bauchseite und eine Rückseite.
44Die anterior-posteriore Achse führt zur Kopf-Schwanz-Orientierung.
44Bei Pflanzen bildet sich eine apikal-basale Achse von der Wachstumsspitze zu den
Wurzeln aus.
3. Morphogenese (Gestaltbildung): Der anatomisch-morphologische Bauplan wird
erkennbar.
4. Zelldifferenzierung: Die einzelnen Zelltypen entwickeln und differenzieren sich weiter.
5. Wachstum: Die Zelltypen vermehren sich, nehmen an Volumen zu und sind aktiv.
Insbesondere die Musterbildung ist in den vergangenen Jahren gut erforscht worden.
Die Entwicklung vom Ei zum adulten Tier dauert bei der Taufliege Drosophila melanogaster
neun Tage. Genetisch interessant ist jedoch vor allem die Zeit von der Reifung der unbefruchte-
ten Eizelle bis zum etwa 10 h alten Embryo.
14.2 · Die Entwicklung von Drosophila
251 14
Die Stadien vor der Befruchtung:
1. Die weibliche Urkeimzelle oder Oogonie teilt sich im mütterlichen Organismus viermal
mitotisch.
2. Von den 16 resultierenden Zellen reift eine zur Oocyte heran, die übrigen 15 genetisch
gleichen Zellen werden zu Nährzellen für die Oocyte. Sie stehen über cytoplasmatische
Verbindungen mit der Oocyte in Kontakt.
3. Vor allem die Nährzellen sind genetisch aktiv und synthetisieren mRNAs von den
mütterlichen oder maternalen Genen (maternal effect genes). Die mRNAs werden in das
Cytoplasma der Oocyte transportiert und verbleiben darin.
4. Die Translation erfolgt während der Oogenese oder erst nach der Befruchtung in der Zygote.
Die Proteine der maternalen Gene leiten die Genexpression von zygotischen Genen ein.
Wenn der Embryo als syncytiales Blastoderm vorliegt, beginnt er mit der Ausbildung der ante-
rior-posterioren Achsen und der dorso-ventralen Achse.
1. Nach etwa 10 h erkennt man die Zahl und Orientierung der Segmente. Die einzelnen
Segmente bekommen ihre Identität:
44der Kopfbereich,
44der Thorax mit seinen drei Segmenten,
44und das Abdomen mit mehreren Segmenten.
2. Es folgen in den nächsten drei Tagen drei Larvenstadien.
3. Nach fünf Tagen bildet sich die Puppe.
4. Nach neun Tagen ist ein adultes Tier (Imago) vorhanden.
Viele Erkenntnisse hat man an Mutanten gewonnen. Ihr Aussehen verlieh den Genen teils plas-
tische, teils ungewöhnliche Namen wie Krüppel oder spätzle.
252 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
Gene und ihre Produkte steuern die Entwicklung der Stadien. Bei Drosophila unterscheidet man
vor allem drei Gruppen verantwortlicher Gene:
55 Maternale Gene werden bereits vor der Befruchtung transkribiert. Die Wirkung der
Transkriptionsprodukte hängt von deren Konzentration ab, die mit zunehmender
Entfernung vom Transkriptionsort abfällt. Ein sichtbarer Effekt ist die Ausbildung der
Symmetrieachsen.
55 Zygotische Gene steuern die Bildung von Segmenten (Segmentierungsgene). Sie werden
erst nach den maternalen Genen aktiv.
55 Homöotische Gene weisen den Segmenten eine Funktion und Identität zu. Sie bestimmen
also, welche Organe und Strukturen sich im jeweiligen Segment entwickeln.
Nachdem der Embryo die Grundachsen ausgebildet hat, schließt sich die für Insekten typi-
sche Segmentierung in die einzelnen Segmente an. Die Gene transkribiert der Embryo
selbst.
Segmentierungsgene sind für die Zahl und Organisation der Segmente verantwortlich.
Sie bilden eine Kaskade: Gap-Gene oder Lückengene → Paarregelgene → Segmentpolaritätsgene.
z Gapgene
Die Produkte der Gap-Gene sind Transkriptionsfaktoren.
Gap-Gene teilen den Embryo entlang der anterior-posterioren Achse grob ein. Ein Ausfall
eines Gens führt zum Verlust einer Region und damit zum Entstehen einer „Lücke“ (gap).
Beispiele: hunchback, Krüppel (den Mutanten fehlen mehrere anteriore Segmente für die
Kopf-Thorax-Ausbildung).
Gap-Gene können auch gemeinsam agieren. Beispielsweise ist hunchback ebenso an der
Regulation von Krüppel beteiligt wie an anderen Gap-Genen.
Gap-Gene sind auch die Regulatoren für die nachgeordneten Paarregelgene.
Sie wirken noch auf breiterer Region im Embryo, wenn sich die Wirkung auf den Ebenen der
Paarregelgene und der Segmentpolaritätsgene jeweils weiter eingrenzt.
z Paarregelgene
Paarregelgene regulieren die feinere Einteilung der Segmente.
Beispiele:
55 even-skipped-Mutanten haben die geradzahligen Segmente verloren und bestehen aus den
Segmenten Nummer 1, 3 usw.
55 fushi-tarazu-Mutanten bestehen nur aus den geradzahligen Segmenten.
z Segmentpolaritätsgene
Segmentpolaritätsgene regulieren innerhalb der Segmente die Ausrichtung und Polarität der
Zellen, abhängig von den Nachbarsegmenten.
Die Genprodukte sorgen dabei für die Abstimmung benachbarter Segmente, also des post-
erioren Teils eines Segments und des anterioren Teils des Nachbarsegments.
Beispiel: Bei gooseberry-Mutanten fehlen die posterioren Hälften von Segmenten. Sie sind
ersetzt durch die Spiegelbilder der anterioren Hälften der Nachbarsegmente.
254 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
Weitere wichtige Segmentpolaritätsgene sind hedgehog (hh) und wingless (wg). Hedgehog
und Wingless sind integriert in wichtige Signaltransduktionswege der Zelle.
Die Konzentrationsgradienten, die hierarchische Gliederung der Gene und die Interaktionen
der Proteine auf einer Ebene führen dazu, dass die einzelnen Zellen sehr genau und differenziert
genetisch (an)gesteuert werden.
Homöotische Gene legen die Identität der einzelnen Segmente fest. Beispielsweise bildet jedes
der drei thorakalen Segmente Beinpaare aus, das zweite auch die Flügel (der Dipteren), das dritte
die Halteren.
Charakteristika der homöotischen Gene und verwandter Gene:
55 Sie codieren ebenfalls Transkriptionsfaktoren.
55 Gemeinsam ist den Genen ein 180 bp langes Motiv, das man als Homöobox bezeichnet. Sie
codiert die Protein-Homöodomäne, die sich an die DNA bindet.
55 Die homöotischen Gene von Drosophila sind in zwei Komplexen organisiert:
44Dem Antennapedia-Komplex für den Kopf und den vorderen Thorax
44und dem Bithorax-Komplex für den hinteren Thorax und das Abdomen.
Die Gene bilden den homöotischen Komplex (HOM-C) und sind auf dem Chromosom
in der passenden Reihenfolge organisiert. Beispiesweise liegt das lab-Gen auf dem
Chromosom vor dem pb-Gen und ist auch dem davor liegenden Segment zugeordnet.
z Weitere Tranksriptionsfaktoren
Auch die Transkriptionsfaktoren der POU-Familie enthalten eine Homöodomäne. Sie sind eben-
falls an der Entwicklung von Organismen beteiligt, beispielsweise bei Mensch, Drosophila, Cae-
norhabditis u. a., aber nicht bei Pflanzen oder Pilzen.
POU ist ein Akronym der Anfangsbuchstaben dreier Transkriptionsfaktoren (Pit-1, Oct-1/
Oct-2, Unc-86, vgl. Oct-4 bei Stammzellen).
14.3 · Entwicklungsgene bei Arabidopsis
255 14
Pax-Gene (paired-box-Gene) codieren gewebespezifische Transkriptionsfaktoren und ent-
halten eine teilweise oder vollständige Homöodomäne. paired ist ein Drosophila-Gen, die paired
box ist ebenfalls eine DNA-bindende Domäne.
Um die Entwicklung mit Drosophila zu vergleichen und homöotische Gene zu finden, schaut
man sich die Blütenentwicklung an. Auch wenn man mit Arabidopsis arbeitet, untersucht man
Mutanten.
Auf die Blühentwicklung bezogen unterscheidet man verschiedene Klassen von Mutationen:
55 Mutationen, welche die Blühinduktion betreffen, also den Beginn der Blütenbildung als
Reaktion auf äußere Faktoren wie Licht oder Tageslänge.
55 Mutationen, welche zu einem veränderten Aufbau der Blüten führen.
Bei ihnen findet man homöotische Mutanten, wie man sie von Drosophila kennt. Sie
führen zu abweichenden Identitäten der Blütenbestandteile:
44Die normale Blüte von Arabidopsis besteht aus jeweils einem Wirtel genannten Ring
von vier Kelchblättern, vier weißen Blütenblättern, sechs Staubblättern und zwei
Fruchtblättern. Bei den Mutanten sind die Identitäten in den Wirteln verändert.
44Klasse-A-Mutanten haben in dem äußersten oder ersten Wirtel und dem vierten Wirtel
Fruchtblätter, in den übrigen Wirteln Staubblätter.
44Klasse-B-Mutanten haben zwei äußere Wirtel aus Kelchblättern und zwei innere Wirtel
aus Fruchtblätter.
44Klasse-C-Mutanten weisen im äußersten und innersten Wirtel Kelchblätter auf,
während die Wirtel dazwischen aus Blütenblättern bestehen.
Aus den Mutanten lässt sich das ABC-System ableiten, aus dem hervorgeht, welche Interaktion
von Genen für welchen Typ von Blütenblatt erforderlich ist:
55 Expression von Klasse-A-Genen ergibt Kelchblätter,
55 Expression von Klasse-A- und -B-Genen ergibt Kronblätter,
55 Expression von Klasse-B- und -C-Genen ergibt Staubblätter,
55 Expression von Klasse-C-Genen ergibt Fruchtblätter.
In diesem ABC-System hat man homöotische Gene identifiziert, die ebenfalls Transkriptions-
faktoren codieren.
Die DNA-bindende Domäne ist hier die MADS-Box. MADS steht für die Anfangsbuchstaben
der Gene: MCM1 bei Saccharomyces cerevisiae (Bierhefe), ag oder agamous bei A.thaliana, def-a
256 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
oder deficiens bei Antirrhinum majus (Großes Löwenmäulchen), SRF beim Menschen. Mutatio-
nen in ag oder def-a legen die Blütenorgane anders als im Wildtyp fest.
MADS-Box-Gene zählen zu den homöotischen Genen, sind mit den Homöobox-Genen
jedoch nicht weiter homolog.
Neben den homöotischen Genen kann man weitere Parallelen in der Entwicklung von Dro-
sophila und von Arabidopsis erkennen:
55 Bei beiden Organismen wirken und interagieren zahlreiche Gene auf mehreren
Ebenen.
55 Die Gene arbeiten in Kaskaden.
55 Transkriptionsfaktoren regulieren die Expression nachfolgender Gene.
Auslöser für die Apoptose können mehrere extrinsische und intrinsische Faktoren sein, bei-
spielsweise Cortisol in Lymphocyten, Fas-Ligand oder TNF.
Im Ablauf zerstört sich die Zelle selbst und wird schließlich von Immunzellen beseitigt
(. Abb. 14.1):
1. TNF bindet sich an einen Todesrezeptor, beispielsweise den Fas-Rezeptor.
2. Die Ligand-Rezeptor-Bindung aktiviert bestimmte Enzyme, die man Caspasen nennt.
Caspasen sind Cystein-Proteasen. Ein Beispiel ist die Caspase 8.
3. Die Caspasen zersetzen verschiedene Proteine.
4. DNasen spalten die DNA.
5. Die DNA wird nach und nach fragmentiert und abgebaut. Die Kernfragmentierung nennt
man Karyorrhexis.
14 6. Das Cytoplasma schwindet.
7. In einem Karyopyknose genannten Prozess schrumpft der Zellkern und verdichtet sich das
Chromatin zu einer Masse.
8. Membranversiegelte Apoptosekörperchen (apoptotic bodies) beinhalten die Zellüberreste.
Schließlich phagocytieren Makrophagen diese Apoptosekörperchen.
Durch die Phagocytose baut der Organismus die Inhaltsstoffe weiter ab und verwertet sie
wieder. Er vermeidet dadurch auch Entzündungsreaktionen.
Man bezeichnet die Apoptose als physiologischen Zelluntergang.
Zelle beginnt
zu schrumpfen
Zelle zefällt
in Vesikel
3
Makrophagen phago-
cytieren die Zellreste
Die unkontrollierte Nekrose oder einfach Nekrose ist ein traumatischer Prozess, der nicht
vom Organismus beabsichtigt ist. Die Zelle platzt und fließt aus, wobei es zu Entzündungsreak-
tionen kommt. Oft betrifft die Nekrose nicht nur einzelne Zellen, sondern mehrere Zellen bis
zu Gewebeabschnitten.
Im Gegensatz zur Apoptose definiert man die Nekrose als pathologischen Zelluntergang.
Bei der Autophagie oder Autophagocytose baut die Zelle alte Zellbestandteile wie Proteine bis
hin zu ganzen Organellen ab. Beispielsweise werden in den Leberzellen des Menschen Mitochondrien
nach etwa zehn Tagen durch sogenannte Mitophagie zerlegt und die Bestandteile wiederverwertet.
258 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
Totipotent
Oocyte
Menschlicher Fetus
Spermium
Morula
Pluripotent Blastocyste
Innere Zellmasse
Beispiele: Multipotent
14.5 Stammzellen
Im Lauf des Keimstadiums und der frühen Embryonalentwicklung beginnt auch die Differen-
zierung der Zellen:
1. Zunächst teilt sich die Zygote mehrfach und bildet einen kugeligen Zellhaufen. Dieser
Zellhaufen hat das gleiche Volumen wie die Zygote.
2. Ab dem 16-Zellstadium spricht man beim Menschen von der Morula.
Mit weiteren Zellteilungen sondern sich Zellen nach außen hin ab und formen eine
14 Trophoblast genannte Zellschicht. Im Inneren des Trophoblasten bilden andere Zellen
in einer flüssigkeitsgefüllten Höhle den Embryoblasten. Aus der Morula ist die Blastula
geworden. Bei höheren Säugetieren nennt man sie Blastocyste.
3. Aus dem Trophoblast werden die Placenta und die Eihäute, aus dem Embryoblast die drei
Keimblätter Ento, Ekto- und Mesoderm, aus denen sich später die Gewebe differenzieren.
Das Schicksal der Zellen im Embryo engt sich damit immer weiter ein:
55 Die Zellen werden determiniert und sind in ihrer weiteren Entwicklung ab einem
bestimmten Punkt festgelegt.
55 Je weiter sie sich zu bestimmten Zelltypen differenzieren, desto mehr nimmt ihre Entwick-
lungsfähigkeit ab.
Die Entwicklungsfähigkeit einer Zelle wird in verschiedene Kategorien eingeordnet (. Abb. 14.2):
55 Totipotenz ist die Eigenschaft einer Zelle, einen kompletten Organismus zu bilden.
44Eine Zygote oder Sporen sind also totipotent.
14.5 · Stammzellen
259 14
44Bei Pflanzen und Pilzen behalten viele Zelle die Eigenschaft dauerhaft bei, bei Tieren
geht sie nach einigen Zellteilungen verloren. Die Anzahl der Zellteilungen bis zu diesem
Punkt ist artspezifisch. Beim Menschen sind Zellen wahrscheinlich maximal bis zum
Achtzellstadium totipotent.
55 Pluripotenz ist die Eigenschaft einer Zelle, sich noch in alle Zelltypen der drei Keimblätter
und der Keimbahn zu differenzieren. Aus einer pluripotenten Zelle kann sich jedoch kein
vollständiger Organismus entwickeln.
55 Multipotente Zellen können nur noch bestimmte Zelltypen bilden.
Beispiel: Hämatopoetische Stammzellen oder Blutstammzellen im Knochenmark
differenzieren sich in die drei großen Zelltypen des Bluts: Erythrocyten, Leukocyten und
Thrombocyten.
Der Verlust der Entwicklungsfähigkeit ist die Folge einer geänderten Genexpression. Dazu
gehören umfangreiche epigenetische Vorgänge (z. B. DNA-Methylierung, modifizierte Chroma-
tinstruktur, miRNAs) und die Transkription einzelner Transkriptionsfaktoren.
Stammzellen sind Körperzellen, die sich in die Zelltypen und Gewebe differenzieren können.
Die Zellen des Embryoblasten bezeichnet man als embryonale Stammzellen (ES) oder pluri-
potente Stammzellen.
Sie zeigen besondere Eigenschaften:
55 Sie können sich in die drei Keimblätter und nachfolgende Zelltypen
differenzieren.
55 Grundsätzlich sind sie unsterblich, was man Immortalität nennt.
55 Sie teilen sich unbegrenzt. Die Teilung erfolgt asymmetrisch. Die Mutterzelle bleibt eine
Stammzelle, die Tochterzelle kann sich differenzieren oder den Status als Stammzelle
beibehalten.
Stammzellen besitzen ein erhebliches Potenzial für die Forschung und die Medizin:
55 Man verspricht sich von ihnen, dass sie geschädigtes Gewebe regenerieren können,
beispielsweise nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt.
55 Aus menschlichen embryonalen Stammzellen hat man bereits Neuronen gewonnen, die
Dopamin ausschütten. In Gehirnen von Mäusen und Ratten ohne die entsprechenden
Zellen konnten sie die Dopaminversorgung übernehmen.
Da man embryonale Stammzellen aus der inneren Zellmasse von Blastocysten von Embryonen
für eine eventuelle In-vitro-Fertilisaton gewinnt, sind Gewinnung und Umgang mit ihnen ethisch
höchst umstritten. Wegen unterschiedlicher ethisch-religiöser Rahmenbedingungen sind die
Gesetze dazu international verschieden.
Wie frühere Experimente zeigten, sind adulte differenzierte Zellen grundsätzlich wieder repro-
grammierbar und hatten somit keine Gene verloren.
260 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
Durch Kerntransfer gewonnene Embryonen können für verschiedene Zwecke genutzt werden:
55 Beim reproduktiven Klonen setzt man den Embryo einer Leihmutter ein, die diesen
austrägt.
55 Beim therapeutischen Klonen entwickelt sich der Embryo in der Petrischale zunächst
weiter, dann isoliert man einzelne Zellen, um daraus beispielsweise Gewebe zu gewinnen,
und zerstört den Embryo.
Beispiele:
55 Ende der 1960er-Jahre transplantierte John Gurdon Zellkerne von Darmzellen des Krallen-
frosches Xenopus und erhielt fruchtbare Individuen.
55 1996 klonten Ian Wilmut und seine Mitarbeiter das Schaf „Dolly“. Sie transferierten dazu
einen Zellkern aus Brustdrüsenzellen. Mittlerweile konnte man weitere Säugetiere auf
diese Weise klonen.
Kerntransplantationen sind mit einer Reihe von Problemen behaftet: Ihre Erfolgsquote ist gering.
Bei Dolly betrug sie 1:277.
55 Nicht alle adulten Zellen sind reprogrammierbar, das gilt beispielsweise für Nervenzellen
der Maus.
55 Die Tiere kommen genetisch alt auf die Welt. In adulten Zellen verkürzen sich die
Telomere, auch Mutationen können sich schon angehäuft haben. Dolly litt beispiels-
weise an mehreren Krankheiten und musste im Alter von sechs Jahren eingeschläfert
werden.
55 Da man bei einem derartigen Transfer nur den Kern überführt, nicht aber die Mitochon-
drien, handelt es sich bei dem Nachkommen im strengen Sinn nicht um einen genetisch
gleichen Organismus oder Klon.
14
14.5.3 Somatische Stammzellen und induzierte pluripotente
Stammzellen
Klf4 Oct4
Sox2
Myc
. Abb. 14.3 Um- oder Reprogrammieren von differenzierten Zellen mithilfe von Oct4, Sox2, Klf4, Myc. Diese
Faktoren rekrutieren Coaktivatoren wie Tet2 ebenso wie Repressoren wie Mbd3, das die Aktivierung noch
verhindern kann. Erst wenn sich Mbd3 löst, kommt es zur Aktivierung
Leidet die Spenderin an einer Mitochondropathie, vermeidet man den Transfer der Mitochon-
drien mit Mutationen und erzeugt ein gesundes Kind. Eine anschließende genetische Analyse
soll künstliche Heteroplasmie ausschließen, also sicherstellen, dass keine Mitochondrien
übertragen worden sind und geschädigte wie intakte Mitochondrien vorliegen.
262 Kapitel 14 · Entwicklungsgenetik
M
Histonvariante K K M
X O S X O S
Pluripotenz
c Gen (Oct4)
Nanog-interagie-
render Locus
Cohäsin
K M K M
X O S X S
? Mediator O
Pluripotenz
d Gen (Nanog)
. Abb. 14.4 Während der Induktion ändert sich der epigenetische Status in erheblichem Umfang, über
14 Zwischenstufen kommt es zu induzierten pluripotenten Stammzellen
55 Beim Vorkerntransfer nimmt man den Austausch kurz nach den Befruchtungen der zwei
Eizellen vor.
Die Methoden sind ethisch umstritten, grundsätzlich wegen des Eingriffs in die Keimbahn, der
unausgereiften Technik und weil man ein Kind erzeugt, das Erbgut von drei Personen bekommt,
also drei Eltern hat. Die rechtliche Situation zur Forschung und Durchführung ist weltweit sehr
unterschiedlich und wird diskutiert.
263 15
Genomik
15.1 Überblick und Einteilung des Gebiets – 264
Die Genomik ist ein junges Teilgebiet innerhalb der Genetik. Sie untersucht und vergleicht von
kompletten Genomen
55 den Aufbau,
55 die Organisation,
55 die Funktion und Interaktion genetischer Elemente,
55 die Evolution von Genen und genetischen Elementen.
Die Kartierung eines Genoms ist die Grundlage für die späteren Arbeiten. Man unterscheidet
zwei Arten von Karten:
55 Biologische, genetische oder Kopplungskarte. Sie gibt nicht die Sequenzen der
DNA-Basen wieder, sondern spiegelt wider, wie eng die Kopplung der einzelnen
DNA-Abschnitte und/oder Marker bzw. Gene ist. Damit sagt sie nur aus, welche Regionen
häufig gemeinsam auftreten und deshalb wohl eng beieinander liegen und welche eher
locker assoziiert sind und darum wohl weiter voneinander entfernt oder auf getrennten
15.2 · Kartierung von Genomen
265 15
Chromosomen lokalisiert sind. Als Einheit wurde das centiMorgan mit dem Symbol cM
eingeführt. 1 cM entspricht einer Rekombinationshäufigkeit von 1 %. Je größer der Wert
ist, desto weniger eng ist die Kopplung zweier DNA-Abschnitte.
55 Physikalische Karte. Im Idealfall und als Ziel listet sie die Nucleotidsequenz der DNA auf.
Die Reihenfolge der DNA-Abschnitte ist auf beiden Kartentypen gleich.
Biologische Karten geben an, wie wahrscheinlich DNA-Abschnitte, Marker oder Gene bei der
Zellteilung miteinander verbunden bleiben. Als trennendes Element wirken Crossing over.
Bei den biologischen oder genetischen Karten richtet sich das Vorgehen nach dem Orga-
nismus. Die Arbeit mit Modellorganismen erlaubt andere Methoden als die Bestimmung einer
Genkarte des Menschen.
z Das Musterbeispiel für eine genetische Karte ist die Kartierung des Drosophila-
Genoms.
55 Man kreuzt Drosophila-Individuen mit verschiedenen Merkmalen und sucht nach neuen
Kombinationen.
55 Diese beruhen dann auf homologen Rekombinationen (s. 7 Abschn. 9.1).
55 Das Ergebnis ist eine Karte, die nicht so sehr absolute Abstände oder Orte angibt, sondern
Rekombinationshäufigkeiten und die Lage von Markern relativ zueinander.
In den Untersuchungen wurde für mehr als 5000 Marker überprüft, wie eng gekoppelt sie auf-
traten. Das Ergebnis war eine Karte des menschlichen Genoms mit einer Auflösung von etwa
0,7 cM oder rund 520 Mb.
Die Allele oder Varianten, die auf einem Chromosom beieinander liegen, also gekoppelt sind
und zusammen vererbt werden, bilden einen Haplotyp.
DNA-Abschnitte S S
S
homologer Chromosomen
1 2 3 1 3 1 3
A B C
x + y
Autoradiografie nach
Southern-Blot-Hybridisie- x
rung mit S als DNA-Sonde
. Abb. 15.1 Nachweis eines RFLP (nach Buselmaier und Tariverdian 2007)
55 Die Charakterisierung über die Bänderung der Chromosomen ist zu grob (. Abb. 15.2).
55 Die Größenangaben basieren auf Rekombinationen. Dadurch lassen sich die Abstände in
centiMorgan nicht in Nucleotiden umrechnen. Zusätzlich erscheinen die Genkarten von
weiblichen Individuen größer, weil in ihren Meiosen mehr Crossing over ablaufen.
Physikalische Karten haben eine feine Auflösung und geben exakte Nucleotidabstände für
DNA-Abschnitte auf einem Chromosom an.
Für physikalische Karten ohne Sequenzierung nutzt man mehrere Methoden, die sich mitein-
ander kombinieren lassen und teilweise aufeinander aufbauen:
55 Restriktionskartierung. Die Methode darf nicht mit der RFLP der biologischen Kartierung
verwechselt werden. Bei der Restriktionskartierung werden die Fragmente nach der
Behandlung mit verschiedenen Enzymen zu einer Karte kombiniert:
1. Man schneidet die DNA mit verschiedenen Restriktionsenzymen. Beispielsweise führt
man einen Verdau mit den selten schneidenden Enzymen NotI und MluI durch.
15.2 · Kartierung von Genomen
267 15
1 2 3 4 5
A B
6 7 8 9 10 11 12 X
C
13 14 15 16 17 18 350
D E 550
2000
19 20 21 22
a F G Y b
. Abb. 15.2 Karyotyp eines Mannes (a) und die Bänderung von Chromosom 11 bei verschiedenen
Kondensationsgraden (b)
2. Man trennt dann die Fragmente auf einem Agarosegel auf und bestimmt die Größe.
3. Kombiniert man anschließend die Enzyme, ergeben sich andere Fragmentlängen.
4. Computerprogramme vergleichen und ordnen die Fragmente, sodass sich eine
durchgehende Karte ergibt, die das Chromosom abbildet. Sie gibt die Abstände der
Schnittstellen mit einer Auflösung von weniger als 1 Mb an.
55 Sequence tagged sites (STS) sind DNA-Sequenzen von 200–500 bp Länge, die nur ein
einziges Mal im Genom vorkommen. Sie lassen sich mit spezifischen Primern leicht über
eine PCR erkennen und vervielfältigen. Damit dienen STS als Marker zur Identifizierung
von DNA-Abschnitten:
1. Das Chromosom wird in mehrere DNA-Fragmente zerschnitten.
2. Die DNA-Fragmente werden als Inserts in künstliche Hefechromosomen (YACs, yeast
artificial chromosomes) oder in künstliche Bakterienchromosomen (BACs, bacterial
artificial chromosomes) eingebaut. BACs basieren auf dem F-Plasmid und dürfen nicht zu
groß werden. Daher entfernt man vor dem Einbringen eines Inserts mehrere Plasmidgene.
3. Die künstlichen Chromosomen werden im jeweiligen Organismus vervielfältigt.
4. Mit spezifischen Primern und PCR wird jedes künstliche Chromosom auf die
Anwesenheit von STS überprüft.
55 Von STS zum Contig. In der Regel überlappen die Inserts der BACs, ein STS sollte also
in mehreren BACs zu finden sein. Darauf aufbauend kann man die überlappenden
BACs ordnen und es ergibt sich eine Abfolge von BACs, die das Chromosom lückenlos
überspannt. Das Ergebnis nennt man Contig (von engl. contiguous: zusammenhängend,
angrenzend; . Abb. 15.3).
268 Kapitel 15 · Genomik
B1
B2
B3
* B4
B5
a b S1 S2 S3 S4 S5
. Abb. 15.3 Überlappende Klone ergeben ein Contig aus den BACs B1 bis B5. Der Stern markiert den
Ausgangspunkt, S1 bis S5 sind STS-Marker
15.2.3 Sequenzierung
Mit der Sequenzierung der DNA ermittelt man ihre Basenabfolge. Da die Sequenz, die man in
einem Durchgang sequenzieren kann, mit weniger als 1 kb nicht sehr lang ist lassen sich auch die
Inserts von BACs nicht direkt in einem Durchgang sequenzieren.
Für die Sequenzierung des menschlichen Genoms haben das staatlich geförderte Humange-
nomprojekt und das private Unternehmen Celera Genomics verschiedene Strategien angewandt:
55 Das Humangenomprojekt hat nach der kartenbasierten hierarchischen Methode
gearbeitet. Dabei wird zuerst die Lage eines DNA-Abschnitts bestimmt und danach seine
Sequenz ermittelt.
55 Celera Genomics hat die Methode der Schrotschuss-Sequenzierung angewandt. Bei
diesem Verfahren werden zunächst DNA-Abschnitte sequenziert und anschließend ihre
Lokalisation geklärt.
z Schrotschuss-Sequenzierung
Das Prinzip der Schrotschuss-Sequenzierung (whole genome shotgun sequencing, . Abb. 15.4):
1. Mittels mechanischer Scherkräfte, beispielsweise durch Ultraschall, zerteilt man das ganze
Genom gleichzeitig. Daraus resultieren kurze, unterschiedlich lange, zum Teil überlap-
pende Fragmente.
15.2 · Kartierung von Genomen
269 15
. Abb. 15.4 Vergleich von hierarchischer und ganzer Genom-Schrotschuss-Sequenzierung (nach Buselmaier
und Tariverdian 2007)
2. Man kloniert die Fragmente in Plasmidvektoren und sequenziert die Inserts von den
Enden her.
3. Computer suchen nach überlappenden Sequenzen und setzen die Fragmente zu einem
Contig zusammen.
Das Verfahren ist mit einigen Problemen behaftet und liefert nicht auf Anhieb die gewünschte
komplette Sequenz:
55 Wegen der unvermeidlichen Sequenzierungsfehler muss man die DNA-Sequenz
mehrfach sequenzieren. Üblich sind zehn reads genannte Lesedurchgänge, die eine
zehnfache Abdeckung oder coverage liefern.
55 Die Genome höherer Tiere und Pflanzen enthalten repetitive Sequenzen. Wenn nicht
bekannt ist, wie viele Wiederholungen aufeinander folgen, kann die berechnete Sequenz
zu kurz oder zu lang werden. Zur Absicherung sequenziert man die Enden von langen
Genomfragmenten mit bis zu 50 kb und überprüft, ob die Endsequenzen im Contig in der
richtigen Abfolge verankert sind.
Das 1000 Genomes Project Consortium verfolgt das Ziel, die Genome von mehr als 1000 Men-
schen zu sequenzieren.
15.2.4 Annotierung
Der Vergleich zweier Genome mit dem Ziel, evolutionär oder funktionell konservierte Abschnitte
zu finden, heißt Alignment.
Das Ergebnis der Annotierung sind Aussagen über:
55 proteincodierende und nichtproteincodierende Gene,
55 Pseudogene,
55 RNA-Moleküle,
55 Repeats,
55 die Einordnung der Gene in Funktionskategorien wie Replikation, Regulation oder
Stoffwechsel.
55 Schließt man auch Insertionen und Deletionen (Indels) von einzelnen Basen mit ein,
spricht man von Einzelnucleotidvarianten (SNVs, single nucleotide variants).
SNPs oder SNVs sind die molekularbiologische Grundlage für den klassischen Begriff „Allel“
als Erscheinungsform eines Gens.
Ein Beispiel für einen stabilen SNP ist in dem Gen für die Lactosetoleranz zu finden. Eine
Mutation, die dazu führt, dass das Enzym Lactase auch noch im Erwachsenenalter produziert
wird, hat sich bei einigen Populationen durchgesetzt. Lactosetoleranz bei Erwachsenen ist im
Norden Europas häufiger als im Süden.
Um die SNPs eines Menschen zu erfassen, arbeitet man mit DNA-Chips. Die Chips enthalten
kurze, bekannte DNA-Sequenzen, die mit passenden DNA-Abschnitten einer Probe hybridi-
sieren. Die Bindung kann beispielsweise mit Fluoreszenzmarkern sichtbar gemacht werden.
Durch diese Genotypisierung lassen sich in kurzer Zeit Tausende von SNPs eines Menschen
ermitteln.
272 Kapitel 15 · Genomik
Eine genomweite Assoziationsstudie liefert über den Vergleich der Daten von Betroffenen
einer Krankheit mit den Daten von Kontrollgruppen Hinweise auf eine Kopplung von SNPs mit
dem Krankheitsbild.
Die Unterteilung von Deletionen und Insertionen erfolgt nach der Größe des betroffenen
DNA-Abschnitts:
55 Sind nur einzelne Nucleotide verloren gegangen oder hinzugekommen, spricht man von
Einzelnucleotidvarianten (SNVs).
55 Große Verluste oder Zugewinne von mehreren Millionen Basenpaaren bezeichnet man als
strukturelle Aberration (s. 7 Abschn. 11.2.2).
55 Mittlere Veränderungen fasst man als Kopienzahlvarianten oder Kopienzahlvariationen
(CNVs, copy number variants oder variations) zusammen.
15.3.3 Mikrosatelliten
Mikrosatelliten sind kurze DNA-Sequenzen, die fünf- bis 100-mal wiederholt werden
(s. 7 Abschn. 2.3.7). Die Zahl der Wiederholungen an einem Ort im Genom ist individuell
unterschiedlich.
Größere Repeats wie die LINE s und SINE s (s. 7 Abschn. 2.3.7) verursachen weitere Polymor-
phismen, die man Retrotransposon-Insertionspolymorphismen (RIPs) nennt.
Die funktionelle Genomik untersucht die Funktion von Genen und anderen Sequenzen im
Genom. Dazu erforscht sie
55 das Transkriptom als die Gesamtheit aller RNA-Moleküle in einer Zelle zu einem
bestimmten Zeitpunkt,
55 das Proteom als die Gesamtheit aller Proteine,
55 das Epigenom als die Gesamtheit der epigenetischen Information im Genom.
z Northern Blot
Der Northern-Blot ist die „klassische“ Methode, um die Transkription eines proteincodieren-
den Gens zu untersuchen:
1. Die Probe wird vorbereitet, indem sie von Proteinen und DNA gereinigt wird.
2. Die mRNA-Moleküle werden durch Gelelektrophorese nach ihrer Größe aufgetrennt.
274 Kapitel 15 · Genomik
3. Durch das Übertragen oder Blotten vom Gel auf Nitrocellulosepapier werden die mRNA-
Moleküle wieder zugänglich.
4. Sonden aus RNA oder DNA mit bekannten Sequenzen dienen als spezifische Sonden für
gesuchte RNA-Moleküle. Komplementäre Abschnitte hybridisieren zu Doppelsträngen.
Nicht hybridisierte Sonden werden ausgewaschen.
5. Die Sonden sind mit Markern wie radioaktiven Isotopen versehen und können so nachge-
wiesen werden.
Der Northern-Blot macht Aussagen zur Zusammensetzung des Transkriptoms und zur Menge
der jeweiligen mRNA. Durch den Vergleich verschiedener Proben kann man Unterschiede zwi-
schen Individuen, Entwicklungsstadien oder Gesundheitszuständen feststellen.
Im Zeitalter von Hochdurchsatztechnologien ist die Methode zu schwerfällig. Sie hat die
Nachteile, dass sie zu ungenau ist und sich nicht alle mRNAs gleichzeitig analysieren lassen.
Durch den Einsatz verschiedener Fluoreszenzfarbstoffe, die rot und grün leuchten, lassen
sich zwei Transkriptome gleichzeitig analysieren und miteinander vergleichen. Die Methode
arbeitet also relativ.
Beispielsweise kann die Probe aus einer normalen Zelle rot markiert sein, das Transkriptom
einer Tumorzelle grün. Dann ergeben sich für jeden Punkt im Gitter vier Möglichkeiten:
55 Farblos: Das zugehörige Gen wird von keiner der beiden Zellen transkribiert.
55 Rot: Nur die gesunde Zelle exprimiert das Gen.
55 Grün: Nur die Tumorzelle exprimiert das Gen.
15 55 Gelb: Beide Zelltypen exprimieren das Gen.
Mikrotiterplatte
mRNA
PCR
Reverse Transkription
unter Verwendung DNA wird auf
fluoreszenzmarkierter Glasträger
Nucleotide fixiert
Cy3
Cy5
cDNA
Glasträger
Gemischte cDNA
wird mit fixierter
DNA hybridisiert
Laserscanner:
Kanal 1 Kanal 2
15.4.2 Proteomik
Die Proteomik verfügt über verschiedene Methoden, die jeweils spezielle Ziele verfolgen:
55 Der Nachweis und die Identifikation von Proteinen erfordert häufig die Auftrennung eines
Proteingemischs.
55 Die biologischen Eigenschaften eines Proteins umfassen beispielsweise die Interaktion
mit anderen Proteinen oder DNA.
Das Ergebnis ist ein zweidimensionales Muster von Proteinflecken oder Spots, die semiquan-
titativ zeigen, welche Proteine in welchen Mengen in der Probe vorliegen. Proteine in geringen
Mengen gehen allerdings leicht verloren.
15 Chromatografien wie die Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (high performance liquid
chromatography, HPLC) trennen Proteine nach ihrer Affinität zum Material der Säule. Proteine,
die stark oder eng damit wechselwirken, verbleiben länger in der Trennsäule und treten deshalb
später aus ihr aus. Die austretenden Proteine werden getrennt aufgefangen und mit einem Detek-
tor nachgewiesen und quantitativ vermessen.
Ein Massenspektrometer trennt Proteine nach ihren Massen:
1. Die Proteine werden mit Trypsin in Peptide gespalten und künstlich ionisiert.
2. Ein elektrisches Feld beschleunigt die geladenen Peptide und schickt sie durch einen
Analysator, der die Teilchen nach dem Verhältnis von Masse zu Ladung auftrennt.
3. Ein Detektor erfasst die Teilströme.
4. Das resultierende Profil wird mit Datenbanken abgeglichen.
5. Als Ergebnis erhält man eine Liste der Peptide, aus der sich auf die ursprünglichen
Proteine schließen lässt.
15.4 · Funktionelle Genomik
277 15
Mr
pH 3 Isoelektrische Fokussierung (1. Dimension) pH 11 (in KDa)
SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese (2. Dimension)
250
150
100
75
50
37
25
20
z Funktionelle Untersuchungen
Die Interaktion zweier Proteine kann man mit dem yeast two-hybrid system (Y2H) überprüfen.
55 Die Grundlage für den Test ist die Expression des Reportergens β-Galactosidase, dessen
Aktivität durch eine Färbung nachgewiesen werden kann.
55 Für die Expression ist ein Transkriptionsfaktor aus zwei Untereinheiten notwendig
(. Abb. 15.8a).
Für den Test werden die zu prüfenden Proteine und die Untereinheiten des Transkriptions-
faktors miteinander verbunden:
1. Das Protein D1 wird mit der ersten Untereinheit des Transkriptionsfaktors fusioniert,
das Protein D2 mit der zweiten Untereinheit.
2. Lagern sich D1 und D2 eng aneinander, verbinden sich auch die Untereinheiten zu
einem funktionstüchtigen Transkriptionsfaktor. Das Reportergen wird exprimiert, und
durch seine katalytische Aktivität entsteht ein blauer Farbstoff.
Interagieren die Proteine D1 und D2 nicht miteinander, bleibt die Expression der
β-Galactosidase aus, sodass es keine Blaufärbung gibt.
DNA- DNA-
BD BD
Zellen
DNA-bindende Proteine
15
G AT C A C G G T C C AG C C T C T GC C G G A G C C C CA G T C T CC G C A G T
260 270 280 290
. Abb. 15.9 Identifizierung von DNA-Abschnitten, an die sich Proteine binden, mittels ChIP
15.5 · Komparative Genomik
279 15
3. Spezifische Antikörper gegen die Proteine binden sich an diese und fällen die Protein-
DNA-Komplexe aus (Präzipitation).
4. Die Proteine werden von der DNA gelöst.
5. Die DNA wird über verschiedene Verfahren analysiert:
44Man kann die DNA mittels PCR amplifizieren und sequenzieren. Bestimmt man die
Sequenzen mittels Hochdurchsatzsequenziertechniken (s. 7 Abschn. 16.5.3), spricht
man von ChIP-Seq.
44Man kann die DNA gegen die DNA-Sonden eines Chips hybridisieren. Das
Vorgehen heißt ChIP-Chip und ermittelt den regulatorischen Status einer Zelle.
Die Informationen fließen in das ENCODE-Projekt (encyclopedia of DNA elements) ein, das alle
funktionellen Elemente des menschlichen Genoms analysiert und charakterisiert.
Der Vergleich der Genome verschiedener Arten erlaubt Aussagen über die Evolution der Orga-
nismen. Das Genom des Menschen wird häufig mit dem Erbgut des Schimpansen verglichen.
Es zeigt aber auch noch genetische Übereinstimmungen mit dem Genom des Bakteriums E. coli.
Konservierte Sequenzen stimmen bei mehreren Organismen überein. Sie erfüllen häufig
wichtige Funktionen von grundlegender Bedeutung. Bei großer Übereinstimmung sind die Gene
hoch konserviert, wie es beispielsweise die Histongene sind.
Sind Gene oder Gensegmente bei mehreren Arten in der gleichen Reihenfolge auf den
Chromosomen lokalisiert, spricht man von Syntänie oder Syntenie.
Beispiele:
55 Das menschliche Chromosom 20 erkennt man prinzipiell im Chromosom 2 der Maus
wieder.
55 Die Chromosomen 12 und 13 des Schimpansen zusammengenommen entsprechen dem
großen Chromosom 2 des Menschen.
Neben ganzen Genen können auch nur Teilabschnitte von Genen eine Funktionsverwandtschaft
aufweisen, die im Protein als Domäne auftreten. Dies ist beispielsweise bei der Homöobox der
Hox-Gene der Fall. Die entsprechende Homöodomäne der Proteine befähigt diese dazu, sich an
die DNA zu binden.
280 Kapitel 15 · Genomik
Oft entspricht eine Domäne einem Exon. Kopiert die Zelle das Exon mit der Domäne in
ein anderes Gen, so erhält das Empfängergen eine zusätzliche Funktion, und es kann ein neues
Protein entstehen. Dieses Hineinkopieren von Exons nennt man exon shuffling.
Bluthochdruck und Fettleibigkeit demonstrieren, dass der Mensch genetisch durch seine Evo-
lution und die früheren Lebensumstände geprägt ist:
55 Er hat sich genetisch nicht an den Überfluss von Nahrung und Bewegungsmangel der
westlichen Welt angepasst, verbraucht die Nährstoffe nicht und legt überflüssige Fettre-
serven an.
55 In jüngeren Jahren kann hoher Blutdruck die Leistungsfähigkeit sichern und „eine gesunde
Gesichtsfarbe“ signalisieren. Im Alter zählt er als Risikofaktor für eine ganze Reihe von
Komplikationen.
Bei Chemotherapeutika kommt hinzu, dass diese Substanzen selbst mutagen sein können.
15
281 16
Methoden
16.1 Isolierung von Nucleinsäuren – 283
16.1.1 Isolierung von DNA – 283
16.1.2 Isolierung von RNA – 283
16.1.3 Präparation von Plasmid-DNA – 284
Für die Isolierung oder Extraktion von genomischer DNA gibt es verschiedene Protokolle, die
jeweils Besonderheiten der Zielzellen berücksichtigen, beispielsweise die Anwesenheit und den
Aufbau von Zellwänden bei Pflanzen bzw. Bakterien.
Im Wesentlichen basieren die Protokolle auf folgenden Prinzipien:
1. Aufschluss der Zellen. Bei tierischen Zellen reicht oft Natriumdodecylsulfat (SDS) zur
Zerstörung der Membran. Bei Bakterien muss eventuell die Zellwand durch Lysozym
aufgelöst werden. Bei Pflanzen arbeitet man mit SDS und CTAB (Cetyltrimethylammoni-
umbromid), um Polysaccharide zu entfernen.
2. Inaktivierung von DNasen und anderen Proteinen. Da DNasen zweiwertige Kationen wie
Mg2+ benötigen, gibt man den Komplexbildner EDTA hinzu, der den Enzymen die Ionen
entzieht. Zusätzlich fügt man die Proteinase K hinzu, welche die Proteine abbaut.
3. Zentrifugation. Schwerere Zelltrümmer werden in der Zentrifuge von der DNA getrennt.
4. Extraktion mit Phenol und Phenol/Chloroform. Dabei entfernt man Zell- und Protein-
reste, die sich noch in der Probe befinden. Die DNA bleibt in der wässrigen Phase
(. Abb. 16.1).
5. Präzipitation (Fällung). Ethanol entzieht der DNA die Hydrathülle, sodass sich die DNA
nicht mehr löst und ausfällt.
6. Zentrifugieren und Aufnahme in einem Puffer.
Eine andere Variante ist die Extraktion von DNA durch Säulenchromatografie mit Anionenaus-
tauschersäulen (. Abb. 16.2):
1. Die ersten drei Schritte verlaufen wie oben aufgeführt. Wegen der Umwelt- und Gesund-
heitsgefahren verzichtet man auf Phenol und Chloroform.
2. Die DNA mit ihren negativ geladenen Resten bindet sich an die positiv geladenen Gruppen
der Säulenmatrix.
3. Moleküle mit weniger negativ geladenen Resten binden sich weniger gut an das
Säulenmaterial.
4. Verändert man die Ionenstärke des Wasch- und Elutionspuffers, kann man nach und nach
Proteine, RNA-Moleküle und schließlich DNA von der Matrix ablösen (eluieren).
+ 1 Vol. + 1 Vol.
Phe/Chl Chl
+ 1 Vol.
Phe
Interphase
DNA-Lösung
. Abb. 16.1 DNA-Isolierung über schrittweise Zugabe von Phenol und Chloroform (nach Mülhardt 2013)
Proteine Einzel-
Nucleotide rRNA strängige Plasmid-
Oligomere tRNA mRNA DNA DNA
Ausbeute
. Abb. 16.2 Elutionsmuster in Abhängigkeit von der Salzkonzentration (nach Mülhardt 2013)
Bei den zu extrahierenden Plasmiden handelt es sich meist um Plasmide aus/in E. coli, die man
gern als Klonierungsvektoren einsetzt. Sie werden mit kommerziellen Kits, die alle Chemika-
lien und Materialien wie Reinigungssäulen beinhalten, nach Anleitung des Herstellers isoliert.
Das Vorgehen baut auf folgenden Schritten auf:
1. Zugabe von SDS und NaOH:
44Das SDS zerstört die Membran.
44Die Natronlauge erhöht den pH-Wert so weit, dass Proteine und DNA-Moleküle
16 denaturiert werden.
2. Erniedrigung des pH-Werts. Durch die Ansäuerung renaturiert die DNA wieder. Proteine
bleiben denaturiert.
Wegen der unterschiedlichen Struktur von genomischer DNA und Plasmid-DNA
renaturieren die kleinen Plasmidringe schneller, und man kann sie abtrennen.
Eine PCR ist ein zyklischer Prozess. Bei jedem der 25 bis 40 Durchläufe wird die DNA verdop-
pelt, sodass die Menge exponentiell anwächst.
16.2.1 Standard-PCR
Ein Zyklus besteht aus drei Schritten, die jeweils 30 s dauern (. Abb. 16.3). Spezielle Geräte,
sogenannte Thermocycler oder Cycler, führen die PCR automatisch durch:
1. Hitzedenaturierung oder Schmelzen. Der Cycler erhöht die Temperatur auf 95 °C, sodass
sich die DNA-Stränge trennen.
2. Annealing. Der Cycler kühlt auf die spezifische Temperatur herunter, bei der sich die
Primer an ihre komplementären Abschnitte binden. Die Bindungstemperatur der Primer
ist von ihrer Länge und ihrem GC-Gehalt abhängig.
3. Synthese oder Elongation. Der Cycler erhöht die Temperatur auf 72 °C. Die Taq-
Polymerase synthetisiert von den Primern ausgehend neue komplementäre DNA-Stränge.
Die hohe Temperatur beschleunigt die Synthese.
Anwendungsfall: Bei Proben mit einer komplexen bzw. langen DNA-Sequenzen (z. B. genomi-
scher DNA aus einem Menschen) kann es auch außerhalb des Zielabschnitts mehrere Bindestel-
len für die Primer geben. Im Laufe der PCR werden dadurch unerwünschte DNA-Abschnitte als
Nebenprodukt vervielfältigt.
Die nested PCR arbeitet mit einer zweiten PCR, bei der die Primer innerhalb der ersten
Primer liegen:
1. Die erste PCR vervielfältigt den Zielbereich und als Nebenprodukte einige andere
DNA-Abschnitte.
286 Kapitel 16 · Methoden
. Abb. 16.3 Die ersten drei Zyklen der PCR (nach Mülhardt 2013)
SP1 AP1
1. PCR
16
SP2 AP2
2. PCR
. Abb. 16.4 Nested PCR mit einem zweitem Paar Primer (nach Mülhardt 2013)
16.2 · Polymerasekettenreaktion (PCR)
287 16
2. Eine kleine Teilmenge aus der ersten PCR setzt man für eine zweite PCR ein.
3. Für die Primer der zweiten PCR bietet nur die Ziel-DNA dem neuen Primer-Paar Bindungs-
stellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eines der Nebenprodukte zufällig auch für diese
Primer Bindungsstellen besitzt, ist extrem gering.
16.2.4 Multiplex-PCR
Anwendungsfall: Man amplifiziert gleichzeitig mehrere Gene oder Exons eines Gens, um zu ana-
lysieren, welche DNA-Abschnitte vorhanden sind oder fehlen.
Die Multiplex-PCR arbeitet mit mehreren Primer-Paaren für die verschiedenen DNA-
Abschnitte gleichzeitig.
Trennt man die amplifizierten DNA-Abschnitte auf, sieht man, welche Bereiche in der Probe
vorhanden waren.
Die Multiplex-PCR wird für verschiedene medizinische Diagnosen eingesetzt:
55 Bei Erkrankungen, für die verschiedene Viren oder Bakterien verantwortlich sein können,
verrät die Multiplex-PCR den tatsächlichen Erreger.
55 Manche erblich bedingte Krankheiten gehen auf ein fehlendes Exon in einem Gen
zurück.
55 Eine Multiplex-PCR kann alle Exons gleichzeitig überprüfen.
Anwendungsfall: Der Fortgang der Amplifikation soll in Echtzeit verfolgt werden, oder die Ver-
vielfältigung soll nur bis zu einer bestimmten Kopienzahl ablaufen.
Die Echtzeit-PCR, auch real-time PCR oder quantitative PCR, läuft unter Zugabe eines
Fluoreszenzfarbstoffs ab. Der Farbstoff wird erst aktiv, wenn er sich in doppelsträngige DNA
einlagern kann. Die Fluoreszenz nimmt daher mit der Amplifikation zu.
Da die Intensität der Fluoreszenz proportional zur Kopienzahl der DNA ist, kann die PCR
quantitativ durchgeführt werden.
288 Kapitel 16 · Methoden
16.3 Gelelektrophorese
Elektrophoresen trennen elektrisch geladene Moleküle wie DNA und Proteine mithilfe eines
angelegten elektrischen Felds. Die Moleküle wandern dabei in einem Trägermaterial.
Die Trennung erfolgt im Wesentlichen nach zwei Kriterien:
55 Je mehr Ladungen ein Molekül trägt, desto schneller wandert es im elektrischen Feld.
55 Je stärker das Molekül mit dem Trägermaterial für die Probe „wechselwirkt“, desto
langsamer wandert es. Beispielsweise halten siebartige Materialien wie Agarosegele längere
DNA-Moleküle stärker zurück als kürzere.
DNA ist aufgrund der Phosphatgruppen negativ geladen, wobei die Ladung proportional zur
Länge des Moleküls ist. DNA-Moleküle werden daher nach der Länge aufgetrennt.
Die wichtigsten Komponenten einer Gelelektrophorese sind:
55 Ein Gemisch von DNA-Molekülen als Probe.
55 Ein gelartiges Trägermaterial. In der Regel wird ein großporiges Agarosegel mit einer
Konzentration von 0,7–3 % verwendet oder ein feinporiges Polyacrylamidgel.
55 Ein elektrisch leitender Laufpuffer, in dem das Gel liegt.
55 Ein Lauffarbstoff, der schneller als die DNA wandert und den Fortschritt der Auftrennung
anzeigt, weil man die DNA während des Vorgangs nicht sehen kann.
55 Eine Elektrophoreseapparatur, zwischen deren Elektroden das elektrische Feld herrscht.
55 Ein Farbstoff zum Anfärben der DNA. Häufig wird Ethidiumbromid verwendet, das aber
mutagen ist.
Mit Blotting-Verfahren überträgt man DNA oder RNA nach einer Gelelektrophorese auf eine
Trägermembran, auf der die Nucleinsäuren für Sonden erreichbar sind.
Spezifische Sonden spüren anschließend über Hybridisierung passende DNA oder RNA
auf. Voraussetzung ist, dass die Sequenz der gesuchten Nucleinsäure ganz oder annähernd
bekannt ist.
Die wichtigsten Komponenten für das Blotten sind:
55 Ein Gel mit einem aufgetrennten Gemisch von Nucleinsäuren.
55 Eine Membran, auf welche die Nucleinsäuren übertragen werden. Meistens besteht die
Membran aus Nylon oder Nitrocellulose.
55 Ein Transferpuffer.
Beide Prozesse werden nacheinander durchgeführt. Die Bezeichnung der Methode richtet sich
nach der Art der Nucleinsäure:
55 Beim Southern-Blot weist man vorgegebene DNA-Sequenzen nach.
55 Beim Northern-Blot weist man bestimmte RNA-Sequenzen nach.
Papiertücher
Filterpapier
Membran
Gel
Schwamm
a
Brücke aus
Filterpapier
Wanne
b
. Abb. 16.6 Drei Wege zur Herstellung eines Blots (nach Mülhardt 2013)
16.5 DNA-Sequenzierung
Die DNA-Sequenzierung nach Sanger ist auch unter den Synonymen Didesoxymethode oder
Kettenabbruchsynthese bekannt.
Das Verfahren arbeitet nach dem Prinzip, komplementäre Stränge zu der vorliegenden DNA
zu produzieren, deren Synthese an unterschiedlichen Stellen abbricht. Die Analyse der Fragmente
verrät die Abfolge der Nucleotide.
Die wichtigsten Komponenten für die moderne Variante der Methode sind:
55 Eine Proben-DNA, deren Sequenz bestimmt werden soll.
55 Ein Sequenzier-Primer, der sich an den Startbereich der DNA heftet.
55 Eine DNA-Polymerase für die Synthese der komplementären Fragmente.
16 55 Desoxynucleosidtriphosphate (dATP, dGTP, dCTP und dTTP) als Bausteine für die
komplementären Stränge.
55 Markierte Didesoxynucleosidtriphosphate (ddATP, ddGTP, ddCTP und ddTTP) zum
Abbrechen der Synthese. Diesen Nucleotiden fehlt an der 3′-Position die Hydroxylgruppe
zum Anbinden des nächsten Nucleotids, sodass die Kette mit ihnen zwangsweise endet.
Jede Variante dieser terminalen Bausteine ist mit einem eigenen Fluoreszenzfarbstoff
markiert.
. Abb. 16.7 Ergebnis einer gelungenen Sequenzierung mit fluoreszenzmarkierten Nucleotiden (nach Mülhardt
2013)
16.5.2 Pyrosequenzierung
Erhält man hellere Lichtsignale, hat die Polymerase mehrmals die gleiche Base hintereinander
eingebaut.
Die Pyrosequenzierung ist geeignet für einen automatisierten Ablauf und parallele
Analysen.
Hochdurchsatzsequenzierung oder Next Generation Sequencing (NGS) ist ein Sammelbegriff für
verschiedene Methoden, mit denen mehrere Millionen DNA-Fragmente gleichzeitig sequen-
ziert werden können.
Die Verfahren eignen sich besonders für die Analyse großer DNA-Proben:
55 Sequenzierung ganzer Genome,
55 Genotypisierung,
55 Aufnahme eines Metagenoms, also die Sequenzierung aller DNA-Moleküle in einem
Lebensraum.
Unter Klonierung versteht man die Produktion großer Mengen identischer Kopien eines
DNA- Moleküls.
Sie ist der erste Schritt für eine Reihe von Untersuchungen, beispielsweise:
55 Analyse von DNA-Sequenzen,
55 Veränderung der Sequenz,
55 Genkartierung,
55 Expression der Genprodukte.
Plasmid 3 kb
Phagemid 10 kb
20 kb
Cosmid 50 kb
BAC 300 kb
YAC 1000 kb
EcoRI
SacI
KpnI
SmaI
XmaI
lacZ BamHI
MCS Sal I
Ac cI
HincII
PstI
Amp pUC19 lacI SphI
2686 bp HindIII
ORI
. Abb. 16.9 Das Plasmid pUC19 mit seiner multiple cloning site (MCS) (nach Mülhardt 2013)
55 In der sogenannten multiple cloning site (MCS) befinden sich viele Schnittstellen für
Restriktionsenzyme (. Abb. 16.9).
Dephosphorylierung
P
Fragment 2 P
Ligation
P P
P P
P
P
. Abb. 16.10 Dephosphoryliert man DNA-Fragmente vor der Ligation, kann man die Selbstligation des Vektors
unterdrücken (nach Mülhardt 2013)
Den Ort des Geneinbaus kann man mit flankierenden Sequenzen für eine gezielte Rekombina-
tion steuern. Dafür muss das gewünschte Gen an seinen Enden mit Basenfolgen versehen werden,
die homolog zu der Zielregion im Genom sind.
Auf diese Weise kann man verschiedene Typen von transgenen Tieren produzieren:
55 Bei Knock-out-Organismen hat man gezielt durch den Einbau des zusätzlichen Gens ein
endogenes Zielgen ausgeschaltet.
55 Bei Knock-in-Organismen wird das zusätzliche Gen eingebaut, ohne Störungen zu verursachen.
Das Ziel von Gene-Targeting sind embryonale Stammzellen, die anschließend in eine Blasto-
cyste injiziert werden. Da der Embryo transgene Zellen und unveränderte Zellen besitzt, wächst
er als Chimäre heran.
Transgene Tiere entstehen als Nachkommen jener Chimären, bei denen die Keimzellen das
zusätzliche Gen tragen.
Gene-Targeting ist bei verschiedenen Modellorganismen als Methode etabliert. Für medizi-
nische Forschungen sind vor allem Knock-out-Mäuse und Knock-in-Mäuse verbreitet.
Möchte man das Gen zelltypspezifisch ausschalten, erzeugt man konditionale Knock-out-
Mäuse und nutzt dazu das Cre-loxP-System (s. 7 Abschn. 9.2.3).
Das System umfasst mehrere Komponenten:
16 55 Cre ist eine Rekombinase, die an bestimmten Sequenzen die DNA zerschneidet und
dadurch DNA-Abschnitte aus dem Chromosom löst.
55 loxP ist die Erkennungssequenz für Cre.
16.7.3 Knock-down
Beim Knock-down-Verfahren bleibt das Genom des Zielorganismus unverändert. Die Genex-
pression wird stattdessen durch RNA-Interferenz oder Inhibitoren vermindert.
Es gibt zwei Varianten:
55 Ein transienter Knock-down wirkt nur vorübergehend. Man löst ihn durch Zufuhr von
Reagenzien wie spezifischer RNA oder Inhibitoren aus.
55 Ein persistenter Knock-down mindert die Genexpression dauerhaft. Dazu muss die Zelle
einen Vektor mit dem Gen für die hemmende RNA tragen, die er dann selbst synthetisiert.
Mit den Methoden des Genome Editing kann man gezielt DNA-Abschnitte in das Genom ein-
bringen, austauschen oder entfernen.
16.8.1 CRISPR/Cas9-System
Das CRISPR/Cas9-System leitet sich von einem Abwehrsystem ab, mit dem Bakterien gegen
Fremd-DNA in Form von Phagen oder Plasmiden vorgehen (s. S. 109).
Hinter dem Leader wechseln sich Repeats und Spacer bis zu mehrere Hundert Male ab. CRISPR
steht für clustered regularly interspaced short palindromic repeats.
55 Die cas-Gene codieren für Nucleasen, Helikasen, Integrasen und weitere Proteine für die
Arbeit mit DNA. Die Gene liegen in der Nähe des CRISPR-Locus.
Nach dem Schnitt der DNA gibt es zwei mögliche Reparaturwege und damit zwei verschie-
dene Ergebnisse:
55 Die Zelle repariert die Doppelstrangbrüche mithilfe des NHEJ (nonhomologous end joining,
s. 7 Abschn. 11.6.5). Da diese Reparatur fehlerhaft abläuft, kommt es zu Mutationen.
55 Man bietet der Zelle eine vorbereitete Sequenz mit entsprechenden homologen
Enden an.
55 Die Zelle repariert die Brüche nun über HDR (homology directed repair), einen Weg der
homologen Rekombinationsreparatur, und baut somit die vorbereitete Sequenz ein.
Gegenüber dem Genome Editing mithilfe von Zinkfingernucleasen oder TALENs ist das System
billiger, und die Zielsequenzen sind einfacher zu erstellen.
Transcription activator-like effector nucleases (TALENs) sind künstliche Fusionsproteine mit zwei
funktionellen Domänen:
16 55 Die Tal-Effector-Domäne erkennt Nucleotidsequenzen der DNA und ist für die spezifische
Bindung des Proteins verantwortlich.
55 Die Endonucleasedomäne führt einen unspezifischen Doppelstrangbruch in die
gebundene DNA ein.
Nach dem Schnitt der DNA gibt es wie beim CRISPR/Cas9-Mechanismus ebenfalls zwei ver-
schiedene Wege und Ergebnisse:
55 Nach der NHEJ ist das Gen unterbrochen.
55 Gibt man ein vorbereitetes DNA-Molekül mit passenden Enden hinzu, baut die Zelle es per
HDR an der Schnittstelle in die eigene DNA ein.
16.9 · Modellorganismen
299 16
16.9 Modellorganismen
Modellorganismen sind Spezies, an denen ein Großteil der genetischen Forschung durchgeführt
wird, die z. B. beim Menschen nicht durchführbar ist oder wofür der Mensch zu komplex ist.
Für die Nomenklatur der Gene gelten Richtlinien. Hier folgen nur Kernpunkte, da die Regeln
für die einzelnen Organismen in Detailfragen sehr umfangreich sind.
55 Die Namen von Genen schreibt man kursiv, die Bezeichnungen von Proteinen in Normal-
schrift mit großem Anfangsbuchstaben.
55 Die Groß- und Kleinschreibung der Namen von Genen hängt vom Organismus ab:
44Gene von Prokaryoten schreibt man mit drei kleinen Buchstaben, die oft einen
Hinweis auf die Funktion geben. Tragen mehrere Gene den gleichen Namen, sorgt ein
angehängter Großbuchstabe für die Unterscheidung.
44Beispiel: Die lac-Gene codieren Proteine für den Lactoseabbau. Unter ihnen trägt
lacZ die Informationen für das Enzym β-Galactosidase oder LacZ.
44Für Gene höherer Tiere und des Menschen verwendet man auch nur zwei oder mehr
als drei Buchstaben. Mitglieder einer Genfamilie erhalten eine Nummer hinter den
Buchstaben.
44Beispiel: Pax3.
44Gene von Drosophila erhalten ihre Bezeichnung häufig nach dem Aussehen des
Mutantenphänotypen. Beispiel: white für weiße Augen.
44Hefegene schreibt man klein, wenn sie rezessiv sind, oder bei dominanten Genen durch-
gehend groß. Ein hochgestelltes „+“ hinter dem Namen kennzeichnet den Wildtyp.
44Bei Genen von Arabidopsis schreibt man die Wildtypallele groß, mutierte Allele klein.
Ein zusätzliches „d“ markiert eine dominante Mutation.
44Mausgene schreibt man mit großem Anfangsbuchstaben.
44Menschgene schreibt man durchgehend groß.
44Grundsätzlich sollten orthologe Gene bei Vertebraten die gleiche Bezeichnung
erhalten. Beispiel: SHH beim Menschen ist homolog zu Shh bei Maus und Ratte sowie
shh beim „Zebrafisch“, Danio rerio.
Escherichia coli ist ein Darmbakterium und gehört zu den Enterbacteriaceae. Von E. coli kennt
man zahlreiche Stämme, der bekannteste ist E. coli K12. Einige Stämme sind pathogen.
300 Kapitel 16 · Methoden
Die Bäckerhefe oder Bierhefe, Saccharomyces cerevisiae, zählt zu den Echten Hefen. Die Zellen
sind rund bis oval. Der Lebenszyklus der Hefe umfasst eine einzellige diploide und eine hap-
loide Phase. Die vier Zellen einer Meiose bleiben in einem Ascus zusammen (Ascosporen). Ihre
Untersuchung ist als Tetradenanalyse bekannt.
Die Bäckerhefe besitzt etwa 6300 Gene. In ihnen sind wenige Introns und repetitive Sequen-
zen zu finden.
Die Bäckerhefe ist einer der ältesten Mikroorganismen, den die Menschheit in der Nahrungs-
mittelproduktion nutzt, beispielsweise zur Produktion von Bier, Teig und Wein.
S. cerevisiae stellt den einfachsten eukaryotischen Modellorganismus dar. An ihr wurden
Erkenntnisse zu verschiedenen Themen gewonnen wie zum Zellzyklus, zu Meiose, Rekombi-
nation und Apoptose.
Die englische Bezeichnung für Drosophila melanogaster ist fruit fly, auf Deutsch heißt sie
Taufliege, wird aber häufig auch Fruchtfliege genannt. Die Fliege ist 2–3 mm lang und hat im
Wildtyp charakteristische rote Augen.
16.9 · Modellorganismen
301 16
Die Taufliege besitzt etwa 13.500 Gene.
An der Taufliege wurden Erkenntnisse auf mehreren Gebieten gewonnen, darunter zu Mutan-
ten und Mutationen, Kopplung von Genen, Kartierung von Genen, Epistase, Geschlechtschro-
mosomen, Verhaltens- und Entwicklungsgenetik.
Caenorhabditis elegans gehört zu den Fadenwürmern oder Nematoden. Das adulte Tier ist etwa
1 mm lang. Sein Lebensraum sind Böden, Der Lebenszyklus beginnt nach der Eiablage mit der
Embryonalentwicklung von etwa 12–14 h, daran schließen sich vier Larvenstadien an, die 7–12 h
dauern. Unter Laborbedingungen lebt der Wurm zwei bis drei Wochen.
C. elegans besitzt etwa 19.000 Gene.
An dem Fadenwurm wurden unter anderem Erkenntnisse zu Entwicklungsgenetik, Genetik
des Alterns, Apoptose und Verhaltensgenetik gewonnen.
55 Die Reproduktionsrate ist hoch. Eine Pflanze produziert mehrere Tausend Samen, die mit
hoher Quote auskeimen. Die Generationszeit ist mit sechs Wochen kurz.
55 Über das Ti-Plasmid aus Agrobacterium tumefaciens kann man Fremdgene in den Modell-
organismus einschleusen und untersuchen.
55 Es gibt natürliche Mutanten. Künstliche Mutationen sind leicht zu erzeugen.
Der Zebrabärbling, Danio rerio, wird im Laborsprachgebrauch auch als Zebrafisch bezeichnet
(zebrafish ist auch die engl. Bezeichnung). Er gehört zu den Knochenfischen und ist insbeson-
dere für die Entwicklungsgenetik ein beliebter Modellorganismus geworden. Seine Lebensdauer
beträgt zwei bis vier Jahre.
Danio rerio besitzt etwa 26.000 Gene.
D. rerio liefert besonders Ergebnisse zur Entwicklungs- und Verhaltensgenetik sowie zu
Krankheiten des Menschen.
Die Maus ist dem Menschen genetisch, biochemisch, physiologisch und ethologisch sehr ähnlich.
Sie wird daher häufig zu Forschungen in der Humanbiologie und Humanmedizin verwendet,
beispielsweise bei Untersuchungen zu X-Inaktivierung, Krankheiten, Immungenetik, Verhal-
tensgenetik und Krebs.
Die Maus besitzt 20.000 bis 25.000 Gene.
16
z Vorteile der Maus:
55 Die Maus ist klein und reproduktionsfreudig. Ein Wurf umfasst acht bis zehn Jungtiere.
55 Die Generationszeit ist kurz. Von der Befruchtung bis zum geschlechtsreifen Tier vergehen
etwa neun Wochen, die Schwangerschaft dauert 21 Tage.
55 Es gibt verschiedene Linien transgener Mäuse sowie Knock-out und Knock-in Mäuse.
55 Die ethische Hemmschwelle, in den Reproduktionszyklus einzugreifen und ihn zu beein-
flussen, ist geringer als beim Menschen.
55 Die Inzucht von Geschwistertieren ist möglich.
303
Serviceteil
Stichwortverzeichnis – 304
Stichwortverzeichnis
W Zelldifferenzierung 250
Zellen
W-Chromosom 150 –– antigenpräsentierende 247
Wachstum 237, 250 –– diploide 135
Wahrscheinlichkeitsdiagnose –– haploide 135
230 –– kompetente 185, 293
Wanderung der Verzweigungsstel- –– polyenergide 45
le 158, 163 –– transgene 239