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Sebastian Suerbaum · Gerd-Dieter Burchard

Stefan H. E. Kaufmann · Thomas F. Schulz Hrsg.

Medizinische
Mikrobiologie
und Infektiologie
8. Auflage
Springer-Lehrbuch
Sebastian Suerbaum
Gerd-Dieter Burchard
Stefan H.E. Kaufmann
Thomas F. Schulz (Hrsg.)

Medizinische
Mikrobiologie
und Infektiologie
8., überarbeitete und erweiterte Auflage

Mit 652 Abbildungen

123
Herausgeber
Sebastian Suerbaum
Medizinische Hochschule Hannover
Hannover

Gerd-Dieter Burchard
Sektion Tropenmedizin und Infektiologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Hamburg

Stefan H.E. Kaufmann


Max Planck Institut für Infektionsbiologie
Berlin

Thomas F. Schulz
Medizinische Hochschule Hannover
Hannover

ISBN 978-3-662-48677-1 978-3-662-48678-8 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8

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Hannover

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Die eingetragene Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Berlin, Heidelberg
V

Die Herausgeber und der Springer-Verlag danken den Begründern des Lehrbuchs der
Medizinischen Mikrobiologie und Infektiologie

Professor Helmut Hahn, Professor Dietrich Falke und Professor Paul Klein (†)
VII

Vorwort

Rechtzeitig zu Semesterbeginn erscheint die 8. Auflage medizinischen Hintergründe und die klinische Relevanz
dieses Lehrbuches. Gründe für eine Neubearbeitung ihrer Arbeiten informieren möchten. Die Herausgeber
nach nur 4  Jahren gab es genug: Seit Dezember 2013 hoffen, dass das Lehrbuch auch bei diesen Wissenschaft-
brachte eine mehr als 2 Jahre dauernde Ebolavirus-Epi- lerinnen und Wissenschaftlern auf gute Resonanz stoßen
demie bisher ungekannten Ausmaßes die Gesundheits- wird.
systeme der betroffenen Staaten, aber auch die Krisen-
interventionskräfte weltweit agierender Hilfsorganisa- Die 1. Auflage dieses Lehrbuchs erschien im Jahr 1991
tionen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Anfang 2016 unter der Herausgeberschaft von Helmut Hahn, Dietrich
wurde die Öffentlichkeit auf die rasend schnelle Ausbrei- Falke und Paul Klein. Diese 8. Auflage ist die erste, bei
tung des Zikavirus aufmerksam, das im dringenden Ver- der Helmut Hahn nicht mehr als Herausgeber mitge-
dacht steht, für Tausende Fälle von Mikrozephalie bei wirkt hat. Auch wenn alle aktuellen Herausgeber bereits
Neugeborenen verantwortlich zu sein. Globalisierungs- an früheren Auflagen des Buches mitgewirkt haben,
folgen, z. B. Migration, Kriege und ein Dasein in Flücht- markiert das Ende der Herausgebertätigkeit von Helmut
lingslagern sowie die Verelendung ganzer Landstriche, Hahn genau 25 Jahre nach der Erstveröffentlichung eine
leisten der Verbreitung von Krankheitserregern Vor- Zäsur in der Geschichte des Lehrbuchs. Wir als Heraus-
schub, und die nächste Seuche kommt bestimmt. Auch geber – ebenso wie die Leserinnen und Leser dieser und
in den Industrieländern häufen sich mit der drastischen früherer Auflagen – sind Helmut Hahn als dem Begrün-
Zunahme von Nosokomialinfektionen mit antibiotika- der dieses Lehrbuchs und als seinem wichtigster Ideen-
resistenten Erregern die Probleme. geber und quirligen Schrittmacher zu großem Dank
verpflichtet. Wir freuen uns, dass er für diese Auflage ein
Die enorme Wichtigkeit der Identifizierung neuer Nachwort geschrieben hat. Auch Dietrich Falke, der die-
Krankheitserreger wurde vom Nobelkomitee zuletzt im ses Lehrbuch als Herausgeber und Autor vieler Kapitel
Jahr 2008 durch die Verleihung des Nobelpreises für der Sektion Virologie lange Jahre maßgeblich geprägt
Medizin an 3 Infektionsforscher anerkannt: Harald zur hat, scheidet in dieser 8. Auflage als Kapitelautor aus. Wir
Hausen, Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier danken ihm für seine langjährige Mitarbeit an diesem
erhielten den Preis für die Entdeckung krebserregender Lehrbuch und den Rat, den er seinen Nachfolgern im-
Papillomviren und des Humanen Immundefizienzvirus mer zur Verfügung gestellt hat.
– nur 3  Jahre nach der Verleihung des Nobelpreises
an die Entdecker des »Magenbakteriums« Helicobacter Seit der 7. Auflage ist mit dem Infektiologen und Tropen-
pylori und 103 Jahre nach der Ehrung Robert Kochs für mediziner Gerd-Dieter Burchard ein »echter Kliniker«
die Entdeckung des Tuberkulose-Erregers. 2011 bedach- Mitglied des Herausgeberteams. Der an klinischen Syn-
te das Nobelkomitee wieder die andere Seite des Wech- dromen orientierte letzte Teil des Lehrbuchs wurde unter
selspiels: Jules Hoffmann, Bruce Beutler und Ralph seiner Führung praktisch vollständig neu geschrieben
Steinman wurden für die Entdeckung zentraler moleku- und die inhaltliche Vernetzung dieses Teils mit den erre-
larer und zellulärer Mechanismen der Infektabwehr aus- gerorientierten Kapiteln erheblich verstärkt.
gezeichnet. Und im Jahr 2015 ging der Medizin-Nobel-
preis an 3 Naturstoffforscher, William Campbell, Satoshi Unser Dank gebührt allen Autoren, den Mitarbeitern des
Omura und Youyou Tu, die neue Therapien gegen Springer-Verlages, insbesondere Frau Christine Ströhla
Infektionskrankheiten entwickelt haben – 76 Jahre nach und Frau Rose-Marie Doyon, Herrn Markus Pohlmann
der Nobel-Würdigung Gerhard Domagks für die Ent- für das Fachlektorat sowie zahlreichen anderen Mitar-
deckung der antibakteriellen Wirkung der Sulfonamide beiterinnen und Mitarbeitern, die auf der Danksagungs-
und 70 Jahre nach der Nobel-Würdigung von Alexander seite aufgeführt sind. Ohne diese Unterstützung wäre
Fleming, Ernst Boris Chain und Howard Walter Florey dieses Werk nicht zustande gekommen.
für die Heilwirkung des Penicillins bei verschiedenen
Infektionskrankheiten. S. Suerbaum, G.-D. Burchard,
S. H. E. Kaufmann, T. F. Schulz
Grundkenntnisse in Mikrobiologie, Immunologie und Hannover, Berlin und Hamburg, im Frühjahr 2016
Infektionslehre sind für Ärztinnen und Ärzte unabding-
bar. Die Reaktionen der Leserschaft haben gezeigt, dass
der Grundgedanke dieses Lehrbuches, in erster Linie ein
Verständnis pathophysiologischer Zusammenhänge zu
vermitteln, unverändert richtig ist.

Infektionsbiologische Forschung hat sich nun auch in


Deutschland an den naturwissenschaftlichen Fakultäten
als wichtige Forschungsrichtung durchgesetzt. Deshalb
ist dieses Buch nicht nur für Mediziner, sondern auch für
forschende Infektionsbiologen gedacht, die sich über die
Nachwort

»Habent fata sua libelli« (Bücher haben ihre Schicksale): Das Lehrbuch, das mit dieser 8. Auflage nun in jüngere
Dieses uralte Dictum bewahrheitet sich wiederum an Hände übergeht, war und ist bemüht, diesen kontinuier-
dem vorliegenden Lehrbuch der Medizinischen Mikro- lichen Wandel begleitend abzubilden.
biologie, das in Gestalt der hier vorgelegten 8. Auflage
das erste Vierteljahrhundert seines Bestehens vollendet Mögen unsere Nachfolger getreu dem Imperativ handeln
hat. Ursprünglich nicht vorhersehbar, musste in regel- »Bücher sind wie Kinder, man muss ständig an ihnen
mäßiger Reihenfolge alle 3 Jahre eine Neuauflage er- arbeiten.« In diesem Sinne wünscht Ihnen in Vertretung
scheinen, Beweis für den raschen Wissensfortschritt auf des ursprünglichen Herausgeberteams weiterhin viel
dem Gebiet der Medizinischen Mikrobiologie und Erfolg!
Infektionslehre, eines in kontinuierlicher Ausdehnung
befindlichen Feldes von ungebrochener Aktualität. Ihr Helmut Hahn

Das durch die Aufteilung des Faches in Forschung und


Lehre auf verschiedene Disziplinen entstandene Bedürf-
nis der Leserschaft nach einer zusammenhängenden
Darstellung des gesamten Fachgebietes dürfte zur Be-
liebtheit des Lehrbuches maßgeblich beigetragen haben.

Pathogene Mikroorganismen erweisen sich als Hydra,


die in immer neuen Erscheinungsformen und unter
Einsatz immer aufs neue überraschender molekularer
Mechanismen den Menschen mit neuen Herausforde-
rungen konfrontiert, und mit gutem Grund wurde der
Nobelpreis für Medizin oder Physiologie für das Jahr
2015 an drei Mikrobiologen vergeben.
IX

Danksagung

Sebastian Suerbaum Stefan H. E. Kaufmann


Ich danke meiner Mitarbeiterin Frau Sabine Waldmann Ich danke Frau Souraya Sibaei für ausgezeichnete Sekre-
herzlich für die Herstellung der Titelabbildung für diese tariatshilfe und Frau Diane Schad für die Erstellung der
Auflage des Lehrbuchs. Herrn Prof. Timo Ulrichs danke exzellenten Grafiken für die Immunologie-Kapitel. Auch
ich wie schon bei den vergangenen Auflagen herzlich für möchte ich die Gelegenheit nutzen, allen Mitarbeiterin-
die Entwicklung der meisten Schemazeichnungen in Zu- nen und Mitarbeitern des Springer-Verlags herzlich für
sammenarbeit mit den Autoren. Den Mitarbeiterinnen ihre professionelle Begleitung der Neuauflage des Buchs
und Mitarbeitern des Springer-Verlags möchte ich an zu danken.
dieser Stelle ebenfalls sehr herzlich im Namen aller
Herausgeber für die gute Zusammenarbeit danken, be- Thomas F. Schulz
sonders Frau Christine Ströhla, der für das Buch zu- Ich danke Prof. Gerlich, Gießen, für hilfreiche Kommen-
ständigen Senior-Editorin, die die Entstehung dieser tare zum Kapitel Hepatitisviren, Herrn Prof. Falke für
Ausgabe mit großem Interesse und wichtigen Ideen die langjährige prägende Betreuung der Sektion Virolo-
begleitet hat, und Frau Rose-Marie Doyon, die als Pro- gie dieses Buchs sowie die Überlassung von Bildmaterial,
jektmanagerin die zentrale Ansprechstelle für alle am Strichzeichnungen, Krankheitsabbildungen und Texten
Projekt beteiligten Herausgeber und Autoren war. Eben- aus früheren Auflagen dieses Lehrbuchs. Ferner danke
falls danken wir Herrn Dipl.-Biol. Markus Pohlmann ich Dr.  Gelderblom, Berlin, für die Überlassung elek-
(IQ Verlagsbüro) für die redaktionelle Bearbeitung der tronenmikroskopischer Aufnahmen, Prof. Lawrence
Kapitel und Frau Corinna Pracht, die die Endphase der Young, Birmingham, für immunhistologische Darstel-
Produktion dieser Auflage seitens des Springer-Verlags lungen von EBV, LMP1 und LMP2 in Morbus-Hodgkin-
begleitet hat. Prof. H. Karch, Prof. M. Hornef und ich Gewebeschnitten, Dr. Tina Ganzenmüller, Hannover, für
danken Prof. Johannes Müthing für kritische Durchsicht die Zusammenstellung von Western-Blots, der Leitung
und Korrektur von Kapitel 28. Alle Herausgeber danken der Haut- und der Augenklinik des Klinikums der
außerdem herzlich der B. Braun-Stiftung in Melsungen Johannes-Gutenberg-Universität Mainz für Abbildun-
und ihrem Vorstandsvorsitzenden, Herrn Prof. Dr. Dr. gen von Infektionskrankheiten, Herrn Prof. T. Werfel,
Dr. h. c. Michael Ungethüm, die durch ihre großzügige Klinik für Dermatologie der Medizinischen Hochschule
Unterstützung für die 7. Auflage die Umgestaltung des Hannover, für die Überlassung von Bildmaterial, Herrn
Layouts mit durchgehend 4-farbigen Abbildungen und Dr.  Nermuth, London, für die elektronenmikroskopi-
einer stark erhöhten Anzahl von Farbfotos ermöglicht sche Aufnahme mit der Schrägbedampfung von Adeno-
haben. viren und Herrn Prof. Dr. W. Stögmann, Wien, für 2 Ab-
bildungen von Virusexanthemen.
Gerd-Dieter Burchard
Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Springer-Verlags für die gute Zusammenarbeit und stän-
dige Unterstützung.
Die Herausgeber

Sebastian Suerbaum
1962 geboren. Studium der Medizin in Bochum, Wien und an der Harvard Medical School.
1988 Promotion. Assistenzarzt am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg,
danach am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Immunologie in Bochum. 1991–1993
Postdoc am Institut Pasteur, Paris. 1994 Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektions-
epidemiologie. 1995 Habilitation. 1999–2003 C3-Professor am Institut für Hygiene und Mikro-
biologie der Universität Würzburg, seit 2003 C4-Professor und Direktor des Instituts für Medi-
zinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Medizinischen Hochschule Hannover.
1996 Gerhard Hess-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 2007 Eva und Klaus Grohe-
Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Mitglied der Nationalen
Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Wissenschaftliche Arbeitsgebiete: Pathogenese,
Populationsgenetik, Genomik und molekulare Epidemiologie bakterieller Infektionserreger,
insbesondere Helicobacter pylori

Gerd-Dieter Burchard
1948 geboren. Studium der Medizin in Hamburg. Facharzt für Innere Medizin, Tropenmedizin,
Infektiologie. 1983 Aufenthalt in Hôpital Albert Schweizer, Lambaréné, Gabun; 1987 am Weiz-
mann-Institut, Rehovot, Israel; 1988–1992 Oberarzt an der Klinischen Abteilung des Bernhard-
Nocht-Instituts für Tropenmedizin; 1993–1995 Oberarzt und stellvertretender Institutsdirektor
am Institut für Tropenmedizin der Universität Tübingen; 1996–1999 Arzt-Wissenschaftler am
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, Abteilung für Medizinische Grundla-
genforschung, Auslandsaufenthalte in Senegal, Guinea und Ghana; 2000–2002 Leiter der Ambu-
lanz im Institut für Tropenmedizin, Berlin, und stellvertretender Institutsdirektor, 2003–2005
Leiter der Klinischen Abteilung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, Hamburg,
2006–2013 Leiter der Sektion Tropenmedizin und Infektiologie, 1. Medizinische Klinik, Univer-
sitätsklinik Hamburg-Eppendorf; jetzt Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. 2005–2009
und seit 2014 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale
Gesundheit (DTG); seit 1994 außerordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission. Wissen-
schaftliche Arbeitsgebiete: Klinische Tropenmedizin.
XI
Die Herausgeber

Stefan H. E. Kaufmann


1948 geboren, Studium der Biologie in Mainz, Promotion summa cum laude 1977. 1981 Habilita-
tion in Immunologie und Mikrobiologie. 1976–1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter in Bochum,
Berlin, Freiburg. 1987–1991 Professor für Medizinische Mikrobiologie und Immunologie am Uni-
versitätsklinikum Ulm; 1991–1998 Direktor der dortigen Abteilung Immunologie. Seit 1993
Gründungsdirektor und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Infektionsbiolo-
gie, Berlin, und Leiter der Abteilung Immunologie. Professor für Mikrobiologie und Immunologie
an der Charité, Berlin. Gastprofessor an der Medizinischen Fakultät der Tongji Universität,
Shanghai, und am Peking Union Medical College, Beijing, China. Honorarprofessor der Univer-
sidad Peruana Cayetano Heredia, Lima, Peru. Ehrendoktor der Universität Marseille; Fellow des
Royal College of Physicians of Edinburgh. Früherer Präsident und Ehrenmitglied der Deutschen
Gesellschaft für Immunologie, früherer Präsident der European Federation of Immunological
Societies (EFIS) und der International Union of Immunological Societies (IUIS). Wissenschaftliche
Arbeitsgebiete: Immunologie und Pathologie von bakteriellen Infektionen, neue Impfstoff-
strategien sowie diagnostische und prognostische Biosignaturen von Infektionskrankheiten
und Impfungen.

Thomas F. Schulz
1953 geboren. Studium der Medizin in Mainz, Montpellier und London. 1980 Promotion.
Assistenzarzt Innere Medizin und Medizinische Mikrobiologie in Mainz und Innsbruck. Habilita-
tion 1986. EMBO Fellow und Clinical Research Scientist am Institute of Cancer Research, London
1988–1995. Facharzt Medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie 1990. Full Profes-
sor im Dept. Medical Microbiology der Universität Liverpool 1995–2000. Seit 2000 Professor für
Virologie und Leiter des Instituts für Virologie der Medizinischen Hochschule Hannover. 2003
Fellow of the Royal College of Pathologists (FRCPath). 1997–2003 Editor des Journals of General
Virology.
Das Abbildungskonzept
XIII
Das Abbildungskonzept

Prof. Dr. med. Dr. PH Dr. h.c. Timo Ulrichs

Das Abbildungskonzept und die meisten Illustrationen wurden von Timo Ulrichs erstellt.
Timo Ulrichs ist Immunologe, Mikrobiologe und Gesundheitswissenschaftler und engagiert
sich in der Tuberkuloseforschung und -kontrolle in Osteuropa, v. a. in Russland, Georgien
und Moldawien. Außerdem zeichnet er sehr gern.
Das Layout

Chlamydien
A. Klos

Einleitung führt Sie


in wenigen Sätzen ins
Thema
Chlamydien sind intrazelluläre Bakterien mit einem reduzierten Ge-
. Tab. 49.1 Chlamydia: Gattungsmerkmale
nom aus etwa 1000 Genen. Sie haben im Laufe der Evolution Schlüssel-
enzyme für einige Synthesewege verloren (. Tab. 49.1). Die human-
Merkmal Ausprägung
pathogenen Spezies der Familie Chlamydiaceae werden wieder alle der
Gattung Chlamydia (C.) zugeordnet. Chlamydien befallen zunächst die Gramfärbung keine Anfärbung (trotz rudimentärer
Mukosa, können aber auch streuen. Je nach Serovar verursacht C. tra- Peptidoglykanschicht)
chomatis Erkrankungen des Urogenitaltrakts und des Auges.
Aerob/anaerob (intrazellulär)

Kohlenhydrat- (intrazellulär)
Chlamydien weisen viele Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen verwertung
Spezies auf. Das betrifft ihren Reproduktionszyklus und die Formen, Sporenbildung nein
die diese intrazellulären Bakterien dabei annehmen, die Infektion der
Mukosa, Pathomechanismen und die Immunantwort. Auch wenn Beweglichkeit (intrazellulär)
vieles davon bisher nur für einzelne Chlamydienstämme gezeigt Katalase –
wurde, so liegen doch ähnliche Mechanismen für andere Isolate und
Oxidase –
verwandte Arten nahe. Daher werden hier zunächst Gemeinsamkeiten
der Chlamydien benannt. Dabei wird bereits auf einige wichtige Besonderheiten intrazelluläres Bakterium, das Schleimhäute
spezies- oder serovarabhängige Unterschiede hingewiesen. befällt; Elementarkörperchen und Retikular-
körperchen in Einschlüssen (sowie aberrante
Elementarkörperchen: Die extrazelluläre, infektiöse Form besitzt Körperchen)
nur einen geringen Durchmesser von 0,2–0,3 μm. Kondensierte
DNA und Proteine werden von einer rigiden Hülle (aus über Disul-
fidbrücken quer vernetzten Membranproteinen) geschützt. Elemen- Retikularkörperchen: Hierbei handelt es sich um die intrazelluläre
tarkörperchen besitzen nur einen minimalen Stoffwechsel. Bei und stoffwechselaktive Form.
später geplanter Anzucht benötigt man wegen dieses Basisenergie-
Geschichte
Bakteriologie

verbrauchs ein spezielles, gekühltes Transportmedium. Die Umwelt-


Leitsystem: Den Begriff Phthisis (Schwindsucht) prägte Hippokrates (ca. 460–375 v. Chr.),
resistenz der chlamydialen Elementarkörperchen variiert spezies- um damit eine Krankheit zu kennzeichnen, die mit einem allgemeinen Ver-
Schneller Überblick – abhängig. fall einhergeht. 1689 verwendete der englische Arzt Thomas G. Morton in
wo finde ich welches seiner »Phthisiologia« für die charakteristischen Läsionen der Lungen-
Thema? schwindsucht den Ausdruck »Tuberkel« (Höcker, Knötchen). Davon leitete
Johann Lucas Schönlein (1793–1864) im Jahre 1832 den Begriff »Tuberkulo-
se« ab. Als »Skrofulose« wurde die damals häufige Form der tuberkulösen
Lymphadenitiden bezeichnet.
Im 16./17. Jahrhundert ging ein Viertel aller Todesfälle bei Erwachsenen in
Europa auf die TB zurück. Besonders stark breitete sich die Krankheit im
649 Abbildungen 19. Jahrhundert aus, eine Folge der Urbanisierung im Rahmen der industriel-
len Revolution. Als »Weiße Pest« war sie die häufigste Todesursache in Euro-
veranschaulichen pa. Bei einer Mortalität von mehr als 1000 pro 100.000 Menschen hat die TB
komplexe Zusammen- etwa 30 % der erwachsenen Bevölkerung dahingerafft. 65 % aller Patienten
hänge und zeigen Ihnen mit offener Lungen-TB verstarben innerhalb weniger Jahre nach Diagnose-
stellung. Die Entdeckung des TB-Erregers (1882) ist mit dem Namen des
die Welt im Detail. deutschen Arztes Robert Koch (1843–1910) untrennbar verbunden, der un-
ter Anwendung der Henle-Koch-Postulate den zwingenden Nachweis der
Erregernatur von M. tuberculosis führte.
Seit der Entwicklung des Thiosemikarbazons 1943 durch Gerhard Domagk
(1895–1964, Nobelpreis 1939), des Streptomycins 1946 durch Selman Abra-
ham Waksman (1888–1973, Nobelpreis 1952) und des Isoniazids 1952 durch
3 verschiedene Forschergruppen, sowie des Rifampicins, Ethambutols und
. Abb. 49.4 Immunfluoreszenz von in Zellkultur gezüchteten Chlamydien Pyrazinamids lässt sich der Großteil aller Fälle chemotherapeutisch behan-
(24 h nach Infektion). Chlamydiale Einschlüsse, die Retikularkörperchen deln: Die Therapie der TB hat sich in Deutschland von den Lungensanatorien
enthalten, sind grün gefärbt. Epitheliale HeLa-Wirtszellen sind rot gegen- hin zum Allgemeinkrankenhaus, ja sogar zur Praxis des niedergelassenen
gefärbt Arztes verlagert.

Hintergrundinformation:
Interessantes für zwischendurch.
Steckbriefe geben eine kurze Übersicht
über die wichtigsten Erregerdaten. Gut für
die Prüfungsvorbereitung! (Siehe Übersicht
am Abbildungskonzept auf Seite XIII.

49.1 · Gemeinsamkeiten aller humanpathogenen Chlamydienarten: C. trachomatis, C. psittaci, C. pneumoniae und C. abortus
407 49

Steckbrief kLabordiagnose
Der hochspezifische und empfindliche Nachweis von C. psittaci
Chlamydien enthalten wie alle Bakterien DNA, RNA, Ribosomen durch PCR ist in Speziallaboratorien (an einigen Unikliniken) mög-
sowie eine Zytoplasmamembran. Sie weisen eine rudimentäre lich. Allerdings gibt es leider derzeit noch keine zugelassenen kom-
Peptidoglykanschicht auf, die prinzipiell der von gramnegativen merziellen Tests für diese Spezies.
Bakterien entspricht. Chlamydien sind auf Eukaryonten als Wirts-
zellen angewiesen. Sie lassen sich daher nur in Zellkultur ver-
mehren, werden aber üblicherweise mittels DNA-Amplifikations-
In Kürze
verfahren nachgewiesen. Im biphasischen Reproduktionszyklus
Chlamydien
liegen Chlamydien sowohl als extrazelluläre »Elementarkörper-
Bakteriologie Chlamydien können wie Viren nur in Wirtszellen
chen« als auch als »Retikularkörperchen« in intrazellulären
überleben. Sie befallen primär die Mukosa. Chlamydien sind
»Einschlüssen« vor.
aber echte Bakterien mit einem kleinen Genom, denen im Stoff-
1966 wurde klar, dass Chlamydien intrazelluläre Bakterien sind
wechsel einige Schlüsselenzyme fehlen. Man unterscheidet
und keine Viren. Sie lassen sich bisher genetisch (z. B. zur funk-
extrazelluläre Elementar- und intrazelluläre Retikularkörperchen
tionellen Analyse von Virulenzfaktoren) kaum gezielt modifizie-
sowie persistierende »aberrante Körperchen«. Chlamydien be-
ren. Allerdings gehören sie gerade deshalb zu den am häufigs-
sitzen eine Zellwand mit rudimentärer Peptidoglykanschicht.
ten sequenzierten Bakterien.
Vorkommen Speziesspezifisches Wirtsspektrum, optimale
Anpassung an den Wirt, Vermehrung nur in intrazellulären Ein-
schlüssen.
C. trachomatis und (relevante Stämme von) C. pneumonie nur
beim Menschen. C. psittaci und C. abortus als Zoonosen. In Kürze:
Umweltresistenz Außerhalb lebender Zellen gering; Ausnahme
Kurzrepetiroium für die
mit wochenlangem Überleben: C. psittaci.
Epidemiologie schnelle Wiederholung.
5 Unspezifische Genitalinfektionen (C. trachomatis D–K): welt-
weit.
5 Trachom (C. trachomatis A–C): insbesondere Afrika, Indien,
Ägypten.
5 Lymphogranuloma venereum (C. trachomatis L1–L3): Asien
und Afrika, bei homosexuellen Männern auch in Europa und
USA.
kEpidemiologie
5 C. pneumoniae-Infektionen (weltweit) und Psittakose (welt-
Die Häufigkeit der Psittakose wird in Deutschland mit einigen hun-
weit, vor allem bei Kontakt mit Vögeln).
dert Fällen pro Jahr angegeben. Aktuelle Untersuchungen legen
nahe, dass dieser Erreger mit 2–3 % bei ambulant erworbenen
Zielgruppe
Pneumonien in Deutschland mindestens genauso häufig vorkommt
5 Berufsbedingt (Geflügelzucht, Schlachtbetriebe, Tierhandel):
wie C. pneumoniae. Im Regelfall handelt es sich um Einzelerkran-
C. psittaci.
kungen oder kleinere Ausbrüche von Psittakose. Hauptsächlich
5 Personen mit häufig wechselndem Geschlechtspartner:
sind dabei Personen betroffen, die mit Vögeln umgehen (Anam-
C. trachomatis D–L3.
nese).
5 Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene: C. pneumoniae.
kÜbertragung 5 Zielgewebe abhängig von Spezies und Serovar: Schleim-
haut in Auge, Genitalien, Lunge (sowie selten Kolon bei Einheitliche und über-
Neben respiratorischem Sekret bei engem Tierkontakt stellt einge-
C. trachomatis).
atmeter Staub von Vogelkot ein Risiko dar. Ein hohes Gefährdungs- sichtliche Gliederung
potenzial besteht beim illegalen Import von Vögeln oder bei Tätig- aller Erregerkapitel.
Übertragung Enger Kontakt (C. trachomatis), Tröpfchen
keit in Geflügelzuchtbetrieben oder Schlachthöfen. Mit einer Trans-
(C. pneumoniae), Staub aus Vogelkot oder Tröpfchen
mission des Erregers von Mensch zu Mensch muss nicht gerechnet
(C. psittaci).
werden; falls überhaupt möglich, ist dieser eine Rarität.

kPathogenese
Die Histologie weist darauf hin, dass durch Befall der Epithelien der
Bronchiolen und durch Infektion der Alveolen eine eitrige intersti- Literatur
tielle Reaktion der Lunge ausgelöst wird. Dieser Erreger streut typi-
Bavoil PM, Wyrick PB (2006) Chlamydia: Genomics and Pathogenesis. Horizon
scherweise von der Lunge aus in andere Organe.
Bioscience.
Burton MJ, Mabey DC, Mabey W (2009) The global burden of trachoma:
kKlinik a review. PLoS Negl Trop Dis. 3(10):e460.
Die Psittakose beginnt mit plötzlich auftretendem Fieber, Kopf- Knittler MR, Berndt A, Böcker S, Dutow P, Hänel F, Heuer D, Kägebein D, Klos A,
schmerzen, Husten und den röntgenologischen Zeichen einer Koch S, et al. (2014) Chlamydia psittaci: New insights into genomic
beidseitigen interstitiellen Pneumonie. Vorübergehend kann ein diversity, clinical pathology, host–pathogen interaction and antibacterial
feinfleckiges Exanthem nachgewiesen werden. Systemische Kom- immunity. Int J Med Microbiol. 304:877-893.
plikationen mit Myokarditis, Enzephalitis oder Hepatitis (und Mandell, Douglas, and Bennett’s (2014) Principles and Practice of Infectious
Hepatosplenomegalie) sind beschrieben. Diseases. Elsevier Saunders, 8th ed. Vol. 2: p. 2154-2182.
Inhaltsverzeichnis

I Grundlagen
1 Die medizinische Mikrobiologie im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
S. Suerbaum, H. Hahn
1.1 Gegenstand des Faches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Aufgabenstellung des Faches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.3 Heutige Bedeutung des Faches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2 Ursprung der medizinischen Mikrobiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7


P. Klein (†), D. Falke, H. Hahn
2.1 Vormedizinische Mikrobiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.2 Experimentelle Mikrobiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

3 Pathogenität und Virulenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13


J. Heesemann
3.1 Konzept der Pathogenität von Krankheitserregern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
3.2 Evolutionäre Sichtweise der Entstehung von Infektionserregern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
3.3 Pathogenitäts- und Fitnessfaktoren als Basis der Infektionstüchtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
3.4 Infektionserreger kontrollieren den Zelltod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3.5 Klinische Aspekte der Infektionsbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.6 Infektionsmarker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.7 Intoxikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

4 Physiologische Bakterienflora: Regulation und Wirkungen, iatrogene Störungen


und Probiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
W. Bär, S. Suerbaum
4.1 Regulation der physiologischen Bakterienflora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
4.2 Wirkungen der Normalflora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
4.3 Bakterielle Normalbesiedlung der Körperregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
4.4 Iatrogene Störungen der Mikroökologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
4.5 Änderung der Mikroökologie aus therapeutischen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
4.6 Probiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

II Immunologie
5 Immunologische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
S. H. E. Kaufmann
5.1 Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
5.2 Epitop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
5.3 Epitoperkennung: Antigen-Antikörper-Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
5.4 Immunogenität: Antigene als Epitopträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
5.5 Zelluläre Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
5.6 Angeborene Resistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
5.7 Wechselwirkung zwischen erworbener und angeborener Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Literatur zu Kap. 5–16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

6 Zellen des Immunsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41


S. H. E. Kaufmann
6.1 Hämatopoese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
6.2 Polymorphkernige Granulozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
6.3 Lymphozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
6.4 Zellen des mononukleär-phagozytären Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
6.5 Antigenpräsentierende Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
XVII
Inhaltsverzeichnis

7 Organe des Immunsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45


S. H. E. Kaufmann
7.1 Thymus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
7.2 Bursa Fabricii und Bursaäquivalent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
7.3 Lymphknoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
7.4 Diffuses lymphatisches Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
7.5 Milz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
7.6 Lymphozytenrezirkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

8 Antikörper und ihre Antigene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49


S. H. E. Kaufmann
8.1 Antikörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
8.2 Von B-Lymphozyten erkannte Antigene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
8.3 Antikörper als Antigene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
8.4 Mitogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
8.5 Adjuvanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
8.6 Verlauf der Antikörperantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
8.7 Poly-, oligo- und monoklonale Antikörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
8.8 Stärke der Antigen-Antikörper-Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
8.9 Kreuzreaktivität und Spezifität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
8.10 Folgen der Antigen-Antikörper-Reaktion in vivo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
8.11 Klonale Selektionstheorie: Erklärung der Antikörpervielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
8.12 Genetische Grundlagen der Antikörperbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

9 Komplement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
S. H. E. Kaufmann
9.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
9.2 Klassischer Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
9.3 Terminale Effektorsequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
9.4 Alternativer Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
9.5 Lektinweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
9.6 Anaphylatoxine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

10 Antigen-Antikörper-Reaktion: Grundlagen serologischer Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . 67


S. H. E. Kaufmann, R. Blasczyk
10.1 Nachweis der Antigen-Antikörper-Reaktion durch sichtbare Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
10.2 Nachweis der Antigen-Antikörper-Reaktion durch Komplementaktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
10.3 Nachweis der Antigen-Antikörper-Reaktion durch markierte Reaktionspartner . . . . . . . . . . . . . . . . 68
10.4 Nachweis der Antigen-Antikörper-Reaktion durch unmarkierte Reaktionspartner . . . . . . . . . . . . . . 69
10.5 Blutgruppenserologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

11 Haupthistokompatibilitätskomplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
S. H. E. Kaufmann, R. Blasczyk
11.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
11.2 Genetik des MHC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
11.3 Biochemie der MHC-Moleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

12 T-Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
S. H. E. Kaufmann
12.1 T-Zell-abhängige Effektorfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
12.2 Antigenerkennung durch T-Lymphozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
12.3 T-Zell-Rezeptor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
12.4 T-Zell-Populationen und ihr Phänotyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
12.5 Antigenpräsentation und T-Zell-Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
12.6 Endogene und exogene Antigene sowie Superantigene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
12.7 Helfer-T-Zellen und Zytokinsekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
12.8 Regulatorische T-Lymphozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
XVIII Inhaltsverzeichnis

12.9 Zytokine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
12.10 Akzessorische Moleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
12.11 Zytolytische T-Lymphozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
12.12 Wichtigste Wege der T-Zell-abhängigen Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

13 Phagozyten und antigenpräsentierende Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93


S. H. E. Kaufmann
13.1 Phagozytose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
13.2 Intrazelluläre Keimabtötung und Verdauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
13.3 Mononukleär-phagozytäres System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
13.4 Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
13.5 Sekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
13.6 Makrophagenaktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
13.7 Antigenpräsentierende Zellen im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

14 Immunpathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
S. H. E. Kaufmann
14.1 Entzündung und Gewebeschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
14.2 Spezifische Überempfindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
14.3 Autoimmunerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
14.4 Transplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
14.5 Defekte des Immunsystems und Immunmangelkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

15 Infektabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
S. H. E. Kaufmann
15.1 Infektionen mit Bakterien, Pilzen und Protozoen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
15.2 Virusinfektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
15.3 Strategien der Erreger gegen professionelle Phagozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
15.4 Weitere Evasionsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

16 Impfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
S. H. E. Kaufmann
16.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
16.2 Entwicklung neuer Impfstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

III Diagnostik
17 Klinische Diagnostik und Probennahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
A. Heim, S. Ziesing, R.-P. Vonberg
17.1 Indikationen zur infektiologischen Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
17.2 Diagnostischer Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
17.3 Prinzipien der mikrobiologischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
17.4 Primäres Infektionsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
17.5 Prinzipien der Materialgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
17.6 Materialversand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

18 Methoden der mikrobiologischen Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131


S. Ziesing, A. Heim, R.-P. Vonberg
18.1 Mikroskopische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
18.2 Kulturverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
18.3 Methoden zur Identifizierung von Bakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
18.4 Virusisolation auf Zellkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
18.5 Nachweis erregerspezifischer Antigene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
18.6 Nachweis erregerspezifischer Immunreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
18.7 Molekularbiologische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
XIX
Inhaltsverzeichnis

18.8 Genomsequenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144


18.9 Empfindlichkeitsprüfung gegen antimikrobielle Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
18.10 Nachweis von Resistenzgenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
18.11 Phäno- und genotypische Resistenzbestimmung bei Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
18.12 Parameter zur Beurteilung der Qualität diagnostischer Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

IV Epidemiologie und Prävention


19 Epidemiologie der Infektionskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
A. Ammon
19.1 Begriffe und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
19.2 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
19.3 Besonderheiten der Infektionsepidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

20 Prävention von Bakterien- und Virusinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157


R. P. Vonberg, K. Graf
20.1 Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
20.2 Erregerquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
20.3 Übertragungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
20.4 Präventionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

21 Sterilisation und Desinfektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165


H. Rüden, W.-D. Kampf
21.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
21.2 Sterilisationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
21.3 Desinfektionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
21.4 Weitere Verfahren zur Keimreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

V Bakteriologie
22 Bakterien: Definition und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
C. Josenhans, H. Hahn
22.1 Morphologische Grundformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
22.2 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

23 Bakterien: Vermehrung und Stoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183


C. Josenhans, H. Hahn
23.1 Bakterienvermehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
23.2 Bakterienstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

24 Staphylokokken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
S. Gatermann
24.1 Staphylococcus aureus (S. aureus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
24.2 Koagulasenegative Staphylokokken (KNS): Staphylococcus epidermidis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
24.3 Staphylococcus saprophyticus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

25 Streptokokken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
S. Gatermann
25.1 Streptococcus pyogenes (A-Streptokokken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
25.2 Streptococcus agalactiae (B-Streptokokken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
25.3 Andere β-hämolysierendeStreptokokken (C und G) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
25.4 Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
25.5 Sonstige vergrünende Streptokokken (ohne Pneumokokken)
und nichthämolysierende Streptokokken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
XX Inhaltsverzeichnis

26 Enterokokken und weitere katalasenegative grampositive Kokken . . . . . . . . . . . . . . . . . 213


S. Gatermann
26.1 Enterococcus faecalis und Enterococcus faecium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
26.2 Weitere grampositive Kokken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

27 Neisserien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
T. F. Meyer, J. Elias
27.1 Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
27.2 Neisseria meningitidis (Meningokokken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
27.3 Übrige Neisseria-Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

28 Enterobakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
S. Suerbaum, M. Hornef, H. Karch
28.1 Escherichia coli (fakultativ pathogene Stämme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
28.2 Enteropathogene E. coli-Stämme (EPEC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
28.3 Enterotoxinogene E. coli-Stämme (ETEC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
28.4 Enteroaggregative E. coli-Stämme (EAEC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
28.5 Enteroinvasive E. coli-Stämme (EIEC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
28.6 Enterohämorrhagische E. coli-Stämme (EHEC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
28.7 Klebsiellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
28.8 Enterobacter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
28.9 Serratia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
28.10 Proteus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
28.11 Sonstige wichtige fakultativ pathogene Enterobakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
28.12 Salmonellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
28.13 Shigellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
28.14 Yersinia enterocolitica und Yersinia pseudotuberculosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
28.15 Yersinia pestis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

29 Vibrionen, Aeromonas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255


M. Hornef
29.1 Vibrio cholerae, Serogruppen O1 und O139 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
29.2 Nichtagglutinierbare (NAG-)Vibrionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
29.3 Aeromonas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

30 Nichtfermentierende Bakterien (Nonfermenter): Pseudomonas, Burkholderia,


Stenotrophomonas, Acinetobacter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
I. Steinmetz
30.1 Pseudomonas aeruginosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
30.2 Andere Pseudomonas-Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.3 Burkholderia-cepacia-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.4 Burkholderia pseudomallei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
30.5 Burkholderia mallei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
30.6 Stenotrophomonas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
30.7 Acinetobacter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

31 Campylobacter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
C. Josenhans, S. Suerbaum, D. Hofreuter
31.1 Campylobacter jejuni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
31.2 Übrige Campylobacter-Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

32 Helicobacter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
S. Suerbaum
32.1 Helicobacter pylori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
32.2 »Helicobacter heilmannii« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
XXI
Inhaltsverzeichnis

33 Haemophilus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
T. T. Lam, U. Vogel
33.1 Haemophilus influenzae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
33.2 H. parainfluenzae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
33.3 Aggregatibacter aphrophilus (ältere Klassifikation: H. aphrophilus und H. paraphrophilus) . . . . . . . 286
33.4 H. ducreyi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

34 Bordetella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
C. H. Wirsing von König, M. Riffelmann
34.1 Bordetella pertussis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
34.2 Bordetella parapertussis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
34.3 Andere Bordetella spp. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

35 Legionellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
C. Lück, E. Jacobs
35.1 Legionella pneumophila . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

36 Anthropozoonoseerreger ohne Familienzugehörigkeit: Listerien, Brucellen, Francisellen


und Erysipelothrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
M. Mielke
36.1 Listerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
36.2 Brucellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
36.3 Francisellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
36.4 Erysipelothrix rhusiopathiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

37 Korynebakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
M. Höck, H. Hahn
37.1 Corynebacterium diphtheriae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
37.2 Andere Korynebakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

38 Bacillus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
H. Hahn
38.1 Bacillus anthracis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
38.2 Bacillus cereus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
38.3 Übrige Bacillus-Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

39 Obligat anaerobe, sporenbildende Stäbchen (Clostridien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321


A. C. Rodloff
39.1 Clostridium perfringens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
39.2 Clostridium tetani . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
39.3 Clostridium botulinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
39.4 Clostridium difficile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

40 Obligat anaerobe, nichtsporenbildende Bakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329


A. C. Rodloff
40.1 Obligat anaerobe, gramnegative Stäbchen (Bacteroidaceae) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
40.2 Gattung Capnocytophaga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
40.3 Obligat anaerobe und mikroaerophile, nichtsporenbildende, grampositive Stäbchen . . . . . . . . . . . 332
40.4 Obligat anaerobe und mikroaerophile Kokken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

41 Mykobakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
F.-Ch. Bange, H. Hahn, S. H. E. Kaufmann, T. Ulrichs
41.1 Mycobacterium tuberculosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
41.2 Nichttuberkulöse Mykobakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
41.3 Mycobacterium leprae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
XXII Inhaltsverzeichnis

42 Nocardien und andere aerobe Aktinomyzeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351


F.-Ch. Bange
42.1 Nocardien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

43 Treponemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
A. Berger, U. Eberle, V. Fingerle, A. Sing
43.1 Treponema pallidum ssp. pallidum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
43.2 Andere Treponemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

44 Borrelien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
K.-P. Hunfeld
44.1 Borrelia-burgdorferi-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
44.2 Borrelia recurrentis und andere Rückfallfieber-Borrelien (Borrelia spp.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

45 Leptospiren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
A. Berger, B. Treis, V. Fingerle, A. Sing
45.1 Leptospira interrogans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

46 Rickettsiaceae (Rickettsia, Orientia), Anaplasmataceae (Anaplasma, Ehrlichia,


eoehrlichia, Neorickettsia) und Coxiellaceae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
C. Bogdan
46.1 Rickettsiaceae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
46.2 Anaplasmataceae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
46.3 Coxiellaceae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

47 Bartonellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
V. A. J. Kempf, I. B. Autenrieth
47.1 Bartonella henselae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
47.2 Bartonella quintana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
47.3 Bartonella bacilliformis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
47.4 Bartonella rochalimae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

48 Mykoplasmen und Ureaplasmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399


E. Jacobs
48.1 Mycoplasma pneumoniae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
48.2 Mycoplasma hominis, Ureaplasma urealyticum, U. parvum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

49 Chlamydien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
A. Klos
49.1 Gemeinsamkeiten aller humanpathogenen Chlamydienarten: C. trachomatis, C. psittaci,
C. pneumoniae und (sehr selten) C. abortus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
49.2 Spezifisches zu Chlamydia trachomatis, Serotypen A–C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
49.3 Spezifisches: Chlamydia trachomatis, Serotypen D–K und L1–L3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
49.4 Spezifisches: Chlamydia psittaci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
49.5 Spezifisches: Chlamydia pneumoniae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415

50 Weitere medizinisch bedeutsame Bakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417


M. Hornef
50.1 Tropheryma whipplei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
50.2 Pasteurella multocida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
50.3 Moraxella catarrhalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
50.4 HACEK-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
50.5 Streptobacillus moniliformis, Spirillum minus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
50.6 Gardnerella vaginalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
50.7 Capnocytophaga canimorsus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
XXIII
Inhaltsverzeichnis

VI Virologie
51 Viren – die einfachsten aller Lebensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
T. F. Schulz
51.1 Merkmale von Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
51.2 Virion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
51.3 Einteilung der Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
51.4 Ungewöhnliche Viren und Prionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
51.5 Bakteriophagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

52 Virusreplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
T. F. Schulz
52.1 Replikationszyklus von Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
52.2 Fehlerhafte Replikation und ihre Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
52.3 Latenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

53 Infektionsverlauf und Pathogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437


T. F. Schulz
53.1 Infektionsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
53.2 Ausbreitung im Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
53.3 Pathogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
53.4 Abwehrmechanismen bei Virusinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
53.5 Lebend- und Totimpfstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

54 Humane onkogene Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447


T. F. Schulz
54.1 Tumorerzeugende Viren des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
54.2 Mechanismen der viralen Onkogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
54.3 Steigerung der viralen Onkogenese durch chemische Karzinogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
54.4 Zusammenwirken mit anderen Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
54.5 Rolle der Geweberegeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

55 Picornaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
A. Heim
55.1 Polioviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458
55.2 Enterovirus Spezies A–D (Nicht-Polio-Enteroviren inkl. Coxsackie- und ECHO-Viren) . . . . . . . . . . . . 461
55.3 Rhinovirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
55.4 Parechoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
55.5 Hepatovirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
55.6 Kobuvirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
55.7 Salivirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

56 Flaviviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
I. Glowacka
56.1 Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
56.2 Dengue-Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470
56.3 Gelbfiebervirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
56.4 Weitere humanpathogene Flavivirus-Spezies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

57 Rötelnvirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
C. Schmitt
57.1 Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
57.2 Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
XXIV Inhaltsverzeichnis

58 Coronaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
J. Ziebuhr
58.1 HCoV-229E, HCoV-OC43, HCoV-NL63, HCoV-HKU1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
58.2 SARS-Coronavirus und MERS-Coronavirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
58.3 Molekularbiologie und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
58.4 Diagnostik und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482

59 Orthomyxoviren: Influenza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483


S. Pöhlmann, C. Schmitt
59.1 Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
59.2 Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487

60 Paramyxoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
C. Henke-Gendo
60.1 Masernvirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
60.2 Mumpsvirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492
60.3 Parainfluenzaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
60.4 Respiratory Syncytial Virus (RSV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
60.5 Humanes Metapneumovirus (hMPV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495
60.6 Henipaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496

61 Tollwutvirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497
I. Glowacka
61.1 Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500

62 Arenaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501
S. Pöhlmann
62.1 Aufbau und Vermehrungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501
62.2 Einteilung, Übertragung und Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502
62.3 Ausgewählte Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504

63 Bunyaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
S. Pöhlmann, M. Spiegel
63.1 Beschreibung des Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
63.2 Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509

64 Filoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
S. Becker
64.1 Marburg- und Ebolavirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511

65 Virale Gastroenteritiserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513


C. Henke-Gendo
65.1 Rotaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
65.2 Noroviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
65.3 Weitere Gastroenteritisviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

66 Humane Immundefizienzviren
(HIV-1, HIV-2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
T. F. Schulz
66.1 Entstehung von HIV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
66.2 Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
66.3 Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
XXV
Inhaltsverzeichnis

67 Humane T-lymphotrope Viren HTLV-1, HTLV-2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533


T. F. Schulz
67.1 Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
67.2 Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
67.3 Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535

68 Parvoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
T. Ganzenmüller, W. Puppe
68.1 Parvovirus B19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
68.2 Humane Bocaviren (HBoV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
68.3 Adenoassoziierte Viren (AAV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

69 Papillomviren und Polyomaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541


T. Ganzenmüller, T. Iftner
69.1 Papillomviren des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
69.2 Humane Polyomaviren (HPyV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548

70 Adenoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
A. Heim
70.1 Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
70.2 Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550

71 Herpesviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553
B. Sodeik, M. Messerle, T. F. Schulz
71.1 Herpes-simplex-Virus (HSV-1, HSV-2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
71.2 Varicella-Zoster-Virus (VZV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
71.3 Zytomegalievirus (CMV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
71.4 Humanes Herpesvirus 6A, 6B und 7 (HHV-6A, -6B, -7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
71.5 Epstein-Barr-Virus (EBV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565
71.6 Humanes Herpesvirus 8 oder Kaposi-Sarkom-Herpesvirus (KSHV/HHV-8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572

72 Virushepatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
B. Wölk
72.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
72.2 Oral übertragene Hepatitiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
72.3 Parenteral übertragene Hepatitiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590

73 Pockenviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
G. Sutter
73.1 Gruppe der Pockenviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
73.2 Molluscum contagiosum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
73.3 Variolavirus und Vacciniavirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
73.4 Gibt es ein natürliches Reservoir für spezifisch humanpathogene Pockenviren? . . . . . . . . . . . . . . . 594

74 Prionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
C. Schmitt
74.1 Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
74.2 Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600

VII Mykologie
75 Pilze: Vorkommen und Bedeutung für den Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
G. Haase
75.1 Vorkommen und schädliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
75.2 Pilze und Lebensmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604
75.3 Biotechnologischer Einsatz von Pilzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
75.4 Pilzvergiftung durch Makromyzeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
XXVI Inhaltsverzeichnis

76 Biologie der Pilze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609


G. Haase
76.1 Morphologie und Stoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
76.2 Vermehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
76.3 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610

77 Hefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
G. Haase
77.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616
77.2 Ausgewählte Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618

78 Filamentös wachsende Pilze (Fadenpilze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623


G. Haase
78.1 Klassifikation/Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623
78.2 Klinische Mykologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628

79 Dermatophyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631
M. Höck
79.1 Epidemiologie und Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631
79.2 Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633
79.3 Rolle als Krankheitserreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637

80 Dimorphe Pilze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639


M. Höck
80.1 Blastomyces dermatitidis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639
80.2 Coccidioides immitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641
80.3 Histoplasma capsulatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643
80.4 Paracoccidioides brasiliensis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644
80.5 Sporothrix schenckii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648

VIII Parasitologie
81 Allgemeine Parasitologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651
R. Ignatius, G. Burchard

82 Protozoen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
R. Ignatius, J. P. Cramer
82.1 Trypanosomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
82.2 Leishmanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657
82.3 Trichomonas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661
82.4 Giardia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662
82.5 Amöben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663
82.6 Plasmodien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665
82.7 Babesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669
82.8 Toxoplasma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669
82.9 Kryptosporidien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672
82.10 Mikrosporidien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674

83 Trematoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677
R. Ignatius, G. Burchard
83.1 Schistosomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677
83.2 Andere Trematoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680

84 Zestoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
R. Ignatius, G. Burchard
84.1 Echinococcus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
84.2 Taenia saginata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684
84.3 Taenia solium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685
84.4 Andere Bandwurmarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686
XXVII
Inhaltsverzeichnis

85 Nematoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
R. Ignatius, G. Burchard
85.1 Trichuris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
85.2 Trichinella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688
85.3 Strongyloides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690
85.4 Necator und Ancylostoma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691
85.5 Enterobius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
85.6 Ascaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
85.7 Filarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695

86 Ektoparasiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701
R. Ignatius, G. Burchard
86.1 Läuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702
86.2 Krätzemilbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
86.3 Flöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
86.4 Sandflöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
86.5 Fliegenlarven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704

IX Antimikrobielle und antivirale Chemotherapie


87 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707
M. P. Dierich, M. Fille
87.1 Einteilung der Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707
87.2 Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707

88 Antibakterielle Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709


M. Fille, S. Ziesing
88.1 Wirktyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709
88.2 Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709
88.3 Wirkungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711

89 Resistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
S. Ziesing, M. Fille
89.1 Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
89.2 Genetik der Resistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
89.3 Resistenzmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714

90 Pharmakokinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717
S. Ziesing, M. Fille

91 Applikation und Dosierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719


M. Höck, M. Fille
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720

92 Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721
S. Ziesing, M. Fille, M. P. Dierich

93 Auswahl antimikrobieller Substanzen (Indikation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723


M. Fille, S. Ziesing
93.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723
93.2 Mikrobiologische Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724
93.3 Pharmakologische Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724
93.4 Patienteneigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724

94 β-Laktam-Antibiotika I: Penicilline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727


M. Fille, J. Hausdorfer, M. P. Dierich
94.1 Penicillin G und Penicillin V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727
94.2 Aminobenzylpenicilline: Ampicillin, Amoxicillin, Bacampicillin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
94.3 Azylaminopenicilline (Ureidopenicilline): Mezlocillin, Piperacillin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
94.4 Isoxazolylpenicilline (Oxacilline) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
XXVIII Inhaltsverzeichnis

95 β-Laktam-Antibiotika II: Cephalosporine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731


M. Fille, J. Hausdorfer, M. P. Dierich
95.1 Cefazolin (Gruppe 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731
95.2 Cefotiam (Gruppe 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731
95.3 Ceftriaxon, Cefotaxim (Gruppe 3a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732
95.4 Ceftazidim (Gruppe 3b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733
95.5 Cefepim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733
95.6 Ceftobiprol und Ceftarolin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733
95.7 Orale Cephalosporine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734

96 Kombinationen mit β-Laktamase-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735


M. Fille, S. Ziesing

97 β-Laktam-Antibiotika III: Carbapeneme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737


M. Höck
97.1 Imipenem/Cilastatin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737
97.2 Meropenem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738
97.3 Ertapenem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739
97.4 Doripenem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740

98 Glykopeptidantibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
M. Höck
98.1 Vancomycin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
98.2 Teicoplanin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742

99 Aminoglykoside . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
M. Höck, M. Fille
99.1 Gentamicin und Tobramycin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
99.2 Amikacin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746
99.3 Streptomycin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747

100 Tetracycline (Doxycyclin) und Glycylcycline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749


M. Höck, S. Ziesing
100.1 Doxycyclin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
100.2 Glycylcycline (Tigecyclin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750

101 Lincosamide (Clindamycin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753


M. Fille, S. Ziesing
101.1 Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753
101.2 Rolle als Therapeutikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753

102 Makrolide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755


M. Höck
102.1 Erythromycin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755
102.2 Azithromycin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756
102.3 Clarithromycin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756

103 Antimikrobielle Folsäureantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759


M. Fille
103.1 Trimethoprim/Sulfamethoxazol (TMP/SMX) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
103.2 Dapson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
103.3 Pyrimethamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760

104 Fluorchinolone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761


M. Fille
104.1 Ciprofloxacin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761
104.2 Levofloxacin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761
104.3 Moxifloxacin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762
XXIX
Inhaltsverzeichnis

105 Antimykobakterielle Therapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763


F.-Ch. Bange, M. Fille
105.1 Isonikotinsäurehydrazid (INH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
105.2 Rifampicin (RMP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
105.3 Ethambutol (EMB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
105.4 Pyrazinamid (PZA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765
105.5 Weitere Antituberkulotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765

106 Weitere antibakterielle Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767


M. Höck, M. Fille
106.1 Metronidazol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767
106.2 Fosfomycin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768
106.3 Fusidinsäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768
106.4 Polymyxine: Colistin und Polymyxin B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769
106.5 Mupirocin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770
106.6 Oxazolidinone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771
106.7 Daptomycin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772
106.8 Chloramphenicol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773

107 Antimykotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775


G. Haase
107.1 Einteilung der Antimykotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775
107.2 Antimykotikaresistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783

108 Antivirale Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785


T. F. Schulz
108.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
108.2 Wirkungsmechanismus und Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
108.3 Resistenzentwicklung und Kombinationstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787
108.4 Antiviral wirksame Substanzen und ihre Wirkungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788
108.5 Für die Behandlung diverser Viruserkrankungen verfügbare Medikamente im Überblick . . . . . . . . . 792
108.6 Interferone als antivirale Immunmodulatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794

109 Antiparasitäre Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797


M. Fille, G.-D. Burchard
109.1 Antimalariamittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797
109.2 Mittel gegen Darmprotozoen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798
109.3 Mittel gegen Trypanosomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798
109.4 Mittel gegen Leishmanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799
109.5 Mittel mit vorwiegender Wirkung gegen intestinale Rundwürmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799
109.6 Mittel mit vorwiegender Wirkung gegen Filarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800
109.7 Mittel mit vorwiegender Wirkung gegen Egel und Bandwürmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800

X Krankheitsbilder
110 Fieber – Pathophysiologie und Differenzialdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805
G.-D. Burchard
110.1 Pathophysiologie des Fiebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805
110.2 Differenzialdiagnose des Fiebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806

111 Sepsis – schwere Sepsis – septischer Schock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807


W. V. Kern
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812

112 Infektionen des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813


G. Michels, S. Baldus
112.1 Infektiöse Endokarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813
112.2 Myokarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 820
112.3 Perikarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824
XXX Inhaltsverzeichnis

113 Infektionen des ZNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827


E. Schmutzhard
113.1 Virale (Meningo-)Enzephalitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827
113.2 Akute bakterielle Meningitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 830
113.3 Hirnabszess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 832
113.4 Chronische Meningitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838

114 Augeninfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839


B. Stemplewitz, G. Richard
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843

115 Infektionen des oberen Respirationstrakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845


V. van Laak, N. Suttorp
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 849

116 Pleuropulmonale Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851


T. Welte
116.1 Akute und chronische Bronchitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851
116.2 Ambulant erworbene Pneumonie (CAP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852
116.3 Nosokomiale Pneumonie (HAP/VAP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854
116.4 Pleuritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857

117 Harnweginfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 859


G. v. Gersdorff
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864

118 Genitoanale und sexuell übertragbare Infektionen (STI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 865


H. Schöfer
118.1 Vom Genitoanaltrakt ausgehende Übertragungen auf Embryo, Fetus und Neugeborenes . . . . . . . . 870
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 872

119 Infektionen der Knochen und Gelenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 873


C. Stephan, H.-R. Brodt
119.1 Infektionen der Knochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 873
119.2 Infektionen der Gelenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 879
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885

120 Haut- und Weichgewebeinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887


C. Stephan, H.-R. Brodt
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 895

121 Gastroenteritiden und Peritonitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 897


S. Schmiedel
121.1 Gastroenteritiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 897
121.2 Peritonitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901

122 Infektionen der Leber, der Gallenwege und des Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903
S. Ciesek, M. P. Manns
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 906

123 Infektionen der Zähne und des Zahnhalteapparates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907


I. Steinmetz, T. Kocher
123.1 Karies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907
123.2 Parodontitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 908
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912

124 Nosokomiale Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913


P. Gastmeier
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915
XXXI
Inhaltsverzeichnis

125 Importierte Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 917


G.-D. Burchard
125.1 Differenzialdiagnose Fieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 917
125.2 Differenzialdiagnose bei Diarrhö . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 919
125.3 Differenzialdiagnose bei Hautkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 920
125.4 Differenzialdiagnose bei Gelenkschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 920
125.5 Besonderheiten bei Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 920

126 Infektionen bei Immunsuppression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923


G.-D. Burchard, J. van Lunzen
126.1 Immundefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923
126.2 Infektionen nach Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923
126.3 Infektionen nach Stammzelltransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924
126.4 Infektionen bei medikamentös induzierter Immunsuppression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 925
126.5 Opportunistische Infektionen bei Patienten mit HIV-Infektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 926
126.6 Angeborene Immundefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 928
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 929

127 Biologische Waffen – eine Herausforderung an Diagnostik, Therapie, Klinik


und Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931
J. H. Kuhn, T. Ulrichs, G.-D. Burchard
127.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931
127.2 Einsatzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931
127.3 Indikatoren für einen bioterroristischen Anschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931
127.4 Kontrolle biologischer Waffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 933
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 933

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935
Internetangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 936
Wichtige Homepages national und international bedeutsamer Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 936
Ausgewählte Homepages deutschsprachiger Fachgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 936
Ausgewählte Online-Portale zu Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 936
Online-Angebote zu Mikroorganismen und Antibiotikaresistenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 938
Die Autoren

Ammon, Andrea, PD Dr., MPH Brodt, Hans-Reinhard, Prof. Dr.


European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) Medizinische Klinik II
Granitsväg 8 Schwerpunkt Infektiologie
17165 Solna, Schweden Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7
Autenrieth, Ingo B., Prof. Dr. 60596 Frankfurt
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene
Universität Tübingen Burchard, Gerd-Dieter, Prof. Dr.
Elfriede-Aulhorn-Str. 6 Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
72076 Tübingen Bernhard-Nocht-Str. 74
20359 Hamburg
Bange, Franz-Christoph, Prof. Dr.
Institut für Medizinische Mikrobiologie Ciesek, Sandra, Prof. Dr.
und Krankenhaushygiene Institut für Virologie
Medizinische Hochschule Hannover Universitätsklinikum Essen
Carl-Neuberg-Str. 1 Robert-Koch-Haus
30625 Hannover Virchowstr. 179
45147 Essen
Bär, Werner, Prof. Dr.
Hauptstr. 86 Cramer, Jakob P., PD Dr.
03172 Schenkendöbern-Kerkwitz Klinische Forschung
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Baldus, Stephan, Prof. Dr. Bernhard-Nocht-Str. 74
Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie 20359 Hamburg
und Internistische Intensivmedizin
Uniklinik Köln Dierich, Manfred P., Prof. Dr.
Kerpener Str. 62 Department für Hygiene, Mikrobiologie und Sozialmedizin
50937 Köln Sektion für Hygiene, Mikrobiologie und Sozialmedizin
Medizinische Universität Innsbruck
Becker, Stephan, Prof. Dr. Fritz-Pregl-Str. 3
Institut für Virologie 6010 Innsbruck, Österreich
Universität Marburg
Hans-Meerwein-Str. 2 Eberle, Ute, Dr.
35043 Marburg Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittel-
sicherheit (LGL)
Berger, Anja, Dr. Veterinärstr. 2
Bayerisches Landesamt für Gesundheit 85764 Oberschleißheim
und Lebensmittelsicherheit (LGL)
Veterinärstr. 2 Elias, Johannes, PD Dr.
85764 Oberschleißheim Institut für Mikrobiologie
DRK Kliniken Berlin | Westend
Blasczyk, Rainer, Prof. Dr. Spandauer Damm 130
Institut für Transfusionsmedizin 14050 Berlin
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1 Fille, Manfred, Dr.
30625 Hannover Department für Hygiene, Mikrobiologie und Sozialmedizin
Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie
Bogdan, Christian, Prof. Dr. Medizinische Universität Innsbruck
Mikrobiologisches Institut – Klinische Mikrobiologie, Schöpfstr. 41
Immunologie und Hygiene 6010 Innsbruck, Österreich
Universitätsklinikum Erlangen,
Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg Fingerle, Volker, Dr.
Wasserturmstr. 3/5 Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittel-
91054 Erlangen sicherheit (LGL)
Veterinärstr. 2
85764 Oberschleißheim
XXXIII
Die Autoren

Ganzenmüller, Tina, Dr. Heim, Albert, PD Dr.


Institut für Virologie Institut für Virologie
Medizinische Hochschule Hannover Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1 Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover 30625 Hannover

Gastmeier, Petra, Prof. Dr. Henke-Gendo, Cornelia, Dr.


Institut für Hygiene und Umweltmedizin Krankenhaushygiene
Charité – Universitätsmedizin Berlin Niedersächsisches Landesgesundheitsamt
Hindenburgdamm 27 Roesebeckstr. 4–6
12203 Berlin 30449 Hannover

Gatermann, Sören, Prof. Dr.


Höck, Marlies, Dr.
Abt. für Medizinische Mikrobiologie
MVZ Labor Limbach Berlin GbR
Institut für Hygiene und Mikrobiologie
Limbach Gruppe
Ruhr-Universität Bochum
Aroser Allee 84
Universitätsstr. 150
13407 Berlin
44801 Bochum

Gersdorff, Gero von, Dr. Hofreuter, Dirk, Prof. Dr.


Klinik II für Innere Medizin Institut für Medizinische Mikrobiologie
Nephrologie, Rheumatologie, Diabetologie und Krankenhaushygiene
und Allgemeine Innere Medizin Medizinische Hochschule Hannover
Uniklinik Köln Carl-Neuberg-Str. 1
Kerpener Str. 62 30625 Hannover
50937 Köln
Hornef, Mathias, Prof. Dr.
Glowacka, Ilona, Dr. Institut für Medizinische Mikrobiologie
Institut für Virologie Universitätsklinikum der RWTH Aachen
Medizinische Hochschule Hannover Pauwelsstr. 30
Carl-Neuberg-Str. 1 52074 Aachen
30625 Hannover
Hunfeld, Klaus-Peter, Prof. Dr., MPH
Graf, Karolin, Dr. Zentralinstitut für Laboratoriumsmedizin
Paracelsus-Klinik am Silbersee Langenhagen Krankenhaus Norwest
Oertzeweg 24 Akademisches Lehrkrankenhaus
30851 Langenhagen der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Steinbacher Hohl 2–26
Haase, Gerhard, Prof. Dr.
60488 Frankfurt
Labordiagnostisches Zentrum – Bereich Mikrobiologie
Universitätsklinikum RWTH Aachen Iftner, Thomas, Prof. Dr.
Pauwelsstr. 30 Institut für Medizinische Virologie und Epidemiologie
52074 Aachen der Viruskrankheiten
Hahn, Helmut, Prof. Dr. Dr. h. c. Sektion Experimentelle Virologie
Universitätsklinikum Tübingen
Koch-Metschnikow-Forum e. V.
Elfriede-Aulhorn-Str. 6
Langenbeck-Virchow-Haus
72076 Tübingen
Luisenstr. 58/59
10117 Berlin
Ignatius, Ralf, Prof. Dr.
Hausdorfer, Johann, Dr. Medizinisches Versorgungszentrum
Department für Hygiene, Mikrobiologie und Sozialmedizin Labor 28 GmbH
Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie Mecklenburgische Str. 28
Medizinische Universität Innsbruck 14197 Berlin
Fritz-Pregl-Str. 3
6010 Innsbruck, Österreich Jacobs, Enno, Prof. Dr.
Institut für Medizinische Mikrobiologie
Heesemann, Jürgen, Prof. Dr. Dr. und Hygiene
Max von Pettenkofer-Institut für Hygiene und Medizinische Medizinische Fakultät der TU Dresden
Mikrobiologie Fiedlerstr. 42
Universität München 01307 Dresden
Pettenkoferstr. 9a
80336 München
XXXIV Die Autoren

Josenhans, Christine, Prof. Dr. Laak, Vincent van, Dr.


Institut für Medizinische Mikrobiologie Medizinische Klinik m. S. Infektiologie und Pneumologie
und Krankenhaushygiene Charité Universitätsmedizin Berlin
Medizinische Hochschule Hannover Chariteplatz 1
Carl-Neuberg-Str. 1 10117 Berlin
30625 Hannover
Lâm, Thiên-Trí, Dr.
Kampf, Wolfgang-Dietrich, Prof. Dr. Institut für Hygiene und Mikrobiologie
Sponholzstr. 13 Universität Würzburg
12159 Berlin Josef-Schneider-Str. 2 / E1
97080 Würzburg
Karch, Helge, Prof. Dr. Dr. h. c.
Institut für Hygiene Lück, Christian, Dr.
Universitätsklinikum Münster Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene
Robert-Koch-Str. 41 Medizinische Fakultät der TU Dresden
48149 Münster Fiedlerstr. 42
01307 Dresden
Kaufmann, Stefan H. E., Prof. Dr. Dr. h. c.
Max Planck-Institut für Infektionsbiologie Lunzen, Jan van, Prof. Dr.
Abt. Immunologie Sektion Infektiologie
Campus Charité Mitte Ambulanzzentrum und I. Medizinische Klinik
Chariteplatz 1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
10117 Berlin Martinistr. 52
20246 Hamburg
Kempf, Volkhard A. J., Prof. Dr.
Institut für Medizinische Mikrobiologie Manns, Michael P., Prof. Dr.
und Krankenhaushygiene Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie
Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität und Endokrinologie
Paul-Ehrlich-Str. 40 Medizinische Hochschule Hannover
60596 Frankfurt Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
Kern, Winfried, Prof. Dr. V.
Abteilung Infektiologie Messerle, Martin, Prof. Dr.
Universitätsklinikum Freiburg Institut für Virologie
Hugstetter Str. 55 Medizinische Hochschule Hannover
79106 Freiburg Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
Klos, Andreas, Prof. Dr.
Institut für Medizinische Mikrobiologie Meyer, Thomas F., Prof. Dr.
und Krankenhaushygiene Abt. Molekulare Biologie
Medizinische Hochschule Hannover Max Planck-Institut für Infektionsbiologie
Carl-Neuberg-Str. 1 Campus Charité Berlin/Mitte
30625 Hannover Charitéplatz 1
10117 Berlin
Kocher, Thomas, Prof. Dr.
Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie Michels, Guido, Prof. Dr.
und Endodontologie Klinik III für Innere Medizin
Abt. Parodontologie Herzzentrum der Universität zu Köln
Universitätsmedizin Greifswald AöR Kerpenerstr. 62
Walther-Rathenau-Str. 42a 50937 Köln
17475 Greifswald
Mielke, Martin, Prof. Dr.
Kuhn, Jens H., Dr. Dr. Dr. Abt. für Infektionskrankheiten
NIH/NIAID Integrated Research Facility at Fort Detrick Robert Koch-Institut
B-8200 Research Plaza Nordufer 20
Fort Detrick 13353 Berlin
Frederick, MD 21702, USA
XXXV
Die Autoren

Pöhlmann, Stefan, Prof. Dr. Schulz, Thomas F., Prof. Dr.


Abt. Infektionsbiologie Institut für Virologie
Deutsches Primatenzentrum GmbH Medizinische Hochschule Hannover
Leibniz-Institut für Primatenforschung Carl-Neuberg-Str. 1
Kellnerweg 4 30625 Hannover
37077 Göttingen
Sing, Andreas, Prof. Dr. Dr., M.A. DTM&H
Puppe, Wolfram, Dr. Bayerisches Landesamt für Gesundheit
Institut für Virologie und Lebensmittelsicherheit (LGL)
Medizinische Hochschule Hannover Veterinärstr. 2
Carl-Neuberg-Str. 1 85764 Oberschleißheim
30625 Hannover
Sodeik, Beate, Prof. Dr.
Richard, Gisbert, Prof. Dr. Institut für Virologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Medizinische Hochschule Hannover
Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde Carl-Neuberg-Str. 1
Martinistr. 52 30625 Hannover
20246 Hamburg
Spiegel, Martin, Dr.
Riffelmann, Marion, Dr. Institut für Mikrobiologie und Virologie
Institut für Hygiene und Labormedizin Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane
HELIOS Klinikum Krefeld Grossenhainer Str. 57
Lutherplatz 40 01968 Senftenberg
47805 Krefeld
Steinmetz, Ivo, Prof. Dr.
Rodloff, Arne C., Prof. Dr. Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin
Institut für Medizinische Mikrobiologie Medizinische Universität Graz
und Infektionsepidemiologie Universitätsplatz 4
Universitätsklinikum Leipzig 8010 Graz, Österreich
Liebigstr. 21
04103 Leipzig Stemplewitz, Birthe, Dr.
Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde
Rüden, Henning, Prof. Dr. Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
HELIOS Kliniken GmbH Martinistr. 52
Zentrale Krankenhaushygiene 20246 Hamburg
Zepernicker Str. 02, Haus 13.1
13125 Berlin Stephan, Christoph, Prof. Dr.
Medizinische Klinik II, Schwerpunkt Infektiologie
Schmiedel, Stefan, Dr. Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Theodor-Stern-Kai 7
1. Medizinische Klinik und Poliklinik 60590 Frankfurt
Bernhard-Nocht-Klinik für Tropenmedizin
Martinistr. 52 Suerbaum, Sebastian, Prof. Dr.
20246 Hamburg Institut für Medizinische Mikrobiologie
und Krankenhaushygiene
Schmitt, Corinna, Dr. Medizinische Hochschule Hannover
Institut für Virologie Carl-Neuberg-Str. 1
Medizinische Hochschule Hannover 30625 Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover Sutter, Gerd, Prof. Dr.
Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen
Schmutzhard, Erich, Prof. Dr., DTM&H (Liv.) Tierärztliche Fakultät
Universitätsklinik für Neurologie Ludwig-Maximilians-Universität München
Medizinische Universität Innsbruck Veterinärstr. 13
Anichstr. 35 80539 München
6020 Innsbruck, Österreich
Suttorp, Norbert, Prof. Dr.
Schöfer, Helmut, Prof. Dr. Charité – Medizinischen Klinik m. S.
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Infektiologie und Pneumologie
Universitätsklinikum Frankfurt, Goethe-Universität Augustenburger Platz 1
Theodor-Stern-Kai 7 13353 Berlin
60590 Frankfurt
XXXVI Die Autoren

Treis, Bianca Ziebuhr, John, Prof. Dr.


Bayerisches Landesamt für Gesundheit Institut für Medizinische Virologie
und Lebensmittelsicherheit (LGL) Justus-Liebig-Universität Gießen
Veterinärstr. 2 Schubertstr. 81
85764 Oberschleißheim 35392 Gießen

Ulrichs, Timo, Prof. Dr. med. Dr. PH Dr. h. c. Ziesing, Stefan, Dr.
Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften Institut für Medizinische Mikrobiologie
Colditzstr. 34–36 und Krankenhaushygiene
12099 Berlin Medizinische Hochschule Hannover
und Carl-Neuberg-Str. 1
Koch-Metschnikow-Forum 30625 Hannover
Langenbeck-Virchow-Haus
Luisenstr. 59
10117 Berlin

Vogel, Ulrich, Prof. Dr.


Institut für Hygiene und Mikrobiologie
Universität Würzburg
Josef-Schneider-Str. 2 / E1
97080 Würzburg

Vonberg, Ralf-Peter, Prof. Dr.


Institut für Medizinische Mikrobiologie
und Krankenhaushygiene
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover

Welte, Tobias, Prof. Dr.


Klinik für Pneumologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover

Wirsing von König, Carl Heinz, Prof. Dr.


Labor Medizin Krefeld MVZ
Lutherplatz 40
47805 Krefeld

Wölk, Benno, Dr.


LADR GmbH
Medizinisches Versorgungszentrum
Dr. Kramer und Kollegen
Lauenburger Str. 67
21502 Geesthacht
XXXVII

Abkürzungsverzeichnis zur Virologie

Ak Antikörper RE Restriktionsenzym
Ag Antigen RES retikuloendotheliales System
ARDS akutes respiratorisches Dystress-Syndrom RSV Respiratory Syncytial Virus
ATL adulte T-Zell-Leukämie RT-PCR reverse Transkriptase/Polymerasekettenreaktion
oder: Echtzeit-(»Real-Time-«)Polymeraseketten-
BSE bovine spongiforme Enzephalopathie
reaktion
CD Differenzierungsantigen
SSPE subakute sklerosierende Panenzephalitis
CMV Zytomegalievirus
SSW Schwangerschaftswoche
CPE zytopathischer Effekt
CTL zytotoxische T-Lymphozyten TK Thymidin-Kinase
TSE übertragbare spongiforme Enzephalopathie
D Dalton
TNF Tumornekrosefaktor
DC dendritische Zelle
DD Differenzialdiagnose vCJK variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
VZV Varicella-Zoster-Virus
EBV Epstein-Barr-Virus
EM Elektronenmikroskop Wt Wildtyp

FSME Frühsommer-Meningoenzephalitis

GBS Guillain-Barré-Syndrom

HAART hochaktive antiretrovirale Therapie


HAV Hepatitis-A-Virus
HBsAg Hepatitis-B-»surface«-Antigen
HBV Hepatitis-B-Virus
HCV Hepatitis-C-Virus
HEV Hepatitis-E-Virus
HDV Hepatitis-D-Virus
HHT Hämagglutinations-Hemmungstest
HHV Humane Herpesviren
HIV Humane Immundefizienzviren
HPV Humane Papillomviren
HSV Herpes-simplex-Virus
HTLV Humane T-Zell-Leukämie-Viren

IFN Interferon
IFT Immunfluoreszenztest
IL Interleukin
IDDM insulinabhängiger (insulin-dependent) Diabetes
mellitus

kb Kilobasen
kbp Kilobasenpaare
kDa Kilodalton
KS Kaposi-Sarkom

LCM lymphozytäre Choriomeningitis


LTR Long Terminal Repeat (retrovirale Regulations-
elemente)

MWG Molekulargewicht in Kilodalton (kDa)


MHC Haupt-Histokompatilitätskomplex
MS multiple Sklerose

NKZ natürliche Killerzellen


NNRTI nichtnukleosidischer Reverse-Transkriptase-Inhibitor
NRTI nukleosidischer Reverse-Transkriptase-Inhibitor

PFU plaque forming unit


PML progressive, multifokale Leuk(o)enzephalopathie
PrPC Prionprotein, normale zelluläre Form
PrPSc Prionprotein, pathologische (scrapieartige) Form
1 I

Grundlagen
Kapitel 1 Die medizinische Mikrobiologie im 21. Jahrhundert –3

Kapitel 2 Ursprung der medizinischen Mikrobiologie –7

Kapitel 3 Pathogenität und Virulenz – 13

Kapitel 4 Physiologische Bakterienflora: Regulation und Wirkungen,


iatrogene Störungen und Probiotika – 27
3 1

Die medizinische Mikrobiologie


im 21. Jahrhundert
S. Suerbaum, H. Hahn

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die medizinische Mikrobiologie befasst sich mit der ursächlichen Rolle Bakterien sind Prokaryonten, Pilze bilden ein eigenes Reich inner-
pathogener (d. h. krankheitserzeugender) Mikroorganismen bei der halb der Eukaryonten, während Protozoen und Metazoen zum Tier-
Entstehung von Störungen im Funktionsablauf des menschlichen Or- reich gehören.
ganismus. Störungen dieser Art entstehen durch Ansiedlung und Ver- Die Gliederfüßer oder Arthropoden (»Ungeziefer« wie Läuse,
mehrung von Mikroorganismen im Sinne des Parasitismus; sie treten Wanzen, Zecken, Milben etc.) spielen eine überaus wichtige Rolle als
als Infektionskrankheit in Erscheinung. Demgemäß betrachtet man die Überträger oder Vektoren von Krankheitserregern. Die Kenntnis
parasitierenden Mikroorganismen als Krankheitserreger; das befallene ihrer Biologie bildet vielfach die Grundlage einer wirksamen Be-
Individuum wird als »Wirt« oder »Makroorganismus« bezeichnet. Da kämpfung von Infektionskrankheiten.
bei der Betrachtung von Infektionen sowohl der Wirt mit seinen Reak- In den letzten Jahren ist zunehmend klar geworden, dass die
tionen als auch die krankheitserzeugenden Eigenschaften eines Mikro- Bakterien, die physiologisch große Bereiche der äußeren und inne-
organismus (d. h. seine Pathogenität) im Vordergrundstehen, lässt sich ren Körperoberflächen besiedeln, für die Funktion des Körpers und
die medizinische Mikrobiologie am ehesten als Infektionslehre begrei- besonders des Immunsystems eine essenzielle Rolle spielen. Die
fen – als Lehre von der Auseinandersetzung des Wirtes mit den krank- Analyse der Interaktion solcher den Wirt nicht schädigenden sog.
heitserzeugenden Eigenschaften des Erregers. Kommensalen mit diesem gehört ebenfalls zum Bereich der medi-
zinischen Mikrobiologie.

1.1 Gegenstand des Faches


1.2 Aufgabenstellung des Faches
Das Gebiet der Infektionskrankheiten unter Einschluss der Immu-
nologie bietet besonders klare und einprägsame Beispiele zur Dar- Zwei Grundfragen bestimmen die Aufgabenstellung der medizini-
stellung allgemeiner Prinzipien der Krankheitsentstehung. Die schen Mikrobiologie:
Krankheitserreger (. Tab. 1.1) stammen entweder aus der Umwelt 4 Die Frage nach den biologischen Besonderheiten der
oder aus der physiologischen Standortflora des betroffenen Indivi- Krankheitserreger
duums: 4 Die Frage nach den im Wirtsorganismus ausgelösten
4 Ein großer Teil der Krankheitserreger gehört zu den einzelligen Vorgängen der Infektion:
Mikroorganismen: Bakterien, Pilze oder Protozoen. 5 Schädigungsprozesse: Sie sind die direkte Krankheitsursache;
4 Ein anderer Teil wird zu den subzellulären Partikeln gerechnet: in ihrer Gesamtheit werden sie als Pathogenese bezeichnet.
Viren und Prionen (Kurzform für »proteinaceous infectious 5 Abwehrreaktionen: Sie können zur Milderung der Krank-
particles«). heit, zu Heilung und Immunität führen. Manchmal schädi-
4 Schließlich können auch Vielzeller (Metazoen) als Krankheits- gen sie den Wirtsorganismus selbst; dann spricht man von
erreger in Erscheinung treten: parasitische Würmer. Immunpathogenese.

. Tab. 1.1 Eigenschaften der verschiedenen Erregerklassen

Merkmal Prionen Viren Bakterien Pilze Protozoen Würmer

DNA und RNA – – + + + +


vorhanden? (nur Protein) DNA oder RNA
Ribosomen – – + + + +
Zellkern – – – (Kernäquivalent) + + +
Größe (μm) * 0,02–0,3 0,2–10 > 0,7 5–50 60 bis > 107
Ein-/mehrzellig – – e e/m e m
(e/m)

*Partikelgröße nicht definiert, variable Anzahl von Prionproteinmolekülen


4 Kapitel 1 · Die medizinische Mikrobiologie im 21. Jahrhundert
Grundlagen

Die Kenntnis der biologischen Besonderheiten der Krankheitserre- nis gab Anlass zu Voraussagen namhafter Infektionsforscher, welche
ger, der Natur der Schädigung und des Wesens der Abwehrvorgänge die Ausrottung weiterer Seuchen und letztlich das Ende der Infek-
ist von großer Bedeutung für die Bekämpfung der Infektionskrank- tionskrankheiten insgesamt erwarteten. Wie falsch diese Auffassung
heiten. Die zu diesem Zweck eingeleiteten Maßnahmen beziehen war, sollten uns die Mikroorganismen alsbald lehren (. Tab. 1.2):
sich zum großen Teil auf das erkrankte Individuum, zum anderen Infektionskrankheiten sind heute die häufigste Todesursache welt-
Teil auf die gesamte Bevölkerung und ihren Lebensraum. Im Einzel- weit: 35 % aller Menschen sterben an Infektionen – und kein Ende
nen unterscheidet man die Aktivitäten ist in Sicht!
4 Erregerdiagnose, Zu den vielfältigen Ursachen für diese Entwicklung gehören
4 Kausalbehandlung, 4 Resistenzentwicklung von Erregern,
4 Prävention (Infektionsverhütung) und 4 Auftreten neuer Krankheitserreger,
4 Epidemiologie. 4 soziale Faktoren wie Armut, Zuwanderung, Urbanisierung,
4 Massentourismus.
Erregerdiagnose Das ist die exakte Bestimmung der Krankheits-
ursache, des Erregers. Diese umfasst die Maßnahmen bei Abnahme
von Untersuchungsmaterial und dessen Transport ins Labor durch 1.3.1 Resistenzentwicklung
den behandelnden Arzt, die Anwendung der Labormethoden durch
den medizinischen Mikrobiologen sowie die Interpretation des Be- Der massive und z. T. unsachgemäße Antibiotikaeinsatz hat mas-
fundberichts aus dem Labor – letzteres ist gemeinsame Aufgabe von siven Selektionsdruck ausgeübt und zur Verbreitung zahlreicher
behandelndem Arzt und Mikrobiologen. Erregerstämme geführt, die hochresistent gegen die gebräuchlichen
Antibiotika geworden sind, z. B.
Kausalbehandlung Das ist die Behandlung des Kranken durch Be- 4 Methicillin-resistente Staphylokokken (MRSA),
kämpfung der Krankheitsursache, des Erregers, mittels Antibiotika 4 Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE),
bzw. Antikörper oder Virustatika. 4 Penicillin-resistente Gonokokken,
4 multiresistente Tuberkuloseerreger (MDR und XDR),
Prävention (Infektionsverhütung) Hierzu gehören 4 zahlreiche hochresistente gramnegative Stäbchenbakterien.
4 die Verminderung der Erregeremission vom Infizierten durch
dessen Isolierung und durch Desinfektion seiner Ausschei-
dungen, 1.3.2 Auftreten neuer Krankheitserreger
4 die Verkleinerung des Erregerreservoirs, z. B. durch Ratten-
bekämpfung bei der Pest, . Tab. 1.2 zeigt eindrücklich, wie viele bisher unbekannte Krank-
4 die Unterbrechung des Übertragungsvorgangs durch Über- heitserreger in den vergangenen 30 Jahren aufgetreten sind.
prüfung und Elimination kontaminierter Lebens- und Arznei- 4 Zum Teil sind diese ganz neu entstanden, wie z. B. die beiden
mittel oder gezielte Vernichtung übertragungsfähiger Arthro- humanen HI-Viren HIV-1 und HIV-2, die vermutlich aus
poden (Vektoren), z. B. bei der Schlafkrankheit, Affen-Immundefizienzviren (»simian immunodeficiency
4 die prophylaktische Schutzimpfung, z. B. gegen Hepatitis B, virus«, SIV) hervorgegangen sind und einen »Wirtssprung«
Poliomyelitis, Diphtherie, vollzogen haben.
4 die prophylaktische Gabe von Chemotherapeutika bei Expo- 4 Ökologische Veränderungen können für manche Erreger die
nierten, z. B. bei Malariagefahr. Ausbreitungsbedingungen verbessern, sodass sie aus ihrem
bisherigen abgeschiedenen Habitat auch in von Menschen be-
Epidemiologie Die epidemiologische Analyse liefert die Möglich- siedelte Gebiete gelangen.
keit, Vorkommen und Ausbreitung von Infektionskrankheiten in- 4 Oder aber altbekannte Krankheitserreger erscheinen in neuem
nerhalb eines größeren Gebiets zu analysieren und daraus Gesetz- Gewand und erzeugen auf vielfache Art und Weise bisher
lichkeiten abzuleiten. unbekannte Krankheitsbilder. Ein gutes Beispiel sind E. coli-
Stämme, die ihre Ausstattung mit Virulenzfaktoren dauernd
Facharztweiterbildung Die medizinische Mikrobiologie ist Gegen- ändern.
stand einer eigenständigen Facharztweiterbildung. Nach 5 Jahren
Weiterbildung (davon 1 Jahr in der Klinik) kann der Titel »Facharzt Weitere Beispiele sind: SARS-Viren (Pneumonie), Helicobacter
für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie« erwor- pylori (B-Gastritis, Ulcus duodeni, Magenkrebs), Legionellen
ben werden. Im Rahmen der Weiterbildung zum Facharzt für Mik- (Pneumonie) (. Tab. 1.2). Teilweise haben die durch sie hervorge-
robiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie werden auch die rufenen Infektionskrankheiten schon jetzt verheerende Ausmaße
fachlichen Voraussetzungen für die Tätigkeit als Krankenhaushygi- angenommen und sind im Begriff, ganze Erdteile demografisch zu
eniker vermittelt. verändern, so z. B. AIDS südlich der Sahara.

1.3 Heutige Bedeutung des Faches 1.3.3 Soziale Faktoren wie Armut,
Zuwanderung, Urbanisierung
Mit Einführung der antiinfektiven Chemotherapeutika, die nach
dem 2. Weltkrieg breite Anwendung fanden, wuchs in den 1960er Soziale Faktoren leisten zusammen mit AIDS vor allem der Ausbrei-
Jahren die Überzeugung, Infektionskrankheiten würden in absehba- tung der Tuberkulose Vorschub: AIDS und Tb = »double trouble«.
rer Zeit der Vergangenheit angehören. Die am 08.05.1980 von der
Weltgesundheitsorganisation WHO proklamierte erfolgreiche Aus-
rottung der Pocken unterstützte solchen Optimismus. Dieses Ereig-
1.3 · Heutige Bedeutung des Faches
5 1

. Tab. 1.2 Seit 1972 identifizierte Erreger von Infektionskrankheiten

Jahr Erreger Krankheit

1972 »small round-structured viruses« (SRSV; Caliciviren) Diarrhö (Ausbrüche)

1973 Rotaviren Diarrhö (weltweit)

1975 Astroviren Diarrhö (Ausbrüche)

1975 Parvovirus B19 Erythema infectiosum; aplastische Krise bei chronischer hämolytischer
Anämie

1976 Cryptosporidium parvum akute Enterokolitis

1977 Ebolavirus Ebola-hämorrhagisches Fieber

1977 Legionella pneumophila Legionellose

1977 Hantaanvirus hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom

1977 Campylobacter spp. Diarrhö

1980 humanes T-Zell-Leukämie-Virus 1 (HTLV-1) adulte T-Zell-Leukämie / adultes T-Zell-Lymphom; tropische spastische
Paraparese

1982 humanes T-Zell-Leukämie-Virus 2 (HTLV-2) atypische Haarzellleukämie (T-Zell-Typ)

1982 Borrelia burgdorferi Lyme-Borreliose

1983 humane Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2) erworbenes Immundefizienzsyndrom (AIDS)

1983 Escherichia coli O157 (EHEC) Diarrhö; hämorrhagische Kolitis; hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)

1983 Helicobacter pylori Gastritis; Magen- und Duodenalgeschwüre; erhöhtes Magenkarzinom-


risiko, MALT-Lymphom des Magens

1988 humanes Herpesvirus 6 Exanthema subitum (Roseola infantum; Dreitagefieber)

1989 Ehrlichia spp. humane Ehrlichiose

1989 Hepatitis-C-Virus (HCV) Hepatitis C

1989 Guanaritovirus venezolanisches hämorrhagisches Fieber

1990 humanes Herpesvirus 7 Exanthema subitum; Pityriasis rosea

1990 Hepatitis-E-Virus (HEV) Hepatitis E

1992 Vibrio cholerae O139 neue Variante assoziiert mit epidemischer Cholera

1992 Bartonella henselae Katzenkratzkrankheit; kutane Angiomatose

1993 Sin-Nombre-Virus Hantavirus-Lungensyndrom (»four corners disease«)

1994 Sabiavirus brasilianisches hämorrhagisches Fieber

1994 humanes Herpesvirus 8 (HHV-8) Kaposi-Sarkom; primäres Lymphom der Körperhöhlen;


Castleman-Krankheit

1994 Hendravirus, equines Morbillivirus (EMV) Meningitis; Enzephalitis

1996 Prionprotein transmissible spongiforme Enzephalopathien (TSE)

1997 Influenza-A-Virus (H5N1) Influenza (Hongkong)

1997 »transfusion-transmitted virus« (TTV) möglicherweise Hepatitis

1998 Nipahvirus Meningitis; Enzephalitis

1999 Influenza-A-Virus (H5N9) Influenza (Hongkong)

2003 SARS-assoziiertes Coronavirus schweres akutes respiratorisches Syndrom (SARS)

2004 hochpathogene aviäre Influenzaviren (H5N1) Erstnachweis als Infektionserreger beim Menschen (»Vogelgrippe«)

2009 neues Influenzavirus A/H1N1/2009 Influenza (»neue Grippe«, »Schweinegrippe«)

2012 MERS-Coronavirus »Middle East Respiratory Syndrome« (MERS)


6 Kapitel 1 · Die medizinische Mikrobiologie im 21. Jahrhundert
Grundlagen

1.3.4 Massentourismus

» Wer viel herumkommt, fängt sich viel ein.

Gerade die sexuell übertragenen Erkrankungen und die Nahrungs-


mittelinfektionen profitieren von der großen Beweglichkeit des
modernen Menschen, der sie von Erdteil zu Erdteil verschleppt. Auf
diese Weise sorgen die Mikroorganismen dafür, dass
4 wir uns weiterhin gegen überraschende Attacken wappnen
müssen und
4 mikrobiologisch-infektiologischer Sachverstand weiter sehr ge-
fragt sein wird – bis weit in die Zukunft!

In Kürze
Die medizinische Mikrobiologie im 21. Jahrhundert
Die medizinische Mikrobiologie befasst sich mit den krank-
machenden Eigenschaften der Erreger und den Reaktions-
formen (Infektionen) befallener Makroorganismen. Sie stellt
Methoden zur Diagnose von Krankheitserregern zur Verfügung
und trägt zur Therapie bei, indem sie die Empfindlichkeit der
Krankheitserreger gegen Chemotherapeutika prüft. Die Ent-
wicklung und Anwendung von Methoden zur Prävention von
Infektionskrankheiten sind ebenfalls Aufgaben des Mikrobiolo-
gen. Insoweit ist die medizinische Mikrobiologie ein Teilgebiet
der Infektionsmedizin.
Neue Erreger, veränderte Erreger und veränderte gesellschaft-
liche Verhaltensweisen begünstigen die Entwicklung von Infek-
tionskrankheiten und ihre Ausbreitung. Noch immer stirbt ein
Drittel aller Menschen an Infektionen – trotz erheblicher Fort-
schritte bei der Kenntnis der Erreger und der Erreger-Wirts-Be-
ziehung und der Entwicklung neuer Heilmethoden und Medika-
mente. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.
7 2

Ursprung der medizinischen


Mikrobiologie
P. Klein (†), D. Falke, H. Hahn

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Erkenntnis, dass lebende Mikroorganismen oder ihre Produkte für Rahmen der Urzeugung: Lebewesen können jederzeit spontan und
Krankheitserscheinungen bei Infektionen verantwortlich sind, geht in direkt aus totem Material entstehen (. Abb. 2.1). Im Sinne dieser Vor-
wesentlichen Teilen auf Robert Koch und Jakob Henle zurück (Henle- stellung sollten sich aus Käse Maden entwickeln; faulender Weizen
Koch-Postulate). Diese Postulate stellen ein Werkzeug dar, um die ur- sollte Mäuse erzeugen und Fleischsuppe sich in Bakterien verwan-
sächliche Rolle von lebenden Mikroorganismus in der Entstehung von deln. Die Urzeugungslehre hat schließlich der französische Chemiker
Infektionen zu beweisen. Louis Pasteur (1822–1895) endgültig widerlegt, nach Vorarbeiten des
Erst die Kenntnis der Krankheitserreger und ihre Rolle erlaubte die Ent- italienischen Geistlichen Lazzaro Spallanzani (1729–1799).
wicklung kausal wirksamer Gegenmaßnahmen, wie Infektionsprophy-
laxe mittels Schutzimpfungen (Immunisierung), Hygienemaßnahmen »Omnis cellula e cellula« Wie Spallanzani Mitte des 18. Jahrhun-
(Beseitigung der Erreger im Umfeld der Patienten) und Chemotherapie derts bewies, bleibt eine organische Stoffe enthaltende Lösung
(gezielte, selektive Schädigung des Erregers bei Schonung der körper- (Medium) dann frei von Mikroorganismen, wenn sie gekocht und
eigenen Zellen des Patienten). Auch die Infektionsdiagnostik beruht anschließend verschlossen gehalten wird. Pasteur zeigte Mitte des
auf der Darstellung typischer Erregereigenschaften wie Stoffwechsel- 19. Jahrhunderts, dass sich in einem gekochten Medium Mikroorga-
leistungen, mikroskopische Eigenschaften, Genomaufbau oder indi- nismen nur dann entwickeln, wenn sie von außen hineingebracht
rekt durch Nachweis spezifischer Antikörper des Patienten gegen Er- werden, sei es durch Verunreinigung der geöffneten Flasche aus der
regerantigene. Luft oder aber durch künstliche Beimpfung mit Material aus einem
Trotz großer Fortschritte bei der Zurückdrängung oder Ausrottung bakterienhaltigen Medium.
einstmals verheerender Infektionen, z. B. Pocken, sind Infektionserre- Damit ist Mitte des 19. Jahrhunderts ein Lehrsatz begründet wor-
ger nach wie vor häufige Erkrankungs- und Todesursachen, z. B. Tuber- den, der bis zum heutigen Tage für alle Lebensformen gleichermaßen
kulose, Malaria, Hepatitis, HIV/AIDS und diverse Erreger infektionsbe- gilt: Leben kann nur weitergegeben werden, aber nicht »de novo«
dingter Durchfallerkrankungen. Die auf Paul Ehrlich und Alexander Fle- entstehen. Dieser Satz hat in Verbindung mit der Entdeckung der
ming zurückgehende Chemotherapie war ein großer therapeutischer
Fortschritt in der Bekämpfung von Infektionserregern. Durch massiven
Einsatz von Chemotherapeutika sind inzwischen resistente Erreger
aufgetreten, sodass die Chemotherapie einen Teil ihrer Wirksamkeit
eingebüßt hat.

2.1 Vormedizinische Mikrobiologie

Wesentlich für die Entstehung der Mikrobiologie als Lehre der


Krankheitsentstehung durch Mikroorganismen war die Erkenntnis
der Übertragbarkeit der Erreger von einem Lebewesen auf ein ande-
res. Diese Einsicht gewannen erstmals offenbar Priesterärzte im Al-
ten Indien und im Alten China, als sie die bereits damals vorkom-
menden Pocken durch Übertragung von Pockenmaterial auf noch
nicht erkrankte Personen zu verhindern suchten – »Impfprophylaxe
durch Variolation« würde man heute dazu sagen. Sehr frühzeitig
muss sich auch die Gewissheit verbreitet haben, dass die einmal
durchgestandene Erkrankung vor neuerlichem Befall schützt: Mög-
licherweise hat man sich Gedanken über die Art des entstandenen
Schutzes gemacht. Damit scheinen erste Vorstellungen von Über-
tragbarkeit, krankheitserregenden Stoffen und einer Schutzentste-
hung geboren worden zu sein: Epidemiologie, Mikroorganismen,
Immunität.
Generatio spontanea ist die Bezeichnung für eine jahrhunderte- . Abb. 2.1 Beispiel für Urzeugung: spontane Entstehung von Fliegen aus
alte, naiv-poetische Theorie zur Frage der Entstehung von Leben im eiternden Wunden (aus Johann Wonnecke von Kaub: Hortus sanitatis, 1517)
8 Kapitel 2 · Ursprung der medizinischen Mikrobiologie
Grundlagen

Zelle als Grundelement organischen Lebens durch Schwann und toro (1546) und van Leeuwenhoek. Angesichts der diversen Verbrei-
Schleiden im Jahr 1839 zum berühmten Zitat des deutschen Patholo- tungsmodi von Krankheiten wie Malaria, Pocken und Syphilis nahm
gen Rudolf Virchow (1821–1902) geführt: »Omnis cellula e cellula.« man neben dem belebten Ansteckungsstoff noch andere, unbelebte
Die Lehre von den Mikroorganismen als Krankheitserregern Kausalfaktoren an, z. B. in Gestalt der Miasmen (gr.: »miasma« für
ließ sich jedoch erst auf dem Boden einer vorher entwickelten Wis- »Verunreinigung«). So hießen krankheitserzeugende, immaterielle
senschaft begründen. Diese hatte als vormedizinische Mikrobiolo- Ausdünstungen aus dem Boden, Sümpfen oder Leichen. Malaria
gie nicht nur den Beweis für die Existenz einer bis dahin unbekann- (it.: »mala aria« für »schlechte Luft«) schien durch Miasmen zu-
ten Form von Lebewesen geliefert; ihre Vertreter hatten darüber stande zu kommen, während für die Syphilis eher ein Ansteckungs-
hinaus die fundamentale Rolle der Mikroorganismen für die Vor- stoff in Betracht kam.
gänge der Gärung, der Fäulnis, der Verwesung und der Verrottung Pasteur hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, ob sich, ana-
erkannt: log zu den Vorgängen der Gärung und der Fäulnis, die übertrag-
4 Gärung ist die enzymatische Spaltung niedermolekularer baren Krankheiten als Folge einer Besiedlung des Organismus mit
Kohlenhydrate. Bakterien erklären ließen.
4 Verrottung betrifft die Zersetzung zellulosehaltiger Pflanzen- Nach einer kritischen Literaturauswertung schloss Jakob Henle
substanz. (1809–1885), bei der Übertragung von Krankheiten gelange jeweils
4 Fäulnis (gr.: »sepsis«) bezeichnet üblicherweise den Abbau ein spezifischer Ansteckungsstoff vom Kranken auf den Gesunden.
von Eiweißen. Dieser Stoff müsse belebt sein, folgerte er und verwies in diesem
4 Verwesung bezieht sich auf tierisches Material. Zusammenhang auf die schon damals diskutierte Rolle von Pilzen
bei der alkoholischen Gärung und bei der Muscardine-Krankheit
Die Ähnlichkeit zwischen Fäulnisvorgängen und dem Erschei- der Seidenraupen; beide Beispiele brachte Henle mit dem Vorkom-
nungsbild gewisser Krankheiten gab entscheidenden Anstoß dazu, men von Milben bei Krätze und von Pilzen bei Favus in Verbindung.
ansteckende Krankheiten mit Mikroorganismen in Verbindung zu Bereits vor Pasteur hatte sich der Chirurg Theodor Billroth in
bringen. Berlin in der Klinik von Langenbeck Gedanken zur Entstehung sep-
Die vormedizinische Mikrobiologie hat ihren Ursprung in der tischer Zustände seiner Patienten gemacht. Mit den neuen Färbeme-
Entdeckung der Kleinlebewesen durch Antoni van Leeuwenhoek thoden und neuen Mikroskopen (siehe unten) fahndete er um 1870
(1632–1723). Der in Delft lebende Amateur-Linsenschleifer sah als in mikroskopischen Präparaten von Eitermaterial und Blut nach
Erster Bakterien: Um 1670 konnte er mit einem selbstgebauten »Mi- »Mikroben«: 1874 berichtete er in Berlin über die Entdeckung der
kroskop« in Gestalt einer äußerst starken Lupe feststellen, dass in später als Staphylokokken und Streptokokken bezeichneten »Cocco-
Wasser, Speichel und anderen Flüssigkeiten »kleine Tierchen« exis- bacteria septica«. Schon Pollender hatte 1849 beim Milzbrand der
tieren, besonders reichlich im Zahnbelag. In den folgenden 170 Jah- Kühe im Blut »stäbchenförmige« Körperchen beobachtet.
ren sind die Beobachtungen von van Leeuwenhoek deskriptiv erwei- 1882 formulierte Robert Koch dann nach intensiven Arbeiten
tert und systematisiert, aber nicht vertieft worden: So waren um am Milzbrand die noch heute gültige Beweisführung als Henle-
1840 zwar einige Parasiten (Krätzmilbe, Muscardine [tödliche Pilz- Koch-Postulate.
infektion von Seidenraupen], Trichomonaden, Favus- und Soorpilz) Im Jahre 1876 bewies Robert Koch mithilfe dieser Postulate, dass
bekannt. Aber bis Mitte des 19. Jahrhunderts glaubte man, sie ent- der Milzbrand der Haustiere nur entsteht, wenn diese mit Milzbrand-
stünden durch »Urzeugung« an ihrem Fundort. bakterien infiziert werden. Wie er zeigte, vermehren sich die in den
tierischen Organismus eingebrachten Bakterien und erst diese Ver-
mehrung führt zur Krankheit; Koch wies auch nach, dass die für den
2.2 Experimentelle Mikrobiologie Milzbrand verantwortlichen Bakterien aus erkrankten Tieren sich in
künstliche Kulturmedien verbringen und dort über lange Zeit züchten
Pasteur legte den Grundstein für die Entwicklung der experimentel- lassen, ohne ihre Fähigkeit, im Tier Milzbrand zu erzeugen, einzubü-
len Mikrobiologie mit naturwissenschaftlich-ökologischer Blick- ßen. Diese Arbeiten fußten auf einer von Koch ausgearbeiteten, gänz-
richtung. Er entwickelte ein Verfahren zur Kultivierung und Züch- lich neuen Verfahrenstechnik: Neben wesentlichen Verbesserungen
tung von Bakterien, insbesondere zur gezielten Trennung verschie- der Färbemethodik hat Koch das System der Reinkultur geschaffen.
dener Bakterienspezies aus einem Keimgemisch. Nach 1857 bewies Als einer der Vorläufer Kochs wies der Wiener Dermatologe Ferdi-
er die kausale Bedeutung von Mikroorganismen (Bakterien und nand von Hebra (1816–1880) 1841 im Selbstversuch den ursächlichen
Hefen) für die Vorgänge der Fäulnis und der Gärung. Wie er am Zusammenhang zwischen der Krätzmilbe und der Krätze nach.
Beispiel der Gärung zeigte, bewirken verschiedene Arten von Mik- Mittels fester Agarplatten ließen sich Klone, d. h. von einer einzi-
roorganismen jeweils unterschiedliche Umsetzungen wie alkoholi- gen Zelle abstammende Bakterienkulturen, herstellen, die sauberes
sche, Essig- und Milchsäuregärung. Pasteur hat damit die artgebun- bakteriologisches Arbeiten erst ermöglichten. Robert Kochs Gedan-
dene Charakteristik der biochemischen Leistung von Mikroorganis- ken über Reinkulturen und Klonierung waren wie seine Methodik
men, ihre Spezifität, entdeckt. Den biochemisch gefassten Spezifi- nicht nur für die Bakteriologie grundlegend, sondern für die gesamte
tätsbegriff hat später die medizinische Bakteriologie übernommen. Biologie und Pathobiologie – sie schufen auch die Grundlage für die
Er taucht dort in Gestalt des Lehrsatzes der pathogenetischen Spezi- Arbeit mit animalen Zellen z. B. in der Krebs- und Transplantations-
fität wieder auf. forschung. Die Arbeiten nach dem Muster von Koch führten im sog.
»goldenen Zeitalter« der Mikrobiologie schnell zu zahlreichen Er-
folgen (. Tab. 2.1). Koch selbst identifizierte die Erreger der Tuberku-
2.2.1 Mikroorganismen als Krankheitserreger lose und der Cholera.
Die medizinische Anwendung des Wissens über die krankma-
Die Frage, ob ein übertragbares, vermehrungsfähiges Agens (lat.: chende Rolle der Bakterien stellte die Infektionsprophylaxe auf eine
»contagium animatum« für »belebter Ansteckungsstoff«) seuchen- wissenschaftliche Grundlage und ermöglichte die Entwicklung der
haft auftretende Krankheiten verursacht, diskutierten schon Fracas- Immunologie und Chemotherapie.
2.2 · Experimentelle Mikrobiologie
9 2
Durch reichlichen Gebrauch bakterienabtötender Stoffe, sog. Desin-
. Tab. 2.1 Im »goldenen Zeitalter« der Mikrobiologie entdeckte
fektionsmittel wie »Carbol« (= Phenol), suchte er dem angenomme-
Krankheitserreger
nen Fäulnisvorgang und dessen Übertragung entgegenzuwirken: Er
Erreger Jahr der Entdecker
verordnete den Patienten Carbolkompressen und suchte durch Car-
Beschreibung bolsprays der Übertragung im Operationssaal entgegenzuwirken.
Lister nannte sein System »Antiseptik« (gr. Kunstwort: »gegen Fäul-
Bacillus anthracis 1876 Koch nis gerichtet«). »Antiseptisch« heißen z. T. heute noch Chemikalien
mit bakteriostatischer Wirkung.
Actinomyces israelii 1878 Israel
Das Wort »Aseptik« (gr. Kunstwort, »frei von jeder Fäulnis«)
Salmonella Typhi 1880 Eberth bezeichnet das Arbeitsprinzip zur Verhütung der Infektion von Ope-
Mycobacterium tuberculosis 1882 Koch
rationswunden. Dabei wird durch Sterilisation alles, was mit der
Wunde des Patienten in Berührung kommt, vorher gänzlich keim-
Vibrio cholerae 1883 Koch frei gemacht, z. B. Instrumente, Gummihandschuhe, Wundtücher,
Corynebacterium diphtheriae 1883 Klebs Tupfer, Nahtmaterial (7 Kap. 21). Gustav Neuber (1850–1932) be-
gründete das System der »Aseptik« in der 2. Hälfte des 19. Jahrhun-
1884 Loeffler
derts, der Chirurg Ernst von Bergmann (1836–1907) entwickelte es
Clostridium tetani 1885 Nicolaier weiter.
Ziele der Aseptik sind die absolute Ausschaltung jeder Infek-
1889 Kitasato
tionsmöglichkeit beim Setzen der Operationswunde (»Prinzip der
Clostridium perfringens 1892 Welch Non-Infektion«) und die komplikationslos (ohne Eiterung, »steril«)
Tabakmosaikvirus 1892 Iwanow verlaufende Wundheilung »per primam intentionem« (lat.: »beim
ersten Anlauf«). Dazu gehört das Bestreben, auch im engeren und
Yersinia pestis 1894 Yersin
weiteren Umkreis der Operationsstelle möglichst große Keimarmut
Virus der Maul- und Klauen- 1898 Loeffler und zu erzielen und zu bewahren mittels Desinfektion von Händen und
seuche Frosch Haut, sterilisierter Kittel, Gesichtsmasken, Staubbekämpfung etc.
Myxomvirus (Kaninchen) 1898 Sanarelli

Gelbfiebervirus 1900 Read 2.2.3 Aktive und passive Schutzimpfung


Treponema pallidum 1905 Schaudinn und
Hoffmann 1796 hatte Edward Jenner in England die Übertragung der wenig
menschenvirulenten Kuhpocken als Impfstoff gegen die Pocken aus-
Bordetella pertussis 1906 Bordet/Gengou
gearbeitet und damit den ersten Schritt zur Ausrottung der Pocken
Leukämievirus (Maus) 1908 Ellermann und (1979) vollführt. In Deutschland gab es ähnliche Beobachtungen
Bang von Bose in Göttingen. Fußend auf den Erkenntnissen Kochs ent-
Poliovirus 1908 Landsteiner deckte Pasteur dann das Prinzip der aktiven Immunisierung mit
und Popper lebenden, virulenzgedrosselten Bakterien:
1879 beobachtete Pasteur, dass Hühner, die mit abgestandenen
Rous-Sarkomvirus (Geflügel) 1911 Rous
(d. h. aus heutiger Sicht virulenzgeschwächten) Erregern der Hüh-
nercholera inokuliert worden waren, von der Hühnercholera ver-
schont blieben. Pasteur sah die Analogie zur von Jenner gegen die
2.2.2 Infektionsprophylaxe Pocken eingeführten Impfung und gab dem Phänomen den Allge-
meinbegriff Vakzination. Er entwickelte Impfstoffe gegen Anthrax
Der österreichisch-ungarische Geburtshelfer Ignaz Semmelweis (1881) und Schweinerotlauf (1882). 1885 gelangen ihm praktische
(1818–1865) hatte bereits 1847, also lange vor Kochs Arbeiten, er- Erfolge mit einer Impfung gegen die Tollwut. Damit war über-
kannt: Kindbettfieber (Puerperalsepsis) kann vom Leichnam einer zeugend bewiesen: Infektionskrankheiten sind durch Vakzination
an dieser Krankheit verstorbenen Wöchnerin auf gesunde Kreißen- beherrschbar.
de übertragen werden. Als Vehikel für die Übertragung des »Krank- Friedrich Loeffler entdeckte 1887 das Diphtherietoxin und legte
heitsgifts« erkannte er die Hand des Arztes, der zuerst die verstorbe- damit das Fundament für die Entwicklung eines Antiserums durch
ne Wöchnerin autopsierte und anschließend die Gebärende vaginal Emil von Behring und die Einführung der Serumtherapie der Diph-
untersuchte. Semmelweis vermochte diese Übertragungskette zu therie 1891 durch von Behring, Kitasato und Wernicke.
unterbrechen: Er machte es den Ärzten zur Pflicht, sich vor der Paul Ehrlich entwickelte Methoden für die Standardisierung von
vaginalen Untersuchung die Hände mit Chlorwasser (Hypochlorit) Toxinen und Antiseren (1896) und begründete so die rationale The-
zu waschen. Diese Maßnahme senkte wesentlich die Sterblichkeit an rapie mit Heilserum und für die quantitative Analyse der antitoxi-
Kindbettfieber. Damit wurde Semmelweis zum Wegbereiter der schen Wirksamkeit von Antikörpern.
modernen Infektionsprophylaxe. Die Nachwelt bezeichnete ihn als Behring und Ehrlich sind die Begründer der humoralen, d. h. auf
»Retter der Mütter«. Antikörperwirkung beruhenden, Lehre der Immunität. Ihnen ge-
Der englische Chirurg Joseph Lister (1827–1912) übertrug um genüber verfocht der russische Mikrobiologe Elia Metschnikow die
1865 die Thesen Pasteurs über die mikrobielle Ursache der Fäulnis zelluläre Theorie. Metschnikow sah in der Phagozytose von Bakte-
auf die postoperative Septikämie (gr. Kunstwort: »ins Blut gelangte rien durch spezialisierte weiße Blutzellen die eigentliche Abwehr-
Fäulnis«; vgl. gr.: »sepsis« für »Fäulnis«): Wundeiterung mit folgen- funktion des Körpers. Langsam wuchs die Erkenntnis, insbesondere
der Allgemeinerkrankung. Er fasste die hierbei auftretenden Wund- durch die Arbeiten von Wright, dass humorale Antikörper nur bei
veränderungen als Ausdruck »intravitaler« Fäulnisvorgänge auf. toxinbildenden Bakterien (z. B. bei Diphtherie und Tetanus) allein
10 Kapitel 2 · Ursprung der medizinischen Mikrobiologie
Grundlagen

entscheidend sind, dass aber bei der Abwehr eitriger Infektionen pha- Parallel entwickelten sich ausgehend von der Identifizierung
gozytierende Zellen und Antikörper in der Prävention zusammen- der DNA-Doppelhelix als Erbsubstanz durch Watson und Crick
wirken müssen. die molekulare Biochemie und die molekulare Virologie. 1935
beobachtete R. Shope in Princeton eine Zweistufengenese von Kar-
zinomen bei Kaninchen nach Infektion durch Papillomviren. 1956
2.2.4 Chemotherapie gelang es, tierische Zellen durch das RNA-haltige Rous-Sarkomvirus
in vitro zu Krebszellen zu »transformieren«, 1960 durch das DNA-
Versuche, die Erreger durch chemische Substanzen selektiv zu schä- haltige Polyomavirus (Vogt und Dulbecco), sodass sich jetzt die
digen und dabei die körpereigenen Zellen zu schonen, betrieb Paul Eigenschaften der Tumorviren und die Entstehung der bösartigen
Ehrlich am hartnäckigsten. Er sah in Anilinfarbstoffen, die selektiv Zellen analysieren ließen. Dies gipfelte 2008 in der Entwicklung
die Bakterienwände färben, die geeigneten Kandidaten für seine eines Impfstoffs gegen das virusinduzierte Zervixkarzinom durch
»magische Kugel« oder die »selektive Toxizität«. Nach jahrelangem Harald zur Hausen (Nobelpreis 2008), dem affirmativen Beweis, dass
Experimentieren (»Ehrlich färbt am längsten«) gelang es ihm und humanpathogene Viren beim Menschen Tumorbildung auslösen
seinem Schüler Kitasato 1910, in Form des Salvarsans eine Substanz können.
auf den Markt zu bringen, die eine zuverlässige Wirksamkeit gegen Genetische Veränderungen der Parasiten (Viren, Bakteriopha-
die Syphilis ohne Nebenwirkungen besaß. gen) und der Wirtszellen (Tierzelle, Bakterium) ermöglichten durch
Fußend auf Ehrlichs Annahme, Anilinfarbstoffe seien das ent- die Anwendung der Polymerasekettenreaktion (PCR; Nobelpreis
scheidende Prinzip antibakterieller Aktivität, entwickelte Domagk K. Mullis 1993) das Studium der Genfunktionen. Die jüngst ent-
die Sulfonamide und 1935 als erstes Präparat das Prontosil. Domagk deckten (menschenpathogenen?) »Mimiviren« (»microbe mimicry
tat zwar das Richtige, aber seine Interpretation war falsch: Prontosil viruses«) stellen Zwischenglieder zwischen Viren und Bakterien dar
selbst ist unwirksam und wird als »Prodrug« vom Körper in das und erlauben so Studien über die Entstehung der Viren. Schließlich
antibakteriell aktive Sulfanilamid umgewandelt. Billroth wies bereits traten durch den »Rinderwahnsinn« die von Prusiner 1982 postu-
1867/68, also noch vor Pasteur, auf einen Antagonismus von Penicil- lierten »Prionen«, eine neue Klasse von Krankheitserregern ohne
lium und pathogenen Keimen hin. Nukleinsäure (fehlgefalteten Proteinen), ins Bewusstsein der Öffent-
Nach dem 1. Weltkrieg folgten sowohl die Entdeckung der sero- lichkeit. Mit dem neugewonnenen Wissen über Prionen erforscht
logischen Spezifität und deren Beschreibung durch Landsteiner man jetzt die Molekularbiologie des Morbus Alzheimer und ver-
(1944) als auch des Penicillins durch Fleming (1928), das Florey, wandter chronischer Erkrankungen des ZNS und definiert Faltungs-
Chain und Abraham (»Oxford-Group«) 1940 in die Therapie ein- proteinkrankheiten.
führten. Gertrude B. Elion entwickelte 1977 mit Aciclovir das erste Normale polyklonale Antikörper dienen seit langem experimen-
selektiv wirksame und systemisch anwendbare Chemotherapeuti- tellen, prophylaktischen, therapeutischen und diagnostischen Zwe-
kum gegen Viren. Heutzutage lässt sich die Entstehung von AIDS, cken. Seitdem es G. Köhler, C. Milstein und N. Jerne gelungen ist,
aber noch nicht die Infektion mit HIV verhindern. monoklonale Antikörper in der Maus herzustellen (Nobelpreis
1984), werden sie als humanisierte Antikörper (nur die Epitopbin-
dungsstelle stammt von der Maus, der Trägerteil des Moleküls vom
2.2.5 Grundlagen der Molekulargenetik Menschen) ohne die Gefahr des Auftretens von Allergien des Emp-
und molekularen Virologie fängers unter anderem bei Infektionskrankheiten (z. B. Infektion mit
»Respiratory Syncytial Virus« [RSV]) und zur Krebstherapie einge-
Wie Griffith 1928 im Mäuseversuch zeigte, lässt sich die Fähigkeit setzt.
zur Kapselbildung von bekapselten Pneumokokken auf kapsellose
Stämme übertragen: Transformation. Er legte damit den Grundstein
zu den Arbeiten Averys, der 1942 Nukleinsäuren als das transfor- 2.2.6 Rückblick und Ausblick
mierende Prinzip nachwies: Dies war der Beginn der Molekular-
genetik. Die Beschreibung von Erkrankungen und die Erforschung ihrer Ur-
1892–1898 wurden die ersten Viren (. Tab. 2.1) und 1916/17 bak- sachen mittels neuer Geräte und Methoden haben die Entwicklung
terieninfizierende Viren oder Bakteriophagen entdeckt. Seit 1921 der modernen Mikrobiologie möglich gemacht. Wesentlichen Anteil
kennt man lysogene Bakterien, die auf der Agarplatte mit einem daran hatten neuartige Mikroskope, etwa die in Zusammenarbeit
dichten Bakterienrasen Löcher (»Plaques«) entstehen lassen. Die Lö- von R. Koch und E. Abbé entwickelten sowie das Elektronenmikro-
cher entstehen durch lytische Induktion und Replikation eines in das skop. Das STED-Mikroskop (»stimulated emission depletion«) er-
Bakteriengenom integrierten Bakteriophagengenoms (eines »Pro- laubt jetzt die Auflösung bis in den Bereich weniger Nanometer
phagen«) sowie nachfolgende Ausbreitung der neu gebildeten Bakte- (Nobelpreis 2014 für Stefan W. Hell, Eric Betzig und William E.
riophagen auf Kosten der Bakterien. Durch entsprechend starke Ver- Moerner).
dünnung ließ sich die Zahl der Bakteriophagen nach dem Prinzip der Uralte Seuchen ließen sich durch Hygienemaßnahmen (Cho-
mit einem dichten Bakterienrasen bedeckten Agarplatte bestimmen lera) oder Impfungen (Diphtherie, Masern, Röteln) verhindern oder
und die Virusreplikation studieren (Delbrück 1940). Ab 1939 diente wurden infolge systematischer Impfungen ausgerottet (Pocken,
das von H. Ruska entwickelte Elektronenmikroskop z. B. zum Stu- 1979). Durch Antibiotika können bakterielle, durch Chemothera-
dium des bereits 1892 entdeckten Tabakmosaikvirus (TMV). peutika virale Erkrankungen behandelt werden. Bestimmte Krebs-
Dulbecco entwickelte 1953 die Plaquemethode zur Zählung arten lassen sich wie eine Infektionskrankheit durch Impfung ver-
infektiöser Virusteilchen auf einem einlagigen Zellrasen (Monolayer) hüten.
tierischer Zellen. Einzelne Zellen ließen sich unter besonderen Be- Nach wie vor bedrohen jedoch »emerging infectious diseases«
dingungen (»feeder layer«) als Klone züchten. Damit war gedanklich (z. B. Ebola- und Influenzavirus) den Menschen und erfordern
und methodisch die Grundlage für die Entwicklung der »quantitati- intensive Forschungen. Mikroorganismen der Umwelt (z. B. der
ven Biologie« geschaffen. Meere) bieten aber auch die Möglichkeit, ihre Eigenschaften für viel-
Literatur
11 2
fältige Zwecke – etwa nach gentechnologischem Umbau – auszunut-
zen oder biologisch/biochemisch aktive Proteine für therapeutische
oder industrielle Zwecke zu gewinnen.

Literatur

Bebehani AM (1988) The Smallpox Story. University of Kansas Medical Center.


Falke D (1993) Meilensteine der Virologie. Immunität und Infektion. (21)3:69-
74.
Jantsch M (1953) Billroth und das antibiotische Prinzip. Wiener Med Wochen-
schr. 46: 883-884.
Mueller R (1946) Medizinische Mikrobiologie 3. Aufl. München: Urban &
Schwarzenberg.
Nagel M, Schober KL, Weiß G (1994) Theodor Billroth. Chirurg und Musiker.
Regensburg: Con Brio.
13 3

Pathogenität und Virulenz


J. Heesemann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Bakterien können für den Menschen krankmachende (pathogene Bei festgestellter Identität konnte der isolierte Mikroorganismus als
Bakterien, Infektionserreger) oder schützende Eigenschaften (apatho- pathogener Erreger bzw. als Verursacher der Infektion bezeichnet
gene und fakultativ pathogene Bakterien der Mikrobiota) haben. Der werden.
Verlauf und der Typ einer bakteriellen Infektionskrankheit hängt ab Wie sich bald zeigte, sind diese Postulate nicht auf alle Infektions-
von den Pathogenitätsfaktoren des Erregers und dem Infektionsab- erreger anwendbar, weil nicht selten eine Wirtsspezifität vorliegt. So
wehrpotenzial des Wirtes. Hier werden die evolutionären und patho- sind die humanpathogenen Bakterien wie Shigellen (Ruhrerreger),
genetischen Aspekte bakterieller Erreger dargestellt im Kontext der typhöse Salmonellen und der Diphtherieerreger für Mäuse nicht pa-
Wirtsabwehrmechanismen. Die diskutierten Konzepte und mechanisti- thogen (Sie erzeugen bei ihnen keine Erkrankung!).
schen Prinzipien der Erregerpathogenität sollen dazu beitragen, die Darüber hinaus erkannte man, dass Filtrate aus Erregerflüssig-
infektionsmedizinischen Strategien in der Diagnostik, Therapie und kulturen und filtrierte Extrakte aus Infektionsherden, aus denen
Prävention von Infektionskrankheiten besser zu verstehen bzw. dem keine Mikroorganismen auf Nähragar anzüchtbar waren, übertrag-
neuesten Wissensstand anzupassen. bare Erkrankungen auslösen konnten. Für diesen filtrierbaren »gif-
tigen Stoff« führte man den lateinischen Begriff »virus« (Gift) ein.
Hieraus sind dann die Termini Virulenz für die »Giftigkeit« eines
3.1 Konzept der Pathogenität Erregers und (das!) Virus für lichtmikroskopisch unsichtbare, obli-
von Krankheitserregern gat intrazellulär replikationsfähige Krankheitserreger (sie benötigen
eine Wirtszelle) entstanden. Viren gehören nicht zum Reich der Le-
In der Kulturgeschichte der Menschheit werden übertragbare Er- bewesen wie z. B. Bakterien, sie haben z. B. keinen Stoffwechsel.
krankungen immer wieder erwähnt, insbesondere dann, wenn es Bakterielle Krankheitserreger können aber auch ohne Freiset-
zu seuchenartigen Ausbrüchen kam: Während der italienischen zung filtrierbarer »Gifte« eine Erkrankung erzeugen, also pathogen
Renaissance berichtete G. Fracastoro 1546 von der Übertragung sein. Dieser Sachverhalt hat zu den beiden Begriffspaaren Virulenz/
von Kontagien und der Behandlung kontagiöser Krankheiten. Der Virulenzfaktoren und Pathogenität/Pathogenitätsfaktoren geführt.
Niederländer A. von Leeuwenhoek konnte bereits mit seinem selbst- Im deutschen Sprachraum wird Pathogenität als Oberbegriff ver-
gebauten Mikroskop Mikroorganismen erkennen und beschreiben wendet und im angloamerikanischen Sprachraum sind Pathogenität
(1684), nicht aber den Bezug zu mikrobiell bedingten Erkrankungen und Virulenz Synonyme.
herstellen. Erst 1840, über 150 Jahre später, entwickelte der Patholo- Die Pathogenität eines Mikroorganismus lässt sich in der Regel
ge Jakob Henle evidenzbasierte Vorstellungen zum Mechanismus nicht auf nur ein Toxin (einen Virulenzfaktor) zurückführen, son-
der Kontagien und kontagiösen Erkrankungen. dern auf ein größeres Repertoire verschiedener Pathogenitäts-
Robert Koch gelang 36 Jahre später der Durchbruch: 1876 konn- faktoren (inklusive Toxine). Um die Bedeutung der einzelnen
te er das Henle-Konzept der Übertragbarkeit von Infektionskrank- Pathogenitätsfaktoren von Erregern für die Infektiosität (50 %ige
heiten beweisen. Er demonstrierte, dass mit dem Stäbchenbakterium Infektionsdosis, IF50) oder Letalität (50 %ige letale Dosis, LD50) im
Bacillus anthracis die bekannte Erkrankung Milzbrand von einem Versuchstier oder in Zellkultur abzuschätzen, werden heute durch
erkrankten Schaf auf ein gesundes übertragbar ist. Wie Koch auch molekularbiologische Verfahren mutmaßliche Gene für Pathogeni-
erkannte, ist die Übertragung einer Erkrankung nicht mit einem tätsfaktoren deletiert.
beliebigen Mikroorganismus möglich. Mit seiner Entdeckung des Die Deletionsmutanten werden auf Veränderung der IF50 oder
Tuberkuloseerregers Mycobacterium tuberculosis entwickelte er LD50 im Tierversuch oder der Zellkultur getestet. Im positiven Fall
dann ein Kausalitätskonzept zur Differenzierung zwischen Krank- (z. B. verminderte Virulenz) werden die Mutanten durch Einfügen
heitserregern (pathogenen Mikroorganismen) und nichtpathogenen des entsprechenden Gens komplementiert bzw. von ihrer Deletion
Mikroorganismen (1882). Dieses Konzept umfasst die 4 Koch-Pos- »geheilt« und erneut getestet, ob die ursprüngliche IF50 oder LD50
tulate (. Abb. 3.1). des Wildtyps reproduziert werden kann. Diese Vorgehensweise bei
In der Frühphase der medizinischen Mikrobiologie bedeuteten der molekularbiologischen Analyse der Pathogenität von Infektions-
die Postulate Folgendes: erregern ist als molekularbiologische Version der Koch-Postulate
1. Eine Probe aus einem Krankheitsherd wird zur Kultivierung in die infektionsbiologische Forschung eingegangen (. Abb. 3.2).
und Isolierung der vermuteten Erreger auf Nähragar ausge- Während der vergangenen 2 Dekaden wurden die Genom-
strichen. sequenzen von Wirtsorganismen wie Mensch, Maus, Schwein etc.
2. Die gewachsenen Einzelkolonien werden charakterisiert sowie die der meisten Infektionserreger ermittelt und allgemein
(Reinkultur) … zugänglich gemacht. Demzufolge besitzen bakterielle Erreger einen
3. … und jeweils einem Versuchstier inokuliert. individuellen Satz von Pathogenitätsgenen, der das erregerspezi-
4. Bei erkrankten Tieren wird ein Rückisolat gewonnen und die fische Krankheitsbild bestimmt. Darüber hinaus wurde festge-
Identität zum Ausgangsstamm überprüft. stellt, dass bakterielle Erregergenome hochgradig plastisch sind.
14 Kapitel 3 · Pathogenität und Virulenz
Grundlagen

. Abb. 3.1 Koch-Postulate zur Charakterisierung von Krankheitserregern

(Der Anteil des stabilen »Kerngenoms« am Gesamtgenom beträgt


ca. 70 %.)
Deshalb reicht die Identifizierung einer potenziell pathogenen
Bakterienart nicht aus, um das Pathogenitätspotenzial vorherzusa-
gen bzw. die Infektionserkrankung zu benennen (z. B. Cholera). So
sind z. B. Vibrio-cholerae-Isolate aus der Umwelt nicht zwingend als
Choleraerreger zu bewerten. Choleraerreger sind nur die Bakterien,
die das Choleratoxingen und weitere Pathogenitätsgene tragen. Der
Pathogenitätstyp vieler Erreger lässt sich über die Ermittlung des
Genotyps (Satz von Pathogenitätsgenen – »Pathotyp«) des Isolats
und gegebenenfalls des Phänotyps (Expression der Pathogenitätsge-
ne, z. B. positiver Choleratoxinnachweis) bestimmen.
Mit molekularbiologischen Methoden in der mikrobiologischen
Diagnostik (z. B. Polymerasekettenreaktion, PCR) werden potenziell
pathogene Bakterien auf das Vorhandensein von Pathogenitätsge-
nen überprüft, was als Pathotypisierung bezeichnet wird. Am Bei-
spiel des gramnegativen Darmbakteriums Escherichia coli wurden
sehr unterschiedliche Pathogenitätsgensätze nachgewiesen, die z. B.
zu den in . Tab. 3.1 aufgelisteten Pathotypen geführt haben. Im Ko-
lon eines Gesunden befinden sich in der Regel fakultativ pathogene
E. coli (z. B. ExPEC und UPEC) und apathogene E. coli.
Die Pathogenität eines Mikroorganismus muss im Kontext des
infizierten (lat. »inficere«: hineintun, anstecken) Wirtes gesehen
. Abb. 3.2 Molekularbiologische Version der Koch-Postulate werden. Dieser wird einerseits durch die offensive Strategie des
(nach S. Falkow 1988) Infektionserregers »angegriffen« und reagiert andererseits mit einer
Defensivstrategie auf den Erreger. So verfügen bereits Arthropoden
(z. B. der 500 Mio. Jahre alte Pfeilschwanzkrebs Limulus polyphe-
mus!) wie auch warmblütige Tiere (z. B. der Mensch) über ein ange-
3.2 · Evolutionäre Sichtweise der Entstehung von Infektionserregern
15 3

. Tab. 3.1 Pathotypen von E. coli

Kürzel E. coli-Pathotyp Eigenschaft; ausgelöste


Krankheit

UPEC uropathogen z. B. Harnweginfektion

ExPEC extraintestinal-pathogen z. B. Sepsis

EHEC enterohämorrhagisch Shiga-Toxin-positiv;


hämorrhagische Kolitis

ETEC enterotoxisch produziert das dem Cholera-


toxin ähnliche hitzelabile
Enterotoxin LT; choleraähn-
licher Durchfall

. Abb. 3.3 Konzept der mikrobiellen Pathogenität unter Berücksichtigung


der beiden Wirtsabwehrsysteme
borenes Abwehrsystem (»innate immune defense«), das sofort wirk-
sam ist und auf mikrobielle Eindringlinge unspezifisch reagiert.
Zur angeborenen Wirtsabwehr gehören physikalische Barrie- tion bei Virusinfektionen (z. B. Grippevirus plus Staphylococ-
ren wie die Haut (Kutis) und die Schleimhäute (Mukosa), mikrobi- cus aureus → Superinfektion der Lunge). Sie spielen als klassi-
zide Wirtsproteine wie die Defensine (kleine, kationische Peptide), sche Seuchenerreger keine große Rolle, sondern sie sind die
Lysozym, Komplementfaktoren (bakterizid, opsonisierend), Blutge- häufigsten Erreger der ambulant und im Krankenhaus erwor-
rinnungssystem und professionelle Phagozyten (z. B. Makrophagen, benen sporadischen Infektionen. Unter Krankenhausbedin-
neutrophile Granulozyten (»Neutrophile«), dendritische Zellen gungen können sie allerdings lokal begrenzte Epidemien ver-
(»dendritic cells«, DC) und natürliche Killerzellen (NK-Zellen). ursachen (z. B. S. aureus).
Das zweite erregerspezifische Abwehrsystem (adaptives Ab- 4 Apathogene Mikroorganismen: Erst wenn das angeborene
wehrsystem) ist nur bei höheren Vertebraten voll ausgereift und tritt und das adaptive Abwehrpotenzial völlig geschwächt sind wie
erst nach 1 Woche in Aktion, nachdem das angeborene Abwehrsys- z. B. bei AIDS- oder Leukämiepatienten, kommt diese 3. Grup-
tem die Erreger für das adaptive Abwehrsystem aufbereitet hat. Die pe zum Zuge. In Blutkulturen solcher Patienten kann man
adaptive Wirtsabwehr hat eine humorale Komponente (erregerspe- sogar die harmlose Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae)
zifische Antikörper/B-Lymphozyten/Plasmazellen) und eine zellu- oder Milchsäurebakterien (Bifidobacterium bifidum) finden.
läre Komponente (T-Lymphozyten wirken zytotoxisch auf infizierte In diesen Fällen ist der Patient quasi »Nährmedium« für
Zellen und aktivierend auf Phagozyten). Die Lymphozyten sind auch Pilze und Bakterien.
für das immunologische Gedächtnis verantwortlich.
Unter Berücksichtigung dieser beiden unterschiedlichen Wirts- Zusammengefasst haben obligat und fakultativ pathogene Bakte-
abwehrsysteme, deren Abwehrpotenzial einerseits genetisch deter- rien im Unterschied zu apathogenen Bakterien ein zusätzliches Gen-
miniert ist und andererseits von äußeren Umständen wie Ernäh- repertoire erworben. Dieses ermöglicht ihnen, die angeborene
rungs- und Gesundheitszustand (Grunderkrankungen mit reduzier- Wirtsabwehr mit unterschiedlichen Offensivstrategien zu überwin-
ter Infektabwehr wie z. B. Leberzirrhose, Diabetes mellitus, Nieren- den und so den Wirt als besonderes Habitat zur Erregervermehrung
insuffizienz, Leukämie, Organtransplantation) abhängt, lassen sich und -ausbreitung zu nutzen. Die Pathogenität von Bakterien hat sich
Mikroorganismen nach ihrem Pathogenitätspotenzial in 3 Gruppen sehr wahrscheinlich aus einer Koevolution mit dem Wirt entwickelt.
unterteilen (. Abb. 3.3).
4 Obligat pathogene Erreger:
5 Sie können in der Regel beim gesunden, nichtimmunen 3.2 Evolutionäre Sichtweise der Entstehung
Menschen die intakte angeborene Wirtsabwehr durch- von Infektionserregern
brechen oder unterlaufen und werden typischerweise erst
von der adaptiven Wirtsabwehr kontrolliert und eliminiert Nach Charles Darwins Evolutionstheorie (1859) und insbesondere
(akuter Infektionstyp). Hierzu gehören die klassischen seinem Divergenzprinzip ist neben der genetischen Variabilität
Seuchenerreger wie das Grippevirus (Influenzavirus), (häufig Punktmutationen in Genen) der Selektionsdruck innerhalb
Typhuserreger (Salmonella enterica Serovar Typhi), Ruhr- der Population einer Art entscheidend für die Anpassung an ein
erreger (Shigella dysenteriae) oder der Pesterreger (Yersinia neues Habitat. Darüber hinaus beschleunigt sog. horizontaler Gen-
pestis). transfer – Transformation, Plasmidkonjugation oder Phagentrans-
5 Bei chronischem Infektionsverlauf liegt entweder eine duktion – die Variabilität und Diversifikation von Bakterien stark.
Defizienz der Immunabwehr vor oder dem Erreger ist Als 1. Schritt zur Evolution der bakteriellen Pathogenität kön-
es gelungen, auch die adaptive Immunabwehr zu unter- nen wir uns die Bildung bakterieller Gemeinschaften frei lebender
laufen. Bakterien auf einer mit Wasser benetzten, festen Oberfläche vor-
4 Fakultativ pathogene Erreger: Sie verursachen eine Erkran- stellen. Die Keime haben die Fähigkeiten des Anhaftens an Ober-
kung erst dann, wenn das angeborene Wirtsabwehrpotenzial flächen mittels Adhäsinen, des interzellulären Zusammenhalts mit-
verringert ist (z. B. durch Verletzungen, operative Eingriffe tels Exopolysacchariden (Schleim) sowie des Kommunizierens mit
oder angeborene Abwehrdefizienz, z. B. bei Mukoviszidose, bakteriellen Botenstoffen (Homoserinlaktone, HSL) erworben
Komplementfaktordefizienz) oder durch bakterielle Koinfek- (. Abb. 3.4).
16 Kapitel 3 · Pathogenität und Virulenz
Grundlagen

. Abb. 3.4 Evolution der bakteriellen Pathogenität: Erwerb von Fähigkeiten . Abb. 3.5 Erworbene Fähigkeit zum intrazellulären Überleben in Amöben:
zur Biofilmbildung mit synergistisch wirksamer heterogener Population Umweltamöben ernähren sich von harmlosen freilebenden Bakterien (blau).
(gekennzeichnet durch grüne, gelbe und blaue Bakterien). Ein Plasmiddonor Die rot dargestellte Bakteriengattung (z. B. Legionella) hat die Fähigkeit zum
(gelb) überträgt durch Konjugation ein Plasmid auf einen Rezipienten (neuer intrazellulären Überleben erworben
Phänotyp grün/gelb) (HSL, Homoserinlaktone)

Solche Gemeinschaften bilden Biofilme, wie wir sie in freier aber auch nicht verlieren, wenn wir die Grundprinzipien der mikro-
Natur, an Trinkwasserausflüssen, aber auch in Zahntaschen, künst- biellen Evolution/Adaptation und die Pathomechanismen verstehen
lichen Herzklappen und Venenkathetern kennen. Daraus können und diese Kenntnisse auf Diagnostik, Prävention und Therapie von
wir schließen, dass die Gene für Biofilmbildung der Bakterienwelt in Infektionserkrankungen im klinischen Alltag anwenden.
der Umwelt schon sehr früh zur Verfügung standen. Deshalb ist es
nicht überraschend, dass an den Menschen adaptierte Bakterien die
Fähigkeiten zur Biofilmbildung nicht erst in den letzten 5000 Jahren 3.3 Pathogenitäts- und Fitnessfaktoren
erwarben. als Basis der Infektionstüchtigkeit
Das Auftreten von Einzellern (Protozoen) in der Evolution der
Lebewesen konfrontiert die Bakterien erstmalig mit professionellen Der Mensch besteht aus ca. 1013 Zellen und 10-mal mehr Bakterien-
Phagozyten wie z. B. Amöben, die Bakterien als Ernährungsgrund- zellen (natürliche Mikroflora), sodass man auch vom »Homo bacte-
lage nutzen (. Abb. 3.5). Im Rahmen der Amöben-Bakterien- riens« oder einem wandelnden Bakterienhaufen sprechen könnte.
Koevolution wurden wahrscheinlich auch Bakterien selektioniert, Diese Mikroflora, auch als indigene Mikrobiota bezeichnet, besteht
die befähigt waren, intrazellulär in Amöben zu überleben und diese aus mehr als 1000 verschiedenen Bakterienarten und verteilt sich
als Wirtszelle für die Vermehrung und Ausbreitung zu nutzen. überwiegend auf Haut, Schleimhaut und Dickdarminhalt. Sie wird
Der erst 1976 entdeckte Erreger der Legionärserkrankung einerseits von der Immunabwehr unter Kontrolle bzw. Selektions-
(Pneumonieerreger), Legionella pneumophila, vermehrt sich intra- druck gehalten und andererseits erschwert sie pathogenen Erregern
zellulär in Amöben und zerstört seine Wirtszelle bei der Freisetzung den Zugang zum Wirt, z. B. durch Bakteriozine (bakterielle Toxine
der Nachkommen. Diese Protozoen-Infektionsfähigkeiten eines ur- gegen Bakterien).
sprünglichen Umweltbakteriums haben sich offensichtlich bewährt
bei der Infektion von Makrophagen der unteren Atemwege beim
Menschen. Damit ist ein Umweltbakterium ohne aufwendigen 3.3.1 Adhäsion und Invasion – Erreichen
Adaptationsprozess an den neuen Wirt zum humanpathogenen Er- und Überwinden der Mukosabarriere
reger geworden (7 Kap. 35).
Infektionsempfänglich für Legionellen sind in der Regel Men- Ebenso wie die Mikrobiota nutzen auch Infektionserreger ihren Wirt
schen mit einer Vorerkrankung (z. B. Raucherlunge, Patienten mit zur Vermehrung und Verbreitung ihrer Nachkommen. Allerdings
Kortisonmedikation). Deshalb gilt Legionella pneumophila als dringen Infektionserreger in Habitate/Biotope vor, die für die Mik-
fakultativ pathogen ohne Seuchenpotenzial (keine Mensch-zu- roorganismen der Mikrobiota nicht zugänglich sind. . Abb. 3.6 stellt
Mensch-Übertragung). schematisch dar, welche Hürden ein Erreger während der 1. Phase
Dagegen durchlaufen die für Warmblüter typischen Infektions- der Infektion der Darmmukosa überwinden muss bzw. welche
erreger fortwährend einen koevolutionären Prozess. Dieser wird Pathogenitätsfaktoren (. Tab. 3.2) das Eindringen in das »sterile
einerseits durch den Selektionsdruck der angeborenen und adapti- Biotop« des Wirtes (hier die Submukosa) erfordert.
ven Immunabwehr des Wirtes und andererseits durch den Erwerb Die durch Geißeln (Flagellen) vermittelte Motilität sowie ein
neuer Gene und durch adaptive Genmutationen angetrieben. Der Sensorsystem für chemotaktische Reize ermöglichen dem Erreger
adaptive Diversifizierungsprozess der Mikroorganismen macht die gerichtete Durchdringung der Mukusschicht, z. B. der Darmmu-
nicht halt vor den Errungenschaften der modernen Medizin wie kosa. Gegen die von Paneth-Zellen freigesetzten Defensine muss der
Präventions- und Therapiemaßnahmen mit Antiinfektiva (Entwick- Erreger Schutzfaktoren (Protektine) auf der Zelloberfläche produ-
lung von Resistenzen) oder Impfstoffen (Entstehung von »escape zieren, z. B. eine Kapsel aus Exopolysaccharid oder Protein.
mutants« durch Antigenvariabilität). Der Erreger kann dann an der apikalen Zelloberfläche des Bürs-
Die Infektionsmedizin wird deshalb auch weiterhin in den »Wett- tensaumes der Intestinalzelle (des Enterozyten) oder des Mikro-
lauf zwischen Hase und Igel« eingebunden bleiben. Sehr wahrschein- faltensaumes der M-Zelle des Peyer-Plaque-Domepithels mittels
lich können wir diesen Wettlauf nicht gewinnen. Wir müssen ihn fimbrieller (z. B. »Colonization-factor-antigen«-(CFA-)Fimbrien bei
3.3 · Pathogenitäts- und Fitnessfaktoren als Basis der Infektionstüchtigkeit
17 3

. Abb. 3.6 Prinzipien der Adhäsion und Invasion darmpathogener Bakterien sowie Wirtsabwehrreaktionen während der initialen Infektionsphase

enterotoxischen E. coli [ETEC]) oder afimbrieller Adhäsine (z. B. Im Gegensatz zu den nichtinvasiven Erregern ETEC und V. cho-
Intimin bei enterohämorrhagischen E. coli [EHEC]) haften. Zelltyp- lerae nutzen Salmonellen, Shigellen, Yersinien und Listerien M-Zellen
spezifische Oberflächenrezeptoren (Glykolipide, Glykoproteine etc.) zur Invasion bzw. Translokation in die Submukosa (. Abb. 3.6):
erkennen die bakteriellen Adhäsine. Dies könnte den Zell- bzw. 4 Yersinia enterocolitica produziert ein Invasin (äußeres Membran-
Organtropismus von Erregern erklären. protein), das den Erreger an das heterodimere αβ1-Integrin der
. Abb. 3.7 zeigt beispielhaft verschiedene bakterielle Zelladhä- apikalen Zytoplasmamembran der M-Zelle bindet und die Inter-
renzmuster von Yersinien und enteropathogenen E. coli (EPEC) für nalisierung sowie die apikal-basale Translokation induziert. Über
die humane Epithelzelllinie HEp-2. diesen Weg gelangen Yersinien in die Submukosa (. Abb. 3.6).
Die Intestinalzelladhärenz ermöglicht Vibrio cholerae und dem 4 Listeria monocytogenes nutzt mit dem Zellwandprotein Inter-
E. coli-Pathotyp ETEC, einen 2-dimensionalen biofilmähnlichen nalin A das apikal-lateral lokalisierte E-Cadherin (Desmoso-
Bakterienrasen auszubilden, um darin lokal das Choleratoxin (CTX, menprotein der Zonula adhaerens, . Abb. 3.6) der Intestinal-
7 Kap. 29) bzw. das CTX-ähnliche hitzelabile Enterotoxin (LT, zellen für die Internalisierung.
7 Abschn. 28.3) freizusetzen. Dies bewirkt in Intestinalzellen Chlo- 4 Die Internalisierung von Salmonellen und Shigellen über Intes-
ridsekretion und wässrigen Durchfall (7 Abschn. 3.3.2, . Abb. 3.10). tinalzellen wird aktiv induziert durch bakterielle Injektion von
18 Kapitel 3 · Pathogenität und Virulenz
Grundlagen

. Tab. 3.2 Pathogenitäts- und Fitnessfaktoren und ihre korrespondierenden Zielstrukturen der angeborenen Wirtsabwehr

Pathogenitätsfaktor Wirtszellstruktur/Wirkort Erreger, Wirkung

Motilität: Hohlorgane gerichtete Beweglichkeit, Chemotaxis, Fitness


Flagellen/Geißeln Mukus Transmigration, Zellkontakt
Typ-4-Fimbrien Zelloberfläche kriechende Beweglichkeit an Grenzflächen (»twitching«)
Adhäsine: Zelloberflächenrezeptoren Zellkontakt, Organtropismus, Wirtszellmodulation
P-Fimbrien Galaktosyl-α(1–4)-β-Galaktosyl-Glykolipid E. coli (UPEC), Adhärenz an Harnblasenepithel
CFA-Fimbrien (»coloni- Asialo-GM1-Ganglioside E. coli (ETEC), Adhärenz an Intestinalzellen
zation factor antigen«)
UspA (Membranprotein) CEACAM1 Moraxella catarrhalis, Adhärenz an Zellen des Respirationstrakts
Intimin T3SS-translozierter Intiminrezeptor (TIR), E. coli (EHEC, EPEC), Adhärenz an Intestinalzellen über bakterielles TIR
verankert im Bürstensaum der Intestinalzellen
Invasine: Zelloberflächenrezeptoren von Mukosazellen, Zelladhärenz mit Induktion der Erregerinternalisierung
Phagozyten etc.
Invasin αβ1-Integrine Yersinia enterocolitica, Internalisierung durch M-Zellen
Internalin A E-Cadherin Listeria monocytogenes, Internalisierung durch Intestinalzellen
Protektine: Komplement, Defensine, Phagozyten extrazelluläres Überleben, Fitnessfaktoren, Maskierung bakterieller
Oberflächenstrukturen
Exopolysaccharidkapsel Serum, Phagozyten z. B. Meningitiserreger wie Haemophilus influenzae, Neisseria meningitidis,
Streptococcus pneumoniae
Proteinkapsel Serum, Phagozyten z. B. Yersinia pestis, F1-Kapsel, Schutz vor Phagozytose und Defensine
Moduline: zelluläre Signaltransduktionswege der Infekt- erregerspezifische Strategie zum extra- oder intrazellulären Überleben
Translokation/Injektion abwehr und Vermehren
von Effektorproteinen
Über Typ-3-Protein- Zytoskelettkomponenten, MAP-Kinasen, Induktion oder Paralyse der Phagozytose, Induktion von Apoptose oder
ekretionssysteme (T3SS) IκB-Kinasen, Rho-GTPasen Pyroptose:
bei gramnegativen Epithelzellen, Immunzellen – intrazellulär-vakuolär: Salmonella enterica
Bakterien – intrazellulär-zytoplasmatisch: Shigella flexneri
– extrazellulär im Gewebe: Yersinia enterocolitica
– extrazellulär-apikal auf Intestinalzelle: E. coli (EHEC)
Über Typ-4-Protein- Magenepithelzellen Helicobacter pylori, Störung der Integrität der Magenmukosa,
sekretionssystem (T4SS) Paralyse von T-Zellen, extrazelluläres Überleben
Zweischritt-Protein- Mukosa, Epithelzellen
sekretion/Translokation
Über Typ-2-Protein- Modulation G-Protein-gekoppelter Rezeptoren Aktivierung von Adenylatzyklasen und cAMP-Produktion, Entzündungs-
sekretionssystem (T2SS) (GPCR) hemmung, Elektrolyt- und Mukussekretion
Choleratoxin
Bordetellatoxin
Zytotoxine: Endothelzellen, Thrombozyten, Phagozyten
Porenbildende Proteine, Zytoplasmamembran, Phagosommembran Zerstörung von Wirtszellen mit nachfolgender Entzündungsreaktion
z. B. Hämolysine (Pyroptose, Nekrose):
– E. coli (UPEC): α-Hämolysin
– Staphylococcus aureus: α-Toxin
– Streptococcus pyogenes: Streptolysin
Sezernierte Digestiva: Mukosa, Gewebe Protein- und Gewebedegradation
Proteasen Zytoplasmamembran, Rezeptoren, Extrazellu- Zerstörung von Wirtsabwehrfaktoren:
lärmatrixproteine, Komplementfaktoren, – Neisseria spp.: IgA-Proteasen
Blutgerinnungsfaktoren, Antikörper – Yersinia pestis: Plasminaktivator
– Pseudomonas aeruginosa: Elastase
Lipasen Zytoplasmamembran Zellzerstörung
DNasen DNA-Netze von Neutrophilen, erregerinduzier- Zerstörung mikrobizider Nukleinsäurenetze
te Freisetzung von DNA-Netzen durch Neutro-
phile (NETosis)
Wachstumsfaktoren: Mukosa, Gewebe, Blut Vermehrung
Fe3+-Chelatoren / Laktoferrin Eisenversorgung des Erregers
Siderophore Transferrin Eisendepletion von Phagozyten
Fitnessfaktor
3.3 · Pathogenitäts- und Fitnessfaktoren als Basis der Infektionstüchtigkeit
19 3

. Abb. 3.7a–c Zelladhärenztypen von Bakterien im Zellkultur-Infektionsmodell (HEp-2 Zellschicht auf Glas, Giemsa-Färbung, 650-fache Vergrößerung):
a Nichtadhärente (apathogene) E. coli. b Diffus adhärente pathogene Y. enterocolitica an HEp-2-Zellen (dünner Pfeil) und Yersinien, die an die extrazelluläre
Matrix der zellfreien Region binden (dicker Pfeil). c Die Pfeile markieren die lokalisierte Adhärenz des E. coli-Pathotyps EPEC

Effektorproteinen durch Proteininjektionsapparate (T3SS und anderen hämatopoetischen Zellen führen (. Abb. 3.6, folgender
T4SS, 7 s. u.). Die injizierten Proteine imitieren als sog. Mime- Abschnitt sowie . Abb. 3.10, . Abb. 3.11, . Abb. 3.12).
tika die Funktion von physiologischerweise an der Phagozyto- Bakterielle Erreger haben verschiedene Strategien entwickelt,
se/Internalisierung beteiligten zellulären Proteinen (z. B. Akti- um diesen 1. Phagozytenangriff zu überleben:
vatoren von Rho-GTPasen). Der Erreger übernimmt so die 4 Pathogene Yersinien inhibieren die Fähigkeit professioneller
Kontrolle über Wirtszellen. Phagozyten zu Phagozytose und Bakterizidie durch T3SS-inji-
zierte Effektorproteine, »Yersinia outer proteins« oder Yops,
Die Injektionsapparate gramnegativer Bakterien, welche die Prote- mit Phagozytenparalysewirkung (. Abb. 3.8).Diese Strategie
intranslokation über 3 Membranen bewirken – die zytoplasmatische ermöglicht es Yersinien, sich extrazellulär unter Bildung von
und die äußere Membran des Erregers sowie die Zytoplasmamem- Mikrokolonien zu vermehren (. Abb. 3.6, rechts unten).
bran der Wirtszelle – werden als Typ-3-Proteinsekretionssysteme 4 Im Gegensatz zu Yersinien induzieren Salmonellen mittels
(T3SS) bezeichnet (. Abb. 3.6). Sie sind evolutionär mit dem Flagel- T3SS-Injektion von Effektorproteinen (Sop) die Internalisie-
lenapparat (Fla-T3SS) verwandt, wobei nur der proximale Anteil rung durch Makrophagen und DC sowie die intrazelluläre
kopiert wurde. Vermehrung in einer phagosomähnlichen Vakuole.
Ein vergleichbares Injektionssystem ist das Typ-4-Proteinsekre- 4 Listerien induzieren mit ihren Internalinen die Aufnahme
tionssystem (T4SS, evolutionär mit dem Plasmid-DNA-Konjuga- durch Makrophagen, DC und mesenchymale Zellen; danach
tionssystem verwandt, . Abb. 3.4). Dieses wird von dem Magen- »befreien« sie sich aus dem Phagosom mittels eines porenbil-
geschwüre verursachenden Erreger Helicobacter pylori gegen die denden Toxins (Listeriolysin, . Abb. 3.9: Toxinpore) sowie
Wirtsabwehr genutzt (inklusive adaptives Immunsystem), damit in zweier Phospholipasen, um sich dann im Zytosol der Wirts-
der Magenschleimhaut das extrazelluläre Überleben und Vermehren zelle zu vermehren (. Abb. 3.6, links unten).
des Erregers langfristig gesichert wird (chronische Besiedelung/In- 4 Extrazelluläre grampositive Bakterien (z. B. Streptococcus pyo-
fektion; 7 Kap. 32). genes und Staphylococcus aureus) sowie gramnegative Bakte-
Erreger können auch an lamellipodienartigen Ausstülpungen rien (E. coli/Pathotyp UPEC) können Wirtszellen durch sezer-
interepithelialer dendritischer Zellen (DC) binden und durch Rück- nierte porenbildende Toxine schädigen (diese lysieren auch
zug der DC die Mukosabarriere überwinden (Taxiprinzip; . Abb. 3.6 Erythrozyten, deshalb der Name Hämolysine, . Abb. 3.9) und
oben rechts). abtöten (Pyroptose, Nekrose), was zur Verstärkung einer Ent-
zündungsreaktion führen kann (7 Abschn. 3.4; . Abb. 3.13).
Die sezernierten Toxin-/Hämolysin-Monomere binden initial
3.3.2 Interaktionen zwischen Erreger und Wirt an die Zelloberfläche, gefolgt von Membraninsertion und To-
in der Submukosa xin-Oligomerisierung (z. B. Heptamere bei S. aureus-α-Toxin).
Das Toxinmonomer kann durch neutralisierende Antikörper
In der Submukosa gibt es für Bakterien keinen freundlichen Emp- gegen die N-terminale Region abgefangen werden.
fang: Einerseits befindet sich dort bereits eine geringe Anzahl resi- 4 Der Abszessbildner S. aureus kann sich zusätzlich durch
denter Phagozyten (Makrophagen, Neutrophile, DC), die verirrte Sekretion von Plasmakoagulase (Coa) schützen: Coa hat
nichtpathogene Darmbakterien sofort eliminieren. Andererseits keine proteolytische Aktivität, sondern aktiviert das Zymogen
kann die Bakterieninvasion sowie die nachfolgende Vermehrung Prothrombin durch Bindung und Änderung der Zymogen-
über ein mikrobenspezifisches Warnsystem die Freisetzung von konformation (humanprothrombinspezifisch). Das lokal um
Chemokinen (z. B. IL-8) und proinflammatorischen Zytokinen die Staphylokokken im Gewebe aktivierte Prothrombin führt
(IL-1, IL-6, TNF-α etc.) induzieren und anschließend zur Rekru- zur Bildung eines für Phagozyten undurchdringlichen Fibrin-
tierung und Aktivierung von Neutrophilen, Makrophagen und netzes und schützt damit den Erreger.
20 Kapitel 3 · Pathogenität und Virulenz
Grundlagen

. Abb. 3.8 Yersinia-Interaktion mit einem Makrophagen bzw. Filopodien im Elektronenmikroskop (Einschaltbild oben); oben rechts: Schema einer Yersinia-
Zelle mit Adhäsin und T3SS sowie den Effektorproteinen YopE, H, O, P und T. Die Aktivierung von Makrophagenrezeptoren (GPCR/Gαβγ, αβ1-Integrinen und
TLR2/TLR4) führt zur Transduktion verschiedener Signalwege: Rho-GTPasen, Stresskinasen ERK/JNK/P38 und NFκB. Die Yersinia-injizierten Effektorproteine
inhibieren diese Signalwege und paralysieren die Wirtszelle. AP-1 und NFκB sind Transkriptionsfaktoren für proinflammatorische Zytokine und Chemokine

. Abb. 3.9 Toxininsertion in die Zytoplasmamembran der Wirtszelle mit Porenbildung am Beispiel des α-Hämolysins von Staphylococcus aureus: Die Mem-
branpore führt zu Ca2+-Influx sowie K+-Efflux und ggf. zum Zelltod (z. B. Pyroptose)

Die angesprochenen Pathogenitätsfaktoren (Choleratoxin, T3SS- stitielle Matrix (Kollagen, Elastin etc.) schädigen und andererseits
Effektoren, Koagulase etc.), die nicht direkt zytotoxisch wirken wie Nährstoffe für die Erreger vorbereiten (Digestiva).
Hämolysine, sondern Wirtszellen zugunsten des Erregers »umpro- Darüber hinaus müssen insbesondere extrazelluläre Bakterien
grammieren«, werden deshalb auch Moduline genannt. im eisenarmen Milieu des Wirtes (Blut, Gewebe, Schleimhäute) ihre
Pathogene Bakterien sezernieren auch zahlreiche degradie- Eisenversorgung sichern. Durch Sekretion hochaffiner Eisen(III)-
rende oder Abbauenzyme wie Proteasen, Lipasen, Glykosidasen bindender Chelatoren (Siderophore) gelingt es ihnen, das von
und DNasen, die einerseits Abwehrzellen, Antikörper und die inter- Transferrin und Laktoferrin gebundene Eisen kompetitiv zu binden
3.3 · Pathogenitäts- und Fitnessfaktoren als Basis der Infektionstüchtigkeit
21 3

. Abb. 3.10 GαiPC-Rezeptoren sind 7-Transmembrandomänen-Rezeptoren (7-TMR), die spezifisch auf wirtseigene Agonisten (Chemokine, Komplement-
fragment C5a etc.), bakterielle Peptidfragmente (f-MLF), Arzneimittel etc. reagieren sowie diverse Signaltransduktionswege für die Erregerabwehr induzie-
ren. Der 7-TMR ist hier mit dem heterotrimeren Gαi,β,γ-Komplex gekoppelt. Die 7-TMR-Aktivierung führt bei der GTP-bindenden Untereinheit Gαi zum Aus-
tausch von GDP gegen GTP und zur Dissoziation des Gα,β,γ Komplexes. Gαi-GTP inhibiert die aktivierte Adenylatzyklase (AC) und aktiviert Abwehrfunktionen
von Phagozyten über Aktivierung der Phosphoinositolkinase-3 (PI3K) und G-Protein-Exchange-Faktoren (GEF) zur Aktivierung der Rho-GTPasen RhoA, Rac
und Cdc42 (regulieren Aktinfilamentbildung) sowie von Ras

und das komplexierte Fe3+ über ein spezifisches Siderophor-Trans- Darüber hinaus geben Bakterien chemotaktisch wirkende Pep-
portsystem in die Bakterienzelle zu transportieren. tide wie das N-terminale Spaltprodukt Formyl-Methionyl-Leucyl-
Siderophore, aber auch Exopolysaccharidkapseln, Flagellen und Phenylalanin (f-MLF) bakterieller Proteine ab oder induzieren Che-
Digestiva werden häufig auch als Fitnessfaktoren bezeichnet, da sie mokine in der Wirtszelle. Die chemotaktischen Peptide wirken auf
auch für das Überleben des Erregers in der Umwelt außerhalb des die Gαi-Untereinheit der GαiPCR-Familie und induzieren gerichtete
Wirtes notwendig sind. Zellmigration, Produktion reaktiver Sauerstoffmoleküle (»reactive
oxygen species«, ROS) und hemmen die Adenylatzyklase (AC,
. Abb. 3.10).
3.3.3 Missbrauch des Erregerwarnsystems des Pertussistoxin (PTX), das Toxin des Keuchhustenerregers, inak-
Wirtes durch pathogene Mikroorganismen tiviert durch ADP-Ribosylierung (ADP-R vom Substrat NAD) das
Gαi aller GαiPCR, dadurch bleibt aktive Adenylatzyklase aktiv, was
Der Wirt ist mit verschiedenen Warnsystemen ausgerüstet, um sich negativ auf die Chemotaxis auswirkt (. Abb. 3.11). Choleratoxin
fremde Eindringlinge (»stranger«) oder Zellschäden aufgrund von (CTX) ADP-ribosyliert dagegen das stimulierende GαsPCR, was den
Entzündungsreaktionen (»danger/damage«) frühzeitig zu registrie- aktiven Zustand von Gαs-GTP stabilisiert und so die Aktivierung der
ren und entsprechend zu reagieren. Diese Warnsysteme lassen sich Adenylatzyklase aufrechterhält. Beide Toxine, PTX und CTX, wir-
humoralen (lat. »umor« für »Flüssigkeit«) und zellulären Systemen ken als Moduline, indem sie zur Erhöhung des cAMP-Spiegels der
zuordnen: Zelle beitragen, die Elektrolytsekretion fördern (wässriger Durchfall
4 Zu den humoralen Systemen gehören das Komplement- bei Cholera) und antiinflammatorisch wirken.
system (7 Kap. 9) und das Blutgerinnungssystem, die bereits Als weiteres Warnsystem verfügen die Wirtszellen, insbesondere
bei Arthropoden wie dem Pfeilschwanzkrebs Limulus poly- Endothel- und Immunzellen (7 Abschn. 13.4), über diverse Toll-
phenus (Limulus-Test für LPS-Endotoxinnachweis) ausgebildet ähnliche-Rezeptoren (»Toll-like receptors«, TLR), die als Memb-
sind. ranproteine vom Typ 1 (1 Transmembranhelix, C-terminale Zyto-
4 Zu den wichtigsten zellulären Systemen gehören: plasmadomäne) in der Zytoplasmamembran und in endosomalen
5 die Toll-ähnlichen-Rezeptoren (»Toll-like receptors«, TLR, Membranen Erregerabwehrprogramme und Entzündungsreaktio-
7 s. u.), die zuerst bei der Fliege entdeckt wurden (Nüsslein- nen aktivieren (. Abb. 3.12). Die TLR-Signale führen zur Aktivie-
Volhard 1985, J. Hoffman 1996) rung der Transkriptionsfaktoren NFκB und AP-1, was zur Tran-
5 die heterotrimeren G-Protein-gekoppelten (GPC-)Rezepto- skription der Gene für proinflammatorische Zytokine (z. B. TNF-α,
ren oder kurz GPCR IL-1β) und Chemokine (z. B. IL-8) führt. Darüber hinaus werden
Interferon-regulatorische Faktoren (IRF) aktiviert.
Verschiedene bakterielle Oberflächenkomponenten wie Lipopoly- Auf translationaler Ebene erhöht die Inhibition des mRNA-de-
saccharide (LPS, gramnegative Bakterien), Lipoteichonsäuren stabilisierenden Proteins Tristetraprolin (TTP) durch Phosphorylie-
(grampositive Bakterien) und Membranproteine können das Kom- rung mittels P38-Kinase die Zytokinproduktion (. Abb. 3.12). Da-
plementsystem und/oder das Gerinnungssystem aktivieren, was rüber hinaus ist P38 am »Priming« der Phagozyten beteiligt. Damit
zur Markierung der Erreger (z. B. Opsonisierung, »Nahrungsvorbe- initiiert das TLR-System Infektabwehr und Entzündung.
reitung«) und zur Freisetzung chemotaktisch wirksamer Peptide Trotz ihrer ähnlichen Strukturen erkennen dimere TLR spezifisch
führt. Als Beispiele seien C3a und C5a genannt, proteolytische Spalt- Motive mikrobieller Substanzklassen (»pathogen-associated micro-
produkte der Komplementfaktoren C3 und C5). bial pattern«, PAMP) wie Lipoproteine (TLR1/TLR2 oder TLR2/
22 Kapitel 3 · Pathogenität und Virulenz
Grundlagen

. Abb. 3.11 Choleratoxin (CTX) und Pertussistoxin (PTX) modifizieren durch ADP-Ribosylierung (ADP-R) die Signaltransduktion heterotrimerer G-Proteine
(Gα,β,γ) und modulieren die Adenylatzyklase-(AC-)Aktivität: CTX blockiert die Inaktivierung der stimulierenden (s) Gαs-Untereinheit (GTP bleibt gebunden).
PTX blockiert die Aktivierung der inhibitorischen (i) Gαi-Untereinheit (keine Beladung mit GTP). Es inhibiert zudem Gαi-abhängige Chemokinrezeptoren.
Gαi und Gαs wirken antagonistisch auf AC

. Abb. 3.12 Mechanismen der Erkennung mikrobieller Makromoleküle (»pathogen-associated molecular pattern«, PAMP) durch Wirtsrezeptoren (Toll-ähn-
liche-Rezeptoren, TLR) und Induktion proinflammatorischer Zytokine (TNF-α, IL-1β, IFN-α/β) und Chemokine (IL-8)

TLR6), Lipopolysaccharide (TLR4), Flagellin (Flagellenstruktur- Eine andere Gruppe von »Antennen«, Mitglieder der Familie der
protein, TLR5), doppelsträngige RNA (dsRNA, TLR3), einzelsträn- Nod-ähnlichen Rezeptoren (»Nod-like receptors«, NLR) wie Nod1
gige RNA (ssRNA, TLR7 und TLR8), doppelsträngige DNA (dsDNA, und Nod2, registrieren mikrobielle Zellwandbruchstücke (Peptido-
besonders unmethylierte bakterielle DNA mit CpG-Motiv, TLR9) glykanfragmente) im Zytosol und induzieren über den sog. Kinase-
(. Abb. 13.3). komplex TGF-β-aktivierte Kinase TAK-1 und das TAK1-Bindungs-
Die TLR-Signaltransduktionskaskaden überlappen mit denen des protein TAB eine proinflammatorische Reaktion.
IL-1- und IL-18-Rezeptors, sodass bei angeborenen Funktionsverlust- Pathogene Bakterien haben zahlreiche Strategien entwickelt, um
Mutationen im Gen des TLR-Adapterproteins MyD88 faktisch das dieses Frühwarnsystem zu unterlaufen oder zu inhibieren. Sie kön-
proinflammatorische Warnsystem ausfällt. TLR erkennen nicht nur nen ihr LPS modifizieren und z. B. statt 6 Fettsäuren nur 4 einbauen,
PAMP, sondern auch »damage-associated molecular patterns« sodass es von TLR4 nicht erkannt wird. Sie können mittels T3SS
(DAMP), die von zerstörten Zellen freigesetzt werden (7 Abschn. 3.4). Effektorproteine injizieren wie Proteintyrosinphosphatasen oder
Zusammenfassend gilt: PAMP, DAMP und proinflammatori- Serin-Threonin-Transazetylasen, die Signaltransduktionskompo-
sche Zytokine nutzen ähnliche Signalwege. nenten blockieren (z. B. pathogene Yersinien, . Abb. 3.8).
3.4 · Infektionserreger kontrollieren den Zelltod
23 3
3.4 Infektionserreger kontrollieren 4 Unter Apoptose versteht man den physiologisch program-
den Zelltod mierten Zelltod, der mit einer typischen Zellkernschrumpfung
(Pyknose) und DNA-Fragmentierung sowie Abspaltung von
Der Infektionsprozess führt in der Regel zum Untergang sowohl des Membranvesikeln und Zusammenbruch des Membranpotenzi-
Erregers als auch der beteiligten Phagozyten (insbesondere Neutro- als verbunden ist (. Abb. 3.13a, vgl. . Abb. 12.5 und 7 Abschn.
philen) und des betroffenen Gewebes (Eiterbildung). Danach folgt 12.11). Apoptotische Zellen werden ohne eine Entzündungs-
ein Reparatur- und Geweberegenerationsprozess (Heilung). reaktion von Makrophagen phagozytiert:
Infektionen können unterschiedliche Zelltodprogramme indu- 5 Yersinien und Salmonellen induzieren Apoptose mittels
zieren. Hier werden 4 Typen vorgestellt: Apoptose, Nekrose, Pyrop- T3SS-Injektion von Effektorproteinen in Phagozyten durch
tose/Pyronekrose und NETosis (oder NETose) (. Abb. 3.12a–d). Hemmung der NFκB-Aktivierung bzw. der Expression
Infektionserreger versuchen die Zelltodprogramme des Wirtes unter antiapoptotischer Faktoren.
ihre Kontrolle zu bringen:

a b

. Abb. 3.13a–d Die Interaktion von Erregern, PAMP, DAMP etc. mit Wirtszellen (hier: Makrophagen, dendritischen Zellen und Neutrophilen) kann unter-
schiedliche Zelltodprogramme induzieren: Apoptose (a) führt nicht zu einer Entzündungsreaktion, im Gegensatz zur Nekrose (b) oder Pyronekrose (c);
NETosis (d) ist eine Besonderheit von Neutrophilen: neutrophiler Suizid mit Freisetzung von DNA-Netzen und mikrobiziden Proteinen zur Eindämmung
der Erregerdissemination
24 Kapitel 3 · Pathogenität und Virulenz
Grundlagen

5 Die obligat intrazellulären Chlamydien können nach Auf- – Pneumonie ൺ Meningitis ൺ Sepsis
nahme durch Neutrophile Apoptose induzieren und dann – Zystitis ൺ Pyelonephritis ൺ Urosepsis
in dieser »Taxiverpackung« durch entzündungsfreie Phago- – Enteritis ൺ Sepsis mit Abszessbildung ൺ
zytose von Makrophagen in eine vorteilhaftere Wirtszelle
wechseln. Die Lokalisierung eines Infektionsherdes ist wichtig, um das richtige
4 Die zelluläre Wirkung von porenbildenden Toxinen, TNF-α Patientenmaterial für die mikrobiologische Infektionsdiagnostik zu
und Viren kann direkt zur Zytoplasmamembranruptur, gewinnen:
Freisetzung zytolytischer DAMP (z. B. »high mobility group
box 1«, HMGB1) und Nekrose mit nachfolgender Entzün- Erregeranzucht→ Erregeridentifizierung→ Antibiogramm etc.
dungsreaktion führen, was für Erreger nachteilig sein kann
(. Abb. 3.13b). Chronische Infektionen manifestieren sich in der Regel mit subfeb-
4 Einige zytosolische PAMP-Rezeptoren der NLR-Familie kön- rilen Temperaturen und rezidivierenden Fieberschüben. Sie bleiben
nen zusammen mit der Wirkung bakterieller Faktoren (Flagel- auf bestimmte Körperbereiche beschränkt, wo die Erreger sich in
lin, porenbildende Toxine, K+-Efflux etc.) einen Proteinkom- immunologisch geschützten Nischen vermehren (z. B. Biofilmbil-
plex, das Inflammasom, bilden, das zur proteolytischen Akti- dung bei Endokarditis) und sporadisch exogene (PAMP) bzw. endo-
vierung und Freisetzung von IL-1β und IL-18 durch die Akti- gene Pyrogene (z. B. IL-1) freisetzen.
vierung der cysteinabhängigen, aspartatspezifischen Protease 1 Nicht selten leben auf Schleimhäuten des Gastrointestinal-, Uro-
(Caspase-1) führt. IL-1β ist ein endogenes Pyrogen (gr. »pyr«: genital- und Respirationstrakts sowie auch in an sich sterilen Kör-
Feuer, Fieber), weshalb dieser Vorgang als Pyroptose bezeich- perregionen obligat pathogene oder fakultativ pathogene Bakterien,
net wird (. Abb. 3.13c). Für die Zelle ist dieses Programm töd- die über lange Zeiträume unbemerkt bzw. symptomlos bleiben. Die-
lich und endet mit Pyronekrose und Entzündung. Diese Reak- ser Typ wird als latente Infektion bezeichnet und wirkt manchmal
tion kann für Shigellen, die intrazellulär im Mukosaepithel rep-
lizieren, zum Vorteil sein, da die Entzündungsreaktion (z. B.
intraluminale Einwanderung von Neutrophilen) sich dann auf
. Tab. 3.3 Bakterielle Infektionstypen
die Darmmikrobiota richtet und den Shigellen einen intralu-
minalen Lebensraum für die Erregerausbreitung bietet. Im All- Infektionstyp Erreger
gemeinen sollte Pyroptose als Abwehrmechanismus aber dem
Wirt nutzen. Akut
4 Die NETosis ist ein erst vor kurzem entdeckter Abwehrmecha-
Meningitis Streptococcus pneumoniae,
nismus von Neutrophilen: Er geht mit der »explosionsartigen«
Neisseria meningitidis
Freisetzung von chromosomalen DNA-Fäden, Histonproteinen
(antibakterizide Wirkung) und Proteasen einher, die Erreger Enteritis Salmonella enterica, Campylobacter jejuni
netzartig einschließen, wobei der Neutrophile sich selbst Pneumonie Staphylococcus aureus,
zerstört (. Abb. 3.13d). Da der Vorgang die Produktion reak- Streptococcus pneumoniae
tiver Sauerstoffspezies (ROS) sowie Zytoskelettumlagerungen
Zystitis E. coli, Pseudomonas aeruginosa
erfordert, können Erreger, die diese beiden Vorgänge unter-
drücken, z. B. Yersinia enterocolitica, sich vor der mikrobiziden Sepsis Staphylococcus aureus, E. coli, Neisseria menin-
NETosis-Wirkung schützen. gitidis

Chronisch

3.5 Klinische Aspekte der Infektionsbiologie Endokarditis Streptococcus viridans,


Staphylococcus epidermidis

Die Infektionsbiologie des Erregers und das Infektionsabwehrpoten- Tuberkulose Mycobacterium tuberculosis, M. africanum,
zial des Wirtes bestimmen den Verlauf einer Infektion: M. bovis
Die meisten Erreger verursachen lokalisierte, organbezogene Lyme-Borreliose Borrelia burgdorferi, B. afzelii, B. garinii
Infektionen (. Tab. 3.3). Kann die Immunabwehr den Erreger je-
doch nicht frühzeitig lokal eingrenzen, kommt es zur Erregerdisse- Magenulkus Helicobacter pylori
mination und gegebenenfalls zur akuten, schweren systemischen Osteomyelitis Staphylococcus aureus, S. epidermidis
Infektion mit Erregern im Blutkreislauf (Bakteriämie/Septikämie/
Brucellose Brucella abortes, B. melitensis
Sepsis) und ihren Folgen: Nierenversagen, Störung der Blutgerin-
nung mit Embolie (Gerinnung) und nachfolgenden Einblutungen Latent
(Plasminaktivierung: Verbrauchskoagulopathie) etc.
Gallenblase Salmonella enterica Serotyp Typhi
Bestimmte Erreger haben das Potenzial, selbst bei intakter Infek-
tabwehr zu disseminieren, etwa Salmonella enterica Serovar Typhi, Magen Helicobacter pylori
Brucella abortus etc. Dabei muss sich die systemische Infektion nicht Harnröhre E. coli
zum Schweregrad der Sepsis entwickeln. Auch fakultativ pathogene
Erreger wie Neisseria meningitidis oder Streptococcus pneumoniae Nasopharynx Haemophilus influenzae,
Staphylococcus aureus,
können unter Bedingungen, die bisher noch nicht klar definierbar
Streptococcus pneumoniae
sind, systemische Infektionen mit Sepsis und Meningitis verur-
sachen. Grundsätzlich können sich aus lokalen akuten Infektionen Systemisch Borrelia burgdorferi
(häufig mit hohem Fieber) systemische Infektionen entwickeln Lunge Mycobacterium tuberculosis
(. Tab. 3.3).
Literatur
25 3
gig eine längere Inkubationszeit (1–3 Tage) als die anderen genann-
. Tab. 3.4 Postinfektiöse Erkrankungen
ten Enterotoxine und eine über mehrere Tage reichende Wirkdauer,
die ohne intensivmedizinische Behandlung zum Tode führt.
Erreger Erkrankung

Chlamydia trachomatis reaktive Arthritis, Urethritis, In Kürze


Salmonella enterica Uveitis (selten als sog. Reiter-Trias) Pathogenität und Virulenz
Yersinia ssp.
Der gesunde Mensch ist mit etwa 1014 Bakterien besiedelt.
Campylobacter jejuni reaktive Arthritis, Diese indigene Mikroflora/Mikrobiota setzt sich überwiegend
Guillain-Barré-Syndrom aus apathogenen und einem geringen Anteil fakultativ patho-
Streptococcus pyogenes Glomerulonephritis, genen Bakterien zusammen. Die Pathogenität von Krankheits-
rheumatisches Fieber erregern wird als koevolutionäres Ergebnis der Interaktion von
Wirt und Mikroorganismus unter dem Selektionsdruck des
Immunsystems gesehen.
Obligat pathogene Erreger können die angeborene Infekt-
als Zeitbombe, etwa wenn die Infektionsabwehr geschwächt ist (z. B.
abwehr durchbrechen/unterlaufen. Pathogenitätsfaktoren wie
durch eine Virusinfektion, immunsuppressive Therapie etc.) oder als
Adhäsine, Invasine, Protektine, Moduline, Toxine etc. bestimmen
permanente Infektionsquelle z. B. bei Salmonella-Typhi-Ausschei-
Infektionsort, Infektionstyp und die Wirtsspezifität: Neisseria
dern (Erreger persistiert in der Gallenblase).
meningitidis, Shigella flexneri, Salmonella enterica Serotyp
Während bei akuten, chronischen und latenten Infektionstypen
Typhi sind Anthroponose-Erreger (beschränkt auf Menschen/
lebende Erreger im Körper nachweisbar sind, gelingt dies bei post-
Primaten), während z. B. Salmonella enterica Serotyp Typhimuri-
infektiösen Erkrankungen wie reaktiver Arthritis, Urethritis, Uvei-
um, Yersinia enterocolitica, Brucella abortus zu den Anthropo-
tis anterior, Glomerulonephritis, Guillain-Barré-Syndrom (Polyneu-
zoonose-Erregern gehören (breites Wirtsspektrum).
ritis) etc. nicht, weil die Erreger durch die Infektabwehr praktisch
Bakterien einer Art lassen sich aufgrund ihres Repertoires an
eliminiert sind (. Tab. 3.4). Die Pathogenese dieser postinfektiösen
Pathogenitätsgenen nach Pathotypen differenzieren: Bei E. coli
Erkrankungen ist noch wenig verstanden. Dennoch gibt es viele
kennen wir apathogene, fakultativ pathogene (UPEC, ExPEC
Hinweise, dass Komplexe aus Antigen (von Erreger oder Wirt) und
etc.) und obligat pathogene Pathotypen (EHEC, ETEC etc.). Infek-
Antikörpern über Komplementaktivierung und in einigen Fällen
tionsort, Krankheitsverlauf, Therapie und Präventivmaßnahmen
über autoreaktive T-Lymphozyten die Ursache der Entzündung sind.
werden vom Erregertyp bestimmt.
Die molekulare Analyse der Pathogenität und Genomik von
Mikroorganismen hat zu neuen Einblicken in die Evolution und
3.6 Infektionsmarker Ökologie von Krankheitserregern geführt und die Weiterent-
wicklung der mikrobiologischen Diagnostik (molekularbiologi-
Im akuten Stadium der Infektion können Erreger (Kultur), Erreger-
sche Nachweisverfahren, Pathotypisierung etc.), der molekula-
antigen (serologischer Test mit spezifischen Antikörpern) und/oder
ren Analyse von Epidemien und die Entwicklung neuer Impf-
Erregernukleinsäure (PCR) nachgewiesen werden. Die akute Infek-
strategien ermöglicht.
tion führt auch zur Freisetzung proinflammatorischer Zytokine
Die angeborene Immunabwehr spielt im akuten Verlauf einer
(TNF-α, IL-1, IL-6, IL-8), die ihrerseits in der Leber und anderen
Infektion eine entscheidende Rolle: Überschießende Reaktionen
Organen sog. Akutphaseproteine (C-reaktives Protein [CRP] oder
wirken sich schädlich auf den Wirt aus (septischer Schock); eine
Procalcitonin [PCT]) in gut messbaren Mengen in die Blutbahn frei-
»Unterfunktion« (Immundefizienz) ermöglicht es auch fakultativ
setzen. Damit ist ein Biomarker-Monitoring von Infektionsverlauf
pathogenen Erregern, schwere Infektionskrankheiten auszu-
und Therapieerfolg möglich.
lösen.
Da Infektionserreger in der Regel eine spezifische Antikörper-
und T-Zell-Antwort auslösen, lassen sich mit immunologischen
Methoden wie klassenspezifischer Antikörpernachweis (erregerspe-
zifische IgM, IgG und IgA) oder antigenspezifischer T-Zell-Stimula- Literatur
tion (z. B. bei Tuberkulose) Rückschlüsse auf eine bestehende, vor
Ahmed N, Dobrindt U, Hacker J, Hasnain SE (2008) Genomic fluidity ande
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Von Infektionen sind Intoxikationen mit mikrobiellen Toxinen, sog. mophila – a human pathogen that co-evolved with fresh water protozoa.
Enterotoxinen, abzugrenzen. Mit Toxinproduzenten kontaminierte Cell Mol Life Sci. 64:432-448.
Lebensmittel verursachen nach Verzehr Bhakdi S, Tranum-Jensen J (1991) Alphatoxin of Staphylococcus aureus.
4 schwere Durchfälle mit Darmkrämpfen und Erbrechen (Ente- Microbiol Rev. 55:733-751.
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4 Muskellähmungen oder »Botulismus« (»Botulismus- oder Botu- – a personal recollection 15 years later. Nat Rev Microbiol. 2:67-72.
linumtoxin« = Neurotoxine von Clostridium botulinum). Heesemann J, Sing A and Trülzsch K (2006) Yersinia’s stratagem: targeting
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Die Wirkung der Enterotoxine tritt nach wenigen Stunden ein und Kawai T, Akira S (2011) Toll-like receptors and their crosstalk with other innate
klingt nach 20–40 h wieder ab. Botulismustoxin hat mengenabhän- receptors in infection and immunity. Immunity. 34:637-650.
26 Kapitel 3 · Pathogenität und Virulenz
Grundlagen

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27 4

Physiologische Bakterienflora:
Regulation und Wirkungen,
iatrogene Störungen und Probiotika
W. Bär, S. Suerbaum

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die äußere Haut sowie die Schleimhäute des Oropharynx, des oberen Nährstoffe Die verfügbaren Substrate werden den Bakterien entwe-
Respirationstraktes, des Dickdarmes und des unteren Urogenitaltraktes der direkt mit der Wirtsnahrung zugeführt oder entstammen dem
sind von einer Bakterienflora besiedelt. Diese sog. physiologische Flora wirtseigenen Metabolismus oder dem Stoffwechsel anderer Bakteri-
oder Normalflora schwankt in ihrer Zusammensetzung von Individuum en. Lebens- und Essgewohnheiten beeinflussen die Besiedlung mit
zu Individuum nur wenig. Ein Erwachsener wird von ca. 1014 Bakterien Mikroorganismen. Im Mund finden sich z. B. in hoher Anzahl koh-
besiedelt – überwiegend im Gastrointestinaltrakt. Diese Zahl über- lenhydratverwertende Bakterien. Bei hohem Zuckerkonsum fallen
steigt jene der Körperzellen etwa 10- bis 100-fach. Die physiologische große Mengen an Milchsäure an, die mit der Plaquebildung und der
Kolonisation des Neugeborenen mit Bakterien von der Mutter und aus Kariogenese in Verbindung steht (7 Abschn. 25.5.2 und 7 Kap. 123).
der Umwelt beginnt unmittelbar nach der Geburt. In den ersten Le-
benswochen passt sich die Bakterienflora des Neugeborenen der des Sauerstoffpartialdruck Für obligate Anaerobier stellen O2-Folge-
Erwachsenen an (. Tab. 4.1). produkte (O2–, H2O2 etc.) potente Zellgifte dar. Obwohl die Haut
und die Schleimhaut des Rachens ständig dem Luftsauerstoff ausge-
setzt sind, findet sich hier eine reichhaltige anaerobe Flora – die
4.1 Regulation der physiologischen oxidative, O2-verbrauchende Tätigkeit aerober Bakterien verhindert
Bakterienflora in den luftnahen Schichten ein tiefes Eindringen des Sauerstoffs. Im
Darm nimmt nach kaudal der O2-Partialdruck kontinuierlich ab
4.1.1 Regulative vonseiten des Wirtes und damit steigt der Anteil der Anaerobier stetig an.

Menschliche und tierische Organismen stellen für Bakterien beson- Wasserstoffionenkonzentration Die Wasserstoffionenkonzentra-
ders günstige Habitate dar: Aufgrund ihrer komplexen Regelvor- tion (Säuregrad, pH) hat an einigen Standorten herausragende regu-
gänge bieten sie ihnen besonders konstante Umweltbedingungen latorische Bedeutung:
(z. B. Temperatur). Zudem schützt der Wirt sich mittels zahlreicher 4 Im Magen werden durch die Sekretion von HCl Werte bis
Mechanismen vor Schäden durch kolonisierende Mikroorganismen. zu pH 1 erzielt. Unter diesen Bedingungen ist auf Dauer kein
Vonseiten des Wirtes lassen sich daher fördernde und unter- bakterielles Leben möglich.
drückende Regulative im Hinblick auf das bakterielle Wachstum 4 In der Vagina der geschlechtsreifen Frau beträgt der pH 4–4,5
unterscheiden. infolge der Milchsäurebildung durch Laktobazillen. Diese
Keime behindern dadurch die Ansiedlung von Candida spec.
Temperatur Die Temperatur des Menschen liegt zwischen 32 °C 4 Auf der Haut werden pH-Werte um 5,5 gefunden. Auch hier
(äußere Hautoberfläche) und 37 °C (Körperkern). Dementsprechend gedeihen nur relativ säureresistente Keime. Eine Alkalisierung
siedeln auf der Haut häufiger Mikroorganismen mit einem Vermeh- führt zu Entzündungen durch andere Bakterien und Hefen.
rungsoptimum deutlich unter 37 °C. Auf den besser durchbluteten
Schleimhäuten und auf inneren Oberflächen (Magen-Darm-Trakt,
Vagina) finden sich durchweg Mikroorganismen mit einem Ver- 4.1.2 Bakterielle Interaktionen
mehrungsoptimum bei 37 °C.
Bakterielle Interaktionen bestimmen die Zusammensetzung der
Feuchtigkeit Bakterielle Vermehrung ist immer an ein Mindest- mikrobiellen Flora wesentlich mit.
maß an Feuchtigkeit gebunden. Deshalb gedeihen Bakterien am
besten auf den feuchten Oberflächen des Magen-Darm-Kanals und Substratkonkurrenz Sie führt zu gegenseitiger Einschränkung von
den bedeckten Oberflächen der äußeren Haut (Achselhöhle, inter- Bakterien im Wachstum.
triginöse Falten). Der geringe Feuchtigkeitsgehalt der Haut ist für
Mikroorganismen ein limitierender Faktor. Daher birgt das Ab- Metabolithemmung Sie stellt ebenfalls einen antagonistischen Ef-
decken der Haut mit luftdichten Materialien (z. B. Gummihand- fekt dar: Eine Spezies gibt Abfallprodukte ab, die für andere Spezies
schuhen) ein erhöhtes Infektionsrisiko – eine »feuchte Kammer« toxisch sind (z. B. H2O2, H2S, kurzkettige Fettsäuren etc.).
entsteht.
28 Kapitel 4 · Physiologische Bakterienflora: Regulation und Wirkungen, iatrogene Störungen und Probiotika
Grundlagen

. Tab. 4.1 Physiologische Kolonisationsflora (Standortflora) des Menschen

Körperregion Flora

Gewebe, Liquor, Blase, Uterus, Tuben, Mittelohr, Nasennebenhöhlen – (steril)


Haut, distale Urethra, äußerer Gehörgang, vordere Nasenhöhle Propionibakterien, koagulasenegative Staphylokokken, Korynebakterien
Mund: Zungen- und Wangenschleimhaut vergrünende Streptokokken, Neisserien, Moraxella, Hefen
Gingiva, Tonsillenkrypten Bacteroides, Fusobakterien, Peptostreptokokken, Aktinomyzeten,
Spirochäten
Nasopharynx Mikroorganismen der Mundhöhle; gelegentlich: Streptococcus pneumo-
niae, Haemophilus, Neisseria meningitidis, Anaerobier, Moraxellen
Ösophagus Mundflora (transient)
Magen transient nach Mahlzeiten
Dünndarm obere Abschnitte steril, untere wie Kolon
Kolon Bacteroides, Eubakterien, anaerobe Kokken, Bifidobakterien, Clostridien,
Laktobazillen, Enterokokken, Enterobakterien
Kolon während der Stillperiode Bifidobakterien, Laktobazillen, vergrünende Streptokokken
Vagina: pubertär und postmenopausal Haut- und Kolonflora
Vagina im fortpflanzungsfähigen Alter Laktobazillen, α-hämolysierende Streptokokken, Hefen, Gardnerella
vaginalis, Mobiluncus spp., koagulasenegative Staphylokokken

Bakteriozine Von Abfallprodukten sind toxische Produkte zu tren- 4.1.3 Bestimmung der bakteriellen Flora
nen, die sog. Bakteriozine. Im Gegensatz zu Metaboliten werden sie
aktiv gebildet und besitzen antibiotische Wirkung gegen verwandte Die Zusammensetzung der bakteriellen Flora (des »Mikrobioms«)
Spezies. Jeder Bakterienstamm, der z. B. ein Colicin produziert, bil- eines Biotops (z. B. Oropharynx oder Darm) wurde früher nach ei-
det gleichzeitig ein dazu passendes Immunitätsprotein (I-Protein), nem Kultivierungsschritt bestimmt, bei dem man die Mikroorganis-
welches das eigene Colicin bindet und unwirksam macht. Auf diese men einer Probe unter geeigneten Bedingungen zur Anzucht brach-
Weise schützt sich das Bakterium vor dem eigenen Geschoss. te und mikroskopisch sowie konventionell-biochemisch spezifizier-
te. Beim Mikroskopieren des Originalmaterials erkannte man mor-
Mikrobielle Sukzession Die Weiterverwertung von Metaboliten, phologisch nun immer wieder kulturell nie nachweisbare Bakterien.
die bei der primären bakteriellen Nutzung von Nährstoffen anfallen, Folglich bestand stets der Verdacht, einzelne bakterielle Spezies seien
stellt ebenfalls ein mikroökologisches Kontrollprinzip dar. So vergä- bisher nicht kultivierbar.
ren z. B. Propionibakterien das von Milchsäurebakterien gebildete Deshalb dienen in neuerer Zeit kulturunabhängige molekular-
Laktat zu Propionat und Essigsäure. Enterobakterien oder Bacteroi- biologische Methoden zur Analyse der Zusammensetzung des Mi-
des-Arten vermögen diese Produkte dann weiter zu CO2 und H2 zu krobioms. Meist amplifiziert man mit konservierten Oligonukleo-
verstoffwechseln. Daraus können schließlich Methanbakterien Me- tidprimern Abschnitte der 16S-rDNA. Diese »Amplikons« enthalten
thangas bilden. Clostridien oder Fusobakterien vermögen die aus dann Moleküle mit unterschiedlichen Sequenzen. Moderne Sequen-
der Proteolyse entstehenden Aminosäuren zu desaminieren und als zierungsverfahren (z. B. 454-Sequenzierung) erlauben es, viele Tau-
kurzkettige Fettsäuren (Essig-, Butter-, Isobuttersäure etc.) auszu- send Einzelsequenzen zu generieren, mit deren Hilfe auf die Spezi-
scheiden. Indem verschiedene Arten das Substrat stufenweise ab- eszusammensetzung der zugrunde liegenden Flora geschlossen
bauen, gelingt die Mineralisierung. Synergistische Effekte zwischen werden kann. Noch informativer – aber auch noch extrem aufwen-
verschiedenen Arten verschaffen allen beteiligten Mikroorganismen dig – ist die Metagenomanalyse: die Sequenzierung der kompletten
Vorteile. DNA einer aus einem komplexen Biotop gewonnenen Probe. Ergeb-
nisse dieser Untersuchungen:
Kreuzweise Entgiftung Die respiratorische Entfernung des Sauer- 4 In Mischpopulation herrscht eine metabolische Arbeitsteilung,
stoffs durch einen aeroben Keim (z. B. E. coli) und die Bildung einer die sich in Reinkulturen nicht darstellen lässt.
Betalaktamase durch einen Anaerobier (z. B. Bacteroides) führt zur 4 In komplexen Ökosystemen wie z. B. im Darm ist bisher nur
kreuzweisen Entgiftung des Milieus. ca. 1 % aller Spezies kultivierbar.

Weitere Synergismen In aeroben/anaeroben Mischkulturen unter-


scheiden sich zudem die biologischen Eigenschaften der Lipopoly- 4.2 Wirkungen der Normalflora
saccharide (LPS) von E. coli und B. fragilis: B. fragilis-LPS induziert
die Bildung von Immunmodulatoren (TNF, IL, IFN etc.) weit schwä- jEntwicklung des Immunsystems
cher als LPS von E. coli. Daraus resultiert in Mischpopulationen eine Sie wird durch die physiologische Bakterienflora stimuliert. Weil
Repression der genannten immunologischen Wirtsfunktionen. Wei- dies so ist, kommt es bei keimfrei aufgezogenen Versuchstieren so-
tere wichtige Synergismen sind beim Transfer von Wachstumsfakto- wohl zu Immunmangelzuständen als auch zur unvollständigen Aus-
ren, plasmidgebundenen Resistenzfaktoren etc. zu vermuten. bildung der Peyer-Plaques.
4.3 · Bakterielle Normalbesiedlung der Körperregionen
29 4
jKolonisationsresistenz stark von Ernährungsgewohnheiten und Zahnhygiene bestimmt.
Das »ökologische Gleichgewicht« der Normalflora ist ständig natür- Auch am gesunden Zahn finden sich Beläge (Plaques), die bei Pro-
lichen Einflüssen ausgesetzt; es zeigt aber eine starke Tendenz, gredienz zur Karies führen können.
diesen Störfaktoren entgegenzuwirken und zum Optimum zurück- Im Sulcus gingivalis finden sich bis zu 1012 Keime/ml Exsudat,
zukehren. Daraus resultiert die sog. Kolonisationsresistenz. Sie überwiegend Anaerobier. Dort kommen verschiedene α-hämoly-
bewirkt, dass aus der Umwelt eingedrungene Mikroorganismen sierende Streptokokken, Staphylokokken, Eikenella corrodens, ver-
sich nicht oder nur vorübergehend im Wirt ansiedeln können. schiedene Vibrionen (Campylobacter sputorum, Selenomonas spec.,
Die Normalflora leistet also einen wichtigen Beitrag bei der Abwehr Wolinella spec.) sowie weitere besonders O2-empfindliche Keime
pathogener Erreger (Bakterien, Pilze). Dieses Prinzip ist bei jeder (Capnocytophaga spec., Leptotrichia spec. und Treponemen) vor.
antibiotischen Therapie zu bedenken (7 Kap. 94).
jMagen
jInfektionsquelle Der Magen Gesunder ist wegen der Magensalzsäure bis auf die tran-
Die Normalflora kann sich auch negativ auswirken. So stammt siente Flora durch Nahrung und Speichel steril. Helicobacter pylori
bei immunsupprimierten oder invasiv behandelten Patienten die lebt in der Tiefe der Krypten, wo neutrale pH-Verhältnisse herr-
Mehrzahl der Infektionserreger aus der patienteneigenen Bakterien- schen. Er übersteht die Durchwanderung des sauren Magensafts,
flora. Zudem können die Mitglieder der Normalflora nach voraus- weil er mit seinem ammoniakproduzierenden Enzym Urease die
gegangener Schädigung (z. B. Verbrennungen oder virale Infektion) Salzsäure neutralisieren kann. Erst wenn der pH-Wert des Magens
eine Superinfektion bzw. nosokomiale Infektion hervorrufen ansteigt, kann sich dort eine Bakterienflora etablieren, was dann als
(7 Kap. 124). pathologisch zu werten ist.

jKanzerogenese jDünndarm
Die Kanzerogenese wird im gastrointestinalen Trakt mit der Nor- Der untere Dünndarm lässt sich aufgrund seiner großen inneren
malflora in Zusammenhang gebracht. Mikroorganismen sind daran Oberfläche in ein mehrstufiges »Mikrohabitat« untergliedern. Die
beteiligt, einerseits Proteine bis zur Stufe der Aminosäuren abzu- Zusammensetzung der Mikroflora im Lumen, auf den Zotten und in
bauen und andererseits Nitrat, das man häufig Fleisch als Konser- den tiefen Krypten ist unterschiedlich. Sie wird kontrolliert durch
vierungsstoff zusetzt, zu Nitrit zu reduzieren. Amine und Nitrit die sezernierten Gallensäuren, Pankreasenzyme, Schleime, intramu-
reagieren im sauren Milieu des Magens spontan zu Nitrosaminen, rale Abwehrmechanismen (»gut-associated lymphatic tissue«, IgA)
die als potente Kanzerogene bekannt sind. und die Sauerstoffspannung, die kaudalwärts absinkt.
Bei ballaststoffarmer Kost mit hohem Anteil tierischer Eiweiße Beim Gesunden sind die oberen Anteile des Dünndarmes bak-
und Fette fallen vermehrt Steroide und Gallensäurederivate an, die terienfrei. Weiter kaudal finden sich grampositive anaerobe Stäb-
unter der Wirkung von Darmbakterien zu kanzerogenen Substanzen chen und Fusobakterien; nicht selten treten jetzt auch fakultativ
(z. B. Cholanthren-Derivaten) metabolisiert werden. Unter dieser anaerobe Stäbchen (Enterobacteriaceae) auf:
Diät nimmt die intraluminale Verweildauer der Fäzes zu; entspre- 4 Im Lumen halten sich hauptsächlich schnell wachsende,
chend höher ist die Inzidenz des Kolonkarzinoms. nichtadhärierende Bakterien auf (Laktobazillen, Clostridien).
4 Auf den Oberflächen von Zotten adhärieren vermehrt gram-
negative Stäbchen.
4.3 Bakterielle Normalbesiedlung 4 In der Tiefe der Krypten finden sich vermehrt stark bewegliche,
der Körperregionen nichtadhärierende und meist auch nicht obligat anaerobe
Keime.
jHaut
Bis zu 1000 Keime besiedeln jeden Quadratzentimeter Haut (. Tab. Unter pathologischen Bedingungen nehmen die Erregerzahlen zu.
4.1). Koagulasenegative Staphylokokken, die man regelmäßig auf Auch die bakterienfreien Dünndarmabschnitte können dann besie-
der Haut findet, werden häufig als Erreger von Katheterinfektionen delt sein. Als Ursachen wirken sich häufig eine Stase bei Störungen
gefunden. der zuführenden Organsysteme (anazider Magen, Gallenwegerkran-
Die Besiedlung des äußeren Gehörgangs, der vorderen Nasen- kungen) oder operative Eingriffe aus.
höhle und der distalen Urethra entspricht derjenigen der Haut. Bei Überwucherung treten die Bakterien in Konkurrenz zur
Resorptionsleistung des Wirtes. Deshalb sinkt die Aufnahme von
jKonjunktiva Vitamin B12 (Folge: Anämie) und Proteinen. Außerdem werden ver-
Sie ist beim Gesunden von wenigen koryneformen Bakterien und mehrt Gallensäuren dekonjugiert, sodass durch die verminderte
S. epidermidis besiedelt. Die Besiedlung ist deshalb dürftig, weil der Mizellbildung die Fettresorption sinkt. Es resultiert eine Steatorrhö,
Lidschlag das Epithel permanent reinigt und die Tränenflüssigkeit begleitet von einer vermehrten Ausscheidung lipophiler Vitamine.
Lysozym enthält.
jDickdarm
jOropharynx Im Kolon ist die Bakteriendichte am höchsten (bis zu 1012/g Fäzes).
Die Schleimhaut des Mundes und des Rachens ist von einer dichten Offensichtlich herrschen hier optimale Bedingungen für bakterielles
Flora anaerober und aerober Bakterien besiedelt: 1 ml Speichel ent- Wachstum. Die kontrollierten Faktoren liegen überwiegend bei der
hält geschätzte 108 Bakterien. α-hämolysierende Streptokokken und mikrobiellen Flora selbst. Die Konkurrenz um ökologische Nischen
Neisserien herrschen vor. limitiert die bakterielle Proliferation weitgehend.
Obligat anaerobe Bakterien finden sich im den Zähnen anlie- Die luminale Mikroflora der Fäzes umfasst bis zu 500 Arten.
genden Gingivasulkus und in den Tonsillenkrypten. Die obligaten Davon entfallen über 95 % auf obligat anaerobe Bakterien. Die
Anaerobier der Mundflora sind an der Pathogenese der chronischen obligat anaerobe Population setzt sich etwa zu 75 % aus den 3 Gat-
Parodontitis beteiligt. Die Besiedlung der Zahnoberfläche wird tungen Bacteroides, Bifidobacterium und Eubacterium zusammen
30 Kapitel 4 · Physiologische Bakterienflora: Regulation und Wirkungen, iatrogene Störungen und Probiotika
Grundlagen

Dies hat zum Konzept eines Kernmikrobioms des Darms geführt. Das Kern-
. Tab. 4.2 Dickdarmflora des Menschen mikrobiom unterscheidet sich zwischen schlanken und übergewichtigen
Personen. Die Darmmikrobiota ist bei Adipösen signifikant weniger divers
Anaerobier (99 %) 75 % Bacteroides als bei Schlanken und kodiert eine größere Zahl von Phosphotransferasesys-
Bifidobakterien temen, die bei der mikrobiellen Verwertung von Kohlenhydraten eine zent-
rale Rolle spielen. Ähnliche Daten waren vorher auch in Mausmodellen ge-
Eubakterien funden worden.
Bisher zeigten die Studien zwar nicht eindeutig, dass die beschriebenen Un-
25 % Clostridien
terschiede kausal für die Adipositas verantwortlich sind. (Sie könnten auch
anaerobe Kokken das Ergebnis vermehrter Zuführung von Nährstoffen sein.) Dennoch haben
sie die Hoffnung geweckt, dass es gelingen könnte, die Darmmikrobiota ge-
Fusobakterien
zielt zu modifizieren und damit metabolische Erkrankungen positiv zu be-
Laktobazillen einflussen.

Fakultative Anaerobier (1 %) Enterobakterien »Stuhl- oder Fäkaltransplantation«


Ein erster Nachweis, dass es möglich zu sein scheint, durch Übertragung der
Enterokokken Darmbakterien gesunder Probanden den Gesundheitszustand von Patien-
Transient Pseudomonas spp. ten zu beeinflussen, ist durch die sog. Fäkaltransplantation gelungen. Els van
Nood und Kollegen haben in einer aufsehenerregenden Arbeit, die 2013 im
Hefen New England Journal of Medicine publiziert wurde, Patienten mit rezidivie-
Bacillus spp. render Clostridium-difficile-Kolitis durch Infusionen von aufbereitetem
Spenderstuhl ins Duodenum behandelt (in Kombination mit Vancomycin
Protozoen und einer Darmlavage).
Die Ergebnisse dieser Behandlung waren so viel besser als die Therapien in
den anderen Armen der randomisierten Studie (nur Vancomycin oder Van-
comycin plus Darmlavage), dass die Studie vorzeitig abgebrochen werden
(. Tab. 4.2). Deutlich seltener (25 %) finden sich Clostridien, anae- musste. Bei 13 von 16 mit der Fäkaltransplantation behandelten Patienten
robe Kokken, Fusobakterien und Laktobazillen. Als fakultativ anae- sistierte die Diarrhö bereits nach der 1. Infusion, bei 2 weiteren Patienten
robe Vertreter finden sich regelmäßig Enterobakterien und Entero- nach einer 2. Infusion.
kokken. Aktuell wird daran gearbeitet, den durch die Fäkaltransplantation erzielba-
Bei der wandständigen Flora verschiebt sich das Verhältnis ren therapeutischen Effekt durch standardisierte Gabe von Darmbakterien
infolge besserer Sauerstoffversorgung zugunsten der fakultativ nachzubilden, da die Fäkaltransplantation logistisch aufwendig und ihre Ak-
zeptanz bei Patienten und Angehörigen problematisch ist; trotz vorherge-
anaeroben Flora. Es finden sich häufiger Bakterien mit adhäsiven
hender Stuhluntersuchungen der Spender besteht zudem das Risiko einer
Fähigkeiten (z. B. E. coli). An Anaerobiern werden regelmäßig Bac-
Übertragung von Krankheitserregern.
teroides spp., Clostridium spp. und Eubacterium spp. isoliert.
Bei fehlbesiedelten Dickdärmen beobachtet man eine Zunahme
an Aerobiern, wohingegen sich die Artenzahlen der obligaten Anae- jVagina
robier vermindern. Dagegen werden Bacteroides fragilis und Clost- Der pH-Wert der Vagina spielt für die Stabilität der bakteriellen Va-
ridium perfringens häufig isoliert. Damit steht die regelmäßige Be- ginalflora eine ausschlaggebende Rolle. Das saure Milieu erlaubt
teiligung von B. fragilis an infektiösen Bauchraumprozessen in Ein- eine Besiedlung durch nur wenige Bakterienarten. Ein Anstieg des
klang. pH-Wertes führt zu einer Verschiebung des physiologischen Gleich-
Mit Muttermilch gestillte Säuglinge besitzen eine Dickdarmflo- gewichts zugunsten anderer anaerober Bakterien und Hefen.
ra, die aus bis zu 99 % anaerob wachsenden grampositiven Stäbchen Die »Grundbesiedlung« der Vagina erfolgt hauptsächlich durch
der Gattung Bifidobacterium besteht. Diese vergären die in der Mut- Laktobazillen (Döderlein-Flora). Ihr Wachstumsoptimum liegt im
termilch reichlich vorhandene Laktose zu Essigsäure. Der resultie- sauren pH-Bereich. Der Hauptvertreter ist Lactobacillus acidophi-
rende pH-Wert von 5–5,5 ist für diese Bakterien optimal. Mit Kuh- lus. Dieser bildet H2O2, was zur Unterdrückung einer kompetitiven
milch oder Babynahrung aufgezogene Säuglinge weisen eine Bakte- anaeroben Keimflora führt. Gelegentlich trifft man auch H2O2-ne-
rienflora auf, die derjenigen des Erwachsenen gleicht, da Kuhmilch gative Laktobazillen an; diese sind aber für das ökologische Gleich-
eine größere pH-Pufferkapazität als Muttermilch hat. gewicht der Vagina unbedeutend. Durch die metabolische Tätigkeit
der Laktobazillen wird das in den vaginalen Epithelzellen gespei-
Darmmikrobiome adipöses und schlanker Zwillinge cherte Glykogen zu Milchsäure metabolisiert und so der pH-Wert
Eine der wichtigsten Untersuchungen, die das Feld der Mikrobiomforschung bei 4,0–4,5 stabilisiert. Dies erschwert die Ansiedlung von Hefen. Als
begründet haben, wurde im Jahr 2009 in der Zeitschrift Nature publiziert. Erreger von Infektionen kommen die Mitglieder der Döderlein-
Peter Turnbaugh und seine Kollegen im Labor von Prof. Jeffrey I. Gordon an Flora kaum in Betracht.
der Washington University at St. Louis haben in dieser Studie die Zusam- Weitere Anaerobier treten auf der Vaginalschleimhaut nur in
mensetzung des Darmmikrobioms 1- und 2-eiiger Zwillingspaare und ihrer geringer Menge auf. Sie finden sich vermehrt bei Mädchen vor
Mütter untersucht. Dabei wählten sie die Zwillingspaare so aus, dass beide der Geschlechtsreife und bei Frauen nach der Menopause. Auch
Zwillinge entweder schlank (»lean«) oder übergewichtig (»obese«) waren.
ärztliche Maßnahmen, Antibiotikatherapie, chirurgische Eingriffe,
Bei der Untersuchung wurde sowohl die Zusammensetzung der Darmmikro-
Instrumentation, Neoplasien, Bestrahlung, Östrogenbehandlung
biota durch 16S-rDNA Analyse als auch die Gesamtheit aller Gene der Darm-
bakterien (Darmmikrobiom) durch Shotgun-Sequenzierung charakterisiert.
(7 weiter unten) und immunsuppressive Therapie beeinflussen die
Die Studie führte zu mehreren grundlegenden Ergebnissen: Während sich vaginale Bakterienflora: Östrogene, physiologisch sezerniert oder
die Zusammensetzung der Darmmikrobiota zwischen menschlichen Indivi- appliziert (»Pille«), behindern das Wachstum von Laktobazillen
duen (und auch Zwillingen) unterscheidet, ist die Gesamtheit der von den durch verminderte Glykogensekretion. Die resultierende Alkalisie-
verschiedenen Bakterienspezies bereitgestellten Stoffwechselleistungen er- rung begünstigt das Wachstum fakultativ anaerober Bakterien und
heblich stabiler. Hefen; dies verstärkt die Verdrängung der übrigen anaeroben Flora.
4.5 · Änderung der Mikroökologie aus therapeutischen Gründen
31 4
In der 1. Zyklushälfte sind Anaerobier vermehrt nachweis- postoperativen Enterokolitis durch S. aureus kommen. Auch Über-
bar; entsprechend hoch ist die Inzidenz von Infektionen nach einer wucherungen des Darmes durch Pseudomonas, Klebsiellen und
Hysterektomie in diesem Zyklusabschnitt. Infektionen, an denen Proteus werden beobachtet.
Anaerobier beteiligt sind, finden sich im Bauchraum und im Be- Ein besonders häufiges Phänomen ist der starke Pilzbefall nach
reich  des weiblichen Genitales: So kann Clostridium perfringens antibiotischer Therapie: Im Mund (Soor), Magen, Vagina und
bei nicht sachgerecht durchgeführter Abruptio Gasbrand verur- Darmtrakt wachsen dicke Beläge von Candida-Arten. Applikation
sachen. auf der Haut ändert deren Flora: Die grampositiven Bakterien wer-
Daneben können in der Vaginalflora gesunder Frauen Bakte- den reduziert; dafür vermehren sich gramnegative Stäbchen und
rien  vorkommen, die nicht zur physiologischen Standortflora ge- Sprosspilze.
hören. Sie gelten als fakultativ pathogen, wenn man sie in ent-
sprechend hoher Keimzahl aus dem Entzündungsherd isoliert.
Gerade bei der unspezifischen Vaginitis findet eine quantitative 4.4.3 Chemotherapie bei Malignomen
Verschiebung der Keimflora statt, die mit klinischen Symptomen
assoziiert ist. Bei der onkologischen Chemotherapie werden die schnell proliferie-
Besonders bei therapieresistenten Fällen ist auch zu prüfen, renden Epithelzellen am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Häu-
inwieweit Trägerinnen solcher Erreger symptomlose Infektions- fige Folge ist eine entzündliche Reaktion der Schleimhäute im ge-
quellen für ihre Sexualpartner sind. Zu den betreffenden Erregern samten Verdauungstrakt. Gleichzeitig wird durch das vermehrte
zählen Enterokokken, S. aureus, β-hämolysierende Streptokokken Abschilfern der Epithelzellen die mechanische Barrierefunktion der
der Gruppe B, Enterobakterien, Listeria monocytogenes, Sprosspilze Darmmukosa gestört, sodass Keime in das Nachbargewebe und die
und Gardnerella vaginalis. Blutbahn gelangen.
Daneben zeigt die Chemotherapie eine stark immunsuppres-
sive Wirkung. Ein weiterer Mechanismus der besonderen Infek-
4.4 Iatrogene Störungen der Mikroökologie tionsgefährdung ist die zytostatikabedingte Granulozytopenie mit
der Gefahr einer schweren Infektion und septischer Generalisie-
4.4.1 Operative Eingriffe rung. Man findet folglich bei Tumorpatienten häufig schwere In-
fektionen, die ihren Ausgang von der Kolonisationsflora nehmen.
Chirurgische Maßnahmen können zu bakterieller Fehlbesiedlung, Besonders gefürchtet sind Infektionen durch Enterobakterien, Pseu-
meist im Gastrointestinaltrakt, führen. Diese sind klar zu unter- domonaden, Streptokokken und Hefen.
scheiden von chirurgischen Infektionen beim Durchtrennen anato-
mischer Barrieren (z. B. Hautinzision).
4 Magenoperationen mit Billroth-II-Anastomose ziehen häufig 4.5 Änderung der Mikroökologie
das Syndrom der zuführenden Schlinge nach sich: Der prä- aus therapeutischen Gründen
gastrale Anteil des Duodenums dilatiert mit Anstau von Nah-
rung und Duodenalsaft mit der Folge verstärkten bakteriellen jTotale und selektive Darmdekontamination
Wachstums. Patienten mit malignen hämatologischen Erkrankungen (z. B. akute
4 Bei Eingriffen am Dünndarm (z. B. Seit-zu-Seit-Anastomose Leukämie) neigen immer wieder zu schweren Infektionen durch
oder Gastroenterotomie) kommt es oft zur Stagnation des Bakterien der wirtseigenen Flora, meist durch gramnegative Stäb-
Darminhalts in ausgeschalteten und ausgesackten Darm- chen aus dem Darm. Eine selektive Darmdekontamination mittels
anteilen. Es resultiert das Blindsacksyndrom. oraler Antibiotika ist daher bei diesen Patienten sinnvoll. Dabei er-
4 Fehlbesiedlungen treten auch nach Operationen an Gallen- geben sich bessere Resultate, wenn eine anaerobe Restflora im Darm
blase und Pankreas auf. Offensichtlich verändert die anders- erhalten bleibt. So entwickelt sich eine Kolonisationsresistenz gegen-
artige Zusammensetzung des Chymus die Mikroflora. über potenziell pathogenen und resistenten Keimen. Die totale
4 Die trunkuläre Vagotomie bei Duodenalulkus führt zur Hypo- Darmdekontamination wird weiterhin bei der Knochenmarktrans-
mobilität und pH-Anhebung von Magen und Dünndarm. plantation praktiziert, da sie das Risiko einer späteren Graft-versus-
Die Stase des Nahrungsbreies erzeugt eine brutkammerähnliche Host-Reaktion senkt.
Situation mit starker Bakterienvermehrung.
jDarmdekontamination bei Leberzirrhose
Bei finaler Leberzirrhose reicht die Leberfunktion nicht mehr aus,
4.4.2 Antibiotische Therapie den infolge bakteriellen Stoffwechsels im Darm anfallenden Ammo-
niak zu entgiften: Es entsteht die »hepatische Enzephalopathie«.
Jede antibiotische Therapie zieht notwendigerweise die Normalflora Prophylaktisch appliziert man deshalb ein nichtresorbierbares Anti-
in Mitleidenschaft. Die resultierende metabolische Änderung kann biotikum zur Elimination der (proteolytischen) Enterobakterien,
zu Diarrhö und zur Vermehrung einzelner, besonders resistenter z. B. Paromomycin (auf Anaerobier hat dieses Aminoglykosid keine
Arten führen. Infolge dieser starken Besiedlung sind die Störungen Wirkung), und/oder oral Laktulose, einen nichtresorbierbaren Zu-
im Gastrointestinaltrakt von besonderer Bedeutung. cker, der bakteriell abgebaut wird und dadurch den Stuhl ansäuert;
Eine Reihe von Antibiotika (v. a. Cephalosporine, Chinolone anfallender Ammoniak liegt dann überwiegend als schlechter resor-
und Clindamycin) vermögen unter dem Bild einer antibiotikaasso- bierbares NH4+ vor.
ziierten Kolitis (7 Kap. 39) eine Diarrhö zu induzieren. Es resultiert
eine starke Vermehrung toxinbildender Stämme von Clostridium jPerioperative Prophylaxe
difficile, das auch unter physiologischen Bedingungen in geringen Bei chirurgischen Eingriffen mit erhöhtem Infektionsrisiko ist es
Mengen in der Normalflora auftritt. Nach bauchchirurgischen Ein- üblich, nur vor Operationsbeginn eine Dosis eines Antibiotikums zu
griffen kann es durch die begleitende antibiotische Therapie zur geben (7 Kap. 94).
32 Kapitel 4 · Physiologische Bakterienflora: Regulation und Wirkungen, iatrogene Störungen und Probiotika
Grundlagen

4.6 Probiotika 4 Laktobazillen können Gallensäure dekonjugieren. Dies senkt


den Cholesterinspiegel und wirkt womöglich durch verminderte
Probiotika sind definierte, lebende mikrobielle Kulturen, deren Zell- Arteriosklerose protektiv auf das Herz-Kreislauf-System.
bestandteile oder Stoffwechselendprodukte, die z. T. als Medika- 4 Durch die Eliminierung der Gallensäuren wird auch ein Schutz
mente verschrieben werden (. Tab. 4.3). vor Darmtumoren postuliert.
Hiervon zu unterscheiden sind sog. Präbiotika: polymere, nicht-
resorbierbare Zucker (z. B. Oligofructose, Inulin), die das Wachstum jProphylaxe von Infektionskrankheiten
von Milchsäurebakterien im Darm stimulieren. In mehreren Studien wurden Saccharomyces boulardii oder Lakto-
bazillen zur Prophylaxe von Diarrhö verwendet: In einer Studie zur
Prophylaxe von antibiotikaassoziierter Diarrhö sank der Anteil der
4.6.1 Ziele der Therapie mit Probiotika Patienten mit Diarrhö von 17 auf 5 %. Gleichzeitig wurde ein gerin-
gerer Anteil an Kandidosen (2 vs. 12 %) registriert. In einer weiteren
Probiotika werden hauptsächlich aus 4 Gründen angewendet: Untersuchung sank die Rezidivrate bei pseudomembranöser Kolitis
4 Steigerung des gesundheitlichen Wohlbefindens von 65 auf 34 %.
4 Prophylaxe von Infektionskrankheiten In der Studie zur Prophylaxe der Diarrhö bei Kindern resultierte
4 Therapie von Infektionskrankheiten eine Reduktion der Episoden (2 vs. 8 Episoden in 18 Monaten) sowie
4 Therapie anderer Erkrankungen eine Minderung der Diarrhödauer (4,3 vs. 8,0 Tage). Bei Reisediar-
rhö senkte die probiotische Prophylaxe die Prävalenz von 7,9 auf
jSteigerung des Wohlbefindens 3,9 %. L. rhamnosus GG wirkt bei Kleinkindern präventiv hinsicht-
Zu diesem Zweck werden in der Regel Milchfermentationsprodukte lich der Ausbildung allergischer Symptome.
kommerziell vertrieben. Es handelt sich meist um »Biojoghurt«, Wirkmechanismen sind bisher nicht geklärt, sodass bei der gerin-
d. h., die Milch wird bei 37 °C von Laktobazillen und/oder Bifido- gen Studienzahl mit kleinen Fallzahlen derzeit noch keine generelle
bakterien fermentiert und das Fermentat mit lebenden Keimen ver- Empfehlung von Probiotika zur Prophylaxe und Therapie möglich ist.
zehrt. Es gibt In-vitro-Befunde, aber keine gesicherten klinischen
Studien, die auf positive Effekte für die Gesundheit hinweisen: jProbiotika als Therapeutika
4 Laktobazillen scheinen als »Antigenlieferanten« eine Rolle 4 In fast allen bisher publizierten Studien verkürzte die Gabe von
bei der Entwicklung des enteralen Immunsystems zu spielen. Laktobazillen und anderen Keimen bei verschiedenen Formen
So ist auch die Abnahme allergischer Reaktionen bei Zufuhr der Diarrhö (antibiotikaassoziierte D., Reise-D., D. bei Kindern
von Laktobazillen zu verstehen. und Cl.-difficile-bedingte D.) die Diarrhödauer um ca. 50 %
4 In vitro hat man eine Modulation der Expression der Zyto- (. Tab. 4.4).
kingene beobachtet. 4 Bei unspezifischen Entzündungszuständen des Darmes wie irri-
tables Kolon, Colitis ulcerosa und Morbus Crohn bewirken ora-
le Gaben von E. coli (Stamm Nissle) eine Besserung, weil dieser
. Tab. 4.3 Zusammensetzung und Herkunft probiotischer Mikro- apathogene Normalbewohner des Darmes eine Fehlbesiedlung
organismen des Intestinums korrigiert und sich die Ernährung der Endo-
thelien durch Bildung kurzkettiger Fettsäuren seitens der Nor-
Spezies Herkunft malflora verbessert.

Human Tierisch Pflanzlich/


Umwelt
. Tab. 4.4 Probiotika als Therapie
Bakterien
Indikation Keime
Streptococcus thermophilus +
Lactobacillus bulgaricus + Antibiotikaassoziierte Diarrhö Laktobazillen

Lactobacillus acidophilus + + S. boulardii, E. faecium

Lactobacillus rhamnosus + E. coli (Nissle)


(Stamm GG) Diarrhö bei Kindern Laktobazillen
Bifidobacterium longum + S. boulardii
Bifidobacterium breve + Reisediarrhö Laktobazillen
Bifidobacterium bifidum + Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö S. boulardii
Bifidobacterium animale + Laktoseintoleranz Laktobazillen
Enterococcus faecium (SF68) + Bifidobakterien
Bacillus subtilis (ATCC9799) + Aminkolpitis Laktobazillen
E. coli (Stamm Nissle) + Atopische Dermatitis Laktobazillen
Hefen Irritables Kolon E. coli (Nissle)
Saccharomyces boulardii + Colitis ulcerosa E. coli (Nissle)
Saccharomyces cerevisiae + Morbus Crohn E. coli (Nissle)
Literatur
33 4
4 Nach oraler Applikation von Laktobazillen wurde über eine
Besserung der atopischen Dermatitis berichtet. Den Autoren – Kolon: überwiegend anaerobe Mischflora, dazu Entero-
zufolge ruft eine unspezifische Immunstimulation diesen kokken und Enterobakterien
Effekt hervor. – Vagina: überwiegend Laktobazillen
4 Bei den extraintestinalen Applikationen hat sich die vaginale 5 übrige Körperareale (Liquor, Blut, Blase und innere Genitalien):
Anwendung von Laktobazillen bei bakterieller Vaginose steril
(Aminkolpitis) bewährt. Die Ansiedlung einer normalen
Standortflora (Döderlein-Stäbchen) drängt die Fehlbesiedlung Iatrogene Störungen der Mikroökologie
zurück und unterstützt durch Absenken des pH-Wertes die 5 Operative Eingriffe: z. B. Gallenblasen-/Gallenwegoperation,
Bildung einer normalen Flora. H2O2-bildende Laktobazillen trunkuläre Vagotomie
können das Wachstum anderer Anaerobier zusätzlich unter- 5 antibiotische Therapie; Folge: z. B. antibiotikaassoziierte
drücken. Andere H2O2-negative Laktobazillen können vor- Kolitis, Pilzinfektion
kommen, gehören aber nicht zur ökologischen Normalbe- 5 hormonelle Therapie; Folge: vaginaler Soor
siedlung der Vagina. 5 Chemotherapie, Immunsuppression und Epithelzellschäden
führen zu schweren Allgemeininfektionen
Bei neuen experimentellen Ansätzen werden genetisch veränderte
probiotische Bakterien (z. B. IL-10 produzierender Lactococcus Änderungen der Mikroökologie aus therapeutischen Gründen
lactis) zur Therapie des Morbus Crohn eingesetzt. So lässt sich das 5 Darmdekontamination bei Immunsuppression
therapeutische Protein direkt an die entzündete Mukosa bringen, 5 Darmdekontamination bei Leberzirrhose
ohne dass es zu einer unerwünschten systemischen Wirksamkeit
kommt. Probiotika
Steigerung des Wohlbefindens
5 Laktobazillen stimulieren das enterale Immunsystem
4.6.2 Probleme der probiotischen Therapie 5 Einnahme von Laktobazillen mindert allergische Reaktionen
5 Laktobazillen dekonjugieren Gallensäure, dadurch Choleste-
Probiotische Keime sind per definitionem apathogen; trotzdem rinsenkung
kann in einzelnen Fällen eine gewisse Virulenz nicht völlig negiert 5 Prävention von Darmtumoren durch Elimination von Gallen-
werden. säuren
Probiotische Keime tragen oft antibiotische Resistenzgene, die
sie in ein Biotop einbringen können: Laktobazillen sind z. B. häufig Probiotika als Therapeutika
resistent gegen Vancomycin. Es ist zu befürchten, dass sie diese Re- 5 Applikation von E. coli (Stamm Nissle) mindert unspezifisch
sistenz auf Enterokokken übertragen oder probiotische Keime diese Entzündungen im Darm
Resistenzen erwerben. Andererseits können bei immunkompromit- 5 Probiotika bessern eine atopische Dermatitis
tierten Empfängern probiotische Keime als opportunistische Infek- 5 Laktobazillen bessern eine bakterielle Vaginose
tionserreger in Erscheinung treten. Laktobazillen vermögen z. B.
eine Endokarditis hervorzurufen, die sich dann mit Vancomycin Prophylaxe von Infektionskrankheiten
nicht mehr behandeln lässt. 5 Reduktion antibiotikaassoziierter Diarrhö
Bei Patienten mit Leukämie sind Fälle von schweren Infektionen 5 Senkung der Rezidivrate bei pseudomembranöser Kolitis
durch Bacillus subtilis beschrieben worden. 5 Senkung der Dauer und Frequenz von Diarrhöen bei Kindern
5 Senkung der Prävalenz von Reisediarrhö

In Kürze Problem der probiotischen Therapie


Physiologische Bakterienflora 5 Probiotische Bakterien tragen z. T. selbst antibiotische Resis-
Regulation der Bakterienflora tenzgene
5 Durch Wirtsfaktoren: Temperatur, Feuchtigkeit, Nährstoffe, 5 probiotische Bakterien können bei immunkompromittierten
Metaboliten, Sauerstoff und pH Patienten Infektionen hervorrufen, z. B. Sepsis, Endokarditis
5 durch bakterielle Interaktion:
– antagonistische Effekte: Substratkonkurrenz, Metabolit-
hemmung und Bakteriozine
Literatur
– synergistische Effekte: mikrobielle Sukzession, kreuzweise
Entgiftung des Milieus Nell S, Suerbaum S, Josenhans C (2010) The impact of the microbiota on the
pathogenesis of IBD: lessons from mouse infection models. Nat Rev
Wirkung der Normalflora
Microbiol. 8:564-577.
5 Positive Auswirkungen: Kolonisationsresistenz
Turnbaugh, PJ, Hamady M, Yatsunenko T, Cantarel BL, Duncan A, Ley RE, Sogin
5 negative Auswirkungen: Superinfektion, Kanzerogenese ML, Jones WJ, Roe BA, Affourtit JP, Egholm M, Henrissat B, Heath AC,
Knight R, Gordon JI (2009) A core gut microbiome in obese and lean
Normalbesiedlung
twins. Nature. 457:480-484.
5 Trockene Oberflächen (Haut): grampositive Mischflora
van Nood E, Vrieze A, Nieuwdorp M, Fuentes S, Zoetendal EG, de Vos WM,
5 Schleimhäute Visser CE, Kuijper EJ, Bartelsman JF, Tijssen JG, Speelman P, Dijkgraaf MG,
– Rachen und obere Atemwege: aerobe und anaerobe Keller JJ (2013) Duodenal infusion of donor feces for recurrent Clostridium
Mischflora difficile. N Engl J Med. 368:407-415.
– Magen und oberer Dünndarm: steril Yang I, Nell S, Suerbaum S (2013) Surviving in hostile territory: The microbiota
of the stomach. FEMS Rev Microbiol. 37:736-761.
35 II

Immunologie
Kapitel 5 Immunologische Grundbegriffe – 37

Kapitel 6 Zellen des Immunsystems – 41

Kapitel 7 Organe des Immunsystems – 45

Kapitel 8 Antikörper und ihre Antigene – 49

Kapitel 9 Komplement – 63

Kapitel 10 Antigen-Antikörper-Reaktion:
Grundlagen serologischer Methoden – 67

Kapitel 11 Haupthistokompatibilitätskomplex – 75

Kapitel 12 T-Zellen – 79

Kapitel 13 Phagozyten und antigenpräsentierende Zellen – 93

Kapitel 14 Immunpathologie – 101

Kapitel 15 Infektabwehr – 109

Kapitel 16 Impfung – 117


37 5

Immunologische Grundbegriffe
S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Das Überstehen einer Infektionskrankheit verleiht dem Genesenen 5.3 Epitoperkennung:


häufig Schutz vor deren Wiederholung. Wer einmal an Masern erkrankte, Antigen-Antikörper-Reaktion
ist für den Rest seines Lebens masernunempfänglich. Diese Eigenschaft
ist nicht angeboren, sondern erworben: Jeder Mensch ist nach seiner Immunologische Spezifität des Antigens bedeutet: Ein gegebenes
Geburt empfänglich für Masern; die Resistenz entsteht erst durch die Epitop veranlasst den Immunapparat dazu, Immunprodukte wie
Krankheit selbst. Hierfür ist das Immunsystem zuständig. Antikörper oder aktivierte T-Lymphozyten zu bilden, die dem Epi-
top strukturkomplementär sind, die sich zu ihm also so verhalten wie
das Schloss zum Schlüssel. Wir erkennen die strukturelle Komple-
5.1 Immunität mentarität z. B. durch die Bindung des Antikörpers an das Antigen.
Es entsteht ein Antigen-Antikörper-Komplex oder, kurz, ein
Die erworbene Resistenz ist spezifisch (lat.: »arteigentümlich«): Sie Immunkomplex.
besteht nur gegen diejenige Erregerart oder -unterart, welche die Die Reaktionsfähigkeit eines gegebenen Antikörpers gegenüber
Erkrankung verursacht hat. Der Schutz des Rekonvaleszenten ist dem Epitop ist spezifisch: Ein bestimmter Antikörper reagiert im
also nicht allgemeiner Natur, sondern auf den Erreger der Erster- Prinzip nur mit derjenigen Epitopstruktur, die zu seiner Bildung
krankung beschränkt. Man bezeichnet den Zustand der erworbenen Anlass gab; mit Epitopen anderer Strukturen reagiert er nicht. Der
und spezifischen Resistenz als erworbene Immunität oder kurz Antikörper kann also zwischen verschiedenen Epitopen dadurch
Immunität. unterscheiden, dass er sich selektiv mit dem für ihn komplementären
Der Vorgang, der zur Immunität führt, wird Immunisierung ge- Epitop verbindet: Der Antikörper erkennt »sein« Epitop. Das Reper-
nannt. Die Immunisierung ist im betroffenen Organismus an die toire aller möglichen Antigenspezifitäten entsteht bereits vor Anti-
Tätigkeit eines besonderen Organs gebunden; man nennt es Immun- genkontakt durch genetische Rekombination (7 Kap. 8).
organ, Immunsystem oder auch Immunapparat. Das Immunorgan
wird nur dann aktiv, wenn es durch geeignete Reize stimuliert wird.
Deshalb bezeichnet man die Vorgänge, die sich dort nach der Stimu- 5.4 Immunogenität: Antigene als Epitopträger
lation des Immunsystems abspielen, zusammenfassend als Immun-
reaktion. Der materielle Träger des Immunisierungsreizes wird als Die Epitopstruktur ist zwar für die unverwechselbaren Eigenschaf-
Antigen bezeichnet. Antigene sind makromolekulare Stoffe mit ten des Antigens, d. h. für dessen Spezifität, verantwortlich. Für
spezifischer Struktur. Die Immunreaktion gliedert sich in 2 Phasen: sich allein ist ein Epitop jedoch nicht in der Lage, die Bildung von
1. Induktionsphase: Das Immunsystem reagiert auf das Antigen Antikörpern zu stimulieren. Die immunisierende Wirkung entsteht
zunächst mit der Bildung spezifischer Effektoren (sog. Anti- erst dann, wenn das Epitop Bestandteil eines Makromoleküls ist.
körper und/oder T-Lymphozyten). Das Geschehen wird in Stoffe mit einer Molekularmasse (»Molekulargewicht«) unter etwa
7 Kap. 8 und 12 erklärt. 2000 Dalton bleiben gegenüber dem Immunsystem wirkungslos
2. Abwehr- oder Effektorphase: Darin erkennen die Effektoren (»unerkannt«).
das Antigen als dasjenige wieder, welches ihre Bildung ver- Man trennt deshalb begrifflich bei einem Antigen das Epitop von
anlasste und reagieren mit ihm. Diese Reaktion verhindert seinem makromolekularen Träger ab: Der Träger ist maßgebend für
die schädlichen Wirkungen des Antigens und leitet dessen die Immunogenität, das Epitop für die Spezifität. Immunogen ist
Eliminierung ein. Diese Phase wird in 7 Kap. 8, 9, 12 und 13 ein Stoff dann, wenn er das Immunsystem stimuliert. So kann z. B.
besprochen. ein einfaches Disaccharid aus Glucuronsäure und Glukose für sich
allein keine Immunreaktion auslösen. Koppelt man diese Zucker
aber an ein Protein, so entsteht ein immunogenes Produkt, bei dem
5.2 Epitop die Zuckermoleküle als Epitope wirken. Wir bezeichnen ein freies,
nichtmakromolekulares Epitop als Hapten und das makromoleku-
Antigene, welche die Bildung von Antikörpern stimulieren, beste- lare Kopplungsprodukt als Vollantigen. Gegenüber dem lebenden
hen aus Makromolekülen, auf deren Oberfläche sich frei zugängliche Organismus ist das Hapten für sich allein unwirksam; erst als Be-
Strukturelemente befinden, die man Epitope oder Determinanten standteil des Vollantigens erlangt es seine immunisierende Wirk-
nennt. Als Epitope können zahlreiche Stoffgruppen dienen, z. B. ein- samkeit.
fache Zucker, Peptide aus 6–8 Aminosäuren oder organische Ring-
strukturen wie Benzol. Die räumlichen Dimensionen des Epitops
liegen im Bereich von 2,5×2,5×2,5 nm. Die chemischen Möglichkei-
ten der Epitopvielfalt sind kaum abschätzbar.
38 Kapitel 5 · Immunologische Grundbegriffe

5.5 Zelluläre Immunität Nach Überwindung der äußeren Barrieren treffen Krankheits-
erreger auf die zellulären und humoralen (antikörpervermittelten)
T-Lymphozyten erkennen lediglich Proteinantigene. Für die Anti- Träger der angeborenen Immunität:
generkennung ist der T-Zell-Rezeptor zuständig. Die Antigendeter- 4 Die wichtigsten zellulären Vorgänge sind hier die Keimauf-
minanten dieser Proteine werden aber nicht direkt erkannt. Viel- nahme (Phagozytose) und -abtötung durch Fresszellen. Die
mehr muss das Antigen, das ein T-Lymphozyt erkennen soll, zuerst Phagozytose obliegt in erster Linie den Granulozyten und den
von einer Wirtszelle in geeigneter Weise verarbeitet werden. Auf Zellen des mononukleär-phagozytären Systems. Eine beson-
deren Oberfläche bieten Moleküle das verarbeitete Antigen dar, die dere Funktion üben natürliche Killerzellen (NK-Zellen) aus:
Immunologie

von einem bestimmten Genkomplex, dem Haupthistokompatibili- Sie sind in der Lage, virusinfizierte Zellen und Tumorzellen
tätskomplex (»major histocompatibility complex«, MHC), kodiert durch Kontakt abzutöten. Dies wird in 7 Kap. 15 besprochen.
werden (7 Kap. 11). Man spricht von Prozessierung und Präsenta- 4 Unter den humoralen Faktoren ist das Komplement an erster
tion des Antigens. Der T-Lymphozyt erkennt ein Peptid aus Stelle zu nennen (7 Kap. 9). Es lysiert Bakterien und neutrali-
8–20 Aminosäuren, das vom Fremdantigen stammt, also ausschließ- siert Viren. Hochwirksam sind auch die Interferone, welche
lich in Assoziation mit einem körpereigenen Molekül des Haupt- die intrazelluläre Virusvermehrung hemmen.
histokompatibilitätskomplexes.
Auf diese Weise können T-Lymphozyten infizierte Wirtszellen Am Ort der mikrobiellen Absiedlung kann es zusätzlich zu einer
erkennen. Bakterien, Protozoen oder Pilze, die im Inneren von Entzündungsreaktion kommen, in deren Verlauf weitere zelluläre
Wirtszellen überleben, sezernieren Antigene innerhalb der Zelle. und humorale Faktoren aktiviert werden. Die Entzündungsmecha-
Die Fremdantigene werden mithilfe der sog. Klasse-II-Moleküle des nismen werden bereits vor Beginn der erworbenen Immunantwort
Haupthistokompatibilitätskomplexes von antigenpräsentierenden ausgelöst. Später wird ihre Aktivität durch die Faktoren der spezifi-
Zellen dargeboten. Dies führt zur Stimulation von Helfer-T-Lym- schen Immunität verstärkt und reguliert.
phozyten. Diese produzieren lösliche Botenstoffe, die Zytokine, die
ihrerseits andere Zellen des Immunsystems aktivieren. Das Ergebnis
sind u. a. folgende Mechanismen: 5.7 Wechselwirkung zwischen erworbener
4 Makrophagenaktivierung und angeborener Immunität
4 Anlockung und Aktivierung von Granulozyten
4 Antikörperproduktion durch B-Lymphozyten Die Unterstützung und Verstärkung der angeborenen Immunität
4 Aktivierung zytolytischer T-Lymphozyten durch die erworbene Immunität ermöglicht die gezielte und kon-
trollierte Abwehr von Krankheitserregern. Umgekehrt steuert die
Die zytokinvermittelte Aktivierung mobilisiert die für die Abwehr angeborene die erworbene Immunität, indem sie den eingedrunge-
von Bakterien, Pilzen und Protozoen verantwortlichen Immunme- nen Erregertyp einordnet und die erworbene Immunantwort ent-
chanismen. Die zytokinproduzierenden Helfer-T-Lymphozyten tra- sprechend instruiert. Auf diese Weise wird die bestmögliche Abwehr
gen auf ihrer Oberfläche das CD4-Molekül als charakteristisches gegen einen bestimmten Erregertyp mobilisiert.
Erkennungsmerkmal. Die Zellen der angeborenen Immunität tasten eindringende Er-
Die sog. Klasse-I-Moleküle des Haupthistokompatibilitätskom- reger nach charakteristischen Mustern von Erregerbausteinen ab.
plexes präsentieren in erster Linie Antigene viralen Ursprungs, die Dadurch können sie bereits unterschiedliche Typen von Krankheits-
infizierte Wirtszellen während der Virusneubildung bilden. Charak- erregern unterscheiden. So lassen sich z. B. grampositive und gram-
teristischerweise tragen die aktivierten T-Lymphozyten das Oberflä- negative Bakterien, Tuberkuloseerreger, Pilze, Protozoen, Helminthen
chenmerkmal CD8. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Lyse infizierter (Rund- und Plattwürmer) sowie Viren mit Einzelstrang- (ssDNA)
Wirtszellen; es handelt sich daher um zytolytische T-Lymphozyten bzw. Doppelstrang-DNA (dsDNA) differenzieren. Das angeborene
(7 Kap. 12). Immunsystem baut danach nicht nur Abwehrmechanismen auf, son-
dern instruiert auch die erworbene Immunität über den Erregertyp.
5.6 Angeborene Resistenz Diese kann dadurch die geeignete Immunreaktion aufbauen:
4 zytolytische T-Lymphozyten zur Abwehr von Virusinfektionen
Die Widerstandsfähigkeit gegen Infektionen ist nicht ausschließlich 4 Helfer-T-Lymphozyten, die B-Lymphozyten aktivieren, für
an die erworbene, spezifische Immunität gebunden. Das Immunor- bestimmte bakterielle Erreger
gan verfügt über Teilsysteme, die dem Organismus ohne vorausge- 4 Helfer-T-Lymphozyten, die Makrophagen aktivieren, zur
hende Infektion antimikrobiellen Schutz bieten. Die dadurch be- Abwehr intrazellulärer Bakterien, Pilze und Protozoen
wirkte Widerstandsfähigkeit ist angeboren (nicht erworben) und 4 Helfer-T-Lymphozyten, die Neutrophile anlocken und akti-
unspezifisch, d. h. prinzipiell unabhängig von der Erregerspezies. vieren, zur Abwehr von Eitererregern
Sie dient als Basisabwehr. Die Zellen der angeborenen Immunität
erkennen Muster von Erregerbausteinen. Diese molekulare Muste- Diese und andere Immunmechanismen werden meist nicht isoliert
rerkennung führt zur Aktivierung der angeborenen Immunantwort aktiviert. Vielmehr wird ein Abwehrarsenal scharfgemacht, das von
während der frühen Phase der Infektion (7 Kap. 13). einem Immunmechanismus dominiert und von anderen unterstützt
Die angeborene Immunität stellt einen Teil der natürlichen wird. Die Immunantwort ist also ein hoch verzahntes System, bei
Resistenz dar. Zur natürlichen Resistenz gehören verschiedenartige dem unterschiedliche Bausteine der angeborenen und erworbenen
Schutz- und Abtötungsmechanismen. In diesem Sinne wirken z. B. Immunität in angepasster Zusammensetzung zusammenwirken.
die mit Flimmerepithelien ausgestatteten Schleimhäute des Respira- Dabei greift die erworbene Immunantwort auf Akteure der an-
tionstraktes oder die Darmperistaltik, die den laufenden Weiter- geborenen Immunität zurück:
transport des Darminhalts mit seinen unzähligen Mikroorganismen 4 Helfer-T-Zellen stimulieren Makrophagen und Granulozyten.
bewirkt. Diese Mechanismen haben mit dem Immunsystem direkt 4 Antikörper aktivieren das Komplementsystem oder stimu-
nichts zu tun. lieren Neutrophile, Eosinophile und Basophile.
Literatur zu Kap. 5–16
39 5

In Kürze
Immunologische Grundbegriffe
Das Immunsystem schützt den Organismus vor Krankheits-
erregern. Neben der natürlichen Resistenz, zu der auch die an-
geborene Immunität gehört, ist die erworbene Resistenz für
die Abwehr potenzieller Erreger entscheidend. Im Rahmen der
angeborenen/unspezifischen Immunität wirken Phagozyten,
natürliche Killerzellen und das Komplementsystem. Diese Ab-
wehr ist unspezifisch und erfolgt schon beim Erstkontakt mit
einem speziellen Erreger. Im Gegensatz dazu ist für die erworbe-
ne/spezifische Immunität zunächst ein Erstkontakt mit einem
Erreger nötig; es folgt die Induktionsphase: Das Immunsystem
bildet Effektoren in Form von Antikörpern und T-Zellen, die
dann beim nächsten Kontakt im Rahmen der Effektor- oder Ab-
wehrphase spezifisch gegen den Erreger bzw. dessen Antigene
vorgehen. Beide Formen der Immunität verstärken und unter-
stützen einander.

Literatur zu Kap. 5–16

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De Franco A, Locksley R, Robertsen M (2007) Immunity: The Immune
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41 6

Zellen des Immunsystems


S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Das Immunsystem besteht aus verschiedenen Zellpopulationen, die 4 Bei einer Mischung von baso- und azidophilen Molekülen
sich aus einer gemeinsamen Stammzelle entwickeln. Im Blut eines ergibt sich eine schwache Rosafärbung: neutrophile Granulo-
Säugers findet man die Vertreter sämtlicher Populationen in Gestalt zyten.
der weißen Blutkörperchen oder Leukozyten.
Neutrophile polymorphkernige Granulozyten (»Neutrophile«
oder PMN für »polymorphonuclear neutrophils«; . Abb. 6.2) bilden
6.1 Hämatopoese mit ca. 90% den Hauptanteil der Granulozyten. Sie vermögen die
verschiedenen Arten von Mikroorganismen zu phagozytieren und
Leukozyten entstehen aus omnipotenten Stammzellen, die beim abzutöten; man kann sie als die »Allroundzellen« der akuten Entzün-
Erwachsenen im Knochenmark angesiedelt sind. Man unterscheidet dung bezeichnen (7 Kap. 13 und 7 Kap. 14). Neutrophile Granulo-
2 Differenzierungswege: zyten besitzen 2 Typen von Granula:
4 Myeloide Entwicklung – Myelopoese: Auf diesem Weg ent- 4 Primäre (azurophile) Granula machen etwa 20% der Granula
stehen Granulozyten und Monozyten. Diese Zellen üben als aus. Sie enthalten u. a. verschiedene Hydrolasen, Lysozym,
Phagozyten wichtige Effektorfunktionen im Rahmen der Myeloperoxidase (ein Schlüsselenzym bei der Bildung reaktiver
angeborenen Immunität aus. Sauerstoffmetaboliten) und kationische Proteine.
4 Lymphoide Entwicklung – Lymphopoese: Hier entstehen die 4 Sekundäre Granula enthalten hauptsächlich Lysozym und
Träger der spezifischen Immunantwort, die T- und B-Lympho- Laktoferrin. Nach der Phagozytose befinden sich die Mikro-
zyten, die für die Antigenerkennung zuständig sind. organismen zunächst in den Phagosomen, die anschließend
mit den Granula (Lysosomen) verschmelzen. In den so entstan-
Aus der einheitlichen Stammzelle entwickeln sich auch die übrigen denen Phagolysosomen wirken dann die genannten Inhalts-
Blutzellen, die Erythrozyten und Thrombozyten; diese Zellen tragen stoffe der Granula auf die Mikroorganismen ein. Der Vorgang
nur wenig zur Immunantwort bei. Die Entwicklung der Erythrozy- der Bakterienabtötung und die Rolle der Inhaltsstoffe werden
ten und Thrombozyten ist Teil der Myelopoese, ihre gemeinsame in 7 Kap. 13 genauer beschrieben.
Stammzelle lässt sich experimentell nachweisen. Somit sind alle
Blutzellen Abkömmlinge einer gemeinsamen omnipotenten häma-
topoetischen Stammzelle. Die Hämatopoese ist schematisch in
. Abb. 6.1 dargestellt. Die weiteren Abbildungen (. Abb. 6.2 bis
. Abb. 6.10) zeigen die wichtigsten Zellen des Immunsystems.

6.2 Polymorphkernige Granulozyten


Die polymorphkernigen Granulozyten (polymorphkernige Leuko-
zyten, PML) sind kurzlebige Zellen (Lebensdauer etwa 2–3 Tage),
die 60–70% aller Leukozyten ausmachen. Granulozyten spielen bei
der akuten Entzündungsreaktion eine vielfältige Rolle. Diese Zellen
haben einen gelappten Kern und sind reich an Granula (. Abb. 6.2,
. Abb. 6.3, . Abb. 6.4), einer besonderen Ausprägung der Lysoso-
men. In ihnen findet man zahlreiche biologisch aktive Moleküle,
welche die Granulozytenfunktionen vermitteln.
Entsprechend der jeweiligen Aufgaben unterscheidet sich der
Granulainhalt von Zelltyp zu Zelltyp beträchtlich. Dies kann man
durch eine einfache Färbung nach Giemsa zeigen. Dabei wird ein
Blutausstrich mit einer Mischung aus Methylenblau und Eosin ge-
färbt:
4 Bei saurem Inhalt der Granula überwiegt die Reaktion mit dem
basischen Methylenblau (Blaufärbung): basophile Granulozyten. . Abb. 6.1 Schema der Hämatopoese. Über die Myelopoese entstehen
4 Bei basischem Inhalt überwiegt die Reaktion mit dem sauren Erythrozyten, Thrombozyten, Granulozyten, Mastzellen, mononukleäre
Eosin (Rotfärbung): azidophile bzw. (gebräuchlicher) eosino- Phagozyten und dendritische Zellen. Über die Lymphopoese entwickeln
phile Granulozyten. sich B- und T-Lymphozyten sowie NK-Zellen
42 Kapitel 6 · Zellen des Immunsystems

deren Hilfe lassen sich die Zellen jeweils in Subpopulationen unter-


teilen, die diese Antikörper binden, und solche, die sie nicht binden.
Die so dargestellten Zelloberflächenmoleküle werden auch als Mar-
ker oder Differenzierungsantigene bezeichnet. Differenzierungs-
antigene erfüllen im Idealfall folgende Bedingungen:
. Abb. 6.2 Neutrophiler . Abb. 6.3 Basophiler 4 Innerhalb der zu untersuchenden Zellmischung werden sie
polymorphkerniger Granulozyt polymorphkerniger Granulozyt von der fraglichen Subpopulation exklusiv exprimiert.
(»Neutrophiler«) (»Basophiler«) 4 Sie sind stabil und auf allen Zellen der fraglichen Subpopula-
Immunologie

tion vorhanden.

Die immunologisch unterscheidbaren Marker haben sich als äußerst


nützliche Merkmale erwiesen. Sie erlauben die Aufgliederung der
Zellen in Populationen und Subpopulationen, darüber hinaus er-
möglichen sie die Charakterisierung bestimmter Differenzierungs-
stadien innerhalb einer Zellpopulation.
. Abb. 6.4 Eosinophiler . Abb. 6.5 Lymphozyt Für die Bezeichnung definierter Leukozyten-Differenzierungs-
polymorphkerniger Granulozyt antigene hat sich das CD-System (»cluster of differentiation«) durch-
(»Eosinophiler«) gesetzt: Die einzelnen Antigene werden dabei fortlaufend numme-
riert. . Tab. 6.1 gibt eine Übersicht über die wesentlichen CD-Anti-
gene. Vielen von ihnen werden wir bei der Beschreibung der einzel-
Basophile polymorphkernige Granulozyten (»Basophile«; . Abb. nen Leukozytenklassen wiederbegegnen.
6.3) stellen weniger als 1% der Blutleukozyten. Sie zeigen eine ge- T-Lymphozyten sind die Träger der spezifischen zellulären Im-
ringe Phagozytoseaktivität. Bei Basophilen fallen besonders die munität (7 Kap. 12). Beim Menschen und dem wichtigsten Experi-
prall gefüllten Granula auf. Diese enthalten hauptsächlich Heparin, mentaltier der Immunologen, der Maus, stellt das CD3-Molekül den
Histamin und Leukotriene. Nach geeigneter Stimulation geben sie wichtigsten T-Zell-Marker dar; es wird auf allen peripheren T-Zellen
ihre Inhaltsstoffe nach außen ab; auf diese Weise lösen sie die typi- exprimiert.
schen Reaktionen der Sofortallergie aus (7 Kap. 14). Diese Aus- B-Lymphozyten sind die Träger der spezifischen humoralen
schüttung geht mit einer mikroskopisch nachweisbaren Degranula- Immunität (7 Kap. 8). Sie tragen auf ihrer Oberfläche Antikörper-
tion einher. Die Reaktion wird durch Antikörper der IgE-Klasse moleküle, die sog. Immunglobuline (Ig). Nach Stimulation durch das
initiiert, die sich über entsprechende Rezeptoren an die Basophilen Antigen differenzieren sich B-Lymphozyten zu Plasmazellen und
heften (7 Kap. 8). sezernieren dann Antikörper in das umgebende Milieu (. Abb. 6.6).
Eosinophile polymorphkernige Granulozyten (»Eosinophile«; Die zellständigen Immunglobuline sind ein wertvolles Differenzie-
. Abb. 6.4) stellen bei Gesunden etwa 3% der Granulozyten. Obwohl rungsantigen für B-Zellen; sie werden auf allen B-Zellen exklusiv
sie phagozytieren können, neigen sie eher dazu, ihren Granulainhalt und stabil exprimiert.
an das umgebende Milieu abzugeben (Degranulation). Die Rolle der Natürliche Killerzellen oder NK-Zellen bilden neben den T- und
Eosinophilen ist nicht völlig geklärt; sie spielen bei der Abwehr von B-Zellen die 3. Lymphozytenpopulation (. Abb. 6.7). Sie sind größer
Infektionen mit pathogenen Würmern eine wichtige Rolle. Zusätz- als B- und T-Lymphozyten und besitzen zahlreiche Granula sowie
lich sind sie an der Sofortallergie beteiligt. einen bohnenförmigen Kern. Obwohl sie eine lymphoide Entwick-
Mastzellen sind hauptsächlich in der Mukosa zu finden. Die lung durchmachen, fehlen ihnen die klassischen Marker der T- und
Beziehung zwischen Mastzellen und Basophilen ist nicht völlig ge- B-Lymphozyten. NK-Zellen tragen aber einige T-Zell-Differenzie-
klärt. Mastzellen haben ähnliche Funktion wie Basophile (7 Kap. 14). rungsantigene und werden durch die Oberflächenmoleküle CD16
und CD56 charakterisiert.
NK-Zellen produzieren lösliche Botenstoffe, die besonders Zel-
6.3 Lymphozyten len des mononukleär-phagozytären Systems aktivieren. Eine weitere
Funktion dieser Zellen ist die Abtötung maligner bzw. virusinfizier-
Im Körper eines Erwachsenen befinden sich rund 1012 Lymphozyten ter Zellen des eigenen Organismus. Diese Aktion kann über 2 Erken-
(. Abb. 6.5); täglich werden etwa 109 Lymphozyten (ca. 1‰) neu nungsmechanismen eingeleitet werden:
gebildet. Die Vertreter der beiden Lymphozytenlinien werden 4 NK-Zellen besitzen Rezeptoren, mit deren Hilfe sie Tumorzel-
T-Zellen und B-Zellen genannt. Die Initialen T und B leiten sich von len und virusinfizierte Zellen erkennen.
den primären Organen Thymus und Bursa Fabricii ab, in denen die 4 Sie besitzen Rezeptoren zur Erkennung von Antikörpern der
Differenzierung in reife T- bzw. B-Zellen stattfindet. (Die Bursa Fa- IgG-Klasse, sog. Fc-Rezeptoren (7 Kap. 8 und 7 Kap. 12). Auf
bricii, in der die B-Zell-Differenzierung erstmals entdeckt wurde, diese Weise können sie mit Zellen reagieren, die durch Anti-
existiert allerdings nur bei Vögeln; beim Menschen erfüllen die fetale körper markiert sind, ohne die Zellantigene direkt zu erken-
Leber und das Knochenmark [»bone marrow«] ihre Aufgaben.) nen. Dieser Vorgang wird als antikörperabhängige zellver-
T- und B-Lymphozyten vermögen Antigene spezifisch zu erken- mittelte Zytotoxizität bezeichnet (»antibody dependent cellu-
nen. Die Art der Antigenerkennung und die daraus resultierenden lar cytotoxicity«, ADCC).
Funktionen sind jedoch völlig verschiedenartig. Im ruhenden Zu- 4 Nach neueren Erkenntnissen gehören die NK-Zellen zur größe-
stand zeigen beide Zellpopulationen die gleiche Morphologie: Sie ren Gruppe der angeborenen lymphoiden Zellen (»innate lym-
besitzen einen runden Kern, der von einem dünnen agranulären phoid cells«, ILC), die zwar keinen Rezeptor zur Antigenerken-
Plasmasaum umgeben ist. T- und B-Zellen tragen aber in der Zell- nung besitzen, sich aber lymphoid entwickeln und zahlreiche
membran jeweils charakteristische Moleküle. Diese wirken auch als Lymphozytenmarker tragen. Diese Zellen produzieren lösliche
Antigene: Man kann gegen sie spezifische Antikörper herstellen. Mit Botenstoffe, welche die Immunantwort beeinflussen (7 Kap. 12).
6.4 · Zellen des mononukleär-phagozytären Systems
43 6

. Abb. 6.6 Plasmazelle . Abb. 6.7 Natürliche Killer- . Abb. 6.8 Blutmonozyt . Abb. 6.9 Makrophage (Fresszelle)
zelle oder NK-Zelle

Die Granula der NK-Zellen enthalten zahlreiche Moleküle, die für zyten haben einen bohnenförmigen Kern, einen gut ausge-
die Lyse der Zielzellen verantwortlich sind (7 Kap. 12). bildeten  Golgi-Apparat und zahlreiche Lysosomen mit reicher
Enzymausstattung (. Abb. 6.8). Obwohl sich die Makrophagen
der verschiedenen Organe morphologisch unterscheiden, glei-
6.4 Zellen des mononukleär-phagozytären chen  sie sich in funktioneller Hinsicht (. Abb. 6.9): Alle sind in
Systems der Lage, Partikel zu phagozytieren und zu verdauen. Auf diese
Weise erfüllen Makrophagen 2 bedeutende Aufgaben der Immun-
Die Zellen des mononukleär-phagozytären Systems sind im antwort:
ganzen Körper verteilt, in Leber, lymphatischen Organen, Binde- 4 Aufnahme, Verarbeitung (Prozessierung) und Präsentation
gewebe, Nervensystem, den serösen Höhlen etc. Diese Gewebe- von Proteinantigenen
makrophagen oder Histiozyten entwickeln sich aus Blutmono- 4 Phagozytose, Abtötung und Verdauung biologischer Fremd-
zyten, die in das entsprechende Gewebe einwandern. Blutmono- partikel, z. B. von Bakterien (7 Kap. 13 und 7 Kap. 15)

. Tab. 6.1 Wichtige CD-Antigene

Name Synonym(e) Charakteristisches Merkmal

CD1 T6, Leu6 gemeinsames Antigen auf Thymozyten, Präsentation von Lipidantigenen für T-Zellen
CD2 T11, Leu5, LFA-2 Zellinteraktionsmolekül
CD3 T3, Leu4 gemeinsames Antigen auf peripheren T-Zellen
CD4 T4, Leu3 (Maus: L3T4) für Helfer-T-Zellen charakteristisches Antigen, bindet an MHC-Klasse-II-Moleküle auf
antigenpräsentierenden Zellen
CD8 T8, Leu2 (Maus: Lyt2) für zytolytische T-Zellen charakteristisches Antigen, bindet an MHC-I-Moleküle auf antigen-
präsentierenden Zellen
CD11a α-Kette des LFA-1 Teil eines Zellinteraktionsmoleküls auf zytolytischen T-Zellen und NK-Zellen
CD11b α-Kette des CR3, Mac1, Mol1 Teil des Rezeptors für C3b-Abbauprodukte auf Neutrophilen und mononukleären Phagozyten

CD14 mustererkennender Rezeptor auf Makrophagen, erkennt LPS gramnegativer Bakterien


CD16 Leu11, Fc-γ-RIII Fc-Rezeptor für IgG1 und IgG3 auf Neutrophilen, Makrophagen und NK-Zellen
CD18 β-Kette des LFA-1, CR3, p150, 95 siehe CD11a, CD11b und CD11c
CD21 CR2 Rezeptor auf B-Zellen für C3b-Abbauprodukte
CD23 Fc-ε-RII Fc-Rezeptor für IgE auf Mastzellen und Basophilen
CD25 Tac α-Kette des Rezeptors für IL-2, charakteristischer Marker für regulatorische T-Zellen
CD28 kostimulatorisches Molekül auf T-Zellen, Ligand für B7 (CD80, CD86), stimulierend
CD32 Fc-γ-RII Fc-Rezeptor für IgG1, IgG2a, IgG2b auf Neutrophilen und Monozyten
CD35 CR1 Rezeptor für C3b und C4b auf mononukleären Phagozyten, Neutrophilen und B-Zellen
CD40 kostimulatorisches Molekül für T-Zellen auf antigenpräsentierenden Zellen (B-Zellen,
Makrophagen, dendritische Zellen)

CD45 T200, Leu18 gemeinsames Antigen auf Leukozyten


CD80 B7.1 kostimulatorisches Molekül für T-Zellen auf B-Zellen
CD86 B7.2 kostimulatorisches Molekül für T-Zellen auf Makrophagen, dendritischen Zellen und B-Zellen
CD95 Fas, APO-1 vermittelt apoptotisches »Todessignal«
CD152 CTLA-4 kostimulatorisches Molekül auf T-Zellen, Ligand für B7 (CD80, CD86), inhibitorisch
CD154 CD40L Ligand für CD40 auf T-Zellen
CD274 PDL-1, B7-H1 Ligand für PD-1 (CD279)
CD279 PD-1 kostimulatorisches Molekül auf T-Zellen, inhibitorisch
44 Kapitel 6 · Zellen des Immunsystems

Literatur

Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.

. Abb. 6.10 Dendritische Zelle


Immunologie

6.5 Antigenpräsentierende Zellen

Die Fähigkeit zur Antigenpräsentation ist kein Monopol der Makro-


phagen. Die Langerhans-Zellen der Haut und die dendritischen
Zellen der Lymphorgane sind ebenfalls präsentationstüchtig. Wir
unterscheiden plasmazytoide und myeloide dendritische Zellen
(. Abb. 6.10). Beide Populationen stammen von myeloiden Vorläu-
ferzellen ab. Dendritische Zellen sind die mit Abstand wirkungsvolls-
ten antigenpräsentierenden Zellen (APC). Sie nehmen daher eine
zentrale Stellung bei der antigenspezifischen T-Zell-Stimulation ein.
Auch z. B. B-Lymphozyten und Endothelzellen vermögen Anti-
gene zu präsentieren. Alle Zellen dieses Funktionstyps werden unter
dem Begriff antigenpräsentierende Zellen zusammengefasst
7 Kap. 13. Die Antigenpräsentation stellt den 1. Schritt bei der spezi-
fischen Stimulation von Helfer-T-Zellen dar. Die zentrale Regulator-
funktion dieser T-Zellen wird in 7 Kap. 12 ausführlich beschrieben.

In Kürze
Zellen des Immunsystems
Hämatopoese Entwicklung der Blutzellen im Knochenmark aus
einer gemeinsamen hämatopoetischen Stammzelle.
Myeloide Entwicklung Granulozyten, mononukleäre Phago-
zyten, dendritische Zellen, daneben auch Erythro- und Thrombo-
zyten.
Lymphoide Entwicklung T- und B-Zellen, NK-Zellen.
Polymorphkernige Granulozyten 60–70% aller Blutleukozyten;
granulareich und mit gelapptem Kern. Aufgrund ihres Färbever-
haltens unterscheidet man neutrophile, basophile und eosino-
phile Granulozyten.
Neutrophile > 90% aller Granulozyten, professionelle Phago-
zyten bei der akuten Entzündung.
Basophile < 1% aller Granulozyten, beteiligt an sofortallergi-
schen Reaktionen und an der Abwehr von Helminthen (Rund-
und Plattwürmern).
Eosinophile 3% der Granulozyten, beteiligt an der Helminthen-
abwehr und an sofortallergischen Reaktionen.
Mononukleäre Phagozyten Blutmonozyten, Exsudat- und
Gewebemakrophagen (Histiozyten). Wichtige Fähigkeiten:
Phagozytose, Abtötung und Verdauung von Krankheitserregern
sowie Aufnahme, Verarbeitung und Präsentation von Antigenen
für T-Zellen.
Dendritische Zellen Potente antigenpräsentierende Zellen mit
myeloidem Ursprung.
Lymphozyten Vermittler der spezifischen Immunität: B-Zellen
für humorale, T-Zellen für zelluläre Immunität. Außerdem gibt es
natürliche Killerzellen, die direkt oder durch Vermittlung von
Antikörpern Tumorzellen abtöten.
45 7

Organe des Immunsystems


S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Zellen des Immunsystems werden in den primären Immunorganen 7.2 Bursa Fabricii und Bursaäquivalent
gebildet und halten sich bevorzugt in den sekundären Immunorganen
auf. Immunzellen erreichen über die Blut- und Lymphgefäße fast alle Die Bursa Fabricii ist ein primär-lymphatisches Organ; bei Vögeln
Körperteile und gelangen von dort zurück zu den Immunorganen. Als erfolgt hier die B-Zell-Differenzierung. Säugern fehlt das Organ. Bei
primäre Organe betrachtet man das Knochenmark und den Thymus, ihnen läuft die B-Zell-Differenzierung in weit verstreuten Bereichen
als sekundäre Organe gelten Milz, Lymphknoten und diffuses Lymph- ab, die man zusammenfassend als Bursaäquivalent bezeichnet. Hier-
gewebe. zu gehören beim Fetus die Leber und beim Erwachsenen das Kno-
chenmark; in beiden Organen findet zudem auch die Hämatopoese
statt (7 Kap. 6).
Im Knochenmark entstehen aus einer pluripotenten Stammzelle die
unterschiedlichen Vorläuferzellen (. Abb. 6.1). Die Differenzierung
und Reifung der Lymphozyten erfolgt antigenunabhängig: Die 7.3 Lymphknoten
T-Lymphozyten reifen im Thymus und die B-Lymphozyten in der
Bursa Fabricii bzw. deren Äquivalent. In den sekundär-lympha- Menschliche Lymphknoten haben meist die Form und Größe einer
tischen Organen (. Abb. 7.1) kommt es zum Kontakt zwischen Bohne. Sie finden sich, in Gruppen angeordnet, an ganz verschiede-
Antigen und Lymphozyten und damit zur antigenspezifischen nen Stellen des Körpers. Ein Lymphknoten ist für die Drainage eines
Lymphozytenstimulation und -differenzierung. bestimmten Körperbereichs zuständig; er stellt den Ort dar, an dem
die spezifische Immunantwort gegen diejenigen Antigene ausgelöst
wird, die in den jeweils drainierten Körperbereich eingedrungen
7.1 Thymus sind.
Der Lymphknoten ist von einer Kapsel umgeben, von der aus wie
Der Thymus ist ein primär-lymphatisches Organ; in ihm differen- im Thymus Trabekel radiär ins Innere ziehen (. Abb. 7.3). Eine große
zieren sich die T-Lymphozyten. Er wird von einer Bindegewebe- Zahl afferenter Lymphgefäße mündet in den Knoten ein. Mit der
kapsel umgeben, aus der zahlreiche Trabekel ins Innere ziehen; zufließenden Lymphe wird das Antigen aus der Umgebung in den
dadurch wird das Organ in Lobuli oder Follikel unterteilt. Inner-
halb der einzelnen Lobuli sind Kortex und Medulla unterscheidbar
(. Abb. 7.2):
4 Im Kortex liegen dicht gepackt unreife Thymozyten, die sich
lebhaft teilen.
4 Die Thymozyten der Medulla sind zum größten Teil ausdiffe-
renziert und funktionstüchtig.

Der Begriff Thymozyten umfasst alle im Thymus vorhandenen Ent-


wicklungsstufen der T-Lymphozyten vom Vorläufer bis zur reifen
T-Zelle. Die T-Lymphozyten-Vorläufer wandern vom Knochenmark
über das Blut in die kortikalen Thymusbereiche und von dort in die
Medulla. Im Thymus vermehren und differenzieren sie sich. Der
Großteil (ca. 90%) der Zellen stirbt ab; der Rest verlässt den Thymus
als reife, immunkompetente T-Lymphozyten: Diese sind in der Lage,
jeweils ein spezifisches Antigen zu erkennen.
Das Thymusgewebe wird von einem mehr oder weniger dichten
Netz aus Epithelzellen durchzogen, in das die Thymozyten eingebet-
tet sind. Dem Epithelnetz liegen dendritische Zellen auf, die von
Knochenmarkvorläuferzellen abstammen. Epithelzellen und den-
dritische Zellen exprimieren in großen Mengen die Antigene des
Haupthistokompatibilitätskomplexes (7 Kap. 11). Die Einwirkung
dieser Expressionsprodukte auf die Thymozyten stellt den entschei-
denden Schritt bei der Ausformung des T-Zell-Erkennungsreper-
toires dar. Als Antigenrepertoire bezeichnet man die Gesamtheit
aller durch Lymphozyten erkennbaren Strukturen. . Abb. 7.1 Übersicht über die Organe des Immunsystems
46 Kapitel 7 · Organe des Immunsystems
Immunologie

. Abb. 7.2 Thymus: Lage und Ausschnitt dreier auch makroskopisch sichtbarer Lobuli mit den unterschiedlichen Zelltypen in Thymuskortex und -medulla

Lymphknoten transportiert. Obwohl es passiv in den Lymphknoten 4 Die Rinde (Kortex) des Lymphknotens, in der die Follikel do-
gelangen kann, wird es meist von dendritischen Zellen im Gewebe minieren, wird als thymusunabhängig bezeichnet.
aufgenommen und von diesen aktiv in den Lymphknoten »ver- 4 Die Übergangszone zwischen Kortex und Medulla, der Para-
schleppt«. Im Hilus findet man das efferente Lymphgefäß und die kortex, in der das interfollikuläre Gewebe vorherrscht, wird als
versorgenden Blutgefäße. Ein Lymphknoten besteht aus einem Netz thymusabhängig angesehen.
von Retikulumzellen, in das zahlreiche Lymphozyten eingebettet sind.
Die B-Lymphozyten finden sich in den kortikalen Primärfolli- Bei der Wanderung der Lymphozyten vom Blut in die Lymphe
keln. Nach einem Antigenreiz entwickeln sich daraus Sekundärfol- (7 Abschn. 7.6) sind die Lymphknoten der entscheidende Übergang:
likel. Im Sekundärfollikel bildet sich ein Keimzentrum aus, das bis Das Blut gelangt über die Arterie in den Lymphknoten und dort in
hin zum Parakortex, der Übergangszone zur Medulla, reichen kann. die Blutkapillaren, die in die postkapillären Venolen münden; diese
Hier differenzieren sich antigenstimulierte B-Zellen zu antikörper- sind von kubischen Endothelzellen ausgekleidet. Endothelzellen und
produzierenden Plasmazellen. Die Lymphozyten des retikulären T-Lymphozyten besitzen jeweils komplementäre Oberflächenmole-
Gewebes befinden sich zum großen Teil auf der Wanderung durch küle, über welche die beiden Zelltypen miteinander interagieren.
den Lymphknoten; es sind hauptsächlich T-Zellen. Hieraus ergeben Nach dieser Interaktion durchwandern die Lymphozyten das Endo-
sich folgende Begriffsbestimmungen: thel, gelangen in das interfollikuläre Gewebe und schließlich in die
efferente Lymphe (. Abb. 7.4).
Über die efferenten lymphatischen Gefäße gelangen die Leuko-
zyten aus dem Gewebe in den Lymphknoten. Dies sind insbesondere
Lymphozyten, dendritische Zellen und Monozyten.
Ein Antigen, das erstmals in einen Lymphknoten gelangt, wird
von dendritischen Zellen in der tiefen Rinde abgefangen, sodann
verdaut und verarbeitet; schließlich wird es den Lymphozyten in
geeigneter Form präsentiert. Meist wird das Antigen bereits am Ort
seiner Ablagerung im Körper von dendritischen Zellen aufgenom-
men und von diesen in den drainierenden Lymphknoten transpor-
tiert. Damit ist der Anstoß zur Immunreaktion gegeben. Als deren
Resultat entstehen Antikörper und T-Zellen, die für das induzieren-
de Antigen spezifisch sind. Bestimmte Botenstoffe, sog. Chemokine,
steuern die gerichtete Wanderung von dendritischen Zellen und
Lymphozyten zwischen Gewebe und Lymphknoten (7 Kap. 12,
7 Kap. 13).

7.4 Diffuses lymphatisches Gewebe

An jenen Stellen des Körpers, die dem Angriff von Mikroorganis-


men besonders ausgesetzt sind, findet man Anhäufungen geringgra-
dig organisierten Lymphgewebes, z. B. im Gastrointestinaltrakt.
Dazu zählen (. Abb. 7.1):
4 Tonsillen (Mandeln) im Rachenbereich
4 Appendix (A. vermiformis; Wurmfortsatz des Blinddarmes)
4 Peyer-Plaques im Dünndarm
. Abb. 7.3 Lymphknoten
7.6 · Lymphozytenrezirkulation
47 7

. Abb. 7.4 Leukozytenwanderung aus dem Blut durch das kubische Endothel ins Gewebe

Hier liegen Follikel mit plasmazellreichem Keimzentrum, in denen postkapillären Venolen (»high endothelial venules«) treten sie aus
insbesondere Antikörper der Klasse IgA produziert werden. Diese dem Blutstrom aus und gelangen erneut in die Lymphe. Dieser Über-
Effektoren sind Träger der lokalen Infektabwehr. gang findet in erster Linie in den Lymphknoten statt.
Die Zahl der T-Lymphozyten, die abseits der Lymphknoten aus
den Blutkapillaren in andere Gewebe einwandern, ist normalerweise
7.5 Milz

Die Milz hat die Aufgabe, Antigene aus dem Blutkreislauf abzu-
fangen. Das Organ wird von einer Kapsel umgeben, von der aus
Trabekel ins Innere ziehen. Man unterteilt das Milzgewebe in
(. Abb. 7.5):
4 Rote Pulpa: Namensgebend sind die hier dominierenden Ery-
throzyten.
4 Weiße Pulpa: Sie macht etwa 20% des Milzgewebes aus und
ist um die Arteriolen herum lokalisiert. In ihr überwiegen die
namensgebenden Leukozyten: Neben Lymphozyten findet man
hier die für die Antigenverarbeitung und -präsentation not-
wendigen Makrophagen und dendritischen Zellen. Histolo-
gisch sind unterscheidbar:
5 Periarterielle Lymphozytenscheiden (PALS) sind Ansamm-
lungen von T-Lymphozyten um verzweigte Arteriolen.
5 Die an PALS angrenzenden Follikel sind reich an B-Lym-
phozyten; je nach Stimulationszustand lassen sich unter-
scheiden:
– unstimulierte Primärfollikel ohne Keimzentrum
– antigenstimulierte Sekundärfollikel mit deutlichem
Keimzentrum
5 Follikel und PALS sind von einer Marginalzone umgeben.

7.6 Lymphozytenrezirkulation

Reife T-Lymphozyten befinden sich auf einer kontinuierlichen Wan-


derung (Rezirkulation) zwischen den sekundär-lymphatischen Or-
ganen (vgl. . Abb. 7.1). Die T-Lymphozyten-Rezirkulation bietet
dem Immunsystem die Möglichkeit, die Antigene eingedrungener
Krankheitserreger mit dem Großteil des reifen Lymphozytenpools
in Berührung zu bringen und die Lymphozyten die Antigene »mus-
tern« zu lassen.
Die Gewebelymphozyten erreichen über die afferenten Lymph-
gefäße die drainierenden Lymphknoten (vgl. . Abb. 7.3); sie verlas-
sen diese sodann über die efferenten Lymphgefäße und erreichen via
Ductus thoracicus (Lymphsammelstamm) und linken Venenwinkel
die Blutbahn (. Abb. 7.6). Durch das spezialisierte Endothel der . Abb. 7.5 Milz
48 Kapitel 7 · Organe des Immunsystems

In Kürze
Organe des Immunsystems
Primäre Organe Knochenmark, Thymus, Bursaäquivalent; hier
reifen Lymphozyten antigenunabhängig heran.
Sekundäre Organe Milz, Lymphknoten, diffuses Lymphgewe-
be; hier kommt es zum Antigenkontakt und zur antigenspezifi-
schen Lymphozytenaktivierung und -differenzierung.
Immunologie

Thymus Ort der T-Zell-Reifung und Ausprägung des Antigenre-


pertoires der T-Zellen: Ausbildung der T-Zellen mit Spezifität für
fremde Antigene und Ausschaltung von T-Zellen mit Spezifität
für körpereigene Antigene.
Bursaäquivalent Knochenmark, fetale Leber; Ort der B-Zell-
Differenzierung und Ausprägung des Antigenrepertoires der
B-Zellen.
Lymphknoten Für die Drainage eines bestimmten Körperbe-
zirks zuständig; antigenspezifische B-Zell-Reifung in kortikalen
Follikeln mit Keimzentrum (thymusunabhängig); T-Zellen im in-
terfollikulären Gewebe der tieferen Rinde (thymusabhängig).
Diffuses Lymphgewebe Tonsillen, Appendix, Peyer-Plaques;
gering organisierte Follikel mit Plasmazellen, die vornehmlich
IgA sezernieren.
Milz Rote Pulpa zur Blutfilterung mit überwiegend Erythro-
zyten; weiße Pulpa mit überwiegend Leukozyten. B-Zellen
dominieren in Follikeln mit Keimzentren, T-Zellen in den peri-
arteriellen Lymphozytenscheiden.
Lymphozytenrezirkulation ermöglicht das Mustern des Gewe-
bes auf abgelagertes Fremdantigen; Lymphozyten wandern
vom Gewebe über afferente Lymphgefäße in die Lymphknoten,
von dort über efferente Lymphgefäße und Ductus thoracicus in
die Blutbahn und über postkapilläre Venolen zurück ins Gewebe.

. Abb. 7.6 Lymphozytenrezirkulation


Literatur

klein. Dies ändert sich bei bestimmten Entzündungsreaktionen, z. B. Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.
bei der Absiedlung intrazellulärer Bakterien oder bei einer verzöger-
ten allergischen Reaktion; in diesen Fällen verlässt eine große Zahl
von Lymphozyten den Blutkreislauf und wandert in das befallene
Gewebe ein. Diese gerichtete Wanderung wird durch Chemokine
gesteuert. So entstehen bei chronischen Entzündungen Granulome,
die in mehrfacher Hinsicht lymphatischen Organen ähneln.
Die Anwesenheit von Antigen im Lymphknoten oder in der Milz
eines bereits immunisierten Individuums verzögert die Durchwan-
derung: Die Lymphozyten verweilen jetzt länger im lymphatischen
Organ als sonst. Dies wird als Trapping (Abfangen) bezeichnet.
Trapping ermöglicht die Ausbildung einer effektiven Immunantwort
gegen das eingedrungene Antigen und vergrößert das betroffene
Organ meistens.
49 8

Antikörper und ihre Antigene


S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Antikörper oder Immunglobuline sind die Vermittler der erworbenen 8.1.1 Aufbau der Immunglobuline –
humoralen Immunantwort. Sie werden von Plasmazellen gebildet, die IgG-Grundmodell
sich aus B-Lymphozyten entwickeln. Eine Plasmazelle produziert Anti-
körper einer Spezifität und einer Klasse. Gedächtnis-B-Zellen bauen Wir unterscheiden 5 Antikörperklassen: IgG, IgM, IgA, IgD und IgE
nach Zweitkontakt mit dem Antigen eine stärkere Immunantwort auf. (. Tab. 8.1). Der Aufbau der Antikörper aller Klassen lässt sich aus
dem Ig-Grundmodell ableiten, das die Form eines Ypsilons hat: Es
besteht aus:
8.1 Antikörper 4 2 leichten Ketten: L-Ketten von »light«, Molekularmasse
25.000 Dalton
Serumproteine werden durch Fällung mit neutralen Salzen (z. B. 4 2 schweren Ketten: H-Ketten, von »heavy«, Molekularmasse
Ammoniumsulfat) in eine lösliche und eine unlösliche Fraktion auf- je nach Ig-Klasse 50.000–70.000 Dalton
getrennt:
4 Das lösliche Material stellt die Albuminfraktion dar. In jedem Ig-Molekül sind die beiden leichten und die beiden schwe-
4 Das unlösliche Material bildet die Globulinfraktion; sie enthält ren Ketten jeweils identisch (. Abb. 8.1). Sie werden durch kovalen-
u. a. die Antikörper, die etwa 20% der gesamten Plasmaprotei- te Bindungen in Gestalt von Disulfidbrücken und durch nichtkova-
ne ausmachen. lente Kräfte zusammengehalten.
Es gibt 2 verschiedene Ausprägungen der leichten Ketten. Sie wer-
Um die Antikörper von den anderen Proteinen der Globulinfraktion den κ und λ genannt. Alle Antikörpermoleküle enthalten unabhängig
sprachlich abzugrenzen, benutzt man den Ausdruck Immunglobu- von ihrer Klassenzugehörigkeit entweder L-Ketten vom κ- oder
line (Ig). λ-Typ. So enthält z. B. ein Ig-Molekül entweder 2 κ- oder 2 λ-Ketten.

. Abb. 8.1 Antikörper: Grundstruktur und Domänen


50 Kapitel 8 · Antikörper und ihre Antigene

Die schweren Ketten treten in 5 Formen auf; die Symbole sind γ, 4 Die aminoterminalen 110 Aminosäuren zeigen bei Anti-
μ, α, ε und δ. Die H-Ketten-Charakteristik bestimmt die Ig-Klasse. körpern verschiedener Spezifität eine hohe Variabilität. Dieser
IgG hat das H-Kettenmerkmal γ, IgM das Merkmal μ, für IgA gilt Bereich wird deshalb als variable Region der leichten Kette
sinngemäß α, für IgE ε, für IgD δ. In jeder Ig-Klasse kommt also nur bezeichnet, kurz VL bzw. Vκ und Vλ.
ein einziger H-Kettentyp vor. In diesem Sinne enthält IgG stets 4 Dagegen sind die karboxyterminalen 107 Aminosäuren bis auf
γ-Ketten, IgM μ-Ketten, IgA α-Ketten, IgE ε-Ketten und IgD δ-Ketten. geringe Unterschiede gleich; sie bilden die konstante Region,
Da die schweren Ketten der Subklassen von IgG und IgA sich kurz CL bzw. Cκ und Cλ.
nochmals voneinander unterscheiden, werden sie beim Menschen
Immunologie

als γ1, γ2, γ3 und γ4 sowie α1 und α2 bezeichnet. Die Grundstruktur Die variable und konstante Region der leichten Kette bestehen damit
der einzelnen Ig-Klassen lässt sich leicht in einer Kurzbezeichnung aus jeweils einer Domäne. Betrachtet man den Fc-Abschnitt des An-
ausdrücken. Beim IgG1 lautet die entsprechende Formel γ1κ oder tikörpermoleküls als dessen Zentrum, so liegt die konstante Region
γ1λ; beim IgM μκ oder μλ. der L-Kette zentralwärts und die variable Region peripherwärts
(. Abb. 8.1).

8.1.2 Antikörperfragmente nach Domänen der schweren Ketten


enzymatischem Abbau Die schweren Ketten unterscheiden sich voneinander stärker als die
leichten Ketten; sie sind nicht nur für die Unterschiede zwischen den
Zur Aufklärung der Antikörperstruktur haben Abbaustudien mit den einzelnen Antikörperspezifitäten, sondern auch für die Zugehörig-
Enzymen Papain und Pepsin entscheidend beigetragen (. Abb. 8.1): keit zu den Ig-Klassen verantwortlich. Der allgemeine Bauplan gilt
Papain spaltet das IgG-Molekül unter geeigneten Bedingungen jedoch für alle schweren Ketten:
in 3 Fragmente, 2 von ihnen sind identisch und binden beide Anti- Eine schwere Kette ist aus ca. 440 oder 550 Aminosäuren aufge-
gene. baut. Die variable Region (VH) am aminoterminalen Ende besteht
4 Das 3. Fragment ist zur Antigenbindung unfähig. Bei Anti- auch hier aus einer Domäne von 110 Aminosäuren, während die
körpern ein- und derselben Klasse ist es homogen und kristal- konstante Region (CH) in 3 bzw. 4 Domänen von jeweils ca. 110 Ami-
lisiert leicht aus. Es wird deshalb als Fc abgekürzt (»fragment nosäuren gegliedert ist. Die Domänen im konstanten Teil der schwe-
crystallizable«). Das Fc-Stück vermittelt beim intakten Anti- ren Ketten werden mit CH1, CH2, CH3 bezeichnet. Dies gilt für die
körper diverse biologische Funktionen; diese sind bei allen An- Ketten des Typs γ, α und δ. Bei den Ketten des Typs μ und ε kommt
tikörpern einer Klasse, unabhängig von der Antigenspezifität, noch eine 4. Domäne CH4 hinzu.
vorhanden: Je 2 leichte Ketten ein- und desselben Typs (also κ oder λ) sind
5 Das Fc-Stück des IgG oder des IgM aktiviert z. B. das Kom- mit 2 schweren Ketten ein- und desselben Typs (also γ, μ, α, ε oder δ)
plementsystem. über Disulfidbrücken so verbunden, dass sich die homologen Do-
5 Das Fc-Stück des IgE vermittelt die Bindung dieser Antikör- mänen der leichten und der schweren Ketten gegenüberliegen.
per an Mastzellen. VL liegt also vis-à-vis von VH und CL vis-à-vis von CH1. Bei den
4 Im Unterschied zum Fc-Stück sind die antigenbindenden Frag- Klassen IgG, IgD, IgE und IgA ist das so beschriebene (aus 4 Ketten
mente bei Antikörpern unterschiedlicher Spezifität heterogen: bestehende) Molekül mit dem Antikörper identisch, bei den Poly-
Sie werden mit Fab (»fragment antigen binding«) abgekürzt. meren IgM und dem sekretorischen IgA stellt es eine Untereinheit
Das Fab-Fragment ist somit für die Antigenspezifität eines dar (. Abb. 8.1).
Antikörpers verantwortlich. Zwischen CH1- und CH2-Domäne liegen etwa 15 Aminosäuren.
Hier befinden sich diejenigen Disulfidbrücken, welche die beiden
Durch Behandlung mit Pepsin wird das IgG-Molekül anders gespal- schweren Ketten miteinander verbinden, sowie die Angriffspunkte
ten (. Abb. 8.1): für die Enzyme Papain und Pepsin. Dieses Gebiet zeigt keine
4 Das antigenbindende Fragment ist schwerer und enthält noch Sequenzhomologie mit den Domänen und ist für jede Ig-Klasse
Disulfidbrücken; es besitzt 2 Antigenbindungsstellen und wird charakteristisch. Der Antikörper gewinnt durch diesen Sequenz-
als F(ab’)2 bezeichnet. abschnitt eine große Flexibilität und kann dadurch unterschiedlich
4 Der Fc-Abschnitt des Antikörpermoleküls zerfällt bei dieser weit entfernte Epitope gleichzeitig binden. Er wird deshalb als
Behandlung in mehrere Bruchstücke. Gelenk- oder Scharnier-Region (»hinge region«) bezeichnet.
Die Domänen der schweren Ketten tragen unterschiedlich viele
Kohlenhydratreste. Die Kohlenhydratbindungsstellen sind bei den
8.1.3 Antikörperdomänen einzelnen Klassen und Subklassen unterschiedlich lokalisiert. Beim
humanen IgG, bei dem der Kohlenhydratanteil 2–3% beträgt, sind
Als Domänen bezeichnen wir Proteinabschnitte, die einen hohen die Zucker lediglich an die CH2-Domäne gebunden, während beim
Grad an Homologie aufweisen. Homologie bezieht sich hierbei auf IgM mit 12% Kohlenhydratanteil alle 4 konstanten Domänen Koh-
die Ähnlichkeit der Aminosäuresequenz. Domänen sind wieder- lenhydratreste tragen.
holt ausgeprägte (repetitive) Elemente einer Proteinkette; man führt
ihre Abstammung auf eine gemeinsame Vorläufereinheit zurück.
Bei Antikörpern umfasst eine Domäne einen Abschnitt von ca. 8.1.4 Antigenbindungsstelle und hypervariable
110 Aminosäuren. Durch eine ketteneigene Disulfidbrücke erhält Bereiche
die Antikörperdomäne die Struktur einer Schleife (. Abb. 8.1).
Die Domänen VH und VL bilden zusammen die Antigenbindungs-
Domänen der leichten Ketten stelle. Die Tatsache, dass 2 verschiedene Polypeptidketten an der
Die leichten Ketten vom κ- oder λ-Typ bestehen aus etwa 220 Ami- Bindungsstelle beteiligt sind, trägt zur Erhöhung der Antikörper-
nosäuren: vielfalt bei (7 Abschn. 8.12.2). Wie genauere Untersuchungen erga-
8.1 · Antikörper
51 8

. Tab. 8.1 Wichtige Charakteristika menschlicher Immunglobuline

IgG IgA IgM IgD IgE

Schwere Ketten γ1, γ2, γ3, γ4 α1, α2 μ δ ε


Leichte Ketten κ, λ κ, λ κ, λ κ, λ κ, λ
Molekularmasse (kD) 150 150, 380 970 180 190
Serumkonzentration:
– in mg/100 ml 1300 350 150 3 0,03
– in % 75–85 7–15 5–10 0,3 0,003
Valenzen 2 2 oder 4 2 oder 10 2 2
Aktivierung des klassischen + (IgG1, IgG2, IgG3) – + – –
Komplementweges
Aktivierung des alternativen Weges – + – – –
Plazentadurchgängigkeit + IgG2, IgG4) – – – –
Zielzellen Makrophagen, Neutrophile – – ? Basophile,
(IgG1, IgG3) Eosinophile
Funktion präzipitierend, agglutinierend, lokale Ig ähnlich wie IgG Antigenrezeptor Reagine
opsonisierend, neutralisierend; (nichtdirekt auf B-Zellen (Sofortallergie)
Sekundärantwort opsonisierend);
natürliche Ak;
Primärantwort

Ak, Antikörper; kD, Kilodalton

ben, variieren innerhalb der variablen Domänen nicht alle Amino- Immunglobulin M
säuren gleichmäßig stark: Neben konstanten und geringgradig va- Antikörper der Klasse IgM haben eine Molekularmasse von 970 kD
riablen Bereichen (Rahmenbezirken) gibt es hypervariable Bezirke. und eine Sedimentationskonstante von 19 S. Sie sind Pentamere und
Diese sind für die Spezifität des Antikörpers maßgebend: Der Anti- bestehen aus 5 identischen Untereinheiten mit je 180 kD. Diese sind
körper kann mit dem kritischen Molekülabschnitt des Antigens, über Disulfidbrücken verbunden. Für den Zusammenhalt der 5 Un-
dem Epitop, nur dann reagieren, wenn die hypervariablen Abschnit- tereinheiten ist ein Polypeptid mit 15 kD Molekularmasse mitver-
te seiner H- und seiner L-Ketten eine dafür geeignete Aminosäure- antwortlich: die J-Kette (»joining«; . Abb. 8.1).
sequenz aufweisen. Ist dies der Fall, dann kann der Antikörper das IgM macht etwa 10% des Gesamt-Ig aus. Es repräsentiert in
Epitop binden. Man bezeichnet das für die Bindung geeignete Struk- typischer Weise diejenigen Antikörper, die bei der Primärantwort
turverhältnis zwischen Antigen und Antikörper als Komplemen- (7 Abschn. 8.6) gegen ein Antigen entstehen und früh im Blut auf-
tarität. tauchen. Da für die IgM-Antwort kein immunologisches Gedächtnis
besteht, ist ein plötzlicher IgM-Titer-Anstieg ein wichtiger Hinweis
auf eine kürzlich durchgemachte Erstinfektion. IgM-Monomere auf
8.1.5 Antikörperklassen der Oberfläche von B-Lymphozyten (m-IgM = Membran-IgM) die-
nen als zellständige Antigenrezeptoren.
. Tab. 8.1 fasst die wichtigsten Eigenschaften der einzelnen Anti-
körperklassen zusammen. Immunglobulin A
IgA kommt als Monomer und Dimer, aber auch als höherwertiges
Immunglobulin G Polymer vor. IgA-Monomere haben eine Molekularmasse von
Antikörper der Klasse IgG sind Monomere mit 150.000 Dalton 150 kD, IgA-Dimere 380 kD. IgA machen im Serum ca. 15% des
(150 kD) Molekularmasse und einer Sedimentationskonstante von Gesamt-Ig aus.
7 S. Ihre Struktur kommt dem oben beschriebenen Grundmolekül Das sekretorische IgA ist in den externen Körperflüssigkeiten
am nächsten. IgG-Antikörper sind mit einem Anteil von ca. 75% am (Tracheobronchial-, Intestinal- und Urogenitalschleim, Milch, Ko-
Gesamt-Ig die biologisch wichtigste Antikörperklasse. Sie kommen lostrum etc.) enthalten. Es stellt eine bedeutende Abwehrbarriere für
nicht nur im Serum, sondern auch in anderen Körperflüssigkeiten Krankheitserreger dar. Sekretorisches IgA liegt als IgA-Dimer vor:
(Sekrete, Synovial-, Pleural-, Peritoneal-, Amnionflüssigkeit etc.) 4 2 IgA-Monomere sind durch eine J-Kette verbunden.
vor. Die Klasse IgG enthält die für die Sekundärantwort (7 Abschn. 4 Ein weiteres Polypeptid mit 70 kD Molekularmasse, die sog.
8.6) typischen Antikörper. Sie lässt sich aufgrund geringerer Unter- sekretorische Komponente des IgA-Dimers (. Abb. 8.1), wird
schiede noch einmal in folgende Subklassen unterteilen – Mensch: von Epithelzellen gebildet, ermöglicht den Dimertransport
IgG1 bis IgG4; Maus: IgG1, IgG2a, IgG2b und IgG3. durch diese Zellen und schützt es weitgehend vor proteolyti-
schem Abbau.

Beim Menschen existieren 2 IgA-Subklassen: IgA1 und IgA2.


52 Kapitel 8 · Antikörper und ihre Antigene

Immunglobulin D 4 Syngene Situation: Antigen und Antikörper stammen von


IgD-Moleküle sind Monomere mit 170–200 kD Molekularmasse genetisch identischen Individuen. Syngene Verhältnisse liegen
und einem Anteil von weniger als 1% der Serumimmunglobuline. bei eineiigen Zwillingen vor und bei für immunologische oder
IgD wird in freier Form rasch abgebaut. In seiner Hauptaufgabe fun- genetische Untersuchungen gezüchteten Inzuchttieren. Immu-
giert es bei ruhenden B-Zellen als Antigenrezeptor. IgD wird von nologisch ist die syngene Beziehung mit der autologen iden-
Plasmazellen jedoch nicht sezerniert. tisch (7 Kap. 11).
4 Allogene Situation: Antigene, die bei Individuen einer Spezies
Immunglobulin E in unterschiedlicher Form vorkommen, wirken als Alloanti-
Immunologie

IgE-Antikörper sind Monomere mit 190 kD Molekularmasse. Im gene.


Serum macht freies IgE nur einen verschwindend kleinen Anteil aus. 4 Xenogene Situation: Antigen und Antikörper stammen von
Basophile und eosinophile Granulozyten sowie Mastzellen besitzen verschiedenen Arten ab. Xenoantigene stellen die stärksten
für das Fc-Stück des IgE-Antikörpers Rezeptoren mit hoher Affinität Antigene dar. Sie werden manchmal als heterologe Antigene
(7 Abschn. 8.8). Dies ist der Grund dafür, dass der weitaus größte Teil oder Heteroantigene bezeichnet (nicht zu verwechseln mit
des IgE zellgebunden vorliegt. Gebundenes IgE funktioniert auf Eo- heterogenetischen [heterophilen] Antigenen).
sinophilen, Basophilen und Mastzellen wie ein Antigenrezeptor.
Seine Reaktion mit Antigen bewirkt die Ausschüttung von Mediato- Als heterogenetische oder heterophile Antigene bezeichnet man
ren der anaphylaktischen Reaktion. IgE gilt deshalb als Träger der immunologisch ähnliche oder identische Antigene, die bei verschie-
Sofortallergie. Es spielt auch bei der Infektabwehr gegen pathogene denen Spezies vorkommen (7 Kap. 10). Diese werden von sog. kreuz-
Würmer eine wichtige Rolle. reaktiven Antikörpern über die Speziesbarriere hinweg erkannt. Die
Antikörper kreuzreagieren also mit Strukturen von unterschiedli-
chen Spezies. Die heterogenetischen Antigene von Darmbakterien
8.2 Von B-Lymphozyten erkannte Antigene werden für die Entstehung der natürlichen Antikörper gegen die
Blutgruppenantigene des AB0-Systems verantwortlich gemacht
Ein Antigen ist ein Molekül, das in vivo und in vitro mit den Trägern (7 Kap. 10); heterogenetische Antigene mikrobieller Herkunft kön-
der Immunkompetenz (T-Zellen und Antikörper) spezifisch und nen zu Autoimmunerkrankungen führen (7 Kap. 14).
biologisch wirksam reagieren kann. An dieser Stelle werden nur die
Antigene der humoralen Immunantwort behandelt. Chemisch gehö-
ren sie in 1. Linie zu den Proteinen und Kohlenhydraten. Lipide und 8.3 Antikörper als Antigene
Nukleinsäuren besitzen, wenn überhaupt, nur schwache Antigenität.
Ein Antikörper erkennt auf dem Antigen nur einen relativ klei- Als Glykoproteine üben Antikörper im Organismus einer anderen
nen Molekülbereich, das Epitop oder die Determinante. Ein Anti- Art oder in einem fremden Individuum die Wirkung eines Antigens
genmolekül trägt in der Regel mehrere Determinanten. Die Epitope aus. Die dafür maßgeblichen Determinanten lassen sich in 3 Katego-
der Proteine bestehen aus 6–8 Aminosäuren, die von Kohlenhydra- rien einordnen:
ten aus 6–8 Monosaccharidmolekülen. Die Determinanten des An- 4 Isotypen
tigens lassen sich isolieren oder künstlich herstellen. Freie Epitope 4 Allotypen
dieser Art nennt man Haptene. Haptene können zwar mit Antikör- 4 Idiotypen
pern reagieren; für sich allein vermögen sie aber keine Immunant-
wort hervorzurufen. Durch Kopplung an ein großes Trägermolekül Isotypen Als Isotyp bezeichnet man die Merkmale im konstanten
wird das Hapten zum Vollantigen. Dieses kann im Versuchstier eine Teil der leichten und der schweren Ketten. Dementsprechend sind
(hapten)spezifische Immunantwort hervorrufen. isotypische Determinanten für einen Kettentyp charakteristisch; sie
Biologisch hängt die Antigenität eines Moleküls vom Grad der sind bei allen Individuen einer Spezies gleich. Ein Antikörper gegen
Fremdheit zwischen Antigen und Organismus ab. Im Allgemeinen die isotypische Determinante der γ-Kette reagiert mit dem IgG aller
haben körpereigene Moleküle für das Individuum, von dem sie ab- Normalpersonen; ein Antikörper gegen eine isotypische Determi-
stammen, keine Antigenwirkung. Proteine verschiedener Individuen nante der κ-Kette reagiert mit allen Antikörpern der Klasse IgG, IgA,
wirken innerhalb einer Spezies häufig nicht als Antigene. Menschen IgM, IgD und IgE, sofern sie leichte Ketten vom κ-Typ tragen. Die
reagieren z. B. nicht auf Humanalbumin, während Rinderalbumin, isotypischen Determinanten der schweren Ketten bestimmen die
das chemisch nur geringfügig von Humanalbumin abweicht, für den Antikörperklasse.
Menschen stark antigen wirkt.
Es gibt jedoch Substanzen, deren Struktur bei verschiedenen In- Allotypen Einige Individuen zeigen in der schweren γ- oder α-Kette
dividuen einer Spezies variiert und die innerhalb der Spezies u. U. als bzw. in den leichten Ketten eine Abänderung, die auf eine Amino-
Antigene wirken. Beispiele hierfür sind die Blutgruppensubstan- säurensubstitution im konstanten Bereich zurückzuführen ist. So
zen (7 Kap. 10), die Ig-Allotypen (s. u.) und die Haupthistokompa- findet man bei einigen Individuen in Position 436 des IgG3 einen
tibilitätsantigene (7 Kap. 11). Für die beschriebenen Beziehungen Aminosäureaustausch, der zu einer allotypischen Antikörpervarian-
zwischen dem Grad der Fremdheit und der Antigenität haben sich te führt. Allotypen wirken im Körper von Individuen, die davon frei
die folgenden Begriffe eingebürgert: sind, als Antigen.

4 Autologe oder autogene Situation: Antigen und Antikörper Idiotypen Antikörper mit unterschiedlichen Antigenspezifitäten
stammen vom selben Individuum. Normalerweise wirkt das unterscheiden sich in ihrem variablen Bereich. Wie oben beschrie-
entsprechende Molekül nicht als Antigen. Es gibt aber Zustän- ben (7 Abschn. 8.1.4) ist dies auf unterschiedliche Aminosäurese-
de, bei denen autologe Antigene eine Immunreaktion hervor- quenzen im Bereich der Antigenbindungsstelle zurückzuführen.
rufen und dadurch zur Autoimmunerkrankung führen Dadurch kommt es an der Antigenbindungsstelle zur Bildung von
können. Determinanten, die für die Antikörper einer bestimmten Spezifität
8.7 · Poly-, oligo- und monoklonale Antikörper
53 8
jeweils charakteristisch sind. Diese Determinanten werden als Idio-
typen bezeichnet. Sie können autoimmunogen wirken und das Im-
munsystem, das sie produziert hat, stimulieren. Weiterhin können
Antikörper gegen den Idiotypen das Antigen »imitieren«, für das der
idiotyptragende Antikörper spezifisch ist.

8.4 Mitogene

Bestimmte Moleküle besitzen die Fähigkeit, Lymphozyten unabhän-


gig von deren Antigenspezifität zu stimulieren mit der Folge, dass
eine große Zahl verschiedener Lymphozytenklone mit der Mitose
beginnt. Derartige Moleküle heißen deshalb Mitogene. Ihre Haupt-
vertreter sind die Lektine.
Lektine sind Moleküle, die meist von Pflanzen stammen und mit
bestimmten Kohlenhydraten spezifisch reagieren. Sie können sich an
Zellen heften, die den entsprechenden Zuckerbaustein auf ihrer
Oberfläche tragen: . Abb. 8.2 Verlauf der Antikörperantwort. Die Serumantikörper der Primär-
4 Das Lektin Concanavalin A (ConA) stimuliert T-Lymphozyten antwort gehören zur IgM-Klasse, die der Sekundärantwort zur IgG-Klasse.
des Menschen und der Maus. Während der Sekundärantwort ist der Serumtiteranstieg schneller und stär-
4 Das Lektin Pokeweed-Mitogen (PWM) stimuliert menschliche ker als bei der Primärantwort
T- und B-Lymphozyten.
4 Die Lipopolysaccharide (LPS) gramnegativer Bakterien stimu-
lieren B-Lymphozyten. gebildeten Antikörper und damit auch das Antiserum sind spezi-
fisch für A: Prinzipiell werden sie durch kein anderes Antigen her-
vorgerufen und reagieren auch mit keinem anderen Antigen.
8.5 Adjuvanzien Verabreicht man Antigen A nach Abfall des Antikörpertiters ein
2. Mal, ist die Latenzperiode sehr kurz; die Antikörperantwort fällt
Adjuvanzien (Sg.: das Adjuvans) erhöhen unspezifisch die biologi- stärker aus und dauert länger an: Sekundärantwort oder anam-
sche Wirkung eines Antigens, indem sie einen mehr oder weniger nestische Reaktion. Diesmal überwiegen stets Antikörper der IgG-
starken lokalen Gewebereiz hervorrufen. Dies führt dazu, dass der Klasse (. Abb. 8.2). Auch die Sekundärantwort ist antigenspezifisch.
Organismus auf das verabreichte Antigen intensiver reagiert. Außer- Dieser Sachverhalt ist für das Verständnis der Immunantwort von
dem besitzen Adjuvanzien einen Depoteffekt: Sie verlangsamen die großer Bedeutung; er stellt u. a. die Grundlage für die Impfung gegen
Diffusion des Antigens in das umgebende Gewebe. viele Krankheitserreger dar.
4 Im Tierexperiment verwendet man vielfach inkomplettes
Freund-Adjuvans. Es besteht aus Mineralöl und induziert in
1. Linie die humorale Immunantwort. 8.7 Poly-, oligo- und monoklonale Antikörper
4 Komplettes Freund-Adjuvans enthält zusätzlich eine kleine
Menge abgetöteter Mykobakterien und ruft eine zelluläre Wie in 7 Abschn. 8.11 ausführlich geschildert, werden Antikörper
Immunantwort hervor. einer Spezifität von den Nachkommen (»Klon«) einer Zelle gebildet
und sind deshalb identisch. Die Antikörperantwort gegen komplexe
Beide Adjuvanzien werden in Form einer Wasser-in-Öl-Emulsion Antigene setzt sich aber aus Antikörpern unterschiedlicher Spezifi-
appliziert. Die hervorgerufene Gewebeirritation ist so stark, dass die tät zusammen. »Poly-, oligo- bzw. monoklonal« bezieht sich darauf,
Freund-Adjuvanzien für den Menschen nicht zugelassen sind. dass für die Synthese dieser unterschiedlichen Antikörper sehr viele
In der Humanmedizin verwendet man als Adjuvans Aluminium- verschiedene Klone (polyklonal), einige verschiedene Klone (oligo-
hydroxid [Al(OH)3], z. B. bei der Verabreichung von Toxoidimpf- klonal) bzw. ein einziger Klon (monoklonal) zuständig sind bzw. ist.
stoff. Dieses Adjuvans stimuliert in 1. Linie die humorale Immu- Da ein Proteinantigen zahlreiche Determinanten unterschiedli-
nantwort. Adjuvanzien, die eine zelluläre Immunantwort ohne Ne- cher Struktur trägt, bildet der Organismus bei der Immunisierung
benwirkungen hervorrufen, sind leider noch immer selten. Einige gegen ein und dasselbe Antigenmolekül Antikörper mit unter-
Neuentwicklungen geben Anlass zu großer Hoffnung (7 Kap. 16). schiedlicher Spezifität (. Abb. 8.3). Außerdem existieren für jede
Determinante Antikörper mit verschieden großer Affinität (7 Ab-
schn. 8.8). Demnach ist die Antikörperantwort so gut wie immer
8.6 Verlauf der Antikörperantwort polyklonal. Trägt das Antigen nur wenige Determinantentypen oder
gar nur einen einzigen Strukturtyp, kann die Antikörperantwort oli-
Wird der Säugerorganismus erstmals mit einem Antigen A konfron- goklonal ausfallen.
tiert, beginnt nach einiger Zeit und unter geeigneten Bedingungen Mithilfe der B-Zell-Hybridisierungstechnik lassen sich große
eine messbare Antikörperproduktion, die Primärantwort. Meist Mengen identischer Antikörpermoleküle mit gewünschter Spezifität
steigt die Antikörperkonzentration im Blut (der »Serumtiter«) nach produzieren; diese Antikörper sind monoklonal.
etwa 8 Tagen Latenz exponentiell an und erreicht dann ein Plateau. Monoklonale Antikörper unbekannter Spezifität werden beim
Anschließend fällt sie wieder ab (. Abb. 8.2). Die Antikörper der multiplen Myelom gebildet. Bei dieser onkologischen Krankheit
Primärantwort gehören hauptsächlich zur IgM-Klasse. Das Serum produzieren die Nachkommen eines transformierten Plasmazell-
eines derart immunisierten Tiers wird als Antiserum bezeichnet. Die klons Antikörper einer einzigen Spezifität und Klasse. Im Urin fin-
54 Kapitel 8 · Antikörper und ihre Antigene

8.9 Kreuzreaktivität und Spezifität

Ein bestimmter Antikörper kann durchaus mit unterschiedlichen


Antigenen reagieren: Besitzen ansonsten unterschiedliche Antigene
1 und 2 eine gemeinsame Determinante X (roter Kubus in . Abb.
8.3), so werden sämtliche Antikörper, die für diese Determinante
spezifisch sind, mit Antigen 1 sowie mit Antigen 2 reagieren. Die
X-erkennenden Antikörper werden als kreuzreaktiv bezeichnet.
Immunologie

. Abb. 8.3 Zwei Antigene mit unterschiedlichem, aber überlappendem


Zwar ist bei monoklonalen Antikörpern gewährleistet, dass sie für
Epitopmuster; aufgrund des einen gemeinsamen Epitops (rot) beider Anti-
eine einzige Determinante spezifisch sind – dennoch werden mono-
gene ergibt sich eine sog. Kreuzreaktion (7 Abschn. 8.9) beider (oligoklo-
nalen) Antikörpermischungen klonale Antikörper, die gegen eine gemeinsame Determinante zwei-
er Antigene gerichtet sind, mit diesen beiden ansonsten unterschied-
lichen Antigenen kreuzreagieren.
Polyklonale Antiseren bestehen häufig aus einer Mischung anti-
det man meist größere Mengen freier L-Ketten, das sog. Bence- genspezifischer und kreuzreaktiver Antikörper. Aus einem polyklo-
Jones-Protein. Das Serum enthält in der Regel hohe Konzentratio- nalen Antiserum kann man die kreuzreagierenden Antikörper
nen eines monoklonalen Antikörpers (Myelomprotein). durch Adsorption weitgehend entfernen und dadurch dessen Spezi-
fität erhöhen.
Produktion monoklonaler Antikörper durch B-Zell-Hybridome
Durch Verschmelzung antikörperproduzierender Plasmazellen mit
geeigneten Tumorzellen ist es G. Köhler und C. Milstein erstmals 8.10 Folgen der Antigen-Antikörper-Reaktion
gelungen, Zwitterzellen oder Hybridome zu schaffen. Diese vereinen in vivo
die Fähigkeit der B-Zelle zur Antikörperproduktion mit der raschen
und zeitlich unbegrenzten Vermehrungsfähigkeit der Tumorzelle. In vivo ablaufende Reaktionen zwischen Antikörpern und löslichen
Einzelne Hybridomzellen liefern unter geeigneten Kulturbedingun- oder unlöslichen, partikelhaften Antigenen haben für den Mikroor-
gen große Mengen identischer Nachkommen. Die von diesen Klo- ganismus beträchtliche primäre und sekundäre Folgen:
nen produzierten Antikörper haben alle die gleiche Spezifität: Sie 4 Toxin- und Virusneutralisation
sind monoklonal. 4 Opsonisierung
Die Möglichkeit, monoklonale Antikörper herzustellen, hat 4 antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität
nicht nur die klonale Selektionstheorie (7 Abschn. 8.11) von F. M. 4 Komplementaktivierung
Burnet bestätigt; sie brachte für zahlreiche biotechnologische Berei- 4 allergische Sofortreaktion
che entscheidende Fortschritte. In der Medizin finden monoklonale 4 Immunkomplexbildung
Antikörper bei einer Fülle diagnostischer Fragestellungen Anwen-
dung; ihr therapeutischer Einsatz hat insbesondere bei Krebs- und Auch die Reaktion zwischen Antigen und homologen Antikörpern
Autoimmunerkrankungen bereits begonnen. in vitro bewirkt zahlreiche Effekte. Diese werden in 7 Kap. 10 geson-
dert besprochen.

8.8 Stärke der Antigen-Antikörper-Bindung


8.10.1 Toxin- und Virusneutralisation
Die Reaktion zwischen Antigen und Antikörper führt zur Kopplung
beider Moleküle. Es entsteht ein Komplex, an dessen Zustandekom- Die spezifische Bindung von Antikörpern an bakterielle Toxine wie
men keine chemischen, sondern lediglich nichtkovalente Bindungs- z. B. Diphtherie-, Tetanus-, Botulinustoxin verhindert die Bindung des
kräfte beteiligt sind: Der Antigen-Antikörper-Komplex beruht auf Toxins an die zellulären Rezeptoren und blockiert auf diese Weise die
nichtkovalenten Bindungen und ist daher reversibel. Die Bindung Toxinwirkung (7 Kap. 15). Bei bestimmten Viren führt die Reaktion
zwischen Antigen und Antikörper lässt sich durch Änderung der mit Antikörpern ebenfalls zu deren Neutralisation. Antikörper ver-
physikochemischen Milieubedingungen aufheben, etwa durch pH- hindern die Bindung der Viren an ihre Zielzellen. Ein anderer Anti-
Erniedrigung oder Erhöhung der Ionenstärke. Die Bindungsstärke körpereffekt besteht darin, die Zahl der infektiösen Einheiten durch
eines Antikörpers an eine bestimmte Determinante wird als Antikör- »Verklumpung« herabzusetzen. Diese »Antigenverklumpung« durch
peraffinität bezeichnet. Gegenüber verschiedenen, aber ähnlichen Antikörper wird als Agglutination bezeichnet (7 Kap. 10).
Determinanten kann ein und derselbe Antikörper eine hohe oder
niedrige Affinität besitzen.
Zur summarischen Charakterisierung der Bindungsstärke zwi- 8.10.2 Opsonisierung
schen polyklonalen Antikörpern und ihrem homologen Antigen hat
sich der Begriff Avidität eingebürgert; diese hängt u. a. ab von Da Phagozyten (neutrophile Granulozyten und Makrophagen) Re-
4 der Affinität der verschiedenen Antikörper für die Antigen- zeptoren für das Fc-Stück der IgG-Antikörper (Fc-Rezeptoren) be-
determinanten, sitzen, erleichtert die Bindung des Antikörpers an Fremdpartikel
4 der Konzentration der Antikörper und des Antigens. deren Phagozytose (7 Kap. 13). Dieses Prinzip der Beladung von
Zelloberflächen mit Erkennungsproteinen (Opsonisierung) spielt
besonders bei Krankheitserregern wie kapseltragenden Bakterien
eine Rolle, die wie z. B. Pneumokokken antiphagozytäre Strukturen
besitzen: Solche Erreger lassen sich auf diese Weise doch noch der
Phagozytose zuführen (7 Kap. 15).
8.11 · Klonale Selektionstheorie: Erklärung der Antikörpervielfalt
55 8
8.10.3 Antikörperabhängige zellvermittelte len, dass das Antigen unter den B-Zellen eine Wahl (Selektion) trifft,
Zytotoxizität indem es mit den zuständigen Zellen reagiert (. Abb. 8.4).
Unter dem Einfluss des Antigens entstehen zum einen Plasma-
NK-Zellen besitzen Fc-Rezeptoren für IgG-Antikörper (7 Kap. 6). zellen, die Antikörper der ursprünglichen Spezifität produzieren;
Sie können daher antikörperbeladene Wirtszellen über das Fc-Stück beim Erstkontakt mit dem Antigen bilden diese Zellen hauptsächlich
des gebundenen Ig erkennen. Diese Reaktion bewirkt beim erken- Antikörper der IgM-Klasse. Durch Ig-Klassenwechsel entstehen Plas-
nenden Lymphozyten die Sekretion zytolytischer Moleküle, welche mazellen, die Antikörper einer bestimmten Ig-Klasse sezernieren.
die beladene Zelle abtöten (7 Kap. 12). Die antikörperabhängige zell- Zum anderen entstehen im Rahmen der Primärantwort Gedächtnis-
vermittelte Zytotoxizität (»antibody dependent cellular cytotoxici- zellen; diese sind dafür verantwortlich, dass sich nach Zweitkontakt
ty«, ADCC) spielt bei der Tumor- und Virusabwehr sowie bei be- mit dem gleichen Antigen rasch Plasmazellen entwickeln, die jetzt
stimmten Parasitenerkrankungen eine Rolle. Antikörper derselben Ig-Klasse sezernieren (. Abb. 8.5).
Demnach existiert für jedes Antigen bereits vor dem Anti-
generstkontakt eine bestimmte Anzahl zuständiger (komplementä-
8.10.4 Komplementaktivierung rer) Zellen. Die Nachkommen einer antigenspezifischen Zelle wer-
den als Klon bezeichnet. Unter dem Einfluss des Antigens kommt
Die Antigen-Antikörper-Reaktion führt häufig zur Aktivierung des es zur klonalen Expansion und Differenzierung. Somit wird die
Komplementsystems (7 Kap. 9); hier sei zunächst nur auf die Folgen humorale Immunantwort beim Zweitkontakt mit einem Erreger von
der Komplementaktivierung hingewiesen: 2 B-Zell-Typen getragen:
4 Bakteriolyse 4 Plasmazellen, die sich nicht mehr vermehren, dafür aber große
4 Virusneutralisation Antikörpermengen (> 100 Moleküle/s) sezernieren, die mit
4 Opsonisierung dem Erreger sofort reagieren. Die bereits existierenden Serum-
4 Anlockung von Entzündungszellen antikörper sind für die rasche Neutralisation hochwirksamer
Erregerprodukte, z. B. Toxine, entscheidend.
5 Kurzlebige Plasmazellen sind für die prompte Antikör-
8.10.5 Allergische Sofortreaktion perantwort zuständig.
5 Langlebige Plasmazellen garantieren eine lang anhaltende
IgE-Moleküle, die über ihren Fc-Teil an Eosinophile oder Basophile Immunantwort.
oder an Mastzellen gebunden sind, können mit dem homologen 4 Gedächtnis-B-Lymphozyten, die selbst keine Antikörper pro-
Antigen reagieren; dies führt zu einer allergischen Sofortreaktion duzieren, sich nach Zweitkontakt mit dem Erregerantigen aber
(7 Kap. 14). rasch vermehren und in Plasmazellen ausreifen. Der rasche
Antikörperanstieg nach Zweitkontakt ist auf die Differenzie-
rung der Gedächtnis-B-Zellen zu antikörperproduzierenden
8.10.6 Immunkomplexbildung in vivo Plasmazellen zurückzuführen.

In Antigen-Antikörper-Komplexen, die in vivo unter den Bedingun- Die klonale Selektionstheorie ist experimentell bestätigt worden;
gen der Äquivalenz oder des Antikörperüberschusses entstehen heute stellt sie ein Dogma der Immunologie dar. Im Prinzip gelten
(7 Kap. 10), bleiben zahlreiche Fc-Stücke frei. Entsprechend können die geschilderten Vorgänge auch für die zelluläre Immunität.
die Immunkomplexe über ihre Fc-Rezeptoren phagozytiert und ab-
gebaut werden (7 Kap. 14).
Entstehen Antigen-Antikörper-Komplexe dagegen bei Antigen- 8.11.1 Toleranz gegen Selbst und klonale
überschuss, so ist die Phagozytosefähigkeit gering. Denn jeder Kom- Selektionstheorie
plex trägt unter diesen Bedingungen nur wenige Antikörpermole-
küle. Solche Komplexe werden schlecht abgebaut. Ihre Ablagerung in Während das Immunsystem alle möglichen Fremdantigene zu er-
Haut, Nieren oder Gelenkräumen kann zu schwerwiegenden Entzün- kennen vermag, ist es normalerweise unfähig, mit körpereigenen
dungsreaktionen und Gewebeschädigungen führen (7 Kap. 14). Molekülen, sog. Autoantigenen, zu reagieren. Auf die Bedeutung
dieser »Toleranz gegen Selbst« hatte bereits Paul Ehrlich hinge-
wiesen und dafür den Begriff des »Horror autotoxicus« geprägt.
8.11 Klonale Selektionstheorie: Heute wissen wir, dass die Toleranz gegenüber Autoantigenen nicht
Erklärung der Antikörpervielfalt a priori festgelegt ist; sie wird während einer frühen Phase der
Embryonalentwicklung erworben.
Da sich der Säugerorganismus während seines Lebens mit einer Viel- Vereinfacht lässt sich sagen: Das ursprüngliche Zuständigkeits-
zahl diverser Antigene auseinanderzusetzen hat, muss er eine riesige repertoire erstreckt sich auch auf Autoantigene. Während einer frü-
Zahl unterschiedlicher Antikörper produzieren können. Die klonale hen Entwicklungsphase kommt es zum Kontakt zwischen den auto-
Selektionstheorie (Burnet) erklärt das Problem der Antikörper- reaktiven B-Zell-Vorläufern und dem Autoantigen. Anders als bei
vielfalt. der reifen B-Zelle bewirkt der Antigenkontakt in dieser Situation
In einer frühen Entwicklungsphase der B-Lymphozyten entste- keine klonale Expansion und Differenzierung, sondern im Gegenteil
hen Zellen unterschiedlicher Spezifität. Die Diversität entwickelt die Inaktivierung der erkennenden Zellen (7 Kap. 14). Offen bleibt,
sich vor der Erstkonfrontation mit dem Antigen ohne jeden Anti- ob es sich bei diesem Vorgang um die materielle Eliminierung oder
geneinfluss. Die entstandenen Zellen exprimieren jeweils Rezepto- nur um eine funktionelle Blockade autoreaktiver Klone handelt.
ren einer einzigen Spezifität. Der spätere Erstkontakt mit dem kom- Bestimmte Autoimmunerkrankungen scheinen allerdings dar-
plementären Antigen bewirkt die selektive Vermehrung und Diffe- auf zurückzuführen zu sein, dass ein Klon mit Spezifität für ein kör-
renzierung der Zellen. Man kann sich diesen Sachverhalt so vorstel- pereigenes Antigen entblockt wird und anschließend expandiert.
56 Kapitel 8 · Antikörper und ihre Antigene
Immunologie

. Abb. 8.4 Klonale Selektionstheorie und Verlauf der Antikörperantwort. I: Dargestellt sind 3 B-Zellen unterschiedlicher Spezifität und ihre komplemen-
tären Antigene. II: Eine B-Zelle trifft erstmals auf ihr komplementäres Antigen. III: Durch klonale Expansion entstehen einige Gedächtniszellen und zahlreiche
Plasmazellen; IV: Die Plasmazellen sezernieren Antikörper identischer Spezifität. V: Beim 2. Kontakt mit dem komplementären Antigen können die Gedächt-
niszellen besser reagieren. VI: Es entstehen rascher mehr Plasmazellen. VII: Daher stehen auch rascher mehr Antikörper dieser Spezifität zur Verfügung.
Unten: Der Antikörpertiter bei der Sekundärantwort steigt entsprechend schneller und stärker an als bei der Primärantwort (zusätzlich kommt es zwischen
Primär- und Sekundärantwort zum Ig-Klassenwechsel, typischerweise von IgM zu IgG)

. Abb. 8.5 Verlauf der B-Zell-Antwort vom Erstkontakt mit Antigen zum immunologischen Gedächtnis
8.12 · Genetische Grundlagen der Antikörperbildung
57 8
Der nun ungezügelte Klon produziert dann Autoantikörper und diesen Gensegmenten: jene für den variablen Teil der L-Kette aus
verursacht autoaggressive Reaktionen (7 Kap. 14). Bei der Basedow- 2 Segmenten, jene für den variablen Teil der H-Kette dagegen aus
Krankheit werden z. B. Antikörper gebildet, welche die Schilddrüse 3 Segmenten. Bei der Synthese der Ketten wirken somit 2 Gene zu-
zur vermehrten Hormonproduktion anregen. Im Experiment lässt sammen: eines für den variablen und eines für den konstanten Ket-
sich sogar bei erwachsenen Tieren mit einem sonst immunogen wir- tenteil. Die für die Rekombination verantwortlichen Enzyme heißen
kenden Antigen Toleranz induzieren. Somit kann ein und dasselbe rekombinationsaktivierende Gene (RAG). Die Entstehung der RAG-
Antigen je nach Art der Umstände entweder immunogene oder Proteine fällt evolutionär mit dem Auftreten der erworbenen Immu-
toleranzinduzierende (tolerogene) Wirkung entfalten. nität zusammen.
Wie die meisten Gene höherer Zellen enthalten die Gene für die
L- und die H-Ketten außer informationstragenden Bereichen
8.12 Genetische Grundlagen (Exons) nichtkodierende Sequenzen oder Introns. Diese werden
der Antikörperbildung nach der Transkription durch Spleißen (seemännisch für »Zusam-
menfügen zweier Enden eines Taues«) eliminiert, sodass die kodie-
Beim immunkompetenten Individuum ist die B-Zell-Population un- renden RNA-Sequenzen aneinandergehängt werden. So entsteht aus
einheitlich: Sie besteht aus einer großen Zahl (etwa 109) genetisch der primären RNA die Boten- oder mRNA.
diverser Klone, die sich durch die Erkennungsspezifität des Antikör-
pers unterscheiden, den die Zelle synthetisiert. Ein gegebener Klon
kann nur Antikörper einer einzigen Spezifität bilden; seine diesbe- 8.12.1 Genrearrangement und Spleißen
zügliche Kompetenz ist unwiderruflich festgelegt (»committed
cell«). Die enorme Vielfalt an Antikörperspezifitäten beruht somit κ-Kette
auf einer entsprechenden Vielfalt an jeweils zuständigen Klonen. Da Die Nukleotidsequenzen für den variablen Teil der κ-Kette finden
die Spezifität des Antikörpers von der Aminosäuresequenz im vari- sich auf der DNA als eine größere Zahl kodierender Segmente
ablen Teil der H- und der L-Kette abhängt, muss das Synthesepro- (Exons). Die Segmente bilden 2 getrennte Gruppen, nämlich Vκ und
gramm des jeweils zuständigen B-Zell-Klons genetisch fixiert sein. etwas stromabwärts davon Jκ [V = variabel, J = »joining« (verbin-
Die genetische Vielfalt der B-Zell-Population entsteht während dend)]. Man rechnet mit etwa 40 Vκ-Fragmenten und 5 funktionel-
der Embryonalentwicklung. In dieser Phase durchlaufen die gene- len Jκ-Fragmenten.
tisch einheitlichen B-Vorläuferzellen einen Differenzierungsprozess, Der Informationsgehalt jedes Vκ-Exons bezieht sich auf die
den man als Diversifizierung bezeichnet. An dessen Ende steht die Aminosäurepositionen 1–95 im aminoterminalen Abschnitt des va-
genetische Vielfalt der polyklonalen Zellpopulation im reifen Im- riablen κ-Kettenteils. Die konkrete Information ist aber von Vκ-
munsystem. Die genetischen Vorgänge, die zur Festlegung einer Exon zu Vκ-Exon verschieden. (Für jedes V-Segment existiert eine
Vorläuferzelle auf eine bestimmte Spezifität führen, spielen sich sog. Leader-Sequenz. Sie liegt jeweils stromaufwärts vom V-Segment
beim Menschen in 3 Chromosomen ab: und ist davon durch ein Intron getrennt [. Abb. 8.6]. Die Leader-
4 für die H-Ketten in Chromosom 14 Sequenz kodiert einen für den intrazellulären Transport der H- und
4 für die κ-Kette in Chromosom 2 L-Ketten wesentlichen Polypeptidbereich, der schlussendlich aber
4 für die λ-Kette in Chromosom 22 von der Kette abgespalten wird.)
Die Gruppe der Vκ-Segmente repräsentiert somit ein Sortiment
Bei der Maus sind es die Chromosomen 12 (H-Ketten), 6 (κ-Kette) von 40 verschiedenen Aminosäuresequenzen für die Positionen
und 16 (λ-Kette). 1–95. Für die 5 Jκ-Exons gilt sinngemäß das Gleiche wie für die Vκ-
In der DNA dieser Chromosomen kommt es zu einer Reihe von Exons: Sie enthalten jeweils die Information für die Aminosäure-
Genrekombinationen, die man zusammenfassend als Genrearran- positionen 96–110, d. h. für die letzten 15 Aminosäuren im karboxy-
gement bezeichnet (. Abb. 8.6, . Abb. 8.7). terminalen Abschnitt des variablen κ-Kettenteils. Stromabwärts
Die klassische Regel »Ein Gen – ein Polypeptid« gilt für Immun- beider Segmentgruppen Vκ und Jκ findet sich das Cκ-Gen für den
globuline nicht. In der Keimbahn gibt es keine Gene für den variab- konstanten Teil der κ-Kette.
len Teil der L- oder H-Ketten, sondern lediglich Gensegmente mit Bei der Differenzierung der B-Vorläuferzelle kommt es zu fol-
Fragmenten der dazu notwendigen Information. Die Gene entstehen gender Rekombination (. Abb. 8.6): Aus der Vκ-Gruppe vereinigt
erst während der Lymphozytenreifung durch Rekombination aus sich ein zufällig ausgewähltes Vκ-Gensegment mit einem zufällig

. Abb. 8.6 Rekombination der leichten Kette vom κ-Typ. In der DNA sind ca. 40 Vκ-Gensegmente (V40, …, V2, V1) hinter je einer Leader-Sequenz (L)
angeordnet. Davon weit entfernt liegen 5 funktionelle Jκ-Gensegmente (J1–J5) und dahinter ein Cκ-Gensegment. Durch Rekombination auf DNA-Ebene,
Transkription und Spleißen auf RNA-Ebene werden je ein L-, Vκ-, Jκ- und Cκ-Segment (hier z. B. L, V2, J3, C) zusammengeführt, die dann in eine κ-Kette
translatiert werden
58 Kapitel 8 · Antikörper und ihre Antigene
Immunologie

. Abb. 8.7 Wechsel der Antikörperklasse. In der DNA liegen die Gensegmente für die verschiedenen Ketten (Cμ, Cδ, Cγ, Cε, Cα) hintereinander. Davor be-
findet sich jeweils ein Startkodon (S). Durch Spleißen entsteht die μ- bzw. δ-Kette (oben). Durch Rekombination und Spleißen werden die schweren Ketten
der anderen Antikörperklassen (Mitte: γ-Kette; unten: α-Kette) gebildet. Die Ig-Unterklassen wurden nicht berücksichtigt

ausgewählten Jκ-Gensegment. Die dazwischen liegende DNA wird 4 Darauf folgt die J-Region (»joining«, verbindend) mit
herausgeschnitten und deletiert; die Schnittstellen von Vκ und Jκ 6 JH-Segmenten. Diese steuern die Information für den ver-
werden vereinigt. Das so entstandene VκJκ-Gen enthält die gesamte bleibenden karboxyterminalen Restanteil (etwa 108–117)
Information für die Aminosäuresequenz des variablen Kettenteils. bei.
Damit ist das Genrearrangement für die κ-Kette abgeschlossen. Die
Transkription erfasst die gesamte DNA vom VκJκ-Gen bis zum Ende Noch weiter stromabwärts liegt die CH-Region. Sie enthält die Infor-
des Cκ-Gens. Auf diese Weise entsteht die primäre RNA. mation für den konstanten Teil der H-Kette, und zwar jeweils einen
In einem weiteren Schritt (Spleißen) werden daraus die nicht- Bereich für den H-Kettenteil Cμ, Cδ, Cγ, Cα und Cε. (Aus Gründen
kodierenden Stücke herausgeschnitten und eliminiert; dies sind die der Darstellbarkeit werden die Unterklassen nicht berücksichtigt.
Introns sowie das Stück zwischen VκJκ-Gen und dem Beginn des Unberücksichtigt bleibt auch die domänenbezogene Exonstruktur
Cκ-Gens. Damit ist die mRNA für die komplette κ-Kette entstanden, der CH-Gene.)
die anschließend in eine κ-Polypeptidkette translatiert wird. Durch Rekombination vereinigen sich jeweils eines der VH-,
DH- und JH-Gensegmente. Dabei entsteht ein VHDHJH-Gen mit der
λ-Kette Information für den variablen H-Kettenteil. Damit ist das Genrear-
Das Rearrangement des Gens für die λ-Kette verläuft nach den glei- rangement für die Spezifitätsfestlegung abgeschlossen. Weitere Um-
chen Prinzipien wie bei der κ-Kette. lagerungen der H-Ketten-DNA betreffen nicht mehr die Spezifität,
sondern die Antikörperklasse (7 Abschn. 8.12.5).
H-Ketten Die Transkription der H-Kette setzt beim VHDHJH-Gen ein und
Für den variablen Teil der H-Ketten gibt es 3 Gruppen rekombinati- schließt entweder am Ende des CHμ-Gens oder des CHδ-Gens ab. Die
onsfähiger Gensegmente: so entstandene Primär-RNA ist sehr lang. Durch Spleißen wird sie
4 Die V-Region (variabel) enthält ca. 50 VH-Segmente. Diese auf den kontinuierlichen Informationsgehalt für die H-Kette redu-
kodieren den größten Teil der aminoterminalen Aminosäure- ziert, z. B. entsprechend der Formel VHDHJHCHμ. Die dabei entstan-
positionen (etwa 1–97). dene mRNA wird sodann in die schwere Kette (hier des IgM) trans-
4 Die D-Region (Diversität) stromabwärts davon umfasst ca. latiert (. Abb. 8.7).
27 DH-Segmente. Diese kodieren den aminoterminalen Teil
des Restes (etwa 98–107).
8.12 · Genetische Grundlagen der Antikörperbildung
59 8
8.12.2 Ausmaß der Diversität des Chromosomenpaares 14 (H) über das Paar Nr. 2 (κ) zum Chro-
mosomenpaar 22 (λ). Offenbar werden λ-Ketten erst dann zur An-
Nimmt man für die κ-Kette 40 Vκ- und 5 Jκ-Gensegmente an, er- tikörperbildung herangezogen, wenn die Bildung der κ-Kette miss-
geben sich 40×5 = 200 verschiedene Möglichkeiten, ein VκJκ-Gen lingt.
herzustellen. Für die H-Kette nimmt man etwa 50 VH-Exons an. Da- Die geschilderten Vorgänge bedeuten: In jeder Zelle gelangen
neben existieren ca. 27 DH-Exons und 6 JH-Exons. Daraus errechnen nur ein einziges H-Ketten-Chromosom und nur ein einziges L-Ket-
sich 50×27×6 = 8100 Kombinationsmöglichkeiten. ten-Chromosom zu einem biologisch wirksamen Rearrangement.
Da sich bei der Antikörperbildung die einmal gebildete κ-Kette Die Allele der übrigen Chromosomen bleiben damit von der Infor-
mit einer davon unabhängig gebildeten H-Kette vereinigt, ergibt sich mationsweitergabe ausgeschlossen.
für die Kettenkombination κ/H die Zahl der verschiedenen Spezifi-
tätsmöglichkeiten aus dem Produkt der Variantenzahl für beide
Ketten: 200(κ)×8100(H) = 1.600.000. 8.12.4 Membranständige und freie Antikörper
Die Rekombinationsmöglichkeiten für die λ-Kette sind kleiner
als die der κ- und der H-Kette. Deshalb ergeben sich für die Ketten- Eine junge, noch nicht antigenstimulierte B-Zelle synthetisiert
kombination λ/H niedrigere Werte. Da sich die Gesamtzahl der Spe- Antikörper der Klasse IgM. Diese erscheinen als Monomere mit
zifitäten aus der Summe der Variantenzahlen für die Kombination 2 Antigenbindungsstellen, werden in die Membran eingelagert und
κ/H und λ/H zusammensetzt, ändert sich wenig, wenn man die dienen als erkennungsspezifische Antigenrezeptoren. Dies beruht
Kombination λ/H vernachlässigt. darauf, dass die Hμ-Kette am karboxyterminalen Ende etwa 20
Die Diversifikation wird durch zusätzliche Mechanismen noch hydrophobe Aminosäuren trägt. Diese hydrophobe Hμ-Kette be-
weiter erhöht: zeichnet man mit mμ (m = Membran).
4 Die »Naht« zwischen den V-, J- und D-Segmenten wird unge- Wird die B-Zelle durch Antigen stimuliert, so wird der IgM-
nau ausgeführt. So können von Fall zu Fall unterschiedliche Antikörper in modifizierter Form synthetisiert: Anstelle der hydro-
Kodons entstehen. phoben Sequenz trägt er am karboxyterminalen Ende der H-Kette
4 Weiterhin können beim Verknüpfen von V-, J- und D-Gen- eine etwa gleich lange Sequenz hydrophiler Aminosäuren. Der auf
segmenten fremde Nukleotide eingefügt werden (sog. N-Region- diese Weise modifizierte IgM-Antikörper kann die Zelle als Penta-
Diversifikation). mer verlassen. Seine H-Kette wird mit sμ (s = sezerniert oder Serum)
4 Schließlich vergrößern somatische Hypermutationsereignisse bezeichnet.
die Vielfalt rekombinierter V-Regionen. Der Wechsel von der hydrophoben zur hydrophilen H-Kette er-
folgt auf der RNA-Ebene durch Spleißen: Das Cμ-Gen enthält an
Berücksichtigt man alle Faktoren der Variantenbildung, so beträgt seinem 3’-Ende ein Exon für die hydrophile Sequenz und daran an-
die Zahl der möglichen Antikörperspezifitäten ca. 1 Milliarde (109; schließend ein Exon für die hydrophobe Sequenz. Für die Synthese
zum Vergleich: Auf der Erde leben derzeit über 7×109 Menschen). der Hmμ-Kette wird der gesamte Bereich abgelesen. Spleißen elimi-
Zusammenfassend können wir feststellen: Die Diversität ent- niert dann aus der primären RNA die Sequenz für die hydrophilen
steht vor allem durch Rekombination von Keimbahngenen und zu Aminosäuren. Der Cm-Bereich endet so mit der Sequenz für die
einem weiteren Teil durch somatische Mutationen. hydrophoben Aminosäuren der Hmμ-Kette.
Soll dagegen eine Hsμ-Kette entstehen, so stoppt die Transkrip-
tion am Ende des Exons für die hydrophilen Aminosäuren. Das Pri-
8.12.3 Allelenausschluss märtranskript braucht an dieser Stelle nicht gespleißt zu werden, da
es mit der Sequenz für die Hsμ-Kette endet.
Die DNA-Rekombinationen in der B-Vorläuferzelle zur Festlegung
der Erkennungsspezifität spielen sich stets asymmetrisch ab. Von
den 6 Chromosomen (die diploide B-Zelle enthält für jede der 3 Ket- 8.12.5 Immunglobulin-Klassenwechsel
ten – H, κ, λ – 2 Informationsträger in Gestalt des väterlichen und
mütterlichen Chromosoms), die in der diploiden Zelle für die Syn- Nach Abschluss des Rearrangements enthält das für die H-Kette zu-
these schwerer und leichter Ketten in Betracht kommen, gelangen ständige Chromosom das VDJ-Gen und 3’-stromabwärts davon
– wenn überhaupt – nur 2 zu einem biologisch wirksamen Rearran- konsekutiv die Informationsbereiche für Cμ, Cδ, Cγ, Cε und Cα.
gement. (Die Ig-Unterklassen werden wegen der einfacheren Darstellung
Die Rekombination beginnt bei einem Chromosom des Chro- nicht berücksichtigt.) In diesem Stadium (. Abb. 8.7) beginnt die
mosomenpaares 14 (H-Kette). Misslingt der Versuch, so wird das B-Zelle ohne Antigenstimulus mit der Synthese antigenspezifischer
Partnerchromosom ein Rearrangement versuchen. Misslingt auch Rezeptoren, d. h. von membranständigen Antikörpern der Klasse
dieser Versuch, so ist die Zelle zur Antikörperbildung unfähig. IgM (stets vorhanden) und IgD (teilweise vorhanden).
Ist in einem der beiden Chromosomen 14 der 1. Umbauversuch Die Doppelproduktion basiert auf 2 verschieden langen Tran-
erfolgreich, so wird das andere intakte Chromosom durch Hem- skriptionsprodukten der gleichen DNA:
mung vom Umbau ausgeschlossen. Der Umbauimpuls geht dann 4 Das kurze Transkript beginnt mit dem VDJ-Gen und schließt
an das Chromosomenpaar 2 (κ-Kette). Gelingt hier der Umbau in mit dem Ende des Cμ-Gens.
einem der beiden Chromosomen, wird das andere noch nicht einbe- 4 Das lange Transkript beginnt ebenfalls mit dem VDJ-Gen, geht
zogene Chromosom am Umbau gehemmt. Misslingt der Umbau in jedoch über das Cμ-Gen hinaus und enthält noch das ganze
beiden Chromosomen des Paares Nr. 2 (κ-Kette), so geht der Impuls Cδ-Gen.
an das Chromosomenpaar 22 (λ-Kette).
In jeder B-Zelle werden die zur Antikörperbildung nicht benö- Durch Spleißen entsteht aus der kürzeren Primär-RNA die mRNA
tigten Chromosomen entweder durch erfolglosen Umbau oder für IgM. Die längere Primär-RNA liefert durch Spleißen die mRNA
durch Umbauhemmung ausgeschaltet. Dabei gibt es eine Priorität für IgD.
60 Kapitel 8 · Antikörper und ihre Antigene

Wird die B-Zelle durch Antigen stimuliert, so bildet sie als Erstes
sezernierbare Antikörper der Klasse IgM. Einige B-Zellen können Mitogen Moleküle, die Lymphozyten unabhängig von deren
darüber hinaus auch membranständige und sezernierbare Antikör- Antigenspezifität stimulieren, z. B. Concanavalin A, Phyto-
per der Klasse IgG, IgA und IgE bilden: Sie stellen entsprechend hämagglutinin, Lipopolysaccharid.
lange Transkripte her und spleißen sie in geeigneter Form. Adjuvans Material, das die Immunogenität eines Antigens
Dieser Syntheseweg stellt aber nur einen Übergang dar. Im in vivo unspezifisch erhöht (z. B. Freund-Adjuvans, Aluminium-
Verlauf der Immunreaktion entstehen durch Antigenstimulation hydroxid).
Abkömmlinge des betroffenen Zellklons, bei denen sich ein 2. Gen- Antikörperdeterminanten
Immunologie

rearrangement ereignet: Dabei gelangt das VDJ-Gen durch Rekom- 5 Isotyp: Merkmal im konstanten Teil der L- bzw. H-Kette, das
bination in die Nähe der Region Cγ oder Cα oder Cε. Die dazwi- für den jeweiligen Kettentyp charakteristisch ist.
schen liegenden Regionen werden deletiert. Nach diesem Prozess 5 Allotyp: Merkmal, das bei einigen Individuen in den schwe-
haben die Zellen das Vermögen verloren, H-Ketten der Klassen IgM ren γ- oder α-Ketten bzw. in den leichten Ketten variiert.
oder IgD zu bilden: Sie sind jeweils auf IgG oder IgA oder IgE fest- 5 Idiotyp: Merkmal in der Antigenbindungsstelle, das für Anti-
gelegt. Diese Umstellung nennt man Klassenwechsel (»class switch«; körper einer bestimmten Spezifität charakteristisch ist.
. Abb. 8.7), bei dem 2 Charakteristika hervorzuheben sind:
4 Bei absolut gleicher Spezifität wechselt lediglich die Antikörper- Verlauf der Antikörperantwort Nach Erstkontakt mit einem
klasse. Antigen kommt es nach etwa 10 Tagen zum Anstieg der
4 Die Möglichkeit zum Klassenwechsel besteht doppelt: Antikörper im Serum (Primärantwort); anschließend fällt der
übergangsweise auf RNA-Ebene und endgültig auf DNA- Antikörpertiter wieder ab. Die Antikörper gehören primär der
Ebene. IgM-Klasse an. Nach Zweitkontakt mit demselben Antigen
kommt es rasch zum erneuten Serumtiteranstieg (sekundäre
oder anamnestische Antwort); es überwiegen Antikörper der
In Kürze IgG-Klasse.
Antikörper und ihre Antigene Polyklonale und monoklonale Antikörper Die Antikörper-
Aufbau der Immunglobuline 2 identische schwere (H) und antwort gegen ein bestimmtes Antigen ist meist polyklonal, da
2 identische leichte (L) Ketten sind über Disulfidbrücken verbun- ein Antigen normalerweise viele unterschiedliche Determinan-
den; L-Ketten in 2 Formen möglich (κ, λ), schwere Ketten in 5 For- ten trägt und für jede Determinante Antikörper unterschiedlicher
men (γ, μ, α, ε, δ), welche die Klasse bestimmen. H- und L-Ketten Affinität vorhanden sind. Antikörper, die von den Nachkommen
bestehen je aus einem konstanten und einem variablen Teil; einer einzigen B-Zelle produziert werden, sind völlig identisch,
der variable Teil der H- und L-Kette bildet die Antigenbindungs- d. h. monoklonal. Die Technik der B-Zell-Hybridisierung erlaubt
stelle. Papain spaltet IgG in ein Fc-Stück (konstanter Teil) und die Großproduktion monoklonaler Antikörper.
2 identische Fab-Fragmente (variabler Teil). H- und L-Kette be- Stärke der Antigen-Antikörper-Bindung
stehen aus ähnlichen Untereinheiten von ca. 100 Aminosäuren 5 Avidität: Summarischer Begriff zur Charakterisierung der
(Domänen). Bindungsstärke zwischen polyklonalen Antikörpern und
IgG 150 kD, 75% der Gesamtserum-Ig, Träger der Sekundär- ihrem homologen Antigen.
antwort. 5 Affinität: Bindungsstärke eines Antikörpers für eine
IgM 970 kD, ca. 10% der Gesamtserum-Ig, Pentamere, Träger bestimmte Determinante des Antigens.
der Primärantwort, IgM-Monomere als Membranrezeptoren auf
B-Lymphozyten. Folgen der Antigen-Antikörper-Reaktion in vivo Toxinneutra-
IgA Monomere (150 kD) oder Dimere (380 kD), ca. 15% der lisation (z. B. Diphtherie-, Tetanus-, Botulinustoxin), Virusneu-
Gesamtserum-Ig, als sekretorisches IgA in den externen Körper- tralisation, Opsonisierung (z. B. von Pneumokokken), antikörper-
flüssigkeiten. abhängige zellvermittelte Zytotoxizität (ADCC), Komplement-
IgD 180 kD, Membranrezeptor auf B-Zellen. aktivierung, allergische Sofortreaktion, Immunkomplexbildung.
IgE 190 kD, < 1% der Gesamtserum-Ig, vermittelt nach Bindung Klonale Selektionstheorie (Burnet) Lymphozyten unterschied-
an Mastzellen, Eosinophile und Basophile die Sofortallergie. licher Spezifität entwickeln sich vor dem Erstkontakt mit Anti-
Antigen Molekül, das mit den Trägern der Immunantwort gen; jede Zelle exprimiert Rezeptoren einer einzigen Spezifität;
(T- und B-Zellen bzw. Antikörpern) biologisch wirksam reagiert. Antigenkontakt führt zur klonalen Expansion der entsprechen-
Antigene für B-Lymphozyten sind Proteine oder Kohlenhydrate, den Zelle. Da beim Zweitkontakt mit Antigen mehr spezifische
sehr selten Lipide oder Nukleinsäuren. Zellen zur Verfügung stehen, ist die Immunantwort nun deut-
Epitop Abschnitt eines Antigens, der vom Antikörper erkannt lich stärker. Umgekehrt führt der Kontakt zwischen autoreakti-
wird; besteht aus 6–8 Monosacchariden bzw. Aminosäuren. ven B-Zell-Vorläufern und dem Autoantigen während einer
Hapten Isoliertes Epitop, das zwar mit Antikörpern reagiert, frühen Entwicklungsphase zur Inaktivierung der erkennenden
aber keine Immunantwort hervorruft. Zellen und damit zur Toleranz gegen »Selbst«.
Autologe oder autogene Situation Antigen und Antikörper Genetische Grundlagen der Antikörperbildung Für die geneti-
desselben Individuums. sche Vielfalt der B-Zell-Population sind in 1. Linie Genrekombi-
Syngene Situation Antigen und Antikörper genetisch identi- nationen (Genrearrangements) verantwortlich.
scher Individuen. 5 κ-Kette: Vκ und Jκ werden von getrennten DNA-Segmenten
Allogene Situation Antigene, die bei Individuen einer Spezies kodiert; ein Vκ-Gensegment verbindet sich mit einem
in unterschiedlicher Form vorkommen. Jκ-Gensegment durch Rekombination; das VκJκ-Gensegment
Xenogene Situation Antigen und Antikörper von verschiedenen wird mit dem Cκ-Gen transkribiert. Ähnliches gilt für die
Arten. λ-Kette.
Literatur
61 8

5 H-Kette: Aus je einem V-, D-, J-Gensegment entsteht das


VDJ-Gen, das mit dem C-Gen transkribiert wird.
5 Ausmaß der Diversität: 40 Vκ×5 Jκ = 200;
50 VH×27 DH×6 JH = 8100; 200×8100 = 1,6×106; Erhöhung
durch weitere Variationsmöglichkeiten auf ca. 109.
5 Allelenausschluss: In jeder Zelle kommt nur ein einziges
H-Ketten-Chromosom und nur ein einziges L-Ketten-Chromo-
som zum Rearrangement. Die anderen Allele sind davon
ausgeschlossen.
5 Ig-Klassenwechsel: Die B-Zelle produziert zuerst membran-
ständiges IgM und IgD. Nach Antigenreiz bildet die B-Zelle
entweder sezerniertes IgM, IgG, IgE oder IgA. Die ursprüng-
liche Spezifität bleibt unabhängig vom Klassenwechsel
erhalten.

Literatur

Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.


63 9

Komplement
S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Das Komplementsystem bildet das wichtigste humorale Effektor- 4 direkte Lyse von Zielzellen
system der angeborenen Immunität. Zum einen wird es direkt von 4 Anlockung und Aktivierung von Entzündungszellen
bestimmten Erregern aktiviert, zum anderen durch die Antigen- 4 Opsonisierung von Zielzellen
Antikörper-Reaktion.
Prinzipiell lässt sich die Komplementkaskade in folgende Ab-
schnitte unterteilen (. Abb. 9.1):
9.1 Übersicht 4 klassischer Aktivierungsweg (7 Abschn. 9.2)
4 lektinvermittelter Aktivierungsweg (Lektinweg, 7 Abschn. 9.5)
Die Bindung von Antikörpern an lebende Krankheitserreger führt 4 alternativer Aktivierungsweg (7 Abschn. 9.4)
nicht direkt zu deren Abtötung und Eliminierung. Um dies zu be- 4 gemeinsamer Terminalabschnitt (7 Abschn. 9.3)
wirken, müssen besondere Systeme aktiviert werden. Die auslösen-
den Signale sind antigenunspezifisch. Als Signalempfänger kennt Die Komplementaktivierung stellt ein typisches Beispiel für eine
man humorale Systeme und zelluläre Elemente. Unter den humora- Reaktionskaskade dar, wie man sie von der Blutgerinnung und der
len Systemen nimmt das Komplement einen besonderen Platz ein. Fibrinolyse kennt: Ein exogener Stimulus aktiviert das 1. Proenzym,
Das Komplementsystem besteht aus ca. 20  Serumproteinen das dann als Enzym für die Aktivierung des nächsten Proenzyms
(Komplementkomponenten). Im Serum liegen die Faktoren in ihrer dient. Diese Abfolge kann sich mehrmals wiederholen.
inaktiven Form vor. Wird das System angestoßen, so kommt es zur Klassischer, lektinvermittelter und alternativer Weg der Komple-
konsekutiven (sequenziellen) Aktivierung seiner Komponenten. mentkaskade münden in einen gemeinsamen Terminalabschnitt.
Dies führt zu 3 Ergebnissen: Die sich hier abspielenden Reaktionen führen zum Aufbau eines

. Abb. 9.1 Komplementsystem. Das Komplementsystem kann klassisch durch Antigen-Antikörper-Komplexe oder alternativ durch bakterielle Strukturen
(Lipopolysaccharide, Murein, Lipoteichonsäure) aktiviert werden. Dann sind 3 Effektorwege beschreitbar: Die chemotaktische Komponente C5a führt zum
Einstrom von Entzündungszellen, C3b opsonisiert Mikroorganismen und der terminale Effektorweg C5–C9 bildet Poren in der Zielzellmembran
64 Kapitel 9 · Komplement
Immunologie

. Abb. 9.2 Klassischer Weg, Lektinweg und terminale Effektorsequenz der Komplementaktivierung

Multikomponentenkomplexes, der in der Membran der Zielzelle Die Komplementkomponente C1q reagiert mit der CH2-Do-
eine Pore bildet und deren Lyse herbeiführt. mäne des IgG und der CH3-Domäne des IgM. In beiden Fällen sind
Im Verlauf der Komplementaktivierung entstehen durch enzy- die reagiblen Domänen Bestandteile des Fc-Stückes. Dessen Reak-
matische Fragmentierung der nativen Komponenten mehrere Spalt- tionsbereitschaft stellt sich erst ein, wenn der Antikörper mit »sei-
produkte. Ihr funktionelles Zusammenwirken löst die Entzün- nem« Antigen reagiert hat. C1q besitzt 6 Bindungsstellen. Erst nach
dungsreaktion aus (7 Kap. 14). Andere Fragmente binden an die Bindung an mehrere Antikörpermoleküle wird es aktiviert. Die
Zielzelle und treten dann mit Phagozyten in Wechselwirkung. Neu- Reaktion von C1q mit den Antikörpern verändert die Konformation
trophile Granulozyten und Monozyten besitzen u. a. Rezeptoren für von C1q und aktiviert dadurch C1r und C1s.
das zentrale Komponentenbruchstück C3b. In gebundenem Zustand C1r und C1s sind in ihrer inaktiven Form mit C1q assoziiert.
vermittelt C3b die Aufnahme von Fremdkörpern (Opsonisierung; Aktiviertes C1qrs wirkt als Esterase, ihre natürlichen Substrate sind
7 Kap. 8 und 7 Kap. 13). die Komponenten C4 und C2:
Da bei den Einzelschritten der Komplementsequenz jeweils ein 4 C4 wird in ein kleineres (C4a) und ein größeres (C4b) Frag-
Enzymmolekül eine große Menge von Substratmolekülen umsetzt, ment gespalten. Das Fragment C4b, das sich nahe dem Anti-
ist das Amplifikationspotenzial des Systems enorm. Die Aktivie- körper-C1qrs-Komplex anlagert, führt die Komplement-
rung muss deshalb an kritischen Stellen durch Regulatorproteine sequenz fort, indem es die Nativkomponente C2 bindet.
kontrolliert werden; dies verhindert ein ungeregeltes Ausufern der 4 Durch Anlagerung an C4b exponiert C2 seine enzymatisch
Reaktion. spaltbare Stelle und die C1qrs-Esterase fragmentiert es in den
Die einzelnen Komponenten des klassischen Weges und des Komplex C4b2a und das kleine Fragment C2b. Das gebun-
terminalen Effektorweges werden mit C1‒C9 bezeichnet. Hierbei dene C2a-Fragment ist enzymatisch aktiv.
wird aus historischen Gründen an einer Stelle die nummerische
Reihenfolge nicht eingehalten, die klassische Aktivierungsformel Der C4b2a-Komplex spaltet als sog. C3-Konvertase des klassischen
lautet: C1, C4, C2, C3, C5, C6, C7, C8, C9. Im Folgenden werden die Weges die native Komponente C3. Die C3-Spaltung ergibt das klei-
einzelnen Abschnitte der Komplementaktivierung genauer be- nere Polypeptid C3a und das größere, an der Komplementkaskade
sprochen. beteiligte Fragment C3b. C3b ist in statu nascendi hochreaktiv: Es
geht mit allen NH2- oder OH-Gruppen kovalente Bindungen ein.
Entsprechend wird ein Teil des anfallenden C3b nahe dem C4b2a-
9.2 Klassischer Weg Komplex gebunden. So entsteht der C4b2a3b-Komplex, der als sog.
C5-Konvertase natives C5 spaltet.
Am klassischen Weg der Komplementaktivierung (. Abb. 9.2) sind Die abseits vom Komplex C4b2a gebundenen einzelnen C3b-
die Komplementkomponenten C1, C4, C2 und C3 beteiligt. C3 stellt Moleküle exponieren eine Struktur, die mit einem Rezeptor auf
den Endpunkt des klassischen Weges und zugleich den gemeinsa- neutrophilen Granulozyten und Makrophagen reagieren kann (C3b-
men Knotenpunkt des klassischen und des alternativen Weges dar. Rezeptor; 7 Kap. 13). Diese Reaktion führt zur Phagozytose des
Über C3 münden beide Aktivierungswege in den terminalen Se- C3b-beladenen (opsonisierten) Fremdpartikels. Gebundenes C3b
quenzabschnitt. ist also funktionell mit dem Fc-Stück des gebundenen IgG-Antikör-
Die Komponente C1 besteht aus den 3 Untereinheiten C1q, C1r pers vergleichbar: Beide besitzen opsonisierende Aktivität. Das bei
und C1s. Den klassischen Weg leiten Antikörper der Klasse IgM und der C3-Spaltung anfallende C3a wird als Anaphylatoxin bezeichnet;
IgG ein. (Humane Antikörper der Klassen IgG1, IgG2 und IgG3 es bewirkt die Histaminfreisetzung aus Mastzellen (7 Abschn. 9.6).
aktivieren Komplement über den klassischen Weg, IgG4 dagegen Mehrere Kontrollproteine regulieren direkt oder indirekt die
nicht. Die murinen Antikörper der Klassen IgG2a, IgG2b und IgG3 Entstehung der C3-Konvertase:
aktivieren Komplement, IgG1 dagegen nicht.) Neben Antikörpern 4 Der natürliche Inhibitor C1INH hemmt die Aktivität der
können auch Pentraxine den C1-Komplex aktivieren. Pentraxine C1-Esterase.
sind molekulare Blutbestandteile, die nach Bindung an Lipide von 4 Es existieren Proteine, die sich an C4 anlagern und dadurch die
Mikroorganismen Komplement aktivieren. zur Spaltung notwendige Bindung des C2 verhindern:
9.4 · Alternativer Weg
65 9

. Abb. 9.3 Alternativer Weg und terminale Effektorsequenz der Komplementaktivierung

5 im Serum enthaltenes C4-Bindungsprotein tronenmikroskopisch imponieren die Läsionen als dunkle (elektro-
5 das Zelloberflächenprotein DAF (»decay accelerating nendichte) »Löcher«, die von einem helleren Ring umgeben sind.
factor«, 7 Abschn. 9.4)

9.4 Alternativer Weg


9.3 Terminale Effektorsequenz
Das Komplementsystem kann auch durch andere Signale als die des
An der C5-Spaltung ist das Aktivzentrum von C2a beteiligt: C2a Antikörpers aktiviert werden. Signale dieser Art gehen u. a. von di-
spaltet neben C3 auch C5. In freiem Zustand ist die Komponente C5 versen mikrobiellen Bestandteilen aus wie z. B.:
für das Enzym nicht zugänglich. Deshalb wird zuerst freies C5 an das 4 Zymosan (Zellwandkohlenhydraten von Hefen)
C3b des Komplexes C4b2a3b gebunden. Dies exponiert die spaltbare 4 Dextran (Speicherkohlenhydraten von Hefen und einigen
Stelle des C5 für das C2a-Enzym (. Abb. 9.2). Bei der C5-Spaltung grampositiven Bakterien)
entstehen 2 Fragmente: 4 Endotoxin (Lipopolysaccharid der Enterobakterien)
4 Das kleinere Bruchstück C5a bleibt in der flüssigen Phase.
Es wirkt analog dem C3a als Anaphylatoxin, zudem kann es Der Makroorganismus hat also die Möglichkeit, das Komplement-
Leukozyten anlocken (Leukotaxin). system bereits vor Einsetzen der spezifischen Immunantwort zu
4 Das größere Fragment C5b leitet die terminale Effektorsequenz aktivieren.
ein. Dabei bildet sich schließlich ein Heteropolymer, der Folgende Proteine sind am alternativen Weg beteiligt (. Abb. 9.3):
Membranangriffskomplex MAC. Er führt die Membranläsion 4 Komponente C3
mit anschließender Lyse herbei. 4 Faktoren B und D: Faktor D ist in seiner Nativform ein aktives
Enzym; sein natürliches Substrat ist der gebundene Faktor B
MAC entsteht in mehreren Phasen. Zunächst reagiert C5b spontan 4 Properdin (P)
mit den nativen Komponenten C6 und C7. Der so entstandene 4 Regulatoren: C3b-Inaktivator (Faktor I) und Faktor H
C5b67-Komplex reagiert dann mit nativem C8. In diesem Stadium
wirkt der Komplex bereits zytolytisch, ist jedoch wenig effizient. Die Die Aktivierung beruht auf folgenden Voraussetzungen:
eigentliche Aufgabe des C5b678-Komplexes ist die Polymerisation In geringem Umfang entsteht aus dem Serum-C3 spontan ein
von C9. PolyC9, das am Ort der C5b678-Ablagerung entsteht, bildet C3b-Äquivalent, ohne dass C3a freigesetzt wird. Dieses C3b-Äqui-
den funktionellen Kern des MAC. Dieser ist ein amphiphiler Hohl- valent (C3b+) kann sich mit dem Faktor B locker assoziieren und
zylinder (Länge: 15  nm, Innen- und Außendurchmesser: 10 bzw. dessen Spaltstelle exponieren. Unter enzymatischer Einwirkung von
20 nm) mit Außenwülsten, der nach seiner Bindung an die Lipid- Faktor D wird der gebundene Faktor B in Ba und Bb gespalten und
doppelschicht die gesamte Zellmembran durchspannt. Wie alle »am- es entsteht der C3b+Bb-Komplex. Dieser ist seinerseits enzymatisch
phiphilen« Makromoleküle besitzt er also regional getrennte hydro- wirksam und spaltet die Nativkomponenten C3 und C5.
phobe und hydrophile Areale. Das aktive Zentrum des Enzyms C3b+Bb ist in Bb enthalten. Der
MAC schafft in der Membran eine Pore, bewirkt so den Ein- geschilderte Reaktionsweg läuft im Plasma unter normalen Verhält-
strom von Na+-Ionen in die Zelle und letztendlich deren Lyse. Elek- nissen dauernd ab. Sein Ausmaß ist aber sehr gering, da er unter
66 Kapitel 9 · Komplement

Einwirkung der Kontrollfaktoren I und H steht und laufend ge-


hemmt wird. Hierbei verdrängt der Faktor H Bb von dessen Bin- In Kürze
dungsstelle am C3b+. In dem so entstandenen Komplex C3b+H wird Komplement
eine spaltbare Stelle des C3b+ exponiert und durch das Enzym  I, Aktivierung des Komplementsystems führt zu: Lyse von Zel-
dem C3b-Inaktivator, gespalten. Das Kontrollsystem aus H und I len, Anlockung von Entzündungszellen, Opsonisierung.
sorgt also dafür, den natürlichen Anfall von reagiblem C3b+ sofort Klassischer Aktivierungsweg Beteiligte Komponenten: C1, C4,
auszuschalten. C2, C3; Aktivierung durch Antigen-Antikörper-Komplexe: Es ent-
Mikrobielle Strukturen wie Zymosan vermögen das natür- steht der C4b2a3b-Komplex und einzelnes C3b auf Zielzellen
Immunologie

licherweise anfallende C3b+ in einer besonderen Form zu binden. sowie freies C4a und C3a.
Diese Form ist unfähig, mit H zu reagieren. Dies bedeutet, dass die Alternativer Aktivierungsweg Beteiligte Komponenten: C3, B,
von Zymosan gebundenen C3b+-Moleküle sich der I/H-Kontrolle D, Properdin, I, H; Aktivierung durch mikrobielle Bestandteile. Es
entziehen. Ohne Störung entwickelt sich das Enzym C3b+Bb; dieses entsteht der C3b+Bb-Komplex und einzelnes C3b auf Zielzellen.
wird durch Properdin (P) stabilisiert und generiert jetzt das enzyma- Lektinweg Beteiligte Komponenten: mannanbindendes Lektin
tische Spaltprodukt C3b, das seinerseits wieder an Zymosan gebun- (MBL), MBL-assoziierte Serinproteasen (MASP), C4, C2, C3; Akti-
den wird usw. vierung durch Bindung an mikrobielle Zuckerbausteine. Es ent-
Dieser Vorgang entspricht einer Selbstamplifikation. Er mün- steht der C4b2a3b-Komplex. Möglicherweise lässt sich die Be-
det in eine stürmisch verlaufende, unkontrollierte C3-Spaltung. Der teiligung von C4 und C2 durch direkte C3-Spaltung umgehen.
alternative Weg leitet somit die terminale Effektorsequenz ein. Um Gemeinsamer Terminalabschnitt Beteiligte Komponenten: C5,
sich vor der Komplementattacke zu schützen, exprimieren körperei- C6, C7, C8, C9; Aktivierung durch den C4b2a3b- oder den
gene Zellen den »decay accelerating factor« DAF (=  CD55), der C3b+Bb-Komplex auf Zielzellen. Es entsteht ein amphiphiler
Komplementkomponenten, die über den alternativen Weg spontan Hohlzylinder auf der Zielzelle, der deren Lyse herbeiführt, sowie
gebildet werden, rasch abbaut. freies C5a.
Da das durch die C3-Konvertase des klassischen Weges gebilde- Anaphylatoxine C4a, C3a aus dem klassischen Weg sowie C5a
te C3b ebenfalls mit Faktor B und D reagieren kann, sind alternativer aus dem terminalen Weg, die in Lösung bleiben, locken Entzün-
und klassischer Weg des Komplementsystems miteinander verbun- dungszellen an. C5a ist das wirkungsvollste Anaphylatoxin.
den. Der alternative Weg lässt sich als Verstärkersystem des klas- Opsonisierung Einzelnes C3b auf Zielzellen wird von Phagozy-
sischen Aktivierungsmechanismus verstehen. ten über entsprechende Rezeptoren erkannt und vermittelt die
Phagozytose.

9.5 Lektinweg

Der Lektinweg (. Abb. 9.2) ist ein weiterer Aktivierungsweg des Literatur
Komplementsystems. Lektine sind natürlich vorkommende Glyko-
proteine mit Spezifität für bestimmte Zucker. Im Serum findet man Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.
u. a. das mannanbindende Lektin (MBL), das Mannose und ähnli-
che Zucker erkennt, die auf zahlreichen Erregern vorkommen.
MBL kann mit bestimmten Proteasen, den MBL-assoziierten
Serin-Proteasen (MASP), reagieren, die funktionell C1r und C1s
ähneln. Erkennt der MBL-MASP-Komplex Zuckerbausteine auf Er-
regern, werden die Proteasen aktiviert und spalten C4 und anschlie-
ßend C2. Möglicherweise kann auch C3 direkt gespalten und so die
Beteiligung von C4 und C2 umgangen werden. Mit der Spaltung von
C3 mündet der Lektinweg in den terminalen Effektorweg der Kom-
plementkaskade ein.

9.6 Anaphylatoxine

Die Spaltprodukte C4a, C3a und C5a werden als Anaphylatoxine


bezeichnet, da sie anaphylaktische Reaktionen auslösen (7 Kap. 14).
Sie regen Mastzellen an, Histamin auszuschütten. Außerdem bewir-
ken sie die Kontraktion der glatten Muskulatur. C5a ist nicht nur ein
potenteres Anaphylatoxin als C3a und C4a, es übt darüber hinaus
eine chemotaktische Wirkung gegenüber neutrophilen Granulozy-
ten aus (Leukotaxin). Schließlich stimuliert es auch die Bildung von
reaktiven Sauerstoffmetaboliten und Leukotrienen. Die Kom-
plementspaltstücke C4a, C3a und C5a sind wichtige Mediatoren der
Entzündung und der Überempfindlichkeit; sie werden in 7 Kap. 14
besprochen. Anaphylatoxine werden durch eine Serum-Karboxy-
peptidase inaktiviert, den sog. Anaphylatoxin-Inaktivator.
67 10

Antigen-Antikörper-Reaktion:
Grundlagen serologischer Methoden
S. H. E. Kaufmann, R. Blasczyk

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Der Nachweis von Antigenen oder Serumantikörpern spielt in der Antikörper ab (Valenz bedeutet hier Zahl der Epitope pro Molekül
medizinischen Diagnostik eine bedeutende Rolle. Folgende Erschei- bzw. pro Partikel). Unter geeigneten Bedingungen bilden sich unlös-
nungen zeigen eine abgelaufene Antigen-Antikörper-Reaktion an: liche Komplexe, die in der wässrigen Phase quantitativ ausfallen.
4 Es bilden sich sichtbare Komplexe. Wie M. Heidelberger zeigte, lassen sich die Bedingungen der
4 Die biologische Aktivität des Antigens bzw. der antigentragen- Reaktion leicht ermitteln, indem man zu einer konstanten Anti-
den Zellen verändert sich. körpermenge ansteigende Mengen Antigen zufügt. Trägt man die
4 Zugesetztes Komplement wird aktiviert und verschwindet aus Menge des zentrifugierbaren Präzipitats gegen die Menge an zu-
der flüssigen Phase oder lysiert antigentragende Zellen. gefügtem Antigen auf, so ergibt sich eine charakteristische Kurve
4 Die Bindung des Antikörpers an das Antigen führt durch eine (. Abb. 10.1):
Markierung eines der beiden Partner zum Nachweis der Reaktion. 4 Der Scheitel dieser Heidelberger-Kurve entspricht der Äquiva-
4 Die Antigenbindung des Antikörpers ändert durch einen Sub- lenz von Antigen und Antikörper: In dieser Äquivalenzzone
stanzzuwachs die optischen Eigenschaften, sodass die Reaktion kommt es zur maximalen Präzipitatbildung. Der vorhandene
ohne Markierung eines der beiden Partner nachweisbar wird. Antikörper wird ebenso wie das vorhandene Antigen vollstän-
dig in die Präzipitatbildung einbezogen. Nach Abschleudern
des Präzipitats enthält der Überstand weder freien Antikörper
10.1 Nachweis der Antigen-Antikörper- noch freies Antigen noch lösliche Komplexe.
Reaktion durch sichtbare Komplexe 4 Der linke Schenkel der Kurve zeigt die Verhältnisse bei Anti-
körperüberschuss: Das zugefügte Antigen wird vollständig
Für Antikörper bzw. Antigene gilt: präzipitiert; der Überstand zeigt nur freien, nichtkomplexier-
4 Antikörper sind mindestens bivalent: Jedes Antikörpermole- ten Antikörper und weder Antigen noch lösliche Komplexe.
kül besitzt 2 oder mehr Antigenbindungsstellen.
4 Antigene sind in der Regel polyvalent: Auf einem Antigen-
molekül befinden sich mehrere Epitope.

Dementsprechend führt die Reaktion zwischen Antigen und homo-


logen Antikörpern unter geeigneten Bedingungen (im Serum oder
in Lösung) zur Bildung sichtbarer Antigen-Antikörper-Komplexe.
Je nach Größe des Antigens ergibt sich das Bild der
4 Präzipitation: Antikörperreaktion mit freien Antigenmole-
külen,
4 Flokkulation: Antikörperreaktion mit kleinen Partikeln,
4 Agglutination: Antikörperreaktion mit großen Partikeln oder
Zellen.

Das zugrunde liegende Prinzip bleibt jeweils gleich: In allen Fällen


handelt es sich um die Bildung eines Netzwerks aus Antigen und
Antikörper.

10.1.1 Immunpräzipitation in löslicher Phase


(Heidelberger-Kurve)

Treffen Antigen- und Antikörpermoleküle in flüssiger Phase aufei-


nander, so kommt es zur Vernetzung: Jedes Antikörpermolekül
kann mit den Epitopen von 2 oder mehreren Antigenmolekülen
reagieren. Die Größe der entstehenden Komplexe hängt von der
Valenz des Antigens und dem Mengenverhältnis von Antigen und . Abb. 10.1 Heidelberger-Kurve
68 Kapitel 10 · Antigen-Antikörper-Reaktion: Grundlagen serologischer Methoden

4 Der rechte Schenkel schließlich zeigt an, dass sich bei Antigen- 4 Mehrere Moleküle des sekundären polyklonalen Antikörpers
überschuss lösliche Immunkomplexe bilden: Hier enthält reagieren mit einem einzigen Molekül des primären Antikörpers;
der Überstand freies Antigen und lösliche Komplexe, jedoch dieser Verstärkereffekt erhöht die Empfindlichkeit des Systems.
keinen freien Antikörper.
ELISA
Beim enzymgekoppelten (»enzyme-linked«) Immunosorbent-
10.2 Nachweis der Antigen-Antikörper-Reaktion Assay (ELISA) wird das Antigen an eine Festphase (z. B. Boden einer
durch Komplementaktivierung Plastikplatte) kovalent gebunden; anschließend gibt man den primä-
Immunologie

ren Antikörper zu. Die entstandenen Antigen-Antikörper-Komple-


Bestimmte Antikörper vermögen Komplement zu aktivieren: Bei xe bleiben an die Festphase gebunden, die überschüssigen Antikör-
einer Antigen-Antikörper-Reaktion an der Oberfläche einer intak- per werden abgewaschen. Nun fügt man die sekundären Antikörper
ten Zelle kommt es durch Komplementaktivierung zur Zerstörung hinzu; die ungebundenen Sekundärantikörper werden abschließend
der Zellmembran und zur Lyse der Zellen, die sich unterschiedlich vom Komplex abgewaschen. Da an die sekundären Antikörper
nachweisen lässt. vorher ein geeignetes Enzym (z. B. Peroxidase oder Phosphatase)
4 Beim Einsatz von Erythrozyten zum Nachweis antierythro- gekoppelt wurde, resultiert nach Zugabe des entsprechenden Test-
zytärer Antikörper ist die Lyse nach Zentrifugation des Reak- substrats die Bildung eines farbigen Produkts, dessen Menge sich
tionsgemischs durch das Vorhandensein von Hämoglobin fotometrisch bestimmen lässt. Die Produktmenge steht in direkter
im Überstand visuell oder fotometrisch nachweisbar. Beziehung zur Menge des nachzuweisenden Antigens.
4 Bei Verwendung von Lymphozyten zum Nachweis antilym- Beim Sandwich-ELISA setzt man 2 Antikörper, die für 2 unter-
phozytärer Antikörper (meist Anti-HLA-Ak) lässt sich die Lyse schiedliche Epitope eines größeren Antigens (typischerweise eines
mikroskopisch durch Färbung mit einem Vital(fluoreszenz) Proteins) spezifisch sind, ein: Der 1. spezifische Antikörper ist an
farbstoff (z. B. Eosin oder Acridinorange zum Nachweis nicht- eine Festphase gebunden und hat die Aufgabe, das Antigen fest-
lysierter Zellen) oder einem DNA-interkalierenden Fluores- zuhalten. Der 2. Antikörper, an den ein geeignetes Enzym gekop-
zenzfarbstoff (z. B. Ethidiumbromid zum Nachweis lysierter pelt wurde, dient dem Antigennachweis. Zugabe des entsprechen-
Zellen) quantifizieren. den Testsubstrats führt zur Bildung eines messbaren, farbigen Pro-
dukts.

10.3 Nachweis der Antigen-Antikörper-Reaktion ELISPOT-Assay


durch markierte Reaktionspartner Mit dem ELISPOT-Assay (»enzyme-linked immunospot assay«) las-
sen sich antigenspezifische Zellen ermitteln, die auf eine antigenspe-
10.3.1 Immunfluoreszenz zifische Stimulation hin bestimmte Substanzen produzieren, welche
mittels Antigen-Antikörper-Reaktion nachgewiesen werden. Diese
Bei der Immunfluoreszenz dient ein fluoreszierender Farbstoff (z. B. nachgewiesenen Substanzen sind meist von Plasmazellen produ-
Fluoreszein-Isothiozyanat) als Indikator. Die Immunfluoreszenz zierte Antikörper (7 Kap. 8) oder von T-Lymphozyten synthetisierte
dient zum fluoreszenzmikroskopischen Nachweis von Antigenen Zytokine (7 Kap. 12).
oder Antikörpern. Für die mikrobiologische Diagnostik wichtig Der ELISPOT-Assay ist eine Abwandlung des Sandwich-ELISA:
ist der Fluoreszenz-Treponemen-Antikörper-Absorptions-Test Die produzierenden Zellen werden auf eine Filtermatte gesaugt, an
(FTA-ABS-Test), mit dem sich luesspezifische Antikörper ermitteln die ein spezifischer Antikörper gebunden wurde. Dieser Antikörper
lassen. Dabei weist fluoreszenzmarkiertes Coombs-Serum die Reak- bindet das freigesetzte Antigen. Nach Waschen wird ein 2. Anti-
tion eines präabsorbierten Patientenserums mit abgetöteten Trepo- körper hinzugegeben, der ebenfalls für das nachzuweisende Antigen
nemen nach (Coombs-Serum erkennt humanes Immunglobulin; spezifisch ist und mit einem geeigneten Enzym markiert wurde.
7 Abschn. 10.5.4). In diesem Fall wird ein Substrat verwendet, das am Reaktionsort
ausfällt. An den Stellen der Antigenbindung entstehen sichtbare
Punkte, die ein Maß für die Zahl der produzierenden Zellen dar-
10.3.2 Moderne Methoden stellen.

Die Entwicklung monoklonaler Antikörper und rekombinanter Anti- Durchflusszytometrie


gene hat den Antigen- bzw. Antikörpernachweis durch markierte Anti- In letzter Zeit hat die fluoreszenzimmunologische Messung von Leu-
körper bzw. Antigene enorm beflügelt. Im Prinzip beruhen die diver- kozyten und anderen Zellen im Durchflusszytometer breite Anwen-
sen Verfahren darauf, dass man zu einem Gemisch, welches das frag- dung gefunden. Man benutzt dafür monoklonale Antikörper gegen
liche Antigen oder den fraglichen Antikörper enthält, einen mono- solche Oberflächenantigene, die als Marker zur Katalogisierung der
klonalen Antikörper oder ein rekombinantes Antigen gibt und den Zellen dienen (z. B. CD-Nomenklatur in . Tab. 6.1). Die Auswertung
resultierenden Antigen-Antikörper-Komplex von der flüssigen Phase erfolgt automatisch durch Zählung der angefärbten Zellen in com-
abtrennt. Anschließend wird der Komplex mit einem empfindlichen putergesteuerten Durchflusszytometern (»fluorescence-activated
Nachweissystem identifiziert und, falls erwünscht, quantitativ erfasst. cell sorter« (FACS).
Obwohl man hierbei den Indikator direkt an den monoklonalen
Antikörper (Primärantikörper oder 1. Ak) koppeln könnte, bedient FACS und MACS
man sich bevorzugt indirekter Verfahren meist unter Einsatz poly- Mithilfe von FACS und MACS (»magnetic absorbance cellsorter«)
klonaler Antikörper (Sekundärantikörper oder 2. Ak), die den lassen sich antikörpermarkierte Zellen sortieren. Beim FACS mar-
1. Antikörper erkennen. Dies bringt 2 Vorteile: kiert man die Nachweisantikörper mit einem Fluoreszenzfarbstoff,
4 Für monoklonale Antikörper aller Spezifitäten eignet sich das beim MACS mit magnetisierten Partikeln. Beim FACS werden die
gleiche Indikatorserum. gefärbten Zellen mit einem Laserstrahl aussortiert, während beim
10.5 · Blutgruppenserologie
69 10

. Tab. 10.1 AB0-System

Genotyp Antigen Phänotyp (Blutgruppe) Natürliche Serumantikörper Verteilung in Deutschland (%)

A/A, A/0 A A Anti-B 43

B/B, B/0 B B Anti-A 13

0/0 H 0 Anti-A, Anti-B 39

A/B A, B AB – 5

MACS die magnetisierten Zellen im Magnetfeld von den nichtmar- zeitlichen Interaktion zwischen den Bindungspartnern. RIfS wird
kierten Zellen abgetrennt werden. Diese Geräte sind zur präparati- daher vor allem bei Biosensoren angewendet.
ven Gewinnung definierter Zellpopulationen geeignet.

Multiplextechnologien 10.5 Blutgruppenserologie


Multiplextechnologien ermöglichen die simultane Detektion meh-
rerer Parameter in einem Ansatz. Diese Parameter können auch An- Erythrozyten tragen auf ihrer Oberfläche zahlreiche Alloantigene,
tigene oder Antikörper sein. Besonders leistungsfähig sind die die in verschiedenen Systemen zusammengefasst werden. Der Besit-
xMAP- (»multiplex multi-analyte profiling«) und die BMB-Techno- zer eines bestimmten Antigens XY wird als Träger des Blutgruppen-
logie (»barcoded magnetic beads«): merkmals XY bezeichnet. Die einzelnen Antigene eines Blutgrup-
4 Das xMAP-Verfahren beruht auf mikroskopisch kleinen Poly- pensystems sind genetisch fixiert; sie können bei einzelnen Indivi-
styrolkügelchen, die aufgrund einer spezifischen Fluoreszenz- duen ausgeprägt sein oder fehlen. Ihr Ensemble bildet ein Mosaik,
kodierung mit einem speziellen Durchflusszytometer (Lumi- das von Individuum zu Individuum variieren kann.
nex-Analyzer) zuverlässig voneinander unterscheidbar sind. In der Blutgruppenserologie unterscheidet man mehrere Syste-
4 Das BMB-Verfahren beruht auf polymeren, paramagnetischen me; die wichtigsten werden als AB0, Rhesus (Rh), Kell, Duffy, Lewis,
Beads, die aufgrund eines individuellen, optisch lesbaren digi- Kidd, MNS und Lutheran bezeichnet. AB0 und Rh stellen die weitaus
talen Barcodes in einem Barcodelesegerät (Biocode-Analyzer) wichtigsten Blutgruppensysteme dar.
zuverlässig voneinander unterscheidbar sind.

Auf jeder dieser über 100 möglichen Populationen können Antikör- 10.5.1 AB0-System
per oder Antigene kovalent gekoppelt werden. Der parallele Nach-
weis multipler Analyten einer Probe erfolgt durch fluorimetrische Alloantigene und Antikörper im AB0-System
Detektion einer Antigen-Antikörper-Reaktion auf jeder individuel- Im AB0-System kennt man 4 phänotypisch ausgeprägte Formen (Allo-
len Population von Polystyrolkügelchen oder barkodierten Beads typen); sie werden mit den Formeln A, B, AB oder 0 bezeichnet. Träger
mithilfe eines fluoreszenzmarkierten Sekundärantikörpers. der Blutgruppe A besitzen auf ihren Erythrozyten das Antigen A, die
Beide Verfahren werden z. B. zum Multiplexnachweis von Zyto- der Gruppe B das Antigen B, die der Gruppe AB beide Antigene und
kinen in Serumproben oder Zellkulturüberständen (Antikörper an die der Gruppe 0 keines der beiden Antigene (. Tab. 10.1).
die Partikel gekoppelt) und von Anti-HLA-Antikörpern in Serum- Die Antigene sind biochemisch charakterisiert worden: Als che-
proben (Antigene an die Partikel gekoppelt) verwendet. mische Grundsubstanz fungieren glykosylierte Lipide (Glykolipide)
bzw. Proteine (Glykoproteine) der Erythrozytenmembran, an die
durch eine H-Transferase Fukose angefügt wird. Das Ergebnis be-
10.4 Nachweis der Antigen-Antikörper-Reaktion zeichnet man als H-Substanz (Antigen H). Erythrozyten der Blut-
durch unmarkierte Reaktionspartner gruppe 0 besitzen lediglich diese Grundstruktur. Bei Blutgruppe A
kommen zusätzlich N-Azetyl-Galaktosamin-Moleküle hinzu, bei
Reflektometrische Interferenzspektroskopie (RIfS) Diese Technik Gruppe B Galaktosemoleküle (. Abb. 10.2). Erythrozyten der Blut-
ist eine markierungsfreie, physikalische Methode, die auf der Inter- gruppe AB besitzen beide Zuckerformen.
ferenz von breitbandigem (Weiß-)Licht an dünnen Schichten be- Die Anheftung des jeweiligen Zuckermoleküls an die H-Sub-
ruht: Aus senkrecht eingestrahltem Weißlicht entstehen an jeder stanz vermitteln Glykosyltransferasen, die vom A- bzw. B-Allel des
Phasengrenze Teilstrahlen, von denen einige reflektiert und andere für das AB0-System zuständigen Gens auf Chromosom 9 kodiert
gebrochen transmittiert werden. Die reflektierten Teilstrahlen über- werden. Die A- und B-Merkmale werden kodominant und im Hin-
lagern sich zu einem Interferenzspektrum, das über ein Spektrome- blick auf das 0-Merkmal dominant vererbt: Phänotyp »A« kann da-
ter detektiert wird. Verändert sich die optische Schichtdicke, resul- her auf jeweils 2 Genotypen beruhen – auf A/A (homozygot) oder
tiert ein modifiziertes Interferenzspektrum. A/0 (heterozygot). Für den Phänotyp »B« gilt entsprechend der Ge-
Immobilisierte Antigene oder Antikörper verändern nach einer notyp B/B oder B/0. Für die Phänotypen 0 und AB existiert jeweils
Antigen-Antikörper-Reaktion mit dem nachzuweisenden Antigen nur ein Genotyp, nämlich 0/0 bzw. A/B (. Tab. 10.1).
oder Antikörper aus der zu analysierenden Probe aufgrund neuer Wie zu erwarten, wirken die Blutgruppensubstanzen A, B und
Phasengrenzen dieses Interferenzspektrum. Die Vorteile dieser Me- AB für Individuen, die sie nicht besitzen, als Alloantigene. Da das
thode sind zum einen der markierungsfreie Nachweis der Antigen- 0-Merkmal als gemeinsame Vorstufe bei allen Menschen vorkommt,
Antikörper-Reaktion, zum anderen die Möglichkeit einer Beobach- wirkt es in keinem Fall als Antigen. Es gibt allerdings den sehr selte-
tung des zeitlichen Verlaufs des Interferenzspektrums und damit der nen Null-Phänotyp des H-Systems, bei dem Antigen H nicht gebil-
70 Kapitel 10 · Antigen-Antikörper-Reaktion: Grundlagen serologischer Methoden

4 Die B-spezifischen Antikörper im A-Spenderblut reagieren mit


den B-Erythrozyten des Empfängers.

Die erstgenannte, weitaus schwerwiegendere Reaktion wird als Ma-


jor-Reaktion bezeichnet; die zweitgenannte, wegen des Verdün-
nungseffekts leichtere als Minor-Reaktion. Die Minor-Reaktion
spielt bei der Übertragung von Erythrozyten klinisch allerdings kei-
ne Rolle, da heute ausschließlich Blutkomponenten statt Vollblut
Immunologie

zum Einsatz kommen, bei denen entweder nur die Blutzellen (Ery-
throzytenkonzentrate) oder nur das Plasma (Gefrierplasma) über-
tragen werden.
Bei der Transfusion von Vollblut der Gruppe AB auf einen Emp-
fänger der Gruppe A oder B oder 0 ist wegen des Fehlens transfun-
dierter Isohämagglutinine ausschließlich eine Major-Reaktion mög-
lich, während es bei der Übertragung von Vollblut der Gruppe 0 auf
einen Empfänger der Gruppe A oder B oder AB wegen des Fehlens
transfundierter AB-Antigene lediglich zur Minor-Reaktion kommt.
Bei einem Empfänger der Gruppe AB kann wegen des Fehlens
von Isohämagglutininen niemals ein Major-Zwischenfall eintreten,
. Abb. 10.2 Chemischer Aufbau der Antigene des AB0-Systems (GlcNAc:
ob man ihm nun Blut eines A-, eines B- oder eines 0-Spenders (hier
N-Azetyl-Glukosamin, GalNAc: N-Azetyl-Galaktosamin, Gal: Galaktose)
fehlen zusätzlich die ABO-Antigene) zuführt. Aufgrund dieser Ver-
hältnisse, die eine Major-Reaktion ausschließen, bezeichnet man
hinsichtlich der Transfusion von Erythrozyten die Angehörigen der
det wird. Dieser durch eine H-Transferase-Defizienz verursachte Blutgruppe 0 als Universalspender und die Angehörigen der Blut-
Phänotyp wird nach dem Ort seiner Erstbeschreibung als Bombay- gruppe AB als Universalempfänger. Im Normalfall wird jedoch auf
Phänotyp bezeichnet und ist immer mit einem hochtitrigen und diese Möglichkeit nicht zurückgegriffen.
klinisch relevanten Anti-H-Antikörper assoziiert. Eine Transfusion Vorzugsweise werden AB0-gleiche Blutkomponenten und le-
ist ausschließlich mit Bombay-Erythrozyten möglich. diglich in Ausnahmefällen nur AB0-kompatible Präparate (z. B.
Eine Besonderheit des AB0-Systems besteht darin, dass alle er- 0-Erythrozytenkonzentrat auf A-Empfänger) übertragen. Bei
wachsenen Individuen gegen diejenigen Antigene, die sie nicht be- Thrombozyten- und Plasmapräparaten wird jedoch häufig auch nur
sitzen, Antikörper aufweisen: sog. physiologische oder natürliche AB0-kompatibel transfundiert. Zur Sicherstellung einer AB0-ver-
Antikörper (. Tab. 10.1): träglichen Bluttransfusion muss daher zuvor die AB0-Blutgruppen-
4 Individuen der Gruppe A besitzen physiologischerweise Anti- bestimmung stehen und wegen der zahlreichen weiteren Blut-
körper gegen Antigen B. gruppensysteme, gegen die beim Empfänger Antikörper vorliegen
4 Individuen der Gruppe B besitzen Antikörper gegen Anti- könnten, bei der Transfusion erythrozytenhaltiger Präparate eine
gen A. zusätzliche Absicherung durch die serologische Verträglichkeits-
4 Individuen der Gruppe 0 besitzen Antikörper gegen die Anti- probe erfolgen.
gene A und B Zur weiteren Absicherung bei der Anwendung erythrozytenhal-
4 Dagegen besitzen Individuen der Gruppe AB weder Antikör- tiger Blutkomponenten (Erythrozyten- und Granulozytenkonzent-
per gegen A noch gegen B, da für sie keines dieser beiden Anti- rate) muss vor Transfusion immer am Krankenbett ein AB0-Identi-
gene fremd ist. tätstest (Bedside-Test) des Empfängers zur Bestätigung der zuvor
bestimmten AB0-Blutgruppenmerkmale erfolgen.
Neugeborene haben noch keine natürlichen Antikörper. Sie werden
in den ersten Lebensmonaten gegen heterogenetische Antigene ge-
wisser humansymbiotischer Bakterien aus der Darmflora gebildet. 10.5.2 Rh-System
Diese Antigene sind mit den Blutgruppenantigenen identisch oder
teilidentisch (7 Kap. 8). Die physiologischen Antikörper gehören Rhesusantigene und Antikörper
überwiegend der IgM-Klasse an und sind daher nicht plazenta- Aufgrund seiner hohen Immunogenität ist das Rhesussystem für die
gängig. In der Regel zeigen sie mit den korrespondierenden Ery- Transfusionsmedizin von großer Bedeutung. Die Rhesusantigene
throzyten eine deutliche Hämagglutination, sie werden deshalb als werden mit den Buchstaben C bzw. c, D und E bzw. e bezeichnet.
Isohämagglutinine bezeichnet. Diese Antigene werden durch 2 Genbereiche kodiert, die eng beiei-
nander liegen und daher meist zusammen als Haplotyp vererbt wer-
Bluttransfusion und Komplikationen den. Der 1. Genbereich ist für Antigen D, der 2. für die Antigene C,
Bereits bei der 1. Transfusion einer fremden AB0-Blutgruppe c, E, e zuständig. Serologisch bestimmbar sind lediglich die Antigene
kommt es zu einer heftigen Reaktion, bei der entweder die Isohäm- C, D, E, c und e.
agglutinine des Empfängers mit den transfundierten Erythrozyten Für die Allelpaare »C/c« und »E/e« ergeben sich 3 Expressions-
oder die mit Blutplasma transfundierten Isohämagglutinine mit den möglichkeiten: CC, cc (beide homozygot) und Cc (heterozygot) bzw.
Erythrozyten des Empfängers reagieren. EE, ee (beide homozygot) und Ee (heterozygot). Ein zu D antitheti-
Bei Übertragung von Blut der Gruppe A auf ein Individuum der sches Antigen d gibt es nicht. Der Buchstabe d wird dazu verwendet,
Gruppe B treten daher 2 getrennte Reaktionen auf: um das Fehlen von D aufgrund einer vollständigen Deletion des ko-
4 Die A-spezifischen Antikörper des B-Empfängers reagieren dierenden Gens anzuzeigen. Da serologisch nicht zwischen den Ge-
mit den transfundierten A-Erythrozyten. notypen DD (homozygot) und Dd (heterozygot) unterschieden wer-
10.5 · Blutgruppenserologie
71 10
den kann, wird für beide das Symbol D. verwendet. (Der Punkt be- 10.5.3 Antigene anderer Blutgruppensysteme
deutet, dass sowohl DD als auch Dd vorliegen kann.) Bleibt die sero-
logische Reaktion mit Anti-D dagegen aus, so muss es sich um dd Es existieren noch weitere Blutgruppensysteme, deren Antigene sich
handeln (hierbei steht d für den deletierten Genort des Antigens D). bei jedem Menschen finden. Gegen diese Antigene werden nur sel-
Alle vorhandenen Rhesusantigene einer Person werden zusam- ten Antikörper gebildet. Als Störfaktor treten sie nur selten in Er-
men als Rhesusphänotyp oder Rhesusformel bezeichnet. Die häu- scheinung. Dies hat folgende Gründe:
figsten Rhesusphänotypen sind CcD.ee (35%), CCD.ee (20%) und 4 Ihre Wirkung als Alloantigen ist schwach.
ccddee (15%). 4 Natürliche Antikörper kommen entweder selten vor oder sind
Das mit Abstand stärkste Rh-Antigen ist D (»Rhesusfaktor«). aufgrund ihrer geringen Reaktivität bedeutungslos.
Dementsprechend bedeutet bei Transfusionsempfängern, Blut- 4 Häufig tragen Spender und Empfänger gleiche Antigene.
spendern und in der Schwangerschaftsvorsorge die Kurzbezeich-
nung Rh-positiv (D-positiv) das Vorhandensein des D-Antigens, Solche Systeme können aber bei zahlreichen Transfusionen, die ein-
während das Symbol Rh-negativ (D-negativ) dessen Fehlen an- zelne Patienten gelegentlich erhalten müssen, zur Sensibilisierung
zeigt. Nach dem Antigen D ist Antigen c das zweitstärkste Antigen, führen. Dies schränkt die Auswahlmöglichkeiten unter den in Be-
gefolgt von Antigen E. Die Antigene C und e sind schwächer immu- tracht kommenden Erythrozytenpräparaten ein, sodass bei länger-
nogen. fristiger Transfusionsbedürftigkeit ein Versorgungsproblem entste-
Im Gegensatz zum AB0-System kommen Antikörper gegen hen kann. Am ehesten sind für die Praxis die Duffy-, Kell-, Kidd-,
Rh-Antigene natürlicherweise nicht vor. Sie werden erst in patholo- Lewis-, Lutheran- und MNS-Antigene von Bedeutung.
gischen Situationen erworben. Diese Antikörper gehören der IgG-
Klasse an. Sie sind plazentagängig und besitzen unvollständig
hämagglutinierende Aktivität (s. u.). 10.5.4 Blutgruppenserologische Untersuchungs-
methoden
Bluttransfusion und Komplikationen
Aufgrund der starken Immunogenität ist das Rhesussystem für die Die Blutgruppenbestimmung beruht auf der Hämagglutination.
Bluttransfusion von ebenso großer Bedeutung wie das AB0-System. Die Bestimmung der AB0-Merkmale ist im Prinzip einfach. In ge-
Bei der Erythrozytentransfusion muss zumindest das Risiko einer trennten Untersuchungsgängen werden folgende Merkmale be-
Immunisierung gegen Antigen D vermieden werden. Ein Rh-nega- stimmt:
tiver Empfänger ist daher mit Rh-negativen Erythrozytenpräpara- 4 Erythrozytenmerkmale
ten zu versorgen. Wegen der Seltenheit von Rh-negativen Erythro- 4 Spezifität der Isoagglutinine
zytenpräparaten sollten Spender und Empfänger im Hinblick auf die
Bezeichnung Rh-positiv oder Rh-negativ gleich sein. Heute setzt man zum Nachweis monoklonale Antikörper gegen A
Bei der Erstübertragung von Rh-positiven Erythrozytenpräpa- und B ein. Als Reagens zur Isoagglutininbestimmung verwendet
raten auf einen Rh-negativen Empfänger kommt es zu keiner man Suspensionen menschlicher Erythrozyten mit den Merkmalen
Transfusionsreaktion. Der Empfänger wird aber dabei mit hoher A1, A2, B und 0 (0-Ansatz als Kontrolle). Die Agglutination wird auf
(> 80%) Wahrscheinlichkeit immunisiert und würde bei erneuter einer speziellen Platte, im Röhrchen, im Gel oder in einer Mikroti-
Übertragung Rh-positiver Erythrozyten eine Transfusionsreaktion terplatte ausgeführt. Die Serumeigenschaften müssen mit den Ery-
erleiden. throzyteneigenschaften vereinbar sein. Beim AB0-Identitätstest des
Bei Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter ist bei Erythro- Empfängers (Bedside-Test) unmittelbar vor der Transfusion von
zytentransfusionen die vollständige Rhesusformel zu beachten, um Erythrozyten- und Granulozytenkonzentraten werden auf Testkar-
Immunisierungen gegen das beim Empfänger fehlende Rhesusanti- ten nur die Erythrozytenmerkmale und nicht die Serumeigenschaf-
gen zu vermeiden (s. u.). Das Gleiche sollte bei längerfristig transfu- ten bestimmt.
sionsbedürftigen Patienten beachtet werden sowie bei Patienten, die Neben dem stark agglutinablen Merkmal A1 (und bedingt A2)
bereits gegen andere Blutgruppenantigene immunisiert sind. gibt es mehrere schwach agglutinable Merkmale wie A3, Ax, Aend
oder Am . Schwierigkeiten ergeben sich bei der Bestimmung des
Rhesussystem und Schwangerschaft AB0-Systems dann, wenn ein Proband das Erythrozytenmerkmal A
Das Rh-System ist wegen der Plazentagängigkeit der D-spezifischen in dessen schwach oder nichtagglutinablen Form (z. B. A3) besitzt. In
Antikörper von großer Bedeutung für die Schwangerschaftsvor- diesem Fall beurteilt man die Erythrozyten als »A weak« und sucht
sorge. Erwartet eine Rh-negative Mutter ein Rh-positives Kind, dann vergebens nach dem zugehörigen Anti-A im Serum. Die Situ-
treten bei der 1. Gravidität keine Probleme auf. Während der Geburt ation lässt sich durch Antikörperadsorption, Phytohämagglutinine
wird aber Blut zwischen Mutter und Neugeborenem ausgetauscht. oder neuerdings molekulargenetisch klären. Phytohämagglutinine
Die Mutter wird gegen D sensibilisiert und bildet Anti-D-Antikörper sind pflanzliche Makromoleküle. Sie vermögen gewisse Zucker zu
der IgG-Klasse. Bei der 2. Schwangerschaft passieren diese Antikör- binden.
per die Plazenta und lysieren Erythrozyten des Fetus, wenn auch Eine 2. Schwierigkeit ergibt sich beim Rh-System. Erythrozyten
dieser Rh-positiv ist. Dies führt in utero beim Fetus zur hämolyti- tragen auf ihrer Oberfläche starke negative Ladungen. In Suspension
schen Anämie mit Hyperbilirubinämie und Kernikterus. Resultat ist stoßen sie sich ab und geraten nie näher aneinander als 30 nm, also
der Morbus haemolyticus neonatorum. etwas weiter als die Spannweite eines IgG-Antikörpers. Dementspre-
Bei rechtzeitiger Diagnose lässt sich diese Erythroblastose ver- chend werden die Rh-Antigene von den homologen Antikörpern
hindern. Die Gabe von Anti-D-Antikörpern (Rhesusprophylaxe) der IgG-Klasse zwar erkannt, die Vernetzung der Erythrozyten bleibt
während der 1. Schwangerschaft und unmittelbar nach der Geburt jedoch in der Regel aus.
eines Rh-positiven Kindes durch eine Rh-negative Mutter unterbin- Gibt man aber zusätzlich einen Antikörper dazu, der humanes
det die Sensibilisierung der Mutter, d. h. die Bildung D-spezifischer Immunglobulin erkennt (Antihumanglobulin, AHG), so erfolgt die
Antikörper. Agglutination. In der Blutgruppenserologie wird der 1., für sich
72 Kapitel 10 · Antigen-Antikörper-Reaktion: Grundlagen serologischer Methoden

allein nicht agglutinierende humane Antikörper als inkompletter


. Tab. 10.2 Serologische Verträglichkeitsprobe: Dreistufentest
Antikörper bezeichnet (der Ausdruck ist streng genommen falsch,
da der so bezeichnete IgG-Antikörper voll funktionsfähig ist und sich
Stufe Agglutinationstest
nur in der Spezifität von anderen humanen IgG-Antikörpern unter-
scheidet). Der 2., indirekt agglutinierende Antikörper wird nach 1 ohne Zusätze
seinem Entdecker Coombs-Antikörper genannt. Antikörper, die
2 in Gegenwart von Supplement
Erythrozyten stets direkt agglutinieren können, heißen komplette
Antikörper. Sie gehören in der Regel der IgM-Klasse an (z. B. die 3 zusätzlich in Gegenwart von Coombs-Serum (indirekter
Immunologie

Coombs-Test, s. u.)
natürlichen Antikörper des AB0-Systems).
Die Hämagglutination von Erythrozyten, die mit inkompletten
Antikörpern beladen sind, lässt sich auch durch Zugabe von Supple-
ment (z. B. »low ionic strength solution«, LISS, oder Albumin) för- (Dreistufentest) bei 37 °C durchgeführt, um zuverlässig komplette
dern; Stoffe dieser Art reduzieren die negative Oberflächenladung der und inkomplette Antikörper zu erfassen (. Tab. 10.2).
Erythrozyten. Schließlich kann man durch Vorbehandlung der Ery- Bei modernen Gelkartensystemen entfällt das 3-stufige Vorge-
throzyten mit Enzymen (z. B. Papain) ihre Hämagglutinationsbereit- hen, da bereits alle Komponenten vorpipettiert vorliegen.
schaft erhöhen. Während die natürlichen Antikörper des AB0-Systems im All-
Zur Auswahl geeigneter Erythrozytenpräparate für die Trans- gemeinen bei Zimmertemperatur gut nachweisbar sind, reagieren
fusion führt man beim Empfänger mindestens folgende Untersu- die IgG-Antikörper der meisten Blutgruppensysteme bei Körper-
chungen durch: temperatur besser; sie werden deshalb Wärmeantikörper (oder Wär-
4 Bestimmung der AB0-Blutgruppe meagglutinine) genannt. Dagegen sind andere Antikörper, z. B. die
4 Bestimmung des Antigens D Antikörper gegen Lewis-Antigene, nur bei 4 °C auffindbar – sog.
4 Suchtest nach irregulären Antikörpern (Duffy, Kell, Kidd etc.) Kälteantikörper (oder Kälteagglutinine).
4 serologische Verträglichkeitsprobe (Kreuzprobe) des Antikörper, die in Gegenwart von Serumkomplement eine Lyse
Patientenserums mit den Spendererythrozyten herbeiführen, nennt man hämolysierende Antikörper (Hämolysine).
Sie können auch für Ablesefehler verantwortlich sein.
Die natürlichen Antikörper des AB0-Systems treten bei Individuen Für die Schwangerschaftsvorsorge ist das Rh-System von beson-
der entsprechenden Blutgruppe immer auf (also Anti-A-Antikörper derer Bedeutung:
bei Blutgruppe B etc.). Diese regulären Antikörper werden bei der 4 Beim direkten Coombs-Test (DCT; direkter Antihumanglobu-
Auswahl geeigneter Erythrozytenkonzentrate bereits berücksichtigt lin-[AHG-]Test) wird die Erythrozytensuspension mit Coombs-
(AB0-gleiche oder kompatible Erythrozytenpräparate). Beim Anti- Antiserum gemischt. Kommt es zur Hämagglutination, so
körpersuchtest und der serologischen Verträglichkeitsprobe können waren die Erythrozyten bereits in vivo mit inkompletten Anti-
aber auch irreguläre Antikörper entdeckt werden (z. B. gegen Anti- körpern beladen. Ein Befund dieser Art ergibt sich z. B. beim
gene des Rhesussystems oder gegen seltene Blutgruppenantigene), Rh-positiven Neugeborenen einer Rh-negativen Mutter, die
deren Vorkommen nicht voraussagbar ist. bereits Antikörper gegen das Antigen D gebildet hat.
4 Für das AB0-System wird die volle Übereinstimmung der 4 Beim indirekten Coombs-Test (ICT; indirekter AHG-Test) wird
Spender- und Empfängermerkmale gefordert; in Ausnahme- das Serum auf das Vorhandensein von inkompletten Antikör-
fällen wird auf AB0-kompatible Konstellationen ausge- pern, z. B. Rh-spezifischen Antikörpern, untersucht. Hierzu in-
wichen. kubiert man Rh-positive Erythrozyten der Gruppe 0 als Träger
4 Für das Rhesussystem wird Übereinstimmung zumindest des Antigens D mit dem zu untersuchenden Serum; nach
hinsichtlich Rh-positiv und Rh-negativ verlangt. In besonde- Waschen wird der Suspension Coombs-Serum zugesetzt. Eine
ren Fällen ist die komplette Rhesusformel zu beachten (s. o.). jetzt eintretende Hämagglutination weist auf das Vorhanden-
sein von D-spezifischen Antikörpern im Serum hin. Der indi-
Nach Auswahl des geeigneten Erythrozytenpräparats erfolgt vor der rekte Coombs-Test wird z. B. zur Überwachung einer Rh-nega-
Transfusion die serologische Verträglichkeitsprobe. Sie dient dazu, tiven Schwangeren, die ein Rh-positives Kind erwartet, einge-
mögliche Fehler bei Blutgruppenbestimmung und Serumantikör- setzt.
persuche auszuschließen und mögliche Inkompatibilitäten (z. B.
aufgrund von Antikörpern gegen seltene Blutgruppenantigene) zu
erfassen. Sie wird heute ausschließlich mit Patientenserum gegen In Kürze
Spendererythrozyten durchgeführt (Major-Reaktion). Antigen-Antikörper-Reaktion
Die früher zusätzlich durchgeführte Minor-Reaktion durch Prü- Grundlagen serologischer Methoden
fung des Spenderserums gegen Empfängererythrozyten ist insbe- Antigen-Antikörper-Komplexe Reaktion der zumindest biva-
sondere durch die ausschließliche Anwendung von Blutkomponen- lenten Antikörper mit polyvalenten Antigenen; es kommt zur
ten überflüssig. Der häufig verwendete Begriff Kreuzprobe beruht Präzipitation (Antigen als lösliches Molekül), Flokkulation (Anti-
auf der früher üblichen Prüfung sowohl der Major- als auch der gen auf kleinen Partikeln) oder Agglutination (Antigen auf
Minor-Reaktion (Testung über Kreuz). großen Partikeln, z. B. Zellen).
Bei der serologischen Verträglichkeitsprobe bringt man Spende- Heidelberger-Kurve Bei Äquivalenz von Antigen- und Anti-
rerythrozyten mit Empfängerserum zusammen. Bei der immer mit- körpermenge kommt es zu vollständiger Präzipitatbildung;
geführten und für die Kompatibilitätsbeurteilung unverzichtbaren bei Antikörperüberschuss wird das vorhandene Antigen unvoll-
Autokontrolle werden Serum und Erythrozyten des Empfängers auf ständig komplexiert, bei Antigenüberschuss werden die Anti-
Eigenreaktivität überprüft. Bei positiver Autokontrolle muss geprüft körper nur unvollständig komplexiert, in beiden Fällen entste-
werden, ob deren Ursache transfusionsrelevant ist. Die Verträglich- hen lösliche Komplexe.
keitsprobe im Röhrchen wird üblicherweise als Agglutinationstest
Literatur
73 10
Literatur
ELISA Nachweis von Antigen, das an eine Festphase gekoppelt
wurde, durch Antikörper. Ein primärer Antikörper bindet spezi- Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.
fisch an das Antigen und wird mithilfe eines sekundären Anti-
körpers nachgewiesen. Bei Letzterem handelt es sich im Allge-
meinen um ein Antiserum gegen den Primärantikörper, an das
man ein Enzym (Peroxidase oder Phosphatase) gekoppelt hat.
Nachweis durch Zugabe des entsprechenden Substrats.

Blutgruppenserologie
AB0-Systeme Wichtigstes Blutgruppensystem; Gruppe A: Anti-
gen A auf Erythrozyten, Antikörper gegen Antigen B im Serum
vorhanden; Gruppe B: Antigen B auf Erythrozyten, Antikörper
gegen Antigen A vorhanden; Gruppe AB: Antigen A und Anti-
gen B auf Erythrozyten, keine Antikörper gegen die Antigene A
und B; Gruppe 0: weder Antigen A noch B auf Erythrozyten,
Antikörper gegen A und B vorhanden. Antikörper gegen A und
B sind natürliche Antikörper der IgM-Klasse (nicht plazenta-
gängig, deutliche Hämagglutination).
Rhesussystem Besteht aus den »starken« Antigenen D und c
sowie den »schwachen« Antigenen C, E und e. Bei Deletion des
Genortes für Antigen D fehlt dieses Antigen (= d). Rh-Antikör-
per werden erst nach Sensibilisierung gebildet.
Rh-positiv D-Antigen auf Erythrozyten.
Rh-negativ Fehlen von Antigen D (= d). Rh-Antikörper werden
erst nach Immunisierung durch Schwangerschaft oder Trans-
fusion gebildet und gehören zur IgG-Klasse (plazentagängig,
inkomplett, s. u.).
Rh-Transfusionsreaktion Keine Probleme bei der Erstgeburt
eines Rh-positiven Kindes durch eine Rh-negative Mutter, aber
Sensibilisierung der Mutter gegen D; bei weiteren Schwanger-
schaften passieren Antikörper gegen D die Plazenta; beim Neu-
geborenen kommt es zum Morbus haemolyticus neonatorum.
Major-Reaktion Transfusionsreaktion, bei der Empfängeranti-
körper gegen Spendererythrozyten reagieren.
Minor-Reaktion Transfusionsreaktion, bei der Spenderantikör-
per gegen Empfängererythrozyten reagieren.

Blutgruppenbestimmung
Agglutinierende (»komplette«) Antikörper Üblicherweise IgM,
können den Abstand zwischen 2 Erythrozyten überbrücken und
diese agglutinieren.
Nichtagglutinierende (»inkomplette«) Antikörper Üblicher-
weise IgG, können den Abstand zwischen 2 Erythrozyten nicht
überbrücken und diese nicht agglutinieren. Durch Supplement
(z. B. Albumin) wird der Abstand verringert; Coombs-Serum
(Antikörper gegen humanes Immunglobulin) vergrößert die
»Antikörperbrücke«. Beides ermöglicht die Hämagglutination.
Serologische Verträglichkeitsprobe (Kreuzprobe) Überprü-
fung der Verträglichkeit vor einer Erythrozytentransfusion.
Coombs-Test Nachweis inkompletter Antikörper durch den Ein-
satz von Antihumanglobulinen, z. B. im Rahmen der Rh-Über-
prüfung bei Schwangerschaftsvorsorge; indirekter Coombs-Test:
Nachweis von Antikörpern gegen Rh im Blut einer Schwangeren
mithilfe Rh-positiver Erythrozyten der Gruppe 0 in Gegenwart
von Coombs-Serum; direkter Coombs-Test: Nachweis Rh-positi-
ver Erythrozyten, die bereits mit Antikörpern gegen Rh-Anti-
gene beladen sind, im Blut eines Rh-positiven Neugeborenen
einer Rh-negativen Mutter durch Zugabe von Coombs-Serum.
75 11

Haupthistokompatibilitätskomplex
S. H. E. Kaufmann, R. Blasczyk

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Über Akzeptanz oder Abstoßung von Transplantaten entscheiden be- Fremde Antigene werden von T-Lymphozyten nicht als isolierte
stimmte Antigene, die vom Haupthistokompatibilitätskomplex (»major Einzelstruktur erkannt, sondern nur in Assoziation mit körpereige-
histocompatibility complex«, MHC) kodiert werden. Die Hauptaufgabe nen MHC-Strukturen. Die MHC-Proteine dienen als Leitmoleküle,
des MHC besteht darin, T-Zellen antigene Peptide zu präsentieren. Der sie ermöglichen es den T-Zellen, mit Fremdantigenen zu reagieren.
MHC des Menschen wird als HLA-Komplex bezeichnet (Maus: H-2-Kom- Dies gilt für fast alle Antigene, insbesondere aber für die Bestandteile
plex). HLA ist die Abkürzung für »humane Leukozytenantigene«. Diese von Krankheitserregern. MHC-Moleküle bieten den T-Zellen Pep-
Antigene wurden beim Menschen als Transplantationsantigene erst- tide fremder Proteine dar (7 Kap. 12).
mals auf Leukozyten gefunden. H-2 steht für das bei Mäusen schon Eine gewisse Ausnahme hiervon stellt die direkte Erkennung
früh als besonders wichtig für die Abstoßungsreaktion erkannte Anti- der Transplantationsantigene anderer Individuen dar. Diese Anti-
gen 2. gene können auf nicht ganz verstandene Weise das normalerweise
von T-Zellen erkannte Produkt Fremdantigen plus körpereigenes
MHC-Molekül imitieren. Sie werden gewissermaßen mit dem Kom-
11.1 Übersicht plex verwechselt, der aus Fremdantigen und körpereigenem MHC-
Molekül entsteht.
Der MHC besteht aus mehreren zu einem Genkomplex zusammen- Bei der indirekten Erkennung der Transplantationsantigene an-
gefassten Genen. Zwei Gengruppen interessieren hier besonders: derer Individuen werden prozessierte Fragmente der fremden
4 Die von den Klasse-I-Genen kodierten Proteine heißen Klasse- MHC-Moleküle von den eigenen MHC-Molekülen präsentiert und
I-Moleküle. Man bezeichnet sie auch als klassische Transplan- so von T-Zellen als fremd erkannt. Der Grad der Übereinstimmung
tationsantigene, da sie aufgrund von Arbeiten über die Trans- der MHC-Moleküle zwischen Patient und Spender ist für das Trans-
plantatabstoßung zuerst entdeckt wurden. plantat- bzw. Patientenüberleben von großer Bedeutung und spielt
4 Die von den Klasse-II-Genen kodierten Moleküle heißen insbesondere bei der Allokation hämatopoetischer Stammzellen und
Klasse-II-Moleküle oder »Immunantwort-assoziierte (Ia-)Anti- von Nierentransplantaten eine zentrale Rolle zur Verminderung der
gene«; man entdeckte sie in später unternommenen Untersuchun- zellulären und humoralen Abstoßung. Die Antigenassoziation mit
gen über die genetische Kontrolle der Immunantwort. MHC-Molekülen und ihre Erkennung durch T-Lymphozyten sowie
die mögliche Ursache und Bedeutung dieser Vorgänge sind Thema
Die Gene des MHC (und damit auch die von ihnen kodierten Mole- in 7 Kap. 12. An dieser Stelle werden nur Genetik und Biochemie der
küle) sind äußerst polymorph, d. h., sie unterscheiden sich bei den MHC-Moleküle dargestellt.
einzelnen Individuen einer Spezies beträchtlich. Die aktuelle HLA-
Datenbank enthält zurzeit über 12.000 HLA-Allele.
Die Charakterisierung des MHC hat schnell Fortschritte ge- 11.2 Genetik des MHC
macht, als es gelang, Mäusestämme zu züchten, die genetisch iden-
tisch sind. Mäuse eines derartigen Inzuchtstamms verhalten sich Der MHC liegt bei der Maus auf Chromosom 17 zwischen Zentro-
zueinander wie eineiige Zwillinge; man bezeichnet sie als syngene mer und Telomer und ist etwa 0,3 Centimorgan lang. Der H-2-Kom-
Tiere. Mäuse aus zwei unterschiedlichen Inzuchtstämmen verhalten plex wird von den K- bzw. D und L-Genen begrenzt. Diese Gene
sich dagegen wie 2 verschiedene, nichtverwandte Individuen, sie kodieren die Klasse-I-Antigene, sie werden koexprimiert. Die Klas-
sind zueinander allogen. se-II-Antigene werden von der I-Region kodiert; man unterscheidet
Weiterhin ließen sich Mäusestämme züchten, die sich voneinan- in diesem Abschnitt verschiedene Subregionen. Wesentlich sind die
der lediglich in einem definierten Bereich des Genoms unterschei- I-A- und die I-E-Subregion (. Abb. 11.1).
den. Diese Inzuchtstämme sind zueinander kongen. Mithilfe kon-
gener Mäusestämme, die sich lediglich im MHC unterscheiden, ge-
lang der Beweis, dass Unterschiede im MHC für die Transplantatab-
stoßung ausschlaggebend sind. Umgekehrt ergab sich, dass die
Übereinstimmung im MHC über das Angehen eines Transplantats
entscheidet.
Lange Zeit prägten diese Befunde die Auffassungen über die bio-
logischen Aufgaben des MHC. Danach sollte der MHC primär dafür
zuständig sein, dass Gewebe anderer Individuen aus derselben Spe-
zies als fremd erkannt wird. Heute weiß man, dass diese Deutung
falsch war: Denn der MHC ist in 1. Linie für die richtige Erkennung
von Fremdantigenen jeder Art verantwortlich. . Abb. 11.1 MHC-Genkomplex bei Maus und Mensch
76 Kapitel 11 · Haupthistokompatibilitätskomplex

Der MHC des Menschen liegt auf dem kurzen Arm des Chro- Zellmembran dient. Die zytoplasmatische Region ist etwa 30 Amino-
mosoms 6 (. Abb. 11.1). Die Klasse-I-Antigene, die den überwie- säuren lang. Die extrazelluläre Region trägt 1 oder 2 Kohlenhydrat-
genden Polymorphismus ausmachen und klinisch bedeutsam sind, seitenketten.
werden – bezeichnet nach der Reihenfolge ihrer Entdeckung – von Obwohl zwischen den einzelnen Allelen eines Klasse-I-Gens
den A-, B- und C-Genen kodiert. Die Klasse-II-Antigene werden eine ausgedehnte (etwa 80%ige) Homologie besteht, gewährleisten
von der D-Region kodiert, die nach den HLA-A-, HLA-B- und HLA- die variablen 20% des Moleküls den hohen Grad an Polymorphis-
C-Antigenen entdeckt wurde und deren Antigene sich zunächst nur mus. Sie tragen die allogenen Klasse-I-Determinanten, die sich
mit der Technik der gemischten Lymphozytenkultur nachweisen überwiegend in der aus den α1- und α2-Domänen geformten Anti-
Immunologie

ließen. Später waren diese Antigene auch serologisch nachweisbar genbindungsstelle des MHC-Moleküls befinden.
und wurden anfänglich als »HLA-D-related« bezeichnet, woraus
sich dann der Name HLA-DR entwickelt hat. Die danach entdeckten
Klasse-II-Antigene wurden dann in der Reihenfolge ihrer Entde- 11.3.2 MHC-Klasse-II-Moleküle
ckung als HLA-DQ und HLA-DP bezeichnet. Den Antigenen ent-
sprechend lassen sich in der Klasse-II-Region genetisch die Subregi- Die Klasse-II-Moleküle werden konstitutiv nur auf denjenigen Kör-
onen DP, DQ und DR unterscheiden. perzellen exprimiert, die an der Induktion einer zellulären Immun-
Beim Menschen und bei der Maus findet sich auf dem MHC antwort beteiligt sind, u. a. auf
noch die S-Region. Darin sind die – der Systematik der Klassenein- 4 Zellen des mononukleär-phagozytären Systems und
teilung folgend – Klasse-III-Gene zusammengefasst, die jedoch dendritische Zellen,
strukturell sehr heterogen sind. Sie kodieren u. a. bestimmte Kom- 4 B-Zellen,
plementkomponenten. 4 aktivierten T-Zellen und
4 Endothelzellen.

11.3 Biochemie der MHC-Moleküle Klasse-II-Antigene bestehen aus 2 annähernd gleich großen, nicht-
kovalent assoziierten Ketten (. Abb. 11.2 rechts):
11.3.1 MHC-Klasse-I-Moleküle 4 α-Kette (Molekularmasse ca. 30–33 kD)
4 β-Kette (ca. 27–29 kD)
Fast alle Körperzellen exprimieren Klasse-I-Moleküle. Diese beste-
hen aus einer schweren Kette mit etwa 45 kD Molekularmasse; mit Beide Ketten werden von Genen der Klasse-II-Region des MHC ko-
ihr ist β2-Mikroglobulin (Molekularmasse 12 kD) nichtkovalent diert. Beim Menschen kodieren A-Gene die α-Ketten und B-Gene
assoziiert (. Abb. 11.2 links). β2-Mikroglobulin wird nicht vom die β-Ketten: HLA-DRA, DRB, DQA1, DQB1, DPA1, DPB1 (bei der
MHC kodiert; sein Gen liegt auf Chromosom 15 (Mensch) bzw. Maus H-2I-Aα, I-Aβ, I-Eα, I-Eβ). Jede Kette setzt sich in der extra-
Chromosom 2 (Maus). Es weist eine geringe Variabilität auf und zellulären Region aus 2 Domänen mit etwa 90 Aminosäuren zusam-
trägt zur Klasse-I-Vielfalt nicht bei. men. Die Transmembranregion besteht aus etwa 30 zum großen Teil
Der extrazelluläre Bereich der schweren Kette besteht beim hydrophoben Aminosäuren. Sie dient der Verankerung des Mole-
Klasse-I-Molekül aus 3 Domänen (7 Kap. 8) mit jeweils etwa 90 Ami- küls in der Zellmembran. Die zytoplasmatische Region ist kurz und
nosäuren. Daran schließt sich eine Transmembranregion aus etwa enthält etwa 10 Aminosäuren.
40 Aminosäuren an, die hydrophob ist und der Verankerung in der Beide Ketten tragen Kohlenhydrate. Die Variabilität zwischen
den einzelnen Allelen ist bei den α-Ketten deutlich geringer als bei
den β-Ketten. Die allogenen Klasse-II-Determinanten liegen meist
in der an der Bildung der Antigenbindungsstelle beteiligten β1-
Domäne der β-Ketten.

11.3.3 Antigenbindungsstelle

Die α1- und die α2-Domänen des Klasse-I-Moleküls bilden eine


Spalte, in die ein Peptid aus ca. 9 Aminosäuren passt. Eine ähnliche
Spalte formen die α1- und β1-Domänen der α- und der β-Kette des
Klasse-II-Moleküls. Diese ist jedoch an den Seiten offen, sodass Pep-
tide unterschiedlicher Länge von ca. 10‒20 Aminosäuren präsentiert
werden. Entsprechend ihrer Funktion, eine möglichst große Vielfalt
von Peptiden präsentieren zu können, konzentrieren sich die Poly-
morphismen der MHC-Moleküle fast ausschließlich auf diese pep-
tidbindende Spalte (Antigenbindungsstelle).

. Abb. 11.2 MHC-Moleküle. Das MHC-Klasse-I-Molekül besteht aus einer


α-Kette mit 3 Domänen und ist mit dem β2-Mikroglobulin (β2m) assoziiert.
Die Domänen α1 und α2 bilden einen Spalt, in den ein antigenes Peptid
aus 9 Aminosäuren passt. MHC-Klasse-II-Moleküle bestehen aus einer α-
und einer β-Kette mit jeweils 2 Domänen. Das antigene Peptid lagert sich
in einen Spalt zwischen α1- und β1-Domäne ein
Literatur
77 11

In Kürze
Haupthistokompatibilitätskomplex
Moleküle des Haupthistokompatibilitätskomplexes (HLA beim
Menschen, H-2 bei der Maus) weisen einen hohen Polymorphis-
mus auf. Sie dienen als Leitmoleküle bei der Antigenerkennung
durch T-Zellen und sind dadurch auch für die Transplantatabsto-
ßung entscheidend.
Klasse-I-Gene HLA-A, -B, -C beim Menschen, H-2K, H-2D und
H-2L bei der Maus.
Klasse-II-Gene HLA-D-Gene DRA, DRB, DQA1, DQB1, DPA1,
DPB1 beim Menschen, H-2I-A und H-2I-E bei der Maus.

Literatur

Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.


79 12

T-Zellen
S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Eine Gruppe von Lymphozyten erlangt ihre biologische Funktions- tellen Analyse sehr viel schwieriger zugänglich als das Antikörper-
fähigkeit durch Reifung im Thymus. Man bezeichnet diese Zellen als molekül; dennoch ist es in letzter Zeit gelungen, seine Struktur auf-
T-Lymphozyten. Die T-Lymphozyten stellen die zentrale Schaltstelle zuklären.
der erworbenen Immunantwort dar. Die wichtigsten durch T-Zellen Heute wissen wir, dass die Vielzahl der T-Zell-Funktionen, die
vermittelten Effektorfunktionen werden in diesem Kapitel dargestellt. in . Tab. 12.1 aufgeführt sind, auf einige Grundfunktionen zurück-
Sie werden zusammenfassend als zelluläre Immunität bezeichnet. geführt werden kann, für die verschiedene T-Zellpopulationen zu-
Die Benennung soll darauf hinweisen, dass bei diesen Prozessen T-Zel- ständig sind. Dies sind
len in entscheidendem Maße beteiligt sind, wenn auch eine unterge- 4 Helfer-T-Zellen vom Typ 1 (TH1-Zellen) für Makrophagen
ordnete Rolle von B-Lymphozyten und deren Antikörpern nicht aus- und zytolytische T-Zellen,
geschlossen wird. Andererseits wirken bei der humoralen Antwort in 4 Helfer-T-Zellen vom Typ 2 (TH2-Zellen) für B-Lymphozyten
der Regel auch T-Lymphozyten mit. Eine scharfe Trennung zwischen und Eosinophile,
humoraler und zellvermittelter Immunität ist deshalb nicht möglich. 4 Helfer-T-Zellen vom Typ 17 (TH17-Zellen) für Neutrophile,
Beide Funktionsbereiche sind miteinander verzahnt. 4 regulatorische T-Zellen (Treg-Zellen) und
4 zytolytische T-Zellen.

12.1 T-Zell-abhängige Effektorfunktionen 12.2 Antigenerkennung durch T-Lymphozyten

Die T-Zell-abhängigen Effektorfunktionen haben ein gemeinsames T-Lymphozyten erkennen Fremdantigen nicht in dessen Nativ-
Merkmal: Im Experiment können sie auf Empfängertiere niemals zustand. Das Antigen muss vielmehr auf der Oberfläche von Wirts-
anders übertragen werden als durch den Transfer lebender Zellen. zellen erscheinen und zwar in Assoziation mit körpereigenen Struk-
Mit löslichen Faktoren gelingt die Übertragung nicht. Im Gegensatz turen, die der Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) kodiert
hierzu kann die humorale Immunität mit Antikörpern allein über- (7 Kap. 11). Als Antigene für T-Lymphozyten können im Allgemei-
tragen werden. Wir sprechen bei der Übertragung der zellulären nen nur Proteine dienen. Wirtszellen zerlegen diese in Peptide, die
Immunität von einem adoptiven Transfer, während die Übertra- dann vom MHC-Molekül präsentiert werden. Dieses Peptid stellt
gung der humoralen Immunität als passiver Transfer bezeichnet daher die antigene Determinante (bzw. das Epitop) dar.
wird. Die T-Zelle erkennt die antigene Determinante im Kontext mit
Beim adoptiven Transfer beruht die Unentbehrlichkeit der le- der körpereigenen MHC-Struktur. Dies bedeutet, dass es für ein-
benden Zellen erstens auf der Tatsache, dass die für die Antigen- und dasselbe Fremdantigen zahlreiche Varianten der Erkennungs-
erkennung benötigte Struktur als Rezeptor auf dem T-Lymphozyten spezifität gibt. Deren Zahl wird durch den Polymorphismus des
fest verankert ist und in löslicher Form nicht vorkommt. Des MHC-Genprodukts bestimmt. Eine T-Zelle kann somit nicht ein
Weiteren werden zur Vermittlung der Effektorfunktionen lebende Fremdantigen schlechthin erkennen, sondern nur einen speziellen
Zellen benötigt. Der Antigenrezeptor der T-Zelle ist der experimen- Peptid-MHC-Komplex auf der präsentierenden Zelle. Damit ist die
Erkennungsspezifität der T-Zelle im Vergleich zum Antikörper ein-
geschränkt: Man spricht von der MHC-Restriktion der T-Zell-Anti-
. Tab. 12.1 Von T-Lymphozyten vermittelte Effektorfunktionen generkennung.
Hinzu kommt, dass die MHC-Moleküle verschiedener Individu-
Phänomen Grundfunktion en unterschiedliche Epitope eines Antigens bevorzugen. Daher wird
ein Individuum mit einem bestimmten HLA-Typ ein anderes Epitop
Transplantatabstoßung Lyse des gleichen Antigens erkennen als ein Individuum mit anderem
Abtötung virusinfizierter Zellen Lyse
HLA-Typ (. Abb. 12.1).
Wie in 7 Kap. 11 beschrieben, bilden die MHC-Moleküle jeweils
Tumorüberwachung Lyse, Hilfe eine Grube, in die das Epitop als antigenes Peptid passt. Die Grube
Abwehr intrazellulärer Keime Hilfe, Lyse des MHC-Klasse-I-Moleküls ist an den Rändern geschlossen, sodass
die Länge der präsentierten Peptide auf bis zu 9 Aminosäuren einge-
Verzögerte Allergie Hilfe
schränkt ist. Die Spalte in den MHC-Klasse-II-Molekülen ist an den
Humorale Immunität Hilfe Seiten offen, sodass auch längere Peptide präsentiert werden kön-
nen, die dann seitlich herausragen. Dadurch ist die Länge der prä-
Regulation Suppression, Apoptose,
fehlgelenkte Immunantwort
sentierten Peptide weniger eingeschränkt und kann 10–20 Amino-
säuren betragen.
80 Kapitel 12 · T-Zellen
Immunologie

. Abb. 12.2 Der T-Zell-Rezeptor ist aus einer α- und einer β-Kette aufge-
baut, die aus je einer variablen (V) und konstanten Domäne (C) bestehen.
. Abb. 12.1 Bevorzugte Erkennung zweier unterschiedlicher Epitope
Die beiden variablen Domänen bilden die Bindungsstelle für »Antigen
eines Proteinantigens durch T-Zellen zweier verschiedener Individuen auf-
plus MHC«
grund des unterschiedlichen HLA-Typs. Das Antigen ist aus unterschiedli-
chen Abschnitten zusammengesetzt, von denen einige als Determinanten
für T-Zellen dienen. Ein bestimmtes Epitop wird von einem bestimmten len die ungenaue Verknüpfung von V-, D- und J-Gensegmenten
MHC-Typ bevorzugt präsentiert. Deshalb erkennen T-Zellen verschiedener sowie der Einbau zusätzlicher Nukleotide an den Nahtstellen. Da-
Individuen unterschiedliche Epitope gegen tragen somatische Hypermutationen nicht zur Vielfalt der
T-Zell-Rezeptoren bei.

Bestimmte Aminosäuren, die den Boden der MHC-Grube bil- α/β-T-Zellen Chemisch betrachtet besteht der T-Zell-Rezeptor aus
den, treten mit entsprechenden Aminosäuren des antigenen Peptids 2 Ketten, α und β. Diese sind über Disulfidbrücken miteinander ver-
über nichtkovalente Bindungen in Wechselwirkung. Diese Anker- bunden. Die α- und die β-Kette haben beide eine ähnliche Moleku-
stellen sind in den MHC-Molekülen verschiedener Individuen un- larmasse von 43–45 kD. Jede Kette besteht aus einem variablen und
terschiedlich. Entsprechend unterscheiden sich auch die Aminosäu- einem konstanten Teil, ganz ähnlich wie dies für die schweren und
resequenzen der in einem bestimmten Individuum präsentierten die leichten Ketten des Antikörpers gilt. Die variablen Bereiche bei-
Peptide (. Abb. 12.1): Die präsentierten Peptide besitzen dem MHC- der Ketten sind an der Antigenbindung beteiligt.
Molekül entsprechende Motive.
Andere Aminosäuren des antigenen Peptids ragen aus der Spal- γ/δ-T-Zellen Kürzlich wurde ein 2. Typ von T-Zell-Rezeptoren
te des MHC-Moleküls nach oben hervor und dienen als Kontaktstel- identifiziert. Er ist aus einer γ- und δ-Kette aufgebaut und wird von
len für den T-Zell-Rezeptor. Der T-Zell-Rezeptor erkennt einer besonderen T-Zell-Klasse exprimiert.
4 einerseits die seiner Spezifität entsprechenden Aminosäuren Bei Normalpersonen stellen α/β-T-Zellen über 90% der Gesamt-
des präsentierten Peptids, T-Zellpopulation des peripheren Blutes und γ/δ-T-Zellen unter 10%,
4 andererseits bestimmte Strukturen des MHC-Moleküls. bei den meisten Normalpersonen etwa 3–5%. Bei einigen Tierarten
(z. B. Schafen) bilden γ/δ-T-Zellen einen viel größeren Teil der peri-
Letztere sind individuenspezifisch, d. h., der T-Zell-Rezeptor eines pheren T-Zellen.
Individuums ist auf MHC-Strukturen desselben Individuums be- Es gibt bestimmte Immundefizienzerkrankungen, bei denen der
schränkt oder restringiert. Somit können alle T-Lymphozyten eines Anteil von γ/δ-T-Zellen weit größer ist, da hauptsächlich die α/β-T-
Individuums Antigene nur dann erkennen, wenn sie von Zellen eben Zellen fehlen. Antigenerkennung, Aktivierung, biologische Funktion
dieses Individuums präsentiert werden. etc. von α/β-T-Zellen sind heute recht gut verstanden. Dagegen ist
unser Wissen über γ/δ-T-Zellen noch lückenhaft. Die bisherigen und
folgenden Erläuterungen beschränken sich daher auf α/β-T-Zellen,
12.3 T-Zell-Rezeptor falls nicht ausdrücklich auf γ/δ-T-Zellen hingewiesen wird.

Da der Antigenrezeptor das wichtigste Rezeptormolekül der T-Lym-


phozyten darstellt, wird er allgemein als T-Zell-Rezeptor (TZR) be- 12.4 T-Zell-Populationen und ihr Phänotyp
zeichnet. Seine Struktur ist mittlerweile bekannt.
Der T-Zell-Rezeptor ähnelt hinsichtlich seines Aufbaus dem An- Reife T-Lymphozyten besitzen als charakteristisches Antigen das
tikörpermolekül (. Abb. 12.2). Er besitzt jedoch nur eine Bindungs- membranständige CD3-Molekül. Man bezeichnet sie als CD3+. Das
stelle und ist daher monovalent. Im Prinzip entsteht die Spezifitäts- CD3-Molekül ist nicht nur ein bedeutendes Erkennungsmerkmal
vielfalt des T-Zell-Rezeptors durch dieselben genetischen Mechanis- aller T-Lymphozyten, sondern übernimmt auch die wichtige Funk-
men wie beim Antikörper. Auch bei der T-Zelle führt die wechseln- tion der antigenspezifischen T-Zellaktivierung. Der T-Zell-Rezeptor
de Rekombination von V-, D- und J-Gensegmenten mit einem vermag die Antigenerkennung selbst nicht direkt in die Zelle zu sig-
C-Gensegment zur Strukturdiversifizierung. Hinzu treten – wie bei nalisieren. Er ist jedoch mit dem CD3-Molekül verbunden, das die
der Antikörperrekombination – weitere Mechanismen. Hierzu zäh- Fähigkeit zur intrazellulären Signaltransduktion besitzt.
12.5 · Antigenpräsentation und T-Zell-Antwort
81 12

. Abb. 12.3 Unterschiedliche Prozessierung und Präsentation von Antigenen. Oben: MHC-Klasse-II-Präsentation für CD4-T-Zellen; unten: MHC-Klasse-I-
Präsentation für CD8-T-Zellen. ER: endoplasmatisches Retikulum; TAP: Transporter assoziiert mit Antigenpräsentation; β2m: β2-Mikroglobulin

Für die Bezeichnung definierter Leukozyten-Differenzierungs- 4 Fremdantigene, die von CD8-T-Zellen erkannt werden sollen,
antigene hat sich das CD-System (»cluster of differentiation«) durch- müssen mit Klasse-I-Strukturen assoziiert sein.
gesetzt: Die einzelnen Antigene werden dabei fortlaufend numme- 4 Fremdantigene, die dagegen von CD4-T-Zellen erkannt
riert (7 Kap. 6, . Tab. 6.1). werden sollen, müssen in Beziehung zu Klasse-II-Strukturen
Die Population der reifen T-Zellen (CD3-Leukozyten) kann in 2 stehen.
gut definierte Subpopulationen mit charakteristischem Phänotyp
unterteilt werden: Träger der Klasse-II-Strukturen sind beim Menschen die Genpro-
4 Die CD4-T-Lymphozyten besitzen im Allgemeinen Helfer- dukte HLA-D (HLA-DR, HLA-DP und HLA-DQ). Bei der Maus
funktion. sind es die Genprodukte H-2I. Das von der menschlichen CD4-T-
4 Die CD8-T-Lymphozyten besitzen meist zytolytische Zelle erkennbare Objekt würde also beispielsweise der Formel
Funktion. »Fremdpeptid plus HLA-D« entsprechen.
CD8-T-Zellen erkennen das Fremdantigen in Zusammenhang
Das CD4- und das CD8-Molekül binden an konstante Bereiche des mit HLA-A oder HLA-B oder HLA-C (Mensch) bzw. mit H-2K,
MHC-Klasse-II- bzw. MHC-Klasse-I-Moleküls (. Abb. 12.3). Sie H-2D oder H-2L (Maus). Als Restriktionselement für die Erken-
verstärken damit die antigenspezifische Interaktion des T-Zell-Re- nung durch CD4-T-Zellen dienen somit die MHC-Klasse-II-Pro-
zeptors mit dem MHC-Peptid-Komplex. Die Interaktion zwischen dukte; dagegen ist die Erkennung durch CD8-T-Zellen durch MHC-
antigenpräsentierender Zelle und T-Lymphozyt wird durch weitere Produkte der Klasse I restringiert. Die Antigenerkennung durch
akzessorische Moleküle verstärkt (7 Abschn. 12.10). CD4- und CD8-T-Lymphozyten ist in . Abb. 12.3 dargestellt.
Die γ/δ-T-Zellen sind häufig doppelt negativ, d. h., sie exprimie- Einige γ/δ-T-Lymphozyten können ebenfalls Peptide erkennen,
ren weder das CD4- noch das CD8-Molekül. die von MHC-Produkten präsentiert werden. Als Präsentationsele-
mente werden sog. unkonventionelle MHC-Moleküle benutzt, die
weniger polymorph sind. Da γ/δ-T-Zellen wie erwähnt weder CD4-
12.5 Antigenpräsentation und T-Zell-Antwort noch CD8-Moleküle exprimieren, sind sie weit schwächer restrin-
giert, d. h., sie können auch mit MHC-nichtidentischen Zellen inter-
Helfer-T-Zellen und zytolytische T-Zellen unterscheiden sich nicht agieren.
nur phänotypisch, sondern auch in der Art, wie sie Fremdantigen Daneben können γ/δ-T-Lymphozyten auch mit anderen Ligan-
erkennen. Wie bereits ausgeführt, können T-Lymphozyten fremde den reagieren. So wurde kürzlich gezeigt, dass phosphorylierte
Epitope nur im Kontext mit Genprodukten des MHC erkennen Alkylderivate humane γ/δ-T-Lymphozyten stimulieren. Damit bre-
(7 Kap. 11). Die entsprechenden Genregionen werden durch die Be- chen γ/δ-T-Zellen das Dogma, dass T-Lymphozyten ausschließlich
zeichnungen »Klasse I« und »Klasse II« voneinander unterschieden. MHC-Peptidkomplexe erkennen. Offenbar sind γ/δ-T-Zellen be-
Diese Unterscheidung bezieht sich auf den unterschiedlichen Mit- züglich der Antigenerkennung eher mit Antikörpern als mit α/β-T-
wirkungsbereich der entsprechenden Genprodukte. Dabei gilt: Zellen vergleichbar.
82 Kapitel 12 · T-Zellen

Eine kleine Population von α/β-T-Lymphozyten erkennt Glyko- schen Retikulum entstehen MHC-Klasse-II-Moleküle, die mit der
lipide anstelle von Peptiden und bricht damit ebenfalls das Dogma sog. invarianten Kette assoziiert sind. Diese invariante Kette hat
der ausschließlichen Erkennung von MHC-Peptid-Komplexen. Die 2 Aufgaben:
Glykolipide werden von sog. CD1-Molekülen präsentiert. Obwohl 4 Sie verhindert die Beladung der MHC-Klasse-II-Moleküle
die CD1-Moleküle nicht im MHC kodiert werden, haben sie gewisse durch Peptide im ER.
Ähnlichkeit mit MHC-I-Molekülen. Insbesondere sind sie auf der 4 Sie unterstützt den Transport der leeren (peptidunbeladenen)
Zelloberfläche mit β2-Mikroglobulin assoziiert. MHC-Klasse-II-Moleküle ins saure Endosom.
Die erkannten Glykolipide (u. a. Lipoarabinomannan und My-
Immunologie

kolsäuren) kommen reichlich in Zellwänden von Mykobakterien Dort wird die invariante Kette abgebaut, sodass nun die Bindungs-
vor. Man nimmt daher an, dass die CD1-restringierten T-Zellen be- stelle des MHC-Klasse-II-Moleküls freigelegt und mit Peptid bela-
sonders an der Abwehr von Tuberkulose und Lepra beteiligt sind. den wird. Die peptidbeladenen MHC-Klasse-II-Moleküle gelangen
Auch körpereigene Lipidantigene, die von CD1-Molekülen präsen- an die Zelloberfläche und können dort das Peptid den CD4-T-Zellen
tiert werden, wurden identifiziert. Dabei handelt es sich um Sphin- anbieten (. Abb. 12.3).
golipide. Wie wir heute wissen, besitzen einige Mikroorganismen die Fä-
Daneben wurden in letzter Zeit Lymphozyten charakterisiert, higkeit, aus dem Endosom ins Zytoplasma der infizierten Zelle über-
denen der Zellrezeptor fehlt. Die sog. angeborenen lymphoiden Zel- zuwechseln. Die von diesen Erregern in das Zytoplasma sezernierten
len (»innate lymphoid cells«, ILC) sind in erster Linie gewebsständig Proteine werden dadurch zu »endogenen« Antigenen. Dies macht
und produzieren auf exogene Reize zahlreiche Botenstoffe. Aller- verständlich, wie CD8-T-Zellen bestimmte bakterielle Proteine er-
dings werden zu den ILC auch die schon lang bekannten NK-Zellen kennen. Umgekehrt können körpereigene, virale oder Tumor-Anti-
gezählt, die vorwiegend im Blut zu finden sind. gene, die von absterbenden Zellen freigesetzt werden, zu exogenen
Antigenen umgewandelt werden, die CD4-T-Zellen stimulieren.
Auch sezernierte körpereigene Proteine können wieder aufgenom-
12.6 Endogene und exogene Antigene men und im Kontext von MHC-Klasse-II-Molekülen präsentiert
sowie Superantigene werden. Scheinbar erkennen die γ/δ-T-Zellen sowohl exogene als
auch endogene Antigene auf bislang weitgehend unverstandene
jMHC-Klasse I: CD8-T-Zellen und endogene Proteine Weise.
Das MHC-Klasse-I-Molekül stellt ein Transportsystem zwischen
dem zytoplasmatischen Bereich und der Oberfläche der Zelle dar. jCrosspriming
Es kontaktiert daher in erster Linie von der Zelle im Zytosol neu Über einen als Crosspriming bezeichneten Weg können CD4- und
synthetisierte Proteinantigene. Diese werden entsprechend als endo- CD8-T-Zellen effektiv stimuliert werden. Voraussetzung hierzu ist
gene Antigene bezeichnet. Hierzu gehören besonders körpereigene, der Tod von Zellen, die als Quelle des Antigens dienen. Dies können
virale und Tumorantigene, welche die Zelle selbst produziert. Den virusinfizierte Zellen sein oder Makrophagen, die Krankheitserreger
CD8-T-Zellen werden also vor allem endogene Proteine dargeboten oder Tumorzellen phagozytiert haben. Während des Zelltods bilden
(. Abb. 12.3). sich Vesikel, die Antigen enthalten. Diese Vesikel werden von dend-
Neu synthetisierte Moleküle werden im Zytoplasma der Zelle ritischen Zellen in der Umgebung aufgenommen, die die enthalte-
teilweise wieder abgebaut. Hierfür verantwortlich ist in erster Linie nen Antigene über den MHC-Klasse-II- oder den MHC-Klasse-I-
ein Komplex aus mehreren Proteasen, das Proteasom. Die Proteasen Weg präsentieren. Crosspriming ermöglicht eine äußerst effiziente
zerlegen Proteine in Peptidfragmente. Spezialisierte Transportmole- T-Zellstimulation. Zahlreiche Erreger führen den Tod einer infizier-
küle transportieren diese anschließend aus dem Zytoplasma in das ten Wirtszelle aktiv herbei und leiten somit diesen Prozess selbst ein.
endoplasmatische Retikulum (ER). Die Transportmoleküle werden
entsprechend als TAP bezeichnet: Transporter assoziiert mit Antigen- jSuperantigene
prozessierung. Bestimmte bakterielle und virale Produkte (z. B. Exotoxine von
Im ER trifft das Peptid auf das MHC-Klasse-I-Molekül (α-Kette Strepto- und Staphylokokken) können als Superantigene fungieren
plus β2-Mikroglobulin). Die Peptidbeladung bewirkt eine Umstruk- (7 Kap. 15). Sie verbinden das MHC-Klasse-II-Molekül auf der prä-
turierung des MHC-Klasse-I-Moleküls, die ihrerseits den Transport sentierenden Zelle mit dem T-Zell-Rezeptor auf der T-Zelle, ohne
an die Zelloberfläche auslöst: Das endogene Peptid wird den CD8- dass eine Prozessierung vorausging. Da Superantigene mit ver-
T-Lymphozyten vom MHC-Klasse-I-Molekül dargeboten. In Abwe- schiedenen T-Zell-Rezeptoren, denen bestimmte Eigenschaften ge-
senheit von Peptiden werden die MHC-Klasse-I-Moleküle im ER meinsam sind, reagieren, kommt es zu einer polyklonalen T-Zellak-
zurückgehalten. tivierung.
Diese Superantigene reagieren mit der β-Kette des T-Zell-Rezep-
jMHC-Klasse II: CD4-T-Zellen und exogene Proteine tors von α/β-T-Zellen. Superantigene aktivieren letztendlich α/β-T-
Dagegen dient das MHC-Klasse-II-Molekül als Transportsystem Lymphozyten durch »Verklammerung« des T-Zell-Rezeptors mit
zwischen Endosom und Zelloberfläche. Wie in 7 Kap. 13 beschrie- dem MHC-Molekül, unabhängig von der Antigenspezifität der T-
ben, gelangen fremde Partikel und Proteine über einen Endozytose- Zelle und den für die antigenspezifische Erkennung notwendigen
prozess in das Endosom. Dort kontaktiert das MHC-Klasse-II-Mo- Ereignissen. Ein bestimmtes Superantigen erkennt Bereiche einer
lekül die aufgenommenen Proteine, die entsprechend als exogene Gruppe von β-Ketten des T-Zell-Rezeptors. Somit aktivieren Su-
Antigene bezeichnet werden. Hierzu gehören in erster Linie Antige- perantigene einen großen Anteil der T-Zellen (bis zu 20%), aber
ne von Bakterien, Pilzen und Protozoen sowie die verschiedensten nicht die gesamte T-Zellpopulation. Die polyklonale T-Zellaktivie-
löslichen Proteine. Den CD4-T-Zellen werden daher hauptsächlich rung durch Superantigene von Krankheitserregern führt zur Aus-
exogene Proteine dargeboten (. Abb. 12.3). schüttung großer Mengen von Zytokinen, die letztendlich toxische
Exogene Proteine werden in Endosomen mit saurem pH-Wert Symptome hervorrufen. Diese Reaktion wird anschaulich als Zyto-
von lysosomalen Proteasen abgebaut (7 Kap. 13). Im endoplasmati- kinsturm bezeichnet.
12.9 · Zytokine
83 12
12.7 Helfer-T-Zellen und Zytokinsekretion

Helfer-T-Zellen entsprechen im Allgemeinen dem Formelbild


CD3+, CD4+, CD8–. Sie sind Klasse-II-restringiert. Ihre besondere
Leistung bei der Immunantwort besteht darin, dass sie in anderen
Zellen eine biologische Funktion induzieren. Die Helfer-T-Zellen
fallen in 3 Untergruppen:
4 TH1-Zellen: Sie sind zuständig für die funktionelle Reifung zy-
tolytischer T-Zellen und die Aktivierung von Makrophagen.
4 TH2-Zellen: Sie kontrollieren die Differenzierung von B-Zellen
. Abb. 12.4 Aktivierung von Treg-Zellen
in antikörperbildende Plasmazellen und die Aktivierung von
Eosinophilen.
4 TH17-Zellen: Sie aktivieren Neutrophile. agieren: Das Zytokin zeigt dann autokrine Wirkung. In anderen
Fällen werden Zellen in der unmittelbaren Nähe der zytokinprodu-
Der induktive Stimulus wird von der Helfer-T-Zelle auf die Zielzelle zierenden Zelle aktiviert: parakrine Wirkung.
durch lösliche Botenstoffe übertragen; diese werden als Zytokine Werden schließlich große Zytokinmengen gebildet, so gelangen
oder Interleukine bezeichnet (s. u.). Für die Benennung gut definier- diese in den Blutkreislauf und können an entfernten Stellen Zellen
ter Zytokine hat sich (ähnlich wie beim CD-System) die fortlaufend aktivieren: endokrine Wirkung.
nummerierte Bezeichnung Interleukin (IL) durchgesetzt (IL-1, IL-2 Sämtliche heute bekannten Zytokine liegen molekulargenetisch
etc.). kloniert und exprimiert vor. Obwohl in diesem Kapitel Schwerpunkt
auf die von Helfer-T-Zellen gebildeten Zytokine gelegt wird, müssen
einige von Makrophagen und dendritischen Zellen gebildete Zyto-
12.8 Regulatorische T-Lymphozyten kine bereits hier erwähnt werden, da sie bei der T-Zellaktivierung
wesentliche Funktionen einnehmen (. Tab. 12.2).
Eine Subpopulation von CD4-T-Zellen, die meist das CD25-Mole-
kül (die α-Kette des IL-2-Rezeptors) sowie exklusiv den Transkrip- IL-1 Dieses Zytokin wird von Makrophagen gebildet und sezerniert.
tionsfaktor Foxp3 exprimiert, übt regulatorische Funktionen aus: Es spielt bei der Stimulation von Helfer-T-Zellen eine Rolle. Dane-
Diese Zellen unterdrücken eine laufende Immunantwort. Nachdem ben wirkt es als Entzündungsmediator und als endogenes Pyrogen
die Immunantwort eingedrungene Erreger eliminiert hat, ist ihre (7 Kap. 13).
Aufgabe beendet. Eine fortlaufende Immunantwort könnte zu Kol-
lateralschäden führen. Aus diesen Gründen müssen regulatorische IL-2 IL-2 wird von TH1-Zellen gebildet. Es bewirkt das Wachstum
T-Zellen die spezifische Immunantwort nach erfolgreichem Ab- und die Reifung von T-Lymphozyten. Die α-Kette des IL-2-Rezep-
schluss der Aufgabe beenden. Dies spielt bei akuten und chronischen tors erhielt in der CD-Nomenklatur die Bezeichnung CD25.
Infektionen eine wichtige Rolle und dürfte der Vermeidung von
chronischen Entzündungsreaktionen und Autoimmunkrankheiten IL-3 IL-3 gehört zur Gruppe der koloniestimulierenden Faktoren
infolge von Infektionskrankheiten dienen. und wird auch als Multi-Kolonienstimulierender Faktor bezeichnet.
Die verantwortlichen T-Zellen werden Treg-Zellen genannt. Sie Es ist an der Entwicklung verschiedener Leukozytenarten beteiligt.
sind durch das Formelbild CD3+, CD4+, CD8–, CD25+, Foxp3+ cha- IL-3 wird von einigen T-Zellen gebildet, in erster Linie aber von
rakterisiert und unterscheiden sich daher von den klassischen TH- nichtleukozytären Zellen.
Zellen, die Foxp3– und weitgehend CD25– sind. Die Regulation wird
in erster Linie durch IL-10 und TGF-β vermittelt. TGF-β ist auch an IL-4 IL-4, das zur Familie der B-Zell-stimulierenden Faktoren ge-
der Stimulation von Treg-Zellen beteiligt, und zwar gemeinsam mit hört, ist ein typisches Produkt von TH2-Zellen. Daneben wird das
Retinolsäure (Vitamin-A-Derivat) (. Abb. 12.4). Nach derzeitigem Zytokin auch von Eosinophilen, Basophilen und Mastzellen gebil-
Kenntnisstand unterscheiden wir natürliche Treg-Zellen, die haupt- det. IL-4 besitzt sowohl wachstums- als auch differenzierungsför-
sächlich selbstreaktiv sind, und induzierbare Treg-Zellen, die gegen dernde Wirkung auf B-Lymphozyten. Es induziert in erster Linie
Fremdantigene gerichtet sind. Bei chronischen Entzündungen und Antikörper der Klassen IgG1 und IgE. Daneben fördert es die Bil-
Autoimmunerkrankungen werden Treg-Zellen häufig ungenügend dung von TH2-Zellen und hemmt die der TH1-Zellen. Schließlich
aktiviert. lockt IL-4 Basophile an.

IL-5 IL-5 gehört ebenfalls zur Familie der B-Zell-stimulierenden Fak-


12.9 Zytokine toren. Es ist seinerseits ein typisches TH2-Zellprodukt. Es wirkt auf
reife B-Lymphozyten und induziert in diesen die Entwicklung zu an-
Zytokine sind antigenunspezifisch. Sie wirken häufig auf unter- tikörperproduzierenden Plasmazellen. IL-5 induziert bevorzugt die
schiedliche Wirtszellen (pleiotrope Wirkung). Zytokine besitzen Bildung von IgA-Antikörpern, daneben wirkt es auch auf Eosinophile.
aber eine gewisse Funktionsspezifität, d. h., sie induzieren in ihren
Zielzellen definierte Einzelfunktionen. IL-6 IL-6 wird von T-Lymphozyten, mononukleären Phagozyten
Viele Zytokine zeigen redundante Effekte, d. h. unterschiedliche und anderen Zellen gebildet. Es bewirkt die Reifung von B-Lympho-
Zytokine können die gleiche Funktion hervorrufen. In erster Linie zyten, ist an der T-Zellaktivierung beteiligt und induziert eine Akut-
bringen Zytokine in ihren Zielzellen entweder Zellteilung hervor, phasereaktion.
dienen also als Wachstumsfaktoren oder sie lösen eine bestimmte
Funktion aus, etwa mobilisieren sie Effektor- oder Regulatorfunk- IL-10 Dieses Zytokin wirkt hauptsächlich immuninhibitorisch.
tionen. Die produzierende Zelle kann gleichzeitig als Zielzelle re- Insbesondere hemmt es die Aktivierung von TH1-Zellen und von
84 Kapitel 12 · T-Zellen

. Tab. 12.2 Wichtige Zytokine

Name Wichtige Funktion Wichtiger Produzent Wichtige Zielzelle

IL-1 Entzündungsmediator Makrophagen Endothelzellen

IL-2 T-Zellstimulation T-Zellen T-Zellen

IL-3 Hämatopoese T-Zellen Knochenmarkvorläuferzellen


Immunologie

IL-4 B-Zellaktivierung TH2-Zellen B-Zellen

Basophilenanlockung Mastzellen, TH2-Zellen Basophile

Klassenwechsel zu IgE TH2-Zellen B-Zellen

IL-5 B-Zell-Reifung TH2-Zellen, Mastzellen, ILC B-Zellen

Klassenwechsel zu IgA

Eosinophilenaktivierung Eosinophile

IL-6 Akutphasereaktion T-Zellen, Makrophagen Hepatozyten

B-Zell-Reifung B-Zellen

IL-8 Chemotaxis Makrophagen Neutrophile

IL-10 Immuninhibition TH2-Zellen, Treg-Zellen, Makrophagen Makrophagen, T-Zellen

IL-12 Aktivierung von TH1-Zellen und zytolytischen T-Zellen Makrophagen, dendritische Zellen T-Zellen

IL-13 Hemmung von Entzündungsprozessen, TH2-Zellen, ILC Makrophagen, B-Zellen


Klassenwechsel zu IgE

IL-17 Entzündung TH17-Zellen, ILC Neutrophile

IL-18 Aktivierung von TH1-Zellen Makrophagen, dendritische Zellen TH1-Zellen

IL-21 Aktivierung von NK-Zellen und zytolytischen T-Zellen TH17-Zellen NK-Zellen, zytolytische T-Zellen

IL-22 lokale Infektabwehr TH17-Zellen, ILC Epithelzellen

IL-25 Aktivierung von TH2-Zellen Epithelzellen TH2-Zellen

IL-23 TH17-Antwort Makrophagen TH17-Zellen

IL-33 Aktivierung von TH2-Zellen Epithelzellen TH2-Zellen

IFN-γ Makrophagenaktivierung TH1-Zellen, T-Zellen, NK-Zellen, IL Makrophagen

Klassenwechsel zu IgG2a und IgG3 B-Zellen

TNF Entzündungsmediator Makrophagen Endothelzellen

Makrophagenaktivierung Makrophagen

TGF-β Immuninhibition T-Zellen, Makrophagen T-Zellen, Makrophagen

Klassenwechsel zu IgA B-Zellen

Wundheilung Epithelzellen

GM-CSF Granulozyten- und Makrophagenreifung T-Zellen, Makrophagen Knochenmarkvorläuferzellen

Makrophagen. IL-10 wird nicht nur von TH2-Zellen, sondern auch IL-17 Dieses Zytokin wird von kürzlich als eigenständig erkannten
von B-Zellen und Makrophagen gebildet. Auch Treg-Zellen stellen Helfer-T-Zellen (TH17-Zellen) gebildet. Es löst Entzündungspro-
eine wichtige Quelle von IL-10 dar. zesse aus, die von neutrophilen Granulozyten geprägt werden, und
ist an der Abwehr extrazellulärer Erreger beteiligt.
IL-12 Dieses Zytokin wird hauptsächlich von Makrophagen gebildet
(7 Kap. 13). Es induziert die zytolytische Aktivität von T- und NK- IL-18 Dieses Zytokin wird hauptsächlich von Makrophagen gebildet
Zellen und fördert die Bildung von TH1-Zellen. (7 Kap. 13). Es unterstützt IL-12 bei der Bildung von TH1-Zellen und
gehört zur IL-1-Familie.
IL-13 Dieses Zytokin wird hauptsächlich von TH2-Zellen produ-
ziert. Es ist an der B-Zell-Reifung und Differenzierung beteiligt und IL-21 Dieses von TH17 gebildete Zytokin unterstützt die Aktivie-
fördert die Bildung von IgE-Antikörpern. Daneben wirkt IL-13 ent- rung von zytolytischen T-Zellen und NK-Zellen.
zündungshemmend, indem es Makrophagen inhibiert.
12.11 · Zytolytische T-Lymphozyten
85 12
IL-22 Dieses von TH17 gebildete Zytokin aktiviert Epithelzellen, Helfer-T-Zellen bilden nicht alle Zytokine gleichzeitig. Vielmehr
einen Beitrag zur lokalen Infektabwehr zu leisten. besteht eine Aufgabenteilung:
4 Helfer-T-Zellen vom Typ 1 (TH1-Zellen) produzieren in erster
IL-23 Dieses mit IL-12 verwandte Zytokin wird in erster Linie von Linie IL-2 und IFN-γ, aber nicht IL-4, IL-5 und IL-10.
dendritischen Zellen und Makrophagen gebildet (7 Kap. 13) und 4 Dagegen produzieren sog. TH2-Zellen IL-4, IL-5 und IL-10,
beteiligt sich an der Aufrechterhaltung einer TH17-Antwort. aber nicht IL-2 und IFN-γ.

IL-25 Dieses Zytokin unterstützt die Stimulation von TH2-Zellen. Diese Dichotomie der Helfer-T-Zell-Funktion korreliert aber nicht
mit phänotypisch distinkten T-Zellen – beide T-Zell-Typen lassen
IL-33 Dieses Zytokin unterstützt die Stimulation von TH2-Zellen sich lediglich über ihr Zytokin-Differenzierungsmuster unterschei-
und gehört zur IL-1-Familie. den; exklusive CD-Marker existieren nicht (beide Zelltypen sind also
CD3+, CD4+, CD8–).
IFN-γ Gamma-Interferon ist ein typisches Produkt von TH1-Zellen
und wird auch von zytolytischen T-Zellen produziert. Es besitzt die
Fähigkeit, in verschiedenen Zellen die Expression von MHC-Klasse- 12.10 Akzessorische Moleküle
II-Molekülen zu induzieren. Darüber hinaus erhöht es die Leis-
tungsfähigkeit von Makrophagen bei der Zerstörung von Tumorzel- Antigenpräsentierende Zellen exprimieren sog. kostimulatorische
len und der Abtötung intrazellulärer Erreger. IFN-γ ist der wichtigs- Moleküle. Die Interaktion dieser Moleküle mit entsprechenden
te Makrophagen-aktivierende Faktor (MAF). Schließlich steigert Liganden auf T-Lymphozyten ist an deren Aktivierung entschei-
IFN-γ die Aktivität von NK-Zellen und hemmt die Entwicklung von dend beteiligt. Hierzu zählen insbesondere das CD40/CD40L-
TH2-Zellen. (CD154-)System und das B7-(CD80/CD86)/CD28-System. Anti-
genpräsentierende Zellen exprimieren CD40- und B7-Moleküle,
IFN-α und IFN-β Alpha-Interferon wird hauptsächlich von Leuko- deren Interaktion mit CD40L bzw. CD28 die T-Zell-Aktivierung
zyten gebildet; Beta-Interferon ist ein Fibroblastenprodukt. Alle In- unterstützt.
terferone können in geeigneten Zielzellen mehr oder weniger stark Daneben existieren auch inhibitorische Oberflächenmoleküle.
die Virusreplikation hemmen. Wenn das CTLA-4-(CD152-)Molekül auf T-Zellen mit B7-Molekü-
len (CD80 und CD86) auf antigenpräsentierenden Zellen reagiert,
TNF-β und TNF-α Tumornekrosefaktor β (auch Lymphotoxin ge- wird die T-Zelle inhibiert. Ähnlich kann die Wechselwirkung zwi-
nannt) wird in erster Linie von T-Lymphozyten gebildet und wirkt schen PD1 (CD279) auf T-Zellen mit dem PD1-Liganden (CD274)
auf Tumorzellen stark nekrotisierend. Eine ähnliche Substanz, auf antigenpräsentierenden Zellen zur Erschöpfung der T-Zell-Ant-
TNF-α, wird primär von Makrophagen produziert (7 Kap. 13). wort beitragen.
T-Zell-Stimulation ist letztlich das Resultat einer fein abge-
TGF-β stimmten Balance aus stimulierenden und inhibierenden Signalen;
Der transformierende Wachstumsfaktor (»transforming growth fac- sie wird also vom Zusammenspiel einer ganzen Reihe von Rezeptor-
tor«) hat seinen Namen aufgrund der Beobachtung, dass bestimmte Korezeptor-Paaren vermittelt. Aufgrund der hohen Oberflächen-
Tumorzellen Faktoren produzieren, die normale Zellen zum Wachs- dichte an MHC-II-Molekülen und kostimulatorischen Molekülen
tum anregen. Dennoch ist die primäre immunologische Wirkung sowie der gezielten Sekretion stimulierender Zytokine sind dendri-
von natürlich gebildetem TGF-β suppressiv: TGF-β hemmt die tische Zellen die effektivsten Antigenpräsentatoren.
T-Zell-Proliferation und die Makrophagenaktivierung. Ein stimulie-
render Effekt von TGF-β liegt in seiner Fähigkeit, die Bildung von
IgA zu unterstützen. TGF-β wird von mononukleären Phagozyten, 12.11 Zytolytische T-Lymphozyten
anderen Zellen und insbesondere Treg-Zellen gebildet.
Zytolytische T-Lymphozyten entsprechen im Allgemeinen dem
GM-CSF Der Granulozyten/Makrophagen-kolonienstimulierende Formelbild CD3+, CD4–, CD8+; sie sind Klasse-I-restringiert. Ihre
Faktor (GM-CSF), den u. a. T-Lymphozyten produzieren, vermag biologische Bedeutung liegt darin, dass sie während des antigen-
die Reifung von Granulozyten und Makrophagen zu induzieren. spezifischen Kontakts ihre Zielzellen zerstören (. Abb. 12.5).

. Abb. 12.5 Wichtigste Mechanismen der Zielzell-Lyse. Links: Perforinvermittelte Zielzelllyse, die durch granzymvermittelte Apoptose unterstützt werden
kann. Es kommt zu nekrotischem und apoptotischem Zelltod. Rechts: Fas-vermittelter Zelltod durch Apoptose
86 Kapitel 12 · T-Zellen

Aus zytolytischen T-Lymphozyten und NK-Zellen wurden Gra-


nula isoliert, die in der Lage sind, Zielzellen zu lysieren. Die dafür
verantwortlichen Moleküle werden als Zytolysine oder Perforine
bezeichnet, da sie in der Membran der Zielzelle die Bildung von
Poren hervorrufen. Die Porenbildung durch Perforine ist äußerst
effektiv und unabhängig von der ursprünglichen Erkennungsspezi-
fität der zytolytischen T-Lymphozyten. Die entstandenen Läsionen
ähneln den durch Poly-C9 bewirkten (7 Kap. 9). Dieser Vorgang
Immunologie

heißt Zellnekrose.
Schließlich enthalten die Granula der zytolytischen T-Lympho-
zyten auch verschiedene Proteasen, die gemeinsam als Granzyme
bezeichnet werden. Obwohl Granzyme nicht direkt zytolytisch
wirken, sind sie an der Abtötung von Zielzellen beteiligt. Nachdem
die Zellmembran durch Perforine porös gemacht wurde, können
Granzyme in das Innere der Zielzelle gelangen und dort Apop-
tose hervorrufen. Der Begriff Apoptose beschreibt einen Vorgang
des induzierten Zelltods, bei dem die DNA zunächst in Fragmente
aus 200 Basenpaaren oder einem Vielfachen davon zerlegt wird.
Anschließend kommt es zur Desintegration der Kernmembran
(7 Abschn. 3.4).
Apoptose wird nicht nur durch Granzyme hervorgerufen, son-
dern kann auch über einen weiteren Weg induziert werden. Viele
Zellen tragen auf ihrer Oberfläche einen Rezeptor, der als Fas oder
APO-1 (CD95) bezeichnet wird. Zytolytische T-Zellen tragen den
entsprechenden Liganden auf ihrer Oberfläche, der als Fas-Ligand
bezeichnet wird. Die Interaktion zwischen Fas-Ligand auf der zyto-
lytischen T-Zelle und Fas auf der Zielzelle induziert in letzterer . Abb. 12.6 Stimulation einer zytolytischen T-Zell-Antwort
Endonukleasen, die für die DNA-Desintegration verantwortlich
sind. An der Aktivierung dieser Endonukleasen sind endogene Pro-
teasen der Caspase-Familie beteiligt (7 Abb. 3.13). Der Fas-vermit- stimmter intrazellulärer Bakterien (z. B. Listerien) und Protozoen
telten Apoptose wird in erster Linie eine regulatorische Rolle zuge- (z. B. Malariaplasmodien) spielt sie eine Rolle. Das Zusammenspiel
sprochen. zwischen Antigen als 1. Stimulus und Zytokinen sowie kostimulato-
rischen Molekülen als 2. Stimulus wird hier besonders deutlich.
Obwohl Zytokine mit Polypeptidhormonen vergleichbar sind,
12.12 Wichtigste Wege der T-Zell-abhängigen wirken sie im Gegensatz zu diesen selten allein, sondern meist als
Immunität Kostimulatoren zusammen mit dem Antigen. Dies bedeutet, dass
beim Immunsystem neben der Antigenspezifität auch eine Funk-
Im Folgenden betrachten wir 6 Hauptfunktionen des T-Zellsystems: tionsspezifität der Botenstoffe existiert. Beide spielen bei der Signal-
4 Stimulation der zytolytischen T-Zell-Antwort übermittlung eine Rolle.
4 Makrophagenaktivierung Im Rahmen der Stimulation einer zytolytischen T-Zell-Antwort
4 Neutrophilenaktivierung wird zunächst Antigen von den antigenpräsentierenden Zellen
4 Helferfunktion bei der humoralen Immunantwort (Makrophagen, Langerhans-Zellen, dendritische Zellen, B-Lympho-
4 Aktivierung von Eosinophilen, Basophilen und Mastzellen zyten; 7 Kap. 13) in Assoziation mit MHC-Klasse-II-Molekülen prä-
4 Beendigung einer Immunantwort sentiert. Die Vorläufer der antigenspezifischen CD4-Helfer-T-Zellen
interagieren mit dem Komplex »Fremdantigen plus Klasse-II-Mole-
Die für diese Funktion zuständigen T-Lymphozyten werden auch als kül«. Gleichzeitig produzieren die stimulierten antigenpräsentieren-
Effektor-T-Zellen bezeichnet. Effektor-T-Zellen bilden sich nach den Zellen Zytokine, welche die Aktivierung von CD4-T-Zellen
antigenspezifischer Stimulation aus naiven T-Zellen. Zusätzlich ent- fördern. Für die Aktivierung von TH1-Zellen sind IL-12 und IL-18
wickeln sich Gedächtnis-T-Lymphozyten, die für das immunologi- von besonderer Bedeutung. Zeitlich betrachtet empfangen die Hel-
sche Gedächtnis zuständig sind (7 Abschn. 12.12.8). Bei der Abwehr fer-T-Zellen eine Sequenz von 2 Signalen:
von Krankheitserregern, der Transplantatabstoßung und der Tumo- 1. Die Antigenerkennung wirkt als 1. Signal.
rüberwachung mag zwar der eine oder andere Weg überwiegen, 2. Bestimmte Zytokine wirken gemeinsam mit kostimulatori-
meist werden jedoch mehrere Wege beschritten, wenn eine vollstän- schen Molekülen als 2. Signal.
dige Immunantwort entwickelt werden soll.
Die auf diese Weise aktivierten TH1-Zellen produzieren anschlie-
ßend verschiedene Zytokine, u. a. IL-2. Auf diese Weise kontrollie-
12.12.1 Stimulation einer zytolytischen ren TH1-Zellen die Aktivierung einer zytolytischen T-Zellantwort:
T-Zell-Antwort IL-2 wirkt zum einen auf die Helfer-T-Zellen selbst und stimuliert
deren Vermehrung. Zum anderen wirkt es auf naive zytolytische
Die Aktivierung zytolytischer T-Zellen (. Abb. 12.6) ist für die In- CD8-T-Zellen als 2. Signal; als 1. Signal dient diesen Zellen die Er-
fektabwehr gegen Viren, für die Transplantatabstoßung und für die kennung des Fremdantigens in Assoziation mit dem körpereigenen
Tumorüberwachung besonders wichtig. Auch bei der Abwehr be- MHC-Klasse-I-Molekül.
12.12 · Wichtigste Wege der T-Zell-abhängigen Immunität
87 12
Diese Stimulation in 2 Schritten führt bei den naiven CD8-T- ses können bakterielle Bestandteile liefern, z. B. das Lipopolysaccha-
Zellen zur Expression zusätzlicher IL-2-Rezeptoren mit besonders rid gramnegativer Bakterien. Diese bakteriellen Produkte wirken
hoher Affinität für diesen Botenstoff: Die T-Zelle reagiert also in nicht direkt. Vielmehr induzieren sie in Makrophagen die Sekretion
zunehmendem Maße auf IL-2. Sind die CD8-T-Zellen maximal von TNF-α, das synergistisch mit IFN-γ wirkt. Dagegen hemmen
auf IL-2 ansprechbar, so vermehren sie sich und reifen zu zytolyti- IL-10 und TGF-β die Makrophagenaktivierung. Da zytolytische
schen Effektorzellen aus. IL-2 wirkt auf antigenstimulierte CD8-T- CD8-T-Zellen – zumindest nach Kostimulation durch »Antigen plus
Zellen somit als Wachstums- und Differenzierungsfaktor. Die aus- Klasse-I-Molekül« und IL-2 – ebenfalls IFN-γ produzieren, sind
gereiften CD8-T-Zellen können nunmehr Zielzellen zerstören, die auch sie bis zu einem gewissen Grad zur Makrophagenaktivierung
Fremdantigen in Assoziation mit Klasse-I-Molekülen exprimieren befähigt.
(7 Abschn. 12.11). Die Makrophagenaktivierung ist für die Abwehr derjenigen
Bei der Aktivierung der zytolytischen T-Lymphozyten muss das Krankheitserreger von kritischer Bedeutung, welche die Phagozyto-
Fremdantigen demnach in 2 Formen präsentiert werden: Zum einen se überleben und sich sogar intrazellulär vermehren. Dies sind die
muss es mit Klasse-II-Molekülen und zum anderen auch mit MHC- intrazellulär persistenten Mikroorganismen (7 Kap. 15). Zu ihnen
Klasse-I-Molekülen assoziiert werden. Dies ist notwendig, damit zählen Mykobakterien, Salmonellen, Listerien und Leishmanien.
sowohl die CD4-T-Zellen als auch die CD8-T-Zellen das Antigen Histologisch finden sich bei den Absiedlungen dieser Erreger Gra-
erkennen. Diese Situation ist bei Virusinfektionen gegeben: Virales nulome, die zu einem wesentlichen Teil aus aktivierten Makropha-
Antigen kann sich sowohl mit Klasse-I- als auch mit Klasse-II-Mo- gen bestehen.
lekülen assoziieren (7 Abschn. 12.6). Das Gleiche gilt für die Lyse von Bei der Ausbildung der allergischen Reaktionen vom verzögerten
Tumorzellen: Zytolytische T-Zellen werden nur wirksam, wenn die Typ, etwa beim Tuberkulintest oder bei der Kontaktallergie, kommt es
tumorspezifischen Antigene in doppelter Form präsentiert werden. zur zytokinvermittelten Makrophagenaktivierung (7 Kap. 14). Schließ-
An der Immunantwort gegen Fremdantigene ist häufig der Vor- lich tragen aktivierte Makrophagen auch zur Tumorabwehr bei.
gang des Crosspriming beteiligt: Makrophagen, die Fremdantigene Bei der Infektabwehr spielen auch andere Zytokine als IFN-γ eine
phagozytiert haben, sterben ab und bilden dabei Vesikel, die Fremd- Rolle. So weiß man, dass die von Makrophagen gebildeten Chemo-
antigene enthalten. Diese werden dann T-Zellen präsentiert, die so kine sowie TNF-α die Anlockung und Ansammlung von Blutmono-
mit hoher Effizienz stimuliert werden. zyten an den Ort der mikrobiellen Absiedlung bewirken.
In jüngster Zeit wurde neben den klassischen oder myeloiden Bei dem hier beschriebenen Aktivierungsweg stellen sich die
dendritischen Zellen eine 2. Gruppe beschrieben, die als plasmazy- mononukleären Phagozyten in einer Doppelrolle dar: Sie sind zu
toide dendritische Zellen bezeichnet wird: gleicher Zeit Signalemittenten und -empfänger. Einerseits stimulie-
4 Die myeloiden dendritischen Zellen sind primär für die anti- ren sie durch Zytokine die Helfer-T-Zellen zur Abgabe anderer
bakterielle Abwehr zuständig und stimulieren typischerweise Zytokine, andererseits reagieren sie auf die Zytokine mit ihrer eige-
TH1-Zellen. nen Aktivierung. Weiterhin feinregulieren sie über die Sekretion
4 Die plasmazytoiden dendritischen Zellen sind potente Produ- synergistisch (TNF-α) und antagonistisch (IL-10, TGF-β) wirken-
zenten des Typ-I-Interferons IFN-α und für die antivirale Ab- der Zytokine ihre eigene Aktivierung.
wehr von Bedeutung. IFN-α hat nicht nur antivirale Aktivität,
sondern kann auch TH-Zellen modulieren.
12.12.3 Neutrophilenaktivierung

12.12.2 Makrophagenaktivierung Seit kurzem ist bekannt, dass die Aktivierung neutrophiler Granulo-
zyten und anderer Entzündungszellen von einer eigenständigen
Die Aktivierung der mononukleären Phagozyten steht ebenfalls un- CD4-T-Zelle mit Helferfunktion koordiniert wird. Da diese T-Zellen
ter der Kontrolle von Helfer-T-Zellen (. Abb. 12.7). T-Lymphozyten neben IL-21 und IL-22 als charakteristisches Zytokin IL-17 produ-
vom TH1-Typ werden – wie oben besprochen – durch das Doppel- zieren, werden sie als TH17-Zellen bezeichnet.
signal Antigenerkennung plus IL-12/kostimulatorische Moleküle TH17-Zellen werden durch Antigen plus IL-6 und TGF-β stimu-
dazu angeregt, Zytokine zu sezernieren. Diese wirken auf mono- liert und durch IL-23 weiter am Leben gehalten. Sie sezernieren
nukleäre Phagozyten. Durch bestimmte Zytokine aktivierte Makro- Zytokine, die von Neutrophilen dominierte Entzündungsprozesse
phagen zeigen eine Steigerung der Tumorizidie und der Mikro- induzieren. TH17-Zellen scheinen besonders für die Infektabwehr
bizidie (7 Kap. 13). Das für die Makrophagenaktivierung wichtigste gegen extrazelluläre Bakterien in peripheren Organen, z. B. in der
Zytokin ist das von TH1-Zellen produzierte IFN-γ. Lunge, verantwortlich zu sein. Daneben gilt ihre Beteiligung an
Die Makrophagenaktivierung erfolgt antigenunspezifisch. Den- chronischen Entzündungen und Autoimmunkrankheiten als gesi-
noch bedarf es zusätzlich zum IFN-γ-Stimulus eines 2. Signals. Die- chert (. Abb. 12.8).

. Abb. 12.7 Makrophagenaktivierung . Abb. 12.8 Neutrophilenaktivierung


88 Kapitel 12 · T-Zellen

IgA-Synthese beteiligt und IFN-γ stimuliert zumindest bei Mäusen


den Wechsel zu IgG2a und IgG3. Obwohl die B-Zellaktivierung eine
Domäne der TH2-Zellen darstellt, wird der Klassenwechsel entwe-
der von Zytokinen des TH1- oder des TH2-Typs kontrolliert:
4 IgE, dessen Bildung von IL-4 stimuliert wird, ist der Vermittler
der Sofortallergie und der Abwehr von Wurminfektionen. Wei-
terhin aktivieren IL-4 und IL-5 Mastzellen bzw. Eosinophile.
Somit sind Sofortallergie und Helminthenabwehr Folgen von
Immunologie

TH2-Zellaktivität.
4 Auch Antikörperklassen, die lediglich neutralisierende, aber
keine opsonisierende Wirkung besitzen, werden von Zytokinen
des TH2-Typs stimuliert.
4 Dagegen wird die Bildung opsonisierender Antikörperklassen
zuerst von TH2-Zellen (B-Zellaktivierung durch IL-4) und an-
schließend von TH1-Zellen (Klassenwechsel durch IFN-γ)
kontrolliert. Somit sind an der humoralen Abwehr zahlreicher
Viren und Bakterien sukzessiv TH1- und TH2-Zellen beteiligt.

Bei der hier diskutierten Stimulation von B-Zellen muss das Fremd-
antigen sowohl von den B-Lymphozyten als auch von den Helfer-T-
Zellen erkannt werden. B- und T-Lymphozyten erkennen verschie-
dene Abschnitte eines Antigens (Epitope oder Determinanten).
Weiterhin erkennt die B-Zelle ihr Epitop in freier, isolierter Form,
die Helfer-T-Zelle das ihrige dagegen nur in Assoziation mit den
körpereigenen MHC-Klasse-II-Strukturen.
Da B-Zellen Klasse-II-Moleküle exprimieren, können sie auch
als antigenpräsentierende Zellen fungieren. Die Reaktion des
Fremdantigens mit dem Ig-Rezeptor auf der Oberfläche der B-Zelle
induziert die Aufnahme und Präsentation des Antigens. Daher kön-
. Abb. 12.9 Hilfe bei der humoralen Immunantwort nen B-Zellen den Helfer-T-Zellen das spezifische Antigen gezielt
präsentieren und so die antigenspezifische Immunantwort ver-
stärken.
12.12.4 Hilfe bei der humoralen Immunantwort Antikörper gegen repetitive Kohlenhydratantigene werden
ohne die Mitwirkung von Helfer-T-Zellen gebildet. Man bezeichnet
Gegen lösliche Proteinantigene werden im Allgemeinen keine zy- diese Antigene als T-unabhängig und stellt sie den Proteinen gegen-
tolytischen T-Lymphozyten gebildet, da diese Antigene sich norma- über, die T-abhängig sind.
lerweise nicht mit Klasse-I-Molekülen, wohl aber mit Klasse-II-
Molekülen assoziieren (. Abb. 12.9).
Die antigenpräsentierenden Zellen nehmen das Proteinantigen 12.12.5 Mastzell-, Basophilen-
durch Endozytose auf und exponieren es auf ihrer Oberfläche zu- und Eosinophilenaktivierung
sammen mit Klasse-II-Molekülen. Außerdem werden Zytokine pro-
duziert, welche die Entwicklung von TH2-Zellen fördern. Hierzu Die Aktivierung von Mastzellen, Basophilen und Eosinophilen steht
gehört IL-4, dessen Produzent nicht genau definiert ist. Daneben unter der Kontrolle von TH2-Zellen (. Abb. 12.10). Sie stellt den
sind IL-25 und IL-33, die von Epithelzellen gebildet werden, an der entscheidenden Schritt bei der Sofortallergie und der Helminthen-
TH2-Zell-Aktivierung beteiligt. abwehr dar. TH2-Zellen werden durch Wurmextrakte und Allerge-
Die Kostimulation durch Antigen und diese Zytokine führt zur ne stimuliert. Diese produzieren IL-4, das die IgE-Synthese induziert
Aktivierung der CD4-Helfer-T-Zellen des TH2-Typs. Die auf diese und Basophile anlockt, sowie IL-5, das Eosinophile aktiviert.
Weise aktivierten CD4-T-Zellen produzieren IL-4, IL-5 und IL-13, Mastzellen, Basophile und Eosinophile tragen auf ihrer Oberflä-
die B-Zellen aktivieren. Damit ist die Aktivierung der humoralen che Rezeptoren für IgE (FcεR). Die Vernetzung des FcεR durch IgE
Immunantwort Aufgabe der TH2-Zellen. Mithilfe von IL-13 wirken leitet die Aktivierung von Mastzellen und Basophilen ein. Es kommt
TH2-Zellen aber auch entzündungshemmend, indem sie Makro- zur Sekretion von Prostaglandinen und zur Exozytose vorgebildeter
phagen inhibieren. Inhaltsstoffe, insbesondere vasoaktiver Amine, wie Histamin, und
IL-4 besitzt die Fähigkeit, ruhende B-Zellen zu aktivieren. Zur verschiedener Enzyme, wie Serinproteasen und Proteoglykane.
vollständigen Aktivierung bedarf es aber wieder der Kostimulation Die Eosinophilen werden durch IL-5 voraktiviert. Vernetzung
durch Antigen. Daraufhin vermehrt sich die antigenspezifische der FcεR durch IgE führt dann zur Ausschüttung des Granulainhalts.
B-Zelle (klonale Expansion; 7 Kap. 8). IL-4 nimmt also bei der Hierbei handelt es sich in erster Linie um basische Proteine, die auch
B-Zell-Reifung in antikörperproduzierende Plasmazellen eine zen- für das saure Färbeverhalten gegenüber Eosin verantwortlich sind.
trale Rolle ein. IgE mit Spezifität für Helminthen lagern sich spezifisch an diese an.
Der Wechsel in die unterschiedlichen Antikörperklassen wird Über den FcεR werden die IgE-beladenen Helminthen von eosino-
von verschiedenen Zytokinen kontrolliert: IL-4 induziert die Pro- philen Granulozyten erkannt und abgetötet.
duktion von Antikörpern der Klasse IgE und IgG1. Die IgE-Synthe- Dieses Prinzip der antikörperabhängigen zellulären Zyto-
se wird durch IL-13 gefördert. IL-5 und TGF-β sind am Wechsel zur toxizität (»antibody-dependent cellular cytotoxicity«, ADCC) stellt
12.12 · Wichtigste Wege der T-Zell-abhängigen Immunität
89 12
Dendritische Zellen, die von Bakterien stimuliert werden, pro-
duzieren IL-12, das die Entwicklung von TH1-Zellen fördert. Lös-
liche Proteine bewirken diese IL-12-Sekretion nicht. Kontakt mit
Allergenen, Helminthen und löslichen Proteinen bewirkt dagegen
eher die Produktion von IL-4, das bevorzugt die Entwicklung von
TH2-Zellen stimuliert. Möglicherweise bilden dendritischen Zellen
IL-4, wenn sie nicht mit Bakterien, sondern mit löslichen Proteinen
oder mit Helminthen in Kontakt kommen. Somit können wir auf-
grund des Zytokinmusters 2 Arten von dendritischen Zellen unter-
scheiden:
4 dendritische Zellen vom Typ 1, die u. a. IL-12 produzieren
4 dendritische Zellen vom Typ 2, die u. a. IL-4 produzieren

Unterstützt werden die dendritischen Zellen von ILC, die auf Er-
regerkontakt hin spezifische Zytokine produzieren, welche zur
Polarisierung der antigenspezifisch stimulierten TH-Zellen bei-
tragen.
Kontakt mit Bakterien und ihren Bestandteilen induziert dend-
ritische Zellen und ILC vom Typ 1, während der Kontakt mit lösli-
chen Proteinen und Helminthen die Entwicklung dendritischer
Zellen und ILC des Typs 2 ermöglicht (7 Kap. 13). Unterstützt wer-
den die dendritischen Zellen vom Typ 2 durch die von Epithelzellen
gebildeten Zytokine IL-25 und IL-33.
TH1-Zellen produzieren dann IL-2 und IFN-γ. IL-2 verstärkt
die TH1-Zellentwicklung, während IFN-γ die TH2-Zellentwicklung
hemmt. Schon vorher werden NK-Zellen und γ/δ-T-Zellen von be-
stimmten bakteriellen und viralen Krankheitserregern stimuliert,
IFN-γ zu produzieren. Sie verstärken auf diese Weise weiter die Ent-
wicklung des TH1-Zell-Schenkels. Umgekehrt produzieren TH2-
Zellen u. a. IL-4, das die TH1-Zellentwicklung hemmt. IL-4 und
IL-13 beeinflussen ebenfalls das Gleichgewicht zugunsten des TH2-
Zell-Schenkels. Somit bestimmt das Wechselspiel zwischen IFN-γ
und IL-4 wesentlich den Verlauf einer Immunantwort in den humo-
ralen (TH2-Zell-geprägten) oder den zellulären (TH1-Zell-gepräg-
. Abb. 12.10 Aktivierung von Eosinophilen, Basophilen und Mastzellen ten) Schenkel.
Dieses Wechselspiel setzt sich in der Effektorphase fort. Das von
infizierten Makrophagen produzierte TNF-α unterstützt die Makro-
einen bedeutenden Schritt bei der Abwehr von Wurminfektionen phagenaktivierung durch IFN-γ, während das von B-Zellen produ-
dar, den Mastzellen und basophile Granulozyten verstärken können. zierte IL-13 die Makrophagenaktivierung hemmt. Umgekehrt wirkt
Dagegen stehen Mastzellen und basophile Granulozyten im Mittel- IFN-γ supprimierend auf die Bildung der Antikörperklassen (bei der
punkt der sofortallergischen Reaktion (7 Kap. 14). Maus insbesondere IgE und IgG1), die von Zytokinen des TH2-Typs
stimuliert werden.

12.12.6 Wechselspiel zwischen TH1-Zellen


und TH2-Zellen 12.12.7 Wechselspiel zwischen TH17-Zellen
und Treg-Zellen
Aus dem oben Gesagten wird klar:
4 TH2-Zellen sind in erster Linie für die Aktivierung der humo- Mit der Identifizierung von TH17- und Treg-Zellen wurde der in
ralen Immunantwort verantwortlich. 7 Abschn. 12.12.6 beschriebene Dualismus des TH-Zell-Systems er-
4 TH1-Zellen obliegt hauptsächlich die Aktivierung der zellulä- gänzt. Wie sich bald herausstellte, besteht zwischen TH17-Zellen
ren Immunität (zytolytische T-Zellen und Makrophagen). und Treg-Zellen ein ähnlicher Dualismus, bei dem antigenpräsentie-
4 Die Bildung opsonisierender Antikörper wird zwar wesentlich rende Zellen ebenfalls die 1. Schaltstelle sind (. Abb. 12.12):
von TH2-Zellen gesteuert. 4 Durch Produktion von IL-6 und niedrigen Konzentrationen
4 Den Klassenwechsel reguliert jedoch IFN-γ, ein Zytokin vom von TGF-β werden TH17-Zellen stimuliert.
TH1-Typ. 4 Werden dagegen große Mengen an TGF-β ausgeschüttet,
entstehen in Zusammenhang mit Retinolsäure (Vitamin-A-
Neueren Untersuchungen zufolge verläuft die Stimulierung von Derivat) Treg-Zellen.
TH1-Zellen und TH2-Zellen nicht unabhängig voneinander. Viel-
mehr kontrollieren sich beide Aktivierungswege über Zytokine Die Treg-Zellen exprimieren einen Rezeptor für IL-2 (CD25), das
wechselseitig (. Abb. 12.11). Ausgangspunkt für beide T-Zell-Popu- ihre Vermehrung fördert. In Gegenwart von IL-23 wird dagegen die
lationen ist eine naive T-Zelle, die bereits das CD4-Merkmal trägt, TH17-Antwort gefördert (. Abb. 12.12).
IL-2 produziert und als TH0-Zelle bezeichnet wird.
90 Kapitel 12 · T-Zellen
Immunologie

. Abb. 12.11 Wechselspiel zwischen TH1 und TH2Zellen bei der Immunantwort (DTH, »delayed type hypersensitivity«: verzögerte allergische Reaktion)

. Abb. 12.12 Wechselspiel zwischen TH17 und Treg-Zellen bei der Immunantwort
12.12 · Wichtigste Wege der T-Zell-abhängigen Immunität
91 12

. Abb. 12.13 Verlauf der T-Zell-Antwort vom Erstkontakt mit Antigen zum immunologischen Gedächtnis. TEff = Effektor-T-Zelle; TEG = Effektor-Gedächtnis-
T-Zelle; TZG = zentrale Gedächtnis-T-Zelle

12.12.8 Transkriptionsfaktoren als zentrale chend unterscheiden wir beide Gedächtnis-T-Zellen aufgrund ihrer
Regulatoren der CD4-T-Zell-Entwicklung unterschiedlichen Expressionsmuster von Chemokinrezeptoren.
Obwohl die Immunantwort für die körpereigene Abwehr von
Transkriptionsfaktoren sind DNA-bindende Proteine, die die Tran- zentraler Bedeutung ist, sind Kollateralschäden häufig nicht zu ver-
skription bestimmter Gene regulieren. In CD4-T-Zellen steuern meiden. Um den Schaden so gering wie möglich zu halten, muss die
charakteristische Transkriptionsfaktoren die Zytokinproduktion. Immunantwort nach der erfolgreichen Beseitigung eines Krank-
Dies sind: heitserregers abgeschwächt werden. In einigen Fällen gelingt dies
4 T-bet in TH1-Zellen nur ungenügend – chronische Entzündungsreaktionen können die
4 GATA-3 in TH2-Zellen Folge sein.
4 RORγt in TH17-Zellen 4 Bei akuten Infektionen ist die Situationen eindeutig: Effektor-
4 FoxP3 in Treg-Zellen T-Zellen werden nur so lange benötigt, bis der Erreger elimi-
niert ist.
4 Bei chronischen Infektionen, bei denen dem Immunsystem le-
12.12.9 Gedächtnis-T-Zellen diglich die Eindämmung der Erreger gelingt, ist die Situation
hingegen schwieriger: Einerseits werden Effektor-T-Zellen zur
Auch wenn noch immer nicht völlig geklärt ist, wie T-Zellen das im- Eindämmung der Erreger kontinuierlich benötigt, andererseits
munologische Gedächtnis aufrechterhalten, steht seine Existenz und können sie Schaden hervorrufen. Um dies zu vermeiden, muss
Bedeutung außer Frage (. Abb. 12.13). Unklar ist derzeit, ob die Auf- das Wechselspiel zwischen Treg-Zellen, Gedächtnis-T-Zellen
rechterhaltung eines immunologischen Gedächtnisses einen konti- und CD4- und CD8-T-Zellen mit Effektorfunktion fein abge-
nuierlichen Antigenstimulus erfordert oder ob das Gedächtnis über stimmt werden.
einen langen Zeitraum auch antigenunabhängig bestehen bleibt. Es
häufen sich konkrete Hinweise darauf, dass das T-Zell-Gedächtnis
über einen bestimmten Zeitraum antigenunabhängig besteht. In Kürze
Das immunologische Gedächtnis stellt die Grundlage für die T-Zellen
Impfung dar. Wir unterscheiden 2 Arten von Gedächtnis-T-Zellen: T-Zell-abhängige Phänomene Transplantatabstoßung, Abtö-
4 Die zentralen Gedächtnis-T-Zellen halten sich bevorzugt in tung virusinfizierter Zellen, Tumorüberwachung, Abwehr intra-
den drainierenden Lymphknoten auf und vermehren sich nach zellulärer Keime, verzögerte Allergie, Hilfe bei humoraler und
Wiedererkennen des spezifischen Antigens rasch, sodass die zellulärer Immunantwort, Regulation der humoralen und zellu-
gebildeten T-Lymphozyten umgehend Effektorfunktion über- lären Immunantwort.
nehmen können. T-Zellen sind durch das CD3-Molekül charakterisiert.
4 Die Effektor-Gedächtnis-T-Zellen verweilen dagegen im peri- Antigenerkennung durch T-Zellen Antigenpräsentierende
pheren Gewebe, z. B. in den Schleimhäuten, wo sie direkt Zellen prozessieren Proteinantigene und exprimieren auf ihrer
Effektorfunktionen ausüben oder Entzündungsprozesse auf- Oberfläche körpereigene MHC-Moleküle mit Peptiden. T-Zellen
rechterhalten. erkennen über ihren T-Zell-Rezeptor das fremde Peptid plus
körpereigenes MHC-Molekül: CD4-T-Zellen erkennen Antigen
Das unterschiedliche Wanderungsverhalten der beiden Gedächtnis- plus MHC-Klasse-II-Molekül, CD8-T-Zellen Antigen plus MHC-
zelltypen wird durch Chemokine gesteuert (7 Kap. 13). Entspre-
92 Kapitel 12 · T-Zellen

Klasse-I-Molekül. Die Antigenerkennung durch den T-Zell-Rezep- Hilfe bei der humoralen Immunantwort CD4-T-Zellen vom
tor vermittelt das 1. Signal bei der T-Zellaktivierung. TH2-Typ werden durch Antigen plus MHC-Klasse-II-Molekül und
Kostimulatorische Moleküle vermitteln zusammen mit Zyto- IL-4 stimuliert, IL-4, IL-5 und IL-13 zu bilden; diese bewirken die
kinen das 2. Signal bei der T-Zell-Aktivierung. Differenzierung von B-Zellen in antikörperproduzierende Plasma-
α/β- und γ/δ-T-Zellen α/β-T-Zellen machen über 90 % aller zellen. Der Wechsel der Antikörperklasse wird durch unterschied-
peripheren T-Zellen des Menschen aus; sie exprimieren einen liche Zytokine vom TH2- oder TH1-Typ kontrolliert: IL-4 stimuliert
T-Zell-Rezeptor aus einer α- und β-Kette und entweder das IgG1 und IgE; IL-5 stimuliert IgA, IFN-γ stimuliert IgG2a und IgG3.
Immunologie

CD4- oder das CD8-Molekül; α/β-T-Zellen sind gut erforscht. Zur Rolle der Antikörper 7 Kap. 8.
γ/δ-T-Zellen sind weniger als 10% aller peripheren T-Zellen des Aktivierung von Eosinophilen, Basophilen und Mastzellen
Menschen; sie exprimieren einen T-Zell-Rezeptor aus einer CD4-T-Zellen vom TH2-Typ werden durch Antigen plus MHC-
γ- und δ-Kette und keine CD4- und CD8-Moleküle; γ/δ-T-Zellen Klasse-II-Molekül und IL-4 aktiviert, IL-4, IL-5 und IL-13 zu bilden.
sind nur unvollständig erforscht. IL-4 und IL-13 stimulieren die IgE-Produktion, IL-5 aktiviert Eosi-
Helfer-T-Zellen Meist CD4+, sie sezernieren Zytokine, die in nophile. Mastzellen, Basophile und Eosinophile tragen auf ihrer
ihren Zielzellen bestimmte Funktionen aktivieren. Wichtige Oberfläche Fcε-Rezeptoren. Deren Vernetzung durch IgE führt
Zytokine sind: zur Ausschüttung von Effektormolekülen. Eosinophile tragen
5 IL-2 (Wachstums- und Differenzierungsfaktor für T-Zellen), in erster Linie zur Helminthenabwehr bei. Mastzellen und Baso-
5 IL-4 (Wachstums- und Differenzierungsfaktor für B-Zellen), phile sind hauptsächlich für sofortallergische Reaktionen ver-
5 IL-5 (Differenzierungsfaktor für B-Zellen), antwortlich.
5 IFN-γ (Makrophagenaktivator), Aktivierung von Neutrophilen CD4-T-Zellen vom TH17-Typ
5 IL-17 (Neutrophilenaktivator). werden durch Antigen plus MHC-Klasse-II-Molekül und IL-6 plus
geringe Konzentration von TGF-β aktiviert, IL-17 zu bilden, das
TH-Zellpolarisierung Antigenpräsentierende Zellen (dendritische Neutrophile stimuliert.
Zellen und Makrophagen) sowie angeborenen lymphoide Zellen Regulation der Immunantwort CD4-T-Zellen vom Treg-Typ wer-
(»innate lymphoid cells«, ILC) steuern die Polarisierung von den durch Antigen plus MHC-Klasse-II-Molekül und TGF-β in ho-
TH-Zellen in TH-1, TH-2 und TH-17 Zellen durch Zytokinsekretion her Konzentration plus Retinolsäure stimuliert, TGF-β und IL-10
während der antigenspezifischen TH-Zellaktivierung. zu bilden. Diese Zytokine unterdrücken die Immunantwort.
TH1- , TH2- und TH17-Zellen CD4-T-Zellen lassen sich auch auf-
grund ihres Zytokin-Sekretionsmusters aufteilen in
5 TH1-Zellen (IL-2 und IFN-γ),
5 TH2-Zellen (IL-4, IL-5 und IL-13) und Literatur
5 TH17-Zellen (IL-17, IL-22).
Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.
Regulatorische T-Zellen CD4+, Foxp3+,meistCD25+, unterdrü-
cken eine Immunantwort mithilfe der Zytokine IL-10 und TGF-β.
Transkriptionsfaktoren der CD4-T-Zellen CD4-T-Zellen lassen
sich über charakteristische Transkriptionsfaktoren unterscheiden:
TH1-Zellen (T-bet), TH2-Zellen (GATA-3), TH17-Zellen (RORγt),
Treg-Zellen (FoxP3).
Zytolytische T-Zellen Meist CD8+, lysieren ihre Zielzellen über
direkten Zellkontakt.
Immunologisches Gedächtnis Zentrale Gedächtnis-T-Zellen
halten sich in erster Linie in den drainierenden Lymphknoten
auf und reifen nach Zweitkontakt mit Antigen rasch zu T-Zellen
mit Effektorfunktion. Effektor-Gedächtnis-T-Zellen finden sich
hauptsächlich im peripheren Gewebe, wo sie selbst Effektor-
funktionen übernehmen können. Gedächtnis-T-Zellen sind für
die raschere und stärkere Immunantwort nach Zweitkontakt
mit Fremdantigen verantwortlich.
Stimulierung zytolytischer T-Zellen CD4-T-Zellen vom TH1-Typ
werden durch Antigen plus MHC-Klasse-II-Molekül und IL-12
stimuliert, IL-2 zu bilden; in CD8-T-Zellen aktiviert IL-2 zusammen
mit Antigen plus MHC-Klasse-I-Molekül die zytolytische Aktivi-
tät. Zytolytische T-Zellen sind an der Abwehr viraler Infekte, der
Tumorüberwachung und der Transplantatabstoßung beteiligt.
Makrophagenaktivierung
CD4-T-Zellen vom TH1-Typ werden durch Antigen plus MHC-Klas-
se-II-Molekül und IL-12 aktiviert, IFN-γ zu bilden; zusammen mit
einem weiteren Stimulus bewirkt IFN-γ die Makrophagenaktivie-
rung. Aktivierte Makrophagen besitzen die Fähigkeit zur Abtötung
von intrazellulären Mikroorganismen und von Tumorzellen.
93 13

Phagozyten und antigenpräsentierende


Zellen
S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die mononukleären Phagozyten nehmen bei der antimikrobiellen Ab- Professionelle Phagozyten tragen auf ihrer Oberfläche zahlreiche
wehr Aufgaben von großer Bedeutung wahr. Diese Zellen sind äußerst Rezeptoren mit einem breiten Erkennungsspektrum. Die für diese
anpassungsfähig und entsprechend formenreich. Ihre wichtigsten Ein- Rezeptoren erkennbaren Moleküle sitzen auf der Oberfläche von
zelfunktionen sind: Mikroorganismen, z. B. in Form einfacher Zucker. Damit ist die Er-
4 Phagozytose kennung von Krankheitserregern durch professionelle Phagozyten
4 intrazelluläre Keimabtötung im Sinne einer Rezeptor-Liganden-Reaktion als spezifisch an-
4 Sekretion biologisch aktiver Moleküle zusehen, obwohl dies mit der Antigenspezifität der erworbenen
4 Antigenpräsentation Immunität nicht vergleichbar ist. Man hat die frühe Erkennung
von Eindringlingen durch das angeborene Immunsystem als Muster-
Die mononukleären Phagozyten stehen mit diesen Fähigkeiten nicht spezifität bezeichnet. Sind die Liganden von einer mikrobiellen
allein da. Auch andere Zellen können die eine oder andere Funktion Kapsel maskiert, verhindert dies die Phagozytose.
übernehmen. In diesem Kapitel werden zuerst die Vorgänge der Phago- Professionelle Phagozyten besitzen u. a. auch Rezeptoren für den
zytose und der intrazellulären Keimabtötung behandelt. Die Beschrei- Fc-Bereich von Antikörpern der Klasse IgG und für gewisse Frag-
bung gilt sowohl für mononukleäre Phagozyten als auch für neutro- mente der Komplementkomponenten. Dementsprechend werden
phile Granulozyten. Anschließend werden jene Funktionen behandelt, Mikroorganismen, die mit spezifisch gebundenen Antikörpern und
die dem mononukleär-phagozytären System vorbehalten bleiben. Komplement beladen sind, effizienter phagozytiert. Dieser Vorgang
Obwohl mononukleäre Phagozyten zur Antigenpräsentation befähigt wird als Opsonisierung bezeichnet.
sind, sind dendritische Zellen bei der Antigenpräsentation effizienter. Die Interaktion zwischen Membranrezeptoren und ihren Ligan-
Dendritische Zellen entwickeln sich aus myeloiden Vorläuferzellen. den löst bei der phagozytierenden Zelle eine lokale Reaktion aus, die
durch das Reißverschlussmodell am besten beschrieben wird (. Abb.
13.1). Um das membrangebundene Partikel, z. B. ein Bakterium,
13.1 Phagozytose schieben sich Pseudopodien nach oben, während sich gleichzeitig die
Plasmamembran im Zentrum nach innen stülpt. Durch diesen Pro-
Zellen nehmen aus ihrer Umgebung Makromoleküle und Partikel zess vergrößert sich die Kontaktfläche zwischen Membranrezeptoren
auf, und zwar über einen Mechanismus, der als Endozytose bezeich- und Liganden auf dem Bakterium laufend, sodass der Impuls für den
net wird. Die Plasmamembran stülpt sich unter dem aufzunehmen-
den Material ein und bildet anschließend einen Vesikel darum. Han-
delt es sich um die Aufnahme von Flüssigkeitströpfchen an einer
beliebigen Stelle der Membran, so sprechen wir von Pinozytose.
Dieser Prozess dient in erster Linie der Nahrungsaufnahme. Die
Aufnahme größerer Partikel wird Phagozytose genannt. Sie ist spe-
zialisierten Zellen vorbehalten – den Phagozyten.
Bei der rezeptorvermittelten Endozytose wird ein Molekül von
einem spezifischen Oberflächenrezeptor erkannt und gebunden.
Anschließend wird der Komplex aus Rezeptor und Ligand interna-
lisiert. Dies geschieht in einem Membranbereich, der als »coated
pit« bezeichnet wird. Die Phagozytose stellt eine Sonderform der
rezeptorvermittelten Endozytose dar.
Zur Phagozytose sind v. a. die neutrophilen, polymorphkernigen
Granulozyten (»Neutrophilen«) und die mononukleären Phago-
. Abb. 13.1 Reißverschlussmodell der Phagozytose und Bildung des
zyten befähigt. Diese Zellen werden daher rein funktionell auch als
Phagosoms. Liganden auf dem aufzunehmenden Partikel werden über spe-
professionelle Phagozyten bezeichnet. Gemeinsam mit der intra-
zifische Rezeptoren vom Phagozyten erkannt. Diese Rezeptor-Liganden-
zellulären Keimabtötung, die darauf folgt, stellt die Phagozytose Interaktion leitet die Phagozytose ein. Entweder werden mikrobielle Be-
pathogener Mikroorganismen einen wichtigen Abwehrmechanis- standteile (häufig Zuckerbausteine) über entsprechende Rezeptoren (z. B.
mus dar. Mannose-Fukose-Rezeptor [Man-Fuc-R]) direkt erkannt oder es kommt
Die Aufnahme der Mikroorganismen wird durch deren Adhä- nach Beladung mit IgG oder Komplementkomponenten zur Erkennung
sion an den Phagozyten eingeleitet. Hieran sind Rezeptoren beteiligt. über die homologen Rezeptoren für Fc- bzw. Komplement (CR)
94 Kapitel 13 · Phagozyten und antigenpräsentierende Zellen

Phagozytosevorgang ständig wächst. Schließlich ist der Keim völlig


vom Zytoplasma umschlossen, die Enden der umschließenden Pseu-
dopodien verschmelzen miteinander. Damit befinden sich die pha-
gozytierten Partikel in einem membranumschlossenen Phagosom.

13.2 Intrazelluläre Keimabtötung


und Verdauung
Immunologie

Der Kontakt zwischen Mikroorganismen und professionellen Pha-


gozyten löst zelluläre Prozesse aus, die in der Abtötung und Ver-
dauung der phagozytierten Erreger gipfeln (. Abb. 13.2).

13.2.1 Reaktive Sauerstoffmetaboliten

Die schnelle Zunahme der Stoffwechselaktivität wird als »respira-


tory burst« bezeichnet. Ihr wesentliches Endergebnis ist die Bildung
reaktiver Sauerstoffmetaboliten. Der Erregerkontakt aktiviert eine
NADPH-Oxidase in der Zellmembran, die nach Reaktion 1 Sauer-
stoff (O2) unter Verwendung von NADPH als Elektronendonor in
Superoxidanionen (O2–; neuerdings auch als Hyperoxidanion be- . Abb. 13.2 Wichtigste Effektormechanismen aktivierter Makrophagen
zeichnet) umsetzt (. Tab. 13.1). NADPH wird durch Abbau von Glu-
kose über den Hexosemonophosphat-Weg bereitgestellt. Superoxid
besitzt lediglich eine schwach antimikrobielle Wirkung und dient in Maus klar ist, besteht über ihre Rolle beim Menschen noch weitge-
erster Linie als Ausgangsmaterial für die Bildung folgender Mole- hende Unklarheit. Die reaktiven Stickstoffmetaboliten werden ex-
küle: klusiv aus L-Arginin gebildet (. Abb. 13.2). Unter Mitwirkung einer
4 Wasserstoffperoxid (H2O2) NO-Synthase entstehen L-Zitrullin und NO, das dann weiter zu
4 Singulett-Sauerstoff (1O2) NO2– und NO3– oxidiert wird. Die reaktiven Stickstoffmetaboliten
4 Hydroxyl-Radikale (OH) inaktivieren die FeS-haltigen reaktiven Zentren zahlreicher Enzyme
und unterstützen zudem die Wirkung reaktiver Sauerstoffmetabo-
H2O2 wird gemäß Reaktion 2 durch die Superoxid-Dismutase (SOD) liten.
gebildet. Es wirkt antimikrobiell. Dieser Effekt wird durch das Mye-
loperoxidase-System (MPO) im Sinne der Reaktion 3 deutlich ver-
stärkt. Reaktion 3 erlaubt die für viele Mikroorganismen toxische 13.2.3 Lysosomale Wirkstoffe
Halogenierung von Proteinen. MPO befindet sich in den primären
(oder azurophilen) Granula der neutrophilen Granulozyten. Das Im Inneren der professionellen Phagozyten existieren zahlreiche
Enzym gelangt durch Degranulation ins Phagosom (. Abb. 13.2; Vesikel. Sie haben die Fähigkeit, nach der Keimaufnahme mit den
s. u.), wo es mit H2O2 reagiert. Auch bei Monozyten, jedoch nicht bei entstandenen Phagosomen zu verschmelzen. Bei den polymorph-
Makrophagen, wurde MPO nachgewiesen. Durch eine Fe3+-abhän- kernigen neutrophilen Granulozyten werden die Vesikel als Granula
gige Reduktion entsteht aus H2O2 nach der (modifizierten Haber- und die Verschmelzungsvorgänge als Degranulation bezeichnet. Bei
Weiss-)Reaktion 4 freies Hydroxyl-Radikal (∙OH). Durch geeignete den mononukleären Phagozyten sprechen wir von Lysosomen und
Energieabsorption kann aus Superoxid über verschiedene Reaktio- von Phagolysosomenbildung. Im Wesentlichen handelt es sich aber
nen 1O2 entstehen. 1O2 und ∙OH peroxidieren Fettsäuren und reagie- um das Gleiche. Die Granula bzw. Lysosomen enthalten zahlreiche
ren mit Nukleinsäuren; dadurch sind sie für Mikroorganismen Enzyme und Metaboliten. Beide wirken nach der Verschmelzung auf
äußerst toxisch.
Die genannten reaktiven Sauerstoffmetaboliten wirken natürlich
nicht nur auf mikrobielle Eindringlinge, sondern können auch
. Tab. 13.1 Wichtige Reaktionen bei der Bildung reaktiver Sauer-
Wirtszellen in der Umgebung schädigen. Deshalb muss ihr gezielter
stoffmetaboliten
Abbau gewährleistet werden. SOD fängt Superoxid ab und ver-
hindert so die Bildung der hochtoxischen Metaboliten OH und 1O2
→ NADP + O2- + H+
NADPH-Oxidase
(Reaktion 2). Das bei dieser Reaktion entstehende H2O2 wird durch (1) NADPH + O2 ⎯⎯⎯⎯⎯
Katalase (Reaktion 5) und/oder über das Glutathionsystem abge-
baut. Da zahlreiche Mikroorganismen Katalase besitzen, können sie 2 O2- + 2 H+ ⎯→
SOD
(2) ⎯ O2 + H2O2
die Reaktion 5 zu ihrem eigenen Schutz einsetzen.
H2O2 + Cl- ⎯→
⎯ OCl- + H2O
MPO
(3)

13.2.2 Reaktive Stickstoffmetaboliten


(4) H2O2 + O2- ⎯
→ ∑ OH + OH- + O2
Neben den reaktiven Sauerstoffmetaboliten spielen auch reaktive
Katalase
Stickstoffmetaboliten eine wesentliche Rolle bei der Keimabtötung. (5) 2H2O2 ⎯⎯⎯
→ 2H2O+ O2
Während die Bedeutung der reaktiven Stickstoffmetaboliten bei der
13.3 · Mononukleär-phagozytäres System
95 13
die phagozytierten Mikroorganismen ein und verursachen ggf. de- Kationische oder basische Proteine und Peptide sind reich an
ren Tod und/oder Abbau (. Abb. 13.2; . Tab. 13.2). Arginin und Zystein. Sie besitzen bei neutralem bis schwach basi-
Kurz nach der Phagozytose sinkt der pH-Wert des Phagosoms schem pH eine stark antimikrobielle Wirkung. Deshalb muss man
in den sauren Bereich. Er steigt danach noch einmal auf pH 7,8 an, annehmen, dass ihre Wirkung im Phagosom sehr früh einsetzt und
um anschließend wieder auf etwa pH 5 abzufallen. Der kurzzeitige nur kurzfristig erhalten bleibt. Die kationischen Proteine stellen eine
pH-Anstieg könnte die Wirksamkeit der basischen Proteine erhö- heterogene Gruppe mit unterschiedlichem Molekulargewicht dar.
hen. Das saure Milieu ist für viele Mikroorganismen bereits wachs- Zu ihnen gehören das Phagozytin und die als Defensine bezeichne-
tumshemmend. Außerdem stellt dieses Milieu das pH-Optimum für ten kationischen Peptide aus etwa 30 Aminosäuren. Die Defensin-
den Großteil der lysosomalen Hydrolasen dar. Familie besteht aus 3 Untergruppen: α-, β- und θ-Defensine, die sich
Hydrolasen spalten in Gegenwart von H2O Polymere bis zu den in ihrer Struktur unterscheiden. Zusätzlich zu ihrer bakteriziden
monomeren Bausteinen. Die lysosomalen Hydrolasen greifen alle Wirkung wurde neuerdings gefunden, dass Defensine bakterielle
mikrobiellen Makromoleküle an, also Kohlenhydrate, Fette, Nuk- Toxine neutralisieren, die Virusvermehrung hemmen und Immun-
leinsäuren und Proteine. Sie bauen vor allem bereits abgetötete zellen anlocken und aktivieren.
Mikroorganismen ab. Die Mehrzahl der lysosomalen Hydrolasen hat Neutrale Proteasen haben ihr Optimum bei pH 7. Zu diesen
ein pH-Optimum um 5. Sie werden als saure Hydrolasen bezeichnet. zählen Kathepsin G, Elastase und Kollagenase. Diese Enzyme sind für
Peroxidasen haben das Vermögen, verschiedene Moleküle zu den Abbau von Elastin, Knorpel, Proteoglykanen, Fibrinogen, Kolla-
oxidieren. Dies geschieht in Gegenwart von H2O2. MPO wirkt durch gen etc. mitverantwortlich. Zu den neutralen Proteasen gehören auch
die Halogenierung von Proteinen bakterizid (s. o.). die Plasminogenaktivatoren; sie aktivieren Plasminogen zu Plasmin.
Lysozym spaltet die Bindung zwischen Azetylmuramylsäure Diese Proteasen werden von der Zelle in das umgebende Milieu abge-
und N-Azetylglukosamin in der Peptidoglykanschicht bakterieller geben. Dort wirken sie bei extrazellulären Abwehr- und Entzün-
Zellwände. Bevor Lysozym wirksam werden kann, müssen bei den dungsreaktionen mit (7 Kap. 14).
meisten Bakterien schützende Zellwandschichten abgebaut werden.
Lysozym dürfte eher am Abbau als an der Abtötung von Mikroorga-
nismen beteiligt sein. 13.3 Mononukleär-phagozytäres System
Eisen ist für das Wachstum zahlreicher Mikroorganismen essen-
ziell. Laktoferrin hat bei saurem pH eine hohe eisenbindende Akti- Zum mononukleär-phagozytären System gehören folgende Zellen:
vität und wirkt daher antimikrobiell. 4 mobile Blutmonozyten
4 freie Exsudatmakrophagen
4 residente (sessile) Gewebemakrophagen
. Tab. 13.2 Lysosomale Wirkstoffe
Die sessilen Zellen sind an strategisch wichtigen Punkten verschie-
dener Körperregionen angeordnet. Sie unterscheiden sich entspre-
Wirkstoff Substrat
chend ihrer Lokalisation mehr oder weniger in Morphologie und
Saure Hydrolasen: Funktion. Wegen ihrer Heterogenität in Gestalt und Funktion hat
man den Makrophagen eine Vielzahl von Namen gegeben (. Tab.
Phosphatasen Oligonukleotide und andere
13.3). Aschoff fasste 1924 alle Zellen, die sich nach der Injektion von
Phosphorester
Tusche oder kolloidalen Farbstoffen als partikelbeladen erwiesen, als
Nukleasen DNA, RNA retikuloendotheliales System (RES) zusammen. Wir wissen heute,
β-Galaktosidase Galaktoside dass das mononukleär-phagozytäre System einen großen Teil des
RES ausmacht.
α-Glukosidase Glykogen
Makrophagen stammen von Blutmonozyten ab, die kontinuier-
α-Mannosidase Mannoside lich ins Gewebe bzw. in Körperhöhlen einwandern. Die eingewan-
Hyaluronidase Hyaluronsäuren, Chondroitinsulfat
Kathepsine Proteine
. Tab. 13.3 Organabhängige Bezeichnungen ortsständiger (resi-
Peptidasen Peptide
denter) Gewebemakrophagen und antigenpräsentierender Zellen
Lipidesterasen Fette
Bezeichnung Organ
Phospholipasen Phospholipide
Neutrale Proteasen: Kupffer-Sternzellen Leber
Kollagenase Kollagen Alveolarmakrophagen Lunge
Elastase Elastin Histiozyten Bindegewebe
Kathepsin G Knorpel Osteoklasten Knochenmatrix
Plasminogenaktivator Plasminogen Peritonealmakrophagen Peritonealhöhle
Lysozym Bakterienzellwand Pleuramakrophagen Pleurahöhle
Peroxidasen H 2O 2
Mikrogliazellen ZNS
Kationische Proteine und antibakterielle Wirkung durch
Langerhans-Zellen Haut
Peptide Anlagerung an Bakterienmembran;
Toxinneutralisation Dendritische Zellen Milz, Lymphknoten
96 Kapitel 13 · Phagozyten und antigenpräsentierende Zellen

derten Blutmonozyten wandeln sich in residente Makrophagen


um, die sich kaum mehr vermehren. Als langlebige Zellen können
Makrophagen jedoch über einen längeren Zeitraum hinweg ihre
Funktion ausüben. Ihre wichtigsten Aufgaben sind:
4 Abbau von Makromolekülen und Zelltrümmern
4 Abtötung von eingedrungenen Krankheitserregern und von
Tumorzellen als wesentliche Effektorfunktion der körper-
eigenen Abwehr
Immunologie

4 Mitwirkung bei der spezifischen Immunantwort, insbesondere


Präsentation von Fremdantigen und Stimulation von Helfer-T-
Zellen durch Zytokine (7 Kap. 12).

13.4 Rezeptoren

Mononukleäre Phagozyten tragen eine Garnitur von Rezeptoren, die


es ihnen erlaubt, mit sehr verschiedenartigen Makromolekülen zu
interagieren.
Einige Rezeptoren stellen darüber hinaus auch wichtige Ober-
flächenmarker dar. Diese Moleküle können mit monoklonalen An-
tikörpern nachgewiesen werden. Ihr Nachweis ist jedoch nicht . Abb. 13.3 TLR und ihre wichtigsten Liganden
spezifisch für das mononukleär-phagozytäre System: Entweder
kommen sie auch auf anderen Zellen vor oder sie werden nicht von
allen Vertretern des mononukleär-phagozytären Systems expri- 4 Der C3bi-Rezeptor erkennt ein weiteres Abbauprodukt des
miert. C3b (3bi). Er besteht aus 2 Ketten mit den Bezeichnungen
Eine wichtige Gruppe von Rezeptoren erkennt das Fc-Frag- CD11b (α-Kette) und CD18 (β-Kette). Er ist auf Monozyten,
ment von Antikörpern der Klasse IgG. Andere Rezeptoren reagie- Makrophagen und neutrophilen Granulozyten zu finden.
ren mit Bruchstücken der Komplementkomponente C3. Dies ist
der Grund dafür, dass Mikroorganismen, die mit Antikörpern und Mononukleäre Phagozyten exprimieren Rezeptoren für die aktivie-
C3-Bruchstücken beladen sind, besser phagozytiert werden (Opso- renden Zytokine IFN-γ, TNF-α etc.
nisierung). Auch das Klasse-II-Molekül des MHC stellt eine wichtige Ober-
Mononukleäre Phagozyten der Maus exprimieren 2 verschiedene flächenstruktur dar. Seine Expression auf Makrophagen wird durch
Fc-Rezeptoren: IFN-γ und möglicherweise andere Zytokine verstärkt. Wie in 7 Kap.
4 Der eine bindet das Fc-Stück von IgG2a. Er ist resistent gegen- 12 bereits dargelegt, spielen Klasse-II-Moleküle bei der Stimulation
über Trypsinbehandlung und heißt FcγRI. von Helfer-T-Lymphozyten eine zentrale Rolle. Dendritische Zellen
4 Der andere Rezeptor bindet die Fc-Stücke von IgG1 und IgG2b. tragen auf ihrer Oberfläche konstitutiv große Mengen an Klasse-II-
Er ist empfindlich gegenüber Trypsinbehandlung und heißt Molekülen des MHC in hoher Dichte und sind daher für die Stimu-
FcγRII. lation von Helfer-T-Lymphozyten bestens gerüstet.

Beim Menschen stellt sich die Situation etwas komplizierter dar. Toll-ähnliche Rezeptoren (TLR) In letzter Zeit rückte eine Gruppe
Blutmonozyten binden die verschiedenen IgG-Subklassen mit un- von Oberflächenrezeptoren in den Fokus, die Toll-ähnlichen Re-
terschiedlicher Stärke. Am stärksten bindet IgG1; an zweiter Stelle zeptoren (»toll-like receptors«). Wir kennen mindestens 10 Varian-
steht IgG3. Während der Fc-Rezeptor auf Blutmonozyten monome- ten, die mit TLR1 bis TLR10 bezeichnet werden. TLR erkennen
res IgG1 gut bindet und die Bezeichnung FcγRI erhielt, bindet der spezifisch charakteristische Mikrobenbestandteile (. Abb. 13.3).
Fc-Rezeptor der neutrophilen Granulozyten monomeres IgG TLR werden besonders von mononukleären Phagozyten und dend-
schlecht (FcγRIII). Polymeres IgG (Immunkomplexe) wird dagegen ritischen Zellen exprimiert, die dadurch eingedrungene Erreger
sehr fest an Granulozyten und Makrophagen gebunden. Im CD- mustern. Deren Erkennung bewirkt eine rasche Aktivierung der
System erhielt der FcγRIII-Rezeptor die Bezeichnung CD16, FcγRI TLR-tragenden Zelle, die dann geeignete Abwehrreaktionen mobi-
heißt CD64. FcγRII (CD32) ist ein weiterer Fc-Rezeptor, der auf lisieren können.
neutrophilen Granulozyten und Monozyten vorkommt und IgG1 Sämtliche TLR-Signale fließen in gemeinsame Signaltransduk-
und IgG3 schwach bindet (. Tab 6.1). tionswege, in deren Zentrum die Phosphorylierung von NF-κB steht
Bei den Rezeptoren für C3-Bruchstücke unterscheidet man (. Abb. 3.12). Dies bewirkt in Makrophagen und dendritischen Zel-
3 Erkennungsspezifitäten (. Tab 6.1): len die Sekretion von proinflammatorischen Zytokinen (7 Abschn.
4 Der CR1-Rezeptor, der auf Monozyten, Makrophagen, 13.5) und Effektormolekülen der Infektabwehr (7 Abschn. 13.2).
neutrophilen Granulozyten und einem Teil der dendritischen Dendritische Zellen reifen auf diesen Stimulus hin heran und kön-
Zellen vorkommt, bindet C3b. Er trägt die CD-Bezeichnung nen nun in einer 1. Reifungsphase Bakterien besser phagozytieren
CD35. und in der 2. Phase T-Zellen effektiver stimulieren.
4 Der CR2-Rezeptor bindet ein Abbauprodukt von C3b (C3d). Die wichtigsten Liganden der TLR sind (. Abb. 13.3):
Er wird von B-Zellen und von einem Teil der dendritischen 4 TLR2: Lipoarabinomannan (LAM) und Lipoproteine als Cha-
Zellen exprimiert, aber nicht von Monozyten, Makrophagen rakteristikum u. a. von Mykobakterien
und neutrophilen Granulozyten; er determiniert den Phänotyp 4 TLR3: doppelsträngige RNA als Charakteristikum zahlreicher
CD21. Viren
13.5 · Sekretion
97 13
4 TLR4: Lipopolysaccharid (LPS) als Charakteristikum gram- 4 Handelt es sich um virale Erreger, werden TH1-Zellen
negativer Bakterien aktiviert, die zytolytische T-Zellen stimulieren.
4 TLR5: bakterielle Flagelline als Charakteristikum geißeltragen- 4 Wird die humorale Immunantwort benötigt, werden TH2-
der Bakterien Zellen abgerufen, die auch bei Wurminfektionen instruiert
4 TLR7, TLR8: für bestimmte Viren charakteristische Einzel- werden. Allerdings sind die PRR, die Wurminfektionen
strang-RNA erkennen, bislang nicht bekannt.
4 Typ9: für bakterielle DNA charakteristische Nukleotid-
sequenzen Weitere PRR sind u. a. die intrazellulären NOD-Rezeptoren (NOD
= nukleotidbindende Oligomerisierungsdomäne). Die NOD-1-Re-
Einige TLR bilden Heterodimere mit neuer Spezifität: TLR2/TLR6- zeptoren erkennen Peptidoglykanfragmente der bakteriellen Zell-
Heterodimere reagieren z. B. mit Peptidoglykan als charakteristi- wand und die NOD-2-Rezeptoren Muramyldipeptid als Grundbau-
schem Muster grampositiver Bakterien und Zymosan als charakte- stein zahlreicher Bakterien. Die NOD-Rezeptoren sind Mitglieder
ristischem Muster von Hefen. der größeren Familie der Nod-ähnlichen Rezeptoren, die NLR
Die für bakterielle Liganden spezifischen TLR2, TLR4, TLR5 (»Nod-like receptors«) abgekürzt werden. NLR stimulieren häufig
und TLR6 befinden sich auf der Zelloberfläche; die für virale Ligan- das Inflammasom, das die Freisetzung von biologisch aktivem IL-1
den spezifischen TLR3, TLR7 und TLR8 sowie der für bakterielle aus einem inaktiven Vorläufer (pro-IL-1) (7 Abschn. 13.5) vermittelt.
DNA spezifische TLR9 innerhalb der Zelle (. Abb. 13.3). Dies er- Sie sind in der Zelle lokalisiert, erkennen also molekulare Muster von
möglicht die schnellstmögliche Erkennung des spezifischen Ligan- Erregern, die in der Zelle vorkommen.
den durch den entsprechenden TLR.
Die TLR sind die wichtigsten Mitglieder der sog. mustererken-
nenden Rezeptoren (»pattern recognition receptors«, PRR). Diese 13.5 Sekretion
PRR erkennen auf Krankheitserregern bestimmte konservierte
Struktureigenschaften und befähigen so das Immunsystem, Ein- Makrophagen sind sekretorische Zellen. Sie produzieren wichtige
dringlinge zu mustern. Diese Erkennung führt zur Aktivierung von Mediatoren der Entzündungsreaktion und der spezifischen Immun-
Makrophagen und zur Reifung dendritischer Zellen, die dann die antwort. Darüber hinaus sezernieren mononukleäre Phagozyten
erworbene Immunantwort über die Art der eindringenden Krank- Substanzen, die auf mikrobielle Krankheitserreger und Tumorzellen
heitserreger informieren können: toxisch wirken. Von diesen Faktoren werden viele erst nach adäqua-
4 Handelt es sich bei den Eindringlingen um extrazelluläre ter Aktivierung abgegeben. Die wichtigsten Sekretionsprodukte sind
Bakterien wie Staphylo- oder Streptokokken, so werden TH17- in . Tab. 13.4 aufgeführt.
Zellen aufgerufen, die in erster Linie Neutrophile aktivieren.
4 Handelt es sich um intrazelluläre Bakterien wie den Tuber- Lysosomale Enzyme Bei der Phagozytose werden lysosomale En-
kuloseerreger, werden TH1-Zellen abgerufen, die Makro- zyme nicht nur in das Phagosom, sondern auch nach außen sezer-
phagen aktivieren. niert. Zudem gelangen aus den noch nicht vollständig geschlossenen

. Tab. 13.4 Sekretionsprodukte mononukleärer Phagozyten

Produkt Wichtigste Funktion

Lysosomale saure Hydrolasen Verdauung verschiedener Makromoleküle

Neutrale Proteasen Zersetzung von Bindegewebe, Knorpel, elastischen Fasern etc.

Lysozym Abbau bakterieller Zellwände

Komplementkomponenten Komplementkaskade

IL-1 Entzündungsmediator, endogenes Pyrogen

IL-10 Hemmung der Aktivierung von Makrophagen und TH1-Zellen

IL-12 Aktivierung von zytolytischen Zellen und TH1-Zellen

IL-18 Aktivierung von TH1-Zellen

IL-33 Aktivierung von TH2-Zellen

Chemokine Anlockung von Entzündungszellen, Rezirkulation und homöostatische Migration von Immunzellen

TNF-α Tumorzelllyse, septischer Schock, Kachexie, Granulombildung

IFN-α Virushemmung

Reaktive O2-Metaboliten antimikrobielle und tumorizide Wirkung

Reaktive N2-Metaboliten antimikrobielle und tumorizide Wirkung

Arachidonsäuremetaboliten Entzündungsmediatoren, Immunregulation


98 Kapitel 13 · Phagozyten und antigenpräsentierende Zellen

. Tab. 13.5 Untergruppen der Chemokinfamilie

Untergruppe Lagebeziehung der beiden N-terminalen Zysteinreste Biologische Aktivität Typische(r) Vertreter

CC-Chemokine direkte Nachbarschaft (»CC«) Stimulation v. a. von Monozyten RANTES, MCP-1

CXC-Chemokine durch weitere Aminosäure (X) getrennt (»CXC«) Stimulation v. a. von Neutrophilen IL-8
Immunologie

Phagolysosomen Enzyme passiv nach außen. Hierzu gehören saure fektor-Gedächtnis-T-Zellen und die zentralen Gedächtnis-T-Zellen
Hydrolasen, Lysozym und neutrale Proteasen. durch das Repertoire ihrer Oberflächenrezeptoren für unterschied-
liche Chemokine unterscheiden (7 Kap. 12).
jVon mononukleären Phagozyten und dendritischen
Zellen gebildete Zytokine TNF-α Tumornekrosefaktor α wirkt stark nekrotisierend auf Tu-
IL-1 Interleukin-1 wirkt u. a. auf B-Lymphozyten, Hepatozyten, morzellen; er hat gewisse Ähnlichkeiten mit TNF-β (7 Kap. 12) In
Synovialzellen, Epithelzellen, Fibroblasten, Osteoklasten und Endo- vielerlei Hinsicht wirkt TNF-α ähnlich wie IL-1; er induziert Fieber
thelzellen. Als endogenes Pyrogen löst IL-1 im Hypothalamus die und wirkt immunregulatorisch. TNF-α ist mit Kachektin, das für
Fieberreaktion aus. Durch seine Wirkung auf Hepatozyten vermit- kachektische Zustände verantwortlich ist, identisch. Es ist entschei-
telt es die Akutphasereaktion. Schließlich induziert IL-1 die Sekre- dend an der Ausbildung von Granulomen beteiligt (7 Kap. 15). Wei-
tion von Fibrinogen, Kollagenase und Prostaglandinen. Viele dieser terhin ist TNF-α im Wesentlichen für den septischen Schock zustän-
Faktoren sind am Zustandekommen der Entzündung beteiligt. IL-1 dig. Diese Eigenschaft hat die Hoffnung auf einen therapeutischen
ist somit ein wichtiger Entzündungsmediator. IL-1 wird auch von TNF-Einsatz bei der Tumorbehandlung gedämpft. Die Neutralisa-
anderen Zellen gebildet. Dazu gehören B-Lymphozyten, Endothel- tion von TNF-α durch spezifische, monoklonale Antikörper wird
zellen, Epithelzellen, Gliazellen, Fibroblasten, Mesangiumzellen und dagegen mit großem Erfolg zur Therapie der rheumatoiden Arthritis
Astrozyten. IL-1 wird von einem Enzymkomplex, der als Inflamma- und anderer chronischer Entzündungen eingesetzt.
som bezeichnet wird, gebildet. Das Inflammasom generiert auf
infektionsbedingte Stressreaktionen eine Kaspase, die aktives IL-1 M-CSF Monozyten-Kolonien-stimulierender Faktor bewirkt die
aus seiner Vorstufe bildet. IL-18, das TH1-Zellen stimuliert, und Reifung mononukleärer Phagozyten aus Stammzellen.
IL-33, das TH2-Zellen stimuliert, sind IL-1-Verwandte und werden
im Inflammasom über ähnliche Mechanismen aus inaktiven Vor- G-CSF Granulozyten-Kolonien-stimulierender Faktor wird von
stufen hergestellt. Makrophagen, Endothelzellen und anderen Zellen gebildet und be-
wirkt in erster Linie die Reifung von Granulozyten.
IL-6 Interleukin-6 wird nicht nur von mononukleären Phagozyten,
sondern auch von T-Lymphozyten gebildet und wurde deshalb be- TGF-β TGF-β wird von mononukleären Phagozyten, Treg-Zellen
reits in 7 Kap. 12 besprochen. und Blutplättchen gebildet (7 Kap. 12).

IL-10 Dieses immunsuppressive Zytokin wurde in 7 Kap. 12 bespro- IFN-α Interferon-α besitzt als Mitglied der IFN-Familie antivirale
chen, da es sowohl von Makrophagen als auch von T-Zellen produ- Aktivität (7 Kap. 12 und 7 Kap. 14). Daneben hat es immunmodula-
ziert wird. torische Wirkung.

IL-12 Interleukin-12 aktiviert das zytolytische Potenzial von T-Lym- Komplementkomponenten Makrophagen sezernieren zahlreiche
phozyten und NK-Zellen. Weiterhin stimuliert es die Differenzie- Komplementkomponenten. Hierzu gehören C1q, C2, C4, C3, C5,
rung von TH1-Zellen. Somit stellt IL-12 ein Schlüsselzytokin bei der Faktor B, Faktor D, Properdin, Faktor H und Faktor I (7 Kap. 9).
Aktivierung der von CD4-Zellen des TH1-Typs und von CD8-T-
Zellen getragenen zellulären Immunität dar (7 Kap. 12). Reaktive Sauerstoff- und Stickstoffmetaboliten Makrophagen
setzen nach entsprechender Stimulation reaktive Sauerstoff- und
Chemokine Chemokine sind an der Anlockung (Chemotaxis) von Stickstoffmetaboliten frei (7 Abschn. 13.2).
Entzündungszellen (Blutmonozyten, neutrophilen Granulozyten)
aus dem Kapillarbett ins Gewebe beteiligt. Die große Familie der
Chemokine besteht aus zahlreichen, strukturell sehr ähnlichen Zy- 13.6 Makrophagenaktivierung
tokinen mit etwa 8–10 kD Molekularmasse. Viele Chemokine zeigen
ein ähnliches Wirkspektrum, d. h., ihre Wirkung ist redundant. Zwei Mononukleäre Phagozyten sind äußerst anpassungsfähige Zellen.
Untergruppen lassen sich aufgrund der Nachbarschaftsbeziehung Sie können sich auf äußere Reize hin morphologisch und funktionell
der beiden aminoterminalen Zysteinreste (C) und der biologischen verändern. Man kann hierbei 3 hierarchisch angeordnete Aktivitäts-
Aktivität unterscheiden: CC- und CXC-Chemokine (. Tab. 13.5). stufen unterscheiden:
Chemokine werden nicht nur von mononukleären Phagozyten, 4 residente Gewebemakrophagen
sondern auch von anderen Zellen gebildet, die typischerweise am 4 Entzündungsmakrophagen
Entzündungsherd zu finden sind. Die Familie der Chemokine ist 4 aktivierte Makrophagen
allerdings sehr viel größer und wir kennen auch homöostatische
Chemokine, welche die Migration der Immunzellen steuern. So wird Residente Gewebemakrophagen Diese besitzen bereits bestimmte
das Wanderungsverhalten von Gedächtnis-T-Zellen durch unter- Fähigkeiten: Sie können phagozytieren und sezernieren konstitutiv
schiedliche Chemokine gesteuert. Entsprechend lassen sich die Ef- Lysozym. Durch das umliegende Gewebe werden die Eigenschaften
13.7 · Antigenpräsentierende Zellen im engeren Sinn
99 13
und Fähigkeiten residenter Makrophagen wesentlich beeinflusst. So grundsätzlich notwendig. Dagegen hängt die Präsentation von Anti-
steht bei Alveolarmakrophagen die Phagozytoseaktivität im Vorder- genen, die Bestandteile von größeren Partikeln sind (Bakterien,
grund, während die Makrophagen der sekundär-lymphatischen Pilze, Parasiten), meist von der Phagozytosefähigkeit, der Keimabtö-
Organe v. a. Antigen präsentieren. tung und der Verdauung ab. Andererseits geht die Fähigkeit einer
Zelle zur Keimaufnahme und -abtötung nicht immer mit dem Ver-
Entzündungsmakrophagen Lokale Entzündungsreize steigern mögen zur Antigenpräsentation einher.
verschiedene Makrophagenfunktionen. Diese beeinflussen dann ih- Aufgenommene Proteine werden von der antigenpräsentieren-
rerseits den weiteren Verlauf der Entzündungsreaktion. Die sog. den Zelle denaturiert und in Peptidfragmente zerlegt: Das Antigen
Entzündungsmakrophagen oder inflammatorischen Makrophagen wird prozessiert. Anschließend werden bestimmte Peptidfragmente
entwickeln sich aus frisch in den Entzündungsherd eingewanderten an das MHC-Klasse-II-Molekül gebunden und der Helfer-T-Zelle
Monozyten und z. T. auch aus Gewebemakrophagen. Sie zeigen präsentiert. Hierbei können nur solche Peptide präsentiert werden,
einen Anstieg der rezeptorvermittelten Endozytose sowie der Bil- die gewisse physikochemische Eigenschaften besitzen (7 Kap. 12).
dung von O2–. Außerdem sezernieren sie neutrale Proteasen, ins-
besondere Plasminogenaktivator. Schließlich erlangen inflamma-
torische Makrophagen auch die Fähigkeit, auf zytokinvermittelte 13.7.2 Antigenpräsentierende Zellen
Stimuli zu antworten.
Makrophagen besitzen prinzipiell das Potenzial zur Antigenpräsen-
Aktivierte Makrophagen Unter dem Einfluss von Zytokinen des tation. Je nach Herkunft und Aktivierungszustand weisen sie in die-
TH1-Typs wandeln sich inflammatorische schließlich in aktivierte ser Hinsicht aber beträchtliche Unterschiede auf. Die Fähigkeit zur
Makrophagen um. Diese produzieren gesteigerte Mengen von H2O2. Antigenpräsentation ist aber nicht auf Makrophagen beschränkt.
Sie besitzen die Fähigkeit zur Abtötung von Tumorzellen und von Ausgezeichnete Präsentatoren sind die Langerhans-Zellen der Haut
intrazellulären Krankheitserregern. IFN-γ induziert in Makropha- und die dendritischen Zellen der sekundär-lymphatischen Organe.
gen eine gesteigerte Expression von MHC-Klasse-II-Molekülen. Diese Zellen besitzen bereits konstitutiv eine hohe Fähigkeit zur
IFN-γ-stimulierte Makrophagen können verstärkt Antigen präsen- Präsentation von Antigenen, die der von Makrophagen deutlich
tieren. überlegen ist.
Die hier geschilderte Verbreiterung des Funktionsspektrums Dendritische Zellen teilen sich in 2 Populationen auf:
vom residenten über den inflammatorischen bis zum aktivierten 4 plasmazytoide dendritische Zellen
Makrophagen wird als Makrophagenaktivierung bezeichnet. Die 4 myeloide dendritische Zellen
Situation, bei der normalerweise sämtliche Aktivierungsschritte ab-
laufen, ist gegeben, wenn das Immunsystem auf eine Infektion mit Alle dendritischen Zellen sind myeloiden Ursprungs. Einige entwi-
intrazellulären Krankheitserregern antwortet. ckeln sich aus Blutmonozyten, die in das Gewebe auswandern, an-
dere entstehen direkt aus der myeloiden Vorläuferzelle. Da sich den-
Alternativ aktivierte Makrophagen Durch Stimulierung mit den dritische Zellen auf Reize von außen anpassen, entstehen zahlreiche
TH2-Zytokinen IL-4 und IL-13 werden Makrophagen alternativ ak- Unterpopulationen. Diese hohe Anpassungsfähigkeit ermöglicht es
tiviert. Diese Makrophagen spielen einmal bei der Wurmabwehr den dendritischen Zellen, T-Lymphozyten gezielt zu stimulieren.
eine Rolle. Zum anderen wirken sie entzündungshemmend. Schließ- Die Erkennung mikrobieller Bestandteile durch TLR bewirkt die
lich sind die alternativ aktivierten Makrophagen am Wiederaufbau Reifung dendritischer Zellen, die nun optimal zur Antigenpräsen-
von Gewebestrukturen beteiligt, die bei einer Infektion zerstört tation gerüstet sind. Durch unterschiedlich starke Oberflächenex-
wurden. pression kostimulatorischer Moleküle und Sekretion unterschiedli-
cher Zytokine (IL-12 für TH1-Zellen, IL-23 für TH17-Zellen, IL-4
für TH2-Zellen u. a.) können dendritische Zellen das T-Zellsystem
13.7 Antigenpräsentierende Zellen so instruieren, dass die für die Infektabwehr optimale Abwehr stimu-
im engeren Sinn liert wird. Ihre Phagozytoseaktivität ist dagegen eher gering. Zur
Präsentation mikrobieller Antigene bedarf es daher häufig eines Zu-
13.7.1 Grundlagen der Antigenpräsentation sammenwirkens mit mononukleären Phagozyten. Diese Aufgabe
wird am effektivsten durch den Crosspriming-Vorgang (7 Abschn.
Unter Antigenpräsentation im engeren Sinn verstehen wir eine be- 12.6) erfüllt.
sondere Verarbeitung von Proteinen durch antigenpräsentierende Wahrscheinlich machen dendritische Zellen eine 2-phasige
Zellen. Die Präsentation befähigt das Antigen, Helfer-T-Zellen spe- Reifung durch, die es ihnen erlaubt, in der 1. Phase partikuläre Anti-
zifisch zu stimulieren. Die Voraussetzungen dazu sind erfüllt, wenn gene aufzunehmen und zu verarbeiten und in der 2. Phase T-Lym-
die Zelle das Fremdantigen in Assoziation mit Klasse-II-Molekülen phozyten mit Spezifität für diese Antigene zu stimulieren. Damit
des MHC präsentiert sowie kostimulatorische Moleküle exprimiert werden in der 1. Reifungsphase bevorzugt die für Phagozytose und
und Zytokine sezerniert, die bei der Stimulation von Helfer-T-Zellen Antigenprozessierung benötigten Moleküle gebildet und während
als 2. Signal benötigt werden (7 Kap. 12). der 2. Reifungsphase die für die T-Zell-Stimulation erforderlichen
Die Fähigkeit zur Antigenpräsentation wird durch entsprechende kostimulatorischen Oberflächenmoleküle.
Stimuli induziert. So ist die Expression von MHC-Klasse-II-Mole- Der Besitz von »pattern recognition receptors« (PRR; 7 Abschn.
külen auf zahlreichen Gewebemakrophagen gering. Sie nimmt erst 13.4) befähigt antigenpräsentierende Zellen zu einer raschen Reak-
nach geeigneter Stimulierung (z. B. durch IFN-γ oder über TLR) tion auf eingedrungene Mikroorganismen. Die Erkennung von Er-
drastisch zu. regerbestandteilen bewirkt die Reifung dendritischer Zellen in anti-
Da lösliche Proteinantigene durch Pinozytose ebenso aufgenom- genpräsentierende Zellen vom Typ 1, die Zytokine produzieren,
men werden können wie durch rezeptorvermittelte Endozytose, ist welche TH1-Zellen stimulieren. Fehlt dieser Reiz, entwickeln sich
die Phagozytosefähigkeit für die Präsentation dieser Antigene nicht dendritische Zellen vom Typ 2, die TH2-Zellen aktivieren.
100 Kapitel 13 · Phagozyten und antigenpräsentierende Zellen

Die Stimulation über PRR durch mikrobielle Bestandteile hilft Literatur


auch, das Prinzip der Adjuvanswirkung besser zu verstehen. Da
einige PRR (z. B. TLR4) in erster Linie proinflammatorische Reak- Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.
tionen auslösen, während andere (z. B. TLR9) besonders immun-
stimulierend wirken, kann durch Wahl geeigneter Liganden das
Aktivitätsspektrum von Adjuvanzien bzw. Immunmodulatoren in
die gewünschte Richtung gelenkt werden.
Weitere Zellen mit der Fähigkeit zur Antigenpräsentation sind
Immunologie

u. a. B-Lymphozyten (7 Kap. 12) und Endothelzellen sowie die


Astrozyten des zentralen und die Schwann-Zellen des peripheren
Nervensystems. B-Zellen nehmen ihr Antigen mithilfe membran-
ständiger Antikörper spezifisch auf. Sie sind daher zur selektiven
Antigenpräsentation befähigt. Dies könnte für die verstärkte T-Zell-
Antwort bei Zweitimmunisierung (Impfung) von Bedeutung sein.
Die für CD4-T-Zellen gültige Beschränkung der Antigenpräsenta-
tion auf spezialisierte Zellen gilt für CD8-T-Zellen nicht, da fast alle
Körperzellen MHC-Klasse-I-Moleküle exprimieren (7 Kap. 12).

In Kürze
Phagozyten und antigenpräsentierende Zellen
Phagozytose und intrazelluläre Keimabtötung Ausgeführt von
neutrophilen Granulozyten und mononukleären Phagozyten.
Phagozytose Rezeptorvermittelter Prozess, entweder über
direkte Erkennung der Fremdpartikel (via Rezeptoren für mikro-
bielle Zuckerbausteine) oder nach Opsonisierung (via Fc-Rezep-
toren oder Komplementrezeptoren).
Intrazelluläre Keimabtötung Über sauerstoffabhängige
Mechanismen (Bildung der reaktiven Sauerstoffmetaboliten O2,
H2O2, ෬OH, 1O2), stickstoffabhängige Mechanismen (NO2–, NO3–,
෬NO) und lysosomale Mechanismen (Ansäuerung des Phago-
soms, Angriff durch lysosomale Enzyme nach Phagolysosomen-
fusion, kationische Peptide etc.).
Wichtige von mononukleären Phagozyten sezernierte Pro-
dukte IL-1 (Entzündungs- und Fiebermediator); IL-12 (Aktivierung
von TH1- und zytolytischen Zellen); TNF-α (Entzündungs- und
Fiebermediator); Chemokine (Anlockung von Entzündungszellen);
Arachidonsäureprodukte (Entzündungsmediatoren, unspezifische
Immunsuppression); reaktive Sauerstoff- und Stickstoffmetaboli-
ten (z. B. Tumorzellabtötung); Komplementkomponenten (7 Kap. 9);
neutrale Proteasen (Bindegewebezersetzung).
Makrophagenaktivierung verläuft vom residenten Gewebe-
makrophagen (bereits zur Phagozytose fähig) über den Entzün-
dungsmakrophagen (gesteigerte Phagozytoseaktivität, Bildung
von O2) zum aktivierten Makrophagen (vollständige antimikro-
bielle und tumorzytotoxische Aktivität).
Antigenpräsentation Neben Makrophagen auch B-Zellen,
Langerhans-Zellen und dendritische Zellen. Dendritische Zellen
sind die potentesten antigenpräsentierenden Zellen. Wir unter-
scheiden plasmazytoide und myeloide dendritische Zellen.
Erkennung molekularer Muster von Mikroorganismen PRR
können über die Erkennung mikrobieller Muster Typen von
Krankheitserregern erkennen und unterscheiden. Die wichtigs-
ten PRR sind die TLR. Diese Familie umfasst ca. 10 Mitglieder,
die charakteristische Mikrobenbausteine spezifisch erkennen.
PRR werden besonders von mononukleären Phagozyten und
dendritischen Zellen exprimiert, die dadurch rasch auf mikro-
bielle Eindringlinge zu reagieren vermögen. Einige PRR stimu-
lieren insbesondere proinflammatorische Mechanismen,
während andere bevorzugt die T-Zell-Stimulation fördern.
101 14

Immunpathologie
S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Unter dem Begriff Immunpathologie werden Schädigungen des Die vasoaktiven Amine Histamin (bei Mensch und Meer-
Organismus durch fehlende, fehlgeleitete oder überschießende Im- schweinchen) und Serotonin (bei Mensch, Ratte und Maus) bewir-
munreaktionen zusammengefasst. Überschießende oder fehlgeleitete ken die Konstriktion der Venolen und Dilatation der Arteriolen; sie
Immunreaktionen sind für Entzündungsprozesse, Allergien, Auto- erhöhen die Permeabilität der Kapillaren. Die dadurch entstehende
immunkrankheiten und Transplantatabstoßung verantwortlich; eine Urtikaria ist ein klinisches Zeichen der anaphylaktischen Reaktion.
defekte Immunantwort führt zu Immunmangelkrankheiten. Weiterhin rufen die Amine eine Kontraktion der glatten Muskulatur
in Bronchien, im Uterus und im Darm hervor. Beim Menschen set-
zen Blutplättchen Serotonin frei.
14.1 Entzündung und Gewebeschädigung Arachidonsäureprodukte stellen die 2. wichtige Gruppe von
Entzündungsmediatoren dar. Ihre Synthese und Funktion ist in
Entzündung und Gewebeschädigung sind häufig Begleiterscheinun- . Abb. 14.1 schematisch aufgeführt. Die Leukotriene C4, D4 und E4
gen der Immunantwort. Sie stellen in vielen Fällen das Endergebnis werden auch unter dem Begriff »slow reacting substance of anaphy-
fehlgeleiteter Immunreaktionen dar. Als Beispiel ist die spezifische laxis« (SRS-A) zusammengefasst. Sie sind neben den vasoaktiven
Überempfindlichkeit zu nennen. In anderen Fällen wird die Entzün- Aminen die wichtigsten Mediatoren der allergischen Sofortreaktion.
dung ausgelöst und entwickelt sich, ohne dass der Immunapparat Ihre Bildung setzt aber etwas langsamer ein. Aufgrund ihrer hohen
ursächlich beteiligt ist, z. B. bei Entzündungen durch bakterielle Be- bronchokonstriktiven Aktivität sind sie für das Bronchialasthma von
siedlung, etwa durch Staphylokokken. Was auch immer die auslö- besonderer Bedeutung.
sende Ursache sein mag – es gibt keine Entzündung ohne Beteili- Das Bradykinin, das von basophilen Granulozyten und Mastzel-
gung von Zellen und Faktoren des Immunsystems. len gebildet wird, hat ebenfalls vasodilatatorische und permeabili-
Am Anfang jeder Entzündung steht die Freisetzung von Entzün- tätssteigernde Wirkung.
dungsmediatoren. Empfänger dieser Wirkstoffe sind Blutgefäße, Der plättchenaktivierende Faktor (PAF) ist ein niedermole-
Bronchiolen, glatte Muskulatur und Leukozyten. Mastzellen sind kulares Etherlipid. Er bewirkt die Aggregation der Blutplättchen
wichtige Produzenten von Entzündungsmediatoren, insbesondere und damit die Freisetzung vasoaktiver Amine. PAF wirkt außer-
von vasoaktiven Aminen und Lipidmediatoren (Arachidonsäure- dem auf neutrophile Granulozyten. Der Wirkstoff wird von neutro-
produkte und plättchenaktivierender Faktor). Im Folgenden werden philen und basophilen Granulozyten sowie von Monozyten ge-
die wichtigsten Entzündungsmediatoren besprochen. bildet.

. Abb. 14.1 Arachidonsäuremetabolismus und Wirkmechanismus


102 Kapitel 14 · Immunpathologie

Heparin ist ein Proteoglykan. Es hemmt die Blutgerinnung und


sorgt so für einen verlängerten Einstrom von Entzündungszellen.
Heparin hemmt die Komplementaktivierung und verstärkt die His-
tamin-Inaktivierung.
Chemotaktische Faktoren sind kleine Peptide. Sie werden von
Granulozyten gebildet und locken weitere Granulozyten an den Ent-
zündungsherd.
Die als Anaphylatoxine bezeichneten Komplementkomponen-
Immunologie

ten C4a, C3a und C5a wurden bereits in 7 Kap. 9 besprochen.


Die von mononukleären Phagozyten und neutrophilen Granu-
lozyten gebildeten reaktiven Sauerstoffmetaboliten üben nicht nur
Abwehrfunktionen aus; sie schädigen auch das umliegende Gewebe.
Das Gleiche gilt für die sauren Hydrolasen und die basischen Pep-
tide. Auch die z. T. von mononukleären Phagozyten produzierten
Zytokine TNF, IL-6 und IL-1 sind an Entzündungsreaktionen be-
teiligt. Die Chemokine, die u. a. ebenfalls von mononukleären
Phagozyten gebildet werden, locken weitere Zellen an den Ort der
. Abb. 14.2 Anaphylaktische Reaktion (Typ I) oder Sofortallergie
Entzündung. Diese Stoffe wurden in 7 Kap. 12 und 7 Kap. 13 be-
handelt.
Das C-reaktive Protein (CRP) ist ein in der Leber gebildetes per der IgE-Klasse gebildet. Die IgE-Bildung hängt von CD4-T-Zel-
Akutphaseprotein, das bei akuten entzündlichen Prozessen markant len des TH2-Typs ab, die damit bei der Sofortallergie eine zentrale
erhöhte Serumwerte aufweist. Dies wird differenzialdiagnostisch Rolle einnehmen (7 Kap. 12).
ausgenutzt (7 Kap. 10). CRP aktiviert das Komplementsystem über Da Mastzellen sowie basophile und eosinophile Granulozyten
den klassischen Weg und wirkt regulierend auf die Entzündungsre- Fc-Rezeptoren für IgE-Antikörper tragen (FcεR), können sie diese
aktion und die beteiligte Immunantwort. Die Produktion der Akut- binden. Aufgrund ihrer Affinität für körpereigene Zellen werden die
phaseproteine wird durch IL-6 und IL-1 ausgelöst. Antikörper der Klasse IgE als homozytotrope Antikörper oder
Reagine bezeichnet.
Mastzellen stellen die wichtigsten Effektoren der anaphylakti-
14.2 Spezifische Überempfindlichkeit schen Reaktion dar. Der verantwortliche Aktivierungsweg wurde in
7 Kap. 12 beschrieben. Lange Zeit war unklar, warum sich eine derart
Bei der spezifischen Überempfindlichkeit (Hypersensibilität) schädliche Reaktion bis heute halten konnte. Vermutlich stellt die
kommt es zu überschießenden Immunreaktionen, die das eigene Sofortallergie eine Unterart des Abwehrarsenals gegen Wurminfek-
Körpergewebe schädigen. Die Überempfindlichkeit beruht auf tionen dar. Wie in 7 Kap. 12 beschrieben, sind die der Aktivierung
2 Voraussetzungen: von Eosinophilen, Basophilen und Mastzellen zugrunde liegenden
4 Vorhandensein eines geeigneten Antigens Mechanismen in der Tat sehr ähnlich. Im Mittelpunkt stehen TH2-
4 Veranlagung zur übermäßigen Produktion einer bestimmten Zellen und ihre Zytokine (IL-4 und IL-5) sowie Antikörper der IgE-
Klasse von Antikörpern oder T-Zellen. Klasse.
Kommt eine mit IgE-Antikörpern beladene Mastzelle mit dem
Bei der Autoimmunität sind körpereigene Strukturen (Autoanti- homologen Allergen in Berührung, werden 2 benachbarte Antikör-
gene) das Ziel der spezifischen Immunantwort. Bei der Allergie sind permoleküle miteinander vernetzt. Dies löst die Degranulation der
es die in den Organismus aufgenommenen Umweltantigene, die als Zelle aus: Histamin, Serotonin, Heparin, PAF, SRS-A und Prostag-
Allergene bezeichnet werden. landine werden ausgeschüttet. Gemeinsam rufen diese Mediatoren
Bei der Autoimmunität erfolgt die Schädigung der betroffenen die allergischen Zeichen (Ödem, Exanthem, Urtikaria) hervor. Bei
Gewebe und Zellen durch die spezifischen Effektoren direkt. Bei der vehementem Verlauf entsteht das Bild der Anaphylaxie oder des ana-
Allergie wird die Schädigung indirekt durch Entzündungszellen und phylaktischen Schocks. Dabei wird häufig ein Organ besonders stark
-mediatoren hervorgerufen. Im Prinzip ist das Endergebnis beider in Mitleidenschaft gezogen, man spricht vom Schockorgan. Das
Vorgänge ähnlich oder gleich. Man unterscheidet 4 Typen von Über- Schockorgan des Meerschweinchens ist die Lunge, beim Hund ist es
empfindlichkeitsreaktionen: die Leber. Typisch für die Schädigungen sind Blähung der Lunge,
4 Typ I: anaphylaktischer Reaktionstyp Blutüberfüllung der Leber oder bei örtlichem Ausbruch das seröse,
4 Typ II: zytotoxischer Reaktionstyp zellfreie Ödem.
4 Typ III: Immunkomplex-Reaktionstyp Anaphylaktische Schädigungen führen niemals zur Zellinfiltra-
4 Typ IV: verzögerter Reaktionstyp tion. Da IgE-Antikörper unfähig sind, Komplement zu binden, läuft
die anaphylaktische Reaktion ohne Mitwirkung des Komplement-
systems ab. Die Latenzzeit ist kurz: Nach Einwirkung des Allergens
14.2.1 Typ I: Anaphylaktischer Reaktionstyp beginnt die »Sofortreaktion« oder »Sofortallergie« bereits innerhalb
von 2–3 min.
Der anaphylaktische Überempfindlichkeitstyp wird auch als Sofort-
allergie bezeichnet; die Prädisposition dazu heißt Atopie (. Abb.
14.2). Zu diesem Typ zählen Heuschnupfen, Asthma, Nesselsucht 14.2.2 Typ II: Zytotoxischer Reaktionstyp
sowie Überempfindlichkeit gegen Insektengift, Nahrungsmittel und
Arzneistoffe. Während der Sensibilisierungsphase werden gegen Zelluläre Antigene können allergische Reaktionen vom Typ II aus-
Umweltantigene wie Graspollen, Tierhaare oder Hausstaub Antikör- lösen (. Abb. 14.3). Durch spezifische Bindung von Antikörpern der
14.2 · Spezifische Überempfindlichkeit
103 14

. Abb. 14.3 Zytotoxische Reaktion (Typ II)

. Abb. 14.4 Immunkomplexreaktion (Typ III)


IgG- und gelegentlich der IgM-Klasse werden körpereigene Zellen
zum Ziel für verschiedene Sekundärmechanismen der Immunab-
wehr. Folgende Situationen können entstehen: dann notwendigerweise auf die Bedingungen des Antigenüber-
4 Antikörper induzieren die Schädigung oder Phagozytose von schusses (vgl. Heidelberger-Kurve; 7 Kap. 10). Es entstehen kleine,
Zielzellen durch neutrophile Granulozyten oder mononukleäre lösliche Antigen-Antikörper-Komplexe. Diese Komplexe dringen in
Phagozyten. IgG-Antikörper können direkt an den Fc-Rezeptor das Subendothel der kleinen Blutgefäße ein und lagern sich in ver-
der professionellen Phagozyten binden. Bei IgM-Antikörpern schiedenen Organen ab, z. B. in Niere oder Gelenken. Die klinische
erfolgt die Bindung über Komplementrezeptoren (CR) nach Folge sind Urtikaria, Albuminurie, Ödeme der Respirationsschleim-
Komplementaktivierung (7 Kap. 8, 7 Kap. 9, 7 Kap. 13). haut und Arthritis. Diese generalisierte Immunkomplexerkrankung
4 Der IgG-Antikörper vermittelt über Fc-Rezeptor-Bindung die wird als Serumkrankheit bezeichnet.
Zytolyse durch NK-Zellen (ADCC; 7 Kap. 6 und 8). Injiziert man das Antigen einem immunisierten Individuum in
4 IgG- oder IgM-Antikörper vermitteln über Fc-Rezeptoren die die Haut, so kommt es am Applikationsort zur Bildung von Immun-
Lyse der Zielzellen durch Komplement (7 Kap. 9). komplexen. Die Komplexe lösen an den Gefäßwänden eine lokale
Entzündung aus, die als Arthus-Reaktion bezeichnet wird. Deren
Die Reaktion dieses Typs tritt bei Bluttransfusionszwischenfällen Kennzeichen sind:
und bestimmten Autoimmunerkrankungen ein und führt zur Zell- 4 Eintritt nach 4–6 h (anaphylaktische Reaktion: 2–3 min)
oder Gewebezerstörung. 4 Infiltration des Gewebes mit Granulozyten und Makrophagen
Bei der autoimmunen hämolytischen Anämie werden Anti- (anaphylaktische Reaktion: keinerlei Zellen, nur seröses
körper gegen die eigenen Erythrozyten gebildet; bei der Hashi- Exsudat)
moto-Thyreoiditis fungieren Thyreoglobulin und die mikro- 4 vermittelnde Antikörper gehören zur Klasse IgG und IgM
somalen Thyreozytenbausteine als Autoantigene. Bei der sympathi- (anaphylaktische Reaktion: IgE)
schen Ophthalmie bilden sich Autoantikörper gegen Material der 4 die Komplementaktivierung trägt das Bild der Entzündung
Augenlinse und der Aderhaut. Bei der Myasthenia gravis wirken (anaphylaktische Reaktion: Komplement unbeteiligt)
die Azetylcholinrezeptoren der motorischen Endplatte als Auto-
antigen.
Ein Sonderfall ist die Masugi-Nephritis der Ratte. Sie entsteht, 14.2.4 Typ IV: Verzögerter Reaktionstyp
wenn sich zirkulierende Antikörper spezifisch an die Basalmembran
des Nierenglomerulum binden. Dies geschieht im Experiment, wenn Wie in 7 Kap. 12 und 7 Kap. 15 besprochen, stimulieren intrazelluläre
man beim Kaninchen durch Injektion von Gewebe der Rattenniere Krankheitserreger bei der Primärreaktion bevorzugt T-Lymphozy-
Antikörper induziert und diese dann einer Ratte intravenös injiziert. ten. Wird ein lösliches Antigen dieser Erreger später intrakutan in-
Folge ist v. a. eine Glomerulonephritis mit erhöhter Proteinurie und jiziert, so entsteht am Applikationsort eine verzögerte Hautreaktion
Blutdrucksteigerung. Beim Menschen entsteht durch Autoanti- (. Abb. 14.5). Ihre Kennzeichen sind:
körper ein Analogon der Masugi-Nephritis: das Goodpasture- 4 Beginn nach ca. 24 h, Höhepunkt nach ca. 72 h
Syndrom. 4 Infiltration mit mononukleären Zellen; keine oder nur wenige
Granulozyten
4 Vermittlung durch CD4-T-Zellen vom TH1-Typ, nicht durch
14.2.3 Typ III: Immunkomplex-Reaktionstyp Antikörper

Bei diesem Reaktionstyp entstehen im Serum und in der Lymphflüs- Die allergische Reaktion vom verzögerten Typ dient als Test, um eine
sigkeit kleine Immunkomplexe mit folgenden Eigenschaften: Sie frühere Infektion mit intrazellulären Bakterien oder Parasiten nach-
sind schwer abbaubar, aktivieren Komplement und können in die zuweisen. Bekanntestes Beispiel ist die Tuberkulinreaktion.
kleinen Blutgefäße eindringen (. Abb. 14.4). Injiziert man einem Auch die Kontaktdermatitis beruht auf dem Prinzip der verzö-
Menschen intramuskulär eine sehr große Menge Fremdantigen, z. B. gerten Reaktion. Hierbei reagiert ein niedermolekularer Fremdstoff,
Pferdeserum, so persistieren die Antigene mehr als 8 Tage in Blut z. B. ein Nickelsalz, mit körpereigenem Protein und verfremdet dieses
und Lymphe. Die ersten Antikörper, die gebildet werden, treffen so, dass es nach Präsentation durch Langerhans-Zellen in der Haut
104 Kapitel 14 · Immunpathologie

. Tab. 14.1 Beispiele für Autoimmunerkrankungen

Organspezifisch

Hashimoto-Thyreoiditis

Basedow-Krankheit

Sympathische Ophthalmie
Immunologie

Addison-Krankheit

Perniziöse Anämie
. Abb. 14.5 Verzögerte Reaktion (Typ IV)
Myasthenia gravis

Insulinabhängiger (Typ 1) Diabetes mellitus


T-Zellen induziert; diese vermitteln dann die spätallergische Reak-
tion. Typ-IV-Reaktionen vom verzögerten Typ, die von T-Zellen mit Multiple Sklerose
Spezifität für körpereigene Antigene vermittelt werden, sind für zahl- Primär chronische Polyarthritis (rheumatoide Arthritis)
reiche Autoimmunerkrankungen verantwortlich (7 Abschn. 14.3).
Organunspezifisch
Auch bestimmte chronische Entzündungen, z. B. solche des
Darmes, beruhen zumindest teilweise auf einer allergischen Reak- Systemischer Lupus erythematodes
tion vom verzögerten Typ:
Primär chronische Polyarthritis (rheumatoide Arthritis)
4 Bei der Zöliakie, einer angeborenen Unverträglichkeit für
Gliadin in Weizen, zerstört eine von TH1-Zellen getragene Sklerodermie
Immunantwort das Epithel des Dünndarms. Die TH1-Zellen Sjögren-Syndrom
aktivieren Makrophagen, die eine erste Entzündungsreaktion
hervorrufen. Dies führt zu einer unspezifischen Stressreaktion, Zwischenformen
in deren Folge die sog. intraepithelialen Lymphozyten, die Hämolytische Anämie
zwischen Epithelzellen des Dünndarms eingelagert sind, das
Idiopathische thrombozytopenische Purpura
umgebende Epithel zerstören.
4 Beim Morbus Crohn sind Ileum und angrenzende Kolonberei- Idiopathische Leukopenie
che entzündet. Ein genetischer Risikofaktor ist der intrazelluläre
mustererkennende Rezeptor NOD-2 (7 Kap. 13). Man nimmt
eine gestörte T-Zell-Antwort mit überschießenden TH1- und
TH17-Zellen aufgrund ungenügender Treg-Zellen an. Bei der Basedow-Krankheit sind die Autoantikörper gegen den
4 Bei der Colitis ulcerosa, der wahrscheinlich eine fehlgeleitete Rezeptor für das Thyreoidea-stimulierende Hormon TSH gerichtet.
TH2-Zell-Antwort zugrunde liegt, sind in erster Linie Rektum Die Autoantikörper stimulieren die Schilddrüse zu übermäßiger
und Teile der Kolons betroffen. Hormonproduktion.
Bei der sympathischen Ophthalmie führt die Reaktion von Au-
toantikörpern mit Material der Augenlinse und der Chorioiden zur
14.3 Autoimmunerkrankungen Chorioiditis (Uveitis).
Beim Typ-I-Diabetes (insulinabhängigen Diabetes mellitus,
Autoimmunerkrankungen sind darauf zurückzuführen, dass das IDDM) greifen T-Zellen die β-Zellen des Pankreas an. Ein wesentli-
Immunsystem (in erster Linie Antikörper und Helfer-T-Zellen) mit ches Autoantigen scheint das Enzym Glutaminsäure-Dekarboxylase
körpereigenen Strukturen reagiert. 2 Faktoren prägen im Wesent- zu sein.
lichen die Art der Autoimmunerkrankung: Auch die multiple Sklerose ist als eine Autoimmunerkrankung
4 der Typ der Effektorreaktion anzusehen, bei der der Angriff von Gehirnzellen durch autoreaktive
4 das Spektrum der betroffenen Organe T-Lymphozyten eine Demyelinisierung (Entmarkung) bewirkt. Als
mögliches Zielantigen wird das basische Myelinprotein (MBP) dis-
Die Effektorreaktionen entsprechen auf der humoralen Seite haupt- kutiert.
sächlich den Typen II und III. Fast immer tritt eine zelluläre Kom-
ponente vom Typ IV hinzu. Autoimmunerkrankungen können auf Organunspezifische Autoimmunerkrankungen Beim systemi-
ein isoliertes Organ beschränkt oder aber organunspezifisch sein; schen Lupus erythematodes (SLE) werden gegen Zellbestandteile
dazwischen liegen verschiedene Übergangsformen. Im Folgenden (DNA, RNA, Histone) Antikörper und dann Immunkomplexe gebil-
sollen einige Beispiele angeführt werden (. Tab. 14.1). det. Diese lagern sich an den Gefäßwänden besonders der Niere und
Haut ab. Es kommt zur Glomerulonephritis und zur Erythembil-
dung der Haut.
14.3.1 Beispiele für Autoimmunerkrankungen Bei der primär-chronischen Polyarthritis (rheumatoide Arthri-
tis) werden gehäuft Antikörper gegen eine veränderte Konformation
Organspezifische Autoimmunerkrankungen Bei der chronischen der eigenen Immunglobuline gebildet. Auf diese Weise entstehen
Thyreoiditis (Hashimoto) werden Antikörper gegen Thyreoglobulin Immunkomplexe, die sich vorwiegend in den Gelenkräumen abla-
und mikrosomale Gewebeantigene gebildet. Diese bewirken in der gern. Die beteiligten Antikörper werden auch unter dem Begriff
Schilddrüse eine Entzündungsreaktion vom Typ II. Eine zelluläre Rheumafaktor zusammengefasst. Gleichzeitig regen T-Zellen und
Komponente vom Typ IV verstärkt diese. Makrophagen die Synovialzellen durch Zytokine dazu an, hydroly-
14.4 · Transplantation
105 14
tische Enzyme zu bilden. Es kommt zu Entzündung, Gewebezerstö- immunantwort induzieren. Vermutlich spielen ähnliche Vorgänge
rung und Knorpeldestruktion. Autoreaktive T-Zellen sind die we- bei der spontanen Entwicklung bestimmter Autoimmunerkrankun-
sentlichen Vermittler der rheumatoiden Arthritis. Eine Kreuzreakti- gen des Menschen eine Rolle.
vität zwischen Gelenkbestandteilen und bakteriellen Krankheitser- Möglicherweise erfolgt die Induktion von TH1-Zellen, weil der
regern gilt als wahrscheinlicher Auslöser. Aus dieser Sicht kann man Abbau des Autoantigens vermehrt die stimulierenden Epitope frei-
die rheumatoide Arthritis auch als organspezifisch bezeichnen. Die setzt. Begünstigend könnte sich auch die vermehrte Expression der
seit kurzem eingeführte Therapie mit TNF-α, IL-6 oder IL-1 neutra- Klasse-II-Moleküle des MHC im betroffenen Organ auswirken.
lisierenden monoklonalen Antikörpern erzielt gute Erfolge. Dies Hinzu tritt wahrscheinlich die verstärkte Zytokinbildung und die
belegt die zentrale Rolle von TNF-α, IL-6 und IL-1 bei der Patho- erhöhte Expression kostimulatorischer Moleküle, welche die Ent-
genese. wicklung von TH1-Zellen fördern und der Stimulation von TH2-
Zellen entgegenwirken. Demzufolge käme TH2-Zellen eine wichtige
Zwischenformen Beispiele hierfür sind Krankheitsbilder, bei denen Aufgabe bei der Kontrolle autoreaktiver T-Zellen zu. Als weitere
die eigenen Blutzellen das primäre Ziel der Autoimmunreaktion dar- Möglichkeit werden Störungen im Apoptoseverhalten autoreaktiver
stellen: T-Lymphozyten diskutiert. Da über die Expression von Fas autore-
4 hämolytische Anämie: Erythrozyten aktive T-Lymphozyten eliminiert werden können (7 Abschn. 12.11),
4 idiopathische thrombozytopenische Purpura: Blutplättchen sollte das Fehlen von Fas auf der Zelloberfläche die Entwicklung
4 idiopathische Leukopenie: Leukozyten autoreaktiver T-Zellen erlauben. Schließlich kontrollieren Treg-Zel-
len die Immunantwort. Entsprechend fördert die Hemmung bzw.
Ausschaltung von Treg-Zellen schädliche Immunreaktionen gegen
14.3.2 Mögliche Ursachen körpereigene Antigene und somit die Entwicklung von Autoimmun-
von Autoimmunerkrankungen krankheiten.

Während einer bestimmten Phase der Embryogenese kommt es zur


Inaktivierung selbstreaktiver Immunzellen und damit zur Toleranz- 14.4 Transplantation
entwicklung gegen körpereigenes Gewebe (7 Kap. 8). Das Wort »In-
aktivierung« wird anstelle von »Eliminierung« deshalb verwendet, 14.4.1 Spender-Empfänger-Konstellation
weil man weiß, dass das Potenzial der Immunantwort für bestimmte
Autoantigene erhalten bleibt. Bei den Autoimmunkrankheiten wird Bei der Transplantation von Organen, Geweben oder Zellen unter-
die Toleranz gegenüber bestimmten Autoantigenen umgangen oder scheidet man 4 Situationen; diese ergeben sich aus dem Ver-
durchbrochen. Im Hinblick auf die zugrunde liegenden Mechanis- wandtschaftsgrad zwischen Spender und Empfänger (7 Kap. 8 und
men gibt es verschiedene Lehrmeinungen. Sie haben alle den Cha- 7 Kap. 11):
rakter von Hypothesen und schließen sich gegenseitig nicht aus.
Autologe Transplantation Hierbei überträgt man körpereigenes
Sequestrierte Autoantigene Antigene, die während der Toleranz- Material, Spender und Empfänger sind identisch. Beispiel: Haut-
entwicklung gegen körpereigene Strukturen sequestriert sind und übertragung vom Oberarm zur Deckung eines Defekts im Gesicht.
deshalb mit dem Immunsystem nicht in Kontakt gelangen, werden
in die Eigentoleranz nicht einbezogen. Treten diese Antigene wäh- Isologe Transplantation Hierbei fungiert ein Individuum als Spen-
rend des späteren Lebens aus ihrer Sequestrierung heraus, dann wir- der und ein anderes als Empfänger; Spender und Empfänger sind
ken sie auf das Immunsystem wie Fremdantigene: Es kommt zu einer genetisch gleich. Beispiel: Organübertragung zwischen eineiigen
Autoimmunantwort. Als Beispiel hierfür gilt die Pathogenese der Zwillingen oder Inzuchttieren.
Thyreoiditis.
Allogene Transplantation Hierbei gehören Spender und Empfän-
Heterogenetische (kreuzreaktive) Antigene Antigene von Krank- ger der gleichen Spezies an; sie unterscheiden sich aber besonders im
heitserregern, die mit körpereigenen Strukturen identisch oder die- Hinblick auf die MHC-Genprodukte. Beispiel: Hautübertragung
sen ähnlich sind, können Antikörper und T-Zellen induzieren, die zwischen 2 nichtverwandten Menschen oder zwischen 2 Auszucht-
dann auch mit Autoantigenen reagieren: immunologisches Mimik- mäusen.
ry. Trypanosoma cruzi und bestimmte A-Streptokokken-Stämme
weisen z. B. mit Autoantigenen des Herzens Kreuzreaktivität auf. Heterologe Transplantation (Xenotransplantation) Hierbei ge-
Man nimmt an, dass die Kreuzreaktivität zwischen Mikroorganis- hören Spender und Empfänger verschiedenen Spezies an. Beispiel:
men und körpereigenen Strukturen einen wichtigen Faktor bei der Hautübertragung von Ratten auf Mäuse.
Entstehung von Autoimmunerkrankungen darstellt. Die autologe und die isologe Transplantation gelingt bei ein-
wandfreier Technik stets. Das übertragene Organ heilt auf Dauer ein.
Durchbrechung der peripheren Toleranz Im Experimentalmodell Dagegen ist der Erfolg der Allotransplantation flüchtig. Das Organ
ruft die Gabe von Organbrei oder Zellbestandteilen in geeigneter heilt zwar kurzfristig ein; nach etwa 2 Wochen wird es aber durch
Form (meist in komplettem Freund-Adjuvans; 7 Kap. 8) Autoim- eine demarkierende Entzündung abgestoßen. Bei der Heterotrans-
munreaktionen gegen das betroffene Organ hervor. So führt die Ver- plantation wird das überpflanzte Organ ebenfalls abgestoßen. Die
abreichung von Thyreoglobulin zu einer experimentellen Thyreoi- zur Abstoßung führende Reaktion setzt aber früher ein und verläuft
ditis, die der Hashimoto-Thyreoiditis ähnlich ist. Die Gabe von heftiger als bei der Allotransplantation.
Hirngewebe induziert eine Enzephalomyelitis, die mit der multiplen
Sklerose gewisse Ähnlichkeiten besitzt. Durch Gabe des Antigens in
Adjuvans und/oder in schwach veränderter Form werden bevorzugt
CD4-T-Lymphozyten vom TH1-Typ stimuliert, die dann die Auto-
106 Kapitel 14 · Immunpathologie

14.4.2 Abstoßungsreaktion wickelt. Zum Problem der Abstoßung durch den Empfänger (»host
versus graft«, HVG) kommt in diesem Fall die Gefahr, dass das
jMechanismus Transplantat eine gegen den Empfänger gerichtete Immunreaktion
Die Abstoßungsreaktion ist ein vom Immunsystem induzierter Vor- ausbildet (»graft versus host«, GVH).
gang, den T-Lymphozyten (TH1-CD4-Zellen und zytolytische CD8- Zur begleitenden Behandlung bei der allogenen Knochen-
Zellen) vermitteln. Die Reaktion ist gegen Antigene gerichtet, die marktransplantation bestehen folgende Möglichkeiten: Das Immun-
beim Menschen humane Leukozytenantigene (HLA) und bei der system des Empfängers wird durch Strahlen und Pharmaka vernich-
Maus H-2-Antigene heißen (7 Kap. 11). tet (s. u.). Aus dem allogenetischen Knochenmark werden die
Immunologie

Die Abstoßung eines allogenetischen Transplantats ist somit Stammzellen isoliert und dem Empfänger verabreicht. Da die Elimi-
Ausdruck einer Immunreaktion: Trägt das transplantierte Organ nierung der kompetenten Spenderlymphozyten nicht vollständig
MHC-Produkte, die mit den MHC-Produkten des Empfängers nicht gelingt, kommt es bei der Knochenmarktransplantation zu einer
identisch sind, so wird in diesem eine spezifische T-Zell-Antwort begrenzten GVH-Reaktion. Diese ist in der Mehrzahl der Fälle be-
induziert. Die Wahrscheinlichkeit, dass 2 nichtverwandte Menschen herrschbar, sofern die Empfänger jünger als 15 Jahre alt sind. Bei
in der HLA-Formel volle Übereinstimmung zeigen, ist wesentlich Erwachsenen treten häufiger Komplikationen auf.
kleiner als 10–6. Dies liegt an der Kombination zweier Umstände:
4 Die HLA-Region des Menschen enthält mindestens 7 Gene,
von denen jedes für ein transplantationsrelevantes HLA-Anti- 14.4.4 Verhinderung der Transplantatabstoßung
gen kodiert.
4 Für jedes dieser Gene gibt es eine große Zahl von Allelen; ein Zur Verhinderung der Transplantatabstoßung stehen verschiedene
bestimmtes Genprodukt tritt also bei der Spezies Mensch in Therapiemaßnahmen zur Verfügung. Alle haben zum Ziel, die Im-
Form von 10–40 jeweils verschiedenartigen Ausprägungen auf. munantwort gegen das Transplantat zu unterdrücken oder auszu-
schalten.
Bei der Transplantatabstoßung erkennen die T-Lymphozyten des Obwohl angestrebt wird, die Reaktion gegen das Transplantat
Empfängers das fremde MHC-Produkt auf den Zellen des Trans- selektiv zu unterdrücken, bewirken die derzeit verfügbaren Maß-
plantats. Die CD4-T-Lymphozyten erkennen die MHC-Klasse-II- nahmen durchweg eine allgemeine Schädigung des Immunsystems;
Moleküle, während die CD8-T-Lymphozyten mit den MHC-Klasse- dies bedeutet für den Transplantatempfänger ein hohes Infektions-
I-Molekülen reagieren (7 Kap. 12). Beide T-Zellen induzieren eine risiko. Da sich T- und B-Lymphozyten schnell teilen, beeinträchtigt
Entzündung. Ist diese einmal eingeleitet, so spielen Effektorzellen, eine Ganzkörperbestrahlung vorzugsweise diese Zellen. Heute
die das Fremdantigen nicht erkennen, aber unspezifisch angelockt nimmt man wegen der zahlreichen Nebeneffekte von dieser Maß-
werden, die Hauptrolle, insbesondere mononukleäre Phagozyten nahme Abstand.
(7 Kap. 13). Die Einleitung des Abstoßungsvorgangs ist also antigen- Verschiedene Pharmaka wirken bevorzugt auf Lymphozyten
spezifisch, die demarkierende Entzündung selbst ist sekundär und und kommen deshalb für eine Immunsuppression infrage:
unspezifisch. 4 Als Mittel der Wahl zur Verhinderung von Transplantations-
zwischenfällen bietet sich heute Ciclosporin A an (ein makro-
jUntersuchungen vor einer Transplantation zyklisches Peptid). Die Substanz hemmt die IL-2-Produktion
Bei der Spender- und Empfängeruntersuchung zur Organtransplan- der Helfer-T-Zellen.
tation testet man zum einen mit spezifischen Antiseren die Zellen 4 Vielversprechend ist das makrozyklische Lakton FK506.
des Empfängers und Spenders und stellt dann die entsprechende Obwohl mit Cyclosporin nicht verwandt, hemmt es die
Antigenformel auf. Die Antiseren stammen von mehrgebärenden IL-2-Synthese.
Frauen. Sie werden im Zytotoxizitätstest unter Zugabe von Kom- 4 Ebenfalls vielversprechend ist Rapamycin, das die Reaktion auf
plement eingesetzt. (Gegen fremde Antigene ihres Neugeborenen IL-2 hemmt.
bilden Mütter besonders bei der Geburt Antikörper und besitzen
daher viele Antikörper gegen Transplantationsantigene.) Zum ande- Rapamycin ist mit FK506 verwandt und hebt dessen Hemmeffekte
ren wird eine gemischte Leukozytenkultur (»mixed leukocyte cul- auf die IL-2-Produktion auf. Ciclosporin A und Rapamycin zeigen
ture«, MLC) eingesetzt. Hierbei werden vitale Empfängerzellen mit dagegen synergistische Wirkung, da ersteres die IL-2-Synthese und
bestrahlten Spenderzellen kultiviert. Nach einigen Tagen beurteilt letzteres die IL-2-Effekte hemmt, ohne dass eine wechselseitige
man die Stärke der Empfängerreaktion durch Bestimmung der pro- Hemmung stattfindet.
liferativen Antwort der Empfängerzellen. Die Beseitigung von Lymphozyten durch Gabe von Antilympho-
Schließlich untersucht man auch das Serum des Empfängers auf zytenserum (ALS) beruht auf einer zytotoxischen Reaktion vom
zytolytische Antikörper gegen die Lymphozyten des Spenders. Die Typ 2. Diese Methode ist durch Verwendung von monoklonalen
Beurteilung des Verwandtschaftsgrades zwischen den HLA-For- Antikörpern verbessert worden. Monoklonale Antikörper gegen das
meln von Empfänger und Spender folgt empirisch gewonnenen Re- von allen T-Lymphozyten exprimierte CD3-Molekül sind zur Ver-
geln. Wie sich dabei gezeigt hat, beeinflusst eine Übereinstimmung hinderung einer Akutabstoßung geeignet. Sie bewirken allerdings
der MHC-Klasse-II-Antigene den Transplantationserfolg stärker keine lang anhaltende Toleranz gegenüber dem Transplantat. Zur
positiv als eine Übereinstimmung der MHC-Klasse-I-Antigene. Eliminierung reifer T-Zellen aus dem zur Transplantation entnom-
menen Spenderknochenmark verwendet man Strahlen, zytolytische
Antikörper mit Spezifität für CD4- und CD8-T-Lymphozyten sowie
14.4.3 Knochenmarktransplantation spezielle Zelltrennungsmethoden.

Besondere Probleme wirft die allogene Knochenmarktransplanta-


tion auf. Bei dieser Operation wird dem Empfänger ein Organteil
überpflanzt, aus dem sich ein kompetentes Immunsystem ent-
14.5 · Defekte des Immunsystems und Immunmangelkrankheiten
107 14
14.5 Defekte des Immunsystems
. Tab. 14.2 Beispiele für primäre Immunmangelkrankheiten
und Immunmangelkrankheiten
Hauptsächlich Antikörpermangel
Individuen mit einem Defekt in einer Komponente des Immunsys-
tems zeigen, je nach der Bedeutung der betroffenen Komponente, Bruton-Agammaglobulinämie (geschlechtsgebundene Agamma-
eine mehr oder weniger gestörte Immunantwort. Diese äußert sich globulinämie)
in erster Linie als unzureichende Abwehr von Krankheitserregern Geschlechtsgebundene Hypogammaglobulinämie mit Wachstums-
oder als Autoimmunerkrankung. Im Folgenden sollen die wichtigsten faktordefekt
Immunmangelkrankheiten kurz besprochen werden (. Tab. 14.2).
Immunglobulinmangel mit erhöhtem IgM

Di-George-Syndrom Das Syndrom stellt sich in seiner kompletten IgA-Mangel


Form als Aplasie oder Hypoplasie des Thymus dar. Die betroffenen Hauptsächlich T-Zell-Defekt
Individuen besitzen keine oder nur wenige T-Lymphozyten. B-Lym-
phozyten sind zwar vorhanden, die primäre Antikörperantwort ist Di-George-Syndrom
aber nur schwach. Wegen ihrer Abhängigkeit von Helfer-T-Zellen Kombinierte Immunmangelkrankheiten
fehlt die Sekundärantwort gänzlich. Infektionen mit Erregern, die
Gemeine variable Agammaglobulinämie mit begleitendem
normalerweise über zelluläre Immunmechanismen bekämpft wer-
T-Zell-Defekt
den, treten gehäuft auf (7 Kap. 15). Die Ätiologie der Entwicklungs-
störung bleibt in den meisten Fällen unklar. Das Syndrom ist zwar Schweizer Agammaglobulinämie (schwere kombinierte Immun-
angeboren und in seltenen Fällen vererbbar. Meist wird es aber nicht defizienz)
vererbt, da es erst während der Embryonalentwicklung erworben Adenosindesaminase-Mangel
wird. Zur Behandlung dienen die Thymustransplantation und die
Gabe von Thymusextrakt. Purin-Nukleosid-Phosphorylase-Mangel

Andere Immunmangelkrankheiten
Bruton-Agammaglobulinämie Sie wird X-chromosomal vererbt;
Chronische Granulomatose
sie ist auf das männliche Geschlecht beschränkt. Den betroffenen
Jungen fehlen sämtliche B-Lymphozyten und als direkte Folge auch Wiskott-Aldrich-Syndrom
die thymusunabhängigen Bereiche in den sekundären Lymphorga- Ataxia teleangiectasia
nen (7 Kap. 7). T-Lymphozyten, Thymus und thymusabhängige Be-
reiche sind dagegen normal. Infektionen mit bakteriellen Eitererre- Komplementkomponenten-Mangel
gern im HNO-Bereich treten gehäuft auf. Die Therapie besteht in der
Verabreichung von Gammaglobulinen.
nismen stehen, treten regelmäßig auf. Die Tuberkulose ist die häu-
Variable Agammaglobulinämie Ihre Ätiologie ist unklar. Diverse figste Begleiterkrankung von AIDS-Patienten.
Gendefekte, die verschiedene Antikörperklassen betreffen, werden
hierfür verantwortlich gemacht. Bei diesem Krankheitsbild sind Chronische Granulomatose Sie geht auf einen vererbten Defekt der
B-Lymphozyten zwar vorhanden, sie reifen aber nicht zu antikörper- NADPH-Oxidase zurück (7 Kap. 13). Die professionellen Phagozy-
produzierenden Plasmazellen heran. Die verschiedenen Antikörper- ten vermögen daher nicht die zur Keimabtötung benötigten reakti-
klassen können unterschiedlich stark betroffen sein; in einigen Fäl- ven Sauerstoffmetaboliten zu bilden. Bakterien, die normalerweise
len fehlen auch funktionsfähige T-Lymphozyten. Infektionsspekt- nur extrazellulär überleben und Katalase produzieren, können sich
rum und Therapie verhalten sich wie bei der Bruton-Krankheit. in den Phagozyten ungestört vermehren. Sie induzieren die Bildung
von Granulomen ohne die damit normalerweise verbundene
Schweizer Agammaglobulinämie Bei dieser auch »severe com- Keimabtötung.
bined immunodeficiency« (SCID) genannten Erkrankung fehlen die
T-Lymphozyten und – bei einem Großteil der Fälle – auch die Defekte im Komplementsystem Für zahlreiche Komponenten des
B-Lymphozyten. Verschiedene Gendefekte, welche in erster Linie die Komplementsystems wurden Defekte beschrieben. Je nach der
Lymphozytendifferenzierung im Knochenmark betreffen, sind hier- Funktion der betreffenden Komponente (7 Kap. 9) kommt es zu
für verantwortlich. Bei diesem Krankheitsbild kommt es zu chroni- unterschiedlichen Krankheitsbildern:
schen Infektionen durch opportunistische Erreger mit letalen Fol- 4 Defizite im mannanbindenden Lektin führen zu einem erhöh-
gen. Die Knochenmarktransplantation stellt bislang den einzigen ten Infektionsrisiko, besonders bei Kindern, und tragen zur
Behandlungsweg dar. Eine Heilung durch Gentherapie ist – zumin- Schwere bestimmter Autoimmunkrankheiten bei. Dies belegt
dest in einigen Fällen – seit kurzem in den Bereich des Möglichen die Bedeutung der lektinvermittelten Komplementaktivierung
gerückt. (7 Kap. 9).
4 Defekte in den frühen Komplementkomponenten C1, C2 und
AIDS Das erworbene Immundefizienz-Syndrom (»acquired immu- C4 sowie in der C5-Komponente führen zu Immunkomplex-
nodeficiency syndrome«, AIDS) stellt das bekannteste Beispiel für erkrankungen und Autoimmunkrankheiten vom Typ des syste-
eine erworbene Immunschwäche dar. Der Erreger, das humane Im- mischen Lupus erythematodes.
mundefizienz-Virus (HIV), benutzt das CD4-Molekül als Rezeptor 4 Defekte der Komponenten C5, C6, C7 und C8 führen zu ge-
und befällt daher in erster Linie CD4-Helfer-T-Zellen. Als Folge häuft auftretenden Infektionen mit Neisserien und zu deren
kommt es zu einem Absinken des Verhältnisses von CD4/CD8-T- Dissemination. Diese Komplikationen unterstreichen die
Zellen im peripheren Blut. Chronische Infektionen mit Opportunis- Bedeutung der komplementvermittelten Bakteriolyse für die
ten, die normalerweise unter der Kontrolle zellulärer Immunmecha- Neisserienkontrolle. Im Gegensatz dazu hat ein C9-Defekt
108 Kapitel 14 · Immunpathologie

keine derartigen Auswirkungen, da bereits der C5b678-Kom-


plex Membranläsionen hervorrufen kann. Autoimmunität
4 Entsprechend der zentralen Rolle von C3 im Komplementsys- Träger der Autoimmunität Antikörper und/oder T-Zellen
tem kommt es bei C3-Defekten wiederholt zu disseminierten gegen körpereigene Strukturen.
Infektionen mit Eitererregern. Ein Fehlen des C1INH führt zu Organspezifische Autoimmunerkrankungen Hashimoto-
unkontrolliertem C4- und C2-Verbrauch mit Ödembildung. Thyreoiditis, Basedow-Krankheit, Typ-I-Diabetes, multiple
Der C1INH-Defekt ist mit dem vererbten angioneurotischen Sklerose.
Ödem (Quincke-Ödem) vergesellschaftet. Organunspezifische Autoimmunerkrankungen Systemischer
Immunologie

Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis.


In Kürze
Immundefekte
Immunpathologie
Gemeine variable Agammaglobulinämie Angeboren, defektes
Entzündung und Gewebeschädigung
B-Zell- und manchmal auch T-Zell-System; Infektionen mit Eiter-
Wichtige Entzündungsmediatoren Vasoaktive Amine (Veno-
erregern.
lenkonstriktion, Arteriolendilatation; Erhöhung der Kapillar-
Schweizer Agammaglobulinämie (»severe combined immuno-
permeabilität; Kontraktion der glatten Muskulatur); Arachidon-
deficiency«, SCID) Angeboren, defizientes T-Zell- und meist
säureprodukte (bronchokonstriktiv); Bradykinin (vasodilatato-
auch B-Zell-System; Opportunisteninfektionen.
risch, permeabilitätssteigernd); Anaphylatoxine (7 Kap. 9).
Chronische Granulomatose Angeboren, defektes Phagozyten-
Überempfindlichkeitsformen
system; Granulombildung ohne Keimabtötung.
Typ I: Anaphylaktische Reaktion oder Sofortallergie IgE ge-
Di-George-Syndrom Angeboren, defektes T-Zell-System, meist
gen Umweltantigene stimulieren nach Antigenkontakt Degra-
während der Embryonalentwicklung erworben; gehäuft Oppor-
nulation von Mastzellen und basophilen Granulozyten.
tunisteninfektionen.
Typ II: Zytotoxische Reaktion Durch Bindung von IgG an
Bruton-Agammaglobulinämie Angeboren, defizientes B-Zell-
körpereigene Zellen wird deren Lyse oder Phagozytose indu-
System; Infektionen mit Eitererregern.
ziert (z. B. Goodpasture-Nephritis durch Autoantikörper).
Defekte im Komplementsystem Angeboren, Defekte in den
Typ III: Immunkomplexreaktion Kleine, lösliche Antigen-
frühen Komponenten C1, C2, C4, C5: Immunkomplexerkrankun-
Antikörper-Komplexe lagern sich in Organen ab; es kommt zu
gen; Defekte in den späten Komponenten C5, C6, C7, C8:
Urtikaria, Albuminurie, Ödembildung, Arthritis.
Neisserien-Infektionen; defektes C3: Infektionen mit Eitererregern.
Typ IV: Verzögerte Reaktion T-Zellen aktivieren lokal Makro-
AIDS Erworben, durch HIV hervorgerufen; defektes T-Zell-Sys-
phagen, es kommt zur Hautreaktion (z. B. Tuberkulintest,
tem; Opportunisteninfektionen.
Kontaktdermatitis) oder Schleimhautreaktionen (chronische
Darmentzündungen).
Mögliche Ursachen von Autoimmunerkrankungen Seques-
trierte Autoantigene bleiben bei der Toleranzentwicklung unbe-
rücksichtigt und wirken bei späterer Freisetzung wie Fremd-
Literatur
antigene; kreuzreaktive Antigene von Mikroorganismen indu-
zieren aufgrund von Antigenmimikry eine Immunantwort ge-
Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.
gen körpereigene Strukturen; durch Umgehung oder Brechung
der peripheren Toleranz kann eine Autoimmunerkrankung
entstehen; durch polyklonale Aktivierung können selbstreaktive
Klone aktiviert werden.

Transplantation
Transplantationsarten Autologe Transplantation: Überpflanzung
körpereigenen Materials; isologe Transplantation: Überpflanzung
genetisch identischen Materials; allogene Transplantation: Über-
pflanzung genetisch unterschiedlichen Materials der gleichen
Spezies; heterologe Transplantation: Überpflanzung von Material
unterschiedlicher Spezies.
Transplantatabstoßung Primär von T-Zellen mit Spezifität für
die Genprodukte des fremden Haupthistokompatibilitätskom-
plexes. Host-versus-Graft-(HvG-)Reaktion: Abstoßung des Trans-
plantats durch den Empfänger. Graft-versus-Host-(GvH-)Reak-
tion: bei allogenen Knochenmarktransplantationen auftretende
Reaktion des Transplantats gegen den Wirt. Verhinderung der
Transplantatabstoßung: Bestrahlung; Gabe monoklonaler Anti-
körper gegen T-Zellen; Ciclosporin A, FK506, Rapamycin.
109 15

Infektabwehr
S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Abwehr infektiöser Krankheitserreger ist die wichtigste Aufgabe genese weitgehend allein verantwortlich: Das typische Krankheits-
des Immunsystems. Das Immunsystem hat sich in der ständigen Ausei- bild lässt sich tierexperimentell schon durch entsprechende Gabe
nandersetzung mit Krankheitserregern entwickelt. Um mit den unter- von Toxin, d. h. ohne Infektion, auslösen. Die hierzu gehörigen
schiedlichen Strategien der verschiedenen Erreger fertigzuwerden, Erreger werden als Toxinbildner im engeren Sinn bezeichnet
muss das Immunsystem diverse Immunreaktionen aufbauen. (. Tab. 15.1).
Exotoxine werden vom Erreger in die Umgebung sezerniert,
während Endotoxine integrale Bestandteile der Bakterienzellwand
15.1 Infektionen mit Bakterien, Pilzen darstellen. Enterotoxine sind Exotoxine, die auf den Gastrointesti-
und Protozoen naltrakt einwirken. In vielen Fällen kommt es beim Menschen zur
Toxinwirkung, ohne dass eine Infektion vorausgeht. So können Exo-
Stark vereinfacht kann man die pathogenen Bakterien, Pilze und toxinbildner, die in Nahrungsmitteln vorkommen, zur Ursache einer
Protozoen in insgesamt drei Gruppen einteilen: Vergiftung werden, ohne dass sie den Wirt infizieren. Beispiele
4 Toxinbildner hierfür sind Lebensmittelvergiftungen durch Clostridium botuli-
4 extrazelluläre Mikroorganismen num, durch enterotoxigene S. aureus-Stämme oder durch den Pilz
4 intrazelluläre Erreger Aspergillus flavus.
Die meisten Exotoxine sind stark immunogen. Sie rufen die Bil-
In dieses Schema passen nicht alle Mikroorganismen; zudem ist der dung spezifischer Antikörper hervor, die das homologe Toxin zu
Übergang zwischen den Gruppen fließend. Trotzdem ist diese Auf- neutralisieren vermögen. Obwohl zur Toxinneutralisation Antikör-
teilung zur Orientierung brauchbar. perisotypen ausreichen, die von TH2-Zellen kontrolliert werden,
kommt es meist zur Bildung verschiedener Antikörperklassen, an
deren Bildung sowohl TH2- als auch TH1-Zellen beteiligt sind.
15.1.1 Toxinbildner Da sich die immunogenen Gruppen von den für die Toxinwir-
kung verantwortlichen toxophoren Gruppen abtrennen lassen, sind
Fast alle Bakterien produzieren Toxine, die den Wirt mehr oder Immunisierungen mit unschädlichen Toxoiden möglich. Dieses
weniger schädigen und damit zur Entstehung des Krankheitsbildes Prinzip liegt z. B. der Tetanus- und Diphtherie-Schutzimpfung zu-
beitragen. Bei einigen ist das produzierte Einzeltoxin für die Patho- grunde.

. Tab. 15.1 Typische Beispiele für toxinproduzierende Mikroorganismen

Erreger Toxinart: Erkrankung Wichtiger Wirkmechanismus

Bakterien

Clostridium perfringens Exotoxin: Gangrän Membranlyse

Clostridium tetani Exotoxin: Tetanus Blockierung inhibitorischer Neuronen

Clostridium botulinum Exotoxin: Botulismus Hemmung der Azetylcholin-Freisetzung

Vibrio cholerae Enterotoxin: Cholera (Exotoxin) Beeinflussung des cAMP-Systems

Enterotoxigene E. coli-Stämme Enterotoxin: Diarrhö (Exotoxin) Beeinflussung des cAMP- und cGMP-Systems

Enterotoxigene Staphylococcus-aureus- Enterotoxin: Diarrhö (Exotoxin) Neurotoxizität


Stämme
Superantigen (Enterotoxin): Schocksyndrom massive Zytokinausschüttung nach T-Zell-
aktivierung

Bordetella pertussis Exotoxin und Endotoxin: Keuchhusten Zilienschädigung

Corynebacterium diphtheriae Exotoxin: Diphtherie Blockierung der Proteinsynthese

Pilze

Aspergillus flavus Exotoxin: Vergiftung Hepatotoxizität, Kanzerogenität


110 Kapitel 15 · Infektabwehr

15.1.2 Extrazelluläre Erreger

Als extrazelluläre Erreger bezeichnen wir Mikroorganismen mit der


Fähigkeit, sich im Wirtsorganismus außerhalb von Zellen zu ver-
mehren (. Tab. 15.2). Die Infektion kann auf die Eintrittspforte be-
schränkt bleiben oder aber nach Invasion und systemischer Ausbrei-
tung andere Bereiche einbeziehen. Hierzu setzen die extrazellulären
Erreger verschiedene Mechanismen ein, darunter auch die Wirkung
Immunologie

ihrer Toxine. Im Gegensatz zu den Verhältnissen bei den Toxinbild-


nern im engeren Sinne sind die Toxine der extrazellulären Mikroor-
ganismen jedoch allein unfähig, das gesamte Krankheitsbild zu ver-
ursachen.
Im Verlauf einer Infektion mit extrazellulären Mikroorganismen
werden Antikörper gebildet, die in jedem Stadium der Infektion ein-
greifen können. Die durch die Krankheit erworbene Immunität wird
. Abb. 15.1 Wirkmechanismen von Superantigenen
von Antikörpern vermittelt, nicht von T-Lymphozyten. Die wäh-
rend des Immunisierungsvorgangs aktivierten T-Zellen haben im
Wesentlichen Helferfunktion bei der Antikörpersynthese. Sowohl
Im Fall der Endotoxinbildner ist die Gewinnung nebenwir- neutralisierende Antikörper, die lediglich von TH2-Zellen kontrol-
kungsfreier Impfstoffe aufwendiger und noch nicht zufriedenstel- liert werden, als auch opsonisierende Antikörper, die sowohl von
lend gelöst (z. B. Bordetella pertussis). TH2- als auch von TH1-Zellen reguliert werden, sind an der Abwehr
Die Superantigene nehmen eine besondere Stellung unter den extrazellulärer Erreger beteiligt. Neuere Daten deuten auf eine
Toxinen ein. Bei bestimmten Exotoxinen von Staphylo- und Strep- direkte Beteiligung von TH17-Zellen an der Infektabwehr hin.
tokokken imponiert die direkte Aktivierung von T-Lymphozyten Wahrscheinlich locken sie Neutrophile an den Entzündungsherd.
neben der eigentlichen Toxinwirkung. Die oligoklonale Aktivierung Während in einigen Fällen bestimmte Antigene bzw. Antikörper
eines größeren Anteils der T-Zell-Population führt zu einer massi- (Protektivantigene bzw. -antikörper) für den Schutz entscheidend
ven Zytokinausschüttung, sodass systemische Effekte überwiegen sind, scheint in anderen Fällen ein ganzes Antigen- bzw. Antikörper-
(Zytokinsturm). Hierzu gehören unter anderem verschiedene Ente- spektrum für die Immunität nötig zu sein.
rotoxine sowie das toxische Schocksyndrom-Toxin bestimmter Die Adhärenz extrazellulärer Erreger an wirtseigene Zellen ver-
S. aureus-Stämme. Es kommt zu einem Schocksyndrom mit mögli- mitteln in vielen Fällen Fimbrien. Fimbrienspezifische Antikörper
cher Todesfolge. Die zugrunde liegenden Mechanismen (7 Kap. 12) haben deshalb einen schützenden Effekt; diese gehören meist der
sind in . Abb. 15.1 zusammengefasst. IgA-Klasse an. Interessanterweise haben einige Erreger wiederum

. Tab. 15.2 Typische Beispiele für extrazelluläre Erreger

Erreger Wichtige Virulenzfaktoren Erkrankung

Bakterien

Streptococcus pyogenes Fimbrien, Zytolysine, Kapsel, M-Protein Tonsillitis, Erysipel, Septikämie

Streptococcus pneumoniae IgA-Protease, Kapsel* Pneumonie, Otitis, Meningitis

Staphylococcus aureus Div. Enzyme und Toxine, Protein A Abszess, Wundinfektion, Septikämie

Neisseria gonorrhoeae Fimbrien, IgA-Protease, Kapsel, Opazitätsfaktor Gonorrhö

Neisseria meningitidis Fimbrien, IgA-Protease, Endotoxine, Kapsel* Meningitis

Escherichia coli Kapsel (K1-Antigen), Fimbrien, Endotoxin* Harnwegsinfektion, Septikämie

Klebsiella spp. Kapsel* Harnwegs- u. Wundinfektion, Pneumonie, Otitis, Meningitis

Pseudomonas aeruginosa Exotoxin A*, Zytolysin, Komplementprotease Harnwegs- u. Wundinfektion

Haemophilus influenzae IgA-Protease, Kapsel* Pneumonie, Meningitis

Pilze

Cryptococcus neoformans Kapsel* Meningitis

Parasiten

Entamoeba histolytica Zytolysin Amöbenruhr, Leberabszess

Trichomonas vaginalis zellkontaktabhängige Zytolyse Urogenitalinfektion

* Antikörper gegen diese Virulenzfaktoren reichen im Experiment für Schutz aus, diese Faktoren stellen daher Kandidaten für protektive Antigene
dar
15.1 · Infektionen mit Bakterien, Pilzen und Protozoen
111 15
die Fähigkeit entwickelt, IgA-Antikörper enzymatisch (mittels IgA- 15.1.3 Intrazelluläre Erreger
Proteasen) zu spalten und damit diesen Abwehrfaktor zunichte zu
machen (s. u.). Der Besitz gewisser Mechanismen erlaubt es intrazellulären Erre-
Verschiedene Faktoren ermöglichen die Invasion. Bei Strepto- gern, im Innern mononukleärer Phagozyten zu persistieren und sich
kokken erleichtern z. B. die Hyaluronidase durch Gewebeauflocke- zu vermehren (. Tab. 15.3). Obwohl diese Erreger mononukleäre
rung und die Streptokinase durch Fibrinolyse die Invasivität. Die Phagozyten bevorzugen, können sie sich auch in einigen nichtpro-
Aktivität derartiger Invasivfaktoren lässt sich durch Antikörper fessionellen Phagozyten aufhalten. So findet man Mycobacterium
neutralisieren. Die Bedeutung dieser Faktoren und der entsprechen- leprae nicht nur in Makrophagen, sondern u. a. auch in Endothelzel-
den Antikörper für Virulenz bzw. Schutz ist jedoch nicht klar, da nur len und Schwann-Zellen.
solche Antikörper Schutz verleihen, die gegen die antiphagozytäre Intrazelluläre Krankheitserreger sind gegen humorale Abwehr-
M-Substanz gerichtet sind. mechanismen wie Antikörper und Komplement geschützt. Antikör-
Extrazelluläre Mikroorganismen sind im Allgemeinen empfind- per sind daher für die Infektabwehr gegen diese Erreger von unter-
lich gegenüber den intrazellulären Abtötungsmechanismen der pro- geordneter Bedeutung. Während der intrazellulären Vermehrung
fessionellen Phagozyten, insbesondere der neutrophilen Granulo- entstehen mikrobielle Peptide, die der infizierte Makrophage auf
zyten. Neutrophile sterben bei der Erregerabtötung häufig ab. Dabei seiner Oberfläche assoziiert mit Haupthistokompatibilitätsproduk-
wird ein Mechanismus genutzt, der als NET-Bildung bezeichnet wird ten der MHC-Klasse II (7 Kap. 11) präsentiert und die damit für
(NET = »neutrophil extracellular traps«). Das NET besteht in erster T-Lymphozyten zugänglich sind. So werden CD4-T-Zellen vom
Linie aus DNA, in die antimikrobielle Proteine wie Elastasen, Kathep- TH1-Typ zur Sekretion von Zytokinen angeregt. Diese locken
sine, Myeloperoxidase und Lactoferrin eingelagert sind. In solch mononukleäre Phagozyten an und aktivieren sie. Wie in 7 Kap. 12
einem Netz eingefangene Erreger kommen in engen Kontakt mit den und 7 Kap. 13 beschrieben, erwerben zytokinaktivierte Makro-
antimikrobiellen Faktoren, die dadurch besonders wirksam sind. phagen die Fähigkeit, intrazelluläre Erreger abzutöten.
Die Überlebenschance der extrazellulären Erreger besteht darin, Verschiedene Krankheitserreger, wie z. B. Salmonellen und Shi-
der Phagozytose zu entgehen. Dies geschieht durch antiphago- gellen, sind in der Lage, in Phagozyten Apoptose auszulösen. Diese
zytäre Außenstrukturen wie Kapseln oder die M-Substanz. Durch »Selbstvernichtung« des Phagozyten ist dann für den Erreger von
opsonisierende Antikörper wird dieser Evasionsmechanismus je- Nutzen, wenn er damit diese wichtige Abwehrzelle ausschaltet. Bei
doch wieder aufgehoben. Als Resultat des Zusammentreffens extra- Erregern, die mononukleäre Phagozyten als Lebensraum nutzen, ist
zellulärer Erreger mit professionellen Phagozyten entwickelt sich der Wert der Apoptose für den Erreger bzw. Wirt weniger eindeutig.
Eiter. Extrazelluläre Mikroorganismen werden deshalb als Eiter- Mycobacterium tuberculosis besitzt die Fähigkeit zur Apoptosehem-
erreger bezeichnet. mung. Für den Wirt ist die Apoptose nützlich, während bei der
Schließlich können einige Bakterien – z. B. E. coli, Vibrio chole- Nekrose die schädlichen Wirkungen überwiegen.
rae, Neisserien und Haemophilus influenzae – vom Komplement- Die Apoptose infizierter Zellen kann auch an der Autophagie
system nach dessen Aktivierung direkt lysiert werden. Diese Bakte- beteiligt sein. Generell versteht man darunter Prozesse, über die
rizidie hat entscheidende Bedeutung für die Abwehr von Neisserien. eine Zelle ihre eigenen Bestandteile abbaut und wiederverwertet.
Dies wird durch die Tatsache belegt, dass Träger von Komplement- Abtötung und Abbau des Tuberkuloseerregers und anderer intra-
defekten zwischen C5 und C9 häufig an Neisserieninfektionen er- zellulärer Krankheitserreger im Rahmen der Autophagie tragen zum
kranken (7 Kap. 14). Infektionsschutz bei. Man spricht dabei auch von einer Xenophagie.

. Tab. 15.3 Typische Beispiele für intrazelluläre Krankheitserreger

Erreger Evasionsmechanismus Erkrankung

Bakterien

Mycobacterium tuberculosis Resistenz gegen lysosomale Enzyme und Sauerstoffmetaboliten, Tuberkulose


Hemmung der Phagolysosomenbildung, Umgehung der Bildung von
Sauerstoffmetaboliten, wahrscheinlich auch Evasion ins Zytoplasma

Mycobacterium leprae Resistenz gegen lysosomale Enzyme Lepra

Brucella spp. Resistenz gegen lysosomale Enzyme Brucellosen

Listeria monocytogenes Evasion ins Zytoplasma Listeriose

Salmonella Typhi Resistenz gegen lysosomale Enzyme, Hemmung der Phagolysosomenbildung Typhus

Legionella pneumophila Hemmung der Phagolysosomenbildung, Hemmung der Bildung Legionellose


von Sauerstoffmetaboliten

Pilze

Histoplasma capsulatum Resistenz gegen Sauerstoffmetaboliten Histoplasmose

Parasiten

Leishmania spp. Resistenz gegen lysosomale Enzyme, Hemmung der Bildung Leishmaniase
von Sauerstoffmetaboliten

Toxoplasma gondii Hemmung der Phagolysosomenbildung Toxoplasmose


112 Kapitel 15 · Infektabwehr

Am Ort ihrer Absiedlung induzieren intrazelluläre Erreger die treten in Aktion. Hinzu kommen in bestimmten Fällen aktivierte
Ausbildung eines Granuloms. Dabei treten T-Lymphozyten und Makrophagen und NK-Zellen.
Makrophagen in engen Kontakt zueinander. Dies ist die Vorausset-
zung zur antimikrobiellen Kooperation dieser Zellen.
Appliziert man Rekonvaleszenten Antigene intrazellulärer 15.2.2 Interferon
Erreger intradermal, so entwickelt sich nach 24–72 h eine durch
T-Zellen und mononukleäre Phagozyten vermittelte lokale Reak- Wie in 7 Kap. 12 beschrieben, unterscheidet man IFN-α, IFN-β und
tion. Man bezeichnet sie als verzögerte allergische Reaktion IFN-γ. IFN-α und IFN-β sind Typ-I-Interferone, IFN-γ ist ein Typ-
Immunologie

(7 Kap. 12, 7 Kap. 14). II-Interferon. IFN wird von virusinfizierten Zellen produziert und
Nicht alle von intrazellulären Erregern befallenen Wirtszellen bewirkt in anderen Zellen eine Hemmung der Virusreplikation. Dies
vermögen nach Zytokinaktivierung ein ausreichendes Arsenal anti- geschieht über die Aktivierung wirtseigener Enzyme, welche die Re-
mikrobieller Mechanismen zu mobilisieren. Unter diesen Umstän- plikation der viralen RNA oder DNA verhindern.
den leisten zytolytische CD8-T-Zellen einen schützenden Beitrag: Da IFN vor Einsetzen einer spezifischen Immunantwortgebil-
Sie zerstören Wirtszellen mit unzureichendem antimikrobiellem det wird, stellt es einen frühen Schutzmechanismus dar. Dies gilt
Potenzial und machen die Erreger für professionelle Phagozyten natürlich nicht für IFN-γ, das von antigenspezifischen T-Zellen pro-
höherer Abwehrkraft zugänglich. Daneben können zytolytische duziert wird (7 Kap. 12). IFN-γ ist in der Lage, Makrophagen und
T-Zellen auch direkt mikrobizid wirken. NK-Zellen zu aktivieren, was ebenfalls zur Virusabwehr beiträgt.
Bei intrazellulären Infektionen haben wir es häufig mit einem
komplexen Gleichgewicht zwischen Erreger und Wirt zu tun: Eini-
gen Mikroorganismen gelingt es, im Wirt lange zu persistieren – es 15.2.3 Makrophagen und NK-Zellen
entwickelt sich eine chronische oder gar inapparent verlaufende
Infektion. Man spricht auch von einer latenten Infektion. Durch Die Aktivierung von Makrophagen durch IFN-γ wird in 7 Kap. 12
Reaktivierung kann es zu einem späteren Zeitpunkt zum Krank- beschrieben. Gegenüber bestimmten Erregerspezies entwickeln
heitsausbruch kommen. Makrophagen antivirale Aktivität.
NK-Zellen beteiligen sich an der Virusabwehr, indem sie virus-
infizierte Zellen über die antikörperabhängige zellvermittelte Zyto-
15.2 Virusinfektion toxizität (»antibody-dependent cellular cytotoxicity«, ADCC; 7 Kap. 8,
7 Kap. 9) und direkte NK-Aktivität lysieren.
15.2.1 Virusvermehrung

Wesentliches Prinzip der Virusvermehrung ist die obligate Ab- 15.2.4 Zytolytische CD8-T-Zellen
hängigkeit des Erregers von der intakten Wirtszelle. Die Tatsache,
dass sich das Virus nicht extrazellulär vermehrt, sondern von der Die Generierung zytolytischer CD8-T-Zellen wird in 7 Kap. 12 be-
Wirtszelle vermehrt wird, hat auf die Art der Abwehrmechanis- schrieben. Die Zytolyse richtet sich gegen körpereigene Wirtszellen;
men einen entscheidenden Einfluss. Die humoralen Träger der dies unterbricht die Virusvermehrung. Die Lyse der virusinfizierten
Immunität – Antikörper und Komplement – können lediglich Zellen erfolgt noch vor dem Zusammenbau der Viruseinheiten:
während der extrazellulären Phase wirken; die intrazelluläre Virus- Durch die Lyse werden also keine infektiösen Viruspartikel freige-
replikation wird dagegen von Interferon und zytolytischen CD8- setzt. Zytolytische CD8-T-Zellen sezernieren unter geeigneten Be-
T-Zellen kontrolliert. Dies führt zur Schädigung körpereigener dingungen auch IFN-γ. Sie tragen somit auf zweierlei Wegen zum
Zellen. antiviralen Schutz bei.
Während der extrazellulären Phase sind Viren infektiös. Sie hef- Auf der anderen Seite stellt die Lyse körpereigener Zellen ein
ten sich über spezifische Oberflächenrezeptoren an ihre Zielzelle autoaggressives Geschehen dar. Ihre Auswirkung auf die Pathogene-
(Tropismus). Vor und während dieser Phase können Antikörper und se steht in direktem Zusammenhang mit der Bedeutung der betrof-
Komplement eingreifen. Antikörper können für sich allein die Ad- fenen Zelle für den Wirtsorganismus.
sorption an die Zielzelle verhindern. Dieser Vorgang wird Virusneu-
tralisation genannt. Die Beladung mit Antikörpern und Komple-
ment führt zur Virolyse oder zur nichtlytischen Virusneutralisation. 15.3 Strategien der Erreger gegen
Antikörper, die sehr bald nach der Infektion auf Viren einwirken, professionelle Phagozyten
können den Krankheitsausbruch verhindern. Dies ist bei immuni-
sierten Individuen die Regel. Bei viralen Infektionen des Respira- Wie in 7 Kap. 13 diskutiert, stellen Aufnahme und intrazelluläre
tions- und des Gastrointestinaltrakts spielen Antikörper der IgA- Abtötung eingedrungener Keime durch professionelle Phagozyten
Klasse eine besonders wichtige Rolle. einen entscheidenden Mechanismus der Infektabwehr dar. Störun-
Nach der Absorptions- und Penetrationsphase befinden sich gen an irgendeinem Punkt dieses Geschehens führen in der Regel zu
die Viren im Zellinneren, wo sie repliziert werden. Schließlich wer- einem Überlebensvorteil des Erregers. In diesem Fall spricht man
den die Viren ausgeschleust, was für die betroffene Wirtszelle häufig von Evasion (lat. für »heraustreten«). Dem Ausdruck liegt die bild-
den Tod bedeutet. Bei der Virusausbreitung über das Blutsystem liche Vorstellung zugrunde, der Erreger trete aus der Kontrolle durch
(Virämie) werden die Viren für Antikörper wieder angreifbar. das Abwehrsystem heraus. Drei Mechanismen interferieren mit der
Die freigesetzten Viren können aber auch die umliegenden Zel- Abwehrfunktion der professionellen Phagozyten und tragen damit
len direkt befallen. Sie bleiben in diesem Fall vor der humoralen zur Evasion bei:
Antwort weitgehend geschützt. Das Immunsystem muss in dieser 4 Abtötung der Phagozyten
Situation auf Mechanismen zurückgreifen, die während der intrazel- 4 Hemmung der Adhärenz und/oder Phagozytose
lulären Phase wirksam sind: Interferon und zytolytische T-Zellen 4 intrazelluläre Vitalpersistenz
15.4 · Weitere Evasionsmechanismen
113 15
Diese 3 Mechanismen sind spezifisch gegen professionelle Phagozy- organismen sind in . Tab. 15.3 aufgeführt worden. Die intrazelluläre
ten gerichtet. Andere Mechanismen sind unabhängig von professio- Überlebensfähigkeit beruht auf einem oder mehreren der vier fol-
nellen Phagozyten (7 Abschn. 15.4). Dies sind: genden Mechanismen:
4 Inaktivierung von Antikörpern 4 Hemmung der Phagolysosomenfusion
4 intrazelluläre Lebensweise 4 Resistenz gegen lysosomale Enzyme und/oder reaktive
4 Antigenvariation Sauerstoffmetaboliten
4 Immunsuppression 4 Eintritt in die Zelle ohne Aktivierung reaktiver Sauerstoff-
4 Toleranz gegen protektive Antigene metaboliten
4 Evasion in das Zytoplasma

15.3.1 Abtötung der Phagozyten Hemmung der Phagolysosomenfusion Im Phagosom ist der auf-
genommene Keim noch immer von extrazellulärem Milieu umge-
Der einfachste Weg zur Umgehung einer Phagozytose ist die Ab- ben. Erst nach der Phagolysosomenbildung wird er der Wirkung
tötung der Phagozyten. Einige Bakterien besitzen die Fähigkeit, schädigender Enzyme ausgesetzt. Manche Erreger, wie z. B. Myco-
Zytotoxine zu produzieren, die auf Phagozyten lytisch wirken. Ein bacterium tuberculosis, Legionella pneumophila, Salmonella Typhi,
Beispiel dafür liefern die Gasbrandclostridien: Ihre Leukozidine Leishmania sp. und Toxoplasma gondii, können die Phagosomenrei-
töten Leukozyten aller Sorten ab. Bei anderen Zytotoxinen liegt das fung anhalten oder die Phagolysosomenfusion hemmen. Dadurch
toxische Prinzip nicht in der direkten Lyse der Zielzellen. Es kommt entgehen sie dem Angriff der lysosomalen Enzyme. Das frühe Pha-
in diesen Fällen zur Zerstörung der Lysosomen bzw. der Granula. gosom stellt für Erreger einen »angenehmeren« Lebensraum dar, da
Deren Inhaltsstoffe werden unkontrolliert in das Zytoplasma ausge- das pH-Milieu neutral bleibt und reichlich Eisen zur Verfügung
schüttet; dies führt zum Zelltod. Man spricht in diesem Zusammen- steht, das zahlreiche Keime dringend benötigen.
hang von »Selbstmord« der Phagozyten. Beispiele für Wirkungen
dieser Art liefern folgende Toxine: Resistenz gegen lysosomale Enzyme und/oder reaktive Sauer-
4 Streptolysin der Streptokokken stoffmetaboliten Einige Keime besitzen Enzyme, welche die anti-
4 Leukozidin der Staphylokokken bakterielle Produkte des Phagozyten abbauen. Ein Beispiel hierfür
4 Exotoxin A von Pseudomonas aeruginosa ist der H2O2-Abbau durch katalaseproduzierende Bakterien. Einen
4 Zytolysin von Entamoeba histolytica weiteren Abwehrmechanismus stellt die Produktion basischer Ionen
(z. B. NH4+) dar, die das saure Milieu im Phagosom neutralisieren,
Gonokokken tragen auf ihrer Oberfläche eine Struktur, den sog. sodass das pH-Optimum für die sauren Hydrolasen aus den Lyso-
Opazitätsfaktor, der die Phagozytenmembran schädigt. Zytolysine somen nicht erreicht wird.
mit der leicht nachweisbaren Fähigkeit, Erythrozyten zu lysieren,
werden auch als Hämolysine bezeichnet. Eintritt in die Zelle ohne Aktivierung reaktiver Sauerstoffmetabo-
liten Einige Mikroorganismen, z. B. Mycobacterium tuberculosis,
Leishmania sp. oder Legionella pneumophila, benutzen die Oberflä-
15.3.2 Hemmung von Adhärenz und Phagozytose chenrezeptoren für Spaltprodukte der Komplementkomponente C3
(CR1 und/oder CR3), um in Makrophagen einzudringen. Dies ge-
Eine Reihe von Mikroorganismen bildet antiphagozytäre Substan- schieht entweder über eine direkte Bindung an CR3 oder über Akti-
zen. Diese schützen den Erreger vor der Einverleibung durch profes- vierung des alternativen Komplementsyntheseweges. Die Bindung
sionelle Phagozyten. Durch den Besitz einer Polysaccharidkapsel an CR1 bzw. CR3 induziert die Keimaufnahme, aber nicht die
können Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Bildung reaktiver Sauerstoffmetaboliten, wie es bei Bindung an
Cryptococcus neoformans der Phagozytose entgehen. Einen ähnli- Fc-Rezeptoren der Fall ist. Daher stellen CR1 und CR3 eine relativ
chen Effekt hat das M-Protein der Streptokokken und die Schleim- sichere Eintrittspforte für diese Keime dar.
hülle von Pseudomonas aeruginosa. In den genannten Fällen kann
der professionelle Phagozyt seine Funktion nicht erfüllen, da ihm die Evasion ins Zytoplasma Ein biologisches Prinzip der intrazellulä-
Mikroorganismen entgleiten. Erst die Opsonisierung (Beladung mit ren Keimabtötung ist die Beschränkung der aggressiven Mechanis-
Antikörpern und/oder der Komplementkomponente C3b) ermög- men auf das Phagolysosom. Erreger, denen es gelingt, aus dem Pha-
licht es den Phagozyten, die Keime über die Fc- bzw. C3b-Rezeptor- gosom ins Zytoplasma zu gelangen, befinden sich dann innerhalb
vermittelte Endozytose aufzunehmen (7 Kap. 13). des Phagozyten in einer geschützten Nische. Diesen Weg benutzt
Bewegliche Krankheitserreger können ebenfalls den Phagozyten Listeria monocytogenes und wahrscheinlich auch Mycobacterium
entweichen. Immobilisierende Antikörper gegen Geißelantigene tuberculosis.
erleichtern deshalb die Keimaufnahme. Ein besonderer Mechanis-
mus ist bei S. aureus zu beobachten. Diese Bakterien produzieren
Koagulase. Das Enzym bringt das wirtseigene Fibrin zur Gerin- 15.4 Weitere Evasionsmechanismen
nung. Die Erreger werden dadurch von einem schützenden Fibrin-
wall umgeben. Während sich die oben genannten Strategien gegen professionelle
Phagozyten richten, wirken die folgenden Evasionsmechanismen
unabhängig davon.
15.3.3 Intrazelluläre Persistenz

Verschiedene Mikroorganismen besitzen die Fähigkeit, in Phago-


zyten zu überleben. Einige Erreger halten sich sogar bevorzugt im
Inneren von Phagozyten auf. Die wichtigsten intrazellulären Mikro-
114 Kapitel 15 · Infektabwehr

15.4.1 Inaktivierung von Antikörpern Auch Gono- und Meningokokken können ihre Oberflächenantigene
variieren.
Wie weiter oben besprochen, können Antikörper bestimmte Funk- Die Antigenvariation einiger Virusarten stellt ebenfalls einen
tionen der Krankheitserreger hemmen. Einige Mikroorganismen leistungsfähigen Evasionsmechanismus dar. Influenza- und Rhino-
haben hierzu Gegenmechanismen entwickelt: viren verändern sich zwar schwach, aber kontinuierlich, bis nach
4 So blockieren IgA-Antikörper die Adhäsion von Neisseria einiger Zeit eine Variante selektioniert wird, die ausreichend ver-
gonorrhoeae an Schleimhäute und verhindern dadurch deren ändert ist (immunologischer Drift). Bei Influenza-A-Viren treten
Absiedlung im Urogenitaltrakt. N. gonorrhoeae sezerniert zusätzlich in größeren Abständen stärkere Antigenveränderungen
Immunologie

jedoch eine Protease, die selektiv IgA-Antikörper spaltet auf (immunologischer Shift). Die neue Virusvariante trifft dann auf
und damit inaktiviert. Auch N. meningitidis, Streptococcus eine immunologisch unvorbereitete Population. Die gefürchtete
pneumoniae und Haemophilus influenzae produzieren Umwandlung des Geflügel-Grippevirus H5N1 in einen Erreger für
IgA-spaltende Proteasen. den Menschen, der eine Grippepandemie auslösen kann, beruht auf
4 Einige Stämme von S. aureus produzieren Protein A. Dieses diesen Mechanismen. Das humane Immundefizienz-Virus (HIV)
bindet an das Fc-Fragment von IgA-Antikörpern und ver- entweicht durch laufende Veränderung im Infizierten der Immun-
hindert damit die Bindung an den Fc-Rezeptor der professio- abwehr.
nellen Phagozyten.

15.4.4 Immunsuppression
15.4.2 Intrazelluläre Lebensweise
Chronische Infektionen werden häufig von einer Immunsuppres-
Einige Bakterien haben eine obligat intrazelluläre Lebensweise an- sion begleitet. Zu unspezifischen Suppressionsphänomenen kommt
genommen und halten sich bevorzugt oder ausschließlich in nicht- es, wenn Erreger bevorzugt Zellen des Immunsystems besiedeln.
professionellen Phagozyten auf. Hierzu zählen Chlamydia tra- Beispiele hierfür sind Infektionen mit Masern-, Epstein-Barr- (EBV),
chomatis, die sich bevorzugt in Epithelzellen vermehrt, und die Zytomegalie- (CMV) und humanen Immundefizienz-Viren (HIV).
verschiedenen Rickettsienarten, die sich hauptsächlich in Endo- M. leprae und Leishmania sp. rufen ein besonders breites Krank-
thelzellen aufhalten. heitsspektrum hervor: Auf der einen Seite stehen Fälle, bei denen
Auch einige Protozoen leben hauptsächlich in nichtprofessionel- eine vollwertige Immunantwort den Verlauf zum Gutartigen hin
len Phagozyten. So befällt der Erreger der Chagas-Krankheit, Trypa- bestimmt. Auf der anderen Seite stehen die partiell oder total im-
nosoma cruzi, Herzmuskelzellen. mundefizienten Patienten; hier ist der Verlauf bösartig.
Ein extremes Beispiel stellen Malariaplasmodien und Bartonel- Man hat gute Hinweise dafür, dass an der Immunsuppression
len dar. Diese Erreger benutzen Erythrozyten als Wirtszellen. Die eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen TH1- und TH2-
roten Blutzellen besitzen keine Lysosomen und sind deshalb gegen Zellen wesentlich beteiligt ist: Bei malignen Formen überwiegen
die intrazellulären Parasiten wehrlos. Weiterhin fehlen ihnen die die Zytokine des TH2-Typs (IL-4 und IL-10), während bei benignen
Haupthistokompatibilitätsmoleküle, sodass sie die Parasitenanti- Formen Zytokine des TH1-Typs (IFN-γ und TGF-β) dominieren
gene den T-Zellen nicht in erkennbarer Form anzubieten vermögen. (7 Kap. 12). Vermutlich sind an den suppressiven Mechanismen auch
Es sei betont, dass die hier genannten Erreger im Inneren der Treg-Zellen beteiligt. HIV bewirkt die Zerstörung der CD4-T-Zellen
Zelle v. a. überleben, weil sie Wirtszellen benutzen, denen die intrazel- und unterbindet damit eine effektive Immunantwort. Entsprechend
lulären Abwehrmechanismen fehlen. Durch diese Wahl umgehen sie sind HIV-Infizierte gegenüber unterschiedlichen Krankheitserre-
den für sie tödlichen Aufenthalt in aktivierten Makrophagen. Offen- gern äußerst empfänglich.
sichtlich verfügen diese Erreger über Mechanismen, die es ihnen er-
möglichen, aktiv in nichtphagozytierende Wirtszellen einzudringen.
15.4.5 Toleranz gegen protektive Antigene
15.4.3 Antigenvariation Haemophilus influenzae, Neisseria meningitidis, Streptococcus
pneumoniae und andere Keime besitzen eine Polysaccharidkapsel,
Die Erreger der Schlafkrankheit, Trypanosoma gambiense und gegen die der Erwachsene schützende Antikörper bildet. Die Kapsel
T. rhodesiense, haben die Fähigkeit entwickelt, der Immunantwort trägt somit protektive Antigene. Kleinkindern vor dem 2.–5. Lebens-
durch Antigenvariation zu entweichen. Nach der Infektion ent- jahr fehlt jedoch die Fähigkeit, kohlenhydratspezifische Antikörper
wickelt sich eine zyklische Parasitämie. In jeder Phase des Zyklus zu bilden; sie sind im Hinblick auf diese Antigene tolerant. Demzu-
überwiegt ein bestimmtes Antigen, gegen das schützende Antikör- folge können sie nach Absinken des mütterlichen Antikörpertiters
per gebildet werden. Die Antikörper induzieren im Erreger aber das keine schützende Immunität aufbauen. Diese Toleranz ist auf eine
Entstehen einer Antigenvariation; es entsteht ein neues, dominantes Kreuzreaktivität mit körpereigenen Strukturen zurückzuführen, die
Antigen. Dies geschieht, bevor alle Erreger-Erstformen durch die in der frühkindlichen Entwicklung auftreten: So kreuzreagiert die
Antikörper eliminiert werden können: Die Parasiten sind in der Kapsel bestimmter E. coli- und N. meningitidis-Stämme mit einem
neuen Phase wieder unangreifbar geworden. Zwar werden Antikör- embryonalen Zelladhäsionsmolekül (N-CAM).
per gegen das neue immundominante Antigen gebildet; dies führt Ein aufschlussreiches Beispiel für die biologische Bedeutung der
aber wieder zu einer neuen Antigenvariante. Aufgrund des laufen- Toleranz stellt die Infektion der Maus mit dem lymphozytären Cho-
den Antigenwechsels finden sich bei der Schlafkrankheit andauernd riomeningitisvirus (LCMV) dar. Nach der Infektion erwachsener
hohe IgM-Titer. Mäuse werden zwar spezifische T-Zellen gebildet, gleichzeitig er-
Borrelia recurrentis zeigt eine ähnliche Antigenvariation. Dieser kranken aber die Tiere. Durch rechtzeitige Eliminierung dieser T-
Erreger ruft das Rückfallfieber hervor. Dabei entstehen wiederholt Zellen lässt sich das Krankheitsbild erheblich mildern. Andererseits
Fieberschübe, jeweils erzeugt von einer neuen Antigenvariante. bildet sich bei neonataler Infektion eine Toleranz aus. Dadurch ver-
Literatur
115 15
läuft die Infektion ohne akutes Krankheitsbild, aber mit Viruspersis- Literatur
tenz. Da das Krankheitsbild der LCMV-Infektion weniger auf den
direkten Effekten des Virus, sondern vornehmlich auf einer autoag- Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.
gressiven T-Zell-Antwort beruht, ist die Toleranzentwicklung bei
den neonatal infizierten Tieren als Schutzmechanismus anzusehen.

In Kürze
Infektabwehr
Bakterien, Pilze, Protozoen und Viren
Toxinbildner Toxin für Pathogenese verantwortlich (z. B. Teta-
nustoxin, Choleratoxin, Enterotoxine bestimmter E. coli- und
S. aureus-Stämme, Pertussistoxine); Schutz durch toxinneutrali-
sierende Antikörper.
Extrazelluläre Erreger vermehren sich im extrazellulären Raum.
Schutz durch Antikörper gegen Virulenzfaktoren; akute Infektion,
Eiterbildung (z. B. grampositive und gramnegative Kokken, viele
Enterobacteriaceae, Pseudomonas aeruginosa, Haemophilus in-
fluenzae).
Intrazelluläre Erreger vermehren sich intrazellulär, besonders in
Makrophagen; Schutz durch T-Zellen, die Makrophagen aktivie-
ren; chronische Infektionen, Granulombildung (z. B. Mycobacte-
rium tuberculosis, Salmonella Typhi, Leishmanien).
Viren Replikation durch infizierte Wirtszelle; Schutz durch Anti-
körper, die freie Viren lysieren oder neutralisieren bzw. die Ad-
häsion an die Wirtszelle inhibieren, sowie durch T-Zellen, die in-
fizierte Zellen lysieren; daneben auch Interferone (Hemmung
der Virusreplikation) und NK-Zellen (Lyse virusinfizierter Zellen).

Evasionsmechanismen der Erreger


Phagozytenabtötung Durch Leukozidine (z. B. Streptolysin der
Streptokokken, Leukozidin der Staphylokokken, Exotoxin A von
Pseudomonas aeruginosa).
Phagozytosehemmung Durch Kapsel (z. B. Pneumokokken,
Haemophilus influenzae), M-Protein (Streptokokken) oder
Schleimhülle (Pseudomonas aeruginosa).
Intrazelluläre Vitalpersistenz Hemmung der Phagolysosomen-
fusion (z. B. Mycobacterium tuberculosis); Resistenz gegen lyso-
somale Enzyme (z. B. Mycobacterium tuberculosis); Interferenz
mit der Bildung reaktiver Sauerstoffmetaboliten (z. B. Leishma-
nien); Evasion in das Zytoplasma (z. B. Listeria monocytogenes).
Befall primär nichtphagozytierender Wirtszellen Z. B. Malaria-
plasmodien/Erythrozyten, Hepatozyten; Chlamydien/Epithel-
zellen.
Antigenvariation Z. B. Trypanosoma gambiense und T. rhodesi-
ense, Influenzaviren, Rhinoviren, HIV.
Toleranz gegen protektive Antigene Kleinkinder bilden gegen
Kohlenhydrate keine Antikörper und zeigen daher gegen Pneu-
mokokken eine hohe Suszeptibilität.
117 16

Impfung
S. H. E. Kaufmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Impfungen nutzen die Fähigkeiten des Immunsystems, auf Zweit- zahlreiche Infektionskrankheiten existieren heute Impfstoffe, die
kontakt mit demselben Antigen schneller und effektiver zu reagieren. weltweit mit großem Erfolg eingesetzt werden (. Tab. 16.1).
Allerdings verhindern Impfungen fast immer nur die Erkrankung, Impfung schützt in erster Linie den Geimpften; zusätzlich wird
nicht die Infektion. Impfungen gehören zu den kosteneffizientesten durch den Aufbau einer Herdenimmunität auch Schutz für Nicht-
Maßnahmen der Medizin. Etwa 5 Millionen Menschenleben werden geimpfte gewährt. Durch Impfung sind die Pocken seit 1980 von der
durch Impfungen jährlich gerettet. Erde verschwunden und zahlreiche Regionen einschließlich Europa
sind frei von Kinderlähmung (allerdings sind im Jahr 2015 verein-
zelte Fälle von Kinderlähmung aufgetreten). Aufgrund von Impf-
16.1 Übersicht lücken sind allerdings in Europa noch immer Masernausbrüche
zu verzeichnen, sodass das Ziel, die Masern bis 2015 in Europa zu
Die Schutzimpfung dient dem Ziel, den Empfängerorganismus eliminieren, nicht erreicht wird.
zur Ausbildung einer Protektivimmunität gegen einen oder meh- . Tab. 16.2 gibt eine Kurzübersicht über die von der Ständigen
rere Krankheitserreger anzuregen. Der Schutz soll lange anhalten Impfkommission (Stiko) empfohlenen Impfungen für Deutschland.
und die Nebenwirkungen sollen so gering wie möglich sein. Gegen In Deutschland erstellt die Stiko zentral Impfempfehlungen, die von

. Tab. 16.1 Beispiele für eingesetzte Impfstoffe

Erreger Impfstoff; Resultat Erkrankung

Corynebacterium diphtheriae Toxoid; zufriedenstellend Diphtherie


Clostridium tetani Toxoid; zufriedenstellend Tetanus
Bordetella pertussis azellulärer Impfstoff; Verbesserung nötig Keuchhusten
Vibrio cholerae abgetöteter Erreger; Verbesserung nötig Cholera
Haemophilus influenzae Typ b Konjugatimpfstoff; zufriedenstellend Meningitis
Meningokokken, Typ C Konjugatimpfstoff; Verbesserung nötig Meningitis
Meningokokken, Typ B rekombinantes Antigen; Verbesserung nötig Meningitis
Pneumokokken Konjugatimpfstoff; Verbesserung nötig Pneumonie
Mycobacterium tuberculosis BCG-Lebendimpfstoff; Verbesserung nötig Tuberkulose
Salmonella Typhi/Paratyphi galE-Lebendimpfstoff; Verbesserung nötig Typhus
Masern-Virus attenuierter Lebendimpfstoff; zufriedenstellend Masern
Rubella-Virus attenuierter Lebendimpfstoff; zufriedenstellend Röteln
Mumps-Virus attenuierter Lebendimpfstoff; zufriedenstellend Mumps
Poliomyelitis-Virus Salk-Totimpfstoff; zufriedenstellend Kinderlähmung
attenuierter Lebendimpfstoff nach Sabin; zufriedenstellend Kinderlähmung
Varizella-Zoster-Virus attenuierter Lebendimpfstoff; zufriedenstellend gegen Windpocken Windpocken, Gürtelrose
Influenza-Virus inaktivierter Erreger; Verbesserung nötig Influenza
Hepatitis-A-Virus inaktivierter Erreger; zufriedenstellend Hepatitis A
Hepatitis-B-Virus Spaltvakzine; zufriedenstellend Hepatitis B
Rekombinantes Antigen; zufriedenstellend Hepatitis B
Frühsommer-Meningoenzephalitis inaktivierter Erreger; Verbesserung nötig Frühsommer-Meningoenzephalitis
(FSME) –Virus
Gelbfieber-Virus attenuierter Lebendimpfstoff; zufriedenstellend Gelbfieber
Papillom-Virus virusähnliche Partikel; zufriedenstellend Gebärmutterhalskrebs
118 Kapitel 16 · Impfung

. Tab. 16.2 Impfkalender des Robert Koch-Instituts (RKI, Berlin). Von der Ständigen Impfkommission empfohlene Standardimpfungen für Säuglinge,
Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Fette Einträge sind Empfehlungen, kursive Schreibung bedeutet »bei Bedarf« (ausführliche Information unter:
www.rki.de)

Impfung Alter

Wochen Monate Jahre


Immunologie

6 2 3 4 11–14 15–23 2–4 5–6 9–11 12–17 ab 18 ab 60

Tetanus G1 G2 G3 G4 N N A1 A2 A (N)

Diphtherie G1 G2 G3 G4 N N A1 A2 A (N)

Pertussis G1 G2 G3 G4 N N A1 A2 A (N)

Hib G1 G2 G3 G4 N N

Poliomyelitis G1 G2 G3 G4 N N A N

Hepatitis B G1 G2 G3 G4 N N

Pneumokokken G1 G2 G3 G4 N S

Rotaviren G1 G2 (G3)

Meningokokken C G1 N

Masern G1 G2 N S

Mumps, Röteln G1 G2 N

Varizellen G1 G2 N

Influenza S*

HPV S**

A, Auffrischimpfung; G, Grundimmunisierung (in bis zu 4 Teilimpfungen G1–G4); Hib, H. influenzae Typ b; HPV, Humane Papillomviren; N, Nachhol-
impfung (Grundimmunisierung aller noch nicht Geimpften bzw. Komplettierung einer unvollständigen Impfserie); S, Standardimpfung
* = jährlich; ** = junge Frauen und Mädchen

den Bundesländern in öffentliche Impfempfehlungen umgesetzt Kohlenhydrate der Kapsel von Haemophilus influenzae Typ b
werden. Hierzulande besteht zwar kein Impfzwang; die öffentlichen mit Diphtherie- oder Tetanustoxoid konjugiert wurden, haben je-
Impfempfehlungen sind jedoch eine deutliche Aufforderung zur doch gute Erfolge gezeigt. Konjugatimpfstoffe aus Kapselkohlen-
Impfung. Für diese Impfungen übernimmt der Bund deshalb gege- hydraten gegen Meningo- und Pneumokokken sind ebenfalls erfolg-
benenfalls die Entschädigung für mögliche Komplikationen (je nach reich.
Vakzine in der Größenordnung von 1 Komplikation auf 100.000 bis Gegen Meningokokken wurde kürzlich ein Impfstoff entwickelt,
1 Million Impfungen). der allerdings in Deutschland bislang nicht zur breiten Anwendung
empfohlen wird. Mit dem gereinigten Hämagglutinin des Influenza-
Virus kann man eine gute Schutzwirkung erzielen. Einem breiten
16.1.1 Impfstoffe aus definierten Erreger- Erfolg steht allerdings der Typenwandel und der schwache Schutz-
produkten: Toxoidimpfstoffe, Spaltvakzine effekt bei Kleinkindern und Älteren entgegen.
und Konjugatimpfstoffe

Bei der Impfung gegen bestimmte Toxinbildner (7 15.1) richtet sich 16.1.2 Totimpfstoffe
die Immunantwort nicht gegen den Erreger, sondern gegen das Toxin.
Beispiele für erfolgreich eingesetzte Vakzinierungen sind die Teta- Gegen extrazelluläre Bakterien (. Tab. 15.2) werden gewöhnlich
nus- und Diphtherieimpfung. Dabei kommen Toxoide zur Anwen- Impfstoffe aus abgetöteten, sonst aber intakten Erregern eingesetzt.
dung, bei denen die toxophoren von den immunogenen Molekül- Obwohl man in vielen Fällen die Antigene kennt, die zur Bildung
gruppen dissoziiert wurden (s. o.). Diese Toxoide induzieren zwar schützender Antikörper führen (sog. Protektivantigene), verwendet
neutralisierende Antikörper, haben aber ihre Toxizität verloren. Als man meist den ganzen, nichtaufgeschlossenen Erreger. Als Beispiel
Spaltvakzine bezeichnen wir Impfstoffe, die aus teilgereinigten Er- hierfür sei der Cholera-Impfstoff genannt.
regerbestandteilen bestehen. Als Beispiel hierfür sei der azelluläre Gegen einige Viruserkrankungen werden nichtinfektiöse (ab-
Pertussis-Impfstoff genannt. getötete oder inaktivierte) Viruspartikel eingesetzt. Als Beispiel sei
Probleme machten ursprünglich Kohlenhydratimpfstoffe gegen der Salk-Impfstoff gegen Poliomyelitis genannt. Obwohl derartige
kapseltragende Bakterien, da die Zielgruppe für diese Impfungen Impfstoffe ausreichende Mengen an schützenden Antikörpern in-
– nämlich Kleinkinder – häufig keine ausreichende Immunität duzieren, ist eine regelmäßige Auffrischung durch Impfung unum-
gegen  Kohlenhydrate entwickelt. Konjugatimpfstoffe, bei denen gänglich.
16.2 · Entwicklung neuer Impfstoffe
119 16
16.1.3 Lebendimpfstoffe Einsatz synthetischer Peptide und Zucker kommt für Infektionen
mit antikörperdominierter Erregerbekämpfung infrage.
Lebendimpfstoffe sind Impfstoffe aus attenuierten, lebenden Erre- Entscheidender Nachteil von Peptidimpfstoffen ist die außeror-
gern. Sie sind am ehesten in der Lage, eine ausreichend starke Im- dentlich enge Spezifität der Immunantwort. Sie erleichtert es dem
munität zu induzieren. Dies gilt besonders dann, wenn der Schutz Erreger, der spezifischen Erkennung durch Mutation zu entgehen.
im Wesentlichen von T-Zellen abhängt. Zahlreiche Lebendimpf- T-Zellen verschiedener Individuen erkennen auf einem gegebenen
stoffe gegen Virusinfektionen werden mit Erfolg verwendet. So be- Proteinantigen unterschiedliche Epitope. Dies geht auf die unter-
stehen die Impfstoffe gegen Varizellen, Röteln, Masern und Mumps schiedliche Präferenz der verschiedenen HLA-Haplotypen für be-
aus attenuierten Virusstämmen. Durch den massiven Einsatz des stimmte Aminosäuresequenzen zurück (7 Kap. 11, 7 Kap. 12). Expe-
Vaccinia-Impfstoffs gelang weltweit die Ausrottung der Pocken. rimentell werden daher künstliche Polypeptide getestet, bei denen
In der Humanmedizin werden heute dagegen nur 2 bakterielle man unterschiedliche Epitope aneinanderreiht.
Lebendimpfstoffe verwendet:
4 BCG-Impfstoff (Bacille Calmette-Guérin) richtet sich gegen Rekombinante Proteine Gentechnisch lassen sich Polypeptide
die Tuberkulose. Er beruht auf einem attenuierten Mycobacte- heute im Großmaßstab produzieren. Dadurch stehen im Fall von
rium-bovis-Stamm, den ursprünglich Calmette und Guérin ge- schwer oder nicht anzüchtbaren Erregern ausreichende Antigen-
züchtet hatten. Allerdings verhindert er lediglich die Klein- mengen bereit. Weiterhin lassen sich auf diese Weise Komplikatio-
kind-Tuberkulose. Schutz gegen die am weitesten verbreitete nen durch schädliche Erregerstrukturen ausschließen, es sei denn,
Form der Erkrankung, die Lungentuberkulose, vermittelt BCG diese werden vom gleichen Gen kodiert wie das Protektivantigen.
nicht. Andererseits kann die Abtrennung des rekombinanten Moleküls von
4 Der Lebendimpfstoff gegen Typhus besteht aus einer stoff- den Bestandteilen der produzierenden Zelle ein Problem darstellen.
wechseldefekten Mutante natürlicher Typhusbakterien. Ein rekombinanter Hepatitis-B-Impfstoff wird bereits erfolgreich
eingesetzt. Hierbei handelt es sich um das Hepatitis-B-Oberflä-
chenantigen (»Hepatitis B surface antigen«, HBsAg), das aus trans-
16.2 Entwicklung neuer Impfstoffe fizierten Hefezellen gewonnen wird.

Noch immer gibt es Infektionskrankheiten, gegen die kein zufrie- Deletionsmutanten Es ist möglich, selektiv Gene eines Krankheits-
denstellender Impfstoff verfügbar ist. Folgende Probleme können erregers auszuschalten, die für die Virulenz oder Überlebensfähig-
dem erfolgreichen Einsatz eines Impfstoffs entgegenstehen: keit im Wirt verantwortlich sind. Durch Transposon-Mutagenese
4 Der attenuierte Impfstamm ist instabil und kann sich in einen wurden Verlustmutanten von Salmonella Typhi generiert, welche die
virulenten Stamm rückverwandeln. Fähigkeit verloren haben, im Wirt zu überleben, und sich nicht mehr
4 Der Impfstamm ist in vitro nicht anzüchtbar. in den Wildtyp rückverwandeln können. Die Deletionsmutanten
4 Der Impfstoff enthält gefährliche Bestandteile, die sich nicht überleben aber lange genug, um eine protektive Immunantwort zu
entfernen lassen. induzieren. Aus Sicherheitsgründen sollen Impfstoffe, die für den
4 Der natürliche Erreger kann durch Antigenvariation den Impf- Menschen gedacht sind, mindestens 2 unabhängige Gendeletionen
schutz unterlaufen. tragen.
4 Der Impfstoff vermag die für die Erregerabwehr benötigten
protektiven Immunmechanismen nicht zu induzieren. Rekombinante Stämme zur Lebendimpfung Impfstoffe dieser Art
sind erwägbar, wenn das Protektivantigen in rekombinanter Form
Unser Unvermögen, eine effektive Immunantwort durch Impfung vorliegt, für sich allein aber keinen Schutz induziert. Diese Situation
hervorzurufen, liegt dem Fehlen eines wirksamen Impfstoffs gegen ist vorwiegend in Fällen gegeben, bei denen die T-Zell-vermittelte
Hepatitis C, Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS zugrunde. In all Immunität für den Impfschutz unerlässlich ist. In diesem Fall kann
diesen Fällen ist selbst die natürliche Immunantwort (Immunant- man das Gen für das Protektivantigen auf einen geeigneten Träger
wort nach natürlicher Infektion mit dem Krankheitserreger) nicht übertragen, der als Lebendimpfstoff dient. Als Impfantigene werden
imstande, einen zufriedenstellenden Schutz gegen den Erreger her- derzeit unter anderem Antigene des Tuberkuloseerregers, von Ma-
vorzurufen. Um diese Probleme zu überwinden, sind neue Strate- lariaplasmodien und von HIV getestet; als Träger für heterologe
gien erforderlich. Folgende Möglichkeiten stehen zur Verfügung: Antigene werden bevorzugt rekombinante Salmonellen, BCG und
4 synthetische Peptide MVA (modifiziertes Vacciniavirus Ankara, ein weiter abgeschwäch-
4 rekombinante Proteine ter Abkömmling des Pockenimpfstoffs) benutzt.
4 lebende Deletionsmutanten
4 lebende rekombinante Impfstämme Rekombinante Lebendimpfstoffe mit verbesserter Immunogeni-
4 nackte DNA-Impfstoffe tät Durch genetische Manipulation können attenuierte Leben-
dimpfstoffe konstruiert werden, die einen stärkeren Schutz induzie-
Synthetische Peptide Ein Antigen mit protektiv wirksamen Epito- ren. Am weitesten fortgeschritten ist ein rekombinanter BCG-Impf-
pen kann zusätzlich toxische oder suppressive Wirkungen entfalten. stoff gegen Tuberkulose, der bereits die 1. klinische Testung erfolg-
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass sich auf dem Antigen- reich bestanden hat. Um die Sicherheit von Lebendimpfstoffen zu
molekül neben den protektiven Epitopen Determinanten befinden, erhöhen, werden stoffwechselaktive Mutanten konstruiert, die sich
die mit körpereigenen Bestandteilen kreuzreagieren. Man kann ggf. nicht vermehren können.
das protektive Epitop synthetisieren und isoliert einsetzen. Hierbei
handelt es sich einmal um Peptidepitope von Proteinantigenen, Nackte DNA-Impfstoffe Diese bestehen aus einem bakteriellen
zum anderen um Zuckerepitope von Kohlenhydraten. Da diese Ep- Plasmid, das neben dem Gen für das Impfantigen einen viralen Pro-
itope allein nicht immunogen sind, müssen sie an ein Trägermolekül motor-/Verstärkerbereich trägt. Die nackte DNA-Vakzinierung sti-
gekoppelt werden, dessen Eignung man zuvor ermitteln muss. Der muliert bevorzugt eine T-Zell-Antwort, obwohl sich nach geeigneter
120 Kapitel 16 · Impfung

Manipulation auch Antikörperreaktionen induzieren lassen. Im Tocopherol ist eine fettlösliche Substanz der Vitamin-E-Gruppe und
Tiermodell sind mit nackten DNA-Vakzinen u. a. Schutz gegen Sorbitantrioleat eine wachsartige Substanz. In Emulsion mit Wasser
Grippe, Hepatitis B und Tollwut erzielt worden. Das von der nackten tragen sie zum Depoteffekt bei. Polysorbat (Tween 80) wirkt als
DNA kodierte Protein wird von Wirtszellen synthetisiert und dann oberflächenaktive Substanz emulsionsbildend.
nach entsprechender Prozessierung von MHC-Klasse-I- und MHC- Durch die stärkere Aktivierung von Helfer-T-Zellen lässt sich
Klasse-II-Molekülen präsentiert. Trotz dieser Erfolge im Experi- das Spektrum der erkannten Antigene erweitern. So kann das Im-
mentalmodell bleiben zahlreiche Fragen zur Sicherheit und Effekti- munsystem nicht nur dominante Epitope erkennen, sondern auch
vität im Menschen dieser neuen Impfstoffgeneration zu klären. die schwächeren subdominanten Epitope.
Immunologie

Die gezielte Stimulation einer ausgewogenen Kombination un-


Prime-Boost-Impfschemen Seit bekannt ist, dass die sequenzielle terschiedlicher T-Lymphozyten-Populationen stellt u. a. die Voraus-
Impfung mit unterschiedlichen Trägern, die dasselbe Antigen expri- setzung für einen Impfstoff gegen Tuberkulose und AIDS dar. Ein
mieren, eine starke Immunantwort auslösen kann, werden unter- breiteres Antigenspektrum wird für einen Universalimpfstoff gegen
schiedliche Prime-Boost-Schemen getestet. Vielversprechend ist das unterschiedliche Grippeerreger benötigt. Solch ein Universalimpf-
Schema: Prime-Impfung mit einem Lebendimpfstoff gefolgt von stoff könnte gegen unterschiedliche Influenzaviren wirken. Auch
einer Boost-Impfung mit einem dominanten Antigen in Adjuvans. gegen HIV und Hepatitis-C-Viren, die sich im Wirt rasch verändern,
werden Impfstoffe mit breiterem Antigenspektrum benötigt.
Adjuvanzien Die Wirksamkeit von Impfstoffen (ausgenommen Le-
bendimpfstoffen) hängt entscheidend von ihrer Formulierung in
In Kürze
Wirkverstärkern (Adjuvanzien) ab. Derzeit stehen uns in erster Linie
Impfung
Adjuvanzien für die humorale Immunität zur Verfügung. Adjuvan-
Toxoidimpfstoffe Induktion von Antikörpern, die Toxin neu-
zien zur Stimulation der zellulären Immunantwort befinden sich in
tralisieren (z. B. Tetanus, Diphtherie).
klinischer Entwicklung; diese sollen
Spaltvakzine Gereinigte Erregerbestandteile (z. B. Hämag-
4 bestimmte T-Zell-Populationen stimulieren (insbesondere
glutinin von Influenza-Viren).
TH1-, TH17- und zytolytische T-Zellen),
Konjugatimpfstoffe Kohlenhydrate der Kapsel, gebunden an
4 eine Gedächtnisantwort hervorrufen (Depoteffekt),
Proteinträger (z. B. Haemophilus influenzae Typ b – Diphtherie
4 das vom Immunsystem erkannte Antigenspektrum erweitern.
oder Tetanustoxinkonjugat).
Totimpfstoffe Abgetötete Erreger (z. B. Cholera, Poliomyelitis
Erkenntnisse, wie sich das angeborene Immunsystem mithilfe von
[Salk]).
Liganden für mustererkennende Rezeptoren (PRRs, 7 Kap. 13) ge-
Lebendimpfstoffe Attenuierte Stämme (z. B. Röteln, Masern,
zielt stimulieren lässt, haben die Entwicklung von Adjuvanzien aus
Mumps, Tuberkulose [BCG]).
molekularen Bausteinen ermöglicht. Es besteht Grund zur Hoff-
Rekombinante Antigene Rekombinant hergestellte definierte
nung, dass in den nächsten Jahren neue Adjuvanzien entwickelt
Proteine (z. B. Hepatitis-B-Impfstoff ).
werden, die zu neuen Impfstoffen gegen die großen Seuchen AIDS,
Adjuvanzien (Wirkverstärker) Zugelassen: u. a. Aluminium-
Tuberkulose, Malaria und Hepatitis C führen können.
hydroxid, MF59 (Squalen, Polysorbat, Sorbitantrioleat), AS03
Zur Stimulation zytolytischer CD8-T-Zellen nutzt man Substan-
(Squalen, Tocopherol, Polysorbat) und AS04 (Aluminiumsalz,
zen, welche die Einschleusung des Antigens in den MHC-Klasse-I-
Monophosphoryl-Lipid A). In klinischer Entwicklung: TLR-Ligan-
Prozessierungsweg ermöglichen (7 Kap. 12). Hierzu gehören ober-
den zur TH1- und TH17-Zellstimulation, oberflächenaktive
flächenaktive Substanzen, z. B. kationische Peptide, Saponine und
Substanzen (kationische Peptide, Polysorbate und Saponine)
Polysorbate. TH1- und TH17-Zellen lassen sich durch Liganden für
zur CD8-T-Zellstimulation sowie Emulsionen aus Öl und Wasser
bakterielle Muster stimulieren, die von PRR erkannt werden (7 Kap.
und Liposomen für einen Depoteffekt.
13). Derzeit werden u. a. eingesetzt:
4 TLR-9 stimulierende Oligodesoxynukleotide
4 TLR-4 stimulierendes Monophosphoryl-Lipid A (ein gering
toxisches LPS-Derivat) Literatur
4 NOD-2 aktivierendes Muramyldipeptid.
Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 5.
Emulsionen aus Öl und Wasser oder Liposomen erzielen typischer-
weise einen Depoteffekt. Liposomen, in die virale Antigene integ-
riert wurden, kommen in Form von Virosomen zum Einsatz, Neben
dem weit verbreiteten Adjuvans Aluminiumhydroxid sind bereits
einige weitere Adjuvanzien zugelassen:
4 AS03 (Squalen, Tocopherol, Polysorbat [Tween 80]) in
bestimmten Grippeimpfstoffen
4 AS04 (Aluminiumsalz, Monophosphoryl-Lipid A als TLR4-Li-
gand) in bestimmten Impfstoffen gegen humane Papillomviren
4 MF59 (Squalen, Polysorbat (Tween 80), Sorbitantrioleat) in
bestimmten Grippeimpfstoffen

Squalen, die körpereigene Vorstufe von Cholesterol und Steroiden,


in den Adjuvanzien MF59 und AS03 stimuliert an der Injektionsstel-
le ein immunkompetentes Milieu, in das vermehrt antigenpräsentie-
rende Zellen einwandern, die das Impfantigen effektiv darbieten.
121 III

Diagnostik
Kapitel 17 Klinische Diagnostik und Probennahme – 123

Kapitel 18 Methoden der mikrobiologischen Diagnostik – 131


123 17

Klinische Diagnostik und Probennahme


A. Heim, S. Ziesing, R.-P. Vonberg

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Der Nachweis von Infektionserregern stellt einen wesentlichen Teil Falls bei der Erkrankung eine Virusinfektion differenzial-
der ärztlichen Tätigkeit dar. Neue Infektionserreger und Risikofaktoren diagnostisch infrage kommt, eine virologische Diagnostik aber
für Infektionen, veränderte Epidemiologien und die Ausbreitung von unterbleibt, werden Antibiotika vollkommen unnötig eingesetzt.
Antibiotikaresistenzen erfordern eine laufende Weiterbildung in der Dies ist mit hohen Kosten und vermeidbarem Selektionsdruck für
Infektiologie für ein sicheres und effizientes Management von Infektio- bakterielle Erreger verbunden.
nen. Diagnostische Verfahren werden ständig weiterentwickelt. Da-
durch wird eine spezifischere und schnellere Diagnostik ermöglicht, jFeststellung des Trägerstatus bei Gesunden
die eine Basis für eine erfolgreiche Therapie und die Begrenzung der Mitunter wird eine infektiologische Diagnostik auch ohne klinische
Weiterverbreitung von Infektionen ist. Symptomatik durchgeführt:
Die infektiologische Diagnostik ist ein komplexer Prozess. Im Rahmen 4 betriebsärztliche Fragestellungen
der Anamneseerhebung und der körperlichen Untersuchung ergibt 4 Screeninguntersuchungen bei der Aufnahme in ein Kranken-
sich ggf. der Verdacht auf eine Infektion. Oft werden dann Laborunter- haus (z. B. Suche nach Kolonisationen mit hygienerelevanten
suchungen notwendig, um den Erregernachweis zu führen. Darüber Erregern)
hinaus gibt es auch ohne Vorliegen einer akuten Infektionssymptoma- 4 Untersuchungen von Kontaktpersonen von infizierten
tik eine Reihe von Indikationen zu Labordiagnostik. Patienten
Durch die Untersuchung von Untersuchungsmaterialen des Patienten 4 Überwachung der Kolonisation besonders immunsuppri-
im Labor soll die Verdachtsdiagnose gestützt bzw. wenn möglich sogar mierter Personen
gesichert werden. Fehler bei der Entnahme, der Lagerung oder des
Transports einer Probe können das Ergebnis der Untersuchung jedoch jÜberprüfung von Immun- bzw. Impfstatus
stark verfälschen oder den Nachweis einzelner Erreger sogar unmög- Die Überprüfung des Immunstatus gegenüber bestimmten Krank-
lich machen. In diesem Kapitel werden daher für die Präanalytik wich- heitserregern, bedingt durch frühere Infektion oder Impfung, ist
tige Gesichtspunkte behandelt. oft indiziert. So ist z. B. im Rahmen einer Schwangerschaftsvorsorge
der Immunstatus der Schwangeren gegenüber dem Rötelnvirus und
Toxoplasmen wichtig. Liegt keine Immunität vor, besteht die Gefahr
17.1 Indikationen zur infektiologischen einer intrauterinen Schädigung des ungeborenen Kindes bei Erst-
Diagnostik infektion in der Schwangerschaft. Weitere Beispiele betreffen den
Impfschutz gegenüber dem Hepatitis-B-Virus für medizinisches
jErregernachweis und Therapieempfehlung bei Vorliegen Personal oder den Tetanusimpfschutz bei Patienten mit verunreinig-
einer akuten Infektion ten Wunden.
Häufig sind es Beschwerden des Patienten, die ihn zu einer ärztli-
chen Konsultation veranlassen (z. B. akut aufgetretene Diarrhö). Der jRetrospektive Klärung von Infektionen (epidemiologische
Arzt veranlasst dann auf Basis seiner differenzialdiagnostischen Fragestellungen)
Überlegungen eine infektiologische Labordiagnostik. Zuverlässige epidemiologische Daten zur Häufigkeit von Infektions-
Manchmal wird jedoch auch aufgrund einer Erkrankung primär krankheiten können nur erhoben werden, wenn sie auf einer gesi-
eine antimikrobielle Therapie begonnen. Gegen einen Therapie- cherten Infektionsdiagnostik basieren. So hängen z. B. Empfehlun-
beginn vor Abschluss der infektiologischen Diagnostik ist nichts gen zu Impfungen von der Inzidenz der entsprechenden Infektion in
einzuwenden, wenn vor Therapiebeginn die notwendigen Proben einer Population ab. Ebenso orientiert sich die Wahl der antibioti-
zum Nachweis des Erregers entnommen wurden. Unterbleibt schen Soforttherapie an epidemiologischen Erkenntnissen (z. B.
dies, ist es aus mehreren Gründen von Nachteil: Wegen Unkenntnis Häufigkeit einzelner Erreger bei einem Krankheitsbild wie z. B. Me-
des tatsächlichen Erregers wird häufig zuerst ein Therapieregime ningitis).
gewählt, das ein möglichst großes Keimspektrum erfasst. Unter-
bleibt jedoch die adäquate Infektionsdiagnostik, ist im weiteren
Verlauf ein Wechsel auf eine gezielte Therapie nicht möglich, da 17.2 Diagnostischer Weg
weder der Erreger noch dessen Empfindlichkeit gegenüber Antibio-
tika bekannt werden. Die dann meist über längere Zeit angewen- Der Ablauf der infektiologischen Diagnostik gliedert sich in 3 Phasen:
deten Antibiotika mit breitem Wirkungsspektrum begünstigen das 4 Klinik (Präanalytik)
Wachstum resistenter Erreger (Selektionsdruck), verursachen ver- 4 mikrobiologische Laboruntersuchungen (Analytik)
meidbare Kosten und sind häufig sogar schlechter wirksam als 4 Befundbeurteilung (Postanalytik)
ein auf die Behandlung des spezifischen Erregers abgestimmtes
Präparat.
124 Kapitel 17 · Klinische Diagnostik und Probennahme

jKlinik (Präanalytik) schlimmsten Fall das Leben des Patienten gefährden. Ungezielt an-
Die klinische Diagnostik ist der Labordiagnostik stets vorangestellt geforderte Laboruntersuchungen ohne begründeten klinischen Ver-
und umfasst zumindest Anamneseerhebung und körperliche Unter- dacht verursachen unnötig hohe Kosten und sind häufig nicht aus-
suchung, oft auch die Bestimmung rasch verfügbarer klinisch-che- sagekräftig.
mischer und hämatologischer Parameter und ggf. auch schnelle
bildgebende Verfahren. jMikrobiologische Laboruntersuchungen (Analytik)
Eine gründliche und systematische Anamnese ist die Grundlage Die Bearbeitung von Untersuchungsmaterialien im Labor schließt
jeder Diagnostik. Nicht nur der Beginn und der Verlauf der Be- sich an, beinhaltet jedoch nur diejenigen Untersuchungen, die vom
schwerden sind detailliert zu erfragen. Ziel der Anamnese ist es, alle behandelnden Arzt beauftragt wurden bzw. bei einem diagnosti-
infektiologisch relevanten Parameter zu ermitteln. Diese beinhalten schen Rahmenauftrag im Ermessen des Labors und unter Verwen-
primär den Kontakt zu potenziellen Erregerquellen (z. B. Beruf, dung der eingesandten Materialien durchführbar sind. Deswegen ist
Tierkontakt, Reisen, Sexualverhalten oder Drogengebrauch). Zu klä- die richtige Weichenstellung in der Präanalytik (s. o.) von unschätz-
ren ist auch, ob es noch weitere ähnliche Fälle im Patientenumfeld barer Bedeutung. Dem Labor kommt neben der sachgerechten
gibt (z. B. Familie, Freundeskreis, Kindergarten, Schule oder Ar- Durchführung der Diagnostik, der Verpflichtung zur schnellen Be-
beitsplatz). Außerdem sollte nach individuellen Faktoren gesucht arbeitung und der raschen Befundübermittlung auch die Kommen-
werden, die den Immunstatus des Patienten beeinflussen (z. B. Impf- tierung der Ergebnisse zu.
status, HIV-Status, aktuelle Begleiterkrankungen und Behandlung
mit Immunsuppressiva). Weitere Fragen betreffen eine mögliche jBefundbeurteilung (Postanalytik)
Diagnostik

oder gesicherte Schwangerschaft sowie bekannte Allergien des Pa- Die Bewertung der Ergebnisse erfolgt wiederum in der Klinik. Der
tienten. Laborbefund muss in Beziehung zum Beschwerdebild des Patienten
Die Anamnese soll mit der körperlichen Untersuchung (z. B. gesetzt werden. Es ist zu entscheiden, welche Verdachtsdiagnosen
die Angabe von »Fieber« durch die Messung der tatsächlichen Kör- bestätigt wurden oder zu verwerfen sind, ob das empirisch gewählte
pertemperatur) objektiviert werden. Viele Infektionen gehen mit Infektionsmanagement adäquat ist oder ob Therapien zu modifizie-
spezifischen pathologischen Befunden einher. So kann z. B. ein neu ren, zu beenden oder neu anzusetzen sind. Bei Unsicherheiten sollte
aufgetretenes Herzgeräusch ein Hinweis auf eine Endokarditis sein, das Gespräch mit dem Arzt im Labor gesucht werden.
eine Splenomegalie findet sich bei verschiedenen parasitären Er-
krankungen oder einer EBV-Infektion, typische Meningitiszeichen
zeigen sich bei einer Hirnhautentzündung und Pneumonien führen 17.3 Prinzipien der mikrobiologischen
häufig auskultatorisch zu Rasselgeräuschen. Ebenso wie die Anam- Untersuchung
nese muss auch die körperliche Untersuchung systematisch durch-
geführt werden, um kein Organsystem versehentlich auszulassen Viele Fragestellungen der mikrobiologischen Diagnostik lassen sich
und damit einen Infektionsfokus zu übersehen. leicht durch eine adäquate Materialentnahme (z. B. Blutkultur bei
Aus Anamnese und körperlichem Untersuchungsbefund er- Sepsis, Abstrich bei Wundinfektion) und einen nur grob umrissenen
gibt  sich meist schon eine Verdachtsdiagnose und einige wenige Untersuchungsauftrag (z. B. »Erreger und Resistenzen«) adäquat im
Differenzialdiagnosen. Oft sind aber auch schnell verfügbare Labor bearbeiten. Darüber hinaus ist jedoch zu beachten, dass zum
klinisch-chemische und hämatologische Laborbefunde und appa- Nachweis vieler Infektionen spezifische Untersuchungsanforderun-
rative Untersuchungen für das Stellen einer Verdachtsdiagnose gen und ggf. besondere Materialarten notwendig sind.
bzw. den Ausschluss einer Vielzahl von Differenzialdiagnosen essen- Bei einem Patienten mit septischer Symptomatik und anamnes-
ziell. tischen Tropenaufenthalt ist die Untersuchung von Blutkulturen mit
Häufig ergibt der klinisch-chemische Nachweis unspezifischer der Anforderung »Erreger und Resistenz« sinnvoll (= grob umrisse-
Entzündungsparameter (z. B. Leukozytenzahl, C-reaktives Protein ner Untersuchungsauftrag), der Nachweis von Plasmodien als Erre-
[CRP) und Procalcitonin [PCT]) Aufschluss darüber, ob eine infek- ger der differenzialdiagnostisch wichtigen Malaria muss aber im
tiologische Ursache der Erkrankung wahrscheinlich ist. Außerdem Blutausstrich und im Dicken Tropfen mit der spezifischen Anforde-
können sich daraus sowie aus der Leukozytenzahl und dem Diffe- rung »Malaria« erfolgen.
renzialblutbild Hinweise auf die Differenzierung von bakteriellen Zielgerichtet auf den Nachweis eines einzigen Krankheits-
und viralen Infektionen ergeben. Für einige Organsysteme gibt es erregers sind serologische Methoden zum Antikörpernachweis,
spezifischere Parameter (z. B. Leberenzyme, Verhältnis der Transa- immunologischen Methoden zum Nachweis von Antigenen und
minasen AST zu ALT bei Hepatitis), welche die Verdachtsdiagnose molekularbiologische Methoden (z. B. PCR). Da diese Methoden
stützen können und auch später als Verlaufsparameter geeignet besonders große Bedeutung in der Virologie haben, müssen virolo-
sind. gische Untersuchungen fast immer zielgerichtet auf den Nachweis
Bildgebende Verfahren dienen ebenfalls der Sicherung der Ver- eines einzelnen Virus oder einiger weniger Viren erfolgen.
dachtsdiagnose, z. B. die Röntgenuntersuchung des Thorax zur Si- Dies setzt einen klaren Untersuchungsauftrag an das Labor vor-
cherung einer Pneumonie. Die Unterscheidung zwischen typischer aus, der die zu untersuchenden Krankheitserreger und die ge-
und atypischer Pneumonie richtet dabei den Verdacht auf bestimm- wünschten Nachweisverfahren konkret benennt oder alternativ die
te Erreger. Die Sonografie hilft bei der Differenzialdiagnose abdomi- Verdachtsdiagnose, Differenzialdiagnosen und wichtigen Befunde
neller Erkrankungen und kann z. B. bakterielle Abszesse oder Leber- aufführt, damit der Mikrobiologe/Virologe die passenden Untersu-
zysten bei Infektionen durch Würmer nachweisen. chungsmethoden auswählen kann.
Nur durch das Stellen einer klinischen Verdachtsdiagnose wer- Der mikrobiologische Untersuchungsauftrag ist also ein wichti-
den ein zielführender mikrobiologischer Laborauftrag und die ges Mittel der Kommunikation zwischen Arzt am Krankenbett und
richtige Auswahl von dafür zu entnehmenden Materialien ermög- seinem Kollegen im Labor. Außerdem ist oft auch die telefonische
licht. Ein sachgerechtes und angemessenes Vorgehen ist für das ge- Rücksprache für eine möglichst zielgerichtete mikrobiologische
samte Infektionsmanagement unabdingbar. Fehler können im Untersuchung erforderlich.
17.5 · Prinzipien der Materialgewinnung
125 17
jMikrobiologischer Untersuchungsauftrag 17.5 Prinzipien der Materialgewinnung
Die Sicherung der Verdachtsdiagnose kann nur durch eine mikro-
biologische Untersuchung erfolgen. Ein mikrobiologischer Untersu- Vor Probennahme muss die Zielsetzung der Untersuchung klar de-
chungsauftrag besteht zum einen aus der zu untersuchenden Probe finiert sein. Kenntnisse der Besonderheiten vermuteter Erreger und
in einem geeigneten und beschrifteten Transportgefäß, zum anderen der geeigneten Nachweisverfahren sind für die mikrobiologische
muss jeder Probe ein Begleitschein mit folgenden Angaben beigefügt und virologische Untersuchung unerlässlich. Im Zweifelsfall sollte
sein: lieber einmal zu viel als einmal zu wenig Rücksprache mit dem Arzt
4 Daten zur Identifizierung des Patienten (mindestens Name im Labor gehalten werden.
und Geburtsdatum)
4 Daten zur Identifizierung des Einsenders (Name des Arztes,
Station, Telefonnummer) 17.5.1 Rahmenbedingungen der Probennahme
4 Art des Probenmaterials (z. B. Liquor, Urin oder Wundab- zum Erregernachweis
strich)
4 Zeitpunkt der Probennahme (Datum und Uhrzeit) Die Rahmenbedingungen (ausführende Person, Terminierung und
4 Untersuchungsanforderung an das Labor (z. B. kulturelle oder Lokalisation der Probennahme) beeinflussen die Qualität der Probe
serologische Untersuchung) und damit die Wahrscheinlichkeit eines Erregernachweises.
4 ggf. Angaben zur Anamnese (z. B. Auslandsaufenthalt,
Schwangerschaft, HIV-Status) jProbennehmer
4 ggf. Angaben zur Klinik (z. B. akut aufgetretene Zeichen einer In den meisten Fällen wird die zu untersuchende Probe durch medi-
Meningitis) zinisch geschultes Personal entnommen. Erfolgt die Probenentnah-
4 ggf. Angaben zur antimikrobiellen Therapie (Substanz, Dosis, me durch den Patienten selbst (z. B. morgendliche Urinprobe), muss
Therapiedauer) er zur Vermeidung von Kontaminationen über die korrekte Vorge-
4 ggf. sonstige Angaben (z. B. Transfusion von Blutprodukten) hensweise informiert sein und dafür über ein geeignetes, steriles
Transportgefäß verfügen.
Je genauer die Angaben des Einsenders, umso gezielter kann die
mikrobiologische Diagnostik erfolgen. Bei der Auswahl der Unter- jZeitpunkt
suchungen ist im Einzelfall darauf zu achten, dass Untersuchungen Die erste Probe sollte so frühzeitig wie möglich gewonnen werden.
nach bestimmten Erregern ggf. gesondert anzufordern sind, da Erfordert das klinische Bild des Patienten eine umgehende Antibio-
sie nicht zum Routineprogramm der Diagnostik gehören. Vor selte- tikatherapie, muss die Probenentnahme dennoch vor deren Beginn
ner angeforderten Untersuchungen ist oft eine Kontaktaufnahme erfolgen. Bereits die einmalige Gabe mancher Substanzen kann die
des Einsenders mit dem Labor bereits vor Entnahme bzw. Versand spätere Anzucht des Erregers im mikrobiologischen Labor vereiteln.
der Probe sinnvoll, um die erforderlichen Transportmedien abzu- Es spricht dann allerdings nichts dagegen, unmittelbar nach Proben-
stimmen. nahme mit einer kalkulierten Therapie zu beginnen.
Probennahme nach Therapiebeginn ist besser als gar keine Pro-
bennahme. Sollte sich eine akute Verschlechterung des klinischen
17.4 Primäres Infektionsmanagement Zustandes ergeben (z. B. Fieberschub), kann auch nach Beginn einer
Therapie eine erneute Probennahme sinnvoll sein. Negative Befunde
Jedes Labor wird sich um eine schnelle Bearbeitung von Untersu- sind dann jedoch nur bedingt verwertbar.
chungsaufträgen bemühen. Viele mikrobiologische Untersuchungen Bei manchen Untersuchungen ist außerdem auf den geeigneten
erfordern jedoch auch bei optimaler Durchführung oft mehrere Tageszeitpunkt der Probennahme zu achten. Einige Filarien sind
Tage, manchmal sogar Wochen (Anzucht von Mykobakterien). Bis beispielsweise vorwiegend am Tag (z. B. Loa loa) bzw. nur während
dahin ist aber oft bereits ein primäres Infektionsmanagement erfor- der Nacht (z. B. Wuchereria bancrofti) im peripheren Blut nach-
derlich, denn eine verzögerte Therapie kann bei schweren Infektio- weisbar.
nen fatale Folgen für den Patienten haben.
Eine solche kalkulierte (empirische) Therapie berücksichtigt jAbstände zwischen Probennahmen
die epidemiologisch am wahrscheinlichsten vorliegenden Infek- Nachweisbare Veränderungen im Infektionsgeschehen (z. B. Anstieg
tionserreger sowie ggf. die Überprüfung und Erneuerung des Impf- eines Antikörpertiters) benötigen Zeit. Dies ist bei der Auswahl des
schutzes (z. B. Postexpositionsprophylaxe durch passive Impfung Zeitintervalls zwischen Verlaufskontrollen zu berücksichtigen. Ins-
oder Simultanimpfung). Für den Erregernachweis im mikrobiologi- besondere bei serologischen Untersuchungen kann es erforderlich
schen Labor sollte die Entnahme der Probe vor der ersten Antibioti- sein, z. B. nach einer Woche eine weitere Probe zu entnehmen, um
kagabe erfolgen. Sobald das Erregerspektrum eingegrenzt werden einen Titeranstieg oder eine Serokonversion nachzuweisen. Ähn-
kann, sollte die initial häufig breit wirksame Therapie den neuen liches gilt für die Veränderungen von Viruslasten unter antiviraler
Erkenntnissen angepasst werden. Therapie.
Zusätzlich können je nach Verdachtsdiagnose auch hygienische
Maßnahmen (z. B. Unterbringung im Einzelzimmer und Verwen- jProbennahme im Infektionsgebiet
dung besonderer Schutzkleidung) erforderlich werden, um andere Meistens wird zum Erregernachweis eine Probe vom vermuteten
Patienten und Mitarbeiter im Krankenhaus vor Transmissionen zu Infektionsort gewonnen. Dabei sind Kontaminationen mit irrele-
schützen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nach dem Infektions- vanten Erregern zu vermeiden.
schutzgesetz für einige Erreger bereits der Infektionsverdacht mel- Wundabstriche sollten daher vorzugsweise nicht am Wundrand
depflichtig ist. entnommen werden, da dort der Nachweis von Hautflora die Beur-
teilung des Befundes erschwert. Blutkulturen durch zentrale Gefäß-
katheter erlauben keine sichere Beurteilung der Erregerlast im peri-
126 Kapitel 17 · Klinische Diagnostik und Probennahme

pheren Blut, da auf diese Weise u. U. Keime nachgewiesen werden, 17.5.2 Arten von Untersuchungsmaterial
die den Katheter besiedeln. Die Gewinnung von Proben aus den
tiefen Atemwegen (z. B. bei bronchoalveolärer Lavage) birgt das Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden hier die häufigsten Un-
Risiko von Verunreinigung durch Flora der oberen Atemwege. tersuchungsmaterialien vorgestellt, die in der mikrobiologischen
Diagnostik untersucht werden.
jProbennahme außerhalb des Infektionsgebiets
Der Nachweis bestimmter Infektionserreger in einem Komparti- jAbstriche
ment der Körpers macht deren Vorkommen als Infektionserreger in Abstriche werden entweder bei Infektionsverdacht (z. B. Tonsillen-
anderen Kompartimenten ebenfalls wahrscheinlich: oder Wundabstrich) oder zur Suche nach der asymptomatischen
4 Beim Nachweis von Salmonellen in einer Blutkultur sollten Kolonisation mit einem bestimmten Erreger (Screeningabstrich)
z. B. stets auch Stuhlproben untersucht werden. entnommen. Der Abstrichort muss dem Labor mitgeteilt werden,
4 Bei Verdacht auf eine Meningitis sollten sowohl Liquor als ebenso der lokale Befund (z. B. Bläschen), da sich daraus ggf. Ände-
auch Blutkulturen entnommen werden. rungen für die Verarbeitung der Probe im Labor ergeben können.
4 Bei aseptischer Meningitis sollte zusätzlich zum Liquor eine Dies betrifft z. B. die Auswahl erregerspezifischer Antikörper beim
Stuhlprobe zum Nachweis von Enteroviren, direkten Immunfluoreszenztest, die Auswahl der Nährmedien und
4 bei Verdacht auf BK-Polyoma-Virus-(BKV-)Nephropathie ggf. auch die Modalitäten der Bebrütung.
nicht nur Urin, sondern auch Blut entnommen werden. Für die Mikroskopie eines Direktpräparats und den Virusdirekt-
4 Der Nachweis einer Organtuberkulose sollte zur Suche von nachweis sind die typischen mikrobiologischen Abstrichtupfer mit
Diagnostik

Mycobacterium tuberculosis in Materialien des Respirations- Geltransportmedium nicht geeignet. Es sollten stattdessen sterile
trakts führen. Abstrichtupfer mit Transportröhrchen ohne Gel verwendet werden,
entweder spezielle Virus-Abstrichsysteme oder konventionelle Ab-
Auch Untersuchungen zum Screening auf multiresistente Erreger strichtupfer in einem sterilen Schraubröhrchen mit einem Tropfen
(z. B. MRSA) erfolgen unabhängig von einer Infektsymptomatik. steriler 0,9%iger Kochsalzlösung.
Antigene Strukturen von Legionellen oder Pneumokokken werden
renal ausgeschieden, sodass zusätzlich zur Diagnostik im Respira- jPunktate und Aspirate
tionstrakt in diesen Fällen auch eine Urinprobe auf erregerspezifi- Durch Punktion bzw. Aspiration werden Liquor, Aszites, Gelenk-
sche Antigene untersucht werden sollte. flüssigkeit, Pleurapunktate, Abszessmaterial, Knochenmark und
Bei vielen Virusinfektionen, insbesondere bei Immunsuppri- Materialien aus dem Auge (Vorderkammer oder Glaskörper) ge-
mierten, ist die zusätzliche Entnahme von EDTA-Blut sinnvoll, um wonnen. Alle diese Materialien sind bei sachgerechter Entnahme
virale Nukleinsäuren oder Antigene nachzuweisen. Die Entnahme von hoher Qualität, schwierig wiedergewinnbar und stehen oft im
von Heparinblut oder aus heparinisierten Kathetern (z. B. ZVK) ist Zusammenhang mit bedrohlichen Infektionen. Sie eignen sich gut
wegen einer Inhibition in der PCR abzulehnen. zur Anfertigung eines Direktpräparats. Diese Materialien sind auch
gut geeignet für den direkten Virusantigennachweis und PCR-Un-
jProbenmenge tersuchungen.
Volumen Das Volumen der Probe muss dem Umfang der Untersu- Insbesondere wenn ein direkter mikroskopischer Nachweis des
chungsanforderungen genügen. Ist das Volumen zu gering und ist Erregers nicht gelingt, ist das Zellbild ein wichtiges Kriterium zur
erneute Probennahme nicht ohne Weiteres möglich (z. B. Liquor), Beurteilung der Probe. Der Nachweis von Granulozyten spricht für
müssen in Absprache mit dem einsendenden Arzt bei den ge- eine bakterielle Infektion, wohingegen deren Abwesenheit eine bak-
wünschten Untersuchungen Prioritäten gesetzt werden. terielle Infektion eher unwahrscheinlich erscheinen lässt.

Anzahl Ist die Sensitivität einer Methode niedrig, so kann eine jLiquor
mehrfache Untersuchung sinnvoll sein. Bei dem Verdacht auf eine Für den Antigennachweis der häufigsten Meningitiserreger (z. B.
Sepsis wird die Entnahme dreier Paare aerober und anaerober Blut- Meningokokken und Pneumokokken) stehen – zusätzlich zu Mik-
kulturflaschen empfohlen. Darüber hinausgehende Entnahmen ver- roskopie und Kultur – für die Akutdiagnostik spezifische Agglutina-
bessern die Sensitivität nicht mehr nachhaltig und erhöhen nur noch tionstests zur Verfügung. Virale Meningitis- und Enzephaltitiserre-
den Blutverlust für den Patienten und die Kosten. Auch die Sensiti- ger werden meist am schnellsten durch PCR nachgewiesen. Auch
vität des Nachweises von Plasmodien aus EDTA-Blut bei Verdacht der Nachweis intrathekal gebildeter Antikörper (z. B. bei Neurolues
auf Malaria oder von Mykobakterien aus Sputum bei Verdacht auf oder Neuroborreliose) ist möglich.
offene Lungentuberkulose kann durch mehrfache Entnahmen ge-
steigert werden. jSekrete des Respirationstrakts
Zusätzlich zur gesteigerten Sensitivität gestattet die mehrfache Bei Infektionen des Respirationstrakts wird der Nachweis des Erre-
Einsendung (z. B. von Blutkulturen) bis zu einem gewissen Grad gers meist aus Sekretmaterial der tiefen Atemwege versucht. Sputum
auch eine Unterscheidung zwischen Kontamination bei der Proben- ist vom Patienten aktiv abgehustetes Sekret aus dem Bronchialsys-
nahme einerseits und tatsächlich relevantem Infektionserreger an- tem, Trachealsekret über den Tubus eines beatmeten Patienten
dererseits. Wird in voneinander unabhängig gewonnenen Proben durch Aspiration gewonnenes Material. Im Rahmen einer Broncho-
mehrfach der gleiche Erreger nachgewiesen, so spricht dies eher für skopie kann natives Bronchialsekret gewonnen oder eine Bronchial-
das Vorliegen einer Infektion, wohingegen der einmalige Nachweis spülung bzw. bronchoalveoläre Lavage (BAL) durchgeführt werden.
oft durch eine Verunreinigung begründet ist. Bei allen Materialien besteht ein hohes Kontaminationsrisiko durch
Keime und Zellmaterial des oberen Respirationstrakts. In der Mik-
roskopie kann jedoch die Qualität anhand der zellulären Zusam-
mensetzung der Probe beurteilt werden (z. B. Nachweis von Flim-
merepithelzellen in Spülflüssigkeiten der tiefen Atemwege als Hin-
17.5 · Prinzipien der Materialgewinnung
127 17
weis auf eine Verunreinigung mit Sekreten aus dem oberen Respira- Ist der kulturelle Nachweis eines Erregers nicht erfolgreich, sollte
tionstrakt). Eine genaue Beschreibung des Entnahmemodus ist stets auch an die Möglichkeit einer Intoxikation (z. B. Entero-
erforderlich (Sputum, Trachealsekret, Bronchialsekret, broncho- toxin  von Staphylococcus aureus in Nahrungsmitteln) gedacht
alveoläre Lavage). werden.
Virologische Proben sollten möglichst frühzeitig nach Symp-
jDrainage- und Spülflüssigkeiten tombeginn entnommen und gekühlt ohne Zusätze transportiert
Entnahme aus Drainagen und Spülkathetern können Aufschluss werden.
über in der Tiefe vorliegende Erreger geben, z. B. bei der Peritoneal-
dialyse, Spüldrainagen der Pleurahöhle oder aus Wunddrainagen. Ohne gastrointestinale Symptomatik Indikationen zur Untersu-
Besonders aus länger liegenden Drainagen sind kulturelle Nachwei- chung von Stuhlproben ohne entsprechende Klinik beinhalten eine
se jedoch oft schwierig zu interpretieren, da Drainagen als Fremd- Suche nach asymptomatischen Dauerausscheidern (z. B. von Salmo-
körper leicht durch Keime besiedelt werden können, ohne dass da- nella enterica) und die Überprüfung des Kolonisationsstatus hoch-
mit eine Infektion einhergeht. gradig immunsupprimierter Patienten.
Stuhlproben sollten auch bei Verdacht auf Poliomyelitis und auf
jUrin aseptische Meningitis unter Angabe der Verdachtsdiagnose ins viro-
Die Einsendung von Urin erfolgt meist zur Diagnostik von Harn- logische Labor geschickt werden.
wegsinfektionen. Dabei ist die Art der Probengewinnung auf
dem Einsendeschein unbedingt zu vermerken. In Urinproben aus jBiopsien und Gewebe
Dauerkathetern oder in Mittelstrahlurin sind Bakterien in geringer Für die Versendung größerer Gewebeproben stehen Transportgefä-
Keimzahl physiologischerweise nachweisbar. Durch Punktion der ße mit und ohne Nährmedium zur Verfügung. In den meisten Fällen
Harnblase gewonnene Proben sollten hingegen frei von Erregern sind Gewebeproben vor der kulturellen Anlage zu homogenisieren.
sein. Andererseits kann die Zerkleinerung der Probe (z. B. durch einen
Eine gekühlte Probenlagerung ist grundsätzlich empfehlens- Mörser) bestimmte Schimmelpilze mit unseptierten Myzelien (Mu-
wert, da sie das Erregerwachstum vermindert. (Urinproben werden cor) schädigen und damit deren Nachweis verhindern.
in der Regel auch quantitativ bewertet.) Für die virologische Abklä- Biopsien für virologische Untersuchungen sollten gekühlt in ei-
rung einer (meist hämorrhagischen) Zystitis und für den Nachweis nem sterilen Transportgefäß in einem kleinen Volumen steriler
einer angeborenen CMV-Infektion ist gekühlter und unverdünnter 0,9%iger Kochsalzlösung eingesandt werden. Für den Nachweis von
Urin ebenfalls geeignet. RNA-Viren empfehlen sich die vorherige Rücksprache mit dem
Insbesondere bei Mittelstrahlurin ist auf eine korrekte Ent- Labor und der Transport in Spezialmedien anstelle von Kochsalz-
nahmetechnik zu achten. Die Kontamination der Probe mit Erst- lösung.
strahlurin oder gar mit Stuhl ist unbedingt zu vermeiden. Kommt Proben, die in Formalin eingelegt wurden, sind für die mikro-
es zu einer solchen Verunreinigung, werden meist viele verschie- biologische und virologische Diagnostik nicht mehr verwend-
dene  Bakterien in jeweils hoher Keimzahl angezüchtet. Für die bar, ausnahmsweise kann der Nachweis von DNA mittels PCR ge-
Diagnostik einer Harnwegsinfektion ist eine solche Probe unge- lingen.
eignet.
jBlutkulturen
jStuhl Beim Verdacht auf Sepsis, Infektionen des Herzkreislaufsystems
Sowohl zur bakteriologischen als auch zur virologischen Abklärung (Endokarditis, Gefäßkatheterinfektion) sowie schweren Organin-
einer Gastroenteritis genügt eine etwa erbsengroße Stuhlmenge. fektionen (Meningitis, evtl. auch bei Pneumonie, Pyelonephritis etc.)
sollten stets Blutkulturen (aerob und anaerob) entnommen werden.
Bei gastrointestinaler Symptomatik Stuhlproben werden zumeist Für spezifische Fragestellungen (z. B. Nachweis von Mykobakterien
bei Diarrhöen eingesandt. Das Spektrum der infrage kommenden oder Pilzen) stehen besondere Blutkulturmedien zur Verfügung.
Erreger (Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten) ist dabei sehr groß. Folgende Grundsätze sollten berücksichtigt werden:
Bei Durchfallerkrankungen sind ggf. Meldepflichten nach dem In- 4 Erst die Probennahme – dann Beginn der initialen Therapie.
fektionsschutzgesetz zu beachten. Zielführend in der Diagnostik 4 Probennahme zwischen Fieberschüben ist immer noch besser
sind detaillierte Angaben zu Anamnese, Epidemiologie, Begleit- als gar keine Diagnostik – es muss kein Fieberschub abgewartet
symptomen und zur Probe selbst: werden.
4 Stuhlbeschaffenheit (wässrig, breiig, blutig, eitrig) 4 Die Entnahme mehrerer Blutkulturen verbessert die Sensi-
4 Begrenzung der Symptomatik auf den Gastrointestinaltrakt tivität des Erregernachweises – mehr als 3 Flaschenpaare sind
oder systemische Infektzeichen (z. B. Fieber, Leukozytose oder jedoch meist nicht mehr sinnvoll.
Zeichen einer Sepsis) 4 Blutkulturen sind stets durch Punktion einer peripheren
4 Zeitpunkt und Art von Nahrungsmittelkonsum Vene und nicht über einen zentralen Gefäßkatheter zu ent-
4 neu aufgetretene Symptome (Übelkeit, Erbrechen, abdominelle nehmen. Proben aus zentralen Gefäßkathetern sind ggf. in
Krämpfe) Kombination mit peripher gewonnenen Proben zur Ab-
4 Auslandsaufenthalte schätzung der Kontamination des Katheters sinnvoll (z. B.
4 weitere Personen im näheren Patientenumfeld mit ähnlichen Bestimmung der »time to positivity«, wenn sich der sofortige
Symptomen Austausch des Katheters außergewöhnlich problematisch
4 Tätigkeit des betroffenen Patienten in Gastronomie darstellt).
oder Lebensmittelherstellung 4 Die Lagerungsbedingungen von Blutkulturen bis zum Beginn
4 Risikofaktoren für das Auftreten einer Diarrhö der Diagnostik variieren je nach verwendetem System und
(z. B. Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö unter sollten deshalb mit dem zuständigen mikrobiologischen Labor
Antibiotikatherapie) abgesprochen werden.
128 Kapitel 17 · Klinische Diagnostik und Probennahme

jEDTA-Blut geführt, die keine Verzögerung dulden, da mit einem schweren,


Durch die Zugabe von EDTA ungerinnbar gewordenes Blut wird zur möglicherweise lebensbedrohlichen, klinischen Verlauf zu rechnen
mikrobiologischen Diagnostik von Blutparasiten verwendet. Die ist:
häufigste Fragestellung ist die Malariadiagnostik. Andere Untersu- 4 Liquor bei Verdacht auf akute Meningitis
chungsanforderungen betreffen z. B. die Suche nach Leishmanien, 4 Punktate bei Verdacht auf eine akute Gelenkinfektion oder
Trypanosomen oder Mikrofilarien. Endophthalmitis
EDTA-Blut ist auch gut geeignet für Viruslast- und Antigenä- 4 bronchoalveoläre Lavage bei Verdacht auf schwere Pneumonie
mieuntersuchungen (z. B. HI-Viruslast, CMV-pp65-Antigenämie). 4 EDTA-Blut bei Verdacht auf Malaria
Je nach angefordertem Erreger wird es im Labor z. T. zu Plasma wei- 4 Serumproben zur Immunstatusüberprüfung (falls dieser nicht
terverarbeitet oder direkt untersucht. Auf kurze Transportzeiten und schon bekannt ist) z. B. bei Röteln- oder Varizellenexposition
Kühlung (aber nicht Einfrieren) ist zu achten. Spuren von Heparin von Schwangeren
in der Probe sind zu vermeiden. 4 Serumproben von der Kreißenden zur HIV- oder HBsAg-
Diagnostik oder von Personen nach Nadelstichverletzung
jSerum
Serologische Untersuchungen erfolgen zumeist zum Antikörper- Diesen Proben ist gemein, dass bereits kurz nach Eingang der Probe
nachweis und sind zur Diagnostik akuter Infektionskrankheiten mit im Labor die Diagnose durch einen serologischen Schnelltest gestellt
kurzer Inkubationszeit unbrauchbar, da die Antikörperproduktion oder das Erregerspektrum durch eine mikroskopische Diagnostik
erst mit einer Latenz von Tagen bis Wochen erfolgt. Sie dienen daher eingegrenzt werden kann. Die Sensitivität der Mikroskopie ist je-
Diagnostik

bei vielen Infektionen nur zur Sicherung der Diagnose. doch begrenzt. Daher sollten stets zusätzlich weitere Untersuchungs-
Besonders hohe Bedeutung hat die Serologie jedoch in der Dia- verfahren mit höherer Sensitivität erfolgen (z. B. kulturelle Anlage
gnostik von nicht oder sehr schwer anzüchtbaren Erregern (z. B. von von Punktaten und Spülflüssigkeiten bzw. Untersuchung im Dicken
Treponema pallidum oder Borrelia burgdorferi). Der Krankheits- Tropfen bei Malariaverdacht).
verlauf durch diese Erreger erstreckt sich über einen langen Zeit- Weitere Proben, bei denen ebenfalls eine unmittelbare Bearbei-
raum, sodass der Antikörpernachweis hier in der Regel gelingt und tung angezeigt sein kann, um die Gesamtdauer der Diagnostik zu
zudem therapeutische Implikationen nach sich zieht. Die serologi- verkürzen, sind Blutkulturen bei Sepsisverdacht und die Anlage ver-
sche Diagnostik hat auch große Bedeutung bei der Diagnose chroni- schiedener intraoperativer Abstriche. Bei diesen Materialien ist je-
scher (»persistenter«) Virusinfektionen (wie z. B. HIV) und bei aku- doch keine sofortige diagnostische Aussage möglich.
ten Viruserkrankungen mit mehrwöchiger Inkubationszeit (z. B.
Masern).
Ein weiteres Einsatzgebiet der Serologie ist die Bestimmung 17.6 Materialversand
eines spezifischen Immunstatus, z. B. gegenüber Toxoplasmen bei
Frauen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge oder gegenüber Der Probentransport sollte schnell erfolgen und gleichzeitig die
dem Hepatitis-B-Virus nach Impfung bei medizinischem Personal. Nachweismöglichkeit des Erregers (z. B. durch kulturelle Anzucht)
Ist der Transport der Probe innerhalb von 24 h in das Labor auf dem Weg vom Einsender ins Labor erhalten.
möglich, wird dort das Serum durch Zentrifugation gewonnen. Soll-
te dies nicht möglich sein, kann der Einsender frühestens nach 1 h jTransportgefäß
durch Zentrifugation selbst das Serum gewinnen und ggf. für den Jedes Transportgefäß muss mit den Daten des Patienten (Name und
längeren Transport kühlen. Geburtsdatum) eindeutig beschriftet sein. Unbeschriftete Probenge-
fäße, bei denen sich die Zuordnung zu einem bestimmten Patienten
jKatheter- und Drainagespitzen nicht mehr rekonstruieren lässt, werden in aller Regel verworfen.
Die routinemäßige mikrobiologische Untersuchung von Katheter- Werden von einem Patienten mehrere gleichartige Proben zur Un-
oder Drainagespitzen ist nicht sinnvoll, da beim Entfernen des Ka- tersuchung eingeschickt (z. B. Wundabstriche aus verschiedenen
theters ein großes Kontaminationsrisiko besteht. Besteht aber der Bereichen des Operationsgebiets) oder Materialen, die aus anderen
Verdacht auf eine Infektion dieses Fremdkörpers, ist die Untersu- Gründen leicht miteinander verwechselt werden können (z. B.
chung der (mit steriler Schere auf wenige Zentimeter gekürzten) Punktate), sind Materialart und Entnahmeort ebenfalls auf den
Spitze zur Sicherung der Ätiologie der Infektion indiziert. Transportgefäßen zu vermerken.
Ein weit verbreitetes Verfahren zur Untersuchung von Gefäßka- Das Transportgefäß dient sowohl dem Personal- als auch dem
theterspitzen im mikrobiologischen Labor ist das Ausrollen dieser Probenschutz. Für den Versand mikrobiologischer Proben sind da-
Spitze auf einem festen Nährboden, um die daran haftenden Erreger her bruchsichere Transportgefäße in Umverpackung zu verwenden
abzustreifen und über eine Koloniezählung zu quantifizieren. Dabei und die einschlägigen aktuellen gesetzlichen Bestimmungen zu be-
sollte jedoch bedacht werden, dass auf diese Weise bestenfalls eine achten. Ist dies nicht möglich (z. B. Blutkulturflaschen aus Glas), ist
Aussage zur extraluminalen Besiedlung des Katheters gemacht wer- für eine Sicherung der Probe durch eine besonders geeignete Verpa-
den kann, da sich die innere Oberfläche dieser Untersuchung voll- ckung zu sorgen. Beim Versand auf dem Postweg wird das eigent-
ständig entzieht. liche Probengefäß immer zusammen mit aufsaugendem Material in
einem zweiten Schutzgefäß transportiert. Außerdem muss die ganze
jProben mit hoher Dringlichkeit Sendung mit der Kennzeichnung einer möglichen Biogefährdung
Grundsätzlich sollte die mikrobiologische Diagnostik unverzüglich versehen sein.
nach Entnahme der Probe angestrebt werden. Es gibt jedoch Unter- Es gibt Transportgefäße mit und ohne Nährmedium:
suchungsanforderungen mit so hoher Dringlichkeit, dass ein Auf- 4 Wird nur der kulturelle Nachweis eines Erregers angestrebt,
schub der Bearbeitung keinesfalls hingenommen werden kann. sind Gefäße mit Nährmedium (Bakteriologie) bzw. Transport-
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden hier die häufigsten Indi- medium (Virologie) zu bevorzugen, da in ihnen das Absterben
kationen zur mikrobiologischen Diagnostik und Therapie auf- des Erregers stark verlangsamt ist.
Literatur
129 17
4 Ist aber auch eine Sofortdiagnostik (z. B. mikroskopische Nachweis von strikten Anaerobiern der Transport nicht länger als
Untersuchung der Probe, Antigennachweis durch Immunfluo- 0,5 h dauern. Proben mit besonderer Dringlichkeit müssen daher
reszenz und Latexagglutination, PCR) gewünscht, wirkt sich ggf. durch Sondertransporte geliefert werden. Werden Materialen
ein Nährmedium störend aus. Für den mikroskopischen Di- außerhalb der regulären Dienstzeiten des Labors gewonnen, ist in
rektnachweis empfiehlt es sich daher, auf ein Transportmedium vielen Fällen die Kontaktaufnahme zum Labor vor dem Versand der
zu verzichten und stattdessen lieber die Transportzeit (z. B. Probe empfehlenswert.
durch Spezialkurier) zu verkürzen. Ein verzögerter Transport reduziert die Sensitivität des Erreger-
nachweises und verzögert das Ergebnis der Untersuchung. Die nach-
Für histologische Untersuchungen in der Pathologie ist der Ver- gewiesenen Keimzahlen von Erreger und Begleitflora sind verfälscht
sand von formalinfixierten Gewebeproben üblich. In der Mikrobio- und entsprechen nicht mehr unbedingt den Gegebenheiten am In-
logie ist eine solche Probe mit dem Ziel der Anzucht von Erregern fektionsort. Durch Absterben empfindlicher Erregern oder Zerfall
unbrauchbar und für den virologischen Nachweis von Nukleinsäu- besonders labiler Antigene (z. B. Toxine) oder Antikörper kann eine
ren nur bedingt geeignet. mikrobiologische Untersuchung völlig nutzlos werden. Bei der Be-
fundung wird daher auch die Transportzeit berücksichtigt, sofern
jBegleitschein der Entnahmezeitpunkt auf dem Begleitschein dokumentiert ist.
Jeder Probe ist ein zugehöriger Begleitschein beizufügen (s. o.). Be-
gleitscheine werden in der Regel vom Labor auf Anfrage zur Verfü-
In Kürze
gung gestellt.
Die klinische Diagnostik ist die Basis der Infektionsdiagnostik.
Laboruntersuchungen sind frühzeitig unter Berücksichtigung
jTemperatur
der Differenzialdiagnosen, gezielt und mit allen erforderlichen
Die Lagerungstemperatur der Probe während eines längeren Trans-
Informationen versehen anzufordern. Ungezielte Laboruntersu-
ports beeinflusst nachhaltig das Wachstum und damit die Nachweis-
chungen, die einer klinischen Grundlage vollständig entbehren,
barkeit der darin befindlichen Erreger. Virologische Proben zum
sind nicht zielführend, können zu verwirrenden falsch positiven
Antigennachweis, zum Nukleinsäurenachweis und zur Virusisola-
Ergebnissen führen und sind auch aus ökonomischen Gründen
tion sollten in der Regel gekühlt verschickt werden, wenn die Trans-
nicht zu rechtfertigen.
portzeit 4 h übersteigt. Eine Kühlung der Probe ist bei bakteriellen
Die jeweils gewählte Therapie sollte stets dem Kenntnistand der
Untersuchungen dann sinnvoll, wenn neben der qualitativen Aussa-
Diagnostik angepasst werden. Initial ist aus epidemiologischen
ge (Erregernachweis) auch eine quantitative Aussage (Keimzahl)
Überlegungen heraus eine kalkulierte Therapie zu wählen. So-
getroffen werden soll, sofern mögliche relevante Erreger dadurch
bald sich jedoch aus der mikrobiologischen Diagnostik neue Er-
nicht geschädigt werden. Einige Proben (z. B. Mittelstrahlurin) soll-
kenntnisse zur Ätiologie des Erregers ergeben, sollte dies umge-
ten kühl gelagert werden, da sich anderenfalls die Keimzahl in der
hend für ein gezielteres Therapieregime genutzt werden.
Probe schnell um ein Vielfaches erhöht und die Unterscheidung von
Die Qualität der Präanalytik entscheidet maßgeblich über die
Begleitflora zum tatsächlichen Infektionserreger erschwert ist.
Aussagekraft des späteren mikrobiologischen Befundes. Im
Ist hingegen die Wahrscheinlichkeit der Kontamination durch
Zweifelsfall empfiehlt sich (am besten noch vor Entnahme der
Begleitflora gering (z. B. weil die Probe aus einem primär sterilen
Probe) die Rücksprache mit dem zuständigen Labor.
Kompartiment gewonnen wurde), gibt es auch Indikationen zum
Transport der Probe bei Raumtemperatur oder sogar bei Körper-
temperatur. Dies ist insbesondere bei Erregern von Bedeutung, de-
ren Vermehrungsfähigkeit durch Kühlung stark gefährdet ist. Bei- Literatur
spiele für solche Infektionen sind der Nachweis von Neisseria me-
Versalovic J et al. (2011) Manual of Clinical Microbiology. 10th ed. Washington,
ningitidis oder Haemophilus influenzae aus Liquor. Auch Materia-
DC: ASM Press.
lien des Respirationstrakts sollen, selbst wenn eine Quantifizierung
erwünscht ist, bei Raumtemperatur gelagert und transportiert wer-
den, um empfindliche Pneumonieerreger wie Pneumokokken oder
Haemophilus influenzae nachweisbar zu erhalten. Andere Indika-
tionen zum Transport gewärmter Proben ergeben sich in der Para-
sitologie.
Können Proben für serologische Untersuchungen (z. B. Antikör-
pernachweis) nicht umgehend bearbeitet werden, sollten auch diese
Proben gekühlt transportiert werden, ggf. nach dem Abseren durch
den Einsender. Mehrfaches Einfrieren und Auftauen sollte dabei je-
doch vermieden werden. Im Zweifelsfall empfiehlt sich für die wei-
tere Vorgehensweise die Rückfrage im zuständigen Labor.
Beim Transport von Blutkulturen ist die Temperatur zur Lage-
rung und zum Versand der Probe mit dem jeweiligen Labor abzu-
sprechen, da die Modalitäten sich nach dem dort eingesetzten Blut-
kultursystem richten.

jTransportdauer
Die Dauer des Probentransports sollte so kurz wie möglich gehalten
werden (idealerweise weniger als 4 h). Für Sonderfälle sollte es noch
schneller gehen: So sollte für den sicheren vollständigen kulturellen
131 18

Methoden der mikrobiologischen


Diagnostik
S. Ziesing, A. Heim, R.-P. Vonberg

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die diagnostischen Methoden zum Nachweis von Infektionserregern jNativpräparat


reichen von seit langem bekannten Verfahren wie der Mikroskopie über Im Nativpräparat wird die Probe (natives Probenmaterial, Bakte-
Kulturverfahren bis hin zu modernen immunologischen und molekular- riensuspension) weder getrocknet noch fixiert und auch nicht ge-
biologischen Ansätzen. Dieses Kapitel stellt den aktuellen Stand der färbt. Eine Kontrastierung erfolgt nur durch die Lichtbrechung der
verfügbaren und in der Praxis eingesetzten Methoden vor. Die Kenntnis Mikroorganismen oder anderer korpuskulärer Bestandteile. Eine
dieser Methoden und ihrer Aussagekraft ist für die effiziente Gestaltung Kontrastverstärkung ist durch die Verwendung eines Dunkelfeld-
der infektiologischen Diagnostik unerlässlich. bzw. Phasenkontrastmikroskops möglich. Im Nativpräparat lässt sich
dann z. B. die Eigenbewegung von Mikroorganismen betrachten.

18.1 Mikroskopische Verfahren jHellfeldmikroskopie


Das klassische mikroskopische Verfahren ist die Hellfeldmikrosko-
Im Rahmen der bakteriologischen, mykologischen und parasitolo- pie. Das Objekt wird dabei (meistens von unten) senkrecht durch-
gischen Diagnostik kommt der Mikroskopie eine große Bedeutung leuchtet und direkt betrachtet. Mit dem entsprechenden Objektiv
bei der Sofortdiagnostik zu, bei der man das Ergebnis der Kultur aus und Okular ist dabei unter Verwendung von Immersionsöl eine
klinischen Gründen nicht abwarten kann. Darüber hinaus lässt sich 1000-fache Vergrößerung des Präparats zur Beurteilung von Bakte-
aufgrund des mikroskopischen Befundes das Erregerspektrum oft- rien üblich. Für größere Erreger, z. B. Pilze, Parasiten oder Wurm-
mals eingrenzen, was eine gezieltere initiale antimikrobielle Thera- eier, muss eine entsprechend geringere Vergrößerung gewählt wer-
pie ermöglicht. Binnen kurzer Zeit, oft bereits innerhalb 1 h nach den. Die Wellenlänge des sichtbaren Lichts begrenzt das Auflösungs-
Probenentnahme, kann so das Vorliegen einer potenziell lebens- vermögen dieses Verfahrens auf etwa 0,2 μm. Die meisten Bakterien
bedrohlichen Infektion bestätigt bzw. als wenig wahrscheinlich be- sind im Hellfeldmikroskop prinzipiell erkennbar.
urteilt werden. Beispiele sind der Verdacht auf bakterielle Meningitis
oder Malaria tropica. jDunkelfeldmikroskopie
Die Sensitivität mikroskopischer Untersuchungen ist jedoch be- Um auch Bakterien darstellen zu können, deren Durchmesser die
grenzt (Nachweisgrenze für Bakterien: 104 Keime/ml). Daher wer- Auflösungsgrenze des Lichtmikroskops unterschreitet (z. B. Trepo-
den solche Untersuchungen häufig mehrfach durchgeführt (z. B. bei nema pallidum), steht die Dunkelfeldmikroskopie zur Verfügung.
der Suche nach säurefesten Stäbchen im Sputum bei Verdacht auf Bei diesem Verfahren wird das einfallende Licht über einen beson-
eine offene Lungentuberkulose) oder sekundär durch andere Ver- deren Kondensor nahezu waagerecht auf das Objekt ausgerichtet,
fahren mit besserer Sensitivität überprüft (z. B. durch zusätzliche während der Hintergrund des Gesichtsfeldes dunkel ist. Der Be-
kulturelle Anlage). trachter sieht dann nur das vom Objekt zufällig in seine Blick-
Ein weiteres Einsatzfeld für die Mikroskopie betrifft Erreger, die richtung abgelenkte Streulicht. Das Auflösungsvermögen dieses
sich auf künstlichen Nährmedien nicht anzüchten lassen oder Verfahrens liegt bei etwa 0,1 μm.
deren Anzucht diagnostisch nicht praktikabel ist, z. B. beim Nach-
weis von Malaria, Pneumocystis jirovecii, Wurmeiern und anderen jPhasenkontrastmikroskopie
Darmparasiten. Die Geschwindigkeit des Lichtes ist abhängig von der Dichte des
Alle Viren, mit Ausnahme der Poxviridae, entziehen sich wegen durchquerten Mediums. Die Phasenkontrastmikroskopie nutzt die
ihrer Kleinheit der Lichtmikroskopie. Lichtmikroskopisch lassen durch Verzögerung des Lichtes in dichteren Teilen des Objekts resul-
sich jedoch virale Antigene in infizierten Zellen aus diagnostischen tierende Interferenz durch Phasenverschiebung der elektromagneti-
Materialien (7 Abschn. 18.5.2) und durch Viren verursachte Ver- schen Wellen. Die Betrachtung im Phasenkontrast ist geeignet für
änderungen (zytopathischer Effekt = CPE; 7 Abschn. 18.4) in Zell- Objekte mit großen Dichteunterschieden, z. B. bakterielle Sporen
kulturen nachweisen Außerdem können die Viren selbst mit einem oder Parasiten.
Elektronenmikroskop sichtbar gemacht werden (7 Abschn. Elektro-
nenmikroskopie). jFluoreszenzmikroskopie
Das Untersuchungsmaterial kann nativ, d. h. ohne Anfärbungen, Fluoreszenzfarbstoffe emittieren nach Anregung durch kurzwelliges
begutachtet werden. Dabei ist der Einsatz besonderer optischer Ver- Licht (z. B. durch die UV-Strahlung einer Quecksilberdampflampe
fahren zur Erregerdarstellung sinnvoll. Mittels verschiedener Färbe- oder durch entsprechende LEDs) ein Licht mit größerer Wellenlänge
verfahren können im Material enthaltene Erreger (und auch Wirts- (z. B. sichtbares Licht) und leuchten dann hell vor einem ansonsten
zellen) differenziert dargestellt werden. dunklen Hintergrund. Die sichtbar leuchtende Farbe variiert je nach
132 Kapitel 18 · Methoden der mikrobiologischen Diagnostik

Art des Farbstoffs und der im System verwendeten Filter. Die


Fluoreszenzmikroskopie wird u. a. bei der Auramin-, der Calcofluor-
und in der Immunfluoreszenz-Färbung benutzt (7 Abschn. 18.1.1).

jElektronenmikroskopie
Die Elektronenmikroskopie ist eine schnelle Methode, um Viren
direkt im Untersuchungsmaterial (Bläschenpunktate, Stuhl oder
Urin) nachzuweisen. Voraussetzung für den Virusnachweis ist aller-
dings, dass die Viren in hoher Konzentration (> 106 Partikel/ml Pro-
bensuspension) vorliegen. Die Elektronenmikroskopie ist also nicht
sehr sensitiv, was neben dem hohen Geräte- und Personalaufwand
ein Nachteil ist. Deshalb wird sie heute nur noch von wenigen Labors
diagnostisch angewandt.
In der diagnostischen Transmissionselektronenmikroskopie
nutzt man einen Strahl schneller Elektronen statt eines Lichtstrahles
zum visuellen Direktnachweis der Viren. Damit sind Vergrößerun-
gen bis zu 200.000-fach möglich, die Auflösungsgrenze liegt bei
ca.10 nm. Da Viruspartikel elektronenoptisch durchlässig sind, wer-
Diagnostik

den sie durch Anlagerung von Schwermetallsalzen, z. B. Uranylazetat


(ca. 2 %), hell vor einem dunklen Hintergrund dargestellt (Negativ-
kontrastierung). In der elektronenmikroskopischen Abbildung lässt
sich aus der Virusmorphologie (Größe, mit oder ohne Hülle, Kapsid-
form) meist nur auf die Virusfamilie schließen. Eine genauere Klas-
sifizierung von Viren der gleichen Familie, z. B. die Unterscheidung
von HSV und VZV im Bläscheninhalt, ist nicht möglich.
. Abb. 18.1 Prinzip der Gramfärbung

18.1.1 Herstellung mikroskopische Präparate


Entfärbungsschritt mit Alkohol herausgelöst. Die Erreger er-
Viele Erreger sind wegen ihrer geringen Kontrastierung im mikros- scheinen blau.
kopischen Präparat nativ nicht zu erkennen. Daher erfordern die 4 Gramnegative Bakterien mit ihrer dünnen Mureinschicht wer-
meisten Fragestellungen zunächst 2 Schritte in der Herstellung mik- den im 3. Schritt durch Alkohol wieder entfärbt. Zur Darstel-
roskopischer Präparate: lung dieser Erreger werden sie im 4. Schritt durch Safranin rot
4 Fixierung des Präparats: Das auf einen Objektträger aufgetra- eingefärbt (»Gegenfärbung«).
gene Patientenmaterial wird luftgetrocknet und danach auf
eine der beiden folgenden Arten fixiert; das erfolgreich fixierte Über die Feststellung der grampositiven oder -negativen Eigenschaft
Präparat kann in den folgenden Schritten nicht mehr verse- hinaus erlaubt die Gramfärbung noch die Beurteilung der äußeren
hentlich abgeschwemmt werden; Form (längliche Stäbchen oder runde Kokken) und die Lagerung der
5 thermische Fixation, z. B. durch Hitze über der Flamme des Erreger zueinander (z. B. Haufen- vs. Kettenkokken) bzw. zu Wirts-
Bunsenbrenners zellen (extra- oder intrazellulär).
5 chemische Fixation, z. B. mit Methanol
4 Färbung des Präparats je nach zu erwartenden Erreger jZiehl-Neelsen-Färbung
Die Zellwand aller Mykobakterien (z. B. Mycobacterium tuberculo-
Im Folgenden werden die im mikrobiologischen Labor am häufigs- sis) enthält einen hohen Anteil an Wachsen. Aus diesem Grund ist
ten eingesetzten Färbeverfahren vorgestellt. die Anfärbung dieser Erreger mit wasserlöslichen Farbstoffen (z. B.
Gramfärbung) nicht möglich. Für den Nachweis von Mykobakterien
jGramfärbung wird stattdessen die Ziehl-Neelsen-Färbung verwendet. Die Diffe-
Die Gramfärbung ist die Routinefärbung der mikrobiologischen renzierung des Tuberkuloseerregers M. tuberculosis von anderen
Diagnostik. Das Prinzip der Gramfärbung ist in . Abb. 18.1 darge- Mykobakterien gelingt jedoch damit nicht.
stellt. Diese Vorgehensweise erlaubt die Differenzierung zwischen Zur Färbung wird das fixierte Präparat mit Phenol-Fuchsin
grampositiven (blau gefärbten) und gramnegativen (rot gefärbten) überschichtet. Durch Erwärmung auf etwa 100 °C wird die Wachs-
Erregern. Das fixierte Präparat wird in 4 Schritten gefärbt: schicht kurzzeitig durchlässig für Farbstoffe. Der so von der Bakte-
1. Färben mit Kristallviolett rienzelle aufgenommene rote Farbstoff kann nach Erkalten nicht
2. Beizen mit Lugol’scher Lösung mehr aus der Zelle diffundieren. Selbst die anschließende aggressive
3. Entfärben mit Alkohol (96 Vol.-%) Behandlung mit Salzsäure/Alkohol führt nicht zur Entfärbung:
4. Gegenfärben mit Safranin Diese Erreger sind »säurefest«. Die anschließende Gegenfärbung mit
Methylenblau dient der besseren Kontrastierung.
Der Farbunterschied erklärt sich aus der Beschaffenheit der bakte-
riellen Zellwand: jAuraminfärbung
4 Bei grampositiven Erregern mit einer dicken, mehrlagigen Mykobakterien sind im mikroskopischen Präparat oft in nur sehr
Mureinschicht wird das im 1. Schritt eingebrachte und im geringer Anzahl vorhanden. Ergänzend zur Ziehl-Neelsen-Färbung
2. Schritt fixierte blauviolette Kristallviolett nicht durch den wird die sensitivere Auraminfärbung zum Nachweis säurefester Bak-
18.2 · Kulturverfahren
133 18
terien eingesetzt. Durch Aufnahme von Auramin (statt Phenol- 18.2 Kulturverfahren
Fuchsin) fluoreszieren säurefeste Bakterien nach Anregung durch
kurzwelliges Licht vor einem schwarzen Hintergrund. Das Verfah- 18.2.1 Grundlagen
ren vereinfacht durch einen verbesserten Kontrast das Auffinden
von Mykobakterien im Präparat, ist jedoch nicht spezifisch für diese. Wann immer möglich, ist der kulturelle Nachweis von Erregern
zur Sicherung der Verdachtsdiagnose anzustreben. Darüber hinaus
jGiemsa-Färbung ist die Anzucht Voraussetzung für die Empfindlichkeitsprüfung
Die Giemsa-Färbung dient zum Nachweis vieler Protozoen im peri- des Erregers (7 Abschn. 18.8). Außerdem kann durch molekular-
pheren Blut (z. B. Plasmodien) oder im Knochenmark (z. B. Leish- biologische Verfahren, z. B. die Polymerasekettenreaktion und
manien). Bei der Methode färbt sich das Chromatin der Erreger Sequenzierung (PCR; 7 Abschn. 18.7.2) oder die Pulsfeld-Gel-
rotviolett an, ihr Zellplasma hingegen bläulich. Erythrozyten stellen elektrophorese (PFGE; 7 Abschn. 18.7.3) ggf. der Nachweis einer
sich grau dar. Klonalität geführt werden. So lässt sich z. B. die Erregerübertragung
in Infektionsketten nachweisen, wenn man an verschiedenen Nach-
jNeisser-Färbung weisorten oder bei mehreren Patienten genotypisch identische
Die Neisser-Färbung dient dem Nachweis von metachromatischen Stämme findet.
Granula (»Polkörperchen«) von Corynebacterium diphtheriae. Es gibt in der Mikrobiologie eine große Auswahl an Nähr-
Das Präparat wird zunächst mit einer Lösung aus Methylenblau und medien, die sich in ihren Inhaltsstoffen, in der Konsistenz und
Kristallviolett in Ethanol behandelt, anschließend mit Chrysoidin- hinsichtlich des Verwendungszwecks bzw. Indikationsbereichs
oder Bismarck-Braun-Lösung gegengefärbt. Mikroskopisch erinnert voneinander unterscheiden. Hinsichtlich ihrer Verwendung sind
der Erreger in dieser Färbung an abgebrannte Streichhölzer: Die ter- zu unterscheiden:
minalen, polyphosphathaltigen Polkörperchen des Erregers stellen
sich schwarzbraun dar, die übrige Bakterienzelle gelbbraun. Die Fär- Universal- oder Optimalmedien Eines oder auch mehrere Medien
bung ist nicht speziesspezifisch für C. diphtheriae. dieses Typs sind in fast allen Kulturansätzen enthalten. Sie gestatten
den Nachweis der meisten in einer Probe zu erwartenden Erreger.
jMethylenblaufärbung
Die einfache Methylenblaufärbung eignet sich zur schnellen und Selektivmedien Sie dienen zur Anzucht definierter Erreger oder
orientierenden Beurteilung eines Präparats. Sie erlaubt die Beurtei- -gruppen. Dies ist insbesondere von Bedeutung, wenn nach Er-
lung der Form von Bakterien sowie deren Lagerung zueinander bzw. regern in Proben mit einem hohen Anteil physiologischer Flora
intrazellulär in Körperzellen. Eine weitergehende Differenzierung gesucht wird (z. B. Clauberg-Agar zum Nachweis von C. diph-
von Bakterien ist nicht möglich. theriae) oder wenn Erreger besonderer Nährstoffe bedürfen, die
auch in den üblichen Optimalmedien nicht enthalten sind (z. B.
jWeitere Färbeverfahren Nachweis von Legionellen in Atemwegsmaterialien). Antibiotika
Modifizierte Kinyoun-Färbung Die modifizierte Kinyoun-Färbung werden als Zusatzstoff zur Unterdrückung konkurrierender Flora,
ähnelt im Prinzip der Ziehl-Neelsen-Färbung mit weniger aggressi- aber auch zur selektiven Suche nach Erregern mit definierten
ver Entfärbung und wird z. B. zum Nachweis von Kryptosporidien Resistenzen eingesetzt (z. B. Enterokokken-Selektivagar mit Van-
in Stuhlproben eingesetzt. comycinzusatz zur Suche nach glykopeptidresistenten Entero-
kokken).
Grocott-Versilberung Nach Grocott-Versilberung stellen sich Pilze
(z. B. Pneumocystis jirovecii) schwarz dar. Dieses Färbeverfahren ist Differenzial- oder Indikatormedien In diesen Medien sind Zusatz-
jedoch vergleichsweise aufwendig und wurde daher im Routinebe- stoffe wie Indikatoren enthalten, die z. B. zur selektiven Anfärbung
trieb in vielen Labors durch Alternativverfahren ersetzt. der Kolonien definierter Erreger führen. Dies erleichtert und be-
schleunigt die Suche nach den betreffenden Erregern erheblich.
Calcofluorfärbung Calcofluor dient in Waschmitteln als Aufheller Medien dieses Typs werden sowohl in der Primäranlage der nativen
und wird speziell zur Färbung von Pilzen eingesetzt. Es bindet an Patientenprobe als auch im Rahmen der Subkultivierung zur Identi-
chitinhaltige Strukturen der Zellwand. Bei der Betrachtung des Prä- fikation eines Erregers verwendet.
parats unter einem Fluoreszenzmikroskop leuchten die so markier- In der Praxis werden zudem Mischformen der o. g. Medien ein-
ten Strukturen weiß auf. gesetzt. Im Folgenden werden typische Bestandteile von Kulturme-
dien vorgestellt.
Immunfluoreszenzfärbung (Immunfluoreszenztest) Für viele Er-
reger sind spezifisch bindende Antikörper erhältlich, an die Fluores-
zenzfarbstoffe gekoppelt sind. Im mikroskopischen Präparat enthal- 18.2.2 Typische Bestandteile von Kulturmedien
tene Erreger lassen sich durch Bindung dieser markierten Antikör-
per an das erregerspezifische Antigen fluoreszenzmikroskopisch jWasser und Agar-Agar
darstellen. Die Spezifität der Untersuchung wird durch die Beurtei- Wasser ist für das Wachstum nahezu aller Erreger essenziell. Daher
lung der Morphologie der angefärbten Strukturen verbessert. Bei der müssen Nährmedien einen hohen Wasseranteil enthalten. Dünn-
Diagnostik von Virusinfektionen werden Virusantigene in infizier- flüssige Medien finden dabei Verwendung als Anreicherungs-
ten Zellen nachgewiesen. medien. Feste Nährmedien sind in der bakteriologischen Diagnostik
unabdingbar. Erst mit der Darstellung von Einzelkolonien ist die
Morphologie einzelner Bakterienkolonien (z. B. Größe, Farbe und
Form) zu beurteilen. Reinkulturen sind darüber hinaus Ausgangs-
punkt aller Schritte zur Erregeridentifizierung sowie für die Emp-
findlichkeitsprüfung.
134 Kapitel 18 · Methoden der mikrobiologischen Diagnostik

Wünschenswert ist daher ein festes Nährmedium, auf dem 18.2.3 Kulturmedien
einerseits die bakteriellen Kolonien einzeln beurteilbar sind, das
aber andererseits dennoch einen hohen Anteil an Wasser als Wachs- jFeste Kulturmedien
tumsgrundlage beinhaltet. Die gelierende Substanz Agar-Agar, ein Agar-Agar-Konzentrationen von etwa 2 % führen zu festen Kultur-
Extrakt aus Seealgen, ermöglicht beides. Bei Raumtemperatur ähnelt medien, die sich auch bei üblichen Temperaturen im Brutschrank
die Konsistenz fester Medien mit Agar-Agar der von Wackelpud- noch nicht verflüssigen. Feste Medien sind meistens in Petrischalen
ding. Beim Erwärmen verflüssigen sie sich kurzzeitig und lassen sich gegossen (Schichtdicke etwa 3 mm), werden mit einem Dreiösen-
dann leicht in jedes gewünschte Behältnis (z. B. eine Petrischale) ausstrich beimpft (. Abb. 18.2a) und stellen die Grundlage der meis-
überführen. Je nach Agar-Agar-Konzentration entstehen feste Agar- ten mikrobiologischen Verfahren zur Anzucht von Erregern dar.
platten, halbfeste Nährmedien oder flüssige Kulturmedien (Bouil- Festmedien erlauben die morphologische Beurteilung der Ein-
lons ohne Agar-Agar). zelkolonie und auf bluthaltigen Medien zusätzlich der Hämo-
lyseeigenschaften. Da die Kolonien auf der Oberfläche des Nähr-
jNährstoffe und Energiequellen mediums wachsen, ist es außerdem möglich, verschiedene Erreger
Alle für das Wachstum des Erregers erforderlichen Nährstoffe müs- in einer einzelnen Probe voneinander zu unterscheiden bzw. eine
sen im Kulturmedium enthalten sein. Häufig verwendete Nährstoffe Kultur auf Reinheit zu prüfen oder einzelne Kolonien gezielt für
umfassen als Stickstoffquelle Proteine oder Peptone. Peptone sind eine Subkultivierung auszuwählen (. Abb. 18.2b).
durch enzymatischen Abbau oder durch Säureabbau aus tierischen In der Mikrobiologie häufig eingesetzte feste Kulturmedien sind
oder pflanzlichen Proteinen gewonnene Aminosäuren und Peptide. in . Tab. 18.1 zusammengefasst.
Diagnostik

Als Energiequellen werden vielen Kulturmedien außerdem Zucker


zugegeben (z. B. Glukose und Laktose). Spezifische Wachstumsfak- jHalbfeste Kulturmedien
toren (z. B. Hämin und NAD für Haemophilus influenzae), Metalle, In halbfesten Kulturmedien werden etwa 0,5‒0,75 % Agar-Agar ein-
Salze und andere Spurenelemente ergänzen das Spektrum an Nähr- gesetzt. Sie eignen sich z. B. zur Beweglichkeitsprüfung von Bakte-
stoffen. rien (Schwärmagar zur Bestimmung induzierbarer Geißelantigene
Die genaue Zusammensetzung ist stets für die anzuzüchtenden bei der Salmonellentypisierung).
Erreger optimiert. So ist es umgekehrt durch den Verzicht auf be-
stimmte Nährstoffe ebenfalls möglich, das Wachstum einzelner jFlüssige Kulturmedien
(z. B. anspruchsloser) bakterieller Spezies gezielt zu begünstigen und Flüssige Kulturmedien (Bouillons) sind zur Anreicherung von Erre-
dafür das Wachstum anderer Erreger zu begrenzen oder vollständig gern gut geeignet. Wachstum in einem flüssigen Medium nach Be-
zu unterdrücken. brütung ist anhand der Trübung erkennbar. Eine weitergehende
Identifikation des Erregers direkt aus dem flüssigen Medium ist je-
jSelektive Substanzen doch nicht möglich.
Es gibt viele Substanzen, die auf einige Bakterien toxisch wirken, das
Wachstum anderer Spezies jedoch nicht nennenswert beeinträchti-
gen. Zu solchen selektiven Substanzen zählen verschiedene Salze
(z. B. Gallensalze, Tellurit oder Tetrathionat) oder Säuren (Azide).
Ihre Zugabe schafft im Kulturmedium ein Milieu, in dem sich nur
noch ein sehr begrenztes Spektrum an Erregern vermehren kann.
Ein Antibiotikum im Nährmedium kann sensible Erreger unter-
drücken, während resistente Spezies auf diese Weise selektioniert
werden. a

jPuffersubstanzen
Für das Wachstum vieler Erreger bzw. zur Unterdrückung des
Wachstums von störender Begleitflora ist der pH-Wert des Mediums
von großer Bedeutung und lässt sich daher als selektionierender
Faktor einsetzen (z. B. alkalisches Peptonwasser zum Nachweis von
Vibrio cholerae). Wenn Bakterien sich vermehren, ergeben sich je-
doch leicht pH-Wert-Verschiebungen (z. B. wenn Zucker zur Säuren
verstoffwechselt werden). Zur Stabilisierung des pH-Wertes gibt
man daher vielen Kulturmedien Puffer (z. B. Zitrate oder Phosphate)
zu.

jIndikatoren
Manchen Kulturmedien sind Indikatoren zugesetzt, die zumeist in
b
Abhängigkeit des umgebenden pH-Wertes ihre Farbe ändern. Sie
erlauben daher die Unterscheidung verschiedener Bakterien nach . Abb. 18.2 Dreiösenausstrich (a); Herstellung von Reinkulturen unter Ver-
deren Stoffwechselleistung. wendung von Einzelkolonien (b)
18.3 · Methoden zur Identifizierung von Bakterien
135 18

. Tab. 18.1 Auswahl häufig eingesetzter fester mikrobiologischer Kulturmedien

Medium Art des Mediums Besonderheit

BCYE-Agar Selektivmedium – Nährstoffauswahl erlaubt Legionellenwachstum

– Zugabe von Antibiotika unterdrückt Begleitflora

– Puffer und Aktivkohle neutralisieren potenziell toxische Metaboliten

Blutagar Optimal- und Differenzialmedium – ggf. Fähigkeit zur α- bzw. β-Hämolyse beurteilbar

Clauberg-Agar Selektiv- und Differenzialmedium – Kulturmedium zur Corynebacterium-diphtheriae-Diagnostik

– Reduktion des Tellurit führt zu schwarzbraunem Tellur

– Zuckerabbau bewirkt pH-Wert-Verschiebung und somit Blaufärbung


des Agars

Kochblutagar Optimalmedium – Hämin- und NAD-Freisetzung aus zerstörten Erythrozyten ermöglicht


auch Haemophilus-influenzae-Wachstum

Löwenstein-Jensen-Agar Selektivmedium – Malachitgrün selektiert Mykobakterien (z. B. M. tuberculosis)

– hoher Lipidgehalt erlaubt Mykobakterienwachstum

MacConkey-Agar Selektiv- und Differenzialmedium – Gallensalze unterdrücken Wachstum grampositiver Bakterien und
selektieren gramnegative Enterobakterien (z. B. E. coli)

– Fähigkeit zur Spaltung von Laktose durch Farbindikator


angezeigt (hilfreich zur Suche nach obligat pathogenen Erregern,
z. B. Salmonellen)

Mannit-Kochsalz-Agar Selektiv- und Differenzialmedium – Salzgehalt begünstigt Staphylococcus-aureus-Wachstum

– Mannitspaltung bewirkt Gelbfärbung des Mediums

Müller-Hinton-Agar Optimalmedium häufig zur Empfindlichkeitstestung mittels Agardiffusion

Slanetz-Bartley-Agar Selektivmedium Azide hemmen die Begleitflora und selektieren Enterokokken

Thayer-Martin-Agar Selektivmedium Antibiotikazugabe selektiert u. a. Neisserien (N. meningitidis,


N. gonorrhoeae)

BCYE = buffered charcoal yeast extract

18.3 Methoden zur Identifizierung Die häufigsten phänotypischen Verfahren zur Speziesdifferen-
von Bakterien zierung sind:
4 Bedarf an Nährstoffen zum Wachstum
18.3.1 Phänotypische Identifizierung 4 Toleranz verschiedener Konzentrationen von Sauerstoff in der
Umgebungsluft
Der Phänotyp eines Erregers ergibt sich aus der Gesamtheit der von 4 Wachstum bei verschiedenen Bebrütungstemperaturen
ihm ausgeprägten Eigenschaften. Die Speziesidentifizierung erfolgt 4 Morphologie der Kolonie (makroskopisch)
in der mikrobiologischen Diagnostik überwiegend anhand phäno- 4 Fähigkeit zur Hämolyse und Hämolysetyp
typischer Merkmale. Anhand folgender Kriterien unterscheidet 4 Morphologie des Erregers (mikroskopisch)
man dabei zunächst übergeordnete Familien oder Gattungen: 4 Lagerung des Erregers (mikroskopisch)
4 Koloniemorphologie 4 Färbeverhalten in verschiedenen Färbeverfahren
4 Wachstum auf Medien (mikroskopisch)
4 Abhängigkeit von aeroben, mikroaerophilen oder anaeroben 4 Fähigkeit zur Ausbildung von Geißeln (Beweglichkeit)
Bedingungen 4 antigene Strukturen der Oberfläche
4 Ausfall weniger Leitreaktionen 4 Fähigkeit zur Verstoffwechselung von Substraten
4 Empfindlichkeit gegenüber antimikrobiellen Substanzen
Mit der weiteren Prüfung phänotypischer Eigenschaften lässt sich
danach die Auswahl möglicher Spezies immer weiter eingrenzen. Anzucht Die Bedingungen, unter denen ein Erreger anzüchtbar ist,
Erst die kombinierte Berücksichtigung verschiedener Untersu- sind in aller Regel die Grundlage der Identifizierung: Durch Wachs-
chungsergebnisse erlaubt schließlich die Zuordnung des Erregers zu tum auf Selektivmedien lassen sich bereits eine große Anzahl poten-
einer bestimmten Art. Bei der phänotypischen Identifizierung lässt zieller Erreger ausschließen. In Abhängigkeit vom zu erwartenden
sich jedoch nicht ausschließen, dass ein Erreger zwar über ein be- Erregerspektrum wird daher stets eine geeignete Auswahl an Opti-
stimmtes Merkmal genetisch verfügt, dieses zurzeit phänotypisch mal-, Differenzial- und Selektivnährmedien beimpft. Spezifische
aber nicht exprimiert. Fragestellungen können die Anlage weiterer Medien erforderlich
136 Kapitel 18 · Methoden der mikrobiologischen Diagnostik

machen. Durch Subkultivierung (fraktionierte Überimpfung mit im Bereich der Körpertemperatur (30‒36 °C). Es gibt jedoch einige
ausgeglühter Platinimpföse, . Abb. 18.2a) auf weitere Nährmedien Spezies, die noch bei höheren Temperaturen wachsen (z. B. Pseudo-
kann dann das Wachstum ausgewählter Kolonien unter definierten monas aeruginosa bis zu 42 °C) bzw. bei deutlich niedrigeren Tem-
Kulturbedingungen überprüft werden. peraturen anzüchtbar bleiben (z. B. Yersinia enterocolitica bei
28 °C). Für den Nachweis von Listerien eignet sich eine Kultur bei
Bebrütung Die Bebrütung der meisten Medien wird nach 48 h be- 4 °C sogar zur sog. »Kälteanreicherung«.
endet. Einige Erreger mit vergleichsweise langsamem Wachstum
(z. B. Legionellen, Schimmelpilze) erfordern jedoch eine verlängerte Beurteilung der Morphologie der Einzelkolonie Nach erfolgrei-
Bebrütung: cher Anzucht wird die Morphologie der Einzelkolonie unter Beach-
4 Blutkulturen über 5‒7 Tage, um auch in nur geringer Zahl ent- tung folgender Merkmale beurteilt:
haltene Keime anzuzüchten. 4 Größe: Durchmesser und Höhe
4 Festmedienkulturen zum Nachweis von Mycobacterium tuber- 4 Form: rund oder fransig, ggf. flächig schwärmend
culosis wegen der langen Generationszeit des Erregers sogar 4 Farbe: Pigmentierung
6‒8 Wochen; erst dann ist ein ausreichendes Koloniewachstum 4 Oberfläche: matt oder glänzend
zu erwarten. 4 Hämolyseverhalten: α-, β-, γ-Hämolyse

Viele Bakterien wachsen gut in Anwesenheit von Sauerstoff, sind Manche Spezies haben außerdem einen charakteristischen Geruch,
aber auch zum Wachstum im anaeroben Milieu fähig (fakultative z. B.
Diagnostik

Anaerobier). Für einige ausgewählte Spezies ist jedoch der Sauer- 4 süßlich bei Pseudomonas aeruginosa,
stoffgehalt im Brutschrank gut zur Differenzierung geeignet: Wäh- 4 faulig bei Proteus spp.,
rend sich manche Erreger nur unter Ausschluss von Sauerstoff ver- 4 erdig bei Nocardia spp.
mehren (strikte Anaerobier, z. B. Clostridium perfringens), gibt es
andere, die auf das Vorhandensein von Sauerstoff zwingend ange- Die Morphologie der Erreger lässt sich nach entsprechender
wiesen sind (strikte Aerobier, z. B. Pseudomonas aeruginosa). Anfärbung mikroskopisch beurteilen. Ein wichtiges Kriterium ist
4 Daher bebrütet man Proben, in denen man strikt anaerob die Form des Bakteriums (rund = kokkoid, stäbchenförmig, ge-
wachsende Erreger erwartet, sowohl aerob als auch anaerob. krümmt oder schraubenförmig). Je nach verwendeter Färbemetho-
4 Materialien, bei denen Infektionen mit strikten Anaerobiern de lassen sich weitere Eigenschaften des zu untersuchenden Erregers
unwahrscheinlich sind (z. B. Sekrete aus dem Respirationstrakt bestimmen (z. B. Zellwandbeschaffenheit durch die Gramfärbung,
oder oberflächlich entnommene Wundabstriche), werden hin- Säurefestigkeit in der Ziehl-Neelsen-Färbung; 7 Abschn. 18.1.1).
gegen nur aerob bebrütet. Weiterhin wird die Lage der Erreger zueinander (in Haufen, in Ket-
ten oder in Paaren) bewertet.
Doch selbst für manche fakultative Anaerobier kann der Sauer- Im unfixierten Nativpräparat (7 Abschn. 18.1.1) lässt sich die
stoffgehalt der Umgebungsluft Hinweise zur Speziesbestim- Fähigkeit zur Bewegung durch das Vorhandensein von Geißeln
mung  liefern. So ist z. B. das Ausmaß der Hämolyse durch einige nachweisen. Ein anderes Nachweisverfahren zur Beweglichkeit ist
Streptokokken bei reduziertem Sauerstoffgehalt ausgeprägter. Mit das halbfeste Nährmedium (Schwärmagar) für Salmonellen. Proteus
besonderen Flüssigmedien (Thioglykolatbouillon, . Abb. 18.3), in spp. zeigen ein typisches Schwärmverhalten, oftmals sogar bereits
denen reduzierende Bestandteile in der Tiefe des Mediums an- auf den üblichen festen Vollmedien.
aerobe Bedingungen herstellen, können die atmosphärischen An-
sprüche eines Keimes anhand des Wachstums im Medium abgelesen Oberflächenmerkmale Der Nachweis von Oberflächenmerkmalen
werden. (z. B. durch Agglutination von Antigenen mittels spezifischen Anti-
Die Prüfung des Wachstums bei verschiedenen Bebrütungs- körper, entweder in der Gruber-Reaktion oder an Latexpartikel ge-
temperaturen ist ebenfalls zur Speziesdifferenzierung geeignet. Das bunden) ist eine weitere Möglichkeit zur Phänotypisierung. So las-
Temperaturoptimum der meisten humanpathogenen Bakterien liegt sen sich beispielsweise Streptokokken anhand des Lancefield-Anti-
gens in verschiedene Gruppen (A, B etc.) einteilen. Salmonellen
können durch die Typisierung von O-Antigenen (Lipopolysaccha-
ride der Zellwand) und H-Antigenen (Proteine der Geißeln) diffe-
renziert werden (Kauffmann-White-Schema).

Biochemische Leistungen/Stoffwechsel Die Prüfung der bioche-


mischen Leistungen von Bakterien leistet einen erheblichen Beitrag
zur Identifizierung. Diese Eigenschaften werden bereits durch die
Anlage von Differenzial- und Selektivmedien zur Diagnostik ausge-
nutzt. In einem 2. Schritt überprüft man die Ergebnisse sog. »Leit-
reaktionen« (z. B. Katalase oder Oxidase). Die gleichzeitige Prüfung
mehrerer biochemischer Leistungen ist die »bunte Reihe«, bei der
man in einem Arbeitsgang 10–50 Leistungen in einzelnen Kavitäten
. Abb. 18.3 Wachstum in Thioglykolatbouillon: Im Medium stellt sich
untersucht. Je nach Ergebnis der Einzeltestung (erkennbar an einem
durch reduzierende Bestandteile ein von oben nach unten abnehmender
Sauerstoffgehalt ein. Daher wachsen obligate Aerobier oberflächennah
Farbindikator oder einer Trübung in der Kavität) ergibt sich ein Pro-
(hohe O2-Konzentration), während strikte Anaerobier bodennah wachsen fil der biochemischen Leistungen. Der Vergleich dieses Profils mit in
(niedrige O2-Konzentration). Mikroaerophile Spezies wachsen am besten einer Datenbank erfassten typischen Reaktionsprofilen einer Viel-
dort, wo die für sie optimale Sauerstoffkonzentration herrscht, während zahl von Bakterien erlaubt mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit
fakultative Anaerobier sich im gesamten Medium vermehren können die Zuordnung der Spezies.
18.4 · Virusisolation auf Zellkulturen
137 18
Massenanalyse chemischer Verbindungen Ein neues Verfahren Resistenz gegenüber einer Antibiotikaklasse oder die Fähigkeit zur
zur schnellen Identifizierung von Mikroorganismen ist die sog. Toxinproduktion) selektiv und schnell ermittelt werden soll oder ein
MALDI-TOF, eine Kombination aus den Methoden der Matrix- klonaler Zusammenhang verschiedener Isolate der gleichen Spezies
assistierten Laser-Desorption/Ionisation (MALDI) und der Flug- nachzuweisen bzw. auszuschließen ist.
zeitanalyse (»time of flight«, TOF). Koloniematerial des zu unter- Viele Viren werden heute durch Sequenzierung (meist nur von
suchenden Erregers wird dazu in eine chemische Substanz (Matrix) einzelnen Genomregionen nach PCR-Amplifikation) genauer diffe-
eingebettet. Laserbeschuss löst Zellbestandteile der Mikroorga- renziert (Speziesbestimmung, Typisierung, Subtypisierung). Diese
nismen aus der Matrix heraus und ionisiert sie. Die gebildeten Vorgehensweise wird bevorzugt, wenn das Virus nicht oder nur
Fragmente haben verschiedene Massen und Ladungen. Diese Ionen schlecht in Zellkulturen vermehrbar ist (z. B. HIV, HCV, HBV) oder
werden im elektrischen Feld beschleunigt und die Zeit bis zum Auf- wenn eine Vielzahl von Typen vorkommt, was die ältere Serotypisie-
treffen auf einem Ionendetektor über eine definierte Flugstrecke rung zu aufwendig macht (z. B. Entero-, Rhino-, Adenoviren). Für
wird gemessen. Die über Mehrfachmessungen erhaltenen Massen- einige wenige Fragestellungen sind auch einfachere Hybridisie-
profile sind für definierte Erreger speziesspezifisch, bei hochauflö- rungstechniken entwickelt worden (z. B. HCV).
senden Varianten sogar subspeziesspezifisch. Ein Abgleich dieses Der Nachweis eines Erregers direkt aus vom Patienten gewonne-
Profils mit einer Datenbank führt schließlich zur Identifikation. Das nem Material durch Ermittlung von Gensequenzen erlaubt jedoch
Verfahren ist sehr breit einsetzbar und im Laboralltag die gegenwär- keine Aussage über dessen Vermehrungsfähigkeit (und damit über
tig schnellste Methode: Ergebnisse für ein Isolat liegen oft bereits die Infektiösität des Patienten). Er beweist lediglich das Vorliegen
nach wenigen Minuten vor. Derzeit werden Protokolle für die des zur Amplifizierung notwendigen Fragments seines Genoms. An-
Anwendung auch für Flüssigkulturen, z. B. Blutkulturmedien, ent- dererseits erlaubt dieses Verfahren ggf. auch den Nachweis des Erre-
wickelt. gers nach Therapiebeginn, also zu einem Zeitpunkt, an dem ein
kultureller Nachweis grundsätzlich nur noch eingeschränkt mög-
Antibiotikaempfindlichkeit Die Empfindlichkeit gegenüber anti- lich ist.
mikrobiellen Substanzen kann bei der Speziesdiagnostik ebenfalls
richtungweisend sein. Für einige Spezies sind intrinsische, stets vor-
handene (natürliche) Resistenzen bekannt; bei anderen Spezies 18.4 Virusisolation auf Zellkulturen
kommen bestimmte Resistenzen nur extrem selten vor. So kann das
Antibiogramm durchaus die Speziesbestimmung stützen bzw. infra- Alle Viren benötigen zu ihrer Vermehrung (Replikation) lebende
ge stellen. In der Praxis stellt der Abgleich zwischen Identifizierungs- Zellen. Sie können deshalb auf bakteriologischen »Nährböden«
ergebnis und Antibiogramm eine zentrale Plausibilitätsprüfung dia- nicht angezüchtet (isoliert) werden. Die älteren virologischen Me-
gnostischer Ergebnisse dar. thoden Tierversuch oder »Brutei« (= Hühnerembryo) haben in
der Diagnostik keine oder nur noch geringe Bedeutung. Üblich ist
Phagentypisierung Ein heute nur noch selten verwendetes Testsys- heute die Virusisolierung mithilfe von Zellkulturen. Zur Virusisolie-
tem ist die Phagentypisierung. Sie nutzt die spezies-, oftmals sogar rung verwendet man adhärente (d. h. am Boden der Kulturflasche
subspeziesspezifische Affinität von Viren, die Bakterien infizieren. oder Schale haftende), als »Rasen« wachsende Zelllinien tierischen
Durch den Einsatz eines bekannten Panels solcher Bakteriophagen und insbesondere menschlichen Ursprungs. Für viele Zwecke eignen
lässt sich die bakterielle Spezies, häufiger noch eine Subtypenzuord- sich permanente, immortalisierte Zelllinien (z. B. HeLa), z. T. wer-
nung (Phagentyp), ermitteln. den aber auch nicht immortalisierte Zellen mit begrenzter Lebens-
dauer (z. B. MRC-5) benötigt. . Tab. 18.2 gibt einen Überblick über
einige Zelllinien und die Viren, die mit ihnen isoliert werden
18.3.2 Genotypische Identifizierung können.

Alle phänotypisch nachweisbaren Merkmale sind auf genetischer Zytopathischer Effekt (CPE) Darunter versteht man lichtmikrosko-
Ebene kodiert. Nicht jede genetische Eigenschaft ist jedoch jederzeit pisch sichtbare Veränderungen durch die Virusreplikation in den
phänotypisch ausgeprägt. Es liegt daher nahe, Keime durch die Be- infizierten Zellen; das Virus selbst bleibt unsichtbar. Der CPE wird
stimmung des Genotyps zu identifizieren. im diagnostischen Labor durch Betrachtung der ungefärbten, nicht-
Das Bakteriengenom besteht aus konservierten (bei verschiede- fixierten Zellkultur in einem mit Phasenkontrastierung ausgestatte-
nen Bakterienarten identischen) und hochvariablen (speziesspezifi- ten inversen Mikroskop (Objektiv unten, Beleuchtung von oben)
schen) Bereichen. Mittels geeigneter Primer werden in der Polyme- beurteilt. In der Regel betrachtet man die inokulierten Zellkulturen
rasekettenreaktion (PCR; 7 Abschn. 18.7.2) die variablen Bereiche nach verschiedenen Zeitspannen, z. B. täglich bis zu 3 Wochen nach
der 16S-rDNA amplifiziert und anschließend sequenziert. Die so Inokulation. Dabei muss die Virusinfektion oft durch mehrere auf-
erhaltene Basenpaarsequenz wird dann mit in Datenbanken hinter- einanderfolgende Zellkulturschritte verstärkt werden, wenn ein CPE
legten Sequenzen abgeglichen. in den ersten Tagen ausbleibt. Dazu überträgt (»passagiert«) man
Da eine genotypische Identifizierung jedoch zeitaufwendig ist den Überstand samt eines Anteils infizierter Zellen auf frische Zell-
und vergleichsweise hohe Kosten verursacht, ist sie nur bestimmten kulturen.
Fragestellungen der Routinediagnostik oder wissenschaftlichen Fra- Grundsätzlich gibt es 3 CPE-Formen, die jeweils typisch für ver-
gestellungen vorbehalten. Vorteilhaft ist sie in der Laborroutine zur schiedene Viren sind:
Beschleunigung der Diagnostik von Erregern mit langsamem 4 Abkugelung und Ablösung der Zellen aus dem Zellrasen,
Wachstum (z. B. Mykobakterien) oder zum Nachweis nicht kulti- gefolgt von vollkommener Zellzerstörung durch Lyse
vierbarer Erreger. Weiterhin dient sie zur Differenzierung von Bak- 4 Bildung mehrkerniger Riesenzellen (Synzytien) durch »Zell-
terien, bei denen die Phänotypisierung zu keinem ausreichend siche- verschmelzung«
ren Ergebnis geführt hat. Ebenfalls hilfreich ist die Genotypisierung, 4 Ausbildung lichtdichter »Einschlusskörper« im Zellkern oder
wenn das genetische Korrelat für ein spezifisches Merkmal (z. B. die Zytoplasma
138 Kapitel 18 · Methoden der mikrobiologischen Diagnostik

. Tab. 18.2 Zelllinien und darauf anzüchtbare Viren

Zelllinie Adenovirus Herpes-simplex- Zytomegalie- Entero- Respiratory Mumpsvirus


Virus (HSV) virus (CMV) virus Syncytial Virus
(RSV)

A-549 (Bronchialkarzinom-Zelllinie) + (+) (+)

HeLa (Zervixkarzinom-Zelllinie) + + + +

HEp-2 (Larynxkarzinom-Zelllinie (+) (+) (+) +


mit HeLa-Markern)

MRC-5 (humane fetale Lungenfibroblasten- (+) + + + +


Zelllinie)

Vero (Affennieren-Zelllinie) + + + +

Die Identifikation des isolierten Virus ist möglich aufgrund der Zell- sen die diagnostischen Materialien eine ausreichende Zahl von Zel-
Diagnostik

linie, auf der die Isolierung gelang, der Form des CPE und der Zeit- len enthalten, die nicht durch falsche Transportmedien (z. B. bakte-
dauer bis zu seinem Auftreten. In der Regel muss die Identifikation riologische Agar-Gelröhrchen für Abstriche) verloren gehen dürfen.
noch durch eines der folgenden Verfahren bestätigt werden: Eine Besonderheit ist der CMV-pp65-Antigenämietest. Hierbei
4 direkter Immunfluoreszenztest mit monoklonalen Antikör- wird ein virales pp65-Antigen im Blut in Granulozyten quantitativ
pern gegen das vermutete Virus, markiert mit einem Fluores- nachgewiesen, d. h. der Anteil pp65-positiver Leukozyten gezählt.
zenzfarbstoff (7 Abschn. 18.1) Alternativ zur Immunfluoreszenz sind immunzytochemische An-
4 Hämadsorption: Zellen binden nach Infektion mit bestimmten färbungen verwendbar. Die Zahl pp65-positiver Granulozyten kor-
hämagglutinierenden Viren Erythrozyten reliert mit der Schwere einer CMV-Reaktivierung bei immunsuppri-
4 Hämagglutination: Da manche Viren Erythrozyten zu mierten Patienten.
verklumpen vermögen, kann der Überstand einer infizierten
Zellkultur eine Erythrozytensuspension agglutinieren;
7 Abschn. 18.6.1) 18.5.2 Nachweis von Antigenen
4 Neutralisationsversuch: Neutralisation der Infektiösität durch in Körperflüssigkeiten
virusspezifisches Antiserum (Goldstandard der Virusidentifika-
tion) 7 Abschn. 18.6.1) jEnzymgekoppelter Immunosorbent Assay (ELISA) zum
Antigennachweis
Der Aufbau des Antigen-ELISA entspricht im Prinzip dem ELISA
18.5 Nachweis erregerspezifischer Antigene zum Nachweis von Antikörpern (7 Abschn. 18.6.1). Ein ELISA zum
Nachweis von Antigenen ist derart modifiziert, dass das nachzuwei-
Antigene Strukturen können durch verschiedene Testverfahren vi- sende Antigen mithilfe spezifischer Antikörper detektiert wird. An
sualisiert werden und damit zur Diagnostik beitragen. Im Folgenden einen mit der Mikrotiterplatte fest (kovalent) gebundenen spezifi-
werden die häufigsten Methoden zum Nachweis solcher Antigene schen Antikörper heftet sich bei diesem Test das zu detektierende
dargestellt. Antigen. In Waschschritten entfernt man danach die ungebundenen
Bestandteile der Probe. Das so an die Festphase gebundene Antigen
wird im nächsten Schritt mit einem 2., spezifischen, enzymmarkier-
18.5.1 Immunfluoreszenztests ten Antikörper überschichtet. Überschüssige Antikörper werden in
Waschschritten entfernt. Dem an den 2. Antikörper gekoppelten
jDirekter Erregernachweis Enzym wird danach ein Substrat zugegeben. Die Farbänderung des
Durch die Verwendung von Antikörpern, die einerseits spezifisch Substrats nach Umsatz durch das Enzym wird fotometrisch gemes-
an das zu detektierende Antigen binden und andererseits eine Mar- sen und quantifiziert.
kierung mit einem Fluoreszenzfarbstoff besitzen, lassen sich Erreger Im Bereich der Virologie haben sich nur wenige Antigen ELISA-
direkt im zu untersuchenden Material nachweisen (direkte Immun- Tests bewährt (HBsAg, HBeAg, HIV-Ag (p24), HCV Ag im Serum,
fluoreszenz). Rotavirus-Ag im Stuhl), da bei den meisten Viruserkrankungen nur
Ein Beispiel für dieses Verfahren ist der Nachweis von Zysten des geringe Antigenkonzentrationen in Körperflüssigkeiten vorliegen.
Erregers Pneumocystis jirovecii. Sofern dieser in Proben des Respi- In der Bakteriologie werden mit diesem Verfahren z. B. Legionella-
rationstrakts vorhanden ist, bindet bei der Färbung im Labor der Antigene im Urin oder das Clostridium-difficile-Toxin im Stuhl
passende, markierte Antikörper fest an den Erreger und kann da- nachgewiesen.
nach nicht mehr abgespült werden. Unter UV-Licht leuchten die
Zysten im Fluoreszenzmikroskop hell auf. jAgglutinationstests
Im Gegensatz zu Bakterien und anderen noch größeren Mikro- Bei Latexagglutinationstests werden an Latexpartikel gebundene
organismen sind Viren lichtmikroskopisch nicht sichtbar. Virale Antikörper der Probe zugegeben. Ist das passende Antigen enthal-
Antigene lassen sich aber schnell und leicht in infizierten Zellen ten, kommt es zur Vernetzung und es bilden sich mit dem bloßen
nachweisen, die in Abstrichen (Auge, Nase, Rachen) und Spülflüs- Auge sichtbare Verklumpungen. Einsatzfelder solcher Tests sind z. B.
sigkeiten (z. B. bronchoalveoläre Lavage) enthalten sind. Dafür müs- der Direktnachweis von Meningokokken im Liquor oder die Typi-
18.6 · Nachweis erregerspezifischer Immunreaktionen
139 18
sierung von Streptokokken anhand von deren Lancefield-Antigen. schrieben. Früh im Verlauf einer Infektion gebildete Antikörper
Latexagglutinationsverfahren werden auch angewendet für den weisen eine geringere Avidität auf als später gebildete. Somit lässt
Nachweis viraler Antigene in Körperflüssigkeiten (z. B. Rotavirus im die Aviditätsbestimmung Rückschlüsse auf das Stadium einer Infek-
Stuhl, Influenzavirus in bronchoalveolärer Lavage). Die begrenzte tion zu.
Sensitivität und Spezifität dieser Verfahren in der Virologie erfor-
dern jedoch die Ergänzung durch andere diagnostische Methoden Kreuzreaktionen Kreuzreaktionen zwischen einzelnen Erregern
(z. B. PCR, direkter Immunfluoreszenztest, Virusisolation). können ein Problem darstellen (z. B. zwischen Viren der Herpes-
gruppe oder zwischen Mumps- und Parainfluenzavirus). Fragliche
jBedside-Tests, Over-the-Counter-Tests Befunde (evtl. nichtsignifikante Titeranstiege bei verdächtigem kli-
Eine Reihe von Testverfahren zum Antigennachweis auf der Basis nischem Bild, grenzwertige Ergebnisse bei Enzymimmunoassays)
unterschiedlicher Techniken (ELISA, Latexagglutination, Immun- sollte man kurzfristig kontrollieren, indem ein weiteres Serum für
diffusion) wird kommerziell angeboten, entweder zur Verwendung die entsprechende Untersuchung eingesandt wird.
durch den Arzt direkt am Krankenbett (Bedside-Test) oder durch
den medizinischen Laien (Over-the-Counter-[OTC-]Test). Obwohl jNeutralisationstest
ein Teil dieser Tests unter Laborbedingungen ausreichend gut funk- Mithilfe des Neutralisationstests kann man immunitätsvermittelnde
tioniert, produzieren unzureichend ausgebildete Labormitarbeiter Antikörper nachweisen. Von einem neutralisierenden Antikörper
oder Laien oft falsch-negative oder falsch-positive Ergebnisse, weil spricht man, wenn die Bindung dieses Antikörpers an das Virus des-
sie Grundbedingungen der Probennahme oder Testdurchführung sen Infektiösität blockiert. Vorteil ist die hohe Spezifität der Metho-
nicht einhalten. Dies kann zu lebensbedrohlichen Fehldiagnosen de (7 Abschn. 18.12.2). Sie ist daher häufig eine Referenzmethode
führen. Der Einsatz dieser Tests sollte deshalb besonders geschultem zum Antikörpernachweis und sehr gut für Immunitätsfragestellun-
Personal vorbehalten bleiben. Außerdem sind therapieentscheiden- gen geeignet. Ihr Nachteil ist der hohe Zeitaufwand.
de Ergebnisse durch ein anderes Verfahren im Labor zu bestätigen.
jHämagglutinations-Inhibitionstest
(HI; Synonym: Hämagglutinations-Hemmtest, HHT)
18.6 Nachweis erregerspezifischer Einige Viren, z. B. das Rötelnvirus, enthalten auf ihrer Oberfläche
Immunreaktionen Moleküle mit der Fähigkeit, an Rezeptoren auf Erythrozytenmemb-
ranen zu binden und Erythrozyten zu agglutinieren. Beim HI/HHT
18.6.1 Serologie (Antikörpernachweise) werden nun unterschiedliche Verdünnungsstufen eines Patienten-
serums mit einer definierten Virussuspension vermischt und an-
Serologische Methoden weisen einen Infektionserreger indirekt schließend mit Erythrozyten inkubiert. Fehlt im Patientenserum ein
nach: Statt des Krankheitserregers selbst werden die vom betroffe- die hämagglutinierende Eigenschaft des Virus blockierender Anti-
nen Patienten produzierten, gegen den Krankheitserreger gerichte- körper, wird das Virus die Erythrozyten agglutinieren. Sind jedoch
ten Antikörper nachgewiesen und damit indirekt eine Infektion di- im Patientenserum solche Antikörper vorhanden, hemmen sie die
agnostiziert. Da viele Infektionen eine lang anhaltende Immunant- Agglutination und die nicht im Agglutinat gefangenen Erythrozyten
wort und damit im Serum nachweisbare Antikörper provozieren, ist sedimentieren. Als Titer gibt man die höchste Verdünnungsstufe
es diagnostisch wichtig, eine frische von einer abgelaufenen Infek- des Patientenserums an, bei der man noch keine Agglutination
tion unterscheiden zu können. Dies gelingt auf 3 Wegen: beobachtet.
4 Nachweis eines Titeranstiegs HI-Tests lassen sich nur für Viren mit agglutinierenden Eigen-
4 Nachweis von Immunglobulin M (IgM) schaften entwickeln. Sie haben heute nur noch eine begrenzte Be-
4 Aviditätsbestimmung der Antikörper (weniger gebräuchlich) deutung, insbesondere bei der Bestimmung der Rötelnimmunität.

Titeranstieg Eine frische Infektion lässt sich durch einen signifi- jEnzymgekoppelter Immunosorbent Assay (ELISA) zum
kanten Titeranstieg (d. h. mehr als 2-fach, in der Regel 4-fach) in Antikörpernachweis
aufeinanderfolgend entnommenen Seren (Serumpaar) nachweisen. Unter diesem Oberbegriff wird oft (nicht ganz korrekt) eine Reihe
Dabei sollte die erste Serumprobe möglichst kurz nach Beginn der automatisierbarer Verfahren zusammengefasst mit der gemeinsa-
Erkrankung, die zweite ca. 14 Tage später abgenommen werden. Bei men Eigenschaft, dass die Antigen-Antikörper-Reaktion nicht in
Testmethoden, die auf Titervergleichen beruhen, kann ein einzelner Lösung erfolgt, sondern an eine Festphase (meist eine Kunststof-
erhöhter Titer nur vage auf eine frische Infektion hindeuten. foberfläche) gebunden ist (»Immunosorbent«). Dies war ein erheb-
licher Fortschritt für die serologische Technik zum Antikörpernach-
IgM-Bestimmung Die serologische Diagnose einer frischen Infek- weis, da sich durch einfache Waschschritte unspezifisch gebundene
tion kann durch eine IgM-Bestimmung aus einem einzelnen Serum Antikörper entfernen lassen. Außerdem können die Tests durch
erfolgen. Antikörper der IgM-Klasse sind frühestens 1 Woche nach Wahl eines entsprechend spezifischen Sekundärantikörpers sehr
Infektion nachweisbar, bei Erkrankungen mit längerer Inkubations- leicht IgG-, IgM- und IgA-spezifisch ausgelegt werden.
zeit (z. B. »Kinderkrankheiten«) oft schon zu Krankheitsbeginn.
In der Regel bleiben sie 4‒8 Wochen nachweisbar. Weitere Unter- Durchführung Im einfachsten Fall besteht der ELISA aus direkt an
suchungen oder Probeentnahmen sind dann oft nicht erforderlich. eine Festphase (z. B. Näpfe einer Multiwellplatte) gebundenen Anti-
In Ausnahmefällen, z. B. bei medikamentös immunsupprimierten genen eines Krankheitserregers. Der Testablauf lässt sich in 3 Schrit-
Patienten, können sie aber monate- bis jahrelang persistieren. Die te unterteilen (. Abb. 18.4):
Aussagekraft eines IgM-Nachweises ist dann erheblich eingeschränkt. 1. Nach Zugabe des Patientenserums erfolgt die Bindung der er-
regerspezifischen Antikörper (wenn vorhanden) ans Antigen
Aviditätsbestimmung Mit Avidität wird die Stärke einer Antigen- und somit an die Festphase. Unspezifisch auf der Oberfläche
Antikörper-Bindung, bedingt durch multivalente Bindungen be- haftende Antikörper werden durch Waschen entfernt.
140 Kapitel 18 · Methoden der mikrobiologischen Diagnostik

2. Nun erfolgt die Inkubation mit einem z. B. gegen humanes


IgM-Fc-Fragment gerichteten 2. Antikörper (oft »Konjugat«
genannt), der chemisch mit einem Enzym gekoppelt (»konju-
giert«) ist. Dieser Antikörper bindet an alle humanen IgM-
Moleküle. Es folgt ein weiterer Waschschritt, durch den nur
spezifisch gebundenes Konjugat auf der Festphase verbleibt.
3. Es folgt eine Inkubation mit einem Substrat für das Enzym,
sodass eine Farbreaktion eintritt, die fotometrisch gemessen
werden kann.

Varianten Das Reaktionsprinzip ist vielfältig variierbar. Hierzu ge-


hört der Einsatz von nur gegen eine Immunglobulin-Subklasse ge- . Abb. 18.4 ELISA
richteten Konjugaten, um eine frische von einer zurückliegenden
Infektion zu unterscheiden, oder eines Konjugats, das zwecks ma-
ximaler Sensitivität sämtliche Ig-Subklassen erfasst. Auch die Ver- lich wie beim ELISA erfolgen Waschschritte, die Inkubation mit
wendung eines Fluoreszenz- oder Lumineszenzfarbstoffs statt eines einem enzymkonjugierten 2. Antikörper und anschließend mit
Enzyms oder von Mikropartikeln statt einfacher Kunststoffober- einer Substratlösung. Hierbei wird ein Farbstoff produziert, der sich
flächen ist möglich (z. B. »chemoluminescence microparticle assay«, an die Antigenbande anlagert und diese anfärbt.
Diagnostik

CMIA). Der Western-Blot wird visuell beurteilt, wobei nicht nur die
Varianten des ELISA-Testprinzips sind »Sandwichtests«, bei de- Stärke der Anfärbung in die Beurteilung eingeht, sondern auch, ob
nen das Antigen durch einen spezifischen Antikörper an die Fest- die Banden in der richtigen Position sind und sich ein typisches und
phase gebunden wird, sowie der »enzyme-labeled antigen assay« spezifisches Bandenmuster ergibt.
(ELA) oder »μ-capture assay«. Beim ELA werden mithilfe von an die Alternativen zum Western-Blot sind der »line immunoassay«
Festphase gebundenen Antikörpern gegen das IgM-Fc-Fragment (LIA) oder der »strip immuno assay« (SIA), bei denen die Teststrei-
selektiv sämtliche IgM-Moleküle aus einer Serumprobe gebunden. fen anders hergestellt werden. Hierbei werden gentechnisch herge-
Seine Spezifität erhält der Test durch Zugabe eines definierten stellte Antigene direkt an definierte Positionen eines Streifens aufge-
enzymmarkierten Antigens. Vorteil des ELA ist seine Unempfind- bracht. Der eigentliche Testablauf erfolgt dann wie für den Western-
lichkeit gegenüber Rheumafaktoren, die bei konventionellen IgM- Blot beschrieben. Ein Beispiel stellt der Line-Blot zur Bestätigung
ELISA-Tests zu falsch-positiven Ergebnissen (Kreuzreaktion) füh- von Antikörpern gegen das Hepatitis-C-Virus dar.
ren können.
jKomplementbindungsreaktion (KBR)
Ergebnisse des ELISA ELISA-Tests liefern primär qualitative Ergeb- Eine weitere Methode, die auf einer Antigen-Antikörper-Reaktion
nisse. Durch das Mitführen von Kalibratoren und Eichkurven lassen beruht, ist die Komplementbindungsreaktion (KBR, . Abb. 18.5).
sich aus den fotometrisch gemessenen Farbreaktionen auch quanti- Sie stellt einen indirekten Antikörpernachweis dar. Das Testsystem
tative Ergebnisse berechnen, ohne zuvor aufwendige Verdünnungs- basiert auf der Tatsache, dass sich bei in vitro ablaufenden Antigen-
reihen der Serumprobe erstellen zu müssen. Bei manchen quantita- Antikörper-Reaktionen die Struktur der Fc-Teile der Antikörper
tiven ELISAs wird das Testprinzip abgewandelt: Kompetitiv mar- (IgG und IgM) ändert. Diese ermöglicht in Gegenwart von Kalzium-
kierte Antigene (oder Antikörper) werden aus der Bindung ver- und Magnesiumionen eine Aktivierung der klassischen Komple-
drängt. Eine Aviditätsbestimmung gelingt im ELISA nach mentkaskade (C1‒C9). Infolge dieser Aktivierung wird Komplement
Vorinkubation eines Aliquots der Serumprobe mit einem das Prote- verbraucht.
in denaturierenden Agens und vergleichender quantitativer Bestim-
mung der Reaktivität der behandelten und unbehandelten Probe. Durchführung Zur Suche nach Antikörpern in einem Patienten-
serum wird das enthaltene Komplement durch Hitze inaktiviert.
jImmunoblot/Western-Blot Anschließend setzt man dem komplementfreien Serum eine defi-
Immunoblots dienen oft als sehr spezifische Verfahren für serologi- nierte Menge Komplement sowie das Antigen zu, gegen das sich der
sche Bestätigungstests zum Nachweis von Antikörpern. Das klassi- gesuchte Antikörper richtet. Sind im Patientenserum spezifische
sche Immunoblotverfahren ist der Western-Blot. In der Bakteriolo- Antikörper vorhanden, bindet Komplement an die sich bildenden
gie ist der Immunoblot z. B. zur Bestätigung eines serologischen Immunkomplexe und wird ganz oder teilweise verbraucht.
Verdachts einer Borelliose oder Yersiniose gängig. In der Virologie Der Komplementverbrauch in dieser 1. Phase der Reaktion ist
dient der Western-Blot zur Bestätigung des Nachweises von Anti- nicht direkt erkennbar. Er wird in der 2. Phase durch ein Indikator-
körpern gegen HIV. system sichtbar gemacht. Dabei handelt es sich um einen stabilen
Beim Western-Blot werden durch Kultur gewonnene antigene Antigen-Antikörper-Komplex aus Schaferythrozyten und gegen sie
Erregerbestandteile elektrophoretisch nach ihrer Größe aufge- gerichtete Antikörper (Ambozeptor). Nach Komplementzugabe und
trennt und auf eine feste Phase (z. B. Nitrozellulosemembran) trans- Ablauf der Komplementkaskade lysieren die Schaferythrozyten.
feriert. Dieser Transfer (»blot«) hat dem Verfahren seinen Namen Wird hierzu der Ansatz aus der 1. Phase der KBR verwendet, gibt es
gegeben. Das Nitrozellulosematerial wird danach in Streifen ge- 2 Möglichkeiten des Reaktionsausfalls:
schnitten, sodass jeder Streifen alle Antigene – nach Molekülgröße 4 Im Patientenserum befinden sich spezifische Antikörper
sortiert – enthält. Solche Streifen sind heute in aller Regel kommer- (. Abb. 18.5 oben): Es kommt zur Immunkomplexbildung,
ziell erhältlich. Auf den Teststreifen wird dann das Patientenserum Komplement wird verbraucht, es steht kein Komplement mehr
mit den nachzuweisenden, evtl. vorhandenen Antikörpern gegen zur Verfügung, um nach Zugabe des Ambozeptors eine Hämo-
diese transferierten Antigene gegeben. Im positiven Fall binden die lyse der Schaferythrozyten zu verursachen – die erhaltenen
Antikörper an die Antigene auf dem Teststreifen (Festphase). Ähn- Erythrozyten sedimentieren (Knopfbildung).
18.6 · Nachweis erregerspezifischer Immunreaktionen
141 18

. Abb. 18.5 Komplementbindungsreaktion (KBR); der dunkelrote, gezackte Keil symbolisiert das Komplementsystem, der rosafarbene, gezackte Keil steht
für das verbrauchte Komplementsystem (Details im Text)

4 Patientenserum ohne spezifische Antikörper(. Abb. 18.5 unten): Der Nachweis erregerspezifischer T-Zellen gelingt nur, sofern
In Abwesenheit von Immunkomplexen wird das Komplement diese Zellen grundsätzlich stimulierbar sind. Dies ist jedoch bei
nicht verbraucht und nach Zugabe des Ambozeptors aktiviert. einigen Patienten nicht oder nur unzureichend der Fall. Daher ist bei
Die resultierende Hämolyse verhindert die Knopfbildung. jedem Testansatz stets eine Kontrolle mitzuführen, welche die
grundsätzliche Stimulierbarkeit der T-Zellen überprüft. Lassen sich
Eine Quantifizierung erreicht man durch Testung einer geometri- T-Zellen nicht unspezifisch stimulieren, so ist ein negatives Ergebnis
schen Verdünnungsreihe des Patientenserums. Als Titer gibt man der spezifischen Stimulation nicht verwertbar.
die höchste Verdünnungsstufe an, bei der man noch keine Hämolyse Auch der seit langem eingesetzte Tuberkulin-Intrakutantest
beobachtet. (Tine-Test, Mendel-Mantoux-Test) dient dem Nachweis einer zellu-
lären Immunantwort anhand einer ca. 48 h nach Tuberkulin-Injek-
Ergebnisinterpretation Die KBR eignet sich gut zur Verfolgung tion nachweisbaren derben Hautinfiltration an der Einstichstelle
der Aktivität einer Infektion: deutliche Titeranstiege bei frischen (allergische Reaktion vom verzögerten Typ).
Infektionen und schneller Rückgang der KBR-Titer nach Aus- In der virologischen Diagnostik sind Nachweismethoden für
heilung. Sie ist allerdings im Vergleich zu ELISA-Methoden un- erregerspezifische T-Zellen bislang nur als Ergänzung für spezielle
empfindlich und zeitaufwendig. Da sowohl IgM als auch IgG in Fragestellungen bedeutsam. Der Nachweis erregerspezifischer
der Lage sind, Komplement zu binden bzw. zu aktivieren, lassen
sich beide Antikörperklassen nicht unterscheiden. Untersucht
wird daher vorzugsweise ein Serumprobenpaar, das innerhalb von
2 Wochen abgenommen wurde. Ein erhöhter Titer, eine Serokon-
version oder ein signifikanter Titeranstieg innerhalb von 2 Wochen
zeigen eine frische Infektion bzw. Reaktivierung an. Ein erhöhter
Titer kann auch eine rezente (kurz zurückliegende) Infektion an-
zeigen.
In der Infektionsdiagnostik wird die KBR zunehmend durch
neuere Verfahren verdrängt.

jImmundiffusion/Elek-Test
Das Prinzip der Immundiffusion wird beispielsweise beim Elek-Test
genutzt (. Abb. 18.6). Dieses nach seinem Erfinder S. D. Elek be-
nannte Verfahren eignet sich zum Nachweis toxinbildender Stämme
von Corynebacterium diphtheriae. Der Erreger wird in einem lan-
gen Strich auf Testagar aufgeimpft und ein mit Antitoxin getränkter
Papierstreifen wird aufgelegt. Toxin und Antitoxin diffundieren nun
in den Agar. Wurde ein toxinpositives Isolat aufgetragen, so bilden
Diphtherietoxin und Antitoxin vernetze Antigen-Antikörper-Kom-
plexe, die als Präzipitationslinien sichtbar werden.

18.6.2 Nachweis erregerspezifischer T-Zellen

Der Nachweis erregerspezifischer T-Zellen ist nur wenigen Frage-


stellungen vorbehalten. Ein Beispiel für ein solches Einsatzgebiet
ist die Tuberkulosediagnostik. Dabei exponiert man T-Zellen des
Patienten mit Tuberkulin (Bestandteile von Mykobakterien). Ist der
Patient mit Tuberkulose infiziert, d. h., seine T-Zellen hatten bereits
kurz zuvor Kontakt mit Tuberkulin, so werden diese Zellen zur Pro-
duktion von IFN-γ angeregt. T-Zellen nicht infizierter Personen sind
hingegen durch Tuberkulin kaum stimulierbar. . Abb. 18.6 Elek-Test
142 Kapitel 18 · Methoden der mikrobiologischen Diagnostik

T-Zellen gegen CMV oder Adenovirus lässt z. B. bei knochen- 18.7.2 Polymerasekettenreaktion und andere
marktransplantierten Patienten auf eine eher gute Prognose im Falle Nukleinsäure-Amplifikationstechniken
einer Infektion schließen.
jKonventionelle PCR
Die Polymerasekettenreaktion (»polymerase chain reaction«, PCR)
18.7 Molekularbiologische Verfahren ist ein Verfahren, mit dem sich bestimmte Nukleinsäuresequenzen
sehr stark (exponentiell) vermehren und dadurch leicht nachweisen
Molekularbiologische Nachweisverfahren haben in der Infektions- lassen. Vor Durchführung einer PCR muss die DNA (oder RNA im
diagnostik in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewon- Falle von RNA-Viren) aus der klinischen Probe extrahiert werden.
nen. Wird der Nachweis von RNA-Viren angestrebt, muss die RNA vor
der PCR durch eine reverse Transkriptase (RT) zu DNA umgeschrie-
ben werden (RT-PCR).
18.7.1 Hybridisierungsverfahren Für die PCR sind 2 Primer erforderlich. Dies sind Oligonukleo-
tide, also ca. 20 Basen umfassende DNA-Moleküle. Ihre Sequenzen
Durchführung Hybridisierungsverfahren sind die ältesten Metho- sind so gewählt, dass sie im Abstand von wenigen hundert Basen
den zum Nachweis von Nukleinsäuresequenzen. Ihr Prinzip besteht voneinander an den Strang bzw. Gegenstrang eines DNA-Doppel-
darin, dass ein Nukleinsäure-Sequenzstück mit komplementärer strangs binden. Diese Bindung erfolgt spezifisch durch Basenpaa-
Sequenz zur nachzuweisenden DNA oder RNA als Sonde (»probe«) rung mittels Wasserstoffbrückenbindungen ähnlich wie bei der Hy-
Diagnostik

dient. Diese Sonde ist radioaktiv markiert oder chemisch mit leicht bridisierung einer Sonde (7 Abschn. 18.7.1). Außerdem sind für die
nachweisbaren Verbindungen gekoppelt (z. B. Fluoreszenzfarbstof- PCR eine hitzestabile DNA-Polymerase und Nukleotidtriphosphate
fe, Biotin, Digoxigenin). Bei klassischen Hybridisierungsverfahren erforderlich.
(Blot-Methoden) muss die DNA bzw. RNA zunächst aus dem klini-
schem Probenmaterial extrahiert werden. Sie wird dann durch Hitze Durchführung Das Prinzip der PCR beruht auf einer exponentiel-
denaturiert (in Einzelstränge aufgetrennt) und entweder direkt auf len enzymatischen Vermehrung eines genau definierten DNA-Ab-
eine Festphase (Nylon- oder Nitrozellulosemembran) aufgetragen schnitts des Genoms in einer zyklisch ablaufenden Reaktion, bei der
(»geblottet«) und fixiert (Dot-und-Slot-Blot-Verfahren) oder vor jeweils die Reaktionsprodukte eines Zyklus die Matrize für die Ver-
dem Auftragen auf einem RNA-Gel oder DNA-Gel nach der Größe mehrung im nächsten Zyklus sind. Ein PCR-Zyklus umfasst folgen-
aufgetrennt (Northern- bzw. Southern-Blot). de 3 Schritte (. Abb. 18.7):
Anschließend wird die Membran mit der Sonde (also einem 1. Denaturierung: Die Doppelstrang-DNA wird durch Erhitzen
komplementären DNA- oder RNA-Molekül) inkubiert. Falls die (z. B. auf 95 °C) in Einzelstränge aufgetrennt.
nachzuweisende DNA oder RNA vorhanden ist, bindet diese Sonde 2. Annealing: Die Oligonukleotidsonden binden bei geeigneter
spezifisch durch Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen Temperatur (z. B. 54 °C) spezifisch an die DNA-Einzelstränge.
(Doppelstrangbildung). Danach wird die Membran gewaschen, um 3. Elongation oder Extension: Ausgehend von den Primerse-
unspezifisch gebundene Sonde zu entfernen, und anschließend eine quenzen synthetisiert die DNA-Polymerase (z. B. bei 72 °C)
Nachweisreaktion für die Sonde durchgeführt. Im einfachsten Fall einen neuen, jeweils komplementären DNA-Strang.
ist das die Exposition eines fotografischen Films für den Nachweis
von Radioaktivität. In einem Zyklus wird deshalb ein Abschnitt der DNA verdoppelt. So
kommt es zur exponentiellen Vermehrung der nachzuweisenden
Einsatzgebiete Nachteil der klassischen Hybridierungsmethoden DNA-Moleküle: 2 → 4 → 8 → 16 → 32 → 64 → 128 → 256 → 512 → 1024
ist ihre geringe Sensitivität (7 Abschn. 18.12.1). Deshalb werden sie usw.). Durch die Abfolge von z. B. 35 Zyklen kann man die Ausgangs-
diagnostisch fast nicht mehr eingesetzt und sind durch PCR-Verfah- DNA-Menge auf diese Weise 68-milliardenfach (236) vermehren.
ren ersetzt worden (s. u.). Eine Ausnahme stellen die Hybridisie- Nach der Amplifikation der viralen Nukleinsäure muss diese
rungsverfahren mit Signalverstärkung dar, z. B. der »Branched- nachgewiesen (sichtbar gemacht) werden. Dies gelingt durch
DNA-Test« (bDNA). Bei diesem wird das Signal so stark verstärkt, Gelelektrophorese und Anfärben der DNA mit einem
dass die Sensitivität des Verfahrens einer PCR vergleichbar ist. Der- Fluoreszenzfarbstoff(z. B. Ethidiumbromid). Man erkennt im posi-
artige Tests sind zur quantitativen RNA-Bestimmung im Blut (z. B. tiven Fall auf dem Gel eine Bande, die genau die durch die Primer-
Virus-RNA, »Viruslast«) kommerziell erhältlich. Hybridierungsver- positionen festgelegte Länge aufweist.
fahren haben zudem noch große Bedeutung in der Früherkennung Um spezifische und unspezifische PCR-Amplifikate eindeutig
des Zervixkarzinoms durch den Nachweis humaner Papillomviren unterscheiden zu können, ist deren Größenbestimmung im Agaro-
in Zervixabstrichen. segel aber nicht ausreichend. Besser ist es, zum Nachweis der PCR-
Eine Variante der klassischen Blot-Hybridisierungs-Methoden Produkte eine Hybridisierungsreaktion (7 Abschn. 18.7.1) mit einer
ist die In-situ-Hybridisierung. Diese arbeitet mit histologischen Ge- Sonde durchzuführen, die an die amplifizierte Sequenz bindet.
webeschnitten, in denen durch eine markierte Sonde DNA oder
RNA nachgewiesen wird. Die In-situ-Hybridisierung hat in der vi- Probleme/Schwierigkeiten Die PCR ermöglicht den spezifischen
rologischen Forschung Bedeutung, da man erkennen kann, welche Nachweis geringster Nukleinsäuremengen. Darin liegt einerseits die
Zellen in einem Gewebe infiziert sind. Für die virologische Labor- Stärke dieser Methode, anderseits aber auch ihr Schwachpunkt. Ein
diagnostik ist sie aber meist zu aufwendig. großes technisches Problem ist die Kontamination der PCR durch
nachzuweisende DNA, die nicht vom Patienten stammt, sondern aus
anderen Proben (Kreuzkontamination) oder vorherigen PCR (Pro-
duktkontamination). Dies führt zu falsch-positiven Ergebnissen, die
sich nur durch eine auf den PCR-Betrieb abgestimmte Labororgani-
sation zuverlässig verhindern lassen. Das erfordert besonders ge-
18.7 · Molekularbiologische Verfahren
143 18

. Abb. 18.7 PCR

schulte Mitarbeiter, die Trennung von Prä-PCR- und Post-PCR-La- verschiedene Erreger zeitgleich nachweisen. Multiplex-PCR sind
bors sowie die Verwendung von Einmalmaterialien. jedoch oft weniger sensitiv und zudem störanfälliger als eine kon-
Für manche Fragestellungen ist die Sensitivität der PCR so ventionelle PCR. Ihre Anwendung bedarf deshalb besonderer Ex-
hoch, dass positive Ergebnisse diagnostisch irrelevant sein können. pertise.
Dies wird z. B. beim Nachweis von Epstein-Barr-Virus (EBV) aus
EDTA-Blut deutlich. EBV-DNA persistiert nach der Primärinfektion jQuantitative PCR (Real-Time-PCR oder Echtzeit-PCR)
lebenslang in geringen Mengen in Lymphozyten. Der EBV-DNA Grundsätzlich erlaubt eine PCR nur qualitative Befunde (positiv
Nachweis ist dann technisch zwar korrekt geführt, aber diagnostisch oder negativ), da die Menge des PCR-Produkts (die sich leicht mes-
nicht hilfreich. Dieses Dilemma vermögen neuere, quantifizierende sen lässt) nicht in eindeutigem Zusammenhang mit der Menge nach-
PCR-Systeme auszugleichen. zuweisender DNA im klinischen Material steht. Es gibt jedoch viele
Fragestellungen (z. B. Viruslastuntersuchungen), bei denen nur ein
Alternativverfahren Bei manchen PCR-Alternativverfahren (z. B. quantitativer Nachweis von DNA oder RNA diagnostisch oder pro-
NASBA, TMA, 3SR), erfolgt der Reaktionsablauf isothermal (also gnostisch sinnvoll ist. Für solche Fragestellung bietet sich die Real-
bei konstanter Temperatur). Auch hier sind 2 Oligonukleotid-Pri- Time-PCR an.
mer nötig, außerdem mehrere Enzyme (reverse Transkriptase, RNa-
se H, T7-DNA-Polymerase). Ihr Vorteil: RNA lässt sich auch direkt Durchführung Beim Real-Time PCR-Verfahren wird bereits wäh-
amplifizieren und RNA-Sequenzen lassen sich selektiv in einem rend der Reaktion die Produktmenge gemessen (. Abb. 18.8). Das
»Hintergrund« identischer DNA-Sequenzen nachweisen. PCR-Produkt wird dabei durch Hybridisierung mit hochspezifi-
schen, fluoreszenzmarkierten Sonden (Oligonukleotide mit ca.
jMultiplex-PCR 25 Basen) nachgewiesen. Die Fluoreszenzstärke ist proportional zur
Multiplex-PCR verwenden in einem Reaktionsansatz mehrere Pri- Anzahl des Amplikons und erlaubt so eine Quantifizierung. Der
merpaare für verschiedene Krankheitserreger. Dadurch lassen sich Zeitpunkt (Zyklusnummer), an dem die Fluoreszenz einen be-
144 Kapitel 18 · Methoden der mikrobiologischen Diagnostik

im Elektrophoresegel erforderlich. Nach Färbung mit Ethidiumbro-


mid wird ein für jeden Stamm charakteristisches Bandenmuster er-
kennbar (. Abb. 18.9). Identische Bandenmuster zeigen identische
Isolate an.
Die Unterscheidung zwischen »Überträger« und »Empfänger«
bei der Transmission eines Erregers ist jedoch nur durch den zusätz-
lichen Abgleich epidemiologischer Daten möglich. Außerdem muss
die Diversität des Erregers bekannt sein. (Gibt es nur wenige Stämme
einer Spezies, so ist das Auftreten des gleichen Stammes bei mehreren
Patienten kaum verwunderlich.)

18.7.4 Sequenzierung

. Abb. 18.8 Quantitative PCR


Produkte der konventionellen PCR sowie der Echtzeit-PCR lassen
sich bei Bedarf (z. B. zur Speziesdiagnostik) sequenzieren. Mit ver-
schiedenen Verfahren wird die Abfolge der Basen im DNA-Ampli-
stimmten Schwellenwert (Hintergrundrauschen) überschreitet, ist fikat ermittelt. Derzeit am verbreitetsten und am leichtesten automa-
Diagnostik

direkt proportional zum Logarithmus der in der Real-Time-PCR tisierbar sind die Pyro-Sequenzierung und das Cycle-Sequencing.
enthaltenen Menge an Erregern. Für eine absolute Quantifizierung Die Sequenzdaten können z. B. zum Nachweis von Infektketten
muss eine Standardreihe mitgeführt werden. Die derzeit verbreitets- dienen. Die Sequenzierung hochvariabler Genregionen, die z. B. im-
ten Echtzeit-PCR-Methoden sind das TaqMan-Verfahren sowie die munogene Determinanten kodieren, dient heute als Typisierungs-
Verwendung von »FRET-Hybprobes«-Sonden. methode in der Virologie: So typisiert man z. B. Enteroviren nicht
mehr durch Neutralisation, sondern durch Sequenzierung. Eine
Interpretation der Ergebnisse Die Real-Time-PCR hat einen sehr weitere Anwendung der Sequenzierung in der Virologie ist die geno-
großen (linearen) Messbereich, aber eine geringe Messgenauig- typische Resistenzbestimmung bei HIV, HBV, CMV und HSV.
keit. Im Allgemeinen lassen sich zwei Proben, deren Konzentration
um den Faktor 5 differiert, eindeutig unterscheiden. Dies genügt jSequenzierung von 16S-rDNA
für prognostische Fragestellungen und Therapieentscheidungen, Der Bereich des bakteriellen Genoms, der die 16S-Untereinheit bak-
da meist Änderungen um 1 »log«-Stufe (Faktor 10) wegweisend terieller Ribosomen kodiert, beinhaltet sowohl hochkonservierte
sind. (bei fast allen Bakterien identische) Sequenzen als auch variable Be-
reiche, die jeweils für eine bestimmte Gruppe (z. B. eine Spezies) von
Bakterien charakteristisch sind. Diese Tatsache nutzt man bei der
18.7.3 Pulsfeld-Gelelektrophorese (PFGE) Identifizierung und Typisierung von Bakterien mittels Sequenzie-
rung des 16S-rDNA-Bereichs. Nach Ermittlung der Sequenz der
Die PFGE ist ein molekularbiologisches Verfahren zum Vergleich 16S-rDNA ist ein Abgleich mit Datenbanken möglich, in denen eine
der genetischen Verwandtschaft von Isolaten der gleichen Spezies. große Anzahl solcher Sequenzen hinterlegt worden ist.
Es dient zur Analyse von Infektionsketten. Bei der PFGE werden
keine DNA-Abschnitte vervielfältigt; stattdessen wird eine große jMultilocus-Sequenz-Typisierung (MLST)
Menge Gesamt-DNA des Erregers (z. B. aus einer Einzelkolonie) Bei der Multilocus-Sequenz-Typisierung (MLST) amplifiziert man
durch ein selten schneidendes Enzym in etwa 20 sehr lange Frag- zunächst eine definierte Anzahl von Genen mittels PCR. In einem
mente (> 600.000 Basenpaare) zerlegt. Diese werden in einem elek- 2. Schritt wird dann durch Bestimmung der jeweiligen Nuklein-
trischen Wechselfeld elektrophoretisch aufgetrennt. Das Wechsel- säureabfolge nach Unterschieden in diesen PCR-Produkten gesucht.
feld ist dabei zur räumlichen Ausrichtung der großen DNA-Stücke Das Verfahren ist deshalb zum Vergleich von Isolaten aus verschie-
denen Quellen so gut geeignet, weil sich durch die Sequenzierung
ein eindeutiges Datenprofil eines jedes Klons ergibt. Verschiedene
Laboratorien können so (z. B. in epidemiologischen Studien) ihre
Ergebnisse leicht miteinander vergleichen. Zudem gibt es auch für
MLST-Sequenzen große Datenbanken, die bei der Identifizierung
von Erreger zum Vergleich nutzbar sind.

18.8 Genomsequenzierung

Die MLST wird zunehmend durch die Sequenzierung des komplet-


ten Genoms relevanter Erreger mit Hilfe von Next-Generation-
Sequencing-(NGS-)Verfahren ersetzt. Aus den Genomsequenzen
können die MLST-Sequenzen leicht extrahiert und in existierende
Datenbanken eingefügt werden. Genomsequenzen enthalten darü-
ber hinaus viele weitere für die Erregertypisierung relevante Infor-
mationen und die Klärung der Frage von Übertragungen kann mit
. Abb. 18.9 Pulsfeld-Gelelektrophorese wesentlich größerer Genauigkeit beantwortet werden.
18.9 · Empfindlichkeitsprüfung gegen antimikrobielle Substanzen
145 18
18.9 Empfindlichkeitsprüfung gegen
antimikrobielle Substanzen
Zur Auswahl einer geeigneten Therapie bakterieller Infektionen
muss man die Empfindlichkeit der Erreger gegenüber antimikrobiell
wirksamen Substanzen kennen. In vitro ist für sehr viele Substanzen
eine inhibitorische Wirkung gegen sehr viele Keime nachweisbar.
Therapeutisch lässt sich diese jedoch nur nutzen, wenn beim Patien-
ten am Infektionsort die zur Wachstumshemmung oder Abtötung
der Erreger notwendigen Konzentrationen tatsächlich erreicht wer-
den. Maximale Konzentrationen werden durch die pharmakokine-
tischen Eigenschaften des jeweiligen Antibiotikums sowie seine
unerwünschten, vielfach dosisabhängigen Nebenwirkungen vorge-
geben.
4 Unter diesen Randbedingungen ist ein Infektionserreger
gegenüber einem Antibiotikum nur dann als empfindlich
(sensibel) zu betrachten, wenn die bei üblicher und ver-
träglicher Dosierung erreichbaren Konzentrationen eine . Abb. 18.10 MHK-Röhrchen. Linkes Röhrchen: Wachstumskontrolle
Wachstumshemmung bewirken. (ohne Antibiotikum); rechts davon Röhrchen mit nach rechts abnehmender
4 Liegt die zur Wachstumshemmung notwendige Konzentra- Konzentration des zu untersuchenden Antibiotikums; die niedrigste Kon-
tion oberhalb dieser Grenze, gilt der Erreger unter Therapie- zentration des Antibiotikums, die eine Wachstumshemmung, d. h. fehlende
bedingungen als unempfindlich (resistent). Trübung nach Übernachtinkubation, des Keimes bewirkt, wird als MHK
abgelesen (im Bild das 3. Röhrchen von links); vgl. . Abb. 18.11 zur MHK-
4 In der Praxis kommt für manche Antibiotika ein Übergangs-
und MBK-Bestimmung mit der Bouillonverdünnungsmethode
bereich hinzu, der bei therapeutischem Einsatz erhöhter
Dosen des Antibiotikums erreicht werden kann. In diesem
Fall wird der Erreger als mäßig (intermediär) empfindlich
klassifiziert. Erregerwachstum wird über die makroskopisch sichtbare
Trübung detektiert, Wachstumshemmung über das Ausbleiben der
Hinsichtlich der Aktivität eines Antibiotikums gegen Bakterien Trübung (. Abb. 18.10, . Abb. 18.11). Die niedrigste Konzentration
ist zwischen einer wachstumshemmenden (bakteriostatischen) des Antibiotikums, die zur Wachstumshemmung führt, wird als
und einer abtötenden (bakteriziden) Wirkung zu unterscheiden. Im minimale Hemmkonzentration (MHK) angegeben. Für ein voll-
Labor lässt sich sowohl die minimale Hemmkonzentration (MHK) ständiges Antibiogramm, also die parallele Testung verschiedener
als auch die minimale bakterizide Konzentration (MBK) bestim- Antibiotika, setzt man entsprechend viele Verdünnungsreihen
men. Während bei Erreichen der MHK nur die weitere Vermehrung parallel an.
der Erreger verhindert wird, kommt es bei Erreichen der MBK zur Erfolgten ursprüngliche MHK-Bestimmungen im Makro-
Abtötung der Erreger. In der Praxis erfolgt in aller Regel nur die ansatz  (mehrere Milliliter Testvolumen), sind heute stark minia-
Bestimmung der MHK (. Abb. 18.10) bzw. äquivalenter Ergebnisse turisierte Testsysteme, z. B. in Mikrotiterplatten, verfügbar (Mikro-
anderer Verfahren, da die Kenntnis der MBK im Allgemeinen kei- dilution). Die Miniaturisierung erlaubt automatisierte Empfind-
nen besseren Vorhersagewert bezüglich des zu erwartenden Thera- lichkeitsprüfungen mit maschineller Inokulation vorgefertigter
pieerfolgs bietet und ungleich aufwendiger zu bestimmen ist. Testsysteme, Inkubation im geschlossenen System und foto-
Empfindlichkeitsprüfungen erfolgen stets an Reinkulturen eines metrische, EDV-gestützte Messung und Auswertung. Weiter-
Erregers: Erst nach primärer Anzucht und Isolierung eines Erregers entwicklungen messen das bakterielle Wachstum nicht erst nach
kann mit der Empfindlichkeitsprüfung begonnen werden, die dann einer fixen Inkubationszeit (Endpunktbestimmung), sondern lau-
ihrerseits in der Regel einen weiteren Arbeitstag, mindestens aber fend während der Inkubation. Im Abgleich mit der Wachstums-
6 h erfordert. kontrolle und erregerspezifischen Datenbanken liefern diese
Bei der Auswahl einer Substanz zur Therapie einer Infektion dynamischen Ansätze teilweise schon nach 6 h hochpräzise Anti-
sind daher einerseits der Erreger und dessen Empfindlichkeit gegen- biogramme.
über antimikrobiellen Substanzen zu beachten. Zusätzlich müssen Beim Breakpoint-Test, einer verkürzten Sonderform der Bouil-
die Pharmakokinetik und -dynamik der Substanzen für das jeweilige lonverdünnung, werden nur 2 Konzentrationen untersucht, die sich
Infektionsgebiet erwogen werden. aus den substanzspezifischen Grenzwerten (»breakpoints«) zur Be-
wertung der Empfindlichkeit ergeben. Damit ist eine Bewertung als
sensibel, intermediär oder resistent möglich, eine MHK jedoch nicht
18.9.1 Bouillonverdünnung ausweisbar.
Hemmung des Wachstums bedeutet nicht die Abtötung der Bak-
Die Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration ist das terien des eingesetzten Inokulums. Um die niedrigste zur Abtötung
älteste Verfahren zur Empfindlichkeitsprüfung. Hierzu stellt man der Bakterien notwendige Konzentration (minimal bakterizide Kon-
eine geometrische Verdünnungsreihe des zu untersuchenden Anti- zentration, MBK) zu ermitteln, werden ausgehend von der Bouillon-
biotikums her. Alle Verdünnungsstufen werden mit identischem verdünnungsmethode Aliquots der nichtgetrübten Testansätze auf
Inokulum (Erregermenge) beimpft und anschließend bebrütet. antibiotikafreie Nährmedien überimpft. Wachsen auf diesen Medien
Zusätzlich beimpft man als Wachstumskontrolle ein Medium die Bakterien nicht an, war die getestete Antibiotikakonzentration
ohne Antibiotikum, ohne deren positiven Ausfall keine Bewertung bakterizid. Die niedrigste Konzentration mit diesem Ergebnis kann
möglich ist. als MBK ausgewiesen werden.
146 Kapitel 18 · Methoden der mikrobiologischen Diagnostik
Diagnostik

. Abb. 18.11 MHK- und MBK-Bestimmung mit der Bouillonverdünnungsmethode

18.9.2 Agardiffusion

Ein weiteres gängiges Verfahren zur Erstellung eines Antibiogramms


ist die Antibiotikatestung mittels Agardiffusion. Bei diesem Verfah-
ren wird der zu testende Erreger flächig auf ein festes Kulturme-
dium aufgebracht. Anschließend werden kleine Filterpapierplätt-
chen aufgelegt, die mit einer definierten Menge des zu testenden
Antibiotikums getränkt sind. Das Antibiotikum diffundiert aus dem
Filterpapier in den Agar. Dabei ergibt sich ein Konzentrationsgefälle
der Substanz innerhalb des Nährmediums mit hoher Konzentration
in unmittelbarer Nähe des Plättchens und radial zur Peripherie hin
abnehmender Konzentration. Dieser Ansatz wird über Nacht inku-
biert.
Bei Wachstumshemmung stellt sich um das Testplättchen eine
wachstumsfreie Zone (Hemmhof) dar (. Abb. 18.12). Im Randbe-
reich dieses Hemmhofs entspricht die Konzentration des Antibioti-
kums im Agar der minimalen Hemmkonzentration. Der Durchmes-
ser des Hemmhofs korreliert also mit der MHK des Antibiotikums.
Über Reihenuntersuchungen mehrerer hundert Bakterienstämme
wurde die Korrelation von MHK und Hemmhofdurchmesser be-
stimmt. So ist die Übertragung der für die Bouillonverdünnungs-
methode geltenden MHK-Grenzwerte auf Hemmhofdurchmesser
möglich und damit die Bewertung der Ergebnisse als sensibel, inter- . Abb. 18.12 Agardiffusion
mediär oder resistent.
18.12 · Parameter zur Beurteilung der Qualität diagnostischer Verfahren
147 18
18.9.3 Weitere Möglichkeiten durchführbar. Für die Interpretation der Ergebnisse werden über das
der Empfindlichkeitsprüfung Internet verfügbare Resistenzmutations-Datenbanken und Analyse-
programme (z. B. »Geno- to Phaeno«) genutzt, allerdings ist mit
In der Erforschung der antibakteriellen Aktivität neuer Antibiotika Schwierigkeiten bei neuen, bisher nicht charakterisierten Mutationen
werden aufwendige Ansätze mit quantitativer Analyse der Keim- zu rechnen. Für den Nachweis einzelner, häufig beobachteter resis-
abtötung über die Zeit (z. B. in 6‒48 h) verfolgt. Dies erlaubt weiter- tenzassoziierter Punktmutationen wird auch die Schmelzkurvenana-
gehende Beschreibungen der Substanzaktivität. Die resultierenden lyse in der Echtzeit-PCR (7 Abschn. 18.7.2) verwendet. Wegen der
Diagramme werden auch als »killing curves« bezeichnet. begrenzten Zahl analysierter Mutationen lässt sich damit aber eine
In der medizinischen Praxis werden, insbesondere bei schweren Resistenz nicht ausschließen.
Infektionen, auch Antibiotikakombinationen therapeutisch einge-
setzt zur:
4 Wachstumshemmung eines breiteren Erregerspektrums 18.12 Parameter zur Beurteilung
4 Unterdrückung von Resistenzentwicklungen unter der der Qualität diagnostischer Verfahren
Therapie
4 Wirkungsverstärkung gegen einen Erreger Jedes diagnostische Verfahren – und sei es noch so gut – beinhaltet
immer ein Restrisiko falscher Ergebnisse. Dies können sowohl falsch
Entsprechend den aus der Pharmakologie bekannten Effekten bei positive als auch falsch negative Resultate sein. Bei der Auswahl eines
kombiniertem Einsatz verschiedener Pharmaka kann es im besten Testsystems sind daher nicht nur finanzielle Aspekte, sondern auch
Fall zu einer synergistischen, einer indifferenten, aber auch einer die zu erwartende »Fehlerquote« und die möglichen Folgen zu be-
nachteiligen, antagonistischen Wirkung kommen. Eine entspre- rücksichtigen, die sich aus einem solchen Fehler ergeben können.
chende Testung kann, unterschiedlich aufwendig und präzise, mit In der Praxis überprüft man daher viele Testergebnisse zunächst
allen aufgeführten Methoden erfolgen. In der Praxis bleibt diese durch ein (vom 1. Test unabhängiges) 2. Testsystem, bevor man den
Kombinationstestung nur wenigen klinischen Indikationen vorbe- Patienten über das endgültige Ergebnis der Untersuchung infor-
halten. Dieser Umstand ist in der Therapie zu beachten: In der Regel miert.
ist eine sichere Vorhersage, ob eine Antibiotikakombination ggf. an- Die im Folgenden beschriebenen Begriffe, die in der Beurteilung
tagonistisch wirkt, nicht verfügbar. von Testsystemen Anwendung finden, werden in 7 Abschn. 19.1 un-
ter dem Aspekt der Epidemiologie eingehender erläutert und defi-
niert.
18.10 Nachweis von Resistenzgenen

Für ausgewählte bakterielle Erreger sind die genauen Veränderun- 18.12.1 Sensitivität
gen im Genom bekannt, die einen Resistenzmechanismus kodieren
(z. B. die Resistenz von Staphylococcus aureus gegenüber Methicillin Die Sensitivität ist ein Maß für das Erkennen eines bestimmten
bzw. Oxacillin durch Mutationen im mecA-Gen, Resistenz gegen Merkmals.
Aminoglykoside oder Makrolide durch ribosomale Modifikatio- Führt das Vorliegen eines bestimmten Merkmals stets zu einem
nen). Die Kenntnis solcher genetischen Besonderheiten kann man positiven Testergebnis, so ist die Sensitivität dieses Tests 100 %. Eine
sich zunutze machen, indem man diese durch ein dafür geeignetes hohe Sensitivität ist wichtig bei Suchtests, bei denen das primäre Ziel
molekularbiologisches Verfahren (z. B. PCR; 7 Abschn. 18.7.2) nach- ist, keinen Merkmalsträger versehentlich zu übersehen. Eine hohe
weist. Sensitivität ist erstrebenswert, aber noch nicht ausreichend. Auch ein
Auf keinen Fall ist jedoch in einem solchen Fall die Identifizie- Test, der immer (bei Vorliegen und genauso bei Nichtvorliegen des
rung der Spezies verzichtbar, da mitunter auch andere Spezies über Merkmals) ein positives Ergebnis liefert, hat zwar eine hervorragen-
identische Resistenzen verfügen (z. B. Staphylococcus epidermidis de Sensitivität, da er keinen einzigen Fall übersieht – ist aber in der
gegenüber Methicillin bzw. Oxacillin durch das gleiche mecA-Gen). Praxis völlig unbrauchbar.

18.11 Phäno- und genotypische 18.12.2 Spezifität


Resistenzbestimmung bei Viren
Die Spezifität ist ein Maß für das Erkennen, dass ein bestimmtes
Die Resistenztestung von Viren erfolgt nur routinemäßig bei HIV Merkmal nicht vorliegt.
und HBV und ist bei HSV und CMV auf Sonderfälle beschränkt Bewertet ein Test alle negativen Proben stets richtigerweise als
(klinisches Therapieversagen bei immunsupprimierten Patienten). »negativ«, so ist seine Spezifität 100 %, da er keinen »Fehlalarm«
Eine phänotypische Resistenzbestimmung erfolgt in Zellkultu- verursacht. Eine hohe Spezifität ist wichtig bei der Bestätigung von
ren und setzt die Isolation des Virus voraus. Anschließend wird das Suchtests zum Ausschluss falsch-positiver Ergebnisse durch unspe-
Virusisolat mit einer Verdünnungsreihe des Virustatikums auf Repli- zifische Reaktionen. Erst die Kombination von hoher Sensitivität
kation in Zellkulturen getestet. Die phänotypische Resistenzbestim- und hoher Spezifität führt zu verlässlichen Testergebnissen.
mung ist zeitaufwendig und bei HBV in der Routine nicht möglich.
Die genotypische Resistenzbestimmung beruht auf dem Nach-
weis bekannter Resistenzmutationen durch Sequenzierung (7 Ab- 18.12.3 Positiver prädiktiver Wert
schn. 18.7.4), z. B. im Gen für die reverse Transkriptase von HIV und
HBV oder in der Thymidinkinase von HSV. Da nach PCR-Amplifi- Der positive prädiktive Wert (PPW) erlaubt eine Aussage darüber,
kation einzelner viraler Gene eine direkte Sequenzierung möglich ist, ob bei einem positiven Testergebnis tatsächlich das untersuchte
ist die genotypische Resistenzbestimmung wesentlich schneller Merkmal vorliegt.
148 Kapitel 18 · Methoden der mikrobiologischen Diagnostik

Er ist dabei keinesfalls gleichzusetzen mit der nur durch das


Testsystem bedingten Sensitivität, da der PPW zudem von der Häu- In Kürze
figkeit (Prävalenz) des Merkmals abhängt. In verschiedenen Popu- Methoden der mikrobiologischen Diagnostik
lationen bleibt die Sensitivität eines Tests stets gleich, sein PPW kann Die Vorstellung der Methoden der mikrobiologischen Diagnos-
sich jedoch sehr wohl stark ändern. Ein Beispiel soll diesen Unter- tik beschreibt den aktuellen Stand und zeigt Entwicklungen und
schied verdeutlichen. Die darin gewählten Sensitivitäts- und Spezi- Fortschritte auf. Auch zukünftig werden Verfahren weiterent-
fitätswerte sind zur Verdeutlichung deutlich niedriger als bei heute wickelt und gänzlich neue Methoden eingeführt werden. Ziele
angewandten HIV-Antikörper-Tests. dieser Entwicklungen sind höhere bzw. bessere Sensitivität,
Ein fiktiver HIV-Test hat eine Sensitivität von 99 %: Nur 1 HIV- Spezifität, Geschwindigkeit und Kosteneffizienz. Zur sachge-
positiver Patient wird übersehen, wenn 100 HIV-positive Patienten rechten Durchführung einer infektiologischen Diagnostik sind
getestet werden. Der Test hat zudem eine Spezifität von 90 %: Bei 10 Kenntnisse der Methoden einschließlich ihrer Stärken und
von 100 HIV-negativen Personen führt der Test fälschlicherweise Schwächen essenziell.
doch zu einem positiven Ergebnis. Wie hoch ist nun die Wahrschein-
lichkeit, dass ein positives Testergebnis auch wirklich »HIV-positiv«
bedeutet? Betrachten wir dazu 2 verschiedene Kollektive:
4 Blutspender: Nehmen wir an, dass etwa 1 % der Personen in
diesem Kollektiv HIV-positiv sind. Es werden 10.000 Personen
getestet – von denen sind folglich 100 Personen tatsächlich
Diagnostik

HIV-positiv. Bei einer Sensitivität von 99 % werden 99 Personen


richtigerweise als HIV-positiv erkannt. Bei den verbleibenden
9900 HIV-negativen Personen gibt es aber bei einer Spezifität
von 90 % noch weitere 990 falsch-positive Ergebnisse.
Der PPW, also die Wahrscheinlichkeit, dass ein positives Test-
ergebnis wirklich stimmt, berechnet sich für dieses Kollektiv
mit: 99/(99 + 990) = 9,0 %.
4 Drogenambulanz: Nehmen wir an, dass etwa 50 % der Perso-
nen in diesem Kollektiv HIV-positiv sind. Wieder werden
10.000 Personen getestet – von denen sind folglich 5000 Perso-
nen tatsächlich HIV-positiv. Der gleiche Test wie bei den Blut-
spendern produziert hier 4950 richtig-positive und nur bei den
5000 HIV-negativen Personen noch weitere 500 falsch-positive
Ergebnisse.
Der PPW für dieses Kollektiv beträgt daher: 4950/
(4950 + 500) = 90,8 %. Ein positiver Test ist in diesem Kollektiv
deutlich glaubhafter.
Dreierlei ist aus diesem Beispiel ersichtlich:
4 Nur bei der Kenntnis der Prävalenz eines Merkmals lässt sich
der PPW des entsprechenden Tests überhaupt ermitteln.
4 Je höher die Prävalenz eines Merkmals in einem Kollektiv ist,
umso verlässlicher ist ein positives Testergebnis.
4 Ein positiver HIV-Test muss stets durch einen 2. Test bestätigt
werden.

18.12.4 Negativer prädiktiver Wert

Der negative prädiktive Wert (NPW) ) erlaubt eine Aussage darüber,


ob bei einem negativen Testergebnis das untersuchte Merkmal auch
wirklich nicht vorliegt. Analog zum PPW ist auch der NPW von der
Prävalenz des jeweiligen Merkmals abhängig.
149 IV

Epidemiologie
und Prävention
Kapitel 19 Epidemiologie der Infektionskrankheiten – 151

Kapitel 20 Prävention von Bakterien- und Virusinfektionen – 157

Kapitel 21 Sterilisation und Desinfektion – 165


151 19

Epidemiologie der Infektionskrankheiten


A. Ammon

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Epidemiologie untersucht die Verbreitung und die Determinanten zu einer Hintergrundaktivität. Epidemien und Ausbrüche sind in der
von gesundheitsbezogenen Zuständen oder Ereignissen in bestimm- Regel örtlich und zeitlich eingrenzbar. Im Infektionsschutzgesetz
ten Populationen und die Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse (IfSG) ist ein Ausbruch definiert als »Auftreten von 2 oder mehr
zur Prävention und Bekämpfung der Gesundheitsprobleme. Das Wort gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer Zusammen-
(gr. »epi«: über, »demos«: Volk, »logos«: Lehre) bedeutet »Lehre von hang wahrscheinlich ist oder vermutet wird« (IfSG § 6, 2b und 5b).
dem, was dem Volk geschieht«. Im Gegensatz zur Individualmedizin
ist der »Patient« hier die Bevölkerung oder eine bestimmte Gruppe in Endemie Das konstante Auftreten einer bestimmten Erkrankung
der Bevölkerung. oder eines Erregers innerhalb eines geografisch definierten Gebiets
Die Besonderheiten der Infektionsepidemiologie liegen darin, dass oder einer definierten Bevölkerungsgruppe; der Begriff kann sich
neben den Einflussfaktoren Umwelt und Mensch (genetische Ausstat- auch auf die normale → Prävalenz einer Erkrankung in diesem Ge-
tung und Verhalten) die Erreger hinzukommen mit unterschiedlichen biet oder dieser Bevölkerungsgruppe beziehen.
Übertragungsweisen und Pathogenitätsmerkmalen. Zudem treten
Erkrankungen in Ausbrüchen auf, die schnelles Handeln erfordern. Um Pandemie Eine Epidemie, die weltweit oder über ein weites Gebiet
Infektionsepidemiologie erfolgreich betreiben zu können, bedarf es mit Überschreiten internationaler Grenzen auftritt und meistens
daher der Kenntnisse in Infektionsmedizin, Epidemiologie und Mikro- eine große Zahl von Menschen betrifft.
biologie. Da alle 3 Bereiche inzwischen eine sehr differenzierte Metho-
dologie entwickelt haben, bedeutet das in der Praxis die interdiszipli- Morbidität Zahl der von einer bestimmten Krankheit betroffenen
näre Zusammenarbeit von Infektionsmedizinern, Epidemiologen und Personen in einer Bevölkerung. Maßzahlen der Morbidität sind
Mikrobiologen, im Falle von Lebensmittelinfektionen und Zoonosen → Prävalenz, → Inzidenz und → Inzidenzdichte.
auch von Veterinärmedizinern und Lebensmittelsachverständigen.
Ziele der Epidemiologie sind: Inzidenz Die Inzidenz einer Erkrankung ist definiert als die Anzahl
4 Erkennen der Ursache einer Erkrankung und Ermittlung von neuer Krankheitsfälle, die in einem bestimmten Zeitraum auftreten,
Risikofaktoren (Einflussgrößen, die das Erkrankungsrisiko einer bezogen auf die Bevölkerung mit gleichem Krankheitsrisiko. Zum
Person erhöhen) in gezielten Studien oder Ausbruchsunter- besseren Vergleich wird die Bezugszahl in der Bevölkerung mit 10n
suchungen angegeben (üblicherweise pro 100.000). Da die Inzidenz eine Maß-
4 Bestimmung des Ausmaßes der Erkrankung in der Bevölkerung zahl für das Auftreten einer Erkrankung in einem vormals (bezogen
4 Untersuchung des natürlichen Verlaufs und der Prognose von auf diese Erkrankung) gesunden Menschen ist, stellt sie ein Maß für
Krankheiten das Erkrankungsrisiko dar. Wichtig: Jede Person, die Teil der im
4 Bewertung (Evaluation) präventiver und therapeutischer Nenner aufgeführten Gruppe ist, steht unter dem Risiko, die zu un-
Maßnahmen sowie von Änderungen in der medizinischen tersuchende Krankheit zu bekommen, und kann Teil des Zählers
Versorgung werden.
4 Schaffung evidenzbasierter Entscheidungsgrundlagen für die
Gesundheitspolitik Inzidenzdichte Berechnung der Inzidenz, deren Nenner die Sum-
me der Zeiträume enthält, in denen jede einzelne Person unter dem
Erkrankungsrisiko stand. Die Inzidenzdichte wird dann ange-
19.1 Begriffe und Definitionen wendet, wenn nicht alle Personen über die gesamte Zeit der Studie
beobachtet werden. Dies wird in häufig mit dem Begriff der »Perso-
Hinweis: Pfeile → vor Begriffen im Text verweisen auf andere Defi- nenjahre« bezeichnet. (Bei der Betrachtung von Krankenhausinfek-
nitionen in diesem Kapitel. tionen wird die Zahl der neu aufgetretenen nosokomialen Infektio-
nen z. B. bezogen auf Patiententage oder Beatmungstage etc.).
Epidemie Epidemie ist definiert als das Auftreten von mehr Krank-
heitsfällen, spezifischen gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen Prävalenz Die Prävalenz ist definiert als die Zahl der erkrankten
oder anderen gesundheitsbezogenen Ereignissen in einer Bevölke- Personen innerhalb einer Bevölkerung zu einer bestimmten Zeit,
rung oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, als üblicherweise geteilt durch die Gesamtbevölkerung zu diesem Zeitpunkt. Man
zu erwarten wären. Die Zahl der Ereignisse, ab der man von einer spricht dann von Punktprävalenz. Als Periodenprävalenz bezeichnet
Epidemie spricht, hängt also von deren Hintergrundaktivität ab. Die man die Zahl erkrankter Personen innerhalb eines bestimmten Zeit-
Definition impliziert auch, dass eine kontinuierliche Erfassung der raumes, z. B. im Laufe eines Jahres.
Hintergrundaktivität besteht (→ Surveillance; 7 Abschn. 19.2.1). Die
Bezeichnung Ausbruch wird sehr häufig synonym zu »Epidemie« Mortalität Meistens wird sie auch als Gesamtmortalität oder Sterb-
benutzt, während Cluster auf eine Häufung hinweist ohne Bezug lichkeitsziffer bezeichnet. Sie wird errechnet als die Gesamtzahl der
152 Kapitel 19 · Epidemiologie der Infektionskrankheiten

Gemeldete EHEC-Fälle in Deutschland, 2011


1200

1000
Zahl der gemeldeten Fälle

800

600

400

200

0
SW01
SW03
SW05
SW07
SW09
SW11
SW13
SW15
SW17
SW19
SW21
SW23
SW25
SW27
SW29
SW31
SW33
SW35
SW37
SW39
SW41
SW43
SW45
SW47
SW49
SW51
Kalenderwoche 2011

. Abb. 19.1 Beispiel für eine Epidemiekurve zu gemeldeten EHEC-Fällen in Deutschland 2011 (Quelle: Robert Koch-Institut: SurvStat@RKI 2.0, https://surv-
stat.rki.de, Deadline: 27/02/2015)
Epidemiologie

Todesfälle eines Jahres bezogen auf die Bevölkerungszahl (zur Risiko Risiko ist definiert als die Wahrscheinlichkeit, dass ein be-
Jahresmitte). Wird eine gruppen- oder altersspezifische Mortalität stimmtes Ereignis eintritt.
berechnet, ist die entsprechende Einschränkung auf Zähler und
Nenner anzuwenden. Falldefinition Eine Falldefinition ist eine Zusammenstellung be-
stimmter Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit eine Person als
Letalität Sie ist definiert als die Anzahl der Patienten, die an einer »Fall« einer bestimmten Krankheit identifiziert wird. Sie kann geo-
Krankheit gestorben sind, geteilt durch die Zahl der Patienten mit grafische, klinische oder/und Laborkriterien umfassen. Falldefini-
dieser Krankheit. Die Letalität wird in Prozent angegeben. Im tionen werden meist im Rahmen von Surveillance oder Ausbruchs-
Gegensatz zur Mortalität bezieht sie sich nur auf die tatsächlich untersuchungen eingesetzt, um eine gewisse Standardisierung der
Erkrankten, nicht auf die Gesamtbevölkerung. Damit gilt diese mit der Statistik erfassten Personen zu gewährleisten.
Maßzahl als ein Gradmesser für die Schwere einer Erkrankung.
Epidemiekurve Grafische Darstellung der Verteilung von Krank-
Bias Als Bias wird ein systematischer Fehler bezeichnet, der meist heitsfällen über die Zeit, meist als Histogramm (. Abb. 19.1).
im Studiendesign (7 Abschn. 19.2.1), aber auch bei der Datenerhe-
bung oder -analyse auftreten kann. So kann z. B. eine systematische Testergebnisse . Tab. 19.1 benennt die Möglichkeiten von Tester-
Nichtberücksichtigung bestimmter Gruppen bei der Auswahl der gebnissen und bezieht sie auf den tatsächlichen Gesundheits- oder
Studienpopulation die Studienergebnisse verzerren. Krankheitsstatus der Getesteten. Auf dieser Basis lassen sich die Be-
griffe Sensitivität, Spezifität, positiver und negativer Vorhersagewert
Confounder Ein Confounder ist eine Störgröße, die einen Zusam- erklären bzw. berechnen (. Tab. 19.2).
menhang zwischen einer Exposition und einer Erkrankung vor-
täuscht, in Wirklichkeit aber mit einem 3. Faktor zusammenhängt,
der die Erkrankung beeinflusst. Falls die Störgröße bereits bekannt . Tab. 19.1 Assoziation zwischen positivem bzw. negativem
ist, kann man diesen Faktor beim Studiendesign durch → Matching Testergebnis und tatsächlich vorliegender Erkrankung bzw. Nicht-
ausschließen, da Fall- und Kontrollgruppe dann hinsichtlich dieses erkrankung
Faktors gleich sind. Confounding lässt sich auch durch bestimmte
Verfahren bei der Datenanalyse feststellen, z. B. durch Stratifizie- Testergebnis Tatsächlicher Status Gesamtzahl
rung. Dies ist eine getrennte Analyse der Daten nach der vermuteten
Störgröße. Wird etwa vermutet, dass das Geschlecht der Studienteil- Erkrankt Nichterkrankt
nehmer eine Störgröße darstellt, kann man die Daten getrennt für
Positiv a b a+b
Männer und Frauen auswerten. Falls → Odds Ratio oder Relatives
Risiko (je nach Studiendesign, 7 Abschn. 19.2) in beiden Straten un- Negativ c d c+d
terschiedlich sind, ist die Variable, nach der stratifiziert wurde (im
Positiv + negativ a+c b+d a+b+c+d
Beispiel das Geschlecht) ein Confounder.
19.2 · Methoden
153 19

. Tab. 19.2 Definition und Berechnung testrelevanter epidemiologischer Begriffe

Begriff Definition Berechnung

Sensitivität Wahrscheinlichkeit, dass ein Test eine erkrankte Person tatsächlich als positiv erkennt a / (a + c)

Spezifität Wahrscheinlichkeit, dass ein Test eine nichterkrankte Person als negativ erkennt d / (b + d)

Positiver Vorhersagewert Wahrscheinlichkeit, dass eine Person mit positivem Testergebnis tatsächlich positiv ist a / (a + b)

Negativer Vorhersagewert Wahrscheinlichkeit, dass eine Person mit negativem Testergebnis tatsächlich negativ ist d / (c + d)

19.2 Methoden unterschiedliche Expositionsstufen für verschiedene Gruppen in-


nerhalb der Kohorte zu identifizieren.
19.2.1 Studiendesign
Fall-Kontroll-Studien In Fall-Kontroll-Studien (»case-control stu-
Krankheitsüberwachung (Surveillance) Systematische und konti- dies«) vergleicht man Personen mit einer bestimmten Erkrankung
nuierliche Datenerfassung, Analyse und Interpretation der Daten mit einer geeigneten Kontrollgruppe ohne diese Erkrankung hin-
verbunden mit zeitnaher Veröffentlichung, sodass Entscheidungs- sichtlich verschiedener Faktoren. Die mögliche Beziehung eines
träger im Bereich der öffentlichen Gesundheit evidenzbasierte Ent- Risikofaktors zu der Krankheit wird geprüft, indem man bei Fällen
scheidungen treffen können. Die Basis für die Erfassung von Infek- und Kontrollen vergleicht, wie häufig der Faktor auftritt. Da man in
tionskrankheiten in Deutschland ist das Infektionsschutzgesetz Fall-Kontroll-Studien von der Krankheit zurückschaut zu den Expo-
(IfSG). Auf der Grundlage der gemeldeten Daten werden regelmäßig sitionen, werden diese Studien auch retrospektiv genannt. Dieses
Statistiken zur Inzidenz veröffentlicht. Mithilfe zeitnah erhobener Prinzip des Zurückschauens von einer Erkrankung zu den Exposi-
und analysierter Surveillance-Daten lassen sich Ausbrüche erken- tionen in der Vergangenheit gilt auch für die sog. prospektiven Fall-
nen und untersuchen. Kontroll-Studien; ihr Name kommt daher, dass die Studienteilneh-
mer fortlaufend rekrutiert werden.
Interventionsstudien Bei Interventionsstudien (»randomized con- Die Auswahl der Kontrollgruppe ist der kritische Faktor beim
trolled trials«, RCT) werden die Studienteilnehmer aus einer Popu- Design einer Fall-Kontroll-Studie, da unter Umständen ein systema-
lation nach einem Zufallsverfahren einer Interventionsgruppe oder tischer Fehler (Bias) auftreten kann, der die Studienergebnisse ver-
einer Kontrollgruppe zugeteilt. Die Studienteilnehmer wissen je- fälscht. Durch das sog. Matching versucht man, Fall- und Kontroll-
doch nicht, in welcher Gruppe sie sich befinden. Bei den Interventi- gruppe für bestimmte Parameter einander gleichzumachen, um den
onen kann es sich um ein neues Medikament, eine neue Behand- Einfluss dieser Parameter auf den Zusammenhang zwischen Expo-
lungsmethode oder eine andere Intervention handeln. Die Kontroll- sition und Erkrankung auszuschalten (z. B. Alter oder Geschlecht).
gruppe erhält entweder eine bisherige Standardtherapie oder ein Allerdings kann der Parameter, nach dem »gematcht« wurde, dann
Plazebo. Wissen weder Studienteilnehmer noch behandelnde Ärzte, in der Analyse nicht mehr untersucht werden.
zu welcher Studiengruppe ein Teilnehmer gehört, spricht man von
Doppelblindstudien. Interventionsstudien werden als »Goldstan-
dard« in der Epidemiologie angesehen, was die Testung von Hypo- 19.2.2 Statistische Methoden
thesen anbelangt. Dies hängt jedoch sehr stark davon ab, ob die Zu-
teilung der Studienteilnehmer wirklich nach dem Zufallsprinzip Relatives Risiko In einer Kohortenstudie versteht man darunter
erfolgt. das Verhältnis der Inzidenz (Erkrankungsrate) eines Faktors unter
den exponierten Studienteilnehmern zur Inzidenz dieses Faktors
Querschnittsstudien Querschnittsstudien (»cross-sectional stu- unter den nichtexponierten Studienteilnehmern (. Tab. 19.3).
dies«) untersuchen den Zusammenhang zwischen einer Erkrankung Anders ausgedrückt ist das relative Risiko (RR) das epidemiolo-
und bestimmten besonders interessierenden Variablen in einer be- gische Maß für die Stärke der Assoziation zwischen Erkrankungs-
stimmten Bevölkerungsgruppe zu einem definierten Zeitpunkt. Die- fällen und bestimmten Risikofaktoren in einer Kohortenstudie.
ser Zusammenhang lässt sich als Prävalenz der Erkrankung in der Mathematisch berechnet sich RR als Quotient der Erkrankungs-
Gruppe ausdrücken je nachdem, ob bestimmte Variablen vorhanden rate der Exponierten geteilt durch die Erkrankungsrate der Nicht-
sind oder nicht. Er lässt sich auch ausdrücken als Prävalenz be- exponierten (. Tab. 19.4). Der RR-Wert 1 bedeutet, dass der Faktor
stimmter Variablen in Subgruppen, die innerhalb der Gruppe er- keinen Einfluss auf die Erkrankung hat; bei einem RR-Wert > 1
krankt sind oder nicht. erhöht der Faktor das Erkrankungsrisiko; bei RR < 1 wirkt er pro-
tektiv.
Kohortenstudien Kohortenstudien (»cohort studies, prospective
studies«) sind Studien, in denen eine definierte Gruppe von Personen Odds Ratio (Chancenverhältnis) Die OR der Exposition wird auf der
über eine bestimmte Zeitspanne (meist mehrere Jahre) beobachtet Basis von . Tab. 19.3 berechnet als Quotient der Odds der Exposition
wird. Ziel dieser auch Längsschnitt- oder Longitudinalstudien ge- bei Fällen geteilt durch die Odds der Exposition bei Kontrollen
nannten Analysen ist, Inzidenzraten bestimmter Gruppen mit unter- (. Tab. 19.4). OR-Werte > 1 bedeuten, dass eine bestimmte Exposi-
schiedlichen Expositionen innerhalb der Kohorte zu vergleichen. Als tion bei Fällen häufiger auftritt, Werte < 1 hingegen, dass eine be-
Nenner können Personen oder Personenjahre gewählt werden. stimmte Exposition bei Kontrollen häufiger auftritt. Der OR-Wert 1
Kohortenstudien können auch retrospektiv sein. Dann müssen bedeutet, dass kein Unterschied zwischen Fällen und Kontrollen
jedoch detaillierte Unterlagen zur Verfügung stehen, die es erlauben, hinsichtlich dieser Exposition besteht.
154 Kapitel 19 · Epidemiologie der Infektionskrankheiten

epidemiologische Studie nicht absolut beweisen. Ein epidemiologi-


. Tab. 19.3 Vierfeldertafel für Exposition bzw. Nichtexposition und
scher Zusammenhang kann
Erkrankung bzw. Nichterkrankung in einer Kohortenstudie
4 tatsächlich (kausal) sein,
Erkrankte Nichterkrankte Gesamtzahl
4 durch einen systematischen Fehler (Bias) oder einen Confoun-
(Fälle) (Kontrollen) der bedingt sein oder
(Anzahl) (Anzahl) 4 rein zufällig entstanden sein.

Exponiert a b a+b Verschiedene statistische Tests, z. B. Chi-Quadrat-Test, werden


zur Bestimmung der statistischen Signifikanz herangezogen. Ein
Nichtexponiert c d c+d
häufig  verwendetes Maß für die statistische Signifikanz ist der
Exponiert und a+c b+d a+b+c+d p-Wert, definiert als die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Effekt wie
nichtexponiert in der Studie beobachtet zufällig zustande gekommen sein könnte,
unter der Voraussetzung, dass kein Zusammenhang zwischen Ex-
position und Erkrankung besteht (Nullhypothese). p-Werte ≤ 0,05
gelten als statistisch signifikant. Da der p-Wert sehr stark von
Zuschreibbarer Anteil Unter der Annahme eines Kausalzusam- der Studiengröße abhängt, werden bei großen Studien schon sehr
menhangs zwischen einer Exposition und dem Auftreten einer Er- kleine Unterschiede zwischen Exposition und Krankheit als statis-
krankung beschreibt der zuschreibbare Anteil (»attributable frac- tisch signifikant gewichtet, während derselbe Zusammenhang bei
tion«) die Proportion der Krankheitslast, die auf diese Exposition geringerer Studiengröße als statistisch nicht signifikant heraus-
zurückzuführen ist. Er umfasst den Anteil der Inzidenz, um den die kommt. Ein Maß, das sowohl die statistische Signifikanz als auch
Inzidenz einer Erkrankung bei völliger Expositionsvermeidung die Studiengröße einbezieht, ist das → Konfidenzintervall. Da der
zurückginge. Der zuschreibbare Anteil lässt sich für die Exponierten p-Wert eine Wahrscheinlichkeit beschreibt, darf nicht vergessen
(AFE) oder die Bevölkerung (AFB) berechnen, IE ist die Inzidenz der werden, dass auch ein statistisch signifikanter Zusammenhang
Erkrankung unter den Exponierten, IN unter den Nichtexponierten. zufallsbedingt sein kann, allerdings mit sehr geringer Wahrschein-
Die Inzidenz IB der Gesamtbevölkerung berechnet sich aus der lichkeit. Damit ist der p-Wert auch kein Maß für den kausalen Zu-
Inzidenz der Erkrankung unter Exponierten und Nichtexponierten sammenhang, da er nicht bewertet, ob das Ergebnis durch einen
(. Tab. 19.4). Die Berechnung von AFE und AFB ist hilfreich bei der systematischen Fehler oder Confounding im Studiendesign zustande
Epidemiologie

Entscheidung, wo sich Präventionsmaßnahmen am wirkungsvollsten gekommen ist.


einsetzen lassen.
Konfidenzintervall (Vertrauensbereich) Ein Konfidenzintervall
Standardisierung Standardisierung ist eine statistische Methode, beschreibt den Bereich, in dem mit einem bestimmten Grad von
die angewendet wird, wenn man 2 (oder mehr) Studienpopulationen Sicherheit (üblicherweise 95 %) der wahre Wert eines Zusammen-
hinsichtlich des Auftretens einer bestimmten Krankheit oder Infek- hangs liegt. Das Konfidenzintervall wird angegeben durch eine
tion vergleichen möchte, diese Populationen sich jedoch in der Ver- untere und eine obere Grenze. Enthält dieses Intervall den Wert 1,
teilung eines wesentlichen Einflussfaktors auf die Krankheit, z. B. so lässt sich nicht ausschließen, dass der errechnete Zusammen-
das Alter, wesentlich unterscheiden. Als Vergleichsmaßstab wird hang (relatives Risiko oder Odds Ratio) nur zufällig von 1 abweicht,
eine Standardbevölkerung herangezogen. dem Wert, der angibt, dass kein Unterschied besteht. Die Breite
des Konfidenzintervalls hängt von der Größe der Studie (Zahl der
Multivariable Analysen Diese Analysetechnik wird benutzt, wenn Studienteilnehmer) ab: Je größer die Studie, umso geringer ist die
man den Einfluss mehrerer Variablen gleichzeitig untersuchen Breite des Konfidenzintervalls des gefundenen Unterschieds. Bei
möchte. In der Statistik wird jede analytische Methode so bezeich- sehr großen Studien ist ein gefundener Unterschied fast immer
net, die 2 oder mehr abhängige Variablen gleichzeitig untersucht. Zu signifikant. Die fachliche Bewertung des Unterschieds ist sehr
den dabei verwendeten Methoden zählen logistische Regressionen, wichtig:
Cox Proportional Hazards etc. 4 Obwohl er statistisch signifikant sein mag, kann der gefundene
Unterschied inhaltlich bedeutungslos sein;
Zufall Ziel epidemiologischer Studien ist, einen Zusammenhang 4 umgekehrt kann auch ein statistisch nichtsignifikanter Unter-
zwischen einer bestimmten Exposition und einer Infektion/Krank- schied einen tatsächlichen und fachlich relevanten Effekt
heit herzustellen. Ob dieser Zusammenhang kausal ist, kann eine widerspiegeln.

. Tab. 19.4 Definition und Berechnung weiterer epidemiologischer Begriffe

Begriff Definition Berechnung

Relatives Risiko (RR) Erkrankungsrate der Exponierten geteilt durch die Erkrankungsrate der [a : (a + b)] / [c : (c + d)]
Nichtexponierten

Odds Ratio (OR) Quotient der Odds der Exposition bei Fällen geteilt durch die Odds der (a : c) / (b : d) = (a · d) / (b · c)
Exposition bei Kontrollen

Zuschreibbarer Anteil Anteil der auf eine bestimmte Exposition zurückführbaren Krankheitslast AFE = (IE–IN) / IE
(attributable fraction, AFE) der Exponierten (AFE) bzw. der Bevölkerung (AFB)
AFB = (IB–IN) / IB
19.3 · Besonderheiten der Infektionsepidemiologie
155 19
19.3 Besonderheiten monaten noch nicht voll ausgebildet ist und daher durch Antikörper
der Infektionsepidemiologie der Mutter, die über die Plazenta bzw. die Muttermilch aufgenom-
men werden, geschützt ist. Diese passive Immunisierung schützt
19.3.1 Voraussetzungen für eine Infektion während der ersten 3–4 Monate vor Infektion durch die meisten
Keime und lässt sich durch Stillen etwas verlängern.
Damit eine Infektion zustande kommt, sind 3 Voraussetzungen er- Ob ein Kontakt mit einem Erreger zu einer Infektion führt, wird
forderlich: auch durch die Anfälligkeit (Disposition) des Wirtsorganismus be-
4 Erreger einflusst. Sie wird bestimmt von unspezifischen und spezifischen
4 Übertrag ungsvorgang Abwehrmechanismen sowie weiteren individuellen Eigenschaften.
4 empfänglicher Wirtsorganismus Dispositionen können sein:
4 Haut- oder Schleimhautdefekte (auch durch Fremdkörper wie
Erreger Katheter verursacht)
Die Infektiosität eines Erregers entscheidet, ob er einen Wirt über- 4 Immundefekte (z. B. Komplement-, B- oder T-Zell-Defekte
haupt infizieren kann; die Kontagiosität beschreibt, ob dies häufig [(zweit)infektionsbedingt, z. B. HIV], Medikation nach Trans-
oder eher selten geschieht; die Pathogenität beschreibt, dass der plantation oder in Form einer Chemotherapie)
Erreger, nachdem die Infektion erfolgt ist, ein krankmachendes Po- 4 bestimmtes Alter (z. B. < 2 Jahre oder ≥ 60 Jahre)
tenzial hat; und die Virulenz zeigt das Ausmaß dieses krankmachen-
den Potenzials an. Hinzu kommt, dass die → Disposition des Wirts-
organismus beeinflusst, welche Infektionsdosis (Zahl der notwen- In Kürze
digen Erreger, die zu einer Infektion führt) ausschlaggebend ist. Epidemiologie der Infektionskrankheiten
Erreger haben Bereiche, in denen sie sich normalerweise aufhalten Morbidität Zahl der von einer bestimmten Krankheit betroffe-
und vermehren. Diese werden als Reservoir bezeichnet. Als Infek- nen Personen in einer Bevölkerung.
tionsquelle wird der Teil des Reservoirs bezeichnet, der zum Aus- Mortalität Zahl der an einer bestimmten Krankheit Verstorbe-
gangspunkt einer neuen Infektion wird (meist erkrankte Menschen nen bezogen auf die Bevölkerung.
oder Tiere). Letalität Zahl der an einer bestimmten Krankheit Verstorbenen
bezogen auf die Zahl der daran Erkrankten.
Übertragungsvorgang Prävalenz Zahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in
Es gibt verschiedene Formen der Übertragung eines Erregers vom einem Zeitraum erkrankten Personen bezogen auf die Bevölke-
Reservoir/Infektionsquelle zum Wirtsorganismus, die davon abhän- rung.
gen, welche Eintrittspforten ein Erreger benutzt: Inzidenz Zahl der in einem Zeitraum neu aufgetretenen
4 Man spricht von einer direkten Übertragung, wenn ein Erre- Krankheitsfälle bezogen auf die Bevölkerung (mit gleichem
ger direkt aus dem Reservoir auf den Wirtsorganismus über- Krankheitsrisiko) in diesem Zeitraum.
geht (z. B. durch Berührung, Einatmen infektiöser Tröpfchen, Endemie Konstantes Auftreten einer Erkrankung/eines Erregers
Tierbiss). innerhalb eines geografisch definierten Gebiets oder einer
5 Ein Spezialfall der direkten Übertragung ist die diaplazen- definierten Bevölkerungsgruppe.
tare (vertikale) Übertragung, bei der eine infizierte Epidemie Auftreten von mehr Krankheitsfällen als üblicher-
Schwangere die Infektion an ihr Kind weitergibt (z. B. Toxo- weise zu erwarten wären.
plasmose, Röteln, Hepatitis B). Bias Systematischer Fehler, der beim Design epidemiologi-
4 Bei der indirekten Übertragung erfolgt der Übergang vom Er- scher Studien, bei der Datenerhebung oder -analyse auftreten
reger zum Wirtsorganismus über ein Transportmittel, entweder kann.
ein Vehikel (z. B. Lebensmittel, Wasser, ärztliche Instrumente) Confounder Störgröße, die einen Zusammenhang zwischen
oder einen Vektor (z. B. Insekten, Nagetiere). Wird ein Erreger einer Exposition und einer Erkrankung vortäuscht.
indirekt durch die Luft übertragen (z. B. Coxiellen) und nicht Surveillance Systematische und kontinuierliche Datenerfas-
durch direkten Kontakt wie bei der Tröpfcheninfektion, kann sung, -analyse und -interpretation verbunden mit zeitnaher
auch die Luft zum Vehikel werden. Veröffentlichung und Bekanntmachung an Entscheidungs-
träger.
Die Kenntnis der Übertragungswege bildet den Schlüssel für die Interventionsstudie Epidemiologische Studie, bei der die
Expositionsprophylaxe. Studienteilnehmer nach einem Zufallsverfahren einer Interven-
tions- oder Kontrollgruppe zugeteilt werden; »Goldstandard«
Empfänglicher Wirtsorganismus epidemiologischer Studien.
Ist ein Wirtsorganismus noch nie mit einem Erreger in Berührung Querschnittsstudie Untersucht den Zusammenhang zwischen
gekommen, ist er in der Regel empfänglich für eine Infektion. Ein einer Erkrankung und bestimmten Faktoren in einer bestimm-
Schutz vor der krankmachenden Wirkung des Erregers (Immunität) ten Bevölkerungsgruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt.
kann auf verschiedene Weise erreicht werden: Kohortenstudie Studie, in der eine definierte Personengruppe,
4 natürlich die bestimmten Expositionen ausgesetzt ist, über eine bestimm-
4 durch frühere durchgemachte Infektion mit demselben Erreger te Zeitspanne auf das Auftreten von Ereignissen (z. B. Erkran-
(spezifische Immunität) kungen) beobachtet wird.
4 aktiv (durch Impfung) Fall-Kontroll-Studie Studie, in der Erkrankte und Kontrollperso-
4 passiv (durch spezifische Immunglobuline) nen ohne diese Erkrankung hinsichtlich verschiedener Faktoren
verglichen werden, um Risikofaktoren für die Erkrankung zu be-
Eine Besonderheit ist die Leihimmunität (Nestschutz) von Neugebo- stimmen.
renen und Säuglingen, deren Immunsystem in den ersten Lebens-
156 Kapitel 19 · Epidemiologie der Infektionskrankheiten

Voraussetzungen für eine Infektion Für das Zustandekommen


einer Infektion muss ein pathogener Erreger auf einen empfäng-
lichen Wirtsorganismus übertragen werden.
Übertragung Eine Übertragung von Erregern kann entweder
direkt aus dem Reservoir auf den Wirtsorganismus übergehen
oder indirekt über Vehikel oder Vektoren erfolgen.

Literatur

Gordis L (2001) Epidemiologie. Marburg: Verlag im Kilian.


Infektionsschutzgesetz: http://bundesrecht.juris.de/ifsg/index.html.
Porta M (2008) A Dictionary of Epidemiology. 5th ed. Oxford: Oxford Univer-
sity Press.
Suttorp N, Mielke M, Kiehl W, Stück B (2004) Infektionskrankheiten. Stuttgart:
Georg Thieme.
Epidemiologie
157 20

Prävention von Bakterien-


und Virusinfektionen
R. P. Vonberg, K. Graf

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_20, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Vermeidung (Prävention) einer Infektion sollte oberstes Ziel in sive Impfung bzw. zeitgleich aktive + passive Impfung = Simultan-
der Infektiologie sein. Wie so oft sind jedoch auch hier verschiedene impfung) möglich, z. B. zur Verhütung von Tollwut (Rabiesvirus)
Interessen gegeneinander abzuwägen: Auf der einen Seite vermindert nach Tierbiss oder zur Prävention von Wundstarrkrampf (Clostri-
erfolgreiche Prävention die Häufigkeit von persönlichem Leid durch dium tetani) bei verschmutzten Wunden.
Infektionen, Komplikationen und Todesfällen. Alle Kosten (z. B. für Bei einer Chemoprophylaxe erhält eine Person – unabhängig
Diagnostik und Therapie), die im Falle einer solchen Infektion angefal- von ihrer Immunitätslage – eine antimikrobiell wirksame Substanz.
len wären, werden zudem dem Krankenhaus bzw. den Versicherungs- Dies kann sowohl vor Erregerkontakt, z. B. bei der Malariaprophy-
trägern erspart. Auf diese Weise leistet Prävention zweifelsfrei einen laxe (Plasmodium spp.) während des Aufenthalts in einem Endemie-
wichtigen Beitrag für das gesamte Gesundheitssystem. Demgegen- gebiet oder im Rahmen einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe
über stehen jedoch der Aufwand und die Kosten, die durch die Durch- vor chirurgischen Eingriffen, erfolgen. Doch auch nach vermeintli-
führung der Präventionsmaßnahmen selbst erst entstehen. Dies bein- chem Erregerkontakt, aber vor Beginn der eigentlichen Infektion
haltet etwa die Anschaffung und die Entsorgung von Verbrauchsmate- (also noch während der Inkubationszeit) ist eine Chemoprophylaxe
rial, den Nutzungsausfall von für Neuaufnahmen gesperrten Betten mitunter möglich. Anwendungsgebiete sind hier die Antibiotikapro-
oder sogar ganzen Bereichen eines Klinikums sowie der personelle phylaxe nach ungeschütztem Kontakt zu Patienten mit Neisseria
und zeitliche Mehraufwand für ärztliches und insbesondere nichtärzt- meningitidis und die Gabe von Virustatika nach Nadelstichverlet-
liches Personal. zung zur Vermeidung einer HIV-Infektion.
Die Entscheidung für oder gegen Maßnahmen zur Prävention ist Maßnahmen, die den Eintrag zusätzlicher Erreger zum empfäng-
daher stets von den Antworten auf folgende Fragen abhängig zu lichen Individuum verhindern sollen, gehören in den Bereich der
machen: Wie hoch ist das individuelle Risiko der beteiligten Personen Asepsis. Dies ist z. B. bei der Sterilisation (der vollständigen Inakti-
einzuschätzen (Leidensdruck bzw. Dringlichkeit)? Wie groß ist die vierung aller Erreger) kritischer Medizinprodukte wie chirurgischer
zu erwartende Verbesserung der Situation (Reduktionspotenzial)? Instrumente, Implantate oder zentraler Gefäßkatheter der Fall
Welche Maßnahmen sind nachweislich zur Prävention in einem solchen (7 Kap. 21).
Fall geeignet (Evidenz)? Welche Hilfsmittel und Möglichkeiten stehen Auch die Desinfektion gehört in den Bereich der primären Prä-
bereits zur Verfügung bzw. welcher Aufwand wird zusätzlich erforder- vention: Partielles Abtöten vermehrungsfähiger Mikroorganismen
lich werden (Ressourcen)? Wie wahrscheinlich ist die tatsächliche vermindert in der Folge das Infektionsrisiko für den Patienten, z. B.
Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen (Praktikabilität und eine adäquate Hautdesinfektion vor invasiven Maßnahmen und die
Compliance)? Erstversorgung kontaminierter Verletzungen mit Desinfektionsmit-
Schwerpunkte dieses Kapitels sind die häufigsten infektiologischen teln (7 Kap. 21). Die Reduktion der bereits vorhandenen Keimlast
Probleme im Stationsalltag. Wie wir aufzeigen, lässt sich bereits mit zum Zwecke der Infektionsprävention wird häufig auch unter dem
vergleichsweise einfachen Maßnahmen und Empfehlungen für die Begriff Antisepsis zusammengefasst.
Praxis das Infektionsrisiko für Patienten und Personal erheblich senken. Auch bauliche Veränderungen können zum Infektionsschutz
Bei Unklarheiten und im Zweifelsfall empfiehlt sich die Rücksprache beitragen, beispielsweise über die Nutzung einer raumlufttechni-
mit dem Krankenhaushygieniker oder einem Mikrobiologen. schen Anlage. Durch sie lässt sich zum einen in Hochrisikoberei-
chen eine Filterung der zugeführten Raumluft im Patientenzimmer
erreichen. Darüber hinaus kann mit ihrer Hilfe zwischen verschie-
20.1 Begriffsbestimmungen denen Räumen des Krankenhauses eine Luftdruckdifferenz erzeugt
werden, die einen versehentlichen Luftstrom von »unrein« nach
jPrimäre Prävention »rein« unterbindet. Die Anbringung endständiger Wasserfilter am
Die primäre Prävention beinhaltet all diejenigen Maßnahmen, die Wasserhahn zum Rückhalt von Mikroorganismen aus dem Lei-
durchgeführt werden, damit es gar nicht erst zu einer Infektion tungssystem ist eine weitere bauliche Maßnahme zur primären Prä-
kommt. vention.
Impfungen werden beispielsweise in der Regel vor dem Zusam-
mentreffen des Wirtes mit dem jeweiligen Erreger (präexpositio- jSekundäre Prävention
nell; aktive Impfung) verabreicht und sollen im Impfling eine Im- Sekundäre Prävention heißt Früherkennung. Für die Infektiologie
munität hervorrufen, die ihm bei Erregerkontakt zu einem späteren sind dies zumeist Maßnahmen, die eine Weiterverbreitung (Trans-
Zeitpunkt ausreichenden Schutz gewährt. In einigen Fällen ist eine mission) eines Erregers von einer bereits besiedelten oder infizierten
Impfung jedoch auch nach Erregerkontakt (postexpositionell; pas- Person auf noch nicht betroffene Individuen verhindern sollen.
158 Kapitel 20 · Prävention von Bakterien- und Virusinfektionen

Viele Krankenhäuser suchen gezielt nach Patienten, die beson- werden Hygieneempfehlungen für die Praxis zur Vermeidung sol-
ders schlecht behandelbare Erreger bei sich tragen (Screening). Ein cher Infektionen vorgestellt.
häufiger und wichtiger Erreger in diesem Zusammenhang ist derzeit
der methicillinresistente Staphylococcus aureus (MRSA). Patienten jPatient
werden bereits bei ihrer Aufnahme in das Krankenhaus oder auf die Wie bereits für das Beispiel MRSA beschrieben, sind Patienten häu-
Intensivstation mittels Nasenabstrich auf ihren Trägerstatus (Carrier) fig selbst Ausgangspunkt von Infektionsketten (Indexpatient), und
hinsichtlich dieses Bakteriums untersucht. Wird der Erreger nach- werden daher bei Aufnahme häufig auf ihren Trägerstatus hin un-
gewiesen, werden die betroffenen Patienten oft in einem Einzelzim- tersucht. Ggf. isoliert man Indexpatienten und versucht, den Erreger
mern isoliert versorgt und – je nach Nachweisort – lokal antiseptisch zu eradizieren. Je leichter ein Erreger übertragbar ist, umso wahr-
behandelt, um einer Übertragung dieses MRSA auf Mitpatienten scheinlicher ist seine Transmission von einem Patienten auf den
entgegenzuwirken. nächsten. Dies gilt insbesondere dann, wenn zur Infektion eine nied-
Die befristete Freistellung von Dauerausscheidern von Salmo- rige Infektionsdosis genügt, der Erreger eine hohe Umweltresistenz
nella enterica vom Dienst in der lebensmittelverarbeitenden Indus- und damit -persistenz (Tenazität) aufweist und seine immunolo-
trie und Gastronomie gehört ebenfalls zur sekundären Prävention gisch relevanten Strukturen schnell zu ändern vermag (Antigenva-
im Sinne der Infektiologie. Eine weitere Anwendung außerhalb des riabilität).
Krankenhauses ist die Untersuchung und ggf. Behandlung der Part- Alljährlich – zumeist in den Wintermonaten – kommt es daher
ner von Personen mit Geschlechtskrankheiten. in vielen Krankenhäusern, Gemeinschaftseinrichtungen (Kinder-
Auf einigen Intensivstationen oder in Hochrisikobereichen wie tagesstätten, Schulen und Pflegeheimen etc.), aber auch Privathaus-
der Hämatologie/Onkologie ist ein mikrobiologisches Monitoring halten zu Ausbrüchen durch Noroviren, die diese entscheidenden
üblich. Im Gegensatz zu den genannten Beispielen zum Screening Eigenschaften auf sich vereinen. Auch für die Mitarbeiter des Ge-
steht hier jedoch nicht die Übertragung von Erregern auf andere sundheitssystems besteht in diesem Fall eine hohe Infektionsgefahr.
Personen im Vordergrund. Vielmehr zielt das Monitoring darauf, Patienten, die sich bereits mit den typischen Symptomen einer Gas-
den Kolonisationsstatus eines (noch) nichtinfizierten Patienten zu troenteritis (z. B. Erbrechen und Diarrhö) vorstellen, sind bis zur
ermitteln, um bei Verschlechterung seines klinischen Zustands eine Klärung des Sachverhalts in Einzelzimmern zu versorgen – soweit
bereits eingegrenzte empirische Therapie initiieren zu können. verfügbar. Gleiches gilt beim Verdacht auf Infektionen des Respira-
tionstraktes wie z. B. Virusgrippe (Influenza). Die weiteren zu er-
jTertiäre Prävention greifenden Hygienemaßnahmen richten sich nach dem zu erwarten-
Epidemiologie

An 3. Stelle der Möglichkeiten der Infektionsprävention steht die den Übertragungsweg des jeweiligen Erregers.
tertiäre Prävention. Bei ihr steht »Schadensbegrenzung« im Fokus.
Dieser Maßnahmenkatalog kommt dann zum Einsatz, wenn bereits jMitarbeiter
eine klinisch manifeste, meist chronische oder nicht kurativ behan- Auch Mitarbeiter im Krankenhaus kommen als Erregerquelle für
delbare Infektion vorliegt. Zweck dieser Maßnahmen ist daher für Transmissionen in Betracht. Über viele Ausbrüche durch kolonisier-
das Individuum die Rehabilitation (so weit möglich) sowie die Mi- te und infizierte Mitarbeiter, z. B. mit Streptococcus pyogenes oder
nimierung jedweder Folgeschäden. So ist die Verringerung der Vi- in der Pädiatrie mit Respiratory Syncytial Virus (RSV), ist in der
ruslast im Rahmen einer HIV-Infektion eine wichtige Vorausset- medizinischen Literatur bereits berichtet worden. Dabei sind insbe-
zung, um das Risiko für weitere opportunistische Infektionen ge- sondere Personen, die auf verschiedenen Stationen und in verschie-
ring zu halten. denen Bereichen des Klinikums arbeiten, infektionsrelevant, z. B.
Tertiäre Präventionsmaßnahmen sollen Dritte im Rahmen der Physiotherapeuten, Personen in der Krankenhausküche oder Mitar-
Untersuchung nosokomialer Ausbrüche im Krankenhaus schützen. beiter in Funktionsbereichen, auf die mehrere Klinikfachabteilun-
Auch in dieser Situation ist es bereits zur Infektion bei einem oder gen zugreifen. Solche Personen werden leicht zur »Drehscheibe« von
mehreren Personen gekommen. Die Bemühungen zielen daher nur Infektionserregern, die sie zeitgleich über weite Teile des Kranken-
noch darauf ab, die weitere Übertragung des Erregers und damit hauses streuen können. Grundsätzlich sollten daher symptomati-
weitere Infektionsfälle zu verhindern. sche Mitarbeiter dem Dienst bis zur vollständigen Genesung fern-
Im gleichen Zusammenhang ist auch die im Infektionsschutz- bleiben, statt im Zuge falschen Pflichtbewusstseins doch zu arbei-
gesetz (IfSG) geregelte Meldepflicht über den Verdacht, die Erkran- ten. Ist das Fernbleiben aus irgendeinem Grund nicht möglich,
kung und den Tod an der Infektion mit bestimmten Erregern (§ 6 empfiehlt sich die Verwendung persönlicher Schutzkleidung (z. B.
Abs. 1) bzw. deren Nachweis im mikrobiologischen Labor (§ 7 Abs. 1 Mund-Nasen-Schutz, 7 Abschn. 20.4) sowie die konsequente Hände-
und 3) zu nennen. Nosokomiale Ausbrüche sind unabhängig von desinfektion.
der Art des Erregers stets meldepflichtig (§ 6 Abs. 3).
jBesucher
Entsprechend den Empfehlungen für erkrankte Mitarbeiter gilt, dass
20.2 Erregerquellen auch Besucher mit akuten Infektionskrankheiten von einem Ver-
wandtenbesuch grundsätzlich absehen sollten. Ein kritischer Blick
Die Vielfalt an Krankheitserregern und damit die Möglichkeiten der empfiehlt sich aus infektiologischer Sicht mitunter auf von Besu-
Erregerquellen sind groß. Grundsätzlich unterscheidet man endo- chern mitgebrachte Speisen und deren Lagerung (Dauer und Tem-
gene Infektionen (Erreger ist bereits Bestandteil der patienteneige- peratur) im Patientenzimmer.
nen Flora) von exogenen (Erreger wird auf den Patienten übertra-
gen). Die meisten nosokomialen Infektionen sind endogenen Ur- jMedizinprodukte
sprungs und nur begrenzt vermeidbar; exogenen Infektionen kann Je nach Art ihrer Anwendung und dem damit assoziierten Infek-
hingegen mit geeigneten Hygienemaßnahmen vorgebeugt werden. tionsrisiko werden Medizinprodukte in die Kategorien unkritisch
Daher werden nun die Erregerquellen im Krankenhaus vorgestellt, (lediglich Berührung mit intakter Haut), semikritisch (Berührung
die besonders häufig zu nosokomialen Infektionen führen. Zudem mit Schleimhaut oder krankhaft veränderter Haut) und kritisch
20.3 · Übertragungswege
159 20
(Durchdringen von Haut oder Schleimhaut mit Kontakt zu Blut, Schutzkittels empfohlen, der eine Verunreinigung der eigentlichen
inneren Geweben oder Organen) eingeteilt. Weiterführende Infor- Dienstkleidung verhindern soll. Je nach Art des Erregers kann die
mationen dazu sind auf der Homepage des Robert Koch-Instituts zusätzliche Verwendung eines Mund-Nasen-Schutzes sinnvoll sein.
(RKI; www.rki.de) sowie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Darüber hinaus sollten Einmalhandschuhe getragen und nach deren
Medizinprodukte (BfArM; www.bfarm.de) abrufbar. Ablegen sollte auf die Händehygiene geachtet werden: Für die meis-
Einwegprodukte sind vom Hersteller zur einmaligen Verwen- ten Erreger wird eine alkoholische Händedesinfektion empfohlen.
dung vorgesehen. Häufig werden sie zur sofortigen Nutzung bereits Eine wichtige Ausnahme ergibt sich bei Patienten mit antibiotikaas-
sterilisiert in den Handel gebracht. Nur selten sind sie herstellerbe- soziierter Diarrhö durch Clostridium difficile: Dieses Bakterium ist
dingt die Ursache nosokomialer Infektionen (auch wenn es gelegent- zur Bildung von Sporen befähigt, die sich nicht durch Alkohol inak-
lich Meldungen über Produktionsfehler und anschließende Rück- tivieren lassen; in diesem Fall hat gründliches Waschen der Hände
rufe von Chargen gibt). Viel häufiger ist hingegen die Kontamination mit Wasser und Seife einen hohen Stellenwert.
eines solchen Medizinprodukts durch unsachgemäße Handhabung
und anschließende Verwendung am Patienten. Dies kann bereits bei Wasser Wasser ist eine weitere wichtige Erregerquelle der Umwelt.
der Öffnung der Verpackung und Entnahme des Produkts gesche- Bei der Versorgung der meisten Patienten spielen Mikroorganismen
hen. Weiterhin besteht das Risiko einer Kontamination im Rahmen aus diesem Medium zwar keine große Rolle; relevant sind sie hinge-
der eigentlichen Benutzung durch Kontakt des Produkts z. B. mit gen in Hochrisikobereichen des Krankenhauses zur Versorgung im-
Erregern von den Händen der Mitarbeiter, mit Patientenflora oder munsupprimierter Patienten wie z. B. der Hämatologie/Onkologie
mit Keimen aus der Umwelt. Insbesondere bei invasiven Maßnah- oder in Zentren zur Behandlung Schwerstverbrannter. Erreger aus
men mit hohem Infektionsrisiko ist daher penibel auf eine korrekte dem Wasser (z. B. Legionella spp.) können durch Spülen der Lei-
aseptische Vorgehensweise zu achten. tungsstränge in ihrer Konzentration vermindert, durch Aufheizen
Mehrdosenbehältnisse sind zumeist Parenteralia in großer Ge- des Wassers abgetötet oder durch die Anbringung von Wasserfiltern
bindegröße, aus denen mehrfach und zeitversetzt Teilvolumina ent- am Auslass zurückgehalten werden.
nommen werden, z. B. große Flaschen NaCl-Lösung zum Befüllen
mehrerer Perfusorspritzen. In aller Regel handelt es sich bei ihnen Luft Aerogen übertragene Erreger (z. B. Aspergillus spp.) lassen sich
gemäß Herstellerdeklaration jedoch um nicht zur mehrfachen Ver- durch eine 3-stufige Luftfilterung (HEPA-Schwebstofffilter) mit zu-
wendung konzipierte Einwegprodukte. Konservierungsstoffe zur sätzlichem Überdruck gegenüber dem angrenzenden Flurbereich
Hemmung von Erregerwachstum fehlen in aller Regel. Auf diese (Umkehrisolation) vom Patienten fernhalten. Die gleiche Funktion
Weise wurden bereits viele nosokomiale Ausbrüche mit zahlreichen üben raumlufttechnische Anlagen im Operationssaal aus, z. B. in
Todesfällen nach akzidenteller Kontamination des Behältnisses bei der Implantatchirurgie. Hier wird ebenfalls hochreine Luft in einer
der Flüssigkeitsentnahme verursacht. Von der Verwendung solcher laminaren Strömung auf die Wunde geleitet und verdrängt die weni-
Mehrdosenbehältnisse ist also grundsätzlich abzuraten bzw. der Ent- ger reine Raumluft. Unabhängig von der Verwendung technischer
nahmezeitraum ist so kurz wie möglich zu halten (Dokumentation Hilfsmittel zur Prävention der invasiven Aspergillose sind typische
der erstmaligen Verwendung und anschließende kühle Lagerung). Quellen von Aspergillen (z. B. Lagerung von organischem Material
Hochkritisch sind in diesem Zusammenhang Blut bzw. Blutprodukte oder Papier sowie Bauarbeiten aller Art) aus Risikobereichen ent-
sowie lipidhaltige Lösungen, da sie mikrobielles Wachstum beson- weder vollständig zu eliminieren oder zumindest gut vom Bereich
ders stark fördern. der Patientenversorgung abzutrennen.
Im Gegensatz dazu können echte Mehrwegprodukte nach Ge-
brauch produktspezifisch nach Herstellerangaben aufbereitet und
anschließend erneut verwendet werden. Die Art des Produkts ent- 20.3 Übertragungswege
scheidet dabei über die Art der Aufbereitung: Desinfektion semikri-
tischer oder Sterilisation kritischer Medizinprodukte (7 Kap. 21). Kenntnisse über die typischen Übertragungswege von Erregern sind
Meistens erfolgt eine maschinelle Aufbereitung zur Reinigung und für alle Mitarbeiter eines Krankenhauses mit direktem Patienten-
Desinfektion. Verglichen mit einer manuellen Aufbereitung ist so kontakt unabdingbar. Aus ihnen lassen sich sehr leicht die für die
das Infektionsrisiko für die Mitarbeiter vermindert (Arbeitssicher- aktuelle Situation erforderlichen Hygienemaßnahmen ableiten.
heit). Außerdem ist bei maschineller Aufbereitung eine gleich
bleibende Qualität aller Arbeitsschritte gewährleistet (Validierung/ jKontakt
Dokumentation). Kontakt ist der weitaus häufigste Übertragungsweg für nosokomiale
Erreger wie Staphylococcus spp., Streptococcus spp., Enterobakte-
jUmwelt rien (z. B. Escherichia coli), Nonfermenter (z. B. Pseudomonas aeru-
Drei Erregerquellen aus der Umgebung des Patienten sind bedeut- ginosa) und Sporenbildner (z. B. Clostridium difficile). Dies kann
sam: durch einen direkten Kontakt zwischen Patient und Personal ge-
schehen, bei dem Erreger aus der Patientenflora auf den Mitarbeiter
Kontaminierte Gegenstände und Oberflächen im Patientenzimmer übertragen werden. (Genauso gibt der Mitarbeiter Erreger, die
Die häufigste Übertragung erfolgt durch indirekten Kontakt über bereits bei sich trägt, an den Patientenweiter.) Da die Hände des
kontaminierte Gegenstände und Oberflächen im Patientenzimmer. Personals die entscheidende Kontaktfläche für die meisten Übertra-
Stets ist zu vermuten, dass die Patientenflora während des stationä- gungen im Krankenhaus sind, hat Händehygiene (alkoholische
ren Aufenthaltes über weite Teile des Zimmers verteilt worden ist. Händedesinfektion) höchste Priorität. Aus vielen Beobachtungs-
Je intensiver der Kontakt zum Patienten (Bettwäsche, Nachttisch, studien ist jedoch bekannt, dass es häufig an der konsequenten Um-
Toilette), desto wahrscheinlicher ist auch die Kontamination. setzung dieser Empfehlung (Compliance) mangelt.
Isolationszimmer mit einem Warnschild an der Tür machen da- Auch indirekter Kontakt kann zur Transmission von Erregern
rauf aufmerksam, bei der Versorgung von Patienten mit Problemkei- führen. Hier sind es häufig verunreinigte Oberflächen (Bettgitter,
men besondere Schutzkleidung zu tragen: So wird das Tragen eines Toilettenstühle, Türgriffe oder Nachtschränke) der patientennahen
160 Kapitel 20 · Prävention von Bakterien- und Virusinfektionen

Umgebung oder kontaminierte Medizinprodukte (Blutdruckman- 20.4 Präventionsmaßnahmen


schette, Stethoskop, Thermometer, Endoskope), die als zwischen-
zeitliches Erregerreservoir dienen. Eine adäquate Flächendesinfek- Die Standardhygiene ist grundsätzlich bei jedem Patienten, unab-
tion durch geschultes Reinigungspersonal bzw. gut ausgebildete hängig von der Kenntnis von dessen Infektionsstatus, anzuwenden.
Mitarbeiter in der Aufbereitung sowie akkreditierte Verfahren sen- Händehygiene ist sowohl vor als auch nach jedem Patientenkontakt
ken das Risiko der indirekten Kontaktübertragung erheblich. Für durchzuführen. Die Verwendung von Schutzhandschuhen entbin-
den Kontakt am Patienten selbst empfiehlt sich die Verwendung von det dabei nicht von der Notwendigkeit zur Händehygiene. Persönli-
Schutzkleidung. che Schutzkleidung ist immer dann zu tragen, wenn ein Kontakt mit
Blut, Sekreten oder Exkreten zu erwarten ist. Hand- und Hautkon-
jTröpfchen taktflächen sowie weitere infektionsrelevante Oberflächen sind mit
Die Unterscheidung zwischen durch Tröpfchen verursachten Infek- einem dafür geeigneten Mittel zu desinfizieren; sind diese Flächen
tionen und aerogener Übertragung ist oft nicht genau bekannt. Da- sichtbar verschmutzt, muss zuvor eine gründliche Reinigung erfol-
bei hat sie sehr große Auswirkungen auf die Auswahl der geeigneten gen, da ansonsten der Erfolg der Desinfektion nicht sicher gewähr-
Präventionsmaßnahmen. Da Erreger in aller Regel an Partikel ge- leistet ist.
bunden sind, ist für den Übertragungsmodus die Partikelgröße ent- Kontaminierte Utensilien werden entweder sofort nach Ge-
scheidend: Partikel ab 5 μm Größe gehorchen den bekannten Geset- brauch verworfen oder einer speziell auf sie abgestimmten Aufberei-
zen der Schwerkraft und fallen nach einer kurzen Flugdistanz zu tung zugeführt. Für scharfe Instrumente (Nadeln, Spritzen, Kanülen,
Boden. Dabei wird ein Radius > 2 m nur sehr selten überschritten. Skalpellklingen etc.) ist ein geeigneter Abwurfbehälter vorzuhalten.
Personen außerhalb dieses Streubereichs sind daher keinem signi- Wann immer möglich, sind Eindosenbehältnisse für parenteral ver-
fikanten Infektionsrisiko ausgesetzt. Ist jedoch ein näherer Kontakt abreichte Medikamente zu verwenden. Besondere Bedingungen
zum Infizierten erforderlich, empfiehlt sich für den Mitarbeiter die bzw. das Vorliegen besonderer Erreger können darüber hinaus wei-
Anlage eines chirurgischen Mund-Nasen-Schutzes. Typische durch tere Maßnahmen erfordern. Dies ist dann im Einzelfall mit der zu-
Tröpfchen übertragene Erreger sind Diphtherie (Corynebacterium ständigen Krankenhaushygiene abzusprechen.
diphtheriae), Meningokokken (Neisseria meningitidis) und die Er- . Tab. 20.1 gibt eine Übersicht über wichtige nationale und
reger der Virusgrippe (Influenza). internationale Fachgesellschaften aus dem Bereich des Infektions-
schutzes. Auf den Internetseiten dieser Institutionen sind die ak-
jAerogene Übertragung tuellen Empfehlungen zur Infektionsprävention stets abrufbar.
Epidemiologie

Im Gegensatz zur Übertragung durch Tröpfchen sind die Partikel bei


der Übertragung via Aerosol zu klein (< 5 μm; Tröpfchenkerne), um jHändehygiene
auf den Boden zu sedimentieren. Stattdessen bleiben diese Partikel Aus gutem Grund wird diese Maßnahme in dieser Aufzählung an
und die an sie gebundenen Erreger durch kleinste Luftbewegungen 1. Stelle genannt. Sie ist die mit Abstand wichtigste Hygienemaß-
dauerhaft in der Schwebe. So können sie im geschlossenen Raum nahme zur Prävention von Bakterien- und Virusinfektionen. Dabei
über lange Zeit und außerhalb von Räumlichkeiten über weite Stre- dient sie sowohl dem Schutz der Patienten als auch dem Eigenschutz
cken zu Folgeinfektionen führen. des Mitarbeiters. Üblicherweise werden dazu Präparate mit einem
Der empfohlene Atemschutz bei Übertragungen dieser Art Alkoholanteil von 60–70 Vol.-% verwendet. Die Prävention der
ist die partikelfiltrierende Halbmaske (»filtering face piece«; FFP- Transmission unbehüllter Viren (z. B. Noro- oder Adenovirus)
Maske): erfordern darüber hinaus wichtige Abweichungen von diesem
4 Für den Schutz vor Windpocken (Varicella-Zoster-Virus), üblichen Prozedere der Händedesinfektion: Für solche Fälle sind
Masern (Morbillivirus), Sporen von Schimmelpilzen (Asper- spezielle Präparate mit höherem Alkoholanteil im Handel erhältlich.
gillus spp.) und Tuberkulose (Mycobacterium tuberculosis)
genügt in den meisten Fällen eine FFP-2-Maske (95 % Ab-
scheidegrad).
4 Besteht die Gefahr der Infektion mit einem sehr gefährli- . Tab. 20.1 Internetpräsenz ausgewählter Fachgesellschaften mit
chen Erreger, z. B. einer multiresistenten Tuberkulose, ist Informationen zur Infektionsprävention
die Nutzung einer FFP-3-Maske (99 % Abscheidegrad)
Institution Homepage
anzuraten.
Robert Koch-Institut (RKI) www.rki.de
Sofern die technischen Möglichkeiten gegeben sind, werden solche
Patienten auf Infektionsstationen zudem in Zimmern mit vermin- Deutsche Gesellschaft für Hygiene und www.dghm.org
dertem Luftdruck versorgt, damit beim Öffnen der Türen keine Luft Mikrobiologie (DGHM)
aus dem Raum in angrenzende Bereiche entweichen kann. Deutsche Gesellschaft für Krankenhaus- www.dgkh.de
hygiene (DGKH)
jVektoren
Centers for Disease Control and Prevention www.cdc.gov
Nur der Vollständigkeit halber werden hier auch Vektoren als mög- (CDC)
licher Transmissionsweg im Krankenhaus genannt. Übertragungen
dieser Art, z. B. Malaria (Plasmodium spp.) durch Mücken, sind Society for Healthcare Epidemiology of www.shea-online.org
zwar bereits berichtet worden, spielen aber in nur in den entspre- America (SHEA)
chenden geografischen Bereichen unter eher bescheidenen hygieni- European Centre for Disease Prevention www.ecdc.eu
schen und sozialen Bedingungen eine Rolle. and Control (ECDC)

European Society of Clinical Microbiology www.escmid.org


and Infectious Diseases (ESCMID)
20.4 · Präventionsmaßnahmen
161 20

. Tab. 20.2 Fünf Indikationen zur Händedesinfektion

Indikation Beispiele

Vor Patientenkontakt Messung der Vitalfunktionen, Auskultieren, Palpieren, vor Anlegen der Handschuhe

Vor aseptischen Tätigkeiten Kontakt mit invasiven Medizinprodukten (z. B. Kathetern), Vorbereitung parenteraler Medikation,
Kontakt mit nichtintakter Haut, Anlage von Verbänden, Applikation von Injektionen, Schleimhautkontakt
(z. B. Gabe von Augentropfen, Mundpflege, endotracheales Absaugen)

Nach Kontakt mit potenziell Schleimhautkontakt, Kontakt mit nichtintakter Haut (Verbandwechsel), Kontakt mit invasiven Medizin-
infektiösen Materialien produkten (Blutentnahme, Wechsel von Sekretbeuteln), Kontakt mit Blut, Urin, Stuhl oder Erbrochenem

Nach Patientenkontakt Waschen des Patienten, Messung von Puls oder Blutdruck, Auskultieren, Palpieren, nach dem Ausziehen
der Handschuhe

Nach Kontakt mit der unmittelbaren Direkter Kontakt mit Bett, Infusiomat, Monitor am Bettplatz, Beatmungsgerät oder persönlichen Gegen-
Patientenumgebung ständen des Patienten

Zur Verhütung der Übertragung von Clostridium difficile erfolgt zung oder Durchfeuchtung, spätestens jedoch am Ende des Arbeits-
primär das mechanische Entfernen und Abschwemmen der Sporen tages, zu wechseln.
mit Wasser und Seife. . Tab. 20.2 fasst die 5 Indikationen für eine Der chirurgische Mund-Nasen-Schutz (der Mund und Nase tat-
alkoholische Händedesinfektion zusammen. sächlich bedecken sollte!) schützt das Personal vor Tröpfcheninfek-
Das Desinfektionsmittel ist auf trockene Hände aufzutragen, bis tionen, wenn es sich im näheren Patientenumfeld aufhält. Er wird
diese vollständig benetzt sind. Dann wird die Einwirkzeit abgewartet. auch empfohlen beim Umgang mit MRSA-positiven Patienten. In
Dabei ist besonders darauf zu achten, dass auch der Daumen, die diesem speziellen Fall gehört der Erreger zwar zur Gruppe der Sta-
Fingerkuppen und der Nagelfalz in die Händedesinfektion einbezo- phylokokken und wird fast ausschließlich durch Kontakt übertra-
gen werden. Weisen die Hände sichtbare Verschmutzung auf, müssen gen. Dennoch verhindert der Mund-Nasen-Schutz den – meist un-
sie vor der Desinfektion unbedingt gewaschen und anschließend bewussten – Kontakt zwischen den eigenen Fingern und der Nase
gründlich abgetrocknet werden. Wie Beobachtungsstudien wieder- des Mitarbeiters und senkt damit das Risiko einer akzidentellen
holt gezeigt haben, motiviert die Sorge vor einer eigenen Infektion Selbstkolonisation mit MRSA.
den Mitarbeiter durchaus zur Händedesinfektion, wohingegen die Eine Anlage des chirurgischen Mund-Nasen-Schutzes bei Patien-
Compliance zum Schutz des Patienten (Händehygiene vor Patienten- ten mit Infektionserregern in den Atemwegen kann während eines
kontakt) in vielen Bereichen noch ein großes Potenzial zur Verbesse- Krankentransports durchaus sinnvoll sein, sofern die Patienten dies
rung aufweist. tolerieren. Mitunter tragen auch immungeschwächte Patienten einen
Die Fingernägel sollten stets kurz geschnitten sowie unlackiert Mund-Nasen-Schutz zu ihrem eigenen Schutz, falls ein Kontakt zu
sein. Die Verwendung von kosmetischen Fingernägeln, Ringen und anderen Personen möglich ist, z. B. in Wartezonen des Klinikums.
sonstigem Schmuck im Bereich der Hände und Unterarme kann zu Die Dichtigkeit des chirurgischen Mund-Nasen-Schutzes ist
Benetzungslücken führen und ist aus diesem Grund zu unterlassen. nach Durchfeuchtung stark herabgesetzt. Dann muss er umgehend
ausgetauscht werden.
jSchutzkleidung FFP-Masken wurden bereits im Zusammenhang mit der Präven-
Beim Verwenden persönlicher Schutzkleidung steht der Eigenschutz tion aerogen übertragener Infektionen erwähnt. Mit zunehmendem
des Mitarbeiters im Vordergrund. Unsterile Handschuhe sind be- Abscheidegrad wächst ihr Atemwegswiderstand. Aus diesem Grund
reits sehr gut dazu geeignet, die Keimlast auf den Händen des Perso- tolerieren kontagiöse Patienten FFP-Masken meist deutlich schlech-
nals und damit die Infektionsgefahr zu senken. Sterile Handschuhe ter als beispielsweise einen chirurgischen Mund-Nasen-Schutz. Es
werden hingegen zum Schutz des Patienten angezogen, z. B. zur sind jedoch auch Masken mit Ventilen im Handel erhältlich, die
Anlage eines zentralen Gefäßkatheters. Insbesondere unsterile zumindest die Exspirationsphase nicht beeinträchtigen. Die Ver-
Handschuhe weisen häufig bereits zum Zeitpunkt der Entnahme wendung einer solchen Maske mit Ausatemventil kann für Mitarbei-
kleinste Risse auf, sodass es in der Folge zur Kontamination der da- ter den Tragekomfort bei längerer Tätigkeit durchaus verbessern,
rin befindlichen – und vermeintlich geschützten – Hände kommt. kontagiöse Patienten dürfen sie natürlich nicht tragen.
Darum ist auch nach Ablegen von Handschuhen eine ergänzende Verglichen mit intakter Haut sind Schleimhäute eine deutlich
Händedesinfektion unbedingt notwendig. schlechtere natürliche Barriere gegenüber Infektionserregern (ins-
Mitunter wird statt eines Handschuhwechsels zwischen dem besondere Viren). Besteht also das Risiko, dass erregerhaltiges Sekret
Kontakt zu verschiedenen Patienten eine alkoholische Desinfektion (z. B. Blut oder Materialen aus den Atemwegen) verspritzt wird,
der bereits benutzen Handschuhe an der Hand durchgeführt. Sofern sollte Personal bei entsprechenden Tätigkeiten geeigneten Augen-
seitens des Herstellers des Produkts ein solches Vorgehen nicht aus- schutz tragen.
drücklich für zulässig erklärt worden ist, sollte man dies unterlassen, Außerhalb des Operationssaales werden Haarnetze oder Kopf-
denn Studien (z. B. über den Einfluss von Ethanol bzw. n-Propanol hauben in der Patientenversorgung hauptsächlich zur Anlage zen-
auf die Durchlässigkeit von Latexhandschuhen) fehlen bislang. traler Gefäßkatheter (ZVK) empfohlen.
Der Schutzkittel als Bestandteil der Standardhygienemaßnah-
men soll die Kontamination der übrigen Berufskleidung verhindern. jIsolation
Er verbleibt bei Patienten, die wegen multiresistenter Erreger isoliert Patienten mit hochkontagiösen Erkrankungen oder mit schwer be-
werden, im Patientenzimmer und ist bei erkennbarer Verschmut- handelbaren Erregern werden häufig in Einzelzimmern isoliert. In
162 Kapitel 20 · Prävention von Bakterien- und Virusinfektionen

vielen Krankenhäusern ist sogar eine aktive Suche nach solchen Er- antibiotische Therapie den Problemkeim zwar durchaus unter die
regern (Screening auf MRSA oder vancomycinresistente Enterokok- mikrobiologische Nachweisgrenze drücken kann, ohne ihn dabei
ken) etabliert. Sind mehrere Patienten betroffen, ist ggf. eine Zusam- jedoch vollständig zu eradizieren (falsch-negative Befunde unter
menlegung in Mehrbettzimmern möglich (Isolation in Kohorte). laufender Behandlung). Kontrolluntersuchungen sollten daher erst
Neben der Verwendung von Schutzkittel, Handschuhen und der nach Absetzen der Antiinfektiva beginnen.
Händedesinfektion vor Verlassen des Zimmers wird zudem empfoh- Eine Sonderform der Isolation ist die Umkehrisolation. Bei ihr
len, Medizinprodukte (z. B. Blutdruckmanschette oder Stethoskop) ist es nicht die Umgebung, die vor dem Patienten geschützt werden
nur streng patientenbezogen einzusetzen. soll – vielmehr soll hier der immunsupprimierte Patient vor Erre-
Für MRSA-positive Patienten gibt es weitere Maßnahmen zur gern aus seiner Umgebung geschützt werden. Raumlufttechnische
Erregerelimination, z. B. antiseptische Waschungen und die mehrtä- Anlagen sorgen in deren Zimmern mit mehrstufigen Filteranlagen
gige topische Applikation einer Nasensalbe mit Mupirocin. Selbst- und erhöhtem Luftdruck gegenüber der Umgebung (mitunter sogar
verständlich darf die Isolation eines Patienten nicht zu Nachteilen in mit einer vorgeschalteten Schleuse) für eine besonders erregerarme
seiner medizinischen Versorgung führen. So ist ein MRSA-Nachweis Atemluft. Wasserfilter verhindern den Kontakt zu Keimen aus dem
z. B. kein Grund, auf apparative Diagnostik zu verzichten, kein Leitungsnetz. Viele Gegenstände (organisches Material wie Papier
Grund für eine besondere Position im Ablauf des Operationsplanes oder Blumen) und Nahrungsmittel (Nüsse, Gewürze etc.) sind für
und kein Grund für eine Verzögerung der Verlegung auf eine ande- die Zeit der hochgradigen Immunsuppression (Neutropenie) für den
re Station, in ein anderes Krankenhaus oder eine Rehabilitationsein- Patienten tabu. Der Patient verlässt das Zimmer nur, wenn unbe-
richtung. Ein Hinweis auf den Trägerstatus an die weiterbehandeln- dingt notwendig, und muss dann zumindest durch Anlegen eines
de Einrichtung muss selbstverständlich erfolgen. Mund-Nasen-Schutzes vor exogenen Infektionen geschützt werden.
Für Krankheitserreger, die zu einer amtsärztlich angeordneten Häufig wird für diese Patienten zudem eine Kolonisationsüberwa-
Quarantäne nach § 30 IfSG führen, gelten gesonderte gesetzliche chung (mikrobiologisches Monitoring) durchgeführt.
Bestimmungen. Diese umfassen derzeit den Verdacht oder die Er-
krankung an Lungenpest (Yersinia pestis) sowie virale hämorrhagi- jFlächendesinfektion
sche Fieber (VHF). Das Vorgehen ist in diesen – glücklicherweise Flächendesinfektion hat zum Ziel, die Erregerlast in der Umgebung
nur sehr seltenen – Fällen daher mit dem zuständigen Gesundheits- so weit zu senken, dass von dieser keine Infektionsgefahr mehr aus-
amt abzusprechen. geht.
Ist zu einem späteren Zeitpunkt davon auszugehen, dass von Wie oft wird Flächendesinfektion durchgeführt? Sie erfolgt zu-
Epidemiologie

dem Patienten keine Infektionsgefahr mehr ausgeht (nach Abklin- meist routinemäßig, d. h. in bestimmten Intervallen, durch das
gen der Symptomatik, Einleiten einer entsprechenden Therapie oder (möglichst gut geschulte) Reinigungspersonal im Krankenhaus. Bei
nach mehrfachen Abstrichen ohne weiteren positiven Erregernach- offensichtlicher Kontamination muss sofort gereinigt und desinfi-
weis), können solche Isolationsmaßnahmen wieder aufgehoben ziert werden.
werden (Entisolierung). Dies ist mit der zuständigen Hygieneabtei- Welche Flächen sind infektionsrelevant? Als besonders infek-
lung ggf. im Einzelfall zu klären. Dabei ist ebenfalls zu berücksichti- tionsrelevant gelten derzeit: die nähere Patientenumgebung inklu-
gen, dass eine zeitgleich durchgeführte und prinzipiell wirksame sive Badezimmer und Toilette, Flächen mit regelmäßigem Handkon-

. Abb. 20.1 Prophylaxestrategie zur Prävention von Bakterien- und Virusinfektionen


20.4 · Präventionsmaßnahmen
163 20
takt sowie Flächen, auf denen aseptische Tätigkeiten ausgeführt
werden bzw. entsprechendes Material gelagert wird (z. B. Vorberei-
tung der i. v. Medikation und Verbandswagen). Der Fußboden hin-
gegen stellt keine Infektionsgefahr dar; daher ist hier in der Regel
eine Reinigung ausreichend und ein Desinfektionsschritt verzicht-
bar.
Welcher Erreger soll abgetötet werden? In vielen Krankenhäu-
sern ist das gewählte Standardpräparat zwar für den Routinebetrieb
geeignet, weist aber Wirkungslücken auf. Im Einzelfall muss dann
vom üblichen Regime abgewichen und ein besonderes Präparat be-
nutzt werden. Dies ist häufig bei Clostridium difficile oder Norovi-
rus der Fall und zuvor mit der Krankenhaushygiene abzusprechen.

jChemoprophylaxe
In einigen Fällen wird Personen, die ungeschützt Kontakt zu einem
kontagiösen Patienten hatten, eine postexpositionelle Chemopro-
phylaxe empfohlen. Im Klinikalltag betrifft dies am ehesten den
Kontakt mit invasiven Infektionen (Sepsis und Meningitis) durch
Meningokokken (Neisseria meningitidis) bis zum Ablauf von 24 h
nach Therapiebeginn beim Patienten. Derzeit werden hierfür Rifam-
picin, Ciprofloxacin oder Ceftriaxon eingesetzt. Die jeweils aktuel-
len Empfehlungen zur Wahl des Präparats und dessen Dosierung
(cave: ggf. gesonderte Empfehlungen für Kinder und Schwangere)
sind auf der Homepage des Robert Koch-Instituts (www.rki.de) je-
derzeit abrufbar.
. Abb. 20.1 fasst die Prophylaxestrategie zur Prävention von
Bakterien- und Virusinfektionen zusammen.

In Kürze
Prävention von Bakterien- und Virusinfektionen
Zeitlich gestaffelte Formen der Prävention (je früher, desto
besser):
5 primär = Problem noch vor seiner Entstehung eliminiert
5 sekundär = Problemfrüherkennung
5 tertiär = Folgeprobleme minimiert
Art des Erregers bedingt dessen Reservoir und Übertragungs-
weg.
5 Reservoir und Übertragungsweg bedingen die Hygiene-
maßnahmen (. Abb. 20.1).
5 Mikrobiologische Kenntnisse sind Voraussetzung für das
Verständnis von Infektiologie und Hygiene.
5 Der häufigste Übertragungsweg nosokomialer Erreger ver-
läuft über die Hände des Personals.
5 Alkoholische Händedesinfektion ist die wichtigste Hygiene-
maßnahme im Routinebetrieb auf der Station.
5 Hygienemaßnahmen zur Prävention von Bakterien- und
Virusinfektionen kosten zwar zunächst Zeit und Geld, senken
jedoch nachweislich die Häufigkeit nosokomialer Infektionen
und sind daher sowohl aus medizinisch-ethischen als auch
aus ökonomischen Gründen konsequent durchzuführen.
165 21

Sterilisation und Desinfektion


H. Rüden, W.-D. Kampf

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_21, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Desinfektion und Sterilisation sind Verfahren zur Reduktion der mikro- Im deutschen Medizinproduktegesetz ist nur der Begriff »Medi-
biellen Belastung auf Gegenständen bzw. der Haut und Schleimhaut. zinprodukt« enthalten, also keine Unterscheidung in Einweg- oder
Welches Verfahren zum Einsatz kommt, richtet sich nach den Anforde- Mehrweg-Medizinprodukt. (Die Einstufung erfolgt durch die Indus-
rungen an den Grad der notwendigen Reduzierung der Keimbelastung trie ohne gesetzliche Vorgaben.) Unabhängig von der Einstufung
bis zur Keimfreiheit. Sind die Anforderungen gering, so ist eine Des- sind die Medizinprodukte entsprechend den KRINKO-Empfehlun-
infektion ausreichend. Sind sie hoch, muss eine Sterilisation durchge- gen aufzubereiten. Medizinprodukte zur mehrmaligen Anwendung
führt werden. sind vor der Desinfektion zu reinigen. Dem Sterilisationsvorgang
muss der Desinfektionsvorgang vorangehen.

Physikalische vs. chemische Verfahren Sowohl bei der Sterilisa-


21.1 Grundbegriffe
tion als auch bei der Desinfektion ist den physikalischen Verfahren
der Vorzug zu geben vor den chemischen, da die physikalischen
Sterilisation Maßnahme zur vollständigen Keimfreiheit von Zu-
Verfahren
bereitungen oder Gegenständen. Bei der Sterilisation werden alle
4 sicherer und zuverlässiger sind sowie
lebensfähigen Formen humanpathogener Mikroorganismen inklu-
4 umwelthygienisch und toxikologisch weniger bedenklich sind.
sive Sporen von Bakterien (z. B. Clostridium perfringens) durch
Abtöten oder Entfernen erfasst.
Da jedoch auch die Materialverträglichkeit zu berücksichtigen ist,
wird es nicht immer möglich sein, nur physikalische Verfahren ein-
Desinfektion Maßnahmen zur Keimreduktion bzw. zum Abtöten
zusetzen (z. B. Händedesinfektion, Sterilisation und Desinfektion
oder zum irreversiblen Inaktivieren eines erheblichen Teils der
thermolabiler Güter).
Mikroorganismenpopulation. Da es sich bei der Desinfektion um
eine infektionsprophylaktische Maßnahme handelt, soll danach der
Gegenstand frei von Krankheitserregern sein bzw. soll die Anzahl
lebender Zellen definitionsgemäß um wenigstens 5 Zehnerpotenzen
21.2 Sterilisationsverfahren
vermindert sein. Die Desinfektion richtet sich jedoch nicht nur
Nach dem Deutschen Arzneibuch bzw. der »Pharmacopoea Euro-
selektiv gegen Krankheitserreger, sondern auch gegen die übrigen
paea« können die Anforderungen der Sterilisation entweder durch
Mikroorganismen. Die Keimreduktion muss so groß sein, dass ein
physikalische oder chemische Verfahren erfüllt werden:
Infektionsrisiko ausgeschlossen ist.
4 physikalische Verfahren:
5 Wärme: thermische Sterilisation
5 ionisierende Strahlen: Strahlensterilisation
21.1.1 Allgemeine Empfehlungen 4 chemische Verfahren: Gassterilisation

Aufbereitung von Medizinprodukten Der medizinische Einsatz Die Abtötung der Mikroorganismen ist von den Parametern Zeit,
bestimmt das erforderliche Verfahren zum Entfernen oder Inaktivie- Temperatur und ggf. Wirkstoff (chemische Stoffe) oder Wirkungs-
ren der Mikroorganismen. Die Empfehlung der Kommission für prinzip (Strahlen) abhängig (. Tab. 21.2).
Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim
Robert Koch-Institut (RKI) zu den Anforderungen an die Hygiene Reduktionsrate Da die Anzahl der solche Prozesse überlebenden
bei der Aufbereitung von Medizinprodukten teilt diese in 3 Gruppen Mikroorganismen unter der Einwirkung dieser Faktoren nach dem
ein (. Tab. 21.1). Maßstab dekadischer Logarithmen kontinuierlich abnimmt (Re-

. Tab. 21.1 Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten (Kommission für Krankenhaushygiene und Infektions-
prävention [KRINKO] beim RKI)

Gruppe Funktion Aufbereitung

Unkritische Medizinprodukte lediglich Kontakt mit intakter Haut Reinigung, ggf. Desinfektion

Semikritische Medizinprodukte Kontakt mit Schleimhaut Desinfektion

Kritische Medizinprodukte dringen in primärsterile Bereiche vor Sterilisation


166 Kapitel 21 · Sterilisation und Desinfektion

. Tab. 21.2 Sterilisationsverfahren

Verfahren Parameter (Dauer, Temp., Druck etc.) Bemerkungen

Heißluftsterilisation 30 min, 180 °C –

10 min, 200 °C –

Autoklavierung bei feuchter Hitze 15(–20) min, 121 °C, 2 bar nur bei gesättigter Wasserdampfatmosphäre

5(–10) min, 134 °C, 3 bar

Strahlensterilisation 25 kGy = 2,5 Mrad (mittels 60Co: γ-Strahler) Lücken (höhere Radioresistenz):

Micrococcus radiodurans

Clostridium botulinum Typ A

Polioviren, Enzephalitisviren

Ethylenoxid-Gassterilisation bis 360 min, 400–1200 g Ethylenoxid/m3, 25–55 °C giftig, kanzerogen, hochexplosiv, daher lange
Auslüftung (Desorption) erforderlich

Formaldehyd-Gassterilisation 60 min, 2 % Formaldehydlösung, 200 mbar, gleichmäßige Temperatur soll Kondensation


60 °C und 70–100 % Luftfeuchtigkeit des Formaldehydgases verhindern

Plasmasterilisation z. B. 28–72 min je nach Gerätetyp, H2O2 (58 %ig), nur trockene Produkte
0,9 mbar (Unterdruck) und 1010 mbar (Atmosphären-
druck), 45–50 °C

duktionsrate), ist die Anfangskeimzahl eine wichtige Größe für den einmaligen Gebrauch, wie Verbandstoffe, Spritzen, Kanülen, chirur-
Epidemiologie

Erfolg der Maßnahme. Die Reduktionsrate ist somit der Maßstab für gisches Nahtmaterial, Instrumente und Geräte aus Kunststoffen, aber
die Wirksamkeit eines Verfahrens. Der Nachweis erfolgt mittels auch aus Metall, wie Scheren, Skalpelle und Pinzetten, in Einzel-
Prüfkörper und Registrierung der Daten (z. B. Temperatur, Druck, packungen mit energiereichen Strahlen sterilisiert.
Wirkstoffkonzentrationen) während der Betriebszeit des Gerätes. Kunststoffartikel, thermolabile Werkstoffe, besonders auch in-
Die Sterilisation erreicht die stärkste Keimzahlreduktion. In der Pra- dustriell hergestellte Produkte, wie Spritzen, Infusions- und Trans-
xis wird eine Reduktion um mindestens 6 dekadische Logarithmen- fusionsgeräte oder Katheter sind mit Ethylenoxidgas (wegen Toxi-
stufen verlangt. Grundsätzlich sollen dabei ohne Einschränkung alle zität kaum noch in Deutschland eingesetzt) und mit Formaldehyd-
Mikroorganismenarten inaktiviert werden. gas sterilisierbar.
Eine weitere Gassterilisation ist die Plasmasterilisation. Plasma
bezeichnet hier den 4. Aggregatzustand, d. h., das Gas liegt in seiner
21.2.1 Auswahl des Verfahrens ionisierten Form im Niedertemperaturbereich vor. Die H2O2-Plas-
masterilisation ist z. B. besonders geeignet für Instrumente mit
Die Auswahl des Sterilisationsverfahrens wird in erster Linie von optischen und elektronischen Komponenten. Gefahrstoffe, toxische
den Materialeigenschaften des Sterilisationsgutes bestimmt. Da das Rückstände oder Korrosionserscheinungen treten dabei nicht auf.
Druckkesselverfahren die beste Abtötungsmöglichkeit bietet, gilt der
Grundsatz: Alles in den Autoklaven, was möglich ist!
Besonders thermostabile Objekte werden im Heißluftgerät ste- 21.2.2 Verpackung des Sterilguts
rilisiert. Thermolabile Artikel können einer chemischen Sterilisation
mit Ethylenoxidgas, Formaldehydgas und Plasma, z. B. H2O2, unter- Das zu sterilisierende Gut muss so verpackt sein, dass es nach dem
zogen werden. Dieses Verfahren wird sowohl für industriell herge- Sterilisationsvorgang nicht rekontaminiert werden kann. Das Verpa-
stellte Produkte zum einmaligen Gebrauch als auch in Kliniken und ckungsmaterial muss so beschaffen sein, dass es für das Sterilisa-
Laboratorien für wiederaufbereitbare Produkte angewendet. Wegen tionsmedium durchlässig und nach Abschluss der Sterilisation un-
des hohen technischen Aufwands und der Problematik des Strahlen- durchlässig für Mikroorganismen ist. Bei sachgerechter (trockener)
schutzes eignet sich der Einsatz energiereicher Strahlen nur im Be- Lagerung und Unversehrtheit der Verpackung gibt es keine zeitliche
reich der Industrie. Begrenzung der Innensterilität für alle im Krankenhaus oder von der
Die Heißluftsterilisation eignet sich zur Sterilisation von Instru- Industrie aufbereiteten Medizinprodukte. Die Angaben für Lager-
menten aus Metall, von Geräten und Behältern aus Glas, für wasser- fristen bei industriell hergestelltem Sterilgut beziehen sich auf die
freie Flüssigkeiten oder anderes thermostabiles Material. Materialermüdungseigenschaften.
Mit der Dampfdrucksterilisation (Autoklavierung mit ge- Das Sterilisationsgut für die Heißluftsterilisation wird zweckmä-
spanntem, gesättigten Dampf) können Textilien, Geräte aus Gummi ßigerweise in Metallbehälter gebracht, die den ungehinderten Zutritt
oder thermostabilen Kunststoffen, thermostabile Medikamente und der Heißluft und einen vollständigen Temperaturausgleich während
Flüssigkeiten, selbstverständlich auch Geräte aus Glas und Metall im der Sterilisation erlauben. Danach müssen die Behälter ebenfalls
Autoklaven sterilisiert werden. keimdicht verschließbar sein.
Die Strahlensterilisation ist ausschließlich für industriell ge- Behälter für das Sterilisationsgut im Autoklaven müssen den
fertigte Produkte geeignet. So werden meistens Massenartikel zum Dampfzutritt gestatten und keimdicht verschließbar sein, um eine
21.3 · Desinfektionsverfahren
167 21
Rekontamination zu verhindern. Diese Forderungen erfüllen in der
. Tab. 21.3 Gängige Bioindikatoren (Testkeime) verschiedener
Praxis besonders konstruierte Behälter mit Filterflächen oder ver-
Sterilisationsmethoden
schiedenartige Verpackungen aus sog. Sterilisationspapier. Feuchtig-
keit lässt sich durch eine Vakuumphase am Ende des Sterilisations- Verfahren Bioindikator (Testkeim)
vorganges weitgehend entfernen.
Bei der Strahlensterilisation stellt die Verpackung bezüglich der Dampfsterilisation Sporen von Geobacillus
Durchdringbarkeit kein Problem dar. stearothermophilus
Die Verpackungen für die Ethylenoxid- und Formaldehyd-
Heißluftsterilisation Sporen von Bacillus atrophaeus
Gassterilisation bestehen aus Kunststofffolien oder Sterilisations-
papier, die gasdurchlässig, aber keimdicht sind. Ethylenoxid-Gassterilisation Sporen von B. atrophaeus
Verpackungsmaterial für die H2O2-Plasmasterilisation darf Formaldehyd-Gassterilisation Sporen von G. stearothermophilus
keine Baumwolle oder andere Zelluloseprodukte enthalten.
Weitere Empfehlungen für den praktischen Umgang mit Me-
dizinprodukten bzw. mit den einzusetzenden Geräten können der
Leitlinie von AKI, DGSV und DGKH für die Validierung und 21.3 Desinfektionsverfahren
Routineüberwachung maschineller Reinigungs- und thermischer
Desinfektionsprozesse für Medizinprodukte entnommen werden Die Wirksamkeit eines Desinfektionsverfahrens wird neben den
(7 Literatur). desinfektionsspezifischen Parametern wie Temperatur, Einwirkzeit
und Konzentration und Art des Wirkstoffes durch weitere Faktoren
bestimmt:
21.2.3 Prüfverfahren 4 So sind in Schmutzpartikeln und Ausscheidungen oder Blut
inkorporierte Mikroorganismen bei einer Desinfektion
Alle Sterilisationsvorgänge erfordern eine ständige Kontrolle. schlecht oder gar nicht erreichbar.
Während des laufenden Betriebs werden die technischen Daten 4 Mikroorganismen sind im feuchten Zustand sehr viel besser
wie Temperatur, Druck, Zeit, Dosis (Strahlensterilisation) oder für Desinfektionsverfahren zugänglich als im trockenen
Konzentration (chemische Sterilisation) kontinuierlich überprüft Zustand.
oder aufgezeichnet. In erweiterter Form mit mehr Messstellen
werden diese physikalisch-technischen Daten bei der Aufstellung Auch gibt es hinsichtlich der einzelnen Mikroorganismen Wirksam-
des Sterilisators am Betreiberort im Rahmen der Validierung über- keitsunterschiede – man spricht von Bakterizidie, Tuberkulozidie,
prüft. Fungizidie (schließt Pilzsporen ein), Viruzidie. Im Vergleich zur Ste-
Chemoindikatoren, sog. Behandlungsindikatoren, zeigen an, rilisation wird zur Desinfektion eine Keimzahlreduktion nur um 3–5
ob das Sterilisationsgut dem Verfahren ausgesetzt war. Auf der Ver- dekadische Logarithmenstufen verlangt. Die gebräuchlichsten Ver-
packung angebracht, ändert sich ihre Farbe während des entspre- fahren fasst . Tab. 21.4 zusammen. Die Desinfektion erfasst nicht die
chenden Sterilisationsvorgangs. Andere Chemoindikatoren können Bakteriensporen.
zwischen oder innerhalb der Packungen positioniert werden. Sie
ändern den Farbton, wenn bei der thermischen Sterilisation die
erforderliche Temperatur erreicht war. Graduell temperaturemp- 21.3.1 Auswahl des Verfahrens
findliche Substanzen können auch Hinweise auf die Höhe und
Dauer der erreichten Temperatur geben. Thermometer sind aller- Für die Anwendung in Krankenhaus und Praxis stehen für Deutsch-
dings genauer. land 2 Listen über Desinfektionsmittel und -verfahren zur Verfü-
Wenngleich nach Ansicht der Industrie die Validierung über gung:
physikalisch-technische Parameter mit jährlicher erneuter Leis- 4 VAH-Liste: Liste des Verbunds für Angewandte Hygiene
tungsbeurteilung ein ausreichendes Maß an Sicherheit für den Ste- (VAH) e. V. auf der Basis der Standardmethoden der Deut-
rilisationserfolg geben soll, sind kritisch platzierte Keimträger mit schen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM)
Mikroorganismen bestimmter Resistenz die zuverlässigste Form geprüfter und als wirksam befundener chemischer Desin-
der Kontrolle. Diese Bioindikatoren sind so im Sterilgut zu verteilen, fektionsmittel für die prophylaktische Desinfektion im
dass Stellen erfasst werden, an denen erfahrungsgemäß Sterilität be- Routinebetrieb;
sonders schwer zu erreichen ist. Die Überprüfung mit Bioindikato- die VAH-/DGHM-Liste umfasst die Anwendungsbereiche
ren ist mindestens 2-mal jährlich erforderlich. Sie soll außerdem hygienische und chirurgische Händedesinfektion, Hautanti-
nach größeren Reparaturen, Umbauten des Raumes oder Standort- septik, Flächen-, Instrumenten- und Wäschedesinfektion.
wechsel erfolgen. 4 RKI-Liste: Liste der vom Robert Koch-Institut geprüften
Als Bioindikatoren werden Testkeime verwendet, deren Resis- und anerkannten Desinfektionsmittel und -verfahren, im
tenz gegen die verschiedenen Wirkungsprinzipien oder Wirkstoffe Seuchenfall einzusetzen.
der Sterilisationsverfahren eine solche Sicherheit bieten, dass unter
praktischen Bedingungen und nach langjährigen Erfahrungen eine Liegen jedoch die Voraussetzungen nach § 18 IfSG vor, d. h. ist
Reaktivierung vermehrungsfähiger Keime aus dem Sterilisations- durch an Gegenständen haftende Erreger meldepflichtiger übertrag-
gut  ausgeschlossen ist. Als Testkeime dienen insbesondere Sporen barer Krankheiten eine Verbreitung der Krankheit zu befürchten,
von verschiedenen Bacillusarten (. Tab. 21.3). Die Träger der Test- kann die zuständige Gesundheitsbehörde (z. B. Amtsarzt) zur Ab-
keime müssen bezüglich Material und Form dem Sterilisationsver- wendung drohender Gefahren eine Desinfektion nach der RKI-Liste
fahren angepasst sein. Dies gilt in besonderem Maße für die Gas- anordnen. Ein solches Vorgehen ist in der Regel aus seuchenrecht-
sterilisation hinsichtlich der unterschiedlichen Durchlässigkeit der lichen Erwägungen nur im Entseuchungsfall zu erwarten. Aus
Kunststoffe. diesem Grund werden in der RKI-Liste auch nur Verfahren und
168 Kapitel 21 · Sterilisation und Desinfektion

. Tab. 21.4 Desinfektionsverfahren

Verfahren Parameter Einsatzbereich Bemerkung

Thermisch alternativ: Instrumente, Wäsche bei niedrigen Temperaturen kombi-


niert mit chemischen Desinfektions-
– 75–95 °C heißes Wasser
mitteln
– 100 °C gesättigter Wasserdampf

– 105 oder 110 °C bei 1,2 oder 1,5 bar

– 75 °C bei –0,5 bar (Unterdruck)

UV-Strahlen – UV-C 253,7 nm Wasser Schmutz- und Eiweißpartikel beein-


trächtigen
– 25–100 mWs/cm2

Alkohol nur wässrige Lsg.: 60–80 Vol.-%: Ethanol Haut, Hände, Flächen < 1 m2 geringer Eiweißfehler
80 %, 1-Propanol 70 %, 2-Propanol 60 %
Einwirkzeit: 10–60 s

Formaldehyd Gebrauchsverdünnungen nach VAH-/DGHM- Flächen, Instrumente, Wäsche, starker Eiweißfehler


oder RKI-Liste Luft

Amphotenside Gebrauchsverdünnungen nach VAH-/DGHM- Flächen, Instrumente, Wäsche, starker Seifenfehler


oder RKI-Liste Luft

Chlor abspaltende z. B. ClO2, Cl2, NaOCl (Natriumhypochlorit), Flächen, Instrumente, Trink- und Eiweißfehler
Verbindungen Chlorkalk Badewasser, Wäsche, Ausschei-
dungen

Jod abspaltende Jodophore: z. B. Polyvinylpyrrolidon-(PVP-) Haut, Schleimhaut Eiweißfehler


Verbindungen Jod
Epidemiologie

Peroxidverbindungen z. B. Peressigsäure, Ozon Flächen, Instrumente, Wäsche, Eiweißfehler


Badewasser

Quartäre Ammonium- Flächen, Instrumente Seifenfehler


verbindungen

Seifenfehler: Wirkverlust durch Seifen, Eiweißfehler: Wirkverlust durch Protein

entsprechende Anwendungsbereiche aufgeführt, die für die Seu- terium spp., Peptostreptococcus spp. etc.) zu erfassen. Die Kommis-
chenbekämpfung von Bedeutung sind, wie thermische Desinfek- sion für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim RKI
tionsverfahren (Auskochen, Verbrennen, Dampfdesinfektion), che- sieht keine Notwendigkeit der Waschphase mit Bürsten der Finger-
mische Mittel und Verfahren (Instrumentendesinfektion, hygienische nägel kurz vor der Desinfektionsphase, da unzureichendes Abspülen
Händedesinfektion, Wäschedesinfektion, Desinfektion von Abfällen der Seife und ungenügendes Trocknen durch den Seifenfehler und
und Ausscheidungen) und besondere Verfahren (Wäschedesinfek- Verdünnungseffekt das alkoholhaltige Händedesinfektionsmittel
tion in Waschmaschinen und Reinigungsautomaten, Raumdesin- inaktivieren können. Die Empfehlung lautet jetzt, bei Dienstantritt
fektion). in der OP-Umkleide durch Seifenwaschung und ggf. Bürsten der
Bezüglich der chemischen Mittel und Verfahren besteht der Fingerkuppen/-nägel sichtbare Verschmutzungen zu entfernen. Vor
Unterschied zwischen der VAH-/DGHM und RKI-Liste aufgrund Anlegen der sterilen OP-Schutzkleidung erfolgt die chirurgische
mehrerer Prüfverfahren darin, dass die RKI-Liste sehr viel höhere Händedesinfektion der Hände und Unterarme bis zum Ellenbogen.
Konzentrationen und erheblich längere Einwirkungszeiten vorsieht. Die Einwirkzeit des alkoholhaltigen Händedesinfektionsmittels
richtet sich nach den Herstellerangaben, im Allgemeinen beträgt sie
Händedesinfektion Da bei der hygienischen Händedesinfektion mindestens 3 min.
die Beseitigung der transienten Hautflora (Anflug- und Kontakt-
flora) wie z. B. S. aureus oder P. aeruginosa im Vordergrund steht, Hautdesinfektion Je nach Art des Eingriffs (z. B. Injektion, endo-
erfolgt die Desinfektion mit einem vorzugsweise alkoholhaltigen skopischer Eingriff, Operation) sind zur Hautdesinfektion Zeiten
Desinfektionsmittel bei in der Regel mindestens 30 s Einwirkzeit von mindestens 30 s bis 5 min einzuhalten. Zur Desinfektion werden
(Herstellerangaben beachten). Die der jeweiligen Anwendungs- in der Regel Alkohole bzw. Kombinationspräparate angewandt – be-
vorschrift entsprechende Zeit ist unbedingt einzuhalten. Die hygie- stehend aus der Hauptwirkstoffbasis Alkohol und weiteren Wirk-
nische Händedesinfektion ist die effizienteste Methode zur Ver- stoffgruppen wie z. B. PVP-Jod. Das Desinfektionsmittel kann
meidung nosokomialer Infektionen: »Der größte Feind der Wunde eingerieben oder aufgesprüht (mit anschließendem Nachreiben)
ist die Hand des Arztes« (August Bier, deutscher Chirurg, 1861– werden.
1949).
Die chirurgische Händedesinfektion hat zum Ziel, die transien- Schleimhautantiseptik Aufgrund der zahlreichen, die Desinfek-
te ebenso wie die residente Hautflora (S. epidermidis, Propionibac- tionsmittelwirkung beeinträchtigenden Faktoren wie Vorhanden-
21.4 · Weitere Verfahren zur Keimreduktion
169 21
sein organischer Verbindungen, Absorption des Wirkstoffes in den prüfen. Einfache Chemoindikatoren stehen im Gegensatz zur Steri-
oberflächlichen Schichten und geringer Keimreduktion (< 3 deka- lisation noch nicht zur Verfügung.
dische Logarithmenstufen) wird hier statt Desinfektion der Begriff Vor der Aufnahme in die VAH-/DGHM- bzw. RKI-Liste müssen
Schleimhautantiseptik verwendet. Als antiseptisch wirkende Zu- die chemischen Desinfektionsmittel Prüfverfahren durchlaufen,
bereitung sind PVP-Jod, Octenidin, Polyhexanid und Chlor- für die in umfassenden Versuchen die mikrobizide und – im Falle
hexidin-Diglukonat verfügbar; toxische Nebenwirkungen sind zu der RKI-Liste – auch die viruzide Wirksamkeit belegt sind. Grund-
beachten. lage der Viruzidie ist nach entsprechender Prüfung die Erteilung
eines Zertifikats durch die Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung
Flächendesinfektion Bei der mikrobiellen Dekontamination von der Viruskrankheiten (DVV).
Flächen werden bevorzugt Aldehyde, insbesondere Formaldehyd,
Glutaraldehyd und Glyoxal sowie Peressigsäure eingesetzt. Das
mechanische Vorgehen mit Wischen oder Scheuern ist dem Ver- 21.4 Weitere Verfahren zur Keimreduktion
sprühen, Vernebeln oder Verdampfen vorzuziehen, da durch den
Wischvorgang das Mittel gründlich aufgetragen wird und gleich- 21.4.1 Tyndallisieren
zeitig die in Schmutzresten enthaltenen Mikroorganismen abgetötet
und beseitigt werden. Da verschiedene Materialien, insbesondere Kulturmedien, das Er-
hitzen auf die zur Abtötung bakterieller Sporen notwendige Tem-
Instrumentendesinfektion Die Desinfektion erfolgt entweder ma- peratur nicht ohne Substanzveränderung vertragen, werden beim
schinell im Reinigungsdesinfektionsgerät (RDG) (thermisch oder Tyndallisieren im 1. Arbeitsgang durch Erwärmen auf mindestens
chemothermisch) oder manuell im Tauchbadverfahren (chemisch). 70 °C zunächst die vegetativen Formen der Mikroorganismen abge-
Das maschinelle Verfahren ist gegenüber dem manuellen Verfahren tötet. Daraufhin wird das Material bei 25–30 °C etwa 24 h inkubiert,
als zuverlässiger zu beurteilen, sofern das Gerät regelmäßig hygie- um den überlebenden Sporen Gelegenheit zum Auskeimen zu ge-
nisch-mikrobiologisch kontrolliert wird. Auch aus Gründen der ben. Im 2. Arbeitsgang werden dann durch erneute Erwärmung,
Infektionsprophylaxe für das Personal ist die maschinelle Aufberei- soweit es das Material gestattet, die aus den Sporen ausgekeimten
tung zu bevorzugen, da hier Desinfektion und Reinigung in einem Bakterien abgetötet. Diese Schritte können auch mehrmals wieder-
Schritt erfolgen. Ist jedoch nur die manuelle Aufbereitung mikrobiell holt werden.
kontaminierter Gegenstände möglich (z. B. Thermostabilität nur Das Tyndallisieren ist zwar sehr zeitaufwendig, aber oft die ein-
< 60 °C), sind wegen des Infektionsrisikos für das Personal (z. B. für zige Möglichkeit, die Keimzahl in temperaturempfindlichen Lö-
Hepatitis B und C) bei der Aufbereitung die Gegenstände erst zu sungen wirksam zu reduzieren. Als Voraussetzung für einen ausrei-
desinfizieren und anschließend zu reinigen. Für die chemische Des- chenden Erfolg muss das Material für das Auskeimen der Sporen
infektion sind wegen ihres breiten Wirkungsspektrums (inklusive entsprechende Nährsubstanzen enthalten und frei von bakteriosta-
Viruzidie) bevorzugt aldehydhaltige Desinfektionsmittel zu ver- tisch wirkenden Stoffen sein. Außerdem ist eine hohe Eingangs-
wenden. keimzahl zu vermeiden. Viren lassen sich mit diesem Verfahren nur
bedingt inaktivieren.
Wäschedesinfektion Wäsche wird thermisch oder chemother-
misch in Geräten desinfiziert. Die manuelle Tauchbaddesinfektion
ist nur bei hitzeempfindlicher Wäsche wie Wolle erforderlich. Als 21.4.2 Sterilfiltration
Wirkstoffgruppen dienen Aldehyde und chlorabspaltende Verbin-
dungen. Aus Flüssigkeiten und Gasen lassen sich Mikroorganismen auch
durch verschiedene Filtermaterialien mit entsprechend geringer
Desinfektion von Ausscheidungen Eine Desinfektion von Aus- Durchlässigkeit für Partikel entfernen. Wegen der geringen Durch-
scheidungen (Fäkalien, Urin, Sekrete, Exkrete) erfolgt mit chlor- flussrate ist die Anwendung von Druck bzw. Vakuum erforderlich.
oder phenolhaltigen Desinfektionsmitteln. Ihre Notwendigkeit er- Die Filter bestehen aus Kieselgur, Keramik, Zellulose- oder
gibt sich bei meldepflichtigen übertragbaren Krankheiten, wenn mit Glasfasern. Je nach der Art des Materials werden dessen Sieb-
einer anderen Art der Beseitigung von Ausscheidungen ein Infek- wirkung und Adsorptionseffekt genutzt. In erster Linie ist die
tionsrisiko verbunden ist. Porengröße für die Wirksamkeit entscheidend. Auch bei größt-
möglicher Gleichmäßigkeit des Materials treten einzelne sog. große
Raumdesinfektion Die Desinfektion eines Raumes, z. B. eines Pati- Poren auf, durch die Mikroorganismen hindurchgehen können.
entenzimmers, durch Vernebeln oder Verdampfen mit Formaldehyd Auch an ein Durchwachsen der Keime ist bei der Filtration von Flüs-
(5 g/m3) ist nur dann angezeigt, wenn eine hochkontagiöse und ge- sigkeiten zu denken.
fährliche Krankheit wie virusbedingtes hämorrhagisches Fieber Im Allgemeinen werden Filter mit 0,22–0,45 μm Porengröße ein-
(z. B. Ebola-, Lassa-Fieber, Marburg-Virus-Infektion), Lungenpest gesetzt, die Mikroorganismen bis zur Größenordnung von Bakterien
oder offene Lungentuberkulose (hier nur nach Anordnung durch gut zurückhalten. Bei kleineren Mikroorganismen, insbesondere Vi-
den Amtsarzt) aufgetreten ist. Bei nicht aerogen übertragenen Er- ren, treten bei der Sterilfiltration Schwierigkeiten auf. Filter aus meh-
krankungen sowie nach septischen Operationen (z. B. Gallenblase- reren Schichten, bei denen sich die »großen Poren« gegenseitig blo-
nempyem mit E. coli) reicht eine Scheuer-Wisch-Desinfektion kon- ckieren, sind erheblich wirksamer.
taminierter Flächen aus. Eine Prüfung der Filterwirksamkeit erfolgt mit Mikroorganis-
men entsprechender Größe. Als Testorganismen für 0,45-μm-Filter
Prüfverfahren Ebenso wie die Sterilisationsverfahren sind die ma- dient Serratia marcescens, für 0,22-μm-Filter Pseudomonas dimi-
schinellen Desinfektionsverfahren zu kontrollieren. Für das Desin- nuta.
fektionsgerät ist bei jedem Desinfektionsvorgang die Einhaltung der
physikalischen Parameter wie Temperatur und Einwirkungszeit zu
170 Kapitel 21 · Sterilisation und Desinfektion

In Kürze
Sterilisation und Desinfektion
Sterilisation Befreiung eines Gegenstands von allen vermeh-
rungsfähigen Mikroorganismen durch Abtötung oder irrever-
sible Inaktivierung.
Autoklavierung 121 °C, 2 bar, 15–20 min; 134 °C, 3 bar,
5(–10) min.
Hitzesterilisation 180 °C, 30 min; Ausglühen/Verbrennen.
Gassterilisation (Ausgasungszeit), Strahlensterilisation, Plasma-
sterilisation.
Desinfektion Gezielte Abtötung bzw. irreversible Inaktivierung
bestimmter unerwünschter Mikroorganismen (Erreger) auf
unbelebtem Material bzw. Haut oder Händen (. Tab. 21.4):
5 Formaldehyd: Bakterizid, Viruzid, Tuberkulozid, Fungizid
(inkl. Pilzsporen) [B, V, T, F]
5 Alkohole: B, (V), T, F
5 Chlor, Jod: B, V, T, F
5 Phenolderivate: B, (V), T, F

Seifenfehler Wirkverlust durch Seifen (bei Invertseifen).


Eiweißfehler Wirkverlust durch Eiweiß (bei Alkohol, Aldehyden,
Chlor, Invertseifen).
Anwendungen Formaldehyd: Flächendesinfektion (Scheuer-
Wisch-D.).
Epidemiologie

Alkohole: Händedesinfektion:
5 hygienisch: mindestens 30 s (z. B. Ethanol 70 %)
5 chirurgisch: mindestens 3 min (Ethanol 80 %, 1-Propanol
70 %, 2-Propanol 60 %, Waschen nicht unmittelbar vor
chirurgischer Händedesinfektion).

Literatur

Leitlinie von AKI, DGSV und DGKH für die Validierung und Routineüberwa-
chung maschineller Reinigungs- und thermischer Desinfektionsprozesse
für Medizinprodukte (4. Aufl. 2014). Online unter: www.dgsv-ev.de/
conpresso/_data/T1_V3_Leitlinie_zur_Validierung_von_maschinellen_
RDG-Prozessen.pdf.
171 V

Bakteriologie
Kapitel 22 Bakterien: Definition und Aufbau – 173

Kapitel 23 Bakterien: Vermehrung und Stoffwechsel – 183

Kapitel 24 Staphylokokken – 187

Kapitel 25 Streptokokken – 197

Kapitel 26 Enterokokken und weitere katalasenegative grampositive


Kokken – 213

Kapitel 27 Neisserien – 217

Kapitel 28 Enterobakterien – 227

Kapitel 29 Vibrionen, Aeromonas – 255

Kapitel 30 Nichtfermentierende Bakterien (Nonfermenter):


Pseudomonas, Burkholderia, Stenotrophomonas,
Acinetobacter – 261

Kapitel 31 Campylobacter – 271

Kapitel 32 Helicobacter – 277

Kapitel 33 Haemophilus – 283

Kapitel 34 Bordetella – 287

Kapitel 35 Legionellen – 293

Kapitel 36 Anthropozoonoseerreger ohne Familienzugehörigkeit:


Listerien, Brucellen, Francisellen und Erysipelothrix – 297

Kapitel 37 Korynebakterien – 309

Kapitel 38 Bacillus – 317

Kapitel 39 Obligat anaerobe, sporenbildende Stäbchen


(Clostridien) – 321
Kapitel 40 Obligat anaerobe, nichtsporenbildende Bakterien – 329

Kapitel 41 Mykobakterien – 337

Kapitel 42 Nocardien und andere aerobe Aktinomyzeten – 351

Kapitel 43 Treponemen – 355

Kapitel 44 Borrelien – 367

Kapitel 45 Leptospiren – 375

Kapitel 46 Rickettsiaceae (Rickettsia, Orientia), Anaplasmataceae


(Anaplasma, Ehrlichia, Neoehrlichia, Neorickettsia)
und Coxiellaceae – 381

Kapitel 47 Bartonellen – 391

Kapitel 48 Mykoplasmen und Ureaplasmen – 399

Kapitel 49 Chlamydien – 405

Kapitel 50 Weitere medizinisch bedeutsame Bakterien – 417


173 22

Bakterien: Definition und Aufbau


C. Josenhans, H. Hahn

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_22, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Bakterien sind einzellige Mikroorganismen mit einem für Prokaryon- Gattung Bacillus an. Clostridien sind obligat anaerob wachsende,
ten typischen Zellaufbau (. Tab. 22.1). So fehlt bei Bakterien im Ver- sporenbildende Stäbchen. Es muss also heißen: Milzbrandbazillen,
gleich zu den eukaryonten Zellen die Kernmembran. Weiterhin sind Gasbrandclostridien.
bei Bakterien Nucleolus, endoplasmatisches Retikulum, Golgi-Apparat,
Lysosomen, Chloroplasten, Mitochondrien und Mikrotubuli nicht Schraubenförmige Bakterien Schraubenförmige Bakterien, die
vorhanden. Andererseits besitzen Bakterien eine komplexe Zellhülle, voll ausgebildete Windungen zeigen, gliedern sich in folgende
die den Eukaryonten fehlt. Die Größe der meisten Bakterien liegt – 4 Gruppen:
bezogen auf den kleineren Durchmesser – zwischen 0,2 und 2 μm. 4 Spirillen zeigen sich im Lebendpräparat als starre, sehr
schlanke Gebilde mit mehreren weiten Windungen
(lat. »spirillum«: Windung).
22.1 Morphologische Grundformen 4 Borrelien sind flexible, äußerst schlanke Gebilde mit mehreren
weiten Windungen (Borrel, französischer Bakteriologe).
Die Gestaltvielfalt der meisten auch infektionsmedizinisch rele- 4 Treponemen zeigen bei extremer Schlankheit zahlreiche enge
vanten Bakterien, die eigentlich immer zu den Eubakterien (nicht Windungen (Korkenziehermuster, hervorgerufen durch peri-
Archaea) gehören, lässt sich auf folgende 3 Grundformen zurück-
führen:
4 Kokken . Tab. 22.1 Funktionelle und strukturelle Gemeinsamkeiten und
4 Stäbchen Unterschiede zwischen Eukaryoten und Bakterien
4 schraubenförmige Bakterien
Merkmal Eukaryoten Prokaryoten
Kokken (gr.: Kugeln, Beeren) Dies sind runde oder leicht ovale Bak-
terien. Ihr Durchmesser liegt bei ungefähr 1 μm. Aus der Bouillon- Kernmembran + –
kultur präpariert, zeigen Kokken häufig eine typische Lagerung Histone/histonartige Proteine in + +
zueinander. Sie können in Paaren (Diplokokken), in Vierergruppen Chromosomen
(Tetraden), in Achtergruppen (Sarcinen), in größeren Haufen oder Vorhandensein von:
in Trauben- (Staphylokokken) oder Kettenform (Streptokokken)
gelagert sein. – Nukleolus + –
– endoplasmatischem Retikulum + –
Stäbchen Bei diesen ist eine Achse länger als die andere, sodass eine
– Golgi-Apparat + –
klare Polarität entsteht. Die Achsenlängen liegen zwischen 0,5 μm
(Querschnitt) und 2–5 μm (Längsachse). Man kennt plumpe (kok- – Lysosomen + –
koide) und schlanke Stäbchen; Escherichia (E.) coli ist z. B. plump, – Chloroplasten + –
Mycobacterium tuberculosis schlank. An ihren Polen sind die Stäb-
– Ribosomen 80 S und 70 S 70 S (3 rRNA-
chen entweder zugespitzt (z. B. fusiforme [lat.: spindelförmige] Bak- (4 rRNA- Moleküle)
terien), abgerundet (z. B. E. coli) oder abgeplattet bis fast rechteckig Moleküle)
(z. B. Milzbrandbakterien).
– Mikrotubuli + –
Hinsichtlich ihrer Lage zueinander bieten die Stäbchen entwe-
der das Bild von isoliert liegenden Einzelzellen, z. B. im Falle der – Peptidoglykan in der Zellwand – +
Typhusbakterien, oder aber von typischen Ketten, z. B. bei Milz- Prokaryotische Geißeln (Flagellen – +
brandbakterien. In anderen Fällen bietet sich das Bild palisadenför- – Beweglichkeitsorganelle)
mig aneinander gelagerter Stäbchen, z. B. Pseudodiphtheriebakteri-
Phagozytose + –
en, zopfförmiger Gruppen (z. B. Mycobacterium tuberculosis) oder
aber von Stäbchen, die zueinander spitze oder rechte Winkel bilden Pinozytose + –
(Diphtheriebakterien – Corynebacterium diphtheriae). Zytoplasmafluss und amöboide + + (möglich)
Andere Stäbchen zeigen bei gewissen Färbemethoden eine zen- Bewegung
trale Aufhellung; man spricht von bipolarer Färbung (Sicherheitsna-
Lysosomen + –
delform). Dieses Bild ist charakteristisch für den Pesterreger (Yersi-
nia pestis). zytoplasmatische Membran + +
Bazillen (lat. »bacillus«: Stäbchen) sind sporenbildende, aerob Sterole in der Membran + + (selten)
wachsende Bakterien in Stäbchenform. Sie gehören meistens der
174 Kapitel 22 · Bakterien: Definition und Aufbau

plasmatische Geißeln – Flagellen) und sind zum blitzschnellen computerunterstützt zu untersuchen. Ebenfalls kann durch gezielte
Abknicken in der Längsachse fähig. Prototyp ist der Syphiliser- Herstellung von Bakterienmutanten der Beitrag bestimmter Gene in
reger Treponema pallidum (gr. »treponema«: gedrehter Faden). ihren Genomen zur krankheitsauslösenden Wirkung dieser Bakte-
4 Leptospiren sind aktiv-flexible, kleiderbügelförmige, extrem rien genau untersucht werden (»molekulare Koch-Postulate«; 7 Ab-
schlanke Fäden, die äußerst feine, kaum wahrnehmbare Primär- schn. 3.1). Hierdurch können sich Ansatzpunkte für die gezielte Ent-
windungen und grobe Sekundärwindungen zeigen. Prototyp wicklung neuer Chemotherapeutika mit definierten Angriffspunk-
ist Leptospira interrogans, der Erreger der Leptospirosen ten ergeben.
(gr. »leptos«: klein, schmal, zart). Bakterielle Chromosomen haben eine relativ variable Größe
zwischen ca. 1000 Kilobasenpaaren (1000 kbp = 106 bp; z. B. Myco-
plasma-Spezies) bis hin zu über 6000 Kilobasenpaaren (z. B. be-
22.2 Aufbau stimmte E. coli- oder Pseudomonas-Spezies). Bakterielle Chromo-
somen können durch einen modularen Aufbau sehr stark variabel in
Die Architektur der Bakterienzelle unterscheidet sich in mehrfacher Inhalt und Größe sein. Dies gilt sogar für Subtypen einer bestimm-
Hinsicht von den eukaryonten Zellen. Der Bakterienzelle fehlen ten Spezies (z. B. verschiedene pathogene E. coli). Die Variation von
viele der membrangebundenen und als intrazelluläre Organellen DNA-Stücken in den bakteriellen Chromosomen kann z. B. durch
bezeichneten Bestandteile einer eukaryonten Zelle sowie eine Kern- den Austausch großer DNA-Fragmente mithilfe von Bakteriophagen
membran. Das ist bei der Wirksamkeit bzw. für die Entwicklung (7 Abschn. 22.2.3) geschehen (eine Möglichkeit des »horizontalen
bakterienspezifischer Antibiotika von größter Bedeutung. Gentransfers«). Unterschiede im Gehalt von Genen innerhalb ein
Andererseits weisen Bakterienzellen gewisse Bestandteile auf und derselben bakteriellen Spezies können auch ein drastisch unter-
(z. B. die Fortbewegungsorganelle Flagellum oder Geißel), die in der schiedliches pathogenes Potenzial bedingen.
animalen Zelle, insbesondere bei Warmblütern, nicht vorkommen.
So unterscheiden sich Bakterien von animalen Zellen auch durch
den Besitz einer relativ starren Zellwand (Exoskelett), die mehr- 22.2.2 Plasmide
schichtig ist und als »Stützkorsett« die charakteristische Form der
meisten Bakterien bestimmt und verhindert, dass die Bakterien Hierbei handelt es sich um zirkulär-doppelsträngige DNA-Mole-
aufgrund des in ihnen herrschenden hohen osmotischen Druckes küle, deren Größe und Anzahl pro Bakterium sehr unterschiedlich
platzen. sind. Die kleinsten bekannten Plasmide haben nur etwa 800 Basen-
paare, die größten bis zu 300.000 Basenpaare. Während die großen
Plasmide häufig nur in einer bis zu wenigen Kopien pro Bakterien-
22.2.1 Kernäquivalent zelle vorliegen, können von den kleinen Plasmiden bis zu 100 und in
Ausnahmefällen bis zu 1000 Kopien vorkommen. Die Replikations-
Die merkmalkodierende DNA (Erbsubstanz) ist nicht wie bei der häufigkeit dieser kleinen Plasmide ist unabhängig von der der chro-
eukaryonten Zelle in einem membranumgebenen Zellkern (Euka- mosomalen DNA. Bei der Zellteilung werden die vorhandenen Plas-
ryont = »echter« Kern) lokalisiert, sondern liegt als zirkuläre oder mide mehr oder weniger zufällig mit dem Zytoplasma auf die beiden
lineare doppelsträngige DNA vor. Dieser ist ähnlich wie bei einer Tochterzellen verteilt.
eukaryonten DNA strukturell kompaktiert und mehrfach spiralisiert Die genetische Information der Plasmide ist für das Überleben
(helikale und superhelikale Struktur) und mithilfe spezieller histon- der Bakterien unter normalen Bedingungen im Allgemeinen ent-
Bakteriologie

ähnlicher Proteine gefaltet. Spiralisierung und Faltung (DNA-To- behrlich. Man kann plasmidfreie Bakterien isolieren, die sich in
pologie) können sich in Abhängigkeit von der Wachstumsphase geeignetem Milieu normal vermehren. Häufig tragen Plasmide
oder den Wachstumsbedingungen ändern. Gene, die Bakterien in einer feindlichen Umgebung einen Selek-
Ein derartiges »Bakterienchromosom« (Bakterien können auch tionsvorteil gegenüber den plasmidfreien Bakterien verleihen. Hier-
mehrere Chromosomen besitzen) liegt ohne Kernmembran (sozu- zu gehören:
sagen schutzlos) im Zytoplasma und ist an einer oder an mehreren 4 Resistenz gegen Antibiotika und Schwermetalle
Stellen mit der Zytoplasmamembran verbunden, was eine große Rol- 4 die Fähigkeit zur Produktion von Toxinen, die andere
le bei der DNA-Replikation und der bakteriellen Zellteilung spielt. Bakterien abtöten
Es ist das Genom der Bakterienzelle und wird auch als Kernäquiva- 4 die Fähigkeit, auf ungewöhnlichen chemischen Verbindungen
lent oder Nukleoid bezeichnet. zu wachsen und diese abzubauen
4 Virulenzeigenschaften, die sie dazu befähigen, in bestimmten
jBakterienchromosom Wirten (Arthropoden, Säuger) oder unter bestimmten Umge-
Genetische Information kann in Bakterien in verschiedenen DNA bungsbedingungen besser zu überleben oder eine verbesserte
gespeichert sein. Die eigentliche bakterielle DNA, die die für das Transmission zu zeigen (z. B. Virulenzplasmide pathogener
jeweilige Bakterium charakteristischen und für sein Überleben Yersinia ssp.).
wichtigen Gene trägt, wird auch als Bakterienchromosom bezeich-
net. Heute ist eine sehr große Zahl von Bakterien (deutlich über Viele der größeren Plasmide tragen zusätzliche Gene, die ihre Über-
1000 Genome in Datenbanken) vollständig sequenziert, darunter tragung auf andere Bakterien derselben oder einer verwandten Spe-
auch die meisten der infektiologisch relevanten Spezies (z. B. Strep- zies ermöglichen.
tococcus pneumoniae und S. pyogenes, Haemophilus influenzae, Zu den medizinisch bedeutsamen Plasmiden gehören die sog.
Mycobacterium tuberculosis, Helicobacter pylori, Yersinia pestis, Resistenztransferfaktoren (RTF). Sie tragen Gene, die Bakterien
Salmonella enterica, Campylobacter ssp., Clostridium ssp.). resistent gegen Antibiotika machen, z. B. gegen Penicillin, Tetra-
Dies ermöglicht es, genomische Variation der Bakterienspezies, cyclin, Streptomycin, Sulfonamide. Häufig tragen die RTF Gene für
die Anordnung der Gene, ihre Aktivierung und Abschaltung (Gen- mehrere derartiger Resistenzen auf einmal. Resistenzgene kodieren
regulation) zu studieren sowie die 3D-Struktur bakterieller Proteine für Enzyme, die die Antibiotika modifizieren und dadurch inaktivie-
22.2 · Aufbau
175 22
ren. So beruht z. B. die Resistenz gegen Penicilline auf der Synthese mosom ausgeschnitten, und es kommt erneut zu einem Zyklus lyti-
eines plasmidkodierten Enzyms, das spezifisch den β-Laktam-Ring scher Vermehrung. Die Umschaltung zwischen lysogener Integra-
der Penicilline und der Cephalosporine hydrolysiert. tion von λ-DNA und lytischer Vermehrung von λ-Phagen wird
Auch durch Veränderungen in ihrer Membran können Bakte- durch mehrere genetische Kontrollen reguliert. Bakteriophagen
rien Resistenz gegen Antibiotika entwickeln, wenn hierdurch die können von Bakterien mithilfe sog. CRISPR-Cas-Genscheren effek-
Aufnahme der Antibiotika in die Bakterien unterbunden wird. Plas- tiv bekämpft und spezifisch aus den Bakteriengenomen wieder her-
mide können darüber hinaus Gene enthalten, die einer bakteriellen ausgeschnitten werden (minimales adaptives bakterielles Immun-
Spezies eine bestimmte Pathogenität verleihen oder bestimmte system).
Übertragungsweisen ermöglichen. So enthält z. B. von den patho- Es gibt Phagen, die sich ähnlich wie λ verhalten, auch bei ande-
genen Yersinia-Spezies nur Yersinia (Y.) pestis, der Pesterreger, das ren Bakterien:
Plasmid pFra (auch pMT1 oder pYT), das dem Bakterium das Über- 4 So trägt der Bakteriophage β das Gen für das Diphtherietoxin.
leben im Rattenfloh, seinem Insektenwirt bzw. Arthrophodenvektor, Er kann Corynebacterium diphtheriae entweder lytisch infizie-
ermöglicht und auf diese Weise der Übertragung auf den Menschen ren oder in den toxinproduzierenden Bakterien in Form eines
und damit der Erzeugung der Pestsymptome Vorschub leistet. Prophagen vorkommen.
Y. pestis enthält auch das Plasmid pPla (auch pYP, pCP1 oder pPst 4 Ein weiterer Bakteriophage, der an der Virulenz seines Träger-
genannt) mit der genetischen Information für das Plasminogen bakteriums stark beteiligt ist, ist der Choleraphage Chi.
aktivierende Protein Pla, das der Ausprägung der Pesterkrankung im Seine DNA enthält das Gen, das Choleratoxin bilden kann,
Menschen zugrunde liegt. den wesentlichen Virulenzfaktor von Vibrio cholerae.
Hier liegt auch ein hervorragendes Beispiel für eine kürzlich er-
worbene Virulenzeigenschaft von Bakterien vor, denn der Pesterre-
ger ist evolutionsgeschichtlich relativ »jung« und stammt von der 22.2.4 Transposons
wesentlich weniger pathogenen Spezies Y. pseudotuberculosis ab,
von der er sich, u. a. durch die Aufnahme des pPla-Plasmids, abge- In der DNA vieler Bakterien gibt es Segmente, die ihren Platz gele-
grenzt hat. gentlich ändern und die sich in Nukleotidsequenzen einschieben, zu
denen sie keine oder nur geringe Homologien besitzen. Diese mobi-
len genetischen Elemente, die es auch in höheren Organismen gibt,
22.2.3 Bakteriophagen heißen Insertionssequenzen (IS) oder Transposons (Tn). Alle IS-
und Tn-Elemente besitzen Gene für ein Enzym, Transposase, die
Bakteriophagen sind die Viren der Bakterien. Sie bestehen wie alle alle Schritte der Transposition katalysiert. Außerdem tragen sie cha-
Viren aus genetischer Information (in Form von DNA oder RNA) in rakteristische Sequenzen an ihren Enden, die für die Integration in
einer Proteinverpackung, die sich nicht selbstständig replizieren DNA notwendig sind. Transposons besitzen darüber hinaus weitere
kann. Sie vermehren sich nur in Bakterien und sind hierfür auf den Gene, z. B. für Antibiotikaresistenzen, die bei der Transposition mit-
DNA- und Proteinsyntheseapparat der Bakterien angewiesen. umgelagert werden.
Infiziert ein Phage ein Bakterium, so werden seine DNA oder Im Zuge der Transposition kann entweder eine Kopie des Trans-
RNA von der Bakterienzelle aufgenommen, während die Protein- posons an einer neuen Stelle in die DNA inseriert werden – dann
hülle auf der Zellmembran zurückbleibt oder mit der Zellmembran bleibt das ursprüngliche Transposon an seinem Platz –, oder das
verschmilzt. Wird die genetische Information des Phagen in der Zel- Transposon selbst wechselt den Platz und hinterlässt eine Deletion
le abgelesen, entstehen neue Phagen, die die Bakterien schließlich an der alten Stelle. Welcher Mechanismus bevorzugt wird, hängt von
zerstören (lysieren). Es gibt lytische und lysogene (ins Genom inte- dem jeweiligen Transposon ab. Transposons können auch zwischen
grierte oder sich langsam durch zelluläre Abschnürung vermehren- verschiedenen DNA »springen«, z. B. von einem Plasmid in eine
de Bakteriophagen). In der phageninfizierten Bakterienzelle wird Phagen-DNA oder ins Bakterienchromosom.
zunächst die Phagen-DNA (oder RNA) repliziert, später werden die Große medizinische Bedeutung kommt denjenigen Transposons
Proteine der Phagenhülle gebildet, die sich mit der DNA zu Phagen- zu, die Gene für Antibiotikaresistenzen tragen. Aufgrund ihrer Mo-
köpfen und schließlich zu kompletten Phagen assoziieren. Durch bilität können sich solche Transposons in einer DNA ansammeln,
Lyse der Bakterien oder Abschnürung von der Bakterienzellwand was durch gleichzeitige Anwendung mehrerer Antibiotika in der
freigesetzte Phagen können weitere Bakterien infizieren, und der medizinischen Therapie begünstigt wird. Dies erklärt, warum die
ganze Vorgang wiederholt sich (Transduktion). Resistenztransferfaktoren meistens mehrere Resistenzgene besitzen.
Es sind Bakteriophagen für sehr viele Bakterien bekannt; am
besten untersucht sind die Phagen von E. coli. Die einfachsten unter
ihnen besitzen nur 4 Gene. Zu den bekanntesten E. coli-Phagen ge- 22.2.5 Zytoplasma
hört der Bakteriophage Lambda (λ). Der Phage λ hat in der Ge-
schichte der Genetik und der Molekularbiologie als Paradigma für Dem Zytoplasma der Bakterienzelle fehlen Mitochondrien und
die Aufklärung der molekularen Mechanismen zahlreicher geneti- Chloroplasten. Die bei höheren Organismen mitochondrial lokali-
scher Grundphänomene gedient. sierten Enzyme der biologischen Oxidation (Atmungskette bzw.
Der Phage λ kann E. coli nicht nur lytisch infizieren. Es kann Protonentransport und ATP-Synthese) sind bei Bakterien Bestand-
auch vorkommen, dass nach einer Infektion die gesamte λ-DNA in teil der Zytoplasmamembran; die zur Fotophosphorylierung und
das Bakterienchromosom integriert und dann wie ein normales zur Fotosynthese befähigten Enzyme sind in Membranstapeln (Thy-
E. coli-Gen vererbt wird (Prophage). In diesem Zustand (Lysoge- lakoiden) lokalisiert.
nie) sind die Phagengene abgeschaltet, lediglich der so genannte Die membranös-kanalikuläre Grundstruktur des Zytoplasmas
λ-Repressor wird synthetisiert. Werden solche Bakterien mit UV- – bei der animalen Zelle als endoplasmatisches Retikulum be-
Strahlen behandelt, so wird der Repressor inaktiviert und der Pro- kannt – fehlt bei der Bakterienzelle weitgehend, desgleichen der
phage »induziert«. Die Phagen-DNA wird aus dem Bakterienchro- Golgi-Apparat. Die Bakterienzelle besitzt spezielle Ribosomen für
176 Kapitel 22 · Bakterien: Definition und Aufbau

Pilus

Lipoteichonsäure Teichonsäure
Porin LPS

Zellmembran Murein äußere Membran


Murein
Zellmembran

PBP PBP

Zellwand grampositiver Bakterien Zellwand gramnegativer Bakterien

. Abb. 22.1 Aufbau bakterieller Zellwände und der darunter liegenden Zytoplasmamembran bei grampositiven (links) und gramnegativen Bakterien
(rechts) (PBP, Penicillin-Bindungsprotein; LPS; Lipopolysaccharid)

die Proteinsynthese (70S- statt der zytoplasmatischen 80S-Riboso- die v. a. zur Hemmung der Transpeptidierung (7 Abschn. 22.2.7) so-
men bei Eukaryonten). Auch wenn der Bakterienzelle intraplasma- wie zu charakteristischen Fehlern in der Zellwandbiogenesse und
tische Membranstrukturen nicht gänzlich fehlen, so lässt sie doch -morphogenese führen; diese Fehler sind die Ursache für den peni-
den hohen Grad an Unterteilung in Kompartimente, wie ihn die cillinbedingten Tod der Bakterien. Sie erklären, warum penicillin-
Eukaryontenzelle aufweist, vermissen. ähnliche Antibiotika bevorzugt auf in Teilung befindliche und me-
tabolisch aktive Bakterien wirken können und dort Bakterizidie
auslösen. Resistenz gegen β-Laktam-Antibiotika kann daher – neben
22.2.6 Zytoplasmamembran (Zellmembran) der Bildung von β-Laktamasen – auch darauf beruhen, dass Bakte-
rien veränderte PBP bilden, deren Affinität gegenüber β-Laktam-
Die Zytoplasmamembran der Bakterienzelle entspricht in ihrem Antibiotika gering ist. Dieser Mechanismus liegt der β-Laktam-
Aufbau dem typischen Bild einer »unit membrane«, einer Doppel- Resistenz von MRSA-Stämmen (Staphylococcus aureus, 7 Kap. 25)
schichtstruktur aus Lipiden mit hydrophoben Fettsäureketten in der bzw. der penicillinresistenten Pneumokokken zugrunde.
Mitte und den hydrophilen Lipidgrenzschichten nach außen (. Abb.
22.1). Zahlreiche Membranproteinmoleküle sind in die Doppel-
schicht eingelagert, die die Membran ganz durchqueren können 22.2.7 Zellhülle
(Transportproteine) oder ihr aufgelagert sind.
Die bakterielle Zytoplasmamembran unterscheidet sich von der- Fast alle Bakterien besitzen eine Zellhülle oder Zellwand, die ihrer
Bakteriologie

jenigen der Animalzelle in ihrer Lipid- und Proteinzusammenset- Zytoplasmamembran außen aufliegt. Die Zellwände gramnegativer
zung. Sie ist Sitz der Enzyme für den Elektronentransport und für und grampositiver Bakterien unterscheiden sich markant (. Abb.
die oxidative oder nichtoxidative Phosphorylierung (ATP-Synthe- 22.1):
se). Die Zellmembran tritt damit gewissermaßen an die Stelle der 4 Grampositive Bakterien besitzen eine dicke Hülle aus
Mitochondrien. Die Bakterien-Zytoplasmamembran kann sich an Peptidoglykan,
bestimmten Stellen, insbesondere im Bereich präsumptiver Quer- 4 gramnegative Bakterien nur eine dünne Mureinschicht,
wände (Septenbildung bei der Bakterienteilung), zu komplexen der sich ganz außen eine weitere Schicht, die äußere Membran,
Membrankörpern einfalten, die als Mesosomen (gr. »mesosoma«: anschließt (s. u.).
Zwischenkörper) bezeichnet werden. Sie können autolytische Zell-
wandenzyme (Mureinhydrolasen) enthalten, die für die Zellteilung Bevor wir auf diese Unterschiede näher eingehen, beschäftigen wir
wichtig sind. uns eingehender mit der wichtigsten molekularen Grundstruktur
der Bakterienzellwand, dem Peptidoglykan oder Murein.
Penicillinbindende Proteine Der Zytoplasmamembran aufliegend
und durch einen Teil ihres Moleküls in ihr verankert, finden sich jPeptidoglykan
bakterienspezifische Enzyme. Einige weisen eine hohe Affinität für Die Zellhülle der Bakterien enthält als wesentlichen Baustein ein
β-Laktam-Antibiotika auf. Man nennt sie daher penicillinbindende netzwerkartig angelegtes und als Sack ausgebildetes Riesenmolekül
Proteine (PBP) (. Abb. 22.1). (Sakkulus), das entweder als Peptidoglykan oder als Murein (lat.
Enzymatische Funktionen der PBP sind Carboxypeptidase-, »murus«: Mauer) bezeichnet wird.
Transpeptidase-, Endopeptidase- und Transglykosylaseaktivität, Um einen Sakkulus zu bilden, müssen Glykopeptidpolymere aus
also Enzymeigenschaften, die für die Synthese und die Modifizie- N-Azetyl-Muraminsäure (MurNAc) und N-Azetyl-Glucosamin
rung des Mureins (der Peptidoglykanschicht) bakterieller Zellwände (GlcNAc) untereinander vernetzt werden. Dies erfolgt an herausra-
von Bedeutung sind. genden Peptidketten (»abcd« in . Abb. 22.2). Bei gramnegativen
Die antibakterielle Wirkung der β-Laktam-Antibiotika setzt vo- Bakterien und Bazillusarten erfolgt die Quervernetzung direkt
raus, dass sie stabile, kovalente Komplexe mit den PBP bilden. Auf durch Peptidbindungen. Bei S. aureus wird die Quervernetzung
diese Weise kommt eine dauerhafte Blockierung der PBP zustande, durch 5 Glycinmoleküle (»x«) und einen zusätzlichen Amidsubsti-
22.2 · Aufbau
177 22
jFunktionen der Zellhülle
Die Zellhülle ist das formgebende Stützelement (Exoskelett) der Bak-
terienzelle. Sie ist für die Tatsache verantwortlich, dass Bakterien
durch Filter einer bestimmten Porengröße (≤ 0,2 μm) zurückge-
halten werden. Zellhüllenlose Bakterien können Filter dieser Art
passieren, da sie sich unter Druck verformen. Die Zellhülle bietet
mechanischen Schutz vor Schwankungen des osmotischen Druckes
im Milieu und verhindert, dass die Bakterienzelle infolge des in
ihrem Innern herrschenden hohen osmotischen Druckes platzt. Der
hohe Innendruck ist auch für die Zelltrennung wichtig.
In gewissem Umfang wirkt die Zellhülle als Permeabilitätsbar-
riere für größere Moleküle. Dies gilt besonders für die Zellhülle
gramnegativer Bakterien. Die geringe Permeabilität der äußeren
Membran ist dafür verantwortlich, dass manche Antibiotika, die
gegenüber grampositiven Bakterien gut wirksam sind, gegen eine
Reihe gramnegativer Bakterien überhaupt nicht oder nur in sehr
hohen Konzentrationen eine Wirkung entfalten.
Die Zellhülle ist bei fast allen pathogenen Bakterienspezies als
. Abb. 22.2 Zellwand: Peptidoglykansynthese und Angriffspunkte ver-
Träger von Virulenzfaktoren anzusehen. Hierher gehören vornehm-
schiedener Antibiotika
lich solche Außenstrukturen, welche die Phagozytose behindern,
aber auch die Endotoxine, Sekretionssysteme und spezifische Ad-
tuenten (»y« = NH2) gebildet. . Abb. 22.2 zeigt gleichzeitig die An- häsine.
griffspunkte verschiedener Antibiotika. Die Zellhülle vermittelt im Falle einer Infektion den ersten und
Beim Aufbau des Peptidoglykans werden Polymere aus Aminozu- unmittelbaren Kontakt mit dem Wirtsorganismus und dessen
ckern durch Peptidseitenketten querverbunden (. Abb. 22.2). Das Abwehrsystem. Es ist daher nicht erstaunlich, dass nahezu alle Zell-
Peptidoglykan der Bakterienzellwand ist somit ein Heteropolymer: hüllkomponenten die angeborene Abwehr und das spezifische
Die Zuckerketten enthalten 2 Grundeinheiten, die im Aufbau des Immunsystem beeinflussen können. So leitet in vielen Fällen ihr
Strangs alternieren: das N-Acetylglucosamin und dessen Milchsäure- Kontakt mit den Phagozyten die Phagozytose ein, und es wird das
ether, die N-Acetylmuraminsäure. Die alternierende Folge dieser gly- Komplementsystem zur Opsonisierung aktiviert. Lipopolysaccha-
kosidisch verbundenen Bausteine ergibt lineare Zuckerstränge, die in ride sind hochwirksame Adjuvanzien: sie stimulieren das adaptive
der Regel nur ca. 10–100 Disaccharideinheiten enthalten und damit zu Immunsystem.
kurz sind, um die gesamte Bakterienzelle zu umspannen. Die Zellhülle ist ebenfalls Sitz von Antigenen, die teilweise iden-
Für die Stabilität des Netzwerks und dessen Formgebung ist es tisch mit Virulenzfaktoren sein können. Diese sind bei einigen
daher entscheidend, dass die einzelnen Zuckerketten untereinander Spezies für die Identifizierung maßgebend. Antikörper, die mit Zell-
durch Oligopeptide querverbunden werden. Durch die Transpep- hüllantigenen reagieren, sind mithilfe des Komplementsystems spe-
tidierung dieser Oligopeptide entsteht ein Netzwerk aus miteinander zifische Auslöseelemente für die serumvermittelte Inaktivierung von
verwobenen Mureinfäden. Es umschließt die Bakterienzelle als eine Bakterien (Bakteriolyse, Serumbakterizidie).
Art Riesenmolekül. Seine Form und die mechanische Stabilität gegen- Bei zahlreichen Bakterien ist die Zellhülle Sitz von Rezeptoren
über dem im Zellinnern herrschenden hohen osmotischen Druck (bis für Bakteriophagen. In manchen Fällen erlaubt das Rezeptormosaik
zu 25 bar Überdruck!) sind für zahlreiche Eigenschaften der Bakte- eine von den Antigeneigenschaften unabhängige Feinsttypisierung
rienzelle ausschlaggebend. (Lysotypie).
Chemisch gesehen ist der Ansatzpunkt für die quervernetzenden
Oligopeptide an der Zuckerkette die Carboxylgruppe des N-Acetyl- Grampositiv versus gramnegativ Die Peptidoglykanschicht der
Muramins. Bei der Quervernetzung durch die Oligopeptide spielen die Zellhülle bindet je nach Dicke den Farbstoff Gentianaviolett mit un-
Diaminosäuren Lysin und Ornithin bzw. Diaminobuttersäure sowie terschiedlicher Affinität und bestimmt auf diese Weise das Färbever-
die im Tier- und Pflanzenreich fehlende Diaminopimelinsäure eine halten der Bakterienzelle. Diesen Unterschied hat der dänische Arzt
besondere Rolle. Durch Bildung einer Peptidbindung mit dem C-ter- Hans Chr. J. Gram (1853–1938) ausgenutzt, als er am Krankenhaus
minalen D-Alanin eines benachbarten Peptidstrangs bewirken sie die Am Friedrichshain in Berlin im Verlauf eines Studienaufenthalts die
Querverbindung. D-Alanin fehlt bei allen Eukaryonten. Da die Ener- nach ihm benannte Gramfärbung entwickelte. Sie erlaubt es, die
gie für diesen Vorgang durch Abspaltung eines weiteren D-Alanins aus meisten medizinisch relevanten Bakterien je nach Dicke der Pepti-
der gleichen Peptidkette aufgebracht wird, heißt dieser Vorgang Trans- doglykanschicht in 2 Gruppen einzuteilen: grampositive und gram-
peptidierung. negative (. Abb. 22.1). Diese Einteilung hat sich als sehr nützlich für
Die Bakterienzellwand kann durch die Peptidoglykanhydrola- die medizinische Bakteriologie erwiesen, da sich grampositive und
sen abgebaut werden. Einige dieser Enzyme, die auch von Bakterien gramnegative Bakterien nicht nur in ihrem Färbeverhalten, sondern
selbst gebildet werden können und teilweise eine wichtige Rolle bei auch in ihren Virulenzeigenschaften und in ihrer Antibiotikaemp-
der Zellteilung spielen, greifen an den Glykosidbindungen des Mu- findlichkeit deutlich voneinander unterscheiden.
reinfadens an (Glukosaminidasen und Muraminidasen), andere
attackieren die Peptidbrücken (Endopeptidasen). Zum ersten Typ jZellhülle gramnegativer Bakterien
gehört das Lysozym, das in Tränenflüssigkeit, Speichel und Phago- Die Zellhülle der gramnegativen Bakterien (. Abb. 22.1) zeigt einen
zyten des Menschen vorkommt. Es spielt eine Rolle bei der angebo- mehrschichtigen Aufbau:
renen Abwehr des Organismus gegen Bakterien. Eine Endopepti-
dase ist das Lysostaphin von Staphylococcus simulans.
178 Kapitel 22 · Bakterien: Definition und Aufbau

Einschichtige bzw. dünne Mureinschicht Die Mureinschicht be- des »Endotoxins« LPS kommt v. a. durch die Erkennung des Lipid A
steht – im Gegensatz zu den grampositiven Bakterien – aus einer durch den angeborenen Immunrezeptor Toll-like-Rezeptor TLR4 zu-
dünnen oligomolekularen Schicht von Molekülen. stande, der eine wichtige Funktion bei der Lymphozytenaktivierung
und Immunabwehr akuter Infektionen durch gramnegative Infek-
Äußere Membran Der Mureinschicht ist eine äußere Membran auf- tionserreger besitzt); darüber hinaus bildet es den »Membrananker«
gelagert. Sie ist im Vergleich zur Zytoplasmamembran hinsichtlich des LPS und trägt zu der Funktion der äußeren Membran als Permea-
ihrer Lipidmatrix asymmetrisch. Während die innere Hälfte ihrer tionsbarriere entscheidend bei.
Doppelschicht analog zur Zytoplasmamembran aus Phospholipi- Die LPS werden auch als Endotoxine bezeichnet. Hierbei bedeu-
den aufgebaut ist, liegen in der äußeren Lamellenhälfte die für den tet die Vorsilbe Endo-, dass es sich um integrale Baubestandteile der
Mediziner und Infektiologen hochinteressanten Lipopolysaccha- Bakterienzellen handelt (gr. »endo«: innen), die erst dann frei wer-
ride als typischer Bestandteil (. Abb. 22.1). den, wenn die Bakterienzelle zerfällt. Der Begriff Endotoxin hat sich
für das gesamte LPS-Molekül eingebürgert, obwohl nur das Lipid A
Lipopolysaccharide (LPS) Die Lipopolysaccharide lassen 3 makro- für die toxischen Wirkungen verantwortlich ist. Bei Infektionen
molekulare Anteile erkennen, von außen nach innen als Region I–III durch opportunistische gramnegative Bakterien oder auch bei der
bzw. als O-Antigen, Kernpolysaccharid und Lipid A bezeichnet. Sepsis ist Endotoxin, im engeren Sinn also das Lipid A, ein wesent-
Die O-Antigene bestehen meist aus 3 bis maximal 20 Hexose- licher Virulenzfaktor.
molekülen. Sie weisen eine Individualstruktur auf, die nur bei beson-
deren Bakterienspezies vorkommt. Lipoprotein Neben dem LPS enthält die äußere Zellmembran Lipo-
Die O-Antigene bedingen die Oberflächenhydrophilie der Bak- proteine und Proteine (. Abb. 22.1). Lipoproteine können eine
terienzelle. Bakterien, die O-Antigene besitzen, bilden in flüssigen Brückenstruktur zwischen äußerer Membran und dem Mureinnetz-
Kulturmedien eine gleichmäßige Suspension und auf festen Kultur- werk ausbilden, wenn es mit seiner Proteinkomponente an den
medien glänzende Kolonien. Man nennt O-antigentragende Stämme Peptidteil (Diaminopimelinsäure) des Mureins gebunden vorliegt,
daher auch S-Formen (engl. »smooth«: glatt, glänzend). Deren O- während seine Lipidkomponente in die äußere Membran eingelagert
Seitenketten sind lang und bieten einen passiven Schutz gegen immu- ist. Auch Lipoproteine werden durch Immunrezeptoren eukaryoti-
nologische Effektoren, insbesondere gegen das Komplementsystem scher Zellen erkannt und führen zu Immunaktivierung.
und z. T. auch gegen kationische antimikrobielle Peptide. Glatte Bak-
terienstämme sind somit in der Regel resistent gegen die Wirkung der Porine In der äußeren Membran gramnegativer Bakterien finden
terminalen Komplementsequenz (sog. Serumresistenz). sich ferner Proteine mit Porenfunktion. Sie werden als Porine be-
Wenn die S-Formen durch Mutation ihre O-Antigene verlieren, zeichnet (. Abb. 22.1) und spielen für die selektive Permeabilität der
so entstehen R-Formen. Diese Varianten exponieren neben der äußeren Membran eine entscheidende Rolle, z. B. für Ionen wie
Kernpolysaccharidschicht das hydrophobe Lipid A. Sie wachsen da- Na2+, K+ und Phosphationen (s. u.).
her in flüssigen Kulturmedien unter Zusammenballung und bilden
auf festen Kulturmedien matte, »raue« (engl. »rough«) Kolonien (da- jZellhülle grampositiver Bakterien
her der Name R-Formen). Mehrschichtige Peptidoglykanschicht Bei grampositiven Bakte-
Die für den medizinischen Mikrobiologen und Arzt interessan- rien ist die Peptidoglykanschicht mehr- oder vielschichtig angelegt
teste Eigenschaft der O-Antigene besteht darin, dass sie zur Bildung (. Abb. 22.1). Ihre Dicke kann diejenige der Peptidoglykanschicht
hochspezifischer Antikörper Anlass geben. Diese Antikörper wer- von gramnegativen Bakterien bis zum 40-Fachen übertreffen. Die
Bakteriologie

den als Reagenzien verwendet, um Unterschiede im Antigenaufbau Zellwand stellt in diesem Falle bis zu 70 % des Trockengewichts dar.
gramnegativer Bakterienarten nachzuweisen. Sie spielen deshalb in Den grampositiven Erregern fehlt andererseits die dem Peptidogly-
der bakteriologischen Routinediagnostik eine Rolle, insbesondere kansakkulus aufgelagerte äußere Membran gramnegativer Bakterien
bei der Salmonellendiagnostik. und somit auch das immunologisch aktive Lipid A bzw. das LPS.
Das Kernpolysaccharid (»core«) besteht aus 2 Untereinheiten: Dennoch können ihrer Peptidoglykanschicht weitere Schichten
4 Der äußere Anteil des Kernpolysaccharids baut sich aus Galak- aufgelagert sein: So ist der Peptidoglykansakkulus bei den A-Strep-
tose und N-Azetyl-Glukosamin auf. tokokken nach außen hin von zwei aufeinander folgenden Schichten
4 Das innere Kernpolysaccharid enthält als Besonderheit einen bedeckt: Unmittelbar auf dem Sakkulus liegt das gruppenbestim-
LPS-spezifischen Zucker, das Ketodesoxyoktonat (KDO). Es ist mende Polysaccharid. Auf diesem liegt wiederum das typenbestim-
für die Funktion der äußeren Zellmembran unentbehrlich; sein mende Protein M. Bei Staphylokokken trägt der Sakkulus zusätzlich
Verlust ist mit dem Leben der gramnegativen Bakterienzelle das Protein A.
nicht vereinbar. Viele Zellwände grampositiver (und einiger gramnegativer)
Bakterien sind von kristallinen Proteingittern bedeckt, die z. T. als
Das Kernpolysaccharid ist, im Gegensatz zu den O-Antigen-Seiten- Molekularsiebe fungieren.
ketten, bei vielen gramnegativen Bakterien weitgehend gleichartig
aufgebaut. Es übt keine bekannten biologischen Wirkungen aus, Lipoteichonsäure Ein funktionell bedeutsamer Bestandteil der
kann aber die Bildung von Antikörpern induzieren, die unter Um- Zellwand grampositiver Bakterien ist die Lipoteichonsäure (= Poly-
ständen das LPS neutralisieren. Es ist über das KDO mit dem Lipid- glyzerolphosphatkette), die über ein Glykolipid in der Außenseite
anteil des LPS, dem Lipid A, verbunden. der Zytoplasmamembran verankert ist. Sie spielt bei der Adhärenz
Die Struktur von Lipid A ist bei Enterobakteriazeen und anderen eine Rolle und kann durch Komplementaktivierung eine Entzün-
gramnegativen Bakterien weitgehend identisch, kann sich jedoch in dungsreaktion induzieren.
den Seitenketten des Zuckermoleküls (z. B. Azetylierungs- und Phos-
phorylierungsmuster) unterscheiden, was immunmodulatorische jZellhülle der Mykobakterien
Wirkungen vermitteln kann. Lipid A ist für die meisten pathophysio- Wachshülle Die Zellwand der Mykobakterien und der Nocardien
logischen Wirkungen der LPS verantwortlich (endotoxische Wirkung weist ein typisches Peptidoglykangerüst auf. Die Besonderheit des
22.2 · Aufbau
179 22
Zellhüllenaufbaues liegt hier aber in dem sehr hohen Lipidgehalt: Kapseln als Virulenzfaktor Die für Mediziner instruktivsten Bei-
Lipide stellen einen Gewichtsanteil von 60 %, während ihr Anteil bei spiele für die Kapselfunktion liefern Pneumokokken und Milz-
gramnegativen Zellhüllen nur 20 % und bei grampositiven Zellhül- brandbakterien:
len nur 4 % beträgt. Da ein großer Teil der Lipide von Mykobakterien 4 Die Pneumokokkenkapsel des Typs 3 besteht z. B. aus einem
als echte Wachse, d. h. als Fettsäureester langkettiger Alkohole vor- Polymer von Cellobiuronsäure, einem Disaccharid aus Glukose
liegt, spricht man von der Wachshülle der Mykobakterien. und Glukuronsäure (Zucker- oder Glykankapsel).
4 Das Kapselmaterial der Milzbrandbazillen ist ein Polymer aus
Säurefestigkeit Die Wachshülle ist verantwortlich dafür, dass sich Glutaminsäure (Aminosäurekapsel).
Mykobakterien fast gar nicht nach Gram färben lassen, da der Farb-
stoff Gentianaviolett nicht bis zur Peptidoglykanschicht vordringen Die Kapsel ist bei diesen Krankheitserregern entscheidend für deren
kann. Erst wenn die Wachshülle erhitzt wird, lässt sie Farbstoffe ein- Virulenz: Sie kann die von ihr umschlossene Bakterienzelle vor Pha-
dringen, z. B. Karbolfuchsin. Da sich der eingedrungene Farbstoff gozytose und dem Angriff von Komplement schützen; kapsellose
nach Erkalten der Wachshülle nicht mehr durch ein Säure-Alkohol- Pneumokokkenstämme sind stets niedrig virulent.
Gemisch entfernen lässt, heißen Mykobakterien auch säurefest.
Unter Ausnutzung dieser Tatsache wurde die Ziehl-Neelsen-Fär- Kapseln als Antigene Bei den bekapselten Bakterien ist das Kapsel-
bung entwickelt. material als starkes Antigen wirksam. Die gegen die Kapsel gerichte-
ten Antikörper leiten nach ihrer Bindung an die Kapsel die Opsoni-
jZellhüllenlose Bakterien sierung der betroffenen Bakterien ein und erleichtern somit die von
Ein Abbau der Zellhülle oder die Blockade ihrer Synthese führt bei der Phagozytose (7 Abschn. 14.1) getragene Infektionsabwehr. Am
Bakterien nicht unbedingt zum Zelltod: Bakterien können ohne eindeutigsten lässt sich dies für die Pneumokokken beweisen. Im-
Zellhülle leben, sich vermehren und sogar Sporen bilden, wenn sie munogen wirksame Kapseln sind ferner bei Haemophilus influen-
entsprechende Milieubedingungen vorfinden. zae, bei Bordetella pertussis und bei Klebsiella pneumoniae sowie bei
einigen Stämmen von E. coli vorhanden. Immunogene Außenstruk-
Sphäroplasten und Protoplasten Bakterien, bei denen die unvoll- turen mit den Eigenschaften einer Kapsel finden sich außerdem bei
ständige (defekte) Zellhülle ihre formgebende Funktion verloren Meningokokken, Brucellen und Yersinien.
hat, heißen Sphäroplasten. Sphäroplasten tragen noch Zellwand-
reste auf ihrer Oberfläche. Lässt sich bei den Bakterien keinerlei
Zellwandrest mehr nachweisen, spricht man von Protoplasten. Die 22.2.9 Geißeln
beiden Termini werden ohne Rücksicht darauf benutzt, ob die be-
treffenden Bakterien vermehrungsfähig sind oder nicht. Im Experi- Definition und Aufbau Bakteriengeißeln, fadenförmige Organellen
ment lassen sich Sphäroplasten dadurch erzeugen, dass man die der Bakterienzelle, erzeugen durch Rotation Vorwärtsbewegung. Sie
Züchtung in Gegenwart von Penicillin vornimmt. Eine Möglichkeit bestehen aus Basalkörper, Haken und Filament. Der Basalkörper ist
zur Herstellung von Protoplasten besteht darin, grampositive Bakte- aus zahlreichen Proteinen zusammengesetzt und durchspannt die
rien mit Lysozym oder Lysostaphin zu behandeln. gesamte Zellhülle. Er verankert die Geißel in der Zellhülle und ent-
hält den Flagellenmotor, der einen Natrium- oder Protonengradien-
L-Formen Bei gewissen zellhüllentragenden Spezies (z. B. Meningo- ten in Rotation umsetzt. Die Drehrichtung des Rotors in der Bakte-
kokken, Streptokokken) kommen vermehrungsfähige Spontanmu- rienmembran kann sich in Antwort auf Substanzgradienten umdre-
tanten vor, die ihre Zellhülle verloren haben (L-Formen). Mit geeig- hen, wodurch eine gerichtete Bewegung von Bakterien (Taxis) erst
neten Kulturmedien lassen sich die von diesen Mutanten abstam- möglich wird. Der Haken, eine stark gebogene Struktur (Länge ca.
menden Populationen isolieren und weiterzüchten. Somit sind 55 nm), verbindet Basalkörper und Filament. Letzteres ist ein steifer,
L-Formen natürlicherweise vorkommende, fortzüchtbare zellhül- helikaler Faden, der eine Spirale unterschiedlicher Ausprägung,
lenlose Varianten von zellhüllentragenden Bakterienarten. spezifisch für jede Bakterienspezies, bildet. Das Filament besteht
aus polymerisierten Flagellinmolekülen, die, ähnlich wie das Endo-
Mykoplasmen Es gibt Bakterien, bei denen die Zellhüllenlosigkeit toxin, starke Immunreaktionen beim kolonisierten Wirt hervorru-
genetisch fixiert und somit ein taxonomisch relevantes Merkmal ist. fen können.
Die hierher gehörigen Spezies werden als Mykoplasmen bezeichnet
(7 Kap. 49). L-Formen und Mykoplasmen sind gegen β-Laktam- Formen der Begeißelung Manche Bakterien besitzen nur eine ein-
Antibiotika primär resistent, da sie den Antibiotika keinen Angriffs- zige Geißel; diese sitzt an einem Pol der Bakterienzelle, z. B. bei Vi-
punkt bieten. brio cholerae (polare Begeißelung). Bei anderen Bakterien, z. B. bei
Pseudomonas, entspringt an einem der beiden Pole ein aus mehreren
Geißeln bestehendes Büschel (lophotriche Begeißelung). Sitzen Gei-
22.2.8 Kapseln ßeln an jedem der beiden Pole, spricht man von bipolarer Begeiße-
lung (amphitrich). Schließlich gibt es Bakterien, die rundum (peri-
Definition und Aufbau Bei einigen Bakterienarten ist die Zellhülle trich) begeißelt sind: Salmonellen, E. coli. Geißeln können auch
außen von einer relativ scharf abgegrenzten, u. U. sehr dicken zwischen innerer und äußerer Membran angeordnet sein (bei eini-
Schicht eines homogenen, stark lichtbrechenden, aber kaum färbba- gen gramnegativen Bakterien, z. B. Borrelien), als sog. periplasmati-
ren Materials umgeben. Diese Schicht wird als Bakterienkapsel be- sche Flagellen.
zeichnet. Das Material der Kapsel ist in der Regel ein hochvisköses,
aus Zuckern oder Aminosäuren aufgebautes Polymer, das nichtko- Geißeln als H-Antigene Die in den Geißeln der gramnegativen
valent an die Zellhülle gebunden ist. Die Kapsel ist für die Bakterien Stäbchen lokalisierten Antigene werden zusammenfassend als H-
im Reagenzglas nicht lebenswichtig, auch kapsellose Mutanten sind Antigene bezeichnet. Diese Bezeichnung leitet sich von der Tatsache
vermehrungsfähig. ab, dass sich die besonders stark beweglichen Proteusbakterien bei
180 Kapitel 22 · Bakterien: Definition und Aufbau

Verimpfung auf feste Agarplatten auf deren Oberfläche ausbreiten sich bei begeißelten Bakterien ebenso wie bei unbegeißelten (z. B. bei
und den Eindruck einer angehauchten Glasplatte hervorrufen. Da- kokkoiden Bakterien – Neisserien). Sie sind röhrenförmig ausge-
nach heißen sämtliche Geißelantigene H-Antigene (von Hauch), bildet und bestehen aus einem als Pilin bezeichneten Protein. Ihr
auch wenn die Beweglichkeit der anderen Spezies häufig nicht so Durchmesser liegt bei ca. 5 nm (0,005 μm), ihre Länge zwischen
stark ausgeprägt ist wie bei Proteus. Analog dazu leitet sich die Be- 0,5 und 5 μm. Fimbrien sind ähnliche Gebilde wie Pili, mit Aus-
zeichnung O-Antigen von dem Befund »ohne Hauch« ab. nahme der Tatsache, dass ihre Form unregelmäßig und nicht gerade
ausgeprägt sein kann.
Träger der aktiven Motilität Die Geißeln dienen der Bakterienzelle Zwei Hauptfunktionen werden den Pili zugeschrieben:
als Organellen der aktiven Bewegung. Mithilfe des Mikroskops ist 4 Bei gewissen Arten sind die Pili als Haftungsorganellen (Adhä-
die aktive Bewegung in flüssigem Milieu gut zu beobachten. Die sine) für die Ansiedlung im Wirtsorganismus maßgebend. Bei
Bakterien bewegen sich stetig und mit erkennbarer Richtung über Gonokokken reagieren sie z. B. spezifisch mit bestimmten Re-
längere Strecken des Gesichtsfeldes hinweg. Demgegenüber zeigen zeptoren der Wirtszellmembran der Zielzellen und verankern
geißellose Bakterien lediglich ein durch die Brown-Molekularbewe- die Bakterienzelle daran. Diese Organellen können durch se-
gung hervorgerufenes Zittern (passive Bewegung). quenzielle Haftungsereignisse und wieder Loslösen auch Be-
Die Bewegung der Bakterien kommt bei der polaren Begeiße- weglichkeit auf Oberflächen vermitteln.
lung durch eine schiffsschrauben-ähnliche Aktion der Geißeln zu- 4 Bei DNA-Austauschvorgängen zwischen Bakterien (Konjuga-
stande. Die Rotationsgeschwindigkeit der polaren Geißeln liegt bei tion) dienen spezialisierte, größere Pili (Sexpili) als Anhaftungs-
40 Umdrehungen/s. Der Bakterienleib dreht sich dabei langsamer organellen der »Sexualpartner«, möglicherweise aber auch als
im Gegensinne. Die Bewegungsgeschwindigkeit der Bakterienzelle Verbindungsröhren zwischen dem (F+-)DNA-Spender und
ist hoch. Sie liegt im Allgemeinen bei Werten bis zu 25 μm/s, also dem (F–-)DNA-Empfänger. Der F-Faktor kodiert die Sexpili;
beim Mehrfachen ihrer Länge. Bei Vibrionen kann sie ausnahms- er ist plasmidgebunden. F+-Zellen besitzen jeweils nur einen
weise Werte von 200 μm/s erreichen. Dies liegt daran, dass sich ge- bis zwei Sexpili.
wundene Bakterien wie Korkenzieher durch das Medium schrauben.
Die bakterielle Beweglichkeit wird durch ein Chemotaxissystem
gesteuert, das Gradienten von Lock- oder Schreckstoffen erkennt 22.2.12 Sporen
und diese Informationen über ein Signaltransduktionssystem an den
Flagellenmotor weiterleitet, was zu einer Richtungsänderung des Sporen (Endosporen) sind Zellformen mit extrem herabgesetztem
Motors führen kann. Stoffwechsel (hypometabolische Zellformen), die sich bei manchen
Bakteriengattungen, den sog. Sporenbildnern, aus der teilungs-
fähigen Normalform der Bakterienzelle (der vegetativen Form) ent-
22.2.10 Komplexe Sekretionssysteme wickeln. Sie sind im Gegensatz zu den vegetativen Formen gegen
der Bakterienmembran Austrocknung, Hitze (z. B. mehrstündiges Kochen), Chemikalien
und Strahlen widerstandsfähig (jedoch nur mäßig resistent gegen
Viele gramnegative pathogene Bakterien (Enterobakterien, z. B. Sal- UV-Bestrahlung). Sporen lassen sich als Dauer- und Überlebensfor-
monellen, E. coli, Yersinien) enthalten in ihrer Zellhülle komplexe men der Bakterienzelle ansehen. Für die Medizinische Mikrobiolo-
Sekretionsapparate, von denen Typ-III-Sekretionssysteme am bes- gie sind nur 2 sporenbildende Gattungen bedeutsam. Beide gehören
ten untersucht sind. Typ-III-Sekretionssysteme sind phylogenetisch zu den grampositiven Stäbchen:
4 die als Bazillen bezeichneten aeroben Sporenbildner
Bakteriologie

und strukturell eng verwandt mit dem Flagellenapparat und enthal-


ten einen zentralen Transportkanal. Sie dienen hauptsächlich dazu, 4 die als Clostridien bezeichneten obligat anaeroben Sporen-
Proteine (Effektoren) aus der Bakterienzelle in die Umgebung oder bildner
durch einen direkten Transfer unmittelbar in Wirtszellen einzu-
schleusen (Translokation). Diese Sekretionssysteme sind für die Im Gegensatz zu den Sporen der Bakterien sind Pilzsporen keine
Virulenz der entsprechenden Bakterien von großer Bedeutung. Dauerformen. Sie dienen der Vermehrung und Verbreitung, sind
Ebenfalls beinhalten sie wichtige Bestandteile (Antigene) der bakte- also in dieser Hinsicht dem Samen der höheren Pflanzen gleichzu-
riellen äußeren Membran, die sowohl für diagnostische Zwecke als setzen. Bei Protozoen bezieht sich der Ausdruck »Sporulation« nicht
auch für die Entwicklung von Impfstoffen als Zielmoleküle genutzt auf die Bildung von Dauerformen, sondern auf infektiöse Stadien im
werden. Entwicklungszyklus.
Typ-IV- und Typ-VI-Sekretionssysteme sind von ähnlicher
Komplexität und von ähnlicher Bedeutung für die Virulenz oder Eigenschaften der Sporen Die Produkte der Versporung fallen
Persistenz der entsprechenden Bakterien. Beispiele sind die Typ-IV- durch ihre Resistenz gegen feuchte Hitze deutlich aus dem Rahmen
Systeme von Bartonella und Helicobacter pylori sowie die gegen des in der Biologie Gewohnten. Während vegetative Formen bei
andere konkurrierende Bakterien gerichteten Typ-VI-Systeme von 80 °C nach einer 10 min dauernden Exposition absterben, widerste-
Vibrio cholerae und Pseudomonaden. hen alle Sporen dieser und anderen, weit höheren Temperaturbelas-
tungen. Einige Sporen halten mehrstündiges Kochen aus. Sporen
von Bacillus stearothermophilus werden zum Testen von Autoklaven
22.2.11 Pili und Fimbrien benutzt (»Sporenpäckchen«). Die Halbwertszeit einer Sporensus-
pension beträgt unter natürlichen Temperaturverhältnissen zumin-
Definition und Aufbau Pili sind dünne und im Vergleich zu Gei- dest einige Jahrzehnte. Bei extrem niedrigen Temperaturen (flüssiger
ßeln kurze und starre Gebilde, die an der zytoplasmatischen Mem- Stickstoff) verlängert sich die Lebensdauer vermutlich bis ins Unbe-
bran der Bakterienzelle inserieren und durch die Zellhülle hindurch grenzte. Bakteriensporen können sich nicht unmittelbar vermehren.
drahtartig ins Milieu hineinragen (. Abb. 22.1). Die Pili haben struk- Sie müssen zuerst durch »Auskeimen« eine Vegetativform bilden;
turell und genetisch mit den Geißeln nichts gemeinsam. Sie finden erst diese ist vermehrungsfähig.
22.2 · Aufbau
181 22
Thermoresistenz beruht auf folgenden Faktoren:
4 Dipicolinsäure (Stabilisator) In Kürze
4 extreme Wasserarmut der Spore Bakterien: Definition und Aufbau
4 auffallend niedriger Guanosin-Cytosin-Gehalt (ca. 25 %) Grundformen der Bakterien Kokken, Stäbchen, Schrauben-
Bakterielle Sporen sind nur mäßig resistent gegen UV-Licht. bakterien.
Aufbau Kernäquivalent (keine Kernmembran), in einigen Fällen
Modus der Sporenbildung Die Sporenbildung wird durch Ver- Plasmide. Zellhülle bestehend aus Zytoplasmamembran und
knappung an Nährstoffen und Flüssigkeit oder durch Anhäufung Zellwand. Mitochondrien und endoplasmatisches Retikulum
wachstumsbehindernder Metaboliten im Milieu ausgelöst. Sie benö- fehlen.
tigt komplexe Regulationsphänomene. Die Versporung der Bakte- Anordnung des Bakteriengenoms Bakterienchromosom
rienzelle wird durch eine Einschnürung der Zytoplasmamembran (doppelsträngige ringförmige oder lineare DNA) kompaktiert
eingeleitet, die das Zytoplasma in 2 ungleiche Teile separiert: durch histonähnliche Proteine, Plasmide (doppelsträngige
4 Der mit dem Zellgenom assoziierte Teil des Zytoplasmas retra- ringförmige DNA; extrachromosomal bzw. episomal).
hiert sich unter starkem Wasserverlust und bildet einen von Bakteriophagen Viren, die Bakterien »infizieren«: lytisch mit
der inneren und der äußeren Sporenmembran umgebenen Zerstörung der Wirtszelle oder lysogen mit der Integration von
runden Körper, die Vorspore. Die innere Sporenmembran Phagen-DNA in das Bakteriengenom als Prophage.
bildet dann eine dünne Sporenzellwand, die äußere Sporen- Transposons DNA-Segmente, die gelegentlich ihren Platz im
membran die sog. Sporenrinde (Kortex). Sporenzellwand Genom ändern und sich in Nukleotidsequenzen einschieben,
und Sporenrinde bilden die innere Sporenhülle. zu denen sie keine Homologien besitzen (»springende Gene«).
4 Der andere Teil des Zytoplasmas, der sich um die Vorspore Zellwandtypen grampositiv: vielschichtiger Mureinsakkulus,
herumgelegt hat, hüllt die Vorspore ein und synthetisiert die Lipoteichonsäure; gramnegativ: ein- oder wenigschichtiger
äußeren Sporenhüllen (Exosporium). Mureinsakkulus, äußere Membran mit Porinen und Lipopoly-
saccharid; säurefeste Bakterien: Wachse in der Zellhülle.
Auf diese Weise entsteht in einer Bakterienzelle jeweils nur eine ein- Weitere Zellhüllenbestandteile Kapseln, Geißeln (Flagellen),
zige Spore. Diese liegt als rundes oder ovales Gebilde in der Mitte Pili, Fimbrien, Sekretionssysteme.
(mittelständig) oder an einem Ende (endständig) der stäbchenför- Lipopolysaccharid-Hauptwirkungen Erkennung von
migen Vegetativform. Deren Zellwand wird nach der Versporung LPS/Lipid A meist durch Toll-like-Rezeptor-4-Komplex.
enzymatisch abgebaut. 5 Stimulation von Monozyten/Makrophagen führt zur Aus-
Die Spore besteht also aus einem Zytoplasma-DNA-Konzentrat, schüttung von Zytokinen, z. B. IL-1, IL-6 und TNF-α, woraus
das von mehreren festen Schichten umgeben ist. Sie enthält das ge- Fieber und die Akutphasereaktion resultieren.
samte Bakteriengenom und eine Reihe von Funktionsträgern des 5 Aktivierung des Komplementsystems führt zu einer Entzün-
Zytoplasmas, z. B. Enzyme, in stabilisiertem Zustand. dungsreaktion.
5 Aktivierung des Bradykininsystems bedingt eine Vaso-
Lage der Sporen Bei Sporenbildnern kann die Sporenbildung, wie dilatation.
z. B. bei Milzbrandbazillen, mittelständig sein, während sie bei Teta- 5 Aktivierung von Gerinnung und Fibrinolyse kann zur Ver-
nusclostridien endständig ist: Es entsteht das Bild des Trommel- brauchskoagulopathie führen.
schlegels. Bei anderen sporenbildenden Bakterien setzt sich die end-
ständige Spore nicht scharf geknickt gegen die vegetative Mutterzel- Als Ergebnis aller 4 Hauptwirkungen kann ein septischer Schock
le ab, sondern allmählich geschweift: Es entsteht die Tennisschläger- entstehen.
form. Diese ist typisch für Clostridium tetani, den Erreger des Zellwandlose Formen Sphäroplasten, Protoplasten, L-Formen,
Wundstarrkrampfs. Mykoplasmen.
Sporen Hypometabolische Dauerformen (aerob: Bacillus spp.,
anaerob: Clostridium spp.).
22.2.13 Intrazelluläre Depotgranula

Im Zytoplasma der Bakterienzellen werden bei vielen Spezies Reser-


vestoffe in Form von Granula eingelagert. Neben Glykogen und Stär-
ke finden sich Lipide meist in granulärer Form als Polyhydroxybut-
tersäure (PHB). Diese Substanz wird auch als »Bakterienfett« be-
zeichnet, da sie ausschließlich bei Prokaryoten vorkommt.
Die Speicherstoffe werden bei Knappheit des betreffenden Nah-
rungsstoffs aufgebraucht. Eine gewisse Sonderstellung nehmen Poly-
phosphatspeicher (direkte Speicherung von ATP/Energie) ein. Ihr
morphologischer Ausdruck sind metachromatische Granula, die so
genannten Volutingranula. Diese spielen als charakteristische Struk-
turelemente der Diphtheriebakterien eine bedeutende Rolle bei deren
Diagnose (Polkörperchen oder Babes-Ernst-Granula).
183 23

Bakterien: Vermehrung und Stoffwechsel


C. Josenhans, H. Hahn

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Kenntnis der Vermehrung und der Stoffwechseleigenschaften 4 Logarithmische Phase (Log-Phase): In dieser, der exponen-
von Bakterien, d. h. ihrer Physiologie, ist für den medizinischen Mikro- tiellen Phase, hat die Vermehrungsgeschwindigkeit ihr Maxi-
biologen zwingend erforderlich, da er den zu diagnostizierenden mum erreicht und verändert sich in dieser Phase nicht.
Erreger möglichst außerhalb des Patienten zur Vermehrung bringen 4 Stationäre Phase: Nach der Vermehrungsphase sinkt die
muss, um dessen Eigenschaften zu bestimmen mit dem Ziel, daraus Vermehrungsgeschwindigkeit auf Null. Die Populationsgröße
eine Erregerdiagnose stellen, und um dessen Empfindlichkeit bzw. verändert sich nicht. Ursache des Wachstumsstillstands sind
Resistenz gegen antibakterielle wirksame Substanzen prüfen zu kön- verschiedene Faktoren: In vielen Fällen ist der zuerst aufge-
nen. Im Folgenden werden die Grundlagen der Bakterienphysiolo- brauchte Wuchsstoff im Kulturmedium wachstumslimitierend;
gie beschrieben. in anderen Fällen hemmen sich akkumulierende nichtabbau-
bare Metaboliten im Milieu das Wachstum, so v. a. die bei der
Zuckervergärung anfallenden Säuren.
23.1 Bakterienvermehrung
Absterbephase: In diesem Stadium verringert sich die Anzahl der
Teilung Die Vermehrung der Bakterienzelle erfolgt bei der Mehr- wiederanzüchtbaren Bakterienzellen ständig. Die Ursache dafür
zahl der Spezies durch binäre Zellteilung. Die Bakterien teilen sich ist weitgehend unbekannt (vermutlich autolytische Aktivität oder
wiederholt nach einem gewissen Zeitintervall in jeweils 2 Zellen. metabolische Dormanz).
Auf diese Weise entsteht eine Anzahl primär gleicher Zellen, die
sich von einer einzigen Stammzelle herleiten: ein Stamm oder Vermehrungsgeschwindigkeit Sie bezeichnet die Zahl der pro
Klon. Die Bakterien-DNA (Genomäquivalent) ist durch den Poly- Zeiteinheit neu gebildeten Zellen. Als Maß dient die Generations-
merasekomplex an die Innenseite der Bakterienmembran angehef- rate; sie gibt die Zahl der Verdopplungen pro Zeiteinheit an. Die
tet und vermehrt sich dort. Bei der Teilung wächst die Zellwand an Teilungsgeschwindigkeit in der logarithmischen Phase hängt von
dieser Stelle und nimmt mithilfe von Partitionsproteinen je eines 3 Hauptfaktoren ab:
der beiden Tochtermoleküle in die beiden Tochterzellen mit. So ist 4 Die Eigenheiten der gezüchteten Bakterien, insbesondere die
sichergestellt, dass auf beide Tochterzellen je 1 Genomäquivalent Generationszeit, aber auch die Physiologie und der Anspruch
kommt. an die Ernährungsbedingungen, beeinflussen die Vermehrungs-
geschwindigkeit erheblich. In dextrosehaltiger Bouillon vermeh-
ren sich zahlreiche Bakterien sehr schnell; z. B. hat S. aureus
23.1.1 Vermehrungskinetik: Vermehrungskurve eine Verdopplungszeit von ca. 15 min, wohingegen die Genera-
tionsrate von Tuberkulosebakterien bei ca. 20 h liegt.
Vermehrungsfunktion Alle neu entstandenen Bakterienzellen tei-
len sich ihrerseits, sobald sie ein bestimmtes Alter erreicht haben; so
ergibt sich unter idealen Wachstumsbedingungen bzw. als Ideal-
funktion eine geometrische Progression des Musters 1, 2, 4, 8, 16,
32 usw. (exponentielles Wachstum).

Vermehrungskurve, Vermehrungsstadien Verimpft man eine


kleine Menge reingezüchteter Bakterien in ein neues Kulturmedium
und bebrütet dieses bei konstanter Temperatur, so ändert sich
die Bakterienzahl in typischer Weise. Bei halblogarithmischer
Auftragung der Ergebnisse ergibt sich eine Kurve von 4 Stadien
(. Abb. 23.1).
4 Latenzphase (Lag-Phase): Die beim Zeitpunkt Null über-
impfte Bakterienmenge bleibt trotz günstiger Wachstums-
bedingungen über einen gewissen Zeitraum hinweg konstant
(Latenzphase, Lag-Phase). Um die im Milieu vorhandenen
Nährstoffe zu verwenden, müssen die Bakterien die dazu not-
wendigen Enzyme zunächst synthetisieren. Dies geschieht
während des Kontakts mit den zu verarbeitenden Substra-
ten im Sinne der Enzyminduktion und nimmt Zeit in An- . Abb. 23.1 Vermehrungskurve von Bakterien (KBE, koloniebildende Ein-
spruch. heit)
184 Kapitel 23 · Bakterien: Vermehrung und Stoffwechsel

4 Zusammensetzung und Beschaffenheit des Kulturmediums fototrophen (gr.: durch Licht ernährbar), im 2. Fall von chemotro-
sind von Bedeutung. In einem Minimalmedium ist das Wachs- phen (gr.: durch chemische Stoffe ernährbar) Bakterien.
tum stets langsamer als in einem Optimalmedium. Die meisten
Bakterien erreichen ihre maximale Wuchsgeschwindigkeit bei Wege der Energiegewinnung
pH 7,4. bei Krankheitserregern
4 Bebrütungstemperatur: Für die meisten medizinisch rele- Die medizinisch bedeutsamen Bakterien sind chemotroph. Da sie als
vanten Bakterien liegt das Temperaturoptimum bei 36–43 °C. Elektronenquelle nur organisches Material verwerten können, gehö-
Jenseits dieser Marken nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit ren sie innerhalb der chemotrophen zu den organotrophen Energie-
wieder ab. Bei unter 4 und über 50 °C stellen die meisten verwertern, sind also chemoorganotroph. Als letzten Elektronen-
Bakterien ihr Wachstum ein. akzeptor benutzen sie beim energieliefernden Abbau organischer
Stoffe
Einsaatgröße Einige Bakterienspezies verlangen eine Mindestein- 4 entweder anorganische Verbindungen – respiratorische Ener-
saat, die nicht unterschritten werden darf, wenn die Verimpfung giegewinnung (Atmung) –
»angehen« soll. Typisch hierfür sind die Leptospiren: Hier sind auch 4 oder wiederum organische Stoffe – fermentative Energiegewin-
bei Verwendung von Optimalmedien relativ hohe Einsaatmengen zu nung (Gärung).
verimpfen, wenn es zu einer Vermehrung kommen soll.
Daher ist bei vielen Bakterien auch die Versorgung mit Gasen limi-
Ruhende Kultur Die Bakterien einer wachsenden Kultur lassen sich tierend für ihren Stoffwechsel. Manche Bakterien können ihren
durch Entzug der Aufbaustoffe am weiteren Wachstum hindern, Stoffwechsel auf unterschiedliche atmosphärische Bedingungen ein-
ohne abzusterben. Sie können z. B. durch Verwendung der angebo- stellen (aerob oder anaerob, z. B. E. coli), andere Bakterien haben
tenen Glukose notdürftig ihren Betriebsstoffwechsel bestreiten, sehr strenge Anforderungen an die Versorgung mit atmosphäri-
den Baustoffwechsel aber ruhen lassen. Eine Population in diesem schen Gasen (z. B. obligat aerober, obligat anaerober oder mikroae-
Zustand heißt ruhende Kultur. Gibt man zur ruhenden Kultur eine rophiler Stoffwechsel).
geeignete Lösung von Aufbaustoffen, so geht sie schnell in die loga- Beide Fundamentalprozesse liefern schließlich energiereiches
rithmische Wachstumsphase über. ATP. Wird O2 als Elektronenakzeptor verwendet, liegt aerobe At-
mung vor, bei Verwendung anorganischer Elektronenakzeptoren
(z. B. Nitrat) anaerobe Atmung.
23.2 Bakterienstoffwechsel Nahezu alle medizinisch wichtigen Bakterien können Glukose als
Energiequelle verwerten. Die maximale Ausbeute an Energie ergibt
23.2.1 Energiebeschaffung: sich durch die Atmung (aerober Substratabbau). Zahlreiche Bakte-
Fototrophie und Chemotrophie rienspezies sind aber zur Atmung unfähig; sie müssen sich auf den
anaeroben Abbau der Glukose (Glykolyse) beschränken. Dann ent-
Die für die Lebenserhaltung notwendige Energie beziehen die Bak- steht als zentrales Zwischenprodukt zunächst Brenztraubensäure
terien entweder durch direkte Verwertung von Licht mithilfe von (Pyruvat), anschließend je nach Spezies Milchsäure, Ameisensäure,
Chlorophyll oder durch exoenergetische chemische Reaktionen in Essigsäure, Azetoin (3-Hydroxy-2-butanon), Butylalkohol etc. Dieser
Gestalt von Elektronenübertragungen; im 1. Fall spricht man von Prozess wird als Fermentation (Gärung) bezeichnet (. Abb. 23.2).
Bakteriologie

. Abb. 23.2 Energiestoffwechsel: Assimilation und Fermentation. Bei der Assimilation dient z. B. O2 als terminaler Elektronenakzeptor, der Aufbaustoff-
wechsel kann nur unter aeroben Bedingungen stattfinden. Mit der Erzeugung von 36 Molekülen ATP beim Abbau von 1 Molekül Glukose ist die aerobe
»Atmung« die ertragreichste Energiegewinnungsmethode: Sie liefert mindestens 6-mal mehr ATP und andere Energieäquivalente als die »anaerob« verlau-
fende Gärung. Die Fermentation nutzt andere Elektronenakzeptoren, kann daher auch ohne O2 ablaufen und beschreitet diverse Stoffwechselwege, die
bei der Identifizierung genutzt werden. Das bei der Formiatfermentation entstehende H2 ist im Gegensatz zu CO2 kaum wasserlöslich und erscheint als
Gasblase in einem Durham-Röhrchen. Azetoin lässt sich in der Voges-Proskauer-Reaktion nachweisen und ist typisch für E. coli. Die Azetaldehydfermenta-
tion ist bei Bakterien selten, jedoch typisch für Pilze. Die Laktatfermentation schlagen v. a. industriell genutzte Bakterien ein, bei der Käseherstellung
z. B. Lactobacillus casei
23.2 · Bakterienstoffwechsel
185 23
Verfügt die Bakterienzelle neben dem zuckervergärenden En- 23.2.2 Bedarf an Aufbaustoffen
zymsystem noch über das Zytochromsystem, so entstehen aus der
im Zuge der Glykolyse anfallenden Brenztraubensäure und mit O2 Für den Aufbaustoffwechsel benötigen alle Bakterien größere Men-
als terminalem Elektronenakzeptor schließlich CO2 und H2O. gen an Hauptelementen, wie Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff
Dieser Vorgang heißt Zellatmung. Die Energieausbeute ist bei der und Stickstoff. Daneben muss die Nährlösung Zusatzelemente
Atmung wesentlich höher als bei der Vergärung. (K, Fe, Ca, Mg, P, S und Cl) in Form anorganischer Ionen enthalten.
Außer der von allen Arten verwertbaren Glukose kommen als Schließlich werden je nach Spezieseigentümlichkeit noch sog. Spu-
organische Energiequelle zahlreiche Aminosäuren, kurze Peptide renelemente benötigt, wie Zink, Kobalt oder Mangan. Die Form, in
oder Kohlenhydrate in Betracht, u. a. auch höhere Alkohole und der die Hauptelemente Stickstoff und Kohlenstoff angeboten werden
aliphatische Karbonsäuren; letztere entstehen u. a. durch Desami- müssen, ist von Spezies zu Spezies sehr verschiedenartig.
nierung von Aminosäuren. Die Verwertungsmöglichkeiten für
solche Energieträger sind von Art zu Art verschieden. Autotrophie Als eine Extremform der Bedürfnislosigkeit gilt die
Lebensweise von Bakterien, die Mineralien nicht nur als Energie-
Diagnostische Nutzung der Energiegewinnung quelle nutzen (Lithotrophie), sondern ihren Aufbaustoffwechsel
Steht einer wachsenden Bakterienpopulation ein energetisch ver- gänzlich mit anorganischem Material bestreiten. Diese Bakterien
wertbarer Zucker zur Verfügung, so wird dieser zunächst im Sinne begnügen sich mit Kohlenstoff (CO2) und anorganischem Stickstoff
der Glykolyse zu Säure abgebaut. Bei vielen Krankheitserregern ver- (z. B. als NH4+ oder gar als N2).
läuft der darauf folgende Oxidativabbau sehr langsam, er ist unvoll- Von den medizinisch wichtigen Bakterien gehört streng genom-
kommen oder fehlt gänzlich. Dann häufen sich die bei der Vergä- men keine einzige Spezies zum autotrophen Ernährungstyp, wenn
rung entstehenden Säuren an. auch einige Spezies diesem Typ nahekommen. So vermag E. coli al-
Dies wird bei der Bestimmung von Merkmalen zur Spezies- lein mit anorganischem Stickstoff (in Gestalt von Ammoniak) aus-
diagnose ausgenutzt. So können Typhusbakterien typischerweise zukommen, benötigt aber eine organische Kohlenstoffquelle, z. B. in
Laktose nicht verwerten, während E. coli dazu meistens in der Lage Gestalt von Glukose.
ist. Deshalb setzt man einer Nährlösung Laktose als einziges Koh-
lenhydrat zusammen mit einem säureanzeigenden Farbindikator Heterotrophie Bakterien, die eine Zufuhr organischer Verbindun-
zu: Beim Wachstum von Typhusbakterien bleibt der pH-Wert der gen benötigen – sei es auch nur einer einzigen – heißen heterotroph
Kultur unverändert. Beim Wachstum von E. coli zeigt der Farbum- (gr. »heteros«: andersartig). Sie verfügen nicht über das breite Enzy-
schlag des Indikators hingegen die Säurebildung an: marsenal der autotrophen, sondern haben in ihrem Syntheseapparat
4 E. coli spaltet durch ihre β-Galaktosidase Milchzucker in 2 He- »Fertigungslücken« und können deshalb einige für den Aufbau des
xosen, D-Glukose und D-Galaktose. So entsteht mit Glukose Protoplasmas unentbehrliche (essenzielle) Verbindungen nicht syn-
zumindest ein weiterverwertbares Kohlenhydrat, das sich thetisieren. Werden diese der Zelle nicht von außen zugeführt, so ist
oxidativ oder fermentativ zu Säuren abbauen lässt. Wachstum unmöglich.
4 Typhusbakterien fehlt β-Galaktosidase: Laktose wird nicht
gespalten, die Säurebildung bleibt aus. Metaboliten, Wuchsstoffe Metabolit ist jede Substanz, die im Stoff-
wechselprozess verarbeitet wird oder anfällt und teilweise von den
Analog zur Laktose lassen sich zur Merkmalsdifferenzierung zahl- Bakterien ausgeschieden wird; hierunter fallen u. a. alle Abbau- und
reiche weitere Kohlenhydrate, z. B. Saccharose, Maltose, Mannitol Syntheseprodukte:
u. a. verwenden. 4 Essenziell ist ein Metabolit, der für den Ablauf der Stoffwech-
Im Zuge des Zuckerstoffwechsels kann es zur Gasbildung kom- selprozesse unerlässlich ist. Für autotrophe Bakterien ist z. B.
men. Das oxidativ entstehende CO2 ist so stark wasserlöslich, dass es das selbstgefertigte Tryptophan ein essenzieller Metabolit. Das
physikalisch nicht in Erscheinung tritt: Die Bildung von Gasblasen Gleiche gilt auch für die durch Abbau von Zucker anfallende
bleibt aus. Einige Bakterienspezies (meist aus der Familie der Entero- Brenztraubensäure. Für zahlreiche Bakterien (Brucellen, Go-
bacteriaceae) haben jedoch das Vermögen, die beim anoxischen nokokken, Streptokokken) ist CO2 ein essenzieller Metabolit.
Zuckerabbau anfallende Ameisensäure in CO2 und H2 zu überfüh- 4 Nichtessenzielle Metaboliten sind z. B. Ammoniak für Pro-
ren. Der anfallende Wasserstoff ist in der Nährbodenflüssigkeit teus-Bakterien, Milchsäure für Pneumokokken oder Indol für
kaum löslich und lässt sich mit einem Gasröhrchen als Gasblase E. coli. Diese Substanzen fallen als Endprodukte (Schlacken) an
nachweisen. Auf diese Weise lassen sich u. U. die Typhusbakterien und werden nicht weiterverwertet.
von den übrigen Salmonellen abgrenzen und diese ihrerseits von der
Mehrzahl der Ruhrbakterien (Shigellen). Als Wuchsstoff bezeichnet man unter Bezugnahme auf einen be-
Charakteristischerweise bilden Gasbrandclostridien große stimmten Bakterienstamm einen essenziellen Metaboliten, zu des-
Mengen gasförmigen Wasserstoffs. Dieser erscheint nicht nur als sen Herstellung die Zelle selbst nicht fähig ist. Die für den betreffen-
diagnostisch wichtiges Merkmal in der Kultur, sondern auch in vivo: den Stamm als Wuchsstoff erkannte Verbindung muss im Milieu für
Im vom Gasbrand befallenen Gewebe entstehen zahllose Gasblasen, die Vermehrung verfügbar sein. Für Diphtheriebakterien ist Trypto-
die bei der Palpation durch das charakteristische Knistern (Krepita- phan ein Wuchsstoff, für E. coli dagegen nicht. Für beide Spezies ist
tion, lat.: für »Knarren, Knistern«) auffallen. Tryptophan ein essenzieller Metabolit.
Im Darm des Menschen entsteht durch bakterielle Umsetzung Der Begriff essenzieller Metabolit ist hiernach dem Begriff
ebenfalls H2, daneben durch Reduktion (Hydrierung) von Schwefel- »Wuchsstoff« übergeordnet: Nicht alle essenziellen Metaboliten sind
verbindungen gasförmiger Schwefelwasserstoff (H2S). Bei der Wuchsstoffe, aber alle Wuchsstoffe sind essenzielle Metaboliten. Für
Merkmalsbestimmung von Darmbakterien wird die Fähigkeit zur viele intrazelluläre Bakterien ist beispielsweise ATP ein wichtiger
H2S-Bildung diagnostisch bewertet: Salmonellen bilden z. B. fast Wuchsstoff, den sie selbst nur in geringer Menge oder unter be-
immer H2S, Ruhrbakterien (Shigellen, 7 Kap. 28) sind dazu nicht sonderen Bedingungen herstellen können, z. B. bei Chlamydia pneu-
imstande. moniae.
186 Kapitel 23 · Bakterien: Vermehrung und Stoffwechsel

Der Wuchsstoffbedarf medizinisch wichtiger Bakterien diffe-


riert von Spezies zu Spezies, ausnahmsweise sogar von Stamm zu In Kürze
Stamm: Bakterien: Vermehrung und Stoffwechsel
4 Einige Bakterienspezies benötigen nur 1 oder 2 Wuchsstoffe Bakterienvermehrung Sie erfolgt durch Zweiteilung. Die aus
(anspruchslose Keime). einer einzigen Stammzelle hervorgegangene Population heißt
4 Andere verlangen dagegen ein Wuchsstoffangebot, das neben Klon. Dies schließt nicht aus, dass es innerhalb kurzer Zeit zu
den meisten Aminosäuren noch zahlreiche Verbindungen an- genetischen und phänotypischen Veränderungen kommen
derer Art (prosthetische Gruppen für Enzyme, Purine) um- kann.
fasst. Derartige »anspruchsvolle Erreger« sind z. B. Gonokok- Vermehrungsgeschwindigkeit Unter konstanten Bedingungen,
ken, Borrelien, Campylobacter, Helicobacter und die Keuch- die in der Natur oder nach einer Infektion wahrscheinlich nicht
hustenbakterien. vorliegen, jedoch für die Anzucht eines Erregers in Diagnostik
4 Bei einigen Erregern ist das Stoffwechselbedürfnis so beschaf- und Forschung meist benutzt werden, verläuft die maximale Zu-
fen, dass die in der Praxis verfügbaren Nährböden es nicht de- nahme der Zellzahl in der Zeit als logarithmische Funktion. Vor
cken. Solche auf künstlichen Kulturmedien deshalb nichtan- der logarithmischen Vermehrungsphase liegt die Latenzphase.
züchtbaren Erreger verursachen z. B.: Auf sie folgt ein Wachstumsstillstand. Die Vermehrungsgeschwin-
5 Syphilis digkeit wird durch die mittlere Verdopplungszeit charakterisiert.
5 Lepra Diese schwankt je nach Wachstumsbedingungen und Bakterien-
5 Chlamydieninfektionen spezies zwischen 15 min und Stunden bis Tagen. Das Temperatur-
5 Fleckfieber optimum liegt zwischen 36 und 43 °C.
Stoffwechsel Man unterscheidet Bau- und Betriebsstoffwechsel.
Zur Vermehrung sind sie in den lebenden Organismus bzw. auf Für beide ist die Energiegewinnung essenziell. Diese erfolgt bei
lebende Zellen zu verimpfen. medizinisch wichtigen Bakterien durch Abbau organischen Ma-
terials, vornehmlich von Kohlenhydraten. Aerobe und anaerobe
Energiegewinnung unterscheiden sich: Bei der Atmung dient
23.2.3 Rolle des bakteriellen Stoffwechsels oft O2 als finaler Elektronenakzeptor, bei der Gärung organische
bei der Interaktion pathogener Bakterien Stoffe; in beiden bildet sich energiereiches ATP. Der aerobe
und des Menschen Weg liefert im Vergleich zum anaeroben Weg ein Vielfaches an
Energieausbeute. Zahlreiche Bakterienspezies unterscheiden
In den letzten Jahren ist die Rolle des bakteriellen Stoffwechsels bei sich hinsichtlich ihrer Energiegewinnung. Dies wird zur Diagnose
der Entstehung des infektiösen Krankheitsgeschehens intensiv er- genutzt. Für den Stoffwechsel ist zudem die Versorgung mit
forscht worden. Dabei ergaben sich starke Hinweise auf eine essen- atmosphärischen Gasen wichtig. Manche Bakterien stellen sehr
zielle Rolle des an ein Wirtssystem angepassten Stoffwechsels patho- enge Ansprüche an die atmosphärischen Bedingungen (obligat
gener Bakterien. Dazu gehört eine spezifische Anpassung des Patho- aerobe, anaerobe oder mikroaerophile Bakterien).
genmetabolismus an die Mangelbedingungen im Wirtsorganismus »Anspruchsvolle« und »anspruchslose« Bakterien Die medizi-
und an dessen spezifische Nischen. nisch wichtigen Bakterien sind durchweg heterotroph, d. h., sie
Die Rolle verschiedener Faktoren pathogener Bakterien in der benötigen die Zufuhr bestimmter organischer Stoffe (Wuchs-
Wirtschädigung beschränkt sich dabei häufig nicht, wie bisher ange- stoffe) zum Ausgleich funktioneller Lücken ihres Syntheseappa-
Bakteriologie

nommen, auf einen rein pathogenen Mechanismus. Viele »Pathoge- rats. Je nach Breite dieser Lücken gibt es »anspruchsvolle« und
nitätsfaktoren« dienen vorwiegend dem Nährstofferwerb des Bakte- »anspruchslose« Bakterien. Entsprechend weisen die verwende-
riums in seiner Wirtsumgebung. Ebenfalls zu nennen ist eine Anpas- ten Kulturmedien verschiedene Grade der Komplexität auf.
sung des spezifischen Pathogenmetabolismus an Abwehrleistungen In besonderen Fällen (z. B. bei den Erregern der Syphilis und der
des Immunsystems, die die Wuchsumgebung ebenfalls stark beein- Lepra) ist eine Züchtung im unbelebten Kulturmedium nicht
flussen, sowie an die metabolische Konkurrenz in der jeweiligen möglich. Dann gelingt die Züchtung nur in lebenden Zellen.
Nische (Lunge, Gastrointestinaltrakt, Haut) durch kommensale Bak-
terien.
Dies hat zu einer teilweisen Neudefinition der durch Kommensale
vermittelten »Kolonisierungsresistenz« des Menschen gegenüber
pathogenen Bakterien als »metabolische Immunität« geführt. Ein
wichtiges Beispiel hierfür scheint auch Clostridium difficile zu sein,
das nur nach Depletion der kommensalen Mikrobiota (z. B. nach
intensiver Antibiotikatherapie) im Darm des Menschen anwachsen
und eine schwerwiegende pseudomembranöse Kolitis auslösen
kann. Eine »Fäkal- oder Stuhltransplantation«, bei der von einem
Spender kommensalen Bakterien übertragen werden, hat sich daher
als sehr wirksam gegen schwerwiegende, sonst nicht behandelbare
Clostridieninfektionen erwiesen, auch wenn viele Fragen der Appli-
kation einer solchen Therapie noch ungeklärt sind (7 Abschn. 4.3).
187 24

Staphylokokken
S. Gatermann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_24, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Staphylokokken sind grampositive Kugelbakterien, die sich in Haufen,


. Tab. 24.1 Staphylococcus: Gattungsmerkmale
Tetraden oder Paaren lagern und sowohl aerob als auch anaerob ver-
mehren (. Tab. 24.1, . Abb. 24.1).
Merkmal Ausprägung
Die Gattung untergliedert sich in zahlreiche Spezies, von denen Sta-
phylococcus aureus (S. aureus) diagnostisch aufgrund der Bildung von Gramfärbung grampositive Kokken (Haufen)
freier Koagulase (7 s. u.) von den übrigen, d. h. koagulasenegativen
Aerob/anaerob fakultativ anaerob
Staphylokokkenspezies (KNS) abgetrennt wird. Diese Unterscheidung
ist von medizinischer Relevanz, weil die KNS-Spezies Krankheitsbilder Kohlenhydratverwertung fermentativ
hervorrufen, die sich in Pathogenese, Klinik, Diagnostik und Therapie Sporenbildung nein
von den durch S. aureus hervorgerufenen unterscheiden (. Tab. 24.2).
Beweglichkeit nein
Die Bezeichnung leitet sich von griechisch »staphyle« für »Traube« ab;
sie bezieht sich auf die traubenförmige Lagerung im mikroskopischen Katalase positiv
Präparat. »Kugelmikrobien« in Eiter beschrieb 1874 der Chirurg Theo- Oxidase negativ
dor Billroth, desgleichen Robert Koch 1878; Louis Pasteur brachte sie
Besonderheiten Lysostaphin-Empfindlichkeit
1880 in Nährlösung zur Vermehrung, die Namensgebung Staphylococ-
cus prägte 1880 der schottische Chirurg Alexander Ogston; der Göttin-
ger Chirurg Friedrich Julius Rosenbach klassifizierte 1884 erstmals auf-
grund des Pigmentverhaltens in S. pyogenes aureus und S. pyogenes . Tab. 24.2 Staphylokokken: Arten und Krankheiten
albus.
Koagulasepositiv
S. aureus Lokalinfektionen:
oberflächlich-eitrig
tief-invasiv
Sepsis, Endokarditis
toxinbedingte Syndrome:
SSSS (»staphylococcal scalded skin-syndrome«)
TSS (»toxic shock syndrome«)
Nahrungsmittelintoxikation
Koagulasenegativ
S. epidermidis-Gruppe:
– S. epidermidis Endoplastitis
Sepsis
Peritonitis bei Peritonealdialyse
– S. hominis
. Abb. 24.1 Staphylococcus aureus – auf Blutagar – S. haemolyticus
– S. warneri
– S. capitis
– S. lugdunensis Endokarditis
Abszesse
Empyeme
S. saprophyticus-Gruppe:
– S. saprophyticus Harnweginfektionen
– S. xylosus
– S. cohnii
188 Kapitel 24 · Staphylokokken

24.1 Staphylococcus aureus (S. aureus) Staphylokinase Dieses Enzym bildet aus Plasminogen Plasmin
(Syn.: Fibrinolysin). Plasmin lysiert die Fibrinkapsel, die sich in der
Steckbrief frühen Phase um den Abszess durch Koagulasewirkung gebildet hat.
Die Staphylokinase ermöglicht als Virulenzfaktor die schubweise
S. aureus verursacht oberflächliche und tief-invasive eitrige In- weitere Ausbreitung der Erreger im infizierten Gewebe.
fektionen, Sepsis und Endokarditis sowie Intoxikationen. Bei der
Pathogenese wirken zahlreiche Virulenzfaktoren zusammen. Da- DNase Diese thermostabile, DNA- und RNA-spaltende Nuklease
rüber hinaus bilden einige Stämme spezifische Toxine, die je- erleichtert die Ausbreitung der Erreger im Gewebe. Daneben kommt
weils für Brechdurchfall, das »toxic shock syndrome« (TSS) bzw. ihr eine diagnostische Bedeutung zu, da sie nur bei S. aureus und bei
»staphylococcal-scalded skin syndrome« (SSSS) (Schälblasen- wenigen koagulasenegativen Staphylokokkenarten vorkommt.
syndrom) verantwortlich sind. In den vergangenen Jahren wer-
den vermehrt Pneumonien und Haut-Weichteil-Infektionen mit Lipasen Sie beteiligen sich wahrscheinlich an der Ausbreitung der
Staphylococcus-aureus-Stämmen beobachtet, die das Panton- Erreger im Gewebe.
Valentine-Leukozidin exprimieren.
Hyaluronidase In ähnlicher Weise wie der »spreading factor« der
A-Streptokokken (7 Kap. 25) baut dieses Enzym interzelluläre
Hyaluronsäure ab und trägt ebenfalls zur Ausbreitung der Staphylo-
kokkeninfektion bei.

Hämolysine 4 membranschädigende Hämolysine sind bekannt:


α-, β-, γ-, δ-Hämolysin (oder -Toxin). Ein Stamm kann 0–4 Hämo-
lysintypen bilden. Als Virulenzfaktoren zerstören sie Erythrozyten,
aber auch andere Säugetierzellen und schädigen so das Gewebe.
α-Hämolysin zerstört Phagozyten und behindert damit die Phago-
zytose.
Staphylococcus aureus:
grampositive Haufenkokken in Eiter, entdeckt 1878 von Robert Koch, Leukozidin Dieser Virulenzfaktor (Syn.: Panton-Valentine-Leuko-
abgegrenzt 1884 von F. J. Rosenbach zidin, PVL) zerstört polymorphkernige Granulozyten und Makro-
phagen und beeinträchtigt so ebenfalls die Phagozytose.

24.1.1 Beschreibung Staphylokokken-Enterotoxine (SE) Sie verursachen Durchfälle


und Erbrechen. Die untereinander homologen 30-kDa-Proteine
jAufbau wirken als Superantigene (7 Kap. 3). Sie werden durch Trypsin im
Zellwand Sie besteht aus einer dicken, mehrlagigen Peptidoglykan- oberen Magen-Darm-Trakt nur geringfügig abgebaut und lassen
schicht. Ein zellwandständiges Protein ist der als Rezeptor für Fibri- sich durch Erhitzen bei 100 °C für 30 min nicht sicher inaktivieren.
nogen wirkende »clumping factor« (C. F.). Als Virulenzfaktor ver- Es gibt 11 immunologische Varianten (SEA, SEB, SEC1-SEC3, SED-
mittelt er die Bindung von Staphylokokken an Fibrinogen in verletz- SEJ) – SEA ist für die meisten Fälle von staphylokokkenbedingter
Bakteriologie

tem Gewebe, auf medizinischen Implantaten sowie Kathetern, an die Nahrungsmittelvergiftung verantwortlich.
sich zuvor Fibrinogen angelagert hat. Der Wirkungsmechanismus der Enterotoxine ist ungeklärt. Den
Die meisten S. aureus-Stämme bilden Protein A, das mit der heftigen Brechreiz würde erklären, dass sie die Endigungen des
Peptidoglykanschicht verbunden ist. Dieses bindet das Fc-Stück N. vagus im Magen schädigen. Eine andere Hypothese führt die Wir-
insbesondere von Immunglobulinen der Unterklassen IgG1, IgG2 kungen auf ihre Eigenschaft als Superantigene zurück. So könnten
und IgG4. Dadurch können die Immunglobuline nicht mehr vom die SE in der Blutbahn über eine polyklonale T-Zell-Aktivierung die
Fc-Rezeptor der Phagozyten gebunden werden: Protein A behindert Freisetzung von IL-2 aus T-Zellen und von TNF-α aus Makrophagen
als Virulenzfaktor die Opsonisierung und damit die Phagozytose auslösen. IL-2 verursacht ähnlich wie die SE Erbrechen, Übelkeit
(7 Abschn. 13.1). und Fieber. SE sind eng verwandt mit den pyrogenen Exotoxinen
von Streptokokken (7 Kap. 25).
Kapsel Einige Stämme von S. aureus bilden eine Kapsel aus Polyme-
ren der Glukosaminuronsäure oder Mannosaminuronsäure. Die Toxic-Shock-Syndrom-Toxin 1 (TSST-1) Dieses Toxin wird von ein-
Kapsel behindert als Virulenzfaktor die Phagozytose. zelnen, zur TSST-1-Bildung befähigten Stämmen insbesondere in
aerobem Milieu und bei Mg2+-Mangel produziert. Auch dieses Toxin
jExtrazelluläre Produkte ist ein Superantigen, d. h. es bewirkt eine polyklonale CD4-T-Zell-
Freie Koagulase Dieses Protein besitzt für sich allein keine Enzy- Aktivierung mit unkoordinierter Freisetzung von TNF-α und IL-2:
maktivität. Es bindet an Prothrombin und der entstandene Komplex Daraus resultiert das »toxic shock syndrome« (TSS).
wirkt proteolytisch. Er löst direkt, d. h. unter Umgehung der Throm-
binbildung, die Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin aus. Auf Exfoliatine Die Exfoliatine A und B verursachen das »staphylococ-
diese Weise ist die freie Koagulase als Virulenzfaktor an der Bildung cal scalded skin syndrome« (SSSS). Diese Serinproteasen binden sich
der charakteristischen Fibrinkapsel um Läsionen durch S. aureus an Zytoskelettproteine (Filaggrine) und lockern die Desmosomen:
herum beteiligt, v. a. beim Abszess. Sie ist somit verantwortlich für Innerhalb der Epidermis löst sich das Stratum corneum vom Stra-
das Charakteristikum von S. aureus, lokalisierte Läsionen zu erzeu- tum granulosum und es entstehen die für das SSSS charakteristi-
gen. Diagnostisch ist die Koagulasebildung das Hauptmerkmal für schen Blasen.
die Speziesbestimmung von S. aureus.
24.1 · Staphylococcus aureus (S. aureus)
189 24
jResistenz gegen äußere Einflüsse fektionen durch S. aureus resultiert daraus, dass in Wunden entspre-
S. aureus gehört zu den widerstandsfähigsten humanpathogenen chende Liganden in hohem Ausmaß vorhanden sind (. Abb. 24.2A).
Bakterien überhaupt. Er übersteht Hitzeeinwirkung von 60 °C über
30 min; erst bei höheren Temperaturen bzw. längerer Expositions- Invasion DNase, Phospholipasen, Kollagenasen, Lipase und Hyalu-
dauer wird er abgetötet. S. aureus passiert den Magen und Darm und ronidase unterstützen die Invasion: Der Erreger kann tiefer in das
erscheint lebend im Stuhl. Aus getrockneten klinischen Materialien Gewebe eindringen und dort mehr Adhäsinliganden erreichen
und aus Staub lassen sich die Erreger noch nach Monaten isolieren (. Abb. 24.2B).
(»Trockenkeim«). Die hohe Tenazität ist ein Grund für die rasche Bestandteile der Zellwand, insbesondere Teichonsäure und Pep-
Verbreitung von S. aureus im Krankenhaus, den Staphylokokken- tidoglykan (Murein), aktivieren Komplement (7 Kap. 9): Es entste-
Hospitalismus. hen die chemotaktischen Faktoren C3a und C5a, sodass in der Folge
polymorphkernige Granulozyten in den Herd einwandern und die
jVorkommen Eiterbildung in Gang bringen (. Abb. 24.2C).
S. aureus kolonisiert bei 20–50 % der gesunden Normalbevölkerung
die Haut, insbesondere im Bereich des vorderen Nasenvorhofs und Etablierung Bei der Abwehr der Phagozytose im Gewebe kommt
des Perineums, seltener Kolon, Rektum und Vagina. Häufig erfolgt der Fibrinkapsel, die durch Koagulasewirkung entsteht, als mecha-
die Besiedlung bereits in der Neugeborenenperiode. nischer Barriere eine wesentliche Rolle zu. Zudem behindern die
Besondere Bedeutung kommt dem Erreger deshalb zu, weil über Zerstörung von Phagozyten durch Leukozidin und α-Toxin sowie
80 % aller Stämme im Krankenhaus Penicillinase bilden und daher die Blockade des Fc-Rezeptors durch Protein A die Phagozytose
gegen Penicillin G und die meisten seiner Derivate resistent sind. (. Abb. 24.2C).
Seit 1962 sind methicillinresistente S. aureus-Stämme, sog. MRSA-
Stämme, aufgetaucht, die gegen alle β-Laktam-Antibiotika resistent Gewebeschädigung Beispielhaft für eine lokal begrenzte S. aureus-
sind (7 Kap. 94 bis 7 Kap. 97). Läsion ist der Abszess. Zunächst entsteht durch Koagulasewirkung
die Fibrinkapsel, welche die Staphylokokken gegen die Umgebung
abgrenzt. Granulozyten gruppieren sich um den Herd. Nachdem sie
24.1.2 Rolle als Krankheitserreger die Nährstoffe im Inneren des Herdes verbraucht haben, lösen die
Staphylokokken mittels Staphylolysin die Fibrinkapsel auf, sodass sie
kEpidemiologie sich weiter ausbreiten können. Dies erlaubt den Granulozyten den
S. aureus verursacht 70–80 % aller Wundinfektionen, 50–60 % aller Zugriff auf die freigesetzten Bakterien, diesen aber die erneute Ver-
Osteomyelitiden, 15–40 % aller Gefäßprotheseninfektionen, bis zu mehrung.
30 % aller Fälle von Sepsis und Endokarditis und 10 % aller Pneumo- Gleichzeitig baut sich eine neue Fibrinkapsel auf. Im Inneren des
nien (ambulant und nosokomial). Er ist damit einer der häufigsten Herdes zerstören die bakteriellen Hämolysine, Leukozidin, DNase
bakteriellen Erreger sowohl ambulant erworbener als auch nosoko- und Kollagenase sowie gewebeabbauende Substanzen aus den zer-
mialer Infektionen. fallenden Granulozyten das Gewebe: Es resultiert die charakteristi-
sche Abszesshöhle, wobei sich der Herd in Schüben vergrößert
kÜbertragung (. Abb. 24.2D).
Typischerweise wird S. aureus durch Schmierinfektion übertragen.
Im Krankenhaus erfolgt die Übertragung von S. aureus zumeist Persistenz Bei chronischen Infektionen wie Knocheninfektionen
durch den direkten Kontakt zwischen Patienten, Ärzten und Pflege- (Osteomyelitis), Infektionen von Endoprothesen und einigen For-
personal über die Hand, z. B. bei der Versorgung von Wunden. Häu- men der Endokarditis kommen »small colony variants« von S. aure-
fig entstehen die Infektionen auch endogen, d. h. von Haut oder us vor, die sich durch deutlich verzögertes und morphologisch ver-
Schleimhaut des Patienten selbst ausgehend. ändertes Wachstum auszeichnen. Dadurch sind sie schwieriger zu
diagnostizieren als normale S. aureus-Bakterien. Zurückzuführen ist
kPathogenese das langsame und veränderte Wachstum auf Stoffwechseldefekte, die
Disponierende Faktoren Lokale und systemische disponierende insbesondere zu verändertem Elektronentransport führen, was u. a.
Faktoren begünstigen Infektionen durch S. aureus. Neben Kathe- eine geringere Empfindlichkeit gegenüber einigen Antibiotika (be-
tern, Trachealkanülen und Fremdkörperimplantaten spielen ver- sonders Aminoglykoside) zur Folge hat.
minderte Granulozytenzahl bei Patienten unter Chemotherapie
oder funktionelle Phagozytendefekte, z. B. bei Diabetes mellitus oder kKlinik
der chronischen Granulomatose, eine Rolle. Auch vorgeschädigte S. aureus-Infektionen lassen sich in 3 Gruppen einteilen (. Tab. 24.2):
Haut, z. B. bei Psoriasis, atopischer Dermatitis oder Unterschenkel- 4 Lokalinfektionen, die oberflächlich-eitrig, aber auch tief-invasiv
ulkus, ist eine potenzielle Eintrittspforte für S. aureus. verlaufen können
4 Sepsis
Zielgewebe S. aureus kolonisiert primär Haut und Schleimhäute. 4 toxinbedingte Syndrome

Gewebereaktion S. aureus verursacht vorwiegend eitrige Lokal- Pyodermien Häufig spielt sich die Infektion an der Haut oder ihren
infektionen der Haut. Von dort ausgehend kann es zur Sepsis mit Anhangsorganen ab und tritt dann als Abszess in Erscheinung. Ent-
Befall praktisch aller Organe kommen. wickelt sich die Infektion an der Wurzel eines Haarbalgs (Follikulitis;
. Abb. 24.3), entsteht ein Furunkel. Verschmelzen mehrere Furunkel
Adhärenz Bei der Verankerung wirken hydrophobe Interaktionen miteinander, entsteht ein Karbunkel. Furunkel und Karbunkel fin-
und Adhäsine wie Teichonsäure, der fibrinogenbindende »clumping den sich v. a. an Nacken, Axilla oder Gesäß. Befindet sich der Furun-
factor« (7 Abschn. 24.1.1), thrombin-, fibronektin-, kollagen- und kel im Nasen- oder Oberlippenbereich, besteht wegen der anatomi-
lamininbindende Proteine zusammen. Die Häufigkeit von Wundin- schen Verhältnisse die Gefahr einer lebensbedrohlichen eitrigen
190 Kapitel 24 · Staphylokokken

B C

D
Bakteriologie

. Abb. 24.2A–D Pathogenese der Staphylokokken-Eiterung. A Adhärenz; B Invasionsfaktoren; C Etablierung, Abwehr der Phagozytose; D Komplement-
aktivierung, Eiterbildung

Thrombophlebitis der V. angularis. Rezidivierende Furunkel und


Karbunkel treten gehäuft bei Patienten mit konsumierenden Grund-
erkrankungen, Stoffwechselkrankheiten (z. B. Diabetes mellitus)
und Immundefekten (z. B. Leukämie) in Erscheinung und können
der erste Hinweis auf das Vorliegen solcher Erkrankungen sein.

Impetigo contagiosa (Borkenflechte) Diese auch als kleinblasige


Form der Impetigo (7 s. u. Pemphigus) bezeichnete hochkontagiöse
oberflächliche Hautinfektion tritt vorwiegend bei Kindern auf. In
80 % aller Fälle wird sie durch A-Streptokokken (7 Kap. 25) hervor-
gerufen, in etwa 20 % durch S. aureus. In den Herden können sich
auch beide Erreger finden. Typisch sind eitrige Hautbläschen, sog.
Impetigopusteln, die bald nach Entstehen unter Hinterlassung einer
charakteristischen »honiggelben« Kruste platzen. Die Bläschen ent-
halten massenhaft Erreger.

Infektionen der Hautanhangsorgane Gefürchtet wegen der Ge-


fahr der schnellen Abszedierung, der Sepsis und der Neugeborenen-
infektion ist die Mastitis puerperalis stillender Mütter, eine eitrige
Entzündung der Milchgänge der laktierenden Brust. . Abb. 24.3 Follikulitis durch Staphylococcus aureus
24.1 · Staphylococcus aureus (S. aureus)
191 24
Die eitrige Parotitis ist fast immer durch S. aureus ausgelöst, Differenzialdiagnostisch ist das SSSS vom Lyell-Syndrom abzu-
ebenso die Dakryozystitis, eine eitrige Entzündung der Tränen- grenzen, das allergisch bedingt und daher ganz anders, d. h. mit Kor-
drüse, und das Hordeolum (Gerstenkorn), eine akute Infektion der tikosteroiden, jedoch nicht mit Antibiotika zu behandeln ist.
Lidranddrüsen.
»Toxic shock syndrome« (TSS) 3 Hauptsymptome definieren das
Postoperative und posttraumatische Wundinfektionen Als post- schwere Krankheitsbild (. Abb. 24.4):
operative Komplikationen sind sie in der Chirurgie gefürchtet. In 4 Fieber über 38,9 °C
erster Linie übertragen Ärzte und Pflegepersonal die Erreger. Kurze 4 diffuses makuläres Exanthem, besonders an Handflächen und
OP-Dauer und sachgerechtes Operieren tragen dazu bei, postopera- Fußsohlen, nach 1–2 Wochen übergehend in Hautschuppun-
tive Wundinfektionen zu verhüten. gen, die sich am ganzen Körper ausbilden können
4 Hypotonie (< 90 mmHg systolisch)
Osteomyelitis Die Osteomyelitis bei Neugeborenen entsteht meis-
tens hämatogen über infizierte Katheter und befällt vorwiegend das Zudem sind definitionsgemäß mindestens 3 der folgenden Organ-
Mark der langen Röhrenknochen der unteren Extremitäten. In 50 % systeme beteiligt:
der Fälle lässt sich der Erreger aus Blutkulturen isolieren. Bei Er- 4 Gastrointestinaltrakt: Erbrechen, Übelkeit, Diarrhö
wachsenen ist eine Osteomyelitis häufig in den langen Röhrenkno- 4 Muskulatur: Myalgien mit Erhöhung des Serumkreatinins bzw.
chen und in den Wirbelkörpern lokalisiert. der Phosphokinase
4 Schleimhäute: vaginale, oropharyngeale, konjunktivale
Hyperämie
Pneumonie, Lungenabszess Dem Lungenabszess und der Pneu-
4 Nieren: Erhöhung von Harnstoff und/oder Kreatinin im
monie gehen häufig Schädigungen durch Virusinfektionen, Aspira-
Serum, Pyurie ohne Nachweis einer Harnweginfektion
tion, Immunsuppression oder Trauma voraus. PVL-exprimierende
4 Leber: Erhöhung von Transaminasen, Bilirubin und alkalischer
Stämme können besonders dramatisch verlaufende Pneumonien
Phosphatase
verursachen.
4 ZNS: Desorientiertheit, Bewusstseinsstörung

Empyeme Dies sind Eiteransammlungen in natürlichen Körper- Das TSS wurde 1978 in den USA bei jungen Frauen beschrieben.
höhlen. Am häufigsten sind Pleura-, Perikard-, Peritoneal- , Gelenk-, Diese hatten neuartige, hochgradig saugfähige Vaginaltampons be-
Nebenhöhlen- und Nierenbeckenempyem. Je nach Lage werden die nutzt, die seltener gewechselt werden mussten als übliche Tampons.
Empyeme auch als eitrige Pleuritis, Perikarditis etc. bezeichnet. Normalerweise findet sich S. aureus nur in geringen Mengen in
der Vaginalflora, da der Erreger sich gegen die Laktobazillenflora
Sepsis, Endokarditis 30 % aller Sepsisfälle werden von S. aureus nicht behaupten kann. Die Tampons bildeten jedoch eine Nische, in
hervorgerufen. Die Sepsis kann von primär extravasalen Herden der sich S. aureus vermehren und ggf. TSST-1 produzieren konnte.
(Abszesse, Wunden, Osteomyelitis, Pneumonie) ausgehen, ihren Ur- Das TSST-1 gelangte aus den Tampons in die Blutbahn und löste das
sprung aber auch in intravasalen Herden haben, etwa nach Legen TSS aus.
eines i. v. Katheters oder durch kontaminiertes Injektionsbesteck bei Nachdem die Tampons vom Markt genommen waren, ver-
i. v. Drogenabusus. Sie entwickelt sich bei Patienten mit intravasalen schwand das TSS jedoch nicht, sondern fand sich auch bei Patienten,
Kathetern fast immer aus einer sekundär entstandenen eitrigen die an anderen Stellen mit S. aureus infiziert waren. TSST-1 löst als
Thrombophlebitis. Häufig besteht bei S. aureus-Sepsis eine ulzerie- Superantigen eine »Hyperinflammation« durch die Freisetzung
rende Endokarditis mit destruktiven Klappenveränderungen, sodass einer Kaskade inflammatorischer und proinflammatorischer Zyto-
bei S. aureus-Sepsis nach einer Endokarditis gesucht werden soll. kine aus.
Eine Endokarditis an der Trikuspidalklappe ist für i. v. injizierende
Drogenabhängige typisch. Staphylogene Nahrungsmittelvergiftung Gelangen enterotoxin-
bildende S. aureus-Stämme von Trägern in in Nahrungsmittel, ins-
»Staphylococcal scalded skin syndrome« (SSSS) Im Anschluss an besondere in Milch oder Milchprodukte, Eier, Fleisch und Soßen,
eine Otitis, Pharyngitis oder eitrige Konjunktivitis durch exfoliatin- können sie dort Enterotoxine produzieren. 4–6 h nach Aufnahme
bildende S. aureus-Stämme kann sich am ganzen Körper ein schar- der toxinhaltigen Nahrungsmittel klagen die Patienten über Übel-
lachförmiges Exanthem, nach weiteren 24–48 h eine großflächige keit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Diarrhö. Am häufigsten ist
Blasenbildung intraepidermal zwischen Stratum corneum und Stra- dafür Enterotoxin A verantwortlich. Gewöhnlich bilden sich die
tum granulosum ausbilden. Der Inhalt der Blasen ist zunächst klar Symptome innerhalb von 24 h zurück
und trübt sich nach Einwanderung von Zellen schnell ein. Die Bla-
sen platzen und die Haut löst sich ab (Epidermolysis acuta toxica, kImmunität
Schälblasensyndrom, Dermatitis exfoliativa neonatorum Ritter von Als typischer Eitererreger wird S. aureus durch Phagozytose im Zu-
Rittershain). sammenwirken mit spezifischen Antikörpern und Komplement be-
Der Name leitet sich ab von »scald« (verbrühen), da die Läsionen kämpft. Umgekehrt versteht es der Erreger, die Phagozyten durch
verbrühter Haut ähneln. Die Erkrankung tritt im frühen Säug- Leukozidin und α-Hämolysin zu schädigen und sich der Phagozyto-
lingsalter auf. Die Blasen enthalten keine Erreger, weil sie durch se auf diese Weise oder aber durch Blockade des IgG über Protein A
Fernwirkung der Toxine entstehen (Ausnahme: Pemphigus neo- und durch den Aufbau einer Fibrinkapsel mittels Koagulasewirkung
natorum). In seltenen Fällen werden auch immungeschwächte zu entziehen. Eine Infektionsimmunität kommt daher nach einer
Erwachsene befallen. Als primäre Infektionsquellen kommen sta- S. aureus-Infektion trotz Vorhandenseins spezifischer Antikörper
phylokokkentragendes Pflegepersonal oder Patienten mit S. aureus- nicht zustande.
Infektionen in Betracht, bei Neugeborenen auch die erregertragende
Mutter.
192 Kapitel 24 · Staphylokokken
Bakteriologie

. Abb. 24.4 Pathogenese des »staphylococcal toxic shock syndrome«

kLabordiagnose Transport Wegen der hohen Tenazität des Erregers sind keine be-
Der Schwerpunkt der Labordiagnose liegt in der Anzucht des Erre- sonderen Maßnahmen für den Materialtransport erforderlich.
gers, dem Nachweis der Koagulasebildung sowie in der Empfind-
lichkeitsbestimmung. Mikroskopie Die mikroskopische Untersuchung der Proben erlaubt
häufig schon eine Verdachtsdiagnose.
Untersuchungsmaterialien Je nach Lokalisation des Krankheits-
prozesses eignen sich Eiter, Sputum, Abstriche, Blut bzw. Liquor Anzucht Das Material wird auf Blutagar angelegt und bei 37 °C für
cerebrospinalis sowie entnommene Katheterspitzen bzw. Endopro- 18–24 h aerob bebrütet.
thesen.
24.1 · Staphylococcus aureus (S. aureus)
193 24
Differenzierung Sie erfolgt klassisch über den Nachweis der Bil- 4 Zur kalkulierten Initialtherapie vor Erregernachweis und An-
dung freier Koagulase: In NaCl-Lösung aufgeschwemmte Staphylo- tibiogramm verordnet man, sofern eine Beteiligung von S. au-
kokken werden in EDTA-Plasma von Kaninchen eingebracht. Im reus vermutet wird, ein Cephalosporin der 2. Generation (z. B.
positiven Falle koaguliert das Plasma innerhalb von 4 h. Eine häufig Cefuroxim) oder ein gegen β-Laktamase geschütztes Penicillin.
genutzte Alternative ist der Nachweis des Fibrinogenrezeptors 4 Zur gezielten Behandlung nach Erregernachweis und Erstel-
(»clumping factor«). Auch die DNase-Bildung wird diagnostisch lung eines Antibiogramms eignet sich in erster Linie ein peni-
herangezogen. cillinasefestes Penicillin (Oxa-, Dicloxa-, Flucloxacillin). Für
Infektionen durch MRSA-Stämme stehen als Reservemittel
Brechdurchfall Finden sich bei entsprechender Anamnese mehr Vancomycin, Teicoplanin und Linezolid zur Verfügung.
als 106 Erreger pro g in Lebensmitteln, gilt eine staphylokokken-
bedingte Ätiologie der Nahrungsmittelvergiftung als gesichert. Die Gezielte Endokarditistherapie Hier besteht die Therapie der Wahl,
Nahrungsmitteluntersuchungen erfolgen v. a. unter forensischen sofern S. aureus nachgewiesen ist, in einer Kombination aus einem
und seuchenhygienischen Gesichtspunkten. penicillinasefesten Penicillin (4–6 Wochen) und Gentamicin
(3–5 Tage), wobei auf die korrekte Dosierung zu achten ist Bei
Diagnose des TSS Hier beruht die Diagnose in erster Linie auf der MRSA-Stämmen gelangen die Reserveantibiotika Vancomycin oder
klinischen Symptomatik (7 s. o.) in Verbindung mit dem Nachweis Teicoplanin zum Einsatz (4–6 Wochen) üblicherweise ebenfalls in
toxinbildenden S. aureus im Vaginal- bzw. Zervixabstrich oder in Kombination mit einem Aminoglykosid.
sonstigem Material. Entscheidend ist, dass der Arzt die Verdachts-
diagnose klinisch stellt! SSSS Eine Therapie mit penicillinasefesten Penicillinen oder Ce-
phalosporinen der 2. Generation (Cefuroxim) bzw. als Reservemittel
kTherapie Vancomycin oder Teicoplanin bei MRSA-Stämmen ist unumgäng-
Antibiotikaempfindlichkeit S. aureus ist primär empfindlich ge- lich! Außerdem muss der zugrunde liegende Lokalinfektionsherd
genüber β-Laktam-Antibiotika, also Penicillinen, Cephalosporinen saniert werden.
(Ausnahme: Ceftazidim) und Carbapenemen, des Weiteren Makro-
liden sowie Clindamycin, Fosfomycin, Glykopeptiden (Vancomycin, TSS Sie besteht in folgenden Maßnahmen:
Teicoplanin), Rifampicin, Fusidinsäure und Linezolid. 4 Schockbekämpfung durch allgemeine Maßnahmen
Unter dem Selektionsdruck der Penicilline haben sich penicilli- 4 chirurgischer Herdsanierung und Therapie mit geeignetem
nasebildende Stämme durchgesetzt, sodass v. a. in Krankenhäusern Antibiotikum; Clindamycin soll in vitro die Produktion von
bis zu 90 % aller Stämme Penicillinasen bilden. Sie hydrolysieren TSST-1 unterdrücken und wird daher von einigen Autoren
sämtliche Penicillinabkömmlinge mit Ausnahme der Isoxazolylpe- zusätzlich empfohlen
nicilline (Oxacillin, Dicloxacillin, Flucloxacillin). Die Penicillinase-
bildung ist bei den meisten Stämmen plasmidkodiert. Im Gegensatz Brechdurchfall Eine Kausaltherapie gibt es nicht, die Antibiotika-
zu den β-Laktamasen gramnegativer Bakterien werden die Penicil- gabe ist sinnlos. Bei sehr alten oder sehr jungen Patienten können
linasen von S. aureus ins umgebende Medium abgegeben. Durch die kreislaufstabilisierende Maßnahmen erforderlich werden.
Zugabe eines Penicillinaseblockers (z. B. Clavulansäure, Sulbactam,
Tazobactam) lässt sich die Wirksamkeit der Penicilline gegen kPrävention
S. aureus wiederherstellen. Allgemeine Maßnahmen Träger von S. aureus (Ärzte und Pflege-
Ein weiterer Resistenzmechanismus beruht darauf, dass der Er- personal) müssen in Operationssälen, Neugeborenenstationen und
reger ein zusätzliches, meist durch das mec-A-Gen kodiertes peni- beim Umgang mit abwehrgeschwächten Patienten besondere Vor-
cillinbindendes Protein) 2 (PBP2a) besitzt, an das sich β-Laktam- sicht walten lassen. Patienten mit Staphylokokkeneiterungen, SSSS
Antibiotika nur schwach binden (7 Kap. 22). Diese Form der Resis- oder TSS sind von Risikopatienten fernzuhalten. Hygienische Hän-
tenz findet sich bei den MRSA (Methicillin-resistente Staphylo- dedesinfektion, Tragen eines Mundschutzes, Sprechdisziplin, Sorg-
coccus  aureus)-Stämmen. Letztere sind neben Penicillinen auch falt beim Verbandswechsel, Staubbekämpfung, Einwegwäsche und
gegen Cephalosporine und Carbapeneme resistent. Häufig zeigen sauberes, rasches und gewebeschonendes Operieren tragen dazu bei,
MRSA-Stämme zusätzlich Resistenzen gegen Antibiotika anderer Infektionen durch S. aureus einzuschränken.
Substanzklassen (nicht β-Laktame) und stellen deshalb eine be-
sondere Gefahr in Krankenhäusern dar. Ihr Auftreten schränkt die MRSA-Problematik MRSA-Stämme stellen den Kliniker wegen
Therapieoptionen erheblich ein. In Deutschland sind etwa 30 % ihrer multiplen Antibiotikaresistenz vor besondere Probleme. Es ist
(Wert schwankt lokal stark) aller Krankenhausisolate von S. aureus üblich, MRSA-tragende Patienten zu isolieren, bei nasaler Kolonisa-
MRSA. tion kann mit Mupirocinsalbe eine (zeitweise) Elimination erreicht
Für Infektionen durch MRSA-Stämme stehen als Therapeutica werden. Die Besiedlung der Haut kann durch Körperwaschungen
Vancomycin, Teicoplanin und Linezolid zur Verfügung. Die Aus- mit desinfizierender Seife reduziert werden.
breitung der Erreger wird durch strenge Hygienemaßnahmen und
Isolierung der Patienten vermieden. Meldepflicht Der Verdacht auf und die Erkrankung an einer
mikrobiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder einer akuten in-
Lokal-oberflächliche Eiterungen Die Therapie des Abszesses be- fektiösen Gastroenteritis ist namentlich zu melden, wenn (§ 6 IfSG)
steht primär in der chirurgischen Sanierung, d. h. Abszessspaltung 4 eine Person spezielle Tätigkeiten (Lebensmittel-, Gaststätten-,
bzw. bei Wundinfektionen in der Fremdkörperentfernung; Antibio- Küchenbereich, Einrichtungen mit/zur Gemeinschaftsverpfle-
tikatherapie kann unterstützend wirken. gung) ausübt oder
4 2 oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen
Tief-invasive Infektionen Sie bedürfen neben evtl. chirurgischen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder ver-
Maßnahmen der systemischen Antibiotikatherapie: mutet wird.
194 Kapitel 24 · Staphylokokken

MRSA-Infektionen sind zu melden, sofern es sich um Sepsis oder jVorkommen


Meningitis handelt oder 2 oder mehr gleichartige Erkrankungen auf- S. epidermidis ist ein Hauptbestandteil der physiologischen Haut-
treten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich und Schleimhautflora.
ist oder vermutet wird.

24.2.2 Rolle als Krankheitserreger


24.2 Koagulasenegative Staphylokokken (KNS):
Staphylococcus epidermidis kEpidemiologie
Die Fortschritte der modernen Medizin, welche die Zahl abwehr-
Steckbrief geschwächter Patienten stark vermehrt haben, und der Einsatz
von Kunststoffmaterialien haben S. epidermidis zu einem fakul-
Die koagulasenegativen Staphylokokken (KNS) (. Tab. 24.1) tativ  pathogenen Krankheitserreger im Krankenhaus werden
unterscheiden sich von S. aureus dadurch, dass sie weder lassen.
Koagulase bilden noch eine Reihe von Virulenzfaktoren expri- Er verursacht bis zu 40 % der Endokarditiden durch künstliche
mieren, die bei S. aureus vorkommen. Herzklappen; 10–30 % aller gelegten Katheter werden von S. epider-
Von den zahlreichen KNS-Arten ist S. epidermidis v. a. als Erre- midis besiedelt, was zur Infektion führen kann. Ebenso verursacht
ger der Endoplastitis, d. h. von Infektionen im Zusammenhang S. epidermidis 50 % der Shunt-assoziierten Meningitiden, 50 % der
mit der Verwendung von Kunststoffimplantaten, gefürchtet Peritonitiden bei Peritonealdialyse und 50 % der Gelenkimplanta-
(. Tab. 24.2). tinfektionen. Zudem ist er ein wichtiger Erreger der Sepsis bei Früh-
Staphylococcus lugdunensis ist als Erreger einer besonders geborenen.
schweren Endokarditis gefürchtet. Der Verlauf dieser Infektion Erregerreservoir sind patienteneigene sowie vom Krankenhaus-
ähnelt bei S. lugdunensis eher der durch S. aureus als der durch personal getragene Stämme von S. epidermidis.
S. epidermidis.
Staphylococcus saprophyticus ist ein Erreger von Harnweginfek- kÜbertragung
tionen insbesondere bei jungen Frauen. Sie erfolgt beim Einbringen von Implantaten aus Kunststoff, z. B.
Herzklappen, Gelenkprothesen oder Kathetern. Transkutane Ka-
theter können auch nach dem Legen von der physiologischen Flora
an der Durchtrittsstelle besiedelt werden: Die Bakterien gelangen
rasch entlang der Außenseite des Katheters in die Tiefe des Haut-
tunnels.

kPathogenese
Adhärenz S. epidermidis adhäriert mittels verschiedener Ober-
flächenmoleküle, insbesondere des Polysaccharids PIA und des
Proteins AtlE an der Katheteroberfläche. Rauigkeiten des Katheter-
materials begünstigen die Adhäsion.
Staphylococcus epidermidis:
Bakteriologie

grampositive Haufenkokken Etablierung Binnen weniger Stunden bildet sich ein Biofilm aus
Polysaccharidschleim, in dem sich die Staphylokokken vermehren.
Er wirkt als physikalische Barriere gegen die Wirtsabwehr und be-
24.2.1 Beschreibung hindert den Zutritt von Antibiotika.

jAufbau Invasion Vom besiedelten Implantat/Katheter können sich die Sta-


Murein S. epidermidis besitzt wie S. aureus eine mehrlagige phylokokken ablösen und ausbreiten. Liegt der Katheter in einer
Mureinschicht: Funktionell bedeutsam sind das oberflächliche sterilen Körperhöhle (Liquor-Ventrikel-System: AV-Shunt, Perito-
»polysaccharide intercellular adhesin« (PIA), Proteine und Hämag- neum: Intraperitonealkatheter bei kontinuierlicher ambulanter Pe-
glutinine; sie vermitteln die Adhärenz. ritonealdialyse [CAPD]), entsteht dort eine eitrige Entzündung:
Meningitis bzw. Peritonitis (CAPD-Peritonitis). Von intravasalen
Resistenzplasmide Praktisch bedeutsam ist das häufige Vorkom- Kathetern und Implantaten aus kann der Erreger hämatogen gene-
men von Plasmiden mit zahlreichen Genen für Antibiotikaresistenz- ralisieren: katheterassoziierte Sepsis. Neben mit Plastikmaterialien
faktoren. Diese Plasmide sind auf andere Staphylokokken inklusive assoziierten Infektionen treten Infektionen bei unreifen Neugebore-
S. aureus übertragbar. nen auf.

jExtrazelluläre Produkte Gewebeschädigung Die lokale Entzündungsreaktion wird wahr-


Polysaccharidschleim S. epidermidis sezerniert nach der Adhärenz scheinlich durch Zellwandbestandteile der Staphylokokken (Murein,
an Kunststoffmaterialien Polysaccharide, die eine Schleimschicht im Teichonsäure) induziert. Implantate, z. B. künstliche Herzklappen,
Sinne eines Biofilms bilden. In diesem bildet der Erreger Kolonien können aufgrund der Entzündungsreaktion abgestoßen werden.
und ist vor Phagozyten und Antibiotika geschützt.
kKlinik
jResistenz gegen äußere Einflüsse Die Durchtrittsstelle des Implantats an der Haut weist Entzündungs-
S. epidermidis ist ebenso wie S. aureus hochresistent gegenäußere zeichen wie Rötung, Schwellung und Überwärmung auf. Infektionen
Einflüsse wie Austrocknung, Hitze, und Trockenheit. um tiefer gelegene Implantate äußern sich durch Schmerzen, Locke-
24.3 · Staphylococcus saprophyticus
195 24
rungen bzw. Fehlfunktionen des Implantates. Je nach Lokalisation Die gezielte Therapie erfolgt nach Antibiogramm, dessen Er-
des Entzündungsprozesses entstehen stellung sich hier als besonders notwendig erweist, um einem unge-
4 eine Shunt-Meningitis mit Kopfschmerzen und Meningismus- rechtfertigten Einsatz der Reserveantibiotika vorzubeugen. Aus dem
zeichen, gleichen Grund sei nochmals die besondere Bedeutung der sachge-
4 eine CAPD-Peritonitis mit Bauchschmerzen und Abwehr- rechten Interpretation der Anzucht von S. epidermidis erwähnt.
spannung,
4 eine Endophthalmitis nach Linsenimplantation mit Schmerzen kPrävention
im Auge und Sehstörungen oder Für die Verhütung von Infektionen durch KNS ist die sorgfältige
4 eine Prothesenlockerung nach Gelenkimplantation mit Einhaltung der allgemeinen Regeln der Krankenhaushygiene erfor-
Schmerzen, Schwellung und Fehlstellungen. derlich. Ebenso müssen die prädisponierenden Faktoren (Katheter!)
Bei Sepsis und Endokarditis ist Fieber das Leitsymptom. schnellstmöglich beseitigt oder mindestens reduziert werden.

kImmunität
Die Abwehr koagulasenegativer Staphylokokken beruht auf der Pha- 24.3 Staphylococcus saprophyticus
gozytose durch polymorphkernige Granulozyten, unterstützt durch
die Opsonisierung durch Komplement und Antikörper. Harnweginfektionen Über die Pathogenese bestehen nur bruch-
stückhafte Kenntnisse. Oberflächenproteine, z. B. Hämagglutinin,
kLabordiagnose sind an der Adhärenz beteiligt, eine Urease an der Invasion.
Der Schwerpunkt liegt wie bei S. aureus in der Erregeranzucht. Der Erreger besiedelt gelegentlich die vordere Urethra und das
Rektum. Von dort gelangt er aszendierend in die Harnblase. Dies
Untersuchungsmaterial Je nach Infektionsort werden Plastikmate- wird möglicherweise durch mechanische Einflüsse (Geschlechtsver-
rial (Katheterspitze, Implantat), Blutkulturen (durch transkutane kehr) und andere Faktoren beeinflusst.
Punktion und aus dem Katheter), Material vom Implantationsort Charakteristisch sind Beschwerden einer Zystitis mit Dysurie
(Wundabstriche, Peritonealdialysat, Liquor, Kammerwasser) oder und Pollakisurie, begleitet von Leukozyturie. Typische Patienten
Urin an das Labor gesandt. sind junge, sexuell aktive Frauen, weshalb man auch von »Honey-
moon-Zystitis« spricht.
Anzucht Die Erreger wachsen bei Übernachtbebrütung auf Basis-
kulturmedien zu sichtbaren Kolonien heran.
In Kürze
Differenzierung Die Abgrenzung zu S. aureus erfolgt durch den Staphylokokken (S. aureus und KNS [S. epidermidis,
fehlenden Nachweis von »clumping factor«, Protein A bzw. Plasma- S. lugdunensis, S. saprophyticus])
koagulase. Die Empfindlichkeit gegen Novobiocin unterscheidet die Bakteriologie Grampositive Haufenkokken, aerob und
S. epidermidis- von der S. saprophyticus-Gruppe (7 s. u.). anaerob schnellwachsend, anspruchslos. Koagulasebildung
grenzt S. aureus von KNS ab.
Interpretation Als Hauptbestandteil der Hautflora treten diese Resistenz gegen äußere Einflüsse Ausgeprägt gegen Hitze,
Bakterien häufig als Kontaminanten von Untersuchungsmaterial in Salze, Austrocknung.
Erscheinung, stellen also nicht den eigentlichen Erreger dar. Dies gilt Epidemiologie Ubiquitäres Vorkommen auf Haut und
sowohl für Wundabstriche, die bei der Gewinnung mit der Haut in Schleimhäuten, S. aureus besonders bei Krankenhauspersonal
Kontakt kommen, als auch für alle transkutan gewonnenen Punk- (Hospitalismus).
tate. 5 S. aureus: häufigster Erreger von Wundinfektionen
In enger Zusammenarbeit von Klinikern und Mikrobiologen ist 5 S. epidermidis: häufigster Erreger der katheterassoziierten
zu klären, ob prädisponierende Faktoren vorliegen und ob der Pa- Sepsis , häufiger Endoplastitiserreger
tient entsprechende klinische Zeichen aufweist. 5 S. lugdunensis: schwere Endokarditis
Für die ätiologische Bedeutung eines Isolats von S. epidermidis
sprechen: Zielgruppe
4 Isolierung des gleichen Isolats aus mehreren unabhängig von- 5 S. aureus: Patienten mit normaler Abwehr (eitrige Haut-
einander gewonnenen Proben infektionen) und immungeschwächte Patienten
4 Isolierung des gleichen Isolats aus Blutkulturen via Katheter (tief-invasive eitrige Infektionen, Sepsis, Endokarditis)
und Punktion 5 S. epidermidis: Immunkompromittierte Patienten,
4 Anzucht großer Mengen des Isolats Transplantatempfänger, Katheter- und Endoprothesen-
träger
kTherapie 5 S. saprophyticus: junge Frauen (»Honeymoon-Zystitis«)
Antibiotikaempfindlichkeit S. epidermidis weist kein konstantes
Antibiotikaresistenzspektrum auf. Im Krankenhaus sind mindestens Pathogenese
80 % aller Stämme penicillin- und oxacillinresistent. Fast immer ist 5 S. aureus: lokal-oberflächliche und tief-invasive eitrige
S. epidermidis empfindlich gegenüber Glykopeptiden (Vancomycin, Entzündungen, Sepsis und Endokarditis, v. a. bei Abwehr-
Teicoplanin), Oxazolidinonen (Linezolid), ebenfalls häufig gegen- geschwächten, Brechdurchfall, »toxic shock syndrome«,
über Rifampicin und Fosfomycin. »staphylococcal scalded skin syndrome« und Brechdurchfall
durch spezifische toxinbildende Stämme
Therapeutisches Vorgehen Mittel der Wahl zur kalkulierten The- 5 S. epidermidis: Ansiedlung auf Plastikmaterial im Körper mit
rapie lebensbedrohlicher Infektionen, bei denen Verdacht auf KNS- Schleimbildung ൺ Endoplastitis, Sepsis
Beteiligung besteht, sind Vancomycin, Teicoplanin bzw. Linezolid.
196 Kapitel 24 · Staphylokokken

Pathomechanismen
5 S. aureus: Zusammenwirken von zahlreichen Virulenzfakto-
ren, insbesondere Hämolysinen, Ausbreitungsfaktoren, anti-
phagozytären Faktoren und gewebeschädigenden Faktoren.
Spezifisch wirksame Toxine: Toxic-Shock-Syndrom-Toxin-1,
Exfoliatine A und B, SEA bis SEJ. TSST-1 und SE sind Super-
antigene.
5 S. epidermidis: Besiedlung von Plastikoberflächen

Labordiagnose Erregernachweis mikroskopisch und Anzucht,


Koagulasebildung, ggf. Toxinnachweis

Therapie
5 Kalkulierte Initialtherapie: schwerer Infektionen bei Ver-
dacht auf S. aureus-Beteiligung: Isoxazolylpenicilline oder
Cephalosporine der 2. Generation (z. B. Cefuroxim). Nicht
Ceftazidim. Gezielte Weiterbehandlung bei nachgewiesener
Empfindlichkeit: Penicillin G, Isoxazolylpenicillin oder
Cephalosporin der 2. Generation
5 Penicillinasebildende Stämme (> 80 %): penicillinasefeste
Penicilline, Cephalosporine der 2. Generation, Erythromycin.
Reservemittel bei Infektionen durch MRSA: Vancomycin,
Teicoplanin, Clindamycin, Linezolid
5 S. epidermidis: Glykopeptide, Linezolid

Immunität Trotz Antikörpern, Komplement, Phagozytose keine


wirksame Infektionsimmunität
Prävention Persönliche Hygiene, v. a. beim Krankenhausperso-
nal; Vermeiden von Kontakt gefährdeter Patienten mit S. aureus-
Trägern; KNS: gründliche Hautdesinfektion, sauberes Operieren
Vakzination Keine
Meldepflicht Durch S. aureus verursachte Lebensmittelvergif-
tung (Verdacht, Erkrankung und Tod). Bei Impetigo contagiosa
(Borkenflechte) dürfen Gemeinschaftseinrichtungen nicht
besucht werden (§§ 33/34 IfSG). Bei gehäufte, Auftreten von
Infektionen, wenn ein epidemiologischer Zusammenhang
Bakteriologie

wahrscheinlich ist.

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Streptokokken
S. Gatermann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Gattung Streptococcus (S.) (Familie: Streptococcaceae) umfasst (1895–1981) weiter in Serogruppen unterteilt. Die einzelnen Sero-
zahlreiche Spezies grampositiver Kokken, die sich in Ketten oder Paa- gruppen werden durch lateinische Großbuchstaben (A–H, K–V)
ren lagern und sowohl unter aeroben als auch anaeroben Bedingun- unterschieden (. Tab. 25.2) (Lancefield-Schema). Von diesen besit-
gen vermehren (. Tab. 25.1, . Abb. 25.1, . Abb. 25.2). Von den Sta- zen die Spezies S. pyogenes (Serogruppe A; »A-Streptokokken«)
phylokokken grenzen sie sich über die negative Katalasereaktion ab. und S. agalactiae (Serogruppe B; »B-Streptokokken«) die größte
Streptokokken sind typische Schleimhautparasiten. medizinische Bedeutung.

jEinteilung der vergrünenden Streptokokken


jHämolyse Da die vergrünenden Streptokokken nur ausnahmsweise ein C-Po-
Auf hammelbluthaltigen festen Kulturmedien zeigen die einzelnen lysaccharid tragen, entfällt die Einteilung in Serogruppen. Hier wer-
Streptokokkenarten ein unterschiedliches Hämolyseverhalten den die einzelnen Arten unabhängig vom C-Polysaccharid aufgrund
(. Tab. 25.1): anderer Merkmale bestimmt.
4 Die β-Hämolyse ist eine vollständige Hämolyse; d. h., der 1874 belegten Theodor Billroth (1829–1894) und Paul Ehrlich
Hämolysehof enthält keine intakten Erythrozyten mehr: Er ist (1854–1915) kettenbildende Kokken, die sie in infizierten Wunden
klar durchsichtig (»Man kann die Zeitung durch ihn hindurch
lesen«).
4 α-hämolysierende Streptokokken bilden H2O2, das Fe2+
im Hämoglobin zu Fe3+ oxidiert. Dies ändert das Absorptions-
spektrum des Hämoglobins, sodass die Kolonien von einem
grünlichen Hof umgeben sind, der noch intakte Erythrozyten
enthält → vergrünende Streptokokken.
4 Als γ-Hämolyse bezeichnet man fehlende Hämolyse.

Die Unterteilung der Streptokokken nach dem Hämolyseverhalten


ist praktisch relevant:
4 Die vergrünenden Arten mit Ausnahme der Pneumokokken
gehören zur physiologischen Schleimhautflora und lösen als
Opportunisten Krankheiten aus.
4 Die meisten β-hämolysierenden Streptokokken sind obligat
pathogene Krankheitserreger.

jWeitere Einteilung der β-hämolysierenden Streptokokken . Abb. 25.1 Streptococcus pyogenes – Streptokokken im Eiter
Die β-hämolysierenden Streptokokken werden aufgrund der antige-
nen Unterschiede des C-Polysaccharids nach Rebecca Lancefield

. Tab. 25.1 Streptococcus: Gattungsmerkmale

Merkmale Ausprägung

Gramfärbung grampositive Kokken (Ketten)

Aerob/anaerob fakultativ anaerob

Kohlenhydratverwertung fermentativ

Sporenbildung nein

Beweglichkeit nein

Katalase negativ

Oxidase negativ
. Abb. 25.2 Streptococcus pneumoniae – bekapselte Diplokokken im Eiter
198 Kapitel 25 · Streptokokken

C-Polysaccharid. Die C-Polysaccharide bestehen aus verzweigten


. Tab. 25.2 β-hämolysierende Streptokokken: Arten und Krankheiten
Zuckerpolymeren und sind mit dem Peptidoglykan kovalent ver-
bunden. S. pyogenes besitzt das Gruppenantigen A.
Art (Serogruppe) Krankheiten

S. pyogenes (Gruppe A) oberflächliche Eiterungen M-Proteine Die M-Proteine der A-Streptokokken sind im Peptido-
glykan verankert und durchdringen die gesamte Zellwand. Sie ragen
tiefe Eiterungen aus der Oberfläche der A-Streptokokken wie ein feinfädiger Pelzbe-
Sepsis satz heraus.
Das M-Protein wirkt durch Hemmung der Komplementaktivie-
Scharlach
rung antiphagozytär und ist damit ein wichtiger Virulenzfaktor, der
Nachkrankheiten das Überleben der Bakterien sichert. M-Protein kommt fast aus-
S. agalactiae (Gruppe B) Meningitis (Neugeborenes)
schließlich bei A-Streptokokken vor. Es gibt über 80 serologisch un-
terscheidbare Varianten (Serovare) des M-Proteins, aufgrund derer
Sepsis (Neugeborenes) eine Einteilung der A-Streptokokken in Serotypen erfolgt. Die Typen
Eiterungen werden mit arabischen Zahlen bezeichnet. Man spricht also z. B. von
»β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A, Typ 12« etc.
Gruppen C, G, F Eiterungen

Sepsis F-Proteine Diese neu entdeckten Oberflächenproteine werden


heute als die wichtigsten Adhäsine angesehen, die die Anheftung an
die Epithelzellen des Rachens vermitteln. Sie binden an Fibronektin.
sahen, mit dem Namen Streptococcus (gr. »streptos«: gewunden).
Die Auftrennung der Streptokokken nach dem Hämolyseverhalten T-Antigen und R-Antigen Die biologische Bedeutung dieser Pro-
erfolgte 1903 durch Hugo Schottmüller (1867–1937) und die Eintei- teinantigene ist unbekannt. T-Antigene werden gelegentlich bei der
lung der β-hämolysierenden Streptokokken anhand des C-Poly- Typisierung von Streptokokken mitbestimmt.
saccharids in Serogruppen durch Rebecca Lancefield (7 s. o.).
Kapsel Viele A-Streptokokken-Stämme tragen eine Kapsel aus
Hyaluronsäure. Sie schützt die Erreger vor der Phagozytose, ist also
25.1 Streptococcus pyogenes (A-Streptokokken) ein Virulenzfaktor.

Steckbrief C5a-Peptidase A-Streptokokken tragen an der Oberfläche eine


C5a-Peptidase, die von der chemotaktischen Komplementkompo-
Die β-hämolysierenden Streptokokken der Serogruppe A nente C5a proteolytisch deren Bindungsstelle für polymorphkernige
(A-Streptokokken, S. pyogenes) erzeugen eitrige Lokalinfek- Granulozyten abtrennt. Dies zerstört die chemotaktische Wirkung
tionen (Angina tonsillaris, Pharyngitis, Pyodermien), Sepsis, von C5a und mindert der Einstrom von Phagozyten in die Läsion.
toxinbedingte Erkrankungen (Scharlach, »streptococcal Die C5a-Peptidase ist also ein weiterer wichtiger antiphagozytärer
toxic shock syndrome«) sowie immunpathologisch bedingte Virulenzfaktor.
Folgeerkrankungen (akutes rheumatisches Fieber, akute
jExtrazelluläre Produkte
Bakteriologie

Glomerulonephritis).
Streptolysin O und Streptolysin S Die β-Hämolyse durch A-Strep-
tokokken geht auf Streptolysin O (SLO) und Streptolysin S (SLS)
zurück.
4 Sauerstoff inaktiviert SLO reversibel (O = ohne Sauerstoff):
Dieses Exotoxin zerstört rote Blutzellen also nur unter Sauer-
stoffabschluss. Im Patienten löst es die Bildung von Anti-Strep-
tolysin-O-Antikörpern (ASO) aus. Die Bestimmung der ASO
ist ein Hilfsmittel zur Diagnose einer abgelaufenen Infektion
durch A-Streptokokken. Der ASO-Titer (AST) ist auch bei
der Diagnostik des akuten rheumatischen Fiebers nach einer
A-Streptokokken-Erkrankung hilfreich. Der molekulare Wir-
Streptococcus pyogenes, grampositive Kettenkokken in Eiter, kungsmechanismus des SLO ist in 7 Kap. 3 beschrieben wor-
entdeckt 1881 von T. Billroth, benannt 1884 von F. Rosenbach den. SLO ist ein Zytolysin. Es zerstört neben Erythrozyten auch
andere Körperzellen, insbesondere Granulozyten, deren Gra-
nulamembranen sich auflösen, was zu einer Autophagie der
Phagozyten führt. SLO wirkt hämolytisch durch Porenbildung
25.1.1 Beschreibung (. Abb. 25.3).
4 Das Peptid SLS hämolysiert in Gegenwart von Sauerstoff
jAufbau (S = Serum, da sich das Toxin aus intakten A-Streptokokken
Mureinschicht Als grampositive Bakterien besitzen A-Strepto- durch Serum extrahieren lässt). Es wirkt nicht als Antigen
kokken eine mehrschichtige Zellwand aus Peptidoglykan. (keine Antikörperbildung gegen SLS im Patienten).

C-Gruppen-Polysaccharid Auf die Peptidoglykanschicht lagert sich Ausbreitungsfaktoren Die Hyaluronidase löst Hyaluronsäure als
bei den β-hämolysierenden Streptokokken das gruppenspezifische interzelluläre Kittsubstanz auf. Die DNasen A, B, C und D, auch
25.1 · Streptococcus pyogenes (A-Streptokokken)
199 25

. Tab. 25.3 Streptococcus pyogenes: Epidemiologische Unter-


schiede bezüglich Pyodermie und Pharyngitis

Faktor Pyodermie Pharyngitis

Alter 1.–2. Lebensjahr 5.–7. Lebensjahr

Klima warm, feucht gemäßigt, kühl


Jahreszeit Sommer, Herbst Winter, Frühling
Disposition Trauma Virusinfektionen
Resistenzschwäche
Übertragung Insektenstiche Tröpfcheninfektion
. Abb. 25.3 Porenbildung durch SLO: Lateralaggregation von Toxinmono-
meren Hygienemängel
Kontaktinfektion

Streptodornasen genannt, vermindern die Viskosität in Entzün- Inkubationszeit Stunden bis Tage 2–10 Tage
dungsexsudaten durch Hydrolyse der Nukleinsäuren. Nachkrankheiten:
Der serologische Nachweis von Anti-DNase-B-Antikörpern – Glomerulonephritis ja ja
dient neben dem AST der Diagnose eines akuten rheumatischen
Fiebers. – rheumatisches Fieber nein ja
Streptodornasen werden therapeutisch zur Verflüssigung von
Eiter in Empyemen eingesetzt, um die Wundheilung zu beschleu-
nigen. jVorkommen
Der Mensch ist der einzige natürliche Wirt für A-Streptokokken.
Streptokinase (SK) Die meisten A-Streptokokken-Stämme sowie Hier siedeln sie sich v. a. auf der Schleimhaut des Oropharynx an.
einige Stämme der Serogruppen C und G bilden dieses Enzym, das
den Plasminogenaktivator aktiviert. Dieser katalysiert die Umwand-
lung von Plasminogen zu Plasmin, und Plasmin baut Fibrin ab. 25.1.2 Rolle als Krankheitserreger
Streptokinase findet therapeutischen Einsatz zur Behandlung
akuter Thrombosen, v. a. beim Koronargefäßverschluss. kEpidemiologie
A-Streptokokken gehören zu den häufigsten bakteriellen Erregern
Erythrogene Toxine (SPEs) Ist ein A-Streptokokken-Stamm durch von Infektionen der Haut und des Respirationstrakts. So lassen sie
den Prophagen β lysogen konvertiert worden, dann produziert er sich bei Hautinfektionen in bis zu 50 % aller Fälle nachweisen. Bei
eines von 3 Toxinen, die das Exanthem und Enanthem bei Scharlach der Pharyngitis stehen sie mit 15–30 % ebenfalls an der Spitze der
hervorrufen, die sog. erythrogenen Toxine (ET, auch »streptococcal Erregerhäufigkeit.
pyrogenic exotoxins«, SPE). Es gibt 3 antigene Varianten von ET: Bei Sinusitis und Otitis dagegen finden sich A-Streptokokken
4 ET-A (SPE-A) ist ein Superantigen (7 Kap. 3) und gleicht in nur in etwa 3 % aller Fälle. Racheninfektionen durch A-Streptokok-
seiner Wirkungsweise dem TSST-1 von S. aureus, d. h., neben ken überwiegen in den gemäßigten Zonen, während in tropischen
seiner scarlatinogenen Wirkung ruft es das »streptococcal toxic Ländern den Hautinfektionen die größte Bedeutung zukommt
shock syndrome« hervor, indem es zu einer polyklonalen (. Tab. 25.3).
T-Zell-Aktivierung führt. Sowohl nach apparenten als auch nach inapparenten A-Strepto-
4 ET-C (SPE-C) besitzt ebenfalls Eigenschaften eines Super- kokken-Infektionen lassen sich die Erreger noch monatelang im
antigens, es ruft leichtere Scharlachformen hervor. Nasenrachenraum nachweisen, d. h., es bildet sich häufig ein Träger-
4 ET-B (SPE-B) ist eine sezernierte immunglobulinspaltende status. Träger kommen als Infektionsquelle jedoch weniger häufig in
Protease. Betracht als frisch erkrankte Patienten.

In jüngster Zeit wurden weitere Streptokokkenexotoxine beschrie- kÜbertragung


ben (SPE-F, SSA), deren Funktion bisher jedoch ungeklärt ist. Von den Schleimhäuten des Oropharynx aus werden die A-Strepto-
kokken durch Tröpfcheninfektion übertragen. Die Übertragung
Bakteriozine Einige A-Streptokokken-Stämme produzieren Bakte- von Pyodermien erfolgt über direkten Kontakt von Haut zu Haut
riozine (7 Kap. 4). Wahrscheinlich tragen sie dazu bei, dass sich die (Schmierinfektion). Die Übertragung von A-Streptokokken wird
A-Streptokokken im oberen Respirationstrakt in Konkurrenz mit durch enges Zusammensein von Menschen begünstigt Auch eine
anderen Bakterien behaupten können (bakterieller Antagonismus). Übertragung durch kontaminierte Milch ist möglich.
Nosokomiale Infektionen durch A-Streptokokken kommen in
jResistenz gegen äußere Einflüsse erster Linie durch Tröpfcheninfektion zustande. Als Infektionsquelle
A-Streptokokken sind gegen äußere Einflüsse im Vergleich zu Sta- kommen erregertragende Pflegepersonen in Betracht.
phylokokken weniger resistent. Sie halten sich einige Tage lang im
Staub oder in der Bettwäsche vermehrungsfähig, doch die Infektio- kPathogenese
sität von Erregern aus diesen Quellen ist gering. Die Pathogenese von A-Streptokokken-Infektionen beruht auf dem
Zusammenspiel zahlreicher zellgebundener und sezernierter Viru-
lenzfaktoren:
200 Kapitel 25 · Streptokokken

Adhäsion Das F-Protein und andere Oberflächenbestandteile, z. B. (Mikrohämaturie). In späteren Stadien wandern Mesangium-
Lipoteichonsäure, binden sich an Fibronektin, ein häufiges Wirts- zellen (Mesangiozyten) ein, woraus sich eine zunehmende Ver-
zellprotein, das z. B. auf Rachenepithelzellen vorkommt. minderung der filtrierenden Oberfläche der Glomeruli und
eine Minderung der Filtrationsleistung ergeben können.
Etablierung Obwohl A-Streptokokken von Makrophagen und neu- 4 Der Pathomechanismus des akuten rheumatischen Fiebers
trophilen Granulozyten leicht phagozytiert werden, überleben viru- ist nicht voll aufgeklärt. Die Patienten bilden kreuzreagierende
lente Stämme im Körper, weil sie eine Reihe antiphagozytärer Antikörper, die einerseits mit verschiedenen Komponenten
Mechanismen entwickeln: der A-Streptokokken, andererseits mit bestimmten Gewebe-
4 Das M-Protein bindet Faktor H des Properdinsystems (7 Kap. elementen in Gelenken, Myokard, Endokard, Myokardsarko-
9) mit höherer Affinität als Faktor B, was zum Abbau von C3b lemm, Gefäßintima und Haut reagieren (. Abb. 25.4 unten).
führt. Dies behindert die Opsonisierung der Bakterien und die Vermutlich lösen sie die Gewebeschädigung über eine Entzün-
Bildung von C3-Konvertase. Darüber hinaus scheint die nega- dung aus.
tive Ladung bestimmter Domänen des M-Proteins an der
phagozytosehemmenden Wirkung beteiligt zu sein. kKlinik
4 Die C5a-Peptidase (7 s. o.) hydrolysiert C5a (Anaphylatoxin), Tonsillitis (Angina lacunaris) Die Erkrankung beginnt nach 2–4 Ta-
das chemotaktisch Granulozyten in die Läsion lockt. So gelan- gen Inkubationszeit mit Fieber, Schluckbeschwerden und Hals-
gen weniger Granulozyten an den Infektionsort und die Phago- schmerzen. Die geschwollenen Gaumenmandeln tragen fleckförmi-
zytose wird vermindert. ge Eiterherde (Stippchen), tief in die Tonsillenkrypten reichende
4 Die Streptolysine O und S zerstören die Granulamembran in Eiteransammlungen, von denen wie bei einem tiefen See nur die
den Granulozyten. Granuläre Enzyme (7 Kap. 13) treten aus Oberfläche sichtbar ist (Angina lacunaris, lat.:»lacus«, See) (. Abb.
und bewirken eine Autophagie der Granulozyten. 25.5). Bei tonsillektomierten Personen besteht eine Pharyngitis und
ist die Diagnose nicht immer leicht zu stellen. In der Regel heilt die
Invasion A-Streptokokken verursachen sich flächenhaft ausbreiten- Krankheit nach 5 Tagen ab; es können aber auch Komplikationen
de Infektionen in den Weichteilgeweben. Hierin werden sie von den auftreten wie akute zervikale Lymphadenitis, Otitis media, Sinusitis,
Ausbreitungsfaktoren unterstützt: Mastoiditis und Peritonsillarabszess.
4 Hyaluronidase hydrolysiert den interzellulären Gewebekitt Differenzialdiagnostisch kommen virale Pharyngitiden, insbe-
Hyaluronsäure. sondere Pfeiffer-Drüsenfieber (EBV; 7 Kap. 71) in Betracht. Beachte:
4 DNasen senken die Viskosität von Entzündungsexsudaten. 90 % aller Infektionskrankheiten des Respirationstrakts sind virus-
4 Streptokinase löst die Fibrinschicht um die Erreger auf. bedingt!

In jüngster Zeit sind mehrere Ausbrüche hochinvasiver A-Strepto- Erysipel (Wundrose) Es ist eine ödematöse Entzündung der
kokken-Infektionen (Fasciitis necroticans, 7 Klinik) mit toxischem Lymphspalten der Haut mit charakteristischer, durch Invasivfakto-
Schock (»streptococcal toxic shock syndrome«) beschrieben wor- ren der A-Streptokokken (Hyaluronidase, DNasen) begünstigter
den. Hier spielt das erythrogene Scharlachtoxin A (SPE-A) eine Rol- Ausbreitungstendenz. Die Erreger dringen meist über unauffällige
le, das sowohl als Invasionsfaktor als auch als Superantigen wirkt. Verletzungen (z. B. Rhagaden des Mundwinkels) in die Haut ein.
Nach 1–3 Tagen Inkubationszeit entsteht ein schubweise fortschrei-
Gewebeschädigung Bei der durch A-Streptokokken bedingten tendes, z. T. äußerst schmerzhaftes Erythem. Die Haut ist ödematös
Bakteriologie

Gewebeschädigung spielen die Streptolysine O und S eine Rolle, gespannt und glänzend. Die Rötungen sind scharf begrenzt, der be-
da sie neben Erythrozyten auch andere Körperzellen schädigen. troffene Bereich zeigt kerzenflammenartige Ausläufer in gesunde
Auch die Hyaluronidase ist an der Zerstörung von Bindegewebe be- Hautpartien.
teiligt.
Scharlach kommt durch die Wirkung eines der 3 SPE (7 s. o.) Impetigo contagiosa (Eiter-, Krusten-, Pustelflechte, feuchter oder
zustande und das »streptococcal toxic shock syndrome« basiert auf Blasengrind) Infektion der Epidermis, bei der sich nach umschrie-
der Superantigenwirkung des SPE-A bzw. SPE-C. Die Hauptwirkun- bener Rötung rasch Blasen bilden, die nach wenigen Stunden plat-
gen von SPE-A und SPE-C sind eine polyklonale T-Zell-Aktivierung zen. Der Blaseninhalt trocknet zu Krusten ein. Die Impetigo ent-
mit unkoordinierter Zytokinfreisetzung, v. a. von TNF-α und IL-1 wickelt sich im Kindesalter unter meist schlechten sozialen Ver-
(7 Kap. 3), und, darauf basierend, Schock und Multiorganversagen. hältnissen. Seltener wird sie auch durch S. aureus hervorgerufen
Darüber hinaus kann SPE-A direkt zytotoxisch auf Endothelzellen (7 Kap. 24). Die Blasen enthalten massenhaft Erreger.
wirken.
Phlegmone Sie ist eine diffuse Eiterung der Haut und des Subku-
Nachkrankheiten Charakteristisch für A-Streptokokken-Infektio- tangewebes, die mit Schmerzen, Schwellung, Rötung und Fieber
nen ist ihre Neigung, Nachkrankheiten auszulösen. Diese beruhen einhergeht. Phlegmonen sind anders als Abszesse nicht scharf be-
auf immunologischen Reaktionen (. Abb. 25.4): grenzt; sie breiten sich kontinuierlich aus. Besonders gefürchtet ist
4 Bei der akuten Glomerulonephritis werden in den Glomeruli die Hohlhandphlegmone, die sich nach kleineren Finger- oder
Immunkomplexe aus A-Streptokokkenantigen undAntikörpern Handverletzungen über die Sehnenscheiden der Hohlhand rasch in
abgelagert, Komplement wird aktiviert und aus C3 und C5 ent- alle Finger ausbreitet.
stehen die Fragmente C3a und C5a, die chemotaktisch Granu-
lozyten anlocken (. Abb. 25.4 oben). Diese setzen beim Zerfall Andere Hautinfektionen Lymphangitiden, Infektionen nach Ver-
und bei der Phagozytose lysosomale Enzyme und Sauerstoff- letzungen oder von Verbrennungswunden und postoperative In-
radikale frei, die das Gewebe in den Glomeruli schädigen. Die fektionen können ebenfalls durch A-Streptokokken hervorgerufen
Kapillaren der Glomeruli werden im Rahmen der Entzündung werden. Gelegentlich entwickeln sich derartige Infektionen noso-
durchlässig für Proteine (Proteinurie) und Erythrozyten komial.
25.1 · Streptococcus pyogenes (A-Streptokokken)
201 25

. Abb. 25.4 Pathogenese der Streptokokken-Nachkrankheiten

Nekrotisierende Fasziitis Diese in den letzten Jahren häufiger


beobachtete invasive A-Streptokokken-Infektion befällt die tieferen
Schichten der Subkutis und die Faszien. Die Fasciitis necroticans ist
durch ein besonders rasches Fortschreiten der Kolliquationsnekrose
(hämorrhagisches, verflüssigtes Gewebe) in diesen Geweben cha-
rakterisiert. Die Patienten haben hohes Fieber und zeigen Schock-
symptome. Bei diesem Krankheitsbild finden sich besonders inva-
sive Stämme im Blut oder in Körperflüssigkeiten. Diese bilden auch
SPE-A, das für die Schocksymptomatik und für die hohe Invasivität
verantwortlich ist.

Sepsis Eine A-Streptokokkensepsis kann sich von jedem Strepto-


kokkenherd aus entwickeln.
Das Puerperalfieber (Kindbettfieber) entsteht als Sonderform
der Sepsis, wenn A-Streptokokken (oder B-Streptokokken, 7 s. u.)
. Abb. 25.5 Streptococcus pyogenes – Angina tonsillaris bei der Geburt in Endometrium sowie umgebende Vaginalgewebe
und von dort in Lymphbahnen und Blutbahn eindringen. In indus-
trialisierten Ländern dank Ignaz Semmelweis (7 Kap. 2) selten ge-
202 Kapitel 25 · Streptokokken

worden, stellt es in Drittweltländern noch immer ein großes Pro- einer infektionsgetriggerten Autoimmunreaktion beruht, gelingt der
blem dar. Erregernachweis aus den Läsionen typischerweise nicht.
Im Gegensatz zur akuten Glomerulonephritis ist das Auftreten
Scharlach Wird die A-Streptokokken-Infektion durch einen lysoge- des akuten rheumatischen Fiebers nicht an die Vorerkrankung
nen Stamm hervorgerufen, der eine der 3 Varianten (A, B, C) des durch bestimmte A-Streptokokken-Typen gebunden.
erythrogenen Toxins Spe produziert, so kann sich ein Scharlach ent-
wickeln. Die Fähigkeit zur Scharlachauslösung und die Fähigkeit, kImmunität
eine Eiterung hervorzurufen, sind also voneinander unabhängig. Eiterungen Als typische Eitererreger, d. h. extrazelluläre Bakterien,
Ein Scharlach muss nicht mit einer Angina assoziiert sein, er werden A-Streptokokken nach der Phagozytose durch polymorph-
kann auch andere A-Streptokokken-Infektionen, z. B. Impetigo oder kernige Granulozyten und mononukleäre Phagozyten prompt abge-
Wundinfektionen, begleiten. tötet. Die erworbene Immunität basiert auf protektiven Antikör-
Etwa 2 Tage nach Beginn der Eiterung zeigt sich ein Exanthem pern, die sich gegen die M-Substanz richten und im Zusammenwir-
zunächst an Hals, oberen Brustpartien und Rücken, das sich über ken mit Komplement ihre antiphagozytäre Wirkung neutralisieren.
Rumpf, Gesicht und Extremitäten ausbreitet. Charakteristisch ist Die erworbene Immunität ist somit typenspezifisch; sie kann jahre-
eine periorale Blässe. Das Exanthem wird von einem Enanthem be- lang bestehen. Dies bedeutet, dass im Bereich einer einmal abgelau-
gleitet. Die Zunge weist einen weißen Belag auf, aus dem rote, hyper- fenen Epidemie derselbe Serotyp nicht wieder auftritt.
trophierte Papillen herausragen: »Erdbeerzunge«. Am 4.–5. Krank- Bei mehr als 80 Serotypen von A-Streptokokken kann man
heitstag verschwindet der Belag, die geschwollenen geröteten Papil- häufig an A-Streptokokken-Infektionen erkranken. Antikörper ge-
len imponieren nun als »Himbeerzunge«. gen die C-Substanz üben keinen Schutz aus.

»Toxic shock-like syndrome« Das TSLS wird vornehmlich durch Scharlach Die erworbene Immunität gegen die Scharlachtoxine ba-
SPE-A ausgelöst, weniger häufig auch durch SPE-C (7 s. o.). Es ist siert auf neutralisierenden Antikörpern und ist dauerhaft. Da es
mit 10-fach höherer Letalität (30 %) belastet als das »staphylococcal 3 antigene ET-Varianten gibt, kann eine Person höchstens 3-mal an
toxic shock syndrome« (7 Kap. 24), weil die toxinbildenden Erreger Scharlach erkranken.
in die Blutbahn gelangen. Die Symptome sind zu einer Falldefinition Wenngleich Antikörper gegen ET das Auftreten des Exanthems
zusammengefasst: und Enanthems verhindern, so verleihen sie doch keinen Schutz
Hauptkriterien: gegen die zugrunde liegende eitrige A-Streptokokken-Infektion.
4 Erregernachweis
4 Hypotonie (≤ 90 mmHg) kLabordiagnose
4 Hautveränderungen (zunächst Exanthem, dann Schuppung) Der Schwerpunkt der Labordiagnose eitriger A-Streptokokken-In-
fektionen liegt in der Anzucht der Erreger aus dem Herd und ihrer
Nebenkriterien (mindestens 2 aus folgender Liste): serologischen Gruppenbestimmung.
4 Weichteilnekrose
4 ARDS (»adult respiratory distress syndrome«) Untersuchungsmaterial Ein sachgemäß entnommener Tonsillen-
4 Koagulopathie (< 100.000 Thrombozyten/mm3 oder abstrich ist die Voraussetzung für den kulturellen Nachweis von
disseminierte intravasale Gerinnung) A-Streptokokken bei Angina. Bei andernorts lokalisierten A-Strep-
4 Niereninsuffizienz (Kreatinin > 177 μmol/l) oder tokokken-Infektionen werden je nach Standort Blut, Punktate,
4 Leberbeteiligung (Serumtransaminasen- und Bilirubin-
Bakteriologie

Biopsiematerial oder Eiter eingesandt.


Konzentrationserhöhungen)
Transport Der Transport von Abstrichen sollte in einem Transport-
Akute Glomerulonephritis Bei 3 % aller eitrigen A-Streptokokken- medium bei Umgebungstemperatur erfolgen. Eiter und andere Pro-
Erkrankungen folgt auf die eitrige Infektion eine akute nichteitrige ben werden gekühlt transportiert .
Glomerulonephritis. Im Gegensatz zum rheumatischen Fieber geht
dieser eine Infektion mit einem der sog. nephritogenen Stämme Mikroskopie Der mikroskopische Nachweis der typischen Ketten
voraus, die meist zur Serogruppe A, Typ 12, gehören. aus dem Eiter oder aus der Bouillonkultur macht keine Schwierig-
Die Zeichen der akuten Glomerulonephritis – Hämaturie, Pro- keiten. Manchmal allerdings bilden sich nur kurze Ketten aus, was
teinurie, Ödem und Bluthochdruck – setzen etwa 3–5 Wochen nach bei der Fasziitis die Diagnose erschweren kann.
Beginn der akuten Streptokokkeninfektion ein. Die Krankheit geht
häufig spontan zurück; eine dialysepflichtige Schrumpfniere resul- Anzucht Die Wachstumsansprüche von A-Streptokokken werden
tiert selten aus einer akuten Glomerulonephritis. Merke: Läsionen am besten durch Zugabe von Kohlenhydraten sowie Fleischextrakt,
der akuten Glomerulonephritis enthalten keine Erreger! Blut oder Serum zum Kulturmedium erfüllt. Um die β-Hämolyse zu
erkennen, muss das Untersuchungsmaterial auf schafbluthaltigen
Akutes rheumatisches Fieber Das Krankheitsbild setzt 2–3 Wo- Agarplatten ausgeimpft werden. Die Inkubation erfolgt bei 37 °C
chen nach Beginn einer A-Streptokokken-Pharyngitis ein. Andere in 5–10 % CO2; nach 16–24 h ist mit einer Koloniebildung zu
eitrige A-Streptokokken-Infektionen ziehen wohl die akute Glome- rechnen.
rulonephritis, aber kein akutes rheumatisches Fieber nach sich. Die-
ses ist gekennzeichnet durch Polyarthritis, Karditis (Endo-, Myo-, Differenzierung Die Abgrenzung der angezüchteten A-Streptokok-
Perikarditis), Chorea minor, Erythema marginatum und subkutane ken von anderen Serogruppen erfolgt mittels gruppenspezifischer
Knötchen. Die Endokarditis führt häufig zu einer narbigen Verän- Antikörper gegen das C-Polysaccharid. Hierfür gibt es kommerziell
derung der Herzklappen. Dies zieht eine veränderte Hämodynamik erhältliche Testsätze. Die weitere Unterteilung der A-Streptokokken
nach sich, was seinerseits den Boden für die infektiöse Endocarditis in Serotypen aufgrund des M-Proteins kommt nur für wissenschaft-
lenta darstellt (. Abb. 25.8). Da das akute rheumatische Fieber auf liche Zwecke infrage.
25.2 · Streptococcus agalactiae (B-Streptokokken)
203 25
Serodiagnostik des akuten rheumatischen Fiebers Der Anti-
Streptolysin-O-(ASO-)Test dient der Diagnostik des akuten rheu- Therapie Penicillin G, alternativ Makrolide.
matischen Fiebers. Ein hoch über der Norm liegender Titer weist auf Immunität Ausbildung einer serotypspezifischen, anhaltenden
eine kürzlich abgelaufene A-Streptokokken-Infektion hin. Zuverläs- Immunität. Kreuzinfektionen mit anderen Serotypen möglich.
sigste Ergebnisse liefert die Kombination mit dem Anti-DNase-Test. Scharlach nur 3-mal möglich.
Prävention Scharlach: Isolierung erkrankter Personen. Rezidiv-
kTherapie prophylaxe mit Penicillin V oder Benzathin-Penicillin (1 Jahr).
Antibiotikaempfindlichkeit A-Streptokokken sind ausnahmslos Vakzination: keine.
empfindlich gegenüber Penicillin G und Cephalosporinen. Makro-
lide sind Alternativantibiotika, zunehmend treten aber makrolidre-
sistente Stämme auf.
25.2 Streptococcus agalactiae
Therapeutisches Vorgehen Bei erwiesener symptomatischer A- (B-Streptokokken)
Streptokokken-Infektion bzw. bei begründetem Verdacht aus dem
klinischen Bild (Angina lacunaris) ist Penicillin G oder V Mittel der
Steckbrief
Wahl. Patienten mit Penicillinallergie werden mit Makroliden be-
handelt. Die β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe B (B-Strep-
Die Fasziitis, das »streptococcal toxic shock syndrome« und an- tokokken) bilden die Spezies S. agalactiae. Bei Kühen lösen
dere invasive A-Streptokokken-Infektionen sind Notfallsituationen, B-Streptokokken eine eitrige Entzündung des Euters mit Versie-
die der intensivmedizinischen Behandlung bedürfen! Der Bakteri- gen der Milchproduktion (gelber Galt) aus. Beim Menschen
enherd, sofern auffindbar, ist chirurgisch zu behandeln, um die To- verursachen sie eitrige Lokalinfektionen und Sepsis. Gefürchtet
xinproduktion zu verringern. Die Antibiotikatherapie dient der Er- sind sie als Erreger peripartal übertragener Infektionen der
regereliminierung, die Schockbehandlung ist zur Aufrechterhaltung Neugeborenen: Sepsis und Meningitis.
der Organfunktionen entscheidend. Bei den invasiven Streptokok-
keninfektionen wird in der Antibiotikatherapie eine Kombination
aus β-Laktam-Antibiotikum (meist Penicillin) und Clindamycin
eingesetzt. Der Proteinsynthesehemmer Clindamycin dient zur Re-
duzierung der SPE-Produktion. Bei immunologischen Nachkrank-
heiten ist eine antiphlogistische Therapie indiziert.

In Kürze
A-Streptokokken
Bakteriologie Grampositive, fakultativ anaerobe Kettenkokken
mit β-Hämolyse, dem Gruppenmerkmal A (Lancefield-Schema).
Streptococcus agalactiae: grampositive Kettenkokken
Einteilung in Serotypen aufgrund des M-Proteins.
in Eiter, Gruppeneinteilung 1928 von R. Lancefield
Resistenz gegen äußere Einflüsse Vergleichsweise wenig resis-
tent gegen Umwelteinflüsse.
Vorkommen Haut und Schleimhaut des Menschen.
Epidemiologie A-Streptokokken: weltweit verbreitet, einziger
natürlicher Wirt ist der Mensch. 25.2.1 Beschreibung
Zielgruppe Alle Altersgruppen.
Übertragung Durch Haut und Schleimhautkontakt (Schmierin- jAufbau
fektion) sowie aerogen (Tröpfcheninfektion). C-Polysaccharid B-Streptokokken gleichen in ihrer Grundstruktur
Zielgewebe Haut und Schleimhaut. Nacherkrankungen: Nieren, den A-Streptokokken. Wie diese besitzen sie ein C-Polysaccharid in
Herz, Gelenke. ihrer Wand, das über die Gruppenzugehörigkeit entscheidet, jedoch
Pathogenese Haut- bzw. Schleimhautinfektion ൺ lokale nicht fehlen bei ihnen M-Protein sowie T- und R-Antigen.
abgegrenzte Eiterung (Phlegmone) ൺ u. U. systemische Ausbrei-
tung (Sepsis, Meningitis). Scharlachtoxin bildende Stämme ver- Kapsel B-Streptokokken tragen eine antiphagozytäre Polysaccha-
ursachen Scharlach. Nachkrankheiten. ridkapsel, die in serologisch verschiedener Typenausprägung (I–IV)
Virulenzfaktoren M-Protein, Protein F, Leukozidine, Strepto- vorkommt.
lysin, Scharlachtoxin, Streptodornase, Hyaluronidase.
Klinik Kurze Inkubationszeit. Fieberhafte Manifestationsfor- C5a-Peptidase Wie A-Streptokokken trägt S. agalactiae eine C5a-
men: Pharyngitis, Angina, Otitis, Pyodermie, Puerperalsepsis, Peptidase in der Zellwand. Sie inaktiviert die chemotaktische Kom-
Mastitis, Neugeborenensepsis und -meningitis, Erysipel, plementkomponente C5a durch proteolytische Spaltung und wirkt
Impetigo, Phlegmone, Scharlach durch Iysogene Stämme. so dem chemotaktisch gesteuerten Einstrom von Phagozyten in die
Nacherkrankungen: akute Glomerulonephritis und akutes Läsion entgegen.
rheumatisches Fieber.
Labordiagnose Anzucht auf bluthaltigen Kulturmedien. Identi- jExtrazelluläre Produkte
fikation: vollständige Hämolyse, serologische Gruppeneintei- CAMP-Faktor Von B-Streptokokken sezerniertes Protein, das zu-
lung. sammen mit dem β-Hämolysin von S. aureus auf bluthaltigen Kul-
turmedien eine synergistische Hämolyse verursacht (7 s. u.).
204 Kapitel 25 · Streptokokken

jResistenz gegen äußere Einflüsse Untersuchungsmaterialien Je nach Lokalisation des Krankheits-


B-Streptokokken zeigen eine gewisse Resistenz gegenüber Umwelt- prozesses werden Blut (Sepsis), Liquor (Meningitis), Eiter bzw.
einflüssen. Versuche mit an Fäden getrockneten Eiterproben deuten Vaginal- oder Zervikalabstriche untersucht.
auf einen längeren Erhalt der Infektiosität hin.
Anzucht Zur Anzucht dient bluthaltiger Columbia-Agar, auf dem
jVorkommen die Erreger einen β-Hämolysehof entwickeln.
B-Streptokokken kommen vorwiegend bei Tieren vor (7 s. o.). Beim
Menschen besiedeln sie die Schleimhäute des Urogenital- und Intes- Identifizierung Die gewachsenen B-Streptokokken werden meist
tinaltrakts. serologisch durch Nachweis des gruppenspezifischen Zellwandanti-
gens differenziert. Ebenso kann die biochemische Leistungsprüfung
25.2.2 Rolle als Krankheitserreger zur Identifizierung dienen. Hierbei spielt das CAMP-Phänomen
(nach den Erstbeschreibern Christie, Atkins, Munch, Petersen), die
kEpidemiologie pfeilförmige Hämolyseverstärkung durch S. aureus, eine Rolle.
Bis zu 40 % aller schwangeren Frauen sind asymptomatische Träge-
kTherapie
rinnen von B-Streptokokken. Bei ca. 50 % der Neugeborenen von
Antibiotikaempfindlichkeit Die Sensibilität der B-Streptokokken
Müttern mit positivem Nachweis lässt sich ebenfalls eine Besiedlung
entspricht praktisch derjenigen von A-Streptokokken, d. h., es be-
nachweisen. Die Inzidenz der Early-Onset-Erkrankung (7 s. u.) des
steht fast ausnahmslos eine volle Empfindlichkeit gegen Penicillin G
Neugeborenen liegt bei 2 pro 1000 Lebendgeburten, diejenige der
und gegen Cephalosporine.
Late-Onset-Erkrankung (7 s. u.) bei 1,7 pro 1000 Lebendgeburten.
Serotyp III dominiert bei Neugeboreneninfektionen.
Therapeutisches Vorgehen Die kalkulierte Therapie der Sepsis/
kÜbertragung Meningitis des Neugeborenen wird entsprechend den Richtlinien
Bei der Early-Onset-Infektion infiziert sich das Neugeborene beim der Meningitistherapie durchgeführt, d. h. mit Cefotaxim oder Cef-
Durchtritt durch den Geburtskanal der besiedelten Mutter. Die triaxon. Nach Sicherung der Diagnose B-Streptokokken-Infektion
Übertragung erfolgt umso eher, je größer die Besiedlungsdichte bei kann gezielt mit Penicillin G (hochdosiert) weiterbehandelt werden.
der Mutter ist. Beim Late-Onset-Syndrom spielt zusätzlich eine post-
kPrävention
natale horizontale Übertragung durch Schmierinfektion (z. B. über
kontaminierte Hände) eine Rolle. Antibiotikaprophylaxe Die Prophylaxe der B-Streptokokken-Er-
krankung des Neugeborenen besteht bei Besiedlung der Mutter in
kKlinik der prä- oder intrapartalen Antibiotikagabe. Die Chemoprophylaxe
Neugeboreneninfektion Bei Neugeborenen verursachen B-Strepto-
erfolgt bei kolonisierten Frauen (Prüfung in der 35.–37. SSW), wenn
kokken Sepsis und Meningitis. Die Infektion des Neugeborenen kann einer der folgenden Risikofaktoren vorliegt:
sich in den ersten postnatalen Stunden und bis 5 Tagen (»early onset«) 4 Frühgeburt (< 37. Woche)
als Sepsis, Pneumonie oder Meningitis manifestieren. Sie kann sich 4 vorzeitiger Blasensprung
aber auch erst nach 7 Tagen und bis zu 3 Monaten Latenzzeit ausbilden 4 Fieber unter der Geburt
(»late onset«) und äußert sich dann meist als Meningitis. Prädisponie- 4 Mehrlingsgeburt
rend sind vorzeitiger Blasensprung, Frühgeburt, aufsteigende Infek- 4 mehrere vorherige Geburten
Bakteriologie

tion (Chorioamnionitis), Zervixinsuffizienz. Insbesondere solche Die Sanierung einer B-Streptokokken-Besiedlung während der
Neugeborene sind gefährdet, deren Mütter bei gleichzeitiger Besied- Schwangerschaft durch orale Antibiotikagabe ist mit einer Versager-
lung des Geburtskanals mit B-Streptokokken einen niedrigen Spiegel quote von 20–70 % behaftet. Im Gegensatz dazu kann die i. v. Verab-
von Antikörpern gegen B-Streptokokken aufweisen, sodass das Neu- reichung von Ampicillin oder Penicillin G (bei Allergie Cefazolin
geborene nur über eine schwache Leihimmunität (7 s. u.) verfügt. oder Clindamycin) unter der Geburt eine Übertragung von B-Strep-
tokokken auf das Kind erfolgreich verhindern. Da es zurzeit weder
Erwachseneninfektionen Bei Erwachsenen können B-Streptokokken eine aktive noch eine passive Immunisierung bei Mutter und Kind
neben den Puerperalinfektionen Endometritis und Sepsis auch eine gibt, stellt die i. v. Antibiotikagabe bei der Mutter während der
Pyelonephritis, Arthritis, Osteomyelitis, Otitis media, Konjunktivitis, Geburt bei gesichertem Vorkommen von B-Streptokokken die zur-
Impetigo, Pneumonie, Meningitis und Endokarditis auslösen. zeit verlässlichste Prophylaxe dar.
kImmunität
Als typische Eitererreger werden B-Streptokokken durch Phago- In Kürze
zytose beseitigt. Kapselspezifische Antikörper kommen bei vielen B-Streptokokken
Menschen vor; sie haben für die Abwehr offenbar eine besondere Bakteriologie Grampositive, kettenförmige Kokken,
Bedeutung, denn Kinder von Müttern mit niedrigem Antikörper- β-Hämolyse. Gruppenspezifisches Zellwandantigen B.
titer (Nonresponder), die vor der Geburt von ihrer Mutter keine Vorkommen/Epidemiologie Urogenital- und Intestinalschleim-
typenspezifischen Antikörper übertragen bekommen haben (Leih- haut. Bei Schwangeren sind bis zu 40 % asymptomatische
immunität), sind besonders gefährdet, an einer B-Streptokokken- Trägerinnen. Übertragung durch Schleimhautkontakt (sexuell,
Infektion zu erkranken (7 s. o.). während der Geburt).
Pathogenese Infektion des Neugeborenen beim Durchtritt
kLabordiagnose durch den Geburtskanal kann bei prädisponierenden Faktoren
Der Schwerpunkt der Labordiagnose liegt in der Anzucht des Erre- wie mütterlichem Antikörpermangel oder Frühgeburt zu Sepsis
gers aus Untersuchungsmaterialien und der anschließenden Grup- oder Meningitis führen.
penbestimmung.
25.4 · Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken)
205 25
Pneumokokken und der Beginn der Molekulargenetik
Klinik Infektionssymptomatik kann in den ersten 5 Tagen nach 1928 entdeckte Fred Griffith, dass abgetötete bekapselte Erreger, wenn zu-
Geburt (»early onset«) oder erst nach einer Latenzzeit (7 Tage sammen mit lebenden unbekapselten Erregern in Mäuse injiziert, letzteren
oder länger; »late onset«) auftreten. Manifestation als Sepsis die Fähigkeit zur Kapselbildung übertragen. Er nannte dieses Phänomen
Transformation. 1944 identifizierten Oswald Theodore Avery (1877–1955),
bzw. Meningitis.
C. M. MacLeod und Maclyn McCarty das transformierende Prinzip als DNA.
Labordiagnose Anzucht auf bluthaltigen Kulturmedien;
Diese Entdeckungen stellten den Beginn der Molekulargenetik dar.
β-Hämolyse. Serologische Differenzierung von anderen
β-hämolysierenden Streptokokken.
Therapie Kalkuliert: Cefotaxim, Ceftriaxon; gezielt: Penicillin G, 25.4.1 Beschreibung
alternativ Erythromycin.
Immunität Asymptomatische Infektion der Schleimhäute jAufbau
führt in der Regel zur Ausbildung einer auf das Neugeborene C-Substanz Die Zellwand der Pneumokokken enthält Peptido-
übertragbaren Immunität. Kinder von Nonrespondern sind glykan und Teichonsäure. Letztere heißt auch C-Substanz.
stark infektionsgefährdet. Im Serum von Patienten mit akuten Entzündungen tritt ein
Prävention Sanierung der Geburtswege präpartal. Bei Besied- β-Globulin auf, das die C-Substanz der Pneumokokken bindet. Die-
lung der Mutter: intrapartale Penicillin-G-Gabe. Keine Immuni- ses C-reaktive Protein (CRP) gehört zu den Akutphaseproteinen
sierung. (7 Kap. 3). Bildungsort ist die Leber, wo CRP nach Stimulation durch
Meldepflicht Keine. IL-1 gebildet wird. CRP ist ein empfindlicher Entzündungspara-
meter.

Kapsel Frisch aus Krankheitsprozessen isolierte Pneumokokken-


25.3 Andere β-hämolysierendeStreptokokken stämme tragen eine Kapsel aus Polysaccharid, von der mehr als 80
(C und G) verschiedene Serotypen bekannt sind. Die Kolonien von bekapselten
Stämmen zeigen einen schleimigen Glanz: S-Formen (»smooth«:
Streptokokken der Serogruppen C und G können Pharyngitis, Puer- glatt).
peralinfektionen, Sepsis und Endokarditis hervorrufen. Am häufigs- Kapseln erschweren die Phagozytose der Pneumokokken: Nur
ten sind Haut- und Wundinfektionen (. Tab. 25.2). S-Formen sind virulent. Die Virulenz der Pneumokokken ist der
Da die Stämme dieser Serogruppen ebenfalls Streptolysin O Dicke der Kapsel proportional. So sind Pneumokokken vom Kapsel-
produzieren, kann es auch nach Infektionen durch C- bzw. G-Strep- typ III besonders reich an Kapselsubstanz und daher hochvirulent.
tokokken zu einem Anstieg des ASO-Titers und damit zu Verwechs- Schwere Pneumokokkenerkrankungen werden durch Kapseltypen
lung mit A-Streptokokken-Infektionen kommen. ausgelöst, die Komplement über den alternativen Weg nicht aktivie-
Streptokokken der Serogruppen C und G sind Penicillin-G- ren: Sie entgehen der komplementvermittelten Phagozytose, was
empfindlich. sich besonders nachteilig in der Frühphase der Infektion, d. h. vor
der Antikörperbildung, auswirkt.
Kolonien unbekapselter Stämme sind glanzlos, sie wirken wie
25.4 Streptococcus pneumoniae aufgeraut: R-Formen (»rough«: rau). R-Formen sind avirulent.
(Pneumokokken)
Autolysin (Muramidase) Dieses Enzym ist nicht kovalent an Lipo-
Steckbrief
teichonsäure gebunden. Es löst die Quervernetzung des Mureins auf
und ist für die Trennung der einzelnen Bakterienzellen bei der Zell-
Pneumokokken bilden eine α-hämolysierende Spezies inner- teilung sowie für die bei älteren Kulturen zu beobachtende Autolyse
halb der Gattung Streptococcus (. Tab. 25.1, . Abb. 25.2). der Pneumokokken verantwortlich.
Sie unterscheiden sich von anderen α-hämolysierenden Strepto-
kokkenspezies durch ihre Lagerung als Diplokokken, die Zu- jExtrazelluläre Produkte
sammensetzung des C-Polysaccharids in ihrer Wand und ihre Pneumolysin Dieses intrazelluläre Hämolysin wird bei der Autoly-
Empfindlichkeit gegen Optochin und Galle. se der Zellen frei. Es wirkt als thiolaktiviertes Zytolysin, das sich an
Als typische Eitererreger erzeugen sie Lobär- und Broncho- Cholesterol von Zellmembranen bindet, sich in diese inseriert und
pneumonien, Meningitis und Sepsis sowie eitrige Infektionen durch Oligomerisierung von 20–80 Molekülen eine transmembra-
im HNO-Bereich und am Auge. nöse Pore bildet, was zum Zelltod führt. In sublytischen Dosen
hemmt Pneumolysin die Funktion von Phago- und Lymphozyten.
Es weist weitgehende Homologie mit Streptolysin O (7 Abschn.
25.1.1) und Listeriolysin O (LLO, 7 Abschn. 36.1.1) auf.
Darüber hinaus aktiviert Pneumolysin das Komplement über
den klassischen Weg, indem es sich an die Fc-Region von IgG bindet;
aus Monozyten kann es IL-1β und TNF-α freisetzen.

Weitere Produkte Pneumokokken können außerdem Hyaluroni-


dase und IgA1-Protease sezernieren.
Streptococcus pneumoniae: lanzettförmige grampositive
Diplokokken mit/ohne Kapsel, entdeckt 1881 von G. Sternberg jResistenz gegen äußere Einflüsse
und L. Pasteur, isoliert 1885 von L. Fränkel Pneumokokken sind sehr empfindlich gegen Kälte, saure und alka-
lische pH-Werte sowie Austrocknung, weswegen das Untersu-
206 Kapitel 25 · Streptokokken

chungsmaterial schnell verarbeitet werden muss. Die ausgeprägte Während die Bindung von Komplementkomponenten an der
Galleempfindlichkeit der Pneumokokken beruht darauf, dass Galle Zellwand der Pneumokokken aufgrund der Kapsel ohne opsonisie-
die Muramidase (7 s. o.) aktiviert. Sie wird differenzialdiagnostisch renden Effekt ist, bleibt die inflammatorische Wirkung des abgespal-
im Labor ausgenutzt (7 Abschn. 25.4.2). tenen C5a und des C3a voll erhalten.
Die besondere Bedeutung der Entzündungsreaktion zeigt sich
jVorkommen am typischen Ablauf der Lobärpneumonie (. Abb. 25.6):
Pneumokokken kommen beim Menschen sowie bei Affen, Ratten 4 Im Stadium der Anschoppung sind die Blutgefäße prall gefüllt,
und Meerschweinchen vor. Zwar kolonisieren sie bei 40–70 % aller in den Alveolen bildet sich entzündliches Exsudat, in dem sich
gesunden Personen die Rachenschleimhaut, wobei die Trägerrate in die Bakterien stark vermehren; die Flüssigkeit reduziert den
Kasernen und Kindergärten durch engen Kontakt besonders hoch Gasaustausch, woraus Atemnot und reflektorisch Tachypnoe
ist. Die bei Trägern gefundenen Stämme sind im Allgemeinen je- resultieren. Da sich die Bakterien entlang der Kohn-Poren aus-
doch unbekapselt, weswegen sie keine unmittelbare Infektionsgefahr breiten, verbleibt die Entzündung in der Struktur des Lobus.
darstellen. 4 Nach 2–3 Tagen strömen polymorphkernige Granulozyten und
Erythrozyten ein; in den Alveolen finden sich massenhaft Bak-
terien, Erythrozyten und Fibrin, die Lunge verliert makrosko-
25.4.2 Rolle als Krankheitserreger pisch ihre Konsistenz und wirkt wie Lebergewebe: rote Hepati-
sation.
kEpidemiologie 4 Am 4. und 5. Tag strömen weitere Granulozyten ein, die Farbe
Bei Erwachsenen stehen Pneumokokken als Erreger der eitrigen Me- der Lunge wechselt ins Gräuliche: graue Hepatisation. Gleich-
ningitis an 1. Stelle. In Entwicklungsländern sind Pneumokokken- zeitig setzt die Bildung opsonisierender Antikapselantikörper
pneumonien eine häufige Todesursache. Alkoholiker und Milzex- ein, sodass die Pneumokokken jetzt von polymorphkernigen
stirpierte sind besonders gefährdet, an generalisierenden Pneumo- Granulozyten phagozytiert und abgetötet werden können; es
kokkeninfektionen (Pneumonie, Sepsis, Meningitis) zu erkranken. entsteht Eiter.
Bei Kindern stehen Pneumokokken hinter Neisseria meningitidis als 4 Allmählich strömen mononukleäre Phagozyten ein und phago-
Erreger von eitriger Meningitis an 2. Stelle. zytieren die vorhandenen Zelltrümmer, die Heilungsphase
setzt ein, der Prozess löst sich auf: Lyse.
kÜbertragung
Die Pneumokokkeninfektion wird selten von Mensch zu Mensch Das Pneumolysin hat auch direkte zytotoxische Wirkungen, indem
übertragen; im Allgemeinen handelt es sich um endogene Infek- es Poren in cholesterinhaltige Membranen implantiert. Die nach
tionen. Pneumokokkenmeningitis und -otitis beobachtete Schwerhörigkeit
wird auf das Eindringen von Pneumolysin in die Scala tympani und
kPathogenese den resultierenden Gewebeschaden zurückgeführt.
Adhärenz Nach Übertragung kolonisieren die Pneumokokken zu-
nächst den oberen Respirationstrakt. Mittels bisher nur unzurei- kKlinik
chend beschriebener Oberflächenmoleküle (z. B. Protein PsaA) bin- Lobärpneumonie Nach einer Inkubationszeit von 1–3 Tagen be-
det der Erreger an Glykokonjugatrezeptoren auf den Epithelzellen. ginnt die Krankheit plötzlich mit Schüttelfrost, Fieber, schwerem
Kürzlich beschriebene Neuraminidasen des Erregers könnten durch Krankheitsgefühl, Husten, Atemnot und, bei einer begleitenden Pleu-
Bakteriologie

Sialinsäureabspaltung weitere Rezeptoren freilegen. ritis, mit Thoraxschmerzen. Das reichlich vorhandene Sputum ist
Die Freisetzung von Zellwandkomponenten induziert über die rostbraun. Das Blutbild zeigt eine Linksverschiebung mit toxischer
Ausschüttung von IL-1β und TNF-α die Ausbildung von PAF-Re- Granulation. . Abb. 25.7 zeigt eine Thoraxaufnahme in p.–a. Projek-
zeptoren auf den Pneumozyten und Endothelzellen, an die sich die tion, auf der man ein rechtsseitiges Infiltrat im Mittellappen sieht. Die
Pneumokokken ebenfalls heften können. Erkrankung erreicht nach etwa 1 Woche ihren Höhepunkt und geht
dann bei günstigem Verlauf in eine »Krise« mit Heilung über.
Invasion Wie der Erreger vom oberen Respirationstrakt in tiefer
gelegene Regionen wie die Paukenhöhle (Otitis media), die Nasen- Bronchopneumonie Sie ist heute in Deutschland häufiger als die
nebenhöhlen (Sinusitis) und die Lungen (Pneumonie) oder schließ- Lobärpneumonie und geht mit multiplem herdförmigem Befall des
lich ins Blut (Sepsis, Meningitis) gelangt, ist nicht bekannt. Lungengewebes einher; die einzelnen Herde sind bis zu kirschgroß.
Bronchopneumonien finden sich vorwiegend bei Kindern und bei
Etablierung Im oberen Respirationstrakt muss sich der Erreger der Senioren, während die Lobärpneumonie typischerweise Jugendliche
zilienbedingten Elimination erwehren. Pneumolysin ist in der Lage, befällt.
diesen Abwehrmechanismus zu hemmen und zilientragende Epi-
thelzellen zu zerstören. Ebenso kann Pneumolysin Granulo- und Weitere Pneumokokkenerkrankungen Pneumokokken sind die
Lymphozyten funktionell beeinträchtigen und in höheren Dosen häufigsten Erreger von eitriger Meningitis bei Erwachsenen. Weite-
durch Porenbildung lysieren. Die Polysaccharidkapsel wirkt phago- re Erkrankungen sind Lungenabszess, Pleuraempyem, Perikarditis,
zytosehemmend. IgA1-Protease kann die Etablierung auf der Endokarditis, Sepsis und Gonarthritis.
Schleimhaut durch den Abbau von IgA-Antikörpern unterstützen. Im Rahmen einer direkten Ausbreitung von Pneumokokken
vom Nasopharynx aus können eine Otitis media, Sinusitis oder Mas-
Gewebeschädigung Die Schädigung bei Pneumokokkeninfektio- toiditis entstehen.
nen ist entscheidend durch die induzierte Entzündungsreaktion be- Pneumokokken werden häufig als Konjunktivitiserreger bei
dingt. Murein, Lipoteichonsäure und Pneumolysin können Komple- Neugeborenen und Kleinkindern mit Tränenwegstenosen gefunden.
ment aktivieren sowie die Freisetzung von TNF-α und IL-1β indu- Die Pneumokokkenkonjunktivitis aller Altersklassen ist wegen ihres
zieren. häufigen Übergangs in ein Ulcus serpens corneae gefürchtet. Dieses
25.4 · Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken)
207 25

. Abb. 25.6 Verlauf der Pneumokokkenpneumonie

hat eine Tendenz zur Perforation binnen weniger Tage; die entste-
hende Endophthalmitis kann zur Erblindung führen.

kImmunität
Als typische extrazelluläre Bakterien (7 Abschn. 15.1.2) werden Pneu-
mokokken durch Phagozyten abgetötet. Antikörper gegen Kapsel-
substanz verbessern im Zusammenwirken mit Komplement (C3b)
die Phagozytose. Antikörper gegen die Kapselsubstanz treten wenige
Tage nach Infektionsbeginn auf; nach 1 Woche sind hohe Titer er-
reicht. Zu diesem Zeitpunkt setzt die Phagozytose massiv ein; klinisch
imponiert dieses Stadium als Krise. Für die Pneumokokkeninfektion
ist demzufolge die spezifische humorale Abwehr entscheidend. Im
Gegensatz zu Staphylokokkeninfektionen gibt es bei Pneumokokken-
infektionen eine Infektionsimmunität. Diese ist typenspezifisch,
d. h., sie richtet sich gegen das jeweilige Kapselmaterial. Auch bildet
sie die Grundlage für die Schutzimpfung (7 Abschn. 15.5).

kLabordiagnose
Der Schwerpunkt der Labordiagnose liegt in der Anzucht des Er-
regers, bei Meningitis in der Mikroskopie in Verbindung mit dem
. Abb. 25.7 Streptococcus pneumoniae – Lobärpneumonie Direktnachweis von Kapselantigen.
208 Kapitel 25 · Streptokokken

Untersuchungsmaterial Als Untersuchungsmaterialien dienen bei kTherapie


Pneumonie Sputum und Blut, bei Sepsis Blut und Urin, bei Menin- Antibiotikaempfindlichkeit Pneumokokken sind primär empfind-
gitis Liquor und Blut. Bei Lokalisationen in anderen Körperhöhlen lich gegen Penicilline und andere β-Laktam-Antibiotika sowie Ma-
gelangen Punktate oder Abstriche zur Untersuchung. krolide, Clindamycin und Glykopeptide. In den letzten Jahren wur-
Blut, Liquor oder Gelenkpunktate müssen am Krankenbett in den zunehmend Stämme isoliert, die eingeschränkt empfindlich
ein Nährmedium gegeben werden (z. B. vorgewärmte Blutkultur- (MHK 0,1–1,0 mg/l) oder resistent (MHK ≥ 2 mg/l) gegen Penicillin
flasche); diese ist bei Raumtemperatur aufzubewahren, bis der Ab- sind. Leichte Zugänglichkeit und unkritischer Einsatz der Substanz
transport erfolgt. Zwischen Materialentnahme am Krankenbett und begünstigten dies. Die Resistenzrate betrug 1999 in Frankreich 46 %,
Anlage im Labor dürfen nicht mehr als 2 h vergehen. Bei allen Pa- in Spanien 42 % und in den USA 28 %, in Deutschland wurden da-
tienten mit schwerer Pneumonie sollten Blutkulturen zusätzlich zur gegen bisher nur sehr selten resistente Stämme isoliert. Die Resistenz
Sputumprobe eingeschickt werden. dieser Pneumokokken basiert auf der Veränderung von Penicillin-
bindungsproteinen (PBP).
Mikroskopie Nur einwandfrei gewonnenes Sputum (reichlich poly- Die Resistenz gegen Tetrazykline schwankt lokal zwischen 15
morphkernige Granulozyten, < 25 Epithelzellen pro Gesichtsfeld) und 70 %, makrolidresistente Stämme machen bis zu 40 % der Iso-
sollte zur Sputumuntersuchung angenommen werden. Ein Gram- late aus (Frankreich 58 %, Italien 24 %, Belgien 38 %, Spanien 37 %,
präparat aus dem Sputum kann erste Hinweise geben, wenn es mas- USA bis 30 %, Deutschland 25 %).
senhaft grampositive Diplokokken enthält. Die einzelnen Kokken Ciprofloxacin wirkt schlecht gegen Pneumokokken.
sind nach einer Seite hin zugespitzt, vergleichbar einer Kerzenflam-
me oder einer Impflanzette. Da es sich jedoch hierbei auch um ver- Therapeutisches Vorgehen Otitis media und Sinusitis werden kal-
grünende Streptokokken handeln kann, muss die Mikroskopie kuliert mit Amoxicillin plus β-Laktamase-Inhibitor (dieser ist für
durch Anzucht und anschließende Identifizierung abgesichert wer- andere Erreger des Spektrums notwendig) behandelt. Zur gezielten
den. Sind Kapseln vorhanden, so umgeben sie jeweils ein Kokken- Therapie kann die hochdosierte Gabe von Penicillin G notwendig
paar. sein.
Im Liquor cerebrospinalis finden sich mikroskopisch gramposi- Mittel der Wahl zur Behandlung der Pneumokokkenpneumonie
tive Diplokokken und polymorphkernige Granulozyten. Die Sensi- ist Penicillin G. Bei Penicillinallergie können Cephalosporine oder
tivität der Mikroskopie liegt bei 25–50 %. (bei zusätzlicher Cephalosporinallergie) Makrolide gegeben werden,
bei eingeschränkter Penicillinempfindlichkeit Ceftriaxon – dieses
Anzucht Pneumokokken vermehren sich sowohl unter aeroben als dient auch zur kalkulierten Therapie der Pneumokokkenpneumonie.
auch unter anaeroben Bedingungen. Die Anzucht erfolgt auf Anrei- Zur kalkulierten Therapie der Pneumokokkenmeningitis eig-
cherungsmedien, z. B. Rindfleischbouillon mit Zusatz von Serum, net sich Ceftriaxon. Sind epidemiologisch penicillinresistente Pneu-
Plasma, Blut oder Aszites. Nach 24 h Bebrütungszeit zeigen sich die mokokken zu berücksichtigen, wird Ceftriaxon mit Vancomycin
charakteristischen vergrünenden Kolonien. Auf Schaf- oder Pferde- kombiniert; einige Autoren befürworten für Erwachsene die zusätz-
blutagar erzeugen Pneumokokken eine α-Hämolyse. Pneumokok- liche Gabe von Rifampicin. Die Meningitis durch penicillinempfind-
ken wachsen besser bei einer CO2-Spannung von 5 %. Schon nach liche Stämme wird mit Penicillin G behandelt.
48 h Bebrütung setzt bei den zerfallenden Kolonien eine Autolyse
ein, die als zentrale Eindellung ins Auge fällt. kPrävention
Vakzine Eine Vakzine für Risikogruppen (Aspleniker, alle Immun-
Bakteriologie

Biochemische Differenzierung Die Optochinempfindlichkeit supprimierten, alle Patienten mit chronischen Atemwegerkrankun-
dient der Abgrenzung von in Kultur gewachsenen Pneumokokken gen, über 60-Jährige) aus Polysacchariden der häufigsten Kapsel-
von anderen vergrünenden Streptokokken. Optochin (Ethyl-Hydro- typen (80 % aller bakteriämischen Pneumokokkeninfektionen) steht
cuprein) hemmt eine membranständige ATPase der Pneumokok- zur Verfügung. Diese Impfung ist insbesondere bei Kindern nur
ken. Bei Auflegen eines Optochinblättchens auf den beimpften Blu- unsicher immunogen. Deshalb wurde eine Vakzine entwickelt, wel-
tagar entsteht nach 24 h Bebrütung ein Hemmhof. Diesem Test steht che die 7 häufigsten Polysaccharide gekoppelt an Proteine enthält
die Prüfung auf Gallelöslichkeit gleichwertig gegenüber. Letztere ist (Konjugatvakzine).
nach 15 min ablesbar.

Serologische Identifizierung Die Typenidentifizierung erfolgt In Kürze


mittels Antikörpern in verschiedenen Verfahren. Sie dient zur Pneumokokken
Klärung epidemiologischer Fragen. Bei der Neufeld-Kapselquel- Bakteriologie α-hämolysierende, grampositive lanzettförmige
lungsreaktion wird das Untersuchungsmaterial mit polyvalenten Diplokokken; im Gegensatz zu anderen vergrünenden Streptokok-
Antiseren vermischt und nach Inkubation mikroskopiert: Die ken gallelöslich und optochinempfindlich. Fakultative Anaerobier.
Antikörper führen typenspezifisch zu einem sichtbaren Aufquel- Resistenz gegen äußere Einflüsse Temperatur-, optochin-,
len  der Kapsel. Diese Reaktion erlaubt die Identifizierung des galle- und pH-sensibel.
Serotyps. Vorkommen Rachenschleimhaut und Konjunktiva von Menschen.
Epidemiologie Verursacher von Otitiden, Pneumonien und
Antigendirektnachweis Der direkte Nachweis von Pneumo- Meningitiden im Kindesalter. Auch bei Erwachsenen Erreger
kokken-Kapselpolysaccharid ist mit Agglutinationstests und mit der eitriger Meningitiden und Pneumonien.
Gegenstromelektrophorese möglich. Untersucht werden Sputum, Zielgruppe Kinder und ältere Erwachsene, v. a. Alkoholiker und
Urin und insbesondere Liquor. Beide Verfahren können zwar schnell Aspleniker.
die Erregerdiagnose liefern, aufgrund der mangelhaften Sensi- Übertragung Selten Übertragung von Mensch zu Mensch.
tivität (23–50 %) sind sie aber kein Ersatz für Anzucht bzw. Mikro- Meist endogene Infektion.
skopie.
25.5 · Sonstige vergrünende Streptokokken (ohne Pneumokokken) und nichthämolysierende Streptokokken
209 25

. Tab. 25.4 Vergrünende Streptokokken: Arten und Krankheiten


Pathogenese Nach Adhäsion und Vordringen in tiefere Regio-
nen (Nebenhöhlen, Paukenhöhle, Lunge, Blut, Liquor) Induktion
Arten Krankheiten
einer eitrigen Entzündungsreaktion (Zellwand, Pneumolysin);
Etablierung durch Antiphagozytenkapsel, Pneumolysin und S. bovis-Gruppe Sepsis, Endokarditis
IgAase.
Klinik Lobärpneumonie, Bronchopneumonie, Otitis media, S. mutans-Gruppe Endokarditis, Karies
Ulcus serpens corneae. Bei jungen Erwachsenen: Lobärpneu- S. sanguis-Gruppe Sepsis, Endokarditis
monie; bei alten Patienten und Kindern: Bronchopneumonie,
S. anginosus-Gruppe Abszesse
Meningitis.
Labordiagnose Anzucht der Erreger aus Blut und Sputum, Sinusitis
Antigennachweis im Liquor cerebrospinalis. Bei HNO- und
Meningitis
Augeninfektionen Anzucht aus Abstrichmaterial.
Therapie Otitis media, Sinusitis: kalkuliert mit Amoxicillin plus
β-Laktamase-Inhibitor, gezielt mit Penicillin G; Pneumokokken-
pneumonie: kalkuliert mit Ceftriaxon, gezielt mit Penicillin G, jResistenz gegen äußere Einflüsse
bei Penicillinallergie Cephalosporine oder Makrolide; Pneumo- Viridans-Streptokokken lassen sich mit gängigen Desinfektionsmit-
kokkenmeningitis: kalkuliert mit Ceftriaxon, gezielt mit Peni- teln leicht abtöten.
cillin G, bei Penicillinresistenz Ceftriaxon plus Vancomycin,
ggf. zusätzlich Rifampicin. jVorkommen
Prävention Schutzimpfung. S. sanguis und S. mutans sind Bestandteil der physiologischen Bak-
terienflora auf Haut und Schleimhäuten beim Menschen und bei
gewissen Tierspezies. Beim Menschen finden sich S. mutans und
S. sanguis v. a. auf Zahnoberflächen und Pharyngealschleimhaut.
25.5 Sonstige vergrünende Streptokokken Ihre Fähigkeit zur anaeroben Vermehrung erklärt, warum sie selbst
(ohne Pneumokokken) und nichthämoly- in tiefen Zahnfleischtaschen zu finden sind.
sierende Streptokokken

Steckbrief 25.5.2 Rolle als Krankheitserreger


Diese Spezies von α-hämolysierenden (Viridans-Streptokokken) kEpidemiologie
und nichthämolysierenden Streptokokken gehören zur physio- Karies (Zahnfäule) Die Karies ist eine Volkskrankheit mit sehr ho-
logischen Schleimhautflora des Menschen. Als fakultativ patho- her Prävalenz (7 Kap. 123). Ein auffallend kariesfreies Gebiss findet
gene Erreger sind v. a. S. sanguis und S. mutans für Endocarditis man bei Menschen mit Fruktoseintoleranz.
lenta und Karies verantwortlich (. Tab. 25.4).
Endocarditis lenta Endocarditis lenta und andere Infektionen
durch vergrünende Streptokokken sind seltene, aber lebensbedroh-
liche Erkrankungen. Sie setzen prädisponierende Faktoren (Herz-
klappenschädigung usw.) voraus.

kÜbertragung
Die Erreger werden bereits im 1. Lebensjahr von der Mutter auf das
Kind übertragen.

kPathogenese
Karies S. mutans und S. sanguis haben neben einer Reihe weiterer
Vergrünende Streptokokken: grampositive Kokken in einer bakterieller Spezies eine besondere Bedeutung bei der Entstehung
Vegetation an einer Herzklappe der Karies (7 Kap. 123).
Voraussetzung für die Entstehung der Karies ist die Bildung
einer Plaque auf der Zahnoberfläche: Diese ist von einer dünnen
Schicht aus Proteinen und Glykoproteinen, der Cuticula dentis
25.5.1 Beschreibung (Schmelzoberhäutchen) überzogen, auf der sich S. sanguis und
S. mutans ansiedeln. Sie produzieren Dextrane, die ihnen und ande-
jAufbau ren Bakterien als Matrix zum Anheften dienen. So entsteht nach
Vergrünende Streptokokken sind einfacher aufgebaut als β-hämo- mehreren Tagen durch deren Vermehrung eine dicke Schicht, die
lysierende. So fehlt ihnen bis auf wenige Ausnahmen ein C-Poly- Plaque, wenn sie nicht durch mechanische Einwirkungen, wie Zahn-
saccharid, sodass eine Gruppenbestimmung nach Lancefield nicht seide, Interdentalbürsten oder Munddusche entfernt wird. Die
vorgenommen wird. Plaque kalzifiziert schnell und wird zum Zahnstein.
Dieses bakterielle Konglomerat zeigt einen überwiegend an-
jExtrazelluläre Produkte aeroben Metabolismus und produziert Milchsäure, die den Zahn-
Manche Spezies (S. mutans) bilden Glukan, das als Matrix der schmelz zur Auflösung bringt und damit die Kariogenese voran-
Plaques bei der Kariogenese eine wichtige Rolle spielt. treibt. Die demineralisierende Milchsäure wird von den Plaque-
210 Kapitel 25 · Streptokokken

. Abb. 25.8 Pathogenese der Endocarditis lenta

bakterien aus den Oligosacchariden der Nahrung gebildet. Auch Endocarditis lenta Manchmal besteht ein anamnestischer Zusam-
Dextran und andere Polysaccharide spielen in der Kariogenese eine menhang zu vorausgegangenen Zahnextraktionen, Tonsillektomie,
Rolle – nicht nur als mechanischer Faktor, der das Zusammenbacken Endoskopien oder Blasenkatheterisierungen.
der Bakterien erleichtert, sondern auch insofern als die Polysaccha- Der klinische Verlauf der Endocarditis lenta ist gewöhnlich sub-
ride als Substrat für die Produktion von Oligosacchariden und akut. Charakteristisch sind Herzgeräusche und weicher Milztumor.
daraus entstehender Milchsäure dienen (Verlängerung der Azido- Der Patient klagt über Abgeschlagenheit, Nachtschweiß und Ge-
genese). lenkschmerzen. Die Körpertemperatur ist oft subfebril und hält wo-
Die Plaquebildung ist dort am stärksten ausgeprägt, wo die chenlang an. Bei der Untersuchung fallen Herzgeräusche und Puls-
Selbstreinigungsmechanismen der Mundhöhle nicht wirksam wer- beschleunigung auf, in der Haut petechiale Blutungen. An den Fin-
den und wo die tägliche mechanische Reinigung nicht ausreicht, also gerspitzen können sich die sog. Osler-Knoten bilden: subkutane,
auf Zahnhälsen, in Zahnfleischtaschen, Interdentalräumen und Fis- erythematöse Papeln. Unter den Fingernägeln finden sich lineare
suren. sog. Splitter- oder Splinterblutungen. Das Gesicht kann eine bräun-
liche Färbung annehmen (Café-au-Lait-Gesicht). Embolien im Hirn
Endocarditis lenta (subakute Endokarditis) Bei dieser lebensbe- äußern sich in apoplektischen Insulten und können, weil die Throm-
drohlichen Erkrankung, auch als Lenta-Sepsis bezeichnet, siedeln ben Bakterien enthalten, zu Hirnabszessen führen. Die zunehmende
sich vergrünende Streptokokken, die bei einer transitorischen Bak- Klappendestruktion endet in einer Herzinsuffizienz.
Bakteriologie

teriämie nach kleinen Verletzungen im Mundbereich, z. B. bei Zahn- An künstlichen Herzklappen sind vergrünende Streptokokken
extraktionen oder Taschensanierung in die Blutbahn gelangt sind, meist als Erreger der Spätendokarditis zu finden, d. h. mehr als
auf vorgeschädigten Herzklappen an. Die Herzklappe ist in der Regel 2 Monate nach Implantation der Kunstklappe.
narbig verändert, meist aufgrund eines akuten rheumatischen Fie-
bers im Gefolge einer Infektion mit β-hämolysierenden Streptokok- kImmunität
ken der Gruppe A. Gegen vergrünende Streptokokken gibt es keine spezifische Immu-
Dadurch kommt es zu Veränderungen der hämodynamischen nität.
Verhältnisse, Thrombozytenzerfall und infolgedessen zu Fibrinabla-
gerungen auf der Klappe. Die vorbeiströmenden Erreger bleiben im kLabordiagnose
Fibrinnetz hängen, wo sie sich vermehren können. Die Vermehrung Der Schwerpunkt liegt bei Endocarditis lenta in der Anzüchtung der
wird begünstigt, weil die lokale Infektabwehr schwach ist, da die Erreger aus Blutkulturen und der anschließenden biochemischen
Phagozyten mit dem Blutstrom weggeschwemmt werden, und weil Differenzierung.
die Fibrinschicht die Bakterien schützt. Die Erreger vermehren sich,
weiteres Fibrin lagert sich auf und wenn sich der Zyklus oft genug Untersuchungsmaterial 4–6 Blutproben werden, optimal im Tem-
wiederholt hat, entsteht ein als Vegetation bezeichneter Thrombus. peraturanstieg, innerhalb von 24 h entnommen und in vorgewärm-
Die Vegetationen können sich ablösen und als Thromben Embolien ten Blutkulturflaschen ins Labor gebracht.
mit entsprechender Symptomatik in Hirnarterien, Koronararterien
und den Arterien anderer Organe verursachen (. Abb. 25.8). Mikroskopie Die vergrünenden Streptokokken erscheinen als Ket-
tenkokken.
kKlinik
Karies Klinisch ist sie durch Defekte im Zahnschmelz gekennzeich- Anzucht Die Anzucht gelingt auf Basiskulturmedien, z. B. auf Blu-
net, die sich auf das Dentin ausbreiten können, das in der Folge auf- tagarplatten, die Schafblut enthalten. Dort bilden die vergrünenden
weicht und das Vordringen der Karies in Richtung Zahnpulpa er- Streptokokken kleine Kolonien mit 0,5–1,0 mm Durchmesser, die
möglicht. (7 Kap. 123). Die Irritation der Pulpa (Pulpitis) führt zu von einem α-Hämolysehof umgeben sind.
Zahnschmerzen.
Literatur
211 25
Biochemische Differenzierung Von den isolierten Kolonien wird
zur Speziesidentifizierung eine »bunte Reihe« angelegt. Hierfür gibt 5 Endocarditis lenta: Verletzung im Mundbereich ൺ transiente
es kommerziell erhältliche Testsysteme (z. B. Api Strep). Differen- Bakteriämie ൺ Absiedlung auf vorgeschädigter Herzklappe
zialdiagnostisch wichtig ist die Abgrenzung von den Pneumokokken ൺ Entstehung von Vegetationen ൺ Embolien mit entspre-
(Optochinempfindlichkeit oder Gallelöslichkeit) und den Entero- chender Symptomatik
kokken (Salzresistenz und Äskulinspaltung).
Zielgewebe
kTherapie 5 Karies: Fissuren, parodontale Taschen
Antibiotikaempfindlichkeit Viridans-Streptokokken sind primär 5 Endocarditis lenta: vorgeschädigte Herzklappen
empfindlich gegenüber Penicillin G, Aminopenicillinen und Cepha-
losporinen. Gegenüber Aminoglykosiden sind sie, wenn nicht in Klinik
Kombination mit β-Laktam-Antibiotika gegeben, unempfindlich. 5 Karies: Zahnfäule, Schmelzdefekte, Pulpitis, Pulpagangrän
5 Endocarditis lenta: anamnestisch häufig Zahnextraktion,
Therapeutisches Vorgehen Therapie der Wahl bei Endocarditis subakuter Verlauf, petechiale Hautblutungen, Herzgeräusch,
lenta ist die hochdosierte Gabe von Penicillin G über 4 Wochen in weicher Milztumor
Kombination mit einem Aminoglykosid in den ersten 2 Wochen.
Damit wird ein synergistischer bakterizider Effekt erreicht: Penicil- Labordiagnose Wiederholte Blutkulturen. Erregernachweis:
lin G lockert die Peptidoglykanschicht auf, was den Einstrom von Anzucht auf bluthaltigen Nährböden. Identifikation: Hämolyse-
Aminoglykosiden in das Innere der Bakterienzelle erleichtert, sodass verhalten und biochemische Leistungsprüfung
die Aminoglykoside nun ihren intrazytoplasmatischen Wirkort an
den Ribosomen erreichen. Therapie
5 Karies: Zahnsanierung
kPrävention 5 Endocarditis lenta: hochdosierte Penicillin-G-Gabe in
Karies Zu den wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen gehört eine Kombination mit einem Aminoglykosid (Synergismus)
adäquate Mundhygiene (Zähneputzen, Entfernen der Plaques,
7 Kap. 123). Prävention Endokarditisprophylaxe v. a. bei Zahnextraktion und
schon bestehender Herzklappenschädigung mit Amoxicillin
Endocarditis lenta Patienten mit künstlichen oder vorgeschädigten
Herzklappen sollten vor jedem Eingriff, der eine Bakteriämie aus-
lösen könnte – d. h. vor Zahnextraktionen, Taschensanierungen,
Operationen, aber auch vor endoskopischen Eingriffen und Kathe- Literatur
terisierung – prophylaktisch Amoxicillin, bei Penicillinallergie Ery-
thromycin oder Clindamycin erhalten. Barnard JP, Stinson MW (1996) The alpha-hemolysin of Streptococcus
gordonii is hydrogen peroxide. Infect Immun. 64:3853-3857.
Parks T1, Smeesters PR, Curtis N, Steer AC (2015) ASO titer or not? When to
use streptococcal serology: a guide for clinicians. Eur J Clin Microbiol
In Kürze
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Vergrünende Streptokokken und nichthämolysierende Metzgar D, Zampolli A (2011) The M protein of group A Streptococcus is a key
Streptokokken virulence factor and a clinically relevant strain identification marker.
Bakteriologie Grampositive, fakultativ anaerob wachsende Virulence. 2:402-412.
Kettenkokken mit α-Hämolyse, ohne Gruppenantigen und ohne Kirvan CA, Swedo SE, Heuser JS, Cunningham MW (2003) Mimicry and auto-
Kapsel antibody-mediated neuronal cell signaling in Sydenham chorea. Nat
Resistenz gegen äußere Einflüsse Relativ empfindlich gegen Med. 9:914-920.
Umwelteinflüsse Jambotkar SM, Shastry P, Kamat JR, Kinare SG (1993) Elevated levels of IgG
specific antimyosin antibodies in acute rheumatic fever (ARF): differential
Vorkommen Physiologische Bakterienflora auf Haut und
profiles of antibodies to myosin and soluble myocardial antigens in ARF,
Schleimhäuten des Menschen
acute glomerulonephritis and group A streptococcal pharyngitis. J Clin
Epidemiologie Weltweit verbreitet Lab Immunol. 40(4):149-161.
Rolle als Krankheitserreger Erreger der Karies, der subakuten
bakteriellen Endokarditis (E. lenta), dentogener Abszesse
Zielgruppe
5 Karies: Menschen mit mangelnder Zahnhygiene (Plaque-
bildung)
5 Endocarditis lenta: Menschen mit vorgeschädigten Herz-
klappen (rheumatische Genese)

Pathogenese
5 Karies: mangelnde Zahnhygiene ൺ Plaquebildung ൺ Erreger-
absiedlung und Vermehrung ൺ Matrixbildung ൺ Ansiedlung
sekundärer Erreger mit anaerobem Metabolismus ൺ Milch-
säureentstehung ൺ Auflösung des Zahnschmelzes
213 26

Enterokokken und weitere katalase-


negative grampositive Kokken
S. Gatermann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_26, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Enterokokken bilden eine Gattung grampositiver Kettenkokken und 26.1 Enterococcus faecalis
werden nunmehr (Bergeys Manual 2009) der Familie der Enterococca- und Enterococcus faecium
ceae zugeordnet (. Tab. 26.1). Durch den Besitz des D-Polysaccharids
in der Wand sind sie mit den D-Streptokokken verwandt, verursachen
Steckbrief
aber keine β-Hämolyse. Die Gattung umfasst die medizinisch rele-
vanten Spezies Enterococcus (E.) faecalis und E. faecium (. Tab. 26.2). E. faecalis und E. faecium sind wichtige Erreger meist nosoko-
Enterokokken sind von zunehmender Relevanz wegen der Zunahme mialer Harnweginfektionen und von Sepsis sowie gelegentlich
antibiotikaresistenter Stämme auf Intensivstationen und wegen der Endokarditis (. Tab. 26.2).
Problematik der Vancomycinresistenz bei E. faecium.
Von den Enterokokken sind andere katalasenegative grampositive
Kokken abzugrenzen.

. Tab. 26.1 Enterococcus: Gattungsmerkmale

Merkmal Ausprägung

Gramfärbung grampositive Kokken

Aerob/anaerob fakultativ anaerob Enterokokken: grampositive Kokken, entdeckt 1899


von Thiercelin (im Darm) und Mac-Callum und Hastings
Kohlenhydratverwertung fermentativ
(bei Endokarditis), Abgrenzung von Streptokokken 1984
Sporenbildung nein von K. H. Schleifer und R. Kilpper-Balz
Beweglichkeit nein (Ausnahmen kommen vor)

Katalase negativ

Oxidase negativ 26.1.1 Beschreibung


Besonderheiten Vermehrung bei 6,5 % NaCl
jAufbau
Murein Enterokokken zeigen den typischen Wandaufbau gram-
positiver Kokken mit einer mehrlagigen Peptidoglykanschicht
(7 Abschn. 22.2.7).
. Tab. 26.2 Enterokokken: Arten und Krankheiten
Gruppe-D-Antigen Die meisten Enterokokken besitzen eine Lipo-
Art Krankheiten
teichonsäure (LTS), das Gruppe-D-Antigen nach Lancefield.
E. faecalis, Sepsis
E. faecium Aggregationssubstanz (AS) Dieses Zellwandprotein bindet sich an
Endokarditis Rezeptoren für Fibronektin und Integrine.
Harnweginfektionen
jExtrazelluläre Produkte
Peritonitis Enterokokken sezernieren mehrere Enzyme, die bei Invasion, Etab-
Cholezystitis, Cholangitis lierung und Schädigung eine Rolle spielen, so Gelatinase, Hyaluro-
nidase, Zytolysin A.
Weichteilinfektionen

Wundinfektionen (Brandwunden) jResistenz gegen äußere Einflüsse


katheterassoziierte Infektionen Enterokokken widerstehen extremen Bedingungen wie Hitze
(45 °C), hohem pH (9,6) und hohen Salzkonzentrationen (6,5 %
214 Kapitel 26 · Enterokokken und weitere katalasenegative grampositive Kokken

NaCl) sowie Galle. Die Resistenz gegen hohe Salzkonzentrationen der Adhärenz sowie über eine Komplementaktivierung an der Ent-
wird diagnostisch genutzt. zündung beteiligt.

jVorkommen kKlinik
Enterokokken bilden einen Teil der physiologischen Dickdarmflora Harnweginfektionen Enterokokken sind nach E. coli das zweithäu-
des Menschen und zahlreicher Säugetiere sowie von Vögeln. Sie figste Isolat bei nosokomial erworbenen Harnweginfektionen.
überleben im Darm aufgrund ihrer Resistenz gegen Galle.
Peritonitis Bedingt durch ihren natürlichen Standort im Darm
können Enterokokken an Infektionen nach Darmtrauma oder -OP
26.1.2 Rolle als Krankheitserreger beteiligt sein. Gefürchtet sind Enterokokken als Verursacher einer
Peritonitis bei Patienten mit CAPD (»chronic ambulatory peritoneal
kEpidemiologie dialysis«).
In 90 % tritt E. faecalis und in 10 % E. faecium als Krankheitserreger
in Erscheinung. Durch die Zunahme abwehrgeschwächter Patienten Weichteilinfektionen Enterokokken werden häufig aus Opera-
in Krankenhäusern und aufgrund ihrer Selektionierung durch die tionswunden, Dekubitalulzera und diabetisch bedingten Fußinfek-
Therapie mit Cephalosporinen haben sie an Bedeutung gewonnen. tionen isoliert, meist zusammen mit gramnegativen Stäbchen und
Im ambulanten Bereich treten systemische Erkrankungen bei i. v. obligaten Anaerobiern. Ihre pathogenetische Relevanz ist dann häu-
Drogenabhängigen und bei Patienten mit vorgeschädigten Herz- fig gering.
klappen auf; Enterokokken verursachen 5–15 % aller Endokardi-
tiden. Sepsis Die Sepsis durch Enterokokken entsteht meist urogen oder
enterogen. Bei unreifen Neugeborenen tritt sie gelegentlich als Early-
kÜbertragung Onset-Syndrom auch mit Meningitis vergesellschaftet auf (7 Kap. 25).
Enterokokkeninfektionen entstehen endogen. Quelle ist der Darm,
von dem aus die Bakterien nach Perforationen (Peritonitis) oder Endocarditis lenta Ähnlich wie vergrünende Streptokokken befal-
durch Schmierinfektionen (Harnweginfektion) zu Infektionen füh- len Enterokokken bevorzugt vorgeschädigte Herzklappen, werden
ren können. jedoch auch in zunehmendem Maße von Klappenimplantaten iso-
liert. Als Erregerquelle kommt der Gastrointestinaltrakt infrage.
kPathogenese
An der Pathogenese der Enterokokkeninfektion ist eine Vielzahl von Infektionen des Respirationstraktes Der Nachweis von Entero-
Virulenzfaktoren beteiligt, deren Zusammenspiel bisher nur unvoll- kokken im Respirationstrakt weist praktisch immer auf eine durch
ständig verstanden wird (. Abb. 26.1). Die LTS der Zellwand ist an Antibiotika geförderte Kolonisation hin.
Bakteriologie

. Abb. 26.1 Pathogenese der Enterokokkeninfektionen


26.2 · Weitere grampositive Kokken
215 26
kImmunität Eine Übertragung der Vancomycinresistenz auf S. aureus, insbe-
Antikörper bewirken in vitro die Phagozytose und Abtötung von sondere MRSA (7 Kap. 24), ist inzwischen auch bei Patienten be-
Enterokokken durch neutrophile Granulozyten. schrieben worden.

kLabordiagnose kPrävention
Der Schwerpunkt liegt in der Anzucht der Erreger und ihrer an- Patienten mit vorgeschädigten Herzklappen oder mit Kunstklappen
schließenden biochemischen Differenzierung sowie in der Erstel- sollen bei endoskopischen Maßnahmen und einigen zahnmedizini-
lung eines Antibiogramms. schen Eingriffen eine Endokarditisprophylaxe (z. B. mit Amoxicil-
lin) erhalten.
Untersuchungsmaterialien Je nach Lokalisation des Prozesses Häufig werden VRE-Träger und -Patienten wie MRSA-Träger/-
eignen sich Urin, Blut, Peritonealexsudat oder Eiter. Patienten strikt isoliert (7 Kap. 20).

Anzucht Enterokokken lassen sich leicht anzüchten. Auf Schaf-


blutagar verursachen sie keine bzw. nur eine leichte α-Hämolyse. 26.2 Weitere grampositive Kokken

Identifizierung Mikroskopisch imponieren Enterokokken als Neben Staphylo-, Strepto- und Enterokokken existiert noch eine
grampositive Kettenkokken. Anzuchtmerkmale sind Wachstum bei Reihe weiterer grampositiver Kugelbakterien, die zur Haut- und
6,5 %iger NaCl-Konzentration und Äskulinspaltung. Schleimhautflora gehören, aber gelegentlich als Krankheitserreger
beim Menschen in Erscheinung treten können.
Interpretation Ähnlich wie bei koagulasenegativen Staphylokok- Hierzu zählen die katalasenegativen Gattungen:
ken ist die richtige Interpretation eines Enterokokkenbefunds ent- 4 Aerococcus (Endokarditis, Harnweginfektion)
scheidend, weil es gilt, Kolonisationskeime von eigentlichen Erre- 4 Gemella (selten Endokarditis oder Meningitis)
gern abzugrenzen. Insbesondere von Intensivpatienten lassen sich 4 Lactococcus (Endokarditis)
Enterokokken häufig isolieren (z. B. aus Respirationstraktsekreten, 4 die vancomycinresistenten Leuconostoc (Sepsis, Meningitis)
aus Urin), da sie durch den Einsatz von Cephalosporinen und Ami- und Pediococcus (Sepsis, Leberabszess)
noglykosiden selektioniert werden (Ersatzflora unter Antibiotika-
therapie). Dabei bleibt die Frage häufig ungeklärt, ob das Isolat pa- Katalasepositiv sind Alloiococcus (chronische Otitis media; Rari-
thogenetische Bedeutung hat. tät) und Micrococcus (häufig), der allerdings praktisch nie Infektio-
nen verursacht.
kTherapie
Antibiotikaempfindlichkeit Enterokokken sind gegenüber Amino-
In Kürze
penicillinen, Ureidopenicillinen und Glykopeptiden empfindlich.
Enterokokken
Beachte: Alle Cephalosporine und Aminoglykoside sind gegen
Bakteriologie Grampositive Kettenkokken. Häufigste medizi-
Enterokokken unwirksam (Enterokokkenlücke), Penicillin G und
nisch bedeutsame Arten: E. faecalis und E. faecium
Gyrasehemmer wirken meist schlecht; auch Clindamycin und
Vorkommen Im Dickdarm von Mensch und Tier
Cotrimoxazol sind unwirksam.
Resistenz gegen äußere Einflüsse Primärresistenz gegen
Cephalosporine (Enterokokkenlücke) und Aminoglykoside.
Therapeutisches Vorgehen Mittel der Wahl zur Behandlung von
Wachstum in Gegenwart von 6,5 % NaCl und bei pH 9,6;
Enterokokkeninfektionen ist Ampicillin. Bei Endokarditis setzt man
recht resistent gegenüber Umwelteinflüssen
eine Kombination von Ampicillin mit einem Aminoglykosid (z. B.
Epidemiologie Weltweit vorkommend
Gentamicin) ein. Diese Kombination wirkt trotz der Primärresistenz
Zielgruppe Abwehrgeschwächte
von Enterokokken gegen Aminoglykoside synergistisch bakterizid,
Übertragung Meist endogene Infektion. Nosokomiale Über-
da das primär unwirksame Aminoglykosid in die Bakterienzelle ein-
tragung möglich
dringen kann, wenn die Wand durch die Wirkung des β-Laktams
Zielgewebe Harntrakt, Herzklappen, Blutbahn
aufgelockert ist. Es kommen jedoch Enterokokkenstämme vor, die
Klinik Harnweg-, Abdominalinfektionen, Sepsis, Endokarditis
zusätzlich zur intrinsischen Resistenz ein Aminoglykosid-inaktivie-
Immunität Enterokokken hinterlassen keine Infektionsimmuni-
rendes Enzym bilden; bei ihnen wirkt die Kombination dann nicht
tät.
mehr synergistisch und man muss auf andere Antibiotikakombina-
Diagnose Anzucht, Äskulinspaltung
tionen ausweichen. Reservemittel sind Vancomycin, Teicoplanin
Therapie Aminopenicilline, Ureidopenicilline, bei Sepsis und
oder Linezolid.
Endokarditis in Kombination mit Aminoglykosiden; bei Resis-
tenz: Vancomycin, Teicoplanin, Linezolid
VRE-Problematik Durch unkritische Gabe von Glykopeptidantibio-
Prävention Hygienemaßnahmen zur Verhinderung der
tika haben sich vancomycinresistente Enterokokkenstämme (VRE)
Schmierinfektion. Patienten mit VRE müssen isoliert werden.
entwickelt. Häufig sind diese auch gegen die anderen enterokokken-
Bei Patienten mit vorgeschädigter Herzklappe: Amoxicillin-
wirksamen Antibiotika resistent und stellen daher den Arzt vor
prophylaxe vor endoskopischen Eingriffen.
schwer lösbare Therapieprobleme. VRE-Stämme müssen nach Anti-
Vakzination Nicht möglich
biogramm behandelt werden, wobei mitunter Ampicillin noch wirk-
sam ist. Solche mit hochgradiger Vancomycin- und Ampicillinresis-
tenz (ca. 5 % aller Isolate in Deutschland) lassen sich oft nur noch mit
Linezolid therapieren. In Deutschland liegt die Rate der VRE-Träger
unter 1 %, in den USA sind es in manchen Zentren schon 30 % der
Isolate, wobei aber nicht jedes Isolat klinisch relevant ist.
217 27

Neisserien
T. F. Meyer, J. Elias

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_27, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Zum Genus Neisseria zählen die jeweils humanpathogenen Gonokok-


. Tab. 27.2 Neisserien: Arten und Krankheiten
ken und Meningokokken. Daneben existieren zahlreiche meist harm-
lose, kommensalische Neisserienarten. Die Neisserien stehen über
Art Krankheit
transformationsbedingten horizontalen Genaustausch miteinander in
Verbindung, wodurch die Bildung neuer Virulenztypen begünstigt N. gonorrhoeae Gonorrhö, disseminierte Gonokokken-
wird. Die Entdeckung ihres ersten Vertreters, Neisseria gonorrhoeae,
infektion (DGI), Arthritis
durch den deutschen Bakeriologen Albert Neisser geht auf das Jahr
1879 zurück. N. meningitidis Meningitis, Sepsis, Waterhouse-
Im Gegensatz zu Gonokokken bilden Meningokokken eine Polysac- Friderichsen-Syndrom
charidkapsel aus, die eine Serumresistenz vermittelt. Durch vorüber- Kommensalische Neisserien Schleimhaut-Normalflora
gehendes Abschalten der Kapselbildung vermögen Meningokokken
(ebenso wie Gonokokken) epitheliales Gewebe infiltrieren. Einmal in
der Blutbahn angelangt, können Meningokokken durch Neusynthese
ihrer Kapsel eine Sepsis (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom) auszu- 27.1 Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken)
lösen. Neisserien sind Gegenstand der Erforschung grundlegender
Pathogenitätsmechanismen wie der antigenen Variation, der Autotrans-
Steckbrief
portfunktion (IgA-Protease), sowie der Bildung retraktiler und Typ-IV-
Pili, einer Kapsel und funktionell variabler Oberflächenadhäsine und N. gonorrhoeae ist der Erreger der Gonorrhö (GO, »Tripper«)
Invasine. und anderer übertragbarer Erkrankungen wie der Gonoblen-
norrhö des Neugeborenen, eitriger Gonarthritiden sowie
von Sepsis und aufsteigenden Genitalinfektionen (»pelvic
Steckbrief inflammatory disease«, PID).
Der Breslauer Dermatologe Albert Neisser (1855–1916) führte
Die Mitglieder der Gattung Neisseria (Neisserien) – Familie
1879 den mikroskopischen Nachweis von Gonokokken im
Neisseriaceae – sind gramnegative Diplokokken. . Tab. 27.1
Harnröhreneiter eines Gonorrhöpatienten und im Konjunktival-
enthält ihre gattungsbestimmenden Merkmale. Die Spezies
abstrich bei der gonorrhoischen Säuglingskonjunktivitis.
Neisseria (N.) gonorrhoeae und N. meningitidis sind für den
Menschen pathogen (. Tab. 27.2).

. Tab. 27.1 Neisseria: Gattungsmerkmale

Merkmal Ausprägung

Gramfärbung gramnegative Kokken (diplo)

Aerob/anaerob aerob
Neisseria gonorrhoeae: semmelförmige gramnegative
Kohlenhydratverwertung oxidativ Diplokokken, z. T. intragranulozytär, entdeckt 1879 von
A. Neisser
Sporenbildung nein

Beweglichkeit »twitching motility«

Katalase positiv
27.1.1 Beschreibung
Oxidase positiv

Besonderheiten N. gonorrhoeae zeigt Kolonie- jAufbau


variationen Der Aufbau der Gonokokken entspricht dem gramnegativer Bakte-
rien (7 Kap. 22). Ein wichtiges Merkmal der Neisserien ist ihre
N. meningitidis kann Polysaccharid-
kapsel bilden variable Oberflächenbeschaffenheit. Mittels antigener Variation
entziehen sich die Erreger der humoralen Immunantwort und pas-
218 Kapitel 27 · Neisserien

sen sich mit diesem stochastischen Prozess optimal an die Bedin- kulturelle Nachweis den schnellen Versand in nutritiven oder nicht-
gungen im menschlichen Wirt an. nutritiven Transportmedien.

Lipooligosaccharide Die äußere Membran enthält variable Lipo- jVorkommen


oligosaccharide (LOS), deren Endotoxinanteil an den entzündlichen Der Mensch ist der einzige Wirt. Dort siedelt sich der Erreger auf
Reaktionen der Gonorrhö beteiligt ist. Bestimmte variante Formen Schleimhäuten an.
des LOS können Sialinsäure binden und eine kapselartige Struktur
ausbilden, die Serumresistenz vermittelt und für das extrazelluläre
Überleben der Gonokokken wichtig ist. Allerdings fehlt den Gono- 27.1.2 Rolle als Krankheitserreger
kokken im Gegensatz zu den Meningokokken eine typische Polysac-
charidkapsel. kEpidemiologie
Gonokokkeninfektionen sind weltweit verbreitet. Die Inzidenz der
Pili Die Pili der Gonokokken, feine polymere Anhängsel, dienen Gonorrhö in Deutschland ist nicht genau bekannt: Schätzungsweise
den Erregern zur initialen Verankerung in der menschlichen gibt es mindestens 25.000 Gonorrhöfälle pro Jahr. Bis zum Ende der
Schleimhaut. Es handelt sich um retraktile Typ-IV-Pili, welche die Meldepflicht (2000) wurden jährlich ca. 4000 Fälle gemeldet, wobei
»twitching motility« der Erreger verursachen. Die Bindung an epi- von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Die höchste Erkran-
theliale Rezeptoren wird über ihr an der Pilusspitze positioniertes kungsrate besteht bei jungen Erwachsenen.
PilC-Protein vermittelt. Darüber hinaus sind die Pili an der Bil- In Ländern mit begrenzten Behandlungsmöglichkeiten und
dung  interbakterieller Netzwerke, der Mikrokolonien, beteiligt. schlecht entwickeltem öffentlichen Gesundheitswesen kann die
Die Ausprägung der Pili stabilisiert den extrazellulären Status der Krankheit alarmierende Ausmaße annehmen. So waren nach einer
Erreger. Die Pili sind zwar stark immunogen, jedoch täuschen sie Studie in Uganda 17,5 % der Frauen in einer Schwangerschaftsvor-
das Immunsystem durch antigene Variation ihrer Hauptunterein- sorge-Klinik mit Gonokokken infiziert. In Ländern mit hoher Inzi-
heit (Pilin, PilE) und verhindern so ihre Aggregation durch Anti- denz ist die Gonorrhö die häufigste Ursache der Infertilität. Bei 10 %
körper. aller infizierten Männer und bei 30–40 % aller infizierten Frauen
verläuft die Infektion asymptomatisch. Dieser Personenkreis sucht
Oberflächenadhäsine Die variablen Opa-Proteine (»colony opa- den Arzt gar nicht auf oder es werden uncharakteristische Beschwer-
city-associated«) der äußeren Membran vermitteln direkten Kontakt den angegeben: Ein Großteil der Infektionen wird nicht diagnosti-
der Erreger mit Wirtszellen und bereiten die Zellinvasion vor. Opa- ziert. Die Patienten können Gonokokken monatelang beherbergen
Proteine binden entweder an Heparansulfatproteoglykan-(HSPG-) und ihre Partner infizieren.
Rezeptoren oder an Mitglieder der karzinoembryogenen Rezeptor-
familie (CEACAM) auf Epithelzellen, Fibroblasten, Endothelzellen kÜbertragung
und Phagozyten. Die Opa-vermittelte Bindung der Erreger an Gonokokken werden überwiegend durch engen Schleimhautkon-
CEACAM verhindert epitheliale Exfoliation und manifestiert somit takt, d. h. durch Geschlechtsverkehr, übertragen. Neugeborene infi-
die Infektion. zieren sich beim Durchtritt durch den Geburtskanal einer infizierten
Mutter an den Konjunktiven (Ophthalmia neonatorum).
Weitere Oberflächenproteine Rezeptoren für Transferrin und
Laktoferrin sind für die Zufuhr essenziellen Eisens aus der Umge- kPathogenese
Bakteriologie

bung notwendig. Auf Porin, dem Hauptprotein der äußeren Mem- Gewebereaktion Die Gonokokkenerkrankung ist typischerweise
bran, beruht die Serotypisierung der Gonokokken. Dieser wichtige eine eitrige Entzündung.
Virulenzfaktor wird von den Erregern in die infizierte Zelle ge-
schleust und dringt in die Mitochondrien ein. Von dort aus über- Adhäsion Beim Mann heften sich die Gonokokken mittels ihrer Pili
nimmt es die Kontrolle über das »Selbstmordprogramm« (Apop- an die Rezeptoren der Plasmamembran der Säulenepithelzellen der
tose) der Wirtszelle. Urethra; bei der Frau heften sie sich an Rezeptoren der Säulenepi-
thelzellen der Endozervix, seltener der Urethra, beim Neugeborenen
jExtrazelluläre Produkte und bei Schmierinfektionen an die Rezeptoren der Konjunktivalzel-
IgA1-Protease (IgAase) Das Enzym vermag menschliche IgA1- len. Entsprechende Rezeptoren findet der Erreger auch an Schleim-
Antikörper in der Gelenkregion zu spalten. Durch diesen Mechanis- hautzellen von Rachen und Mastdarm, die ebenfalls infiziert werden
mus wird vermutlich die IgA-abhängige lokale Immunität der können (. Abb. 27.1).
Schleimhäute gestört und die Etablierung des Erregers erleichtert
(. Abb. 27.1). Darüber hinaus wurden weitere zelluläre Substrate der Invasion Die Gonokokken werden Opa-abhängig von den Epithel-
IgAase gefunden, deren Spaltung für den Erreger möglicherweise zellen endozytiert, in Vakuolen zur Basalmembran transportiert
noch bedeutsamer ist. und dort u. a. durch Exozytose in die Lamina propria ausgestoßen
(. Abb. 27.1).
Penicillinase Mit zunehmender Häufigkeit, regional jedoch sehr
unterschiedlich, finden sich penicillinasebildende Gonokokken- Gewebeschädigung Durch die Freisetzung von Lipooligosaccha-
stämme. Die Penicillinase ist plasmidkodiert; es sind aber auch Fälle rid beim Zerfall der Gonokokken in der Submukosa wird Komple-
chromosomal bedingter Penicillinresistenz bekannt. ment aktiviert, C3a und C5a werden freigesetzt und Granulozyten
angelockt (. Abb. 27.1). Es entwickelt sich eine eitrige Entzündung,
jResistenz gegen äußere Einflüsse in deren Verlauf die Granulozyten Gonokokken phagozytieren. Ein
Gonokokken sind gegen äußere Einflüsse sehr empfindlich. Bei pH- Teil der phagozytierten Erreger kann allerdings intrazellulär überle-
Werten > 8,6 und Temperaturen > 41 °C sterben sie ab. Besonders ben. Man sieht die Erreger bei frischen Infektionen daher typischer-
empfindlich sind sie gegen Austrocknung. Deshalb erfordert der weise intrazellulär in Granulozyten.
27.1 · Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken)
219 27

. Abb. 27.1 Pathogenese der Gonorrhö (LOS, Lipooligosaccharid; OPA, Oberflächenadhäsin)

Da Gonokokken sehr empfindlich gegen die bakteriolytische Unbehandelt verschwindet die Gonorrhö beim Mann im Verlauf
Wirkung von Komplement sind, werden die meisten extrazellulär einiger Wochen. Allmorgendlicher eitriger Ausfluss kann über
verbliebenen Gonokokken durch Komplementwirkung über den Monate bestehen bleiben (Bonjour-Tröpfchen).
alternativen Weg der Komplementaktivierung (7 Kap. 9) abgetötet. Die Gonokokkenurethritis kann, insbesondere nach mehrfa-
chen Infektionen, durch Vernarbung der Harnröhre eine Harnröh-
kKlinik renstriktur nach sich ziehen. Die gonorrhoische Epididymitis führt
Gonorrhö des Mannes 2–5 Tage nach Infektion tritt ein juckendes häufig zur Infertilität.
Gefühl in der Urethra auf. Stunden später stellen sich Schmerzen
beim Wasserlassen und eitriger Ausfluss ein (. Abb. 27.2). Im Eiter Gonorrhö der Frau Bei der Frau entwickelt sich die Entzündung
liegen die gramnegativen Diplokokken im Innern polymorphkerni- in der Submukosa der Endozervix. Vaginaler Fluor tritt im Mittel
ger Granulozyten. Zeichen einer Allgemeininfektion, auch Leukozy- 8 (3–21) Tage nach Infektion auf.
tose, können fehlen. Bei der gonorrhoischen Urethritis der Frau sind schmerzhafte
Die Entzündung kann über die Schleimhaut aszendieren und die Miktion und häufiger Harndrang die charakteristischen Symptome.
peri- und bulbourethralen Drüsen, sowie Epididymis, Vesicula Aus der Urethra lässt sich Eiter auspressen. Seltener befallen sind die
seminalis und Prostata befallen. In diesen Fällen entwickeln sich Bartholin-Drüsen und die Skené-Gänge, aus denen sich ebenfalls
Zeichen einer Allgemeininfektion, insbesondere eine Leukozytose. Eiter auspressen lässt.
220 Kapitel 27 · Neisserien

einhergehen, aber auch subklinisch verlaufen. Ein Befall des


Rektums lässt sich nie ausschließen; deshalb ist dieses Organ
immer in die Diagnostik einzubeziehen.
4 Die gonorrhoische Konjunktivitis entsteht bei Erwachsenen
durch Schmierinfektion. Infiziert das Neugeborene sich beim
Durchtritt durch den Geburtskanal der infizierten Mutter,
entsteht eine eitrige Keratokonjunktivitis, die Ophthalmia
neonatorum (Gonoblennorrhö). Wird nicht umgehend thera-
peutisch eingegriffen, kann die Gonoblennorrhö eine Perfora-
tion der Kornea und Erblindung nach sich ziehen. Im 19. Jahr-
hundert war die Gonoblennorrhö in Europa eine der Haupt-
ursachen von Blindheit.

Disseminierte Gonokokkeninfektion (DGI) Für die DGI sind kom-


plementresistente (auch: »serumresistente«) Gonokokkenstämme
. Abb. 27.2 Neisseria gonorrhoeae – eitrige Urethritis verantwortlich. Die Erreger breiten sich über die Blutbahn aus und
siedeln sich v. a. im Kniegelenk mit folgender Monarthritis und/oder
Tendosynovitis ab. Infolge der Gonokokkensepsis treten oft hämor-
Die typischen Beschwerden einer akuten Gonorrhö treten nur rhagische Exantheme und Petechien auf, auch Endokarditis und
bei 60 % aller infizierten Frauen auf, die übrigen Fälle verlaufen sub- Perimyokarditis. Patienten mit Mangel an späten Komplementkom-
klinisch. Den Patientinnen mit subklinischer Gonorrhö kommt als ponenten (C5–C9) können ebenfalls an der generalisierten Gono-
potenzielle Infektionsquellen große Bedeutung zu. kokkeninfektion erkranken, selbst wenn es sich bei den Erregern um
komplementempfindliche Stämme handelt. Die DGI betrifft 1–3 %
Aszendierende Genitalinfektion (»pelvic inflammatory disease«, der Gonorrhöpatienten.
PID) Bei bis zu einem Viertel der Frauen mit endozervikaler Gonor-
rhö steigt die Infektion von der Endozervix auf und kann eine Endo- Doppelinfektion In 20–50 % aller Gonorrhöfälle liegt eine Doppel-
metritis, Salpingitis, Oophoritis, Parametritis oder Beckenperitonitis infektion durch Gonokokken und Chlamydien bzw. mit Ureaplasma
hervorrufen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der aszen- urealyticum vor (7 Kap. 48). In einem solchen Fall können diese
dierenden Genitalinfektion. Erreger eine Urethritis aufrechterhalten, wenn die Therapie durch
Die akute PID kann durch Gonokokken allein oder durch eine ein Cephalosporin lediglich die Gonokokkeninfektion beseitigt hat.
Mischinfektion mit Chlamydien und/oder Mykoplasmen verursacht Diese Form der Urethritis heißt postgonorrhoische Urethritis
sein. Die PID kann in ein chronisches Stadium übergehen, das durch (PGU). Daher muss eine bakteriologische Diagnostik bei Gonorrhö-
Mischinfektionen mit weiteren, auch obligat anaeroben Erregern, verdacht immer auch eine PGU ausschließen.
gekennzeichnet ist. Sie hinterlässt Fibrosierungen und Verwachsun- Auch eine Syphilis kann mit einer Gonorrhö vergesellschaftet
gen; es folgt häufig Tubensterilität: So werden nach einmaliger gono- auftreten und ist daher serologisch auszuschließen (7 Kap. 43).
kokkenbedingter PID bis zu 20 %, nach 3-maliger Erkrankung aber
75 % der Patientinnen infertil. Als weitere Komplikation der PID ist kImmunität
Bakteriologie

die Perihepatitis (Fitz-Hugh-Curtis-[FHC-]Syndrom) zu erwähnen. Die Gonokokkeninfektion löst eine humorale und zelluläre Immu-
nantwort aus. Gonokokken können jedoch aufgrund ihrer antigenen
Gonorrhö und Schwangerschaft Schwangere sind mit einem er- Variabilität, ihrer Fähigkeit, in Zellen einzudringen, und weiterer
höhten Risiko einer disseminierten Gonokokkeninfektion (DGI; Evasionsmechanismen der Immunantwort des menschlichen Wirtes
7 s. u.) belastet. Daneben besteht ein erhöhtes Risiko einer Endo- widerstehen. Gonokokkeninfektionen hinterlassen daher keine
metritis und Salpingitis mit nachfolgender sekundärer Sterilität und schützende Immunität und bei entsprechender Exposition sind wie-
Neigung zu ektopischer Schwangerschaft. Für das Kind kann eine DGI derholte Infektionen möglich. So ist bisher auch kein wirksamer
oder Chorioamnionitis der Mutter lebensbedrohlich sein (vorzeitiger Impfstoff verfügbar.
Blasensprung, Frühgeburt, Untergewicht, Absterben der Frucht).
Bei vaginaler Gonorrhö der Mutter kann das Kind sich unter kLabordiagnose
der Geburt infizieren und eine Pharyngitis oder Ophthalmia neo- Der Schwerpunkt liegt bei der Gonokokkenerkrankung im mikro-
natorum zuziehen. skopischen Erregernachweis und der Anzucht des Erregers.

Extragenitale Manifestation Bei beiden Geschlechtern kann sich Untersuchungsmaterial Beim Mann wird ein Urethralabstrich
die Gonokokkeninfektion extragenital manifestieren: entnommen, ggf. ein Rektalabstrich, bei Verdacht auf pharyngeale
4 Die gonorrhoische Pharyngitis wird durch orogenitalen Ver- Gonorrhö ein Rachenabstrich; bei der Frau Abstrichmaterial aus
kehr übertragen. Sie verläuft oft subklinisch, kann aber auch Zervix, Urethra, Rektum und ggf. von anderen entzündlich ver-
mit Schluckbeschwerden, Halsschmerzen, Rötung des Pharynx änderten Stellen, z. B. vom Rachen. Die Kombination von zervika-
und mukopurulentem Exsudat einhergehen. Bei 20 % der ler und rektaler Kultur ergibt die höchste Ausbeute angezüchteter
homosexuellen Männer und 10 % der Frauen mit Gonokokken- Gonokokken. Es wird daher empfohlen, auch ohne Vorliegen einer
infektion finden sich Gonokokken in Kulturen von Rachen- anorektalen Symptomatik Kulturen von Rektalabstrichen anzulegen.
abstrichen. Bei einer DGI werden Gelenkpunktat und Blut gewonnen. Opti-
4 Die gonorrhoische Proktitis kommt nach Analverkehr, bei mal ist die unmittelbare Verimpfung frisch gewonnenen Materials
Frauen auch durch Schmierinfektion zustande. Sie kann mit auf vorgewärmte Selektivnährböden, z. B. Thayer-Martin-Agar.
Schmerzen im Bereich des Perineums und rektalem Ausfluss Die gleichzeitige Entnahme von Serum für die Syphilisdiagnostik
27.1 · Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken)
221 27
(7 Kap. 43) und eines Abstrichs für die Chlamydiendiagnostik kokken werden sexuell übertragen, ohne Geschlechtsverkehr erfolgt
(7 Kap. 49) empfiehlt sich wegen der Gefahr von Doppelinfektionen. keine Übertragung. Infizierte sollten daher bis zur vollständigen
Heilung enthaltsam sein.
Materialtransport Da Gonokokken sehr empfindlich gegenüber
Umwelteinflüssen sind, müssen Untersuchungsmaterialien schnell Partneruntersuchung Sexualpartner der Patienten müssen unab-
bei Raumtemperatur in Transportmedien vom Amies-Typ befördert hängig davon, ob sie klinische Symptome aufweisen oder nicht, un-
werden. Alternativ kann das Untersuchungsmaterial direkt auf Kul- tersucht und ggf. behandelt werden. Ansonsten besteht die Gefahr
turmedien mit CO2-generierendem Prinzip plattiert und körper- der wechselseitigen Reinfektion der Partner (Pingpong-Gonorrhö).
warm transportiert werden.
Credé-Prophylaxe Diese präventive Maßnahme ist in Deutschland,
Mikroskopie Das mikroskopische Präparat sollte unmittelbar nach aufgrund der Seltenheit der Gonoblenorrhö, nur noch von histori-
Materialentnahme beurteilt werden. Im Gram- oder Methylenblau- schem Interesse. Durch Eintropfen von 1 % Silbernitratlösung in den
präparat liegen Gonokokken typischerweise intrazellulär vor. Die Konjunktivalsack Neugeborener unmittelbar nach der Geburt wur-
gramnegativen Diplokokken besitzen einen Durchmesser von 0,6– de der gefürchteten Konjunktivitis durch Gonokokken vorgebeugt.
1,0 μm. Meistens sind die einander gegenüberliegenden Seiten der Der Leipziger Gynäkologe Karl Siegmund Franz Credé (1819–1892)
einzelnen Kokken abgeflacht (Semmel- oder Kaffeebohnenform). führte 1881 diese Prophylaxe ein. Sie ist zwar gesetzlich heute nicht
4 Beim Mann erlaubt der Nachweis gramnegativer intraleuko- mehr vorgeschrieben, wird aber von der WHO immer noch wegen
zytärer Diplokokken im mikroskopischen Ausstrich die Dia- ihrer Effektivität und geringen Kosten in manchen Regionen emp-
gnose einer Gonorrhö. fohlen.
4 Bei der Frau liefert die mikroskopische Untersuchung eines
Zervixabstrichs nur bedingt verwertbare Ergebnisse. Bei der Meldepflicht Für die Gonorrhö besteht nach dem Infektionsschutz-
urogenitalen Gonorrhö der Frau sind Gonokokken nur in 60 % gesetz keine Meldepflicht.
mikroskopisch nachweisbar; der Erreger siedelt sich häufig in
den Krypten der weiblichen Genitalschleimhaut an und ent-
zieht sich dadurch dem mikroskopischen Nachweis. In Kürze
Neisseria gonorrhoeae
Anzucht Hierfür eignen sich besonders Thayer-Martin-Agar oder Bakteriologie Gramnegative, aerob wachsende, oxidasepositive
New-York-City-Agar, die Antibiotika zur Hemmung der Begleitflo- Diplokokken, anspruchsvoll. Fakultativ intrazellulär.
ra enthalten. Für Blut, Liquor und Gelenkpunktat benutzt man Aufbau und extrazelluläre Produkte Variable Oberflächen-
Kochblutagar ohne Antibiotikazusatz. Die beimpften Kulturmedien strukturen, darunter Pili (primäre Adhärenz), Opa-Proteine
werden bei 36 °C und 5–10 % CO2 für 48 h bebrütet. Verdächtige (Adhärenz und Zellinvasion) und Lipooligosaccharide (Modifika-
Kolonien (glasig und klein) auf Selektivmedien, die sich mikrosko- tion durch Sialinsäure). Extrazelluläre IgA1-Protease.
pisch als gramnegative Diplokokken darstellen und oxidasepositiv Resistenz gegen äußere Einflüsse Sehr empfindlich gegen
sind, sind vorläufig als pathogene Neisserien zu klassifizieren. Die Austrocknung und Temperaturschwankungen.
Bestätigung der Art (z. B. N. gonorrhoeae) erfolgt mit Enzym- und Vorkommen Mensch als einziger Wirt. Symptomarmer Verlauf
Zuckerutilisationstests (. Tab. 27.1) sowie zunehmend mittels Mas- bei Frauen begünstigt Verbreitung.
senspektrometrie (MALDI-TOF, 7 Abschn. 18.3.1). Epidemiologie Weltweit. Vermutlich ca. 12.000 Erkrankungen
pro Jahr in Deutschland.
kTherapie Übertragung Schleimhautkontakt, Geschlechtsverkehr, sub
Antibiotikaempfindlichkeit Die seit den 1970er Jahren zunehmen- partu.
de Häufigkeit der Penicillinasebildung hat zur Entfernung von Peni- Pathogenese Adhäsion durch Pili und Oberflächenproteine
cillin aus der Liste der therapeutisch einsetzbaren Antibiotika ge- ൺ zelluläre Invasion durch Opa-Proteine ൺ lokale Gewebeinfil-
führt. Auch gegen Ciprofloxacin, das bis vor kurzem als Primärthe- tration und eitrige Entzündung ൺ Störung der lokalen Immuni-
rapie empfohlen wurde, ist inzwischen jeder zweite Stamm in Euro- tät durch antigene Variation und IgA1-Protease ൺ Narbenbildung
pa resistent. Azithromycin, das in Europa mit Resistenzraten von und Strikturen ൺ evtl. Dissemination der lokalen Infektion (DGI).
7 % einhergeht, kann hingegen noch in der empirischen Therapie Klinik Urethritis mit eitrigem Ausfluss beim Mann, Zervizitis mit
verwendet werden. Zuletzt wurden in geringem Ausmaß auch Aszensionstendenz (PID) bei der Frau ൺ sekundäre Sterilität.
Resistenzen gegen Cefixim und sogar Ceftriaxon beobachtet, die Cave Doppelinfektion mit Chlamydien und Ureaplasmen
meist durch Mutationen im penA-Gen bedingt sind, welches das ൺ PGU nach β-Laktam-Therapie. Proktitis und Pharyngitis als
penicillinbindende Protein (PBP) kodiert. Begleiterkrankung möglich. Gonoblennorrhö des Neugebore-
nen durch Übertragung sub partu ൺ Keratokonjunktivitis mit
Therapeutisches Vorgehen Aufgrund der zunehmenden Resisten- hoher Perforationsgefahr. DGI durch komplementresistente
zentwicklung wird eine Kombination von Ceftriaxon i. m. und Azi- Stämme mit Exanthemen und Organabsiedlung in 1 % der Fälle.
thromycin p. o. als Therapie erster Wahl empfohlen. Diese Therapie DGI auch bei Komplementdefekt.
erfasst neben den Gonokokken auch Chlamydien. Statt Ceftriaxon Immunität Keine.
i. m. kann auch, als zweite Wahl, Cefixim p. o. verwendet werden. Labordiagnose Mikroskopie (gramnegative semmelförmige
Weitere Antibiotika wie Ciprofloxacin, Doxycyclin oder Spectinomy- Diplokokken, intrazellulär) und Kultur (nährstoffhaltiger Agar).
cin können nur nach vorheriger Resistenztestung eingesetzt werden. Therapie Ceftriaxon in Kombination mit Azithromycin. Partner-
behandlung.
kPrävention Prävention Kondome. Credé-Prophylaxe bei Neugeborenen.
Expositionsprophylaxe Bei Geschlechtsverkehr mit infizierten Meldepflicht Keine.
Personen verleihen Kondome einen hohen Grad an Schutz. Gono-
222 Kapitel 27 · Neisserien

27.2 Neisseria meningitidis (Meningokokken) häufen sich Meningokokkenerkrankungen im 1. Quartal des Jahres.
Sie treten meist sporadisch auf.
Steckbrief
Meningokokkeninfektionen sind weltweit verbreitet, besonders
häufig im sog. Meningokokkengürtel, der sich von West- bis Ost-
Meningokokken verursachen eitrige Meningitis, Sepsis und afrika (Gambia bis Äthiopien) erstreckt.
in ihrer schwersten Ausprägung das Waterhouse-Friderichsen-
Syndrom. kÜbertragung
Meningokokken werden durch Tröpfcheninfektion übertragen.

kPathogenese
Adhäsion Die Erreger heften sich mit ihren Pili (Pilin, PilC) und an-
deren Oberflächenproteinen (Opa, Opc) an Epithelzellen der Naso-
pharyngealschleimhaut. Dort können sie wochen- oder monatelang
verbleiben, ohne klinische Symptome zu verursachen (Trägerstatus).

Invasion Wenn die adhärenten Meningokokken große Mengen Opc


mit den passenden Varianten von Opa bilden, werden sie von der
Epithelzelle über einen phagozytoseähnlichen Prozess aufgenom-
Neisseria meningitidis: semmelförmige gramnegative men und durch die Zelle in das subepitheliale Bindegewebe trans-
Diplokokken, z. T. intragranulozytär, entdeckt 1887 von portiert (. Abb. 27.3). Dieser Schritt gelingt jedoch nur dann, wenn
A. Weichselbaum sie sehr wenig oder keine Kapselsubstanz bilden. Für eine nachfol-
gende hämatogene Dissemination müssen die Meningokokken die
Ausbildung hochadhäsiver Pili einstellen und Kapselpolysaccharid
sowie LOS exprimieren.
27.2.1 Beschreibung
Etablierung Durch die Fähigkeit, die Zilien direkt zu schädigen,
jAufbau entzieht sich Neisseria meningitidis dem mukoziliären Transport-
Der Aufbau der Meningokokken entspricht dem der Gonokokken, mechanismus. Der Erreger schützt sich durch seine antiphagozytäre
d. h., sie besitzen ein variables Lipooligosaccharid (LOS) und prägen Kapsel vor der Phagozytose. Auch vermittelt die Kapsel Schutz gegen
für die Adhärenz an menschliche Zellen variable Pili und Oberflä- die Zerstörung des Erregers durch Komplement. Des Weiteren
chenadhäsine (Opa, Opc) aus. Als Besonderheit, die den Gonokok- schützen sich Meningokokken mittels der von ihnen gebildete IgA1-
ken fehlt, tragen sie eine Polysaccharidkapsel. Die Kapselstruktur Protease gegen die Abwehr durch lokales IgA (. Abb. 27.3). Darüber
bestimmt die Serogruppe der Erreger. hinaus unterliegen die Pili und Opa-Proteine einer schnellen Pha-
sen- und Antigenvariation.
jExtrazelluläre Produkte
Meningokokken bilden wie Gonokokken eine IgA1-Protease. Gewebeschädigung Durch den Übertritt von Meningokokken in
das Blut kommt es zu einer systemischen Entzündungsreaktion,
jResistenz gegen äußere Einflüsse
Bakteriologie

gekennzeichnet durch eine Ausschüttung von Zytokinen und ggf.


Meningokokken sind sehr empfindlich gegen Kälte, Hitze und Aus- unkontrollierten Aktivierung des Komplement- und Gerinnungs-
trocknung. Sie vertragen keine pH-Werte > 8,6 und müssen körper- systems. Dies kann in einer disseminierten intravasalen Koagulo-
warm transportiert werden. pathie mit gefürchteten Komplikationen wie Thrombosen und sep-
tischem Schock münden. Die Extremform wird als Waterhouse-
jVorkommen Friderichsen-Syndrom bezeichnet und geht mit einer Einblutung in
Meningokokken kommen ausschließlich beim Menschen vor. Bei die Nebennieren einher. Auch Haut und Schleimhäute können in
Gesunden können sie die Schleimhaut des Nasopharynx besiedeln, Form von Petechien oder Purpura betroffen sein. Die Schwere der
ohne Krankheitserscheinungen auszulösen. Dysregulation wird durch die Erregerlast im Blut bestimmt. Bakte-
rienzahlen über 106/ml führen zur unkontrollierten Aktivierung des
Komplementsystems, die wiederum die Freisetzung von Lipooligo-
27.2.2 Rolle als Krankheitserreger saccharid aus der bakteriellen Zellmembran begünstigt.
Der Erreger gelangt nach Überwindung der Blut-Hirn-Schranke
kEpidemiologie in den Subarachnoidalraum. Der Übertritt wird von seiner Fähig-
Meningokokken sind weit verbreitet. Etwa 10 % aller Personen sind keit begünstigt, sich an zerebrale Endothelzellen zu heften (Pili,
symptomlose Meningokokkenträger. Das Trägertum ist abhängig Opc). Haben die Erreger den Subarachnoidalraum einmal erreicht,
von Alter und engen Wohnverhältnissen. So weisen junge Erwach- sind ihre Überlebenschancen gut. In der normalen Zerebrospinal-
sene und Personen in Gemeinschaftsquartieren, z. B. Kasernen, die flüssigkeit ist die Konzentration von Immunglobulinen und Kom-
höchsten Trägerraten auf. Erkrankungen, meist in Form einer Me- plementfaktoren gering und es gibt dort nahezu keine Phagozyten.
ningitis oder Sepsis, betreffen am häufigsten Kleinkinder und junge Durch Endotoxinwirkung setzen Astrozyten, Makrophagen und
Erwachsene. Endothelzellen TNF-α und IL-1 frei, die eine meningeale Entzün-
Weltweit werden mehr als 90 % aller invasiven Meningokokken- dungsreaktion induzieren. Besonders invasive Meningokokken-
infektionen durch die Serogruppen A, B, C, W, X und Y hervorgeru- stämme bilden eine IgA1-Protease, die in den Kern menschlicher
fen. Bei Trägern findet man andere Serogruppen und auch kapsel- Zellen eindringt und den Transkriptionsfaktor NF-κB spaltet, wo-
lose Isolate. In Deutschland herrscht die Serogruppe B vor. Hier durch Apoptose induziert wird.
27.2 · Neisseria meningitidis (Meningokokken)
223 27

. Abb. 27.3 Pathogenese der Meningokokkeninfektion: Meningitis, Sepsis, Waterhouse-Friderichsen-Syndrom (LOS, Lipooligosaccharid; Opc, Oberflächen-
adhäsin)
224 Kapitel 27 · Neisserien

Die Zytokine fördern die Expression von Adhäsionsmolekülen


(ICAM1, ICAM2, GMP140, ELAM1) und auf Leukozyten von Se-
lektinen und Integrinen (z. B. CDL-DC18). Damit kommt es zur
Einwanderung von Granulozyten in den Subarachnoidalraum und
ins Hirngewebe. Im Subarachnoidalraum setzen die Granulozyten
entzündungsaktive Substanzen frei, wie Proteasen, freie Sauer-
stoffradikale und Arachidonsäure. Die Permeabilität der Blut-Li-
quor-Schranke wird gesteigert. Dies ist die pathophysiologische
Grundlage des vasogenen Hirnödems bei der bakteriellen Menin-
gitis. Im weiteren Verlauf entwickelt sich eine kapilläre Minder-
perfusion entweder auf dem Boden der Leukozytenadhäsion oder
durch spasmolytische Gefäßveränderungen und Vasospasmen mit
nachfolgender Ischämie mit zytotoxischem Hirnödem und Zell-
nekrosen.
Durch das Hirnödem steigt bei der bakteriellen Meningitis häu-
fig der intrakranielle Hirndruck an, der, wenn nicht rechtzeitig kor-
rigiert, irreversible neuronale Schädigungen hervorrufen und den
Tod durch Atemlähmung zur Folge haben kann.

kKlinik
Die Inkubationszeit der Meningokokkenerkrankung beträgt wenige
Tage. Am Beginn werden bei 50 % der Erkrankungen in der Inkuba- . Abb. 27.4 Neisseria meningitidis – Waterhouse-Friderichsen-Syndrom
tionsphase Infektionen der oberen Luftwege, z. B. eine Pharyngitis,
berichtet, die meist viraler Genese sind und die Entstehung einer
Invasion begünstigen können. Die andere Hälfte der Patienten er- enthalten lebende Erreger. Sie sind unterschiedlich stark ausgeprägt,
krankt aus voller Gesundheit. Meningokokkenerkrankungen kön- aber in etwa 75 % aller Meningokokkenerkrankungen vorhanden.
nen so fulminant verlaufen, dass sie einen zuvor Gesunden binnen Das Waterhouse-Friderichsen-Syndrom ist die fulminant ver-
weniger Stunden ad exitum bringen. laufende Form mit massiven Blutungen in Haut und Schleimhäuten
sowie inneren Organen, septischem Schock und Verbrauchskoagu-
Meningitis Die eitrige Meningokokkenmeningitis entwickelt sich lopathie (. Abb. 27.4). Typischerweise entwickeln sich Blutungen in
als klassische Manifestation bei > 50 % der apparenten Meningokok- beiden Nebennierenrinden mit nachfolgender Nekrose. Die Kombi-
keninfektionen, wobei die Eiterung sich hauptsächlich über die Kon- nation von Extravasaten, septischem Schock und intravasaler Ver-
vexität der Hirnhaut erstreckt (Haubenmeningitis). brauchskoagulopathie führt zum Tod. Todesursache neben septi-
50–70 % der Patienten mit Meningitis zeigen petechiale, pur- schen Schock eine Herzbeteiligung im Sinne einer toxischen myo-
puraähnliche oder sogar konfluierende Blutungen als Symptome kardialen Depression.
einer hämatogenen Erregeraussaat oder gleichzeitigen Sepsis. Daher Bei 13 % aller Patienten verläuft die Meningokokkensepsis als
muss die gesamte Haut bei Patienten mit der Verdachtsdiagnose Me- Waterhouse-Friderichsen-Syndrom. Dieses ist mit einer Letalität
Bakteriologie

ningitis untersucht werden. Die Patienten zeigen in 75 % Zeichen von über 40 % belastet.
einer meningealen Reizung bis hin zum ausgeprägten Meningismus.
Weitere Symptome sind Lichtscheu und Übelkeit. Sonstige Formen Die übrigen Manifestationen der Meningokok-
Unbehandelt beträgt die Letalität der Meningokokkenmeningi- kenerkrankung bzw. ihre Lokalisationen machen zusammen ca. 5 %
tis 85 %. Im Gegensatz dazu hat die behandelte, isolierte Meningitis aller Meningokokkenerkrankungen aus. Selten verlaufen Bakterämi-
(ohne Sepsis) eine Sterblichkeit von 3%. Aufgrund intrakranieller en durch Meningokokken auch gutartig und sogar selbstlimitierend
Verklebung kommt es häufig zu Spätschäden (Hörminderung, (sog. benigne Meningokokkämie).
Hörverlust, verzögerte Sprachentwicklung, Intelligenzminderung,
Bewegungsstörungen, Zerebralparesen, Hirnnervenlähmungen, kImmunität
Anfallsleiden (Epilepsie), Verlust der Gliedmaßen). 10–20 % der Da Meningokokken typische Eitererreger sind, beruht die Immuni-
Patienten erleiden lebenslange Folgeschäden. tät auf der Phagozytose im Zusammenwirken von opsonisierenden
Antikörpern und Komplement (7 Kap. 9). Mit Ausnahme der Sero-
Sepsis Die Frühzeichen der Meningokokkensepsis, wie Fieber, gruppe B ist die Kapselsubstanz immunogen und Antikörper gegen
Gliederschmerzen, Hautverfärbungen und Krankheitsgefühl, sind die Kapselsubstanz üben als Opsonine eine schützende Wirkung aus.
unspezifisch. Kinder können aufgrund der heftigen Gliederschmer- Die Antikörperbildung gegen Kapselpolysaccharid B ist
zen eine Gehunwilligkeit an den Tag legen. Jeder zweite Patient, der schwach, weil dieses Antigen gemeinsame Epitope mit humanen
sich in der Frühphase im Krankenhaus vorstellt, wird als virale Er- Gewebebestandteilen besitzt, gegen die eine natürliche Eigentole-
krankung fehlklassifiziert. Das Wissen um die schnelle Progredienz ranz besteht. Deshalb setzen Impfungen, die gegen Meningokokken
und hohe Sterblichkeit der Sepsis kann Leben retten: Am wichtigsten der Serogruppe B schützen, auf die Immunantwort gegen Oberflä-
ist die Sicherstellung einer evtl. erneuten Kontaktaufnahme zu jeder chenproteine wie z. B. Faktor-H-bindendes Protein (FHbP) ab.
Tag- und Nachtzeit, da eine schnelle Verschlechterung sich inner- Komplement ist für die Abwehr von Neisserien wesentlich.
halb von Stunden ereignen kann. Späte Zeichen der Meningokok- Folglich neigen Personen mit Defekten des Properdin oder angebo-
kensepsis wie Hypotonie, Schock, Leukozytose und petechiales Ex- renem Mangel an den späten Komplementkomponenten C5–C9 in
anthem sind spezifischer als die Frühzeichen. Die Läsionen in der besonderem Maße zu Meningokokkämien. Deshalb empfiehlt sich
Haut besitzen petechialen oder pupuraähnlichen Charakter und eine Untersuchung auf angeborene Komplementdefekte, wenn bei
27.2 · Neisseria meningitidis (Meningokokken)
225 27
einem Individuum oder in einer Familie gehäuft generalisierte Neis- zae und E. coli erfasst, evtl. in Kombination mit Ampicillin (7 Kap.
serieninfektionen auftreten. 113). Insbesondere septische Verlaufsformen benötigen spezialisier-
te intensivmedizinische Behandlung. Die Letalität der Meningokok-
Postinfektiöse allergische Komplikationen Sie entwickeln sich keninfektion liegt in Deutschland bei 9–10 %.
durch zirkulierende Antigen-Antikörper-Komplexe bei etwa 7 %
und äußern sich als Arthritis, Episkleritis, kutane Vaskulitis oder kPrävention
Perikarditis. Isolierung Der Erkrankte muss bis zu 24 h nach Therapiebeginn
strikt isoliert werden. Die Verwendung eines Mund-Nasen-Schutzes
kLabordiagnose bei der Betreuung innerhalb dieser Zeitspanne wird empfohlen.
Schwerpunkt der mikrobiologischen Labordiagnose liegt im mikro-
skopischen Sofortnachweis, in der Anzucht und im Nachweis von Chemoprophylaxe Sie kommt bei Kontaktpersonen invasiver Er-
meningokokkenspezifischer DNA. Die Diagnostik der eitrigen Me- krankungsfälle zum Einsatz und verhindert die Besiedlung mit inva-
ningitis ist eine Notfalldiagnostik, d. h., sie muss unmittelbar nach siven Meningokokken und Sekundärfälle der Erkrankung. Sie er-
Einlieferung des Patienten in die Klinik erfolgen. folgt bis 10 Tage nach Kontakt zum Patienten während Inkubations-
zeit und infektiöser Phase der Erkrankung. Zielgruppe der chemo-
Untersuchungsmaterial und Transport Zum Erregernachweis eig- therapeutischen Prophylaxe der Meningokokkenmeningitis sind
nen sich Blut und Liquor cerebrospinalis, Petechienaspirate und evtl. exponierte Familienmitglieder, die mit dem Erkrankten in einem
Gelenkpunktate. Liquor sollte bei Raumtemperatur in kurzer Zeit in Haushalt leben, und andere enge Kontaktpersonen. Das Gesund-
das mikrobiologische Labor transportiert werden. Ist dies nicht heitsamt sollte die Bestimmung des zu behandelnden Personenkrei-
möglich, wird ein Teil der Probe in Blutkulturflaschen gegeben. Der ses koordinieren.
Rest der Liquorprobe dient dann der mikroskopischen und moleku- Zur Prophylaxe wird Rifampicin eingesetzt, bei Personen über
larbiologischen Untersuchung. Petechienaspirate und Gelenkpunk- 18 Jahren alternativ Ciprofloxacin. Für Schwangere steht Ceftriaxon
tate werden nur bei speziellen Fragestellungen untersucht. Prinzi- i. m. zur Verfügung.
piell haben sich aber gerade für antibiotisch vorbehandelte Patienten
PCR-Verfahren durchgesetzt, mit denen Meningokokken sich in Schutzimpfung Seit 2006 empfiehlt die STIKO in Deutschland die
Liquor, EDTA-Blut oder Serum identifizieren lassen. Impfung aller Kinder mit Konjugatvakzine gegen Meningokokken
der Serogruppe C im 2. Lebensjahr. Für Reisende, beruflich expo-
Mikroskopie Im Labor wird die Liquorprobe sofort zentrifugiert, nierte Personen (z. B. Labormitarbeiter) und gesundheitlich Gefähr-
nach Gram gefärbt und mikroskopiert. Die gramnegativen Kokken dete sind tetravalente konjugierte Impfstoffe gegen die Serogruppen
lassen sich nicht immer nachweisen. A, C, W und Y verfügbar. Gegen die in Deutschland vorherrschende
Serogruppe B gibt es seit kurzem einen lizensierten Impfstoff, der
Antigennachweis Die Kapselantigene der Serogruppen A, B, C, Y rekombinant hergestellte äußere Membranproteine und Vesikel der
und W lassen sich mittels Agglutinationstest binnen Minuten im äußeren Membran beinhaltet.
Überstand zentrifugierten Liquors nachweisen. Der Antigennach-
weis gilt allerdings als wenig sensitiv und wurde überwiegend durch Meldepflicht Namentlich zu melden sind Verdacht, Erkrankung
molekularbiologische Verfahren ersetzt. sowie Tod an Meningokokkenmeningitis und -sepsis (§ 6 IfSG).
Ebenso ist der direkte Nachweis von Neisseria meningitidis aus
Anzucht Zur Anzucht wird die Liquorprobe auf Blut- und Koch- Liquor, Blut, hämorrhagischen Hautinfiltraten oder anderen nor-
blutplatten angelegt und bei 5 % CO2 und 35 °C bebrütet. Auf Koch- malerweise sterilen Substraten meldepflichtig (§ 7 IfSG).
blutagar bilden Meningokokken glatte, durchscheinende Kolonien
mit 2–3 mm Durchmesser. Bei Verdacht auf Meningokokken müs-
sen Untersuchungen wie Oxidase und Gramfärbung unter der In Kürze
Sicherheitswerkbank durchgeführt werden. Die Bestätigung der Neisseria meningitidis
Spezies erfolgt mit Enzym- und Zuckerutilisationstests sowie zuneh- Bakteriologie Gramnegative, semmelförmige Diplokokken.
mend mittels Massenspektrometrie (MALDI-TOF). Polysaccharidkapsel bestimmt Serogruppe. Wachstum auf reich-
haltigen Kulturmedien.
Serogruppierung Die epidemiologisch bedeutsame Bestimmung Vorkommen Ausschließlich humanpathogen. Trägertum sehr
der Serogruppe erfolgt durch Objektträgeragglutination oder spezi- verbreitet.
fische PCR-Verfahren. Häufigste Serogruppe in Deutschland ist B. Resistenz gegen äußere Einflüsse Empfindlich gegen Hitze,
Kälte und Austrocknung.
kTherapie Epidemiologie Weltweite Verbreitung. In Deutschland vorwie-
Antibiotikaempfindlichkeit Meningokokken sind meist empfind- gend Serogruppe B, gefolgt von Serogruppe C. Epidemische
lich gegenüber Penicillin G und dessen Derivate sowie gegen Cepha- Ausbreitung im »Meningitisgürtel«.
losporine. Eine reduzierte Penicillinempfindlichkeit wird in 15 % Übertragung Tröpfcheninfektion.
der invasiven Isolate nachgewiesen und beruht auf Mutationen in Pathogenese Adhäsion an Nasopharynxepithel,
einem penicillinbindenden Protein. Invasion,hämatogene Streuung oder Fortleitung durch Lamina
cribrosa, Endothelschädigung (Hämorrhagie in Haut, inneren
Therapeutisches Vorgehen Bei Verdacht auf eine invasive Menin- Organen), Induktion einer eitrigen Entzündungsreaktion
gokokkeninfektion muss aufgrund des nicht selten foudroyanten (Meningitis), Sepsis.
Verlaufs umgehend mit der kalkulierten Initialtherapie begonnen Klinik Inkubationszeit wenige Tage. Fieber, Meningismus,
werden. Man verordnet Ceftriaxon i. v. über mindestens 5 Tage, weil Vigilanzstörung, petechiale Hautblutungen.
dieses Mittel neben Meningo- und Pneumokokken auch H. influen-
226 Kapitel 27 · Neisserien

Labordiagnose Mikroskopischer Nachweis in Liquorprobe.


Kultureller Nachweis in Liquorprobe und Blut. Identifizierung
durch biochemische Verfahren und MALDI-TOF.
Therapie Kalkuliert mit Cephalosporin der 3. Generation
(z. B. Ceftriaxon); gezielt mit Penicillin G.
Immunität Bildung schützender Antikörper gegen kapsuläre
(Polysaccharid) oder subkapsuläre (Protein) Antigene.
Prävention Isolierung. Chemoprophylaxe bei Indexpatient und
engen Kontaktpersonen. Schutzimpfungen zur Verhütung von
Infektionen mit Meningokokken der Serogruppen A, C, W, Y
verfügbar. Impfung gegen Serogruppe B mit proteinbasierten
Impfstoffen. Seit 2006 empfiehlt die STIKO die Impfung aller
Kinder mit Konjugatvakzine gegen Meningokokken der Sero-
gruppe C im 2. Lebensjahr.
Meldepflicht Verdacht, Erkrankung und Tod sowie der direkte
Erregernachweis aus sonst sterilen Substraten.

27.3 Übrige Neisseria-Arten

Andere Neisseria-Arten wie N. lactamica, N. cinerea, N. mucosa,


N. flavescens finden sich als Schleimhautkommensalen auf den
Schleimhäuten im Nasopharynx sowie im Urogenitaltrakt. Ihre Be-
deutung liegt darin, dass sie mit obligat pathogenen Neisserien ver-
wechselt werden können und mit diesen genetisches Material über
Transformation austauschen (Erzeugung von Erregervarianten).
Nur in sehr seltenen Fällen sind diese Arten an Krankheiten be-
teiligt.

Literatur

Elias J, Frosch M, Vogel U; Neisseria. In: Jorgensen JH, Pfaller MA, Carroll K,
Funke G, Landry ML, Richter SS, Warnock DW (eds.) Manual of Clinical
Microbiology, 11th ed. Washington, DC: ASM Press.
Bakteriologie
227 28

Enterobakterien
S. Suerbaum, M. Hornef, H. Karch

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_28, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Familie der Enterobakterien (Enterobacteriaceae; gr. »enteron«:


. Tab. 28.2 Enterobakterien: Arten und Krankheiten
Darm) setzt sich aus zahlreichen Gattungen gramnegativer Stäbchen
zusammen (. Tab. 28.2). Gemeinsame Kennzeichen sind, dass sie sich Arten Krankheiten
sowohl unter aeroben als auch unter anaeroben Bedingungen ver-
mehren und Glukose sowie andere Zucker unter Bildung von Säure so- Escherichia coli (E. coli) (fakultativ Sepsis
pathogen) Harnwegsinfektionen
wohl oxidativ als auch unter Sauerstoffausschluss (fermentativ) meta-
bolisieren (. Tab. 28.1). Meningitis
Einige Enterobakteriengattungen (z. B. Klebsiella, Proteus, Escherichia) Wundinfektionen
gehören zur physiologischen Mikrobiota des Darms. Nur wenn sie in Peritonitis
andere Körperregionen verschleppt werden oder von außen dorthin
Cholezystitis/Cholangitis
gelangen, werden sie zu Krankheitserregern: Sie sind also fakultativ
EPEC (enteropathogene Stämme) Säuglingsenteritis
pathogen oder Opportunisten (. Tab. 28.2). E. coli ist das meistbenutz-
te Bakterium in der molekularbiologischen Forschung und dient als EAEC (enteroaggregative Stämme) persistierende Enteritis
Produktionsorganismus in der Biotechnologie. ETEC (enterotoxikogene Stämme) Reisediarrhö
Von den fakultativ pathogenen Enterobakterien sind die obligat pa- EIEC (enteroinvasive Stämme) ruhrartige Enterokolitis
thogenen Gattungen Salmonella, Shigella und Yersinia sowie die EHEC (enterohämorrhagische Enteritis, hämorrhagische Kolitis, hämo-
darmpathogenen Stämme von E. coli zu unterscheiden. Sie gehören Stämme) lytisch-urämisches Syndrom (HUS)
nicht zur physiologischen Mikrobiota des Darms, sondern verursachen Klebsiellen (K. pneumoniae) Pneumonie, Atemwegsinfektionen
Enteritiden oder nach Ausbreitung systemische Infektionen. Sepsis
Darmpathogene E. coli werden in 5 Pathovare unterteilt (. Tab. 28.2),
Harnwegsinfektionen
die sich hinsichtlich Erkrankung, Epidemiologie und Pathogenitäts-
K. ozaenae Stinknase (Ozaena)
mechanismen unterscheiden. Sie werden jährlich weltweit für ca.
160 Mio. Durchfallerkrankungen und 1 Mio. Todesfälle verantwortlich K. rhinoscleromatis Rhinosklerom
gemacht. In ca. zwei Dritteln der Fälle sind Kinder unter 5 Jahren in Proteus mirabilis Harnwegsinfektionen
den Entwicklungsländern betroffen. Weitere E. coli mit pathogenem P. vulgaris Sepsis
Potenzial sind die uropathogenen E. coli (UPEC) sowie die Meningitis- Wundinfektionen
erreger des Neugeborenen mit dem Kapseltyp K1.
Enterobacter cloacae Atemwegsinfektionen
Cronobacter (Enterobacter) sakazakii Harnwegsinfektionen
Wundinfektionen
Sepsis, Meningitis, nekrotisierende
Enterokolitis bei Frühgeborenen
Serratia marcescens Atemwegsinfektionen
Sepsis
. Tab. 28.1 Enterobacteriaceae (Enterobakterien): Familienmerk- Harnwegsinfektionen
male
Wundinfektionen

Merkmal Ausprägung Salmonella Typhi Typhus


S. Paratyphi (A, B, C) Paratyphus
Gramfärbung gramnegative Stäbchen S. Enteritidis, S. Typhimurium und Gastroenteritis, Sepsis (vorwiegend
Aerob/anaerob fakultativ anaerob weitere ca. 2600 Salmonella-Serovare bei Immundefizienten), Abszesse
Shigella dysenteriae Ruhr
Kohlenhydratverwertung fermentativ/oxidativ
S. flexneri Ruhr, Enterokolitis
Sporenbildung nein
S. boydii Ruhr, Enterokolitis
Beweglichkeit je nach Spezies positiv oder negativ S. sonnei Ruhr, Enterokolitis

Katalase positiv Yersinia enterocolitica Enterokolitis, Infektarthritis, Pseudo-


appendizitis
Oxidase negativ
Y. pseudotuberculosis Infektarthritis
Besonderheiten Nitratreduktion zu Nitrit Y. pestis Pest
228 Kapitel 28 · Enterobakterien

28.1 Escherichia coli (fakultativ pathogene


Stämme)

Steckbrief

E. coli wurde erstmals als darmspezifisches Bakterium von


Theodor Escherich 1885 beschrieben (. Abb. 28.1). Die Spezies
E. coli umfasst apathogene, fakultativ pathogene und obligat
pathogene Stämme, wobei sich die beiden letztgenannten
durch den Besitz spezifischer Virulenzfaktoren auszeichnen. Die
apathogenen und fakultativ pathogenen Stämme sind Bestand-
teil der physiologischen Darmflora von Warmblütern. E. coli wird . Abb. 28.1 Escherichia coli: gramnegative Stäbchen in Eiter, entdeckt
1885 von T. Escherich
als Indikator für fäkale Verunreinigungen verwendet, z. B. von
Wasser und Lebensmitteln, und ist das »Arbeitstier« in der mole-
kularen (weißen) Biotechnologie. wortlich. Bekanntes Beispiel sind langkettige, in Kapseln vorkom-
mende Poly-N-Azetylneuraminsäuren, die mit humanen neurona-
len Strukturen identisch sind. Schwerwiegende Erkrankungen beim
Menschen beruhen auf Infektionen mit K1-tragenden E. coli-Stäm-
men. Dazu gehören Neugeborenensepsis und die Meningitis sowie
Pyelonephritis.

Fimbrien (Pili) Die Mehrzahl der E. coli besitzt an ihrer Zelloberflä-


che Fimbrien (lat.: »fimbria«: Franse, Troddel), auch Pili (lat.: »pi-
lus«: Haar, Faser) genannt. Diese sind maßgeblich an der Adhäsion
pathogener E. coli an Epithelzellen des Darms und des Urogenital-
trakts beteiligt. Sie bestehen aus etwa 1000 Proteinuntereinheiten
und sind ca. 2 μm lang sowie 2–8 nm dick. Sie zeigen eine hohe He-
terogenität und zeichnen sich durch eine Wirts- und Organspezifität
aus. Die 30 bekannten Fimbrientypen binden z. B. an lipid- oder
28.1.1 Beschreibung proteingebundene Glykane (Glykolipide oder -proteine).

jAufbau Sezernierte Pathogenitäts- und Resistenzfaktoren Zahlreiche


Lipopolysaccharide (LPS) Gramnegative Bakterien, einschließlich E. coli produzieren im Laufe der Darmkolonisation oder einer Infek-
E. coli, besitzen eine komplexe, mehrschichtige Zellhülle, die sich tion verschiedene biologisch wirksame Komponenten und geben sie
aus einer inneren Membran, einer äußeren Membran und einem in das umgebende Milieu ab. Dabei unterscheidet man folgende
dazwischen liegenden wässrigen Zellkompartiment, dem Periplas- Stoffe:
ma, zusammensetzt (7 Kap. 22). Die äußere Membran ist aus Phos- 4 wirtsschädigende Substanzen
4 bakterizide Komponenten
Bakteriologie

pholipiden, Proteinen (»outer membrane proteins«, OMP) und LPS


aufgebaut. LPS bestehen aus einem hydrophoben Membrananker 4 interbakterielle Kommunikationsstoffe
(Lipid A) und einem hydrophilen Oligosaccharidteil. Dieser setzt 4 Eisenaufnahmesysteme
sich aus einem konservierten Kernoligosaccharid und variablen Oli-
gosacchariden (O-Antigene) zusammen. Derzeit sind bei E. coli 188 Zu den ausgeschleusten wirtsschädigenden Stoffen gehören z. B.
verschiedene O-Antigene bekannt, von denen jedes eine eigene Se- Hämolysine (α-Hämolysin, EHEC-Hämolysin), Cyclomoduline,
rogruppe definiert (O1–O188). Die Freisetzung von LPS (Endotoxi- Serinproteasen (EspP, Pic), Shiga-Toxine und Enterotoxine. Colicine
nen) ist bei extraintestinalen Infektionen die Ursache für Fieber, zählen zu den Bakteriozinen, während die interbakteriellen Kom-
hypotonen Schock, Komplementaktivierung, Verbrauchskoagulo- munikationsstoffe eine große Gruppe niedermolekularer Signal-
pathie und die Freisetzung von Entzündungsmediatoren (TNF-α, moleküle umfassen. Diese werden erst bei hoher Bakteriendichte
IL-1β, IL-6 etc.). produziert (»quorum sensing«) und bewirken die Expression von
Pathogenitätsfaktoren.
Flagellen E. coli-Bakterien sind in der Regel begeißelt und dadurch
beweglich. Zurzeit sind 56 verschiedene H-Antigene (Flagellinanti- jResistenzfaktoren
gene) bekannt. Zu den wichtigsten E. coli-Resistenzfaktoren zählen die β-Laktama-
sen, die Penicilline und Cephalosporine inaktivieren können und
Kapseln Zahlreiche E. coli-Stämme synthetisieren extrazelluläre somit eine Resistenz gegenüber diesen Antibiotika bewirken. Neben
Polysaccharide, die als loser Schleim der äußeren Membran aufgela- chromosomal lokalisierten β-Laktamase-Genen sind in den vergan-
gert sind. Hierbei handelt es sich um saure Polysaccharide, die kap- genen Jahren zunehmend plasmidkodierte β-Laktamasen nachge-
selartige Strukturen ausbilden und demzufolge als Kapsel-(K-)Anti- wiesen worden, die teilweise ein erweitertes Resistenzspektrum be-
gene bezeichnet werden. Bisher sind 67 verschiedene K-Antigene wirken. Hierbei handelt es sich um die sog. »extended-spectrum
bekannt, die im Gegensatz zu den LPS beim Menschen keine Im- beta lactamases« (ESBL), die nicht nur innerhalb einer Bakterienspe-
munreaktion auslösen. Für diese Toleranz sind wahrscheinlich zies, sondern auch speziesübergreifend innerhalb der großen Grup-
Strukturhomologien (molekulares Mimikry) zwischen bakteriellen pen der Enterobakterien und weiterer gramnegativer Erreger (wie
K-Antigenen und humanen körpereigenen Glykostrukturen verant- z. B. Acinetobacter oder Pseudomonas) übertragen werden können.
28.1 · Escherichia coli (fakultativ pathogene Stämme)
229 28

. Abb. 28.2 Pathogenese der Infektionen durch fakultativ pathogene Escherichia coli

In Kombination mit anderen Resistenzdeterminanten können sich 28.1.2 Rolle als Krankheitserreger
dann die gefürchteten multiresistenten Erreger mit nur noch sehr
eingeschränkten Therapieoptionen ausbilden. kExtraintestinale Infektionen/Pathogenese
Man unterscheidet extraintestinale von intestinalen Infektionen, die
jResistenz gegen äußere Einflüsse auf unterschiedliche E. coli-Stämme zurückgehen. Beispielsweise
E. coli ist ein mesophiler Keim und hat sein Wachstumsoptimum mit vermag ein E. coli aus der Darmflora eine Harnwegsinfektion zu
Generationszeiten von 20 min bei 37 °C, wächst aber auch im psy- verursachen, vorausgesetzt, er verfügt über spezifische Pathogeni-
chrophilen Bereich (4 °C) und bei erhöhter Temperatur (bis 46 °C). tätsfaktoren (z. B. P-Fimbrien, Hämolysine), um als Opportunist das
Bei hoher Substratfeuchte und Temperaturen über 60 °C werden Epithel der Harnwege zu besiedeln und zu schädigen. Dies ist kein
E. coli-Bakterien innerhalb weniger Minuten, bei Temperaturen seltenes Ereignis, da opportunistische E. coli ca. 80 % aller Harn-
über 70 °C schon innerhalb weniger Sekunden abgetötet. wegsinfektionen verursachen. Auch Entzündungen des Bauchraums
(Appendizitis, Peritonitis, Cholangitis) sind überwiegend endoge-
jVorkommen nen Ursprungs. Urethritis, Zystitis und Pyelonephritis sind klassi-
E. coli kommt typischerweise im Darm von Mensch und Tier vor. sche Erkrankungen aufgrund von Schmierinfektionen. Die Erreger
Obwohl er weniger als 1 % der gesamten Bakterienmasse im Darm können auch nach diagnostischen oder chirurgischen Eingriffen
ausmacht, ist der Keim das klassische Indikatorbakterium für eine bzw. Traumen im Bereich des Bauchraums oder Urogenitaltrakts in
fäkale Kontamination in Lebensmitteln und Trinkwasser. die Blutbahn gelangen.
An der Krankheitsentwicklung können verschiedene Pathogeni-
jMolekularbiologie tätsfaktoren beteiligt sein, wobei unterschiedliche Kombinationen
Die charakteristische Genomgröße des apathogenen Laborstamms möglich sind. So vermitteln verschiedene Adhäsine die Adhärenz
K-12 beträgt 4,64 Mb. Das Genom der fakultativ pathogenen Stäm- an Epithelien. Weiterhin wird der Infektionsprozess durch Toxine
me ist im Mittel 5,1 Mb und das der obligat pathogenen Stämme und andere sezernierte Virulenzfaktoren, wie z. B. Eisenchelatoren
5,5 Mb groß. Somit besitzen die fakultativ und obligat pathogenen (7 Abschn. 28.1.1), forciert. Zahlreiche extraintestinal pathogene
Stämme ein um 500–1000 Gene erweitertes Genom. Die zusätzliche E. coli können in Epithel- oder Endothelzellen invadieren, um so der
genetische Information kodiert u. a. Fitness- und Virulenzfaktoren Immunantwort des Wirtes zu entgehen oder Barrieren (z. B. Blut-
und ist auf Plasmiden, Phagen und Pathogenitätsinseln lokalisiert. Hirn-Schranke) zu überwinden.
Daneben steht E. coli mit einem Anteil von 30 % an der Spitze
der Verursacher von Sepsis durch gramnegative Bakterien (. Abb.
28.2). Bei Neugeborenen ist E. coli sogar der häufigste Erreger von
Sepsis und Meningitis. Nosokomiale Pneumonien und postopera-
230 Kapitel 28 · Enterobakterien

tive Wundinfektionen gehen ebenfalls auf fakultativ pathogene


E. coli zurück.

kDisponierende Faktoren
E. coli-Harnwegsinfektionen finden sich häufig bei Patienten, bei
denen der normale Harnfluss durch anatomische Anomalien (Re-
flux, Prostata-Adenom), Schwangerschaft oder Instrumentalbe-
handlung (Katheter) gestört ist, aber auch bei Kleinkindern.

kKlinik
Fakultativ pathogene Stämme können Harnwegsinfektionen,
Wundinfektionen, Peritonitis, Appendizitis, Cholezystitis/Cholan-
gitis und Sepsis sowie bei Säuglingen Meningitis hervorrufen, wenn
sie aus dem Darm in die entsprechenden Körperregionen gelangen.
Obligat pathogene Stämme verursachen leichte bis schwere Durch-
fallerkrankungen und werden entsprechend ihrer Epidemiologie,
Klinik und Ausstattung mit unterschiedlichen Virulenzfaktoren in
5 Pathotypen unterteilt (. Tab. 28.2).

kLabordiagnose
Fakultativ pathogene E. coli werden durch Anzucht und biochemi-
sche Identifizierung diagnostiziert. Als Untersuchungsmaterialien
dienen Proben aus dem jeweiligen Infektionsherd (Urin, Eiter,
Wundsekret, Liquor, Blut). Der Erreger ist anspruchslos und lässt
sich auf einfachen Kulturmedien anzüchten. Selektiv- und Differen- . Abb. 28.3 Pathogenese der EPEC-Infektion
zialmedien können die Diagnostik beschleunigen. Die Erreger las-
sen sich durch Differenzialdiagnostik von anderen Enterobakterien
unterscheiden. Eine serologische Feintypisierung anhand der O-, 28.2.2 Rolle als Krankheitserreger
K- und H-Antigene erfolgt in Speziallaboren im Rahmen epidemio-
logischer Studien. kEpidemiologie
EPEC sind weltweit verbreitet und als Verursacher der Säuglings-
kTherapie diarrhö – v. a. auf Säuglingsstationen und in Kindertagesstätten –
Antibiotikaempfindlichkeit E. coli ist meist empfindlich gegen gefürchtet. Heutzutage sind sie jedoch aufgrund verbesserter Hygi-
Cephalosporine der 2. und 3. Generation, Carbapeneme, Gyrase- ene selten geworden. Sporadische Erkrankungen in Industrielän-
hemmer und Cotrimoxazol. Gegen Ampicillin und in etwas gerin- dern kommen zwar noch vor, jedoch deutlich seltener als in Ent-
gerem Maße Piperacillin sind zahlreiche Stämme resistent. Viele wicklungsländern. Dort verursachen EPEC bis zu 20 % der
β-Laktamasen von E. coli (7 s. o.) sind durch β-Laktamase-Inhibi- Durchfallerkrankungen bei Säuglingen und führen nicht selten zum
toren hemmbar (7 Kap. 96).
Bakteriologie

Tod.

Therapeutisches Vorgehen Bei Harnwegsinfektionen eignet sich kÜbertragung


Cotrimoxazol zur kalkulierten Therapie unkomplizierter Fälle, Eine Übertragung erfolgt hauptsächlich durch Schmierinfektionen
Gyrasehemmer bei komplizierten Fällen. Die kalkulierte Sepsisthe- oder kontaminierte Nahrungsmittel.
rapie richtet sich nach den Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesell-
schaft. kPathogenese
EPEC kolonisieren den Dünndarm mithilfe des plasmidkodierten
»bundle-forming pilus« und schädigen das Dünndarmepithel
28.2 Enteropathogene E. coli-Stämme (EPEC) (. Abb. 28.3). Die Adhärenz an die Wirtszelle wird durch das bakte-
rielle Membranprotein Intimin verstärkt. Als Intimin-Rezeptor
28.2.1 Beschreibung dient das TIR-Protein (»translocated intimin receptor«), das von
EPEC synthetisiert, in die Wirtszelle injiziert und anschließend von
EPEC sind Auslöser von Darminfektionen, die v. a. Früh- und Neu- der Wirtszelle präsentiert wird. Über diesen Mechanismus generie-
geborene sowie Säuglinge betreffen, seltener Erwachsene. EPEC sind ren EPEC ihren eigenen Rezeptor auf der Wirtszelle. Als Folge der
gekennzeichnet durch die chromosomal kodierte Pathogenitätsinsel Adhärenz kommt es zur Induktion eines Typ-3-Sekretionssystems,
LEE (»locus of enterocyte effacement«). Auf ihr liegen die Gene eines das die Erreger zur Injektion von Effektorproteinen in die Epithel-
Typ-3-Sekretionssystems (T3SS) sowie des Adhärenzproteins Inti- zellen befähigt. Die finale Schädigung besteht in der lokalen Konglo-
min, das von dem Gen »eae« kodiert wird. Einige EPEC-Stämme meration der Aktinfasern des Zytoskeletts und der Zerstörung des
tragen einen plasmidkodierten »bundle-forming pilus«, der die Er- Bürstensaums.
reger zur Adhäsion an Oberflächenrezeptoren von Dünndarmepi-
thelzellen befähigt. kKlinik
Bei Säuglingen < 1 Jahr verursachen EPEC breiige bis wässrige
jReservoir Durchfälle mit nichtblutigen Schleimbeimengungen, die bis zur
Der Mensch ist das einzig bekannte Erregerreservoir. Toxikose führen können. Vor allem in tropischen Ländern verstär-
28.3 · Enterotoxinogene E. coli-Stämme (ETEC)
231 28

. Abb. 28.4 Pathogenese der ETEC-Infektion

ken disponierende Faktoren wie Mangelernährung und Begleitin- jReservoir


fektionen die Symptomatik. Dies ist bei humanpathogenen ETEC ausschließlich der Mensch.
Tierpathogene ETEC unterscheiden sich von den humanpathoge-
kLabordiagnose nen Stämmen und führen nicht zu Erkrankungen des Menschen.
Der übliche Nachweis stützt sich auf die Bestimmung der O-Sero-
gruppe von EPEC-Isolaten aus Stuhlkulturen. Allerdings erlaubt die
Serotypisierung keine eindeutige Aussage zur Pathogenität, da in- 28.3.2 Rolle als Krankheitserreger
nerhalb eines Serovars pathogene und apathogene E. coli gleicher-
maßen vorkommen, mit folgenden Konsequenzen: kEpidemiologie
4 Notwendigkeit von Adhäsionstests in Zellkulturen und parallel ETEC sind in warmen und subtropischen Ländern an ca. 25 % der
durchzuführende Aktinfärbungen und/oder Enteritiden im Säuglings- und Kleinkindalter beteiligt. Bei Touristen
4 molekularbiologischer Nachweis EPEC-spezifischer Virulenz- in diesen Ländern sind sie eine häufige Ursache für Reisediarrhöen.
gene mittels PCR oder DNA-Kolonie-Blot-Hybridisierung In Mittel- und Nordeuropa spielen ETEC nur als von Touristen im-
portierte Infektionen eine Rolle.
kTherapie
Der Flüssigkeitsverlust des Erkrankten wird durch Verabreichung kÜbertragung
von Elektrolytlösungen substituiert. Hauptfaktoren einer Übertragung sind fäkal kontaminierte Lebens-
mittel und verunreinigtes Trinkwasser.
kPrävention
Die Verbreitung von EPEC-Infektionen lässt sich durch verbesserte kPathogenese
Hygiene bei der Nahrungszubereitung und Vermeidung von ETEC-Stämme zeichnen sich durch einen Tropismus für den proxi-
Schmierinfektionen eindämmen. malen, normalerweise bakterienarmen Abschnitt des Dünndarms
aus. Dort heften sie sich mittels CFA I und CFA II an die Rezeptoren
der Epithelzellen. Eine charakteristische Eigenschaft der ETEC ist
28.3 Enterotoxinogene E. coli-Stämme (ETEC) ihre Fähigkeit zur Produktion von LT I und LT II und/oder ST. Die
Diarrhö ist vom sekretorischen Typ.
28.3.1 Beschreibung LT I ist ein Toxin vom Typ AB5 mit 80 %iger Homologie zum
Choleratoxin. Der Rezeptor für die B-Untereinheit ist das Gangliosid
ETEC verursachen in allen Altersgruppen wässrige Durchfälle, vor- GM1 (. Abb. 28.4), ein saures Glykosphingolipid, bestehend aus
wiegend in subtropischen und tropischen Ländern (Reisediarrhöen). einem Lipidanker (Ceramid) und einem Oligosaccharidanteil
Zwei hitzelabile Enterotoxine (LT I, LT II) und ein hitzestabiles En- (. Abb. 28.5). Für die Bindung ist eine N-Azetylneuraminsäure es-
terotoxin (ST) charakterisieren diese Erreger. Plasmidkodierte Fim- senziell. Die A-Untereinheit aktiviert die Adenylatzyklase, was eine
brien (CFA I und CFA II, »colonisation factor antigens«) verhindern Anreicherung von cAMP in den Epithelzellen zur Folge hat. Daraus
über ihre relativ feste Anheftung an das Darmepithel eine Eliminie- resultiert eine sekretorische Diarrhö bei gleichzeitiger Hemmung
rung selbst bei der während der Diarrhö gesteigerten Darmperistal- der Mechanismen einer Rückresorption.
tik (. Abb. 28.4). Diese feste Adhäsion ermöglicht den ETEC eine Das hitzestabile Enterotoxin ST ist heterogen und variiert in sei-
hocheffiziente Wirkung ihrer Enterotoxine. ner kurzen Peptidkette (18 bzw. 19 Aminosäuren). Die Wirkung
232 Kapitel 28 · Enterobakterien

. Abb. 28.5 Hitzelabiles Enterotoxin; LT-Rezeptor GM1

besteht in der Aktivierung einer Guanylatzyklase, was zum Anstieg jReservoir


von cGMP und als Folge zu Elektrolyt- und Flüssigkeitsverlusten Der Mensch ist das einzig bekannte Erregerreservoir.
führt.

kKlinik 28.4.2 Rolle als Krankheitserreger


ETEC-Infektionen führen zu leichten wässrigen Durchfällen bis zu
choleraähnlichen Diarrhöen, die in der Regel 5 Tage andauern. Je kEpidemiologie
nach Virulenz kann es zu hohen Flüssigkeitsverlusten und erhebli- EAEC sind weltweit verbreitet und verursachen in Europa ca. 5 %
chen Elektrolytverschiebungen kommen. Als Begleitsymptome kön- der bakteriell bedingten Durchfallerkrankungen. Etwa ein Drittel
nen Übelkeit, Abdominalkrämpfe und subfebrile Temperaturen der Infektionen wird in außereuropäischen Ländern erworben.
auftreten.
kÜbertragung
kLabordiagnose Sie erfolgt durch Schmierinfektion und über kontaminierte Lebens-
Zum Nachweis der ETEC-Toxine stehen immunologische Tests zur mittel.
Verfügung. In Latexkoagglutinationstests wird LT nachgewiesen.
kPathogenese
Weiterhin gibt es einen Immundiffusionstest und einen ELISA zur
Detektion von ST. Der Nachweis der Virulenzgene erfolgt moleku- Nach Adhäsion an das Dünndarmepithel mittels spezifischer Fimb-
rien erfolgt eine durch das EAST-Enterotoxin verursachte Diarrhö
Bakteriologie

larbiologisch z. B. durch PCR und DNA-Kolonie-Blot-Hybridisie-


rung. vom sekretorischen Typ (. Abb. 28.6). Die Biofilmbildung der Erre-
ger und die erhöhte Schleimproduktion des Darmepithels (Mukosa-
kTherapie zellen) sind charakteristisch für eine EAEC-Infektion, wobei der
In der Regel sind ETEC-Infektionen selbstlimitierend. Die Therapie Schleim den Bakterien als Nische dient. Eine retardierte Ausschei-
besteht in einer Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution. Lediglich dung ist die Folge.
schweren Verlaufsformen sollte eine antibiotische Therapie vorbe- kKlinik
halten sein. Hierfür bieten sich ein Chinolon wie Ciprofloxacin oder EAEC verursachen einerseits akute Durchfallerkrankungen, werden
Azithromycin an. aber andererseits auch für sich über Wochen hinziehende und chro-
nisch rezidivierende Diarrhöen verantwortlich gemacht. Bei den
kPrävention
Patienten kommt es dabei zu wässrigem Durchfall mit Schleimbei-
Bei Reisen in warme Länder sind Hygieneregeln bei Speisen und mengungen oder auch Blut im Stuhl, häufig begleitet von Fieber und
Getränken zu beachten. Erbrechen. Bei Immunsupprimierten, wie z. B. HIV-Patienten, zäh-
len EAEC zu den häufigsten bakteriellen Enteritiserregern.
28.4 Enteroaggregative E. coli-Stämme (EAEC) kLabordiagnose
Der Nachweis erfolgt nach Anzucht aus dem Stuhl im Zellkulturtest,
28.4.1 Beschreibung z. B. mit HeLa-Zellen. Lichtmikroskopisch nachweisbare Bakterien-
aggregate auf den Epithelzellen sind typisch für EAEC-Erreger. Die
Die Namensgebung von EAEC beruht auf ihrer Autoaggregations- Gene für Virulenzmarker (EAST, Pic, AAF) werden mittels PCR
fähigkeit. Sie verursachen häufig chronische Durchfälle bei Men- nachgewiesen.
schen aller Altersgruppen und sind weltweit verbreitet. Sie exprimie-
ren aggregative Adhärenzfimbrien (AAF), sind zur Biofilmbildung kTherapie
befähigt und produzieren unter anderem Serinproteasen (Pic) und Zusätzlich zur Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution erfolgt je
hitzestabile Enterotoxine (EAST). nach Schwere der Erkrankung eine antibiotische Therapie. Die
28.5 · Enteroinvasive E. coli-Stämme (EIEC)
233 28
kPrävention
Eine Prävention ist durch Einhaltung hygienischer Standards, insbe-
sondere bei der Lebensmittelzubereitung, möglich.

28.5 Enteroinvasive E. coli-Stämme (EIEC)

28.5.1 Beschreibung

EIEC verursachen ruhrähnlichen Durchfall und besitzen als Beson-


derheit die Fähigkeit zur Zellinvasivität und intrazellulären Ver-
mehrung.

jReservoir
Der Mensch ist das einzige bisher bekannte Erregerreservoir.

28.5.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
EIEC-Infektionen treten bei Patienten aller Altersgruppen auf und
kommen in Ländern warmer Klimazonen mit einer Häufigkeit von
2–6 % vor. In Deutschland werden sie in erster Linie bei Reiserück-
kehrern nachgewiesen.

kÜbertragung
. Abb. 28.6 Pathogenese der EAEC-Infektion
In der Regel erfolgt die Infektion über kontaminierte Lebensmittel
oder verunreinigtes Trinkwasser. Übertragungen von Mensch zu
größte Empfindlichkeit zeigen EAEC-Stämme gegenüber neueren Mensch (Schmierinfektion) sind dokumentiert.
Fluorchinolonen, aber auch gegenüber Carbapenemen und dem
Aminoglykosid-Antibiotikum Gentamicin. Alle EAEC sind resistent kPathogenese
gegen Sulfamethoxazol-Trimethoprim, meist auch gegen Ampicil- Nach oraler Aufnahme dringen EIEC in die Epithelzellen des Kolons
lin, Tetracyclin, Streptomycin und Kanamycin. Auch multiresistente ein. Dort vermehren sie sich und können aufgrund ihrer Fähigkeit
Keime wurden schon häufig nachgewiesen. zur intrazellulären Bewegung durch fokale Kondensation von Ak-

. Abb. 28.7 Pathogenese der EIEC-Infektion


234 Kapitel 28 · Enterobakterien

tin der Wirtszelle in benachbarte Epithelzellen eindringen (wie auch 28.6.2 Rolle als Krankheitserreger
Listerien und Shigellen). Nach Zerstörung der Enterozyten, einher-
gehend mit entzündlichen Reaktionen, bilden sich Ulzerationen mit kEpidemiologie
Absonderungen von Blut, Schleim und Granulozyten (. Abb. 28.7). Die Erreger sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, typische Be-
Weiterhin sind sie in der Lage, Enterotoxine zu sezernieren, die eine wohner des Darms von Wiederkäuern, bei denen sie jedoch keine
Elektrolyt- und Wassersekretion verursachen. Erkrankungen verursachen (. Abb. 28.8). Neuesten Untersuchun-
gen zufolge treten sie auch bei Wildtieren und sogar Insekten auf.
kKlinik EHEC stellen ernährungsbedingt ein Problem insbesondere in den
Das Krankheitsbild ähnelt dem der Shigellenruhr mit Fieber, wäss- Industriestaaten dar.
rigen und blutig-schleimigen Durchfällen. Häufig verläuft die
Symptomatik aber in abgeschwächter Form als wässrige Diarrhö. kÜbertragung
Durch Kontamination von Fleischwaren während der Tierschlach-
kLabordiagnose tung bzw. der Gewinnung von Tierprodukten (Rohmilch) mit
Die bakteriologische Diagnostik beruht auf der Anzüchtung der Er- EHEC-haltigen Tierfäzes gelangen die Erreger in die Nahrungskette.
reger aus dem Stuhl. Die Invasionsfähigkeit wird im Zellkulturtest Nichtpasteurisierte Milch und Fruchtsäfte sowie unzureichend
nachgewiesen. Der molekularbiologische Nachweis basiert auf gegartes Fleisch und Rohwurst sind die Hauptverursacher EHEC-
Kolonie-Blot-Hybridisierung und PCR. Aufgrund genetischer und bedingter Lebensmittelvergiftungen. Tierkontakte (Streichelzoos)
biochemischer Gemeinsamkeiten sind EIEC leicht mit Shigellen stellen weitere Infektionsrisiken dar. Die direkte Mensch-zu-
zu verwechseln. Daher ist für eine eindeutige Identifizierung die Mensch-Übertragung wurde ebenfalls nachgewiesen. Verunreinig-
Serovarzugehörigkeit der EIEC mittels Agglutinationstests abzu- tes Trinkwasser sowie fäkaliengedüngte Pflanzen (Spinat, Sprossen),
sichern. die als Rohkost verzehrt wurden, haben auch zu EHEC-Erkrankun-
gen geführt. Der Ausbruch im Jahre 2011 ist höchstwahrscheinlich
kTherapie auf kontaminierte Sprossen, die aus Bockshornkleesamen ägypti-
Die Therapie besteht im Ausgleich der Flüssigkeits- und Elektrolyt- schen Ursprungs gekeimt sind, zurückzuführen.
verluste. Kleinkinder und Säuglinge erhalten eine Antibiotikathera-
pie mit Cotrimoxazol; Erwachsene können mit Ciprofloxacin oder kPathogenese
Cotrimoxazol behandelt werden. Das von der Pathogenitätsinsel LEE kodierte Protein Intimin vermit-
telt die Adhärenz der meisten EHEC-Bakterien an das Darmepithel.
kPrävention LEE besitzt auch die genetische Information für ein Typ-3-Sekre-
Die Prävention erfolgt über hygienische Zubereitung von Speisen tionssystem, über das Effektorproteine in die Epithelzellen einge-
und Einhalten der Kühlkette. schleust werden.
Neben den am intensivsten untersuchten Shiga-Toxinen (. Abb.
28.9) gibt es weitere potenzielle Pathogenitätsfaktoren. Diese gehö-
28.6 Enterohämorrhagische E. coli-Stämme ren zu den Familien der Zytolysine (EHEC-Hämolysin), Serinprote-
(EHEC) asen (EspP), Lymphotoxine (Efa-1) und Cyclomoduline (»cytolethal
distending toxin«, CDT). Deren kodierende Gene liegen auf Patho-
28.6.1 Beschreibung genitätsinseln (eae, efa-1) oder sind in Phagen (stx, cdt) und Plasmi-
Bakteriologie

den (EHEC-hlyA, espP) inseriert.


EHEC verursachen je nach Schweregrad der Erkrankung wässrige Der Ausbruchsstamm EHEC O104:H4 des Jahres 2011 ist ein sel-
oder blutige Durchfälle (hämorrhagische Kolitis). Als schwere Kom- tener Hybridstamm mit Eigenschaften von EAEC (7 Abschn. 28.4)
plikation kann ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) auftre-
ten, verbunden mit hämolytischer Anämie, Thrombozytopenie und
Nierenversagen. Außerdem kann es zu akuten zerebralen Krampfan-
fällen und – besonders gefürchtet – Infarkten mit anhaltenden zen-
tralnervösen Funktionsausfällen (Lähmungen, Sehverlust) kom-
men.
Ein Charakteristikum der EHEC ist ihre Produktion der nach
ihrem Entdecker Kiyoshi Shiga benannten Shiga-Toxine (Stx).
EHEC repräsentieren eine Subgruppe Stx-produzierender E. coli
(STEC). In Deutschland bezeichnet man alle STEC aus humanen Iso-
laten als EHEC. Aufgrund der Säureresistenz der EHEC-Bakterien ist
die Infektionsdosis für den Menschen mit < 100 sehr niedrig.
Die überwiegende Anzahl der EHEC-Stämme ist zoonotischen
Ursprungs, während eine kleinere Anzahl ausschließlich den Men-
schen als Reservoir benutzt. Hierzu gehört der im Mai/Juni 2011 in
Deutschland identifizierte Ausbruchsstamm EHEC O104:H4, der für
mehr als 4000 Erkrankungen mit 855 bestätigten HUS-Fällen und
53 Todesfällen verantwortlich war.

. Abb. 28.8 EHEC sind in der Umwelt weit verbreitet


28.6 · Enterohämorrhagische E. coli-Stämme (EHEC)
235 28
Dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) geht eine durch
Shiga-Toxine verursachte Schädigung des mikrovaskulären Nieren-
endothels voraus. Stx gehören zu den AB5-Toxinen. Man unter-
scheidet derzeit die Shiga-Toxine (Stx) in die beiden Typen Stx1 und
Stx2 mit den zugehörigen Subtypen Stx1a, Stx1c und Stx1d sowie
Stx2a, Stx2b, Stx2c, Stx2d, Stx2e, Stx2f und Stx2g. Innerhalb der je-
weiligen Subtypen treten durch genetische Variabilität (vorwiegend
Punktmutationen) stammspezifische Varianten auf, die nach ihrem
O-Antigen und durch Zusatz der Stammbezeichnung unterschieden
werden (Beispiel für eine Stx1a-Variante: Stx1a-O157-EDL933).
Die bislang im Detail untersuchten Subtypen Stx1a, Stx2a und
Stx2e weisen Unterschiede hinsichtlich ihrer Bindungsspezifitäten
gegenüber ihren Glykosphingolipid-Rezeptoren auf. Die pentamere
Stx1a, Stx2a, Stx2c B-Untereinheit von Stx1a bindet bevorzugt an das Glykosphingoli-
pid Globotriaosylceramid (Gb3Cer), erkennt aber auch in erhebli-
chem Maße das Glykosphingolipid Globotetraosylceramid (Gb-
4Cer) (Struktur . Abb. 28.10).
Stx2a interagiert präferenziell mit Gb3Cer und nur sehr schwach
mit Gb4Cer, wohingegen Stx2e bevorzugt an Gb4Cer und im Unter-
schied zu Stx1a und Stx2a das Forssman-Glykosphingolipid spezi-
fisch erkennt. Nach Aufnahme des Toxins durch rezeptorvermittelte
Endozytose und anschließendem retrogradem Transport durch den
Golgi-Apparat erfolgt die proteolytische Spaltung der A-Unterein-
heit durch Furin in das A1- und A2-Fragment, wobei das A1-Frag-
ment über seine N-Glykosidase-Aktivität einen Adeninrest der
. Abb. 28.9 Pathogenese der EHEC-Enteritis und des HUS
rRNA abspaltet. Dies führt zur Inhibition der Proteinbiosynthese
und damit zum Zelltod (. Abb. 28.11).

und EHEC. Diese Chimäre besitzt die Autoaggregationseigenschaften kKlinik


von EAEC und weist zudem ein typisches EAEC-Zelladhärenzmuster Nach 2–5 Tagen Inkubationszeit tritt zunächst ein wässriger, dann
auf. Aufgrund der charakteristischen Stx-Produktion wird der Hy- ein wässrig-blutiger Durchfall auf, begleitet von krampfartigen
bridstamm gemäß IfSG als EHEC eingestuft. Bauchschmerzen mit oder ohne Fieber und Erbrechen. Bei 50 %

. Abb. 28.10 Shiga-Toxin-Rezeptoren Gb3Cer, Gb4Cer und Forssman-Glykosphingolipid


236 Kapitel 28 · Enterobakterien

. Abb. 28.11 Biologische Aktivität von Shiga-Toxinen

der Patienten geht der Durchfall in eine profuse hämorrhagische kTherapie


Diarrhö über, die ein Risikofaktor für anschließende Komplikatio- Bisher gibt es weder eine kausale Therapie der durch EHEC verur-
nen ist. sachten Krankheitsbilder noch einen Impfstoff. Trotz Empfindlich-
Je nach Virulenz des Erregers tritt in 5–15 % der Fälle etwa keit des Erregers gilt eine antibiotische Therapie zumindest wäh-
1 Woche nach Beginn der Durchfallerkrankung ein HUS auf, ein- rend der akuten Krankheitsphase (Durchfall) als kontraindiziert.
hergehend mit akutem Nierenversagen, Thrombozytopenie und Grund dafür ist, dass Antibiotikagaben die Produktion und Freiset-
intravasaler Hämolyse mit Nachweis fragmentierter Erythrozyten zung von Stx unter Umständen verstärken und damit die Gefahr des
(Fragmentozyten). . Abb. 28.12 illustriert den klinischen Verlauf der akuten Nierenversagens steigern. Einige Antibiotika verursachen in
EHEC-Infektion bei Kindern. Zusätzlich können sowohl bei Kin- den Bakterien eine Stressantwort, die zur Induktion von Bakterio-
dern als auch Erwachsenen neurologische Ausfallerscheinungen phagen führt. Da die stx-Gene im Genom der Phagen inseriert sind,
auftreten. kommt es zur verstärkten Transkription und Produktion der Stx.
Durch phageninduzierte Bakterienlyse erfolgt zudem eine exponen-
kLabordiagnose tielle Freisetzung der Stx.
Die EHEC-Diagnostik beruht entweder auf dem Nachweis der zyto- Die Behandlung beschränkt sich daher auf einen Ersatz von
toxischen Aktivität der Stx in der Zellkultur oder dem immunologi- Flüssigkeit und Elektrolyten sowie bei renaler Schädigung auf Dia-
schen Nachweis der Stx mittels ELISA oder LatexAgglutinationstest. lyse und Korrektur von Blutelektrolyten.
Bakteriologie

Alternativ erfolgt der stx- und eae-Gennachweis mittels Real-Time- Durch Langzeitbeobachtungen von HUS-Patienten wurde deut-
PCR. Bei positivem Befund werden die EHEC-Bakterien aus Stuhl- lich, dass bis zu 30 % der Patienten Langzeitschäden in Form von
proben isoliert und weiter serotypisch und molekularbiologisch cha- Proteinurie, arteriellem Bluthochdruck und/oder neurologischen
rakterisiert (z. B. Multilocussequenztypisierung, MLST, oder Ge- Ausfällen aufweisen. Etwa 3 % der akuten Komplikationen führen
nomsequenzierungen mittels Next-Generation-Sequencing, NGS). zum Tod.
Bei ca. einem Drittel der HUS-Patienten ist jedoch mit dem Ein-
setzen von HUS der Erreger im Stuhl nicht mehr nachweisbar. In kPrävention
diesen Fällen kann der Nachweis von O-Antigen-spezifischen Anti- EHEC-Infektionen sind in erster Linie auf mangelhafte Hygiene bei
körpern retrospektiv zur Absicherung der Ursache beitragen. der Herstellung und Zubereitung von Lebensmitteln tierischen Ur-
sprungs zurückzuführen. Weiterhin werden EHEC durch Schmier-
infektionen übertragen, was sich durch strikte Händehygiene ver-
meiden lässt.
Wesentlich ist die Hygiene bei der Herstellung von Lebensmit-
teln und Speisen tierischer und pflanzlicher Herkunft, insbesondere
vom Rind, sowie von anderen landwirtschaftlichen Produkten, die
fäkal kontaminiert sein können (Sprossen, Salat etc.). Vor dem Ver-
zehr von Rohmilch und unzureichend gegartem oder rohem Rind-
fleisch (Tatar!) muss gewarnt werden. Der Kontakt mit Patienten
sowie mit Wiederkäuern (Rinder, Schafe, Ziegen) in der Landwirt-
schaft oder in Streichelzoos kann zur direkten Übertragung führen.
Strikte Händehygiene ist in diesen Fällen notwendig.

Meldepflicht Der Verdacht auf und die Erkrankung an einer mik-


robiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder an einer akuten infek-
. Abb. 28.12 Klinischer Verlauf der EHEC-Infektion bei Kindern tiösen Gastroenteritis ist namentlich zu melden, wenn a) die betrof-
28.6 · Enterohämorrhagische E. coli-Stämme (EHEC)
237 28

. Abb. 28.13 Enterobakterien Identifizierung mittels »bunter Reihe«

fene Person spezielle Tätigkeiten (Lebensmittel-, Gaststätten- und


Küchenbereich sowie Einrichtungen mit/zur Gemeinschaftsverpfle- 5 EIEC: Invasion der Epithelzellen des Kolons ൺ Zerstörung der
gung) ausübt oder b) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen Epithelzellen ൺ blutig-schleimige und wässrige Diarrhö.
auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrschein- 5 ETEC: Anheftung an proximale Dünndarmepithelien (keine
lich ist oder vermutet wird (§ 6 IfSG). Invasion) ൺ Toxinbildung mit Störung des intestinalen
Krankheitsverdacht, Erkrankung sowie Tod an enteropathi- Elektrolyt- und Wassertransports ൺ sekretorische Diarrhö.
schem HUS ist ebenfalls namentlich zu melden (§ 6 IfSG). 5 EHEC: toxinvermittelte wässrige oder hämorrhagische Kolitis,
Darüber hinaus ist der direkte oder indirekte Nachweis von bei Kleinkindern häufiger systemische Komplikationen
EHEC-(STEC-)Stämmen und anderen darmpathogenen E. coli na- (HUS).
mentlich meldepflichtig, soweit die Nachweise auf eine akute Infek-
Virulenzfaktoren
tion deuten.
5 EPEC: Adhäsine, sekretorische Proteine.
5 EAEC: Adhäsine, Zytotoxin, Enterotoxin.
5 EIEC: Invasine, sekretorische Proteine.
In Kürze
5 ETEC: Fimbrien und plasmidkodierte Toxine (LT und ST).
Obligat pathogene E. coli-Stämme
5 EHEC: Adhäsine, Shiga-Toxine 1 und 2, Hämolysin, sekreto-
Bakteriologie Morphologisch und in den Wachstumsansprüchen
rische Proteine.
besteht kein Unterschied zu den apathogenen und fakultativ
pathogenen Stämmen. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Patho- Klinik Diarrhöen, die (mit den pathophysiologischen Folgen der
mechanismen erfolgt die Einteilung in 5 Gruppen: Dehydratation und Malabsorption) je nach Virulenzmechanismus
5 enteropathogene (EPEC) des Erregers vom sekretorischen oder blutig-schleimigen (ruhr-
5 enteroaggregative (EAEC) ähnlichen) Typ sein können.
5 enteroinvasive (EIEC) Labordiagnose Untersuchungsmaterial: Stuhl bzw., bei dünn-
5 enterotoxinogene (ETEC) darmbesiedelnden Stämmen (EPEC, ETEC), mit Dünndarmsonde
5 enterohämorrhagische (EHEC) gewonnenes Material. Erregernachweis durch Anzucht auf
laktosehaltigen Indikatornährböden. E. coli-Identifizierung mit-
Vorkommen Gehören nicht zur physiologischen Darmflora tels »bunter Reihe« (. Abb. 28.13). Differenzierung säuglings-
des Menschen. Weltweit verbreitet, EPEC und ETEC vorwiegend pathogener und enteroinvasiver Stämme durch molekularbio-
in Entwicklungsländern. Hauptreservoir ist der Mensch, für logische Methoden und serologische Bestimmung der O-Anti-
EHEC sind es Rinder und andere Wiederkäuer, seltener der gene. Toxinnachweis mittels ELISA-Tests, Zellkulturen oder
Mensch. molekularbiologischer Methoden.
Epidemiologie EPEC: Säuglingsenteritis (Entwicklungsländer). Therapie Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution. Antibiotika
EAEC: wässrige, gelegentlich blutige, persistierende Enteritis. nur in Ausnahmefällen. Motilitätshemmer bei invasiven/bluti-
EIEC: ruhrähnliches Krankheitsbild. ETEC: Diarrhöen im Klein- gen Formen kontraindiziert.
kindalter und bei Touristen (Reisediarrhö) in südlichen Ländern. Prävention Vermeidung fäkaler Kontamination von Nahrungs-
EHEC: alle Altersgruppen, v. a. Kinder, in den Industrienationen. mitteln und Wasser. Abkochen von Speisen und – zwecks Ver-
Übertragung Schmierinfektionen und über kontaminierte meidung nachträglicher Kontamination – rascher Verzehr (cave:
Nahrungsmittel. EHEC: auch direkte Übertragung. Kühlketten!). EHEC: Händewaschen (oder Desinfektion) nach
Patienten- und Tierkontakt.
Pathogenese Meldepflicht Verdacht, Erkrankung an akuter Gastroenteritis
5 EPEC: Adhärenz und Zerstörung des Bürstensaums. (spezielle Voraussetzungen): namentlich; Verdacht, Erkrankung
5 EAEC: Adhärenz, Schleimbildung, Schädigung der Entero- und Tod an enteropathischem HUS: namentlich; direkter oder
zyten mit Diarrhö. indirekter Nachweis von EHEC oder anderen darmpathogenen
E. coli: namentlich.
238 Kapitel 28 · Enterobakterien

28.7 Klebsiellen

Klebsiellen sind Erreger von eitrigen Lokalinfektionen (v. a. Pneu-


monie, Harnwegsinfektionen) und Sepsis. Diese Gattung ist nach
dem Bakteriologen Edwin Klebs (1834–1913) benannt. Der Patho-
loge Carl Friedländer (1847–1887) beschrieb 1883 Klebsiella (K.)
pneumoniae als Erreger der Lobärpneumonie. Sie teilen viele Ge-
meinsamkeiten mit Enterobacter und Serratia und werden mit die-
sen zur KES-Gruppe zusammengefasst.
Klebsiellen besitzen keine Geißeln und sind daher unbeweglich.
Die meisten Stämme tragen Fimbrien und bilden eine dicke Poly-
saccharidkapsel, die antiphagozytär wirkt. Es gibt über 70 verschie-
dene Kapseltypen.
Klebsiellen kommen in der Erde, auf Pflanzen und im Wasser
vor; bei 30 % der gesunden Bevölkerung und in noch höherem Pro-
zentsatz bei Krankenhauspersonal finden sie sich auch im Darm und
im oberen Respirationstrakt.

Klebsiella pneumoniae Die wichtigste Erregerspezies in der Gat-


tung Klebsiella ist K. pneumoniae. K. pneumoniae kann Pneumoni-
en (sog. Friedländer-Pneumonie) bei immunkompetenten Personen . Abb. 28.14 Serratia marcescens – Wilsnacker Blutwunder
auslösen. Häufiger befällt K. pneumoniae aber abwehrgeschwächte
Personen, entweder im ambulanten Bereich (z. B. häufig bei Alko-
holikern) oder als Hospitalismuserreger (z. B. Patienten auf Intensiv- Differenzierung, Identifizierung und Krankheitsspektrum ähneln
stationen und in onkologischen Abteilungen). Die häufigsten Mani- sie ebenfalls den Klebsiellen. Wichtige Spezies, die gelegentlich als
festationen einer Klebsielleninfektion im nosokomialen Bereich sind Erreger nosokomialer Infektionen bei Immunsupprimierten isoliert
Harnwegsinfektionen, Pneumonien, schwere Weichgewebeinfektio- werden, sind E. cloacae und E. aerogenes. Die häufigste Lokalisa-
nen und Sepsis. Neben der Pneumonie können Klebsiellen Exazer- tion solcher Infektionen ist der Urogenitaltrakt; auch Bakteriämien
bationen chronischer Bronchitiden hervorrufen. kommen vor.
Zwischenfälle treten auf, wenn mit Klebsiellen kontaminierte Cronobacter (Enterobacter) sakazakii kann bei Frühgeborenen
Infusionen oder Blutkonserven verabreicht werden. Als Quelle für zu Sepsis, Meningitis und nekrotisierender Enterokolitis führen. Die
die Kontamination derartiger Materialien kommen erregertragende Krankheit endet häufig mit Defektheilungen oder tödlich. Die Über-
Personen (Krankenhauspersonal) in Betracht. Klebsielleninfektio- tragung erfolgt über kontaminierte Säuglingsnahrung. Der Erreger
nen können auch über pflanzliche Lebensmittel zustande kommen, lebt in der Umwelt v. a. auf Pflanzen und findet sich häufig in Le-
z. B. Salate. bensmitteln pflanzlicher Herkunft. Er bildet ein gelbes Pigment und
Viele Stämme von K. pneumoniae sind multiresistent (z. B. zeichnet sich durch erhöhte Hitzeresistenz aus.
durch ESBL-Bildung [»extended spectrum beta-lactamase«]) und Problematisch ist die hohe Rate der Ausbildung sekundärer An-
Bakteriologie

sehr schwer zu therapieren. Besonders große Probleme bereiten in tibiotikaresistenzen bei der gesamten KES-Gruppe, insbesondere
letzter Zeit multiresistente Klebsiellen, die KPC-Carbapenemasen die zunehmende Tendenz zur Multiresistenz durch Bildung von
bilden und häufig auch gegen viele andere Antibiotikaklassen resis- ESBL, Cephalosporinase und Carbapenemase.
tent sind.
K. pneumoniae ssp. ozaenae und ssp. rhinoscleromatis verursa-
chen eine auf die Nasenschleimhaut begrenzte atrophische Rhinitis, 28.9 Serratia
die durch Borkenbildung und übel riechendes Sekret gekennzeichnet
ist (»Stinknase«). Ein weiteres Krankheitsbild ist die granulomatöse Auch Serratiaarten ähneln hinsichtlich ihrer Ansprüche an das Kul-
Infektion der Nasenschleimhaut, die sich auf Kehlkopf und Trachea turmedium und des Krankheitsspektrums den Klebsiellen.
ausbreiten kann. Beide Krankheitsbilder verlaufen chronisch. Sie unterscheiden sich von allen anderen Enterobakterien durch
ihre Fähigkeit zur Produktion dreier hydrolytischer Enzyme: DNase,
Klebsiella oxytoca Diese Spezies kann ein ähnliches Spektrum von Gelatinase und Lipase.
Erkrankungen hervorrufen wie K. pneumoniae (v. a. nosokomiale Serratia (S.) rubidaea und einige Stämme von S. marcescens pro-
Harnwegsinfekte), wird aber deutlich seltener isoliert. duzieren bei Lichtabschluss ein rotes Pigment, Prodigiosin. Diese
Pigmentbildung durch Serratien soll für einige der überlieferten
Klebsiella granulomatis Es handelt sich um den Erreger chro- Hostienwunder (»Bluthostien«) verantwortlich sein (. Abb. 28.14).
nisch genitaler Geschwüre (Donovanose), der besonders in den Tro- Serratiaarten kommen in der Erde, auf Pflanzen und in Wasser-
pen vorkommt und nicht auf künstlichen Nährböden anzüchtbar ist. proben vor. Gelegentlich, jedoch seltener als Klebsiella oder Entero-
bacter, werden sie aus dem menschlichen Darm oder dem Respira-
tionstrakt isoliert.
28.8 Enterobacter Bei abwehrgeschwächten Patienten im Krankenhaus und bei
Drogenabhängigen verursachen S. marcescens und S. liquefaciens
Diese Bakterien unterscheiden sich von den Klebsiellen im Wesent- Sepsis, Endokarditis, Infektionen der Harnwege und des Respira-
lichen durch ihre Begeißelung, die ihnen Beweglichkeit verleiht. tionstrakts, Wundinfektionen, Meningitis sowie Infektionen bei
Darüber hinaus bilden sie weniger Kapselsubstanz aus. Hinsichtlich Endoprothesenoperationen. Serratia marcescens wird in den letzten
28.12 · Salmonellen
239 28

. Abb. 28.15 Enterobakterien – schwärmender Proteus mirabilis auf Blut- . Abb. 28.16 Salmonella auf Önoz-Agar
agar

Jahren auch zunehmend als Erreger von Infektionen (z. B. Late-On- Andere Proteusinfektionen Sepsis und Endokarditis, Meningitis
set-Sepsis) bei Neu- und Frühgeborenen beobachtet. Die übrigen und Infektionen von Verbrennungswunden können ebenfalls pro-
Serratiaarten sind weit seltener für Krankheitsprozesse verant- teusbedingt sein.
wortlich.

28.11 Sonstige wichtige fakultativ


28.10 Proteus pathogene Enterobakterien

Proteus ist im Vergleich zu den anderen Enterobakterien besonders Auch andere fakultativ pathogene Enterobakterien (. Tab. 28.2) kön-
stark begeißelt und damit außerordentlich beweglich. Proteusstäm- nen, insbesondere bei stark abwehrgeschwächten Patienten, oppor-
me besitzen Fimbrien und sind nicht bekapselt. Charakteristisch ist tunistische Infektionen hervorrufen. Meistens entstehen diese noso-
die Bildung von Urease. komial. Relativ häufig sind Morganellen, Providencia- und Citro-
Auf festen Kulturmedien können Proteusstämme schwärmen: bacterarten, die normale Darmbewohner sind.
Durch Hemmung der Septumbildung bilden sich lange Bakterien- 4 Citrobacter freundii kann auch durch Bildung von plasmidko-
filamente mit mehreren Kernäquivalenten, die sehr stark begeißelt diertem hitzestabilen Enterotoxin (ST, weitgehend identisch
sind (Schwärmerzellen). Ein Auslöser für diese Umwandlung von mit E. coli-ST) oder phageninduziertem Shiga-Toxin Enteriti-
der Schwimmer- in die Schwärmerform scheint beeinträchtigte freie den verursachen.
Geißelbeweglichkeit zu sein. Die Schwärmerzellen zeigen ein koor- 4 Edwardsiella tarda und Plesiomonas shigelloides haben ih-
diniertes Bewegungsverhalten: Phasen des Schwärmens wechseln ren natürlichen Standort im Wasser. Sie kommen insbesondere
sich mit Phasen der Konsolidierung ab. Konsequenz dieses zykli- in den warmen Klimazonen vor und können eine Enteritis ver-
schen und koordinierten Verhaltens sind die konzentrischen ursachen.
Schwärmringe, die um Einzelkolonien von Proteus bzw. um eine
punktförmige Inokulationsstelle herum entstehen (. Abb. 28.15).
Proteus findet sich als Fäulniserreger massenhaft in Erdproben, 28.12 Salmonellen
Abwässern, auf Tierkadavern und in manchen Lebensmitteln, z. B.
in überreifem Käse. Sehr häufig kommt Proteus in der Darmflora Salmonellen sind obligat pathogene bewegliche gramnegative Stäb-
gesunder Personen vor. chenbakterien aus der Familie der Enterobakterien (. Abb. 28.16).
Proteusarten rufen extraintestinale Opportunisteninfektionen, Sie werden nach klinischen Gesichtspunkten unterteilt in die große
v. a. Harnwegsinfektionen, aber auch systemische Infektionen her- Gruppe der Enteritis-Salmonellen, die primär selbst-limitierende
vor (. Tab. 28.2). Die beim Menschen am häufigsten isolierten Arten Durchfallerkrankungen verursachen (7 Abschn. 28.12.1) und die
sind Proteus mirabilis und Proteus vulgaris. typhösen Salmonellen, die septische Allgemeinerkrankungen wie
Typhus und Paratyphus mit einer signifikanten Mortalität hervor-
Harnwegsinfektionen Harnwegsinfektionen durch Proteus finden rufen (7 Abschn. 28.12.2). Benannt wurden sie nach dem nordame-
sich bei Patienten mit obstruktiven Veränderungen oder nach ope- rikanischen Bakteriologen Daniel E. Salmon, in dessen Labor Theo-
rativen Eingriffen der Harnwege sowie bei länger liegenden Blasen- bald Smith 1886 die Enteritis-Salmonellen entdeckte.
kathetern. Die für Proteus charakteristische Ureasebildung scheint Die Taxonomie der Salmonellen ist komplex. Das Genus Salmo-
bei Harnwegsinfektionen als Virulenzfaktor eine Rolle zu spielen: nella besteht aus nur 2 Spezies, S. enterica und S. bongori. Anders als
Urease spaltet Harnstoff in CO2 und NH3. Hierdurch kommt es zu S. enterica besitzt S. bongori nur sehr geringe humanmedizinische
einem Anstieg des pH-Werts im Gewebe. Dies kann zur Etablierung Bedeutung. S. enterica wird in 5 Subspezies (ssp.) oder Gruppen un-
der Bakterien beitragen und spielt bei der Nierensteinbildung eine terteilt. Die weitaus meisten klinischen Isolate von Warmblütern
Rolle. (einschließlich des Menschen) gehören zur Subspezies enterica
(Gruppe I); zur Subspezies salamae, houtenae und arizonae (Grup-
240 Kapitel 28 · Enterobakterien

28.12.1 Enteritis-Salmonellen

Steckbrief

Enteritis-Salmonellen gehören zu den häufigsten Durchfallerre-


gern. Sie führen zu lokalen, selbstlimitierenden Infektionen des
Darmgewebes. Bei Abwehrgeschwächten sind septische Infek-
tionen mit Ausbreitung in verschiedene Organe möglich.

. Abb. 28.17 Schwärmplatte zur Identifizierung der 2. H-Phase von Salmo-


nellen

pen II, IV und III) gehören kommensale Bakterien des Darmtrakts jBeschreibung
vieler Kaltblüter (Reptilien wie z. B. Schildkröten, Schlangen). Diese Der mit Abstand größte Teil der ~2600 Serovare von S. enterica wird
lösen vor allem bei kleinen Kindern nach Exposition gelegentlich zu den Enteritis-Salmonellen gezählt.
Enteritiden aus. Die Subspezies indica (Gruppe V) spielt keine
humanmedizinische Rolle. Die Spezies und Subspezies lassen sich kExtrazelluläre Produkte
durch die Testung weniger biochemischer Eigenschaften differen- »Klassische« Exotoxine wurden bei Enteritis-Salmonellen nicht be-
zieren. schrieben.

jKauffmann-White-Schema und Phasenvariation kResistenz gegen äußere Einflüsse


Im Kauffmann-White-Schema werden die Salmonellen seit 1929 Salmonellen vermehren sich bei Temperaturen zwischen 4 und
durch die Kombination der verschiedenen antigenen Eigenschaften 45 °C, einzelne Stämme bei bis zu 54 °C. Die Überlebensdauer in
des O-Antigens (Teil des Lipopolysaccharids in der äußeren Zell- Abwasser beträgt je nach Temperatur mehrere Wochen bis Monate,
membran, O-Antigen), der Geißeln (H-Antigen) und der Anwesen- in Schlamm und Erdboden mehrere Monate bis Jahre. Im trockenen
heit einer Polysaccharidkapsel (Virulenz oder Vi-Antigen) in etwa Milieu, z. B. in Staub oder Lebensmitteln (Trockenmilch, Gewürze
2600 Serovare (sv.) unterteilt. Die verschiedenen Serovare tragen u. a.), können Salmonellen über Monate bis mehrere Jahre über-
Namen, die ihre Wirtsspezifität oder den Ort der Erstbeschreibung leben. Bei pH < 4 werden sie temperaturabhängig abgetötet. Bei
Bakteriologie

kennzeichnen. Aus historischen Gründen wird die taxonomisch 70 °C werden Salmonellen innerhalb von Minuten zuverlässig abge-
korrekte Benennung (z. B. Salmonella enterica ssp. enterica sv. Ty- tötet.
phimurium) häufig durch den Namen des Serovars ersetzt (hier also:
Salmonella Typhimurium). Dabei zeigt die Großschreibung von kVorkommen
»Typhimurium« an, dass es sich nicht um einen Speziesnamen Enteritis-Salmonellen gehören zu den zoonotischen Erregern: Als
handelt. tierische Wirte kommen Wildtiere, Nutz- und Haustiere sowie Am-
Fast alle Salmonellen sind peritrich begeißelt (Ausnahmen: phibien und Reptilien infrage. Kontaminiertes Fleisch und Geflügel
S. Gallinarum oder S. Pullorum). Eine Besonderheit ist die Fähigkeit sowie kontaminierte Roheiprodukte und direkter Tierkontakt (sel-
zur Phasenvariation der Geißel-(H-)Antigene. Dazu besitzen Sal- ten) kommen als Infektionsquelle infrage.
monellen 2 verschiedene Gene für den Grundbaustein der Geißeln
(Flagellin). Von diesen kann zu jedem Zeitpunkt immer nur eines
transkribiert werden, weil gemeinsam mit dem 2. Flagellingen ein 28.12.2 Rolle als Krankheitserreger
Repressor für das 1. Flagellingen exprimiert wird. Die Expression
des Flagellin/Repressor-Operons wird von einem auf einem in- kEpidemiologie
vertierbaren DNA-Fragment lokalisierten Promotor kontrolliert. Enteritis-Salmonellen kommen weltweit vor. Im Jahr 2014 wurden
Jede einzelne Salmonellenzelle besitzt daher entweder Geißeln der in Deutschland 16.222 Fälle von Salmonellen-Enteritis gemeldet. Bei
Phase 1 oder der Phase 2. 10-fach höherer Dunkelziffer ist jährlich allein in Deutschland mit
In einer größeren Salmonellenpopulation findet sich wegen der über 150.000 menschlichen Infektionen zu rechnen. Der sehr starke
hohen Inversionsfrequenz der Promotorregion immer eine Sub- Rückgang der Zahl der Salmonellosen in den letzten 10 Jahren
population in der jeweils anderen H-Phase. Selektionsdruck (z. B. (2004: 56.947 gemeldete Fälle) wird überwiegend auf die systemati-
durch Bildung von Antikörpern gegen eine H-Phase) kann einen sche Impfung von Hühnerbeständen zurückgeführt und ist ein be-
Phasenwechsel der Population herbeiführen – im Rahmen der Dia- sonders gutes Beispiel für das »One-Health-Konzept«.
gnostik wird ein solcher Phasenwechsel mittels einer Schwärm- Die Ausbreitung der Enteritis-Salmonellen wird durch Massen-
platte (. Abb. 28.17) erzwungen. tierhaltung, Gemeinschaftsverpflegung, große Produktionschargen
und unzureichende Hygiene bei der Lebensmittelverarbeitung im
28.12 · Salmonellen
241 28
a

. Abb. 28.18a, b Pathogenese (a) und Diagnostik (b) der Salmonellen-Enteritis

Haushalt (unzureichende Kühlung bei der Lagerung, mangelhafte ermöglicht auch eine Vermehrung und das Überleben der Bakterien
Erhitzung) begünstigt. Salmonellosen können endemisch gehäuft in professionellen Immunzellen wie z. B. Makrophagen in der
auftreten. Am häufigsten erkranken Kinder unter 6 Jahren. Darmschleimhaut.

kÜbertragung Gewebeschädigung Die entzündliche Reaktion von Zellen der


Die zur Infektion notwendige Erregermenge ist für Erwachsene in Darmschleimhaut löst Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolyt-
der Regel hoch (ca. 106 koloniebildende Einheiten, KBE). Infektio- transports im unteren Dünndarm aus. Die ausgeschiedenen hohen
nen entstehen daher meist nach Vermehrung der Bakterien in kon- Flüssigkeitsmengen übersteigen das Rückresorptionsvermögen des
taminierten Nahrungsmitteln. Bei Säuglingen und Kleinkindern Dickdarms, sodass es zu einem Nettoverlust von Wasser und Elek-
oder abwehrgeschwächten Patienten sind dagegen Erkrankungen trolyten kommt (. Abb. 28.18a). Die Stühle enthalten weder Eiter-
bei Aufnahme von < 100 Salmonellen beobachtet worden, was auch zellen noch Blut; es finden sich aber Makrophagen. Die Infektion mit
Schmierinfektionen möglich macht. Infizierte Patienten scheiden Enteritis-Salmonellen beschränkt sich beim Immungesunden auf
u. U. große Mengen Enteritis-Salmonellen mit dem Stuhl aus. das Darmgewebe.

kPathogenese kKlinik
Adhäsion Salmonellen adhärieren mittels Fimbrien an M-Zellen im Enteritis Die Salmonellenenteritis beginnt 12–36 h (selten 6–48 h)
Bereich des unteren Dünndarms. nach Aufnahme der Erreger mit Durchfall, Brechreiz oder Erbre-
chen und mäßigem Fieber (38–39 °C). Der Durchfall ist meist wäss-
Invasion Das auf der Pathogenitätsinsel SPI1 kodierte Typ-3-Sekre- rig, selten auch schleimig-blutig. Das Krankheitsbild hält 4–10 Tage
tionssystem injiziert Effektor- und Regulationsproteine in die an. Die Bakterien sind in der Regel noch 4–6 Wochen nach Beendi-
Darmepithelzellen, die diese dazu veranlassen, die Salmonellen auf- gung der Krankheit im Stuhl nachweisbar, bei Säuglingen sogar über
zunehmen. Nach Aufnahme liegen die Salmonellen durch eine Dop- Monate.
pelmembran umschlossen in einer Vakuole. Ein zweites, intrazellu-
lär aktives und auf der Salmonella-Pathogenitätsinsel 2 (SPI2) ko- Extraintestinale Manifestationen Bei immungeschwächten Patien-
diertes Typ-3-Sekretionssystem ermöglicht die intrazelluläre Ver- ten können Enteritis-Salmonellen über das Darmgewebe hinaus
mehrung. Weitere Eintrittspforten sind die M-Zellen dem Bereich in den Blutkreislauf gelangen und extraintestinale Manifestationen
der Peyer-Plaques sowie dendritische Zellen. Im subepithelialen wie Gelenkempyeme, Osteomyelitiden, Meningitiden, Pleuritiden,
Gewebe werden Salmonellen von Phagozyten aufgenommen. SPI2 Abszesse und Harnwegsinfektionen auslösen. Risikogruppen sind
242 Kapitel 28 · Enterobakterien

Neugeborene und alte Menschen, abwehrgeschwächte (z. B. AIDS-) andere Küchenarbeiten begonnen werden! Für bestimmte Lebens-
Patienten, Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen oder mittelzubereitungen (Mayonnaise), die in Gaststätten oder im
Sichelzellanämie. Auch bei extraintestinal verlaufenden Formen stellt Handel angeboten werden, ist der Zusatz bakteriostatischer Stoffe
der Darm die ursprüngliche Eintrittspforte für die Salmonellen dar. oder die Verwendung pasteurisierter Eier, Milch, Sahne o. a. vor-
geschrieben. Ein Impfstoff gegen Enteritis-Salmonellen existiert
kImmunität nicht.
Eine Salmonellenerkrankung bewirkt nur eine begrenzte, auf
den Serovar beschränkte Immunität. Wiederholte Infektionen sind Meldepflicht Der direkte oder indirekte Nachweis von Salmonellen
möglich. ist meldepflichtig (§ 7 IfSG). Darüber hinaus ist der Verdacht auf
und die Erkrankung an einer mikrobiell bedingten Lebensmittelver-
kLabordiagnose giftung oder an einer akuten infektiösen Gastroenteritis namentlich
Der Schwerpunkt bei Enteritis-Salmonellosen liegt in der Anzucht zu melden, wenn a) eine Person spezielle Tätigkeiten (Lebensmittel-,
der Erreger aus Stuhlproben und ihrer anschließenden biochemi- Gaststätten-, Küchenbereich, Einrichtungen mit/zur Gemein-
schen und serologischen Typisierung (Kauffmann-White-Schema). schaftsverpflegung) ausübt oder b) zwei oder mehr gleichartige Er-
Methoden zum Nachweis salmonellenspezifischer Antikörper spie- krankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang
len bei der Diagnose von Durchfallerkrankungen keine Rolle. Bei vermutet wird (§ 6 IfSG). Nach dem Infektionsschutzgesetz dürfen
extraintestinal lokalisierten Infektionen lassen sich Enteritis-Salmo- Salmonellenerkrankte und -ausscheider berufsmäßig nicht mit
nellen aus Blut, Abszess- oder Empyempunktaten, Liquor oder Urin Lebensmitteln umgehen.
isolieren.

Biochemische Differenzierung Auf selektiven Kulturmedien


In Kürze
wachsende Kolonien mit verdächtiger Koloniemorphologie werden
Enteritis-Salmonellen
einer biochemischen Leistungsprüfung (»bunte Reihe«, . Abb.
Bakteriologie Peritrich begeißelte, gram- und laktosenegative
28.18b) unterzogen.
Stäbchen aus der Familie der Enterobakterien mit O- und
H-Antigenen.
Serologische Differenzierung (Kauffmann-White-Schema) Mittels
Rolle als Krankheitserreger Enteritis-Salmonellen verursachen
Objektträgeragglutination werden O- und beide H-Antigene sowie
als obligat pathogene Erreger Lokalinfektionen des Darms. Bei
das Vi-Antigen bestimmt. Mit dieser Antigenformel kann der Name
Abwehrgeschwächten können sie auch systemische Infektionen
des Serovars im Kauffmann-White-Schema abgelesen werden.
auslösen.
Vorkommen Ubiquitäre Zoonosen, Erregerreservoir im Tier-
kTherapie
reich, Infektionsmöglichkeiten über mit tierischen Ausscheidun-
Antibiotikaempfindlichkeit Im Antibiogramm erweisen sich Sal-
gen kontaminierte Nahrungsmittel.
monellen in Deutschland meist empfindlich gegenüber Ampicillin,
Epidemiologie Weltweite Verbreitung. Ausbreitung durch
Mezlocillin, Ceftriaxon, Chloramphenicol, Cotrimoxazol und Ci-
Massentierhaltung, Gemeinschaftsverpflegung und Fehler bei
profloxacin.
der Lebensmittelverarbeitung begünstigt.
Übertragung Durch kontaminierte Nahrungsmittel:
Therapeutisches Vorgehen Eine Antibiotikabehandlung ist bei im-
»Salmonellen isst und trinkt man.«
Bakteriologie

munkompetenten Patienten und unkompliziertem Verlauf nicht


Pathogenese Ansiedlung im unteren Dünndarm. Entzündliche
indiziert. Sie verkürzt die Krankheitsdauer nicht, erhöht aber die
Reaktion in der Darmschleimhaut mit Störung des Elektrolyt-
Wahrscheinlichkeit von Rezidiven und verlängert die Ausscheidung.
und Flüssigkeitstransports.
Starker Flüssigkeitsverlust wird durch orale oder parenterale Gabe
Klinik Kurze Inkubationszeit (6–72 h), Durchfall, Erbrechen und
von Elektrolytlösung behandelt.
u. U. Fieber. Im Gegensatz zum Typhus/Paratyphus sind Dauer-
Im Gegensatz zur Enteritis müssen extraintestinale Manifestati-
ausscheider sehr selten.
onen einer Salmonelleninfektion unbedingt antibiotisch behandelt
Labordiagnose Kultureller Erregernachweis aus dem Stuhl:
werden. So werden Patienten mit erhöhtem Risiko einer syste-
Anzucht auf Selektiv- und Differenzialkulturmedien. Identifizierung
mischen Bakterienausbreitung – u. a. Kinder < 1 Jahr, Patienten
mittels biochemischer Leistungsprüfung und Serotypisierung nach
> 70 Jahre, Patienten mit hämolytischen Anämien (Sichelzellanä-
dem Kauffmann-White-Schema.
mie) oder mit angeborenen oder erworbenen Immundefekten wie
Therapie Flüssigkeits-Substitutionstherapie. Bei schwerem
AIDS – zur Verhütung einer septischen Generalisierung bzw. des
klinischen Verlauf oder Immunschwäche zusätzlich Antibiotika
Meningenbefalls einer Antibiotikatherapie unterzogen. Bei Erwach-
(Kinder: Ampicillin, Cotrimoxazol; Erwachsene: Ciprofloxacin,
senen kommt Ceftriaxon oder Ciprofloxacin, bei Kindern je nach
Ceftriaxon). Bei extraintestinaler Manifestation immer antibio-
Empfindlichkeit Ampicillin oder Cotrimoxazol zum Einsatz.
tische Therapie, mit Ceftriaxon oder Ciprofloxacin.
Dauerausscheider sind nach einer Salmonellen-Gastroenteritis
Prävention Lebensmittel- und Küchenhygiene. Beschäftigungs-
extrem selten. Sie werden mit Ciprofloxacin behandelt.
verbot für Ausscheider bei der Herstellung von Lebensmitteln.
Meldepflicht Verdacht, Erkrankung, Tod, direkte und indirekte
kPrävention
Erregernachweise; namentlich.
Allgemeine Maßnahmen Lebensmittel, insbesondere Fleisch, Eier
oder Teigwaren mit Cremefüllung, sollten, wenn möglich, gut er-
hitzt und auch in gekochtem Zustand nicht über mehrere Stunden
bei Raumtemperatur aufbewahrt werden; aufgetautes Geflügel oder
Fleisch sofort kochen oder braten! Nach dem Hantieren mit rohem
Geflügelfleisch Hände waschen und Auftauwasser entsorgen, bevor
28.12 · Salmonellen
243 28
28.12.3 Typhöse Salmonellen: Salmo- 28.12.4 Rolle als Krankheitserreger
nella Typhi, Salmonella Para-
typhi A, B, C kEpidemiologie
Typhus befällt jährlich weltweit mehr als 20 Mio. Menschen, vorwie-
Im Gegensatz zu Enteritis-Salmonellen verursachen typhöse Salmo- gend in Entwicklungsländern; dort erkranken hauptsächlich Kinder
nellen (Typhus und Paratyphus) systemische Infektionen (7 Abschn. und junge Erwachsene. In industrialisierten Ländern tritt Typhus
28.12.1). Typhöse Salmonellen gehören zur Subspezies enterica überwiegend bei Reisenden auf, die aus Entwicklungsländern zu-
(Gruppe I) von Salmonella enterica. rückkehren. Von den Paratyphuserregern ist nur S. Paratyphi B in
Deutschland endemisch. S. Paratyphi A und C kommen hier sehr
jBeschreibung selten als importierte Infektionen vor. Im Jahr 2014 wurden in
kAufbau Deutschland 58 Fälle von Typhus abdominalis und 26 Fälle von Pa-
S. Typhi und S. Paratyphi A, B und C folgen in ihrem Aufbau dem ratyphus gemeldet. Möglicherweise wegen der vermehrt eingesetzten
allgemeinen Bauplan der Enterobakterien. Vi-Antigen. Zusätzlich Typhus-Impfung nimmt in vielen asiatischen Ländern derzeit die
zu den bei allen Salmonellen vorkommenden O- und H-Antigenen Zahl von Paratyphus A Fällen auf Kosten der Typhus Inzidenz zu.
tragen gewisse Stämme von S. Typhi und S. Paratyphi C das Kapsel-
antigen Vi (Vi: ursprünglich von Virulenz). Vi entspricht den kÜbertragung
K-Antigenen anderer Enterobakterien; es ist ebenfalls ein Poly- S. Typhi gelangt durch fäkal kontaminierte Nahrungsmittel oder
saccharid. kontaminiertes Wasser in den Gastrointestinaltrakt; die Ausschei-
dung erfolgt über den Stuhl sowie über Urin. Die minimale Infek-
Steckbrief tionsdosis ist kleiner als bei Enteritis-Salmonellen. Deshalb kom-
men direkte Trinkwasserinfektionen vor. Bei resistenzgeschwächten
Die typhösen Salmonellen Salmonella (S.) Typhi sowie S. Para- Personen können geringe Keimzahlen eine Erkrankung verur-
typhi A, B und C verursachen beim Menschen die zyklischen All- sachen.
gemeininfektionen Typhus abdominalis bzw. Paratyphus A, B
und C. Der Pathologe Eberth beschrieb 1880 in Zürich S. Typhi kPathogenese
in Gewebeschnitten. Der Koch-Schüler Gaffky züchtete S. Typhi Typhus abdominalis ist eine zyklische Allgemeininfektion, die in
1884 in Reinkultur. Stadien abläuft (. Abb. 28.12). Zielzellen von S. Typhi sind die Zellen
des mononukleär-phagozytären Systems (MPS) derjenigen Organe,
in denen sich die Erreger nach hämatogener Ausbreitung ansiedeln.
Erkrankungen durch S. Paratyphus A, B oder C zeigen einen ähnli-
chen aber milderen Verlauf und eine niedrigere Sterblichkeitsrate.

Adhäsion und Invasion (Inkubation) Die Aufnahme der Bakterien


im Darm verläuft ähnlich wie bei den Enteritis-Salmonellen. Aller-
dings bleibt eine Infektion mit S. Typhi, S. Paratyphi A, B oder C
nicht auf das Darmgewebe beschränkt. Ein Teil der Bakterien dringt
über die Lymphbahnen in die Mesenteriallymphknoten und von
dort in die Blutbahn vor. Die Bakteriämie führt zur hämatogenen
Salmonella Typhi: gerade gramnegative Stäbchen mit Körper-(O-),
Ausbreitung in verschiedene Organe.
Geißel- (H-) und Kapsel-(Vi-)Antigen, erstmals isoliert 1884 von G. Gaffky

Etablierung Die Erreger werden von Zellen des mononukleär-


phagozytären Systems aufgenommen und vermehren sich dort.
kExtrazelluläre Produkte (. Abb. 28.19).
S. Typhi produziert ein DNA-schädigendes Exotoxin (CdtB), das
intrazellulär synthetisiert und aus infizierten Zellen herausge- Generalisierung Aus mononukleären Zellen freigesetzte Bakterien
schleust wird. treten erneut in die Blutbahn über und führen zu einer sekundären
Bakteriämie, in deren Verlauf die Bakterien sich in den mononukle-
kResistenz gegen äußere Einflüsse ären Phagozyten von Leber, Milz, Knochenmark, quer gestreifter
S. Typhi kann lange Zeit im Wasser überleben. Praktisch bedeutsam Muskulatur, Herz, Gehirn, Haut, Nieren, Gallenblase sowie erneut in
ist seine Resistenz gegen Galle. Dagegen lässt sich der Erreger durch den Peyer-Plaques des Dünndarms ansiedeln (. Abb. 28.19). Die
Kochen oder Pasteurisieren sowie mit den gebräuchlichen Desinfek- sekundäre Bakteriämie ist im Vergleich zur 1. Einschwemmung stär-
tionsmitteln sicher abtöten. ker ausgeprägt und die Zahl der in die Organe gelangenden Bakteri-
en höher. Diese Generalisierungsphase dauert etwa 1 Woche und
kVorkommen geht mit klinischen Erscheinungen einher.
S. Typhi und S. Paratyphi A finden sich nur beim Menschen. Dauer-
ausscheider, bei denen sich die Erreger noch in Gallenblase und Gal- Gewebeschädigung Gegen Ende der 1. Woche nach Krankheitsbe-
lengängen der Leber aufhalten, sowie subklinisch Infizierte stellen ginn erscheinen Antikörper im Blut. Diese verbessern die Phagozy-
das Erregerreservoir dar. tose, sodass die Bakterien im Verlauf der 2. Krankheitswoche aus der
Blutbahn verschwinden und sich nur noch in den Makrophagen der
Organe finden. In den befallenen Organen entwickeln sich Granu-
lome aus Makrophagen und Lymphozyten, sog. Typhome (»typhoid
nodules«). Typhome können einschmelzen, wenn Makrophagen in
244 Kapitel 28 · Enterobakterien

. Abb. 28.19 Pathogenese des Typhus abdominalis

den Granulomen unter der Wirkung der zellulären Immunreaktion sich. Die Typhome können in diesem Stadium einschmelzen, was zu
aktiviert werden und überschießend Entzündungsmediatoren wie lebensgefährlichen Komplikationen führt. Eine Perforation der
TNF-α ausschütten. Dies kann zu lebensgefährlichen Komplikatio- Peyer-Plaques zieht u. U. eine tödliche Peritonitis oder eine Darm-
nen führen. blutung nach sich.
Die dargestellte Symptomatik gilt für die typische Typhuserkran-
kKlinik kung. Besonders bei früh begonnener Antibiotikatherapie werden
Inkubationszeit Sie dauert 10–21 Tage; Extremfälle mit 3–56 Tagen atypische und abgeschwächte Verläufe beobachtet.
wurden beschrieben. Wenige Tage nach Aufnahme der Erreger kann
eine unspezifische Durchfallsymptomatik auftreten. Weitere Krank- Dauerausscheider Bis zu 10 % der unbehandelten Patienten mit
heitszeichen bestehen während der Inkubationszeit nicht; auch die Typhus scheiden bis zu 3 Monate lang S. Typhi im Stuhl (und/oder
primäre Bakteriämie verläuft in der Regel unbemerkt. Urin) aus. Bis zu 5 % der unbehandelten Patienten mit Typhus wer-
den zu Dauerausscheidern, d. h., sie scheiden länger als 1 Jahr nach
Bakteriologie

Im Generalisierungsstadium Im Generalisierungsstadium treten der Erkrankung Salmonellen aus. 2–5 % der Patienten scheiden z. T.
erstmals Krankheitserscheinungen auf. Der Patient entwickelt wäh- lebenslang ohne Beeinträchtigung der Gesundheit die Erreger mit
rend der 1. Krankheitswoche ansteigendes hohes Fieber mit Be- dem Stuhl aus. Sie bilden damit eine stete Infektionsgefahr für ihre
wusstseinstrübung (gr. »typhos«: Nebel). Die Fieberkurve geht dann Umgebung und dürfen in bestimmten Berufen, z. B. bei der Herstel-
in ein gleich bleibendes Fieberniveau über, die sog. Kontinua, die lung von Speisen und Lebensmitteln, nicht beschäftigt werden. Eine
7–14 Tage andauert. Sanierung z. B. durch antibiotische Behandlung kann versucht wer-
Der Puls ist langsamer, als es die Höhe des Fiebers erwarten den. Die Bakterien persistieren dabei in den Gallenwegen. Dauer-
ließe (»relative Bradykardie«). Die Milz schwillt an und wird tastbar; ausscheider haben ein höheres Risiko, ein Karzinom der Gallenwege
im Blutbild können eine Leukopenie (bei < 50 % der Patienten) und/ zu entwickeln.
oder eine Eosinopenie auffallen. S. Typhi ist aus dem Blut anzücht-
bar. Rezidive Sie können nach fieberfreien Intervallen auftreten und die
voll ausgebildete Symptomatik der Primärinfektion zeigen.
Organmanifestation In den befallenen Organen entwickeln sich in
der 2. Krankheitswoche Typhome. Diese oder ähnliche Strukturen kImmunität
finden sich in diversen Organen: In der quer gestreiften Muskulatur S. Typhi sowie S. Paratyphi A, B und C gehören zu den fakultativ
entwickeln sich lymphozytäre Infiltrate, am Herzen entsteht die lym- intrazellulären Bakterien, d. h., ein Teil dieser Bakterien wird nach
phozytäre Typhusmyokarditis, im Knochenmark zeigen sich Granu- Phagozytose nicht abgetötet, sondern überlebt im Innern von Mak-
lombildung oder Nekrosen (Osteomyelitis), in der Lunge eine inter- rophagen. Die Immunität gegen Typhuserreger beruht auf antikör-
stitielle Pneumonie, im ZNS eine Meningitis. In der Haut entstehen perabhängigen (humoralen) und T-Zell-abhängigen (zellulären)
in den Kapillarschlingen bakterienhaltige Embolien, die lokale Mechanismen; mindestens 3 unabhängige Mechanismen dürften
Hautrötungen verursachen, sog. Roseolen. beteiligt sein.
Es entwickeln sich breiige Durchfälle. Gegen Ende des Organ-
manifestationsstadiums fällt die Fieberkurve ab. Der Patient nimmt IgA Ein lokaler, durch IgA-Antikörper auf der Darmschleimhaut
wieder Anteil an seiner Umgebung, die verlangsamte Pulsrate nor- beruhender Schutz behindert das Eindringen der Typhuserreger
malisiert sich, die Milzschwellung geht zurück: Der Patient erholt vom Darm aus in den Körper.
28.12 · Salmonellen
245 28
IgG IgG-Antikörper in der Blutbahn fördern die Phagozytose und kPrävention
sind dafür verantwortlich, dass die Erreger im Verlauf der 2. Krank- Allgemeine Maßnahmen Die wichtigsten allgemeinhygienischen
heitswoche von den Makrophagen verschiedener Organe phago- Maßnahmen zur Verhütung von Typhus und Paratyphus sind: Erfül-
zytiert werden und daher aus der Blutbahn verschwinden. lung der Hygienevorschriften bei der Lebensmittelzubereitung,
Nahrungsmittelverteilung sowie v. a. bei der Wasserversorgung und
T-Zellen Gleichzeitig mit der Antikörperbildung setzt die T-Zell- Abwasserbeseitigung.
Immunität ein. Sie ist dafür verantwortlich, dass in den befalle-
nen  Organen die Typhome entstehen. Diese entsprechen den Schutzimpfung 2 Typhusimpfstoffe stehen zur Verfügung:
Granulomen bei anderen Infektionen mit fakultativ intrazellu- 4 Ein Lebendimpfstoff mit dem abgeschwächten Stamm Ty 21a
lären  Bakterien: Sie enthalten mononukleäre Phagozyten und von S. Typhi, der in 3 Dosen, am 1., 3. und 5. Tag oral verab-
Lymphozyten und entstehen aufgrund der Ausschüttung von MCP- reicht wird und einen etwa 60–90 %igen Impfschutz für
1 (Makrophagen-chemotaktischer Faktor 1) und TNF-α. In den 1–3 Jahre verleiht. Eine Auffrischimpfung nach 1 Jahr wird
Typhomen werden die Typhuserreger »eingemauert« und an der empfohlen.
Ausbreitung gehindert. Die Makrophagen im Inneren der Typhome 4 Zwei parenterale Impfstoffe (i. m., s. c.) mit Vakzinen aus gerei-
werden unter dem Einfluss von IFN-γ (7 Kap. 12) aktiviert, sodass nigtem Vi-Kapselpolysaccharid vom S. Typhi-Stamm Ty 2 als
sie die phagozytierten Erreger abtöten können. Damit beginnt der einmalige Dosis bei Erwachsenen und Kindern über 2 Jahren.
Heilungsprozess. Aber auch die Komplikationen (7 s. o.) gehen auf Der Impfschutz soll etwa 3 Jahre anhalten.
zelluläre Immunreaktionen zurück, wenn aktivierte Makrophagen
in den Typhomen TNF-α ausschütten und die Granulome ein- Die Schutzimpfung verhindert nicht die Infektion, sondern mil-
schmelzen. dert  die Schwere der Erkrankung. Es existiert keine zugelassene
Eine Typhuserkrankung hinterlässt eine auf ca. 1 Jahr begrenzte Impfung für Kindern < 2 Jahre und keine zugelassene Impfung
Immunität. gegen Paratyphus.

kLabordiagnose Meldepflicht Namentlich zu melden ist der Krankheitsverdacht,


Dem Verlauf der Krankheit entsprechend erfolgt der kulturelle Er- die Erkrankung sowie der Tod an Typhus bzw. Paratyphus (§ 6 IfSG)
regernachweis in der 1. Krankheitswoche aus dem Blut (oder Kno- sowie der direkte Nachweis von Salmonella Typhi oder Salmonella
chenmarkaspirat). Ab der 2. Krankheitswoche werden die Erreger Paratyphi (§ 7 IfSG).
auch im Stuhl und Urin nachweisbar.

Identifizierung Die Identifizierung auf Gattungsebene (Salmo- In Kürze


nella) erfolgt durch biochemische Leistungsprüfung und Sero- Typhöse Salmonellen
typisierung nach dem Kauffmann-White-Schema (7 s. o.). Bakteriologie Peritrich begeißelte, gram- und laktosenegative
Stäbchen. Neben der typischen Antigenstruktur von Enterobak-
Serologie Die Widal-Reaktion weist Antikörper gegen die O- terien (O- und H-Antigen) tragen gewisse Stämme das Vi- oder
und H-Antigene im Patientenserum durch Agglutination nach. Virulenzantigen (entspricht dem K- oder Kapselantigen anderer
Ein 4-facher Titeranstieg während der Erkrankung oder ein Titer Enterobakterien). Die Expression des H-Antigens unterliegt der
> 160 gelten als Hinweis auf eine bestehende Infektion. Die Aus- Phasenvariation.
sagefähigkeit der Widal-Reaktion ist beschränkt. So lassen sich Rolle als Krankheitserreger Typhöse Salmonellen verursachen
nach Impfung jahrelang erhöhte Anti-H-Antikörper nachweisen. als zyklische Allgemeininfektionen den Typhus abdominalis,
Auch in Endemiegebieten finden sich oft hohe Titer von Anti-H- S. Paratyphi A, B und C eine ähnliche, aber mildere klinische
und Anti-O-Antikörpern. Wird eine Therapie frühzeitig eingeleitet, Form, den Paratyphus A, B und C.
kann ein Antikörpertiteranstieg ausbleiben. Die Widal-Reaktion Vorkommen Tritt nur beim Menschen auf, kein tierisches Erre-
gilt deshalb nur als Ergänzung zum bakteriologischen Erreger- gerreservoir.
nachweis. Epidemiologie Weltweit erkranken mehr als 20 Mio. Men-
schen jährlich. Hohe Inzidenz in Entwicklungs- und Schwellen-
kTherapie ländern.
Antibiotikaempfindlichkeit Generell hat die Häufigkeit von Re- Übertragung Fäkal-oraler Infektionsweg, fäkal verunreinigtes
sistenzen bei S. Typhi zuerst in Asien und zuletzt auch in Afrika Trinkwasser und Nahrungsmittel.
stark zugenommen. Stämme mit Resistenzen gegen die früher häufig Zielgewebe Mononukleär-phagozytäres System (Leber, Milz,
verwendeten Antibiotika Ampicillin, Chloramphenicol und Cotri- Peyer-Plaques).
moxazol werden als »multi-drug-resistant« (MDR-Stämme) be- Pathogenese Zyklische Allgemeininfektion. Inkubationszeit:
zeichnet. Invasion der Erreger und Absiedlung im mononukleär-phago-
zytären System (MPS). Generalisierung: Nach Vermehrung der
Therapeutisches Vorgehen Als Therapie werden Ceftriaxon (Cefo- Erreger im MPS Bakteriämie mit Streuung in Organe. Organ-
taxim) oder Ciprofloxacin eingesetzt. Wegen zunehmender Resis- manifestation, Peyer-Plaques: Elimination der Erreger durch
tenzen sollte eine Empfindlichkeitstestung angestrebt werden. Eine humorale und zelluläre (T-Zellen) Abwehrreaktion.
Alternative bei Herkunft aus Südasien stellt Azithromycin dar. Virulenzmechanismus Invasivität, intrazelluläres Überleben
Rückfälle lassen sich durch angemessene Dosierung und aus- in Phagozyten mit Granulom-/Typhombildung und Einschmel-
reichend  lange Behandlungszeiten verhindern. Durch die Antibio- zung.
tikatherapie ist die Letalität des Typhus von 15–30 % auf < 1 % ab- Klinik 1- bis 3-wöchige Inkubationszeit. Zu Beginn der Genera-
gesunken. lisierung langsamer Fieberanstieg (ca. 1 Woche) mit anschlie-
246 Kapitel 28 · Enterobakterien

28.13.1 Beschreibung
ßender Fieberkontinua (7–14 Tage). Es folgt eine langsame Ent-
fieberung. Bis zu 5 % der Kranken werden zu Dauerausscheidern jAufbau
(> 1 Jahr). Besonders bei frühzeitiger Antibiotikabehandlung Shigellen besitzen keine Geißeln und sind daher unbeweglich. Ob-
abgemilderte und atypische Verläufe. wohl sich bei einigen Stämmen K-Antigene nachweisen lassen, bil-
Labordiagnose Während der Inkubationszeit: Nachweis durch den sie keine sichtbaren Kapseln. Virulente Shigellen besitzen ein
Blutkulturen. 1. Krankheitswoche: Nachweis im Blut, Knochen- großes Plasmid, auf dem einige für die Virulenz wichtige Gene ko-
markaspirat und Gewebe; ab der 2. Krankheitswoche: Nachweis diert sind; weitere Virulenzfaktoren sind chromosomal kodiert. Bei
in Stuhl und Urin. Antikörperanstieg im Verlauf der Erkrankung. S. sonnei ändert sich bei Verlust des Virulenzplasmids die serologi-
Anzüchtung auf Selektivkulturmedien, biochemische Ident- sche Spezifität: Sie bilden ein »Rau«- oder Phase-II-Antigen aus.
ifizierung und Serotypisierung nach dem Kauffmann-White-
Schema. jExtrazelluläre Produkte
Therapie Mittel der Wahl ist Ciprofloxacin oder Ceftriaxon. Shiga-Toxin (Stx) S. dysenteriae Typ 1 produziert das Shiga-Toxin,
Alternativ Azithromycin. Bei nachgewiesener Empfindlichkeit ein neurotropes Zytotoxin. Es handelt sich um ein AB5-Toxin, das
auch Cotrimoxazol oder Ampicillin. In Entwicklungsländern mit dem Shiga-Toxin 1 der EHEC identisch ist (7 Abschn. 28.6).
wird häufig noch Chloramphenicol eingesetzt. Shiga-Toxin bindet an einen Glykosphingolipidrezeptor auf der Zell-
Immunität 3 unabhängige Immunmechanismen: membran (Gb3Cer, CD77), wird durch die zelluläre Protease Furin
5 mukosale Immunität durch IgA proteolytisch aktiviert und übt seine eigentliche Wirkung durch
5 systemische humorale Immunität durch IgG Spaltung der 28S-rRNA und die resultierende Hemmung der Pro-
5 T-Zell-vermittelte Immunität teinbiosynthese aus. Es hat auch eine enterotoxische Wirkungskom-
ponente.
Prävention Trinkwasser- und Nahrungsmittelhygiene, keine
Beschäftigung von Ausscheidern im lebensmittelherstellenden jResistenz gegen äußere Einflüsse
Gewerbe. Shigellen zeigen eine kurzzeitige, ausgeprägte Säureresistenz. Diese
Vakzination 60–90 %iger Impfschutz durch oralen Lebend- ermöglicht ihnen eine weitgehend ungehinderte Magenpassage und
impfstoff mit attenuiertem Typhusimpfstamm (Ty21a). bedingt eine geringe minimale Infektionsdosis von 10–200 Bakte-
Alternativ parenterale Schutzimpfung mit Vakzinen aus ge- rien. Bei längerer Einwirkung erweisen sich Shigellen als säure-
reinigtem Vi-Kapselpolysaccharid. Die Schutzimpfung schützt empfindlich und sterben in Stuhlproben, Lebensmitteln und Um-
nicht vor Infektion, sondern mindert die Erkrankungsheftigkeit. weltmaterialien mit pH-Absenkung schnell ab. In der Außenwelt
Meldepflicht Verdacht, Erkrankung und Tod, direkte Erreger- können sie unter optimalen (kühlen, dunklen und feuchten) Bedin-
nachweise; namentlich. gungen wochenlang überleben.

jVorkommen
Shigellen finden sich nur beim Menschen und bei einigen nicht-
28.13 Shigellen humanen Primatenarten, wo sie als Krankheitserreger im Stuhl vor-
kommen.
In genetischer Hinsicht bilden Shigellen und E. coli eine Spezies. Shi-
Bakteriologie

gellen werden aber wegen ihrer Pathogenität und hohen Infektiosität


aus medizinischen und seuchenhygienischen Gründen weiter als eige- 28.13.2 Rolle als Krankheitserreger
ne Gattung behandelt, die in die Arten S. dysenteriae, S. boydii, S. flex-
neri und S. sonnei unterteilt wird. kEpidemiologie
Die Shigellenruhr tritt bei schlechten hygienischen Bedingungen
Steckbrief durch direkte Übertragung auf, wenn viele Individuen auf engem
Raum zusammenleben oder treffen, wie z. B. in Kindertagesstätten,
Shigellen sind eine Gattung obligat pathogener Bakterien aus
Heimen, Heil- und Pflegeanstalten, Gefängnissen, Kasernen und
der Familie der Enterobakterien (. Tab. 28.2). Die Gattung lässt
unter Lagerbedingungen. Shigellosen werden in Deutschland in den
sich aufgrund serologischer Unterschiede in die Spezies Shigella
meisten Fällen importiert. Allerdings kommt es nach einem solchen
(S.) dysenteriae, S. flexneri, S. boydii und S. sonnei unterteilen,
Import wegen der großen Infektiosität der Shigellen häufig zu sekun-
die alle die Ruhr hervorrufen, eine auf Invasion der Dickdarm-
dären Fällen durch direkte Übertragung von Mensch zu Mensch. In
schleimhaut beruhende Kolitis. Der Begriff Ruhr kommt von alt-
tropischen Ländern und an Bord von Schiffen sind auch Übertra-
deutsch »ruora«: heftige Bewegung.
gungen durch kontaminiertes Wasser und Lebensmittel beschrieben
worden. 2014 wurden in Deutschland 542 Shigellosefälle gemeldet,
die meisten davon ausgelöst durch S. sonnei.

Shigellen: unbegeißelte, kÜbertragung


gramnegative Stäbchen in Die Erreger verbreiten sich durch Schmierinfektion. Die fäkale Kon-
blutig-schleimigem Stuhl tamination von Lebensmitteln und Trinkwasser ist in den Entwick-
mit zahlreichen polymorph- lungsländern von Bedeutung. In Speisen vermehren sich Shigellen
kernigen Granulozyten,
nicht. Rekonvaleszenten und asymptomatische Träger sind die ein-
entdeckt 1898 von K. Shiga
zigen Erregerreservoire.
sowie 1900 von W. Kruse
und S. Flexner
28.13 · Shigellen
247 28

. Abb. 28.20 Pathogenese der Shigellenruhr

kPathogenese Durch die Entzündung mit Makrophagen und polymorphkerni-


Nach der Passage durch den Magen gelangen die Shigellen in Dünn- gen Granulozyten bilden sich im gesamten Kolon geschwürige, eit-
und Dickdarm. Zunächst vermehren sie sich im Dünndarm, wo sie rige, zu Blutungen neigende Läsionen. Die Geschwüre sind von einer
hohe Keimzahlen erreichen (107 Keime/ml; . Abb. 28.20). Im Kolon Pseudomembran bedeckt. Die Entzündung erstreckt sich bis in die
dringen sie über die M-Zellen in die Darmwand ein und werden von Submukosa und die Muscularis.
den dortigen Makrophagen aufgenommen. Mithilfe von Proteinen,
die über ein Typ-3-Sekretionssystem (IpaB-System) sezerniert wer- kKlinik
den, widerstehen sie der Abtötung im Phagosom, vermehren sich Nach 1–4 Tagen Inkubationszeit beginnt die bakterielle Ruhr mit
und führen schließlich zum Zelltod der Phagozyten (Apoptose). plötzlich einsetzenden Tenesmen, heftigen kolikartigen Bauch-
Hierbei wird IL-1 freigesetzt, das polymorphkernige Leukozyten schmerzen, Diarrhö und Fieber. Die Stühle sind zunächst wässrig,
anlockt, die schließlich zu einer massiven Leukozyteninfiltration des werden aber im typischen Fall schleimig-blutig.
Gewebes führen. Im nun aufgelockerten Gewebe dringen die Erre- Die Dauer der Erkrankung variiert zwischen 1 Tag und 1 Monat;
ger dann basolateral in die Darmepithelzellen ein. im Durchschnitt beträgt sie 7 Tage. Die Letalität liegt unter 1 %; je-
Ähnlich den Listerien induzieren Shigellen mithilfe des Pro- doch gab es auch Epidemien durch S. dysenteriae mit einer Letalität
teins IcsA an einem Zellpol eine Aggregation von Aktin der Wirts- von 25–50 %. Als Komplikation können Kolonperforationen auf-
zelle, die nach Art eines »Kometenschweifs« die Bakterien weiter- treten; dadurch entsteht eine lebensbedrohliche Peritonitis. Der Re-
transportiert und ihnen die Ausbreitung von Epithelzelle zu Epithel- konvaleszent kann Ausscheider bleiben, ein Status, der im Regelfall
zelle ermöglicht. Die befallenen Zellen werden schließlich zerstört nur wenige Wochen anhält. Als Folge der Shigelleninfektion kann es
(. Abb. 28.20). zur Infektarthritis und bei S. dysenteriae Typ 1 durch Bildung von
248 Kapitel 28 · Enterobakterien

Shiga-Toxin zum hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) kom- ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet
men (7 Abschn. 28.6). wird (§ 6 IfSG).
Ebenso sind der direkte und indirekte Nachweis von Shigella sp.
kImmunität namentlich meldepflichtig, soweit dies auf eine akute Infektion hin-
Eine überstandene Shigellose hinterlässt eine partielle Immunität weist (§ 7 IfSG).
gegen eine weitere Erkrankung. Diese Immunität beruht auf Anti-
körpern der IgA-Klasse auf der Darmschleimhaut; Serumantikörper
werden erst nach Überwindung der Krankheit nachweisbar und In Kürze
scheinen nur eine geringe Rolle in der Immunität zu spielen. Der Shigellen
Nachweis von Antikörpern gelingt auch nach typischer Erkrankung Bakteriologie Gramnegative, unbewegliche Stäbchen. Erreger
nicht immer. der bakteriellen Ruhr (Dysenterie).
Vorkommen Menschen, Menschenaffen.
kLabordiagnose
Resistenz Kurzzeitig (Stunden) sehr säureresistent, bei längerer
Der Schwerpunkt der mikrobiologischen Labordiagnose liegt in der Einwirkung einer pH-Absenkung sehr säureempfindlich.
Anzucht des Erregers aus dem Stuhl und seiner nachfolgenden bio- Epidemiologie Rasche Ausbreitung unter schlechten hygieni-
chemischen und serologischen Bestimmung. schen Bedingungen durch direkte Übertragung. In warmen
Ländern weit verbreitet und häufig, in Deutschland selten.
Untersuchungsmaterial und Transport Als Untersuchungsmate-
Zielgruppe Menschen, insbesondere Kinder < 6 Jahre (Kinder-
rial eignen sich neben frischem Stuhl frisch entnommene Rektal-
tagesstätten).
abstriche. Shigellen überleben im abgesetzten Stuhl bzw. Rektal-
Übertragung Primär durch Schmierinfektion, ggf. auch Über-
abstrich nur für kurze Zeit; daher müssen die Proben in gepuffertem
tragung durch kontaminierte Lebensmittel und Trinkwasser.
Transportmedium transportiert und im Labor umgehend verarbei-
Pathogenese Infektion ൺ Eintritt durch M-Zellen des Dickdar-
tet werden.
mes ൺ Makrophagen: intrazelluläre Vermehrung und Abtötung
kTherapie ൺ Eindringen, Vermehrung und horizontale Ausbreitung in
Antibiotikaempfindlichkeit Resistenzen gegen früher in der The- Epithelzellen ൺ Abtötung, Entzündung, Geschwürbildung.
rapie gebräuchliche Medikamente (z. B. Cotrimoxazol) haben sich Pathomechanismen Virulenzfaktoren sind: kurzzeitige Säure-
bei Shigellen in den letzten Jahrzehnten stark ausgebreitet. resistenz, Invasivität, intrazelluläre Vermehrungsfähigkeit,
Induktion von Entzündung, horizontale Ausbreitung in Kolon-
Therapeutisches Vorgehen Antibiotikabehandlung wird aus- epithelzellen und, bei S. dysenteriae Typ 1, Shiga-Toxin-Bildung.
drücklich empfohlen. Sie verkürzt die Krankheit, reduziert die Aus- Klinik Lokalinfektion des Darms. Inkubationszeit: 1–4 Tage.
scheidung der Erreger und mindert die Resistenzentwicklung. Für Symptome: Tenesmen, schleimig-blutige Diarrhö, Fieber. Erkran-
Erwachsene sind Chinolone (z. B. Ciprofloxacin) die Therapie der kungsdauer: durchschnittlich 1 Woche. Evtl. Ausscheider oder
1. Wahl; alternativ kommen Azithromycin oder auch Cephalospori- postinfektiöse Erkrankung (Arthritis, HUS).
ne der 3. Generation infrage. Für Kinder wird Cotrimoxazol emp- Labordiagnose Untersuchungsmaterial: Stuhl und Rektal-
fohlen. Wegen der verbreiteten Resistenzen sollte in jedem Fall eine abstriche, Transport in gepuffertem Medium. Erregernachweis:
Resistenzbestimmung erfolgen und die Therapie ggf. angepasst wer- Anzucht auf Selektivnährboden.
den. Bei geschwächten Patienten kann es zu Flüssigkeitsverlusten Therapie Spontanheilung bei gutem Allgemeinzustand.
kommen, die eine Substitution erforderlich machen. Antibiotikatherapie (nach Testung) mit Cotrimoxazol (Kinder),
Bakteriologie

Chinolonen (Erwachsene) sollte bei gesicherter Infektion


kPrävention durchgeführt werden.
Trinkwasser-, Abwasser- und Lebensmittelhygiene sind allgemeine Immunität Lokale Abwehr wird humoral über IgA vermittelt,
und hierzulande ausreichend etablierte Präventivmaßnahmen. Bei ist aber nicht dauerhaft.
Ausbrüchen in Gemeinschaftseinrichtungen müssen Erkrankte und Prävention Allgemeinhygienische Maßnahmen, Isolierung
Ausscheider isoliert und behandelt werden. Besondere Bedeutung Erkrankter und Ausscheider. Schutzimpfung existiert nicht.
kommt der Händedesinfektion beim Umgang mit den Infizierten zu. Meldepflicht Verdacht, Erkrankung, Tod, direkte und indirekte
Im Krankenhaus sind folgende Maßnahmen zu beachten: Erregernachweise; namentlich.
4 Einzelzimmer erforderlich, möglichst mit eigener Toilette.
4 Betreuendes Personal muss im Zimmer verbleibenden Schutz-
kittel tragen.
4 Haut und Hände nach jedem Kontakt mit infizierten Patienten 28.14 Yersinia enterocolitica
desinfizieren. und Yersinia pseudotuberculosis
4 Sämtliche Gegenstände, mit denen der Patient Kontakt hatte
(Geräte, Wäsche, Essensreste, Müll, Kosmetika etc.), vor Ent-
Yersinien bilden eine Gattung kokkoider, gramnegativer Stäbchen-
sorgung desinfizieren.
bakterien aus der Familie der Enterobakterien (. Tab. 28.2). Charakte-
Schutzimpfung Eine Schutzimpfung gibt es bisher nicht. ristischerweise werden je nach Umgebungstemperatur eine Reihe
von Virulenzfaktoren und anderen Merkmalen exprimiert.
Meldepflicht Der Verdacht auf und die Erkrankung an einer mik- Yersinien sind Zoonosenerreger. Sie befallen das mononukleär-phago-
robiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder einer akuten infek- zytäre System (MPS). Die Gattung Yersinia enthält 12 Arten, von denen
tiösen Gastroenteritis ist namentlich zu melden, wenn a) eine Person nur Yersinia (Y.) enterocolitica, Y. pseudotuberculosis und Y. pestis
spezielle Tätigkeiten (Lebensmittel-, Gaststätten-, Küchenbereich, humanpathogen sind.
Einrichtungen mit/zur Gemeinschaftsverpflegung) ausübt oder Yersinien sind nach dem Schweizer Bakteriologen Alexandre John Émile
b) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen Yersin (1863–1943) benannt.
28.14 · Yersinia enterocolitica und Yersinia pseudotuberculosis
249 28

Steckbrief jVorkommen
Y. enterocolitica und Y. pseudotuberculosis finden sich v. a. im
Y. enterocolitica und Y. pseudotuberculosis rufen Erkrankungen Darm von Säugetieren, seltener bei Insekten, Amphibien und ande-
am Dünndarm (Enteritis, Pseudoappendizitis) hervor und befal- ren Tierarten. Ihre geografische Verbreitung beschränkt sich weitge-
len die zugehörigen Lymphknoten. Es besteht eine charakteris- hend auf die gemäßigten und subtropischen Klimazonen. In den
tische Altersabhängigkeit der Krankheitserscheinungen. Tropen sind sie sehr selten.

28.14.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
In Mitteleuropa geht knapp 1 % aller akuten Durchfallerkrankungen
Yersinien: gramnegative auf Y. enterocolitica zurück. Hier herrschen die Serotypen O:3, O:9
Stäbchen mit temperaturab- und O:5,27 vor, während in den USA O:8 und O:3 überwiegen.
hängiger Begeißelung, ent- Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 2485 Fälle von Yersiniosen
deckt 1889 von Richard Pfeiffer gemeldet.
(Y. pseudotuberculosis) Y. pseudotuberculosis kommt primär bei Tieren vor und führt
nur selten zu Erkrankungen des Menschen.

kÜbertragung
28.14.1 Beschreibung Als Infektionsquellen für den Menschen kommen fäkal kontami-
nierte Nahrungsmittel tierischer Herkunft (insbesondere vom
jAufbau Schwein), fäkal kontaminiertes Wasser, Tierkontakt sowie infizierte
Der Aufbau von Yersinien ähnelt in vielen Merkmalen dem anderer Personen infrage. Wie eine große Fallkontrollstudie 2009/2010 in 5
Enterobakterien. Sie tragen nur selten Kapseln (Y. enterocolitica). deutschen Bundesländern zeigte, war der Verzehr von rohem
Schweinehackfleisch (»Hackepeter« etc.) mit Abstand der wichtigste
Geißeln Geißeln bilden sich nur bei einer Wachstumstemperatur Risikofaktor für eine Yersoniose – übrigens in überraschend großer
zwischen 22 und 28 °C. Häufigkeit auch bei Kleinkindern < 2 Jahre.

Virulenzplasmid-Produkte Beide Yersiniaarten besitzen ein Viru- kPathogenese


lenzplasmid (pYV; 70–75 kbp) mit den Genen für ein Typ-3-Sekre- Yersinien haben einen ausgesprochenen Tropismus zum lymphati-
tionssystem, das die Bildung, Translokation und Injektion einer schen System. Nach oraler Aufnahme befallen sie v. a. das untere
Reihe von Virulenzfaktoren (»Yersinia outer proteins«, Yops) in die Ileum und gelangen über die M-Zellen zu den Phagozyten der Peyer-
Wirtszelle bewirkt. Das Protein YadA ist ein Membranprotein, das Plaques. Die über ein Typ-3-Sekretionssystem injizierten Yops-Pro-
primär für die Adhärenz Bedeutung hat. Die sezernierten Proteine teine paralysieren die Phagozytosefähigkeit der Makrophagen und
YopE, YopH und YopM haben antiphagozytäre Eigenschaften. Wei- unterdrücken immunologische Prozesse. Es kommt zum Zelltod der
tere Proteine sind an Bildung und Exkretion der Yops beteiligt (Ysc) Phagozyten und zur extrazellulären Vermehrung der Erreger, die
bzw. haben regulatorische Funktionen (Lcr). Der Verlust des Viru- bis in die regionären Lymphknoten vordringen und sich dort ver-
lenzplasmids vermindert die pathogenen Eigenschaften der entero- mehren.
pathogenen Yersinien und verhindert ihre systemische Ausbreitung. Bei folgenden Risikopatienten können die Erreger in die Blut-
bahn gelangen und eine Sepsis verursachen:
Invasine Chromosomal determinierte Faktoren wie Inv (Invasin) 4 immungeschwächte Patienten
und Ail sind Adhäsine und an der Penetration der Darmwand betei- 4 Patienten mit chronischen Lebererkrankungen
ligt. 4 Patienten mit neoplastischen Prozessen
4 Patienten mit hämolytischer Anämie
Yersiniabactin Dieses auch bei voll virulenten Pestbakterien vor-
kommende Siderophor fördert die Eisenzufuhr der Erreger; nur be- kKlinik
stimmte in Nordamerika vorkommende Stämme von Y. enterocoli- Enteritis, Enterokolitis Y. enterocolitica ruft eine akute Enteritis
tica bilden Yersiniabactin. oder eine Enterokolitis hervor. Die Erkrankung beginnt nach 4–7 Ta-
gen Inkubationszeit und ist durch dünnbreiige Durchfälle, Fieber,
jExtrazelluläre Produkte Bauchschmerzen und seltener Erbrechen gekennzeichnet. Der Stuhl
Diese umfassen die vorher genannten sezernierten Proteine (Yops). enthält mononukleäre Leukozyten, selten Blut und Schleim. Die
Y. enterocolitica-Stämme bilden meist ein chromosomal kodiertes, Krankheit dauert zwischen wenigen Tagen und 1–2 Wochen an. Ty-
hitzestabiles Enterotoxin. pischerweise tritt diese Manifestation bei Säuglingen und Kindern
bis zum 10. Lebensjahr sowie bei über 30-Jährigen auf.
jResistenz gegen äußere Einflüsse Y. pseudotuberculosis verursacht sehr selten eine akute Enteri-
Ein besonderes Kennzeichen der Yersinien ist ihre Fähigkeit, sich tis bei jungen Erwachsenen über 18 Jahren.
auch bei niedrigen Temperaturen (4 °C) zu vermehren. Dies kann
zur selektiven Anreicherung der Erreger aus Stuhl- oder Umweltpro- Akute terminale Ileitis, mesenteriale Lymphadenitis, Pseudoap-
ben dienen. Im Erdreich können sie bis zu 6 Monate vermehrungs- pendizitis Die Infektion durch Y. enterocolitica kann auch eine me-
fähig bleiben. Gefürchtet ist ihr Vorkommen in Blutprodukten trotz senteriale Lymphadenitis und eine akute terminale Ileitis nach sich
Kühlschranklagerung. ziehen, die eine Appendizitis vortäuscht. Anders als die Enterokolitis
250 Kapitel 28 · Enterobakterien

tritt diese Manifestation am häufigsten bei Patienten zwischen dem Cotrimoxazol, Doxycyclin in Kombination mit einem Aminoglyko-
10. und 30. Lebensjahr auf. sid sowie alternativ Ceftriaxon.
Ähnliche Krankheitserscheinungen finden sich bei mit Y. pseu-
dotuberculosis infizierten Patienten, bei denen dies die häufigste kPrävention
Verlaufsform ist, insbesondere bei männlichen Patienten zwischen Da die enteralen Yersiniosen bezüglich Infektionsquellen und Ver-
dem 6. und 18. Lebensjahr. lauf den Salmonellosen ähneln, entsprechen auch die hygienischen
Maßregeln im Wesentlichen denjenigen, die bei der Verhütung der
Sepsis Bei den o. g. Risikopersonen können sowohl Y. enterocoliti- Salmonellosen zu beachten sind (7 Abschn. 28.12.1).
ca als auch Y. pseudotuberculosis eine Sepsis erzeugen.
Allgemeine Maßnahmen Allgemeine hygienische Maßnahmen
Nachkrankheiten Infektionen mit Y. enterocolitica und Y. pseudo- im Umgang mit Nahrungsmitteln dürften den besten Schutz vor
tuberculosis können zu Nachkrankheiten wie Arthralgie, Arthritis, Yersiniainfektionen darstellen. Zusätzlich an die Vermehrung von
Myokarditis, Erythema nodosum und Morbus Reiter führen. 85– Yersinien bei Kühlschranktemperatur denken!
95 % aller Patienten mit Folgearthritis weisen den HLA-Typ B27 auf.
Die Krankheitserscheinungen setzen wenige Tage bis zu 1 Monat Meldepflicht Der Verdacht auf und die Erkrankung an einer mik-
nach Auftreten der akuten Krankheit ein und können mehrere Mo- robiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder an einer akuten infek-
nate andauern. tiösen Gastroenteritis ist namentlich zu melden, wenn a) eine Person
spezielle Tätigkeiten (Lebensmittel-, Gaststätten-, Küchenbereich,
kImmunität Einrichtungen mit/zur Gemeinschaftsverpflegung) ausübt oder
Die spezifische Immunität hängt von T-Zellen ab. Diese aktivieren b) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen
Makrophagen und induzieren eine Granulombildung. Antikörper ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet
werden wenige Tage nach Infektion gebildet und verschwinden wird (§ 6 IfSG).
2–6 Monate später. Sie spielen bei der Infektabwehr offenbar eine Ebenso sind der direkte und indirekte Nachweis von Yersinia
untergeordnete Rolle, sind aber für die serologische Diagnose zu- enterocolitica (darmpathogen) namentlich meldepflichtig, soweit
rückliegender Yersinieninfektionen von Nutzen. dies auf eine akute Infektion hinweist (§ 7 IfSG).
kLabordiagnose
Schwerpunkt der Labordiagnose enteraler Yersiniosen ist die kultu- In Kürze
relle Anzucht. Bei extraintestinalen Folgekrankheiten (Arthritis etc.) Yersinia enterocolitica/Yersinia pseudotuberculosis
ist nur noch der Antikörpernachweis möglich. Bakteriologie Gramnegative, bei Temperaturen unter 30 °C
bewegliche Stäbchen. Wachstum auf einfachen Kulturmedien.
Untersuchungsmaterial Zur bakteriologischen Diagnostik eignen Optimale Wachstumstemperatur 22–28 °C. Kälteanreicherung
sich Stuhl bei enteritischen Symptomen, Resektionsmaterial aus bei 4 °C möglich.
Lymphknoten oder Appendizes von Patienten mit Appendizitis bzw. Vorkommen/Epidemiologie Verbreitete Zoonose. Hauptinfek-
Lymphadenitis. Bei Sepsis sollte neben Blut der Stuhl bakteriologisch tionsquelle für den Menschen sind durch tierische Fäkalien ver-
untersucht werden. unreinigte tierische Nahrungsmittel, v. a. vom Schwein (»Hacke-
peter« etc).
Anzüchtung Zur Anzüchtung der Yersinien dienen Selektivkultur-
Resistenz Vermehrungsfähigkeit im Erdreich bis zu 6 Monate
medien und Bebrütung bei 28 °C. Bei Lymphadenitis und Arthritis
erhalten. Widerstandsfähig gegen niedrige Temperaturen,
können Stuhlproben mit der Kälteanreicherung (4 °C) und anschlie-
Bakteriologie

d. h. Vermehrung noch bei 4 °C.


ßender Subkultur auf Selektivkulturmedien versucht werden. Bei
Pathogenese Orale Aufnahme der Erreger. Invasion der Ileum-
Infektionen durch Y. enterocolitica gelingt der Erregernachweis im
mukosa und der mesenterialen Lymphknoten. Ausbildung
Stuhl nur während der ersten beiden Krankheitswochen. Bei Infek-
geschwüriger Läsionen. Selten Vordringen der Erreger bis in
tionen durch Y. pseudotuberculosis ist der Erregernachweis im Stuhl
die Blutbahn. Virulenz an plasmid- und chromosomal kodierte
nur selten möglich, häufiger dagegen aus Resektionsmaterial
Virulenzfaktoren gebunden.
(Lymphknoten).
Zielgewebe Tropismus zum lymphatischen Gewebe: mesente-
Identifizierung Die Identifizierung erfolgt anhand biochemischer riale Lymphknoten, terminales Ileum, Appendix vermiformis.
Leistungsprüfung und Serotypisierung aufgrund der O-Antigene. Klinik Primärerkrankungen: Enteritis, Enterokolitis, akute termi-
Bei Y. enterocolitica müssen durch Nachweis des Virulenzplasmids nale Ileitis, mesenteriale Lymphadenitis, Pseudoappendizitis.
pathogene von apathogenen Stämmen unterschieden werden. Nachkrankheiten: Arthritiden, Arthralgien, Morbus Reiter.
Immunität Granulombildung und Makrophagenaktivierung. IgA-
Antikörpernachweis im Serum Zum Antikörpernachweis dient ein und IgG-Antikörper werden gebildet und diagnostisch genutzt.
Agglutinationstest nach Widal mit hitzeinaktivierten und formalin- Labordiagnose Untersuchungsmaterial: Stuhl. Anzucht: auf
behandelten Bakterien und Patientenserum. Zum Nachweis beider Selektivnährböden. Differenzierung: »bunte Reihe«. Unterschei-
enteropathogener Yersiniaarten in einem Ansatz eignet sich der ELI- dung pathogener und apathogener Stämme bei Y. enterocoli-
SA bzw. Immunoblot für Antikörper (IgG, IgA) gegen die sezernier- tica. Bei Folgekrankheiten (Arthritis etc.) serologischer Antikör-
ten Virulenzproteine (Yops). pernachweis.
Therapie Antibiotische Therapie nur bei besonders heftigem
kTherapie Verlauf und bei Sepsis. Ciprofloxacin, Cotrimoxazol, Doxycyclin
Eine antibiotische Therapie erübrigt sich bei enteritischen und sowie alternativ Cephalosporine der 3. Generation und Amino-
lymphadenitischen Verlaufsformen, sofern sich die Patienten in glykoside.
gutem Allgemeinzustand befinden. Bei chronischem oder besonders Meldepflicht Verdacht, Erkrankung, Tod, direkte und indirekte
heftigem Krankheitsverlauf oder bei Patienten mit einer Sepsis ist Erregernachweise; namentlich.
eine Antibiotikatherapie erforderlich. Geeignet sind Ciprofloxacin,
28.15 · Yersinia pestis
251 28

28.15 Yersinia pestis

Steckbrief

Yersinia (Y.) pestis ruft als einzige Krankheit die Pest hervor;
diese gehört zu den 3 Quarantänekrankheiten der WHO (Pest,
Cholera, virusbedingtes hämorrhagisches Fieber).

Yersinia pestis: unbegeißelte


gramnegative Stäbchen, bipolar
anfärbbar in der Wayson-Färbung
(Sicherheitsnadelform), entdeckt
1894 von A. Yersin

. Abb. 28.21 Yersinia pestis – sicherheitsnadelförmige Erreger im Blutaus-


Y. pestis – Der schwarze Tod
strich bei generalisierter Pest
Keine Infektionskrankheit hat im Lauf der Geschichte so viel Angst und
Schrecken verbreitet wie die Pest. Bekannt und gefürchtet seit der Antike,
hat die Seuche im Verlauf etlicher Pandemien mehrfach große Teile der Be-
völkerung Europas und des Orients ausgelöscht. jExtrazelluläre Produkte
Populationsgenetische Untersuchungen an Y. pestis zeigen, dass diese Spe-
Plasminogen-Aktivator-Protein (Pla) Diesem plasmidkodierten
zies vor relativ kurzer Zeit (1500–2000 Jahren) als ein Klon von Y. pseudotu-
berculosis entstanden ist. Die erste fassbare Pandemie grassierte vom
Protein wird eine Rolle bei der generalisierten Ausbreitung des Er-
6. Jahrhundert n. Chr. an, beginnend mit der Justinianischen Pest (541–544), regers im Wirt zugeschrieben. Es wirkt fibrinolytisch.
und vernichtete im Byzantinischen Reich die Hälfte der Bevölkerung.
Die 2. Pandemie wütete von 1347–1351 in Europa und im Nahen Osten; sie Mausletales Toxin Das plasmidkodierte Toxin Ymt ist eine Phos-
rottete etwa ein Drittel der Bevölkerung, d. h. rund 25 Mio. Menschen, aus pholipase, die für das Überleben der Yersinien im Floh benötigt wird.
(»Schwarzer Tod«). Zu dieser Pandemie gezählte Ausbrüche gab es bis ins
frühe 19. Jahrhundert. Pestepidemien suchten 1679 Wien und 1710–1711 Yops Y. pestis sezerniert mithilfe eines Typ-3-Sekretionssystems
die Mark Brandenburg heim (215.000 Tote); 1710 wurde die Charité in Berlin auch Proteine mit antiphagozytären Eigenschaften.
als Pestkrankenhaus gegründet. Die 3. Pandemie begann 1855 in China und
breitete sich durch ganz Asien, Europa, Afrika, Australien, Nord- und Süd-
jResistenz gegen äußere Einflüsse
amerika aus. 1898 wütete die Pest in Indien; 1911 grassierte sie in der Mand-
schurei und 1964 in Vietnam. 1994 gab es erneut einen Ausbruch in Indien.
Y. pestis hält sich in eingetrocknetem Sputum oder in den Fäkalien
In den vergangenen 20 Jahren wurden jährlich 1000–5000 Erkrankungen an von Flöhen bei Raumtemperatur, aber auch in Nagerbauten über
die WHO gemeldet, davon treten seit einigen Jahren über 90 % in süd- und längere Zeit am Leben. Im Körperinnern verhält sich Y. pestis als
ostafrikanischen Ländern auf. fakultativ intrazelluläres Bakterium, d. h., die Bakterien überleben
Der Schweizer Alexandre Yersin (1863–1943) entdeckte das Pestbakterium und vermehren sich nach Phagozytose in nichtaktivierten Makro-
im Jahr 1894. phagen.

jVorkommen
28.15.1 Beschreibung Die Pest ist eine Zoonose mit Nagern (Ratten, Mäuse, Gerbilliden,
Erdhörnchen, Präriehunde etc.) als wichtigstem Reservoir. Über 200
jAufbau Tierarten sind in unterschiedlichem Maße für die Erreger empfäng-
Y. pestis entspricht im Aufbau anderen Yersinien, besitzt aber eine lich. Die Übertragung erfolgt in erster Linie durch Flöhe, von denen
Kapsel (. Abb. 28.21). Die Erreger sind grundsätzlich unbegeißelt. über 80 Arten unterschiedlich effizient die Erreger übertragen kön-
Zusätzlich zum bei allen pathogenen Yersinien vorhandenen nen. Die Endemiegebiete liegen heute in Asien, Nord- und Südame-
Plasmid pYV besitzt Y. pestis 2 weitere für die Virulenz wichtige rika und vor allem in Zentral-, Ost- und Südafrika.
Plasmide:
4 ein kleines Plasmid mit 9,5 kb
4 ein Plasmid mit 110 kb und Bedeutung insbesondere für die 28.15.2 Rolle als Krankheitserreger
Entwicklung der Erreger im Floh
kEpidemiologie
Kapsel (Fraktion 1, F1) Diese wird bei 37 °C, also erst im Säuger- Die Epidemien der vergangenen Jahrhunderte spielten sich haupt-
wirt, ausgebildet, nicht aber bei 28 °C, der für Yersinien optimalen sächlich im urbanen Milieu ab. Typischerweise schleppten infizierte
Vermehrungstemperatur. Sie besteht aus einem einzigen Protein und Ratten die Erreger in die Siedlungen ein und infizierten die dortigen
ist immunogen. Rattenbestände, die an der Infektion verstarben. Die Überträger-
flöhe waren so gezwungen, auf neue Wirte auszuweichen und infi-
252 Kapitel 28 · Enterobakterien
Bakteriologie

. Abb. 28.22 Pathogenese der Pest

zierten hierbei den Menschen mit den bekannten katastrophalen In den vergangenen 20 Jahren wurden weltweit jährlich 1000–
Folgen. 5000 Fälle menschlicher Erkrankungen an die WHO gemeldet. Seit
Heutzutage spielen sich die Infektionen hauptsächlich im länd- Anfang des 21. Jahrhunderts treten über 90 % der Fälle in Afrika auf,
lichen Bereich ab. Die weltweite Bevölkerungszunahme hat dazu Tendenz zunehmend.
geführt, dass menschliche Siedlungen bis weit in die zoonotischen
Endemiegebiete vorgedrungen sind, sodass dort ständig ein direkter kÜbertragung
oder indirekter Kontakt mit infizierten Tieren möglich ist. Außer Y. pestis wird durch den Stich eines Flohs von der Ratte auf den
Ratten spielen andere Tierarten zunehmend eine Rolle als Reservoi- Menschen übertragen. Die Bakterien vermehren sich nach der Blut-
re, an denen sich der Mensch u. U. auch ohne Überträgerflöhe infi- mahlzeit bei einem infizierten Wirt im Proventriculus (Vormagen)
zieren kann (Kontakt mit infizierten Kleintieren im Siedlungsbe- des Flohs und können dort solche Zahlen erreichen, dass dessen
reich, Verzehr von Nagern in Asien, Afrika und Südamerika bzw. oberer Zugang unpassierbar wird. Eine Biofilmbildung des Erregers
von infizierten Kamelen in Zentralasien. Kontakt mit in der Umwelt begünstigt diese Verstopfung und verhindert die Ösophaguspassage.
infizierten Hauskatzen in den USA). Befällt der infizierte Floh einen Nager oder Menschen, regurgitiert
Die weltweiten Klimaveränderungen führen zur Verschiebung er Pestbakterien; diese gelangen über die Stichstelle in den neuen
und Ausbreitung der Lebensräume von Reservoirtieren. Die zuneh- Wirt. Dort bildet der Erreger bei 37 °C die Kapsel (F1) aus und
mende Armut der meisten Länder in den Endemiegebieten, z. T. ver- sezerniert Proteine (Yops).
stärkt durch politische Instabilität, verhindert den Aufbau effizienter Eine aerogene Übertragung von Mensch zu Mensch gibt es nur
Gesundheitssysteme. Die Situation wird zusätzlich verschärft durch bei der Lungenpest (7 s. u.).
das Auftreten multiresistenter Erregerstämme in Südafrika mit der
Gefahr schneller Ausbreitung. Die Pest ist also keineswegs eine Seu- kPathogenese
che der Vergangenheit, sondern bedarf weltweiter Beachtung, da sie Primäraffekt An der Stichstelle, meist an den oberen oder unteren
als Zoonose mit weitem Wirtsspektrum nicht auszurotten ist. Extremitäten, entwickelt sich der Pest-Primäraffekt: ein Bläschen, in
28.15 · Yersinia pestis
253 28
4 Wird im Rahmen der hämatogenen Ausbreitung die Lunge be-
fallen, entwickelt sich innerhalb von 1–3 Tagen eine sekundäre
Pneumonie: Der Patient leidet an Atemnot und Husten; das
Sputum ist hell, blutig gefärbt und purulent. Typischerweise
zeigen die Patienten Purpura, die in der Folge nekrotisch wer-
den und zur Gangrän führen kann. Diese Veränderung hat im
Verein mit den Ekchymosen zur Bezeichnung »schwarzer Tod«
geführt. Der Tod tritt 3–5 Tage nach Auftreten der ersten
Symptome ein.
4 Die primäre Lungenpest endet nach 2 Tagen Inkubationszeit
und einer Krankheitsdauer von weiteren 2 Tagen tödlich, so-
fern nicht rechtzeitig therapeutisch eingegriffen wird.

kImmunität
Da Y. pestis ein fakultativ intrazelluläres Bakterium ist, stellen akti-
vierte Makrophagen einen wichtigen Abwehrfaktor dar. Diese Fä-
higkeit vermitteln antigenspezifische T-Lymphozyten den Makro-
phagen. An der Immunität sind auch Antikörperbeteiligt: Antikör-
per gegen die Kapsel (F1) sowie Endotoxin vermitteln einen nach-
weisbaren Schutz.
Die Immunität gegen Y. pestis stellt demnach einen Mischtyp
dar: Beteiligt sind sowohl Antikörper als auch antigenspezifische
T-Zellen. Die Immunität verleiht Überlebenden einen lang dauern-
. Abb. 28.23 Yersinia pestis – Bubonen in der Leistenbeuge den, aber nicht absoluten Schutz gegen Reinfektionen.

kLabordiagnose
dem sich die Pestbakterien zu hohen Zahlen vermehren. Von dort Der Schwerpunkt liegt in der Erregeranzucht. Wegen der hohen In-
aus gelangen die Erreger über die afferenten Lymphbahnen zu den fektiosität sind für die Verarbeitung im Labor besondere Sicherheits-
lokalen Lymphknoten der Leiste bzw. der Axilla (. Abb. 28.22). So richtlinien vorgeschrieben; daher muss der klinische Verdacht auf
entsteht die Pestbeule, der sog. Bubo (gr. für »Leistendrüse, Unter- Pest dem Laborarzt unbedingt mitgeteilt werden. Die Primäran-
leib«; . Abb. 28.23). zucht und Weiterverarbeitung von Y. pestis dürfen nur in Spezialla-
Auch die Tonsillen und die oropharyngeale Schleimhaut kom- boratorien der Sicherheitsstufe 3 erfolgen.
men als Eintrittspforte infrage; dann entsteht eine zervikale Bubo-
nenpest. Die befallenen Lymphknoten schwellen schmerzhaft an Untersuchungsmaterial Für die bakteriologische Untersuchung
und vereitern. eignen sich je nach Lokalisation des Krankheitsprozesses:
4 Lymphknotenaspirat bei Beulenpest
Generalisierung Ist die Filterkapazität der Lymphknoten erschöpft, 4 Sputum bei Lungenpest
bricht diese Abwehrbarriere zusammen: Die Erreger treten in die 4 Blut bei Pestsepsis
Blutbahn über und lösen ein schweres Krankheitsbild mit intravasa-
ler Verbrauchskoagulopathie aus. Hierfür ist das Endotoxin verant- Bei der Sektion Verstorbener entnimmt man Teile der Milz, Blut
wortlich. Hämatogen werden Leber und Milz, Lungen und ggf. auch oder – bei nichtobduzierten Leichen – Milzpunktat.
die Meningen befallen. In den infizierten Organen, insbesondere
auch in der Haut, entwickeln sich Hämorrhagien. Häufig entwickelt Vorgehen im Labor Y. pestis präsentiert sich im Grampräparat
sich ein septischer Schock (. Abb. 28.22; 7 Kap. 111). als kokkoides, gramnegatives Stäbchen. Bei Anfärbung nach
Wayson (Methylenblau und Karbolfuchsin) oder mit Methylenblau
Pestpneumonie Die sekundäre Pestpneumonie ist besonders häu- allein zeigt Y. pestis eine bipolare Struktur: Eine zentrale, nicht-
fig. Sie stellt eine überaus gefährliche Infektionsquelle dar, weil die anfärbbare Vakuole ergibt ein Bild, das an Sicherheitsnadeln erin-
Erreger ausgehustet und durch Tröpfcheninfektion direkt auf andere nert (. Abb. 28.20). Diese bipolare Anfärbbarkeit fehlt den anderen
Menschen übertragen werden. Die Pestbakterien gelangen auf diese Yersinien.
Weise direkt in die Lunge der Kontaktperson. Es entwickelt sich bei Häufig lässt sich die Diagnose bereits durch Anfärbung von
diesen eine primäre Pestpneumonie (. Abb. 28.22). Lymphknotenaspirat oder Sputum mit fluoreszierenden Antikör-
pern gegen das Kapselantigen F1 stellen. In vielen Fällen führt auch
kKlinik die Anfärbung von Lymphknotenaspirat, Sputum bzw. Blutausstri-
Die Pest manifestiert sich in 3 Formen: Bubonenpest, Septikämie, chen nach Wayson oder mit Methylenblau zum Erfolg. Sind im Prä-
sekundäre und primäre Lungenpest: parat bipolar angefärbte Bakterien zu sehen, lässt sich im Zusam-
4 Nach 2–6 Tagen Inkubationszeit beginnt die Krankheit plötz- menhang mit dem klinischen Bild die Verdachtsdiagnose Pest recht-
lich mit Unwohlsein, Kopfschmerzen und Schüttelfrost. 1 Tag fertigen. Der Erreger vermehrt sich auf Blutagar, auf dem er nach
nach Einsetzen dieser Symptome bilden sich die schmerzhaften 24–48 h Bebrütung braune, nichthämolysierende Kolonien bildet.
Pestbeulen (Bubonen) aus, daher der Name Bubonen- oder Die optimale Vermehrungstemperatur beträgt, wie bei anderen Yer-
Beulenpest (. Abb. 28.22). sinien, 28 °C. Da Y. pestis bei dieser Temperatur keine Kapsel expri-
4 Bei Generalisierung kann es zur Septikämie mit Befall von miert, erscheinen die Kolonien rau; bei 37 °C wird reichlich Kapsel-
Leber, Milz, Meningen und Lunge kommen. substanz produziert; die Kolonien sind dann glatt.
254 Kapitel 28 · Enterobakterien

Biochemie Die biochemische Identifizierung von Y. pestis erfolgt


durch die »bunte Reihe«. Epidemiologie Endemisch in USA, Südost- und Nordasien,
Südamerika, Zentral-, Ost- und Südafrika. Befallen werden
kTherapie Bewohner der Endemiegebiete, Soldaten, Jäger, Geologen,
Gentamicin oder Streptomycin sind die Mittel der Wahl; alternativ Archäologen, Abenteuertouristen.
kommen für die Therapie Doxycyclin oder Ciprofloxacin infrage. Übertragung Vom Tier durch Ektoparasiten (Flohstiche); vom
Erste Fälle von Multiresistenz wurden 1995 aus Madagaskar be- erkrankten Menschen durch Sputum (Tröpfcheninfektion).
kannt. Bei prompt einsetzender Behandlung lässt sich die Letalität Pathogenese Fakultativ intrazellulärer Erreger, der durch Kap-
der Bubonenpest auf 1–5 % senken. Der Erfolg bleibt aus, wenn die selbildung einen hohen Virulenzgrad erreicht und die natür-
Behandlung später als 15 h nach Fieberbeginn einsetzt. Unbehandelt lichen Abwehrbarrieren nahezu ungehindert durchbricht. Infek-
endet die Bubonenpest in 40–70 % tödlich, bei Septikämie und Lun- tion ൺ Primärkomplex (ൺ schmerzhafte Lymphadenopathie)
genpest praktisch stets letal. ൺ Sepsis.
Klinik 3 Formen: Bubonenpest, Septikämie, sekundäre und
kPrävention primäre Lungenpest. Infektion durch Vektor (z. B. Floh), Inku-
Allgemeine Maßnahmen Hier steht die Rattenbekämpfung im bationszeit 2–6 Tage, Fieber, Lymphadenopathie, ggf. Sepsis,
Vordergrund. Meist kommen aber auch andere Reservoire infrage, Pneumonie, Meningitis. Primär pneumonische Verlaufsform:
sodass in Endemiegebieten eine Ausrottung des Erregers nicht mög- Tröpfcheninfektion durch kontaminiertes Sputum, Inkubations-
lich ist. zeit 2 Tage, fulminanter Verlauf.
Immunität Die erworbene Immunität ist weitgehend, aber
Vakzination Für die Schutzimpfung existieren 2 Totimpfstoffe aus nicht absolut. Mischtyp, an dem Antikörper und T-Zellen betei-
formalinisierten Bakterien, die allerdings nicht kommerziell zur ligt sind.
Verfügung stehen: die Haffkine- und die Cutler-Vakzine. Ein Lebend- Labordiagnose Erregernachweis: biochemische Differenzie-
impfstoff wird aus attenuierten Pestbakterien hergestellt; er vermit- rung. Anzucht unter S3-Bedingungen.
telt einen wirksameren Schutz als die Totvakzine. Der Impfschutz ist Therapie Gentamicin, Streptomycin, Doxycyclin, Ciprofloxacin,
nicht sicher, v. a. verhindert er nicht die pneumonische Form. Für Chloramphenicol. Postexpositionsprophylaxe mit Doxycyclin
Kontaktpersonen wird eine Chemoprophylaxe empfohlen. oder Ciprofloxacin.
Prävention Eliminierung des Erregerreservoirs (Rattenbekämp-
Quarantäne Die Pest gehört zu den quarantänepflichtigen Krank- fung), Schutzimpfung, Quarantäne, Postexpositionsprophylaxe.
heiten, deren Abwehr in den Artikeln 49–94 der Internationalen Quarantäne Die Pest ist eine quarantänepflichtige Krankheit.
Gesundheitsvorschriften geregelt wird. Jeder Pestfall muss an die Vakzination Aktive Impfung durch Tot- oder Lebendimpfstoffe.
WHO gemeldet werden. Immunität nach Schutzimpfung nur 6 Monate anhaltend, Impf-
schutz nicht immer gewährleistet.
Absonderung im Krankenhaus § 30 IfSG schreibt die Absonde- Meldepflicht Verdacht, Erkrankung und Tod, direkte und indi-
rung (Quarantäne) von an Lungenpest Erkrankten in einem Kran- rekte Erregernachweise; namentlich.
kenhaus vor.

Meldepflicht Pest ist bei Verdacht, Erkrankung und Tod nament-


Bakteriologie

lich zu melden (§ 6 IfSG), ebenso der direkte oder indirekte Nach- Literatur
weis von Yersinia pestis (§ 7 IfSG).
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Bakteriologie Gramnegatives, unbewegliches Stäbchen.
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Bipolare Anfärbung, »Sicherheitsnadelformen« nach Wayson
oder Methylenblaufärbung.
Vorkommen Enzootisch in Asien, Afrika, Nord- und Südamerika
verbreitet bei Nagern. Mensch über Ektoparasiten infiziert.
Resistenz Lange Persistenz in eingetrockneten Sputen oder
Fäkalien von Ektoparasiten.
255 29

Vibrionen, Aeromonas
M. Hornef

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_29, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Vibrio cholerae ist ein polar monotrich begeißeltes, kommaförmiges, Neben dem klinischen Bild der durch V. cholerae O1 und O139 aus-
gramnegatives Stäbchenbakterium (. Tab. 29.1). Die humanmedizi- gelösten Cholera besitzen noch Infektionen mit Nicht-O1/O139-V. cho-
nisch bedeutsamsten Isolate dieser Spezies gehören den Serogruppen lerae sowie einigen weiteren Vibriospezies wie V. vulnificus und V. para-
O1 oder O139 an und verursachen die Cholera, eine durch massive haemolyticus medizinische Bedeutung. Sie rufen sowohl enterische
wässrige Durchfälle gekennzeichnete Infektion des Dünndarms. Isolate als auch lokale und systemische Infektionen hervor (. Tab. 29.2).
der Serogruppe O1 lassen sich ihrerseits den Biovaren cholerae (»klas- Sie werden durch direkten Kontakt mit kontaminiertem Wasser sowie
sisch«) und El Tor sowie den Serotypen Inaba, Ogawa und Hikojima den Verzehr unzureichend gekochter Meerestiere erworben.
zuordnen. Ausgehend vom indischen Subkontinent verbreitete sich Aeromonas hydrophila ist vor allem in Gegenden der Welt mit
V. cholerae seit 1816 in mehreren Pandemiewellen über die ganze schlechten hygienischen Bedingungen mit Durchfallerkrankungen
Welt. Während die Cholera in vielen Ländern Asiens, Afrikas, Mittel- assoziiert.
und Südamerikas endemisch ist, kommt es bei Naturkatastrophen und
kriegerischen Auseinandersetzungen mit starken Bevölkerungsbe- Geschichte
wegungen wegen mangelnder hygienischer und sanitärer Vorausset- Mit der Cholera vereinbare Krankheitsbilder wurden bereits im 4. Jahrhundert
zungen häufig zu Ausbrüchen. In Europa werden lediglich importierte v. Chr. in Indien beschrieben. Seit 1816 fanden von dort ausgehend 7 Cholera-
Fälle von Reiserückkehrern beobachtet. pandemien statt, die sich westwärts ausbreiteten und 1830 erstmals Europa
erreichten. Sie verursachten in den europäischen Städten starke soziale Span-
Wegen der starken Flüssigkeitsverluste und der dadurch resultieren-
nungen und politische Unruhen. Darüber hinaus waren sie mit einer hohen
den Störungen des Elektrolyt- und Säurehaushalts ist die Cholera in
Mortalität assoziiert. So verursachte die Choleraepidemie1892 in Hamburg
Ländern mit unzureichender medizinischer Versorgung mit hoher Mor- 8600 Tote. Der Londoner Arzt John Snow (1813–1858) konnte als Erster einen
talität assoziiert. Die Choleradurchfälle werden durch ein bakterielles mit Fäkalien verunreinigten Brunnen als Quelle der Infektionen identifizieren
Enterotoxin ausgelöst. Nach Aufnahme durch die Darmepithelzelle und damit die Bedeutung sauberen Trinkwassers nachweisen. Trotzdem hiel-
führt das Choleratoxin zur Stimulation der Adenylatzyklase und zur ten sich noch lange sehr unklare Vorstellungen von der Übertragbarkeit der
aktiven Sekretion von Ionen und Wasser in das Darmlumen. Die Thera- Krankheit und möglichen wirksamen Schutzmaßnahmen.
pie besteht in erster Linie in Flüssigkeitsersatz und Korrektur des Elek- Den Begriff Vibrionen prägte der dänische Forscher Otto-Fredrik Müller
trolyt- und Säurehaushalts. Der Erreger lässt sich auf Selektivmedien (1730–1784) wegen der zitternden (vibrierenden) Bewegung der Bakterien.
kulturell nachweisen. Die Übertragung erfolgt meist über fäkal konta- In Proben von Cholerakranken beschrieb 1854 der italienische Anatom Filipo
Pacini (1812–1883) erstmals die gekrümmten beweglichen Stäbchenbakte-
miniertes Trinkwasser oder Nahrungsmittel. Prophylaktische Maßnah-
rien. Robert Koch (1843–1910) zusammen mit Bernhard Fischer (1852–1915)
men sind vor allem eine sorgfältige Nahrungsmittelhygiene wie die
und Georg Gaffky (1850–1918) wies den Erreger 1883 aus klinischem Mate-
Bereitstellung sauberen Trinkwassers sowie die Sicherstellung sanitärer rial eines Patienten einer Epidemie in Ägypten kulturell nach.
Einrichtungen. Ein oraler Choleraimpfstoff ist verfügbar. Krankheitsver- Die derzeitige 7. Pandemie wird durch V. cholerae O1, Biovar El Tor, Serotyp
dacht, Erkrankung und Tod sowie die Erregerisolation sind nach dem Ogawa hervorgerufen. Der Name leitet sich von der Quarantänestation El Tor
IfSG meldepflichtig. in Ägypten ab, wo der Stamm erstmals 1905 kulturell nachgewiesen wurde.
Die Pandemie nahm 1961 in Celebes (heute: Sulawesi), Indonesien, ihren
Anfang und breitete sich von dort über Asien und Europa nach Afrika (1970),
in den Südpazifik und schließlich 1991 bis Süd- und Mittelamerika aus. Die
. Tab. 29.1 Vibrio: Gattungsmerkmale Cholera war zuvor in Südamerika über 100 Jahre nicht mehr endemisch
gewesen. Vor allem in Indien werden zunehmend Ausbrüche durch chimäre
Merkmal Ausprägung Varianten des O1-El-Tor-Biovars nachgewiesen, die das cxtB-Gen des Biovars
cholerae (klassisch) tragen.
Gramfärbung gramnegative Stäbchen

Aerob/anaerob fakultativ anaerob


. Tab. 29.2 Vibrionen: Arten und Krankheiten
Kohlenhydratverwertung fermentativ
Art Krankheiten
Sporenbildung nein

Beweglichkeit ja Vibrio cholerae O1 und O139 Enteritis

Katalase positiv Nichtagglutinierbare (NAG-) Wundinfektionen, Harnweginfek-


Vibrionen tionen, Enteritis
Oxidase positiv
Vibrio parahaemolyticus Enteritis, Wundinfektionen
Besonderheiten Nitratreduktion, halophil
(benötigt NaCl) Vibrio vulnificus Wundinfektionen, Sepsis, Enteritis
256 Kapitel 29 · Vibrionen, Aeromonas

1992 wurde in Bangladesh ein bis dahin unbekannter virulenter Stamm der
Serogruppe O139 Bengal nachgewiesen. Obwohl er auch in Indien und Paki-
stan isoliert wurde, scheint dieser Stamm sich bisher nicht weiter auszubrei-
ten. Er könnte aber eine neue Pandemie auslösen.
2010 kam es nach dem schweren Erdbeben in Tahiti zu einer aktuell noch
andauernden Choleraepidemie mit V. cholerae O1, Biovar El Tor, Serotyp
Ogawa. Die Cholera war zuvor seit etwa einem Jahrhundert in Haiti nicht
mehr endemisch und könnte von zur Katastrophenhilfe entsandten nepale-
sischen UN-Blauhelmsoldaten eingeschleppt worden sein. Der Ausbruch
führte bislang bei über 600.000 Erkrankten zu über 8000 Toten.

29.1 Vibrio cholerae, Serogruppen O1


und O139
. Abb. 29.1 Vibrio cholerae im Elektronenmikroskop (TEM, Vergr. 16.500 : 1;
Steckbrief aus: Adam et al. (Hrsg.): Die Infektiologie, Springer Verlag 2004)

Vibrio cholerae ist ein fakultativ anaerobes, gramnegatives,


fermentierendes Stäbchenbakterium. Es ist der Erreger der
Cholera, einer pandemisch auftretenden Durchfallerkrankung, Neuraminidase Sie modifiziert die Zuckerreste auf der Epithel-
die zu starken, wässrigen Durchfällen führt und durch massi- zelloberfläche und schafft damit mehr Bindungsstellen für das
ven Flüssigkeitsverlust gekennzeichnet ist. Choleratoxin.

Choleratoxin Das phagenkodierte Toxin wird nach Bindung an


GM1-Ganglioside an der Epithelzelloberfläche aufgenommen und
stört durch Aktivierung der Adenylatzyklase den Ionentransport.

jResistenz gegen äußere Einflüsse


Obgleich Vibrionen relativ empfindlich gegenüber Austrocknung
sind, können sie in Umweltgewässern über längere Zeit in infek-
tiöser Form persistieren. Vibrionen sind sehr säureempfindlich,
deshalb sinkt die Infektionsdosis bei Menschen mit verminderter
Magensäurebildung.

Vibrio cholerae: kommaförmige, polar monotrich begeißelte, jVorkommen


gramnegative Stäbchen, 1883 erstmals von Robert Koch kulturell
In Süßwasser und küstennahen Meeresgewässern endemischer
nachgewiesen
Gebiete durch Ausscheidung Erkrankter bei fehlender Wasserauf-
bereitung.
Bakteriologie

29.1.1 Beschreibung 29.1.2 Rolle als Krankheitserreger


jAufbau kEpidemiologie
Äußere Zellmembran Wie alle gramnegativen Bakterien enthält Die WHO schätzt etwa 3–5 Mio. Erkrankungen und 100.000–
die äußere Zellmembran der Vibrionen das immunstimulatorische 120.000 Todesfälle pro Jahr, v. a. in Afrika, Mittelamerika (Haiti,
Lipopolysaccharid (LPS). Die mit dem Glykolipid-Membrananker Dominikanische Republik), Indien und Südostasien. Der Biovar
(Lipid A) kovalent verbundene Kette repetitiver Untereinheiten aus El Tor ist weltweit der in den Gewässern am häufigsten nachgewie-
Zuckermolekülen (O-Antigen) erlaubt die serologische Charakteri- sene Biovar und hat den Biovar cholerae (klassisch) weitgehend ver-
sierung der klinischen Isolate, ähnlich wie bei anderen enteropatho- drängt. Stämme des Biovar cholerae werden regelmäßig nur noch in
genen gramnegativen Bakterien (z. B. Salmonellen). Indien isoliert. V. cholerae O1 Biovar El Tor lösen verglichen mit
Infektionen durch Biovar cholerae (klassisch) ein weniger schweres
Beweglichkeit Vibrionen sind polar monotrich begeißelt (. Abb. Krankheitsbild aus, zeigen aber eine höhere Tenazität (Umweltresis-
29.1), was zu ihrer ausgeprägten und typischen Beweglichkeit tenz). Einzelne Erkrankungen wurden auch am Golf von Mexiko in
führt. den USA beobachtet. Obwohl viele Serogruppen existieren, wurden
bis 1992 alle Ausbrüche durch O1-positive Stämme verursacht.
Adhärenz V. cholerae exprimiert einen Typ-IV-Pilus, den sog. To- Deshalb erweckte 1992 der Nachweis eines virulenten O139-
xin-koregulierten Pilus (TCP). TCP induziert die Aggregation und positiven V. cholerae Bengal-Stammes in Madras, Kalkutta und Ban-
Bildung von Mikrokolonien auf der Darmepitheloberfläche. gladesch große Aufmerksamkeit. V. cholerae O139 Bengal produ-
ziert ähnliche Mengen des Choleratoxins wie O1-Stämme und ruft
jExtrazelluläre Produkte ein ähnliches klinisches Krankheitsbild hervor. Die Immunität der
Muzinase Dieses Enzym erlaubt dem Erreger die Penetration der lokalen Bevölkerung vermittelt gegenüber V. cholerae O139 Bengal
Mukusschicht und den direkten Kontakt mit der apikalen Epithel- keinen ausreichenden Schutz. Deshalb wird befürchtet, er könne
zellmembran. eine 8. Pandemie auslösen. Allerdings wurde er bisher nur in Indien
29.1 · Vibrio cholerae, Serogruppen O1 und O139
257 29

. Abb. 29.2 Pathogenese der Cholera

und Pakistan beobachtet. V. cholerae ist ausschließlich für den Sekretion von Natriumbikarbonat und Kaliumionen über die apika-
Menschen pathogen. le Plasmamembran des Darmepithels. Wegen des hohen osmoti-
schen Druckes im Darmlumen führt das sekundär zur massiven
kÜbertragung Sekretion von Wasser durch das gesamte Dünndarmepithel. Sehr
V. cholerae wird durch fäkal kontaminiertes Trinkwasser, seltener große Mengen infektiöser Vibrionen werden mit dem Stuhl ausge-
direkt fäkal-oral oder durch unzureichend abgekochte Nahrung wie schieden.
rohen Fisch und andere Meerestiere übertragen.
kKlinik
kPathogenese Wenige Tage, bei hoher Infektionsdosis nur wenige Stunden nach
Die starke Säureempfindlichkeit des Erregers erfordert beim Ge- Aufnahme, kommt es zu ersten Symptomen, die sich rasch steigern.
sunden die orale Aufnahme von 106–1010 Bakterien, damit Vibrio- In den meisten Fällen nimmt eine Infektion mit V. cholerae vor allem
nen die Magenpassage überstehen. Eine reduzierte Magensäurepro- bei Infektionen mit dem Biovar El Tor einen leichten Krankheitsver-
duktion verringert die Infektionsdosis drastisch auf nur noch 100– lauf (»Cholerine«). Bei schweren Verläufen (10–20 %) kommt es zur
1000 Bakterien. V. cholerae zerstört die Mukusschicht und heftet Sekretion von bis zu 1 l Flüssigkeit pro Stunde und den typischen
sich an die apikale Membran der Darmepithelzellen (. Abb. 29.2). Reiswasserstühlen mit einem Volumen von bis zu 20 l pro Tag be-
Die Kolonisation wird durch die Expression eines Typ-IV-Pilus gleitet von Erbrechen (. Abb. 29.3). Die dramatischen Flüssigkeits-
(TCP) unterstützt, der die Aggregation und Bildung von Mikro- und Elektrolytverluste führen zu metabolischer Azidose und Hypo-
kolonien auf der Darmepitheloberfläche induziert. Dabei werden kaliämie bis hin zum Schock. Die Durchfälle halten durchschnittlich
große Mengen Choleratoxin sezerniert. über 5 Tage an. Infektionen mit V. cholerae können symptomlos
Das Choleratoxin (CTX) wird ähnlich wie das Diphtherietoxin verlaufen; trotzdem kommt es zur Erregerausscheidung. Daueraus-
durch einen Phagen, CTXΦ, kodiert und erst bei hoher Keimdichte scheider sind selten.
induziert. Es handelt sich um ein typisches Zweikomponenten- oder
AB-Toxin (. Abb. 29.2): kImmunität
4 5 B-Untereinheiten des Toxins binden an das GM1-Gangliosid Bei der Bevölkerung in endemischen Gebieten findet sich häufig
auf der apikalen Plasmamembran. Dies ermöglicht der eine Teilimmunität. Die Impfung vermittelt einen Schutz gegenüber
A-Untereinheit des Toxins das Eindringen in die Zelle. einer Infektion mit V. cholerae O1.
4 Die A-Untereinheit katalysiert die ADP-Ribosylierung des
regulatorischen Proteins Gαs, das damit dauerhaft in einen kLabordiagnose
aktiven Zustand übergeht. Vibrionen sind sehr empfindlich gegenüber Austrocknung; ein
schneller Transport von Stuhl, Erbrochenem oder Abstrichen in
Das aktive Protein aktiviert die Adenylatzyklase und erhöht damit Transportmedium oder alkalischem Peptonwasser (1 % Pepton, 1 %
die intrazelluläre cAMP-Konzentration. Eine hohe cAMP-Konzent- NaCl, pH 8,6) ins mikrobiologische Labor ist deshalb sehr wichtig.
ration verhindert die Reabsorption von Natrium und stimuliert die Patientenmaterial wird direkt sowie nach 12- bis 18-stündiger An-
258 Kapitel 29 · Vibrionen, Aeromonas

ist kommerziell erhältlich. Er wird 2-mal im Abstand von 1 Woche


eingenommen und vermittelt einen über 50 %igen Schutz vor einer
Erkrankung. Zusätzlich besteht wegen der strukturellen Ähnlichkeit
zwischen Choleratoxin und dem hitzeempfindlichen Toxin entero-
toxischer E. coli ein partieller Schutz vor ETEC-Reisediarrhö.
Ein weiterer bivalenter, V. cholerae-O1/O139 Ganzzell-Totimpf-
stoff ohne Toxinzugabe (Shanchol) zeigt ebenfalls einen signifikan-
ten Schutz. Massenimpfungen in Flüchtlingslagern oder vor der
Regenzeit führten zu verminderten Krankheitszahlen und zeigten
zudem eine Herdimmunität. Eine Impfung von Reisenden ist vor
allem bei längerem Aufenthalt sowie engem Kontakt zur lokalen
Bevölkerung in endemischen Gebieten und bei verminderter Wirts-
abwehr wie etwa bei der Einnahme von Protonenpumpenhemmern
und damit einer verminderten Magensäuresekretion zu erwägen.

Allgemeine Maßnahmen Zur Vermeidung fäkal-oral übertragba-


rer pathogener Mikroorganismen gelten die üblichen Regeln der
Expositionsprophylaxe:
4 Trinken nur von sauberem bzw. abgekochtem Trinkwasser
(Vorsicht bei Eiswürfeln, Straßenverkäufern, nicht durchge-
kochten Meeresfrüchten und Gemüse sowie Salat!)
4 Befolgen des Satzes: »Boil it, cook it, peel it, or forget it!«
4 Benutzung adäquater sanitärer Anlagen sowie Händehygiene
. Abb. 29.3 Behelfsbett mit Durchlass für Patienten mit cholerabedingter
Diarrhö
Das Cholerarisiko ist beim Einhalten dieser Regeln für den durch-
schnittlichen Reisenden sehr gering. Bei Aufnahme eines an Chole-
reicherung in alkalischem Peptonwasser auf Schafblutagar, Mac- ra Erkrankten im Krankenhaus sind eine strenge Isolation sowie die
Conkey sowie einem Spezialmedium (Thiosulfat-Zitrat-Gallensalz- üblichen Regeln der Krankenhaushygiene zu beachten. Der Erreger
Sucrose-[TCBS-]Agar) kultiviert. wird durch die üblichen Hände- und Flächendesinfektionsmittel zu-
Agglutination oxidasepositiver Kolonien mit Antiserum gegen verlässig abgetötet.
O1 oder O139 bestätigt die Diagnose. Stämme des Biovar El Tor
zeigen im Gegensatz zum klassischen Biovar auf Blutagar eine Hä- Meldepflicht Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod an Cholera
molyse und sind resistent gegen Polymyxin B. Ein kommerzieller (§ 6 IfSG) sowie der direkte oder indirekte Erregernachweis von
Test zum direkten Erregernachweis mittels Immunfluoreszenz ist im V. cholerae (§ 7 IfSG) sind meldepflichtig. Nach § 42 Abs. 1 IfSG
Handel verfügbar. Es gibt keinen routinemäßig eingesetzten Anti- dürfen Erkrankte und Ausscheider nicht beim Herstellen, bei der
körpernachweis im Serum zur Diagnose einer Durchfallerkrankung. Behandlung sowie dem Inverkehrbringen von Lebensmitteln be-
schäftigt werden. Die Zahl der gemeldeten importierten Fälle liegt
kTherapie
Bakteriologie

in Deutschland pro Jahr bei 0–3; weltweit ist die Dunkelziffer vor
Die Therapie besteht im Wesentlichen im Ausgleich des Wasser- und allem in Ländern Asiens wegen befürchteter Einbußen beim Touris-
Elektrolythaushalts. Die WHO empfiehlt dafür in Gegenden mit un- mus sehr hoch.
genügender medizinischer Versorgung die orale Rehydratations-
therapie (ORT) mit Traubenzucker-Elektrolyt-Lösung (13,5 g Glu-
kose, 2,9 g Natriumzitrat, 2,6 g NaCl und 1,5 g KCl pro Liter Wasser). In Kürze
Wegen des Kotransports von Glukose und Natrium an der apikalen Vibrio cholerae, Serogruppen O1 und O139
Epithelzellmembran führt die gleichzeitige Gabe von Glukose zu Bakteriologie Fakultativ anaerobe, gebogene, gramnegative
einer verbesserten Natrium- und damit Wasseraufnahme. Bei Stäbchen. Sie zeichnen sich durch eine polar monotriche Begei-
schweren Verläufen ist eine parenterale Elektrolyt- und Flüssigkeits- ßelung und eine starke Motilität aus. Vibrionen sind resistent
gabe nötig. Darüber hinaus muss bei hohen Flüssigkeitsverlusten die gegenüber erhöhten Salzkonzentrationen (halophil), aber stark
Azidose ausgeglichen und die Hypoglykämie behandelt werden. säureempfindlich. Sie lassen sich auf Standardmedien gut kulti-
Eine suffiziente Rehydratationstherapie kann die Letalität der vieren.
schweren Verlaufsform von etwa 50 auf unter 2 % senken. Eine An- Vorkommen Toxinproduzierende O1-/O139-positive V. cho-
tibiotikatherapie verkürzt die Durchfallsymptomatik und reduziert lerae-Stämme lassen sich in Endemiegebieten aus oberflächli-
das Übertragungsrisiko. Die Initialtherapie soll sich bei Ausbrüchen chen Süß- und Salzwasserproben sowie aus Meerestieren wie
an der lokalen Resistenzsituation orientieren. Azithromycin, Tetra- den zum Zooplankton gehörenden Ruderfußkrebsen (Copepo-
cyclin, Doxycyclin, oder Erythromycin sind in der Regel wirksam. den), Fischen und Austern isolieren.
Resistenz Sehr empfindlich gegenüber Austrocknung.
kPrävention Epidemiologie In vielen tropischen und subtropischen Gebie-
Choleraschutzimpfung Ein oraler, in Deutschland zugelassener ten endemisch. Ausbrüche in Kriegs- und Katastrophengebieten
Ganzzellimpfstoff (WC/rBS, Dukoral, SBL Vaccin AB, Stockholm) wegen mangelndem sauberen Trinkwasser und unzureichenden
mit mehreren inaktivierten V. cholerae-O1-Stämmen (Biovar chole- sanitären Anlagen häufig. In Deutschland nur bei Reiserück-
rae [»klassisch«] und El Tor, Serotyp Inaba und Ogawa), zusätzlich kehrern.
versetzt mit der rekombinanten B-Untereinheit des Choleratoxins,
29.3 · Aeromonas
259 29
unzureichend erhitzter Meeresfrüchte (v. a. Schalentiere wie Mu-
Übertragung Fäkal-oral über kontaminiertes Trinkwasser oder scheln) sowie mit Wundinfektion nach Kontakt mit kontaminiertem
rohe Meerestiere. V. cholerae ist ausschließlich für den Menschen Wasser oder Meerestieren assoziiert.
pathogen. V. parahaemolyticus löst wässrige, manchmal blutige Durchfälle
Pathogenese Besiedlung des Dünndarms. Sekretion des Chole- mit abdominellen Krämpfen und Erbrechen aus. Der Verlauf ist
ratoxins, das in die Darmepithelzellen aufgenommen wird und meist milde und eine spontane Heilung tritt nach 2–3 Tagen ein. Die
intrazellulär zur Anreicherung von cAMP führt. Dadurch ver- Therapie besteht aus Flüssigkeitsersatz; bei schweren Verläufen und
mehrte Natriumbikarbonat- und Kaliumsekretion mit starker Wundinfektionen sind Doxycyclin, Carbapeneme sowie Chinolone
Wasserausscheidung in das Darmlumen. wirksam. Es besteht keine Meldepflicht.
Pathomechanismen Expression von Adhäsinen (Toxin-koregu- Gastroenteritiden, Konjunktivitiden und Weichgewebeinfektio-
lierter Pilus, TCP) und Sekretion des Choleratoxins. nen wurden auch nach Infektion mit V. alginolyticus, V. cincinnati-
Klinik Abrupt beginnende, massive Durchfälle mit reiswasser- ensis, V. damsala und V. fluvialis beschrieben. Eine Interpretation des
artigen Ausscheidungen von bis zu 20 l pro Tag. Störungen kulturellen Nachweises dieser Vibriospezies ist nur unter Berücksich-
im Wasser und Elektrolythaushalt, metabolische Azidose, Hypo- tigung des klinischen Bildes möglich.
kaliämie, evtl. Schock.
Immunität Teilimmunität der lokalen Bevölkerung, nach
Impfung. 29.2.2 Vibrio vulnificus
Labordiagnose Untersuchungsmaterial: Stuhl, Erbrochenes.
Kultur: Anreicherung in alkalischem Peptonwasser. Kultur auf Vibrio vulnificus (früher CDC-Gruppe EF-3) ist einer der häufigsten
Standardagar sowie TCBS-Selektivagar. Identifizierung: bio- Erreger von Infektionen durch Verzehr ungenügend erhitzter Mee-
chemische Differenzierung und Agglutination zur Bestätigung restiere (v. a. roher Austern). Sein Nachweis in Umweltgewässern ist
von O1- oder O139-Stämmen. mit Wassertemperaturen über 20 °C, nicht jedoch mit einer fäkalen
Therapie Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushalts und Verunreinigung assoziiert. V. vulnificus gehört damit zur natür-
Antibiotikatherapie. Tetracyclin, Chinolone und Trimethoprim- lichen bakteriellen Flora küstennaher Meeresgewässer und wurde
Sulfamethoxazol (TMP/SMX) sind wirksam. auch bei Muscheln, Krabben und Fischen nachgewiesen.
Prävention Trinkwasserhygiene, genügendes Erhitzen von Eine Infektion durch kontaminierte Nahrungsmittel kann zu
Meerestieren vor Verzehr und Einrichtung sanitärer Anlagen. Durchfall und Übelkeit ggf. mit septischer Streuung und Weichteil-
Impfung Ein wirksamer oraler Impfstoff steht zur Verfügung. infektion mit kutaner Blasenbildung führen. Darüber hinaus ist
Meldepflicht Verdacht, Erkrankung und Tod sowie Erreger- V. vulnificus ein häufiger Erreger bei durch Meerwasserkontakt er-
isolation meldepflichtig nach IfSG. worbenen Wundinfektionen. Diese sind mit einer hohen Mortalität
assoziiert. V. vulnificus produziert mehrere Enzyme wie Muzinasen,
Proteasen, Lecithinasen, Lipasen, DNAsen; bei einigen Stämmen
wurde die Bildung einer Kapsel nachgewiesen. Nur sehr selten wer-
29.2 Nichtagglutinierbare (NAG-)Vibrionen den Gastroenteritiden beobachtet. V. vulnificus-Infektionen sind
mit einem reduzierten Immunstatus des Patienten, vor allem mit
Nichtagglutinierbare oder kurz NAG-V. cholerae-Stämme Non-O1- Erkrankungen der Leber, assoziiert.
und Non-O139 werden regelmäßig in mitteleuropäischen Seen und Der Erregernachweis gelingt in den herkömmlichen Blutkultur-
Naturbädern sowie in Brackwasser der Nord- und Ostsee nachge- medien. Neben einer unter Umständen nötigen aggressiven chirur-
wiesen. Sie gelten allgemein als apathogen und gehören zur autoch- gischen Intervention bei progressiver Weichgewebeinfektion wird
thonen Wasserflora. Ihr Nachweis in Umweltgewässern ist nicht mit eine antibiotische Therapie mit Doxycyclin plus Ceftazidim empfoh-
erhöhten Werten fäkaler Indikatorkeime (coliformer Keime) assozi- len. Alternativen sind andere Cephalosporine der 3. Generation,
iert, wird aber verstärkt bei Wassertemperaturen über 20 °C beob- Carbapeneme oder ein Chinolon. Es besteht keine Meldepflicht.
achtet.
Vor allem in den warmen Sommermonaten wurde gelegentlich
über Infektion durch NAG-V. cholerae besonders bei immunkom- 29.3 Aeromonas
promittierten Patienten berichtet. Nach direkter Exposition wurden
Gastroenteritiden sowie Wund- und Harnweginfektionen beschrie- Aeromonaden sind fakultativ anaerobe, polar monotrich begeißelte,
ben. NAG-V. cholerae produzieren kein Choleratoxin, bei einigen gramnegative Stäbchenbakterien. Ihr natürliches Reservoir sind
Stämmen wurde aber die Expression von anderen Enterotoxinen und Süß- und Seewasser, sie wurden als Krankheitserreger bei verschie-
Fimbrien nachgewiesen. Die Bedeutung der Isolation von NAG- denen wechselwarmen Tieren (vor allem Fischen und Reptilien)
V. cholerae ist nur unter Berücksichtigung des klinischen Bildes zu identifiziert.
interpretieren. Doxycyclin, Ciprofloxacin und Carbapeneme sind zur Der Nachweis von Aeromonas hydrophila, aber auch A. caviae
antibiotischen Therapie wirksam. Erregernachweis und Erkrankung und A. veronii Biovar sobria in Stuhlproben wird mit dem Auftreten
sind nicht meldepflichtig. von Gastroenteritiden assoziiert. Allerdings ist die Bedeutung von
Aeromonaden als Ursache für Gastroenteritiden umstritten: So wur-
den Aeromonaden auch im Stuhl Gesunder nachgewiesen. Es wur-
29.2.1 Vibrio parahaemolyticus den weiterhin keine Ausbrüche durch klonale Stämme nachgewie-
sen und die Mensch-zu-Mensch-Übertragungsrate ist sehr gering.
Neben V. cholerae gibt es weitere 34 Spezies in der Gattung Vibrio. Auch führte die orale Gabe eines Typstammes von A. hydrophila
Die Mehrzahl davon sind Umweltkeime, die vor allem in den Gewäs- beim Menschen zu keinerlei Krankheitszeichen. Daneben wurde
sern der Tropen und Subtropen vorkommen. Wenige Spezies wie Aeromonas spp. bei verschiedenen Wundinfektionen vor allem bei
V. parahaemolyticus wurden mit Gastroenteritiden nach Verzehr immunkompromittierten Patienten nachgewiesen.
260 Kapitel 29 · Vibrionen, Aeromonas

Aeromonas hydrophila wächst auf dem zur Anzucht enteropa-


thogener Yersinien verwendeten CIN-(Cefsoludin-Irgasan-Nalidi-
xin-)Agar in kleinen Kolonien mit zentralem dunkelrotem Punkt.
Aeromonaden sind oxidase- sowie katalasepositiv und produzieren
eine Reihe hochaktiver Enzyme (Proteasen, Esterase, Amylasen).
Der kulturelle Nachweis von Aeromonas spp. ist unter Berücksichti-
gung des klinischen Bildes kritisch zu beurteilen. Mittel der Wahl ist
Ciprofloxacin. A. hydrophila bildet häufig β-Laktamasen. β-Laktam-
Antibiotika sollten daher nur nach Testung eingesetzt werden. Es
besteht keine Meldepflicht.

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Bakteriologie
261 30

Nichtfermentierende Bakterien
(Nonfermenter): Pseudomonas,
Burkholderia, Stenotrophomonas,
Acinetobacter
I. Steinmetz

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_30, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Gattungen Pseudomonas, Burkholderia, Stenotrophomonas und


. Tab. 30.1 Nonfermenter: Gemeinsame Merkmale
Acinetobacter umfassen eine Vielzahl gramnegativer, nichtsporenbil-
dender Stäbchenbakterien, von denen einige bedeutende Infektions-
Merkmal Ausprägung
erreger für den Menschen sind (. Tab. 30.2). Bakterien dieser Gattun-
gen können Glukose fermentativ nicht abbauen und werden daher als Gramfärbung gramnegative Stäbchen
»Nonfermenter« bezeichnet. Aufgrund klinisch-infektiologischer und
mikrobiologischer Gemeinsamkeiten (. Tab. 30.1) wird diese Gruppe Aerob/anaerob fakultativ anaerob (u. a. Nitratatmung)
von Erregern im vorliegenden Kapitel zusammengefasst. Kohlenhydratverwertung ja, keine Glukosefermentation

Sporenbildung nein

30.1 Pseudomonas aeruginosa Beweglichkeit je nach Spezies positiv oder negativ

Katalase positiv
Steckbrief
Oxidase je nach Spezies positiv oder negativ

Pseudomonas aeruginosa ist ein opportunistischer Infektions- Besonderheiten Umweltreservoir


erreger, dessen natürliches Reservoir Feuchthabitate in der Um- (Ausnahme Burkholderia mallei)
welt sind. Das gramnegative Bakterium gehört weltweit zu den
häufigsten Ursachen von nosokomialen Pneumonien bei Beat-
mung, Wund- und Harnweginfektionen. Ein Charakteristikum
von P. aeruginosa ist die hohe intrinsische Antibiotikaresistenz . Tab. 30.2 Nonfermenter: Gattungen, Arten und Krankheiten
und das Auftreten multiresistenter Stämme. Nosokomiale Pneu-
monie und Sepsis sind mit einer hohen Letalität assoziiert. Gattung bzw. Art Krankheiten

Pseudomonas aeruginosa Atemweg-, Harnweg-, Wundinfektionen,


Sepsis, Otitis externa, Dermatitis,
Keratitis

Andere Atemweg-, Harnweg-, Wundinfektionen,


Pseudomonas-Arten Unterscheidung zwischen Kolonisation
und Infektion oft schwierig

Burkholderiacepacia- Atemweg-, Harnweg-, Wundinfektionen,


Komplex Sepsis

Burkholderia pseudomallei Melioidose

Burkholderia mallei Rotz

Stenotrophomonas Pneumonie, Bakteriämie, Harnweg-


infektionen, Phlegmone, Keratitis
30.1.1 Beschreibung
Acinetobacter Atemweg-, Harnweginfektionen,
Bakteriämie, Phlegmone
jAufbau und extrazelluläre Produkte
Pseudomonas aeruginosa (. Abb. 30.1) ist ein gramnegatives Stäb-
chenbakterium (Länge: 1–3 μm, Breite: 0,5–1,0 μm). Das Bakterium
ist monotrich polar begeißelt. An seiner Oberfläche befinden sich
262 Kapitel 30 · Nichtfermentierende Bakterien (Nonfermenter): Pseudomonas, Burkholderia, Stenotrophomonas, Acinetobacter

kPathogenese
Wirtsfaktoren Die Tatsache, dass P. aeruginosa-Infektionen vor-
wiegend nosokomial auftreten und bei Patienten mit Grunderkran-
kungen, z. B. Mukoviszidose, und anderen prädisponierenden Fak-
toren vorkommen, lässt bereits vermuten, dass eine verminderte
Wirtsabwehr eine wichtige Voraussetzung für das Entstehen einer
Infektion ist. Der Verlust der Integrität von Haut- und Schleim-
hautbarrieren ist hierbei besonders wichtig. Pseudomonas aerugi-
nosa kann sich auf geschädigtem oder totem Gewebe der lokalen
angeborenen Immunabwehr, z. B. der Wirkung von Defensinen ent-
ziehen (7 Kap. 13). Die lokale Bakterienpopulation kann sich da-
durch so stark vermehren, dass die P. aeruginosa-Virulenzfaktoren
(s. u.) derart hohe Konzentrationen erreichen, dass die Kompo-
nenten der lokalen Immunabwehr, z. B. das Komplementsystem
(7 Kap. 9), auch im angrenzenden, per se intakten Gewebe überwun-
den werden. Dies kann zu einer invasiven Infektion führen.
Neutrophile Granulozyten sind bei der Abwehr von P. aerugi-
. Abb. 30.1 Pseudomonas aeruginosa: Kultur
nosa von herausragender Bedeutung. Sowohl beim Menschen als
auch in tierexperimentellen Untersuchungen stellt die Neutropenie
Pili und das Exopolysaccharid Alginat, dessen Überproduktion bei einen Hauptrisikofaktor für eine schwere P. aeruginosa-Infektion
chronischen Infektionen zu mukösen Kolonieformen führt. dar. Die Rolle von Makrophagen und T-Zellen lässt sich bisher nicht
Die Produktion von Pigmenten, insbesondere von Pyocyanin abschließend beurteilen. Epithelzellen scheinen ebenfalls eine wich-
und Pyoverdin (Fluoreszein), führt zu typisch grünlich-blauen, tige Funktion bei der Abwehr von P. aeruginosa zu haben (7 Exkurs
metallisch-glänzenden Kolonien auf Kulturmedien. P. aeruginosa Chronische Infektion).
sezerniert ein Rhamnolipid und eine Vielzahl von Exoenzymen, von
denen einige für die Pathogenese (s. u.) von Bedeutung sind. Bakterielle Virulenzfaktoren Auch wenn die Beeinträchtigung der
lokalen Immunabwehr eine wichtige Bedingung für das Entstehen
jGenomstruktur einer Infektion darstellt, ist P. aeruginosa allein durch die Ausstat-
Die hohe Anpassungsfähigkeit an verschiedenste Lebensräume in tung mit einer extrem großen Zahl von Virulenzfaktoren in der Lage,
der Umwelt und die Fähigkeit, nicht nur beim Menschen, sondern eine Infektion an verschiedensten Stellen im menschlichen Körper
auch bei anderen Spezies Infektionen zu verursachen, spiegeln sich zu initiieren. Der Erreger besitzt auf seiner Oberfläche Pili und Fla-
in dem sehr großen Genom (6,5–6,7 Mbp) wider. Es kodiert eine gellen, die neben ihrer Bedeutung für die Motilität und Biofilmbil-
extrem große Zahl von Außenmembranproteinen, die u. a. Sekreti- dung auch Adhärenz an Wirtszellen vermitteln. Das Exopolysaccha-
onssysteme für Virulenzfaktoren und Effluxpumpen mit Bedeutung rid Alginat schützt das Bakterium vor Phagozytose. Die Überpro-
für die Antibiotikaresistenz darstellen. duktion von Alginat hat besondere Bedeutung bei chronischen In-
fektionen (7 Exkurs Chronische Infektion). Neben den endotoxischen
jVorkommen und Resistenz gegen äußere Einflüsse
Eigenschaften des LPS (7 Kap. 5) vermitteln die langen O-Seiten-
P. aeruginosa ist ein typischer Feuchtkeim mit hoher Umweltresis-
Bakteriologie

ketten Schutz vor Lyse durch das Komplementsystem.


tenz und kommt in Kliniken in Waschbecken, Toiletten, Duschen
P. aeruginosa hat primär ein extrazelluläres Habitat und produ-
und Blumenvasen vor. Instrumente, Waschlotionen und Nahrungs-
ziert eine Vielzahl von Proteasen, die Wirtszellproteine wie Komple-
mittel können kontaminiert sein und so zur Kolonisation und ggf.
mentfaktoren, Immunglobuline und deren Rezeptoren spalten kön-
Infektion von Patienten führen. P. aeruginosa kann sich sogar in
nen. Das Exotoxin A hemmt die Proteinbiosynthese mit einem dem
manchen Desinfektionslösungen vermehren.
Diphtherietoxin vergleichbaren Wirkmechanismus. Das Pigment
Außerhalb der Klinik kommt P. aeruginosa im Erdboden, in Ge-
Pyocyanin führt zu oxidativem Stress und Apoptose. Besondere
wässern und auf Pflanzen vor. In der gesunden Bevölkerung kann
Bedeutung im Rahmen der Pathogenese haben die Toxine ExoS,
ein kleiner Prozentsatz in Rachen, Nase und Stuhl kolonisiert sein,
ExoT, ExoU und ExoY, die ein Typ-3-Sekretionssystem in die Wirts-
sodass möglicherweise auch endogene Infektionen in der Klinik eine
zelle injiziert, um dort u. a. zytotoxisch zu wirken und das Aktinzy-
Rolle spielen.
toskelett zu beeinflussen.
Pseudomonas aeruginosa kann nicht nur aerob, sondern auch
anaerob in Gegenwart von Nitrat als terminalem Elektronenakzep- kKlinik
tor wachsen.
Nosokomiale Infektionen Die nosokomial erworbene akute Pneu-
monie bei beatmeten Patienten ist ein weltweit gefürchtetes Krank-
30.1.2 Rolle als Krankheitserreger heitsbild mit hoher Letalität. Bei diesen Patienten geht der Infektion
des unteren Respirationstrakts häufig eine Kolonisation des oberen
kEpidemiologie Respirationstrakts mit P. aeruginosa voraus.
Pseudomonas aeruginosa gehört weltweit zu den häufigsten Erre- Harnweginfektionen mit P. aeruginosa kommen meist als Kom-
gern nosokomialer Pneumonien, Wund- und Harnweginfektionen. plikation bei Harnwegkathetern, Obstruktionen oder instrumentel-
len Manipulationen am Urogenitaltrakt vor.
kÜbertragung Lokale Infektionen der Haut, des Respirations- oder Urogenital-
Infektionen mit P. aeruginosa kommen in erster Linie durch Kontakt trakts können Ursprung einer P. aeruginosa-Sepsis sein, die mit
mit dem Erreger in der Umwelt zustande. Innerhalb von Kliniken hoher Letalität behaftet ist. Chemotherapie, Antibiotikabehandlung
spielt auch die Übertragung von Patient zu Patient eine Rolle. oder chirurgische Eingriffe sind Risikofaktoren für eine Sepsis. Ver-
30.1 · Pseudomonas aeruginosa
263 30
brennungswunden sind mit einem hohen Risiko für P. aeruginosa-
Infektionen assoziiert. Im Rahmeneiner Sepsis kann es zu nekroti-
schen Hautläsionen nach hämatogener Streuung kommen (Ecthyma
gangraenosum).

Ambulante Infektionen Im ambulanten Bereich kann P. aerugino-


sa nach Exposition in feuchten Habitaten, wie z. B. Bädern, zu Haut-
(»whirl-pool dermatitis«) und Nagelinfektionen führen. Im äußeren
Gehörgang begünstigt feuchte, mazerierte Haut eine Otitis externa
durch P. aeruginosa (»swimmers ear«) mit z. T. chronischen Verläu-
fen. Für Kontaktlinsenträger besteht das Risiko einer ulzerativen
Keratitis, wenn z. B. die Kontaktlinsenlösung mit P. aeruginosa kon-
taminiert ist. Zur Endophthalmitis kann es nach Verletzung oder
chirurgischem Eingriff kommen.
Nach i. v. Injektion kontaminierter Lösungen kann P. aeruginosa
bei Drogenabhängigen zu einer Endokarditis führen. Die chronische
Infektion der Atemwege mit P. aeruginosa ist die Hauptursache für
Morbidität und Mortalität bei Mukoviszidose (7 Exkurs, Chronische
Infektion).

Chronische Infektion mit P. aeruginosa bei Mukoviszidose


Mukoviszidose (Syn.: zystische Fibrose, CF) ist die häufigste autosomal-re-
zessiv vererbte Erkrankung der kaukasischen Bevölkerung. Durch Mutatio-
nen im Cystic-Fibrosis-Transmembrane-Conductance-Regulator- oder CFTR-
Gen, kommt es zu einer generalisierten Dysfunktion aller sekretorischen
Epithelien mit gestörtem Wasser- und Salztransport. Dieser Defekt führt zu
hochviskosem Sekret sowie Sekretstau und prädisponiert für chronische
bakterielle Infektionen des Respirationstrakts. . Abb. 30.2 Chronische Pseudomonas-aeruginosa-Infektion der Lunge bei
Die chronische Infektion mit P. aeruginosa stellt für Mukoviszidosepatienten Mukoviszidose
das größte und therapeutisch noch immer nicht gelöste Problem dar (. Abb.
30.2). Die frustrane Immunantwort gegen die bakteriellen Antigene dieser Er- kPrävention
reger führt zu chronischer Entzündung mit Gewebedestruktion und respirato-
In der Klinik ist es essenziell, Umweltreservoire (z. B. Waschbecken)
rischer Insuffizienz, nicht jedoch zur Elimination der Bakterien. Patienten, die
neben P. aeruginosa auch mit Vertretern des B. cepacia-Komplexes (7 Abschn.
von P. aeruginosa auszuschalten. Hier hat sich u. a. der Einsatz
30.3) infiziert sind, haben deutlich schlechtere klinische Verläufe. Die chroni- bakteriendichter Filter bei Wasserhähnen auf Intensivstationen be-
schen Infektionen mit wiederholten Antibiotikatherapien zur Senkung der währt. Bei einer Häufung von Infektionen ist es notwendig, Umwelt-
Keimlast führen regelmäßig zur Selektion multiresistenter Stämme. und Patientenisolate mit molekularen Methoden (z. B. Pulsfeld-
Eine Besonderheit der chronischen P. aeruginosa-Infektion ist das Auftreten gelelektrophorese) zu typisieren, um mögliche Infektionsquellen
unterschiedlicher Kolonievarianten, sog. Morphotypen, die in der Regel aus schnell zu lokalisieren. Neben der Dekontamination und Desinfek-
einem P. aeruginosa-Klon entstehen. Die einzelnen Morphotypen zeigen tion von Umweltreservoiren ist die hygienische Händedesinfektion
z. T. durch Mutationen hervorgerufene Unterschiede in der Expression von von großer Bedeutung.
Virulenzfaktoren sowie der Antibiotikaresistenz und spiegeln die hohe
Derzeit werden verschiedene Strategien bei der Entwicklung
Adaptationsfähigkeit von P. aeruginosa an unterschiedliche Nischen in der
eines Impfstoffs gegen P. aeruginosa für Mukoviszidosepatienten
Mukoviszidoselunge wider. Der muköse Morphotyp ist durch eine Über-
produktion von Alginat gekennzeichnet und hat möglicherweise eine be-
verfolgt. Ein zugelassener Impfstoff ist nicht verfügbar.
sondere Funktion bei der Entstehung von Biofilmen in den Bronchien der
Mukoviszidosepatienten.
In Kürze
kLabordiagnose Pseudomonas aeruginosa
P. aeruginosa stellt keine hohen Ansprüche an die Kulturbedingun- Bakteriologie Gramnegatives Stäbchen, begeißelt, oxidase-
gen. Seine Anzucht gelingt daher auf einer Vielzahl von Nährböden. positiv, bläulich-grüne Pigmentbildung, geringe Ansprüche an
Gramfärbung, typische Koloniemorphologie (metallisch-glänzend, Kulturbedingungen, wächst aerob und anaerob (Nitratatmung).
blaugrüne Pigmentproduktion), süßlich-aromatischer »linden- Vorkommen und Resistenz Weltweites ubiquitäres Vorkom-
blütenartiger« Geruch und positive Oxidasereaktion lassen eine men, typischer Feuchtkeim, hohe Umweltresistenz.
Verdachtsdiagnose zu. Das Wachstum bei 42 °C unterscheidet Epidemiologie und Übertragung Einer der häufigsten Erreger
P. aeruginosa von nah verwandten Pseudomonaden. Biochemische von nosokomialen Beatmungspneumonien, Wund- und Harn-
Reaktionen dienen der endgültigen Identifizierung. weginfektionen. Infektionen erfolgen aus dem Umweltreservoir,
Übertragungen von Patient zu Patient kommen vor.
kTherapie Zielgruppe In erster Linie Patienten mit Immunsuppression
P. aeruginosa besitzt eine hohe intrinsische Resistenz gegen die meis- oder anderen prädisponierenden Faktoren.
ten β-Laktam-Antibiotika und andere Antibiotikaklassen, z. B. Ma- Pathogenese Verlust der Integrität von Haut- und Schleimhaut-
krolide und Folsäureantagonisten. Die Empfindlichkeit prinzipiell barrieren mit Gewebeuntergang. Adhärenz und lokale extra-
P. aeruginosa-wirksamer Acylaminopenicilline, Cephalosporine, zelluläre Proliferation. Zellschädigung durch eine Vielzahl zyto-
Aminoglykoside etc. sollte immer überprüft werden. Eine schnelle toxischer Virulenzfaktoren.
Resistenzentwicklung unter Therapie wird häufig beobachtet.
264 Kapitel 30 · Nichtfermentierende Bakterien (Nonfermenter): Pseudomonas, Burkholderia, Stenotrophomonas, Acinetobacter

jGenomstruktur
Klinik Nosokomial: Pneumonie beim beatmeten Patienten, Vertreter des B. cepacia-Komplexes haben sehr große Genome
Harnweginfektionen, Wundinfektionen und Sepsis. Ambulant: (ca. 5,0–8,5 Mbp) mit 2–4 Chromosomen. Dies erklärt u. a. die hohe
Otitis externa, Dermatitis, Keratitis (Kontaktlinsenträger), Anpassungsfähigkeit an sehr unterschiedliche Umwelthabitate.
chronische Pneumonie bei Mukoviszidose.
Diagnose Kultureller Erregernachweis. Biochemische Identifi- jVorkommen und Resistenz gegen äußere Einflüsse
zierung. Bakterien des B. cepacia-Komplexes kommen ubiquitär in der Um-
Therapie Hohe intrinsische Antibiotikaresistenz, Empfindlich- welt vor und können aus Wasser, Erdboden und Pflanzen isoliert
keitsprüfung von gegen P. aeruginosa wirksamen Antibiotika ist werden. In Kliniken findet man die Bakterien in kontaminierten
notwendig, da multiresistente Stämme vorkommen. Desinfektionslösungen, auf Instrumenten und Materialien.
Immunität Die Infektion hinterlässt keine Immunität. Impfstoffe
in der experimentellen Erprobung.
Prävention Krankenhaushygienische Maßnahmen. 30.3.2 Rolle als Krankheitserreger
kEpidemiologie und Übertragung
Vertreter des B. cepacia-Komplexes verursachen primär nosokomi-
30.2 Andere Pseudomonas-Arten ale Infektionen. Die Infektion erfolgt in erster Linie aus dem Um-
weltreservoir der Erreger. Der Übertragungsweg von Mensch zu
Neben P. aeruginosa kommt eine Vielzahl anderer Pseudomonas- Mensch kommt vor. Ausbrüche von Infektionen sind auch durch
Arten in der Umwelt vor. Einige dieser Arten, z. B. P. fluorescens, kontaminierte Lösungen beschrieben worden, z. B. durch Infusions-
P. stutzeri, und P. alcaligenes, können gelegentlich auch nosokomia- lösungen. Ambulant erworbene Infektionen kommen bei Patienten
le opportunistische Infektionen hervorrufen und werden dann aus mit Immundefekten oder mit Mukoviszidose vor. Einige Spezies,
Blutkulturen, Sputum, Wundabstrichen und Urin etc. isoliert. Auf- z. B. B. cepacia, B. cenocepacia, B. multivorans, werden häufiger als
grund des verglichen mit P. aeruginosa deutlich geringeren pathoge- andere bei Patienten isoliert.
nen Potenzials dieser Spezies ist im Einzelfall die Bewertung eines
kPathogenese
Nachweises als Kolonisation oder Infektion besonders schwierig.
Es gibt Hinweise, dass die Virulenz der Spezies innerhalb des B. ce-
pacia-Komplexes große Unterschiede aufweist. Die Ursachen für
diese Virulenzunterschiede sind bisher weitgehend unklar. Einige
30.3 Burkholderia-cepacia-Komplex
Spezies, z. B. B. cenocepacia, können sich intrazellulär replizieren
und persistieren. Patienten mit chronischer Granulomatose sind
Die Gattung Burkholderia umfasst eine Vielzahl pflanzen-, tier- und
empfänglich für Infektionen mit Vertretern des B. cepacia-Komple-
humanpathogener Spezies. Für Infektionen beim Menschen haben
xes, aber auch für andere Burkholderia-Arten. Diese Beobachtung
Vertreter des B. cepacia-Komplexes, B. pseudomallei (7 Abschn. 30.4)
weist darauf hin, dass die Produktion von Sauerstoffradikalen durch
und B. mallei (7 Abschn. 30.5) die größte Bedeutung.
die NADPH-Oxidase in Granulozyten und Makrophagen bei der
Steckbrief Abwehr dieser Erreger von Bedeutung ist.

Der B. cepacia-Komplex umfasst eine Gruppe von mindestens kKlinik


Bakteriologie

17 sehr nah verwandten gramnegativen Spezies (u. a. zurzeit Vertreter des B. cepacia-Komplexes verursachen katheterassoziierte
B. cepacia, B. cenocepacia, B. multivorans, B. stabilis, B. vietna- Bakteriämien und Pneumonien bei beatmeten Patienten. Immun-
miensis), die ubiquitär vorkommen. Vertreter dieser Gruppe sind supprimierte Patienten, z. B. nach Transplantation, oder onkologi-
Infektionserreger bei Pflanzen (z. B. Erreger der Zwiebelfäule) sche Patienten haben ein erhöhtes Risiko zu erkranken. Wund- und
und können beim Menschen opportunistische Infektionen her- Weichteilinfektionen sowie katheterassoziierte Harnweginfekte
vorrufen. Dazu gehören katheterassoziierte Bakteriämien und kommen vor.
Pneumonien bei beatmeten Patienten, Wund- und Weichteil- Besondere Bedeutung hat der B. cepacia-Komplex bei Patienten
infektionen sowie katheterassoziierte Harnweginfekte. Beson- mit Mukoviszidose (7 Exkurs Chronische Infektion in 7 Abschn.
dere pathogene Bedeutung hat der B. cepacia-Komplex bei chro- 30.1.2).Patienten, deren Atemwege neben P. aeruginosa auch mit
nischen Pneumonien von Mukoviszidosepatienten. Die Antibio- B. cepacia-Komplex infiziert sind, haben deutlich schlechtere klini-
tikatherapie erweist sich wegen der häufigen Multiresistenz als sche Verläufe (Cepacia-Syndrom). Die Besiedlung der Atemwege
sehr schwierig. mit Bakterien aus dem B. cepacia-Komplex verschlechtert zudem die
Prognose nach Lungentransplantation.

kLabordiagnose
Die Erreger des B. cepacia-Komplexes können auf Selektivmedien
30.3.1 Beschreibung angezüchtet werden. Die biochemische Identifizierung und der
Nachweis einer Resistenz gegen Polymyxine ermöglichen in den
jAufbau und extrazelluläre Produkte meisten Fällen eine Zuordnung zum B. cepacia-Komplex. Eine end-
Die Vertreter des B. cepacia-Komplexes sind gramnegative Stäb- gültige Speziesdifferenzierung erfolgt molekulargenetisch.
chenbakterien. Auf ihrer Oberfläche besitzen sie Flagellen. Für eine
Reihe von Spezies wurde die Produktion von Pili, Exopolysacchari- kTherapie
den, Lipasen und Proteasen nachgewiesen. Die Antibiotikatherapie erweist sich wegen der häufigen Multiresis-
tenz als sehr schwierig. Therapeutisch wirksame Substanzen müs-
sen durch Empfindlichkeitsprüfungen ermittelt werden.
30.4 · Burkholderia pseudomallei
265 30
kPrävention
Infektionen lassen sich durch hygienische Maßnahmen, wie die
Dekontamination von Gegenständen und Lösungen, verhindern.
Händehygiene ist von besonderer Bedeutung (7 Abschn. 30.1.2).

In Kürze
Burkholderia-cepacia-Komplex
Bakteriologie Gramnegative Stäbchen, begeißelt, oxidase-
positiv, variable Pigmentbildung, geringe Ansprüche an Kultur-
bedingungen. Zurzeit 17 verschiedene Spezies.
Vorkommen und Resistenz Ubiquitäres Vorkommen in Erd-
boden und Wasser, hohe Umweltresistenz.
Epidemiologie und Übertragung Nosokomiale Infektionen
erfolgen primär aus der Umwelt, Übertragungen von Patient zu
Patient kommen vor.
Zielgruppe Vor allem Patienten mit Immunsuppression oder
anderen prädisponierenden Faktoren.
Pathogenese Erreger können intra- wie extrazellulär proliferie- . Abb. 30.3 Burkholderia pseudomallei: Kultur auf Ashdown-Agar
ren. Die Ursachen für die Virulenzunterschiede der einzelnen
Spezies sind nicht definiert.
Klinik Pneumonie beim beatmeten Patienten; Harnweginfek-
tionen, Wundinfektionen, Sepsis und chronische Pneumonie bei
Mukoviszidose.
Diagnose Kultureller Erregernachweis. Molekularbiologische
Speziesidentifizierung.
Therapie Hohe intrinsische Antibiotikaresistenz, Empfindlich-
keitsprüfung von Antibiotika ist notwendig, da multiresistente
Stämme vorkommen.
Immunität Die Infektion hinterlässt keine Immunität.
Prävention Krankenhaushygienische Maßnahmen.

30.4 Burkholderia pseudomallei

Steckbrief
. Abb. 30.4 Natürliches Habitat von Burkholderia pseudomallei (Reisfeld)
Melioidose bezeichnet alle durch den saprophytären Boden-
keim Burkholderia pseudomallei hervorgerufenen Infektionen
bei Mensch und Tier. Die Erkrankung ist in den Tropen und Sub- jVorkommen und Resistenz gegen äußere Einflüsse
tropen endemisch. Pneumonie und Sepsis mit hoher Letalität Das natürliche Reservoir von B. pseudomallei sind Erdboden und
sind am häufigsten. Die Einordnung von B. pseudomallei in die Oberflächengewässer in tropischen und subtropischen Gebieten.
Kategorie B potenzieller Biowaffen durch die Centers for Disease Burkholderia pseudomallei toleriert extreme pH-Bedingungen und
Control (CDC, Atlanta, USA) hat das Interesse für diesen Erreger kann unter Nährstoffmangel lange Zeit überleben. Eine asymptoma-
weltweit erhöht. tische Kolonisierung der Schleimhäute mit B. pseudomallei wurde
bisher weder bei Tieren noch beim Menschen beschrieben.

30.4.1 Beschreibung 30.4.2 Rolle als Krankheitserreger


jAufbau und extrazelluläre Produkte kEpidemiologie
Burkholderia pseudomallei (. Abb. 30.3) ist ein gramnegatives Stäb- Das Auftreten der Melioidose ist eng mit dem Vorkommen von
chenbakterium, das polar begeißelt ist. Das Bakterium sezerniert ein B. pseudomallei in der Umwelt verknüpft. Südostasien, hier insbe-
Rhamnolipid, Proteinasen und Lipasen und produziert mehrere sondere Thailand, und Nordaustralien sind die zurzeit bestunter-
Exopolysaccharide. suchten Endemiegebiete. B. pseudomallei gehört dort zu den häu-
figsten Erregern, die aus Blutkulturen bei ambulant erworbenen
jGenomstruktur Septikämien isoliert werden. Melioidosefälle sind jedoch auch aus
Burkholderia pseudomallei besitzt ein großes (ca. 4 Mbp) und ein Teilen Südamerikas und Afrikas sowie Indien und China berichtet
kleineres Chromosom (ca. 3 Mbp). Das sehr große Genom spiegelt worden. Der arbeitsbedingte Kontakt mit Erde und Wasser, z. B.
auch das extrem breite Wirtsspektrum und die Fähigkeit, in sehr bei Reisbauern (. Abb. 30.4), ist ein wichtiger Risikofaktor, ebenso
unterschiedlichen Umwelthabitaten zu überleben, wider. wie bestehende Grunderkrankungen (7 Pathogenese). Burkholderia
266 Kapitel 30 · Nichtfermentierende Bakterien (Nonfermenter): Pseudomonas, Burkholderia, Stenotrophomonas, Acinetobacter

weils  andere übergehen. Wahrscheinlich verläuft die Mehrheit


aller Infektionen sehr mild oder asymptomatisch und nur ein
kleiner Teil führt zur klinischen Symptomatik. Die häufigste klini-
sche Form ist eine schwere, progressiv verlaufende Sepsis mit
hoher Letalität.
Bei der lokalisierten Form der Melioidose ist die Lunge das
am häufigsten betroffene Organ: Das Erscheinungsbild reicht von
akuter Bronchitis oder schwerer nekrotisierender Pneumonie bis zu
einer subakuten, kavernenbildenden Pneumonie mit Gewichtsver-
lust, die klinisch häufig einer Tuberkulose ähnelt. Die akute eitrige
Parotitis ist eine charakteristische Manifestation der Melioidose im
Kindesalter. Die lokalisierte Melioidose kann praktisch jedes Organ
befallen und reicht von kutanen und subkutanen Abszessen über
Lymphadenitis, Osteomyelitis, septische Arthritis, Leber- und/oder
Milzabszessen, Zystitis, Pyelonephritis, Prostataabszess, Epididy-
moorchitis und Keratitis bis hin zum Hirnabszess und zu Gefäß-
aneurysmen.
Die Inkubationszeit reicht in der Regel von wenigen Tagen bis
zu mehreren Wochen. Es werden jedoch auch latente Infektionen,
die z. T. erst Jahrzehnte nach der Primärinfektion klinisch auffällig
. Abb. 30.5 Burkholderia pseudomallei induziert intrazellulär Aktinschweife werden, beschrieben. Der Ausbruch der Erkrankung ist häufig mit
Phasen einer nicht näher charakterisierten Immunsuppression asso-
ziiert.
pseudomallei verfügt über ein extrem breites Wirtsspektrum. Neben
Infektionen beim Menschen wurden Infektionen bei einer Vielzahl kLabordiagnose
von Tieren beschrieben. Burkholderia pseudomallei wächst auf den üblichen Kulturmedien.
In der Gramfärbung erscheint B. pseudomallei häufig bipolar. Die
kÜbertragung meisten Stämme lassen sich durch eine positive Oxidasereaktion,
Infektionen erfolgen entweder durch Kontakt mit B. pseudomallei in den Einsatz biochemischer Identifizierungsverfahren, den Nach-
der Umwelt durch Inokulation oder Kontamination kleiner Wunden weis spezifischer Antigene mittels Latexagglutinationstests und
bzw. Abschürfungen oder aber durch Kontamination der Schleim- den Nachweis einer Gentamicin- und Polymyxinresistenz identifi-
häute mit erregerhaltigem Wasser oder erregerhaltiger Erde. Trotz zieren.
des extrem breiten Wirtsspektrums sind Tier-Mensch-Übertragun- In Endemiegebieten haben sich Immunfluoreszenzverfahren für
gen bisher kaum beschrieben worden. Ebenso scheint die Mensch- den Direktnachweis aus Patientenproben bewährt. Der Nachweis
Mensch-Übertragung extrem selten zu sein. Dies unterscheidet spezifischer IgG- und IgM-Antikörper kann für die Diagnosestel-
B. pseudomallei von seinem nahen Verwandten B. mallei, dem Erre- lung genutzt werden.
ger des Rotzes (7 Abschn. 30.5).
kTherapie
Bakteriologie

kPathogenese Burkholderia pseudomallei besitzt eine komplette intrinsische Re-


Burkholderia pseudomallei besitzt neben B. mallei innerhalb der sistenz gegenüber Aminoglykosiden und Penicillin, einer in den
Gattung das größte pathogene Potenzial für den Menschen, der kli- Tropen häufig eingesetzten empirischen Antibiotikakombination.
nische Verlauf ist sehr variabel. Für die Therapie der schweren Melioidose werden Ceftazidim, Imi-
Die histopathologischen Läsionen bei Melioidose sind ebenfalls penem oder Meropenem empfohlen. Eine orale Anschlusstherapie
extrem variabel und nicht gewebespezifisch. Sie reichen von akuten, mit der Kombination Trimethoprim/Sulfamethoxazol (TMP/SMX)
nekrotisierenden Entzündungen mit Abszessbildung bis hin zu oder der Kombination Amoxicillin/Clavulansäure über einen Zeit-
chronisch granulomatösen Prozessen mit dem Auftreten von Rie- raum von 20 Wochen senkt die Frequenz häufig auftretender Rezi-
senzellen. dive.
Burkholderia pseudomallei ist ein fakultativ intrazellulärer Or-
ganismus. Ein Typ-3-Sekretionsapparat von B. pseudomallei ist für kPrävention
das intrazelluläre Überleben von Bedeutung. Burkholderia pseudo- Da B. pseudomallei in Endemiegebieten in der Umwelt vorkommt,
mallei ist in der Lage, ins Zytoplasma der Wirtszelle zu gelangen, sich gibt es für die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung kaum Mög-
dort zu replizieren und eine gerichtete Aktinpolymerisation zu in- lichkeiten, einen Kontakt mit dem Organismus zu vermeiden. Da
duzieren (ähnlicher Mechanismus wie bei Listerien, Shigellen und man aufgrund der epidemiologischen Daten Personen identifizieren
Rickettsien), die für die intrazelluläre Motilität der Bakterien verant- kann, die ein erhöhtes Risiko aufweisen, an einer Melioidose zu er-
wortlich ist (. Abb. 30.5). Das Auftreten mehrkerniger Riesenzellen kranken, könnten in gefährdeten Regionen primäre Zielgruppen für
ist das Resultat von B. pseudomallei-induzierten Zellfusionen, die den Einsatz eines Impfstoffs definiert werden. Die Entwicklung einer
durch ein Typ-6-Sekretionssystem und die aktinvermittelte Motilität Vakzine erscheint notwendig, um die Inzidenz der Melioidose in
ermöglicht werden. Zukunft zu senken.

kKlinik
Infektionen mit B. pseudomallei können akut oder chronisch, lokal
oder disseminiert sein. Die klinischen Formen können in die je-
30.5 · Burkholderia mallei
267 30
30.5.1 Beschreibung
In Kürze
Burkholderia pseudomallei jAufbau und extrazelluläre Produkte
Bakteriologie Gramnegatives Stäbchen, begeißelt, oxidase- Burkholderia mallei ist ein gramnegatives Stäbchenbakterium, das
positiv, variable Pigmentbildung, geringe Ansprüche an Kultur- mit B. pseudomallei eng verwandt ist. B. mallei produziert ein Exo-
bedingungen. polysaccharid und ist im Gegensatz zu B. pseudomallei unbeweglich.
Vorkommen und Resistenz Reservoir sind Erdboden und Ober-
flächengewässer in tropischen und subtropischen Gebieten, jGenomstruktur
tatsächliche weltweite Verbreitung ist unbekannt, hohe Umwelt- Die sequenzierten Genome unterstützen die Hypothese, dass B. mal-
resistenz. lei mit seinem engen Wirtsspektrum aus dem Umweltbakterium
Epidemiologie und Übertragung In bekannten Endemie- B. pseudomallei, das ein extrem breites Wirtsspektrum hat (7 Ab-
gebieten eine der häufigsten Ursachen für ambulant erworbene schn. 30.4), hervorgegangen ist. Das reduzierte Wirtsspektrum und
Sepsis mit hoher Letalität. Infektion durch Kontakt mit erreger- der Verlust des Umwelthabitats spiegeln sich auch in einem ver-
haltiger Erde und Wasser; Tier-zu-Mensch- oder Mensch-zu- gleichsweise deutlich kleineren Genom (Chromosom 1: ca. 3,5 Mbp,
Mensch-Übertragung spielt nach derzeitigem Kenntnisstand Chromosom 2: ca. 2,3 Mbp) wider.
praktisch keine Rolle.
Zielgruppe Patienten mit prädisponierenden Faktoren, z. B.
Diabetes mellitus oder chronischen Nierenerkrankungen, sind 30.5.2 Rolle als Krankheitserreger
besonders gefährdet. Infektionen bei Patienten ohne erkenn-
bare Risikofaktoren kommen vor. kEpidemiologie
Pathogenese Fakultativ intrazelluläres Bakterium, induziert im Noch vor einigen Jahrzehnten war der Rotz in Europa endemisch.
Zytoplasma der Wirtszelle eine gerichtete Aktinpolymerisation Tierseuchenhygienische Maßnahmen haben dazu geführt, dass die
und die Fusion von Wirtszellen, die zur Ausbreitung und mehr- Erkrankung in Europa nicht mehr auftritt und nur noch Fälle in
kernigen Riesenzellen führt. Nekrotisierende Entzündungen, Asien, Afrika, dem Mittleren Osten, Zentral- und Südamerika be-
Abszessbildungen und granulomatöse Prozesse kommen vor. schrieben werden.
Klinik Akute oder chronische, lokale oder disseminierte Infek-
tionen. Sepsis ist die häufigste klinische Präsentation, Pneumo- kÜbertragung
nie ist die häufigste lokale Form; praktisch jedes Organ kann Bei infizierten Pferden kommt es bei einer akuten Erkrankung zu
Infektionsherde aufweisen; latente Infektionen. eitrigen, hochinfektiösen Absonderungen aus der Nase. B. mallei
Diagnose Kultureller Erregernachweis. Biochemische und kann durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren durch kleine
serologische Identifizierung von Isolaten, Nachweis spezifischer Hautläsionen und über die Schleimhäute auf den Menschen übertra-
Antikörper. gen werden.
Therapie Ceftazidim oder Imipenem/Meropenem bei schwerer
Infektion, orale Anschlusstherapie mit z. B. Trimethoprim/Sulfa- kPathogenese
methoxazol (TMP/SMX). Es gibt eine Reihe von Ähnlichkeiten mit der Pathogenese von
Immunität Die Infektion hinterlässt keine Immunität. B. pseudomallei, inklusive der Fähigkeit einer gerichteten aktinba-
Prävention Expositionsprophylaxe in ländlichen Endemiege- sierten Motilität im Zytosol infizierter Zellen und der Bildung von
bieten schwer durchzuführen. Impfstoffe in der experimentellen Riesenzellen durch Zellfusionen. Die Inkubationszeit reicht von we-
Erprobung. nigen Tagen bis zu mehreren Wochen. In Analogie zur Melioidose
kann es zur Reaktivierung latenter Infektionen nach mehreren Jah-
ren kommen. Ein von B. mallei produziertes Exopolysaccharid ist
für die Virulenz von Bedeutung.
30.5 Burkholderia mallei
kKlinik
Wie bei Melioidose sind die klinischen Erscheinungen akut oder
Steckbrief
chronisch. Sie reichen von lokalisierten Infektionen der Haut über
Burkholderia mallei ist der Erreger des Rotzes, einer Infektions- akute abszedierende Pneumonien, chronische Formen mit Abszes-
erkrankung, die primär bei Einhufern wie Eseln, Mauleseln, sen in Subkutis, Muskeln, Milz und Leber bis hin zu Sepsis mit hoher
Maultieren und Pferden vorkommt und auf den Menschen über- Letalität (. Abb. 30.6).
tragen werden kann. Der Rotz gehört damit zu den Zoonosen.
kLabordiagnose
Im Gegensatz zu B. pseudomallei hat B. mallei kein Umweltreser-
voir. Wie B. pseudomallei hat auch B. mallei aufgrund der Einord- Burkholderia mallei ist oxidasepositiv und wächst auf Standardme-
nung in die Kategorie B potenzieller Biowaffen durch die Centers dien. Biochemische Identifizierungssysteme sind wie bei B. pseudo-
for Disease Control (CDC, Atlanta, USA) neue Aufmerksamkeit mallei nicht immer zuverlässig. Die Kolonien ähneln B. pseudomal-
erfahren. lei. B. mallei ist colistinresistent, aber im Gegensatz zu B. pseudo-
mallei gentamicinsensibel. Eine endgültige Identifizierung kann
z. B. über recA-Gen-Sequenzanalysen erfolgen. Serologische Tests
zeigen eine starke Kreuzreaktivität mit B. pseudomallei.

kTherapie
Die Therapieempfehlungen entsprechen denen der Melioidose
(7 Abschn. 30.4).
268 Kapitel 30 · Nichtfermentierende Bakterien (Nonfermenter): Pseudomonas, Burkholderia, Stenotrophomonas, Acinetobacter

30.6.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie und Übertragung
Stenotrophomonas maltophilia verursacht nosokomiale Infektio-
nen. Vermutlich kommen Kolonisation und Infektion in erster Linie
durch Umweltkontakt mit dem Erreger zustande. Die direkte Über-
tragung von Patient zu Patient wurde ebenfalls beschrieben.

kPathogenese
S. maltophilia ist ein opportunistischer Erreger, der bei immun-
supprimierten Patienten mit z. B. Tumorerkrankungen und Chemo-
therapie bzw. bei Patienten mit Neutropenie Infektionen verursacht.
Weitere Risikofaktoren sind lange Hospitalisierung, vorausgegan-
gene Antibiotikatherapien, liegende Katheter und die künstliche
Beatmung auf Intensivstationen.

kKlinik
. Abb. 30.6 Milz- und Leberabszesse im CT eines Patienten nach Infektion
mit Burkholderia mallei (aus Srinivasan et al., NEJM 2001; 345: 256–258)
Die nosokomiale Pneumonie und Bakteriämie gehören zu den häu-
figsten klinischen Manifestationen. Des Weiteren kommen Harn-
weginfektionen und Infektionen der Haut als primäre oder metasta-
kPrävention tische Zellulitis (Ecthyma gangraenosum) vor. Eine Konjunktivitis
An erster Stelle steht die Kontrolle des Reservoirs bei Einhufern. Da oder Keratitis kann z. B. durch kontaminierte Kontaktlinsenlösun-
Mensch-zu-Mensch-Übertragungen vorkommen, müssen Patien- gen verursacht werden. Stenotrophomonas maltophilia kann auch
ten isoliert werden. An der Entwicklung einer Vakzine wird gear- aus dem Respirationstrakt von Mukoviszidosepatienten isoliert wer-
beitet. den. Die pathogenetische Bedeutung ist in diesem Zusammenhang
noch unklar.

30.6 Stenotrophomonas kLabordiagnose


Die Isolierung von S. maltophilia gelingt auf einer Vielzahl von
Steckbrief Nährböden. Die Identifizierung erfolgt mit Hilfe biochemischer
Tests.
Stenotrophomonas maltophilia ist innerhalb der Gattung
Stenotrophomonas der wichtigste humanpathogene Erreger. kTherapie
Es handelt sich um ein Bakterium, das ubiquitär in der Um- S. maltophilia-Stämme sind häufig hochgradig resistent gegen
welt vorkommt und opportunistische Infektionen verursacht. β-Laktam-Antibiotika und Aminoglykoside. Eine Besonderheit
Die nosokomiale Pneumonie und Bakteriämie gehören zu den stellt die intrinsische Resistenz gegen Carbapeneme dar. Trimetho-
häufigsten klinischen Manifestationen. Zu den Risikofaktoren prim-Sulfamethoxazol zeigt eine gute Aktivität gegen die meisten
Bakteriologie

für eine Infektion gehören künstliche Beatmung, zentralvenöser Stämme.


Katheter, vorausgegangene Antibiotikatherapie und Neutro-
penie. Ein besonderes Merkmal von S. maltophilia ist die intrin- kPrävention
sische Resistenz gegen Carbapeneme und das Vorkommen Infektionen lassen sich durch hygienische Maßnahmen, welche die
multiresistenter Stämme. Kontamination von Gegenständen und Lösungen, die in Kontakt
mit Patienten kommen, verhindern. Händehygiene ist von besonde-
rer Bedeutung (7 Abschn. 30.1.2).

30.6.1 Beschreibung
30.7 Acinetobacter
jAufbau und extrazelluläre Produkte
Stenotrophomonas maltophilia ist ein gram- und oxidasenegatives
Steckbrief
Stäbchenbakterium, das an seiner Oberfläche Flagellen trägt. Die
Produktion von Pigmenten führt auf Kulturmedien häufig zu Acinetobacter spp. sind opportunistische Erreger, die ubiquitär
gelblich-grünlichen Kolonien. Eine von S. maltophilia sezernierte in der Umwelt sowie auf Haut und Schleimhäuten vorkommen.
alkalische Protease ist möglicherweise für die Virulenz von Be- Die größte medizinische Bedeutung haben Vertreter des Acine-
deutung. tobacter-calcoaceticus-Acinetobacter-baumannii-Komplexes:
Sie verursachen nosokomiale beatmungsassoziierte Pneumoni-
jVorkommen und Resistenz gegen äußere Einflüsse en, Bakteriämien, Harnweginfektionen, Zellulitiden und Wund-
S. maltophilia kommt ubiquitär in der Umwelt vor und kann aus infektionen. Nosokomial erworbene Stämme sind häufig hoch-
Wasser, Erdboden und Pflanzen isoliert werden. In Kliniken findet gradig resistent. Ambulant erworbene Tracheobronchitiden und
man das Bakterium in kontaminierten Desinfektionslösungen sowie Pneumonien kommen vor.
auf Instrumenten und Materialien, die direkten Kontakt mit Patien-
ten haben. Das Bakterium kann bei Patienten in erster Linie aus dem
Respirationstrakt und aus dem Stuhl isoliert werden.
Literatur
269 30
jAufbau und extrazelluläre Produkte kTherapie
Acinetobacter spp. sind gramnegative, oxidasenegative Bakterien, Acinetobacter-Stämme sind häufig hochgradig resistent. Die Thera-
die eine stäbchenförmige bis kokkoide Struktur aufweisen und keine pie erfolgt nach Antibiogramm.
Flagellen besitzen. Die Bakterien produzieren Exopolysaccharide.
kPrävention
jVorkommen und Resistenz gegen äußere Einflüsse Wichtig sind hygienische Maßnahmen, welche die exogenen Infek-
Acinetobacter spp. kommen ubiquitär in der Umwelt vor und kön- tionen durch Acinetobacter-kontaminierte Hände, Gegenstände
nen in trockenen wie in feuchten Habitaten überleben. Ihr Nachweis und Lösungen verhindern (7 Abschn. 30.1.2).
gelingt aus Nahrungsmitteln, tierischen Ausscheidungen, Wasser-
und Erdbodenproben und einer Vielzahl von Instrumenten und
Materialien in Kliniken. Literatur
Beim Menschen können die Bakterien häufig von der Haut iso-
liert werden. Pharynx, Gastrointestinaltrakt, Urethra, Konjunktiva Pier GB (2012) The challenges and promises of new therapies for cystic
und Vagina können transient mit Acinetobacter spp. kolonisiert fibrosis. J Exp Med. 209(7):1235-1239.
sein. Ruhnke M, Anrold R, Gastmeier P (2014) Infection control issuses in patients
with haematological malignancies in the era of multidrug-resistant
bacteria. Lancet Oncol. 15(13):e606-619.
Drevinek P, Mahenthiralingam E (2010) Burkholderia cenocepacia in cystic
30.7.1 Rolle als Krankheitserreger fibrosis: epidemiology and molecular mechanisms of virulence. Clin
Microbiol Infect. 16(7):821-830.
kEpidemiologie und Übertragung Wiersinga WJ, Currie BJ, Peacock SJ (2012) Melioidosis. N Engl J Med.
Infektionen mit Acinetobacter spp. kommen weltweit vor. Aufgrund 367(11):1035-1044.
der physiologischen Kolonisierung mit Acinetobacter spp. sind en- Brooke JS, (2012) Stenotrophomonas maltophilia: an emerging global oppor-
dogene Infektionen möglich. Exogene Infektionen kommen durch tunistic pathogen. Clin Microbiol Rev. 25(1):2-41.
Kontakt mit dem Erreger in der Umwelt zustande. Die größte medi- Mc Guigan L, Callaghan M (2015) The evolving dynamics of the microbial
zinische Bedeutung haben Stämme, die man dem Acinetobacter- community in the cystic fibrosis lung. Environ Microbiol. 17(1):16-28
calcoaceticus-Acinetobacter-baumannii-Komplex zuordnen kann.

kPathogenese
Acinetobacter spp. gehören ebenfalls zu den opportunistischen Er-
regern, deren eingeschränkte Virulenz nur bei eingeschränkter Im-
munabwehr zur Infektion führt. Risikofaktoren für ambulante Infek-
tionen sind u. a. chronische Lungenerkrankungen und Diabetes
mellitus. Risikofaktoren für nosokomiale Infektionen sind, wie bei
anderen opportunistischen Erregern, lange Hospitalisierung, vor-
ausgegangene Antibiotikatherapien, liegende Katheter und die me-
chanische Beatmung auf Intensivstationen. Spezifische Virulenzfak-
toren sind bei Acinetobacter spp. bisher wenig erforscht.

kKlinik
Neben ambulant erworbenen Tracheobronchitiden und Pneumoni-
en stehen die nosokomiale beatmungsassoziierte Pneumonie und
Bakteriämie im Vordergrund. Acinetobacter spp. können Harnweg-
infektionen, Zellulitiden an Kathetereintrittsstellen sowie Wundin-
fektionen auslösen.

kLabordiagnose
Acinetobacter unterscheidet sich von anderen Mitgliedern der Fa-
milie der Moraxellaceae durch geringe Ansprüche an die Kulturbe-
dingungen und die negative Oxidasereaktion. Das Wachstum erfolgt
auf einer Vielzahl von Nährböden. Eine exakte taxonomische Zu-
ordnung von Acinetobacter spp. ist in der Routinediagnostik nicht
notwendig. Die Zuordnung zum A. calcoaceticus-A. baumannii-
Komplex ist ausreichend. Die Identifizierung erfolgt mithilfe bioche-
mischer Tests.
271 31

Campylobacter
C. Josenhans, S. Suerbaum, D. Hofreuter

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_31, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Gattung Campylobacter aus der Familie der Campylobacteriaceae 31.1 Campylobacter jejuni
umfasst gramnegative, spiralig gebogene Stäbchen. Von den Entero-
bakterien unterscheiden sie sich u. a. durch die positive Oxidase- und
Katalasereaktion (. Tab. 31.1). Sie verursachen in erster Linie Durchfall- Steckbrief
erkrankungen (. Tab. 31.2).
Campylobacter jejuni ist mit Abstand die häufigste Campylo-
bacter-Art und verursacht in erster Linie Durchfallerkrankungen,
. Tab. 31.1 Campylobacter: Gattungsmerkmale sowohl in Industrienationen als auch in Entwicklungsländern.
Zusammen mit den Salmonellen ist er in Europa und anderen
Merkmal Ausprägung Regionen weltweit häufigster bakterieller Durchfallerreger. Post-
infektiös können sich Nachkrankheiten, z. B. eine reaktive Arthri-
Gramfärbung schlanke, gebogene oder spiralige gram-
tis oder ein Guillain-Barré-Syndrom, entwickeln.
negative Stäbchen
Aerob/anaerob mikroaerophil
Kohlenhydrat- begrenzt möglich (z. B. Fukose, teilweise
verwertung auch Glukose)
Sporenbildung nein
Beweglichkeit ja
Katalase positiv
Oxidase positiv (Zytochromoxidase)
Besonderheiten Nitratreduktion
Hippurathydrolyse bei C. jejuni
Campylobacter jejuni: gramnegative, mikroaerophile, spiralig ge-
krümmte Stäbchen mit polaren Geißeln; persistierendes Überleben
im Darmtrakt verschiedener Säugetiere und Vögel.
. Tab. 31.2 Campylobacter: Arten und Krankheiten

Art(en) Krankheit(en)

C. jejuni (ssp. Enteritis


jejuni)/C. coli
Pseudoappendizitis 31.1.1 Beschreibung
hämorrhagische Kolitis bei Neugeborenen
Sepsis, Meningitis, Endokarditis
jAufbau
Campylobacter jejuni, das wie Helicobacter pylori zu den Epsilon-
reaktive Arthritis
Proteobakterien und nicht zu den Enterobacteriaceae zählt, ist
Guillain-Barré-Syndrom, Miller-Fisher- mit 0,2–0,9 μm Durchmesser und 0,5–5 μm Länge deutlich kleiner
Syndrom (neurologische Erkrankungen) als andere enteropathogene Bakterien. C. jejuni trägt eine polare
C. fetus (ssp. fetus) Sepsis, Enteritis Geißel an einem oder beiden Zellpolen. Die Geißeln verleihen
Endo-/Perikarditis dem Bakterium hohe Beweglichkeit, wodurch es sich schneller
als E. coli oder Salmonella spp. fortbewegen kann. Die geringe
Thrombophlebitis
Zellgröße, eine spiralig gebogene Stäbchenform (. Abb. 31.1)
septischer Abort und hohe Beweglichkeit befähigen C. jejuni dazu, die viskose
Meningitis Mukusschicht des Darms effizient zu durchdringen und tief in die
C. upsaliensis Enteritis
Darmkrypten der Wirtsorganismen, z. B. des Menschen, vorzu-
dringen.
C. lari Enteritis
Auffällig ist die Zellwand von C. jejuni, die hochvariable Zu-
C. hyointestinalis Enteritis ckerstrukturen enthält. Neben Lipooligosacchariden (LOS) und
C. sputorum Abszesse Kapselpolysacchariden (CPS) werden mehrere sezernierte und
oberflächenassoziierte Proteine durch N- oder O-Glykosylierung
C. concisus Periodontitis
modifiziert, was für die Immunevasion von Bedeutung sein könnte.
272 Kapitel 31 · Campylobacter

jExtrazelluläre Produkte
Das einzige bisher charakterisierte Toxin von C. jejuni ist ein Zyto-
toxin, das »cytolethal distending toxin« oder CDT: Es besteht aus
3 Untereinheiten, der katalytischen Untereinheit CdtB und den
rezeptorbindenden Untereinheiten CdtA und CdtC. CDT hemmt
die Zellteilung unterschiedlicher Zelltypen. Die B-Untereinheit des
CDT besitzt DNase-Aktivität und verursacht Einzelstrangbrüche in
der chromosomalen DNA eukaryotischer Zellen. Dadurch wird eine
Blockierung des Zellzyklus in der G2-Phase hervorgerufen und die
Vermehrung der Zellen gestört. Es handelt sich also um ein zytosta-
tisches Toxin. Tierexperimente zeigen, dass CDT an der Pathogene-
se von C. jejuni beteiligt sein kann, indem es Entzündungszeichen
im infizierten Darmgewebe verstärkt.
C. jejuni synthetisiert eine durch Alcianblau anfärbbare Kapsel.
Die Kapselsynthesegene können zwischen verschiedenen C. jejuni-
Isolaten variieren, sodass sich die Kapselstrukturen stammspezifisch
stark unterscheiden können. Die Serotypisierung von C. jejuni an-
hand des Penner-Typisierungsschemas basiert auf einem lange Zeit
nicht identifizierten hitzestabilen (HS-)Antigen durch passive Häm-
agglutination. Die variablen Kapselstrukturen von C. jejuni-Stäm-
men sind die strukturelle Basis für diese Serotypisierung. Die Kapsel
scheint auch an der direkten Interaktion von C. jejuni mit dem Wirt
beteiligt zu sein; Kapselmutanten zeigen im Tierinfektionsmodell
reduzierte Virulenz.
. Abb. 31.1 Campylobacter jejuni im Elektronenmikroskop (TEM) Das Lipooligosaccharid (LOS) von C. jejuni weist erhebliche
stammspezifische Variabilität auf. Ähnlich wie bei der Produktion
von Kapselpolysacchariden sind mehrere phasenvariable Gene an
der LOS-Synthese beteiligt. Der Lipid-A-Anteil des LOS unterschei-
jMolekularbiologie det sich strukturell vom LPS der Enterobakterien: Charakteristisch
Campylobacter spp. haben relativ kleine Genome (1,6–1,8 Mio. bp) für das Lipid A von C. jejuni sind längere sekundäre Acylketten und
mit niedrigem GC-Gehalt (30 %). Die Größenvariationen der Geno- die Maskierung von 2 Phosphatgruppen durch Phosphoethanola-
me ist Folge von integrierten Prophagen und Plasmidfragmenten. min, was zu den abgeschwächten immunstimulierenden Eigenschaf-
Auffällig sind die mosaikartigen Strukturen der Campylobacter- ten dieses LOS beiträgt. Die Kohlenhydratketten der LOS einiger
Genome C. jejuni-Stämme sind strukturell identisch mit den GM1-Ganglio-
Ungefähr 30 % der C. jejuni-Stämme tragen selbstreplizierende siden von Nervenzellen und können dadurch eine Autoimmunreak-
Plasmide mit 2–160 kb. Einige dieser Plasmide können durch Kon- tion hervorrufen (siehe unten).
jugation übertragen werden und kodieren Antibiotikaresistenzen.
jResistenz gegen äußere Einflüsse
Bakteriologie

Zwischen den Spezies C. coli und C. jejuni gibt es bidirektionalen


Gentransfer durch Konjugation. Dieser Austausch wird durch die C. jejuni ist nur bedingt an das Wachstum außerhalb des Wirtsorga-
natürliche Transformationskompetenz von C. jejuni und C. coli zu- nismus angepasst. Dennoch besitzt das Bakterium mehrere Mecha-
sätzlich gefördert. Insgesamt fällt zwischen verschiedenen Isolaten nismen, um unterschiedliche Umweltstressfaktoren wie Hitze-
von C. jejuni oder C. coli eine große genetische Variabilität auf, die schock, oxidativen oder osmotischen Stress, Nährstoffmangel oder
teilweise durch eine starke genetische Rekombinationsfähigkeit, in- Säurestress zu überleben. Wichtig für die Persistenz von C. jejuni
nerhalb einer Spezies oder zwischen den beiden Spezies, verursacht unter Stress und außerhalb des Wirtes scheint die Ausbildung
wird. von Biofilmen zu sein. Außerdem kommt es bei C. jejuni durch
Umweltstress und unvorteilhafte Wachstumsbedingungen zur Um-
jSpezielle physiologische Eigenschaften wandlung der Zellmorphologie: von der gewundenen, stäbchen-
C. jejuni hat besondere physiologische Eigenschaften, die diesen förmigen zu kokkoiden Zellformen, die jedoch keine Sporen dar-
Krankheitserreger von anderen enteropathogenen Bakterien unter- stellen.
scheiden (. Tab. 31.1):
4 Atmosphärische Sauerstoffkonzentration verringert die Vitali- jVorkommen
tät von C. jejuni. Deshalb sind mikroaerophile Anzuchtbedin- C. jejuni ist Teil der intestinalen Mikrobiota von Hühnern und an-
gungen mit verringertem Sauerstoffgehalt und erhöhtem CO2- deren Vogelarten. Des Weiteren findet man C. jejuni im Darmtrakt
Gehalt für die Isolierung dieses Pathogens erforderlich. von Haus- und Nutztieren (. Tab. 31.2) Als mikroaerophiles Bakte-
4 Zudem kann außer dem Wachstum bei 37 °C eine erhöhte rium ist C. jejuni im Vergleich zu Enterobacteriaceae deutlich emp-
Temperatur von 42 °C für die Anzucht dieses Bakteriums be- findlicher gegen Umwelteinflüsse. Deswegen und infolge der einge-
nutzt werden. schränkten physiologischen Eigenschaften vermag es sich außerhalb
4 Als bevorzugte Nährstoffquelle dienen nicht die Verwertung des Wirtsorganismus nicht effizient zu vermehren. Allerdings kann
von Glukose und anderen Zuckern durch Glykolyse, sondern C. jejuni in der Umwelt persistieren. Somit stellen neben Tieren auch
der Katabolismus von Aminosäuren, die ebenfalls zur Gluko- der Erdboden, verunreinigtes Trinkwasser oder Lebensmittel Reser-
neogenese benutzt werden, und die Verstoffwechselung von voire dar. In Rohmilch oder Wasser kann C. jejuni bei 4 °C mehrere
Intermediaten des Zitratzyklus. Wochen überleben. Einfrieren reduziert die Bakterienzahl drastisch
31.1 · Campylobacter jejuni
273 31
um mehrere Zehnerpotenzen, dennoch überleben infektiöse Bakte- der Invasionsfähigkeit von C. jejuni für den Infektionsverlauf beim
rien bei –20 °C mehrere Monate. Menschen ist ungeklärt, doch scheinen invasive C. jejuni-Stämme
eine stärkere Immunstimulierung zu verursachen. Neben Zellinva-
sion ist C. jejuni offenbar auch in der Lage, mittels Transzytose
31.1.2 Rolle als Krankheitserreger Darmepithel und Lamina propria zu durchdringen, was die Voraus-
setzung für einen systemischen Infektionsverlauf ist.
kEpidemiologie
Die Infektion mit C. jejuni ist eine weit verbreitete Zoonose. Campy- kKlinik
lobacter ist wahrscheinlich weltweit die häufigste bakterielle Ursache Nach oraler Aufnahme von C. jejuni beginnt die Erkrankung nach
von Enteritiden. Auch in Deutschland nahmen die gemeldeten einer 1,5–5 Tagen (typisch 3) Inkubationszeit als akute Enteritis, die
Campylobacter-Enteritis-Fälle in den letzten Jahren deutlich zu 1–7 Tage anhält. Klinisch zeigen sich anfangswässrige, später oft
(2006: 52035 Fälle; 2014: 70972 Fälle), sodass inzwischen Campylo- blutige Durchfälle und heftige Bauchkrämpfe. Die meisten Patien-
bacter-Infektionen noch vor den Salmonellosen die am häufigsten ten  haben auf dem Höhepunkt der Erkrankung 10 oder mehr
gemeldeten bakteriell ausgelösten Intestinalinfektionen darstellen. Stuhlentleerungen pro Tag. Asymptomatische Infektionen sind häu-
fig. Die Campylobacter-Infektion hat eine hohe Spontanheilungs-
kÜbertragung rate; allerdings treten bei 10–20 % der Patienten protrahierte Ver-
Die Übertragung erfolgt in erster Linie über kontaminierte Lebens- läufe auf und in 5–10 % kommt es zu Rückfällen. Gelegentlich
mittel wie rohes Fleisch (v. a. Geflügel). Im Gegensatz zu Salmonel- kommt es zum Übertritt in die Blutbahn, sodass C. jejuni septisch
len vermehren sich Campylobacter-Arten kaum in Lebensmitteln, generalisiert.
daher sind große Ausbrüche selten. Übertragungen durch kontami- In wenigen Fällen entwickelt sich als Spätfolge der Infektion
niertes Trinkwasser und direkte Übertragung von Haustieren auf eine postinfektiöse reaktive Arthritis wie nach Yersinien-, Salmo-
Menschen kommen ebenfalls vor. Die direkte Übertragung von nellen- und Shigellen-Infektionen. Postinfektiöse Beteiligungen des
Mensch zu Mensch ist selten. Nervensystems nach einer Campylobacter-Infektion können sich als
Die Infektionsdosis ist gering; freiwillige Versuchspersonen er- Guillain-Barré-Syndrom (GBS), einer peripheren, überwiegend mo-
krankten schon nach Aufnahme von 500 Bakterien. Sie verringert torischen Polyneuropathie, die mit peripheren Lähmungen oder
sich noch, wenn die Infektion über kontaminierte Lebensmittel, v. a. Hirnnervenschäden einhergehen kann, oder als eine seiner Varian-
Milch, geschieht. ten (z. B. Miller-Fisher-Syndrom) manifestieren.
Die neurologischen Symptome werden hauptsächlich durch
kPathogenese kreuzreagierende Antikörper zwischen bakteriellen Oberflächenzu-
Zielgewebe Nach Überwindung der Magenpassage vermehrt sich ckern und humanen Gangliosiden (Glykolipiden), etwa dem Gang-
C. jejuni beim Menschen im oberen Dünndarm. Der Erreger schä- liosid GM1, hervorgerufen, wodurch es zur komplementvermittel-
digt Gewebe im Jejunum, Ileum und Kolon gleichermaßen (. Abb. ten Zellzerstörung kommt. Insbesondere bei schweren Formen des
31.2). Seine systemische Ausbreitung oder längerfristige Persistenz Syndroms findet man Antikörper gegen Membranganglioside des
ist beim Menschen selten und beschränkt sich meist auf immunsup- Nervensystems (z. B. GM1, GM2), die mit dem Kernoligosaccharid
primierte Patienten. des LOS (Lipooligosaccharids) von C. jejuni kreuzreagieren (. Abb.
In seinen primären Wirten, den Geflügeltieren, besiedelt C. je- 31.2). Stämme, die GBS verursachten, unterscheiden sich genetisch
juni in erster Linie das Zäkum, kann aber auch extraintestinal, z. B. nicht generell von Isolaten aus Enteritispatienten. Möglicherweise
in Leber und Tonsillen, persistieren. sind bei der Ausprägung neurologischer Krankheitsformen die
Wirtsreaktion oder auch die phänotypische Variation der Bakterien
Gewebereaktion Makroskopisch präsentiert sich eine blutig-öde- verantwortlich.
matöse, exsudative Enteritis, mikroskopisch eine unspezifische ent-
zündliche Infiltration mit neutrophilen Granulozyten, mononukle- kImmunität
ären Zellen und Eosinophilen in der Lamina propria; im späteren Im Rahmen einer Infektion mit C. jejuni werden spezifische IgG-,
Stadium degeneriert und atrophiert die Darmschleimhaut; zudem IgM- und IgA-Antikörper gebildet. Als immundominante Proteine
entwickeln sich Kryptenabszesse, die zu Ulzerationen des Epithels wurden u. a. Flagellin A, das Flagellenprotein FlgE2, das äußere
führen können (. Abb. 31.2). Membranprotein PorA und das periplasmatische aminosäure-
bindende Protein Peb1A identifiziert. Wie die variablen LOS- und
Etablierung Essenziell für die Ausbreitung und Etablierung von CPS-Oberflächenstrukturen besitzen auch diese Proteine eine
Campylobacter sind Motilität und Chemotaxis, mit deren Hilfe der hohe Variabilität bei unterschiedlichen C. jejuni-Isolaten. Bisher
Erreger gerichtet in die das Darmepithel überziehende Mukus- wurde keine dauerhafte Immunität gegen C. jejuni-Infektionen
schicht eindringen sowie tief in die Darmkrypten vordringen kann. beobachtet.
Die Resistenz von C. jejuni gegen Gallenflüssigkeit ist für die Besied- Spezifische Charakteristika von C. coli und C. jejuni, die bei der
lung des Darms von Bedeutung. effizienten Kolonisierung möglicherweise eine Rolle spielen, sind
Mechanismen, die angeborene Immunabwehr (7 Kap. 5 und 7 Kap.
Adhäsion Campylobacter-Isolate können effizient an Darmepithel- 13) zu unterlaufen. So sind beispielsweise die Geißelproteine, die bei
zellen adhärieren, allerdings findet man die Mehrheit der Bakterien- anderen Bakterien über Toll-like-Rezeptoren (TLR, 7 Kap. 13) die
population in der Mukusschicht. Säugerimmunabwehr anregen, bei Campylobacter ssp. keine klassi-
schen TLR-Liganden und aktivieren daher auch nicht die Immun-
Invasion Einige C. jejuni-Stämme sind in der Lage, effizient in eu- abwehr.
karyotische, nichtphagozytische Zellen einzudringen. Diese Invasi-
vität ist in Zellkultursystemen und Infektionsexperimenten mit Tie-
ren nachgewiesen worden. Sie ist motilitätsabhängig. Die Bedeutung
274 Kapitel 31 · Campylobacter
Bakteriologie

. Abb. 31.2 Pathogenese und Rolle der Virulenzfaktoren bei Campylobacter-Infektionen

kLabordiagnose (. Tab. 31.1) sind der Abbau von Wasserstoffperoxid, Nitratreduk-


Der Schwerpunkt der Labordiagnose liegt in der Anzucht des Erre- tion, Pyrazinamidase-Aktivität, Abbau von Hippurat, Resistenz ge-
gers. C. jejuni hat hohe Nährstoffansprüche und benötigt eine mi- genüber Cephalothin und die Hydrolyse von Indoxylazetat. Eben-
kroaerobe Atmosphäre. Er wird daher nur bei gezielter Suche ge- falls ist die Identifizierung des Erregers mittels Massenspektrometrie
funden (spezielle Anforderung!). Als Untersuchungsmaterial eignen möglich.
sich Stuhlproben, die auf Selektivnährböden ausgestrichen werden,
die durch Zugabe verschiedener Antibiotika die Begleitflora unter- Differenzierung C. jejuni bildet weißlich-bräunliche, teils stark
drücken (z. B. Karmali-Agar). Zusätzlich ist vor Anzucht auf Fest- schwärmende Kolonien auf Blutagarplatten sowie blutfreien Aktiv-
nährböden eine Anreicherung in selektivem Flüssigmedium mög- kohleplatten und schwach rötlich durchscheinende Kolonien
lich (z. B. Preston-Bouillon). auf Brucella-Agar-Platten. Zur Differenzierung zwischen C. jejuni
Auch die Fähigkeit von C. jejuni, bei 42 °C zu wachsen, wird und C. coli wird die Fähigkeit zur Hippurathydrolyse verwendet
diagnostisch genutzt. Phänotypische Eigenschaften von C. jejuni (in der Regel positiv bei C. jejuni). Um epidemiologische Frage-
31.2 · Übrige Campylobacter-Arten
275 31
stellungen zu klären und mögliche Infektketten aufzudecken, sind der Entstehung von Parodontitis in Verbindung gebracht (C. rectus,
verschiedene Methoden der molekularen Typisierung unabding- C. concisus).
bar.  Denn phänotypische Einordnungen (z. B. durch Serotypi- Wie C. jejuni tragen die übrigen Campylobacter-Arten eine po-
sierung) sind zwar nützlich, können jedoch genetische Ver- lare Geißel, die ihnen eine ausgeprägte Beweglichkeit vermittelt.
wandtschaftsbeziehungen teilweise nicht zuverlässig darstellen. Zusätzlich ist C. fetus von einer kapselartigen Proteinhülle (S-Layer)
Derzeit dienen als molekulargenetische Methoden der Typisie- umgeben, welche die Bindung des Komplementfaktors C3b verhin-
rung: dert und C. fetus so Serumresistenz verleiht. Die Kapsel von C. fetus
4 als Goldstandard die Multilocus-Sequenztypisierung (MLST) scheint die systemische Ausbreitung zu unterstützen (. Abb. 31.2).
oder seit neuerem auch die genombasierte gMLST C. coli und C. fetus können ebenfalls bei Haustieren isoliert werden;
4 »flaA-« oder »flaB typing« (genetische Darstellung variabler C. fetus führt zu Spontanaborten bei Rindern und Schafen.
Teile der Geißelgene) Die übrigen Campylobacter-Arten (. Tab. 31.2) kommen eben-
4 AFLP (»amplified fragment length polymorphism«, amplifi- falls weltweit vor und werden fäkal-oral, durch direkten Tierkontakt
zierte [Restriktions-] Fragmentlängen-Polymorphismen) oder kontaminierte Lebensmittel auf den Menschen übertragen:
4 RAPD (PCR-Fingerabdruck) 4 C. coli verursacht eine akute Enteritis, löst aber weit seltener als
C. jejuni Erkrankungen des Menschen aus.
kTherapie 4 C. lari und C. hyointestinalis lösen meist nur milde Diarrhöen
Im Vordergrund steht die Wasser- und Elektrolytsubstitution, da die aus.
Enteritis meistens selbstlimitierend ist. 4 C. fetus befällt vorwiegend abwehrgeschwächte Patienten und
Bei schweren Verläufen (blutige Diarrhö, hohes Fieber, mehr Neugeborene, bei denen er als opportunistischer Infektions-
als 8 Stuhlentleerungen pro Tag), lang anhaltenden Beschwerden erreger septische Infektionen und Enteritiden, aber auch einen
(> 1 Woche), systemischer Infektion und bei Immunsupprimierten Befall des zentralen Nervensystems hervorrufen kann.
ist eine antibiotische Therapie erforderlich. C. jejuni zeigt in der 4 C. sputorum wurde aus Abszessen, C. concisus aus parodon-
Regel gute Empfindlichkeit gegenüber Erythromycin, Fluorochino- talen Entzündungsprozessen isoliert.
lonen, Tetracyclin, Aminoglykosiden und Clindamycin. Bei der
Behandlung von Campylobacter-Infektionen werden bevorzugt Zur Diagnostik eignen sich Stuhlproben, Wundabstriche und Blut-
Makrolide, speziell Azithromycin oder Erythromycin, oder Gyrase- kulturen, wobei für die Anzucht eine CO2-angereicherte Atmo-
hemmer wie Ciprofloxacin eingesetzt. sphäre vonnöten ist. Therapeutisch wird Erythromycin als Mittel
Allerdings nimmt die Resistenz von C. jejuni gegen einige der der Wahl eingesetzt. Zur Prävention eignen sich lebensmittelhygie-
genannten Antibiotika weltweit zu. C. jejuni-Isolate sind resistent nische Maßnahmen.
gegen Penicilline, Cephalosporine, Trimethoprim, Sulfamethoxazol,
Rifampicin und Vancomycin. Plasmide von Campylobacter kodie-
In Kürze
ren Tetracyclin-, Kanamycin- und Chloramphenicol-Resistenzen,
Campylobacter jejuni und Campylobacter coli
während Determinanten für Streptomycin-, Erythromycin- und
Bakteriologie Gramnegatives, begeißeltes Stäbchen, mikro-
Ampicillinresistenzen auf dem Chromosom lokalisiert sind.
aerophiles Wachstum.
Resistenz Relativ resistent, überlebensfähig in Nahrungs-
kPrävention
mitteln, Trinkwasser.
Vorrangig sind hygienische Maßnahmen, wie die sachgerechte Ver-
Epidemiologie Zoonoseerreger. Weltweite Verbreitung als
arbeitung von Lebensmitteln in Schlachthöfen und die Zuberei-
Kommensale bei Geflügel, Rindern, Schafen, Schweinen und
tung  von Lebensmitteln, um den fäkal-oralen Übertragungsweg
anderen Tieren (C. jejuni) bzw. Schweinen (C. coli). Häufigster
zu unterbinden. Verstärkt wird versucht, die Keimzahl von C. jejuni
bakterieller Durchfallerreger (C. jejuni).
in Hühnern, anderen tierischen Wirten und Risikolebensmitteln
Zielgruppe Haus- und Wildtiere, Mensch.
(z. B. Hühnerfleisch) zu reduzieren. Momentan existiert keine
Übertragung In erster Linie über kontaminierte Lebensmittel
Impfung.
(rohes Fleisch, v. a. Geflügel, unpasteurisierte Milch).
Pathogenese Adhärenz an Darmepithelzellen. Invasion der
Meldepflicht Der Verdacht auf und die Erkrankung an einer mik-
Darmschleimhaut und Transzytose. Bildung eines Zytotoxins
robiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder an einer akuten infek-
(CDT). Endotoxinbildung.
tiösen Gastroenteritis ist namentlich zu melden, wenn a) eine Person
Klinik Akute Enteritis; selten systemische Infektionen. Post-
spezielle Tätigkeiten (Lebensmittel-, Gaststätten-, Küchenbereich,
infektiöses Guillain-Barré-Syndrom.
Einrichtungen mit/zur Gemeinschaftsverpflegung) ausübt oder
Labordiagnose Anzucht aus Stuhl, Blut, Eiter auf Selektivnähr-
b) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen
böden.
ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet
Therapie Nur bei schweren Verläufen sowie Schwangeren,
wird (§ 6 IfSG). Ebenso sind der direkte und indirekte Nachweis von
Immunsupprimierten und systemischen Infektionen: Makrolide,
C. jejuni und C. coli namentlich meldepflichtig, soweit dies auf eine
Ciprofloxacin.
akute Infektion hinweist (§ 7 IfSG).
Immunität Keine.
Prävention Hygienische Maßnahmen.
Meldepflicht Namentliche Meldung direkter oder indirekter
31.2 Übrige Campylobacter-Arten Erregernachweise. Zusätzliche Meldepflicht bei Ausbrüchen
oder speziellen Personengruppen (z. B. Küchenpersonal).
Die übrigen Campylobacter-Spezies (. Tab. 31.2) verursachen zum
einen Enteritiden (C. coli, C. lari, C. hyointestinalis), zum anderen
vor allem bei Immunsupprimierten systemische oder lokalisierte
Infektionen (C. fetus, C. sputorum, C. concisus) oder sie werden mit
276 Kapitel 31 · Campylobacter

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Helicobacter
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Die Gattung Helicobacter umfasst gramnegative, mikroaerophile, 32.1 Helicobacter pylori


gebogene oder spiralförmige Stäbchen (. Tab. 32.1). Die meisten der
über 25 bekannten Helicobacter-Spezies zeichnen sich durch starke Steckbrief
Produktion von Urease aus. Humanmedizinisch wichtigster Vertreter
ist Helicobacter (H.) pylori; weitere humanpathogene Spezies sind H. pylori löst eine chronische Gastritis aus; er ist wesentlicher
»H. heilmannii«, H. cinaedi und H. fennelliae, die anderen Helicobacter- Mitverursacher der Ulkuskrankheit. Außerdem ist er als Karzino-
Arten sind in erster Linie tierpathogen (. Tab. 32.2). gen kausal an der Entstehung maligner Erkrankungen des
Die Spezies H. pylori wurde 1982 erstmals angezüchtet. Angesichts Magens beteiligt. Der Name Helicobacter pylori leitet sich von
starker Vorbehalte der Fachwelt, dass eine bakterielle Infektion die »helix« für Schraube und »pylorus« für Magenausgang ab.
häufigsten Magenkrankheiten verursachen könne, bewies einer der H. pylori ist ein gramnegatives, gekrümmtes Stäbchen mit
Erstbeschreiber (Barry Marshall) 1983 im Selbstversuch, dass der Erre- polaren Geißeln und wurde 1982 von Robin Warren und Barry
ger eine akute Gastritis auslöst. Marshall und Robin Warren erhielten Marshall entdeckt.
für ihre Entdeckung 2005 den Nobelpreis.

. Tab. 32.1 Helicobacter: Gattungsmerkmale

Merkmal Ausprägung

Gramfärbung gramnegative Stäbchen

Aerob/anaerob mikroaerophil

Kohlenhydratverwertung nein

Sporenbildung nein

Beweglichkeit ja
32.1.1 Beschreibung
Katalase positiv

Oxidase positiv jAufbau


H. pylori ist ein gebogenes oder spiralförmiges, stark bewegliches,
Besonderheiten H. pylori: Urease stark positiv
gramnegatives Stäbchen, das an einem Pol 4‒7 Geißeln trägt (. Abb.
32.1). Unter ungünstigen Umwelt- oder Kulturbedingungen nehmen
die Bakterien eine kokkoide Form an.

. Tab. 32.2 Helicobacter: Arten und Krankheiten Molekularbiologie H. pylori hat mit 1,65 Mio. bp ein relativ klei-
nes Genom. Das Genom der meisten von Patienten mit Ulkus-
Art Krankheiten krankheit oder Malignomen isolierten Stämme enthält eine sog.
Pathogenitätsinsel: eine DNA-Region mit ca. 40.000 bp, die ein
H. pylori chronisch-aktive Gastritis (Mensch) System zur Sekretion von Virulenzfaktoren (Typ-4-Sekretions-
system; T4SS) kodiert (. Abb. 32.2). Die genetische Variabilität
Ulkuskrankheit (Mensch)
innerhalb der Spezies H. pylori ist sehr hoch, sodass sich von unter-
Magenkrebs (Mensch) schiedlichen Patienten isolierte Stämme mit genetischen Methoden
malignes MALT-Lymphom (Mensch) (z. B. Multilocus-Sequenztypisierung, MLST) leicht voneinander
unterscheiden lassen. Zu dieser Variabilität tragen eine hohe
»H. heilmannii« Gastritis (Hund, Katze, Mensch) Mutationsrate und die Fähigkeit zum DNA-Austausch (Rekombi-
H. cinaedi Durchfall, Bakteriämien (Mensch, nation) zwischen H. pylori-Bakterien während einer Koinfektion
meist Immunsupprimierte) mit mehreren Stämmen bei. Plasmide kommen vor, über ihre Funk-
tion ist aber nichts bekannt. Die Gene für alle bekannten Virulenz-
H. fennelliae Durchfall (Mensch, meist Immun-
supprimierte) faktoren und Antibiotikaresistenzen sind auf dem Chromosom
lokalisiert.
278 Kapitel 32 · Helicobacter

. Abb. 32.1 Helicobacter pylori im Elektronenmikroskop (mit freundl.


Genehmigung von Prof. Dr. C. Josenhans): Am rechten Zellpol befindet sich
das unipolare Bündel von Geißeln, die jeweils von einer Membranhülle
umgeben sind (Längenbalken = 0,5 μm)

jExtrazelluläre Produkte
Neben der charakteristischen starken Ureaseproduktion, die auch
diagnostisch genutzt wird, produzieren viele H. pylori-Stämme ein
Zytotoxin (VacA-Zytotoxin), das wahrscheinlich an der Ulkusent-
stehung beteiligt ist. Patienten, die mit toxinbildenden Stämmen
infiziert sind, entwickeln häufiger eine Ulkuskrankheit als mit nicht-
toxinbildenden Stämmen Infizierte. Zu den vom VacA-Toxin ausge-
lösten Effekten gehören die Auslösung von Apoptose in Magenepi-
thelzellen und die lokale Hemmung der T-Zell-Aktivierung.

jResistenz gegen äußere Einflüsse


H. pylori ist empfindlich gegen Kälte, Austrocknung und Sauerstof-
Bakteriologie

feinwirkung. In nicht ausreichend desinfizierten Endoskopen kann


der Erreger kurzfristig überleben und daher durch Endoskope von
Patient zu Patient übertragen werden.
. Abb. 32.2 cag-Pathogenitätsinsel von H. pylori
jVorkommen
Wichtigster Wirt von H. pylori ist der Mensch, bei dem er sich in der
Schleimhaut des Magenepithels ansiedelt. Selten wurden die Erreger haut (chronisch-aktive Gastritis, Typ-B-Gastritis). Die meisten
auch bei einigen Affenarten und Katzen gefunden, die sich wahr- Infektionen verlaufen dennoch symptomlos oder mit unspezifi-
scheinlich durch Kontakt mit Menschen infiziert hatten. Ein Um- schen Oberbauchbeschwerden (»nichtulzeröse Dyspepsie«). Bei
weltreservoir ist nicht bekannt. ca. 10–20 % der Infizierten kommt es zu Folgekrankheiten wie
Ulkuskrankheit oder Magenmalignomen (1 %). Patienten mit Ulcus
duodeni sind zu fast 100 % mit H. pylori infiziert, Patienten mit
32.1.2 Rolle als Krankheitserreger chronisch-atrophischer Gastritis zu 80 %, mit Ulcus ventriculi zu
70 %; beim Magenkarzinom liegt in 60 % der Fälle eine H. pylori-
kEpidemiologie Infektion vor.
Mehr als die Hälfte der Menschheit ist mit H. pylori infiziert. Die
Prävalenz in verschiedenen Ländern variiert stark, von 30‒40 % Nobelpreis alten Stils: 100 Jahre nach Robert Koch erhalten Wissen-
in westlichen Industrieländern bis zu über 90 % in vielen Ent- schaftler die Auszeichnung für die Entdeckung von Helicobacter pylori
Dem australischen Pathologen Robin Warren am Royal Perth Hospital in
wicklungsländern. Die Infektionsrate ist in den westlichen Indus-
Westaustralien fielen im Juni 1979 erstmals bei der mikroskopischen Beur-
trieländern in den letzten Jahrzehnten stark gesunken. So sank die
teilung von Magenbiopsien bakterienartige Strukturen auf. Bald begann er
Prävalenz in den Niederlanden von 48 % bei den zwischen 1935 und sie mit dem Vorkommen einer Entzündungsreaktion in der Magenschleim-
1946 geborenen Blutspendern auf 16 % bei den zwischen 1977 und haut zu assoziieren. Gemeinsam mit dem jungen Gastroenterologen Barry
1987 Geborenen. Die Infektion wird meist im Kindesalter erworben Marshall versuchte er die Rolle dieser Bakterien als Krankheitserreger nach-
und persistiert lebenslang, wenn keine Therapie erfolgt. Alle Infi- zuweisen. Alle Versuche, die Bakterien kulturell anzuzüchten, missglückten
zierten entwickeln eine Entzündungsreaktion der Magenschleim- zunächst, bis den beiden der Zufall zu Hilfe kam und die Agarplatten 1982
32.1 · Helicobacter pylori
279 32
wegen des Osterwochenendes länger als üblich im Brutschrank blieben und
danach kleine Kolonien sichtbar wurden.
Die Rolle von H. pylori als Krankheitserreger wurde zunächst heftig ange-
zweifelt. Marshall griff daraufhin zum drastischen Mittel eines Selbstversuchs,
um Robert Kochs Postulate zu erfüllen: Er trank eine Bakterienkultur und ent-
wickelte innerhalb weniger Tage eine heftige Gastritis, die er mit mehreren
Endoskopien dokumentierte. Der endgültige Durchbruch gelang mit großen
klinischen Studien, in denen die Eradikation von H. pylori mit Antibiotika die
Rezidivrate des Duodenalgeschwürs praktisch auf Null reduzierte.
Die Entdeckung von H. pylori revolutionierte die Gastroenterologie, weil sie
die Ulkuskrankheit, eine weit verbreitete lebensgefährliche Erkrankung, die
bis dahin nur durch lebenslange Medikamenteneinnahme oder sogar durch
chirurgische Maßnahmen (z. B. »selektiv proximale Vagotomie«) zu behan-
deln war, zu einer mit Antibiotika vergleichsweise leicht und dauerhaft heil-
baren Erkrankung machte. Die beiden Australier, die ihre Forschung in ei-
nem »normalen« Krankenhaus ganz ohne Hightech-Methoden betrieben,
wurden für ihren Einsatz belohnt: 2005, genau 100 Jahre nach der Verlei-
hung des Nobelpreises an Robert Koch für die Entdeckung des Tuberkulose- . Abb. 32.3 Barry Marshall (links) und Robin Warren (rechts) feiern den
erregers, erhielten sie für ihre bahnbrechende Entdeckung den Nobelpreis Nobelpreis (Foto: Luke Marshall 2006)
für Medizin (. Abb. 32.3). Ihre Entdeckung hat seitdem Tausenden von Pa-
tienten das Leben gerettet.
Harnstoff zu neutralisieren. Der Erreger kann durch seine Beweg-
lichkeit und seine Spiralform in den hochviskösen Magenschleim
kÜbertragung eindringen, sich orientieren und sich mittels mehrerer Adhäsine fest
Es wird eine fäkal-orale und/oder oral-orale Übertragung von an Magenepithelzellen anheften (. Abb. 32.4). Die meisten dieser
Mensch zu Mensch angenommen, da innerhalb von Familien häufig Adhäsine werden von einer Familie verwandter (paraloger) Gene
derselbe Stamm gefunden wird und die Erreger in Einzelfällen im kodiert (hop-Gene). Die beiden am besten charakterisierten Adhä-
Stuhl (Kultur und PCR) und in Zahnplaque (nur durch PCR) nach- sine (BabA und SabA) sind Bestandteil der Bakterienoberfläche und
weisbar sind. Einzelheiten zum Übertragungsmechanismus sind erlauben es H. pylori, an Glykoantigene (Lewis b, Sialyl-Lewis x) der
nicht bekannt. Epithelzelloberfläche zu binden, die Bestandteil von Blutgruppenan-
tigenen sind. Die Fähigkeit, Jahrzehnte zu persistieren, geht wahr-
kPathogenese scheinlich darauf zurück, dass ein Teil der Bakterien ein Reservoir
Kolonisation Die Urease ermöglicht H. pylori, die Magensäure in im Magenschleim bildet und ein anderer Teil fest an die Epithelzellen
seiner Mikroumgebung durch Freisetzung von Ammoniak aus gebunden bleibt.

. Abb. 32.4 Pathogenese und Rolle der Virulenzfaktoren bei der Helicobacter-pylori-Infektion
280 Kapitel 32 · Helicobacter

. Abb. 32.5 H. pylori-Infektion und ihre Folgekrankheiten

H. pylori unterläuft die Erkennung durch das angeborene Im- Der Kontakt mit H. pylori bewirkt weiterhin eine vermehrte
munsystems partiell dadurch, dass Oberflächenbestandteile der Produktion von IL-8 im Magenepithel, die zum Einstrom von Gra-
Bakterien, die bei anderen Bakterienspezies die Musterrezeptoren nulozyten in die Lamina propria führt. Außerdem werden Entzün-
(z. B. Toll-ähnliche Rezeptoren, TLR) stimulieren, in der Evolution dungsmediatoren wie TNF-α und IL-1 verstärkt gebildet. H. pylori-
so verändert wurden, dass sie nur eine geringe Aktivierung dieser Infizierte produzieren zudem häufig Autoantikörper gegen Parietal-
Rezeptoren auslösen. Hierzu gehören sowohl das Lipopolysaccharid zellen. Diese Autoimmunität spielt möglicherweise eine Rolle bei der
Bakteriologie

(LPS) von H. pylori als auch seine Flagelline, die kaum an TLR4 Entwicklung der chronisch-atrophischen Gastritis, einer Vorstufe
(LPS) bzw. TLR5 (Flagellin) binden. des Magenkarzinoms.

Entzündungsreaktion und Gewebeschädigung Invasion der Bak- H. pylori-Infektion und Magenphysiologie Die akute Infektion mit
terien in Epithelzellen wird nur selten beobachtet. Die Schleimhaut- H. pylori führt zunächst zu einer verminderten Magensäuresekre-
schädigung ist das Resultat einer direkten toxischen Wirkung bakte- tion (Hypochlorhydrie), die über einige Wochen bis Monate anhält
rieller Produkte und der chronischen Entzündungsreaktion der und sich dann bei den meisten Patienten normalisiert (. Abb. 32.4).
Magenschleimhaut. Die Freisetzung von Urease, VacA-Zytotoxin Bei der chronischen H. pylori-Infektion lassen sich Patientengrup-
und wahrscheinlich weiterer extrazellulärer Produkte (z. B. Phos- pen mit erhöhter Säuresekretion (häufig bei Ulkuspatienten) und
pholipasen) bewirkt eine direkte toxische Schädigung der Epithelzel- solche mit verminderter Säuresekretion (häufig bei Karzinom-
len (. Abb. 32.4). patienten) identifizieren.
Cag+-Stämme können nach Anheftung an Epithelzellen das
Protein CagA in diese Zellen injizieren. Das erfolgt durch eine »mo- kKlinik
lekulare Spritze« (Typ-4-Sekretionssystem, T4SS), deren Kompo- Akute Infektion und chronische Gastritis Die akute Infektion mit
nenten ebenfalls von Genen auf der Pathogenitätsinsel kodiert wer- H. pylori äußert sich durch Erbrechen, Übelkeit und Oberbauch-
den. CagA wurde als bakterielles Onkoprotein bezeichnet, weil es in beschwerden. Da die Symptome uncharakteristisch sind und die
der Wirtszelle mit multiplen Bindungspartnern (dem zellulären akute Infektion in der Regel in der Kindheit erfolgt, wird sie
Onkoprotein SHP-2, den Kinasen Csk, PAR1b und c-Met etc.) inter- selten diagnostiziert. Die Beschwerden bilden sich auch ohne Be-
agiert und eingreifende Veränderungen von zellulären Signaltrans- handlung innerhalb einer Woche zurück. Der Keim persistiert bei
duktionsprozessen auslöst. Diese Umprogrammierung zellulärer den meisten Infizierten und löst eine (häufig symptomlose) Entzün-
Signalwege trägt sehr wahrscheinlich zur malignen Transformation dungsreaktion der Magenschleimhaut aus, die vorwiegend im
der Wirtszellen und somit zur Krebsentstehung bei. Als weiterer Magenantrum lokalisiert und durch ein Infiltrat aus Granulozyten,
Mechanismus der H. pylori-induzierten Krebsauslösung gilt die Be- Lymphozyten und Plasmazellen gekennzeichnet ist: chronisch-
einflussung von DNA-Reparatursystemen der Wirtszelle, welche die aktive Gastritis. Im Duodenum kann H. pylori nur Bereiche besie-
Mutationsraten erhöht. deln, in denen eine gastrische Metaplasie (Ersatz des Duodenalepi-
32.1 · Helicobacter pylori
281 32
thels durch gastrisches Epithel, meist als Folge peptischer Läsionen) Verlaufskontrolle Nach Eradikationstherapie bietet sich der
vorliegt. 13C-Harnstoff-Atemtest an, der die Spaltung von mit dem stabilen
Kohlenstoffisotop 13C markiertem Harnstoff durch die H. pylori-
Folgekrankheiten Auf dem Boden der Gastritis können verschie- Urease nachweist. Bei H. pylori-Infizierten ist das aus 13C-Harnstoff
dene Folgekrankheiten entstehen (. Abb. 32.5): Häufigste Kompli- freigesetzte markierte CO2 (13CO2) in der Ausatmungsluft nachweis-
kation der H. pylori-Infektion ist die gastroduodenale Ulkuskrank- bar. Alternativ kann ein H. pylori-Antigennachweis aus dem Stuhl
heit. Duodenalulzera sind praktisch immer mit H. pylori assoziiert, erfolgen.
während bei 30–40 % der Patienten mit Magenulzera keine H. pylo-
ri-Infektion vorliegt (Ursache z. B. Einnahme nichtsteroidaler Anti- kTherapie
phlogistika). Zur Therapie der H. pylori-Infektion werden Antibiotika mit Säure-
Die Infektion mit H. pylori erhöht das Risiko, an einem Adeno- sekretionshemmern kombiniert. Ein effektives Therapieschema ist
karzinom des Magens zu erkranken, um das 4- bis 6-Fache. 1994 hat die Kombination von Clarithromycin mit Amoxicillin (alternativ
die WHO H. pylori erstmals als Karzinogen der Klasse I (definitives Metronidazol) und einem Protonenpumpenhemmer (z. B. Omepra-
Karzinogen) eingestuft und diese Einstufung 2009 aufgrund vieler zol, Pantoprazol oder Lansoprazol). Diese Tripeltherapie wird über
neuer Befunde bekräftigt. Jährlich erkranken in Folge einer H. pylo- mindestens 7 Tage verabreicht. Eine weitere effektive Therapie-
ri-Infektion mehr als 700.000 Menschen an Magenkrebs. H. pylori option ist die sog. Quadrupeltherapie über 10–14 Tage (Protonen-
ist damit für ca. 6 % aller Krebsfälle beim Menschen verantwortlich, pumpenhemmer + Metronidazol + Tetracyclin oder Tinidazol
mehr als durch humane Papillomviren oder krebserregende Hepati- + Wismut)
tisviren (HBV, HCV) ausgelöst werden. Therapieziel ist die vollständige Eradikation der Erreger, die sich
Zu den weiteren möglichen Langzeitfolgen der H. pylori-Infek- frühestens 4 Wochen nach Ende der Therapie feststellen lässt. Mit
tion gehört das Einwachsen von mukosaassoziiertem lymphati- den zurzeit verfügbaren Therapieschemata gelingt die Eradikation
schem Gewebe (MALT), das Ausgangspunkt für die Entstehung ei- in ca. 90 %. Gelingt eine komplette Eradikation von H. pylori, liegt
nes malignen MALT-Lymphoms des Magens sein kann. Für die die Reinfektionsrate unter 1 % pro Jahr.
unterschiedlichen klinischen Manifestationen der H. pylori-Infek- Die Eradikation der H. pylori-Infektion führt zur Abheilung der
tion sind wahrscheinlich Virulenzfaktoren des Erregers, aber auch Gastritis und zur drastischen Verminderung von Ulkusrezidiven.
genetische Prädisposition und Umwelteinflüsse (Ernährung, Stress) Mehreren großen Studien zufolge lässt sich das Magenkarzinom-
relevant. risiko durch frühzeitige H. pylori-Therapie reduzieren. Frühe Sta-
dien des H. pylori-assoziierten MALT-Lymphoms konnten durch
kImmunität Eradikation der H. pylori-Infektion in eine komplette Remission
Die H. pylori-Infektion induziert eine lokale und systemische spezi- gebracht werden. Ob dies zu einer dauerhaften Heilung der Patien-
fische Immunantwort, die aber nicht zur Elimination des Erregers ten mit MALT-Lymphom führt, wird noch untersucht.
führt. Der Nachweis von IgG-Antikörpern kann zur serologischen
Diagnose der Infektion genutzt werden; die diagnostische Bedeu- kPrävention
tung von IgM- und IgA-Nachweisen ist gering. Die Einhaltung der Vorgaben für die Hygiene und Gerätedesinfek-
tion im Endoskopiebereich ist zur Vermeidung der Übertragung
kLabordiagnose essenziell. Eine Impfung steht nicht zur Verfügung.
Ureasenachweis Die Diagnose einer H. pylori-Infektion wird in
der Regel schon unmittelbar nach der Endoskopie durch einen
Ureaseschnelltest gestellt: Hierzu wird eine Biopsie in ein Urease- In Kürze
Testmedium eingebracht; wegen der hohen Ureaseaktivität der in Helicobacter pylori
der Schleimhaut vorhandenen Erreger kommt es bei Vorliegen einer Bakteriologie Gramnegatives, bewegliches, spiralförmiges
Infektion meist innerhalb 1 h zu einem Farbumschlag des Indi- oder einfach gebogenes Stäbchen, mikroaerophil, starke
kators. Ureaseaktivität.
Resistenz gegen äußere Einflüsse Wahrscheinlich gering.
Histologischer Nachweis Ein Nachweis der Infektion ist auch mit- Cave: Übertragung durch ungenügend desinfizierte Gastroskope
tels Spezialfärbungen (z. B. Warthin-Starry-Silberfärbung) im histo- möglich.
logischen Schnitt einer Magenbiopsie möglich. Epidemiologie Weltweites Vorkommen. Infektion vorwiegend
im Kindesalter. Höhere Prävalenz in Regionen mit niedrigem
Anzucht Die Anzucht erfolgt aus Magenbiopsien, die unmittelbar Hygienestandard (wahrscheinlich fäkal-orale und/oder oral-orale
nach Entnahme auf Spezialkulturmedien überimpft oder in ein Übertragung).
spezielles Transportmedium eingebracht werden müssen. Die Zielgruppe Alle Menschen.
Bebrütung wird 5–7 Tage in mikroaerober Atmosphäre vorge- Pathogenese Urease und Beweglichkeit essenziell für Etablie-
nommen. H. pylori wächst in kleinen, glasigen Kolonien, die oxi- rung der Infektion (Kolonisation). Adhärenz an Epithelzellen.
dase- und katalasepositiv sind. Ausreichend zur Bestätigung sind Translokation von CagA-Protein in Epithelzellen via Typ-4-Sekre-
Grampräparat und Ureasereaktion, die binnen Minuten positiv tionsapparat. Epithelschädigung und T-Zell-Inaktivierung durch
wird. VacA-Zytotoxin. Induktion von Autoantikörpern gegen Parietal-
Die Anzucht ist Voraussetzung für die Durchführung einer An- zellen. Beeinflussung der Magenphysiologie (Gastrinspiegel,
tibiotikaresistenzprüfung. Sie sollte nach der ersten fehlgeschlage- Magensäuresekretion). Extrem hohe genetische Diversität.
nen Therapie erfolgen, sofern eine erneute Endoskopie durchgeführt Klinik Chronisch-aktive Gastritis, Ulcus ventriculi, Ulcus duode-
wird. Nach 2 fehlgeschlagenen Therapieversuchen sollte in jedem ni, Magenadenokarzinom, malignes Lymphom des mukosaasso-
Fall eine kulturelle Anzüchtung mit Resistenzprüfung vorgenom- ziierten Lymphgewebes (MALT-Lymphom).
men werden, bevor ein weiterer Therapieversuch erfolgt.
282 Kapitel 32 · Helicobacter

Diagnose Biopsie-Ureasetest, 13C-Harnstoff-Atemtest, Erreger-


anzucht aus Magenbiopsien mit Antibiotikaresistenzbestim-
mung, Antikörpernachweis, Antigennachweis aus dem Stuhl.
Therapie Kombinationstherapie (Tripeltherapie) von 2 Antibio-
tika (z. B. Clarithromycin + Amoxicillin oder Clarithromycin
+ Metronidazol) mit Säuresekretionshemmern (Protonenpum-
penhemmern). Alternativ z. B. Quadrupeltherapie (Wismut
+ Metronidazol + Tetracyclin + Protonenpumpenhemmer).
Immunität Keine protektive Immunität.
Prävention Hygienische Maßnahmen, besonders im Endosko-
piebereich. Keine Impfung verfügbar.

32.2 »Helicobacter heilmannii«

Die Bezeichnung »H. heilmannii« (früher: »Gastrospirillum homi-


nis«) fasst verschiedene Bakterienarten zusammen, die sich von
H. pylori morphologisch durch eine regelmäßig gewundene Spiral-
form (»Korkenzieherform«) unterscheiden. Die Bakterien sind in
der Magenbiopsie aufgrund ihrer charakteristischen Form und
gruppenweisen Lagerung leicht mikroskopisch nachweisbar, ließen
sich aber bisher nicht auf künstlichem Nährboden anzüchten.
Bei der »H. heilmannii«-Gastritis handelt es sich wahrscheinlich
um eine primäre Zoonose, die von Hunden und Katzen auf den
Menschen übertragen wird (. Tab. 32.2). H. heilmannii-Infektionen
sind sehr viel seltener als H. pylori-Infektionen (Prävalenz unter
1 %) und nur von einer sehr leichten Gastritis begleitet. Die Assozi-
ation mit der Ulkuskrankheit ist seltener als bei H. pylori. Eine ero-
sive Gastritis wird bei der H. heilmannii-Infektion nur beobachtet,
wenn gleichzeitig Salizylate oder nichtsteroidale Antirheumatika
eingenommen werden.

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Die Arten der Gattung Haemophilus gehören wie die Genera Pasteu- 33.1 Haemophilus influenzae
rella, Mannheimia, Aggregatibacter und Actinobacillus zur Familie
der Pasteurellaceae. Haemophilus spp. sind pleomorphe, gramnega- Steckbrief
tive Stäbchen und stellen hohe Anforderungen an die Nährmedien
(. Tab. 33.1). Sie wachsen bevorzugt in feuchter Luft bei 37 °C sowie Haemophilus influenzae sind gramnegative, teils kokkoide,
erhöhtem CO2-Anteil (5 %) und sind oxidasepositiv. Die meisten teils fadenförmige, pleomorphe Stäbchen. Sie benötigen zum
Haemophilus-Arten werden im Nasen-Rachen-Raum des Menschen Wachstum auf festen Nährböden die Nährstoffe Hämin (X-Fak-
und von Tieren gefunden. tor) und NAD (V-Faktor). Bei Kochblutagar ist eine zusätzliche
Insbesondere H. influenzae besitzt pathogenes Potenzial beim Menschen XV-Supplementierung nicht nötig. Auf Blutagar wächst H. influ-
(. Tab. 33.2). Entdeckt wurde H. influenzae von Richard Pfeiffer (1858– enzae als Satellit in der Nähe von S. aureus-Kolonien, da dort
1945) in der fälschlichen Annahme, dass das Bakterium für die Virus- durch Hämolyse die Faktoren XV in ausreichender Menge zur
influenza ursächlich sei. Der Speziesname erinnert weiterhin an diese Verfügung stehen: Ammenphänomen. Es sind 6 Kapselsero-
Tatsache, auch wenn dies nicht nur für medizinische Laien verwirrend typen (a–f ) bekannt. Darüber hinaus sind unbekapselte (sog.
sein kann. Neben H. influenzae, der Sepsis, Meningitis, Endokarditis, nichttypisierbare, NTHi) Stämme verbreitet. H. influenzae verur-
Konjunktivitis, Sinusitis und Otitis media auslöst, sind H. ducreyi und sacht lokale Infektionen (Konjunktivitis, Otitis media, Sinusitis)
Aggregatibacter aphrophilus (früher: H. aphrophilus und H. paraphro- sowie lebensbedrohliche invasive Erkrankungen (Sepsis, Menin-
philus) humanpathogen, gelegentlich auch H. parainfluenzae. gitis, Epiglottitis, Phlegmone, Osteomyelitis, septische Arthritis).
Nach Einführung der Kapselpolysaccharid-Konjugatvakzine ge-
gen H. influenzae Serotyp b (Hib) sank deren Inzidenz deutlich.
. Tab. 33.1 Haemophilus: Gattungsmerkmale

Merkmal Ausprägung

Gramfärbung zarte, gramnegative Stäbchen


Aerob/anaerob fakultativ anaerob
Kohlenhydrat- fermentativ
verwertung
Sporenbildung nein
Beweglichkeit nein
Besonderheiten Bedarf an den Wachstumsfaktoren Hämin und NAD

33.1.1 Beschreibung
. Tab. 33.2 Haemophilus: Arten und Krankheiten
jAufbau
Art Krankheiten Haemophilus influenzae sind gramnegative, pleomorphe Stäbchen.
Wichtigster Pathogenitätsfaktor ist das Kapselpolysaccharid. Jeder
H. influenzae:
der 6 Serotypen a–f ist durch den individuellen Zuckeraufbau der
– Kapselserotyp b Meningitis, Sepsis, Epiglottitis, Kapsel serologisch und biochemisch unterscheidbar. H. influenzae
Arthritis, Pneumonie Serotyp b (Hib) besitzt eine Polyribitolphosphat-Kapsel. Er war vor
– Kapselserotypen a, c–f sowie Otitis media, Sinusitis, Konjunk- Einführung der Hib-Kapselpolysaccharid-Konjugatimpfung der
unbekapselteVarianten tivitis, Pneumonie, Tracheo- deutlich dominante Serotyp. Unbekapselte Stämme, sog. nichttypi-
bronchitis, Sepsis, Meningitis sierbare H. influenzae (NTHi) werden bei lokalen Infektionen, zu-
H. parainfluenzae üblicherweise kommensal, nur nehmend aber auch bei invasiven Infektionen älterer Menschen und
selten schwere Infektionen von Neugeborenen beobachtet.
H. ducreyi Ulcus molle
jResistenz
Aggregatibacter aphrophilus Endokarditis, Hirnabszess
H. influenzae ist ein Erreger mit geringer Umweltresistenz. Die
(früher Haemophilus aphrophilus
und Haemophilus paraphrophilus)
Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt zwischen Menschen
oder durch große respiratorische Tröpfchen.
284 Kapitel 33 · Haemophilus

jVorkommen
Erregerreservoir ist der Mensch. Die Trägerraten in der allgemeinen
Bevölkerung betragen bis zu 50 %. Der Serotyp b wird allerdings nur
selten bei gesunden Individuen gefunden. Ein Umweltreservoir ist
nicht bekannt.

33.1.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
H. influenzae Serotyp b (Hib) verursacht weltweit pro Jahr über
3 Mio. Fälle invasiver Erkrankungen mit einer Sterblichkeit von 5 %
in hochentwickelten Ländern und 40 % in Entwicklungsländern.
Der Erreger wird durch engen Kontakt zwischen Menschen übertra-
gen, wobei Familien und Kinderbetreuungseinrichtungen im Vor-
dergrund stehen.
Seit Einführung der Hib-Konjugatvakzine Ende der 1980iger
Jahre ist die invasive Hib-Infektion in Westeuropa und Nordamerika
eine Rarität: Die Inzidenz von Erkrankungen durch Hib ging in den . Abb. 33.1 Epiglottitis mit Abszess (aus: Boenninghaus, Springer-Verlag
USA nach 1990 in der Altersgruppe unter 5 Jahren von über 80 auf 2007)
unter 0,5/100.000 zurück. Im Jahr 2013 wurden in Deutschland le-
diglich 3 invasive Hib-Fälle bei unter 5-Jährigen an das Robert Koch-
Institut gemeldet. Dies entspricht einer Inzidenz von 0,09/100.000 kKlinik
für diese Altersgruppe. Die Hib-Infektion hatte vor Einführung der Hib-Impfung eine er-
Zum Vergleich betrug die Gesamtzahl der H. influenzae-Mel- hebliche Bedeutung für die Kindergesundheit in Westeuropa und
dungen für alle Serotypen und alle Altersgruppen 416 (Inzidenz: Nordamerika. Hib-Erkrankungen sind zudem immer noch in Län-
0,51/100.000): Diese Zahl beinhaltet insbesondere invasive Infek- dern ohne Impfprogramm (z. B. weite Teile Afrikas, Asiens und Süd-
tionen durch NTHi, die bei älteren Menschen dominieren und in amerikas) weit verbreitet. Neben Sepsis und Meningitis sind Epiglot-
den vergangenen Jahren zunehmend nachgewiesen wurden. Be- titis (. Abb. 33.1), Phlegmone, Osteomyelitis, Endokarditis und
kapselte Stämme werden demgegenüber nur noch selten gefunden; septische Arthritis als invasive Infektionen zu nennen. Da vor allem
der häufigste Kapseltyp bei invasiven Erkrankungen in Deutschland Hib diese Erkrankungen im Kindesalter verursacht, könnte aus
ist Serotyp f. Patienten mit Defekten in der Funktion des Komple- globaler Sicht die flächendeckende Einführung von Konjugatimpf-
mentsystems sowie splenektomierte Patienten haben ein höheres stoffen die Krankheitslast erheblich reduzieren.
Risiko, an einer H. influenzae-Infektion zu erkranken. Häufig, dafür weniger gefährlich sind Otitis media, Konjunktivi-
tis und Sinusitis. Diese werden meist durch unbekapselte Stämme
kPathogenese hervorgerufen, ebenso wie Infektexazerbationen der tiefen Atemwe-
Wichtigster Pathogenitätsfaktor von H. influenzae ist das Kapselpo- ge bei chronischen Atemwegerkrankungen wie Mukoviszidose (zys-
Bakteriologie

lysaccharid, das den Erreger vor dem Angriff durch Serumkomple- tischer Fibrose). Eine Meningitis kann von Ohrinfektionen ihren
ment und Phagozyten schützt. Das Lipopolysaccharid unterstützt Ausgang nehmen! Auch eine Pneumonie kann eine Sepsis und
wie das Kapselpolysaccharid den Übertritt der Bakterien vom Na- Meningitis begleiten und verschlechtert die Prognose. Als typische
sen-Rachen-Raum in die Blutbahn. Der Erreger kann sich an den Folgeerkrankung nach nichtletaler H. influenzae-Meningitis ist die
Wirt und die jeweiligen Lebensbedingungen optimal anpassen: Innenohrschwerhörigkeit zu nennen. Eine Infektion mit Hib hinter-
4 Zum einen besitzt H. influenzae eine Reihe von Genen, die lässt eine Immunität.
durch Phasenvariation an- und ausgeschaltet werden können.
Phasenvariation beruht auf repetitiven DNA-Elementen, deren kLabordiagnose
Anzahl bei der Replikation variiert. Präanalytik H. influenzae wird aus primär sterilen Materialien
4 Des Weiteren kann H. influenzae DNA aus der Umgebung (Blut, Liquor) und aus nichtsterilen Materialien (Atemwegmateria-
aufnehmen und in sein Genom integrieren. Diese mit natürli- lien, Mittelohrsekret nach spontaner Trommelfellruptur oder Tym-
cher Kompetenz bezeichnete Eigenschaft hilft den Bakterien panozentese, Abstriche der Konjunktiven) gewonnen. Primär
dabei, der Immunantwort des Wirtes auszuweichen (»immune nichtsterile Materialien müssen sorgfältig entnommen werden, um
escape«). z. B. bei Einsendung eines Atemwegmaterials eine Unterdrückung
des Wachstums von H. influenzae durch Begleitflora des oberen
Ein weiterer Pathogenitätsfaktor, der streng genommen die Koloni- Respirationstrakts zu vermeiden.
sierung des Wirtes verbessert, ist die IgA1-Protease von H. influen-
zae. IgA1 agglutiniert H. influenzae auf der Schleimhaut und erlaubt Direktnachweis Eine direkte Gramfärbung wird z. B. bei Liquor
die physische Entfernung der Bakterien. Diesen Mechanismus kann oder Gelenkpunktat mit Verdacht auf H. influenzae-Infektion
die IgA1-Protease unterbrechen. durchgeführt, um die vorläufige Diagnose zu stellen. Sie ist auch
H. influenzae kann bei bestimmten Infektionen (Otitis media) zum Nachweis von H. influenzae aus Sputum und bronchoalveolärer
Biofilme ausbilden. Biofilme sind mikrobielle Konsortien, die sich, Lavage geeignet. Der direkte Nachweis des Kapselpolysaccharids
zumeist eingebettet in eine Matrix, auf einer festen Oberfläche etab- durch Latexagglutination besitzt eine geringe Sensitivität und Spezi-
lieren. Biofilmbildung kann die Behandlung von Infektionen mit fität und wird kaum noch durchgeführt. Für spezialisierte Laborato-
Antibiotika erschweren. rien stehen Protokolle zum Nachweis von H. influenzae-DNA zur
33.1 · Haemophilus influenzae
285 33
Verfügung. Diese werden ggf. als Multiplex-PCR zum gleichzeitigen
Nachweis von H. influenzae, S. pneumoniae und N. meningitidis
angeboten. Die PCR ist insbesondere dann erforderlich, wenn der
Patient vor Materialentnahme bereits Antibiotika erhielt, die eine
Anzucht der Bakterien unmöglich machen.

Anzucht Zur sicheren Anzucht der Bakterien aus Patientenmate-


rialien werden Kochblutplatten verwendet, da diese die Faktoren
X und V in ausreichender Menge zur Verfügung stellen. Zur Unter-
drückung von Begleitflora kann der Agarplatte das Antibiotikum
Bacitracin zugefügt werden. Ein Ammenphänomen auf Blutagar weist
auf die Gattung Haemophilus hin. Hierbei wächst H. influenzae auf . Abb. 33.2 Ammenphänomen bei H. influenzae: In der Nähe von Staphy-
Blutagar in der Nähe eines Impfstriches mit Staphylococcus aureus, lococcus aureus wird Faktor X (Hämin) und Faktor V (NAD) aus Erythrozyten
da nur dort ausreichende Mengen der Faktoren X und V bereitstehen freigesetzt. Zusätzlich trägt S. aureus durch NAD-Produktion selbst vermut-
lich zum Ammenphänomen bei. Die XV-Konzentrationen reichen aus, um
(. Abb. 33.2). Die Abhängigkeit von den beiden Faktoren X und V,
in der Nähe des S. aureus-Impfstrichs Wachstum von H. influenzae auf Blut-
die z. B. durch Wachstum auf speziell supplementierten Nährböden
agar zu erlauben
nachgewiesen werden kann, deutet auf H. influenzae hin.

Biochemisch Die vorläufige Speziesdiagnose wird durch biochemi-


sche oder massenspektrometrische Testverfahren (MALDI-TOF)
bestätigt.

Kapseltypisierung Sie erfolgt durch Objektträgeragglutination


(. Abb. 33.3) und PCR-Nachweis serotypspezifischer Gene.

Resistenztestung Die Resistenztestung von H. influenzae gegen-


über Antibiotika ist notwendig, da Resistenzen gegenüber Ampicil-
lin, einer Leitsubstanz der antibiotischen Therapie, auftreten (s. u.).
Die Produktion von β-Laktamasen lässt sich mittels Schnelltests . Abb. 33.3 Objektträgeragglutination zum Nachweis des Serotyp-b-
Kapselpolysaccharids von H. influenzae. Mit Antiserum gegen das Kapsel-
nachweisen.
polysaccharid agglutinieren die Bakterien (rechts). Die Negativkontrolle
(physiologische Kochsalzlösung; links) belegt, dass keine unspezifische
Serologisch Serologische Untersuchungen zur Überprüfung des Autoagglutination vorliegt
Impferfolgs durch ELISA-Verfahren kommen nur in Speziallabora-
torien zur Anwendung. Sie sind indiziert, wenn Patienten geimpft
werden, die aufgrund von Vorerkrankungen möglicherweise eine der Kapselpolysaccharid-Konjugatimpfung im 6.–7. Lebensmonat
reduzierte Immunantwort gegenüber Kapselpolysaccharid-Impf- lag, sind wichtige Gründe, die Hib-Konjugatimpfung gemäß den
stoffen aufweisen. Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-
Institut (STIKO) konsequent nach dem Schema 2., 3., 4. und 11.–
kTherapie 14. Lebensmonat vorzunehmen. Die »Boosterimpfung« im 11.–
Antibiotikaempfindlichkeit Gegenüber Ampicillin, einer Leitsub- 14. Lebensmonat muss erfolgen, um üblicherweise rasch abfallende
stanz der antibiotischen Therapie, treten Resistenzen auf. Diese sind Impftiter anzuheben. Für Erwachsene mit anatomischer oder funk-
entweder durch β-Laktamase-Bildung oder durch Mutationen in tioneller Asplenie wird die einmalige Gabe einer Hib-Impfung emp-
Genen penicillinbindender Proteine bedingt, die für die Zellwand- fohlen. Die Impfung wirkt nicht gegen andere Serotypen oder unbe-
synthese bedeutend sind und β-Laktam-Antibiotika binden. kapselte Stämme.
Ein neuer, gegen 10 Pneumokokken-Serotypen wirksamer
Therapeutisches Vorgehen Invasive Infektionen mit H. influenzae Pneumokokkenimpfstoff ist an das H. influenzae-Protein D konju-
werden aufgrund von Ampicillinresistenzraten zwischen 10 und giert, das Antikörper auch gegen nichttypisierbare H. influenzae-
15 % intravenös mit Cephalosporinen der 3. Generation behandelt. Stämme hervorruft. Es wird gegenwärtig untersucht, ob diese Imp-
Alternativ können Carbapeneme oder, bei Erwachsenen, Gyrase- fung einen Schutz gegen Otitis media bewirkt.
hemmer verwendet werden. Bei der im Kindesalter häufigen Otitis Eine weitere Säule der Prävention ist die Verhinderung von Se-
media sollte die Therapie, die meist ohne mikrobiologische Diagnos- kundärfällen bei ungeimpften engen Kontaktpersonen von an inva-
tik eingeleitet wird, unter Berücksichtigung mehrerer Faktoren sorg- siven Hib-Infektionen erkrankten Kindern. Diese üblicherweise mit
fältig abgewogen werden. Bei leichten Fällen ist eine antibiotische Rifampicin über 4 Tage durchgeführte präventive Maßnahme sollte
Therapie verzichtbar. Als empirische Erstlinientherapie der behand- im Einklang mit den Empfehlungen der STIKO und nach Absprache
lungsbedürftigen Otitis media ist Amoxicillin geeignet. Wegen einer mit den Gesundheitsämtern erfolgen.
möglichen β-Laktamase-Bildung durch H. influenzae kann die zu-
Kampf gegen die bakterielle Meningitis bei Kindern:
sätzliche Gabe von β-Laktamase-Inhibitoren wie z. B. Clavulansäure
H. influenzae als Vorreiter
sinnvoll sein. Kapselpolysaccharide sind bei ausgereiftem Immunsystem effektive Antigene.
Sie wirken aber schlecht bei kleinen Kindern. Geringe Antikörpertiter und feh-
kPrävention lende Gedächtnisantwort ließen erste Ansätze mit gereinigtem Hib-Polysac-
Der beeindruckende Erfolg der Hib-Konjugatimpfstoffe und die Tat- charid in dieser Altersgruppe scheitern. Ein Trick half aus: Das Polysaccharid
sache, dass der Häufigkeitsgipfel der Hib-Meningitis vor Einführung wurde an Proteine gekoppelt (konjugiert). Plötzlich konnten auch in Säug-
286 Kapitel 33 · Haemophilus

lingen schützende Antikörper und ein immunologisches Gedächtnis induziert


werden und dies nur, weil der Proteinanteil aus einem T-Zell-unabhängigem
Antigen, dem Kapselpolysaccharid, ein T-Zell-abhängiges Antigen macht. Die
Einführung der Vakzine in den 1980er und 1990er Jahren ließ die H. influen-
zae-Meningitis mit erstaunlicher Effektivität weitgehend verschwinden.
Schon bald wurde dem Einfluss von Impfstoffen mit z. B. Diphtherie- oder
Tetanustoxoid als Konjugationspartner auf die nasopharyngeale Hib-Träger-
rate besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Trägerrate nahm deutlich ab
und dies verhinderte im Sinne eines Herdeneffekts Erkrankungsfälle bei
Nichtgeimpften.
Diese 3 Vorteile – Schutz kleiner Kinder, immunologisches Gedächtnis und
Herdenimmunität – stimulierten die Entwicklung vergleichbarer Impfstoffe
bei anderen bakteriellen Meningitiserregern, den Pneumo- und Meningo-
kokken. Mittlerweile finden sich im deutschen Impfkalender Konjugatimpf-
stoffe für alle 3 Erregergruppen. Und die Entwicklung ist nicht zu Ende: Die
Einführung einer Serogruppe-A-Meningokokken-Konjugatvakzine in Afrika
birgt– anders als die bisher verwendeten reinen Polysaccharidimpfstoffe –
das Potenzial, das Übel der Epidemien im afrikanischen Meningitisgürtel
wirksam an der Wurzel zu fassen. Die Arbeit des »Meningitis Vaccine Pro-
jects«, einer nichtkommerziellen Organisation, ist einer der Glanzlichter einer
Entwicklung, die ihren Anfang mit H. influenzae nahm.

. Abb. 33.4 Ulcus molle: multiple Herde (aus: Braun-Falco, Springer-Verlag


In Kürze 2005)
Haemophilus influenzae
Bakteriologie Gramnegatives, pleomorphes Stäbchenbakte-
rium; Kapselpolysaccharid wichtigster Pathogenitätsfaktor. sich ebenfalls als Besiedler im humanen oberen respiratorischen
Resistenz gegen äußere Einflüsse Gering. Trakt, sie kann aber eine seltene Ursache von Endokarditis und
Vorkommen Nasen-Rachen-Raum des Menschen. Hirnabszess sein. A. aphrophilus wird zu den schlecht anzüchtbaren
Epidemiologie Länder ohne Impfprogramm: bei Kleinkindern gramnegativen Endokarditiserregern gezählt (HACEK-Gruppe:
häufig invasive Infektionen durch H. influenzae Serotyp b. H, H. aphrophilus (jetzt: A. aphrophilus); A, Aggregatibacter acti-
Länder mit Impfprogramm: zunehmend invasive Infektionen bei nomycetemcomitans; C, Cardiobacterium hominis; E, Eikenella
älteren Menschen meist durch nichttypisierbare Stämme. corrodens; K, Kingella kingae). Die Therapie sollte ein Cephalospo-
Atemweginfektionen, Sinusitis und Otitis durch H. influenzae rin der 3. Generation einschließen.
werden durch Hib-Impfung wenig beeinflusst.
Pathogenese Kapsel und Lipopolysaccharid begünstigen
invasive Infektionen, IgA1-Proteasen die Besiedelung. 33.4 H. ducreyi
Labordiagnose Abhängigkeit von den Faktoren Hämin (X-Faktor)
und NAD (V-Faktor). Ammenphänomen. β-Laktamase-Nachweis. Im Gegensatz zu Erkrankungen durch andere Haemophilus-Arten
Bakteriologie

Therapie Invasive Infektionen: Cephalosporine der 3. Generation. handelt es sich bei dem durch H. ducreyi verursachten Ulcus molle
Sinusitis oder Otitis media werden meist ohne mikrobiologische um eine sexuell übertragbare Erkrankung (sexually transmitted di-
Diagnostik unter Annahme einer möglichen Beteiligung von seases, STD), die insbesondere bei sozioökonomisch benachteiligten
H. influenzae und Berücksichtigung einer möglichen Ampicillin- Bevölkerungsgruppen in tropischem Klima zu beobachten ist. In
resistenz behandelt. Deutschland sind H. ducreyi-verursachte Infektionen selten.
Prävention Impfung mit H. influenzae-Serotyp-b-Kapselkonjugat- Die Genitalulzera des auch als »weichen Schanker« bezeichneten
impfstoff. Ggf. Prävention von Sekundärfällen bei ungeimpften Ulcus molle formen sich über einen Zeitraum von 2 Tagen aus einer
engen Kontaktpersonen durch Rifampicin. Papel und sind schmerzhaft (. Abb. 33.4). Die Papel wird durch
Abstriche vom Rand und von der Basis der Ulkus bakteriologisch
untersucht. Die Abstriche können durch Aspirate inguinaler ge-
schwollener Lymphknoten ergänzt werden, um trotz der geringen
33.2 H. parainfluenzae Sensitivität der kulturellen Untersuchung einen Keimnachweis zu
führen. Das Material wird mikroskopisch mittels Gramfärbung un-
H. parainfluenzae gilt als vornehmlich harmloser Kommensale der tersucht. Das Vorhandensein »fischzugartig« gelagerter, kokkoider
oberen Atemwege. Nur selten ruft diese Spezies schwere Infektionen gramnegativer Stäbchen ist hinweisend für den Erreger. Die kultu-
hervor. H. parainfluenzae benötigt zum Wachstum Faktor V, im relle Untersuchung ist nicht einfach und sollte reichhaltige Medien
Gegensatz zu H. influenzae jedoch nicht Faktor X. unter Zusatz von Antibiotika zum Unterdrücken der Begleitflora
umfassen. H. ducreyi braucht zum Wachstum insbesondere Fak-
tor X, nicht jedoch Faktor V.
33.3 Aggregatibacter aphrophilus Bei der Therapie mit Cephalosporinen der 3. Generation, Azi-
(ältere Klassifikation: H. aphrophilus thromycin (beide auch als Einmaltherapie) oder Gyrasehemmern
und H. paraphrophilus) muss der Sexualpartner mitbehandelt werden. Doppelinfektionen
mit Treponema pallidum oder anderen STD-Erregern sind möglich.
A. aphrophilus wurde aus dem Genus Haemophilus entfernt, u. a. da
viele Stämme weder Faktor X noch V benötigen. Diese Art findet
287 34

Bordetella
C. H. Wirsing von König, M. Riffelmann

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_34, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Bakterien der Gattung Bordetella sind gramnegative, kurze Stäbchen 34.1 Bordetella pertussis
(. Tab. 34.1). Die bekannteste Art ist B. pertussis, der Erreger des
Keuchhustens (Pertussis). B. parapertussis erzeugt ein keuchhusten-
Steckbrief
ähnliches Bild. B. bronchiseptica und B. avium kommen als Erreger
respiratorischer Infektionen bei Tieren vor, die anderen Bordetella- B. pertussis ist ein kleines, gramnegatives Stäbchenbakterium,
Spezies können selten bei Immunsupprimierten Infektionen verursa- das viele Virulenzfaktoren wie Pertussis-Toxin, filamentöses
chen (. Tab. 34.2). Hämagglutinin, Trachea-Zytotoxin, Pertactin, hitzelabiles Toxin
und Adenylatzyklase-Hämolysin bildet. B. pertussis ist der Er-
reger des Keuchhustens.
. Tab. 34.1 Bordetella: Gattungsmerkmale

Merkmal Ausprägung

Gramfärbung gramnegative Stäbchen

Aerob/anaerob aerob

Kohlenhydratverwertung nein

Sporenbildung nein

Beweglichkeit variabel

Katalase positiv
Bordetella pertussis: gramnegative Stäbchen, Struktur
Oxidase variabel und Virulenzfaktoren; 1906 erstmals von Bordet und Gengou
beschrieben
Besonderheiten häufig kein Wachstum auf konventio-
nellen mikrobiologischen Medien

34.1.1 Beschreibung
. Tab. 34.2 Bordetella: Arten und Erkrankungen

jAufbau
Art Erkrankungen
B. pertussis ist ein kleines, unbewegliches, bekapseltes, aerobes,
B. pertussis Pertussis (Keuchhusten) gramnegatives Stäbchenbakterium, das eine Reihe von gut charakte-
risierten Virulenzfaktoren bildet:
B. parapertussis pertussisähnliche Erkrankung
4 filamentöses Hämagglutinin (FHA)
B. bronchiseptica respiratorische Erkrankungen 4 Pertactin (PRN)
(viele Tiere, selten Mensch) 4 Pertussis-Toxin (PT)
4 Trachea-Zytotoxin (TCT)
B. avium respiratorische Erkrankungen
(Puter, selten Mensch)
4 hitzelabiles Toxin
4 Adenylatzyklase-Hämolysin (ACT)
B. hinzii Cholangitis (selten), Arthritis bei
Vögeln Auf der Oberfläche des Bakteriums befinden sich äußere Membran-
B. trematum Wundinfektionen (Geflügel, selten proteine und Fimbrien (Agglutinogene); die Zellwand enthält Lipo-
Menschen) polysaccharide (LPS).
Pertussis-Toxin (PT) als der wesentliche Virulenzfaktor ist nach
B. holmesii Allgemeininfektion bei Immunsuppri-
dem A-B-Modell bakterieller Toxine aus den Untereinheiten S1–S5
mierten
aufgebaut, wobei die B-Untereinheit (S2–S5) an die Zelle bindet
B. petrii Umweltkeim und die A-Untereinheit (S1) die enzymatische Aktivität einer Alpha-
B. ansorpii Allgemeininfektionen bei Immun-
Ribosyltransferase besitzt. Als Substrate fungieren verschiedene
supprimierten regulatorische G-Proteine der Wirtszelle, deren Ribosylierung die
intrazelluläre Signalverarbeitung stört.
288 Kapitel 34 · Bordetella

jAntigenvariation, Molekularbiologie engen, empfänglichen Kontaktpersonen erkranken. Bereits eine


Die Genome von B. pertussis, B. parapertussis und anderen Borde- niedrige Keimdosis von etwa 100 koloniebildenden Einheiten (KBE)
tellen sind vollständig sequenziert. Während der Anpassung von kann zur Ansteckung führen.
B. pertussis an den menschlichen Wirtsorganismus vollzog sich eine
Verkleinerung des bakteriellen Genoms. So umfasst das Genom von kPathogenese
B. pertussis gut 4 Mio. Basenpaare (bp), das von B. parapertussis Die Bakterien haften zunächst im Nasopharynx, die Vermehrung
4,8 Mio. bp, während das Genom des gemeinsamen Vorläufers von B. pertussis und B. parapertussis erfolgt dann auf dem zilientra-
B. bronchiseptica 5,3 Mio. bp groß ist. genden Epithel der tieferen Atemwegschleimhäute (. Abb. 34.1).
Ein als »vir« bezeichneter Genombereich ist in der Lage, be- Die Virulenzfaktoren sind an der Pathogenese als Adhäsine
stimmte Virulenzfaktoren in Abhängigkeit von Umweltfaktoren (FHA, Fimbrien, PRN) oder als Toxine (PT, ACT, CTC) beteiligt:
zu exprimieren oder zu unterdrücken. Daraus resultiert, dass die 4 Das von den Bakterien sezernierte FHA bindet an zilientragen-
Bakterien in verschiedenen »Phasen« vorkommen, die sich je nach de Zellen im gesamten Respirationstrakt, an die auch die
Expression der Virulenzfaktoren unterscheiden. Für eine weiterfüh- Fimbrien andocken können.
rende epidemiologische Typisierung werden unterschiedliche Ver- 4 PRN bindet an diverse Zelltypen über das sog. RGD-Motiv
fahren eingesetzt, die alle auf Genomfragmentanalysen oder einer (Aminosäureabfolge Arg–Gly–Asp), das auch körpereigene
Gensequenzierung beruhen (7 Kap. 18). Substanzen wie Fibrinogen als Bindeort verwenden.
Jugendliche und Erwachsene sowie ungeimpfte Säuglinge sind 4 Nur B. pertussis bildet tatsächlich PT. B. parapertussis und
das Hauptreservoir des Erregers. Die Bakterien zirkulieren auch in B. bronchiseptica besitzen zwar das entsprechende ptx-Gen,
allen geimpften Populationen und passen sich kontinuierlich an, so- diesem fehlt jedoch jeweils der Promotor. PT verursacht eine
dass z. B. Isolate mit veränderten Toxin-Promotoren (ptx-p3) und Lymphozytose. Zur Umgehung der Körperabwehr unterdrückt
PRN-negative Stämme zunehmend gefunden werden, was eine kon- PT die Chemotaxis, den »oxidative burst« und andere Abwehr-
tinuierliche Überwachung der Wirksamkeit der Impfstoffe erforder- mechanismen der neutrophilen Granulozyten und Makro-
lich macht. phagen.
4 ACT legt die Aktivität der phagozytierenden Zellen auf einem
anderen Weg lahm.
34.1.2 Rolle als Krankheitserreger 4 TCT sorgt für eine Ziliostase.

kEpidemiologie kKlinik
Der Mensch ist der einzige Wirt von B. pertussis; B. parapertussis Die »klassische« Symptomatik des Keuchhustens lässt sich in 3 Sta-
kann beim Menschen und bei Schafen isoliert werden; B. bronchi- dien unterteilen (. Tab. 34.3).
septica ist bei einer Vielzahl von Tierspezies verbreitet. Es wird daher In einer weitgehend geimpften Bevölkerung wird das Vollbild
angenommen, dass B. pertussis sich vor relativ kurzer Zeit vom tier- der Erkrankung vor allem bei Ungeimpften, mitunter aber auch bei
zum humanpathogenen Bakterium adaptiert hat. etwas älteren geimpften Kindern beobachtet.
B. pertussis-Infektionen kommen auch bei hohen Durchimp- Bei Neugeborenen und jungen Säuglingen fehlen möglicher-
fungsraten ganzjährig mit periodischen Wellen etwa alle 3–5 Jahre weise die typischen Hustenattacken, unspezifische respiratorische
endemisch vor. Länder mit hohen Impfraten im Säuglings- und Symptome und vor allem Apnoen sind dagegen häufig. Bei Jugend-
Kleinkindalter zeigen bei insgesamt niedriger Inzidenz eine relative lichen und Erwachsenen leiden etwa 10–20 % aller Erkrankten, die
Bakteriologie

Häufung bei ungeimpften oder nicht ausreichend geimpften Säuglin- länger als 1 Woche husten, an Pertussis. Das primäre Symptom ist
gen sowie bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Er- lang anhaltender Husten, in 70–90 % anfallsartig auftretend. Die
wachsene spielen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Erregers mittlere Hustendauer beträgt 36–48 Tage.
auf ungeschützte Säuglinge. Die von der Mutter übertragenen Anti- Bei Neugeborenen und ungeimpften Säuglingen sind schwere
körper reichen meist nicht als Nestschutz aus, sodass Pertussis bereits Komplikationen wie Apnoen, Enzephalopathien und Pneumonien
bei sehr jungen Säuglingen auftreten kann. Weder eine durchgemach- am häufigsten. Bei unter 6 Monate alten, stationär behandelten
te Erkrankung noch eine Impfung hinterlässt eine lang dauernde Säuglingen wurde in 75 % eine Pneumonie, in 25 % eine beatmungs-
Immunität, daher tritt Pertussis in allen Altersgruppen auf. pflichtige Apnoe, in 14 % Krampfanfälle und in 5 % eine Enzephalo-
Das Risiko, eine schwere und unter Umständen lebensbedrohli- pathie diagnostiziert.
che Infektion zu entwickeln, ist bei ungeimpften Säuglingen in den Pro Jahr werden in Deutschland etwa 1–2 Todesfälle gemeldet,
ersten 6 Monaten am höchsten. die vor allem junge Säuglinge betreffen. Es ist von einer erheblichen
B. pertussis zirkuliert weltweit, wobei die meisten Todesfälle Dunkelziffer mit einer größeren Zahl von Todesfällen auszugehen.
(> 100.000 pro Jahr) in Ländern Afrikas und Asiens gemeldet wer-
den. In den meisten Ländern gehört Pertussis zu den meldepflichti- kImmunität
gen Erkrankungen. In industrialisierten Ländern hat die Zahl der Eine Infektion mit B. pertussis sichert nur für etwa 3–12 Jahre einen
gemeldeten Pertussisfälle im vergangenen Jahrzehnt deutlich zuge- Schutz vor Reinfektion. Diese kann je nach Abstand zur Vorinfek-
nommen. Es ist unklar, ob die Zunahme der Meldungen ausschließ- tion und möglicherweise abhängig von der Infektionsdosis als bana-
lich durch ein vermehrtes Auftreten der Erkrankung, durch verbes- ler Infekt der oberen Atemwege, als sehr lang dauernder, quälender
serte diagnostische Möglichkeiten, Veränderung des bakteriellen Husten oder als »klassischer« Keuchhusten mit allen Symptomen
Genoms oder größere Aufmerksamkeit in der Bevölkerung bedingt ablaufen.
ist bzw. eine Kombination mehrerer Faktoren eine Rolle spielt. Gegen Pertussis Geimpfte können nach Keuchhustenkontakt
bei einem Ausbruch vorübergehend Bordetellen ausscheiden,
kÜbertragung ohne selbst zu erkranken. Ein lang dauernder asymptomatischer
Die Übertragung von B. pertussis erfolgt durch ausgehustete, bakte- Trägerstatus bei Gesunden ist allerdings bisher nicht dokumentiert
rienhaltige Tröpfchen. Pertussis ist hochkontagiös; bis zu 90 % der worden.
34.1 · Bordetella pertussis
289 34

. Abb. 34.1 Pathogenese des Keuchhustens (Pertussis)

kLabordiagnose Ein Anstieg der Antikörper gegen PT um das Doppelte oder der
Die Labordiagnose der Pertussis erfolgt durch Nachweis des Erregers einmalige Nachweis eines deutlich erhöhten Titers von Anti-PT-IgG
mittels PCR oder auch Kultur und/oder durch den Nachweis von kann die Diagnose sichern. Serologische Untersuchungen sind nach
Antikörpern gegen Pertussis-Toxin (PT). einer Impfung mit azellulären Impfstoffen für etwa 12 Monate nur
Die Sensitivität der PCR ist bei Säuglingen mit etwa 70–80 % sehr eingeschränkt zu interpretieren, da nicht zwischen Antikörpern
ausreichend, bei älteren geimpften Kindern, bei Jugendlichen und nach Infektion und nach Impfung unterschieden werden kann.
Erwachsenen mit 5–20 % unbefriedigend, da mit der Krankheits- Neben B. pertussis und B. parapertussis können auch andere
dauer die Bakteriendichte abnimmt. Die Kultur hat eine noch gerin- Erreger pertussiforme Symptome verursachen, so z. B. Adenoviren,
gere Sensitivität. Der Erregernachweis erfolgt aus nasopharyngealen Respiratory-Syncytial-Viren (RSV), humane Parainfluenzaviren,
Sekreten oder tiefen nasopharyngealen Abstrichen. Ein Video zur Influenzaviren, Rhinoviren aber auch Mycoplasma pneumoniae. In-
Entnahmetechnik ist auf der Webseite des Institut Pasteur zu finden fektionen mit mehr als einem Erreger sind nicht selten, Doppelin-
(www.pasteur.fr/recherche/unites/film_cnr/prelev.swf). fektionen mit RSV und B. pertussis sind bei Säuglingen häufig.
290 Kapitel 34 · Bordetella

. Tab. 34.3 Klinische Stadien der B. pertussis-Infektion

Stadium Symptomatik Dauer

Stadium catarrhale Beginn mit allgemeinen Symptomen einer Infektion der oberen Atemwege, wie ca. 1–2 Wochen
Rhinorrhö, aber meist ohne Fieber, Ansteckungsfähigkeit besonders groß

Stadium convulsivum Vollbild des Keuchhustens mit paroxysmalen, evtl. mehrfach aufeinander folgenden, 3–6 Wochen
stakkatoartigen Hustenattacken (besonders nachts), inspiratorischem Ziehen
am Ende der Attacken (»whoop«), Würgen und Erbrechen (. Abb. 34.2); Petechien,
Konjunktivalblutungen und Zungenbandgeschwüre können auftreten

Stadium decrementi Intensität und Frequenz der Hustenattacken nehmen langsam ab 2–6 Wochen, bis zu 10 Wochen
und länger möglich

kTherapie mit Erythromycin behandelt. Erythromycin und Clarithromycin


Eine antibiotische Behandlung führt bei Kindern nur im frühen sind als Saft und i. v. Lösung einsetzbar, Azithromycin ist für Kinder
Stadium zu einer Linderung der Symptome und einer Verkürzung ab 6 Monaten zugelassen.
der Krankheitsdauer. Bei Jugendlichen und Erwachsenen hat eine Für Kleinkinder, Schulkinder, Jugendliche und Erwachsene sind
antibiotische Therapie wegen des späten Beginns meist keinen Ein- Clarithromycin und Azithromycin gleich wirksam wie Erythromy-
fluss auf den Verlauf, sie ist aber bis zu 4 Wochen nach Hustenbeginn cin, aber besser verträglich. Die empfohlene Therapiedauer beträgt
sinnvoll, um weitere Übertragungen zu verhindern. Nach antibioti- bei Erythromycin und Clarithromycin 7 Tage, bei Azithromycin
scher Therapie mit Erythromycin oder Clarithromycin über 7 Tage 3–5 Tage.
(bzw. 3–5 Tage bei Azithromycin) ist eine Übertragung unwahr- Die Wirksamkeit einer Chemoprophylaxe bei Kontaktpersonen
scheinlich. ist umstritten. Wegen der Wirksamkeit gegenüber einer Übertra-
Die antibiotische Behandlung erfolgt in der Regel mit einem Ma- gung wird eine prophylaktische Antibiotikagabe jedoch dann emp-
krolid. Bei Neugeborenen und jungen Säuglingen wird nach wie vor fohlen, wenn im Haushalt junge, ungeimpfte Säuglinge leben. Die
Empfehlungen für die Dauer und Dosierung der Prophylaxe glei-
chen denen der Therapie.

kPrävention
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die ersten Keuchhus-
tenimpfstoffe erprobt. Ein aus abgetöteten Bakterienzellen aus Flüs-
sigkulturen hergestellter Impfstoff wurde in den 1940er und 1950er
Jahren entwickelt und ist gering modifiziert in vielen Ländern nach
wie vor in Gebrauch. Die Pertussis-Komponente wird fast immer
zusammen mit Tetanus- und Diphtherie-Toxoid an Aluminiumsalze
Bakteriologie

adsorbiert und als Kombinationsimpfstoff DTwP (wP: »whole cell


pertussis«) angewendet. DTwP-Impfstoffe werden in einer Vielzahl
von Ländern lokal produziert. Die DTwP-Impfung ist Bestandteil
der von WHO und UNICEF weltweit koordinierten Impfprogram-
me. Die primäre Impfstrategie besteht in einer Grundimmunisie-
rung mit 3 Dosen bei Säuglingen und, wo immer möglich, einer
weiteren Auffrischimpfung. Informationen sind auf der Website der
WHO abrufbar (www.who.int).
In Deutschland werden Ganzzellimpfstoffe nicht mehr vertrie-
ben, sie wurden durch azelluläre Impfstoffe ersetzt. Diese werden
aus gereinigten Proteinantigenen eines bestimmten Stammes von
B. pertussis (Stamm Tohama) hergestellt. Für Impfstoffe werden PT,
filamentöses Hämagglutinin (FHA), Pertactin (PRN) und eine Mi-
schung aus Typ-2- und Typ-3-Fimbrienantigen (FIM 2 und FIM 3)
verwendet.
Die in Deutschland zugelassenen und vertriebenen azellulären
Pertussis-Impfstoffe enthalten alle PT, FHA und PRN, manche noch
FIM 2/3. Die Antigene werden zusammen mit Diphtherie-Toxoid
und Tetanus-Toxoid an Aluminiumsalze adsorbiert und als DTaP-
Impfstoff vertrieben (aP: »acellular pertussis«). Der DTaP-Impfstoff
wird häufig mit inaktivierten Polioviren (IPV), Polyribositolphos-
. Abb. 34.2 Säugling (3,5 Monate alt) nach Keuchhustenanfall. Charak- phat von Haemophilus-influenzae-Typ b (Hib) und Hepatitis-B-
teristisch ist das gedunsene Gesicht, Tränen- und Speichelfluss und die Er- Antigen (HBsAg) kombiniert, sodass 4-, 5- und 6-fach-Impfstoffe
schöpfung des Kindes nach dem Hustenanfall (mit freundl. Genehmigung entstehen. Die Antigendosis in den Kombinationsimpfstoffen vari-
von Dr. H. Moll, Papenburg) iert, je nachdem ob sie zur Grundimmunisierung mit höherem An-
34.3 · Andere Bordetella spp.
291 34

. Tab. 34.4 Empfehlungen der STIKO zur Impfung gegen Pertussis In Kürze
Bordetella pertussis
Alter Immunisierungsschritt
Bakteriologie Gramnegatives, kurzes, bekapseltes Stäbchen,
aerob und unbeweglich.
Lebensmonate 2, 3, 4 Grundimmunisierung mit Kombinations-
impfstoff (DTaP) Epidemiologie Weltweit zu allen Jahreszeiten mit 3- bis 5-jähri-
gen Häufungen vorkommend. Übertragung durch Tröpfchen,
Lebensjahr 2 Auffrischung der Grundimmunisierung Krankheitslast in Ländern Afrikas und Asiens am höchsten.
mit Kombinationsimpfstoff (DTaP)
Zielgruppe Alle Altersgruppen, bereits Neugeborene können
Lebensjahr 5–6 Auffrischung mit reduzierter Dosis (Tdap) erkranken.
Pathogenese Bakterien haften im Nasopharynx und besiedeln
Lebensjahr 9–17 Auffrischung mit reduzierter Dosis (Tdap-IPV)
anschließend die Atemwege. Husten und andere Symptome
Erwachsenenalter Eine Auffrischung mit reduzierter Dosis (TdaP) werden durch eine Vielzahl von Virulenzfaktoren wie z. B. Per-
tussis-Toxin hervorgerufen.
Klinik Lang dauernder und häufig anfallsartiger Husten, zusam-
men mit inspiratorischem Einziehen, Erbrechen und Würgen.
tigengehalt oder zur Auffrischimpfung mit reduziertem Antigenge- Diagnose Nachweis der Bakterien mittels Bordetella-DNA PCR
halt vorgesehen sind. oder Kultur, Nachweis von Antikörpern gegen Pertussis-Toxin.
Die Empfehlungen der STIKO (. Tab. 34.4) für die Impfung ge- Therapie Mit Makroliden. Wirksam gegen Symptome nur bei
gen Pertussis beziehen sich auf Kombinationsimpfstoffe. Die Grun- frühem Beginn und vor allem bei Kindern. Antibiotikatherapie
dimmunisierung wird mit 3 Impfungen im Alter von 2, 3 und 4 Mo- unterbricht Übertragung.
naten begonnen. Eine 4. Impfdosis im 2. Lebensjahr schließt die Impfung Kombinationsimpfung mit azellulären Pertussis-Impf-
Grundimmunisierung ab. stoffen (DTaP) mit Grundimmunisierung im Säuglingsalter und
Die Auffrischung im 5./6. Lebensjahr erfolgt mit Kombinations- regelmäßigen Auffrischimpfungen auch für Erwachsene (Tdap).
impfstoffen, die einen reduzierten Antigengehalt aufweisen (Tdap). Immunität Protektive Immunität nach Infektion und Impfung
(Kleinbuchstaben in den Abkürzungen weisen auf den verminderten hält einige Jahre und nimmt dann kontinuierlich ab.
Antigengehalt hin.) Eine weitere Auffrischung erfolgt in der Adoles-
zenz (9–17 Jahre) erneut mit antigenreduzierten Kombinations-
impfstoffen. Eine generelle Auffrischung bei Erwachsenen wird in
Deutschland wie in anderen Ländern empfohlen. Ziele der Auf- 34.2 Bordetella parapertussis
frischimpfung bei Erwachsenen sind die Reduktion der Krankheits-
last, die Reduktion der Erkrankungen bei ungeimpften Säuglingen B. parapertussis ist eng mit B. pertussis verwandt, produziert jedoch
und eine insgesamt verbesserte »Herdenimmunität«. Ungeimpfte kein PT und besitzt andere Fimbrienantigene. Im Gegensatz zu
Säuglinge können auch effektiv durch eine Impfung von Schwan- B. pertussis ist B. parapertussis oxidasenegativ (. Tab. 34.1). B. para-
geren im 3. Trimester geschützt werden. pertussis ruft ein keuchhustenähnliches Bild hervor (. Tab. 34.2), das
Personal im Gesundheitsdienst sowie in Gemeinschaftseinrich- sich klinisch zunächst nicht von Keuchhusten durch B. pertussis un-
tungen für das Vorschulalter und in Kinderheimen sollte gegen Per- terscheiden lässt. Die Hustendauer ist jedoch in der Regel kürzer. Die
tussis geimpft werden. Laut Biostoffverordnung (BioStoffV) muss Diagnostik erfolgt durch eine für B. parapertussis spezifische PCR
der Arbeitgeber in Einrichtungen, bei denen ein Risiko für einen oder durch Anzucht des Erregers; eine serologische Diagnostik ist
Kontakt mit dem Keuchhustenerreger besteht, für das dort beschäf- bei B. parapertussis derzeit nicht möglich. Azelluläre Pertussis-Impf-
tigte Personal eine Impfung anbieten. stoffe schützen nicht oder nur sehr begrenzt gegen B. parapertussis.
Die Schutzdauer der Impfstoffe bleibt für 5–6 Jahre auf dem
nach 3 Grundimmunisierungen erreichten Niveau, um dann abzu-
fallen. Ein einfach messbares Korrelat für die Schutzwirkung von 34.3 Andere Bordetella spp.
Pertussis-Impfstoffen existiert nicht.
Hinsichtlich der Nebenwirkungen sind DT- bzw. Td-Impfungen Die übrigen Bordetella Arten (. Tab. 34.2) sind hauptsächlich tier-
nicht von DTaP- bzw. Tdap-Impfstoffen zu unterscheiden. In einigen pathogen.
Fällen kommt es zu Rötungen und Schmerzen an der Impfstelle sowie B. bronchiseptica verursacht respiratorische Krankheiten bei
zu leichten Allgemeinreaktionen. Die Rate der lokalen Nebenwirkun- Hunden, Katzen und Nutztieren. Bei Hunden können u. a. Bordetel-
gen nimmt mit der Anzahl der Impfdosen zu. la spp. den sog. Zwingerhusten und bei Katzen den sog. Katzen-
schnupfen hervorrufen. In seltenen Fällen wird B. bronchiseptica auf
Meldepflicht/Public Health Die europäischen Impfstrategien sind den Menschen übertragen und kann dann eine Erkrankung der obe-
auf der Website des ECDC zusammengefasst (http://vaccine-sche- ren Atemwege verursachen, jedoch ohne »pertussistypische« Symp-
dule.ecdc.europa.eu/Pages/Scheduler.aspx). Pertussis ist nach dem tomatik. Die Diagnostik besteht im kulturellen Nachweis der Bakte-
Infektionsschutzgesetz in Deutschland meldepflichtig. Bei der Fall- rien. Hunde, Katzen und Nutztiere können gegen B. bronchiseptica
definition für Pertussis beweist der direkte Erregernachweis mittels geimpft werden.
Kultur oder positivem Nukleinsäurenachweis (PCR) eine Infektion. Die anderen Arten kommen bis auf B. petrii vor allem bei Ge-
Für den serologischen Nachweis wird ein Anstieg der Antikörper flügel vor, können jedoch in Einzelfällen bei immunsupprimierten
zwischen 2 Proben oder ein einmalig hoher alleiniger Nachweis von Patienten Allgemeininfektionen verursachen. Die Diagnostik be-
IgG-Antikörpern gegen PT gefordert. Die aktuellen Daten können steht im kulturellen Nachweis der Bakterien, die aus klinischem Un-
unter der Website des Robert Koch-Instituts (www.rki.de) eingese- tersuchungsmaterial als sog. gramnegative Nonfermenter differen-
hen werden. ziert werden.
292 Kapitel 34 · Bordetella

B. petrii ist ein Umweltkeim, der für menschliche Infektionen


fast keine Rolle spielt.
Die Pertussis scheint eine relativ »neue« menschliche Erkrankung zu sein
und wurde 1609 erstmals mit ihrer typischen Symptomatik von Guillaume
de Baillou beschrieben. Aufgrund der Hustenattacken bezeichnete Thomas
Sydenham gegen 1670 die Erkrankung nach deym lateinischen Wort für star-
ken Husten als »pertussis«.
In Deutschland wurde Pertussis auch »Stickhusten« genannt, die Bezeich-
nung Keuchhusten (früher »Keichhusten«) ist allgemein gebräuchlich. In den
englischsprachigen Ländern wird die Erkrankung nach dem typischen Ein-
ziehen am Ende der Hustenanfälle als »whooping cough« bezeichnet, in
Frankreich nach der gleichen Symptomatik als »coqueluche« (Hahnen-
schrei). Aufgrund des lang andauernden Hustens heißt die Erkrankung auf
Spanisch »tos ferina« (wilder Husten) oder auch »quinte« (50-Tage-Husten).
Wegen der schlechten Behandelbarkeit und der langen Hustendauer wur-
den eine Reihe alternativer Therapien versucht, deren Wirksamkeit jedoch
nie nachgewiesen werden konnte. Hierzu gehörten von den Krankenkassen
bezahlte »Keuchhustenflüge«, bei denen erkrankte Kinder im Flugzeug einer
niedrigen Sauerstoffspannung ausgesetzt waren, oder der Aufenthalt in
feuchten Bergwerkstollen bzw. Brauereikellern mit dem Ziel, die quälenden
Hustenattacken zu lindern.

Literatur

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genera. In: Jorgensen et al. (eds.) Manual of Clinical Microbiology.
11th ed. ASM Press, Washington DC, pp. 838-850.
Bakteriologie
293 35

Legionellen
C. Lück, E. Jacobs

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_35, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Legionellosen sind eine ausschließlich aus der Umwelt auf den Men- CDC) gemeldet. Wie die epidemiologische Aufarbeitung später
schen übertragene Erkrankung. Erst die moderne Installationstechnik zeigte, waren über 200 Pneumoniefälle (davon 34 mit tödlichem
mit Klimaanlagen/Rückkühlwerken, zirkulierenden Warmwasser- Ausgang) auf eine Legionellenkontamination des Rückkühlwerkes
anlagen, und deren großvolumigen Warmwasserspeichern, Warm- der Hotelklimaanlage zurückzuführen. Diese Kleinraumepidemie
sprudelbecken etc. hat dazu geführt, dass die Legionellen als Umwelt- war später namensgebend für die 1976 neu entdeckte Familie der
bakterien den Weg aus ihren natürlichen aquatischen Standorten in Legionellaceae.
unsere Haushalte und Kliniken gefunden haben. Die Suche nach dem natürlichen Reservoir der Legionellen hat
Aus der Familie der Legionellaceae sind heute 57 Spezies mit 76 Sero- in den Folgejahren gezeigt, dass Legionellen weltweit im Süßwasser
gruppen beschrieben, wobei Legionella pneumophila als die Spezies (Seen, Flüsse etc.) verbreitet ist. In diesen aquatischen Standorten
mit besonders ausgeprägter Pathogenität für den Menschen angese- sind Legionellen nicht frei, sondern in verschiedensten Einzellern
hen wird. L. pneumophila-Stämme der Serogruppe 1, die mit dem (Amöben, z. B. Akanthamöben und Hartmanella spp.) zu finden
monoklonalen Antikörper MAb3-1 reagieren, gelten als hochvirulent, (. Abb. 35.1).
da diese Stämme auch bei immunkompetenten Menschen zu schwe- Amöben ernähren sich normalerweise von Bakterien. Über ein
ren Pneumonien führen können. Andere Serogruppen von L. pneumo- Typ-4-Sekretionssystem applizieren Legionellen jedoch Effektormo-
phila und Nicht-pneumophila-Spezies wie L. bozemanii, L. micdadei, leküle in die Wirtszelle. Diese wird dadurch so beeinflusst, dass die
L. longbeachae verursachen hingegen fast ausschließlich Erkrankun- Legionellen dem intrazellulären Abbau entkommen und die Wirts-
gen bei immunsupprimierten Patienten. zelle für ihre Vermehrung nutzen können. Auch der Transport über
Der intrazelluläre Lebenszyklus der Legionellen in Amöben ist der das Trinkwassernetz und die weitere Vermehrung der Legionellen in
Schlüssel für das Überleben dieser Bakterien in nährstoffarmer Um- technischen Wassersystemen (Warmwasserversorgung, Schwimm-
gebung und als Transportvehikel bei der Übertragung auf den Men- bäder, Rückkühleinrichtungen, Dentaleinheiten) verläuft in der
schen. Die Alveolarmakrophagen sind die Zielzellen für die intra- Lebensgemeinschaft mit Amöben.
zelluläre Vermehrung bei Erkrankungen des Menschen. Sie sind im Bei einer Aerosolbildung an Duschköpfen oder Perkolatoren
epidemiologischen Sinne eine Sackgasse (»dead end«). Eine Über- der Wasserhähne, bzw. ausgehend von Rückkühlwerken gelangen
tragung von Mensch zu Mensch findet nicht statt. Legionellen-Aerosole ins Alveolargebiet der Lunge. Alveolarmakro-
phagen dienen als Wirtszellen (. Abb. 35.2) und führen zur Pneu-
monie. Die weitere Infektionskette ist jedoch unterbrochen, eine
Die Legionellen (Familie der Legionellaceae mit nur einer Gattung Übertragung von Mensch zu Mensch findet nicht statt.
Legionella) wurden erst 1976 als Erreger entdeckt. Gründe hierfür . Tab. 35.2 informiert über Legionellen-Arten und -Krank-
sind zum einen die schlechte bzw. schwache Anfärbbarkeit der heiten.
gramnegativen Bakterien und ihre speziellen Wachstumsbedingun-
gen auf cysteinhaltigen Spezial-Nährböden (. Tab. 35.1).
Nach Rückkehr von über 4000 US-Kriegsveteranen der »Ameri-
can Legion« von der Jahresversammlung in Philadelphia in die ein-
zelnen US-Bundesstaaten wurden schwere Pneumonien der Teil-
nehmer ohne Nachweis eines bis dahin bekannten Krankheitserre-
gers an die Gesundheitsbehörden (Centers of Disease Control,

. Tab. 35.1 Legionella: Gattungsmerkmale

Merkmale Ausprägung

Gramfärbung gramnegative Stäbchen

Aerob/anaerob aerob

Besonderheit Wachstum nur auf Spezialnährböden (Amino-


säuren: insbesondere Cystein; Fe-Quelle),
keine Kohlenhydratverwertung . Abb. 35.1 Mit Legionella pneumophila dicht gepacktes Phagosom einer
Beweglichkeit ja infizierten Acanthamoeba-castellanii-Zelle, 48 h nach Infektion; Nachweis
der Legionellen mit fluoreszenzmarkierten Antikörpern
294 Kapitel 35 · Legionellen

. Tab. 35.2 Legionellen: Arten und Krankheiten

Art Krankheit

L. pneumophila Legionärskrankheit

L. bozemanii

L. longbeachae

L. micdadei

Andere Legionella-Spezies

L. pneumophila Pontiac-Fieber

L. micdadei

L. longbeachae

L. feeleii

Andere Legionella-Spezies
. Abb. 35.2 Mit fluoreszenzmarkierten Antikörpern sichtbar gemachte
Legionellen, Nachweis sowohl extra- als auch intrazellulär in Alveolarmakro- 20 Legionella-Spezies verursachen Pneumonien, 5 Spezies Pontiac-
phagen bei einem Patienten mit Pneumonie Fieber und eine Pneumonie; die klinischen Bilder beider Krankheiten
unterscheiden sich signifikant (7 Abschn. 35.1.1)

35.1 Legionella pneumophila


Lebenszyklus der Legionellen hat diesen in der Evolution einen ent-
Steckbrief scheidenden ökologischen Vorteil gegenüber sich nur extrazellulär
vermehrenden Bakterien eingebracht.
Legionella pneumophila und 56 weitere Legionella-Spezies sind Trockenphasen und schädliche Umwelteinflüsse, z. B. Desinfek-
gramnegative Umweltbakterien, die über Verneblung von Was- tionsmittel, überleben die intrazellulären Legionellen in Amöben-
ser mit kleinen Wassertröpfchen die Lungenalveolen erreichen zysten ebenfalls besser als andere aquatische Bakterien. Die Fähig-
können, von Alveolarmakrophagen aufgenommen werden und keit der Legionellen, sich in nährstoffarmem Wasser intrazellulär in
sich in diesen Wirtszellen vermehren. Aus der Infektion resultiert Amöben zu vermehren, hat den Legionellen neue Biotope in den
eine Pneumonie, die als »Legionärskrankheit« zu schwersten vom Menschen eingerichteten wasserführenden Installationen er-
klinischen Verläufen führen kann. öffnet. Nach aerogener Übertragung dienen die Alveolarmakro-
Die Spezies Legionella pneumophila wird in 15 Serogruppen phagen des Menschen als Vermehrungsort. Sie sind gleichzeitig
unterteilt. Im ambulanten Bereich wurde bei Patienten am häu- Endstation im Infektionszyklus.
figsten die L. pneumophila-Serogruppe 1 nachgewiesen. Bei Legionella-Pneumonien besitzen eine niedrige Manifestations-
Bakteriologie

immunsupprimierten Patienten verursachen neben L. pneumo- rate. Daher sind Legionelleninfektionen im ambulanten Bereich
phila auch andere Legionellenspezies z. T. schwer verlaufende meist auf Einzelpersonen beschränkt. Bei spektakulären Gruppener-
Pneumonien. krankungen gehen die Infektionen meist von defekten oder schlecht
gewarteten Wassersystemen, Rückkühltürmen oder Whirlpools aus.
Künstlich angelegte Sprenkler-, Wasserfall- und Teichanlagen in
Eingangshallenbereichen oder Dentaleinheiten sind ebenfalls nach-
gewiesene, jedoch seltene Infektionsquellen.

kÜbertragung
Einziger Übertragungsweg ist das legionellenhaltige Wasseraerosol.
Man geht davon aus, dass die Legionellen im Aerosol nicht homogen
verteilt sind, sondern in den Wassertröpfchen Cluster bilden. Diese
gehen auf die eng gepackte Lagerung der an das intrazelluläre Über-
leben angepassten Legionellen in Amöbenpartikeln/Phagosomen
Legionella pneumophila: gramnegatives Stäbchenbakterien, (. Abb. 35.1) zurück. Hier ist der Vergleich mit trojanischen Pferden
1977 entdeckt von J. E. McDade et al. zutreffend.

kPathogenese
Disponierende Faktoren Infektionen durch Legionellen können
35.1.1 Rolle als Krankheitserreger bei allen Menschen zur Erkrankung führen. Schätzungen zufolge
werden ca. 4 % aller ambulant erworbenen Pneumonien durch Le-
kEpidemiologie gionellen verursacht. Ein erhöhtes Risiko haben Patienten mit
In der Natur sind Legionellen weit verbreitet im Süßwasser nachzu- Grundleiden, hohem Alter und unter immunsuppressiver Therapie.
weisen. Dort haben auch ihre natürlichen Wirte wie Amöben und Den negativen Einfluss von Kortison oder einer TNF-α-Anta-
verschiedenste Einzeller ihr Habitat (. Abb. 35.1). Der intrazelluläre gonisten-Therapie erklärt man damit, dass die Makrophagen unter
35.1 · Legionella pneumophila
295 35
antiinflammatorischer Therapie nicht in der Lage ist, die zelluläre kTherapie
Abwehr über proinflammatorische Zytokine so zu mobilisieren, dass Die Behandlung einer Legionellose erfordert die Hemmung der in-
mit Legionellen infizierte Zellen aktiviert werden, um die Abtötung trazellulären Vermehrung der Legionellen. Hierzu werden primär
von Legionellen einzuleiten. Fluorchinolone (Levofloxacin) eingesetzt, die eine hohe intrazellu-
läre Anreicherung zeigen. Alternativ kommen neuere Makrolide
kKlinik zum Einsatz. Eine Kombination mit Rifampicin wird nicht mehr
Aus der Exposition gegenüber legionellenhaltigen Aerosolen und empfohlen. Die Therapiedauer von 7–10 Tagen sollte sich am klini-
dem Beginn der Klinik sind Inkubationszeiten von 2–10 Tagen (sel- schen Verlauf orientieren. Bei immunsupprimierten Patienten liegt
ten bis 20 Tagen) errechnet worden. Das Pontiac-Fieber (s. u.) hat die Empfehlung bei bis zu 3 Wochen.
eine kürzere Inkubationszeit von nur 1–2 Tagen. Die Inkubationszeit Da Legionellen keinem Antibiotikaresistenzdruck im Trinkwas-
ist möglicherweise abhängig von der Bakterienlast im inhalierten, ser oder anderen wasserführenden Systemen unterliegen und auch
legionellenhaltigen Aerosol. keine Infektionskette von Mensch zu Mensch aufbauen können, sind
Es werden 2 Krankheitsbilder mit unterschiedlichem Schwere- resistente Legionellen aus Patientenmaterialien bisher selten. Diese
grad, jedoch mit fließenden Übergängen zwischen beiden Manifes- Entwicklung muss allerdings aufmerksam verfolgt werden.
tationen unterschieden:
4 Pontiac-Fieber: nichtpneumonische Form mit eher grippeähn- kPrävention
lichen Symptomen Wasserführende Systeme legionellenfrei zu halten oder Anlagen mit
4 Legionärskrankheit: klinisches Vollbild einer Pneumonie Legionellennachweis zu dekontaminieren ist bis heute eine techni-
sche Herausforderung. Wasseranlagen, die nach allgemein aner-
Beide Krankheitsbilder beginnen mit nichtcharakteristischen klini- kannten technischen Regeln geplant und gebaut werden, sind selten
schen Symptomen wie trockenem Husten, Kopfschmerz und Fieber. mit Legionellen kontaminiert. Legionella-Konzentrationen
Die klinischen Verläufe einer Pneumonie sind meist schwer, je nach > 100 KBE/100 ml (technischer Maßnahmewert) im häuslichen
individuellen Risikofaktoren schwankt die Letalität von Patienten Trinkwassersystem kommen in 20-40 % der Installationen vor. Sehr
mit Legionärskrankheit selbst unter adäquater Therapie zwischen hohe Kontaminationen (> 10.000/100 ml) sind sehr selten.
2 und 20 %. Das Pontiac-Fieber verläuft nie letal, eine spezifische Bei Überschreitung des technischen Maßnahmewertes muss
antimikrobielle Therapie ist nicht notwendig. z. B. versucht werden, die Kesseltemperatur der Warmwasserhei-
zung und damit das zirkulierende Wasser immer wieder kurzfristig
kDiagnostik auf über 60–70 °C zu erhitzen und ggf. die endständigen Leitungen
Als nichtinvasives diagnostisches Verfahren steht der Antigennach- durchzuspülen (cave: Verbrühungsgefahr!).
weis im Urin zur Verfügung. Hierbei werden Legionellenantigene Im stationären Bereich behilft man sich neben zentralen keim-
nachgewiesen, die nach Übertritt in den Blutkreislauf über die Niere zahlreduzierenden Maßnahmen lokal im Patientenzimmer mit end-
ausgeschieden werden. Diese relativ stabilen Antigene sind LPS- ständig aufgesetzten Filtereinheiten an Duschköpfen und Wasser-
Strukturen der Legionellenzellwand. Hierdurch bedingt, weist der hähnen. Diese teuren, wartungsintensiven Maßnahmen zur Abgabe
Urin-Antigentest nur Infektionen durch L. pneumophila-Sero- legionellenfreien Wassers werden in Risikobereichen wie z. B. Trans-
gruppe 1 mit ausreichender Empfindlichkeit nach. plantationseinheiten für abwehrgeschwächte Patienten oder generell
Diese Serogruppe ist für über 85 % der ambulant erworbenen zur sofortigen Gefahrenabwehr bei hoher Kontamination ergriffen.
Legionellenpneumonien und über 95 % der reiseassoziierten Legio- Die namentliche Meldepflicht eines Pneumoniepatienten mit
nellosen (Unterbringung in Hotelanlagen) verantwortlich. Der Legionellennachweis nach § 7 IfSG ermöglicht Umgebungsuntersu-
Urinantigentest deckt also die meisten, aber nicht alle Legionellen- chungen der Gesundheitsämter, um die Infektionsquelle zu identifi-
infektionen im ambulanten Bereich ab. Zum Überwachen noso- zieren und Maßnahmen zur Sanierung einzufordern. Hierbei sollten
komialer Infektionen ist er nur einsetzbar, wenn im Krankenhaus alle wasserführenden Systeme, die Ausgangspunkt für die Infektion
L. pneumophila-Serogruppe 1 vorkommt. Nosokomiale Legionel- und weitere Erkrankung sein könnten, untersucht und die angezüch-
lenpneumonien sind nur zu etwa 50 % auf diese Serogruppe zurück- teten Legionellen in aufwendigen Typisierungsansätzen mit dem
zuführen. Hier sind vielfach andere Serogruppen und Spezies mit (den) Isolat(en) des/der Patienten verglichen werden, um bei Iden-
geringerer Virulenz Erreger bei immunsupprimierten Patienten. tität gezielte Sanierungsmaßnahmen einzuleiten. Diese Forderung
ist zwingend bei Ausbrüchen und Gruppenerkrankungen.
Einsendung von Bronchiallavage Bronchialsekret, Sputum oder
andere respiratorischen Proben sind daher bei schwerem klinischem
Verlauf im stationären Bereich zwingend. Diese Proben werden mit In Kürze
PCR-Methoden untersucht, um in der Akutphase zu einer schnellen Legionellen
Diagnose zu kommen. Anzucht: Die kulturelle Anlage auf cystein- Bakteriologie Intra- und extrazellulär in Amöben und anderen
haltigen Aktivkohle-Hefeextrakt-Nährböden erfordert eine bis zu Einzellern sich vermehrende gramnegative Stäbchen.
10-tägige Bebrütung, die für die Erstdiagnosestellung oft wenig re- Vorkommen Natürliche aquatische Standorte. Übertragung in
levant ist, für die Umgebungsuntersuchung und den Abgleich mit das Trinkwassersystem über den intrazellulären Transport in
angezüchteten Legionellen aus wasserführenden Systemen als mög- Amöben; weitere Vermehrung und Anreicherung in wasserfüh-
lichen Infektionsquellen aber von hoher Bedeutung ist. renden technischen Anlagen.
Der Nachweis spezifischer Antikörper in der Akutphase hat kei- Übertragung Einatmen aerolisierter Wassertröpfchen. Mikro-
ne Bedeutung, da ein Antikörperanstieg erst 10–14 Tagen nach Er- aspiration bei abwehrgeschwächten Patienten. Keine
krankungsbeginn im Zweitserum zu erwarten ist. Übertragung von Mensch zu Mensch.
Pathogenese Im Alveolargebiet infizieren die Legionellen
Makrophagen, seltener Lungenepithelzellen als Ersatzwirte.
296 Kapitel 35 · Legionellen

Klinik Einerseits die als Legionärskrankheit bezeichnete


Pneumonieform, andererseits das Pontiac-Fieber mit »grippe-
ähnlicher« Klinik ohne röntgenologisch nachgewiesene
Lungeninfiltrate.
Immunität T-Zell-vermittelte Aktivierung von Makrophagen,
um intrazelluläre Legionellen abtöten zu können.
Labordiagnose Bronchoalveoläre Lavagen als Voraussetzung
zur Anzüchtung von Legionellen bzw. zum PCR-Direktnachweis.
Antigennachweise (nur Serogruppe 1) aus dem Urin bei ambu-
lant erworbenen oder reiseassoziierten Legionellosen.
Therapie Neuere Fluorchinolone aufgrund der hohen intra-
zellulären Anreicherung; alternativ neuere Makrolide.
Prävention Planung und Bau von Wassersystemen nach neues-
tem technischem Standard. Wartung der wasserführenden tech-
nischen Anlagen, endständige Wasserfilter an Duschköpfen und
Wasserhähnen in stationären Hochrisikobereichen mit immun-
supprimierten Patienten und generell zur sofortigen Gefahren-
abwehr bei hoher Kontamination.
Meldepflicht Mikrobiologisch mit direkten oder indirekten
Methoden bestätigte Pneumonien sind meldepflichtig (§ 7 IfSG),
ebenso Häufungen. Dies gilt für ambulant erworbene und noso-
komiale Infektionen, nicht jedoch für die nichtpneumonische
Form (Pontiac-Fieber).

Weiterführende Literatur

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sion; http://www.umweltdaten.de/wasser/themen/trinkwasserkommis-
sion/internet-legionellen-empfehlung.pdf.
297 36

Anthropozoonoseerreger ohne
Familienzugehörigkeit: Listerien, Brucellen,
Francisellen und Erysipelothrix
M. Mielke

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_36, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

In diesem Kapitel werden 4 Gattungen von Bakterien zusammenge- Listerien sind eine Gattung grampositiver, beweglicher, nicht-
fasst, die zurzeit taxonomisch nicht einer Familie zugeordnet werden sporenbildender Stäbchenbakterien, die sich aerob und anaerob ver-
und deren gemeinsames Merkmal die Verursachung von Anthropo- mehren (. Tab. 36.2). Die von Listeria (L.) monocytogenes hervor-
zoonosen ist (. Tab. 36.1). gerufene Listeriose beschrieb erstmalig Henle 1893 in Unkenntnis
des Erregers als »Pseudotuberkulose bei neugeborenen Zwillingen«.
1926 isolierten E. G. D. Murray und Mitarbeiter in Cambridge das
. Tab. 36.1 Anthropozoonoseerreger: Arten und Krankheiten Bakterium als Erreger einer Sepsis bei Kaninchen und Meerschwein-
chen. 1929 beobachtete Nyfeldt die gleichen Bakterien als Krank-
Art Krankheit
heitserreger beim Menschen. Die heute gültige Bezeichnung erfolgte
Listeria monocytogenes Listeriose, Sepsis, Granulomatosis zu Ehren des englischen Chirurgen Joseph Lister (1827–1912), des
infantiseptica, Meningoenzephalitis Begründers der Antiseptik. Der Begriff »monocytogenes« bedeutet
monozytoseerzeugend und drückt aus, dass die septischen Formen
Brucella abortus Morbus Bang
der Listeriose bei Nagern (in der Regel nicht beim Menschen) von
B. melitensis Malta-Fieber einer Monozytose begleitet werden.
B. suis Brucellose
B. canis Brucellose
36.1.1 Beschreibung
Francisella tularensis Tularämie
F. novocida Tularämie jAufbau
Erysipelothrix rhusiopathiae Erysipeloid
Listerien bilden Geißeln aus, jedoch keine Sporen oder Kapseln
(Schweinerotlauf ),Endokarditis (. Abb. 36.1). Bei 20 °C Wachstumstemperatur sind die Geißeln
peritrich angeordnet, was eine charakteristische End-über-End-
Beweglichkeit zur Folge hat. Bei 37 °C hingegen entwickeln sich
die Geißeln nur polar und die Beweglichkeit ist lediglich schwach
36.1 Listerien ausgebildet.

Steckbrief
. Tab. 36.2 Listeria: Gattungsmerkmale
Von den 6 bekannten Arten verursacht die bedeutendste human-
pathogene Spezies, Listeria (L.) monocytogenes, Allgemein- und
Merkmal Ausprägung
Lokalinfektionen bei Tieren und Menschen, v. a. bei abwehrge-
schwächten Erwachsenen, Schwangeren, Ungeborenen (intrau- Gramfärbung grampositive Stäbchen
terin) und Neugeborenen (peripartal).
Aerob/anaerob fakultativ anaerob

Kohlenhydratverwertung fermentativ

Sporenbildung nein

Beweglichkeit ja

Katalase positiv

Oxidase negativ
Listeria monocytogenes: Besonderheiten Wachstum bei 4 °C
temperaturabhängige
Begeißelung Acetoin-Produktion (VP-Reaktion,
Äskulinspaltung)
298 Kapitel 36 · Anthropozoonoseerreger ohne Familienzugehörigkeit: Listerien, Brucellen, Francisellen und Erysipelothrix

kÜbertragung
Erwachsene infizieren sich entweder beim Umgang mit infizierten
Tieren oder durch Aufnahme kontaminierter Tierprodukte wie
Milch oder Käse. Daneben ist auch eine Aufnahme durch kontami-
nierte Nahrungsmittel (Fertiggerichte, Salate, Rohwürste, Räucher-
lachs) möglich. Die Infektion geht daher in der Regel vom Darm aus.
Die Infektionsdosis ist nicht genau bekannt, dürfte aber bei > 109
liegen. Zeichen der Infektion können noch Wochen nach Aufnahme
der Listerien auftreten.
Da Listerien ubiquitär vorkommen, ist es im Einzelfall schwie-
. Abb. 36.1 Listeria monocytogenes: grampositive Stäbchen, temperatur- rig, die Quelle einer Infektion ausfindig zu machen. Laborinfektio-
abhängige Begeißelung (links: polar; rechts: peritrich), entdeckt 1926 von nen sind beschrieben, ebenso Infektionen bei Ärzten und Hebam-
Murray bei Tieren und 1929 von Nyfeldt beim Menschen (mit freundl. men anlässlich der Geburt eines listerieninfizierten Kindes.
Genehmigung von R. Reissbrodt und H. Gelderblom, Robert Koch-Institut) Erfolgt die Infektion während der Schwangerschaft, so ist eine
transplazentare Übertragung auf den Fetus bzw. Embryo möglich.

jExtrazelluläre Produkte kPathogenese


L. monocytogenes sezerniert ein porenbildendes Toxin, das Listerio- Je nach Eintrittsort und Immunstatus des Patienten unterscheidet
lysin O (LLO). Es ruft die β-Hämolyse auf bluthaltigen Nährböden man:
hervor, die virulente von avirulenten Spezies oder Stämmen zu un-
terscheiden erlaubt. Pathogenetisch ist dies für das Überleben der Lokale Listeriose Patienten mit lokaler Listeriose infizieren sich,
Bakterien im Inneren von Phagozyten und anderen Zellen entschei- meist berufsbedingt, beim Umgang mit kontaminierten Tiermate-
dend. LLO ist homolog zum Streptolysin O von A-Streptokokken rialien. Der Erreger gelangt über kleine Verletzungen der Haut oder
und zum Pneumolysin von Pneumokokken (7 Kap. 25). über die Konjunktiva in den Körper und ruft an der Eintrittsstelle
eine eitrige Entzündung hervor. Der lokale Lymphknoten wird in
jResistenz gegen äußere Einflüsse das Geschehen einbezogen und schwillt an (z. B. okuloglanduläre
Listerien sind sehr widerstandsfähig gegen äußere Einflüsse. So Form). Da die Patienten in der Regel über eine normale Abwehr
überleben sie in Kulturmedien bei 4 °C für 3–4 Jahre; in Heu, Erde, verfügen, kann die Infektion auf dieser Stufe begrenzt werden und
Stroh, Silofutter und Milch halten sie sich über mehrere Wochen die Erreger gelangen nicht in nennenswerten Mengen in die Blut-
oder Monate. Auch gegenüber Hitze sind die Erreger relativ resis- bahn.
tent. Diese Eigenschaft ist bei der Pasteurisierung von Milch bedeut-
sam, da sie die Infektion über Milchprodukte (insbesondere Käse) Systemische Listeriose Patienten mit systemischer Listeriose sind
erklärt. Die Fähigkeit zum Wachstum bei niedrigen Temperaturen typischerweise immungeschwächt: alte Patienten, Feten und Neuge-
(z. B. 4 °C; Spanne von –0,4 bis +45 °C) hat darüber hinaus zur Folge, borene, Alkoholiker oder Patienten unter medikamentöser Immun-
dass sich L. monocytogenes in kontaminierten Speisen (Käse, Salat, suppression wie Transplantatempfänger oder Tumorpatienten. Kor-
kontaminiertes Fleisch) auch im Kühlschrank vermehren kann. tison ist bei medikamentös Immungeschwächten der wesentliche
prädisponierende Faktor. Der Darm stellt die hauptsächliche Ein-
jVorkommen
Bakteriologie

trittspforte dar. Die Aufnahme der Erreger erfolgt mit kontaminier-


Listerien kommen im Darm von Haus- und Wildtieren sowie des ter Nahrung (7 s. o.).
Menschen vor. Sie lassen sich ubiquitär aus Erdproben, Wasser, Ab- Vom Darm ausgehend dringt L. monocytogenes meist über die
fällen und pflanzlichem Material isolieren. Häufig finden sie sich in M-Zellen der Peyer-Plaques im Dünndarm oder direkt durch Inva-
Milch und Milchprodukten. sion von Enterozyten in den Wirtsorganismus ein (. Abb. 36.2).
Entweder frei oder in infizierten Makrophagen erreichen sie
über die Lymphbahnen des Mesenteriums die regionären (mesente-
36.1.2 Rolle als Krankheitserreger rialen) Lymphknoten. Da die unspezifische Infektabwehr bei Ab-
wehrgeschwächten zur Eradikation der Bakterien unfähig ist, drin-
kEpidemiologie gen die Erreger über den Ductus thoracicus in die Blutbahn vor. Bei
Listerien verursachen typischerweise Infektionen bei beruflich Ex- ihrer Passage durch Milz und Leber werden freie Listerien von resi-
ponierten (Metzger, Landwirte, Veterinäre), bei Personen mit ge- denten Makrophagen aufgenommen. Mittels des porenbildenden
schwächter Immunität (z. B. durch Einnahme von Kortison, Anti- Toxins Listeriolysin, das sich an das Cholesterol von Zellmembranen
TNF-Antikörper-Behandlung bzw. bei soliden oder hämatogenen anlagert, verlassen die Bakterien das Phagosom und dringen in das
Tumoren, Leberzirrhose), bei über 60-Jährigen sowie Schwangeren Zytoplasma vor, wo sie sich ungehemmt vermehren. Die Infektion
und deren Frucht. der Wirtszellen führt zur Ausschüttung chemotaktischer Faktoren
Die Listeriose tritt im Allgemeinen sporadisch auf; nach Genuss mit nachfolgender Akkumulation neutrophiler Granulozyten in
kontaminierter Nahrungsmittel können aber auch lokale Ausbrüche kleinen Abszessen. Die angelockten Phagozyten können die infizier-
entstehen. In Deutschland liegt die Prävalenz der Listeriose bei etwa ten Zellen erkennen und lysieren. Die darauf folgende Vermehrung
2–5 Fällen pro 1 Mio. Einwohner und Jahr. Hier und in Frankreich ist und Aktivierung spezifischer T-Zellen, welche die folgenden 4 Tage
die Listeriose neben Röteln und Toxoplasmose die häufigste pränatale in Anspruch nimmt, führt über die Optimierung der Antigenerken-
Infektion. Neben Sepsis bzw. Meningitis durch B-Streptokokken und nungsmechanismen sowie der phagozytären Effektormechanismen
E. coli-Meningitis ist sie die häufigste schwere bakterielle Infektion zur endgültigen Überwindung der Infektion. Diese ist typischer-
des Neugeborenen. Im Jahr 2014 wurden 694 Listeriosefälle an das weise mit einer Allergie vom verzögerten Typ und Granulombildung
Robert Koch-Institut übermittelt. 2013 betrug die Zahl 532. verbunden.
36.1 · Listerien
299 36

. Abb. 36.2 Pathogenese und Rolle der Virulenzfaktoren bei der Listeriose
300 Kapitel 36 · Anthropozoonoseerreger ohne Familienzugehörigkeit: Listerien, Brucellen, Francisellen und Erysipelothrix

Patienten, die an einer Listeriose versterben, zeigen als Aus- Schwangerenlisteriose Sie ist die häufigste Ausprägung der Lis-
druck der mangelhaften Immunantwort überwiegend Mikroabs- terieninfektion und deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie für
zesse und keine Granulome in den infizierten Organen. Ist die bak- den Fetus tödlich sein kann. Listerieninfektionen können in jeder
teriämische Phase ausgeprägt, z. B. bei mangelhafter Funktion der Phase der Schwangerschaft entstehen; sie häufen sich aber im 3. Tri-
residenten Makrophagen in der Leber bei Leberzirrhose, so kommt menon.
es zum direkten Befall von Leberzellen sowie zum Übergang der Bei der Mutter entwickeln sich häufig lediglich Fieber und
Bakterien im Plexus chorioideus in die Liquorräume des Gehirns Rückenschmerzen, sodass diese Symptome als »grippaler Infekt« oder
und schließlich zur Meningitis/Meningoenzephalitis. als andere Bagatellinfektion abgetan werden. Fieber und Schmerzen
Ein Sonderfall von temporärer Immunsuppression ist die können ohne Therapie abklingen. Eine positive Blutkultur ist der ein-
Schwangerenlisteriose mit nachfolgender Infektion des Fetus bzw. zige Beweis für die Schwangerenlisteriose. Sie wird aber nur selten
Neugeborenen. Dabei kommt es bei der Mutter in den meisten Fäl- durchgeführt, weil die Verdachtsdiagnose selten gestellt wird.
len nur zu einer symptomarmen Bakteriämie. Nach diaplazentarer Die Listerieninfektion der Schwangeren kann sich als Plazentitis
Übertragung auf das Ungeborene entwickelt dieses jedoch eine oder Endometritis äußern, die ihrerseits einen Abort nach sich
schwere Sepsis, die Granulomatosis infantiseptica. ziehen kann.

Rolle der Virulenzfaktoren Der bedeutsamste Virulenzfaktor von Transplazentare Listerieninfektion (Granulomatosis infantisep-
L. monocytogenes ist das Listeriolysin. LLO erzeugt Poren in der tica) Erfolgt die Infektion der Schwangeren nach dem 3. Schwan-
Membran der Phagosomen und bahnt dem Bakterium freien Zu- gerschaftsmonat, d. h. wenn der Plazentarkreislauf ausgebildet ist,
gang zum Zytoplasma. Auf diesem Mechanismus basiert der intra- kann es transplazentar zur Listeriose des Fetus kommen. Betroffene
zelluläre Parasitismus der Listerien. Nach Eintritt in das Zytoplasma Feten entwickeln ein typisches Krankheitsbild mit multiplen Infek-
führt die polare Bildung eines aktinbindenden Proteins zur Anhäu- tionsherden in Leber, Milz, Lungen, Nieren und Hirn, die z. T. eitrig,
fung wirtszellulären Aktins. Es bildet sich ein Schweif aus polymeri- z. T. granulomatös imponieren.
siertem Aktin, der die Erreger im Zytoplasma voranschiebt. Mit Ein durch Infektion in utero vorgeschädigtes Neugeborenes
diesem Mechanismus formt das Bakterium Ausstülpungen der kann Läsionen im Schlund und in der Haut in Form von Papeln oder
Wirtszelle und induziert die Aufnahme durch die Nachbarzelle. So Ulzerationen aufweisen. Auch Konjunktivitis oder Meningitis bzw.
breiten sich die Bakterien von Zelle zu Zelle aus, ohne jeden Kontakt Meningoenzephalitis kommen vor. Die Letalität beträgt fast 10050 %;
mit extrazellulären Abwehrmechanismen wie Komplement oder spe- Heilungen bei frühzeitig einsetzender Therapie sind jedoch be-
zifischen Antikörpern (. Abb. 36.2). schrieben worden.

kKlinik Perinatale Listerieninfektion Ist der mütterliche Geburtskanal mit


Lokale Listeriosen Je nach Eintrittspforte des Erregers kommen L. monocytogenes besiedelt und sind perinatale Komplikationen
folgende Formen vor: aufgetreten, die eine Infektion des Neugeborenen begünstigen (z. B.
4 Die zervikoglanduläre Form entsteht, wenn die Erreger oral vorzeitiger Blasensprung), kann sich das Neugeborene unter der Ge-
aufgenommen werden. Es entwickeln sich Lymphknoten- burt infizieren und eine Sepsis und/oder Meningitis entwickeln.
schwellungen im Hals- und Rachenbereich. Diese Erkrankungen treten unmittelbar nach der Geburt auf (»early
4 Die okuloglanduläre Form äußert sich als eitrige Konjunktivi- onset«).
tis und entwickelt sich, wenn die Erreger mit der Augen-
Bakteriologie

schleimhaut in Kontakt gelangen. Postnatale Listerieninfektion In diesem Fall stammen die Erreger
4 Bei der lokalen Listeriose der Haut kommt es zu einer eitrig- aus der Umgebung des Neugeborenen. Bei dieser Form kommt es
pustulösen Erkrankung mit Lymphangitis. meist zu einer Meningitis, die Erkrankung setzt einige Tage nach der
Geburt ein (»late onset«).
Sepsis Patienten mit Listeriensepsis zeigen die allgemeinen Symp-
tome einer Sepsis (Fieber, Milztumor, Hypotonie und Schock mit kImmunität
Multiorganversagen). Listerien lassen sich in diesen Fällen häufig Die Fähigkeit, in Epithelzellen einzudringen und sich von Zelle zu
aus dem Blut anzüchten. Die Erkrankung ist mit einer Letalität von Zelle auszubreiten, ohne das intrazelluläre Milieu zu verlassen, hat
über 50 % belastet. zur Folge, dass Antikörper bei der Überwindung der Infektion ohne
Bedeutung sind. Die strenge Abhängigkeit der Erregerabwehr von
Meningitis Im Rahmen einer bakteriämischen Streuung kann sich spezifischen T-Zellen hat die Infektion zu einem Modell für die Ana-
eine Meningitis entwickeln, die sich klinisch nicht von anderen For- lyse T-Zell-vermittelter Mechanismen werden lassen. Unspezifische
men bakterieller Meningitis unterscheidet. Der Erreger lässt sich aus Abwehrmechanismen in Form einer Mikroabszessbildung setzen
dem Liquor anzüchten. Die Letalität schwankt zwischen 12 und zwar schon 24 h nach Infektion ein, sind jedoch lediglich zu einer
4350 %. Entscheidend ist das frühzeitige Einleiten einer Ampicillin- Hemmung des exponentiellen Wachstums der Bakterien in Milz und
therapie. In seltenen Fällen kommt es im Rahmen einer Listeriose Leber in der Lage.
zur Rhombenzephalitis oder zum Hirnabszess. Ohne die Entwicklung spezifischer T-Zellen, die mindestens
4 Tage benötigt, kommt es regelhaft zu akut letalen oder chronischen
Listeriosen anderer Organe Neben dem ZNS können im Rahmen Infektionen. Die Aktivierung von CD4+-T-Zellen geht mit der Aus-
einer systemischen Listeriose auch andere Organe befallen werden. schüttung von TNF-α und IFN-γ einher, die über die Aktivierung
Es resultieren Hepatitis, Bronchitis, Pneumonie, Glomerulonephri- von Chemokinsekretion und Hochregulierung von Adhäsionsmole-
tis, Orchitis, Epididymitis, Peritonitis, Cholezystitis oder Endo- külen auf der Oberfläche benachbarter Endothelzellen zur Akkumu-
karditis. lation von Monozyten in den Granulomen führen. Erst die Aktivie-
rung von Makrophagen durch CD4+-T-Zellen sowie die Lyse infi-
zierter parenchymaler Zellen durch CD8+-T-Zellen führt zur Über-
36.1 · Listerien
301 36
windung der Infektion (. Abb. 36.2) und zu lang andauernder behandelt werden. Die Dauer der Behandlung richtet sich nach dem
Immunität gegen eine Zweitinfektion. Krankheitsbild. Sie sollte bei Enzephalitis 6 Wochen, bei Endokardi-
tis 4–6 Wochen betragen.
kLabordiagnose
Die Diagnose der Listeriose beruht auf dem Erregernachweis mittels kPrävention
Anzucht. Allgemeine Maßnahmen Angesichts der ubiquitären Verbreitung
von Listerien sind Maßnahmen zur Eradikation des Erregers in der
Untersuchungsmaterialien, Transport Je nach Lokalisation des Umwelt wenig erfolgreich. Schwangere sollten nichtpasteurisierte
Krankheitsprozesses sind geeignet: Liquor, Blut, Fruchtwasser, Milch und Weichkäse meiden und die Regeln der Küchenhygiene
Mekonium, Plazenta, Lochien, Menstrualblut, Eiter oder Gewebe- besonders sorgfältig beachten. Es empfiehlt sich auch, ungekochte
proben (Knochenmark, Lymphknoten). Beim Transport sind außer Milchprodukte oder Salat nicht über längere Zeit im Kühlschrank zu
der Verwendung eines Transportmediums keine besonderen Maß- halten. In Krankenhäusern besteht die Gefahr eines Hospitalismus
nahmen zu beachten, um das Überleben von L. monocytogenes zu bei Geburt eines listerieninfizierten Kindes. In einem solchen Fall
sichern. müssen Wöchnerin und Neugeborenes isoliert und die üblichen
Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt werden.
Anzucht Listerien vermehren sich unter aeroben und anaeroben
Bedingungen. Die optimale Wachstumstemperatur liegt zwischen Meldepflicht Der direkte Nachweis von L. monocytogenes aus Li-
30–37 °C, Vermehrung kann jedoch auch bei 4 °C erfolgen. Bei der quor, Blut oder anderen normalerweise sterilen Substraten sowie aus
Isolierung von Listerien aus Materialien, die eine Mischflora enthal- Abstrichen von Neugeborenen ist namentlich meldepflichtig (§ 7 [1]
ten, nutzt man diese Eigenschaft aus (Kälteisolierung); allerdings IfSG).
sind spezielle Selektivmedien besser geeignet.
Listerien gedeihen am besten auf bzw. in komplex zusammen-
In Kürze
gesetzten Kulturmedien wie Blutagar oder Tryptikase-Soja-Bouil-
L. monocytogenes
lon. Auf Blutagar bilden Listerien innerhalb von 24 h kleine, weiß-
Bakteriologie Grampositives, bewegliches, nichtsporenbilden-
liche Kolonien. Die Kolonien virulenter Stämme sind von einem
des, zartes Stäbchen. Fakultativ anaerob, Wachstum bei 37 °C,
kleinen β-Hämolyse-Hof umgeben. In flüssigen Kulturmedien
aber auch bei 4 °C.
zeigen Listerien bei Zimmertemperatur eine charakteristische Be-
Vorkommen Ubiquitär in der Umwelt und im Darm von
weglichkeit, bei der sich die Bakterien aufgrund der peritrichen
Mensch und Tier.
Begeißelung »purzelbaumartig« bewegen (Nachweis im hängenden
Resistenz gegen äußere Einflüsse Hoch.
Tropfen).
Übertragung Orale Aufnahme mit kontaminierten Lebens-
mitteln bzw. endogen vom Darm ausgehend. Von der infizierten
Mikroskopie Die grampositiven Stäbchen sind 1–3 μm lang bei
Mutter diaplazentar auf den Fetus oder perinatal (vaginal) auf
0,5 μm Durchmesser. In frischen Patientenisolaten erscheinen Liste-
das Neugeborene.
rien oft kokkoid und sind in Paaren gelagert, sodass sie mit Pneumo-
Epidemiologie Inzidenz 2–4 pro 1 Mio. Einwohner in Deutsch-
oder Enterokokken verwechselt werden können. Die Gefahr der
land. Einer der häufigsten bakteriellen Erreger perinataler Infek-
Verwechslung mit Enterokokken besteht umso mehr, als beide Gat-
tionen. Zielgruppe: Schwangere, Feten, Neugeborene, beruflich
tungen resistent gegen Cephalosporine sind. Weitere Verwechslun-
Exponierte (Veterinäre), Immunsupprimierte, alte Menschen.
gen sind mit Korynebakterien, Erysipelothrix rhusiopathiae und
Pathogenese Lokale oder systemische Allgemeininfektion, die
Streptokokken möglich.
durch zunächst eitrige, später granulomatöse Reaktionen in be-
fallenen Organen gekennzeichnet ist.
Biochemische Leistungsprüfung Typisch für die Gattung Listeria
Virulenzfaktoren Ausgeprägte Invasivität und Fähigkeit zur
ist die Äskulinspaltung. Eine Differenzierung zwischen den Arten
Evasion aus der Phagozytosevakuole sowie Ausbreitung von
der Gattung Listeria erfolgt aufgrund des Hämolyseverhaltens so-
Zelle zu Zelle aufgrund der Bildung von Invasin, Listeriolysin
wie der biochemischen Leistungsprüfung (bunte Reihe), die sich
und aktinbindendem Protein.
v. a. auf das Zuckerspaltungsmuster stützt.
Zielgewebe Makrophagenreiche Organe wie Milz, Leber,
Knochenmark.
Serologische Gruppenbestimmung Mithilfe von Antiseren gegen
Klinik Uncharakteristische Symptome einer Allgemeininfektion,
somatische und Geißel-(H-)Antigene lässt sich L. monocytogenes in
Sepsis, Meningitis, Abort, Früh- und Totgeburten.
Serogruppen einteilen. Die Bedeutung der Serotypisierung für epi-
Immunität T-Zell- und makrophagenabhängig.
demiologische Fragestellungen ist jedoch gering, da die überwiegen-
Diagnose Erregernachweis durch Anzucht.
de Zahl klinischer Isolate nur 3 weit verbreiteten Serotypen (1/2a,
Therapie Aminopenicilline oder Ureidopenicilline, ggf. in
1/2b und 4b) angehört.
Kombination mit einem Aminoglykosid.
Prävention Expositionsprophylaxe durch Vermeidung erreger-
Serologie Serologische Methoden zum Nachweis einer Listerienin-
haltiger Nahrungsmittel.
fektion haben keinen allgemeinen Eingang in die Routinediagnostik
Meldepflicht Direkter Erregernachweis aus sterilen Substraten
gefunden.
oder Abstrichen von Neugeborenen.
kTherapie
Aminopenicilline (Ampicillin) sind die Mittel der Wahl. Auch Urei-
dopenicilline sind wirksam. In schweren Fällen sollte man ein Ami-
nopenicillin mit einem Aminoglykosid kombinieren. Bei Penicilli-
nallergie kann mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol (TMP/SMX)
302 Kapitel 36 · Anthropozoonoseerreger ohne Familienzugehörigkeit: Listerien, Brucellen, Francisellen und Erysipelothrix

36.2 Brucellen

Brucellen sind eine Gattung gramnegativer, kurzer Stäbchen; sie sind


unbeweglich und bilden keine Sporen (. Tab. 36.3).
Die Gattung Brucella (B.) umfasst eine Spezies, B. melitensis, mit
verschiedenen Biovaren, denen aus historischen Gründen der Rang
einer Spezies mit bestimmten, jeweils bevorzugten Wirten (Rinder,
Schafe, Ziegen, Schweine, Hunde) eingeräumt wird.
Die Brucellose wurde 1859 erstmalig als Entität beschrieben.
Der Erreger des »Malta-Fiebers«, B. melitensis, wurde 1887 vom aus-
tralischen Bakteriologen Sir David Bruce (1855–1931) aus der Milz
eines verstorbenen britischen Soldaten auf Malta isoliert. Der däni-
sche Bakteriologe Bernhard Lauritz Frederik Bang (1848–1932) ent-
deckte 1896 B. abortus bei Kühen, die an seuchenhaftem Verkalben
erkrankt waren. B. suis wurde 1914 aus einem Schweinefetus ange- . Abb. 36.3 Brucellen: gramnegative, kokkoide Stäbchen, entdeckt 1887
züchtet. von D. Bruce (B. melitensis), 1896 von Bang (B. abortus) (mit freundl. Geneh-
migung von Mielke, Wecke, Finke, Madela; Robert Koch-Institut)
Steckbrief

Die obligat pathogenen Zoonoseerreger B. abortus (Morbus


Enterobakterien weitgehend entsprechen, deren toxische Potenz je-
Bang, Rinder), B. melitensis (Malta-Fieber, Schafe und Ziegen)
doch geringer ist.
und B. suis (Schweine) verursachen akute oder chronische Allge-
meininfektionen beim Menschen, die durch undulierendes jExtrazelluläre Produkte
Fieber oder eine Kontinua und durch granulomatöse Gewebe- Bisher sind keine von Brucellen aktiv sezernierten Produkte be-
reaktionen gekennzeichnet sind. kannt. Während des Wachstums werden jedoch lösliche Bestandtei-
le mit antigenen Eigenschaften, wie z. B. die im periplasmatischen
Spalt lokalisierte Superoxiddismutase (SOD), an das umgebende
Milieu abgegeben.

jResistenz gegen äußere Einflüsse


Brucellen sind gegen die Einwirkung von Hitze und Desinfektions-
mitteln empfindlich. Sie werden in wässriger Suspension durch Tem-
peraturen > 60 °C innerhalb von 10 min abgetötet. Bei Umgebungs-
temperaturen überleben sie Tage bis Wochen in Blut, Urin, Staub,
Wasser und Erde. Ebenso halten sie sich lange in Milch und Milch-
produkten. Diese Tatsache ist epidemiologisch bedeutsam, da infi-
Brucellen zierte Tiere die Bakterien über die Brustdrüse in der Milch bzw. mit
der Plazenta ausscheiden.
Bakteriologie

jVorkommen
36.2.1 Beschreibung Die Brucellose ist eine Zoonose. Die Bakterien finden sich insbeson-
dere im Urogenitaltrakt von Rindern (B. abortus), Schweinen
jAufbau (B. suis), Ziegen und Schafen (B. melitensis). Dort verursachen sie
Brucellen folgen dem allgemeinen Bauplan gramnegativer Bakte- eine Plazentitis mit Abort bzw. Sterilität. Die Plazenta dieser Tiere
rien. Geißeln, Fimbrien oder eine Kapsel fehlen (. Abb. 36.3). Sie begünstigt das Wachstum der Brucellen durch den Gehalt an Eryth-
tragen in ihrer äußeren Membran Antigene, die dem Endotoxin der ritol. Die Tiere können eine chronische Infektion mit lebenslanger
Persistenz der Erreger, insbesondere in den Brustdrüsen und folglich
lang dauernder Ausscheidung in der Milch aufrechterhalten. Durch
diese Sekrete kann auch der Boden kontaminiert sein.
. Tab. 36.3 Brucella: Gattungsmerkmale

Merkmal Ausprägung
36.2.2 Rolle als Krankheitserreger
Gramfärbung gramnegative Stäbchen (kurz)
kEpidemiologie
Aerob/anaerob aerob, kapnophil
Weltweit werden jährlich etwa 500.000 Fälle von Brucellose des
Kohlenhydratverwertung oxidativ Menschen erfasst. Infektionen durch B. melitensis kommen vorwie-
Sporenbildung nein gend in Bulgarien, den Anrainerländern des Mittelmeeres, in Latein-
amerika und Asien vor. Infektionen durch B. abortus waren früher
Beweglichkeit nein
in Mitteleuropa häufig; heute sind sie dank effektiver Kontrollmaß-
Katalase positiv nahmen und Tötung brucellenverseuchter Rinderbestände nahezu
Oxidase positiv verschwunden.
Besonderheiten Ureaseproduktion
In Deutschland treten Fälle von Brucellose (2014: 47 gemeldete
Fälle; 2013: 28 Fälle, kein Todesfall) im Wesentlichen durch Verzehr
36.2 · Brucellen
303 36
importierter Milchprodukte aus Ländern, in denen die Brucellose von 2- bis 5-tägigen fieberfreien Intervallen unterbrochen sein:
endemisch ist (z. B. Ziegen- oder Schafskäse aus Bulgarien, Grie- »febris undulans« (wellenförmiges Fieber). Häufig besteht eine psy-
chenland oder der Türkei) oder bei Reiserückkehrern auf. Voraus- chische Veränderung im Sinne einer Depression. Objektivierbare
setzung für die Kontamination ist, dass nichtpasteurisierte Milch zur Krankheitszeichen wie Lymphknoten-, Milz-, Leberschwellung sind
Verarbeitung kommt. bei dieser Form gering ausgeprägt.
Die endemische Brucellose findet sich expositionsbedingt vor-
wiegend bei Landwirten, Metzgern, Veterinären, Molkerei- und Chronischer Verlauf Etwa 550 % aller Patienten mit symptomati-
Schlachthausarbeitern. Bei diesem Personenkreis erfolgen Schmier- scher Brucellose erleiden nach Abklingen der akuten Krankheitser-
infektionen beim Umgang mit infizierten Tieren. scheinungen einen Rückfall. Rückfälle können bis zu 2 Jahre nach
primärer Erkrankung auftreten. Auch in chronischen Fällen (Krank-
kÜbertragung heitsdauer > 1 Jahr) zeigen die Patienten häufig nur uncharakteristi-
Brucellen werden von infizierten Tieren mit der Milch (wichtigster sche Symptome. Beobachtet werden Affektlabilität, Depression und
Übertragungsweg für den Menschen), dem Urin, den Fäzes oder Schlaflosigkeit. Gelegentlich verkennt der Arzt derartige Fälle und
mit der Plazenta bei Geburt oder Abort ausgeschieden. Durch tut sie unter der Fehldiagnose einer Hypochondrie ab. Bei chroni-
die Plazenta erfolgen die Kontamination der Umwelt und die schen Verläufen besteht häufig eine Hepatosplenomegalie.
Übertragung auf andere Tiere, aber auch auf Landwirte und Veteri-
näre. Alle Infektionen des Menschen lassen sich direkt oder indi- Lokalisierte Infektionen Chronische Verläufe können sich als per-
rekt  (Verzehr kontaminierter Speisen) auf Tierkontakt zurück- sistierende Infektionsfoci in Knochen, Leber oder Milz manifestie-
führen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch findet in aller ren. Obwohl die Leber nahezu immer betroffen ist, fehlen meist
Regel nicht statt (Ausnahmen: Knochenmarktransplantation, Blut- Zeichen einer deutlichen Leberschädigung. Beobachtet wird eine
transfusion, Milch infizierter Mütter). Laborinfektionen sind be- Hepatitis mit leichten Transaminasenanstiegen, evtl. eine granulo-
schrieben. matöse Hepatitis. In sehr seltenen Fällen können Brucellen eine
Cholezystitis, Pankreatitis oder Peritonitis auslösen. Häufiger ist der
kPathogenese Befall von Knochen und Gelenken, insbesondere in Form einer Sa-
Invasion Die Erreger gelangen durch kleine Hautverletzungen, die kroiliitis und Spondylitis. Andere Manifestationen sind Arthritis
Konjunktiven oder über den Magen-Darm-Trakt, in seltenen Fällen und Bursitis sowie Orchitis. Neurologische Komplikationen treten
nach Inhalation über die Lunge, in den Körper. Dort werden sie in weniger als 550 % der symptomatischen Patienten als Meningitis
zunächst von polymorphkernigen Granulozyten und in der Folge mit lymphozytärer Pleozytose auf. Kardiovaskuläre Komplikationen
von Makrophagen aufgenommen und zu den nächstgelegenen (< 2% der symptomatischen Patienten) manifestieren sich als Endo-
Lymphknoten transportiert. Von dort können Brucellen über die karditis. Bei Befall des Knochenmarks resultieren Anämie, Leuko-
Lymphe in die Blutbahn gelangen und sich hämatogen ausbreiten in und Thrombopenie.
makrophagenreiche Organe wie Milz, Leber, Knochenmark und Der Befall der Lunge kann mit Husten und Dyspnoe einherge-
Lungen. Auch Testes, Gallenblase und Prostata sowie ZNS können hen. Die hilären und paratrachealen Lymphknoten können an-
befallen werden. Normales Serum zeigt aufgrund des Komplement- schwellen. Meist handelt es sich um eine interstitielle Pneumonie.
gehalts antibakterielle Aktivität gegen Brucellen, wobei B. melitensis Pleuraexsudate gehören gelegentlich zum Bild der pulmonalen Bru-
weniger empfindlich ist als die anderen Spezies, was zur höheren cellose.
Virulenz dieses Erregers beitragen könnte.
Letale Verläufe Todesfälle aufgrund von Morbus Bang kommen
Gewebeschädigung In befallenen Organen bilden sich nach Akti- fast nie vor. B. melitensis-Infektionen können aufgrund der Endo-
vierung spezifischer T-Zellen entzündliche Granulome aus Makro- karditis zum Tod führen.
phagen und Lymphozyten. Insgesamt ähnelt die Pathogenese der
Brucellosen derjenigen anderer Krankheiten durch fakultativ intra-
zelluläre Bakterien, etwa Tuberkulose, Typhus oder Tularämie. 36.2.3 Immunität
kKlinik Die Wirtsreaktion auf Brucellen ist zunächst unspezifisch und später
Brucellosen, und zwar sowohl Morbus Bang als auch das Malta- sowohl humoraler als auch zellulärer Natur. Dabei kommt den
Fieber, sind zyklische Allgemeininfektionen, die jedes Organ be- T-Zellen die entscheidende Rolle bei der Überwindung der Infektion
treffen und die subklinisch, akut oder chronisch verlaufen können. zu: Sie sind für die Bildung der Granulome verantwortlich. Im Ver-
Häufig sind die Symptome uncharakteristisch. lauf der Infektion werden Antikörper der Klassen IgM, IgA und IgG
gebildet:
Subklinischer Verlauf Bis zu 90% aller Infektionen verlaufen sub- 4 IgM mit Spezifität für Brucellen-LPS treten bereits während
klinisch. Sie lassen sich nur über den Nachweis brucellenspezifischer der 1. Woche nach Infektion auf. Der IgM-Titer fällt anschlie-
Antikörper beim Patienten erkennen und sind Ausdruck erfolgrei- ßend ab und gibt in der 3.–4. Woche nach Infektion einem
cher humoraler und zellulärer Abwehrreaktionen des Wirtsorganis- ansteigenden spezifischen IgG-Spiegel Raum.
mus. 4 Bei chronischen Brucellosen bestehen erhöhte IgG-Titer über
lange Zeit.
Akuter bis subakuter Verlauf Bei klinisch apparenten Verläufen
beginnen die Symptome nach einer von 2–3 Wochen bis zu einigen Die Antikörper wirken opsonisierend und verstärken die Phago-
Monaten dauernden Inkubationszeit entweder schleichend (meist zytose durch Kupffer-Zellen der Leber. Bei Zweitinfektion hat dies
bei B. abortus) oder abrupt (häufiger bei B. melitensis). Krankheits- einen bevorzugten Befall der Leber zur Folge. Sie sind u. a. gegen
zeichen sind Fieber, Übelkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Nacht- freigesetzte Brucella-Antigene und überwiegend gegen LPS-O-An-
schweiß. Der Fieberverlauf erstreckt sich über 7–21 Tage und kann tigene gerichtet. Eine Besonderheit von Brucellen besteht in ihrer
304 Kapitel 36 · Anthropozoonoseerreger ohne Familienzugehörigkeit: Listerien, Brucellen, Francisellen und Erysipelothrix

ausgeprägten Fähigkeit, Antikörper T-Zell-unabhängig zu induzie- kPrävention


ren. Hierfür ist die besondere Struktur der O-Antigene des Brucel- Allgemeine Maßnahmen Bei der Bekämpfung der Brucellose ste-
len-LPS verantwortlich. hen Tötung infizierter Tierbestände, Kadaververnichtung, Import-
Die Ausbildung eines protektiven immunologischen Gedächt- kontrolle von Tieren und Tierprodukten etc. im Vordergrund. Da-
nisses lässt sich anhand des Schutzes gegenüber einer Zweitinfektion mit kommt der Diagnose in der Veterinärmedizin eine besondere
demonstrieren, in deren Verlauf die Granulombildung und Typ-IV- Bedeutung zu. Eine wichtige lebensmittelhygienische Maßnahme ist
Allergie rascher als bei der Erstinfektion erfolgen. das Pasteurisieren von Milch. An Brucellose erkrankte Frauen dür-
Unmittelbar nach Infektion lassen sich Monokine (IL-1, MIP-1α fen nicht stillen.
und β, IL-6, TNF-α, IL-12) sowie IFN-γ in der Milz und Leber infi-
zierter Tiere nachweisen. Die Zytokinproduktion erreicht mit dem Impfung 2 Lebendimpfstoffe sind für die Veterinärmedizin verfüg-
Gipfel der Erregerlast in Milz und Leber ihr Maximum, danach fällt bar: B. abortus Stamm 19 und B. melitensis Stamm Rev-1. Da die
sie rasch ab. Die von spezifischen T-Zellen produzierten Zytokine Brucellose in Deutschland nicht vorkommt, findet diese Schutzimp-
entsprechen einem TH1-Muster (viel IFN-γ, kein IL-4). fung hier keine Anwendung.

kLabordiagnose Meldepflicht Der direkte oder indirekte Nachweis von Brucella spp.
Die Diagnose einer Brucellose beruht auf der Anzucht der Erreger ist namentlich meldepflichtig, soweit der Nachweis auf eine akute
sowie dem Nachweis spezifischer Antikörper. Infektion hinweist (§ 7 IfSG).

Untersuchungsmaterialien Zur Diagnostik eignen sich, je nach Brucella als Biowaffe Brucellen fallen in die Kategorie B der CDC-
Lokalisation des Infektionsprozesses, Blut, Knochenmark, Liquor, Einteilung potenzieller Biowaffenerreger.
Urin oder Gewebeproben bzw. Serum.

Anzucht Brucellen benötigen für die Anzucht komplex zusammen- In Kürze


gesetzte Kulturmedien, z. B. Tryptikase-Soja-Bouillon oder Agar. Sie Brucellen
vermehren sich langsam unter aeroben Bedingungen bei Tempera- Bakteriologie Gramnegative, kokkoide, unbewegliche und
turen zwischen 20–40 °C; das Optimum liegt bei 37 °C. 5–1050 % aerob wachsende Stäbchen. Benötigen für die Anzucht kom-
CO2 in der Atmosphäre können das Wachstum begünstigen. Bei plexe Kulturmedien und ggf. CO2-haltige Atmosphäre. Werden
Verdacht auf eine Brucellose sollte die Kultur mindestens 4 Wochen durch biochemische Reaktionen und spezifische Antikörper
dauern. Sichtbare Kolonien sind frühestens nach 2-tägiger Bebrü- identifiziert. 3 wichtige humanpathogene Arten: B. abortus,
tung zu erwarten. Im Grampräparat frisch angezüchteter Bakterien B. melitensis, B. suis.
finden sich gramnegative, kokkoide Stäbchen. Resistenz gegen äußere Einflüsse Hohe Resistenz gegen
Eine Gattungsdiagnose lässt sich durch Agglutination abgetö- Austrocknung, lange Überlebenszeit in Erde, Wasser, Fäzes,
teter Erreger mit Antiseren gegen Brucella-Antigene stellen. Die Kadavern, Milchprodukten, aber hitzeempfindlich.
weitere Differenzierung beruht auf biochemischen Tests (bunte Vorkommen Urogenitaltrakt trächtiger Schafe, Rinder und Zie-
Reihe). Auch der Nukleinsäurenachweis mittels PCR ist etabliert. gen. Brustdrüse chronisch infizierter Tiere, kontaminierter Boden.
Epidemiologie Weltweit verbreitete Zoonose. In einigen Län-
Serologie Ein Agglutinationstest unter Verwendung schonend ab- dern endemisch, in Deutschland selten.
Bakteriologie

getöteter Brucellen dient dem Nachweis von Antikörpern im Patien- Übertragung In Deutschland hauptsächlich durch importierte
tenserum (Brucellen-Widal). Mit dieser Methode sind Antikörper Milchprodukte und bei Touristen in Mittelmeer-Anrainerländern
frühestens 2 Wochen nach Infektion nachzuweisen. Ein sensitiverer durch Milch, Schafs- und Ziegenkäse. Bei beruflich Exponierten
Nachweis bedient sich des ELISA. (Bauern, Veterinäre, Schlachthausarbeiter, Metzger, Laborpersonal)
Umgang mit Geweben oder Ausscheidungen infizierter Tiere.
Brucellergen-Test In der Veterinärmedizin kommt ein intrader- Pathogenese Fakultativ intrazelluläre Erreger. Vom Primär-
maler Hauttest mit Brucellenantigen (Brucellergen) zur Auslösung affekt aus Vordringen in Lymphknoten, danach Generalisation
einer spezifischen Typ-IV-Allergie zur Anwendung. Eine positive und Befall innerer Organe. Dort granulomatöse, bei B. meli-
Reaktion beweist das Vorhandensein spezifischer T-Helfer-Zellen tensis auch eitrige Reaktionen.
und damit eine vorausgegangene Infektion. Virulenzfaktoren Weitgehend unbekannt; Endotoxin.
Zielgewebe Makrophagenreiche Organe (Milz, Leber, Knochen-
kTherapie mark).
Antibiotikaempfindlichkeit Brucellen sind empfindlich gegen Klinik Generalisierte Infektion mit verschiedenen Organmani-
Streptomycin, Gentamicin, Tetracycline, Ampicillin, Rifampicin, festationen. Undulierendes Fieber. Akute, chronische und sub-
Cotrimoxazol und Chinolone. Gegen Penicillin G sind sie resistent. klinische Verlaufsformen, letztere am häufigsten (90 %).
Immunität Überwiegend T-Zell-abhängig, lang anhaltend.
Therapeutisches Vorgehen Therapie der Wahl ist die orale Appli- Diagnose Erregeranzucht aus Blut, Gewebebiopsiematerial. Im-
kation von Doxycyclin (200 mg/d) und Rifampicin (600 mg/d, in munologischer Hauttest (Brucellergen-Reaktion), Serologie (z. B.
Einzelfällen höhere Dosierung) für 6 Wochen, um Rückfälle zu ver- Agglutinationsreaktion mit Patientenserum, Brucellen-Widal).
meiden. Beide Medikamente haben eine gute Penetrationsfähigkeit Therapie Aminoglykoside, Tetracycline, Rifampicin.
in befallene Zellen. Bei Kindern und Schwangeren ist eine Therapie Prävention Allgemeine Hygienemaßnahmen: Überwachung
mit Cotrimoxazol sowie mit Rifampicin möglich. Obwohl Chinolo- und Ausrottung infizierter Tierbestände, Kadaververnichtung,
ne eine gute In-vitro-Wirksamkeit zeigen, ist ihre alleinige Anwen- Importaufsicht, Pasteurisierung von Milch.
dung mit einer hohen Rückfallrate belastet. Befall von Knochen oder Meldepflicht Direkter oder indirekter Erregernachweis.
Herzklappen kann eine chirurgische Therapie erfordern.
36.3 · Francisellen
305 36
36.3 Francisellen
. Tab. 36.4 Francisella: Gattungsmerkmale

Die Vertreter der Gattung Francisella (F.; 2 Spezies, 4 Subspezies)


Merkmal Ausprägung
sind pleomorphe, gramnegative, geißel- und sporenlose Stäbchen-
bakterien mit besonderen Ansprüchen (z. B. Cystein) an das Kultur- Gramfärbung gramnegative, kokkoide Stäbchen
medium (. Tab. 36.4). Wildstämme haben eine Kapsel. Exotoxine
sind nicht bekannt. Aerob/anaerob aerob

Kohlenhydratverwertung fermentativ
Steckbrief
Sporenbildung nein
Francisella (F.) tularensis ist der obligat pathogene Erreger Beweglichkeit nein
der Tularämie (Hasenpest), die in der nördlichen Hemisphäre
verbreitet ist. Katalase schwach positiv

Oxidase negativ

Besonderheiten benötigt Cystein, H2S-Bildung

Typische Eintrittspforten sind kleine Hautläsionen, die Kon-


junktiven, der Mund und die Atemwege. Allerdings können Fran-
cisellen auch vektoriell (Zecken, Mücken) sowie durch Kontakt mit
kontaminiertem Wasser übertragen werden. Die Ausbreitung im
Körper kann lymphogen, hämatogen oder bronchogen erfolgen.

Francisella tularensis: gramnegative Stäbchen, entdeckt 1911/12 kKlinik


von G. W. McCoy und C. W. Chapin; bei Tularämiekranken 1914 von
Nach einer Inkubationszeit von 3–5 (1–10) Tagen erscheint eine
Wherry und Lamb (Auge) und 1921 von Francis.
Hautpapel an der Eintrittsstelle, gefolgt von Ulkusbildung. Das Er-
scheinen der Papel ist von abruptem Fieberbeginn (Bakteriämie)
und Lymphknotenschwellung begleitet (ulzeroglanduläre Form)
Nach Inhalation kommt es zu Fieber, Kopfschmerzen, Krank-
36.3.1 Beschreibung heitsgefühl und trockenem Husten mit oder ohne radiologische Zei-
chen der Pneumonie. Die orale Aufnahme kann eine Entzündung
Der Name F. tularensis kommt von Tulare County, Kalifornien, dem der Rachenschleimhaut hervorrufen oder eine uncharakteristische
Ort der Erstentdeckung 1912, und von Edward Francis, der 1921 den fieberhafte Erkrankung mit Halsschmerzen und Schwellung der
ätiologischen Zusammenhang mit der Hasenpest aufdeckte. regionalen Lymphknoten (pharyngeale Form).
Die lokale Tularämie (75–8550 %) zeigt den entzündlichen
jVorkommen Primäraffekt mit regionalen Lymphknotenschwellungen, die eitrig
F. tularensis wurde von mehr als 100 verschiedenen Wildsäugetieren einschmelzen können (Primärkomplex).
und Haustierarten sowie Arthropoden isoliert. Die für den Men- Die generalisierende Tularämie zeigt vielfältige, aber uncharak-
schen wichtigsten Infektionsquellen sind Kaninchen, Hasen, Klein- teristische Symptome einer systemischen Infektionskrankheit. Ohne
nager und Arthropoden. lokalisierte Symptome wird diese Verlaufsform als typhoid bezeich-
net. Je nach Befall der Organe im Generalisationsstadium können
organspezifische Symptome folgen.
36.3.2 Rolle als Krankheitserreger Differenzialdiagnostisch kommen in Betracht:
4 lokalisierte Formen:
kEpidemiologie 5 Infektionen durch Mykobakterien (z. B. M. marinum)
Der Erreger ist auf der gesamten nördlichen Hemisphäre verbrei- 5 Sporotrichose
tet.  Vorwiegend kommt er jedoch in den USA und im südlichen 5 Katzenkratzkrankheit
Russland vor. In den USA ist die jährliche Inzidenz auf wenige 5 Anthrax
hundert Fälle pro Jahr zurückgegangen; in China, wo wild lebende 5 Pest
Kaninchen gejagt und verzehrt werden, ist die Krankheit stärker 5 Syphilis
verbreitet. In Deutschland ist die Tularämie selten: 2014 wurden 5 Lymphogranuloma venereum
21 und 2013 wurden 20 Fälle an das Robert Koch-Institut über- 5 Toxoplasmose
mittelt. 4 typhoide Form:
5 Typhus
kÜbertragung 5 Brucellose
Der Mensch infiziert sich meistens durch Kontakt mit infizierten 5 Legionellose
Säugetieren oder durch Arthropodenstiche, seltener durch Tierbisse, 5 Q-Fieber
ferner durch Inhalation von Aerosolen oder Aufnahme von konta- 5 Psittakose
miniertem Wasser oder unzureichend gegartem Fleisch. 5 Tuberkulose
Die Übertragung von Mensch zu Mensch ist sehr selten. Die 5 Rickettsiosen
Pathogenese ähnelt der von Listeriose oder Brucellose. 5 systemische Mykosen
306 Kapitel 36 · Anthropozoonoseerreger ohne Familienzugehörigkeit: Listerien, Brucellen, Francisellen und Erysipelothrix

36.4 Erysipelothrix rhusiopathiae

Steckbrief

Erysipelothrix rhusiopathiae ist ein grampositives, unbeweg-


liches, nichtsporenbildendes, aerob und anaerob wachsendes
Stäbchen (. Tab. 36.5). Der Erreger verursacht den Schweine-
rotlauf, eine Zoonose, die sich beim Menschen als Erysipeloid
(eine Hautinfektion) manifestiert, in seltenen Fällen auch als
Sepsis und Endokarditis. Infiziert werden vorzugsweise Metzger
und Köche, die mit dem Fleisch infizierter Schweine arbeiten.
. Abb. 36.4 Francisella tularensis auf Blut-Herz-Cystein-Agar (links)
Allerdings kommen auch Fisch oder Geflügel (Ente/Pute) als
und in humanen myeloiden Zellen (rechts) (mit freundl. Genehmigung von
Infektionsquelle in Betracht.
R. Grunow, Robert Koch-Institut)

kImmunität
Das Hauptgewicht der Abwehr liegt auf einer T-Zell-abhängigen Im-
munität, die ähnlich wie bei Listeria- und Brucella-Infektionen die
Abwehrleistung über Granulombildung und Makrophagenaktivie-
rung erbringt.

kLabordiagnose
In der Diagnostik liegt das Hauptgewicht auf dem Antikörpernach-
weis beim Patienten, denn die erhebliche Infektionsgefährdung des
Laborpersonals bei Anzucht des Erregers bedingt die Einhaltung Erysipelothrix rhusiopathiae: grampositive Stäbchen, entdeckt
aufwändiger Schutzmaßnahmen. Die gezielte Anzucht erfordert 1882 von Pasteur, Löffler und schließlich Rosenbach
spezielle Nährmedien, die den besonderen Ansprüchen der Erreger
(Nährböden mit Blut- und Cysteinzusatz wie bei Legionella, . Abb.
36.4) gerecht werden. Sie sollte nur in Speziallaboratorien (S3) nach Erysipelothrix kommt v. a. im landwirtschaftlichen und veterinär-
ausdrücklicher Nennung der Verdachtsdiagnose erfolgen. medizinischen Bereich vor. Erysipelothrix findet sich in Materialien
tierischer Herkunft, auch in den Fäkalien gesunder Schweine.
kTherapie Der Schweinerotlauf des Menschen ist vorwiegend eine Berufs-
Mittel der Wahl ist Streptomycin oder Gentamicin. Die Behandlung infektion bei Landwirten, Veterinären, Fischern bzw. Fischhändlern,
dauert in der Regel 10–14 Tage. Gegebenenfalls kommen auch Metzgern und Hausfrauen, auf die er durchdirekten Kontakt über
Doxycyclin, Ciprofloxacin oder (nach Testung) Erythromycin in Be- kleine Hautläsionen übertragen wird.
tracht. Nach Infektion (Inkubationszeit 2–7 Tage) bildet sich lokal ein
entzündliches epidermales Ödem (Erysipeloid; Phlegmone/Lym-
kMeldepflicht
Bakteriologie

phangitis), in seltenen Fällen kommt es zur hämatogenen Streuung


Der direkte oder indirekte Nachweis von Francisella tularensis ist mit Sepsis oder Endokarditis.
namentlich meldepflichtig, soweit er auf eine akute Infektion hin- Die Erkrankung hinterlässt eine erregerspezifische Immunität.
weist (§ 7 IfSG). Francisellen haben in jüngster Zeit neue Aufmerk- Die Diagnose erfolgt durch Anzucht (Hautbiopsie) und Differenzie-
samkeit erregt, da sie als möglicher Biokampfstoff (Kategorie A) rung des Erregers.
eingeschätzt werden. Bei Endokarditis- oder Sepsisverdacht werden Blutkulturen ent-
nommen. Serologische Untersuchungen haben keine Bedeutung.
Für die Therapie stehen β-Laktam-Antibiotika sowie Erythro-
. Tab. 36.5 Erysipelothrix: Gattungsmerkmale mycin, Clindamycin und Doxycyclin zur Verfügung.
Die Prävention besteht im hygienischen Umgang mit Tieren bzw.
Merkmal Ausprägung deren Produkten und in der Vermeidung von Hautverletzungen.
Eine Schutzimpfung mit lebenden attenuierten Bakterien des
Gramfärbung grampositive Stäbchen Stammes von Pasteur und Thuillier ist möglich. Sie kommt für ge-
Aerob/anaerob fakultativ anaerob, mikroaerophil fährdete Personengruppen in Betracht.
Die Erkrankung ist nicht meldepflichtig.
Kohlenhydratverwertung fermentativ

Sporenbildung nein

Beweglichkeit nein

Katalase negativ

Oxidase negativ

Besonderheiten H2S-Bildung
Literatur
307 36
Literatur

Listeria
Disson O, Lecuit M (2012) Targeting of the central nervous system by Listeria
monocytogenes. Virulence. 3(2):213-221.
de Noordhout C M, Devleesschauwer B, Angulo F J, Verbeke G, Haagsma J,
Kirk M, Havelaar A, Speybroeck N (2014) The global burden of listeriosis:
a systematic review and meta-analysis. Lancet Infect Dis. 14(11):1073-
1082.

Brucella
Grillo M-J, Blasco J M, Gorvel J P, Moriyón I, Moreno E (2012) What have we
learned from brucellosis in the mouse model? Vet Res. 2012 43:29.
Moreno E (2014) Retrospective and prospective perspectives on zoonotic
brucellosis. Front Microbiol. 5:213.

Francisella
Steiner DJ, Furuya Y, Metzger DW (2014) Host-pathogen interactions and
immune evasion strategies in Francisella tularensis pathogenicity. Infect
Drug Resist. 7:239-251.
Kohlmann R, Geis G, Gatermann SG (2014) Tularemia in Germany. Dtsch Med
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Boisset S, Caspar Y, Sutera V, Maurin M (2014) New therapeutic approaches for
treatment of tularaemia: a review. Front Cell Infect Microbiol. 4:40.
309 37

Korynebakterien
M. Höck, H. Hahn

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_37, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Zur Gattung Corynebacterium (C.; Korynebakterien) gehören gram-


. Tab. 37.1 Corynebacterium: Gattungsmerkmale
positive, unbewegliche, nichtsporenbildende Stäbchenbakterien mit
leicht gekrümmter oder gerader Form. An einem Ende oder beidseitig
Merkmal Ausprägung
können sie etwas aufgetrieben sein, was ihnen ein keulenförmiges
Aussehen verleiht (gr. »koryne«: Keule). . Tab. 37.1 listet die gattungs- Gramfärbung grampositive Stäbchen
bestimmenden Merkmale auf.
Aerob/anaerob fakultativ anaerob
Die medizinisch bedeutsamste Spezies ist Corynebacterium diphthe-
riae, der Erreger der Diphtherie. Auch toxinbildende Stämme von Cory- Kohlenhydratverwertung fermentativ oder nicht
nebacterium ulcerans und pseudotuberculosis können Diphtherie Sporenbildung nein
verursachen. Andere Spezies dieser Gattung (»Diphtheroide«) können als
Beweglichkeit nein
Saprophyten Haut und Schleimhaut besiedeln. Als opportunistische
Krankheitserreger gewinnen sie zunehmend an Bedeutung (. Tab. 37.2). Katalase positive
Insbesondere bei abwehrgeschwächten Menschen sind sie als Erreger Oxidase negative
von Wundinfektionen, Endokarditis oder Sepsis gefürchtet.
Besonderheiten Neisser-Färbung mit Anfärbung der meta-
chromatischen Granula (Polkörperchen)

37.1 Corynebacterium diphtheriae


. Tab. 37.2 Corynebacterium: Arten und Krankheiten
Steckbrief
Art Krankheit(en)
Corynebacterium diphtheriae: grampositive, gekrümmte Stäb-
chen, Polkörperchen in der Neisser-Färbung, entdeckt 1883 von Nonlipophile, fermentierende Korynebakterien:
Klebs, 1888 Entdeckung des zytotoxischen Toxins durch Roux
und Yersin, 1890 des Antitoxins durch von Behring und Kitasato Corynebacterium Diphtherie
diphtheriae
C. ulcerans diphtherieartige Symptome
C. pseudotuberculosis diphtherieartige Symptome
Lipophile Korynebakterien:
C. jeikeium Sepsis, Endokarditis, Weichgewebe-
infektionen
C. urealyticum Zystitis (alkalisch inkrustierte Steine)
Nonlipophile, nonfermentierende Korynebakterien:
C. pseudo- fakultativ pathogen, Endokarditis,
diphtheriticum Atemweginfektion
C. amycolatum Haut-/Schleimhautflora, geräteassoziierte
Infektionen
37.1.1 Beschreibung
C. striatum Haut-/Schleimhautflora

jAufbau C. minutissimum Hautflora, Erythrasma


Korynebakterien zeigen den Aufbau grampositiver Bakterien, aller- C. matruchotii orale Schleimhautflora,
dings enthält die Zellwand Mykolsäure, die sonst nur bei Myko- Augeninfektionen
bakterien () und Nocardien () vorkommt. Sie besitzen keine Kapsel
und keine Geißeln. Die meisten Stämme tragen Pili.
C. diphtheriae. Das tox+-Gen ist ein Teil des Prophagen β und wird
jExtrazelluläre Produkte durch Transduktion ins Bakterienchromosom integriert. Alle toxi-
Diphtherietoxin Einige Biovare von C. diphtheriae, C. ulcerans genen Stämme von C. diphtheriae sind lysogen. Das Toxin ist ein
und C. pseudotuberculosis besitzen das tox+-Gen. Nur diese produ- hitzelabiles Protein aus 2 über eine Disulfidbrücke verbundenen
zieren das Diphtherietoxin, den wichtigsten Virulenzfaktor von Polypeptidketten. Alle toxinbildenden Stämme produzieren in un-
310 Kapitel 37 · Korynebakterien

terschiedlichem Ausmaß das gleiche Toxin. Es wird nur bei Eisen- gegen die Diphtherie umfasst. Auf dem indischen Subkontinent sind
mangel gebildet; bei hohen Eisenkonzentrationen im Gewebe wird bereits Durchimpfungsraten an DPT (Diphtherie–Pertussis–Teta-
die Expression des tox+-Gens unterdrückt. Sein Wirkungsmechanis- nus) von 80 %, in Südostasien von 50 % erzielt worden. Trotzdem
mus ist im Folgenden beschrieben (7 s. u.). tritt Diphtherie immer noch endemisch in der östlichen Mittelmeer-
region, in weiten Teilen Asiens, Südamerikas und Afrikas auf; die
jResistenz gegen äußere Einflüsse mittlere Letalitätsrate beträgt dabei ≥ 10 %.
Korynebakterien werden durch Hitze (10 min bei 58 °C) und durch Seit etwa 1990 erlebte die Diphtherie eine dramatische Wieder-
handelsübliche Desinfektionsmittel zuverlässig abgetötet. Sie sind kehr in Russland, der Ukraine und anderen Nachfolgestaaten der
gegen Austrocknung relativ resistent. ehemaligen UdSSR. Im Verlauf der Umbruchsituation nahmen dort
soziale und hygienische Missstände sowie Unterernährung zu. Das
jVorkommen einst gut funktionierende Impfprogramm brach zusammen, zusätz-
C. diphtheriae kommt vor allem beim Menschen vor. Andere Koryne- liche Bevölkerungsbewegungen und das Vorherrschen eines Diph-
bakterien, wie C. ulcerans und C. pseudotuberculosis, sind Zoo- therieerregers mit besonders starker Toxinbildung trugen zur Ver-
anthroponoseerreger (Schaf, Pferd, Kuh, Schwein, Haustiere wie breitung und Schwere der Epidemie bei.
Katzen und Hunde) und können ebenfalls diphtherieähnliche 1976 wurden der WHO aus der ehemaligen UdSSR nur 198 Diph-
Symptome beim Menschen hervorrufen. theriefälle gemeldet, im Jahr 1990 aus den Nachfolgestaaten hingegen
1700 Fälle und 1995 sogar 40.000 Fälle. Umfangreiche antiepidemi-
Geschichte
sche Maßnahmen und groß angelegte Impfkampagnen verhinderten
Die Bezeichnung Diphtherie (gr. »diphthera«: Haut, Membran) führte Bréton-
neau 1826 in Tours ein. Er definierte die Pseudomembran als typisches
eine stärkere Ausbreitung der Diphtherieepidemie: In der 1. Hälfte
Kriterium der Rachendiphtherie und grenzte die Diphtherie damit als eigen- des Jahres 1996 wurde aus den Ländern der GUS ein Rückgang um
ständige Krankheit von anderen Formen eitriger Entzündungen des Rachen- 54 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gemeldet. 2005 traten
raumes ab. Weitere historische Meilensteine: nur noch 353 Fälle auf. Das unterstreicht den besonderen Wert der
5 1883: Klebs erkennt den Erreger als Stäbchen in diphtherischen Impfprophylaxe! 2014 liegt Russland in der globalen Diphtherie-
Membranen. meldestatistik mit nur einem gemeldeten Diphtheriefall mit an letzter
5 1884: Löffler gelingt die Reinkultur mit dem nach ihm benannten Stelle.
Löffler-Serum.
5 1888: Roux und Yersin vom Pasteur-Institut in Paris entdecken das kÜbertragung
Diphtherietoxin in keimfreien Kulturfiltraten; sie schaffen damit die C. diphtheriae wird am häufigsten aerogen durch Tröpfchen auf
Voraussetzung für die aktive Diphtherieschutzimpfung. enge Kontaktpersonen übertragen. Als enge Kontaktperson ist jede
5 1890: von Behring und Kitasato beobachten, dass Antikörper Person aufzufassen, die während der Ansteckungsfähigkeit eines
(Antitoxin) die Wirkung des Diphtherietoxins neutralisieren. Diphtheriekranken (Dauer in der Regel 2–5 Tage, max. 10 Tage)
5 1894: von Behring führt das »Diphtherie-Heilserum« ein. »Face-to-face«-Kontakt zu diesem hatte. Erste Ansiedlungsstelle
5 1900: Ehrlich entgiftet das Toxin durch Wärmebehandlung. sind meist die Tonsillen.
5 1913: von Behring immunisiert Kinder mit einem Toxin-Antitoxin- Toxinproduzierende C. diphtheriae können auch durch klinisch
Gemisch. gesunde Bakterienträger übertragen werden.
5 1924: Ramon stellt durch Behandlung des Toxins mit Wärme und Diphtherische Schmierinfektionen von Auge, Nase, Vagina
Formalin Diphtherietoxoid (damals Anatoxin genannt) her; damit und Nabelschnurstumpf sind möglich. In tropischen Regionen ist
Bakteriologie

beginnt die Ära der Schutzimpfung. die Wunddiphtherie infolge von Kratzwunden nach Insektenstichen
5 1951: Freemann unterscheidet pathogene, d. h. toxinproduzierende oder Scabies verbreitet.
Stämme von nichtpathogenen, die avirulent sind.
5 1960–1970: Collier, Gill und Pappenheimer klären die molekulare kPathogenese
Wirkungsweise des Diphtherietoxins auf. Adhäsion Über Kolonisationsfaktoren an der Rachenschleimhaut
ist wenig bekannt. Die Erreger adhärieren auch an der Rachen-
schleimhaut immuner Träger, können aber keine Pseudomembran-
37.1.2 Rolle als Krankheitserreger bildung auslösen (Carrier-Status).

kEpidemiologie Invasion C. diphtheriae mit geringer Invasivität verbleiben in der


Die Diphtherie ist eine seit dem Altertum bekannte Seuche. Sie ge- Regel an der Ansiedlungsstelle und bilden dort das Exotoxin.
hört zu den klassischen Infektionskrankheiten. Noch zu Beginn des
20. Jahrhunderts war sie als »Würgeengel der Kinder« gefürchtet. In Zytotoxische Schädigung Nur toxinbildende Biovare von C. diph-
Europa grassierte die letzte große Diphtherieepidemie im 2. Welt- theriae können Diphtherie verursachen.
krieg mit 3 Mio. Erkrankungen. 4 Infolge lokaler Einwirkung zerstört das Diphtherietoxin
Begünstigende Umweltfaktoren sind gemäßigte Klimazonen. die Epithelzellen in der Umgebung der Ansiedlungsstelle.
Der Morbiditätsgipfel von Diphtherie ist im Herbst und Winter zu Es bildet sich ein dicker grauer Belag, die sog. Pseudomem-
beobachten. Die seit etwa 1960 in allen europäischen Ländern bran. Sie besteht aus einem Fibrinnetz, in das Bakterien,
durchgeführten Schutzimpfungen haben zu einem starken Morbidi- Leukozyten und Zelltrümmer eingelagert sind; darunter ist
tätsrückgang geführt. In Deutschland wie in den anderen euro- das Gewebe nekrotisch. Bei der Rachendiphtherie können
päischen Ländern ist die Diphtherie inzwischen extrem selten. sich die Pseudomembranen im gesamten Nasen-Rachen-
Auch in den USA sind seit 1998 nur noch Einzelfälle aufgetreten. Raum (Tonsillen, Uvula, Gaumen, hintere Pharynxwand und
In den Entwicklungsländern ist die Diphtherie jedoch noch im- Larynx) ausbreiten. Absteigende Pseudomembranbildung
mer ein großes Problem. 1974 startete die WHO das »Erweiterte kann den Larynx verlegen (Krupp), sodass Erstickungsgefahr
Immunisierungsprogramm« (EPI), das auch den weltweiten Kampf besteht.
37.1 · Corynebacterium diphtheriae
311 37

. Abb. 37.1 Hemmung von EF-2 durch Exotoxin bei Diphtherie

4 Die systemische Wirkung des über den Kreislauf verteilten these essenziellen Elongationsfaktors 2 (EF-2) katalysiert. Es besteht
Exotoxins betrifft alle Zellen des Körpers, v. a. Zellen mit hoher aus einer A- und einer B-Kette, die über eine Disulfidbrücke verbun-
Stoffwechselrate: den sind. Das Toxin hat 3 Funktionsbereiche:
5 Die Zerstörung von Herzmuskelzellen verursacht eine in- 4 R-Domäne: Rezeptorbindungsstelle, die sich an ein Rezeptor-
terstitielle Myokarditis mit Störungen der Erregungsbildung protein auf der Zielzelle bindet
und -ausbreitung und eine Einschränkung der Herzmuskel- 4 T-Domäne: vermittelt die Translokation des Enzymanteils des
funktion. Toxinmoleküls in die Zelle hinein
5 In der Niere kommt es zu Tubulusnekrosen und damit zu 4 C-Domäne: enzymatischer Anteil, der die ADP-Ribosylierung
einem Funktionsverlust. des Zielmoleküls katalysiert.
5 Die Wirkung auf die Nervenzellen besteht in einer Demye-
linisierung und damit in einer erheblichen Störung der Wei- Die C-Domäne ist auf der A-Kette, R- und T-Domäne sind auf der
terleitung von Nervenimpulsen bis hin zur Paralyse. B-Kette lokalisiert. Die B-Kette tritt über die R-Domäne in Kontakt
mit dem Rezeptor auf der Zelloberfläche. . Abb. 37.1 zeigt die ein-
Molekulare Wirkungsweise des Diphtherietoxins Diphtherietoxin zelnen Schritte bei Bindung, endozytotischer Aufnahme und Trans-
ist ein AB-Toxin, das die ADP-Ribosylierung des für die Proteinsyn- lokation des Toxins.
312 Kapitel 37 · Korynebakterien

Zelloberflächenrezeptor für das Diphtherietoxin ist der hepa- der Rachendiphtherie. Bei weiterer Deszendenz der Membranen
rinbindende Vorläufer des epidermalen Wachstumsfaktors EGF entwickelt sich die Kehlkopfdiphtherie mit zunehmender inspirato-
(»heparin-binding epidermal growth factor precursor«, »HB-EGF rischer Atemnot (Diphtheriekrupp). Myokarditis und akutes Nie-
precursor«). Bevor die synthetisierende Zelle EGF freisetzt, liegt renversagen können als Spätkomplikationen bis zu 8 Wochen nach
das Hormon als Vorläufermolekül in der Zellmembran vor. Diese Krankheitsbeginn auftreten.
Form erkennt die B-Kette als Rezeptor. HB-EGF findet sich auf Zu beobachten sind verschiedene Schädigungen des periphe-
vielen Zellen, aber in unterschiedlicher Dichte, was die Neigung von ren Nervensystems: Charakteristisch für die Rachendiphtherie ist
C. diphtheriae erklärt, bestimmte Zellen (Herz, Nieren) bevorzugt z. B. eine schlaffe Lähmung des weichen Gaumens (Gaumensegel-
zu befallen. Somit ist HB-EGF ein Beispiel dafür, wie es Mikroorga- parese) und der Schlundmuskulatur, die sich innerhalb der ersten
nismen verstehen, sich unter Ausnutzung vorgeprägter essenzieller Krankheitstage entwickeln kann. Der Tod erfolgt durch Herzversa-
Zelloberflächenmoleküle an die Zelle zu binden und sich in sie ein- gen als Folge der toxischen Schädigung der Herzmuskelzellen oder
schleusen zu lassen. (Ein anderes Beispiel ist die HIV-Bindung an durch Ersticken infolge der mechanischen Verlegung der Atemwege
den T-Zell-Rezeptor.) bei Membranbildung im Kehlkopf.
Ist das Toxin gebunden, nimmt die Wirtszelle es in einer endo- Eine weitere Form ist die Haut- und Wunddiphtherie. Häufig
zytotischen Vakuole auf. Darin entwickelt sich ein niedriger pH- wird diese Form bei Zahnkaries, Obdachlosen, Alkoholikern und
Wert, der den Translokationsvorgang ermöglicht. Bei pH 5 wird Drogensüchtigen mit vorbestehenden Verletzungen der Haut oder
das ursprünglich kugelförmige Toxinmolekül aufgefaltet und hydro- Dermatosen beobachtet. Es sind auch Fälle mit schweren invasiven
phobe Anteile werden exponiert, die sich in die Membran der endo- Erkrankungen wie Endokarditis, Fremdkörper- und Gelenkinfek-
zytotischen Vakuole inserieren, sodass der A-Anteil der Kette zum tionen beschrieben worden.
Zytoplasma hin exponiert wird. Durch Reduktion der Disulfid- Eine an einer Rachen- und vulvovaginalen Diphtherie er-
brücke wird jetzt der A-Ketten-Anteil freigesetzt, gelangt ins Zyto- krankte Schwangere kann C. diphtheriae auf ihr Neugeborenes
plasma und entfaltet seine enzymatische Wirkung. übertragen. Die Letalitätsrate liegt bei 50 %. Die Übertragung einer
Die A-Kette katalysiert die Ribose-Anheftung an den Histidin- Rachendiphtherie ist auch postpartal möglich.
teil des Elongationsfaktors EF-2 und inaktiviert ihn dadurch:
kImmunität
1$'()ĺ$'35LERV\O()1LNRWLQDPLG++ Antitoxin (toxinspezifische Antikörper) wird nach Ablauf der
1. Krankheitswoche gebildet. Es vermittelt einen gewissen Schutz
ADP-Ribosyl heftet sich an einen ungewöhnlichen Histidinab- vor weiteren Schädigungen. Antitoxin bildet mit dem Toxin der Er-
kömmling, genannt Diphthamid, der nur am EF-2 und an keinem reger Immunkomplexe, die über die Kupffer-Zellen der Leber aus
anderen zellulären Protein vorkommt. Diese Histidinstruktur dient dem Organismus eliminiert werden. Die antitoxische Immunität
als Zielstruktur für die katalytische Wirkung der A-Kette. Sie erklärt, wird im Verlauf der Erkrankung nur zu einem geringen Grad ausge-
warum das Diphtherietoxin spezifisch EF-2 inaktiviert. prägt und hält nur wenige Monate an. Die Immunität nach der Er-
Das Diphtherietoxin ist sehr potent: Ein einziges A-Kettenmole- krankung ist daher unsicher: Patienten müssen nach der Rekonva-
kül kann eine Zelle abtöten. Obwohl das Toxin auf jede Säugetier- leszenz gegen eine erneute Infektion mit C. diphtheriae geimpft
zelle einwirkt, bestehen deutliche Unterschiede in der Empfänglich- werden.
keit: Diese beruht auf der unterschiedlichen Zahl von Rezeptoren auf Zur Schutzimpfung 7 s. u. (Abschnitt Prävention).
der Zelloberfläche. Herz- und Nervenzellen zeigen die größte Rezep-
kLabordiagnose
Bakteriologie

tordichte und sind für die Wirkung des Diphtherietoxins am emp-


fänglichsten: Herzversagen und Lähmung peripherer Nerven sind Die Diagnose Diphtherie ist primär klinisch zu stellen. Die Therapie
die Hauptsymptome schwerer Diphtherie. ist bereits bei klinischem Verdacht zu beginnen. Deshalb muss bei
entzündlichen Erkrankungen im Nasen-Rachen-Raum (z. B. Ton-
kKlinik sillitis, Nasopharyngitis, Laryngitis) auch an Diphtherie gedacht
Nach einer Inkubationszeit von 2–4, selten bis zu 6 Tagen setzt die werden!
Rachendiphtherie plötzlich mit Halsschmerzen und Schluck- Die bakteriologische Diagnose hat mit Anzucht des Erregers
beschwerden ein. Die Schleimhaut ist gerötet und geschwollen, es und Nachweis eines toxinbildenden Stammes bestätigenden Cha-
bilden sich eitrig aussehende Stippchen, die zu einem membran- rakter.
artigen Belag konfluieren, der, ausgehend von den Tonsillen, auf
Gaumen und Rachen übergreift. Es entsteht die Pseudomembran. Untersuchungsmaterial Die ersten Untersuchungsproben sind vor
Sie haftet relativ fest auf der darunterliegenden Schleimhautschicht. Behandlungsbeginn zu entnehmen. Bei Diphtherieverdacht und -er-
Beim Versuch, sie zu lösen, kann es zu Blutungen mit nachfolgender krankung sind grundsätzlich Rachen- und Nasopharyngealabstriche
bräunlicher Verfärbung, zur »Rachenbräune«, kommen. C. diphthe- zu entnehmen, weil dadurch die Isolierungsrate von C. diphtheriae
riae verbleibt am Ort der Ansiedlung unter den Belägen. Deshalb eindeutig erhöht wird. Bei der Materialentnahme ist die Berührung
erfolgt hier die Entnahme von Untersuchungsmaterial für die bak- von Lippen, Zunge und Wangenschleimhaut möglichst zu vermei-
teriologische Diagnostik. den. Mit einem Abstrichtupfer ist das Material von der Unterseite
Fieber kann zu Beginn der Erkrankung fehlen, jedoch klagen die der vorsichtig abgehobenen Pseudomembran zu entnehmen. Dabei
Patienten über ein schweres, allgemeines Krankheitsgefühl. Diese werden keine Schmerzen erzeugt. Die Abstrichtupfer sind unverzüg-
starke Abgeschlagenheit (Prostration) wird durch die Toxinämie lich dem Laboratorium zuzuleiten. Sollte sich der Transport verzö-
verursacht. Die Patienten sind lethargisch und blass. Möglich ist die gern, sind die Abstrichtupfer in ein Transportmedium (z. B. nach
Ausbildung eines peritonsillären Ödems im Bereich der submandi- Stuart) einzubringen.
bularen und zervikalen Lymphknoten mit starker teigiger Schwel-
lung des Halses: Cäsarenhals. Der früher stets angeführte charakte- Mikroskopie Vom Originalmaterial und von der Reinkultur werden
ristische fad-süßliche Mundgeruch gilt nicht mehr als Leitsymptom Präparate nach Neisser gefärbt. Das von der Reinkultur (Löffler-
37.1 · Corynebacterium diphtheriae
313 37
Nährboden) gefertigte Präparat zeigt die stäbchenförmigen, gelb-
braun gefärbten Bakterien in charakteristischer V- oder Y-förmiger
Lagerung, die an chinesische Schriftzeichen oder an das Muster von
aus der Schachtel geschütteten Streichhölzern erinnert. Charakteris-
tisch sind die im Zytoplasma eingeschlossenen metachromatischen
Polkörperchen (Babes-Ernst-Körperchen), die sich mit saurem Me-
thylenblau anfärben lassen. In der Phase der Zellteilung sind diese
besonders deutlich ausgebildet. Die Neisser-Färbemethode zielt auf
die Darstellung der schwarzblau gefärbten Polkörperchen ab, die ein
diagnostisches Merkmal darstellen.
Das mikroskopische Präparat allein reicht zur Diagnostik der
Diphtherie nicht aus!

Anzucht C. diphtheriae lässt sich bei 37 °C in atmosphärischer Luft


mit einem Zusatz von 10 % CO2 auf Blutagar und auf serumhaltigen
Kulturmedien oder Hoyle-Agar leicht anzüchten. Das Kultur-
medium der Wahl ist der Löffler-Serum-Nährboden; er ermöglicht
üppiges Wachstum von C. diphtheriae und bringt die charakte-
ristische Morphologie besonders gut zur Ausprägung.
Die Vermehrung erfolgt bei Temperaturen zwischen 15 und
40 °C; sichtbare Kolonien entstehen nach 18–24 h Bebrütungsdauer.
Auf tellurithaltigen Kulturmedien wird Tellurit zu metallischem Tel-
lur reduziert. Korynebakterien reichern dieses intrazellulär an: Die
Kolonien färben sich schwarz an. Das Merkmal der Tellurspeiche-
rung ist ein wichtiges Hilfsmittel, um die Gattung Corynebacterium
zu erkennen. (Die Toxinbildung von C. diphtheriae ist damit jedoch
nicht bewiesen!) Außerdem unterdrückt Tellurit in Konzentrationen
von 100 mg/ml das Wachstum anderer Bakterien aus der Rachenflo-
ra; das Tellurit-Medium besitzt also auch Eigenschaften eines Selek-
tiv-Kulturmediums.
Die Speziesdifferenzierung erfolgt heute meist mittels Massen-
spektrometrie (»Matrix-assisted laser desorption/ionization time of
flight«, MALDI-TOF), kann aber auch biochemisch erfolgen.

Biotypisierung Mit ihrer Hilfe lassen sich die epidemiologisch be-


deutsamen Biovare von C. diphtheriae sowie die anderen Spezies der
Gattung Corynebacterium unterscheiden. Die Differenzierung der
Biovare geht einher mit einer Abnahme der Virulenz, die bei identi-
schem Diphtherietoxin auf der jeweiligen Generationszeit und der
produzierten Toxinmenge beruht (. Tab. 37.3).
. Abb. 37.2 ELEK-Test zum Nachweis von Diphtherietoxin
Toxinnachweis Der Nachweis der Toxinbildung erfolgt mittels Re-
al-Time-PCR. Als Bestätigungstest wird der ELEK-Test, ein Immun-
diffusionstest (. Abb. 37.2), durchgeführt. Präzipitationslinien im kTherapie
Agargel zeigen die Antigen-Antikörper-Reaktion zwischen dem Antitoxin Diphtherie-Antitoxin ist bereits bei klinisch begründe-
Diphtherietoxin des zu testenden Bakterienstammes und dem zu- tem Verdacht oder bei Erkrankung unverzüglich mit einer Gabe von
gegebenen Diphtherieantitoxin an. Der Nachweis des lysogenen 10.000–100.000 IE i. m./i. v. je nach Lokalisation und Schweregrad
Toxingens erfolgt durch PCR in Speziallaboratorien. der Diphtherie anzuwenden. Das Ergebnis der bakteriologischen
Untersuchung darf nicht abgewartet werden. Diphtherie-Antitoxin
wird hingegen nicht bei Kontaktpersonen eines Diphtheriekranken,
bei Keimträgern und auch nicht bei Patienten mit Wunddiphtherie
. Tab. 37.3 Biotypisierung epidemiologisch bedeutsamer Biovare
angewendet.
von C. diphtheriae
Da nur Diphtherie-Antitoxin vom Pferd zur Verfügung steht, ist
Biovar Anzahl Generations- Virulenz
vor der Anwendung eine mögliche Allergie des Patienten durch
Polkörperchen zeit (min) einen Intrakutan- oder Konjunktivaltest mit einer 1:10 verdünnten
Lösung des Diphtherie-Antitoxins festzustellen.
Gravis 1–2 60 +++
Antibiotika Zeitgleich mit der Gabe von Diphtherie-Antitoxin ist
Intermedius 3–4 100 +
ebenso unverzüglich die antimikrobielle Therapie einzuleiten. Sie ist
Mitis 5–6 > 180 ++ wirksam gegen den Erreger, aber nicht gegen dessen Toxin. Die An-
Belfantii >1 k. A. ± tibiotikatherapie ersetzt deshalb niemals die Antitoxintherapie! Zur
Behandlung werden Penicillin G oder Erythromycin (für Patienten
314 Kapitel 37 · Korynebakterien

mit Penicillinallergie auch Rifampicin oder Clindamycin) für 4 So werden z. B. C. ulcerans und C. pseudotuberculosis gele-
14 Tage empfohlen. In der Regel sind Patienten bzw. Keimträger gentlich aus dem Nasen-Rachen-Raum Gesunder isoliert. Sie
24(–48) h nach Beginn der antibakteriellen Behandlung nicht mehr können bei Vorliegen toxinogener Stämme auch diphtherie-
kontagiös. ähnlichen Entzündungen des Pharynx hervorrufen.
4 C. jeikeium kann als Haut- und Schleimhautbesiedler ins-
Sonstige Maßnahmen Bei Krupp ist die Durchgängigkeit der besondere bei abwehrgeschwächten und bei antibiotisch über
Atemwege durch Intubation oder durch Tracheotomie sicherzu- lange Zeit vorbehandelten Patienten vorkommen und bei
stellen. Eine Kreislaufstabilisierung ist erforderlich. diesen septische Infektionen auslösen.

kPrävention Einige dieser Korynebakterien, die in der Regel nur gegen Vancomy-
Schutzimpfung Wegen der besonderen Gefährlichkeit von Diph- cin und Rifampicin empfindlich sind, bereiten bei der antibiotischen
therie und Tetanus wird generell empfohlen, die Grundimmunisie- Therapie erhebliche Schwierigkeiten.
rung gegen beide Krankheiten durch 3 Gaben im Abstand von min-
destens 1 Monat bereits im Säuglingsalter ab Beginn des 3. Lebens-
In Kürze
monats mit Kombinationsimpfstoffen zu beginnen. Je eine Auffri-
Korynebakterien
schimpfung erfolgt ab dem 6. und im 11.–18. Lebensjahr. Die
Bakteriologie Grampositive, keulenförmige Stäbchen. Wachs-
Immunität ist in 10-jährigen Intervallen mit je einer Dosis eines
tum unter aeroben und anaeroben Bedingungen. Reduktion
kombinierten Diphtherie-Tetanustoxoid-(Pertussis-)Impfstoffs auf-
von Tellurit zu metallischem Tellur.
zufrischen.
Vorkommen Obligat pathogen: toxinbildendes C. diphtheriae.
Mit der Impfung wird die antitoxische Immunität stimuliert.
Fakultativ pathogen: einige Spezies, z. B. C. ulcerans, C. pseudo-
Protektives Antigen des Impfstoffs ist das Toxoid. Es wird aus dem
tuberculosis und C. jeikeium. Verschiedene Spezies sind Be-
Toxin durch Formalininaktivierung gewonnen. Bei diesem Prozess
standteil der physiologischen Haut- und Schleimhautflora des
wird der B-Teil des Toxins denaturiert, seine Fähigkeit, sich an Zell-
Menschen.
rezeptoren anzuheften – als Voraussetzung für die zytotoxische Wir- Resistenz gegen äußere Einflüsse Hitzeempfindliche Bak-
kung – geht dadurch verloren. Die immunogene Eigenschaft, d. h. terien, kein Überleben bei 10 min bei 58 °C, gegen Austrock-
die Stimulierung der spezifischen Antitoxinbildung, bleibt jedoch nung relativ resistent.
erhalten. Diphtherietoxin kann den Organismus nicht mehr schädi- Epidemiologie Weltweite Verbreitung. Lokale Diphtherieaus-
gen, es wird durch das Antitoxin neutralisiert. brüche und Epidemien in Regionen mit schlechten sozioökono-
Der Serumgehalt an Diphtherie-Antitoxin wird z. B. mit dem mischen Bedingungen und mangelndem Impfschutz.
Zellkultur-Neutralisationstest oder mit der ELISA-Methode be- Übertragung Tröpfcheninfektion.
stimmt. (Der 1913 von Schick zur Beurteilung des Antitoxinschutzes Pathogenese Infektion ൺ lokale Erregeransiedlung ൺ Exotoxin-
eingeführte Intrakutantest ist durch das o. g. In-vitro-Verfahren ab- bildung ൺ Hemmung der Proteinbiosynthese ൺ Pseudomem-
gelöst worden.) Mindestens 0,1 IE Diphtherie-Antitoxin/ml Serum branbildung, Myokarditis, Nierenschädigung, periphere Nerven-
sind für den Individualschutz erforderlich. lähmungen.
Die Impfung schützt nicht gegen die Besiedlung des Nasen- Zielgewebe Schleimhaut des oberen Respirationstrakts, Toxin-
Rachen-Raumes mit Diphtheriebakterien, diese können auch bei wirkung auf Herzmuskel, Nieren, periphere Nerven.
gesunden Menschen vorkommen. Klinik Inkubationszeit 2–5 (–10) Tage. Plötzlicher Krankheitsbe-
Bakteriologie

ginn mit Halsschmerzen, Angina, Fieber (kann bei Beginn der Er-
Sonstige Maßnahmen Personen, die mit Diphtheriekranken oder krankung fehlen) und ödematös verdicktem Halsbereich (Cäsa-
Trägern toxinbildender Stämme von C. diphtheriae, C. ulcerans und renhals). Pseudomembranbildung an der Ansiedlungsstelle der
C. pseudotuberculosis engen Kontakt (»face-to-face«) hatten, müs- Erreger, zumeist Tonsillen, übergreifend auf Pharynx.
sen mindestens 7 Tage isoliert und auf klinische Zeichen einer Diph- Pathomechanismus Geringe Invasivität. Entscheidender Viru-
therie beobachtet werden. Bei allen engen Kontaktpersonen werden lenzfaktor ist das Exotoxin. Es hemmt die Proteinbiosynthese
Rachen- und Nasopharyngealabstriche für die mikrobiologischen durch Blockierung des Elongationsfaktors EF-2.
Untersuchungen abgenommen. Unabhängig von ihrem Impfstatus Labordiagnose Nasen- und Rachenabstrich, Isolierung auf tellurit-
erhalten alle eine präventive antibakterielle Therapie oral für 7 Tage; haltigen Kulturmedien, Identifizierung durch Biotypisierung, Toxin-
bei intramuskulärer Gabe von Benzylpenicillin einmalig. nachweis mittels Massenspektrometrie oder PCR und ELEK-Test.
Therapie Neutralisation des Toxins durch unverzügliche Gabe
Meldepflicht Namentlich zu melden sind der Krankheitsverdacht, von 10.000–100.000 IE Diphtherie-Antitoxin i. m. Erregerelimina-
die Erkrankung sowie der Tod an Diphtherie (§ 6 IfSG). Ebenfalls tion durch Penicillin G oder Erythromycin.
namentlich meldepflichtig sind der direkte oder indirekte Nachweis Immunität Erkrankung hinterlässt geringe, oft nur Monate an-
von toxinbildendem Corynebacterium diphtheriae, soweit der haltende Immunität. Nur die Impfung verleiht sichere Immunität.
Nachweis auf eine akute Infektion hinweist (§ 7 IfSG). Prävention Isolierung der Erkrankten. Sanierung von Keimträ-
gern, Überwachung enger Kontaktpersonen, Schutzimpfung.
Schutzimpfung Bei allen Kindern ab dem 3. Lebensmonat eine
37.2 Andere Korynebakterien 3-malige Grundimmunisierung mit Diphtherietoxoid-Impfstoff
in Kombination mit anderen Impfstoffen für das Kindesalter,
Andere Korynebakterien als C. diphtheriae werden auch als je eine Auffrischimpfung ab dem 6. und dem 11. Lebensjahr.
»koryneform« oder »diphtheroid« bezeichnet. Einige dieser Spezies Weitere Auffrischimpfungen lebenslang alle 10 Jahre.
(. Tab. 37.2) gehören zur physiologischen Standortflora der Haut Meldepflicht Verdacht, Erkrankung und Tod sowie Nachweis
und der Schleimhäute. Sie können als fakultativ pathogene Erreger toxinbildender C. diphtheriae-Stämme.
verschiedene Infektionen verursachen:
Weiterführende Literatur
315 37
Weiterführende Literatur

CDC Advisory Committee on Immunization Practices (2011) Update recom-


mendations for use of tetanus toxoid, reduced diphtheria toxoid and
acellular pertussis vaccine (Tdap) in pregnant women and persons who
have or anticipate having close contact with an infant aged < 12 months.
MMWR. 60 (41):1424-1426.
Giovine PD et al (2010) External quality assessment for the determination
of diphtheria antitoxin in human serum. Clin Vaccine Immunol. 17:1282-
1290.
Murphy TV et al (2008) Prevention of Pertussis, Tetanus, and Diphtheria
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RKI (2009) Aktuelle Aspekte zur Diphtherie in Europa. Epidemiol Bull. 2:9-11.
RKI (2011) Diphtherie: Erkrankung durch toxinogene Corynebacterium
ulcerans nach Katzenkontakt – Fallbericht Epidemiol Bull. 27:245-248.
317 38

Bacillus
H. Hahn

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_38, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Bakterien der Gattung Bacillus und verwandter Gattungen sind fakul- 38.1 Bacillus anthracis
tativ aerob wachsende, sporenbildende Stäbchen, die sich überwie-
gend grampositiv, selten gramvariabel anfärben (. Tab. 38.1). Die zahl-
Steckbrief
reichen Bacillus-Arten sind sehr umweltresistent und kommen häufig
als Kontaminanten in der Umwelt vor. Drei Arten (Bacillus anthracis, B. anthracis verfügt durch die Bildung von Endosporen über
B. cereus und B. subtilis) sind klinisch relevant. Bacillus anthracis und eine hohe Umweltresistenz. Er ist obligat pathogen und löst
B. cereus wirken durch Toxinbildung (. Tab. 38.2). Obligat pathogen Milzbrand bei Menschen und Tieren aus. B. anthracis gehört
ist Bacillus (B.) anthracis, der Erreger des Milzbrandes. zur Risikostufe 3 gemäß Biostoffverordnung. Die Sporen von
B. anthracis überleben jahrzehnte- bis jahrhundertelang auf-
grund ihrer hohen Umweltresistenz in kontaminierter Erde.

. Tab. 38.1 Bacillus: Gattungsmerkmale

Merkmal Ausprägung

Gramfärbung grampositive Stäbchen

Aerob/anaerob fakultativ anaerob

Kohlenhydratverwertung verschieden

Sporenbildung ja

Beweglichkeit verschieden
Bacillus anthracis: große, grampositive Stäbchen, kettenförmig
Katalase positiv
aneinandergereiht mit beginnender Sporenbildung, entdeckt 1850
Oxidase verschieden von P. Rayer, 1876 Pathogenitätsnachweis von R. Koch

Kapselbildung verschieden

1850 isolierte P. F. Rayer B. anthracis aus dem Blut erkrankter Schafe.


1876 gelang es Robert Koch, die Krankheit experimentell auf Ver-
suchstiere zu übertragen und den Erreger aus diesen wieder rückzu-
. Tab. 38.2 Bacillus: Arten und Krankheiten isolieren. Erstmals konnten damit für einen Erreger die Koch-Pos-
tulate erfüllt werden (7 Kap. 3). Pasteur immunisierte 1881 Ver-
Art Krankheit suchstiere mit attenuierten Stämmen und verhinderte dadurch eine
Milzbrandinfektion. Der Name B. anthracis kommt von gr. »anth-
B. anthracis Milzbrand (Anthrax) rax« für Kohle, da die Milz befallener Tiere nekrotisch zerfällt und
B. cereus Lebensmittelvergiftung schwarz, wie verbrannt, aussieht.

Wundinfektionen

Endophthalmitis 38.1.1 Beschreibung


Pneumonie
jAufbau
Endokarditis Kapsel B. anthracis bildet in Kultur auf Nähragar bei erhöhter CO2-
B. subtilis Lebensmittelvergiftung Konzentration eine Kapsel aus D-Glutaminsäure aus.

Kathetersepsis Sporen Die meist zentral gelegenen, selten subterminalen Endo-


sporen werden unter ungünstigen Kulturbedingungen gebildet.

jExtrazelluläre Produkte
Exotoxin B. anthracis produziert ein Exotoxin (Anthraxtoxin), das
plasmidkodiert ist. Es besteht aus 3 Anteilen: Ödemfaktor, protekti-
ves Antigen und Letalfaktor.
318 Kapitel 38 · Bacillus

jResistenz gegen äußere Einflüsse


Die Milzbrandsporen sind äußerst umweltresistent und bleiben über
Jahrzehnte bis Jahrhunderte auskeimungsfähig. Milzbrandverseuch-
te Weideflächen werden in England und den USA als »bad fields«
seit Generationen gemieden. Einige unbewohnte Atlantikinseln
(z. B. Guinard), die im 2. Weltkrieg bei B-Waffen-Versuchen mit
Milzbrandsporen verseucht wurden, sind bis heute unbewohnbar;
die Schafe, die dort regelmäßig ausgesetzt werden, verenden inner-
halb kurzer Zeit an Milzbrand.

jVorkommen
Die umweltresistenten Sporen sind ubiquitär verbreitet. Reservoir
von B. anthracis ist der Erdboden, wobei eine lokale Milzbrand-
epidemie durch die verwesenden Tierkadaver ganze Flächen auf
Jahre hinaus kontaminiert. B. anthracis hält sich an Stellen, an
denen die meisten anderen Mikroorganismen nicht mehr lebens-
fähig sind.

38.1.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
Der Milzbrand ist weltweit zurückgegangen: Zwischen 1972 und
1981 wurden in den USA nur noch 17 Fälle gemeldet. Seitdem treten
nur noch vereinzelte Fälle auf. Allerdings besteht unverändert die
Gefahr, dass Milzbrandsporen im Rahmen bioterroristischer An-
griffe eingesetzt werden. So starben 1979 68 Menschen im russi-
schen Jekaterinburg nach einem Zwischenfall in einer B-Waffen-
Fabrik. 2001 wurden in den USA mehrere Briefe versandt, die
Milzbrandsporen enthielten: 10 Menschen erkrankten dabei an
Lungenmilzbrand und 7 an Hautmilzbrand. Davon verstarben
5 Menschen.

kÜbertragung
Die Milzbrandinfektion ist eine Zoonose. Die Sporen werden von . Abb. 38.1 Pathogenese und Rolle der Virulenzfaktoren bei Milzbrand
Weidetieren aufgenommen. Menschen infizieren sich über den
direkten Kontakt mit erkrankten oder verstorbenen Tieren sowie
Bakteriologie

indirekt durch tierische Rohstoffe (Wolle, Ziegenhaar, Knochen-


mehl), aber auch durch Fertigprodukte (Rasierpinsel, Satteldecken kKlinik
etc.: »Woolsorter’s disease«), die mit Sporen kontaminiert sind. Hautmilzbrand Zu 95 % manifestiert sich die Erkrankung als Haut-
milzbrand. Die Inkubationszeit beträgt 2–5 Tage. Danach entwickelt
kPathogenese sich innerhalb von 24–48 h an der Infektionsstelle eine auffallend
Invasion Die Aufnahme der Sporen erfolgt am häufigsten über schmerzlose, aber juckende Papel mit stark ödematösem Randsaum
Hautläsionen, seltener durch Ingestion oder Inhalation. An der In- (Pustula maligna). Das Zentrum zerfällt schwarz-nekrotisch, am
fektionsstelle gehen die Sporen in das vegetative Stadium über und Rand entstehen seröse Bläschen. Häufige Lokalisationen sind Hän-
sezernieren Anthraxtoxin (. Abb. 38.1). de, Unterarme und Gesicht. Die Infektion verläuft unbehandelt in
20 % der Fälle tödlich (Toxinämie und Bakteriämie).
Gewebeschädigung Unter dem Schutz des protektiven Antigens
dringen Ödem- und Letalfaktor in die an der Infektionsstelle ange- Lungenmilzbrand Nach 2- bis 3-tägigen, grippeähnlichen Sympto-
sammelten polymorphkernigen Leukozyten ein und induzieren eine men kommt es schlagartig zu einer Pneumonie mit hohem Fieber
Erhöhung der cAMP-Konzentration, wodurch die Phagozytose be- und Dyspnoe. Es bildet sich ein massives Ödem im Nacken-,
hindert wird. So können die Bakterien sich massiv vermehren, drin- Thorax-  und Mediastinalbereich. Die Erkrankung verläuft rasch
gen in die lokalen Lymphgefäße und später in die Blutbahn ein. Die tödlich.
Schädigung der polymorphkernigen Leukozyten äußert sich darin,
dass das befallene Gewebe »reaktionslos« erscheint. Das toxische Darmmilzbrand Die perorale Infektion führt zu einer schweren En-
Geschehen entsteht nur durch die Kombination aller 3 Toxinanteile: teritis, seltener zur oropharyngealen Infektion. Beide enden durch
Erst die Bildung des Letalfaktors führt zur Nekrose von Granulozy- Toxinämie meist tödlich.
ten und Gewebezellen. Das protektive Antigen bindet sich an den
Anthraxtoxinrezeptor auf der Zelloberfläche und ermöglicht so das Milzbrandsepsis Alle 3 Milzbrandformen können zur Milzbrand-
Eindringen von Ödem- und Letalfaktor, die beide die Schädigung sepsis führen, die binnen weniger Stunden zum Tode führt.
der Zielzelle bewirken.
38.2 · Bacillus cereus
319 38
B. anthracis als Biowaffe Sonstige Maßnahmen Der Kontakt mit infizierten und verstorbe-
Wie die Anschläge mit Briefen, die Milzbrandsporen enthielten, im Oktober nen Tieren muss vermieden werden; Tierkadaver sind zu verbrennen.
2001 in den USA zeigten, lässt sich B. anthracis in verbrecherischer Absicht
als Biowaffe einsetzen. Verschiedene Eigenschaften machen seinen Einsatz Meldepflicht Namentlich zu melden sind Krankheitsverdacht, Er-
für Biokriegsführung, Bioterrorismus und Bioverbrechen möglich: Der Erre-
krankung sowie Tod an Milzbrand (§ 6 IfSG). Direkte oder indirekte
ger kommt im Boden vor und ist leicht zu besorgen. In seiner Sporenform
Nachweise von Bacillus anthracis sind ebenfalls namentlich melde-
lässt er sich problemlos lagern und ausbringen. Berichten aus der Zeit des
Kalten Krieges ist zu entnehmen, dass sich Resistenzgene aus Bacillus cereus
pflichtig, soweit der Nachweis auf eine akute Infektion hinweist (§ 7
(7 Abschn. 38.2) in das B. anthracis-Genom übertragen lassen. Die Milz- IfSG).
brandbriefe haben im Oktober 2001 zwar nur zu 17 bestätigten Anthraxfäl-
len geführt (10 mit Lungen- und 7 mit Hautmilzbrand), von denen 5 tödlich In Kürze
endeten. Jedoch haben die Ereignisse zu einer gefährlichen Massenpanik
B. anthracis
geführt, deren Folgen nur schwer kontrollierbar waren.
Bakteriologie Grampositives, kastenförmiges Stäbchen mit
Endosporen; unbeweglich.
kImmunität
Resistenz Hohe Umweltresistenz durch Sporenbildung. Diese
Nach einer Hautmilzbrandinfektion entwickelt sich eine humorale
sind aus Erdproben jahrzehntelang anzüchtbar.
Immunität, deren Dauer allerdings unbekannt ist. Darm- und Lun-
Epidemiologie Ubiquitär vorhanden; fokale Epidemien
genmilzbrand dürfte noch kaum ein Mensch lebend überstanden
möglich, extrem seltene Infektion.
haben.
Risikogruppe Personen mit Tierkontakt.
Pathogenese Anthraxtoxin ൺ Letalfaktor ൺ Zellnekrose.
kLabordiagnose
Klinik Hautmilzbrand: Pustula maligna; Lungenmilzbrand:
Der Schwerpunkt der mikrobiologischen Labordiagnose liegt in der
perakute Pneumonie; Darmmilzbrand: massive Enteritis oder
Anzucht des Erregers und anschließender Mikroskopie. Der Erreger
oropharyngeale Infektion; Milzbrandsepsis: Toxinämie mit
gehört zur Risikogruppe 3 gemäß Biostoffverordnung. Die Anzucht
hoher Letalität.
darf daher nur in Sicherheitslaboratorien der Klasse 3 durchgeführt
Labordiagnose Mikroskopie, Erregeranzucht.
werden.
Therapie Penicillin G sofort und hochdosiert oder Ciprofloxacin.
Immunität Dauer unbekannt.
Untersuchungsmaterial B. anthracis kann aus serösem Bläschen-
Prävention Verbrennen von Tierkadavern, Schutzimpfung für
inhalt (Hautmilzbrand), Sputum (Lungenmilzbrand), Stuhl (Darm-
Exponierte.
milzbrand) oder Blut (Milzbrandsepsis) isoliert werden; häufig
Meldepflicht Verdacht, Erkrankung, Tod, direkter und indirekter
kommen die Untersuchungsmaterialien allerdings bereits aus der
Nachweis.
Pathologie. Milzbrandverdächtiges Material darf auch nur in Sicher-
heitslaboratorien der Klasse 3 untersucht werden.

Vorgehen im Labor Der Erreger wächst auf einfachen Kulturmedien


aerob in Form rauer Kolonien mit lockigen Randausläufern (»Me- 38.2 Bacillus cereus
dusenhaupt«). Die Bakterien sind unbeweglich. Mikroskopisch er-
scheinen sie als grampositive, kastenförmige Stäbchen mit überwie- Steckbrief
gend zentralen Endosporen. Die angezüchteten Bakterien ordnen
sich in langen Ketten an (»Bambusstab«). B. cereus ist ein grampositives Stäbchenbakterium, das wie an-
dere Bacillus-Arten die Fähigkeit zur Bildung thermoresistenter
kTherapie Sporen besitzt. Diese Fähigkeit bedingt eine große Resistenz ge-
Antibiotikaempfindlichkeit B. anthracis ist empfindlich gegen Pe- gen Umwelteinflüsse wie Hitze und Strahlung und ermöglicht
nicillin G, Ciprofloxacin und Tetracycline. die ubiquitäre Verbreitung des Bakteriums.

Therapeutisches Vorgehen Antibiotikatherapie ist die Therapie der


Wahl, jegliche chirurgische Therapie der Milzbrandläsion ist streng
kontraindiziert (»noli me tangere«: Rühr‘ mich nicht an!). Bei Lun-
gen- und Darmmilzbrand kommen Diagnose und Therapie meist zu
spät. Wegen der ungünstigen Prognose ist die sofortige und hoch-
dosierte Therapie bereits bei Verdacht auf Milzbrand entscheidend.
Bei terroristischen Anschlägen soll Ciprofloxacin eingesetzt werden,
weil mit penicillinresistenten Erregern gerechnet werden muss.

kPrävention
Schutzimpfung Die Kontrolle der Milzbrandinfektion im Tierbe- Bacillus cereus: grampositive Stäbchen mit
reich durch die verfügbare Milzbrandschutzimpfung steht im Vor- mittelständigen Sporen
dergrund. Für exponierte Personen (Tierärzte, Abdecker) existiert
ein Lebendimpfstoff aus attenuierten B. anthracis-Stämmen. Da
dessen Zuverlässigkeit und die vermittelte Schutzdauer unbekannt 38.2.1 Beschreibung
sind, beruhen neuere Impfstoffentwicklungen auf der Blockade des
protektiven Antigens. Dieses Prinzip ist u. U. auch therapeutisch ein- B. cereus produziert neben einer Vielzahl von Toxinen, z. B. Lecithi-
setzbar. nase (Phospholipase C), die Zellen und Bindegewebefasern zerstö-
320 Kapitel 38 · Bacillus

ren können, 3 Toxine, die mit Lebensmittelvergiftungen assoziiert


sind: ein emetisches Toxin und 2 Enterotoxine:

4 Das emetische Toxin ist hitzestabil, säurefest und nicht durch


Proteolyse inaktivierbar. Bei Versuchstieren induziert es in
50 % der Fälle Erbrechen.
4 Die Diarrhötoxine sind hitzelabil und proteolytisch inaktivier-
bar. Sie verursachen eine verstärkte Flüssigkeitsanreicherung,
die ggf. eine i. v. Substitution erfordert, sowie Nekrosen in
ligierten Kaninchendarmschlingen. Durch die erhöhte Gefäß-
permeabilität wirken sie zytotoxisch und sind für Mäuse letal.

38.2.2 Rolle als Krankheitserreger

B. cereus verursacht invasive Lokalinfektionen und selbstlimitie-


rende Lebensmittelintoxikationen (. Abb. 38.2). Die Lebensmittel-
vergiftung durch B. cereus untergliedert sich in ein emetisches und
ein Diarrhösyndrom.
Leitsymptom der Lebensmittelintoxikation ist Erbrechen, das
1–6 h nach Aufnahme kontaminierter Nahrung, insbesondere von
gekochtem Reis, beginnt. Die Diarrhö beginnt 10–12 h nach Nah-
rungsaufnahme (v. a. Fleisch und Gemüse). Sie ist durch Bauch-
schmerzen, profuse wässrige Durchfälle, Tenesmen und Übelkeit
gekennzeichnet, die etwa 24 h anhalten.
Invasive Lokalinfektionen entstehen, wenn die ubiquitären Spo-
ren in Wunden oder in Augenverletzungen gelangen und dort aus-
keimen (. Abb. 38.2). Die zahlreichen gewebezerstörenden Virulenz-
faktoren ermöglichen ein rasches Vordringen des Erregers. Es kön-
nen gasbrandähnliche Myonekrosen und fulminante Endophthal-
mitiden entstehen. Während beim Gasbrand jedoch meist tiefere
Gewebe betroffen sind, bleibt die Infektion durch B. cereus in der
Regel lokal-oberflächlich. . Abb. 38.2 Pathogenese und Rolle der Virulenzfaktoren bei Infektionen
Die Labordiagnostik basiert auf der Anzucht des Erregers aus und Intoxikationen durch Bacillus cereus
Stuhl und Nahrungsmitteln bzw. aus den Läsionen und der bioche-
mischen Differenzierung (Beweglichkeit: Abgrenzung gegen B. an-
thracis). thalmitis) oder systemisch (Sepsis, Meningitis, Endokarditis) verlau-
Bakteriologie

Die Lebensmittelintoxikationen sind im Allgemeinen selbstlimi- fen. Es entsteht keine Immunität.


tierend und werden nur symptomatisch durch Substitutionstherapie Die Diagnose erfolgt durch Erregeranzucht und Differenzie-
behandelt (7 Kap. 120, Gastroenteritis). Sie müssen gemäß IfSG unter rung aus Abstrichen, Blut- und Stuhlkulturen. Obwohl Bacillus-
bestimmten Bedingungen gemeldet werden (7 Kap. 20). Lokalinfek- Arten über eine mehrschichtige Mureinhülle verfügen, erscheinen
tionen werden primär chirurgisch versorgt, eine unterstützende sie mitunter nur in jungen Kulturen grampositiv, später gramlabil.
Antibiotikagabe muss nach Antibiogramm erfolgen. Die Befundbewertung ist durch die ubiquitäre Verbreitung von Ba-
cillus äußerst schwierig und muss vom behandelnden Arzt in enger
Zusammenarbeit mit dem Mikrobiologen erfolgen.
38.3 Übrige Bacillus-Arten Im Gegensatz zu B. anthracis produzieren die übrigen Bacillus-
Arten häufig β-Laktamasen. Man behandelt daher kalkuliert mit
Die übrigen Arten der Gattung Bacillus zeichnen sich durch ihre Vancomycin oder Clindamycin. Wegen der multiplen Resistenzen
Pleomorphie aus: Sie wachsen überwiegend aerob, variieren aber sollte unbedingt ein Antibiogramm erstellt werden.
stark in Größe, Gramverhalten und Sporenbildung. Sie können Durch Sporenbildung sind Bacillus-Arten hochgradig wider-
v. a. bei Immunsupprimierten ernsthafte lokale und systemische standsfähig gegen Hitze, Bestrahlung, Austrocknung und Desinfek-
Infektionen auslösen. Einige Bacillus-Arten produzieren extrazellu- tionsmittel. B. subtilis und B. stearothermophilus sind Indikatorkei-
läre Produkte, z. B. Hämolysine, Kollagenasen, Proteasen und Leci- me bei der Sterilisation (7 Kap. 21). Die Sporen von B. stearothermo-
thinasen. philus dienen zur Überprüfung von Autoklaven.
Bacillus-Arten sind in Luft, Boden und Wasser ubiquitär anzu- Eine Schutzimpfung existiert nicht. Es besteht keine Melde-
treffen; Hauptreservoir ist der Erdboden. pflicht.
Infektionen mit Bacillus-Arten sind in erster Linie opportunis-
tisch. Die Übertragung erfolgt hierbei durch die Aufnahme der ubi-
quitär vorhandenen Sporen. Am Infektionsort gehen die Bakterien
in das vegetative Stadium über. B. subtilis, B. licheniformis und
B. sphaericus können wie B. cereus Lebensmitteltoxine produzieren.
Die Bacillus-Infektion kann lokalisiert (Wundinfektion, Endoph-
321 39

Obligat anaerobe, sporenbildende


Stäbchen (Clostridien)
A. C. Rodloff

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_39, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Obligat anaerobe, grampositive Stäbchen, die Endosporen bilden,


. Tab. 39.3 Clostridien: Arten und Krankheiten
wurden bisher in der Gattung Clostridium zusammengefasst (. Tab.
39.1). Aufgrund neuerer molekularbiologischer Untersuchungen sind
Art Krankheit(en)
weitere Gattungen etabliert worden (z. B. Propionispora, Anaero-
sporobacter, Propionivibrio; . Tab. 39.2), die jedoch in der Infektions- Clostridium perfringens Gasbrand, Lebensmittelvergiftung
medizin bisher nicht verankert sind. Clostridien sind in der Natur (Typ A), nekrotisierende Enterokolitis
ubiquitär verbreitet und häufig im Intestinaltrakt des Menschen zu (Typ C), Peritonitis
finden. Clostridium novyii Gasbrand
Durch Clostridien (gr. »closter«: Spindel) hervorgerufene Erkrankun- Clostridium septicum Gasbrand, Enterokolitis
gen waren bereits im Altertum bekannt. Sie verursachen eine Reihe
Clostridium histolyticum Gasbrand
schwerer Krankheitsbilder, z. B. Botulismus, Tetanus und Gasbrand
(Clostridienmyositis), können aber auch an eiterbildenden Infektionen Clostridium botulinum Botulismus
beteiligt sein oder intestinale Infektionen hervorrufen, z. B. die anti- Clostridium tetani Tetanus
biotikaassoziierte Diarrhö, die pseudomembranöse Kolitis und das Clostridium difficile antibiotikaassoziierte Diarrhö,
toxische Megakolon (. Tab. 39.3). pseudomembranöse Kolitis
Clostridium bifermentans Wundinfektionen
Clostridium sporogenes
. Tab. 39.1 Clostridium: Gattungsmerkmale
Clostridium fallax
Merkmal Ausprägung Clostridium ramosum

Gramfärbung grampositive Stäbchen

Aerob/anaerob obligat anaerob 39.1 Clostridium perfringens


Kohlenhydratverwertung fermentativ
Steckbrief
Sporenbildung ja

Beweglichkeit ja, außer C. perfringens Clostridium (C.) perfringens ist der hauptsächliche, aber nicht
der einzige Erreger der clostridialen Myonekrose (Gasbrand), die
Katalase negativ meist eine Wunde als Eintrittspforte aufweist. Da die Sporen im
Oxidase ? Erdboden ubiquitär verbreitet sind, ist die Gasbrandinfektion
besonders in Kriegszeiten sehr gefürchtet. Daneben kann dieser
obligat anaerobe Sporenbildner an eitrigen Infektionen betei-
ligt sein sowie verschiedene Infektionen des Darms hervorrufen.
C. perfringens (lat. »perfringere«: durchbrechen; alter Name:
. Tab. 39.2 Beispiele neuer molekularbiologisch abgegrenzter
Welch-Fraenkel-Gasbazillus) wurde 1892 von W. H. Welch und
Spezies
G. H. F. Nuttall, Baltimore, beschrieben.
Syntrophospora bryantii
Paenibacillus azotofixans
Caloramator ferfidus
Sedimentibacter hydroxybenzoicus Clostridium perfringens:
Sporohalobacter lortetii kastenförmige, grampositive
Oxalophagus oxalicus Stäbchenbakterien (Sporen
Oxobacter pfennigii nicht sichtbar!) ohne Granulo-
Dendrosporobacter quercicolus zyten bei Gasbrand, entdeckt
Moorella thermoacetica 1892 von W. H. Welch und
Thermoanaerobacter thermohydrosulfuricus G. H. F. Nutall, umbenannt 1898
Filifactor villosus von Veillon und Zuber
322 Kapitel 39 · Obligat anaerobe, sporenbildende Stäbchen (Clostridien)

39.1.1 Beschreibung
jAufbau
Clostridien entsprechen dem allgemeinen Wandaufbau grampositi-
ver Bakterien. Für einzelne Arten sind spezielle Peptidoglykanbau-
steine beschrieben worden. Etwa 75 % aller C. perfringens-Isolate
weisen eine Polysaccharidkapsel auf. Während die übrigen Clostri-
dien peritrich begeißelt und somit beweglich sind, fehlt C. perfrin-
gens diese Eigenschaft.

jExtrazelluläre Produkte
Für das Krankheitsgeschehen verantwortliche Virulenzfaktoren sind
zahlreiche von C. perfringens gebildete Toxine. Diese werden aller-
dings nicht von allen Stämmen gleichermaßen produziert. So wer-
den je nach Vorhandensein der wesentlichsten Toxine (α, β, ε, ι) die
C. perfringens-Typen A–E unterschieden. Andere Clostridien bil-
den z. T. ähnliche, z. T. in der Wirkung unterschiedliche Toxine. . Abb. 39.1 Pathogenese und Rolle der Virulenzfaktoren bei Gasbrand

jResistenz gegen äußere Einflüsse


Clostridien haben die Eigenschaft, während ihres Wachstums Endo- Sekretansammlungen oder Nekrosen. Mischinfektionen mit ande-
sporen zu bilden. Geht die Zelle unter, so bleibt die Spore als ren Erregern sind nicht selten. Toxine bestimmen dann das weitere
Dauerform (Überlebensform) bestehen. Sie ist sehr resistent gegen Krankheitsgeschehen.
Hitze und Austrocknung sowie gegen Desinfektionsmittel. Die Ähnlich wie bei anderen Anaerobiern können Infektionen durch
Sporenbildung erlaubt den Clostridien, außerhalb eines anaeroben Clostridien nur auftreten, wenn die Erreger anaerobe Bedingungen
Milieus zu überleben. vorfinden. Entsprechend sind folgende Faktoren prädisponierend
für eine Infektion:
jVorkommen 4 schlecht durchblutete Wunden (Quetschung)
Clostridien sind in der Natur ubiquitär verbreitet. Ihre Sporen bzw. 4 verschmutzte Wunden (Schürfung im Straßenstaub)
vegetativen Formen finden sich im Erdboden, Staub, Wasser und als 4 große Wundhöhlen (Amputation)
Standortflora im Intestinaltrakt von Säugetieren einschließlich des 4 Fremdkörper im Gewebe (Pfählung)
Menschen.
Intestinale Infektionen Im Intestinaltrakt finden Clostridien aus-
reichend anaerobe Bedingungen, sodass sie hier als Saprophyten
39.1.2 Rolle als Krankheitserreger vorkommen. Besitzen sie jedoch bestimmte Virulenzfaktoren, Ente-
rotoxin von C. perfringens-Typ A bzw. das porenbildende β-Toxin
kEpidemiologie von C. perfringens-Typ C, kann die Darmwand geschädigt werden
Clostridiale Wundinfektionen (inkl. Tetanus) sind meist exogener (. Abb. 39.2).
Bakteriologie

Natur. In der vorantiseptischen Zeit wurden die Erreger häufig iat-


rogen von Wunde zu Wunde verschleppt. Heute erfolgt eine Über- kKlinik
tragung von Patient zu Patient in der Regel nicht, sodass entspre- Clostridiale Myonekrose (Gasbrand) Die schwerste Form der
chende Infektionen in Industrieländern auf Einzelfälle beschränkt Wundinfektion ist die Clostridienmyositis/Myonekrose (Gasbrand).
bleiben. 1997 wurden in Deutschland 122 Fälle von Gasbrand ge- Sie entwickelt sich nach Verletzungen z. B. im Garten und im land-
meldet (letztmalige Veröffentlichung von Clostridium-Inzidenz- wirtschaftlichen Bereich. Sie tritt meist nach ca. 2 Tagen Inkuba-
daten durch das RKI). tionszeit perakut, aber auch nach Bissverletzungen oder Amputa-
tionen mit heftigen Schmerzen, Unruhe des Patienten und Blut-
jÜbertragung druckabfall auf. Das Infektionsgebiet ist geschwollen und bräunlich-
Clostridien sind ubiquitär in der Umwelt vorhanden, besonders aber livide verfärbt. Bei der Palpation lässt sich ein Knistern (Krepitation,
im Erdboden. Dementsprechend treten Infektionen v. a. bei ver- Gasbildung im Gewebe) feststellen. Aus der Wunde entleert sich
schmutzten Wunden auf. meist eine stinkende (flüchtige Fettsäuren!), u. U. Bläschen enthal-
tende, seröse Flüssigkeit. Die chirurgische Exploration der Wunde
jPathogenese ergibt einen nekrotischen Zerfall der befallenen Muskulatur. Unbe-
Clostridiale Myonekrose (Gasbrand) Ursächlich für den Gasbrand handelt kann die Infektion aufgrund eines toxininduzierten Schocks
sind meist C. perfringens-Stämme vom Typ A. Ihr α-Toxin, eine innerhalb von Stunden zum Tod des Patienten führen.
Lecithinase, spaltet membranständiges Lecithin in Phosphoryl-
cholin und Diazylglyzerol und wirkt dadurch membranzerstörend Eiterbildende Infektionen C. perfringens kann auch an eitrigen
(. Abb. 39.1). Infektionen ohne Gasbildung beteiligt sein. Meist handelt es sich um
Die Kontamination einer Wunde mit Clostridien oder Clostri- Mischinfektionen mit Enterobakterien und anderen obligat anaero-
diensporen kann exogen aus der Umwelt, z. B. aus dem Staub, oder ben Bakterien.
endogen durch Clostridien der physiologischen Bakterienflora ent-
stehen. Voraussetzung für das Auskeimen der Sporen bzw. die Ver- Intestinale Infektionen Intestinale Toxininfektionen können durch
mehrung der Clostridien in der Wunde ist ein Absinken des Redox- C. perfringens-Stämme vom Typ A hervorgerufen werden. Die
potenzials des Gewebes, z. B. durch Durchblutungsstörungen, Übertragung erfolgt meist durch Fleisch (Geflügel) und Fleischpro-
39.1 · Clostridium perfringens
323 39

. Abb. 39.2 Pathogenese und Rolle der Virulenzfaktoren bei enteralen C. perfringens-Infektionen

dukte. Das Enterotoxin verursacht Übelkeit, krampfartige Beschwer- aerotolerant. Unter geeigneten Bedingungen beträgt die Gene-
den und wässrige Diarrhöen; Fieber und Erbrechen sind selten. rationszeit nur 30 min; bereits nach 8- bis 10-stündiger Kultur
Der Darmbrand (Enteritis necroticans) ist eine schwere nekro- bilden sich sichtbare Kolonien.
tisierende Infektion des Jejunums, die durch β-Toxin-bildende 4 Andere Clostridien sind hinsichtlich der Kulturbedingungen
C. perfringens-Stämme vom Typ C hervorgerufen werden kann. Sie empfindlicher (strikte Anaerobier, Temperaturoptimum bei
verläuft häufig tödlich. Die tatsächlichen Pathomechanismen, insbe- 37 °C); sie benötigen mindestens 48 h zur Koloniebildung
sondere der Zusammenhang mit ungenügend gegartem Schweine- (C. tetani, C. botulinum etc.).
fleisch, sind noch weitgehend unklar.
Morphologie Die Form der Bakterienzellen ist sehr unterschied-
kImmunität lich. Während C. perfringens dicke, plumpe Zellen (Ziegelstein-
Es wird keine Immunität ausgebildet. form) aufweist, imponiert C. tetani durch lange, schlanke Zellen, die
durch Sporen terminal ausgeweitet sein können (Tennisschläger-
kLabordiagnose form). Die Stellung der Sporen (mittel- oder endständig) kann einen
Clostridiale Myonekrose (Gasbrand) Die Diagnose »Gasbrand« ist Hinweis auf die Clostridienart geben.
zunächst klinisch zu stellen. Allerdings können auch andere Erreger
(z. B. Streptokokken, Enterobakterien, Bacteroides-Spezies) ähnliche Identifikation Wie bei anderen bakteriellen Infektionserregern
Erscheinungen hervorrufen. Aufgrund der eingreifenden chirurgi- auch ist die Identifizierung der Clostridien durch biochemische
schen Therapie (s. u.), die meist nur beim »echten« Gasbrand erfor- Leistungsprüfungen und gaschromatografische Analyse der gebil-
derlich ist, ist eine möglichst schnelle (notfallmäßige!) mikrobiologi- deten Fettsäuren durch das schnellere MALDI-TOF-Verfahren
sche Sicherung der klinischen Diagnose anzustreben. Dazu ist die abgelöst worden. Darüber hinaus können zur genauen Speziesiden-
sofortige mikroskopische Untersuchung klinischer Materialien wie tifikation Sequenzierungen der DNA erforderlich sein. Von großer
Wundsekret oder Muskelexzisat mittels Gramfärbung geeignet, mit diagnostischer Bedeutung ist der Nachweis der von den Organismen
der sich die morphologisch typisch aussehenden Erreger (dicke, gebildeten Toxine.
grampositive Stäbchen) innerhalb von Minuten nachweisen lassen.
Ein histologisches Präparat zeigt charakteristischerweise die nekroti- Intestinale Infektionen Der Nachweis, dass es sich bei einer ent-
sche, durch Gasbildung aufgelockerte (»gefiederte«) Muskulatur. sprechenden Krankheit um eine clostridienbedingte Toxininfektion
Ca. 80 % der Gasbrandfälle werden durch C. perfringens, die handelt, ist schwierig zu führen, da (semi)quantitative Stuhlkulturen
übrigen 20 % durch C. novyi und C. septicum, selten durch andere erforderlich sind und die Enterotoxinproduktion demonstriert wer-
Clostridien hervorgerufen (. Tab. 39.2). Die α-Toxin-Bildung lässt den sollte.
sich in vitro mit dem Nagler-Test nachweisen: Die Clostridien wer-
den auf einem eigelbhaltigen Nährboden angezüchtet, der die Leci- kTherapie
thinasebildung als Trübung rund um die Bakterienkolonie anzeigt. Aufgrund des perakuten Verlaufs muss die Therapie des Gasbrands
Bestreicht man einen Teil des Kulturmediums mit einem Antikörper ohne Verzögerung eingeleitet werden. Sie besteht v. a. in einer
gegen α-Toxin (Antitoxin), bleibt die Trübung aus. chirurgischen Wundrevision mit Entfernung aller Nekrosen. Nicht
selten ist bei peripheren Infektionen eine Amputation erforderlich.
Kultur Clostridien stellen erhebliche Ansprüche an das Kulturme- Daneben werden hohe Dosen Penicillin G verabreicht, um verblie-
dium: Ihre Anzucht erfordert meist bluthaltige Medien oder nähr- bene Clostridien abzutöten. Diese adjuvante Chemotherapie kann
stoffreiche Bouillons (z. B. Leberbouillon): aber nur in vitalem Gewebe zur Wirkung kommen, weil nekrotische
4 C. perfringens vermehrt sich zwischen pH 5,5 und 8, bei Bezirke von der Zirkulation ausgeschlossen sind und damit keine
Temperaturen von 20–50 °C (optimal bei 45 °C) und ist relativ ausreichenden Antibiotikaspiegel erreicht werden. Bei Mischinfek-
324 Kapitel 39 · Obligat anaerobe, sporenbildende Stäbchen (Clostridien)

tionen müssen auch die weiteren Erreger erfasst werden. Weiterhin jResistenz gegen äußere Einflüsse
kann der Patient ggf. in einer Druckkammer eine hyperbare Sauer- Durch die Sporenbildung ist C. tetani sehr umweltresistent.
stofftherapie erhalten.
Bei Darminfektionen steht der Flüssigkeits- und Elektrolytersatz jVorkommen
im Vordergrund, bei einer nekrotisierenden Enterokolitis ist u. U. Tetanussporen kommen ubiquitär im Erdboden vor.
chirurgisches Eingreifen erforderlich.

kPrävention 39.2.2 Rolle als Krankheitserreger


Patienten mit stark verschmutzten Wunden (z. B. Zustand nach Ver-
kehrsunfall) sind besonders häufig von Clostridieninfektionen be- kEpidemiologie
troffen. Bei diesen sind daher eine entsprechende Wundrevision Tetanus ist in Ländern mit hoher Durchimpfungsrate selten gewor-
sowie eine präventive Gabe von Antibiotika unerlässlich. Eine solche den; 1997 wurden in Deutschland 11 Fälle gemeldet. Bei mangelhaf-
kurzzeitige (!) Antibiotikaprophylaxe (Gasbrandprophylaxe) ist tem Impfstatus, v. a. in Entwicklungsländern, ist er noch immer eine
auch bei Amputationen von Extremitäten unerlässlich. häufige Todesursache nach Verletzungen und bei Neugeborenen.
Weltweit wird die Zahl der Tetanustoten auf 1 Mio. pro Jahr ge-
Meldepflicht Der Verdacht auf und die Erkrankung an einer mik- schätzt.
robiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder an einer akuten infek-
tiösen Gastroenteritis ist namentlich zu melden, wenn a) eine Person kÜbertragung
spezielle Tätigkeiten (Lebensmittel-, Gaststätten-, Küchenbereich, Der Erreger ist in der Natur weit verbreitet und gelangt als exogene
Einrichtungen mit/zur Gemeinschaftsverpflegung) ausübt oder Kontaminante in die Wunde.
b) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen
ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet kPathogenese
wird (§ 6 IfSG). Die Erreger vermehren sich lediglich lokal an der Eintrittspforte und
produzieren dort das Tetanustoxin oder Tetanospasmin (. Abb.
39.3). Es wird durch Autolyse freigesetzt und erreicht retrograd ent-
39.2 Clostridium tetani lang den Nervenbahnen oder hämatogen die Vorderhornzellen der
grauen Substanz des Rückenmarkes, um dort seine Wirkung zu ent-
Steckbrief falten. Das Toxin spaltet proteolytisch Synaptobrevine (VAMP), das
sind Vesikelmembranproteine. Diese sind an der Ausschüttung des
C. tetani ist der Erreger des Tetanus (Wundstarrkrampf ). Er ist für die hemmenden Neuronen essenziellen Neurotransmitters Gam-
in der Natur (Erdboden) ubiquitär verbreitet; es existiert eine ma-Aminobuttersäure (GABA) in den synaptischen Spalt beteiligt.
wirksame Schutzimpfung. In den 1890er Jahren entdeckten Hierdurch wird an inhibitorischen Synapsen der spinalen Motoneu-
Carle und Rattone, Nicolaier, Rosenbach, Kitasato C. tetani ronen die Signalübertragung der hemmenden Neuronen blockiert:
(gr. »tetanos«: Krampf ) als Erreger des Wundstarrkrampfs. Es entsteht eine spastische Lähmung mit strychninartigen, tonisch-
klonischen Krämpfen.

kKlinik
Bakteriologie

Der Tetanus stellt eine durch C. tetani hervorgerufene Wundinfek-


tion dar, bei der die toxische Schädigung des Nervensystems im Vor-
dergrund steht. Infektionen treten bereits im Rahmen verschmutzter
Bagatellverletzungen, insbesondere bei im Gewebe verbliebenen
kleinsten Fremdkörpern (z. B. Holzsplitter, Dornen) auf. Eine be-
sonders gefürchtete Form, der Tetanus neonatorum, kann nach Kon-
tamination der Nabelschnur (z. B. durch unsterile Instrumente)
beim Neugeborenen entstehen.
Clostridium tetani: tennisschlägerförmige, grampositive Stäbchen
Klinische Krankheitszeichen treten nach einer Inkubationszeit
mit endständigen Sporen, entdeckt 1890 von Kitasato (Reinkultur), von wenigen Tagen bis zu 3 Wochen auf. Sie beginnen mit Kopf-
1884 Übertragung mit Wundsekret durch Carle und Rattone bzw. mit schmerzen und gesteigerter Reflexauslösbarkeit. Charakteristischer-
Erde (und mikroskopischer Nachweis) durch Nicolaier weise kommt es zur Ausbildung des sog. Trismus (Tonuserhöhung
der Kaumuskulatur, die zu einer Kieferklemme führt). Die Kontrak-
tion der mimischen Muskulatur führt zu einem Gesichtsausdruck,
der als Risus sardonicus oder Teufelsgrinsen bezeichnet wird. Im
39.2.1 Beschreibung weiteren Verlauf entwickeln sich tonisch-klonische Krampfzustän-
de, die auch die Atmungsmuskulatur erfassen können und damit
jAufbau lebensbedrohlich werden.
C. tetani ist wie alle anderen Clostridien aufgebaut und bildet Endo-
sporen. kImmunität
Als Folge eines Tetanus bildet sich eine unsichere antitoxische Im-
jExtrazelluläre Produkte munität aus. Eine sichere Immunität wird nur durch eine aktive
Der Erreger produziert das Tetanustoxin, das für die Krankheitser- Schutzimpfung erreicht, die alle 10 Jahre aufgefrischt werden muss.
scheinungen ursächlich ist.
39.2 · Clostridium tetani
325 39

. Abb. 39.3 Pathogenese des Tetanus

kLabordiagnose matische Maßnahmen, z. B. Gabe krampflösender Medikamente,


Eine Anzucht des Erregers misslingt häufig. Die Diagnose erfolgt u. U. auch von Muskelrelaxanzien, ggf. künstlicher Beatmung bei
aufgrund des klinischen Bildes sowie durch Nachweis des Tetanus- Lähmung der Atemmuskulatur, erforderlich sein.
toxins im Patientenserum.
kPrävention
Mäuseschutzversuch Zum Toxinnachweis ist ein Tierversuch er- Schutzimpfung Da die Letalität beim voll ausgebildeten Krank-
forderlich. Der Nachweis gilt als geführt, wenn Mäuse, die mit heitsbild des Tetanus auch heute noch hoch ist (nicht zuletzt
unterschiedlichen Mengen an Patientenserum inokuliert wurden komplikationsbedingt), kommt der Impfprophylaxe größte Bedeu-
(meist 0,5 und 1 ml), in »Robbenstellung« (Starrkrampf der Hinter- tung zu. Die aktive Schutzimpfung gegen Tetanus beruht auf der
beine) versterben, während die Mäuse der Kontrollgruppe, die Pa- immunisierenden Wirkung des formalinisierten Toxins (Toxoid).
tientenserum und Antitoxin erhielten, überleben. Sie wird meist in Verbindung mit der Schutzimpfung gegen Diph-
therie (Zweifachimpfung DT; 7 Kap. 37) oder zusätzlich mit der
kTherapie Pertussisimpfung (Dreifachimpfung DTP; 7 Kap. 34) durchgeführt.
Die Therapie des Tetanus besteht aus der Verabreichung von Antito- Ggf. lässt sich der Impfstatus bzw. die Notwendigkeit zur Wieder-
xin (humane Anti-Tetanustoxin-Antikörper) sowie aus der Herdsa- impfung durch Bestimmung des Antikörpertiters im Serum er-
nierung (chirurgisch und antibiotisch). Zusätzlich können sympto- mitteln.
326 Kapitel 39 · Obligat anaerobe, sporenbildende Stäbchen (Clostridien)

39.3 Clostridium botulinum gungen hinsichtlich der Anaerobiose und des Nährstoffangebots
bieten.
Steckbrief
kPathogenese
C. botulinum verursacht toxinvermittelt den Botulismus. Die Bakterien produzieren beim Wachsen Toxine, die dann mit dem
Die Toxine werden meist mit nicht ausreichend konservierten Nahrungsmittel aufgenommen werden (. Abb. 39.4). Eine Koloni-
Lebensmitteln aufgenommen. Botulinustoxine (auch: »Botuli- sation oder gar eine Infektion mit dem Erreger ist nicht notwendig.
num-/Botulismustoxine«) verursachen motorische Lähmungen Somit handelt es sich beim Botulismus nicht um eine Infektion im
und führen rasch zum Tode. C. botulinum wurde zuerst von eigentlichen Sinne, sondern um eine Intoxikation. Im Unterschied
van Ermengem 1896 im Zusammenhang mit einer tödlichen dazu entsteht der Säuglingsbotulismus durch eine Kolonisation des
Lebensmittelvergiftung isoliert und mit dem Namen Bacillus Intestinaltrakts mit C. botulinum mit anschließender Toxinproduk-
botulinus (lat. »botulus«: Wurst) versehen. tion und Resorption. Auch Wundinfektionen mit C. botulinum kön-
nen zum Botulismus führen.
Die Toxine sind AB-Toxine und für den Menschen außerordent-
lich giftig: Bereits 1 ng/kg wirkt letal. Ähnlich dem Tetanustoxin
spalten sie Synaptobrevine und andere Proteine, die an der Ver-
schmelzung transmitterhaltiger (Azetylcholin) synaptischer Vesikel
mit der synaptischen Membran beteiligt sind. Hierdurch wird die
Azetylcholinfreisetzung z. B. an der motorischen Endplatte ge-
hemmt, sodass schlaffe Lähmungen entstehen (. Abb. 39.4).

kKlinik
12–36 h nach Toxinaufnahme kommt es zunächst zu Funktionsstö-
Clostridium botulinum: grampositive Stäbchen, entdeckt 1896 rungen der Augenmuskulatur (Augenflimmern, Doppeltsehen, Ak-
von van Ermengem kommodationsstörungen durch Abduzens- bzw. Okulomotoriusläh-
mung). Dann treten durch Lähmung weiterer Hirnnerven Mundtro-
ckenheit, Sprach- und Schluckstörungen hinzu. Später werden auch
periphere Nerven erfasst, sodass es u. a. zum Atemstillstand kom-
39.3.1 Beschreibung men kann.

jAufbau kImmunität
C. botulinum ist wie andere Clostridien aufgebaut und hat die Fähig- Es entsteht keine Immunität.
keit zur Endosporenbildung.
kLabordiagnose
jExtrazelluläre Produkte Die Diagnose wird durch Nachweis des Toxins in Patientenmateria-
C. botulinum (bzw. C. argentinense, C. butyricum, C. baratii) kann lien (Serum, Mageninhalt, Erbrochenes) oder ggf. im kontaminier-
jeweils eines der immunologisch verschiedenen Neurotoxinen (A, B, ten Nahrungsmittel gestellt. Dazu ist ein Tierversuch erforderlich
Bakteriologie

C1, C2, D, E, F, G, H) aufweisen und nach Autolyse freisetzen. ähnlich dem zum Nachweis von Tetanospasmin.
Humane Botulismusfälle werden durch die Typen A, B, E und selten
F und H verursacht. kTherapie
Die Therapie besteht aus der Verabreichung von Antitoxin sowie
jResistenz gegen äußere Einflüsse symptomatischen Intensivmaßnahmen (bis hin zur künstlichen Be-
Wegen der Endosporenbildung ist C. botulinum äußerst umwelt- atmung und Anlage eines Herzschrittmachers).
resistent.
kPrävention
jVorkommen Dringend zu warnen ist vor Konserven, die durch Gasbildung aus-
Der Botulismus kommt heute nur noch selten vor, wird aber bei gebeult (»bombiert«) sind. Zu warnen ist u. U. auch voreingeweck-
älteren Patienten leicht mit anderen neurologischen Erkrankungen tem Gemüse (Bohnen, Spargel) aus häuslicher Eigenproduktion.
verwechselt. Auch geräucherter Fisch (z. B. Lachs) kann mit Botulismussporen
kontaminiert sein. Da das Botulinustoxin hitzelabil ist, wird es durch
10-minütiges Kochen zerstört.
39.3.2 Rolle als Krankheitserreger
Meldepflicht Namentlich zu melden sind der Krankheitsverdacht,
kEpidemiologie die Erkrankung sowie der Tod an Botulismus (§ 6 IfSG). Direkte
Der Botulismus tritt sporadisch oder in Form von Kleinepidemien oder indirekte Nachweise von Clostridium botulinum oder von Bo-
auf. 2013 wurden in Deutschland 6 Fälle gemeldet. tulinustoxinen sind ebenfalls namentlich meldepflichtig, soweit der
Nachweis auf eine akute Infektion hinweist (§ 7 IfSG).
kÜbertragung
Der Botulismus entsteht nach enteraler Aufnahme botulinustoxin- Botulinustoxin als Biowaffe Da keine Immunität gegen Botuli-
haltiger Lebensmittel. Fehlerhaft hergestellte Konserven und un- nustoxin oder C. botulinum besteht, eignet sich das Toxin als mög-
sachgemäß haltbar gemachte Fleischprodukte (Wurst, Schinken) licher Biokampfstoff zur Verseuchung von Trinkwasser. Deshalb fällt
sowie Fisch (Räucherfisch) können für C. botulinum ideale Bedin- es in die Kategorie A der CDC-Einteilung potenzieller humanpatho-
39.4 · Clostridium difficile
327 39

. Abb. 39.4 Pathogenese des Botulismus. A, B, C1, D, E, F, G, die 7 immunologisch verschiedenen Neurotoxine von C. botulinum

gener Biowaffenerreger. Die hohe Toxinwirkung macht Botulinusto- 39.4 Clostridium difficile
xin zwar gefährlich, jedoch würden sich das Ausbringen und die
Verteilung sehr schwierig gestalten. C. difficile ist ein Erreger der antibiotikaassoziierten Diarrhö, ur-
sächlich für die pseudomembranöse Kolitis und kann in seltenen
Botulinustoxin als Therapeutikum Botulinumtoxin (u. a. Botox) Fällen zum toxischen Megakolon führen. Seine ätiologische Rolle
wird seit Anfang der 1980er-Jahre als Therapeutikum in der Behand- deckten 1977 Bartlett und Mitarbeiter auf.
lung von fokalen Dystonien eingesetzt. Erfolgreich behandelt wer- Voraussetzung für das Infektionsgeschehen ist in der Regel eine
den können insbesondere der Blepharospasmus (Lidkrampf), die vorangegangene antibiotische Therapie, die die Vermehrung von
oromandibuläre Dystonie (Mund-Zungen-Schlund-Krampf), der C. difficile begünstigt hat. Der Erreger kann fäkal-oral übertragen
Torticollis spasmodicus (Schiefhals) und die spasmodische Dyspho- werden und zu Ausbruchssituationen in Krankenhäusern, aber auch
nie (Stimmbandkrampf). Weitere Anwendungsgebiete sind z. B. Altenpflegeheimen führen. Die Krankheitserscheinungen werden
Strabismus (Schielen), Behandlung von Spannungskopfschmerzen durch die beiden gebildeten Toxine A (Enterotoxin) und B (Zytoto-
und Migräne, Hyperhidrose (übermäßige Schweißproduktion), xin) bedingt. Die Erreger können aus dem Patientenstuhl isoliert
Achalasie sowie diffuser Ösophagusspasmus. Breite Anwendung und die Toxinbildung an Zellkulturen oder mit immunologischen
findet Botulinustoxin in der kosmetischen Korrektur von Gesichts- Methoden nachgewiesen werden.
falten. Die Therapie besteht (nach Möglichkeit) im Absetzen der ur-
sächlichen Antibiotikatherapie und in der oralen Gabe von Vanco-
mycin. Alternativ kann Metronidazol oral oder ggf. i. v. eingesetzt
werden. Eine Therapie mit Fidaxomycin ist ebenfalls wirksam und
kann die Zahl der sonst häufig auftretenden Rezidive reduzieren. In
328 Kapitel 39 · Obligat anaerobe, sporenbildende Stäbchen (Clostridien)

den letzten Jahren wird über einen besonders virulenten Stamm


(NAP1, 027) berichtet, der vermehrt letale Verläufe verursacht. Labordiagnose Mikroskopisch dicke, gramlabile Stäbchen im
Diese Erreger traten zunächst in Nordamerika auf, sind aber mittler- Wundabstrich. Anzucht von C. perfringens innerhalb von 8–10 h
weile auch in Europa in Erscheinung getreten. Inzwischen wird eine möglich. Identifikation durch MALDI-TOF oder klassisch durch
vermehrte Virulenz auch bei anderen Stämmen beobachtet. Bei biochemische Leistungsprüfung und Gaschromatografie.
schweren rezidivierenden Verläufen kann die Übertragung von 5 Tetanus: Toxinnachweis aus Patientenserum im Tierversuch
Darmbakterien freiwilliger Spender (»Stuhltransplantation«) thera- 5 Botulismus: Toxinnachweis aus Serum und Lebensmitteln
peutische Erfolge erzielen. im Tierversuch
Um Ausbrüchen vorzubeugen, sollten betroffene Patienten iso- 5 Antibiotikaassoziierte Kolitis: Toxinnachweis aus Stuhlfiltrat
liert werden. Präventiv wirken die strenge Indikationsstellung für im ELISA sowie Anzucht der Erreger mit anschließendem
eine Antibiotikatherapie und die Einhaltung allgemeiner Hygiene- Toxinnachweis
maßnahmen. Da die Sporen alkoholresistent sind, kommt dem
Händewaschen vor der hygienischen Händedesinfektion besondere Therapie
Bedeutung zu. 5 Chirurgische Wundrevision, Antibiotika (Mittel der Wahl:
Penicillin G), u. U. hyperbare O2-Therapie bei Gasbrand
5 Krampflösende Medikamente, Muskelrelaxanzien, mecha-
In Kürze
nische Beatmung, humane Anti-Tetanustoxin-Antikörper,
Obligat anaerobe, sporenbildende Stäbchen (Clostridien)
chirurgische Herdsanierung bei Tetanus
Bakteriologie Endosporen bildende, grampositive, obligat
5 Symptomatisch, Antitoxingabe bei Botulismus
anaerobe Stäbchen, die zur Toxinbildung befähigt sind. Peritriche
5 Vancomycin oral, Metronidazol oder Fidaxomycin bei
Begeißelung (außer C. perfringens). Kulturelles Wachstum nur auf
antibiotikaassoziierter Diarrhö
bluthaltigen Nährmedien unter anaeroben Bedingungen. Lange
Generationszeit (nicht C. perfringens). Erreger von Wundinfektio-
Immunität Unsichere antitoxische Immunität bei Tetanus.
nen, Tetanus, Botulismus und enteralen Toxininfektionen.
Prävention Wundrevision und prophylaktische Antibiotikagabe
Resistenz Durch Endosporenbildung sehr resistent gegen-
bei Gasbrand, Impfprophylaxe gegen Tetanus.
äußere Einflüsse.
Strenge Einhaltung hygienischer Vorschriften bei der Herstel-
Epidemiologie In der Natur ubiquitär verbreitet.
lung von Nahrungsmittelkonserven.
Zielgruppe Patienten mit verschmutzten Wunden (Gasbrand,
Meldepflicht Clostridienbedingte Lebensmittelvergiftung:
Tetanus) oder nach Antibiotikatherapie (pseudomembranöse
Verdacht, Erkrankung, Tod, wenn ein epidemischer Zusammen-
Kolitis).
hang bei mindestens 2 Fällen vermutet wird oder eine Tätigkeit
im Lebensmittelbereich ausgeführt wird. Botulismus: Verdacht,
Gasbrand
Erkrankung und Tod sowie direkte und indirekte Nachweise
Pathogenese Wunde ൺ vermindertes Redoxpotenzial im Wund-
des Erregers oder der Toxine (namentlich). Tetanus: keine Melde-
bereich ൺ exogene Kontamination ൺ Keimvermehrung und
pflicht.
Toxinbildung ൺ Nekrose ൺ toxininduzierter Schock ൺ Tod.
Klinik Inkubationszeit ca. 2 Tage. Schwerstes toxisches Krank-
heitsbild. Perakute Schwellung mit bräunlicher Verfärbung und
Entleerung einer stinkenden Flüssigkeit; Gewebeknistern.
Bakteriologie

Tetanus
Pathogenese Wunde ൺ exogene Kontamination ൺ Vermehrung
an der Eintrittspforte ൺ Toxinbildung (Tetanospasmin) ൺ Disse-
mination des Toxins ins ZNS ൺ Blockade der Dämpfung spinaler
Motoneuronen ൺ Krampferscheinungen ൺ Tod.
Klinik Nach Kontamination einer Bagatellverletzung Inkuba-
tionszeit von wenigen Tagen bis zu 3 Wochen. Anfänglich ge-
steigerte Reflexauslösung geht über in Krampferscheinungen
mit generalisierten tonisch-klonischen Krampfzuständen.

Botulismus und andere enterale Toxininfektionen


Pathogenese Kontamination von Lebensmitteln mit C. botuli-
num ൺ Toxinproduktion (z. B. in Konserven) ൺ enterale Aufnahme
des Toxins ൺ Blockade der Azetylcholinfreisetzung an den moto-
rischen Endplatten ൺ schlaffe Lähmung der quer gestreiften Mus-
kulatur ൺ Atemlähmung ൺ Tod.
Klinik 12–36 h nach Aufnahme des Toxins zunächst leichte Läh-
mungserscheinungen der Augenmuskulatur, Mundtrockenheit,
Sprach- und Schluckstörungen. Später Lähmung der Atemmus-
kulatur und Atemstillstand.
329 40

Obligat anaerobe, nichtsporenbildende


Bakterien
A. C. Rodloff

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_40, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

40.1 Obligat anaerobe, gramnegative Stäbchen der Enterobakterien. Dies dürfte ein Grund dafür sein, dass Bacte-
(Bacteroidaceae) roides-LPS im Wirtsorganismus geringere Wirkungen (Toxizität)
entfaltet als das LPS aerob wachsender, gramnegativer Stäbchen.
Steckbrief
Kapsel Bacteroidaceae, die als Erreger aus Infektionsprozessen iso-
Bacteroidaceae sind eine Familie gramnegativer Stäbchen- liert werden, tragen häufig eine Polysaccharidkapsel. Die Ausprä-
bakterien, die zum Wachstum eine sauerstoffarme Atmosphäre gung dieser Kapsel stellt einen wesentlichen Virulenzfaktor der Bak-
benötigen (obligat anaerobe Bakterien). Sie stellen einerseits terien dar.
einen erheblichen Teil der physiologischen Standortflora des
Menschen dar, andererseits sind sie häufige Infektionserreger. jExtrazelluläre Produkte
Enzyme In Bacteroidaceae sind eine Reihe von Enzymen (Hämo-
lysin, Fibrinolysin, Heparinase, Leukozidin, Mukopolysaccharida-
Bereits 1898 beschrieben Veillon und Zuber Bacteroides (B.) fragilis sen, Kollagenasen etc.) nachgewiesen worden, die zur Virulenz der
(»Bacillus fragilis«) als Erreger von Appendizitis. Eine genauere Be- Bakterien beitragen. Weiterhin sind einzelne enterotoxinbildende
schreibung erfolgte jedoch erst 1922 durch Knorr. Seither hat die Stämme beschrieben worden.
Taxonomie der Bacteroidaceae häufige Veränderungen erfahren;
insbesondere haben molekularbiologische Untersuchungen zuletzt jResistenz gegen äußere Einflüsse
eine Vielzahl neuer Spezies hervorgebracht. . Tab. 40.1 listet medi- Aufgrund ihrer Sauerstoffempfindlichkeit sind gramnegative, nicht-
zinisch bedeutsame Spezies auf. sporenbildende Anaerobier gegenüber Umwelteinflüssen empfind-
licher als viele andere Bakterien. Deshalb müssen bei Material-
gewinnung, Transport und Bearbeitung im Labor besondere Vor-
40.1.1 Beschreibung sichtsmaßnahmen eingehalten werden.

jAufbau jVorkommen
Obwohl sich der Zellwandaufbau aller gramnegativen Bakterien Bacteroidaceae und andere Anaerobier stellen den vorherrschenden
grundsätzlich ähnelt, unterscheiden sich die Lipopolysaccharide Teil der physiologischen Bakterienflora von Mensch und Tier. Ein
(LPS) der Bacteroides-Arten in ihrem Aufbau erheblich von denen Mensch (ca. 1013 körpereigene Zellen) beherbergt schätzungsweise

. Tab. 40.1 Gattungen und Arten obligat anaerober, gramnegativer Stäbchen

Gattung Art

Bacteroides fragilis, caccae, capillosus, coagulans, eggerthii, forsythus, gracilis, levii,


ovatus, pneumosintes, putredines, stercoris, tectum, thetaiotaomicron,
uniformis, ureolyticus, vulgatus

Prevotella melaninogenica, bivia, buccae, buccalis, denticola, disiens, intermedia,


heparinolytica, loeschii, nigrescens, oralis, oris, oulorum, veroralis,
zoogleoformans

Porphyromonas asaccharolytica, canoris, circumdentaria, endodontalis, gingivalis, salivosa

Fusobacterium nucleatum, gonidiaformans,mortiferum, naviforme, necrogenes, nec-


rophorum, pseudonecrophorum, varium, ulcerans

Anaerobiospirillum, Anaerorhabdus, Anaerovibrio, Butyrivibrio,


Centipeda, Desulfomonas, Dichelobacter, Fibrobacter, Leptotrichia,
Megamonas, Mitsuokella, Parabacteroides, Rikenella, Sebaldella,
Selenomonas, Succinovibrio, Succinimonas, Tissierella
330 Kapitel 40 · Obligat anaerobe, nichtsporenbildende Bakterien

. Tab. 40.2 Häufigkeit einer Beteiligung nichtsporenbildender An- . Tab. 40.3 Klinische Verdachtsmomente für eine ätiologische Be-
aerobier bei verschiedenen Infektionskrankheiten (mod. nach Sutter teiligung nichtsporenbildender Anaerobier an Infektionen
et al. 1980)
Typische (schleimhautnahe) Infektionslokalisation
Krankheit Häufigkeit (%)
Zustand nach Verletzung oder Operation
Sepsis 5–10 Zustand nach Aspiration (Verschleppung von Standortflora)
Hirnabszess 90 Gestörte Blutzirkulation
Otolaryngologische Infektionen 30–50 Ausgedehnte Nekrosen, Gangränbildung (Sauerstoffversorgung ൻ)
Dentogene Infektionen > 90 Übel riechende Sekretionen (fötider Eiter; Fettsäuren der Anaerobier)
Aspirationspneumonie > 90 Knistern im Gewebe (Gasbildung)
Lungenabszess, Pleuraempyem 50–90 Schwarze Verfärbung (pigmentbildende Bacteroidaceae)
Leberabszess 50–90 Septische Thrombophlebitis (gerinnungsfördernde Enzyme)
Appendizitis 50–80 Sepsis mit Gelbsucht (Leberabszess durch Anaerobier)
Peritonitis > 80

Wundinfektion nach Bauchoperationen 30–60

Adnexitis 25–50 Im Falle polybakterieller Infektionen kommt es vermutlich zu-


nächst zur Vermehrung der aerob wachsenden Erreger. Diese kön-
Endometritis, septischer Abort 60
nen durch Sauerstoffverbrauch das Redoxpotenzial im betroffenen
Vaginose > 50 Gewebe so weit senken, dass auch Vermehrung von Anaerobiern
möglich wird.
Andere für Anaerobierinfektionen prädisponierende Faktoren
sind Diabetes mellitus, Angiopathien mit Durchblutungsstörungen,
ca. 1014 (adhärente) Anaerobier auf Haut- und Schleimhäuten. Die Malignome, Alkoholismus sowie immunsuppressive Therapiefor-
Gesamtzahl der Anaerobier beträgt zwischen dem 5-Fachen (Va- men (z. B. Zytostatika, Kortikosteroide).
gina) und 1000-Fachen (Dickdarm) der dort vertretenen fakultativ Der am häufigsten vorkommende anaerobe Infektionserreger ist
anaeroben Standortflora; so ist etwa B. vulgatus im Stuhl in viel grö- B. fragilis. Im Unterschied zu anderen (aeroben) gramnegativen
ßeren Mengen vorhanden als E. coli. Im Dickdarm werden bis zu Bakterien scheint das Lipopolysaccharid (LPS) von B. fragilis keine
1013 Anaerobier pro Gramm Stuhl gefunden. Außerhalb ihrer natür- entscheidende Bedeutung für die Pathogenese zu haben, da die
lichen Standorte sind die Bacteroidaceae aufgrund ihrer Sauerstoff- biologische (toxische) Aktivität dieses Endotoxins im Vergleich zu
empfindlichkeit selten zu finden. LPS anderer Herkunft (z. B. Salmonella Enteritidis) erheblich ge-
ringer ist.
Von pathogenetischer Relevanz ist die von verschiedenen Bacte-
Rolle als Krankheitserreger
Bakteriologie

40.1.2 roides-Arten gebildete Polysaccharidkapsel. Sie wird in ausgepräg-


ter Weise meist bei aus Infektionsprozessen isolierten Erregern ge-
kEpidemiologie funden, während ihre Ausbildung nach mehreren Subkulturen im
. Tab. 40.2 fasst die Häufigkeit der Beteiligung von Anaerobiern bei Labor zurückgeht.
verschiedenen Infektionen zusammen. Den Erregern der Bacteroi- Über die Rolle extrazellulärer Enzyme von Bacteroidaceae als
des-fragilis-Gruppe kommt dabei die größte Bedeutung zu. Virulenzfaktoren ist bisher wenig bekannt.

kÜbertragung kKlinik
Die Übertragung erfolgt meist endogen. Obligat anaerobe, gramnegative Stäbchen sind als Opportunisten an
der Ätiologie verschiedener Krankheitsbilder beteiligt. Sie treten
kPathogenese meist gemeinsam mit anderen Anaerobiern (z. B. beim Hirnabszess)
Als typische Opportunisten sind Bacteroidaceae an ihren physiolo- und mit fakultativ anaeroben Bakterien auf.
gischen Standorten für den Menschen nicht pathogen. Vielmehr Etwa 5–10 % der von gramnegativen Stäbchen verursachten
dürfte die Kolonisation von Haut- und Schleimhäuten mit Anaero- Sepsisfälle werden durch Bacteroides-Arten hervorgerufen.
biern der Ansiedelung pathogener Mikroorganismen vorbeugen Anaerobierinfektionen sind in der Regel nicht übertragbar
(Kolonisationsresistenz). Zu Infektionserregern können Bacteroida- (Ausnahme: Infektionen durch Clostridien, 7 Kap. 39), sie entstehen
ceae erst dann werden, wenn sie aus ihrem normalen Habitat in übli- vielmehr »endogen«, d. h. durch Verschleppung von physiologischer
cherweise sterile Bereiche verschleppt werden. Dies setzt in der Regel Standortflora in normalerweise sterile Körpergebiete.
eine Störung der Integrität der Haut-/Schleimhautbarriere, z. B. Bacteroidaceae sind häufig im Zusammenhang mit nekrotisie-
durch eine Nekrose, ein Trauma oder einen chirurgischen Eingriff renden Infektionen (z. B. diabetische Gangrän) bzw. nekrotisieren-
voraus. Eine Vermehrung der Anaerobier im Gewebe ist erst möglich, den/gasbildenden Weichgewebeinfektionen (Gasphlegmone, nicht
wenn die Sauerstoffversorgung beeinträchtigt und damit das norma- identisch mit Gasbrand!) zu finden.
lerweise hohe Redoxpotenzial von ca. +120 mV vermindert wird. In Ein Verdacht auf Beteiligung von Anaerobiern sollte immer
diesem Sinne können Hypoxie, Hämostase oder ins Gewebe einge- dann aufkommen, wenn die in . Tab. 40.3 genannten Faktoren eine
drungene Fremdkörper für eine Infektion prädisponieren. Rolle spielen. Bacteroidaceae treten als Erreger nur selten allein auf
40.1 · Obligat anaerobe, gramnegative Stäbchen (Bacteroidaceae)
331 40
(z. B. bei Sepsis, Leberabszess), meist sind sie Teil einer polybakte- Anaerobe Kulturen müssen mindestens 48 h bebrütet werden.
riellen Mischinfektion. Einige Bakterien benötigen sogar eine Inkubationszeit von bis zu
7 Tagen, bis sichtbare Kolonien entstehen.
kImmunität
Eine erworbene Immunität nach Infektionen mit Bacteroidaceae Mikroskopisch Im Grampräparat fällt bei Bacteroidaceae ihre Pleo-
entwickelt sich nicht, obwohl häufig spezifische Antikörper gebildet morphie auf; Fusobakterien erscheinen im Grampräparat häufig als
werden. Diese finden sich jedoch auch bei Gesunden – möglicher- lange, fusiforme (spindelförmige) Bakterien, die u. U. Auftreibungen
weise als Ausdruck der ständigen Auseinandersetzung mit der des Zellleibs aufweisen.
Fäkalflora. In der Diagnostik haben Antikörpernachweise keine Für alle obligat anaeroben, gramnegativen Erreger gilt, dass sie
Bedeutung. sich nur schwach anfärben. Ein Schnellnachweis der häufig vorkom-
Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die zelluläre Immunität menden Keime der Bacteroides-fragilis-Gruppe und von P. melani-
bei der Abwehr von Anaerobierinfektionen eine Rolle spielt. Experi- nogenica kann im mikroskopischen Präparat durch Immunfluores-
mentell übertragene, spezifisch reagible T-Lymphozyten vermögen zenz (Verwendung von fluoreszenzmarkierten gruppenspezifischen
vor Abszessbildung durch B. fragilis zu schützen. Andererseits schei- Antikörpern) versucht werden.
nen Bacteroides-Spezies die zelluläre Immunität des Wirts zu beein-
trächtigen und so die Abwehr auch gegen andere Erreger zu stören. Biochemisch Die biochemische Leistungsprüfung umfasst Reak-
tionen wie Äskulinspaltung, Indolbildung, Nitratreduktion und
kLabordiagnose Kohlenhydratspaltung (Fermentation verschiedener Zucker). Die
Der Nachweis einer Infektion mit Bacteroidaceae gelingt durch Testmethodik erfordert Inkubationszeiten von 48 h bis zu 12 Tagen.
Anzucht der Erreger. Einige kommerzielle Tests beschränken sich auf die Untersuchung
präformierter (bereits vorhandener) Enzyme. Damit kann eine Iden-
Untersuchungsmaterial Viele Materialproben, z. B. Sputum, Vagi- tifizierung in nur 4 h gelingen.
nalsekret u. Ä., enthalten Anaerobier der physiologischen Standort- Anaerobier bilden als Stoffwechselendprodukte verschiedene
flora, sodass eine eindeutige Bewertung der ätiologischen Bedeu- Fettsäuren und Alkohole, die sich gaschromatografisch nachweisen
tung der angezüchteten Bacteroidaceae oft nicht möglich ist. Ge- lassen und ebenfalls zur Identifizierung herangezogen werden kön-
eignete Materialien müssen daher durch Punktion (Eiter, Blut, nen. Solche Untersuchungen sind v. a. dann von Nutzen, wenn der
Liquor) oder intraoperativ (z. B. bei Peritonitis, Adnexitis) gewon- zu identifizierende Erreger keine oder nur wenige Kohlenhydrate
nen werden. spaltet (z. B. Porphyromonas asaccharolytica). Mittlerweile können
auch Bacteroidaceae einfach und schnell mittels MALDI-TOF-Ver-
Transport Wegen der begrenzten Sauerstofftoleranz der Anaerobier fahrens identifiziert werden. Einige Bacteroidaceae bilden typischer-
müssen Kulturen unmittelbar nach der Entnahme des Unter- weise ein schwarzes Pigment (Prevotella melaninogenica).
suchungsmaterials angelegt werden. Ist ein Transport der Probe
unvermeidlich, so kann die Überlebenszeit der Erreger durch die kTherapie
Verwendung eines Transportmediums verlängert werden. Beträgt Antibiotikaempfindlichkeit Gegen eine Reihe von Antibiotika sind
die Transportzeit mehr als 6 h, muss mit dem Absterben besonders Anaerobier primär resistent. Dies gilt v. a. für die Aminoglykosidan-
empfindlicher Spezies (z. B. Prevotella bivia) gerechnet werden. tibiotika. Darüber hinaus bilden verschiedene Bacteroidaceae po-
Transportmedien erhalten die Vitalität von Anaerobiern nicht nur tente β-Laktamasen, die v. a. Cephalosporine, aber auch Penicilline
durch ihre reduzierenden Eigenschaften, sie verhindern auch, dass abbauen.
die Anaerobier durch schnell wachsende fakultativ anaerobe Keime Antibiotika mit guter Wirkung gegen Bacteroidaceae sind Nit-
verdrängt werden. roimidazole (z. B. Metronidazol), Clindamycin, Carbapeneme (z. B.
Imipenem) sowie durch β-Laktamase-Inhibitoren geschützte Peni-
Anzucht Zur Kultur obligat anaerober Bakterien eignen sich flüs- cilline (z. B. Piperacillin/Tazobactam) (. Tab. 40.4). Allerdings sind
sige und feste Kulturmedien, vorausgesetzt, sie werden den beson- Resistenzmechanismen für alle genannten Antibiotika beschrieben.
deren Nährstoffansprüchen der Anaerobier gerecht: Diese breiten sich aber offenbar langsamer aus als bei fakultativ an-
4 Als flüssige Medien finden z. B. Rosenow-, Schaedler- oder aeroben Bakterien. Die Beurteilung der einzelnen Antibiotika hin-
supplementierte Thioglykolat-Bouillon Verwendung. sichtlich ihrer Aktivität gegen Bacteroidaceae ist zusammenfassend
4 Als feste Kulturmedien kommen z. B. Schaedler-, Columbia- in . Tab. 40.4 dargestellt.
oder Glukose-Hefeextrakt-Cystein-Agar jeweils mit Zusatz
von 10 % Blut in Betracht. Therapeutisches Vorgehen Aufgrund des meist erheblichen Zeit-
bedarfs für die bakteriologische Diagnostik von Anaerobiern muss
Die Medien sollten Hämin und Vitamin K enthalten; diese Subs- eine gegen Anaerobier wirksame Therapie bereits bei entsprechen-
tanzen beschleunigen das Wachstum gewisser Anaerobier. dem klinischem Verdacht eingeleitet werden.
Medien zur selektiven Anzucht obligat anaerober, gramnegati-
ver Stäbchen enthalten häufig Antibiotika wie Kanamycin (hemmt Chirurgische Maßnahmen Voraussetzung für eine erfolgreiche
gramnegative Aerobier), Vancomycin (hemmt grampositive Bakte- Chemotherapie kann insbesondere bei Anaerobierinfektionen eine
rien) und evtl. Nystatin (hemmt Pilze). chirurgische Revision des Infektionsgebiets sein. Dies gilt v. a. in
Die Inkubation muss unter anaeroben (sauerstoffreduzierten) dem Fall, dass ausgedehnte Nekrosen oder abgekapselte Abszesse die
Bedingungen erfolgen. Hierzu eignen sich spezielle Brutschränke, in Diffusion der Antibiotika behindern und somit ausreichende Wirk-
denen die Luft durch ein Gasgemisch aus N2, H2 und CO2 ersetzt ist; spiegel im Infektionsgebiet nicht erreicht würden.
brauchbar sind auch luftdicht schließende Gefäße (Anaerostaten),
in denen ein sauerstoffverbrauchender chemischer Prozess das
anaerobe Milieu erzeugt.
332 Kapitel 40 · Obligat anaerobe, nichtsporenbildende Bakterien

. Tab. 40.4 Wirksamkeit verschiedener Antibiotika gegen Bacteroidaceae

Bacteroides-Arten Porphyromonas-Prevotella-Gruppe Fusobacterium-Arten

Metronidazol +++ +++ +++

Clindamycin ++ +++ ++

Imipenem +++ +++ +++

Piperacillin/Tazobactam +++ +++ +++

Cefoxitin ++ +++ +++

Tetracyclin + ++ ++

Penicillin G – + +

Wirkung: +++ sehr gut; ++ gut; + mäßig; – unzuverlässig

kPrävention
Ein erheblicher Teil der Anaerobierinfektionen ist in der Vergangen- Methode der Wahl, direkte Immunfluoreszenz möglich.
heit nach operativen Eingriffen insbesondere im Bauchraum ent- Identifikation: MALDI-TOF, biochemische Leistungsprüfung,
standen. Der prophylaktische Einsatz von Antibiotika konnte die Gaschromatografie.
Zahl dieser postoperativen Infektionen dramatisch reduzieren: Eine Therapie Wirksame Antibiotika: Nitroimidazole, z. B. Metronida-
einmalige (bei längeren Operationen 2-malige) perioperative Gabe zol; Clindamycin, Imipenem. Chirurgische Wundrevision Voraus-
reicht aus, um im Operationsgebiet Wirkspiegel zu erreichen, welche setzung für erfolgreiche Antibiotikatherapie.
die kontaminierenden Mikroorganismen erfassen und damit das Immunität Keine.
Entstehen der Infektion verhindern. Ggf. ist darauf zu achten, dass Prävention Allgemein-hygienische Maßnahmen. Perioperative
die zur Prophylaxe ausgewählten Substanzen gegen Anaerobier Antibiotikaprophylaxe.
wirksam sind. Meldepflicht Keine.

Meldepflicht Es besteht keine Meldepflicht.

40.2 Gattung Capnocytophaga


In Kürze
Capnocytophaga-Spezies sind gramnegative Stäbchen, die in anae-
Obligat anaerobe, gramnegative Stäbchen
rober Atmosphäre wachsen, aber auch in mikroaerophiler (kapno-
Bakteriologie Pleomorphe, schwach anfärbbare, gramnegative
philer), d. h. CO2-angereicherter Atmosphäre. Sie sind also nicht
Stäbchen. Wachstum nur unter anaeroben Bedingungen. Lange
Bakteriologie

obligat anaerob und wurden daher von den Bacteroidaceae abge-


Generationszeit.
grenzt. Sie treten im Rahmen anaerober Mischinfektionen auf, ins-
Resistenz Gegenüber Umwelteinflüssen (insbesondere O2) sehr
besondere im HNO-Bereich sowie bei Lungeninfektionen. Mono-
empfindlich.
bakterielle septische Infektionen durch Capnocytophaga ochracea
Epidemiologie Opportunistische Krankheitserreger, die sich
sind v. a. bei granulozytopenischen Patienten beschrieben worden.
aus der physiologischen Schleimhautflora rekrutieren und bei
Das fusiforme Stäbchen Capnocytophaga canimorsus (7 Abschn.
eitrigen und/oder abszedierenden Infektionsgeschehen betei-
50.7) ist Teil der normalen Rachenflora bei Hunden und Katzen und
ligt sein können.
wird v. a. bei Bissverletzungen übertragen.
Pathogenese Veränderung des physiologischen Standortmili-
Capnocytophaga-Spezies sind gegenüber Penicillinen, Clin-
eus oder Verschleppung in normalerweise sterile Bereiche ൺ
damycin und Metronidazol sensibel.
opportunistische Proliferation, wenn O2-Spannung und Redox-
potenzial vermindert sind ൺ Eiterbildung ൺ Abszedierung.
Klinik Beeinträchtigte O2-Zufuhr, z. B. nach Trauma oder Throm-
bophlebitis, begünstigt Anaerobierinfektionen. Symptomatik:
40.3 Obligat anaerobe und mikroaerophile,
nekrotisierende übel riechende Weichgewebeinfektionen mit
nichtsporenbildende, grampositive
schwärzlicher Verfärbung und/oder Gasbildung. Meist polybak-
Stäbchen
terielle Mischinfektion.
Pathogenese Polysaccharidkapsel als bedeutendster Virulenz- Steckbrief
faktor. Im Gegensatz zu anderen gramnegativen Bakterien spielt
das Lipopolysaccharid der Bacteroides-Arten in der Pathogenese Obligat anaerobe und mikroaerophile, nichtsporenbildende,
eine untergeordnete Rolle. grampositive Stäbchen sind für den Menschen v. a. als physiolo-
Labordiagnose Untersuchungsmaterial: aspirierter Eiter, Blut, gische Standortflora im Oropharynxbereich, im Intestinaltrakt
Liquor, Gewebebioptat, Peritonealflüssigkeit. Transport muss und auf der Genitalschleimhaut von Bedeutung. Propionibacte-
in geeigneten Medien stattfinden. Kulturelle Anzucht ist die rium-Arten stellen den Hauptanteil der Hautflora.
40.3 · Obligat anaerobe und mikroaerophile, nichtsporenbildende, grampositive Stäbchen
333 40
40.3.1 Beschreibung
. Tab. 40.5 Medizinisch wichtige obligat anaerobe und mikroaero-
phile, grampositive Stäbchen
Die Gattungen Actinomyces, Arachnia, Bifidobacterium und einige
andere (z. T. obligat aerobe) Gattungen wurden früher zur Ordnung Verhältnis gegenüber Gattung
Actinomycetales (Strahlenpilze) zusammengefasst. Der Name ent- atmosphärischem Sauerstoff
stand im 19. Jahrhundert, als man die Aktinomyzeten wegen ihrer
Verzweigungen für Fadenpilze (Hyphomyzeten) hielt. Dies hat zu Obligat anaerob Bifidobacterium (> 20 Arten)
dem irreführenden Namen geführt. Aktinomyzeten sind im Gegen-
Eubacterium (> 30 Arten)
satz zu Pilzen jedoch Prokaryonten.
Mobiluncus
jAufbau
Butyrivibrio
Anaerobe und mikroaerophile, nichtsporenbildende Stäbchen wei-
sen einen für grampositive Bakterien typischen Zellwandaufbau auf. Lachnospira

jExtrazelluläre Produkte Obligat anaerob bis aerotolerant Propionibacterium (8 Arten)


Auch diese Bakterien bilden Fettsäuren in unterschiedlichem Aus- Anaerob bis mikroaerophil Lactobacillus
maß.
Actinomyces
jResistenz gegen äußere Einflüsse
Wegen der Sauerstoffempfindlichkeit sterben anaerobe und mikro-
aerophile, grampositive Stäbchen unter aeroben Verhältnissen rasch
ab, können sich aber in anaeroben Mischinfektionen (Aktino- fuhr (bakterienhaltige Magen-Darm-Therapeutika, bakterienange-
mykose, Cholesteatom) gut vermehren. Im Vergleich zu anderen reicherte Milchprodukte) können sie jedoch bei immunsupprimier-
Anaerobiern (z. B. Clostridium tetani) sind die grampositiven Stäb- ten Patienten zu Endokarditiden Anlass geben.
chen relativ aerotolerant. Auch Eubakterien und v. a. Propionibakterien sind als Erreger
von Endokarditiden in Erscheinung getreten und gewinnen in die-
jVorkommen sem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung. Propionibacterium
Die obligat anaeroben und mikroaerophilen, nichtsporenbildenden, acnes wird bei der Entstehung der Acne vulgaris eine Rolle zuge-
grampositiven Stäbchen stellen einen erheblichen Teil der physiolo- schrieben. Außerdem ist es mit dem echten SAPHO-Syndrom (Syno-
gischen Bakterienflora des Menschen. Actinomyces-Arten finden vitis, Akne, Pustulose, Hyperostose und Osteomyelitis) assoziiert.
sich regelmäßig in der Mundhöhle, gelegentlich auch im Verdau- Propionibacterien werden zunehmend bei Infektionen von Implan-
ungs- oder Genitaltrakt. taten (Hüft- und Kniegelenke, Schulter) gefunden. In . Tab. 40.5 sind
Eubacterium- und Bifidobacterium-Arten gehören zur Stuhl- einige humanmedizinisch wichtige Gattungen zusammengestellt.
flora, während Propionibacterium den überwiegenden Teil der
Hautflora ausmacht. Lactobacillus-Arten kommen in Oropharynx Aktinomykose Actinomyces israelii ist zusammen mit anderen An-
und Intestinaltrakt vor; als »Döderlein-Stäbchen« beherrschen sie aerobiern ätiologisch an der Aktinomykose beteiligt. Diese Infektio-
die normale Vaginalflora. Sie sind verantwortlich für die Umsetzung nen treten häufiger bei Männern als bei Frauen auf, Kinder unter
des unter Hormoneinfluss angereicherten Glykogens zu Laktat und 10 Jahren sind nicht betroffen. Der Infektion geht häufig eine Verlet-
damit für das saure Scheidenmilieu, das der Ansiedlung anderer pa- zung oder eine lokale Infektion mit anderen Erregern voraus. Alle
thogener Bakterien vorbeugt. Mobiluncus spp. finden sich im Geni- diese Krankheitsbilder entstehen in der Regel endogen, sofern prä-
taltrakt von Menschen und Primaten. disponierende Faktoren vorliegen; sie sind nicht übertragbar. Bei der
Prädisposition spielen vorausgehende Infektionen besonders dann
eine Rolle, wenn ihre Erreger ein negatives Redoxpotenzial erzeugen;
40.3.2 Rolle als Krankheitserreger dies begünstigt das Angehen der Actinomyces-Infektion (»Keime
der Vorinfektion als Quartiermacher der eigentlichen Infektion«).
kEpidemiologie Klinisch verläuft die Aktinomykose meist als subchronischer bis
Obligat anaerobe und mikroaerophile, nichtsporenbildende, gram- chronischer Infektionsprozess, der durch infiltratives Fortschreiten,
positive Stäbchen sind physiologischer Bestandteil der menschli- multiple Abszessbildung, Fistelungen und Bildung eines vielkamme-
chen Haut und Schleimhaut. rigen Höhlensystems gekennzeichnet ist. Aus den Fisteln entleert
sich typischerweise dünnflüssiger Eiter, der stecknadelkopfgroße
kÜbertragung derbe Körnchen (Drusen, »Schwefelkörnchen«) enthält. Über 95 %
Die Übertragung erfolgt in der Regel endogen. Lediglich die Erreger der Erkrankungen betreffen die Zervikofazialregion, während ein
der Aktinomykose werden offenbar auch aerogen akquiriert. Befall der Lunge oder der Abdominalorgane selten vorkommt. Da-
neben wird auch über Aktinomykosen des Uterus berichtet, die mit
kPathogenese der Anwendung von Intrauterinpessaren einhergehen.
Über die Virulenzfaktoren dieser Gruppe von Bakterien ist wenig Der klinische Verdacht einer Aktinomykose kann bereits durch
bekannt. die mikroskopische Untersuchung der Drusen bestätigt werden.
Charakteristischerweise findet sich im gramgefärbten Quetschprä-
kKlinik parat ein dickes Konvolut aus grampositiven Stäbchen, z. T. in Fa-
Mit Ausnahme der Actinomyces-Arten sind die hier besprochenen denform (»Druse«).
Bakterien nur selten an Infektionsprozessen beteiligt. Der kulturelle Nachweis kann einige Wochen benötigen, da
Bifidobacterium- und Lactobacillus-Arten werden von vielen die Primärkultur u. U. erst nach 14 Tagen Wachstum zeigt. Darüber
Autoren als apathogen angesehen. Insbesondere nach exzessiver Zu- hinaus handelt es sich bei der Aktinomykose immer um eine Misch-
334 Kapitel 40 · Obligat anaerobe, nichtsporenbildende Bakterien

infektion, sodass Subkulturen zur Isolierung der einzelnen Bakte-


rienarten notwendig werden. In Kürze
Neben Actinomyces israelii in seltenen Fällen kommen auch an- Obligat anaerobe und mikroaerophile, nichtsporenbildende,
dere Actinomyces-Arten sowie Propionibacterium propionicum grampositive Stäbchen
(eng verwandtes, aber fakultativ anaerob wachsendes, grampositives Bakteriologie Zellwandaufbau entspricht dem für grampositive
Stäbchen) als Erreger infrage. Bakterien typischen Muster. Hohe Anforderungen an Kulturbe-
Ein fakultativ anaerobes bzw. mikroaerophiles, gramnegatives dingungen und -medien.
Stäbchen, das häufig Teil der polymikrobiellen Ätiologie der Aktino- Resistenz Gering wegen Sauerstoffempfindlichkeit.
mykose ist, heißt aufgrund dieser Tatsache Aggregatibacter actino- Epidemiologie Teil der physiologischen Haut- und Schleim-
mycetemcomitans (früher Actinobacillus actinomycetemcomitans) hautflora.
(7 Abschn. 50.4). Zielgruppe Immunsupprimierte Patienten.
Pathogenese Nicht bekannt.
kImmunität Klinik Bifidobacterium- und Lactobacillus-Arten: meist apatho-
Es entsteht keine Immunität. gen. Eubakterien und Propionibakterien: Erreger von Endokar-
ditiden. Actinomyces: Aktinomykose. Mit Ausnahme der Actino-
kLabordiagnose myces-Arten spielen diese Keime als Krankheitserreger eine
Der Schwerpunkt der Labordiagnose liegt auf der Anzucht und der untergeordnete Rolle.
biochemischen bzw. molekularbiologischen Identifizierung des Aktinomykose: Subakuter bis chronischer eitriger Infektions-
Erregers. prozess der Zervikofazialregion, gekennzeichnet durch Abszess-
bildung und Fistelung.
Anzucht Die Kultur der obligat anaeroben und mikroaerophilen Labordiagnose Aktinomykose: mikroskopisch im Fisteleiter-
Stäbchen erfolgt meist auf Optimalnährböden mit Blutzusatz. Es fädige, verzweigte Bakterienzellen. Kulturelles Wachstum kann
finden aber auch Selektivmedien (für Lactobacillus und Bifidobac- maximal einige Wochen benötigen. Kultureller Nachweis von
terium) Verwendung. Die Primärkultur muss unter anaeroben Be- Bifidobakterien, Eubakterien, Propionibakterien oder Laktobazil-
dingungen erfolgen, für die Subkultur reicht häufig ein CO2-ange- len lässt nur bei wiederholten Isolierungen eine ätiologische
reichertes Milieu aus. Bedeutung dieser Erreger zu.
Der kulturelle Nachweis von Bifidobacterium, Eubacterium, Therapie Mittel der Wahl ist Penicillin G bzw. eine Kombination
Propionibacterium oder Lactobacillus ist meist auf eine Kontamina- aus Penicillin und β-Laktamase-Inhibitor.
tion des Untersuchungsmaterials mit physiologischer Flora, mit- Immunität Keine.
hin auf einen Fehler bei der Materialgewinnung, zurückzuführen. Prävention Hygienische Maßnahmen.
Erst wenn diese Mikroorganismen wiederholt aus sorgfältig ent- Meldepflicht Keine.
nommenen klinischen Materialien isoliert werden, ist eine ätiologi-
sche Bedeutung zu diskutieren. Dies gilt auch für aus Blutkulturen
endokarditisverdächtiger Patienten isolierte Propionibakterien.
40.4 Obligat anaerobe und mikroaerophile
Morphologie Obwohl die Bakterien der hier zu besprechenden
Kokken
Gattungen zu den grampositiven Organismen gehören, sind sie im
Bakteriologie

mikroskopischen Präparat häufig gramlabil, d. h., es finden sich so- Steckbrief


wohl rot als auch blau angefärbte Erreger. Eubacterium- und Lacto-
bacillus-Arten erscheinen meist als gerade, Propionibacterium-Ar- Die obligat anaeroben und mikroaerophilen (kapnophilen)
ten als gebogene Stäbchen, Bifidobacterium- und v. a. Actinomyces- Kokken stellen eine recht heterogene Gruppe von Bakterien dar
Arten weisen häufig Verzweigungen auf. (. Tab. 40.6). Gemeinsam ist ihnen, dass sie in Gegenwart von
O2 auf festen Nährböden keine Kolonien ausbilden. Die meisten
Biochemie Die Identifizierung erfolgt aufgrund der biochemischen anaeroben und mikroaerophilen Kokken können Teil der physio-
Leistungsprüfung (Katalase-, Indolbildung, Nitratreduktion, logischen Flora des Menschen sein; viele sind aber auch im Rah-
Äskulinspaltung, Kohlenhydratfermentation) sowie mithilfe des men mono- oder polybakterieller Infektionen in Erscheinung
gaschromatografischen Nachweises gebildeter Fettsäuren. getreten.

kTherapie
Die in Tab. 40.5 genannten grampositiven Stäbchen sind in der Regel 40.4.1 Beschreibung
gegen Penicillin G sensibel. Bei der Therapie der Aktinomykose ist
zu berücksichtigen, dass Penicillin G die Begleitkeime häufig nicht jAufbau
erfasst. Daher sollten Penicillinderivate mit erweitertem Spektrum, Über den Aufbau der gramnegativen, anaeroben Kokken (Veillonel-
z. B. Ampicillin, in Kombination mit einem β-Laktamase-Inhibitor laceae) ist wenig bekannt. Ihre Zellwände enthalten Endotoxin
eingesetzt werden. Darüber hinaus können chirurgische Maßnah- (Lipopolysaccharide) mit entsprechender biologischer Aktivität. Die
men (Abszessdrainage) notwendig werden. Zellwände der grampositiven, anaeroben oder mikroaerophilen
Kokken entsprechen dem Grundbauplan grampositiver Bakterien.
kPrävention
Die Prävention besteht in der Anwendung allgemeinhygienischer jExtrazelluläre Produkte
Maßnahmen. Fast alle anaeroben und mikroaerophilen Kokken produzieren unter-
schiedliche Fettsäuren, die den typischen Geruch der Anaerobier
Meldepflicht Es besteht keine Meldepflicht. verursachen.
40.4 · Obligat anaerobe und mikroaerophile Kokken
335 40

. Tab. 40.6 Medizinisch wichtige obligat anaerobe und mikroaerophile Kokken

Kokkengruppe Familie Gattung und Art

Obligat anaerob, gramnegativ Veillonellaceae Veillonella parvula, V. atypica, V. dispar


Acidaminococcus fermentans
Megasphaera elsdenii

Obligat anaerob, grampositiv Peptococcaceae Peptococcus niger


Peptostreptococcus anaerobius
Peptoniphilus asaccharolyticus, P. harei, P. indolicus
Gallicola barnesae
Slackia heliotrinireducens
Anaerococcus hydrogenalis, A. prevotii
Finegoldia magna
Micromonas micros
Apotobium parvulum
Ruminococcus productus
Coprococcus catus
Sarcina ventriculi
Streptococcus morbilloruma, S. parvulusb, S. pleomorphus

Mikroaerophil, grampositiv Streptococcaceae Streptococcus milleric,S. intermediusc, S. constellatusc, S. mutans

Aerococcaceae Aerococcus

a Gattung enthält obligat anaerobe, mikroaerophile und aerobe Arten.


b Einige Stämme sind aerotolerant.
c Ein Teil der Stämme wächst ausschließlich mikroaerophil, andere auch aerob.

jResistenz gegen äußere Einflüsse kÜbertragung


Sauerstoff ist für anaerobe Kokken toxisch; ihre Überlebensfähigkeit Die Übertragung erfolgt endogen aus der körpereigenen Standort-
außerhalb ihrer natürlichen Standorte ist dementsprechend limi- flora.
tiert.
kPathogenese
jVorkommen Voraussetzung für die Infektion sind meist prädisponierende Fakto-
Obligat anaerobe und mikroaerophile Kokken gehören zur physio- ren wie Trauma, Abwehrschwäche etc. Die Bakterien verhalten sich
logischen Standortflora von Haut und Schleimhäutendes Menschen. damit als Opportunisten. Polymikrobielle Assoziationen unter Be-
Im Stuhl kommen sie in Keimzahlen von1010–1011/g vor. teiligung von Bacteroidaceae, aber auch aerob-anaerobe Mischinfek-
tionen sind häufig: So laufen etwa 25 % der durch Anaerobier (mit)
bedingten Infektionen unter Beteiligung der hier beschriebenen
40.4.2 Rolle als Krankheitserreger Kokken ab.

Anaerobe und mikroaerophile Kokken kommen physiologisch auf kKlinik


der Haut und Schleimhaut sowie im Gastrointestinal- und Urogeni- Die klinischen Zeichen der Infektionen durch obligat anaerobe oder
taltrakt vor. Von hier aus können sie Infektionen auslösen oder mit- mikroaerophile Kokken sind meist uncharakteristisch. In Mischin-
verursachen. Besonders häufig gefunden werden sie im Rahmen von fektionen können sie zusammen mit Eitererregern zu nekrotisieren-
gynäkologischen Infektionen sowie Hirn- und Lungenabszesse den Weichgewebeinfektionen mit Gasbildung führen. Sie müssen
(nach Aspiration). Sie kommen aber auch als Erreger von Endokar- deshalb von dem durch Clostridien verursachten Gasbrand abge-
ditiden und Weichgewebeinfektionen vor. Am häufigsten wird Pep- grenzt werden.
tostreptococcus anaerobius ausklinischen Materialien isoliert.
kImmunität
kEpidemiologie Es entsteht keine Immunität.
Anaerobe und mikroaerophile Kokken lösen endogene Infektionen
aus, da sie dem Milieu der körpereigenen physiologischen Flora ent- kLabordiagnose
stammen. Besonders betroffen sind Patienten nach Operationen im Während die mikroaerophilen Kokken zum Wachstum lediglich
Oropharynx sowie im Bauchraum oder nach gynäkologischen Ein- eine erhöhte CO2-Konzentration (5–10 %) in der Atmosphäre benö-
griffen und Geburten. tigen, können die obligat anaeroben Kokken in Gegenwart von Luft-
336 Kapitel 40 · Obligat anaerobe, nichtsporenbildende Bakterien

sauerstoff nicht wachsen. Das Untersuchungsmaterial, Wundsekret


oder gynäkologische Abstriche, muss in speziellen Transportmedien Klinik Meist unspezifische Infektionszeichen. Nekrotisierende
eingeschickt werden, welche die Keime vor dem Einfluss von Sauer- Weichgewebeinfektionen mit Gasbildung durch Mischinfek-
stoff schützen. Die Überimpfung auf Spezialnährböden sollte zügig tionen mit anaeroben und/oder mikroaerophilen Kokken müs-
erfolgen. Die Bebrütung erfolgt in anaerober Atmosphäre. sen aufgrund der unterschiedlichen Therapieerfordernisse
Aufgrund der langsamen Generationszeit ist die Ausbildung differenzialdiagnostisch vom »echten« Gasbrand (Clostridien)
sichtbarer Kolonien erst nach 2- bis 5-tägiger Bebrütungsdauer zu abgegrenzt werden.
erwarten. Peptococcus niger kann dunkel pigmentierte Kolonien
Labordiagnose Untersuchungsmaterial: Gewebebioptate,
ausbilden. Zur Identifizierung ist das Grampräparat unerlässlich.
Abszessmaterial, Blut. Erregernachweis: Anzucht auf komplexen
Veillonellaceae sind gramnegative Kokken mit unterschied-
lichen Durchmessern (Veillonella 0,3–0,5 μm, Acidaminococcus Nährböden in sauerstoffarmer Atmosphäre. Identifizierung:
0,6–1,0 μm, Megasphaera um 2 μm), die meist als Diplokokken ge- biochemisch, gaschromatografisch.
lagert sind. Die grampositiven Kokken sind 0,5–2 μm groß und ein- Therapie Mittel der Wahl: Clindamycin. Veillonellaceae sind
zeln, in Haufen oder in Ketten gelagert. gegen Vancomycin resistent. Mikroaerophile Kokken sind gegen
Die obligat anaeroben und mikroaerophilen Kokken ähneln sich Metronidazol resistent.
z. T. so sehr in ihrer Enzymausstattung, dass sie sich allein durch Immunität Keine.
biochemische Leistungsprüfung nicht differenzieren lassen. Selbst Prävention Hygienische Maßnahmen.
MALDI-TOF und Sequenzierungen können nicht immer sichere Meldepflicht Keine.
Identifizierungsergebnisse liefern.
Die verschiedenen Veillonella-Arten sind mit herkömmlichen
Methoden überhaupt nicht zu unterscheiden. Eine sichere Artenzu-
ordnung kann nur aufgrund von DNA/DNA-Hybridisierung bzw.
mittels PCR erfolgen. Die anaeroben Kokken sind unbeweglich.
Die Taxonomie der obligat anaeroben Kokken ist häufig geän-
dert worden; auch der gegenwärtige Stand ist nicht unumstritten
und lässt zukünftige Änderungen erwarten. . Tab. 40.6 gibt eine
Übersicht der medizinisch wichtigen Arten der obligat anaeroben
und mikroaerophilen Kokken ist.

kTherapie
Gegen Penicillin bestehen mittlerweile nicht unerhebliche Resisten-
zen. Cephalosporine und Clindamycin sind meist wirksam, Vanco-
mycin ist gegen Veillonellaceae unwirksam. Gegen Tetracycline be-
stehen erhebliche Resistenzen, sie sind daher zur Therapie nicht
geeignet. Mikroaerophile Kokken sind gegen Imidazolderivate (z. B.
Metronidazol) resistent; ob anaerobe Kokken Resistenzen aufwei-
sen, ist umstritten.
Bakteriologie

kPrävention
Endogene Infektionen infolge iatrogener Eingriffe lassen sich durch
allgemeinhygienische Maßnahmen weitgehend vermeiden.

Meldepflicht Es besteht keine Meldepflicht.

In Kürze
Obligat anaerobe und mikroaerophile Kokken
Bakteriologie Heterogene Gruppe sowohl grampositiver (z. B.
Peptostreptococcus) als auch gramnegativer Kokken (z. B. Veillo-
nellaceae), denen die Unfähigkeit, auf festen Nährböden in Ge-
genwart von O2 Kolonien auszubilden, gemeinsam ist. Bestand-
teil der physiologischen Schleimhautflora des Menschen.
Resistenz Gering wegen Sauerstoffempfindlichkeit.
Epidemiologie In der Regel endogene, opportunistische Infek-
tionen.
Zielgruppe Patienten nach orofazialen, gastrointestinalen und
gynäkologischen Operationen.
Pathogenese Prädisponierende Faktoren (z. B. Trauma)
ൺ Standortverschiebung mit Veränderung der mikrobiellen
Umgebung ൺ opportunistische Vermehrung ൺ eitrige, meist
abszedierende Entzündung. Mischinfektion häufig.
337 41

Mykobakterien
F.-Ch. Bange, H. Hahn, S. H. E. Kaufmann, T. Ulrichs

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_41, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Das Genus Mycobacterium (M.) ist die einzige Gattung aus der Familie
der Mycobacteriaceae. Mykobakterien unterscheiden sich von den . Tab. 41.2 Mykobakterien: Arten und Krankheiten
meisten anderen Bakterien durch ihren Gehalt an Wachsen in der Zell-
Art Krankheit
wand sowie, dadurch bedingt, durch eine hohe Festigkeit gegen Säu-
ren und Basen. Sie müssen deshalb mit besonderen Färbemethoden
M. tuberculosis Tuberkulose
(Ziehl-Neelsen, Auramin) angefärbt werden. Mykobakterien vermehren
sich nur in Gegenwart von Sauerstoff, d. h., sie sind obligate Aerobier M. bovis Tuberkulose
(. Tab. 41.1). M. africanum Tuberkulose
Die eng verwandten Spezies M. tuberculosis, M. bovis und M. africa-
M. leprae Lepra
num (DNA-DNA-Homologie > 95 %) sind Mitglieder des sog. M. tuber-
culosis-Komplexes. Sie verursachen beim Menschen die Tuberkulose M. avium/ Lymphadenitis (bei Kindern)
(TB), wobei Infektionen mit M. africanum und M. bovis selten sind. intracellulare
systemische Infektionen
Weiter gehört zur Gattung die große Gruppe (> 100 Spezies) der nicht-
(bei Immunsupprimierten)
tuberkulösen Mykobakterien und M. leprae, der Erreger der Lepra;
dieser ist im Gegensatz zu allen anderen Mykobakterien in vitro nicht M. kansasii chronische bronchopulmonale Infektionen;
kultivierbar. Die nichttuberkulösen Mykobakterien kommen in der systemische Infektionen
(bei Immunsupprimierten)
Umwelt vor, sind weniger virulent und verursachen in der Regel oppor-
tunistische Infektionen (. Tab. 41.2). M. marinum Haut-, Weichgewebeinfektionen
Die Vorsilbe »Myko« bezeichnet eigentlich eine Zugehörigkeit zu Pilzen
M. ulcerans Haut-, Weichgewebeinfektionen (Buruli-Ulkus)
(gr. »mykes«: Pilz). Der Begriff Mykobakterien wurde gewählt, weil sich
M. tuberculosis wegen seiner hydrophoben Lipidschicht auf der Ober- M. chelonae/ Haut-, Weichgewebeinfektionen
fläche flüssiger Kulturmedien vermehrt. Dadurch entsteht der Eindruck abscessus
eines schimmelpilzähnlichen Bewuchses. In der Folge wurde die Be-
zeichnung auf alle Bakterien dieser Gattung ausgedehnt, auch wenn
sie nicht schimmelpilzartig auf flüssigen Kulturmedien wachsen.
Geschichte
Den Begriff Phthisis (Schwindsucht) prägte Hippokrates (ca. 460–375 v. Chr.),
um damit eine Krankheit zu kennzeichnen, die mit einem allgemeinen Ver-
fall einhergeht. 1689 verwendete der englische Arzt Thomas G. Morton in
. Tab. 41.1 Mykobakterien: Gattungsmerkmale
seiner »Phthisiologia« für die charakteristischen Läsionen der Lungen-
schwindsucht den Ausdruck »Tuberkel« (Höcker, Knötchen). Davon leitete
Merkmal Ausprägung
Johann Lucas Schönlein (1793–1864) im Jahre 1832 den Begriff »Tuberkulo-
se« ab. Als »Skrofulose« wurde die damals häufige Form der tuberkulösen
Säurefestigkeit positiv
Lymphadenitiden bezeichnet.
(z. B. Ziehl-Neelsen-Färbung)
Im 16./17. Jahrhundert ging ein Viertel aller Todesfälle bei Erwachsenen in
Aerob/anaerob obligat aerob, mikroaerophiles Europa auf die TB zurück. Besonders stark breitete sich die Krankheit im
Wachstum möglich 19. Jahrhundert aus, eine Folge der Urbanisierung im Rahmen der industriel-
len Revolution. Als »Weiße Pest« war sie die häufigste Todesursache in Euro-
Kohlenhydratverwertung oxidativ pa. Bei einer Mortalität von mehr als 1000 pro 100.000 Menschen hat die TB
Sporenbildung nein etwa 30 % der erwachsenen Bevölkerung dahingerafft. 65 % aller Patienten
mit offener Lungen-TB verstarben innerhalb weniger Jahre nach Diagnose-
Beweglichkeit nein stellung. Die Entdeckung des TB-Erregers (1882) ist mit dem Namen des
Katalase verschieden (M. tuberculosis: positiv) deutschen Arztes Robert Koch (1843–1910) untrennbar verbunden, der un-
ter Anwendung der Henle-Koch-Postulate den zwingenden Nachweis der
Oxidase negativ Erregernatur von M. tuberculosis führte.
Seit der Entwicklung des Thiosemikarbazons 1943 durch Gerhard Domagk
Besonderheiten langsames Wachstum (mit wenigen
(1895–1964, Nobelpreis 1939), des Streptomycins 1946 durch Selman Abra-
Ausnahmen)
ham Waksman (1888–1973, Nobelpreis 1952) und des Isoniazids 1952 durch
3 verschiedene Forschergruppen, sowie des Rifampicins, Ethambutols und
Pyrazinamids lässt sich der Großteil aller Fälle chemotherapeutisch behan-
deln: Die Therapie der TB hat sich in Deutschland von den Lungensanatorien
hin zum Allgemeinkrankenhaus, ja sogar zur Praxis des niedergelassenen
Arztes verlagert.
338 Kapitel 41 · Mykobakterien

41.1 Mycobacterium tuberculosis

Steckbrief

Mycobacterium tuberculosis ist ein obligat aerobes, säurefestes


Stäbchenbakterium (. Abb. 41.1). Es ist der Erreger der Tuber-
kulose (TB), einer zyklischen Allgemeininfektion, die durch
Knötchenbildung (Granulome) und Gewebezerstörung (Kaver-
nen) in der Lunge und in anderen Organen gekennzeichnet ist.

. Abb. 41.1 Mycobacterium tuberculosis – säurefeste Stäbchen (Ziehl-


Neelsen-Färbung)

Austrocknung M. tuberculosis ist gegen Austrocknung resistent.


Mycobacterium tuberculosis: säurefeste Stäbchen mit Cordfaktor, Daher können die Erreger im Staub monatelang überleben.
entdeckt 1882 von Robert Koch
Temperatur Mykobakterien sind gegen Kälte unempfindlich; sie
überleben beispielsweise im Labor jahrelang bei –70 °C. Dagegen
sind sie gegen Hitze relativ empfindlich, d. h., bei längerer Einwir-
41.1.1 Beschreibung kung (> 30 min) von Temperaturen über 65 °C sterben sie ab, was die
Grundlage des Pasteurisierens der Milch ist. (Pasteurisieren: Kurz-
jAufbau zeiterhitzen der Milch zur Abtötung von Bakterien bei Erhalt der
Peptidoglykanschicht Die Zellwand der Mykobakterien besitzt wie Eigenschaften des Ausgangsmaterials.)
die anderer Bakterien eine Peptidoglykanschicht.
Körpereigene Abwehr Mykobakterien werden durch die antibak-
Lipide Die Zellwand ist besonders lipidreich; etwa 60 % ihres teriellen Mechanismen der polymorphkernigen Granulozyten und
Trockengewichts sind Lipide. Die Lipidschicht ist der Grund für ruhender, nichtstimulierter Makrophagen nicht abgetötet. Sie kön-
die besonders stark ausgeprägte Resistenz der Mykobakterien nen nach Aufnahme im Innern dieser Zellen weiterleben und sich
gegenüber äußeren Einflüssen. Die wichtigsten Lipide der Myko- dort vermehren, sind also fakultativ intrazelluläre Bakterien.
bakterien sind:
4 Mykolsäuren, langkettige gesättigte Fettsäuren aus jVorkommen
Bakteriologie

60–90 C-Atomen M. tuberculosis kommt natürlicherweise nur beim Menschen vor.


4 Mykoside, mykolsäurehaltige Glykolipide oder Glykolipid- Der natürliche Wirt von M. bovis ist das Rind.
peptide

Ein für die Virulenz der Tuberkulosebakterien wichtiges Mykosid ist 41.1.2 Rolle als Krankheitserreger
das Trehalose-6,6-dimykolat, auch Cordfaktor genannt. Hierauf
geht die Neigung dieser Bakterien zurück, sich in Kultur zu zopf- kEpidemiologie
artigen Strängen aneinanderzulagern. In Mitteleuropa ist die TB seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts im
Glykolipide, z. B. Lipoarabinomannan, bestehen – ähnlich wie Rückgang begriffen. Die Morbidität ist in den Industrieländern
die Lipopolysaccharide gramnegativer Bakterien – aus Lipid- und durch die verbesserte Hygiene zurückgegangen und die Letalität
Zuckerbausteinen. Sie besitzen eine hohe immunmodulatorische durch die Chemotherapie. Die BCG-Impfung hingegen konnte nicht
Aktivität. zum weltweiten Rückgang der Tuberkulosezahlen beitragen, obwohl
Wachs D enthält Mykolsäure, Peptide und Polysaccharide. sie die am häufigsten applizierte Impfung ist (7 Prävention). Eine
Wirkung der BCG-Impfung konnte nur für die Verhinderung
Proteinantigene Neben den Lipiden tragen Mykobakterien zahl- schlimmer Verlaufsformen der TB im Kindesalter (Miliartuberkulo-
reiche Proteinantigene, die Transportfunktionen entlang der Zell- se und tuberkulöse Meningitis, 7 Pathogenese) belegt werden.
wand übernehmen. Im Jahre 2013 wurden in Deutschland 4318 Neuerkrankungen
an TB gemeldet. Das entspricht einer Inzidenz von 5,3 pro 100000
jResistenz gegen äußere Einflüsse Einwohner. Nachdem sich die kontinuierliche Abnahme der Erkran-
UV-Licht Mykobakterien sind gegen UV-Licht unterhalb von kungszahlen sich seit 2009 verlangsamte, stagnieren die Fallzahlen
300 nm Wellenlänge ebenso empfindlich wie andere Bakterien. mittlerweile. Die Letalität liegt in Deutschland gegenwärtig bei
ca. 3,4 %, d. h. bei 146 Todesfällen pro Jahr (0,2 Todesfälle pro
Säure Mykobakterien werden durch die Magensalzsäure nur lang- 100.000 Einwohner). Die Tuberkulose in Deutschland stellt immer
sam abgetötet, sodass sie sich lebend im Magensaft von TB-Patienten noch ein ernstzunehmendes Gesundheitsproblem dar. Der Anteil
nachweisen lassen. der Tuberkulosepatienten mit Migrationshintergrund steigt; in vie-
41.1 · Mycobacterium tuberculosis
339 41
len Fällen werden multiresistente Stämme von M. tuberculosis iso- folgt aus Kavernen, die Anschluss an das Bronchialsystem gefunden
liert (7 s. u.). haben.
In den Entwicklungsländern ist die TB ein medizinisches Pro- Etwa die Hälfte aller frisch diagnostizierten Fälle mit aktiver
blem ersten Ranges. Der WHO-Report von 2014 weist für 2013 ca. TB ist offen und damit kontagiös. In Deutschland dürfte jeder kon-
9 Mio. Neuerkrankungen und ca. 1,5 Mio. Todesfälle aus und dies tagiöse Patient mit offener TB 2–10 neue Infektionen verursachen;
dürften Minimalschätzungen sein. Mehr als 80 % aller Tuberkulose- in Ländern mit hoher Prävalenz und Inzidenz liegt diese Zahl
patienten leben in Afrika südlich der Sahara und in Asien. Die WHO wesentlich höher.
hat 22 Hochprävalenzländer definiert, zu denen nicht nur Entwick- Die Übertragung erfolgt in der häuslichen Umgebung, aber auch
lungsländer gehören, sondern auch Russland und Länder Zentral- am Arbeitsplatz, in Schulen, in öffentlichen Verkehrsmitteln etc. In
asiens. 95 % gelangt M. tuberculosis durch Inhalation erregerhaltiger Aero-
Weltweit ist die TB immer noch die Infektionskrankheit mit den sole (Tröpfchenkerne: Durchmesser < 10 μm) in die Alveolen. Dort-
meisten Todesfällen durch einen einzelnen bakteriellen Erreger. Die hin müssen die Erreger vordringen, damit die Alveolarmakrophagen
Tuberkulose wird durch die Koinfektion mit HIV kompliziert. Beide sie aufnehmen können. Größere Partikel spielen für die Übertra-
Erkrankungen begünstigen sich gegenseitig (7 Immunität). 1.1 Mio. gung eine geringe Rolle, da das mukoziliäre System der oberen Luft-
der 9 Mio. Menschen, die 2013 an einer Tuberkulose erkrankten, wege sie abfängt und nach außen transportiert. Schon wenige Erre-
waren gleichzeitig mit M. tuberculosis und HIV infiziert – vier von ger können eine Infektion verursachen.
fünf HIV-positiven Tuberkulosekranken leben in Afrika. Jährlich
gehen fast 500.000Todesfälle auf diese Doppelinfektion zurück. kPathogenese
In Russland und in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Die TB ist eine chronische, in Zyklen (Stadien) ablaufende Allgemein-
Sowjetunion sind steigende Tuberkulosezahlen und die Resistenz- infektion. Man trennt die Primär-TB einerseits von der Postprimär-
bildung die wichtigsten Probleme bei der Tuberkulosekontrolle. TB (Reaktivierungskrankheit). Letztere ist in den meisten Fällen bei
Dabei nehmen sowohl die Anzahl der resistenten Erreger als auch Erwachsenen die eigentliche Krankheit, während bei Immundefi-
die Zahl der Resistenzen zu. zienz (Kleinkinder, AIDS-Patienten) die Erkrankung sich auch im
4 Von multiresistenten Erregern (»multidrug resistant«, MDR) Rahmen der Primär-TB entwickeln kann. Die Krankheitserschei-
wird gesprochen, wenn Resistenzen mindestens gegen die nungen sind die Folge immunologischer Reaktionen zwischen den
Medikamente 1. Ordnung Isoniazid und Rifampicin vorliegen spezifischen T-Lymphozyten des infizierten Wirtes und den Antige-
(7 s. u.: Therapie). nen des Erregers (. Abb. 41.2).
4 Mittlerweile werden sog. XDR-Stämme (»extensively drug
resistant«) isoliert, die nicht nur gegen Isoniazid und Rifampicin Primär-TB Die Erreger werden nach Inhalation in erregerhaltigen
resistent sind, sondern auch noch gegenüber den Chinolonen Aerosoltröpfchen in den Lungenalveolen von Alveolarmakrophagen
und mindestens einem der 3 injizierbaren Medikamente und dendritischen Zellen phagozytiert. Da diese die Erreger wegen
2. Ordnung (Amikacin, Capreomycin, Kanamycin). deren dicker Lipidschicht zunächst nicht abtöten können und die
4 In Südafrika, Indien, Iran und weiteren Ländern wurden be- Erreger überdies die Phagosomansäuerung sowie die Verschmel-
reits sog. TDR-Stämme isoliert (»totally drug resistant«), bei zung von Lysosomen und Phagosomen verhindern, vermehren sie
denen die meisten Medikamente der 1. und 2. Ordnung nicht sich im Innern der Makrophagen und dendritischen Zellen. Sterben
mehr wirken. die bakterienhaltigen Zellen ab, werden die Bakterien freigesetzt und
von anderen Makrophagen phagozytiert. Beim Zerfall geben die Ma-
Die steigenden Tuberkulosezahlen und die starke Zunahme multi- krophagen und dendritischen Zellen entzündungsfördernde Stoffe
resistenter Stämme in der WHO-Euro-Region haben die WHO 2004 in die Umgebung ab: Es entwickelt sich ein lokaler Entzündungs-
veranlasst, die Tuberkulose dort zum Gesundheitsnotfall zu er- herd, Primäraffekt (PA) genannt. Der PA entwickelt sich innerhalb
klären. von 10–14 Tagen nach Aufnahme des Erregers. Aus dem PA gelangt
Mittlerweile steigen auch in Osteuropa und Zentralasien die M. tuberculosis über die ableitenden Lymphbahnen zu den regio-
HIV-Durchseuchung und die Zahl von HIV-TB-Koinfektionen. Zu- nalen Lymphknoten, d. h. im Falle der Lunge zu den Hiluslymph-
sammen mit den immer resistenter werdenden Erregern bildet sich knoten.
eine explosive Mischung, die für die Nationalen Tuberkulosekon- In den lokalen Lymphknoten vermehren sich die Erreger und sti-
trollprogramme (NTP) immer schwerer beherrschbar wird. In Afri- mulieren eine zelluläre Immunantwort, in deren Gefolge T-Lympho-
ka südlich der Sahara werden vermehrt MDR- und XDR-Stämme zyten mit Spezifität gegen Antigene von M. tuberculosis entstehen. Als
isoliert. Die Entwicklung und Einführung neuer Tuberkulosemedi- direkte Folge der T-Zell-Vermehrung schwillt der Lymphknoten an.
kamente, wie z. B. Delamanid und Bedaquilin, die Entwicklung und Wahrscheinlich werden die Erreger von den dendritischen Zellen
Testung neuer Impfstoffkandidaten und die Stärkung des öffentli- dorthin verschleppt.
chen Gesundheitswesens in den Hochprävalenzländern sind drin- PA und der in die Infektion einbezogene lokale Lymphknoten
gend geboten. bilden zusammen den Primärkomplex (PK), auch Ghon-PK genannt.
Zeitgleich mit der Bildung des PK kommt es charakteristischer-
kÜbertragung weise zur Bildung von Granulomen (. Abb. 41.3), zur Aktivierung
Wird M. tuberculosis ausgeschieden, so spricht man von einer offe- von Makrophagen und zur Ausbildung einer Tuberkulinallergie.
nen Tuberkulose. Grundsätzlich ist jeder Patient mit einer offenen Diese Veränderungen sind das Ergebnis spezifischer Reaktionen
TB kontagiös. Die Ausscheidung erfolgt mit dem Sputum bei Lun- zwischen den mykobakteriellen Antigenen einerseits und den neu
gen-TB, mit dem Urin bei Harnweg-TB und mit dem Stuhl bei gebildeten, spezifischen T-Zellen, d. h., es beginnt jetzt die immuno-
Darm-TB. Auch Kehlkopf-TB, Haut-TB sowie Gebärmutter-TB sind logisch determinierte Phase der Primär-TB (6.–14. Woche nach
offene, kontagiöse Formen. Eine Übertragung ist jedoch am häufigs- Infektion).
ten die Folge einer offenen Lungen-TB, da hier im besonderen Maße Bei über 90 % aller Infektionen bleibt die Infektion im Stadium
die infektiösen Aerosole entstehen. Die massivste Ausscheidung er- des PK stehen; PA und PK vernarben und verkalken (. Abb. 41.4).
340 Kapitel 41 · Mykobakterien
Bakteriologie

. Abb. 41.2 Pathogenese der Tuberkulose


41.1 · Mycobacterium tuberculosis
341 41

. Abb. 41.3 Mycobacterium tuberculosis – Granulombildung mit Riesen- . Abb. 41.4 Mycobacterium tuberculosis – verkalkter Lymphknoten an
zellen in der Leber der Bifurcatio

Es besteht keine Krankheit im klinischen Sinne, denn die bestehende Primäre Streuherdbildung Dabei kann ein kleiner Teil der Erreger
Immunität verhindert Vermehrung und Ausbreitung der Erreger. den Lymphknoten bereits im Stadium des PA passieren, über die
Nichtsdestoweniger können die verkalkten und vernarbten Herde Lymphwege die Blutbahn erreichen und sich in verschiedenen inne-
lebenslang vermehrungsfähige Mykobakterien enthalten und Aus- ren Organen ablagern: Nierenparenchym, Knochenepiphysen, Milz
gangsherde für eine Postprimär-TB (7 s. u.) darstellen. und apikale Lungenabschnitte sind bevorzugte Stellen. Sie enthalten,
oft über Jahre, persistierende Bakterien. Die im apikalen Lungen-
Sonderfälle der Primär-TB In Ausnahmefällen nimmt die Primär- abschnitt entstandenen primären Streuherde heißen Simon’sche
TB unmittelbar einen fortschreitenden Verlauf: Spitzenherde. Sie sind für den weiteren Verlauf der Erkrankung von
4 Bei schlecht ausgebildeter T-Zell-Immunität kann sich bald Bedeutung, denn sie können noch nach Jahrzehnten reaktiviert und
nach Infektion ein primär verkäsender (nekrotisierender) Pro- dann zum Ausgangspunkt des Postprimärstadiums (7 s. u.) werden.
zess entwickeln, ohne dass sich ein PK ausbildet. Ein solches
Ereignis sieht man gelegentlich bei Kindern und jungen Er- Reaktivierungskrankheit (Postprimär-TB) Bei knapp 10 % der In-
wachsenen. Man nennt diesen Prozess progressive Primär-TB fizierten bricht das Gleichgewicht zwischen Erreger und Abwehr
der Lunge. nach Entwicklung des PK zusammen. Es entwickelt sich dann die
4 Bei abwehrschwachen Patienten entsteht, vom PA ausgehend, eigentliche Krankheit, die Postprimär-TB, auch Reaktivierungs-
eine massive lymphogen-hämatogene Aussaat, die primäre krankheit genannt. In der Regel nimmt die Postprimär-TB von ei-
Miliar-TB. Die befallenen Organe sind mit zahlreichen kleinen, nem Simon’schen-Spitzenherd im apikalen Lungenabschnitt ihren
knötchenförmigen Herden durchsetzt, deren Aussehen sich Ausgang, seltener von einem PK.
mit Hirsekörnern vergleichen lässt (lat. »milium«: Hirsekorn). Bei ca. 5 % der Infizierten entwickelt sich die Postprimär-TB in
Häufig sind die Meningen, die Leber und das Knochenmark den ersten 2 Jahren nach Entwicklung des PK, bei den anderen 5 %
betroffen. Zwar werden Granulome gebildet, ihre große Zahl später. Der Postprimär-TB liegt eine Schwächung der Immunität
und weite Ausbreitung sind aber Ausdruck der geringen Ein- zugrunde, die durch zahlreiche Faktoren verursacht sein kann:
grenzungskapazität des Immunsystems. Die Tuberkulinreak- Unterernährung, Stress, starke körperliche Belastungen und Ma-
tion (7 s. u.) fällt in einem Viertel aller Fälle negativ aus. Die sern, weitere Umstände sind Kortison- und Strahlenbehandlung,
Erkrankung entwickelt sich meistens innerhalb von 3 Monaten Diabetes mellitus, Alkoholismus, Drogenabusus, Silikose, hohes
nach Primärinfektion. Die primäre Miliar-TB ist ein schweres, Alter, aber auch Pubertät und eine erworbene Immunschwäche im
ohne Behandlung tödlich endendes Krankheitsbild (»galoppie- T-Zell-Bereich. Gerade bei der HIV-Infektion wird ein PK reakti-
rende Schwindsucht«). viert. Deshalb ist bei einer frischen TB-Erkrankung entsprechender
4 Bei besonders immungeschwächten Patienten kann sich eine Altersgruppen immer eine HIV-Infektion zu erwägen!
akute, sepsisartige Verlaufsform entwickeln, die sog. Land- Auch die Superinfektion einer Primär-TB mit M. tuberculosis
ouzy-Sepsis. Hier findet überhaupt keine Granulombildung kann zu einer Postprimär-TB führen (exogene Reinfektion).
mehr statt – die Ausbreitung der Mykobakterien geht unge- Die Postprimär-TB beginnt mit einer käsigen Nekrotisierung
hemmt vonstatten. der Granulomzentren. Die käsige Nekrose kann sich verflüssigen;
4 Im Rahmen der Primär-TB können auf hämatogenem Wege dabei entsteht eine mit Flüssigkeit teilweise gefüllte Höhle, die
die Meningen befallen werden, und eine primäre tuberkulöse Kaverne. Die Nekrose entsteht als Folge einer Reaktion zwischen
Meningitis kann sich entwickeln. Diese Komplikation tritt T-Zellen und Antigenen von M. tuberculosis: Spezifisch stimulierte
vorwiegend im Kleinkindalter auf. Charakteristisch ist der all- T-Zellen aktivieren über IFN-γ und andere Zytokine Makrophagen,
mähliche Beginn. Im Liquor finden sich vermehrt Lympho- die ihrerseits Tumornekrosefaktor TNF-α (7 Kap. 13) und andere
zyten. Im Unterschied zu den eitrigen Meningitiden (Hauben- Zytokine freisetzen, die schließlich die Nekrosen erzeugen.
meningitis) ist nicht die Konvexität, sondern die Schädelbasis
befallen. Kavernenbildung M. tuberculosis produziert keine Faktoren, denen
sich mit Sicherheit eine Rolle bei der Gewebeschädigung, insbesondere
der Kavernenbildung, zuschreiben ließe. Die Gewebeschäden bei der
342 Kapitel 41 · Mykobakterien

4 Bei mindestens 80 % der Patienten manifestiert sie sich zu-


nächst dort.
4 10 % der Tuberkulosen betreffen Pleura und Lymphknoten.
4 Die verbleibenden 10 % verteilen sich auf Urogenitaltrakt,
Skelettsystem (insbesondere Wirbelsäule), ZNS, Darmtrakt
sowie andere seltene Lokalisationen.

Die Organmanifestationen der Tuberkulose werden hier eher


knapp abgehandelt. Ausführlichere Informationen finden sich in
den überwiegend organbezogenen klinischen Kapiteln in Sektion 10
»Krankheitsbilder« (7 Kap. 110 bis 7 Kap. 126).

Erkrankung der Lunge Die Postprimär-TB der Lunge ist die häu-
figste klinische Manifestation. Sie beginnt mit chronischem Fieber,
Gewichtsverlust und Nachtschweiß. Ein zunächst noch milder, un-
produktiver Husten nimmt infolge zunehmender Gewebezerstö-
rung (besonders Kavernenbildung) zu und wird produktiv. Besteht
eine direkte Verbindung zwischen infiziertem Gewebe und Bron-
chialsystem, lassen sich im Sputum säurefeste Stäbchen nachweisen.
Diese offene Form der Lungen-TB bedingt die Entstehung infektiö-
ser Aerosole, welche die Übertragung des Erregers ermöglichen.
Hämoptysen (Bluthusten) treten auf, wenn ein Blutgefäß durch den
tuberkulösen Prozess in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Erkrankung der Pleura Häufig wird zunächst eine akute Pneumo-


nie anderer Genese vermutet. Von Fieber begleitete pleuritische
Schmerzen sind typisch und können im Rahmen einer Begleitent-
zündung der Pleura auftreten. Der Pleuraerguss ist fast immer ein-
seitig.

. Abb. 41.5 Mycobacterium tuberculosis – Kavernenbildung in der Lunge Erkrankungen der Lymphknoten Lokale Symptome sind die Folge
der schmerzlos vergrößerten Lymphknoten. Am häufigsten betrof-
fen sind die zervikalen Lymphknoten, gefolgt von axillären, inguina-
Tuberkulose sind indirekt bedingt, d. h. Folge überschießender Reak- len und hilären Lymphknoten.
tionen der T-Zellen auf die Antigene von M. tuberculosis.
Kommt es zu einer Überaktivierung der Makrophagen im Granu- Erkrankung des Urogenitaltraktes Die Beschwerden beginnen
lom durch eine verstärkte Immunreaktion, setzen die aktivierten Ma- meistens als rezidivierende Blasenentzündungen. Die Erkrankung
Bakteriologie

krophagen verstärkt TNF-α und die aktivierten T-Zellen IFN-γ frei. ist auf eine Niere beschränkt und bleibt lange symptomlos.
Dies kann z. B. der Fall sein bei einer erneuten Antigenbelastung im
Rahmen einer Reinfektion oder bei einer aus Unachtsamkeit durch- Erkrankungen des Skelettsystems Die Wirbelsäule ist am häufigs-
geführten BCG-Schutzimpfung bereits Infizierter. In großer Menge ten betroffen und die Patienten klagen über Hals- bzw. Rücken-
freigesetzte lytische Enzyme zerstören die Zellen im Granulom. Das schmerzen. Gangschwäche oder andere neurologische Zeichen fin-
Granulom nekrotisiert (»verkäst«) und verflüssigt sich. Es entsteht den sich bei 30 % der Betroffenen.
eine Kaverne mit Flüssigkeitsspiegel (. Abb. 41.5). Die Kavernenflüs-
sigkeit ist ein hervorragendes Vermehrungsmedium für M. tubercu- Erkrankungen des ZNS Es kommt zu einer über mehrere Wochen
losis. Dies führt zu weiter verstärkter Antigenexposition, sodass der verlaufenden Meningitis. Neben Kopfschmerzen und Übelkeit be-
einmal in Gang gekommene Prozess sich weiter aufschaukelt. obachtet man Bewusstseinsstörungen, Erbrechen, Nackensteifigkeit
4 Findet der nekrotisierende Prozess Anschluss an einen und neurologische Ausfälle. Erkrankungen des Darmtraktes Bei
Bronchus, so breiten sich die Erreger bronchogen in der Lunge 20 % der Patienten treten chronische Bauchschmerzen, Übelkeit und
aus und werden nach außen abgehustet: offene Lungen-TB. Gewichtsverlust sowie Durchfall auf.
4 Zieht der Prozess ein Blutgefäß in Mitleidenschaft, streuen die
Erreger hämatogen und verursachen Metastasierungen in ver- Miliartuberkulose Sie wird auch als disseminierte TB bezeichnet
schiedenen Organen: Organ-TB. und verdankt ihren Namen dem Auftreten zahlreicher hirsekorn-
4 Das aus dem arrodierten Blutgefäß in die Läsion gelangte Blut großer Infiltrate in den Lungen oder anderen Organen, z. B. Leber
wird abgehustet: Hämoptysen. oder Milz. Die Klinik wird bestimmt durch die oft gleichzeitige Er-
krankung mehrere Organsysteme, wobei die Lungen zusammen mit
kKlinik dem ZNS am häufigsten betroffen sind. Die akute Miliartuberkulose
Die Klinik der Tuberkulose ist unspezifisch und präsentiert sich mit kann sich als ARDS (»acute respiratory distress syndrome«) bzw.
Fieber, Gewichtsverlust und Nachtschweiß. Die Erkrankung ist als Schock manifestieren und hat eine Letalität von 90 %. Patien-
nicht auf die Lunge beschränkt. Extrapulmonale Manifestationen ten mit subakuten Verläufen klagen über Kopfschmerzen (Menin-
sind die Folge einer hämatogenen Streuung nach abgelaufener Infek- gitis), Bauchschmerzen (Peritonitis) bzw. pleuritische Schmerzen
tion der Lunge: (Pleuritis).
41.1 · Mycobacterium tuberculosis
343 41

. Abb. 41.6 Granulombildung – wichtigste Zytokine und zelluläre Interaktionen: E, Epitheloidzelle; IL, Interleukin; INF, Interferon; L, Langhans-Riesenzelle;
MΦ, Makrophage; M, Monozyt; RNI, »reactive nitrogen intermediate«; ROI, »reactive oxygen intermediate«; TGF-β, transformierender Wachstumsfaktor
(»transforming growth factor«); TNF, Tumornekrosefaktor; ZTL, zytolytischer T-Lymphozyt

kImmunität vielkernigen Riesenzellen, den Langhans-Riesenzellen (nach dem dt.


Mykobakterien sind typische fakultativ intrazelluläre Bakterien. We- Pathologen Theodor Langhans, 1839–1915). Makrophagen in der
gen ihres dicken Lipidpanzers werden sie nach Phagozytose von den Randzone eines Granuloms entwickeln sich zu sog. Epitheloidzellen
Makrophagen zunächst nicht abgetötet, sondern persistieren intra- (. Abb. 41.6).
zellulär und vermehren sich in ihnen.
Nach Infektion werden spezifische T-Zellen an den Ort der Makrophagenaktivierung Im Granulom werden die Makrophagen
Infektion rekrutiert. Die T-Zellen sind entscheidend für Abwehr unter dem Einfluss von IFN-γ aus antigenstimulierten T-Lymphozy-
und Gewebeschädigung, während Antikörper keinen protektiven ten aktiviert (7 Kap. 6). Dies äußert sich in einer Steigerung ihrer
Effekt ausüben. Dabei handelt es sich in erster Linie um CD4+- physiologischen Aktivitäten, insbesondere der antibakteriellen Ak-
T-Zellen vom TH-1-Typ. Aber auch CD8+-T-Zellen sind am Schutz tivität: Aktivierte Makrophagen hindern die phagozytierten Myko-
beteiligt. bakterien an der Vermehrung und töten einige von ihnen ab (. Abb.
41.6). Darüber hinaus setzen sie TNF-α frei.
Granulombildung Das Granulom ist die typische Gewebereaktion Granulombildung und Makrophagenaktivierung sind also ent-
bei Infektionen durch M. tuberculosis (. Abb. 41.3). Angelockt scheidende Vorgänge bei der Abwehr von M. tuberculosis. Dies wird
durch Chemokine und proinflammatorische Zytokine, wandern insbesondere dann klar, wenn diese Vorgänge durch Verlust der
Blutmonozyten aus der Blutbahn in den Infektionsherd ein. Dort CD4-T-Lymphozyten versagen, z. B. bei AIDS. Es kommt zu insuf-
gelangen sie unter den Einfluss makrophagenstimulierender Fakto- fizienter Granulombildung und unzureichender Makrophagenakti-
ren, insbesondere des von spezifisch stimulierten T-Zellen im Ver- vierung, und die Patienten können an einer unkontrolliert verlau-
lauf der Immunreaktion freigesetzten IFN-γ (7 Kap. 12), und diffe- fenden, generalisierten TB unter dem Bild einer sog. Landouzy-
renzieren sich zu Makrophagen. Vereinzelt finden sich in den Her- Sepsis (7 s. o.) versterben.
den auch T-Lymphozyten. Die zunächst lockeren Anhäufungen von HIV/AIDS und TB begünstigen sich gegenseitig: Die Verminde-
Makrophagen und T-Lymphozyten verfestigen sich zu Granulomen, rung spezifischer CD4-T-Zellen am Ort der mykobakteriellen Infek-
ein Vorgang, an dem TNF-α beteiligt ist. Im Laufe der Zeit ver- tion kann die Granulombildung und -integrität beeinträchtigen und
schmelzen im Granulom mehrere Makrophagen miteinander zu zum Ausbruch der TB führen. Im Gegenzug sorgt die Infektion mit
344 Kapitel 41 · Mykobakterien

M. tuberculosis bei einem HIV-Patienten dafür, dass viele T-Zellen der semiquantitativen Bestimmung der Tuberkulinallergie. Die ein-
aktiviert sind. Die HIV-Infektion aktivierter T-Zellen führt ihrerseits mal erlangte Fähigkeit zur Ausbildung einer Tuberkulinreaktion
zu rascherer Vermehrung der HI-Viren und damit zu schnellerer besteht sehr lange, oft jahrelang. Eine positive Tuberkulinreaktion
Ausbildung des AIDS-Vollbildes. HIV-M. tuberculosis-Koinfektio- besagt, dass ein Individuum mit Mykobakterien infiziert oder mit
nen sind vor allem in Afrika ein großes Problem, aber zunehmend BCG (7 s. u.) aktiv immunisiert wurde. Ein frisch Infizierter in der
auch in Ländern der ehemaligen Sowjetunion (7 s. o.). Inkubationszeit, der noch keinen PK und damit noch keine spezifi-
Im Granulom ist die Makrophagenaktivierung am stärksten aus- schen T-Zellen ausgebildet hat, ist zur Ausbildung einer Tuberkulin-
geprägt (. Abb. 41.6); gleichzeitig wird M. tuberculosis an der Aus- reaktion noch nicht befähigt.
breitung gehindert. Überdies ist die Sauerstoffspannung im Granu- Eine positive Tuberkulinreaktion sagt nichts darüber aus, ob
lom niedrig; es kommt zur Bildung toxischer Stoffwechselprodukte eine Person klinisch an TB erkrankt ist, ob sie sich lediglich infiziert
sowie reaktiver Sauerstoff- und Stickstoffmetaboliten durch aktivier- hat, oder ob der positive Ausfall der Reaktion aufgrund einer BCG-
te Makrophagen. All dies hemmt die Vermehrung von M. tubercu- Schutzimpfung oder Sensibilisierung durch nichttuberkulöse (Um-
losis. Das Granulom stellt somit den eigentlichen Ort der Auseinan- welt-)Mykobakterien erfolgte. Der eigentliche Krankheitsbeweis
dersetzung zwischen den Erregern und den Abwehrfunktionen des beruht auf klinischen und röntgenologischen Befunden in Verbin-
infizierten Wirts dar. Die Immunität ist lokal begrenzt, d. h. auf das dung mit dem mikrobiologischen Nachweis des Erregers. Sowohl die
Granulom beschränkt. Tuberkulinreaktion als auch der antibakterielle Schutz werden von
Im Granulom bildet sich also ein dynamisches Gleichgewicht T-Zellen vermittelt. Daher ist eine tuberkulinreaktive Person gleich-
zwischen der Aktivität des Immunsystems und der Replikation des zeitig geschützt – durch den Besitz von spezifischen T-Zellen – und
Erregers aus. Dieses Gleichgewicht verhindert in ca. 90 % der Infek- gefährdet – durch die bestehende Infektion.
tionen einen Ausbruch der Tuberkuloseerkrankung. Wird das Bleibt die Tuberkulinreaktion bei Infizierten oder BCG-Immu-
Gleichgewicht gestört, z. B. durch Schwächung der zellulären Immu- nisierten negativ, so spricht man von Anergie. In dieser Situation
nantwort (HIV, immunsuppressive Medikamente, Alterung, Unter- sind keine tuberkulinspezifischen T-Zellen zur Ausbildung einer
ernährung), können die Mykobakterien aus dem Granulom ausbre- Tuberkulinreaktion verfügbar. Die Anergie kann durch »Ver-
chen und andere Bereiche im Wirt infizieren bzw. eine offene TB brauch« der spezifischen T-Lymphozyten oder durch deren Schä-
verursachen (7 s. o.). digung (z. B. durch Infektion mit HIV oder Masernviren), aber
auch durch eine angeborene oder erworbene Immundefizienz ver-
Weitere T-Zell-Aktivitäten Neben der Makrophagenaktivierung ursacht sein. So verschiebt sich bei der HIV-Infektion das Verhält-
spielen auch zytolytische T-Zell-Aktivitäten eine wichtige Rolle nis von CD4+- zu CD8+-T-Zellen, und es kommt zu einer CD4+-
bei der Tuberkuloseabwehr. Diese werden in erster Linie von T-Zell-Insuffizienz. Eine Anergie gilt als prognostisch ungünsti-
CD8+-T-Lymphozyten getragen: Sie können Makrophagen lysie- ges Zeichen.
ren  und besitzen zudem die Fähigkeit, Mykobakterien direkt
abzutöten. Für die Makrophagenlyse ist hauptsächlich Perforin, IFN-γ-Release-Assay Die Infektion mit dem Tuberkuloseerreger
für die Bakterienabtötung in erster Linie Granulysin verantwort- führt zur Aktivierung und Vermehrung von T-Zellen, die mykobak-
lich. Die Vernichtung von Mykobakterien in Makrophagen ge- terielle Antigene erkennen (7 Immunität). Beim IFN-γ-Release-
lingt durch das Zusammenspiel beider Moleküle. Außerdem wer- Assay wird dem Patienten Blut entnommen. Anschließend wird im
den Mykobakterien aus Makrophagen freigesetzt; diese können Labor die IFN-γ-Produktion erregerspezifischer T-Zellen mithilfe
zusammen mit Zelltrümmern von kompetenteren Phagozyten, von Antigenen, die nur bei M. tuberculosis, nicht jedoch bei nicht-
Bakteriologie

etwa dendritischen Zellen, aufgenommen und effizienter abgetötet tuberkulösen Mykobakterien oder beim BCG-Impfstamm vorkom-
werden. men, stimuliert und gemessen. Der Test ist im Gegensatz zum
Tuberkulinhauttest hochspezifisch und bleibt bei BCG-Geimpften
Tuberkulinhauttest Als Tuberkulin bezeichnete Robert Koch den negativ.
durch Kochen eingedickten, gefilterten, proteinhaltigen Überstand
aus Flüssigkulturen von M. tuberculosis (Alttuberkulin). Die durch kLabordiagnose
Behandlung des Alttuberkulins mit Ammoniumsulfat ausgefällten Schwerpunkt Zu jeder Labordiagnostik gehören mindestens die
Proteine heißen gereinigtes Tuberkulin (GT). GT dient als Testanti- Färbung der Patientenprobe nach Ziehl-Neelsen sowie die kulturelle
gen bei der Tuberkulosediagnostik: Anlage des Probenmaterials:
Injiziert man einer mit M. tuberculosis infizierten Person nach 4 Der mikroskopische Nachweis benötigt nur Stunden. Er ist
Entwicklung des PK, also 6–14 Wochen nach Infektionsbeginn, ge- wenig sensitiv, und die Verwechslung mit anderen säurefesten
ringe Mengen von GT intrakutan, so weist die Injektionsstelle 24– Stäbchenbakterien ist möglich.
72 h später eine Schwellung mit Rötung auf. Im Reaktionsherd fin- 4 Der kulturelle Nachweis ist deutlich sensitiver, dauert aber
den sich mononukleäre Phagozyten und T-Zellen in vorwiegend mehrere Wochen.
perivaskulärer Anordnung. Es handelt sich hierbei um eine allergi-
sche Reaktion vom Typ IV oder verzögerten Typ (»delayed-type Daher hat sich zusätzlich der molekulare Nachweis des Erregers
hypersensitivity«, DTH, Tuberkulinreaktion). mittels DNA-Amplifikation etabliert.
Träger der Tuberkulinreaktion sind tuberkulinspezifische CD4+-
T-Zellen vom TH1-Typ. Die Erlangung dieser Fähigkeit ist die Kon- Untersuchungsmaterialien Die mikrobiologische Diagnose der
version. Eine Konversion kann sowohl aufgrund einer natürlichen Lungen-TB erfordert 3 an verschiedenen Tagen gewonnene spon-
Infektion mit M. tuberculosis oder mit Umweltmykobakterien als tane Morgensputen. Produziert der Patient kein Sputum, lässt es
auch nach BCG-Impfung erfolgen. Bei einer Infektion mit M. tuber- sich durch Inhalation von 5 %-igem Kochsalz provozieren. Gelingt
culosis entsteht sie zeitgleich mit der Granulombildung und der Aus- dies nicht, ist eine bronchoalveoläre Lavage möglich. Für die Dia-
bildung eines PK. Tuberkulin wird durch streng intrakutane Injekti- gnostik der extrapulmonalen TB ist grundsätzlich jedes Material
on in die Haut eingebracht (Mendel-Mantoux-Test). Dieser Test dient (Stuhl, Urin, Punktate, Biopsien) geeignet. Die Diagnostik der
41.1 · Mycobacterium tuberculosis
345 41
Kleinkind-TB stellt sich als besonders schwierig dar, denn bei 4 Rasche Sanierung offener Läsionen und damit Ausschaltung
Neugeborenen und Kleinkindern ist die Gewinnung von Sputum der Infektionsquelle
äußerst schwierig. Daher werden in den Entwicklungsländern mehr 4 Rasche und vollständige Erregervernichtung in den befallenen
als die Hälfte aller TB-Fälle bei Kleinkindern nicht oder falsch dia- Organen
gnostiziert. 4 Vernichtung sowohl extra- als auch intrazellulärer Erreger
durch Verwendung von Antituberkulotika, die in Makropha-
Materialtransport Das Material sollte gekühlt transportiert wer- gen eindringen
den, da Mykobakterien unempfindlich gegen Kälte sind und sonst 4 Wirksamkeit der Antituberkulotika im neutralen und sauren
die kontaminierende, zahlenmäßig meist weit überwiegende Be- pH-Bereich (intrazellulär herrscht ein saurer pH-Wert vor!)
gleitflora schnell wachsender Bakterien die langsam wachsenden 4 Verhinderung oder Verzögerung einer Resistenzentwicklung
Mykobakterien überwuchert. Die Verwendung von Transport- durch Mehrfachkombination
medien ist nicht erforderlich. 4 Möglichst kurze, aber ausreichend lange Behandlungszeiten,
um die individuelle Belastung des Patienten und die Quote der
Mikroskopie Das eingesandte Material wird nach Ziehl-Neelsen Therapieabbrecher zu minimieren
oder mit Auramin (Fluoreszenzfärbung) gefärbt. Diese Methoden
nutzen die Säurefestigkeit der Mykobakterien aus. Das Präparat Die chemotherapeutische Vernichtung sich langsam vermehrender
sollte mehrere Minuten lang mikroskopiert werden, um mindestens Erreger (»Persister«) ist nicht bewiesen und daher unwahrschein-
100 Gesichtsfelder durchzumustern. lich.
Der mikroskopische Nachweis säurefester Stäbchen ist bei hoch-
gradigem Verdacht auf eine TB die Indikation für eine sofortige Iso- Antituberkulotika Als erstes Mittel fand das von Waksman ent-
lierung des Patienten. Wegen der geringen Sensitivität besagt eine deckte Streptomycin im Jahre 1946 therapeutischen Einsatz. Heute
negative mikroskopische Untersuchung jedoch nicht, dass M. tuber- werden vor allem Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Ethambutol
culosis im Material nicht vorhanden sind. Denn erst ab Konzentra- (EMB), Streptomycin und Pyrazinamid (PZA) verwendet. Um
tionen von 104–105 Bakterien pro ml Untersuchungsmaterial ist ein der Resistenzentwicklung unter Chemotherapie vorzubeugen, gibt
Erreger pro Gesichtsfeld zu erwarten. man mehrere Antituberkulotika gleichzeitig (Kombinationsthe-
rapie):
Molekularer Nachweis Aus dem Patientenmaterial wird selektiv 4 In den ersten 2 Monaten nach Erkrankung durch einen
mittels spezifischer Primer ein mykobakterielles Gen amplifiziert. sensiblen Stamm wird der Patient mit 4 Medikamenten
Gelingt der Nachweis, spricht das für das Vorliegen von M. tuber- (Rifampicin, Isoniazid, Ethambutol und Pyrazinamid) be-
culosis in der Patientenprobe. Das Verfahren ist sensitiver als die handelt,
Mikroskopie, jedoch nicht so empfindlich wie die Kultur. Deshalb 4 in der Stabilisierungsphase, d. h. ab dem 3. Monat nach
gilt auch hier: Ein negativer Befund schließt eine Tuberkulose nicht Krankheitsbeginn, für mindestens 4 weitere Monate mit
aus. 2 Medikamenten (Rifampicin und Isoniazid).

Anzucht Zunächst erfolgt eine Homogenisierung des Untersu- Sicherung des Therapieerfolgs Dies erfolgt durch monatliche bak-
chungsmaterials. Dann wird die Begleitflora durch Alkalibehand- teriologische Kontrollen. Eine ursprünglich offene TB gilt erst dann
lung abgetötet.. Die Bebrütung erfolgt bei 37 °C in feuchtigkeitsge- als geschlossen, wenn in 3 hintereinander gewonnenen Sputumpro-
sättigter Atmosphäre. ben mikroskopisch und durch Kultur keine Erreger nachweisbar
Die kulturelle Anzucht auf Löwenstein-Jensen-Agar bildet im- sind. Bei unkompliziertem Verlauf reicht eine 2-jährige Überwa-
mer noch den Goldstandard der Tuberkulosediagnostik. Die Sensi- chung.
tivität ist mit ca. 10 Bakterien pro ml hoch. Die Detektionszeit ver- Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie stellt
kürzte sich mit Einführung flüssiger Nährböden von 3–4 Wochen die Mitarbeit der Patienten (Compliance) dar.
auf 10–14 Tage. Insgesamt dauert die Anzucht mit anschließender In den letzten Jahren sind multiresistente Stämme von M. tu-
Resistenztestung bei M. tuberculosis ca. 4–6 Wochen. Zur Unter- berculosis aufgetaucht, die kaum therapierbar sind (MDR, XDR,
scheidung von M. tuberculosis, M. bovis, M. africanum und nicht- 7 Epidemiologie). Der Umgang mit ihnen darf nur unter Hoch-
tuberkulösen Mykobakterien aus positiven Kulturen dienen heute sicherheitsbedingungen erfolgen!
fast ausschließlich molekulare Verfahren. Um die Ausbildung multiresistenter Stämme zu vermeiden, hat
Das Ergebnis der Kultur gilt als negativ, wenn nach 8 Wochen die WHO das DOTS-Programm (»directly-observed therapy«,
Bebrütungsdauer kein Wachstum erfolgt ist. »short-course«) initiiert. Darin nehmen die TB-Patienten die Medi-
kamente unter den Augen eines Mitarbeiters der Gesundheitsversor-
kTherapie gung ein (Verbesserung der Compliance und Verhinderung von
Indikation Bei mikroskopischem Nachweis säurefester Stäbchen Missbrauch). Außerdem folgt die Therapie einem strikten Schema
im Rahmen eines klinischen Verdachts wird mit der kalkulierten (»short-course«) einer genau definierten Kombinationstherapie.
Initialtherapie begonnen, ohne das Ergebnis weiterer diagnos- Grundvoraussetzung für den weltweiten Erfolg von DOTS ist eine
tischer Versuche abzuwarten. Ein Patient mit offener TB musste qualitätsgesicherte mikrobiologische Diagnostik (7 s. o.). Probleme
früher stationär behandelt werden. Heute lässt sich bei guter Mitar- treten dagegen bei Patienten mit MDR-TB auf.
beit des Patienten und entsprechendem Risikoausschluss eine am-
bulante Behandlung rechtfertigen. Gleiches gilt für eine geschlos- kPrävention
sene TB, solange ein röntgenologisch aktiver Prozess besteht. Die BCG-Schutzimpfung Bei der Impfung gegen TB setzt man einen
Indikation zu einer Chemotherapie ist also nicht vom Erregernach- virulenzgeschwächten, lebenden Stamm von M. bovis, den Stamm
weis abhängig. Die Chemotherapie muss folgenden Anforderungen BCG, ein. BCG ist die Abkürzung von Bacille Calmette-Guérin,
genügen: benannt nach 2 französischen Bakteriologen, die einen Stamm von
346 Kapitel 41 · Mykobakterien

M. bovis auf Kartoffel-Glyzerin-Medium mit Rindergalle durch


jahrelange Passagen (1908–1920) für Impfzwecke dauerhaft attenu- In Kürze
ierten. Mycobacterium tuberculosis
Die BCG-Impfung erfolgt intrakutan. Sie wurde in Deutschland Bakteriologie Obligat aerobes (mikroaerophiles Wachstum
im Säuglingsalter durchgeführt, wird aber von der STIKO derzeit möglich), langsam wachsendes, säurefestes Stäbchen mit Vor-
nicht empfohlen (www.rki.de ൺ Infektionsschutz ൺ Impfen). Neben- liebe für lipidhaltige Nährböden. In flüssigen Nährmedien
wirkungen der BCG-Schutzimpfung sind: »schimmelpilzähnliches« Oberflächenwachstum mit Klumpen-
4 ungewöhnlich heftige Reaktionen und länger dauernde bildung.
Gewebereaktionen an der Impfstelle Vorkommen Einziges natürliches Reservoir ist der Mensch.
4 zur Abszedierung neigende regionale Lymphadenitis Resistenz Vermehrungsfähigkeit in feuchtem oder ausgetrock-
(0,5–3 % der Säuglingsimpfungen) netem Sputum kann bis zu 6 Wochen erhalten bleiben.
4 Osteomyelitis (etwa 1:100.000) Epidemiologie Begünstigend für eine rasche Krankheitsaus-
4 Lupus breitung sind: beengte Wohnraumverhältnisse, Übertragung
4 generalisierte Aussaat mit manchmal tödlichem Ausgang bei durch Aerosole und eine niedrige Resistenzlage in der Bevölke-
angeborenen oder erworbenen Immundefekten rung. Weltweit ca. 1,7 Mio. Todesfälle/Jahr. In Deutschland 2013
4318 Neuerkrankungen und 2009 154 Tote. Die Tuberkulose-
BCG schützt Kleinkinder vor tuberkulöser Meningitis und Miliar- (TB-)Kontrolle in Hochprävalenzländern wird durch Resistenzbil-
tuberkulose; gegen die häufigste Form der Erkrankung, die Lungen- dung des Erregers und eine zunehmende HIV-M. tuberculosis-
tuberkulose in allen Altersklassen, ist der Schutz dagegen ungenü- Koinfektion erschwert.
gend. In vielen Ländern wird BCG weiterhin Kleinkindern gegeben. Übertragung Von Mensch zu Mensch über Aerosole.
Mit ca. 4 Mrd. Verabreichungen stellt die BCG-Impfung die häufigs- Pathogenese Inhalation des Erregers ൺ Phagozytose in den
te Impfung überhaupt dar. terminalen Bronchioli und Alveolen durch Alveolarmakro-
phagen ൺ intraphagozytäre Vermehrung und Persistenz
Allgemeine Maßnahmen Personen mit nichtdiagnostizierter offe- ൺ Infiltration lokaler hilärer und mediastinaler Lymphknoten
ner Lungen-TB sind die wichtigste Ansteckungsquelle. Eine schnelle ൺ Ausbildung einer zellulären Immunität. Konsolidierung
Diagnostik, die Isolierung des Patienten sowie ein unverzüglicher des Primärkomplexes. Bei mangelnder Immunabwehr Dissemi-
Therapiebeginn führen zur raschen Unterbrechung der Infektions- nation und Manifestation in verschiedenen Organsystemen
kette. Patienten sind in Räumen mit Unterdruck und einer Schleuse ൺ Reaktivierung des Primärkomplexes möglich (z. B. durch
zu isolieren. Pflegepersonal und Besucher sollten aerosoldichte Mas- Immunsuppression).
ken tragen. Pathomechanismen Intrazellulär persistierender Erreger.
Pathologie primär immunologisch bedingt.
Desinfektion Da M. tuberculosis sehr widerstandsfähig gegen Aus- Klinik Chronisch verlaufende, zyklische Infektionskrankheit.
trocknung ist, erfordert die Desinfektion besondere Aufmerksam- Inkubationszeit 4–6 Wochen. Verlauf: Primärstadium, Post-
keit. Sie sind gegen viele Desinfektionsmittel widerstandsfähiger als primärstadium. Manifestationsformen: Lungen-TB, Darm-TB,
andere Bakterien; daher dürfen nur solche Mittel eingesetzt werden, Nieren-TB, Miliar-TB etc.
deren Wirksamkeit gegen Mykobakterien gesondert geprüft worden Immunität Zelluläre Immunität: Begleitet von einer Allergie
ist. Diese Mittel sind in der Desinfektionsmittelliste des Robert vom verzögerten Typ. Ausbildung antigenspezifischer T-Lympho-
Bakteriologie

Koch-Instituts gesondert ausgewiesen. zyten-Populationen, die über die Aktivierung mononukleärer


Phagozyten via Zytokine, insbesondere IFN-γ und TNF-α, zur
Meldepflicht Die klinisch diagnostizierte Tuberkulose und/oder Riesenzell- und Granulombildung führt.
der mikrobiologische Direktnachweis von M. tuberculosis sind mel- Labordiagnose Untersuchungsmaterial: Sputum, broncho-
depflichtig. Gesetzliche Grundlage ist das Infektionsschutzgesetz alveoläre Lavage, Urin, Stuhl, Punktate, Biopsien. Erreger-
(IfSG). Das Robert Koch-Institut empfiehlt entsprechend: »Nach nachweis: lichtmikroskopisch in der Ziehl-Neelsen-Färbung,
dem IfSG ist der feststellende Arzt nach § 6 Abs. 1 verpflichtet, die fluoreszenzmikroskopisch in der Auramin-Färbung. Kultur:
Erkrankung sowie den Tod an einer behandlungsbedürftigen Tuber- Nach Anreicherung und Abtötung der Begleitkeime Wachstum
kulose zu melden, auch wenn ein bakteriologischer Nachweis nicht auf Fest- und in Flüssignährmedien über 2–4 Wochen. Identifi-
vorliegt. In der Praxis wird somit jeder Fall meldepflichtig, bei dem zierung: molekulare Verfahren, Resistenzbestimmung.
eine antituberkulöse Kombinationstherapie eingeleitet wurde … Ge- Therapie Vierfachkombination mit Isoniazid (INH), Rifampi-
mäß § 7 IfSG besteht für das Labor eine Meldepflicht für den direk- cin (RMP), Ethambutol (EMB) und Pyrazinamid (PZA) für 2 Mo-
ten Erregernachweis von M. tuberculosis-Komplex außer BCG so- nate, anschließend Zweifachkombination mit INH und RMP
wie nachfolgend für das Ergebnis der Resistenzbestimmung. Vorab für weitere 4 Monate. Evtl. Therapieänderung nach Antibio-
ist bereits der Nachweis säurefester Stäbchen im Sputum an das zu- gramm.
ständige Gesundheitsamt zu melden.« Prävention Schnelle Diagnose und Therapie, Isolation von
Patienten, Kontaktpersonen schützen sich mit aerosoldichten
Masken.
Impfung BCG-Impfung ist möglich, der Schutz ist jedoch unzu-
reichend. Sie wird in Deutschland nicht empfohlen.
Meldepflicht Erkrankung und Tod, Behandlungsabbruch bzw.
-verweigerung, direkter Erregernachweis inklusive mikroskopi-
schem Nachweis säurefester Stäbchen und Resistenzbestim-
mung.
41.2 · Nichttuberkulöse Mykobakterien
347 41
41.2 Nichttuberkulöse Mykobakterien kPathogenese
Ähnlich wie M. tuberculosis sind auch nichttuberkulöse Mykobak-
terien fakultativ intrazellulär. Ebenfalls vergleichbar mit der TB ist
Steckbrief
das Auftreten einer granulomatösen Entzündung.
Viele nichttuberkulöse Mykobakterien sind fakultativ pathogen.
Man unterscheidet langsam wachsende Spezies, die mehr als kKlinik
7 Tage, und schnell wachsende Spezies, die weniger als 7 Tage Die klinischen Zeichen einer Infektion mit nichttuberkulösen
für sichtbares Wachstum benötigen. Sie verursachen Erkrankun- Mykobakterien sind sehr unterschiedlich (. Tab. 41.2):
gen der Respirationstraktes und der Haut, lokale Lymphadeniti- 4 M. avium, M. intracellulare und M. kansasii können insbeson-
den sowie systemische Erkrankungen bei Immunsupprimierten. dere bei Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen pul-
monale Infektionen verursachen.
4 Isolierte Lymphadenitiden mit M. avium werden bei Kindern
beobachtet.
4 M. marinum verursacht chronische Hautinfektionen.
4 M. ulcerans verursacht chronische, mit Ulzerationen und er-
heblichen Nekrosen einhergehende Hautinfektionen (Buruli-
Ulkus).
4 Infektionen der Haut werden auch durch schnell wachsende
Spezies wie M. chelonae, M. abscessus und M. fortuitum verur-
sacht.
4 Disseminierte Infektionen mit M. avium unter Beteiligung des
Gastrointestinaltrakts findet man bei immunsupprimierten
M. avium/intracellulare: kurze säurefeste Stäbchen
Patienten, vor allem bei Patienten mit AIDS.

kLabordiagnose
Mikroskopie Nichttuberkulöse Mykobakterien sind säurefeste
41.2.1 Beschreibung Stäbchenbakterien, deren mikroskopisches Erscheinungsbild sehr
verschiedenartig sein kann (Pleomorphie): Ketten, palisadenartige
jAufbau Lagerung und Verzweigungen.
Der Aufbau der nichttuberkulösen Mykobakterien unterscheidet
sich nicht grundsätzlich von M. tuberculosis. Anzucht Sie gelingt bei nichttuberkulösen Mykobakterien auf den
gleichen Nährböden, die auch für M. tuberculosis geeignet sind
jExtrazelluläre Produkte (z. B. Löwenstein-Jensen-Medium).
Pathogenetisch relevante Sekretionsprodukte wurden bisher nicht
identifiziert. Identifizierung Die Differenzierung nichttuberkulöser Mykobak-
terien erfolgt mit molekularbiologischen Methoden.
jResistenz gegen äußere Einflüsse
Mykobakterien sind gegen Umwelteinflüsse außergewöhnlich resis- kTherapie
tent. So kann z. B. M. phlei 4 h bei 60 °C überleben. Häufig besteht Die Therapie von Infektionen durch nichttuberkulöse Mykobakte-
eine erhebliche Resistenz gegenüber Desinfektionsmitteln. rien ist äußerst schwierig, da sich viele dieser Mikroorganismen als
hoch resistent gegenüber Tuberkulostatika erweisen. Für die Be-
jVorkommen handlung der M. avium-/M. intracellulare-Infektion wird beispiels-
Nichttuberkulöse Mykobakterien kommen in der Natur ubiquitär weise eine Kombination von Clarithromycin, Ethambutol und Rifa-
vor. Oft findet man sie in Boden- oder Wasserproben. Einige nicht- butin empfohlen. In einzelnen Fällen kann sich die chirurgische
tuberkulöse Mykobakterien sind auf bestimmte Standorte begrenzt; Sanierung des Infektionsherdes als hilfreich erweisen. Bei der Fest-
z. B. ist M. ulcerans nur in Afrika und im südöstlichen Pazifik ver- legung der Therapiedauer ist zu beachten, dass viele der betroffenen
breitet. Patienten als prädisponierenden Faktor einen Immundefekt auf-
weisen.

41.2.2 Rolle als Krankheitserreger kPrävention


Aufgrund des ubiquitären Vorkommens sind Präventionsmaßnah-
kEpidemiologie men schwierig. Die Isolierung erkrankter Patienten ist nicht sinn-
Genaue Untersuchungen über die Epidemiologie nichttuberkulöser voll. Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung. Eine wirksame Präven-
Mykobakterien liegen nicht vor. Die Infektionsrate liegt vermutlich tionsmaßnahme ist die schnellstmögliche Beseitigung einer dispo-
bei 1 pro 100.000. Risikofaktoren sind HIV und andere Formen der nierenden Abwehrschwäche.
Immunsuppression, Mukoviszidose und eine chronische Vorschädi-
gung der Lunge.

kÜbertragung
Im Gegensatz zu M. tuberculosis werden nichttuberkulöse Myko-
bakterien extrem selten von Mensch zu Mensch übertragen. Die
Infektion erfolgt fast ausnahmslos aus der Umwelt.
348 Kapitel 41 · Mykobakterien

jResistenz gegen äußere Einflüsse


In Kürze M. leprae kann mehrere Tage außerhalb des Wirtes infektiös bleiben,
Nichttuberkulöse Mykobakterien unter tropischen Bedingungen bis zu 9 Tage.
Bakteriologie Säurefeste Stäbchen, Unterteilung nach Wachs-
tumsgeschwindigkeit. jVorkommen
Vorkommen Ubiquitär in Boden und Wasser. Einziges Erregerreservoir ist nach bisherigen Erkenntnissen der un-
Epidemiologie Immunsuppression erhöht das Risiko einer In- behandelte, leprakranke Mensch. Echte Lepra im Tierreich ist nicht
fektion. bekannt; das Neunbinden-Gürteltier (engl.: »armadillo«) ist der ein-
Übertragung Nicht von Mensch zu Mensch. Infektion aus der zige bekannte nichtmenschliche, natürliche Wirt.
Umwelt.
Pathogenese Intrazelluläre Erreger, granulomatöse Entzün-
dung. 41.3.2 Rolle als Krankheitserreger
Klinik Lunge, Haut, Verletzungen. Disseminierte Form häufig
bei HIV-Infizierten. kEpidemiologie
Diagnose Säurefest im Präparat, Anzucht z. B. auf Ziehl-Neel- Laut WHO wurden 2009 noch etwa 250.000 neue Leprafälle diag-
sen-Agar, molekularbiologischer Nachweis. nostiziert. Hohe Prävalenzen finden sich insbesondere in einigen
Therapie Wegen häufiger Multiresistenz Kombination von Gebieten in Brasilien, Zentralafrika, Kongo, Angola, Tansania,
3–6 Antituberkulotika notwendig, z. B. Clarithromycin, Etham- Mosambik, Madagaskar, Indien und Nepal.
butol und Rifabutin. In Indien, Indonesien und Burma finden sich 70 % aller Lepra-
Prävention Eine geeignete Prävention ist nicht bekannt. fälle, hohe Prävalenzen gibt es auch in Brasilien, Nepal und Mosam-
Meldepflicht Keine. bik. Die WHO bemüht sich besonders in Indien, Brasilien, Madagas-
kar, Mosambik und Nepal, die Lepra zu eliminieren.

kÜbertragung
41.3 Mycobacterium leprae Übertragen wird der Erreger vorwiegend durch engen Haut-zu-
Haut-Kontakt, wobei erregerhaltiges Nasenschleimhautsekret eine
Rolle spielen dürfte. Eine andere Infektionsquelle ist die stark erre-
Steckbrief
gerhaltige Brustmilch leprakranker Frauen. Infektion und Weiter-
M. leprae ist ein leicht gebogenes, 0,3 μm breites, 1–5 μm lan- verbreitung des Erregers setzen ein länger dauerndes Zusammen-
ges, säurefestes Stäbchen. Es ruft die Lepra (gr.: Aussatz) hervor. leben voraus. Am häufigsten sind Länder mit niedrigem Lebens-
standard betroffen.

kPathogenese
M. leprae ist ein obligat intrazellulärer Erreger, der sich in Makro-
phagen und Schwann-Zellen vermehrt. Der antibakteriellen Akti-
vität der Makrophagen entzieht er sich u. a. dadurch, dass er in
Makrophagen die Verschmelzung der Lysosomen mit Phagosomen
Bakteriologie

hemmt. Das Erscheinungsbild der Erkrankung steht und fällt mit der
Ausprägung einer protektiven zellvermittelten Immunität:
4 Bei fehlgeleiteter Immunität existiert eine »anergische« Form,
die lepromatöse, sog. maligne Lepra.
4 Gegenstück ist die tuberkuloide, benigne Lepra der Patienten
Mycobacterium leprae: säurefeste Stäbchen in Bündeln innerhalb
Schwann-Scheiden, entdeckt 1869 von G. A. Hansen
mit einer zum Schutz gerüsteten Immunität.

Lepromatöse Lepra Bei der anergischen Form finden sich im befal-


lenen Gewebe keinerlei Entzündungszeichen; die Makrophagen sind
Die Lepra war bereits im Altertum bekannt. Als früheste Haupther- prall mit Erregern gefüllt. In den Läsionen fehlen CD4-T-Zellen
de gelten Ägypten, Ostasien und Indien. Durch römische Soldaten, weitgehend und es finden sich fast ausschließlich CD8-T-Zellen.
Völkerwanderung und Kreuzzüge wurde die Lepra nach Europa ein- Diese T-Zell-Verteilung lässt sich auch im peripheren Blut nachwei-
geschleppt. Der Norweger G. Armauer Hansen (1841–1912) ent- sen. Die lepromatöse Lepra lässt sich bezüglich des Immunstatus mit
deckte 1869 den Erreger. der Miliartuberkulose vergleichen. Im Gegensatz zur tuberkuloiden
Lepra fehlt bei der lepromatösen Lepra eine Tendenz zur Selbst-
heilung.
41.3.1 Beschreibung
Tuberkuloide Lepra Bei ihr finden sich in den Läsionen organi-
jAufbau sierte Epitheloid- und Riesenzellgranulome mit einzelnen Erregern
Ähnlich wie M. tuberculosis enthält M. leprae in der Zellwand reich- oder deren Fragmenten bei Überwiegen der CD4-T-Zellpopulation.
lich Lipide und Wachse, außerdem die für Mykobakterien typischen Hierbei handelt es sich fast ausschließlich um IFN-γ produzierende
Mykolsäuren. CD4-T-Zellen vom TH1-Typ als Ausdruck weitgehend effizienter
Zellularabwehr. Diese Form lässt sich mit der Primärtuberkulose
jExtrazelluläre Produkte vergleichen. Die tuberkuloide Form hat eine starke Selbstheilungs-
Sezernierte Produkte sind bisher nicht isoliert worden. tendenz (bis zu 90 %).
41.3 · Mycobacterium leprae
349 41
Borderline-Lepra (BB-Form) Diese 3. Haupterscheinungsform der
Lepra stellt einen Zustand zwischen den beschriebenen Formen dar.
Sie kann sich in eine der beiden Formen weiterentwickeln.

Leprareaktionen Dies sind episodisch auftretende, immunologisch


vermittelte Entzündungsreaktionen, die durch ödematöse, erythe-
matöse, schmerzhafte Hautläsionen und Neuritiden charakterisiert
sind, welche zu dauernder Nervenschädigung führen können. Es
handelt sich somit um medizinische Notsituationen:
4 Typ-I-Reaktionen (»reversal reaction«) beruhen auf Änderun-
gen in der zellvermittelten Immunität und führen oft zu einem
Shift von der Borderline-Lepra zur tuberkuloiden Lepra.
4 Typ-II-Reaktionen, auch als Erythema nodosum leprosum
(ENL) bezeichnet, beruhen auf humoraler Hypersensitivität bei
Patienten mit lepromatöser Lepra, ausgelöst durch die Thera-
pie, aber auch durch Stimulation des Immunsystems, z. B. bei
Impfungen. Es können schmerzhafte Hautknoten, Neuralgien,
Fieber, Vaskulitis, Lymphadenitis, Proteinurie, Orchitis und/
oder Daktylitis auftreten.

kImmunität
. Abb. 41.7 Klinisches Spektrum der Lepra (TT, tuberkuloid; BT, border- Entscheidend für die Abtötung der Bakterien und für eine schutz-
line-tuberkuloid; BB, borderline; BL, borderline-lepromatös; LL, lepromatös) vermittelnde Immunantwort ist eine intakte zelluläre Immunität, die
von IFN-γ produzierenden TH1-Zellen getragen wird. Sie ist bei der
tuberkulösen Lepra stark, bei der lepromatösen Lepra schwach aus-
kKlinik gebildet. Dies geht auf eine Hemmung der protektiven T-Zell-Ant-
. Abb. 41.7 illustriert das klinische Spektrum der Lepra. wort durch T-Zellen zurück, die Zytokine vom TH2-Typ bilden.
Zwar werden massiv Antikörper gegen M. leprae gebildet, jedoch
Lepromatöse Lepra (LL-Form) Im Vordergrund der Symptomatik sind diese nicht in der Lage, eine wirksame Immunität aufzubauen.
stehen knotige Infiltrate, die sog. Leprome, an Ellenbogen, Knien,
Gesicht und Ohren. Die Lepraherde befinden sich vorzugsweise an kLabordiagnose
kühlen Körperpartien. Die Infiltrationen im Gesichtsbereich zusam- Bei der Labordiagnose ist die histologische Beurteilung von Gewe-
men mit beidseitiger Keratokonjunktivitis bedingen das charakteris- beproben in Verbindung mit der Darstellung säurefester Stäbchen
tische Bild der Facies leonina (Löwengesicht). Häufig ist die Nasen- entscheidend.
schleimhaut befallen mit chronischem Schnupfen und Nasenbluten.
Durch Destruktionen kommt es zur charakteristischen Kleeblattna- Untersuchungsmaterial Biopsien aus dem Rand von Läsionen er-
se. Typisch ist ein Verlust der lateralen Augenbrauen (Madarosis). höhen die Sensitivität des Erregernachweises.
Die Augen sind häufig betroffen unter dem Bild der Konjunktivitis,
Iridozyklitis und Keratitis. Im Vergleich zur tuberkuloiden Lepra Mikroskopie Lichtmikroskopisch stellen sich die Erreger in der
stehen Nervenbeteiligung mit Paralysen und Muskelatrophien eher Ziehl-Neelsen-Färbung als 0,3–1,5 μm lange, typischerweise in Bün-
im Hintergrund. deln gelagerte, säurefeste Stäbchen dar. In der histologischen Beur-
teilung finden sich bei der tuberkuloiden Form der Lepra Granulo-
Tuberkuloide Lepra (TT-Form) Sie verläuft im Vergleich zur lepro- me, wohingegen bei der lepromatösen Form Histiozyten (Schaum-
matösen Lepra langsamer und ohne systemische Beteiligung, aber zellen) und intrazelluläre Aggregate von säurefesten Stäbchen zu
mit einer Tendenz zur spontanen Regression: Untersuchungen in sehen sind.
Indien und den Philippinen haben eine Selbstheilungsrate von 77–
90 % gezeigt. Die tuberkuloide Lepra betrifft fast ausschließlich die Anzucht Bisher ist es nicht gelungen, M. leprae in vitro zu kulti-
Haut und periphere Nerven: vieren.
4 Die Hauterscheinungen zeigen sich als Papeln oder Maculae,
die unter Hinterlassung depigmentierter Herde zentral abhei- Molekularer Nachweis Aus dem Patientenmaterial wird selektiv
len. Verstümmelnde Hautveränderungen können vorkommen. mittels spezifischer Primer ein Gen spezifisch für M. leprae amplifi-
Sensibilitätsstörungen sind häufig. ziert. Dieses Verfahren setzt eine entsprechende Laborausstattung
4 Eine Nervenbeteiligung bei der tuberkuloiden Lepra ist meist voraus, die in Endemiegebieten typischerweise nicht vorhanden ist.
schwerwiegend. Die befallenen peripheren Nerven sind als ver- Daher spielt die molekulare Diagnostik praktisch nur eine unter-
dickte Stränge tastbar; es entwickeln sich Parästhesien, Paresen geordnete Rolle.
und Muskelatrophien. Im Gesicht beobachtet man, bedingt
durch Fazialisparese und Ptosis, die charakteristische Facies kTherapie
antonina (Mönchsgesicht). An den Füßen imponieren ulzeröse Die Behandlung der Lepra ist standardisiert. Ähnlich wie bei der
Läsionen als »mal perforant«. Tuberkulose werden Kombinationen (MDT = »multiple drug thera-
py«) eingesetzt, um die Entstehung von Resistenzen zu verhindern.
Beteiligung der inneren Organe kommt nicht vor. Der Lepromintest Gemäß WHO-Empfehlung wird die paucibazilläre Lepra (TT) mit
fällt positiv aus. einer Zweierkombination aus Dapson (Diaminodiphenylsulfon)
350 Kapitel 41 · Mykobakterien

und Rifampicin behandelt, die multibazilläre (BB und LL) zusätzlich Literatur
mit Clofazimin (Lampren). Die Medikamente sind über die WHO
zu beziehen. Man rechnet mit Rückfallraten von ca. 1 % nach Thera- Kaufmann SHE, Rubin E (2008) Handbook of Tuberculosis, Vol. 1. Molecular
Genetics and Biochemistry. Weinheim: Wiley-VCH.
pie. Insgesamt hat diese von der WHO empfohlene Standardtherapie
Kaufmann SHE, Britton WJ (2008) Handbook of Tuberculosis, Vol. 2. Immuno-
die Lepraprävalenz weltweit stark verringert. Sind nur einzelne
logy and Cell Biology. Weinheim: Wiley-VCH.
Läsionen vorhanden, reicht eventuell auch die einmalige Gabe von Kaufmann SHE, van Helden PD (2008) Handbook of Tuberculosis, Vol. 3.
Rifampicin + Ofloxazin + Minocyclin aus. Clinics, Diagnostics and Epidemiology. Weinheim: Wiley-VCH.
Leprareaktionen sind oft schwer zu beherrschen, die Patienten
sollten an eine Klinik mit entsprechender Erfahrung überwiesen
werden. Typ-I-Reaktionen werden mit Prednisolon therapiert, das
ENL eventuell – unter der Beachtung der Kontraindikationen – auch
mit Thalidomid. Nichtteratogene Thalidomidderivate befinden sich
in der Erprobung.

kPrävention
Allgemeine Maßnahmen Wichtig sind Verbesserungen der hygie-
nischen Lebensverhältnisse bei ausreichender Ernährung. Eine ge-
naue Beobachtung verletzungsgefährdeter Körperteile bei Infizier-
ten und Kontaktpersonen soll eine frühzeitige Therapie gewährleis-
ten. Isolierungsmaßnahmen sind für tuberkuloid Erkrankte nicht
erforderlich, ebenso wenig für lepromatös Erkrankte, sobald die
Therapie (mit Rifampicin) begonnen wurde.

Meldepflicht Namentlich zu melden sind direkte und indirekte


Nachweise von M. leprae (§ 7 IfSG).

In Kürze
Mycobacterium leprae
Bakteriologie Säurefestes Stäbchen mit dem für Mykobakteri-
en typischen Zellwandaufbau. In-vitro-Anzüchtung des Erregers
bisher noch nicht gelungen. Anzucht nur in immunsupprimier-
ten Mäusen und Gürteltieren.
Vorkommen Einziges Erregerreservoir ist der Mensch.
Epidemiologie Weltweit ca. 250.000 Leprakranke
(2009,Tendenz fallend).
Übertragung Erfolgt überwiegend durch engen, lang
andauernden Haut- und Schleimhautkontakt.
Bakteriologie

Pathogenese Obligat intrazellulärer Erreger ൺ Persistenz in


Makrophagen und Schwann-Zellen ൺ Aktivierung der zellver-
mittelten Immunität ൺ Iymphohistiozytäre Infiltration infizierter
Gewebe ൺ je nach Resistenzlage des Patienten tuberkuloide
Form (günstige Prognose) oder lepromatöse Lepra (schlechte
Prognose).
Zielgewebe Haut- und Schleimhaut, Nervengewebe, Makro-
phagen, Schwann-Zellen der Nervenscheiden.
Klinik Sehr variable Inkubationszeit, oft jahrelang. Je nach
Resistenzlage Manifestation als tuberkuloide, Borderline- oder
lepromatöse Lepra.
Therapie Dreifachkombination mit Dapson, Clofazimin und
Rifampicin.
Immunität T-Zell-abhängig. Bei der lepromatösen Form Induk-
tion supprimierender Immunmechanismen durch M. leprae.
Prävention Allgemeine Verbesserung der hygienischen und so-
zialen Verhältnisse insbesondere in Entwicklungsländern. Indivi-
duelle Expositionsprophylaxe vor allem im Kindesalter. Immuni-
sierung nicht möglich.
Meldepflicht Direkter und indirekter Erregernachweis, nament-
lich.
351 42

Nocardien und andere aerobe


Aktinomyzeten
F.-Ch. Bange

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_42, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Bei der Bezeichnung »aerobe Aktinomyzeten« handelt es sich um


. Tab. 42.1 Aerobe Aktinomyzeten: Gattungsmerkmale
einen nichtsystematischen Sammelbegriff für grampositive, verzweig-
te Stäbchenbakterien, die mehreren Gattungen angehören, darunter
Merkmal Ausprägung
die Gattung Nocardia. Alle Vertreter dieser Gruppe enthalten Mykol-
säuren und sind phylogenetisch mit den Mykobakterien verwandt. Färbung grampositive Stäbchen, verzweigt
Wie diese vermehren sie sich bevorzugt unter aeroben Bedingungen
Aerob/anaerob aerob
(. Tab. 42.1). Die Differenzierung innerhalb der Gruppe ist wegen der
Vielfalt morphologischer und physiologischer Merkmale schwierig, Kohlenhydratverwertung oxidativ
sodass heute molekularbiologischen Methoden (z. B. Sequenzierung) Sporenbildung nein
zur Identifizierung im Vordergrund stehen.
Beweglichkeit nein
Aerobe Aktinomyzeten findet man in der Umwelt. Eintrittspforte ist
der Respirationstrakt oder die verletzte Haut. Übertragungen von Katalase positiv
Mensch zu Mensch kommen nicht vor. Nur wenige aerobe Aktino- Besonderheiten partiell säurefest, Luftmyzel,
myzeten sind klinisch relevant (. Tab. 42.2). Mykolsäuren

42.1 Nocardien
. Tab. 42.2 Durch verschiedene Aktinomyzeten verursachte Krank-
heiten
Steckbrief
Art Krankheit
Nocardien sind lange, verzweigte, aerob wachsende Stäbchen-
bakterien. Das Genus Nocardia umfasst mehr als 30 Spezies, von Nocardia asteroides Pneumonien
denen ein Drittel humanpathogen ist. Die Erreger führen insbe- Nocardia farcinica Abszesse (besonders intrazerebral)
sondere bei immunsupprimierten Patienten zu lokal abszedie-
Nocardia nova disseminierte Infektionen
renden Infektionen (z. B. Hirnabszess).
Nocardien wurde 1888 von Edmond Nocard (1850–1903) erst- Nocardia brasiliensis Myzetom
malig von einem Rind mit eitrigen Lymphadenitiden isoliert. Nocardia pseudobrasiliensis
Nocardia otitidiscaviarum
Nocardia transalvensis
Actinomadura madurae Myzetom
Actinomadura pelletieri
Streptomyces somaliensis
Tsukamurella spp. Sepsis, Pneumonie

Rhodococcus equi Pneumonie, Sepsis

jResistenz gegen äußere Einflüsse


Nocardien sind vergleichsweise unempfindlich gegenüber äußeren
42.1.1 Beschreibung Einflüssen.

jAufbau jVorkommen
Die Zellwand von Nocardien umfasst neben einer Peptidoglykan- Nocardien kommen in der Umwelt vor. Gelegentlich werden sie
schicht Mykolsäuren, Tuberkulostearinsäuren sowie die Zucker Ara- auch aus dem Respirationstrakt des Menschen isoliert, ohne dass
binose und Galaktose. eine Erkrankung vorliegt.
352 Kapitel 42 · Nocardien und andere aerobe Aktinomyzeten

42.1.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
Das Myzetom hervorgerufen durch Nocardia brasiliensis ist die häu-
figste Nocardiose in tropischen Regionen sowie Südamerika und
Australien. Weltweit verursachen insbesondere Nocardia asteroides
und Nocardia farcinica Infektionen des Respirationstraktes sowie
disseminierte Infektionen. Die häufigste Nocardiose bei Tieren ist
die Rindermastitis.

kÜbertragung
Übertragungen von Mensch zu Mensch oder von Tier zu Mensch
sind nicht beschrieben. Infektionen entstehen durch direkte Inoku-
lation von Hautwunden und durch Inhalation des Erregers aus der
Umwelt.

kPathogenese
Nocardien verursachen akute, eitrige Infektionen. Sie blockieren die
antibakteriellen Mechanismen von Makrophagen und neutrophilen
Granulozyten. Die Virulenz wird durch bakterielle Zellwand-
bestandteile mitbestimmt, wie z. B. toxische Glykolipide. Nocardien
besitzen Trehalose-6,6-dimykolat (Cordfaktor). Dieses proinflam-
matorische Glykolipid findet man auch bei Mycobacterium tubercu-
losis, wobei die Länge der Mykolsäuren zwischen Mykobakterien
und Nocardien variiert.
4 Nocardia asteroides verursacht ca. 80 % aller systemischen
Nocardiosen und Nocardiosen des ZNS.
4 Infektionen mit Nocardia farcinica kommen seltener vor,
haben aber eine schlechte Prognose. In tierexperimentellen
Untersuchungen ist diese Spezies besonders virulent. Darüber
hinaus zeichnet sie sich durch zahlreiche Resistenzen aus.

Zunächst etabliert sich eine lokale Infektion in der Lunge und/oder


im Bereich der Haut bzw. des Weichgewebes. Die Disseminierung ist
möglich und damit die Entwicklung einer systemischen Erkrankung
mit sekundären Absiedlungen des Erregers im ZNS (. Abb. 42.1). . Abb. 42.1 Pathogenese der Nocardiose
Jede 2. Nocardiose ist mit einer Immunsuppression des Wirtes
Bakteriologie

assoziiert. Als Risikofaktoren sind z. B. Alkoholmissbrauch, Diabe-


tes, Organtransplantation und AIDS bekannt. Nocardien werden eine breite Palette fokaler neurologischer Defizite sowie Verände-
daher häufig als opportunistische Erreger bezeichnet. rungen im Verhalten oder psychiatrische Auffälligkeiten.

kKlinik kImmunität
Infektionen der Haut und Weichgewebe sind die Folge von Ver- Die protektive Immunität ist T-Zell-vermittelt. Die humorale Ab-
letzungen. Bedingt durch eine heftige eitrige Entzündungsreaktion wehr spielt nur eine untergeordnete Rolle. Daher sind Patienten mit
sind sie selbstlimitierend und werden nicht selten als »Staphylo- zellulärer Immunsuppression besonders gefährdet, an einer Nocar-
kokken-Infektionen« falsch diagnostiziert. Im Gegensatz dazu steht diose zu erkranken.
das Myzetom, ein chronisch destruierender Prozess im Bereich
der distalen Gliedmaßen. Es handelt sich um eine schmerzlose, kLabordiagnose
nekrotisierende Schwellung des Weichteilgewebes mit zahlreichen In der Mikroskopie von Patientenmaterialien sind grampositive,
Fisteln und progressiver Fibrosierung. Myzetome werden auch verzweigte Stäbchen sichtbar.
von anderen aeroben Aktinomyzeten wie z. B. Actinomadura Die definitive Diagnose der Nocardiose gelingt über die Anzucht
madurae, Actinomadura pelletieri und Streptomyces somaliensis des Erregers aus Gewebebiopsien, Wundabstrichen sowie Respira-
verursacht. tionsmaterialien. Die Inkubationsdauer sollte auf 7 Tage verlängert
Pneumonien durch Nocardien sind von eitrigen, granuloma- werden, da Nocardien mindestens 3 Tage für sichtbares Wachstum
tösen oder gemischten Entzündungsreaktionen begleitet. Radiolo- auf Festnährböden benötigen. Einige Arten wachsen deutlich lang-
gisch können retikulonoduläre Infiltrate, die sich zu Kavernen samer und bilden erst nach 2–3 Wochen Kolonien auf Festnährbö-
entwickeln, oder diffuse Infiltrate auftreten. Patienten klagen über den. Geeignet für die Kultur der Bakterien sind Blut-, Kochblut- und
Husten und Auswurf sowie atmungsabhängige Schmerzen. Thayer-Martin-Agar.
Das ZNS ist bei systemischen Nocardiosen häufig (in bis zu Die Speziesdiagnose von Kulturisolaten gelingt mithilfe moleku-
50 %) mit betroffen. Die klinische Symptomatik wird durch intra- larer Methoden.
zerebrale Abszess- und Granulombildung bestimmt. Die Erkran-
kung schreitet langsam über Monate oder Jahre fort und umfasst
42.1 · Nocardien
353 42
kTherapie
Je nach Schweregrad der Erkrankung werden für die Behandlung der
Nocardiosen Sulfonamide, Cephalosporine sowie Imipenem in
Kombination mit dem Aminoglykosid Amikacin eingesetzt. Lokale,
begrenzte Infektionen oder Pneumonien werden mit Cotrimoxazol
therapiert. Disseminierte Infektionen sowie Infektionen des ZNS
erfordern eine intravenöse Kombinationstherapie. Immunkompe-
tente Patienten werden 6 Monate, immunsupprimierte Patienten
12 Monate behandelt.

kPrävention
Eine Impfung steht nicht zur Verfügung. Es besteht keine Melde-
pflicht. Spezifische Präventionsmaßnahmen gegen die Infektion mit
Nocardien werden nicht durchgeführt.

In Kürze
Nocardien
Bakteriologie Aerobe, verzweigte, grampositive Stäbchenbak-
terien; partiell säurefest.
Vorkommen In der Umwelt.
Epidemiologie Verursacht weltweit Infektionen bei Menschen
und Tieren.
Übertragung Aus der Umwelt durch direkt Inokulation oder
Inhalation der Erreger.
Pathogenese Der lokalen Infektion des Erregers folgt insbe-
sondere bei immunsupprimierten Patienten eine systemische
Erkrankung mit sekundären Herden im ZNS.
Klinik Bronchopneumonie, Hirnabszesse, Haut-/Weichgewebe-
abszesse.
Immunität T-Zell-vermittelte Immunität.
Labordiagnose Kultur des Erregers aus Gewebebiopsien,
Respirationsmaterialien sowie Wundabstrichen; verlängerte
Kulturdauer.
Therapie Cotrimoxazol, Cephalosporine, Imipenem, Amikacin.
Prävention Keine Impfung, keine spezifischen Präventionsmaß-
nahmen, keine Meldung.
355 43

Treponemen
A. Berger, U. Eberle, V. Fingerle, A. Sing

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_43, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Gattung Treponema umfasst sehr dünne Schraubenbakterien aus


der Familie der Spirochaetaceae. Zu diesen sog. Spirochäten gehört . Tab. 43.1 Treponema: Gattungsmerkmale
auch die Gattung Borrelia (7 Kap. 44). Der Name Treponema (gr. »tre-
Merkmal Ausprägung
pomai«: sich drehen; »nema«: Faden) bezieht sich auf die korkenzieher-
artigen Drehbewegungen dieser Bakterien. . Tab. 43.1 fasst die wich-
Färbung Spezialfärbung erforderlich
tigsten Merkmale der Treponemen zusammen.
Die wichtigste humanpathogene Art ist Treponema (T.) pallidum, der Aerob/anaerob mikroaerophil; keine Anzucht
Erreger der Syphilis (Lues). Das Attribut pallidum (lat.: blass, bleich) möglich
verweist auf die schlechte Anfärbbarkeit dieser sehr filigranen Erreger Kohlenhydratverwertung ja (diagnostisch nicht relevant)
mittels herkömmlicher Methoden.
Sporenbildung nein
Die Erreger nur regional auftretender, sog. endemischer Treponema-
tosen, die vom Syphiliserreger mit herkömmlichen Labormethoden Beweglichkeit ja
nicht abgrenzbar sind, werden als T. pallidum-Subspezies bzw. im Falle Katalase nein (diagnostisch nicht relevant)
des fast verschwundenen T. carateum als eigene Spezies klassifiziert
(. Tab. 43.2). Oxidase nein (diagnostisch nicht relevant)
Der in der Mundschleimhaut aufzufindenden Art T. denticola wird eine Besonderheiten Durchmesser: 0,1–0,2 μm,
Rolle bei der Entstehung der Parodontitis zugeschrieben. Andere Länge: 6–20 μm
schleimhautassoziierte Arten gelten als Bestandteil der Normalflora
Windungen: 6–14; Windungs-
von Oral-, Anogenital- oder Intestinaltrakt. Tierpathogene Arten und
durchmesser (»Amplitude«): 0,3 μm;
Umwelttreponemen sind ebenfalls bekannt. »Wellenlänge«: 1,1 μm

43.1 Treponema pallidum ssp. pallidum . Tab. 43.2 Treponemen: Arten und Krankheiten

Art Krankheit
Steckbrief
T. pallidum ssp. pallidum Syphilis
Treponema pallidum ssp. pallidum ist der Erreger der Syphilis
(Lues). T. pallidum ist ein sehr dünnes Schraubenbakterium, T. pallidum ssp. endemicum Bejel
das sich im Dunkelfeld- oder Fluoreszenzmikroskop darstellen
T. pallidum ssp. pertenue Frambösie
lässt. Die Erstbeschreibung gelang dem Protozoenforscher Fritz
Schaudinn und dem Dermatologen Erich Hoffmann 1905 in der T. carateum Pinta
Hautklinik der Berliner Charité. Die Übertragung erfolgt meist T. vincentii Angina Plaut-Vincenti
über sexuelle Kontakte, selten transplazentar von der Mutter auf
das Ungeborene. Die Infektion verläuft typischerweise in 3 Sta-
dien. Meist erfolgt die Diagnostik indirekt über Antikörpernach-
weismethoden. Nach Diagnosestellung kann die Erkrankung 43.1.1 Beschreibung
mit einer antibiotischen Therapie geheilt werden.
jAufbau
T. pallidum ist ein gleichmäßig spiralig gewundenes Bakterium
(Amplitude der Windungen: 0,3 μm). 3–6 an den beiden Bakterien-
enden befestigte Endoflagellen, die sich in der Zellmitte über-
kreuzen, ermöglichen im Dunkelfeldmikroskop sichtbare Beuge-
sowie Rotationsbewegungen um die Längsachse. Die 6–20 μm lan-
gen und 0,1–0,2 μm breiten Bakterien besitzen nur eine dünne
Peptidoglykanschicht. Die äußere Membran weist kein LPS und nur
sehr wenige Transmembranproteine auf (ca. 1 % derer von E. coli).
T. pallidum ist im Routinelabor nicht anzüchtbar, für Forschungs-
zwecke wird T. pallidum im Kaninchenhoden oder in Zellkulturen
vermehrt. Die Generationszeit in vivo ist mit über 30 h sehr lang.
356 Kapitel 43 · Treponemen

der gemeldeten Syphilisfälle in Deutschland wie in anderen west-


lichen Industrieländern besonders seit Ende der 1970er Jahre
drastisch und erreichte Ende der 1990er Jahre ihren niedrigsten
Stand (1,4 pro 100.000 Einwohner). Seit 2010 steigt die Zahl der in
Deutschland gemeldeten Neuerkrankungen deutlich an (2013: 6,1
pro 100.000 Einwohner, entsprechend 5015 Meldungen; 2014: 5722
gemeldete Fälle): Bei Männern liegt die Syphilisinzidenz mit
11,5 Fällen pro 100.000 Einwohner ca. 13-mal höher als bei Frauen
mit 0,9 Fällen pro 100.000 Einwohner. Die bundesweit höchsten In-
zidenzen wurden aus den Innenstadtbezirken von Berlin gemeldet
(61–86/100.000 Einwohner).
Der Inzidenzanstieg beruht hauptsächlich auf einer Zunahme
der Neuerkrankungen bei homosexuellen Männern (MSM). In-
fektionen von MSM werden vor allem aus großstädtischen Ballungs-
räumen berichtet und machen über 80 % der gemeldeten Fälle mit
. Abb. 43.1 Treponema pallidum – Schraubenbakterien im Nativpräparat bekannter Risikoanamnese aus. Die Zahl der Neuerkrankungen bei
Frauen und Männern mit heterosexuellen Risikokontakten blieb re-
lativ konstant. Während in den 1970er bis 1990er Jahren Männer
jMolekularbiologie etwa doppelt so häufig wie Frauen erkrankten, liegt der Anteil der
Die Genome der 3 bislang sequenzierten Stämme von T. pallidum Männer unter den gemeldeten Fällen mittlerweile bei über 90 %. Am
ssp. pallidum sind mit 1,14 Mio. Basenpaaren und 1041 Genen im häufigsten sind Männer im 3. und 4. Lebensjahrzehnt betroffen, bei
Vergleich zu anderen Bakterien sehr klein. Auffallend ist der Mangel den Frauen die 20- bis 29-jährigen.
an metabolischen Proteinen, das Fehlen einer Elektronentransport- Syphilis-HIV-Koinfektionen treten ebenfalls auf, da syphiliti-
kette, einer eigenen Aminosäure- und Fettsäuresynthese sowie die sche  Ulzera einerseits das Zustandekommen einer HIV-Infektion
Abhängigkeit von der Glykolyse als wichtigster ATP-Quelle. Dies begünstigen und andererseits eine floride Syphilis und eine HIV-
erklärt u. a. das langsame Wachstum von T. pallidum. Infektion sich wechselseitig ungünstig beeinflussen. 15 % der
Als obligater Parasit des Menschen mit begrenzten biosyntheti- Syphilispatienten haben gleichzeitig eine HIV-Infektion, 80 % der
schen Fähigkeiten weist T. pallidum stattdessen eine Reihe von HIV-Infizierten haben Treponemenantikörper.
Transportproteinen auf. Weiter fehlen klassische Virulenzfaktoren Konnatale Syphilisinfektionen sind in Deutschland sehr selten:
wie Exotoxine, ein Eisenaufnahmesystem sowie LPS als Agonist des Seit 2001 sanken die gemeldeten Fälle von 7 auf 3 im Jahr 2013, was
»Toll-ähnlichen Rezeptors« TLR-4. Aufgrund seiner nur wenigen, für die Wirksamkeit des Schwangeren-Screenings spricht.
sich teilweise verändernden Oberflächenmoleküle und der daraus
resultierenden geringen Antigenität wurde T. pallidum als Tarnkap- kÜbertragung
penerreger (»stealth pathogen«) bezeichnet. Da T. pallidum außerhalb des menschlichen Körpers rasch ab-
stirbt,  kann der Erreger nur direkt übertragen werden, über
jExtrazelluläre Produkte Schleimhautkontakte aller Art, am häufigsten beim Geschlechts-
Extrazelluläre Produkte sind bislang nicht beschrieben. verkehr. Eine Infektion kann sowohl über die unverletzte als auch
Bakteriologie

über die verletzte Schleimhaut erfolgen. Die Übertragungswahr-


jResistenz scheinlichkeit wird mit bis zu 60 % pro penil-vaginalem Geschlechts-
Eine Resistenz gegen Penicillin ist nicht bekannt. T. pallidum ist akt (bzw. – vorsichtiger – pro infiziertem Sexualpartner) angegeben
empfindlich gegenüber Trockenheit, Kälte, Hitze, pH-Schwankun- und ist im Vergleich zu anderen sexuell übertragenen Erkrankun-
gen, oxidierenden Substanzen und hoher Sauerstoffspannung. gen sehr hoch.
Außerhalb des menschlichen Körpers überlebt T. pallidum nur Patienten bzw. deren Schleimhaut- und Hautmanifestationen im
kurzzeitig. Auch wenn T. pallidum sich in bei 4 °C gekühltem Zitrat- Stadium I sind hochinfektiös, im Stadium II infektiös. Bei entspre-
blut noch bis zu 5 Tage lang vital nachweisen lässt, sind Übertragun- chender Lokalisation ist auch eine Übertragung über Küssen mög-
gen sehr selten und im Wesentlichen auf Frischblut beschränkt. Eine lich. Im Stadium III besteht keine Infektiosität. Die Übertragung
Übertragung durch Blut, das länger als 48 h bei 4 °C gelagert wurde, kann auch durch Hautmikroläsionen geschehen, über die intakte
ist bisher nicht publiziert. In Deutschland, wo alle Blutspenden auf Haut ist ein Eindringen der Erreger extrem unwahrscheinlich.
die Syphilisantikörper untersucht werden, liegt die letzte dokumen- Bereits 10 Treponemen waren in Versuchen mit Freiwilligen
tierte Übertragung durch Bluttransfusion mehr als 20 Jahre zurück. ausreichend, nach intradermaler Inokulation einen Primärschanker
zu verursachen; bei Kaninchen genügt bereits eine einzige Trepone-
jVorkommen me, um eine Läsion hervorzurufen.
Der Mensch ist der einzige natürliche Wirt von T. pallidum und sei- Zweithäufigster Infektionsmodus (weniger als 10 Fälle pro Jahr
ner Subspezies. Der Erreger der Syphilis besiedelt die Schleimhäute in Deutschland) ist die diaplazentare Übertragung. Sie kann bei
(. Abb. 43.1). unbehandelter Syphilis ab der 12. Schwangerschaftswoche erfolgen.
Die Übertragungswahrscheinlichkeit nimmt dabei mit zunehmen-
dem Abstand zum Infektionszeitpunkt der Mutter ab, kann aber bei
43.1.2 Rolle als Krankheitserreger frischer Infektion innerhalb der Schwangerschaft bis zu 100 % be-
tragen.
kEpidemiologie Eine Übertragung über Gegenstände ist extrem unwahrschein-
Weltweit infizieren sich ca. 10–12 Mio. Menschen pro Jahr neu mit lich, über kontaminierte Injektionsnadeln oder Bluttransfusionen
Syphilis. Nach Einführung des Penicillins als Therapie sank die Zahl sehr selten.
43.1 · Treponema pallidum ssp. pallidum
357 43

. Abb. 43.2 Pathogenese der Syphilis

kPathogenese Adhäsion Im Gegensatz zu apathogenen Treponemen können Sy-


Die Syphilis ist eine Infektionskrankheit, die in unterschiedlichen, philistreponemen u. a. an Epithel- und Endothelzellen adhärieren.
im Wesentlichen klinisch definierten Stadien verläuft. Pathogene- Als Wirtszellrezeptoren werden Integrine vermutet. Außerdem kann
tisch lassen sich am ehesten Stadien der Adhäsion, Invasion, lokalen T. pallidum mittels definierter Proteine an Fibronektin und Laminin
Etablierung, Generalisation und Organmanifestation voneinander binden.
abgrenzen (. Abb. 43.2).
358 Kapitel 43 · Treponemen

Generalisation T. pallidum disseminiert sehr schnell über das Blut-


. Tab. 43.3 Klinische Stadieneinteilungen der Syphilis
system in unterschiedliche Organe (Lymphknoten, Leber, Niere,
Primärstadium Lues I Frühsyphilis (bis 1 Jahr nach
Liquor). Die weit verstreute Absiedlung in verschiedene Organe und
Infektion) das sehr langsame Wachstum insbesondere in der Latenzphase der
Sekundärstadium Lues II Syphilis begünstigen die Immunevasion.
Latenzphase
Tertiärstadium Lues III Spätsyphilis Organmanifestation Die pathologischen Veränderungen bei Sy-
philis beruhen in allen Stadien im Wesentlichen auf einer Endarte-
Neurosyphilis Lues IV
riitis bzw. Periarteriitis der kleinen Arterien. Aus der Verengung des
Gefäßlumens resultiert eine Minderversorgung des befallenen Ge-
webes mit Nekrose.
Invasion Experimentell finden sich Treponemen schon wenige Bei einer Gumma des Tertiärstadiums handelt es sich um ein Gra-
Minuten nach intradermaler Inokulation und wenige Stunden nach nulom, das sich im Rahmen einer T-zell-abhängigen Immunreaktion
mukosaler Applikation im Blut. Bei der Invasion scheinen ihre Be- bildet. Es besteht aus einer zentralen Nekrose, Makrophagen, gelegent-
weglichkeit, die Fähigkeit zur Detektion chemotaktisch wirksamer lich Riesenzellen und peripherem Bindegewebe und enthält nur sehr
Gradienten sowie eine induzierte Wirtskollagenase eine Rolle zu wenige lebende Treponemen. Die gutartige Raumforderung kann
spielen. durch verdrängendes Wachstum Nachbarorgane schädigen.

Etablierung An der Inokulationsstelle wandern zunächst im Ver- kKlinik


gleich zu anderen akuten bakteriellen Infektionen wenige poly- Traditionell ist die Syphilis nach dem französischen Arzt Philippe
morphnukleäre Lymphozyten ein. Die relativ spät einsetzende und Ricord seit 1838 in 3 klinische Stadien eingeteilt worden, die häufig
schwache Entzündungsreaktion kann eine Erregerausbreitung nicht um eine Latenzphase und ein Quartärstadium, die Neurosyphilis,
effektiv verhindern und ist unter anderem durch das Fehlen des ergänzt sowie zur Früh- und Spätsyphilis zusammengefasst worden
TLR4-Agonisten LPS zu erklären. Nach mehreren Tagen wandern sind (. Tab. 43.3).
T-Zellen sowie Makrophagen an den Infektionsort ein und räumen Im »natürlichen« Verlauf der unbehandelten Syphilis (. Tab.
die weitestgehend extrazellulären Treponemen großteils ab. Wenige 43.4) beträgt die Dauer von Lues I vom Auftreten bis zum Abheilen
phagozytoseresistente Treponemen scheinen vor Ort zu persistieren. des Primärschankers durchschnittlich 12 Tage (gelegentlich bis zu

. Tab. 43.4 Syphilis: Stadien, Symptome, Inkubationszeiten

Stadium Symptome Inkubationszeit

I Schanker, regionale Lymphadenopathie 2–3 Wochen


(10–90 Tage)
II Exanthem, Fieber, Malaise, Lymphadenopathie, muköse Plaques, 2–12 Wochen
Condylomata lata, Alopezie, Meningitis, Kopfschmerzen
(2 Wochen bis 6 Monate)
Bakteriologie

Latenz asymptomatisch Frühlatenz: < 1 Jahr


Spätlatenz: > 1 Jahr
III
Kardiovaskulär Aortenaneurysma, Aorteninsuffizienz 10–30 Jahre
Neurosyphilis: asymptomatisch 12–18 Monate
– akute syphilitische Meningitis Kopfschmerz, meningeale Reizung/Meningismus, Konfusion < 2 Jahre
– meningovaskulär Hirnnervenlähmungen, Parästhesien, Paresen, Plegien meist 4–7 Jahre
– progressive Paralyse Prodromi: Kopfschmerz, Schwindel, Persönlichkeitsveränderungen; 5–25 Jahre
gefolgt von fokalen Symptomen
Demenz, Müdigkeit, Halluzinationen, Intentionstremor, Verlust des 5–25 Jahre
Gesichtsmuskeltonus
– Tabes dorsalis lanzierende Schmerzen, Dysurie, Ataxie, Argyll-Robertson-Pupille, 15–25 Jahre
Areflexie, Verlust der Propriozeption
Gummen je nach Organbefall 1–46 Jahre
(meist 15 Jahre)
Kongenital:
– Frühstadium (Lues connata praecox) disseminierte Infektion intrauterin bis 2. Lebensjahr
– Spätstadium (Lues connata tarda) Hutchinson-Trias (Innenohrschwerhörigkeit, interstitielle Keratitis, ab 2. Lebensjahr
Tonnenzähne), Säbelschienbeine, Hydrozephalus, Hirnnervenausfälle,
Krampfanfälle
43.1 · Treponema pallidum ssp. pallidum
359 43
6 Wochen). Die in der Regel 6–8 Wochen (2 Wochen bis 6 Monate)
nach Infektion einsetzende Sekundärlues dauert im Mittel 3–4 Mo-
nate (Spannweite: 1–12 Monate). 25 % der Patienten erleiden inner-
halb eines Jahres eine 2. Lues-II-Episode. Knapp ein Drittel der un-
behandelten Syphilitiker entwickelt eine Spätsyphilis (kardiovasku-
läre Syphilis: 14 % der Männer und 8 % der Frauen; Neurosyphilis:
10 % der Männer und 5 % der Frauen).

Primärstadium Nach einer meist 2- bis 3-wöchigen Inkubationszeit


(10–90 Tage) entsteht an der Erregereintrittsstelle eine derbe, indu-
rierte Papel, aus der sich ein schmerzloses, ca. 0,3–3 cm großes Ulkus
mit meist scharf abgesetztem, wallartigem, derbem Rand und saube-
rem Grund (harter Schanker, Ulcus durum, Primäraffekt [PA]) ent-
wickelt. Häufigste Lokalisationen sind Glans penis und Sulcus coro-
narius beim Mann (. Abb. 43.3), die Labien bei der Frau.
Etwa 1 Woche nach Auftreten des hochkontagiösen PA (Erre- . Abb. 43.3 Treponema pallidum – Primäraffekt
gerlast: bis 107 Treponemen pro g Gewebe) vergrößert sich der re-
gionale Lymphknoten. Dieser gut verschiebliche, harte, schmerzlose,
nicht einschmelzende Satellitenbubo und der PA bilden den Primär-
komplex. Extragenitale Läsionen (anorektal; oral: meist an Lippe
oder Zunge; tonsillar: Angina specifica) weisen häufiger eine atypi-
sche Morphologie auf und sind öfter schmerzhaft. Nach 3–6 Wo-
chen heilt der PA unter Narbenbildung spontan aus, die Schwellung
der Satellitenbubonen kann monatelang andauern.
Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind:
4 das schmerzhafte Ulcus molle (Erreger: Haemophilus ducreyi)
4 das schmerzlose Lymphogranuloma venereum (Erreger: Chla-
mydia trachomatis L1–L3; Bubo meist schmerzhaft und ggf.
konfluierend)
4 das schmerzlose Granuloma inguinale mit rötlichem Granula-
tionsgewebe (auch Granuloma venereum oder Donovanosis;
Erreger: Klebsiella granulomatis [früher: Calymmatobacterium
granulomatis]; Vorkommen vorwiegend in den Tropen und
Subtropen, keine Lymphknotenschwellung, aber infiltrativ
wachsende Pseudobubonen.

Sekundärstadium Nach hämatogener Aussaat gelangen die Trepo-


. Abb. 43.4 Treponema pallidum – Primäreffloreszenzen an den Hand-
nemen in verschiedene Organe und können dort weitere Entzün- innenflächen
dungsreaktionen, z. B. in Form einer cholestatischen Hepatitis oder
Immunkomplex-Glomerulonephritis, verursachen. Ein Drittel der
Patienten weist noch den PA auf, während bei mehr als der Hälfte inflammatorische Depigmentierungen am Stirnhaaransatz um-
der Patienten kein PA erinnerlich ist. Neben möglichen Allgemein- schrieben. In intertriginösen Arealen, im Perineum und um den
symptomen wie Fieber, Müdigkeit, Kopf-, Gelenk- und Muskel- Anus können sich nässende, flache Papelbeete bilden (Condylomata
schmerzen treten spezifische syphilitische Exantheme und Enan- lata), die zahlreiche Erreger enthalten und hochkontagiös sind.
theme, sog. Syphilide auf, die leicht mit anderen dermatologischen Im Kopfhaarbereich kommt es bei ca. 7 % der Patienten zu
Erkrankungen zu verwechseln sind. Daher erklärt sich der bekannte mottenfraßartigem Haarausfall (Alopecia specifica areolaris), im
Satz: »Die Syphilis ist der Affe unter den Hautkrankheiten.« Bereich des behaarten Kopfes und besonders im Bartbereich zu
Vor allem in feuchten Effloreszenzen sind viele Erreger vorhan- himbeer- bis blumenkohlähnlichen Papillomen (frambösiformes
den. In der Regel finden sich gleichzeitig multiple, verhärtete, ver- Syphilid).
größerte Lymphknoten, die im Gegensatz zum Stadium I keinen Die syphilitischen Enantheme (weißliche flache Papeln, Plaques
Bezug zum befallenen Hautareal haben. muqueuses, . Abb. 43.5) finden sich bei 5–20 % der Patienten und
Das Erscheinungsbild der Hautmanifestationen kann sehr subtil können oral auch gefurcht (Plaques lisses) oder als derbe, weißliche
sein und leicht übersehen werden. Am häufigsten ist ein masernähn- Leukoplakia oris vorliegen. Begleitend kann eine Angina specifica
liches, fein-makulöses, nichtjuckendes Exanthem, das zunächst auftreten.
stammbetont ist (Roseola syphilitica). Auch proximale Extremitä- Von neurologischer Seite sind Meningitis, Polyradikulitis und
ten, Handinnenflächen (. Abb. 43.4) und Fußsohlen können betrof- – selten – vaskuläre Hirnstammsyndrome möglich.
fen sein. Insbesondere bei Rezidivexanthemen kommen auch liche-
noide und konfluierende Hautmanifestationen vor (serpiginöses Latenz Die asymptomatische Latenz ist die Periode zwischen Ver-
Syphilid, Lichen syphiliticus, korymbiformes Syphilid). schwinden der Stadium-II-Symptome und therapeutischer Heilung
Die Exantheme heilen narbenlos nach 2–3 Wochen aus, Hypo- oder dem Beginn der Stadium-III-Symptome (. Tab. 43.4):
oder Hyperpigmentierungen können zurückbleiben. Als »Halsband 4 Die Frühlatenz wird auf 1 Jahr datiert; Patienten gelten in
der Venus« (Corona Veneris) werden papuläre Syphilide oder post- dieser Phase noch als kontagiös.
360 Kapitel 43 · Treponemen

4 Danach spricht man von Spätlatenz: In dieser Phase sind die


Patienten über direkten Haut- oder Schleimhautkontakt nicht
mehr infektiös, diaplazentare Übertragung und Übertragung
durch Blutspende sind jedoch möglich.

Tertiärstadium Nach unterschiedlich langen Latenzphasen (Jahre


bis Jahrzehnte; . Tab. 43.4) manifestiert sich die unbehandelte Syphi-
lis im Spätstadium vorrangig in 3 Organsystemen:
4 Tuberonodöse Syphilide der Haut: braunrote, derbe, erhabene
Knötchen; betreffen meist Streckseiten der oberen Extremitä-
ten, Rücken, Gesicht.
4 Kardiovaskuläre Veränderungen durch Endarteriitis oblite-
rans mit Schwinden der elastischen Fasern in der Aortenwand
(Mesaortitis luetica) und Entstehung eines syphilitischen
Aneurysmas meist in der Aorta ascendens.
4 Neurosyphilis (auch als »Quartärsyphilis« bezeichnet) nach
initialer Invasion der Treponemen in den Liquorraum (15–40 % . Abb. 43.5 Treponema pallidum – Plaques muqueuses (Zungenunterseite
der unbehandelten Syphilitiker). Diese lässt sich in einander und Unterlippeninnenseite)
häufig überlappende 5 Kategorien einteilen:
5 asymptomatische Neurosyphilis: lediglich Liquorverän-
derungen wie Leukozytose, Proteinerhöhung und reaktiver Angeborene Syphilis (Lues connata) Die transplazentare Infektion
Lipoidantikörpertest (z. B. VDRL- oder RPR-Test) im des Fetus kann in jedem Schwangerschafts- und LuesStadium der
Liquor, meist 12–18 Monate nach Infektion nicht oder ungenügend behandelten Mutter erfolgen. Die intraute-
5 meningeale Neurosyphilis: Symptome einer aseptischen rine Infektion führt ohne Therapie in 30–40 % der Fälle zu Abort,
Meningitis (heftige Kopfschmerzen, Übelkeit, Konfusion, Totgeburt, Tod in der Perinatalphase oder Frühgeburt. Bei der ange-
Nackensteifigkeit ohne Fieber), z. T. Hirnnervenbeteili- borenen Syphilis unterscheidet man 2 Phasen (. Tab. 43.4):
gung, meist noch während des Exanthems einer Sekundär- 4 Frühstadium oder Lues connata praecox (Neugeborene und
syphilis Säuglingsalter):
5 meningovaskuläre Neurosyphilis: Symptome einer diffu- 5 Etwa 50–60 % der infizierten Kinder sind bei Geburt klinisch
sen Enzephalitis, z. T. mit fokalen Auffälligkeiten, Parästhe- unauffällig. Nur ein kleiner Teil (meist Frühgeborene) zeigt
sien bzw. Paraplegie, Hemiparesen oder -plegie, Aphasie direkt post partum klinische Symptome. Häufigstes Erst-
oder Krampfanfällen; meist 4–7 Jahre nach Infektion symptom ist dabei der erregerreiche »syphilitische Schnup-
5 parenchymatöse Neurosyphilis: chronisch-progrediente fen« (Koryza) mit weißem, manchmal blutig-tingiertem
Enzephalitis in 2 alternativen Formen: Nasenausfluss. Weitere Symptome sind Atemnot, Ödeme,
– als progressive Paralyse (Dementia paralytica; Hydrops, Hepato- bzw. Hepatosplenomegalie, Hautefflores-
5–25 Jahre nach Infektion) mit zahlreichen neurologi- zenzen, geblähtes Abdomen, Anämie und Ikterus.
schen (typisch ist bei ca. 50 % der Patienten das Argyll- 5 Ab der 3.–10. Lebenswoche treten Symptome ähnlich der
Bakteriologie

Robertson-Phänomen: reflektorische Pupillenstarre Lues II im Erwachsenenalter auf: Fieber, makulopapulöse


bei erhaltener Konvergenzreaktion, Miosis) und psychia- oder vesikuläre Effloreszenzen meist an Handinnenflächen
trischen Auffälligkeiten (hirnorganisches Psychosyn- und Fußsohlen (»Pemphigus syphiliticus«), Condylomata
drom mit Demenz, Größenwahn, Halluzinationen, lata, aber auch Ikterus, Ödeme, Hepato- bzw. Hepatosple-
Sprachstörungen) nomegalie, Rhinitis, Laryngitis, Periostitis mit schmerzbe-
– als Tabes dorsalis (15–25 Jahre nach unbehandelter dingten Pseudoparesen oder eine Osteochondritis langer
Infektion; betrifft vor allem Männer): Degeneration der Röhrenknochen mit resultierender Parrot-Pseudoparalyse
Rückenmarkhinterstränge; typisch sind in Unterbauch (Epiphysenlösung).
und Beine blitzartig einschießende (»lanzierende«) 5 Klinische Symptome einer Meningitis treten meist erst
Schmerzen, Sensibilitätsverluste, Areflexie, Verlust der zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat auf. Diese Kinder
Temperatur- und Vibrationsempfindens, Gangataxie, sind hochkontagiös.
Blasenentleerungsstörung, Impotenz 4 Spätstadium oder Lues connata tarda (ab dem 2. Lebensjahr):
5 gummatöse Neurosyphilis: polytope raumfordernde Klassische Manifestationen sind die sog. Hutchinson-Trias
Granulome (typischerweise von den Meningen der Hirn- (Keratitis parenchymatosa mit der Gefahr der Erblindung,
konvexität ausgehend), je nach Lokalisation klinisch Innenohrschwerhörigkeit, gerundete und eingekerbte »Ton-
stumm oder mit Herdsymptomatik nenzähne«), Sattelnase, Veränderungen an Tibia (sog. Säbel-
schienbeine), Gaumen oder Stirn, Hydrozephalus, Hirn-
Bei den Gummen handelt es sich um charakteristische Manifesta- nervenausfälle oder Krampfanfälle. Diese Kinder sind nicht
tionen des Tertiärstadiums, die prinzipiell alle Organe betreffen kön- kontagiös.
nen, vorzugsweise aber Knochen, Haut und Schleimhäute.
Aufgrund der Vielfalt ihrer klinischen Symptome, die insbeson- Syphilis bei HIV Bei schlechter immunologischer Abwehrlage kön-
dere in den Stadien II und III verschiedene Organsysteme betreffen nen deutlich größere und schmerzhaftere PA und im Stadium II
können, wird die Syphilis – ähnlich wie die Tuberkulose – auch als frühzeitig ulzerierende und nekrotisierende Herde auftreten (Lues
Chamäleon oder Imitator (»great mimicker«, »great imitator«) maligna). Die Progression zur Neurosyphilis scheint bei HIV-Infek-
bezeichnet. tion deutlich rascher zu sein.
43.1 · Treponema pallidum ssp. pallidum
361 43
kImmunität klinischer Heilung, nachweisbar. Beispiele für entsprechende mikro-
Eine durchgemachte Syphilis hinterlässt keine dauerhafte Immuni- biologische Tests zum Nachweis solcher Antikörper (7 s. u.) sind
tät. Reinfektionen nach entsprechender Exposition sind möglich. 4 Fluoreszenz-Treponemen-Antikörper-Absorptionstest (FTA-Abs)
Eine Impfung steht nicht zur Verfügung. Die primäre Prävention 4 Treponema-pallidum-Partikel-Agglutination (TPPA)
zielt auf Empfehlungen zur Expositionsprophylaxe, insbesondere 4 IgG-Enzymimmunoassay (IgG-EIA).
einer Reduzierung von sexuellem Risikoverhalten.
Lipoidspezifische Antikörper Neben treponemenspezifischen An-
Verlauf der Immunität Sowohl Antikörper als auch T-Zellen sind tikörpern werden während einer Syphilisinfektion kreuzreagierende
an der Immunabwehr beteiligt: treponemenunspezifische Antikörper gebildet, die mit lipidhaltigen
4 Im Primärstadium bildet sich rasch eine Immunität aus, Antigenen der Mitochondrien reagieren. Diese sind keinesfalls spe-
exogene Reinfektionen sind selten. zifisch für die Syphilisinfektion, sondern werden bei Gewebezerfall
4 Im Sekundärstadium sind exogene Reinfektionen praktisch z. B. im Rahmen einer Tumorerkrankung, Malaria, Tuberkulose,
ausgeschlossen, die Erreger breiten sich jedoch bei hohen Anti- Kollagenose und in der Schwangerschaft vermehrt gebildet. Ihr Auf-
körpertitern aus und vermehren sich in Effloreszenzen. treten ist jedoch sehr charakteristisch für die Syphilisinfektion (nach
4 In der Latenzphase werden die Treponemen vor allem durch ca. 4–6 Wochen), weshalb sie einen festen Bestandteil der serologi-
T-Zellen so wirksam eingegrenzt, dass die Patienten nicht schen Infektionsdiagnostik darstellen. Der Lipoidantikörpertest
mehr kontagiös sind. (z. B. VDRL-Test [Veneral Disease Research Laboratory]) eignet sich
4 Bei der Tertiärlues spielen T-Zell-abhängige Mechanismen die zur Therapiekontrolle, da der Titer bei erfolgreicher Therapie abfällt
Hauptrolle, da Gummen (T-Zell-Granulome) die Erreger wirk- (. Tab. 43.5, . Abb. 43.6).
sam einschließen, sodass der Patient nicht kontagiös ist. Die Luesdiagnostik erfolgt üblicherweise als serologische Stu-
fendiagnostik (. Abb. 43.6), bei der zunächst ein Suchtest durchge-
kLabordiagnose führt wird. Ist dieser negativ, entfallen weitere Untersuchungen. Bei
Die Anzucht von T. pallidum auf Kulturmedien ist bislang nicht anhaltendem klinischem Verdacht auf Frühsyphilis sollte nach
möglich. Erregervermehrung gelingt in Kaninchenhoden und spe- 2 Wochen eine Serumkontrolluntersuchung erfolgen. Bei positivem
ziellen Zellkulturen, ist für die Diagnostik aber irrelevant. Serologi- Ausfall des Suchtests wird ein Bestätigungstest angeschlossen. In der
sche Verfahren sind in der Luesdiagnostik unverzichtbar. Antikör- 3. Stufe gilt es zu unterscheiden, ob es sich um eine aktive Infektion
per sind frühestens 1–3 Wochen nach Infektion nachweisbar. oder einen serologischen »Überrest« (»Seronarbe«) handelt, der
keine Behandlung erfordert:
Untersuchungsmaterialien Indirekter Erregernachweis (Antikör- 4 Der Treponema-pallidum-Hämagglutinations-(TPHA-)Test
perdiagnostik): Serumproben, ggf. gepaarte Serum-Liquor-Probe und der Treponema-pallidum-Partikelagglutinations-(TPPA-)
vom selben Untersuchungstag bei Verdacht auf Neurolues (2 ml Test sind häufig verwendete Suchtests, die sich aufgrund der
Liquor); iirekter Erregernachweis: Reizsekret aus Primär- oder Se- Antigenträger (Schaferythrozyten bzw. Gelatinepartikel) unter-
kundäreffloreszenzen, Gewebeproben (Haut, Schleimhaut). scheiden. Alternativ können andere Suchtests, z. B. ELISA oder
Chemilumineszenztests, mit vergleichbarer Sensitivität und
Direkter Erregernachweis Dieser gelingt in der Regel nur im Früh- Spezifität eingesetzt werden.
stadium aus frischem Reizsekret: 4 Der Bestätigungstest erfolgt in der Regel mit einem indirek-
4 Die Dunkelfeldmikroskopie sollte nur aus Genital- oder ten Immunfluoreszenztest (z. B. IgG-spezifischer Fluoreszenz-
Hautläsionen erfolgen, da nichtpathogene Spirochäten der Treponema-Antikörper-Absorptionstest, FTA-Abs) bzw. mit-
physiologischen Standortflora des Oral- und Gastrointes- tels Immunoblot. Hierbei werden aus dem Patientenserum
tinaltrakt nicht abzugrenzen sind. Reizsekret ist wegen der Antikörper gegen körpereigene Treponemen, z. B. der physio-
Umweltempfindlichkeit der Treponemen unmittelbar (inner- logischen Mundflora, vorabsorbiert mit dem Ziel, dass ledig-
halb 20 min) nach Probengewinnung zu mikroskopieren. lich T. pallidum-spezifische Antikörper detektiert werden. Bei
Typisch ist bei der Mikroskopie die schnelle Abknick- und einem Screening mit polyvalenten Immunoassays (ELISA oder
Streckbewegung in der Mitte des Treponemenkörpers. Ein Chemilumineszenztests) kann auch der TPPA-/TPHA-Test als
negativer mikroskopischer Befund schließt eine Infektion Bestätigungstest eingesetzt werden. Ist auch der Bestätigungs-
nicht aus; die serologische Diagnostik hat in jedem Fall zu test positiv, gilt die stattgehabte Infektion als gesichert. Da diese
erfolgen. Tests sehr lange, auch nach erfolgreicher Therapie, positiv
4 Der direkte Immunfluoreszenztest (DFA-TP bzw. DFAT-TP bleiben, reichen sie für die Diagnostik nicht aus.
bei Untersuchung von Gewebeproben) unter Einsatz FITC- 4 Die Beurteilung der Krankheitsaktivität und Behandlungs-
markierter mono- oder polyklonaler Antikörper erlaubt die bedürftigkeit erfolgt anhand der quantitativen Bestimmung
weniger zeitkritische und spezifischere Detektion von T. palli- von luesunspezifischer Lipoidantikörper (z. B. RPR; VDRL;
dum in luftgetrockneten Präparaten bzw. Gewebeproben Kardiolipin-Mikroflockungstest; Kardiolipin-KBR) und dem
(z. B. Nabelschnur, Gehirn, Plazenta). Nachweis von trepomemenspezifischen IgM-Antikörpern.
4 Die von Speziallaboratorien angebotene T. pallidum-PCR er-
möglicht den spezifischen Erregernachweis aus verschiedenen Befundinterpretation Jeder Laborbefund muss insbesondere in
Materialien (z. B. Amnionflüssigkeit, Vollblut) bei jedoch sehr Hinblick auf die Therapiebedürftigkeit stets im Zusammenhang mit
unterschiedlicher Sensitivität. der aktuellen klinischen Symptomatik und Behandlungsanamnese
interpretiert werden. Die häufigsten serologischen Befundkonstella-
Antikörpernachweis (indirekter Erregernachweis) – Erregerspezi- tionen sind in . Tab. 43.5 zusammengestellt: Eine Luesinfektion gilt
fische Antikörper IgM-Antikörper sind ca. 7–14 Tage nach der als gesichert, wenn Suchtest und Bestätigungstest positiv sind. Bei
Infektion nachweisbar und verschwinden rasch. IgG-Antikörper negativer Behandlungsanamnese sind ein positiver Lipoidantikör-
treten 14 Tage nach Infektion auf und bleiben jahrelang, auch nach perbefund und/oder ein positiver spezifischer IgM-Antikörper-
362 Kapitel 43 · Treponemen

1. Screeningtest (z. B. TPPA)

negativ (keine weiteren Tests, bei Verdacht auf


positiv
frische Infektion Kontrolle in 2 Wochen)

2. Bestätigungstest (z. B. FTA-Abs)

negativ (meist unspezifischer Befund


im Suchtest, ggf. Immunoblot)

positiv

3. Beurteilung Krankheitsaktivität,
Therapiebedürftigkeit (z. B. Lipoidantikörper-Test)
. Abb. 43.6 Serologische Stufendiagnostik

befund hinweisend auf eine Behandlungsbedürftigkeit. Da bei Re- körperspezifitätsindizes (ASI) normalisieren sich auch nach adäqua-
infektionen oder Spätsyphilis der IgM-Nachweis negativ sein kann, ter Therapie erst innerhalb von Jahren bis Jahrzehnten und eignen
schließt ein negativer IgM-Antikörperbefund eine Behandlungs- sich daher nicht als Aktivitätsparameter.
bedürftigkeit nicht aus.
kTherapie
Syphilisserologie in der Schwangerschaft Neben der bereits dar- Im 15. Jahrhundert wurde die Syphilis lokal mit Quecksilber, Anfang
gestellten Diagnostik und Interpretation von Befunden ist bei des 20. Jahrhunderts mit Arsen behandelt. Den therapeutischen
Schwangeren zu beachten: Schwangere mit IgM-negativen Befunden Durchbruch brachte die Entdeckung des Penicillins. Deutsche, eu-
sind nicht grundsätzlich nicht therapiebedürftig. Insbesondere bei ropäische und US-amerikanische Empfehlungen weichen geringfü-
spätlatenten Infektionen können hochpositive TPPA- und Lipoidan- gig voneinander ab. Wegen der langen Generationszeit der Spirochä-
tikörpertests bei negativen spezifischen IgM-Antikörpertitern auf- ten ist für den Therapieerfolg ein kontinuierlicher Serumspiegel des
treten. Daher wird empfohlen, Schwangere bei negativem IgM-Titer Antibiotikums notwendig.
mit TPPA-/TPHA-Titer > 1:5120 und/oder positivem Lipoidanti-
körperbefund bei unklarer Behandlungsanamnese sicherheitshalber Antibiotikaempfindlichkeit Mittel der Wahl ist Penicillin, bislang
zu behandeln. Bei Neugeborenen mit Verdacht auf Lues connata ist sind keine Resistenzen beschrieben worden. T. pallidum ist auch
der Nachweis luesspezifischer IgM-Antikörper z. B. aus Venenblut empfindlich gegenüber Tetracyclinen, Makroliden und Cephalospo-
Bakteriologie

des Kindes beweisend für die intrauterine Infektion. Erforderlich ist rinen. Tetracycline sind in der Schwangerschaft und bei Kindern
immer die vergleichende Untersuchung der Serumproben von Mut- unter 9 Jahren wegen einer Gelbfärbung der Zähne kontraindiziert.
ter und Kind sowie ggf. von Liquorproben des Kindes mit quantita- Azithromycinresistenz wurde in den letzten Jahren mehrfach be-
tiven Tests (TPPA, Lipoidantikörpertest, 19S-IgM-FTA-Abs). IgG- schrieben.
Antikörper der Mutter (Leihantikörper) können im Gegensatz zu
IgM-Antikörpern die Plazenta passieren und somit im Serum des Therapeutisches Vorgehen (Empfehlung der Deutschen STD-Ge-
Neugeborenen nachweisbar sein. Diese werden mit 21 Tagen Halb- sellschaft [DSTDG 2014]) Zur Behandlung von Früh- und Spätsy-
wertzeit eliminiert. philis (Unterscheidung vgl. . Tab. 43.3) ist ein Langzeitdepot-Peni-
cillin wie Benzathin-Penicillin G Mittel der 1. Wahl, da es auch bei
Neurosyphilis Der Nachweis spezifischer im Liquor gebildeter wöchentlicher Applikation kontinuierliche Wirkstoffspiegel ge-
Antikörper ist entscheidend für die Diagnose. Bei der Diagnostik währleistet:
sind die Serumantikörper, die Funktionalität der Blut-Hirn-Schran- 4 Frühsyphilis:
ke und die Antikörpersynthese im ZNS zu berücksichtigen. Dazu 5 Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio. IE i. m. (glutäal li/re je
werden aus einer gepaarten Serum-Liquor-Probe mittels TPPA-Test 1,2 Mio. IE) als Einzeldosis
die treponemenspezifischen IgG-Antikörper bestimmt und dann 5 Ceftriaxon 2 g/Tag als Kurzinfusion über 10 Tage
der Index intrathekal produzierter T. pallidum-Antikörper (ITpA- 5 alternativ bei Penicillinallergie, 2-mal täglich 100 mg Doxy-
Index) errechnet nach der Formel: cyclin p. o. für 14 Tage oder Erythromycin 4-mal 0,5 g/Tag
p. o. über 14 Tage
TPPA-Titer (Liquor ) ¥ Gesamt-IgG (Serum ) [ mg/l] 4 Spätsyphilis (> 1 Jahr post infectionem):
ITpA-Index = 5 Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio. IE i. m. (glutäal li/re je
TPPA-Titer (Serum ) ¥ Gesamt-IgG ( Liquor ) [ mg/l]
1,2 Mio. IE) als Einzeldosis an den Tagen 1, 8, 15
5 Bei Penicillinallergie alternativ:
Bei fehlender spezifischer Antikörperproduktion im ZNS liegt der – Doxycyclin 2-mal täglich 100 mg p. o. für 28 Tage
ITpA-Index bei 0,5–2,0. Ein Wert > 2,0 deutet auf spezifische Anti- – Erythromycin 4-mal 0,5 g/Tag p. o. für 28 Tage
körpersynthese im ZNS hin, ein Wert > 3,0 ist beweisend. Die Anti- – Ceftriaxon 2 g/Tag i. v. (Kurzinfusion) für 14 Tage
43.1 · Treponema pallidum ssp. pallidum
363 43

. Tab. 43.5 Serologische Diagnostik der Syphilis

Untersuchung1 Ergebnis (Titer) Befund Bewertung

TPPA-Test < 80 nicht reaktiv keine Antikörper gegen T. pallidum nachweisbar. Optionen:
1. keine Infektion mit T. pallidum
2. frische Infektion mit T. pallidum, Antikörper noch nicht nachweisbar
(diagnostisches Fenster) ൺ bei klinischem Verdacht: Verlaufskontrolle
3. Patient kann keine Antikörper bilden
≥ 80 reaktiv mit Titerangabe wahrscheinliche Infektion mit T. pallidum (frisch oder zurückliegend),
weitere Untersuchungen notwendig
FTA-Abs-Test nicht reaktiv nicht reaktiv keine Bestätigung des TPPA
Kontrolle (mit neuer Serumprobe) notwendig; in seltenen Fällen mit
»Seronarbe« bei niedrigem Antikörpertiter im TPPA vereinbar
reaktiv reaktiv Bestätigung des TPPA
Infektion mit T. pallidum, Zeitpunkt der Infektion nicht bestimmbar;
Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit oder Therapiekontrolle
erfordert zusätzliche Tests
Lipoidantikörper- nicht reaktiv nicht reaktiv bei positivem TPPA- und FTA-Abs-Test: Infektion mit T. pallidum nicht be-
Test2, 3 handlungsbedürftig (»Seronarbe«); keine weiteren Untersuchungen nötig
≥ 16 reaktiv mit Titerangabe bei positivem TPPA- und FTA-Abs-Test: behandlungsbedürftige Infektion
mit T. pallidum (Ausnahme: kurz zurückliegende adäquate Therapie)
2, 4, 8 reaktiv mit Titerangabe keine eindeutige Aussage möglich, zusätzliche Untersuchungen (Verlaufs-
kontrolle nach 10–14 Tagen oder Bestimmung spezifischer IgM-Antikörper)
notwendig
IgM-Nachweis nicht reaktiv kein Nachweis bei positivem TPPA- und FTA-Abs-Test und negativem Lipoidantikörpertest:
spezifischer IgM Infektion mit T. pallidum meist nicht behandlungsbedürftig (»Seronarbe«)
reaktiv Nachweis behandlungsbedürftige Infektion mit T. pallidum (Ausnahme: kurz zurück-
spezifischer IgM liegende adäquate Therapie)
Verlaufskontrolle (10–14 Tage nach Erstuntersuchung):
TPPA-, FTA-Abs-Test, reaktiv Titeranstieg um frische, behandlungsbedürftige Infektion (Ausnahme: kurz zurückliegende
Lipoidantikörpertest mind. 3 Titerstufen adäquate Therapie)
reaktiv kein Titeranstieg Infektion mit T. pallidum nicht behandlungsbedürftig (»Seronarbe«);
Ausnahme: länger bestehende Syphilis (z. B. Neurolues; dann meist deutlich
erhöhte Titer im Lipoidantikörpertest)
Überprüfung des Therapieerfolgs (3 und 6 Monate sowie jährlich nach Therapie):
Lipoidantikörpertest reaktiv bzw. Titerabfall um Hinweis auf erfolgreiche Therapie (Ausnahme: Patient kann keine Anti-
nicht mehr mind. 3 Titerstufen körper bilden)
reaktiv

1 Für alle serologischen Untersuchungen gilt: Titerschwankungen um 1 Titerstufe sind nicht relevant. Ein Anstieg um 3 Titerstufen spricht für eine
frische Infektion, ein Anstieg um 2 Titerstufen ist verdächtig für eine frische Infektion (Kontrolle erforderlich). Bei immunkompromittierten Personen
sind serologische Tests nur begrenzt aussagefähig.
2 Der Lipoidantikörpertest wird meist innerhalb eines Jahres nach erfolgreicher Therapie negativ (nicht reaktiv). Ein Titerabfall um mindestens 3 Titer-

stufen innerhalb 6–18 Monaten nach Therapie zeigt eine erfolgreiche Behandlung an.
3 Der Lipoidantikörpertest kann auch bei Krankheiten mit Zellzerfall (z. B. Malignome, Lupus erythematodes) oder bei Schwangerschaft erhöhte Titer

aufweisen.

Die Therapie der 1. Wahl bei Neurosyphilis sowie bei allen Formen riger  Lösung, 200.000–250.000 IE/kg KG pro Tag für 14 Tage;
der Syphilis mit HIV-Koinfektion ist Penicillin G täglich i. v. mit bei HIV-Koinfektion evtl. länger. Die tägliche i. m. Injektion von
4-mal 6 Mio. IE, 3-mal 10 Mio. IE oder 5-mal 5 Mio. IE verabreicht Benzathin-Benzylpenicillin ist zur Therapie in der Schwan-
über 14 Tage. Alternativen sind Ceftriaxon 2 g/Tag i. v. über 14 Tage gerschaft stadienabhängig über 2–3 Wochen zu bevorzugen. Die
(Initialdosis 4 g). Als Therapie 2. Wahl kann Doxycyclin (2-mal Neurosyphilis soll analog dem oben genanntem Schema erfol-
200 mg/Tag p. o. über 28 Tage) gegeben werden. gen.  Die Wirksamkeit von Cephalosporinen ist bei Schwan-
Bei der konnatalen Syphilis sind tägliche Einzelgaben not- geren mit Syphilis nicht ausreichend belegt, sodass bei Penicillinal-
wendig, da Depotpräparate keine ausreichenden Wirkspiegel er- lergie eine Penicillintherapie nach Desensibilisierung empfohlen
reichen. Empfohlen wird die i. v. Gabe von Penicillin G in wäss- wird.
364 Kapitel 43 · Treponemen

Jarisch-Herxheimer-Reaktion Als seltene Komplikation der Anti- Geschichte


biotikatherapie der Syphilis können durch raschen, massiven Erre- Ursprung der Syphilis
gerzerfall große Mengen toxischer Bakterienbestandteile freigesetzt Als 1493 Kolumbus und seine Mannen nach der Entdeckung Amerikas aus
werden. Dies gilt vor allem für die Erstbehandlung einer trepone- dem heutigen Haiti zurückkehrend in Spanien landeten, brachten sie die
in Europa bislang unbekannte, fulminant und rasch tödlich verlaufende
menreichen Phase (Frühsyphilis, Sekundärstadium, Lues connata).
Krankheit mit. Die Initialzündung für deren explosionsartige Verbreitung in
Typische Symptome setzen 2–8 h nach Therapiebeginn mit Intensi- Europa war die kampflose Übernahme des damals aragonesischen Neapels
vierung oder Neuauftreten eines Exanthems sowie Fieber, Schüttel- durch die Söldner des französischen Königs Karl VIII. im Jahr 1494: Nachdem
frost und Kopfschmerzen ein. Die Prophylaxe besteht aus einer die sich anschließenden 3-monatigen Ausschweifungen ideale Bedingun-
einmaligen Gabe p. o. von 1 mg Prednisolon-Äquivalent/kg KG gen für die neue Seuche geboten hatten, trugen die fliehenden Lands-
30–60 min vor der 1. Antibiotikagabe. knechte die Krankheit durch ganz Europa.
Wie häufig in der Geschichte stigmatisierender, insbesondere sexuell über-
Therapiekontrolle (. Tab. 43.5) TPPA- und FTA-Abs-Test sind un- tragener Krankheiten wollte niemand die Verantwortung für diese »Lust-
geeignet, da diese sehr lange und auch nach erfolgreicher Therapie seuche« übernehmen. Allein in den ersten 100 Jahren ihres Auftretens in
positiv bleiben. Der Behandlungserfolg einer Frühsyphilis wird 3, 6 Europa wurden über 450 verschiedene Krankheitsbezeichnungen mit einer
nationalen Zuschreibung des Übels kreiert: Die Franzosen nannten sie »Mal
und 12 Monate nach Therapieende kontrolliert (Abfall des Lipoid-
de Naples«, die Italiener »Mal francese« bzw. »Mal gallico«, die Engländer
antikörpertests um 3–4 Titerstufen innerhalb 6–12 Monaten). Es »French pox«, die Holländer »spanske Pocken«, die Polen »deutsche Krank-
schließen sich 1-mal jährliche Kontrollen über einige Jahre an. heit« und die Russen »polnische Krankheit«… Vor allem in der wissenschaft-
Risikogruppen für sexuell übertragbare Erkrankungen sind viertel- lichen Terminologie des 19. Jahrhunderts taucht als Synonym für Syphilis
jährlich zu kontrollieren. Eine erfolgreiche Behandlung syphi- der simple Begriff »Lues« (lat.: Seuche) auf, manchmal auch zur »Lues
litischer ZNS-Komplikationen ist erkennbar am Rückgang der venerea« er weitert.
Liquorpleozytose innerhalb mehrerer Wochen sowie an der Norma-
lisierung der Blut-Liquor-Schranke innerhalb weniger Monate (cave: Probleme der Forschung – problematische Forschung
kann bei HIV-Koinfektion dauerhaft gestört sein). Die treponemen- Die Vielfältigkeit der Syphilissymptome stellte die Wissenschaft vor zahlrei-
spezifischen IgM-Antikörper im Serum sind in der Regel innerhalb che Probleme. Insbesondere die Abgrenzung zu anderen sexuell übertrage-
nen Erkrankungen war anfangs von Bedeutung. Als Beispiel sei der heroi-
von 6–12 Monaten verschwunden, längeres Persistieren wird aber
sche Selbstversuch des schottischen Chirurgen John Hunter (1728–1793)
beobachtet. Der Lipoidantikörpertest sollte nach 3 Monaten auf ein
genannt, der Syphilis und Gonorrhö als unterschiedliche Ausformung einer
Drittel des Ausgangswertes abgefallen und nach 12 Monaten negativ einzigen Krankheit zu belegen versuchte: Nach Selbstinokulation mit dem
sein. Serum-Liquor-Kontrollen werden bei der Spätsyphilis 3 Jahre gonorrhoischen Eiter eines Patienten entwickelten sich bei Hunter neben
halbjährlich durchgeführt. einer Gonorrhö auch syphilitische Symptome, wodurch der gemeinsame Ur-
sprung beider Krankheitsphänomene bewiesen schien.
kPrävention Erst Jahrzehnte nach dem Tod Hunters, der an den Spätfolgen seines Experi-
Expositionsprophylaxe Auf sie gründet sich die primäre Präven- ments verstorben war, konnte zunächst Philippe Ricord (1800–1889) auf-
tion, und zwar speziell auf die Reduzierung von sexuellem Risiko- grund von über 2500 »therapeutischen« Autoinokulationen – dazu wurde
verhalten, z. B. durch Anwendung von Kondomen (cave: Übertra- den Patienten Ulkus- bzw. Harnröhreneitermaterial in den eigenen Ober-
schenkel appliziert – Syphilis und Gonorrhö als verschiedene Entitäten
gung beim Küssen bei oralem Ulkus). Untersuchungshandschuhe
voneinander abgrenzen. Endgültig entschied jedoch erst 1879 Neissers
schützen vor Infektion bei Kontakt mit kontagiösen Hautverände-
mikroskopischer Gonokokkennachweis den Streit zwischen den sog. Uni-
rungen. Der Lues connata kann durch Screening im Rahmen der taristen und Dualisten.
Bakteriologie

Mutterschaftsvorsorge und ggf. rechtzeitige Behandlung der Mutter Ethisch überaus problematisch war die nach einem Ort in Alabama/USA be-
wirksam vorgebeugt werden. Im Blutspendewesen bieten Voraus- nannte »Tuskegee Study of Untreated Syphilis in the Negro Male«, in der von
wahl der Spender und Screening der Spenden Schutz vor einer Über- 1932–1972 der Verlauf der latenten Syphilis an 399 schwarzen Männern un-
tragung infektiösen Blutes. tersucht wurde. Diese waren nicht darüber informiert, dass sie an einer Stu-
die teilnahmen (kein »informed consent«) und ihnen das seit den 1940er
Impfung Eine Impfung steht nicht zur Verfügung. Jahren zur Behandlung empfohlene Penicillin vorenthalten wurde. 1997 ent-
schuldigte sich US-Präsident Clinton für diese Studie staatlicher Gesund-
heitsbehörden.
Meldepflicht Der direkte oder indirekte Nachweis von T. pallidum
ist nach § 7 Abs. 3 IfSG nichtnamentlich direkt an das Robert Koch-
Therapeutische Erfolge
Institut meldepflichtig, wenn es sich um eine akute oder eine zuvor
Die Syphilis wurde zunächst mit der von südamerikanischen Indios über-
nicht erkannte aktive und behandlungsbedürftige Infektion handelt. nommenen Guajak-Rinde und später bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mit
Der einsendende Kliniker ist verpflichtet, die Labormeldung durch dem toxischen Quecksilber behandelt. Die erste chemisch synthetisierte
demographische Angaben, Angaben zum klinischen Erscheinungs- antibiotisch wirksame Substanz war das von Paul Ehrlich entwickelte Arsen-
bild und zum wahrscheinlichen Übertragungsweg zu unterstützen. derivat Salvarsan (»heilsames Arsen«). Dieses war seit 1910 für die Behand-
Eine namentliche Meldung erfolgt nicht, da das Gesundheitsamt im lung der Syphilis verfügbar, allerdings nicht gegen die Neurosyphilis wirk-
Einzelfall nicht unmittelbar tätig werden muss. Syphilis als einzige sam.
aus dem ehemaligen Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrank- Auf der Suche nach einer Therapie der Neurosyphilis wählte der österreichi-
heiten verbliebene meldepflichtige Erkrankung dient vor allem als sche Arzt Julius von Wagner-Jauregg (1857–1940) einen empirischen Ansatz:
Aufgrund der Beobachtung, dass in malariaverseuchten Gebieten kaum Fäl-
epidemiologischer Surrogatmarker für das Auftreten sexuell über-
le von Neurosyphilis auftraten, wagte er die Infektion eines Lues-Paralytikers
tragbarer Erkrankungen.
mit Malaria tertiana und erzielte eine beachtliche Remission. 10 Jahre später,
1927, erhielt er für diese danach weltweit eingesetzte Malariatherapie der
Neurosyphilis den bislang einzigen Medizin-Nobelpreis für einen Psychia-
ter. Der Wirkmechanismus dieser nicht mehr zulässigen Therapie ist unbe-
kannt; wahrscheinlich spielen immunologische Faktoren und die Tempera-
turerhöhung, die den hitzeempfindlichen Treponemen schaden, eine Rolle.
43.2 · Andere Treponemen
365 43
43.2 Andere Treponemen tionsstelle ist schmerzlos, kann aber jucken. Sie kann mehrere Mo-
nate bestehen, um dann als depigmentierte Narbe zu verheilen. Im
Die 4 T. pallidum-Subspezies sind serologisch und morphologisch Sekundärstadium können sich kleinere »daughter yaws« meist in
nicht unterscheidbar. Zwischen der venerischen Subspezies palli- der Nähe von Schleimhäuten bilden, z. T. auch ulzerieren. Palmo-
dum und den 3 nichtvenerischen Subspezies bestehen genetische plantare, hyperkeratotische Plaques und eine Knochenbeteiligung
Unterschiede, nicht jedoch zwischen den 3 nichtvenerischen Sub- sind möglich, häufig finden sich Allgemeinsymptome wie Arthral-
spezies untereinander. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit wird daher dis- gien, Lymphknotenschwellungen, Unwohlsein und Abgeschlagen-
kutiert, ob nicht epidemiologische, ökologische, klimatische und heit. Nach 5–10 Jahren entwickeln 10 % der Patienten z. T. groß-
genetische Bedingungen die unterschiedlichen Symptome der nicht- flächige, gummatöse Veränderungen, die denen bei Syphilis (z. B.
venerischen Treponematosen (NVT; . Tab. 43.6) bedingen. Sattelnase, Säbelschienbeine) sehr ähnlich sind (Tertiärstadium).
Wie die Syphilis weisen die NVT Hautmanifestationen und
Rückfälle auf. Im Gegensatz zur Syphilis werden NVT nichtsexuell T. carateum Die am blandesten verlaufende NVT heißt Pinta
übertragen, kommen nicht in Großstädten vor, finden sich als über (span.: Fleck), betrifft ebenfalls hauptsächlich unter 15-Jährige und
die Haut, aber auch evtl. über Gegenstände übertragene Armuts- war vor allem in Mittel- und Südamerika und der Karibik verbreitet.
krankheiten hauptsächlich in ressourcenschwachen Gebieten und Heute wird sie nur noch in wenigen abgeschiedenen Regionen Me-
bei Kindern (mangelnde Hygiene, Fehlen von Kleidung, beengte xikos und im Amazonasgebiet gefunden. Im Gegensatz zu den an-
Wohnverhältnisse), werden nicht diaplazentar übertragen und ha- deren NVT verursacht sie ausschließlich Hautmanifestationen, die
ben keinen neurosyphilisähnlichen Verlauf. Therapeutisch wird bei im Stadium I »yaws-ähnlich« sind, im Stadium II aus großflächigen
allen NVT Penicillin eingesetzt. Plaques bestehen, um sich dann im Stadium III zu fleckenartigen
Pigmentanomalien unterschiedlichster Farbe (u. a. »enfermedad
T. pallidum ssp. endemicum Die endemische Syphilis (arab.: »be- azul«, blaue Krankheit) zu entwickeln.
jel«) tritt derzeit überwiegend bei nomadischen Bevölkerungsgrup-
pen in trockenen, ariden Gebieten (Sahelzone, Zentralafrika, Bedu- T. vincentii Dieser Treponeme wird zusammen mit Fusobakterien
inenvölker der arabischen Halbinsel des Nahen Ostens) auf. Die bei der Angina Plaut-Vincenti gefunden, einer meist einseitigen,
Krankheit kommt vor allem bei 2- bis 15-jährigen Kindern vor und nekrotisierenden Angina oder einer ulzerösen Gingivastomatitis. Im
wird durch oralen Kontakt (Küssen, Stillen und über Gegenstände) mikroskopischen Präparat lassen sich beide Bakterienarten massen-
übertragen. Im Primärstadium bleiben die kleinen, schmerzlosen haft nachweisen.
Schleimhautläsionen meist unbemerkt. Die Sekundärläsionen bil-
den flache, ebenfalls schmerzlose Flecken, außerdem können Con- Apathogene Treponemen Auf der Genital- und Mundschleimhaut
dylomata lata in intertriginösen Arealen sowie eine Knochen- und lassen sich im Wesentlichen apathogene Treponemen nachweisen,
Knorpelbeteiligung in Form einer Ostitis/Osteochondritis auftreten. die zur physiologischen Flora des Menschen gehören, wie T. denti-
Heilt die Krankheit nach dem Stadium II nicht aus, kann es nach cola, T. minutum und andere. T. denticola wird eine Rolle bei der
6 Monaten bis Jahren zu gummatösen Veränderungen der Haut, des Pathogenese der Parodontitis zugeschrieben (7 Kap. 123).
Nasopharynx (Gangosa) und der Knochen kommen.

T. pallidum ssp. pertenue Die Frambösie (frz. »framboise«: Him- In Kürze


beere; → himbeerähnliche Primärläsion) ist die häufigste NVT. Ge- Treponemen
bräuchlicher ist die englische Bezeichnung »yaws«. »Yaws« kommt Bakteriologie In der Gramfärbung kaum bis gar nicht darstell-
in tropischen Gebieten mit starkem Regen und Temperaturen über bare, spiralig gewundene, gramnegative Bakterien (lat. »palli-
27 °C vor. Trotz anfänglich erfolgreicher Behandlungskampagnen dum«: bleich), zur Familie der Spirochäten gehörend. Mikrosko-
ließ sich die Erkrankung, die in den 1960er Jahren bis zu 100 Mio. pisch mit Spezialfärbung (z. B. FITC-markierte mono- oder poly-
Menschen betraf, bislang nicht ausrotten. In den 1990er Jahren wur- klonale Antikörper) nachweisbar bzw. im Dunkelfeld sichtbar.
de die Prävalenz auf 2,5 Mio. Infizierte geschätzt, aktuell werden Anzucht von T. pallidum auf herkömmlichen Nährmedien nicht
jährlich mehrere 1000–10.000 Neuinfektionen gemeldet, insbeson- möglich (Vermehrung in Kaninchenhoden zur Antigengewin-
dere aus Südostasien (vor allem Indonesien und Timor), Afrika und nung möglich).
Papua-Neuguinea. Resistenz gegen äußere Einflüsse Treponemen sind äußerst
Die Übertragung erfolgt vor allem zwischen Kindern unter empfindlich gegenüber Austrocknung, Temperatur- und
15 Jahren über direkten Hautkontakt zu offenen Verletzungen, aber pH-Schwankungen sowie gegenüber Sauerstoff (mikroaerophil).
auch über Bisse. Die Primärläsion (»mother yaw«, z. T. rötlich- In gekühlten Blutkonserven überleben Treponemen mehrere
feucht und himbeerähnlich) an der vorverletzten kutanen Inokula- Tage.
Vorkommen Der Mensch ist der einzige natürliche Wirt für
T. pallidum und seine Subspezies. Humanpathogen sind neben
T. pallidum ssp. pallidum die Erreger der nichtvenerischen
. Tab. 43.6 Nichtvenerische Treponematosen (NVT)
Treponematosen, die außerhalb Europas vorkommen (T. palli-
Krankheit Erreger dum ssp. endemicum, T. pallidum ssp. pertenue, Treponema
carateum). Nichtpathogene Arten (z. B. T. denticola) gehören
Endemische Syphilis (»Bejel«) T. pallidum ssp. endemicum zur Normalflora des Oral- und Gastrointestinaltrakts.
Epidemiologie Weltweit verbreitete Infektionskrankheiten.
Frambösie, »yaws« T. pallidum ssp. pertenue
Ende der 1990er Jahre erreichte die Inzidenz in Deutschland mit
Pinta T. carateum 1,4 pro 100.000 Einwohner ihren niedrigsten Stand. Seit 2010
Angina Plaut-Vincenti T. vincentii steigt die Zahl der gemeldeten Neuerkrankungen deutlich an
366 Kapitel 43 · Treponemen

Literatur
(2013: 6,1 pro 100.000 Einwohner, entsprechend 5015 Meldun-
gen. Männer > Frauen); Hauptzunahme bei homosexuellen AWMF-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Syphilis Aktualisierung und
Männern in Großstädten. Aufwertung S2k 2014 (Stand 07/2014) Deutsche STI Gesellschaft (DSTIG),
AWMF-Register Nr. 059/002.
Zielgruppe Personen mit häufig wechselnden Geschlechts-
RKI (2015) Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krank-
partnern. heiten für 2014. Berlin: Robert Koch-Institut.
Übertragung Horizontal (vor allem Schleimhautkontakt, Ein- RKI (2007) RKI-Ratgeber für Ärzte: Syphilis (Lues). Berlin: Robert Koch-Institut.
dringen des Erregers durch Mikroläsionen) und vertikal (trans- Hagedorn HJ (2012) MiQ: Qualitätsstandards in der mikrobiologisch-infektio-
plazentar). Infektiös sind Patienten im Stadium I und II; keine logischen Diagnostik: Syphilis. Heft 16, München: Urban & Fischer.
RKI (2015) Weiter starker Anstieg der Syphilis bei MSM in Deutschland im Jahr
Infektiosität in Stadium III. Übertragungen durch kontaminierte
2014. Epidemiol Bull. 49.
Nadeln selten, Übertragungen durch Bluttransfusionen durch Arlene CS et al. (2015) Treponema and Brachyspira, human host-associated
systematische Testung aller Spenden in Deutschland seit über spirochetes. In: Jorgensen JH et al. (eds.) Manual of Clinical Microbiology,
20 Jahren nicht mehr berichtet. 11th ed. Washington: ASM press.
Pathogenese Infektionskrankheit mit durchschnittlich 14–24
(10–90) Tagen Inkubationszeit, die zu einer Endarteriitis oblite-
rans und Minderperfusion befallener Gewebe führt. Neben
humoraler vor allem T-Zell-vermittelte Immunantwort mit Aus-
bildung von Granulomen (Gummen).
Zielgewebe Schleimhaut, Haut, ZNS, lymphatisches Gewebe,
Gefäße.
Klinik 3 Formen: erworben, angeboren (Lues connata), nicht-
venerisch übertragen. Frühsyphilis (bis 1 Jahr nach Infektion):
Lues I mit lokalen und Lues II mit generalisierten Krankheits-
erscheinungen. Spätsyphilis: Lues III und Neurosyphilis (auch
»quartäre Syphilis«). Konnatale Syphilis: Lues connata praecox
(Neugeborenen- und Säuglingsalter), Lues connata tarda (Mani-
festation ab dem 2. Lebensjahr).
Labordiagnose Selten Untersuchung von Reizsekret aus
Primär- und Sekundärläsionen mittels Dunkelfeldmikroskopie.
Üblich ist die serologische Stufendiagnostik mittels TPPA,
FTA-Abs, Lipoidantikörper und spezifischem IgM-Nachweis.
Therapie Therapie der 1. Wahl ist in allen Stadien bis heute
Penicillin, eine Resistenz von T. pallidum ist bisher nicht bekannt
(cave: Jarisch-Herxheimer-Reaktion).
Bakteriologie

Prävention Expositionsprophylaxe, Reduzierung von sexuel-


lem Risikoverhalten, Screening von Schwangeren und Blut-
konserven.
Meldepflicht Direkter und indirekter Erregernachweis (nicht-
namentlich) durch das untersuchende Labor. Der Meldebogen
hat einen 2. Teil, auf dem der einsendende Arzt die demographi-
schen und klinischen Angaben vervollständigen muss.
367 44

Borrelien
K.-P. Hunfeld

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_44, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Borrelien sind eine Gattung gramnegativer, flexibler und beweglicher 44.1 Borrelia-burgdorferi-Komplex
Spiralbakterien aus der Familie der Spirochaetaceae. Von den ebenfalls
zu den Spirochäten zählenden Treponemen (7 Kap. 43) unterscheiden Steckbrief
sie sich durch die größere Länge, die lockeren irregulären Windungen
und die lichtmikroskopische Darstellbarkeit nach Anfärbung mit B. burgdorferi, B. garinii, B. bavariensis, B. afzelii und B. spiel-
Anilinfarben. manii gehören zum B. burgdorferi-Komplex und sind die Erreger
Borrelien lassen sich unter mikroaerophilen Bedingungen in komplexen der Lyme-Borreliose (. Tab. 44.2), einer durch Zecken übertra-
serumhaltigen Kulturmedien anzüchten. Wegen der langen Generations- genen Allgemeininfektion mit vielfältigen klinischen Früh- und
zeit von etwa 15 h werden Kulturen frühestens nach über 1-wöchiger Spätmanifestationen (. Tab. 44.3).
Kulturdauer positiv (. Tab. 44.1).
Humanmedizinisch bedeutsam sind Borrelia (B.) burgdorferi, B. garinii,
B. bavariensis, B. afzelii und B. spielmanii als Erreger der Lyme-Borre-
liose sowie B. recurrentis und andere Borrelienarten, die das Rückfall-
fieber auslösen (. Tab. 44.2). Der Gattungsname leitet sich vom fran-
zösischen Bakteriologen Amédée Borrel (1867–1936) ab.

. Tab. 44.1 Borrelia: Gattungsmerkmale

Merkmal Ausprägung
B. burgdorferi, B. garinii, B. afzelii, B. bavariensis
und B. spielmanii: gramnegative Spiralbakterien,
Färbung gramnegativ
erstmals 1982 entdeckt von W. Burgdorfer
Aerob/anaerob mikroaerophil

Kohlenhydratverwertung Glukosefermentierung zu Milchsäure

Sporenbildung keine Old Lyme und die Lyme-Borreliose – Entdeckung einer neuen
Spirochäte
Beweglichkeit ja, Zellkörper zudem flexibel Erreger aus dem B. burgdorferi-Komplex wurden erstmals von W. Burgdorfer
in den USA in Zecken nachgewiesen. In den Ortschaften Lyme und Old
Katalase negativ
Lyme, Connecticut (USA), häuften sich 1974 und 1975 Fälle von Arthritis
Oxidase negativ bei Kindern, die zunächst als juvenile rheumatoide Arthritis fehlgedeutet
wurden.
Besonderheiten komplexe serumhaltige Kulturmedien,
Epidemiologische Untersuchungen erbrachten einen Zusammenhang mit
lange Generationszeit
vorausgegangenen Zeckenstichen. Auffallend viele Patienten mit »Lyme-
Arthritis« berichteten über charakteristische Hauterscheinungen sowie über
neurologische und kardiale Beschwerden, die der Gelenkerkrankung voraus-
gegangen waren. Darüber hinaus waren die jahreszeitliche Häufung der
. Tab. 44.2 Humanpathogene Borrelien: Arten und Krankheiten Hauterscheinungen zwischen Juni und September und eine deutlich er-
höhte Erkrankungsrate in waldreichen Gebieten auffällig.
Art Krankheit Willy Burgdorfer gelang 1982 zunächst aus Schildzecken und später auch aus
Krankheitsherden befallener Patienten die Anzucht einer bis dahin unbekann-
Borrelia-burgdorferi- Lyme-Borreliose (Vektoren: Zecken) ten Spirochäte, die nach ihm B. burgdorferi genannt wird. Die Beobachtung,
Komplex: dass Patienten mit Lyme-Arthritis Antikörper gegen das isolierte Bakterium
B. burgdorferi, B. garinii, besaßen, erhärtete den vermuteten kausalen Zusammenhang.
B. bavariensis, B. afzelii, Bald erwies sich B. burgdorferi als Erreger einer vielgestaltigen Systemerkran-
B. spielmanii kung, die heute als Lyme-Borreliose bekannt ist. Typische Manifestationen
wie das Erythema migrans und die Meningoradikulitis waren zwar auch
Borrelia recurrentis Rückfallfieber (Vektoren: Läuse) schon zuvor beobachtet worden (Afzelius: 1909; Garin und Bujadoux: 1922;
Borrelia hermsii, B. miyamo- Rückfallfieber (Vektoren: Zecken) Bannwarth: 1941), ihr nosologischer Zusammenhang war bis dahin aber
toi (und mind. 15 weitere unklar geblieben. In Europa wurden bislang neben B. burgdorferi 4 weitere
Borrelienarten) humanpathogene Borrelienspezies (B. garinii, B. bavariensis, B. afzelii, B. spiel-
manii) eindeutig identifiziert (. Tab. 44.2).
368 Kapitel 44 · Borrelien

jResistenz gegen äußere Einflüsse


. Tab. 44.3 Klinische Manifestation bei Lyme-Borreliose
Borrelien sind ausgesprochen empfindliche Mikroorganismen mit
Frühmanifestationen: lokalisierte Infektion, Tage bis Wochen geringer Umweltpersistenz und sterben außerhalb ihrer spezifischen
nach Zeckenstich Wirte bzw. Vektoren rasch ab.
Allgemeine Symptome Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit, jVorkommen
Krankheitsgefühl
Reservoirwirte Das Hauptreservoir für die humanpathogenen Ver-
Haut Erythema migrans treter des B. burgdorferi-Komplexes sind Rotwild und kleinen frei-
Augen Konjunktivitis lebenden Nager. Nur dort sind sie überlebensfähig. Bei diesen infi-
zieren sich Zecken während des Saugaktes, um die Erreger dann
Bewegungsapparat Arthralgien ihrerseits im Verlauf der weiteren Entwicklung auf Reservoirwirte
Frühmanifestationen: disseminierte Infektion, Wochen bis Monate bzw. auf den Menschen zu übertragen. Auch einige Vogelarten kom-
nach Zeckenstich men als Reservoirwirte in Betracht und können über den Transport
infizierter Zecken über große Distanzen selbst neue Infektions-
Haut multiple Erytheme, Borrelien-Lympho-
zytom
gebiete erschließen.

Nervensystem Meningoradiculitis (Garin-Bujadoux- Vektoren Schildzecken sind die Hauptvektoren für Infektionen des
(»Neuroborreliose«) Bannwarth-Syndrom): Menschen. Die wichtigsten Vertreter sind Ixodes ricinus in Europa,
– spinalis Ixodes scapularis sowie Ixodes pacificus in Nordamerika und Ixodes
persulcatus in Osteuropa und Asien. Die weiblichen Schildzecken
– cranialis
entwickeln sich über Larven und Nymphen zu adulten Zecken.
– cranialis et spinalis Nymphen und ausgewachsene Zecken, die wichtigsten Entwick-
Meningitis, Meningoenzephalitis
lungsstadien für die Übertragung auf den Menschen, sind je nach
Landstrich zu etwa 10 % (Nymphen) bzw. zu 20–30 % (adulte
Bewegungsapparat Myalgien, Arthralgien, Arthritis (selten) Zecken) mit Borrelien infiziert.
Herz Karditis, atrioventrikulärer (AV-)Block Mit Borrelien infizierte Zecken sind in ganz Deutschland ver-
breitet und können die 5 gesichert humanpathogenen Spezies
Augen Konjunktivitis, Keratitis, Papillenödem,
B. burgdorferi, B. garinii, B. bavariensis, B. afzelii und B. spielmanii
Chorioretinitis, Neuritis n. optici
übertragen. In Nordamerika ist vor allem B. burgdorferi als human-
Spätmanifestationen: persistierende Infektion, Monate bis Jahre pathogene Genospezies in Zecken nachweisbar.
nach Zeckenstich

Haut Acrodermatitis chronica atrophicans


44.1.2 Rolle als Krankheitserreger
Nervensystem Polyneuropathie, chronische Enzephalo-
(»Neuroborreliose«) myelitis kEpidemiologie
Bewegungsapparat chronische Arthritis Die Lyme-Borreliose kommt weltweit in den gemäßigten Breiten
der nördlichen Hemisphäre vor und ist dort die häufigste durch
Kursivdruck: häufigste Manifestationen
Bakteriologie

Arthropoden übertragene Zoonose. In Deutschland kommt es


jährlich zu ca. 100.000–200.000 Neuerkrankungen; Waldarbeiter,
Förster, zeltende Touristen und Wanderer sind besonders gefährdet.
Die Behandlungskosten allein in Deutschland werden auf über
44.1.1 Beschreibung 80. Mio. Euro geschätzt und bis zu 7500 Patienten müssen jährlich
wegen einer Lyme-Borreliose stationär behandelt werden.
jAufbau
Borrelien sind gramnegative, flexible Spiralbakterien, 10–30 μm kÜbertragung
lang und mit 0,25–0,5 μm Durchmesser, mit unregelmäßig ausgebil- Die Mehrzahl der Patienten wird von Ende April bis Ende September
deten Windungen. Diese entstehen durch Flagellenbündel aus bis zu im Rahmen des Saugaktes von den nur 1,5 mm großen Ixodes-Nym-
18 Flagellen, die den Protoplasmazylinder umgeben und an beiden phen infiziert. Bei Temperaturen < 10 °C sind Zecken inaktiv. Infizier-
Enden verankert sind. Die Kontraktion dieser Flagellen ziehen die te Zecken kommen in Deutschland bis zu einer Höhe von ca. 1000 m
Bakterien flexibel zusammen und versetzen sie in eine rotierende vor. Beliebte Aufenthaltsorte der Zecken sind buschige Wald- und
Bewegung. Wegränder, lichte Wälder mit Unterwuchs, Parkanlagen und Gärten.
Protoplasmazylinder und Flagellen sind von einer äußeren Zecken befinden sich bis zu einer Höhe von ca. 1 m an Gräsern,
Membran umhüllt. Diese besitzt verschiedene Lipoproteine, sog. Farnen und niedrig hängenden Zweigen. Erwachsene werden daher
»outer surface proteins« (Osp), denen z. T. als Immunogenen vor allem in der unteren Körperhälfte, Kinder auch im Kopf- und
diagnostische Bedeutung zukommt (z. B. OspC, VlsE), die z. T. aber Halsbereich befallen. Der Stich der Zecke wird nur in etwa 50 %
auch als Pathogenitätsfaktoren fungieren (z. B. OspA, VlsE). bemerkt, weil Zecken sehr klein sind und der Speichel lokalanästhe-
tisch wirksame Substanzen enthält. Borrelien wandern zuvor wäh-
jExtrazelluläre Produkte rend der Blutmahlzeit der Nymphen oder adulten Zecken aus deren
Sezernierte Produkte mit Bedeutung für die Pathogenese der Er- Mitteldarm in die Speicheldrüsen und gelangen dann mit dem Spei-
krankung sind nicht bekannt. chel in die Haut der Wirte.
Die Übertragungswahrscheinlichkeit steigt nach etwa 24 h Saug-
dauer deutlich an, sodass präventiv eine schnelle Entfernung der
44.1 · Borrelia-burgdorferi-Komplex
369 44
Zecken anzustreben ist. Das Erkrankungsrisiko nach Zeckenstich ist anhaltenden, quälenden polyradikulären Schmerzen, die vor allem
insgesamt relativ gering, da je nach lokaler Epidemiologie nur etwa nachts unerträglich werden können. (Differenzialdiagnostisch ist
1 % der Gestochenen eine symptomatische Lyme-Borreliose ent- z. B. an einen Bandscheibenvorfall zu denken.) Später treten Ge-
wickelt. fühlsstörungen und Lähmungen auf. Viele Patienten mit spinaler
Meningoradikulitis entwickeln Hirnnervenausfälle, vornehmlich
kPathogenese des N. facialis (Meningoradiculitis spinalis et cranialis). Kinder zei-
Nach dem Stich infizierter Zecken vermehren sich die Borrelien gen in der Regel keine radikuläre Symptomatik, sondern ein- oder
zunächst lokal und breiten sich zumeist konzentrisch um den Infek- beidseitige Fazialisparesen (. Abb. 44.1b) sowie Meningitiszeichen
tionsort herum aus (lokalisierte Infektion: frühe Manifestation). (Meningoradiculitis cranialis). Es können auch ophthalmologische
Früh kann es zu einer Streuung der Erreger (disseminierte Infektion: Symptome, Hörstörungen oder eine Herzbeteiligung (Lyme-Kardi-
frühe Manifestation) in andere Körperregionen kommen. tis) vorkommen (. Tab. 44.3).
Bei Persistenz der Erreger sind noch Monate bis Jahre nach der Weitere allerdings sehr seltene Manifestationen sind multiple
Erstinfektion späte Manifestationen möglich. Die äußeren Mem- Erytheme und das Borrelien-Lymphozytom (. Abb. 44.1c), eine
branproteine (Osp, 7 s. o.) der Borrelien haben einen großen Ein- Hautmanifestation, bei der bevorzugt an Ohrläppchen, Mamille
fluss auf die Entwicklung der Lyme-Borreliose, da sie die Invasion oder Skrotum derbe bläulich-rötliche Knoten im Sinne eines Pseu-
fördern, Entzündungsreaktionen induzieren und den Erreger vor dolymphoms auftreten.
der natürlichen Wirtsabwehr (z. B. Komplement) schützen. Symptome am Bewegungsapparats sind in dieser Phase selten und
Für die lange Persistenz von Borrelien im Infizierten scheint manifestieren sich als Gelenk- und Muskelschmerzen. Müdigkeit und
auch bedeutungsvoll zu sein, dass diese Bakterien durch die Variabi- ein deutliches Krankheitsgefühl sind dagegen oft vorhanden.
lität ihrer äußeren Membranproteine (z. B. VlsE) die humorale Im- Obwohl transplazentaren Übertragung von Borrelien im Rah-
munabwehr unterlaufen können (Immunevasions- oder »Immune- men der Dissemination des Erregers bei Schwangeren möglich
escape«-Mechanismus). Dabei besteht ein relativer Organ(o)tropis- sind, wurde intrauterine Manifestationen bisher nicht nachgewie-
mus, dessen Ursachen unbekannt sind: sen. Dennoch sollte jede Manifestation der Lyme-Borreliose bei
4 Bevorzugte Erreger für die Hautmanifestationen der Lyme- Schwangeren behandelt werden.
Borreliose sind B. afzelii und B. spielmanii.
4 Die Neuroborreliose, der Befall des Nervensystems, wird vor Spätmanifestationen (persistierende Infektion) Sie sind durch
allem durch B. garinii und B. bavariensis verursacht. einen persistierenden Infektionsverlauf von mehr als 6 Monaten
4 Die Arthritis wird überwiegend durch B. burgdorferi hervor- charakterisiert, wobei die Erstinfektion Monate bis Jahre zurücklie-
gerufen. gen kann. Betroffen ist vor allem der Bewegungsapparat (Lyme-
Arthritis); aber auch die Haut (Acrodermatitis chronica atrophicans)
kKlinik und sehr selten das Nervensystem (progressive Enzephalomyelitis)
Die klinischen Symptome der Lyme-Borreliose sind sehr vielgestal- (. Tab. 44.3):
tig (. Tab. 44.3). 4 Die Lyme-Arthritis ist die häufigste Manifestation in diesem
Frühmanifestationen der Erkrankung können spontan aushei- Stadium (. Abb. 44.1d). Die Symptomatik äußert sich typi-
len oder selten in eine persistierende Infektion mit typischen Spät- scherweise in Form rezidivierender Mono- und Oligoarthritiden
manifestationen übergehen. Zwischen Infektion und klinischer Ma- der großen Gelenke der unteren Extremitäten. Progrediente
nifestation können dabei Tage bis Jahre vergehen. Im Krankheitsver- Verläufe betreffen überwiegend das Kniegelenk, in dem sich
lauf werden aber nicht zwangsläufig sämtliche Manifestationen sta- ausgeprägte Gelenkergüsse entwickeln. Darüber hinaus sind
dienhaft durchlaufen (. Tab. 44.3): auch Entzündungen des Schulter- oder Ellenbogengelenks so-
wie selten polyartikuläre Verläufe mit Befall kleiner Gelenke
Frühmanifestationen (lokalisierte Infektion) Wenige Tage bis Wo- beschrieben. Eine rheumatologische Differenzialdiagnostik
chen nach Infektion kann sich im typischen Falle eine von der Ein- muss bei Verdacht auf Lyme-Arthritis immer erfolgen, da es
trittsstelle ausgehende und in die Umgebung vordringende konzen- sich in vielen Fällen um eine Ausschlussdiagnose handelt.
trische Hautrötung mit zentraler Abblassung, das klassische Erythe- 4 Die Acrodermatitis chronica atrophicans (. Abb. 44.1e) und
ma migrans bilden (. Abb. 44.1a). Atypische Hautrötungen kommen die progressive Enzephalomyelitis zeigen typische Efloreszen-
allerdings ebenfalls vor und sind dann schwieriger als borrelienin- zen der Haut (zunächst entzündliche und schließlich atro-
duziertes Erythem zu diagnostizieren. Das betroffene Hautareal phische Veränderungen) bzw. am peripheren Nervensystem
kann schmerzhaft oder überempfindlich sein. Das Erythema mig- (periphere Polyneuropathie und progressive Lähmungs er-
rans ist die häufigste Manifestation der Lyme-Borreliose (> 80 % der scheinungen).
Erkrankungsfälle) und heilt zumeist auch unbehandelt innerhalb
von Wochen folgenlos aus. Allgemeinsymptome wie Fieber, Myalgi- kImmunität
en, Müdigkeit, Kopfschmerzen können auftreten. In etwa 10 % geht Die Infektion hinterlässt keine sichere Immunität, sodass Reinfek-
die lokalisierte Infektion in eine frühe disseminierte Infektion über. tionen vorkommen.
Symptome bei früher disseminierter Infektion können allerdings
auch auftreten, ohne dass zuvor ein Erythema migrans beobachtet kLabordiagnose
wurde. Die Labordiagnose der Lyme-Borreliose (. Tab. 44.4) beruht derzeit
auf dem serologischen Nachweis spezifischer Antikörper (Stufen-
Frühmanifestationen (frühe disseminierte Infektion) In Europa diagnostik). Der Erregernachweis mittels PCR oder Kultur ist zwar
ist die Neuroborreliose in Form einer lymphozytären Meningoradi- grundsätzlich möglich, sollte sich aber auf spezielle Fragestellungen
kulitis (syn.: Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom) die häufigste beschränken.
klinische Manifestation der frühen disseminierten Infektion.
2–12 Wochen nach dem Zeckenstich beginnt das Krankheitsbild mit
370 Kapitel 44 · Borrelien

a b

c d

. Abb. 44.1a–e Klinische Manifestationen der Lyme-Borreliose. a Erythema migrans (mit freundl. Genehmigung von Dr. M. Ernst, Dreieich); b Fazialis-
parese (mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. S. Zielen, Frankfurt/Main); c Lymphozytom, Mamille, d Lyme-Arthritis (mit freundl. Genehmigung von
Bakteriologie

Prof. Dr. G. M. Burmester, Berlin), e Acrodermatitis chronica atrophicans (aus Stanek, Wien, 2008)

Untersuchungsmaterial Für die Standarddiagnostik ist Serum, ben würde, Krankheitsverlauf und Therapieerfolg ausschließlich mit
bei Verdacht auf Neuroborreliose zusätzlich Liquor vom selben serologischen Testergebnissen hinreichend sicher zu beurteilen.
Tag für eine Paralleluntersuchung zur Bestimmung des borrel- Etwa 50 % der Patienten mit Erythema migrans sind zunächst
ienspezifischen Liquor-Serum-Antikörperindex zu gewinnen. seronegativ. Eine Serodiagnostik bei typischer Manifestation ist da-
Biopsien, Punktate oder andere Materialien eignen sich für die her nicht hilfreich bzw. erforderlich. Auch Neuroborreliosepatienten
Spezialdiagnostik mittels PCR und Kultur für den direkten Erreger- können während der ersten Wochen seronegativ sein. Bei unklaren
nachweis. Symptomen und Verdacht auf diese Frühmanifestationen sind daher
ggf. serologische Verlaufskontrollen angeraten. Bei Patienten mit
Antikörpernachweis Der Nachweis spezifischer Antikörpererfolgt Verdacht auf eine Neuroborreliose ist zudem zwecks Parallelunter-
durch eine Stufendiagnostik mittels Immunassays (Suchtest) sowie suchung von Serum und Liquor eine Lumbalpunktion durchzufüh-
Immunoblots (Bestätigungstest) (. Tab. 44.4). Um die Sensitivität ren. In der Frühphase einer Borreliose des ZNS zeigen sich auch bei
und Spezifität der Untersuchung zu erhöhen, kommen zunehmend seronegativen Patienten im Liquor praktisch immer entzündliche
Tests mit rekombinant hergestellten Antigenpräparationen (z. B. Veränderungen inklusive einer lymphozytären Pleozytose. Die Bor-
VlsE) zum Einsatz. IgM-Titer sind 3–6 Wochen nach Krankheitsbe- relienätiologie wird dann in der Regel durch den Nachweis einer
ginn am höchsten, der IgG-Titer erreicht seinen Gipfel langsamer. spezifischen intrathekalen Antikörperproduktion eindeutig belegt
Nach frühzeitiger Therapie kann eine Serokonversion ganz ausblei- (erhöhter Liquor-Serum-Antikörperindex). Im Gegensatz dazu
ben bzw. bei initial positiver IgM-Antwort ein IgM-IgG-Switch der können aber bei rein peripheren neurologischen Symptomen im
Immunantwort fehlen. Nach Ausheilung der Infektion bzw. nach Rahmen der Lyme-Borreliose (z. B. periphere Polyneuropathie) ent-
Therapie bildet sich die spezifische IgM-Antwort zögerlich zurück, zündliche Liquorveränderungen und eine spezifische intrathekale
sodass IgM-Antikörper u. U. noch Monate bis Jahre nachweisbar Antikörpersynthese fehlen. Bei längerer Krankheitsdauer (> 2 Mo-
bleiben. In der Lyme-Borreliose-Serodiagnostik fehlt bislang ein ein- nate) gelingt der Antikörpernachweis beim immunkompetenten
deutiger Aktivitätsmarker, der es analog zur Syphilisserologie erlau- Patienten aber praktisch immer. Ein neuer spezieller Marker (das
44.1 · Borrelia-burgdorferi-Komplex
371 44

. Tab. 44.4 Klinische Falldefinitionen und laboratoriumsmedizinische Untersuchungsindikationen (mod. nach Stanek et al. 2011)

Symptom Falldefinition Labormed. Bestätigung Unterstützende labormedizinische


und klinische Information

Erythema migrans Ausbreitung eines blauroten Ringes bei typischem EM nicht Detektion von B. burgdorferi mittels Kultur
(> 5 cm im Durchmesser)a mit oder ohne notwendig! und/oder PCR aus Hautbiopsien
zentrale Aufhellung; Rand oft intensiv Serologie bei atypischem Verlauf;
gefärbt und deutlich abgrenzbar, aber ggf. Verlaufskontrolle
nicht erhaben

Borrelien-Lymphozytom schmerzlose, blaurote Knoten oder Serokonversion oder Histologie in unklaren Fällen, Detektion
Plaques, üblicherweise an Ohrläppchen, positive Serologie b von B. burgdorferi mittels Kultur und/oder
Ohrhelix, Mamille oder Skrotum; häufiger PCR aus Biopsiematerial, kurzfristig zurück-
bei Kindern (besonders am Ohr) als bei liegendes Erythema migrans
Erwachsenen
Acrodermatitis chronica lange vorbestehende rötliche oder blau- hochpositiver Histologie, Nachweis von B. burgdorferi
atrophicans rötliche Läsion, üblicherweise im Bereich IgG-Antikörper-Befund mittels Kultur oder PCR aus Biopsiematerial
der Extremitäten; initial ödematöse
Schwellung, später zunehmende Atrophie,
z. T. mit derben Indurationen oder fibrösen
Knoten über Gelenken oder Knochenvor-
sprüngen
Lyme-Neuroborreliose bei Erwachsenen meist Meningoradikulitis Pleozytose, Nachweis der Detektion von B. burgdorferii mittels Kultur
(Bannwarth-Syndrom), Meningitis, selten intrathekalen Synthese und/oder PCR aus Liquor; intrathekal gestei-
Enzephalitis oder Myelitis, sehr selten spezifischer Antikörper c gerte autochthone Gesamt-IgM und/oder
zerebrale Vaskulitis IgG- und/oder IgA-Synthese; Nachweis
bei Kindern meist symptomarme Menin- borrelienspezifischer Immunantwort im
gitis oder Fazialisparese Serum; kurzfristig zurückliegendes oder
aktuell bestehendes Erythema migrans
Lyme-Arthritis rezidivierende oder persistierende Gelenk- üblicherweise hoch- Analyse der Synovialflüssigkeit, Detektion
schwellung eines oder weniger großer positiver IgG-Antikörper- von B. burgdorferii mittels PCR und/oder
Gelenke; Differenzialdiagnosen müssen Befund Kultur aus Synovialflüssigkeit oder Biopsat
ausgeschlossen sein
Lyme-Karditis (selten) akuter Beginn eines AV-Blocks 1.–3. Grades; spezifische Antikörper- Detektion von B. burgdorferi mittels Kultur
Rhythmusstörungen, gelegentlich Myokar- antwort im Serum und/oder PCR von endomyokardialem
ditis oder Pankarditis bei Ausschluss ande- Biopsiematerial; kurzfristig zurückliegendes
rer Ursachen oder aktuell bestehendes Erythema migrans
und/oder typische neurologische Symptome
Augenmanifestation Konjunktivitis, Uveitis, Papillitis, Episkleritis spezifische Antikörper- kurzfristig zurückliegende oder aktuell
(selten) oder Keratitis antwort im Serum bestehende Lyme-Borreliose-Manifestation
und Nachweis von B. burgdorferi mittels
Kultur und/oder PCR aus Kammerwasser

a Sofern Durchmesser < 5 cm, ist zusätzlich der Hinweis auf Zeckenstich in der Anamnese, ein zeitlich verzögertes Auftreten um mind. 2 Tage nach
dem Biss und eine Zunahme der Effloreszenz an der Stelle des Bisses erforderlich.
b Primär- und Folgeuntersuchungen im Serum bei Verdachtsfällen sollten regelhaft parallel mit demselben Assay-System untersucht werden.
c In frühen Fällen von Neuroborreliose kann eine intrathekale spezifische Antikörpersynthese noch fehlen.

Lymphokin CXCL13) der Neuroborreliose ist z. T. bereits vor der pertiterverlaufs überprüfen. Hierfür bedarf es zusätzlicher Informa-
intrathekalen Antikörperantwort im Liquor nachweisbar. Allerdings tionen zum klinischen Verlauf. Die Anwendung weiterer bisher
ist die diagnostische Wertigkeit dieses Parameters für die Routine- nicht validierter pseudodiagnostischer Tests wie z. B. des Lympho-
diagnostik noch nicht abschließend evaluiert. zyten-Transformationstests (LTT) zur Primärdiagnostik und Ver-
Prinzipiell gilt für die Befundinterpretation: Positive Ergebnisse laufsbeurteilung wird derzeit wegen mangelnder Sensitivität und
erlauben keine Aussage über die Aktivität der Infektion, da nachge- Spezifität nicht empfohlen!
wiesene Antikörper sowohl Ausdruck einer aktiven, behandlungsbe-
dürftigen Erkrankung als auch einer durchgemachten bzw. ausrei- Anzucht Möglichkeiten und Indikationen für den Erregernachweis
chend therapierten Borrelieninfektion (Seronarbe) sein können. Die sind in . Tab. 44.4 zusammengefasst.
Diagnose einer Lyme-Borreliose basiert deshalb vorwiegend auf dem
klinischen Bild und erst in 2. Linie auf den Ergebnissen der bestäti- kTherapie
genden Labordiagnostik. Obwohl humanpathogene Borrelien in vitro gegenüber vielen Anti-
Wegen der langen Persistenz der einmal gebildeter Antikörper biotika empfindlich sind, berücksichtigen die Empfehlungen bislang
lässt sich auch der Therapieerfolg nicht allein anhand des Antikör- nur einige bewährte Substanzen:
372 Kapitel 44 · Borrelien

4 Für frühe lokalisierte Manifestationen werden für die Therapie 44.2.1 Beschreibung
bevorzugt Doxycyclin, Amoxicillin und Cefuroxim eingesetzt.
Die Behandlungsdauer beträgt üblicherweise 14 Tage. Bestehen jAufbau
Kontraindikationen für diese Substanzen, kommt als therapeu- B. recurrentis und die anderen Borrelienarten zeigen morphologisch
tische Alternative auch die Gabe von Azithromycin für mind. den gleichen Aufbau wie B. burgdorferi (7 Abschn. 44.1.1). Im Ver-
5 Tage in Betracht. gleich zu B. burgdorferi weisen die Rückfallfieber-Borrelien eine
4 Für leichten Verläufe bei frühen disseminierten Manifesta- wesentlich größere Variabilität der Oberflächenproteine auf, die
tionen sind Doxycyclin und Amoxicillin in gleicher Weise zur für die Immunevasion der Erreger von besonderer Bedeutung sind
Therapie geeignet (Therapiedauer: 2–3 Wochen). (7 Pathogenese).
4 Für die Therapie der Neuroborreliose werden vor allem
Cephalosporine der 3. Generation eingesetzt (Cefotaxim, jExtrazelluläre Produkte
Ceftriaxon; Therapiedauer: 2–3 Wochen). Extrazelluläre Produkte mit Einfluss auf das Krankheitsgeschehen
4 Späte Manifestationen wie Lyme-Arthritis und Acrodermatitis sind nicht bekannt.
chronica atrophicans (persistierende Infektion) werden mit
Amoxicillin oder Cephalosporinen der 3. Generation über jVorkommen
3–4 Wochen behandelt. Auch die Gabe von Doxycyclin für Die Rückfallfieber-Borrelien sind nur in ihren Vektoren (Läuse,
3–4 Wochen ist wirksam. Zecken), in Reservoirwirten und in Erkrankten überlebensfähig.
4 In der Schwangerschaft eignen sich grundsätzlich β-Laktam- Das natürliche Reservoir für B. recurrentis sind ausschließlich Läuse,
Antibiotika oder – bei Penicillinallergie – Makrolide wie Clari- welche die Erreger direkt auf den Menschen übertragen können. Die
thromycin und Azithromycin. Die Gabe von Roxithromycin ist anderen Borrelienarten befallen ein breites Spektrum wild lebender
wegen einer außerordentlich hohen Versagerquote nicht ange- Säugetiere, insbesondere Nagetiere, bei denen die Infektion in der
zeigt. Regel asymptomatisch verläuft. Aus diesem Reservoir infizieren sich
Zecken, die beim Saugakt die Erreger auf andere Tiere, aber auch auf
kPrävention den Menschen, verbreiten.
Eine Schutzimpfung ist derzeit nicht verfügbar. Insofern verbleiben
klassische Präventionsstrategien wie das Tragen langer Kleidung,
vor allem im Bereich der unteren Extremitäten. Meist wandern die 44.2.2 Rolle als Krankheitserreger
Zecken von dort zu warm-feuchten Stellen des Körpers (Achsel,
Leistengegend, Mammae), sodass sich auch eine sorgfältige Unter- kEpidemiologie
suchung des Körpers auf Zecken, insbesondere nach Wanderun- Das epidemische, durch Läuse übertragene Rückfallfieber tritt vor
gen, Aufenthalt im Garten etc. empfiehlt. Bei Kindern sollte beson- allem in Kriegs- und Krisenzeiten bei schlechten Hygieneverhält-
ders der Kopf-Hals-Bereich abgesucht werden. Festgesaugte Zecken nissen, z. B. im Zusammenhang mit Sammelunterkünften, auf. In
sind schnellstmöglich zu entfernen, da die Wahrscheinlichkeit einer Europa gab es zuletzt in Osteuropa während des 1. und 2. Weltkriegs
Übertragung von Borrelien nach kurzer Saugdauer (< 24 h) relativ größere Epidemien. Heute kommt diese Form des Rückfallfiebers in
gering ist. Europa nur noch als Reiseinfektion vor, in Afrika (Äthiopien, Sudan,
Einige Repellents sind gegen Zecken wirksam, allerdings für Somalia) und in Südamerika (Bolivien, Peru) wird sie aber noch
den Dauergebrauch bei Langzeitexposition kaum praktikabel. Eine angetroffen.
Bakteriologie

routinemäßige prophylaktische Antibiotikagabe nach Zeckenstich Das endemische Zecken-Rückfallfieber kommt wegen der wei-
wird unter anderem wegen des relativ geringen Erkrankungsrisikos ten Verbreitung der Reservoirtiere weltweit unabhängig von Krisen-
abgelehnt. zeiten vor. In diesem Zusammenhang interessant ist die kürzliche
Identifizierung einer weiteren zeckenübertragenen Rückfallfieber-
Meldepflicht In Deutschland besteht nach dem IfSG für die Lyme- Borrelie (B. miyamotoi sensu lato) als Auslöser seltener fieberhafter
Borreliose keine bundesweite Meldepflicht. Einige Bundesländer Allgemeininfektionen in Europa, Asien und den USA.
haben auf Landesebene eine Meldepflicht erlassen.
kÜbertragung
Bei dem durch Kleiderläuse übertragenen epidemischen Rückfallfie-
44.2 Borrelia recurrentis und andere ber wird B. recurrentis mit dem Läusekot auf der Haut abgelagert.
Rückfallfieber-Borrelien (Borrelia spp.) Wenn der Patient sich kratzt, werden die Erreger über kleine Verlet-
zungen in die Haut eingerieben. Bei dem durch Lederzecken über-
Steckbrief tragenen endemischen Rückfallfieber werden Borrelien direkt in die
Haut injiziert. Übertragungen durch infizierte Blutprodukte sind,
B. recurrentis und eine Vielzahl (mindestens 15) anderer Borre- wenn auch sehr selten, möglich.
lienarten (Borrelia spp.) rufen das Rückfallfieber hervor (. Tab.
44.2). Für diese Krankheit sind wiederholt auftretende Fieber- kPathogenese
schübe im Wechsel mit fieberfreien Intervallen charakteristisch. Der akute Krankheitsausbruch geht mit hohem Fieber einher. In
B. recurrentis verursacht das besonders in Kriegszeiten epide- dieser Phase sind die Borrelien im Blut nachweisbar. In der anschlie-
misch auftretende Läuse-Rückfallfieber, wohingegen andere ßenden afebrilen Phase sind die Borrelien komplett in innere Orga-
Borrelienarten (z. B. B. hermsii, B. miyamotoi) durch Zecken auf ne (Niere, Herz etc.) abgewandert, um dann bei einem Rückfall nach
den Menschen übertragbar sind und das endemische Zecken- mehreren Tagen wieder im Blut zu erscheinen. Febrile und afebrile
Rückfallfieber auslösen. Die Vektoren und Erreger des Rückfall- Phasen wiederholen sich mehrfach.
fiebers sind bereits seit mehr als 100 Jahren bekannt. Der Grund für die rezidivierenden Fieberattacken liegt darin,
dass Antikörper gegen die variablen Membranantigene (»variable
44.2 · Borrelia recurrentis und andere Rückfallfieber-Borrelien (Borrelia spp.)
373 44
major proteins«, VMP) der Rückfallfieber-Borrelien gebildet wer- Doxycyclin, Ceftriaxon oder Erythromycin über 5–10 Tage. Infek-
den. Durch deren Wirkung werden die Borrelien mittels Phago- tionen durch B. miyamotoi heilen offensichtlich auch unbehandelt
zytose zunächst aus der Blutbahn eliminiert. Da die genetische in einem hohen Prozentsatz aus. Unter antibiotischer Therapie kann
Information für die immundominanten Oberflächenantigene in es insbesondere bei der Behandlung des Läuse-Rückfallfiebers u. U.
speziellen Genkassetten organisiert ist und in den inneren Organen zu lebensbedrohlichen immunologischen Nebenwirkungen (Jarisch-
während der afebrile Phasen einer raschen Rekombination unter- Herxheimer-Reaktion) kommen.
liegt, kommen Rückfälle zustande, wenn Borrelien mit rekombinier-
ten VMP (Antigenvariation) in die Blutbahn gelangen und dann kPrävention
von den bereits gebildeten Antikörpern nicht länger erkannt und Die Verhütung der Krankheit beruht auf der Bekämpfung von Läu-
neutralisiert werden. Diese Phase wird erst durch die Produktion sen und der Gewährleistung eines guten Hygienestandards. Er-
von Antikörpern gegen die neu aufgetretenen Antigene beendet. krankte müssen isoliert und entlaust werden. Schutz vorendemi-
Das Geschehen setzt sich über Tage bis Wochen fort. Erreicht das schem Rückfallfieber setzt die konsequente Vermeidung von Ze-
Antikörperrepertoire des Wirtes einen ausreichenden Umfang, klin- ckenbefall voraus. Hierfür gelten die gleichen Maßnahmen wie bei
gen die Rückfälle ab. Der Befall der inneren Organe ist von schweren der Lyme-Borreliose.
entzündlichen Reaktionen, Blutungen und Nekrosen begleitet.
Meldepflicht Der Erregernachweis von B. recurrentis ist nament-
kKlinik lich meldepflichtig.
Die Inkubationszeit beträgt 4–14 Tage. Im Vordergrund der Erkran-
kung stehen schwere Fieberanfälle (39–41 °C) mit Schüttelfrost,
starken Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen und allgemeinem In Kürze
Kräfteverfall. Die Fieberanfälle halten durchschnittlich 3–6 Tage an Borrelien
und sind von 6- bis 10-tägigen fieberfreien Intervallen unterbro- Bakteriologie Spiralbakterien mit den medizinisch bedeut-
chen. In der Regel kommt es unbehandelt zu 2 oder 3 Rückfällen, bei samen Erregern der Lyme-Borreliose (B. burgdorferi, B. garinii,
endemischem Rückfallfieber sogar bis zu 13. B. bavariensis, B. afzelii und B. spielmanii), des Läuse-Rück-
Der Krankheitsverlauf kann durch Schädigung der Lungen, des fallfiebers (B. recurrentis) und des Zecken-Rückfallfiebers
Herzens, der Leber und des ZNS kompliziert werden. Die Patienten (B. hermsii, B. miyamotoi etc.). Anzucht in Spezialkulturme-
versterben vor allem an den Folgen einer Herzinsuffizienz aufgrund dien unter mikroaerophilen Bedingungen mit z. T. langer
einer Myokarditis, an zerebralen Blutungen oder Leberversagen. Kulturdauer möglich, aber von geringer diagnostischer Be-
Unbehandelt liegt die Letalität beim Läuse-Rückfallfieber bei 40 % deutung.
und beim Zecken-Rückfallfieber als der milder verlaufenden Form Vorkommen/Epidemiologie Zoonosen. Reservoire sind Rot-
der Erkrankung bei 5 %. wild und Nagetiere (Lyme-Borreliose) sowie Nagetiere, Läuse
Bei Infektionen mit B. miyamotoi nach Zeckenstich kommt es und Zecken (Rückfallfieber).
häufig sogar nur zu subklinischen Verläufen oder unspezifischen 5 Lyme-Borreliose: weltweite Verbreitung in den gemäßigten
fieberhaften Allgemeininfektionen und nicht zwingend zur typi- Klimazonen
schen Rückfallfiebersymptomatik 5 Läuse-Rückfallfieber: Epidemien in Krisenzeiten (Krieg,
Hungersnot etc.), in einigen Ländern noch endemisch
kImmunität 5 Zecken-Rückfallfieber: weltweit sporadisch vorkommend
Immunität gegen die Erkrankung beruht auf protektiven Antikör-
pern. Ein tragfähiger Schutz setzt allerdings ein umfangreiches Re- Übertragung Schildzecken beim B. burgdorferi-Komplex, Läuse
pertoire spezifischer Antikörper voraus, da Rückfallfieber-Borrelien bei B. recurrentis und Lederzecken bei anderen Borrelienarten
durch Antigenvariation außerordentlich wandlungsfähig sind. (B. hermsii etc.).
Pathogenese
kLabordiagnose 5 Lyme-Borreliose: Lokalisierte Infektion durch Zeckenstich
Die Diagnostik des Rückfallfiebers beruht auf der mikroskopischen mit Ausbreitung der Erreger in der Haut, lymphohämatogene
Betrachtung eines nach Giemsa oder Wright gefärbten, während Dissemination mit Organbefall, Ausheilung oder chronischer
einer Fieberphase gewonnenen Blutausstrichs. Zwischen den Eryth- Infektionsprozess bei Erregerpersistenz.
rozyten liegen die gewundenen Borrelien. In 70 % ist diese Unter- 5 Rückfallfieber: Initiale Spirochätämie mit Fieber, Sequestrie-
suchung positiv. Der diagnostische Erfolg ist steigerbar, wenn man rung der Erreger in diverse Organe (afebrile Periode), er-
die Blutausstriche mit Acridinorange färbt und im Fluoreszenz- neute Bakteriämie durch antigenetisch modifizierte Borrelien
mikroskop betrachtet. mit Fieber; zyklische Wiederholung dieses Prozesses bis zur
Kultur und PCR stehen als Spezialdiagnostik nur in Forschungs- endgültigen Erregerelimination durch breites Antikörper-
laboratorien zur Verfügung. Eine serologische Diagnose hat sich repertoire. Organbefall kann zu schweren lebensbedrohlichen
nicht durchgesetzt. Antikörper gegen Rückfallfieber-Borrelien kön- Funktionsstörungen führen.
nen z. B. bei Reiserückkehrern über Kreuzreaktionen mit Antigenen
von B. burgdorferi zu falsch positiven Resultaten in der Lyme-Bor- Klinik
reliose-Serologie führen. Für den Nachweis von B. miyamotoi stehen 5 Lyme-Borreliose: Häufigste Frühmanifestation der frühen
experimentelle GlpQ-Antigen basierte serologische Antikörpertests lokalisierten Infektion: Erythema migrans. Häufigste Mani-
und molekularbiologische Assays zur Verfügung. festation der frühen disseminierten Infektion: Meningo-
radikulitis (Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom). Häufigste
kTherapie Manifestation der persistierenden Infektion: chronische
Läuse-Rückfallfieber ist mit einer Einmalgabe von Doxycyclin be- Monarthritis. Keine letalen Verläufe.
handelbar. Die Behandlung des Zecken-Rückfallfiebers erfordert
374 Kapitel 44 · Borrelien

5 Rückfallfieber: Remittierendes Fieber mit mehrtägigen


fieberfreien Intervallen. Myokarditis, zerebrale Blutungen
und Leberversagen als Ursache für letale Verläufe (5–40 %
bei unbehandelten Patienten).

Virulenzmechanismen
5 B. burgdorferi: Initiierung eines entzündlichen Prozesses
mit möglichem Übergang in einen chronischen Verlauf bei
Erregerpersistenz (Immunevasion).
5 B. recurrentis: Schwere Funktionsstörungen der infizierten
Organe. Antigenvariation als wirksamer Mechanismus der
Immunevasion.

Labordiagnose
5 B. burgdorferi: Nachweis spezifischer Antikörper durch
ELISA und Immunoblot (Standard-Stufendiagnostik). Spezial-
diagnostik: Kultur und PCR
5 B. recurrentis und andere Rückfallfieber-Borrelien:
Mikroskopie des nach Giemsa oder Wright gefärbten Blut-
ausstrichs. Spezialdiagnostik: Serologie Kultur und PCR

Therapie
5 Lyme-Borreliose: Doxycyclin, Amoxicillin; Cephalosporine
der 3. Generation (Cefotaxim, Ceftriaxon; besonders Neuro-
borreliose)
5 Rückfallfieber: Primär mit Doxycyclin

Prävention Vermeidung von Zeckenkontakt bzw. rasche


Zeckenentfernung. Vermeidung von Läusebefall.
Vakzination Derzeit ist kein Impfstoff gegen Lyme-Borreliose
oder Rückfallfieber verfügbar.
Meldepflicht Nur für Rückfallfieber (direkter Erregernachweis).

Literatur
Bakteriologie

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and how should it be interpreted? Curr Probl Dermatol. 37:167-177.
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Leptospiren
A. Berger, B. Treis, V. Fingerle, A. Sing

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_45, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Leptospirose ist eine weltweit verbreitete, von verschiedenen 45.1 Leptospira interrogans
Leptospirenarten verursachte Zoonose mit breitem klinischem Spek-
trum, das von subklinischen Verläufen bis zu tödlichem Multiorgan- Steckbrief
versagen reicht.
Historisch wurden Leptospiren aufgrund serologischer und Wachs- Leptospira interrogans ist die wichtigste pathogene Spezies in
tumseigenschaften in 2 Spezies eingeteilt: die pathogenen L. inter- der Gattung Leptospira, Ordnung Spirochaetales, Familie der
rogans mit über 200 Serovaren und die saprophytären Umweltlepto- Leptospiraceae. Es handelt sich um obligat aerobe, flexible
spiren, L. biflexa, mit über 60 Serovaren. Mit der Verfügbarkeit mole- Schraubenbakterien. Sie wird in über 200 Serovare unterglie-
kularbiologischer Differenzierungsmethoden wurden mindestens dert. Beim Menschen können Leptospiren die hochfieberhafte
20 Genospezies taxonomisch definiert, die mit der ursprünglichen Ein- Leptospirose verursachen, die u. a. als »seröse (lymphozytäre)«
teilung der beiden Spezies, deren Serogruppen und Serovaren sowie Meningitis imponieren kann und in schweren Fällen (Morbus
der korrespondierenden Einteilung nach Pathogenität nicht deckungs- Weil) mit Hämorrhagien, Ikterus, Splenomegalie und Nephritis
gleich sind. bis zum Nierenversagen einhergeht.
Neben L. interrogans umfassen die wichtigsten pathogenen Spezies
(neue Taxonomie) L. alexanderi, L. alstonii, L. borgpetersenii, L. kirsch-
neri, L. noguchi, L. santarosai und L. weilii. Auch in Zukunft werden
serologische und molekularbiologische Einteilungsmethoden noch
parallel nebeneinander bestehen (müssen).

. Tab. 45.1 listet die relevanten Gattungsmerkmale auf.

. Tab. 45.1 Leptospira: Gattungsmerkmale


Leptospiren: kleiderbügelförmige Schraubenbakterien,
Merkmal Ausprägung fragezeichenähnliche Lagerung; elektronenmikroskopische
Aufnahme von L. borgpetersenii serovar Hardjo (Aufnahme:
Färbung Spezialfärbung erforderlich Franziska Horvath, LGL Oberschleißheim 2006)

Aerob/anaerob aerob

Kohlenhydratverwertung nein (diagnostisch nicht relevant)

Sporenbildung nein 45.1.1 Beschreibung


Beweglichkeit ja
jAufbau
Katalase ja (diagnostisch nicht relevant) Die 6–30 μm langen und ca. 0,1–0,2 μm breiten Leptospiren sind eng
Oxidase ja (diagnostisch nicht relevant) gewundene Schraubenbakterien mit mehr als 18 Windungen (Am-
plitude: 0,1–0,15 μm) und häufig hakenförmig abgebogenen Enden,
Maße und Morphologie Durchmesser: 0,1–0,2 μm die ihnen ein kleiderbügel- oder fragezeichenähnliches Aussehen
Länge 6–30 μm, Windungen: > 18 (»question-mark shaped bacterium«) verleihen. Sie vermehren sich
durch Querteilung.
Amplitude (= Windungsdurchmesser):
Wie andere Spirochäten (Treponemen, 7 Kap. 43; Borrelien:
0,1–0,15 μm
7 Kap. 44) weisen Leptospiren eine Doppelmembran mit engem
Enden hakenförmig abgewinkelt Kontakt zwischen Zytoplasmamembran und Peptidoglykan-Zell-
wand auf, umgeben von einer äußeren Membran, in der sich zahlrei-
che Antigene (insbesondere LPS) befinden, die für eine serologische
Differenzierung herangezogen werden. Zwei im periplasmatischen
Raum lokalisierte axiale Endoflagellen sind für die schnelle Beweg-
lichkeit der Leptospiren verantwortlich. Das LPS der Leptospiren hat
einen ähnlichen Aufbau wie das anderer gramnegativer Bakterien,
ist allerdings weniger toxisch.
376 Kapitel 45 · Leptospiren

Molekularbiologie Das Genom besteht aus 2 zirkulären Chromo- kÜbertragung


somen (ca. 4 Mio. und 0,35 Mio. Bp) mit einem G+C-Gehalt von Der Mensch infiziert sich über leptospirenhaltigen Urin von Reser-
35–41 mol %. Der Vergleich der Genomsequenzen pathogener voirwirten, meist über kontaminiertes Wasser oder das feuchte Erd-
(L. interrogans) und apathogener Leptospiren (L. biflexa) erlaubt die reich. Eintrittspforten sind (meist) geringfügige Hautverletzungen,
Identifikation möglicher Virulenzfaktoren. Die meisten von ihnen aber auch die Konjunktiven und Schleimhäute (z. B. über Verschlu-
sind Oberflächenproteine, vor allem Lipoproteine (u. a. LipL32), äu- cken von Wasser oder die Inhalation von Aerosolen). Infektionen
ßere Membranproteine wie Loa22, immunmodulatorische Proteine durch Tierbisse sind möglich, eine Mensch-zu-Mensch-Übertra-
(Lsa25, Lsa 33 etc.) oder immunglobulinähnliche Proteine (LigA, gung über Urin (der saure pH des menschlichen Urins tötet Lepto-
B und C), aber auch Proteasen und Hämolysine. Weiter könnte spiren in der Regel ab) oder Sexualkontakt, diaplazentar bzw. über
Chemotaxisproteinen und Eisenaufnahmesystemen eine pathoge- Muttermilch wird lediglich anekdotisch berichtet.
netische Bedeutung zukommen.
kPathogenese
Extrazelluläre Produkte Extrazelluläre Produkte sind zumindest Das klinische Spektrum der Leptospireninfektion ist sehr vielgestal-
bei humanpathogenen Serovaren bislang nicht bekannt. tig und reicht von subklinischen Verläufen bis zu Ikterus, Nierenver-
sagen und pulmonalen Hämorrhagien. Trotz reger Forschung ist das
jResistenz Verständnis der Pathogenese von Leptospiren noch eingeschränkt.
L. interrogans hat zahlreiche Gene freilebender Leptospiren be- Wirtsfaktoren, Inokulum und die (größtenteils noch nicht identifi-
wahrt. Der Erreger kann bei warmen Temperaturen sowie in Gewäs- zierten spezifischen) Virulenzeigenschaften der unterschiedlichen
sern bei einem pH-Wert über 7,0 wochenlang vermehrungsfähig Serogruppen bzw. Serovare dürften für die Symptomausprägung von
bleiben. Gegen Ansäuerung, Austrocknung, Salzwasser und Desin- Bedeutung sein.
fektionsmittel sind Leptospiren sehr empfindlich.
Invasion Nach Eindringen des Erregers über kleinste Hautverlet-
jVorkommen zungen, Konjunktiven oder Schleimhäute gelangt der Erreger wohl
Verschiedene Serovare können unterschiedlichen Reservoirtieren insbesondere aufgrund seiner schnellen Beweglichkeit und durch
wie Schweinen, Rindern, Hunden und Nagetieren zugeordnet wer- diverse Chemotaxisproteine sehr rasch in die Blutbahn.
den, L. interrogans Serovar icterohaemorrhagiae z. B. den Ratten. In
diesen persistieren die Erreger oft lebenslang asymptomatisch in den Generalisierung In der ca. 1 Woche anhaltenden Leptospirämie
proximalen Nierentubuli und werden mit dem Urin in die Umge- entziehen sich die Erreger dem Immunsystem, insbesondere der
bung ausgeschieden (ca. 107 Erreger/ml Rattenurin). Der Mensch ist Komplementabwehr; ihr relativ inaktives LPS, das in erster Linie
lediglich ein akzidenteller Fehlwirt, der im Gegensatz zu den ver- über den Toll-Like-Receptor TLR2 (statt ausschließlich über den
schiedenen Reservoirwirten (»maintenance hosts«) keinen Träger- »klassischen« TLR4 der meisten gramnegativen Erreger) wirkt, ver-
status erwirbt und damit für die Aufrechterhaltung eines Lebens- ursacht in der Regel keine sepsisähnlichen Symptome. Im Verlauf
zyklus der Erreger epidemiologisch keine Rolle spielt. der Generalisierungsphase gelangen die Erreger in verschiedene Or-
gane, vor allem in Leber und Niere, aber auch in Lunge und in den
Liquorraum (hierbei meist asymptomatisch, selten als aseptische
45.1.2 Rolle als Krankheitserreger Meningitis).

kEpidemiologie
Bakteriologie

Organmanifestation Organ- und damit Symptommanifestationen


Die Leptospirose gilt als die weltweit am weitesten verbreitete treten erst mit dem Erscheinen spezifischer Antikörper auf. Die
Anthropozoonose. Ihre Inzidenz ist in den Tropen und Subtropen Organpathologie ist im Wesentlichen auf eine Immunreaktion
(10–100/100.000 Einwohner) am höchsten. In gemäßigten Zonen zurückzuführen. Histopathologisch lassen sich eine Gefäßendo-
liegt bei geringerer Inzidenz eine saisonale Erkrankungshäufung im thelschädigung mit Einblutungen und ggf. Vaskulitis sowie die
Sommer und Frühherbst vor. Jährlich werden der WHO insgesamt entzündliche Einwanderung von Monozyten, Plasmazellen und
ca. 500.000 Erkrankungen gemeldet; die Dunkelziffer ist hoch. Neutrophilen feststellen. Interstitielle Nephritis, intrahepatische
Ursprünglich als Berufserkrankung nach Exposition zu erreger- Cholestase bei makroskopisch relativ unauffälliger Leber, asepti-
haltigem Urin beschrieben (Bergbau, Kanalisationsbau, Landwirt- sche Meningitis, alveoläre Infiltrate und interstitielle Myokardi-
schaft, Metzger, Tierärzte, Fischerei, Militär) tritt die Leptospirose tis  werden beobachtet. Uveitis und das erst seit Ende der 1980er
mittlerweile häufiger bei entsprechender Umweltexposition in Jahre bekannte »leptospirosis-associated pulmonary haemor-
feuchtwarmen Regionen mit Urbanisierung bei ärmlichen Hygiene- rhage syndrome« (LPHS) werden als Autoimmunphänomene ge-
verhältnissen oder nach heftigen Regenfällen mit Überschwemmun- deutet.
gen auf. Slumbewohner, Reisbauern oder Plantagenarbeiter gehö- Bei Reservoirwirten wird die asymptomatische Besiedelung der
ren  zur Risikogruppe, aber auch Freizeitaktivitäten (Wassersport, Nierentubuli unter anderem durch die Ausbildung eines Biofilms
Triathlon, Kajaking, Rafting, Adventure Racing), Reisen und Heim- begünstigt.
tierhaltung (»fancy rats«, 2007 Infektion durch Rattenbiss) stellen
ein zunehmendes Erkrankungsrisiko dar. Klinik Die Leptospirose wird als zyklische Allgemeininfektion mit
In Deutschland wurden dem RKI seit 2001 jährlich zwischen 25 breitem klinischen Spektrum bezeichnet, das von subklinischen
und 166 menschliche Infektionen gemeldet. Im Jahr 2014 waren es Verläufen bis zu tödlichem Multiorganversagen (Letalität von Mor-
160 Fälle, wobei die vergleichsweise hohe Fallzahl durch einen Aus- bus Weil: 5–15 %, von LPHS bis 50 %) reicht. Schweregrad und
bruch bei Erdbeerflückern begründet war. Symptomausprägung sind unter anderem mit Serogruppe bzw. Sero-
var des zugrunde liegenden Erregers assoziiert. Den klassischen
Morbus Weil verursacht häufig L. interrogans Serovar icterohaemor-
rhagiae.
45.1 · Leptospira interrogans
377 45
Die Infektion verläuft in der Regel biphasisch: danach in Urin und Gewebeproben (auch histologisch). Unter-
1. »Septische Phase«: Nach einer Inkubationszeit von 7–13 (2–30) suchungsmaterialien sollten möglichst bei bestehendem Fieber und
Tagen treten akutes Fieber und grippale Allgemeinsymptome in jedem Fall vor Beginn der Antibiotikatherapie abgenommen wer-
wie z. T. sehr heftige Muskelschmerzen (vor allem im Rücken den. EDTA-Blut-Röhrchen eignen sich für den Bluttransport bei
und an den unteren Extremitäten) und Kopfschmerzen (häufig Raumtemperatur und den PCR-Nachweis. Generell ist eine rasche
retroorbital und mit Fotophobie) auf (akute leptospirämische Probenbearbeitung (für direkten Erregernachweis innerhalb 1 h
Phase), die nach 3–8 Tagen abklingen. Bei einem Viertel der nach Entnahme) erforderlich.
Fälle findet sich eine aseptische, häufig asymptomatische Me-
ningitis (Nachweis von Leptospiren im lymphozytären Liquor). Indirekter Erregernachweis (Serologie) Agglutinierende Antikör-
2. »Immunphase«: Mit Auftreten neutralisierender Antikörper per sind ca. 5–7 Tage nach Krankheitsbeginn im Serum nachweis-
und Ausscheidung von Leptospiren im Urin beginnt die von bar. Die 1. Serumprobe sollte schnellstmöglich nach Erkrankungs-
einem abermaligen Fieberanstieg begleitete 2. Phase. Hier sind beginn entnommen werden, die 2. Serumprobe zur Beurteilung
eine Leberbeteiligung, Nephritis, Meningitis, Myokarditis, des Titerverlaufs ca. 3–5 Tage später. Referenzmethode und Gold-
Splenomegalie, Hämorrhagien und eine Beteiligung des Respi- standard ist die Mikroagglutinationsreaktion (MAR, engl.: MAT),
rationssystems möglich. bei der zwecks Typisierung lebende Kulturleptospiren verschie-
5 Anikterische Formen verlaufen in der Regel problemlos. dener  Serovare mit spezifischen Antikörpern im Patientenserum
5 Die sich in 5–10 % entwickelnden ikterischen Formen agglutiniert werden. Die Agglutination (kugelförmig oder land-
enden in bis zu 15 % letal. Der Ikterus resultiert aus einer kartenähnlich) wird unter dem Mikroskop im Dunkelfeld beurteilt.
intrahepatischen Cholestase, nicht aus einer Leberzell- Antikörpertiter ≥ 1:100 werden als positiv gewertet und sind hin-
schädigung (hohe Bilirubinspiegel bei moderatem Transa- weisend auf eine Infektion (Serumkontrolle je nach Klinik und
minasenanstieg und nur mäßiger Erhöhung der alkalischen Anamnese nach 8–14 Tagen), ein 4-facher Titeranstieg bzw. Sero-
Phosphatase). Die Leberfunktion normalisiert sich meist konversion beweist eine frische Infektion. Alternativ erfolgt der
über Wochen folgenlos. Akutes Nierenversagen (in 15–40 %) Antikörpernachweis mittels ELISA (Vorteil: früherer Antikörper-
und thrombozytopenisch bedingte Hämorrhagien (in bis zu nachweis als im MAR, quantifizierbare und untersucherunabhän-
50 %) definieren zusammen mit dem Ikterus die Trias des gige Messung, Nachweis der Antikörperklassen IgM und IgG). Hin-
klassischen Morbus Weil, der entweder biphasisch verläuft weis: Bei frühzeitiger Antibiotikatherapie können Serokonversion
oder ohne Zäsur akut fortschreitet. und Titeranstieg ausbleiben. Niedrige Titer können u. U. jahrelang
persistieren.
Lungenbeteiligung mit Husten, Dyspnoe und Hämoptyse (radiolo-
gisch sind alveoläre Infiltrate sichtbar) wurde in Fallserien bei bis zu Direkter Erregernachweis
zwei Dritteln der Patienten beschrieben. Das fulminante LPHS ver- 4 Der mikroskopische Erregernachweis im Untersuchungs-
läuft durch akutes Lungenversagen mit massiven Lungenblutungen material erfolgt im Dunkelfeld (. Abb. 45.1) oder mittels
häufig tödlich. Eine Myokarditis schlägt sich in 10–50 % in EKG- Immunfluoreszenz. Die mikroskopische Beurteilung erfordert
Veränderungen nieder. allerdings viel Erfahrung und ausreichende Keimzahlen
Eine Augenbeteiligung findet sich bei schweren Verläufen. Die (≥ 104 Leptospiren/ml Probe, um eine Zelle pro Gesichtsfeld
Kombination von Sklerenikterus und subkonjunktivalen Blutungen zu detektieren). Auch Experten können Artefakte wie Fibrin-
gilt bei einigen Autoren sogar als pathognomonisch für Morbus fäden, die eine Brown’sche Molekularbewegung zeigen, mit
Weil. Eine vordere Uveitis (3 % der Fälle) kann noch Wochen bis Leptospiren verwechseln (sog. Pseudospirochäten). Eine
Monate nach Ende der akuten Krankheitsphase manifest werden weitere Absicherung der Diagnose ist deshalb unerlässlich.
und gelegentlich zur Erblindung führen. 4 Erregerkultur: Durchführung nur in Speziallaboratorien aus
Mit Ausnahme der Uveitis treten chronische Formen – wie von gerinnungsgehemmtem Blut (cave: Zitrat ungeeignet) und
anderen Spirochäteninfektionen bekannt – im Allgemeinen nicht Liquor die ersten 7–10 Tage, danach aus Urin (Tage 7–21) mit
auf. Spezialnährmedium (z. B. EMJH-Medium). Die Kultur erfor-
dert aerobe Bedingungen, das Wachstumsoptimum der Lepto-
kImmunität spiren liegt bei 28–30 °C, der optimale pH-Wert bei 7,2–7,6.
Antikörper werden ca. 5–7 Tage nach Einsetzen der klinischen Die Kulturen müssen aufgrund der langen Generationszeiten
Symptomatik gebildet. Die höchsten der serovarspezifischen Anti- (mind. 6–8 h) bis zu 16 Wochen lang bebrütet und wöchentlich
körpertiter werden meist in der 2. bis 4. Krankheitswoche erreicht. mittels Dunkelfeldmikroskopie auf Wachstum untersucht
Über die Interaktionen der Leptospiren mit den T-Zellen bei der werden (. Abb. 45.1) und haben für die Akutdiagnostik somit
Abwehr ist noch zu wenig bekannt. Immunpathologische Mecha- keine Bedeutung. Für eine epidemiologische Stammtypisierung
nismen scheinen in der 2. Phase der Krankheit (»Immunphase«) werden vor allem MLVA (Multi-Locus-VNTR-Analysen) oder
eine Rolle zu spielen. MLST (Multi-Locus Sequence Typing) eingesetzt.
4 PCR-Diagnostik: In den letzten Jahren wurde eine Reihe
kLabordiagnose geeigneter PCR-Protokolle für den Nachweis ab dem 1. Infek-
Der Erregernachweis wird meist indirekt über den Nachweis von tionstag von Leptospiren-DNA aus allen klinisch relevanten
Antikörpern im Serum geführt. Der direkte Erregernachweis kann Untersuchungsmaterialien veröffentlicht, die sich als sensitiver
mittels Mikroskopie, Erregerkultur in Flüssigmedium und PCR er- als die Erregerkultur erwiesen, sogar bei antibiotischer Vorbe-
folgen. handlung. Durch inhibitorische Effekte in Urin- und Organ-
proben (z. B. Niere) können dennoch Sensitivitätsverluste und
Untersuchungsmaterial Gepaarte Serumproben für den Antikör- falsch negative Ergebnisse resultieren. Da kein kommerzieller
pernachweis und zur Beurteilung des Titerverlaufs. Direkter Erre- Test verfügbar ist, wird die Untersuchung lediglich in Spezial-
gernachweis in Blut, Liquor und Dialysat (1. Krankheitswoche), laboratorien durchgeführt.
378 Kapitel 45 · Leptospiren

»emerging disease«, die besonders unter Armutsbedingungen leben-


de Menschen in (sub)tropischen Entwicklungsländern betrifft, kann
dort nur durch einen umfassenden Maßnahmenkatalog einge-
dämmt werden (z. B. Schutz vor Überschwemmungen, Bekämpfung
der Reservoirwirte, Verbesserung der Wasserhygiene, Durchbre-
chung der Übertragungszyklen in Slums). Für Hunde existiert eine
Impfung (relevant insbesondere für L. interrogans Serovar canicola).

Impfung In Deutschland besteht aktuell keine Zulassung eines


Impfstoffs im Humanbereich.

Meldepflicht Nach § 7 IfSG ist der direkte oder indirekte Labor-


nachweis von Leptospira interrogans meldepflichtig, soweit dieser
auf eine akute Infektion hinweist.
Geschichte
Die von Leptospira (L.) interrogans Serovar icterohaemorrhagiae verursach-
. Abb. 45.1 Dunkelfeldmikroskopische Aufnahme von L. interrogans te schwere Verlaufsform der Leptospirose beschrieb erstmals der Heidelber-
mit typischer Kleiderbügel- und Fragezeichen-Morphologie. Aufgrund der ger Internist Adolf Weil 1886 als »eigentümliche, mit Milztumor, Ikterus und
gewählten Belichtungszeit ist die schraubenartige Struktur nicht zu sehen Nephritis einhergehende akute Infektionskrankheit«. Sie wurde nachfol-
(Aufnahme: NRZ für Borrelien am LGL) gend als Morbus Weil bezeichnet.
Der erste mikroskopische Nachweis eines mit dem Krankheitsbild assoziier-
ten Erregers gelang Stimson 1907 in den Nierentubuli eines an fieberhaftem
4 Alle im direkten Nachweis (PCR, Kultur, Mikroskopie) erhobe- Ikterus verstorbenen Patienten; aufgrund ihrer fragezeichenähnlichen Form
nen positiven Befunde sprechen für das Vorliegen einer Lepto- nannte er den Erreger Spirochaeta interrogans (lat. »interrogare«: fragen).
1915 wurden die Erreger von japanischen (Inada und Ido) und deutschen
spireninfektion.
Gruppen unabhängig voneinander im Blut von Bergleuten mit infektiöser
Gelbsucht bzw. von deutschen Soldaten, die in den Schützengräben der
Stufendiagnostik Im Routinelabor generierte positive ELISA-Er- Westfront »mit den Ratten in der innigsten Berührung lebten«, isoliert. Eini-
gebnisse sollten im Konsiliarlabor mittels MAR verifiziert werden. ge Jahre später gelangen den deutschen Gruppen von E. A. Huebner und
Bei Anzucht von Leptospiren aus einer klinischen Probe sollte das H. Reiter bzw. P. Uhlenhut und W. Fromme die Übertragung des Erregers auf
Isolat im Konsiliarlabor serotypisiert werden. Meerschweinchen. Die Bedeutung der Ratte als Reservoirtier wies 1917 der
Japaner Ido nach.
kTherapie Aufgrund von Reiters Rolle im Nationalsozialismus wird diskutiert, die Termi-
Schwere und Prognose der Erkrankung sind abhängig von der Viru- ni Reiter-Syndrom (Konjunktivitis, Urethritis und Arthritis) und Reiter-Spiro-
lenz des Erregers, einem frühen Behandlungsbeginn (innerhalb der chäten (Treponema phagedenis, in der Syphilisserologie eingesetzte apa-
thogene Erreger) umzubenennen.
ersten 7 Tage der Erkrankung) sowie dem Alter des Patienten (un-
günstiger bei Älteren). Aufgrund der schlechten Prognose des Mor-
bus Weil sollte bei klinischem Verdacht (unter anderem hoher CRP-
Bakteriologie

und CK-Wert) frühzeitig mit einer Antibiotikatherapie begonnen In Kürze


werden. Leptospira
Es stehen keine einheitlichen Leitlinien zur Leptospirosethera- Bakteriologie Aerobe Spirochäten, gewundene Bakterien
pie zur Verfügung: Als Mittel der 1. Wahl gelten Doxycyclin für mit axialen Filamenten. Zwei Spezies: L. interrogans sensu lato
leichte und Penicillin G für schwere Verläufe. Auch Amoxicillin/ mit über 200 Serovaren (humanpathogene Serovare z. B. ictero-
Ampicillin und Ceftriaxon gelten als gut wirksam. Des Weiteren sind haemorrhagiae (Morbus Weil), grippotyphosa (»Feldfieber«),
Leptospiren empfindlich gegen Makrolide, Fluorochinolone und bataviae, canicola, pomona), die ihrerseits in 25 Serogruppen
Streptomycin. Bei schweren pulmonalen Verlaufsformen kann der zusammengefasst werden, und L. biflexa sensu lato (überwie-
therapeutische Einsatz von Methylprednisolon die Letalität senken. gend apathogene Serovare). Derzeit sind mindestens 20 Geno-
Vereinzelt wurde in den ersten Stunden nach Therapiebeginn spezies molekularbiologisch, d. h. auf der Basis der geneti-
das Auftreten einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion beobachtet (Fie- schen Verwandtschaft, definiert. Wachstum in flüssigen Spezial-
ber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Myalgie). medien (Temperaturoptimum 28–30 °C) innerhalb mehrerer
Wochen.
kPrävention Vorkommen/Epidemiologie Anthropozoonose, weltweit verbrei-
Expositionsprophylaxe Individuelle Maßnahmen bestehen im tet, aber in Deutschland selten (2013: Inzidenz ca. 0,1/100.000
Schutz vor Kontakt mit Urin entsprechender Reservoirtiere (Nage- Einwohner; 81 gemeldete Fälle im Jahr 2013, 160 im Jahr 2014).
tiere, Hunde, Rinder) bzw. tierurinkontaminierten Gewässern Erregerreservoir: Nagetiere, Tiere (z. B. Hund, Rind, Schwein, Pferd,
(Gummistiefel, Schutzkleidung, kein Baden in stehenden oder lang- Igel). Infektion über direkten oder indirekten Kontakt mit Urin
sam fließenden Gewässern bei Zutritt von Reservoirtieren). infizierter Tiere, Leptospirose nach Rattenbiss beschrieben;
Eine Chemoprophylaxe – prä- oder postexpositionell – kann anerkannte Berufskrankheit bei berufsbedingter Exposition
derzeit nicht empfohlen werden. (z. B. Kanal- und Feldarbeiter, Metzger, Tierarzt, Stallpersonal).
Resistenz gegen äußere Einflüsse Empfindlich gegenüber
Bekämpfung Allgemeine Maßnahmen betreffen die Bekämpfung pH-Wert-Schwankungen (optimaler pH-Wert: 7,2–7,6), Hitze und
von Reservoirwirt-Populationen (Ratten, Mäuse) an Orten mit er- Austrocknung.
höhtem Expositionsrisiko. Die Leptospirose als vernachlässigte
Literatur
379 45

Pathogenese Zyklische Allgemeinerkrankung. Aufnahme


des Erregers über Mikroläsionen der Haut und Schleimhaut
(z. B. Konjunktiven), Erregervermehrung in regionalen Lymph-
knoten, Bakteriämie und Organbesiedlung.
Zielgewebe Niere, Leber, ZNS.
Klinik Inkubationszeit durchschnittlich 7–14 Tage (2–30 Tage).
2-phasiger Verlauf mit unterschiedlichem Schweregrad der
Erkrankung: 1. septische Phase (3–8 Tage) mit grippeähnlichen
Symptomen und plötzlichem hohem Fieber, Myalgien (v. a.
Wadenschmerzen), Retrobulbärschmerzen, Konjunktivitis,
Meningismus (Liquor: aseptische Meningitis) 2. Immunphase
mit Organmanifestation (4–30 Tage) mit erneut Myalgien,
hohem Fieber, Hauteffloreszenzen (Zeichen generalisierter
Vaskulitis), Nephritis, Myokarditis, Fotophobie mit lympho-
zytärer Meningitis/Enzephalitis im Verlauf (in 20 % der Fälle)
(anikterischer Verlauf ); seltener schwere ikterohämorrhagische
Symptomatik mit hepatorenaler Manifestation, Splenomegalie
(Morbus Weil bei 5–10 %) oder diffusen pulmonalen Hämor-
rhagien (LPHS), evtl. mit respiratorischem Versagen; Wochen bis
Monate später nach Ausheilung: schmerzhafte Uveitis (in 3 %,
davon bei 16 % bleibende Visusminderung).
Labordiagnose Antikörpernachweis (5–7 Tage nach Erkran-
kungsbeginn). Direkter Erregernachweis aus Blut und Liquor
(1. Krankheitswoche), Urin (2. Krankheitswoche), mikroskopische
Untersuchung im Dunkelfeld oder mittels Immunfluoreszenz.
Therapie Penicillin G, Ceftriaxon oder Doxycyclin. Frühzeitige
Therapie beeinflusst den Verlauf positiv.
Prävention Vermeidung der Exposition, Kontrolle des Erreger-
reservoirs (v. a. Ratten, Mäuse), ggf. regelmäßige Vakzination
von Hunden.
Meldepflicht Namentlich, bei direktem und indirektem Erreger-
nachweis.

Literatur

Levett PN (2015) Leptospira. In: Jorgensen JH et al. (eds.) Manual of Clinical


Microbiology, 11th ed. Washington: ASM press.
RKI (2015) Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krank-
heiten für 2014. Berlin: Robert Koch-Institut.
RKI (2015) Ratgeber für Ärzte: Leptospirose. Berlin: Robert Koch-Institut.
WHO (2003) Human Leptospirosis: Guidance For Diagnosis, Surveillance And
Control. Genf: WHO.
381 46

Rickettsiaceae (Rickettsia, Orientia),


Anaplasmataceae (Anaplasma,
Ehrlichia, Neoehrlichia, Neorickettsia)
und Coxiellaceae
C. Bogdan

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_46, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Bei den Bakterien der Familien Rickettsiaceae (Genera Rickettsia und


. Tab. 46.2 Rickettsiaceae, Anaplasmataceae und Coxiellaceae:
Orientia), Anaplasmataceae (Genera Anaplasma, Ehrlichia, Neoehrli-
Arten und Krankheiten (Auswahl)
chia und Neorickettsia) und Coxiellaceae (Genus Coxiella) handelt es
sich um kleine, gramnegative Stäbchen, die sich primär in Wirtszellen
Art Krankheiten
vermehren und deshalb als obligat intrazellulär gelten (. Tab. 46.1).
Rickettsiaceae und Anaplasmataceae sind genetisch verwandt und Rickettsia prowazekii epidemisches Fleckfieber (Läusefleckfieber),
gehören zur Ordnung der Rickettsiales innerhalb der Klasse der Morbus Brill-Zinsser
α-Proteobakterien. Demgegenüber werden Coxiellaceae den gene-
R. typhi endemisches Fleckfieber (murines Fleckfieber)
tisch weit entfernten γ-Proteobakterien zugeordnet und nur aus histo-
rischen Gründen zusammen mit den Rickettsiales besprochen. R. africae afrikanisches Zeckenbissfieber
Howard T. Ricketts erkannte 1909 die Rickettsien als Auslöser des Felsen- R. akari Rickettsienpocken
gebirgsfiebers. Arnold Theiler entdeckte 1910 Anaplasma marginale als
R. conorii Mittelmeerfleckfieber (»mediterranean
Ursache einer fieberhaften, hämolytischen Erkrankung bei Rindern. spotted fever«, MSF; Boutonneuse-Fieber;
A. Donatien und F. Lestoquard beschrieben 1935 die Ehrlichien, die wohl Altwelt-Zeckenbissfieber)
erstmals 1888 in Leukozyten von Meerschweinchen im Labor von Paul
R. felis Flohfleckfieber (Katzenflohtyphus)
Ehrlich gesehen worden waren, als Erreger einer fieberhaften Erkrankung
nach Zeckenstich bei Hunden. Zuvor hatten W. Gordon und J. MacLeod R. helvetica Fieber, Myalgien, Zephalgien ohne Exanthem
bereits 1932 einen rickettsienähnlichen Organismus als Ursache für das (aneruptives Zeckenbissfieber)
Zeckenfieber bei schottischen Ziegen postuliert. DNA von Candidatus R. monacensis Fieber, Myalgien, Zephalgien, ggf. Exanthem
Neoehrlichia mikurensis wurde von M. Kawahara et al. 1998–2003 in Rat- und/oder Eschar
ten und Zecken der Insel Mikura im Süden Japans nachgewiesen.
R. parkeri »american boutonneuse fever« (amerikani-
Die Entdeckung von Coxiella burnetii als Erreger der Q-Fieber-Pneu-
sches oder Neuwelt-Zeckenbissfieber)
monie beim Menschen (1937) und die Isolation des Bakteriums aus
Zecken (1938) geht auf die Arbeiten von Edward Holbrook Derrick R. rickettsii Felsengebirgsfleckfieber (»Rocky Mountain
und Frank MacFarlane Burnet in Australien sowie Herald Rea Cox und spotted fever«, RMSF)
Gordon Davis in den USA zurück (. Tab. 46.2). R. raoultii, R. slovaca TIBOLA (»tick-borne lymphadenopathy«),
DEBONEL (»dermacentor-borne necrosis and
erythema with lymphadenopathy«)
. Tab. 46.1 Rickettsiaceae, Anaplasmataceae und Coxiellaceae:
Familienmerkmale Orientia Tsutsugamushi-Fieber (Japanisches Fleck-
tsutsugamushi fieber, Milbenfleckfieber; »scrub typhus«)
Merkmal Ausprägung Anaplasma humane granulozytäre Anaplasmose (HGA)
phagocytophilum
Gramfärbung nicht anfärbbar (gramnegativer
Zellwandaufbau) Ehrlichia ewingii humane granulozytäre Ehrlichiose (HGE)
Morphologie (kokkoide) Stäbchen Ehrlichia chaffeensis humane monozytäre Ehrlichiose (HME)
Aerob/anaerob – »Ehrlichia muris-like humane EMLA-Infektion (humane mono-
Kohlenhydratverwertung – agent« (EMLA) nukleäre Ehrlichiose)
Sporenbildung – Candidatus Neoehr- humane Neoehrlichiose
Beweglichkeit – lichia mikurensis
Katalase – Neorickettsia Sennetsu-Fieber (Lymphdrüsenfieber)
Oxidase – sennetsu

Besonderheiten obligat intrazellulär Coxiella burnetii Q-Fieber


382 Kapitel 46 · Rickettsiaceae (Rickettsia, Orientia), Anaplasmataceae (Anaplasma, Ehrlichia, Neoehrlichia, Neorickettsia) und Coxiellaceae

Steckbrief und ähnelt damit der von gramnegativen Bakterien. Demgegenüber


ließen sich bei Orientia tsutsugamushi die Zucker- und Fettsäure-
Rickettsiales (Rickettsiaceae und Anaplasmataceae) werden komponenten von Peptidoglykan und Lipopolysacchariden che-
durch Arthropoden übertragen und können zu schweren syste- misch nicht nachweisen, was die extreme Fragilität und relative
mischen Erkrankungen führen (bei Rickettsiaceae typischerwei- Penicillinresistenz dieses Erregers erklärt.
se mit Exanthem). Infektionen des Menschen mit Coxiella bur-
netii erfolgen meist aerogen und manifestieren sich als akute jMolekularbiologie
Pneumonie (akutes Q-Fieber) oder als schwere, chronische Er- Rickettsien besitzen eines der kleinsten bekannten Genome (1,1–
krankung mit Endokarditis (chronisches Q-Fieber). Rickettsien, 1,6 Mio. Basenpaare). Die Genome mehrerer Rickettsienarten sind
Anaplasmen, Ehrlichien und Coxiellen zeigen einen gramnegati- vollständig bekannt. Im Falle von R. prowazekii liegt der Anteil an
ven Zellwandaufbau, lassen sich aber diagnostisch durch Gram- nichtkodierenden DNA-Sequenzen bei 24 %. Das Genom von
färbung nicht darstellen. R. prowazekii beinhaltet ein Gencluster für ein Typ-4-Proteinsekre-
tionssystem und ähnelt sehr stark dem von Mitochondrien.
Die Einteilung der Rickettsiaceae erfolgt mittlerweile nicht mehr
ausschließlich nach serologischen, sondern auch nach phylogenomi-
schen Kriterien (. Tab. 46.3).

jSezernierte Produkte
Über die Freisetzung bakterieller Produkte aus Rickettsien oder
rickettsieninfizierten Zellen ist bisher wenig bekannt. Für Fleck-
fieber-Rickettsien ist die Bildung von Phospholipase D und Hämo-
lysin C nachgewiesen.

Rickettsia spp.: pleomorphe Anaplasma phagocytophilum: jResistenz gegen äußere Einflüsse


gramnegative Stäbchen, α-Pro- pleomorphes, gramnegatives Rickettsien gelten als umweltempfindlich und werden durch ge-
teobakterien, befallen primär Stäbchen, α-Proteobakterium, bräuchliche Desinfektionsmittel rasch abgetötet. Einige Arten
Endothelzellen, brechen aus befällt neutrophile Granulozyten, (R. prowazekii) können im Läusekot längere Zeit infektiös bleiben.
dem Phagosom ins Zytosol aus bildet Einschlüsse in Endosomen
(Morulae) jVorkommen
Rickettsiaceae kommen als obligat intrazelluläre Bakterien in den
Epithelzellen der Speicheldrüsen und des Verdauungstraktes, in der
Hämolymphe oder in Fäzes von Arthropoden (z. B. Zecken, Milben,
Flöhen und Läusen) vor. Reservoir sind der Mensch, Arthropoden
und verschiedene Tiere (. Tab. 46.3).

46.1.2 Rolle als Krankheitserreger


Bakteriologie

kEpidemiologie
Erkrankungen durch Rickettsiaceae (Rickettsiosen) treten aufgrund
Ehrlichia chaffeensis: pleomor- Coxiella burnetii: kleines, pleo-
der zahlreichen Spezies und Vektoren weltweit auf (. Tab. 46.3). Das
phes, gramnegatives Stäbchen, morphes, gramnegatives Stäb-
durch die Körperlaus (Kleiderlaus) übertragene epidemische Fleck-
α-Proteobakterium, befällt Mono- chen, γ-Proteobakterium, befällt
zyten/Makrophagen, bildet Ein- Makrophagen, repliziert im azi- fieber war zu Kriegs- und Notzeiten für den Tod Hunderttausender
schlüsse in Endosomen (Morulae) difizierten Phagosom oder sauren Menschen verantwortlich und findet sich heute vor allem in Gebie-
Phagolysosom ten mit niedrigem Hygienestandard (z. B. Anden, Burundi, Ruanda,
Asien, Regionen von Russland), aber auch unter Obdachlosen in
Europa.
In Deutschland werden Rickettsiosen vor allem bei Reise-
rückkehrern diagnostiziert. Allerdings sind verschiedene Zecken-
46.1 Rickettsiaceae populationen in Deutschland (Ixodes ricinus: gemeiner Holzbock;
Dermacentor marginatus: Schafzecke; Dermacentor reticulatus:
46.1.1 Beschreibung Auwaldzecke) zu einem erheblichen Anteil (10–30 %) mit Rickett-
sien infiziert, sodass mit autochthonen Fällen von Rickettsiosen
jAufbau (z. B. Infektionen durch R. helvetica, R. slovaca oder R. raoultii) zu
Rickettsiaceae sind ca. 0,3×1–2 μm groß. Gene für die Enzyme des rechnen ist. Diese können auch infolge der Einschleppung trock-
Zitratzyklus und für ATP/ADP-Translokasen sind vorhanden, wäh- nungsresistenter, infizierter Zecken (z. B. Rhipicephalus sanguineus)
rend die Gene für den Abbau von Zuckern und die Synthese von aus Endemieländern (z. B. Mittelmeerraum) über Haustiere (Hunde)
Lipiden, Nukleotiden und Aminosäuren überwiegend fehlen. Ent- auftreten. Bei Zecken der Gattung Dermacentor kann eine Erreger-
sprechend sind Rickettsiaceae auf die Versorgung durch die Wirts- übertragung auch durch männliche Zecken erfolgen.
zelle angewiesen.
Die Zellwand von Bakterien des Genus Rickettsia beinhaltet
Peptidoglykan, Lipopolysaccharid und äußere Membranproteine
46.1 · Rickettsiaceae
383 46

. Tab. 46.3 Phylogenomische Einteilung, Vektoren, Reservoir und geografisches Vorkommen von Rickettsiaceae (Auswahl)

Art Vektor Reservoir Geografisches Vorkommen

Epidemische-Fleckfieber-Gruppe (»typhus group«)

R. prowazekii Körper- bzw. Kleiderlaus Mensch; Südliches Gleithörnchen weltweit


R. typhi Ratten- und Katzenflöhe Ratte, Opossum weltweit (besonders Tropen und Subtropen,
Mittelmeerrraum, Texas, Kalifornien)
Zeckenbissfieber-Gruppe (»spotted fever group«)
R. rickettsii* Schildzecken Nagetiere, Schildzecke USA
R. parkeri* Schildzecken Schildzecke; weitere? Osten und Süden der USA; Südamerika
R. africae* Schildzecken Schildzecke; Vieh (?) Mittelmeerraum, Afrika, Karibik
R. conorii* Schildzecken Hund Mittelmeerraum, Naher Osten, Russland, Ukraine,
Afrika, Indien
R. helvetica* Schildzecken Schildzecke Europa
R. monacensis Schildzecken Eidechsen? Schildzecken? Europa, Russland
R. raoultii* Schildzecken Schildzecke Europa, Russland
R. slovaca* Schildzecken Schildzecke; Wildschwein Europa
Übergangsgruppe (»transitional group«)
R. felis Katzenflöhe Katzenfloh; Hauskatze, Haushund Europa, Zentral-/Südamerika, Asien
R. akari Mäusemilben Maus New York, Europa, Korea, Südafrika
Tsutsugamushi-Fieber (»scrub typhus«)

Orientia tsutsugamushi Larven von Laufmilben Ratte, Maus, Kaninchen, Beuteltiere; Japan, China, Südostasien, Indien, Ozeanien,
(Erntemilben) Milben Nordaustralien

* Für die so gekennzeichneten Erregerspezies ist neben der transstadiellen auch eine transovarielle Übertragung in den Zecken nachgewiesen,
sodass die Zecken hier sowohl als Reservoirwirt als auch als Vektor fungieren.

kÜbertragung
Rickettsiaceae werden durch Arthropoden auf den Menschen über-
tragen (. Tab. 46.3). Bei den Fleckfiebererkrankungen infiziert sich
der Mensch durch Einreiben von infiziertem Floh- oder Läusekot
beim Kratzen juckender Stich- bzw. Bissstellen. Infektionen durch
Inhalation von rickettsienhaltigem, getrocknetem Läuse- oder Floh-
kot oder direkt durch den Stich von Flöhen sind ebenfalls möglich.
Im Falle der Zeckenbissfieber erfolgt die Erregerübertragung durch
den Stich infizierter Zecken (z. B. Ixodes spp., Dermacentor spp.,
Amblyomma spp. oder Rhipicephalus spp.) oder durch den Kontakt
mit infizierter Hämolymphe (z. B. Zerquetschen von Zecken).

kPathogenese
Abgesehen von R. akari, das in vivo vor allem Makrophagen befällt,
sind Endothelzellen die primären Zielzellen von Rickettsien. Die
Aufnahme erfolgt durch induzierte Phagozytose und clathrinbe-
schichtete Vertiefungen nach Rezeptor-Ligand-Interaktion. Im Falle
von R. conorii bindet das äußere Membranprotein rOmpB an die
Ku70-Untereinheit der DNA-abhängigen Proteinkinase in der
Wirtszellmembran. Rickettsien brechen mit Hilfe einer Phospholi-
pase (PLA2) und eines Hämolysins aus dem Phagosom ins Zytosol
aus. Das Eindringen in den Zellkern wurde ebenfalls beobachtet.
Die Rickettsien der Zeckenbissfieber-Gruppe lösen mit ihrem
RickA-Oberflächenprotein eine Aktinpolymerisation aus, wodurch . Abb. 46.1a, b Elektronenmikroskopische Aufnahme von Rickettsia conorii
sie sich im Zytoplasma bewegen und über die Bildung zellulärer Aus- in einer Epithelzelllinie. Bildung eines Aktinschweifs an beiden Seiten eines
stülpungen (Filopodien) in Nachbarzellen gelangen (. Abb. 46.1). intrazytoplasmatischen Bakteriums (a). Ausstülpung der Zellmembran durch
Damit entspricht der Infektionszyklus dieser Rickettsien dem von R. conorii (b) (aus E. Gouin et al., JCS 1999;112:1697–1708)
384 Kapitel 46 · Rickettsiaceae (Rickettsia, Orientia), Anaplasmataceae (Anaplasma, Ehrlichia, Neoehrlichia, Neorickettsia) und Coxiellaceae

fig (20–80 %) mit einem makulopapulösem, stammbetontem Exan-


them (Hand- und Fußflächen frei). Komplikationen (z. B. Endokar-
ditis, Milzruptur, aseptische Meningoenzephalitis, Hemiparese) sind
selten. Auch bei adäquater Therapie beträgt die Letalität noch 1 %.

R. rickettsii: Felsengebirgsfleckfieber (»Rocky Mountain spotted


fever«) Das Exanthem, das auch Fuß- und Handflächen erfasst, gilt
als typisch, ist aber nicht obligat (»spotless fever«). ZNS-Manifesta-
tionen in Form von Bewusstseinstrübungen, Meningitis oder Me-
ningoenzephalitis zeigen sich bei etwa einem Viertel der Patienten.
Auch bei adäquater Therapie beträgt die Letalität ca. 3 %.

R. conorii: Mittelmeerfleckfieber (»fievre boutonneuse«) Typisch


ist eine Primärläsion an der Stichstelle der Zecke (u. a. Rhipicephalus
sanguineus [braune Hundezecke]), die sich von einem papulösen
Infiltrat zu einem mit bläulich-schwarzer Kruste belegten Geschwür
entwickelt (Eschar oder »Tache noire«; . Abb. 46.2), evtl. mit umge-
bendem Hautausschlag. Später kommt es zu hohem Fieber, starken
. Abb. 46.2 »Tache noire« bei einem Patienten mit Mittelmeerfleckfieber Kopf- und Gliederschmerzen und einem generalisierten Exanthem.
(mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Winfried Kern, Freiburg) Die Letalität schwerer Verläufe liegt bei 1–2 %.

R. parkeri: Amerikanisches Zeckenbissfieber (»american bouton-


Listerien. Fleckfieber-Rickettsien dagegen zeigen wenig oder keine neuse fever«) Wie beim Mittelmeerfleckfieber kommt es zur
zytoplasmatische Beweglichkeit und vermehren sich im Zytoplasma Escharbildung an der Stichstelle der Zecke (v.a. Amblyomma ma-
bis zum Platzen der Wirtszelle. culatum), zu Fieber, Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen sowie
Rickettsien schädigen Endothelzellen durch die Bildung von Ra- einem generalisierten Exanthem (meist mit Beteiligung der Hand-
dikalen, Phospholipasen und Proteasen. Dies erhöht die Gefäßper- und Fußflächen). Multiple Eschars sowie Lymphknotenschwel-
meabilität mit nachfolgender Ödembildung, Hypovolämie und lungen sind möglich. Todesfälle sind nicht bekannt.
Hypotension. Die Gefäßschäden sind praktisch in allen Organen zu
beobachten, wodurch es zu interstitiellen Entzündungen und zum R. africae: Afrikanisches Zeckenbissfieber Die Krankheit verläuft
peripheren Thrombozytenverbrauch kommt. milder als das Mittelmeerfleckfieber, multiple Eschars sind möglich.
Das Begleitexanthem (50 % papulös oder vesikulär) fehlt in der
kKlinik Hälfte der Fälle. Letale Verläufe sind bisher nicht aufgetreten.
Leitsymptome und -zeichen von Rickettsiosen sind Fieber, starke
Kopf- und Muskelschmerzen und ein Exanthem, das häufig, aber R. helvetica: Aneruptives Zeckenbissfieber Diese Rickettsienart
nicht in allen Fällen vorkommt. Manche Krankheitsbilder gehen mit wurde in Ixodes-ricinus- und Dermacentor-reticulatus-Zecken in
einem Inokulationsgeschwür (Eschar, »Tache noire«) oder Lymph- verschiedenen Ländern Europas (inkl. Deutschland) nachgewiesen.
Bakteriologie

adenopathien einher. Fulminante und letal endende Verläufe mit Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch Fieber, Kopf-, Muskel-
Enzephalitis, Myokarditis, Nephritis und Hämorrhagien sind be- und Gliederschmerzen und verläuft im Allgemeinen mild. Ein Ex-
kannt. anthem fehlt. Das Auftreten einer Endokarditis und/oder Peri-
myokarditis wird diskutiert.
R. prowazekii: Epidemisches Fleckfieber (»Flecktyphus«) Nach
1–2 Wochen Inkubationszeit kommt es zu plötzlichem Krank- R. monacensis Diese Rickettsienart kommt in Ixodes-ricinus-
heitsbeginn mit Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Myalgien, Zecken in europäischen Ländern einschließlich Deutschland vor
Konjunktivitis und geschwollenem Gesicht (»Facies typhosa«). Am (Prävalenz: 0,5 % [GER] bis ca. 50 % [ITA]). Das milde Krankheits-
4.–5. Krankheitstag entwickelt sich in 90 % der Fälle ein Exanthem. bild zeichnet sich durch Fieber, Kopf-, Muskel- und Gliederschmer-
Dieses ist stammbetont, spart Gesicht, Fuß- und Handflächen meist zen aus. Exanthem (mit Hand- und Fußflächenbeteiligung) oder
aus und entwickelt sich von einem makulösen zu einem makulopa- Eschar sind möglich.
pulösen Exanthem mit nichtwegdrückbaren Petechien (Fleckfieber-
roseolen). Ohne Antibiotikatherapie führt die zerebrale Endothel- R. slovaca und R. raoultii: »tick-borne lymphadenopathy« (TIBOLA)
schädigung bei jedem 2. Patienten zu einer ausgeprägten Bewusst- (syn.: »Dermacentor-borne necrosis and erythema with lymph-
seinstrübung (gr. »typhos«: Nebel) und in 10–20 % zum Tod durch adenopathy« [DEBONEL]) Pathognomonisch ist das Auftreten
Koma (Enzephalitis) und Kreislaufversagen. eines Inokulationsulkus (Eschar) am Kopfhaaransatz bzw. auf dem
Da Rickettsien als intrazelluläre Erreger lebenslang in Wirtszel- behaarten Kopf und einer zervikalen Lymphknotenschwellung im
len persistieren können, wurden nach Fleckfieberepidemien bei Abflussgebiet der Läsion 6–7 Tage nach Stich einer Dermacentor-
Patienten mit durchgemachter Primärinfektion immer wieder Rück- marginatus- oder D. reticulatus-Zecke. Fieber und Exantheme sind
fälle beobachtet (Brill-Zinser Krankheit), wenn die Immunität z. B. selten, eine monatelange Schwäche ist möglich. Erste Fälle von
altersbedingt nachließ. TIBOLA in Deutschland sind beschrieben.

R. typhi : Endemisches Fleckfieber (»murines Fleckfieber«) Die Pa- R. akari: Rickettsienpocken Die Erkrankung manifestiert sich typi-
tienten präsentieren sich nach einer Inkubationszeit von 7–14 Tagen scherweise mit Fieber, Exanthem und Primärläsion (initial Papel,
mit hohem Fieber, Kopfschmerzen, Arthralgien, Myalgien und häu- dann Vesikel, schließlich bräunlich-schwarzer Eschar), die von einer
46.2 · Anaplasmataceae
385 46

. Abb. 46.3a, b Morula. Granulozyt im peripheren Blut mit Einschlüssen (Morulae) (a). Promyelozyten-Zelllinie mit Morula (b) (mit freundl. Genehmigung
von Dr. Friederike von Loewenich, Abteilung Mikrobiologie und Hygiene, Uniklinikum Freiburg)

schmerzhaften Lymphadenitis begleitet ist. Die Patienten weisen kPrävention


meistens zahlreiche Läsionen auf. Impfstoffe gegen Rickettsien existieren bisher nicht. Die einzige Pro-
phylaxe besteht in der Vermeidung der Exposition gegenüber den
R. felis: Flohfleckfieber (»cat flea typhus«) Diese Rickettsienart Vektoren (Repellents für Zecken; Entlausung). Der direkte und in-
kommt weltweit in Katzenflöhen (Ctenocephalides spp.) vor. Die direkte Nachweis von R. prowazekii ist meldepflichtig (§ 7 IfSG).
milde bis mittelschwere Erkrankung ist gekennzeichnet durch Fie-
ber, ausgeprägte Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen sowie respirato-
rische oder gastrointestinale Infektzeichen. Exanthem und/oder 46.2 Anaplasmataceae
Lokalgeschwür können fehlen.
46.2.1 Beschreibung
O. tsutsugamushi: Japanisches Fleckfieber (Tsutsugamushi-Fie-
ber, Milbenfleckfieber, »scrub typhus«) Das Krankheitsbild be- jAufbau
steht aus Fieber, Kopfschmerzen, Myalgien, Eschar an der Milben- Alle Anaplasmataceae sind kleine, pleomorphe Bakterien. Die Zell-
stichstelle, Lymphadenopathie und ggf. einer Enzephalitis. Das wand besteht wie bei gramnegativen Bakterien aus einer inneren und
makulopapulöse Exanthem kann flüchtig sein. Die Letalität im einer äußeren Membran. Anaplasma phagocytophilum, Ehrlichia
Endemieland beträgt bis zu 30 %. chaffeensis und Neorickettsia sennetsu können jedoch weder Pepti-
doglykan noch Lipid A synthetisieren. Stattdessen bauen sie Choles-
kImmunität terin aus der Wirtszelle in ihre dünne Zellwand ein. Anaplasma und
Zytotoxische T-Zellen, IFN-γ und TNF sind notwendig für die Er- Ehrlichia spp. besitzen eine Reihe von immundominanten, hoch-
regerkontrolle. Rickettsiosen hinterlassen im Allgemeinen keine variablen äußeren Membranproteinen (»outer membrane proteins«,
lebenslange Immunität. Kreuzimmunität zwischen den einzelnen OMPs), die teilweise Porinaktivität aufweisen und der Nährstoffauf-
Rickettsienspezies ist möglich, aber bisher nicht gut untersucht. nahme dienen.
Im Gegensatz zu den Rickettsiaceae sind A. phagcytophilum
kLabordiagnose und E. chaffeensis in der Lage, Nukleotide, die meisten Vitamine
Standardverfahren ist der Nachweis von IgM- und IgG-Antikörpern und Kofaktoren (z. B. NAD, FAD, Biotin) sowie einige Aminosäuren
im Patientenserum durch ELISA oder indirekte Immunfluoreszenz. selbst herstellen. Wie bei den Rickettsiaceae ist weder eine
Untersucht werden am besten 2 Serumproben im Abstand von β-Oxidation von Fettsäuren noch eine Glykolyse möglich.
3 Wochen, um ggf. einen Titeranstieg (≥ 4-fach) zu dokumentieren. In infizierten Wirtszellen liegen die Bakterien als kleinere, dichte
Bei Patienten mit Zeckenbissfieber und Primärläsion können Haut- Zellen (0,2–0,4 μm) vor, die mit Elementarkörperchen von Chlamy-
biopsien mittels PCR auf Rickettsien-DNA untersucht werden. Die dien vergleichbar sind, oder als größere Zellen (0,8–1,6 μm), die an
kulturelle Anzucht von Rickettsien erfordert Speziallaboratorien Retikularkörperchen erinnern. Beide Formen sind teilungsfähig und
(Sicherheitsstufe 3). entwickeln sich zu lichtmikroskopisch sichtbaren (2–5 μm), maul-
beerartigen Einschlüssen (lat. »morulae«) (. Abb. 46.3).
kTherapie
Die Standardtherapie für alle Rickettsiosen ist Doxycyclin. Dies gilt jMolekularbiologie
auch für Kinder unter 9 Jahren, da aufgrund der Kürze der Therapie Die Genome von A. phagocytophilum, E. chaffeensis und N. sennet-
(7 Tage) eine Zahnschädigung unwahrscheinlich ist. Alternativ sind su sind sequenziert und bestehen aus 1,47, 1,18 bzw. 0,86 Mio. Ba-
Ciprofloxacin oder Chloramphenicol einsetzbar. Die Wirksamkeit senpaaren. Der Anteil nichtkodierender DNA-Sequenzen liegt bei
von Makroliden (Clarithromycin, Azithromycin) ist bisher nur für 27, 21 bzw. 13 %. Im Genom finden sich die Gene für ein Typ-4-Pro-
das Mittelmeerfleckfieber belegt. β-Laktame, Aminoglykoside und teinsekretionssystem, die auf 2 Genloci (virB und virD) verteilt sind.
Cotrimoxazol sind unwirksam. Das Genom von Candidatus (C.) Neoehrlichia mikurensis ist bisher
nicht bekannt.
386 Kapitel 46 · Rickettsiaceae (Rickettsia, Orientia), Anaplasmataceae (Anaplasma, Ehrlichia, Neoehrlichia, Neorickettsia) und Coxiellaceae

jSezernierte Produkte dem auch aus anderen Ländern (Schweden, Tschechien, Schweiz,
AnkA ist eines der Effektorproteine, das vom Typ-4-Sekretions- Polen, China) berichtet.
system der Anaplasmataceae transportiert wird. AnkA ist für die
Replikation von A. phagocytophilum essenziell, interagiert in der kÜbertragung
Wirtszelle mit der SHP-1-Tyrosinphosphatase und löst – über epi- Mit Ausnahme von Bakterien der Spezies N. sennetsu, die durch den
genetische Prozesse – die Herunterregulation verschiedener Wirts- Verzehr trematodeninfizierter Fische aufgenommen werden, wer-
abwehrmechanismen (z. B. NADPH-Oxidase) aus. den Anaplasmataceae durch den Stich infizierter Zecken auf den
Menschen übertragen:
4 A. phagocytophilum: Ixodes scapularis, I. pacificus und I. ricinus
jResistenz gegen äußere Einflüsse 4 E. chaffeensis: Amblyomma americanum, Dermacentor varia-
Aufgrund der sehr dünnen Zellwand sind Anaplasmataceae extrem bilis und I. pacificus
empfindlich gegenüber Ultraschall, Einfrieren oder Veränderungen 4 E. ewingii: A. americanum and D. variabilis
der Osmolarität. 4 E. muris-like agent: I. scapularis
4 Candidatus Neoehrlichia mikurensis: I. ricinus und andere
Ixodes-Spezies.
jVorkommen
Anaplasmataceae sind obligat intrazelluläre Bakterien und befal- In Süddeutschland sind ca. 4–9 % der I. ricinus-Zecken mit A. pha-
len  beim Menschen im Blut Granulozyten (A. phagocytophilum, gocytophilum und ca. 2–25 % mit C. Neoehrlichia mikurensis infi-
E. ewingii) oder Monozyten/Makrophagen (E. chaffeensis, N. sen- ziert, während humanpathogene Ehrlichia-Spezies in heimischen
netsu). Das »E. muris-like agent« wurde im Mausmodell in mono- Zecken nicht vorkommen. Übertragungen durch infiziertes Blut,
nukleären Zellen und Endothelzellen verschiedener Organe gefun- Blutprodukte, Organtransplantate oder diaplazentar während der
den. Bei C. Neoehrlichia mikurensis werden Granulozyten und Schwangerschaft sind bisher extrem selten.
Endothelzellen als primäre Zielzellen vermutet. Reservoir für
A. phagocytophilum und E. chaffeensis sind verschiedene Gattun- kPathogenese
gen von Zecken, Nagetiere (Maulwürfe, Ratten, Mäuse), Rehe und A. phagocytophilum bindet an Granulozyten über den P-Selectin-
Hirsche. N. sennetsu findet sich in Wurmparasiten von Fischen. Das Glykoprotein-Liganden PSGL-1 und wird anschließend über
mögliche Reservoir für C. Neoehrlichia mikurensis sind verschie- Caveolae endozytiert. Der Erreger vermehrt sich in Endosomen, die
dene Nagetiere (z. B. Mäuse, Ratten, Maulwürfe) und Igel. nicht mit Lysosomen fusionieren, bzw. in frühen Autophagosomen.
Infizierte neutrophile Granulozyten zeigen eine reduzierte spon-
tane  Apoptose und sezernieren proinflammatorische Chemokine
46.2.2 Rolle als Krankheitserreger (MCP-1, MIP-1α, IL-8) und Zytokine (IL-1, IL-6, TNF), während
ihre Fähigkeit zur Sauerstoffradikalproduktion und zur Antwort auf
kEpidemiologie IFN-γ im Vergleich zu nichtinfizierten Zellen deutlich reduziert ist.
Die humane granulozytäre Anaplasmose (HGA) wurde 1994 zu- Die Anlockung weiterer Entzündungszellen führt zu Gewebeschäden.
erst in den USA (Neuengland) beschrieben. Mit Inzidenzen von bis E. chaffeensis repliziert in frühen Endosomen von Makro-
zu 58 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern ist sie heute in den phagen. Das Bakterium kann auf Wirtszellen in vitro zytotoxisch
Staaten der Ostküste, des Mittleren Westens und in Nordkalifornien wirken. In vivo scheint hingegen die massive proinflammatorische
Bakteriologie

die zweithäufigste zeckenübertragene Erkrankung nach der Borre- Wirkung von E. chaffeensis mit Freisetzung von Zytokinen (z.B.
liose. TNF und IFN-γ) für die Erkrankung verantwortlich zu sein. Sowohl
Die Zahl der dokumentierten klinischen Erkrankungen in Euro- A. phagocytophilum als auch E. chaffeensis werden durch Exozytose
pa ist bisher gering. Akute Fälle von HGA wurden unter anderem in oder durch Wirtszelllyse freigesetzt.
Schweden, Norwegen, den Niederlanden, Polen und Slowenien be- Das »E. muris-like agent« löst im Mausmodell einen akuten
obachtet. Trotz bisher fehlendem, direktem Erregernachweis bei Leberschaden aus. Über die Pathogenese der humanen E. ewingii-
akut Erkrankten sprechen seroepidemiologische Untersuchungen Infektion und der C. Neoehrlichia mikurensis-Infektion ist kaum
dafür, dass Infektionen beim Menschen auch in Deutschland und etwas bekannt, da beide Erreger bisher nicht angezüchtet wurden.
anderen Ländern Europas sowie in Asien auftreten. Bei Risiko- E. ewingii scheint die Apoptose von Granulozyten zu hemmen.
personen (z. B. Waldarbeitern) beträgt die Seroprävalenzrate in C. Neoehrlichia mikurensis verursacht möglicherweise durch Infek-
Deutschland (Nachweis von Antikörpern gegen A. phagocytophi- tion von Endothelzellen thromboembolische Ereignisse.
lum) 10–20 %.
Die humane monozytäre Ehrlichiose (HME) wurde erstmals kKlinik
1986 in den USA beobachtet. Der Nachweis von E. chaffeensis in An eine HGA, eine humane granulozytäre Ehrlichiose (HGE), eine
Zecken und das Auftreten von Erkrankungen durch E. chaffeensis HME oder eine Infektion mit dem »E. muris-like agent« ist zu den-
sind bisher auf die USA (47 Bundesstaaten) beschränkt. Antikörper ken, wenn innerhalb 4–14 Tagen nach einem Zeckenstich Fieber,
gegen E. chaffeensis wurden auch bei Patienten in Afrika, Israel, Abgeschlagenheit, Zephalgien, Myalgien, Blutbildveränderungen
Russland und Europa gefunden, was durch Infektionen während (Leukopenie, Thrombopenie, seltener leichte Anämie) und Transa-
früherer Aufenthalte in den USA oder durch serologische Kreuz- minasenerhöhungen auftreten. Bei der HME, weniger bei der HGA,
reaktionen bedingt sein kann. Die humane granulozytäre Ehrli- kommt es zu verschiedenen Organsymptomen (z. B. Übelkeit, Er-
chiose durch E. ewingii und Infektionen mit »E. muris-like agent« brechen, Bauchschmerzen; respiratorische Insuffizienz; Nierenver-
wurden 1999 bzw. 2011 erstmalig beschrieben und sind bis heute auf sagen; Lymphknotenschwellung, Splenomegalie; Verwirrtheits-
die USA beschränkt. zustände, Meningoenzephalitis). Exantheme sind selten. Schwere
Der 1. Fall einer klinisch manifesten humanen Neoehrlichiose Krankheitsverläufe mit Schocksyndrom können letal enden (HME
wurde 2007 in Deutschland diagnostiziert. Infektionen wurden seit- 3 %, HGA 0,7 %).
46.3 · Coxiellaceae
387 46
Die humane Neoehrlichiose ist bei immunsupprimierten Pa- jMolekularbiologie
tienten durch hohes Fieber (bei negativer Blutkultur), Schüttelfrost, Das Genom von C. burnetii (1,99 Mio. Bp) weist eine ungewöhnlich
Nachtschweiß, wandernde Muskel-, Nacken- und Gelenkschmerzen hohe Anzahl (29) verstreut liegender Insertionssequenzen auf. Gene
sowie das Auftreten vaskulärer/thromboembolischer Komplikatio- für Pili und andere Adhäsine fehlen. Komponenten für Typ-1-, Typ-
nen (z. B. tiefe Venenthrombose) gekennzeichnet. Ein Hautaus- 2- und Typ-4-Proteinsekretionssysteme sind vorhanden.
schlag ist möglich. Bei immunkompetenten Patienten sind milde
Verläufe (mit Fieber, Übelkeit, Kopfschmerzen und Nackensteifig- jSezernierte Produkte
keit) oder asymptomatische Infektionen beschrieben. Es gibt genetische und biochemische Hinweise für die Produktion
Das nur in Fernost (Japan, Malaysia) vorkommende Sennetsu- einer sauren Phosphatase. Untersuchungen in einem Surrogatbakte-
Fieber ähnelt klinisch einer infektiösen Mononukleose (Fieber, rium ergaben, dass das Typ-4-Sekretionssystem von C. burnetii zum
Zephalgien, Myalgien, Lymphadenopathie, Splenomegalie, initial Transport einer Vielzahl von Proteinen befähigt ist, welche die
Leukopenie, dann Lymphozytose). Wirtszelle modulieren (sog. Effektorproteine, z. B. AnkG).

kImmunität jResistenz gegen äußere Einflüsse


Die Erregerkontrolle ist T-Zell-abhängig. Weder die HME noch die C. burnetii ist extrem resistent gegen Umwelteinflüsse (z. B. UV-
HGA führt zu bleibender Immunität. Reinfektionen sind beschrieben. Strahlung, Temperatur, Austrocknung, Druck, saurer pH, osmotischer
und oxidativer Stress). Bei 15–20 °C kann es bis zu 10 Monate über-
kLabordiagnose leben, wozu möglicherweise die vermutete Sporenbildung beiträgt.
Akute Infektionen mit Anaplasmataceae lassen sich am sichersten
durch PCR-Amplikation diagnostizieren. Bei akuter HGA, HME jVorkommen
oder Infektion mit »E. muris-like agent« ist mitunter auch der Nach- C. burnetii repliziert im infizierten Menschen primär in myeloi-
weis des Erregers (Morulae) im peripheren Blut oder Gewebe mittels schen Zellen (7 s. u.). Eine Erregervermehrung findet auch in freile-
Giemsa-Färbung (. Abb. 46.3) oder kultureller Anzucht in Wirts- benden Amöben sowie in den Magen- und Darmepithelzellen von
zellen möglich. Bei Infektionen mit A. phagocytophilum oder Zecken statt, die große Mengen hochinfektiöser Coxiellen (Phase I)
E. chaffeensis kann eine retrospektive Diagnose durch die Detektion mit den Fäzes ausscheiden. Das Reservoir bilden neben Zecken vor
spezifischer Antikörper (IFT, ELISA, Western-Blot) gestellt werden. allem Paarhufer (Schafe, Ziegen und Rinder), die den Erreger über
Dabei ist ein mindestens 4-facher Titeranstieg zwischen Akut- und verschiedene Wege ausscheiden (7 s. u.).
Rekonvaleszenten-Serum zu fordern.

kTherapie 46.3.2 Rolle als Krankheitserreger


Mittel der Wahl bei allen Anaplasmataceae ist Doxycyclin (auch bei
Kindern unter 9 Jahren; 7 s. o.). Bei absoluter Kontraindikation kEpidemiologie
(Schwangerschaft) kann Rifampicin eingesetzt werden. β-Laktame, Das Q-Fieber (Query-Fieber: unklares Fieber) ist eine weltweit ver-
Aminoglykoside, Makrolide und Chloramphenicol sind unwirksam, breitete Anthropozoonose. Infektionsgefährdet sind Menschen, die
bei Ehrlichia spp. auch Gyrasehemmer. beruflich bedingt direkten Kontakt mit Reservoirtieren und deren
Ausscheidungen haben (z. B. Veterinäre, Schlachtereiarbeiter, Land-
kPrävention wirte, Schäfer).
Es existiert kein Impfstoff. Einzige Prophylaxe ist der Schutz vor In Deutschland sind die regelmäßig auftretenden Q-Fieber-
Zeckenstichen. Frühzeitige Therapie bei Erkrankung verhindert Ausbrüche meist auf infizierte Schafherden zurückzuführen (z. B.
schwere Verläufe. Meldepflicht nach dem IfSG besteht nicht. durch Weiden nahe Wohngebieten oder Besuch von Schafhöfen). In
den letzten 10 Jahren wurden in Deutschland jährlich 100–500 Q-
Fieber-Erkrankungen gemeldet. 2009 kam es vor allem im Süden der
46.3 Coxiellaceae Niederlande zu einem Massenausbruch mit 2361 Erkrankungsfällen,
die teilweise in einem geografischen Zusammenhang mit Ziegen-
46.3.1 Beschreibung farmen standen.

jAufbau kÜbertragung
Coxiella burnetii, der einzige bekannte humanpathogene Vertreter Der Mensch infiziert sich durch direkten Kontakt mit Organen oder
der Familie der Coxiellaceae, ist ein kleines (0,3–0,7 μm), pleo- Ausscheidungen infizierter Tiere (z. B. Amnionflüssigkeit/Plazen-
morphes, obligat intrazelluläres Stäbchenbakterium, das in der ta/Lochien, Milch, Urin, Stuhl) oder indirekt durch Inhalation von
Wirtszelle einen morphologischen Entwicklungszyklus (nichtrepli- erregerhaltigem Bodenstaub oder getrocknetem Zeckenkot, der
zierende kleine Bakterien, replizierende große Bakterien, endo- sich durch Windeinwirkung oft kilometerweit verbreitet. Die Infek-
sporenähnliche Partikel) durchläuft. Die Zellwand hat einen gram- tionsdosis liegt bei unter 10 Bakterien. Epidemiologisch besonders
negativen Aufbau und ist Grundlage der Phasenvariation von relevant sind die Reste von Geburtsprodukten auf Schaf- und Zie-
C. burnetii: genweiden sowie der Zeckenkot im Vlies von Schafen (. Abb. 46.4).
4 Phase-I-Bakterien (virulent) besitzen ein LPS mit intakter Infektionen können bei trächtigen Tieren zu Aborten führen.
O-Polysaccharid-Seitenkette. Die Übertragung durch Rohmilch oder Rohkäse scheint epide-
4 Phase-II-Bakterien (avirulent) synthetisieren infolge einer miologisch von untergeordneter Bedeutung zu sein. Eine Übertra-
chromosomalen Mutation nur ein stark trunkiertes LPS (ohne gung von Mensch zu Mensch ist auf Sondersituationen beschränkt
O-Antigen). (z. B. Kontakt mit infizierten gebärenden Frauen, Knochenmark-
transplantation, intrauterine Infektion des Fetus, Sexualkontakte mit
Infizierten).
388 Kapitel 46 · Rickettsiaceae (Rickettsia, Orientia), Anaplasmataceae (Anaplasma, Ehrlichia, Neoehrlichia, Neorickettsia) und Coxiellaceae

. Abb. 46.4a, b Coxiella burnetii. Zeckenbefallene Schafherde, Schwärzung des Vlieses am Halsbereich (a); Zecken der Spezies Dermacentor marginatus
(Schafzecke) und Zeckenkot im Vlies eines Schafs (b) (mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Georg Baljer, Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten
der Tiere, Universität Gießen)

kPathogenese kImmunität
C. burnetii wird von Makrophagen durch Phagozytose unter Betei- Wie Mausmodelle zeigten, sind T-Zellen, IFN-γ, TNF und B-Zellen
ligung des CR3-Rezeptors und/oder des αvβ3-Integrins aufgenom- für die Erregerkontrolle und die Verhinderung eines Gewebescha-
men. Das Bakterium ist azidophil und repliziert (Verdopplungszeit dens notwendig. Die Erkrankung hinterlässt eine zelluläre und hu-
12–20 h) im Gegensatz zu den meisten anderen Bakterien in einem morale Immunität. Erregerpersistenz ist möglich, sodass es bei
späten azidifizierten Phagosom oder einem Phagolysosom, da die Schwangerschaft oder Immunsuppression zu endogenen Reaktivie-
sauren Bedingungen (pH 4,5–5,2) seine Aminosäure- und Nuklein- rungen kommen kann.
säuresynthese stimulieren.
Die intrazelluläre Vermehrung von C. burnetii wird begünstigt kLabordiagnose
durch die Hemmung der Wirtszellapoptose (z. B. durch AnkG). Des Methode der Wahl ist der Immunfluoreszenztest zum Nachweis von
Weiteren lösen virulente Isolate im Gegensatz zu avirulenten Stäm- Antikörpern gegen C. burnetii. Bei akutem Q-Fieber herrschen
men nur eine geringe proinflammatorische Zytokinantwort in Mak- Antikörper gegen Phase-II-Antigene vor, während ein chronisches
Bakteriologie

rophagen und dendritischen Zellen aus, was möglicherweise zum Q-Fieber durch hohe Titer gegen Phase-I-Antigene gekennzeichnet
Überleben des Erregers in einem an sich immunkompetenten Wirt ist. Aus Gewebeproben kann der Erreger auch mittels Nukleinsäure-
beiträgt. Bei Patienten mit chronischem Q-Fieber ist die Produktion amplifikation (PCR) oder durch kulturelle Anzucht in Wirtszellen
von TNF (kompensatorisch auch von IL-10) gesteigert. Im entzün- (Labor der Sicherheitsstufe 3!) nachgewiesen werden. Die kürzlich
deten Gewebe finden sich Makrophagen, Riesenzellen, Lympho- beschriebene zellfreie Anzucht von C. burnetii in axenischen Spe-
und Granulozyten, die Granulome mit einem zentralen Freiraum zialmedien hat bislang für die Diagnostik keine Bedeutung.
(»doughnut granuloma«) ausbilden.
kTherapie
kKlinik Mittel der Wahl beim akuten Q-Fieber ist die Gabe von Doxycyclin
Etwa 50 % der Infektionen verlaufen asymptomatisch. Ein klinisch für 3 Wochen. Bei Meningoenzephalitis können Fluorchinolone
akutes Q-Fieber manifestiert sich nach 3 Wochen Inkubationszeit oder Chloramphenicol zum Einsatz kommen. In der Schwanger-
als interstitielle Pneumonie oder Hepatitis mit heftigen Kopf- und schaft können durch Gabe von Cotrimoxazol (plus Folinsäure)
Gliederschmerzen. Kardiale (Myo-, Perikarditis) oder neurologische Plazentainfektionen mit nachfolgendem Abort, intrauterinem
Manifestationen kommen nur bei jeweils 2 % der akut Erkrankten Fruchttod oder intrauteriner Wachstumsverzögerung sowie die Ent-
vor. Ein Q-Fieber in der Schwangerschaft führt besonders im 1. Tri- wicklung eines chronischen Q-Fiebers bei der Mutter verhindert
menon zu Abort bzw. Frühgeburt. werden.
Etwa 1 % der Patienten entwickelt ein chronisches Q-Fieber, das Beim chronischen Q-Fieber wird Doxycyclin mit Hydroxychlo-
als Endokarditis (oft ohne sonografisch erkennbare Klappenvegeta- roquin kombiniert, um durch eine Alkalisierung des Phagolysosoms
tionen), seltener als chronische Hepatitis oder Osteomyelitis, in Er- die Wirksamkeit des Doxycyclins zu erhöhen. Die Therapie geht
scheinung tritt. Eine Q-Fieber-Endokarditis entwickelt sich fast nur über Jahre, die Prognose ist ungünstig.
bei vorbestehender Herzklappenanomalie oder Immunsuppression.
Kleinere, klinisch asymptomatische Klappenanomalien reichen aus kPrävention
(z. B. Mitralklappenprolapssyndrom, bikuspide Aortenklappe). Bisher existieren nur experimentelle Vakzinen für Mensch und Tier,
die in Deutschland nicht zugelassen sind. Infektionen des Menschen
lassen sich nur durch Expositionsprophylaxe verhindern. Geeignete
Literatur
389 46
Maßnahmen sind das Ablammen/Abkalben im Stall, die geschlosse-
ne Entsorgung von Geburtsprodukten, die Distanz zu Schafherden Labordiagnose Nachweis erregerspezifischer Antikörper. Erre-
und die Behandlung von Schafen gegen Ektoparasiten. gernachweis im Blut bei HGA/HGE/HME (Giemsa-Färbung, PCR)
Der direkte und indirekte Erregernachweis ist meldepflichtig und bei Neoehrlichiose (PCR), in Hautläsionen bei Rickettsien-
(§ 7 IfSG). Zeckenbissfieber (PCR) oder in Herzklappen beim chronischen
Q-Fieber (PCR).
Therapie Doxycyclin (bei chronischem Q-Fieber kombiniert mit
In Kürze Hydroxychloroquin).
Rickettsiaceae, Anaplasmataceae, Coxiellaceae Immunität Keine bleibende Immunität bei Rickettsiaceae und
Taxonomie Rickettsiaceae (Genera Rickettsia und Orientia) und Anaplasmataceae (exogene Reinfektionen möglich). Bei C. bur-
Anaplasmataceae (Genera Anaplasma, Ehrlichia, Neoehrlichia netii ausgeprägte Immunität, endogene Reaktivierungen je-
und Neorickettsia) gehören zur Klasse der α-Proteobakterien, doch möglich.
Coxiellaceae zu den genetisch weit entfernten Prävention Keine zugelassene Impfung. Expositionsprophylaxe
γ-Proteobakterien. und Elimination der Vektoren. Meldepflicht bei direktem oder
Bakteriologie Kleine, gramnegative Bakterien. Bei O. tsutsuga- indirektem Nachweis von R. prowazekii und von C. burnetii.
mushi, A. phagocytophilum, E. chaffeensis, N. sennetsu und wahr-
scheinlich auch C. Neoehrlichia mikurensis weder Peptidoglykan
noch Lipid A. Bei Rickettsiaceae, Anaplasmataceae und Coxiella
burnetii finden sich Gene für ein Typ-4-Proteinsekretionssystem.
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< 1–20 %.
5 HGA (A. phagocytophilum), humane granulozytäre Ehrlichiose
(HGE; E. ewingii), humane monozytäre Ehrlichiose (HME;
E. chaffeensis), Infektion mit »E. muris-like agent«: (Hohes)
Fieber, Abgeschlagenheit, Kopf-/Muskelschmerzen, Leuko-
penie, ggf. Thrombopenie und Anämie, Transaminasen-
erhöhung, evtl. weitere Organsymptome. Letalität 0,7 %
(HGA) bzw. 3 % (HME).
5 Humane Neoehrlichiose (C. Neoehrlichia mikurensis): Bei
Immunsupprimierten hohes Fieber, Myalgien, Arthralgien,
vaskuläre/thromboembolische Komplikationen, evtl. Exan-
them; bei Immunkompetenten milder oder asymptoma-
tischer Verlauf.
5 Q-Fieber: Interstitielle Pneumonie oder Hepatitis (akutes
Q-Fieber); Endokarditis (chronisches Q-Fieber).
391 47

Bartonellen
V. A. J. Kempf, I. B. Autenrieth

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_47, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Gattung Bartonella umfasst gramnegative, fakultativ intrazelluläre, 47.1 Bartonella henselae
stäbchenförmige Bakterien (. Tab. 47.1), die nach dem peruanischen
Bakteriologen Alberto Leonardo Barton benannt wurden. Sie sind Steckbrief
phylogenetisch eng mit den Genera Rickettsia (7 Kap. 46) und Brucella
(7 Kap. 36) verwandt. Zurzeit sind über 30 Bartonella-Spezies be- B. henselae ist der Erreger der Katzenkratzkrankheit (KKK) und
schrieben. Die wichtigsten Erreger sind B. henselae, B. quintana und verursacht bei Immunsupprimierten (z. B. AIDS-Patienten) die
B. bacilliformis. Die Krankheitsbilder reichen von leichten lokalen bis vaskuloproliferativen (gefäßneubildenden) Erkrankungen bazil-
hin zu schwersten systemischen Infektionsverläufen (. Tab. 47.2). läre Angiomatose (BA) und Peliosis hepatis (PH). Auch als Erre-
Bartonellen sind die einzigen Bakterien, die pathologisches Blutgefäß- ger der »kulturnegativen« Endokarditis spielt B. henselae eine
wachstum auslösen können. wichtige Rolle (»kulturnegativ« bedeutet, dass ein Erregernach-
weis mittels Kultur nur äußerst selten gelingt). Die Spezies
wurde erst 1990 von David Relman entdeckt.

. Tab. 47.1 Bartonella: Gattungsmerkmale

Merkmal Ausprägung 47.1.1 Beschreibung


Gramfärbung gramnegative Stäbchen jAufbau
Aerob/anaerob mikroaerophil B. henselae ist ein kleines, pleomorphes, gramnegatives Stäbchen,
das von einem dichten Saum des Bartonella-Adhäsins A (BadA) be-
Kohlenhydratverwertung ja deckt ist (. Abb. 47.1). Obwohl der Erreger den Zellwandaufbau
Sporenbildung nein gramnegativer Bakterien besitzt, lässt er sich mittels Gramfärbung
kaum anfärben; der diagnostische Nachweis erfolgt daher meist mit-
Beweglichkeit uneinheitlich
tels molekularer Verfahren oder Spezialfärbungen.
Katalase negativ Das Genom von B. henselae (ca. 1,93 Mio. Bp) umfasst etwa
Oxidase negativ 2000 Gene. Im Gegensatz zu den eng verwandten Rickettsien
(7 Kap. 46), die sich nur intrazellulär vermehren können und ihren
Besonderheiten langsames Wachstum auf reichhaltigen
ATP-Bedarf aus dem Zytoplasma der infizierten Wirtszelle decken,
Festnährmedien
besitzen Bartonellen die Fähigkeit zur Glykolyse und ATP-Synthese.
Dem Außenmembranprotein BadA kommt im Infektionsprozess
entscheidende Bedeutung zu, ebenso dem VirB/VirD4-Typ-4-Pro-
teinsekretionssystem (T4SS; 7 Kap. 32, . Abb. 32.2). Dieses bildet
. Tab. 47.2 Bartonella: natürliches Vorkommen, Überträger und
einen nadelartigen Pilus (»molekulare Injektionsnadel«), durch den
Erkrankungen des Menschen
Effektorproteine (Bep; 7 s. u.) in Wirtszellen »injiziert« werden.
Art Reservoir Vektor Erkrankung(en), Möglicherweise spielen diese Pathogenitätsfaktoren (7 Kap. 3) zu
Symptom unterschiedlichen Zeitpunkten im Infektionsverlauf (Kolonisierung,
intrazelluläres Wachstum, Immunevasion) eine Rolle. Plasmide sind
B. bacilliformis Mensch Sandfliege Carrión-Krankheit: nicht bekannt.
Oroya-Fieber,
Verruga peruana jExtrazelluläre Produkte
B. quintana Mensch, Hund? Körperlaus Wolhynisches Fieber,
Bartonella-translozierte Effektorproteine (Bep) werden über das
bazilläre Angioma- VirB/VirD4-T4SS in Wirtszellen injiziert. Dabei scheint die Expres-
tose, Endokarditis sion von BadA diesen Vorgang zu verhindern:
4 BepA verursacht die Inhibition der Endothelzellapoptose,
B. henselae Katze, andere Katzenfloh, Katzenkratzkrank-
eine proinflammatorische Aktivierung und Zytoskelett-
Säugetiere? Zecke (?) heit, bazilläre Angio-
matose, Endokardi-
umlagerungen.
tis, Neuroretinitis 4 BepE scheint an der durch dendritische Zellen der Haut
vermittelten Dissemination der Bakterien aus der Haut in
B. rochalimae Mensch (?), Flöhe (?) Fieber,
den Blutstrom beteiligt zu sein.
Füchse, Kojoten, Splenomegalie
4 BepC, F, G interferieren mit der Aufnahme bakterieller
Waschbären
Aggregate.
392 Kapitel 47 · Bartonellen

a b

. Abb. 47.1 Elektronenmikroskopie von B. henselae. Links: Kolorierte Rasterelektronenmikroskopie von Endothelzell-infizierenden B. henselae (Bakterien
grün, Endothelzellen rot). Rechts: Teilaufnahme von B. henselae. Zu erkennen sind die innere (*) und äußere (**) Membran sowie die ca. 300 nm langen
Adhäsine

jResistenz gegen äußere Einflüsse Pathogenese der Katzenkratzkrankheit Nach Inokulation der Er-
B. henselae ist gegenüber hohen und niedrigen Temperaturen sowie reger (z. B. über Katzenkratzer) wird B. henselae über das lymphati-
Desinfektionsmitteln empfindlich und kann nur unter mikroaero- sche System in die regionären Lymphknoten drainiert. Die starke
philen Bedingungen überleben. Immunreaktion führt zu einer follikulären Hyperplasie, im Zentrum
der Follikel können sich Mikroabszesse bilden.
jVorkommen
Der wichtigste Wirt von B. henselae sind junge Katzen, die eine tran- Pathogenese der bazillären Angiomatose und Peliosis hepatis
siente asymptomatische Bakteriämie aufweisen. In jüngster Vergan- BA und PH sind durch das ausgeprägte Wachstum von Blutgefäßen
genheit wurde der Erreger jedoch auch in vielen anderen Säugetieren gekennzeichnet und das Resultat einer chronischen B. henselae-
(z. B. Hunden) gefunden. Auch in Katzenflöhen und Zecken kommt Infektion; eine antibiotische Therapie führt zur kompletten Rück-
B. henselae vor. bildung. Vermutlich tragen verschiedene Mechanismen zur Stimu-
Bakteriologie

lation des Gefäßwachstums bei, z. B. Hemmung der Endothelzella-


poptose sowie Sekretion vaskuloproliferativ wirksamer Zytokine aus
47.1.2 Rolle als Krankheitserreger infizierten Wirtszellen.

kEpidemiologie kKlinik
B. henselae-Infektionen des Menschen kommen weltweit vor. 80 % Bei immunkompetenten Patienten manifestiert sich eine B. henselae-
der Patienten sind Kinder im Alter zwischen 2 und 14 Jahren. Die Infektion in der Regel als lokalisierte, selbstlimitierende Erkrankung
Antikörperprävalenz liegt bei ca. 6–10 % der gesunden Bevölkerung. (z. B. KKK oder Lymphadenopathie), während bei Immunsuppri-
Eine Studie in Süddeutschland zeigte, dass 14 % aller unklaren mierten (z. B. AIDS-Patienten) lang anhaltende und systemische
Schwellungen im und Kopf-Hals-Bereich durch B. henselae verur- Infektionen (z. B. BA) zu beobachten sind.
sacht sind. Die Bartonella-Bakteriämierate bei jungen Katzen in
Deutschland liegt zwischen 13–90 %. Katzenkratzkrankheit Vor allem Kinder und Jugendliche sind be-
troffen. An der Eintrittspforte des Erregers (Biss- oder Kratzwunde)
kÜbertragung entwickelt sich innerhalb 1 Woche eine kleine, verkrustete, nichtju-
Wahrscheinlich infiziert sich der Mensch durch Kratzer oder Bisse ckende Papel (. Abb. 47.2), die über Monate bestehen kann. Ein Teil
bakteriämischer Katzen, zwischen Katzen wird der Erreger durch der Infizierten leidet an Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Übel-
Katzenflöhe übertragen. Welche Bedeutung der Nachweis von keit, Arthralgien, Exanthemen oder Thrombopenie. Nach Tagen bis
B. henselae in anderen Säugetieren (z. B. Hunden) im Hinblick auf Wochen bildet sich eine regionäre Lymphadenitis aus (typisch: axil-
Infektionen des Menschen hat, ist unklar. Möglicherweise kommen lär, supraklavikulär oder zervikal). Dabei können die betroffenen
auch Zecken oder Flöhe als Vektoren in Betracht. Lymphknoten > 5 cm Durchmesser erreichen. Histopathologisch
finden sich die Zeichen einer retikulären Abszedierung, selten
kPathogenese kommt es zur Einschmelzung. In der Regel heilt die Lymphadenitis
Bartonellen gehören zu den fakultativ intrazellulären Pathogenen, innerhalb 2–4 Monaten folgenlos aus. Selten tritt ein Parinaud’sches
d. h., sie können sowohl extrazellulär als auch in Wirtszellen repli- okuloglanduläres Syndrom (Kombination aus nichteitriger Kon-
zieren. junktivitis und Lymphadenitis) auf.
47.1 · Bartonella henselae
393 47

. Abb. 47.2 Links: Eintrittspforte von B. henselae am Unterarm bei KKK mit anamnestischer Angabe »Katzenkratzer«. Rechts: Histologie eines betroffenen
Lymphknotens; die Pfeile deuten auf die granulomatöse Entzündung mit zentraler Nekrose (N) (aus Kempf, V., Der Mikrobiologe, 2007, 171–180)

Bazilläre Angiomatose und Peliosis hepatis Die vaskuloproliferati- kLabordiagnose


ven Krankheitsbilder bazilläre Angiomatose (BA; kutane Manifesta- Das am besten geeignete Verfahren zur Diagnose von B. henselae-
tion: . Abb. 47.3) und Peliosis hepatis (PH; hepatische Manifestation) Infektionen sind Immunfluoreszenztests zum serologischen Nach-
betreffen vorwiegend Immunsupprimierte (AIDS-Patienten) und weis spezifischer Antikörper. Ein direkter Erregernachweis sollte
können zu Komplikationen (starken Blutungen) führen. Histopatho- immer dann angestrebt werden, wenn die Serologie nicht zu einer
logisch sind diese Erkrankungen durch das Auftreten von mit Endo- eindeutigen Diagnose führt oder wegen Immunsuppression unzu-
thel ausgekleideten lobulären Kapillarproliferationen charakterisiert. verlässig erscheint. Dabei stellt die Amplifikation Bartonella-spezi-
Eine antibiotische Therapie resultiert in der kompletten Rückbildung fischer DNA mittels PCR die zuverlässigste Methode des direkten
dieser Vaskuloproliferationen, Rückfälle sind jedoch häufig. Erregernachweises dar. Weiterhin sind »Versilberungsfärbungen« in
der histopathologischen Diagnostik gängig.
Andere Krankheitsbilder Selten entwickeln sich neurologische Ma- Eine Biopsie zum Ausschluss maligner Erkrankungen sowie
nifestationen (z. B. Enzephalitis, Neuroretinitis) oder eine »kultur- Untersuchungen auf mykobakterielle Infektionen (7 Kap. 41) oder
negative« Endokarditis. Bei Immunsupprimierten disseminieren Toxoplasmose (insbesondere nach Katzenkontakt, 7 Abschn. 82.8)
B. henselae-Infektionen häufiger und können zu Abszessen oder sind zu empfehlen. Der kulturelle Nachweis von B. henselae ist auf-
Leber- und Lungengranulomen führen. Ob andere Krankheitsbilder grund des langsamen Wachstums meistens nicht erfolgsverspre-
(rheumatisch, neurologisch) mit B. henselae-Infektionen in Verbin- chend. Neu beschriebene Flüssigmedien lassen erwarten, dass die
dung gebracht werden können, ist gegenwärtig unklar. Anzucht der Erreger in Zukunft häufiger möglich sein wird.

kImmunität kTherapie
Verlässliche Daten zur Immunität nach stattgehabter Infektion lie- Wegen des prognostisch günstigen Verlaufs der KKK ist in der Regel
gen nicht vor. keine Therapie nötig. Die Diagnostik einer Bartonellose erspart den
Patienten jedoch anderweitige und belastende differenzialdiagnos-
tische Prozeduren oder unnötige Therapien. Lediglich bei mehreren
Wochen anhaltenden und belastenden Infektionen, ausgeprägtem
Organbefall mit klinisch relevanter Dysfunktion oder bazillärer An-
giomatose wird die Gabe von Azithromycin (alternativ: Roxithro-
mycin oder Doxycyclin), evtl. in Kombination mit Rifampicin, für
mindestens 5 Tage (bis hin zu Monaten) empfohlen.

kPrävention
Bei Immungesunden ist eine Prophylaxe nicht erforderlich. Immun-
supprimierte und HIV-infizierte Patienten sollten den Kontakt zu
Katzen meiden.
. Abb. 47.3 AIDS-Patient (37-jährig) mit bazillärer Angiomatose (Brustwand)
(aus Kempf, V., Der Mikrobiologe, 2007, 171–180)
394 Kapitel 47 · Bartonellen

Molekulare Erregerdiagnostik – ein Paradigmenwechsel in der Mikro- B. quintana (1,58 Mio. Bp) ist deutlich kleiner als das von B. henselae
biologie und umfasst ca. 1700 Gene, unter anderem für ein VirB/VirD4-T4SS
Exakt 100 Jahre nach den »Koch-Postulaten« (7 Abschn. 3.1) führte David und für die BadA-homologen Vomp.
Relman (Stanford, USA) 1990 am Beispiel der bazillären Angiomatose die
Identifizierung vormals unbekannter humanpathogener Erreger in die In-
jExtrazelluläre Produkte
fektionsmedizin ein. War man 100 Jahre lang darauf angewiesen, Erreger
in mikrobiologischen Laboratorien zunächst anzuzüchten und danach zu
Homologe Gensequenzen für die aus B. henselae bekannten Bep
charakterisieren, etablierte Relman den Nachweis sowie die Identifizierung (Substrate des T4SS) sind vorhanden.
von bis dato nicht zu kultivierenden humanpathogenen Bakterien durch
kulturunabhängige, molekularbiologische Verfahren. Dazu machte er sich jResistenz gegen äußere Einflüsse
2 Entdeckungen zunutze: B. quintana ist gegenüber hohen und niedrigen Temperaturen sowie
5 die Entwicklung der Polymerasekettenreaktion (PCR) durch Kary Mullis Desinfektionsmitteln empfindlich.
im Jahr 1983 (7 Kap. 18),
5 die Entdeckung von Carl Woese im Jahr 1987, dass ribosomale Gene jVorkommen
(insbesondere die 16S-rDNA) konservierte und variable Regionen be- B. quintana ist weltweit verbreitet. Der Mensch galt lange Zeit als
sitzen, die eine eindeutige Erregeridentifikation auf Basis der amplifi-
einziges Erregerreservoir. Neuen Untersuchungen zufolge können
zierten 16S-rDNA Sequenz erlauben.
auch Hunde infiziert sein.
Relman konstruierte Primer, die komplementär zu 2 bei allen Eubakterien
vorhandenen konservierten Regionen der 16S-rDNA sind, und amplifizierte
die dazwischen liegende variable (erregerspezifische) bakterielle 16S-rDNA. 47.2.2 Rolle als Krankheitserreger
Somit sollte, so die Theorie, eine PCR mit diesen Primern die 16S-rDNA aller in
der Medizin relevanten Bakterien amplifizieren können. Zusätzlich sollten
kEpidemiologie und Übertragung
sich über die Sequenzierung der amplifizierten Genabschnitte bislang unbe-
kannte Erreger aufspüren und molekular eindeutig identifizieren lassen.
B. quintana-Infektionen galten lange Zeit als Rarität. Das Wolhyni-
Tatsächlich wies Relman aus Biopsaten bazillärer Angiomatosen durch Amp- sche Fieber (Schützengrabenfieber, Fünftagefieber) ist an unhygie-
lifikation des bakteriellen 16S-rDNA-Gens und nachfolgende Sequenzierung nische Lebensbedingungen geknüpft und war während des 1. Welt-
eine Gensequenz nach, die der damals bereits bekannten Gensequenz von kriegs weit verbreitet. Seit Mitte der 1990er Jahre häufen sich Berich-
B. quintana ähnlich war. Dies führte zur Identifikation der Spezies B. henselae. te über B. quintana-bedingte Endokarditiden und Bakteriämien,
2 Jahre später identifizierte er mit diesem Verfahren den bis dahin unbe- insbesondere bei HIV-Infizierten und Obdachlosen. Letztere sind
kannten und nicht kultivierbaren Erreger des Morbus Whipple, Tropheryma oft von Läusen befallen; die Übertragung von Mensch zu Mensch
whipplei (7 Kap. 50). erfolgt durch Läusekot.
Dieses diagnostische Verfahren wird heutzutage als eubakterielle PCR oder
»universelle Bakterien-PCR« bezeichnet und routinemäßig zur mikrobiologi-
kPathogenese
schen Diagnostik bei Patientenmaterialien eingesetzt, die nicht mit Begleit-
flora kontaminiert sind (z. B. Liquor, Abszesspunktat etc.).
Die Mechanismen, die zur intraerythrozytären Bakteriämie mit
B. quintana führen, wurden an einem experimentellen Ratten-Infek-
tionsmodell mit dem eng verwandten Bakterium B. tribocorum auf-
47.2 Bartonella quintana geklärt:
Nach primärer Infektion verschwindet B. quintana sehr schnell
aus der Blutbahn und besiedelt eine bislang unbekannte Nische.
Steckbrief
Bakteriologie

Einige Tage später kommt es zu einer massiven intraerythrozytären


Bartonella quintana ist der Erreger des Wolhynischen Fiebers Bakteriämie (d. h., die Erreger befinden sich in Erythrozyten), die
(auch Schützengraben- oder Fünftagefieber). Die Erkrankung ist sich zyklisch alle 5 Tage wiederholt. In den während der Fieber-
seit dem 1. Weltkrieg bekannt, als mehr als 1 Mio. Soldaten schübe nachweisbaren infizierten Erythrozyten überlebt B. quin-
wegen der schlechten hygienischen Bedingungen an der durch tana, ohne eine signifikante Hämolyse auszulösen (Unterschied zu
Läuse übertragenen Erkrankung litten. Mit zunehmender Häu- B. bacilliformis!).
figkeit werden bei immunsupprimierten Patienten und Obdach- Einige Monate nach Infektion kommt es zur spontanen Heilung.
losen mit schlechtem Gesundheitszustand und Exposition Dies ist Ausdruck einer beginnenden humoralen Immunität: Spe-
gegenüber diesen Vektoren Bakteriämien mit B. quintana dia- zifische Antikörper verhindern die Reinfektion der unbekannten
gnostiziert. Die B. quintana-Infektion kann sich auch als bazilläre Nische.
Angiomatose (7 Abschn. 47.1.2) manifestieren. Kürzlich wurde
B. quintana-DNA in einem 4000 Jahre alten Zahn nachgewiesen. kImmunität
Dies belegt, dass Bartonella-Infektionen kein Phänomen der Verlässliche Daten zur Immunität nach stattgehabter Infektion lie-
Neuzeit sind. Auch Napoleons Armee litt unter B. quintana- gen nicht vor.
Infektionen. Der Erreger wurde 1917 von Alexander Schmincke
identifiziert. kKlinik
Wolhynisches Fieber (Schützengraben- oder Fünftagefieber)
Charakteristisch sind 3–5 plötzlich einsetzende Fieberschübe von
jeweils etwa 5 Tagen Dauer, die von Schüttelfrost, prätibialen Schmer-
47.2.1 Beschreibung zen, Arthralgien und Kopfschmerzen begleitet werden (. Abb. 47.4).
Infizierte Erythrozyten sind im Krankheitsschub nachweisbar. Die
jAufbau Inkubationszeit beträgt bis zu 5 Wochen, die Erkrankung kann
B. quintana ist ein kleines, gramnegatives Stäbchen, das an der Ober- Monate persistieren und heilt in der Regel spontan aus.
fläche Adhäsionsmoleküle (»variably expressed outer membrane
proteins«, Vomp) exprimiert. Das vollständig bekannte Genom von
47.3 · Bartonella bacilliformis
395 47

. Abb. 47.4 Verlauf eines Wolhynischen Fiebers, das im Abstand von ca. 5 Tagen periodisch wiederkehrt (»Fünftagesfieber«; aus: Foucault, C., et al. J Clin
Microbiol. 2004; 42: 4904–4906)

Bazilläre Angiomatose, Peliosis hepatis Bei Immunsupprimierten 47.3.1 Beschreibung


(z. B. HIV-Patienten) können (wie bei B. henselae-Infektionen) vas-
kuloproliferative Krankheitsbilder entstehen. jAufbau
B. bacilliformis entspricht im Aufbau den anderen Bartonellen,
Endokarditis Neben den Bakterien der HACEK-Gruppe (7 Kap. 50) Flagellen verleihen dem Erreger Beweglichkeit (. Abb. 47.5).
ist B. quintana ein weiterer Erreger der »kulturnegativen« Endokar- Das sequenzierte Genom (1,45 Mio. Bp) umfasst ca. 1400 Gene.
ditis. Häufig sind Obdachlose betroffen.
jExtrazelluläre Produkte
kDiagnostik Deformin führt zu Verformung der Erythrozytenmembran und
Der Nachweis spezifischer IgG-Antikörper mittels Immunfluores- Aufnahme des Bakteriums in Erythrozyten. Ein T4SS ist nicht vor-
zenztests stellt das am weitesten verbreitete Verfahren dar. Zum handen.
Nachweis der intraerythrozytären Bakteriämie (z. B. mittels Giemsa-
Färbung, Acridin-Orange-Färbung) sind frisch angefertigte Blutaus- jResistenz gegen äußere Einflüsse
striche geeignet; der Erreger lässt sich aus Blutkulturen anzüchten. Hierzu existieren keine verlässlichen Daten.
Der Nachweis erregerspezifischer DNA mittels PCR (z. B. aus Herz-
klappen) ist Standard.
47.3.2 Rolle als Krankheitserreger
kTherapie
Wolhynisches Fieber und Endokarditis werden mit Doxycyclin kEpidemiologie und Vorkommen
kombiniert mit Gentamicin behandelt. Das Verbreitungsgebiet von B. bacilliformis ist Südamerika, hier vor
allem die Hochtäler der Anden (Peru, Kolumbien, Ekuador, Boli-
kPrävention vien, Chile). Asymptomatische bakteriämische Patienten stellen das
Die Bekämpfung der Läuse (z. B. Wäschewechsel, Körperhygiene) einzige Erregerreservoir dar. Ein Drittel der gesunden Bevölkerung
steht im Vordergrund.

47.3 Bartonella bacilliformis

Steckbrief

Bartonella bacilliformis ist der Erreger der biphasischen Carrión-


Krankheit, einer schweren, fieberhaften hämolytischen Anämie
(Oroya-Fieber), und des vaskuloproliferativen Krankheitsbildes
Verruga peruana. Alberto Barton wies den Erreger 1905 aus dem
Blut eines an Oroya-Fieber leidenden Patienten mikroskopisch
nach.

Bau der Eisenbahnstrecke von Lima nach Oraya


Die in Südamerika (vor allem Peru) endemischen Erkrankungen sind seit
den Zeiten der Inka-Dynastie bekannt. Beim Bau der Eisenbahnstrecke von
Lima in das 5000 m hoch gelegene Minengebiet La Oroya Ende des 19. Jahr-
hunderts erreichten sie traurige Berühmtheit: Etwa 8000 Menschen starben
an »Oroya-Fieber«, Überlebende entwickelten Monate später warzenartige
Vaskuloproliferationen (Verruga peruana). Der Name eines Viadukts (»Puente
de Verrugas«) dieser Bahnstrecke erinnert noch heute an die Toten; man . Abb. 47.5 Bartonella bacilliformis: gramnegatives Stäbchen mit polaren
sagt, jede Schwelle dieser Eisenbahnstrecke habe ein Menschenleben ge- Flagellen, elektronenmikroskopische Darstellung (mit freundl. Genehmigung
kostet. aus dem Nachlass von Prof. J. Knobloch, Tübingen)
396 Kapitel 47 · Bartonellen

aus den Endemiegebieten Perus besitzt Antikörper gegen B. bacilli- kImmunität


formis. Verlässliche Daten zur Immunität nach stattgehabter Infektion lie-
gen nicht vor.
kÜbertragung
Sandmücken der Gattung Lutzomyia verrucarum, die in den Anden- kDiagnostik
tälern in Höhen zwischen 500 und 3000 m vorkommen, übertragen Die Diagnose einer Bartonellose erfolgt in Speziallaboratorien durch
B. bacilliformis durch Aufnahme infektiösen Blutes asymptomati- den mikroskopischen Nachweis intraerythrozytärer Erreger im
scher Patienten. Kürzlich wurde von einer diaplazentaren Übertra- Giemsa-gefärbten Blutausstrich, durch Erregeranzucht aus Blut oder
gung während einer Schwangerschaft berichtet. Hautläsionen, serologisch durch den Nachweis von Antikörpern
oder molekularbiologisch durch PCR-Amplifikation der Erreger-
kPathogenese DNA.
Bislang wurde vor allem die Interaktion von B. bacilliformis mit Ery-
throzyten und Endothelzellen untersucht. B. bacilliformis invadiert kTherapie
menschliche Erythrozyten und repliziert sich dort. Sezerniertes De- Antibiotika der Wahl sind Chloramphenicol, Tetracyclin oder Ery-
formin, die flagellinbedingte Motilität sowie die Expression von In- thromycin. Bei rechtzeitigem Einsatz führt eine Therapie zu schnel-
vasinen führen zur Infektion der Erythrozyten. Ein Hämolysin lem Fieberabfall, trotz Behandlung beträgt die Letalität noch ca. 8 %.
scheint am Untergang der Erythrozyten beteiligt zu sein. Die Infek- Zur Behandlung der Verruga peruana werden Streptomycin,
tion mit B. bacilliformis führt zur Proliferation von Endothelzellen. Rifampicin oder Tetracyclin eingesetzt.
Genetische Analysen lassen die Expression von BadA-homologen
Proteinen auf der Oberfläche der Erreger vermuten, ein VirB/VirD4- kPrävention
Typ-4-Proteinsekretionssystem (T4SS, 7 Kap. 32) existiert nicht. Schutz vor Mückenstichen (Schutzkleidung, Repellents) sowie die
Bekämpfung der Sandmücken sind geeignete Präventionsmöglich-
kKlinik keiten.
Infektionen durch B. bacilliformis verlaufen typischerweise bipha-
sisch: Im Rahmen des akuten Oroya-Fiebers tritt hohes Fieber als
Ausdruck einer massiven, intraerythrozytären und hämolytischen 47.4 Bartonella rochalimae
Bakteriämie auf. Wird diese 1. Krankheitsphase überstanden, kann
der Erreger nach einigen Monaten das vaskuloproliferative Krank-
Steckbrief
heitsbild Verruga peruana (noduläre neovaskuläre Proliferationen)
auslösen: Bartonella rochalimae wurde 2007 als Erreger einer schweren
4 Oroya-Fieber (akutes Stadium der Carrión-Krankheit): Das intraerythrozytären Infektion identifiziert. Der Erreger scheint
Oroya-Fieber ist die akute, systemische Verlaufsform einer Füchse und Waschbären als Reservoirwirte zu nutzen. Entdecker
B. bacilliformis-Infektion. Nach ca. 3 Wochen Inkubationszeit ist Jane Koehler (2007).
treten zunächst starkes Krankheitsgefühl, hohes Fieber, Schüt-
telfrost, Kopf- und Gelenkschmerzen auf. Die ausgeprägte hä-
molytische Anämie wird durch den massiven Befall der Eryth- Im Juni 2007 berichtete ein US-Team aus San Francisco von einer
rozyten mit B. bacilliformis verursacht. Diese 1. Krankheits- Patientin mit einer neuartigen Infektionserkrankung: 2 Wochen
Bakteriologie

phase hält über ca. 4 Wochen an. Unbehandelt liegt die Letali- nach einer Urlaubsreise durch Peru, die für sie mit zahlreichen In-
tät bei 40–90 %. sektenstichen verbunden war, litt die Patientin unter hohem Fieber,
4 Verruga peruana: Ein bis mehrere Monate nach dem akuten Muskelschmerzen, Erbrechen, Kopfschmerzen und Husten. Später
Stadium treten diese kutan lokalisierten, vaskuloproliferativen kamen eine deutliche Splenomegalie sowie eine (mikroskopisch
und hämangiomähnlichen Hautveränderungen auf, die sich nachgewiesene) intraerythrozytäre Bakteriämie hinzu. Die Patientin
insbesondere an den Extremitäten finden, aber auch an Schleim- entfieberte unter 5-tägiger Levofloxacin-Therapie.
häuten. Die Läsionen sind schmerzlos, bluten leicht, persistie- Als auslösendes Agens wurde die neue Spezies B. rochalimae
ren über 3–4 Monate und heilen danach meist spontan ab. identifiziert. Auch dieser neu entdeckte Erreger aus dem Genus Bar-
tonella verursacht eine bakteriämische Erkrankung mit offensichtli-
Daniel A. Carrións Experiment
chen Ähnlichkeiten zum Oroya-Fieber. B. rochalimae wurde auch in
Nach dem peruanischen Medizinstudenten Daniel Alcides Carrión (1857–
1885) ist die Carrión-Krankheit benannt. Als Student an der Medizinischen
Grau- und Rotfüchsen, Kojoten und Waschbären nachgewiesen.
Fakultät der San Marcos-Universität in Lima (Peru) wählte Carrión die »Perua- Möglicherweise übertragen Flöhe B. rochalimae von infizierten
nische Warze« (Verruga peruana) als Thema einer wissenschaftlichen Arbeit Tieren auf den Menschen.
und beschrieb Inkubationszeit und Prodromi. Ein Selbstversuch erschien ihm
am sinnvollsten, obwohl Freunde und Professoren ihm davon abrieten. Um
nicht wertvolle Studienzeit zu vergeuden, versuchte Carrión am 27. August In Kürze
1885 (in den Semesterferien!), sich selbst mit Blut aus der Verruga peruana Bartonellen
der 14-jährigen Patientin Carmen Paredes zu infizieren. Da die Selbstinfektion Bakteriologie Bartonellen sind gramnegative Stäbchen, die auf
scheiterte, bat er seinen Kollegen Evaristo M. Chávez, ihm behilflich zu sein.
herkömmlichen Nährmedien nicht oder sehr langsam wachsen.
Bereits am 17. September fühlte Carrión sich fiebrig, schnell entwickelten
Vorkommen B. henselae ist ein Zoonoseerreger und kommt bei
sich hohes Fieber, Krämpfe, Knochenschmerzen und eine schwere hämolyti-
sche Anämie. Noch im Krankenbett soll er ausgerufen haben, ihm sei jetzt
Mensch und Tier (vor allem Katzen) vor. B. quintana galt lange
klar geworden, dass diese später als Oroya-Fieber bezeichnete akute Erkran- als humanspezifisch, wurde jedoch bei Hunden nachgewiesen.
kung und die Verruga peruana eine gemeinsame Ätiologie besitzen. Am Für B. bacilliformis stellt der Mensch nach wie vor das einzige
5. Oktober 1885 starb Carrión an den Folgen der Erkrankung. Sein Kollege anerkannte Erregerreservoir dar.
Chávez wurde beschuldigt, ihn ermordet zu haben.
Literatur
397 47

Übertragung B. henselae wird von Katzen und möglicherweise


anderen Tieren auf den Menschen übertragen, Flöhe und evtl.
Zecken kommen als Überträger infrage. Körperläuse übertragen
B. quintana von Mensch zu Mensch, Sandmücken fungieren als
Vektor für B. bacilliformis.
Pathogenese Die Katzenkratzkrankheit (KKK) stellt letztlich
eine ausgeprägte gegen B. henselae gerichtete Immunreaktion
dar. Für die Auslösung chronischer Krankheitsbilder durch
B. henselae und B. quintana (Bakteriämien, Vaskuloproliferatio-
nen) scheinen spezielle Adhäsine (z. B. Bartonella-Adhäsin A)
sowie Substrate des VirB/VirD4-T4SS eine entscheidende Rolle
zu spielen.
Klinik Typischerweise erkranken immunkompetente Patienten
(vor allem Kinder) an der Katzenkratzkrankheit. Vaskuloprolifera-
tive Krankheitsbilder (bazilläre Angiomatose, Peliosis hepatis)
werden durch B. henselae und B. quintana vorwiegend bei
AIDS-Patienten verursacht. Beide Erreger können eine »kultur-
negative« Endokarditis verursachen (vor allem B. quintana, sel-
tener B. henselae). B. quintana verursacht das bakteriämische
Krankheitsbild des Wolhynischen Fiebers, B. bacilliformis das
des Oroya-Fiebers sowie der Verruga peruana.
Labordiagnose Die Infektionsdiagnostik von Bartonellosen er-
folgt in erster Linie serologisch sowie über molekulare Erreger-
nachweisverfahren (PCR).
Therapie Bei der KKK ist in der Regel keine antibiotische Thera-
pie erforderlich. Andere durch B. henselae und B. quintana her-
vorgerufene Infektionen (z. B. bazilläre Angiomatose) sollten
z. B. mit Makroliden oder Tetracyclin und solche durch B. bacilli-
formis mit Chloramphenicol behandelt werden.

Literatur

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399 48

Mykoplasmen und Ureaplasmen


E. Jacobs

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_48, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Klasse der Mollicutes (»Weichhäutigen«) umfasst Bakterien, die säuresynthese der Ribosomen inhibieren oder die DNA-Synthese
sich durch die Besonderheit einer komplett fehlenden genetischen blockieren können.
Ausrüstung zum Aufbau einer Zellwand von den gramnegativen und Die wichtigsten humanpathogenen Arten sind in . Tab. 48.2 zu-
grampositiven Bakterien unterscheiden. Mollicutes sind ähnlich wie sammengefasst.
eukaryontische Zellen nur durch eine Zytoplasmamembran begrenzt.
Aufgrund der fehlenden Zellwand sind sie damit gegen β-Laktam-
. Tab. 48.1 Mycoplasma und Ureaplasma: Gattungsmerkmale
Antibiotika primär resistent.
Die Klasse der Mollicutes umfasst die humanrelevanten Gattungen
Merkmal Ausprägung
Mycoplasma und Ureaplasma (. Tab. 48.1). Ihr Genom ist mit bis zu
einem Fünftel der Genomgröße von Enterobacteriaceae das kleinste Gramfärbung negativ; Peptidoglykanschicht und Zellwand
Genom einer Bakterienzelle, die sich noch extrazellulär zu vermehren fehlen; begrenzende Zytoplasmamembran
vermag. Mollicutes haben eine filamentöse Form (0,2–0,3 μm breit,
Aerob/anaerob aerob: M. pneumoniae
bis zu 2,0 μm lang) und können sich aufgrund der fehlenden rigiden
Zellwand gleitend auf der Oberfläche einer Wirtszelle fortbewegen. anaerob: M. hominis, U. urealyticum, U. parvum
Ihre parasitäre Lebensweise hat dazu geführt, dass sie sich strikt an Kohlenhydrat- fermentativ
einen Wirt anpassen und entweder auf Epitheloberflächen des Respi- verwertung
rations- oder des Urogenitaltrakts spezialisiert haben. Sporenbildung nein
Beweglichkeit M. pneumoniae: gleitende Bewegung
Die genomische Reduktion der Mollicutes hat bei allen auf den Katalase negativ
Schleimhäuten des Menschen lebenden Mykoplasmen und Urea- Oxidase negativ
plasmen enge Überlebensgemeinschaften mit dem Menschen ent-
stehen lassen. Damit verknüpft war die Reduktion vieler enzymati- Besonderheiten »Spiegeleikolonie« auf serumhaltigem
Agarnährboden
scher Synthese- und Abbauwege, die dazu geführt haben, dass die
Mollicutes komplette Bausteine wie Nukleinsäuren, Aminosäuren
oder Fettsäuren aus ihrer nächsten Umgebung aufnehmen müssen,
um ihre Defizite im anabolen und katabolen Stoffwechsel auszu- . Tab. 48.2 Mykoplasmen, Ureaplasmen: Arten und Krankheiten
gleichen. Dabei nehmen diese Bakterien auch Cholesterin auf und
Art Krankheiten
bauen diesen für Bakterien ungewöhnlichen Baustein in ihre Zyto-
plasmamembran ein, um deren Membranfluidität zu erhöhen und Mycoplasma interstitielle (atypische) Pneumonie
eine pleomorphe (vielfältige) Zellgestalt zu erreichen. pneumoniae
Tracheobronchitis
Die Abhängigkeit von Bausteinen des Wirtes führt zwangsläufig
zur Verlangsamung der Zellteilung der Mykoplasmen (6- bis 20-fach extrapulmonale Komplikationen:
langsamer als E. coli). Mit dem besonderen Anspruch an angebote- hämolytische Anämie, u. a. neurologische
nen Nährstoffen und der langsamen Teilung der Mykoplasmen ver- und dermatologische Begleitreaktionen
knüpft sind die Schwierigkeiten der Laboranzucht von Mykoplas- Mycoplasma häufig asymptomatische Kolonisierung
men und Ureaplasmen; nur der Einsatz serumhaltiger Nährböden hominis
unspezifische Urogenitalinfektionen
ermöglicht es, diese Bakterien anzuzüchten. Während sich die aus
dem Urogenitaltrakt zu isolierenden M. hominis, U. urealyticum aszendierende Genitalinfektionen
und U. parvum noch innerhalb von 2–3 Tagen anzüchten lassen, Pyelonephritis, Salpingitis
braucht M. pneumoniae dafür zwischen 7 Tagen und 2 Wochen. Da-
Wundinfektion und Sepsis unter der Geburt
her ist die Kultur für die Diagnostik nur von geringem Wert. Heute
schließen indirekte Nachweismethoden die diagnostische Lücke. Ureaplasma Urethritis, Epididymitis, Prostatitis
Die fehlende Zellwand macht diese Bakterien sehr empfindlich urealyticum,
Fertilitätsstörungen
U. parvum
gegen Umwelteinflüsse: Sie trocken rasch aus und sterben auf Tup-
Chorioamnionitis
fern schnell ab, sodass die zu untersuchenden Patientenmaterialien
in speziellen Mykoplasmennährmedien auf kurzem Wege zu trans- Abort, Frühgeburt
portieren sind. Neugeborenenpneumonie
Die Therapieoptionen sind aufgrund der fehlenden Zellwand
Neugeborenenmeningitis, -sepsis
eingeschränkt. Es sind nur Antibiotika geeignet, die die Amino-
400 Kapitel 48 · Mykoplasmen und Ureaplasmen

Steckbrief 48.1.2 Rolle als Krankheitserreger


Mycoplasma pneumoniae löst eine Tracheobronchitis bzw. eine kEpidemiologie und Übertragung
interstitielle Pneumonie aus. Die ambulant erworbenen respira- Infektionen durch M. pneumoniae sind weltweit verbreitet. Sie wer-
torischen Infektionen sind besonders häufig im Kindesalter und den durch Tröpfcheninfektion übertragen, und zwar dort besonders
bei Jugendlichen zu finden. effektiv, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben: in Fami-
lien und Kindergärten, Schulen, Militäreinrichtungen oder Wohn-
gemeinschaften. Bei Kleinkindern unter 5 Jahren verlaufen die
Erstinfektionen mit M. pneumoniae meist subklinisch oder als
Tracheobronchitis. Bei Schulkindern und Jugendlichen wird die
Beteiligung des unteren Respirationstrakts häufiger gesehen, mögli-
cherweise führen erst wiederholte Infektionen mit M. pneumoniae
zu einer ausgeprägteren Klinik, die sich als interstitielle Pneumonien
manifestiert.
Allerdings sind Pneumonien mit M. pneumoniae in allen Alters-
gruppen mit Superinfektionen assoziiert: M. pneumoniae ist an den
bakteriellen Superinfektionen nach oder unter z. B. einer durch das
Mykoplasmen: spiegeleiförmige Kolonien auf pferdeserum- Influenzavirus bedingten Grippe oder einer vorangegangenen Infek-
haltigen Kulturmedien, entdeckt 1898 von Nocard und Roux tion mit RSV oder Adenoviren beteiligt und kompliziert klinisch
bei Rindern, 1937 von Dienes und Edsall beim Menschen unter dieser Zweitinfektion das Bild einer interstitiellen Pneumonie.
Insgesamt dürfte der Anteil ambulant erworbener, mykoplas-
menbedingter Pneumonien in Deutschland in allen Altersgruppen
saisonunabhängig bei 3–5 % liegen. Neben den Kleinraumausbrü-
48.1 Mycoplasma pneumoniae chen ist alle 3–7 Jahre mit europaweit registrierten Epidemien zu
rechnen, die auch zu Pandemien mit zeitlicher Verzögerung von
48.1.1 Beschreibung 1–2 Jahren andere Kontinente erreichen oder von dort nach Europa
importiert werden. Diese sich ausbreitenden Epidemiestämme las-
jAufbau sen sich durch kleine genomische Veränderungen im P1-Adhäsin in
M. pneumoniae ist ein Bakterium, das sich im Aerosol eher abrun- spezifische Subgruppen von M. pneumoniae charakterisieren und so
det und nach Kontakt mit dem Epithel des Respirationstrakts eine epidemiologisch-molekularbiologisch verfolgen.
filamentöse Form annimmt . Abb. 48.1). Nach Kontaktaufnahme
mit den Zilien des Flimmerepithels bildet sich eine Spitzenstruktur kPathogenese
heraus, in die Adhärenzkomplexe konzentriert werden, die aus P1- Zielgewebe Zielzellen sind die Flimmerepithelzellen des Respira-
Adhäsin und weiteren akzessorischen Helferproteinen bestehen und tionstrakts. Sie bieten den Mykoplasmen in den Flimmergruben
die Funktion haben, das Bakterium an die sich bewegenden Zilien zunächst Schutz vor Phagozytose durch Alveolarmakrophagen und
anzuheften. Dieser Erstkontakt löst eine für Bakterien einzigartige dienen als Nährstofflieferanten. Nach Einstellen der Flimmerbewe-
Gleitbewegung entlang der Zilie in die Ziliengrube aus. Hier ist das gung der Zilien werden die Wirtszellen jedoch von den Mykoplas-
Bakteriologie

filamentöse Bakterium von Zilien umgeben und gegenüber der men aufgebraucht und aus dem Zellverband herausgelöst.
Phagozytose durch Alveolarmakrophagen geschützt.
Adhäsion Sie erfolgt über P1-Adhäsin-Proteinkomplexe, die am
jExtrazelluläre Produkte terminalen Ende des filamentösen Erregers in einer Spitzenstruktur
Der Mechanismus der Aufnahme von Substraten ist bisher unklar. konzentriert werden und M. pneumoniae an neuraminsäurehaltige
Von Bedeutung scheint die Produktion von H2O2 zu sein. Sie wird Glykoproteinrezeptoren des Flimmerepithelzellen binden, um von
dafür verantwortlich gemacht, dass die Epithelzelle geschädigt wird, dort über Gleitbewegung an die Zilienbasis des Respirationsepithels
Substrate freigibt und die Zilienbewegung einstellt, die für den zu gelangen.
Abtransport von Schleim, Abbaumaterial und Bakterien verantwort-
lich ist. Entzündungsreaktion und Gewebeschädigung Die Ziliostase, die
Vermehrung der Mykoplasmen und die Zerstörung der Wirtszelle
jResistenz gegen äußere Einflüsse führen zur Aktivierung von Alveolarmakrophagen. Einzelne Myko-
Mykoplasmen sind sehr austrocknungsempfindlich, sodass sie nur plasmen werden phagozytiert, in den Phagolysosomen der Makro-
auf direktem Weg von Mensch zu Mensch über Aerosol übertragen phagen abgebaut (. Abb. 48.1d) und als Fremdantigene präsentiert.
werden können. Das Einsetzen der spezifischen Immunabwehr verläuft zunächst
verzögert: Erst 1–2 Wochen nach Infektion bzw. Inkubationszeit und
jVorkommen eine weitere Woche nach Beginn der klinischen Symptome sind spe-
Der Mensch ist das einzige Reservoir von M. pneumoniae. Das Bak- zifische Antikörper gegen M. pneumoniae nachweisbar. Diese opso-
terium vermehrt sich zunächst auf Flimmerepithelzellen des Respi- nisieren die Mykoplasmen und beschleunigen damit Phagozytose
rationstrakts. Nach Erkrankung, aber auch nach asymptomatischer und Eradikation der Mykoplasmen aus dem oberen und unteren
Kolonisierung, werden die Mykoplasmen durch die sich aufbauende Bronchialtrakt.
spezifische Immunabwehr in den Oropharynx verdrängt und über- Die spezifischen Antikörper hinterlassen jedoch keinen Schutz
leben bei einem Teil der Probanden in geringen Keimzahlen als vor erneuter Infektion. Es wird diskutiert, ob die Variationen im P1-
Kommensalen im Mund-Rachen-Bereich. Adhäsin für die Lücke in der Immunabwehr verantwortlich sind. Bei
einer Zweitinfektion wird eine gesteigerte Invasion von Abwehrzel-
48.1 · Mycoplasma pneumoniae
401 48

. Abb. 48.1a–d Mycoplasma pneumoniae. a M. pneumoniae fehlt die für Bakterien charakteristische Zellwand, es ist eher pleomorph und hat auf Ober-
flächen eine filamentöse Morphologie (Phasenkontrastmikroskopie einer Flüssigmediumkultur, Vergr. 1000-fach). b Charakteristisch sind die spiegeleiför-
migen Kolonien mit Wachstum in den Nährboden (Auflichtmikroskopie eines Festnährbodens mit Lichtschrägeinfall, Vergr. 10-fach). c Die Bakterien adhä-
rieren über eine Spitzenstruktur (»SP«) an Zelloberflächen (elektronenmikroskopische Dünnschnitttechnik, Vergr. 50.000-fach). d Alveolarmakrophagen
phagozytieren mit spezifischen Antikörpern opsonisierte Mykoplasmen. Ausschnitt eines Makrophagen mit Zellkern und phagozytierte, z. T. abgebaute
Mykoplasmen in einem Phagolysosom (elektronenmikroskopische Dünnschnitttechnik, Vergr. 20.000-fach)

len ins Interstitium des Lungengewebes gesehen, die den Wirt eher kung nach 12–20 Tagen Inkubationszeit erst schleichend und in den
mehr schädigen als die Erreger selbst. Darüber hinaus interferiert meisten Fällen nicht mit hohem Fieber, Kopfschmerzen und starkem
M. pneumoniae auf bisher unbekannte Weise mit dem Immun- Krankheitsgefühl beginnt, wird der Beginn der Erkrankung in den
system und löst folgende mögliche Reaktionen aus: ersten Tagen unterschätzt. Erst ein sich steigernder und dann quä-
4 Induktion von Kälteagglutininen lender Hustenreiz sowie Antriebsschwäche, subfebrile und langsam
4 polyklonale B-Zell-Aktivierung ansteigende Temperaturen sind Anlass, sich untersuchen zu lassen.
4 zirkulierende Immunkomplexe Die produzierte Sputummenge ist eher gering und anfänglich glasig-
4 Unterdrückung einer Tuberkulinreaktion zähflüssig.
4 T-Zell-Stimulation Es fehlen bei Beteiligung des unteren Respirationstrakts die
sonst für bakteriell verursachte Pneumonien typischen grobblasigen
kKlinik Rasselgeräusche. Bei Mykoplasmenpneumonien sind sie eher dis-
Tracheobronchitis und Pneumonie M. pneumoniae ruft in den kret, sehr feinblasig und in den unteren Quadranten zu finden. Erst
meisten Fällen eine Tracheobronchitis und in 5–10 % der Erkran- das Thorax-Röntgenbild gibt Aufschluss über das Ausmaß der in-
kungen die primär »atypische« Pneumonie, eine interstitielle Pneu- terstitiellen Pneumonie (. Abb. 48.2).
monie, hervor. Daneben sind asymptomatische Infektionen oder Die Krankheit heilt in den meisten Fällen nach langer Rekonva-
klinisch nur gering ausgeprägte Verläufe bekannt. Da die Erkran- leszenz mit abnehmender Hustenfrequenz und Leistungseinschrän-
402 Kapitel 48 · Mykoplasmen und Ureaplasmen

kImmunität
Hauptträger der Immunität bei Mykoplasma-Infektionen sind
lokale IgA-Antikörper auf den Schleimhäuten des Respirations-
trakts. Messbar sind im Kindesalter und bei Jugendlichen zunächst
IgM-, dann IgG-Antikörper im Serum. Bei Erwachsenen wird die
Testung auf spezifische IgA-Antikörper empfohlen, da bei wieder-
holten Infektionen mit M. pneumoniae eher ein IgA-Titer-Anstieg
zu erwarten ist. Trotz messbarer spezifischer IgA-Titer baut der Kör-
per keinen vollständigen Schutz gegen eine weitere Infektion auf.
Allerdings nimmt im höheren Erwachsenenalter die Zahl der regis-
trierten M. pneumoniae-Infektionen langsam ab, sodass von einer
Teilimmunität gesprochen wird. Eine Schutzimpfung gegen
M. pneumoniae gibt es nicht.

kLabordiagnose
Untersuchungsmaterial und Labormethoden Die klinisch-chemi-
schen Laborparameter sind nicht diagnoseweisend: Häufig ist, wie
bei einer viralen respiratorischen Infektion, das CRP nicht oder nur
gering erhöht, die Granulozytenzahl ist nur zum Teil erhöht. Auch
. Abb. 48.2 Röntgen-Thoraxaufnahme eines 7-jährigen Schülers mit
das zäh-glasige Sputum enthält nur wenige polymorphkernige Gra-
ausgeprägter interstitieller Pneumonie und Nachweis von Mycoplasma nulozyten und Makrophagen.
pneumoniae im Nasopharyngealsekret Aufgrund der aufwendigen Anzüchtung erfolgt die Diagnostik
zum schnellen Nachweis von M. pneumoniae heute molekularbiolo-
gisch mittels Real-time-PCR-Verfahren. Es ist jedoch wichtig, geeig-
kung innerhalb 2–6 Wochen aus. Schwere und akute Notfallsitua- netes Probenmaterial einzusenden, indem der Erreger zu finden ist:
tionen sind selten. Differenzialdiagnostisch sind Chlamydieninfek- 4 Bei Kindern ist die Probeentnahme im Nasopharynx durch
tionen, Q-Fieber, Legionellen-Infektionen und vor allem Viruspneu- Sekretabsaugung durchzuführen, da im Kindesalter im
monien zu berücksichtigen. Retropharynx noch Flimmerepithelien vorhanden sind, an
die Mykoplasmen adhärieren können.
Begleitreaktionen Im Rahmen von M. pneumoniae-Infektionen 4 Im Erwachsenenalter ist dort der Flimmerepithelbesatz
werden eine Reihe weiterer Symptome bzw. Begleitreaktionen be- degeneriert. Daher versucht man beim Erwachsenen, Sputum
schrieben. Die Induktion von Kälteagglutininen ist in der Frühpha- zu provozieren oder Sekret aus dem Bronchialtrakt abzusau-
se häufig, jedoch nehmen die messbaren Titer schnell ab. Selten und gen (am besten durch gezielte Bronchoskopie).
eher bei Patientinnen können hohe Titer auftreten, die mit einer
klinisch relevanten Hämolyse einhergehen, die zur Sauerstoffunter- Ist die Gewinnung respiratorischen Sekrets nicht möglich, lässt sich
versorgung führen und die Überwachung des Patienten auf einer die Diagnose über ein im Abstand von 5–7 Tagen abgenommenes
Intensivstation notwendig machen können. Häufiger ist mit postin- Serumpaar serologisch mit ELISA-Testen erheben. Cave: Die spezi-
Bakteriologie

fektiösen neurologischen, dermatologischen, aber auch gastroin- fischen Antikörper sind aufgrund der Verzögerung der Immunant-
testinalen und kardialen Begleitreaktionen zu rechnen, die jedoch wort manchmal erst im Zweitserum bzw. 1 Woche nach Symptom-
alle nicht für diesen Erreger spezifisch sind und auch bei anderen beginn nachzuweisen.
Infektionen auftreten. So werden verschiedene Symptome gesehen,
die mit immunpathologischen Prozessen in Verbindung gebracht kTherapie
werden, z. B. meningoenzephalitische Reaktionen, das Guillain- M. pneumoniae-Infektionen sind ausschließlich mit Doxycyclin,
Barré-Syndrom, eine Karditis, aber auch myelitische und arthriti- Makroliden und neueren Chinolonen zu behandeln. Bei Kindern
sche Beschwerden. stehen aufgrund möglicher Nebenwirkungen nur Makrolide (z. B.
»Primär atypische Pneumonie«
Erythromycin, Clarithromycin) zur Verfügung. Allerdings sind in
Aufgrund der schwierigen Anzüchtung von Mycoplasma pneumoniae wur- Deutschland erste makrolidresistente M. pneumoniae-Isolate be-
de der Erreger der primär atypischen Pneumonie erst sehr spät entdeckt. schrieben worden.
Das Röntgenbild (. Abb. 48.2), der Krankheitsverlauf und der fehlende The- Cave: β-Laktam-Antibiotika sind wegen des Fehlens einer Pep-
rapieerfolg nach Penicillingabe führten dazu, dass man diese »atypische«, tidoglykanzellwand als Angriffspunkt unwirksam.
heute besser als interstitielle bezeichnete Pneumonie röntgenologisch von Die Therapie verkürzt die symptomatische Phase. Um einem
der durch Pneumokokken hervorgerufenen Lobärpneumonie abtrennte. Rezidiv bei zu kurzer Therapiedauer vorzubeugen, sollte die Thera-
Die Suche nach einem infektiösen Agens für diese häufig bei Kindern und pie mit Makroliden oder Doxycyclin 10–14 Tage dauern. Der Einsatz
Jugendlichen im ambulanten Bereich registrierte »atypische« Pneumonie,
neuerer Chinolone soll stationär zu behandelnden Patienten vorbe-
die mit dem Laborparameter einer Kälteagglutininbildung einherging, führ-
halten bleiben.
te 1962 zum Erfolg: Chanock und Mitarbeiter züchteten auf einem serumhal-
tigen Agarmedium Kolonien an, die sich durch eine bisher nicht bekannte
Spiegeleiform mit Wachstum in den Nährboden (. Abb. 48.1b) auszeichne-
kPrävention
ten und sich in der Gramfärbung nicht darstellen ließen. Wie Forschungsar- Da die M. pneumoniae-Infektion durch Tröpfcheninfektion über-
beiten an diesem ungewöhnlichen infektiösen Agens zeigten, handelte es tragen wird, sind präventive Maßnahmen kaum möglich. Eine
sich um ein filamentöses Bakterium ohne Zellwand, dass später Mycoplasma Schutzimpfung existiert nicht.
pneumoniae genannt wurde.
Literatur
403 48
48.2 Mycoplasma hominis, kTherapie
Ureaplasma urealyticum, U. parvum Die Therapie von U. urealyticum und U. parvum erfolgt mit Eryth-
romycin, neueren Makroliden, Doxycyclin und Chinolonen.
kPathogenese und Klinik M. hominis-Infektionen werden mit Doxycyclin, neueren
Im Gegensatz zu M. pneumoniae sind M. hominis, Ureaplasma (U.) Chinolonen und Clindamycin behandelt. Allerdings M. hominis ist
urealyticum und U. parvum im Urogenitaltrakt sowohl als koloni- primär resistent gegen alle Makrolide.
sierende Bakterien als auch als Krankheitserreger einzustufen
(fakultativ pathogene Bakterien). Erst nach Ausschluss aller patho-
In Kürze
genen Erreger von Urogenitalinfektionen (z. B. Chlamydia tracho-
Mykoplasmen, Ureaplasmen
matis, Neisseria gonorrhoeae, bakterielle Vaginose) sollten sie als
Bakteriologie Zellwandlose Bakterien, die in einem Gram-
ursächliche Krankheitserreger in Betracht gezogen werden.
präparat aufgrund fehlender Anfärbbarkeit einer mikroskopi-
U. urealyticum und U. parvum sind eher beim Mann, M. homi-
schen Befundung entgehen, hohe Nährbodenansprüche stellen
nis ist häufiger bei der Frau auf den Epithelzellen des Urogenital-
und nur verzögertes Wachstum auf Spezialnährböden zeigen.
trakts zu finden. Alle 3 Spezies können einen Wirt jedoch auch ge-
Vorkommen Extrazellulär auf Schleimhautzellen des Respira-
meinsam kolonisieren. M. hominis und die Ureaplasmen werden
tions- oder Urogenitaltrakts.
vor allem durch sexuellen Kontakt übertragen. Sie sind aber auch
Resistenz gegen äußere Einflüsse Empfindlich gegenüber
beim Neugeborenen, bedingt durch den engen Kontakt mit einer
osmotischen Druckschwankungen und Austrocknung. Daher
kolonisierten Mutter (Schmierinfektion), bereits kurz nach der Ge-
sind vom Labor spezielle Transportmedien anzufordern.
burt nachweisbar. Häufiger Partnerwechsel ist für die Kolonisierung
Epidemiologie Weltweites Vorkommen.
mit z. B. M. hominis auf der Urogenitalschleimhaut mitverantwort-
Zielgruppe Ausschließlich der Mensch.
lich (bei < 1 % von sexuell enthaltsam lebenden Probanden und bis
Übertragung Tröpfcheninfektion (M. pneumoniae); Geschlechts-
zu 60 % untersuchter Prostituierten nachweisbar).
verkehr und intrapartal (M. hominis, U. urealyticum, U. parvum).
Erkrankungen des Urogenitaltrakts, an denen M. hominis und
Pathogenese Obligat pathogene M. pneumoniae adhärieren
Ureaplasmen beteiligt sind, sind die Urethritis und Prostatitis beim
und vermehren sich auf den Flimmerepithelien des Respirations-
Mann sowie die Zervizitis und Salpingitis bei der Frau. 20–30 %
trakts. Die fakultativ pathogenen Spezies M. hominis, U. urea-
aller Fälle von nichtgonorrhoischer Urethritis und etwa 15 % der
lyticum und U. parvum sind auf den Urogenitaltrakt spezialisiert
Fälle von chronischer Prostatitis werden durch Ureaplasmen hervor-
und können nach Aspiration unter der Geburt bei Neugebore-
gerufen. Eher selten sind sie als ätiologisches Agens z. B. bei einer
nen im Respirationstrakt nachgewiesen werden.
Pyelonephritis verantwortlich.
Klinik Die von M. pneumoniae verursachte primär atypische
Pneumonie ist eine interstitielle Pneumonie. Differenzialdia-
Infektionen in der Schwangerschaft Studien mit kleinen Fallzah-
gnostisch sind vor allem virale, aber auch bakterielle Erreger
len zeigen eine Assoziation zwischen einem Ureaplasmennachweis
abzugrenzen, z. B. Chlamydophila pneumoniae, Legionella
bei einer Chorioamnionitis mit Abortfolge bzw. Frühgeburtlichkeit.
pneumophila. Bei einer nichtgonorrhoischen Urethritis, Zervi-
Unter Geburtsbedingungen kann es allgemein zu einer Sepsis der
zitis sind Ureaplasmen und Mycoplasma hominis zu berücksich-
Gebärenden und Wundinfektionen mit diesen Bakterien kommen.
tigen. Frühgeborene können eine Pneumonie mit U. urealyti-
Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1 kg gehören zu den
cum entwickeln.
Problempatienten, bei denen eine konnatale Pneumonie mit Urea-
Diagnose Zum Nachweis von M. pneumoniae eignen sich Real-
plasmen radiologisch nicht von einem primären Atemnotsyndrom
time-PCR-Verfahren. Weiterhin dienen serologische Methoden
zu unterscheiden ist. In diesen Fällen ist unbedingt ein Erregernach-
zum Nachweis erhöhter spezifischer Anti-M. pneumoniae-IgM
weis aus abgesaugtem Trachealsekret zu führen. Eine Generalisie-
oder IgA-Antikörper im ELISA. Im Gegensatz dazu werden bei
rung mit der Folge von Sepsis und Meningitis ist beschrieben.
M. hominis und U. urealyticum kulturelle Verfahren und Keim-
zahlbestimmung eingesetzt; Serologie ist bei urogenitalen
kLabordiagnose
Infektionen nicht hilfreich, da M. hominis und die Ureaplasmen
Die Diagnostik beruht auf dem kulturellen Erregernachweis aus
in der Bevölkerung weit verbreitet den Urogenitaltrakt koloni-
Abstrichen aus dem Urogenitaltrakt, der 1. (!) Urinportion oder aus
sieren und Basistiter induzieren können.
Prostatasekreten bzw. Trachealsekret aus dem Bronchialtrakt von
Therapie Tetracycline, Makrolide (Ausnahme M. hominis),
Neugeborenen. Die Bakterien lassen sich auf serumhaltigen Spezial-
neuere Chinolone (z. B. Moxifloxacin).
kulturen innerhalb von 2–4 Tagen unter anaeroben Bedingungen
anzüchten. Die Speziesidentifizierung erfolgt aufgrund der Kolo-
niemorphologie (Spiegelei) und biochemisch: Ureaplasmen spalten
Literatur
Harnstoff, M. hominis hydrolysiert Arginin.
Die Keimzahl aus Urogenitalproben ist zu bestimmen: Jacobs E (2013) Mykoplasma-Infektionen. In: Hoffmann (Hrsg.) Handbuch der
4 Geringe Keimzahlen deuten eher auf eine Kolonisierung hin. Infektionskrankheiten. 49. Erg.-Lfg. Landsberg: Ecomed.
4 Keimzahlen > 104/ml Sekret weisen auf eine Beteiligung am
klinischen Bild hin.

Aufgrund der weit verbreiteten Kolonisierung in der Bevölkerung


und damit verbunden sehr breiten Basistiterverteilungen sind sero-
logische Untersuchungen zum Nachweis einer Beteiligung dieser
Bakterien am klinischen Bild nicht sinnvoll.
405 49

Chlamydien
A. Klos

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_49, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Chlamydien sind intrazelluläre Bakterien mit einem reduzierten Ge-


. Tab. 49.1 Chlamydia: Gattungsmerkmale
nom aus etwa 1000 Genen. Sie haben im Laufe der Evolution Schlüssel-
enzyme für einige Synthesewege verloren (. Tab. 49.1). Die human-
Merkmal Ausprägung
pathogenen Spezies der Familie Chlamydiaceae werden wieder alle der
Gattung Chlamydia (C.) zugeordnet. Chlamydien befallen zunächst die Gramfärbung keine Anfärbung (trotz rudimentärer
Mukosa, können aber auch streuen. Je nach Serovar verursacht C. tra- Peptidoglykanschicht)
chomatis Erkrankungen des Urogenitaltrakts und des Auges. Typisch
Aerob/anaerob (intrazellulär)
sind symptomarme subakute oder chronische Verläufe, deren langfris-
tige Komplikationen, vor allem Infertilität und Trachom, gefürchtet sind. Kohlenhydrat- (intrazellulär)
C. pneumoniae ist häufiger Erreger meist milder Atemwegserkrankun- verwertung
gen und mit Gefäßerkrankungen assoziiert. Von Vögeln (Ornithose) auf Sporenbildung nein
Menschen übertragene C. psittaci-Stämme können zu lebensbedrohli-
chen, im deutschsprachigen Raum aber eher seltenen Pneumonien mit Beweglichkeit (intrazellulär)
systemischer Streuung führen (. Tab. 49.2). C. abortus stellt weltweit Katalase –
bei schwangeren Frauen nach Kontakt mit erkrankten Schafen, Ziegen,
Oxidase –
Kühen oder Schweinen ein zoonotisches Risiko dar.
Besonderheiten intrazelluläres Bakterium, das Schleimhäute
befällt; Elementarkörperchen und Retikular-
körperchen in Einschlüssen (sowie aberrante
Chlamydien weisen viele Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Körperchen)
Spezies auf. Das betrifft ihren Reproduktionszyklus und die Formen,
die diese intrazellulären Bakterien dabei annehmen, die Infektion der
Mukosa, Pathomechanismen und die Immunantwort. Auch wenn verwandte Arten nahe. Daher werden hier zunächst Gemeinsamkeiten
vieles davon bisher nur für einzelne Chlamydienstämme gezeigt der Chlamydien benannt. Dabei wird bereits auf einige wichtige
wurde, so liegen doch ähnliche Mechanismen für andere Isolate und spezies- oder serovarabhängige Unterschiede hingewiesen.

. Tab. 49.2 Chlamydien: Arten, Serovare und Krankheiten

Arten Krankheiten

C. trachomatis:

– Serotypen A, B, Ba, C Trachom (rezidivierende Infekte ൺ schwere Keratokonjunktivitis, unbehandelt Erblindung)

– Serotypen D–K Urethritis, Zervizitis

aufsteigende Infektionen des Genitaltraktes mit Entzündung des kleinen Beckens ൺ Infertilität und ektope
Schwangerschaft

Konjunktivitis, Ophthalmia neonatorum

Pneumonie (Neugeborene)

reaktive Arthritis

– Serotypen L1–L3 Lymphogranuloma venereum (wie D–K plus regionale Lymphknoten; öfter auch Proktokolitis und Pharyngitis)

C. pneumoniae Atemweginfekte, COPD, Pneumonie

Assoziation mit koronarer Herzkrankheit, Herzinfarkt und anderen Gefäßerkrankungen

C. psittaci Zoonose: Psittakose (Papageienkrankheit, Ornithose), lebensbedrohliche systemische Infektion, vor allem Pneumonie

C. abortus Zoonose: Schwere Infektionen und Fehlgeburten bei schwangeren Frauen nach Kontakt mit erkrankten Schafen,
Ziegen, seltener Kühen oder Schweinen
406 Kapitel 49 · Chlamydien

49.1 Gemeinsamkeiten aller humanpathogenen


Chlamydienarten: C. trachomatis, C. psittaci,
C. pneumoniae und (sehr selten) C. abortus

Steckbrief

Chlamydien enthalten wie alle Bakterien DNA, RNA, Ribosomen


sowie eine Zytoplasmamembran. Sie weisen eine rudimentäre
Peptidoglykanschicht auf, die prinzipiell der von gramnegativen
Bakterien entspricht. Chlamydien sind auf Eukaryonten als Wirts-
zellen angewiesen. Sie lassen sich daher nur in Zellkultur ver-
mehren, werden aber üblicherweise mittels DNA-Amplifikations-
verfahren nachgewiesen. Im biphasischen Reproduktionszyklus
liegen Chlamydien sowohl als extrazelluläre »Elementarkörper-
chen« als auch als »Retikularkörperchen« in intrazellulären
»Einschlüssen« vor.
1966 wurde klar, dass Chlamydien intrazelluläre Bakterien sind
und keine Viren. Sie lassen sich bisher genetisch (z. B. zur funk-
tionellen Analyse von Virulenzfaktoren) kaum gezielt modifizie-
ren. Allerdings gehören sie gerade deshalb zu den am häufigs-
ten sequenzierten Bakterien.

. Abb. 49.1 Chlamydien weisen einen virusähnlichen biphasischen


Entwicklungszyklus auf. Infektiöse Elementarkörperchen lassen sich von
Schleimhautzellen aufnehmen und verhindern die Phagolysosomfusion.
49.1.1 Beschreibung Sie entwickeln sich in Einschlüssen zu metabolisch aktiven Retikularkörper-
chen weiter und teilen sich in diesem Vesikel, bis bei einer solchen pro-
jAufbau und Formen sowie Resistenz gegenüber äußeren
Bakteriologie

duktiven Infektion nach etwa 3 Tagen eine neue Generation infektiöser


Einflüssen Elementarkörperchen freigesetzt wird. Dies geschieht entweder durch Lyse
Elementarkörperchen: Die extrazelluläre, infektiöse Form besitzt oder Protrusion, eine spezielle Form der Ausschleusung. Chlamydien
nur einen geringen Durchmesser von 0,2–0,3 μm. Kondensierte können sekundär andere Zellen infizieren, beispielsweise Monozyten, mit
deren Hilfe sie sich im Körper ausbreiten
DNA und Proteine werden von einer rigiden Hülle (aus über Disul-
fidbrücken quer vernetzten Membranproteinen) geschützt. Elemen-
tarkörperchen besitzen nur einen minimalen Stoffwechsel. Bei
später geplanter Anzucht benötigt man wegen dieses Basisenergie- umformen. Wegen ihres reduzierten Stoffwechsels lässt sie sich
verbrauchs ein spezielles, gekühltes Transportmedium. Die Umwelt- durch eine herkömmliche Antibiotikatherapie kaum eliminieren.
resistenz der chlamydialen Elementarkörperchen variiert spezies- Eine medizinische Bedeutung der Persistenz konnte bisher jedoch
abhängig: Sie ist bei C. trachomatis am geringsten (sexuell-übertra- nur für die reaktive Arthritis durch den Nachweis kurzlebiger
gene Erkrankungen mit Schleimhaut-Schleimhaut-Kontakt), bei RNA-Intermediate von C. trachomatis in Synoviabiopsien aufge-
C. pneumoniae bereits ausgeprägter (Tröpfcheninfektion) und bei zeigt werden.
C. psittaci mit Abstand am größten (Sekrete, Staub von Vogelkot). Chlamydien weisen eine rudimentäre, nur schwer nachweis-
bare Peptidoglykansynthese auf. Die vorhandenen Enzyme der
Retikularkörperchen: Hierbei handelt es sich um die intrazelluläre Zellwandsynthese sind anscheinend selbst für einen intrazellulären
und stoffwechselaktive Form. Ihr Durchmesser beträgt 1 μm. Die Erreger unverzichtbar, da sie auch für die Bildung des kontraktilen
»Retikularkörperchen« teilen sich (wie andere Bakterien) binär, Rings bei der binären Teilung benötigt werden. Dies erklärt die
allerdings befinden sie sich dabei innerhalb einer modifizierten »Chlamydienanomalie«, die lange bekannte Hemmung des chlamy-
Vakuole, dem »chlamydialen Einschluss«. dialen Wachstums durch β-Laktam-Antibiotika bei auf herkömm-
licher Weise nicht nachweisbarer Zellwand. Typisch für den meist
Aberrante Körperchen: Diese intrazelluläre chlamydiale Dauer- relativ symptomarmen Verlauf einer chlamydialen Infektion ist
form kann in Zellkultur durch suboptimale Wachstumsbedingun- auch die durch das atypische Lipid-A-Molekül bedingte, vergleich-
gen induziert werden. Sie ist teilweise reaktivierbar, kann sich also bar geringe biologische Aktivität des chlamydialen Lipopolysaccha-
unter Umständen wieder zu infektiösen Elementarkörperchen rids (LPS).
49.1 · Gemeinsamkeiten aller humanpathogenen Chlamydienarten: C. trachomatis, C. psittaci, C. pneumoniae und C. abortus
407 49

. Abb. 49.2a–c Elektronenmikroskopische Darstellung von Retikularkörperchen und sich in Einschlüssen neu entwickelnden Elementarkörperchen bei
C. trachomatis: 24 h (a) bzw. 48 h nach Infektion (b, c) (mit freundl. Genehmigung von Dr. M. Rohde, HZI-Braunschweig)

jInfektions- und Reproduktionszyklus perchen«, eine intrazelluläre, persistierende Form mit reduziertem
Infektion Die Aufnahme des Elementarkörperchens (. Abb. 49.1, Stoffwechsel und veränderter Morphologie.
. Abb. 49.2) besteht aus 2 Schritten:
1. Zunächst kommt es zu einer reversiblen, elektrostatisch ver- jPathogenitätsfaktoren und Typ-3-Sekretionsapparat
mittelten Anheftung, der vermutlich eine Interaktion der chla- Chlamydien besitzen wie einige andere gramnegative Bakterien
mydialen Außenmembranproteine mit Heparansulfatproteo- einen Typ-3-Sekretionsapparat, mit dessen Hilfe sie ihre Wirtszelle
glykan der Wirtszelle zu Grunde liegt. umprogrammieren können. Bereits 1981 waren diese kanülenarti-
2. Bei diesem irreversiblen Schritt binden Außenmembranprotei- gen Oberflächenstrukturen erstmals, allerdings damals nicht in ihrer
ne an Wirtszelloberflächenmoleküle wie Mannoserezeptor, Funktion erkannt, an Chlamydien von Matsumoto beschrieben
CFTR oder an einen Östrogenrezeptorkomplex, was dann über worden. Elementarkörperchen benötigen diesen Sekretionsapparat
eine Aktivierung des Zytoskeletts zur Invagination und clath- zum Eindringen in nichtprofessionelle Phagozyten, insbesondere
rinvermittelten Endozytose führt. Schleimhautzellen. Aber auch Retikularkörperchen nutzen ihn ein
weiteres Mal in den Einschlüssen. Mit dieser Nano-Injektionsma-
Intrazelluläre Etablierung und Vermehrung Die Chlamydien ver- schine, aber auch mittels anderer Sekretionswege translozieren
hindern die Fusion des Phagosoms mit den Lysosomen und bleiben Chlamydien eine Reihe von bisher nur teilweise charakterisierten
in der modifizierten Vakuole, dem Einschluss. Die eingedrungenen Effektorproteinen ins Zytosol ihrer Wirtszelle (. Abb. 49.3).
Chlamydien werden metabolisch stark aktiv und verändern den Ve- Bei der Infektion kommt es zu zahlreichen biologischen Zel-
sikeltransport im Golgi-Apparat. Etwa 6–8 Stunden nach Infektion lantworten, die teilweise durch die von den Chlamydien orches-
bilden sich die eingedrungenen Elementarkörperchen zu Retikular- trierten Effektorproteine vermittelt werden. Zum Teil geschieht dies
körperchen um (. Abb. 49.1, . Abb. 49.2). Nach etwa 12 Stunden aber auch im Rahmen der angeborenen Immunantwort durch
beginnt deren Teilung über bis zu 10 Verdopplungsrunden in der »pathogen-associated molecular pattern« wie LPS und die zugehöri-
sich rasch ausdehnenden Vakuole. Nach etwa 24 Stunden beginnen gen Rezeptoren, wie TLR2, TLR4 oder NOD-Moleküle:
sich die Retikularkörperchen wieder zu infektiösen Elementarkör- 4 Modifikation intrazellulärer Signalwege der Wirtszelle, wie
perchen umzuwandeln. Gegen Ende des 2- bis 3-tägigen Produk- NFκB-Weg oder Ras/Erk-Signalling
tionszyklus kommt es entweder durch Zelllyse oder ohne Untergang 4 Veränderter Vesikeltransport im Golgi-Apparat und dadurch
der Wirtszelle mittels Protrusion zur Freisetzung hunderter neuer bessere Versorgung im Einschluss
infektiöser Elementarkörperchen. 4 Teilweise verminderte, teilweise aber auch erhöhte Freisetzung
Zur Anzucht in der Forschung eignen sich humane Tumorzell- von Entzündungsmediatoren und Zytokinen
linien, wie HeLa, McCoy oder HEp-2. Chlamydien können selbst 4 Änderung am Wirtszellzytoskelett zur Steuerung der
ATP bilden. Sie sind daher keine »Energieparasiten«, wie man früher Aufnahme von Elementarkörperchen und vermutlich auch
dachte. Allerdings fehlen ihnen Schlüsselenzyme der Aminosäure- zur Störung des Schleimhautverbundes
und Nukleotidsynthese. Das kompensieren sie durch Membran- 4 Hemmung des programmierten Zelltods, am Ende des Pro-
transportsysteme, mit denen sie sich aus der Wirtszelle versorgen. duktionszyklus aber wahrscheinlich auch Apoptoseinduktion
Ungünstige Wachstumsbedingungen induzieren »aberrante Kör- 4 Modifikation der zellulären Immunantwort
408 Kapitel 49 · Chlamydien

. Abb. 49.3 Prinzip wichtiger Pathomechanismen: Die Beeinflussung der Wirtszelle kann sowohl von außen durch Elementarkörperchen als auch später
in der Infektion durch Retikularkörperchen in den zytosolischen Einschlüssen erfolgen (PAMP, »pathogen-associated molecular pattern« (wie LPS); TLR,
»Toll-like receptor«; OMP, »outer membrane protein«). Zusätzlich spielt in der Pathogenese die Immunantwort gegenüber den infizierten Wirtszellen eine
große Rolle

4 Aktivierung des Komplementsystems mit dadurch vermittelte kLabordiagnose


Bakteriologie

Verstärkung der adaptiven Immunantwort DNA-Amplifikationsverfahren Die Diagnostik einer Chlamydien-


4 Wirtszellschädigung mit Lyse infektion erfolgt heute in der Regel über die empfindliche PCR oder
Ligasekettenreaktion. Je nach Erreger und klinischem Befund kom-
men dafür zellhaltige Abstriche/Materialien der Urethra, Konjunk-
49.1.2 Rolle als Krankheitserreger tiva, Atemwege oder des Rektums infrage. Bei Urogenitalinfektion
durch C. trachomatis ist der DNA-Nachweis auch im Erststrahlurin
kKlinik und Erkrankungen möglich.
Siehe hierzu die einzelnen Erregern in 7 Abschn. 49.2.2 bis 7 Abschn.
49.5.2. DNA-Hybridisierung mit Gensonden (ohne Amplifikation) Dieses
Auffällig ist, dass die ausschließlich humanpathogenen intrazel- Verfahren ist deutlich weniger empfindlich.
lulären Chlamydien typischerweise relativ milde und oft chronische
Entzündungsreaktionen auslösen. Dieses Verhalten ist für einen Immunfluoreszenz zum Antigennachweis im Direktmaterial
obligat intrazellulären Erreger, der für sein Überleben schon Jahr- Mikroskopische Diagnostik mittels fluoreszenzmarkierter spezifi-
zehntausende auf die menschliche Wirtszelle angewiesen ist, leicht scher Antikörper zur Sichtbarmachung der Chlamydien in Material,
nachvollziehbar. Allerdings können länger bestehende unerkannte das Schleimhautzellen enthält (z. B. Bronchiallavage). Hierzu eignen
Infektionen oder Rezidive zu Gewebeumbau und Funktionsein- sich monoklonale Antikörper gegen das hitzestabile LPS in der Zell-
schränkung führen. Bei dieser langfristigen Schädigung spielt ver- wand. Da es überwiegend genusspezifische Epitope enthält, ist eine
mutlich die Immunreaktion des Wirtes gegenüber infizierten Zellen Speziesdifferenzierung nur eingeschränkt möglich. Zusätzlich ist die
eine zentrale Rolle. Sensitivität dieser Methode relativ gering. Neben dem LPS enthält
Zu dieser phylogenetischen Sichtweise passt auch der akute, oft die Zellwand auch Antigene, im Wesentlichen äußere Membran-
tödliche Verlauf bei den relativ seltenen Erkrankungen durch proteine, die sowohl zur Spezies- als auch zur Typenidentifikation
C. psittaci nach Transmission des Erregers von erkrankten Vögeln genutzt werden können. Die dazu benötigten Antiseren liegen je-
(Hauptwirt) auf den Menschen. doch nur Speziallabors vor.
49.2 · Spezifisches zu Chlamydia trachomatis, Serotypen A–C
409 49
aktivierten Makrophagen. Schlüsselzytokine sind dabei IFN-γ und
TNF-α. Dagegen sind Antikörper, die nur die extrazelluläre Form
erreichen können, bei der Abwehr von Chlamydien von untergeord-
neter Bedeutung.
Der ohnehin zu beobachtende eingeschränkte Schutz vor Rein-
fektion wird im Fall von C. trachomatis zusätzlich durch die Vielzahl
seiner Serovare erschwert. Vermutlich trägt die Immunantwort ge-
gen die infizierten Wirtszellen bei chronischen oder rezidivierenden
Infektionen zum Gewebeumbau mit Vernarbung bei.
Eine wirksame Schutzimpfung existiert nicht, ihre Entwicklung
ist schwierig. Vor allem gegen C. trachomatis wäre ein solcher Schutz
wegen der ungewollten Infertilität als Folgeschaden wünschenswert.

49.2 Spezifisches zu Chlamydia trachomatis,


Serotypen A–C
. Abb. 49.4 Immunfluoreszenz von in Zellkultur gezüchteten Chlamydien
(24 h nach Infektion). Chlamydiale Einschlüsse, die Retikularkörperchen Steckbrief
enthalten, sind grün gefärbt. Epitheliale HeLa-Wirtszellen sind rot gegen-
gefärbt Die Serotypen A–C von C. trachomatis haben vor allem in wenig
entwickelten Ländern noch eine große Bedeutung. Bei wieder-
holten Infektionen kommt es zum Trachom, einer chronisch-
Zellkulturen Man kann Chlamydien auch in Zellkulturen vermeh- granulomatösen Entzündung der Augenbindehaut, die nach
ren und dann mittels Immunfluoreszenz, wie für den Nachweis im einigen Jahren zur Erblindung führt. Nach Schätzungen der
Primärmaterial geschildert, mikroskopisch nachweisen (. Abb. WHO litten im Jahr 2010 etwa 2,2 Mio. Menschen an Sehbehin-
49.4). Wegen der Anforderungen an den Materialtransport, des gro- derungen und 1,2 Mio. waren durch das Trachom bereits irre-
ßen Aufwands, der geforderten mehrfachen Blindpassagen sowie versibel erblindet. Mit relativ geringen finanziellen Mitteln kann
des höheren Anteils falsch negativer Resultate ist diese Methode eine Erblindung verhindert werden. Die Augenerkrankung wird
allerdings mittlerweile in der Diagnostik ungebräuchlich. nach Stadien klassifiziert und therapiert.
Bei C. psittaci-Erkrankungen kommen Sicherheitsaspekte hinzu Schon im Altertum war das zur Erblindung führende Trachom
(L3-Labor). bekannt. Durch verbesserte Hygiene und Therapie wurde es im
letzten Jahrhundert in ärmere Regionen zurückgedrängt. 1907
Serologie Der Nachweis spezifischer Antikörper hat bei C. pneu- hatten Halberstaedter und von Prowazek in Java Orang-Utans
moniae und C. trachomatis hauptsächlich seroepidemiologische mit Konjunktivalabschabungen von Trachomapatienten
Bedeutung, etwa zur Ermittlung des Durchseuchungsgrades oder (durch C. trachomatis A–C) infiziert, wobei sie »Chlamydozoa«
der statistischen Korrelation einer zurückliegenden Chlamydien- benannte Einschlüsse fanden (gr. »chlamys«, Mantel).
infektion mit bestimmten Erkrankungen. Sinnvoll erscheint ihre
Anwendung am einzelnen Individuum bei Verdacht auf reaktive
Arthritis durch C. trachomatis (persistierendes IgA). Bei C. psittaci-
Infektionen können Antikörper nachgewiesen werden, die bei
den derzeit beschränkten Alternativen oft diagnostisch verwertet
werden.
Merke: Chlamydien sind mittels Gramfärbung oder anderen
herkömmlichen Färbungen nicht darstellbar. Außerdem sind diese
obligat intrazellulären Bakterien auf zellfreien Nährböden, wie Co-
lumbia-Schafsblut-Agar, nicht kultivierbar.

kAllgemeine Überlegungen zur Therapie


Chlamydien sind im Allgemeinen gegen Makrolide, Tetracycline
und Chinolone – Antibiotika, die sich intrazellulär anreichern –
empfindlich. Eine echte Resistenzentwicklung (z. B. durch Muta- 49.2.1 Beschreibung
tion) ist bei Chlamydien klinisch kaum bedeutend. Das nicht selten
zu beobachtende Therapieversagen ist meist anders begründet: jVorkommen
Reinfektion (unbehandelter Sexualpartner) oder Rezidive, vor allem Erregerreservoir ist ausschließlich der Mensch. Siehe auch 7 Abschn.
bei unreifem Immunsystem (Frühgeborene) oder unvollständiger 49.1.
Erregerelimination (Persistenz).

kImmunantwort, Schutzimpfung 49.2.2 Rolle als Krankheitserreger


Dieser Erreger vermehrt sich intrazellulär, führt zur Freisetzung von
Entzündungsmediatoren und schädigt die infizierte Wirtszelle sowie kEpidemiologie
indirekt auch benachbarte Zellen. Die Abwehr der intrazellulären Auch wenn das zur Erblindung führende Trachom in deutschspra-
Chlamydien beruht vor allem auf CD4+- und CD8+-T-Zellen sowie chigen Ländern kaum mehr eine Rolle spielt, so ist es weltweit von
410 Kapitel 49 · Chlamydien

kLabordiagnose
DNA-Amplifikation (z. B. PCR) bietet die höchste Nachweisemp-
findlichkeit. Prinzipiell ist auch ein direkter mikroskopischer Nach-
weis mittels Immunfluoreszenz oder eine Anzucht in Zellkultur
möglich.
Das Trachom wird wegen der eingeschränkten Möglichkeiten in
den betroffenen Ländern oft nur klinisch diagnostiziert.

kTherapie
Die WHO empfiehlt die einmalige Gabe von Azithromyzin (oder
vergleichbarer Makrolide mit langer biologischer Halbwertszeit).
Auch Chinolone sind grundsätzlich wirksam. Die mehrwöchige
Gabe von Tetracyclin-Augentropfen zeigt nur geringen Erfolg. In
fortgeschrittenen Stadien (Trichiasis) ist zusätzlich eine operative
. Abb. 49.5 Pathogenese des Trachoms Korrektur des Augenlides notwendig.

kPrävention und von der WHO geplante Elimination


großer Bedeutung. Es findet sich vor allem bei der armen Bevölke- Allgemeine Maßnahmen Eine effektive Prophylaxe in betroffenen
rung in ländlichen Gebieten mit geringer Hygiene und ohne ausrei- Regionen kann derzeit nur in der persönlichen Hygiene bestehen.
chende Gesundheitsversorgung. Laut WHO sind weltweit etwa Vor allem gilt es Kinder vor der Infektion zu schützen. Bei bereits
40 Mio. Menschen an aktivem Trachom erkrankt, davon zwei Drittel Erkrankten liegt das Schwergewicht auf der Verhinderung von Pro-
in Afrika, insbesondere in Äthiopien, Sudan, Uganda und Nigeria. gression mit Pannusbildung und Erblindung. Unter Ägide der WHO
In manchen Gebieten sind mehr als die Hälfte aller Kinder unter läuft das »Global Programme for the Elimination of Trachoma« mit
10 Jahren infiziert. Außerhalb Afrikas kommt das Trachom vor der SAFE-Strategie. Man hofft damit das Trachom bis zum Jahr 2020
allem in Asien (insbesondere Indien), Zentral- und Südamerika, zumindest weitgehend zu eliminieren. SAFE steht für eine Kombi-
Australien und dem Mittleren Osten vor. Man rechnet weltweit mit nation aus:
etwa 1,2 Mio. vermeidbaren Erblindungen. 4 »Surgery«: Operation der Augenlider, um ggf. die mechanische
Beschädigung der Hornhaut zu beenden.
kÜbertragungsweg 4 Antibiotika, wobei bei höherer Durchseuchung die ganze Dorf-
Die Übertragung von C. trachomatis A–C auf das Konjunktivalepi- gemeinschaft gleichzeitig therapiert werden muss.
thel des Auges erfolgt als Schmierinfektion und durch Fliegen. 4 »Facial cleanliness«: Sauberkeit am Kopf, unter anderem ge-
trennte Handtücher zur Vermeidung von Schmierinfektionen.
kPathogenese und Klinik 4 »Environmental improvement«: Verbesserung der allgemeinen
Chronische (s. u.) follikuläre Keratokonjunktivitis nach Erstinfek- Hygiene inkl. Bereitstellung sauberen Wassers sowie Vermin-
tion mit C. trachomatis A, B, Ba, C bereits im Kleinkind- oder Schul- derung der Fliegen im Haushalt.
kindalter sowie rezidivierende oder chronischen Infektionen in
den Folgejahren. Die chronische Entzündung führt teilweise über Meldepflicht Es besteht in Deutschland keine Meldepflicht für das
Bakteriologie

mechanische Schädigung stadienweise (WHO) zum Umbau des Trachom sowie für Lymphogranuloma venereum (LGV) oder für
Gewebes und zur Erblindung (. Abb. 49.5): Einzelfälle anderer Erkrankungen durch C. trachomatis. Das ist in-
4 »Trachomatous inflammation – follicular« (TF): ≥ 5 Follikel sofern problematisch, als Veränderungen, wie das Auftreten modi-
(graue, glasige Körner aus Makrophagen und Lymphozyten) fizierter Stämme, so kaum auffallen. Unter derartigen Umständen
mit mindestens 0,5 mm Durchmesser in der oberen tarsalen verbreitete sich beispielsweise in Skandinavien vor einigen Jahren
(inneren) Konjunktiva. eine Variante von C. trachomatis mit einem spontanen Verlust eines
4 »Trachomatous inflammation – intense« (TI): Chronisch ent- kürzeren Genabschnitts im Plasmid, der Grundlage einiger damals
zündliche Verdickung der tarsalen Konjunktiva mit Trübung weit verbreiteter PCR-Nachweisverfahren war. Dies fiel in Schweden
von mehr als der Hälfte der tiefen Gefäße. nur durch einen scheinbaren, unplausibel erscheinenden Abfall an
4 »Trachomatous conjunctival scarring« – (TS): Sichtbare Nar- gemeldeten Erkrankungen auf.
ben auf der tarsalen Konjunktiva → Augenlid und Wimpern Ausnahme: Laut der 2010 aktualisierten Fassung des »Epide-
beginnen sich augenwärts zu verziehen. miologischen Bulletins« des RKI 12/2001 besteht nach dem Infek-
4 »Trachomatous trichiasis« – (TT): Mindestens eine Wimper tionsschutzgesetz in Deutschland eine Meldepflicht, wenn zwei oder
schabt beim Lidschlag auf der Kornea (Trichiasis); eventuell mehrere gleichartige Erkrankungen an Trachom oder LGV auftre-
auch bereits Verlust von nach innen gerichteten Wimpern ten, bei denen ein epidemiologischer Zusammenhang wahrschein-
(Entropium) → schmerzhafte korneale Erosionen mit Sekun- lich ist.
därinfektionen durch eitererregende Bakterien.
4 »Corneal opacity« (CO): Leicht sichtbare opake Trübung auf
Höhe der Pupille, sodass mindestens ein Teil des Pupillen-
randes nicht mehr sichtbar ist → Erblindung meist im 3. oder
4. Lebensjahrzehnt: Die Kornea wird durch eine dünne Schicht
von Granulationsgewebe (Pannus) überzogen.
49.3 · Spezifisches: Chlamydia trachomatis, Serotypen D–K und L1–L3
411 49
49.3 Spezifisches: Chlamydia trachomatis, Seite der Wirtszellmembran und wird rasch durch Tyrosin-
Serotypen D–K und L1–L3 kinasen des Wirts phosphoryliert. Es induziert in der Wirts-
zelle die Polymerisierung von Aktin und trägt zur Aufnahme
Steckbrief der Chlamydien in die Wirtszelle bei. Dabei sind kleine
Rho-GTPasen wie Rac1-GTPase und der Arp2/3-Komplex
Die Serotypen D–K von C. trachomatis besitzen eine sehr große bedeutsam. Weiterhin beeinflusst Tarp vermutlich verschie-
Bedeutung als Erreger von Urogenitalinfektionen: In der west- dene Signalwege in der Wirtszelle.
lichen Welt sind diese Chlamydien derzeit der häufigste bakte- 4 Incs (»inclusion membrane proteins«) finden sich in der
rielle Verursacher sexuell übertragbarer Erkrankungen (STD). Membran des chlamydialen Einschlusses. Sie verändern diesen
Bei Erwachsenen können diese Serovare eine meist relativ harm- sowie das angrenzende Wirtszellzytosol. So beeinflussen sie
lose Konjunktivitis hervorrufen. Vor allem bei Männern kommt über Rab-GTPasen den Vesikeltransport.
es manchmal als Spätfolge der Genitalinfektion zur in der Regel 4 CT166 (C. trachomatis protein 166) aus Serovar D–K kann
selbstlimitierenden »reaktiven Arthritis«, bei der persistierende nach Überexpression einen Kollaps des Zytoskeletts verur-
Chlamydien im Gelenk nachweisbar sind. Bleibt die Genital- sachen. Während der Infektion verhindert es eine über-
infektion unbehandelt, drohen bei Frauen Salpingitis, Perihepa- schießende Rac1-vermittelte Signaltransduktion, beeinflusst
titis, ektope Schwangerschaft und Infertilität. Im Geburtskanal aber auch eine Reihe anderer Signalwege in der Wirtszelle.
erkrankter Frauen kann das Neugeborene infiziert werden 4 Chlamydien scheinen sich ihrem menschlichen Wirt als allei-
(Augeninfektionen, Pneumonie). nigem Erregerreservoir bei C. trachomatis und C. pneumoniae
Die Serotypen L1–L3 von C. trachomatis verursachen das Lym- evolutionär so weit angepasst zu haben, dass sie oft nur geringe
phogranuloma venereum (inguinale; LGV). Dieses ist zusätzlich Entzündungsreaktionen hervorrufen. Das chlamydiale Protein
zu den bei den Serovaren D–K auftretenden Symptomen mit CT441 spaltet proteolytisch den Transkriptionsfaktor NFκB
einer Vergrößerung der regionalen Lymphknoten sowie Prokto- (p65), der eine Rolle bei der Regulation von Entzündungs-
kolitis und Pharyngitis verbunden. Das LGV ist in den letzten reaktionen und Apoptose spielt.
Jahren auch in Europa vor allem unter homosexuellen Männern 4 Ein ehemals kryptisch genanntes Plasmid beherbergt bei eini-
gehäuft aufgetreten. gen Arten die Baupläne für weitere Virulenzfaktoren.

49.3.2 Rolle als Krankheitserreger


kVorkommen, Resistenz gegen äußere Einflüsse,
Über tragungsweg
Erregerreservoir für C. trachomatis ist der Mensch. Die relativ emp-
findlichen Elementarkörperchen der Serotypen D–K sowie L1–L3
STI von C. trachomatis werden durch Geschlechtsverkehr und seltener
durch Schmierinfektion übertragen.
Außerdem kann das Neugeborene im Geburtskanal infiziert
werden (→ Schwangerschaftsscreening).

Merke: Koinfektionen mit anderen Erregern (z. B. Gonokokken) kEpidemiologie


sind bei sexuell übertragenen Erkrankungen häufig. Nur die Sero- Urogenitale Chlamydieninfektion (durch die Serovare D–K) Diese
vare A–C von C. trachomatis verursachen das namensgebende ist derzeit weltweit unter den bakteriell verursachten sexuell über-
Trachom. tragenen Erkrankungen die häufigste. Vor allem Teenager und junge
Erwachsene sind betroffen, Mädchen etwas früher und, wohl wegen
der geringeren Symptome, auch häufiger als junge Männer. Wegen
49.3.1 Beschreibung der Symptomarmut und ausbleibenden Behandlung kommt es bei
Frauen häufig zu chronisch-persistierenden Infektionen. Daraus
Siehe auch 7 Abschn. 49.1. resultieren in den USA jährlich etwa 100.000 Fälle von ungewollter
Infertilität mit geschätzten 3 Mrd. US-Dollar Folgekosten.
jExtrazelluläre Produkte/Pathogenitätsfaktoren
Da Chlamydien genetisch nur sehr eingeschränkt gezielt manipu- Lymphogranuloma venereum (LGV) Es wird durch die Serovare
lierbar sind, sind Funktionsanalysen einzelner Gene schwierig. Die L1–L3 verursacht und kommt in Afrika, Asien, Südamerika und
meisten Forschungsarbeiten wurden bisher an C. trachomatis D–K der Karibik relativ häufig vor. Allerdings ist es mittlerweile auch in
und L1–L3 sowie an C. pneumoniae durchgeführt. Welche Faktoren Europa vor allem unter homosexuellen Männern gehäuft anzu-
den unterschiedlichen Organtropismus bedingen ist noch weitge- treffen.
hend unklar. Wahrscheinlich ist aber ein Großteil der Virulenz-
mechanismen bei C. trachomatis, C. pneumoniae und C. psittaci kPathogenese
prinzipiell ähnlich. Es folgen einige Beispiele für bisher identifizierte Genitale Chlamydieninfektion neigen zu Reinfektionen und unbe-
chlamydiale Virulenzfaktoren: handelt zur Chronifizierung und Narbenbildung. Sie sind eine häu-
4 Tarp (»translocated actin-recruiting phosphoprotein«) von fige Ursache der sekundären Sterilität oder ektopen Schwanger-
C. trachomatis wird bei Kontakt von Elementarkörperchen mit schaft. Die LGV-Serovare von C. trachomatis sind virulenter als die
der Wirtszelloberfläche über Typ-3-Sekretion ins Zytosol der Serovare D–K. Sie besitzen die Fähigkeit, die Basalmembran der
Wirtszellen transloziert. Dann gelangt es zur zytosolischen Schleimhaut zu durchdringen und bis zu den regionalen Lymph-
412 Kapitel 49 · Chlamydien

koten (meist der Leiste) vorzudringen, die dann durch die Entzün- bors nach PCR-Amplifikation und Sequenzierung der OMP-Gene
dung anschwellen. (»outer membrane proteins«) über serovarspezifische Sequenzen
leisten. Zu anderen, weniger sensitiven Verfahren vgl. 7 Abschn. 49.1.
kKlinik In Zellkultur können prinzipiell auch serotypspezifische OMP-
Genitale Infektion Nach 2–6 Wochen Inkubationszeit entwickelt Antiseren in der Immunfluoreszenz eingesetzt werden.
sich beim Mann eine akut bis chronisch verlaufende eitrige Urethri-
tis; die Nebenhoden sind nur selten beteiligt (schmerzhafte Epididy- Untersuchungsmaterialien Bei einer genitalen Chlamydieninfek-
mitis), die Prostata ist es vermutlich gar nicht. tion gewinnt man bei der Frau einen Zervixabstrich, beim Mann
Bei der Frau ruft C. trachomatis eine akute oder subakute einen Urethralabstrich. Bei Anwendung molekularbiologischer
eitrige  Urethritis, eine Entzündung der Bartholini’schen-Drüsen Nachweisverfahren mit hoher Sensitivität und Spezifität eignet sich
und in der Folge aufsteigend Zervizitis und Salpingitis hervor. Häu- auch eine Urinprobe. Wegen der Lokalisation der Chlamydien in der
fig verlaufen die Infektionen bei Frauen subklinisch. Salpingitiden Urethra sollte es hier anders als bei Harnwegsinfekten der Erst-
durch C. trachomatis gehen oft einer aufsteigenden Genitalinfek- strahlurin sein. Zum Nachweis des Erregers bei okulären Chlamy-
tion (»pelvic inflammatory disease«, PID) oder Perihepatitis voraus dieninfektionen dienen Konjunktivalabstriche. Eine Pneumonie bei
und sind eine häufige Ursache der erworbenen ungewollten Un- Neugeborenen wird durch Analysen von Atemwegmaterial wie
fruchtbarkeit. Bronchialsekret nachgewiesen. Beim LGV kommen Aspirate aus
den Lymphknoten dazu. Eventuell ist auch ein Rektal- oder Rachen-
(Schwimmbad-)Konjunktivitis In Zusammenhang mit Genitalin- abstrich (mit für PCR geeigneten speziellen Tupfern) in Betracht zu
fektionen kann es auch zu einer Konjunktivitis kommen. Der im ziehen.
Begriff »Schwimmbad-Konjunktivitis« implizierte Übertragungs-
weg wird vielfach angezweifelt. kTherapie
Unkomplizierte Urogenitalerkrankungen werden mit einer Einmal-
Reaktive Arthritis Als Folge einer akuten C. trachomatis-Genital- gabe von Azithromycin oral therapiert. Sexualpartner müssen im-
infektion entstehen Wochen später in 1–3 %, vor allem bei Männern mer mitbehandelt werden. Wegen Rezidiv- und/oder Reinfektions-
mit bestimmtem genetischen Hintergrund (z. B. HLA-B27), reak- raten von etwa 10 % wird eine PCR-Kontrolle nach 3 Monaten emp-
tive Arthritiden mit einem Symptomenkomplex aus Urethritis, fohlen. Zum gleichen Erfolg, aber bei größerem Aufwand, führt eine
Arthritis und Konjunktivitis (Reiter-Trias). Befallen werden ins- 7-tägige orale Therapie mit Erythromycin, Doxycyclin, Ofloxacin
besondere die kleineren, distalen Gelenke und die kleinen Wirbel- oder Levofloxacin. Dabei sind Gyrasehemmer für Kinder und Ju-
gelenke. Der Verlauf dieser reaktiven Arthritis ist gutartig und gendliche ungeeignet und bei Schwangeren (wie auch Doxycyclin)
selbstlimitierend. Nur in Einzelfällen lässt sich der Erreger noch kontraindiziert.
nach Jahren im Gelenk nachweisen. In der Synovia der befallenen Das CDC empfiehlt bei Schwangeren Azithromycin oder Eryth-
Gelenke sind während der reaktiven Arthritis persistierende Chla- romycin. Das bei Schwangeren wegen der guten Verträglichkeit
mydien in geringer Zahl nachweisbar (PCR sowie RT-PCR kurz- ebenfalls empfohlene Amoxicillin (nicht Cephalosporine) stellt
lebiger RNA-Transkripte). nur einen Kompromiss dar, denn es ist unklar, inwieweit Penicilline
über eine temporäre Wachstumshemmung hinaus den Erreger eli-
Neugeboreneninfektionen Eine Übertragung unter der Geburt minieren.
führt bei Neugeborenen zu Konjunktivitis oder Pneumonie. Die Ein- Beim Lymphogranuloma venereum, aber auch bei komplizier-
Bakteriologie

schlusskonjunktivitis nimmt in der Regel einen gutartigen Verlauf; ten Verläufen ist eine längere Antibiotikatherapie notwendig. Hier
sie heilt nach 3–16 Monaten spontan, bei Therapie jedoch innerhalb wird meist noch Doxycyclin über 3 Wochen empfohlen, wobei
weniger Tage aus. Während die interstitielle Pneumonie bei reifen höchstwahrscheinlich – allerdings bei fehlenden Studien – auch die
Neugeborenen verhältnismäßig gutartig verläuft, sind Frühgeborene 3-malige wöchentliche Gabe von Azithromycin gleichwertig sein
durch die Pneumonie jedoch stark gefährdet. Da in Deutschland dürfte.
Schwangere seit einigen Jahren auf C. trachomatis gescreent werden, Bei eingeschränktem Immunsystem (Frühgeborene) ist der The-
sind Infektionen von Neugeborenen bei uns selten geworden. rapieerfolg bei der Neugeborenen-Pneumonie schlechter. Selbst bei
2- bis 3-wöchiger Antibiotikagabe (oral mit Erythromycin-Base oder
Lymphogranuloma venereum als Genitalinfektion mit verstärk- Ethylsuccinat) ist mit einer Rückfallrate > 20 % zu rechnen. Dies legt
ter Symptomatik Zusätzlich zu den für die Serovare D–K oben be- nahe, dass auch das Immunsystem zur Elimination dieser intra-
schriebenen Symptomen der lokalen Urogenitalinfektion schwellen zellulären Bakterien benötigt wird.
hier 2–6 Wochen später die inguinalen Lymphknoten an (Bubo), Merke: Man muss wegen der häufigen Koinfektion mit Gono-
verschmelzen miteinander durch entzündlich verändertes Bindege- kokken diese, insbesondere bei Entzündungen des kleinen Beckens,
webe und vereitern schließlich. Äußeres Genital und Perineum zei- therapeutisch berücksichtigen. Daher wird beim relativ einfachen
gen häufig schwere granulomatöse Veränderungen. Auch eine wei- Nachweis von Gonokokken empfohlen, eine Therapie zu wählen, die
tergehende systemische Streuung ist bei den LGV-Serovaren mög- Chlamydien miterfasst.
lich. Bei Analverkehr kann es über Infektion des Rektums zur Kolitis Guidelines:
und Proktitis kommen. Eine Pharyngitis ist in diesem Zusammen- 4 aktueller RKI-Ratgeber: www.rki.de/DE/Content/Infekt/Epid-
hang auch relativ häufig. Bull/Merkblaetter/Ratgeber_Chlamydia_Teil1.html
4 CDC: www.cdc.gov/std/treatment/2010/chlamydial-infections.
kLabordiagnose htm
Schwerpunkt der mikrobiologischen Labordiagnose ist der DNA- 4 Europa: www.iusti.org/regions/europe/pdf/2010/Euro_Guide-
Nachweis mit sensitiven Amplifikationsverfahren (PCR). line_Chlamydia_2010.pdf
Eine diagnostische Differenzierung zwischen den Serovaren
D–K und den LGV-Serovaren können nur wenige spezialisierte La-
49.4 · Spezifisches: Chlamydia psittaci
413 49
kPrävention In Europa findet man relativ häufig bei Rindern, Schafen und
Eine sexuelle Übertragung lässt sich durch Expositionsprophylaxe, anderen Nutztieren auch C. psittaci-Stämme, die dort vor allem
vor allem Kondome, verhindern. Schmierinfektionen lassen sich leichtere chronische Atemwegsinfektionen oder Abort hervorrufen.
durch Hygienemaßnahmen reduzieren. Zur Vermeidung von »Ping- Jedoch scheint es keine Übertragung dieser nichtaviären Stämme auf
pongeffekten« ist die Behandlung aller Sexualpartner erforderlich. den Menschen mit nachfolgender Erkrankung zu geben.
Zur Vermeidung der Infektion im Geburtskanal sollte in der
Schwangerschaft routinemäßig ein Screening mittels PCR auf
C. trachomatis erfolgen. Dieses ist seit 1995 in Deutschland Bestand- 49.4.2 Rolle als Krankheitserreger
teil der Mutterschaftsvorsorge der Gesetzlichen Krankenversiche-
rung. Zusätzlich wird seit 2008 sexuell aktiven Frauen unter 25 Jah- kEpidemiologie
ren ein Chlamydien-Screening empfohlen, das von den Krankenkas- Die Häufigkeit der Psittakose wird in Deutschland mit einigen hun-
sen (unter bestimmten Voraussetzungen) erstattet wird. dert Fällen pro Jahr angegeben. Aktuelle Untersuchungen legen
nahe, dass dieser Erreger mit 2–3 % bei ambulant erworbenen
Pneumonien in Deutschland mindestens genauso häufig vorkommt
49.4 Spezifisches: Chlamydia psittaci wie C. pneumoniae. Im Regelfall handelt es sich um Einzelerkran-
kungen oder kleinere Ausbrüche von Psittakose. Hauptsächlich
Steckbrief sind dabei Personen betroffen, die mit Vögeln umgehen (Anam-
nese).
C. psittaci ist der umweltresistente Erreger der Psittakose
(Ornithose, »Papageienkrankheit«), einer lebensbedrohlichen kÜbertragung
Pneumonie mit systemischer Streuung, die typischerweise Neben respiratorischem Sekret bei engem Tierkontakt stellt einge-
beim Kontakt mit Ziervögeln und Vogelkot (Händler, Halter) atmeter Staub von Vogelkot ein Risiko dar. Ein hohes Gefährdungs-
auftritt. Die verantwortlichen aviären C. psittaci-Stämme wer- potenzial besteht beim illegalen Import von Vögeln oder bei Tätig-
den zu den L3-Organismen gezählt. Sie müssen im Labor ent- keit in Geflügelzuchtbetrieben oder Schlachthöfen. Mit einer Trans-
sprechend vorsichtig gehandhabt werden. Man geht davon mission des Erregers von Mensch zu Mensch muss nicht gerechnet
aus, dass der Erreger nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden; falls überhaupt möglich, ist dieser eine Rarität.
wird. Isolate aus anderen Nutztieren wie Rind oder Schaf gel-
ten für den Menschen als kaum gefährlich (bei Laborarbeiten kPathogenese
daher L2-Organismen). Die Histologie weist darauf hin, dass durch Befall der Epithelien der
Von Ritter stammte 1879 die Erstbeschreibung einer bei 3 Patien- Bronchiolen und durch Infektion der Alveolen eine eitrige intersti-
ten tödlichen Psittakose. Bei der (C. psittaci-)Pandemie 1929–30, tielle Reaktion der Lunge ausgelöst wird. Dieser Erreger streut typi-
die einige hundert schwer Erkrankte nach Kontakt mit importier- scherweise von der Lunge aus in andere Organe.
ten Papageien betraf, fanden Levinthal, Coles und Lillie kleine
filtrierbare infektiöse Partikel, sog. »LCL-Körperchen«. 1932 postu- kKlinik
lierte Bedson den biphasischen chlamydialen Produktionszyklus. Die Psittakose beginnt mit plötzlich auftretendem Fieber, Kopf-
schmerzen, Husten und den röntgenologischen Zeichen einer
beidseitigen interstitiellen Pneumonie. Vorübergehend kann ein
feinfleckiges Exanthem nachgewiesen werden. Systemische Kom-
plikationen mit Myokarditis, Enzephalitis oder Hepatitis (und
Hepatosplenomegalie) sind beschrieben.

kLabordiagnose
Als Untersuchungsmaterialien kommen Sputum, Trachealsekret
und Bronchiallavage infrage.
Der hochspezifische und empfindliche Nachweis von C. psittaci
durch PCR ist in Speziallaboratorien (an einigen Unikliniken) mög-
lich. Allerdings gibt es leider derzeit noch keine zugelassenen kom-
merziellen Tests für diese Spezies.
Die Anzucht dieses Erregers aus respiratorischen Sekreten durch
49.4.1 Beschreibung Zellkulturen ist theoretisch möglich. Sie ist allerdings risikobehaftet
und muss in L3-Speziallaboratorien erfolgen.
Vgl. 7 Abschn. 49.1. Antikörper gegen C. psittaci, die bei der systemischen Infektion
(mit zeitlichem Verzug) entstehen, lassen sich durch eine KBR nach-
jAufbau weisen. Jedoch ist bei einem starken Antikörpertiter mit einer Kreuz-
Aufbau und Vermehrungszyklus entsprechen dem von C. trachoma- reaktivität mit C. pneumoniae zu rechnen, die manchmal zu Fehl-
tis (7 Abschn. 49.1). diagnosen führt. Der Nachweis speziesspezifischer Antikörper mit-
tels Mikroimmunfluoreszenz wird nur in wenigen spezialisierten
jVorkommen, Resistenz gegen äußere Einflüsse Laboratorien durchgeführt.
Vögel, besonders Papageien, Wellensittiche, Tauben oder Truthähne,
stellen das natürliche Reservoir für C. psittaci dar. kTherapie
Die Elementarkörperchen von C. psittaci bleiben in der Umwelt Bei der Psittakose gilt Doxycyclin über mehrere Wochen als Mittel
über Wochen infektiös. der Wahl. Vermutlich gleichwertige, aber durch Studien noch nicht
414 Kapitel 49 · Chlamydien

gesicherte Alternativen sind Makrolide wie Azithromycin, Erythro- jVorkommen


mycin oder Chinolone. Die relevanten Isolate von C. pneumoniae kommen nur beim Men-
Aktueller RKI-Ratgeber: http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/ schen vor.
EpidBull/Merkblaetter/Rat_Chlamydia_Teil2.html. Verwandte C. pneumoniae-Stämme aus Koala, Schlangen usw.
scheinen für den Menschen nicht pathogen zu sein.
kPrävention
Der Bekämpfung der Psittakose dienen die Ausrottung infizierter
Tierbestände und strikte Einfuhrkontrollen mit prophylaktischer 49.5.2 Rolle als Krankheitserreger
Antibiotikagabe bei Vögeln, insbesondere bei Papageien und Wel-
lensittichen. Näheres ist in einer Psittakose-Verordnung festgelegt. kEpidemiologie
Infektionen durch C. pneumoniae kommen sowohl endemisch als
kMeldepflicht auch epidemisch vor. Die im Kindesalter beginnende Durchseu-
Im Infektionsschutzgesetz (§ 7) ist der Nachweis von C. psittaci bei chung erreicht (nach serologischen Daten) mit 20 Jahren etwa 60 %.
Vorliegen einer akuten Erkrankung meldepflichtig. In späteren Lebensjahren steigt der Anteil auf > 80 %. Unter den
ambulant erworbenen Pneumonien ist C. pneumoniae zurzeit in
Deutschland eher selten.
49.5 Spezifisches: Chlamydia pneumoniae
kÜbertragung
Steckbrief Die Übertragung von C. pneumoniae geschieht nur von Mensch zu
Mensch bei engem Kontakt durch Tröpfchen. Kontagiosität besteht
C. pneumoniae ist häufiger Verursacher von Atemwegsinfektio- vermutlich auch noch in der symptomfreien Ausheilungsphase.
nen, z. B. von Bronchitis, Sinusitis und einer meist leicht verlau-
fenden atypischen Pneumonie. Seroepidemiologische Analysen kPathogenese
zeigen, dass es weltweit bis zum Rentenalter zu einer hohen Auch bei diesem Erreger kommt es zur Freisetzung von Entzün-
Durchseuchung von bis zu 80 % kommt. Der Erregernachweis dungsmediatoren und gewebeumbauenden Enzymen sowie zur
im Gewebe korreliert mit entzündlichen Gefäßerkrankungen möglicherweise wirtschädigenden zellulären Abwehr.
wie der Arteriosklerose. Es ist denkbar, dass C. pneumoniae da- 1992 entbrannte eine Diskussion darüber, inwieweit C. pneumo-
bei als ein zusätzlicher Risikofaktor wirkt, der das entzündliche niae ursächlich an der koronaren Herzkrankheit beteiligt ist. Auslö-
Geschehen verschlechtert. Genauso gut möglich ist aber, dass ser waren Publikationen über eine Korrelation von erhöhten Anti-
die Chlamydien in infizierten Monozyten/Makrophagen, die ins körpertitern gegen C. pneumoniae mit Atherosklerose. Es war ge-
entzündlich veränderte Gefäß eingewandert sind, nur »unbetei- lungen, C. pneumoniae in atheromatösen Plaques mittels PCR, Im-
ligte Zeugen« des Geschehens sind (»Innocent-Bystander-Hypo- munhistochemie und vereinzelt sogar kulturell nachzuweisen.
these«). Deshalb wurden Therapiestudien zur Behandlung einer möglichen
1986 kultivierte Grayston erstmals C. pneumoniae, wobei die vaskulären Chlamydieninfektion initiiert, jedoch ohne sichtbaren
neue Spezies zunächst nur als neuer »Taiwan acute respiratory Erfolg. Trotzdem lässt sich derzeit noch nicht ausschließen, dass
agent« (TWAR-)Stamm von C. psittaci aufgefasst wurde. C. pneumoniae ein zusätzlicher, untergeordneter Risikofaktor bei
vaskulären Erkrankungen ist.
Bakteriologie

In jedem Fall ist aber eine antibiotische Therapie bei Koronarin-


farkt unangebracht. Selbst bei einer pathogenetischen Mitverant-
wortung von C. pneumoniae sind die derzeit eingesetzten Antibio-
tika unwirksam. Eine Elimination des Erregers käme bei fortge-
schrittener Gefäßerkrankung nach erfolgtem Gewebeumbau ohne-
hin viel zu spät.

kKlinik
C. pneumoniae verursacht Atemwegsinfekte (Bronchitis, Trachei-
tis, Sinusitis) bis hin zur Pneumonie, die allerdings zumeist relativ
milde verläuft. Der Erreger ist relativ häufig bei COPD nachweisbar.
Ob er bei Kindern Asthma triggern kann, ist umstritten. Infektions-
begleitend werden vereinzelt passagere Arthralgien beobachtet.
49.5.1 Beschreibung
kImmunität
Vgl. 7 Abschn. 49.1. Wie bei C. trachomatis sind in der Bekämpfung des Erregers CD4+-
und CD8+-T-Zellen von zentraler Bedeutung.
jAufbau
Aufbau und Vermehrungszyklus entsprechen denen anderer Chla- kLabordiagnose
mydien (7 Abschn. 49.1). Der Schwerpunkt der Labordiagnose liegt im molekularbiologi-
schen DNA-Nachweis (PCR). Als Untersuchungsmaterial kommt vor
jResistenz gegenüber äußeren Einflüssen allem Bronchialsekret infrage.
Die Elementarkörperchen von C. pneumoniae sind relativ empfind-
lich und sterben außerhalb der Wirtszelle rasch ab. Serologie Bei der C. pneumoniae-Infektion entstehen seroepide-
miologisch verwertbare Antikörper. Spezifische IgA, IgG und IgM
Literatur
415 49
lassen sich durch einen gattungsspezifischen Enzymimmunassay
nachweisen. Insbesondere mithilfe der Mikroimmunfluoreszenz Klinik
(MIF) ist eine optimale Speziesidentifikation in Speziallabors mög- 5 Auge: Trachom mit Keratokonjunktivitis, Konjunktivitis durch
lich. Die diagnostische Bedeutung der C. pneumoniae-Serologie für C. trachomatis (und vereinzelt C. pneumoniae).
den Einzelnen ist beim hohen Durchseuchungsgrad der Bevölke- 5 Urogenitalsystem: Nur C. trachomatis. Lymphogranuloma
rung allerdings gering. venereum (L. inguinale, LGV), nichtgonorrhoische Urethritis,
Epididymitis, Zervizitis, Endometritis, Salpingitis, Perihepa-
kTherapie titis, Entzündung des kleinen Beckens ൺ Infertilität, ektope
Klinische Multicenter-Studien bei Pneumonien zeigten Erfolgsraten Schwangerschaft.
> 70 % bei Azithromycin, Clarithromycin, Erythromycin, Levofloxa- 5 Lunge: Pneumonie des Neugeborenen durch C. trachomatis.
cin oder Moxifloxacin. Therapien von bis zu 14 oder 21 Tagen wer- Pneumonien durch C. pneumoniae und C. psittaci (Psittakose).
den empfohlen. Allerdings bleibt der Erreger trotz des klinischen
Erfolgs häufig noch länger kulturell nachweisbar. Diagnose Goldstandard, da am sensitivsten: molekulare DNA-
Aktueller RKI-Ratgeber: http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/ Amplifikationsverfahren (wie PCR).
EpidBull/Merkblaetter/Rat_Chlamydia_Teil2.html. Kultureller Nachweis in Speziallaboratorien möglich, Antigen-
(IF-) und Gennachweis bei C. trachomatis aus Patientenmaterial,
Antikörpernachweis durch KBR (genusspezifisch), bevorzugt
In Kürze
ELISA oder Mikroimmunfluoreszenztest (speziesspezifisch).
Chlamydien Therapie Azithromycin und Erythromycin, Doxycyclin, Chinolo-
Bakteriologie Chlamydien können wie Viren nur in Wirtszellen ne. Mitbehandlung des Sexualpartners bei C. trachomatis D–L3.
überleben. Sie befallen primär die Mukosa. Chlamydien sind Echte Resistenzentwicklung selten, aber trotzdem relativ häufig
aber echte Bakterien mit einem kleinen Genom, denen im Stoff- Rezidive. β-Laktam-Antibiotika hemmen chlamydiales Wachs-
wechsel einige Schlüsselenzyme fehlen. Man unterscheidet tum, provozieren aber möglicherweise Persistenz.
extrazelluläre Elementar- und intrazelluläre Retikularkörperchen Immunität Kein dauerhafter Schutz vor Reinfektion. Unbehan-
sowie persistierende »aberrante Körperchen«. Chlamydien be- delt oft chronische Verläufe. Zelluläre Immunität gegen intrazel-
sitzen eine Zellwand mit rudimentärer Peptidoglykanschicht. lulären Erreger wesentlich. Antikörper (Serologie) in der Abwehr
Vorkommen Speziesspezifisches Wirtsspektrum, optimale (und Diagnostik) nur von untergeordneter Bedeutung.
Anpassung an den Wirt, Vermehrung nur in intrazellulären Ein- Prävention Allgemeine Maßnahmen: persönliche Hygiene
schlüssen. (Trachom), »safer sex« (Genitalinfektionen), Kontrolle von Vogel-
C. trachomatis und (relevante Stämme von) C. pneumonie nur beständen; prophylaktische Tetracyclingabe beim Import exoti-
beim Menschen. C. psittaci und C. abortus als Zoonosen. scher Vögel (Psittakose). Schutzimpfung existiert nicht. Nament-
Umweltresistenz Außerhalb lebender Zellen gering; Ausnahme lich meldepflichtig. Erregernachweise von C. psittaci, aber nur
mit wochenlangem Überleben: C. psittaci. im Zusammenhang mit einer Erkrankung.
Epidemiologie
5 Unspezifische Genitalinfektionen (C. trachomatis D–K): welt-
weit.
5 Trachom (C. trachomatis A–C): insbesondere Afrika, Indien, Literatur
Ägypten.
5 Lymphogranuloma venereum (C. trachomatis L1–L3): Asien Bavoil PM, Wyrick PB (2006) Chlamydia: Genomics and Pathogenesis. Horizon
Bioscience.
und Afrika, bei homosexuellen Männern auch in Europa und
Burton MJ, Mabey DC, Mabey W (2009) The global burden of trachoma:
USA.
a review. PLoS Negl Trop Dis. 3(10):e460.
5 C. pneumoniae-Infektionen (weltweit) und Psittakose (welt- Knittler MR, Berndt A, Böcker S, Dutow P, Hänel F, Heuer D, Kägebein D, Klos A,
weit, vor allem bei Kontakt mit Vögeln). Koch S, et al. (2014) Chlamydia psittaci: New insights into genomic
diversity, clinical pathology, host–pathogen interaction and antibacterial
Zielgruppe immunity. Int J Med Microbiol. 304:877-893.
5 Berufsbedingt (Geflügelzucht, Schlachtbetriebe, Tierhandel): Mandell, Douglas, and Bennett’s (2014) Principles and Practice of Infectious
C. psittaci. Diseases. Elsevier Saunders, 8th ed. Vol. 2: p. 2154-2182.
5 Personen mit häufig wechselndem Geschlechtspartner: Tan M, Bavoil PM (eds.) (2012) Intracellular Pathogens I: Chlamydiales.
C. trachomatis D–L3. Washington: ASM Press.
5 Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene: C. pneumoniae.
5 Zielgewebe abhängig von Spezies und Serovar: Schleim-
haut in Auge, Genitalien, Lunge (sowie selten Kolon bei
C. trachomatis).

Übertragung Enger Kontakt (C. trachomatis), Tröpfchen


(C. pneumoniae), Staub aus Vogelkot oder Tröpfchen
(C. psittaci).
417 50

Weitere medizinisch bedeutsame


Bakterien
M. Hornef

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_50, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

In diesem Kapitel werden verschiedene humanmedizinisch wichtige, nern  bei landwirtschaftlicher Exposition im mittleren bis hohen
taxonomisch nicht verwandte Bakterien vorgestellt, die keiner größe- Alter auf.
ren Gruppe zugeordnet werden können: Tropheryma whipplei ist der Die Pathogenese der T. whipplei-Infektion ist nur unvollständig
langsam wachsende, schwer kultivierbare Erreger des Morbus Whipple, verstanden. Wegen der niedrigen Inzidenz und des ubiquitären Vor-
einer als »intestinale Lipodystrophie« bezeichneten chronischen Multi- kommens des Erregers wird bei erkrankten Personen ein bisher
systemerkrankung mit Gelenkbeschwerden, Gewichtsverlust, Durch- nicht identifizierter Defekt der zellulären Immunität angenommen.
fällen und neurologischen Beschwerden. Pasteurella multocida ist Auffällig ist darüber hinaus die fehlende Entzündungsreaktion und
Bestandteil der physiologischen Rachenflora von Hunden und Katzen die Eigenschaft des Erregers, den lysosomalen Abbau in Makropha-
und kann nach Tierkontakt wie z. B. einer Bissverletzung zu eitrigen gen zu hemmen und intrazellulär zu persistieren.
Infektionen führen. Moraxella catarrhalis findet sich in der Rachen- Hauptsymptome sind Gelenkbeschwerden, Gewichtsverlust,
flora von Kindern und verursacht Infektionen des oberen und unteren chronische Durchfälle mit Bauchschmerzen sowie neurologische
Respirationstrakts. Die in der sog. HACEK-Gruppe zusammengefass- Beschwerden. Die Arthralgien der großen Gelenke gehen anderen
ten, schwer anzüchtbaren Erreger Aggregatibacter aphrophilus, Aggre- Symptomen oft um Jahre voraus. Der Befall der Darmmukosa kann
gatibacter actinomycetemcomitans, Cardiobacter hominis, Eikenella zu starken Durchfällen mit massivem Gewichtsverlust und Malab-
corrodens und Kingella kingae sind Bestandteil der Rachenflora und sorption führen. Wegen der irreversiblen Schädigung hat der zen-
können Endokarditiden hervorrufen. Streptobacillus moniliformis tralnervöse Befall eine besondere Bedeutung. Neben Störungen der
und Spirillium minus werden durch Bissverletzung v. a. nach Nagetier- Erinnerungsfähigkeit bis zur Demenz werden v. a. Augenmotilitäts-
kontakt übertragen und verursachen in Asien und den USA das Ratten- störungen beschrieben. Darüber hinaus wurde T. whipplei als kau-
bissfieber. Gardnerella vaginalis wird vermehrt bei Frauen mit bakte- saler Erreger bei kulturnegativen Endokarditiden identifiziert.
rieller Vaginose als Zeichen einer Störung der Zusammensetzung der
physiologischen Vaginalflora isoliert. Capnocytophaga canimorsus kLabordiagnose
ist Teil der Rachenflora von Hunden und Katzen und verursacht nach T. whipplei lässt sich nur in Speziallaboratorien nach mehrmonati-
Bissverletzung lokale, eitrige oder systemische Infektionen. ger Kultur anzüchten. Der Erreger lässt sich nicht nach Gram anfär-
ben. Der histologische Befund der Dünndarmmukosa zeigt den
intra- wie extrazellulär vorliegenden Erreger sowie verbreiterte
50.1 Tropheryma whipplei Dünndarmzotten mit Fettablagerungen, starker Makrophageninfil-
tration und Lymphektasien. Bei Färbung mit Perjodsäure-Schiff-
kBeschreibung und Epidemiologie oder PAS-Reagenz (periodic acid-Schiff) zeigen die Makrophagen
Tropheryma whipplei ist ein sehr langsam wachsendes, ubiquitär in der Lamina propria eine charakteristische PAS-positive Anfärbbar-
der Umwelt vorkommendes, entfernt mit den Aktinomyzeten ver- keit durch abgebaute bakterielle Bestandteile (. Abb. 50.1). Aller-
wandtes Stäbchenbakterium. Es zeigt elektronenmikroskopisch eine dings wurden ähnliche histologische Veränderungen auch bei Infek-
ungewöhnliche trilaminäre Plasmamembran mit einer zusätzlichen tion mit Mycobacterium avium intracellulare, Rhodococcus equi,
Glykanschicht unterhalb des Mureingeflechts. Bacillus cereus, Korynebakterien sowie Histoplasma capsulatum
Erst 1997 gelang die Anzucht von T. whipplei aus klinischem und anderen Pilzen beschrieben.
Material in Kokultur mit Eukaryontenzellen. Obwohl strukturelle Zusätzlich zur Dünndarmhistologie stehen heute der immun-
Analysen Ähnlichkeiten mit gramnegativen Stäbchen zeigen, ver- histologische Nachweis des Erregers selbst sowie der molekularbio-
weisen genetische Analysen auf eine Verwandtschaft mit gramposi- logische Nachweis per PCR mit anschließender Sequenzierung von
tiven Bakterien wie den Aktinomyzeten. Molekularbiologische Ver- T. whipplei-DNA zur Verfügung. T. whipplei-spezifische Antikör-
fahren weisen eine hohe Prävalenz von T. whipplei im Boden, Umge- per sind jedoch noch nicht kommerziell erhältlich. Wegen der Ver-
bungswasser und bei Pflanzenproben nach. T. whipplei wurde in breitung des Erregers in der Umwelt muss ein molekularbiologischer
Stuhl und Speichel gesunder Individuen nachgewiesen. Nachweis vorsichtig interpretiert werden.

kPathogenese und Klinik kTherapie


Eine Infektion mit T. whipplei verursacht den Morbus Whipple, eine Empfindlichkeitsstudien zeigten eine Wirksamkeit von Doxycyclin,
1907 vom amerikanischen Pathologen Georg Hoyt Whipple (1878– Sulfamethoxazol, Makroliden und Rifampicin. Wegen des Fehlens
1976) als »intestinale Lipodystrophie« beschriebene, sehr seltene der Dihydrofolatreduktase im Genom von T. whipplei ist keine
chronische Multisystemerkrankung. Sie tritt vermehrt bei Män- Aktivität von Trimethoprim zu erwarten.
418 Kapitel 50 · Weitere medizinisch bedeutsame Bakterien

lung und Rötung des betroffenen Gewebes, evtl. mit Entleerung


seröser oder purulenter Flüssigkeit. Fieber und Schüttelfrost sowie
regionale Lymphknotenschwellung sind möglich. Lokale Komplika-
tionen sind Osteomyelitis, septische Arthritis und Tendovaginitis.
Seltener kommt es zu systemischer Erregerausbreitung mit Sepsis
und Endokarditis.
Wegen der durch die spitzeren Zähne tiefer penetrierenden Ver-
letzungen finden sich nach Katzenbiss v. a. im Bereich der Hände
häufiger Osteomyelitiden und septische Arthritiden. Bei Menschen
mit beruflicher Exposition mit tierischem Gewebe wurden auch re-
spiratorische Infektionen beschrieben. Weiterhin wurde P. multoci-
da in Stuhl, Urin sowie nasopharyngealen oder vaginalen Abstrichen
gesunder Menschen nachgewiesen. Beim Nachweis von P. multocida
sollte eine Anamnese auf Tierkontakt erhoben werden.

. Abb. 50.1 Für Morbus Whipple pathognomonische PAS-positive Zellen kLabordiagnose


in der Lamina propria des Dünndarms (mit freundl. Genehmigung von P. multocida lässt sich auf komplexen, bluthaltigen Standardmedien
Dr. M. Solomon-Looijen, Pathologie, Homburg/Saar; aus Adam et al. [Hrsg.]: wie Blut- oder Kochblutagar gut kultivieren und bildet nach Über-
Die Infektiologie. Springer 2004) nachtbebrütung bei 36 °C 1–2 mm große, meist grauweiße, bei eini-
gen Stämmen schleimige Kolonien. Das Wachstum ist unter mikro-
aerophilen Bedingungen beschleunigt. Im Grampräparat erscheinen
Empfohlen wird eine initiale parenterale 14-tägige Induktions- Pasteurellen als kokkoide bis stäbchenförmige gramnegative Bakte-
therapie mit einem Cephalosporin der 3. Generation (alternativ: rien; die Leitreaktionen Oxidase und Katalase sind bei allen Pasteu-
Penicillin G, ein Carbapenem oder Chloramphenicol) und an- rellen positiv.
schließender oraler mindestens 1-jähriger Erhaltungstherapie mit
Trimethoprim-Sulfamethoxazol (TMP/SMX), Sulfadiazin, oder kTherapie
Doxycyclin plus Hydrochloroquin. Chloroquin erhöht den pH in Fast alle Stämme sind hochempfindlich gegenüber Penicillin. Aller-
den Phagolysosomen der Makrophagen und verstärkt die Aktivität dings wurde eine Produktion von β-Laktamasen bei einzelnen Isola-
des Doxycyclins. Die lange Therapie ist durch die hohe Rezidivge- ten nachgewiesen. Alternativen sind Amoxicillin plus Clavulansäure,
fahr v. a. neurologischer Manifestationen begründet. Ein promptes Tetracyclin, Chinolone, Trimethoprim-Sulfamethoxazol (TMP/SMX)
Ansprechen der Darmsymptome auf die Therapie wird erwartet. oder Cephalosporine der 2. oder 3. Generation. Nicht genügend
Es besteht keine Meldepflicht nach IfSG. wirksam sind Cephalosporine der 1. Generation, Clindamycin oder
Aminoglykoside. Gegenüber Makroliden besteht häufiger eine Re-
sistenz.
50.2 Pasteurella multocida Wegen der nach Tierbiss häufigen polymikrobiellen Infektion
mit verschiedenen Anaerobiern, Capnocytophaga canimorsus oder
kBeschreibung und Epidemiologie Staphylococcus aureus ist die Kombination von Amoxicillin und
Bakteriologie

Pasteurellen (nach dem französischen Chemiker und Bakteriologen Clavulansäure bei Bisswunden Mittel der Wahl. Bei Allergie wird
Louis Pasteur, 1822–1895) sind kleine, unbewegliche, fakultativ an- TMP/SMX empfohlen. Neben der Antibiotikagabe ist meist eine
aerob wachsende, gramnegative Stäbchen. Sie verursachen v. a. nach chirurgische Wundreinigung und ggf. -versorgung nötig.
Tierkontakt beim Menschen Infektionen. Der humanmedizinisch Es gibt keine beim Menschen zugelassene Impfung; Meldepflicht
wichtigste Vertreter ist Pasteurella multocida mit den 3 Subspezies besteht nicht.
multocida, septica und gallicida. P. multocida ist bei Warmblütern
wie v. a. den meisten Hauskatzen sowie bei fast der Hälfte der Hunde,
aber auch bei Rindern, Pferden und Nagetieren im Rachenraum 50.3 Moraxella catarrhalis
nachweisbar. Die Übertragung geschieht meist durch Biss, Kratzen
oder Lecken. kBeschreibung und Epidemiologie
Neben P. multocida gehören P. canis, P. dagmatis und P. stomatis Moraxellen leiten ihren Namen von dem schweizerisch-französi-
zur gleichen Gruppe. Von dieser lassen sich die aviären Pasteurellen schen Ophthalmologen Victor Morax (1866–1935) ab, der 1896 zu-
wie P. avium oder P. gallinarum abgrenzen. sammen mit dem deutschen Ophthalmologen Karl-Theodor Axen-
feld (1867–1930) den »Morax-Axenfeld-Bacillus« als Erreger einer
kPathogenese und Klinik Konjunktivitis beschrieb. Moraxellen erscheinen zwar mikrosko-
Die Synthese einer Polysaccharidkapsel schützt Pasteurella vor Auf- pisch als gramnegative, häufig als Diplokokken gelagerte Kokken bis
nahme durch phagozytierende Zellen und Bindung von Komple- kurze Stäbchen, gehören aber phylogenetisch zusammen mit Acine-
mentfaktoren. Die Produktion des immunstimulatorischen Zell- tobacter zu den γ-Proteobakterien. Ihr humanmedizinisch wichtigs-
wandbestandteils Lipopolysaccharid (LPS), die Expression verschie- ter Vertreter ist Moraxella catarrhalis. Dieser wird häufig im Nasen-
dener Adhäsine und die Sekretion von eisenbindenden Proteinen Rachen-Raum gesunder Kinder nachgewiesen.
sowie einer Reihe gewebezerstörender Enzyme ermöglichen die
Ausbreitung des Erregers im Gewebe. kPathogenese und Klinik
Bei dieser Anthropozoonose kommt es nach Tierkontakt zu eit- Durch Ausbreitung auf mukosale Oberflächen des Mittelohres, der
rigen, phlegmonösen bis abszedierenden Infektionen. Typischerwei- Konjunktiven sowie der oberen Luftwege kommt es mittels Freiset-
se entwickelt sich nach Exposition rasch eine schmerzhafte Schwel- zung des immunstimulatorischen Zellwandbestandteils Lipooligo-
50.5 · Streptobacillus moniliformis, Spirillum minus
419 50
saccharid (LOS), Expression einer Reihe von Adhäsinen, Biofilmbil- Eikenella corrodens ist abhängig von Häminsupplementierung
dung sowie Hemmung der Komplementaktivierung zur Erregerper- und wächst auf bluthaltigen Medien in flachen, sich eingrabenden
sistenz und Stimulation einer lokalen Entzündungsreaktion: Kolonien. Er ist mit Parodontitis, Gingivitis und Wurzelkanal-
4 Bei Kindern gehört Moraxella catarrhalis neben Pneumokok- infektionen sowie abszedierenden Infektionen des Halses und
ken und Haemophilus influenzae zu den häufigsten Ursachen Hirnabszessen assoziiert und wird typischerweise bei Infektionen
von Otitis media, Konjunktivitis, Dakryozystitis und Sinusitis nach Menschenbiss isoliert. Er wächst auf Blut- und Kochblutagar
maxillaris. nach verlängerter Bebrütung und ist oxidasepositiv aber katalase-
4 Bei Erwachsenen wird M. catarrhalis im Rahmen von Laryn- negativ.
gitiden, Bronchitiden oder Pneumonien v. a. bei Patienten mit Kingella kingae gehört zur oralen Bakterienflora und verursacht
Vorschädigung der Atemwege isoliert. Knochen- und Gelenkinfektionen bei Kleinkindern häufig im An-
schluss an respiratorische Infekte. Er wächst auf Blut- und Kochblu-
kLabordiagnose tagar nach verlängerter Bebrütung mit Hämolyse und ist oxidase-
M. catarrhalis wächst auf Blut- oder Kochblutagar nach Übernacht- positiv, aber katalasenegativ.
bebrütung bei 36 °C in 1–3 mm großen, grauweißen Kolonien.
M. catarrhalis ist oxidase- und katalasepositiv, asaccharolytisch und kLabordiagnose
sezerniert eine DNase. Wegen der hohen asymptomatischen Träger- Die Erreger der HACEK-Gruppe lassen sich in neueren kommer-
rate in Materialien des oberen Respirationstrakts ist eine Interpre- ziellen Blutkultursystemen in der Regel in 5–10 Tagen anzüchten.
tation des Kulturbefundes nur bei Kenntnis des klinischen Bildes Ein Transport von Direktmaterial sollte in Anaerobier-Transport-
möglich. medium erfolgen. HACEK-Erreger wachsen nicht auf herkömm-
lichen festen Nährböden für gramnegative Bakterien wie etwa
kTherapie MacConkey-Agar und benötigen auf bluthaltigen Medien eine
M. catarrhalis-Isolate bilden häufig eine durch Clavulansäure mikroaerophile oder kapnophile Atmosphäre und verlängerte Inku-
hemmbare β-Laktamase, die sie resistent gegenüber Penicillin und bationszeit.
Ampicillin macht. Resistenzen gegenüber anderen Antibiotikagrup-
pen sind selten. Empfohlen werden die Kombination aus Ampicillin kTherapie
und Clavulansäure, Cephalosporine der 2. oder 3. Generation oder Eine standardisierte Empfindlichkeitstestung für diese Bakterien
Trimethoprim-Sulfamethoxazol (TMP/SMX). existiert nicht. Wegen des gelegentlichen Nachweises von β-Lak-
Es gibt keine beim Menschen zugelassene Impfung; Meldepflicht tamasen wird eine Therapie mit Ampicillin plus Sulbactam und
besteht nicht. Gentamicin empfohlen. Wirksam sind außerdem Cephalosporine
der 3. Generation und Chinolone.
Es besteht keine Meldepflicht.
50.4 HACEK-Gruppe
kBeschreibung und Epidemiologie 50.5 Streptobacillus moniliformis,
Der Begriff HACEK-Gruppe ist ein Akronym und beinhaltet taxo- Spirillum minus
nomisch nichtverwandte, schwer anzüchtbare, langsam wachsende,
gramnegative Bakterien, die als Erreger von Endokarditiden identi- kBeschreibung und Epidemiologie
fiziert wurden. Sie gehören der Normalflora des oberen Respira- Das Rattenbissfieber ist eine zoonotische Erkrankung und wird
tionstrakts an und verursachen zusammen etwa 3–5 % aller Endo- durch die beiden bakteriellen Erreger Streptobacillus moniliformis
karditiden. und Spirillum minus verursacht, die sich in ihrer geografischen Ver-
Zu dieser Gruppe zählen: teilung sowie klinischen Manifestation unterscheiden:
4 Aggregatibacter (früher: Haemophilus) aphrophilus 4 Infektionen mit S. moniliformis werden weltweit, v. a. aber in
4 Aggregatibacter (früher: Actinobacillus) actinomycetemcomi- den USA beobachtet. S. moniliformis ist ein sehr pleomorphes,
tans filamentöses mit Auftreibungen versehenes, unbewegliches,
4 Cardiobacter hominis gramnegatives Stäbchenbakterium.
4 Eikenella corrodens 4 S. minus ist der Erreger des im asiatischen Raum unter der Be-
4 Kingella kingae zeichnung Sodoku bekannten klinischen Bildes. Es handelt
sich um ein kurzes, spiralig verdrehtes, bewegliches, gramnega-
Aggregatibacter aphrophilus gehört zur oralen Flora und wird ge- tives Bakterium.
legentlich bei Infektionen im Kopfbereich (Sinusitiden, Otitiden)
isoliert. Beide Erreger wurden v. a. im Nasopharynx von Ratten, aber auch
Aggregatibacter actinomycetemcomitans ist Teil der physio- bei Mäusen, Eichhörnchen, Meerschweinchen, Katzen, Hunden
logischen Flora der Mundhöhle und darüber hinaus an oralen Infek- und anderen Säugetieren nachgewiesen. Die Tiere sind dabei meist
tionen wie Gingivitis und Parodontitis beteiligt. Außerdem wird er asymptomatisch. Während das Rattenbissfieber früher v. a. bei in
häufig zusammen mit Actinomyces spp. bei chronisch-abszedieren- Armut lebenden Kindern auftrat, sind heute wegen der Zunahme
den, eitrigen Infektionen der Kopf-Hals-Region isoliert. Er wächst von Nagetieren als Haus- und Labortieren vermehrt Kinder,
auf Blut- und Kochblutagar nach verlängerter Bebrütung und ist Tierpfleger in Zoohandlungen und Laborangestellte betroffen. Es
oxidase- und katalasepositiv. wurde auch über Ausbrüche nach Verzehr von mit S. moniliformis-
Cardiobacter hominis ist Erreger invasiver Wundinfektionen kontaminierter, nichtpasteurisierter Milch berichtet, die zu einem
im Mund z. B. nach zahnärztlicher Behandlung. Er wächst auf Blut- Krankheitsbild (»Haverhill fever«) mit plötzlichem fieberhaftem
und Kochblutagar nach verlängerter Bebrütung und ist oxidaseposi- Beginn, Kopfschmerzen, Gelenkbeschwerden und Exanthem
tiv, aber katalasenegativ. führten.
420 Kapitel 50 · Weitere medizinisch bedeutsame Bakterien

kPathogenese und Klinik terien zählen lassen, erscheint es in der Gramfärbung meist gram-
Die Inokulation beider Erreger verhindert das rasche initiale Verhei- labil. G. vaginalis lässt sich bei einer signifikanten Anzahl asympto-
len der Bisswunde nicht. matischer Frauen sowie bei Männern in anorektalen und urogenita-
Bei Infektion mit S. moniliformis kommt es nach meist weniger len Abstrichen nachweisen. Die Übertragung des Erregers durch
als 1 Woche zum abrupten Auftreten von Fieber, Kopfschmerzen, Geschlechtsverkehr ist gut dokumentiert.
Angina und Gliederschmerzen. Meist findet sich darauf ein morbil-
liformes oder petechiales Exanthem v. a. an den Extremitäten ein- kPathogenese und Klinik
schließlich der Handflächen und Fußsohlen sowie dem Rumpf. In Ergebnisse kultureller Untersuchungen und Fluoreszenz-in-situ-
der Hälfte der Fälle entwickeln sich wandernde Polyarthralgien und Hybridisierungen (FISH) weisen auf eine zentrale Rolle von G. vagi-
eitrige Arthritiden der großen Gelenke. Komplikationen sind Endo- nalis bei der Pathogenese der bakteriellen Vaginose hin. Allerdings
karditis, Myokarditis, Meningitis, Enteritis und Pneumonie. Unbe- wurden bei Patientinnen mit bakterieller Vaginose auch andere Bak-
handelt finden sich häufig rezidivierende Fieberschübe; eine Letali- terien wie verschiedene Clostridiales, Prevotella bivia, Atopobium
tät von etwa 10 % wurde berichtet. vaginae, Megasphaera spp. etc. vermehrt nachgewiesen. Es könnte
Die Inkubationszeit einer S. minus-Infektion ist mit 2–3 Wochen sich also bei der bakteriellen Vaginose auch um eine Störung des
(bis 4 Monaten) länger. Die initiale Bisswunde schwillt odematös und Gleichgewichts der vaginalen Bakterienflora mit Reduktion der pro-
schmerzhaft ggf. unter Ausbildung eines Ulkus an. Eine starke Ver- tektiven Besiedlung durch verschiedene Laktobacillus-Arten handeln.
größerung regionaler Lymphknoten, Fieber, Kopfschmerzen und G. vaginalis produziert Typ-1- und Typ-2-Pili (Fimbrien), wel-
Schüttelfrost begleiten das Wiederaufkeimen der Infektion. Ein zartes che die Adhärenz an die Vaginalschleimhaut (7 s. u.) ermöglichen.
juckendes Exanthem sowie Arthralgien, Endokarditis, Hepatitis und Zur Pathogenese tragen zudem die Biofilmbildung, die Expression
Meningitis sind weniger häufig. Die Letalität der unbehandelten Er- von Eisenaufnahmesystemen sowie die Sekretion eines cholesterin-
krankung ist geringer als nach S. moniliformis-Infektion. abhängigen Zytolysins (Vaginolysin) und mukusdegradierender
Wegen der geringen Inzidenz und der niedrigen Letalität von Enzyme bei.
S. moniliformis- und S. minus-Infektionen ist wenig über die mole- Patientinnen mit bakterieller Vaginose zeigen eine erhöhte An-
kularen Grundlagen der Pathogenese bekannt. fälligkeit gegenüber anderen sexuell übertragbaren Infektionskrank-
heiten. Auch wurde eine Assoziation mit vorzeitigem Blasensprung
kLabordiagnose und Frühgeburtlichkeit beschrieben.
Anzucht aus Gelenkflüssigkeit, Eiter oder Blut. S. moniliformis ist
sehr anspruchsvoll, wächst langsam und benötigt zur Anzucht hohe kLabordiagnose
Aszites- oder Serumsupplementierung. S. moniliformis kann in den Die Diagnose der bakteriellen Vaginose basiert primär auf klinischen
meisten kommerziellen Natriumpolyanetholsulfonat-(SPAS-)freien Angaben. Zusätzlich findet sich im Vaginalsekret ein erhöhter pH-
Blutkulturmedien angezüchtet werden. Wert (> 4,5) sowie der typische Fischgeruch nach Zugabe von 10 %
S. minus ist nicht kultivierbar. Der Nachweis von S. minus im Kalilauge (KOH). Mikroskopisch beobachtet man im Vaginalsekret
Wundsekret kann mittels Darstellung der kurzen, spiralig verdreh- sog. Schlüsselzellen (»clue cells«), abgelöste Zellen des Vaginalepithels,
ten, beweglichen Bakterien im Dunkelfeldmikroskop oder durch an die massenhaft gramvariable, kokkoide Stäbchen adhärieren.
histologische Färbung nach Giemsa oder Wright erfolgen. Unter- Material zum Nachweis von G. vaginalis muss in einem speziel-
stützend kann der serologische Nachweis agglutinierender Antikör- len Transportmedium (z. B. für Anaerobier) versendet werden.
per eingesetzt werden. G. vaginalis lässt sich auf komplexen Standardmedien kultivieren
Bakteriologie

Bei Patienten mit Rattenbissfieber kann der Veneral-Disease- und bildet nach 24–48 h unter anaeroben oder mikroaerophilen Be-
Research-Laboratory- oder VDRL-Test, ein Aktivitätstest auf Syphi- dingungen auf Humanblutagar kleine (0,5 mm), glasige, hämolysie-
lis, falsch positiv ausfallen; ein treponemenspezifischer Test schließt rende Kolonien. Die diagnostische Bedeutung eines G. vaginalis-
in diesem Fall eine Syphilis aus. Nachweises ist nur im Zusammenhang mit dem klinischen Bild zu
interpretieren.
kTherapie
Penicillin ist Mittel der Wahl. Alternativen sind Streptomycin und kTherapie
Tetracyclin, unter Makrolidgabe wurde über Therapieversagen be- Standardtherapie der bakteriellen Vaginose ist Metronidazol oral
richtet. Bei Endokarditis wird eine Kombination aus Penicillin und oder lokal für 7 Tage. Allerdings sind Rezidive sehr häufig. Der Nut-
Streptomycin oder Gentamicin empfohlen. zen einer sich anschließenden langfristigen lokalen Anwendung von
In-vitro-Empfindlichkeit von S. moniliformis gegenüber Peni- Metronidazol wird derzeit in Studien untersucht. Metronidazol be-
cillinen, Cephalosporinen, Carbapenemen, Clindamycin, Makroli- einflusst nicht die residente, protektive Flora mit Laktobazillen. Eine
den und Tetracyclin wurde gezeigt, verminderte Empfindlichkeit Alternative ist Clindamycin. Therapeutische Versuche mit lokal azi-
gegenüber Aminoglykosiden und Chinolonen, Resistenz gegenüber difizierenden Essigsäure- oder milchsäurehaltigen Substanzen zeigten
Trimethoprim-Sulfamethoxazol (TMP/SMX). keine überzeugenden Ergebnisse.
Es besteht keine Meldepflicht nach IfSG. Es besteht keine Meldepflicht nach IfSG.

50.6 Gardnerella vaginalis 50.7 Capnocytophaga canimorsus


kBeschreibung und Epidemiologie kBeschreibung und Epidemiologie
Gardnerella vaginalis ist ein erst 1955 beschriebenes, unbewegliches, Capnocytophaga canimorsus (lat. »canis«: Hund; »morsus«: Biss) ist
fakultativ anaerob wachsendes, kokkoides Stäbchenbakterium und ein gramnegatives, fusiformes Stäbchenbakterium. Es ist Teil der
die einzige Spezies im Genus Gardnerella. Obwohl die Analysen der normalen Rachenflora bei Hunden und Katzen und wird vor allem
Zellwandzusammensetzung G. vaginalis zu den grampositiven Bak- bei Bissverletzungen übertragen.
Literatur
421 50
kPathogenese und Klinik
Nach Inokulation durch häufig nur kleine Bissverletzungen kommt
es verzögert zu einer Weichgewebeinfektion mit lokaler Ausbreitung
bis hin zu einer schwer verlaufenden systemischen Infektion mit
Sepsis und Multiorganversagen. Auch Meningitiden, Endokarditi-
den, Pneumonien und Arthritiden wurden beschrieben. Bevorzugt,
aber nicht ausschließlich sind immunkompromittierte Patienten
(vor allem bei Asplenie, hämatologischen Erkrankungen, Alkoholis-
mus) betroffen.
Die hohe Pathogenität von C. canimorsus beim Menschen ist
nur unvollständig verstanden. Als Virulenzfaktoren gelten die Pha-
gozytose- und Komplementresistenz. C. canimorsus entzieht sich
darüber hinaus der Erkennung durch das angeborene Immunsystem
und hemmt aktiv die bakteriziden Mechanismen von Makrophagen.

kLabordiagnose
C. canimorsus wächst in kommerziellen Blutkultursystemen sowie
auf komplexen Festmedien (Schafblutagar, Kochblutagar) unter an-
aeroben oder kapnophilen (5–10 % CO2) Bedingungen innerhalb
von 1–2 Tagen zu flachen, unregelmäßigen, auf dem Agar adhärie-
renden Kolonien heran. Im Gegensatz zu den meisten anderen Spe-
zies des Genus ist C. canimorsus oxidase- und katalasepositiv. In der
Gramfärbung erscheinen die Bakterien langgestreckt mit spitzen
Enden. Eine Identifikation erfolgt durch biochemische Testung oder
molekularbiologische Methoden.

kTherapie
Die Kombination aus Ampicillin und Clavulansäure ist Mittel der
Wahl, bei β-Laktamase-negativen Stämmen ist Penicillin G wirk-
sam. Alternativen sind Cephalosporine der 3. Generation oder Car-
bapeneme. Auch Tetracycline, Chinolone, Clindamycin und Makro-
lide sind meist wirksam. Resistenz besteht gegenüber Aminoglyko-
siden, Fusidinsäure, Fosfomycin und Trimethoprim-Sulfamethoxa-
zol (TMP/SMX).
Es besteht keine Meldepflicht nach IfSG.

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423 VI

Virologie
Kapitel 51 Viren – die einfachsten aller Lebensformen – 425

Kapitel 52 Virusreplikation – 431

Kapitel 53 Infektionsverlauf und Pathogenität – 437

Kapitel 54 Humane onkogene Viren – 447

Kapitel 55 Picornaviren – 457

Kapitel 56 Flaviviren – 467

Kapitel 57 Rötelnvirus – 475

Kapitel 58 Coronaviren – 479

Kapitel 59 Orthomyxoviren: Influenza – 483

Kapitel 60 Paramyxoviren – 489

Kapitel 61 Tollwutvirus – 497

Kapitel 62 Arenaviren – 501

Kapitel 63 Bunyaviren – 505

Kapitel 64 Filoviren – 511

Kapitel 65 Virale Gastroenteritiserreger – 513

Kapitel 66 Humane Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2) – 519

Kapitel 67 Humane T-lymphotrope Viren HTLV-1, HTLV-2 – 533

Kapitel 68 Parvoviren – 537

Kapitel 69 Papillomviren und Polyomaviren – 541

Kapitel 70 Adenoviren – 549

Kapitel 71 Herpesviren – 553

Kapitel 72 Virushepatitis – 573

Kapitel 73 Pockenviren – 591

Kapitel 74 Prionen – 597


425 51

Viren – die einfachsten


aller Lebensformen
T. F. Schulz

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_51, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Viren sind einfach aufgebaute Lebensformen, die, je nach Virusfamilie, lomaviren) auch in bestimmten Zellen für lange Zeit persistieren,
als Träger der genetischen Information nicht nur DNA wie Pro- oder ohne neue Viruspartikel zu bilden. Diesen Zustand bezeichnet man
Eukaryonten, sondern auch RNA verwenden können. Diese Nuklein- als Latenz. Die molekulare Grundlage der Latenz wird in den folgen-
säuren sind in einem aus Proteinen und z. T. aus Lipiden bestehenden den Kapiteln im Einzelnen beschrieben.
Partikel verpackt. Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel und ver-
mehren sich deshalb ausschließlich innerhalb von Zellen, deren Stoff-
wechselapparat sie zur Replikation verwenden.
51.2 Virion
Noch einfacher aufgebaut als Viren sind Viroide bzw. Virusoide, die nur
Das vollständig aufgebaute, reife, infektionstüchtige Viruspartikel
eine umhüllte RNA als Träger der genetischen Information aufweisen,
wird als Virion bezeichnet.
im Fall der Virusoide nur im Verbund mit einzelnen Proteinen im infek-
Da der Zusammenbau von Viruspartikeln oft unvollständig oder
tiösen Partikel, und die deshalb auch in Zellen allein nicht replikations-
mit Fehlern behaftet ist, kann es zur Bildung inkompletter Virus-
fähig sind, sondern ein »Helfervirus« benötigen. Es gibt nur ein human-
partikel kommen, die z. T. in großen Mengen gebildet werden. Diese
pathogenes Virusoid, das Hepatitis-Deltavirus.
sind nicht infektiös, können aber z. B. bei der Auseinandersetzung
Prionen sind infektiöse Agentien, die keine Nukleinsäure als Träger
des Virus mit dem Immunsystem eine Rolle spielen (z. B. Abfangen
einer genetischen Information enthalten, sondern nur aus einem fehl-
von Antikörpern) oder in der Diagnostik von Bedeutung sein. So
gefalteten zellulären Protein bestehen. Dieses zwingt seine fehlerhafte
beruht z. B. das im Serum vorkommende Oberflächenantigen
Konformation dem physiologisch gefalteten zellulären »normalen«
(HBsAg) des Hepatitis-B-Virus (HBV) auf den großen Mengen an
Protein auf und propagiert auf diese Weise seine pathogenen Eigen-
inkompletten HBV-Partikeln, die während einer aktiven Infektion
schaften. Prionen verursachen die übertragbaren spongiformen Enze-
mit diesem Virus gebildet werden und zum diagnostischen Nach-
phalopathien (Creutzfeldt-Jakob-Krankheit etc.).
weis der Replikation dieses Virus dienen können.

51.1 Merkmale von Viren 51.2.1 Bestandteile und Struktur des Virions
Viren sind einfach aufgebaut. Ein einzelnes Viruspartikel (Virion) Die 3 wichtigsten Bauelemente eines Viruspartikels sind:
enthält eine oder mehrere Nukleinsäuren als Träger der genetischen 4 Die Nukleinsäure als Genom des Virus und damit Träger der
Information. Diese können, im Unterschied zu allen Pro- und Euka- genetischen Information. Im Prinzip gibt es, je nach Virus-
ryonten, entweder DNA oder RNA sein. Umschlossen werden die familie, 5 verschiedene Formen des viralen Genoms: doppel-
Nukleinsäuren von Proteinen und, bei manchen Virusfamilien, von oder einzelsträngige DNA oder RNA unterschiedlicher Polarität
Lipiden (7 Abschn. 51.2.1). Es fehlen alle komplexen Strukturele- (7 s. u.). Virale DNA-Genome können darüber hinaus, je nach
mente einer pro- oder eukaryotischen Zelle, wie Kern, Ribosomen Virusfamilie, linear oder ringförmig sein. Bei einigen Viren ist
und Mitochondrien. Die Größe von Viren liegt zwischen 22 nm die RNA segmentiert, vergleichbar den – allerdings aus DNA
(Parvovirus B19) und 300 nm (Pockenviren). bestehenden – Chromosomen der eukaryontischen Zelle.
Viren sind obligate Zellparasiten: Aufgrund ihres einfachen 4 Das Kapsid dient als Schutzmantel der Nukleinsäure.
Aufbaus fehlen z. B. Enzyme zum Aufbau eines eigenen Stoffwechsels. 5 Es ist zusammengesetzt aus mehreren, aus Protein beste-
Ihre Vermehrung erfolgt ausschließlich unter Ausnutzung des Stoff- henden, Kapsiduntereinheiten, den Kapsomeren. Der
wechsels der infizierten Wirtszelle; Viren können sich deshalb außer- Komplex aus Nukleinsäure und Kapsid wird als Nukleo-
halb lebender Zellen nicht vermehren. Die Maschinerie der Wirts- kapsid bezeichnet. Es ist faden- (. Abb. 51.1a) oder kugel-
zelle zur Produktion neuer Proteine und zur Replikation von DNA förmig (. Abb. 51.1b) strukturiert. Kapsidproteine werden
(bei Viren, die DNA als Träger der genetischen Information verwen- häufig von virusspezifischen Antikörpern und/oder
den) wird dafür ausgenutzt, unter Ablesung der vom Virusgenom T-Zellen erkannt, d. h. sie wirken als Antigene.
bereitgestellten genetischen Information, neue Virusproteine bzw. 5 Kapside können eine Ikosaederstruktur aufweisen, wie in
Nukleinsäuren zu synthetisieren und zu einem kompletten Viruspar- . Abb. 51.1c, d sowie in . Abb. 51.2d–g am Beispiel eines
tikel zusammenzubauen. Parvo-, Entero- (Polio-), Adeno- oder Herpesvirus gezeigt.
Während das Viruspartikel für die Übertragung eines Virus von Daneben gibt es auch helikale Kapside, etwa bei Paramyxo-
Zelle zu Zelle oder von einem infizierten Wirt auf einen nichtinfizier- viren (. Abb. 51.1a, b) sowie bei Filo- und Rhabdoviren
ten benötigt wird, können manche Viren (z. B. Retro-, Herpes-, Papil- (. Abb. 51.2a, b).
426 Kapitel 51 · Viren – die einfachsten aller Lebensformen

4 Die Hülle (»envelope«) (. Abb. 51.1b, d und . Abb. 51.2)


kommt nur bei einigen Virusfamilien vor und umgibt das
Kapsid von außen. Das Hüllmaterial besteht in der Regel aus
Lipiden, in die Proteine und Glykoproteine eingelagert sind.
Da letztere aus der Virushülle herausragen, werden sie auch
als Spikes bezeichnet (. Abb. 51.1). Sie wirken ebenfalls oft
als Antigene.
a
jBeispiele für Viruspartikel
Diese Prinzipien des Virusaufbaus lassen sich an 3 Beispielen illus-
trieren:

Paramyxovirus (. Abb. 51.1b) Virus mit Einzelstrang-RNA-


Genom negativer Polarität (»Negativstrang-RNA-Virus«; 7 s. u.),
Kugelstruktur (80–150 nm Durchmesser), Lipidhülle und auf-
geknäueltem, helikalem Nukleokapsid, das die genomische RNA
enthält. Unter der Hülle befindet sich eine Matrix (M-Protein), in
der Hülle Spikes.

Adenovirus (. Abb. 51.1c, . Abb. 51.2f, . Abb. 51.3a) Kugelform


(80 nm Durchmesser) mit doppelsträngiger DNA umgeben von ei-
nem Kapsid. Aus dem Kapsid ragen antennenartig 12 feine Stäbchen
b
(Fibern) heraus. Die Kapsomere sind so regelmäßig aufgebaut und
angeordnet, dass sich die Kapsidoberfläche aus 20 gleichen Drei-
ecken zusammensetzt. Einen kugelförmigen, symmetrischen
20-Flächner nennt man Ikosaeder.

Herpesvirus (. Abb. 51.1d, . Abb. 51.2g, . Abb. 51.3b) Ebenfalls


Kugelform (Durchmesser 180 nm) mit doppelsträngiger DNA, die
von einem Ikosaeder-Nukleokapsid verpackt wird. Im Unterschied
zum Adenovirus ist das Kapsid außen noch von einer Lipidhülle
(»envelope«) umgeben, in die virale Glykoproteine (Spikes) integ-
riert sind. Zwischen Kapsid und Hülle liegt das Tegument.

c
51.3 Einteilung der Viren

Die Taxonomie (systematische Einteilung) der Viren erfolgt nach


den Kriterien:
4 Art des Genoms (Nukleinsäuretyp)
4 An- oder Abwesenheit einer Lipidhülle
4 Charakteristika der Replikation
4 Grad der Verwandtschaft der viralen Genomsequenz

Diese Kriterien führen zu einer Einteilung in die üblichen taxono-


mischen Kategorien wie Ordnung, Familie, Subfamilie, Genus, Art.
So sind z. B. alle Herpesviren in einer Familie zusammengefasst,
α-, β-, γ-Herpesviren stellen jeweils eine Subfamilie dar und indivi-
Virologie

duelle Herpesviren (z. B. Zytomegalievirus) sind als Art (Spezies)


klassifiziert. Für die offizielle Klassifizierung verantwortlich ist das
d International Committee for the Taxonomy of Viruses (ICTV; www.
. Abb. 51.1a–d Aufbau von Viren. a helikales Nukleokapsid, b Paramyxo-
ictvdb.org).
viren, c Adenovirus, d Herpesvirus
Typ der Nukleinsäure Wie oben bereits erwähnt, unterscheiden
sich Viren u. a. in der Art der Nukleinsäure, die sie als Träger der
4 M- oder Matrixproteine als eine Art »Innenauskleidung« unter- genetischen Information einsetzen. Es gibt 5 verschiedene Formen
halb der Lipidmembran finden sich nur bei bestimmten Virus- viraler Genome (. Abb. 51.4):
familien (z. B. Retroviren, Paramyxoviren; . Abb. 51.1b). 4 Doppelstrang-DNA (dsDNA; wie pro- und eukaryontische
4 Der Begriff Tegument eines Virus wird nur bei Viren aus der Genome)
Familie der Herpesviren verwandt und bezeichnet eine An- 4 einzelsträngige (»single-stranded«, ss) DNA positiver Polarität
sammlung von Proteinen zwischen Kapsid und Lipidmembran [(+)Strang-ssDNA]
(. Abb. 51.1d). 4 einzelsträngige RNA positiver Polarität [(+)Strang-ssRNA]
51.3 · Einteilung der Viren
427 51

a b c

d e f g h

. Abb. 51.2a–h Einige Virustypen mit Größenangaben: a Filovirus; b Rhabdovirus; c Paramyxovirus; d Parvovirus; e Poliovirus; f Adenovirus; g Herpesvirus;
h Vacciniavirus

a
b
. Abb. 51.3a, b Elektronenmikroskopische Virusaufnahmen. a Adenovirus, b Herpes-simplex-Virus

. Abb. 51.4 Baltimore-Klassifikation der Viren


428 Kapitel 51 · Viren – die einfachsten aller Lebensformen

4 einzelsträngige RNA negativer Polarität [(–)Strang-ssRNA] Viren einzunehmen. Sie besitzen ein doppelsträngiges DNA-Ge-
4 Doppelstrang-RNA (dsRNA) nom. Ein Beispiel mit möglicher, aber noch unsicherer humanmedi-
zinischer Bedeutung ist die Familie der Mimiviren. Deren Prototyp,
Das Baltimore-Klassifikation ordnet diese verschiedenen Genom- das Acanthamoeba-polyphaga-Mimivirus wurde zunächst für eine
formen unter dem Gesichtspunkt, dass zur Synthese viraler Proteine Kokkenart gehalten. Es ist 700 nm groß, besitzt ein doppelsträngiges
im Rahmen der viralen Replikation eine mRNA gebildet werden DNA-Genom mit 1,2 MB (also 4- bis 5-mal größer als das größte
muss, von der diese Proteine dann an zellulären Ribosomen transla- »klassische« humanpathogene Virus und kodiert eine Reihe von En-
tiert werden (. Abb. 51.4): zymen, die man bisher nur in Bakterien kannte. Darunter sind En-
4 Am »einfachsten« haben es deshalb Viren, deren RNA-Genom zyme, die die Synthese von LPS-ähnlichen Kohlenhydratstrukturen
schon die Eigenschaften einer mRNA (positive Polarität, Cap und Peptidoglykanen erlauben. Vermutlich haben sich diese Riesen-
oder IRES-Struktur am 5’-Ende, Poly-A-Schwanz am 3’-Ende) viren im Lauf der Evolution durch Genverlust aus hochkomplexen
aufweisen. Dieses ist u. a. bei Picornaviren (z. B. Poliovirus), Vorläufern (Bakterien?) entwickelt.
Flaviviren (z. B. Gelbfiebervirus), Pestiviren (z. B. Hepatitis-C-
Virus) der Fall (. Abb. 51.4).
4 Alle Viren mit anderen Genomformen müssen erst eine derar- 51.4 Ungewöhnliche Viren und Prionen
tige mRNA herstellen:
5 Bei Viren mit Doppelstrang-DNA (z. B. Herpesviren) ge- In den letzten 3 Jahrzehnten hat sich die Existenz infektiöser Partikel
schieht dies genau wie bei zellulären Genen mithilfe einer beweisen lassen, die entweder RNA-Genome enthalten, aber sehr
zellulären DNA-abhängigen RNA-Polymerase. viel rudimentärer ausgestattet sind als »herkömmliche« Viren, oder
5 Ein Virus mit Einzelstrang-DNA (z. B. Parvovirus) muss gar keine als Genom dienende Nukleinsäure besitzen und nur aus
zunächst eine Doppelstrang-DNA herstellen. Proteinen bestehen. Die Mitglieder dieser Erregerklassen werden als
5 Ein Retrovirus (z. B. HIV) muss zuvor mithilfe seiner rever- Viroide, Virusoide und Prionen bezeichnet.
sen Transkriptase sein RNA-Genom in eine doppelsträngige
DNA umwandeln. Viroide Sehr einfach aufgebaute Viren mit RNA-Genom ohne Pro-
5 Ein Negativstrang-RNA-Virus (z. B. das Orthomyxovirus tein in einer Lipidhülle. Viroide sind z. B. die Erreger der Exocortis-
Influenzavirus) muss erst seine Negativstrang-RNA mithilfe Krankheit von Zitrusbäumen, von Erkrankungen der Kartoffeln, der
einer viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase in eine Tabakpflanzen etc. Ihre RNA ist ein ringförmiges Molekül aus 200–
Positivstrang-mRNA kopieren. 400 Basen, das sich zu einer kleeblattähnlichen Struktur zusammen-
faltet. Viroide sind sehr stabil gegenüber Erhitzung und organischen
Transfektion viraler Genome und gentechnische Herstellung
Lösungsmitteln und lassen sich kaum durch Ribonukleasen zerstören.
von Virusmutanten
Wie aus dem Baltimore-Schema (. Abb. 51.4) ableitbar, können diejenigen
»nackten« viralen Nukleinsäuren die Bildung viraler Partikel bewirken, die Virusoide Diese sog. Satellitenviren enthalten neben RNA 1–2 Pro-
von der zellulären Translationsmaschinerie allein translatiert werden können teine. Einzig bekanntes humanpathogenes Beispiel ist das Hepatitis-
(d. h. Positiv-Einzelstrang-RNA-Moleküle mit mRNA-Charakter) oder von der Delta-Virus (HDV; 7 Abschn. 72.3.3).
Zelle transkribiert werden können (Positiv-Einzelstrang-DNA oder Doppel-
strang-DNA-Moleküle). Dies wird experimentell ausgenutzt: Die Transfek- Prionen Prion steht für »proteinaceous infectious particle«. Prionen
tion, das künstliches Einbringen viraler Nukleinsäuren in Zellkulturen, kann enthalten keine Nukleinsäuren, sondern bestehen nur aus einer fehl-
Virusproduktion auslösen und damit die Möglichkeit schaffen, die Auswir- gefalteten Variante (PrPsc, sc für Scrapie, eine durch Prionen hervor-
kung experimentell in Virus-DNA oder -RNA eingeführter Mutationen auf die
gerufene Erkrankung des Schafs) eines zellulären Proteins (PrPc) mit
Funktion eines Virus zu untersuchen.
33–35 kD Molmasse. PrPsc »zwingt« seine fehlerhafte Konformation
Serologische Eigenschaften des Kapsids und der Glykoproteine der dem normalen PrPc auf und propagiert so seine pathogenen Eigen-
Hülle (Spikes) können innerhalb einer Virusspezies zur feineren schaften analog manchen »Amyloiderkrankungen«. Auf diese Weise
Klassifizierung dienen. Eine große Rolle spielen hier neutralisieren- kann sich ein fehlerhaftes Protein auch ohne einen klassischen
de (d. h. die Virusinfektion hemmende) und hämagglutinations- Träger der genetischen Information (RNA oder DNA) »vermehren«
hemmende Antikörper (d. h. Antikörper, welche die durch Proteine und infektiöse Eigenschaften erwerben. Prionen sind die Erreger der
der Virusoberfläche ausgelöste Verklumpung von Erythrozyten übertragbaren, spongiformen Enzephalopathien wie Scrapie von
hemmen). Durch Verwendung entsprechender Antikörper und Se- Schafen und Ziegen sowie des Kuru, der Creutzfeldt-Jakob-Krank-
ren lassen sich Viren mancher Spezies in verschiedene Serogruppen heit des Menschen und des Rinderwahnsinns (BSE). Nähere Infor-
Virologie

einteilen, die durch bestimmte Antikörper neutralisiert oder in ihrer mationen dazu in 7 Kap. 74.
hämagglutinierenden Fähigkeit gehemmt werden. Obwohl diese Art
der Typisierung mehr und mehr durch eine Klassifizierung auf der
Basis viraler Genomsequenzen ersetzt wird, spielt sie in der Praxis 51.5 Bakteriophagen
immer noch eine Rolle, z. B. wenn das Vorliegen einer Immunität
gegen ein bestimmtes Virus festgestellt oder untersucht werden soll, Bakteriophagen sind die Viren von Bakterien. Es gibt RNA- und
ob ein neu aufgetretener Virusstamm von einem vorhandenen Impf- DNA-Phagen; stäbchenförmige, kugelartige und sog. T-Phagen. Die
stoff abgedeckt wird. virale Nukleinsäure wird von außen in das Bakterium injiziert; es
folgt die Integration als Prophage in das Genom des Wirts, diese
Ungewöhnliche Viren – Riesenviren (»giant viruses«) In den letz- bilden z. T. Toxine nach der Induktion (z. B. Diphtherie; 7 Kap. 37).
ten Jahren wurden, zunächst in Amöben, dann zunehmend auch in In den letzten Jahren wurden auch »Virophagen« entdeckt, die
anderen einzelligen Lebewesen und Umweltproben, sehr große, des- andere Viren, speziell die eben in 7 Abschn. 51.3 erwähnten »Riesen-
halb nichtfiltrierbare Viren entdeckt. Diese scheinen morphologisch viren« dadurch infizieren, dass sie ihr Genom, ähnlich dem eines
und phylogenetisch eine Zwischenstellung zwischen Bakterien und Prophagen, in das Genom des Riesenvirus integrieren.
Literatur
429 51

In Kürze
Viren, die einfachsten Lebensformen
Definition Viren sind filtrierbare infektiöse Partikel ohne eige-
nen Stoffwechsel. Sie sind deshalb obligate Zellparasiten.
Aufbau Als Träger der genetischen Information enthalten Viren
entweder RNA oder DNA, die in einem Kapsid verpackt ist, das
seinerseits in manchen Fällen zusätzlich durch eine Lipidhülle
geschützt wird. An der Oberfläche von Viren finden sich bei
manchen Virusfamilien herausragende Proteine oder Glyko-
proteine (Spikes), die dem Andocken an und Eindringen in die
jeweilige Zielzelle dienen. Bei Viren mit einer Lipidhülle sind
diese Hüllglykoproteine in die Lipidmembran eingelassen.
Viroide sind RNA-haltige infektiöse Partikel, die vorzugsweise
bei Pflanzen vorkommen und dort Krankheiten hervorrufen.
Ihre RNA liegt in Kleeblatt-Ringform vor, ein Viroid enthält kein
Protein.
Virusoide enthalten, ähnlich wie Viroide, eine zirkuläre RNA als
Träger der genetischen Information, besitzen aber zusätzlich
1–2 Proteine. Trotzdem sind sie allein auch in Zellen nicht replika-
tionsfähig und benötigen ein Helfervirus zur Vermehrung. Das
einzige humanpathogene Virusoid ist das Hepatitis-Delta-Virus
(HDV).
Riesenviren, z.B. das Mimivirus, nehmen eine Zwischenstellung
zwischen Viren und Bakterien ein, ihre humanmedizinische
Bedeutung ist noch unsicher.
Prionen bestehen nur aus einem fehlgefalteten zellulären
Protein und sind infektiös. Prionen erzeugen Krankheiten bei
Tieren (Scrapie, BSE) und beim Menschen (Kuru, Creutzfeldt-
Jakob-Krankheit etc.).
Bakteriophagen sind Bakterienviren mit RNA- oder DNA-Genom,
Virophagen infizieren die Genome mancher Riesenviren.

Literatur

Flint SJ, Enquist LW, Racaniello VR, Skalka AM (2004) Principles of Virology.
2nd ed. Washington: ASM Press.
Murphy FA et al. (1995) Virus Taxonomy. Arch Virol. 13(Suppl. 10).
431 52

Virusreplikation
T. F. Schulz

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_52, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Da Viren keinen eigenen Stoffwechsel haben und deshalb strikt intra- 52.1.1 Adsorption
zelluläre Parasiten sind, müssen sie in Zellen eindringen, um dort ihre
Bestandteile unter Ausnutzung der metabolischen Maschinerie der Bei der Adsorption reagiert ein außen liegendes Strukturelement der
Zelle zu synthetisieren und neue Virusnachkommen »zusammenzu- Viruspartikel (Kapsid oder Hüllglykoprotein) als Ligand mit einem
bauen«. Diesen Vorgang bezeichnet man als Virusreplikation. oder mehreren Rezeptoren der Membran animaler Zellen. Dadurch
werden die Partikel an die Zelle gebunden. Beispiele sind der C3d-
Rezeptor (CD21) (7 Kap. 71) als Anheftungsstelle für das Epstein-
52.1 Replikationszyklus von Viren Barr-Virus und das CD4-Oberflächenmolekül sowie die Chemokin-
rezeptoren CCR5 und CXCR4 als Rezeptoren für HIV (7 Kap. 66).
Folgende Phasen des Replikationszyklus werden unterschieden Die Auswahl der Rezeptoren entscheidet mit über den Tropismus
(. Abb. 52.1 und . Abb. 52.2): des Virus für unterschiedliche Zelltypen. Während der Adsorptions-
1. Adsorption (Anheften des Viruspartikels an die Zelle) phase ist das Virus noch auf der Zelloberfläche zugänglich und
2. Eintritt in die Zelle und Auspacken des viralen Genoms durch Antikörper neutralisierbar.
(»uncoating«)
3. Synthese neuer viraler Nichtstrukturproteine
(»früher« Virusproteine) 52.1.2 Eintritt in die Zelle
4. Replikation der Virusnukleinsäure
5. Synthese der Strukturproteine (Kapsid- und Hüllproteine) Der Eintritt des adsorbierten Virus in die Zelle erfolgt je nach Virus-
6. Montage der Virusbausteine art und Wirtsspezies durch verschiedene Mechanismen.
7. Ausschleusung (Freigabe)

Eintritt in die Zelle Uncoating Synthese

Replikase
Ribosomen

Adsorption mRNA Kern


Virus- Endosom -Strang RNA Starter-
Rezeptor Protein replikative
Intermediate rand-
ständiges
Synthese Chromatin
Vorläufer-Protein
RNA

Spaltung
VP 1-4 u.a.

Virus verlässt
Zelle bei deren
Lyse:

Freigabe Montage

. Abb. 52.1 Phasen der Replikation eines nichtumhüllten Positivstrang-RNA-Virus (z. B. Poliovirus). Nach der Adsorption des Poliovirus an die entsprechenden
Rezeptoren erfolgen die Aufnahme in die Zelle durch Endozytose sowie das Uncoating bei saurem pH in den Endosomen. Die (+)ss- oder Positivstrang-RNA
mit mRNA-Eigenschaften kann direkt an zellulären Ribosomen translatiert werden. Die mRNA wird zunächst zu einem Vorläuferprotein translatiert, dieses wird
dann durch eine eigene Protease gespalten (VP1–4 etc.). Die Montage der Strukturproteine zum Kapsid erfolgt in mehreren Zwischenstufen. Die Virionen
werden beim Zerfall der Zellen freigesetzt (Freigabe)
432 Kapitel 52 · Virusreplikation

Eintritt in die Zelle Sofort-(Regulator) Früh- (Enzym) Spät-Proteine (Struktur) Synthese

Adsorption

Proteine
Spikes

mRNA mRNA
mRNA

DNA Montage
Kapsid
»packaging«
DNA + Tegument
Tegument
DNA-Replikation

randständiges Kernmembran Kernporen Glykoproteine


Chromatin
Zellmembran Freigabe

. Abb. 52.2 Replikation eines umhüllten DNA-Virus (Herpes-simplex-Virus). Nach der Adsorption und Penetration durch Fusion der Virushülle mit der Zell-
membran erfolgt der Transport des Kapsids auf Mikrotubuli im Zytoplasma zum Zellkern. Die DNA tritt (gemeinsam mit dem Transaktivatorprotein) durch die
Kernporen in den Kern ein. Dort beginnt die in 3 Abschnitten ablaufende Transkription (»sofortige«, »frühe« und »späte« Transkripte); die Proteine werden
im Zytoplasma bzw. am rauen ER (Membranproteine) synthetisiert und z. T. in den Kern transportiert. Die Montage der Virionen erfolgt in 2 Stufen: Zuerst bilden
sich im Zellkern die Kapside, welche die DNA aufnehmen. Durch Bildung von Einstülpungen und Abschnürung der Partikel erfolgt deren Ausschleusung
zunächst aus dem Kern ins Zytoplasma. Nach Verlust der von der inneren Kernmembran abgeleiteten primären Hülle erfolgt im Zytoplasma die Umkleidung
der Kapside mit viralen Tegumentproteinen, anschließend durch »Knospung« an der Zellmembran oder an der Membran des ER die Freisetzung neuer infek-
tiöser Virionen aus der Zelle

Endozytose Durch rezeptorvermittelte Endozytose wird das 52.1.3 »Uncoating« und Synthese
Viruspartikel nach der Adsorption durch Einstülpung der Membran neuer Virusbestandteile
ins Innere der Zelle befördert. Es befindet sich dann in einem Endo-
som im Zytoplasma. Die Einstülpung der Zellmembran erfolgt auf j»Uncoating« (»Entkleidung«)
ein Signal des Rezeptors, das bei der Adsorption ausgelöst wird Um die Information der Virusnukleinsäure freizusetzen und zu
(. Abb. 52.1). nutzen, muss zunächst die »Verpackung«, das Kapsid, aufgelöst
werden. Bei durch Endozytose aufgenommenen, nichtumhüllten
Fusion der Virushülle mit der Zellmembran Bei Viren mit einer Picorna- und Adenoviren bewirkt ein niedriger endosomaler pH
Lipidhülle vermag diese mit der – ebenfalls aus Lipiden bestehenden von 5,0 den Zerfall bzw. den enzymatischen Abbau der Kapside und
– Zellmembran an der Zelloberfläche zu »verschmelzen«. Bei man- die Freisetzung der RNA. Bei viralen Kapsiden, die – nach Fusion
chen umhüllten Viren (z. B. Influenza) geschieht dieser Prozess auf der Virushülle mit der Zellmembran oder der Membran des Endo-
der Ebene der Membran des Endosoms, nach Endozytose des Virus. soms – im Zytoplasma angekommen sind, sind posttranslationale
In beiden Fällen wird das Kapsid ins Zytoplasma eingeschleust. Modifikationen (Phosphorylierung, Ubiquitinierung) der Kapside
Für die Fusion der Virushülle mit der Zellmembran sind spe- an deren Destabilisierung beteiligt. Der gesamte Prozess wird als
Virologie

zielle virale Hüllglykoproteine notwendig, die sich je nach Virus Uncoating (Entkleidung, Auspacken) der Virusnukleinsäure be-
unterscheiden (z. B. das gp41-TM-Protein von HIV oder die HA2- zeichnet.
Untereinheit des Influenza-Hämagglutinins). Die Aktivierung des
Fusionsmechanismus kann durch Kontakt der Virushüllproteine mit jSynthese »nichtstruktureller Virusproteine«
bestimmten Oberflächenrezeptoren (z. B. CCR5 oder CXCR4 bei Nichtstrukturelle Virusproteine sind Proteine, die kein Bestandteil
HIV) oder den niedrigen pH des Endosoms (z. B. Influenza-Häm- des fertigen Viruspartikels sind, die das Virus aber während seiner
agglutinin) erfolgen und stellt bei manchen Viren einen therapeuti- Replikation und seines Aufenthalts in der Zelle benötigt, um z. B. ein
schen Angriffspunkt dar. virales RNA-Genom zu replizieren (die hierfür notwendige RNA-
abhängige RNA-Polymerase kommt in der Zelle normalerweise
nicht vor) oder die verschiedenen Komponenten des Immunsystems
abzuwehren. Hierzu gehören z. B. virale Proteine, welche die Induk-
tion oder Wirkung von antiviralem Interferon antagonisieren, die
Apoptose hemmen oder die Präsentation von Antigenen verhin-
dern. Viele dieser Proteine werden bei manchen Viren früh im In-
52.1 · Replikationszyklus von Viren
433 52
fektionszyklus gebildet, vor der Synthese der Strukturproteine. Letz- werden. Die Komplexe, die sich aus (+)- bzw. (–)Strängen, ferner aus
tere sind Bestandteile des Viruspartikels (»Virions«). Replikasemolekülen und schließlich aus unterschiedlich langen
Bei Positivstrang-RNA-Viren hat das virale Genom die Eigen- Strängen der neu gebildeten RNA zusammensetzen, werden als
schaften einer mRNA [(+)-Einzelstrang = (+)ssRNA, Polyadenylie- replikative Intermediate bezeichnet. Als Nebenprodukte fallen Dop-
rung am 3’-Ende; . Abb. 52.1] und kann deshalb direkt an Riboso- pelstrang-RNA-Moleküle an, die als Interferon-Induktoren wirken
men translatiert werden. Beispiele hierfür sind Polio-, Hepatitis-A- (7 Kap. 108) (. Abb. 52.1).
und Hepatitis-C-Virus.
Bei Negativstrang-RNA-Viren entspricht die genomische Virus- Negativstrang-RNA-Viren Einzelstrang-RNA-Viren mit Nega-
RNA [= (–)ssRNA] nicht einer mRNA und ist demzufolge nicht zur tivstrang-RNA [= (–)ssRNA] enthalten eine Replikase. Die Synthese
direkten Translation fähig. In diesen Fällen muss zuerst eine Tran- der (+)Strang-RNA wird durch dieses Enzym ausgehend von der als
skription erfolgen. Erst hierdurch entsteht eine translationstüchtige Matrize dienenden genomischen Virus-RNA vorgenommen. An-
(+)Strang-RNA. Dieser Vorgang wird durch eine in die Viruspartikel schließend verläuft die Synthese der mRNA und der neuen genomi-
eingepackte und deshalb nach Eintritt des Virus in die Zelle sofort schen (–)Strang-RNA wie bei den (+)Strang-Viren.
verfügbare, virale RNA-abhängige RNA-Polymerase katalysiert.
Beispiele sind Myxoviren und das Tollwutvirus. DNA-Viren Je nach Virusfamilie wird die Replikation der viralen
Bei DNA-Viren dient die genomische DNA als Matrize für die DNA durch virale oder zelluläre DNA Polymerasen bewerkstelligt
Synthese von viralen mRNAs, die anschließend im Zytoplasma und findet meistens im Zellkern statt (Ausnahme: Pockenviren und
an zellulären Ribosomen in Proteine translatiert werden. Bei den Riesenviren (7 Abschn. 51.3). Hierbei wird die nach Eintritt des Vi-
meisten DNA-Viren findet die Replikation und die Synthese viraler rus in den Zellkern als geschlossener Zirkel vorliegende virale DNA
mRNAs im Kern statt (. Abb. 52.2a), bei Viren der Pockengruppe »immer im Kreis herum« kopiert: »Rolling-circle«-Mechanismus.
und den »Riesenviren« (7 Abschn. 51.3) im Zytoplasma. Bei Herpes- Adeno- und Papillomviren benutzen für die DNA-Synthese zellko-
viren wird ein transaktivierendes Protein aus dem Virion frei, das dierte Polymerasen. Die Parvoviren (ssDNA) synthetisieren im Kern
sogleich seine Funktion als Aktivator der Transkription viraler Gene mithilfe zellulärer Polymerasen ihre Doppelstrang-DNA; sie dient
aufnimmt. Bei Herpesviren bezeichnet man derartige, schon vor als Matrize für die mRNA. Später wird die DNA in Einzelstränge
der Synthese neuer Proteine verfügbare virale Proteine als »Sofort- gespalten und in Kapside eingebaut (wie bei Herpes-, Adeno-
proteine«. und Papillomviren, dort aber in Form von dsDNA). Die Viren der
Die als Erste gebildeten Nichtstrukturproteine bezeichnet man Pockengruppe replizieren sich ausschließlich im Zytoplasma und
als sog. frühe Proteine. Zu dieser Kategorie rechnet man diejenigen müssen deshalb dort eigene Enzyme für den DNA-Stoffwechsel und
Enzyme des Virus, die zur Replikation der Virus-DNA unentbehr- die DNA-Replikation verwenden.
lich sind. Zu den frühen Proteinen werden v. a. die DNA-Polymera-
sen gezählt, aber auch andere Enzyme, z. B. die Thymidinkinase und Retroviren Das Umschreiben der retroviralen RNA in DNA erfolgt
die Ribonukleotidreduktase. Die frühen Proteine der Adeno- und durch die reverse Transkriptase in mehreren Schritten. Zuerst wird
Papillomviren wirken als Transformationsproteine (7 Kap. 54, während der Passage des sich auflösenden viralen Kapsids durch das
7 Kap. 69, 7 Kap. 70). Zytoplasma von der (+)-strängigen viralen RNA ein (–)-DNA-
Strang kopiert, der dann als Matrize für die Anfertigung des 2. DNA-
jReplikation des viralen Genoms Stranges dient (»Präintegrationskomplex«). Die jetzt vorliegende
Mit der Bereitstellung der nichtstrukturellen Virusproteine sind DNA-Doppelhelix wird zu einem Ringmolekül geschlossen, das sich
wichtige Voraussetzungen für die Replikation der Virusnukleinsäure besonders gut für die Integration ins Zellgenom eignet. Die inte-
gegeben. Für die Synthese neuer Virusnukleinsäure müssen folgende grierte virale DNA wird als Provirus bezeichnet, von dem mRNA
Elemente zur Verfügung stehen: und virale RNA durch die zelluläre RNA-Polymerase II abgelesen
4 Energiereiche Nukleotide: Sie werden von der Zelle, z. T. unter wird.
Mithilfe viruskodierter Enzyme (Thymidinkinase), geliefert. Varianten dieser allgemeinen Replikationsprinzipien werden in
4 Nukleinsäuremuster: Es wird ein Muster (Matrize) benötigt, den Kapiteln zu den einzelnen Viren (ab 7 Kap. 55) behandelt.
nach dessen Bauplan die Herstellung der Kopien erfolgt. Diese
Aufgabe erfüllt die genomische Virusnukleinsäure (DNA oder Einfluss der Virusreplikation auf den Stoffwechsel der Zelle Um
RNA). ihre eigene Vermehrung gegenüber der Synthese zellulärer Proteine
4 Eine virale Polymerase, z. B.: zu begünstigen, haben verschiedene Viren Abläufe entwickelt,
5 DNA-abhängige DNA-Polymerase für die DNA-Synthese welche die Expression zellulärer Gene hemmen. Hierzu gehört z. B.
mancher DNA-Viren, z. B. Viren der Herpes- oder Pocken- der Abbau zellulärer mRNAs durch virale Nukleasen (»host-shutoff«
gruppe = »Abschaltung« der Wirtszelle) oder die präferenzielle Translation
5 RNA-abhängige RNA-Polymerase (»Replikase«) für die viraler mRNA dank spezieller viraler Strukturen (IRES, »cap-
RNA-Synthese bei RNA-Viren stealing«).
5 RNA-abhängige DNA-Polymerase (reverse Transkriptase)
bei Retroviren jSynthese viraler Strukturproteine
Strukturproteine sind virale Proteine, die für den Zusammenbau
Positivstrang-RNA-Viren Die positive Einzelstrang RNA [(+)ssRNA] neuer Virionen benötigt werden, also Proteine des Kapsids und ggf.
hat die Charakteristika einer mRNA [(+)Strang, 5’-CAP oder IRES der Virushülle, der Matrix und des Teguments (. Abb. 52.2). Ihre
(»internal ribosomal entry site«), 3’-poly-A-Schwanz] und kann des- Synthese beginnt, wenn die Synthese der Virusnukleinsäure in Gang
halb direkt an Ribosomen translatiet werden. Gleichzeitig dient sie gekommen ist. Auch hier gilt, dass DNA-Viren ihr Kapsid- bzw. Hüll-
als Matrize für die Bildung einer (–)Strang-Kopie, von der ausge- material über eine neu gebildete mRNA synthetisieren lassen, wäh-
hend wieder neue (+)strängige RNA-Moleküle gebildet werden, die rend die Positivstrang-RNA-Viren ihre eigenen Nukleinsäurekopien
dann als neue Genome in die neu gebildeten Viruspartikel eingebaut (Tochter-RNA) oder entsprechende Teile davon als mRNA benut-
434 Kapitel 52 · Virusreplikation

zen. Viele Positivstrang-RNA-Viren synthetisieren zunächst einen Quasispezies Diesen Begriff verwendet man bei manchen sehr
oder mehrere Vorläuferproteine, die dann von viralen Proteasen in schnell mutierenden Viren. Hier liegt nicht eine einheitliche Virus-
Untereinheiten gespalten werden, um individuelle Strukturproteine sequenz bei allen im Organismus zirkulierenden Virionen vor, son-
zu generieren. Beispiele hierfür sind die Core- und Hüllproteine dern ein »Schwarm« von Viruspartikeln mit leicht oder deutlich
des Hepatitis-C-Virus und des HIV sowie die Kapsidproteine der unterschiedlicher Sequenz. Da man in diesem Fall nicht von einem
Enteroviren. einheitlichen Virus sprechen kann, beschreibt der Begriff Quasispe-
Viruskodierte Glykoproteine werden in die Zellmembran einge- zies, dass unterschiedliche Viren in diesem »Schwarm« verschiedene
baut. Darüber hinaus können virale Proteine wieder in Proteasomen Eigenschaften haben können, so z. B.:
abgebaut und die dadurch entstandenen Peptide durch MHC-Typ-I- 4 unterschiedliche Fähigkeiten, gewisse Zelltypen zu infizieren
oder MHC-Typ-II-Moleküle auf der Zelloberfläche präsentiert wer- 4 unterschiedliche Resistenz gegenüber antiviralen Substanzen
den (7 Kap. 53). Auf diese Wiese kann die virusproduzierende Zelle 4 unterschiedliche Suszeptibilität gegenüber neutralisierenden
vom Immunsystem als fremd erkannt und ggf. eliminiert werden. Antikörpern oder virusspezifischen T-Zellen

Dieses Phänomen spielt bei HIV und HCV eine große Rolle. Gründe
52.1.4 Zusammenbau und Ausschleusung für die hohen Mutationsraten dieser RNA-Viren sind das Fehlen
einer »Korrekturlesefunktion« der RNA-abhängigen Polymerasen
Je nach Virustyp erfolgt der Zusammenbau der Viren im Kern, im und die extrem hohen Replikationsraten, welche die Fehlerwahr-
Zytoplasma und/oder an der Plasmamembran der infizierten Zelle. scheinlichkeit bei der Replikation massiv erhöhen.
Als generelle Prinzipien lassen sich festhalten:
4 Umhüllte Viren erhalten ihre (Lipid-)Hülle von zellulären
Membranen, indem bereits geformte Kapside oder Kapsidvor- 52.3 Latenz
läufer sich beim Durchtritt durch zelluläre Membranen mit
deren Lipiddoppelschicht »umhüllen« (. Abb. 52.2a). Das Manche Viren können nach Infektion einer Zelle nicht sofort mit der
»Umhüllen« geschieht bevorzugt dort, wo virale Glykoproteine Synthese neuer Virusnachkommen beginnen, sondern treten in
in Membranareale integriert wurden. So gelangen virale Glyko- einen Zustand ein, der unter minimaler Expression viraler Gene nur
proteine in die Virushülle. den Erhalt des viralen Genoms garantiert. Diesen z. B. für alle Her-
4 Bei vielen Viren werden elektronenmikroskopisch als Virus- pesviren typischen Zustand bezeichnet man als Latenz. Herpesviren
partikel identifizierbare Strukturen erstmals an der Zytoplas- etablieren ihre Latenz entweder in Neuronen (z. B. Herpes-simplex-
mamembran während des »Ausschleusens« aus der Zelle sicht- Virus, Herpes-Zoster-Virus), in Zellen des blutbildenden Systems
bar. Zu diesem Zeitpunkt verdichten sich die Kapsidstrukturen (z. B. Zytomegalievirus) oder in B-Lymphozyten (z. B. Epstein-Barr-
durch Umlagern der beteiligten Proteine so, dass sie darstellbar Virus).
werden. Dieser Prozess wird als »budding« oder Knospung Während der Latenz findet sich das Genom der Herpes- und
bezeichnet. Papillomviren als zirkuläres Plasmid (Episom) im Zellkern »neben«
4 Die »Umhüllung« kann je nach Virustyp an der Zellmembran der zellulären DNA. Bei HIV kann das ins Genom der Zelle inte-
(z. B. HIV, Influenza), an zytoplasmatischen Membrankompar- grierte »Provirus« (s. o.) transkriptionell »still« sein und auf diese
timenten (z. B. Tollwutvirus am ER) und Kernmembranen Weise über lange Zeit persistieren.
stattfinden. Manche Viren verwenden sogar mehrere Kompar-
timente: So erfolgt bei Herpesviren eine primäre Umhüllung
von im Kern gebildeten Kapsiden durch die innere Kernmem- In Kürze
bran; diese geht nach Eintritt des Viruspartikels ins Zytoplasma Virusreplikation
wieder verloren und wird durch die endgültige, von der Plasma- Die Replikation lässt sich einteilen in:
membran abgeleitete Hülle ersetzt. 1. Adsorption des Virus an einen oder mehrere Rezeptoren auf
4 Die Anzahl der von einer einzigen Zelle synthetisierten neuen der Zelloberfläche
infektiösen Viruspartikel variiert beträchtlich. Pro Zelle werden 2. Eintritt in die Zelle durch Fusion der Virushülle mit der Zell-
z. B. 1000 neue Polioviren, aber nur 50–100 Herpes-simplex- membran an der Zelloberfläche, oder durch Endozytose mit
Viren gebildet. anschließender Fusion der Virushülle mit der Membran des
4 In manchen Fällen geht die Zelle nach Beendigung der Montage Endosoms (umhüllte Viren) oder Durchdringen des Memb-
zugrunde und die Viren werden passiv durch Zelllyse entlassen ran des Endosoms (nichtumhüllte Viren), sowie anschließen-
Virologie

(Picornaviren). dem »Auspacken« des viralen Genoms (Uncoating)


3. Synthese nichtstruktureller oder »früher« Proteine, die für die
Replikation des viralen Genoms benötigt werden.
52.2 Fehlerhafte Replikation 4. Replikation der viralen genomischen RNA oder DNA
und ihre Bedeutung 5. Synthese neuer Strukturproteine
6. Zusammenbau neuer Viruspartikel (Montage)
Inkomplette Virionen können entstehen, wenn bei der Montage der 7. Ausschleusung
eine oder andere Baustein fehlt, durch Mutationen fehlerhaft wird
oder die Replikation unvollständig abläuft. Dabei entstehende defek- Das Genom von Positivstrang-RNA-Viren kann direkt, d. h. vor
te Viruspartikel sind nicht nur »Abfall«, sondern können eine Be- der Replikation des viralen Genoms, an zellulären Ribosomen
deutung in der Auseinandersetzung des Wirtes mit einer Virusinfek- translatiert werden, um erste Virusproteine zu bilden. Bei den
tion haben. So kann ein Überschuss an defekten Viruspartikeln etwa Negativstrang-RNA-Viren muss zunächst ein (+)Strang gebildet
neutralisierende Antikörper »abfangen« – man spricht von defek- werden. Bei den großen DNA-Viren der Herpes-Gruppe verläuft
ten, interferierenden Partikeln.
Literatur
435 52

die Vermehrung in 3 Phasen, Sofort-, Früh- und Spätphase,


wobei die Replikation der viralen DNA zwischen Früh- und
Spätphase stattfindet. Bei den Retroviren wird die RNA in DNA
umgeschrieben und als Provirus in das Genom der Zelle inte-
griert.
Neben der produktiven Replikation, die der Bildung neuer
Viruspartikel dient, kennt man die Latenz. Diese ist gekenn-
zeichnet durch die Expression nur sehr weniger viraler Proteine,
welche die Persistenz des viralen Genoms in der Zelle sicher-
stellen.
Bei der Replikation können inkomplette Partikel entstehen (abor-
tive Vermehrung); v. a. bei den RNA-Viren kommt es aufgrund
häufiger Mutationen zur Ausbildung einer Quasispezies und defek-
ter interferierender Partikel. Während der Virusreplikation wird
der Zellstoffwechsel umgesteuert um eine präferenzielle Synthese
viraler Proteine zu erlauben.

Literatur

Arvin A, Campadelli-Fiume G, Mocarski E, Moore PS, Roizman B, Whitley R,


Yamanishi K (2007) Human Herpesviruses. Biology, Therapy and
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Nathanson N (2007) Viral Pathogenesis and Immunity. 2nd ed. Academic
Press.
437 53

Infektionsverlauf und Pathogenität


T. F. Schulz

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_53, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Ausbreitung eines Virus im Organismus ist je nach Virus ver- 53.1.2 Persistierende Infektion
schieden. Es gibt akute, persistierende und latente Virusinfektionen.
Die pathogenen Eigenschaften eines Virus können bedingt sein In diesem Fall wird das Virus nach der apparent oder inapparent
durch direkt vom Virus ausgelöste Schäden in den infizierten Zellen verlaufenden Primärinfektion nicht vollständig aus dem Orga-
und indirekt durch die Auswirkungen der Immunantwort auf die Virus- nismus eliminiert und repliziert kontinuierlich weiter, allerdings
infektion. Bei erstmaligem Kontakt mit einem Virus lösen Mechanis- in geringerem Umfang als während der akuten Primärinfektion.
men der angeborenen Immunität (Basisabwehr) eine Entzündung Zunächst entstehen dabei keine Symptome. Diese treten erst dann
aus, welche die adaptive Immunität anregt; gemeinsam blockieren sie auf, wenn durch die – oft jahrelange – kontinuierliche Virusrepli-
die weitere Replikation und Ausbreitung. Bei einer Zweitinfektion kation ein ausgeprägter Schaden in einem Organ entstanden ist.
reagiert die adaptive Immunität blitzschnell (»Gedächtnis«) fast ohne Beispiele hierfür sind HIV, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Viren
Entzündungen. Polymorphismen des Wirtes oder des Virus beeinflus- (. Abb. 53.1).
sen den Ablauf der Infektion. Während der Persistenz hat sich ein »Gleichgewicht« zwischen
viraler Replikation und antiviraler Immunität eingestellt. Zwar hält
das Immunsystem das Ausmaß der viralen Replikation unter Kon-
53.1 Infektionsverlauf trolle und die Menge an replizierendem Virus (Viruslast) ist deut-
lich niedriger als in den frühen Phasen der Erstinfektion (oder, im
Eine Virusinfektion kann apparent (mit klinischen Symptomen) Fall des HIV, in den Spätphasen der Erkrankung, nach Zusammen-
oder inapparent verlaufen. In dieser Hinsicht weisen einzelne bruch des Immunsystems), aber es kommt nicht zur Elimination des
Virusarten einen unterschiedlichen Manifestationsindex auf: Virus.
4 Die Masern sind fast immer apparent. Die Gründe für die Unfähigkeit des Immunsystems, das Virus
4 Mumps- und Influenza-Infektionen verlaufen zu etwa 50 % vollständig zu eliminieren, sind nur partiell verstanden; die Fähig-
apparent. keit von HIV und HCV, sehr rasch neue Mutanten zu entwickeln
4 Die primäre Infektion mit Herpes-simplex-Virus ist nur bei (Quasispezies; 7 Abschn. 52.2), die zytotoxischen T-Zellen »entkom-
etwa 5–10 % der Fälle apparent. men« können (Immunevasion), und eine eingeschränkte Fähigkeit
4 Die Poliomyelitis ist bei weniger als 1 % der Infizierten des infizierten Wirtes, gewisse virale Epitope zu erkennen, tragen zur
apparent. Persistenz bei. Die Tatsache, dass etwa HIV immer zu einer persis-
tierenden Infektion führt, während HBV (meistens) und HCV (nur
Der Grund, warum im Einzelfall beim Patienten eine Infektion bei einer Minderheit) eliminiert werden, deutet auf die Beteiligung
apparent oder symptomlos verläuft, ist in den meisten Fällen unklar. sowohl von viralen als auch Wirtsfaktoren bei der Entstehung von
Man unterscheidet schematisch die folgenden Infektionsver- Persistenz hin.
läufe (. Abb. 53.1): Die Bedeutung eines ausgereiften Immunsystems für die Elimi-
4 akute Infektion mit Viruselimination nation mancher prinzipiell zur Persistenz fähiger Viren wird an einer
4 persistierende Infektion Reihe klinischer Beobachtungen deutlich:
4 latente Infektion 4 So führt die Infektion mit HBV in der Perinatalphase oder in
der frühen Kindheit häufiger zur lebenslangen Persistenz die-
ses Virus als die Infektion im Erwachsenenalter. Dafür verläuft
53.1.1 Akute Infektion mit Viruselimination die Infektion im frühen Lebensalter weniger häufig mit den
klinischen Symptomen einer Hepatitis, die Ausdruck der
Bei der akuten Infektion entsteht eine erkennbare, zeitlich begrenzte, Immunreaktion gegen infizierte Zellen der Leber ist (7 s. u.).
klinisch apparente oder inapparente Infektion. Es kommt zur Vi- Der Preis, den man dank eines kompetenteren Immunsystems
rusvermehrung und zur Ausscheidung infektiöser Viruspartikel. Die für eine effizientere Elimination des Virus zahlt, ist eine
Infektion kann im Sinne einer Lokalinfektion auf die Eintrittspforte stärker ausgeprägte Primärerkrankung.
und deren Umgebung beschränkt bleiben, wie beim banalen Schnup- 4 Ein weiteres Beispiel ist die lange auf hohem Niveau persistie-
fen, oder sich über den gesamten Organismus ausbreiten und eine rende Ausscheidung von Zytomegalievirus durch intrauterin
generalisierte, in mehreren Phasen verlaufende Infektionskrank- (also zu einem Zeitpunkt, zu dem das Immunsystem noch
heit wie die Masern hervorrufen. In beiden Fällen reagiert das Im- nicht ausgereift ist) infizierte Neugeborene.
munsystem: Es werden Antikörper, zytotoxische T-Zellen (CTL)
und Gedächtniszellen gebildet, der Patient erwirbt eine Immunität.
Am Ende der Krankheit enthält der Wirtsorganismus kein infektiö-
ses Virus mehr, d. h., das Virus ist eliminiert.
438 Kapitel 53 · Infektionsverlauf und Pathogenität

1. Phase 2. Phase

FSME

Influenza
a 7 Kap 59 + 56.3

Latenz Zoster
Varizellen (Gürtelrose)
(Windpocken)
b 7 Kap 71.2

Hepatitis B

Chronizität
akut
c Ausheilung 7 Kap 72.3.1

HIV

akut AIDS
d 7 Kap 66

Prion-Krankheiten

CJK
e 7 Kap 74
Zeit (Tage, Wochen, Monate, Jahre)

. Abb. 53.1a–e Beispiele für Verlaufsformen von Infektionserkrankungen. a Bei der akuten, selbstlimitierten Infektion schafft es das Immunsystem, das
Virus aus dem Körper zu eliminieren. Es kommt temporär zur Virusausscheidung, die nach Ende der akuten Phase der Erkrankung beendet ist. b Bei laten-
ten Infektionen etabliert das Virus ein minimales Programm der Genexpression, das es ihm erlaubt, nur sein Genom in der infizierten Zelle zu erhalten. In
dieser Phase ist in den üblichen Untersuchungsmaterialien im Allgemeinen kein Virus nachweisbar. Gelegentlich kann es zur Reaktivierung mit Produktion
infektiöser, kompletter Viruspartikel kommen c–d Bei der persistierenden Infektion schafft es das Immunsystem nicht, das Virus zu eliminieren, und es fin-
det auf lange Zeit oder auf Dauer eine Virusreplikation auf niedrigem Niveau statt, deren Ausmaß durch das Immunsystem reguliert wird. Deshalb nimmt
die Replikation des HIV nach Zusammenbruch des Immunsystems wieder zu (7 Kap. 66). e Prionen vermehren sich sehr langsam und die dadurch bedingte
Erkrankung, vCJK, hat eine mehrjährige Inkubationszeit. Die schwarze Linie gibt das Ausmaß der Virusreplikation (»Viruslast«) wieder. CJK, Creutzfeldt-Jakob-
Krankheit; FSME, Frühsommer-Meningoenzephalitis

53.1.3 Latente Infektion 4 Das Varicella-Zoster-Virus etabliert seine Latenz ebenfalls in


Neuronen, während das Zytomegalievirus Zellen der myelo-
Der Organismus ist und bleibt lebenslang infiziert, jedoch ohne kli- monozytären Reihe bevorzugt.
nische Symptome zu zeigen und ohne dass Virus im Regelfall nach-
weisbar ist: Das Virus »ist in den Untergrund gegangen« (z. B. HSV Bei der Erhaltung dieses latenten Zustands spielt das Immunsystem
in die Ganglien der Hirnnerven). Im Unterschied zur persistieren- ebenfalls eine wichtige Rolle. Das latente Stadium der Infektion wird
den Infektion findet über lange Zeiträume keine aktive Virusrepli- jedoch gelegentlich unterbrochen von einem Rezidiv. Klassisches
kation mit Bildung neuer Viruspartikel statt. Das Virus begnügt sich Beispiel sind der Herpes recidivans (Herpes-simplex-Virus) und
Virologie

damit, sehr wenige Proteine zu bilden, die gerade noch für die Erhal- die Gürtelrose (Varicella-Zoster-Virus). Dabei erfolgt, bedingt
tung seines Genoms in der latent infizierten Zelle benötigt werden: durch externe Einflüsse (z. B. Schwächung des Immunsystems, UV-
4 Im Fall des Epstein-Barr-Virus und des Kaposi-Sarkom-Her- Exposition, hormonelle Schwankungen) eine Reaktivierung des
pes-Virus/Humanen Herpesvirus HHV-8, die ihre Latenz in Virus, das dann in einer infektionstüchtigen Form gebildet wird
sich teilenden (B-)Zellen etablieren, muss der minimale Satz (. Abb. 53.1, . Abb. 53.2).
viraler Proteine dafür sorgen können, dass sich das als zirkuläres
Plasmid vorliegende virale Genom bei jeder Zellteilung einmal
repliziert und auf die Tochterzellen verteilt wird, um in sich 53.2 Ausbreitung im Organismus
teilenden Zellen »nicht verloren zu gehen«.
4 Im Fall von Herpes-simplex-Virus, das in teilungsunfähigen Virusinfektionen des Menschen oder der Tiere können auf die
ausdifferenzierten Neuronen latent vorliegt, wird nur eine Region der Eintrittspforte begrenzt bleiben (Lokalinfektion, z. B. bei
nichttranslatierte RNA (LAT) exprimiert, die als Vorläufer von Rhinoviren), aber auch in den Organismus vordringen (. Abb. 53.3)
miRNAs (mikroRNAs) dient, welche die Expression anderer und eine systemische Infektionskrankheit auslösen (z. B. Röteln,
viraler Gene antagonisieren. Masern).
53.3 · Pathogenität
439 53

. Tab. 53.1 Ort der Ausscheidung bei diversen Virusinfektionen des


Menschen

Virus Ort der Ausscheidung

Herpes-simplex- wiederholte Ausscheidung im Speichel,


Virus 1 und 2 Genitalsekret und aus Herpesbläschen

Humanes Zyto- intermittierende Ausscheidung in Urin,


megalievirus Speichel, Sperma, Muttermilch

Epstein-Barr-Virus Ausscheidung im Speichel

Adenoviren Nasen/Rachensekret, Stuhl, Urin

Papillomviren Freigabe aus Warzen etc., Condylomata


acuminata und Genitalsekreten

Polyomaviren Urin, Stuhl


. Abb. 53.2 Latenz des Herpes-simplex-Virus (HSV) in Neuronen. HSV (BKV, JCV)
und Varicella-Zoster-Virus etablieren ihre Latenz in sensorischen Ganglien.
Parvovirus Respirationstrakt, Blut
Reaktivierung des Virus in diesen Zellen führt zur Bildung neuer Virus-
partikel und zu deren Transport entlang den Fortsätzen der Neuronen zu Hepatitis-B-Virus Blut, Sperma, Speichel, Körpersekrete
den von ihnen innervierten Hautarealen und zur Infektion von Zellen der
Hepatitis-C-Virus Blut, Sekret
Mukosa oder Haut. Dies ergibt die »Fieberbläschen« auf der Lippe (HSV)
bzw. auf bestimmte Dermatome beschränkte Bläschen beim Herpes Zoster Retroviren Blut, Sperma, Speichel, Muttermilch, andere
(HIV1/2, HTLV-I, -II) Körpersekrete; HTLV-I nur in infizierten Zellen
übertragbar
Eintrittspforten Viren treten über die Haut, die Konjunktiven, die
Mundhöhle, den Nasen-Rachen-Raum, den Gastrointestinaltrakt
oder das Genitale in den Organismus ein. Primärer Ansiedlungsort
für Papillomviren und Herpes-simplex-Virus ist das Epithel der wandert das Influenzavirus zur Lunge, indem es sich in den Zellen
Haut oder Schleimhaut; Gelbfieberviren gelangen durch den Stich der Tracheal- und Bronchialschleimhaut vermehrt.
eines Insekts direkt in das Blut, das Tollwutvirus durch eine Biss-
wunde in den Körper. Virusausscheidung Diese kann vom Ort der Primäransiedlung
An diesen Eintrittspforten kann sich das Virus vermehren, in die (Schnupfen, Influenza, Masern etc.) oder vom Manifestationsort in
regionalen Lymphknoten wandern und sich replizieren oder Zugang der Haut (Pocken, Varizellen) aus erfolgen. HAV gelangt über die
zu den Nervenendigungen finden (HSV, Tollwut). Warzen entstehen Gallenwege in den Darm, Entero- und Rotaviren werden nach der
direkt im Epithel der Haut, HSV erzeugt bei der Primärinfektion Infektion im Darm mit dem Stuhl ausgeschieden. HBV und HCV
Bläschen in der Mundschleimhaut. Viele Viren erzeugen lokale Er- werden aus der Leber in großen Mengen ins Blut abgegeben und
kältungskrankheiten (Schnupfen, Pharyngitis etc.). durch Blutkontakte übertragen (. Tab. 53.1).

Virämie Von den lokalen Lymphknoten gelangt das Virus in die


Blutbahn und verursacht eine primäre Virämie, wodurch es in En- 53.3 Pathogenität
dothelzellen sowie ins Knochenmark gelangt und sich vermehren
kann. Von dort aus erzeugt es eine sekundäre Virämie, die schließ- Der Begriff Pathogenität gibt an, ob ein Virus in einer Spezies
lich zur Organmanifestation führt (z. B. Beteiligung von Gehirn, krankmachend wirkt oder nicht.
Meningen, Haut, Schleimhäute, Speicheldrüsen, B-Zellen etc.). Die- Der Begriff Virulenz hingegen kennzeichnet den unterschiedli-
ser biphasische Verlauf mancher Viruserkrankungen (Zweigipflig- chen Grad der krankmachenden Wirkung von Virusmutanten oder
keit der Virusausbreitung) spiegelt sich manchmal in Fieberschüben -varianten einer Virusspezies. In der Natur kommen bei ein und
wider. Die Ausbreitung des Virus im Blut kann frei oder zellgebun- derselben Virusart Varianten einer Virusspezies mit sehr verschie-
den erfolgen. denartiger Virulenz vor. So unterscheiden sich die Subtypen der
Der Organbefall erfolgt hämatogen (Leber etc.) bzw. im Falle Influenza A erheblich hinsichtlich ihrer Virulenz. Dem hochvirulen-
des ZNS (Gehirn, Meningen) hämatogen (FSME) oder neurogen ten H1N1-Subtyp der Pandemie 1918 (»Spanische Grippe«, 20–
(HSV, Tollwut). Auch die Haut wird hämatogen besiedelt (Masern, 40 Mio. Todesfälle) steht der weniger virulente Subtyp H2N2 (Asia-
Röteln, Varizellen), wobei die Exantheme die Folge von Entzün- tische Grippe) aus der Pandemie 1957 oder der Subtyp H1N1sw
dungen als Reaktion auf die Präsenz von Viren sind (. Abb. 53.1, 2009 aus der Pandemie 2009 gegenüber. Bei HIV entstehen im Or-
. Abb. 53.3). ganismus zahlreiche Quasispezies (7 Abschn. 52.2) mit unterschied-
lichen Eigenschaften bezüglich Tropismus, Suszeptibilität gegenüber
Andere Arten der Virusausbreitung HSV wandert von der Ein- neutralisierenden Antikörpern und zytotoxischen T-Zellen.
trittspforte der Lippen entlang der Axone retrograd in die sensori- Die für die Pathogenität verantwortlichen Einzelfunktionen des
schen Ganglien, VZV gelangt virämisch in die Haut und von dort Virusgenoms werden als Virulenzfaktoren bezeichnet.
axonal in die Spinalganglien. Das Tollwutvirus wandert von den
Wunden aus via Nervenfasern ins Rückenmark und weiter ins Ge- jWirtsspektrum und Organtropismus
hirn. Virusinfektionen der oberen Luftwege können sich von der Viren unterscheiden sich auch in ihrer Fähigkeit, verschiedene Spe-
Eintrittspforte in den Bronchialbaum und die Lunge ausbreiten. So zies zu infizieren (Wirtsspektrum). Ein Beispiel für ein Virus mit
440 Kapitel 53 · Infektionsverlauf und Pathogenität
Virologie

. Abb. 53.3 Ausbreitung von Virusinfektionen im Organismus. Schwarze Pfeile zeigen die Ausbreitungswege und rote Pfeile die Ausscheidung an

einem breiten Wirtsspektrum ist das Tollwutvirus, das praktisch alle Varianten. Diese Organspezifität wird durch eine besonders gute
Warmblüter infiziert. Extrem eng hingegen ist das Wirtsspektrum Replikationsfähigkeit in bestimmten Zellarten determiniert. Sie
des Epstein-Barr-Virus und des Kaposi-Sarkom-Herpes-Virus, die hängt ab vom Vorkommen der entsprechenden zellulären Rezepto-
sämtlich nur für den Menschen infektiös sind. ren für die Aufnahme des Virus in die Zelle, aber auch von anderen
Viren unterscheiden sich ebenfalls in ihrer pathogenen Wirkung zellulären Faktoren, die z. B. im Rahmen des intrazellulären Trans-
auf bestimmte Organe bzw. Organsysteme (Organtropismus). Selbst ports oder der Virusreplikation mit Virusbestandteilen interagieren
innerhalb einer Virusart gibt es z. B. neurotrope und viszerotrope müssen. Ferner kann der Aktivierungs- und/oder Differenzierungs-
53.3 · Pathogenität
441 53

. Abb. 53.5 Zellabkugelung durch ECHO-12 in FL-Zellen (mit freundl.


Genehmigung von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)

. Abb. 53.4a–c Zytopathischer Effekt. Die Infektion von Zellen kann zur
Abkugelung und Lyse (a), zur Fusion von Zellen (b) und ggf. zur Bildung von
Einschlusskörperchen (c) in Kern oder Zytoplasma, je nach dem Ort der
Virusreplikation, führen

grad einer Zelle einen Einfluss auf die Replikationsfähigkeit eines


Virus haben: So repliziert z. B. HIV nur dann produktiv in Lympho-
zyten, wenn diese aktiviert sind, und die produktive Replikation der
Papillomviren steigt mit zunehmendem Differenzierungsgrad der
infizierten Epithelzelle in der zervikalen Mukosa.
Während manche Viren einen sehr engen Organtropismus auf-
weisen (z. B. das Tollwutvirus, das bevorzugt die Zellen des ZNS
schädigt), können andere in nahezu allen Organen des infizierten
Wirtsorganismus Schäden setzen (z. B. bei der Zytomegalie und
beim Herpes neonatorum). Ein Immundefekt begünstigt das Aus-
breiten einer Virusinfektion auf Organe, die bei einem immunkom- . Abb. 53.6 Riesenzellbildung durch HSV (mit freundl. Genehmigung von
petenten Wirt nicht oder nur selten befallen werden. Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)
Die Eigenschaft der Neuroinvasivität erlaubt es Viren, die Blut-
Hirn-Schranke zu überwinden und ins Hirngewebe vorzudringen.
Neurotrope Viren durchqueren die Blut-Hirn-Schranke auch als logischen Diagnostik wird das Auftreten eines CPE in einer mit
»blinde Passagiere«, z. B. in Makrophagen. Patientenmaterial inokulierten Zellkultur als Hinweis auf die erfolg-
reiche Anzüchtung eines Virus gewertet. Vermutlich liefern die Er-
scheinungen des CPE in der Zellkultur ein Spiegelbild der Verhält-
53.3.1 Direkte Auswirkungen des Virus nisse im infizierten Organismus. Tatsächlich treten z. B. Riesenzel-
auf die infizierte Zelle len auch in vivo bei Masern- und RSV-Infektionen auf, und die für
CMV typischen, als Eulenaugen bezeichneten nukleären Einschluss-
Manche Viren richten die Zelle dadurch zugrunde, dass sie deren körperchen kann man manchmal in der Lunge von Patienten mit
Syntheseapparat intensiv für die eigene Vermehrung in Anspruch CMV-Pneumonie beobachten.
nehmen. Damit kann die Zelle ihren eigenen Metabolismus nicht Typische CPE-Manifestationen sind (. Abb. 53.4):
aufrechterhalten und geht zugrunde. Andererseits gibt es virale In- 4 Zellabkugelung
fektionen, bei denen die infizierte Zelle sich der doppelten Belastung 4 Riesenzellbildung
gewachsen sieht und es zu keinem sichtbaren Zellschaden kommt. 4 Einschlusskörperchen
Während der Replikation dominiert das Virus die Transkrip- 4 Apoptose
tions- und Translationsmaschinerie der Zelle und sorgt dafür, dass
»seine« Proteine präferenziell gebildet werden. Das Abschalten oder Zellabkugelung Die in der nichtinfizierten Kultur polygonal oder
Unterdrücken der Translation zellulärer Proteine bezeichnet man als länglich aussehenden, mit Fortsätzen versehenen Zellen runden sich
»host-shutoff«. Manche Viren besitzen Nukleasen, die bestimmte ab (. Abb. 53.5); Beispiele hierfür sind mit Adeno- oder Poliovirus
Klassen zellulärer mRNAs zerstören. Bei anderen Viren kann bereits infizierte Zellen.
die Interaktion des Virus mit Rezeptoren der Zellmembran Signal-
ketten in der Zelle anregen, die ihm Vorteile bei der Aufnahme in die Riesenzellbildung Eine virusinfizierte Zelle fusioniert mit benach-
Zelle und bei der Passage durch das Zytoplasma verschaffen. barten, nichtinfizierten Zellen, sodass es zur Ausbildung großer,
Die in der Zellkultur als Folge der Virusinfektion hervorgerufe- mehrkerniger Gebilde, sog. Riesenzellen oder Synzytien, kommt
nen typischen Veränderungen der Zellmorphologie werden als zyto- (. Abb. 53.4b, . Abb. 53.6). Man beobachtet dies v. a. bei umhüllten
pathischer Effekt (»cytopathic effect«, CPE) bezeichnet. In der viro- Viren. Hier finden sich auf der Oberfläche der virusproduzierenden
442 Kapitel 53 · Infektionsverlauf und Pathogenität

53.3.2 Schäden durch die Virusabwehr


im infizierten Gewebe

Neben den in 7 Abschn. 53.3.1 besprochenen Schäden durch das


Virus selbst beobachtet man im infizierten Gewebe auch solche
Schäden, die als Ergebnis der Immunantwort auf das eingedrun-
gene und sich vermehrende Virus entstehen. Zum einen spielen
hier Mechanismen der angeborenen Immunität, wie Interferone
und inflammatorische Zytokine wie IL-1, TNF-α etc., eine Rolle
bei den für primäre Virusinfektionen typischen klinischen Symp-
tomen (Fieber, Muskelschmerzen etc.). Diese können das Krank-
heitsgeschehen dominieren und sogar für den Tod des infizierten
Wirtes verantwortlich sein. Ein Beispiel hierfür ist der »cytokine
storm«, also die überschießende Ausschüttung inflammatorischer
Zytokine. Diese werden etwa von hochpathogenen Influenza-
. Abb. 53.7 Kern-Einschlusskörperchen nach HSV-Infektion (mit freundl. Stämmen, wie dem H1N1-Virus (»Spanische Grippe« von 1918)
Genehmigung von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz) oder dem glücklicherweise nur sehr selten auf den Menschen
übertragenen H5N1-Influenza Virus (»Vogelgrippe«) in großen
Mengen induziert und sind für die hohe Virulenz dieser Viren mit-
Zelle virale Hüllglykoproteine, welche die Verschmelzung der Virus- verantwortlich.
lipidhülle mit der Membran der zu infizierenden Zelle vermitteln Ferner lassen sich manche mit viralen Infektionen verbundenen
und in diesem Fall die Fusion der Plasmamembran der infizierten Gewebeschädigungen auf die Auswirkungen zytotoxischer T-Zellen
Zelle mit den benachbarten Zellen bewirken. Typische Beispiele sind oder NK-Zellen zurückführen, die beim Versuch, infizierte Zellen zu
mit RSV (Respiratory Syncytial Virus) oder manchen Paramyxovi- eliminieren, auch gesunde Parenchymzellen schädigen (z. B. Hepa-
ren infizierte kultivierte Zellen. titis). Außerdem können im Verlauf der Infektion gebildete Anti-
körper pathogen wirken: Im Gefolge der Infektion mit HCV kann die
Einschlusskörperchen Im Kern und/oder im Zytoplasma der befal- Synthese von Kryoglobulinen angeregt werden (7 Kap. 72). Beim
lenen Zelle treten rundliche Strukturen auf, die in typischer Weise EBV entstehen heterophile Antikörper mit weitgehend unbekannter
färbbar und lichtmikroskopisch leicht erkennbar sind. Ihre Größe Spezifität (7 Kap. 71) oder es entstehen »Autoantikörper« (HBV,
beträgt 2–10 μm. Die Einschlusskörperchen sind als Aggregate 7 Kap. 72).
inkompletter Viren zu verstehen. Ihre Lokalisation entspricht den Es gibt ferner Hinweise darauf, dass manche virale Infektionen
Montageorten in der Spätphase des Vermehrungszyklus (. Abb. als Auslöser von Autoimmunerkrankungen dienen können, bei
53.4c, . Abb. 53.7). Beispiele sind die Guarnieri-Körperchen (baso- denen eine fehlgeleitete Immunantwort sich gegen gesundes körper-
phil) bei Pocken, die Negri-Körperchen bei Tollwut im Zytoplasma eigenes Gewebe richtet. Beispiele hierfür sind der juvenile insulin-
sowie Einschlusskörperchen im Kern bei Masern und den Viren der abhängige Diabetes mellitus (IDDM), das Guillain-Barré-Syndrom
Herpes-Gruppe (nukleär). oder die Myokarditis/Kardiomyopathie.
Im Fall des Coxsackie-Virus (CV), das mit manchen Fällen von
Gentoxische Effekte Die Anwesenheit von Viren in einer Zelle Typ-I-Diabetes und Myokarditis in Verbindung gebracht wird, be-
kann Schäden an der zellulären DNA hinterlassen. Dazu gehören wirken normalerweise Typ-I- und Typ-II-Interferone des angebore-
DNA-Strangbrüche und Chromosomenaberrationen, die z. B. durch nen Immunsystems sowie CD4- und CD8-Zellen bzw. Antikörper
die in der infizierten Zelle gebildeten Sauerstoffradikale ausgelöst des erworbenen Immunsystems die Elimination des Coxsackie-
werden, ferner DNA-Mutationen, die durch die virusvermittelte Virus. Besitzt die infizierte Person jedoch bestimmte HLA-Mole-
Inaktivierung von DNA-Reparaturmechanismen entstehen. Als küle, die in dendritische Zellen aufgenommene zelluläre Antigene
Folge der Integration viraler DNA in die zelluläre DNA, wie sie typi- aus zerstörten Kardiomyozyten und β-Zellen präsentieren können,
scherweise bei Retroviren vorkommt, kann es zur unkontrollierten kann ein Autoimmunprozess in Gang gesetzt werden, der zur chro-
Aktivierung zellulärer Gene in der Nachbarschaft der Integrations- nischen Organschädigung führt. Hierzu kann beitragen, dass die
stelle und damit zum Entstehen maligner Erkrankungen kommen. Stimulation bestimmter Toll-ähnlicher Rezeptoren (TLR) durch virale
Dieser Mechanismus tritt klassisch bei leukämogenen murinen Re- RNA oder DNA die Sekretion von Interferonen, TNF-α und anderen
Virologie

troviren auf, wurde aber auch als Folge des gentherapeutischen Ein- Interleukinen induziert und damit die Expression von MHC-II-Mole-
satzes retroviraler Vektoren beobachtet (7 Kap. 54). külen sowie die Antigenpräsentation auch auf Kardiomyozyten und
β-Zellen induziert (. Abb. 53.8), die normalerweise kein Antigen prä-
Apoptose Sie spielt als Folge einer Virusinfektion neben der Nek- sentieren und dann aber durch zytotoxische T-Lymphozyten (CTL)
rose eine wichtige Rolle bei der Entstehung des virusinduzierten angreifbar werden.
Zellschadens. Die Apoptose wird durch komplexe Mechanismen,
z. B. nach der Anlagerung des Fas-Liganden (Fas-L) an den Fas-
Rezeptor, ausgelöst (7 Kap. 12) und dient der Limitierung oder Ver- 53.3.3 Prä- und perinatale Infektionen
stärkung der Virusausbreitung im Organismus.
Eine besondere Situation liegt vor, wenn eine Virusinfektion auf den
Embryo oder Fetus übertritt, wie es z. B. bei CMV, beim Röteln- und
beim Parvovirus der Fall ist (. Tab. 53.2).
4 Viren lösen Embryopathien aus, wenn die Infektion auf
bestimmte sensible Differenzierungsstadien der Organe in
53.4 · Abwehrmechanismen bei Virusinfektionen
443 53

. Abb. 53.8 Virusinduzierte Autoimmunität. Coxsackie-Viren infizieren und zerstören Kardiomyozyten (und β-Zellen des Pankreas); die Zerfallsprodukte
werden durch dendritische Zellen (DC) präsentiert. Virale RNA bindet an Toll-ähnliche Rezeptoren (TLR) des angeborenen Immunsystems der DC; dadurch
ausgelöste Signalwege resultieren in der Bildung von Zytokinen (IFN, IFN-α, IL-1, -6, -12 etc.). DC präsentieren ebenfalls Virusproteine (ViAg). CD4-Zellen
stimulieren B-Zellen und geben IFN-γ ab, das zusätzlich CD8-Zellen aktiviert. So werden CTL aktiviert, die β-Zellen und Kardiomyozyten zerstören, und
B-Zellen bilden (Auto-)Antikörper gegen Virus- und Zellproteine

der 3.–12. SSW einwirkt: Die Folgen sind Fehlbildungen (CMV, Umgekehrt haben Viren im Verlauf ihrer Evolution viele Wege
Rötelnvirus). entwickelt, um den Einwirkungen des Immunsystems zu entgehen.
4 Fetopathien entstehen bei Infektionen nach der 12. SSW und Beispiele für solche Mechanismen der Immunevasion sind:
schließen entzündungsbedingte Entwicklungsstörungen ein 4 Die Bildung von Interferon oder seine Wirkung wird auf viel-
(CMV) oder sind Ausdruck einer akuten Organschädigung fältige Weise blockiert (7 Kap. 108).
(Parvovirus B19). 4 Komplementfaktoren werden gezielt durch viruskodierte Inhi-
4 Perinatale Infektionen liegen vor, wenn die Infektion kurz vor, bitoren ausgeschaltet.
unter oder kurz nach der Geburt erfolgt (HIV, HSV, HBV, VZV, 4 Manche viralen Genome kodieren Homologe von Zytokinen
Coxsackie-Viren). Die Ursache der schweren Verläufe perina- (»Virokine«) oder Zytokinrezeptoren, die die Immunreaktivität
taler Infektionen (HSV etc.) ist in der mangelhaften Abwehr- beeinträchtigen (EBV: vIL-10; HHV-8: vIL-6) oder beeinflus-
funktion des Immunsystems zu sehen. sen die Synthese dieser Substanzen positiv oder negativ in DC,
Endothelzellen etc.
4 Viren verhindern die Präsentation von Oligopeptiden auf
53.4 Abwehrmechanismen bei Virusinfektionen MHC-Molekülen und sind in der Lage, Kosignale u. a. Signal-
ketten von Zellen bei der Antigenerkennung abzuschalten.
Wie in Sektion 2 dieses Buches (7 Kap. 5–16) ausführlich dargestellt, 4 Zellen mit wichtiger Funktion der Immunantwort werden
verfügt der menschliche Organismus über vielfältige Möglichkeiten, infiziert und durch die Virusreplikation zerstört (z. B. HIV:
virale Infektionen abzuwehren. Die beiden wichtigsten Kategorien CD4+-T-Zellen).
sind: 4 Viren entziehen sich dem Angriff von Antikörpern und zyto-
4 die angeborene Abwehr, d. h. Abwehrmechanismen, die ohne toxischen T-Zellen durch Antigenwandel (Antigendrift, -shift,
früheren Kontakt mit einem Virus sofort zur Verfügung stehen, Quasispeziesbildung).
z. B. Komplement, Interferone, durch Aktivierung von »pattern
recognition receptors« wie TLR (Toll-like-Rezeptoren), MDA-5, Bei Neugeborenen und Säuglingen sind die antiviralen Abwehr-
cGAS-induzierte Entzündungsmechanismen mechanismen des Immunsystems noch nicht ausgereift. Sie sind
4 die adaptive Abwehr, die im Verlauf einer Erstinfektion indi- deswegen für einige Viren (HSV, HBV, Masern, Coxsackie) beson-
viduell »auf Viren trainierte« B- oder T-Zellen ausbildet ders empfindlich. Aber auch besondere Eigenschaften des Wirtes
444 Kapitel 53 · Infektionsverlauf und Pathogenität

. Tab. 53.2 Embryopathien, Fetopathien und perinatale Infektionen

Virus Art der Schädigung Besonderheiten

Röteln Embryopathie Taubheit, Herzfehler, Katarakt, Retinopathie, Diabetes mellitus,


Thrombozytopenie, Meningoenzephalitis etc.

CMV Embryo-, Fetopathie selten bei Reaktivierung, meist bei Primärinfekt

HSV Fetopathie, perinatale Infektion wegen hoher Durchseuchungsrate ist Fetopathie selten;
Herpes neonatorum als Ausdruck einer generalisierten Infektion
des Neugeborenen*

VZV Embryopathie; perinatale Infektion: geringe Embryopathogenität (selten); Varizellen der Neugeborenen
schwere Varizellen des Neugeborenen und der Mutter

Hepatitis B Perinatale Infektion perinatale Infektion am Ende der Schwangerschaft, führt langfristig
zum Carrierstatus und zu chronischer Hepatitis

Parvo B19 Hydrops fetalis, Abort Fetopathie

Masern – keine Embryopathie, jedoch Aborte und Totgeburten;


perinatal: Masern (Letalität 30 %)

Mumps – keine Embryopathie bekannt, Aborte im 1. Trimenon;

Vaccinia Abort/Totgeburt –

HIV1 – Infektion von 5–30 % der Kinder in utero während der späten
Schwangerschaft und perinatal sowie durch Stillen

Coxsackie – Neugeborenenmyokarditis, selten

ECHO – Allgemeininfektion nach perinataler Infektion

HEV Mutter Gefahr für Schwangere (Letalität 20 %)

HCV – perinatale Übertragung möglich, viruslastabhängig

* Nur bei Primärinfektionen

(z. B. Polymorphismen von Chemokinrezeptoren oder besondere Der Impfling macht eine künstlich hervorgerufene, klinisch inap-
HLA-Konstellationen) beeinflussen im Einzelfall den Verlauf von parente Infektion durch, eine sog. stille Feiung.
Viruskrankheiten positiv oder negativ. Virusinfektionen können sel- Scheidet der Impfling das verimpfte Virus in großen Mengen
ber immunsuppressiv wirken, z. B. bei den Masern, bei Infektionen aus, so kann seine Umgebung damit infiziert werden. Dies wirkt sich
mit CMV und HIV. Besondere Situationen liegen bei Transplanta- z. B. bei der Impfung gegen Poliomyelitis mit dem Lebendimpfstoff
tionen und HIV-Infektionen vor (7 Kap. 66). (Sabin-Vakzine) günstig auf die Gesamtzahl der geschützten Perso-
nen aus und erleichtert die Eradikation des Poliomyelitisvirus aus
einer Bevölkerung. Theoretisch besteht aber die Gefahr, dass bei
53.5 Lebend- und Totimpfstoffe Passagen des Impfvirus von Mensch zu Mensch die Virulenz im
Sinne einer Selektion von Rückmutanten wieder ansteigt. Dies
jLebendimpfstoff kommt beim Lebendimpfstoff für Poliomyelitis auch sehr selten vor
Pathogenität und Virulenz von Viren für einen bestimmten Wirt und ist der Grund dafür, dass heute in vielen industrialisierten Län-
Virologie

sind im Virusgenom determiniert. Dies nutzt man bei der Entwick- dern vorwiegend der Totimpfstoff für Poliomyelitis (Salk-Vakzine)
lung von Lebendimpfstoffen, die klassischerweise infolge zahlloser zum Einsatz kommt.
Passagen in Versuchstieren oder Zellkulturen durch zufällige Muta-
tionen verändert wurden und so ihre Virulenz weitgehend verloren jTotimpfstoff
haben. Bei den 3 abgeschwächten Typen des Poliovirus z. B. kennt Zu den Totimpfstoffen gehören sowohl Impfstoffe auf der Basis ab-
man die charakteristischen Mutationen in den Struktur- und Nicht- getöteter (inaktivierter) Viren als auch aus Untereinheiten bestimm-
strukturregionen des Genoms. Beispiele für Virusimpfstoffe dieser ter Viren hergestellte Vakzinen:
Art sind die Lebendimpfstoffe gegen Gelbfieber, Masern, Mumps, 4 Beispiele inaktivierter Viren sind der »Spaltimpfstoff« des
Röteln, Varizellen und Poliomyelitis (Sabin-Vakzine) sowie gegen Influenzavirus und die Inaktivierung des Salk-Poliovirus-Impf-
Rotavirus-Infektionen. stoffs durch chemische Verfahren.
Die attenuierten Viren behalten ihre Antigenstruktur. Ihre Fähig- 4 Beispiele für Vakzine auf der Basis gentechnologisch her-
keit, in bestimmte Zellen einzudringen und sich dort zu vermehren, gestellter einzelner Virusproteine sind die Impfstoffe gegen
hat sich jedoch geändert. Die Abschwächung hat also lediglich die Hepatitis-B-Virus (HBV) oder bestimmte Typen humaner
Fähigkeit zur Schädigung besonders sensibler Zellen herabgesetzt: Papillomviren (HPV). Bei der HBV-Vakzine handelt es sich
Literatur
445 53
um das Oberflächenantigen (HBsAg), während beim HPV-
Impfstoff aus einem einzigen Kapsidprotein bestehende »virus- Indirekte Folgen der Virusinfektion auf das befallene Organ
like particles« ohne DNA verwendet werden. Infolge der Immunreaktion auf das Virus ausgelöste Schäden,
z. B. Zellschädigung durch das Immunsystem, Beeinflussung der
jAktive Immunisierung Zytokinsynthese, Lyse von Zellen durch Antikörper und/oder
Die Impfung mit Lebend- und Totimpfstoffen wird als aktive Immu- Komplement
nisierung bezeichnet. Virusinduzierte Autoimmunprozesse Werden im Verlauf akuter
und chronischer Krankheiten ausgelöst und können z. B. durch
jPassive Immunisierung autoreaktive zytotoxische T-Zellen (Typ-I-juveniler Diabetes
Die passive Immunisierung erfolgt zur Verhinderung oder Ab- im Gefolge einer Virusinfektion, Guillain-Barré-Syndrom) oder
schwächung einer Erkrankung nach Exposition (z. B. Röteln bei Immunkomplexe (Arteriitis und Glomerulonephritis) vermittelt
seronegativer Schwangerer; Hepatitis-B-Virus bei Neugeborenen werden.
HBV-ausscheidender Mütter) oder als Infektionsprophylaxe. Hier- Abwehrmechanismen bei Virusinfektionen
für werden polyklonale Antikörper für die Passivimpfung auf- 5 angeborene Immunität: Interferone, Zytokine, Makrophagen,
bereitet. Daneben finden auch monoklonale Antikörper Anwen- NK-Zellen
dung, etwa bei RSV-Infektionen oder als eine Möglichkeit der 5 adaptiv-spezifische Abwehr: Antikörper, B-Zellen, T-Effektor-
Prophylaxe gegen das SARS-Coronavirus. Zellen

Impfstoffe Lebendimpfstoffe entstehen durch Selektion von


In Kürze Mutanten mit geringer Virulenz, Totimpfstoffe durch Inaktivierung
Infektionsverlauf und Pathogenität von Viruspräparationen oder Reinigung bzw. gentechnische Her-
Infektionsverläufe Lokalinfektion oder systemische Infektions- stellung einzelner Virusproteine.
krankheit mit Elimination
5 persistenter oder latenter Verlauf ohne Elimination
5 pränatale Infektionen als Embryopathien und peri-/post-
natale Infektion
Literatur

Mandell GL, Bennett JE, Dolin R (2004) Principles and Practice of Infectious
Ausbreitungswege Eintrittspforten: Nase, Mundhöhle,
Diseases. 6th ed. Elsevier-Churchill-Livingstone.
Konjunktiven, Gastrointestinaltrakt, Genitale, Hautläsionen, Mertens T, Haller O, Klenk HD (2004) Diagnostik und Therapie von Viruskrank-
Blutbahn heiten. 2nd ed. Urban & Fischer.
5 Ausbreitung: Replikation an Eintrittspforte, Eindringen in Richman DD, Whitley RJ, Hayden IG (2002) Clinical Virology. 2nd ed.
Lymphknoten und Lymphbahnen: primäre Virämie; dadurch Washington: ASM Press.
Ansiedelung in Endothelien und myelomonozytären Zellen Strauss JH, Strauss EG (2007) Viruses and Human Disease. 2nd ed. Academic
sowie erneute Replikation: sekundäre Virämie Press.
5 Organmanifestation: Beteiligung viszeraler Organe Zuckerman AJ, Banatvala JE, Pattison JR, Griffiths PD, Schoub BD (2008)
(z. B. Lunge, Leber, Herz, Darm, Gehirn) Principles and Practice of Clinical Virology. 6th ed. Wiley.
5 Ausscheidung: Nase/Rachen, Stuhl, Urin, Tränenflüssigkeit,
Speicheldrüsen, Sperma, Zervixsekret; Übertragung durch
Blut oder Blutprodukte

Pathogenität Eigenschaft einer Virusspezies, in einer Wirts-


spezies eine Krankheit zu erzeugen
Virulenz Ausmaß der Pathogenität verschiedener Varianten
eines Virus, die sich aufgrund geringfügiger genetischer Unter-
schiede (Mutationen) in ihrer krankmachenden Wirkung unter-
scheiden; Eigenschaften des Virus und der Wirtszelle deter-
minieren die Organ- und Zellspezifität (Tropismus)
Direkte Auswirkungen des Virus auf die infizierte Zelle Folgen
der Dominierung des zellulären Metabolismus durch das re-
plizierende Virus, z. B. »host-shutoff«, gentoxische Schäden,
Apoptose oder Nekrose. Die mikroskopisch sichtbaren Schäden
in einer virusinfizierten Zelle wie Zellabkugelung, Synzytien-
bildung, nukleäre oder zytoplasmatische Einschlusskörperchen
werden als zytopathischer Effekt (CPE) bezeichnet und lassen
sich in Zellkultur, in bestimmten Fällen (Riesenzellpneumonie
bei Masern, Eulenaugenzellen bei CMV-Infektion) aber auch in
vivo beobachten.
447 54

Humane onkogene Viren


T. F. Schulz

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_54, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Weltweit werden ca. 17 % aller malignen Erkrankungen durch Infek- Mutationen oder genetischen Rearrangements unkontrolliert exprimiert wird
tionserreger ausgelöst. Neben anderen bekannten Ursachen der und damit das unkontrollierte Wachstum der Zelle auslöst. Seine Entdecker,
Krebsentstehung (v. a. Karzinogene, die Umweltfaktoren sind oder Varmus und Bishop, wurden 1989 mit der Verleihung des Nobelpreises geehrt.
sich aus dem Lebensstil ergeben, z. B. Rauchen, radioaktive Strahlung) Für die Entdeckung der Ursache des Zervixkarzinoms, einer Gruppe von
»Hochrisiko-Papillomviren«, erhielt Harald zur Hausen 2008 den Nobelpreis.
nehmen onkogene Infektionserreger also einen wichtigen Platz ein.
Da Infektionen zumindest z. T. durch Vermeidung der Exposition oder
Entwicklung eines Impfstoffs vorgebeugt werden kann, ergibt sich hier
54.1 Tumorerzeugende Viren des Menschen
ein erhebliches Potenzial zur Verminderung der Krebsrate. Zudem hat
die Forschung anhand der Mechanismen, die bei der Entstehung von
Zu den von der WHO anerkannten onkogenen humanen Viren zählen:
durch Viren verursachten Tumoren beteiligt sind, immer wieder grund-
4 Mehrere Mitglieder der Familie der Papillomviren (7 Kap. 69),
legende Einblicke in die molekularen Grundlagen der Onkogenese er-
4 das Epstein-Barr-Virus (EBV) und das Kaposi-Sarkom-
halten. So gehen Schlüsselentdeckungen wie das Konzept der Onko-
Herpesvirus / Humane Herpesvirus 8 (KSHV/HHV-8) aus
gene auf die Beschäftigung mit onkogenen Viren zurück. Die WHO hat
der Familie der Herpesviren (7 Kap. 71)
beim Menschen 6 Viren als onkogene Agenzien anerkannt, ein 7. huma-
4 das Humane T-lymphotrope Virus 1 (HTLV-1, 7 Kap. 67)
nes Virus (Merkel-Karzinom-Polyomavirus) wurde als wahrscheinliches
4 das Hepatitis-B-Virus (HBV, 7 Kap. 72)
Karzinogen eingestuft.
4 das Hepatitis-C-Virus (HCV, 7 Kap. 72)
Nobelpreise für die Entdeckung viraler Karzinogenese Ferner wurde 2008 ein neues humanes Polyomavirus, das Merkel-
Dass manche Viren Krebs auslösen können, wurde zuerst in Tierexperimenten
Zell-Polyomavirus, als Ursache des Merkel-Karzinoms entdeckt und
demonstriert. Bereits 1911 zeigte F. P. Rous die Übertragbarkeit des Hühner-
kürzlich von der WHO als »wahrscheinlich karzinogen« eingestuft.
sarkoms durch zell- und bakterienfreie Filtrate aus Tumorgewebe. Erst fast
60 Jahre später, 1970, entdeckte man das prototypische Onkogen, vSRC, in
Darüber hinaus zeigen Lymphome, die bei mit retroviralen Gen-
diesem Virus, dem Rous-Sarkomvirus (RSV); 1976 zeigten H. Varmus und therapievektoren behandelten Patienten aufgetreten sind, dass be-
M. Bishop, dass vSRC von einem zellulären Gen, dem Protoonkogen SRC, ab- stimmte von tierischen Retroviren bekannte Mechanismen der
stammte. Damit war das Konzept des zellulären Onkogens als eines an der Onkogenese unter diesen Bedingungen auch beim Menschen eine
Kontrolle des Zellwachstums beteiligten Gens geboren, das aufgrund von Rolle spielen können. . Tab. 54.1 gibt einen Überblick.

. Tab. 54.1 Tumorerzeugende Viren des Menschen

Virus Genomische Nukleinsäure Zielzellen Tumortyp


(Virusfamilie)

Humane Papillomviren (HPV) DNA (Papillomviren) Hautepithel, gutartig: Warzen, Condylomata acuminata
Schleimhautepithel bösartig: Zervix-, Anal-, Vulva-, Penis-, Tonsillenkarzinom;
Hautkarzinome (bei E. verruciformis)
Epstein-Barr-Virus (EBV) DNA (Herpesviren) B-Lymphozyten Burkitt-Lymphom (v. a. endemische Form)
großzellige Lymphome bei AIDS-Patienten und Trans-
plantatempfängern
Morbus Hodgkin
Epithelzellen Nasopharyngealkarzinom
seltene Fälle des Magenkarzinoms
Kaposi-Sarkom-Herpesvirus/Humanes DNA (Herpesviren) Endothelzellen Kaposi-Sarkom
Herpesvirus 8 (KSHV/HHV-8)
B-Zellen primäres Effusionslymphom
multizentrischer Morbus Castleman (Plasmazellvariante)
Humanes T-lymphotropes Virus (HTLV) RNA (Retrovirus) T-Lymphozyten adulte T-Zell-Leukämie
Hepatitis-B-Virus (HBV) DNA (Hepadnavirus) Hepatozyten Leberzellkarzinom
Hepatitis-C-Virus (HCV) RNA (Flavivirus) Hepatozyten Leberzellkarzinom
Merkel-Zell-Polyomavirus DNA (Polyomavirus) neuroendokrine Zellen Merkel-Karzinom
448 Kapitel 54 · Humane onkogene Viren

54.2 Mechanismen der viralen Onkogenese »Durchlese«-Vorgängen kommen, durch die das »Verpackungs-
signal« der retroviralen RNA Bestandteil der zellulären Proto-
54.2.1 Insertionsmutagenese onkogen-mRNA wird (. Abb. 54.1). Zusätzlich entstehen andere
Veränderungen (Mutationen, Trunkationen) in der Protoonko-
Die Insertionsmutagenese kommt »in der Natur« nur bei manchen gensequenz, die eine unregulierte Aktivierung des von ihr ko-
onkogenen Retroviren verschiedener Tierspezies vor. Beim Men- dierten Proteins bewirken – dieses wird dann als Onkogen be-
schen können prinzipiell ähnliche Abläufe aber eine Rolle bei Lym- zeichnet.
phomen spielen, die selten nach Behandlung mit retroviralen Gen- Nach dem »Verpacken« der veränderten zellulären Onkogen-
therapievektoren auftreten. mRNA mittels des »Verpackungssignals« in das neu entstehende
Wie in . Abb. 54.1 dargestellt, integriert sich zunächst das provi- Retrovirus kann diese auf neue Zellen übertragen werden (. Abb.
rale (DNA-)Genom (7 Kap. 66, 67) eines Retrovirus in der Nähe eines 54.1b, c). In dieser Zelle kommt es dann zur dauerhaften Aktivierung
zellulären Protoonkogens. Protoonkogene sind zelluläre Gene, de- des übertragenen (»transduzierten«) Onkogens und damit zur an-
ren Proteine eine Rolle bei der Kontrolle des Zellwachstums spielen dauernden Stimulierung intrazellulärer Signalketten, die Wachs-
und deren Mutation zu unkontrolliertem Wachstum der Zelle führt. tumssignale an die Zelle vermitteln. Je nach Onkogen kann dies di-
Durch Integration eines retroviralen Provirus in der Nachbarschaft rekt zur malignen Entartung (»Transformation«) der Zelle führen
eines zellulären Protoonkogens kommt dieses unter den Einfluss des oder es müssen noch weitere genetische »Unfälle« auftreten, bevor
retroviralen LTR (»long terminal repeat«; . Abb. 54.1). Die U3-Re- die Zelle unkontrolliert zu wachsen beginnt. Ein Beispiel für dieses
gion des retroviralen LTR (normalerweise am »linken« oder 5’-Ende Szenario stellt das Src-Gen dar, dessen Produkt eine membranstän-
des Provirus) dient als Promotor für die Transkription der viralen dige Tyrosinkinase ist, die in mutierter Form im Rous-Sarkomvirus
Gene. Der am »rechten« oder 3’-Ende des Provirus gelegene LTR gefunden wird.
kann die Expression benachbarter zellulärer Gene beeinflussen. Hier- Bei den (sehr seltenen) durch retrovirale Gentherapie Vektoren
durch kommt es zur nicht mehr regulierten Expression des Protoon- ausgelösten Lymphomen beim Menschen scheinen beide Mecha-
kogens und damit zur Aktivierung von Signalwegen oder Transkrip- nismen – Insertion des Gentherapievektors an einer »sensitiven«
tionsfaktoren, die das Wachstum der Zelle begünstigen. Stelle des zellulären Genoms und die mittels dieses Vektors beab-
sichtigte Transduktion der cDNA eines Wachstumsfaktors – gleich-
zeitig stattfinden zu müssen, damit es zur Tumorentstehung kommt.
54.2.2 Transduktion eines mutierten Onkogens Laufende Bemühungen zielen darauf hin, »sichere« Integrations-
orte im Genom zu identifizieren und die Vektoren zu verbessern,
Bei der Transkription des in der Nähe eines solchen Proto- um auf diese Weise diese Art der Gentherapie möglich und sicher
onkogens  integrierten Provirus kann es auch zu Spleiß- oder zu machen.

U3 R U5 U3 R U5
a GAG POL ENV C-ONC

AAA

U3 R U5 U3 R U5

b GAG POL ENV C-ONC

AAA
AAA
AAA

AAA
Virologie

U3 R U5 U3 R U5 U3 R U5 U3 R U5

c GAG POL ENV V-ONC V-ONC

. Abb. 54.1a–c Darstellung eines in der Nachbarschaft eines zellulären Protoonkogens (c-Onc) integrierten retroviralen Provirus (d. h. einer DNA-Kopie
des retroviralen RNA-Genoms; 7 Kap. 66, 7 Kap. 67). a Aktivierung des zellulären Promotors eines zellulären Protoonkogens durch einen in der Nähe inte-
grierten retroviralen LTR. Die U3-Region des LTR enthält Promotoreigenschaften und steuert, wie hier gezeigt, die Transkription einer Protoonkogen mRNA.
Deren Expression unterliegt nicht mehr den normalen zellulären Rückkopplungsmechanismen: Es kommt zur unkontrollierten Expression des zellulären
Onkogens und zum deregulierten Zellwachstum. b Neben den 2 typischen retroviralen mRNAs (ungespleißt für die Translation der gag/pol-abgeleiteten
Kapsid- und Enzymproteine [7 Kap. 66, 7 Kap. 67]; gespleißt für die Translation der Hüllproteine [env]) kommt es zum »Durchlesen« der mRNA in das be-
nachbarte c-Onc-Gen bzw. zu Spleißvorgängen, die Teile der retroviralen mRNA mit der des c-Onc verbinden. Durch die »Verpackungsstelle« (ψ) kommt es
zum Einpacken dieser mRNA-Moleküle ins virale Genom. c Nach Transduktion dieser artifiziellen mRNAs in die neu infizierte Zelle werden diese durch die
reverse Transkriptase des Virus in DNA umgeschrieben und ins zelluläre Genom integriert. So entsteht eine Variante des zellulären Protoonkogens (v-Onc).
Das davon abgeleitete Protein ist konstitutiv aktiv und regt die Zelle zu unkontrolliertem Wachstum an
54.2 · Mechanismen der viralen Onkogenese
449 54

. Abb. 54.2 Regulation des Zellzyklus durch Cycline, cyclinabhängige Kinasen (cdk) und deren Inhibitoren (cdk-Inhibitoren). Cyclinabhängige Kinasen
werden in definierten Abschnitten des Zellzyklus durch Bildung eines Komplexes mit Cyclinen aktiviert und regulieren den Ablauf des Zellzyklus. So phos-
phoryliert und inaktiviert z. B. der Cyclin-D/cdk4-Komplex pRb und ermöglicht damit den Eintritt in die S-Phase. Extrazelluläre Einflüsse, z. B. sezernierte
Faktoren wie TGF-β oder Zell-Zell-Kontakte, führen zur Hemmung der cyclinabhängigen Kinasen durch cdk-Inhibitoren (p15, p16, p27), wodurch der Zell-
zyklus in der G1-Phase angehalten wird

54.2.3 Beeinflussung des Zellzyklus (. Abb. 54.3). So ist das zelluläre p53 ein beliebter Angriffspunkt für
Proteine verschiedener Viren:
Angetrieben wird der Zellzyklus von regulatorischen Proteinen, den 4 Die E6-Proteine der verschiedenen Papillomviren binden
Cyclinen (. Abb. 54.2). Die verschiedenen Cycline (D, E, A, B) wer- an p53; die E6-Proteine der »Hochrisiko«-Papillomviren,
den in bestimmten Abschnitten des Zellzyklus synthetisiert und z. B. HPV-16 und HPV-18, der Erreger des Zervixkarzinoms
aktivieren durch spezifische Assoziation sog. cyclinabhängige Kina- (7 Kap. 69), bewirken durch Rekrutierung einer Ubiquitin-
sen (»cyclin-dependent kinases«; cdk). Diese phosphorylieren dann ligase, E6AP, die Ubiquitinierung des p53 und damit dessen
die zu dem jeweiligen Zeitpunkt notwendigen Proteine. Die Regula- Abbau im Proteasom. Sie »zerstören« damit einen wichtigen
tion der Cycline gewährleistet damit den geordneten Ablauf des Zell- Kontrollmechanismus im Zellzyklus und schaffen so die Vor-
zyklus. aussetzung für unkontrolliertes Zellwachstum.
4 Andere virale Proteine, z. B. die E6-Proteine der »Niedrig-
Phosphorylierung des Retinoblastomproteins (pRb) Am Übergang Risiko«-Papillomviren, das LANA-Protein und die vIRF-1-
zwischen der G1- und S-Phase des Zellzyklus findet ‒ unter dem bzw. vIRF-3-Proteine des Kaposi-Sarkom-Herpesvirus
Einfluss von durch Wachstumsfaktoren ausgelösten intrazellulären (KSHV), das Tax-Protein des Humanen T-lymphotropen
Signalwegen ‒ die pRb-Phosphorylierung durch den Cyclin-D/ Virus 1 (HTLV-1), zerstören das p53-Protein nicht, antago-
cdk4- oder Cyclin-D/cdk6-Komplex statt. Im hypophosphorylierten nisieren aber dessen Funktion auf z. T. noch nicht genau
Zustand bindet pRb an zelluläre Promotoren und verhindert durch verstandene Weise.
Rekrutierung von Histon-Deazetylasen (HDAC) die Transkription
vieler Gene, u. a. der E2F-Familie transkriptioneller Regulatoren. Angesichts der zentralen Rolle, welche die Phosphorylierung und
Die durch Cyclin-D/cdk4 bzw. zu einem etwas späteren Zeitpunkt Inaktivierung des Rb-Proteins beim Übergang von der G1- in die
durch Cyclin-E/cdk2 vermittelte Phosphorylierung von pRb bewirkt S-Phase des Zellzyklus spielt, ist es nicht verwunderlich, dass mehrere
dessen Inaktivierung und damit die Freigabe des Eintritts in die onkogene Viren ebenfalls an diesem Punkt angreifen (. Abb. 54.3):
S-Phase (. Abb. 54.2). 4 Ein Paradebeispiel dieses Mechanismus stellen auch hier wie-
der die Papillomviren dar, deren E7-Protein an pRb bindet und
Zellzyklusbeeinflussende Signale Zu den Signalwegen, die physio- dieses inaktiviert.
logischerweise die Aktivierung des Zellzyklus bewirken, gehören z. B. 4 Ähnlich bindet auch das LANA-Protein des KSHV an pRb und
der Ras-MEK/Erk-Signalweg. Umgekehrt inhibieren andere lösliche antagonisiert dessen Funktion. Zusätzlich verfügt KSHV aber
Faktoren, z. B. TGF-β, und Zell-Zell-Kontakt, den Eintritt in den noch über einen anderen Mechanismus, der an derselben Stelle
Zellzyklus unter Beteiligung von cdk-Inhibitoren wie p15, p16, p27 angreift: Eines seiner latenten Proteine, v-cyc, ist ein Homolog
(. Abb. 54.2). Ferner kann die Zelle den Zellzyklus anhalten, wenn es eines D-Cyclins und verbindet sich mit cdk6, um, ähnlich wie
zu Schäden in der DNA, z. B. durch ionisierende Strahlung oder wäh- das zelluläre Cyclin-D, die Phosphorylierung und Inaktivie-
rend vorhergehender DNA-Replikation, gekommen ist. Hier spielt rung von pRb zu bewirken.
das p53-Protein eine wichtige Rolle: Nachdem es durch Sensorme- 4 In vergleichbarer Weise können das Tax-Protein des HTLV-1
chanismen aktiviert wurde, die das Auftreten eines DNA-Schadens sowie die EBNA-LP und EBNA-2-Proteine des Epstein-Barr-
erkennen, kann es durch Rekrutierung der cdk-Inhibitoren p21 und Virus (EBV) die Wirkung der zellulären Cyclin-D/cdk4,6-Kom-
p27 den Eintritt in die S-Phase blockieren (. Abb. 54.2, . Abb. 54.3) plexe und damit die Phosphorylierung von pRb befördern. Das
oder den programmierten Zelltod (Apoptose) auslösen. Tax-Protein von HTLV-1 kann darüber hinaus die Wirkung ei-
nes Inhibitors der Cyclin-D/cdk-Komplexe, p16, antagonisieren
Mechanismen onkogener Viren Viele onkogene Viren haben und damit die Aktivität der Cyclin-D/cdk4,6-Komplexe stei-
Strategien entwickelt, diese Kontrollmechanismen zu unterlaufen gern.
450 Kapitel 54 · Humane onkogene Viren

. Abb. 54.3 Angriffspunkte viraler Proteine in der Regulation des Zellzyklus – Netzwerks der Regulation des pRb-Proteins, dessen Phosphorylierung
durch zelluläre Cyclin-D/cdk4- oder Cyclin-D/cdk6-Komplexe den Übergang von der G1- in die S-Phase des Zellzyklus reguliert (. Abb. 54.2). Die Proteine
verschiedener Viren sind in unterschiedlichen Farben dargestellt. Details im Text

54.2.4 Eingreifen in intrazelluläre Signalwege Diese Wachstumssignale werden von 2 EBV-Proteinen, LMP-1
und LMP-2a (latente Membranproteine 1 und 2a), vermittelt, die
Viele Viren, nicht nur onkogene, »bedienen sich« in verschiedenen während der latenten Persistenz des EBV in den RS-Zellen expri-
Abschnitten ihres Lebenszyklus intrazellulärer Signalkaskaden, um miert sind (. Abb. 54.4):
ihre eigene Replikation zu fördern oder ihr langfristiges Überleben 4 LMP-1 rekrutiert intrazelluläre Signalmoleküle (TRAF,
in latent infizierten Zellen zu ermöglichen. In einigen Fällen kann TRADD) und induziert Signalketten (NFκB, JNK etc.), die für
dies dazu führen, dass eine Zelle infolge einer deregulierten Stimu- das zelluläre CD40-Molekül typisch sind. CD40 vermittelt nor-
lation unkontrolliert zu proliferieren beginnt und sich daraus, nach malerweise ein kostimulatorisches Signal, das die B-Zelle zu-
Auftreten weiterer genetischer »Unfälle« (z. B. Mutationen, Chro- sätzlich zum durch den B-Zell-Rezeptor vermittelten Signal für
mosomenaberrationen) ein Tumor entwickelt. ihre Proliferation und Expansion benötigt.
4 Das LMP-2a Molekül des EBV imitiert das durch den B-Zell-
jEpstein-Barr-Virus (EBV) Rezeptor vermittelte Signal.
EBV liefert ein typisches Beispiel für dieses Szenario (7 Kap. 71). Es
infiziert mehr als 90 % aller Erwachsenen und wird für eine Reihe Zusammen »täuschen« die beiden viralen Proteine der B-Zelle vor,
menschlicher Tumoren verantwortlich gemacht (. Tab. 54.1). Beim sie habe Kontakt mit ihrem Antigen gehabt und solle expandieren.
Virologie

Morbus Hodgkin, einem der häufigsten Tumoren im jungen Er- Für EBV dient diese Strategie dazu, latent infizierte B-Zellen am
wachsenenalter, findet sich EBV in den Reed-Sternberg-(RS-)Zellen Leben zu erhalten, in denen es ja langfristig persistiert (. Abb. 54.5;
von etwa der Hälfte der Fälle dieses Lymphoms (ca. 25‒50 % in in- 7 Kap. 71). Als »Nebenwirkung« kommt es dabei gelegentlich zum
dustrialisierten Ländern; mehr als 65 % in Entwicklungsländern). Auftreten von durch EBV verursachten Lymphomen wie dem Mor-
Die RS-Zellen stammen von B-Lymphozyten des Keimzentrums bus Hodgkin.
ab, die nach dem Rearrangement der Immunglobulingene und so- Der gleiche Mechanismus spielt mit großer Sicherheit auch eine
matischer Mutation in der Antigenerkennungsregion des B-Zell- Rolle bei der Entstehung von B-Zell Lymphomen bei immunsup-
Rezeptors Fehler aufweisen, aufgrund derer sie eigentlich durch primierten AIDS-Patienten oder Empfängern von Organ- oder
Apoptose eliminiert werden sollten (7 Kap. 12). Man nimmt an, dass Knochenmarktransplantaten.
das in den RS-Zellen vorhandene EBV Wachstumssignale induziert,
die eigentlich vom B-Zell-Rezeptor nach dessen Kontakt mit Anti-
gen bereitgestellt werden und damit der antigenerkennenden B-
Zelle das langfristige Überleben und die Entwicklung zur B-Ge-
dächtniszelle garantieren.
54.2 · Mechanismen der viralen Onkogenese
451 54

a b
. Abb. 54.4a, b Reed-Sternberg-Zellen bei EBV-positivem Fall eines Morbus Hodgkin. Die Färbung mit Antikörpern macht die Expression von LMP-1 (a)
und LMP-2a (b) in den RS-Zellen sichtbar (mit freundl. Genehmigung von Prof. L. Young, Birmingham)

. Abb. 54.5 Ähnlichkeiten der durch LMP-1 und CD40 bzw. LMP-2a und dem B-Zell-Rezeptor ausgelösten intrazellulären Signalkaskaden. Auf diese Weise
»suggeriert« EBV der B-Zelle, sie habe den physiologischen Kontakt mit Antigen durchlaufen (Signal durch B-Zell-Rezeptor) und ein kostimulatorisches
Wachstumssignal der antigenpräsentierenden Zelle (Signal durch CD40) erhalten

54.2.5 Gegen zelluläre Apoptose gerichtete skelett (7 Abschn. 3.4 u. 7 Abschn. 12.11). Dieses Programm wird auf
Mechanismen 2 Wegen ausgelöst (. Abb. 54.6):
4 auf dem extrinsischen Weg, bei dem die Stimulation von
Apoptose, der programmierte Zelltod, stellt eine Form des kontrollier- Rezeptoren auf der Zelloberfläche (z. B. Fas) durch lösliche
ten Untergangs einer Zelle dar, der bei der Elimination nicht mehr Liganden (z. B. Fas-L) oder Zell-Zell-Kontakte die Akti-
benötigter Zellen zur Anwendung kommt, z. B. wenn beim »Abflau- vierung von Procaspase 8 in Gang setzt
en« einer Immunantwort die expandierten, gegen bestimmte Antige- 4 auf dem intrinsischen Weg, bei dem die Aktivierung
ne gerichteten B- oder T-Zellen wieder eliminiert werden. Hierbei der Apoptosekaskade vom Mitochondrium ausgeht;
läuft ein kontrolliertes Programm ab, bei dem bestimmte zelluläre dieser Weg wird z. B. durch DNA-Schäden, zytotoxische
Proteasen, sog. Caspasen, aktiviert werden, die dann Bestandteile der Medikamente, Entzug von Wachstumsfaktoren ausgelöst
Zelle zerstören, wie Kern- und Zytoplasmamembran bzw. das Zyto- (. Abb. 54.6)
452 Kapitel 54 · Humane onkogene Viren

. Abb. 54.6 Aktivierungswege der Apoptose und Beispiele für virale Proteine, die in die Regulation dieser Signalwege eingreifen. Dargestellt sind der
durch Zelloberflächenrezeptoren (z. B. Fas) induzierte »extrinsische« und der von Mitochondrien ausgehende »intrinsische Apoptoseweg«. Die viralen
Proteine vBCL2 (von KSHV/HHV-8), BALF1 sowie BHFR1 (von EBV), vFLIP, vIAP/K7 (beide von KSHV/HHV-8) und E1B19K (Adenovirus) greifen in diese Signal-
wege ein und blockieren damit die Apoptose

In ihrem Bemühen, die infizierte Zelle so lange wie möglich 54.2.6 Immunsuppression
am Leben zu erhalten, um sie möglichst lang als Ort der eigenen
Replikation nutzen zu können, haben viele Viren Mechanismen Eine Reihe von durch Viren verursachten Tumoren (aber nicht alle)
entwickelt, mit denen sie den Ablauf der Apoptosewege blockieren treten bei immunsupprimierten Patienten deutlich häufiger auf als
können. Hierzu gehören z. B. die viralen Homologe des zellulären in der gesunden Bevölkerung. Das wohl dramatischste Beispiel hier-
Anti-Apoptose-Regulators bcl-2. Seine Bedeutung für die Kontrolle für ist das durch KSHV/HHV-8 verursachte Kaposi-Sarkom, das bei
der Expansion von B-Zellen unterstreicht die Beobachtung, dass AIDS-Patienten mehr als 1000-mal häufiger vorkommt als in der
das zelluläre bcl-2 bei manchen B-Zell-Lymphomen mutiert ist und Normalbevölkerung (7 Kap. 66). Auch bei Transplantatempfängern
dadurch deren Proliferation nicht unter Kontrolle halten kann. Beide tritt dieser Tumor ca. 300-mal häufiger auf.
menschlichen onkogenen Herpesviren, EBV und KSHV/HHV-8, Ferner findet sich das durch EBV verursachte großzellige B-
Virologie

enthalten virale Gene, die Ähnlichkeiten mit dem zellulären bcl-2- Zell-Lymphom bei AIDS-Patienten und Transplantatempfängern
Gen aufweisen und deren Proteine funktionell als Apoptoseinhibi- gehäuft. Wie sich aus diesen epidemiologischen Daten ableiten lässt,
toren wirken (. Abb. 54.6). Die beiden viralen Bcl-2 Homologe spielt das Immunsystem eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der
BALF1 und BHRF1 sind für die Transformation von B-Zellen durch beiden onkogenen Herpesviren EBV und KSHV/HHV-8. Die bei
EBV wichtig. Immungeschwächten gesteigerte Reaktivierung dieser latenten Vi-
Als Beispiel für ein virales Protein, das den extrinsischen Weg ren trägt offenbar zur Entstehung dieser Tumoren bei.
der Apoptoseaktivierung blockiert, dient das vFLIP-Protein von Im Fall von EBV kann man zeigen, dass in Abwesenheit EBV-
KSHV/HHV-8, ein Homolog des zellulären Inhibitors FLIP (. Abb. spezifischer T-Zellen vermehrt virale Proteine exprimiert werden,
54.6). Auch andere Viren, z. B. das Adenovirus (E1B19K-Protein), die das Wachstum der EBV-infizierten B-Zellen durch Eingreifen in
enthalten Regulatoren der Apoptosekaskaden. den Zellzyklus (. Abb. 54.3) oder Aktivierung verschiedener zellu-
Neben viralen Proteinen, deren Aufgabe spezifisch die Regula- lärer Gene befördern. Viele dieser viralen Proteine werden von EBV-
tion der Apoptosekaskade zu sein scheint, kann auch die Aktivie- spezifischen T-Zellen erkannt, können also in Anwesenheit eines
rung mancher zellulären Signalwege, z. B. des NFκB-Weges, durch intakten Immunsystems nicht exprimiert werden, ohne dass die
virale Proteine (7 s. o.) antiapoptotische Wirkung haben. betreffende Zelle durch EBV-spezifische T-Zellen zerstört wird.
54.2 · Mechanismen der viralen Onkogenese
453 54

. Abb. 54.7 Verschiedene Latenzstadien des EBV und deren Beziehung zu EBV-assoziierten Tumoren. Nach Infektion einer B-Zelle durch EBV etabliert das
Virus zunächst eine lang anhaltende Persistenz, bei der nur ein Minimalbestand an viralen Genen exprimiert wird. In B-Zellen des peripheren Blutes liegt
Latenz 0 oder I vor (nur Expression von LMP-2A, BARF0 und EBER bzw. EBNA-1). In B-Zellen des Keimzentrums liegt wahrscheinlich Latenz II vor (Expression
von LMP-1 und LMP-2A; . Abb. 54.5). Die Expression dieser beiden viralen Proteine ist typisch für die RS-Zellen des Morbus Hodgkin (. Abb. 54.4) und das
Nasopharyngealkarzinom (NPC). In Abwesenheit EBV-spezifischer T-Zellen kann sich das Virus die Expression weiterer nukleärer Proteine (EBNA-2 bis -5)
»leisten« (Latenz III; siehe Text). Diese tragen zur Transformation der B-Zellen bei und sind typischerweise in den großzelligen B-Zell-Lymphomen der AIDS-
Patienten und Transplantierten zu finden. Schließlich kann das Virus einen vollständigen produktiven Replikationszyklus durchlaufen (7 Kap. 71); soweit
bekannt ist, spielt dieser keine Rolle bei der EBV-verursachten Onkogenese

Das für Immunsupprimierte typische EBV-positive großzellige trum von Wachstumsfaktorrezeptoren zu aktivieren (. Abb. 54.8).
B-Zell-Lymphom enthält EBV-infizierte B-Zellen im Latenz- Vermutlich regt KSHV/HHV-8 mittels vIL-6 auf diese Weise die
stadium III, d. h. mit Expression der viralen Proteine EBNA- Proliferation infizierter sowie benachbarter B-Zellen an und zusätz-
2,3A,B,C und EBNA-5 (. Abb. 54.7). Dieses Latenzstadium III findet lich durch Induktion z. B. des vaskulären endothelialen Wachstums-
sich ebenfalls bei in vitro experimentell durch EBV transformierten faktors (VEGF) die Angiogenese, die charakteristisch für die beim
und kontinuierlich wachsenden B-Zell-Linien. Man kann sich Morbus Castleman gefundene Lymphadenopathie ist.
deshalb vorstellen, dass dieselben Mechanismen, mit denen EBV
in vitro B-Zellen transformieren kann (Expression von LMP-1,
EBNA-2), auch bei immungeschwächten Personen zur Anwendung
kommen.

54.2.7 Autokrine und parakrine Mechanismen

Manche onkogenen Viren enthalten Gene, die mit denen für zellu-
läre Wachstumsfaktoren verwandt sind. In manchen Fällen zeigen
die von diesen viralen Genen kodierten Wachstumsfaktoren ein sehr
viel breiteres Wirkungsspektrum als der entsprechende zelluläre
Wachstumsfaktor und regen deshalb zusätzliche oder andere Zell-
populationen zum Wachstum an. Als Beispiel dient vIL-6, das
IL-6-Homolog des KSHV/HHV-8.
Zelluläres IL-6 ist ein Wachstumsfaktor für B-Zellen und muss
für seine Wirkung mit einem aus 2 Ketten bestehenden Rezeptor-
komplex (α-Kette, gp80; β-Kette, gp130) interagieren. Hierbei ver-
. Abb. 54.8 Wirkungsmechanismus des viralen IL-6-Homologs von KSHV/
mittelt die Interaktion mit der α-Kette die Spezifität, während die
HHV-8 im Vergleich zum zellulären B-Zell-Wachstumsfaktor IL-6: Während
mit intrazellulären Signalkomponenten interagierende β-Kette die zelluläres IL-6 zur Auslösung von Wachstumssignalen in der Zelle an einen
Signalübertragung gewährleistet. Diese β-Kette teilt der IL-6-Rezep- aus 2 Ketten bestehenden Rezeptorkomplex binden muss, ist vIL-6 allein
tor mit anderen verwandten Rezeptoren für zelluläre Wachstums- durch Bindung an die β-Kette/gp130 in der Lage, die Signalübertragung
faktoren. nicht nur in B-Zellen, sondern auch auf anderen Zellen zu induzieren, die
Im Unterschied zum zellulären IL-6 ist das virale IL-6 in der dieselbe β-Kette als Teil anderer Wachstumsfaktoren exprimieren. vIL-6
Lage, direkt an die β-Kette zu binden, und damit ein breiteres Spek- wirkt damit sehr viel pleiotroper als zelluläres IL-6
454 Kapitel 54 · Humane onkogene Viren

EBV enthält ebenfalls ein Homolog eines zellulären Interleukins: ten Zelle, in der der DNA-Reparaturmechanismen »abgestellt« sind,
Sein BCRF1-Gen kodiert ein Homolog des zellulären IL-10 (vIL-10). schlechter repariert und die Wahrscheinlichkeit der Entstehung
Bei manchen Viren führt die Induktion zellulärer Signalkaska- eines Tumors stiege an.
den durch virale Proteine (7 s. o.) dazu, dass zelluläre Wachstums- In der Tat gibt es für mehrere durch onkogene Viren verursachte
faktoren in der induzierten Zelle induziert und eine Rolle in der Tumoren epidemiologische Hinweise auf einen derartigen Zusam-
Pathogenese spielen. menhang. So tritt z. B. das EBV-assoziierte Nasopharynxkarzinom
(lymphoepitheliales Karzinom, Schmincke-Tumor) gehäuft im Süd-
osten Chinas, an der nordafrikanischen Mittelmeerküste (Maghreb)
54.2.8 Interferenz mit und in Alaska auf und ist in der Welt ansonsten sehr selten, obwohl
DNA-Reparaturmechanismen EBV weltweit über 90 % aller Erwachsenen infiziert. Epidemiologi-
sche Studien legen nahe, dass Karzinogene in der Nahrung (geräu-
Von manchen Viren ist bekannt, dass sie mit zellulären Mechanis- cherter Fisch, Gewürze?) hier als Kofaktoren wirken.
men der DNA-Reparatur interferieren können. Als Folge erhöht sich Ein weiteres Beispiel stellt das Zusammenwirken von HBV und
die Rate der Mutationen und chromosomalen Aberrationen in infi- Aflatoxinen bei der Entstehung des Leberzellkarzinoms dar. Dies
zierten Zellen. Zu den dabei beteiligten Mechanismen gehört zum führt in manchen Ländern Afrikas zu einem früheren Gipfel in der
einen die schon geschilderte Inaktivierung des p53-Proteins durch Altersverteilung des Leberzellkarzinoms: Während dieser Tumor in
verschiedene onkogene Viren. Dieses spielt als »Wächter des Ge- westlichen Ländern und in China bei über 65-Jährigen am häufigs-
noms« eine wichtige Rolle bei der Überwachung der Integrität der ten auftritt, liegt der Altersgipfel z. B. in Mosambik bei den 25- bis
zellulären Replikationsprozesse (7 Abschn. 54.2.3). Zum anderen 35-Jährigen – das Umweltkarzinogen beschleunigt also das Auftre-
können verschiedene virale Proteine mit Komponenten der DNA- ten dieses Tumors.
Reparatur-Maschinerie (DNA-Mismatch-, Basenexzisions-, Einzel-
strangbruch-Reparatur) interagieren:
4 So interagiert das X-Protein von Hepatitis-B-Virus mit DDB1, 54.4 Zusammenwirken mit anderen Infektionen
einem zellulären Protein, das eine Rolle im Basenexzisions-
reparaturprozess spielt. Neben Umweltkarzinogenen können auch andere Infektionen das
4 Das E6-Protein der Humanen Papillomviren HPV-1, -8, -16 onkogene Potenzial mancher onkogener Viren verstärken.
bindet an XRCC1, ein bei der Reparatur von Einzelstrang-
brüchen beteiligtes zelluläres Protein. jBurkitt-Lymphom
Man unterscheidet beim Burkitt-Lymphom 3 Varianten:
Der Grund dafür, dass Viren die Fähigkeit entwickelt haben, diese 4 Endemisches Burkitt-Lymphom in Afrika:
zellulären Reparaturmechanismen zu unterlaufen, liegt wahrschein- Bei dieser Variante ist fast immer EBV im Tumor nachweisbar;
lich in der folgenden Überlegung: Viele Viren, auch nicht als onko- es ist typisch für Gebiete, in denen Malaria sehr häufig ist, d. h.
gen eingestufte, induzieren als Folge ihrer Replikation in der Zelle den »Malariagürtel« von West- über Zentral- nach Ostafrika.
eine »DNA-damage response«. Da die infizierte Zelle die sich rep- Es gibt gute Hinweise dafür, dass die massive Aktivierung und
lizierenden viralen DNA-Moleküle als abnorme DNA-Strukturen Replikation von B-Zellen, wie sie im Rahmen einer Malaria-
erkennt, initiiert sie unter Vermittlung der zellulären Proteine ATM, infektion vorkommt, in EBV-infizierten Zellen die Chancen
ATR und p53 zum Selbstschutz die Aktivierung von Zellzyklus- für Chromosomentranslokationen erhöht, die für das Burkitt-
Kontrollpunkten oder Apoptose (7 s. o.; . Abb. 54.2; . Abb. 54.3). Lymphom typisch sind. Dabei kommt es zur Translokation des
Um ihre Replikation fortsetzen zu können, brauchen DNA-Viren c-myc-Gens von Chromosom 8 in die Nachbarschaft eines
aber die S-Phase des Zellzyklus und haben deshalb Mechanismen der 3 Immunglobulingene (H-Kette auf Chromosom 14, L-Ket-
zur Abschaltung der »DNA-damage response« der Zelle entwickelt. ten auf den Chromosomen 2 und 22; 7 Kap. 8). Auf diese Weise
In den Fällen, in denen die Virusreplikation zum Tod der Zelle gerät das zelluläre c-myc-Gen, dessen Protein die Zellprolifera-
führt, hat dies keine langfristigen Konsequenzen. Überleben hinge- tion beeinflussen kann, in die Nachbarschaft eines Immun-
gen latent infizierte Zellen, wie sie bei den meisten onkogenen Viren globulingen-Promotors oder -Enhancers und seine Expression
vorkommen (B-Zellen bei EBV; B-Zellen und Endothelzellen beim unterliegt nicht mehr der physiologischen Kontrolle durch
KSHV/HHV-8; Zellen der Basalschicht des Zervixepithels beim seinen eigenen Promotor.
HPV; T-Zellen beim HTLV-1) für längere Zeit, hat bei diesen die 4 Burkitt-Lymphom bei AIDS und Burkitt-Lymphom in west-
»Abschaltung« der »DNA-damage response« folgende Konsequenz: lichen Ländern:
Virologie

Bei der Zellteilung findet keine Überwachung auf Mutationen in Im Unterschied dazu ist das ebenfalls bei AIDS-Patienten ge-
zellulären Genen mehr statt. Vermutlich begünstigt dies das Auftre- häuft vorkommende Burkitt-Lymphom in nur in etwa der
ten von Mutationen in »kritischen« zellulären Genen und damit das Hälfte der Fälle mit EBV assoziiert (7 Kap. 66, 7 Abschn. 71.5),
Auftreten von Tumoren. während EBV bei in westlichen Ländern »spontan« vorkom-
menden Burkitt-Lymphomen in nur 20–40 % im Tumor gefun-
den wird. Allen diesen Varianten ist aber die c-myc-Transloka-
54.3 Steigerung der viralen Onkogenese tion in die Nähe eines Immunglobulinlocus gemeinsam. Sie
durch chemische Karzinogene ist also der entscheidende pathogene Schritt und sein Auftreten
wird von EBV, in Verbindung mit Malaria, entscheidend ge-
Die im vorhergehenden Abschnitt erläuterte Interferenz mancher fördert.
Viren mit zellulären DNA-Reparaturmechanismen lässt erwarten, 4 Kaposi-Sarkom:
dass manche onkogene Viren mit anderen Umweltkarzinogenen zu- Ein weiteres dramatisches Beispiel für das Zusammenwirken
sammenwirken können: Durch Umweltkarzinogene ausgelöste eines onkogenen Virus mit einer anderen Infektionserkran-
DNA-Schäden würden in einer mit einem onkogenen Virus infizier- kung stellt das AIDS-assoziierte Kaposi-Sarkom dar. In der
Literatur
455 54
Abwesenheit von HIV ist das – dann in westlichen Ländern Literatur
»klassisch« genannte Kaposi-Sarkom (7 Kap. 66) – sehr selten:
In zu ca. 20‒30 % mit KSHV/HHV-8 infizierten Bevölkerun- Damania B, Pipas JM (2009) DNA Tumor Viruses. Berlin: Springer.
gen Südeuropas finden sich jedes Jahr ca. 1‒3 klassische Kaposi- Weinberg RA (2007) The Biology of Cancer. Garland Science.
Sarkom-Fälle pro 100.000 Einwohner. Im Unterschied dazu
entwickelt etwa jeder 2. HIV-Infizierte, wenn er sich zusätzlich
mit KSHV/HHV-8 infiziert, innerhalb von 5–10 Jahren ein
Kaposi-Sarkom (7 Kap. 66). Diese Zahlen zeigen eindrücklich,
wie eine weitere Infektionserkrankung, hier HIV, das onkogene
Potenzial eines ansonsten nicht sehr »gefährlichen« Virus
dramatisch steigert.

Bei den dabei beteiligten Mechanismen spielt zum einen sicher die
durch HIV bedingte Immunsuppression eine Rolle: Da KSHV/
HHV-8, wie andere Herpesviren, durch virusspezifische T-Zellen
»in Schach« gehalten wird, kann es als Folge der HIV-induzierten
Immunsuppression verstärkt replizieren und sich ausbreiten (7 s. o.).
Zum anderen wird angenommen, dass bestimmte HIV-Proteine,
z. B. HIV-Tat, oder im Rahmen der AIDS Pathogenese gebildete,
entzündlich wirkende Zytokine potenzierend wirken.

54.5 Rolle der Geweberegeneration

Die in den 7 Abschn. 54.2 erläuterten Mechanismen erklären zumin-


dest teilweise die Wirkung von onkogenen DNA-Viren wie EBV,
KSHV/HHV-8, HPV, HBV oder von Retroviren (HTLV-1, anderen
onkogenen Retroviren bzw. davon abgeleiteten Gentherapievekto-
ren), die latent in der infizierten Zelle persistieren können und ihre
onkogene Wirkung wahrscheinlich zumindest zum großen Teil aus
diesem latenten Stadium heraus entfalten. Hingegen treffen sie
wahrscheinlich für HCV, ein RNA-Virus (7 Kap. 74) nicht zu, da
dieses nicht in der infizierten Zelle persistiert.
Vermutlich erhöht die Regeneration des Lebergewebes im Rah-
men der ‒ durch HBV und/oder HCV ausgelösten ‒ chronischen
Hepatitis und Zirrhose die Wahrscheinlichkeit, dass Mutationen in
der Leberzelle auftreten und damit die Rate der malignen Entartung
steigt.

In Kürze
Humane onkogene Viren
Onkogene Viren Von der WHO anerkannt sind: Humane Papil-
lomviren (Hochrisikotypen), Hepatitis-B-Virus, Hepatitis-C-Virus,
Epstein-Barr-Virus, Kaposi-Sarkom-Herpesvirus / Humanes Her-
pesvirus 8 und Humanes T-lymphotropes Virus 1. Hinzu kommt
das als »wahrscheinlich karzinogen« eingestufte humane Mer-
kel-Zell-Polyomavirus.
Pathogene Mechanismen Onkogene Viren greifen ein in die
Kontrolle des Zellzyklus, in DNA-Reparaturmechanismen, intra-
zelluläre Signalübertragung, Regulation der Apoptose, Sekre-
tion von Zytokinen. Dadurch können sie das Wachstum der per-
manent latent infizierten Zelle beeinflussen. Bei manchen Viren
(z. B. HCV, HBV) spielt die überschießende Regeneration des
im Rahmen der chronischen Infektion durch das Immunsystem
zerstörten Lebergewebes eine Rolle.
Epidemiologie, Übertragung, Lebenszyklus, Diagnose,
Therapie 7 Kap. 55–74 zu einzelnen Viren und Virusfamilien.
457 55

Picornaviren
A. Heim

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_55, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die zur Familie der Picornaviridae (»pico« = klein, rna = »ribonucleic Geschichte
acid«) gehörenden Entero- und Rhinoviren sind die häufigsten Erreger Ein Patient mit typischen Folgeschäden der Poliomyelitis wurde schon auf
von Virusinfektionen des Menschen, da jeder Mensch aufgrund der einem antiken ägyptischen Relief dargestellt. Die Poliomyelitis wurde aber
großen Zahl ihrer Typen (über 200) multiple Infektionen durchmacht. erst durch ihr epidemisches Auftreten im 20. Jahrhundert zu einer wegen
ihrer Folgeschäden (»Kinderlähmung«) weltweit gefürchteten Virusinfektion.
Obwohl die meisten Picornavirus-Infektionen nur milde Erkrankungen
Bei ihrer Erforschung wurden grundlegende virologische Techniken (z. B.
verursachen, haben einige Enterovirustypen eine große klinische und
Virusisolation auf Zellkulturen) entwickelt und zahlreiche andere Viren ent-
epidemiologische Bedeutung, so z. B. die Polioviren als Erreger der Po-
deckt, z. B. die sehr ähnlichen Coxsackie- und ECHO-Viren, aber auch die
liomyelitis (»Kinderlähmung«). Zahlreiche andere Enteroviren (inkl. Adenoviren (7 Kap. 70). Coxsackie ist ein Ort im US-Bundesstaat New York,
Coxsackie-Virus, ECHO-Virustypen) und die Parechoviren sind die Ätio- in dem die Erstisolierung erfolgte; ECHO ist das Akronym für »enteric, cyto-
logie einer Vielzahl von Krankheitsbildern wie z. B. der aseptische Me- pathic, human, orphan (= Waise)«, also für in Zellkultur identifizierbare, huma-
ningitis, Sommergrippe, Enzephalitis und Myokarditis. Auch eine Reihe ne enterische Viren, die bei ihrer Entdeckung ohne Krankheitsbezug waren.
schwerer Erkrankungen (Diabetes mellitus Typ 1, dilatative Kardiomyo-
pathie) wird bei genetisch prädisponierten Individuen wahrscheinlich jEinteilung
durch Enterovirus-Infektionen ausgelöst. Man unterscheidet bei den Picornaviren neben zahlreichen bislang
Außerdem gehört zu den Picornaviridae eine Vielzahl von Rhinoviren, klinisch unauffälligen Virengruppen 5 Genera, die eine Vielzahl
diese sind die häufigsten Erreger von Erkältungskrankheiten (»com- humanpathogener Viren beinhalten:
mon cold«), sie können aber bei immunsupprimierten Patienten 4 Enteroviren (mit den Rhino-, Polio-, ECHO- und Coxsackie-
gelegentlich schwere respiratorische Infekte des unteren Respirations- Viren)
trakts verursachen. Der Erreger der Hepatitis A ist ebenfalls ein Picor- 4 Parechoviren
navirus, wird aber bei den Hepatitisviren in 7 Kap. 72 beschrieben. 4 Kobuviren (mit Aichivirus, einem Gastroenteritiserreger)
4 Saliviren (Salivirus und Klassevirus, Gastroenteritiserreger)
4 Hepatoviren (Hepatitis-A-Virus, in 7 Kap. 72 beschrieben)
Steckbrief
Zum Genus Cardiovirus gehören einige als humanpathogen be-
Sehr kleine (25–30 nm Durchmesser), ikosaedrische Viren mit
schriebene Viren (Vilyuisk Human Encephalomyelitis Virus [VHEV]
einer nur ca. 7,5 kb langen Einzelstrang-RNA als Genom. Die ge-
und Saffoldvirus [SAFV]), deren klinische Bedeutung aber gering zu
nomische ssRNA dient unmittelbar als mRNA (»Plus-Strang«)
sein scheint bzw. umstritten ist und auf die hier nicht weiter eingegan-
und besitzt partiell doppelsträngige Sekundärstrukturen, die
gen wird. Selten werden beim Menschen auch Zoonosen mit Viren
direkt an Ribosomen binden (»internal ribosomal entry site«,
des Genus Aphthovirus (dazu gehört das Maul-und-Klauenseuche-
IRES). Enteroviren sind säurestabil und können deshalb respira-
Virus [»foot-and-mouth disease virus«, FMDV]) beobachtet.
torische und gastrointestinale Infektionen verursachen, wohin-
gegen Rhinoviren dies nicht sind und lediglich Infektionen des –
jGenom
meist nur oberen – Respirationstrakts verursachen.
Die RNA liegt im Virion als einzelsträngige Plusstrang-RNA [(+)
ssRNA] vor, die als mRNA dient und an deren 5’-Ende ein kleines
Genom: 7,5 kb, ss(+)-RNA virales Peptid (VPg) gebunden ist. Das Genom besteht aus einer
Virusgröße: 30 nm
nichtkodierenden Region am 5’-Ende, einer kodierenden Region für
RNA ein Polyprotein sowie einer nichtkodierenden Region am 3’-Ende
des Moleküls, gefolgt von einer Poly-A-Sequenz. Die nichtkodieren-
den Regionen bilden partiell doppelsträngige Sekundärstrukturen
aus, mit denen die 5’-nichtkodierende Region direkt an das Ribosom
bindet (»internal ribosomal entry site«, IRES) und die Translation
der genomischen RNA startet. Virulenzeigenschaften des Genoms
Kapsid
sind in der nichtkodierenden Region und der Kapsidregion lokali-
siert.

jMorphologie
Alle Picornaviren bestehen aus einem unbehüllten Kapsid in Ikosa-
ederform und einer linearen Plusstrang-RNA als Genom. Bei der
Translation des Genoms entsteht zunächst ein Polyprotein, das sich
autokatalytisch in die 4 Strukturproteine VP1–4 und die Nichtstruk-
458 Kapitel 55 · Picornaviren

turproteine spaltet. Die Strukturproteine VP1–3 bilden die Oberflä- besserem Hygienestandard (in den Industrieländern im frühen
che des ikoseadrischen Kapsids, das charakteristische canyonartige 20. Jahrhundert) wurden vor allem Vorschul- und Schulkinder infi-
Vertiefungen aufweist, die jeweils die 5-fache Symmetrieachse um- ziert und es kam trotz niedrigem Manifestationsindex zum gefürch-
geben. Mit der Canyonstruktur binden Picornaviren an ihre zellulä- teten epidemischen Auftreten der »Kinderlähmung«. Bei noch bes-
ren Rezeptoren. Das VP4-Protein befindet sich auf der Kapsidinnen- seren Lebensverhältnissen verschob sich das Lebensalter der Erstin-
seite. fektion mit dem Virus zur Adoleszenz hin und die von der Infektion
verschonten Kinder können als Erwachsene erkranken: »Erwachse-
jZüchtung nenlähmung«.
Polio-, Coxsackie-B-, ECHO-, Entero- und die meisten Coxsackie-A- Durch Anwendung des Salk-Impfstoffs (IPV) sank schließlich
Viren lassen sich gut auf Affennierenzellen züchten. Einige Coxsa- die Inzidenz in den Jahren 1955–1960 von 13,9 auf 0,5 Fälle pro
ckie-A-Viren können nur im Tierversuch (Babymäuse) isoliert und 100.000 Einwohner. Die weltweite Anwendung der Sabin-Schluck-
dann auf Zellkulturen passagiert werden. impfung (OPV) im Rahmen des WHO-Polioeradikationspro-
gramms hat die Zahl weiter reduziert: 2010 gab es nur noch 1349 Er-
jResistenz krankungen weltweit (!), betroffen waren hauptsächlich West- und
Die Enteroviren sind empfindlich gegenüber Austrocknung und Zentralafrika, Pakistan und Afghanistan. Durch Impfverweigerung
mäßigem Erhitzen (50 °C), sie sind jedoch etherresistent und sehr im islamischen Westafrika kam es primär regional zu einem Aus-
säurestabil (Magenpassage). In Abwässern lassen sie sich lange Zeit bruch von Typ-1-Polioinfektionen, die auch durch Hadschpilger in
nachweisen. Rhinoviren sind im Gegensatz dazu nur bei pH 6,0–7,5 der islamischen Welt verbreitet wurden. Durch Einführung einer
stabil und sehr temperaturempfindlich. Polioimpfpflicht für Hadschpilger und weitere Impfinitiativen kam
dieser Ausbruch unter Kontrolle, 2014 wurden weltweit nur noch
359 Poliofälle gezählt.
55.1 Polioviren
kÜbertragung
Polioviren sind die Erreger der spinalen Kinderlähmung oder Polio- Die Übertragung erfolgt direkt von Mensch zu Mensch meist fäkal-
myelitis (Polio) und sollen durch ein weltweites WHO-Impfprogramm oral. Als Vehikel dienen verunreinigte Hände, Gebrauchsgegenstän-
ausgerottet werden (Polioeradikation). Die 3 Poliovirustypen werden de (Schmierinfektion), Wasser (in Ländern mit schlechtem Hygiene-
der Spezies Humanes Enterovirus C zugeordnet. Poliovirustyp 2 gilt standard Trinkwasser, sonst oft auch Badegewässer) und Fliegen.
inzwischen als ausgerottet. Die beiden anderen Typen treten nach wie Die Verbreitungspotenz des Virus ist sehr groß. Auch spielt die In-
vor in einigen Ländern Afrikas und Asiens auf. Europa und Amerika fektion durch Speichel im Sinne einer Schmier- und Tröpfcheninfek-
sind inzwischen poliofrei, es besteht aber noch die Gefahr von Ein- tion eine wichtige Rolle. Die Ausscheidung des Virus im Stuhl dauert
schleppungen aus Endemiegebieten. Viele Infektionen verlaufen nach apparenter und inapparenter Infektion etwa 6–8 Wochen, ge-
inapparent. Es gibt 2 Impfstoffe: IPV und OPV (inaktivierte bzw. orale legentlich mehrere Monate, bei Immundefekten mehrere Jahre.
attenuierte Poliovakzine).
kPathogenese
Geschichte
Die Poliomyelitis ist das Musterbeispiel für die Entstehung einer
Die spinale Kinderlähmung wurde 1840 als Heine-Medin’sche Krankheit be-
schrieben. 1909 übertrugen Landsteiner und Popper das damals weit ver-
Viruskrankheit durch einen direkten virusbedingten Zellschaden.
breitete Virus auf Affen. 1920 erkrankte der spätere US-Präsident Franklin Das Poliovirus ist primär enterotrop, es infiziert nur selten das
D. Roosevelt an Poliomyelitis. Ihm ist die Gründung einer Stiftung zu verdan- ZNS. Seine Rezeptoren auf der Zellmembran hat man als Moleküle
ken, die für die Bekämpfung der Poliomyelitis und darüber hinaus für die der Immunglobulin-Superfamilie (CD155) identifiziert. Den »host-
Entwicklung der Virologie entscheidend war. protein-shutoff« (7 Kap. 52, 7 Kap. 53) löst eine viruskodierte Pro-
1949 gelang es den späteren Nobelpreisträgern Enders, Weller und Robbins, tease aus, die einen Initiationsfaktor für die Translation zerstört,
Poliovirus in nichtneuralen Zellen (Affennieren-Zelllinien) zu züchten und wohingegen die virale mRNA durch direkte Bindung ihrer nicht-
erstmals den »zytopathischen Effekt« (CPE) in diesen Zellkulturen nachzu- translatierten 5’-Region ans Ribosom (»internal ribosomal entry
weisen. Erst diese Entdeckung machte die Züchtung der Viren in vitro und
site«, IRES) translatiert wird. Die Zelle stirbt durch Apoptose.
die Entwicklung von Impfstoffen durch Salk (IPV) und Sabin (OPV) möglich.
Hinsichtlich der Virusausbreitung im Organismus lassen sich
5 Stadien des Infektionsverlaufs unterscheiden (. Abb. 55.1):
1. Lokale Infektion: Vermehrung des Virus in den Zellen der
55.1.1 Rolle als Krankheitserreger Rachen- und Darmschleimhaut sowie in Tonsillen und Peyer-
Virologie

Plaques. Die Schleimhäute des Nasenrachens und des Darms


kVorkommen scheiden das Virus aus.
Virusreservoir und alleinige Infektionsquelle sind der Nasen-Ra- 2. Invasion durch Einbruch des Virus in die Lymphknoten und
chen-Raum und der Darmkanal von Menschen. Entsprechend der in die Blutbahn (primäre Virämie): »Vorkrankheit«. Hierbei
Ausscheidung des Virus in Fäkalien findet sich das Virus in Abwäs- fängt das Immunsystem viele Viren ab und baut sie ab. In
sern und gelegentlich in Freibädern. einem 2. Schub gelangt das Virus nach Vermehrung in den
Lymphknoten erneut in die Blutbahn (sekundäre Virämie)
kEpidemiologie und besiedelt das Rückenmark.
Sommer und Frühherbst waren bei der Ausbreitung des Poliovirus 3. Befall des »Zielorgans« mit erneuter Vermehrung. Das Virus
in den gemäßigten Klimazonen die bevorzugten Jahreszeiten. Die gelangt durch die Blut-Liquor-Schranke in den Meningeal-
Poliomyelitis ist das Musterbeispiel einer Krankheit mit einer hoher raum. Über die Endothelien kleiner Gefäße infiziert es die
Quote an stiller Durchseuchung bei niedrigem Manifestationsindex. motorischen Vorderhornzellen des Rückenmarks und ver-
In Ländern mit niedrigem Hygienestandard und ohne Schutzimp- mehrt sich darin. Dies führt zur Schädigung und zum Unter-
fung wurden bereits die Kleinkinder voll durchseucht. Bei etwas gang der Motoneurone (»Neuronophagie«) und damit zu
55.1 · Polioviren
459 55
schlaffen Lähmungen z. B. eines Beines (spinale Form der Im 1. Lebenshalbjahr schützt meist noch mütterliches IgG gegen
Poliomyelitis). Pathohistologisch findet man in den befallenen eine Erkrankung (Leihimmunität). Die durch Infektion mit Wild-
Bezirken des ZNS perivaskuläre Infiltrate. Die nekrotischen stämmen erworbene Immunität kann auf zweierlei Weise wirksam
Ganglienzellen sind von Infiltraten monozytärer Zellen umge- werden:
ben. Polioviren können das ZNS auch durch Transport entlang 4 IgA: lokal auf der Schleimhaut des Darms und des oberen
von Nervenfasern erreichen. Wunden im Rachenraum (Ton- Respirationstrakts, verhindert die Infektion
sillektomie) ermöglichen den Eintritt in die Nervenfasern und 4 IgG: systemisch; verhindert vor allem die Virämie und
können die gefürchteten Bulbärparalysen (bulbäre Form der Infektion des ZNS
Poliomyelitis) hervorrufen. In seltenen Fällen kann das Hinter-
horn der grauen Rückenmarkssubstanz und aszendierend das Die lange Dauer der natürlichen Polioimmunität beruht vermutlich
Gehirn befallen werden (→ Enzephalitis mit nahezu 100 %iger darauf, dass beim Nachlassen der Immunität unbemerkt verlaufende
Letalität). Zusätzlich zur ZNS-Infektion beobachtet man bei Neuinfektionen als »Booster« wirken.
der Poliomyelitis manchmal eine Infektion des Myokards.
4. Viruselimination in der Rekonvaleszenz. Diese ist bei der Polio kPrävention
und den übrigen Picornavirus-Infektionen vollständig. Hierfür Impfstoffe Für die Schutzimpfung stehen 2 Impfstoffe zur Verfü-
sind neben Interferon v. a. humorale Antikörper verantwort- gung, IPV (inaktivierte Poliovakzine) und OPV (orale Poliovakzi-
lich. Ihre Bedeutung geht aus dem mangelhaften Impfschutz ne). In Deutschland wird jetzt routinemäßig nur noch IPV angewen-
und aus Einzelfällen von Polioviruspersistenz bei Agamma- det, OPV steht in Deutschland nur noch für Riegelungsimpfungen
globulinämie hervor. bei (seit vielen Jahren glücklicherweise nicht mehr beobachteten)
Persistierende Infektionen mit Virusausscheidung (Polio-, Polioeinschleppungen bzw. -ausbrüchen zur Verfügung.
Coxsackie-, ECHO-Viren) hat man bei Patienten defektem
humoralem Immunsystem festgestellt (z. B. bei »common IPV Nach seinem Entwickler auch Salk-Vakzine genannter Totimpf-
variable immunodeficiency«, CVID). stoff. Er besteht aus formalininaktiviertem, gereinigtem Poliovirus
5. Rekonstitution bzw. Defektheilung: Bei milden Verlaufs- der 3 Typen (»trivalent«). Die Anwendung erfolgt durch intramus-
formen kann sich die Parese eines Muskels bzw. einer Muskel- kuläre Injektion. IPV ist auch als Kombinationsimpfstoff mit ande-
gruppe scheinbar vollständig zurückbilden, wenn intakte, ren Antigenen (z. B. Tetanus und Diphtherie) erhältlich.
nicht untergegangene Motoneurone kompensatorisch benach-
barte Muskelfaszikel stimulieren. Häufig sind aber Defekt- OPV Dieser nach seinem Entwickler auch Sabin-Vakzine genannte
heilungen mit Paresen und trophischen Störungen. Selten ist Impfstoff ist seit 1961 als »Schluckimpfung« in Gebrauch. Er be-
das Postpoliosyndrom, d. h. fortschreitende Lähmungen steht aus lebenden, durch Mutation und Selektion abgeschwächten
viele Jahre nach der Erstlähmung. Es entsteht nach Jahren (attenuierten) Polioviren der 3 Typen (»trivalent«). Dabei ist die
durch Überlastung und Schädigung der erhaltenen Moto- Neurovirulenz stark reduziert, während Infektiosität und Antigeni-
neuronen. tät erhalten bleiben. Der Impfstoff wird vom Impfling über den
Magen-Darm-Kanal aufgenommen und erzeugt eine inapparente
kKlinik Infektion. Vorteilhaft ist die gute Induktion einer IgA-Schleimhaut-
Die Inkubationszeit beträgt für die klinisch manifesten Fälle immunität.
5–10 Tage, sonst 1–2 Wochen. Nach dem Schweregrad des Krank- Das WHO-Polioeradikationsprogramm verwendet weltweit
heitsbildes unterscheidet man 4 Verlaufsformen (. Abb. 55.1): OPV, lediglich in hochentwickelten, bereits poliofreien Regionen
4 inapparenter Verlauf – weitaus am häufigsten (90–95 %) wird IPV eingesetzt. Grund dafür ist, dass es bei Patienten mit Im-
4 abortiver Verlauf: katarrhalische Symptome (»minor illness«) mundefekten (insbesondere Agammaglobulinämien) zu einer
– leichte, uncharakteristische Symptome einer »Sommer- mehrjähriger Impfviruspersistenz und Ausscheidung und schließ-
grippe« und Gastroenteritis (4–8 %) lich auch zur Rückmutationen des OPV zu neurovirulenten Viren
4 Meningitis ohne Lähmungen: lymphozytäre Zellvermehrung und Lähmungen kommt. OPV ist deshalb bei Immundefekten und
im klaren Liquor (»aseptische Meningitis«) (1–2 %) Immunsuppression kontraindiziert.
4 paralytische Form (0,1–2 %): Charakteristisch sind schlaffe Die WHO hofft, die Polio ausrotten zu können und überwacht
Lähmungen, vornehmlich an der Extremitätenmuskulatur, die Polioepidemiologie durch Erfassung schlaffer Lähmungen
aber auch an den Atemmuskeln (»major illness«). In schweren (»acute flaccid paresis«, AFP) und gezielte Labordiagnostik (Polio-
Fällen verläuft die Poliomyelitis als Meningoenzephalomyelitis. nachweis in Stuhlproben) bei diesem Krankheitsbild. Eine große
Der Tod kann durch Atemlähmung oder Herzversagen eintre- Gefahr erwächst jedoch aus der zunehmenden Impfmüdigkeit in
ten. Die Lähmungen bilden sich, sofern der Patient überlebt, den schon poliofreien Regionen und der Einschleppung von Polio-
häufig zurück. Infektionen verlaufen bei älteren Kindern und Wildvirus aus den verbleibenden Endemiegebieten, etwa durch Aus-
Erwachsenen oft schwerer als bei Kleinkindern. landsreisende und Migranten.
4 Postpoliosyndrom: nach Jahrzehnten treten Lähmungen auf,
die auf einem zunehmenden Ausfall subklinisch vorgeschädig- kLabordiagnose
ter Neuronen beruhen (selten). Die WHO fordert bei Polioverdacht die Untersuchung von Stuhl-
proben (ggf. auch Analabstrichen) auf die Anwesenheit des Virus
kImmunität durch Virusanzucht auf Zellkulturen (z. B. Affennierenzellen) oder
Die nach einer natürlichen Polioinfektion auftretende Immunität ist durch RT-PCR. Bei einer Poliovirusinfektion lässt sich das Virus
humoral und typenspezifisch. Vor Einführung der Schutzimpfung meist für einige Monate im Stuhl nachweisen. Mittels der sensitive-
hat in Mitteleuropa ein großer Teil der Bevölkerung eine inapparente ren RT-PCR kann z. B bei unklaren Fällen von Lähmungen auch der
Infektion mit Wildstämmen durchgemacht und dadurch eine »stille Poliovirusnachweis im Liquor cerebrospinalis oder in Materialien
Feiung« erworben. aus dem oberen Respirationstrakt gelingen.
460 Kapitel 55 · Picornaviren

. Abb. 55.1 Pathogenese der Poliomyelitis. Dargestellt sind der Verlauf der Körpertemperatur, Symptome, Vorhandensein von Virus und Virusausscheidung
sowie Antikörperbildung

Typspezifische Anstiege der Antikörper gegen die 3 Polio-


virustypen lassen sich durch den Neutralisationstest bestimmen. In Kürze
Diese Methode ist insbesondere auch für Immunitätsbestimmungen Polioviren
nach IPV-Impfung bei Immunsupprimierten sinnvoll. Andere sero- Virus Genus: Enterovirus, Spezies: Humanes Enterovirus C. (+)
logische Methoden (KBR, IgM-, IgA- und IgG-ELISA) haben wegen ssRNA-Virus Typ 1, 2 und 3. Ikosaeder mit 25–30 nm Durchmes-
unklarer Kreuzreaktivitäten und multiplen sequenziellen Infek- ser. Etherresistent. Virus in Umwelt sehr stabil, transportstabil.
tionen mit unterschiedlichen Typen nur geringe diagnostische Be- Vorkommen Virusreservoir sind Nasen-Rachen-Raum und
Virologie

deutung. Darmkanal. Ausscheidung als Aerosol sowie im Stuhl. Virus in


Abwässern, fäkal verunreinigtem Trinkwasser und Badegewäs-
kTherapie sern. Meist nur im Sommerhalbjahr.
Die Therapie ist symptomatisch. Bei Beeinträchtigung der Atem- Epidemiologie Weltweit nur noch wenige Länder mit endemi-
funktion wird künstlich beatmet (früher: »eiserne Lunge«). Notwen- schem Poliovirus, aber Einschleppung in »poliofreie« Länder
dig sind lang dauernde Rehabilitationsmaßnahmen. durch Reiseverkehr möglich. Hierbei stellt »Impfmüdigkeit«
bzw. Ablehnung von Impfungen aus »weltanschaulichen Grün-
Meldepflicht Bei Verdacht, Erkrankung oder Tod an Poliomyelitis; den« ein Problem dar.
bei Erregernachweis sowie bei allen Erkrankungen mit schlaffen Übertragung Schmutz- und Schmierinfektion, Aerosolüber-
Lähmungen (AFP). tragung, fäkal verunreinigtes Trinkwasser bzw. Badegewässer.
Pathogenese Ausbreitung von Nasen-Rachen-, Magen- und
Darmschleimhaut über Lymph- und Blutgefäße mit dem Blut
(2 Virämiephasen), Eindringen und Replikation in Rückenmark
55.2 · Enterovirus Spezies A–D (Nicht-Polio-Enteroviren inkl. Coxsackie- und Echo-Viren)
461 55
Auch die Polioviren (7 Abschn. 55.1) und Rhinoviren (7 Abschn.
und Gehirn. Virusbedingte Schäden an motorischen Vorderhorn- 55.3) gehören zum Genus Enterovirus, werden aber aufgrund ihrer
zellen führen zur typischen schlaffen Lähmung. Inkubations- unterschiedlichen klinischen Bedeutung in eigenen Unterkapiteln
periode 5–10 Tage. Weniger als 1 % der Infizierten erkranken an besprochen. Das Genus Enterovirus wird aufgrund molekularphy-
Lähmungen, Infektionen meist inapparent. logenetischer Kriterien in 7 humanpathogene Spezies eingeteilt:
Klinik Typisches Leitsymptom: schlaffe Lähmungen (»major 4 Humanes Enterovirus A (mit 25 humanpathogenen Typen;
illness«), in schweren Fällen auch Atemlähmung, selten darunter Coxsackie-A-Typen)
Enzephalitis mit hoher Letalität; Defektheilungen mit persistie- 4 Humanes Enterovirus B (mit 61 humanpathogenen Typen;
renden Paresen, Postpoliosyndrom. Abortive Verläufe aber am darunter Coxsackie-A-, ECHO- und alle Coxsackie-B-Typen)
häufigsten, manchmal »Sommergrippe« (»minor illness«). 4 Humanes Enterovirus C (mit 23 humanpathogenen Typen;
Immunität IgG-, und IgA-Schleimhaut-Antikörper. Keine Kreuz- darunter die Polio- [7 Abschn. 55.1] und Coxsackie-A-Typen)
immunität zwischen den Poliovirustypen bzw. zu anderen Entero- 4 Humanes Enterovirus D (mit 5 humanpathogenen Enterovirus-
viren. Bedeutung der zellulären Immunität eher gering bzw. um- typen)
stritten. 4 Humanes Rhinovirus A (mit 80 humanpathogenen
Diagnose Virusisolierung in Zellkulturen und/oder RT-PCR Rhinovirustypen, 7 Abschn. 55.3)
aus Stuhlproben (WHO-Empfehlung), auch aus Liquor, Rachen- 4 Humanes Rhinovirus B (mit 32 humanpathogenen
spülwasser und Rachenabstrichen. Antikörperbestimmung im Rhinovirustypen) 7 Abschn. 55.3)
Neutralisationstest meist nur zur Immunitätsbestimmung ge- 4 Humanes Rhinovirus C (mit 54 humanpathogenen
nutzt. DD: andere Enteroviren, West-Nil-Virus u. v. a. Meningo- Rhinovirustypen) 7 Abschn. 55.3)
enzephalitiserreger.
Therapie Keine spezifische Therapie, symptomatisch, künstliche Ursprünglich wurden die Typen durch Kreuzneutralisation als Sero-
Beatmung, Rehabilitationsmaßnahmen. typen definiert. Die neueren Typen werden jedoch aufgrund von
Prävention Grundimmunisierung mit trivalentem IPV-(Salk-) Sequenzdaten (Neutralisationsepitop im Kapsidprotein VP1) ein-
Impfstoff, Auffrischungen mit Salk-(IPV-)Impfstoff insbesondere geteilt. Eine genaue und aktuelle Zusammenstellung der Typen der
bei Reisen in Endemiegebiete. In fixen Impfstoffkombinationen Spezies Enterovirus findet sich unter www.picornaviridae.com/
erhältlich zur Vereinfachung der Impfschemata. enterovirus/enterovirus.htm.
Meldepflicht Verdacht, Erkrankung, Tod. Erregernachweis, . Tab. 55.1 gibt einen Überblick über die von Enteroviren verur-
schlaffe Lähmungen! sachten Erkrankungen.

kEpidemiologie
Die verschiedenen Enterovirusspezies sind in der ganzen Welt ver-
55.2 Enterovirus Spezies A–D breitet. Innerhalb eines Haushalts ist eine Ausbreitung meist unver-
(Nicht-Polio-Enteroviren inkl. meidlich, sobald sich ein Familienmitglied infiziert. In einer Popu-
Coxsackie- und ECHO-Viren) lation können mehrere Typen gleichzeitig zirkulieren. Kinder sind
ein wichtiges Reservoir. Gefürchtet sind nosokomiale Ausbrüche
Zu den 4 Enterovirus-Spezies A–D gehören neben den besonders be- auf Neugeborenenstationen, bei denen es häufig zu lebensbedrohli-
deutenden 3 Poliovirustypen (7 Abschn. 55.1) über 100 andere Entero- cher Myokarditis kommt. Die meisten Infektionen verlaufen aber
virustypen. Die klinische Bedeutung dieser Viren reicht von asympto- symptomlos oder mit milder Symptomatik und werden deshalb oft
matischen Verläufen bis zu tödlichen Erkrankungen, wobei Tropismus nicht diagnostiziert.
und Virulenz zumindest teilweise typassoziiert sind. Häufig werden
Enteroviren bei Erkältungskrankheiten und Sommergrippe mit Gastro- kÜbertragung
enteritis nachgewiesen. Sie sind auch die häufigste Ätiologie der asep- Die Viren werden noch Monate nach der Erkrankung mit dem Stuhl
tischen Meningitis. Es kann je nach Typ auch zu Konjunktivitis, Myositis ausgeschieden. Ihre Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch auf
und Exanthemen kommen. Ein weiteres typisches Krankheitsbild ist fäkal-oralem Wege oder bei Infekten der oberen Luftwege (und der
die Hand-, Fuß- und Mundkrankheit. Eine Enterovirus-(Peri-)Myokardi- Augen) durch Tröpfcheninfektion.
tis kann chronisch verlaufen und zum Tod durch Herzinsuffizienz oder
Rhythmusstörungen führen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass ein Teil kPathogenese
der Typ-1-Diabetes-mellitus-Erkrankungen durch Enterovirus-Infektio- Eintrittspforten sind der Nasen-Rachen Raum und der Dünndarm.
nen ausgelöst wird. Es kommt hier wie bei der Poliomyelitis zur lokalen Vermehrung
der Viren in den Schleimhäuten mit oft typischer Symptomatik
(grippale Symptome, Gastroenteritis). Anschließend kann es zur
55.2.1 Beschreibung und Rolle Generalisierung, zur sekundären Virämie und zur Virusreplikation
als Krankheitserreger in den Zielorganen (Muskeln, Meningen, Pankreas, Herz und Haut)
kommen, die zu verschiedenen Krankheitsbildern führt. Viele En-
kDefinition und Einteilung terovirustypen benutzen das Transmembranprotein CAR (Cox-
Die früher übliche Unterteilung in Entero-, Coxsackie- und ECHO- sackie-Adenovirus-Rezeptor) als zellulären Rezeptor. Die Zellzerstö-
Viren ist heute zugunsten einer phylogenetisch korrekteren Ein- rungen erfolgen durch »host-(protein-)shutoff« und Aktivierung des
teilung in 4 humane Enterovirusspezies A–D aufgegeben worden. Apoptoseweges. Die Infektionen sind in der Regel akut und selbst-
Dabei werden jedoch die traditionellen Serotypnamen wie z. B. limitierend.
Coxsackie-Virus B3 weiterverwendet. Die in neuerer Zeit entdeck- Infektionen mit Enteroviren (insbesondere Coxsackie-B-Viren)
ten Enteroviren werden lediglich den 4 Spezies zugeordnet und mit sind aber auch für die Entstehung einer chronischen Myokarditis
fortlaufenden Typnummern als Enterovirus bezeichnet. und der dilatativen Kardiomyopathie bedeutsam. Mehrere Regio-
462 Kapitel 55 · Picornaviren

. Tab. 55.1 Krankheiten durch Coxsackie-, ECHO- und Enteroviren (Enterovirus-Spezies A–D)

Krankheit Virustyp

ZNS:
Aseptische Meningitis diverse Coxsackie-, Echo- und Enterovirus-Typen, in den letzten Jahren oft ECHO-Virus 30
Lähmung (AFP) Poliovirus 1–3, zahlreiche andere Enteroviren (niedriger Manifestationsindex)
Enzephalitis; Meningoenzephalitis Entero 70, 71; ECHO 2, 6, 9, 19

Skelett- und Herzmuskel:


(Peri-)Myokarditis Typen der Spezies humanes Enterovirus B, insbesondere Coxsackie-Virus B3
Pleurodynie (Bornholm-Krankheit) Typen der Spezies humanes Enterovirus B, insbesondere Coxsackie-B-Typen
Haut und Schleimhaut:
Herpangina Coxsackie A2–6, 8, 10
Hand-Fuß-Mund-Krankheit Entero 71, Coxsackie A6, 16, etc.
Makulopapulöses Exanthem ECHO 2, 4, 5, 9,11, 16, 18 u. v. a., mehrere Coxsackie-A-Typen
Luftwege:
Schnupfen Coxsackie A21 u. 24, A1, A11 etc.
Sommergrippe Coxsackie A und B1–5, ECHO 11, 20, Entero 68 etc.
Pneumonie Entero 68, 74, 78; Coxsackie A16
Auge:
Akute hämorrhagische Konjunktivitis Entero 70, Coxsackie A24
Perinatal:
Myokarditis, Hepatitis, Enzephalitis Coxsackie A und B, ECHO 11 etc.

nen der viralen RNA sind für die Kardiovirulenz verantwortlich. Im Aseptische Meningitis Es kommt zu akut auftretendem Meningis-
Myokard ist persistierende Enterovirus-RNA nachgewiesen worden. mus mit Fieber, Nackensteifheit, Kopfschmerzen und Erbrechen, das
Bei den familiären Formen der dilatativen Kardiomyopathie entsteht oft Kinder und junge Erwachsene betrifft. Das klinische Bild ist pri-
die Erkrankung aber ohne Virusinfektion auf genetischer Basis. mär mit einer Meningokokkenmeningitis zu verwechseln. Im Ge-
gensatz zu dieser aber nur geringgradige Zellvermehrung im Liquor
kKlinik (Lymphozyten, bei sehr früher Punktion aber Granulozyten); selten
Die Inkubationsperiode variiert von 1 Tag bis zu 2–3 Wochen. Die beobachtet man passagere Pseudoparesen aufgrund myalgischer
klinisch wahrnehmbare Infektion verläuft fieberhaft und manch- Muskelschwäche. Fast immer benigner Verlauf der Meningitis mit
mal mit einer der folgenden Manifestationen, wobei sich diese oft Ausheilung in wenigen Tagen. In den letzten Jahren war oft ECHO-
mit einigen Typen assoziieren lassen (. Tab. 55.1):

Schnupfen und Pharyngitis Viele Enterovirustypen erzeugen als


Krankheitsbild einen banalen Schnupfen oder eine fieberhafte Pha-
ryngitis bei Infektion der Schleimhäute. Das Krankheitsbild wird oft
als Sommergrippe beschrieben. Charakteristisch ist dabei neben der
fieberhaften Infektion der oberen Luftwege im Frühjahr, Sommer
Virologie

und Frühherbst oft eine milde Gastroenteritis.

Exantheme Generalisiert, manchmal rötelnähnlich, manchmal als


sog. Hand-Fuß-Mund-Krankheit (Bläschen auf Mundschleimhaut,
Fußsohle und Handinnenfläche; . Abb. 55.2). Erreger ist oft Entero-
virus 71, aber auch einige andere Coxsackie-A-Typen. Nicht ver-
wechselt werden sollte die Hand-Fuß-Mund-Krankheit mit der
durch FMDV (ein Aphthovirus) verursachten Maul- und Klauen-
seuche, die sehr selten auf den Menschen übertragen wird.

Herpangina Mit sehr kleinen Bläschen (meist am weichen Gau-


men) einhergehende fieberhafte, sehr schmerzhafte Rachenentzün-
dung verbunden mit Schluckbeschwerden. Erreger sind meist Cox- . Abb. 55.2 Hand-Fuß-Mund-Krankheit infolge Infektion mit bestimmten
sackie-A-Typen, z. B. 2–6, 8 und 10 (. Abb. 55.3). Enterovirustypen (mit freundl. Genehmigung von Prof. Stögmann, Wien)
55.2 · Enterovirus Spezies A–D (Nicht-Polio-Enteroviren inkl. Coxsackie- und Echo-Viren)
463 55
Typ-1-Diabetes macht man Autoimmunprozesse in Verbindung mit
bestimmten fördernden HLA-Konstellationen (DQA-DQB-DRB)
verantwortlich. Die epidemiologischen Daten sprechen für einen
Infektionsprozess nach dem Hit-and-Run-Prinzip, dem sich im-
munpathologische Vorgänge gegen Inselzellantigene, Glutamin-
säuredecarboxylase etc. anschließen.

kImmunität
Die durch Überstehen der Krankheit erworbene typspezifische Im-
munität ist relativ dauerhaft, sodass ältere Personen seltener infiziert
werden.

kLabordiagnose
Züchtung und RNA-Nachweis (RT-PCR) Während der akuten Phase
. Abb. 55.3 Herpangina durch Coxsackie-Virus (mit freundl. Genehmigung
der Erkrankung untersucht man mehrere Proben von Rachenspül-
von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)
wasser (RSW), Liquor (nur bei ZNS-Symptomatik) und Stuhl (ggf.
auch Analabstriche) auf die Anwesenheit des Virus. Bei Herpangina
Virus 30 bei aseptischer Meningitis nachzuweisen, das Krankheits- und Hand-Fuß-Mund-Krankheit ist der Nachweis auch aus Bläs-
bild kann aber auch durch viele andere Enterovirustypen ausgelöst chenflüssigkeit möglich. Nach Enterovirusinfektionen lässt sich das
werden. Virus für einige Monate im Stuhl nachweisen. Mittels der sensitive-
ren RT-PCR lassen sich bei unklaren Fällen von Lähmungen oder bei
Enzephalitis, Lähmungen Ähnlich wie die verwandten Polioviren Meningitis in Liquor cerebrospinalis und Stuhl viel häufiger Entero-
(7 Abschn. 55.1) können einige andere Enteroviren selten Enzepha- viren nachweisen als früher. Die Untersuchung von Herzbiopsien
litis und periphere schlaffe Lähmungen (»acute flaccid paralysis«; mittels RT-PCR ist differenzialdiagnostisch bei Myokarditispatien-
AFP), sehr selten auch Bulbärparalysen hervorrufen. ten hilfreich.

Hämorrhagische Konjunktivitis Das Coxsackie-A24-Virus und Nachweis von Antikörpern Serologische Methoden (KBR, IgM-,
Enterovirus 70 erzeugen ausgedehnte Epidemien von akuter, meist IgA- und IgG-ELISA) haben wegen unklarer Kreuzreaktivitäten und
hämorrhagischer Konjunktivitis. Die Erkrankungen treten pande- multiplen sequenziellen Infektionen mit unterschiedlichen Typen
misch/epidemisch vorzugsweise in dicht bevölkerten Städten und nur geringe diagnostische Bedeutung.
tropischen Regionen (Nord- und Südamerika, Japan, Indien und
südpazifische Inselwelt) auf. kTherapie
Nur symptomatische Therapie der meist selbstlimitierenden Erkran-
Pleurodynie (Bornholm-Erkrankung, epidemische Myalgie) Die kungen. Bei manchen Enteroviren ist Pleconaril virostatisch wirk-
Patienten klagen über plötzlich auftretendes Fieber mit heftigen sam, das sich in die Tasche des VP1-Kapsidproteins einlagert und
Thoraxschmerzen durch eine trockene Pleuritis, z. T. auch über das Andocken an den Rezeptor bzw. das Uncoating hemmt. Die
Leibschmerzen. Erreger sind meist Coxsackie-B-Typen. therapeutische Breite in klinischen Studien war aber unbefriedigend,
deshalb ist keine Zulassung erfolgt. Die Anwendung von Interferon
Myokarditis Hauptsymptome sind Zyanose, Dyspnoe und Tachy- bei Enterovirus-Myokarditis wird in klinischen Studien untersucht.
kardie. Bei Neugeborenen und Säuglingen verursachen oft Cox-
sackie-B-Typen, aber auch andere Enteroviren eine Myokarditis mit kSchutzimpfung, allgemeine Maßnahmen
hoher Letalität (Säuglingsmyokarditis) z. B. in Kinderkliniken. Tritt Es gibt keine Schutzimpfungen. Allgemeine Hygienemaßnahmen
der Tod nicht ein, so erholen sich die Kinder vollständig. Vermutlich sind empfehlenswert. Meldepflicht besteht nur bei unklaren schlaf-
können Enteroviren auch Aborte (bei Infektion der Mutter in der fen Lähmungen (AFP) (7 Abschn. 55.1).
Schwangerschaft) verursachen und eine Herzschädigung des infi-
zierten Fetus herbeiführen. Die Datenlage ist aber unbefriedigend.
Beim Erwachsenen kommt es zu einer akuten Myokarditis bzw. In Kürze
Myoperikarditis, deren Symptomatik manchmal an einen Herzin- Enterovirusspezies A–D (Nicht-Polio-Enteroviren inkl.
farkt erinnert. Coxsackie-Virus B3 wird dabei häufig nachgewiesen Coxsackie- und ECHO-Viren)
und gilt als kardiotrop. Schätzungsweise 5 % aller apparent verlau- Virus Genus Enterovirus der Picornaviren. (+)ssRNA-Virus wie
fenden Infektionen durch Enteroviren gehen mit subklinischer Be- Polio, transportstabiles Virus.
teiligung des Herzens einher. Die Prognose der Erkrankung beim Vorkommen Virusreservoir sind der Nasen-Rachen-Raum und
Erwachsenen ist besser als beim Neugeborenen, allerdings beobach- der Darmkanal des Menschen. Ausscheidung als Tröpfchen so-
tet man hier auch Fälle chronischer Myokarditis, die als Endstadium wie im Stuhl und Urin. Virus in Abwässern und Freibädern. Meist
zu einer dilatativen Kardiomyopathie führen kann. im Sommerhalbjahr.
Epidemiologie Weltweite endemische Verbreitung und früh-
Akuter Typ-1-Diabetes-mellitus Coxsackie-B4- und Coxsackie- zeitige Durchseuchung. Epidemisches Auftreten einzelner
B5-Infektionen stehen in enger Beziehung zum »insulinabhängigen Typen. Multiple Infektionen mit unterschiedlichen Typen im
Diabetes mellitus« (IDDM). CVB4 repliziert sich in den Inselzellen Lauf des Lebens.
des Pankreas. Autoantikörper gegen Inselzellantigene treten nach Übertragung Ausscheidung mit dem Stuhl, fäkal-orale Über-
Coxsackie-Virusinfektionen auf; die PCR erlaubt jetzt häufig den tragung sowie Tröpfcheninfektion.
Nachweis von Coxsackie-Viren im Blut. Für die Entstehung des
464 Kapitel 55 · Picornaviren

ist hoch, multiple Infektionen durch unterschiedliche Typen im Lauf


Pathogenese Ausbreitung im Organismus wie Polio. Häufigster des Lebens die Regel.
Erreger der aseptischen Meningitis. Myokardbefall kann zu
Kardiomyopathie führen. kPathogenese
Klinik Inkubationsperiode 6–12 Tage. Herpangina, Schnupfen, Rhinoviren befallen nur die Epithelzellen des Respirationstrakts. Sie
Pharyngitis, »Sommergrippe«, Bornholm-Erkrankung, Myoperi- rufen im Allgemeinen nur begrenzte Schädigungen hervor. Es
karditis, dilatative Kardiomyopathie, Meningitis, Exantheme, kommt fast nie zu einer Generalisierung, andere Schleimhäute wer-
Konjunktivitis, Säuglingsmyokarditis, IDDM. DD: Herzinfarkt. den nicht befallen. Schnupfen durch Rhino- und Coronaviren läuft
Immunität Relativ dauerhafte Immunität, serologische Kreuz- in gleicher Weise ab. Man nimmt daher an, dass ihnen ein gleichar-
reaktionen, aber kaum Kreuzimmunität. tiger Entzündungsmechanismus zugrunde liegt. Die Symptome be-
Diagnose Direkter Nachweis mit RT-PCR und/oder Isolierung ruhen auf einer Hyperämie mit Hypersekretion seromukösen
in Zellkulturen und aus der Babymaus, aus Rachenspülwasser, Schleims sowie einer akuten Entzündung der Schleimhaut. Die
Stuhl, Liquor, Herzmuskelbiopsie. Typisierung im Neutralisations- größte Menge an Rhinovirus lässt sich nachweisen, wenn die seröse
test bzw. durch Sequenzierung. Sekretion maximal ist.
Therapie Symptomatisch. Bei Rhinovirusinfektionen werden lokal IL-1, -6, -8, RANTES
Prävention Keine Schutzimpfung. Cave: nosokomiale Infektion und TNF-α freigesetzt. Hierdurch wird die Adhärenz der Granulo-
(Neugeborenen-, Säuglingsstationen). zyten erhöht und diese werden wie auch T-Lymphozyten angelockt.
Infolge der gesteigerten Gefäßdurchlässigkeit treten Albumin und
andere Serumbestandteile ins Sekret über. Auch die Nebenhöhlen
werden oft befallen, deshalb ist eine Sinusitis bei Rhinovirusinfek-
55.3 Rhinovirus tion primär nicht mit Antibiotika behandlungsbedürftig. Zellschä-
den mit Entzündung der Eustachi-Röhre und eine Störung ihrer
Die 3 Rhinovirusspezies sind die Haupterreger des Schnupfens (»com- Funktion prädisponieren aber bei Kindern häufig für eine bakterielle
mon cold«) und für etwa 50 % der Fälle verantwortlich. Trotz ihrer Infektion des Mittelohrs.
Säurelabilität werden sie taxonomisch auch dem Genus Enterovirus zu-
geordnet. Die meisten Rhinovirusinfektionen verlaufen zwar harmlos kKlinik
und bleiben auf die oberen Luftwege beschränkt, sie sind aber für ei- Nach 1–3 Tagen Inkubationszeit entwickeln sich typische Sympto-
nen hohen Anteil an Arbeitsausfällen verantwortlich. Jeder Mensch me: Ausfluss aus der Nase, Niesen, Husten, Kopfdruck, verstopfte
macht im Leben multiple Rhinovirusinfektionen durch, die in der kal- Nase und Halsschmerzen (Pharyngitis). Im Gegensatz zu Influenza-
ten Jahreszeit epidemisch auftreten. Die Replikation der Rhinoviren er- virus-Infektionen mit dem typischen schlagartigen Beginn werden
folgt bei bevorzugt bei 32 °C im Epithel des oberen Respirationstrakts. die Symptome innerhalb von 2–3 Tagen ausgeprägter, sie bleiben
Das Sekret ist seromukös mit vielen Granulozyten. Klinisch bedeuten- dann 2–3 Tage maximal und gehen langsam zurück. Fieber fehlt
dere Erkrankungen der unteren Luftwege (Bronchitis, Pneumonien) meist bzw. ist nur niedrig nachweisbar. Bronchitis sowie Pneumo-
werden gehäuft bei Spezies-C-Rhinovirusinfektionen und bei immun- nien können bei besonders gefährdeten Patienten (Senioren, Kno-
supprimierten Patienten beobachtet. chenmarktransplantierten, Immundefekten etc.) auftreten, Rhino-
viren der Spezies C sind mit diesen Infektionen des unteren Respi-
rationstrakts assoziiert.
55.3.1 Beschreibung Komplikationen sind Otitis media, Sinusitis und Auslösung von
Asthmaanfällen.
Die zahlreichen humanpathogenen Rhinovirustypen bilden 3 Spe-
zies, die zum Genus Enterovirus gehören: kImmunität
4 Humanes Rhinovirus A (mit 80 Typen) Die Antigenität der Rhinoviren ist gering, sodass keine dauerhafte
4 Humanes Rhinovirus B (mit 32 Typen Immunität entsteht. IgG- und IgA-Antikörper bewirken einen
4 Humanes Rhinovirus C (mit 54 Typen) begrenzten und typspezifischen Immunschutz, sodass immer wie-
der Infektionen mit unterschiedlichen Rhinovirustypen stattfin-
Rhinoviren gleichen im Aufbau den anderen Picornaviridae, besie- den. Auch spezifisch sensibilisierte TH1-Lymphozyten sind nach-
deln jedoch wegen ihrer Säurelabilität (pH < 6,0) vorwiegend den weisbar.
Nasen-Rachen-Raum, bei hoher Virulenz bzw. Immunsuppression
kLabordiagnose
Virologie

auch den tiefen Respirationstrakt, nicht jedoch den Gastrointestinal-


trakt. Sie verwenden vorwiegend 2 zelluläre Rezeptoren: das inter- Rhinoviren können in menschlichen embryonalen Zellen bei 32 °C
zelluläre Adhäsionsmolekül 1 (ICAM-1) und den LDL-Rezeptor. gezüchtet werden. Bei besonders gefährdeten Patienten, insbeson-
dere bei Infektionen des tiefen Respirationstrakts, empfiehlt sich
eine RT-PCR Diagnostik. Eine Routinediagnostik wird bei der
55.3.2 Rolle als Krankheitserreger Mehrzahl der Fälle (banaler Schnupfen, »common cold«) aber nicht
durchgeführt. Die zahlreichen Typen lassen sich klassisch durch den
kVorkommen, Übertragung und Epidemiologie Neutralisationstest unterscheiden. Heute werden hierzu aber meist
Rhinoviren kommen nur beim Menschen vor. Sie sind zwar ganzjäh- Sequenzierungen der Neutralisationsdeterminante verwendet.
rig sporadisch nachweisbar, epidemisch treten sie aber im Gegensatz
zu den anderen Enteroviren in der kälteren Jahreszeit auf, insbeson- kTherapie
dere im Herbst und Frühjahr. Die Übertragung erfolgt überwiegend Rezeptfreie Kombinationen eines Antihistaminikums (z. B. Chlor-
indirekt durch Hände oder Gegenstände als Schmierinfektion, zum pheniramin) mit einem Entzündungshemmer (z. B. Ibuprofen) wer-
kleineren Teil auch durch Tröpfcheninfektion. Die Durchseuchung den als symptomatische Therapie oft angewandt, sind aber um-
55.7 · Salivirus
465 55
stritten. Abschwellende Nasentropfen sollten nur über wenige Tage 55.6 Kobuvirus
eingesetzt werden.
Das Genus Kobuvirus enthält mit der Spezies Aichivirus A einen
kPrävention humanpathogenen Gastroenteritiserreger (nur 1 Serotyp), der oft
Die beste Präventivmaßnahme ist die Befolgung allgemeiner Hy- durch roh verzehrte Meeresfrüchte (insbesondere Austern) übertra-
gieneregeln, also v. a. oftmaliges Händewaschen und die Benutzung gen wird. Seroepidemiologische Studien zeigten in Regionen mit
von Einmaltaschentüchern. Impfstoffe sind nicht verfügbar. hohem Konsum roher Meeresfrüchte (Japan, Frankreich) eine
Durchseuchung von 85 % der Erwachsenen. Das Aichivirus wurde
auch als Gastroenteritiserreger in (sub)tropischen Regionen mit re-
In Kürze
lativ niedrigem Hygienestandard (Pakistan, Bangladesch) beschrie-
Rhinoviren
ben.
Virus Picornavirus. 3 Spezies, mehr als 100 Typen (+)-RNA-hal-
tiger Viren, relativ temperaturempfindlich.
Vorkommen Ganzjährig, nur beim Menschen.
55.7 Salivirus
Übertragung Durch virushaltige Hände (Nasensekret), seltener
Tröpfcheninfektion.
Das Genus Salivirus umfasst bislang nur eine Spezies (Salivirus A)
Epidemiologie Mehrere (4–6) Infektionen pro Jahr, gehäuft im
mit 2 erst vor kurzem entdeckten humanpathogenen Gastroenteriti-
Herbst und Frühjahr.
serregern, dem Salivirus und dem Klassevirus 1. Beide wurden bis-
Pathogenese ICAM-1 dient z. T. als Rezeptor auf der Zelle.
lang bei Kindern nachgewiesen, ihre klinische Bedeutung ist noch
Lokale Schleimhautinfektionen, kaum Generalisierung. Zerstö-
nicht vollständig geklärt.
rung einzelner Schleimhautzellen.
Klinik Banaler Schnupfen, 1–3 Tage nach Ansteckung. Otitis
media und Sinusitis.
Immunität Kurz dauernde Immunität durch IgA-Antikörper.
Keine Kreuzimmunität.
Diagnose Züchtung in Zellkulturen bei 32 °C (nicht gebräuch-
lich), bei schweren Fällen: RT-PCR.
Therapie Symptomatisch.
Prävention Händewaschen. Hygienisches Verhalten bei
Schnupfen.

55.4 Parechoviren

Das Genus Parechovirus der Familie Picornaviridae umfasst 2 Spe-


zies:
4 Parechovirus A (HPeV) mit 16 humanpathogenen Typen
4 Parechovirus B mit 4 nagetierpathogenen Typen (früher: Ljun-
ganvirus)

In ihren klinischen Manifestationen unterscheiden sich die Parecho-


A-Viren nicht wesentlich von den Enteroviren und werden deshalb
hier nicht detailliert beschreiben. Parechoviren sind u. a. für Gastro-
enteritis, Erkältungen, Exantheme, Myokarditis, Enzephalitis und
schlaffe Lähmungen verantwortlich. Die Klassifizierung als Pa-
rechovirus erfolgt aufgrund von Sequenzverwandtschaften mit an-
deren Picornaviren, wobei sie eine deutliche Sequenzdiversität zu
den Enteroviren aufweisen. Die Durchseuchung ist hoch.
Die Spezies Parechovirus B wurde von Wühlmäusen in Nord-
schweden isoliert. Dort scheint die Zahl der Nagetiere (Maximum
alle 3–4 Jahre) mit der Häufigkeit des Auftretens von Guillain-Barré-
Syndrom, insulinabhängigem Diabetes mellitus und Myokarditis
beim Menschen zu korrelieren, sodass eine Bedeutung als Zoono-
senerreger vermutet wird.

55.5 Hepatovirus

Das Hepatitis-A-Virus stellt den einzigen humanen Vertreter des


Picornavirus-Genus Hepatovirus dar. Es wird in 7 Kap. 72 abge-
handelt.
467 56

Flaviviren
I. Glowacka

Frühere Versionen von D. Falke

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_56, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Beim Gelbfiebervirus (Genus Flavivirus, Familie der Flaviviridae) wurde jMorphologie


erstmals ein von Insekten (Aedes spp.) abhängiger Übertragungsweg Flaviviren haben einen Durchmesser von 40–50 nm. Das ikosaedri-
beschrieben. Dieser gelbsuchtverursachende Erreger war namensge- sche Nukleokapsid besteht aus nur einem viralen Kapsidprotein C
bend für die Familie und das Genus (lat. »flavus« für gelb). Zahlreiche und der ss(+)-RNA. Die lipidumhüllten Viren tragen auf ihrer Ober-
humanpathogene Vertreter der Flaviviren werden durch eine Reihe fläche 2 membranassoziierte Proteine, M (für Membran) und E (für
von infizierten Arthropoden wie Insekten (z. B. Stechmücken) oder »envelope«).
Spinnentieren (z. B. Zecken) übertragen. Unter dem Begriff Arboviren,
abgeleitet von »arthropod-borne viruses«, werden Viren aus unter- jEinteilung
schiedlichen Virusfamilien zusammengefasst, die durch Arthropoden Die Familie der Flaviviridae umfasst 4 Genera; humanpathogene
als Vektoren über einen Stich oder Biss übertragen werden. Arboviren Vertreter finden sich in den Genera der Flaviviren und der Hepaci-
kommen vor allem in den tropischen und subtropischen Klimazonen viren (. Tab. 56.1). Das Genus der Flaviviren umfasst nach Angaben
vor. Flavivirus-Infektionen stellen zudem Zoonosen dar, die bei ihren des International Commmitee for the Taxonomy of Viruses aus dem
natürlichen Wirten (Reservoir) oft keine Erkrankung hervorrufen. Jahr 2013 insgesamt 53 Virusspezies (tier- und humanpathogene
Zu den natürlichen Wirten zählen Vertebraten wie Vögel, Nagetiere, Viren) mit zahlreichen Sub- und Genotypen. Das Genus der Hepa-
Fledermäuse und Affen. Eine große Ausnahme unter den Flaviviren civiren enthält die 6 Genotypen des humanen Hepatitis-C-Virus, das
sind Dengue-Viren, die an den Menschen adaptiert sind und über im 7 Kap. 72 beschrieben wird.
Stechmücken von Mensch zu Mensch übertragen werden. Klinische Das Genus der Pestiviren umfasst bisher nur tierpathogene Er-
Manifestationen bei einer Flavivirus-Infektion können je nach Erreger reger. Erst 2012 wurde das neue Genus der Pegiviren klassifiziert.
Fieber mit oder ohne Exanthem, hämorrhagisches Fieber, Arthritis,
aseptische Meningitis bis hin zur Enzephalitis, Nephritis und/oder jÜbertragung
Hepatitis sein. Studien zeigten, dass in den letzten Jahren klimatische, aber auch
ökologische Faktoren das Auftreten von Infektionskrankheiten und
Ausbrüchen signifikant beeinflusst haben. Davon sind u. a. auch
Steckbrief Flavivirus-Infektionen betroffen (. Tab. 56.2), da an deren Übertra-
gung Arthropoden beteiligt sind und deren Populationsstärke und
Virusgröße: 40–50 nm Übertragungspotenzial in großem Maße von Klimafaktoren beein-
Genom: 12 kb, ss(+)-RNA flusst werden. Ein gutes Beispiel ist das West-Nil-Virus, das sich, nach
Hülle mit RNA Einschleppung aus dem Nahen Osten, zwischen 1999 und 2004 über
Glyko-
proteinen die ganze USA ausbreitete und mittlerweile dort endemisch ist.

. Tab. 56.1 Humanpathogene Viren in der Familie der Flaviviridae

Genus Virusspezies
Kapsid Hexone
Flavivirus Dengue-Virus

Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus
jGenom (FSME-Virus)
Das Genom der Flaviviren besteht aus einer Einzelstrang-RNA po- Gelbfiebervirus
sitiver Polarität [ss(+)-RNA] und hat, je nach Virus, eine Länge von
9–12 kb. Die RNA enthält einen großen offenen Leserahmen, der in Japan-Enzephalitisvirus
ein einziges Vorläuferpolyprotein translatiert wird. Im Infektions- St.-Louis-Enzephalitisvirus
verlauf wird dieses in die einzelnen Struktur- und Nichtstrukturpro-
West-Nil-Virus
teine gespalten.
Zikavirus

Hepacivirus Hepatitis-C-Virus
468 Kapitel 56 · Flaviviren

. Tab. 56.2 Reservoir, Vektoren, Vorkommen und Krankheitsbilder der Flaviviren

Virus Reservoir Vektoren Vorkommen Krankheitsbild(er)

Dengue-Virus Menschen, Affen Aedes aegypti, Tropen, Subtropen, Mittelmeer- Dengue-Fieber, hämorrhagisches
Aedes albopictus raum, Frankreich, Kroatien Dengue-Fieber bzw. Dengue-Schock-
syndrom
FSME-Virus Nagetiere, Rehe, Ixodes spp. Ost-, Mittel- und Nordeuropa, aseptische Meningitis, Enzephalitis,
Schafe Nordasien Myelitis
Gelbfiebervirus Affen, Menschen Aedes spp., Afrika (Subsahara), Zentral/ Gelbfieber
Haemagogus spp. Südamerika
Japanisches Wasservögel, Culex spp. Südostasien, Südasien aseptische Meningitis, Meningoenze-
Enzephalitisvirus Schweine phalitis, Enzephalitis
St.-Louis Enzephalitis- Vögel Culex spp. USA, Kanada, Karibik, Zentral- aseptische Meningitis, Enzephalitis
virus und Südamerika
West-Nil-Virus Vögel Culex spp., Aedes spp. Afrika, Australien, Südasien, aseptische Meningitis, Enzephalitis,
Süd- und Osteuropa, Nord- und Myelitis, Arthritis
Südamerika
Zikavirus Menschen Aedes aegypti, Aedes Afrika, Asien, Südamerika Fieber, Gliederschmerzen, Ausschlag
albopictus

56.1 Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus mehrt sich der Erreger, akkumuliert in ihren Speichelzellen und
kann somit beim nachfolgenden Stich auf empfängliche Wirte über-
Steckbrief tragen werden.
Innerhalb der Zeckenpopulation ist auch eine transstadiale oder
Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) wird durch das transovarielle Infektion möglich. Die Übertragung der FSME-Viren
FSME-Virus (internat.: »tick-borne encephalitis virus«, TBEV) ver- erfolgt innerhalb der ersten Stunden nach dem Zeckenstich. In sel-
ursacht und ist das wichtigste durch Zecken übertragene hu- tenen Fällen wurden Übertragungen durch unpasteurisierte virus-
manpathogene Flavivirus. Klinisch relevante Fälle der FSME wur- infizierte Milch bzw. Milchprodukte von Ziegen und Schafen (gele-
den erstmals Anfang der 1930er Jahre in Österreich und im fern- gentlich durch Kuhmilch) beschrieben.
östlichen Teil Russlands beobachtet. Heutzutage werden gemäß
der geografischen Verbreitung 3 nahverwandte Subtypen be- kPathogenese
schrieben. In Süddeutschland kommt das FSME-Virus endemisch Nach der Inokulation durch den Zeckenstich vermehrt sich das
vor. Es verursacht akute Entzündung des Gehirns, des Rücken- Virus zunächst lokal in den Langerhans-Zellen und Makrophagen
marks und der Hirnhäute. und gelangt anschließend zu den Lymphknoten. Aus dem lymphati-
schen System gelangt das Virus ins Blut. Während dieser 1. Phase mit
Virämie werden extraneurale Gewebe wie Milz und Leber infiziert.
Neben der Infektion von Lymphozyten zeigt das FSME-Virus einen
56.1.1 Rolle als Krankheitserreger ausgeprägten Neurotropismus. Während der Virämie erreicht der
Erreger auch das Gehirn.
kEpidemiologie und Übertragung In der 2. Phase kommt es zur Organmanifestation in Meningen
Die Verbreitungsgebiete des FSME-Virus erstrecken sich über Ost-, und Gehirn. Zu diesem Zeitpunkt werden Gehirnödeme und lokal
Mittel-, Nordeuropa und Nordasien. Die 3 Subtypen werden ent- begrenzte Blutungen beobachtet. Histopathologisch lassen sich ent-
sprechend ihres geografischen Vorkommens als europäischer, sibiri- zündliche Veränderungen in der Umgebung der Blutgefäße, neuro-
scher und fernöstlicher Subtyp beschrieben. Wesentliche Verbrei- nale Degeneration und Nekrosen im Bereich des Hirnstammes, der
Virologie

tungsgebiete in Deutschland liegen in Baden-Württemberg und Basalganglien, des Rückenmarks sowie der Groß- und Kleinhirn-
Bayern. Einzelne Risikogebiete liegen auch in Hessen (Odenwald), rinde erkennen. Durch den Befall der Rückenmarkzellen kann es zur
Rheinland-Pfalz und Thüringen. Die meisten Infektionen erfolgen Lähmung der oberen Extremitäten kommen.
vom Frühjahr bis in den Spätherbst mit einem Gipfel in den Som-
mermonaten insbesondere nach Freizeitaktivitäten. Im Jahr 2013 kImmunität
wurden in Deutschland 420 FSME-Fälle gemeldet. Neutralisierende FSME-IgG-Antikörper sind nach Infektion lebens-
Der europäische Subtyp wird durch Zecken der Spezies Ixodes lang im Serum nachweisbar. Die aktive Immunisierung schützt ge-
ricinus übertragen, der sibirische und fernöstliche durch Ixodes per- gen alle 3 Subtypen. Nach Angaben der Impfstoffhersteller beträgt
sulcatus. Je nach Region sind 0,1–5 % der Zecken mit dem Virus die Schutzdauer nach vollständiger Immunisierung 3–5 Jahre.
infiziert. Das Erregerreservoir sind kleine Nagetiere des Waldes
und der Wiesen, insbesondere Mäuse, aber auch Vögel, Rehe und kKlinik
Rotwild. Zecken sind auf Gräsern und Büschen zu finden und wer- Ein signifikanter Anteil der FSME-Virus-Infektionen verläuft in-
den meist beim Vorbeigehen abgestreift. Nimmt die Zecke bei einer apparent. Die klinische Manifestationsrate liegt bei ca. 30 %. Die
Blutmahlzeit FSME-Viren von einem virämischen Tier auf, ver- Inkubationszeit beträgt gewöhnlich 7–14 Tage, max. 28 Tage. Der
56.1 · Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus
469 56
Temperatur Inkubation 1. Phase symptomfreies 2. Phase Spätlähmung
Intervall

Infektion

Hausarzt
Klinik
Zeit (Tage)
7–14 2–3 ~7 3–5

Virämie

IgM

Antikörper 2–3 Monate


IgG
Jahre

. Abb. 56.1 Ablauf einer FSME-Infektion: biphasischer Verlauf und Spätlähmung, Virusnachweis und Antikörperbildung

Krankheitsverlauf ist biphasisch (. Abb. 56.1) und beginnt mit un- nose kann dann nicht sicher ausgeschlossen werden, wenn die sero-
spezifischen, grippeähnlichen Beschwerden wie Kopf- und Glieder- logische Diagnose der FSME nach den ersten beiden Teilimpfungen
schmerzen sowie Fieber um 38 °C und gelegentlich gastrointestina- erfolgt. Bei dieser anamnestischen Konstellation ist auch an einen
len Symptomen. In dieser 1. Phase findet sich das Virus im Blut Impfdurchbruch (allerdings sehr selten) zu denken. Weiterhin ist die
(Virämie). Dieser meist etwa 2- bis 3-tägigen Prodromalphase folgt Antikörper-Kreuzreaktivität mit anderen Flaviviren, z. B. nach Imp-
ein symptomfreies Intervall von etwa einer Woche (bis zu 20 Tagen). fung gegen das Gelbfiebervirus, zu beachten.
Dieses kann in Einzelfällen fehlen.
Der Übergang in die 2. Phase erfolgt in 20–30 % der Fälle (bei kTherapie
Kindern seltener) und ist durch einen erneuten Fieberanstieg Erfolgt symptomatisch, da keine spezifische Therapie verfügbar ist.
(> 38 °C) und ZNS-Manifestation gekennzeichnet. Finden sich neu-
rologische Symptome, so liegt die Wahrscheinlichkeit für eine asep- kPrävention
tische Meningitis bei ca. 50 %, für eine Meningoenzephalitis bei Allgemeine Maßnahmen Zur Expositionsprophylaxe bei Aufent-
ca. 40 % und für eine Meningoenzephalomyelitis bei ca. 10 %. halt in Endemiegebiet bieten das Tragen geschlossener Kleidung
Die Meningitis heilt zumeist nach 3–5 Tagen ohne Folgeschä- und die Verwendung von Repellents keinen ausreichenden Schutz.
den aus. Die enzephalitische Verlaufsform geht einher mit Bewusst- Daher ist die Impfung als Indikationsimpfungen für Risikogruppen
seins- und Koordinationsstörungen sowie Lähmungen von Extre- mit erhöhtem Expositions- und Erkrankungsrisiko, aufgrund eines
mitäten und Hirnnerven. Bei der Meningoenzephalomyelitis fin- erhöhten beruflichen Risikos sowie bei Reisen in Endemiegebiete zu
den sich insbesondere Schluck- und Sprechstörungen, Lähmungen empfehlen.
der Gesichts- und Halsmuskulatur sowie Atemlähmungen. Häufig
bleiben nach einem enzephalitischen Verlauf kognitive und fokale Schutzimpfung Die Grundimmunisierung mit dem Totimpfstoff
Restzuständen wie schlaffe Lähmungen sowie Kopfschmerzen zu- besteht aus 3 Teilimpfungen. Die 1. Auffrischimpfung wird von den
rück. Impfstoffherstellern nach 3 Jahren empfohlen. Für weitere Auf-
Die Letalitätsrate der FSME in Europa liegt unter 2 %. Bei Dop- frischimpfungen muss die Fachinformation beachtet werden, da
pelinfektionen mit Borrelia burgdorferi sind die Verläufe häufig die empfohlenen Impfabstände zwischen den Impfstoffherstellern
schwerwiegend. Differenzialdiagnostisch sind Herpes- und Entero- variieren.
viren sowie der Borrelia-burgdorferi-Komplex zu berücksichtigen.
Meldepflicht Gemäß § 7 IfSG namentliche Meldung des direkten
kLabordiagnose oder indirekten Nachweises bei akuter Infektion.
Die Diagnose der FSME erfordert die anamnestische Abklärung mit
Aufenthalt in einem Endemiegebiet und Zeckenstich. Methode der
Wahl ist der Nachweis spezifischer IgM- und IgG-Antikörper in Se- In Kürze
rum mittels ELISA. Antikörper können zum Zeitpunkt der neurolo- Frühsommer-Meningoenzephalitits-Virus (FSME-Virus)
gischen Symptomatik bzw. der Hospitalisierung (2. Phase) fast im- Virus Internat.: »tick-borne encephalitis virus« (TBEV), 3 Sub-
mer detektiert werden (. Abb. 56.1). In der virämischen Phase ist der typen.
Virusdirektnachweis aus Blut und Liquor mittels RT-PCR möglich. Epidemiologie Europa und Nordasien. Verbreitungsgebiete
Da die Virämie allerdings nur kurz anhält, schließt ein negativer in Deutschland: Baden-Württemberg und Bayern. Zumeist
Befund eine FSME-Infektion nicht aus. Darüber hinaus erfolgt die vom Frühjahr bis in den Spätherbst mit Gipfel in den Sommer-
Hospitalisierung und somit die Indikation zur Diagnostik gewöhn- monaten, insbesondere nach Freizeitaktivitäten. Je nach Region
lich erst in der 2. Phase. 0,1–5 % der Zecken infiziert.
Übertragung Mittels Zecken von kleinen Nagetieren auf den
Probleme Nach Impfung gegen das FSME-Virus können IgM-An- Menschen.
tikörper über mehrere Monate nachweisbar bleiben. Eine Fehldiag-
470 Kapitel 56 · Flaviviren

kPathogenese
Pathogenese Initial lokale Vermehrung an der Stichstelle Das Dengue-Virus dringt durch die Haut über den Stich infizierter
anschließend in den Lymphknoten. Während der Virämie Aus- Mücken während einer Blutmahlzeit ein und repliziert in den loka-
breitung in Milz und Leber nachfolgend Organmanifestation len Lymphknoten. In der akuten Phase zirkuliert das Virus im Blut
im ZNS. in Makrophagen. Die humorale und zelluläre Immunantwort be-
Immunität Lebenslange humorale Immunität. Schutzdauer wirkt den Rückgang der Virämie durch neutralisierende Antikörper,
nach vollständiger aktiver Immunisierung 3–5 Jahre. der mit der Entfieberung koinzidiert. Im Bereich des Exanthems
Klinik Häufig inapparent. Inkubationszeit 7–14 Tage. Krank- treten Schwellungen der Endothelien, perivaskuläre Ödeme und
heitsverlauf biphasisch, Prodromalphase mit Virämie, symptom- Monozyteninfiltrate auf.
freies Intervall, Übergang in 2. Phase in 20–30 % mit erneuten Der Pathogenese des hämorrhagischen Dengue-Fieber und
Fieberanstieg und Manifestation im ZNS (Meningitis, Meningo- Dengue-Schocksyndrom liegen die Erhöhung der Gefäßwandper-
enzephalitis, Meningoenzephalomyelitis). meabilität, Gerinnungsstörungen und in der Folge Plasmaverlust
Diagnostik Anamnese: Aufenthalt in einem Endemiegebiet, zugrunde. Der Infektionsverlauf hängt von Faktoren wie Alter,
Zeckenstich. IgM- und IgG-Bestimmung, Antikörper-Kreuzreakti- Virulenz des Serotypen und sequenzieller Infektion mit heterologen
vität mit anderen Flaviviren. Serotypen in Abhängigkeit von der Infektionsfolge (schwerer Ver-
Therapie Symptomatisch. lauf, wenn auf Serotyp-1-Infektion Serotyp 2 folgt).
Prävention Schutzimpfung für Personen mit Expositionsrisiko Vermutlich spielt »antibody-dependent enhancement (ADE)«
nach STIKO. bei den schweren Verläufen eine Rolle: Durch eine frühere Infektion
mit einem anderen Serotyp werden nichtneutralisierende kreuz-
reaktive Antikörper induziert. Diese binden bei einer weiteren
Infektion mit einem anderen Serotypen an das zirkulierende Virus.
56.2 Dengue-Virus Dies fördert über die Aufnahme von Virus-Antikörper-Komplexen
in Fc-Rezeptor-tragende Zellen die Virusreplikation und führt somit
Steckbrief zu einer höheren Virämie und einer starken Immunantwort. Die
Folge ist eine stärkere Ausschüttung von Zytokinen wie TNF-α,
B. Rushs Beschreibung eines Ausbruchs des »break-bone fever« IFN-γ, IL-10 und -12 im Blut sowie, beim Schock, von RANTES
in Philadelphia im Jahr 1780 war die erstmalige Beschreibung und IL-8.
des Dengue-Fiebers. Heutzutage ist es die sich am schnellsten
verbreitende durch Mücken übertragene Erkrankung weltweit. kImmunität
Jährlich werden insgesamt ca. 50 Mio. Dengue-Virus-Infektionen Die 4 distinkten Serotypen hinterlassen eine lebenslange serotypspe-
mit den 4 Serotypen geschätzt, die sich als Dengue-Fieber, zifische Immunität. Sequenzielle Infektionen mit allen 4 Serotypen
hämorrhagisches Dengue-Fieber und Dengue-Schocksyndrom sind möglich, da keine lang anhaltende Kreuzimmunität aufgebaut
äußern können. wird.

kKlinik
Die meisten Dengue-Virus-Infektionen verlaufen subklinisch bzw.
56.2.1 Rolle als Krankheitserreger selbstlimitierend. Nach einer Inkubationszeit von 3–14 Tagen (ge-
wöhnlich 4–7 Tage) kann es zu einem breiten Spektrum an klini-
kEpidemiologie und Übertragung schen Symptomen kommen. Individuelle Risikofaktoren wie Zweit-/
Das Dengue-Virus kommt global in allen tropischen und subtropi- Mehrfachinfektion, Alter (bei Kleinkindern und älteren Patienten
schen Regionen zwischen den Breitengraden 35 °N und 35 °S vor. Die schwere Verläufe) und Virusserotyp bestimmen den Grad der Er-
Ausbreitung des Dengue-Virus spiegelt das geografische Vorkom- krankung.
men der Vektormücke wider. Somit kommt dem Vektoraufkommen Das klassische Dengue-Fieber (DF) beginnt abrupt mit hohem
ein wichtiger Vorhersagewert für Epidemien zu. Laut WHO ist die Fieber (Dauer 2–7 Tage, häufig 2-gipfelig), Kopfschmerzen, Arthr-
Inzidenz in den letzten 50 Jahren um das 30-Fache gestiegen. algien und Erythem. Dem folgen starke Muskel- und Glieder-
Über 100 Länder zählen mittlerweile zu den Endemiegebieten. schmerzen (»break-bone fever«). Weitere Manifestationen sind Er-
In fast allen Risikogebieten kozirkulieren alle 4 Serotypen und ent- brechen, Übelkeit, Konjunktivitis, Pharyngitis, trockener Husten
sprechend sind Mehrfachinfektionen möglich. In Deutschland ist und gelegentlich Begleithepatitis. Nach vorübergehender Entfiebe-
Virologie

die Infektion mit Dengue-Viren die häufigste importierte Infektion rung (3.–5. Erkrankungstag) tritt bei der Hälfte der Patienten ein
mit 879 gemeldeten Fällen in 2013. makulopapulöses oder erythematöses Exanthem auf. Mit erneutem
Wichtigstes Virusreservoir ist der Mensch. Das Dengue-Virus Fieberanstieg entwickelt sich eine generalisierte Lyphadenopathie,
zirkuliert zwischen Mücken (Aedes aegypti) und Menschen einer- Leukopenie und Hyperästhesie. Seltene Manifestationen sind in die-
seits (urbaner Zyklus) und andererseits zwischen Mücken (Aedes sem Stadium Petechien, Myokarditis oder Beteiligung des ZNS. Die
albopictus) und Affen (sylvatischer Zyklus, in Asien und Afrika). Symptome klingen meist nach 7 Tagen folgenlos ab.
Jedoch dienen Affen eher als Amplifikationswirte und sind bei Epi- Das hämorrhagische Dengue-Fieber (DHF) definiert sich durch
demien nicht von Bedeutung. Thrombozytopenie, hämorrhagische Manifestationen und Hämato-
Das Dengue-Virus persistiert vertikal in Mücken, da innerhalb kritanstieg. Beim Dengue-Schocksyndrom (DSS) stehen hypovolä-
der Mückenpopulation eine transstadiale oder transovarielle Über- mischer Schock durch Flüssigkeitsaustritt ins Gewebe und Hypoten-
tragung möglich ist. In einigen Risikogebieten sind Aedes aegypti sion im Vordergrund.
ganzjährig aktiv. Zudem ist ein saisonaler Anstieg der Vektoraktivi- DHF und DSS treten gehäuft bei Kindern (< 15 Jahre) und nach
tät z. B. durch Regenfälle zu verzeichnen. Die Eindämmung des Vek- Zweitinfektionen auf und beginnen wie das klassische DF. Jedoch
tors ist bisher nicht gelungen. kommt es während des vorübergehenden Fieberabfalls zu einer
56.3 · Gelbfiebervirus
471 56
massiven Verschlechterung mit Tachykardie, peripherer Vasokon-
striktion, Aszites, Pleuraergüsse, Erbrechen, Hautblutungen in In Kürze
Form von Petechien und Ekchymosen sowie gastrointestinalen Blu- Dengue-Virus
tungen. Virus Spezies Dengue-Virus, 4 Serotypen.
Warnzeichen für einen schweren Verlauf (DHF/DSS) sind ab- Epidemiologie Global in allen tropischen und subtropischen
dominale Schmerzen, Lethargie und anhaltendes Erbrechen. Der Regionen. Kozirkulation aller 4 Serotypen in fast allen Risiko-
Übertritt in die Schocksymptomatik zeichnet sich aus durch Un- gebieten. In Deutschland häufigste importierte Tropenkrank-
ruhe, Kreislaufversagen sowie schwachen Puls. Zudem sind kalt- heit.
feuchte Extremitäten und Hypotension charakteristisch. Der Schock Übertragung Durch Mücken der Gattung Aedes ssp. Urbaner
in Kombination mit Thrombozytopenie, Hypoxie und Azidose kann Zyklus für Menschen bei Epidemien von Bedeutung. Affen
zu multiplem Organversagen führen. Ohne intensivmedizinische (sylvatischer Zyklus) dienen eher als Amplifikationswirte.
Behandlung beträgt die Letalitätsrate dieser Patienten bis zu 50 %, Pathogenese Virus zirkuliert im Blut in Makrophagen. DHF und
behandelt bei 1 %. DSS mit Erhöhung der Gefäßwandpermeabilität, Gerinnungs-
Differenzialdiagnostisch sind je nach Reiseanamnese andere störungen und Plasmaverlust. »Antibody-dependent enhance-
fieberhafte Erkrankungen wie Infektionen mit West-Nil-Virus, ment« (ADE): Bindung nichtneutralisierender Antikörper an
Hantaviren, Chikungunya-Virus, Leptospira ssp. sowie Malaria zu heterologes Serotypvirus bedingt verstärkte Virusaufnahme,
berücksichtigen. Zytokinfreisetzung und Gefäßschaden.
Immunität Serotypspezifisch lebenslang. Keine lang anhaltende
kLabordiagnose kreuzprotektive Immunität.
Eine Verdachtsdiagnose erfordert die Reiseanamnese sowie ent- Klinik Häufig subklinisch bzw. selbstlimitierend. Klassisches DF
sprechende Klinik und kann bei unklarem Fieber nach Tropenauf- mit hohem Fieber und starken Muskel- und Gliederschmerzen.
enthalt gestellt werden. Während der akuten Phase ist die RT-PCR DHF mit Thrombozytopenie, hämorrhagischen Manifestationen
am sensitivsten und dient gleichzeitig zur Typisierung. Jedoch ist und Hämatokritanstieg. DSS zusätzlich mit hypovolämischem
die kurze Virämie von 3–5 Tagen nach Symptombeginn zu beach- Schock und Hypotension.
ten. Zum Nachweis einer akuten Infektion kann zudem ein Antigen- Diagnostik Anamnese: Tropenaufenthalt. RT-PCR in akuter
ELISA durchgeführt werden. Spezifische IgM-Antikörper können Phase (Virämie 3–5 Tagen). Spezifische IgM-Antikörper ab dem
ab dem 5.–7. und IgG-Antikörper erst ab dem 10. Erkrankungs- 5.–7. und IgG-Antikörper ab dem 10. Erkrankungstag. Sero-
tag  nachgewiesen werden. Zur Diagnosesicherung sind im Ab- konversion und/oder signifikanter Titeranstieg in Folgeprobe.
stand von 2 Wochen abgenommene Blutproben zu fordern (Sero- Immunität mittels Neutralisationstest.
konversion und/oder signifikanter Titeranstieg). Die Bestimmung Therapie Symptomatisch.
der serotypspezifischen Immunität erfolgt mittels Neutralisations- Prävention Mückenschutzmaßnahmen (hautbedeckende Klei-
test. dung, Repellent, Insektizid, Moskitonetz). Keine Schutzimpfung
vorhanden.
Probleme Nach einer Dengue-Virus-Infektion können IgM-Anti-
körper über 6 Monate persistieren. Nach Zweitinfektion sind häufig
spezifische IgM-Antikörper nicht nachweisbar, aber dafür ein hoher
IgG-Titeranstieg. Weiterhin ist die Antikörper-Kreuzreaktivität mit 56.3 Gelbfiebervirus
anderen Flaviviren, z. B. nach Infektion oder Impfung (FSME-Virus,
Gelbfiebervirus), zu beachten. Steckbrief

kTherapie Gelbfieber wurde erstmals bei einem Ausbruch in Mexiko um


Erfolgt symptomatisch, ggf. Bluttransfusionen bei DHF und DSS. 1648 beschrieben. Molekularbiologische Analysen und ge-
schichtliche Aufzeichnungen zeigen, dass das Gelbfiebervirus
kPrävention (»yellow fever virus«, YFV) seinen geografischen Ursprung wahr-
Allgemeine Maßnahmen Im Vordergrund steht der Schutz gegen scheinlich in Afrika hat. Um 1900 wurde die Übertragung durch
die auch tagaktiven Mücken durch Tragen hautbedeckender Klei- Aedes aegypti und um 1928 der Erreger beschrieben. Das Gelb-
dung, Verwendung von Repellents, Imprägnierung der Kleidung mit fiebervirus kommt in den tropischen Regionen Afrikas und
Insektiziden, Kühlung in Räumen oder alternativ das Schlafen unter Amerikas vor. M. Theiler entwickelte in den 1930er Jahren den
einem mit Insektiziden imprägnierten Moskitonetz. attenuierten 17D-Impfstoff.

Schutzimpfung Ein wirksamer Impfstoff ist nicht verfügbar.

Meldepflicht Namentlich gemäß § 6 IfSG Krankheitsverdacht, Er- 56.3.1 Rolle als Krankheitserreger
krankung und Tod an virusbedingtem hämorrhagischen Fieber
sowie gemäß § 7 IfSG Meldung des direkten oder indirekten Nach- kEpidemiologie und Übertragung
weises von anderen Erregern hämorrhagischer Fieber bei akuter Das Gelbfiebervirus kommt endemisch in Subsahara-Afrika (15° N
Infektion. bis15° S) und im tropischen Mittel- und Südamerika (20° N bis
40° S) mit insgesamt 44 betroffenen Ländern laut WHO vor. Gelb-
fieber wurde in Asien bisher noch nicht beobachtet. Geschichtlich
sind Epidemien des Gelbfiebers auch in nichttropischen Gebieten
wie New York und Boston, aber auch Spanien beschrieben, die ver-
mutlich auf Handelsrouten und Sklavenhandel zurückgehen.
472 Kapitel 56 · Flaviviren

Die Übertragung erfolgt über Mücken der Gattungen Aedes und kTherapie
Haemagogus (Südamerika). Als Virusreservoir fungieren Affen und Erfolgt symptomatisch, bei schwerem Verlauf mit intensivmedizini-
Menschen. In Afrika werden 3 Transmissionszyklen beschrieben: scher Behandlung.
4 Im Rahmen des sylvatischen Zyklus können sich im Regenwald
aufhaltende Menschen wie Waldarbeiter als Nebenwirt infizie- kPrävention
ren (»Dschungelgelbfieber«). Allgemeine Maßnahmen Eine wichtige Rolle spielt die Vektor-
4 Ausschlaggebend für Epidemien ist der urbane Zyklus, der bekämpfung. Zudem sind Schutzmaßnahmen wie das Tragen haut-
auf der Viruszirkulation zwischen Aedes aegypti und Mensch bedeckender Kleidung, die Verwendung von Repellents und das
(»urbanes Gelbfieber«) beruht. Schlafen unter einem Moskitonetz zu beachten.
4 Der intermediäre Zyklus (nicht in Amerika) beschreibt die
Verbindung zwischen beiden Zyklen, wenn Menschen in wald- Schutzimpfung Die Wirksamkeit des attenuierten Lebendimpf-
nahen Dörfern und Affen eng nebeneinander leben. Es ist die stoffs 17D beträgt mindestens 10 Jahre, laut WHO vermutlich le-
häufigste Ursache kleiner Epidemien in Afrika. benslang. Es kann unterschieden werden zwischen medizinischer
Indikation bei Reisen in Risiko- bzw. Endemiegebiete und formaler
kPathogenese Indikation bei Einreise aus einem Endemiegebiet. Die formale Auf-
Nach der Transmission vermehrt sich das Virus in den regionalen frischimpfung in 10-jährigen Intervallen bei Einreise ist aufgrund
Lymphknoten. Von dort gelangt es ins Blut und infiziert in der der neuen Empfehlungen der WHO nicht mehr notwendig. Da die
virämischen Phase primär die Leber (Kupffer-Sternzellen und Umsetzung der Änderungen noch andauern kann, sollten Hinweise
Hepatozyten; 1. Phase). In der 2. Phase kann es zur Tubulusnekrose zu Einreisebestimmungen (→ WHO) berücksichtigt werden.
der Niere und zum Befall des ZNS kommen. Die Hämorrhagien
beruhen auf der verminderten Synthese von Gerinnungsfaktoren Meldepflicht Namentlich gemäß § 6 IfSG Krankheitsverdacht, Er-
aufgrund von Leberzellschädigung, Verbrauchskoagulopathie und krankung und Tod an virusbedingtem hämorrhagischem Fieber
Thrombozytenfunktionsstörung. sowie gemäß § 7 IfSG Meldung des direkten oder indirekten Nach-
weises von anderen Erregern hämorrhagischer Fieber bei akuter
kImmunität Infektion.
Es existiert nur 1 Serotyp, der eine lebenslange Immunität hinter-
lässt. Nach aktiver Immunisierung hält der Impfschutz gemäß
In Kürze
neuesten Erkenntnissen und Empfehlungen der Internationalen
Gelbfiebervirus
Gesundheitsvorschriften der WHO lebenslang.
Virus Gelbfiebervirus, »yellow fever virus« (YFV).
Epidemiologie Kommt endemisch in Subsahara-Afrika und
kKlinik
im tropischen Südamerika vor.
Die meisten Gelbfiebererkrankungen verlaufen mild mit anschlie-
Übertragung Über Mücken der Gattungen Aedes und Haema-
ßender Genesung. Nach 3–6 Tagen Inkubationszeit kann es zu
gogus. Virusreservoir: Affen und Menschen. Dschungelgelb-
einem breiten Spektrum klinischer Symptome kommen. Die bipha-
fieber und urbanes Gelbfieber, zudem intermediärer Zyklus.
sische, schwere Verlaufsform beginnt akut mit Fieber (39-40 °C),
Pathogenese Virusvermehrung in den regionalen Lymphkno-
Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Myalgien, Übelkeit, Erbrechen und
ten. In der virämischen Phase Hauptzielorgan Leber. Massive
Bradykardie (Faget-Zeichen). Nach 3–4 Tagen (virämische Phase)
Hämorrhagien. Histopathologische Veränderungen von Niere,
kann es zu einer kurzen Remission kommen. Die Intoxikationsphase
Leber, Myokard, Gehirn.
schließt sich bei 15 % der Patienten mit erneutem Fieberanstieg,
Immunität Lebenslange Immunität nach Infektion. Auffri-
hämorrhagischer Diathese, Albuminurie und Leber- und Nieren-
schimpfungen in 10-jährigen Intervallen nicht mehr gefordert.
schäden an, die zu verstärktem Ikterus, Leber- und Niereninsuffi-
Klinik Inkubationszeit 3–6 Tage. Häufig milder Verlauf. Biphasi-
zienz führen. Zudem können ZNS-Störungen auftreten. Letztlich
sche, schwere Verlaufsform mit fieberhafter Erkrankung.
entwickelt sich ein Schocksyndrom mit Hypotension und metaboli-
Nach Remission Intoxikationsphase mit erneutem Fieberanstieg,
scher Azidose. Der Tod tritt dann meist 7–10 Tage nach Erkran-
hämorrhagischer Diathese, Ikterus. Letztlich ZNS-Störung,
kungsbeginn ein.
Schocksyndrom mit Hypotension und metabolischer Azidose.
Die durchschnittliche Letalität des Gelbfiebers beträgt 10–20 %.
Diagnostik Reise- und Impfanamnese. Bis 10 Tage nach Krank-
Differenzialdiagnostisch sind Infektionen anderer Erreger hämor-
heitsbeginn RT-PCR. Antikörpernachweise ab Tag 7.
rhagischen Fiebers, Hepatitis A, B, C, D, Leptospirose, Malaria und
Therapie Symptomatisch.
Virologie

Typhus zu berücksichtigen.
Prävention Schutzimpfung. Vektorbekämpfung.
kLabordiagnose
Bei entsprechender Reiseanamnese sowie Klinik kann während der
akuten Phase bis maximal 10 Tage nach Krankheitsbeginn die RT-
PCR aus Blut durchgeführt werden. Spezifische IgM- und IgG-An- 56.4 Weitere humanpathogene
tikörper können ca. 7 Tage nach Symptombeginn mittels ELISA Flavivirus-Spezies
oder IFT nachgewiesen werden. Die Impfanamnese ist zu beachten.
Nach Impfung lassen sich Antikörper mittels Neutralisationstest jJapanisches Enzephalitisvirus
nachweisen. Der Erreger wurde 1934 in Japan aus Patientenmaterial isoliert. Die
Japanische Enzephalitis ist die häufigste virale Enzephalitis weltweit
Probleme Nach Gelbfiebervirus-Infektion oder Schutzimpfung mit ca. 50.000 Fällen pro Jahr. Die Endemie- und Epidemiegebiete
können IgM-Antikörper über Monate persistieren. Weiterhin sind erstrecken sich heutzutage über ganz Süd- und Südostasien bis Aus-
die Antikörper-Kreuzreaktivität mit anderen Flaviviren zu beachten. tralien und einige pazifische Inseln.
Literatur
473 56
Wasservögel und Schweine dienen als Virusreservoir und (A. aegypti, A. albopictus), gelegentlich auch über Sexualkontakte.
Amplifikationswirte. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt Es wird befürchtet, dass sich das Virus weiter ausbreitet.
durch nachtaktive Stechmücken der Gattung Culex. Die Verbreitung Das klinische Bild präsentiert sich wie eine milde Dengue-Virus-
hängt vor allem vom Reisanbau (Mückenbrutplätze) und von der Infektion (Fieber, Gliederschmerzen, Hautausschlag) und ist in der
Schweinezucht ab. Je nach Klima erfolgt die Übertragung saisonal Regel selbstlimitierend. Zeitgleich mit der Zikavirusepidemie in
(nach der Monsunzeit) oder ganzjährig in dauerfeuchten Regionen. Südamerika nahm die Zahl der Fälle von Mikrozephalie bei Neuge-
Nach abgelaufener Infektion besteht eine lebenslange Immuni- borenen massiv zu. Obwohl es Hinweise auf einen ursächlichen Zu-
tät, daher nimmt die Durchseuchung im Alter zu. Somit erkranken sammenhang mit dem Zikavirus gibt, ist dieser zurzeit (Frühjahr
in Endemiegebieten häufiger Kinder. Die Infektion verläuft meist 2016) nicht bewiesen. Ferner wird eine Beteiligung des Zikavirus an
mild mit Fieber und Kopfschmerzen oder asymptomatisch. Nur gestiegenen Fallzahlen von Guillain-Barré-Syndrom in Ozeanien
etwa eine von 250 Erkrankungen führt zur enzephalitischen Form und Südamerika diskutiert.
mit schwerem Verlauf. Der Virusnachweis erfolgt, am besten innerhalb der ersten
Nach 4–15 Tagen Inkubationszeit zeichnet sich die Prodromal- 3 Tage nach Auftreten klinischer Symptome, aus peripherem Blut
phase mit Fieber, Myalgien, Kopfschmerzen und gastrointestinalen mittels RT-PCR. Der Antikörpernachweis ist aufgrund serologischer
Beschwerden aus. Anschließend treten Bewusstseinstrübungen, Kreuzreaktionen mit anderen Flaviviren schwierig.
Nackensteifigkeit, Krampfanfälle und motorische Lähmungen auf. Es besteht keine kausale Therapie. Zur Expositionsprophylaxe
Die Letalitätsrate beträgt bis zu 30 %. Neurologische Folgeschäden gehören Mückenschutzmaßnahmen.
(motorisch, kognitiv) sind häufig (20–30 %).
In der akuten Phase ist die RT-PCR aus Liquor aussagekräftig, da
die Virämie nicht ausgeprägt ist. Bei Antikörpernachweisen sind Literatur
Kreuzreaktionen zu berücksichtigen. Präventive Maßnahmen sind
Impfung und Mückenschutz. Diener HC, Weimer C (2012) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der
Neurologie. 5. Aufl. Stuttgart: Georg Thieme.
jSt.-Louis-Enzephalitisvirus Doerr HW, Gerlich WH (2010) Medizinische Virologie. 2. Aufl. Stuttgart: Georg
Ausbrüche mit dem Erreger kommen hauptsächlich in USA vor. Das Thieme.
International Committee on Taxonomy of Viruses (2014) Virus Taxonomy
Verbreitungsgebiet erstreckt sich jedoch über Kanada bis Argen-
Release 2014. ICTV, EC 46, Montreal, Canada.
tinien. Das Virus zirkuliert zwischen Moskitos der Gattung Culex
Löscher T, Burchard GD (2010) Tropenmedizin in Klinik und Praxis. 4. Aufl.
und Vögeln. Formen der klinischen Manifestationen sind febriles Stuttgart: Georg Thieme.
Kopfschmerzsyndrom, aseptische Meningitis und Enzephalitis. Mandell GL, Bennett JE, Dolin R (2010) Principles and Practice of Infectious
Diseases. 7th ed. Elsevier Churchill-Livingstone.
jWest-Nil-Virus Mertens T, Haller O, Klenk HD (2004) Diagnostik und Therapie von Viruskrank-
Das Virus ist weltweit verbreitet. In Europa werden saisonale Aus- heiten. 2. Aufl. München: Urban & Fischer.
brüche beobachtet. Verschiedene Spezies der Gattungen Culex, Modrow S, Falke D, Truyen U, Schätzl H (2010) Molekulare Virologie. 3. Aufl.
Aedes und Anopheles zählen zu den Vektoren. Das Virusreservoir Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
sind Vögel. Des Weiteren sind Übertragungen gelegentlich über Or- Robert Koch-Institut (2011) Steckbriefe seltener und importierter Infektions-
krankheiten. Berlin.
gantransplantationen, Bluttransfusionen, Laborarbeit, Muttermilch
Robert Koch-Institut (2014) Infektionsepidemiologisches Jahrbuch melde-
oder transplazentar möglich.
pflichtiger Krankheiten für 2013. Berlin.
Meist verläuft die Infektion inapparent oder in 20 % als fieber- Robert Koch-Institut (2014) RKI-Ratgeber für Ärzte. Online unter: www.rki.de/
hafte Erkrankung (Inkubationszeit 2–6, max. 14 Tage). Symptome DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/merkblaetter_node.html.
des »West-Nil-Fiebers« sind hohes Fieber, Gelenk-, Kopf- und Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (2015) Empfehlungen der
Rückenschmerzen, gastrointestinale Beschwerden, in 50 % ein Ständigen Impfkommission. Epidemiol Bulletin. 34.
makulopapulöses Exanthem und eher seltener Hepatitis, Hepato- World Health Organization (2009) Dengue: Guidelines For Diagnosis, Treat-
megalie oder Splenomegalie. ment, Prevention And Control. WHO Library Cataloguing-in-Publication
Bei weniger als 1 % der Infizierten (insbesondere bei über Data.
50-Jährigen) tritt eine Meningitis, Meningoenzephalitis/Enzephali-
tis mit Lähmungen oder sehr selten Myelitis auf. Die Letalitätsrate
liegt zwischen 4–14 %, bei älteren Patienten jedoch höher.
Diagnostik der Wahl ist zum Zeitpunkt der neurologischen
Symptomatik der Antikörpernachweis (IgM auch aus Liquor) mittels
ELISA oder indirektem IFT (Kreuzreaktion beachten!). Diagnos-
tisch bedeutsam ist eine IgG-Serokonversion bzw. ein signifikanter
Titeranstieg (2 serielle Proben im Abstand von 7 Tagen).
Es steht keine kausale Therapie zur Verfügung. Zur Expositions-
prophylaxe gehören Mückenschutzmaßnahmen.

jZikavirus
Obwohl bereits im Jahr 1947 in Affen in Afrika entdeckt, verursach-
te das Virus lange Zeit nur seltene sporadische Infektionen. In den
letzen Jahren verbreitete es sich zunächst von Afrika nach Asien
(Ozeanien) und von dort nach Südamerika, wo es sich seit 2015
schnell ausbreitet. Im Rahmen dieser Epidemie erfolgt die Über-
tragung von Mensch zu Mensch, vorwiegend über Stechmücken
475 57

Rötelnvirus
C. Schmitt

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_57, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Röteln zählen zu den »klassischen Kinderkrankheiten«, die durch fungen von Röteln beobachtete man alle 3–5 Jahre, ausgedehnte Epi-
Einführung der Rötelnimpfung in den 1970er Jahren in Deutschland demien meist alle 6–9 Jahre. Der Großteil der Infektionen erfolgte
selten geworden sind. Während die Röteln im Kindesalter in der Regel im Kindesalter, jedoch waren noch im Schnitt 10 % der Frauen im
eine harmlose Infektionskrankheit darstellen, kann die Infektion einer gebärfähigen Alter seronegativ und damit potenziell gefährdet, eine
seronegativen Frau in der Schwangerschaft zur gefürchteten Röteln- Rötelninfektion in der Schwangerschaft zu erwerben.
embryopathie führen, die mit einer hohen Fehlbildungsrate beim Seit Einführung der Impfung im Kindesalter ist der Anteil sero-
Neugeborenen einhergeht. negativer Frauen im gebärfähigen Alter auf < 3 % gesunken. Eine
hohe Durchimpfungsrate muss aufrechterhalten werden, um die
Rötelninfektionen in der Schwangerschaft erfolgreich zu verhindern.
Steckbrief
kÜbertragung
Das Rötelnvirus ist ein RNA-Virus aus der Familie der Togaviri-
Infizierte Personen scheiden hohe Virusmengen in nasopharyngea-
dae. Die Bedeutung des Rötelnvirus als Verursacher schwerer
len Sekreten aus. Die Infektion erfolgt entsprechend bei engem Kon-
Embryopathien nach Rötelninfektion der Mutter in der Schwan-
takt von Mensch zu Mensch, in der Hauptsache durch Tröpfchenin-
gerschaft wurde 1941 von dem australischen Augenarzt
fektion. Die Infektiosität beginnt bereits 7 Tage vor Ausbruch des
Sir Normann Gregg erkannt.
Exanthems und dauert danach bis zu 10–14 Tage an. Auch asympto-
matisch Infizierte sind infektiös.
Virusgröße: 70 nm
Genom: 9,75 kb, ss(+)-RNA
kPathogenese

Hülle mit RNA


Glyko- Eintrittspforte ist der Nasen-Rachen-Raum. Nach Vermehrung in
proteinen der Schleimhaut des Nasopharynx und den regionalen Lymphkno-


ten kommt es zur Generalisierung des Virus auf dem Lymph- und


 Blutweg und zur Infektion vieler Organe inklusive der Plazenta bei
 Vorliegen einer Schwangerschaft.
Kapsid kImmunität
Das Rötelnvirus weist nur einen antigenetisch stabilen Serotyp auf.
Die humorale und zelluläre Immunität nach Infektion (. Abb. 57.1)
oder Impfung verhindern zwar erneute symptomatische Erkrankun-
gen, schützen aber nicht komplett vor lokalen Reinfektionen des
57.1 Beschreibung Nasen-Rachen-Raumes und vorübergehender Virämie. IgG-Anti-
körper werden von der Mutter auf das Kind übertragen und verlei-
jAufbau/ Morphologie hen diesem über einen Zeitraum von 3–6 Monaten einen »Nest-
Das Rötelnvirus (Rubellavirus) ist ein RNA-Virus aus der Familie schutz«.
der Togaviridae, Genus Rubivirus. Das ikosaedrische Nukleokapsid
wird von einer lipidhaltigen Hülle umgeben, in welche die Struktur- kKlinik
proteine E1 und E2 eingelagert sind, die Zielstrukturen für neutrali- Eine Erstinfektion verläuft bei Kindern in bis zu 50 % oligo- bzw.
sierende Antikörper darstellen. E1 besitzt zusätzlich eine Hämagglu- asymptomatisch, bei Jugendlichen und Erwachsenen in > 30 %. Die
tinin-Funktion, die diagnostisch zur Immunitätsbestimmung im symptomatische Rötelnerkrankung beginnt nach einer Inkubations-
Hämagglutinations-Hemmtest (HHT) ausgenutzt wird. zeit von 14–21 Tagen und unspezifischen Prodromi wie Kopf-
schmerzen, Katarrh und subfebrilen Temperaturen mit charakteris-
jVorkommen tischer Schwellung der postaurikulären, zervikalen und subokzipi-
Der einzige Wirt des Rötelnvirus ist der Mensch. talen Lymphknoten und feinfleckigem Exanthem. Dieses beginnt
hinter den Ohren und breitet sich über das Gesicht auf Körper und
Extremitäten aus. Es ist etwa 1–3 Tage sichtbar, oft aber auch nur
57.2 Rolle als Krankheitserreger wenige Stunden (. Abb. 57.2). Vor allem bei erwachsenen Frauen
kann es im Anschluss zu Arthralgien besonders der kleinen Fuß-
kEpidemiologie und Handgelenke kommen. Schwerwiegende Komplikationen wie
In der Ära vor Beginn der nationalen Impfkampagne in Deutschland z. B. eine Beteiligung des ZNS in Form einer Meningoenzephalitis
traten die Röteln vornehmlich im Frühjahr auf. Epidemische Häu- oder eine thrombozytopenische Purpura sind sehr selten.
476 Kapitel 57 · Rötelnvirus

. Abb. 57.1 Ablauf einer Rötelninfektion mit Antikörpertiterverlauf, Virusausscheidung und klinischen Daten

Nach abgelaufener Rötelninfektion gibt es in der Regel keine Fetus kommen, und zwar unabhängig davon, ob die Infektion der
Viruspersistenz. Ausnahme ist die konnatale Rötelninfektion, bei Mutter symptomatisch oder asymptomatisch verläuft. Art, Schwere
der das Neugeborene noch monatelang infektiöses Virus in Urin und und Wahrscheinlichkeit der Erkrankung des Ungeborenen sind ab-
Rachensekreten ausscheidet. Eine Diagnosestellung allein aufgrund hängig vom Zeitpunkt der mütterlichen Infektion:
des klinischen Bildes ist unsicher. 4 Bei Infektion vor der 12. SSW besteht ein hohes Risiko (bis zu
Bei Exanthemen sind differenzialdiagnostisch Infektionen 90 %) für die Entwicklung einer klassischen Rötelnembryo-
durch Enteroviren, EBV, Parvovirus B19 (Ringelröteln), HHV-6 (Ex- pathie (Gregg-Syndrom) mit Gehörschäden, Augendefekten
anthema subitum), Masernvirus, Streptococcus pyogenes (Schar- (z. B. Katarakt, Glaukom), Herz- und anderen Organfehl-
lach) sowie Arzneimittelexantheme zu berücksichtigen. Bei Arthral- bildungen.
gien ist ebenfalls an Infektionen mit Parvovirus B19 oder, nach Aus- 4 Bis zur 20. SSW sinkt das Fehlbildungsrisiko auf unter 20 %,
landsaufenthalt, an Infektionen mit z. B. Chikungunya- oder Den- wobei hier isolierte Gehörschäden beim Kind im Vordergrund
gue-Virus zu denken. stehen.
4 Nach der 20. SSW gilt das Risiko eines kindlichen Schadens als
Röteln in der Schwangerschaft Bei erstmaliger Infektion kann es gering.
im Rahmen der Virämie zur Übertragung des Virus auf Embryo bzw.
Reinfektionen während der Schwangerschaft nach früher durchge-
machter Wildvirusinfektion oder nach Impfung führen in den aller-
meisten Fällen nicht zu einer Embryopathie.

kLabordiagnose
Antikörpernachweis Die Diagnostik der Wahl bei Verdacht auf
akute Infektion ist der Antikörpernachweis in 2 im Abstand von
10–14 Tagen entnommen Serumproben. Eine Serokonversion im
IgG-ELISA mit positivem IgM ist beweisend für eine akute Röteln-
infektion. Bei einer Reinfektion kann es neben einem Titeranstieg im
IgG ebenfalls vorübergehend zu einem positiven IgM-Nachweis
Virologie

kommen (. Abb. 57.1). Bei Feten ab der 22. SSW und Neugeborenen
gibt nur ein positives IgM Hinweis auf eine intrauterin erworbene
Infektion, da die Mutter IgG-Antikörper diaplazentar überträgt.

Immunitätsbestimmung Goldstandard war viele Jahre der Hämag-


glutinations-Hemmtest (HHT oder HI; 7 Kap. 18). Er nutzt die Fä-
higkeit des Rötelnvirus, Erythrozyten zu agglutinieren, und die
Hemmung der Agglutination durch neutralisierende Antikörper im
Patientenserum. IgG- und IgM-Antikörper werden gemeinsam er-
fasst: Titer ≥ 1:32 gelten als protektiv. Titer von 1:8 und 1:16 bedeu-
ten keinen sicheren Schutz, bei Werten < 1:8 ist von fehlender Im-
munität auszugehen. Mittlerweile wird zur Immunitätsbestimmung
. Abb. 57.2 Rötelnexanthem (mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. z. B. im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge die Durchführung eines
Dietrich Falke, Mainz) IgG-ELISA als ausreichend angesehen.
57.2 · Rolle als Krankheitserreger
477 57
Virusnachweis Der Virusdirektnachweis, in der Regel durch RT-
PCR, findet schwerpunktmäßig in der Diagnostik der intrauterin In Kürze
erworbenen Infektion seine Anwendung. Pränatal kann der Virus- Rötelnvirus
nachweis z. B. aus Chorionzottenbiopsien, Fruchtwasser oder feta- Virus Rubellavirus (Genus: Rubivirus, Familie: Togaviridae).
lem Blut erfolgen, bei Neugeborenen ebenfalls aus Blut oder Urin ss(+)-Strang-RNA-Virus, bestehend aus ikosaedrischem Kapsid
und Rachensekreten. Ein positiver Virusnachweis ist in diesen Fällen und Lipidhülle, nur 1 Serotyp.
beweisend für eine Rötelninfektion des Fetus bzw. Neugeborenen. Vorkommen und Übertragung Weltweit, Mensch als alleiniger
Wirt. Übertragung mittels Tröpfcheninfektion durch symptoma-
Schwangerschaft Bei der Diagnose einer erstmaligen Rötelninfek- tisch oder asymptomatisch Infizierte.
tion in der Frühschwangerschaft erfolgt aufgrund der hohen Fehl- Epidemiologie In ungeimpfter Population erfolgt der Großteil
bildungsrate häufig ein Schwangerschaftsabbruch. In der Praxis ist der Infektionen im Kindesalter mit kleineren und größeren Epi-
der genaue Infektionszeitpunkt jedoch häufig schwer zu bestimmen, demien alle paar Jahre.
da z. B. IgM-Antikörper über lange Zeit persistieren können. Auch Pathogenese Initial lokale Vermehrung in Nasopharynx und re-
die Unterscheidung zwischen Erst- und Reinfektion kann schwierig gionalen Lymphknoten, dann Generalisierung. Keine Virusper-
sein, wenn kein Vergleichsserum von vor der Schwangerschaft vor- sistenz.
liegt. Deshalb sollten diese Untersuchungen nur in Speziallaborato- Klinik Häufig asymptomatisch. Inkubationszeit 14–21 Tage,
rien erfolgen, die zusätzliche diagnostische Möglichkeiten zur Ein- dann Exanthem und zervikale und nuchale Lymphadenopathie.
grenzung des Infektionszeitpunkts bieten. In der Frühschwanger- Gefahr der Embryopathie (Gregg-Syndrom: Auge, Ohr, Gehirn,
schaft seronegative Frauen sind im weiteren Verlauf der Schwanger- Herz) bei Infektion seronegativer Frauen in der Frühschwanger-
schaft auf das Auftreten von Antikörpern zu kontrollieren. schaft.
Immunität Nach Wildvirusinfektion lebenslange Immunität.
kTherapie Auch nach Impfung ist mit jahrzehntelanger Immunität zu rech-
Bisher existiert keine spezifische antivirale Therapie. nen, die erreichten Antikörpertiter sind jedoch im Schnitt nied-
riger als nach Wildvirusinfektion. Asymptomatische Reinfek-
kPrävention tionen sind möglich.
Schutzimpfung Die 1. Impfung erfolgt nach STIKO-Empfehlun- Diagnose Klinisch nicht immer eindeutig. Antikörpernachweis
gen bei allen Kindern im Alter von 11–14 Monaten. Die 2. Impfung (IgG, IgM; HHT) bei Verdacht auf akute Infektion, Virusdirekt-
sollte bis zum 2. Lebensjahr abgeschlossen sein. Bei fehlendem Impf- nachweis in der Pränataldiagnostik. DD: Masern, Enterovirus-
schutz kann die Impfung jedoch in jedem Lebensalter nachgeholt Infektion, infektiöse Mononukleose, Exanthema subitum,
werden. Da es sich bei der Rötelnimpfung um einen Lebendimpf- Erythema infectiosum, Scharlach, Arzneimittelexantheme.
stoff handelt, ist während der Schwangerschaft die Impfung kontra- Therapie Symptomatisch.
indiziert. Bis 4 Wochen nach einer Schutzimpfung sollte eine Prävention Schutzimpfung mit attenuierter Lebendvakzine
Schwangerschaft vermieden werden. Allerdings sind bisher keine nach STIKO für alle Kinder im 2. Lebensjahr empfohlen. Zum
Embryopathien durch das Impfvirus bekannt geworden. Bei einer Schutz vor einer Rötelnembryopathie sollten alle Frauen mit
akzidentellen Rötelnimpfung in der Schwangerschaft besteht dem- Kinderwunsch 2-mal gegen Röteln geimpft worden sein.
nach auch keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch.

Passive Prophylaxe Die Gabe von humanem Rötelnimmunglobu-


lin an seronegative Schwangere mit Rötelnkontakt wird seit 2002
nicht mehr empfohlen, da die Wirksamkeit in Bezug auf Verhinde-
rung einer Rötelnembryopathie sich nicht beweisen ließ. Röteln-
immunglobulin ist in Deutschland nicht mehr im Handel.

Meldepflicht Nach §§ 6, 7 IFSG Meldepflicht für behandelnden


Arzt schon bei Verdacht auf Röteln bzw. für Labore bei Hinweis auf
akute Infektion.
479 58

Coronaviren
J. Ziebuhr

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_58, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Man unterscheidet 6 humanpathogene Coronaviren, die entweder Glykoproteinen, sog. Spikes, gebildet, die in die Virushülle eingelagert
zum Genus Alpha-Coronavirus oder zum Genus Beta-Coronavirus ge- sind. Coronaviren sind Plusstrang-RNA-Viren mit den größten Geno-
hören (Subfamilie Coronavirinae, Familie Coronaviridae). Humane men (30 kb) unter allen bekannten RNA-Viren. Sie haben einen Durch-
Coronaviren (. Tab. 58.1) verursachen akute respiratorische Erkran- messer von etwa 120 nm. Das helikale Kapsid wird von einer Lipidhülle
kungen, die meist problemlos verlaufen, gelegentlich jedoch zu umgeben, in die mindestens 3 Strukturproteine (Spike-Glykoprotein S,
schweren Pneumonien führen, insbesondere bei bestehender Komor- Hüllprotein E, Membranprotein M) eingelagert sind.
bidität oder bei Infektionen mit spezifischen humanen Beta-Corona-
viren. Eine ursächliche Beteiligung an Gastroenteritiden ist möglich,
spielt jedoch klinisch und zahlenmäßig keine große Rolle. Die zahlrei- 58.1 HCoV-229E, HCoV-OC43, HCoV-NL63,
chen bekannten animalen Coronaviren verursachen in der Regel HCoV-HKU1
respiratorische und gastrointestinale Erkrankungen, insbesondere
bei Säugetieren und Vögeln (. Tab. 58.1). Infektionen mit den humanen Coronaviren (HCoV) NL63, 229E,
Der Name der Viren leitet sich vom typischen elektronenmikroskopi- OC43 und HKU1 treten vor allem in den Wintermonaten auf und
schen Erscheinungsbild der Virusoberfläche ab, die an eine Krone (lat. sind für etwa 5–30 % aller akuten respiratorischen Erkrankungen
»corona«) erinnert. Die Fortsätze dieser Krone werden von den viralen verantwortlich. Infektionen führen typischerweise zu Rhinitis, Kon-

. Tab. 58.1 Humane und ausgewählte animale Coronaviren

Genus Kürzel Wirt Zellulärer Rezeptor Krankheiten


Virusspezies/-stamm

Alpha-Coronavirus:

Virus der übertragbaren Gastroenteritis TGEV Schwein Aminopeptidase N Gastroenteritis

Felines Coronavirus FCoV, FIPV Katze Aminopeptidase N Enteritis, Peritonitis

Humanes Coronavirus 229E HCoV-229E Mensch Aminopeptidase N ARE*

Humanes Coronavirus NL63 HCoV-NL63 Mensch Angiotensin-konvertierendes ARE, Laryngotracheitis


Enzym 2 (ACE2) (Pseudokrupp)

Virus der porcinen epidemischen Diarrhö PEDV Schwein Aminopeptidase N Enteritis

Beta-Coronavirus:

Maus-Hepatitisvirus MHV Maus mit karzinoembryonalen Antigen Enteritis, ARE, Hepatitis,


(CEA) verwandte Zelladhäsions- Enzephalitis (spezielle Stämme)
moleküle (CEACAM)

Bovines Coronavirus BCoV Rind Sialinsäure Enteritis, ARE

Humanes Coronavirus OC43 HCoV-OC43 Mensch Sialinsäure ARE

Humanes Coronavirus HKU1 HCoV-HKU1 Mensch nicht bekannt ARE

SARS-Coronavirus SARS-CoV Mensch Angiotensin-konvertierendes schweres akutes Atemwegs-


Enzym 2 (ACE2) syndrom (SARS)

MERS-Coronavirus MERS-CoV Kamel, Mensch Dipeptidylpeptidase 4 (DPP4) Pneumonie, ARDS

Gamma-Coronavirus:

Virus der infektiösen Bronchitis IBV Huhn Sialinsäure Bronchitis, Pneumonie, Nephritis,
Infektion des Intestinal- und
Genitaltrakts

* Akute respiratorische Erkrankung


480 Kapitel 58 · Coronaviren

junktivitis, Pharyngitis, gelegentlich auch zu einer Otitis media Osten, insbesondere Saudi-Arabien, Katar und Jordanien (»middle
oder Laryngotracheitis. east respiratory syndrome«, MERS).
Die Inkubationszeit beträgt 2–4 Tage, Krankheitssymptome
klingen meist nach 1 Woche ab. Eine Mitbeteiligung der unteren jHerkunft
Atemwege ist häufiger als noch vor wenigen Jahren angenommen. Nahe Verwandte des SARS-CoV haben ihr natürliches Reservoir in
Stationäre Behandlungen von Patienten mit akuten Infektionen des bestimmten Fledermausarten, von denen sie unter Beteiligung wei-
unteren Respirationstrakts (Pneumonie, Bronchiolitis, Bronchitis) terer Zwischenwirte auf den Menschen übertragen wurden. Ein Bin-
sind bei Kindern in etwa 8 % (bei Erwachsenen 5 %) auf Coronaviren deglied bei der Übertragung von Fledermäusen auf den Menschen
zurückzuführen. Infektionen im Kleinkindalter mit HCoV-NL63 war vermutlich der Larvenroller (Paguma larvata), eine Schleichkat-
führen häufig auch zu einer Laryngotracheitis (Pseudokrupp). Akute zenart, die in China als kulinarische Delikatesse gilt. Womöglich
Exazerbationen von Asthma bronchiale infolge Coronavirus-Infek- kam es bei der Aufzucht und Verarbeitung dieser Tiere zur Übertra-
tionen sind häufig beschrieben worden. gung des Erregers auf den Menschen.
Typisch ist die zyklische Wiederkehr bestimmter Coronavirus- Nach einer weiteren Anpassungsphase in infizierten Personen
Stämme im Abstand weniger Jahre. Koinfektionen von Coronaviren erwarb dann offenbar ein SARS-CoV-Vorläufervirus zu Beginn des
mit anderen respiratorischen Viren (v. a. Rhino-, Entero- und Para- Jahres 2003 die Fähigkeit, effizient von Mensch zu Mensch übertra-
influenzaviren) sind relativ häufig und führen dann zu einem deut- gen zu werden. Durch die konsequente Umsetzung hygienischer und
lich schwereren Krankheitsbild, nicht selten auch zu einer stationä- gesundheitspolitischer Maßnahmen sowie die schnelle Entwicklung
ren Behandlung. geeigneter diagnostischer Testverfahren zum Nachweis von SARS-
Mehr als 80 % aller Erwachsenen besitzen Antikörper gegen CoV ließ sich glücklicherweise die weitere Ausbreitung des Erregers
humane Coronaviren. Vorausgegangene Infektionen hinterlassen nach wenigen Monaten stoppen. Seit 2004 hat es keine neuen Infek-
jedoch keine lang anhaltende Immunität, sodass Reinfektionen mit tionen gegeben. Es gilt als sicher, dass das Virus nicht mehr in der
dem gleichen Erreger bereits nach 1 Jahr möglich sind. Neugeborene menschlichen Population zirkuliert, wenngleich eine erneute Über-
besitzen meist Coronavirus-spezifische Antikörper, die nach 3 Mo- tragung des Erregers aus seinem natürlichen Reservoir auf den Men-
naten nicht mehr nachweisbar sind. Die Serokonversion erfolgt in schen nicht ausgeschlossen werden kann.
der Regel vor Abschluss des 3. Lebensjahres. Im Falle des MERS-CoV gibt es Hinweise, dass dieses Virus sein
Coronaviren können beim Menschen auch zu intestinalen Infek- natürliches Reservoir in Dromedaren hat und von diesen Tieren auf
tionen führen, deren klinische Bedeutung jedoch gering ist. Für eine den Menschen übertragen werden kann. Infektionen mit MERS-
gelegentlich diskutierte Rolle humaner Coronaviren bei akuten und CoV führen bei Dromedaren in der Regel zu relativ unauffälligen
chronischen Erkrankungen des ZNS gibt es bisher keinen überzeu- respiratorischen Erkrankungen, die auf die oberen Atemwege be-
genden Beweis, wenngleich RNA von HCoV-229E und HCoV-OC43 schränkt bleiben.
in einigen Fällen im ZNS nachgewiesen wurde. Ein überzeugender Serologische Untersuchungen von Dromedaren auf der Arabi-
kausaler Zusammenhang mit einer spezifischen ZNS-Erkrankung schen Halbinsel, aber auch in Ost-, Nord- und Westafrika haben
wurde bisher nicht hergestellt. ergeben, dass ein hoher Anteil von (gesunden) Dromedaren MERS-
CoV-spezifische Antikörper besitzt. Spezifische Antikörper wurden
auch in archivierten Dromedar-Seren aus den frühen 1990er Jahren
58.2 SARS-Coronavirus nachgewiesen, was darauf hindeutet, dass MERS-CoV oder ein
und MERS-Coronavirus nah verwandtes Virus bereits seit längerer Zeit in diesen Tieren zir-
kuliert.
Zwei neu entdeckte Beta-Coronaviren (SARS-Coronavirus und Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass Fledermäuse ein
MERS-Coronavirus) haben in den letzten Jahren besonderes Inte- bedeutsames Reservoir für Coronaviren darstellen. Unter den zahl-
resse hervorgerufen, da sie zu akuten Erkrankungen der unteren reichen neu entdeckten Fledermaus-Coronaviren finden sich auch
Atemwege führen können, die mit einer für humane Coronaviren extrem nahe Verwandte der oben genannten humanen Coronaviren,
ungewöhnlich hohen Pathogenität und Letalität einhergehen: einschließlich SARS-CoV, MERS-CoV und HCoV-229E. Man ver-
4 Zu Beginn des Jahres 2003 löste das SARS-Coronavirus mutet daher, dass auch in Zukunft Fledermaus-Coronaviren ein
(SARS-CoV) eine weltweite Epidemie aus, die ihren Ausgang wichtiger Ausgangspunkt für neuartige Virusinfektionen des Men-
in Südchina nahm, sich innerhalb weniger Wochen weltweit schen oder anderer Säugetiere sein werden.
ausbreitete, v. a. in China, Südostasien und Kanada, und in
ihrem weiteren Verlauf zu etwa 8000 Infektionen führte, an
Virologie

denen mehr als 800 Menschen verstarben. Steckbrief


4 MERS-CoV wurde erstmals im Jahre 2012 bei einem Patienten
in Saudi-Arabien nachgewiesen, der infolge einer schweren
respiratorischen Erkrankung verstorben war. In den folgenden
beiden Jahren wurde mehrere Hundert weitere Infektionen
mit diesem Erreger nachgewiesen.

Infektionen mit diesen beiden Viren können zu einem schweren


akuten respiratorischen Syndrom (»acute respiratory distress syn-
drome«, ARDS) führen, welches im Falle des SARS-CoV die Na-
mensgebung bestimmte (»severe acute respiratory syndrome«,
SARS). MERS-CoV führt zu einem ähnlichen Krankheitsbild. In
diesem Fall verweist der Virusname auch auf die geografische Häu-
fung dieser respiratorischen Erkrankung im Nahen und Mittleren
58.3 · Molekularbiologie und Eigenschaften
481 58
58.3 Molekularbiologie und Eigenschaften jStabilität
Die meisten Coronaviren sind in der Umwelt relativ beständig (bis
jGenomstruktur und -expression zu mehreren Tagen). Sie sind empfindlich gegen die im Krankenhaus
Coronaviren sind Plusstrang-RNA-Viren und besitzen die größten üblichen Desinfektionsmittel, z. B. auf alkoholischer Basis, und las-
RNA-Genome (30 kb) aller derzeit bekannten Viren. Neben der sen sich leicht durch Erhitzen inaktivieren.
Replikation ihres Genoms synthetisieren die Viren (je nach Virus-
spezies) 4–9 mRNA-Moleküle (. Abb. 58.1), deren 5’- und 3’-Enden jEpidemiologie, Übertragung und Hygienemaßnahmen
mit denen des Genoms identisch sind. Diese »geschachtelten« mR- Coronaviren sind für einen großen Teil der akuten respiratorischen
NAs werden auch als »nested set of mRNAs« bezeichnet und haben Erkrankungen in den Wintermonaten verantwortlich. Sie werden
zur Namensgebung der übergeordneten Virusordnung, Nidovirales relativ leicht von Mensch zu Mensch durch Tröpfchen und Aerosole
(lat. »nidus«: Nest), beigetragen. übertragen, was nur durch konsequente Hygienemaßnahmen zu
Die mRNAs kodieren die viralen Strukturproteine: Spike-Glyko- verhindern ist. Einige Coronaviren einschließlich SARS-CoV kön-
protein (S), Hüllprotein (E, »envelope«) und Membranprotein (M). nen auch durch Stuhl, Urin und Sekrete ausgeschieden und über-
Einige Coronaviren (z. B. HCoV-OC43) kodieren außerdem ein tragen werden.
Hämagglutinin-Esterase-Protein (HE) als weiteres Strukturprotein Im Gegensatz zu anderen humanen Coronaviren werden SARS-
sowie eine unterschiedliche Anzahl akzessorischer Proteine, die CoV und MERS-CoV in der Regel erst in einem späten Stadium der
die Replikation in bestimmten Wirten begünstigen oder zur viralen Erkrankung übertragen. Dies erklärt einerseits die besonders hohen
Pathogenität beitragen. Infektionsraten bei medizinischem Personal auf Intensivstationen,
Zahlreiche viruskodierte Enzyme und Hilfsproteine steuern die die an der Pflege dieser Patienten beteiligt sind, erleichtert aber
coronavirale RNA-Synthese. Die meisten dieser Proteine werden vom andererseits die Erkennung und Isolierung infizierter Patienten, um
Replikase-Gen kodiert, das aus 2 großen Leserahmen (1a, 1b; . Abb. somit die weitere Ausbreitung des Erregers zu verhindern.
58.1) besteht. Coronaviren nutzen ungewöhnlich komplexe Mecha-
nismen der viralen Genexpression. Dazu gehören eine program- jPathogenese
mierte ribosomale Leserasterverschiebung während der Translation, Coronaviren dringen über den Nasen-Rachen-Raum ein und ver-
die für die Expression des 1b-Leserahmens erforderlich ist, sowie eine mehren sich dort. Infektionen mit konventionellen Coronaviren
umfangreiche proteolytische Prozessierung der viralen Polyproteine, (HCoV-229E, HCoV-NL63, HCoV-OC43, HCoV-HKU1) verlaufen
an denen mehrere Virusproteasen beteiligt sind und die zur Frei- in den meisten Fällen als typische »Erkältung«: Husten, Schnupfen,
setzung von insgesamt 16 Nichtstrukturproteinen aus diesen Poly- Konjunktivitis, Pharyngitis, gelegentlich auch Laryngotracheitis
proteinen führt. oder Bronchitis. Es besteht ein allgemeines Krankheitsgefühl mit

. Abb. 58.1 Coronavirus-Genom und subgenomische RNAs. Oberer Bildteil: Die ssRNA (ca. 30 kb) enthält in ihrem 5’-Bereich 2 große Leserahmen (1a und
1b), die man zusammenfassend als Replikase-Gen bezeichnet. Dieses kodiert 2 Polyproteine (pp1a und pp1ab), die von viralen Proteasen in 16 reife Nicht-
strukturproteine gespalten werden (nicht dargestellt). Die Expression des 1b-Leserahmens erfordert eine Verschiebung des ribosomalen Leserasters kurz vor
Erreichen des Translations-Stopp-Kodons im 1a-Leserahmen. Die Replikase-Gen-kodierten viralen Proteine lagern sich zu einem Proteinkomplex zusammen,
der die virale RNA-Synthese steuert und spezifische Wirtszellfunktionen moduliert. Neben einer RNA-abhängigen RNA-Polymerase und einigen RNA-binden-
den Proteinen enthält dieser Komplex eine Reihe von Enzymen, z. B. Helikase, Proteasen, Ribonukleasen und Methyltransferasen. Unterer Bildteil: In virus-
infizierten Zellen werden außerdem virale subgenomische RNAs synthetisiert, die für die Expression des 3’-Bereichs des Genoms benötigt werden. Da nor-
malerweise in der eukaryotischen Zelle nur der erste, am 5’-Ende einer mRNA gelegene Leserahmen translatiert werden kann, erfordert die Expression der
Strukturproteine S, E, M und N (farblich markiert) jeweils eine eigene subgenomische RNA. Gleiches gilt für die Translation anderer in diesem Genomabschnitt
kodierter Proteine (weiß dargestellt): So wird das S-Protein von der subgenomischen RNA 2 exprimiert (S-Leserahmen rot markiert), die subgenomische
RNA 5 wird für die Expression des M-Proteins benötigt (M-Leserahmen blau markiert) und die subgenomische RNA 3 dient zur Expression eines akzessorischen
Nichtstrukturproteins
482 Kapitel 58 · Coronaviren

Müdigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, gelegentlich auch mit Fie- pathogenen Coronaviren) die Erhaltung vitaler Funktionen durch
ber bis 38,5 °C. intensivmedizinische Maßnahmen. Therapieversuche bei SARS mit
Infektionen des unteren Respirationstrakts sind möglich und Ribavirin und Typ-I-Interferonen wurden unternommen, eine
erfolgen insbesondere bei Koinfektionen mit anderen respiratori- therapeutische Wirksamkeit war jedoch nicht überzeugend nach-
schen Erregern (insbesondere Rhinoviren, Enteroviren, RSV, Para- weisbar.
influenzaviren). Schwere Krankheitsverläufe werden vor allem be-
obachtet bei vorbestehenden Erkrankungen, insbesondere des kar-
diopulmonalen Systems, und im Zusammenhang mit Transplanta- In Kürze
tionen (Immunsuppression). Coronaviren
Infektionen mit SARS-CoV und MERS-CoV führen typischer- Molekularbiologie 6 humane Coronaviren sind bekannt, die ent-
weise zu einem schweren, häufig auch lebensbedrohlichen Krank- weder zum Genus Alpha-Coronavirus (HCoV-229E, HCoV-NL63)
heitsbild, das als schweres akutes Atemwegssyndrom (»severe oder zum Genus Beta-Coronavirus (HCoV-OC43, HCoV-HKU1,
acute respiratory syndrome«, SARS) oder auch ARDS (»acute respi- SARS-CoV, MERS-CoV) gehören. ss(+)-RNA-Virus mit helikalem
ratory distress syndrome«) bezeichnet wird. Typische Symptome Kapsid. Lipidhülle mit mindestens 3 eingelagerten viralen Pro-
sind plötzlich einsetzendes hohes Fieber, Myalgien, trockener Hus- teinen, von denen das Spike-Protein zur typischen Struktur
ten, schweres Krankheitsgefühl und Schüttelfrost. Im weiteren Ver- (»Corona«) im Elektronenmikroskop beiträgt. Größtes bekanntes
lauf der Erkrankung kommt es zu Atemnot wegen mangelhafter RNA-Genom. Ungewöhnlich komplexe Replikationsstrategie mit
Sauerstoffsättigung im Blut, die häufig eine intensivmedizinische speziellen RNA-Synthesemechanismen und zahlreichen Enzymen,
Behandlung einschließlich Intubation und künstlicher Beatmung die zum überwiegenden Teil bei anderen Viren nicht vorhanden
erfordert. Die Letalität ist ungewöhnlich hoch, 10 % bei SARS-CoV sind.
und bis zu 35 % bei MERS-CoV. Vorkommen Coronaviren sind typische Erreger oberer Atem-
Die Viren infizieren in erster Linie die Zellen des Alveolarepi- wegserkrankungen. SARS-CoV wurde 2002/2003 auf den Men-
thels (Typ-I- und Typ-II-Pneumozyten), sind jedoch häufig auch in schen übertragen (ursprünglich von Fledermäusen, wahrschein-
anderen Organen wie Niere und Darm nachweisbar. Die Ursachen lich auf Umweg über bestimmte Schleichkatzen), danach durch
der massiven Lungenschädigung sind bisher nicht vollständig ge- Reisende in viele Länder verbreitet. Es zirkuliert in der mensch-
klärt und es gibt interessante Unterschiede in der Pathogenese von lichen Population nicht mehr. Es gibt jedoch bedeutsame tieri-
Infektionen mit SARS-CoV und MERS-CoV. In beiden Fällen spie- sche Reservoire verschiedenster Coronavirus-Arten der Gattun-
len jedoch immunpathologische Mechanismen eine zentrale Rolle. gen Alpha- und Beta-Coronavirus, insbesondere auch in zahl-
Für SARS-CoV (aber auch andere Coronaviren) wurde gezeigt, reichen Fledermausarten (weltweit), sodass auch in Zukunft mit
dass die ansonsten übliche Induktion einer Typ-I-Interferon-Ant- neuartigen zoonotischen Infektionen durch Coronaviren ge-
wort in virusinfizierten Zellen durch spezifische virale Proteine un- rechnet werden muss. Jüngstes Beispiel ist MERS-CoV, das sein
terdrückt werden kann. Man vermutet daher, dass das Versagen der natürliches Reservoir in Dromedaren hat und von diesen auf
Sofortantwort des Immunsystems eine hocheffiziente Virusreplika- den Menschen übertragen und lebensbedrohliche Infektionen
tion während der ersten Tage der Infektion begünstigt, die wiederum hervorrufen kann. Die weitere Übertragung von Mensch zu
eine erhöhte Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen Mensch ist (bisher) relativ ineffizient.
und Chemokinen bedingt und zu einem massiven Einstrom von Übertragung Durch Tröpfchen und Aerosole. Bei SARS-CoV
T-Zellen und neutrophilen Granulozyten führt. und einigen anderen Coronaviren auch durch Sekrete und
Das histopathologische Bild ist gekennzeichnet durch eine dif- Stuhl.
fuse alveoläre Schädigung, die Ablösung von Pneumozyten, den Pathogenese und Klinik Eindringen über den Nasen-Rachen-
Verlust alveolärer Strukturen und Funktionen (Gefäßschädigung, in den Bronchialraum. Bei den 4 verbreiteten humanen Corona-
Ödeme, Exsudat- und Fibrinbildung in den Alveolen, Hämorrhagi- viren: Erkrankungen der oberen Luftwege (Schnupfen, Pharyn-
en, Fibrosierung, hyaline Membranen etc.). Die massive Schädigung gitis, Laryngotracheitis, Bronchitis), gelegentlich auch Pneumo-
der Lungenalveolen verhindert den Gasaustausch und gilt als Haup- nien. Bei SARS und MERS: schwere Pneumonie, hämatogene
tursache der hohen Letalität. Streuung, virus- und immunpathologisch bedingte Schädigung
der Lungenalveolen.
Diagnose RT-PCR. Antikörpernachweis zwar möglich, aber
58.4 Diagnostik und Therapie meist nicht aussagekräftig, da Serokonversion bereits im frühen
Kindesalter erfolgt, die jedoch keinen wirksamen Schutz vor
Virologie

Antikörper gegen Coronaviren lassen sich in verschiedenen Verfah- Reinfektionen bietet.


ren nachweisen, sind jedoch meist von geringer Aussagekraft. Die Prävention Bei SARS, MERS: Isolierung der Kranken und
Diagnose einer akuten Infektion erfolgt mittels RT-PCR, z. B. aus Kontaktpersonen, strikte Hygienemaßnahmen.
Nasen-Rachen-Abstrichen, BAL oder Stuhl. PCR-basierte Multi-
plex-Testverfahren zum Nachweis humaner Coronaviren und ande-
rer respiratorischer Viren finden zunehmend Anwendung. Die An-
zucht humaner Coronaviren ist häufig schwierig und wird deshalb
nicht routinemäßig durchgeführt. SARS-CoV und MERS-CoV las-
sen sich hingegen problemlos in Zellkultur vermehren.
DD: Influenza, RSV-Bronchiolitis, Pneumonien anderer Ätiolo-
gie, u. a. Metapneumovirus, Paramyxoviren, Rhinoviren, Entero-
viren, Chlamydia pneumoniae.
Die Therapie erfolgt symptomatisch bzw. beschränkt sich auf die
Behandlung möglicher bakterieller Superinfektionen und (bei hoch-
483 59

Orthomyxoviren: Influenza
S. Pöhlmann, C. Schmitt

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_59, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Verursacher der Influenza (»Grippe«), Influenzavirus A, B und C, ches Reservoir in Wasservögeln. Darüber hinaus können sie aber
gehören zur Familie der Orthomyxoviren. Während man umgangs- neben dem Menschen noch viele andere Säugetierspezies infizieren.
sprachlich als »Grippe« oder »grippalen Infekt« relativ leicht verlaufende Influenza-C-Viren spielen als Krankheitserreger keine nennens-
Erkrankungen bezeichnet, die durch verschiedene »respiratorische werte Rolle.
Viren« ausgelöst werden, ist die »echte Grippe«, insbesondere nach In-
fektion mit dem Influenza-A-Virus, eine schwere Erkrankung. Die jährlich jInfluenzaviren – Aufbau und Klassifikation
im Winter wiederkehrenden Grippewellen verursachen eine statistisch Das Genom der Influenza-A- und Influenza-B-Viren besteht aus
erfassbare Erhöhung der Sterblichkeit (»Übersterblichkeit«) v. a. älterer 8 Segmenten, die insgesamt 11 viruseigene Proteine kodieren. Das
Patienten. Besonders gefährdet sind neben älteren Personen Patienten Influenza-C-Virus Genom besitzt nur 7 Segmente. Jedes dieser ein-
mit chronischen Erkrankungen, wie z. B. Lungen- oder Herzkrankheiten, zelsträngigen RNA-Segmente bildet zusammen mit dem Nukleo-
aber auch Kleinkinder und Schwangere. protein (NP) und den Polymeraseproteinen (PB1, PB2, PA) einen
helikalen Ribonukleoproteinkomplex, das Nukleokapsid. Es sind
die antigenen Eigenschaften des NP, die die Zuordnung eines Virus
Steckbrief zu den 3 Genera Influenza A, B oder C bestimmen. Die 8 (bzw. 7)
Ribonukleoproteinkomplexe werden von einer von der Wirtszell-
Influenzaepidemien sind seit Jahrhunderten bekannt. Wilson
membran abgeleiteten Lipidhülle umgeben.
Smith gelang es 1933 erstmalig, die Erkrankung durch Inokula-
Die dominierenden viruseigenen Proteine in der Virushülle der
tion von sterilfiltriertem Rachenspülwasser Erkrankter auf Frett-
Influenza-A- und Influenza-B-Viren sind 2 Glykoproteine, das
chen zu übertragen und damit ein filtrierbares Agens, ein Virus,
Hämagglutinin (HA) und die Neuraminidase (NA), die als sog.
als Ursache der Erkrankung indirekt zu identifizieren.
Spikes über die Virusoberfläche hinausragen. Das Influenza-C-
Virus besitzt nur ein Hüllglykoprotein, das sowohl Hämagglutinin-
wie Neuramidase-Funktionen erfüllt. Das dritte virale Protein der
Virushülle der Influenza-A-Viren ist das M2-Protein, das einen
Ionenkanal darstellt. Influenza-B-Viren besitzen kein M2-Protein.
Die Innenseite der Virushülle wird vom Matrixprotein M1 ausge-
kleidet. Außerdem kodiert das Influenzavirusgenom noch die sog.
Nichtstrukturproteine NS1 und NS2, die vielfältige Funktionen
unter anderem während der Virusreplikation erfüllen.
4 Das Hämagglutinin (HA) enthält die Antigendeterminanten,
die für die Virusneutralisation und die Hämagglutinations-
hemmung maßgebend sind. Sie bestimmen die serologische
Spezifität der Subtypen und von deren Varianten. Das HA-Mo-
lekül besteht aus 2 Untereinheiten, HA1 und HA2, die durch
Proteasen des Wirts aus einem gemeinsamen Proteinvorläufer
generiert werden. Durch Spaltung von HA wird das Influenza-
virus infektiös.
59.1 Beschreibung 5 HA1 ist für die Bindung an den Virusrezeptor (neuramin-
säuretragende Plasmamembranproteine oder Lipide) auf
jCharakteristika der Orthomyxoviren der Zelloberfläche verantwortlich.
Zur Familie der Orthomyxoviridae gehören die folgenden 3 human- 5 HA2 ist für die Fusion der Virushülle mit der Membran des
pathogenen Genera (mit jeweils einer Spezies gleichen Namens): Endosoms zuständig.
Influenza-A-, Influenza-B- und Influenza-C-Virus. Orthomyxo- 4 Die Neuraminidase (NA) entfernt endständige Neuraminsäure-
viren besitzen ein segmentiertes (–)ssRNA-Genom. Die Segmentie- reste von Wirtszellmembran und Virushülle und ist damit
rung des Genoms (8 Segmente bei Influenzavirus A und B, 7 Seg- essenziell für die Freisetzung der Viruspartikel.
mente bei Influenzavirus C) und die damit verbundene Möglichkeit
der Reassortierung viraler Genomfragmente, ist, neben der hohen Bei Wasservögeln, dem natürlichen Reservoir der Influenza-A-
Mutationsfrequenz, eine wichtige Grundlage für die enorme gene- Viren, hat man bisher 16 verschiedene Hämagglutinin Subtypen
tische Variabilität der Influenzaviren. (H1–16) und 9 verschiedene Neuraminidase Subtypen (N1–9) ge-
Während Influenza-B- und Influenza-C-Viren in der Regel nur funden, mehr als 110 verschiedene HA/NA-Kombinationen wurden
beim Menschen vorkommen, haben Influenza-A-Viren ihr eigentli- beschrieben. Bei der Infektion des Menschen durch saisonale und
484 Kapitel 59 · Orthomyxoviren: Influenza

H1N1

H3N2
H2N2
H1N1 H1N1

1918 1957 1968 1977 2009


1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010

. Abb. 59.1 Influenza-Pandemien des 20. und 21. Jahrhunderts

pandemische Influenza-A-Viren (7 s. u.) spielen dagegen bisher nur fluss des Immunsystems des Wirtes besonders Mutationen, die zu
die HA-Subtypen H1–H3 und die NA-Subtypen N1 und N2 eine veränderten antigenen Eigenschaften führen, selektioniert. Dieser
Rolle. Bei der Bezeichnung von Influenzaviren, wie z. B. A/Hong- Prozess wird als Antigendrift bezeichnet und ist wesentlich für die
kong/1/68 (H3N2), werden folgende Informationen berücksichtigt: jährlichen Grippewellen, die saisonale Influenza, verantwortlich.
4 Speziesbezeichnung (A) Zum anderen bildet das segmentierte Genom die Voraussetzung
4 Ort der Virusisolierung (Hongkong) für einen Austausch von Genomsegmenten (Reassortierung), wo-
4 Nummer des isolierten Virusstammes (1) durch ein Virus mit neuen antigenen oder virulenzbeeinflussenden
4 Isolierungsjahr (68) Eigenschaften ausgestattet werden kann – die Voraussetzung für eine
4 HA- bzw. NA-Subtyp (H3N2). Influenza-Pandemie. Werden dabei die Genomsegmente, welche die
Oberflächenproteine HA oder NA kodieren, ausgetauscht, spricht
jReplikationszyklus des Influenza-A-Virus man von Antigenshift.
Der erste Schritt im Replikationszyklus ist die Adsorption infektiö- Bleibt jedoch der HA- und NA-Subtyp erhalten, spricht man von
ser Viruspartikel an die Epithelzellen des Respirationstraktes. Dabei intrasubtypischer Reassortierung. Damit ein Austausch von Ge-
bindet die HA1-Untereinheit des Hämagglutinins an terminale Neu- nomsegmenten stattfinden kann, muss eine Zelle mit mindestens 2
raminsäurereste von Glykoproteinen oder -lipiden, die den zellu- verschiedenen Influenzaviren infiziert sein. Solche Mischinfektio-
lären Rezeptor der Influenza-A-Viren darstellen. Die Spezifität von nen können auch zum Austausch von Genomsegmenten zwischen
Influenzaviren für α-2,3- bzw. α-2,6-verknüpfte Neuraminsäure Viren mit eigentlich unterschiedlicher Wirtsspezifität führen, wenn
(7 s. u.) bestimmt sowohl den Organtropismus als auch die Wirts- eine Tierspezies für beide Viren empfänglich ist:
spezifität. Ein bekanntes »Mischgefäß« ist das Schwein, das nicht nur von
Nach Aufnahme des Virions durch rezeptorvermittelte Endo- »klassischen« Influenza-A-Viren des Schweines infiziert werden
zytose und pH-Absenkung im Endosom kommt es zu einer Umfal- kann, sondern auch von humanen und aviären Influenza-A-Viren:
tung des HA1/HA2-Komplexes, der eine Freisetzung der Fusionsdo- Bei gleichzeitiger Infektion können reassortierte Viren entstehen,
mäne der HA2-Untereinheit und Verschmelzung der Virushülle mit die Eigenschaften humaner, porciner und aviärer Influenzaviren ver-
der Endosommembran bewirkt. Außerdem kommt es über den M2- einen. Dies geschieht wahrscheinlich besonders in den Gegenden
Ionenkanal zu einer pH-Absenkung im Innern des Viruspartikels. der Welt, wo Menschen, Schweine und Geflügel auf engem Raum
Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Aufhebung von Protein- zusammenleben, wie z. B. in Südostasien.
Protein-Interaktionen und ermöglicht die Freisetzung der Ribo-
nukleoproteinkomplexe von der viralen Matrix ins Zytoplasma der Influenza-Pandemien Trifft ein Virus mit stark veränderten oder
Wirtszelle. vollständig neuen antigenen Eigenschaften auf eine immunologisch
Danach erfolgt der Transport in den Zellkern, wo Transkription naive Bevölkerung ohne schützende neutralisierende Antikörper,
und RNA-Replikation ablaufen. Die virale mRNA dient als Matrize so kann es zur Pandemie kommen, d. h., das Virus breitet sich in
für die Synthese der viralen Proteine mithilfe der Translationsma- kurzer Zeit weltweit aus und führt zur Erkrankung eines beträcht-
schinerie der Wirtszelle. Die Zusammenlagerung der Nukleoprote- lichen Teils der Bevölkerung (. Abb. 59.1). Da in der Bevölkerung
inkomplexe erfolgt im Zellkern. Die Proteine der Virushülle werden keine partielle Immunität vorhanden ist, kommt es nicht nur zu
am rauen ER gebildet und nach posttranslationeller Modifikation einer hohen Erkrankungsrate, sondern häufig auch zu schwereren
im Golgi-Apparat zur Zellmembran transportiert, an der die neuen klinischen Verläufen. Interpandemische Phasen sind durch eine
Virologie

Viruspartikel gebildet werden. Nach der Knospung der neuen Virus- zunehmende Immunität der Bevölkerung und damit einer Ab-
partikel muss die viruseigene Neuraminidase noch die Bindung der nahme der jährlichen Krankheitswelle gekennzeichnet. Durch ge-
Hämagglutinin-Spikes an zelluläre Neuraminsäuren lösen, bevor die ringere antigene Veränderungen, z. B. im Rahmen von Antigen-
Viruspartikel entlassen werden können. drift oder intrasubtypischer Reassortierung, kommt es immer wie-
der zu kleineren Epidemien oder pandemieähnlichen Ereignissen
(. Abb. 59.1).
59.2 Rolle als Krankheitserreger Die erste und zugleich verheerendste Influenza-Pandemie des
20. Jahrhunderts war die Spanische Grippe, die 1918/19 weltweit
kEpidemiologie mindestens 20–40 Mio. Todesopfer forderte. Schätzungsweise 30 %
Antigendrift und Antigenshift Die wichtigste Grundlage für die der damaligen Weltbevölkerung waren an der Grippe erkrankt. Se-
Epidemiologie der Influenza-A-Viren ist ihre hohe genetische quenzanalysen aus Lungenbiopsien von 1918 Verstorbenen, deren
Variabilität. Zum einen kommt es durch eine hohe Fehlerrate der Leichen im Permafrostboden konserviert waren, haben gezeigt, dass
viruseigenen RNA-abhängigen RNA-Polymerase bei der RNA-Re- der Erreger der Spanischen Grippe ein Influenza-A-Virus mit Sub-
plikation zu zahlreichen Mutationen. Dabei werden unter dem Ein- typ H1N1 war. Das H1N1-Virus zirkulierte bis 1957 mit verschiede-
59.2 · Rolle als Krankheitserreger
485 59
α-2,6-Gal-gebundene Neuraminsäurereste.) Daher ist nicht nur die
Übertragung von infizierten Tieren auf den Menschen sehr ineffi-
zient, sondern die Viren werden auch extrem selten von Mensch zu
Mensch übertragen.
Ist der Mensch jedoch erst einmal infiziert, kommt es aufgrund
der Replikation in den tiefen Atemwegen häufig zu einer schweren
Erkrankung mit hoher Letalität. Sollten Varianten hochpathogener
aviärer Influenzaviren entstehen, die effizient von Mensch zu
Mensch übertragen werden können, so ginge von diesen aviären
Viren ein bedeutendes pandemisches Risiko aus, da die Bevölkerung
immunologisch naiv ist.

kVirulenzfaktoren
Der Schweregrad der durch die diversen Influenza-A-Viren hervor-
gerufenen Krankheitsbilder variiert beträchtlich. So war die »Spani-
. Abb. 59.2 Nachweis von mit Influenzavirus infizierten Zellen im Rachen- schen Grippe« 1918 mit einer deutlich höheren Letalität verbunden
abstrich (Immunfluoreszenztest). Bei Verdacht auf eine Influenza-Infektion als die nachfolgenden Grippepandemien in den Jahren 1957, 1968
wird Material eines Rachenabstrichs auf einen Objektträger aufgetragen
und 2009. Die Ursachen für die unterschiedliche Virulenz sind viel-
und mithilfe von mit Fluoreszenzfarbstoff markierten Antikörpern gegen
fältig und noch nicht bis ins Detail verstanden.
Influenza-Antigene gefärbt. Der Nachweis Influenzavirus-produzierender
Zellen erlaubt die Diagnosestellung (mit freundl. Genehmigung von Damit ein Influenza-A-Virus auf den Menschen übertragen wer-
Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz) den kann, sich im Menschen replizieren und effizient von Mensch
zu Mensch ausbreiten kann, müssen verschiedene Bedingungen er-
füllt sein. Wichtigste Voraussetzung ist sicher die Rezeptorspezifi-
nen Driftvarianten und intrasubtypischen Reassortanten in der tät: Humane Influenzaviren benutzen Proteine oder Lipide, die
menschlichen Bevölkerung (. Abb. 59.1). α-2,6-verknüpfte Neuraminsäurereste tragen, als zelluläre Rezepto-
Mit dem Auftreten eines neuen Subtyps H2N2 (Antigenshift) im ren. Die entsprechenden Glykoproteine oder -lipide werden haupt-
Jahre 1957 kam es erneut zu einer Pandemie, zur »Asiatischen Grip- sächlich im Epithel der oberen Atemwege des Menschen exprimiert.
pe«. Dieses Virus wurde 1968/69 durch einen Virus des Subtyps Ob die Struktur der Hämagglutinin-Spaltstelle, die für die Viru-
H3N2 (Erreger der »Hongkong-Grippe«) abgelöst, das weltweit zir- lenz aviärer Influenzaviren entscheidend ist, auch bei menschlichen
kuliert (Stand 2014). Im Jahre 1977 kam es aus nicht abschließend Infektionen eine wichtige Rolle spielt, ist noch unklar. Die Beobach-
geklärter Ursache zusätzlich zum Wiederauftreten von H1N1 mit tung, dass das Influenzavirus, das für die Spanische Grippe verant-
sehr ähnlichen antigenetischen Eigenschaften wie das 1957 ver- wortlich ist, im Gegensatz zu hochpathogenen aviären Influenzaviren
schwundene Virus (. Abb. 59.1). keine optimierte Spaltstelle zeigt, deutet jedoch darauf hin, dass bei
Im Jahr 2009 trat ausgehend von Mexiko ein neues Influenza-A- humanen Influenzaviren kein direkter Zusammenhang zwischen
Virus auf, das ebenfalls den Subtyp H1N1 hat, sich antigenetisch Spaltstelle und Virulenz besteht. Einige Stämme von z. B. Staphylo-
aber als sehr verschieden von bis dahin zirkulierenden H1N1-Viren coccus aureus oder Aerococcus viridans sezernieren Proteasen, die
erwies. Das neue Virus [»Influenza A (H1N1) pdm09«] breitete sich das Influenza-Hämagglutinin zu aktivieren vermögen, sodass eine
rasch pandemisch aus und löste die bis dahin zirkulierenden H1N1- Koinfektion mit diesen Bakterien zu einem schwereren Krankheits-
Viren ab. Influenza A (H1N1) pdm09 ist vermutlich eine Reassor- bild führen könnte.
tante aus klassischen Schweineinfluenzaviren (Gensegmente HA, Auch unterschiedliche Replikationsraten, bedingt z. B. durch
NP, NS), eurasischen Schweineinfluenzaviren (NA, M), aviären In- Mutationen im viralen Polymerase-Komplex (PA, PB1, PB2), können
fluenzaviren (PB2, PA) und dem zirkulierenden H3N2 (PB1). eine Rolle bei der Virulenz der Influenza-A-Viren spielen. Wichtig
sind auch virale Faktoren, welche die Immunantwort des Wirts beein-
Aviäre Influenzaviren Bei der »Vogelgrippe« unterscheidet man je flussen, wie z. B. das NS1-Protein, das unter anderem die IFN-α/β-
nach Krankheitsverlauf bei infizierten Hühnern niedrigpathogene Antwort des angeborenen Immunsystems des Wirts antagonisiert.
von hochpathogenen Influenzavirus-Subtypen. Ursache für die un- Von PB1-F2 einiger Influenza-Stämme ist bekannt, dass es in der Lage
terschiedliche Pathogenität bei Vögeln sind Mutationen in der Hä- ist, Apoptose in Monozyten/Makrophagen zu induzieren, und damit
magglutinin-Spaltstelle, die dazu führen, dass nicht nur Proteasen wichtige Zellen in der Aktivierung der adaptiven Immunantwort aus-
im Gastrointestinaltrakt der Vögel, sondern auch ubiquitär vorkom- schalten kann.
mende Proteasen das Hämagglutinin spalten können, sodass die
Infektion bei hochpathogenen Subtypen nicht auf den Gastrointes- kÜbertragung
tinaltrakt beschränkt bleibt. Influenzaviren werden hauptsächlich über größere Tröpfchen über-
Von den vielen Influenza-A-Subtypen der Vögel sind bisher die tragen, wie sie z. B. beim Niesen oder Sprechen entstehen, die auf die
hochpathogen H5N1- und H7N7-Viren und die niedrigpathogenen respiratorischen Schleimhäute einer Kontaktperson gelangen. Auch
H9N2-und H7N9-Viren in Einzelfällen direkt auf den Menschen eine Übertragung durch Kontakt z. B. der Hände mit virushaltigen
übertragen worden, wobei die meisten Fälle aus Südostasien und Sekreten (Händeschütteln!) und anschließendem Mund-/Nasen-
Ägypten berichtet wurden. Voraussetzung für die Übertragung ist kontakt ist möglich.
ein sehr enger Kontakt zu den erkrankten Vögeln. Aviäre Influenza-
viren erkennen als Rezeptoren vor allem Neuraminsäurereste, die kKlinik
α-2,3-glykosidisch an Galaktose gebunden sind. Diese kommen im Eine Influenzavirus-Infektion kann asymptomatisch oder nur mit
menschlichen Respirationstrakt nur in geringem Umfang und nur in leichter unspezifischer Symptomatik ablaufen. Im Falle einer symp-
den tiefen Atemwegen vor. (Humane Influenzaviren bevorzugen an tomatischen Infektion beginnt das typische Krankheitsbild nach
486 Kapitel 59 · Orthomyxoviren: Influenza

einer Inkubationszeit von 1–4 Tagen abrupt mit hohem Fieber der Influenzavirus-Infektion indiziert. Zwei Substanzklassen sind für
(> 38,5 °C), Kopf- und Gliederschmerzen, starkem Krankheits- die Therapie der Influenza zugelassen: Neuraminidasehemmer
gefühl und trockenem Reizhusten. Die Beschwerden bilden sich (Oseltamivir und Zanamivir) und M2-Membranprotein-Hemmer
bei unkomplizierten Verläufen innerhalb von 3–7 Tagen spontan (Adamantane). Die Therapie sollte innerhalb von 48 bis maximal
zurück. 72 h begonnen werden, um noch wirksam zu sein. Bei sehr schweren
Eine gefürchtete Komplikation mit hoher Letalität ist die Pneu- Verläufen kann auch zu einem späteren Zeitpunkt ein Therapiever-
monie, die entweder als rein virale Pneumonie auftritt oder als Folge such unternommen werden.
einer bakteriellen Superinfektion, v. a. mit Streptococcus pneumo- 4 Neuraminidasehemmer verhindern über eine Blockade der
niae, Haemophilus influenzae oder Staphylococcus aureus. Weitere viralen Neuraminidase die Freisetzung neugebildeter Viren.
seltenere Komplikationen sind Myokarditiden und Myositiden. Bei Schwere und Dauer der Erkrankung lassen sich dadurch deut-
Kindern treten zusätzlich gehäuft eine Otitis media und Laryngitiden lich reduzieren. Die Wirksamkeit umfasst sowohl Influenza-A-
(Pseudokrupp) auf, auch Enzephalopathien werden beschrieben. als auch Influenza-B-Viren. Oseltamivir wird oral verabreicht,
Influenza-B-Infektionen können dieselben klinischen Manifes- Zanamivir ist bisher nur für die inhalative Anwendung zu-
tationen auslösen wie Influenza-A-Viren. Insgesamt tragen sie aber gelassen. Allerdings sollte vor einem klinischen Einsatz die
seltener zu der in den Wintermonaten mit Influenza-Infektionen aktuelle Resistenzsituation überprüft werden, Informationen
assoziierten erhöhten Mortalität bei. Infektionen mit Influenza-C- diesbezüglich finden sich z. B. auf der Homepage des Robert
Viren verlaufen in der Regel sehr mild unter dem klinischen Bild Koch-Instituts. Ein Teil der zirkulierenden Influenza-A/H1N1-
eines Schnupfens oder einer leichten Erkältungskrankheit. Viren der Jahre 2007–2009 war beispielsweise resistent gegen
Oseltamivir.
kImmunität 4 Adamantane, z. B. Amantadin, sind ausschließlich gegen
Die humorale Immunantwort richtet sich im Wesentlichen gegen Influenza-A-Viren wirksam. Problematisch ist neben einem
Epitope der beiden Glykoproteine der Virushülle, des Hämaggluti- ungünstigen Nebenwirkungsprofil vor allem die schnelle Resis-
nins und der Neuraminidase. Jedoch können nur Antikörper gegen tenzentwicklung unter Therapie. Die zirkulierenden Influenza-
Hämagglutinin die Infektion verhindern, d. h., nur sie sind in der A-Viren sind gegen Adamantane resistent (Stand 2014).
Lage, das Virus zu neutralisieren. Wie bei anderen respiratorischen
Infektionen kommt v. a. der über sekretorische IgA-Antikörper ver- kPrävention
mittelten Schleimhautimmunität eine besondere Bedeutung beim Sowohl Adamantane als auch Neuraminidasehemmer sind auch zur
Schutz vor einer Reinfektion zu. Prophylaxe der Influenza zugelassen. Auch hierbei ist die aktuelle
Die angeborene zelluläre Immunantwort spielt eine wichtige Resistenzlage zu beachten. Indiziert ist die medikamentöse Prophy-
Rolle bei der Kontrolle der initialen Virusreplikation in den Epithe- laxe für ungeimpfte enge Kontaktpersonen, die ein erhöhtes Risiko
lien der respiratorischen Schleimhaut und bei der Initiierung und für einen schweren Krankheitsverlauf haben.
Regulation der adaptiven T-Zell- und B-Zell-Antwort. Die wirksamste Maßnahme zur Prävention der Influenza besteht
jedoch in der Schutzimpfung. Diese sollte wegen der schnellen Ver-
kLabordiagnose änderung der Influenzaviren jedes Jahr vor Beginn der Influenza-
Die Diagnostik der Wahl bei Verdacht auf Influenza ist der Virusdi- Saison durchgeführt werden. Verfügbar sind Totimpfstoffe, ent-
rektnachweis aus Materialien des oberen Respirationstrakts (Ra- weder in der Form von Spaltimpfstoffen oder sog. Untereinheiten-
chen- und Nasenabstriche, Rachenspülwasser), am besten innerhalb vakzinen. Das Virus für Impfstoffe wird in der Regel im bebrüteten
der ersten 4 Krankheitstage. Bei Beteiligung der unteren Atemwege Hühnerei, in Ausnahmefällen (z. B. bestimmte Pandemieimpfstoffe)
kann der Nachweis z. B. auch aus einer bronchoalveolären Lavage in Zellkultur gezüchtet. Seit 2012 ist in Deutschland zusätzlich ein
erfolgen. Besonders geeignete schnelle Verfahren sind der Immun- attenuierter Lebendimpfstoff verfügbar, der als Nasenspray ange-
fluoreszenztest (IFT), bei dem fluoreszenzmarkierte Antikörper wendet wird. Dieser Lebendimpfstoff ist allerdings nur für Kinder
virale Antigene in Zellen des Patientenmaterials nachweisen, und von 2–17 Jahren zugelassen.
der Nachweis des viralen Genoms mittels RT-PCR. Auch ELISA-Ver- Die meisten Influenza-Impfstoffe sind trivalent, da sie HA- und
fahren zum Antigennachweis sind etabliert. Die Virusanzucht in NA-Bestandteile der beiden momentan zirkulierenden Driftvarian-
Zellkultur wird in spezialisierten Laboratorien durchgeführt, hat ten der Influenza-A-Subtypen H3N2 und H1N1 (pdm09) und HA-
aber aufgrund des höheren Zeitbedarfs ihre Bedeutung eher im Rah- Bestandteile eines der beiden aktuellen Influenza-B-Viren enthalten.
men der Influenza-Surveillance. Mittlerweile sind aber auch tetravalente Impfstoffe verfügbar (enthal-
Antikörpernachweise spielen in der Diagnostik der akuten ten zusätzlich HA-Bestandteile des zweiten zirkulierenden Influenza-
Virologie

Influenza keine Rolle, da 2 Seren im Abstand von 14 Tagen zur B-Virus). Die WHO gibt jedes Jahr eine Empfehlung für die Zusam-
Diagnosesicherung notwendig sind (signifikanter Titeranstieg). mensetzung des Impfstoffs entsprechend der sich verändernden
Goldstandard für die Immunitätsbestimmung ist der Nachweis epidemiologischen Situation heraus. Die Schutzwirkung der Impfung
neutralisierender Antikörper, entweder mit Neutralisationstests liegt bei gesunden Erwachsenen und guter Übereinstimmung der
oder Hämagglutinations-Hemmtests. Impfviren mit den tatsächlich zirkulierenden Viren bei 70–90 %.
Die STIKO empfiehlt die Impfung für alle Personen über 60 Jah-
kTherapie re, für Kinder und Erwachsene mit erhöhter Gefährdung aufgrund
Eine unkomplizierte Influenzavirus-Infektion wird in der Regel einer chronischen Erkrankung (z. B. Diabetes mellitus, chronische
symptomatisch behandelt. Salizylate (Aspirin) sind bei Kindern we- Atemwegserkrankungen etc.), für alle Schwangere bevorzugt ab dem
gen der Gefahr eines Reye-Syndroms kontraindiziert. Komplikatio- 2. Trimenon und für Personen mit erhöhter Exposition, z. B. medi-
nen im Sinne bakterieller Superinfektionen müssen entsprechend zinisches Personal.
der infrage kommenden Erreger antibiotisch behandelt werden.
Eine spezifische Therapie der Influenza ist bei Personen mit ei- Meldepflicht Nach § 7 IfSG muss der direkte Erregernachweis vom
nem erhöhten Risiko für Komplikationen oder bei schwerem Verlauf untersuchenden Labor gemeldet werden.
Literatur
487 59

In Kürze
Orthomyxoviren: Influenza
Virus Familie Orthomyxoviridae, Genus Influenza A, B, C,
(–)ssRNA-Genom, 8 Genomsegmente (Influenza A und B), Lipid-
hülle mit Spikes (Hämagglutinin, Neuraminidase).
Vorkommen Mensch, viele Säugetierspezies, Reservoir in
Wasservögeln.
Epidemiologie »Antigendrift« und »Antigenshift« führen
zu hoher antigener Variabilität, die einen epidemie- oder
pandemieartigen Verlauf der Influenzaerkrankungen in Ab-
hängigkeit von der Bevölkerungsimmunität zur Folge hat.
Übertragung Durch Tröpfchen von Mensch zu Mensch.
Klinik Ein Drittel der Fälle verläuft asymptomatisch. Symptoma-
tische Verläufe gekennzeichnet durch plötzliches hohes Fieber,
Kopf- und Gliederschmerzen und Reizhusten. Gefürchtete Kom-
plikation: Viruspneumonie, sekundäre bakterielle Pneumonien.
Immunität Humorale Immunantwort richtet sich gegen Epi-
tope von Hämagglutinin und Neuraminidase. Schleimhaut-
immunität über sekretorische IgA.
Diagnostik Virusdirektnachweis aus Materialien des oberen
und unteren Respirationstrakts (RT-PCR, Immunfluoreszenztest,
Antigennachweis im ELISA). Antikörpernachweis spielt unter-
geordnete Rolle (v. a. für epidemiologische Fragestellungen).
Therapie Symptomatisch. Für Personen mit erhöhtem Risiko für
Komplikationen stehen Adamantane und Neuraminidaseinhibi-
toren zur Verfügung. Aktuelle Resistenzsituation beachten!
Prophylaxe Schutzimpfung mit Spalt- oder Untereinheitenvak-
zinen, bzw. attenuiertem Lebendimpfstoff. Jährliche Anpassung
der Impfstoffkomponenten an die epidemiologische Situation.
Medikamentöse Prophylaxe mit Adamantanen oder Neuramini-
daseinhibitoren nach Exposition möglich.
Meldepflicht Direkter Erregernachweis durch untersuchendes
Labor nach §7 IfSG meldepflichtig.

Literatur

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influenza viruses. Influenza Other Respir Viruses. 3:18-23.
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489 60

Paramyxoviren
C. Henke-Gendo

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_60, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Familie der Paramyxoviridae umfasst eine Großzahl human- und


. Tab. 60.1 Einteilung der Paramyxoviren
tierpathogener Krankheitserreger. Es sind mittelgroße, pleomorphe
Viren mit 120–200 nm Durchmesser. Zu den wichtigsten humanpatho- Subfamilie Gattung
gen Vertretern dieser Virusfamilie gehören die Erreger klassischer Kin-
dererkrankungen wie das Masern- oder Mumpsvirus. Ebenfalls gehö- Paramyxovirinae Masernvirus (Morbilli-) 7 Abschn. 60.1
ren die weltweit verbreiteten Parainfluenza- und Metapneumoviren
sowie Respiratory Syncytial Virus dazu, die als Auslöser respiratorischer
Mumpsvirus (Rubula-) 7 Abschn. 60.2
Infekte eine große Rolle spielen. Weniger bekannt, aber für den Men- Parainfluenzaviren (Respiro-) 7 Abschn. 60.3
schen dennoch hochpathogen, sind Infektionen mit zoonotischen
Hendra- oder Nipahviren, die in Südostasien und Australien in den
Hendra-, Nipah- und 7 Abschn. 60.6
Menanglevirus (Henipa-)
letzten 20 Jahren zu Ausbrüchen schwerer Enzephalitiden geführt ha-
ben. Auch in der Tierwelt spielen bzw. spielten durch Paramyxoviren Pneumovirinae Respiratory Syncytial Virus 7 Abschn. 60.4
(Newcastle-Disease-Virus und Rinderpestvirus) ausgelöste Erkrankun- (RSV)
gen eine bedeutende Rolle. Metapneumovirus 7 Abschn. 60.5

Steckbrief
Einige Unterscheidungsmerkmale und Eigenschaften dieser
Virusgröße: 120–200 nm Viren, wie z. B. die Neuraminidaseaktivität oder die Fähigkeit zur
Genom: ~15–16 kb, ss(–)-RNA Hämagglutination (Bindung an und Vernetzung von Erythrozyten)
sind in . Tab. 60.2 zusammengefasst.
Polymerase-
komplex M-Protein
helikales
Nukleokapsid Lipoproteinhülle
60.1 Masernvirus
hämagglutinernudes
HN-Protein
(teilweise mit F-Protein Steckbrief
Neuaminitaseaktivität)
Das Masernvirus ist ein hochkontagiöses neuraminidasefreies
Paramyxovirus, das die Masern erzeugt. Obwohl durch eine
attenuierte Lebendimpfung vermeidbar, gibt es weltweit über
3 Mio. Erkrankte. Die Komplikationen von Masern (meist Pneu-
jGenom und Morphologie monien und Enzephalitiden) können schwerwiegend sein.
Paramyxoviren enthalten ein nichtsegmentiertes, Einzelstrang-
RNA-Genom negativer Polarität [ss(–)-RNA-Genom] mit 15–20 kb
Länge, das in ein helikales Nukleokapsid verpackt ist. Dieses ist sei-
nerseits in eine Matrix aus M-Proteinen eingebettet und wird von 60.1.1 Rolle als Krankheitserreger
einer äußeren Lipoproteinhülle umgeben. Die pleomorphen Virio-
nen enthalten zusätzlich eine RNA-abhängige RNA-Polymerase, die kEpidemiologie
das Negativstranggenom in eine translatierbare mRNA umschreibt. Das Masernvirus ist weltweit verbreitet. Obwohl die Erkrankung
Das Genom an sich ist daher nicht infektiös. In die Membranhülle durch Impfung vermeidbar ist, gibt es jährlich über 3 Mio. Fälle von
sind je nach Subfamilie unterschiedliche virale Oberflächenproteine, Masern mit über 700.000 Toten, meist in der 3. Welt. Es gibt nur
»Spikes«, eingelagert: einen Masernvirus Serotyp, das einzige Reservoir ist der masern-
4 Das F-Protein vermittelt die Membranfusion. kranke Mensch. Durch die Einführung der Masernimpfung in west-
4 Das hämagglutinierende HN-Protein weist bei Parainfluenza- lichen Ländern hat sich die Epidemiologie der Masern grundlegend
und Masernvirus zusätzlich eine Neuraminidaseaktivität auf. geändert. Die Zahl der Masernerkrankungen sowie deren Kompli-
kationen haben drastisch abgenommen. Obwohl durch die Impfung
jEinteilung im Allgemeinen gut kontrolliert, führt Impfmüdigkeit immer wieder
Die Familie der Paramyxoviridae gehört zur Ordnung der Monone- zu Ausbrüchen. Häufig erkranken hierbei gerade Jugendliche und
gavirales und unterteilt sich in 2 Subfamilien mit jeweils mehreren junge Erwachsene, die keinen ausreichenden Immunschutz haben,
Gattungen (. Tab. 60.1). da sie nicht oder nur einmal geimpft sind.
490 Kapitel 60 · Paramyxoviren

. Tab. 60.2 Eigenschaften der Paramyxoviren

Masernvirus Mumpsvirus Parainfluenzavirus Respiratory Metapneumovirus Henipahvirus


Syncytial Virus

Anzahl Typen 1 1 5 2 2 2

Hämagglutination + + + – – –

Neuraminidase – + + – – –

Zellfusion + + + + – +

Wirtsspezies Mensch Mensch Mensch, Maus, Mensch, Affe Mensch Flughunde,


Rind Schweine, Pferde*

Inkubationszeit 10–14 15–18 2–4 2–8 4–5 5–8


(Tage)

Symptome makulopapulöses Parotitis, katarrhalische Bronchiolitis, oberer/tiefer Atem- Enzephalitis,


Exanthem, Meningo- Entzündung, oberer/tiefer Atem- wegsinfekt Pneumonie
Pneumonie, enzephalitis, Pseudokrupp wegsinfekt
Enzephalitis Orchitis

Diagnose IgM/IgG, RT-PCR IgM/ IgG, Virusantigen- Virusantigen- Virusantigennach- RT-PCR


RT-PCR nachweis/RT-PCR, nachweis/RT-PCR, weis/RT-PCR
Isolierung Isolierung

Immunisierung aktiv aktiv – passiv – –

Immunität dauerhaft dauerhaft** kurz andauernd*** kurz andauernd*** kurz andauernd*** ?

* Mensch ist kein natürlicher Wirt


** Nach Impfung wahrscheinlich nach Jahren nachlassend
*** Symptomatik bei Reinfektionen deutlich milder

kÜbertragung umbilden, von denen die Entzündung auf die Epidermis übergreift.
Das Masernvirus ist ein hochinfektiöses Virus. Es wird aerogen von Diese Riesenzellen im Gewebe sind pathognomonisch für die Repli-
erkrankten Kindern oder inapparent Reinfizierten übertragen. Die kation des Virus (. Abb. 60.1).
Exposition nichtimmuner Personen führt so gut wie immer zur An- Pneumonien sind als Komplikation häufig; sie entstehen über-
steckung; die Krankheit verläuft dabei fast immer manifest (Mani- wiegend sekundär-bakteriell. Wegbereiter ist – analog der Influenza
festationsindex ca. 100 %), abgeschwächte Verlaufsformen (mitigier- – der primär virusbedingte Zellschaden am Bronchialepithel
te Masern) kommen vor. Erkrankte scheiden das Virus beginnend (7 Kap. 59).
ca. 5 Tage vor bis 4 Tage nach dem Ausbruch des Enanthems bzw.
Exanthems aus. kKlinik
Nach 10–14 Tagen Inkubationszeit kommt es zu einem etwa 4-tä-
kPathogenese gigen katarrhalischen Prodromalstadium mit Fieber, Husten,
Das Virus dringt aerogen in den Respirationstrakt ein, von wo es sich
in die regionalen Lymphknoten ausbreitet und dort vermehrt. Die
weitere Ausbreitung erfolgt auf dem Lymph- und Blutweg (zellge-
bundene Virämie) in die Epithelien des Respirationstrakts (Pneumo-
nie) und in die Haut (Exanthem). Das Virus vermehrt sich vor allem
Virologie

in den Zellen des retikuloendothelialen Systems.


Durch die Zerstörung der dendritischen Zellen resultiert ein
Mangel an IL-12, der ein Überwiegen der TH2-Zellen bewirkt
(7 Kap. 53). Zusätzlich wirken das Nukleoprotein und das Hämag-
glutinin des Masernvirus immunsuppressiv. Hieraus resultiert eine
Unterfunktion der NK- und T-Zell-Abwehr, welche die Ursache der
allgemeinen Abwehrschwäche von Masernkranken ist. Die T-Zel-
len reagieren wenig auf mutagene Stimuli (Lektine, Masernantigen),
die »delayed-type-hypersensitivity« (DTH) fehlt. Dies kann sich z. B.
in einem während einer Masernerkrankung vorübergehend negati-
ven Tuberkulin Hauttest zeigen.
Das Exanthem geht auf eine Entzündung im Bereich der Haut-
kapillaren unter Mitwirkung zytotoxischer T-Lymphozyten (CTL) . Abb. 60.1 Warthin-Finkeldey-Riesenzelle bei Masern mit Immundefekt
zurück, wo sich Endothelzellen zu Warthin-Finkeldey-Riesenzellen (mit freundl. Genehmigung von J. Podlech, Mainz)
60.1 · Masernvirus
491 60

. Abb. 60.2 Ablauf einer Masernerkrankung

Schnupfen und Konjunktivitis mit Lichtscheu (. Abb. 60.2). Typisch Auch bei komplikationslos verlaufenden Masernerkrankungen fin-
und als Frühsymptom wertvoll sind die kalkspritzerartigen Koplik- den sich häufig EEG-Veränderungen, die darauf hindeuten, dass das
Flecken an der Wangenschleimhaut der Mundhöhle: weißliche, ZNS in Mitleidenschaft gezogen wird.
1–2 mm messende, flache Bläschen mit nekrotischer Oberfläche.
Nach diesem präexanthematisch-katarrhalischen Krankheits- kImmunität
stadium tritt der Ausschlag auf; er beginnt hinter den Ohren und Die durch die Krankheit, wahrscheinlich auch durch Impfung er-
breitet sich in 1–2 Tagen über den ganzen Körper aus. Im Gegensatz worbene Immunität ist sehr dauerhaft. IgG-Antikörper gegen
zum Scharlach ist das Masernexanthem grobfleckig erhaben (ma- Nukleoprotein, Hämagglutinin und Fusionsprotein verhindern die
kulopapulös). Zwischen den z. T. konfluierenden, linsengroßen Generalisierung, IgA-Antikörper schützen vor Reinfekten und
Herden ist unveränderte Haut sichtbar (DD: Scharlach). 1–2 Tage CTL bewirken die Elimination des Virus. Bei Vorliegen einer Hypo-
nach Auftreten des Exanthems gehen Fieber und Schnupfen zurück. und Agammaglobulinämie resultiert ein normaler Krankheits-
Das Exanthem selbst persistiert bis zu 10 Tage. Die Symptome sind verlauf, während bei Defekten der zellulären Immunität schwere
meistens charakteristisch ausgeprägt, sodass die Diagnose leicht zu Verläufe auftreten (Riesenzellpneumonie, Einschlusskörperchen-
stellen ist (. Abb. 60.3). Enzephalitis).
Die virusbedingten Komplikationen treten als kindlicher Pseu-
dokrupp, schwere Bronchitis, interstitielle Viruspneumonie oder
Bronchopneumonie auf. Oft kommt eine Otitis media hinzu. Bei
Vorliegen zellulärer Immundefekte (z. B. bei Leukämien) beobachtet
man das Bild der Hecht’schen Riesenzellpneumonie.
Neben der Pneumonie ist die Enzephalitis eine weitere schwere
und potenziell tödliche Komplikation. Man unterscheidet 3 Formen
der Enzephalitis, die alle durch die Impfung verhindert werden:
4 Gleichzeitig oder im Anschluss an die exanthematöse Erkran-
kung kann es zur para- oder postinfektiösen Enzephalitis
(PIE; 1:1000) kommen. Ursache hierfür ist eine Entmarkung
der Markscheiden infolge von Autoimmunprozessen. Die Le-
talität beträgt etwa 15 %. Die Überlebenden zeigen häufig psy-
chotische Persönlichkeitsveränderungen und Lähmungen.
4 Die subakute Einschlusskörperchen-Enzephalitis (»measles
inclusion body encephalitis«, MIBE, 7 Kap. 113; Häufigkeit
1:106) tritt vorwiegend wenige Monate nach den Masern bei
Vorliegen eines Immundefekts auf.
4 Die stets tödlich verlaufende, sehr seltene subakute sklerosie-
rende Panenzephalitis (SSPE) tritt 5–10 Jahre nach den
Masern mit einer Häufigkeit von ca. 1:10.000 infolge Persistenz . Abb. 60.3 Masernexanthem mit Lichtscheu (mit freundl. Genehmigung
eines defekten Masernvirus im ZNS auf. von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)
492 Kapitel 60 · Paramyxoviren

kLabordiagnose
Im Blutbild findet sich eine Lymphopenie. Da Antikörper beim Diagnose IgM- und IgG-ELISA. RT-PCR in respiratorischen Mate-
Kranken zu Beginn des Exanthems bereits vorhanden sind, eignet rialien oder Lymphozyten.
sich der Nachweis masernspezifischer IgM- und IgG-Antikörper im Therapie Symptomatisch.
Serum (oder bei SSPE intrathekal) zur Diagnosestellung. In unkla- Prävention Aktive Schutzimpfung mit Lebendimpfstoff.
ren Fällen oder bei Komplikationen kann der Nachweis des RNA- Meldepflicht Verdacht, Erkrankung, Tod, Erregernachweis.
Virusgenoms mittels RT-PCR wegweisend sein. Als Untersuchungs-
material eignen sich mit EDTA antikoaguliertes Blut, ein Nasen/
Rachenabstrich, bronchioalveoläre Lavageflüssigkeit, Urin und ggf.
eine Hirnbiopsie. Ferner können Virusantigene mittels Immunfluo- 60.2 Mumpsvirus
reszenztechniken in Abstrichmaterialien (Nasen-/Rachenabstrich)
nachgewiesen werden. Eine Anzüchtung des Virus aus peripheren
Steckbrief
Blutlymphozyten ist ebenfalls möglich, wird aber in der Routine-
diagnostik nur selten durchgeführt. Mumps wurde bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. von Hippokrates
als einheitliches Krankheitsbild beschrieben. Das Mumpsvirus,
kTherapie ein neuraminidasehaltiges Paramyxovirus, ist der Erreger des
Eine antivirale Chemotherapie für die Maserninfektion gibt es nicht. Mumps oder Ziegenpeters (»epidemische Parotitis«). Wichtige
Die sekundär-bakteriellen Infektionen (eitrige Otitis und Broncho- Komplikationen sind die Orchitis und die Meningitis. Ein
pneumonie) werden mit Antibiotika behandelt. Kombinationsimpfstoff für Mumps, Masern und Röteln wirkt
gut.
kPrävention
Impfung Da der Mensch der einzige Wirt des Masernvirus ist und
ein geeigneter Lebendimpfstoff zur Verfügung steht, arbeitet die
WHO mit Impfkampagnen auf die Elimination der Masern hin. Zur 60.2.1 Rolle als Krankheitserreger
Masernelimination ist bei der hohen Infektiosität des Virus eine sehr
hohe Durchimpfungsrate von über 93 % notwendig. In Deutschland kEpidemiologie
sind allerdings nur 85 % der Bevölkerung geimpft, sodass es allein Das Mumpsvirus ist auf der ganzen Welt endemisch. Vor Ein-
2005 mehr als 750 gemeldete Erkrankungen gab. Masern sind wegen führung der Lebendvakzine kam es alle 2–5 Jahre meist im Früh-
der häufigen, teilweise tödlichen Komplikationen alles andere als jahr  zu größeren Epidemien, sodass über 90 % der Kinder über
eine »leichte Krankheit« und eine vorbeugende Impfung ist deshalb 14 Jahre natürlich erworbene Antikörper gegen das Mumpsvirus
dringend empfohlen. Der Masernimpfstoff wird üblicherweise als hatten. Durch Einführung der Masern-Mumps-Röteln-(MMR-)
Teil der Kombinationsvakzine für Masern, Mumps und Röteln Impfung 1980 in den Alten bzw. 1991 in den Neuen Bundesländern
(MMR) verabreicht. Die STIKO empfiehlt eine 2-malige Impfung in hat sich auch die Epidemiologie der Mumpsinfektion geändert.
Alter von 11–14 Monaten bzw. zum Ende des 2. Lebensjahres als Die Zahl der Erkrankten hat abgenommen. Durch verminderte Ex-
Standardimpfung. position zum Wildvirus kommt es nicht mehr zu einer Boosterung
der Bevölkerung, sodass die durch Immunisierung erworbene Im-
Meldepflicht Masern gehören laut IfSG zu den meldepflichtigen munität gegen Mumpsviren allmählich nachlässt. Mumpsvirusaus-
Erkrankungen. Meldepflichtig sind sowohl der Verdacht, die Er- brüche in den USA und Großbritannien bei jungen Erwachsenen,
krankung und der Tod an Masern als auch der direkte oder indirekte die dann schwerer und mit Komplikationen erkranken, sind die
Erregernachweis. Folge.

kÜbertragung
In Kürze Die Übertragung erfolgt vor allem durch Tröpfcheninfektion, selte-
Masernvirus ner durch mit Speichel kontaminierte Gegenstände. Der Kontakt
Virus Typisches Paramyxovirus, ohne Neuraminidase. Ein Sero- muss relativ eng sein. Obwohl das Mumpsvirus bereits 7 Tage vor
typ. und 9 Tage nach dem Auftreten der Erstsymptome im Speichel
Vorkommen Nur beim Menschen, weltweit. nachweisbar ist, werden die meisten Erkrankten erst 1–2 Tage
Epidemiologie Hohe Infektiosität, kaum inapparente Infektio- vor Symptombeginn kontagiös. Die mögliche Virusausscheidung
Virologie

nen. im Urin und in der Muttermilch ist eher unbedeutend für die Über-
Übertragung Aerogen. tragung.
Pathogenese Systemische Infektion mit hämatogener Ausbrei-
tung: Exanthem ist immunbiologisch bedingt. Durch Flimmer- kPathogenese
epithelschäden schwere Bronchitis, Masernvirus Pneumonien, Das Mumpsvirus dringt in die Mundhöhle und den Nasen-Rachen-
Warthin-Finkeldey-Riesenzellen. Raum ein, vermehrt sich dort lokal (primäre Replikation) und ge-
Klinik Inkubationsperiode 10–14 Tage. Schwere Kinderkrank- langt über die drainierenden Lymphknoten ins Blut (Virämie). Von
heit. Exanthem, Koplik-Flecken, Konjunktivitis, Otitis media, dort disseminiert es ins Parenchym sekretorischer Drüsen (Parotis,
Bronchitis, primäre (Virus-) und sekundäre bakterielle Pneumo- Pankreas, Schilddrüse, Mammae), ins ZNS sowie in den Urogenital-
nie. PIE, SSPE. Bei Immunschaden: Hecht’sche Riesenzellpneu- trakt (Nieren, Hoden und Ovarien), wo es zu einer 2. Replikations-
monie und MIBE. phase kommt. Das Ende der Virusausscheidung im Speichel korre-
Immunität Dauerhafte Immunität, CTL, Antikörperbildung, liert mit dem Auftreten von virusspezifischem sekretorischem IgA
Suppression der zellulären Immunität. im Speichel, das Ende der Virämie mit dem Auftreten mumpsspezi-
fischer Antikörper im Serum.
60.3 · Parainfluenzaviren
493 60
kKlinik
Die Inkubationszeit der Mumpsinfektion beträgt im Durchschnitt In Kürze
18 Tage. Etwa 30–50 % der Infektionen verlaufen inapparent. Todes- Mumpsvirus
fälle durch Mumps gibt es kaum. Klinisch manifeste Infektion be- Virus Typisches Paramyxovirus mit Neuraminidase.
ginnen meist mit einer uncharakteristischen Prodromalphase mit Vorkommen und Übertragung Virusreservoir ist der Nasen-
Fieber, Unwohlsein und Kopfschmerzen, bevor es zu einer meist Rachen-Raum des Menschen. Tröpfcheninfektion.
einseitigen, schmerzhaften Parotisschwellung kommt. Diese ist an Epidemiologie Weltweit verbreitet, abnehmende Inzidenzen
der Abhebung des Ohrläppchens leicht zu erkennen; die andere durch Einführung der Impfung.
Körperhälfte wird in zwei Dritteln der Fälle meist etwas später be- Pathogenese Primäre Replikation im Nasen-Rachen-Raum, hä-
fallen. matogene Streuung und 2. Replikation in sekretorischen Drüsen
Es gibt aber auch Mumpsfälle ohne klinisch erkennbaren Paro- (z. B. Parotis, Testes).
tisbefall, zuweilen sind die Submaxillaris und Sublingualis oder das Klinik 2–3 Wochen Inkubationszeit. Ein- oder beidseitige Paroti-
Pankreas betroffen. Ein Zusammenhang mit der Entwicklung eines tis, Mening(oenzephal)itis, meist einseitige Orchitis, häufig inap-
juvenilen insulinabhängigen Diabetes mellitus (IDDM) ist diskutiert parent.
worden, erscheint aber angesichts der sich divergent entwickelnden Immunität Lebenslange Immunität durch zytotoxische Lym-
Epidemiologie (Mumpsinfektionen werden seltener, die Inzidenz phozyten und IgA-, IgM- und IgG-Antikörper.
des juvenilen IDDM bleibt gleich) unwahrscheinlich. Diagnose Mumps-IgM- und IgG-ELISA, RT-PCR.
Der häufigste extraglanduläre Manifestationsort ist eine Be- Therapie Symptomatisch.
teiligung des ZNS. Bei etwa jedem 2. Mumps-Patienten lässt sich Prävention Mumps-Schutzimpfung.
eine Pleozytose im Liquor nachweisen, ohne dass Zeichen einer Meldepflicht Verdacht, Erkrankung, Tod, Erregernachweis.
Meningitis vorliegen. Teilweise kommt es zu einer transienten Taub-
heit im Hochfrequenzbereich. Eine klinisch manifeste Meningitis
liegt in etwa 1–10 % vor und heilt meist folgenlos aus. Nur 0,01–
0,25 % der Mumpspatienten entwickeln eine Meningoenzephalitis. 60.3 Parainfluenzaviren
Häufigste Komplikation ist hier die permanente unilaterale Taub-
heit.
Steckbrief
Eine meist einseitige Epididymoorchitis entwickelt sich in 15–
30 % der erwachsenen Mumpspatienten. Diese Komplikation ist vor Parainfluenzaviren sind weltweit vorkommende, neuraminida-
der Pubertät sehr selten. Eine Sterilität entwickelt sich auch bei bila- sehaltige Paramyxoviren, die häufig Erkältungskrankheiten ver-
teraler Mumpsorchitis nur sehr selten. Ebenso heilt die Oophoritis ursachen. Die Erstinfektion im Säuglings- und Kleinkindalter
bei Frauen meist folgenlos aus. In der Schwangerschaft kann eine kann mit Bronchiolitis, Pseudokrupp und Pneumonie einher-
Mumpsinfektion innerhalb des 1. Trimenon zu Aborten führen. Em- gehen.
bryopathien kommen nicht gehäuft vor.

kLabordiagnose
Die klinische Diagnose ist dort schwierig, wo die Parotisbeteiligung 60.3.1 Rolle als Krankheitserreger
nicht erkennbar ist. Bei nichtbakteriellen Meningoenzephalitiden
sollte differenzialdiagnostisch auch an Mumps gedacht werden. Die kEpidemiologie
Speicheldrüsen-α-Amylase ist erhöht, nicht aber die Lipase (nur bei Es gibt 5 Serotypen der Parainfluenzaviren (Typ 1, 2, 3, 4A und 4B),
Pankreatitis). Die virologische Diagnose erfolgt mittels spezifischen die weltweit verbreitet sind. Sie führen besonders im Herbst zu ge-
Mumps-IgM- und IgG-Antikörper-ELISA im Serum, der Virus- häuften Erkrankungen, v. a. bei Kindern.
direktnachweis durch RT-PCR. Die Typen der Parainfluenzaviren unterscheiden sich epidemio-
logisch. Die meisten Kinder machen in den ersten 6 Lebensmonaten
kImmunität eine Infektion mit Typ 3 durch. Die Durchseuchung mit den anderen
Die Immunität kann sowohl durch eine manifeste Erkrankung wie Typen erfolgt später, bis zum Alter von 5 Jahren haben aber praktisch
auch durch eine inapparente Infektion erworben werden. Diapla- alle Kinder eine Infektion mit allen Serotypen durchgemacht. Da die
zentar übertragene mütterliche Antikörperschützen den Säugling Immunität gegen Parainfluenzavirus nach Infektion sehr schnell
während der ersten 6 Monate nach der Geburt vor der Infektion. nachlässt, kommen Reinfektionen lebenslang vor. Sie verlaufen dann
Die Immunität durch Impfung scheint im Verlauf nachzulassen allerdings milder als die Erstinfektionen.
(7 s. o.).
kÜbertragung
kPrävention und Therapie Die Übertragung erfolgt vorwiegend durch Tröpfchen und Kontakt
Eine spezifische Therapie gegen Mumpsinfektionen gibt es nicht. mit Nasensekret.
Eine Schutzimpfung wird mit einem Lebendimpfstoff durchgeführt
und erfolgt in der Regel als 2-fache Impfung in den ersten 2 Lebens- kPathogenese
jahren gemeinsam mit der Impfung gegen Masern und Röteln Eintrittspforte ist der Nasen-Rachen-Raum. Dort vermehrt sich das
(MMR). Virus in den Flimmerepithelien der oberen und unteren Atemwege.
Seit 2013 besteht eine namentliche Meldepflicht nach §§ 6 und 7 Ähnlich wie bei den Orthomyxoviren ist die Hämagglutininaktivität
IfSG. des HN-Proteins wichtig für den Eintritt in die Zelle. Beim Erwach-
senen entsteht das Bild der katarrhalischen Entzündung. Bei Klein-
kindern, besonders bei Erstinfektion, kann sich die Infektion in die
Tiefe des Bronchialbaums ausbreiten, wobei peribronchioläre Infil-
494 Kapitel 60 · Paramyxoviren

trate und Ödeme entstehen können. Die Replikation des Virus er- 60.4 Respiratory Syncytial Virus (RSV)
folgt im Zytoplasma der Wirtszelle, die Montage der Partikel durch
Ausknospung an der Zellmembran. Dabei spielt die Neuraminida-
Steckbrief
seaktivität des HN-Proteins eine wichtige Rolle. Ein Hinweis auf eine
zusätzliche immunvermittelte Pathogenese der Parainfluenzavirus- RSV wurde 1956 während eines Ausbruchs isoliert, bei dem 14
Infektion gibt die Beobachtung, dass Kinder mit Pseudokrupp einen in Gefangenschaft gehaltene Schimpansen an Schnupfen er-
erhöhten Gehalt an IgE-Antikörpern und Histamin im Bronchial- kranken waren. So entstand der alte Name »Chimpanzee Coryza
sekret aufweisen. Persistente Infektionen mit Parainfluenza-Typ 3 Agent«. Wie man erst später erkannte, hatten sich die Tiere an
sind bei Immunsupprimierten beschrieben. ihrem ebenfalls verschnupften Wärter angesteckt und handelte
es sich eigentlich um eine humane Erkrankung. Daraufhin wur-
kKlinik den die Viren nach den mehrkernigen Riesenzellen, die sie in
Parainfluenzaviren verursachen ein weites Spektrum an respiratori- Kulturzellen induzieren, in Respiratory Syncytial Virus umbe-
schen Erkrankungen: nannt. RSV verursacht bei Säuglingen und Kleinkindern ernste
4 Bei immungesunden Kindern kommt es nach einer Inkuba- respiratorische Infekte. Besonders ehemalige Frühgeborene und
tionsperiode von 2–4 Tagen zu einer Rhinitis oder Laryngitis, Kinder mit Herzfehlern oder bronchopulmonalen Dysplasien er-
die häufig assoziiert mit einer Otitis media ist. kranken schwer. Es gibt 2 Subtypen, RSV A und B.
4 Bis zu 15 % der (Erst-)Infektionen manifestieren sich im unte-
ren Respirationstrakt, am häufigsten mit einer Bronchiolitis
(Typ 2 und 3) oder mit Pseudokrupp (Typ 1), einem bellenden
Husten mit Heiserkeit und Stridor (DD: Epiglottitis durch 60.4.1 Rolle als Krankheitserreger
H. influenzae!).
4 Beim gesunden Erwachsenen bewirkt die Infektion wegen kEpidemiologie
der Restimmunität einen relativ leichten Infekt der oberen Infektionen mit dem ubiquitären RSV sind die häufigste Ursache
Luftwege. schwerer Atemwegserkrankungen im Kleinkindalter und ein Haupt-
4 Infektionen bei Patienten mit Immundefekten oder nach anlass für Klinikeinweisungen mit Erkrankungen der Atemwege in
Transplantationen sind häufig lang andauernd und schwer. dieser Altersgruppe. Im Alter von einem Jahr haben bereits 50 % der
Interstitielle Pneumonien, aber auch disseminierte Erkran- Kinder, im Alter von 2 Jahren über 95 % eine RSV-Infektion durch-
kungen mit Beteiligung von Leber, Herz und Meningen gemacht. Besonders gefährdet sind dabei Frühgeborene und Kinder
sind in dieser Patientengruppe beschrieben. mit kongenitalen Herzfehlern und bronchopulmonalen Dysplasien:
Diese erkranken an Pneumonien und Bronchiolitiden und haben
kImmunität mit bis zu 2 % eine sehr hohe Letalität. Doch auch im Alter oder bei
Die kurz dauernde Immunität hat lokalen Charakter: Träger sind die Personen mit Immundefizienz, z. B. nach Knochenmarktransplan-
in den Bronchialschleim ausgeschiedenen IgA-Antikörper. tation, kann es zu schweren Erkrankungen und Exazerbationen
einer chronischen Lungenerkrankung kommen.
kLabordiagnose Es gibt 2 Subgruppen, A und B, die jeden Winter epidemisch
Die Labordiagnose erfolgt durch den Direktnachweis des Virus in kozirkulieren.
Nasen-/Rachenabstrichen, entweder als Antigennachweis im Im-
munfluoreszenztest oder als Genomnachweis mittels RT-PCR. Der kÜbertragung
Nachweis von Antikörpern im Serum spielt nur bei epidemiologi- Überträger sind Erkrankte und Personen mit abgeklungenem Im-
schen Studien eine Rolle. munschutz. Das hochinfektiöse Virus wird bis zu 3 Wochen lang
ausgeschieden, wobei die Virusausscheidung bereits vor Symptom-
beginn startet. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion
In Kürze und Kontakt mit Nasenrachensekret. Auch von kontaminierten Ge-
Parainfluenzavirus genständen kann eine Infektion ausgehen, was das große Potenzial
Virus Paramyxovirus, 5 Serotypen. nosokomialer RSV-Infektionen erklärt.
Vorkommen und Übertragung
Weltweites Vorkommen. Tröpfcheninfektion. kPathogenese
Epidemiologie Erkrankungen während des gesamten Jahres, RSV dringt in die Konjunktiven und Nasenschleimhäute ein und
Virologie

zuerst erfolgt die Durchseuchung mit Typ 3. breitet sich dann direkt durch Synzytienbildung (Zellfusion mit Bil-
Pathogenese Infektionen der oberen und unteren Atemwege dung vielkerniger Riesenzellen mit eosinophiler Einschlusskörper-
mit peribronchiolären Ödemen. Zellschaden auch durch das Im- chen) in den unteren Respirationstrakt aus. In den Bronchien und
munsystem vermittelt. Bronchiolen entsteht eine Entzündung mit interstitiellen Infiltraten
Klinik Katarrhalische Entzündungen der oberen und unteren und ausgeprägten Ödemen.
Luftwege mit Fieber. Bei Erstinfektion Pseudokrupp, Bronchioli- Diese Ödeme führen gerade bei Säuglingen zu einer überpropor-
tis und interstitielle Pneumonie möglich. tionalen Verkleinerung der ohnehin kleinlumigen Atemwege und zu
Immunität Schleimhautimmunität mit typenkreuzenden sekre- einer entsprechenden Zunahme des Atemwiderstands. Atemnot ist
torischen IgA-Antikörpern. Zellvermittelte Immunität. die Folge. Säuglinge mit Bronchiolitis haben häufig virusspezifische
Diagnose Virusdirektnachweis in respiratorischen Materialien IgE-Antikörper und viel Histamin im Bronchialsekret. Dies ist im
im Immunfluoreszenztest und/oder mittels RT-PCR. Sinne einer TH2-Reaktion zu deuten. Kinder nach schweren RSV-
Therapie Symptomatisch. und hMPV-Infektionen haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, spä-
Prävention und Meldepflicht Keine. ter im Leben an »allergischer Bronchitis«, Asthma oder einer chro-
nisch-obstruierenden Lungenkrankheit (COPD) zu leiden.
60.5 · Humanes Metapneumovirus (hMPV)
495 60
kKlinik
Eine »klassische« RSV-Symptomatik gibt es nicht. Im Allgemeinen Diagnose Antigenschnelltests, direkter Immunfluoreszenztest
beginnt eine RSV-Infektion nach einer Inkubationsperiode von oder RT-PCR aus respiratorischen Untersuchungsmaterialien.
2–8 Tagen mit Rhinitis oder Pharyngitis. Eine Bindehaut- oder Mit- Therapie Symptomatisch; humanisierte Antikörper zur Prophy-
telohrentzündung tritt bei bis zu einem Drittel der Kinder auf. Im laxe bei Risikopatienten.
Verlauf entwickelt sich bei ca. 30–50 % der Patienten eine Tra- Meldepflicht Bei gehäuftem Auftreten.
cheobronchitis oder Bronchiolitis, selten auch ein Pseudokrupp. Das
klinische Bild der Bronchiolitis ist durch Zyanose, Fieber, keuchen-
den Husten und zunehmende Dyspnoe gekennzeichnet. Häufigste
Komplikationen sind Pneumonien. 60.5 Humanes Metapneumovirus (hMPV)
kImmunität
Steckbrief
Der Gehalt an IgA-Antikörpern im oberen Respirationstrakt geht
mit einem Schutzzustand einher, in der Lunge schützen Serum-IgG. Das humane Metapneumovirus wurde im Jahre 2001 von nie-
Kinder mit angeborenem T-Zell-Defekt scheiden das RSV monate- derländischen Wissenschaftlern entdeckt. hMPV ist ein typi-
lang aus. Der Nestschutz ist wenig ausgeprägt. Die Elimination des scher, weltweit vorhandener Erreger von Atemwegsinfekten, der
RSV erfolgt durch virusspezifische zytotoxische T-Lymphozyten besonders bei Kindern sowohl die oberen als auch die unteren
(CTL). Atemwege befallen kann. Im Gegensatz zu RSV kommen bei
anderweitig gesunden Patienten kaum Todesfälle vor.
kLabordiagnose
Der klassische RSV-Nachweis erfolgt durch Virusisolierung mittels
Zellkultur und Nachweis der Synzytien. Jedoch haben sich ELISA-
basierte Antigenschnelltests im Nasen-Rachen-Abstrich in der Rou- 60.5.1 Rolle als Krankheitserreger
tinediagnostik durchgesetzt, die einfach zu handhaben und als pati-
entennahe Diagnostik geeignet sind. Zudem stehen ausreichend kEpidemiologie
sensitive und spezifische Antigennachweise im Immunfluoreszenz- Das humane Metapneumovirus ist ähnlich wie sein naher Ver-
test und die sehr sensitive und spezifische RT-PCR zur Verfügung. wandter RSV weltweit verbreitet. Die meisten hMPV-Infektion
treten bei Kindern < 5 Jahre auf. Kleinkinder unter < 2 Jahre sind
kTherapie und Prävention besonders gefährdet, eine schwere, tiefe Atemwegsinfektion durch-
Eine wirksame kausale Behandlung existiert nicht, die Therapie ist zumachen. Im Allgemeinen sind die kleinen Patienten bei Erst-
symptomatisch: ausreichende Flüssigkeitszufuhr zur Sekretmobili- infektion mit hMPV älter als bei Infektion mit RSV, der Verlauf
sation, ggf. Sauerstoffgabe, Freihalten der Atemwege. Bei Personen ist milder. Todesfälle kommen im Gegensatz zu RSV bei Immun-
mit besonderen Risikofaktoren kann in schweren Fällen und nach- gesunden praktisch nicht vor. Die Durchseuchung bis zum 5. Le-
gewiesenen RSV-Infektionen (durch Virusdirektnachweis) eine in- bensjahr ist nahezu komplett (> 90 %). Bei Kindern unter 3 Jahren
halative Ribavirin-Behandlung erwogen werden. Für Frühgeborene, ist hMPV für bis zu 12 % aller respiratorischen Erkrankungen ver-
die zu Beginn der RSV-Saison jünger als 6 Monate sind, und für antwortlich. Bei Patienten mit Immundefekten oder hämatologi-
Kinder unter 2 Jahren mit bronchopulmonaler Dysplasie oder hä- schen Tumoren sowie bei Senioren kommen schwere, potenziell
modynamisch signifikantem angeborenem Herzfehler ist eine pas- tödliche Verläufe vor.
sive Immunisierung mit Palivizumab, einem humanisierten mono- Es gibt 2 Subtypen, hMPV-A und hMPV-B.
klonalen IgG-Antikörper, der das A-Epitop des RSV-Fusionsprote-
ins bindet, verfügbar. Einen aktiven Impfstoff gibt es derzeit nicht. kKlinik
Eine Meldepflicht besteht bei gehäuftem nosokomialen Auf- Wie bei RSV gibt es keine distinktive klinische Symptomatik. Nach
treten. 4–5 Tagen Inkubationszeit kann es zu Symptomen einer klassi-
schen Erkältungskrankheit wie Rhinitis und Pharyngitis kommen,
die in einem Drittel der Fälle durch das Auftreten einer Otitis media
In Kürze kompliziert werden kann. Tiefe Atemwegserkrankungen gehen mit
Respiratory Syncytial Virus (RSV) Bronchiolitis, Pneumonie, Pseudokrupp oder der Exazerbation
Virus Paramyxovirus. 2 Subtypen, RSV A und B. einer chronischen Atemwegserkrankung einher. Komplizierte Ver-
Vorkommen und Übertragung Weltweites Vorkommen; Tröpf- läufe mit schweren Bronchitiden, Pneumonien und sogar Enze-
cheninfektion, indirekter Kontakt zu kontaminierten Händen phalitis und Tod sind bei immunkompromittierten Patienten be-
und Gegenständen. schrieben.
Epidemiologie Erkrankungen vorwiegend im Winter. Hohe
Durchseuchung bis zum Ende des 2. Lebensjahres. kLabordiagnose
Pathogenese Replikation im mittleren und unteren Respira- hMPV repliziert sehr schlecht in konventionellen Zellkultursyste-
tionstrakt. Schwere Entzündung mit Flimmerepithelschäden am men. Insoweit sind der spezifische Antigennachweis im Immun-
Kehlkopfepithel. Bronchiolitis. fluoreszenztest und die sehr sensitive RT-PCR der Zellkultur vorzu-
Klinik Katarrhalische Entzündung mit Bronchitis, Laryngitis, ziehen.
Pseudokrupp, Otitis media; bei Risikopatienten: lebensbedroh-
liche Bronchiolitis/Pneumonie. kTherapie und Prävention
Immunität CTL bewirken Immunität; IgA im oberen, IgG im Es gibt keine spezifische Therapie. Ribavirin ist in vitro aktiv gegen
unteren Respirationstrakt wirken neutralisierend. hMPV, jedoch fehlen belastbare Daten zum klinischen Einsatz.
496 Kapitel 60 · Paramyxoviren

In Kürze
Humanes Metapneumovirus (hMPV)
Virus Paramyxovirus.
Vorkommen und Übertragung Weltweit vorhanden. Tröpf-
cheninfektion.
Epidemiologie Erkrankungen vorwiegend im Winter. Hohe
Durchseuchung bis zum Ende des 5. Lebensjahres.
Pathogenese Wahrscheinlich wie RSV. Nur Zellkulturdaten vor-
handen.
Klinik Klassische Atemwegsinfekterreger.
Diagnose Direkter Immunfluoreszenztest oder RT-PCR zum
Direktnachweis von viralem Antigen oder viraler RNA in respira-
torischen Untersuchungsmaterialien.
Therapie Keine spezifische Therapie.

60.6 Henipaviren

Zur Gattung der Henipaviren gehören 2 der gefährlichsten humanen


Krankheitserreger:
4 Das Hendravirus erzeugte 1994 in Brisbane, Australien, einen
Ausbruch von schwerer Pneumonie und Enzephalitis bei Pfer-
den und Menschen.
4 Das Nipahvirus war Ende des 20. Jahrhunderts für zahlreiche
Ausbrüche von Enzephalitis und Atemwegserkrankungen in
Indien, Bangladesch und Südostasien verantwortlich. Bei eini-
gen Epidemien lag die Letalität um die 75 %.

Bei Infektionen mit Henipaviren handelt es sich um Zoonosen, meist


werden Menschen durch engen Kontakt zu Tieren infiziert (Pferde
bei Hendra-, Schweine bei Nipahviren); Mensch-zu-Mensch-Über-
tragung ist noch nicht gesichert, wird aber diskutiert. Das natürliche
Reservoir dieser Viren scheinen Flughunde (Fruchtfledermäuse) zu
sein, die eine hohe Durchseuchung mit diesen Viren aufweisen, aber
nicht erkranken. Die Bedeutung der Henipaviren für Westeuropa ist
gering.

Literatur

RKI-Rtgeber für Ärzte. Online unter: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/


Merkblaetter/merkblaetter_node.html.
Empfehlung der Ständigen Impfkommission. Online unter: www.rki.de/DE/
Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/Impfempfehlungen_node.
html.
Virologie
497 61

Tollwutvirus
I. Glowacka

Frühere Versionen von D. Falke

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_61, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Das Tollwutvirus bzw. Rabiesvirus gehört zur Familie der Rhabdoviri-


dae und dem Genus Lyssavirus an. Die Tollwut ist eine bereits seit dem
Altertum bekannte Zoonose, die über infektiösen Speichel durch Biss-
bzw. Kratzverletzungen auf den Menschen übertragen wird. Die Sterb-
lichkeit der Tollwut liegt bei 100 %. Das natürliche Reservoir sind
Säugetiere vor allem Caniden (Hundeartige). Durch systematische Be-
kämpfungsmaßnahmen (Köder-Lebendimpfstoff für Füchse) gelten
Deutschland und weitere west- und mitteleuropäische Länder als frei
von terrestrischer Tollwut. Zu beachten ist weiterhin das Infektions-
risiko durch Fledermäuse (global) und durch andere Tiere (v. a. Hunde)
bei Reisen in Endemiegebiete. Laut Schätzungen der WHO versterben
ca. 55.000 Menschen weltweit, insbesondere in Afrika und Asien.

Steckbrief
. Abb. 61.1 Negri-Körperchen bei Tollwut (Pfeile: Castaneda-Färbung)
Das Tollwutvirus ist ein neurotroper Erreger und verursacht eine
fatal verlaufende Enzephalitis nicht nur bei Menschen, sondern
erfolgt im Zytoplasma von Neuronen, in dem sich Negri-Körper-
auch bei anderen Säugetieren. Bereits 1882 gelang es Louis
chen (»Virusfabriken«) anfärben lassen (. Abb. 61.1). Das Virus ist
Pasteur durch attenuierte Tollwutviren erste Konzepte zur
chemisch und thermisch wenig stabil.
Schutzimpfung zu etablieren. Etwa 99 % der humanen Tollwut-
fälle weltweit resultieren aus der Übertragung durch Hunde. jEinteilung
Die Rhabdoviridae werden in mindestens 9 Genera unterteilt. Die
Virusgröße: 100–300 nm × 75 nm human relevanten Rhabdoviren finden sich im Genus Lyssavirus.
Genom: 12 kb, ss(–)-RNA
Bisher wurden 14 Virusspezies beschrieben. Parallel existiert die
Hülle mit
Glyko- Einteilung der Lyssaviren in Genotypen bzw. in Phylogruppen. Die
proteinen klassische Tollwut beim Menschen wird durch die Spezies Rabies-
virus/Tollwutvirus (Genotyp 1) ausgelöst. Jedoch liegen einzelne
Fallberichte mit Todesfolge nach Transmission beispielsweise des
Nukleokapsid- »European Bat Lyssavirus« (Genotyp 5 und 6) und »Australian Bat
Helix mit
RNA Lyssavirus« (Genotyp 7) vor.

61.1 Rolle als Krankheitserreger


jGenom kEpidemiologie und Übertragung
Das Genom der Lyssaviren besteht aus einer Einzelstrang-RNA ne- Die Tollwut ist weltweit verbreitet. Laut WHO sind etwa 150 Länder
gativer Polarität [ss(–)-RNA] und hat eine Länge von ungefähr 12 kb. betroffen, insbesondere in Asien und Afrika. Jährlich versterben ca.
Es enthält 5 offenen Leserahmen. 55.000 Menschen an Tollwut. Durch systematische Gegenmaßnah-
men wie die Immunisierung der Füchse und Hunde gelten heutzu-
jMorphologie tage viele europäische Länder als »frei von terrestrischer Tollwut«
Das Virus besitzt eine geschossförmige Gestalt mit einer Länge von (aktuelle Situation online unter: www.who-rabies-bulletin.org). In
etwa 100–300 nm bei einem Durchmesser von 75 nm. Die RNA ist Ost- und teilweise in Südeuropa kommt die Tollwut bei Wild- und
in einem schraubenförmig angeordneten, helikalen Kapsid enthal- Haustieren endemisch vor und jährlich werden vereinzelt Übertra-
ten. Das Nukleokapsid ist von einer Hüllmembran (Innenseite der gungen auf den Menschen gemeldet. Mit importierten Erkrankun-
Membran mit M-Protein assoziiert) umgeben, in welche die Glyko- gen, die in Endemiegebieten erworben wurden, muss gerechnet
proteine (G-Proteine) eingebettet sind. Die Replikation des Virus werden.
498 Kapitel 61 · Tollwutvirus

Bei der klassischen Tollwut ist epidemiologisch die sylvatische Symptomen und dem tödlichen Ausgang liegen 4–30 Tage. Beim
und urbane Tollwut zu unterscheiden. Erstere wird durch wild Menschen verläuft die Tollwut in mehreren Stadien:
lebende Tiere (Füchse, Wölfe, Dachse, Waschbären, Rehe) übertra-
gen. In Osteuropa ist der Fuchs (hauptsächliches Virusreservoir) die Prodromalstadium Beim Menschen besteht eine Hyperästhesie im
häufigste Infektionsquelle der Tiere und somit verantwortlich für die Bereich der Bisswunde: lokales Brennen und Jucken. Fieber mit un-
Erhaltung und Ausbreitung der Tollwut. charakteristischen Krankheitsbeschwerden, Kopfschmerzen und
Bei der urbanen Tollwut sind Hunde das Hauptreservoir und gastrointestinalen Beschwerden tritt auf. Dieses Stadium dauert
Expositionstier für andere Tiere und den Menschen. Auch Katzen 2–10 Tage an.
sowie Weidetiere (Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde) spielen eine Danach entwickelt sich in 80 % der Fälle ein akutes enzephaliti-
Rolle. Nagetiere oder Hasenartige sind als Reservoir nicht von Be- sches oder in 20 % ein paralytisches Syndrom.
deutung.
Etwa 99 % der humanen Tollwutfälle weltweit resultieren aus der Exzitationsstadium (»rasende Wut«, enzephalitische Phase) Der
Übertragung durch Hunde. Generell sind regionale Unterschiede Patient bekommt Angstgefühle und wird motorisch unruhig. Es be-
bezüglich Reservoirtieren und Infektionszyklen zu beachten. In ginnen durch den Schluckakt ausgelöste Krämpfe der Schluckmus-
Europa wurden 1954 erstmals Rabiesviren in Fledermäusen gefun- kulatur. Der Patient vermeidet entsprechend das Schlucken mit der
den. Heutzutage ist bekannt, dass Fledermäuse bzw. Flughunde fast Folge einer Hypersalivation. Zur motorischen Unruhe kommen ab-
allen Lyssaviren als Reservoir dienen. Grundsätzlich muss, wie bei wechselnd aggressive und depressive Zustände sowie Benommen-
der klassischen Tollwut, von einem gleichen Risiko bezüglich der heit hinzu. Charakteristisch ist die Aero- und Hydrophobie. Schon
Transmission ausgegangen werden. (Laut WHO besteht nach Fle- die optische oder akustische Wahrnehmung von Wasser führt zu
dermauskontakt die Indikation zur Postexpositionsprophylaxe.) Unruhe und Krämpfen, die sich auf die gesamte Muskulatur er-
Gewöhnlich erfolgt die Übertragung durch Biss- bzw. Kratzver- strecken können.
letzung über den Speichel infizierter Tiere, jedoch auch bei direktem
Kontakt mit infektiösem Material über Hautverletzungen oder Paralyse (»stille Wut«) Es treten fortscheitende Paresen mit Hypo-
Schleimhäute. Seltene Fälle der Übertragung des Tollwutvirus durch phonie, Polyneuropathie oder Tetraparesen auf. Zudem kann eine
transplantierte Organe eines unerkannt infizierten Spenders kom- Meningitis beobachtet werden.
men vor. Im weiteren Verlauf kommt es zum Koma und Exitus im Rah-
men eines Multiorganversagens.
kPathogenese
Das Tollwutvirus hat ein extrem breites Wirtsspektrum, das vom Erkrankung bei Tieren Beim Hund beobachtet man verändertes
Rind bis zur Fledermaus reicht. Die Empfänglichkeit verschiedener Verhalten, blinde Aggressivität, Herumstreunen, heiseres Bellen und
Spezies für das Virus variiert. Heulen. Beim Wild fällt das Fehlen der natürlichen Scheu vor dem
Nach Eindringen in Wunden oder Hautdefekte repliziert das Menschen in Kombination mit Aggressivität auf. Bei Fledermäusen
Virus wahrscheinlich zunächst in Muskel- oder Bindegewebezellen, ist eine Viruspersistenz möglich.
ehe es Zugang zu den Nervenendigungen findet. Der Erreger wan-
dert dann mit Überspringen der Synapsen axonal zum ZNS, ver- kLabordiagnose
mehrt sich dort und gelangt zentrifugal unter anderem in die Spei- Eine Verdachtsdiagnose erfordert in Zusammenhang mit der ent-
cheldrüsen, in denen eine starke Vermehrung erfolgt. Da sich das sprechenden Klinik die anamnestische Abklärung nach einem Auf-
Tollwutvirus fast ausschließlich im Nervensystem aufhält, wird das enthalt in einem Tollwutendemiegebiet bzw. über eventuelle Expo-
Immunsystem erst stimuliert, wenn es sich bereits stark vermehrt sitionen (tollwutverdächtiges Tier). Die Probenentnahme ist immer
hat, d. h. am Ende der klinisch manifesten Erkrankung. mit dem zuständigen Konsiliar- oder Referenzlabor abzusprechen.
Prinzipiell zu beachten ist, dass diagnostische Nachweise zu Lebzei-
Pathologisch-anatomische Schädigung Diese betrifft nur die ten aufgrund mehrerer Faktoren wie der fehlenden/intermittieren-
Neuronen des ZNS, und zwar vornehmlich die Gegenden des Hip- den Virusausscheidung, dem Antikörperstatus, Probenqualität oder
pokampus (Ammonshorn), der Medulla und des Kleinhirns. Später dem Erkrankungsstadium oft negative Ergebnisse erzeugen. An eine
werden auch die übrigen Regionen der Großhirnrinde und des Pons serielle Probenentnahme ist zu denken (WHO Expert Consultation
betroffen. Die Infektion und lokale Vermehrung des Virus im Zyto- on Rabies 2012).
plasma führt zum Auftreten von Einschlusskörperchen (Negri-Kör- Der Nachweis viraler Antigene erfolgt mittels direktem IFT aus
perchen, »Virusfabriken«), auch in Epithelzellen der Speicheldrüsen Nackenhautbiopsien (Haarfolikel mit peripheren Nerven), Kornea-
Virologie

und Konjunktivalzellen (. Abb. 61.1). Abklatschpräparat, Liquor oder Speichel, post mortem zusätzlich
aus Hirngewebe (Hirnstamm, Kleinhirn, Ammonshorn). Intra
kImmunität vitam kann die RT-PCR zur Bestätigung des Antigennachweises
Schützende Antikörper können nur nach vollständiger Immuni- durchgeführt werden. Die Virusisolierung dient zur Bestätigung
sierung entstehen. Nach Angaben der Impfstoffhersteller beträgt die und zur Anreicherung eines Isolats zur weiterführenden Diagnostik
Schutzdauer 2–5 Jahre. wie der Charakterisierung.
Virusneutralisierende Antikörper können aus Serum und Li-
kKlinik quor mit dem »rapid fluorescent focus inhibition test« (RFFIT)
Die Inkubationszeit beträgt in 75 % der Fälle 1–3 Monate, in Extrem- nachgewiesen werden. Dieser Test eignet sich zur Überprüfung der
fällen kann sie aber auch weniger als 5 Tage oder bis zu 10 Monate Immunität nach Schutzimpfung. (Zur Indikation für Laborpersonal
(in Einzelfällen wohl auch Jahre) dauern. Die Zeit bis zum Ausbruch siehe die jährlich aktualisierten STIKO-Empfehlungen.) Zur Be-
der klinischen Symptomatik ist abhängig unter anderem von der stimmung von Antikörpern gegen Glykoproteine des Tollwutvirus
Lokalisation der Bissstelle. Bei ZNS-nahen Verletzungen/Bissen kann auch ein ELISA durchgeführt werden (Antikörperbildung erst
wurden kürzere Inkubationszeiten beobachtet. Zwischen den ersten nach Ausbruch der Erkrankung). Der Nachweis der Negri-Körper-
61.1 · Rolle als Krankheitserreger
499 61

. Tab. 61.1 Indikation zur Postexpositionsprophylaxe in Abhängigkeit der Expositionsart (STIKO)

Grad der Art der Exposition durch tollwutverdächtiges Art der Exposition durch einen Empfohlene Immunprophylaxe*
Exposition oder tollwütiges Wild- Tollwut-Impfstoffköder
oder Haustier oder Fledermaus

I Berühren/Füttern, Belecken intakter Haut Berühren von Impfstoffködern bei keine Impfung
intakter Haut

II nichtblutender, oberflächlicher Kratzer oder Kontakt mit Impfflüssigkeit eines Tollwut-Schutzimpfung


Hautabschürfung, Lecken oder Knabbern an beschädigten Impfstoffköders an
nichtintakter Haut nichtintakter Haut

III Biss- oder Kratzwunde, Kontakt von Schleim- Kontamination von Schleimhäuten Tollwut-Schutzimpfung und einmalig
häuten oder Wunden mit Speichel, Verdacht auf und frischen Hautverletzungen mit mit der 1. Dosis simultane Verabreichung
Biss oder Kratzer durch Fledermaus oder Kon- Impfflüssigkeit eines beschädigten von Tollwut-Immunglobulin (20 IE/kg KG)
takt der Schleimhäute mit Fledermaus Impfstoffköders

* Dosierungsschema nach Angaben in den Fachinformationen

chen erfolgt post mortem in mehreren Schnitten aus Hirngewebe


(. Abb. 61.1). In Kürze
Tollwutvirus
kTherapie Virus Tollwutvirus bzw. Rabiesvirus, Genom: ss(–)-RNA.
Es gibt keine kausale Therapie. Die Behandlung erfolgt symptoma- Morphologie: geschossförmige Gestalt, Länge 100–300 nm,
tisch mit intensivmedizinischer Betreuung. Durchmesser 75 nm.
Epidemiologie Weltweit verbreitet. Breites Wirtsspektrum (Rind
kPrävention bis Fledermaus). Deutschland »frei von terrestrischer Tollwut«. In
Allgemeine Maßnahmen Vermeidung der Exposition gegenüber Osteuropa Tollwut endemisch. Sylvatische Tollwut (wild lebende
Fledermäusen und potenziell infizierten Hunden und Wildtieren. Tiere) und urbane Tollwut (Hunde). 99 % humaner Tollwutfälle
bedingt durch Hundekontakt. Weltweites Risiko der Fleder-
Schutzimpfung Die Grundimmunisierung zur Prophylaxe (Rei- maustollwut.
sende, Laborpersonal) besteht aus 3 Teilimpfungen an den Tagen 0, Übertragung Zoonose. Übertragung durch Biss- bzw. Kratz-
7 und 21 oder 28. Die Indikation zur Schutz- und Auffrischimpfung verletzung über den Speichel infizierter Tiere, auch bei direktem
ist den offiziellen STIKO-Empfehlungen zu entnehmen. Beispiels- Kontakt über Hautverletzungen oder Schleimhäute.
weise erhält mit Tollwutvirus arbeitendes Laborpersonal eine Auf- Pathogenese Primäre Replikation in Muskel- oder Bindegewebe-
frischimpfung, wenn der Titer der neutralisierenden Antikörper zellen an der Bissstelle, danach Verbreitung axonal zum ZNS
unterhalb 0,5 IE/ml liegt (halbjährliche Testung). (Hippokampus, Medulla, Kleinhirn), Wanderung zentrifugal zu
den Speicheldrüsen.
Postexpositionsprophylaxe Diese ist in Abhängigkeit von der epi- Immunität Schützende Antikörper nur nach vollständiger
demiologischen Verbreitung, der Tierart und vom Expositionsgrad Immunisierung, Schutzdauer 2–5 Jahre.
zu wählen (. Tab. 61.1). Nach einer Bissverletzung durch ein toll- Klinik Inkubationszeit 1–3 Monate, Prodromalstadium mit
wutverdächtiges Tier (Expositionsgrad III) sollte eine sofortige Hyperästhesie an der Bisswunde, Fieber mit uncharakteristi-
Wundreinigung mit Seife, Wasser und anschließender Desinfektion schen Symptomen. 80 % »rasende Wut« mit Aero- und Hydro-
durchgeführt werden. phobie und 20 % »stille Wut« mit Paresen. Anschließend
Die Tollwutprophylaxe besteht aus der simultanen Gabe der Koma und Tod im Rahmen eines Multiorganversagens.
postexpositionellen aktiven Tollwut-Immunisierung und einer Do- Diagnostik Anamnese: Aufenthalt in Endemiegebiet, Tier-
sis Tollwut-Immunglobulin (. Tab. 61.1, Fachinformationen beach- exposition. Nachweis viraler Antigene mittels direktem IFT aus
ten). Die aktive Immunisierung erfolgt i. m. (M. deltoideus bei Er- Nackenhautbiopsien, Liquor oder Speichel, post mortem aus
wachsenen) nach dem Essen-Schema an den Tagen 0, 3, 7, 14 und 28 Hirngewebe. RT-PCR aus Biopsien (Nackenhaut) zur Bestätigung
(Tetanusprophylaxe bei Bedarf). Bereits vollständig geimpfte Perso- des Antigennachweises. Virusneutralisierende Antikörper aus
nen bekommen 2 Dosen an den Tagen 0 und 3. Von der Gesamt- Serum und Liquor mittels RFFIT.
menge des Tollwut-Immunglobulins sollte möglichst viel tief in und Therapie Symptomatisch mit intensivmedizinischer Behandlung.
um die Wunde herum appliziert werden. Der Rest wird i. m. verab- Prävention Schutzimpfung für Personen mit Expositionsrisiko
reicht (Injektionsort entfernt vom M. deltoideus). nach STIKO. Postexpositionsprophylaxe bestehend aus simul-
taner Gabe des Tollwut-Impfstoffs und des Tollwut-Immun-
Meldepflicht Namentlich gemäß § 6 IfSG Krankheitsverdacht, die globulins.
Erkrankung sowie der Tod an Tollwut, ebenso die Verletzung eines
Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -anste-
ckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres
oder Tierkörpers. Gemäß § 7 IfSG Meldung des direkten oder indi-
rekten Nachweises des Tollwutvirus.
500 Kapitel 61 · Tollwutvirus

Literatur

Bourhy H, Dacheux L, Strady C, Mailles A (2005) Rabies in Europe in 2005.


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Virologie
501 62

Arenaviren
S. Pöhlmann

Frühere Versionen von D. Falke

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_62, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Arenaviren tragen ein segmentiertes RNA-Genom, das Leserahmen Eine Besonderheit der Arenaviren ist, dass die beiden Leserah-
mit beiden Polaritäten enthält (ambisense Kodierungsstrategie). Die men eines jeden Segments eine gegenläufige Polarität aufweisen.
Viren werden von Nagetieren auf den Menschen übertragen und Man spricht daher von einer Ambisense-Kodierung. Zwischen den
können schwere Erkrankungen auslösen. Das Lassa-Virus und weitere GP- und NP-Leserahmen des S-Segments und den Z- und L-Lese-
afrikanische und südamerikanische Arenaviren verursachen hämor- rahmen des L-Segments liegen intergenische Regionen (IGR), die
rhagische Fieber mit zum Teil tödlichem Verlauf. Das Lymphozytäre Cho- ausgeprägte Sekundärstrukturen ausbilden und als Terminatoren
riomeningitisvirus (LCMV) kommt weltweit vor und kann bei immun- der Transkription fungieren. An den Enden der genomischen Seg-
kompetenten Personen eine aseptische Meningitis auslösen. Nach mente findet man hochkonservierte, weitgehend komplementäre
LCMV-Übertragung auf immunsupprimierte Patienten kommt es zu nichttranslatierte Bereiche, die pfannenstielähnliche Strukturen aus-
tödlichen Verläufen, die kongenitale Infektion kann zu Fehlbildungen bilden und als Promotoren für mRNA-Synthese und Genomreplika-
des fetalen Gehirns führen. LCMV ist außerdem eine wichtiges Modell- tion dienen.
pathogen für immunologische Studien.
jFunktion viraler Proteine
Steckbrief Das Glykoprotein (GP) ist für den Eintritt von Arenaviren in Zellen
verantwortlich. Es wird als Vorläuferprotein GPC synthetisiert und
durch Wirtszellproteasen in das Signalpeptid und die Untereinhei-
ten GP1 und GP2 gespalten. Die proteolytische Prozessierung ist
für die virale Infektiosität wichtig. Ungewöhnlich ist die Rolle des
Signalpeptids in der Arenavirusvermehrung: Es weist eine hohe
Stabilität auf und ist für die normale GP-Expression und -Funktion
notwendig.
Das Nukleoprotein (NP) bindet an die genomische RNA und ist
Bestandteil des Nukleokapsids. Das L-Protein ist als RNA-abhängige
RNA-Polymerase für die Bildung von mRNAs und für die Genom-
replikation zuständig. Das Z-Protein fungiert als Matrixprotein und
ist für die Bildung neuer Viren wichtig.

jVermehrung
62.1 Aufbau und Vermehrungsstrategie Das GP-Protein vermittelt den ersten Schritt im viralen Vermeh-
rungszyklus, die Bindung von Arenaviren an Zielzellen sowie die
jAufbau von Viruspartikeln Fusion der viralen Hülle mit einer endolysosomalen Membran. Die
Arenaviruspartikel sind pleomorph, ihr Durchmesser variiert zwi- Membranfusion erlaubt das Einschleusen des viralen Nukleokapsids
schen 50 und 300 nm. Sie tragen eine Hüllmembran, die von der in das zelluläre Zytoplasma, den Ort der viralen Replikation, die
Wirtszelle stammt. Das Virusinnere enthält neben viralen Proteinen durch das L-Protein getrieben wird. Da die Leserahmen für NP und
und Nukleinsäuren auch Ribosomen, die ihren Ursprung in der L negative Polarität aufweisen und die genomische RNA – trotz
Wirtszelle haben die für den Namen der Viren verantwortlich sind: positiver Polarität der Leserahmen für GP- und Z-Protein – nicht als
Bei elektronenmikroskopischer Betrachtung verleihen sie den Vi- mRNA dienen kann, ist die Aufnahme von L-Protein in Arena-
ruspartikeln ein sandiges (lat.: »arenosus«) Aussehen. viruspartikel für die virale Infektiosität essenziell.
Das Z-Protein fungiert als negativer Regulator der Genomrepli-
jGenomstruktur kation und der mRNA-Synthese und vermittelt Zusammenbau und
Die Membranhülle der Arenaviren umschließt ein einzelsträngiges Abschnürung neuer Viruspartikel von der Zytoplasmamembran.
RNA-Genom. Die genomische Information ist auf ein kleines
(small, S) und ein großes Segment (large, L) verteilt. Jedes Segment
kodiert 2 Proteine: Die Leserahmen für das Glykoprotein (GP) und
das Nukleoprotein (NP) liegen auf dem S-Segment, während die
Leserahmen für die Polymerase (L-Protein) und das Z-Protein auf
dem L-Segment lokalisiert sind.
502 Kapitel 62 · Arenaviren

62.2 Einteilung, Übertragung und Rolle in Lassa-HF-Patienten sind meistens auf Schleimhautoberflächen
als Krankheitserreger beschränkt.
Im Einklang mit dieser Beobachtung wurden Unterschiede in der
jEinteilung und natürliches Reservoir Virus-Wirtszell-Interaktion dokumentiert: Das HF-induzierende
Arenaviren werden aufgrund ihrer geografischen Verbreitung, sero- Altwelt-Arenavirus LASV (und das Lymphozytäre Choriomeningi-
logischen Eigenschaften und Sequenzverwandtschaft in Altwelt- tis-Virus [LCMV], s. u.) verwendet α-Dystroglykan für den Eintritt
Arenaviren (Lassa/Lymphozytäre Choriomeningitis-Serokomplex) in Zielzellen, hauptsächlich Makrophagen und dendritische Zellen,
und Neuwelt-Arenaviren (Tacaribe-Serokomplex, 3 Untergruppen) während seine Pendants aus der Neuen Welt JUNV, GTOV, Machu-
unterteilt (. Tab. 62.1). Nagetiere sind das natürliche Reservoir der povirus (MACV) und Sabiavirus (SABV) Transferrin-Rezeptor 1
Arenaviren, wobei das Tacaribevirus möglicherweise eine Ausnah- (TfR1) nutzen. α-Dystroglykan interagiert mit der extrazellulären
me darstellt: Es wurde in Fledermäusen nachgewiesen. Neue Studien Matrix und die Störung dieser Interaktion durch Arenaviren könnte
zeigen außerdem, dass Arenaviren auch in Schlangen vorkommen; zur viralen Pathogenese beitragen. Ein direkter Beitrag von Transfer-
entsprechend enthält die Familie Arenaviridae 2 Genera, Mamma- rin-Rezeptor 1 zur Viruspathogenese wurde dagegen nicht berichtet.
renavirus (Arenaviren, die Säugetiere befallen) und Reptarenavirus
(Arenaviren, die Reptilien befallen). jLymphozytäre Choriomeningitis-Virus-Infektion
Im Gegensatz zu den HF-assoziierten Arenaviren ist das Lymphozy-
jArenavirales hämorrhagisches Fieber täre Choriomeningitis-Virus (LCMV) weltweit verbreitet, seine klini-
Neben Vertretern der Bunya-, Filo- und Flaviviren können auch sche Bedeutung ist aber gering. Die kongenitale LCMV-Infektion
mehrere Arenaviren ein hämorrhagisches Fieber (HF) induzieren. kann jedoch zur permanenten Schädigung von Retina und Gehirn
Die Entwicklung von HF nach Arenavirusinfektion stellt insbe- führen und die LCMV-Infektion von immunsupprimierten Patien-
sondere in Afrika (Lassa-Virus, LASV) und Südamerika [Neuwelt- ten nach Organübertragung kann mit schwerer Symptomatik und
Arenaviren der Gruppe B, u. a. Juninvirus (JUNV) und Guanarito- tödlichem Verlauf verbunden sein.
virus (GTOV)] ein Gesundheitsrisiko dar. Im Labor ist LCMV ein wichtiges Werkzeug: Am Beispiel der
Die HF-Symptomatik nach Infektion mit Altwelt- und Neuwelt- LCM wurde die Existenz von zytotoxischen T-Lymphozyten und
Arenaviren weist Ähnlichkeiten auf (Fieber, Petechien, Hämorrha- deren MHC-Restriktion nachgewiesen (Zinkernagel und Doherty,
gien etc.) und die Schädigung des vaskulären Endothels spielt eine Nobelpreis 1996) und die virusbedingte Immuntoleranz entdeckt.
zentrale Rolle bei der Erkrankung. Dennoch gibt es bei der HF-Aus- Außerdem wurden Immunkomplexerkrankungen und die Rolle von
prägung Unterschiede: Die Infektion mit LASV ist deutlich seltener T-Zell-Antworten bei chronischen Virusinfektionen erfolgreich im
mit Hämorrhagien assoziiert als die Infektion mit JUNV; Blutungen LCM-Modell untersucht.

. Tab. 62.1 Familie der Arenaviren, Genus Mammarenavirus (ausgewählte Vertreter)

Spezies Reservoir Vorkommen Erkrankung des Menschen

Altwelt-Arenaviren (Lassa/Lymphozytäre Choriomeningitis-Serokomplex)

Lassa-Virus (LASV) Natal-Vielzitzenmaus Westafrika HF

Lujovirus (LUJV) unbekannt Südafrika HF

Mopeiavirus (MOPV) Natal-Vielzitzenmaus Mosambik, Simbabwe nicht beschrieben

Lymphozytäres Choriomeningitisvirus Haus- und Waldmaus weltweit Meningitis, Enzephalitis, kongenitale


(LCMV) Fehlbildungen, multiples Organversagen
nach Transplantation

Neuwelt-Arenaviren (Tacaribe-Serokomplex)

Gruppe A

Pichindévirus (PICV) Reisratte Kolumbien nicht beschrieben


Virologie

Paranávirus (PARV) Reisratte Paraguay nicht beschrieben

Gruppe B

Junínvirus (JUNV) Vespermäuse, Azara-Grasmaus Argentinien HF

Machupovirus (MACV) Große Vespermaus Bolivien HF

Guanaritovirus (GTOV) Baumwollratte, Zuckermaus Venezuela HF

Tacaribevirus (TCRV) Jamaikanische Fruchtfledermaus Trinidad nicht beschrieben; eine Laborinfektion


ohne tödlichen Verlauf

Gruppe C

Oliverosvirus (OLVV) Argentinische Bolomaus Argentinien nicht beschrieben

Latinovirus (LATV) Große Vespermaus Bolivien nicht beschrieben


62.3 · Ausgewählte Vertreter
503 62
jInterferonantagonismus als Pathogenitätsfaktor? kPrävention, Therapie und Labordiagnose
Eine Reihe von Altwelt- und Neuwelt-Arenaviren wie Mopeia-, Eine Schutzimpfung steht nicht zur Verfügung, Präventionsmaß-
Amapari- und Pichindevirus werden nicht mit Erkrankungen im nahmen zielen daher auf die Vermeidung des Kontakts mit Nagern
Menschen in Verbindung gebracht, obwohl die Möglichkeit zur zoo- ab. Ribavirin wird erfolgreich zur Behandlung von Lassa-HF einge-
notischen Übertragung auf den Menschen gegeben scheint. Eine setzt.
Studie mit Zellkultursystemen liefert eine mögliche Erklärung: Die Die Labordiagnostik sollte durch ein Speziallabor erfolgen (Ar-
Z-Proteine pathogener Arenaviren wurden als Inhibitoren der Inter- beiten mit LASV müssen in einem Labor der Sicherheitsstufe 4
feronproduktion identifiziert, während die Proteine apathogener durchgeführt werden) und ist auf den Nachweis von viralem Anti-
Arenaviren inaktiv waren. gen, viraler RNA und Anti-LASV-Antikörpern durch IFT, PCR, bzw.
ELISA fokussiert. Aufgrund der hohen Sequenzvariabilität zwischen
LASV-Isolaten fallen jedoch bis zu 30 % der Antikörpernachweisre-
62.3 Ausgewählte Vertreter aktionen falsch negativ aus und der Aufbau einer RT-PCR, die alle
LASV-Isolate erkennt, ist schwierig.
62.3.1 Lassa-Virus (LASV)
kEpidemiologie 62.3.2 Juninvirus (JUNV)
Die erste Lassa-Fieber-Erkrankung wurde 1969 bei einer Kranken-
schwester in der Stadt Lassa in Nigeria dokumentiert. Heute ist be- kEpidemiologie
kannt, dass LASV in Westafrika endemisch ist, insbesondere in Sier- JUNV induziert das Argentinische Hämorrhagische Fieber (AHF),
ra Leone, Guinea, Liberia und Nigeria. Es gibt jedoch auch Hinweise das 1953 erstmals beschrieben wurde. AHF tritt hauptsächlich bei
darauf, dass das Virus weiter verbreitet ist, so wurden u. a. Lassa- Landarbeitern in Nord- und Zentralargentinien während der Ernte-
Fieber-Patienten in Europa behandelt, die sich in Afrika infiziert zeit auf. Seit seiner Entdeckung wurden jährlich AHF-Ausbrüche mit
hatten, ohne die oben genannten Länder besucht zu haben. 300–1000 Fällen registriert. Nach Einführung einer Impfung gingen
Man schätzt, dass sich in Westafrika jährlich bis zu 500.000 Per- die Fallzahlen um das 10-Fache zurück.
sonen mit LASV infizieren und etwa 5000 Patienten an der Infektion
versterben. Aufgrund der hohen Seroprävalenz in verschiedenen kÜbertragung
Regionen ist davon auszugehen, dass das Virus deutlich häufiger auf Vespermäuse und die Azara-Grasmaus sind das natürliche Reservoir
den Menschen übertragen wird, jedoch ein substanzieller Teil der für JUNV. Die Tiere entwickeln eine persistente Infektion und schei-
Infektionen asymptomatisch oder nur mit milden Symptomen ver- den das Virus über Speichel, Urin und Kot aus. Vermutlich wird das
läuft. Dies könnte u. a. auf Unterschiede in der Virulenz von LASV- Virus hauptsächlich horizontal zwischen den Tieren übertragen. Die
Isolaten zurückzuführen sein. Übertragung von JUNV auf den Menschen erfolgt bei Kontakt ver-
letzter Hautstellen mit kontaminiertem Material oder durch Ein-
kÜbertragung atmen virushaltiger Aerosole. Die nosokomiale Übertragung von
Das natürliche Reservoir von LASV sind Nagetiere der Gattung Mas- JUNV wurde beschrieben.
tomys (Natal-Vielzitzenmaus), die persistent und asymptomatisch
mit dem Virus infiziert sind und das Virus über Urin und Kot aus- kKlinik
scheiden. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt über den Kon- Die Inkubationszeit beträgt 6–12 Tage. Anschließend entwickeln die
takt mit virushaltigen Ausscheidungen oder über Aerosole, die z. B. Patienten Fieber und grippeähnliche Symptome, ähnlich wie nach
beim Reinigen kontaminierter Flächen entstehen können. Außer- LASV-Infektion. In der 2. Woche treten häufig Petechien im Achsel-
dem kann die Übertragung durch Verzehr kontaminierter Nahrung bereich, Enantheme der Mundschleimhaut und Zahnfleischbluten
oder von infizierten Tieren erfolgen. auf. Das Fieber bleibt bestehen, eine ZNS-Beteiligung ist möglich.
Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist bei Kontakt mit vi- Bei schweren Verläufen kommt es zu Krämpfen, Delirium und
rushaltigem Gewebe, Körperflüssigkeiten und Exkreten möglich Schock. Die Sterblichkeitsrate unbehandelter AHF-Patienten liegt
und erfolgt insbesondere in Krankenhäusern in denen grundlegende bei 15–30 %.
hygienische Schutzmaßnahmen nicht angewendet werden bzw. die
entsprechenden Ressourcen dafür fehlen. kPrävention, Therapie und Labordiagnose
Ein lebendattenuierter Impfstoff steht zur Verfügung. Die Trans-
kKlinik fusion von Plasmen von Rekonvaleszenten führt zur markanten
Die Inkubationszeit beträgt 7–21 Tage. Danach stellen sich grippe- Reduktion der AHF-bedingten Sterblichkeit. Allerdings muss die
ähnliche Symptome ein wie Fieber, Schwäche und Kopfschmerzen. Transfusion spätestens 8 Tage nach Auftreten der Symptome er-
Gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit und Diarrhö sind eben- folgen. Sie kann mit neurologischen Spätfolgen behaftet sein. Ent-
falls häufig. Die unspezifische Symptomatik erschwert die korrekte sprechende neurologische Probleme treten bei unbehandelten AHF-
Diagnose der Erkrankung. Patienten nicht auf. Die Ursache für das sog. späte neurologische
Eine hohe Viruslast weist auf einen schweren Verlauf hin. In Syndrom (»late neurological syndrome«, LNS) ist gegenwärtig
diesen Fällen kommt es ab dem 6. Tag nach Beginn der Symptomatik unklar.
zu einer raschen Verschlechterung des Zustands der Patienten, die Die Behandlung mit Ribavirin ist wirksam. Virale RNA und Pro-
u. a. akute Atemschwierigkeiten, Enzephalopathie und Schleim- teine sind während der akuten Phase der Erkrankung nachzuweisen,
hauteinblutungen entwickeln können. Taubheit wird in der späten anschließend können Antikörper detektiert werden.
Phase sowie bei Rekonvaleszenten beobachtet. 10–20 % der Patien-
ten mit schweren Verläufen sterben an der Infektion. Das Risiko für
einen tödlichen Verlauf steigt bei einer Schwangerschaft, insbeson-
dere im 3. Trimester.
504 Kapitel 62 · Arenaviren

62.3.3 Lymphozytäres Choriomeningitisvirus RT-PCR, die Bildung von Antikörpern gegen LCMV wird mittels
(LCMV) IFT und ELISA nachgewiesen.

kEpidemiologie
In Kürze
Das LCMV wurde 1933 erstmals isoliert. Die Gefahr einer LCMV-
Arenaviren
Infektion besteht weltweit, da das natürliche Reservoir des Virus
Virus Membranumhüllt, (–)ssRNA, 2 Segmente, Ambisense-
weltweit verbreitet ist. Obwohl das Virus u. a. Meningitis in immun-
Kodierungsstrategie.
kompetenten Personen induzieren kann, ist die Datenlage zu LCMV-
Epidemiologie und Übertragung Arenaviren, die hämorrhagi-
Seropositivität in der Bevölkerung sowie in Patienten mit ZNS-
sches Fieber induzieren: Lassa-Virus in Afrika, jährlich bis zu
Symptomatik ungenügend. Untersuchungen in den USA und
500.000 Fälle. Junínvirus, Machupovirus, Guanaritovirus u. a. in
Deutschland deuten darauf hin, dass etwa 5–10 % der Bevölkerung
Südamerika. Lymphozytäre Choriomeningitisvirus ist weltweit
Antikörper gegen LCMV tragen. Die kongenitale LCMV-Infektion
verbreitet. Nagetiere sind das natürliche Reservoir, die Über-
hat schwere Konsequenzen für den Fetus, doch belastbare Zahlen
tragung auf den Menschen erfolgt über virushaltigen Speichel,
zur Häufigkeit stehen auch hier kaum zur Verfügung.
Urin und Fäzes.
Klinik Biphasischer Verlauf: Inkubationszeit 1–3 Wochen. In
kÜbertragung
der 1. Phase grippeähnliche und häufig auch gastrointestinale
Hausmäuse stellen das wichtigste natürliche Reservoir für LCMV
Symptomatik. In der 2. Phase hämorrhagisches Fieber mit
dar. Auch Hamster können als Reservoir dienen. Die vertikale Über-
Multiorganbeteiligung, insbesondere ZNS-Symptomatik (Lassa-
tragung des Virus vom Muttertier auf die (noch nicht immunkom-
Virus, Junínvirus und weitere südamerikanische Arenaviren).
petenten) Nachkommen führt bei den meisten Nagern zu einer per-
Meningitis nach Infektion mit Lymphozytärem Choriomenin-
sistenten Infektion, da die Tiere keine wirksame Immunantwort
gitisvirus, schwere Verläufe bei Immunsuppression. Infektion
gegen das Virus entwickeln können, man spricht von Immun-
während der Schwangerschaft kann bei Neugeborenen zu
toleranz.
schweren Gehirnschäden führen.
Infizierte Tiere scheiden lebenslang große Mengen an LCMV
Labordiagnose Virusisolierung, Immunfluoreszenztest, ELISA,
über Urin, Fäzes und Speichel aus. Die Übertragung auf den Men-
RT-PCR.
schen erfolgt nach direktem Kontakt mit den Ausscheidungen, Auf-
Prävention Bekämpfung von Nagern und Beseitigung der
nahme kontaminierter Nahrung sowie über virushaltige Aerosole.
Ausscheidungen. Lebendattenuierter Impfstoff gegen Junín-
Bei Übertragung des Virus auf immunkompetente Mäuse ent-
virusinfektion.
wickelt sich eine robuste Antwort zytotoxischer T-Zellen (CTL). Die
Therapie Ribavirin, Plasmatransfusion bei Junínvirusinfektion.
CTL-Antwort eliminiert zwar virusbefallene Zellen, ist jedoch auch
Meldepflicht Direkter oder indirekter Nachweis des Lassa-Virus.
für die nach LCMV-Infektion beobachtete Gewebeschädigung ver-
Generell: Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod an virus-
antwortlich. Die Virusinfektion allein ist nicht zytopathogen.
bedingtem hämorrhagischem Fieber.
Das Virus kann kongenital sowie bei Organtransplantation von
Mensch zu Mensch übertragen werden.

kKlinik Literatur
Vermutlich verläuft die LCMV-Infektion bei immunkompetenten
Bonthius DJ (2012) Lymphocytic choriomeningitis virus: An underrecognized
Personen häufig asymptomatisch. Symptomatische Verläufe sind cause of neurologic disease in the fetus, child, and adult. Semin Pediatr
biphasisch, analog zur Infektion mit anderen Arenaviren: Nach Neurol. 19(3):89–95.
1–2 Wochen Inkubationszeit stellt sich zunächst eine fiebrige Er- Fischer SA et al. (2006) Transmission of lymphocytic choriomeningitis virus by
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re eine aseptische Meningitis. Die Prognose ist jedoch gut und die 13:303-311.
Verläufe sind meistens mild. McLay L, Liang Y, Ly H (2014) Comparative analysis of disease pathogenesis
Bei den sehr seltenen schweren Verläufen kommt es zu einer and molecular mechanisms of New World and Old World arenavirus
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Virologie

che Verläufe sind möglich. evidence for an expanded region of endemicity. Zoonoses Public Health.
Die kongenitale LCMV-Infektion ist mit schweren Folgen behaf- 59(Suppl2):43–47.
tet wie Spontanaborte und Hirnschädigungen (Hydrozephalus, Cho- Vela E (2012) Animal models, prophylaxis, and therapeutics for arenavirus
rioretinitis) beim Neugeborenen. Ein meist tödlicher Verlauf wurde infections. Viruses. 4:1802-1829.
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Zhou X et al. (2012) Role of lymphocytic choriomeningitis virus (LCMV) in
Zentrale Präventionsmaßnahme ist die Vermeidung des Kontakts
understanding viral immunology: past, present and future. Viruses.
mit Nagerausscheidungen. Dies sollte insbesondere von schwange- 4:2650-2669.
ren Frauen befolgt werden. Eine Impfung steht nicht zur Verfügung.
Ribavirin ist in Zellkultur wirksam, es gibt aber nur begrenzte Daten
zum klinischen Nutzen bei LCMV-infizierten Patienten. Die Labor-
diagnostik erfolgt über Virusisolation und Erregernachweis via
505 63

Bunyaviren
S. Pöhlmann, M. Spiegel

Frühere Versionen von D. Falke

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_63, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Familie der Bunyaviren ist die größte RNA-Virus-Familie und um- zeichnet war. Erst 1977 konnte ein weiteres Hantavirus, das Hantaan-Virus,
fasst 5 Genera mit mehr als 350 Spezies. Während es sich bei den Mit- welches nach dem koreanischen Fluss Hantaan benannt ist, als Auslöser die-
gliedern des Genus Tospovirus ausschließlich um Pflanzenviren han- ser epidemisch-endemisch auftretenden Erkrankung identifiziert werden.
delt, finden sich bei den übrigen 4 Genera – Orthobunya-, Phlebo-, Diese und andere Erkrankungen (einschließlich der Nephropathia epidemi-
ca), die von Hantaviren in Europa, Afrika und Asien hervorgerufen werden,
Nairo- und Hantavirus – tier- und humanpathogene Vertreter.
werden unter dem Begriff »hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom«
Die beim Menschen durch Bunyaviren ausgelösten Erkrankungen um-
(HFRS) zusammengefasst.
fassen bezüglich Schwere und Ausprägung ein weites Spektrum und In Nord-, Mittel- und Südamerika auftretende Hantaviren können das Hanta-
reichen von relativ milden grippeähnlichen Verläufen bis zu tödlich virus-assoziierte (kardio)pulmonale Syndrom (HPS/HCPS) auslösen, das erst-
verlaufenden hämorrhagischen Fiebern. Mit Ausnahme der Hantavi- mals 1993 in den USA diagnostiziert wurde. Es ist durch abrupten Beginn
ren, die einen aerogenen Übertragungsweg besitzen, werden Bunyavi- eines interstitiellen Ödems der Lunge mit Versagen von Atmung und Herz
ren durch Arthropoden (insbesondere Stechmücken und Zecken) auf charakterisiert und verläuft in ca. 30 % der Fälle tödlich.
den Menschen übertragen. Im Jahr 2011 wurden 2 neue humanpathogene Phleboviren beschrieben,
die schwere Erkrankungen beim Menschen auslösen können: das »severe
fever with thrombocytopenia syndrome«-Virus (SFTSV) in China sowie das
Steckbrief Heartland-Virus in den USA.

63.1 Beschreibung des Virus


jGenom
Bunyaviren enthalten (–)ssRNA (einzelsträngige RNA mit negativer
Polarität) als genomische RNA, die in 3 verschieden großen Segmen-
ten mit insgesamt 12–18 kb vorliegt. Das größte Segment (L) kodiert
die virale RNA-abhängige RNA-Polymerase, das mittlere Segment
(M) die viralen Hüllproteine und das kleine Segment (S) das Nuk-
leoprotein.
Bei vielen Bunyaviren befindet sich auf dem S-Segment ein zwei-
tes Gen für ein Nichtstrukturprotein (NSs), das als Pathogenitäts-
faktor wirkt; bei einem Teil der Hantaviren und bei Nairoviren ist
Geschichte aber ein NSs-Gen auf dem S-Segment nicht vorhanden. Terminal
Die erste Beschreibung einer durch Bunyaviren hervorgerufenen Erkran- invertierte Sequenzen halten die RNA-Segmente quasi zirkulär in
kung bei Mensch und Tier wurde 1931 veröffentlicht. Hierbei handelte es
pfannenstielähnlicher Form zusammen.
sich um einen Rift-Valley-Fieber-Ausbruch in Kenia, allerdings wurde erst
später erkannt, dass der Erreger, das Rift-Valley-Fever-Virus, dem Genus Phle-
bovirus innerhalb der Familie der Bunyaviren zuzuordnen ist. Das der Virus-
jMorphologie und Resistenz
familie den Namen gebende Bunyamweravirus (ein Orthobunyavirus) wurde Die Hüllmembran des Virus enthält das virale Glykoprotein, das sich
erstmals 1943 in Uganda aus Moskitos isoliert. aus 2 Untereinheiten, Gn und Gc, zusammensetzt. Im Virusinnern
1944/45 kam es auf der Krim-Halbinsel unter sowjetischen Soldaten zum befinden sich 3 mit der viralen Polymerase assoziierte helikale Nuk-
Ausbruch eines hämorrhagischen Fiebers, das durch die Infektion mit Krim- leokapside (Komplexe aus genomischer RNA und Nukleoprotein).
Kongo-hämorrhagisches Fieber-(KKHF-)Virus (einem Nairovirus) hervorgeru- Bunyaviruspartikel sind sphärisch oder oval, ihr Durchmesser be-
fen wird. trägt etwa 100 nm.
Bereits 1934 wurde erstmals in Skandinavien eine Infektionserkrankung be- Obwohl sich Bunyaviren durch alkoholische und aldehydische
schrieben, die grippeähnlich beginnt und zu einer transienten Niereninsuffi-
Desinfektionsmittel relativ leicht inaktivieren lassen, können sie
zienz führt. Diese Erkrankung, für die später der Begriff »Nephropathia epi-
demica« geprägt wurde, wird durch ein Hantavirus, das Puumulavirus her-
unter geeigneten Umweltbedingungen lange infektiös bleiben. So
vorgerufen. übersteht das Rift-Valley-Fever-Virus in infizierten Moskitoeiern
Während des Koreakrieges (1950–1953) trat bei den US-amerikanischen ausgedehnte Trockenperioden, ohne seine Infektiosität zu verlieren,
Truppen eine ähnliche, aber schwerer verlaufende Erkrankung auf, die durch und die Exkremente von Hantavirus-infizierten Mäusen bleiben
starke Schmerzen im Rumpf, Hämorrhagien und Nierenversagen gekenn- über Tage infektiös.
506 Kapitel 63 · Bunyaviren

jZüchtung Deutschland 571 Fälle von Hantaviruserkrankungen registriert


Bunyaviren lassen sich in experimentell infizierten Mäusen oder in (nach 162 bzw. 2822 Fällen in den Jahren 2013 und 2012), die über-
der Zellkultur züchten, wobei Hantaviren oft keinen zytopathischen wiegende Mehrheit war auf eine Infektion mit dem Puumalavirus
Effekt (CPE) induzieren. Der Syrische Goldhamster kann als Modell zurückzuführen.
für das HCPS nach Andesvirusinfektion (Genus Hantavirus) dienen.
Die experimentelle Infektion von Javaneraffen mit Puumalavirus kÜbertragung
(Genus Hantavirus) induziert eine Nephropathia-epidemica-ähn- Die Übertragung von Hantaviren auf den Menschen erfolgt über
liche Symptomatik. Aerosole aus virushaltigen Fäzes, Urin und Speichel. Auch die Über-
tragung durch Bisse ist denkbar. Eine wichtige Rolle bei der Über-
jEinteilung tragung spielt die relativ hohe Stabilität der Viren: So können infek-
Die Familie der Bunyaviren mit mehr als 350 Virusspezies enthält tiöse Viren an kontaminierten Gegenständen für bis zu 2 Wochen
4 Genera mit humanpathogenen Vertretern (. Tab. 63.1): nachgewiesen werden.
4 Orthobunyavirus Hantaviren werden nicht von Mensch zu Mensch übertragen. Ein-
4 Hantavirus zige Ausnahme ist das Andesvirus, ein südamerikanisches Hantavirus,
4 Nairovirus für das dieser Übertragungsweg mehrfach dokumentiert wurde.
4 Phlebovirus
kKlinik und Pathogenese
Orthobunya-, Nairo- und Phleboviren werden als sog. Arboviren Das klinische Bild unterscheidet sich nach Infektion mit Altwelt-
(abgeleitet von »arthropod-borne viruses«) hauptsächlich durch Ar- Hantaviren (z. B. Hantaan-Virus, Puumulavirus, Seoul-Virus, Do-
thropoden auf den Menschen übertragen, während die Übertragung bravavirus) und Neuwelt-Hantaviren (z. B. Sin-Nombre-Virus, An-
der Hantaviren über Nagerexkremente erfolgt. Die infektiologisch desvirus): Die Infektion mit Altwelt-Hantaviren hemmt die Nieren-
wichtigen Hantavirustypen in Deutschland sind das Puumalavirus funktion und verursacht das hämorrhagische Fieber mit renalem
und das Dobravavirus. Auch das in Asien vorkommende Hantaan- Syndrom (HFRS), während Neuwelt-Hantaviren eine kardiopulmo-
Virus und das möglicherweise weltweit auftretende Seoul-Virus nale Erkrankung auslösen, das Hantavirus-assoziierte (kardio)pul-
sowie das nordamerikanische Sin-Nombre-Virus gehören zu den monale Syndrom (HPS/HCPS).
Hantaviren. Bei HFRS beobachtet man nach einer Inkubationszeit von häufig
Zum Genus Orthobunyavirus gehören die in den USA wichtigen 2–3 Wochen einen abrupten Beginn der Erkrankung: Die Patienten
California- und La-Crosse-Viren. In Russland, Südosteuropa, Afrika entwickeln hohes Fieber, gefolgt von relativ unspezifischen Sympto-
und anderen Ländern kommt das Krim-Kongo-hämorrhagisches- men wie Schüttelfrost und Gliederschmerzen. Anschließend kommt
Fieber-(KKHF-)Virus vor (ein Mitglied des Genus Nairovirus); es es zu einem Abfall des Blutdrucks bis hin zum kardiogenen Schock,
wird durch Zecken oder direkt durch das Blut von Reservoirspezies außerdem entwickeln die Patienten Einblutungen der Bindehaut des
(Wiederkäuern, kleinen Nagetieren) auf den Menschen übertragen. Auges und anderer Schleimhäute.
Im Mittelmeerraum, aber auch im Nahen- und Mittleren Osten Das weitere Fortschreiten der Krankheit ist durch eine Ein-
treten regional begrenzt die verschiedenen Subtypen der Sandfly- schränkung der Nierenfunktion gekennzeichnet, die bis zur Nieren-
Fever-Naples- und Sandfly-Fever-Sicilian-Virusspezies (Gattung insuffizienz gehen kann. Die Letalität hängt vom Virusstamm ab
Phlebovirus) auf. und beträgt bis zu 10 %. In Deutschland wird meist eine abge-
schwächte Form des HFRS beobachtet, Nephropathia epidemica,
die sich durch grippeähnliche Symptome mit Beeinträchtigung der
63.2 Rolle als Krankheitserreger Nierenfunktion auszeichnet.
Der Verlauf des HPS/HCPS ist zunächst dem des HFRS ähnlich:
63.2.1 Hantaviren Nach einer Inkubationszeit (typischerweise 2 Wochen) treten un-
spezifische Symptome auf, anschließend entwickeln die Patienten
kEpidemiologie Hypotension und es besteht die Gefahr eines tödlichen kardiogenen
Nagetiere (Alt- und Neuweltmäuse, Wühlmäuse) sind das natürliche Schocks. Die HPS/HCPS-spezifische Symptomatik umfasst Atem-
Reservoir der Hantaviren. Das Auftreten von Hantaviruserkran- not, Husten, Tachykardie und erniedrigten Blutdruck, es treten Lun-
kungen deckt sich geografisch mit der Verbreitung der jeweiligen genödeme und unter Umständen Lungenversagen auf. Die Letalität
Reservoirspezies. Jedes Hantavirus ist an eine bestimmte Nagetier- liegt bei bis zu 40 %.
spezies angepasst; der natürliche Wirt des Hantaan-Virus ist z. B. Zentrale Ursache für die Entwicklung von HFRS und HPS/
Virologie

Apodemus agrarius, die Brandmaus, während das Seoul-Virus durch HCPS ist die Interferenz der Virusinfektion mit der Barrierefunktion
Ratten auf den Menschen übertragen wird. Neueren Arbeiten zu- des mikrovaskulären Endothels in Niere und Lunge (sowie in weite-
folge könnten auch Maulwürfe und Fledermäuse als Reservoir für ren Organen). Hantaviren befallen Endothelzellen, sie induzieren
Hantaviren dienen. Ob die entsprechenden Viren jedoch für den jedoch keine offensichtlichen zytopathischen Effekte. Allerdings
Menschen pathogen sind, ist noch unklar. ist bemerkenswert, dass pathogene Hantaviren αVβ3-Integrine als
Die Infektion der Reservoirspezies erfolgt persistent und ist Rezeptoren für den Wirtszelleintritt verwenden, apathogene Viren
vermutlich apathogen. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass sie dagegen αVβ1-Integrine.
die Fähigkeit der Tiere verringert, die Wintermonate zu überleben. Daher wurde postuliert, dass pathogene Viren mit der Integrin-
Trotz einer neutralisierenden Antikörperantwort kommt es zur funktion und damit mit den Barriereeigenschaften des Endothels
deutlichen Virusvermehrung in den infizierten Tieren und die Viren interferieren könnten. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die virusin-
werden über Fäzes, Urin und Speichel ausgeschieden. duzierte Immunantwort eine wichtige Rolle in der Pathogenese
Jährlich kommt es weltweit schätzungsweise zu 150.000–200.000 spielt. So könnte die Schädigung des Endothels durch T-Zellen ver-
Hantavirus-assoziierten Erkrankungen beim Menschen, die über- ursacht werden. Allerdings hat die Depletion von CD4+- und CD8+-
wiegende Mehrheit davon betrifft China. Im Jahr 2014 wurden in Zellen im Tiermodell keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf.
63.2 · Rolle als Krankheitserreger
507 63

. Tab. 63.1 Familie der Bunyaviren

Genus Spezies Erkrankung Vektor Reservoir Vorkommen

Orthobunyavirus California Enzephalitis Aedes spp. Streifenhörnchen USA (Kalifornien)


encephalitis
Culex spp. Eichhörnchen

Feldhasen

Kaninchen

La Crosse Enzephalitis Aedes spp. Streifenhörnchen USA

Füchse

Tahyna grippaler Infekt, Meningitis Aedes spp. Eichhörnchen Mittel- und Osteuropa

Culiseta spp. Igel

Culex pipiens Kaninchen

Oropouche Oropouche-Fieber Culicoides paraensis Faultiere Karibik, Panama, Brasilien

Vögel

Hantavirus Hantaan HFRS Speichel sowie Apodemus spp. Korea, China


Aerosole von Kot,
Seoul HFRS Urin Rattus spp. weltweit

Dobrava* HFRS Apodemus spp. Mittel- und Südeuropa

Puumala* NE (milde Form des HFRS) Myodes spp. Mittel-, Ost-, und Nord-
europa
Tula* fraglich: NE/HFRS Microtus spp.

Sin Nombre HPS/HCPS Peromyscus spp. Nord-, Mittel- und Süd-


amerika
Andes HPS/HCPS Oligoryzomys spp.

Nairovirus KKHF HF Hyalomma spp. Schafe Südosteuropa, Afrika,


Asien
Haemaphysalis spp. Ziegen

Rinder

Hasen

Phlebovirus Rift-Valley-Fever grippaler Infekt Aedes spp. Schafe Afrika, Arabische Halbinsel

Hepatitis Culex spp. Ziegen

Enzephalitis Rinder

HF

Sandfly-Fever- Fieber Phlebotomus spp. Phlebotomus spp. Mittelmeerregion


Naples

Subtyp Toskana# Meningitis fraglich: Hunde

Enzephalitis

Sandfly-Fever- Fieber Phlebotomus spp. Phlebotomus spp Mittelmeerregion, Naher


Sicilian und Mittlerer Osten

Subtypen Sabin, Kopfschmerzen fraglich: Mäuse,


Türkei, Zypern# Ratten

HF, hämorrhagisches Fieber; HFRS, hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom; HPS/HCPS, Hantavirus-assoziiertes (kardio)pulmonales Syndrom;
KKHF = Krim-Kongo-hämorrhagisches Fieber; NE = Nephropathia epidemica
* Treten in Deutschland auf
# Die von Sandfly-Fever-Virustypen hervorgerufenen Erkrankungen werden auch unter dem Begriff Phlebotomus- bzw. Papatacci-Fieber zusammen-

gefasst
508 Kapitel 63 · Bunyaviren

Eine weitere Erklärungsmöglichkeit ist die Produktion von gro- Nur ein Bruchteil der klinisch apparenten Fälle nimmt einen neuro-
ßen Mengen an proinflammatorischen Zytokinen, die in HPS/ invasiven Verlauf, der zur Enzephalitis führt, die mit Krampfanfäl-
HCPS-Patienten mit tödlichem Verlauf beobachtet wurde. Bemer- len, Lähmungen und Koma verbunden sein kann.
kenswert ist schließlich, dass nur pathogene Hantaviren die Typ-I- Die Inkubationsperiode beträgt 3–7 Tage. Vektoren sind Aedes
Interferonantwort und damit die Expression von antiviralen Effek- spp., deren Virusreservoir Kleinsäuger wie Streifenhörnchen dar-
tormolekülen in Endothelzellen effizient unterdrücken können. Bei stellen. Da weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie zur
diesem Prozess spielt der zyptoplasmatische Anteil des viralen Ober- Verfügung stehen, stellt der vorbeugende Schutz gegen Mücken-
flächenproteins Gn eine wichtige Rolle. stiche die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung einer La-Crosse-
Virusinfektion dar.
kImmunantwort Das Tahynavirus kommt in Mittel- und Südeuropa sowie Asien
Hantavirus-infizierte Patienten bilden neutralisierende Antikörper, vor. In Endemiegebieten wie z. B. Mähren sind bis zu 80 % der Ein-
die Reinfektionen verhindern und über Jahrzehnte nachgewiesen wohner seropositiv. Vektoren sind Moskitos (Aedes, Culex spp. etc.),
werden können. Warum die Antikörper trotz des akuten Verlaufs das Virusreservoir Igel, Hasen und Kaninchen. Das Krankheitsbild
der Hantavirusinfektion über lange Zeiträume gebildet werden, ist ist leicht (»Sommergrippe«, Pharyngitis, Brechreiz, Erbrechen und
gegenwärtig unklar. Auch der Beitrag der T-Zell-Antwort zur Kont- Leibschmerzen). Eine aseptische Meningitis ist leicht und selten und
rolle der Hantavirusinfektion ist ungenügend verstanden. tritt wie bei La-Crosse-Virusinfektionen bevorzugt bei Kindern auf.
Im Gegensatz zu La-Crosse-Virusinfektionen sind für Tahynavirus-
kLabordiagnose infektionen keine tödlichen Verläufe beschrieben.
Der Nachweis von IgM/IgG Antikörpern gegen das Nukleokapsid- Eine insbesondere im brasilianischen Amazonasgebiet häufig
protein spielt eine zentrale Rolle in der Diagnostik. Entsprechende (auch epidemisch) auftretende Orthobunyavirusinfektion wird
Antikörper sind bei fast allen Patienten in der akuten Phase nach- durch das Oropouchevirus hervorgerufen, das durch Gnitzen (Cul-
weisbar. Als Nachweissysteme werden u. a. ELISA, IFT und Immu- licoides paraensis) übertragen wird. Als Virusreservoir fungieren
noblot eingesetzt. Außerdem ist der Nachweis von viraler RNA insbesondere Faultiere und Vögel, aber auch bis zu einem gewissen
durch RT-PCR möglich. Der RT-PCR-basierte Nachweis viraler Grad der Mensch.
Sequenzen aus Vollblut liefert im Infektionsverlauf früher positive Nach einer Inkubationszeit von 4–8 Tagen tritt eine Dengue-
Ergebnisse als antikörperbasierte Nachweise. Der Test ist daher Fieber-ähnliche Erkrankung auf, die als Oropouchefieber bezeich-
besonders geeignet, um z. B. eine mögliche Infektion nach Hanta- net wird und die durch plötzlich einsetzendes Fieber, Schüttelfrost,
virusexposition zeitnah abzuklären. Kopf- und Gliederschmerzen sowie Appetitlosigkeit und Erbrechen
gekennzeichnet ist. In seltenen Fälle kann es zu Exanthemen und
kTherapie und medikamentöse Prophylaxe dem Auftreten von Meningitiden kommen. Die Erkrankung ist
Es steht keine spezifische antivirale Therapie zur Verfügung. Ribavi- selbstlimitierend und heilt in der Regel ohne Spätfolgen aus. Eine
rin kann den Verlauf von HFRS mildern, scheint jedoch bei HPS/ Impfung oder spezifische antivirale Therapie existiert nicht.
HCPS keine therapeutische Wirkung zu haben. Außerdem ist die
Ribavirin-Therapie mit unerwünschten Nebenwirkungen behaftet. jPhleboviren
Ansätze zur Therapieentwicklung zielen u. a. auf die Inhibition des Zum Genus Phlebovirus zählt das Rift-Valley-Fever-Virus (RVFV),
viralen Eintritts in Zielzellen ab. Es konnte gezeigt werden, dass das Nutztiere (Rinder, Büffel, Schafe, Ziegen und Kamele), Wildtiere
Peptidomimetika antiviral wirken, die die β3-Integrin-Komponente und den Menschen infiziert. Ursprünglich traten Infektionen nur in
des viralen Rezeptors blockieren. Schließlich ist gut etabliert, dass afrikanischen Ländern südlich der Sahara auf. Zwischenzeitlich hat
die Applikation von Hantavirus-neutralisierenden Antikörpern in sich das Virus jedoch fast auf dem gesamten afrikanischen Kontinent
Tiermodellen eine schützende Wirkung hat. ausgebreitet. Im Jahr 2000 kam es auf der Arabischen Halbinsel
(Saudi-Arabien und Jemen) erstmals zu einem Rift-Valley-Fieber-
kImpfung Ausbruch außerhalb Afrikas.
In Deutschland ist kein Hantavirusimpfstoff zu gelassen. Inaktivier- Verschiedene Faktoren dürften zur Ausbreitung von RVFV bei-
te Viren werden zur Impfung in einigen asiatischen Ländern einge- tragen: ein ungenügend kontrollierter Handel mit Nutztieren, die
setzt, es gibt jedoch widersprüchliche Berichte zum Impferfolg. So große Anzahl an Stechmückenarten, die als RVFV-Vektoren geeig-
lange kein Impfstoff verfügbar ist, stellt die Vermeidung des Kon- net sind, aber auch Klimaveränderungen. Insbesondere nach Wet-
takts mit infizierten Tieren bzw. ihren Ausscheidungen den wirk- terperioden mit starken Regenfällen kann es in Nutztierherden zu
samsten Schutz gegen die Hantavirusinfektion dar. epidemischen Rift-Valley-Fieber-Ausbrüchen bekommen, die typi-
Virologie

scherweise mit einer großen Zahl an Fehlgeburten bei trächtigen


Tiere beginnen. Bei Jungtieren verläuft eine RVFV-Infektion in der
63.2.2 Weitere humanpathogene Bunyaviren Mehrzahl der Fälle tödlich.
(. Tab. 63.1) Die Ansteckung erfolgt beim Menschen entweder durch Insek-
tenstiche oder durch Kontakt mit Blut oder Organen infizierter Tie-
jOrthobunyaviren re, sowohl parenteral als auch über Aerosole. Viele Infektionen ver-
Die California-Virus-Enzephalitis ist eine in den USA sehr selten laufen inapparent. Bei symptomatischen Verlaufsformen tritt in der
auftretende Erkrankung, seit 1945 sind nur 4 zweifelsfreie Fälle überwiegenden Zahl der Fälle nach einer Inkubationszeit von
dokumentiert worden. 2–6 Tagen eine grippeähnliche Erkrankung mit plötzlich einsetzen-
Das La-Crosse-Virus verursacht im Südosten sowie im mittleren dem Fieber, Muskel-, Gelenk- und Kopfschmerzen auf, die nach ca.
Westen der USA ca. 100 Enzephalitiden pro Jahr, vorwiegend bei einer Woche wieder abklingt.
Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahren. Die überwiegende Anzahl In 0,5–2 % der symptomatischen Fälle kommt es zu schweren
an La-Crosse-Virusinfektionen verläuft inapparent oder mit Fieber, Verlaufsformen, die zu Blindheit, Meningoenzephalitis mit bleiben-
Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit sowie Übelkeit und Erbrechen. den Schäden oder Hepatitis und hämorrhagischem Fieber führen.
Literatur
509 63
Etwa die Hälfte der Patienten, bei denen die hämorrhagische Ver-
laufsform auftritt, verstirbt an der Infektion. Ein zugelassener Vorkommen, Übertragung, Epidemiologie Genus Hantavirus:
Impfstoff steht für Menschen nicht zur Verfügung, für den veteri- weltweit, Ausscheidung mit Kot und Urin von Ratten und Mäu-
närmedizinischen Bereich gibt es aber sowohl Lebend- als auch Tot- sen, Staubinfektion, Durchseuchung etwa 1 %. Genera Ortho-
impfstoffe. bunya-, Phlebo- und Nairovirus: weltweit, Übertragung durch
Verschiedene Subtypen der Sandmückenfieber-Viren zeigen Arthropoden.
eine unterschiedliche geografische Verteilung und rufen je nach Klinik Genus Hantavirus: Inkubationsperiode 2–4 Wochen.
Region und Subtyp leicht unterschiedliche Erkrankungen hervor, 1. Phase: Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen; 2. Phase: Nephro-
die unter dem Begriff Phlebotomus-Fieber (oder Papatacci-Fieber) pathie, Hämorrhagien, Pneumonie. Hantavirus-assoziierte (kar-
zusammengefasst werden: dio)pulmonäres Syndrom (HPS/HCPS), Nephropathia epidemica
4 Das Toskanafieber kommt in der Toskana, in Sizilien, Neapel (NE), hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom (HFRS).
und den Mittelmeerländern vor und wird vom Toskanavirus, Genera Orthobunya-, Phlebo- und Nairovirus: Inkubations-
einem Subtypen des Sandfly-Fever-Naples-Virus hervorgeru- periode ca. 1 Woche. Milde Verlaufsformen: grippeähnliche Er-
fen. Von Spring- oder Rennmäusen wird es durch Phleboto- krankung, Meningitis. Schwere Verlaufsformen: Enzephalitis,
men (Sandmücken) auf den Menschen übertragen. Die Inku- hämorrhagisches Fieber.
bationsperiode beträgt 2–6 Tage, es folgt eine grippeähnliche Labordiagnose Immunfluoreszenztest, Western-Blot, RT-PCR.
Erkrankung, dann eine Remission von 7 Tagen mit anschlie- Prävention Genus Hantavirus: Bekämpfung von Ratten und
ßender 7-tägiger (gutartiger) Meningitis. Viele Infektionen ver- Mäusen und Beseitigung der Ausscheidungen.
laufen asymptomatisch. Genera Orthobunya-, Phlebo- und Nairovirus: Schutz vor Mücken-
4 Die von Subtypen des Sandfly-Fever-Sicilian-Virus hervorge- und Zeckenstichen, Beseitigung von Brutstätten für Stechmücken
rufene Erkrankung beginnt nach einer Inkubationszeit von (z. B. offene Wasservorratsbehälter).
2–6 Tagen nach der Übertragung der Viren durch Phleboto- Therapie Keine spezifischen antiviralen Medikamente verfüg-
men von Schafen, Rindern und Nagetieren auf den Menschen. bar, eventuell Ribavirin (Nukleosidanalogon) als Polymerase-
Das klinische Bild manifestiert sich mit 3- bis 7-tägiger Dauer hemmer.
durch hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Fotophobie, Meldepflicht Verdacht, Erkrankung und Tod. Erregernachweis.
Konjunktivitis beidseits, Erbrechen, Diarrhö und Exanthem;
eine Meningitis tritt im Gegensatz zum Toskanafieber nicht
auf. Der Verlauf ist gutartig.
Literatur
Der Nachweis von Sandmückenfieber-Viren erfolgt durch IFT, Wes-
tern-Blot, Antikörper-ELISA sowie RT-PCR. Die Serologie ist er- Daubney R, Hudson JR, Graham PC (1931) Enzootic hepatitis of Rift Valley
schwert durch die teilweise Kreuzreaktivität der Subtypen. fever, an undescribed virus disease of sheep, cattle and man from East
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virus, das in Südosteuropa, Afrika und Asien auftritt. Während es Figueiredo LT et al. (2014) Hantaviruses and cardiopulmonary syndrome in
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einer Erkrankung kommt, tritt beim Menschen nach 3–7 Tagen Gerlach P et al. (2015) Structural insights into bunyavirus replication and its
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Die Erkrankung beginnt mit plötzlich einsetzendem hohen Fie- Hepojoki J, Vaheri A, Strandin T (2014) The fundamental role of endothelial
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heitsbeginn beginnt die eigentliche hämorrhagische Phase. Am häu-
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figsten treten Nasenbluten und Blutungen in Gastrointestinaltrakt, Krautkramer E, Zeier M (2014) Old World hantaviruses: aspects of patho-
Uterus sowie Harn- und Atemwegen auf. Die Ausprägung der Hä- genesis and clinical course of acute renal failure. Virus Res. 187:59-64.
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Bei überlebenden Patienten beginnt die Rekonvaleszenzphase ca. emerging group of tick-borne arboviruses. Arch Virol. 159(6):1249-1265.
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Phlebo- und Nairovirus.
511 64

Filoviren
S. Becker

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_64, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Zur Familie der Filoviren gehören das Marburg- und das Ebolavirus. 64.1.1 Rolle als Krankheitserreger
Sie verursachen schweres, oft tödlich verlaufendes hämorrhagisches
Fieber (HF). Beide Viren wurden durch spektakuläre Krankheitsaus- kÜbertragung
brüche bekannt. Filoviren sind fadenförmige Partikel von 80×1000 nm, Die Übertragung erfolgt durch engen Kontakt (Blutspritzer, Verlet-
bestehend aus helikalem Kapsid, Replikase, Matrixprotein und Hülle zungen, Hautkontakt, Augen). Das Erregerreservoir in Afrika sind
mit Spikes. Das Genom besteht aus ss(–)-Strang-RNA, umfasst 19,1 kb wahrscheinlich Flughunde. Marburgvirus wurde im Nilflughund,
und kodiert 7 Gene (Ebola: 8). Rousettus aegyptiacus, nachgewiesen. Einige Ebolavirusausbrüche
wurden durch Zubereitung und Verzehr von kontaminiertem Affen-
fleisch (»bush meat«) ausgelöst. Dies scheint aber ein eher seltenes
64.1 Marburg- und Ebolavirus Ereignis zu sein. Für das Ausmaß der bisher beobachteten Aus-
brüche ist die Übertragung von Mensch zu Mensch entscheidend.
1967 traten in Marburg, Frankfurt und Belgrad schwere Erkrankun-
gen bei Tierpflegern von Grünen Meerkatzen (Chlorocebus pygery- kPathogenese und Klinik
thrus oder Chlorocebus tantalus) aus Uganda auf; von 32 erkrankten Die Erkrankung verläuft systemisch. Primäre Zielzellen sind Mak-
Personen starben 7. Als auslösendes Agens isolierten Slenczka und rophagen und dendritische Zellen. Deshalb findet sich in Milz,
Siegert in Marburg das Marburgvirus, das Peters in Hamburg elek- Lymphknoten, Leber und Lunge bereits frühzeitig viel Virus. In den
tronenmikroskopisch darstellte. Geweben, v. a. in der Leber, fallen fokale Nekroseherde auf bei nur
1976 wurde in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) wenigen Entzündungszellen.
und Sudan bei dramatischen Ausbrüchen von hämorrhagischen Erst spät im Verlauf treten Hämorrhagien in Gastrointestinal-
Fiebern das Ebolavirus isoliert; die Letalität lag bei 89 %. Ein Subtyp trakt, Mund und serösen Häuten auf. Hämorrhagien, die nur ein Teil
des Ebolavirus (Reston-Ebolavirus) wurde 1989 in erkrankten der Patienten ausbildet, finden sich darüber hinaus in vielen Orga-
Makaken (Macaca mulatta) entdeckt, die aus den Philippinen nen, einschließlich des ZNS. Klinisch wichtig ist das schwere
stammten. Hier wurde im Jahr 2008 das Reston-Ebolavirus auch in Schocksyndrom.
Schweinen nachgewiesen. Dieses scheint für Menschen nicht hoch- Die Ursache dürfte in einer Schädigung des Gefäßsystems beste-
pathogen zu sein. hen. Diese beruht auf einer Schädigung der Endothelzellen, die zu
2014 ereignetete sich in Westafrika der bislang schwerste Aus- einer Permeabilitätssteigerung, dem Zusammenbruch des Gefäßto-
bruch von Ebolavirus. Die am stärksten betroffenen Länder waren nus und zu Gerinnungsstörungen führt. Die Endothelien werden
Guinea, Liberia und Sierra Leone. Das initiale Ausbruchsgebiet liegt spät im Krankheitsverlauf durch direkte Infektion geschädigt. Die
im Osten Guineas mit einem lebhaften Personen- und Warenaus- Barrierefunktion wird aber zusätzlich durch die hohen Titer an pro-
tausch mit den angrenzenden Ländern Liberia und Sierra Leone. Bis inflammatorischen Zytokinen gestört, die infizierte Endothelzellen
Dezember 2015 wurden mehr als 28.000 Fälle und mehr als 11.000 und Makrophagen freisetzen.
Todesfälle gemeldet. Vermutet wird, dass der Ausbruch durch einen Die Inkubationsperiode beträgt im Durchschnitt 7 Tage (3–21
einmaligen Eintrag des Ebolavirus von Flughunden in die mensch- Tage). Die Symptome sind eher unspezifisch: Schüttelfrost, Muskel-
liche Bevölkerung begann und alle weiteren Erkrankungen durch schmerzen, Exanthem, Erbrechen, Blutungen, Hypotension und
Mensch-zu-Mensch-Kontakte verusacht wurden. Apathie.

Steckbrief
kLabordiagnose
Entscheidend für die Diagnose ist der Virusnachweis. Dieser erfolgt
durch den Nachweis viraler RNA mittels PCR aus Serum oder Blut, in
späten Phasen der Erkrankung lassen sich Filoviren in allen Körper-
flüssigkeiten nachweisen. In Uveal- und Samenflüssigkeit kann virale
RNA noch bis zu 12 Monate nach Genesung nachgewiesen werden.
Filoviren lassen sich in Affennierenzellen anzüchten. Die cha-
rakteristische Gestalt der Viren erlaubt den elektronenmikroskopi-
schen Nachweis im Serum. Serologische Methoden spielen vorwie-
gend bei epidemiologischen Untersuchungen eine Rolle, da die An-
tikörperproduktion bei schwer verlaufenden Fällen nur schwach
ausgeprägt ist. Arbeiten mit humanpathogenen Filoviren sind auf
Hochsicherheitslaboratorien (Kategorie 4) beschränkt, die in Ham-
burg und Marburg zur Verfügung stehen.
512 Kapitel 64 · Filoviren

Entscheidend für den Verdacht auf eine Filovirusinfektion ist die


Reiseanamnese (Afrika 10°Grad nördlich und südlich des Äquators,
Kontakt zu Erkrankten, z. B. bei medizinischem Personal, intensiver
Kontakt mit Flora und Fauna) innerhalb der letzten 3 Wochen vor
Krankheitsausbruch.

kImpfung
Gegen Filoviren wurden experimentelle Impfstoffe entwickelt, die
im Tiermodell (Maus, Meerscheinchen, Affen) sicher schützten.
Eine klinische Testung dieser Kandidatenvakzine wurde erst wäh-
rend des Ebolavirusausbruchs in Westafrika begonnen. Zwei Vek-
torimpfstoffe wurden in Probanden in Europa, USA und Afrika ge-
testet und erwiesen sich als sicher und immunogen. Die Wirksam-
keit eines dieser Impfstoffe (VSV-EBOV) ist während einer Phase-
3-Studie in Guinea nachgewiesen worden.

kTherapie
Eine spezifische Therapie existiert nicht. Während des Ebolaaus-
bruchs in Westafrika wurde eine Vielzahl von Therapien getestet.
Unter anderem wurden Heilversuche mit einem Cocktail neutrali-
sierender monoklonaler Antikörper durchgeführt und die Gabe von
Rekonvaleszentenseren getestet.

Meldepflicht Bei Verdacht, Erkrankung und Tod. Erregernachweis,


Hochsicherheitslabor!

In Kürze
Filoviren
Virus Familie Filoviridae: fadenförmige, umhüllte, ss(–)-Strang-
RNA-Viren mit helikalem Kapsid; 3 Genera: Cueva-, Ebola- und
Marburgvirus.
Vorkommen Afrika, Ostasien.
Epidemiologie und Übertragung Zoonotische Übertragung
von Primaten (Gorilla, Schimpanse, Grüne Meerkatze, Makake)
und Flughunden auf den Menschen. Eigentliches Reservoir
sind wahrscheinlich Flughunde. Übertragung durch Blutspritzer,
Verletzungen, Haut- und Schleimhautkontakt.
Pathogenese Systemische Verbreitung des Virus, Verlust der
Barrierefunktion des Epithels, Hämorrhagien in Gastrointestinal-
trakt, Mund, serösen Häuten, viszeralen Organen, ZNS. Schweres
Schocksyndrom, Multiorganversagen unter Beteiligung unkon-
trollierter Zytokinausschüttung.
Klinik Beginn mit »grippeähnlichen« Symptomen, Fieber,
Schüttelfrost; teilweise Progredienz zu hämorrhagische Manifes-
tationen.
Immunität Bildung von Antikörpern in infizierten Personen.
Keine guten Daten hinsichtlich protektiver Immunität nach
überstandener Infektion.
Virologie

Diagnose Direktnachweis des Virus mittels RT-PCR. Anzucht


in Kultur. Antikörpernachweis mittels IFT, ELISA, Western-Blot.
Alle Tests nur in Speziallaboratorien vorhanden. Reiseanamnese!
Therapie Symptomatisch.
Prävention Schutzkleidung, Handschuhe, Vermeidung der
Exposition. Impfstoffe in klinischer Erprobung.
Meldepflicht Bei Verdacht, Erkrankung und Tod.
513 65

Virale Gastroenteritiserreger
C. Henke-Gendo

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_65, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Gastroenteritiden gehören zu den häufigsten Erkrankungen des die für die Viruseinteilung wichtig sind und deren Spitzen hämag-
Menschen und sind mit einer hohen Krankheitslast und Mortalität ver- glutinierende Eigenschaften aufweisen.
bunden. Besonders betroffen sind Säuglinge und Kleinkinder in den
Tropen, wo jährlich schätzungsweise 1–2 Mio. Kinder an einer Gastro- jEinteilung
enteritis versterben. Viren gehören zu den häufigsten Auslösern dieser Das Genus der Rotaviren wird anhand der Antigenspezifität des
Erkrankungen. Seit der elektronenmikroskopischen Entdeckung des »Core« in die Gruppen A–G eingeteilt, wobei die Gruppe A die kli-
Norwalkvirus 1972 wächst die Zahl der bekannten Erreger (. Tab. 65.1). nisch wichtigste ist. Diese Gruppe wird ferner durch die Antigenspe-
zifität der äußeren Proteinhülle (vermittelt durch Glykoprotein G,
16 Typen) und durch den Protease-sensiblen Spike (27 Typen) in
65.1 Rotaviren diverse Typen unterteilt. Dabei können die G- und P-Antigentypen
variabel kombiniert werden. Die Benennung ergibt so z. B. A/G1P[8].
Steckbrief Mehrere Virustypen kozirkulieren in einer Saison und können
durch Austausch einzelner Segmente (Reassortment) und Punkt-
Rotaviren sind die häufigste Ursache für eine schwere, dehydrie- mutationen (Antigendrift, 7 Abschn. 59.2) sehr schnell neue Typen-
rende Gastroenteritis bei Säuglingen und Kleinkindern unter spezifitäten bilden.
5 Jahren. Obwohl Kinder in allen Teilen der Welt gleich häufig an
dieser Infektion erkranken, kommen Todesfälle meist in Gebie-
ten mit niedrigem sozioökonomischem Standard vor. 65.1.2 Rolle als Krankheitserreger
kEpidemiologie
Infektionen mit Rotaviren sind mit ca. 139 Mio. Fällen jährlich welt-
65.1.1 Beschreibung weit der häufigste Grund einer schweren dehydratisierenden Diar-
rhö im Kindesalter. Obwohl die Inzidenz der Rotavirus-Gastroente-
jMorphologie ritis weltweit einheitlich ist, konzentriert sich die Mortalität durch
Rotaviren gehören zur Familie der Reoviridae. Die ca. 70 nm großen die Erkrankung auf die Schwellen- oder Entwicklungsländer, wo ca.
Virionen bestehen aus 3 konzentrischen Proteinschichten. Die 2 in- eine halbe Millionen Kinder jährlich an Rotavirusinfektionen ver-
neren Proteinschichten werden als »Core« zusammengefasst. Dieses sterben.
enthält das virale Genom, das aus 11 doppelsträngigen RNA-Seg- Die hohe Tenazität der Rotaviruspartikel, kombiniert mit ihrer
menten besteht. In der Negativkontrastierung (EM) ergibt sich das hohen Konzentrationsdichte im Durchfall (bis zu 1011 infektiöse
Bild eines Rades mit Speichen, daher der Name (lat. »rota«: Rad). Partikel/ml) und der geringen Infektionsdosis (10 Viruspartikel wir-
An der Oberfläche trägt das Rotaviruspartikel kurze, dicke »Spikes«, ken bei Kleinkindern krankheitserzeugend), ist ein Grund für die

. Tab. 65.1 Erreger viraler Gastroenteritiden

Virus Familie Besonderheiten

Rotavirus Reoviridae segmentiertes dsRNA-Genom


betrifft besonders Säuglinge und Kleinkinder
Norovirus/Sapovirus Caliciviridae klassischer Ausbruchserreger
Adenovirus, Spezies F Adenoviridae (7 Kap. 70)
Astrovirus Astroviridae

Coronavirus Torovirus, Coronavirus (7 Kap. 58)

Picobirnavirus Picobirnaviridae
Aichivirus, ECHO-Virus 11, 14, 18 Picornaviridae (7 Kap. 55)
CMV, EBV Herpesviridae (7 Kap. 71) Gastroenteritiden fast nur bei
Immunsupprimierten
514 Kapitel 65 · Virale Gastroenteritiserreger

. Tab. 65.2 Klinisch wichtige Daten von Erkrankungen durch Rota-, Adeno-, Calici-, Astro- und Coronavirus

Rotavirus Norovirus Adenovirus Astrovirus Coronavirus

Genom dsRNA, segmentiert ss(+)-RNA dsDNA ss(+)-RNA ss(+)-RNA


Stabilität resistent resistent resistent empfindlich
Inkubationsperiode (Tage) 1–3 1–3 8–10 2–3 3
Dauer der Krankheit (Tage) 4–7 2–3 7–10 2–4 ?
Saisonalität Winter; Tropen: Winter, vereinzelt ganzjährig Winter ganzjährig
ganzjährig ganzjährig
Säuglinge und Kleinkinder häufig häufig häufig häufig häufig
Kinder, Jugendliche selten häufig selten selten
und Erwachsene
Symptome wässrige Diarrhö, Übelkeit, schwall- wässrige Diarrhö, wässrige Diarrhö, Diarrhö (wässrig
Erbrechen (88 %), artiges Erbrechen, Erbrechen, Fieber, Erbrechen (leicht), oder blutig)
Fieber (77 %), Dehy- Fieber, Krämpfe, Dehydrierung, respi- Übelkeit, Bauch-
drierung, Bauch- wässrige Diarrhö ratorische Sympto- schmerz
schmerzen (selten) me
Diagnose Antigen-ELISA, RT-PCR Antigen-ELISA, PCR, Antigen-ELISA, RT-PCR, EM
RT-PCR, EM EM RT-PCR
Impfstoff + – – – –

frühe Durchseuchung mit Rotaviren im Kindesalter. Bereits im Al- die durch Elektrolytverschiebungen weitere Komplikationen nach
ter von 2–3 Jahren besitzen fast alle Kinder Serumantikörper gegen sich ziehen kann.
Rotaviren. Inwieweit sich die Epidemiologie der Rotaviruserkran-
kungen durch die weltweite Einführung von nationalen Impfpro- kKlinik
grammen gegen Rotaviren verändern wird, ist derzeit noch unklar. Anhand der Symptome lässt sich eine Rotavirus-Gastroenteritis
Jugendliche und Erwachsene werden lebenslang erneut infiziert. nicht von anderen Gastroenteritiden unterscheiden. Im Allgemei-
Sie erkranken aber nur leicht und fungieren so als gesunde Ausschei- nen kommt es nach 1–3 Tagen Inkubationsperiode zur Trias aus
der und Überträger. Im Alter nimmt der Anteil symptomatischer Diarrhö, Erbrechen und Fieber. Bauchschmerzen sind eher selten.
Erkrankungen wieder zu. Die Erkrankung dauert etwa 4–7 Tage. Charakteristisch erkranken
In gemäßigten Klimazonen zeigt die Rotavirus-Gastroenteritis Säuglinge und Kleinkinder im Alter von 3–36 Monaten; andere Al-
eine ausgesprochene Saisonalität. Die Infektionen erfolgen über- tersgruppen sind seltener betroffen (. Tab. 65.2). Auch viele asymp-
wiegend in der kalten Jahreszeit. In den Tropen hingegen sind Infek- tomatische Infektionen werden beobachtet. Die Inapparenzrate
tionen mit Rotaviren das ganze Jahr über verbreitet. steigt mit der Häufigkeit der durchgemachten Infektionen.
Der nichtblutige Durchfall und das Erbrechen führen zu einer
kÜbertragung metabolischen Azidose und einer isotonen Dehydrierung, die ihrer-
Der am besten dokumentierte Transmissionsmodus für Rotavirus- seits zu schweren Elektrolytverschiebungen führen kann. Herz-
infektionen ist eine fäkal-orale Übertragung, obwohl gerade in der rhythmusstörungen bis zum Herzstillstand können die Folge sein.
Hauptansteckungszeit Tröpfcheninfektionen nicht auszuschließen Auch Krampfanfälle oder Aspirationen sind beschrieben worden.
sind. Eine systemische Infektion mit Virämie ist die häufigste extraintes-
tinale Manifestation (65 % im Kindesalter). Rotaviren können auch
kPathogenese Nieren und Leber infizieren.
Rotaviren infizieren die reifen Enterozyten an den Spitzen der Mik- Die Virusausscheidung stoppt bei Immungesunden nach etwa
Virologie

rovilli. Nach Fusion der äußeren Proteinschicht mit der Plasma- 10–14 Tagen. Immunkompromittierte leiden häufig an chronischen
membran der Wirtszelle werden die Rotavirus-Cores ins Zytoplasma Verläufen mit monatelangen Durchfällen und Virusausscheidung.
freigesetzt. Die »Cores« funktionieren als Replikationsmaschinen,
aus denen fertige virale mRNA ausgeschleust wird, die ihrerseits im kImmunität
Zytoplasma der Wirtszelle translatiert und in neue genomische dsR- Die Immunität gegen Rotavirusinfektionen ist ebenfalls noch unklar
NA umgeschrieben wird. Neu gebildete Cores knospen ins ER und und von kurzer Dauer. Das Auftreten virusspezifischer neutralisie-
erhalten dort ihre äußere Hülle. Die Freisetzung der Viren erfolgt render Antikörper im Serum korreliert mit Schutz gegen Erkran-
durch Lyse der Wirtszelle. kung; diese scheinen jedoch nicht der primäre Effektor des Schutzes
Der Mechanismus der Rotavirusdiarrhö ist noch nicht vollstän- zu sein. Verantwortliche für die Immunität sind wahrscheinlich se-
dig verstanden: Sowohl eine Malabsorption durch den Rotavirus- kretorische IgA-Antikörper im Darm.
induzierten Mukosaschaden (Disaccharide und Fette werden nicht
absorbiert) als auch die Expression des polyfunktionellen Nicht- kLabordiagnose
strukturproteins NSP4, das als Enterotoxin wirkt, spielen eine Rol- Da man anhand der Symptomatik nicht auf die Ätiologie der Durch-
le. Der starke Wasserverlust bewirkt eine Dehydrierung des Körpers, fallerkrankung schließen kann, empfiehlt sich die Bestätigung der
65.2 · Noroviren
515 65
Rotavirusinfektion im Labor. Eine Möglichkeit ist der Nachweis von 65.2 Noroviren
Core-Antigen im Stuhl mit dem Enzym-Immun-Test (EIA). Moleku-
larbiologische Verfahren, z. B. RT-PCR, sind allerdings deutlich sen- Steckbrief
sitiver und können durch weitere Differenzierungsschritte mögliche
Infektketten aufdecken oder ausschließen. Erst die Anwendung neuer diagnostischer Methoden wie die
Der direkte Virusnachweis mittels Elektronenmikroskopie PCR ließ die Relevanz der Noroviren erkennen: Infektionen
spielt aufgrund des hohen Aufwands und der geringen Testsensitivi- mit Noroviren sind die häufigste Ursache einer epidemischen
tät nur noch eine untergeordnete Rolle, bietet aber den Vorteil einer Gastroenteritis und für 90 % der Ausbrüche viraler Gastro-
breiten viralen Differenzialdiagnostik. enteritiden verantwortlich. Infektionen mit Noroviren können
das ganze Jahr über auftreten, mit einem saisonalen Gipfel
kTherapie und Prävention in der kalten Jahreszeit, daher der alte Name »winter vomiting
Die Prognose der Erkrankungen ist in den Industriestaaten gut. Ent- disease«.
scheidend ist die rechtzeitige Substitution von Wasser und Elektro-
lyten. In den Entwicklungsländern sind die Rotavirusinfektionen in
Verbindung mit mangelhafter Ernährung und ungenügender Pflege
Hauptursache für die hohe Säuglingssterblichkeit.
Die Prävention einer Rotavirusinfektion ist bedingt durch die ex-
treme Umweltstabilität der Rotaviren schwierig: Eine hohe Com-
pliance zu Barrieremaßnahmen (Absonderung erkrankter Perso-
nen, Verwendung persönlicher Schutzausrüstung wie Handschuhe,
Schutzkittel etc. bei der Versorgung etc.) ist entscheidend. Zur Desin-
fektion sollten nur Präparate mit nachgewiesener viruzider Wirksam-
keit verwendet werden.
Seit Sommer 2006 sind in Deutschland 2 orale Lebendimpfstoffe
gegen Rotaviren zugelassen, die von der Ständigen Impfkommission
seit 2013 als Standardimpfung empfohlen werden:
4 Der eine Impfstoff enthält ein durch Zellkulturpassagen 65.2.1 Beschreibung
attenuiertes humanes Rotavirus (A/G1P[8]).
4 Der andere Impfstoff besteht aus 5 Reassortanten der Sero- jEinteilung
typen G1, G2, G3, G4 und P[8] in ein bovines Rotavirus. Noroviren (früher: »Norwalk-like viruses«, »small, round, structu-
red viruses«) sind zusammen mit den Sapoviren die humanpatho-
Beide Impfstoffe sind effektiv und hoch wirksam. Auch das Risiko genen Vertreter der Familie der Caliciviridae. Anhand von Sequenz-
einer durch die Impfung ausgelösten Darminvagination wird, im unterschieden unterteilt man Noroviren in unterschiedliche Geno-
Gegensatz zu alten, bereits vom Markt genommenen Impfstoffen, als gruppen (GG), GGI und GGII, und Subgruppen. Viren der GGII.4
nur noch gering eingeschätzt. sind die typischen Ausbruchserreger. Genomfragmentaustausch
Nach § 7 IfSG ist der Erregernachweis von Rotaviren im Stuhl durch Rekombinationen ist sehr häufig, was die extreme Variabilität
meldepflichtig, sofern der Nachweis auf eine akute Infektion hin- und Wandlungsfähigkeit dieser Viren erklärt.
weist. Zudem müssen Krankheitsverdacht und/oder Erkrankungen
bei gehäuftem Auftreten mitgeteilt werden. jGenom und Morphologie
Caliciviren enthalten eine einzelsträngige RNA positiver Polarität
[ss(+)-RNA] von 7,7 kb Länge. Es handelt sich um kleine, nicht-
In Kürze behüllte Viren mit 27–30 nm Durchmesser. In der Negativkontras-
Rotaviren tierung (EM) erinnert die Oberfläche der Virionen an ein Muster,
Virus dsRNA-Virus (11 Segmente) mit Doppelkapsid, elektro- das wie eine kreisförmige Anordnung von nach außen gerichteten
nenmikroskopisch »Rad mit Speichen«. Tassen aussieht, daher der Name (lat. »calix«: Kelch).
Vorkommen und Übertragung Rotaviren sind im Tierreich weit
verbreitet, beim Menschen meist Gruppe A mit mehreren Typen.
Schmutz- und Schmierinfektion. 65.2.2 Rolle als Krankheitserreger
Epidemiologie Vorwiegend bei Kleinkindern, v. a. im Winter,
sporadische Infektionen ganzjährig, Reassortment, Rearrangement kEpidemiologie und Übertragung
und Antigendrift als Ursache von Epidemien und Endemien. Noroviren sind weltweit verbreitet. Ihre extreme Umweltstabilität,
Pathogenese Malabsorption, Flüssigkeitsverlust durch Dünn- die hohe Viruskonzentration in Stuhl und Erbrochenem verbunden
darmzottenverlust, Enterotoxin NSP4. mit der sehr niedrigen minimalen Infektionsdosis von 10–100 Vi-
Klinik Inkubationsperiode 1–3 Tage. Diarrhö, Fieber, Erbrechen, ruspartikeln erklären ihr immenses Potenzial, eine Gastroenteritis-
Wasserverlust. epidemie auszulösen. Auch die große genetische Virusvielfalt und
Immunität Sekretorische IgA-Antikörper. die nur kurzfristige Immunität gegen diese Viren spielen dabei eine
Diagnose Virusantigennachweis im Stuhl (EIA), RT-PCR, EM bei Rolle.
hoher Viruslast. Allerdings erkannte man erst mit Einführung der PCR die Rele-
Therapie Symptomatisch, Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution. vanz der Noroviren als weltweit wichtigste Ursache für Ausbrüche
Prävention Orale Lebendimpfung empfohlen. viraler Gastroenteritis. Über 90 % der viralen Gastroenteritisaus-
Meldepflicht Erregernachweis, bei Verdacht auf Ausbrüche. brüche gehen auf das Konto der Noroviren, allein in den USA gibt es
bis zu 25 Mio. Infizierte pro Jahr.
516 Kapitel 65 · Virale Gastroenteritiserreger

Infektionen mit Noroviren kommen in allen Altersstufen vor, be- kImmunität


sonders betroffen sind über 70-Jährige und kleine Kinder. Bei Kin- Wie aus Infektionsstudien an freiwilligen Probanden bekannt ist,
dern unter 5 Jahren sind sie nach den Rotaviren der zweithäufigste gibt es nur eine partielle Immunität gegen eine Norovirus-Reinfek-
Grund einer viralen Gastroenteritis. In dieser Altersgruppe kommen tion und selbst diese hält nur wenige Monate an. Wie sie vermittelt
Norovirusinfektionen häufig ganzjährig als sporadische Infektionen wird, ist noch unklar, sie scheint multifaktoriell bedingt zu sein. Es
vor. Klassischerweise treten die Infektionen jedoch als Lokalepidemi- existiert eine Untergruppe von Menschen, die resistent gegen Infek-
en in Gemeinschaftseinrichtungen wie Krankenhäuser, Pflegeheime, tionen mit einzelnen Norovirus-Genogruppen sind. Diese Glückli-
Kreuzfahrtschiffe, Schulen und Militäreinrichtungen auf. chen können bestimmte Histoblutgruppenantigene, die als Rezepto-
Die Übertragung des Virus erfolgt als Kontaktinfektion mit ren für Noroviruskapside bestimmter Genotypen gelten, durch einen
fäkal verunreinigten Gegenständen oder durch die orale Aufnahme Enzymdefekt nicht synthetisieren.
virushaltiger Tröpfchen, die im Rahmen des schwallartigen Erbre-
chens entstehen. kLabordiagnose
Ein weiterer wichtiger Übertragungsweg sind kontaminierte Sie erfolgt am besten durch RT-PCR. Alternativ werden Antigen-
Lebensmittel (z. B. Obst, Zuckergussgebäck), die vor Verzehr nicht ELISA aus Stuhl oder Erbrochenem angeboten, die jedoch eine
oder nur ungenügend erhitzt wurden. Besonders Meeresfrüchte, wie niedrigere Sensitivität und Spezifität aufweisen.
Muscheln oder Austern, können als filtrierende Suspensionsfresser
Noroviren im Körper anreichern und eine hohe Belastung aufwei- kPrävention
sen. Auch verunreinigte Wasserversorgungssysteme können der Noroviren sind hochinfektiös. Entsprechend schwierig ist die Prä-
Grund einer Norovirusepidemie sein. Sekundärübertragungen von vention eines Norovirusausbruchs. Im Falle eines Ausbruchs sollte
Mensch zu Mensch sind sehr häufig. die Infektionsquelle schnell eingegrenzt und ausgeschaltet werden.
Infektionen mit Noroviren können das ganze Jahr über auftre- Prophylaktisch wichtig sind strenge allgemeine und persönliche
ten, wobei ein saisonaler Gipfel in den Monaten Oktober bis März zu Hygiene und die Desinfektion kontaminierter Flächen mit antiviral
beobachten ist. wirksamen Desinfektionsmitteln.
Es besteht Meldepflicht bei Erregernachweis im Stuhl sowie bei
kPathogenese gehäuftem Auftreten in Gemeinschaftseinrichtungen.
Da ein geeignetes Zellkultursystem für die Propagierung von Noro-
viren bis vor kurzem fehlte, ist die Pathogenese der Noroviren noch
In Kürze
nicht gut untersucht. In Biopsien, die Erkrankten entnommen wur-
Noroviren
den, erscheinen Magen- und Kolonschleimhaut normal. Die Zotten
Virus ss(+)-Strang-RNA-Virus. Große Genomvariabilität mit
des Jejunums sind jedoch verbreitert und gestaucht. In der Lamina
vielen Rekombinationen.
propria findet sich ein monozytäres Infiltrat. Die jejunale Schleim-
Vorkommen und Übertragung Weltweit verbreitet, fäkal-orale
haut scheint größtenteils intakt zu sein, jedoch ist ihre enzymatische
Transmission, minimale Infektionsdosis 10–100 Partikel.
Aktivität (z. B. alkalische Phosphatase, Sucrase und Trehalase) ver-
Epidemiologie Typischer Ausbruchserreger, alle Altersstufen
mindert. Dies erklärt vermutlich die passagere Malabsorption von
betroffen.
Fetten und Kohlenhydraten als Ätiologie der beobachteten nicht-
Pathogenese Flüssigkeitsverlust durch Malabsorption bei
blutigen Durchfälle. Nach 2 Wochen sind alle Veränderungen ver-
Dünndarmzottenschädigung.
schwunden.
Klinik Inkubationsperiode Stunden bis 3 Tage. Schwallartiges
Erbrechen, Bauchkrämpfe, wässrige, nichtblutige Diarrhö,
kKlinik
Fieber.
Die Symptome der Norovirus-Gastroenteritis wurden sehr gründ-
Immunität Kurze Dauer.
lich in Infektionsstudien an freiwilligen Probanden untersucht. Nach
Diagnose Virusantigennachweis im Stuhl (EIA), RT-PCR.
einer in der Regel sehr kurzen Inkubationszeit von 6–50 h kommt es
Therapie Symptomatisch, Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution.
initial zu Übelkeit und abdominalen Krämpfen, gefolgt von
Meldepflicht Erregernachweis, bei gehäuftem Auftreten in
schwallartigem Erbrechen und starken nichtblutigen Durchfällen
Gemeinschaftseinrichtungen.
(. Tab. 65.2). Diese können zu einem erheblichen Flüssigkeitsdefizit
führen, das weitere Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen
durch Elektrolytverschiebungen nach sich ziehen kann. Zusätzlich
besteht ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl mit Kopf- und Muskel-
Virologie

schmerzen und Fieber. In einzelnen Fällen kann die Symptomatik 65.3 Weitere Gastroenteritisviren
auf Erbrechen ohne Diarrhö oder auf Diarrhö ohne Erbrechen be-
schränkt sein. 65.3.1 Enteritische Adenoviren (Typ 40 und 41)
Die Erkrankung ist beim Immungesunden nach 2–3 Tagen
selbstlimitierend. Obwohl ein Immungesunder vermutlich schon Steckbrief
48 h nach Sistieren der Symptomatik nicht mehr infektiös ist, dauert
die Virusausscheidung noch weitere 1–2 Wochen fort. Bei Immun- Adenoviren wurden erstmals 1975 als Ursache einer Gastroente-
supprimierten kann der Durchfall chronifizieren. Sie können mona- ritis beschrieben. Die Typen 40 und 41, aber auch die Typen 12,
telang infektiös bleiben. 18 und 31 können eine Gastroenteritis auslösen. Bei Letzteren
Infektionen mit Sapoviren lösen im Vergleich zu Noroviren eine ist allerdings die Gastroenteritis nur ein Nebensymptom.
mildere Symptomatik aus, meist sind nur Kinder betroffen.
Literatur
517 65
Die enteritischen Adenoviren 40 und 41 (Spezies F) kommen nur 65.3.3 Coronaviren
beim Menschen vor. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral durch
Schmierinfektion. Infektionen mit enterischen Adenoviren kom- Steckbrief
men ganzjährig vor, sie betreffen vorwiegend Säuglinge und Klein-
kinder. Bei 4–12 % aller Stuhlproben von Säuglingen, Kleinkindern Bereits 1984 wurden Coronaviren, die in erster Linie als Erkäl-
und Kindern mit akuter Gastroenteritis sind Adenoviren nachweis- tungserreger bekannt sind, als Ursache von Gastroenteritiden
bar. Bei Jugendlichen und Erwachsenen sind Erkrankungen seltener. beschrieben.
Leitsymptome sind Diarrhö und seltener Erbrechen und Fieber.
Die Diarrhö kann bis zu 10 Tage andauern und ist in der Regel selbst-
limitierend. Zusätzlich werden respiratorische Symptome beobach- In der Veterinärmedizin sind Mitglieder der Familie der Coronavi-
tet. Eine Dehydrierung ist selten. Disseminierte Infektionen durch ridae seit langem als Durchfallerreger bekannt. So war es nicht über-
enterische Adenoviren kommen auch bei Immunsupprimierten raschend, als man auch in humanen Durchfallstuhl die 80–120 nm
praktisch nicht vor, allerdings können bei Abwehrschwäche andere großen, mit »Spikes« ausgestatteten Virionen entdeckte, die entfernt
Typen eine Gastroenteritis auslösen. Immunsuppression kann eben- an eine Krone (lat. »corona«: Krone) erinnern. Beide Genera der
falls zu monatelanger Virusausscheidung führen. Coronaviridae, Corona- und Toroviren, können gastrointestinale
Ursache der Diarrhö ist ähnlich wie bei Rotaviren eine passa- Infektionen hervorrufen. Es gibt leichte und schwere Verlaufsfor-
gere  Malabsorption und Flüssigkeitsverlust durch Atrophie der men. Der Stuhl kann dabei wässrig oder blutig sein. Betroffen sind
Darmvilli. vorwiegend Kinder. In schweren Fällen kann es zu einer nekrotisie-
Die schnelle Labordiagnose erfolgt durch Antigen-ELISA zum rende Enterokolitis kommen.
Nachweis der Viruspartikel im Stuhl. Sensitiver und spezifischer ist Einzelheiten über Coronaviren finden sich in 7 Kap. 58.
allerdings die PCR.
Die Therapie erfolgt symptomatisch. Es gibt keine Impfung. Eine
Meldepflicht nach § 7 IfSG besteht für den Nachweis von Adenovi- Literatur
ren im Stuhl nicht. Lediglich bei gehäuftem Auftreten bzw. bei Vor-
liegen einer akuten Adenovirus-Gastroenteritis bei Küchenpersonal RKI-Ratgeber für Ärzte. Online unter: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/
muss eine Meldung erfolgen. Siehe auch 7 Kap. 70. Merkblaetter/merkblaetter_node.html.
Empfehlung der Ständigen Impfkommission. Online unter: www.rki.de/DE/
Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/Impfempfehlungen_
node.html.
65.3.2 Astroviren
Rotavirus vaccine WHO position paper (2013). Online unter: www.who.int/
immunization/topics/rotavirus/en/.
Steckbrief

Die Inzidenz von Infektionen mit Astroviren wird, wahrscheinlich


bedingt durch die begrenzte Verfügbarkeit sensitiver diagnosti-
scher Nachweismethoden, stark unterschätzt. Nach Rota-, Noro-
und Adenovirus sind sie die vierthäufigste virale Gastroenteritis-
ursache im Kindesalter.
Die Symptomatik ist deutlich blander als die der Rotaviren.
Dennoch kommen schwere Infektionen bei Immunschwäche
vor.

Astroviren wurden 1975 elektronenmikroskopisch im Durchfall-


stuhl eines Kleinkindes entdeckt. Das nur ca. 30 nm große Virion
zeigt eine charakteristische sternartige Oberflächenstruktur (gr.
»astron«: Stern). Es handelt sich um unbehüllte ss(+)-RNA-Viren,
die in 8 Serotypen unterteilt werden, von denen Typ 1 am wichtigs-
ten ist.
Astroviren kommen weltweit bei Tieren und Mensch vor. Beson-
ders junge Kinder erkranken an Gastroenteritis. Die in Studien er-
mittelte Inzidenzrate von 2–7 % liegt wahrscheinlich deutlich unter
der tatsächlichen Rate, da viele Laboratorien nicht auf Astroviren
untersuchen. Der Nachweis gelingt mit Antigen-ELISA im Stuhl, die
RT-PCR ist jedoch empfindlicher.
Die Infektion wird fäkal-oral übertragen. Nach 1–4 Tagen Inku-
bationsperiode macht sich eine 2- bis 4-tägige leichte Erkrankung
mit wässriger Diarrhö, Erbrechen und schwachem Fieber bemerk-
bar. Insgesamt ist die Symptomatik deutlich milder als bei anderen
Gastroenteritiserregern. Asymptomatische Verläufe kommen vor.
Immunsupprimierte hingegen zeigen schwere, teilweise sogar letal
endende Erkrankungen.
519 66

Humane Immundefizienzviren
(HIV-1, HIV-2)
T. F. Schulz

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_66, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

HIV-1 und HIV-2 gehören zum Genus Lentivirus in der Familie der Retro- Steckbrief
viren. Retroviren sind (+)Strang-RNA-Viren, deren RNA-Genom kurz
nach Eintritt in die Zelle durch eine virale Polymerase, die reverse Tran- HIV-1 und HIV-2 sind Erreger des erworbenen Immundefizienz-
skriptase, in eine DNA-Kopie umgewandelt wird (Baltimore-Schema, syndroms AIDS (»acquired immunodeficiency syndrome«).
7 Kap. 51, . Abb. 51.4). Der »Fluss« der genetischen Information läuft Während HIV-1 sich nach seiner »Entstehung« in Afrika global
bei diesen Viren also von RNA zu DNA, d. h. umgekehrt wie bei allen verbreitet hat und für die weltweite AIDS-Epidemie verantwort-
anderen Lebewesen, daher der Begriff »Retrovirus«. Das Genus Lentivi- lich ist, ist HIV-2 auch heute noch im Wesentlichen auf Westafrika
rus umfasst eine Gruppe von Retroviren mit komplexem Genomaufbau, und solche Länder beschränkt, die mit Westafrika Kolonialbe-
die bei Primaten, Pferden, Schafen, Ziegen, Rindern und Katzen vor- ziehungen hatten. Während im Afrika südlich der Sahara, in Asien
kommen. Die beiden humanpathogenen Immundefizienz-Retroviren und Südamerika alle Bevölkerungsteile betroffen sind, spielen
sind HIV-1 und HIV-2. in Europa und Nordamerika, z. T. auch in Asien, bestimmte Risiko-
gruppen (homosexuelle Männer, i. v. Drogenabhängige) eine
wichtige Rolle in der Epidemiologie des HIV-1.
Geschichte des HIV, Epidemiologie und Bedeutung für die Forschung
Als Klinikern in New York und San Francisco im Jahr 1981 die ungewöhnliche
Häufung von Pneumocystis jirovecii-Pneumonien, anderen opportunisti-
schen Infektionen und einer aggressiven Variante des Kaposi-Sarkoms bei
jungen homosexuellen Männern auffiel, hätten sie wohl nicht im Traum da-
ran gedacht, dass sich diese Erkrankung als eine der großen Seuchen des
20. Jahrhunderts erweisen würde. Die WHO schätzt, dass im Jahr 2013
5 ca. 35 Mio. Menschen mit HIV infiziert waren,
5 ca. 2,1 Mio. Personen neu infiziert wurden und
5 ca. 1,5 Mio. an den Folgen dieser Infektion starben.

Der größte Teil dieser Infektionen findet in ärmeren Ländern, v. a. in den Län-
dern Afrikas südlich der Sahara und in Asien statt. In manchen dieser Länder
hat HIV die Bevölkerungsstruktur und allgemeine Lebenserwartung bereits HIV-1: schematischer Aufbau HIV-1: elektronenmikrosko-
signifikant geändert: Es sterben vorwiegend Erwachsene in einem Alter, in pische Aufnahme
dem sie als Erwerbstätige und Erzieher der jüngeren Generation einen wich- (mit freundl. Genehmigung
tigen Beitrag zum Erhalt ihrer Familien und der Gesellschaft insgesamt leis- von Dr. Gelderblom, Berlin)
ten sollten.
Angesichts der globalen Bedeutung von HIV für öffentliche Gesundheits-
systeme wurden zuvor nicht gekannte Anstrengungen unternommen, einen
Impfstoff und neue Medikamente gegen dieses Virus zu entwickeln. Während
die Suche nach einem wirksamen Impfstoff bis jetzt erfolglos geblieben ist, 66.1 Entstehung von HIV
verfügen wir heute über mehr als 20 verschiedene Chemotherapeutika ge-
gen HIV, die verschiedene Schritte im Lebenszyklus des Virus inhibieren. Warum ist HIV erst vor ca. 35 Jahren »erschienen«? Gab es dieses
Die mit diesen Substanzen gewonnene klinische und virologische Erfahrung Virus schon früher bzw. woher kommt es? Diese Frage hat HIV-
hat auch wertvolle neue Anstöße für die Behandlung anderer viraler Erkran- Forscher seit der Entdeckung des Virus beschäftigt und auch in der
kungen geliefert: Einige der gegen HIV entwickelten Substanzen hemmen populärwissenschaftlichen Presse zu vielen Spekulationen geführt.
auch die Replikation anderer Viren (z. B. 3TC/Lamivudin bei HBV). Zudem Nach jahrelangen Anstrengungen haben wir mittlerweile recht
finden neue Konzepte der antiviralen Therapie (Kombinationstherapie, Be- genaue Vorstellungen über den Ursprung der beiden humanen Im-
deutung der Viruslast als prädiktiver Parameter für Therapieerfolg, mole-
mundefizienzviren, HIV-1 und HIV-2. Viele Altweltaffen in Afrika
kularbiologische Methoden der Resistenztestung) heute auch bei anderen
beherbergen HIV-ähnliche Lentiviren (»simian immunodeficiency
Viruserkrankungen Anwendung.
Schließlich stellt die HIV-Epidemie, angesichts des Ursprungs von HIV-1 in viruses«; SIVs), meistens ohne krank zu werden. Allerdings sind die
Schimpansen (7 Abschn. 66.1) ein Paradebeispiel für eine vom Tier auf den meisten dieser Viren phylogenetisch weit von HIV-1 und HIV-2 ent-
Menschen übertragene Zoonose und eine »emerging infectious disease« fernt und weisen auch leichte Unterschiede im Genomaufbau auf;
dar. Sie illustriert eindrücklich, dass »neue« Infektionskrankheiten auch in daher kommen sie nicht als direkte Vorläufer der beiden humanen
Zukunft das Potenzial für eine ernsthafte Bedrohung der gesamten Weltbe- Lentiviren infrage.
völkerung beinhalten können.
520 Kapitel 66 · Humane Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2)

HIV-1 HIV-1 der Gruppen M und N hat sich offenbar aus einem
Lentivirus entwickelt, das bei in Kamerun lebenden Schimpansen
(Pan troglodytes troglodytes) vorkommt, während HIV-1 der Grup-
pen O und P entweder aus einem Virus des Schimpansen oder des
Gorillas stammt (7 Abschn. 66.2). Dieses Virus des Schimpansen,
SIVcpz, entstand seinerseits durch Rekombination anderer SIV von
Mangaben (»red capped mangabey«) und Cercopithecus-Affen,
vermutlich als Folge von deren Übertragung auf Schimpansen, die
diese Affen jagen.
Die Übertragung des SIVcpz auf den Menschen dürfte in der
1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, am ehesten in den 1920er Jahren in
Zentralafrika, im Bereich des heutigen Gabun und der Demokra-
tischen Republik Kongo, geschehen sein. Dabei fanden offenbar
mehrere solcher Übertragungsereignisse statt. Eines dieser Ereignis-
se führte zur Entstehung der M-Gruppe der HIV-Isolate (7 s. u.), die
für die weltweite HIV-1-Epidemie verantwortlich sind. . Abb. 66.1 Genomstruktur von HIV-1 und HIV-2. Die Gene gag, pol, env
Die früheste heute bekannte HIV-Sequenz stammt aus einer kodieren Proteine, die für Replikation und Zusammenbau neuer Virionen
1959 in der damaligen belgischen Kolonie Kongo (heute Demokra- benötigt werden (7 Text und . Abb. 66.2) und sind für alle Retroviren
tische Republik [DR] Kongo) abgenommenen Blutprobe; diese Se- typisch. Daneben enthalten HIV-1 und HIV-2 weitere akzessorische regula-
quenz liegt phylogenetisch noch sehr am Anfang der Evolution von torische Gene; deren Funktion ist im Text beschrieben. Der Genomaufbau
HIV. Sie deutet darauf hin, dass die enorme Diversifizierung der von HIV-1 und HIV-2 unterscheidet sich leicht (vpu bei HIV-1, vpx bei HIV-2).
LTR (»long terminal repeat«) stellt eine Kontrollregion der Genomexpres-
heute weltweit vorkommenden HIV-Sequenzen zum großen Teil
sion dar, die im integrierten Provirus unter anderem Promotorfunktion hat
nach 1959 stattgefunden hat. HIV-1 Gruppe M hat sich dann zu-
(7 Abschn. 54.2.1 und . Abb. 54.1)
nächst in Zentralafrika weiter ausgebreitet, bevor einzelne Subgrup-
pen der Gruppe M, z. B. die heute weltweit dominierende Subgrup-
pe B, durch nicht genau bekannte Kontakte »exportiert« wurden und Von diesen Subtypen hat sich v. a. Subtyp B weltweit ver-
sich dann in anderen Ländern »weiterentwickelt« haben. breitet, Subtyp C kommt im südlichen Afrika vor.
Weitere, unabhängige Übertragungsereignisse vom Schimpan- 5 Gruppe O enthält eine kleine Gruppe von Isolaten aus
sen auf den Menschen führten zur Entstehung der HIV-1 der Grup- West-/Zentralafrika.
pen O und N; diese sind im Wesentlichen auf Westafrika (Kamerun, 5 HIV-1-Isolate der Gruppen N und P finden sich ebenfalls in
Gabun) beschränkt geblieben. Ländern der Küste West-/Zentralafrikas, sind aber extrem
Vermutlich erfolgte die Übertragung vom Schimpansen auf den selten.
Menschen durch Kontakt mit Blut im Rahmen von Verletzungen bei 4 Im Unterschied zu diesen HIV-1-Varianten ist HIV-2 ein dis-
Jagden auf Schimpansen. tinktes Lentivirus, das sich von HIV-1 leicht im Aufbau seines
Genoms unterscheidet. Es kommt vorwiegend in Westafrika
HIV-2 Im Gegensatz zu HIV-1 ist HIV-2 am nächsten verwandt mit (Senegal, Guinea Bissau, Liberia), Mosambik, Indien und sel-
einem Virus des westafrikanischen Halsbandmangaben (SIVsmm). ten in Portugal (frühere Kolonialbeziehungen nach Guinea
Da es mehrere unterschiedliche Subgruppen von HIV-2 gibt, vermu- Bissau und Mosambik!) vor.
tet man, dass es mehrere Übertragungsereignisse von diesem Affen
auf den Menschen gegeben hat. jAufbau des Genoms und virale Proteine
Damit sind HIV-1 und HIV-2 eindrucksvolle Beispiele dafür, Der Genomaufbau des HIV-1 und seine viralen Proteine sind in
wie aus dem Tierreich stammende Infektionen auf den Menschen . Abb. 66.2 dargestellt. HIV-1 und HIV-2 sind umhüllte Viren, deren
übertragen werden und, unter geeigneten Bedingungen, eine welt- Lipidhülle 2 virale Glykoproteine enthält, gp120 (SU, »surface unit«)
weite Epidemie auslösen können. Zwei Bedingungen haben die Ver- und gp41 (TM, »transmembrane«): Während gp120 mit den zellu-
breitung von HIV-1 gefördert: lären Rezeptoren für HIV interagiert, bewerkstelligt gp41 die Fusion
4 die Tatsache, dass schwere Krankheitssymptome erst viele Jahre der Virushülle mit der Zellmembran (7 s. u.). Beide Glykoproteine
nach Erstinfektion auftreten, infizierte Personen aber schon entstehen durch proteolytische Spaltung durch eine zelluläre furin-
zuvor kontagiös sind und das Virus weiterverbreiten ähnliche Protease aus einem Vorläufermolekül, gp160, das seiner-
Virologie

4 die gesellschaftlichen Umwälzungen in Afrika im Lauf des seits vom viralen env-Gen kodiert wird.
20. Jahrhunderts – z. B. große Bevölkerungsbewegungen, Die inneren Strukturen des HIV bestehen aus einem konischen
Zwangsrekrutierung von Arbeitern im früheren belgischen Kapsid (. Abb. 66.2), gebildet aus dem p24-Protein, das 2 Kopien der
Kongo und im französischen Äquatorialafrika, Unabhängig- viralen (+)Strang-RNA enthält, die an die Nukleokapsidproteine p6
keitskriege etc. und p7 gebunden sind. Im Kapsidinneren findet sich ferner die re-
verse Transkriptase (RT, inkl. Integrasefunktion) und die virale Pro-
tease. Unterhalb der Lipidhülle ist das Matrixprotein p17 lokalisiert,
66.2 Beschreibung das als eine Art »Innenauskleidung« der Hülle fungiert (. Abb. 66.2).
Die inneren Strukturproteine (p24, p17, p6, p7) entstehen durch pro-
jTypen und Subtypen teolytische Spaltung von p55, eines vom gag-Gen kodierten Vorläu-
Es gibt 2 humane Immundefizienzviren, HIV-1 und HIV-2 (. Abb. 66.1): ferproteins. Diese Spaltung bewerkstelligt die virale Protease.
4 HIV-1 umfasst 4 Gruppen, M, N, O, P. Da die einzelnen inneren Strukturproteine für die Bildung reifer,
5 Gruppe M enthält die überwiegende Zahl der weltweit iso- infektiöser Viruspartikel benötigt werden, resultiert eine Hemmung
lierten Viren, die den Subtypen A‒F zugeordnet werden. der Protease durch dafür entwickelte Virustatika (7 s. u.; 7 Kap. 108)
66.2 · Beschreibung
521 66

. Abb. 66.2 Aufbau des HIV-Virions und Lokalisation der von verschiedenen HIV-Genen kodierten Proteine. Das gag-Gen (»group specific antigen«) kodiert
ein Vorläuferprotein, p55, das durch die virale Protease in das Matrixprotein p17, das große Kapsidprotein p24 sowie die Nukleokapsidproteine p7 und p6
gespalten wird (7 Text). Das pol-Gen kodiert die enzymatischen Funktionen (Protease, reverse Transkriptase, Integrase) und das env-Gen die beiden Hüllglyko-
proteine gp120 und gp41. Letztere werden durch eine zelluläre Protease aus dem env-Vorläuferprotein, gp160, freigesetzt. Das Virion enthält ferner 2 Kopien
einer genomischen (+)Strang-RNA, die mit Nukleokapsidproteinen assoziiert sind, sowie die reverse Transkriptase, die ihre Funktion kurz nach Aufnahme
des Virions in die Zelle aufnimmt (7 Text), und die virale Protease (beide nicht gezeigt)

in der Bildung unreifer, nicht mehr infektiöser Virionen: Die Aus- »Naturexperiment«
breitung des HIV im Organismus wird dadurch gestoppt. Die Bedeutung von CCR5 für die sexuell übertragene Infektion wird dadurch
Die enzymatischen Funktionen des HIV kodiert das pol-Gen. unterstrichen, dass das CCR5-Defektallel ΔCCR5, das mit recht hoher Allel-
Hierzu zählt zunächst die virale Protease (7 s. o.), ferner die reverse frequenz (ca. 9 %) in kaukasischen Bevölkerungen vorkommt, im homozy-
goten Zustand eine deutlich verminderte Suszeptibilität gegenüber sexu-
Transkriptase, die für den Schlüsselschritt der Replikation, das Ko-
ell übertragenen HIV-Infektionen bewirkt: Große Kohortenstudien an homo-
pieren des viralen RNA-Genoms in eine doppelsträngige DNA
sexuellen Männern zeigen einen deutlichen Unterschied in der Infektionsra-
(»Provirus«), verantwortlich ist (7 s. u.). Schließlich findet sich am te zwischen Individuen mit homozygoter CCR5-Defizienz und solchen, bei
3’-Ende des pol-Gens die Integrase, welche die Integration des Pro- denen dieses Allel heterozygot oder gar nicht vorkommt. Diese Beobach-
virus in die DNA der Wirtszelle vermittelt (7 s. u.). tung illustriert die Bedeutung genetischer Polymorphismen als Determinan-
ten der Suszeptibilität gegenüber viralen Infektionen.
jLebenszyklus des HIV
Aufnahme in die Zelle und Tropismus HIV-1 und HIV-2 benutzen Aufgrund der hohen Variabilität des HIV (7 s. u.) kann sich der Tro-
beide das CD4-Molekül als primären Rezeptor auf der Zelloberfläche. pismus eines Virusisolats schnell ändern, d. h., ein CCR5-tropes
CD4 findet sich vorwiegend auf T-Helferzellen, dendritischen Zellen, Virus kann zu einem CXCR4-tropen Virus werden und überlap-
MHC-Klasse II-restringierten T-Effektorzellen und seltenen B-Zel- pende Tropismusspektren kommen vor. In den frühen Stadien der
len. CD4 dient nicht nur als »Bindestelle« für HIV, sondern induziert Infektion dominieren CCR5-trope Viren, während CXCR4-trope
gleichzeitig eine Konformationsänderung im äußeren Hüllglykopro- Viren mit der klinischen Progression zu AIDS an Bedeutung zu-
tein, gp120, als dessen Folge dieses dann mit einem 2. Rezeptor auf nehmen.
der Zelloberfläche interagiert. Als 2. Rezeptor benutzen unterschied- Kontakt des gp120 mit CD4 und entweder CCR5 oder CXCR4
liche HIV-1-Varianten entweder CCR5 oder CXCR4, 2 Mitglieder bewirkt ein »Abstreifen« des gp120 von dem darunter liegenden
der Chemokinrezeptorfamilie. Da CCR5 und CXCR4 auf unter- gp41. Dadurch »klappt« das normalerweise zusammengefaltete
schiedlichen Zelltypen vorkommen, bestimmt die »Auswahl« des gp41 »auf«, und zwar dergestalt, dass sein im Ruhezustand »ver-
2. Rezeptors den »Tropismus« der betreffenden HIV-1-Variante: stecktes« aminoterminales Ende in Richtung der Membran der
4 CCR5 wird z. B. auf dendritischen Zellen in der genitalen zu infizierenden Zelle »schnellt« und sich mit der hydrophoben
Mukosa exprimiert und CCR5-trope Viren sind deshalb be- Fusionsdomäne in diese einbettet (. Abb. 66.3).
sonders gut in der Lage, während eines Sexualkontakts eine In einem 2. Schritt »klappt« das jetzt mit einem Ende in der
Infektion zu bewerkstelligen. Virushülle, mit dem anderen Ende in der Zellmembran verankerte
4 CXCR4 findet sich auf T-Zellen und CXCR4-trope Viren gp41 wieder »zusammen«, sodass die beiden Lipidmembranen zu-
infizieren diese besonders gut (allerdings können auch sammengezogen werden und anschließend miteinander verschmel-
CCR5-trope Viren T-Zellen infizieren). zen. Dieser Prozess kann, je nach Zelltyp, an der Oberfläche der zu
522 Kapitel 66 · Humane Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2)

infizierenden Zelle oder während dern frühen Stadien der Endo-


zytose stattfinden.
Therapeutische Angriffspunkte
Angriffspunkt Viruseintritt: Hier bestehen 2 Möglichkeiten:
5 Antagonisten des CCR5 wie z. B. Maraviroc finden in der Therapie von
HIV Anwendung. Diese Substanz blockiert den Eintritt CCR5-troper Viren.
5 Enfuvirtide (T-20), ein Vertreter der Klasse von Fusionsinhibitoren, ist
ein kurzes Peptid. Es wurde von der Sequenz des gp41 im Bereich des
»Scharniers« abgeleitet, welches das »Auf- und Zuklappen« des gp41
erlaubt (. Abb. 66.3). T-20 »blockiert« dieses »Scharnier« und verhin-
dert  dadurch die Fusion der Virushülle mit der Zellmembran und den
Viruseintritt in die Zelle.

Reverse Transkription und Integration Nach Fusion der Virushülle


mit der Zellmembran oder der Membran früher Endosomen liegt
das HIV-Kapsid im Zytoplasma vor und »löst sich« durch nicht ge-
nau verstandene Mechanismen »auf«. Ein aus mehreren viralen Pro-
teinen (u. a. p17, reverse Transkriptase) und den beiden Kopien der
. Abb. 66.3 Fusion der HIV-Hülle mit der Zellmembran. Der Hüllprotein- viralen genomischen RNA bestehender »Präintegrationskomplex«
komplex des HIV besteht aus äußerem Hüllprotein gp120 und dem Trans- wird zum Kern transportiert. Während dieses Transports erfolgt
membranprotein gp41. Die Fusionsdomäne (»F«) des gp41 ist im Inneren noch im Zytoplasma die reverse Transkription der viralen RNA in
des Hüllproteinkomplexes »versteckt«. Nach Kontakt des äußeren HIV-Hüll- eine doppelsträngige DNA-Kopie, das sog. Provirus (. Abb. 66.4).
glykoproteins gp120 mit den beiden Rezeptoren auf der Zellmembran, CD4
Hierbei »startet« die reverse Transkriptase unter Verwendung einer
und CCR5/CXCR4 (7 Text), wird gp120 »abgeworfen« und das gp41-Trans-
membranprotein faltet sich auf, sodass seine Fusionsdomäne in die Mem-
tRNA als Primer an einem zwischen »linkem« LTR (»long terminal
bran der zu infizierenden Zelle inseriert. In einem 2. Schritt »kollabiert« das repeat«) und gag-Gen gelegenen Punkt (»primer binding site«) und
gp41 wieder und verringert, da es mit dem einen Ende in der Virushülle, mit kopiert zunächst die 5’ von diesem Punkt gelegenen Genomab-
dem anderen Ende in der Zellmembran verankert ist, den Abstand der bei- schnitte (R und U5 des »linken« LTR; . Abb. 66.2) in eine kurze
den. Dies führt zu deren Fusion. Enfuvirtide (T-20; rotes Symbol) blockiert einzelsträngige DNA. Diese »springt« dann zum 3’-Ende der viralen
diesen Mechanismus RNA, hybridisiert dort mit der ebenfalls am 3’-Ende vorkommenden
Virologie

. Abb. 66.4 Lebenszyklus des HIV. Nach Bindung an die beiden HIV-Rezeptoren CD4 und CCR5 (bzw. CXCR4; 7 Text) erfolgt die Fusion der Virushülle mit
der Zellmembran (. Abb. 66.3). Danach startet die reverse Transkription und Bildung des »Provirus« (DNA-Kopie der viralen genomischen RNA). Dieses
wird in den Kern importiert und mittels der viralen Integrase ins Wirtsgenom integriert. Die Transkription des Provirus liefert neue virale mRNA, deren
Translation im Zytoplasma zur Bildung neuer Virusproteine führt. Durch Zusammenbau dieser Proteine und Verpacken der neuen genomischen viralen
RNA entstehen neue Virionen an der Zelloberfläche (»Knospung«). Deren Reifung zu infektiösen Partikeln erfolgt nach ihrer Freisetzung (7 Text)
66.2 · Beschreibung
523 66
R-Sequenz und dient als »Primer« für die Verlängerung dieser DNA jEndogene Retroviren
in Richtung des 5’-Endes der genomischen RNA. Anschließend er- Mehr als 6 % der menschlichen DNA ist von retroviralen Sequenzen
folgt die Synthese des 2. DNA-Strangs; hierbei dient der 1. DNA- abgeleitet, die sich im Verlauf der Evolution in die Genome von
Strang als Matrize. Keimzellen unserer phylogenetischen Vorfahren integriert haben
Die Enden des »Provirus« (dsDNA-Kopie des viralen Genoms) und seitdem wie normale zelluläre Gene von Generation zu Genera-
werden verbunden, sodass ein zirkuläres DNA-Molekül entsteht, das tion weitervererbt werden. Die meisten dieser Gene sind durch Mu-
in den Zellkern importiert wird. Danach vermittelt die virale Inte- tationen »korrumpiert« und nur wenige werden in translations-
grase – sie findet sich am 3’-Ende des HIV-pol-Gens ‒ die Insertion fähige zelluläre mRNA-Moleküle transkribiert.
der proviralen DNA in die zelluläre DNA. Die provirale DNA wird Es ist umstritten, ob manchen dieser endogenen retroviralen
damit zum Bestandteil des Wirtsgenoms. Die Integration der provi- Genome eine Funktion zukommt. Es gibt zurzeit keine Evidenz da-
ralen DNA ins Wirtsgenom ist die Voraussetzung für die langfristige für, dass HIV auf diese Weise als endogenes Retrovirus »vererbt«
Persistenz des HIV im infizierten Organismus (und zur Insertions- werden könnte. Vermutlich stellt die Infektion von Keimzellen zwar
mutagenese von Retroviren, 7 Abschn. 54.2.1). die Voraussetzung für die Vererbung eines endogenen retroviralen
Genoms dar, menschliche Keimzellen (Ei- und Samenzellen) gehö-
Therapeutische Angriffspunkte
ren aber nicht zu den typischen Zielzellen des HIV. Ferner erfolgte
Angriffspunkt reverse Transkription: Es gibt mittlerweile zahlreiche thera-
peutisch genutzte Hemmstoffe der reversen Transkriptase; diese bilden das
die erstmalige Infektion eines Menschen durch ein HIV-ähnliches
Rückgrat der Anti-HIV-Therapie. Man unterscheidet 2 Wirkungsprinzipien: Virus wahrscheinlich vor weniger als 80‒90 Jahren (7 s. o.).
5 NRTI, die nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, werden
anstelle der physiologischen Nukleotide in den neu synthetisierten jAkzessorische HIV-Proteine
DNA-Strang eingebaut und hemmen den Fortschritt der DNA-Synthese Während die Strukturproteine (Kapsid- und Hüllglykoproteine)
– sie wirken als Substratanaloga und hemmen kompetitiv. Beispiele und Enzyme (Protease, reverse Transkriptase, Integrase) bei allen
sind Azidothymidin (AZT) oder Lamivudin (3TC). Retroviren vorkommen, verfügt HIV über eine Reihe zusätzlicher
5 NNRTI, die nichtnukleosidischen RT-Inhibitoren, greifen an anderen Proteine, denen regulatorische Aufgaben im Lebenszyklus des Virus
Stellen der RT an und verschlechtern deren Enzymkinetik – sie wirken
zukommen:
allosterisch oder nichtkompetitiv. Ein Beispiel ist Nevirapin.
5 Für weitere Details und Verbindungen 7 Kap. 108.
Tat Dieses Protein entsteht aus einer gespleißten mRNA und regu-
Angriffspunkt Integration: Hemmstoffe der HIV-Integrase (z. B. Raltegravir, liert die Transkription der im LTR (»long terminal repeat«; . Abb.
Elvitegravir) finden therapeutische Anwendung. Sie verhindern die langfris- 66.1) initiierten viralen mRNAs.
tige »Besiedlung« einer Zelle mit dem HIV-Genom und reduzieren damit, in
Kombination mit anderen HIV-Virustatika, die Vermehrung des HIV. Rev Dieses Protein entsteht ebenfalls aus einer gespleißten mRNA
und fördert den Export nichtgespleißter viraler RNAs (welche die
Bildung neuer Viruspartikel Das nun in die Wirtszelle integrierte Exportmaschinerie des Zellkerns sonst zurückhalten würde) aus
provirale HIV-Genom wird zukünftig wie ein zelluläres Gen von der dem Zellkern ins Zytoplasma.
DNA-Polymerase II der Wirtszelle transkribiert. Diese Transkrip-
tion resultiert in der Produktion ungespleißter und gespleißter viraler Vif Dieses Protein erhöht die Infektiosität von HIV-Partikeln, in-
mRNAs, die, nach dem Export aus dem Kern, entweder an zellulären dem es als Gegenspieler von APOBEC 3G wirkt, einer zellulären
Ribosomen translatiert oder als neue genomische Virus-RNA in ent- Cytidindesaminase. Durch Desaminierung von Cytidinen im
stehende Viruspartikel eingebaut werden. Die Translation des Vor- 1. Strang der von der reversen Transkriptase synthetisierten cDNA
läufers der Kapsidproteine vollzieht sich im Zytoplasma an freien induziert APOBEC 3G G–A-Hypermutationen im viralen Genom
Ribosomen. Die Synthese des viralen Glykoproteinvorläufers gp160 und steigert damit die Frequenz defekter viraler Genome. Dieser
hingegen und dessen anschließende Prozessierung zu gp120 (SU) Mechanismus gilt als evolutionär alte Form der Zellabwehr gegen
und gp41 (TM) finden in ER bzw. Golgi-Apparat statt. So gelangen virale Erreger. Die Entstehung von vif (das bei allen Lentiviren der
die HIV-Hüllglykoproteine – analog zu zellulären membranständi- Primaten vorkommt) stellt demnach eine »Gegenstrategie« der Len-
gen Glykoproteinen ‒ in bestimmte Areale der zellulären Plasma- tiviren gegen diesen alten Abwehrmechanismus dar.
membran. Hier »treffen« sie sich mit dem – an diese Areale rekru-
tierten – Kapsidproteinvorläufer (p55) und einem Fusionsprotein Nef Dieses Protein reduziert die Expression von MHC- und CD4-
zwischen Kapsidproteinvorläufer und viraler Protease. Dies führt Molekülen auf der Zelloberfläche und hat damit möglicherweise
zum Zusammenbau zunächst unreifer, nichtinfektiöser Virusparti- immunmodulatorische (aber auch andere) Funktionen. Nef-defekte
kel, die nach anschließender Prozessierung des Kapsidproteinvor- Viren sind weniger pathogen.
läufers durch die virale Protease ihre typische Morphologie und In-
fektionstüchtigkeit erreichen (. Abb. 66.4). Vpu Dieses Protein spielt eine Rolle bei der Freisetzung viraler Par-
tikel von der Zelloberfläche, indem es als Antagonist des interferon-
Therapeutische Angriffspunkte
induzierten zellulären Proteins »Tetherin« dient. In Abwesenheit
Angriffspunkt Virusreifung: Hemmstoffe der viralen Protease, sog. Prote-
asehemmer wie z. B. Saquinavir, Ritonavir etc. (7 Kap. 108), verhindern die
von Vpu verhindert Tetherin die Freisetzung viraler Partikel (sowie
Virusreifung. In Anwesenheit dieser Substanzen unterbleibt die Prozessie- anderer Viren als HIV).
rung des gag-Vorläuferproteins zum Kapsidprotein (p24), zum Matrixprotein
(p17) und zu den Nukleokapsidproteinen. Das Virus kann die im »Steckbrief« Vpr Dieses Protein reguliert den Zellzyklus und beeinflusst damit
und in . Abb. 66.2 gezeigte typische Morphologie nicht ausbilden und ist die HIV-Replikation.
nicht infektiös. Hemmstoffe der viralen Protease verhindern also die Produk-
tion neuer infektiöser Viruspartikel.
524 Kapitel 66 · Humane Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2)

66.3 Rolle als Krankheitserreger verbunden als ein unter kontrollierten Bedingungen ablaufender
Kaiserschnitt. Bei der Mutter-Kind-Transmission spielen, neben der
kÜbertragung Übertragung während der Geburt, auch die diaplazentare Übertra-
HIV wird durch Geschlechtsverkehr, kontaminiertes Blut oder gung in den letzten Wochen der Schwangerschaft sowie die
Blutprodukte sowie von der Mutter auf das Kind übertragen. Aus- Übertragung durch Muttermilch eine Rolle. Das Risiko, HIV durch
reichende Mengen an Virus (»Viruslast«) für eine Übertragung Stillen zu übertragen, liegt in mehreren Studien aus Afrika bei etwa
finden sich in Sperma und Vaginalsekret, Blut, Plasma, Serum und 15 %. Hierbei steigt das Risiko, wenn Kinder länger als 9–12 Monate
Muttermilch. gestillt werden; dieser Effekt wurde allerdings nicht in allen Studien
beobachtet. Ferner ist die Übertragungsrate höher bei Kindern, die
Sexuelle Kontakte und Nadelstichverletzungen Die Wahrschein- sowohl gestillt als auch mit kommerziellen Babymilchprodukten er-
lichkeit der Infektion mit HIV nach einem einzigen Kontakt variiert nährt werden, als bei Kindern, die ‒ zumindest in den ersten Mona-
sehr und wird beeinflusst von der Viruslast in der übertragenen Kör- ten ‒ ausschließlich gestillt werden. Erkrankungen der Brust, z. B.
perflüssigkeit, deren Volumen sowie Art und Tiefe einer Verletzung. Mastitis oder wunde Brustwarzen, erhöhen das Übertragungsrisiko.
Sie liegt im Mittel im unteren Prozentbereich für sexuelle Kontakte In westlichen Ländern bzw. überall dort, wo Alternativen zum Stillen
und Nadelstich- und andere Verletzungen. Bei letzteren spielen Tie- infrage kommen, sollten HIV-infizierte Mütter deshalb ihre Kinder
fe der Verletzung und Durchmesser der – mit infiziertem Blut gefüll- nicht stillen. Da die Verwendung kommerzieller Babymilchproduk-
ten – Injektionsnadel eine Rolle. Oberflächliche Verletzungen oder te in Afrika aufgrund des manchmal schwierigen hygienischen Um-
Wunden im Genitalbereich (z. B. aufgrund von Traumata oder an- felds mit einer deutlich höheren Rate von Durchfallerkrankungen
deren sexuell übertragenen Erkrankungen) erhöhen das Risiko. (und damit verbundener Säuglingssterblichkeit) assoziiert ist, emp-
Für in der Gesundheitsversorgung Arbeitende besteht die Ge- fiehlt die WHO dort ausschließliches Stillen, sofern andere Ernäh-
fahr der Infektion mit HIV durch Stich- oder Schnittverletzungen rungsmöglichkeiten nicht unter ausreichenden hygienischen Bedin-
beim Hantieren mit kontaminierten Injektionsnadeln, Skalpellen gungen garantiert werden können.
etc. Während der Kontakt HIV-enthaltender Körperflüssigkeiten
mit intakter Haut wohl ungefährlich ist, erhöhen kleine Verletzun- Bluttransfusion Bei einer Transfusion von HIV-kontaminiertem
gen, Abschürfungen und Ekzeme die Infektionsgefahr signifikant. Blut liegt das Risiko aufgrund des großen Volumens sehr hoch (bei
Umgekehrt stellt sich oft die Frage der Gefährdung eines Patienten bis zu 100 %). Um die Übertragung von HIV durch Transfusionen
durch HIV-infiziertes ärztliches oder Pflegepersonal. Es gibt hierfür oder Blutprodukte (z. B. Faktor VIII, humanes Albumin) zu verhin-
weltweit nur sehr wenige dokumentierte Fälle (7 Exkurs Florida-Zahn- dern, müssen Blutspenden in vielen Ländern heute auf Antikörper
arzt), sodass das Risiko insgesamt als sehr niedrig einzustufen ist. gegen HIV und mittels PCR auf HIV-RNA getestet werden.
Trotzdem sollte HIV-infiziertes Krankenhauspersonal keine Tätigkei-
ten vornehmen, die mit einer erhöhten Verletzungsgefahr und damit kPathogenese
einer Gefährdung des Patienten verbunden sein könnten, z. B. Opera- Bedeutung der dendritischen Zellen Nach Infektion durch einen
tionen mit eingeschränktem Überblick über das Operationsfeld (z. B. Sexualkontakt infiziert HIV zunächst in der Mukosa angesiedelte
in Körperhöhlen), Operationen unter Einsatz spitzer Drähte (z. B. dendritische Zellen; hierbei spielen CCR5-trope Virusvarianten eine
MKG-Chirurgie), Krafteinsatz (z. B. orthopädische Operationen). besondere Rolle (7 Abschn. 66.2). Die physiologische Funktion die-
ser dendritischen Zellen ist es, Fremdantigene aufzunehmen, diese
Florida-Zahnarzt
zu prozessieren und in regionale Lymphknoten zu transportieren,
Eine Untersuchung der US-amerikanischen Centers for Disease Control
(CDC) im Jahr 1990 ergab deutliche Hinweise darauf, dass ein Zahnarzt in
um sie in Keimzentren entsprechenden T-Zellen zu »präsentieren«.
Florida in den späten 1980er Jahren 6 Patienten mit HIV infiziert hatte. Die So wird eine spezifische T-Zell-Antwort gegen diese Antigene indu-
Argumente für einen Zusammenhang zwischen diesen 6 Patienten und dem ziert. Wie es ihrer Aufgabe entspricht, wandern HIV-infizierte den-
Zahnarzt waren: dritische Zellen deshalb in regionale Lymphknoten ein. Ferner bin-
5 Alle 6 Patienten waren vom selben Zahnarzt behandelt worden und det HIV mittels des zellulären Moleküls DC-SIGN an die Oberfläche
hatten anscheinend keine oder keine signifikanten anderen Risikofakto- dendritischer Zellen und kann auf diese Weise (auch ohne in dend-
ren oder Expositionsmöglichkeiten. ritische Zellen einzudringen) in regionale Lymphknoten transpor-
5 Die Sequenzen der bei 5 Patienten gefundenen HIV-Varianten ähnelten tiert werden. Dies bietet HIV die Gelegenheit, die hier vorhandenen
der HIV-Sequenz des Zahnarzts, unterschieden sich aber von den Se-
CD4-positiven T-Helferzellen zu infizieren. Man vergleicht deshalb
quenzen von 35 Kontrollisolaten aus derselben geografischen Region.
die Rolle der dendritischen Zellen in der HIV-Infektion mit der des
Wie die Übertragung von diesem Zahnarzt auf seine Patienten geschah, ließ »trojanischen Pferdes« bei der Eroberung Trojas durch die Griechen.
Virologie

sich nie genau klären. Aufgrund dieses Falls durchgeführte Überwachungs-


untersuchungen bei anderen HIV-infizierten Zahnärzten haben nie wieder Bedeutung der CD4+-T-Helferzellen HIV repliziert massiv in CD4-
eine ähnliche »Übertragungskette« zutage gefördert. Obwohl dieser Fall positiven T-Helferzellen und zerstört sie dabei. Man schätzt, dass im
deshalb die Möglichkeit der HIV-Übertragung von einem Zahnarzt auf seine Verlauf einer aktiven HIV-Infektion pro Tag ca. 109–1011 neue virale
Patienten illustriert, ist das Risiko eines solchen Ereignisses als sehr gering Partikel gebildet sowie 108–109 CD4+-T-Lymphozyten neu infiziert
einzustufen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich HIV deutlich vom Hepati- werden und dass deren mittlere Überlebensdauer dadurch auf
tis-B-Virus: Immer wieder übertragen Ärzten oder Krankenpflegepersonal
1,1 Tage reduziert wird. Da CD4+-T-Helferzellen eine Schlüsselrolle
HBV auf Patienten; und in der Krankenversorgung Tätige, einschließlich
Laborpersonal, infizieren sich nicht selten mit HBV.
bei der Induktion sowohl einer T-Zell- wie auch einer B-Zell-Ant-
wort spielen (7 Kap. 12, 7 Kap. 13), führt die fortlaufende Zerstörung
Mutter-Kind-Übertragung Ihre Wahrscheinlichkeit liegt in Schwel- dieser wichtigen Immunzellen langfristig zu einer »Lähmung« der
lenländern bei 20‒30 %, in westlichen Ländern bei 10‒15 % und wird spezifischen, v. a. T-Zell-vermittelten Immunität. Dabei ist das rege-
sehr stark von der Viruslast der Mutter und der Art der Entbindung nerative Potenzial des menschlichen Knochenmarks und der häma-
beeinflusst: Eine Vaginalgeburt ist wegen des Kontakts des Neuge- topoetischen Stammzellen so groß, dass die fortlaufende massive
borenen mit Blut und Genitalsekreten mit einem höheren Risiko Zerstörung von CD4+-T-Zellen über viele Jahre durch Nachreifung
66.3 · Rolle als Krankheitserreger
525 66

. Abb. 66.5 Pathogenese der HIV-Infektion. In oberen Grafikteil 1 sind Virusreplikation, Antikörperbildung und Bildung virusspezifischer zytotoxischer
T-Lymphozyten (CD8) dargestellt. In Stadium I ist der Nachweis von Antikörpern oft erst nach Abklingen der akuten Virämie (hohe »Viruslast«; Nachweis des
p24-Kapsidantigens) möglich (»diagnostisches Fenster«; 7 Text). Grafikteil 2 zeigt den Abfall von CD4-Zellen und andere immunologische Parameter, der
untere Grafikteil 3 die unterschiedliche Dauer der klinisch asymptomatischen Phase in Abhängigkeit von der Viruslast

. Abb. 66.6 AIDS-definierende Erkrankungen in Abhängigkeit vom Immunstatus (Zahl der CD4+-Zellen)

von CD4+-Zellen kompensiert wird. Erst wenn dieses Regenera- Infektion anderer Zellen Neben CD4+-T-Helferzellen und dendri-
tionspotenzial erschöpft ist, kommt es zu zunehmendem Abfall von tischen Zellen kann HIV eine Reihe anderer CD4+-Zellen infizieren:
CD4+-Lymphozyten im peripheren Blut (. Abb. 66.5), zunehmen- Hierzu zählen v. a. Monozyten und ihre Verwandten, d. h. Makro-
dem Versagen des Immunsystems und den damit verbundenen kli- phagen und Mikrogliazellen des ZNS. Mittels dieser Zellen kann
nischen Symptomen (7 s. u.: Klinischer Verlauf, . Abb. 66.6). HIV z. B. auch das ZNS befallen.
Die Zerstörung HIV-infizierter Lymphozyten ist möglich durch
4 direkten zytopathischen Effekt (CPE; 7 Abschn. 53.3.1), aus- Überleben infizierter Zellen Obwohl alle diese Zellen nach Infek-
gelöst durch die HIV-Replikation, tion neue Viruspartikel produzieren können, überleben infizierte
4 zytotoxische T-Lymphozyten, die im Rahmen der HIV-Infek- Monozyten und dendritische Zellen offenbar länger als infizierte
tion gebildet werden (7 s. u.), CD4+-T-Zellen und dienen daher als »Reservoir«. Ferner kann HIV,
4 Apoptose, die z. B. ausgelöst werden kann durch HIV-Glyko- nach Integration des proviralen Genoms in das Genom einer lang-
protein gp120, Lymphozytenaktivierung bzw. ein verändertes lebigen Wirtszelle, längere Zeit ohne die Bildung neuer Viruspartikel
Zytokin- und Chemokinmilieu. in einem »latenten« Zustand persistieren. Da in diesem Zustand kei-
526 Kapitel 66 · Humane Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2)

ne neuen Viruspartikel gebildet werden und keine reverse Tran- Allelen, die zur Erkennung von HIV-Proteinen verfügbar sind,
skription stattfindet, ist das als »Provirus« persistierende HIV durch eingeschränkt ist.
keines der heute verfügbaren Virustatika »angreifbar«. Aus diesem
Zustand kann es wieder in einen »produktiven« Replikationszyklus Gegen HIV-Proteine gerichtete CD8+-T-Zellen spielen also eine
wechseln. Derartig »latent« infizierte Zellen bilden deshalb eine wichtige Rolle bei der Eindämmung der Virusreplikation und damit
»Zufluchtsstätte« des HIV, die dessen langfristige Persistenz trotz ‒ beim Langzeitüberleben. Dennoch ist es immer noch umstritten, ob
gegen die Virusproduktion und De-novo-Infektion gerichteter ‒ an- ihnen auch eine protektive Funktion zukommt, d. h. ob HIV-spezi-
tiviraler Therapie ermöglicht. Daher lässt sich HIV bis heute selbst fische T-Zellen gegen eine Neuinfektion schützen können. Hinweise
durch Medikamentenkombinationen nicht aus dem Körper elimi- für eine derartige Funktion kommen von Studien an Prostituierten
nieren und nur seine aktive (produktive) Replikation unterdrücken. in Afrika, die trotz multipler Exposition gegenüber HIV über lange
Jahre uninfiziert geblieben waren und bei denen eine HIV-spezifi-
kEvolution in vivo sche CD8+-T-Zell-Antwort nachweisbar war.
Die massive Replikation des HIV (7 s. o.), kombiniert mit einer ge-
wissen Fehlerrate der reversen Transkriptase (im Mittel eine Nukleo- Antikörperbildung Neben der T-Zell-Antwort werden in den Wo-
tidsubstitution pro repliziertes Genom, d. h. ca. 10.000 Nukleotide), chen nach einer HIV-Erstinfektion Antikörper gegen eine Reihe
bedingt eine der charakteristischen Eigenschaften des HIV, seine viraler Proteine gebildet, insbesondere gegen das Kapsidprotein p24
sehr hohe Variabilität. So entstehen 109–1011 neue Virusmutanten (. Abb. 66.5, Teil 1), das Matrixprotein p19, die beiden Hüllglykopro-
pro Tag! teine gp120 und gp41 und die reverse Transkriptase (. Abb. 66.7).
Viele dieser Mutanten sind nicht oder nur eingeschränkt »le- Theoretisch können Antikörper gegen das äußere Hüllglykoprotein
bensfähig« (da z. B. Mutationen in essenziellen Abschnitten eines gp120 die Virusinfektion neutralisieren und damit gegen eine neue
Proteins dessen Funktion stören). Dennoch entsteht auf diese Weise Infektion schützen. Allerdings schützten sich in Patienten vorkom-
ein Repertoire an funktionstüchtigen Mutanten, die z. B. einen geän- mende Virusvarianten sehr effektiv vor einer Neutralisierung durch
derten Tropismus oder eine verstärkte Resistenz gegen ein virustati- Antikörper, indem sie die Bindungsstellen für derartige Antikörper
sches Medikament aufweisen. Daher findet sich in einem infizierten im Hüllglykoproteinkomplex durch extensive Glykosylierung blo-
Individuum auch nicht »eine« HIV-Sequenz, sondern eine Samm- ckieren. Daher ist es noch nicht gelungen, Vakzinekandidaten zu
lung unterschiedlicher viraler Sequenzen, eher vergleichbar einem entwickeln, die effektive neutralisierende Antikörper in geimpften
»Mückenschwarm« als einer Infektion mit einem einheitlichen Personen induzieren.
Keim. Diese rasche In-vivo-Evolution hat zum Begriff »Quasispezi-
es« für eine HIV-Population in einem Individuum geführt. kKlinischer Verlauf
Der klinische Verlauf einer HIV-Infektion wird in 3 Stadien unter-
kImmunantwort gegen HIV teilt. Diese Einteilung berücksichtigt:
T-Zell-Antwort Eine Infektion mit HIV löst eine starke Immunant- 4 die klinischen Symptome
wort aus, bei der mehrere Ebenen des Immunsystems beteiligt sind. 4 die AIDS-definierenden Erkrankungen
Gegen virale Proteine gerichtete CD8-positive zytotoxische T-Zellen 4 die Anzahl der CD4+-T-Zellen im peripheren Blut
(Definition CTL 7 Kap. 12) werden innerhalb von 1–3 Wochen nach
Erstinfektion gebildet und sind für eine Eindämmung der initialen Akute Infektion (Stadium I) Klinische Symptome treten in etwa
Virusreplikation verantwortlich. Diese initiale Vermehrung korre- 50‒90 % der Fälle ca. 10–30 Tage nach Erstinfektion auf (. Abb.
liert mit der akuten Phase der HIV-Erkrankung (7 s. u.) und die für
diese Phase typische Lymphknotenschwellung spiegelt die massive
Expansion von T-Zellen in den lymphatischen Organen wider. Als
Ergebnis dieser starken T-Zell-Antwort sinkt die initial sehr hohe
Menge an im Plasma nachweisbaren HIV-Partikeln (»Viruslast«)
sehr schnell wieder ab (. Abb. 66.5). Je stärker dieser Abfall und je
niedriger die Viruslast unmittelbar nach der akuten Phase der Er-
krankung, desto länger ist das symptomfreie Überleben. Somit be-
stimmt die Stärke der initialen HIV-spezifischen T-Zell-Antwort die
Prognose. Das Niveau, auf das sich die Viruslast unmittelbar nach
der akuten Phase der Erstinfektion einpendelt, wird aufgrund seiner
Virologie

prognostischen Bedeutung als »set point« bezeichnet.


Gegen HIV gerichtete CD8+-CTL erkennen eine Reihe von Ep-
itopen in strukturellen (z. B. Kapsid- oder Hüllproteine), enzymati-
schen (z. B. reverse Transkriptase) oder regulatorischen Nichtstruk-
turproteinen (z. B. Tat) des HIV. Da diese Epitope z. T. von unter-
schiedlichen HLA-A- bzw. -B-Molekülen präsentiert werden (7 Kap.
12), hängt die Fähigkeit einer Person, bestimmte Epitope zu erken-
nen, von ihrer genetisch determinierten Ausstattung mit geeigne-
ten HLA-A- und HLA-B-Allelen ab. Die Ausstattung mit bestimmten
. Abb. 66.7a–c Western-Blot zum Nachweis von Antikörpern gegen HIV.
HLA-Allelen hat deshalb einen Einfluss auf die Überlebensrate: a Beispiel für »positiven« Western-Blot: Das hier mit dem Testreifen inkubierte
4 Kaukasische Patienten mit HLA-B27 überleben im Durch- Serum zeigt eine Reaktion mit den Banden für gp120, gp41, p24, p17. b Bei-
schnitt länger als solche ohne dieses Allel. spiel für ein Serum, das nur die p24-Bande erkennt – dieses Reaktionsmuster
4 Homozygotie ist für gewisse HLA-Allele im Vergleich zu gilt als undefiniert, kann aber in frühen Stadien der Infektion vorkommen.
Heterozygotie von Nachteil, da bei ersterer das Repertoire an c »Negativer« Western-Blot, bei dem nur Kontrollbanden sichtbar sind
66.3 · Rolle als Krankheitserreger
527 66
66.5). Dazu können gehören Fieber, Abgeschlagenheit, makulopapu-
löser Ausschlag, »grippale« Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, . Tab. 66.1 AIDS-definierende Erkrankungen bei HIV-infizierten
Personen (Centers for Disease Control 1993)
Halsschmerzen, zervikale Lymphknotenschwellung, Arthralgien,
Ulzera oder Soor im Mund. In etwa 20 % der Infektionen fügen sich
Opportunistische Pneumocystis jirovecii-Pneumonie
diese Symptome zum Bild einer infektiösen Mononukleose zusam-
Infektionen
men. Selten kann es in diesem Stadium zu einer HIV-Meningoenze- Zytomegalievirus-Erkrankungen
phalitis kommen.
Kandidiasis (außer oralem Befall)
Die Symptome der akuten Infektion dauern meistens weniger als
14 Tage. Wenn sie nicht ausgeprägt sind, erinnern sich Patienten im Kryptokokkose (extrapulmonär)
Rückblick oft nicht mehr an diese Phase. Selten können die Sympto- Mycobacterium avium (disseminiert)
me andauern; dies entspricht dann oft einer schlechten Kontrolle der
Virusreplikation durch das Immunsystem (7 s. o.: »Immunantwort Mycobacterium kansasii (disseminiert)
gegen HIV«) und ist mit schnellerer Progression assoziiert. Mycobacterium tuberculosis (disseminiert)
Dieses Stadium ist durch massive Virusreplikation und entspre-
Kryptosporidiose (> 1 Monat)
chend sehr hohe Viruslasten (≥ 106 HIV-Kopien/ml) gekennzeich-
net. Die Anzahl der CD4 T-Zellen im peripheren Blut kann aufgrund Histoplasmose (extrapulmonal)
ihrer Zerstörung durch replizierendes HIV reduziert sein. Das Ver- Toxoplasmose
hältnis von CD4- zu CD8-Zellen (»CD4/CD8 ratio«) ist oft ernied-
rigt, bedingt v. a. durch den Anstieg virusspezifischer zytotoxischer Nocardiose
CD8 T-Zellen (7 s. o.: Immunantwort gegen HIV). Antikörper gegen Wiederholte disseminierte Salmonellose
HIV können nachweisbar sein, aber auch noch fehlen, d. h. ein HIV-
Strongyloidose (extraintestinal)
Test kann in diesem Stadium noch falsch negativ sein (»diagnosti-
sches Fenster«). Oft sind als erste Antikörper solche gegen das p24- Wiederholte bakterielle Pneumonien
Kapsidprotein nachweisbar.
Kokzidiodomykose (extrapulmonär)

Asymptomatische Phase (Stadium II) Die HIV-Replikation dauert Isosporose (> 1 Monat)
auf einem niedrigeren Niveau an (. Abb. 66.5). Patienten sind, ob- HIV-Demenz
wohl meistens ohne Symptome, deshalb kontagiös. Die etwa
6–12 Monate nach Primärinfektion im Plasma gemessene Viruslast Tumoren Kaposi-Sarkom
korreliert mit der anschließenden Progression (7 s. o.: »Immunant- primäres zerebrales Lymphom
wort gegen HIV«; »setpoint«). Nach heutigem Erkenntnisstand bedür-
Non-Hodgkin-Lymphom
fen Patienten in diesem Stadium und bei CD4-Zahlen > 200/ml
keiner antiretroviralen Behandlung. invasives Zervixkarzinom
Symptomatische Phase, AIDS (Stadium III) AIDS (»acquired im-
munodeficiency syndrome«) ist das Endstadium der HIV-Infektion
(. Abb. 66.5). Es tritt unterschiedlich schnell (1–15 Jahre) nach Er-
stinfektion auf und ist charakterisiert durch die Auswirkungen eines bei Personen mit einer CD4-Zahl > 200/μl selten. Gering ausgepräg-
geschwächten Immunsystems. Dazu gehören opportunistische In- te bilaterale Infiltrate der Lunge sind am Anfang der Erkrankung bei
fektionen oder typische Tumoren wie das Kaposi-Sarkom, Non- etwa 50 % der Patienten auf einer Röntgenaufnahme der Lunge zu
Hodgkin-Lymphome, zerebrale Lymphome etc. (. Tab. 66.1). sehen. Die Hypoxie ist anfangs mild, ohne Behandlung im späteren
Stadium ausgeprägt. Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis des
Opportunistische Infektionen Ihre Häufigkeit bei AIDS-Patienten P. jirovecii im induzierten Sputum oder durch bronchoalveoläre La-
hängt von der Prävalenz der jeweiligen Erreger in verschiedenen vage. Die Behandlung erfolgt mit Cotrimoxazol oder Pentamidin.
geografischen Regionen ab. So finden sich Pilzinfektionen wie His- Die Einführung der prophylaktischen Behandlung von Patienten
toplasmose vorwiegend bei Patienten aus Ländern, in denen dieser mit einer CD4-Zahl < 200/μl hat die Häufigkeit dieser Erkrankung
Keim endemisch ist (7 Kap. 80). Opportunistische Infektionserreger deutlich reduziert.
bei AIDS-Patienten lassen sich unterteilen in Erreger, die Cryptococcus neoformans kann Meningitis, Pneumonie und
4 bei einem immunkompetenten Wirt keine Erkrankung aus- eine systemische Infektion mit Fieber, Granulozytopenie, thrombo-
lösen (z. B. Pneumocystis jirovecii = P. carinii), zytopenischer Purpura, makulopapulösen Ausschlägen und ulzerie-
4 beim immunkompetenten Wirt im Allgemeinen nur milde renden gastrointestinalen Läsionen verursachen. Die Behandlung
Erkrankungen hervorrufen, erfolgt mit Fluconazol oder Amphotericin B (7 Kap. 107).
4 auch bei immunkompetenten Personen schwerwiegende Toxoplasma gondii verursacht raumfordernde Läsionen im
Erkrankungen hervorrufen können, z. B. M. tuberculosis, die ZNS und evtl. eine Chorioretinitis. Die serologische Diagnose ist
aber bei immungeschwächten Personen noch sehr viel aus- unzuverlässig; der Nachweis von Toxoplasma mittels PCR aus befal-
gedehnter verlaufen. lenem Gewebe ist vorzuziehen.
Mycobacterium avium und M. intracellulare (MAI) sind nah
Während in westlichen Ländern Pneumocystis jirovecii-Pneumonie verwandte, ubiquitär in der Umwelt vorkommende Organismen, die
und Kaposi-Sarkom häufige Manifestationen bei AIDS darstellen, bei AIDS-Patienten mit typischerweise < 50 CD4-Zellen/μl nach
stehen z. B. in Afrika M. tuberculosis, Kaposi-Sarkom und gastroin- Inhalation eine systemische Erkrankung auslösen. Die Symptome
testinale Infektionen im Vordergrund. sind unspezifisch und umfassen Abgeschlagenheit, Fieber, Nacht-
Die Pneumocystis jirovecii-Pneumonie beginnt mit mildem, schweiß, Gewichtsverlust, abdominale Schmerzen und Durchfall.
andauerndem Husten sowie zunehmender Abgeschlagenheit und ist Die Erreger können aus Blutkulturen angezüchtet werden, die Bestä-
528 Kapitel 66 · Humane Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2)

tigung erfolgt mittels PCR (7 Kap. 41). Die Behandlung erfolgt mit lobacter, Cryptosporidium parvum, Mycobacterium avium, M. intra-
einer Kombination antituberkulöser Antibiotika. Die Bedeutung cellulare, Isospora belli, Microsporidia spp. (z. B. Enterocytozoon
dieser Keime bei AIDS-Patienten nimmt zu; multiresistente Isolate bieneusi, Encephalitozoon intestinalis).
bereiten zunehmend Probleme.
Die Besiedlung der Mundhöhle und der Speiseröhre mit Candi- AIDS-assoziierte Tumoren Eine Reihe maligner Tumoren treten bei
da albicans manifestiert sich als Schluckbeschwerden und retroster- AIDS-Patienten signifikant häufiger auf als in der Normalbevölke-
nales Brenngefühl. Die Diagnose lässt sich oft klinisch stellen, ggf. rung desselben Landes. Einen Hinweis auf deren Pathogenese gibt
hilft ein Abstrich oder eine Biopsie. Die Behandlung erfolgt nach die Tatsache, dass die meisten dieser Tumoren viralen Ursprungs
Möglichkeit lokal, bei refraktären Fällen auch mit der systemischen sind. Tumoren treten in den fortgeschrittenen Stadien von AIDS auf,
Gabe von Fungistatika. Andere Pilzerkrankungen, z. B. durch Asper- zu einem Zeitpunkt, an dem das Immunsystem schon deutlich ge-
gillus, können lebensbedrohliche Atemwegerkrankungen hervorru- schwächt ist und damit die Reaktivierung von normalerweise laten-
fen. Die Bronchoskopie zeigt weiße Plaques in den Bronchien und ten Viren erlaubt. Häufigster AIDS-definierender Tumor ist das
ggf. die Ausbildung von Kavitäten. Die Diagnose erfolgt durch An- Kaposi-Sarkom, gefolgt von Non-Hodgkin-Lymphomen und anoge-
zucht in der Kultur (7 Kap. 78) und die Behandlung mit Itraconazol nitalen Karzinomen.
oder Amphotericin B. Gelingt es nicht, die Immunitätslage durch die Ursache des Kaposi-Sarkoms ist das Humane Herpesvirus 8
antiretrovirale Therapie zu verbessern, ist die Prognose schlecht (HHV-8), wegen der von ihm verursachten Erkrankung auch Kapo-
(Monate). si-Sarkom-Herpesvirus (KSHV) genannt (7 Kap. 71). Wie andere
Zu den wichtigsten viralen opportunistischen Erregern zählen Herpesviren etabliert KSHV/HHV-8 eine lebenslange Latenz nach
mehrere Herpesviren (HSV, VZV, CMV, KSHV), das JC-Polyomavi- der primären Infektion. Neben viralen Faktoren trägt das Immun-
rus sowie humane Papillomaviren: Die klinischen Manifestationen system des Wirtes zur Erhaltung der Latenz bei: Es zerstört Zellen,
von HSV und VZV-Infektionen ähneln denen bei immunkompeten- in denen das Virus reaktiviert wurde, mittels virusspezifischer
ten Personen (7 Kap. 71), verlaufen aber häufig ausgeprägter und T-Zellen. Eine Schwächung des Immunsystems führt deshalb zur
schwerer. Insbesondere eine Beteiligung des Auges beim Herpes Reaktivierung des KSHV/HHV-8 und zum Auftreten des Kaposi-
zoster (Zoster ophthalmicus) ist gefürchtet, da sie zur Erblindung Sarkoms. Man unterscheidet 4 klinische Varianten des Kaposi-
führen kann. Auch andere generalisierte Verläufe einer VZV-Reak- Sarkoms:
tivierung (generalisierter Herpes zoster) können vorkommen. 4 Klassisches Kaposi-Sarkom: Diese Variante, ursprünglich 1872
Zytomegalievirus (CMV) ist die häufigste Ursache der progres- von Moritz Kaposi beschrieben, findet sich in manchen Mittel-
siven Chorioretinitis bei AIDS-Patienten. Sobald die perivaskulären meerländern und manchen osteuropäischen Ländern und ist
Exsudate und Hämorrhagien in der Netzhaut die Makula erfassen, nicht mit HIV assoziiert. Sie ist selbst in diesen Ländern und
kommt es zu signifikanten Einschränkungen der Sehfähigkeit bis hin Populationen selten (Inzidenz < 3/100.000), tritt deutlich häu-
zur Erblindung. Vermutlich induziert CMV die Zerstörung von Zel- figer bei älteren Männern als bei Frauen auf, ist charakterisiert
len der Retina direkt. Ferner können andere Manifestationen einer durch das Auftreten einzelner Tumorläsionen meistens an den
systemischen CMV-Erkrankung, wie gastrointestinale Ulzerationen, unteren Extremitäten und verläuft langsam. Die Gründe für
Adrenalitis oder Enzephalitis vorkommen. Hingegen ist die CMV- die Reaktivierung des KSHV/HHV-8 speziell bei älteren Män-
Pneumonitis bei AIDS-Patienten eher selten, möglicherweise weil nern sind unbekannt.
bei ihrer Pathogenese CMV-spezifische T-Zellen eine Rolle spielen, 4 Endemisches Kaposi-Sarkom: Diese Variante wurde in den
diese aber bei AIDS-Patienten in ihrer Zahl und Funktion einge- frühen 1960er Jahren, also ebenfalls vor der Verbreitung von
schränkt sind. Die Behandlung erfolgt mit Ganciclovir und Foscar- HIV, in Ost- und Zentralafrika beschrieben. Sie verläuft kli-
net (7 Kap. 108); die Einführung der HIV-Kombinationstherapie nisch aggressiver als die klassische Variante; innere Organe
(HAART) hat die Häufigkeit dieser Manifestation deutlich seltener (Darm, Lunge, Lymphknoten) sind häufig beteiligt. Auch hier
werden lassen. ist unklar, wie es zur Reaktivierung des Virus und zum damit
Das JC-Polyomavirus (JCPyV) verursacht als ZNS-befallender verbundenen Auftreten des Kaposi-Sarkoms kommt.
opportunistischer Erreger die progressive multifokale Leukoenze- 4 Iatrogenes Kaposi-Sarkom bei Transplantatempfängern: Die-
phalopathie (PML; 7 Abschn. 69.3). Die Diagnose erfolgt am besten ser Tumor tritt häufiger bei Transplantatempfängern aus Län-
mittels PCR aus Liquor oder (falls unter dem Verdacht eines zere- dern auf, in denen KSHV/HHV-8 endemisch ist (Afrika, einige
bralen Lymphoms durchgeführt) einer Hirnbiopsie. Mittelmeerländer) als bei solchen aus Ländern mit niedriger
Andere virale (z. B. Herpes simplex) oder bakterielle Enzephali- KSHV/HHV-8-Prävalenz.
tiden können bei AIDS-Patienten vorkommen. HIV selbst ist die 4 AIDS-assoziiertes Kaposi-Sarkom: In westlichen Ländern tritt
Virologie

Ursache einer progressiven Enzephalopathie, die durch entzünd- dieses deutlich häufiger bei homosexuellen HIV-infizierten
liche Foci in der grauen und weißen Substanz charakterisiert ist, die Männern auf als bei anderen HIV-Risikogruppen (i. v. Drogen-
HIV produzierende Mikroglia, Makrophagen und multinukleäre abhängigen; Rezipienten von Bluttransfusionen oder Blutpro-
Riesenzellen enthalten. dukten, z. B. von Faktor VIII; Partnern von HIV-Infizierten).
Zu den von humanen Papillomaviren verursachten Manifesta- Diese Verteilung spiegelt die Tatsache wieder, dass es schon vor
tionen gehören eine erhöhte Rate früher und schwerer Dysplasien der Verbreitung von HIV in der homosexuellen »Community«
der Zervix (CIN I‒III) sowie des invasiven Zervix- und Analkarzi- zur Verbreitung des KSHV/HHV-8 mit daraus resultierenden
noms (7 s. u.). deutlich höheren KSHV/HHV-8-Prävalenzraten als in der All-
Durch Molluscum contagiosum, ein Pockenvirus, verursachte gemeinbevölkerung gekommen war. Hingegen ist die Präva-
Dellwarzen (7 Kap. 73) finden sich ebenfalls gehäuft bei AIDS-Pa- lenz des KSHV/HHV-8 in vielen Ländern Afrikas auch in der
tienten. Allgemeinbevölkerung sehr hoch (7 Kap. 71); deshalb tritt das
Persistierende wässrige oder auch blutige, z. T. schwere Diarrhöen AIDS-assoziierte Kaposi-Sarkom in Afrika ohne Zusammen-
treten ebenfalls häufig auf. Zu den infektiösen Ursachen zählen Giar- hang mit sexueller Orientierung auf. Ursache für die Reaktivie-
dia lamblia, Entamoeba histolytica, Shigella, Salmonella und Campy- rung des KSHV/HHV-8 in diesen Patienten ist die Zerstörung
66.3 · Rolle als Krankheitserreger
529 66
des Immunsystems durch HIV. Klinisch ist das AIDS-asso- Ergebnisse sich als »falsch positiv« herausstellen. Ein positives
ziierte Kaposi-Sarkom oft sehr aggressiv und verläuft unter Testergebnis im ELISA muss deshalb immer erst bestätigt wer-
Beteiligung viszeraler Organe. den, bevor die Diagnose »HIV-Infektion« ausgesprochen wird!
Als Bestätigungstests können andere ELISA-Verfahren oder
Die Non-Hodgkin-Lymphome Burkitt-Lymphom und immuno- der Western-Blot dienen.
blastisches Lymphom sind bei AIDS-Patienten ca. 50- bis 100-mal
häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Während das Burkitt- Antikörpernachweis im Western-Blot Der Western-Blot dient der
Lymphom seinen Altersgipfel bei den 10- bis 20-Jährigen hat, ist das Beantwortung der Frage: Beruht das positive ELISA-Ergebnis auf
immunoblastische Lymphom in der Gruppe der 50- bis 60-Jährigen einer Reaktion von Patientenantikörpern mit HIV-Antigenen oder
am häufigsten. Weniger als die Hälfte der bei AIDS-Patienten gefun- auf einer unspezifischen Reaktion? Hierzu wird eine Präparation
denen Burkitt-Lymphome sind mit EBV infiziert. Bei den immuno- viraler Proteine elektrophoretisch aufgetrennt, das aufgetrennte Pro-
blastischen Lymphomen liegt diese Zahl höher, insbesondere bei den teinmuster auf eine Nitrozellulose- oder Nylonmembran übertragen
ZNS-Lymphomen, die fast immer EBV-positiv sind. Diese Beobach- (»Blot«) und dieser dann mit Patientenserum inkubiert. Die evtl.
tungen deuten darauf hin, das EBV eine wichtige, aber wohl nicht die Bindung von Patientenantikörpern an einzelne Proteinbanden wird
alleinige Rolle bei der Entstehung dieser Lymphome bei Patienten dann mit einem enzymmarkierten 2. Antikörper gegen humanes
mit geschwächtem Immunsystem spielt. IgG und einem geeigneten Substrat dargestellt. Entsprechen die so
KSHV/HHV-8 verursacht 2 seltene Lymphome: die Plasmazell- von Patientenantikörpern erkannten Banden HIV-Proteinen, so gilt
variante des multizentrischen Morbus Castleman und das primäre der Test als positiv, d. h., es werden wirklich HIV-Proteine von Pa-
Effusionslymphom (7 Kap. 71). tientenantikörpern erkannt. Hierbei gilt die Regel: Mindestens 2 von
Schnell progrediente Anal- und Zervixkarzinome treten eben- verschiedenen HIV-Genom-Abschnitten (z. B. p24-Kapsid und
falls bei HIV-infizierten Personen gehäuft auf. Direkte Ursache gp41-Hüllprotein; . Abb. 66.2, . Abb. 66.7) kodierte HIV-Protein-
sind humane Hochrisiko-Papillomaviren, besonders HPV-16 und Banden müssen markiert werden, bevor der Test als positiv gewertet
HPV-18 (7 Kap. 69), die bei immungeschwächten HIV-Infizierten wird.
eine verstärkte Wirkung entfalten. In der Frühphase der HIV-Infektion liegen oft nur Antikörper
gegen p24-Kapsidprotein vor (. Abb. 66.7). Ein Western-Blot in die-
kLabordiagnose ser Phase wäre deshalb gemäß dieser Regel nicht positiv, obwohl eine
Die Diagnose einer HIV-Infektion erfolgt in erster Linie durch den HIV-Infektion vorliegt. Die Wiederholung des Western-Blot im Ab-
Nachweis von Antikörpern gegen HIV. Die diagnostische Treffsi- stand von 2–3 Wochen würde dann in den meisten Fällen auch An-
cherheit lässt sich durch den Nachweis von HIV-RNA oder provira- tikörper gegen andere HIV-Proteine nachweisen.
ler DNA mittels PCR steigern. Bei der Steuerung der Therapie spielt
die quantitative Messung der Virusmenge im Plasma oder Serum PCR-Nachweis viraler RNA und DNA Da es sich bei HIV um ein
eine wichtige Rolle. Retrovirus handelt (7 s. o.), lässt sich sowohl genomische RNA
(»freies Virus« z. B. im Plasma) wie provirale DNA (»integriertes
Antikörpernachweis im ELISA Dieser erfolgt mit einem ELISA Provirus« in Zellen) mittels PCR nachweisen. In der Praxis hat sich
(»HIV-Test«), der virale Proteine, insbesondere das Kapsidprotein der Nachweis viraler RNA aus Serum und Plasma als empfindlicher
p24 und die Hüllglykoproteine gp120 und gp41 als Antigen verwen- herausgestellt; hierzu wird die virale RNA erst durch eine reverse
det, um gegen sie gerichtete Antikörper nachzuweisen. In letzter Zeit Transkriptase in cDNA umgeschrieben, bevor diese mittels PCR am-
finden zunehmend Kombinationstests Verwendung, bei denen zu- plifiziert wird (7 Kap. 18). Heute erfolgt der Nachweis der viralen
sätzlich zum Nachweis von Antikörpern auch im Serum zirkulieren- RNA meistens mittels Echtzeit-PCR-Verfahren: Mit ihnen lässt sich
des p24-Antigen nachgewiesen wird. Der Nachweis des p24-Anti- die Menge an viraler RNA in Plasma oder Serum quantifizieren und
gens ist aber nicht so sensitiv wie der PCR-Nachweis viraler RNA damit die sog. Viruslast bestimmen. Der Nachweis proviraler DNA
(7 s. u.). Bei der Interpretation der Ergebnisse des HIV-ELISA sind in infizierten Zellen mittels PCR spielt für diagnostische Zwecke nur
folgende Aspekte im Auge zu behalten: noch in Ausnahmefällen eine Rolle.
4 Diagnostisches Fenster: Die Bildung von Antikörpern gegen Der Nachweis HIV-genomischer RNA mittels RT-PCR findet in
HIV erfolgt erst ca. 3–6 Wochen nach Erstinfektion; in Einzel- den folgenden Situationen Anwendung:
fällen sind Antikörper erst bis zu 6 Monaten nach Erstinfektion 4 Bestätigung einer Diagnose, insbesondere im »diagnostischen
nachzuweisen. Ein negatives ELISA-Ergebnis in den ersten Fenster« kurz nach Erstinfektion, wenn der Nachweis von Anti-
Wochen nach einer vermuteten Exposition schließt also eine körpern noch unsicher oder nicht möglich ist (7 s. o.).
HIV-Infektion nicht aus! In dieser Situation bieten Antikörper- 4 Blutspenden müssen in Deutschland routinemäßig auf das
Antigen-Kombinationstests den Vorteil, dass sich das im Rah- Vorliegen von HIV-RNA (und HCV-RNA) getestet werden,
men der starken Virusreplikation kurz nach der Erstinfektion um die HIV-Übertragung durch im »diagnostischen Fenster«
(7 s. o.) evtl. zirkulierende p24-Antigen (Kapsidprotein) schon abgenommene Blutspenden zu vermeiden.
vor den Antikörpern nachweisen lässt. Auch hier ist der PCR- 4 Vor Beginn einer HIV-Kombinationstherapie und zur Über-
Nachweis viraler RNA aber sensitiver (. Abb. 66.5). prüfung ihrer Wirksamkeit wird die Viruslast quantifiziert.
4 Obwohl die heute verfügbaren HIV-ELISA exzellente Testcha-
rakteristika haben (Sensitivität und Spezifität > 99 %), kann es kTherapie
zu falsch positiven und falsch negativen Ergebnissen kom- Heute stehen mehr als 20 Medikamente gegen HIV zur Verfügung,
men. Als Beispiel würde ein Test mit einer Spezifität von 99,9 % die an unterschiedlichen Stellen im Lebenszyklus des HIV angreifen
ein falsch positives Ergebnis auf 1000 Untersuchungen produ- (. Abb. 66.4; 7 Abschn. 66.2, Exkurse »Therapeutische Angriffspunk-
zieren. Da die Prävalenz von HIV in der deutschen Allgemein- te«). Die wichtigsten Substanzen sind in 7 Kap. 108 aufgeführt. Bei
bevölkerung im unteren Promillebereich liegt, kommt es häu- ihrer Verwendung sind die folgenden Prinzipien und Fakten im
fig vor, dass z. B. bei Tests von Blutspendern positive ELISA- Auge zu behalten:
530 Kapitel 66 · Humane Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2)

Kontrolle der HIV-Replikation Es ist heute nicht möglich, eine


HIV-Infektion zu »heilen«, d. h. das HIV aus dem Körper zu elimi- malige portugiesische Kolonien Westafrikas und Mosambik
nieren. Ziel der Therapie ist es deshalb, die HIV-Replikation so unter sowie westliche Länder mit Beziehungen zu diesen beschränkt
Kontrolle zu halten, dass es nicht zur Zerstörung des Immunsystems und kommt zudem in Indien vor.
kommt. Deshalb wird gemäß heute gültigen Richtlinien eine Thera- Ursprung HIV-1 durch Übertragung eines Lentivirus des
pie erst begonnen, wenn die Infektion so weit fortgeschritten ist, dass Schimpansen, SIVcpz, auf den Menschen und anschließende
die ersten AIDS-definierenden Erkrankungen auftreten oder die schnelle Evolution im Menschen. HIV-2 durch Übertragung
CD4-Zahl < 200 Zellen/μl Blut gefallen ist. eines Lentivirus des Halsbandmangaben, SIVsmm, auf den
Menschen.
Resistente HIV-Varianten Eine insuffiziente HIV-Therapie (d. h. Übertragung Sexualkontakte, Kontakte mit Blut (Verletzungen,
eine HIV-Therapie, welche die Viruslast nicht deutlich senkt), er- i. v. Injektionen, Bluttransfusionen, gereinigte Blutfaktoren),
zeugt resistente HIV-Varianten (7 Abschn. 66.2: In-vivo-Evolution). Muttermilch, diaplazentar.
Die Entstehung resistenter HIV-Varianten lässt sich mittels genoty- Lebenszyklus Infektion von dendritischen Zellen, Monozyten,
pischer Testung verfolgen. Hierbei wird das Auftreten typischer Mu- T-Lymphozyten. Tropismus durch die Rezeptoren CD4 und CCR5
tationen in der reversen Transkriptase oder Protease von HIV mit- bzw. CXCR4 bestimmt. Reverse Transkription des viralen RNA-
tels Sequenzierung oder Hybridisierung mit mutationsspezifischen Genoms in eine DNA-Kopie (»Provirus«) nach Eintritt in die Zelle.
Oligonukleotiden festgestellt (»HIV-Resistenztest«). Das Ergebnis Integration des Provirus in das Wirtsgenom. Expression neuer
dieses Tests kann die weitere Auswahl von Medikamenten steuern. viraler RNA und Proteine durch Transkription des Provirus mittels
zellulärer DNA-abhängiger Polymerase. Zusammenbau neuer
Kombinationstherapie Nur sie kann eine länger anhaltende Re- Virionen an der Zellmembran. Reifung der Virionen nach Frei-
duktion der Viruslast erreichen Kombinationen von 3 Substanzen setzung aus der Zelle durch Prozessierung des Kapsidvorläufer-
sind die Norm. Eine typische Kombination enthält folgende Wirk- proteins in Kapsidprotein p24, Matrixprotein p19 und Nukleo-
stoffe: kapsidproteine. Die neuen Virionen werden erst durch diese
4 1 oder 2 NRTI (nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hem- Reifung infektiös.
mer; 7 Kap. 108) Pathogenese Massive Replikation in CD4+-T-Helferzellen und
4 einen NNRTI (nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase- Zerstörung derselben – dadurch bedingte zunehmende Immun-
Hemmer) oder einen Proteasehemmer defizienz. Auch länger lebende Zellen (z. B. Monozyten) werden
infiziert. Langfristige Persistenz durch Integration des »Provirus«
Eine Therapie mit nur einer Substanz findet nur noch in den späten in langlebige Lymphozyten; diese bilden ein »Virusreservoir«,
Stadien der Schwangerschaft Anwendung, wenn eine transiente Re- das therapeutisch schwierig zu erreichen ist.
duktion der Viruslast zur Verminderung des Übertragungsrisikos Klinik Ca. 1–4 Wochen zwischen Infektion und Auftreten
auf das Kind unter der Geburt angestrebt wird. erster Symptome (Primärerkrankung); in dieser Zeit hohe
Virämie, Antikörper manchmal noch nicht nachweisbar –
Compliance Eine gute Compliance des Patienten (planmäßige Ein- »Serokonversion« meistens 3–6 Wochen nach Infektion, in
nahme der Medikamente) ist essenziell für den Therapieerfolg: Un- seltenen Fällen erst nach 6 Monaten. Nach Ende der Primär-
regelmäßige Einnahme der Medikamente führt zu schwankenden erkrankung oft jahrelanger (1–15 Jahre) symptomfreier
Wirkstoffspiegeln und erlaubt die Entwicklung resistenter HIV-Va- Verlauf. Danach zunehmende Manifestation der Immun-
rianten. schwäche durch opportunistische Infektionserkrankungen
und bestimmte Tumoren.
kLangfristiger Erfolg Immunität Trotz massiver Antwort des Immunsystems, v. a.
Bei erfolgreicher Therapie (konsequenter Senkung der Viruslast, virusspezifischer zytotoxischer T-Zellen wird die Replikation des
guter Compliance) kann HIV langfristig unterdrückt werden. HIV- Virus nur eingedämmt, das Virus aber nie eliminiert. Zusätzlich
infizierte Patienten können heute bei guten Verläufen eine fast nor- erfolgt eine starke B-Zell-Antwort mit ausgeprägter Antikörper-
male Lebenserwartung erreichen. Zunehmend stehen die mit der bildung, allerdings werden meist nur niedrigtitrige neutralisie-
langfristigen Verwendung von HIV-Medikamenten verbundenen rende Antikörper gebildet. Trotz der ausgeprägten Immunreaktion
Nebenwirkungen im Zentrum der Betreuung dieser Patienten. besteht wahrscheinlich kein oder nur ein geringer Schutz gegen
zusätzliche Infektionen mit HIV-1 und/oder HIV-2, da Mehrfachin-
fektionen beobachtet wurden.
Virologie

In Kürze Labordiagnose Antikörpernachweis mit ELISA, Bestätigung der


Humane Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2) Diagnose mit 2. unabhängigem Testverfahren, meist Western-
Virus Lentivirus (ein Genus in der Familie der Retroviren); ss(+) Blot, notwendig. Im Western-Blot wird der Nachweis von Anti-
RNA-Virus (2 Genomkopien!) mit konischem Kapsid und Hülle. körpern gegen mehrere aus verschiedenen Genomabschnitten
Man unterscheidet HIV-1 und HIV-2; zwei distinkte Lentiviren stammenden virale Proteine gefordert (z. B. gegen p24-Kapsid-
mit verschiedener Herkunft, leicht unterschiedlichem Genom- und gp41-Transmembranprotein). In den ersten Wochen nach
aufbau und unterschiedlicher Pathogenität. Infektion kann der Antikörpernachweis u. U. nicht gelingen –
Vorkommen HIV-1 kommt weltweit vor, ist häufig (ca.10–30 % diagnostisches Fenster.
der Bevölkerung) in mehreren Ländern Afrikas südlich der Sahara, PCR: Nachweis von »freiem« Virus in Serum oder Plasma mit
in Afrika bestehen aber erhebliche regionale Unterschiede. RT-PCR; im Rahmen der Therapiesteuerung Anwendung quanti-
Weit verbreitet ist es in manchen Ländern Südostasiens und tativer PCR-Methoden zur Bestimmung der Virämie (Viruslast).
Südamerikas. Prävalenz in westlichen Ländern meist im unteren Nachweis des Provirus in Zellen mittels PCR möglich, aber in der
Promillebereich. HIV-2 ist auf einige Länder Westafrikas, ehe- Routine nicht üblich.
Literatur
531 66

Züchtung in Zellkultur: Anzüchtung in menschlichen Lympho-


zytenkulturen möglich, aber in der Routinediagnostik selten
(z. B. phänotypische Resistenztests).
Testung auf Medikamentenresistenz: heute meistens genotypi-
sche Tests, bei denen die reverse Transkriptase und/oder Prote-
ase des HIV aus Serum oder Plasma mittels PCR amplifiziert wird
und darin enthaltene Mutationen mittels Sequenzierung oder
Hybridisierung mit mutationsspezifischen Oligonukleotiden er-
kannt werden.
Therapie Mehr als 20 Hemmstoffe der HIV-Replikation (7 Kap.
108), die an verschiedenen Stadien des viralen Lebenszyklus an-
greifen: Andocken an den Rezeptor, Eintritt in die Zelle, reverse
Transkription, Integration des Provirus, Reifung neuer Virionen.
Therapie in der Regel mit Dreifachkombination von Wirkstoffen,
typischerweise von RT-Inhibitoren und Proteaseinhibitoren.
Prävention Vermeidung der Exposition. Bei Verletzung und
Kontakt mit HIV-infiziertem Blut (und ggf. anderen Körperflüs-
sigkeiten) nach Abwägung der Risikokonstellation medikamen-
töse Expositionsprophylaxe (Dreifachkombination antiretrovira-
ler Medikamente für 4–6 Wochen).
Meldepflicht Erkrankung und Labordiagnose.

Literatur

Knipe DM, Howley PM, Griffin DE, Lamb RA, Martin MA, Roizman B, Straus SE
(2013) Fields Virology. 6th ed. Vol I+II. Lippincott, Williams & Wilkins.
Levy AJ (2007) HIV and the Pathogenesis of AIDS. 3rd ed. Washington, DC:
ASM Press.
Zuckerman AJ, Banatvala JE, Pattison JR, Griffiths PD, Schoub BD (2008)
Principles and Practice of Clinical Virology. 6th ed. Wiley.
533 67

Humane T-lymphotrope Viren HTLV-1,


HTLV-2
T. F. Schulz

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_67, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die humanen T-lymphotropen Viren HTLV-1 und HTLV-2 repräsentieren 67.2 Beschreibung
die 2. Gruppe der beim Menschen vorkommenden exogenen Retrovi-
ren. Während HIV-1 und HIV-2 zu den Lentiviren zählen, gehören HTLV- jKlassifikation und Genomaufbau
1 und HTLV-2 zum Genus Delta-Retrovirus. HTLV-1 wurde 1981 in T- HTLV-1 und HTLV-2 werden zu den Delta-Retroviren gerechnet.
Zell-Linien entdeckt, die von Patienten mit adulter T-Zell-Leukämie eta- Der Genomaufbau von HTLV-1 und HTLV-2 entspricht der Grund-
bliert worden waren. In analoger Weise wurde HTLV-2 in den Zellen ei- struktur eines retroviralen Genoms (7 Kap. 66) mit folgenden Genen
nes seltenen Falles von T-Zell-Sezary-Syndrom gefunden; allerdings (. Abb. 67.1):
besteht zwischen HTLV-2 und dem Sezary-Syndrom kein ursächlicher 4 gag für Kapsid-, Nukleokapsid-, Matrixproteine
Zusammenhang. 4 pol für reverse Transkriptase, Integrase, Protease
4 env für Hüllglykoproteine
Steckbrief
Die akzessorischen Proteine unterscheiden sich von denen des
HTLV-1 ist die Ursache der seltenen adulten T-Zell-Leukämie HIV-1 und HIV-2: Tax- und Rex-Protein von HTLV haben ähnliche
(ATL) und von etwa 50 % der Fälle von tropischer spastischer Pa- Funktionen wie Tat und Rev von HIV (positive Regulation der vira-
raparese (TSP), einer demyelinisierenden ZNS-Erkrankung. Ob- len Genexpression bzw. Export ungespleißter viraler mRNAs; 7 Kap.
wohl nah verwandt mit HTLV-1, ist HTLV-2 nach heutigem 66), funktionieren aber im Detail etwas anders. Dagegen fehlen den
Kenntnisstand mit keiner menschlichen Erkrankung assoziiert. HTLV funktionelle Äquivalente von nef, vif, vpu, vpr, vpx. Stattdes-
sen finden sich bei ihnen weitere akzessorische Proteine (p12I,
p30II, p13II etc.; . Abb. 67.1). Zudem kodiert der »Gegenstrang« des
integrierten HTLV-I Provirus an seinem »rechten« Ende (. Abb.
67.1) ein weiteres Protein, HBZ, das eine Rolle in der Pathogenese der
67.1 Herkunft ATL spielt.

HTLV-1 und HTLV-2 sind sehr viel »älter« als HIV: Wie die phylo- jLebenszyklus und Tropismus
genetischen Beziehungen zwischen HTLV-1-Isolaten aus verschie- Der Lebenszyklus ähnelt im Prinzip dem des HIV und umfasst, wie
denen geografischen Regionen nahelegen, kommt dieses Virus seit bei letzterem (7 Kap. 66), die Stadien Andocken an einen zellulären
mindestens 20–30.000 Jahren in manchen menschlichen Bevölke- Rezeptor, Eintritt in die Zelle, reverse Transkription, Import des Pro-
rungen vor. HTLV-1-Sequenzen, die bei den Ainu, den »Ureinwoh- virus in den Zellkern, Integration des Provirus ins Genom der Wirts-
nern« der nördlichen Teile Japans gefunden wurden, ähneln den bei zelle, Expression neuer viraler mRNA durch Transkription des Pro-
mittel- und südamerikanischen Indianerbevölkerungen beobachte- virus mittels zellulärer DNA-abhängiger RNA-Polymerase, Zusam-
ten HTLV-1-Varianten. Dies lässt darauf schließen, dass HTLV-1 menbau und Reifung neuer Viruspartikel unter Beteiligung der
schon vor der Besiedlung des amerikanischen Kontinents von Asien viralen Protease bei der Prozessierung des Kapsidproteinvorläufers.
aus über die Behring-Straße (ca. 30.000 v. Chr.) in menschlichen Allerdings bestehen im Detail wichtige Unterschiede: HTLV-1
Populationen existiert haben muss. und -2 verwenden einen anderen zellulären Rezeptor (GLUT-1,
Ursprünglich stammt HTLV-1 aus Altweltprimaten und z. B. in membranständiger Glukosetransporter). Die Ausbreitung von
Afrika kommen auch heute noch immer wieder Übertragungen HTLV-1 und -2 erfolgt im Wesentlichen direkt von Zelle zu Zelle.
HTLV-1-ähnlicher Primatenviren auf den Menschen vor. HTLV-1 Zellfreies Virus ist kaum infektiös, und epidemiologischen Untersu-
findet sich in Afrika, der Karibik und Teilen Japans; in Europa chungen zufolge erfolgt die Übertragung von HTLV-1 im Wesentli-
kommt es in Ländern mit Immigrationshistorie aus der Karibik und chen durch infizierte Zellen, aber nicht durch zellfreies Virus.
Afrika vor, in Deutschland ist dieses Virus extrem selten. Obwohl HTLV-1, im Unterschied zu HIV, in Zellkultur die meis-
HTLV-2 findet sich in manchen Stämmen der Ureinwohner ten Zelltypen infizieren kann, werden in vivo vorwiegend T-Zellen
Nordamerikas; es hat sich in manchen Ländern (z. B. Norditalien) infiziert. Während die Replikation von HIV in CD4-positiven
bei i. v. Drogenabhängigen ausgebreitet und verursacht nach heuti- T-Lymphozyten im Regelfall in deren Zerstörung resultiert, kann
gem Kenntnisstand keine Erkrankungen. HTLV-1 T-Zellen zu kontinuierlichem Wachstum anregen; dieser
Prozess wird als Immortalisierung bezeichnet (7 s. u.).
534 Kapitel 67 · Humane T-lymphotrope Viren HTLV-1, HTLV-2

. Abb. 67.1 Genomstruktur von HTLV-1 und HTLV-2. Neben den für alle Retroviren typischen Genen gag (Kapsid- und Matrixproteine), pol (reverse
Transkriptase, Protease, Integrase), env (Hüllglykoproteine) enthalten HTLV-1 und HTLV-2 weitere akzessorische Gene mit regulatorischer Funktion. Hervor-
zuheben sind hier das Tax-Protein (p40 bei HTLV-1, p37 bei HTLV-2), das in die Regulation der viralen und zellulären Transkription sowie in die Zellzyklus-
kontrolle eingreift und damit in der Pathogenese der T-Zell-Transformation eine Rolle spielt. Die Rex-Proteine (p21/p27 bei HTLV-1, p24/p26 bei HTLV-2)
regulieren den Export ungespleißter viraler RNA. Der »Gegenstrang« der integrierten proviralen HTLV-I-DNA kodiert am »rechten« Ende ein weiteres Pro-
tein, HBZ, das mit der Pathogenese der ATL in Verbindung gebracht wird (nicht gezeigt)

67.3 Rolle als Krankheitserreger Ein zentraler Aspekt in der Pathogenese des HTLV-1 ist seine
Fähigkeit, infizierte humane T-Lymphozyten zu immortalisieren,
kEpidemiologie d. h. zu unkontrolliertem Wachstum anzuregen. Das Tax-Protein von
HTLV-1 kommt in niedriger Prävalenz in Zentralafrika, Japan, Süd- HTLV-1 spielt hierbei eine wichtige Rolle: Es greift an mehreren Stel-
amerika und der Karibik vor. In anderen Ländern der Welt ist es len in die Kontrolle der zellulären Transkription und des Zellzyklus
extrem selten, allerdings finden sich als Folge von Bevölkerungsmi- ein (7 Abschn. 54.2) und kann damit die Zelle vermutlich transfor-
grationen manchmal HTLV-1-Infektionen in bestimmten Bevölke- mieren. In vivo eliminieren Tax-erkennende zytotoxische T-Zellen
rungsgruppen. So kommt HTLV-1 gelegentlich bei Einwanderern sehr schnell HTLV-1-infizierte, Tax-exprimierende Zellen. Aus die-
und deren Kindern aus der Karibik in England vor. Nach Südameri- sem Grund persistiert HTLV-1 in infizierten Zellen meistens in ei-
ka und in die Karibik ist HTLV-1 auf 2 Wegen gekommen; neben den nem latenten Zustand. Ferner spielt das HBZ Protein eine wichtige
bei den amerindianischen Ureinwohnern gefundenen HTLV-1-Va- Rolle in der Pathogenese der ATL und ist, im Unterschied zu anderen
rianten finden sich afrikanische Varianten, die als Folge der Ver- HTLV-I Proteinen, in Leukämie Zellen regelmäßig exprimiert.
schleppung afrikanischer Sklaven vom 16. bis Anfang des 19. Jahr- Zwischen der Infektion mit HTLV-1 und dem Auftreten der
hunderts in die Neue Welt gekommen sind. adulten T-Zell-Leukämie (ATL) liegen oft mehrere Jahrzehnte
(40‒50 Jahre sind keine Seltenheit); allerdings gibt es auch Berichte
kÜbertragung von (seltenen) ATL-Fällen im Kleinkindalter. In einem dem ATL-
Die Übertragung erfolgt durch Muttermilch, Sexualkontakte, i. v. Ausbruch vorhergehenden Stadium werden HTLV-1-infizierte T-
Drogengebrauch und Bluttransfusionen. Im Unterschied zu anderen Zell-Klone langsam häufiger und wenige Klone beginnen zu domi-
Viren, z. B. HIV oder HBV, geschieht die Übertragung durch infi- nieren – die ursprüngliche oligoklonale Verteilung HTLV-1-infizier-
zierte Zellen. So können zwar Bluttransfusionen, aber nicht aus Plas- ter Zellen wird zunehmend monoklonal. Liegen in diesem Stadium
ma gereinigter Faktor VIII HTLV-1 übertragen. In Japan wird HT- schon morphologisch atypische T-Zell-Blasten vor, spricht man
LV-1-infizierten Müttern seit mehr als 30 Jahren geraten, ihre Kin- von »schwelender« oder chronischer ATL. Mit dem Auftreten der
Virologie

der nicht zu stillen; als Folge dieser Maßnahme geht dort die HTLV- typischen T-Zell Blasten mit multilobulärem »blumenähnlichen«
1-Prävalenz zurück. Kernen (»flower cells«) in größerer Zahl ist das Stadium der akuten
HTLV-2 kommt endemisch bei manchen amerindianischen ATL erreicht; diese ist in den meisten Fällen nach wenigen Monaten
Stämmen im Süden der USA und in Südamerika vor. Daneben hat tödlich.
es sich unter i. v. Drogenabhängigen inzwischen weltweit verbreitet; Die zweite mit HTLV-1 assoziierte Erkrankung, TSP/HAM, ist
allerdings schwankt seine Prävalenz von Region zu Region sehr stark charakterisiert durch eine fokale ZNS-Demyelinisierung v. a. im Be-
(in Südeuropa ist sie z. B. höher). reich des Rückenmarkes und den damit verbundenen langsam zu-
nehmenden und aufsteigenden Lähmungen. In der Pathogenese
kPathogenese und Klinik dieser Erkrankung spielen HTLV-1-spezifische T-Zellen eine wich-
HTLV-1 verursacht 2 Erkrankungen: die adulte T-Zell-Leukämie tige Rolle: Nach deren Infiltration in das ZNS kommt es durch Aus-
(ATL) und die tropische spastische Paraparese, auch HTLV-1-asso- schüttung von Zytokinen zur lokalen Schädigung von Oligodendro-
ziierte Myelopathie genannt und daher TSP/HAM abgekürzt. gliazellen.
HTLV-2 ist nach heutigem Kenntnisstand nicht sicher mit einer
menschlichen Erkrankung assoziiert.
Literatur
535 67
kLabordiagnose Literatur
Der Nachweis von Antikörpern geschieht mittels ELISA und Wes-
tern-Blot (7 Kap. 66). Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu Knipe DM, Howley PM, Griffin DE, Lamb RA, Martin MA, Roizman B, Straus SE
(2013) Fields Virology. 6th ed. Vol I+II. Lippincott, Williams & Wilkins.
beachten, dass Antikörper gegen HTLV-1 mit HTLV-2 kreuzreagie-
Zuckerman AJ, Banatvala JE, Pattison JR, Griffiths PD, Schoub BD (2008)
ren (und vice versa); eine Differenzierung ist mithilfe von HTLV
Principles and Practice of Clinical Virology. 6th ed. Wiley.
Western-Blots möglich, die Hüllglykoprotein-Antigene beider Viren
enthalten.
Mittels PCR lässt sich das in Lymphozyten integrierte Pro-
virus nachweisen. Es gibt PCR-Protokolle, die sowohl HTLV-1- wie
HTLV-2-Sequenzen amplifizieren, und in denen sich beide nah ver-
wandten Viren mittels anschließender Hybridisierung mit spezifi-
schen Proben oder durch Restriktionsverdau unterscheiden lassen.

kTherapie
Aufgrund der Tatsache, dass die Ausbreitung von HTLV-1 in vivo
vorwiegend in Form persistent infizierter Lymphozytenklone erfolgt
und weniger in Form neu produzierter Virionen und damit neu in-
fizierter Zellen wie bei HIV-1 (7 Kap. 66), ist die Verwendung von
Inhibitoren der Reversen Transkriptase in ihrer Effektivität limitiert.
In der Therapie der ATL kommt eine Kombination von AZT und
IFN-α zum Einsatz.

In Kürze
Humane T-lymphotrope Viren HTLV-1, HTLV-2
Virus HTLV-1, HTLV-2, nah verwandte Delta-Retroviren.
Vorkommen HTLV-1: Afrika, Karibik, Nord- und Südjapan, euro-
päische Länder mit Immigration aus Afrika oder Karibik. HTLV-2:
bei manchen Stämmen der Urbevölkerung Nordamerikas, in
Südeuropa bei i. v. Drogenabhängigen.
Ursprung Übertragung von HTLV-1- und HTLV-2-ähnlichen
Primatenviren auf den Menschen. HTLV-1 und -2 existieren seit
mindestens 30.000 Jahren in manchen menschlichen Popula-
tionen.
Übertragung Muttermilch, sexuelle Übertragung, i. v. Drogen-
gebrauch, Bluttransfusionen. Erfordert die Übertragung virus-
infizierter Zellen, minimales Risiko für zellfreie Übertragung
(z. B. Faktor VIII).
Lebenszyklus Typischer Lebenszyklus eines Retrovirus in
T-Zellen.
Pathogenese HTLV-1 immortalisiert humane T-Zellen – diese
können nach Jahrzehnten zu leukämischen Klonen auswachsen:
ATL. In der Pathogenese der TSP spielen vermutlich von anti-
viralen T-Zellen oder virusinfizierten Zellen ausgeschüttete
Zytokine eine Rolle, die zur Demyelinisierung im ZNS beitragen.
Labordiagnose Nachweis von Antikörpern mittels ELISA und
Western-Blot. Nachweis des Virus mit RT-PCR bzw. virusinfizier-
ter Zellen mit PCR.
Therapie Wenige Optionen. Versuch einer Therapie mit
AZT und IFN-α bei ATL, aber Ergebnisse unbefriedigend.
Therapie der ATL mit aggressiven Chemotherapieprotokollen
für Lymphome.
537 68

Parvoviren
T. Ganzenmüller, W. Puppe

Frühere Versionen von D. Falke

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_68, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Parvoviren sind unbehüllt, tragen ein ca. 5 kb großes Einzelstrang- 68.1.1 Rolle als Krankheitserreger
DNA-Genom und gehören damit zu den kleineren bekannten DNA-
Viren (lat. »parvus«: klein), die Säugetierzellen infizieren können. kVorkommen und Epidemiologie
Zu den beim Menschen bekannten Parvoviren gehören u. a. das Parvo- Das Parvovirus B19 wurde 1974 im Rahmen einer Studie in einer
virus B19, humane Bocaviren sowie adenoassoziierte Viren. Das Parvo- Serumprobe entdeckt und nach der Position der Probe (»B19«) in-
virus B19 ist der Erreger der Ringelröteln (Erythema infectiosum) und nerhalb der Testreihe benannt. Es kommt nur beim Menschen vor
kann zu Komplikationen beim ungeborenen Kind sowie bei Patienten und ist weltweit verbreitet. Infektionen erfolgen meist im Spätwinter
mit hämatologischen Erkrankungen führen. Viele Infektionen mit den und Frühjahr und treten typischerweise in der Kindheit auf.
2005 entdeckten humanen Bocaviren (HBoV) sind vermutlich asymp- Die Durchseuchung bis zum 15. Lebensjahr beträgt ca. 50 %, die
tomatisch. Als ursächliches Virus sind sie vor allem bei Erstinfektion Seroprävalenz bei gebärfähigen Frauen in Deutschland ca. 70 %.
von Kleinkindern mit Erkrankungen des Respirationstrakts und auch Man schätzt, dass etwa 3000–4000 Schwangere pro Jahr in Deutsch-
des Gastrointestinaltrakts nachweisbar. land eine akute Parvovirus-B19-Infektion durchmachen. Ca. 30 %
der frischen Infektionen werden dabei vertikal auf das Kind übertra-
gen. Man rechnet mit ca. 70–80 fetalen Todesfällen (Spontanaborten
Steckbrief und tödlichem Hydrops fetalis) pro Jahr.
Parvovirus B19: Wie alle Mitglieder der Familie der Parvoviren kÜbertragung
ist das Parvovirus B19 ein kleines, unbehülltes Virus mit einzel-
Die Übertragung erfolgt vor allem als Tröpfcheninfektion über Se-
strängigem DNA-Genom. Klinisch ist es mit den Ringelröteln, in-
krete des Nasen-Rachen-Raumes, aber auch über Schmierinfektio-
trauterinem Fruchttod oder Hydrops fetalis sowie Arthritiden
nen, Blutkonserven und -produkte sowie diaplazentar. In den Tagen
und hämatologischen Komplikationen (transiente aplastische
vor Symptombeginn finden sich große Virusmengen in Speichel,
Krisen, Anämie) assoziiert.
Blut und anderen Körperflüssigkeiten. Gelegentlich kommt es zu
Bocavirus: Inzwischen sind insgesamt 4 Species des humanen
Ausbrüchen in Kindertageseinrichtungen und Schulen, selten gibt
Bocavirus (HBoV-1 bis HBoV-4) identifiziert worden, wobei viele
es nosokomiale Übertragungen.
Infektionen vermutlich asymptomatisch verlaufen. HBoV-1 ist
vor allem in respiratorischem Material von Kleinkindern mit kPathogenese
Atemwegserkrankungen zu finden, HBoV-2 bis -4 hingegen sind
Das Parvovirus B19 benutzt das P-Antigen, das vor allem auf ery-
vorwiegend in Stuhlproben nachweisbar.
throiden Vorläuferzellen vorkommt, als Rezeptor. Die Replikation
der viralen DNA erfolgt in der S-Phase in Erythroblasten und ver-
ursacht eine Hemmung der Erythropoese für die Dauer von
7–11 Tagen. Im Knochenmark werden sog. Riesenpronormoblasten
als pathologisches Korrelat beobachtet.
Die eingeschränkte Erythropoese führt bei gesunden Personen
zu einer moderaten Anämie, kann aber bei vorbestehenden Störun-
gen der Erythropoese (Thalassämie, Kugelzellanämie etc.) zu schwe-
ren transienten aplastischen Krisen führen. Während der Virämie
finden sich sehr hohe Viruslasten mit bis zu 1013 Virionen pro ml
Blut.
Das Exanthem, das gleichzeitig mit der Entwicklung virusspezi-
fischer Antikörper erscheint, wird wahrscheinlich durch Virus-An-
tikörper-Komplexe hervorgerufen. Die manchmal lang anhaltenden
68.1 Parvovirus B19 Arthralgien und Arthritiden kommen vermutlich durch Immun-
komplexe und Entzündungsreaktionen in der Synovialflüssigkeit
jMorphologie und Resistenz zustande. Parvovirus-DNA persistiert in vielen Geweben (z. B. Myo-
Das Virus enthält ein ca. 5 kb großes Einzelstrang-DNA-Genom. kard) lebenslang; ein Zusammenhang dieser latenten Virusgenome
Der Durchmesser des Ikosaederkapsids beträgt 22 nm. Parvoviren mit Erkrankungen ist jedoch unbekannt.
sind schwer inaktivierbar und mangels Lipidhülle lipidlösungsmit- Die akute diaplazentare Infektion des Fetus kann in Fruchttod
telresistent. oder einem sog. Hydrops fetalis resultieren. Die lytische Vermeh-
538 Kapitel 68 · Parvoviren

. Abb. 68.1 Ablauf einer Parvovirus-B19-Infektion: Virämie, Antikörperbildung (NS-IgG: IgG gegen Nichtstrukturprotein), Erythrozytenzahl, Temperatur
und Exanthem sowie Arthralgie

rung des Virus in den erythropoetischen Vorläuferzellen führt zu- 4 Einige Tage danach, in der 2. Phase, in der virusspezifische
sammen mit dem erhöhten Erythrozytenumsatz im Fetus zu einer Antikörper gebildet werden, kann es erneut zu Fieber kommen
ausgeprägten Anämie mit O2-Mangel und Ödembildung. Dies und und es entsteht das typische makulopapulöse Exanthem: an
eventuell auch eine direkte Infektion des Myokards verursachen die den Wangen in Schmetterlingsform (»Ohrfeigengesicht«) und
kardiovaskuläre Dekompensation mit z. T. massiven Flüssigkeits- später vor allem am Stamm sowie an Armen und Beinen in
ansammlungen im Gewebe. Girlandenform. Dieses namensgebende Erythema infectiosum
(Ringelröteln, »fifth disease«; . Abb. 68.2, . Abb. 68.3) kommt
kKlinik allerdings nicht in allen Fällen vor und kann z. T. nur diskret
Die Inkubationsperiode beträgt 1–2 Wochen. Viele Infektionen ver- ausfallen.
laufen subklinisch, in den anderen Fällen ist ein biphasischer Verlauf
beobachtbar: Bei normalem Verlauf wird nur eine passagere Störung der Erythro-
4 In der 1. Phase der Krankheit, in der der Patient hochvirä- poese beobachtet (. Abb. 68.1). Arthralgien und Arthritiden treten
misch ist, bilden sich grippeähnliche Symptome mit Fieber, einige Wochen nach Krankheitsbeginn auf und können lange an-
Kopf- und Muskelschmerzen sowie Anämie mit Abfall des dauern. Selten können über Jahre Beschwerden ähnlich einer rheu-
Hämoglobinwerts und Retikulozytopenie aus. matoiden Arthritis bestehen.
Parvovirus B19 kann bei der Primärinfektion von Personen mit
vorgeschädigter Erythropoese (z. B. Sichelzellanämie und anderen
Anämieformen) schwere transiente aplastische Krisen mit Trans-
fusionspflichtigkeit auslösen. Bei Immungeschädigten (z. B. trans-
plantierten Patienten) kann die Erkrankung zu persistierenden
Virologie

. Abb. 68.2 Schmetterlingsexanthem (»Ohrfeigengesicht«) bei Ringel- . Abb. 68.3 Ringelröteln am Arm (Parvovirus B19; freundlicherweise zur
röteln (Parvovirus B19; freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Prof. Verfügung gestellt von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)
Dr. Dietrich Falke, Mainz)
68.2 · Humane Bocaviren (HBoV)
539 68
Anämien mit dauerhaftem Nachweis von Virus-DNA im Blut Die Entdeckung des Humanen Bocavirus ist ein Beispiel dafür, wie moderne
führen. molekularbiologische Verfahren zum Auffinden neuer Viren genutzt werden
Fetale Komplikationen in Form von Spontanaborten, intraute- können, zeigt aber auch, wie wichtig es ist, die klinische Bedeutung eines
rinem Fruchttod oder Hydrops fetalis sind vor allem bei mütter- Nachweises in einer Patientenprobe zu interpretieren: Nicht jeder Nachweis
eines Erregers, insbesondere bei hochempfindlichen Nachweisverfahren,
lichen Infektionen vor der 20. SSW zu erwarten. Der Hydrops fetalis
kann als ursächlich für eine Erkrankung angesehen werden.
tritt dann bei ca. 4 % der akuten Parvovirus-B19-Infektionen mit
4–8 Wochen Verzögerung nach der mütterlichen Infektion auf. Bei
gesichteren Infektionen in der Frühschwangerschaft (6.–8. SSW)
sind vermehrt Spontanaborte zu beobachten. Es werden jedoch 68.2.1 Rolle als Krankheitserreger
nach einer durch das Kind überstandenen intrauterinen Parvovirus-
infektion keine Embryopathie oder angeborene Fehlbildungen kEpidemiologie und Vorkommen
beobachtet. Bocaviren sind weltweit verbreitet und werden mittels PCR in
2–19 % der Proben aus dem oberen und unteren Respirationstrakt
kImmunität (Spezies HBoV -1) von Patienten mit Atemwegsbeschwerden nach-
Virusspezifische Antikörper und die T-Zell-Antwort vermitteln eine gewiesen. Die Viren sind bei Kindern unter 2 Jahren häufiger als bei
Immunität für viele Jahre. älteren Patienten zu finden und vermehrt in den Wintermonaten
und im Frühjahr nachweisbar. Die Spezies HBoV-2, -3, -4 sind
kLabordiagnose hingegen bei gastrointestinalen Erkrankungen in Stuhlproben zu
Der Nachweis von IgM- und IgG-Antikörpern erfolgt im ELISA und finden.
Western-Blot, die PCR dient zum Virusnachweis in Speichel, Blut,
Fruchtwasser, Nabelschnurblut, Liquor oder Gewebe. Mittels quan- kÜbertragung und Pathogenese
titativer PCR lassen sich bei der akuten Infektion hohe Viruslasten, Wahrscheinlich ähnlich wie bei Parvoviren über Tröpfchen- oder
im späteren Verlauf mittelhohe Mengen an Virus-DNA im Blut Schmierinfektion. Eine intrauterine Übertragung ist bedingt durch
nachweisen. die hohe Seroprävalenz recht unwahrscheinlich. Zur Pathogenese
Differenzialdiagnostisch sind andere exanthematische Kinder- und dem Replikationszyklus der Bocaviren ist wenig bekannt, da es
krankheiten wie Röteln oder Enterovirusinfektionen in Betracht zu bisher keine geeigneten Tiermodelle oder Kulturverfahren gibt. Die
ziehen. Eine intrauterine Parvovirus-B19-Infektion fällt häufig primäre Replikation des HBoV-1 findet vermutlich in den Epithel-
durch verdächtige Doppler- oder Ultraschallbefunde auf. zellen der Atemwegsorgane statt. Da das Virus auch im Blut und im
Gastrointestinaltrakt nachweisbar ist, könnte es über den Respira-
kPrävention und Therapie tionstrakt aufgenommen werden und von dort über das Blut in den
Derzeit existiert weder ein wirksames Virostatikum noch ein Impf- Gastrointestinaltrakt gelangen.
stoff. Die Verhinderung einer Exposition gefährdeter Personen, wie
z. B. hämatologische, immunsupprimierte Patienten oder seronega- kKlinik und Immunität
tive Schwangere, ist daher wichtig. Schwangeren mit beruflichen Bocaviren können Krankheitsbilder wie Husten, Rhinitis, Pharyngi-
oder Kontakten zu Kindern im Alter unter 6 Jahren bzw. zu Immun- tis, Otitis media, Fieber aber auch tiefe Atemwegsinfekte mit Pneu-
supprimierten (diese scheiden u. U. lang anhaltend hohe Parvo- monie, Bronchiolitis sowie gastrointestinale Erkrankungen verursa-
virus-B19-Mengen aus) wird empfohlen, möglichst frühzeitig den chen. Das Virus persistiert im Menschen. Die Seroprävalenz in der
Parvovirus-B19-Immunstatus zu klären, da hier das Expositions- Altersgruppe zwischen 6–12 Monaten ist gering, mit zunehmendem
risiko besonders hoch ist. Alter (> 1 Jahr) ist sie steigend und in der adulten Bevölkerung liegt
Der Abbruch einer Schwangerschaft wegen einer Infektion mit die Durchseuchung bei über 94 %. Nach Primärinfektion dürfte
Parvoviren gilt als nicht indiziert. Eine intrauterine Infektion mit daher eine lebenslange Immunität vorliegen.
klinisch relevanter fetaler Anämie bzw. Hydrops fetalis kann durch
eine rechtzeitige intrauterine Erythrozytentransfusion mittels kLabordiagnose
Punktion der Nabelschnur behandelt werden. Die Diagnostik erfolgt mittels PCR, wobei zur Beurteilung der klini-
schen Relevanz wichtig zu wissen ist, ob in der Probe eine hohe
Bocaviruslast vorliegt und andere respiratorische Erreger wie z. B.
68.2 Humane Bocaviren (HBoV) RSV, hMPV oder Enteroviren etc. mit hoher Viruslast nachweisbar
sind. Aufgrund der hohen Koinfektionsrate der Bocaviren (bis zu
jMorphologie und Resistenz 84 %) ist genau abzuwägen, welcher Erreger für den Infekt verant-
Bocaviren sind im Durchmesser ca. 20 nm große, unbehüllte Viren wortlich sein könnte. Eine Ursächlichkeit ist beim alleinigen Boca-
mit ikosaedrischem Kapsid und ssDNA-Genom mit 5 kb. Sie sind virusnachweis mit hoher Viruslast insbesondere bei Kleinkindern
hochgradig umweltresistent. im Zuge einer Primärinfektion am wahrscheinlichsten, hingegen bei
einer Koinfektion mit geringer Viruslast bei einem Erwachsenen
eher unwahrscheinlich.
Geschichte
Das Humane Bocavirus wurde 2005 in Schweden von Tobias Allander durch kTherapie und Prävention:
»molekulares Virus-Screening« in respiratorischem Material von Patien-
ten  mit Atemwegserkrankungen entdeckt, in dem keine der bis dahin
Eine gezielte Therapie oder Prävention gibt es nicht, sodass sympto-
bekannten Bakterien oder Viren nachzuweisen waren. Nach Bioinformatik- matische Behandlung und Vermeidung von Exposition anzuraten
analyse der in diesem Material angereicherten Sequenz konnte große Ähn- sind.
lichkeiten einer Sequenz zum Bovinen Parvovirus und zum Caninen Minu-
te-Virus festgestellt werden. Dies führte zu der Namensgebung humanes
Bocavirus.
540 Kapitel 68 · Parvoviren

In Kürze
Parvovirus B19
Virus Kleines (+)-ssDNA-Virus (Genomgröße 5–6 kb).
Übertragung Tröpfchen- und Schmierinfektion, Transfusionen.
Intrauterine Übertragung.
Epidemiologie Typische Infektion im Kindesalter. Hohe Durch-
seuchung. Epidemien in Kindergärten und Heimen möglich.
Pathogenese Replikation in den Erythrozytenvorstufen, sehr
hohe Viruslast. Bildung von Immunkomplexen. Hemmung der
Erythropoese kann zu Anämie, aplastischen Krisen und Hydrops
fetalis führen.
Klinik Inkubationsperiode 1–2 Wochen. Grippeähnliche Symp-
tome, Fieber, »Ohrfeigengesicht« und Erythema infectiosum
(Ringelröteln), Arthritis, aplastische Krisen, persistierende
Anämie, Hydrops fetalis, Abort oder Totgeburt.
Immunität Durch Antikörper und CTL bedingt.
Diagnose PCR zum DNA-Nachweis. IgM- und IgG-ELISA. Fetale
Ultraschalluntersuchung. DD: Andere exanthematische Krank-
heiten.
Therapie Symptomatisch, ggf. intrauterine Austauschtrans-
fusion des Fetus bei ausgeprägter Anämie.
Prävention Vermeidung der Exposition gefährdeter Personen.
Keine Meldepflicht.

Bocavirus
Virus Kleines (+)-ssDNA-Virus (Genomgröße 5–6 kb).
Übertragung Tröpfcheninfektion, Schmierinfektion.
Epidemiologie Hohe Durchseuchung, weltweite Verbreitung.
Pathogenese Wahrscheinlich zunächst primäre Replikation in
Zellen des Respirationstrakts.
Klinik Husten, Fieber und (tiefe) Atemwegsinfekte sowie
gastrointestinale Erkrankungen.
Immunität Wahrscheinlich lebenslang nach durchgemachter
Erstinfektion im Kindesalter.
Diagnose PCR zum DNA-Nachweis. DD: Alle übrigen Erreger
von Atemwegserkrankungen/Koinfektionen.
Therapie Symptomatisch, keine gezielte Therapie.
Prävention Vermeidung der Exposition.

68.3 Adenoassoziierte Viren (AAV)


AAV-2, -3 und -5 des Menschen zählen zum Genus Dependoviren;
es sind defekte Viruspartikel, die Adeno- oder Herpesviren als Helfer
bei der Replikation benötigen. AAV-DNA ist in embryonalem und
Uterusgewebe nachgewiesen worden, aber bislang mit keiner klini-
Virologie

schen Erkrankung in Verbindung gebracht worden.


541 69

Papillomviren und Polyomaviren


T. Ganzenmüller, T. Iftner

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_69, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Papillomviren und Polyomaviren sind kleine, Doppelstrang-DNA-Viren In den 1980er Jahren belegte Harald zur Hausen den Zusam-
ohne Lipidhülle, die früher als Familie der Papovaviridae zusammen- menhang von HPV und der Entstehung des Zervixkarzinoms und
gefasst wurden. Inzwischen bilden diese im Tierreich weit verbreiteten, wurde dafür 2008 mit dem Nobelpreis geehrt. Seit einigen Jahren
epitheliotropen Viren 2 eigenständige Virusfamilien: Papillomaviridae stehen HPV-Impfstoffe zur Verfügung, durch deren prophylaktische
und Polyomaviridae. Anwendung sich die Entstehung eines Großteils der Zervixdyspla-
Die Familie der Papillomviren umfasst über 170 Humane Papillom- sien und wahrscheinlich auch der Karzinome verhindern lässt.
viren (HPV) sowie verschiedene Tierpapillomviren. HPV ruft beim Men- Die onkogenen Transformationsproteine von HPV haben ent-
schen gutartige Tumoren wie Warzen und Kondylome, aber auch bös- scheidend zur Entdeckung der »Tumorsuppressorgene« beigetragen.
artige Karzinome des Anogenitalbereichs (z. B. Zervixkarzinom) und
das Oropharynxkarzinom hervor. Weltweit ist das Zervixkarzinom die
dritthäufigste Krebsart bei Frauen. Die Beteiligung von HPV an der 69.1.1 Beschreibung
Entstehung von Hautkrebs wird diskutiert.
Die Familie der Polyomaviren wächst kontinuierlich. Inzwischen sind 13 jGenom und Morphologie
humane Polyomaviren, von denen viele erst jüngst entdeckt wurden, so- Das Papillomvirusgenom liegt als etwa 8 kbp langes, ringförmiges
wie eine Reihe von Tierpolyomaviren bekannt. Humane Polyomaviren dsDNA-Molekül vor. Man unterscheidet frühe regulatorische Gene
spielen klinisch bislang vor allem bei Patienten mit Immundefizienz (»early genes«, z. B. E1, E2, E6, E7) von späten Genen (»late genes«:
eine Rolle, während sie bei immunkompetenten Personen vor allem als L1 und L2), die Strukturproteine kodieren. Die Viruspartikel beste-
apathogene Erreger vorkommen und in die Umwelt ausgeschieden hen aus einem ikosaedrischen Kapsid mit ca. 50 nm Durchmesser,
werden. Das JC-Polyomavirus ruft die progressive multifokale Leuken- das die DNA enthält. Durch das Fehlen einer Lipidhülle sind HPV
zephalopathie (PML) hervor, während das BK-Polyomavirus bei Trans- relativ resistent und bleiben in der Umwelt über längere Zeit in-
plantatempfängern eine Nephropathie und hämorrhagische Zystitis fektiös.
verursachen kann. Das 2008 neu entdeckte Merkel-Zell-Karzinom-
Polyomavirus ist mit dem Merkel-Zell-Karzinom, einem aggressiven jEinteilung
Hauttumor, assoziiert. Man kennt inzwischen mehr als 170 verschiedene Typen humaner
Papillomviren (HPV). Ihre Einteilung beruht auf dem Grad der
Ähnlichkeit ihrer genomischen L1-Gensequenzen: Ein eigenstän-
69.1 Papillomviren des Menschen
diger »Papillomvirustyp« muss mehr als 10 % Sequenzabweichung
zum nächstverwandten Typ zeigen. Papillomvirustypen mit bis zu
Steckbrief
60 % Sequenzübereinstimmung lassen sich Gattungen (Genera) zu-
ordnen, die sich wiederum in Spezies (60–70 % Sequenzüberein-
stimmung) unterteilen lassen. Humane Papillomvirustypen findet
man in den Gattungen alpha, beta, gamma, mu, nu. Außerdem kennt
man verschiedene Tierpapillomviren, z. B. bei Rindern, Schafen,
Nagern.
Eine andere Einteilung beruht auf dem Gewebetropismus be-
stimmter HPV-Typen für verhornendes Epithel (»kutane« Typen;
z. B. HPV-1, -2, -5, -8) einerseits und Schleimhaut (historisch als
»genitale« Typen z. B. HPV-6, -11, -16, -18 bezeichnet) andererseits.
Allerdings sind Ausnahmen möglich und DNA genitaler Viren wird
auch in Läsionen außerhalb des Anogenitaltrakts gefunden.
Die alpha-HPV-Typen werden außerdem anhand ihres Vermö-
Warzenförmige Hauterscheinungen beim Menschen sind schon in gens, Malignome zu verursachen, in Hochrisiko- und Niedrigrisiko-
der Antike beschrieben worden. Ihre Übertragbarkeit von Mensch HPV (»high-risk vs. low-risk«) eingeteilt:
zu Mensch wurde bereits 1893 gezeigt. Mitte des 20. Jahrhunderts 4 Die Infektion des Genitaltrakts mit Low-Risk-HPV-Typen
konnten Viruspartikel in Haut- und Genitalwarzen nachgewiesen (z. B. HPV-6, -11, -40) ist extrem selten mit der Entwicklung
werden. Neben HPV-induzierten, meist harmlosen Warzen können maligner Tumoren assoziiert.
jedoch auch bösartige Karzinome entstehen, wie das Zervix-, Vulva-, 4 Von High-Risk-HPV-Typen (z. B. HPV-16, -18, -31, -33, -45)
Vagina-, Penis- und Anuskarzinom sowie das Oropharynxkarzi- verursachte Läsionen können über dysplastische Vorstufen
nom. Ferner wird ein Zusammenhang mit der Entstehung von Haut- bis zum Karzinom fortschreiten. Die WHO hat 13 High-Risk-
tumoren (nichtmelanozytärer Hautkrebs) vermutet. HPV-Typen aus den Spezies 5, 6, 7, und 9 des Genus alpha als
542 Kapitel 69 · Papillomviren und Polyomaviren

. Tab. 69.1 Humane Papillomviren und assoziierte Krankheitsbilder

Assoziierte Krankheitsbilder Genus, Spezies bzw. Papillomvirustypen (Beispiele)

Hautwarzen, z. B. Verrucae vulgares, Plantarwarzen Typen HPV-1, -2, -4, -10, -27, -57, -65

Larynxpapillome Typen HPV-6, -11

Genitale Kondylome Typen HPV-6, -11, -16, -42, -44, -54

Zervikale intraepitheliale Neoplasie (CIN) Spezies alpha 1, 3, 5, 6, 7, 9, 10, 11, 13, 14 sowie »High-Risk«-Spezies (s. u.)

Zervixkarzinome v. a. »High-Risk«-Spezies alpha 5, 6, 7 und 9

Typen HPV-16, -18, -31, -33, -35, -39, -45, -51, -52, -56, -58, -59, -68

Hautkarzinome bei Patienten mit Epidermodysplasia verruciformis (EV) Typen HPV-5, -8; Genus beta

Benigne und möglicherweise maligne Hauttumoren bei Immunsuppri- Typen HPV-1, -2, -4, -12, -14, -17, -38, -48, -50, -57, -63; Spezies beta 2
mierten und -kompetenten

Karzinogene der Gruppe I–IIa anerkannt, hierunter auch die figste Krebsart bei Frauen und insbesondere in Entwicklungs-
Typen HPV-16 und -18, die weltweit als Ursache des Zervix- ländern eine der häufigsten tumorassoziierten Todesursachen.
karzinoms eine besondere Rolle spielen. In über 99 % der Zervixkarzinome werden High-Risk-HPV-
4 . Tab. 69.1 zeigt eine Übersicht der von humanen Papillom- Typen (7 s. o.) gefunden, wobei HPV-16 und -18 weltweit vorherr-
virustypen verursachten Krankheitsbilder. schend sind. Die HPV-Prävalenz in Analkarzinomen liegt bei bis zu
90 %, in Vulva- und Peniskarzinomen je nach Art des Tumors bei bis
zu 50 %. In all diesen Tumoren ist der High-Risk-Typ HPV-16 am
69.1.2 Rolle als Krankheitserreger häufigsten.
Bei immungeschwächten Individuen (z. B. AIDS-Patienten
kÜbertragung oder Transplantierte) findet man gehäuft multiple HPV-Infektionen,
Die Übertragung humaner Papillomviren infolge von Mikrotrau- Warzen und Kondylome sowie Frühstadien der Zervixkarzinoment-
men erfolgt durch direkten Hautkontakt sowie sexuell (oral, genital) wicklung (CIN II, III; 7 s. u.) oder anderer anogenitaler Tumoren.
oder indirekt durch kontaminierte Gegenstände oder Fußböden, Eine Beteiligung sog. »kutaner« HPV (v. a. aus Genus beta2 und
z. B. in Schwimmbädern. Durch genitale HPV verursachte Condy- gamma) an der Entstehung von Hauttumoren, insbesondere dem
lomata acuminata (Feigwarzen) sind die am häufigsten sexuell über- nichtmelanozytären Hautkrebs (»non-melanoma skin cancer«,
tragene Viruserkrankung. Auf dem vertikalen Übertragungsweg »weißer« Hautkrebs), einem der häufigsten Tumoren bei Menschen
können HPV auch perinatal von der Mutter an das Neugeborene mit hellem »westlichen« Hauttyp, wird diskutiert. Beispielsweise ist
weitergegeben werden. die Inzidenz von Hautkarzinomen bei Organtransplantierten mit
langjähriger Immunsuppression stark erhöht. In einem hohen Pro-
kEpidemiologie zentsatz dieser Karzinome wurde HPV-DNA gefunden. Allerdings
Je nach HPV-Typ beginnt die Durchseuchung frühzeitig im Leben. ist der ursächliche Zusammenhang von HPV-Infektion und Haut-
So finden sich bereits bei Schulkindern Hautwarzen (Prävalenzrate karzinomen nicht so deutlich wie beim Zervixkarzinom.
4–20 %). Bei den sexuell übertragbaren Typen beginnt die Durch-
seuchung mit dem Beginn der sexuellen Aktivität. Die weltweite kPathogenese
HPV-Prävalenz wird bei Frauen ohne zytologische Veränderungen Papillomviren zeichnen sich durch einen strikten Gewebetropismus
der Zervix auf ca. 12 % geschätzt, d. h., die meisten Frauen infizieren aus, d. h., die Virusvermehrung findet nur im differenzierten Plat-
sich im Laufe ihres Lebens mit HPV. Die Mehrzahl der Infektionen tenepithel von Haut und Schleimhaut statt. HPV gelangen durch
ist jedoch vorübergehend und heilt innerhalb von 1–2 Jahren wieder Mikrotraumen der Haut oder an Grenzen unterschiedlicher Epithel-
ab. Viele Infektionen verlaufen also inapparent, sind jedoch für die typen (z. B. Platten- vs. Drüsenepithel) (Zervix, Kehlkopf, Analre-
Virologie

HPV-Verbreitung mitverantwortlich. gion) ins Basalepithel. In den Basalzellen, die wenige Kopien episo-
Bei einem kleineren Prozentsatz der Infektionen kommt es zur maler DNA enthalten, erfolgt die Expression der frühen (»early«)
Persistenz der Viren. Vermutlich geht von diesen Fällen die Entwick- Proteine, welche die Zellteilung stimulieren und die Replikation des
lung von Dysplasien bis hin zum Karzinom aus. Die Durchseuchung episomalen Genoms steuern; auf diese Weise erfolgt eine vermehrte
mit Hochrisiko-HPV beträgt in Deutschland bei unter 30-jährigen Proliferation des Epithels: Akanthose (Verdickung), Parakeratose
Frauen zwischen 16 und 23 %, bei über 35-jährigen etwa 6 %. Viele (Stratum granulosum) und Hyperkeratose (Stratum corneum).
junge Frauen weisen also transiente Infektionen auf. Nur in differenzierten Epithelzellen erfolgt der komplette Le-
Bei Älteren ist die Persistenzrate höher und mit der Entstehung benszyklus von HPV mit Viruspartikelbildung und verstärkter
des Zervixkarzinoms verknüpft. Die meisten Zervixkarzinome tre- Keratinbildung (Hyperkeratose). Häufig findet sich ein zytopathi-
ten im Alter von 35–55 Jahren auf, Vorstufen findet man aber schon scher Effekt (CPE) in Form von großen Zellen mit aufgehelltem
bei den 20- bis 30-Jährigen. In Deutschland erkrankten im Jahr 2011 Zytoplasma, den sog. Koilozyten (gr. »koilos«, leer). Diese Vorgänge
4660 Frauen neu an einem Zervixkarzinom, ca. 1600 starben daran. können nach Monaten zur Warzen- bzw. Papillombildung führen,
Weltweit ist das Zervixkarzinom mit über 500.000 Neuerkrankun- wobei infektiöse Viren nur in den differenzierten Keratinozyten der
gen und etwa 266.000 Todesfällen jährlich (Stand 2012) die dritthäu- obersten Schichten freigesetzt werden.
69.1 · Papillomviren des Menschen
543 69

. Abb. 69.1 Durch HPV ausgelöste zelluläre Atypien bei Kondylom, CIN I–III und der Progression zum Zervixkarzinom. In den Basalzellen findet HPV-Re-
plikation auf niedrigem Level statt, um das virale Genom in diesen sich teilenden Zellen zu erhalten. Im Stratum granulosum erfolgt eine Amplifikation der
viralen DNA für neue Viruspartikel, die in den oberen Schichten des Epithels gebildet und an die Umwelt abgegeben werden. Durch die Virusvermehrung
in den oberen Schichten kommt es zu Zellatypien, die abgeschilfert werden und im Zervikalabstrich nachweisbar sind (Vorsorgeuntersuchung!). Bei Kondy-
lomen resultiert die Proliferation von Epithelzellen in der Warzenbildung. Beim Zervixkarzinom hingegen kommt es nach Ausschaltung von Tumorsuppres-
sorproteinen (p53, pRb) durch die E6- und E7-Proteine der Hochrisiko-HPV und mutagenisierenden Wirkungen zur Entartung und Entstehung eines prämalig-
nen Tumors (Carcinoma in situ), der schließlich die Basalmembran durchbricht und damit zum invasiven Zervixkarzinom wird (rechts unten)

Den molekularen Mechanismus der Papillombildung stellt läuft mehrschrittig ab: Analog zu den durch HPV verursachten
man sich folgendermaßen vor: Da die fehlende Teilungsaktivität der Veränderungen in der Haut induzieren die HPV-Typen im Genital-
differenzierten Epithelzellen den Viren keine Replikation ermögli- bereich Zellatypien. Mit zunehmender Schwere werden diese als
chen würde, können HPV die Zellen über ihre frühen Proteine zum zervikale intraepitheliale Neoplasie (»cervical intraepithelial neo-
Eintritt in die DNA-Synthesephase anregen. Hierbei binden die frü- plasia« = CIN) I–III bezeichnet:
hen Proteine E6 und E7 an die Tumorsuppressorproteine p53 bzw. Während bei CIN I und II sowohl Niedrigrisiko- als auch Hoch-
pRB und greifen so in die Regulation des Zellzyklus ein (. Abb. 54.3). risiko-Papillomviren gefunden werden (. Abb. 69.1), machen Hoch-
Gleichzeitig sorgen die E1- und E2-Proteine für die Replikation der risiko-HPV im Stadium CIN III und im metastasierenden Karzinom
HPV-DNA, zügeln aber die zellproliferationssteigernde Wirkung über 90 % aus. Man schätzt, dass zwischen Primärinfektion mit
von E6 und E7. Hochrisiko-HPV-Typen und Tumorentstehung 10–20 Jahre verge-
Es resultiert eine gering verstärkte Proliferation der Keratino- hen. Im Allgemeinen liegt die HPV-DNA in den Frühstadien (Zell-
zyten hauptsächlich jedoch eine Behinderung der Differenzierung atypien, CIN I, II) in episomaler Form vor, während sie in den
des Epithels. Die Produktion der späten Strukturproteine L1 und L2 Spätstadien der Neoplasie und in Karzinomen häufig ins Zellgenom
wird erst in den oberen, differenzierten Epithelschichten »angeschal- integriert ist.
tet«, sodass erst hier komplette Partikel gebildet werden können. Als weitere geringe Kofaktoren bei der Progression zum Zervix-
So entstehen Papillome, aus denen komplette, infektiöse Viren frei karzinom nach Infektion mit Hochrisiko-HPV gelten Rauchen, eine
werden. hohe Zahl an Geburten sowie Immundefekte, wie z. B. eine HIV-
HPV-assoziierte Karzinome enthalten zu 70 % integrierte HPV- Infektion.
DNA. Karzinome, die mit Hochrisiko-Papillomviren (v. a. HPV-16,
18; . Tab. 69.1) infiziert wurden und in denen es durch die Inte- kKlinik
gration des viralen Genoms zur Zerstörung des viralen E2-Gens Verschiedene Lokalisationen gut- und bösartiger HPV-induzierter
gekommen ist, zeigen verstärkte Expression der E6- und E7-Pro- Tumoren lassen sich unterscheiden:
teine. Letztere sind für die Inaktivierung der zellulären Anti-Onko- 4 Haut: vulgäre Warzen, Flach- und Plantarwarzen, Fleischer-
gene p53 und pRB verantwortlich. Außerdem wirkt die Integration warzen, Epidermodysplasia verruciformis (EV), Plattenepithel-
der HPV-DNA mutagenisierend auf bislang nur z. T. identifizierte karzinome (nichtmelanozytärer Hautkrebs)
zellteilungsregulierende Gene (7 Kap. 54). Niedrigrisikotypen (z. B. 4 Schleimhaut außerhalb des Genitalbereichs (Oropharynx-
HPV-6, -11) integrieren nicht; ihre E6- und E7-Proteine binden und Kehlkopfbereich): Papillome (z. B. rekurrierende respi-
zwar z. T. an p53 und immer an pRb, führen aber nicht zu deren ratorische Papillomatose) und Karzinome (»head and neck
Abbau. cancers«, insbesondere im Tonsillenbereich und Zungen-
Häufig findet man Karzinome an Übergangszonen im Epithel: grund)
beim Zervixkarzinom zwischen Endo- und Ektozervix, beim Anal- 4 Schleimhaut des Anogenitalbereichs: Genitalwarzen (Con-
karzinom zwischen Darmepithel und verhorntem Plattenepithel. dylomata acuminata), flache Kondylome, Dysplasien und Kar-
Die Karzinomentstehung, hier am Beispiel des Zervixkarzinom, zinome von Zervix, Vulva, Penis und im Analbereich
544 Kapitel 69 · Papillomviren und Polyomaviren

. Abb. 69.2 Hautwarzen (Verrucae vulgares; mit freundl. Genehmigung


von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)

. Abb. 69.3 Condylomata acuminata (freundlicherweise zur Verfügung


Haut Hautwarzen sind mit spezifischen HPV-Typen assoziiert und gestellt von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)
gutartig. Anhand der Morphologie sind verschiedene Arten von
Warzen unterscheidbar:
4 Die sehr häufigen gewöhnlichen Warzen (Verrucae vulgares,
. Abb. 69.2) treten nach einer Inkubationsperiode von 2–4 Mo- Tumoren des Kopf-Hals-Bereichs Die rekurrierende respiratori-
naten vor allem an Händen und Füßen auf. Diese über das sche Papillomatose ist eine seltene Erkrankung bei Kindern und
Hautniveau erhabenen papulösen Knötchen mit z. T. derber, jungen Erwachsenen, die durch HPV-assoziierte Papillome im
unregelmäßiger Oberfläche können meist spontan zurückge- oberen Respirationstrakt gekennzeichnet ist. Der Übergang vom
hen. Als filiforme Warzen findet man sie häufig im Gesichtsbe- Plattenepithel des Larynx zum respiratorischen Epithel scheint eine
reich, z. B. am Augenlid. Prädilektionsstelle für das Auftreten zu sein, gelegentlich können
4 Flachwarzen (Verrucae planae juveniles) treten als flache, sich die Papillome aber auch auf Trachea oder Bronchien ausbreiten.
ovale Papeln an verschiedenen Körperstellen (perioral, Stirn, Die prinzipiell benignen Papillome bereiten aufgrund ihrer häufigen
Arme und Beine) auf. Wiederkehr und ihres z. T. aggressiven Wachstums Probleme und
4 Plantarwarzen (Fußsohlenwarzen) sind als hyperkeratotische erfordern wiederholte operative Eingriffe.
Plaques an den Fußsohlen beschrieben und äußerst rezidiv- Risikofaktoren für die Entwicklung von Plattenepithelkarzino-
freudig. men im Kopf-Hals-Bereich (»head-and-neck cancers«) sind Alko-
hol- und Tabakkonsum, aber auch HPV-Infektionen, die mit dem
Epidermodysplasia verruciformis (EV) Infolge eines seltenen, auto- Auftreten von Karzinomen im Oropharynxbereich (v. a. an Tonsil-
somal-rezessiven vererbten Defekts der zellulären Immunität entste- len und Zungengrund) assoziiert sind. Die Inzidenz HPV-positiver
hen bei den betroffenen Patienten in jungen Jahren multiple Warzen Tumoren im Kopf-Hals-Bereich scheint zuzunehmen und die be-
und makulöse Hautveränderungen, die lebenslang persistieren und troffenen Patienten scheinen jünger zu sein als Patienten mit HPV-
fast die gesamte verhornende Hautoberfläche bedecken können. negativen Tumoren. Häufig werden die Tumoren erst spät beim
Nach 10–20 Jahren können sich die zunächst gutartigen Läsionen in Auftreten von Lymphknotenmetastasen diagnostiziert. Die Progno-
bis zu 60 % über dysplastische Stadien zu Plattenepithelkarzinomen se für HPV-positive Tumoren ist mit einer 5-Jahres-Überlebensrate
entwickeln, die fast ausschließlich an sonnenexponierten Stellen ent- von bis zu 60 % besser als für HPV-negative Tumoren.
stehen. Für die Entartung macht man daher die zusätzliche Einwir-
kung von UV-Licht verantwortlich. In den Hautveränderungen und Anogenitale Tumoren Bis zu 90 % aller Genitalwarzen (Condylo-
Virologie

Plattenepithelkarzinomen sind in über 90 % sog. EV-assoziierte mata acuminata, Feigwarzen; . Abb. 69.3) werden durch die Niedrig-
HPV-Typen (HPV-5, -8, -14, -17, -20, -47) des Genus beta nachweis- risikotypen HPV-6 und -11 verursacht. Die Läsionen können an der
bar. Schleimhaut oder Haut von Penis, Vagina oder Vulva sowie im Anal-
bereich mit sehr variablem klinischem Bild auftreten. Zunächst ent-
Nichtmelanozytärer Hautkrebs Abgesehen von EV-Patienten ist stehen kleine Papeln, die dann beetartig konfluieren und papilloma-
die kausale Rolle von HPV an der Entstehung von nichtmelanozytä- töse Tumoren bilden können. Flache Kondylome (Condylomata
rem (»weißem«) Hautkrebs und seinen Vorstufen nicht bewiesen. plana) finden sich im Bereich der Zervix. Eine maligne Entartung ist
Häufig lässt sich DNA von HPV-Typen vor allem der Spezies beta-2 selten. Riesenkondylome (Condylomata gigantea, Buschke-Löwen-
in Plattenepithelkarzinomen der Haut sowie Krebsvorstufen (aktini- stein-Tumoren) des Genitalbereichs sind ebenfalls meist HPV-6
sche Keratosen oder Morbus Bowen) nachweisen. Insbesondere bei und -11 positiv. Sie können destruktiv ins Bindegewebe einwachsen.
immunsupprimierten Patienten, wie Organtransplantatempfängern, Zu den bösartigen Tumoren des Anogenitalbereichs gehören
die ein vielfach erhöhtes Risiko für die Entwicklung kutaner Platten- Karzinome von Zervix, Penis, Vulva und Vagina sowie der Anal-
epithelkarzinome aufweisen, sind in bis zu 90 % der Tumoren ver- region. In nahezu allen Zervixkarzinomen findet man High-Risk-
schiedenste kutane HPV-Typen zu finden. HPV, in den übrigen anogenitalen Tumoren in bis zu 50 % (v. a.
69.1 · Papillomviren des Menschen
545 69
HPV-16). Die Karzinome entstehen über dysplastische Vorstufen kTherapie
verschiedener Schweregrade, eingeteilt als intraepitheliale Neopla- Warzen und milde Dysplasien der Schleimhaut heilen oft spontan
sien der Zervix uteri (CIN), Vulva (VIN), Penis (PIN) usw. aus. Zur lokalen chemischen Behandlung von Warzen eignen sich
Das Zervixkarzinom entwickelt sich über die Vorstufen CIN I– 5’-Fluoruracil, Salizylsäure oder Trichloressigsäure. Alternativ
III (. Abb. 69.1), wobei sich die Dysplasien in allen verschiedenen kann eine Kryotherapie oder die chirurgische Abtragung (Küret-
CIN-Stadien zurückbilden können. Die Prävalenz dieser Krebsvor- tage, Laser, Loop-Exzision etc.) erfolgen.
stufen ist daher höher als die der invasiven Karzinome. Von der Juvenile Larynxpapillome verschwinden oft durch Behandlung
HPV-Infektion bis zum manifesten Karzinom können Jahrzehnte mit IFN-α, rezidivieren jedoch häufig. Auch HPMPC (Cidofovir,
vergehen. 7 Kap. 108) hat sich bei lokaler Behandlung anogenitaler Kondylome
Klinisch bleiben die Frühstadien des Zervixkarzinoms meist und direkt in juvenile Kehlkopfpapillome injiziert als wirksam er-
symptomlos und werden nur zufällig bzw. bei Vorsorgeunter- wiesen. Imiquimod-Creme (7 Kap. 108) hat infolge lokaler Zytokin-
suchungen entdeckt. Erst im fortgeschrittenen Stadium können induktion bei über 50 % der Kondylome eine völlige Abheilung
Symptome wie abnorme Blutungen oder lumbosakrale Schmerzen bewirkt, auch bei HIV-Patienten mit anogenitalen Warzen ist es
auftreten. Durch kontinuierliche Ausbreitung kann das Zervix- wirksam.
karzinom den Uterus und seinen Halteapparat, die Vagina sowie Höhergradige Dysplasien z. B. der Zervix müssen in der Regel
Harnblase und Rektum infiltrieren. Weiterhin können sich Lymph- operativ entfernt werden (Konisation), um einem Fortschreiten zum
knoten- und Fernmetastasen finden. Die 5-Jahres-Überlebensrate Karzinom vorzubeugen. Für die Therapie invasiver Karzinome kom-
liegt für die Frühstadien (Tumor begrenzt auf Zervix) bei etwa 80 % men stadienabhängig die operative Entfernung sowie Bestrahlung
und verschlechtert sich auf unter 15 % für Spätstadien (Infiltration und Chemotherapie infrage (siehe Fachliteratur).
von Blase oder Rektum).
kPrävention
kImmunität Gegen Hautwarzen gibt derzeit es keine effektiven Präventionsme-
Hauptakteure der Immunabwehr gegen HPV sind vermutlich die thoden. Kondome schützen nur unvollständig gegen die sexuelle
T-Zellen. Bei zellulären Immundefekten (HIV, Transplantationen) Übertragung von HPV. Zytologische Untersuchungen (Pap-Ab-
beobachtet man vermehrt HPV-bedingte Neoplasien, v. a. der frü- strich) mit zusätzlichem HPV-DNA-Nachweis sind die Basis der
hen Stadien (CIN I–III) oder Analkarzinome. Typspezifische Anti- Sekundärprävention für das Zervixkarzinom.
körper gegen ein Kapsidprotein (L1) treten während der akuten In den letzten Jahren wurden rekombinante Impfstoffe gegen
Durchseuchung nur bei zwei Drittel der Infizierten auf, bei Karzi- genitale HPV-Typen entwickelt, die einen sehr effektiven Schutz ge-
nomträgerinnen stellt man vermehrt Antikörper gegen L1 sowie gen die persistierende Infektion mit diesen Viren sowie die Entwick-
gegen die Frühproteine fest. E7-Antikörper korrelieren mit der Tu- lung von Frühstadien des Zervixkarzinoms (CIN II und III, Carci-
morlast. Die Antikörperbildung erfolgt verzögert in ca. 50–90 % der noma in situ) bieten. Um die Wirkung auf die Entwicklung invasiver
infizierten Patienten und geht zurück, wenn das Virus eliminiert Karzinome beurteilen zu können, müssen allerdings noch einige
wird. Jahrzehnte vergehen.
Die Impfstoffe bestehen aus »virus-like particles« (VLP), das
kLabordiagnose sind »leere« Kapside nur aus rekombinant hergestellten L1-Pro-
Die meisten Warzenarten lassen sich klinisch diagnostizieren. teinen:
Schwierigkeiten bereitet die Diagnose der Epidermodysplasia veruc- 4 Cervarix enthält VLP der Typen 16 und 18, der weltweit am
ciformis oder flacher Kondylome der Zervix. Der Nachweis von häufigsten im Zervixkarzinom vorkommenden Typen.
HPV-Antikörpern (z. B. mittels ELISA-Technik) hat sich in der 4 Gardasil beinhaltet VLP der Typen 6, 11, 16 und 18 und bietet
Routinediagnostik bislang nicht bewährt. Die Detektion von HPV- daher auch Schutz gegen 80–90 % der Genitalwarzen.
DNA erfolgt über PCR, Hybridisierungstechniken oder Signal-
amplifikation. Gemäß Empfehlung der STIKO (Stand 2014) sollten alle Mädchen
Der Nachweis von High-Risk-HPV-DNA (HPV-16, -18 etc.) im von 9–14 Jahren möglichst vor der ersten HPV-Infektion, also vor
Zervixmaterial spielt bei der Prävention des Zervixkarzinoms eine Aufnahme der sexuellen Aktivität, 2-mal geimpft werden. Bis zum
zunehmende Rolle und kann die herkömmliche Färbung des Zervi- 18. Lebensjahr können Impfungen nachgeholt werden, dann ist der-
kalabstrichs nach Papanicolaou (zytologische Klassifikation zeit eine 3. Dosis empfohlen. Eine Erweiterung der Impfempfehlung
Pap I–V, siehe Fachliteratur) ergänzen bzw. ablösen. Letztere hat auch für Jungen in Deutschland wird derzeit diskutiert und könnte
zwar einen deutlichen Rückgang der Häufigkeit invasiver Zervixkar- die Herdenimmunität verbessern. Im Impfprogramm in Australien
zinome bewirkt, konnte diese aber nicht vollständig verhindern. zeigte sich, dass ein 80 %ige Durchimpfungsquote der Mädchen
Bei einem auffälligen Pap-Befund und zusätzlichem Nachweis einen Schutz für die gleichaltrigen nichtgeimpften Jungen gegen
von Hochrisiko-HPV-DNA kann beispielsweise das Intervall bis zur Genitalwarzen bietet.
nächsten Kontrolle verkürzt oder die betroffene Patientin direkt in Die Dauer der Immunität beträgt mindestens 9 Jahre. Bisher
eine »Dysplasie-Sprechstunde« überwiesen werden. Außerdem er- sind dem Impfstoff keine wesentlichen unerwünschten Wirkungen
laubt der HPV-Test eine individualisierte Risikoabschätzung. zuzuschreiben. Die Impfung wirkt nur prophylaktisch und hat
Aus der Routineanwendung der HPV-DNA-Nachweisverfahren keinen therapeutischen Nutzen. Ein bis zu 100-prozentiger Impf-
können sich aber auch Probleme ergeben: Beispielsweise finden sich schutz vor der Entwicklung von durch HPV-16 oder HPV-18 ver-
gerade bei jungen Frauen unter 30 Jahren häufig vorübergehende ursachten Zervixdysplasien (CIN) wurde bei Frauen festgestellt,
HPV-Infektionen, sodass hier bei Nachweis von Hochrisiko-HPV die zum Zeitpunkt der vollständigen Immunisierung negativ für
eine Übertherapie oder psychische Belastungen zu befürchten sind. die HPV-Impfgenotypen waren. Es konnte auch gezeigt werden, dass
In vielen Ländern wurde inzwischen der Nachweis von Hochrisiko- die Impfstoffe durch Kreuzprotektion vermutlich einen breiteren
HPV in die nationalen Leitlinien zur Krebsfrüherkennung für das Schutz als nur gegen die im Impfstoff einthaltenen HPV-Typen
Zervixkarzinom aufgenommen. bieten.
546 Kapitel 69 · Papillomviren und Polyomaviren

Allerdings verhindern die bisherigen Impfstoffe gegen HPV-16 mavirus), bzw. der Institution, die das Virus entdeckt hat (z. B. KI für
und HPV-18 nicht alle Zervixkarzinom-Frühstadien, da ein Teil Karolinska-Institut, Stockholm), z. T. aber auch mittels Nummerie-
durch andere HPV-Typen verursacht wird. Die regelmäßige Früher- rung (z. B. HPyV-6).
kennung ist also weiterhin nötig. Ein nonavalenter Impfstoff gegen
9 verschiedene HPV-Typen befindet sich 2015 im europäischen Zu-
lassungsverfahren. Dass die HPV-Impfstoffe effektiv gegen die Früh- 69.2.2 Rolle als Krankheitserreger
stadien des Zervixkarzinoms wirken, unterstreicht eindrücklich die
kausale Rolle dieser Viren bei der Entstehung dieses Tumors. kEpidemiologie und Übertragung
Die Übertragung der Polyomaviren ist noch nicht vollständig ge-
klärt. Sie erfolgt vermutlich vor allem im Kindesalter über Tröpf-
69.2 Humane Polyomaviren (HPyV) chen- oder Schmierinfektion. Auch Bluttransfusionen oder Organ-
transplantationen kommen als Übertragungsweg infrage. Die
Durchseuchung mit BKPyV und JCPyV bei Erwachsenen ist welt-
Steckbrief
weit mit Seroprävalenzen von über 90 bzw. 50–80 % sehr hoch. Erste
seroepidemiologische Studien zeigen, dass auch die neu entdeckten
humanen Polyomaviren weit in der menschlichen Population ver-
breitet sind.

kPathogenese
Nach der meist asymptomatischen Primärinfektion persistieren
HPyV lebenslang in verschiedenen Organen wie Urogenital- oder
Verdauungstrakt, ZNS oder Zellen des hämatopoetischen Systems.
Aufgrund der geringen Replikationsrate kommt es bei gesunden
Personen selten zur Zellzerstörung, wodurch die Infektion symp-
tomlos bleibt.
Bei dauerhafter Immunsuppression hingegen kann es zur Reak-
Inzwischen sind mindestens 13 Humane Polyomaviren (HPyV) be- tivierung der Polyomaviren kommen und die virale Replikations-
kannt: rate in den Zielorganen gesteigert sein, wodurch es zur lytischen
4 BK- und JC-Polyomavirus (BKPyV und JCPyV) wurden bereits Infektion und organspezifischen Symptomen kommt. BKPyV und
in den 1970er Jahren entdeckt und können bei Immunsuppri- JCPyV persistieren bevorzugt in den Zellen des Urogenitaltrakts
mierten schwere Krankheitsbilder wie die hämorrhagische (Ausscheidung im Urin) bzw. ZNS.
Zystitis und die progressive multifokale Leukenzephalopathie BKPyV verursacht bei Reaktivierung v. a. die hämorrhagische
(PML, 7 Abschn. 69.2.2) auslösen. Zystitis oder eine Nephropathie mit massiver Virurie. Bei der PML,
4 Weitere humane Polyomaviren wurden erst jüngst entdeckt: einer schweren ZNS-Erkrankung, verursacht JCPyV eine lytische
MC, WU-, KI-, TS-, STL-, NP-Polyomavirus, HPyV-6, -7, -9, Infektion der myelinproduzierenden Oligodendroglia und Astro-
-10 und -12. Während für die meisten dieser »neuen« Polyo- zyten, die zu multifokale Demyelinisierungen im Gehirn und (sel-
maviren bislang keine klare Verbindung zu Krankheiten gezeigt ten) im Rückenmark führt.
werden konnte, ist das 2008 entdeckte Merkel-Zell-Polyoma-
virus (MCPyV) mit dem Merkel-Zell-Karzinom assoziiert, kKlinik, Diagnostik und Therapie JC-Polyomavirus-
in dem es mittels molekularbiologischen Methoden (»Tiefen- assoziierter Krankheitsbilder
sequenzierung«) identifiziert wurde. Klinik Das JC-Polyomavirus (JCPyV) ist der Erreger der progressi-
ven multifokalen Leuk(o)enzephalopathie (PML) des Menschen.
Das Affenpolyomavirus SV40 dient seit vielen Jahren als Modellsys- Diese tritt bei stark immunsupprimierten Patienten auf, z. B. bei
tem für die onkogene Transformation. Transplantatempfängern und v. a. bei AIDS-Patienten. Neuerdings
wird die PML vermehrt auch bei Patienten beschrieben, die mit be-
stimmten immunmodulatorischen/-suppressiven Medikamenten
69.2.1 Beschreibung behandelt werden (z. B. Natalizumab bei multipler Sklerose). Die
ersten klinisch-neurologischen Anzeichen einer PML sind Sprach-
jGenom und Morphologie
Virologie

störungen und Demenz. Lähmungen, Sensibilitätsstörungen und


Polyomaviren sind kleine, unbehüllte dsDNA-Viren (Genomlänge Rindenblindheit bestimmen das sonst variable, zum Tod führende
5 kbp) mit Ikosaederkapsid und 45 nm Durchmesser. Man unter- klinische Bild. Sehr selten kann JCPyV auch eine Nephropathie aus-
scheidet frühe regulatorische Proteine wie das große und das kleine lösen.
T-Antigen (»large and small T antigen«) von späten Strukturprotei-
nen (VP1, VP2 und VP3). Durch das Fehlen einer Hülle sind Polyo- Labordiagnose und Therapie Bei einer PML findet man in der MR-
maviren relativ umweltresistent. Bildgebung vor allem Läsionen in der weißen Substanz, meistens in
der Nähe des Kortex. Zur Diagnosestellung im Labor werden außer-
jEinteilung dem Hirnbiopsien oder Liquor mittels PCR untersucht. Im Gefolge
Die Virusfamilie der Polyomaviridae beinhaltet zurzeit mindestens einer HIV-Therapie (HAART) bessert sich auch die PML. Eine spe-
13 Humane Polyomaviren sowie verschiedene Tierpolyomaviren zifische Therapie gibt es nicht.
(z. B. Vogel-, Nager- und Affenpolyomaviren). Die Namensgebung
der humanen Polyomaviren erfolgt häufig nach den Initialen des
Patienten, bei dem das Virus zuerst isoliert wurde (z. B. BK-Polyo-
69.2 · Humane Polyomaviren (HPyV)
547 69
kKlinik, Diagnostik und Therapie BK-Polyomavirus-
assoziierter Krankheitsbilder In Kürze
Klinik Das BK-Polyomavirus (BKPyV) kann leichte respiratorische Papillomviren
Infekte oder eine Zystitis bei Kindern hervorrufen. Bei Immunsup- Virus Unbehüllt. Zirkuläres dsDNA-Genom. Ikosaederkapsid.
primierten, wie z. B. Stammzell- oder Organtransplantierten, ist die Mehr als 170 Typen humaner Papillomviren. Typisierung durch
BKPyV-assoziierte hämorrhagische Zystitis eine wichtige Kompli- Sequenzierung. Sehr umweltstabil.
kation. Klinisch kommt es zu Dysurie, makroskopischer Hämaturie Vorkommen und Übertragung Artspezifische Viren bei
und Koagulumbildung mit Obstruktion der Harnwege. Bei organ- Mensch und Tier. Weltweit. Übertragung durch Haut- oder
transplantierten Patienten, insbesondere nach Nierentransplanta- Sexualkontakt sowie im Geburtskanal.
tion, kennt man außerdem eine polyomavirusassoziierte Nephro- Epidemiologie Hohe Durchseuchung mit kutanen und genita-
pathie (PVAN), die sich durch lytische BKPyV-Infektion der Nie- len HPV-Typen. Genitale HPV-Infektionen junger Frauen sind in
renzellen mit Tubulusnekrosen auszeichnet und zum Verlust der der Mehrzahl transiente Infektionen. Zervixkarzinom ist welt-
Spenderniere führen kann. Selten kann das Virus eine subakute weit die dritthäufigste Krebsart der Frau. Über 99 % aller
Meningoenzephalitis hervorrufen. Zervixkarzinome enthalten Hochrisiko-HPV-Typen (HPV-16, -18
etc.). Assoziation kutaner HPV mit Hautkarzinomen möglich.
Labordiagnose und Therapie BKPyV wird v. a. von Immunsuppri- Pathogenese Gutartige Tumoren der Haut und des Genitalbe-
mierten mit dem Urin ausgeschieden. Mit PVAN oder hämorrhagi- reichs werden durch kutane HPV (Genus beta und gamma) bzw.
scher Zystitis geht häufig eine massive BK-Virurie oder auch BK- genitale Low-Risk-HPV-Typen (z. B. HPV-6 und -11) induziert.
Virämie einher. Die BKPyV-DNA bzw. die Viruslast lassen sich in Maligne Tumoren (z. B. Zervixkarzinom) sind eng mit High-Risk-
Urin oder Plasma durch PCR nachweisen. Zur Diagnose der Neph- HPV (Genus alpha) assoziiert und entwickeln sich über Vorstufen
ropathie werden außerdem Nierenbiopsien histopathologisch unter- (z. B. CIN I–III).
sucht. Polyomavirus-Antikörper lassen sich z. B. mittels ELISA- Klinik Hautwarzen (gemeine und flache Warzen, Plantarwar-
Technik feststellen. Da keine spezifische antivirale Therapie existiert, zen), rekurrierende Larynxpapillomatose, genitale Warzen (Con-
ist die Reduktion der immunsuppressiven Therapie und damit die dylomata acuminata), Epidermodysplasia verruciformis, Haut-
Erholung des Wirtsimmunsystems die einzige Interventionsmög- karzinome. Anogenitale Tumoren wie Zervix-, Vulva-, Penis-, und
lichkeit. Analkarzinom sowie deren Vorstufen.
Immunität Antikörperbildung gegen Kapside und Frühproteine
kKlinik, Diagnostik und Therapie weiterer humaner nach natürlicher Infektion bietet keinen Schutz vor Reinfektion;
Polyomaviren Immunität durch zytotoxische T-Lymphozyten.
Merkel-Zell-Polyomavirus Das Virus wurde 2008 in Biopsien des Labordiagnose Nukleinsäurenachweis, Hybridisierung. Typen-
Merkel-Zell-Karzinoms gefunden, eines seltenen hochaggressiven differenzierung mittels PCR.
Hauttumors mit der Neigung zu Lymphknoten- und Fernmetasta- Therapie Lokale Behandlung von Warzen oder Kondylomen
sen. Dieses Karzinom, das aus den Merkel-Zellen hervorgeht, tritt mittels Kryotherapie, 5’-Fluoruracil, Imiquimod, Salizylsäure
v. a. bei älteren und immunsupprimierten Menschen auf. Interes- o. Ä.; alternativ chirurgische Abtragung. Operative Entfernung
santerweise wurden in den Tumoren häufig eine Integration ins höhergradiger Dysplasien (Konisation), bei Karzinomen zusätz-
Wirtsgenom mit spezifischen Mutationen gefunden, die zur Repli- lich Bestrahlung und Chemotherapie.
kationsdefizienz des Virus führen, aber gleichzeitig die transformie- Prophylaxe Impfung mit (quadri- und bivalenten) HPV-Impf-
renden Eigenschaften des MCPyV-Large-T-Antigen erhalten. Ver- stoffen.
mutlich ist das MCPyV mit der Tumorentstehung assoziiert und
stellt damit ein weiteres humanes Tumorvirus dar. Polyomaviren
Virus Unbehüllte DNA-Viren mit zirkulärem Doppelstrangge-
Andere neue humane Polyomaviren Dank moderner molekularer nom. JC- und BK-Polyomavirus seit langem bekannt. Elf weitere
Techniken wurden in den letzten Jahren viele – bislang unbekannte humane Polyomaviren (u. a. KI-, WU-, Merkel-Zell-Polyomavirus)
– Humane Polyomaviren (HPyV) endtdeckt: neu entdeckt. Sehr umweltstabil.
4 KI- und WU-Polyomavirus wurden 2007 in Nasenabstrichen Vorkommen und Übertragung
von Kindern mit Atemwegsinfekten detektiert und sind ver- Weite Verbreitung. Tröpfchen- oder Schmierinfektion meist im
mutlich weltweit verbreit. Kindesalter. Hohe Durchseuchung.
4 HPyV-6, -7 wurden in Hautabstrichen gefunden, das Pathogenese Persistenz in verschiedenen Organen, bei Im-
TS-Polyomavirus in Läsionen der seltenen Hautkrankheit munschwäche Reaktivierung. JC-Polyomavirus: Erreger der pro-
Trichodysplasia spinulosa. gressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML, v. a. bei
4 HPyV-9 wurde zuerst im Serum eines nierentranplantierten AIDS-Patienten). BK-Polyomavirus: Ursache von hämorrhagi-
Patienten entdeckt. scher Zystitis und Nephropathie bei Transplantatempfängern.
4 HPyV-10 (entspricht vermutlich MWPyV bzw. MXPyV), Ausscheidung mit dem Urin. MCPyV: 2008 in Merkel-Zell-Karzi-
ST-Polyomavirus sowie HPyV-12 detektierte man im Gastro- nomen entdecktes, neues humanes Tumorvirus. Weitere humane
intestinaltrakt, das NJ-Polyomavirus in Muskelbiopsien. Polyomaviren: Vorkommen in verschiedenen Materialien.
Klinische Relevanz zurzeit noch unklar.
Viele dieser »neuen« HPyV finden sich ebenfalls in einer Reihe wei- Therapie Verbesserung der Wirtsimmunitätslage (Reduktion
terer diagnostischer Materialien (z. B. Hautabstrichen, Urin, Blut, der Immunsuppression, HAART bei AIDS-Patienten).
Stuhl, Liquor). Ihre klinische Bedeutung ist jedoch zurzeit noch un-
klar.
548 Kapitel 69 · Papillomviren und Polyomaviren

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Virologie
549 70

Adenoviren
A. Heim

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_70, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Alle Adenoviren sind unbehüllte DNA-Viren mit ca. 35 kb großem Ge- 70.1 Beschreibung
nom. Die über 70 Typen unterscheiden sich genetisch stark und verur-
sachen je nach Typ akute Erkältungskrankheiten, Pharyngitis, Konjunk- jMorphologie und Resistenz
tivitis, Keratokonjunktivitis, Gastroenteritis, hämorrhagische Zystitis, Der Durchmesser des Virions beträgt 80 nm. Das Ikosaederkapsid
Pneumonien, selten auch Meningitis und Enzephalitis. Adenoviren in- besteht aus 252 Untereinheiten (Kapsomeren). Hiervon zeigen 240
terferieren mit dem Angriff des Immunsystems auf infizierte Zellen eine 6-eckige Form; diese Hexone tragen das bei allen Adenoviren
und persistieren mehrere Jahre asymptomatisch in den Tonsillen vorkommende gruppenspezifische Antigen und eine typspezifische
(»Adenoiden«). Bei Immunsuppression können sie reaktiviert werden Neutralisationsdeterminante. Die 12 Kapsomere an den Vertices
und dann lebensbedrohlich disseminieren. (»Ecken«) sind 5-eckig (Pentone) und tragen jeweils eine »Fiber«.
Fibern und die Pentonbasisproteine binden an zelluläre Rezeptoren
Geschichte und besitzen spezies- und typenspezifische Antigene (7 Kap. 8). Das
Als 1953 für die Polioforschung Zellkulturen aus explantiertem adenoiden unbehüllte DNA-Virus ist ether- und umweltstabil, aber empfindlich
Gewebe von gesunden Kindern angelegt wurden, beobachtete man, dass gegenüber mäßigem Erhitzen (60 °C).
einige dieser Zellkulturen Wochen oder Monate nach ihrer sterilen Kultivie-
rung plötzlich »degenerierten«, d. h. einen für Virusreplikation typischen zy- jEinteilung
topathischen Effekt zeigten und schließlich abstarben. Zuerst wurde der Adenoviren des Menschen gehören zum Genus Mastadenovirus, sie
Begriff »adenoid degenerating agens« geprägt, bis die so gewonnenen Vi- werden nach phylogenetischen Kriterien in die Spezies A–G einge-
rusisolate 1956 die Bezeichnung »Adenoviren« erhielten. Damit war erstmals
teilt und genauer als 70 Typen differenziert (. Tab. 70.1).
beobachtet worden, dass Viren in Menschen (und aus menschlichem Gewe-
Die meisten Adenovirustypen agglutinieren durch ihre Fibern
be abgeleiteten Zellkulturen) lange Zeit asymptomatisch persistieren kön-
nen. Dafür wurde der Begriff »Latenz« geprägt, der heute aber fast aus- Erythrozyten bestimmter Tierspezies. Die Hämagglutinationsinhi-
schließlich bei Herpesviren verwendet wird. Das später entdeckte Adenovi- bition diente früher wie die Neutralisation (Referenzmethode) zur
rus Typ 12 war das erste humanpathogene Virus, für das man Onkogenität Typisierung. Heute wird meist die Sequenzierung der Neutralisa-
beim Versuchstier nachweisen konnte. Eine ursächliche Beteiligung von tionsdeterminante des Hexons zur Typisierung verwendet.
Adenoviren bei menschlichen Neoplasien ist bis heute nicht gesichert. Von den 70 Typen wurden die Typen 1–51 durch Neutralisation
als Serotypen definiert, die neueren Typen aufgrund genomischer
Steckbrief Kriterien. Die meisten dieser neuen Adenovirustypen sind durch
multiple Rekombination aus den bereits bekannten Typen entstan-
Doppelstrang-DNA-Genom von ca. 35 kb, ikosaedrisches Kapsid den und manche dieser Typen lassen sich nur durch genomische
(Durchmesser ca. 80 nm) mit charakteristischen hervorstehen- Komplettsequenzierung (!) typisieren, da sie die gleiche Neutralisa-
den Fiberproteinen an den Vertices, > 70 genetisch sehr ver- tionsdeterminante wie ältere Serotypen besitzen.
schiedene Typen (eingeteilt in 7 humanpathogene Spezies A–G)
mit unterschiedlicher klinischer Bedeutung. Da die Typnum-
mern historisch in der Reihenfolge der Entdeckung vergeben . Tab. 70.1 Einteilung der Adenoviren nach phylogenetischen
Kriterien in Spezies und Typen. Die Typen 1–8 und 40–41 stellen
wurden, genetisch und meist auch pathogenetisch ähnliche
90 % aller Isolate
Adenovirustypen aber der gleichen Spezies angehören, ist Tab.
70.1 nach den Adenovirusspezies gegliedert.
Spezies Typ(en)

A 12, 18, 31, 61

B 3, 7, 11, 14, 16, 21, 34, 35, 50, 55, 66, 68

C 1, 2, 5, 6, 57

D 8–10, 13, 15, 17, 19, 20, 22–30, 32, 33, 36–39, 42–49,
51, 53, 54, 56, 58–60, 62–65, 67, 69–71

E 4

F 40, 41

G 52
550 Kapitel 70 · Adenoviren

70.2 Rolle als Krankheitserreger kKlinik


Die Inkubationsperiode beträgt 10 (2–15) Tage. Adenoviren verur-
kVorkommen sachen eine Vielfalt von Krankheitsbildern (. Tab. 70.2), v. a. bei
Adenoviren kommen bei Mensch und Tier vor, sie sind jedoch Kindern. Die Symptomatik ist zwar im Wesentlichen, aber nicht
streng speziesspezifisch. streng typgebunden.

kEpidemiologie Akute fieberhafte Pharyngitis Sie wird vorzugsweise bei Kindern


Im Alter von 5 Jahren haben viele Kinder mindestens eine Adeno- beobachtet. Die Symptome sind Husten, verstopfte Nase, entzünde-
virusinfektion durchgemacht. Etwa 50 % der Infektionen im Kindes- ter Rachen und geschwollene Zervikallymphknoten. Der Tonsillen-
alter verlaufen inapparent. befund ähnelt oft der Streptokokkenangina. Adenoviren der Spe-
zies B und C (meist Typen 1, 2, 3, 5, 6 und 7) sind für diese meist
kÜbertragung sporadischen Infektionen verantwortlich.
Adenoviren werden von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfek-
tion v. a. in der kalten Jahreszeit, aber auch durch Stuhl, Augense- Akutes respiratorisches Syndrom Dieses ist durch Fieber, Pharyn-
krete und Urin (Schmutz- und Schmierinfektion) übertragen. gitis, Bronchitis, Husten, Krankheitsgefühl und Lymphadenitis colli
Infektionsquelle ist der akut Erkrankte und in weitaus geringe- charakterisiert. Es tritt in epidemischer Form bei Adoleszenten auf.
rem Maße der persistent infizierte Gesunde. Akut Erkrankte schei- Man findet vorwiegend die Typen 3, 4, 7, und 14 (Spezies B und E).
den das Virus in großen Mengen aus, persistent Infizierte nur fluk- Die Erkrankungen sind meist gutartig und bleiben auf die oberen
tuierend und in geringen Mengen in Speichel und Stuhl. Luftwege beschränkt, können sich aber bis zur lebensbedrohlichen
Einige Typen der Adenoviren treten in hohen Konzentrationen interstitiellen Viruspneumonie steigern. Bei Soldaten in den USA
im Stuhl auf, z. B. die typischen Gastroenteritiserreger der Spezies F wurde wiederholt ein lebensbedrohliches »acute respiratory distress
(Typen 40 und 41, 7 Kap. 65). syndrome, ARDS« beobachtet. In den USA ist 2007 erstmals auch
Gefürchtet sind bei Augenärzten, in Augenkliniken und bei Be- eine hochvirulente Variante von Typ 14 (14p1) aufgetreten, die
triebsärzten nosokomiale Epidemien insbesondere mit den Kerato- (Broncho-)Pneumonien und ARDS auch außerhalb der militäri-
konjunktivitistypen 8, 19a (nach neuerer Taxonomie: 64) 37, 53 schen Risikogruppe hervorruft.
und 54. Die Assoziation von Typ 56 mit Keratokonjunktivitis ist
ebenfalls beschrieben, aber bislang nicht bestätigt worden. Die In- Pharyngokonjunktivalfieber Dieses tritt epidemisch in Schulen
fektionen breiten sich schnell aus, wenn z. B. Tropfpipetten mehr- und Kindergärten meist durch Infektion mit Adenoviren der Spe-
fach benutzt werden. In Augenkliniken sind ungenügend sterilisier- zies B auf. Die Symptome sind Pharyngitis, Fieber und allgemeines
te Geräte, z. B. Tensiometer, eine weitere Ansteckungsquelle, auch Krankheitsgefühl. Bei den Typen 3 und 7 (sowie weiteren) steht als
der »untersuchende Finger« und die Schmierinfektion, die vom Pa- charakteristisches Symptom eine follikuläre Konjunktivitis im Vor-
tienten, der am schmerzenden Auge reibt, ausgeht. dergrund. Die Infektion erfolgt in diesen Fällen häufig in Schwimm-
bädern durch nichtgechlortes Wasser (»Schwimmbadkonjunktivi-
kPathogenese tis« – differenzialdiagnostisch ist an die ebenfalls Schwimmbadkon-
Eintrittspforten sind der Nasen-Rachen-Raum und die Konjunk- junktivitis genannte Chlamydieninfektion zu denken). Selten ist eine
tiven. Adenoviren replizieren vorwiegend auf den Schleimhäuten chronisch papilläre Konjunktivitis, die persistierend Adenovirus
der Luftwege (Nase, Rachen, Larynx, Konjunktiven, Bronchien) enthält.
bzw. des Gastrointestinaltrakts, der Harnblase und in zugehörigen
Lymphknoten. Zur Infektion innerer Organe (z. B. Leber, Niere, Keratoconjunctivitis epidemica Die Typen 8, 19a (neue Taxono-
Pankreas, Lunge, Meningen, Gehirn) kommt es meist nur bei Im- mie: 64), 37, 53, 54 der Spezies D nehmen eine Sonderstellung ein:
munsuppression. Nach einer Inkubationsperiode von 8–10 Tagen verursachen sie eine
Adenoviren der Spezies C können über mehrere Jahre in den Keratokonjunktivitis. Die Schmerzhaftigkeit dieser adenovirusbe-
Tonsillen und anderen lymphatischen Geweben des Respirations- dingten Erkrankung ist ein differenzialdiagnostisches Merkmal: Die
und Gastrointestinaltrakts persistieren (meist bei Kindern), einige Herpesvirus-Keratitis verläuft demgegenüber schmerzlos. Im Ver-
Adenovirustypen der Spezies B auch im Urogenitaltrakt (meist bei lauf der Entzündung treten Hornhauttrübungen auf, die trotz ihrer
Erwachsenen), ohne Symptome zu verursachen und zeitweise auch längeren Dauer gutartig sind. Typisch für dieses Krankheitsbild ist
ohne Virusausscheidung. Diese persistierende Infektion (manch- die Schwellung der präaurikulären Lymphknoten. Die Keratocon-
mal auch »latente Infektion genannt, obwohl sie im Gegensatz zur junctivitis epidemica trat früher häufig bei Werft- und Metallarbei-
Virologie

Herpesvirus-Latenz gelegentlich mit Virusausscheidung« einher- tern auf (»shipyard eye«), heute meist epidemisch als nosokomiale
geht und nicht lebenslang besteht) bleibt trotz der Anwesenheit von Infektion in Augenkliniken etc. (. Abb. 70.1).
humoralen Antikörpern und CTL bestehen, da Adenoviren über
Mechanismen zur Herunterregulierung von MHC-Klasse-I-Antige- Disseminierte Infektionen Diese lebensbedrohlichen Infektionen
nen auf der Zellmembran der infizierten Zelle verfügen. Bei persis- (Letalität 20–50 %) werden nur bei Immundefekten beobachtet. Am
tierender Infektion lassen sich geringe Mengen adenoviraler DNA häufigsten sind sie bei Kindern nach allogener Stammzell- bzw. Kno-
auch in Blutlymphozyten nachweisen. chenmarktransplantation. Etwa 5 % der pädiatrischen KMT-Patien-
Persistierende Adenovirusinfektionen reaktivieren unter Im- ten versterben an Adenovirusinfektionen. Typisch sind hohe Virus-
munsuppression. Am häufigsten wird dies nach Knochenmarktrans- konzentrationen im Blut (> 1 Mio., oft > 1 Mrd. Adenovirusgenome
plantation (KMT) beobachtet, seltener nach Organtransplantation, pro ml) und eine sepsisartige Symptomatik mit Multiorganversagen
in Einzelfällen sogar im Verlauf der Masern. (Gastroenteritis, Pneumonie, Meningoenzephalitis, Hepatitis, Myo-
karditis), z. T. werden auch Exantheme beobachtet. Meist werden
Adenoviren der Spezies C (Typen 1, 2, 5) nachgewiesen, bei Kindern
auch Typ 31 (Spezies A).
70.2 · Rolle als Krankheitserreger
551 70

. Tab. 70.2 Krankheiten durch Adenoviren

Krankheit Altersgruppe Häufige Typen Seltene Typen Nachweis


(der Spezies)

Respirationstraktinfekte

Pharyngitis junge Kinder 1, 2, 5 (C) 3, 7 (B) 4 (E), 6 (C), 11, 21 (B) Rachen

Akutes respiratorisches Syndrom (ARDS) Jugendliche 4 (E), 7, 14p1 (B) 3, 14, 21 (B) Rachen, BAL

Pneumonie Jugendliche 4 (E), 7, 14p1 (B) 21 (B) Rachen, BAL

junge Kinder 3, 7 (B) 1, 2, 5 (C), 4 (E), 21 (B) Rachen, BAL

Augeninfekte

Pharyngokonjunktivalfieber Kinder 3, 7 (B) 1 (C), 11, 14, 16 (B), 4 (E) 19, 37 (D) Rachen, Auge

Epidemische Keratokonjunktivitis alle Altersstufen 8, 19a (= 64), 37, 3, 7, 21 (B), 4 (E), 56 (D) Auge
53, 54 (D)

Genital-/Urogenitalinfekte

Zervizitis Erwachsene 2 (C), 37 (D) 1, 5 (C), 7, 11 (B), 18, 19 (D) Genitalsekrete

Urethritis Erwachsene 37 (D)

Hämorrhagische Zystitis junge Kinder und immun- 7, 11 (B) 21, 35 (B) Urin
supprimierte Erwachsene

Enteritische Infekte

Gastroenteritis junge Kinder 40, 41 (F) 12, 31 (A), 1, 2, 5 (C) Stuhl

Infekte bei Immundefekten

Enzephalitis/Meningitis* alle Altersstufen 11, 34, 35 (B) 7 (B), 12 (A) Liquor

Pneumonie v. a. bei AIDS alle Typen Lunge

Gastroenteritis v. a. bei AIDS 43–47 (D) Stuhl

Dissemination alle Altersstufen, v. a. bei 1, 2, 5 (C), 31 (A) 6 (C), 11 (B), 12 (A), 34, 35 (B) Blut
Kindern

Die Typen 19 und 37 werden auch genital übertragen. Mit dem Urin ausgeschieden werden u. a. die Typen 3, 7, 11 und 14.
* Meningoenzephalitiden sind selten.

Otitis media Als Folge einer Adenovirusinfektion kann es schließ- Hämorrhagische Zystitis Eine hämorrhagische Zystitis (Typen 11,
lich auch zu einer Otitis media kommen. Auch hier gilt, dass Viren 34, 35 der Spezies B) tritt gehäuft bei Immunsuppression auf. Ade-
die Wegbereiter einer bakteriellen Superinfektion sind. noviren kommen auch als Erreger einer Urethritis und einer Zervi-
zitis (Typen 19, 37) vor.
Meningitis Eine Meningitis durch Adenoviren (Typen 3, 4, 7, 12) ist
selten. Mesenterialadenitis Sie täuscht eine Appendizitis vor. Adenoviren
der Typen 1, 2, 3 und 5 können bei Kindern Invaginationen des
Darms hervorrufen.

Gastroenteritis Eine akute Gastroenteritis wird meist bei Kleinkin-


dern ausgelöst durch die Typen 40 und 41 (Spezies F), bei älteren
Kindern vor allem durch die Typen 12, 18 und 31 der Spezies A.
Auch bei den Infektionen des oberen Respirationstrakts mit Adeno-
viren der Spezies C (Typen 1, 2, 5 und 6) kommt es gelegentlich zu
einer Gastroenteritis 7 Kap. 65.

Myokarditis Sie wird gelegentlich bei Kindern beobachtet, der Ade-


novirus-DNA-Nachweis in Myokardbiopsien bei dilatativer Myo-
karditis ist umstritten, weil er auch durch latente Infektionen bedingt
sein kann.

. Abb. 70.1 Keratoconjunctivitis epidemica durch Adenoviren (mit freundl. Tumoren Bei Glioblastomen und akuten Leukämien des Kindesal-
Genehmigung von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz) ters gibt es Berichte über eine mögliche ätiologische Beteiligung von
552 Kapitel 70 · Adenoviren

Adenoviren, die aber noch nicht allgemein akzeptiert sind und


durch weitere Studien bestätigt werden müssen. In Kürze
Adenoviren
kImmunität Virus dsDNA-Viren in Ikosaederkapsid mit Fibern an den
Adenovirusinfektionen verursachen eine relativ dauerhafte Immu- 12 Pentonen an den Eckpositionen; 240 Hexone; 70 Typen.
nität. Kinder zeigen wegen der geringen Anzahl der vorausgehenden CPE in menschlichen Zellen.
Infekte nur wenig typspezifische Immunität und auch nur wenige Vorkommen Bei vielen Tierspezies und beim Menschen, streng
Kreuzreaktionen. Es bilden sich neutralisierende und nichtneutrali- artspezifisch.
sierende Antikörper, Monozyten und NK-Zellen werden aktiviert Epidemiologie Weit verbreitet, frühzeitige Durchseuchung.
und CD4-positive zytotoxische Lymphozyten (CTL) entstehen. Übertragung Tröpfcheninfektion, Schmier-, Nosokomial-
infektion. Das Virus ist relativ stabil.
kLabordiagnose Pathogenese Akute Erkrankung durch primären Zellschaden.
Die PCR kann den direkten Virusnachweis bei allen Adenovirusin- Manche Adenoviren persistieren latent über Jahre in den Ton-
fektionen (je nach Erkrankung aus Rachenspülwasser, Konjunktival- sillen ohne Erkrankung.
sekret, Urin oder Stuhl) sehr viel schneller erbringen als die Virus- Klinik 2- bis 15-tägige Inkubationsperiode: Fieberhafte Pharyn-
isolierung auf Zellkulturen, die PCR ist deshalb heute vorzuziehen. gitis, Pharyngokonjunktivalfieber, akutes respiratorisches Syn-
Bei einer sensitiven PCR kann es zu diagnostisch irreführenden, drom, schmerzhafte Keratokonjunktivitis, Meningitis, Pneumo-
scheinbar falsch positiven Ergebnissen durch geringe Adenovirus- nie etc., lebensbedrohlich bei Immundefekten (disseminierte
DNA-Mengen bei Viruspersistenz (»Latenz«) kommen, was sich Infektion).
aber durch quantitative PCR differenzieren lässt. Immunität Relativ dauerhaft, weitgehend typspezifisch. IgG,
Für die Diagnostik der disseminierten Infektion bei immun- IgA, CTL (zytotoxische antivirale T-Effektorzellen).
spprimierten Patienten ist die Untersuchung von Blutproben durch Labordiagnose PCR, Virusisolierung in einigen Labors, quanti-
quantitative PCR vorteilhaft (»Viruslast«), zuvor ist oft schon eine tative PCR insbesondere zur Messung der »Viruslast« bei immun-
hohe Viruslast im Stuhl nachweisbar. Die Typisierung von Adenovi- supprimierten Patienten, Sequenzierung zur Typendifferenzie-
rusisolaten erfolgt heute auch durch PCR und Sequenzierung, früher rung (früher auch Neutralisationstest), Antikörpernachweis
durch Neutralisationstests mit typspezifischen Antiseren. mittels KBR oder ELISA (IgG/IgM) hat nur geringe diagnostische
Bei Gastroenteritisverdacht kann ein Antigen-ELISA eingesetzt Bedeutung.
werden, dessen Sensitivität und Spezifität aber nicht ganz befriedi- Therapie Allgemein keine spezifische Therapie. Bei generali-
gend ist (7 Kap. 65). sierten Infektionen (Immunsupprimierte!); Versuch mit Cido-
Adenovirusspezifische Antikörper lassen sich mit der KBR fovir, evtl. Ribavirin.
oder IgM-/IgG-ELISA nachweisen, die diagnostische Bedeutung der Prävention Verhütung von nosokomialen Infektionen sowie
Serologie ist aber gering. Infektionen in Schwimmbädern und z. B. Kasernen. Impfstoff
nicht verfügbar.
kTherapie Meldepflicht Erregernachweis bei epidemischer Kerato-
Eine durch kontrollierte klinische Studien etablierte antivirale The- konjunktivitis.
rapie gibt es nicht. Bei beginnenden disseminierten Infektionen (alle
Typen) ist ein Therapieversuch mit Cidofovir möglich. Ribavirin ist
nicht gegen alle Typen aktiv.

kPrävention
Allgemeine Maßnahmen Schmutz- und Schmierinfektionen lassen
sich durch Allgemeinhygiene reduzieren. In Schwimmbädern ver-
hindert Chlorierung des Wassers lokale Epidemien. In Augen- und
Kinderkliniken sind strengste Hygiene einzuhalten und zumindest
bei Ausbrüchen viruzide Desinfektionsmittel zu verwenden.

Vakzination Zur Verhütung der akuten Atemwegerkrankungen


wurde in den USA nur für Soldaten ein nichtattenuierter (!) Lebend-
Virologie

impfstoff entwickelt (Adenovirustypen 4 und 7). Man appliziert


ihn in Gelatinekapseln, wodurch ein Angehen der Infektion im
Nasen-Rachen-Raum verhindert wird, im Gastrointestinaltrakt rep-
lizieren die Viren und stimulieren dort eine typspezifische Immuni-
tät.

Meldepflicht Erregernachweis bei epidemischer Keratokonjunk-


tivitis.
553 71

Herpesviren
B. Sodeik, M. Messerle, T. F. Schulz

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_71, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Beim Menschen sind 9 Vertreter aus der Familie der Herpesviren be- 4 Die Sofortproteine werden unmittelbar nach Beginn des
kannt. Gemeinsam ist ihnen die Fähigkeit, in besonderen Zielzellen in lytischen Replikationszyklus gebildet und haben Regulations-
den Zustand einer lebenslangen Latenz zu treten, aus der sie durch funktionen.
unterschiedliche externe und interne Stimuli reaktiviert werden. 4 Die Frühproteine sind zumeist Enzyme der DNA-Synthese
Auf diese Weise persistieren alle Herpesviren trotz der Anwesenheit (DNA-Polymerase, Thymidinkinase, Ribonukleotidreduktase
neutralisierender Antikörper und zytotoxischer Gedächtniszellen etc.).
lebenslang. 4 Spätproteine werden erst spät in der Infektion synthetisiert
Sowohl Primärinfektionen als auch Reaktivierungen verursachen eine und dienen vorzugsweise als Strukturproteine der Viren.
Vielzahl von Symptomen und Krankheiten, einschließlich, im Fall von
2 Mitgliedern dieser Familie, maligne Erkrankungen (als Ergebnis einer jMorphologie und Stabilität
latenten Infektion). Die Infektionsfolgen bei Immunsuppression (Trans- Herpesviren verpacken ihr DNA-Genom in einem Ikosaederkapsid.
plantation, Krebstherapie, angeborene Immundefekte, AIDS) sind ge- Dieses ist von einer lipidhaltigen Hülle umgeben, die viele verschie-
fürchtet und oft lebensbedrohlich. Bisher gibt es nur gegen die Wind- dene virale Glykoproteine (Spikes) trägt. Zwischen Hülle und Kapsid
pocken einen Lebendimpfstoff. Akute Infektionen oder Reaktivierun- befindet sich das Tegument, das regulatorische und für den intrazel-
gen einiger Herpesviren lassen sich mit antiviralen Medikamenten be- lulären Transport der viralen Kapside wichtige Proteine enthält und
handeln. ein typisches Strukturmerkmal aller Herpesviren ist. Die Viren der
Herpesgruppe sind in der Außenwelt relativ stabil, aber empfindlich
gegen Lipidlösungsmittel.
Steckbrief
jReplikation
Die behüllten Herpesviren treten über die Fusion mit einer Wirts-
membran in die Zellen ein. Dadurch gelangen die Kapside ins Zyto-
sol und werden zu den Kernporen transportiert, wo sie ihr Genom
für die virale Transkription und Replikation in das Nukleoplasma
freisetzen. Neu synthetisierte virale Genome werden im Zellkern in
ebenfalls neu synthetisierte Kapsidvorläufer verpackt. Diese Kapside
verlassen den Zellkern durch eine primäre Umhüllung an der inne-
ren Kernmembran (. Abb. 52.2). Diese erste, vorläufige Virushülle
wird durch Fusion mit der äußeren Kernmembran wieder entfernt.
Die zytosolischen Kapside werden zu Wirtsorganellen transpor-
tiert, wo sie zusammen mit dem Tegument bei der zweiten Umhül-
lung von einer Doppelmembran umschlossen werden. Die innere
Membran dieser Doppelmembran wird zur endgültigen Virushülle,
während die äußere mit der Plasmamembran verschmilzt, wodurch
die Virionen aus der Zelle freigesetzt werden.
Viele Struktur- und Nichtstrukturproteine der Herpesviren lö-
sen spezifische humorale und zelluläre Immunreaktionen aus. An-
jGenom dererseits kodieren alle Herpesviren viele Proteine, welche die Im-
Die linearen Doppelstrang-DNA-Genome der Herpesviren sind mit munantworten des Wirtes verhindern, reduzieren oder neutralisie-
125–235 kbp sehr groß. Sie kodieren, je nach Virus, etwa 90–200 Pro- ren (Immunevasion), z. B. durch Hemmung der Präsentation von
teine. Während der Latenz liegen die Herpesvirusgenome in der Peptiden durch den MHC-Komplex, durch Sezernierung von Prote-
Regel episomal (d. h. als zirkuläre, extrachromosomale DNA) im inen mit Zytokineigenschaften oder durch Hemmung spezifischer
Zellkern vor und nur sehr wenige virale Gene werden exprimiert. Interaktionen zwischen den verschieden spezialisierten Immun-
Die Funktion der während der Latenz gebildeten viralen RNA und zellen.
Proteine besteht darin, das latente Genom in der Zelle zu erhalten.
Um neue Viruspartikel zu bilden, benutzen Herpesviren den jEinteilung
»produktiven« oder »lytischen« Replikationszyklus, bei dem die . Tab. 71.1 zeigt die Systematik der humanpathogenen Herpesviren.
Zelle zugrunde geht. Die Synthese der während der »lytischen«
Infektion gebildeten Proteine erfolgt in einer 3-stufigen Kaskade
(7 Kap. 53):
554 Kapitel 71 · Herpesviren

71.1.2 Rolle als Krankheitserreger


. Tab. 71.1 Einteilung humanpathogener Herpesviren
kEpidemiologie
Gruppe Vertreter Systematische
Nomenklatur
Die weltweit verbreiteten HSV-1 und HSV-2 kommen nur beim
Menschen vor. Die Durchseuchung mit HSV-1 beginnt im Kindes-
α-Herpesviren Herpes-simplex-Virus Typ 1 HHV-1 und 2 alter und erreicht weltweit > 90 % bei Erwachsenen. Hingegen ist die
und 2 (HSV-1, HSV-2; Humanes Prävalenz von HSV-2 niedriger und abhängig von sozioökonomi-
Herpesvirus 1 und 2) schen Lebensbedingungen; als vorwiegend sexuell übertragenes
Virus ist seine Prävalenz bei Personen mit häufig wechselnden Ge-
Varicella-Zoster-Virus (VZV) HHV-3
schlechtspartnern höher als in der Allgemeinbevölkerung.
β-Herpesviren Zytomegalievirus (CMV) HHV-5

Humanes Herpesvirus 6 HHV-6A,


kÜbertragung
HHV-6B Die Kontagiosität ist nicht sehr hoch. HSV-1 wird vorwiegend durch
Speichel über engen Schleimhaut- oder Hautkontakt übertragen:
Humanes Herpesvirus 7 HHV-7
von Mund zu Mund (Küssen), über ein Vehikel (z. B. Finger, gemein-
γ-Herpesviren Epstein-Barr-Virus (EBV) HHV-4 sam benutztes Essbesteck); weiterhin durch Geschlechtsverkehr so-
wie während der Geburt. Bei HSV-2 spielt die sexuelle Übertragung
Kaposi-Sarkom-Herpesvirus HHV-8
(KSHV) und die Übertragung unter der Geburt die größere Rolle.
Noch nicht vollständig eingetrocknete »Fieberbläschen« im
Rahmen eines HSV-Rezidivs (7 s. u.) stellen eine wichtige Quelle
von infektiösem Virus dar. Auch Personen ohne Symptome können
Zytopathischer Effekt (CPE) der Herpesviren
HSV-1 im Speichel ausscheiden. Bei einer Primärinfektion, die
Die Tatsache, dass Herpesviren ihre neuen Kapside im Kern der infizierten
Zelle neu bilden, äußert sich in nukleären Einschlusskörperchen, die in Zell-
in den meisten Fällen ohne klinische Symptome verläuft, wird das
kultur, und manchmal auch in vivo im Patienten, in infizierten Zellen beob- Virus etwa 3 Wochen lang in Speichel, Stuhl oder Genitalsekreten
achtet werden. Beim Zytomegalievirus (CMV) können die nukleären Ein- ausgeschieden. 10–15 % aller Menschen älter als 6 Jahre scheiden
schlusskörperchen als »Eulenaugen« imponieren – die damit verbundene während ihres Lebens HSV für kürzere oder längere Zeit in Speichel,
Morphologie und Vergrößerung der Zellen hat CMV seinen Namen gegeben. Tränenflüssigkeit oder Genitalsekret aus.
Andere Manifestationen des zytopathischen Effekts sind Zellabkugelung HSV-2 (sowie HSV-1) kann unter oder kurz nach der Geburt
und Zellfusion. von der Mutter auf das Neugeborene übertragen werden. Dies gilt
auch für Mütter ohne offensichtliche Symptome eines HSV-Rezi-
divs.
71.1 Herpes-simplex-Virus (HSV-1, HSV-2)
kPathogenese
Steckbrief Etablierung der latenten Infektion Nach der Aufnahme über die
verletzte Haut oder Schleimhaut und einer lokalen Replikation in
HSV-1, auch als »orales« Herpes-simplex-Virus bezeichnet, findet Keratinozyten und Epithelzellen treten die Viren in die sensorischen
sich meistens, aber nicht ausschließlich, in der Mundhöhle Nervenendigungen des zuständigen Dermatoms ein. Über den axo-
und infiziert weltweit mehr als 90 % aller Erwachsenen. HSV-2, nalen Transport gelangen die Kapside innerhalb von 1–2 Tagen im
das »genitale« Herpes-simplex-Virus, findet sich vorwiegend Falle einer oralen Infektion meist in die Trigeminusganglien und bei
im Genitalbereich, ist aber, je nach sozioökonomischen Lebens- einer genitalen Infektion in die Lumbosakralganglien. Dort vermeh-
bedingungen, sehr viel seltener als HSV-1. ren sich die Viren etwa 6–8 Tage lang, werden aber nicht eliminiert.
Die Infektion mit HSV-1 verläuft in 90–95 % inapparent und Vielmehr persistieren die viralen DNA-Genome lebenslang im Zell-
bleibt das ganze Leben über als latente Infektion bestehen. kern der Nervenzellen als extrachromosomale Episomen, wobei nur
Aus dieser Situation entwickeln sich wiederholt kurz dauernde das Gen für die »latency-associated transcripts« (LAT) transkribiert
Exazerbationen, meistens als bläschenförmige, harmlose Haut- wird. Damit hat sich das Stadium der Latenz herausgebildet, in dem
eruptionen: Herpes recidivans. In Einzelfällen verursachen keine infektiösen Viren nachweisbar sind (. Abb. 71.1).
HSV-1 und HSV-2 aber lebensbedrohliche Krankheiten (Enze-
phalitis, Herpes neonatorum), sei es als direkte Folge einer Reaktivierung Nach einer Reaktivierung werden in einigen Neuro-
Virologie

Primärinfektion (Primärerkrankung) oder als Rezidiv, besonders nen der Spinalganglien HSV-Partikel neu gebildet. Diese wandern
bei Immunsuppression (Transplantation, AIDS). über die Axone zurück zur Peripherie. Das Virus verlässt die Ner-
venendigungen und wird wieder in Keratinozyten und Epithelzellen
vermehrt. Treten bei der Reaktivierung einer persistenten HSV-In-
fektion klinische Symptome auf, so spricht man von Rekurrenz oder
71.1.1 Herpes-simplex-Virus Rezidiv (. Abb. 71.1).

jMorphologie und Genom kImmunität


Wie alle Herpesviren haben die Kapside von HSV-1 und HSV-2 die Im Verlauf einer primären HSV-Infektion entstehen zunächst weni-
Form eines Ikosaeders, welches das Genom einschließt, eine amor- ge Tage nach der Erkrankung IgM-Antikörper. Es folgen neutralisie-
phe Schicht aus Tegumentproteinen und eine Virushülle mit vielen rende und komplementbindende Antikörper der Klasse IgG sowie
Glykoproteinen (7 Steckbrief). Die Genome von HSV-1 und HSV-2 IgA-Antikörper. Die IgG-Antikörper lassen sich lebenslang nach-
umfassen je 152 kbp, werden in eine kurze Untereinheit US und eine weisen. Ihr Titer im Serum ist weitgehend stabil. Vermutlich wird
lange UL unterteilt und sind zu etwa 85 % homolog. das Immunsystem durch Reaktivierung des Virus wiederholt ge-
71.1 · Herpes-simplex-Virus (HSV-1, HSV-2)
555 71

(LAT+)

Primär- Rekurrenz/Rezidiv
infektion

. Abb. 71.1 Verlauf einer HSV-Infektion: Primärinfektion, Rezidive

boostet. IgM-Antikörper können auch während eines Rezidivs auf- Schleimhaut stark juckende Papeln, die sich schnell zu prallen
treten. 1–3 mm großen Bläschen entwickeln, platzen und entweder unter
Sobald das Virus beim Eintritt in den Epithelzellen repliziert, Krustenbildung abheilen oder sich sogar zu Geschwüren entwickeln.
induziert es Fusionen zwischen benachbarten Zellen und breitet sich Betroffen ist v. a. die Nasolabialregion (Herpes labialis, Herpes faci-
über Zellkontakte aus. Antigenbeladene dendritische Zellen in der alis; . Abb. 71.3).
Haut wandern in ableitende Lymphorgane und führen dort zur Dif- Herpes genitalis ist Ausdruck der Primärinfektion mit oder der
ferenzierung von CD4-Zellen zu TH1- und TH2-Effektorzellen und Reaktivierung von meistens HSV-2 (70 %) oder seltener HSV-1 bei
zur Induktion von T-Gedächtniszellen. Die hier relevanten antigen- Jugendlichen und Erwachsenen. Als eine der häufigsten sexuell
präsentierenden Zellen sind vor allem dendritische Zellen der Haut. übertragenen Infektionen führt er zur Entzündung des weiblichen
Zur Expansion HSV-spezifischer zytotoxischer T-Zellen werden Genitales einschließlich der Zervix (Vulvovaginitis herpetica). Er
HSV-spezifische CD4-Helferzellen benötigt. Während der Latenz geht mit weißen, scharf abgegrenzten plaqueartigen Herden einher,
sind in den sensorischen Ganglien HSV-spezifische T-Zellen nach- die an Aphthen erinnern. Auch am Penis gibt es Bläschenbildungen.
weisbar, die mit infizierten Nervenzellen in direktem Kontakt ste- Nur 20–40 % aller genitalen HSV-2-Primärinfektionen sind appa-
hen, diese aber nicht abtöten. rent. Herpes genitalis ist, wie auch andere Genitalinfektionen, ein
starker Risikofaktor für die sexuelle HIV-Übertragung: HIV findet
kKlinik in HSV-induzierten Läsionen eine durchbrochene Schleimhautbar-
Grundsätzlich wird zwischen Primärerkrankungen und Rezidiven riere und eine entzündliche Umgebung vor, die dann eine Infektion
unterschieden. Die Inkubationsperiode beträgt bei der Primärinfek- mit HIV begünstigen.
tion 2–12, im Mittel etwa 6 Tage. Ein Großteil der Primärerkrankun-
gen durch HSV sind Kinderkrankheiten. Eczema herpeticum Bei Patienten mit atopischem Ekzem können
Fieberhafte Infekte, Sonnenbrand, Röntgenbestrahlung, Men- sich die sonst lokal verbleibenden Herpeseffloreszenzen sowohl
struation, akute Gastritis sowie insbesondere Immunsuppression nach Primärinfektion wie auch nach Reaktivierung auf ausgedehnte
(AIDS, Transplantation) können Rezidive auslösen. Die Bezeich-
nung »Schreckblase« deutet auf eine mögliche Auslösung einer Exa-
zerbation durch psychische Einwirkungen und Stress hin. Bei einem
Großteil der HSV-bedingten Erkrankungen dominiert die Bläs-
chenbildung auf der Haut und den Schleimhäuten. Daneben gibt es
aber auch schwere Erkrankungen der Augen, des Gehirns, der inne-
ren Organe und des Gastrointestinaltraktes.

kErkrankungen der Haut und Schleimhäute


Gingivostomatitis herpetica ist eine Manifestation der Primär-
infektion mit (meistens) HSV-1. Die mit Bläschenbildung und gele-
gentlich Ulzeration einhergehende Entzündung der Mundschleim-
haut und des Zahnfleischs betrifft den Bereich der vorderen Mund-
höhle. Weitere mögliche Symptome sind Rhinitis, Tonsillitis oder
Pharyngitis mit Lymphknotenschwellungen, Fieber und Meningitis
(. Abb. 71.2).
Herpes labialis stellt die mit Abstand häufigste Manifestation
einer rezidivierenden HSV-1 Infektion dar. Etwa 15–30 % der Bevöl-
kerung leiden an mehr oder weniger regelmäßigen Rezidiven. Kli- . Abb. 71.2 Gingivostomatitis herpetica (mit freundl. Genehmigung von
nisch zeigen sich an den Übergangsstellen zwischen Haut und Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)
556 Kapitel 71 · Herpesviren

dehaut, die keine Schmerzen auslöst. Auf der Kornea kann es zu


verschiedenartig geformten dendritischen Ulzera kommen (. Abb.
71.5). Die Infektion kann aber auch nach einiger Zeit in die Tiefe
vordringen (»metaherpetische Ulzeration«), wobei eine interstitielle
Herpes-Stroma-Keratitis zustande kommt.
Die Keratitis herpetica kann rezidivierend auftreten. Wieder-
holte Rezidive können über Narbenbildungen und Neovaskularisie-
rung zur Erblindung führen.

kErkrankungen des Nervensystems


Die durch HSV-1 (selten HSV-2) verursachte Herpes-simplex-Enze-
phalitis tritt meistens im Rahmen einer Primärinfektion auf und ist
eine lebensbedrohliche Erkrankung. Klinisch finden sich die allge-
meinen Symptome einer Enzephalitis (Erbrechen, Krämpfe, Anfälle,
Bewusstseinstrübung, Fieber, Kopfschmerzen, Lähmungen, Koma).
Bei Überlebenden sind häufig Langzeitschäden feststellbar. Durch
HSV-1 verursachte Läsionen finden sich typischerweise im Tempo-
rallappen des Gehirns (. Abb. 71.7). Die Seltenheit der Herpes-sim-
plex-Enzephalitis (3–4 Fälle pro 106 Einwohner/Jahr) trotz hoher
Durchseuchung mit HSV-1 (7 s. o.) deutet darauf hin, dass bei den
betroffenen Patienten ein milder Immundefekt vorliegt, der sich ins-
besondere im ZNS manifestiert. Bei einem Teil der Patienten wurden
spontane oder vererbte Mutationen im Gen des Toll-ähnlichen Re-
zeptors TLR3 (einem Sensor der angeborenen Immunität, 7 Abschn.
13.4) und des für die TLR3-Funktion wichtigen Unc93b-Proteins
gefunden.
Die Symptome einer Herpesmeningitis sind Kopfschmerzen
und Nackensteifigkeit. Wie auch bei andere viralen Meningitiden
erholen sich die meisten Patienten. Diagnostische Merkmale sind
eine anfängliche Vermehrung der Neutrophilen, während später nur
. Abb. 71.3 Herpes labialis und Herpes facialis nach Reaktivierung (mit noch Lymphozyten im Liquor nachweisbar sind.
freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Thomas Werfel, Hannover)
kErkrankungen des Fetus oder Neugeborenen
HSV-Primärinfektionen während der Schwangerschaft können zu
Hautbezirke ausbreiten und ein Eczema herpeticum verursachen Spontanaborten, kongenitalem oder neonatalem Herpes oder zu
(. Abb. 71.4). Bei der Abheilung bilden sich dicke Krusten. Es ist eine einer disseminierten Infektion der Mutter führen. HSV-bedingte
sehr seltene, aber ohne Behandlung lebensbedrohliche Erkrankung. Embryopathien sind fraglich.

kErkrankungen der Augen Herpes neonatorum Eine perinatale Infektion mit HSV-2 (seltener
Bei der Keratoconjunctivitis herpetica entsteht eine Hornhauttrü- HSV-1) erfolgt meist im Geburtskanal. Besonders gefährdet sind
bung mit Bläschenbildung im Epithel der Kornea und auf der Bin- frühgeborene Kinder. Die Infektion kann von symptomatischen
Virologie

. Abb. 71.4 Eczema herpeticum (mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Thomas Werfel, Hannover)
71.1 · Herpes-simplex-Virus (HSV-1, HSV-2)
557 71
extragenitale Primärinfektion kommt häufiger bei Kindern vor. Bei
Erwachsenen tritt der orale Herpes nur als Exazerbation nach Reak-
tivierung auf. Die genitale Primärinfektion tritt vornehmlich nach
dem 15. Lebensjahr auf.
Die PCR als hochsensitive Methode zum Nachweis viraler DNA
ist heutzutage die Methode der Wahl. Mittels PCR lässt sich virale
DNA in Liquor (bei Verdacht auf Enzephalitis) oder peripherem Blut
(bei generalisierten HSV-Infektionen) nachweisen. Ebenso möglich
sind der Nachweis HSV-infizierter Zellen mittels Immunfluores-
zenztest (IFT) aus Bläschen oder Rachenabstrich sowie eine Virus-
isolierung zum Nachweis aktiver Erreger aus Bläschen, Rachen-
abstrich oder Flüssigkeit nach bronchoalveolärer Lavage. Aus Bläs-
chenmaterial lässt sich das Virus gut im Elektronenmikroskop
darstellen.
Der Antikörpernachweis aus dem Serum erfolgt meistens durch
IgG-, IgM- oder IgA-spezifische ELISA oder IFT. Nur deutliche
. Abb. 71.5 HSV-Keratokonjunktivitis (mit freundl. Genehmigung von Titeranstiege sind verwertbar; sie kommen fast nur bei Erstinfektio-
Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz) nen vor und können bei der Betreuung Schwangerer nützlich sein.
Die Herpesenzephalitis wird bei entsprechenden klinischen
Symptomen (Kopfschmerzen, Fieber, Somnolenz, Sprachschwierig-
(Bläschen im Genitalbereich) und auch von asymptomatischen Müt- keiten, Lähmungen, evtl. Koma) zusätzlich durch bildgebende Ver-
tern ausgehen. Das Übertragungsrisiko bei einem Primärherpes der fahren (MRT, . Abb. 71.7) diagnostiziert. Die Veränderungen betref-
Mutter beträgt etwa 50 %, weil noch keine Immunität entwickelt fen vornehmlich den Temporallappen.
wurde, bei einem apparenten oder inapparenten Rezidiv nur etwa
5 %. Die klinischen Manifestationen reichen von lokalen Sympto- kTherapie
men (Bläschen auf der Haut, im Mund und am Auge) bis zur gene- Acicloguanosin (Aciclovir, ACV) und das oral besser verfügbare
ralisierten »Herpessepsis« mit unter anderem Splenomegalie, Ikte- Valaciclovir sind die Mittel der Wahl bei HSV-Infektionen. Haut-
rus, Enzephalitis. Mütterliche Antikörper verleihen einen gewissen und Schleimhautinfektionen werden oral, schwere Infektionen be-
Schutz vor der Infektion und Erkrankung. Schwerste septische In- sonders bei Immunsuppression i. v. behandelt. Bei Augen- und Ge-
fektionen können bei Neugeborenen seronegativer Mütter auftreten. sichtsinfektionen kommen lokale Therapien mit Salben und Cremes
Der generalisierte Herpes neonatorum führt unbehandelt meist zum zur Anwendung.
Tode (80 %). Die Folgen einer Herpesenzephalitis lassen sich durch rechtzei-
tigen Beginn der Behandlung deutlich abschwächen. Deshalb wird
kSeltene Erkrankungen mit der Therapie schon bei Verdacht, vor der virologischen Bestäti-
Seltenere Formen der primären Herpesinfektion sind Bläschenbil- gung der Diagnose, aber nach Entnahme des relevanten Untersu-
dungen am Stamm oder an den Fingern, z. B. beim Pflegepersonal chungsmaterials (Liquor) mit einer i. v. Aciclovir-Therapie begon-
(Herpes whitlow) oder bei Ringkämpfern (Herpes gladiatorum). Bei nen. Auch Herpes neonatorum und Eczema herpeticum lassen sich
Patienten mit gestörter Immunabwehr kommt es zu ausgedehnten, durch Aciclovir behandeln.
schlecht heilenden Haut- und Schleimhautläsionen (. Abb. 71.6),
auch mit viszeraler Beteiligung (Pneumonie, Ösophagitis, Hepa- kPrävention
titis). Allgemeine hygienische Maßnahmen Nosokomiale Infektionen
von Neugeborenen und immunsupprimierten Patienten in Kran-
kDiagnostik kenhäusern lassen sich durch allgemeine Hygiene vermeiden. Medi-
Für die klinische Differenzialdiagnose zwischen primärem und re- zinisches Personal mit akuten Hautläsionen dürfen diese Patienten
zidivierendem Herpes sind folgende Überlegungen hilfreich: Die nicht ungeschützt pflegen.

. Abb. 71.6 Nekrotisierende Herpesläsionen bei Patienten mit gestörter Immunabwehr (mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Thomas Werfel, Hannover)
558 Kapitel 71 · Herpesviren

. Abb. 71.7 Herpes-simplex-Enzephalitis. Die Magnetresonanztomografien zeigen eine Enzephalitis im Temporallappen und insulärem Kortex einer
6-Jährigen (links MRT, rechts FLAIR-MRT; mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Heiner Lanfermann, Hannover)

Chemoprophylaxe Aciclovir wird bei transplantierten Patienten in


den ersten Wochen nach der Transplantation prophylaktisch verab- Enzephalitis und systemische Manifestationen: PCR aus Liquor,
reicht, in manchen Fällen auch nach hochdosierter Zytostatikathe- Bläschenflüssigkeit, peripherem Blut.
rapie. Therapie Aciclovir, bei Enzephalitis bereits bei Verdacht. Oral:
Valaciclovir oder Famciclovir.
Schutzimpfung Keine verfügbar. Prävention Screening von Frauen vor Geburt auf HSV im
Genitalbereich zur Verhinderung des Herpes neonatorum.
Orale Gabe von Aciclovir.
In Kürze
Herpes-simplex-Virus (HSV-1, HSV-2)
Virus dsDNA Virus aus Ikosaederkapsid mit Spike-besetzter
Hülle. In Zellkultur leicht anzüchtbar. 2 Typen: oral (HSV-1) und 71.2 Varicella-Zoster-Virus (VZV)
genital (HSV-2).
Epidemiologie HSV-1: Durchseuchung bei Erwachsenen
Steckbrief
> 90 %; HSV-2: niedrigere und variable Prävalenz je nach geo-
grafischer Region und sozioökonomischen Lebensbedingun- Das Varicella-Zoster-Virus ruft die Windpocken (Varizellen) als
gen; Prävalenz höher in Risikogruppen für sexuell übertragene Manifestation der Primärinfektion hervor. VZV persistiert lebens-
Erkrankungen. lang in den Spinalganglien. Bei Reaktivierung entwickelt sich
Übertragung Kontakt mit Speichel, Küssen, Geschlechtsver- Zoster (Gürtelrose). VZV kommt nur beim Menschen vor. Bei Im-
kehr, Verletzungen, bei der Geburt. Virus in Speichel, Genital- mundefekten treten schwere Generalisationserkrankungen auf.
sekreten, Bläschen. Gegen VZV gibt es, als einzigem humanem Herpesvirus, einen
Virologie

Pathogenese Orale und genitale Primärinfektion, Wanderung attenuierten Lebendimpfstoff.


zu sensorischen Spinalganglien, Latenz in Neuronen, Reaktivie-
rung durch Stress, UV-Strahlen etc.
Klinik Manifestation der Primärinfektion als Gingivostomatitis
herpetica, Herpes genitalis (Vulvovaginitis herpetica), Kerato- 71.2.1 Beschreibung
konjunktivitis, Eczema herpeticum, Meningitis, Meningoenze-
phalitis, Herpes neonatorum. Rezidivierend als Herpes labialis jMorphologie und Genom
bzw. genitalis. Rezidive auch bei Keratokonjunktivitis. Bei VZV-Virionen haben die typische Morphologie der Herpesviren
Immundefekten (AIDS) Gefahr der Generalisierung. und ein Genom mit 125 kbp.
Immunität Bedeutung des angeborenen Immunsystems;
Antikörper, zellvermittelte Immunität.
Labordiagnose PCR, IFT aus Nasen-/Rachenabstrich, Bläschen-
material. Virusisolierung. IgM-, IgG-ELISA/IFT. Bei Verdacht auf
71.2 · Varicella-Zoster-Virus (VZV)
559 71

. Abb. 71.8 Windpockenbläschen auf der Zunge und am weichen Gaumen . Abb. 71.9 Windpocken (mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Dietrich
(mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz) Falke, Mainz)

71.2.2 Rolle als Krankheitserreger wahrscheinlich für die nicht selten monatelang anhaltenden post-
zosterischen Schmerzen verantwortlich.
kEpidemiologie
Der weitaus größte Teil der Kinder macht die Windpocken bis zum kImmunität
15. Lebensjahr durch, die Infektion verläuft stets apparent. Die In- Im Verlauf der Varizelleninfektion entstehen IgM- und IgG-Anti-
fektion besitzt eine hohe Kontagiosität. Das Ansteckungsmaximum körper, die sich im ELISA nachweisen lassen. Durch eine Exazerbation
liegt bei 2- bis 6-jährigen Kindern. Varizellen treten endemisch- in Form des Zosters erfolgt ein sehr deutlicher »Booster« der Anti-
epidemisch im Winter und Frühjahr auf. körperbildung mit IgM-Reaktion. Eine antikörpervermittelte Leih-
immunität des Neugeborenen besteht 6 Monate. Bestimmend für den
kÜbertragung Schutz vor Reaktivierung ist die T-Zell-vermittelte Immunität.
Die Infektion erfolgt von Mensch zu Mensch als Tröpfcheninfektion
aerogen oder durch direkten Kontakt mit Bläschenmaterial. Varizel- kKlinik
len gehören zu den kontagiösesten Krankheiten, die wir kennen: die Die Inkubationszeit beträgt 16–21, die Dauer der Erkrankung
Bezeichnung »Windpocken« spiegelt die Tatsache wieder, dass sie ca. 10 Tage. Zunächst bilden sich kleine Papeln, dann streichholz-
über größere Entfernungen und Luftzug übertragen warden können. kopfgroße, einzeln stehende Bläschen mit anfänglich wässrig-kla-
Der Infizierte wird 2 Tage vor Ausbruch der Erkrankung kontagiös rem, später trübem Inhalt, die große Mengen Virus enthalten. Die
und scheidet das Virus dann für etwa 1 Woche massiv aus. Die Kon- Bläschen der Haut und auf der Zunge (. Abb. 71.8) sind von einem
tagiosität erlischt erst mit dem Abfallen der Borken. roten Saum umgeben; sie jucken und werden von Patienten oft zer-
kratzt. In späteren Stadien zeigen die unverletzten und größeren
kPathogenese Bläschen eine zentrale Delle. Die Bläschen entstehen in Schüben.
Das Virus verbleibt nach der Primärinfektion lebenslang latent, er- Man findet auf der Haut nebeneinander die verschiedenen Entwick-
zeugt eine Immunität und kann später Rezidive hervorrufen. Unter lungsstadien der Effloreszenz von der Papel bis zur Borke (»Sternen-
diesen ist der bei Erwachsenen auftretende Zoster (Gürtelrose) die himmel«, . Abb. 71.9). Die Bläschen können nach Verletzung durch
wichtigste Erscheinungsform. Kratzen bakteriell superinfiziert werden und vereitern, mit nachfol-
Eintrittspforten sind der Nasen-Rachen-Raum und die Kon- gender Narbenbildung.
junktiven/Schleimhäute. Das Virus gelangt von der Eintrittspforte Die Infektion der Kinder verläuft stets manifest, aber häufig afe-
über eine Replikationsphase in den Lymphknoten und eine 1. Virä- bril. Der Verlauf ist häufig so leicht, dass die übrigen Symptome nicht
mie in das retikuloendotheliale System und besiedelt von dort mit- beachtet werden (»Spielplatz-Varizellen«). Bei seronegativen Er-
tels einer 2. Virämie die Haut und die Schleimhäute; dort verursacht wachsenen und Schwangeren verlaufen die Varizellen dagegen oft
es das typische Exanthem und Enanthem. schwer und hämorrhagisch, z. T. mit Pneumonie und Enzephalitis.
Vermutlich gelangt das Virus während der akuten Erkrankung
von der Haut neurogen in die Spinalganglien. Besiedelt werden die Komplikationen In seltenen Fällen entstehen als Komplikationen
sensorischen Ganglien entlang der Wirbelsäule bzw. die Ganglien der Varizellen Otitis, Pneumonie, Hepatitis oder Nephritis oder so-
der Hirnnerven. Das Genom verbleibt nur in den Kernen der Neu- gar eine Meningoenzephalitis, meist als Zerebellitis mit Ataxie. Die
ronen, wobei mehrere Genregionen transkribiert werden. Zoster Meningoenzephalitis heilt aber meist ohne Folgen aus. Selten sind
wird durch die Reaktivierung aus der Latenz verursacht. Die in den eine Fazialisparese und die Polyradikuloneuritis. Eine schwere Neu-
beteiligten Spinalganglien ablaufenden Entzündungsprozesse sind rodermitis kann durch VZV infiziert werden.
560 Kapitel 71 · Herpesviren

. Abb. 71.10 Gürtelrose am Rücken (mit freundl. Genehmigung von Prof.


Dr. Dietrich Falke, Mainz)

Bei kortisonbehandelten Kindern und Erwachsenen, Leukä-


miepatienten, immunsupprimierten Transplantatempfängern und
AIDS-Kranken verläuft die Krankheit oft generalisiert. Die hierbei
auftretenden VZV-Pneumonien sind gefürchtet. Bei immunsuppri-
. Abb. 71.11 Zoster der linken Gesichtshälfte (mit freundl. Genehmigung
mierten Patienten oder solchen mit Immundefekt (Morbus Hodgkin, von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)
AIDS, Leukämien, Knochenmarktransplantierten) kann ein genera-
lisierter Zoster mit einer signifikanten Letalität verbunden sein.
erfolgt mit einem IgM- und IgG-ELISA. Bei pränatal infizierten Kin-
Varizellenerkrankung von Schwangeren Die VZV Erstinfektion dern lassen sich nie IgM-Antikörper nachweisen.
tritt wegen der frühzeitigen, hohen Durchseuchung nur selten bei
Schwangeren auf. Das Virus kann auf den Embryo übertragen wer- kTherapie
den, das Risiko für eine intrauterine Schädigung (hypoplastische 2 Krankheitsbilder bedürfen der antiviralen Therapie: Zoster und
Gliedmaßen, Hautläsionen, ZNS- und Augenschäden) bei Infektion schwere Varizellenkomplikationen, wie sie bei Neugeborenen, Er-
vor der 20. SSW ist allerdings gering. Gegen Ende der Schwanger- stinfektionen im Erwachsenenalter und bei immunsupprimierten
schaft auftretende Primärinfektionen der Mutter können das Kind Patienten vorkommen. Im Allgemeinen verabreicht man systemisch
in utero infizieren. Hierbei ist eine generalisierte Infektion des Un- hohe Dosen von Aciclovir (ACV). Die zur Beherrschung des VZV
geborenen/Neugeborenen mit signifikanter Letalität möglich. notwendigen Wirkstoffkonzentrationen von ACV sind etwa 10-fach
höher als für HSV. Für die orale Therapie stehen Valaciclovir (wird
Herpes Zoster (Gürtelrose) Das latente Virus kann bei Nachlassen zu Aciclovir metabolisiert) und Famciclovir (wird zu Penciclovir
der Immunität Rezidive verursachen. Diese entwickeln sich meist metabolisiert) zur Verfügung. Eine in Deutschland zugelassene Al-
ohne erkennbare Ursache; in einzelnen Fällen kann man dafür Ka- ternative ist orales Brivudin (BvdU). Zoster und Postzosterneural-
chexien, Tumoren, Abwehrinsuffizienz, etwa durch Leukämie, AIDS gien werden frühzeitig mit Valaciclovir, Famciclovir oder Brivudin
oder zytostatische bzw. immunsuppressive Therapie, verantwortlich behandelt. Beim Vorliegen einer Immundefizienz ist die Behandlung
machen. Die Rezidive verlaufen, bedingt durch die noch bestehende dringlich. Bei leichtem Zoster ohne Schmerzen erübrigt sich eine
Teilimmunität, nicht als generalisiertes Exanthem, sondern als lokal Therapie.
begrenzte Neuroradikulitis mit Bläschen (Zoster oder Gürtelrose, Bei Auftreten von Varizellen bis 5 Tage vor der Geburt wird eine
. Abb. 71.10). In aller Regel treten die Rezidive entlang den Austritts- Immunglobulin-Präparation mit hohen Antikörpertitern gegen VZV
stellen eines Nervs in der Haut auf, bei Trigeminusbefall im Gesicht (Zoster-Immunglobulin, ZIG) für Mutter und Kind verabreicht; tre-
(. Abb. 71.11) als Zoster ophthalmicus oder oticus an Auge bzw. ten Varizellen bis 2–4 Tage nach der Geburt auf, sollten Mutter und
Virologie

Ohr, bei Befall von Interkostalnerven als Gürtelrose entsprechend Kind ACV sowie das Kind ZIG erhalten. Eine VZV-Pneumonie der
dem Innervationssegment eines Nervs. Schwangeren nach der 20. SSW erfordert vom Tage des Exanthems an
Bei stärker reduzierter Immunitätslage kann ein generalisierter hochdosiert i. v. ACV.
Herpes Zoster mit Pneumonie auftreten. Heftige »postherpetische«
Schmerzen mit Ganglionitis sind bei Senioren häufig. Man kennt kPrävention
auch periphere Fazialislähmungen ohne Bildung von Bläschen. Die Allgemeine Maßnahmen Alle Säuglingspflegekräfte sind auf das
Schmerzen können vor dem Auftreten der Bläschen einsetzen. Vorhandensein von Antikörpern gegen VZV zur Verhinderung von
Infektion und Übertragung zu testen. Varizellenkranke Kinder müs-
kDiagnostik sen isoliert oder ggf. aus der Klinik entlassen werden.
Die klinische Diagnose bereitet im Allgemeinen keine Schwierigkei-
ten. Die Virusisolierung ist in der Routine nicht üblich, hingegen Ig-Prophylaxe bei Schwangeren und Neugeborenen Der Nach-
lässt sich virale DNA in Bläschenflüssigkeit, Liquor (Verdacht auf weis einer frischen (IgM-positiven) VZV-Infektion in der Früh-
Meningoenzephalitis) oder peripherem Blut (bei generalisierten In- schwangerschaft ist keine strenge Indikation zu einem Schwanger-
fektionen) gut mittels PCR nachweisen. Der Antikörpernachweis schaftsabbruch, da nur ein geringer Prozentsatz der Neugeborenen
71.3 · Zytomegalievirus (CMV)
561 71
von Schwangeren mit primärer VZV-Infektion Schäden zeigen. Die 71.3 Zytomegalievirus (CMV)
gesund geborenen Kinder sollten jedoch serologisch kontrolliert
und hinsichtlich ihrer geistigen Entwicklung beobachtet werden.
Steckbrief
Um das Risiko möglichst ganz auszuschalten, betreibt man die spe-
zifische Prophylaxe mit Immunglobulin: Ist eine seronegative Der Pathologe Ribbert wies 1881 auf große Zellen mit Einschluss-
Schwangere mit einem Varizellenkranken in Kontakt gekommen, ist körperchen in den Speicheldrüsen hin. Goodpasture prägte 1921
so schnell wie möglich (innerhalb 72–96 h) die Gabe von VZV-Im- die Bezeichnung Zytomegalie. Das humane Zytomegalievirus
munglobulin (ZIG) angezeigt, um Mutter und Kind eine Varizel- (CMV) kann nur den Menschen infizieren; es erzeugt Embryo-
lenerkrankung zu ersparen. Ähnlich ist die Gabe von VZV-Immun- pathien, Mononukleose-ähnliche Krankheitsbilder und bei Trans-
globulin bei Neugeborenen indiziert, deren Mütter bis zu einer Wo- plantatempfängern und AIDS-Patienten schwere generalisierte
che vor der Geburt und 3 Tagen nach der Geburt an Varizellen er- Manifestationen einschließlich Kolitis, Knochenmarkversagen,
krankt sind. Pneumonie und Enzephalitis. Bei AIDS-Patienten ist die CMV-be-
dingte Chorioretinitis gefürchtet. CMV etabliert eine latente
Schutzimpfung Ein attenuierter Lebendimpfstoff auf der Basis des Infektion und kann intermittierend ausgeschieden werden.
VZV-Stammes Oka ist verfügbar. Die STIKO empfiehlt die Impfung
gegen Varizellen im Alter von 11–14 Monaten, mit einem Booster
zwischen 15 und 23 Monaten. Es besteht die Möglichkeit, die Imp-
fung in Kombination mit der Impfung gegen Masern, Mumps und 71.3.1 Beschreibung
Rubella (MMR) durchzuführen (MMRV-Impfstoff; aktuelle Impf-
pläne: www.rki.de). Wie bei den Masern sinken die Antikörperpegel jMorphologie und Genom
nach 3–5 Jahren, Wiederholungsimpfungen sind nötig. Das Impfvi- Das Zytomegalievirus ist morphologisch ein typisches Mitglied der
rus wird latent und kann nach Jahren als leichter Zoster in Erschei- Herpesfamilie. Sein DNA-Genom ist ca. 235 kbp groß. Einige Virus-
nung treten. Bei schweren Immundefekten oder begonnener zytos- proteine zeigen erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen
tatischer Therapie ist die Impfung mit dem Lebendimpfstoff wegen CMV-Isolaten. Die klinische Bedeutung dieses Polymorphismus ist
der Gefahr einer generalisierten Infektion kontraindiziert. Zur Pro- zurzeit noch unklar.
phylaxe und Verhinderung von Herpes Zoster bei älteren Patienten
ist ein neuer Impfstoff (Zostavax) in einer höheren Dosierung er-
hältlich. 71.3.2 Rolle als Krankheitserreger
kEpidemiologie
In Kürze
Die Infektion kann horizontal von Mensch zu Mensch und vor der
Varicella-Zoster-Virus (VZV)
Geburt auch vertikal erfolgen. In entwickelten Ländern beträgt die
Virus Typisches Virus der Herpesgruppe.
Seroprävalenz bei der erwachsenen Bevölkerung ca. 40–60 %, in
Epidemiologie Sehr hohe und frühzeitige Durchseuchung.
Entwicklungsländern 80–100 %.
Nur beim Menschen.
Übertragung Von Bläschen (Windpocken, Zoster) auf Empfäng-
kÜbertragung
liche, Aerosol (»Windpocken«).
Die Übertragung geschieht durch CMV-haltige Körperflüssigkeiten,
Pathogenese Analog HSV, lebenslange Latenz in Spinalgang-
z. B. Speichel, Urin oder Muttermilch (beim Stillen). In der Regel ist
lien; Zoster ist ein Rezidiv einer früheren Windpockeninfektion
dafür direkter (Schleimhaut-)Kontakt erforderlich. Die Übertra-
im Bereich eines Dermatoms.
gung kann zudem iatrogen, u. U. auch nosokomial, z. B. auf Kinder-
Klinik Inkubationszeit 16–21 Tage. »Windpocken« mit stern-
stationen, und nicht zuletzt sexuell erfolgen. Wiederholte Infektio-
kartenartig verteilten Bläschen; Zoster am Stamm, Extremitäten,
nen mit CMV kommen vor. Eine Übertragung durch Bluttransfusi-
Auge, Ohr.
onen ist möglich, aber heute durch die Depletion von Leukozyten
Immunität Humorale Antikörper, wichtig sind zellvermittelte
aus Erythrozytenkonzentraten seltener geworden. Eine wichtige
Immunreaktionen (Interferon, NK-Zellen, CTL). Bei Nachlassen:
Rolle spielt die Übertragung durch transplantierte Organe in der
Zoster.
Transplantationsmedizin.
Labordiagnose IgM- und IgG-Antikörperanstieg im ELISA.
Ein geringer Prozentsatz (< 3 %) aller Neugeborenen ist intra-
Virusnachweis mit PCR aus Bläschenmaterial oder peripherem
uterin infiziert worden und scheidet bei Geburt das Virus im Urin
Blut. Gegebenenfalls EM aus Bläschenflüssigkeit.
aus; Kinder bis zu 5 Jahren infizieren sich besonders häufig mit
Therapie Bei schwerem Zoster und Zosterschmerzen Aciclovir
CMV (Kindergarten), entsprechend ist ihre Ausscheidungsquote
(Acycloguanosin), Valaciclovir, Famciclovir oder Brivudin, eben-
höher als bei Erwachsenen. Somit sind inapparent infizierte Kinder
so bei der VZV-Pneumonie Immunsupprimierter.
und Jugendliche, die CMV ausscheiden, eine wichtige Infektions-
Prävention Der attenuierte Lebendimpfstoff gegen VZV wirkt
quelle. Außer in Urin und Speichel lässt sich CMV auch in Sperma,
gut, expositionsprophylaktisch wirken Immunglobuline bei
Zervixsekreten und Muttermilch nachweisen.
Immungeschädigten und bei Schwangerschaftsinfektionen.
kPathogenese
Primäre Replikation und Ausbreitung Die erste Virusvermehrung
findet vermutlich in den Epithelzellen des Oropharynx statt. Die
weitere Ausbreitung auf Organe im Organismus erfolgt hämatogen
durch Leukozyten, die das Virus intrazellulär transportieren. Die
primäre Infektion bei gesunden Kindern und Erwachsenen verläuft
in der Regel inapparent. Alle Infektionen gehen in lebenslange La-
562 Kapitel 71 · Herpesviren

tenz über, Reaktivierungen sind häufig, verlaufen bei Gesunden je-


doch oft ebenfalls ohne offensichtliche Krankheitssymptome. Das
Ausmaß der Virämie bestimmt den Schweregrad der Infektion und
wie viele Organe betroffen sind.

Latente Infektion Das Virus findet sich in Speicheldrüsen, Nieren,


Brustdrüsen, Knochenmark, Lunge, Darm und anderen Organen
und Geweben. In den Speicheldrüsen repliziert das Virus vorzugs-
weise in den Epithelien, die die Ausführungsgänge auskleiden
(»Speicheldrüsenvirus«). In der Niere befindet sich das Virus in den
Zellen der Tubuli.
CMV etabliert seine Latenz in Zellen der myeloischen Reihe so-
wie in Endothelzellen. Das Genom befindet sich als Episom im Zell-
kern der latent infizierten Zellen, die virale Genexpression ist stark
eingeschränkt. Bei der Reaktivierung wird die Expression der viralen
Gene stufenweise reaktiviert (7 s. o.).

Pathologische Auswirkungen der Infektion Schwerwiegende Aus-


. Abb. 71.12 Chorioretinitis durch Zytomegalievirus bei AIDS-Patienten
wirkungen treten bei Neugeborenen nach intrauteriner CMV-Infek-
(mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)
tion auf: Die Zytomegalie ist heute in industrialisierten Ländern die
häufigste virale Ursache embryofetaler Schädigungen. Bei Immun-
defekten des Wirtes verursacht CMV lebensbedrohliche generali- bryo treten v. a. bei Infektionen im 1. und 2. Trimenon auf. Beim
sierte Infektionen (7 s. u.). lebend geborenen kranken Kind findet man Mikrozephalie, Optikus-
atrophie, Katarakte, intrazerebrale Verkalkungen und geistige Retar-
kKlinik dierung. Ferner können Hepatosplenomegalie, thrombozytopeni-
Grundsätzlich unterscheidet man Primärinfektionen und Reakti- sche Purpura, Chorioretinitis, hämolytische Anämie und Ikterus
vierungen aus der latenten Infektion. Nach der Primärinfektion auftreten. Leichte Schädigungen machen sich oft erst nach einigen
dauert die Virusausscheidung deutlich länger als nach Reaktivie- Jahren als Entwicklungsstörungen (Gehör, Sprache) oder als Beein-
rung. Die Inkubationszeit bei der Primärinfektion schwankt zwi- trächtigung der Motorik bemerkbar.
schen 4 und 12 Wochen.
Perinatale Infektionen Als Infektionsquellen für die perinatalen
Kinder, Jugendliche, Erwachsene Bei ihnen verläuft nur ein klei- Übertragungen kommen v. a. die infizierten Geburtswege der Mut-
ner Teil der primären CMV-Infektionen apparent. Die Symptomatik ter und die Muttermilch in Betracht. Etwa ein Drittel aller seroposi-
umfasst ein mononukleoseähnliches Syndrom (EBV-negativ) mit tiven Frauen scheiden das Virus mit der Milch aus. Die perinatale
Fieber, leichter Hepatitis, allgemeinem Krankheitsgefühl, Lymph- Infektion bleibt für das Kind selbst meist folgenlos: Nur ganz selten
adenopathie (nicht immer) und atypischer Lymphozytose. wird bei sonst gesunden Neugeborenen eine Pneumonie oder Hepa-
Bei schwerem Verlauf kann eine interstitielle Viruspneumonie tosplenomegalie mit Hepatitis und Thrombozytopenie beobachtet.
auftreten, v. a. bei Kleinkindern. Schwerwiegende Manifestationen Dagegen kann die CMV-Infektion bei Frühgeborenen aufgrund des
sind eine Anämie, Chorioretinitis (. Abb. 71.12) sowie selten Vasku- unreifen Immunsystems lebensbedrohlich sein. Infektionen des
litis und Purpura. Diese Erscheinungen können sich über Wochen Neugeborenen sind ungeachtet der mütterlichen IgG-Antikörper
und Monate erstrecken. möglich, jedoch ist der Verlauf der Infektion abgeschwächt.
Beim Erwachsenen kommt es meist nur dann zur manifesten
Erkrankung, wenn bei allgemeiner Abwehrschwäche eine Primärin- Transfusionsinfektionen Das Risiko einer Infektion hat sich mit
fektion oder Reaktivierung aus der Latenz eintritt. In der Praxis muss Einführung der Leukozytendepletion in Blutspenden reduziert, ist
man besonders nach Transplantationen, bei Vorliegen von Tumoren jedoch nicht völlig eliminiert. Eine Transfusion mit CMV-positivem
oder AIDS mit einer CMV Erkrankung rechnen. Die Symptomatik Blut (»Perfusionssyndrom«) kann bei einem seronegativen Kind zu
richtet sich nach dem jeweils befallenen Organ. schweren Erkrankungen führen. Bei seronegativen Erwachsenen
kann es zu einem mononukleoseartigen Krankheitsbild (»Transfu-
Virologie

Intrauterine Infektionen Je nach Durchseuchungsgrad der Bevölke- sionsmononukleose«) kommen.


rung werden vermutlich ca. 0,5–3 % aller Neugeborenen intrauterin
mit CMV infiziert. Von den konnatal infizierten Kindern weisen bei Infektionen bei Immungeschädigten Bei Immungeschädigten
Geburt etwa 10 % eine erkennbare Schädigung auf, bei weiteren 15 % verläuft die CMV-Infektion schwerer als bei Normalpersonen und
der anfangs symptomfreien Kinder treten Spätschäden auf (7 s. u.). dabei Primärinfektionen schwerer als Reaktivierungen. Je stärker die
Ein geringer Prozentsatz aller seronegativen Schwangeren infi- Immunsuppression, desto gravierender im Allgemeinen die Krank-
ziert sich während der Schwangerschaft erstmals (primäre Infek- heitsentwicklung. Die wichtigsten Ursachen für eine Immunsup-
tion). Bei etwa 10–20 % der seropositiven Schwangeren wird die pression sind die iatrogene Immunsuppression bei Transplantation
latente Infektion reaktiviert. Bei Primärinfektionen beträgt die (Niere, Pankreas, Herz, Lunge, Leber, Knochenmark), AIDS oder
Übertragungsrate auf das Kind 35–50 %, bei Reaktivierungen dage- Zytostatikatherapie von Tumoren (Leukämie, Karzinome). Deshalb
gen nur 0,2–2 %. Das Risiko ist also besonders groß, wenn Schwan- ist die laufende Beurteilung der Abwehrlage beim Kranken von gro-
gere eine primäre Infektion erfahren. ßer Bedeutung. Im Rahmen der Überwachung von Transplantat-
Die intrauterin erworbene Infektion kann zu schweren Ent- empfängern kontrolliert man die Viruslast im Blut (quantitative
wicklungsstörungen bis hin zur Totgeburt führen. Schäden am Em- PCR, pp65-Nachweis; 7 s. u.).
71.3 · Zytomegalievirus (CMV)
563 71
Zu den schwerwiegenden Manifestationen einer Erstinfektion
oder Reaktivierung von CMV bei immunsupprimierten Patienten
gehören Fieber, Hepatitis, Pneumonie, Kolitis und Chorioretinitis.
Vor Einführung der Kombinationstherapie gegen HIV war die
CMV-Infektion die häufigste opportunistische Infektion bei AIDS.

kImmunität
Die Infektion mit dem CMV wird normalerweise durch zellvermit-
telte und humorale Immunreaktionen unter Kontrolle gehalten. Im-
munität gegen CMV begrenzt den Grad der Virämie und damit in
der Regel auch CMV-bedingte Erkrankungen, schließt jedoch Reak-
tivierungen und Reinfektion mit CMV nicht aus.
Bei einer Primärinfektion entstehen Antikörper gegen unmittel-
bar nach der Infektion (»immediate early proteins«) und früh expri-
mierte virale Proteine (»early proteins«). Neutralisierende Antikör- . Abb. 71.13 Granulozyten mit pp65 des CMV (mit freundl. Genehmigung
per gegen Glykoproteine auf der Oberfläche der Viruspartikel wer- von J. Podlech, Mainz)
den ebenfalls gebildet. Neben Antikörpern werden CMV-spezifische
T-Zellen gebildet, die eine wichtige Rolle bei der Kontrolle des Virus
während des ganzen Lebens des infizierten Individuums spielen. Bei Vor allem ein Anstieg der mit quantitativer PCR bestimmten Virus-
manchen Personen ist ein großer Teil des T-Zell-Repertoires gegen last im peripheren Blut deutet auf eine unkontrollierte und klinisch
CMV gerichtet und damit beschäftigt, dieses Virus in der Latenz zu relevante CMV-Infektion oder Reaktivierung hin. Mittels PCR lässt
halten. Umgekehrt interferieren eine Reihe von CMV-Proteinen mit sich CMV auch in anderen Materialien (Liquor, Rachenspülwasser,
der Erkennung infizierter Zellen durch NK-Zellen und zytolytische Urin etc.) nachweisen.
T-Lymphozyten, etwa durch Hemmung der Antigenprozessierung, Bei CMV-Infektion von Organen kann der Virusnachweis im
Antigenpräsentation oder der Expression von für die Immunantwort Blut u. U. negativ sein. Bei entsprechendem Verdacht ist der CMV-
wichtigen zellulären Proteinen auf der Zelloberfläche. Nachweis mit entsprechendem Material aus dem Organ durchzu-
Während einer CMV-Infektion können immunologische Ano- führen (z. B. Biopsie). Bei Kindern ist ein positiver Virusnachweis im
malien auftreten wie zirkulierende Immunkomplexe, Kältehämag- Urin nicht gleichbedeutend mit einer Erkrankung.
glutinine, Rheumafaktoren, antinukleäre Antikörper, ein positiver Für die Diagnose einer Primärinfektion der Schwangeren sind
Coombs-Test etc. Diese Erscheinungen gehen zurück, wenn die Pri- der Nachweis eines Titeranstiegs (ELISA) und der IgM-Nachweis bei
märinfektion oder die Reaktivierung immunologisch beherrscht fehlendem oder gering aviden IgG im Serum wichtig. (Antikörper
wird. mit hoher Affinität für ihre Antigene entstehen erst nach länger be-
stehender Infektion und »Reifung« der Immunantwort). Bei Ver-
kLabordiagnose dacht auf primäre Infektion einer Schwangeren ist nach Möglichkeit
Zum direkten Nachweis viraler DNA mittels PCR eignen sich Blut eine Probe von fetalem Blut und Amnionflüssigkeit zu gewinnen
(antikoaguliert mit EDTA), Urin, bronchoalveoläre Lavageflüssig- und ein kompletter Anti-CMV-Status zu erstellen sowie die PCR
keit, Rachenspülwasser, Speichel, Amnionflüssigkeit, Muttermilch. durchzuführen. Die Kombination des IgM-Nachweis und/oder
In Zellkulturen anzüchten lässt sich CMV aus bronchoalveolärer niedrig affinen CMV Antikörpern bei der Mutter und Nachweis von
Lavage und Urin (bei anderen Materialien ist die Erfolgsrate gering); CMV im fetalen Blut oder Amnionflüssigkeit mittels PCR liefert
die Zeitspanne bis zum Auftreten eines zytopathischen Effekts zurzeit die besten Ergebnisse.
(CPE) nach Beimpfung von Zellkulturen kann 3–4 Wochen betra-
gen, der Nachweis lässt sich aber durch den immunologischen Nach- kTherapie
weis von CMV-Frühantigenen mittels fluoreszenzmarkierter Anti- An Medikamenten mit Wirksamkeit gegen CMV sind in 1. Linie
körper (IFT) auf wenige Tage verkürzen. Konnatal infizierte Neuge- Ganciclovir bzw. Valganciclovir, in 2. Linie Foscarnet und Cidofovir
borene scheiden im Urin große Mengen CMV aus, dies ermöglicht verfügbar. Sie werden eingesetzt v. a. bei symptomatischen Infektio-
deren Darstellung im Elektronenmikroskop. Ferner lassen sich nen von Immunsupprimierten und CMV-infizierten Neugeborenen
CMV-spezifische IgG und IgM-Antikörper im ELISA nachweisen. mit klinischer Symptomatik. Ferner wird Ganciclovir oder Valgan-
Vor allem bei Transplantationspatienten und Immunsuppri- ciclovir bei immunsupprimierten Transplantationspatienten in den
mierten ist die Verlaufskontrolle der Viruslast in Blut bzw. Granulo- ersten 3 Monaten nach Transplantation vorbeugend gegeben; hier
zyten des Blutes wichtig. Dies kann mittels des pp65-Antigenämie- unterscheidet man eine prophylaktische von einer präemptiven
Tests oder quantitativer PCR geschehen. Virales pp65-Protein be- Gabe von Ganciclovir:
findet sich im Tegument des CMV-Partikels und wird in der späten 4 Bei der prophylaktischen Anwendung erhalten alle Patienten
Phase des Infektionszyklus gebildet. Sein Nachweis in Granulozyten mit einem Risikoprofil (CMV-positiver Spender und CMV-ne-
des peripheren Blutes zeigt eine aktive CMV-Replikation im Orga- gativer Empfänger bei Transplantation eines soliden Organs;
nismus an. Die Anzahl pp65-positiver Granulozyten dient als sensi- CMV-positiver Empfänger bei CMV-negativem Spender bei
tives Maß für das Ausmaß der Virusreplikation. Knochenmarktransplantation, 7 s. u.) Ganciclovir oder Valgan-
Dieser Nachweis erfolgt durch Färbung von Cytospin-Präpara- ciclovir für 6–12 Wochen nach Transplantation.
ten von Leukozyten des peripheren Blutes mithilfe eines fluoreszenz- 4 Bei der präemptiven Anwendung wird die CMV-Replikation
oder enzymmarkierten Antikörpers gegen das pp65-Protein (. Abb. mittels pp65-Antigenämie-Test (7 s. o.) oder quantitativer PCR
71.13). Der Nachweis viraler DNA im peripheren Blut (Vollblut, überwacht und Ganciclovir bei Nachweis von replizierendem
Plasma, Serum) mittels quantitativer PCR hat sich in der Praxis je- CMV auch ohne Vorliegen von klinischen Symptomen, die auf
doch als noch empfindlicher als der pp65-Nachweis herausgestellt. eine CMV Erkrankung hindeuten, gegeben.
564 Kapitel 71 · Herpesviren

Eine insuffiziente Dosierung bzw. unregelmäßige Einnahme von


Ganciclovir bzw. Valganciclovir kann zur Entstehung resistenter Immunität Es werden Antikörper und CMV-spezifische
CMV-Varianten führen. Als Medikamente der 2. Wahl kommen T-Zellen gebildet. Diese schützen vor CMV-Krankheit, jedoch
dann Foscarnet oder Cidofovir infrage (7 Kap. 108), die aber beide nicht vor Reaktivierungen und Reinfektion.
deutlich mehr Nebenwirkungen haben als Ganciclovir. Labordiagnose IgM- und IgG-ELISA. Virusnachweis aus Urin,
Sekreten, Lavageflüssigkeit etc. in Zellkulturen und mit PCR.
kPrävention Nachweis des pp65-Antigens in Granulozyten des Blutes
Allgemeine hygienische Maßnahmen Vom gegenwärtigen Stand- (IFT, Immunperoxidase) oder quantitative PCR mit peripherem
punkt aus erscheint die Auswahl von Blut- bzw. Organspendern für Blut (Antikoagulation mit EDTA), Serum, Plasma oder anderen
Säuglinge bzw. Knochenmarktransplantationen bezüglich ihrer geeigneten Materialien.
Seronegativität wichtig. Bei soliden Organen (Niere, Lunge, Leber, Therapie Bei CMV-induzierten Erkrankungen oder zur Prophy-
Herz, Pankreas) ist die Transplantation des Organs eines CMV-sero- laxe bzw. präemptiven Therapie ist Ganciclovir das Mittel der
positiven Spenders in einen seronegativen Empfänger mit dem größ- 1. Wahl, an 2. Stelle Cidofovir, Foscarnet.
tem Risiko verbunden, da eine CMV-Reaktivierung aus dem trans- Prävention Impfstoff fehlt. Testung von Blut- und Organ-
plantierten Organ zu einer primären Infektion bei einem Empfänger spendern auf CMV-Antikörper.
führt, dessen Fähigkeit zur Entwicklung einer effektiven Immunant- Meldepflicht Keine.
wort eingeschränkt ist. Bei Knochenmarktransplantationen ist die
Übertragung von Knochenmark eines seronegativen Spenders in
einen seropositiven Empfänger mit der höchsten Rate an CMV-Er-
krankungen assoziiert, da hier das Spenderknochenmark erst wieder 71.4 Humanes Herpesvirus 6A, 6B und 7
ein funktionierendes Immunsystem aufbauen muss, noch nicht über (HHV-6A, -6B, -7)
Gedächtniszellen gegen CMV verfügt und deshalb eine (von infi-
zierten Zellen des Empfängers ausgehende) CMV-Reaktivierung Die Humanen Herpesviren 6A, 6B und 7 sind nahe Verwandte des CMV
nicht kontrollieren kann. und werden mit diesem zur Unterfamilie der β-Herpesviren gezählt.
HHV-6 wurde, ursprünglich unter anderem Namen, 1986 in der Arbeits-
Schwangerenvorsorge Alle Schwangeren sollten auf das Vorhan- gruppe von R. Gallo aus Proben von AIDS-Patienten isoliert. 1988 wurde
densein von CMV-Antikörpern getestet werden (ELISA). Durch dann in Japan ein ähnliches Virus aus den Blutlymphozyten von Kin-
geeignete Hygienemaßnahmen (Händewaschen) können seronega- dern mit Exanthema subitum isoliert und aufgrund seiner Eigenschaf-
tive Schwangere beim Umgang mit potenziell CMV-ausscheidenden ten als HHV-6 bezeichnet. Dieses wurde in die Subtypen A und B einge-
Kleinkindern das Risiko einer primären Infektion vermindern (Ri- teilt, die aber phylogenetisch genügend Unterschiede aufweisen, um
siko für Erzieherinnen; Krankenpflegepersonal in Kinderkliniken). heute als getrennte Viren klassifiziert zu werden. 1990 wurde bei der
Züchtung nichtbeimpfter CD4-Zellen eines Gesunden ein weiteres
Schutzimpfung Ein wirksamer Impfstoff ist nicht verfügbar.
zytopathogenes Agens quasi als blinder Passagier isoliert. Es wurde als
Meldepflicht Keine. Herpesvirus klassifiziert und HHV-7 genannt.

In Kürze 71.4.1 Humanes Herpesvirus 6A und 6B


Zytomegalievirus (CMV)
Virus Typisches Herpesvirus, langsame Replikation in Zellkultur. Steckbrief
Epidemiologie In industrialisierten Ländern ist etwa die Hälfte
der Erwachsenen infiziert, in ärmeren Ländern ist die Seroprä- HHV-6B ist der Erreger des Exanthema subitum, auch Dreitage-
valenz höher (≥ 80 %). Ausscheidung durch Kinder für Wochen, fieber oder Roseola infantum genannt. Es wird zudem für
Monate und Jahre (Speichel). Virus kann auch in der Mutter- krankheitsbegleitende Fieberkrämpfe verantwortlich gemacht.
milch, Urin, Genitalsekrete ausgeschieden werden. HHV-6A ließ sich bisher nicht einem bestimmten Krankheitsbild
Übertragung Bei engem Kontakt durch Übertragung von zuordnen. Beide Viren bleiben nach der Primärinfektion latent
Körperflüssigkeiten auf Schleimhäute (Küssen), intrauterin, im Organismus und können reaktiviert werden. Bei Immunsup-
perinatal und durch Stillen. latrogen durch Organe und Blut. primierten kann dies zu Erkrankungen führen (z. B. Hepatitis).
Pathogenese Typische Einschlusskörperchen in den Zellkernen
Virologie

und Latenz des Virus in myeloiden Zellen und Endothelzellen.


Bei Schwächung des Immunsystems Reaktivierung des Virus. Beschreibung
Klinik Primärinfektion des Gesunden häufig asymptomatisch, Morphologie und Genom Als typische Herpesviren enthalten
manchmal unter der Entwicklung eines Mononukleose-ähnlichen HHV-6A und -6B eine Doppelstrang-DNA mit etwa 160 kbp, die in
Bildes (ähnlich wie bei EBV, 7 Abschn. 71.5). Diese Manifestation infizierten Zellen in der Regel, wie bei anderen Herpesviren, als zir-
tritt auch auf nach Übertragung von CMV durch Bluttransfusion kuläres Genom vorliegt. Als Besonderheit des HHV-6 unter den Her-
(selten). Intrauterine Infektion bewirkt Embryopathie oder pesviren hat sich dessen Fähigkeit herausgestellt, gelegentlich sein
Entwicklungsstörungen, perinatale Infektion meist ohne Folgen. Genom in die DNA der Wirtszelle zu integrieren und damit stabil auf
Bei immunsupprimierten Patienten (Transplantierten, AIDS- die Nachkommen dieser Zelle zu vererben. In den betroffenen Pati-
Patienten) häufig schwerwiegende Organmanifestationen enten kann dann z. B. in jedem Leukozyten des peripheren Blutes
(Pneumonie, Hepatitis, Kolitis, Thrombozytopenie, Leukopenie, sowie in jeder anderen Körperzelle ein HHV-6-Genom vorliegen.
Chorioretinitis) als Folge einer Primärinfektion oder (häufiger)
einer CMV-Reaktivierung aus der Latenz. Züchtung Die Anzüchtung und Vermehrung erfolgen in Lympho-
zytenkulturen oder bestimmten lymphatischen Zelllinien. Die Viren
71.5 · Epstein-Barr-Virus (EBV)
565 71
erzeugen dabei einen zytopathischen Effekt vom Typ der Zellfusion.
Einschlusskörperchen lassen sich im Kern und Zytoplasma nach- Epidemiologie Beginn der Durchseuchung im 6. Lebensmonat
weisen. (HHV-6) nach Verschwinden der mütterlichen Antikörper bzw.
im Alter von 2–3 Jahren (HHV-7). Hohe Durchseuchung im Er-
Rolle als Krankheitserreger wachsenenalter.
kÜbertragung und Epidemiologie Pathogenese Wahrscheinlich Latenz in Lymphozyten.
Die Durchseuchung mit HHV-6A und -B beginnt mit dem Ver- Klinik Dreitagefieber (Exanthema subitum) durch HHV-6B, z. T.
schwinden der mütterlichen Antikörper 5–6 Monate nach der Ge- Fieberkrämpfe; selten mononukleoseähnliches Krankheitsbild,
burt. Die Durchseuchung steigt schnell an. Bei Erwachsenen sind Pneumonie, Hepatitis und Enzephalitis. Inkubationsperiode
85–100 % Antikörperträger. Die Übertragung erfolgt durch Speichel 3–15 Tage. Für HHV-7 ist noch keine Krankheit sicher nachge-
über engen Kontakt mit der Mutter oder unter Kleinkindern. In der wiesen.
akuten Phase (Primärinfektion oder Reaktivierung) lässt sich das Immunität Wahrscheinlich lebenslang mit inapparenten Reak-
Virus in Plasma, Leukozyten, bronchoalveolärer Lavageflüssigkeit tivierungen.
und Speichel nachweisen. Labordiagnose Virusnachweis mittels PCR aus peripherem
Blut, Biopsien, Liquor oder anderen Körperflüssigkeiten; im Fall
kKlinik von HHV-6 spielt die Bestimmung der Viruslast im peripheren
HHV-6B ist der Erreger des Dreitagefiebers (Exanthema subitum Blut bei Immunsupprimierten mit klinischen Manifestationen
oder Roseola infantum). Die Inkubationsperiode beträgt 7–14 Tage. eine gewisse Rolle. Nachweis von IgG und IgM im ELISA oder
Das Exanthem tritt gegen Ende der Fieberphase auf. Man kennt auch IFT.
Fälle ohne Exanthem nur mit Fieber und inapparente Verläufe sowie Therapie Ganciclovir, nur bei schweren Manifestationen.
eine »infektiöse Mononukleose« bei Jugendlichen und Erwachse- Prävention Keine.
nen. Die Erkrankung heilt ohne Folgezustände aus. In seltenen Fäl-
len kann HHV-6 mit Enzephalitis, Fieberkrämpfen, Pneumonie,
Hepatitis, Lymphadenopathie und Knochenmarkschädigung asso-
ziiert sein. 71.5 Epstein-Barr-Virus (EBV)
HHV-6B persistiert in lymphatischen Zellen, lässt sich aber mit-
tels PCR auch in vielen Organen nachweisen, ohne dass diesem
Steckbrief
Nachweis immer eine pathologische Bedeutung zukommt. Bei Im-
munsuppression wird HHV-6 reaktiviert und kann mit »CMV-ähn- Das Epstein-Barr-Virus ist der Erreger der infektiösen Mono-
lichen« klinischen Manifestationen verbunden sein (Fieber, Exan- nukleose und ein wichtiger ätiologischer Faktor bei der Entste-
theme, Hepatitis etc.). hung des endemischen Burkitt-Lymphoms, des lymphoepi-
thelialen Nasopharynxkarzinoms, von B-Zell-Lymphomen bei
kLabordiagnose Transplantatempfängern und AIDS-Patienten, bestimmten For-
Antikörper der Klassen IgM und IgG lassen sich im Immunfluores- men des Hodgkin-Lymphoms sowie selten bei Magenkarzino-
zenztest auf infizierten T-Lymphozyten oder im ELISA nachwei- men. Es ist von der WHO als humanes Karzinogen der höchsten
sen.  Virusnachweis mit PCR in vielen Körperflüssigkeiten. Eine Stufe (I) und als menschliches Tumorvirus anerkannt. EBV etab-
Bestimmung der Viruslast mittels quantitativer PCR spielt bei liert seine Latenz in B-Zellen.
Immunsupprimierten mit »CMV-ähnlichen« Symptomen (7 s. o.)
eine Rolle.
Geschichte
kTherapie 1889 beschrieb der Kinderarzt Emil Pfeiffer das nach ihm benannte Pfeiffer-
Ganciclovir. Drüsenfieber mit Angina, Lymphknotenschwellungen und gelegentlicher
Hepatosplenomegalie. Erst 30 Jahre später wurden die atypischen Lympho-
zyten entdeckt, die dem Krankheitsbild zur Bezeichnung »infektiöse Mono-
nukleose« verholfen haben. 1932 entdeckten John Rodman Paul und Walls
71.4.2 Humanes Herpesvirus 7 Willard Bunnell die heterophilen Antikörper. 1964 beobachteten Tony Epstein
und Yvonne M. Barr in kultivierten Burkitt-Lymphomzellen ein »herpesähnli-
HHV-7 ist mit keinem klar definierten Krankheitsbild verbunden. ches« Virus und entdeckten so das erste menschliche Tumorvirus. Schließlich
Mononukleoseähnliche Krankheitsbilder und unklare Fieberzustän- erbrachten Werner und Gertrude Henle 1968 in Philadelphia den Beweis,
de sind sehr selten. Bei Immunsupprimierten kommt es oft zu Reak- dass EBV die infektiöse Mononukleose hervorruft.
tivierungen ohne etablierte klinische Bedeutung. Die Größe des
DNA-Genoms beträgt ca. 153 kbp. Die Durchseuchung mit HHV-7
beginnt erst nach dem 2. Lebensjahr und erreicht bei 11- bis 13-Jäh- 71.5.1 Lebenszyklus des EBV
rigen 60 %, bei Erwachsenen 80–90 %. Die Übertragung erfolgt
durch Speichel (bei Erwachsenen: 95 % PCR-positiv). jMorphologie und Genom
EBV ist ein typisches Virus der Herpesgruppe mit 184 kbp großem
DNA-Genom, das etwa 100 Proteine sowie 2 kurze, abundant expri-
In Kürze mierte, nichttranslatierte nukleäre RNAs (EBERs) und mehrere
Humanes Herpesvirus 6A, 6B und 7 (HHV-6A, -6B, -7) miRNAs kodiert.
Virus Typische Herpesviren. Genomgröße ca. 150–160 kbp.
Vorkommen und Übertragung Nur beim Menschen. Übertra- jLatenz
gung durch engen Kontakt (Speichel). EBV etabliert seine Latenz in B-Zellen. Nach Übertragung des Virus
durch Speichel (7 s. u.) infiziert EBV B-Zellen im Bereich der Ton-
566 Kapitel 71 · Herpesviren
Virologie

. Abb. 71.14 Etablierung der EBV-Latenz in B-Zellen. EBV infiziert zunächst naive B-Zellen in lymphatischen Organen des Nasen-Rachen-Raumes und
induziert in diesen die Proliferation und Reifung zu Gedächtnis-B-Zellen, in denen eine langfristig latente Persistenz möglich ist. Diese Entwicklung beinhaltet
3 verschiedene Latenzprogramme (I–III) des EBV. Details im Text
71.5 · Epstein-Barr-Virus (EBV)
567 71
Blut-Zirkulation lymphatisches Gewebe Epithelgewebe

physiologische
Plasmazellreifung
und
Antikörperproduktion
Gedächtnis-
B-Zelle
aktivierte
Gedächtnis-
B-Zelle Plasmazelle

Infizierte B-Zelle
und
Virusproduktion

produktiver
Replikationszyklus

Abgabe (Shedding)
von EBV auf
Mukosaoberfläche

. Abb. 71.15 Reaktivierung von EBV aus der Latenz und Produktion neuer Viruspartikel im Rahmen der Differenzierung EBV-infizierter B-Zellen zu Plasma-
zellen. Details im Text

sillen und anderer lymphatischer Strukturen des Oropharynx. Die die von B-Zell-Antigen-Rezeptoren ausgehenden Signale). Dieses
Mehrzahl der B-Zellen in diesen lymphatischen Strukturen sind als Latenzprogramm II bezeichnete Portfolio viraler Proteine imi-
naive B-Zellen, die noch keinen Kontakt mit Antigen hatten, nur tiert damit die Signale, denen die antigenerkennende B-Zelle phy-
eine Lebensdauer von Tagen haben und deshalb als Ort der lang- siologischerweise im Keimzentrum ausgesetzt wäre – EBV »täuscht«
fristigen Persistenz ungeeignet sind. damit der infizierten B-Zelle »vor«, sie habe Kontakt mit Antigen
Um in diesen Zellen langfristig persistieren zu können, induziert gehabt und müsse deshalb proliferieren.
EBV zunächst deren Proliferation. Hierfür verwendet es virale, im Im Rahmen der normalen B-Zell-Physiologie werden B-Zellen
Kern der infizierten B-Zelle exprimierte Proteine (Epstein-Barr- im Keimzentrum durch Kontakt mit ihrem Antigen selektiert, zur
Virus nukleäre Antigene, EBNAs), speziell EBNA-2, EBNA-3A, -3B, Proliferation angeregt und ihr »B-Zell-Rezeptor« »reift« (Rearrange-
-3C und EBNA-LP, sowie 2 virale Membranproteine (latente Mem- ment der Ig-Gene, »Umschalten« von IgM auf IgG, somatische Hy-
branproteine LMP-1 und LMP-2A). Diese Proteine sind Bestandteil permutation des antigenerkennenden Bereichs im »B-Zell-Rezeptor«
des Latenzprogramms III und manipulieren die Transkription zellu- zur Erhöhung der Affinität für das erkannte Antigen; 7 Kap. 8). Auf
lärer Gene durch Beeinflussung zellulärer Transkriptionsfaktoren, diese Weise selektierte und gereifte B-Zellen verlassen das Keimzen-
epigenetischer Kontrollmechanismen und zellulärer Signalkas- trum und werden zu Plasmazellen oder langlebigen Gedächtnis-B-
kaden. Details zur Funktion einiger dieser Proteine finden sich in Zellen.
7 Kap. 54 (. Abb. 54.3 bis . Abb. 54.6). Durch die Stimulation mithilfe seiner Latenzprogramme II und
Die auf diese Weise zur Proliferation angeregten B-Zellen wan- III und Passage durch das Keimzentrum reifen EBV-infizierte B-
dern in die Keimzentren der Lymphfollikel. Dort befinden sie sich in Zellen auch ohne Antigenkontakt zu Gedächtnis B-Zellen, in de-
einer Umgebung, in der B-Zellen physiologischerweise als Reaktion nen EBV aufgrund von deren langer Lebensdauer eine andauernde
auf stimulierende Antigene proliferieren (7 Kap. 7). EBV kann des- Persistenz etablieren kann. Eine Wachstumsstimulation dieser Ge-
halb einen Teil seiner wachstumsstimulierenden Proteine »abschal- dächtnis-B-Zellen ist jetzt nicht mehr notwendig und EBV reduziert
ten« und exprimiert nur noch EBNA-1 (benötigt zur Replikation deshalb das Spektrum der exprimierten viralen Gene noch weiter:
und Erhaltung des viralen Genoms während der Latenz), LMP-1 Im Latenzprogramm I werden jetzt nur noch EBNA-1 und nukleäre
(imitiert normalerweise vom CD40-Rezeptor ausgehende kostimu- nichttranslatierte RNAs (EBERs) exprimiert, im Latenzprogramm 0
lierende Signale für die B-Zell-Proliferation) und LMP-2A (imitiert lediglich das LMP-2A-Protein (. Abb. 71.14).
568 Kapitel 71 · Herpesviren

jReaktivierung und Bildung neuer Viruspartikel


Wie alle Herpesviren muss EBV gelegentlich aus seiner Latenz reak-
tivieren, um neue Viruspartikel zu bilden und einen neuen Wirt zu
infizieren – ansonsten würde es mit dem Tod des infizierten Wirtes
zugrunde gehen. Hierfür nutzt EBV ebenfalls die normale B-Zell-
Physiologie aus (. Abb. 71.15). Um Antikörper produzieren zu kön-
nen, differenzieren gereifte B-Zellen des Keimzentrums oder durch
Antigenkontakt »reaktivierte« Gedächtnis-B-Zellen zu Plasma-
zellen.
Durchläuft eine latent mit EBV infizierte B-Zelle diesen Diffe-
renzierungsprozess, so lösen die dabei beteiligten Signalwege eine
Reaktivierung des Virus, den produktiven Replikationszyklus und
die Bildung neuer Virionen aus. Plasmazellen, die auf den Schleim-
hautoberflächen abgegebene Immunglobuline sezernieren, finden
sich in der Mukosa und neu gebildete EBV-Virionen können auf
diese Weise in den Oropharynx sezerniert und über den Speichel auf . Abb. 71.16 Mononukleose-Angina durch EBV (mit freundl. Genehmigung
neue Wirte übertragen werden. von Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz)

jImmunität gegen EBV


Das Eindämmen der akuten EBV-Infektion und das Umschalten von zioökonomischen Lebensbedingungen, desto früher im Leben er-
Latenzprogramm III auf II (7 s. o.) vermitteln EBV-spezifische zyto- folgt die Erstinfektion. Während und nach einer symptomatischen
toxische T-Zellen, die nach der Infektion gebildet werden. Deren Primärerkrankung (infektiöse Mononukleose, 7 s. u.) scheiden viele
Bedeutung wird dadurch unterstrichen, dass bei der angeborenen Patienten EBV wochen- und monatelang aus. Auch bei einem klei-
X-chromosomal gekoppelten Immundefizienz (»X-linked immuno- nen Teil gesunder Erwachsener kann man die Virusausscheidung im
deficiency«), die mit einer Beeinträchtigung der T-Zell-Reifung ein- Speichel nachweisen.
hergeht, eine primäre EBV-Infektion zu unkontrollierter B-Zell-
Proliferation und schneller Entwicklung eines B-Zell-Lymphoms kKlinische Manifestationen
führt, an dem die Patienten häufig versterben. Diese unkontrolliert Die infektiöse Mononukleose (IM, Pfeiffer-Drüsenfieber) ist die
proliferierenden B-Zellen enthalten EBV im Latenzprogramm III. klinische Manifestation einer Erstinfektion mit EBV. Sie tritt am häu-
Diese Beobachtung unterstreicht die Bedeutung des Latenz- figsten bei jungen Menschen zwischen 15 und 30 Jahren auf, nicht
programms III für die EBV-vermittelte B-Zell-Proliferation, aber alle Erstinfektionen mit EBV in dieser Altersgruppe verlaufen aber
auch die Tatsache, dass zytotoxische T-Zellen einige der Latenz-III symptomatisch. Bei Erstinfektionen im Kindesalter sind hingegen
Proteine, insbesondere EBNA-3A, -3B, -3C, erkennen und T-Zellen asymptomatische Verläufe die Regel. Dies spiegelt die Tatsache wie-
das »gefährliche« Latenzprogramm III, und damit die EBV-induzier- der, dass viele der typischen IM-Symptome (7 s. u.) Ausdruck der
te B-Zell-Proliferation, »in Schach« halten. massiven Reaktion des Immunsystems und der rasch expandieren-
Ferner werden Antikörper gegen verschiedene EBV-Proteine den EBV-spezifischen T-Zellen sind (7 s. o.). Im Kindesalter verläuft
gebildet, denen eine diagnostische Bedeutung zukommt (s. u.: 7 La- die Reaktion des Immunsystems weniger ausgeprägt.
bordiagnose). Die Angina führt auf den Tonsillen oft zu graugelben Belägen
und gelegentlich zu Ulzera (. Abb. 71.16). Häufig ist ein starker
jZüchtung Mundgeruch vorhanden. Die Lymphknotenschwellungen finden
Das Virus lässt sich durch Kokultivierung auf Nabelschnurlympho- sich zunächst am Hals, dann in der Achsel, in der Leistengegend,
zyten übertragen. In Abwesenheit EBV-spezifischer T-Zellen führt aber auch im Hilus. Die Splenomegalie ist weich; es besteht die Ge-
die EBV-Infektion von B-Zellen, wie oben geschildert, zu deren un- fahr einer Milzruptur. Weitere mögliche Symptome der infektiösen
kontrollierter Proliferation, ausgelöst durch das Latenzpro- Mononukleose sind eine sehr häufige milde Hepatitis bzw. Trans-
gramm III. Die B-Zellen werden dabei immortalisiert und lassen aminasenerhöhungen, Meningitis, Exantheme, Thrombozytopen-
sich als stabile Zelllinien langfristig kultivieren. Die Inokulation sol- ie, Myokarditis, Perikarditis, interstitielle Pneumonie sowie Myal-
cher EBV-immortalisierter B-Zell-Klone in Nacktmäuse (diese ha- gie und selten eine Neuropathie. Die Hepatitis kann das einzige
ben kein T-Zell-System) führt zur Entwicklung von B-Zell Lympho- Symptom der Erkrankung sein. Embryopathien sind nicht bekannt.
Virologie

men; dies demonstriert eindrücklich die onkogene Wirkung von Differenzialdiagnostisch sind auch die »Mononukleose« durch
EBV. In der Routinediagnostik spielt die Anzüchtung von EBV aller- CMV, HIV oder HHV-6, die Toxoplasmose sowie die Streptokok-
dings keine Rolle. kenangina in Betracht zu ziehen.
Eine besondere Form der EBV-Infektion ist die Transfusions-
mononukleose. Sie wird bei EBV-Seronegativen nach Bluttransfu-
71.5.2 Rolle als Krankheitserreger sionen oder Organtransplantationen mit EBV-positivem Material
beobachtet (selten).
kEpidemiologie
Die Übertragung des EBV erfolgt oral, meistens durch virushaltigen Haarleukoplakie Diese Erkrankung tritt nur bei AIDS-Patienten
Speichel, im Rahmen enger Kontakte, z. B. durch Küssen (»college auf und reflektiert die aufgrund des Immundefekts unkontrollierte
disease«, »kissing disease«), aber auch durch die gemeinsame Benut- produktive EBV-Replikation im Zungenepithel. Sie ist gekennzeich-
zung von Essbesteck. Die Prävalenz der EBV-Infektion steigt schon net durch weiße Beläge am Zungenrand.
vor der Pubertät schnell an (Hinweis auf Übertragung im Kindesal- Die chronische aktive EBV-Infektion ist eine sich monatelang
ter) und erreicht bei jungen Erwachsenen 90 %. Je niedriger die so- hinziehende EBV Infektion bei sonst Gesunden, die EBV aus unbe-
71.5 · Epstein-Barr-Virus (EBV)
569 71
kannten Gründen nicht »unter Kontrolle bekommen«. Gekenn- ter Verbreitung von EBV, auf die Beteiligung weiterer Umweltkarzi-
zeichnet ist sie durch rezidivierendes Fieber, Splenomegalie, Hepati- nogene hin und legt diätetische Faktoren (z. B. Karzinogene in ge-
tis, Viruspneumonie, Lymphknotenschwellungen, Arthralgien in- räuchertem Fisch, Gewürze) als Kofaktoren nahe.
folge Infiltration EBV-haltiger B-Lymphozyten. Serologisch fallen
hohe Titer gegen Kapsid- und Early-Antigen (7 s. u.) auf. Hodgkin-Lymphom Etwa die Hälfte der Fälle des Morbus Hodgkin
vom gemischten und nodulär-sklerosierenden Typ enthalten EBV-
kMaligne Erkrankungen infolge EBV-Infektion positive Reed-Sternberg-Zellen, die malignen Zellen dieses Tumors.
EBV gehört zu den 7 von der International Agency for the Research Die EBV-infizierten Reed-Sternberg-Zellen exprimieren oft die la-
against Cancer (IARC, einem WHO-Institut) anerkannten humanen tenten Membranproteine LMP-1 und LMP-2 (. Abb. 54.4), entspre-
Tumorviren und wurde in die höchste Karzinogenklasse (I) einge- chend dem Latenzprogramm II des EBV (7 Abschn. 71.5.1). Ferner
stuft. Es spielt eine ursächliche Rolle bei 5 menschlichen Tumoren: weisen Reed-Sternberg-Zellen oft rearrangierte Immunglobulinge-
4 Burkitt-Lymphom ne und somatische (oft fehlerhafte) Mutationen in der Antigenbin-
4 Hodgkin-Lymphom dungsregion des membranständigen Antikörpers (des »Antigenre-
4 Posttransplantationslymphom zeptors« oder »B-Zell-Rezeptors«) auf (7 Kap. 8). Dies deutet darauf
4 Magenkarzinom hin, dass Reed-Sternberg-Zellen aus defekten B-Zellen des Keimzen-
4 NK-/T-Zell-Lymphome trums entstanden sind, die (wegen ihrer fehlerhaften Antigenbin-
dungsregion des »B-Zell-Rezeptors«) eigentlich hätten eliminiert
Burkitt-Lymphom EBV findet sich in allen Fällen des endemischen werden sollen, aber durch die Anwesenheit von EBV und die Wir-
(im »Malariagürtel« Afrikas vorkommenden) Burkitt-Lymphoms, kung von LMP-1 und LMP-2A (diese simulieren die Stimulierung
aber nur in weniger als der Hälfte der sporadischen Burkitt-Lym- der B-Zelle durch Antigenkontakt; 7 Abschn. 71.5.1) am Leben er-
phom-Fälle in westlichen Ländern sowie etwa in der Hälfte der halten wurden.
AIDS-assoziierten Burkitt-Lymphome. Charakteristisch für alle Fälle von EBV-positivem Morbus Hodgkin treten 5–10 Jahre
Burkitt-Lymphome ist die reziproke Chromosomentranslokationen nach einer symptomatischen infektiösen Mononukleose signifikant
zwischen Chromosom 8 (Träger des c-myc-Onkogens) und einem häufiger auf als EBV-negative Fälle. Vermutlich ist diese Erkrankung
der Chromosomen 14, 2 oder 22 (Träger der Gene für die schwe- also auf EBV-infizierte B-Zellen des Keimzentrums zurückzuführen,
re [H] bzw. die beiden leichten Ketten [λ, κ] der Antikörper; 7 Kap. welche durch die EBV-spezifischen T-Zellen des Patienten nicht eli-
8) in B-Zellen. Man kann diese Ereignisse als »zytogenetische Unfäl- miniert wurden und so unter dem Einfluss des proliferationsför-
le« bezeichnen. Hierdurch gerät das c-myc-Onkogen unter den Ein- dernden Latenzprogramms II des EBV (7 Abschn. 71.5.1) zu malig-
fluss der Immunglobulingene, die in B-Zellen konstitutiv aktiv sind. nen Klonen auswachsen konnten.
Als Folge steigen die Expression des c-myc-Onkogens und damit die
Zahl der Zellteilungen. Die unkontrollierte Expression von c-myc Posttransplantationslymphom (PTLD) Infolge der reduzierten an-
erhöht ebenfalls die Apoptoseneigung der betroffenen, proliferie- tiviralen T-Zell-Aktivität bei Organtransplantierten und AIDS-Pa-
renden B-Zellen. tienten können, je nach Stärke der Immunsuppression, poly-, oligo-
Das endemische Burkitt-Lymphom tritt vorwiegend in Regio- oder monoklonale B-Zell-Lymphoproliferationen auftreten. Diese
nen Zentralafrikas auf, in denen Malaria holoendemisch vorkommt. entstehen aufgrund der o. g. Fähigkeit von EBV, B-Zellen zur Prolife-
Diese Beobachtung sowie experimentelle Hinweise deuten auf eine ration anzuregen und zu immortalisieren. Besonders gefährdet sind
wichtige Kofaktorrolle der Malaria bei der Entstehung des endemi- hier Kinder, die nach einer Organ- oder Knochenmark-/Stammzell-
schen Burkitt-Lymphoms hin. Vermutlich erhöht Malaria, die eben- transplantation eine Primärinfektion mit EBV durchmachen.
falls B-Zellen stark stimuliert, die Wahrscheinlichkeit, dass die für
das Burkitt-Lymphom typische Chromosomentranslokationen auf- Magenkarzinom Bei einem kleinen Teil (< 10 %) der Magenkar-
treten. Liegt EBV in latenter Form in einer B-Zelle vor, in der diese zinome finden sich EBV-infizierte epitheliale Tumorzellen. EBV-
Translokation stattgefunden hat, so vermitteln einige seiner Proteine infizierte Magenkarzinome kommen eher im proximalen Teil des
einen Schutz vor der durch c-myc-Überexpression ausgelösten Apo- Magens vor und stellen wahrscheinlich eine andere Entität dar als
ptose und tragen so dazu bei, dass eine B-Zelle mit c-myc-Translo- die häufigeren, durch Helicobacter pylori (7 Kap. 32) verursachten
kation zu einem Lymphom auswächst. Klinisch stehen Tumoren der Magenkarzinome.
Mandibula oder Maxilla im Vordergrund, manchmal auch große
Tumoren im Abdominalbereich. NK-/T-Zell-Lymphome Sehr selten wird EBV auch in T-Zell-Lym-
Spontane Burkitt-Lymphome hingegen entstehen ohne Mitwir- phomen, oft mit einer NK-/T-Zell-Differenzierung, gefunden.
kung des EBV nur als Folge der c-myc-Translokation. Sie sind sehr viel
seltener, was die »tumorbeschleunigende« Wirkung des EBV unter- kLabordiagnose
streicht. Eine Reaktivierung des Virus oder die Expansion EBV-positiver
Lymphomzellen im peripheren Blut lassen sich heute durch quanti-
Nasopharynxkarzinom (Schmincke-Tumor) Dieser lymphoepithe- tative PCR auf peripheren Blutzellen oder Plasma nachweisen. Dies
liale Tumor tritt vorwiegend in der chinesischen Bevölkerung Süd- spielt eine Rolle bei der Überwachung von Empfängern von Organ-
ostasiens, aber auch an der Nordküste Afrikas (Maghreb) und in oder Knochenmarktransplantaten. Allerdings ist der Nachweis einer
Grönland (Inuit) auf. Seine Inzidenz beträgt weltweit 0,3/100.000/ erhöhten EBV Viruslast bei diesen Patienten nicht beweisend für das
Jahr. In Deutschland sind 4 % aller bösartigen Tumoren im HNO- Vorliegen einer PTLD, sondern gibt nur einen Hinweis, dem mit
Bereich Nasopharynxkarzinome. Im Nasopharynxkarzinom enthal- anderen diagnostischen Methoden (bildgebende Verfahren) nach-
ten nur die epithelialen Tumorzellen EBV-DNA in latenter Form gegangen werden kann.
(zirkuläre Episome; keine Produktion von Viruspartikeln) und ex-
primieren transformierende EBV-Proteine (z. B. LMP-1). Die rest- Diagnostisch wichtige EBV-Proteine Einige der bei der Betrachtung
ringierte geografische Verteilung dieses Tumors deutet, bei weltwei- des EBV-Lebenszyklus erwähnten Proteine (7 Abschn. 71.5.1) sind
570 Kapitel 71 · Herpesviren

. Tab. 71.2 Antikörperentwicklung bei EBV-Infektionen

Infektionsstatus Anti-EBV-VCA Anti-EBV-EA- Anti-EBNA- Anti-EBNA- Anti-MA-


IgG IgM IgG IgG
IgG IgM IgA

Durchseuchungstiter (90 % der erwachsenen + – – – – + +


Bevölkerung)
Frische Infektion ++ + (+) + + spät – +
Protrahiert verlaufende Infektion + +/– – + – + +
Reaktivierung bei geschwächter Immunitätslage + (+) – + – + +
Burkitt-Lymphom ++ – ++ – + +
Nasopharynxkarzinom ++ ++ ++

VCA, Viruskapsidantigen; EA, »early antigen«; MA, Membranantigen; EBNA, »Epstein-Barr nuclear antigen«

auch als diagnostische Antigene von Bedeutung (. Tab. 71.2). Hierzu


zählen die während der Latenz exprimierten nukleären (EBNA-)Pro- Pathogenese Primäre Infektion von B-Lymphozyten in lympha-
teine sowie das »early antigen« (EA) und das virale Kapsidantigen tischen Strukturen des Pharynx/Epipharynx. Das Virus regt infi-
(VCA) des produktiven (lytischen) Replikationszyklus. VCA ist Be- zierte B-Zellen zur Proliferation an und lässt sie zu Gedächtnis-B-
standteil neu gebildeter Viruspartikel. Antikörper gegen diese Prote- Zellen werden, in denen es langfristig in latenter Form persistiert.
ine lassen sich im ELISA oder in Immunfluoreszenztests (IFT) nach- Klinik EBV ist die Ursache der infektiösen Mononukleose und
weisen. Dabei zeigen IgM-Antikörper gegen VCA eine akute Infekti- verschiedener Tumoren. Hierzu gehören das endemische Bur-
on an, während IgG-Antikörper gegen VCA langfristig persistieren kitt-Lymphom, das Nasopharynxkarzinom, etwa die Hälfte der
(. Abb. 71.17). Antikörper gegen EA finden sich bei frischen Infek- Fälle von Morbus Hodgkin sowie Lymphoproliferationen bei
tionen. IgG-Antikörper gegen EBNA erscheinen verzögert und lassen Immunsupprimierten (PTLD). Seltener spielt es eine Rolle bei
sich bei latent Infizierten nachweisen. IgA-Antikörper gegen VCA Magenkarzinomen und NK-/T-Zell-Lymphomen.
lassen sich schon im Vorfeld der Entstehung eines Nasopharynxkar- Immunität CTL kontrollieren die Reaktivierung, Antikörper ge-
zinoms nachweisen und haben prognostische Bedeutung. gen Kapsid-, EBNA-, Early- und Membran-Antigene. Zweitinfek-
Diese Verfahren sind spezifischer als der früher übliche Nach- tionen (»Überinfektionen«) mit einem anderen EBV-Stamm sind
weis heterophiler Antikörper im Paul-Bunnell-Test. Eine Anzüch- möglich, d. h. kein Schutz gegen weitere Infektion mit EBV.
tung des EBV ist für die Diagnostik nicht üblich. Im Gewebe lassen Labordiagnose Nachweis von IgG gegen VCA-, EA-, EBNA-Anti-
sich infizierte Zellen gut durch die Anwesenheit der EBER-RNA im gene mittels IFT oder ELISA, von IgM oder IgA gegen VCA in
Kern mittels In-situ-Hybridisierung sowie, je nach Latenzmuster, ELISA oder IFT. Bestimmung der Viruslast im peripheren Blut
EBNA-1 (Kern) bzw. LMP-1 und LMP-2A (Zytoplasma) in der Im- mittels quantitativer PCR.
munhistologie nachweisen (. Abb. 54.4). Therapie Symptomatisch. Aciclovir bei Haarleukoplakie.
Prophylaxe Ein Impfstoff fehlt.
kTherapie und Prävention
Bei anderen Herpesviren verwendete Inhibitoren der viralen DNA-
Polymerase (Aciclovir, Ganciclovir, Cidofovir, Foscarnet; 7 Kap. 108)
zeigen keine gute Wirkung gegen EBV, da die meisten EBV-beding- 71.6 Humanes Herpesvirus 8 oder Kaposi-
ten Erkrankungen (7 s. o.) auf die Auswirkungen einer latenten EBV- Sarkom-Herpesvirus (KSHV/HHV-8)
Infektion zurückzuführen sind, die virale DNA-Polymerase aber nur
im Rahmen des lytischen (produktiven) Replikationszyklus benötigt Steckbrief
wird. Bei der Haarleukoplakie der Zunge, die Ausdruck der lytischen
Replikation des EBV bei immunsupprimierten AIDS-Patienten ist, Ausgehend von der – epidemiologisch begründeten – Vermu-
Virologie

kann Aciclovir (ACV) versucht werden. Eine Impfung gegen EBV tung, dass ein unbekanntes, sexuell übertragbares Agens die Ur-
steht nicht zur Verfügung. sache des Kaposi-Sarkoms (KS) sein könnte, gelang Yuan Chang
und Patrick Moore 1994 die Entdeckung von »herpesähnlicher
DNA« im Kaposi-Sarkom (KS) von AIDS-Patienten; in der Folge
In Kürze wurde das ganze Genom kloniert. Die DNA dieses γ-Herpesvirus
Epstein-Barr-Virus (EBV) umfasst etwa 165 kbp. Sie lässt sich in den Tumorzellen (Spindel-
Virus Typisches Herpesvirus, infiziert Epithelien und B-Lympho- zellen) aller KS-Formen (AIDS-KS, iatrogenes KS, afrikanisches
zyten; immortalisiert B-Lymphozyten, das Virus wird dabei latent. »endemisches« KS, »klassisches« KS bei älteren Männern aus dem
Vorkommen Beim Menschen weltweit. osteuropäischen oder Mittelmeerraum) nachweisen. KSHV/HHV-8
Epidemiologie Durchseuchung hoch, je nach sozioökonomi- ist der Hauptfaktor bei der Entstehung des KS, des primären Effu-
schen Lebensbedingungen, bei Erwachsenen weltweit > 90 %. sionslymphoms und der Plasmazellvariante des Morbus Castle-
Übertragung Übertragung durch Speichel (Küssen, »kissing man. Begünstigend wirken eine Immundefizienz, entzündliche
disease«). Lebenslang intermittierende Ausscheidung im Speichel. Reaktionen und noch unbekannte Faktoren.
71.6 · Humanes Herpesvirus 8 oder Kaposi-Sarkom-Herpesvirus (KSHV/HHV-8)
571 71

. Abb. 71.17 Ablauf einer EBV-Infektion. Dargestellt ist das Auftreten von Antikörpern gegen VCA-(Viruskapsid-), EBNA-1 sowie EA

71.6.1 Rolle als Krankheitserreger gekennzeichnet durch die Expression viraler Gene, welche die Ex-
pression zellulärer entzündlicher Zytokine (IL-6, IL-8) und angioge-
kÜbertragung und Epidemiologie ner Faktoren (IL-8, VEGF) bewirken, virale Zytokine (vIL6, vMIP I–
Die Prävalenz von KSHV/HHV-8 liegt in den Ländern Afrikas süd- III) darstellen, Apoptose beeinflussen (vbcl), die Interferonkaskade
lich der Sahara bei 50–60 %, in Ländern des Mittelmeerraums zwi- modulieren (vIRFs) und so zu manchen Aspekten der Pathologie
schen 3 und 30 %. Im Gegensatz dazu ist es, mit der Ausnahme man- (z. B. Gefäßneubildung) beitragen können.
cher Populationen in Südamerika und China, im Rest der Welt selten
(im Allgemeinen < 3–5 %). In Risikogruppen für sexuell übertragba- Kaposi-Sarkom Das KS ist ein angioproliferativer Tumor und be-
re Erkrankungen (Prostituierte, homosexuelle Männer) ist die Prä- steht aus spindelzellartigen Elementen, die sich von Endothelzellen
valenz höher als in der Allgemeinbevölkerung. In westlichen Län- ableiten. Es tritt auf der Haut, den Schleimhäuten, in Organen und
dern hat sich KSHV/HHV-8 in diesen Risikogruppen im Rahmen im Lymphgewebe multizentrisch auf und ist meistens poly- oder
einer von HIV unabhängigen Verbreitungswelle wahrscheinlich oligoklonal. In den frühen Stadien kann es, z. B. bei Reduktion der
zwischen 1960 und 1980 zunächst unerkannt ausgebreitet. Immunsuppression oder Hemmung der HIV-Replikation durch
Die Übertragung des KSHV/HHV-8 erfolgt offenbar v. a. durch HAART (7 Kap. 108) zu Regressionen dieses Tumors kommen. Die-
Speichel. In endemischen Ländern erfolgt ein großer Teil der Durch- se Beobachtung unterstreicht, dass KSHV/HHV-8 die Entwicklung
seuchung im Kindesalter vor der Pubertät. In allen Ländern trägt dieses Tumors »treibt« und, zumindest in frühen Stadien, das
sexuelle Übertragung zusätzlich zur Ausbreitung bei, wobei diese in Wachstum von Tumorzellen noch nicht autonom ist. Wahrschein-
den oben erwähnten Risikogruppen eine besonders große Rolle lich tragen mehrere KSHV/HHV-8-Proteine zur der KS zugrunde
spielt. Antikörper lassen sich bei Patienten mit KS in 90–100 % nach- liegenden atypischen Differenzierung von Endothelzellen bei.
weisen.
KSHV/HHV-8-assoziierte Lymphome Beim primären Effusions-
kPathogenese lymphom (PEL; Körperhöhlenlymphom) finden sich maligne B-Zel-
KSHV/HHV-8 etabliert seine Latenz in B-Zellen. Es infiziert ferner len in Exsudaten des Pleura- und Abdominalraumes, oft in Abwesen-
Endothelzellen, von denen die Entwicklung des Kaposi-Sarkoms heit erkennbarer solider Lymphommassen. Die KSHV/HHV-8-infi-
ausgeht, sowie Monozyten/dendritische Zellen. Neben dem KS kann zierten malignen B-Zellen sind oft, aber nicht immer, ebenfalls EBV-
KSHV/HHV-8 zwei Lymphome verursachen: das primäre Effu- infiziert. Bei der Plasmazellvariante des multizentrischen Morbus
sionslymphom und die Plasmazellvariante des multizentrischen Castleman finden sich KSHV/HHV-8-infizierte Lymphomzellen in
Morbus Castleman. »Pseudokeimzentren« mit ausgeprägter Gefäßreaktion im lymphati-
In den meisten Tumorzellen liegt das Virus in latenter Form (epi- schen Gewebe. Viele der infizierten B-Zellen exprimieren ein KSHV/
somales Genom, restringierte Genexpression) vor. In diesem Zu- HHV-8-kodiertes Homolog des zellulären IL-6 (vIL-6). vIL-6 ist
stand werden nur 4–5 virale Proteine exprimiert; einige von diesen sehr viel stärker pleiotrop als zelluläres IL-6 und regt unter anderem
(latenzassoziiertes nukleäres Antigen, LANA; ein D-Typ-Cyclin- B-Zellen zum Wachstum an. Drei virale Proteine, vFLIP, vCyc und
Homolog; vFLIP, ein Homolog eines zellulären Apoptoseregulators; vIRF3, sind für das Überleben von PEL-Zellen wichtig.
mehrere miRNA) beeinflussen Zellfunktionen (Zellzyklus, »An-
schalten« zellulärer Gene und Signalketten, Apoptosehemmung, In- kLabordiagnose
teraktion mit zellulären Tumorsuppressorproteinen), die eine ur- KSHV/HHV-8 DNA lässt sich in Tumormaterial oder peripherem
sächliche Beteiligung an der Entwicklung der KSHV/HHV-8-assozi- Blut gut mittels PCR nachweisen. Bei gesunden KSHV/HHV-8-infi-
ierten Tumoren vermuten lassen. zierten Personen ist das Virus allerdings derart latent, dass sein
Ferner liegen in einem kleinen Teil der infizierten Tumorzellen Nachweis im peripheren Blut nur bei einem kleinen Teil von ihnen
die Frühstadien des produktiven Replikationszyklus vor. Diese sind gelingt.
572 Kapitel 71 · Herpesviren

Antikörper gegen KSHV/HHV-8 lassen sich mittels Immun- Literatur


fluoreszenz oder ELISA nachweisen. Hierbei gilt der Nachweis von
Antikörpern gegen das latente nukleäre Antigen (LANA) als sehr Arvin A, Campadelli-Fiume G, Mocarski E, Moore PS, Roizman B, Whitley R,
spezifisch, aber nicht 100 % sensitiv, während der Nachweis von An- Yamanishi K (2007) Human Herpesviruses. Biology, Therapy and
Immunoprophylaxis. Cambridge University Press.
tikörpern gegen strukturelle Proteine in manchen Verfahren an
Flint SJ, Enquist LW, Racaniello VR, Skalka AM (2004) Principles of Virology.
mangelnder Spezifität leidet. Bewährt hat sich hier der Nachweis von
2nd ed. Washington: ASM Press.
Antikörpern im ELISA gegen ein virales Glykoprotein, K8.1, sowie Knipe DM, Howley PM, Griffin DE, Lamb RA, Martin MA, Roizman B, Straus SE
der Nachweis von Antikörpern gegen virale Strukturproteine in (2013) Fields Virology. 6th ed. Vol. I+II. Lippincott, Williams&Wilkins.
einem Immunfluoreszenztest, der eine PEL-Zellinie als Antigen ver- Mertens T, Haller O, Klenk HD (2004) Diagnostik und Therapie von Viruskrank-
wendet. heiten. 2. Aufl. München: Urban & Fischer.
Die Virusanzucht aus Patientenmaterial ist extrem schwierig Zuckerman AJ, Banatvala JE, Pattison JR, Griffiths PD, Schoub BD (2008)
und wird in der Praxis für diagnostische Zwecke nicht durchgeführt. Principles and Practice of Clinical Virology. 6th ed. Wiley.

kTherapie
Ganciclovir und Cidofovir hemmen die produktive Replikation des
KSHV/HHV-8, ihr Einsatz bei an CMV-Erkrankungen leidenden
AIDS-Patienten ist mit einer geringeren Rate an AIDS-KS assoziiert.
Bei etablierten KS-Tumoren oder Lymphomen wie PEL sind sie un-
wirksam.

In Kürze
Humanes Herpesvirus 8 oder Kaposi-Sarkom Herpesvirus
(KSHV/HHV-8)
Virus Herpesvirus der γ-Subfamilie, DNA ca. 165 kbp (von Isolat
zu Isolat variabel).
Vorkommen Vor allem in den südlich der Sahara gelegenen
Ländern Afrikas, im Mittelmeerraum (hier große regionale
Unterschiede) und in Südamerika (in bestimmten Populatio-
nen). Selten in vielen Ländern, außer in Gruppen mit erhöhtem
Risiko für sexuell übertragene Erkrankungen.
Übertragung In endemischen Ländern Übertragung in der
Kindheit durch Speichel von der Mutter auf das Kind und unter
Kindern. Im Erwachsenenalter und v. a. in Risikopopulationen
sexuelle Übertragung.
Pathogenese Ursache des Kaposi-Sarkoms, eines poly- bis
monoklonalen, multizentrischen Tumors aus endothelartigen
Zellen, der meist bei Immungeschädigten auftritt. Ferner
beteiligt an der Pathogenese der Plasmazellvariante des multi-
zentrischen Morbus Castleman und des primären Effusions-
lymphoms.
Labordiagnose PCR für DNA-Nachweis, IFT, ELISA zum Nach-
weis von Antikörpern gegen latente (LANA) und strukturelle
Antigene (z. B. K8.1, PEL-Zellinien oder gereinigte Virionen).
Therapie Gegebenenfalls Ganciclovir, evtl. Cidofovir, die aber
bei etablierten Tumoren unwirksam sind. Klinische Studien-
ergebnisse sind nur begrenzt verfügbar.
Virologie
573 72

Virushepatitis
B. Wölk

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_72, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Eine Hepatitis kann durch Viren verschiedener Virusfamilien hervor- jVerlaufsformen der Virushepatitiden
rufen werden. Am häufigsten geschieht dies durch die primär hepato- Die primär hepatotropen Hepatitisviren lassen sich in 2 Gruppen
tropen Hepatitisviren: Hepatitis-A-Virus (HAV), Hepatitis-B-Virus (HBV), einteilen: in fäkal-oral (HAV, HEV) und parenteral (HBV, HCV,
Hepatitis-C-Virus (HCV), Hepatitis-Delta-Virus (HDV) und Hepatitis-E- HDV) übertragene Viren. Die parenteral übertragenen Hepatitis-
Virus (HEV). HAV und HEV werden fäkal-oral übertragen und sind viren haben die Fähigkeit, im Wirt zu persistieren und so eine chro-
selbstlimitierende Erkrankungen. HBV, HCV und HDV werden dagegen nische Infektion hervorzurufen (. Tab. 72.2). Definitionsgemäß
parenteral übertragen und können zu einer chronischen Virushepatitis spricht man bei einer Infektionsdauer von mehr als 6 Monaten von
mit den Spätfolgen Leberzirrhose und hepatozelluläres Karzinom füh- einer chronischen Hepatitis.
ren. Gelegentlich können auch Infektionen mit anderen Viren zu einer
Hepatitis führen. jKlinik der akuten Hepatitis
Die Symptome einer akuten Infektion sind bei allen Virushepa-
titiden ähnlich. Die Inkubationszeit beträgt je nach Virus mehrere
72.1 Übersicht Wochen bis Monate, in denen das Virus in der Leber repliziert
und sich verbreitet. Dieses geht mit einer Virämie und bei HAV
jDefinition und HEV auch mit einer Virusausscheidung im Stuhl einher. Erst
Die Virushepatitis ist eine durch Viren hervorgerufene Entzündung mit Einsetzen der Immunantwort kommt es durch die Infiltration
der Leber. Sie kann durch verschiedene Viren hervorgerufen wer- der Leber mit Lymphozyten zur Inflammation und Leberschädi-
den, die alle in der Leber replizieren. Zu den Hepatitisviren im en- gung, was dann zu den typischen Symptomen einer Hepatitis führen
geren Sinne gehören HAV, HBV, HCV, HDV und HEV (. Tab. 72.1). kann.
Ihre Gemeinsamkeit ist, dass sie primär hepatotrop sind. Weitere
Zielorgane spielen nur eine untergeordnete Rolle, sodass sich der Prodromalstadium Nach der Inkubationszeit treten zuerst un-
Krankheitsprozess primär auf die Leber beschränkt und nur sekun- spezifische, teils grippeähnliche und intraindividuell sehr unter-
där andere Organsysteme betroffen sind. schiedlich ausgeprägte Symptome auf: Appetitlosigkeit, Übelkeit
Eine Begleithepatitis findet sich häufig bei Infektionen mit dem und Erbrechen, Diarrhö, Müdigkeit, Krankheitsgefühl, Fieber, Ge-
Epstein-Barr-Virus oder dem Zytomegalievirus, seltener bei ande- lenk-, Muskel- und Kopfschmerzen.
ren Herpesviren (7 Kap. 71), Flaviviren (7 Kap. 56), Adenoviren
(7 Kap. 70) und Parvoviren (7 Kap. 68). Ikterische Phase Nun entwickeln sich häufig, aber nicht immer he-
patitisspezifische Symptome: Ikterus, acholischer Stuhl, dunkler
Urin, Pruritus und eine vergrößerte, druckschmerzhafte Leber. Zu

. Tab. 72.1 Eigenschaften der primär hepatotropen Hepatitisviren

HAV HBV HCV HDV HEV

Familie Picorna Hepadna Flavi – Hepe

Genus Hepato Orthohepadna Hepaci Delta Hepe

Durchmesser 27–32 nm 42–47 nm 55–65 nm ca. 35 nm 30–34 nm

Hülle nein ja ja ja (HBV) nein

Genom (+)ssRNA partielle dsDNA (+)ssRNA (–)ssRNA (+)ssRNA

Polymerase RdRp RT RdRp zelluläre DdRps RdRp

Zytolyse nein nein nein nein nein

Umweltresistenz hoch mittel niedrig mittel hoch

DdRps, DNA-abhängige RNA-Polymerasen


RdRp, RNA-abhängige RNA-Polymerase
RT, reverse Transkriptase
574 Kapitel 72 · Virushepatitis

. Tab. 72.2 Klinische Merkmale der Virushepatitiden

Hepatitis A Hepatitis B Hepatitis C Hepatitis D Hepatitis E

Erreger HAV HBV HCV HDV HEV

Inkubationszeit 2–7 Wochen 6 Wochen–7 Monate 6–10 Wochen Koinfektion 3–8 Wochen
5–10 Wochen
Superinfektion
3–5 Wochen

Übertragung fäkal-oral parenteral parenteral parenteral fäkal-oral

Infektiöses Stuhl, kontaminierte Blut(produkte), Speichel, Blut(produkte) Blut(produkte), Stuhl, kontaminiertes


Material Nahrungsmittel und Sperma, Exsudate Speichel, Sperma, Wasser und infiziertes
kontaminiertes Wasser Exsudate Schweinefleisch

Chronizität 0% Erwachsene 5–10 % 50–85 % Koinfektion 1–3 % 0%


Neugeborene 90 % Superinfektion 70–90 % Ausnahme: immun-
defiziente Patienten

Fulminante < 2 %, altersabhängig 0,1–0,5 % sehr selten Koinfektion 1–2 % 0,5–4 %


akute Hepatitis Superinfektion bis 50 % Schwangere bis 20 %

Prophylaxe aktive Impfung, aktive Impfung, – aktive Impfung gegen aktive Impfung
Hepatitis-A-Immun- Hepatitis-B-Immun- HBV, Hepatitis-B-Im- bisher nur in China
globulin globulin (HBIG), munglobulin (HBIG) zugelassen
präemptive antivirale
Therapie

Antivirale – IFN-α, Nukleosid-/ neue Protease-, IFN-α Ribavirin bei chronisch


Therapie Nukleotidanaloga NS5A- und Infizierten
Polymerase-
Inhibitoren;
Ribavirin, IFN-α

diesem Zeitpunkt hat sich das Allgemeinbefinden bereits wieder ver- jDiagnostik
bessert. Bei Verdacht auf eine Hepatitis und bei Risikopatienten sollte eine
Virushepatitis serologisch und ggf. auch durch direkten Virus-
Fulminante Hepatitis Nur selten verläuft eine akute Hepatitis ful- nachweis ausgeschlossen werden (7 Abschn. 72.2, 7 Abschn. 72.3).
minant mit hohem Fieber, starken Bauchschmerzen, Erbrechen, Erhöhte Transaminasen sind ein genereller Hinweis auf eine Leber-
Versagen der Blutgerinnung und hepatischer Enzephalopathie ge- entzündung. Die Sonografie kommt für die Beurteilung von Hepa-
folgt von Koma. tomegalie, Leberzirrhose und Aszites zum Einsatz. Mit einer Leber-
biopsie können entzündliche Aktivität (»Grading«) und Fibrose-
Rekonvaleszenzphase Die Symptome der ikterischen Phase bilden ausmaß (»Staging«) bestimmt werden. Die nichtinvasive Elasto-
sich über Wochen langsam zurück, bis es zur vollständigen Gene- grafie kann z. B. bei der Verlaufsbeurteilung einer Fibrose helfen.
sung kommt. Bei chronischen Hepatitiden muss regelmäßig der Ausschluss
Die akute Hepatitis präsentiert sich jedoch zumeist nur mit ei- eines HCC mittels Sonografie und ggf. weitergehender Bildgebung
nem Teil der Symptome und bei vielen Patienten verläuft sie kom- erfolgen.
plett asymptomatisch!
jDifferenzialdiagnosen
jKlinik der chronischen Hepatitis
Virologie

Neben den oben aufgeführten viralen Erregern können eine Reihe


Im Fall von HBV, HCV und HDV kann sich auch eine chronische weiterer Infektionserkrankungen eine Begleithepatitis hervorrufen,
Hepatitis entwickelt. Sie verläuft in den ersten Jahren meist asymp- wie z. B. Morbus Weil, konnatale Syphilis, Brucellose, Rickettsiose
tomatisch oder mit nichtspezifischen Symptomen wie Müdigkeit und Malaria.
und leichten Abdominalbeschwerden. Ein Teil der Patienten entwi- Nichtinfektiologische Ursachen für erhöhte Leberenzyme sind
ckelt dann über Jahrzehnte eine Leberzirrhose, die schließlich zu z. B. nichtalkoholische Fettleber, Hämochromatose, Alkoholerkran-
ausgeprägten Symptomen führt kann: Ikterus, »spider naevi«, kung, Toxizität von Medikamenten, Autoimmunhepatitis, Morbus
Palmarerythem, Splenomegalie, Gynäkomastie, Aszites, periphere Wilson und Alpha-1-Antitrypsin-Mangel.
Ödeme, Ösophagusvarizen mit z. T. letalen gastrointestinalen Blu-
tungen, Foetor hepaticus und Enzephalopathie – schließlich kann es
zum Leberversagen kommen. Auf dem Boden einer chronischen
Hepatitis entwickelt sich nicht selten ein hepatozelluläres Karzinom
(HCC).
72.2 · Oral übertragene Hepatitiden
575 72
72.2 Oral übertragene Hepatitiden

72.2.1 Hepatitis-A-Virus (HAV)

Steckbrief
. Abb. 72.1 Genom des HAV. Das (+)ssRNA-Genom kodiert ein Polyprotein-
HAV gehört in die Familie der Picornaviridae (7 Kap. 55). Sein vorläufer, den die virale 3Cpro-Protease und eine unbekannte zelluläre Pro-
unbehülltes Virion ist 27–32 nm groß. Es hat ein (+)ssRNA-Genom tease in die einzelnen viralen Protein prozessieren. Das Genom wird in die
mit ca. 7,5 kb. Wie viele andere Picornaviren wird HAV fäkal-oral Picornaviridae-typischen Regionen P1–P3 eingeteilt. Die P1-Region kodiert
die Strukturproteine, die P2- und P3-Region die Nichtstrukturproteine mit
übertragen und löst eine akute Hepatitis aus. Die Erkrankung hat
der viralen Polymerase 3Dpol
eine geringe, altersabhängige Mortalität und chronifiziert nicht.
In Ländern mit schlechten Hygienestandards kommt sie jedoch
sehr häufig vor. Ein zur Hepatitis A passendes Krankheitsbild be- wird. Die virale Polymerase 3Dpol, eine RNA-abhängige RNA-Poly-
schrieben bereits Griechen und Römer. 1973 stellten Stephen merase (RdRp), schreibt das Genom in einen Negativstrang um.
M. Feinstone et al. das Virus erstmals mittels Immunelektronen- Dieser dient als Vorlage für die Synthese vieler (+)ssRNA-Kopien.
mikroskopie im Stuhl von Patienten dar. Nach der Verpackung des Genoms verlassen die Virionen die Zelle
ohne Lyse.

jResistenz gegen äußere Einflüsse


HAV ist in der Umwelt extrem stabil und bleibt in kontaminiertem
Süß- und Salzwasser, auf dem Erdboden und in bzw. an verschiede-
nen Nahrungsmitteln über Wochen infektiös. Es ist gegen erhöhte
Temperaturen, extrem saure Milieubedingungen sowie diverse Lö-
sungsmittel und Detergenzien resistent. Tiefgefrorene Nahrungs-
mittel bleiben über Jahre infektiös. Im Alltag erfolgt eine wirksame
Inaktivierung durch Erhitzen des Virus auf > 85 °C für 1 min.

HAV: Elektronenmikroskopische Darstellung [aus: Silberstein E, jVorkommen


Xing L, van de Beek W, Lu J, Cheng H, and Kaplan GG (2003). Altera- Die Übertragung von HAV erfolgt von Menschen zu Mensch. Das
tion of Hepatitis-A-Virus (HAV) particles by a soluble form of HAV Virus kann auch auf verschiedene höhere Primaten übertragen
cellular receptor 1 containing the immunoglobin and mucin-like werden.
regions. J Virol 77, 8765–8774]

72.2.2 Rolle als Krankheitserreger


Beschreibung
Das HAV gehört zur Familie der Picornaviridae in der es das Genus kEpidemiologie
Hepatovirus bildet. Es sind die 3 Genotypen I, II und III mit den HAV kommt weltweit vor. Das Infektionsrisiko korreliert mit
Subtypen A und B bekannt, von denen vor allem die Genotypen IA, schlechten Hygienebedingungen. In Entwicklungsländern ist die
IB und IIIA beim Menschen vorkommen, jedoch alle den gleichen Durchseuchung hoch. Hier haben nahezu alle Kinder bis zu ihrem
Serotyp haben. 9. Lebensjahr eine Infektion durchgemacht, die jedoch meist nicht
erkannt wird, da sie in diesem Alter meist asymptomatisch verläuft.
jAufbau Mit zunehmender Hygiene erfolgt die Infektion bei älteren Personen
Genom und virale Proteine HAV hat ein einzelsträngiges RNA- mit dann immer ausgeprägteren klinischen Verläufen.
Genom positiver Polarität [(+)ssRNA] mit etwa 7,5 kb (. Abb. 72.1). In hochentwickelten Ländern sind HAV-Infektionen selten. In
Dieses kodiert ein einzelnes offenes Leseraster (ORF). Von ihm wird Deutschland ist die Inzidenz der gemeldeten Fälle seit vielen Jahren
ein Polyproteinvorläufer translatiert, den eine virale und eine un- rückläufig und liegt aktuell bei etwa 1/100.000. Diese Zahl unter-
bekannte zelluläre Protease in die einzelnen Virusproteine prozes- schätzt jedoch die reale Zahl der Neuinfektionen, die nicht immer
sieren. gemeldet werden, unter anderem aufgrund der häufig inapparenten
Verläufe.
Virion HAV ist unbehüllt. Das ikosaedrische Kapsid (7 Steckbrief-
Abb.) umschließt das virale Genom, ist 27–32 nm groß und formiert kÜbertragung
sich aus den Strukturproteinen VP0 (VP4–VP2), VP3 und VP1–2A. HAV wird fäkal-oral übertragen. Dieses kann bei engem Kontakt
In Patienten scheint es jedoch auch infektiöse Viruspartikel zu ge- direkt von Mensch zu Mensch stattfinden. Oft erfolgt die Ansteckung
ben, die mit zellulären Membranen umhüllt sind und Exosomen jedoch durch kontaminiertes Trinkwasser und verunreinigte Lebens-
ähneln, deren klinische Bedeutung aber noch nicht klar ist. mittel. Muscheln sind eine häufige Infektionsquelle, aber auch z. B.
Gemüse, Beerenfrüchte und Milchprodukte können kontaminiert
jLebenszyklus sein. Das Virus kann in diesen Fällen entweder durch die Bewässe-
Vermutlich ermöglicht das Wirtsoberflächenprotein HAVcr1/TIM1 rung oder bei der Auf- oder Zubereitung auf die Nahrungsmittel ge-
die rezeptorvermittelten Aufnahme. Nach schneller Internalisierung langen. Eine Übertragung durch Aerosole ist nicht beschrieben. Grö-
wird das virale Genom nur langsam aus dem Kapsid ins Zytoplasma ßere Epidemien können durch verunreinigtes Trinkwasser z. B. in
freigesetzt. Vom (+)ssRNA-Genom wird ein Polyproteinvorläufer Katastrophengebieten entstehen. Eine parenterale Übertragung durch
translatiert, der dann in die einzelnen viralen Proteine prozessiert i. v. Drogenabusus oder Bluttransfusionen ist selten, aber möglich.
576 Kapitel 72 · Virushepatitis

von Anti-HAV-IgM und -IgG mit einem Immunassay. IgM und IgG
sind bereits beim Auftreten der Symptome nachweisbar (. Abb.
72.2). Das IgM bleibt für etwa 3–4 Monate positiv.
Bereits 14 Tage vor der klinischen Erkrankung gelingt aus dem
Stuhl ein direkter Virusnachweis mittels Antigen-Test oder RT-PCR.
Die Rate des direkten Virusnachweises sinkt bei Beginn der klini-
schen Erkrankung jedoch bereits stark ab. Die Virämie lässt sich
ebenfalls mittels RT-PCR nachweisen.

kTherapie
Eine spezifische antivirale Therapie existiert nicht. Bei den seltenen
schweren Verläufen mit akutem Leberversagen kann eine Leber-
transplantation notwendig werden.

kPrävention
Eine gute individuelle und öffentliche Hygiene, z. B. bei der Wasser-
. Abb. 72.2 Serologischer Verlauf einer Hepatitis A. Vor dem klinischen versorgung und der Nahrungsmittelzubereitung, verhindert die Ver-
Beginn der Erkrankung erreicht die Viruslast im Stuhl und im Blut bereits ihr breitung effizient.
Maximum. Mit Einsetzen der Immunantwort kommt es zur Leberschädi-
Eine aktive Impfung gegen Hepatitis A ist mit einem Totimpf-
gung, die Transaminasen steigen. Beim Auftreten von Symptomen sind be-
stoff möglich, der inaktiviertes HAV enthält. Die Grundimmunisie-
reits IgM-Antikörper nachweisbar
rung erfolgt in 2 Dosen im Abstand von 6–12 Monaten. Immunität
besteht 2 Wochen nach der 1. Impfung und hält nach der Grundim-
munisierung für mindestens 12 Jahre an, vermutlich wesentlich län-
kPathogenese ger. Die Impfung kann mit der Impfung gegen Hepatitis B kombi-
Bei der Infektion gelangt HAV in den Magen-Darm-Trakt und über niert werden, es gibt Kombinationsimpfstoffe.
einen nicht geklärten Mechanismus in die Leber, wo es primär in Die aktive Impfung wird für Personen empfohlen, die ein erhöh-
Hepatozyten repliziert. Die Replikation führt zu keiner Zerstörung tes Infektionsrisiko haben (z. B. Arbeit im Gesundheitswesen, in
der Wirtszellen. Von der Leber gelangt das Virus über die Gallenwe- Kindertagesstätten oder in der Kanalisation und in Klärwerken; In-
ge in den Stuhl. Auf dem Höhepunkt der Ausscheidung enthält der dividuen mit häufiger Therapie mit Blutprodukten; Personen mit
Stuhl etwa 109 Viruspartikel pro Gramm (. Abb. 72.2). Erst nach besonderem Sexualverhalten), für die eine Hepatitis A ein besonde-
Wochen kommt es durch Einsetzen der Immunantwort durch res Risiko darstellt (z. B. bestehende chronische Lebererkrankung)
CD8+-zytotoxische Lymphozyten zur Leberschädigung, die den Be- oder die in Länder mit hoher Prävalenz reisen.
ginn der ikterischen Phase markiert. Eine passive Immunisierung mit humanen Immunglobulinen
erfolgt nur bei Personen, die engen Kontakt zu Erkrankten hatten
kImmunität und für die zusätzlich eine akute Hepatitis A ein besonderes Risiko
Eine ausgeheilte Hepatitis A hinterlässt eine lebenslange Immunität. darstellt. Diese Postexpositionsprophylaxe sollte spätestens bis
zum 14. Tag nach Exposition erfolgen und mit einer aktiven Immu-
kKlinik nisierung kombiniert werden.
Die Hepatitis A ist eine akute Erkrankung, die nicht chronifiziert.
Sie lässt sich klinisch nicht von anderen akuten Hepatitiden unter-
scheiden (7 Abschn. 72.1). Die Infektion zeigt je nach Alter unter- In Kürze
schiedlich ausgeprägte Verläufe: Bei Kindern unter 5 Jahren ver- Hepatitis-A-Virus (HAV)
laufen 80–95 % inapparent, bei Erwachsenen nur 20–25 %. Die Virus Unbehülltes (+)ssRNA-Virus aus der Familie der Picornavi-
Inkubationszeit beträgt 15–50 Tage (durchschnittlich 30 Tage); tritt ridae. Nur ein Serotyp.
ein Prodromalstadium auf, kann es 1 Tag bis über 2 Wochen Vorkommen Mensch.
(5–7 Tage) dauern. Kurz nach Beginn der ikterischen Phase ver- Epidemiologie Weltweit. In Ländern mit schlechtem Hygiene-
schwindet die Virämie. Der Stuhl ist bereits 2 Wochen vor und noch standard häufig. In hochentwickelten Ländern selten.
weitere 1–2 Wochen nach Beginn der ikterischen Phase infektiös Übertragung Fäkal-oral durch engen Kontakt mit infizierten
Virologie

(. Abb. 72.2). Personen oder durch kontaminierte Lebensmittel oder kontami-


Fulminante Verläufe treten etwa bei 0,01-0,1 % der Patienten auf niertes Trinkwasser. Virus in der Umwelt und in eingefrorenen
und verlaufen zu 70–90 % letal. Bei Patienten mit Vorerkrankungen Nahrungsmitteln sehr stabil.
der Leber (z. B. Hepatitis B oder C) kann die Superinfektion mit Pathogenese Nach oraler Infektion gelangt das Virus in die
HAV vermehrt zu schweren, fulminanten Verläufen führen. Die Re- Leber, wo es repliziert und über die Gallenwege und den Stuhl
konvaleszenz dauert mehrere Wochen; in dieser Phase kann bei ausgeschieden wird. Das Virus ist nicht zytolytisch; die Hepatitis
3–20 % der Patienten ein Rezidiv der Hepatitis auftreten (bimodaler entsteht immunvermittelt.
Verlauf). Protrahierte cholestatische Verläufe über Monate kom- Immunität Nach ausgeheilter Infektion lebenslange Immunität.
men vor, eine Persistenz mit einer Virusausscheidung über 12 Mo- Klinik Inkubationszeit im Schnitt 1 Monat, gefolgt von den
nate jedoch nicht. typischen Stadien einer akuten Virushepatitis. Bei Kindern zu
80–95 %, bei Erwachsenen nur 20–25 % inapparente Verläufe.
kLabordiagnose Schwere des Verlaufs und Letalität erhöht sich mit dem Lebens-
Bei klinischem und laborbiochemischem Verdacht auf eine akute alter. Keine Chronifizierung.
Hepatitis erfolgt die Diagnose einer Hepatitis A durch den Nachweis
72.2 · Oral übertragene Hepatitiden
577 72
typen 1–4, die sich epidemiologisch und klinisch z. T. unterscheiden
Labordiagnose Bei Zeichen einer akuten Hepatitis Diagnose- (7 s. u.), jedoch einen gemeinsamen Serotyp darstellen.
stellung bei positivem Anti-HAV-IgM. Genomnachweis v. a. im
Stuhl aber auch im Blut mittels RT-PCR möglich. jAufbau
Therapie Keine spezifische Therapie. Genom, virale Proteine HEV hat ein einzelsträngiges RNA-Genom
Prävention Allgemeinhygienische Maßnahmen. Aktive Impfung positiver Polarität [(+)ssRNA] mit etwa 7,2 kb Länge (. Abb. 72.3).
bei Risikopersonen und als Reiseimpfung mit einem Totimpfstoff.
Kombinierte Aktiv-passiv-Immunisierung als Postexpositions- Virion HEV ist ein unbehülltes Virus mit etwa 30–34 nm Durch-
prophylaxe möglich. messer. Sein vom ORF2-Protein gebildetes Kapsid hat eine ikosa-
Meldepflicht (Deutschland) Betreuender Arzt: Verdachts-, edrische Struktur (7 Steckbrief-Abb.).
Erkrankungs- und Todesfall durch akute Hepatitis; Labor: direkter
oder indirekter Nachweis einer akuten Infektion. jLebenszyklus
Über Ein- und Austritt des HEV ist nichts bekannt. Nach der Auf-
nahme erfolgt die Cap-abhängige Translation der Nichtstrukturpro-
teine des ORF1 und der virale Replikationskomplex formiert sich.
72.2.3 Hepatitis-E-Virus (HEV) Das Genom wird in einen Negativstrang umgeschrieben, von dem
dann genomische RNA und 2 subgenomische RNAs transkribiert
Steckbrief werden. Von den kürzeren Transkripten werden die ORF2- und
ORF3-Proteine translatiert.
HEV gehört in die Familie der Hepeviridae. Sein Virion ist unbe-
hüllt und 30–34 nm groß. Es hat ein ca. 7,2 kb langes (+)ssRNA- jResistenz gegen äußere Einflüsse
Genom. HEV ist der Erreger der Hepatitis E, die viele Ähnlich- Entsprechend seiner Infektionsroute ist HEV gegenüber Säuren und
keiten mit der Hepatitis A hat. Beide Erreger werden fäkal-oral milden Basen relativ resistent. Im Vergleich zu HAV wird HEV
übertragen und führen zu einem ähnlichen klinischen Erschei- durch Erhitzen auf 60 °C für 1 h nahezu vollständig inaktiviert.
nungsbild. Neue Daten legen nah, dass in Westeuropa deutlich 5-minütiges Kochen oder Braten inaktiviert HEV in Schweinefleisch
mehr Infektionen auftreten als bisher angenommen, die jedoch komplett.
meist asymptomatisch verlaufen. Bei Immunsupprimierten
können chronische Infektionen vorkommen. jVorkommen
Im Jahr 1980 wurde die Hepatitis E als eigenständige Erkran- Epidemiologisch bilden die Genotypen 2 Gruppen:
kung gegenüber der Hepatitis A abgegrenzt. Das HEV wurde 4 Die nichtzoonotischen HEV-Genotypen 1 und 2 infizieren den
1983 von Mikhail Balayan elektronenmikroskopisch in seinem Menschen und sonst vermutlich nur noch weitere Primaten.
Stuhl entdeckt, nachdem er sich freiwillig mit dem Virus infiziert 4 Die zoonotischen HEV-Genotypen 3 und 4 haben einen brei-
hatte. Nach der Entschlüsselung seiner Genomsequenz Anfang ten Wirtsbereich und finden sich bei vielen Vertebraten und
der 1990er Jahre bekam das Virus dann seinen Namen HEV. auch beim Mensch. Weiter entfernte Verwandte innerhalb der
Hepeviridae finden sich auch bei Vögeln und Fischen.

72.2.4 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
Die nichtzoonotischen HEV-Genotypen sind in vielen subtropi-
schen und tropischen Ländern Asiens, Afrikas, Zentralamerikas und
im Nahen Osten endemisch. In diesen Ländern treten in größeren
Abständen Epidemien auf. In Europa, Nord- und Südamerika sowie
in Australien sind nur die zoonotischen HEV-Genotypen ende-
Kryo-EM von HEV: 3D-Rekonstruktion virusähnlicher Partikel misch, wobei klinisch nur sporadisch Hepatitis-E-Fälle auftreten.
[aus: Guu TS et al., Structure of the Hepatitis E virus-like particle Vermutete man früher, dass es sich hier vor allem um importierte
suggests mechanisms for virus assembly and receptor binding. HEV-Infektionen handelt, geht man mittlerweile von einer Vielzahl
Proc Natl Acad Sci USA, 2009. 106(31): p. 12.992–7] primär autochthoner Infektionen aus.
Aufgrund unterschiedlicher Reaktivität verschiedener Immu-
nassays sind die Aussagen zur Verbreitung des HEV nicht eindeutig.
Beschreibung In endemischen Ländern sind über 30–50 % der Bevölkerung Anti-
HEV bildet das eigenständige Genus Hepevirus und wird der Fami- HEV-positiv. In Europa schwankt die Seroprävalenz zwischen 2 und
lie Hepeviridae zugeordnet. Aktuell unterscheidet man die Geno- 30 % in Abhängigkeit vom verwendeten Antikörpertest.

. Abb. 72.3 Genom des HEV. Flankiert von 2 nichtkodierenden Regionen (NCR) am 5’- und 3’-Ende liegen 3 offene Leseraster (»open reading frames«, ORF).
ORF1 kodiert die Nichtstrukturproteine MeT, Y, Pro, P, X, Hel und RdRp. ORF2 kodiert das Kapsidprotein. ORF3 überlappt mit ORF2 – die genaue Position variiert
mit dem Genotyp – und kodiert ein Protein, dessen Funktion bisher nicht bekannt ist
578 Kapitel 72 · Virushepatitis

In Deutschland nimmt die Zahl der gemeldeten Fälle in den kLabordiagnose


letzten Jahren stark zu (670 gemeldete Infektionen 2014), was aber Ein positiver Anti-HEV-IgM-Nachweis und eine IgG-Serokonver-
eher an einer erhöhten differenzialdiagnostischen Sensibilisierung sion deuten indirekt auf eine frische HEV-Infektion hin. Der direkte
liegt, da sich die Seroprävalenz seit den 1990er Jahren nicht verän- Virusnachweis erfolgt mittels PCR aus Stuhl oder Blut. Chronische
dert hat. Aktuelle Arbeiten legen nahe, dass es allein in Deutschland Infektionen bei Immunsupprimierten sollten primär mittels Ge-
jährlich zu 100.000-300.000 Infektionen kommt, die jedoch meist nomnachweis diagnostiziert werden, da hier die Antikörperantwort
asymptomatisch verlaufen. ausbleiben kann.

kÜbertragung kTherapie
Das Virus wird fäkal-oral übertragen. Bei Epidemien der nicht- Eine Hepatitis E bedarf normalerweise keiner Therapie. Bei Immun-
zoonotischen Genotypen in Entwicklungsländern findet die Über- supprimierten mit chronischer HEV-Infektion kann eine Therapie
tragung v. a. durch Wasser statt, das mit infektiösem Stuhl kontami- mit Ribavirin über einige Monate zur Viruselimination führen.
niert ist. Mensch-zu-Mensch-Übertragung spielt im Gegensatz zu
HAV nur eine untergeordnete Rolle. Bei den zoonotischen Geno- kPrävention
typen in den Industrieländern geht man von einer Übertragung Seit Ende 2011 besteht in China die weltweit erste Zulassung für
durch Tierkontakt oder Verzehr von infiziertem, ungenügend gegar- einen Impfstoff gegen Hepatitis E. Dieser Totimpfstoff, der ein
tem Fleisch aus. Die Transmission durch Blutkonserven virämischer rekombinantes Fragment des HEV-Genotyp-1-Kapsidproteins
Spender ist möglich. (pORF2) enthält, reduziert die Inzidenz von Neuerkrankungen
durch die in China verbreiteten Genotypen 1 und 4 signifikant. Eine
kPathogenese passive Impfung mit Immunglobulinen gibt es nicht.
Über die genaue Pathogenese des HEV ist wenig bekannt: Die Auf-
nahme geschieht vermutlich fast immer oral; offenbar repliziert das
In Kürze
Virus primär im Darm und gelangt dann wahrscheinlich über die
Hepatitis-E-Virus (HEV)
Pfortader in die Leber. Die Replikation erfolgt hier im Zytoplasma
Virus Unbehülltes (+)ssRNA-Virus aus der Familie der Hepeviridae.
der Hepatozyten. Wie das Virus in Galle und Blut sezerniert wird, ist
Vorkommen Mensch. Zoonotische Genotypen 3 und 4 (GT 3+4)
nicht bekannt. Virale Replikation findet wahrscheinlich aber auch
auch bei Schweinen und weiteren Vertrebraten.
im Dünn- und Dickdarm sowie in Lymphknoten statt. Vermutlich
Epidemiologie Weltweit. In vielen Ländern der Tropen und
ist HEV nicht zytopathisch, da die Leberschädigung nicht mit der
Subtropen endemisch mit periodischen Epidemien (GT 1+2).
Virusreplikation korreliert, sondern mit dem Einsetzen der Immun-
In hochentwickelten Ländern meist asymptomatische Infektio-
antwort, und so vermutlich immunvermittelt ist.
nen beim Mensch mit vermutlich hoher Inzidenzrate (GT 3+4).
Übertragung Fäkal-oral meist durch kontaminiertes Trink-
kImmunität
wasser (GT 1+2). Verzehr von Fleisch infizierter Tiere (GT 3+4).
Anti-HEV-Antikörper persistieren nach einer durchmachten HEV-
Pathogenese Immunvermittelte Hepatitis bei vermutlich
Infektion sehr lange (> 14 Jahre) und gehen mit einem Schutz vor
primär nichtzytopathischem Virus.
erneuter Erkrankung einher. Zumindest im Tiermodell scheint die-
Immunität Nach ausgeheilter Infektion vermutlich langer
ser Immunschutz jedoch inkomplett zu sein, da sich Affen erneut
Schutz vor symptomatischen Reinfektionen.
infizieren lassen und dann Virus im Stuhl ausscheiden, allerdings
Klinik Inkubationszeit im Schnitt 6 Wochen, gefolgt von typi-
ohne zu erkranken.
schen Stadien einer akuten Virushepatitis. Sehr häufig inappa-
rente Verläufe, v. a. im mittleren Lebensalter vermehrt sympto-
kKlinik
matisch. Stark erhöhte Letalität bei Schwangeren im 3. Trime-
Die Klinik der Hepatitis E gleicht der von Hepatitis A und zeigt die
non. Unter Immunsuppression chronische Infektionen möglich,
typischen Symptome einer akuten Hepatitis. Inapparente und sub-
sonst keine Persistenz.
klinische Verläufe sind die Regel. Vor allem im mittleren Lebensalter
Labordiagnose Nachweis von Anti-HEV-IgM im Immunassay.
finden sich vermehrt symptomatische Verläufe. Die Inkubationszeit
Genomnachweis mittels RT-PCR aus dem Stuhl.
beträgt 3–8 Wochen (durchschnittlich 40 Tage). Das Virus ist bis zu
Therapie Ribavirin kann bei chronisch Infizierten zur Virus-
2 Wochen nach Beginn der ikterischen Phase im Stuhl nachweisbar.
elimination führen.
Üblicherweise heilt eine HEV-Infektion folgenlos aus. Fulmi-
Prävention Allgemeinhygienische Maßnahmen. Bisher nur
nante Verläufe sind selten, kommen aber bei Schwangeren und bei
in China zugelassener, vielversprechender Totimpfstoff. Keine
Virologie

Patienten mit vorbestehender Lebererkrankung deutlich häufiger


passive Immunisierung.
vor (bis über 20 %) – wobei vor allem Infektionen mit den nicht-
Meldepflicht (Deutschland) Betreuender Arzt: Verdachts-, Er-
zoonotischen Genotypen 1 und 2 in der Schwangerschaft proble-
krankungs- und Todesfall durch akute Hepatitis; Labor: direkter
matisch sind. Die Letalität wird mit 0,5–4,0 % beziffert; dabei
oder indirekter Nachweis einer akuten Infektion.
dürfte aber in Europa die erst seit kurzem angenommene hohe Zahl
asymptomatischer Erkrankungen nicht berücksichtigt sein. Bimo-
dale Verläufe, wie bei der Hepatitis A, kommen nicht vor.
Eine HEV-Infektion ist selbstlimitierend – nur bei immunsuppri-
mierten Patienten, z. B. nach Organtransplantation oder mit einer
HIV-Infektion, kommen chronische Infektionen vor, die zu einer
Leberschädigung führen können und nahezu immer durch den
Genotyp 3 hervorgerufen werden.
72.3 · Parenteral übertragene Hepatitiden
579 72
72.3 Parenteral übertragene Hepatitiden für die Etablierung der Persistenz wichtig. Die Polymerase (Pol) ent-
hält 3 funktionelle Domänen: die terminale Proteindomäne (TP),
72.3.1 Hepatitis-B-Virus (HBV) die als Primer für die Minusstrangsynthese fungiert, die reverse
Transkriptase (RT) und die RNAse H, welche die RNA in RNA-
Steckbrief DNA-Heteroduplexen abbaut. Das X-Protein (HBx) ist für die HBV-
Replikation in vivo essenziell und spielt bei der Karzinogenese eine
HBV gehört in die Familie der Hepadnaviridae. Das Virion, auch Rolle, die jedoch noch nicht im Detail verstanden wird.
Dane-Partikel genannt, ist behüllt und 42–47 nm groß. HBV hat
ein kleines, partiell doppelsträngiges, zirkuläres DNA-Genom Virion HBV ist ein behülltes Virus. In seiner Lipidhülle sind die
mit 3,2 kb. 3 verschieden langen Varianten des Hüllproteins HBsAg verankert.
Weltweit sind mindestens etwa 240 Mio. Menschen chronisch Infektiöse Partikel enthalten ein ikosaederförmiges Nukleokapsid,
mit HBV infiziert. Jährlich sterben etwa 130.000 Infizierte an das aus 120 Dimeren des Core-Proteins HBcAg besteht (. Abb.
akuter Hepatitis B, 650.000 chronisch Infizierte an den Spätfol- 72.5). Das Nukleokapsid verpackt eine einzelne Kopie des viralen
gen Leberzirrhose oder hepatozelluläres Karzinom. partiell doppelsträngigen DNA-Genoms und enthält auch die RT, die
Entscheidend für die Entdeckung des HBV war die zufällige kovalent an das 5’-Ende des Minusstrangs des Genoms gebunden ist.
Identifizierung eines bis dahin unbekannten Antigens im Serum Die infektiösen Partikel sind 42–47 nm groß und werden nach ihrem
eines Aborigines durch Baruch Samuel Blumberg im Jahr 1963, Entdecker auch Dane-Partikel genannt. Sie können im Blut einen
der später mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Dieses zu- Titer von bis zu 1010/ml erreichen.
erst »Australia-Antigen« und nun als Hepatitis-B-Surface-Anti- In Seren infizierter Individuen finden sich zusätzlich filamen-
gen (HBsAg) bezeichnete Protein fand man auch in Seren von töse und sphärische Strukturen mit 22 nm Durchmesser, die nicht-
Hepatitispatienten, wodurch sich HBV schließlich identifizieren infektiöse, subvirale Partikel darstellen (. Abb. 72.5). Sie bestehen
ließ. nur aus einer Hüllmembran, in der HBsAg verankert ist, die jedoch
kein Nukleokapsid und kein virales Genom enthalten. Die Sphären
können einen Titer von 1014/ml erreichen. Die genaue Funktion der
subviralen Partikel im HBV-Lebenszyklus ist nicht bekannt; mögli-
cherweise dienen sie dazu, neutralisierende Antikörper gegen das
HBsAg (Anti-HBs) abzufangen und so zur Persistenz des Virus bei-
zutragen.

jLebenszyklus
Für die rezeptorvermittelte Aufnahme des HBV ist die Prä-S1-
Region des HBsAg essenziell, die nur in der langen Form des
Hüllproteins vorhanden ist (. Abb. 72.6). Er kürzlich konnte das
Natrium-Taurocholat-Kotransporter-Polypeptid (NTCP) als bisher
Hepatitis-B-Virus-Partikel: a Dane-Partikel; b Filamente; c Sphären einziger Wirtsrezeptor identifiziert werden. Nach der Aufnahme
(elektronenmikroskopische Aufnahmen, mit freundl. Genehmigung folgen das Uncoating des Nukleokapsids und der Transport zur
von Wolfram H. Gerlich; vgl. . Abb. 72.5) Kernpore, wo das Genom freigesetzt wird. Das partiell doppelsträn-
gige HBV-Genom wird zum kompletten Doppelstrang vervollstän-
digt, der dann ringförmig geschlossen (zirkularisiert) wird.
Beschreibung Diese als »covalently closed circular« oder cccDNA bezeichnete
Das humane HBV gehört zum Genus Orthohepadnavirus. Zusam- DNA dient nun als Vorlage für die Synthese der viralen RNA-Tran-
men mit dem Genus Aviahepadnavirus bildet es die Familie Hepad- skripte, die alle eine Cap-Struktur tragen und polyadenyliert sind.
naviridae. Beim humanen HBV werden aktuell die 10 Genotypen Das kürzere der beiden 3,5-kb-Transkripte ist nicht nur mRNA für
A–J unterschieden, die sich in ihrer geografischen Verteilung und im Core und Pol, sondern auch prägenomische RNA (pgRNA). Die
Therapieansprechen unterscheiden. Translation des Core-Proteins wird durch die Bindung der RT an die
pgRNA unterbunden. Nun beginnen sich aus Core und Polymerase
jAufbau Nukleokapside zusammenzusetzen, in denen initial die pgRNA ein-
Genom HBV hat ein partiell doppelsträngiges, nur 3,2 kb kleines geschlossen ist.
DNA-Genom (. Abb. 72.4a). Im Virion hat nur der Negativstrang Es folgt die (–)DNA-Synthese, während der die Polymerase
die komplette Genomlänge, der Plusstrang ist inkomplett und wird bereits kovalent an das 5’-Ende des Negativstrangs gebunden ist.
erst in der Wirtszelle zur vollen Länge ergänzt (7 s. u.). Vom Genom Anschließend wird das RNA-Prägenom abgebaut und die RT ver-
werden verschieden lange RNA transkribiert, die an unterschiedli- vollständigt den (–)DNA-Strang durch (+)DNA-Synthese zum
chen Stellen beginnen, aber alle an der gleichen Polyadenylierungs- Doppelstrang. Dies geschieht jedoch nur unvollständig, vermutlich
sequenz (PolyA) enden. Von ihnen werden 6 verschiedene Virus- aufgrund sterischer Restriktionen durch die kovalent gebundene RT
proteine translatiert (. Abb. 72.4b). oder das umgrenzende Nukleokapsid.
Erst infolge der DNA-Synthese kann das Nukleokapsid nun mit
Virale Proteine Core (HBcAg) und die 3 Hüllproteine (HBsAg) L, dem bereits in intrazellulären Membranen gebundenen L-Protein
M und S (LHBs, MHBs und SHBs) stellen die Strukturproteine des (der langen Variante des HBsAg) interagieren. An der Morpho-
HBV-Virions dar. Das pre-Core-Protein wird posttranslational pro- genese und Sekretion der fertig umhüllten Dane-Partikel sind dann
zessiert und wird im Gegensatz zum Core als isoliertes Protein aus »multivesicular bodies« (MVB) beteiligt. Dagegen werden die
der Zelle sezerniert und als HBeAg bezeichnet. Es ist für die Repli- kapsidlosen Sphären und Filamente sowie das freie HBeAg über
kation nicht essenziell, aber als Immunmodulator der T-Zellantwort den klassischen sekretorischen Pathway freigesetzt.
580 Kapitel 72 · Virushepatitis

. Abb. 72.4a, b Genom des HBV. a Nachdem das partiell doppelsträngige,


zirkuläre DNA-Genom (rot) in die kovalent geschlossene ccc-Form überge-
gangen ist werden 6 verschieden lange RNA-Spezies transkribiert (schwarz),
deren Enden identisch sind. Entsprechend ihrer Größe werden sie in 4 Grup-
pen eingeteilt (pre-C/C, pre-S, S und X) von denen die Proteine pre-Core
(HBeAg), Core (HBcAg), Pol, die Hüllproteine L, M, S (HBsAg) und X transla-
tiert werden. Ihre offenen Leseraster sind stark verschachtelt und liegen
auf allen 3 Leserahmen (grün, blau und gelb). b Die Translation beginnt zu-
meist beim 1. Startkodon (Dreiecke) und endet beim nächsten Stoppkodon
des gleichen Leserahmens (Rechteck der gleichen Farbe). Die Farbe der
Proteine ist passend zum Leserahmen gewählt

b
Virologie

. Abb. 72.5 HBV-Partikel. Infizierte Zellen sezernieren 3 verschiedene virale Partikel: Dane-Partikel, Filamente und Sphären (EM-Ansichten 7 Steckbrief-
Abb.). Nur Dane-Partikel enthalten das Nukleokapsid und sind infektiös
72.3 · Parenteral übertragene Hepatitiden
581 72

. Abb. 72.6 Lebenszyklus des HBV

jResistenz gegen äußere Einflüsse Auge. Kleinere Verletzungen – wie sie bei kleinen Kindern häufig
HBV ist relativ stabil und bleibt bei 30–32 °C mindestens 6 Monate vorkommen – sind eine weitere Übertragungsursache. Bluttransfu-
und eingefroren bei –15 °C mindestens 15 Jahre infektiös. Auch ge- sionen spielen seit Einführung der Spendertestung für die Übertra-
trocknetes Blut ist mindestens 1 Woche lang noch infektiös. Das gung heutzutage keine Rolle mehr.
Virus lässt sich durch Autoklavieren bei 121 °C für 20 min, bei tro- Die vertikale Transmission ist in hochendemischen Ländern die
ckener Hitze von 160 °C für 60 min sowie durch Kontakt mit 0,25 % wichtigste Infektionsquelle, erfolgt zumeist erst unter der Geburt
Natriumhypochlorit (NaClO) für 3 min , mit 70 % Isopropylalkohol (7 s. u.: Prävention) und liegt ohne Prophylaxe bei HBeAg-positiven
oder mit 80 % Ethanol für je 2 min, nicht aber durch Pasteurisieren Müttern bei 90 %.
inaktivieren.
kPathogenese
jVorkommen Die Leberschädigung ist v. a. immunvermittelt. Sie beginnt mit dem
Das humane HBV infiziert Menschen und kann auf Menschenaffen Einsetzen der Immunantwort und wird in der akuten und chroni-
übertragen werden. Die übrigen Spezies der Orthohepadnaviren in- schen Hepatitis B v. a. durch CD8+-zytotoxische T-Lymphozyten
fizieren Erdhörnchen, Lemminge und Waldmurmeltiere, Vertreter hervorgerufen. Die Stärke der Immunantwort bestimmt dabei die
der Aviahepadnaviren infizieren Enten und Wasservögel. Schwere der Hepatitis. Bei einer fulminanten akuten Hepatitis B
kommt es durch eine heftige Immunantwort zur schweren Leber-
Rolle als Krankheitserreger schädigung; allerdings führt sie auch häufig zu einer Viruselimina-
kEpidemiologie tion (Ausheilung).
Rund 40 % der Weltbevölkerung tragen die serologischen Zeichen Bei Neugeborenen führt eine akute Infektion durch das unreife
(Anti-HBc-Positivität, 7 s. u.) einer durchgemachten oder noch be- Immunsystem nur zu geringer Leberschädigung; damit wird das
stehenden HBV-Infektion. Etwa 240 Mio. Menschen sind chronisch Virus nicht eliminiert und es kommt in den meisten Fällen zu einer
infiziert (HBsAg-Träger, 7 s. u.). Die Prävalenz einer chronischen chronischen Hepatitis B.
Infektion liegt in Teilen Afrikas und Asiens bei über 10 %, in West- Bei gesunden HBsAg-Trägern mit niedriger Virämie und bei
europa und in den USA zwischen 0,1–0,5 %. In Deutschland sind okkult Infizierten kann eine starke Immunsuppression zu einer Re-
4–8 % der Bevölkerung Anti-HBc-positiv; die Prävalenz der chroni- aktivierung der Replikation und zur erneuten Durchinfektion fast
schen Infektion beträgt ca. 0,5 %. aller Hepatozyten kommen. Bei Rekonstitution der T-Zell-Reaktivi-
tät kann es zur fulminanten Hepatitis B kommen, die dann nicht
kÜbertragung mehr antiviral therapierbar ist. Bei Reaktivierung einer okkulten
HBV wird parenteral übertragen. Kontaminiertes Blut bzw. Blutpro- Infektion erscheinen oft Immune-Escape-Mutanten mit stark verän-
dukte, Sperma und Zervixsekret sowie Speichel können das Virus dertem HBsAg.
übertragen. Geschlechtsverkehr und i. v. Drogenabusus tragen we-
sentlich zur Übertragung bei. Da bereits geringste Mengen Blut für kImmunität
die Transmission ausreichen, kommen auch weiterhin nosokomiale Für die Immunität spielt das Anti-HBs die entscheidende Rolle. Bei
Infektionen vor, z. B. durch nicht ausreichend gereinigte medizini- einem Anti-HBs-Titer > 10 IU/l wird Immunität angenommen
sche Instrumente, Nadelstichverletzungen oder Blutspritzer ins (7 s. u.: Prophylaxe).
582 Kapitel 72 · Virushepatitis

zeigt sich durch erhöhte Transaminasen und histologisch in einer


Leberbiopsie. Anfangs zeigt die chronische Hepatitis keine oder sehr
unspezifische Symptome. Über Jahrzehnte entwickelt sich jedoch
eine Leberzirrhose mit den dann typischen Symptomen und Kom-
plikationen (7 Abschn. 72.1).

Hochvirämischer HBsAg-Träger Es handelt sich um eine persistie-


rende Infektion ohne Leberzellschädigung mit hoher Viruslast und
stark positivem HBsAg und HBeAg. Diese Form zeigt sich v. a. bei
Patienten, die immundefizient sind oder die sich perinatal oder in
der frühen Kindheit infiziert haben (Immuntoleranz). Dieses Bild
kann in eine chronische Hepatitis B übergehen.

Niedrigvirämischer HBsAg-Träger Die Patienten haben eine persis-


tierende Infektion ohne Leberzellschädigung, bei der die Viruslast
jedoch niedrig und das HBeAg entsprechend negativ ist. Es wird
daher auch von »inaktiven« HBsAg-Trägern gesprochen. Spontan
oder unter Immunsuppression kann es zur Reaktivierung der ent-
zündlichen Aktivität kommen.
Ist trotz negativem HBsAg eine niedrige Viruslast nachweisbar,
so spricht man von einer okkulten Hepatitis B. Eine weitere serolo-
gische Konstellation ist die isolierte Anti-HBc-Positivität, bei sonst
negativer HBV-Serologie; hier lässt sich manchmal auch HBV-DNA
mit einer sehr niedrigen Viruslast nachweisen. Bei beiden Sonder-
formen ist Infektiosität, z. B. bei Blut- oder Organspenden, nicht
ausschließbar. Unter Immunsuppression ist eine Reaktivierung
. Abb. 72.7 Klinischer Verlauf einer Hepatitis B möglich (7 s. u.: Prophylaxe).

kLabordiagnose
kKlinik – akute HBV-Infektion In der Routinediagnostik lassen sich in der Serologie die viralen
Die Inkubationszeit einer akuten Hepatitis B beträgt 6–12 Wochen, Antigene HBsAg und HBeAg und die gegen diese viralen Proteine
selten bis zu 7 Monaten. Bereits wenige Wochen nach Infektion gerichteten Antikörper Anti-HBs, Anti-HBc und Anti-HBe nach-
kommt es, z. T. deutlich, vor Symptombeginn zur Virämie: HBV- weisen. Die Quantifizierung der HBV-DNA im Blut (Viruslast) er-
PCR, HBsAg und häufig auch HBeAg werden positiv. Die Viruslast folgt mit quantitativen Nukleinsäurenachweisverfahren, z. B. quan-
erreicht kurz vor Symptombeginn ihr Maximum von häufig 109– titativer PCR. Die Viruslast korreliert mit der Infektiosität des Blutes.
1012 Kopien/ml. Die Patienten sind nun hochinfektiös. Mit Einset- Die vielfältigen serologischen Parameter erlauben eine differen-
zen der Immunantwort ist Anti-HBc nachweisbar, die Viruslast fällt zierte Aussage über verschiedenen Phasen der Erkrankung. Für die
und die Leberenzyme steigen. Bei 30–50 % kommt es zu den typi- Basisdiagnostik reichen bereits die 3 wichtigsten Marker aus: HBsAg,
schen Symptomen einer akuten Hepatitis (7 Abschn. 72.1), die meist Anti-HBs und Anti-HBc (. Tab. 72.3, . Abb. 72.8).
2–3 Wochen, selten länger anhalten. Die meisten akuten Infektionen
verlaufen jedoch inapparent. Weniger als 1 % der akuten Infektionen HBsAg HBs-Antigen ist der serologische Marker für eine vorliegen-
zeigen einen fulminanten Verlauf, der in Leberversagen enden kann. de HBV-Infektion (Infektiosität). Es wird bei der Virusreplikation als
Die akute Hepatitis B ist zumeist eine selbstlimitierende Erkran- Dane-Partikel, Filamente und Sphären ins Blut sezerniert. Es ist das
kung. Deutlich über 90 % der immunkompetenten Erwachsenen wichtigste immunisierende Antigen für B-Zellen.
können die Virusreplikation kontrollieren und es kommt zur Aus-
heilung (. Abb. 72.7): Anti-HBs-Antikörper erscheinen und das Anti-HBs Anti-HBs-Antikörper sind der serologische Marker für
HBsAg wird negativ (»durchgemachte Hepatitis B«). Trotz Aushei- Immunität. Die Antikörper sind gegen das HBsAg gerichtet und
lung persistieren jedoch geringe Mengen cccDNA in den Hepatozy- wirken neutralisierend, d. h., sie verhindern, dass Dane-Partikel wei-
Virologie

ten. Bei starker Immunsuppression und insbesondere bei Therapie tere Wirtszellen infizieren. Ihr Nachweis zeigt an, dass das Immun-
mit Anti-B-Zell-Antikörpern (z. B. Retuximab) kann es so zu einer system die Infektion unter Kontrolle gebracht hat und ist gleichbe-
gefährlichen Reaktivierung kommen (7 s. u.: Prophylaxe). Im Kin- deutend mit einer ausgeheilten Infektion. Eine Hepatitis-B-Impfung
desalter verläuft die Infektion dagegen zu etwa 90 % und bei Immun- mit synthetisch hergestelltem HBsAg induziert ebenfalls die Pro-
kompromittierten zu 30–90 % chronisch. duktion von Anti-HBs. Anti-HBs-Titer > 10 IU/l gelten als protektiv.
Da der Anti-HBs-Titer über die Zeit jedoch abfällt, wird bei Titern
kKlinik – persistierende HBV-Infektion < 100 IU/l eine Boosterung empfohlen.
Ist das HBsAg länger als 6 Monate nachweisbar, so spricht man von
einer persistierenden Infektion. Je nach Virusaktivität und Leber- Anti-HBc Anti-HBc-Antikörper gelten als Kontaktmarker. Sie wer-
schädigung unterscheidet man verschiedene chronische Verlaufsfor- den sowohl in Patienten mit aktiver als auch mit durchgemachter
men (. Abb. 72.7): Hepatitis B gefunden. Im Gegensatz zu Anti-HBs und Anti-HBe ist
Anti-HBc auch Jahrzehnte nach Ausheilung nachweisbar. Deshalb
Chronische Hepatitis B Die Patienten haben eine persistierende ist es auch für epidemiologische Fragestellungen nützlich. Durch
Infektion, in deren Verlauf es zur Leberzellschädigung kommt. Diese eine Impfung werden keine Anti-HBc-Antikörper gebildet.
72.3 · Parenteral übertragene Hepatitiden
583 72

. Tab. 72.3 Serologische Diagnostik der Hepatitis B

Infektionsstatus HBsAg Anti-HBs Anti-HBc Anti-HBc-IgM HBeAg Anti-HBe HBV-DNA Leberentzündung,


(total) Transaminasen ൹

Keine Infektion – – – – – – – –

Frische Infektion:

Inkubationsperiode + – – – + – steigend –
bis sehr hoch

Frische Hepatitis + – + + + – hoch ja

Ausheilung:

Beginnend + – + + – + fallend ja

In den ersten Jahren – + + – – ± negativ –

Nach vielen Jahren – ± + – – – negativ –

Persistierende Hepatitis:

Hochvirämische + – + – + – > 105 –


HBsAg-Träger

Chronische Hepatitis + – + – ± ± > 104 ja

Niedrigvirämische + – + – – ± < 105 –


HBsAg-Träger

Okkulte Hepatitis – – + – – ± minimal –

Erfolgreicher Impfstatus – + – – – – – –

Bereits mit diesen 3 serologischen Markern lässt sich meist zu- HBeAg Ein positiver HBe-Antigen-Nachweis ist Zeichen einer
verlässig unterscheiden, ob ein Individuum nie Kontakt zu HBV hochreplikativen Hepatitis B. Als Faustregel findet sich HBeAg bei
hatte, eine infektiöse Hepatitis B hat, die Infektion ausgeheilt ist oder Personen mit einer Viruslast > 2000 IU/ml (105 Genomkopien/ml).
Impfschutz besteht. Die übrigen serologischen Marker werden für Dies trifft bei der akuten HBV-Infektion und hochvirämischen For-
spezielle Fragestellungen verwendet: men der chronischen Hepatitis B zu. Häufig können Mutationen im
pre-Core-Bereich zu einer HBeAg-negativen, aber dennoch hoch-
Anti-HBc-IgM Anti-HBc-IgM-Antikörper werden in hohen Titern replikativen Hepatitis führen, die nur durch eine hohe HBV-Virus-
nur während und kurz nach einer akuten Hepatitis B gebildet. Sie last auffällt.
dienen als Nachweis einer frischen Hepatitis B. Selten werden
sehr niedrige IgM-Titer auch bei chronisch aktiver Hepatitis B ge- Anti-HBe Der Nachweis von Anti-HBe-Antikörpern geht mit einem
funden. negativen Nachweis des HBeAg einher. Bei chronischer Hepatitis B

a b
. Abb. 72.8a, b Verlauf der Laborparameter bei HBV-Infektion. Anfangs sind HBV-DNA, HBsAg und HBeAg positiv. Mit Einsetzen der Immunantwort
werden totales Anti-HBc und Anti-HBc-IgM positiv, es entwickelt sich eine Hepatitis, die Transaminasen steigen. a Bei einer ausheilenden Hepatitis schafft
es das Immunsystem, die Infektion zu kontrollieren: Es kommt zur Serokonversion von HBsAg zu Anti-HBs. b Bei einer persistierenden Hepatitis B sind
HBV-DNA und HBsAg dauerhaft positiv, die Serokonversion zu Anti-HBs bleibt aus. Viruslast, HBeAg-/Anti-HBe-Status und Leberentzündung können je nach
Verlauf variieren (siehe Text)
584 Kapitel 72 · Virushepatitis

(HBsAg-positiv) ist dies Zeichen einer niedrigreplikativen HBV-In- In einer 2015 neu herausgegebenen Leitlinie empfiehlt die WHO
fektion. Bei ausgeheilter Infektion (Anti-HBs-positiv) ist Anti-HBe für die weltweite Therapie, gerade auch in Regionen mit begrenzten
nicht regelmäßig nachweisbar, sodass Anti-HBc-Antikörper als Kon- Mitteln, eine primäre Therapie mit Tenofovir oder Entecavir, da eine
taktmarker besser geeignet sind. Interferontherapie nicht peroral appliziert werden kann, teuer ist,
eine Reihe von unerwünschten Nebenwirkungen besitzt und eine
HBcAg Das HBc-Antigen findet sich nicht im Serum, sondern nur engmaschige Überwachung bedarf, die unter einfachen Bedingun-
im Zellkern infizierter Hepatozyten. In der Routinediagnostik wird gen nicht immer gegeben ist.
es nicht verwendet.
kPrävention
HBsAg-Subtypen
Aktive Impfung Vor einer HBV-Infektion schützt eine aktive Im-
Antikörper gegen die sog. »a«-Determinante des HBsAg haben neutralisie-
rende Eigenschaften, d. h., sie können eine Infektion verhindern. Die Epitope
munisierung mit einem Totimpfstoff aus rekombinantem HBsAg.
der »a«-Determinante sind bei allen Wildtypisolaten konserviert. Daher ver- Sie gehört zu den von der STIKO empfohlenen Standardimpfungen,
mitteln Antikörper gegen die »a«-Determinante Kreuzimmunität zwischen die im 2. Lebensmonat begonnen werden – hier allerdings meist als
den verschiedenen HBV-Genotypen. Dies wird unter anderem bei der HBV- Kombinationsimpfstoff. Eine Impfung ist zusätzlich bei Personen
Impfung genutzt. mit erhöhtem Infektionsrisiko indiziert. Die Grundimmunisierung
Darüber hinaus gibt es weitere Antikörper, die gegen HBsAg-Subtypen ge- mit dem monovalenten Impfstoff erfolgt in 3 Dosen (0–1–6 Monate)
richtet sind. Mit subtypspezifischen Antikörpern lassen sich somit verschie- und führt zu einem über 95%-igen Schutz. Eine Boosterung ist erst
dene HBV-Serotypen identifizieren. Dies wurde historisch z. B. für epidemio- nach 15 Jahren nötig, bei Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko
logische Fragestellungen verwendet. Bei den Subtypen werden neben der
sollte sie jedoch zur Sicherheit alle 10 Jahre erfolgen. Nur bei der
»a«-Determinante die beiden weiteren Determinanten d/y und w/r berück-
Indikationsimpfung wird eine Kontrolle des Impferfolgs 4–8 Wo-
sichtigt, die sich jeweils gegenseitig ausschließen: Die »w«-Determinante
wird weiter in die 4 Subspezies w1–w4 unterteilt. Daneben gibt es noch die
chen nach Abschluss der Grundimmunisierung empfohlen:
optionale »q«-Determinante. Bei der Angabe des HBsAg-Subtyps werden 4 Bei Low-Respondern (Titer zwischen 10 und 99 IU/l) sollte
alle Determinanten, inklusive der »a«-Determinante angegeben, also z. B. umgehend mit einer 4. Dosis geboostert werden und bei wei-
»adw2« oder »ayr«. Bei den verschiedenen HBV-Genotypen sind bestimmte terhin zu niedrigen Titern eine 5. und ggf. auch 6. Dosis gege-
HBsAg-Subtypen besonders häufig vertreten. ben werden.
Heutzutage ist die Bedeutung der Serotypen durch die einfache Möglichkeit, 4 Bei Non-Respondern (Titer < 10 IU/l) sollten HBsAg und An-
das HBV-Genom zu sequenzieren, in den Hintergrund getreten. Klinisch spie- ti-HBc bestimmt werden, um eine bestehende Hepatitis auszu-
len jedoch weiterhin Escape-Mutationen in der »a«-Determinante eine Rolle, schließen. Sind beide Parameter negativ, wird wie bei Low-Res-
die z. B. zu Impfdurchbrüchen führen oder eine Therapie mit Hepatitis-B-
pondern vorgegangen.
Immunglobulin vereiteln.

Postexpositionsprophylaxe nach Kontakt zu HBV-haltigem Blut


kTherapie HBV wird sehr leicht durch infiziertes Blut übertragen. Auf peinlich
Eine akute HBV-Infektion bedarf normalerweise – aufgrund ihrer genaue Sterilität aller ärztlichen Instrumente ist zu achten. Bei Blut-
hohen Spontanheilungsrate – keiner Therapie. Nur bei schweren, und Organspendern werden HBsAg und Anti-HBc-Antikörper
fulminanten Verläufen sollte die Indikation für eine antivirale The- überprüft, um Infektiosität auszuschließen. Bei Exposition eines
rapie evaluiert werden und aufgrund des möglichen Leberversagens Nichtinfizierten mit HBV-haltigem Material hängt das Vorgehen
die Anbindung an ein Lebertransplantationszentrum erfolgen. von der Impfanamnese ab. Bei unvollständig Geimpften und bei
Bei jedem Patienten mit chronischer Hepatitis B ist zu prüfen, vollständig Geimpften, bei denen das Anti-HBs vor > 10 Jahren oder
ob eine antivirale Therapie indiziert ist. Erhöhte Virusaktivität und/ nie bestimmt wurde oder mit einem zuletzt gemessenen Anti-HBs
oder Zeichen einer Leberschädigung sprechen für eine Therapie. zwischen 10–99 IU/l, muss zusätzlich eine aktuelle Anti-HBs-Be-
Ziel der Therapie ist, die Morbidität und Letalität zu senken. Als stimmung innerhalb von 48 h erfolgen:
Therapieerfolg gelten das dauerhafte Absinken der HBV-Viruslast 4 Keine Prophylaxe benötigen (a) vollständig Geimpfte mit ei-
unter die Nachweisgrenze sowie die Serokonversion von HBeAg zu nem Anti-HBs ≥ 100 IU/l innerhalb der letzten 10 Jahre sowie
Anti-HBe und von HBsAg zu Anti-HBs. (b) vollständig und unvollständig Geimpfte mit einem aktuel-
Für die medikamentöse Therapie werden Standard- und pegy- len Anti-HBs ≥ 100 IU/l.
liertes IFN-α, Nukleosidanaloga (Lamivudin, Entecavir, Telbivudin) 4 Nur eine aktive Impfung (Boosterung) benötigen alle übrigen
und Nukleotidanaloga (Adefovir dipivoxil, Tenofovir dipivoxil) ver- vollständig oder unvollständig Geimpfte, die (a) jemals ein
wendet. Wenn keine Kontraindikationen vorliegen, sollte primär ein Anti-HBs ≥ 100 IU/l hatten oder (b) aktuell ein Anti-HBs
Virologie

Therapieversuch mit Interferon evaluliert werden, da ein auf Inter- zwischen 10–99 IU/l haben.
feron basierendes Therapieschema eine definierte Dauer hat (meist 4 Eine kombinierte Aktiv-/Passiv-Prophylaxe mit Impfstoff und
48 Wochen) und, im Vergleich zur Therapie mit Nukleosid-/Nukle- Hepatitis-B-Immunglobulin (HBIG) benötigen (a) Ungeimpfte
otidanaloga, wahrscheinlich häufiger zur HBe- und HBs-Serokon- sowie (b) alle Geimpften mit einem zuletzt oder aktuell gemes-
version führt. sen Anti-HBs < 10 IU/l, die nie ein Anti-HBs ≥ 100 IU/l hatten.
Bei Schwangeren, Stillenden und Patienten mit fortgeschrittener Hier sollte immer vor der Impfung Blut für eine HBsAg-, Anti-
oder dekompensierter Leberzirrhose ist Interferon kontraindiziert, HBc- und Anti-HBs-Bestimmung abgenommen werden, die
sodass hier Nukleosid-/Nukleotidanaloga zum Einsatz kommen. Simultanimpfung jedoch sofort erfolgen.
Diese erfordern jedoch häufig eine Langzeittherapie, die erst bei 4 Unabhängig davon sollte bei Ungeimpften oder unvollständig
nicht mehr nachweisbarer HBV-DNA und einer Anti-HBs-Serokon- Geimpften die Grundimmunisierung vervollständigt werden.
version beendet werden darf. Bei dieser Therapie ist die Viruslast
regelmäßig zu kontrollieren, um die Entwicklung von Resistenzmu- Vertikale Transmission Beim Neugeborenen HBV-positiver Mütter
tationen zu erkennen. Sie machen die Umstellung der Therapie auf ist eine kombinierte Aktiv-/Passiv-Impfung innerhalb von 12 h nach
andere Nukleosid-/Nukleotidanaloga erforderlich. Geburt indiziert. Ist diese durchführbar, besteht keine Indikation für
72.3 · Parenteral übertragene Hepatitiden
585 72
eine Sectio. Ebenso dürfen aktiv/passiv geimpfte Kinder gestillt wer- 72.3.2 Hepatitis-C-Virus (HCV)
den. Bei hochvirämischen Müttern kann die Aktiv-/Passiv-Prophy-
laxe eine Infektion des Kindes jedoch nicht sicher unterbinden; hier Steckbrief
kann eine antivirale Therapie der werdenden Mutter entsprechend
aktueller Empfehlungen und Studien das Infektionsrisiko für das HCV gehört in die Familie der Flaviviridae. Sein Virion ist behüllt
Kind reduzieren. und ca. 55–65 nm groß. Es hat ein (+)ssRNA-Genom mit 9,4 kb.
Weltweit sind etwa 130–180 Mio. Menschen chronisch mit HCV
Immunsuppression Bei HBsAg-Trägern ohne Hepatitis, bei isoliert infiziert. Das Virus wurde 1989 erstmals von Qui-Lim Choo et al.
Anti-HBc-Positiven sowie bei okkulter oder ausgeheilter Hepatitis B beschrieben. Es war das erste mit molekularbiologischen Tech-
besteht bei starker Immunsuppression die Gefahr einer Reaktivie- niken entdeckte Virus.
rung. Dies gilt auch bei Immunsuppression durch die Gabe immun- Die Mehrzahl der Infizierten entwickelt eine chronische Hepa-
suppressiv wirkender »Biologika«, die z. B. TNF, IL-6 oder T-Zellen titis, die über Jahrzehnte zur Leberzirrhose und zum hepato-
inhibieren oder CD20+-B-Zellen depletieren. Daher sollte die Virus- zellulären Karzinom (HCC) führen kann. Leberversagen infolge
last Betroffener regelmäßig kontrolliert werden und sind diese bei HCV-Infektion ist eine der führenden Indikationen für eine
Bedarf antiviral zu therapieren. Bei einigen Therapeutika wird teil- Lebertransplantation.
weise sogar eine präemptive Therapie mit Nukleosid-/Nukleotid-
analoga empfohlen; dasselbe gilt für Patienten mit einer Stammzell-
transplantation.

In Kürze
Hepatitis-B-Virus (HBV)
Virus Behülltes Virus aus der Familie der Hepadnaviridae mit
partiell doppelsträngigem DNA-Genom. Ungewöhnliche Repli-
kation mit reversem Transkriptionsschritt. 10 Genotypen mit
Unterschieden der Verbreitung und des Therapieansprechens.
Vorkommen Mensch. HCV: Elektronenmikroskopische Darstellung. Der Pfeil zeigt auf
Epidemiologie Weltweit 240 Mio. HBsAg-Träger. Prävalenz in einen mit einem Goldpartikel markierten Antikörper, der das HCV-
Teilen Afrikas und Asiens > 10 %, in Westeuropa 0,1–0,5 %. Hüllprotein E2 markiert [aus: Merz A, Long G, Hiet MS, Brugger B,
Übertragung Durch Blut-zu-Blut-Kontakt, Sexualkontakt und Chlanda P, Andre P, Wieland F, Krijnse-Locker J, and Bartenschlager R
vertikal. Hohe Infektiosität v. a. bei hoher Viruslast bzw. HBeAg- (2011) Biochemical and morphological properties of Hepatitis C
Positivität. virus particles and determination of their lipidome. J Biol Chem 286,
Pathogenese Über den Blutweg primär nichtzytolytische Infek- 3018–3032]
tion der Hepatozyten mit verzögert einsetzender immunvermit-
telter Hepatitis.
Immunität Schutz durch Anti-HBs-Antikörper nach erfolgreicher Beschreibung
Impfung oder nach ausgeheilter Infektion. HCV gehört zum Genus Hepacivirus in der Familie der Flaviviridae.
Klinik Inkubationszeit 2–6 Monate. Klinisches Bild einer akuten Es werden die Genotypen 1–7 unterschieden, die unterschiedlich auf
Hepatitis B nur bei 30–50 %. Chronifizierung bei < 10 % der die Therapie ansprechen (7 s. u.). Die Genotypen unterscheiden sich
Erwachsenen, jedoch 90 % bei vertikaler Übertragung und bei jeweils um 31–33 % der Nukleotide. Diese starken Sequenzvariatio-
Kleinkindern. Chronische Infektion mit unterschiedlich ausge- nen, die noch ausgeprägter als bei HIV sind, setzen sich auch inner-
prägter Leberschädigung. Leberzirrhose mit Risiko des Leber- halb der Genotypen in geringerem Maße fort. Sie sind auf die hohe
versagens und der Entwicklung eines hepatozellulären Karzi- Fehlerrate der viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase zurückzu-
noms (HCC). Extrahepatische Manifestationen bei 1–10 %. führen – eine typische Eigenschaft aller RNA-Viren. Dies führt auch
Labordiagnose Detaillierte serologische Diagnostik möglich: im Körper eines Patienten dazu, dass das Virusgenom bereits kurz
HBsAg zeigt Infektiosität, Anti-HBc bestehende oder ausgeheilte nach der Infektion in vielen Varianten vorkommt, die sich leicht
Infektion, Anti-HBs ausgeheilte Infektion oder Zustand nach unterscheiden – man spricht dann von einer Quasispezies.
Impfung an. Viruslast mittels quantitativer PCR bestimmbar.
HBeAg-Positivität bei hoher Viruslast. jAufbau
Therapie Bei akuter Infektion meist spontane Ausheilung. Bei Genom Das Virus besitzt ein einzelsträngiges RNA-Genom positi-
chronischer Hepatitis B soweit möglich Therapie mit pegyliertem ver Polarität [(+)ssRNA] mit 9,4 kb. Es enthält ein langes offenes
IFN-α. Sonst Nukleosid- und Nukleotidanaloga mit Gefahr von Leseraster (ORF), das von 2 nichtkodierenden Regionen (NCR)
Resistenzmutationen. Lebertransplantation bei Leberversagen flankiert wird (. Abb. 72.9). Beide NCR bilden komplexe Sekundär-
und ggf. bei HCC. strukturen aus und sind für die Replikation essenziell. In der 5’-NCR
Prävention Aktive Impfung, Screening von Blut- und Organ- liegt gleichzeitig eine »internal ribosomal entry site« (IRES), an die
spendern, Sterilität ärztlicher Geräte. Aktiv-/-Passiv-Impfung Ribosomen direkt binden können und die so eine Cap-unabhängige
Neugeborener positiver Mütter und ebenfalls bei der Postexpo- Translation des viralen Genoms ermöglicht.
sitionsprophylaxe.
Meldepflicht (Deutschland) Betreuender Arzt: Verdachts-, Er- Virale Proteine Das ORF kodiert einen etwa 3000 Aminosäuren
krankungs- und Todesfall durch akute Hepatitis; Labor: direkter langen Polyproteinvorläufer. Diesen spalten zelluläre Proteasen und
oder indirekter Nachweis einer akuten Infektion. 2 virale Proteasen in die einzelnen viralen Proteine (. Abb. 72.9).
Aminoterminal liegen die Strukturproteine mit dem Core-Nukleo-
586 Kapitel 72 · Virushepatitis

. Abb. 72.9 Genom des HCV. Zwei nichtkodierenden Regionen (NCR) flankieren ein langes offenes Leseraster (ORF, rot), von dem ein Polyproteinvorläufer
translatiert wird. Dieses wird von zellulären (Scheren) und der viralen NS2/3-Autoprotease und NS3-Serinprotease (kleine Pfeile) in die einzelnen Virusproteine
gespalten. Das Core-Protein (C) und die beiden Hüllproteine E1 und E2 bilden das Virion, die Nichtstrukturproteine NS3–NS5B sind für die Replikation des
Virusgenoms essenziell. NS3/4A, NS5A und NS5B sind therapeutische Angriffspunkte

kapsidprotein und den beiden Hüllproteinen E1 und E2 (»enve- genom zuerst komplementär RNA (Negativstrang) produziert wird,
lope«). Es folgen p7, ein Viroporin, und NS2, das Teil der NS2/3- die dann als Vorlage für die Synthese vieler Plusstränge (Genome,
Autoprotease ist, welche die NS2/3-Spaltung vollzieht. NS2 und p7 mRNA) dient. Die neuen Virusgenome bilden zusammen mit dem
sind für die Produktion infektiöser Virione essenziell, die darauf Core-Protein Nukleokapside, die dann von E1/E2-tragenden Lipid-
folgenden Nichtstrukturproteine NS3, NS4A, NS4B, NS5A und NS5B hüllen umschlossen und sezerniert werden. Dieser im Detail nicht
für die Replikation des Genoms. NS3 enthält eine Serinprotease- verstandene Prozess scheint eng an die Lipoproteinsynthese der
domäne, die als NS3/4A-Proteinkomplex alle folgenden Nicht- Hepatozyten gekoppelt zu sein.
strukturproteine vom Polyproteinvorläufer abspaltet. NS4B indu-
ziert spezifische Membranveränderungen, die für die Ausbildung jResistenz gegen äußere Einflüsse
des viralen Replikationskomplexes notwendig sind. NS5A ist ein HCV lässt sich in wässriger Lösung durch Erhitzen auf 60 °C für 10 h
Phosphoprotein, das an der Replikation und beim Zusammenbau oder 100 °C für 2 min, durch Fettlösungsmittel, Detergenzien und
des Virions beteiligt ist. NS5B schließlich ist die eigentliche virale Formaldehyd inaktivieren.
RNA-abhängige RNA-Polymerase (RdRp).
jVorkommen
Virion HCV ist ein behülltes Virus mit 55–65 nm Durchmesser. Das Der Mensch ist die einzige Infektionsquelle. Schimpansen sind die
Virusgenom bildet zusammen mit dem aus dem Core-Protein beste- einzige andere Spezies, die mit dem Virus infizieren werden kann. In
henden Kapsid das Nukleokapsid. Letzteres ist von einer Lipidmem- den letzten Jahren wurden weitere verwandte Viren innerhalb des
bran umhüllt, in der die beiden Glykoproteine E1 und E2 als Hete- Genus Hepacivirus in Pferden (»Non Primate Hepaciviruses«,
rodimer verankert sind. Im Serum zirkuliert HCV als Komplex mit NPHV) und Nagetieren (»Rodent Hepaciviruses«, RHV) entdeckt.
LDL (»low-density lipoprotein«) und VLDL (»very low-density lipo-
protein«) vom Wirtsorganismus. Die Funktion dieser sog. Lipoviro- Rolle als Krankheitserreger
partikel ist nicht vollständig geklärt, könnte aber dem Virus beim kEpidemiologie
Verlassen der und beim Eintritt in Hepatozyten helfen und virale Weltweit sind etwa 130–180 Mio. Menschen chronisch mit HCV
Epitope vor dem Immunsystem verstecken. infiziert. Regional schwankt die Prävalenz von < 1,0 % in Nordeuro-
pa, Kanada und Australien, 1 % in großen Teilen Europas und den
Lebenszyklus Für die rezeptorvermittelte Aufnahme sind zumin- USA und z. T. deutlich über 2 % in vielen Ländern Afrikas, Latein-
Virologie

dest CD81, der Scavanger-Rezeptor B1 (SR-B1), Claudin-1 und Oc- amerikas und Zentral- und Südostasiens. In Deutschland sind
cludin essenziell. Sie werden durch weitere Faktoren, wie z. B. Glu- etwa 160.000–320.000 Personen (0,2–0,4 %) chronisch mit HCV
kosaminoglykane, LDL-Rezeptor, Rezeptor-Tyrosinkinase EGFR, infiziert.
Transferrinrezeptor 1 (TfR1) und Niemann-Pick-C1-Like-Choleste-
rinrezeptor (NPC1L1), unterstützt. Das Zusammenspiel dieser Fak- kÜbertragung
toren und die dahinterstehende Regulation durch weitere Kofakto- HCV wird parenteral übertragen. Die wichtigste Infektionsquelle ist
ren werden aktuell intensiv erforscht. Die Internalisierung erfolgt kontaminiertes Blut. Dies erklärt die hohe Prävalenz bei Personen
clathrinabhängig. Nach seiner Freisetzung dient das (+)ssRNA-Ge- mit i. v. Drogenabusus und z. B. bei Dialysepatienten. Vor der Ver-
nom zuerst als mRNA für die Synthese des Polyproteinvorläufers. fügbarkeit der HCV-Testung Anfang der 1990er Jahre war die Über-
Dieser wird in die einzelnen Virusproteine prozessiert (7 s. o.). Die tragung durch Bluttransfusionen und Blutprodukte häufig und hat
Nichtstrukturproteine induzieren spezifische Membranveränderun- weltweit zur starken Verbreitung des Virus geführt. Die sexuelle
gen im Zytoplasma der Wirtszelle – ein allen Plusstrang-RNA-Viren Übertragung ist möglich, aber im Vergleich zu HBV weniger effizi-
gemeinsames Phänomen. Sie sind in diesen Membranen verankert ent. Ohne Prophylaxe liegt die vertikale Transmission bei 5–10 %
und bilden den viralen Replikationskomplex, in dem vom Virus- und erfolgt vermutlich bereits in utero.
72.3 · Parenteral übertragene Hepatitiden
587 72
kPathogenese
HCV ist primär nicht zytopathisch – eine Leberdestruktion (Hepa-
titis) findet in den ersten Tagen und Wochen einer frischen HCV-
Infektion nicht statt, sondern verzögert mit Beginn der einsetzenden
spezifischen Immunantwort. Eine starke und breite Immunantwort
mit CD8+-zytotoxischen T-Zellen (CTL) begünstigt dann eine Aus-
heilung der Infektion. CD4+-T-Helferzellen unterstützen die CTL-
Antwort hierbei.
HCV schafft es jedoch, der angeborenen und der adaptiven Im-
munantwort in der Mehrzahl der Infektionen zu entgehen. Ob dabei
interindividuelle Unterschiede im Zusammenspiel verschiedener
Interferone und bei der Expression Interferon-stimulierter Gene
(ISG) über Ausheilung oder Chronifizierung entscheiden, wird ge-
genwärtig geklärt. Inwieweit bei diesen Unterschieden auch virale
Faktoren eine Rolle spielen, muss ebenfalls noch geklärt werden.
Ein Beispiel ist hier z. B. die virale NS3/4A-Serinprotease: Sie
spaltet MAVS, ein Adaptorprotein des zytosolischen RNA-Sensor-
proteins RIG-I, und inhibiert damit die RIG-I-induzierte Aktivie-
rung des Interferonsystems – möglicherweise nicht immer mit der
gleichen Effizienz. Während der chronischen Infektion reagiert das
Virus dann kaum mehr auf endogene Interferone – und damit häufig
leider auch nicht auf eine Interferontherapie. . Abb. 72.10 Klinischer Verlauf einer Hepatitis C
Durch die hohe Mutationsrate bei HCV kommt es schnell zu
Escape-Mutationen. Antikörper- und CTL-Antwort sind daher
gegen die aktuelle Quasispezies größtenteils nutzlos. Doch selbst scher HCV-Infektion ist eine der häufigsten Indikationen für eine
spezifische CTL verlieren im Laufe der Erkrankung durch »immune Lebertransplantation.
exhaustion« ihre Wirksamkeit. Mit einer chronischen HCV-Infektion sind eine Reihe von Be-
gleiterkrankungen vergesellschaftet: Kryoglobulinämie, membrano-
kImmunität proliferative und membranöse Glomerulonephritiden, Diabetes
Super- und Reinfektionen sind möglich. Jedoch haben Individuen mellitus Typ I, lymphoproliferative Erkrankungen, monoklonale
mit ausgeheilter akuter HCV-Infektion bei einer Reinfektion gute Gammopathie, periphere Neuropathie, eingeschränkte Leistungs-
Chancen, das Virus erneut schnell zu eliminieren. Dieses wird v. a. fähigkeit und depressive Symptome.
durch HCV-spezifische Gedächtnis-CD4+-T-Zellen und CD8+-T-
Zellen vermittelt. Die Chancen verringern sich bei Reinfektion mit kLabordiagnose
einem anderen HCV-Genotyp. Der erste Schritt der HCV-Diagnostik ist ein Screening-Immun-
assay, der HCV-spezifische IgG erkennt. IgM wird nicht gesondert
kKlinik (. Abb. 72.10) bestimmt und hat keine diagnostische Bedeutung. Als Screeningtest
Akute HCV-Infektion Die Inkubationszeit dauert etwa 6–10 Wo- ist der Immunassay bei größtmöglicher Sensitivität mit einer gewis-
chen. HCV-spezifische Antikörper sind erst 12 Wochen bis 6 Mona- sen Rate falsch positiver Ergebnisse behaftet. Daher muss ein positi-
te nach der Infektion nachweisbar. Die typischen Symptome einer ves Ergebnis durch einen Immunoblot bestätigt werden, bei dem
akuten Hepatitis (7 Abschn. 72.1) sind bei einer HCV-Infektion HCV-spezifische Antikörper mit verschiedenen räumlich getrennt
meist nur wenig ausgeprägt. Fulminante Verläufe mit Leberversagen auf einem Streifen aufgetragenen HCV-Antigenen reagieren und zu
sind sehr ungewöhnlich. Etwa 80 % der Patienten entwickeln über- einem Bandenmuster führen – hierdurch wird eine hohe Spezifität
haupt keine Symptome. Typisch sind fluktuierend erhöhte Trans- erreicht.
aminasen. Der positive Antikörpernachweis weist auf eine infektiöse oder
ausgeheilte HCV-Infektion hin. Die Differenzierung muss durch
Chronische HCV-Infektion Charakteristisch für die HCV-Infektion direkten Virusnachweis erfolgen. Hierfür stehen ein HCV-Antigen-
ist ihre hohe Chronifizierungsrate – ganz im Gegensatz zur Hepati- test und die deutlich sensitivere quantitative PCR nach reverser
tis B: Bei 50–85 % der akuten HCV-Infektionen gelingt die Virus- Transkription (qRT-PCR) zur Verfügung, mit der gleichzeitig die
elimination nicht. Besteht die HCV-Infektion länger als 6 Monate, Viruslast bestimmt wird. Für die Genotypisierung werden PCR-
spricht man von chronischer Hepatitis C. Amplifikate entweder mit typspezifischen Proben hybridisiert oder
Klinisch verläuft die chronische Hepatitis C in den ersten Jahren sequenziert.
bei etwa 60–80 % der Patienten inapparent oder nur mit unspezifi- Nach lange zurückliegender ausgeheilter Infektion kann der
schen Symptomen, wie z. B. gelegentliche Müdigkeit. Bei 30–40 % HCV-Serostatus wieder negativ werden, sodass die Durchseuchung
der chronisch Infizierten finden sich normale Transaminasen, was theoretisch höher ist als die Zahl der Seropositiven.
meistens Ausdruck einer nur wenig progredienten Leberschädigung . Abb. 72.11 zeigt den Verlauf der Laborparameter bei HCV-
ist. Diese lässt sich jedoch nur histologisch genau beurteilen. Infektion mit und ohne Ausheilung.
Etwa 25 % der chronisch HCV-Infizierten entwickeln in Laufe
von 10–20 Jahren eine Leberzirrhose, von denen etwa knapp ein kTherapie
Viertel an Leberversagen verstirbt. Bei Patienten mit Leberzirrhose Die Hepatitis-C-Therapie hat in den letzten Jahren beeindruckende
beträgt das Risiko, ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln, je Fortschritte gemacht. War bis 2011 die Therapie der Wahl noch eine
nach Region etwa 1,5–7 % pro Jahr. Leberversagen infolge chroni- Kombinationstherapie mit pegyliertem Alpha-Interferon (peg-IFNα)
588 Kapitel 72 · Virushepatitis

virological response« (SVR) bezeichnet und üblicherweise als nega-


tiver Virusnachweis 24 Wochen nach Ende der Therapie definiert;
seit kurzem hat sich die SVR 12 Wochen nach Therapieende (SVR12)
als für klinische Studien praktikablerer, aber weiterhin zuverlässiger
Kontrollpunkt etabliert. Bereits unter der Therapie wird der Abfall
der Viruslast überwacht. Ist nach Absetzen der Therapie erneut
HCV-RNA nachweisbar, so spricht man von Relapse.
Mit DAA liegen die SVR-Raten bei therapienaiven Patienten bei
häufig nur 12 oder teilweise sogar nur noch 8 Wochen Therapie-
dauer deutlich über 90 %. Die frühere IFN/RBV-Therapie dauerte
noch 24–48 Wochen, zeigte je nach HCV-Genotyp SVR-Raten von
nur 40–80 % und führte häufig zu unerwünschten Wirkungen, die
einen Therapieabbruch notwendig machten.

kPrävention
Aktive und passive Impfungen existieren bisher nicht. Ihre Ent-
wicklung ist aufgrund der hohen Mutationsrate des HCV schwierig.
Nach Exposition (z. B. Nadelstichverletzung) gibt es keine präven-
tive Therapie. Der Empfänger muss engmaschig kontrolliert werden
und bei Serokonversion sollte umgehend eine Therapie begonnen
werden. Im Blutspendewesen werden alle Konserven mittels Anti-
HCV-Immunassay und HCV-PCR getestet.

In Kürze
Hepatitis-C-Virus (HCV)
Virus Behülltes (+)ssRNA-Virus aus der Familie der Flaviviridae.
7 Genotypen mit starken Sequenzunterschieden. Hohe Muta-
tionsrate.
Vorkommen Mensch. Verwandte Hepaciviren in Pferden und
Nagetieren.
Epidemiologie Weltweit 130–180 Mio. chronisch Infizierte.
. Abb. 72.11 Verlauf der Laborparameter bei Hepatitis C Prävalenz in Europa < 2,5 %, in Teilen Afrikas, Lateinamerikas,
Zentral- und Südostasiens höher, vereinzelt > 10 %.
Übertragung Parenteral durch Blut, Intimverkehr, ungenügend
und Ribavirin (RBV), so begann mit der Zulassung der ersten beiden sterilisierte Geräte.
NS3/4A-Serinprotease-Inhibitoren Boceprevir und Telaprevir das Pathogenese Über den Blutweg primär nichtzytolytische Infek-
Zeitalter der direkt wirksamen antiviralen Substanzen (»direct acting tion der Hepatozyten mit verzögert einsetzender immunvermit-
antivirals«, DAA). Beide Proteaseinhibitoren sind mittlerweile bereits telter Hepatitis.
wieder veraltet. Klinik Akute Infektion oft mit wenigen Symptomen. Im Gegen-
Bis 2015 wurden 7 weitere Substanzen mit 3 verschiedenen An- satz zu Hepatitis B hohe Chronifizierungsrate zwischen 50 und
griffspunkten für die Therapie einer Hepatitis C zugelassen: 85 %. Etwa 25 % der chronisch Infizierten entwickeln eine Leber-
4 die NS3/4A-Serinprotease-Inhibitoren Simeprevir und zirrhose mit dem Risiko des Leberversagens und der Karzinom-
Paritaprevir/Ritonavir (»-previr«), entwicklung.
4 die NS5A-Inhibitoren Ombitasvir, Ledipasvir und Daclatasvir Immunität Reinfektion nach ausgeheilter Hepatitis C möglich.
(»-asvir«) sowie Labordiagnose Serologisch Screening auf Anti-HCV-Antikör-
4 die NS5B-Polymerase-Inhibitoren Sofosbuvir und Dasabuvir pern mittels Immunassay und Bestätigung durch Immunoblot.
(»-buvir«). Differenzierung ausgeheilter und chronischer Infektion sowie
Virologie

Viruslastbestimmung mittels quantitativer RT-PCR.


Mit der Zulassung weiterer Substanzen in den nächsten Jahren ist zu Therapie Kürzlich Zulassung direkt wirksamer antiviraler
rechnen. Während die neuen DAA noch initial als Dreifachtherapie Substanzen (DAA) aus der Gruppe der NS3/4A-Serinprotease-
zusammen mit IFN/RBV gegeben wurden, werden aktuell IFN-freie Inhibitoren, der NS5A-Inhibitoren und der NS5B-Polymerase-
Kombinationstherapien mit verschiedenen DAA mit und ohne Inhibitoren. Neue interferonfreie Kombinationstherapien mit
Ribavirin bereits sehr erfolgreich eingesetzt. Bei einer Fülle von den DAA, die z. T. noch Ribavirin enthalten, mit sehr hohen SVR-
neuen Therapiestudien werden die Therapieleitlinien häufig über- Raten. Lebertransplantation bei Leberversagen und ggf. bei HCC.
arbeitet, um den therapeutischen Einsatz einzelner DAA und ihrer Prävention Keine aktive oder passive Impfung vorhanden.
Kombination zu definieren. Wichtige bei der Wahl der DAA und Screening von Blut- und Organspendern, Sterilität ärztlicher
bei der Therapiedauer zu berücksichtigende Kriterien sind u. a. der Geräte.
virale Subtyp, vorherige erfolglose Therapieversuche der Hepatitis C Meldepflicht (Deutschland) Betreuender Arzt: Verdachts-,
und der Zirrhosestatus. Erkrankungs- und Todesfall durch akute Hepatitis; Labor:
Ziel einer Hepatitis-C-Therapie ist die dauerhafte Viruselimina- direkter oder indirekter Nachweis einer akuten Infektion.
tion auch nach Ende der Therapie. Dieses wird auch als »sustained
72.3 · Parenteral übertragene Hepatitiden
589 72
72.3.3 Hepatitis-Delta-Virus (HDV) jResistenz gegen äußere Einflüsse
Das Virus wird durch nichtionische Tenside und fettlösende Subs-
Steckbrief tanzen schnell inaktiviert.

Das Hepatitis-D-Virus hat ein zirkuläres (–)ssRNA-Genom mit jVorkommen


1,7 kb. Sein Virion ist behüllt und ca. 35 nm groß. HDV kodiert HDV hat das gleiche Wirtsspektrum wie HBV.
kein eigenes Hüllprotein, sondern verwendet das HBsAg des
HBV, sodass nur HBV-infizierte Zellen neue HDV-Virionen bilden Rolle als Krankheitserreger
können. Eine Hepatitis D ist daher nur als Ko- oder Superinfek- kEpidemiologie
tionen einer Hepatitis B möglich. Immunreaktion und Leber- Hepatitis D kommt, genau wie Hepatitis B, weltweit vor. Von den ca.
entzündung sind in beiden Fällen ausgeprägter als bei einer 240 Mio. chronisch HBV-Infizierten sind ca. 15–20 Mio. (ca. 5 %)
HBV-Monoinfektion. Mario Rizzetto beschrieb das Hepatitis-D- mit HDV ko- oder superinfiziert. Die HDV-Infektion ist v. a. im
Antigen erstmals 1977. Mittelmeerraum, im Nahen Osten, in Zentralafrika und Teilen Süd-
amerikas endemisch und kann, regional unterschiedlich, mehr als
ein Viertel der HBsAg-Träger betreffen. In Deutschland ist Hepati-
Beschreibung tis D sehr selten (ca. 7 % der chronisch HBV-Infizierten).
HDV ist der einzige Vertreter des Genus Deltavirus, das bisher
keiner Familie zugeordnet wurde. Es gibt mindestens 8 Genotypen. kÜbertragung
In Europa kommt v. a. Genotyp 1 vor. Die Übertragung von HDV erfolgt parenteral durch Blut oder Blut-
produkte und – wenngleich nicht sehr effizient – sexuell. Als Risiko-
jAufbau faktoren gelten unter anderem Drogenabusus, Hämophilie, Promis-
Genom und virale Proteine HDV hat ein einzelsträngiges, zirku- kuität und Prostitution. Eine vertikale Transmission ist perinatal
läres RNA-Genom negativer Polarität [(–)ssRNA], das durch exten- möglich.
sive Basenpaarung eine stabförmige Struktur annimmt. Mit seinen
nur 1700 Basen ist es das kleinste im Tierreich bekannte Virus- kPathogenese
genom. Von der genomischen RNA werden 2 weitere RNA-Spezies Wie bei den übrigen Hepatitisviren entsteht die Leberschädigung bei
synthetisiert: das Antigenom, das ebenfalls zirkulär und komple- der Hepatitis D durch die zelluläre Immunantwort. HDV ist in vivo
mentär zum Genom ist und als Vorlage für die Genomsynthese wahrscheinlich nicht direkt zytopathogen.
dient, sowie eine ca. 800 Basen große, mit einem Cap versehene und
polyadenylierte mRNA. kImmunität
Von der mRNA wird nur ein einziges virales Protein translatiert, Immunität gegen HBV (durch natürliche Infektion oder Impfung
das Hepatitis-D-Antigen (HDAg), von dem eine kurze Form erworben) schützt auch gegen HDV. Es gibt keine Berichte über
(HDAg-S) und eine um 19 Aminosäuren längere Form (HDAg-L) chronische HBsAg-Träger, die sich nach Ausheilung einer Hepati-
existiert (7 s. u.). tis D ein 2. Mal mit HDV infiziert haben, sodass eine ausgeheilte
Hepatitis D vermutlich mit einer spezifischen Immunität einher-
Virion HDV ist ein behülltes Virus und ca. 35 nm groß. Das Nuk- geht.
leokapsid besteht aus etwa 70 Kopien HDAg-S und HDAg-L zusam-
men mit der genomischen RNA. Das Besondere an HDV: In seiner kKlinik
Hüllmembran trägt es die Hüllproteine des Hepatitis-B-Virus Entsprechend dem HBV-Status bei HDV-Infektion werden klinisch
(HBsAg). HDV kann daher nur in HBV-infizierten Hepatozyten 2 Infektionsformen unterschieden, welche die typischen Symptome
neue Virionen zusammenbauen. Eine HDV-Infektion ist ohne einer akuten bzw. chronischen Hepatitis zeigen (7 Abschn. 72.1): Ko-
Hepatitis B nicht möglich. Infektiöse HDV-Partikel werden durch infektion und Superinfektion.
Anti-HBs im Serum inaktiviert.
Koinfektion Dabei wird eine HBV-negative Person durch HBV-
Lebenszyklus Die Aufnahme wird durch HBsAg vermittelt und und HDV-positives Material gleichzeitig mit beiden Viren infiziert.
entspricht vermutlich der Aufnahme des HBV. Nach der Freisetzung Nach 5–10 Wochen Inkubationszeit entspricht der frühe klinische
schreibt die zelluläre RNA-Polymerase II das (–)ssRNA-Genom im Verlauf dem einer akuten Hepatitis B. Zuerst kann typischerweise
Nukleus in HDAg-mRNA und Antigenom um. Die Replikation er- HBsAg detektiert werden. Der Anstieg der HDV-Viruslast gipfelt
folgt hierbei durch einen Laufkreis- oder »Rolling-circle-Mechanis- etwa 1 Woche nach dem Maximum der HBV-Viruslast – vermutlich
mus«, bei dem die Polymerase das zirkuläre Genom kontinuierlich inhibiert HDV die HBV-Replikation. Die Antikörpertiter gegen
abliest und dabei einen langen Gegenstrang synthetisiert, der sich HBV verlaufen typisch. Gegen HDV werden oft nur schwache und
aus vielen Kopien des Genoms zusammensetzt (Multimer). Auf dem transiente Antikörpertiter beobachtet. Im Gegensatz zur akuten He-
Genom liegt eine Ribozymdomäne, die durch Autokatalyse in der patitis B verläuft die akute Koinfektion eher fulminant, heilt jedoch
Lage ist, das Multimer in lineare Monomere zu spalten, welche durch meist aus und chronifiziert nur in 1–3 %. Nach Ausheilung sind
Ligation zirkularisiert werden. Das Antigenom dient dann als Vor- Anti-HDV-Antikörper oft nur noch wenige Monate nachweisbar.
lage für die Genomsynthese. Während der Replikation kann durch
RNA-Modifikation ein Stoppkodon im HDAg-Leseraster mutieren, Superinfektion Dabei wird ein Patient mit chronischer Hepatitis B
sodass aus der der kurzen Form des HDAg (HDAg-S) eine um zusätzlich durch HDV infiziert. In 70–90 % ist eine chronische
19 Aminosäuren längere Form (HDAg-L) entsteht: HDAg-S begüns- HDV-Infektion die Folge. Bei asymptomatischen HBV-Trägern
tigt die Replikation; HDAg-L ist für die Morphogenese des Virions führt diese nach 3–5 Wochen häufig zu einer akuten Hepatitis. Ty-
notwendig. pisch ist eine fallende HBV-Viruslast bei zunehmender HDV-Repli-
kation. Bei der symptomatischen chronischen Hepatitis B bedingt
590 Kapitel 72 · Virushepatitis

die Superinfektion eine schlechtere Prognose; die Entwicklung einer Literatur


Leberzirrhose und eines hepatozellulären Karzinoms sind beschleu-
nigt. Center for Disease Control and Preven tion. Viral Hepatitis. Online unter:
www.cdc.gov/hepatitis/.
kLabordiagnose Cornberg M, Protzer U, Petersen J, Wedemeyer H, Berg T, Jilg W, Erhardt A,
Wirth S, Sarrazin C, Dollinger MM, Schirmacher P, Dathe K, Kopp IB,
Die HDV-Diagnostik ist nur bei Patienten mit Hepatitis B sinnvoll.
Zeuzem S, Gerlich WH, Manns MP (2011) Aktualisierung der S3-Leitlinie
Nachweisbar sind Anti-HDV-IgM und -IgG, HDAg und mittels RT-
zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-B-Virusinfektion,
PCR das Virusgenom. Jeder chronische HBV-Träger sollte mindes- AWMF-Register-Nr.: 021/011. Z Gastroenterol. 49:871-930; online unter:
tens einmal auf Anti-HDV-Antikörper getestet werden. Vor allem www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/021-011.html.
bei Risikogruppen, in Ländern mit hoher HDV-Prävalenz und bei Doerr HW, Gerlich WH (2010) Medizinische Virologie. 2. Aufl. Stuttgart: Georg
plötzlicher Verschlechterung einer chronischen Hepatitis B mit ne- Thieme.
gativem HBeAg-Nachweis (bzw. niedriger HBV-Viruslast) ist immer Knipe DM, Howley PM, Cohen, JI, Griffin DE, Lamb RA, Martin MA, Racaniello
an eine Superinfektion zu denken. Anti-HDV-Antikörper lassen VR, Roizman B (2013) Fields Virology. 6th ed. Vol I+II. Lippincott, Williams
sich etwa 3–8 Wochen nach Infektion nachweisen. Anti-HDV-IgM & Wilkins.
ist auch bei chronischer Hepatitis D häufig noch positiv. Ausgeheilte Robert Koch-Institut. Infektionskrankheiten A–Z. Online unter: www.rki.de/
DE/Content/InfAZ/InfAZ_marginal_node.html.
und chronische Infektion sind nur mittels RT-PCR unterscheidbar.
Robert Koch-Institut (2015) Empfehlungen der Ständigen Impfkommission
(STIKO) am Robert Koch-Institut/Stand: August 2015. Epidemiol Bull.
kTherapie
34:328-360; online unter: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Ar-
Eine Therapie mit peg-IFN-α führt in etwa 25 % zur HDV-Eradika- chiv/2015/Ausgaben/34_15.pdf.
tion. Eine alleinige Therapie mit Nukleosid- und Nukleotidanaloga Sarrazin C, Berg T, Buggisch P, Dollinger MM, Hinrichsen H, Hofer H, Hüppe D,
der HBV/HDV-Koinfektion ist nicht ausreichend, kann aber ggf. zur Manns MP, Mauss, S, Petersen J, Simon KG, van Thiel I, Wedemeyer H,
Kontrolle der Hepatitis B eingesetzt werden. Zeuzem S (2015) Aktuelle Empfehlung zur Therapie der chronischen
Hepatitis C. Z Gastroenterol. 53:320-334; online unter: www.dgvs.de/
kPrävention leitlinien/therapie-der-chronischen-hepatitis-c/.
Bei HBV-negativen Personen sind die Maßnahmen zur Prävention Sarrazin C, Berg T, Ross RS, Schirmacher P, Wedemeyer W, Neumann U,
Schmidt HHJ, Spengler U, Wirth S, Kessler HH, Peck-Radosavljevic P,
einer Hepatitis B ausreichend (7 Abschn. 72.3.1). Entsprechend wird
Ferenci P, Vogel W, Moradpour D, Heim M, Cornberg M, Protzer U, Manns
postexpositionell ebenfalls eine aktive und passive Impfung gegen
MP, Fleig WE, Dollinger MM, Zeuzem S (2010) Update der S3-Leitlinie
HBV empfohlen. Chronische HBV-Träger sollten über das Risiko Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-C-Virus(HCV)-Infek-
einer Superinfektion und entsprechende Schutzmaßnahmen aufge- tion, AWMF-Register-Nr.: 021/012. Z Gastroenterol. 48:289-351; online
klärt werden. unter: www.dgvs.de/leitlinien/hepatitis-c/.
WHO (2015) Guidelines for the prevention, care and treatment of persons
with chronic hepatitis B infection; online unter: www.who.int/hepatitis/
In Kürze
publications/hepatitis-b-guidelines/en/.
Hepatitis-Delta-Virus (HDV)
Virus Behülltes (–)ssRNA-Virus mit ringförmigem Genom.
Braucht als Hüllprotein HBsAg des HBV, daher nur Infektionen
zusammen mit HBV möglich.
Vorkommen Mensch.
Epidemiologie Weltweit in den gleichen Regionen und Risiko-
gruppen wie HBV. Kommt nur in Zusammenhang mit HBV-Infek-
tion vor. Durchschnittlich 5 %, in Endemiegebieten bis 25 % der
chronischen HBV-Träger sind auch mit HDV infiziert.
Übertragung Wie bei HBV parenteral. Primärinfektion zusam-
men mit HBV oder Superinfektion bei bestehender Hepatitis B.
Pathogenese Vermutlich nicht zytotoxisch, sondern immun-
vermittelte Hepatitis.
Immunität Immunität gegen HBV schützt gegen HDV.
Klinik Im Vergleich zur HBV-Monoinfektion bei Koinfektion
fulminantere akute Hepatitis mit jedoch geringerer Chronifizie-
Virologie

rungsrate. Bei Superinfektion meist chronischer Verlauf mit


schlechterer Prognose als HBV-Monoinfektion.
Labordiagnose Im Immunassay Ag- und Antikörper-(IgG-/IgM-)
Nachweis. RT-PCR.
Therapie Mit IFN-α 25 % HDV-Elimination. Bisher nur wenige
Studien. Lebertransplantation bei Leberversagen und ggf. bei
HCC.
Prävention Siehe Hepatitis B.
Meldepflicht Deutschland: Betreuender Arzt: Verdachts-,
Erkrankungs- und Todesfall durch akute Hepatitis; Labor: direk-
ter oder indirekter Nachweis einer akuten Infektion. Österreich:
Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfall.
591 73

Pockenviren
G. Sutter

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_73, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Pocken waren eine der meistgefürchtetsten Infektionserkrankun- 73.1 Gruppe der Pockenviren
gen des Menschen, die erstmals im 4. Jahrhundert in China verlässlich
dokumentiert wurde. Das Variolavirus, der Erreger der oft tödlichen jEinteilung
Seuche (Letalität ≥ 30 %), breitete sich von Asien ausgehend über Afrika, Pockenviren sind große Doppelstrang-DNA-Viren mit ovoider oder
Europa und Nordamerika weltweit aus. Die Schutzimpfung, zuerst be- rechteckiger Form (ca. 200×200×300 nm) und charakteristisch
schrieben durch Edward Jenner (1801), ist eine Erfindung der Pocken- strukturierter Oberfläche. Die genomische DNA der Viren ist zu-
bekämpfung und basierte auf der Verwendung kreuzimmunisierender sammen mit viruseigenen Enzymen und Transkriptionsfaktoren in
Orthopockenviren als Lebendimpfstoff. Nach einer weltweiten WHO- ein bikonkaves Kapsid verpackt, das von bis zu 2 Lipiddoppelmem-
Impfkampagne mit Vacciniavirus konnten die Pocken 1980 als 1. Infek- branen umgeben ist. Je nach Anzahl der Hüllen unterscheidet man
tionskrankheit des Menschen ausgerottet werden. Heute spielen noch 2 infektiöse Formen der Viren:
zoonotische Infektionen mit nichthumanspezifischen Pockenviren aus 4 einfach behüllte intrazelluläre Virionen
Tierreservoiren sowie das Molluscum contagiosum-Virus des Menschen 4 doppelt behüllte extrazelluläre Virionen
eine Rolle in der Infektionsmedizin.
. Tab. 73.1 zeigt die medizinisch relevanten Vertreter der Pockenviren.
Steckbrief Für den Menschen apathogen sind andere tierspezifische Pocken-
viren unter anderem von Vögeln, Schweinen, Ziegen, Schafen und
Hasenartigen.

jVermehrungszyklus und Resistenz


Vermehrung und Molekularbiologie der Pockenviren sind am Bei-
spiel des Vacciniavirus am besten untersucht. Die Viren vermehren
sich im Zytoplasma und produzieren ihre Nukleinsäuren weitge-
hend unabhängig von der Wirtszelle mit einer Vielzahl viruseigener
Enzyme und Faktoren (virale DNA-Polymerase, DNA-abhängige
RNA-Polymerasen, Poly-A-Polymerase etc.).
Etwa ein Drittel des Pockenvirusgenoms dient ausschließlich der
viralen Kontrolle des Wirts(zell)stoffwechsels. »Virulenz-« bzw. »Im-

. Tab. 73.1 Pockenviren mit medizinischer Bedeutung

Genus Spezies Kommentar

Orthopoxvirus Variolavirus wirtsspezifisch Mensch, zyklische Allgemeininfektion, Echte Pocken; Variola vera,
(genetisch sehr nahe in Natur ausgerottet
verwandt – Kreuz-
Vacciniavirus natürlicher Wirt unbekannt, Impfvirus Mensch, meist Lokalinfektionen,
immunität!)
auch bei Haustieren, Rind
Kuhpockenvirus Nagetierreservoir, Zoonoseerreger in Europa, Lokal- u. Allgemeininfektionen,
auch bei Haus- und Zootieren
Monkeypox-Virus Nagetierreservoir, Zoonoseerreger in Afrika; Lokal- u. Allgemeininfektionen,
auch bei Haus- und Zootieren
Ektromeliavirus wirtsspezifisch Maus, zyklische Allgemeininfektion, bestes Tiermodell für Variola
vera des Menschen
Parapoxvirus Bovine Papular Stomatitis Virus, Rind; Zoonoseerreger, Lokalinfektion, Melkerknoten
Pseudokuhpockenvirus
Orfvirus Schaf, Zoonoseerreger, Lokalinfektion, Ecthyma contagiosum

andere Parapockenviren Rothirsch; Seehund; seltene Zoonoseerreger, Lokalinfektion

Yatapoxvirus Tanapockenvirus, Yabapockenvirus Affen, seltene Zoonoseerreger in Zentralafrika; Lokalinfektionen


Molluscipoxvirus Molluscum contagiosum-Virus wirtsspezifisch Mensch; weltweit verbreitet, Lokalinfektion, Molluscum contagiosum
592 Kapitel 73 · Pockenviren

munevasionsgene« produzieren z. B. Faktoren zur Modulierung


der zellulären Genexpression, Hemmstoffe des programmierten
Zelltods und intrazelluläre bzw. lösliche Inhibitoren des Interferon-
systems, der Entzündungs- und Komplementreaktion. Die Viren
blockieren dabei besonders effizient die Aktivierung des angebore-
nen Immunsystems. Dagegen ist die Ausbildung virusspezifischer
Antikörper und T-Zell-Immunantworten meist nur wenig beein-
trächtigt.
Charakteristisch für die Histomorphologie der pockenvirusinfi-
zierten Zelle sind die Guarnieri-Einschlusskörperchen. Sie färben
sich im Zytoplasma als basische Gebilde an. Hierbei handelt es sich
um die im Zytoplasma abgegrenzten Synthesezentren für virale Nu-
kleinsäuren, Proteine und die intrazellulären Virionen (»Virusfabri-
ken«). Pockenviren sind, insbesondere in Verbindung mit Detritus,
außerordentlich resistent gegen Austrocknung und werden durch . Abb. 73.1 Molluscum contagiosum (mit freundl. Genehmigung von Prof.
Kontakt (Bekleidung) und aerogen (Staub; Tröpfchen) übertragen. Dr. Dietrich Falke, Mainz)

73.2 Molluscum contagiosum In Kürze


Molluscum contagiosum
Steckbrief Epidemiologie Sporadisch beobachtet; kleine Epidemien bei
Kindern und Jugendlichen möglich; Übertragung direkt oder
Das Molluscum contagiosum (Dellwarze) ist eine Infektions- indirekt.
krankheit des Menschen, gekennzeichnet durch gutartige Haut- Pathogenese Knötchen sind virushaltig. Proliferationen der
proliferationen. Es wurde 1814 erstmals beschrieben. 1941 wurde Epidermis. Infiziert sind Keratinozyten des Stratum spinosum.
der Erreger erstmals experimentell von Mensch zu Mensch über- Einschlusskörperchen. In der Regel selbstlimitierend nach
tragen. Er besitzt die typische Morphologie eines Pockenvirus 6 Monaten bis 5 Jahren durch Ausbildung spezifischer Immu-
(7 Steckbrief ). Im Zytoplasma entstehen Einschlusskörperchen. nität.
Das Virus verhindert mit viralen Inhibitoren von Interleukinen Klinik Inkubationsperiode einige Wochen. Genabelte Knötchen
und Chemokinen die Entstehung lokaler Entzündungen (Immun- der Haut. Entleerung von zerfallendem Epithel.
evasion). Labordiagnose Klinisch, EM, PCR.
Therapie Kürettage/Kryochirurgie, Laserbehandlung, Cidofovir-
Gel, Imiquimod-Gel.
Molluscum contagiosum tritt weltweit häufig bei gesunden Kindern
und Jugendlichen auf (geschätzte Inzidenz 5–18 %), besonders be-
merkt werden kleine Epidemien, z. B. in Kindergärten. Die Infektion
wird direkt oder indirekt über Hautkontakt (Mikrotraumen, Schmier- 73.3 Variolavirus und Vacciniavirus
infektion) übertragen.
Das Molluscum contagiosum ist auf die Epidermis beschränkt. Steckbrief
Die Knötchen enthalten große Mengen Virus. Sie entstehen als strikt
intraepidermale Hyperplasie (Akanthom) durch die Proliferation Das Variolavirus ist für den Menschen hochvirulent und der
von Keratinozyten, die in den basalen Schichten des Plattenepithels Erreger einer zyklisch systemischen Allgemeininfektion mit
infiziert werden. Die Knötchen mit 2–5 mm durchschnittlichem charakteristischen Hautläsionen, den »Echten Pocken« (Blattern,
Durchmesser weisen zentral eine Vertiefung auf, aus der sich virus- Variola major, Variola vera, »smallpox«): Es kommt nur beim
haltiger Zelldetritus entleert. Menschen vor. Im Gegensatz dazu ist das nah verwandte Vac-
Molluscum contagiosum findet sich bei Kindern gehäuft im Ge- ciniavirus für den Menschen nur schwach virulent; als Erreger
sicht (Augenlid), an Hals, Extremitäten und Rücken, bei Erwachsenen von Lokalinfektionen diente es als Impfvirus gegen die Echten
häufiger an Bauch, Oberschenkeln und Genitalien. Die Inkubations- Pocken.
Virologie

periode kann 2 Wochen bis zu 6 Monaten betragen. Edward Jenner gilt als Begründer der Schutzimpfung; 1796
Die Knötchen sind fleischfarben und stellen sich als perlenarti- dokumentierte er erstmals die Übertragung von Kuhpocken-
ge, feste und genabelte Gebilde dar (. Abb. 73.1). Sie wachsen im material von einer infizierten Melkerin auf James Phipps
Verlauf von Monaten, verschwinden dann aber meist spontan. Bei (8 Jahre) und die Schutzwirkung nach Belastungsinfektion des
immunsupprimierten Patienten (Transplantations-, Tumor-, AIDS- Jungen mit Variolavirus (Jenner E [1801] »The origin of vaccine
Patienten) finden sich auch große atypische Läsionen und Anhäu- inoculation«. London: D. N. Shury).
fungen von Dellwarzen. Eine virusspezifische Immunität wird aus-
gebildet, mit einem IgG-ELISA lassen sich Antikörper nachweisen.
Als Therapie können klassische Kürettage, Kryochirurgie, Laser-
Geschichte
behandlung, Cidofovir-Gel, Imiquimod-Gel lokal angewendet Die Echten Pocken (Variola major) waren seit ihrer Einschleppung in Spanien
werden. im 9. Jahrhundert eine endemische Seuche in Europa. Bis Mitte des 19. Jahr-
Die Diagnose erfolgt klinisch sowie mittels EM und PCR. hunderts galt die Erkrankung als eine Hauptursache für das Stagnieren
der Bevölkerungszahl in Europa trotz hoher Geburtenziffer. Die nach dem
2. Weltkrieg registrierten Ausbrüche in Europa waren von aus Afrika oder
73.3 · Variolavirus und Vacciniavirus
593 73
Asien importierten Einzelfällen ausgegangen. Nach einer weltweiten Impf- nen entstehen mildere Formen der Pocken (»Variolois«, auch nach
kampagne der WHO (1959–1979) sind die Echten Pocken als natürliche Impfungen). Beschrieben sind auch klinisch inapparente Verläufe
Infektion seit 1977 nicht mehr aufgetreten. Sie sind die erste und bisher ein- oder nur »Pharyngitis« (»Variola sine exanthemate«) aufgrund von
zige Infektionskrankheit des Menschen, die ausgerottet werden konnte. noch vorhandener Immunität (cave: Verbreitung des Virus!).
Daten aus Tiermodellen belegen, dass eine wirksame Immun-
abwehr von Erstinfektionen die rasche Vermehrung virusspezifi-
73.3.1 Rolle als Krankheitserreger scher CD8- und CD4-positiver Lymphozyten erfordert; virusspezi-
fische Antikörper schützen nach Impfung mit Vacciniavirus und bei
kÜbertragung Sekundärinfektionen. Bei Patienten mit Defizienz des zellulären
Das einzige Reservoir für die Echten Pocken sind kranke Menschen. Immunsystems können Komplikationen bei der Impfung mit ver-
Die Kontagiosität beginnt mit dem Auftreten erster Symptome und mehrungsfähigem Vacciniavirus auftreten.
erlischt mit dem Abheilen der verschorften Pusteln. Die Übertra-
gung erfolgt in der Regel durch Tröpfcheninfektion (hoher Virus- kPrävention
gehalt in Rachensekreten) sowie Kontakt mit eingetrocknetem Impfung Die klassische Impfung mit der intrakutanen Verabrei-
Pustelmaterial. Nach Erscheinen der Pusteln und Krusten ist die chung (Skarifizierung) von Vacciniavirus (infektiös für den Men-
Haut des Kranken und dessen Kleidung bzw. Bettwäsche kontagiös. schen; sog. Impfstoffe der 1. und 2. Generation) bietet für mindes-
Eintrittspforte ist der Nasen-Rachen-Raum. tens 3 Jahre sicheren Schutz vor Infektionen mit Orthopockenviren.
Der Impfstoff wird mit einer heute unüblichen Impftechnik mittels
kKlinik Impfnadel in die Epidermis eingebracht. Die dabei gesetzte Lokal-
Die Inkubationszeit beträgt ca. 2 Wochen (12–13 Tage). Man beob- infektion führt zur Vermehrung des Vacciniavirus und zur Ausbil-
achtet bei Beginn der klinischen Erscheinungen schweres Krank- dung einer Impfläsion. Cave: Übertragung des Impfstoffs auf Kon-
heitsgefühl, hohes Fieber, starke Rücken- und Gliederschmerzen taktpersonen! Mögliche andere Komplikationen sind:
sowie Entzündung der Rachenschleimhaut. In diesem Stadium ist 4 Vaccinia generalisata
der Kranke hochinfektiös. Nach 1–5 Tagen sinkt das Fieber und 4 Eczema vaccinatum
steigt nach einem Intervall von etwa 1 Tag wieder an (biphasischer 4 Vaccinia progressiva
Fiebertyp). Zugleich treten Hauteffloreszenzen (. Abb. 73.2) auf. 4 postvakzinale Enzephalitis
Die Lymphknoten sind vergrößert. 4 postvakzinale Myokarditis
Bevorzugt vom Exanthem befallen sind Extremitäten und Ge- 4 Satellitenimpfpocken: Vaccinia secundaria oder Vaccinia ino-
sicht, weniger der Stamm. Es besteht anfangs aus roten Flecken, die culata (Autoinokulation ausgehend von der Primärreaktion
sich zu Knötchen umbilden: Diese werden in virushaltige Bläschen [Impfläsion], . Abb. 73.3)
umgewandelt, die sich bald eintrüben, eintrocknen und schließlich
verschorfen. Nach der Abheilung bleibt eine Narbe zurück. Vom Neue wirksame und besser verträgliche Pockenschutzimpfstoffe (der
Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen bis zum Abfallen der 3. Generation) wurden daher entwickelt. Seit 2013 ist in Europa der
Krusten vergehen 4–6 Wochen. Impfstoff »Imvanex« auf der Grundlage des in menschlichen Zellen
nicht vermehrungsfähigen Modifizierten Vacciniavirus Ankara
kImmunität (MVA) zur aktiven Immunisierung von Erwachsenen gegen Pocken
Nach durchgemachter Pockenerkrankung bleibt eine lang dauernde, zugelassen (EMA/490157/2013). Die Zulassung erfolgte unter
aber allmählich nachlassende Immunität zurück. Nach Reinfektio- außergewöhnlichen Umständen, da es aufgrund der Tatsache, dass

. Abb. 73.2 Echte Pocken bei Kleinkind (mit freundl. Genehmigung von . Abb. 73.3 Vaccinia inoculata; versehentliche Autoinokulation des
Prof. Dr. Dietrich Falke, Mainz) unteren Augenlides mit Vacciniavirus (mit freundl. Genehmigung von Prof.
Dr. Dietrich Falke, Mainz)
594 Kapitel 73 · Pockenviren

die Pocken als Krankheit nicht mehr existieren, nicht möglich war, 4 Das Reservoir für die Viren in Zentral- und Westafrika bilden
vollständige Informationen zur Wirksamkeit des Impfstoffs beim Eichhörnchen und andere Nagetiere. Der Vergleich der epide-
Menschen zu erhalten. Dieser neue Impfstoff sollte daher insbeson- miologischen Daten im Kongo 1980–1985 und 2006–2007
dere für Menschen mit geschwächtem Immunsystem von Nutzen belegt einen 20-fachen Anstieg der Inzidenz an Monkeypox-
sein, die klassische Impfstoffe mit sich replizierenden Viren nicht Infektionen (auf den Wert 5,53 per 10.000 Personen in den
erhalten können. Jahren 2006–2007).
4 Weitere Fälle wurden in Westafrika nachgewiesen: Von dort
kLabordiagnose wurden 2003 Monkeypox-Viren über den Import von Nage-
Genaue Anamnese! Labordiagnose: EM, PCR und andere mole- tieren in die USA eingeschleppt und führten zum ersten Aus-
kularbiologische Verfahren (Differenzierung). DD: Zoonotische Or- bruch von Monkeypox bei Menschen und bei als Zootieren ge-
thopockenvirusinfektionen (Kuhpocken, Monkeypox), Vaccinia haltenen Prairiehunden außerhalb Afrikas.
(auch Laborinfektion), VZV, HSV, Rickettsiose und andere Exan-
theme. Es existieren mindestens 2 phylogenetisch verschiedene Gruppen
von Monkeypox-Viren mit offenbar unterschiedlicher Virulenz: In-
fektionen des Menschen mit Viren aus Westafrika verlaufen generell
In Kürze
weniger schwerwiegend, während bei Monkeypox in Zentralafrika
Variolavirus (Echte Pocken)
auch sehr schwere Allgemeininfektionen auftreten. Die Mortalität
Virus Komplexes Doppelstrang-DNA-Virus mit Kapsid und
bei der Erkrankung des Menschen schwankt zwischen 1 und 10 %.
2 Hüllen.
Internationale Programme zur Überwachung dieser Zoonose sind
Vorkommen Früher weltweit, heute nur Restbestände in
daher intensiviert worden.
2 Hochsicherheitslabors (USA und Russland).
Das Krankheitsbild des auf den Menschen übertragenen Mon-
Epidemiologie Alle Infizierten erkranken. Erste durch Schutz-
keypox-Virus kann dem der Echten Pocken sehr ähnlich sein: Es
impfung ausgerottete Infektionskrankheit.
treten schwere Störungen des Allgemeinbefindens, hohes Fieber
Übertragung Tröpfchen-, Staubinfektion, hohe Tenazität des
(häufig für 2–3 Tage) und nachfolgend typische Pockenpusteln in
Virus.
Gesicht, an Körper und Extremitäten auf. Manche Infektketten sind
Pathogenese Replikation im Nasen-Rachen-Raum, zyklisch-
durch lokalisiertes Auftreten von nur 1–2 Pockenläsionen charakte-
systemische Allgemeininfektion, »Pocken« auf der Haut.
risiert (USA 2003, typisch an Händen nach Kontakt mit infizierten
Klinik Inkubationsperiode 12–13 Tage: Variola major. Schwere,
Tieren). Lymphknotenschwellungen werden bei ca. 90 % der Pa-
fieberhafte Erkrankung mit knötchen-/bläschenförmigem
tienten festgestellt. Die Impfung mit Vacciniavirus schützt auch ge-
Exanthem. Abgeschwächte Verlaufsformen bei Teilimmunität
gen Monkeypox.
(z. B. nach Impfung) bzw. Infektion mit weniger virulenten
In Europa und im westlichen Asien übernehmen die Kuhpo-
Variolavirusstämmen (Alastrim, Variola minor).
ckenviren (historischer Name und eigentlich eine Fehlbezeichnung,
Immunität Nach Infektion mehrere Jahre, dann partiell. Nach
da Infektionen bei Rindern heute nicht mehr vorkommen) die Rolle
Impfung mind. 2 Jahre. Bei konventioneller Immunisierung mit
als endemisch auftretende Orthopockenviren und Zoonoseerreger.
Vacciniavirus Möglichkeit von Impfkomplikationen.
Lokal- und Allgemeininfektionen werden sporadisch bei verschie-
Labordiagnose Partikelnachweis im EM, PCR (auch zur weite-
denen Haus- und Zootieren beobachtet und können nach Kontakt
ren Differenzierung).
auf den Menschen übergehen. Wild lebende Nagetiere dienen als
Therapie Symptomatisch. Neue Chemotherapeutika in Ent-
Virusreservoir und Katzen sowie als Haustiere gehaltene Ratten sind
wicklung.
Hauptüberträger auf den Menschen.
Prävention Ggf. Schutzimpfung mit Vacciniavirus. Neue Impf-
Bei Menschen kommt es in der Regel zu lokal begrenzten Kon-
stoffe in Zulassung und Entwicklung auch zur Kontrolle von
taktinfektionen (»Katzenpocken«, . Abb. 73.4). Typische Krank-
Zoonosen nach Infektionen mit anderen Orthopockenviren und
heitserscheinungen sind die Entwicklung von Pockenläsionen an
für Prävention von Laborinfektionen. Zur Verhinderung der Aus-
Händen und Armen sowie Allgemeinsymptome in Form einer feb-
breitung bei Neuauftreten: Impfung, Quarantäne.
rilen Lymphangitis und -adenitis. Generalisierende Infektionen mit
z. T. letalem Verlauf können bei immunsupprimierten Patienten
auftreten.
Abkömmlinge endemischer Vacciniaviren bei Rindern und
73.4 Gibt es ein natürliches Reservoir Wasserbüffeln in Brasilien und Indien (Büffelpocken) lösen in den
Virologie

für spezifisch humanpathogene letzten Jahren immer wieder Infektionen bei Menschen (Zoonosen)
Pockenviren? aus und werden dabei gelegentlich in einer kurzen Infektkette von
Mensch zu Mensch weitergegeben. Die Erkrankungen gleichen
Die Ausrottung der Echten Pocken (Variolavirus) beim Menschen symptomatisch den Infektionen mit Kuhpockenvirus. Bei Immun-
wirft die Frage auf, ob andere in Tieren vorkommende Verwandte defekten können auch hier schwere, generalisierende Infektionen
des Variolavirus die frei gewordene ökologische Nische besetzen, auf auftreten.
den Menschen übertreten und sich als humanspezifische Pockener- Aufgrund des Absinkens des Impfschutzes gegen die Echten
reger adaptieren könnten. Ein solches Ereignis hätte möglicherweise Pocken – und damit auch gegen andere Orthopockenviren – ist
schwerwiegende Folgen, weil der Erreger auf eine immunologisch weiter mit einem vermehrten Auftreten dieser Infektionen zu rech-
weitgehend ungeschützte Weltbevölkerung treffen würde. nen. Ob und wie rasch sich aus ihnen wieder ein auf den Menschen
Besondere Aufmerksamkeit verdienen hier die Monkeypox Vi- als Wirt spezialisiertes, hochvirulentes Pockenvirus entwickeln
ren, die eine der Variolavirus-Infektion des Menschen sehr ähnliche kann, ist ungeklärt. Dafür spricht z. B. die besonders anpassungs-
Pockenerkrankung auslösen können und in Afrika mit zunehmen- fähige genetische Ausstattung von Kuhpockenviren, die als »Ur-
der Inzidenz Menschen infizieren: Pockenviren« gelten. Eine sehr wichtige Frage ist, in welchem Um-
73.4 · Gibt es ein natürliches Reservoir für spezifisch humanpathogene Pockenviren?
595 73

. Abb. 73.4 »Katzenpocken« (mit freundl. Genehmigung von Dr. Vogt,


Regensburg)

fang die Viren zur Kontrolle des Immunsystems des Wirtes (Men-
schen) befähigt sein müssen, um eine substanzielle Weiterverbrei-
tung in der Population und/oder eine Erhöhung der Virulenz zu
ermöglichen.

Chemotherapeutika Cidofovir (Vistide), ein zur Behandlung der


CMV-Retinitis zugelassenes Nukleotidanalogon (7 Kap. 108), wurde
auch zur Therapie von Infektionen mit Orthopocken- und Parapo-
ckenviren eingesetzt. Die Entwicklung neuer, verbesserter Thera-
peutika ist in den letzten Jahren intensiv vorangetrieben worden. Für
die Marktzulassung getestet werden z. B. das Cidofovir-Derivat He-
xadecyloxypropyl-Cidofovir (CMX001) und ST-246 (Tecovirimat,
Siga Technologies), ein neuartiger, hochspezifischer Inhibitor der
Freisetzung vollständig behüllter Orthopoxvirionen.
597 74

Prionen
C. Schmitt

Frühere Versionen von D. Falke

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_74, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Prionen verursachen seltene neurodegenerative Erkrankungen, die auch Nierenzellen gefunden. Aufgrund unterschiedlicher Glykosilie-
als transmissible spongiforme Enzephalopathien (TSE) bezeichnet wer- rungsmuster kann PrPC in 3 Isoformen vorliegen. Die genaue phy-
den und in der Regel innerhalb weniger Monate nach Krankheitsbeginn siologische Funktion des PrPC ist bisher unklar.
zum Tode führen. Die meisten Prionerkrankungen beim Menschen sind Prionerkrankungen sind charakterisiert durch das Vorhanden-
sporadische Fälle, ein kleinerer Teil ist genetisch bedingt (familiär). Die sein einer pathologischen, »scrapieartigen«, Isoform des Prionpro-
Besonderheit dieser Erkrankungen ist jedoch, dass sie iatrogen von teins, des PrPSc. Dieses unterscheidet sich von PrPC in seiner Sekun-
Mensch zu Mensch übertragen werden können. Seit den 1990er Jahren där- und Tertiärstruktur: Während PrPC vor allem eine alphahelikale
zeigte sich, dass auch eine Übertragung von Prionerkrankungen von Strukturen zeigt, liegt das pathologische Prionprotein vor allem in
Tieren auf Menschen möglich ist. Hier kam es vor allem in Großbritannien Betafaltblattstruktur vor. Im Gegensatz zu PrPC ist PrPSc unlöslich
zu Erkrankungsfällen beim Menschen in Zusammenhang mit dem Ge- und relativ resistent gegen Proteasen (. Abb. 74.1). Da PrPSc nur
nuss von Fleischerzeugnissen von Rindern, die an boviner spongiformer schlecht durch zelluläre Mechanismen abgebaut werden kann, lagert
Enzephalopathie (BSE) erkrankt waren. es sich in Form von Fibrillen und Amyloid-Plaques in den betroffe-
Bei dem infektiösen Agens handelt es sich um die fehlgefaltete Form nen Zellen ab (. Abb. 74.2).
(PrPSc) eines physiologischerweise vorkommenden zellulären Proteins,
des sog. Prionproteins (PrPC). PrPSc induziert seine eigene Vermehrung,
indem es eine Konformationsänderung des PrPC bewirkt. Die entste-
henden Ablagerungen von Aggregaten aus PrPSc sind verantwortlich
für den Untergang von neuronalem Gewebe.

Steckbrief

Stanley Prusiner postulierte 1982 erstmalig die Existenz nuklein-


säurefreier »proteinaceous infectious particles«, kurz Prionen
genannt. Prionen sind die Ursache seltener, immer tödlich ver-
laufender ZNS-Erkrankungen des Menschen und verschiedener
Säugerarten. Sie können iatrogen oder über Aufnahme
kontaminierter Nahrungsmittel übertragen werden.

. Abb. 74.1 Resistenz von PrPC und PrPSc gegenüber Proteinase K (PK) –
Immunoblotanalyse von mit PK behandelten [»+«] und unbehandelten Zell-
bzw. Gewebeextrakten [»–«]: PrPSc ist partiell resistent, während PrPC völlig
abgebaut wird. Ursache der Abbauresistenz ist die veränderte Molekül-
struktur des PrPSc (7 Steckbrief ) (aus Modrow et al. Molekulare Virologie,
3. Aufl. Spektrum-Verlag 2010)

74.1 Beschreibung

Die physiologische Form des zellulären Prionproteins PrPC ist ein


Außenmembranprotein, das hochkonserviert bei allen Säugetieren
vorkommt. Es wird konstitutiv vor allen in Zellen des ZNS (Neuro-
nen, Oligodendrozyten, Astrozyten) und des retikuloendothelialen . Abb. 74.2 Amyloide Plaques im ZNS bei CJK (mit freundl. Genehmigung
Systems exprimiert, wurde aber auch in Skelettmuskel-, Herz- und von Dr. Jürgen Bohl, Mainz)
598 Kapitel 74 · Prionen

74.2 Rolle als Krankheitserreger In den 1980er Jahren trat eine bis dahin unbekannte Prioner-
krankungen bei Rindern in Großbritannien auf, der sog. Rinder-
Kuru wahnsinn (Bovine Spongiforme Enzephalopathie, BSE), an der im
In den 1950er Jahren wurden bei Mitgliedern des Stammes der Fore auf Verlauf der Folgejahre geschätzte 3 Mio. Rinder erkrankten. Ursache
Papua-Neuguinea erstmals Symptome einer seltsamen Erkrankung, von der BSE-Epidemie war vermutlich die Verfütterung von Tierkada-
den Einheimischen Kuru (»Zittern«) genannt, beschrieben. Die Betroffenen, vern von an Scrapie verstorbenen Schafen oder von spontan an BSE
vorwiegend Frauen und Kinder, litten an progressiver zerebellärer Ataxie, erkrankten Rindern in Form von Tiermehl in Kraftfutter. Anders als
starkem Tremor und Demenz, die innerhalb weniger Monate unweigerlich
bei Scrapie oder CWD gibt es bei BSE wohl keine horizontale Über-
zum Tod führten: Das Hirngewebe der Verstorbenen zeigte die damals
tragung von Rind zu Rind.
bereits von der Scrapie der Schafe bekannten spongiformen Verände-
rungen.
Menschliche Erkrankungen durch Prionen kommen weltweit
Carleton Gajdusek konnte einige Jahre später zeigen, dass sich die Erkran- mit einer Inzidenz von ca. 1:1 Mio. Einwohner pro Jahr vor und ge-
kung durch Inokulation von Hirngewebe auf Schimpansen übertragen lässt. hören damit zu den seltenen Erkrankungen. Mit ca. 90 % aller Er-
Vermutlich war der bei den Fore verbreitete rituelle Endokannibalismus, bei krankungsfälle stellen sporadische Erkrankungen die große Mehr-
dem Familienangehörige die Körper Verstorbener inklusive des Gehirns ver- heit dar (. Tab. 74.1). In der Regel handelt es sich hierbei um Fälle
zehrten, Ursache für die Verbreitung der Erkrankung. Seit dem Verbot dieser der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (sCJD). Der Rest der sporadi-
Praktiken ist Kuru fast verschwunden. schen Fälle sind extrem seltene Syndrome wie z. B. die sporadische
Aufgrund der in Einzelfällen sehr langen Inkubationszeit können heute noch fatale Insomnie.
gelegentlich Fälle der Erkrankung auftreten. Stanley Prusiner identifizierte
Etwa 10 % der Erkrankungen sind genetisch bedingt. Bestimmte
2 Jahrzehnte später »proteinartige infektiöse Partikel«, kurz Prionen, als Ur-
autosomal-dominant vererbte Mutationen im Gen für Prionprotein
sache von Scrapie und legte damit die Grundlage für das Verständnis der
Kuru und anderer Prionenerkrankungen. Beide Wissenschaftler erhielten
(PRNP) sind hierbei die Grundlage familiärer Prionopathien wie der
den Nobelpreis für ihre Arbeiten. familiären Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (fCJD), der familiären fa-
talen Insomie (FFI) und des Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syn-
droms (GSS).
kEpidemiologie Bei einem sehr kleinen Anteil der Prionopathien (< 1 %) wurde
Prionerkrankungen kommen bei Mensch und Tier vor (. Tab. 74.1). eine iatrogene Übertragung der krankheitsauslösenden Prionen z. B.
Bereits vor über 250 Jahren wurde die Scrapie beschrieben, eine über Transplantation von Dura mater erkrankter Personen (7 Über-
weltweit verbreitete, immer tödliche Erkrankung bei Schafen, die tragung) nachgewiesen. Dass auch eine orale Aufnahme von Prionen
mit Zittern, Juckreiz und Gangstörungen bis hin zur Ataxie einher- über die Nahrung zur Erkrankung beim Menschen führen kann,
geht. Scrapie wird vermutlich von Tier zu Tier durch orale Aufnah- zeigte sich in der Folgezeit der BSE-Epidemie, als Fleisch infizierter
me infektiösen Materials (z. B. Ausscheidungen, Nachgeburt) beim Rinder in den 1980er und 1990er Jahren massenhaft v. a. in Groß-
Weiden innerhalb einer Herde übertragen. Auch eine vertikale britannien in menschliche Lebensmittel gelangte. Über 200 Fälle
Übertragung vom Mutterschaf auf das Lamm ist wahrscheinlich. Ein einer neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (vCJD) wur-
in Erscheinungsbild und Übertragungsmodus scrapieähnliches den auf den Verzehr dieser kontaminierten Lebensmittel zurückge-
Krankheitsbild, die »Chronic Wasting Disease« (CWD) wird seit den führt. Auch die Kuru (s. o. 7 Hintergrund). war letztendlich auf die
1960er Jahren bei Hirschen in Nordamerika beobachtet. orale Aufnahme von prionenhaltigem Gewebe zurückzuführen.

. Tab. 74.1 Wichtige Prionenerkrankungen bei Mensch und Tier

Wirt Entstehung Erkrankung Mechanismus

Mensch sporadisch (90 %) sporadische Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (sCJD) spontane Umfaltung des PrPC in PrPSc

sporadische fatale Insomnie (SFI) spontane Umfaltung des PrPC in PrPSc

genetisch (10 %) familiäre Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (fCJD) Mutation im PRNP (E200K, V210I etc.)

fatale familiäre Insomnie (FFI) Mutation im PRNP (D178N etc.)

Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS) Mutation im PRNP (P102L etc.)


Virologie

übertragen (< 1 %) Kuru orale Aufnahme erregerhaltigen Materials im Rahmen


von Endokannibalismus

Variante der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (vCJD) orale Aufnahme erregerhaltigen Materials über Fleisch-
produkte von an BSE erkrankten Rindern

iatrogene Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (iCJD) iatrogenes Einbringen erregerhaltigen Materials ins ZNS


oder intramuskulär

Schaf übertragen Scrapie horizontale Übertragung über orale Aufnahme erreger-


haltigen Materials

Hirsch übertragen »Chronic Wasting Disease« (CWD) horizontale Übertragung über orale Aufnahme erreger-
haltigen Materials

Rind übertragen Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) orale Aufnahme erregerhaltigen Materials über Kraftfutter
aus Tiermehl von Kadavern erkrankter Tiere
74.2 · Rolle als Krankheitserreger
599 74
kÜbertragung Rolle von dendritischen Zellen oder Zellen des lymphatischen Sys-
Humane Prionerkrankungen können nach aktuellem Kenntnisstand tems. So gelangen die Prionen zu weiteren sekundären lymphati-
nicht durch übliche soziale Kontakte von Mensch zu Mensch über- schen Organen wie Milz und Tonsillen, in denen ebenfalls eine Re-
tragen werden. Jedoch wurde in einigen Hundert Fällen eine iatro- plikation stattfindet.
gene Übertragung durch parenterale Behandlung mit Wachstums- Nach diesem Stadium der peripheren Replikation folgt das
hormonen aus menschlichen Leichenhypophysen, nach Transplan- neuroinvasive Stadium. Vermutlich erreichen die Prionen entlang
tation von Dura mater und Kornea und durch kontaminierte neuro- autonomer Nervenfasern retrograd das ZNS.
chirurgische Instrumente bewiesen.
Bei den sporadischen und familiären Formen geht wahrschein- kImmunität
lich von Gewebe außerhalb des ZNS keine Infektionsgefahr aus, Eine Infektion bzw. Erkrankung mit Prionen führt nicht zu einer
während bei vCJD auch eine Übertragung durch Blutprodukte ge- messbaren adaptiven Immunantwort.
zeigt wurde. Auch lymphatisches Gewebe (z. B. Tonsillen, Milz, In-
testinum) muss bei vCJD im Kontext iatrogener Übertragungsmög- kKlinik
lichkeiten als potenziell infektiös angesehen werden. Gemeinsam sind allen Prionkrankheiten ein meist relativ kurzer,
immer tödlicher Krankheitsverlauf und bei den übertragenen Er-
kPathogenese krankungen eine (jahre)lange Inkubationszeit. Die Suszeptibilität
Das pathogenetische Grundprinzip aller Prionerkrankungen ist die für Prionerkrankungen wird durch bestimmte Polymorphismen an
Umwandlung des physiologischen Prionproteins in die pathologi- Codon 129 des PRNP-Gens beeinflusst.
sche Isoform PrPSc. Bei den sporadischen und familiären Erkran- Bei der sCJD steht klinisch eine rasch progrediente Demenz mit
kungen entsteht das »erste« pathologische Prionprotein vermutlich neurologischer Begleitsymptomatik wie Ataxie, Myoklonien, Rigor,
direkt im ZNS durch spontane Konformationsänderung des PrPC. kortikaler Sehstörung und Pyramidenbahnzeichen im Vordergrund.
Die Ursache dieser Konformationsänderung bei den sporadischen Es werden je nach Codon-129-Genotyp und bestimmten biochemi-
Formen ist unklar, bei den familiären Formen liegen bestimmte das schen Eigenschaften des Prionproteins verschiedene molekulare
Protein destabilisierende Mutationen zugrunde. Subtypen der sCJD unterschieden, die mit unterschiedlichen klini-
Ist ein pathologisches PrPSc entstanden, unterhält es seine eigene schen und neuropathologischen Phänotypen einhergehen.
Replikation in einer Art Kettenreaktion, indem es dem physiologi- Im Unterschied zu sporadischen Formen der CJD sind die Pa-
schen PrPC seine Konformation quasi aufzwingt. Der genaue Mecha- tienten mit vCJD deutlich jünger, die Erkrankungsdauer ist länger.
nismus ist noch nicht abschließend geklärt. Die entstehenden PrPSc- Im Vordergrund stehen zu Beginn der Erkrankung eher psychiatri-
Aggregate akkumulieren und führen direkt oder indirekt zu den al- sche Auffälligkeiten, später Dysästhesien und Gangunsicherheit, die
len Prionerkrankungen gemeinsamen unterschiedlich ausgeprägten Demenz tritt erst im weiteren Verlauf auf (. Tab. 74.2).
diffusen spongiformen ZNS-Veränderungen. Durch welchen Me-
chanismus es genau zum neuronalen Zelltod und der beobachteten kLabordiagnose
Mikroglia- und Astrozytenproliferation kommt, ist bisher allerdings Die definitive Diagnose einer Prionerkrankung ist erst nach dem
unklar. Tod des Patienten aus der Untersuchung des Gehirns möglich. Be-
Bei den übertragenen Formen wie vCJD und Kuru wird das stimmte histopathologische Veränderungen wie Vakuolenbildung,
»erste« PrPSc mit der Nahrung aufgenommen. Prionen sind resistent Astrozyten- und Mikrogliaproliferation, Neuronenverlust und
gegen Magensäure und Verdauungsenzyme und gelangen so unver- bei einigen Erkrankungsformen das Auftreten amyloider Plaques
sehrt zu ihrer mutmaßlichen Eintrittspforte, den Peyer-Plaques im (. Abb. 74.2) im Zusammenhang mit dem immunhistochemischen
Dünndarm. Die weitere Ausbreitung erfolgt mutmaßlich über zell- Nachweis des pathologischen PrPSc beweisen das Vorliegen einer
vermittelte Mechanismen. Diskutiert wird hierbei eine mögliche Prionerkrankung.

. Tab. 74.2 Klinisches Erscheinungsbild der vCJD im Vergleich zur sCJD

sCJD vCJD

Medianes Alter 65 Jahre 30 Jahre


Inkubationszeit – Jahre
Mediane Krankheitsdauer 6 Monate 14 Monate
Symptome bei Krankheitsbeginn Gedächtnisstörungen, Ataxie Verhaltensänderungen, Dysästhesien
Histopathologie keine »florid plaques« »florid plaques«
Liquor 14-3-3-Protein in 90 % positiv 14-3-3-Protein in 50 % positiv
EEG 70 % PSWCs nicht typisch
MRT Hyperintensitäten u. a. in Basalganglien und/oder Hyperintensitäten im posterioren Thalamus, »pulvinar
Kortex sign«
Tonsillenbiopsie PrPSc-negativ PrPSc-positiv
Codon-129-Genotyp 95 % homozygot (Met/Met) oder (Val/Val) 100 % homozygot (Met/Met)

PSWC, »periodic sharp and slow wave complex«


600 Kapitel 74 · Prionen

Klinische Diagnosekriterien berücksichtigen neben der rich-


tungsweisenden Symptomatik des Patienten Hinweise aus EEG- und Pathogenese Umfaltung des physiologischen Proteins PrPC
MRT-Untersuchungen (. Tab. 74.2). Auch der Nachweis bestimmter ൺPrPSc ist Grundlage der Pathogenese. PrPSc kann nur schlecht
neuronaler und astrozytärer Proteine im Liquor wie z. B. des Prote- durch zelluläre Mechanismen abgebaut werden, lagert sich in
ins 14-3-3 kann eine Verdachtsdiagnose unterstützen, ist jedoch Form von Fibrillen und Amyloid-Plaques in betroffenen Zellen
nicht beweisend. ab und ist Ursache der neurodegenerativen Veränderungen.
Mittels relativ neuer Methoden der In-vitro-Vermehrung des Klinik Prionerkrankungen sind neurodegenerative Erkrankun-
PrPSc, wie z. B. PMCA (»protein misfolding cyclic amplification«), gen mit fortschreitender Demenz und neurologischer Begleit-
einer zyklischen Vermehrung fehlgefalteter Proteine, oder der sog. symptomatik, sie führen innerhalb weniger Monate zum Tod.
RT-QUIC (»real-time quaking induced conversion«) kann evtl. auch Diagnose Definitive Diagnose post mortem durch histopatho-
der direkte Nachweis des fehlgefalteten Prionproteins in Gewebe- logische Untersuchung von Hirnbiopsien und immunhistoche-
proben mit geringem PrPSc-Gehalt oder sogar in Liquor gelingen. mischen Nachweis von PrPSc.
Bei vCJD kann das PrPSc häufig auch in peripheren lymphati- Meldepflicht Verdacht, Erkrankung sowie Tod an humaner
schen Geweben wie z. B. Tonsillen direkt mittels spezifischer Anti- spongiformer Enzephalopathie nach § 6 IfSG.
körper nachgewiesen werden. Allerdings wird die Tonsillenbiopsie
nicht als Routinemethode empfohlen.

kTherapie Literatur
Bisher existiert keine kausale Therapie.
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaf-
ten (AWMF), Arbeitskreis »Krankenhaus- und Praxishygiene« (2012)
kPrävention Prophylaxe der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung in Krankenhaus und Praxis.
Prionen können durch herkömmliche Desinfektions- und Sterilisa- Online abrufbar unter: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/029-025.html.
tionsverfahren nicht inaktiviert werden. Besteht bei einem Patienten
der Verdacht auf eine Erkrankung durch Prionen oder das erhöhte
Risiko, eine solche zu entwickeln, sollten bei chirurgischen Eingrif-
fen bevorzugt Einmalinstrumente verwendet werden. Ist dies nicht
möglich, müssen dampfsterilisierbare Instrumente im Anschluss
einer speziellen Aufbereitung unterzogen werden (z. B. 1–2 M
NaOH für 24 h, im Anschluss Dampfsterilisation bei 134 °C und
3 bar für 1 h). Details sind den jeweils aktuellen Leitlinien zu ent-
nehmen.
EU-weit wurden seit Ende der 1990er Jahre zahlreiche Maßnah-
men zur Prävention der vCJD ergriffen. So ist mittlerweile die Ver-
wendung von aus Tierkörpern von Wiederkäuern gewonnenem
Protein als Futter für Nutztiere verboten. Bestimmte »Hochrisiko-
Körperteile« von Rindern (Gehirn, Rückenmark, Augen, Darm etc.)
dürfen nicht mehr in die Lebensmittelproduktion gelangen.

kMeldepflicht
Nach § 6 IfSG besteht eine Meldepflicht für den behandelnden Arzt
bei Verdacht, Erkrankung sowie Tod an humaner spongiformer En-
zephalopathie (außer familiär-hereditäre Formen).

In Kürze
Prionen
Erreger »Infektiöses« Protein (PrPSc), das eine fehlgefaltete
Form eines zellulären Proteins PrPC darstellt. Das infektiöse
Virologie

Agens enthält keine Nukleinsäuren.


Vorkommen PrPC kommt hochkonserviert v. a. im ZNS und
retikuloendothelialen System aller Säugetiere vor.
Resistenz PrPSc ist außergewöhnlich resistent, die Inaktivierung
bedarf spezieller Autoklavierverfahren.
Epidemiologie/Übertragung Prionerkrankungen kommen
beim Menschen (v. a. Creutzfeld-Jakob-Krankheit [CJD] als
sporadische, familiäre und übertragene Form) und Tieren vor
(z. B. Scrapie, »Chronic Wasting Disease«, BSE). Eine iatrogene
Übertragung des PrPSc oder Aufnahme über Nahrungsmittel
(z. B. über Fleischprodukte von an BSE erkrankten Rindern) ist
möglich.
601 VII

Mykologie
Kapitel 75 Pilze: Vorkommen und Bedeutung für den Menschen – 603

Kapitel 76 Biologie der Pilze – 609

Kapitel 77 Hefen – 615

Kapitel 78 Filamentös wachsende Pilze (Fadenpilze) – 623

Kapitel 79 Dermatophyten – 631

Kapitel 80 Dimorphe Pilze – 639


603 75

Pilze: Vorkommen und Bedeutung


für den Menschen
G. Haase

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_75, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Da Pilze ca. 25 % der Biomasse der Erde ausmachen, ist es nicht ver- licher Strahlung (Gamma-, IR-, UV-, Röntgenstrahlen – auch kos-
wunderlich, dass der Mensch permanent und in vielfältiger Weise Kon- mische Strahlung im Weltall) und gegenüber Schwermetallen.
takt mit ihnen hat, z. B. durch Inhalation pilzsporenhaltiger Luft oder Meistens kann man die Pilze aufgrund ihrer mikroskopischen
durch Lebensmittel, die mithilfe von Pilzen hergestellt wurden (z. B. Größe mit dem bloßen Auge nicht wahrnehmen. Bei den klassischen
Bier, Käse, Wurst). Außerdem werden Pilze im großen Maßstab biotech- Waldpilzen handelt es sich nur um die Fruchtkörper, die oberirdisch
nologisch zur Herstellung diverser Biochemikalien eingesetzt, u. a. von wachsen, wobei der weitaus größere Anteil des Myzels unterirdisch
Pharmaka wie Antibiotika. Demgegenüber ist die direkte Schädigung wächst. Dort umhüllt es als Ektomykorrhiza die Wurzel von Bäumen
des Menschen durch Pilze als sehr gering einzustufen; hier lassen sich und trägt damit zur besseren Wasser- und Mineralienversorgung der
4 Erkrankungsformen (Mykopathien) unterscheiden: Pflanze bei. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Pilze aufgrund
4 Mykoallergosen – allergische Reaktion auf inhalierte oder ihres ausgedehnten unterirdischen Myzels auch die »größten« Lebe-
ingestierte Pilzbestandteile wesen darstellen. Viele der uns bekannten Speisepilze (z. B. Pfiffer-
4 Mykotoxikosen – chronische Schädigung durch Kontakt mit linge, Steinpilz, Trüffel) gehören zu diesen mutualistischen und
Mykotoxinen (z. B. mit toxinbildenden Pilzen kontaminierte pflanzenspezifischen Lebewesen und lassen sich daher auch nicht
Lebensmittel) auf unbelebtem Substrat kultivieren.
4 Myzetismus – akute Vergiftung durch Verzehr von Giftpilzen Einen noch größeren Anteil haben die Pilze beim Abbau pflanz-
4 Mykosen – Bildung von Pilzmyzel (»fungus ball«) in luftgefüllten licher Biomasse (Vermodern); nur sie sind in der Lage, Lignin (holz-
Hohlräumen ohne größere Schädigung des Wirtes (Mykotisation), artspezifisches Makromolekül) abzubauen (Destruenten). Blatt-
mukokutane Besiedlung (Soor, Tinea) und davon ausgehend inva- schneiderameisen nutzen in ihren unterirdischen Bauten Pilze zum
sive Mykosen mit Wachstum des Pilzes in inneren Organen und Abbau pflanzlicher Materialien, wobei sie sich von der produzierten
weiterer Dissemination über das Blutgefäßsystem Biomasse anschließend ernähren (»Pilzgärten« gebildet durch Ter-
mitomyces spp.). So erklärt es sich, dass Pilze etwa ein Viertel der
Trotz der Vielzahl existierender Pilzarten verursachen nur wenige Biomasse auf der Erde bilden. Bauholz muss durch entsprechende
Spezies derartige Erkrankungen. So verursachen z. B. Candida albicans Holzschutzmaßnahmen geschützt werden, um seine Stabilität nicht
(Hefe), Aspergillus fumigatus (fadenförmig wachsender Schimmelpilz) infolge der Einwirkung von Braun- oder Weißfäulepilze zuverlieren.
und der Hauterkrankungen hervorrufende Dermatophyt Trichophyton Gefürchtet sind hier v. a. der echte Hausschwamm (Serpula lacry-
rubrum mehr als 60 % der bei uns diagnostizierten Mykosen. Diese mans) und der Braune Kellerschwamm (Coniophora puteana). Pilz-
und weitere wichtige humanpathogene Pilze werden detailliert in fäule kann schon bei »Lebendholz« auftreten und die Standfestigkeit
7 Kap. 77 bis 7 Kap. 80 besprochen. Im vorliegenden Kapitel werden größerer Bäume beeinträchtigen.
die anderen 3 Mykopathien sowie die vielfältigen Interaktionen des Zum Holobiom des gesunden Menschen gehören neben Bakte-
Menschen mit Pilzen thematisiert, u. a. um ein besseres Verständnis rien und Viren zu einem geringeren Anteil auch Pilze (= Myko-
der potenziellen Übertragungswege und Probleme beim Nachweis biom), die insbesondere die äußere Haut und die Schleimhäute des
von Pilzen beim Patienten zu ermöglichen. Respirations- und Intestinaltrakts (Mund und Darm) sowie des Uro-
genitaltrakts (insbesondere Vagina) permanent besiedeln. Viele (bis-
lang ca. 390) Arten dieses Mykobioms sind nicht in vitro kultivierbar
75.1 Vorkommen und schädliche Wirkungen (= »Culturome«), sondern nur molekulargenetisch nachweisbar.
Zwischen den Arten des Mikrobioms und denen des Myko-
75.1.1 Vorkommen bioms sowie den besiedelten Zellen des Menschen bestehen vielfäl-
tige Interaktionen. Hierbei spielt das Immunsystem eine wichtige
Pilze kommen überall auf der Welt vor, auch an extremen Standor- Rolle, um die Balance zwischen den beteiligten Organismen auf-
ten (Antarktis subglazial – Steinoberflächen in der Wüste). In der rechtzuerhalten. Bei den Pilzen übernehmen neben den Zellen des
Symbiose mit den fotosynthetisch aktiven Grünalgen und Cyano- angeborenen Immunsystems eine Untergruppe der T-Helfer-Zellen
bakterien können sie in Form der Flechten Extremstandorte besie- (TH17) mit Produktion des Interleukins IL-17 eine Schlüsselfunk-
deln. Aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit zählen sie zu den Erst- tion im Rahmen des adaptiven Immunsystems zur Aktivierung von
besiedlern nach Umweltkatastrophen (Atomreaktorkatastrophe neutrophilen Granulozyten.
Tschernobyl) und einige Arten können auch ungeschützt längere
Zeit im Weltraum überleben. Dabei scheint zellwandassoziiertes Me-
lanin eine bedeutende Schutzfunktion zu haben gegenüber gefähr-
604 Kapitel 75 · Pilze: Vorkommen und Bedeutung für den Menschen

75.1.2 Schädliche Wirkungen Lagerung mit anderen Lebensmitteln (z. B. Wurst) zu vermeiden
(»Kontaktinfektion«). Die zugesetzten Starterkulturen sind auf
Feuchtigkeitsschäden, z. B. nach einem Wasserrohrbruch, können geringe Mykotoxinproduktion hin gezüchtet, sodass hier in der Re-
zu massivem Schimmelpilzwachstum an Materialien im Innenraum- gel keine Gefahr für den Konsumenten ausgeht (GRAS = »general
bereich führen (Dämmmaterial, Gipskarton, Tapeten – Zellulose- regarded as safe«; Konzept bei der Beurteilung traditionell her-
abbau). Ein besonders gefürchteter starker Mykotoxinproduzent gestellter Lebensmittel ohne entsprechende wissenschaftliche Unter-
(Satratoxin, Trichothecene) ist hierbei Stachybotrys chartarum. suchungen).
Freigesetze Pilzsporen, Zerfallsprodukte der Pilzzellwand und Bei der Sauermilchkäseproduktion (z. B. Harzer Käse) werden
»Ausgasung« flüchtiger mikrobieller organischer Verbindungen neben Bakterien auch die fluconazolresistente Hefe (7 Kap. 107)
(»microbial volatile organic compounds«, MVOC – muffiger Schim- Candida krusei eingesetzt. Dies gilt es bei immunsupprimierten
melgeruch) können zu allergischen Reaktionen bei Menschen füh- Patienten bzw. bei der Abnahme von Oropharyngealabstrichen zur
ren (Mykoallergose). Das Aufspüren solcher pilzbefallenen Areale Diagnostik des Mundsoors zu beachten.
(z. B. Tapeten hinter Schränken, abgehängten Decken) im Rahmen Bei den Kefirkörnern im Kefir handelt es sich um ein Konglome-
umweltmedizinischer Untersuchungen ist mühsam. rat verschiedener Hefen (Candida holmii, C. kefyr, Kazachstania
Begünstigend für eine Schimmelpilzbesiedlung in Innenräumen unispora, Kluyveromyces lactis, Saccharomyces cerevisiae, S. lipo-
ist eine hocheffektive Wärmedämmung verbunden mit geringerem lytica, Torulaspora delbrueckii) und probiotischen Milchsäure-
Luftaustausch und steigendem Wasserdampfgehalt. Auch schlecht bakterien. Nur eine kontrollierte Prozesssteuerung stellt hier das
gewartete Klimaanlagen können zur Verpilzung der Räume bei- ausbalancierte Wachstum dieser verschiedenen Mikroorganismen
tragen. sicher. Daher sollte man von einer Selbstherstellung solcher Pro-
dukte Abstand nehmen, weil dabei kein ausreichender Schutz vor
Fremdinfektionen mit unverträglichen oder toxinproduzierenden
75.2 Pilze und Lebensmittel Mikroorganismen besteht.

75.2.1 Lebensmittelherstellung Sauerteig Brot wird mit Sauerteig als Triebmittel hergestellt
(mikrobielle CO2-Produktion lockert den Teig). Dadurch werden
Speisepilze Weltweit am häufigsten angebaut werden der Zucht- Aroma, Geschmack und Haltbarkeit des Brotes verbessert. Heute
champignon (Agaricus bisporus), der Shiitakepilz (Lentinula edo- dient üblicherweise das Bakterium Lactobacillus sanfranciscensis
des) und der Austernseitling (Pleurotus ostreatus). Diese Pilze soll- und die Hefen Candida humilis, Kazachstania exigua und S. cerevi-
ten vor Verzehr ausreichend gegart werden, um unbekömmliche, siae als Starterkultur bei der Sauerteigherstellung. Im traditionell
hitzelabile Substanzen (Agaritin, Lentinan) zu beseitigen. In Europa hergestellten Sauerteig finden sich fakultativ pathogene Hefen wie
und den USA wird seit ca. 10 Jahren auch das Fleischersatzprodukt Candida krusei, C. parapsilosis, C. pelliculosa, die z. T. fluconazol-
Quorn vermarktet. Hierbei wird das Myzel von Fusarium venena- resistent sind.
tum, das industriell in einer Zuckerlösung versetzt mit Mineralstof- Bei der Reifung von Salamiwürsten werden Edelschimmelpilze
fen kultiviert wird, aufbereitet. eingesetzt (z. B. Penicillium nalgiovense und P. salami – weißlicher
Belag).
Alkoholische Gärung Pilze werden gezielt zur Herstellung oder
Verfeinerung von Lebensmitteln eingesetzt. Am bekanntesten ist die Ostasiatische Lebensmittel Im ostasiatischen Raum gibt es tradi-
alkoholische Gärung, bei der durch Zusatz von Hefen zu zuckerhal- tionelle, im großen Umfang hergestellte Lebensmittel: Bei Koji und
tigen Flüssigkeiten, z. B. Traubensaft, durch Fermentation der Glu- Sojasoße werden Reiskörner bzw. Sojabohnen zunächst mit Asper-
kose alkoholhaltige Getränke wie Bier und Wein entstehen. So konn- gillus oryzae-Myzel (Variante von A. flavus, die kein Mykotoxin
ten diese Getränke haltbar gemacht werden: Bedingt durch den Al- bildet) oder A. soyae-Myzel versetzt und feucht inkubiert. Durch
koholgehalt sind sie gegenüber einer bakteriellen »Infektion« ge- Zugabe von Hefen (Hansenula spp., Saccharomyces rouxii) und
schützt. Eine Besonderheit bei der Weißweinherstellung stellt die Milchsäurebakterien wird das Produkt weiter fermentiert, z. B. zur
Grauschimmelfäule (Edelfäule) durch Botrytis cinerea (einen an- Herstellung von Sake, Miso oder Sojasoße.
sonsten gefürchteten phytopathogenen Pilz) auf voll ausgereiften Beim Tempeh werden Sojabohnen mit Rhizopus oligosporus
Trauben dar. Sie bedingt einen Wasserverlust und führt über die bzw. R. oryzae beimpft. Tempeh dient als gut bekömmliches Lebens-
Konzentrierung der Inhaltsstoffe der Trauben zur Erhöhung des mittel insbesondere Vegetariern als Fleischersatz, ebenso wie Sufu, ein
Mostgewichts. Entsprechende Weine (z. B. Trockenbeerenauslese) mit dem Zygomyzeten Mucor sufu fermentiertes Tofu (Sojamilchpro-
sind daher sehr süß und zeichnen sich durch lange Haltbarkeit dukt). Da Rhizopus spp. als Opportunisten bei immunsupprimierten
aus. Patienten fulminante Mykosen hervorrufen können, ist ein Kontakt
mit diesen Nahrungsmitteln obsolet.
Käse Auch bei der Käseherstellung werden Pilze (Geotrichum can-
didum und Edelschimmelpilze wie Penicillium cambertii, P. caseico-
lum, P. gorgonzola u. P. roqueforti) eingesetzt. Zusammen mit Bak- 75.2.2 Pilzbefallene Lebensmittel
terien (hauptsächlich Laktobazillen) findet während der Käsereifung als Krankheitsursache
eine jeweils käsetypische Aromabildung und Textur (Camembert,
Roquefort) durch Lipolyse und Proteolyse der Milchbestandteile Bei den Personen, die an der Produktion entsprechender Lebens-
und Fermentation der Laktose statt. Dabei bilden die Pilze teilweise mittel beteiligt sind, kann es zu einer exogen-allergischen Alveolitis
für das Bakterienwachstum essenzielle Vitamine. Die Oberfläche (Syn.: Hypersensitivitätspneumonitis) kommen. Dabei handelt es
Mykologie

dieser Käsesorten ist nach abgeschlossener Reifung von einem ent- sich um akute, subakute und chronische Lungenentzündungen, die
sprechenden Pilzmyzel umschlossen (Edelfäule). Da diese Pilze auch durch eingeatmete Pilzantigene (luftgetragene Pilzsporen) verur-
nach der Reifung noch vermehrungsfähig sind, ist eine gemeinsame sacht werden und zur Lungenfibrose führen können (ggf. Berufs-
75.3 · Biotechnologischer Einsatz von Pilzen
605 75
erkrankung: Käsewäscherkrankheit; Pilzarbeiterlunge in Zucht-
betrieben von Speisepilzen).
Aufgrund ihrer Fähigkeit zur enzymatischen Degradation von
Biomasse sind Pilze häufige Verderbniserreger von Lebens-
mitteln. Auch hier spielt eine zu hohe Feuchtigkeit bei der Lagerung
eine wesentliche Rolle (z. B. im Kühlschrank). Ausreichende Trock-
nung, z. B. von Getreide und Gewürzen, ist daher notwendig,
um Nahrungsmittel vor dem Verderben zu schützen. Die meisten
Lebensmittel sind herstellungsbedingt mit Pilzen besiedelt. Dies ist
bei der Ernährung hochgradig immunsupprimierter Patienten zu
beachten.
Pilze können nicht nur tote Pflanzen besiedeln, sondern richten
als Pflanzenschädlinge enormen wirtschaftlichen Schaden bei
Nutz- und Zierpflanzen an: echter Mehltau (Gemüse), falscher
Mehltau (z. B. Kraut- und Knollenfäule bei der Kartoffel durch Phy-
tophthera infestans), Maisbeulenbrand, Ulmensterben. Missernten
bzw. Ernteausfälle können zu Hungersnöten führen. Deshalb wer-
den in der Landwirtschaft im großen Umfang fungizide Mittel ein-
gesetzt. Dies hat glücklicherweise bislang nicht zur Resistenzsteige-
rung bei humanpathogenen Pilzarten geführt. Es gibt neuerdings
aber Hinweise, dass triazolresistente A. fumigatus-Stämme hier ih- . Abb. 75.1 Mutterkorn (www.botanik.uni-karlsruhe.de, Foto: K. Knoch)
ren Ursprung haben könnten.

Für Lebensmittel gibt es gesetzlich festgelegte entsprechende


75.2.3 Mykotoxine Höchstmengen. Der chemische Nachweis von Mykotoxinen gelingt
nur mit aufwendigen, chromatografischen Verfahren.
Bildung Die Vermeidung der Mykotoxinbildung ist ein weiterer Die Mutterkornalkaloide, die im Mittelalter zu Massensterben
wesentlicher Aspekt der Lebensmittelhygiene. Mykotoxine sind nie- führten, zählen zu den Mykotoxinen. Sie werden von der Überwin-
dermolekulare sekundäre Stoffwechselprodukte, die von Schimmel- terungsform (Sklerotien = Mutterkorn) von Claviceps purpurea ge-
pilzarten (Mikromyzeten) gebildet werden können, z. B. Aspergillus bildet, einem Pilz, der alle Gräser (Getreide) infizieren kann (. Abb.
spp. oder Fusarium spp. Gefürchtet ist das von A. flavus produzierte 75.1). Bei der modernen Getreideaufbereitung werden diese Mutter-
Aflatoxin B1, das Toxin mit der stärksten krebserzeugenden Wir- körner weitestgehend entfernt. Eine entsprechende Vergiftung (Er-
kung. Mykotoxine sind hitzestabile Verbindungen, die durch Ko- gotismus – »Antoniusfeuer«) kann zu Muskelkrämpfen und bren-
chen der Nahrungsmittel nicht zerstört werden. Es gibt über 300 nenden Schmerzen von Gliedmaßen infolge der Minderdurchblu-
verschiedene Toxine, die von über 250 Pilzarten synthetisiert wer- tung führen, die dann gefühllos werden (Parästhesie) und letztlich
den. Alle verschimmelten Nahrungsmittel können Mykotoxine ent- absterben können (Gangrän).
halten. Aufgrund ihrer geringen Molekularmasse diffundieren diese Heute dienen Mutterkornalkaloide als Ausgangssubstanzen zur
Toxine leicht in das Nahrungsmittel hinein. Je flüssiger ein Lebens- Herstellung von diversen Pharmaka: Migränemittel (Ergotamin),
mittel ist, umso schneller kann sich das Toxin darin ausbreiten. Das Antiparkinsonmittel (z. B. Bromocriptin, Cabergolin, Dihydroergo-
alleinige Entfernen des sichtbar verschimmelten Bereichs kann des- cryptin), Uteruskontraktion (Ergometrin – Blutungsunterdrückung
halb nicht ausreichend sein, um sicherzustellen, dass das Lebens- nach Abort), Halluzinogen LSD (Lysergsäurediethylamid – potente
mittel danach gefahrlos genießbar ist. psychoaktive Substanz).

Aufnahme Mykotoxine werden hauptsächlich durch entsprechend


kontaminierte Lebensmittel enteral aufgenommen. Diese können 75.3 Biotechnologischer Einsatz von Pilzen
schon primär kontaminiert sein, z. B. Getreide, oder erst sekundär
im Laufe der Lagerung durch Kontakt mit Schimmelpilzsporen kon- Pilze werden zunehmend in anderen Bereichen der Biotechnologie
taminiert werden. Seltener erfolgt die Aufnahme durch tierische großtechnisch eingesetzt, z. B. zur Produktion von Exoenzymen
Nahrungsmittel (z. B. Eier, Fleisch, Milch), wobei die Tiere zuvor die (z. B. Pectinase und Cellulasen zur Klärung von Obst- und Gemüse-
Toxine mit dem Futter aufgenommen haben. Am häufigsten finden säften), Vitaminen (Hefeextrakt, Riboflavin) oder organischen Säu-
sich Mykotoxine bei landwirtschaftlichen Produkten aus tropischen ren (Fumar-, Malon-, Zitronensäure). Auch bei der Pharmakaher-
und subtropischen Gebieten, z. B. Erdnüsse, Mais, Pistazien. Aber stellung kommen Pilze z. T. in großem Umfang zum Einsatz: zur
auch bei heimischen Produkten, z. B. Apfelsaft, sollte die Verwen- Synthese von β-Laktam-Antibiotika (Cephalosporinen, Penicilli-
dung von angefaultem Fallobst unterbleiben (z. B. Patulin, haupt- nen), Ciclosporin, Fusidinsäure, Griseofulvin, Kortison, Paclitaxel,
sächlich gebildet von Penicillium expansum). Vermutlich enthalten Proinsulin, Hepatitis-B-Antigen (Impfstoff) und Statinen (Lovasta-
weltweit ca. 25 % aller Lebensmittel Mykotoxine. tin, Pravastatin, Simvastatin).
Auch viele im großtechnischen Maßstab hergestellten Bioche-
Wirkung Die Schädigung (vorzugsweise des Erbguts) durch Myko- mikalien wie z. B. Milchsäure, Zitronensäure und Enzyme wie z. B.
toxine ist v. a. chronischer Natur: Amylase, Invertase, Proteasen (Waschmittel!) werden mittels Pilzen
4 kanzerogen (Leberzelltumor) hergestellt. Teilweise enthalten diese Produkte auch noch Spuren der
4 hepatotoxisch DNA der dabei eingesetzten Produktionsstämme, was bei Interpre-
4 nephrotoxisch tation von PCR-Ergebnissen von Patientproben zu beachten ist!
606 Kapitel 75 · Pilze: Vorkommen und Bedeutung für den Menschen

Immobilisierte Hefezellen bzw. Pilzenzyme dienen zudem als


Biosensoren, z. B. in Kläranlagen zur Überwachung der Abwasser-
qualität oder Glukoseoxidase auf Sticks zur Blutzuckerbestimmung.

75.4 Pilzvergiftung durch Makromyzeten

75.4.1 Giftpilze
jDiagnose
Bei einer vermuteten Pilzvergiftung ist die Unterscheidung früh ein-
setzender Beschwerden (innerhalb von 15 min bis höchstens 6 h)
nach einer Pilzmahlzeit von später einsetzenden wichtig. Erstere
sind in der Regel nicht lebensbedrohlich. Vergiftungserscheinun-
gen, die erst nach 6–20 h auftreten, können ein Hinweis auf eine
lebensbedrohliche Pilzvergiftung sein. In jedem Fall empfiehlt es
sich, fachlichen Rat bei einer Giftnotrufzentrale einzuholen (z. B.
www.pilzfreundetreff.de/html/erste_hilfe.html) und einen entspre-
chenden Leitfaden inklusive Fragebogen und Beschreibung der Pilze
und Vergiftungssymptome zu benutzen (Download: www.pilze-basel.
ch/giftpilze.pdf).
Durch Asservierung von Erbrochenem bzw. Magenspülflüssig-
keit oder Resten der Pilzmahlzeit kann der Fachmann häufig eine
Speziesdiagnose durch mikroskopische Untersuchung der meist
erhaltenen Pilzsporen stellen. Erste Hinweise kann zudem eine
makroskopische Pilzbeschreibung (Farbe, Form, Hutunterseite mit . Abb. 75.2 Gefährliche Giftpilze (www.toxinfo.org; Fotos: E. Garnweidner)
Lamellen oder Röhren, Standort, z. B. Baumart) liefern.

jKlinik Das Gyromitra-Syndrom nach Verzehr von Lorcheln (Früh-


Nach einer Pilzmahlzeit kann innerhalb von 15–240 min eine aller- jahrslorchel, Bischofsmütze, Riesenlorchel) ist gekennzeichnet
gische Reaktion mit Magen-Darm-Problemen, Hautquaddelbildung durch gastrointestinale Krämpfe, zerebral bedingte Krämpfe und
und asthmatischen Atembeschwerden auftreten.Typischerweise Lebertoxizität mit Leberenzymanstieg, Methämoglobinbildung und
sind Personen betroffen, die diesen Pilz schon früher einmal ver- Hämolyse.
zehrt haben. Infolge unsachgemäßer Lagerung können durch Bak- Kennzeichnend für das Orellanus-Syndrom nach Verzehr des
terienwachstum entsprechende Toxine gebildet werden, die zu einer Orangefuchsigen Raukopfs (Cortinarius orellanus) und des Spitzge-
typischen Lebensmittelvergiftung führen können. buckelten Raukopfs (Cortinarius rubellus) sind Rückenschmerzen
Beim Coprinus-Syndrom kommt es infolge des gleichzeitigen durch eine Nierenschädigung. Dabei sind Eiweiß und Blut im Urin
(bzw. um bis zu 72 h verzögerten) Genusses von (auch geringen Men- nachweisbar. Die Beschwerden treten typischerweise 36 h bis 14 Tage
gen) Alkohol und gekochten (!) Pilzen der Tintlings-Gruppe zu einer nach der Pilzmahlzeit auf. In schweren Fällen versagen die Nieren.
Alkoholunverträglichkeitsreaktion (Azetaldehyd-Konzentrations-
erhöhung). Die betroffenen Personen zeigen innerhalb von 20 min
bis 2 h nach Alkoholkonsum eine plötzliche Rötung der Haut des 75.4.2 Halluzinogene Pilze (Zauberpilze)
Oberkörpers und Schwellungen von Gesicht und Händen. Zusätzlich
bestehen häufig Übelkeit, Schwindel und Atembeschwerden. Einen Sonderfall der Pilzvergiftungen stellt der bewusste Verzehr
Bei den möglicherweise lebensgefährlichen Pilzvergiftungen halluzinogener Pilze dar. Dabei handelt es sich um Pilze, die Psilocy-
werden in der Regel Beschwerden frühestens nach 6–8 h geäußert. bin synthetisieren. Entsprechende Arten werden häufig gezielt kul-
Bei einigen Giftpilzen treten erste Symptome manchmal erst tiviert: Spitzkegeliger Kahlkopf, Psilocybe semilanceata; Kubani-
1–2 Tage (ggf. bis zu 1 Woche!) nach Einnahme der Pilzmahlzeit auf. scher Träuschling, Stropharia cubensis; Risspilze, Inocybe spp.;
In Europa sind etwa 150 Giftpilze bekannt, am giftigsten sind Flämmlinge, Gymnopilus spp.; Dachpilz, Pluteus salicin. Problema-
der Grüne Knollenblätterpilz (Amanita phalloides – mit Champig- tisch ist dabei die stark variierende Konzentration des Psilocybins,
non verwechselbar) und der Nadelholzhäubling (Galerina margi- sodass eine genauere Dosierung nicht möglich ist.
nata) (. Abb. 75.2). Das Psilocybin-Syndrom tritt nach einer Latenzzeit (min bis
Von den in Deutschland tödlich verlaufenden Pilzvergiftungen 1 h) nach dem Pilzverzehr auf. Kennzeichnend ist ein Rauschzu-
werden über 90 % durch Aufnahme des Toxins Amanitin hervorge- stand mit Halluzinationen, Schwindel und Euphorie; die Azteken
rufen (Amanita-Syndrom). Dabei kommt es frühestens 6 h nach der haben diese Pilze (»magic mushrooms«) im Rahmen ritueller Zere-
Pilzmahlzeit zu einer schweren anhaltenden Gastroenteritis (6–9 h) monien verzehrt. Die Euphorie kann in Angstzustände umschlagen
mit starkem Durchfall und Erbrechen, die zu einem bedrohlichen und zur Manifestation latenter Psychosen führen. Ähnlich wie beim
Flüssigkeitsverlust führen kann. 1–2 Tage nach der Pilzmahlzeit er- LSD werden selten sog. Flashbacks (Wiederauftreten eines Rausch-
folgt dann ein dramatischer Anstieg der Transaminasen gefolgt von erlebnisses ohne erneute Drogenaufnahme) beobachtet. Teilweise
Mykologie

Blutgerinnungsstörungen. Bei schweren Vergiftungen kommt es wird versucht, die Rauschwirkung des Psilocybins durch gleichzeitige
dann zum Tod im Leberkoma, der ohne eine lebensrettende Leber- Einnahme von Monoaminooxidase-(MAO-)Hemmern zu intensi-
transplantation meist innerhalb von 8 Tagen eintritt. vieren und zu verlängern.
75.4 · Pilzvergiftung durch Makromyzeten
607 75

In Kürze
Pilze: Vorkommen und Bedeutung für den Menschen
Ökologie Pilze sind Eukaryonten und als Saprobionten von ab-
gestorbenen Organismen und Symbionten im Verdauungstrakt
von Tieren und des Menschen (Mykobiom) durch ihre reichhal-
tige Enzymausstattung maßgeblich am Abbau der Biomasse
beteiligt. Die vielfältigen Interaktionen von Pilzen mit anderen
Lebewesen lassen auf eine lange Koevolution schließen.
Baubiologisch gilt es insbesondere durch Vermeidung von
Feuchtigkeit eine Pilzsporenbelastung der Innenraumluft gering
zu halten, um Allergien vorzubeugen.
Lebensmittel Pilze haben entscheidenden Anteil an der Lebens-
mittelherstellung (Getränke, Molkerei-, Bäckereiprodukte) und
sind in Produkten häufig noch in vermehrungsfähiger Form ent-
halten. Dies ist bei der Ernährung hoch immunsupprimierter
Patienten zu beachten. Eine sachgerechte Lagerung und Zube-
reitung von Lebensmitteln minimieren die Mykotoxinbildung
in Lebensmitteln. Pilze können, akzidentell und bewusst ver-
zehrt, zu lebensbedrohlichen Intoxikationen führen.
Mykopathien Das humanpathogene Potenzial von Pilzen ist,
insgesamt gesehen, als gering einzustufen. Man unterscheidet
4 pilzbedingte Erkrankungen:
5 Mykoallergosen – allergische Reaktion auf inhalierte oder
ingestierte Pilzbestandteile
5 Mykotoxikosen – chronische Schädigung durch Kontakt
mit Mykotoxinen (z. B. Lebensmittel, die mit toxinbildenden
Pilzen kontaminiert sind)
5 Myzetismus – akute Vergiftung durch Verzehr von Giftpilzen
5 Mykosen – Bildung von Pilzmyzel (»fungus ball«) in luftge-
füllten Körperhohlräumen ohne größere Schädigung des
Wirtes (Mykotisation), mukokutane Besiedlung (Soor, Tinea)
und davon ausgehend invasive Mykose mit Wachstum des
Pilzes in inneren Organen und einer weiteren Dissemination
über das Blutgefäßsystem

Bei stark immunsupprimierten Patienten ist der Kontakt mit Pilz-


sporen gering zu halten, z. B. durch Vermeidung von pilzbelas-
teten Lebensmitteln und Pflanzen (insbesondere Blumenerde)
und durch Filtration der Atemluft. Biotechnologisch werden
Pilze u. a. zur Herstellung von Pharmaka (insbesondere Antibio-
tika) eingesetzt.
609 76

Biologie der Pilze


G. Haase

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_76, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Pilze werden innerhalb der Eukaryonten (Regnum Eucarya) in ein streckten Zellen bestehen. Die Gesamtheit dieses Hyphennetzwerkes
eigenes Unterreich (Subregnum Mycobionta) eingruppiert. Sie haben wird als Myzel oder Thallus bezeichnet. Die Hyphen wachsen vor-
sich vor ca. 1 Mrd. Jahren von den anderen Eukarya abgespalten zugsweise apikal und können sich verzweigen. Distal werden dann
und sind phylogenetisch enger mit Tieren als mit Pflanzen verwandt bei den Ascomycota und den Basidiomycota Septen (Querwände)
(z. B. bilden Tiere und Pilze als Speicherstoff Glykogen). Bisher wurden eingezogen, wohingegen bei den Mucoromycotina durch mitotische
ca. 150.000 Arten beschrieben, durch intensive molekulargenetische Kernteilung eine zönozytische »Superzelle« entsteht.
Analysen kommen ständig viele neue Arten hinzu. Vermutlich gibt es Das Genom liegt im Zellkern in Form von Chromosomen vor
insgesamt weit mehr als 1 Mio. Arten. Davon werden ca. 50 Arten mit typischerweise 6000–12.000 offenen Leserastern (9–35 Mb;
häufig als Mykoseerreger beim Menschen isoliert. Weitere etwa 300 Maximum 178 Mb).
Arten rufen als opportunistische Erreger bei stark immunsupprimier-
ten Patienten Krankheiten hervor. jStoffwechsel
Pilze ernähren sich heterotroph (chemoorganotroph). Da sie kein
Chlorophyll synthetisieren, können sie auch keine Fotosynthese be-
76.1 Morphologie und Stoffwechsel treiben (Flechten als Symbionten von höheren Pilzen und Grünalgen
bzw. Zyanobakterien können dagegen Licht als Energiequelle nut-
jMorphologie zen). Durch Sekretion von Exoenzymen lösen Pilze Nährstoffe aus
Pilze besitzen eine mechanisch stabile Zellwand (. Abb. 76.1), die dem sie umgebenden Substrat, die sie dann durch die Zellwand
überwiegend aus hochkomplex vernetzten Kohlenhydraten aufge- hindurch aufnehmen (Saprophyten). Diese Enzyme werden auch
baut ist wie Chitin (0,6–9 %; Polymer von N-Azetylglukosamin) so- biotechnologisch genutzt und sind wesentlich im Rahmen des Infek-
wie fibrillären β-1,3- und β-1,6-Glukanen (40–60 %, in den äußeren tionsprozesses (z. B. Keratinolyse).
Schichten), die mit den oberflächig gelegenen Phosphomannopro-
teinen bzw. Galaktomannan (6–25 %) verbunden sind. Die innen
gelegene Zellmembran besteht überwiegend aus Ergosterol. 76.2 Vermehrung
Morphologisch sind Pilze einfacher als Tiere und Pflanzen, aber
komplexer als Bakterien. Allerdings sind alle typischen Organellen der Höhere Pilze werden entsprechend der Ausbildung von Sporenbe-
eukaryonten Zelle vorhanden. Insbesondere besitzen Pilze keine hoch- hälter (Sporangien) in 3 Stämme unterteilt:
differenzierten Gewebe, wie sie typisch für Pflanzen und Tieren sind, 4 Mucoromycotina (Köpfchenpilze; frühere Bezeichnung: Zygo-
sondern bilden nur Scheingewebe (Plektenchyme). mycota, »Jochpilze«)
Die Grundstruktur der Pilze ist ein Netzwerk miteinander kom- 4 Ascomycota (Schlauchpilze)
munizierender »Röhren« (Synnemata) oder Hyphen, die aus langge- 4 Basidiomycota (Ständerpilze)

. Abb. 76.1 Aufbau der Pilzzellwand


610 Kapitel 76 · Biologie der Pilze

. Abb. 76.2 Formen der Konidienbildung bei anamorphen Arten

Namensgebend sind hierbei Form und Aufbau dieser Sporangien, in Einige Pilzarten können Überdauerungsformen (Chlamydospo-
der die aus einer Meiose hervorgegangenen Sporen (Zygo-, Asko-, ren) bilden, die ein Überleben unter extremen Umweltbedingungen
Basidiosporen) gebildet werden. ermöglichen.
Die sexuelle Reproduktion bei Pilzen erfolgt durch Ver-
schmelzung (Konjugation; erst Plasmogamie, dann Karyogamie)
von 2 komplementären haploiden »Geschlechtszellen« (Gameten), 76.3 Klassifizierung
gefolgt von einer Meiose (Reduktionsteilung).Häufig sind diese
Gameten morphologisch und ultrastrukturell nicht voneinander Die Nomenklatur der Pilze erfolgt aus historischen Gründen gemäß
unterscheidbar (Isogamie), sondern nur physiologisch durch ent- den komplexen Regeln des Internationalen Code der Nomenklatur
sprechende Kreuzungsexperimente. Durch eine In-vitro-Verpaa- für Algen, Pilze und Pflanzen (ICN), einem Regelwerk, das alle
rung mit einem bekannten Paarungstyp kann eine teleomorphe 6 Jahre fortgeschrieben wird (zuletzt 2012).
Form erzeugt werden, z. B. Askusbildung bei der Hefe Candida Bei Pilzen, die bei menschlichen Infektionen isoliert werden,
lusitaniae, um somit im diagnostischen Labor zu einer sicheren werden in der Regel nur die asexuellen (anamorphen) Wachstums-
Speziesdiagnose zu gelangen. Daher spricht man hier nur von Paa- formen beobachtet. Die Mitosporen tragen maßgeblich zur Verbrei-
rungstypen (üblicherweise mit + und – bezeichnet) und benutzt tung dieser Pilze bei. Aufgrund der Art der beobachteten und z. T.
nicht die sonst bei Eukarya üblichen Bezeichnungen männlich und komplexen Mitosporenbildung (Konidiogenese, . Abb. 76.2) wer-
weiblich. den diese (ca. 20.000) Arten in (künstliche) Formgattungen zusam-
Der jeweilige Paarungstyp ist genetisch durch das Vorliegen mengefasst. Die Gesamtheit dieser anamorphen Gattungen bildet
eines a- bzw. α-Allels im Mating-Type-Locus (MAT) determiniert. die Gruppe der Deuteromyzeten (Fungi imperfecti).
Dieses Gen kodiert die beiden unterschiedlichen Pheromone Als noch keine molekulargenetischen Sequenzdaten verfügbar
(a- bzw. α-Faktor), welche die Konjugation steuern. Es gibt keine waren, war eine Artzuordnung bei diesen anamorph wachsenden
Geschlechtschromosomen. Bei Basidiomyzeten gibt es teilweise Pilzen nur mittels morphologischer und physiologischer Merkmale
mehrere, zueinander komplementäre a- bzw. α-Allele (z. B. bei Schi- möglich. Insbesondere konnte häufig keine sichere Zuordnung zur
zophyllum commune über 1000 unterschiedlicher Paarungstypen), korrespondierenden teleomorphen bzw. synanamorphen Art herge-
was zu einer außerordentlichen genetischen Vielfalt der entspre- stellt werden. Zukünftig sollen aufgrund von molekulargenetischen
chenden Pilzpopulationen dieser Art führt. Kriterien die bisherige phänotypische Spezifierung abgelöst werden
Nur Pilze mit unterschiedlichem Paarungstyp können Meio- und damit statt mehrerer Namen für einen Pilz [(pleo)anamorphe
sporen ausbilden. Diese Formen werden als perfekt oder teleo- und teleomorphe Bezeichnung] nur noch ein Name verwandt wer-
morph bezeichnet. Bei den heterothallischen Pilzen kann ein den (»one fungus, one name«).
Myzel (diözischer Thallus) nur einen Paarungstyp ausbilden, wäh- Innerhalb der Deuteromyzeten unterscheidet man aufgrund der
rend bei den homothallischen Pilzen ein Myzel (monözisch) beide Anordnung der Konidien Hyphomyzeten, Coelomyzeten und Blas-
Paarungstypen auszubilden vermag. tomyzeten:
Während des größten Teils des Lebenszyklus einer Pilzart erfolgt 4 Hyphomyzeten vermehren sich durch vegetative (mitotische)
Mykologie

die Vermehrung vegetativ mittels Mitosporen (entstehen durch Sporenbildung, die in der Regel auf spezialisierten Hyphen
Mitose). Diese Lebensform bezeichnet man als imperfekt oder ana- (Konidiophoren) stattfindet. Für viele medizinisch relevante
morph. Arten ist eine annelidische oder phialidische Konidienbildung
76.3 · Klassifizierung
611 76

. Tab. 76.1 Taxonomie der Pilze (vereinfachte Darstellung)

Stamm Klasse Wichtige Gattung Beispiel

Microsporidia Haplophasea Enterocytozoon* E. bieneusi


Entomophthoromycotina Basidiobolus B. ranarum
Glomeromycota
Mucoromycotina Mucor* M. pusillus
Rhizopus* R. microsporus
Ascomycota Pneumocystidomycetes Pneumocystis* P. jirovecii
Saccharomycetes Candida* C. albicans
Saccharomyces S. cerevisiae** (Bäckerhefe)
Dothideomycetes Alternaria* A. alternata
Neofusicoccum* N. mangiferae
Eurotiomycetes Aspergillus* A. fumigatus
Blastomyces* B. dermatitidis
Coccidioides* C. immitis
Exophiala* E. dermatitidis
Histoplasma* H. capsulatum
Microsporum* M. canis
Paecilomyces* P. variotii
Penicillium* P. notatum
Trichophyton* T. rubrum
Pezizomycetes Neurospora N. crassa**
Tuber T. aestivum (Trüffel)
Fusarium* F. solani
Pseudallescheria* P. boydii
Sporothrix* S. schenckii
Basidiomycota Agaricomycetes Amanita A. phalloides (Knollenblätterpilz)
Schizophyllum* S. commune
Microbotryomycetes Rhodotorulla* R. rubra
Sporobolomyces* S. salmonicolor
Tremellomycetes Cryptococcus* C. neoformans
Trichosporon* T. asahii
Ustilaginomycetes Malassezia* M. sympodialis
Ustilago* U. maydis***

* Medizinisch bedeutsame anamorphe Gattung mit jeweils einer typischen beispielhaften Spezies
** Intensiv erforschte Modellorganismen
*** Erreger des gefürchteten Maisbeulenbrandes (kann beim Menschen Allergien hervorrufen)

(Scedosporium apiospermum, Aspergillus fumigatus) typisch. die in der Regel hydrophil sind (Cryptococcus neoformans,
Aber auch eine Fragmentierung einer Hyphe mit Bildung von Exophiala spinifera) und dadurch z. B. ihre Phagozytose er-
Arthrokonidien (z. B. Coccidioides immitis) ist häufiger zu be- schweren.
obachten. Diese Konidiophoren werden randständig gebildet 5 Aufgrund der Farbe ihrer Hyphen unterscheidet man
und können die meist hydrophoben Konidien direkt an die bei den Hyphomyzeten die mehr oder minder ungefärb-
Umgebungsluft abgeben. Die Mehrzahl der bekannten Schim- ten Hyalohyphomyzeten von den melanisierten und
melpilze (ökologischer Begriff = schnell wachsende Hyphomy- daher bräunlich bis schwarz imponierenden Phäohypho-
zeten mit starker Konidienbildung, die luftgetragen verbreitet myzeten.
werden) gehören hierzu (z. B. Aspergillus, Penicillium). Aller- 4 Bei den Coelomyzeten werden die Konidiophoren an der
dings gibt es auch Arten, die schleimumhüllte Konidien bilden, Innenwand eines meist schleimgefüllten »Gehäuses« (Pykni-
612 Kapitel 76 · Biologie der Pilze

. Tab. 76.2 Begriffsübersicht Mykologie

Terminus Definition

Anamorph imperfekte Wuchsform mit rein asexueller Vermehrung ohne Meiose

Arthrospore von einer Hyphe abgeschnürte Gliederspore (Mitospore)

Askus sackartiger Sporenbehälter mit in der Regel 8 Askosporen (Meiosporen); Morphologie und Entstehung
des Askus werden zur taxonomischen Einteilung der Askomyzeten (Schlauchpilze) herangezogen

Assimilation oxidativer Abbau organischer Stoffe zur Energiegewinnung (vorzugsweise Zucker) und zum Aufbau
pilzeigener Bestandteile; das Assimilationsprofil dient bei den Hefen auch zur Artbestimmung

Basidie/Basidium Sporangium mit Bildung von in der Regel 4 Basidiosporen (Meiosporen); Morphologie und Entstehung
der Basidie werden zur taxonomischen Einteilung der Basidiomyzeten (Ständerpilze) herangezogen

Blastospore mitotisch durch Sprossung entstandene Konidie der Hefen (Blastomyzeten)

Chlamydospore dickwandige Mantelspore

Deuteromyzeten Gesamtheit der anamorphen Pilzgattungen (Fungi imperfecti – Formgattungen)

Eumyzeten »höhere« Pilze, die eine sexuelle Vermehrungsform ausbilden (Fungi perfecti); insbesondere Asko- und
Basidiomyzeten

Fermentation Abbau organischer Substrate zur Energiegewinnung ohne Beteiligung einer Atmungskette
(z. B. alkoholische Gärung)

Holomorph Bezeichnung für die Gesamtheit aller möglichen Wuchsformen (teleomorphe und [syn]anamorphe)
einer Pilzart

Hefe sich durch Blastokonidien vermehrende, in der Regel einzellige Pilze (Sprosspilze, »yeast«)

Hyphe fadenförmige Zelle eines Pilzes

Konidie/Konidium asexuell (mitotisch) gebildete Fortpflanzungszelle (ein- bis mehrzellig); Entstehung, Form u. Farbe
werden zur Artbestimmung benutzt, z. B. Annellokonidie, Phialokonidie

Konidiophor differenzierte Hyphenstruktur, welche die Konidien ausbildet

Meiospore sexuell durch Meiose entstandene Fortpflanzungszelle (Asko-, Basidiosporen)

Mitospore asexuell durch Mitose entstandene Fortpflanzungszelle

Mykobiom Gesamtheit aller Pilze die ein Organ bzw. Organismus besiedeln

Myzel Gesamtheit aller Hyphen eines Pilzes

Sporangium Behälter, in dem Meiosporen gebildet werden (insbesondere gebräuchlich bei den Zygomyzeten)

Synanamorph falls eine Pilzart mehrere anamorphe Wuchsformen ausbilden kann, werden diese als Synanamorphe
bezeichnet

Systemmykoseerreger, außereuropäische obligat pathogene Pilze aus der Klasse der Eurotiomycetes mit temperaturabhängigem Dimorphismus:
Blastomyces dermatitidis, Emmonsia spp., Histoplasma capsulatum, Coccidioides spp., Lacazia loboi,
Paracoccidioides brasiliensis, Penicillium marneffei, Sporothrix schenckii (Sordariomycetes; kommt auch
in Europa vor)

Teleomorph perfekte (sexuelle) Wuchsform einer Pilzart

Zygomyzeten (heute Mucoromycotina, Gruppe schnell wachsender Pilzen (Jochpilze), die in der Regel ein unseptiertes Myzel ausbilden und als
7 Abschn. 76.2) Meiosporen sehr umweltresistente Zygosporen ausbilden

dium) gebildet. Durch Herausquellen des konidienhaltigen Mithilfe molekulargenetischer Sequenzvergleiche lassen sich heut-
Schleimes aus einem Mündungsporus werden die Konidien zutage anamorph-teleomorphe Zugehörigkeiten feststellen. Wie
weiterverbreitet (z. B. Neofusicoccum mangiferae, Fusicoccum sich dabei zeigte, hat die formale Klassifizierung der anamorphen
dimidiatum). Gattungen dazu geführt, dass phylogenetisch sehr unterschiedliche
4 Bei den Blastomyzeten (Hefen, 7 Kap. 77) werden die Blasto- Pilze in einer Formgattung zusammengefasst wurden und damit
konidien durch Sprossung einer in der Regel einzelligen Mutter- häufiger erhebliche physiologische und ökologische Unterschiede
zelle gebildet. Je nach Art kann diese Sprossung an unterschied- aufweisen, wie man sie bei nahe verwandten Arten einer Gattung
lichen Stellen erfolgen (uni-, bipolar, multilateral). Da hier nur üblicherweise nicht erwartet. Bei vielen Hyphomyzeten kann eine
Mykologie

wenige morphologische Unterscheidungskriterien vorhanden Art unterschiedliche anamorphe Formen ausbilden (Synanamor-
sind, werden vorzugsweise physiologische und biochemische phe). Diese Formen wurden aufgrund der unterschiedlichen Koni-
Leistungskriterien zur Artdiagnose herangezogen. diogenese in unterschiedliche Gattungen eingeordnet. Dies hat zu
76.3 · Klassifizierung
613 76
einer großen Namensvielfalt geführt, z. B. Pseudallescheria boydii
(Teleomorph), Graphium tectonae, Scedosporium apiospermum
(Synanamorphe). Die Gesamtheit der ausprägbaren Lebensformen
(teleomorph und [syn]anamorph) einer Art bezeichnet man als ho-
lomorph.
. Tab. 76.1 zeigt eine vereinfachte Taxonomie der Pilze.
. Tab. 76.2 listet mykologisch wichtige Termini auf und defi-
niert sie.

In Kürze
Biologie der Pilze
Morphologie und Stoffwechsel Typisch für eine Pilzzelle sind
eine mechanisch stabile Zellwand aus Glukan, Chitin und
Mannan sowie eine Zellmembran aus Ergosterol. Das Pilzmyzel
besteht aus einem Geflecht von Hyphen. Pilze sind heterotroph
und bilden eine Vielzahl von Exoenzymen.
Vermehrung Hyphen mit unterschiedlichem Paarungstyp
(+ bzw. –) bilden morphologisch identische Gameten aus, die
nach einer Konjugation mit anschließender Meiose Meiosporen
in unterschiedlich aufgebauten Sporangien ausbilden. Letztere
sind namensgebend für die höheren Pilze: Mucoromycotina,
Ascomycota, Basidiomycota. Die Mehrzahl der medizinisch rele-
vanten Arten vermehrt sich allerdings überwiegend vegetativ
mittels mitotisch gebildeter Konidien. Chlamydosporen können
das Überleben unter ungünstigen Umgebungsbedingungen
sichern.
Klassifizierung Zum Reich der Pilze werden ca. 150.000 Arten
gezählt, wovon ca. 50 häufiger bei Mykosen des Menschen
isoliert werden. Die Taxonomie der Pilze erfolgt nach einem
komplexen Regelwerk. Pilze, die keine Meiosporen ausbilden,
werden in anamorphen, artifiziellen Formgattungen nach
der Art ihrer Mitokonidienbildung zusammengefasst (Deutero-
myzeten). Man unterscheidet hier hauptsächlich 2 Gruppen:
fadenförmig wachsende Hyphomyzeten und sprossende Hefen
(Blastomyzeten).
615 77

Hefen
G. Haase

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_77, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Nichtmelanisierte, einzellige Pilze (Durchmesser meist 3–5 μm), die (. Tab. 77.1). Letztere sind insbesondere über die Form der Asko- bzw.
sich in vitro vorzugsweise vegetativ durch Sprossung vermehren Basidiosporen definiert. Die Sprossung kann dabei unipolar, bipolar
(Blastokonidien), werden in die artifizielle Gruppe der Hefen gruppiert. oder multipolar erfolgen. Eine Hefezelle vermag nur eine begrenzte
Phylogenetisch handelt es sich hierbei um sehr unterschiedliche Arten. Anzahl von Blastokonidien zu erzeugen und stirbt dann ab. An der Ab-
Dies zeigt sich auch eindrucksvoll bei der Zuordnung der anamorphen gangsstelle der Blastokonidie entsteht eine »Narbe«.
Gattungen zu den korrespondierenden teleomorphen Gattungen

. Tab. 77.1 Häufigste, beim Menschen isolierte Hefearten*

Anamorphe Gattung Art Teleomorphe Art Hervorgerufene Infektionen

Candida** C. albicans – Schleimhautinfektionen


C. dubliniensis häufiger invasive Infektionen
C. parapsilosis
C. tropicalis

C. guilliermondii Meyerozyma guilliermondii invasive Infektionen (seltener)


C. haemulonii-Komplex –
C. intermedia Kluyveromyces cellobiovorus
C. lusitaniae Clavispora lusitaniae
C. norvegensis Pichia norvegensis
C. ohmeri Kodamaea ohmeri
C. pulcherrima Metschnikowia pulcherrima

C. cacaoi Millerozyma farinosa invasive Infektionen (sehr selten)


C. famata Debaromyces hansenii
C. krusei Pichia kudriavtsevii
C. lambica Pichia fermentans
C. palmioleophila –

C. colliculosa Torulaspora delbruecki invasive Infektionen (äußerst selten)


C. glabrata – Schleimhautinfektionen (häufiger)
C. hellenica Zygoascus meyerae invasive Infektionen
C. holmii Kazachstania exigua
C. kefyr Kluyveromyces marxianus
C. robusta Saccharomyces cerevisiae
C. valida Pichia membranifaciens

C. ciferrii Stephanoascus ciferrii Onychomykosen


C. globosa Citeromyces matritensis
C. lipolytica Yarrowia lipolytica

Geotrichum** G. candidum Galactomyces candidus


Magnusiomyces** M. capitatus Saprochaete capitata
(Geotrichum) (Dipodascus)

Pneumocystis jirovecii** Pneumocystis-Pneumonie (PcP)

Cryptococcus*** C. albidus – Meningoenzephalitis


C. gattii Filobasidiella bacillispora
C. laurentii –
C. neoformans F. neoformans
616 Kapitel 77 · Hefen

. Tab. 77.1 (Fortsetzung)

Anamorphe Gattung Art Teleomorphe Art Hervorgerufene Infektionen

Malassezia*** M. globosa – Hautinfektionen


M. furfur – sehr selten systemische Infektionen
M. sympodialis –

Rhodotorula*** R. glutinis Rhodosporidium diobovatum invasive Infektionen (sehr selten)


R. mucilaginosa R. sphaerocarpum
R. toruloides

Sporobolomyces*** S. salmonicolor Sporidiobolus salmonicolor

Trichosporon*** T. asahii – Harnweginfektionen


T. cutaneum – invasive Infektionen
T. ikin –
T. mucoides –

* Candida-Arten wurden in (jeweils alphabetisch geordnete) phylogenetische Gruppen eingeteilt


** Askomyzeten
*** Basidiomyzeten

77.1 Grundlagen jPneumocystis


Auch Pilze der Gattung Pneumocystis, die phylogenetisch zu den
77.1.1 Einteilung und Charakteristika sehr isoliert stehenden Archiascomycetes (neuere Bezeichnung: Ta-
phrinomycotina) gehören, werden formal zu den Hefen gerechnet.
jAskomyzetale Hefen Wie bei der Spalthefe Schizosaccharomyces pombe erfolgt die vege-
Die artenreichste Gruppe mit ca. 1500 beschriebenen Spezies stellen tative Vermehrung durch eine mediane Spaltung der nur polar
die askomyzetalen Hefen dar (Hemiaskomyzeten – eine ursprüng- wachsenden Hefe. Auch hier wird ein anamorpher (»Trophozoid«
liche Entwicklungslinie der Askomyzeten). . Abb. 77.1 zeigt ihren – haploid) und teleomorpher Lebenszyklus (»Zysten« – diploid) be-
Entwicklungszyklus. obachtet, wobei allerdings genauere Untersuchungen bislang schwie-
Viele Vertreter kennzeichnet eine mehr oder weniger ausgepräg- rig waren, da dieser Pilz erst seit 2014 in einer primären Lungenzell-
te Pseudomyzelbildung (Ketten von Zellen, die sich nach der Spros- linie in vitro kultivierbar ist. Daher gelingt der Nachweis auch nur
sung nicht vollständig voneinander trennen). Selten beobachtet man mikroskopisch oder molekulargenetisch. Früher wurden diese Or-
echte Myzelbildung (z. B. Candida albicans im infizierten Gewebe). ganismen zu den Protozoen gerechnet. Fast jede Säugetierart besitzt
Allerdings kommt es dabei nicht zur Ausbildung askusbildender ihre wirtsspezifische Pneumocystis-Art (Mensch – P. jirovecii).
Hyphen bzw. eines Luftmyzels mit Konidiophoren. Askomyzetale Ähnliches gilt für die einzelligen Microsporidia, die als obligate
Hefen finden sich natürlicherweise auf Pflanzen mit zuckerhaltigen Parasiten zahllose Tiere (u. a. Menschen 7 Abschn. 82.10) befallen
Substraten (Nektar, Schleimfluss, überreifes bzw. verdorbenes Obst können und nach neueren phylogenetischen Untersuchungen nicht
wie Weintrauben, Birnen). Weitere Standorte sind der Erdboden, zu den Protozoen, sondern zu den Pilzen zu zählen sind.
Dung, Darmtrakt von Tieren (insbesondere Insekten).
In der Biotechnologie und der Lebensmittelherstellung (Alkohol, jPhäohyphomyzeten
Backwaren, Molkereiprodukte; 7 Kap. 75) werden askomyzetale He- Da die sog. askomyzetalen Schwarzen Hefen ein Luftmyzel mit Ko-
fen vielfältig eingesetzt. Sie wachsen sowohl aerob als auch anaerob nidiophoren ausbilden können, werden sie nicht zur Gruppe der
(Gärung); Bei hohem Zuckergehalt erfolgt die Gärung auch aerob Hefen gerechnet, sondern zu den Phäohyphomyzeten (Hyphomyze-
(Crabtree-Effekt), z. B. bei der alkoholischen Gärung. Hefezellen sind ten mit Melanineinlagerung in die Zellwand). Einzelne Isolate kön-
an ein Leben im flüssigen Substrat adaptiert und können über die nen nur eine Hefeform ausbilden und werden daher in eine entspre-
gesamte Zelloberfläche Nährstoffe aus dem Substrat aufnehmen. chende synanamorphe Gattung (z. B. Phaeoannellomyces, Phaeo-
coccomyces) eingruppiert. Phylogenetisch findet man diese Schwar-
jEndomycetales zen Hefen bei den Dothideomycetes bzw. Eurotiomycetes (7 Kap.
Die hefeartig wachsenden Pilze (Geotrichum, Magnusiomyces, 78). Gleiches gilt für die außereuropäischen Systemmykoseerreger
Saprochaete [diese können im Gegensatz zu Geotrichum keinen (7 Kap. 80), die eine Hefephase bei 37 °C im Wirtsgewebe ausbilden,
Zuckervergären]) aus der Familie Endomycetales (Saccharomycetes) mit Ausnahme von Coccidioides spp., die Sphärulen im Gewebe
werden ebenfalls zu den Hefen gerechnet und v. a. aus Milchproduk- ausbildet.
ten isoliert. Diese Pilze vermehren sich vorzugsweise durch Arthro-
konidienbildung. Phylogenetisch handelt es sich um sehr »urtümli- jBasidiomyzeten
che« Askomyzeten. Diese Hefen werden des Öfteren aus Respira- Bei den Basidiomyzeten gibt es nur wenige Arten, die hefeartig
tionstraktmaterialien isoliert und können bei stark immunsuppri- wachsen. Anders als die askomyzetalen Hefen können sie Zucker
Mykologie

mierten Patienten zu systemischen Infektionen führen, die ggf. nicht vergären, bilden allerdings regelhaft eine Urease, die zur ihrer
schwer therapierbar sind, da häufig eine Resistenz gegenüber Echi- Identifizierung genutzt werden kann. Am häufigsten werden Infek-
nocandinen und Fluconazol besteht. tionen mit Trichosporon spp. beobachtet, die im Gegensatz zu Geo-
77.1 · Grundlagen
617 77
a b

. Abb. 77.1 Entwicklungszyklus einer askomyzetalen Hefe (aus Esser, Kryptogamen 1, Springer 2000)

trichum spp. zusätzlich zu den Arthrokonidien Blastokonidien bil- Außerdem kann diese Hefe eine Follikulitis der Haut verursachen.
den können. Typisch ist das mikroskopische Bild (kurze Hyphen und kugelige
Hefezellen – »Spaghetti mit Fleischklößchen«).
jCryptococcus neoformans
Bei den Kryptokokken ist C. neoformans die am häufigsten isolierte jTrichosporon asahii
Art (7 s. u.). Sie wächst relativ langsam (Kulturdauer > 2 Tage) und Dies ist die am häufigsten isolierte Art bei Infektionen des Men-
bildet typischerweise eine schleimige Kolonie aus, die auf die Kap- schen. Sie kann invasive Infektionen bei immunsupprimierten Pati-
selbildung bei dieser Hefe zurückzuführen ist. Charakteristisch ist
die Melaninbildung, die entscheidend zur Pathogenität beiträgt und
auch labordiagnostisch genutzt werden kann (Braunfarbeffekt auf
entsprechenden Indikatornährmedien). Andere beim Patienten sel-
ten isolierte Cryptococcus-Arten (C. adeliensis, C. albidus, C. lau-
rentii) sind nur entfernt mit C. neoformans verwandt.

jMalassezia spp.
Diese Hefe ist ein typischer Besiedler der menschlichen Haut (post-
pubertär) und dort in hohen Keimzahlen anzutreffen (insbesondere
M. globosa) und somit der häufigste Pilz des kutanen (und auch
oralen) Mycobioms des gesunden Menschen. Weil Malassezia spp.
fettsäureautotroph sind, muss das Kulturmedium entsprechend sup-
plementiert werden. Eine Veränderung des kutanen Mycobioms
(Zunahme von Malassezia spp. und Filobasidium floriforme, Ab-
nahme von Cryptococcus spp.) ist an der Entstehung der Pityriasis
versicolor (Kleienpilzflechte) beteiligt, einer Pigmentationsstörung
der Haut: . Abb. 77.2 Pityriasis versicolor: klecksartige, braune Einzelläsionen, die
4 Hyperpigmentierung: Pityriasis versicolor chromians nach kranial konfluieren. Außer dem Farbton und der kaum wahrnehm-
(. Abb. 77.2) baren pityriasiformen Schuppung scheint die befallene Haut völlig normal.
4 Hypopigmentierung bis komplette Depigmentierung: Pityriasis Beachte die follikuläre Lokalisation der kleinen Satellitenherde (aus Fritsch,
versicolor chromians/alba Dermatologie und Venerologie, Springer 2004)
618 Kapitel 77 · Hefen

enten hervorrufen und ist schwer zu therapieren (resistent gegenüber (z. B. Keimschlauchtest und Trehalase-Nachweis). Durch Einsatz
Amphotericin B, Echinocandinen und Fluconazol). Trichosporon chromogener Indikatornährmedien gelingt häufig schon eine rich-
inkin und T. cutaneum sind Erreger der weißen Piedra, die durch tungsweisende Identifizierung von C. tropicalis und C. krusei.
weißliche Beläge an Haarschäften (bevorzugt Schambehaarung) Klassischerweise erfolgt die definitive Speziesidentifizierung
charakterisiert ist, welche im Laufe der Infektion zerstört werden durch eine große Zahl (91) von Kohlenhydrat-Assimilationstests
können. und -Fermentationstests, durch Testung von Vitaminbedürftigkeit
und physiologischen Parametern wie Temperaturspektrum und
jRhodotorula und Sporobolomyces Kochsalztoleranz. Außerdem ist hierbei die Mikromorphologie hilf-
Sehr selten werden die pigmentbildenden Hefen der Gattungen Rho- reich. Im medizinischen Labor werden hierfür kommerzielle Testbe-
dotorula und Sporobolomyces als Infektionserreger bei immunsup- stecke benutzt.
primierten Patienten isoliert. Sporobolomyces hat zur Verbreitung Da für eine Antimykotikabehandlung eine schnelle Speziesiden-
seiner Konidien einen Schleudermechanismus (Ballistosporen), der tifizierung wichtig ist, um ggf. vorliegende Resistenzen zu prognos-
eine aktive Weiterverbreitung ermöglicht. tizieren, werden zunehmend molekulargenetische Verfahren ein-
gesetzt (Gensondenhybridisierung, PCR mit anschließender Se-
jPrototheca quenzanalyse). Zunehmend wird auch ein massenspektroskopisches
Traditionell werden die Arten der hefeartig wachsenden, chloro- Fingerprinting-Verfahren (MALDI-TOF-Analyse, 7 Abschn. 18.3)
phylllosen Algengattung Prototheca (verwandt mit Chlorella) auch erfolgreich zur schnellen Speziesidentifizierung eingesetzt.
bei den Hefen mit abgehandelt. Makroskopisch wachsen die Orga-
nismen wie Hefen auf den typischerweise dafür benutzen Anzucht-
medien (z. B. Sabouraud-Agar). Mikroskopisch sind rundliche Spo- 77.2 Ausgewählte Erkrankungen
rangien (7–25 μm Durchmesser) mit innen liegenden runden Endo-
sporen charakteristisch. 77.2.1 Candidiasis
Diese zu den Grünalgen gehörenden Mikroorganismen sind die
einzigen »pflanzlichen« Organismen, die eine Infektion beim Men-
Steckbrief
schen hervorrufen können. Typischerweise werden die insgesamt
selten auftretenden kutanen Infektionen an exponierten Stellen
(Ohrmuschel, Nase, Ellbogen, Knöchel) beobachtet, wo bei Verlet-
zungen eine Inokulation erfolgen kann. Therapie der Wahl ist eine
chirurgische Exzision des infizierten Hautareals, da Antimykotika
praktisch nicht wirksam sind. Bei stark immunsupprimierten Pa-
tienten kann es allerdings auch zu disseminierten Infektionen kom-
men (P. wickerhamii, P. zopfii). Bei Kühen ist die epidemisch auf-
tretende Mastitis ein großes wirtschaftliches Problem.

77.1.2 Übertragung und Pathogenese


Candida albicans: 1853 von C. Robin erstmals als
Der Mensch kommt überwiegend durch die Aufnahme von Nah- }Oidium albicansm beschrieben
rungsmitteln (Obst, Säfte, Molkereiprodukte, Gemüse) mit Hefen in
Kontakt. Üblicherweise nimmt er hierbei keinen gesundheitlichen
Schaden (Kommensalismus). Candida albicans ist weltweit die häufigste Art, welche die Candido-
Nur unter besonderen Voraussetzungen kann es zu einer Myko- se hervorruft. Etwa 80 % aller Menschen sind mit diesem Pilz besie-
se kommen (z. B. mukokutane Candidiasis – insbesondere Vaginal- delt, insbesondere im Gastrointestinaltrakt. Normalerweise kommt
mykose). Bei immunsupprimierten Patienten kann es dann auch zu es dabei zu keiner Erkrankung (harmloser Kommensal). Nur wenn
disseminierten Mykosen kommen. Dabei werden die Hefen vor- prädisponierende Faktoren vorliegen, kommt es vorzugsweise zu
zugsweise über die Darmschleimhaut via Persorption (Durchtritt einer mukokutanen Candidose, wobei Mundsoor und Vaginal-
para- und transzellulär) aufgenommen und über das Blutgefäßsys- mykose am häufigsten sind.
tem im Rahmen einer Candidämie verbreitet. Dabei sind neben
C. albicans und C. glabrata v. a. weitere Hefen aus der C. albicans- jPathogenese
und C. guilliermondii-Gruppe beteiligt, wobei diese typischerweise Hefespezifische Faktoren sind unter anderem die besondere Adhä-
aus Mykobiom des Darms des betroffenen Patienten stammen renz an Epithelzellen (insbesondere Mund- und Vaginalschleim-
(. Tab. 77.1). haut), wobei Glykoproteine als Adhäsionsmoleküle fungieren. An
der Erkennung und Abwehr invadierender C. albicans-Zellen auf
besiedelten Epithelien sind wirtsseitig insbesondere die Toll-ähnli-
77.1.3 Labordiagnostik chen Rezeptoren TLR2 und TLR4 und C-Typ-Lektin-Rezeptoren
(CLR) beteiligt. Submukosal spielen neben Neutrophilen, Makro-
Hefen, die beim Menschen Infektionen hervorrufen, können in der phagen und dendritischen Zellen eine Subpopulation von T-Helfer-
Regel gut bei 30–35 °C auf klassischen Kulturmedien (z. B. Sa- Zellen (TH17) eine entscheidende Rolle.
bouraud-Dextrose-Agar) kultiviert werden. Auch in den üblichen Ein bedeutender Virulenzfaktor ist die morphologische Plastizi-
Mykologie

Blutkultursystemen lassen sich Hefen zufriedenstellend nachweisen. tät von C. albicans-Zellen wie z. B. der Wechsel zwischen den Zell-
Da C. albicans und C. glabrata etwa 75 % aller Hefeisolate dar- typen White und Opaque und die Umwandlung der sprossenden
stellen, wird eine entsprechende Stufendiagnostik durchgeführt Hefezelle in die Hyphenform. Dies erfordert eine komplexe geneti-
77.2 · Ausgewählte Erkrankungen
619 77
sche Steuerung, die intensiv erforscht wird. Mutanten, die nicht
mehr in der Lage sind, eine Hyphenform auszubilden, können im
Tiermodell keine invasive Infektion mehr hervorrufen. Die wach-
sende Hyphe hat die Fähigkeit, Oberflächenkonturen zu »ertasten«
(Thigmotaxis), um dann gezielt den Interzellularraum des Epithels
zu invadieren und somit Zugang zum Blutgefäßsystem zu erlangen.
Knockout-Experimenten zufolge sind bei diesem invasiven
Wachstum sekretorische Aspartyl-Proteinasen (SAP, bislang sind
9 Isoenzyme bekannt) und Phospholipasen wesentlich. Eine Infek-
tion erfolgt vorzugsweise auf dem endogenen Weg, wie entsprechen-
de Feintypisierungen gezeigt haben. Dabei ist der besiedelte Gastro-
intestinaltrakt und sekundär die Hautoberfläche der Ausgangspunkt
für die Entstehung einer Mykose.

jKlinik und Therapie


Vaginalmykose Bei der häufig rezidivierend (insbesondere bei . Abb. 77.3 Mundsoor
C. glabrata) auftretenden Vaginalmykose der Frau im gebärfähigen
Alter mit typischem Brennen, quälendem Juckreiz (Pruritus der Vul-
va) und geringgradigem vaginalen Ausfluss (Fluor vaginalis) schei- Candidämie und disseminierte Candidiasis Diese generalisierte
nen viele Faktoren an der Infektion beteiligt zu sein, z. B. Hormon- Mykose wird mit zunehmender Häufigkeit beobachtet und ist mit
therapie (Kontrazeptiva), Schwangerschaft, einhergehend mit einer einer hohen Letalität (ca. 40 %) verbunden. Am häufigsten tritt die
Störung der physiologischen Bakterienflora, Promiskuität, orale akute disseminierte Candidiasis auf, deren Quelle der besiedelte
Sexualpraktiken. Der saure pH und der hohe Glykogengehalt des Darm oder die Haut (Katheterdurchstichstelle) ist. Somit ist eine
Vaginalepithels, verbunden mit dem besonderen Adhäsionsvermö- hochgradige Kolonisierung eines gefährdeten Patienten (Koloni-
gen von C. albicans, und eine östrogenvermittelte Induktion der sationsindex) ein wichtiger Hinweis auf eine entsprechende Ge-
Hyphenbildung tragen wesentlich zur Pathogenese bei. Sehr selten fährdung und sollte ggf. Anlass zu einer Antimykotikaprophylaxe
kann auch C. robusta (S. cerevisiae) als verursachender Pilz isoliert bzw. präemptiven Therapie sein, da eine sichere Diagnostik dieser
werden. Mykose schwierig und langwierig sein kann (mehrfache Blutkultu-
Aufgrund dieser multifaktoriellen Genese ist eine erfolgreiche ren, Antigen- u. ggf. Antikörpernachweis, ggf. bioptischer Pilznach-
Therapie einer rezidivierenden Vaginalmykose sehr schwierig und weis durch Histologie und Kultur). Bei bewachsenen Blutkulturen
langwierig. Immer sollte auch eine Partnerbehandlung erfolgen (Ba- sind Candida spp. mittlerweile unter den 6 am häufigsten nachge-
lanitis, Mundsoor). Bei Schwangeren sollte bei einer vaginalen Ent- wiesenen Mikroorganismen zu finden. Prädisponierende Faktoren
bindung vorher eine Sanierung erfolgen, da ansonsten das Neugebo- sind:
rene infiziert werden kann. 4 länger andauernde (Breitband-)Antibiose (starke Verminde-
rung der konkurrierenden Bakterienflora)
Mundsoor Er ist die zweithäufigste Schleimhautmykose und kann 4 totale parenterale Ernährung (multiple Katheter mit Möglich-
sehr unterschiedliche Ausprägungen aufweisen: stippchenförmige keit der Biofilmbildung)
Gingivitis mit Rötung und Schleimhautulzerationen bis hin zu kon- 4 umfangreiche bauchchirurgische Operationen (Pankreatitis,
fluierenden weißlichen Belägen (. Abb. 77.3). Bei länger andauern- Peritonitis)
der Infektion ist häufig auch der Ösophagus mit betroffen (oropha- 4 Malignome
ryngeale Candidiasis). Bei diesem sind Schluckbeschwerden weg- 4 immunsuppressive Therapie (Transplantation)
weisend und sollten Anlass zu einer endoskopischen Diagnostik
sein. Mundsoor wird häufig bei Patienten mit anderen Grunder- Im Rahmen der Dissemination werden insbesondere Leber, Niere,
krankungen beobachtet, z. B. AIDS, Diabetes mellitus, Leukämie Peritoneum und Endokard infiziert. Seltener sind andere Organe wie
(hier häufig das initiale Symptom!) und sollte daher zu einer entspre- Auge, ZNS und Skelettsystem betroffen.
chenden Diagnostik Anlass geben. Auch eine iatrogene Immunsup- Häufig findet man bei Patienten mit Urinkatheter eine asympto-
pression im Rahmen einer Bestrahlung oder Chemotherapie kann matische Blasenbesiedlung mit C. albicans, C. glabrata (mit beson-
einen Soor verursachen; dies ist ggf. eine Indikation für eine Anti- derem Adhäsionsvermögen ans Blasenepithel) und T. asahii. Aller-
mykotikaprophylaxe. dings besteht hier auch die Gefahr einer aszendierenden Infektion
der Niere.
Hautmykosen Hautmykosen wie Windeldermatitis bei Säuglingen Eine Besonderheit ist die chronisch-disseminierte Candidiasis
oder Nagel(bett)infektionen (Onychomykosen (Syn.: Tinea ungui- bei Leukämiepatienten in der Erholungsphase der neutrophilen
um), in der Regel C. parapsilosis; Paronychien) werden seltener be- Granulozyten, bei der es nach einer akuten Candidiasis sekundär zur
obachtet. Hier sind insbesondere feuchte Hautfalten (Mamillarfalte, invasiven fokalen Infektion (Granulombildung, gut sichtbar mittels
urogenital bei Adipositas) prädisponierend für eine Infektion (inter- Ultraschall bzw. CT) in Leber, Milz und/oder Niere kommt.
triginöse Candidiasis) und bedürfen beim bettlägerigen Patienten
einer besonderen Pflege, da die Therapie bei ausgeprägtem Befall jTherapie
langwierig ist. Die sehr seltene chronische mukokutane Candidiasis Die Therapie einer Candidiasis erfolgt durch eine hochdosierte Flu-
tritt zusammen mit Endokrinopathien auf und geht auf eine geneti- conazoltherapie (alternativ andere Azolderivate) oder in kritischen
sche Störung des zellulären Immunsystems zurück. Situation mit den fungizid wirkenden Echinocandinen (7 Kap. 107),
solange eine Resistenz unwahrscheinlich ist (Surrogatmarker dafür
ist die Speziesidentifizierung). Wichtig ist ein sehr frühzeitiger Be-
620 Kapitel 77 · Hefen

ginn (häufig schon auf Verdacht hin – präemptive Therapie), da der heren Temperatur entscheidende Pathogenesefaktoren. Häufiger
Wirkungseintritt später als bei bakteriellen Infektionen erfolgt. kommt es auch zu endogenen Reinfektionen.

jKlinik
77.2.2 Kryptokokkose Nach einer meist unbemerkten Lungeninfektion kommt es zur
Dissemination der Hefe über das Blutgefäßsystem. Neben dadurch
Steckbrief bedingten sekundären Infektionen von Haut, Prostata, Auge und
Knochen stellen insbesondere chronische Kopfschmerzen das Leit-
symptom dieser Mykose dar (Meningoenzephalitis!). Vor allem
AIDS-Patienten sind betroffen: In Afrika ist die Kryptokokkose ne-
ben der Tuberkulose die häufigste opportunistische Infektion und
mit einer hohen Letalität verbunden. Wichtige Virulenzfaktoren
sind Kapselbildung (bestehend aus dem Polysaccharid Glukurono-
xylomannan – wird zum Antigennachweis genutzt) und Melanin-
einlagerung in die Zellwand.
Im Gegensatz dazu infiziert C. gattii auch immunkompetente
Menschen, wobei sog. Cryptococcomata (große Abszesse in Lunge
und Gehirn) wegweisend sind. Dabei werden häufiger als bei C. neo-
Cryptococcus neoformans: bekapselte Sprosspilze formans auch neurologische Restschäden beobachtet. Allerdings
im Tuschpartikel, entdeckt 1894 von O. Busse kommt diese Art vorzugsweise in wärmeren Regionen der Erde vor.

jDiagnose/Therapie
jEpidemiologie/Pathogenese Die Diagnose erfolgt durch direkten Erregernachweis (mikrosko-
Diese Mykose wird durch die neurotrope Hefe C. neoformans her- pisch und kulturell) und Antigennachweis im Liquor. Eine Kombi-
vorgerufen, die bei immunsupprimierten Patienten weltweit eine nationstherapie mit Amphotericin B, Flucytosin und ggf. Fluconazol
subakute bis chronische verlaufende Infektion hervorrufen kann. über mehrere Wochen ist notwendig, um eine sichere Eradikation
Die Hefe wird inhalativ aufgenommen. Eine vorherige Darmpassage (Keimeliminierung) zu erzielen, um somit endogenen Reinfektio-
im Vogel (z. B. Taube) aktiviert aufgrund der dort herrschenden hö- nen vorzubeugen.
Mykologie

. Abb. 77.4 Lebenszyklus von Pneumocystis jirovecii


77.2 · Ausgewählte Erkrankungen
621 77

In Kürze
Hefen
Vorkommen/Vermehrung Hefen sind unizelluläre Pilze, die
sich vegetativ durch Sprossung vermehren. Sie finden sich in
der Natur vorzugsweise auf zuckerhaltigen Substraten (Obst)
und werden biotechnologisch (Lebensmittel) im großen Um-
fang genutzt.
Einteilung Man unterscheidet askomyzetale (Candida spp.,
Geotrichum) von basidiomyzetalen Hefen (Cryptococcus spp.,
Trichosporon). Letztere treten seltener als Krankheitserreger in
Erscheinung.
Klinik Askomyzetale Hefen können als transiente Haut- und
Schleimhautflora beim Menschen vorkommen. Insbesondere
Candida albicans kann zu Schleimhautmykosen (Vaginalsoor)
und vorzugsweise durch Persorption im Darm zu invasiven, letal
verlaufenden Mykosen führen.
Therapie Wichtig ist, eine Gefährdung des in der Regel immun-
supprimierten Patienten zu erkennen und ggf. eine Antimykoti-
kaprophylaxe, z. B. mit Fluconazol, durchzuführen. Die Therapie
einer manifesten Systemmykose ist mit Triazolen bzw. Echino-
. Abb. 77.5 Pneumocystis-Pneumonie im Röntgen-Thorax (aus Adam
et al., Die Infektiologie, Springer 2004) candinen erfolgversprechend; Resistenzen sind bei den Triazo-
len zu beachten.

77.2.3 Pneumocystis jirovecii-Infektion

Steckbrief

Pneumocystis jirovecii (vormals P. carinii var. hominis) verur-


sacht bei Säuglingen und Immunsupprimierten (AIDS-Patien-
ten!) eine interstitielle Lungenentzündung. In der Regel führt
die Vermehrung der vegetativen Zellen nicht zu einer invasiven
Infektion.

jEpidemiologie
Die inhalative Kolonisation des luminalen Alveolarepithels erfolgt
anscheinend sehr früh im Kleinkindalter per inhalationem und
führt zu symptomlosen immunkompetenten Trägern; ggf. kann eine
Übertragung auch schon transplazentar erfolgen. Beim immun-
kompetenten Menschen phagozytieren Makrophagen P. jirovecii,
wobei das β-Glukan in der Zellwand als Erkennungsmolekül fun-
giert. . Abb. 77.4 zeigt den Lebenszyklus von P. jirovecii.

jKlinik
Die häufigste Manifestation ist die Pneumocystis-Pneumonie (PcP)
bei immunsupprimierten Patienten (insbesondere AIDS-Patienten),
bei denen die o. g. durch CD4+-T-Zellen vermittelte Makrophagen-
funktion gestört ist (. Abb. 77.5). Dabei sind die »Trophozoiten« in
der Überzahl (Verhältnis 10:1) und die Immunabwehr mittels
Neutrophiler und CD8+-T-Zellen führt zu einem diffusen Alveolar-
zellschaden mit konsekutiver Gasaustauschminderung und Er-
stickungstod. Der Pilz ist nicht direkt an der Zellzerstörung beteiligt.
In extrem seltenen Fällen wird auch eine disseminierte Pneumo-
cystis-Infektion beobachtet.

jTherapie
Wirksam sind hochdosierte Cotrimoxazolgaben (auch zur Prophy-
laxe) oder eine Kombinationstherapie mit Primaquin und Clin-
damycin. Allerdings sind Resistenzen beschrieben worden.
623 78

Filamentös wachsende Pilze (Fadenpilze)


G. Haase

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_78, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Wie die Hefen verursachen filamentös wachsende Pilze bis auf Identifizierung für die Wahl der geeigneten Therapie unabdingbar
wenige Ausnahmen beim Menschen nur unter besonderen Umstän- ist, werden zunehmend molekulargenetische Methoden zur schnel-
den Mykosen. Die Mehrzahl dieser als Opportunisten isolierten Pilze len und objektiven Identifizierung eingesetzt: Sequenzanalyse geeig-
mit Wachstumsvermögen bei 35 °C gehört einigen wenigen anamor- neter Gene oder rDNA-kodierender Genabschnitte (β-Tubulin-Gen,
phen Gattungen (= Hyphomyzeten) an, deren korrespondierende ITS, 5’-28S-rDNA). Außerdem dient immer häufiger das sog.
teleomorphe Arten überwiegend den Askomyzeten zuzuordnen sind MALDI-TOF-Massenspektrometrie-Fingerprinting (7 Kap. 18) zur
(7 Kap. 76). Nur ein kleiner Anteil (< 5 %) gehört zu den Mucoromyco- schnellen Identifizierung. Hilfreich ist aber stets auch ein Präparat
tina (Zygomyzeten, . Tab. 78.1), die typischerweise durch eine starke vom Untersuchungsmaterial, um einen ersten Hinweis auf das Vor-
Luftmyzelentwicklung gekennzeichnet sind. Ganz selten gehören liegen von Pilzelementen zu erhalten. Dies kann sensitiv mit einem
sie zu den Basidiomyzeten (Schnallenmyzel und keine Gametenent- Stilbenfarbstoff, z. B. Blankophor, erfolgen, welches das Chitin der
wicklung = Mycelia sterilia), die insbesondere bei einer chronischen Pilzzellwand irreversibel anfärbt.
Sinusitis beteiligt sind. Auch askusbildende teleomorphe Arten
werden selten isoliert.
78.1.1 Mucoromycotina (Zygomyzeten)

78.1 Klassifikation/Einteilung kAufbau und Vorkommen


Die aerob wachsenden Zygomyzeten (heute vornehmlich als Muco-
Im Gegensatz zu den Hefen erfolgt die Identifizierung der filamen- rales bezeichnet) umfassen ca. 600 Arten, sind weltweit verbreitet
tösen Pilze hauptsächlich anhand morphologischer Merkmale (Kul- und leben hauptsächlich terrestrisch im Erdboden oder auf verrot-
turmorphologie, Farbe und Textur der Kolonie, Wachstums- tenden Pflanzen. Kennzeichnend ist die Ausbildung von Zygospo-
geschwindigkeit; Mikromorphologie, Größe und Form des konidio- ren (Meiosporen, . Abb. 78.1). Die Hyphen sind zönozytisch aufge-
genen Apparats, Konidiogenese, Konidienmorphologie). Primär baut (nur Kernteilung und Vergrößerung der Zelle ohne Bildung von
nichtsporulierende Kulturen stellen daher ein besonderes Problem Teilungssepten). Daher sind diese reich verzweigten Myzelien sehr
dar. Da die Bestimmungsschlüssel auf der Verwendung geeigneter fragil und das Zermörsern einer Untersuchungsprobe vermindert
Kulturmedien aufbauen, sind diese zwingend einzusetzen. die Anzuchtrate dieser Pilze. Nur im älteren Myzel (Demarkation
Die Bestimmung erfordert eine umfangreiche Expertise, um all- abgestorbener Zellareale) und bei der Bildung von Konidiophoren
gegenwärtige Kontaminanten sicher abzugrenzen. Da eine schnelle werden Quersepten ausgebildet.

. Tab. 78.1 Am häufigsten beim Patienten isolierte »Zygomyzeten«

Stamm Ordnung Gattung Art

Entomophthoromycotina Entomophthorales Conidiobolus coronatus

Mucoromycotina (»Zygomyzeten«) Mucorales Apophysomyces elegans (Spezieskomplex)

Cunninghamella bertholletiae
elegans

Mucor circinelloides
hiemalis (= Rhizomucor variabilis)
racemosus

Lichtheimia corymbifera
(früher: Absidia/Mycocladus)

Rhizomucor miehei
pussilus

Rhizopus oryzae
microsporus

Syncephalastrum racemosus
624 Kapitel 78 · Filamentös wachsende Pilze (Fadenpilze)

. Abb. 78.1 Morphologie der Mucorales

Im Vergleich zu den Hyphen anderer Schimmelpilze ist ihr zeten gezählt wurden. (Die Zuordnung von Basidiobolus zu einer
Durchmesser recht groß, aber entlang einer Hyphe nicht konstant supragenerischen taxonomischen Entität ist zurzeit Gegenstand hef-
(ca. 10–20 μm). Im Gewebe sind Kalibersprünge der Hyphen und tiger Debatten.)
eine rechtwinkelige Verzweigung daher hinweisend für das Vorlie-
gen von Mucorales. Allerdings sind ihre Hyphen bei Verwendung B. ranarum Dieser Pilz kommt als Kommensale bei Amphibien
der üblichen histologischen Färbetechniken schwer zu erkennen. (Frösche) vor und verursacht beim Menschen oberflächliche tumo-
Rhizoide sind kurze verzweigte Hyphen, die wurzelartig vom »ober- röse Hautinfektionen. Histopathologisch finden sich Mikroabszesse
irdischen« Myzel abgehen und diesem mechanischen Halt und und pseudomykotische Agglomerate bestehend aus Eosinophilen
Nährsubstrate vermitteln. Sie sind mit Ausnahme von Mucor spp. und nekrotischen Zellresten (Splendore-Hoepli-Phänomen). Ent-
typisch für die Mucorales. sprechende Infektionen werden in Südostasien und Afrika beob-
Ebenfalls typisch ist die enorme Wachstumsgeschwindigkeit, achtet.
wie man sie gut beim gemeinen Brotschimmel (Rhizopus stolonifer)
beobachten kann, der über Nacht auf einem (feuchten) Brotstück ein C. coronatus Dieser Pilz verursacht eine chronische Infektion des
lockeres, zentimeterhohes, gräuliches Luftmyzel (wattebauschähn- Gesichts unter Beteiligung der Kieferhöhlen und der Nase, die im
lich) ausbilden kann. Diese enorme Wachstumsgeschwindigkeit trägt Laufe der Zeit zu abstruser Gesichtsdeformation führen kann. Er
zur hohen Letalität der invasiven Mukormykose bei. Bei den Zygo- wird in den Tropen durch Insektenstiche (insbesondere Pflanzen-
myzeten wurden im Gegensatz zu Asko- und Basidiomyzeten keine läuse) oder per inhalationem übertragen. Die schwierige Therapie
anamorphen Gattungen eingeführt. erfolgt chirurgisch und medikamentös mit Kaliumjodid und Itraco-
nazol.
jEntomophthorales
kAufbau und Vorkommen jMucorales
Die beiden Arten (Basidiobolus ranarum, Conidiobolus corona- kAufbau und Vermehrung
tus), die als Krankheitserreger beim Menschen auftreten, zeichnen Der sexuelle Reproduktionszyklus beginnt mit einer Plasmogamie
sich durch die Ausbildung mitotisch gebildeter Ballistosporen aus, zwischen morphologisch identischen haploiden Gametangien (Pro-
Mykologie

die ähnlich wie bei Sporobolomyces aktiv »weggeschleudert« wer- gametangien [Suspensoren = kurze Hyphen], die aufeinander
den. Phylogenetisch sind sie nicht näher verwandt und gehören zu zugewachsen und dann miteinander verschmolzen sind). An der
einer »urtümlichen« Gruppe von Pilzen, die früher zu den Zygomy- Fusionsstelle bildet sich nach der Karyogamie ein Zygosporangium
78.1 · Klassifikation/Einteilung
625 78
aus. Nach der Karyogamie mit anschließender Meiose entstehen da- dem die konidiogenen Zellen (Phialiden) angeordnet sind, entweder
rin Zygosporen (bei Mucorales glattwandig), die nach Freisetzung direkt oder auf den Metulae. Die Konidien werden phialidisch in
auskeimen können, um ein neues Myzel auszubilden. Asexuell gebil- langen Ketten gebildet und luftgetragen verbreitet. Form, Größe und
dete Mitosporen entstehen in Mitosporangien, deren Morphologie Farbe der Konidien dienen neben anderen chemotaxonomischen
(Form und Größe von: Kolumella und Apophyse, Sporangiosporen) Merkmalen wie Mykotoxinproduktion zur Identifizierung.
und Temperaturwachstumsspektrum zur Identifizierung benutzt Bei »A. fumigatus« handelt es sich genau genommen um einen
werden. Spezieskomplex, sodass man besser von »Aspergillus section Fumi-
gati« (A. fumigatiaffinis, A. lentulus, A. novofumigatus, A. parafu-
kKlinik migatus, A. pseudofumigatus, A. thermomutatus, A. unilateralis)
Typischerweise leben Mucorales auf verwesendem organischem spricht. Es ist die beim Menschen am häufigsten isolierte »Art«. Ge-
Substrat und führen nur unter bestimmten Umständen zu den dann ringe Konidiengröße und gutes Wachstumsvermögen bei 37 °C sind
lebensbedrohlichen Infektionen des Respirations- und Gastroin- hier entscheidende Pathogenitätsfaktoren.
testinaltrakts, der Haut oder des Gehirns. Nur thermophile Arten Auch A. flavus und A. terreus (beide sind Spezieskomplexe)
treten als Mykoseerreger beim Menschen in Erscheinung. Durch können invasive Infektionen hervorrufen. Beide sind weniger emp-
zunehmende Triazolprophylaxe bei gefährdeten immunsupprimier- findlich gegenüber Amphotericin B als A. fumigatus. Bautätigkeit
ten Patienten mit dem dadurch bedingten Rückgang von Hyphomy- (Abrissarbeiten) in Kliniken ist ein Risikofaktor; normalerweise ist
zeteninfektionen wird eine gewisse relative Zunahme dieser Mukor- die Konidienkonzentration dieser pathogenen Arten in der Luft ge-
mykosen beobachtet. ring.
Bei Tieren führen Infektionen mit Mucorales häufig zum Abort. A. niger (Spezieskomplex mit 15 Arten: A. section Nigri) hat nur
Rhizopus arrhizus, R. microsporus, Lichtheimia corymbifera, Apo- ein geringes pathogenes Potenzial und wird insbesondere bei älteren
physomyces elegans, Rhizomucor pussilus sind die häufigsten Arten Patienten mit chronischer Otitis externa gefunden.
(ca. 80 %), die beim Menschen Mukormykosen hervorrufen. Auf- P. variotii ist thermophil und wächst penicilliumartig mit einer
grund der häufig foudroyant verlaufenden rhinozerebralen Mukor- basal ampulliform geschwollenen und sich apikal zuspitzenden Phi-
mykosen sind gelegentlich heroische chirurgische Maßnahmen alide. Im Gegensatz zu Penicillium zeigt die Kolonie aber keinerlei
notwendig (Amputationen), um das Leben des Patienten zu retten. grünen Farbton.

jChaetothyriales und Dothideales


78.1.2 Hyphomyzeten Chaetothyriales Sog. Schwarze Hefen aus den Ordnungen Chaeto-
thyriales und Dothideales (7 s. u. – eher gering pathogene Arten)
jAskomyzeten sind pleomorphe melanisierte Pilze, die während eines Teils ihres
Bei den anamorphen Pilzgattungen (sog. Formgattungen; häufig Lebenszyklus hefeartig wachsen können, dann aber ein typisches
weisen die so Gruppierten keine natürliche phylogenetische Ver- Luftmyzel mit Konidien ausbilden. Aufgrund der unterschiedlichen
wandtschaft auf = polyphyletische Taxa) mit askomyzetaler Zuord- Histopathologie werden bei ihnen 3 Mykoseformen unterschieden:
nung ist die Art der Konidienbildung (Konidiogenese) ein Schlüs- 4 Phäohyphomykose
selkriterium für die Speziesidentifizierung dieser auch als Hypho- 4 Chromoblastomykose
myzeten bezeichneten Pilze. Diese Konidiogenese kann am besten 4 Eumezytome
mithilfe einer Mikrokultur beobachtet werden. Da auch hier eine
Konidienbildung häufig unterbleibt bzw. sich nur schwierig durch All diese Infektionen kommen auch bei offensichtlich immunkom-
(langwierige) Subkultur auf kohlenhydratarmen Medien induzier- petenten Patienten vor, sodass bei diesen Pilzen, ähnlich wie bei den
ten lässt, werden zunehmend schnelle und objektive molekulargene- außereuropäischen Systemmykoseerregern, von einer primären Pa-
tische Identifizierungsverfahren eingesetzt. thogenität auszugehen ist. Allerdings sind Kaukasier dabei anschei-
Die pathogenen Arten der askomyzetalen Pilze sind nicht gleich- nend weniger betroffen als Angehörige anderer Ethnien.
mäßig über die verschiedenen Taxa verteilt, sondern clustern in Die Phäohyphomykose umfasst harmlose, oberflächliche Haut-
einigen wenigen Gruppen, z. B. den Onygenales (Dermatophyten, infektionen bis hin zu entstellenden, großflächigen Infektionen, die
7 Kap. 79; außereuropäische Systemmykoseerreger, 7 Kap. 80) und auch das darunter liegende Gewebe erfassen. Hier kann es zu le-
Chaetothyriales (Schwarze Hefen). In diesen beiden Ordnungen bensbedrohlichen Disseminationen kommen, wobei ein deutlicher
befinden sich sämtliche obligat pathogenen Pilze. Sie können alle Neurotropismus mit Gehirnbefall feststellbar ist.
im infizierten Gewebe Melanin bilden, was zu ihrer Pathogenität Histologisch finden sich in den Läsionen braun gefärbte Hyphen,
beiträgt. Pseudomyzel und z. T. Hefezellen in der Mitte von Mikroabszessen,
die ein granulomatöser Randsaum umgibt. Diese weltweit auftreten-
jSordariomycetes und Dothideomycetes den Infektionen verlaufen schleichend. Nach Diagnosestellung ist
Auch die (wenigen) anderen als Opportunisten isolierten Pilze fin- häufig keine lebensrettende Therapie mehr möglich. Daher sind Cla-
den sich nur in 2 Klassen: den Sordariomycetes und Dothideomyce- dophialophora bantiana und Rhinocladiella mackenziei in der Bio-
tes (. Tab. 78.2). stoffverordnung in die Risikogruppe 3 eingruppiert worden.
Die Chromoblastomykose ist durch langsam wachsende, verru-
jEurotiales köse Hautwucherungen gekennzeichnet und kommt gehäuft in den
Hierzu zählen die bekannten Schimmelpilze der Gattung Aspergil- Tropen vor. Verursachende Arten sind C. carrionii, Fonsecaea pe-
lus und Paecilomyces variotii, die sich im Erdboden und auf verrot- drosoi und Phialophora verrucosa. Histologisch finden sich Granu-
tendem Pflanzenmaterial finden (Biomülltonne!). Von den ca. 200 lome und muriforme Pilzzellen (backsteinförmig mit Längs- u.
bekannten Arten der polyphyletischen Gattung Aspergillus sind nur Quersepten) mit dicker, brauner Zellwand. Diese meristematischen
wenige als Opportunisten beschrieben worden (7 Abschn. 78.2.1). Pilzzellen werden erst im Gewebe gebildet, um der Immunabwehr
Typisch für Aspergillus ist ein Konidiophor mit einem Vesikel, auf zu entgehen. Dadurch können diese Erreger nicht weiter ins Gewebe
626 Kapitel 78 · Filamentös wachsende Pilze (Fadenpilze)

. Tab. 78.2 Taxonomische Zuordnung der häufigsten humanpathogenen Hyphomyzeten

Klasse Ordnung Gattung (anamorph) Art Korrespondierende


teleomorphe Gattung

Eurotiomycetes Eurotiales Aspergillus flavus Petromyces


fumigatus Neosatorya
niger ?
terreus ?

Paecilomyces variotii Bysochlamys?

Onygenales Epidermophyton Arthroderma


Microsporum
Trichophyton

Blastomyces dermatitidis Ajellomyces


Emmonsia spp.
Histoplasma capsulatum
Lacazia loboi
Paracoccidioides brasiliensis

Coccidioides immitis ?

Chaetothyriales Cladophialophora bantiana Capronia

Exophiala dermatitidis Capronia


jeanselmei
spinifera
oligospora
xenobiotica

Fonsecaea pedrosoi Capronia

Rhinocladiella mackenziei Capronia

Phialophora americana C. semiimmersa

Dothideomycetes Dothideales Hortaea werneckii ?

Aureobasidium pullulans Discosphaerina

Capnodiales ? ? Piedraia hortae

Botryosphareales Neofusicoccum mangiferae Botryosphaeria


Neoscytalidium dimidiatum Botryosphaeria

Pleosporales Alternaria infectoria Lewia

Sordariomycetes Ophistomatales Sporothrix schenckii Ophiostoma

Hypocreales Fusarium oxysporum Nectria


proliferatum
solani

Purpureocillium lilacinum ?

Microascales Scedosporium boydii Pseudallescheria boydii


Graphium eumorphum

Lomentospora prolificans ?

eindringen und somit unterbleiben Dissemination sowie Knochen- Destruktionen nicht erahnen. Kennzeichnend sind Granula, die sich
befall wie bei Myzetom. durch Fistelgänge nach außen hin entleeren und aus nekrotischem
Auch Eumyzetome können durch Schwarze Hefen wie Exophi- Zellmaterial und Pilzzellen bestehen.
ala jeanselmei (neben den häufig dabei isolierten Schwärzepilzen Die Therapie dieser Mykosen ist langwierig und erfordert häufig
Leptosphaeria spp. und Madurella spp. sowie hyalinen Hyphomyze- chirurgische Maßnahmen. Eine Langzeitbehandlung mit Itracona-
ten wie Aspergillus spp. und Scedosporium apiospermum) verur- zol hat sich als erfolgversprechend erwiesen.
sacht werden. Hierbei handelt es sich um Infektionen, die, begin-
nend von einer Verletzung im Fußbereich (Barfußgehen!), sich des- Dothideales Im Gegensatz zu den Chaetothyriales verursachen
Mykologie

truktiv in die Tiefe ausbreiten und dort im Laufe von Jahren den dothideale Schwarze Hefen wie Hortaea werneckii oder Aureobasi-
Knochen zerstören (Madurafuß, . Abb. 78.2) und zur Invalidität dium pullulans (biotechnologisch genutzter Pilz zur Herstellung von
führen können. Von außen betrachtet lässt sich der Umfang dieser Pullulan, einem Geliermittel, z. B. in Zahnpasten) selten Infektionen
78.1 · Klassifikation/Einteilung
627 78

. Abb. 78.3 Sporothrix schenckii – papulöse, knotige Veränderungen am


Unterarm mit Ausbreitung entlang der Lymphbahn

In einer sporulierenden Kultur sieht man nach ca. 10 Tagen die


typischen birnenförmigen Konidien, die häufig margaritenblüten-
förmig angeordnet sind. Auch in vitro kann der Temperaturdimor-
. Abb. 78.2 Myzetom – Madurafuß: derbe Schwellung von Knöchelregion phismus gezeigt werden.
und Unterschenkel mit multiplen Fistelöffnungen Die Pilze aus der Ordnung Hypocreales sind ebenfalls Pflanzen-
pathogene, z. B. Fusarium spp. Sie sind vorzugsweise auf Getreide-
pflanzen anzutreffen und richten dort großen Schaden an (Welke-
beim Menschen. Meist handelt es sich nur um leichte, oberflächige krankheit), indem sie Pflanzengefäße invadieren. Ferner sind sie für
Hautmykosen und nicht um invasive Infektionen, vermutlich auf- ihre Mykotoxinproduktion bekannt und gefürchtet, da sie Futterge-
grund der Unfähigkeit, bei 37 °C zu wachsen. Hortaea werneckii treide unbrauchbar machen.
verursacht in wärmeren Regionen der Erde die Tinea nigra, eine Die am häufigsten isolierte Art F. solani (Spezieskomplex) ver-
Infektion des Stratum corneum, die eine Hyperkeratose mit brauner ursacht bei neutropenischen Patienten mit hämatoonkologischen
Verfärbung hervorruft. Wegen der Halotoleranz dieser Art (findet Erkrankungen neben Keratitis, Hautinfektionen und Myzetomen
sich in Salinen) tritt diese Infektion nur in Hautregionen mit hoher gefürchtete invasive Infektionen mit einer hohen Letalität. Aufgrund
Schweißdrüsendichte (palmar, plantar) auf. der Fähigkeit, im Gewebe Konidien zu bilden, kann es zur Dissemi-
Andere dothideale Schwärzepilze, die keine Hefeform ausbilden nation über das Blutgefäßsystem kommen (positive Blutkultur!).
können, verursachen ebenfalls harmlose, oberflächliche Mykosen. Dabei können sekundär Hautinfiltrate entstehen. Mittels Biopsie
Ein Beispiel ist die Piedra nigra, eine Infektion der Haare, verursacht lassen sich im Schnellschnitt Hyphen einer entsprechenden Hautbi-
durch den Askomyzeten Piedraia hortae. Meistens beobachtet man opsie nachweisen. Ausgangspunkt für diese häufig fatal verlaufenden
Verletzungsmykosen nach Penetration von Haut oder Kornea durch Fusariosen ist eine Onychomykose mit Fusarium spp. oder Inhala-
pilzbesiedelte Pflanzenteile (z. B. Dornen). Viele dieser pleosporalen tion oder Ingestion von Sporen in Lebensmitteln, z. B. in Müsli. Ge-
Schwärzepilze sind bekannte Pflanzenpathogene mit hoher Wirts- fährdete Patienten müssen daher unpasteurisierte Lebensmittel ver-
spezifität, z. B. Alternaria spp., die jeweils nur auf bestimmtem Obst- meiden.
baumarten parasitieren können. Die Gattungen der schnell wachsenden Hypocreales sind an-
hand typischer kahnförmiger Makrokonidien gut zu identifizieren.
jSordariomycetes Eine genaue Speziesidentifizierung gelingt häufig nur molekularge-
Sporothrix schenckii verursacht nach penetrierender Verletzung netisch. Da Fusarium spp. multiresistent gegenüber den üblichen
(meistens Finger oder Hand) mit besiedeltem Pflanzenmaterial eine Antimykotika ist, ist eine Therapie schwierig. Eine hochdosierte
chronisch fortschreitende Infektion der Haut und der Subkutis (Ro- Voriconazol-Therapie kann offenbar erfolgversprechend sein.
senhändlerkrankheit) mit Ausbildung von Hautnekrosen und Eiter- Purpureocillium lilacinus weist ein weitgehend identisches
herden. Nach Einbruch des Pilzes in die Lymphbahn kommt es zu Krankheitsspektrum wie Fusarien (Hypocreales) auf. Auch hier gibt
lymphogener Aussaat mit Entwicklung sekundärer Hautläsionen es bislang keine zufriedenstellende antimykotische Therapie. Pro-
(. Abb. 78.3). Im Gewebe findet sich dann aufgrund des temperatur- blematisch ist, dass dieser Pilz in der Landwirtschaft zum Abtöten
bedingten Dimorphismus die zigarrenförmige Hefeform (2–4 μm pflanzenschädlicher Nematoden eingesetzt wird.
lang) von S. schenckii (7 Kap. 80). Die Erregerdichte ist gering, so- Pseudallescheria boydii mit den beiden synanamorphen Arten
dass im histologischen Präparat häufig keine Pilzelemente erkennbar Scedosporium boydii und Graphium eumorphum sowie Scedo-
sind. Der Nachweis von »asteroid bodies« kann als Surrogatmarker sporium apiospermum kommen weltweit in abwasserbelasteten
dienen. Oberflächengewässern vor. Eine typische Infektion wird bei beinahe
Differenzialdiagnostisch ist eine Infektion mit Mycobacterium ertrunkenen Patienten beobachtet: Sie haben Pilzelemente inhaliert,
marinum oder eine kutane Leishmaniose in Betracht zu ziehen. Sel- die dann nach einer Lungeninfektion disseminieren und häufig
ten kann es zu einer systemischen Infektion kommen, bei der oft tödlich verlaufende Gehirnabszesse verursachen können. Das Spek-
Gelenkinfektionen beobachtet werden. Da es zu keiner Spontanhei- trum der Erkrankungen ist praktisch identisch mit dem von A. fu-
lung kommt, sind eine antimykotische Langzeittherapie (mit Itraco- migatus, wobei hier häufiger Eumyzetome beobachtet werden.
nazol oder Terbinafin) und ggf. eine chirurgische Therapie notwen- Scedosporium spp. ist auch in der Lage, im Gewebe zu sporulieren
dig. Früher wurden eine Kaliumjodidgabe (lokal und systemisch) (»adventious sporulation«). Die Therapie ist schwierig, da Scedospo-
und eine hyperthermische Behandlung (42 °C, Absterben des Pilzes) rium spp. resistent gegenüber Amphotericin B ist. Erste Erfahrungen
des meist betroffenen Arms erfolgreich angewendet. Auch bei Hun- mit den neueren Triazolen Posaconazol und Voriconazol sind er-
den und Katzen werden entsprechende Infektionen beobachtet. mutigend.
628 Kapitel 78 · Filamentös wachsende Pilze (Fadenpilze)

Kulturell sind die beiden Synanamorphen durch ihre Bildung jAllergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA)
typischer Synnemata (Bündel parallel verlaufender Hyphen) und Diese Erkrankung des respiratorischen Epithels wird durch eine
typischer einzelliger ovaler Konidien relativ gut identifizierbar. Die Typ-I- und Typ-III-Allergie hervorgerufen. Sie wird als Komplikation
dunklen Kleistothezien (Aski) dieses homothallischen Pilzes entwi- bei älteren Mukoviszidosepatienten (> 15 Jahre) und Asthmati-
ckeln sich erst nach längerer Kulturdauer. kern beobachtet. Kennzeichnend sind Fieberepisoden (> 3 Tage),
Lomentospora prolificans zeigt ein ähnlich breites Infektions- Atembeschwerden und bräunlich verfärbtes Sputum. Die Diagnose
spektrum wie P. boydii, besiedelt aber häufiger Nasennebenhöhlen erfolgt mittels sog. Haupt- und Nebenkriterien (genormtes Punkte-
und äußeren Gehörgang. Dieser Schwärzepilz wächst initial hefear- system) und ist im Anfangsstadium nur schwierig zu stellen. Typisch
tig, um dann ein dunkelgraues bis schwärzliches Luftmyzel auszubil- ist eine Bronchiolitis verbunden mit einer chronischen eosinophi-
den. Die hellbraunen, einzelligen Konidien werden in Gruppen auf len Pneumonie bzw. Polyposis der Nase. Die Therapie erfolgt mit-
Anneliden gebildet, die basal angeschwollen sind (Unterschied zu tels systemischer Kortikosteroidgabe ggf. in Kombination mit einem
S. apiospermum). L. prolificans ist in vitro gegen alle Antimykotika Antimykotikum, um eine irreversible Lungenfibrose, das Endstadi-
resistent. Trotzdem scheint, neben chirurgischen Maßnahmen, eine um dieser Erkrankung, zu verhindern.
Kombinationstherapie mit Itraconazol und Terbinafin durch einen
synergistischen Effekt erfolgversprechend zu sein. jAspergillom
Das Aspergillom kann als Folge einer chronischen Kolonisierung
belüfteter Hohlräume entstehen und besteht aus einem Pilzmyzel
78.2 Klinische Mykologie (z. T. nekrotisch) assoziiert mit Kalziumoxalatkristallen (»fungus
ball«). Sekundär ist eine Superinfektion mit Bakterien möglich.
78.2.1 Aspergillusbedingte Erkrankungen Symptome sind Nasenbluten bzw. Bluthusten und eitrige Nasen-
sekretion. Radiologisch lässt sich der »Pilzball« am besten im CT
Steckbrief darstellen. Eine Lageverschieblichkeit bei unterschiedlicher Kör-
perlage ist pathognomonisch. In der Regel erfolgt kein invasives
Wachstum. Therapeutisch ist bei Komplikation in erster Linie die
chirurgische Entfernung anzustreben.

jInvasive Aspergillose
Diese häufig letal verlaufende Mykose wird nur bei immunsuppri-
mierten Patienten beobachtet (z. B. nach allogener Stammzelltrans-
plantation, Leber-, Lungen- u. Herztransplantation, in neutropeni-
scher Phase nach Chemotherapie), wobei am häufigsten die invasive
pulmonale Aspergillose beobachtet wird. Genaue Pathomechanis-
men, mit denen A. fumigatus die angeborene Immunabwehr über-
windet, sind trotz intensiver Forschung bislang nicht bekannt.
Aspergillus fumigatus Die Diagnostik dieser Systemmykose ist schwierig und erfolgt
radiologisch mittels hochauflösendem CT und durch den Nachweis
von ansteigendem Aspergillus-Antigen im Blut (Galactomannan-
Aspergillus spp. sind relativ schnell wachsende, ubiquitär vorkom- ELISA). Seltener gelingt der kulturelle Nachweis aus respiratorischen
mende Schimmelpilze, deren Konidiosporen luftgetragen verbrei- Sekreten. Auch ein molekulargenetischer Nachweis mittels PCR hat
tet werden. Sie kommen häufig auf verrottendem Pflanzenmaterial nur eine mittlere Sensitivität.
vor (Biomülltonne). Aus menschlichem Untersuchungsmaterial Eine gefürchtete Komplikation ist eine Blutgefäßruptur, die
werden am häufigsten A. fumigatus, A. flavus, A. terreus und A. ni- häufig mit einer unstillbaren Blutung verbunden ist und durch den
ger isoliert. Diese Arten (cave: Spezieskomplexe; 7 Abschn. 78.1.2) Gefäßtropismus der Aspergillus-Hyphen bedingt ist. Dadurch kann
können aufgrund ihrer typischen morphologischen Eigenschaften es auch frühzeitig zu einer Dissemination kommen (allerdings kein
in der Regel gut identifiziert werden. Nachweis in der Blutkultur). Am häufigsten wird eine metastatische
Typisch für A. fumigatus ist eine hohe Thermotoleranz (Wachs- Infektion des ZNS beobachtet.
tum bis 52 °C). Seine kleinen Konidien (2–3,5 μm Durchmesser) Gefährdete Patienten sollten eine Expositionsprophylaxe be-
können relativ ungehindert bis in die Lungenalveolen gelangen. treiben (Meiden von Aufenthalt an Orten mit hoher Sporenkonzen-
Beim immunkompetenten Menschen werden eingeatmete Konidien tration, Filtern der Atemluft) und ggf. durch eine Prophylaxe mit
durch die mukoziliäre Clearance wieder aus der Lunge entfernt. In geeigneten Antimykotika, z. B. Itraconazol oder Posaconazol, ge-
geringerem Ausmaß erfolgt eine Phagozytose durch Alveolarmakro- schützt werden. Bei vermuteter oder nachgewiesener Infektion er-
phagen. Invasive Aspergillus-Infektionen werden praktisch nur bei folgt eine Therapie mit Voriconazol oder liposomalem Amphoteri-
zellulär immunsupprimierten Patienten beobachtet. cin B. Bei Therapieversagen kann auch Caspofungin eingesetzt
Bislang wurden einige Pathogenitätsfaktoren beschrieben werden.
(Melaninbildung in Konidienwand, Proteasen, Phospholipase, My-
kotoxinbedingte Inhibition der Phagozytose). Keiner dieser Fakto-
ren hat sich allerdings in Tierexperimenten mit Knockout-Mutanten 78.2.2 Zygomykosen
als absolut notwendig für eine invasive Infektion erwiesen. Asper-
gillus spp. können eine Vielzahl von Erkrankungen hervorrufen Durch Mucorales oder »Zygomyzeten« verursachte tiefe Mykosen
Mykologie

(. Tab. 78.3). werden als Zygo- oder Mukormykosen bezeichnet. Sie treten v. a. bei
Patienten mit bestimmten Grunderkrankungen auf. Pathogenetisch
bedeutsam sind hier:
78.2 · Klinische Mykologie
629 78

. Tab. 78.3 Aspergillusbedingte Erkrankungen

Erkrankung Beteiligte Organe

(Chronische) Intoxikation durch Mykotoxinproduktion Leber

Kolonisation von Schleimhäuten belüfteter Hohlräume Nasennebenhöhle


Bronchiektasien
äußerer Gehörgang
Onychomykose in »aufgetriebenen« Nägeln

Aspergillom in Bronchiektasien und Lungenkavernen


Nasennebenhöhlen und äußerer Gehörgang

Allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA) Lunge

Superfizielle Infektionen und davon abgeleitete Mykose Haut (Verletzungsmykose)


eumykotisches Myzetom
exogene Endophthalmitis

Akute Invasive Aspergillose invasive pulmonale Aspergillose (IPA)


ZNS-Aspergillose
Osteomyelitis
Nieren- und Leberaspergillose
Endokarditis
sekundäre (metastatische) Hautmykose im Rahmen einer Dissemination
chronisch nekrotisierende Tracheobronchitis

Chronische pulmonale Aspergillose Lungenkaverne


fibrosierende Lungenaspergillose

4 Ketoazidose und Hyperglykämie Pulmonale Mukormykose Sie tritt insbesondere bei Leukämiepa-
4 Desferoxamintherapie tienten unter Chemotherapie und Breitbandantibiotikaprophylaxe
4 Kortikosteroidtherapie bzw. Neutropenie bzw. bei Patienten nach allogener hämatopoetischer Stammzell-
transplantation mit Kortikosteroidtherapie auf. Nach Inhalation von
Eine Ketoazidose (pH 6,9–7,3) vermindert die Eisenbindungsfähig- Konidien und Lungenparenchyminfektion kommt es typischerweise
keit von Transferrin im Plasma, sodass den Mucorales mehr Eisen zur Kavernenbildung und zu Hämoptysen. Letztere können infolge
zur Verfügung steht. Bei einer Desferal-Therapie im Rahmen einer der Blutgefäßinvasion schnell tödlich sein, da keine Möglichkeit der
Eisenüberladung kann Rhizopus spp. dieses an Desferal gebundene Blutstillung besteht.
Eisen zum Wachstum nutzen. Hyperglykämie und Kortikosteroid-
gabe vermindern die Phagozytosefähigkeit der neutrophilen Granu- Kutane Mukormykose Sie entsteht auf dem Boden von Hautver-
lozyten. letzungen, insbesondere von großflächigen Verbrennungen mit
Nach einer Gewebeinfektion erfolgt sehr schnell eine Gefäßin- Besiedlung der nekrotischen Areale. Ausgehend von dieser ober-
vasion. Wesentlicher Pathogenitätsfaktor ist dabei eine hohe Bin- flächlichen Besiedlung kann es rasch zur Infektion des umliegen-
dungsaffinität von Rhizopus oryzae zu Laminin und Typ-IV-Kolla- den  Gewebes unter dem klinischen Bild einer nekrotisierenden
gen des Subendothels. Innerhalb der Blutgefäße interferieren die Fasziitis kommen. Auch hier ist die Letalität sehr hoch (ca. 80 %)
Pilzzellen mit Komponenten des Blutgerinnungssystems und es und nur die rechtzeitige chirurgische Sanierung kann lebensrettend
kommt zur Thrombusbildung mit anschließender Nekrose des sein.
nicht mehr versorgten Gewebes.

Rhinozerebrale Mukormykose Sie ist die häufigste Mukormykose In Kürze


(ca. 40 %). Betroffen sind insbesondere unzureichend eingestellte Filamentös wachsende Pilze (Fadenpilze)
Diabetiker mit Ketoazidose und Hyperglykämie, ferner Patienten Einteilung Humanpathogene Fadenpilze gehören überwie-
nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation mit gend zu anamorphen Gattungen (Hyphomyzeten), deren korre-
Kortikosteroidtherapie. Die Mykose beginnt mit sehr starken spondierende teleomorphen Gattungen den Askomyzeten zu-
Schmerzen in der Periorbitalregion, Weichgewebeschwellung im geordnet werden. Obligat pathogene Arten finden sich in den
Gesicht, konjunktivalen Einblutungen und verschwommener Sicht Ordnungen Onygenales (z. B. Coccidioides spp.) und Chaetothy-
sowie häufig Nasenbluten infolge einer Sinusitis (meist Ausgangs- riales (z. B. Cladiophialophora bantiana), während die typischen
punkt der Infektion). Innerhalb von Stunden kommt es dann zur opportunistischen Arten zu den Eurotiales (z. B. Aspergillus
Erblindung und zur Infektion des Gehirns über das Blutgefäß- fumigatus) und Sordariomycetes (z. B. Scedosporium spp.) ge-
system (Sinus-cavernosus-Thrombose). Nur eine sofortige radikale hören. Mucorales (z. B. Rhizopus microsporus) oder Basidio-
chirurgische Entfernung des infizierten Gewebes (Nasenneben- myzeten (z. B. Schizophyllum commune) sind beim Menschen
höhle, Auge, Periorbitalgewebe) kann das Leben des Patienten seltene Infektionserreger.
retten.
630 Kapitel 78 · Filamentös wachsende Pilze (Fadenpilze)

Vorkommen Die meisten dieser humanpathogenen Pilze sind


Destruenten und finden sich auf verrottendem Pflanzenmaterial
oder im Erdboden.
Übertragung Eine Infektion erfolgt überwiegend durch Inhala-
tion von Mitosporen und seltener durch direkten Kontakt mit
myzelhaltigem Substrat (Verletzungsmykosen durch direkte Inoku-
lation infizierter Pflanzenteile – z. B. Dornen).
Krankheitsbilder Die meisten opportunistischen Infektionen
beginnen als Lungenmykose (Aspergillus spp., außereuropäische
Systemmykoseerreger, Scedosporium spp.) und können dann
systemisch disseminieren. Dann besteht trotz Einsatz moderner
Antimykotika eine hohe Letalität. Wesentlicher Faktor hierbei ist
der Gefäßtropismus und die bei vielen Arten mögliche Sporula-
tion im Wirtsgewebe.
Mykologie
631 79

Dermatophyten
M. Höck

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_79, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Dermatophyten sind Fadenpilze und stammen teleomorph aus dem 79.1.2 Einteilung
Reich Eumycota, der Abteilung Ascomycota, der Unterabteilung Euas-
comycota, der Ordnung Onygenales, der Familie Arthrodermataceae Taxonomisch werden die Dermatophyten seit 1934 in 3 anamorphe
und der Gattung Arthroderma. Durch ihre Keratinophilie kolonisieren Gattungen unterteilt (. Abb. 79.1):
und infizieren sie Haut und ihre Anhangsgebilde wie Nägel und Haare. 4 Microsporum
Als Dermatophytose werden alle Infektionen durch Epidermophyton, 4 Epidermophyton
Microsporum und Trichophyton bezeichnet. Sie bilden eine klinische 4 Trichophyton
Entität.
Mit der Möglichkeit der genetischen Sequenzierung der Pilz-DNA
traten die phänotypisch-morphologischen Eigenschaften in den
Steckbrief Hintergrund und es entstand nun ein neues Konzept der Einteilung
der Dermatophyten. Grundlage der Einteilung bildet die teleomor-
Dermatophyten sind keratinophil und befallen Haut, Nägel und
phe Wuchsform. Die Gattung Arthroderma (A.) wird unterteilt in
Haare. Aufgrund der Kulturmorphologie können 3 Gattungen
A. benhamiae, A. otae, A. simii, A. vanbreuseghemii. . Tab. 79.1
der Dermatophyten, Epidermophyton, Microsporum und Tricho-
ordnet der teleomorphen Art die anamorphe Art zu.
phyton, unterschieden werden. Ausschlaggebendes Bestim-
Hinzu kommen jedoch andere anamorphe Arten, z. B. Tricho-
mungsmerkmal ist die Morphologie der Makrokonidien.
phyton (T.) rubrum, T. violaceum, T. verrucosum, bei denen noch
keine teleomorphe Form gefunden worden ist. Obwohl die neue Ein-
Macroconidium
teilung die Zusammenhänge zwischen Evolution, Taxonomie und
Populationsgenetik besser darstellt, hat sie sich im klinischen Alltag
noch nicht etabliert und es wird immer noch an der Unterteilung in
die 3 anamorphen Gattungen festgehalten.
Microconidium
Epidermophyton
jMicrosporum
Microsporum Die Gattung Microsporum ist gekennzeichnet durch raue, meist
spindelförmige, dickwandige Makrokonidien mit zahlreichen Kam-
Macroconidium
mern (. Abb. 79.1a). Mikrokonidien sind selten. Unter den vielen
Arten aus dem anthropophilen, zoophilen und geophilen Habitat ist
Microconidium
Microsporum canis der häufigste Vertreter.
Häufiger als der Hund ist die Katze Überträger, aber auch Hams-
Trichophyton
ter oder Meerschweinchen können Dermatophyten beherbergen
und sie bei Kontakt auf den Menschen übertragen. Direkter Kontakt
ist nicht immer erforderlich. Auch indirekt über kolonisierte Decken,
Polster etc. kann die Übertragung stattfinden.
Befallen sind in erster Linie Haut (Tinea corporis) und Haare
79.1 Epidemiologie und Einteilung (Tinea capitis). Durch den ektotrichen Befall (. Abb. 79.2) brechen

79.1.1 Epidemiologie
. Tab. 79.1 Einteilung der Gattung Arthroderma mit ihrer zugehö-
Dermatophytosen sind weltweit verbreitet und gehören mit einem
rigen anamorphen Art
Anteil von 10–20 % der Erkrankten an der Gesamtbevölkerung zu
den häufigsten Infektionskrankheiten. Die Mehrzahl sind die sog. Teleomorphe Art Zugehörige anamorphe Art
Fußpilz- (Tinea pedis) und Nagelpilzinfektionen (Tinea unguium),
die mit einem mehr oder weniger hohen Leidensdruck auftreten, Arthroderma benhamiae Trichophyton mentagrophytes
sowie Tinea capitis. Lebensbedrohliche Infektionen sind selten. var. granulosum
Neben den Dermatophyten können auch andere Pilze super-
Arthroderma otae Microsporum canis
fiziale Infektionen auslösen, z. B. Candida spp., weiße Piedra durch
Trichosporon spp., schwarze Piedra durch Piedraia hortae und Arthroderma simii Trichophyton simii
Malassezia spp. in Assoziation mit Pityriasis (Tinea) versicolor Arthroderma vanbreuseghemii Trichophyton interdigitale
(7 Kap. 77 und 7 Kap. 78) und seborrhoischer Dermatitis.
632 Kapitel 79 · Dermatophyten

a Microsporum spp. mit spindel- b Epidermophyton floccosum c Trichophyton spp.


förmigen, dickwandigen, mit zahlreichen, glattwandigen, mit zahlreichen glattwandigen,
gekammerten Makrokonidien gekammerten Makrokonidien vielfach gekammerten
Makrokonidien

. Abb. 79.1a–c Differenzierungsmerkmal Makrokonidie der 3 anamorphen Gattungen

. Abb. 79.2 Haarbefall durch Dermatophyten

die Haare kurz über der Haarwurzel ab und auf der Kopfhaut entste- Sie umfasst viele Arten, die Haut, Nägel und Haare (ektotrich oder
hen tonsurartige, runde Herde mit weißlicher Schuppung. endotrich, . Abb. 79.2) befallen können. Natürliche Habitate sind
obligat anthropophil, obligat oder fakultativ zoophil.
jEpidermophyton Häufigster Erreger der Dermatophytosen ist die anthropophile
Die Gattung Epidermophyton besteht nur aus einer einzigen Art, T. rubrum mit Befall der Haut und der Nägel, vorwiegend als Tinea
E. floccosum, und zeigt zahlreiche, glattwandige, gekammerte Mak- pedis, unguium und corporis, aber extrem selten als endo- oder
rokonidien (. Abb. 79.1b), aber keine Mikrokonidien. Allein anthro- ektotricher Befall der Haare. Vermutlich wurde T. rubrum über den
pophil werden Haut und Nägel, jedoch keine Haare befallen. E. floc- Sklavenhandel von Afrika über Amerika nach Europa verschleppt.
cosum ist derzeit seltener Erreger derTinea pedis, T. unguium und Zunehmend ist T. tonsurans, ebenfalls anthropophil, als Erreger von
T. corporis. Tinea corporis und endotrich von Tinea capitis in Mitteleuropa. Vor
allem bei Sportlern können über gemeinsam benutzte Gegenstände
Mykologie

jTrichophyton und Matten die Sporen übertragen werden, die eine hohe Kontagiosi-
Die Gattung Trichophyton ist gekennzeichnet durch üppige Mikro- tät besitzen.
konidienbildung und glattwandigen Makrokonidien (. Abb. 79.1c).
79.3 · Rolle als Krankheitserreger
633 79

. Tab. 79.2 Habitate der häufigsten Dermatophyten

Habitat Gattung und Arten

Epidermophyton (E.) Microsporum (M.) Trichophyton (T.)

Anthropophil E. floccosum M. audouinii T. concentricum


M. ferrugineum T. mentagrophytes
– var. interdigitale
T. rubrum
T. schoenleinii
T. tonsurans
T. violaceum

Zoophil M. canis T. mentagrophytes


M. gallinae T. verrucosum

Geophil M. gypseum T. terrestre


M. fulvum

79.2 Beschreibung die ein sehr begrenztes Wirtsspektrum haben, z. B. T. verrucosum


und T. canis, die fast ausschließlich bei Rindern bzw. Katzen auf-
jAufbau treten.
Die Zellwand der Dermatophyten besteht vorwiegend aus Chitin Allerdings hat die Mehrzahl der zoophilen Dermatophyten das
und Glukanen. Potenzial, erfolgreich auf andere Wirte, wie z. B. den Menschen,
übertragen zu werden und kutane Infektionen zu verursachen. Die
jExtrazelluläre Produkte häufigsten Infektionsquellen des Menschen sind Haustiere wie
Dazu gehören v. a. Keratinasen, auch Kollagenasen und Elastasen, Katzen, Hunde, Meerschweinchen und Pferde (. Tab. 79.5). Da geo-
die unterschiedliche pH-Optima haben und als Virulenzfaktoren phile Dermatophyten als Bodenbewohner keratinhaltige Substrate
verantwortlich sind für den Abbau keratinhaltiger Zellen des Stra- benötigen und zudem vom pH-Wert des Bodens abhängig sind, gibt
tum corneum. es nur wenige Arten, die fakultativ auch Tiere und den Menschen
infizieren können, z. B. M. gypseum und M. fulvum.
jResistenz gegen äußere Einflüsse Menschen infizieren sich mit anthropophilen Dermatophyten
Die von allen Dermatophyten gebildeten, dickwandigen Arthroko- oft in Gemeinschaftsumkleiden, Schwimmbädern und Turnhallen.
nidien sind sehr widerstandsfähig, hitzeresistent und können 2 Jah- Infektionsbegünstigend sind Verletzungen und Risse der Haut, er-
re und länger überleben. Einige Untersuchungen weisen bei anthro- höhte Feuchtigkeit, z. B. bei Schweißfüßen, und erhöhte CO2-Span-
pophilen Erregern auf eine geringere Salztoleranz hin. nung, z. B. bei geschlossenem Schuhwerk. Bei zoophilen Dermato-
phyten erfolgt die Übertragung durch engen Kontakt zu den Haustie-
jVorkommen ren oder Tieren in Ställen sowie Tierstreu und Futtermitteln. Gegen-
Wie molekulare Studien zur Phylogenese zeigen, sind die ältesten stände wie Kissen, Decken und Spielzeug, die engen Kontakt mit
Dermatophyten geophil, d. h., sie kommen im Erdboden vor. Erst Haustieren haben, gelten als Infektionsquellen von Dermatophyten.
später sind die zoophile Arten durch Habitatwechsel auf warmblü- Geophile Dermatophyten führen bei Gärtnern und Landarbeitern zu
tige Tiere hinzugekommen. Am jüngsten sind die anthropophilen, Infektionen und Berufskrankheiten der Hände.
d. h. primär humanpathogenen Arten, die sich mit Entstehung des
Menschen entwickelt haben. . Tab. 79.2 listet die häufigsten den kPathogenese
Menschen infizierenden Dermatophyten habitatabhängig auf. Adhärenz Dermatophyten kolonisieren das keratinhaltige Gewebe
des Stratum corneum der Haut. Die Infektion beginnt mit der Adhä-
renz der Mikrokonidien oder der Hyphen an den Keratinozyten. Die
79.3 Rolle als Krankheitserreger Invasion der anthropophilen Arten geht mit geringerer Entzündung
einher als die der zoophilen oder geophilen Arten.
kEpidemiologie
Dermatophytosen kommen weltweit vor, jedoch haben nicht alle Tropismus Dermatophytosen bleiben aufgrund des Substrats Kera-
Erreger die gleiche Inzidenz. . Tab. 79.3 führt die häufigsten in Mit- tin auf das Stratum corneum der Haut oder auf Anhangsgebilde wie
teleuropa isolierten Dermatophyten auf. Nägel und Haare beschränkt. Auch die Konkurrenz der Dermato-
phyten mit ungesättigtem Transferrin um das lebensnotwendige
kÜbertragung Eisen sowie die chemotaktische Anlockung neutrophiler Granulo-
Anthropophile Erreger wie Trichophyton (T.) interdigitale, T. rub- zyten durch das Komplementsystem verhindern das Eindringen in
rum und Epidermophyton (E.) floccosum werden ausschließlich tiefere Hautschichten.
von Mensch zu Mensch übertragen, überleben jedoch bis zu 2 Jahre
durch Ausbildung der Arthrokonidien als Dauerform in der Umwelt Schädigung Die Enzyme der Dermatophyten, z. B. Keratinasen,
und werden z. T. auch auf Tieren gefunden, die jedoch nicht erkran- Proteinasen und Peptidasen, bauen Keratin und andereProteine des
ken (. Tab. 79.4). Unter den zoophilen Dermatophyten gibt es Arten, Stratum corneum ab. Langerhans-Zellen, die dendritischen Zellen
634 Kapitel 79 · Dermatophyten

. Tab. 79.3 Dermatophyten und ihr Vorkommen in Mitteleuropa

Art Wirt Vorkommen Häufigkeit Infektion

E. floccosum anthropophil weltweit selten Tinea pedis/cruris*


M. canis zoophil (v. a. Katze, Hund) weltweit häufig Tinea capitis
Tinea corporis
M. gypseum geophil weltweit selten Tinea capitis
Tinea corporis
T. concentricum anthropophil Südostasien, Südamerika häufig Tinea corporis
Tinea imbricata**
T. interdigitale anthropophil weltweit häufig Tinea pedis
Tinea corporis
Tinea cruris
Tinea unguium
T. mentagrophytes zoophil (Nagetiere) weltweit häufig Tinea pedis
Tinea corporis
Tinea cruris
Tinea unguium
Tinea capitis
Tinea barbae
T. rubrum anthropophil weltweit häufigster Erreger Tinea pedis
Tinea unguium
Tinea corporis
T. schoenleinii anthropophil Nordafrika, Süd- und Osteuropa seltener geworden Tinea capitis (= auch Tinea
favosa oder Favus genannt)
Tinea corporis
T. soudanense anthropophil Afrika Tinea capitis
Tinea corporis
T. tonsurans anthropophil weltweit zunehmend häufiger Tinea capitis
Tinea corporis
T. verrucosum zoophil (Rinder) weltweit selten Tinea capitis
Tinea barbae
Tinea corporis
T. violaceum anthropophil Naher Osten, Türkei, Nordafrika, häufig Tinea capitis
Mexiko, Südamerika Tinea corporis

* Pilzinfektion in der Leistenbeuge


** Sonderform der Tinea corporis mit kokardenartigen Herden am Rumpf

. Tab. 79.4 Übertragungsmöglichkeiten in Bezug auf Habitat und humane Virulenz

Habitat Übertragung Beispiele Humane Virulenz

Obligat anthropophil Mensch – Mensch T. interdigitale gering, meist chronische


T. rubrum Infektionen
Microsporum floccosum
Fakultativ zoophil Tier – Tier M. canis hoch
Tier – Mensch T. mentagrophytes
Mensch – Mensch
Mensch – Tier
Obligat zoophil Tier – Tier T. verrucosum (nur Rinder) hoch
M. nanum
Fakultativ geophil Erdboden – Tier M. gypseum hoch
M. fulvum
Obligat geophil, aber psychrophil* Erdboden, evtl. auch kaltblütige Tiere Arthroderma melis keine
Mykologie

T. georgiae

* kälteliebend: Pilze, die normalerweise bei –5 bis +20 °C wachsen und deshalb zu den Extremophilen zählen
79.3 · Rolle als Krankheitserreger
635 79

. Tab. 79.5 Häufige Haustiere als Quelle humaner Dermatophytosen

Wirt = Haustier Häufige Erreger Seltene Erreger

Hund Microsporum canis, Trichophyton mentagrophytes

Katze M. canis (> 95 %) T. mentagrophytes, M. gypseum

Meerschweinchen T. mentagrophytes Microsporum ssp.

Hauspferd M. canis, equinum u. gypseum, T. equinum T. verrucosum, mentagrophytes und quinckeanum

Maus T. mentagrophytes

Kaninchen T. tonsurans, T. mentagrophytes M. canis

Goldhamster T. mentagrophytes Microsporum spp.

Chinchilla T. mentagrophytes Microsporum spp.

der Haut, präsentieren den T-Lymphozyten Pilzproteine. Daraufhin den Haarkortex umscheidet, von endotrichem Wachstum (. Abb.
sezernieren die T-Zellen Zytokine, z B. IFN-γ. Folge ist die verstärk- 79.2), bei dem die gesamte Haarmedulla durchsetzt wird unter
te Proliferation der Keratinozyten. Die Hyperkeratose ist Folge der intakter Kutikula. Die Tinea capitis ist die häufigste Dermatophytose
Dermatophytose und zugleich Nahrungsgrundlage zum weiteren des Kindesalters. Wichtigste Erreger sind M. canis, M. audouinii
Bestehen. Symptomatisch wird eine verstärkte Hautschuppung oder M. gypseum, T. mentagrophytes, T. schoenleinii, T. soudanense,
Brüchigkeit der Nägel beobachtet. Das Ausmaß der entzündlichen T. tonsurans, T. verrucosum, T. violaceum.
Veränderungen ist unterschiedlich und abhängig vom Habitat:
4 Obligat anthropophile Dermatophyten, z. B. T. rubrum, pro- Tinea corporis Sie ist eine entzündliche Dermatophytose der la-
duzieren das auf das zellvermittelte Immunsystem immun- nugobehaarten Haut des Rumpfs, der Extremitäten und des Ge-
suppressiv wirkende Glykoprotein Mannan. Deshalb bleibt sichts. Klinisch äußert sie sich als runde, erythematöse, juckende
eine entzündliche Reaktion aus und es kommt zur chronischen Läsionen mit randständiger Schuppung. In den Randläsionen sind
Verlaufsform. vitale Pilzhyphen, welche die entzündliche Reaktion der Haut auslö-
4 Dagegen bewirken zoophile und geophile Dermatophyten, sen und unterhalten. Auch vesikulöse und kyperkeratotisch-verru-
für die der Mensch eher ein Fehlwirt ist, durch Produktion köse Formen und Verläufe werden nicht erreger-, sondern wirtsspe-
inflammatorischer Antigene mehr oder weniger starke zifisch beobachtet. Am häufigsten sind Kinder und Jugendliche be-
Entzündungen. troffen. . Tab. 79.6 nennt die Häufigkeit der verschiedenen Derma-
tophyten.
Je nach Erreger und Wirtsfaktoren können Allergien auftreten. Ver-
schiedene Glykopeptide der Zellwand sind verantwortlich für die Tinea manus Diese Dermatophytose ist vorwiegend einseitig auf
Hypersensibilität vom verzögerten Typ IV und vom IgE-vermittelten der Handinnenseite lokalisiert. Die dyshidrosiforme Variante ju-
Soforttyp (Typ I). ckender, sagoartiger Bläschen an Palmae, Handkanten und Finger-
seiten gleicht differenzialdiagnostisch einem chronischen Kontakt-
kKlinik ekzem. Die hyperkeratotische, squamöse Form mit zunächst mehl-
Dermatophytosen imponieren auf der Haut mit motten- oder flech- staubartiger Schuppung in den Handtellern ist häufiger zu beobach-
tenähnlichem Aussehen und werden deshalb als Tinea bezeichnet. ten. Eine Sonderform stellt die »Eine-Hand-zwei-Füße-Mykose« dar
Typische Symptome einer Tinea sind klar umschriebene, kreis- bis mit Infektion einer Handfläche und beider Fußsohlen. Erreger sind
ovalförmige Veränderungen einer Hautpartie mit rotem Randwall die der Tinea pedis.
und im Zentrum etwas blasserer Haut. Beispiele für Infektions-
bezeichnungen nach Körperregion sind (das jeweils 2. Wort gibt
die betroffene Körperregion an): . Tab. 79.6 Häufigkeit der verschiedenen Dermatophyten bei Tinea
4 Tinea barbae: Pilzinfektion am Bart corporis
4 Tinea capitis: Pilzinfektion der behaarten Kopfhaut
4 Tinea corporis: Pilzinfektion der Haut am Rumpf Dermatophyt Häufigkeit (%)
4 Tinea cruris: Pilzinfektion in der Leistenbeuge
4 Tinea faciei: Pilzinfektion im Gesicht T. rubrum 66
4 Tinea imbricata: Sonderform der Tinea corporis mit kokarden- M. canis 12
artigen Herden am Rumpf
4 Tinea manum: Pilzinfektion an den Händen T. tonsurans 9
4 Tinea pedis: Pilzinfektion an den Füßen T. mentagrophytes 8
4 Tinea unguium: Pilzinfektion des Nagels (= Onychomykose)
T. verrucosum 2

Tinea capitis Die Ausbreitung der Dermatophyten erfolgt entlang E. floccosum 2


der Haarfollikel bis in die Subkutis. Man unterscheidet ektotriches Andere 1
Wachstum, bei dem der Pilz das Haar von außen durchdringt und
636 Kapitel 79 · Dermatophyten

. Abb. 79.3 Formen und Nagelbettschema der Tinea unguium

Tinea pedis Sie ist gemeinsam mit Tinea unguium (je ca. 20 %) die 30%iger Kaliumhydroxid-(KOH-)Lösung lichtmikroskopisch unter-
häufigste Dermatophytose und gehört zu den häufigstenInfektions- sucht. Chitinfärbende Fluoreszenzfarbstoffe und Fluoreszenzmikro-
krankheiten des Menschen. Häufigste Erreger sind T. rubrum und skopie erhöhen die mikroskopische Sensitivität.
T. interdigitale. Klinisch unterscheidet man:
4 die am häufigsten auftretende interdigitale Form Kultur Die Anzucht des Erregers erfolgt aus Geschabsel der Haut,
4 die squamös-hyperkeratotische Form (»Mokkasinmykose«) des Nagels oder von infizierten Haaren über 2–6 Wochen bei 22–
4 die stark juckende vesikulös-dyshidrotische Form 25 °C in Sicherheitslaboratorien der Klasse 2. Zusatz von Cyclohex-
imid oder Antibiotika unterdrückt andere Mikroorganismen, wie
Tinea unguium (Onychomykose) Sie hat eine fast gleich hohe Inzi- schnell wachsende Pilze und Bakterien, wegen Kontaminations-
denz wie die Tinea pedis. Die Klinik reicht von leicht gelblicher Ver- gefahr. Die Identifizierung erfolgt anhand makro- und mikrosko-
färbung, Nagelbrüchigkeit bis zum vollständig krümeligen Zerfall pischer Kriterien (. Tab. 79.8), in Sonderfällen auch mit physio-
der Nagelplatte. Unter therapeutischen Aspekten unterscheidet man logischen Zusatzuntersuchungen. In Speziallaboratorien kann die
die distale, subunguale, am häufigsten vorkommende Form von der molekularbiologische Differenzierung über Sequenzierungen der
proximal, subungualen, der weißen superfiziellen und der totalen ribosomalen DNA erfolgen.
dystrophischen Form (. Abb. 79.3). Häufigste Erreger ist T. rubrum
(. Tab. 79.7). Serologie Eine humorale Immunantwort ist nicht messbar und
spielt bei der Immunabwehr keine Rolle.
kImmunität
Barrieren gegen eine Dermatophytose sind:
4 die Funktion der Epidermis zum Schutz gegen Mikro- . Tab. 79.7 Häufigkeit der verschiedenen Dermatophyten und
organismen anderer Pilze bei Tinea unguium
4 die Konkurrenz der Mikroorganismen untereinander
4 die lokalen, fungistatisch wirkenden Lipide, Sphingosine Dermatophyten u. a. Pilze Häufigkeit (%)
und Proteine der Haut
Trichophyton rubrum 70–80
Eine Immunität wird weder nach der stark ausgeprägten TH1-ver- T. interdigitale 5–10
mittelten noch nach der schwach ausgeprägten TH2-vermittelten
Entzündungsreaktion erlangt. C. albicans 1–5

Andere Trichophyton-Arten 1–5


kLabordiagnose
Epidermophyton floccosum 1
Mikroskopie Nativ- und Direktpräparat dienen dem Nachweis von
Mykologie

Pilzelementen, in der Regel von Hyphen. Eine Erregeridentifizierung Aspergillus fumigatus 1


und eine Aussage über die Vitalität des Dermatophyten sind nicht Andere <1
möglich. Haut, Haar oder Nagel werden nach Aufweichen mit 20- bis
Literatur
637 79

. Tab. 79.8 Kulturmorphologie der häufigsten Dermatophyten

Microsporum T. mentagrophytes T. rubrum T. interdigitale T. tonsurrans T. scheonleinii Epidermophyton


canis floccosum

Kulturfarbe – weiß bis weiß bis weiß bis creme helles braun- honiggelb bis gelb bis grün/
Vorderseite cremefarben cremefarben creme- gelb bis dunkel- gelb bis orange- khaki
farben braun braun

Kulturfarbe – gelb bis braun gelbbraun bis gelbbraun gelb bis pink bis gelbbraun bis gelb bis braun
Rückseite rot-braun bis weinrot braun rotbraun

Kulturoberfläche flauschig mit puderartig mit flach, nur puderartig bis wildlederartig flach bis flaumig zart mit Furchen
Rillen zentralen Büschel leicht wildlederartig bis puderartig und Falten
erhaben mit zentralen
Furchen

Mikrokonidien + + ± + + – (+) –

Makrokonidien + + ± + + – (+) +

– spindelförmig + +

– dickrandig +

– gekammert + (5–15fach)

– zigarrenförmig + + + + – (+)

– glattrandig + + + + – (+)

– vielfach + (+ Spiralhyphen) + + + – (+)


gekammert

– keulenförmig (+ Spiralhyphen) +

– 2–3fach +
gekammert

Immunologische Tests Diese sind nicht vorhanden.


Epidemiologie Dermatophytosen sind weltweit verbreitet und
gehören zu den häufigsten Infektionskrankheiten. Die Mehrzahl
kTherapie
sind Tinea pedis und Tinea unguium sowie Tinea capitis.
Je nach Erreger stehen lokale und systemische Therapiemöglichkei-
Übertragung . Tab. 79.4.
ten zur Verfügung. Oberflächlich begrenzte Infektionen können
Pathogenese Dermatophyten kolonisieren das keratinhaltige
lokal mit Salben und Lotionen über mehrere Wochen therapiert wer-
Gewebe des Stratum corneum der Haut und bleiben darauf
den. Ausgedehnte Dermatophytosen der Haut, Nägel und Haare
bzw. auf Hautanhangsgebilde wie Nägel und Haare beschränkt.
erfordern eine systemische Therapie, in erster Linie mit Griseoful-
Folgen sind Schädigung und Hyperkeratose.
vin, einem Azol wie Fluconazol und Itraconazol oder mit Terbinafin.
Klinik Beispiele für Krankheitsbilder sind je nach befallener
Ausgedehnte Nagelmykosen müssen zusätzlich lokal mit ciclopirox-
Körperregion Tinea capitis, Tinea corporis, Tinea pedis, Tinea
oder amorolfinhaltigen Salben oder Nagellacken behandelt werden.
manum, Tinea barbae, Tinea faciei, Tinea unguium (= Onycho-
Trotzdem liegt die Quote der Therapieversager bei > 50 %.
mykose).
Therapie Lokale oder systemische Therapie (mit Griseofulvin,
kPrävention
einem Azol wie Fluconazol und Itraconazol oder mit Terbinafin,
Eine gute Fußhygiene mit regelmäßigem Waschen, sorgfältigem Ab-
7 Kap. 107). Bei ausgedehnten Nagelmykosen systemische
trocknen und das Tragen von luftdurchlässigem, nicht zu engem
Therapie und zu sätzlich lokal ciclopirox- oder amorolfinhaltige
Schuhwerk kann vor Tinea pedis und Tinea unguium schützen. Eine
Salben oder Nagellacke.
spezifische Prophylaxe ist nicht möglich. Die Isolierung erkrankter
Patienten ist nicht notwendig. Meldung gemäß IfSG ist nicht erfor-
derlich.
Literatur

Hospenthal DR, et al. (2008) Diagnosis and Treatment of Human Mycosis.


In Kürze
Kauffman CA, Mandell GL (2007) Atlas of Fungal Infections, 2nd ed.
Dermatophyten Larone DH (2002) Medically Important Fungi, 4th ed.
Einteilung Trotz neuerer Einteilungen in teleomorphe Arten Richardson MD et al. (2006) Fungal Infection, 3rd ed.
unter anderem auf der Grundlage genetischer Untersuchungen
gilt in der Klinik noch die Einteilung in 3 anamorphe Gattungen:
Microsporum, Epidermophyton, Trichophyton.
639 80

Dimorphe Pilze
M. Höck

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_80, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Dimorphe Pilze sind Erreger von Systemmykosen, die in der Regel 80.1.1 Beschreibung
durch Einatmen von Konidien zuerst zu einer pulmonalen Infektion, im
weiteren zeitlichen Verlauf zur Infektion aller anderen Organe führen. jAufbau
Sie zeichnen sich durch 2 Wachstumsphasen aus, die myzelbildende, Blastomyces dermatitidis ist die asexuelle oder imperfekte Form des
meist im Erdboden vorkommende saprophytäre Phase und die Hefe- Pilzes und zeigt dimorphen Charakter: Myzelwachstum bei Raum-
form im menschlichen Gewebe als parasitäre Phase. temperatur und Hefeform bei 37 °C. Die Verzweigungen der Hy-
Dimorphe Pilze sind obligat pathogen und gehören mit den folgenden phen mit Konidiophoren sind rechtwinklig. Die Konidiophoren
Genera zu den dimorphen Hyphomyzeten: produzieren terminal einzelne runde bis ovale Sporen. Die infektiö-
4 Blastomyces dermatitidis se Form, die Konidien, werden produziert, wenn die Myzelphase
4 Coccidioides immitis gestört ist. In der Hefeform bilden sich Hefezellen mit 8–12 Nuklei.
4 Histoplasma capsulatum Mutter- und die oft größere Tochterzelle bleiben bis zur Trennung in
4 Paracoccidioides brasiliensis Knospenform zusammen. Bisher sind 2 Serotypen bekannt.
4 Sporothrix schenckii Über extrazelluläre Produkte und Resistenz gegen äußere Ein-
4 Penicillium marneffei flüsse ist nichts bekannt.

Die dimorphen Pilze werden der Risikogruppe 3 gemäß Biostoffver- jVorkommen


ordnung zugeordnet, sodass geeignete Sicherheitsvorkehrungen im Ob das ökologische Habitat von Blastomyces dermatitidis der Erd-
mikrobiologischem Labor Voraussetzung für eine Erregeridentifizie- boden ist, ist unsicher: Der Pilz verschwindet bald nach Einführung
rung sind. Dagegen muss der Patient in der Regel nicht isoliert werden, in den natürlichen Erdboden aufgrund von Zersetzung durch orts-
da von der Gewebephase keine Übertragung auf andere Patienten ständige Mikroorganismen.
beobachtet wurde.
Die Infektion geht mit Granulombildung einher und verläuft und
persistiert ähnlich wie die Tuberkulose. Eine Reaktivierung kann noch 80.1.2 Rolle als Krankheitserreger
Jahrzehnte später erfolgen. Bei AIDS-Patienten gehören die dimor-
phen Pilze zu den Opportunisten. kEpidemiologie
Die Blastomykose kommt endemisch im mittleren Westen der USA,
in Kanada und Lateinamerika vor. Sporadische Infektionen wurden
80.1 Blastomyces dermatitidis in Afrika (Kongo, Tansania, Südafrika), Indien, Israel und Saudi-
Arabien beobachtet. Aufgrund der Verbreitung des Erregers ist die
alte Bezeichnung »nordamerikanische Blastomykose« obsolet.
Steckbrief

Blastomyces dermatitidis mit dem Teleomorph Ajellomyces der- kÜbertragung


matitidis ist ein obligat pathogener dimorpher Pilz aus der Fa- Die Infektion erfolgt durch Inhalation von sporenhaltigem Staub.
milie der Ascomycota. Er ist Erreger der Blastomykose, auch Gil- Eine Übertragung von Mensch zu Mensch und von Tier zu Tier
christ-Krankheit genannt. Gilchrist beschrieb 1894 die Blastomy- scheidet als Infektionsweg nahezu aus.
kose als eine systemische pyogranulomatöse Mykose.
kPathogenese
Die Infektion beginnt mit der Inhalation der Konidien in die Lunge,
gefolgt von der Phagozytose der Pilzkonidien durch Alveolarmakro-
phagen bis hin zum Entstehen der primären pulmonalen Infek-
tionsherde. Die Entzündungsreaktion unterhalten polymorphker-
nige Leukozyten, Epitheloid- und Riesenzellen, die nichtverkäsende
Granulome bilden. Extrapulmonale Manifestationen entstehen
durch Dissemination der primär pulmonalen Infektion über Blut
und Lymphe. Neben spontanen Ausheilungen der Pilzpneumonie
sind mit und ohne antimykotische Therapie wiederholte Reaktivie-
rungen der Pneumonie oder extrapulmonaler Infektionen beschrie-
ben worden.
640 Kapitel 80 · Dimorphe Pilze

Osteomyelitis-Blastomykose Sie ist mit 10–50 % aller Patienten die


. Tab. 80.1 Klinische Manifestationen der Blastomykose
zweithäufigste Form einer extrapulmonalen Infektion. Bevorzugt
befallen werden Röhrenknochen, Wirbelkörper, Rippen, Becken, Os
Klinische Manifestation Häufigkeit
sacrum und Schädel. Die Läsionen sind scharf begrenzt. Bioptisch
Pulmonale Form: akute oder 60–70 % werden Granulome, Eiter und Nekrosen gefunden; sie verursachen
chronische Pneumonie keine Schmerzen.
Extrapulmonale Form:
ZNS-Blastomykose Sie ist mit 5–10 % aller disseminierten Infek-
– Hautinfektion 40–80 % tionen selten. Sie tritt erst spät im Krankheitsverlauf in Form von
Hirnabszessen oder Meningitis mit den Symptomen Kopfschmer-
– Osteomyelitis 10–50 %
zen, Epilepsie, Verwirrtheit, Koma, Paralyse, Aphasie und Hemipa-
– Infektion des ZNS 5–10 % resen mit fulminantem Verlauf auf.
– urologische Infektionen 30 % der Männer
Urologische Blastomykose Blastomykosen der Prostata, des Ho-
dens und des Nebenhodens treten bei bis zu 30 % der Männer mit
disseminierter Blastomykose auf.
kKlinik
Nach einer Inkubationszeit von wenigen Wochen bis Monaten ma- kImmunität
nifestiert sich die Blastomykose primär meist in der Lunge, seltener Eine Immunität wird anscheinend nicht erreicht.
extrapulmonal in der Haut (. Tab. 80.1).
kLabordiagnose
Lungenblastomykose Als akute Erkrankung mit 3–14 Wochen Mikroskopie Nach mikroskopischer Vorbehandlung mittels Kali-
Inkubationszeit kann sie mit Fieber und z. T. mit Schüttelfrost, nicht- lauge- (KOH-), Gomoris-Methenamin-Silber- (GMS-) oder PAS-
produktivem Husten, Dyspnoe, vorübergehenden pleuritischen Färbung (»periodic acid Schiff«, Perjodsäure-Schiff-Reagenz) sind
Schmerzen und pulmonalen Infiltraten verlaufen. Differenzialdia- einzelne 8–18 μm große, vielkernige sog. Budding-Zellen mit dop-
gnostisch ist sie von Tuberkulose und Histoplasmose abzugrenzen. pelt lichtbrechender Zellwand sichtbar.
Spontane Ausheilung nach 1–3 Wochen ist möglich; Übergänge zu
extrapulmonalen Manifestation wurden beobachtet. Kultur Anzucht des Erregers erfolgt aus Sputum, Trachealsekret,
Radiologisch zeigen sich alveolare oder größere Infiltrate mit bronchoalveolärer Lavage und Bioptaten auf Sabouraud-Medium
lobärer oder segmentaler Zuordnung, v. a. in den unteren Lungen- bei 26 und 37 °C für 4–6 Wochen in Sicherheitslaboratorien der
abschnitten. Die primäre Lungenblastomykose heilt in Form einer Klasse 3 gemäß Biostoffverordnung.
Fibrose aus oder disseminiert in Haut und Knochen. In Speziallaboratorien dienen PCR, Gensonden und Sequenzie-
Die Lungenblastomykose mit chronischem Verlauf beginnt rungen zum Erregernachweis.
schleichend. Die pulmonale Symptomatik verläuft sehr milde mit pro-
duktivem Husten, Hämoptysen, Gewichtsverlust, Pleuraschmerzen, Serologie Die ELISA-Antikörpertests sind unzuverlässig, Immun-
subfebrilen Temperaturen, gelegentlich Luftnot und wird oft nicht diffusionstests bei 50- bis 80 %iger Sensitivität dagegen vielverspre-
diagnostiziert. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung können bereits chend. Ein neuer Urin-Antigentest ist sensitiv, aber durch Kreuz-
extrapulmonale Manifestationen feststellbar sein. reaktionen mit Antigen von Histoplasma capsulatum und Cocci-
Radiologisch werden fibronoduläre Infiltrate in den oberen Lun- dioides immitis wenig spezifisch.
genabschnitten gefunden, z. T. in Kavernen gelegen; bei der miliaren
Form massenhaft Läsionen; nach hämatogener Streuung diffuse Immunologische Tests Der Hauttest mit Blastomycinantigen ist
Pneumonie, Pleuraverdickung, Pleuraergüsse und Pneumothorax. wenig spezifisch und deshalb nicht zu empfehlen.

Hautblastomykose Sie wird bei 40–80 % aller Fälle beobachtet und kTherapie
sie tritt nach Dissemination aus dem Respirationstrakt am ganzen Bei leichten Formen ist Itraconazol Mittel der Wahl, bei schwerer,
Körper auf. Es gibt 2 Formen von Hauteffloreszenzen: disseminierter Form soll initial mit liposomalem Amphotericin B
4 Bei der verrukösen Form beginnen die Hautläsionen als ery- begonnen und mit Itraconazol weiterbehandelt werden.
thematöse Papeln, die langsam verschorfen und sich warzenar-
tig verändern. Pathologisch werden periphere Mikroabszesse kPrävention
mit Eiter gefunden. Eine spezifische Prophylaxe ist nicht möglich. Die Isolierung er-
4 Die ulzerative Form beginnt mit Pusteln, die oberflächlich ul- krankter Patienten ist nicht notwendig. Meldung gemäß IfSG ist
zerieren und von einem gering erhabenen Randwall aus Gra- nicht erforderlich.
nulationsgewebe umgeben sind, das schnell blutet. Differenzi-
aldiagnostisch wird dies häufig mit Varizellen verwechselt. Die
Hauteffloreszenzen finden sich auch in der Mukosa von Nase, In Kürze
Mund und Pharynx. Blastomyces dermatitidis
Epidemiologie Endemisch im mittleren Westen der USA,
Subkutane Knoten werden als »kalte Abszesse« bezeichnet und in Kanada und Lateinamerika; sporadische Infektionen in Afrika
finden sich bei der pulmonalen oder extrapulmonalen Form. Die
Mykologie

(Kongo, Tansania, Südafrika), Indien, Israel und Saudi-Arabien.


Hautblastomykose beginnt akut mit systemischen Symptomen und Übertragung Inhalation von sporenhaltigem Staub mit
führt ohne frühzeitig einsetzende Therapie schnell zur Verschlech- B. dermatitidis.
terung.
80.2 · Coccidioides immitis
641 80
jResistenz gegen äußere Einflüsse
Pathogenese Inhalation der Konidien in die Lunge ൺ Phago- Der Pilz ist resistent gegen Austrocknung.
zytose der Pilzkonidien durch Alveolarmakrophagen ൺ primäre
pulmonale Infektionsherde. Extrapulmonale Manifestationen jVorkommen
durch Dissemination über Blut und Lymphe. Coccidioides kommt im Erdboden v. a. in Trockengebieten vor. Zwi-
Klinik Lungenblastomykose in Form einer akuten Erkrankung schen dem gehäuften Auftreten von teerölhaltigen Büschen in Tro-
beginnt nach 3–14 Tagen Inkubationszeit mit Fieber, z. T. Schüt- ckengebieten und Coccidioides wird ein enger Zusammenhang ver-
telfrost, unproduktivem Husten, Dyspnoe, pleuritischen mutet.
Schmerzen und pulmonalen Infiltraten; beim chronischen
Verlauf schleichender Beginn mit milden klinischen Zeichen
wie produktivem Husten, Hämoptysen, Gewichtsverlust und 80.2.2 Rolle als Krankheitserreger
Pleuraschmerzen bei subfebrilen Temperaturen. Extrapulmonale
Manifestationen sind die verruköse und ulzerative Form der kEpidemiologie
Haut, Osteomyelitis in Röhrenknochen, Wirbelkörpern, Rippen, Die Kokzidioidomykose kommt endemisch entlang des San Joaquin
Becken, Os sacrum und Schädel, der ZNS-Befall in Form von River in Kalifornien, Arizona, Texas und New Mexico sowie in Mit-
Hirnabszessen und Meningitis sowie die urologischen Manifes- tel- und Südamerika vor. Seit 1990 stieg die Zahl der berichteten
tationen beim Mann an Prostata, Hoden und Nebenhoden. Fälle pro Jahr, z. B. während der großen Epidemie in Zentralkalifor-
Therapie Itraconazol und liposomales Amphotericin B. nien von 400 in Jahr 1991 auf über 3500 im Jahr 1994. Derartige
Ausbrüchen wurden auch in den Großstädten Phoenix und Tucson,
Arizona, beobachtet.
Zwei bislang nur genetisch unterscheidbare Coccidioides-Arten
80.2 Coccidioides immitis sind bekannt: Coccidioides immitis kommt in Kalifornien und Coc-
cidioides posadasii in den anderen genannten Gebieten vor.
Miniepidemien wurden im Zusammenhang mit archäologi-
Steckbrief
schen Grabungen beobachtet. Endemische Erkrankungen kommen
Coccidioides immitis ist ein obligat pathogener dimorpher Pilz in Trockenzeiten und bei Beschäftigten in Landwirtschaft und Bau-
und Erreger der Kokzidioidomykose. wesen vor, die mit Erdarbeiten zu tun haben.
Prädisponierende Faktoren sind Alter (Kleinkinder < 5 Jahre,
Erwachsene > 50 Jahre), Schwangerschaft und ethnische Zugehörig-
keit (Philippinos, andere Asiaten, Afroamerikaner).

kÜbertragung
Die Infektion erfolgt durch aerogene oder staubgebundene Inhala-
tion von Arthrokonidien. Die Übertragung von Mensch zu Mensch
scheidet nahezu aus. Eine akzidentelle Inokulation von Sphärulen
aus Eiter ist möglich und führt zur Granulombildung in der Haut.

kPathogenese
Nach Inhalation der Arthrokonidien in die Lunge wechselt der Pilz
von der Myzelphase (Wachstumsphase im Erdreich) in die Hefepha-
se mit Vermehrung in großen Sphärulen. Diese sind rund, haben
80.2.1 Beschreibung eine verdickte Zellwand und innere Septen. Die innen gelegenen
Sporen werden als Endosporen bezeichnet; sie keimen zu neuen
jAufbau/Lebenszyklus Sphärulen aus. Diese endosporulierenden Sphärule im Gewebe sind
Coccidioides spp. kann als Arthrokonidie, Hyphe oder in Form einer pathognomonisch für Coccidioides immitis. Es kommt zur Granu-
Endospore in oder außerhalb einer Sphärule auftreten. Die aus einer lombildung. In 75 % werden Hyphen am Innenrand der pulmonalen
Sphärule freigesetzte Endospore bildet nach 4–5 h einen Keim- Kavernen gefunden.
schlauch, der zur Hyphe heranwächst. Nach 2–3 Tagen entsteht ein
Myzel, auch sichtbar als Kolonie. Nach 4–5 Tagen kann das Myzel kKlinik
Arthrokonidien produzieren. Arthrokonidien können ihrerseits Die Kokzidioidomykose manifestiert sich primär als akute oder
im asexuellen Zyklus über Keimschlauchbildung zu einem Myzel chronische Pneumonie in der Lunge und kann sekundär extrapul-
heranwachsen. monal durch Dissemination v. a. eine Haut- oder Muskelinfektion
Für den Menschen infektiös ist die Arthrokonidie aus dem Erd- oder eine Meningitis auslösen (. Tab. 80.2).
boden oder die Endospore, die im menschlichen Körper nach
2–3 Tagen zur Ausbildung von Sphärulen führt. Durch Aufplatzen Lungen-Kokzidioidomykose Die akute Form verläuft zu 60 % der
der Sphärule liegen die Endosporen oder Arthrokonidien frei im Fälle asymptomatisch. Bei der symptomatischen Form stehen pro-
Gewebe vor und können wieder neue Sphärule ausbilden. duktiver Husten, Fieber, Nachtschweiß, Anorexie, Schwäche und
häufig mit Hautläsionen einhergehende Arthralgien im Vorder-
jExtrazelluläre Produkte grund. Die Hautläsionen treten bei 2–10 % der Patienten, v. a. bei
Kokzidioidin ist ein Nebenprodukt aus dem Stoffwechsel in der Frauen, in Form eines Erythema nodosum oder Erythema multifor-
Myzelwachstumsphase, Sphärulin ein Nebenprodukt aus der Gewe- me an oberem Rumpf und Extremitäten auf. Die akute Lungen-Kok-
bephase (Sphärule). zidioidomykose ist häufig transient und heilt nach Wochen spontan
642 Kapitel 80 · Dimorphe Pilze

kImmunität
. Tab. 80.2 Klinische Manifestationen der Kokzidioidomykose
Über die Immunität ist nichts bekannt.
Klinische Manifestation Häufigkeit
kLabordiagnose
Pulmonale Form: Mikroskopie Die Mikroskopie des Sputums mit KOH-Färbung
(oder Gomori-Methenamin-Silber-[GMS-]Färbung) zeigt aufgrund
– akute Pneumonie 40 % der Resistenz der chitinhaltigen Zellwand gegen die Behandlung mit
– chronische Pneumonie (nach mind. 3 Monaten) 10 %
KOH die typischen pathognomonischen Sphärule in Abwesenheit
von Alveolarmakrophagen. Die Mikroskopie hat eine eingeschränk-
Extrapulmonale Form (von 100%): te Sensitivität.
– Hautinfektion 40 %
Kultur Anzucht des dimorphen Pilzes auf festen Routinenährboden
– Muskel- und Skelettinfektion ? nach 3–5 Tagen. In der Myzelform wächst Coccidioides als nichtpig-
mentierter Schimmelpilz. Die Verarbeitung darf nur in Sicherheits-
– Meningitis 33 %
laboratorien der Klasse 3 erfolgen. Eine genaue Identifizierung kann
– Infektion des Genitaltrakts (Prostatitis, Epididymitis, ? mittels Gensondenhybridisierung und Chemolumineszenz erfolgen.
Tuboovarialinfektion, Endometritis), des Harntrakts
(Niereninfektion), selten des Gastrointestinaltrakts Serologie Eine Vielzahl serologischer Testverfahren mit Nachweis
von IgM- und/oder IgG-Antikörpern steht für die Diagnosestellung
oft als einziges diagnostisches Verfahren zur Verfügung. Gebräuch-
lichster Test zum Nachweis Coccidioidis-spezifischer Serum-IgG ist
aus. Bei 10 % kommt es zur chronischen Pneumonie. Bei über 5 % ein ELISA, hergestellt mit dem in der Myzelphase produzierten An-
entstehen pulmonale Granulome, die kalzifizieren. 1 % der Patienten tigen Kokzidioidin. Bei über 75 % der Patienten können Serum-IgG
mit primär asymptomatischem Verlauf entwickelt im weiteren Ver- zwischen der 1. und 3. Woche nach Beginn bis zum 4. Monat der
lauf eine symptomatische Lungen-Kokzidioidomykose. Betroffen Erkrankung nachgewiesen werden.
sind v. a. Schwangere, Immunkompromittierte und Menschen mit
dunkler Hautfarbe. Immunologische Tests Durch die Auseinandersetzung mit Cocci-
Die chronische Lungen-Kokzidioidomykose entwickelt sich dioides entsteht bei allen Infizierten eine Allergie vom verzögerten
aus der akuten Form bei Persistenz über 3 Monate. Es bilden sich (Tuberkulin-)Typ. Der Nachweis erfolgt durch den Intrakutantest
Kavernen mit dünner Wand, Knoten mit 1–3 cm Durchmesser als mit Kokzidioidin oder Sphärulin. Die Hauttests können zur Diagno-
Endzustand einer granulomatösen Reaktion oder Infiltrate. Kokzi- se einer Kokzidioidomykose beitragen, jedoch nicht zwischen alter
dioidale Knoten müssen nicht therapiert werden, Kavernen heilen und aktiver Infektion unterscheiden.
in 50 % der Fälle nach 2 Jahren spontan aus. Bei Symptomen wie
produktivem Husten mit Hämoptysen, Pleuraschmerz und Fieber kTherapie
haben die Kavernen den Bronchus oder den Pleuraraum rupturiert. Empfohlen wird die 3- bis 6-monatige Therapie der symptomati-
Kokzidioidale Infiltrate zeigen einen progressiven Verlauf und kön- schen Kokzidioidomykose mit den Azolen Fluconazol und Itracona-
nen alle Lungenabschnitte betreffen, auch die der gegenüberliegen- zol, bei Meningitis lebenslang. In hartnäckigen Fällen kann wieder-
den Seite. holt intrathekal verabreichtes Amphotericin B in Kombination mit
einer oralen Azoltherapie zum Erfolg führen.
Extrapulmonale disseminierte Kokzidioidomykose Diese Form
tritt häufig bei Patienten mit Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, kPrävention
Neutropenie, HIV-Infektion, Schwangerschaft im 3. Trimester sowie Eine Schutzimpfung steht nicht zur Verfügung. Die Isolierung er-
bei Philippinos oder Afroamerikanern auf. 40 % der Patienten zeigen krankter Patienten ist nicht notwendig, jedoch sind bei der Unter-
Hautinfektionen, häufig mit großen verrukösen Läsionen, seltener suchung und Pflege des Patienten Handschuhe zum Schutz vor einer
mit Papeln, Pusteln, Plaques, Knoten, Ulzera oder Abszessen. Die Hautinokulation zu tragen. Meldung gemäß IfSG ist nicht erfor-
Diagnose wird durch Nachweis von fungalen Sphärulen mittels derlich.
Stanzbiopsie gestellt. Die extrapulmonale Form betrifft nicht selten
Muskeln, Sehnen, Gelenke oder Knochen (. Tab. 80.2); Osteomyeli-
tiden sind dabei häufig. Am häufigsten manifestiert sich die Kokzi- In Kürze
dioidomykose in Wirbelsäule, Becken, Metakarpalknochen und Kokzidioidomykose
unteren Extremitäten. Zu 90 % ist ein Gelenk allein betroffen, meis- Epidemiologie Endemisch in den USA (entlang dem San Joaquin
tens Fuß- oder Kniegelenk. Die Diagnose dieser granulomatösen River in Kalifornien, Arizona, Texas und New Mexico) sowie in
Infektion wird mittels Synoviabiopsie gestellt. Mittel- und Südamerika.
Die bei einem Drittel der Fälle auftretende Meningitis ist die Übertragung Aerogene oder staubgebundene Inhalation von
schlimmste Komplikation und wird 3–6 Monate nach Erstinfektion Arthrokonidien.
beobachtet. Unbehandelt verläuft sie innerhalb von 2 Jahren tödlich. Pathogenese Nach Inhalation der Arthrokonidien in die Lunge
Symptome sind Kopfschmerzen, Fieber, Schwäche, Verwirrtheit, wechselt der Pilz in die Hefephase mit Vermehrung in großen
Trägheit, Anfallsleiden, Übelkeit und Erbrechen. Diagnostisch zeigt Sphärulen und Granulombildung.
die Untersuchung des Liquor cerebrospinalis lediglich eine lympho-
Mykologie

Klinik Die in 60 % asymptomatische pulmonale akute Kokzidio-


zytäre Pleozytose. Die Pilzkultur ist negativ. Allein der Nachweis idomykose verläuft bei symptomatischen Patienten mit produk-
komplementbindender Antikörpergegen Coccidioides immitis tivem Husten, Fieber, Nachtschweiß, Anorexie, Schwäche und
kann zur Diagnose führen.
80.3 · Histoplasma capsulatum
643 80
80.3.2 Rolle als Krankheitserreger
Arthralgien. Hautläsionen in Form von Erythema nodosum oder
multiforme an oberem Rumpf und Extremitäten treten zusätz- kEpidemiologie
lich in 2–10 % bei Frauen auf. Die chronische Form der pulmona- Die Histoplasmose tritt v. a. in den USA, Zentral- und Südamerika,
len Kokzidioidomykose entwickelt sich 3 Monate nach der aku- Afrika, Australien, Indonesien und der Karibik vor. In den USA ist
ten Form mit Bildung von Kavernen, Knoten oder Infiltraten. Sie sie die häufigste endemische systemische Mykose. Importierte Histo-
geht mit Symptomen wie produktivem Husten, Hämoptysen, plasmosen kommen am häufigsten nach Besuch von Fledermaus-
Pleuraschmerz und Fieber einher. Extrapulmonale Manifestatio- höhlen vor. Auch nach Arbeiten auf dem Bau oder im Feld traten in
nen manifestieren sich als Hautinfektionen mit großen verrukö- den Endemiegebieten gehäuft Infektionen auf. Neben dem Menschen
sen Läsionen, an Muskeln, Sehnen, Knochen und Gelenken so- können Haus- und Nutztiere erkranken.
wie als Meningitis, die unbehandelt innerhalb von 2 Jahren töd-
lich verläuft. kÜbertragung
Therapie Fluconazol, Itraconazol, ggf. Amphotericin B. Die Infektion erfolgt v. a. durch aerogene oder staubgebundene In-
halation infektiöser Arthrokonidien aus der Myzelphase. Inokula-
tion von infektiösem Material ist möglich. Eine Übertragung von
Mensch zu Mensch scheidet nahezu aus.
80.3 Histoplasma capsulatum
kPathogenese
Inhalierte Sporen keimen in den Bronchien oder Alveolen nach
Steckbrief
48–72 h aus. Die Hefen werden von den Alveolarmakrophagen auf-
Histoplasma capsulatum var. capsulatum und Histoplasma cap- genommen. Die infizierten Makrophagen wandern zu den medias-
sulatum var. dubosii mit dem Telemorph Ajellomyces capsulatus tinalen Lymphknoten und zum retikuloendothelialen System von
ist ein obligat pathogener, temperaturabhängiger dimorpher Milz und Leber. Hier entstehen neue Infiltrate, die verkäsen, verkap-
Pilze aus der Ordnung der Onygenales. Er ist Erreger der Histo- seln und z. T. kalzifizieren. Die Infektion verläuft häufig asymptoma-
plasmose. tisch. Man findet kleine verkalkte Herde (sog. Coin-Läsionen) in
Lunge, Lymphknoten, Milz und Leber. Die Immunität ist primär
zellvermittelt.
Symptomatische Infektionen entstehen bei leichten Formen
nach 10–16 Tagen, bei massiver Inhalation der Sporen bereits nach
3–5 Tagen.

kKlinik
Die akute respiratorische Histoplasmose tritt bei zwei Dritteln der
Fälle mit Fieber, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, nichtproduktivem
Husten, Pleuraschmerzen, Gewichtsverlust, Anorexie, Myalgien,
Arthralgien und Erschöpfung auf und ist normalerweise selbstlimi-
Histoplasma capsulatum: dimorpher Pilz – im Körper als Hefe,
tierend. Mehr als 75 % der Patienten zeigen im Röntgen-Thorax kei-
in der Umwelt als Fadenpilz; entdeckt 1906 von S. T. Darling ne Auffälligkeiten. Neben Hepatosplenomegalie und Adenopathie
kann ein nodulärer, multiformer oder diffus-makulopapulärer Aus-
schlag auftreten.
Die chronische pulmonale Histoplasmose tritt mit zentrolobu-
lären und/oder bullösem Emphysem auf. Die pathologischen Verän-
80.3.1 Beschreibung derungen können mit pneumonischen Veränderungen oder Raum-
forderungen einhergehen. Letztere können klein, rund und flüssig-
jAufbau/Lebenszyklus keitsgefüllt sein und zentral und/oder apikal und subapikal in der
In der Erde existiert der Pilz in der Myzelphase. Seine Hyphen sind Lunge liegen und dabei groß, bullös, luftgefüllt, verkäsend und asso-
septiert und verzweigt. Die Sporen als infektiöse Pilzelemente wer- ziiert mit einer Vielzahl von Mikroorganismen sein.
den am Ende der seitlichen Hyphen gebildet. Sie treten in 2 Formen Eine Dissemination der Histoplasmose ist sehr selten und
auf: Makro- und Mikrokonidien. Die PMakrokonidien mit 8–14 μm kommt nur bei immungeschwächten Patienten, v. a. HIV-Infizier-
Durchmesser sind sehr groß und nicht in den pathogenetischen Pro- ten, als opportunistische Infektion einer Pneumonie, Hepatitis,
zess einbezogen. Allein die kleinen Mikrokonidien mit 2–5 μm Hepatosplenomegalie, Endokarditis, Meningitis, von Haut- oder
Durchmesser sind die infektiösen Pilzelemente. Bei 37 °C geht Nebenniereninfiltraten oder Schleimhautulzerationen im gesamten
Histoplasma capsulatum in die Hefeform über. Die Hefezellen sind Verdauungstrakt vor.
ovoid. Histoplasma capsulatum var. dubosii kommt vorwiegend in
Über extrazelluläre Produkte und Resistenz gegen äußere Ein- Afrika vor. Die Infektion ist v. a. in der Haut als schmerzlose Läsio-
flüsse ist nichts bekannt. nen lokalisiert und bei Beteiligung des Periosts in den Rippen-, Schä-
del- und langen Röhrenknochen schmerzhaft.
jVorkommen . Tab. 80.3 zeigt die diversen klinischen Manifestationen der
Histoplasma capsulatum kommt im Erdreich mit hohem Stickstoff- Histoplasmose und ihre Häufigkeit.
gehalt vor. Das betrifft v. a. Erde von Amsel- und Taubenrastplätzen,
Fledermaushöhlen und alten Hühnerställen. Aber auch auf und in
verrottenden Bäumen kommt der Pilz in hoher Konzentration vor.
644 Kapitel 80 · Dimorphe Pilze

. Tab. 80.3 Klinische Manifestationen der Histoplasmose In Kürze


Histoplasma capsulatum
Klinische Manifestation Häufigkeit
Epidemiologie USA, Zentral- und Südamerika, Afrika, Australien,
Indonesien, Karibik; einzelne Endemiegebiete in Europa.
Akute respiratorische Histoplasmose 65,5 %
Übertragung Aerogene oder staubgebundene Inhalation
Asymptomatische Histoplasmose 12,4 % infektiöser Arthrokonidien aus der Myzelphase; auch Inokulation
Disseminierte Histoplasmose (von 100%): 10,6 % von infektiösem Material.
Pathogenese
– chronisch pulmonale Histoplasmose 8,4 %
Inhalation der Sporen, die in den Bronchien oder Alveolen
– rheumatische Form 6,0 % auskeimen. Aufnahme der Hefen durch Alveolarmakrophagen;
infizierte Makrophagen wandern zu mediastinalen Lymph-
– Perikarditis 5,5 %
knoten und RES von Milz und Leber. Hierentstehen neue Infil-
trate, die verkäsen, verkapseln und z. T. kalzifizieren.
kImmunität Klinik Akute respiratorische Histoplasmose tritt in zwei Drittel
Bei Immungesunden hinterlässt die Infektion eine lang anhaltende der Fälle mit Fieber, Kopfschmerzen, nichtproduktivem Husten,
Immunität. Bei Verminderung der zellulären Abwehr können Reak- Pleuraschmerzen, Gewichtsverlust, Anorexie, Arthralgien,
tivierungen oder Neuinfektionen auftreten. z. T. mit Hepatosplenomegalie, Adenopathie und Hautausschlag,
aber meist ohne Infiltrate im Röntgen-Thorax auf. Bei der chroni-
kLabordiagnose schen Form der pulmonalen Histoplasmose steht das Emphysem
Mikroskopie Nach Giemsa-Färbung können kleine, hefeähnliche im Vordergrund. Dissemination nur bei immungeschwächten
Histoplasma-capsulatum-Pilzzellen innerhalb von Lamina-propria- Patienten opportunistisch als Hepatitis, Hepatosplenomegalie,
Makrophagen gesehen werden. Endokarditis, Meningitis, als Haut- und Nebenniereninfektion
sowie Schleimhautulzerationen im gesamten Verdauungstrakt.
Kultur Anzucht des Erregers aus Sputum, bronchoalveolärer Lava- Therapie Akute Form oft selbstlimitierend, sonst Itraconazol,
ge, Blut, Urin, Knochenmark, Leber und anderen infizierten Gewe- ggf. Amphotericin B.
ben auf Sabouraud-Medien bei 26 und 37 °C für 2 Wochen bei Ver-
arbeitung in Sicherheitslaboratorium der Klasse 3 gemäß Biostoff-
verordnung. Die Kultur ist nur bei der chronisch pulmonalen oder
disseminierten Histoplasmose positiv. Für eine schnelle und genaue 80.4 Paracoccidioides brasiliensis
Erregeridentifizierung der Pilzkolonien ist die PCR geeignet.
Steckbrief
Serologie Die Komplementbindungsreaktion misst Serumantikör-
per von Histoplasma capsulatum in 95 % der Fälle mit subakuter und Paracoccidioides brasiliensis ist ein obligat pathogener dimor-
chronischer pulmonaler Histoplasmose, in 70 % bei der disseminier- pher Pilz aus der Ordnung Onygenales. Er ist der Erreger der
ten Form. Bei der akuten pulmonalen Form ist sie nicht sehr sensitiv. Parakokzidioidomykose, die auch als Südamerikanische Blasto-
Der Immundiffusionstest ist spezifischer, aber weniger sensitiv als mykose oder Lutz-Splendore-Almeida-Krankheit bezeichnet
die Komplementbindungsreaktion. wird.

Immunologische Tests Der Histoplasmin-Hauttest ist nicht hilf-


reich.

kTherapie
Die akute pulmonale Histoplasmose ist häufig eine lokale, selbstli-
mitierende Infektion und bedarf keiner Therapie. Eine antifungale
Therapie ist nur indiziert bei chronischer pulmonaler, disseminier-
ter und akuter pulmonaler Histoplasmose mit Hypoxie oder längerer
Dauer als 1 Monat. Therapeutisch kann Itraconazol für 6–12 Mona-
te, bei foudroyanten disseminierten Infektionen oder bei ZNS-Betei-
ligung Amphotericin B gegeben werden. AIDS-Patienten sollten
eine lebenslange Suppressionstherapie mit Itraconazol erhalten,
wenn die antiretrovirale und die antifungale Therapie nach 1 Jahr
nicht erfolgreich sind.
Schwierige Namensgebung
kPrävention 1908 beschrieb Adolpho Lutz als Erster die Pilzkrankheit und nannte sie Hy-
phoblastomykose. Er hatte den Pilz von 2 Patienten mit zervikaler Lymph-
Tragen von Mundschutz bei Betreten oder Arbeiten im Bereich von
adenitis sowie zervikalen Läsionen isoliert und sein temperaturabhängiges
Amsel- und Taubenrastplätzen, in Fledermaushöhlen oder Hühner-
dimorphes Wachstum nachgewiesen. 1909–1912 charakterisierte Alfonso
ställen als Expositionsprophylaxe in Endemiegebieten. AIDS-Pa- Splendore den Pilz näher und benannte ihn als Zymonema brasiliense. 1930
tienten, die keine antiretrovirale Therapie erhalten, sollten ggf.
Mykologie

untersuchte Almeida den Pilz und die Krankheit genauer und gab ihm den
lebenslang antifungale Itraconazol-Prophylaxe betreiben (s. o.). Die Namen Paracoccidioides brasiliensis. 1971 wurde diese Bezeichnung durch
Isolierung erkrankter Patienten ist nicht notwendig. Keine Meldung das erste Panamerikanische Symposium über Parakokzidioidomykose dem
gemäß IfSG. Botanischen Code als taxonomischer Name vorgeschlagen und akzeptiert.
80.4 · Paracoccidioides brasiliensis
645 80
80.4.1 Beschreibung Klinische Formen:
4 Parakokzidioidomykose als Primärinfektion
jAufbau/Lebenszyklus 4 Parakokzidioidomykose als Erkrankung
Paracoccidioides brasiliensis wächst als dimorpher Pilz tempera- 5 akute oder subakute juvenile Verlaufsform
turabhängig bei Zimmertemperatur bis 28 °C als septiertes Myzel 5 chronische adulte Verlaufsform
mit dichotomer Verzweigung. Das langsam über 20–30 Tage wach- – unifokale Verlaufsform
sende Myzel kann verschiedene Arten von Konidien (Mikro-, Chla- – multifokale Verlaufsform
mydo- und Arthrokonidien) bilden. Die Arthrokonidien sind die 4 andere Formen
infektiösen Pilzelemente.
Ab 35–37 °C, in manchen Fällen sogar bereits ab 28 °C, wächst Primärinfektion Diese verläuft bei Immungesunden meist inappa-
Paracoccidioides brasiliensis schon nach 10–15 Tagen hefeartig zur rent. Die Personen sind in der Regel 30–50 Jahre alt, selten Kinder
Kolonie aus. Die Hefephase ist mit der charakteristischen »Steuer- und Jugendliche. Feldarbeiter sind 15-mal häufiger betroffen als
radform«, einer ≥ 30 μm großen Mutterzelle, assoziiert, die von Frauen. Durch den protektiven Einfluss von Östrogenen (Östradiol),
2–10 μm kleinen ausknospenden Tochterzellen, den Blastokonidien, welche die Auskeimung inhalierter Konidien zu Hefen verhindern,
bedeckt ist. sind Schwangere nicht betroffen. Als zusätzliche Risikofaktoren gel-
Über extrazelluläre Produkte und Resistenz gegen äußere Ein- ten humane leukozytäre Antigene HLA-A9, -B13 und -B40. Der
flüsse ist nichts bekannt. Nachweis erfolgt mittels Parakokzidioidin-Intradermaltest.

jVorkommen Akute oder subakute juvenile Verlaufsform Sie betrifft v. a. Kin-


Natürlicher Lebensraum und Verbreitung sind noch weitgehend un- der, Jugendliche und Erwachsene unter 30 Jahren. Klinische Symp-
bekannt. Der Erregernachweis gelingt vorwiegend aus Proben des tome sind hauptsächlich warzenartige oder ulzerierende Läsionen in
Erdreichs. Die Kultivierung gelang bisher in Einzelfällen aus Boden- der Gesichtshaut und sich in der Schleimhaut von Mund, Nasen-
proben, z. B. venezolanischer Kaffeeplantagen, aus brasilianischem Rachen-Raum und Respirationstrakt entwickelnde schmerzhafte
Hundefutter, dem Intestinaltrakt kolumbianischer Fledermäuse und Ulzerationen mit Schluckbeschwerden. Durch Beteiligung des reti-
bolivianischer Affen sowie in Neunbinden-Gürteltieren (Dasypus kuloendothelialen Systems werden häufig Fieber, Gewichtsverlust,
novemcinctus), die zu den »Gepanzerten« Nebengelenktieren (Cin- hauptsächlich zervikale, axilläre und mediastinale Lymphknoten-
gulata) gehören. Da diese Gürteltiere in fast ganz Mittel- und Süd- schwellungen, Hepatosplenomegalie und Knochenmarkdysfunktion
amerika vorkommen, sieht Bagagli in ihnen seit 1998 potenzielle beobachtet. Die selten auftretende und mit Atemnot, Reizhusten,
Wirte. z. T. blutigem Auswurf sowie thorakalen Schmerzen verbundene
Lungenbeteiligung geht innerhalb weniger Wochen und Monaten in
eine progressive Verlaufsform über.
80.4.2 Rolle als Krankheitserreger
Chronische adulte Verlaufsform Sie ist mit ca. 90 % die häufigste
kEpidemiologie und betrifft v. a. Männer über 30 Jahren. Über Monate und Jahre
Die Parakokzidioidomykose kommt endemisch in Mittel- und Süd- wird in der Regel nur ein Organ befallen (unifokale Form), häufig
amerika von 23° nördlicher Breite bis 35° südlicher Breite vor. Die die Lunge, seltener andere Organe. Über hämatogene oder lympha-
höchste Inzidenz (ca. 80 % aller Fälle in Mittel- und Südamerika) tische Streuung können auch mehrere Organe wie unterer Respira-
wurde in Brasilien, Kolumbien, Venezuela, Argentinien und Ekua- tionstrakt, Haut, Lymphknoten, Nebenniere oder ZNS, seltener an-
dor beobachtet, sporadische Fälle werden aus Chile, Nicaragua und dere Organe, betroffen sein: multifokale Form.
von den Karibischen Inseln berichtet. Die Prävalenz liegt bei
1–3/100.000/Jahr. Charakteristisch für die Gebiete sind intensive Andere Formen Bei Immunschwäche wie HIV-Infektion sind Re-
Landwirtschaft und waldreiche Vegetation bei milden Temperaturen aktivierungen mit systemischer Ausbreitung und früher und schnell
(17–24 °C), mittleren Niederschlagsmengen (900–1800 mm/Jahr), fortschreitender Manifestation möglich. Es besteht ähnlich wie bei
kurzen Wintern und regenreichen Sommern. HIV und Tuberkulose eine immunologische Abhängigkeit von der
Nichtautochthone Fälle wurden in den USA, einigen europäi- Menge der CD4-Zellen.
schen Ländern und Asien berichtet, alle Patienten stammten dabei
aus Mittel- und Südamerika. kImmunität
Spezifische Antikörper als Ausdruck einer durchgemachten Infek-
kÜbertragung tion sind bei beiden Geschlechtern im Erwachsenenalter gleich häu-
Die Infektion erfolgt durch Inhalation wahrscheinlich der Arthroko- fig vorhanden. Unbehandelt verläuft die Infektion immer tödlich.
nidien. Die Übertragung von Mensch zu Mensch scheidet nahezu
aus. kLabordiagnose
Mikroskopie Nachweis der »Steuerradform« der Hefezellen von
kPathogenese Paracoccidioides brasiliensis mittels 10 %iger KOH-Präparation in
Nach Inhalation des Erregers kommt es zur Granulombildung ähn- Hautschuppen, Abstrichen von Läsionen oder bronchoalveolärer
lich wie bei der Tuberkulose mit zentraler Nekrose. Lavageflüssigkeit. Histologische Aufarbeitung mit Hämatoxylin-
Eosin- (HE-) oder Grocott-Gomori-Färbung mit Darstellung der
kKlinik Hefeform ist möglich.
Die Parakokzidioidomykose ist eine chronisch progrediente Erkran-
kung, bei der zwischen Erstinfektion und klinischer Manifestation
Monate oder Jahre bis Jahrzehnte liegen.
646 Kapitel 80 · Dimorphe Pilze

Kultur Anzucht des Erregers in Sicherheitslaboratorien der Klasse 3 80.5 Sporothrix schenckii
gemäß Biostoffverordnung bei Zimmertemperatur in 20–30 Tagen
mit uncharakteristischem Myzel und Subkultivierung mit Transfor- Steckbrief
mation in die Hefeform bei 35–37 °C in 8–10 Tagen.
In Speziallaboratorien PCR und Sequenzierungen zum Erreger- Sporothrix schenckii ist ein pathogener dimorpher Pilz, dessen
nachweis. korrespondierender Teleomorph zur Klasse der Sordariomycetes
gehört (. Tab. 78.2) und Erreger der Sporotrichose ist.
Serologie Die Tests mit Nachweis präzipitierender Ak mittels
ELISA und Western-Blot sind hochsensitiv und hochspezifisch.
Weniger sensitiv sind indirekte Immunfluoreszenz und Komple-
mentbindungsreaktion.

Immunologische Tests Der Hauttest mit Parakokzidioidin ist we-


nig spezifisch, kann nicht zwischen früherer Infektion und Erkran-
kung unterscheiden und ist deshalb nicht zu empfehlen.

kTherapie
Zur Behandlung schwerer Verlaufsformen ist Itraconazol über
6–18 Monate Mittel der Wahl. B ei Beteiligung des ZNS ist auch eine
Kombinationstherapie von Amphotericin B mit Cotrimoxazol über
18–24 Monate möglich. Auf Resistenzentwicklung muss geachtet
werden. Amphotericin B darf nur 30–90 Tage lang verabreicht
werden. 80.5.1 Beschreibung
kPrävention jAufbau/Lebenszyklus
Eine spezifische Prophylaxe gibt es nicht. Die Isolierung erkrankter Sporothrix schenckii zeigt seinen Dimorphismus durch myzeliales
Patienten ist nicht notwendig. Meldung gemäß IfSG ist nicht erfor- Wachstum bei 25–30 °C und Hefeform bei 35–37 °C:
derlich. 4 In der myzelialen Form sind die Hyphen septiert. Die Konidio-
phoren verzweigen sich im rechten Winkel von den Basishy-
phen und bilden ovale Konidien in blütenähnlicher Anord-
In Kürze
nung. Die Konidien sind einzellig, tränen- bis keulenförmig
Paracoccidioides brasiliensis
und 2–5×1–2 μm groß. Die Kolonien sehen oberflächlich
Epidemiologie Endemisch in Mittel- und Südamerika von 23°
schmutzig-weiß, von unten grau bis braunschwarz aus.
nördlicher Breite bis 35° südlicher Breite.
4 In der Hefeform sind die Kolonien grau, glatt und feucht, die
Übertragung Inhalation wahrscheinlich der Arthrokonidien.
Konidien kugelförmig bis oval, die Pseudohyphen zigarrenähn-
Pathogenese Inhalation des Erregers ൺ Granulombildung
lich geformt. Über extrazelluläre Produkte ist bisher noch
ähnlich wie bei der Tuberkulose mit zentraler Nekrose.
nichts bekannt.
Klinik Parakokzidioidomykose als Primärinfektion verläuft bei
immungesunden Personen, die meist 30–50 Jahre alt und meist
jResistenz gegen äußere Einflüsse
männliche Feldarbeiter sind, inapparent. Schwangere sind nie
Wachstum ist ab 5 °C möglich, optimal bei 25–30 °C, maximal bis
betroffen. Parakokzidioidomykose mit klinischer Symptomatik
37 °C.
wird unterteilt in:
5 akute oder subakute juvenile Verlaufsform bei Kindern, jVorkommen
Jugendlichen und Erwachsenen < 30 Jahren an der Gesichts-
Sporothrix schenckii kommt weltweit im Boden und auf kompos-
haut und der Schleimhaut des oberen Respirationstrakts-
tierten Pflanzen, Holz und Torfmoos vor.
unter Beteiligung des retikuloendothelialen Systems
5 chronisch adulte Verlaufsform bei Männern > 30 Jahren
betrifft meist die Lunge
80.5.2 Rolle als Krankheitserreger
5 restliche Formen bei immungeschwächten Patienten in
Abhängigkeit der CD4-Zellen.
kEpidemiologie
Sporotrichosen kommen trotz weltweiter Verbreitung nur gelegent-
Therapie Itraconazol über 6–18 Monate, ggf. Cotrimoxazol über
lich vor und sind meist auf bestimmte geografische Gebiete begrenzt.
18–24 Monate; evtl. kombiniert mit Amphotericin B.
Die meisten Fälle wurden aus Nord- und Südamerika sowie Japan
berichtet. Peru gilt als ein endemisches Gebiet für die Sporotrichose.
Die meisten Infektionen betreffen Personen mit direktem Kon-
takt mit dornigen Pflanzen wie Rosen und mit Torfmoos. So ist die
Sporotrichose typischerweise eine Erkrankung der Rosengärtner,
Bergarbeiter, Kindermädchen, Christbaumzüchter, Heuarbeiter.
Auch Kontakt mit infizierten Tieren, wie Hund, Katze, Ratte, selte-
Mykologie

ner Pferd, und Verletzungen mit feuchten, pilzhaltigen Holzsplittern


können Ursache einer Sporotrichose sein. Laborinfektionen sind
möglich.
80.5 · Sporothrix schenckii
647 80

. Tab. 80.4 Übertragungsarten und -quellen der Sporotrichose

Reich Übertragung Übertragungsquelle

Natur Inokulation der Konidien Naturkontakt: Torfmoos, Erde, Holz, Heu etc.
Aktivitäten: Rosengärtner, Heuarbeiter, Tätigkeiten mit Bäumen,
Baumbeschneider, Freiluftsportler, Unfall mit Kraftfahrzeugen,
Bergbauarbeiter etc.
Inhalation der Konidien Arbeiten auf dem Bau und in der Landwirtschaft
Zoonotisch Inokulation Läsionen bei infizierten Katzen und Pferden
Bisse oder Kratzer infizierter Hunde, Katzen, Ratten, Nagetiere,
Gürteltiere
Picken von Vögeln
Verletzung durch Insektenstachel
Mikrobiologisches Labor Inokulation Kulturmaterial
Inhalation Kulturmaterial

kÜbertragung der Immunschwäche beim Patienten, bedingt durch Alkoholismus,


Die Infektion erfolgt durch aerogene oder staubgebundene Inhala- Chemotherapie oder HIV-Infektion.
tion oder Inokulation von Arthrokonidien (. Tab. 80.4). Die Über-
tragung von Mensch zu Mensch scheidet nahezu aus. kImmunität
Über die Immunität ist noch nichts bekannt.
kPathogenese
Es entsteht eine granulomatöse, entzündliche oder eitrige Reaktion kLabordiagnose
im Gewebe. Mikroskopie Nach Gomori-Methenamin-Silber- (GMS-) oder
PAS-Färbung wird die Hefeform von Sporothrix schenckii – einge-
kKlinik schlossen in granulomatösen, entzündlichen oder eitrigen Gewebe-
Die Sporotrichose kann sich als kutane, subkutane, pulmonale, oku- reaktionen – sichtbar; sie ist jedoch nur sehr schwer darstellbar.
läre, osteoartikuläre oder disseminierte Infektion manifestieren
(. Tab. 80.5). Kultur Anzucht des Erregers in Sicherheitslaboratorien der Klasse 3
gemäß Biostoffverordnung aus Proben (Hautläsionen, Sputum,
Primär kutane Infektion Diese tritt mit 75 % am häufigsten allein Gewebebiopsien, Gelenkpunktaten oder Sekreten) auf Sabouraud-
oder mit lymphogener Streuung in die Kutis/Subkutis v. a. bei jungen Medium bei 26 und 37 °C für 2–4 Wochen. Anzucht aus Liquor
Erwachsenen < 30 Jahren auf. Nach Eindringen in die Haut wächst cerebrospinalis ist nicht möglich.
der Pilz lokal und führt nach 7–14 Tagen zu einer charakteristischen
Hautläsion (10–20 %) oder zur lymphokutanen Infektion. Die Haut- Serologie Ist nicht hilfreich.
läsion ist plaqueähnlich oder verrukös, aber nicht ulzerierend, stets
auf ein Hautareal begrenzt und kann spontan ausheilen. Bei der lym- Immunologische Tests Sind nicht bekannt.
phokutanen Form entstehen mehrere kleine, rote, schmerzlose,
langsam wachsende noduläre oder ulzeröse Läsionen mit purulen-
tem Exsudat. . Tab. 80.5 Manifestationen der Sporotrichose

Ort der Infektion Beschreibung


Extrakutane Infektionen Diese werden meist bei Immunkompro-
mittierten beobachtet und treten zu 80 % als osteoartikuläre Sporo- Kutis/Subkutis kutane plaqueähnliche Infektion
trichose auf. Betroffen sind vorwiegend Gelenke, Knochen, Sehnen- kutane und subkutane Infektion mit
scheiden und Bursae. Am häufigsten sind Arthritiden des Knie-, lymphogener Streuung
Ellbogen- und Handgelenks sowie des Hand- und Fußknöchels.
Lunge akute Pneumonie
Klinisch imponieren Gelenkschmerzen, eingeschränkte Beweglich- chronische pulmonale Erkrankung
keit, Ödem und Erguss. Eine pulmonale Sporotrichose ist selten und
wird bei älteren Personen mit Risikofaktoren wie Alkoholismus, Osteoartikulär septische Arthritis, Osteomyelitis, Bursitis,
Tenosynovitis
Rauchen und chronischem Lungenleiden beobachtet. Nach Inhala-
tion der Konidien und Infektion zeigt der Patient produktiven Hus- Gehirn Meningitis
ten, z. T. Hämoptysen, Dyspnoe, Gewichtsverlust und Anorexie, Andere Augeninfektion, Brustinfektion, Laryngitis,
Müdigkeit und geringes Fieber. Sinusitis, Perikarditis, Epididymitis
Dissemination kutane Infektion mit oder ohne
Disseminierte Sporotrichose Bei ausgedehnten lymphokutanen
osteoartikuläre Infektion in viszerale
Läsionen und gelegentlich auch bei Infektionen viszeraler Organe Organe
kommt es zur Dissemination; diese Form ist assoziiert mit dem Grad
648 Kapitel 80 · Dimorphe Pilze

kTherapie
Therapie der kutanen Sporotrichose 3–6 Monate und der pulmona-
len und osteoartikulären Sporotrichose 1–2 Jahre oral mit Itracona-
zol, bei Meningitis und disseminierten Formen mit Amphoteri-
cin B i. v.

kPrävention
Eine wirksame Prävention besteht in der Vermeidung von Garten-
und Waldarbeiten mit bloßen Händen. Es gilt, sich vor Tierbissen
oder -kratzern zu schützen! Eine spezifische Prophylaxe gibt es
nicht. Die Isolierung erkrankter Personen ist nicht notwendig. Mel-
dung gemäß IfSG ist nicht erforderlich.

In Kürze
Sporothrix schenckii
Epidemiologie Trotz weltweiter Verbreitung nur gelegentlich
Erkrankungsfälle, meist auf bestimmte geografische Gebiete
begrenzt (v a. Nord- und Südamerika und Japan).
Übertragung Durch aerogene oder staubgebundene Inhalation
oder durch Inokulation von Arthrokonidien.
Pathogenese Granulomatöse, entzündliche oder eitrige
Reaktion im Gewebe.
Klinik Kutane/subkutane Infektion mit einer charakteristischen
plaqueähnlichen oder verrukösen Hautläsion, evtl. mit lympho-
gener Streuung. Extrakutane Infektionen meist bei Immun-
geschwächten, zu 80 % als osteoartikuläre Sporotrichose der
Gelenke, Knochen, Sehnenscheiden und der Bursae, selten
als Lungeninfektion.
Therapie Kutane, pulmonale und osteoartikuläre Sporotrichose
oral mit Itraconazol über 6 Monate bis 2 Jahre, bei Meningitis
und disseminierten Formen Amphotericin B i. v.

Literatur

Siehe die Literaturangaben in 7 Kapitel 79.


Mykologie
649 VIII

Parasitologie
Kapitel 81 Allgemeine Parasitologie – 651

Kapitel 82 Protozoen – 653

Kapitel 83 Trematoden – 677

Kapitel 84 Zestoden – 681

Kapitel 85 Nematoden – 687

Kapitel 86 Ektoparasiten – 701


651 81

Allgemeine Parasitologie
R. Ignatius, G. Burchard

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_81, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

}Unter Parasiten verstehen wir solche Lebewesen, die zeitweise oder jDefinitionen
ständig ganz oder zum Teil auf Kosten eines anderen, in der Regel grö- Protozoen Dies sind einzellige Eukaryonten. Sie kommen als vege-
ßeren Organismus, des sog. Wirtes leben, von ihm Nahrung, unter Um- tative Formen (Trophozoiten) und Dauerformen (Zysten, Oozysten)
ständen auch Wohnung oder ähnlichen Nutzen gewinnen und ihn bei vor. Protozoen ähneln in ihrem Aufbau Wirtszellen, weisen darüber
geringer Anzahl nicht töten.« (Piekarski 1954) hinaus aber spezielle Zellorganellen, z. B. Kinetoplast oder Apikom-
plex, auf. Flagellen, Zilien oder Pseudopodien dienen der Fortbewe-
gung, aufgrund derer sich 5 Gruppen (Stämme) humanpathogener
Parasiten (gr. »parasitos«: Mitesser, Schmarotzer) sind weltweit ver- Protozoen unterscheiden lassen (. Tab. 81.1).
breitet und lassen sich einteilen in Endoparasiten, also im Darm, Protozoen vermehren sich je nach Spezies asexuell durch Zwei-
Blut oder Gewebe vorkommende Protozoen (Einzeller) und Hel- oder Mehrfachteilung oder sexuell durch Verschmelzung weiblicher
minthen (Würmer), sowie äußerlich am Wirt schmarotzende Ekto- und männlicher Gameten zur Zygote. Wirte, in denen die sexuelle
parasiten (Insekten, Spinnentiere). Vermehrung stattfindet, werden als Endwirte bezeichnet, während
Die Häufigkeit von Parasiten nimmt vom Äquator zu den Polen im Zwischenwirt die asexuelle Vermehrung erfolgt.
ab. Gründe hierfür sind einerseits Ansprüche der Erreger an Tempe- Der Stamm Microspora steht wahrscheinlich den Pilzen nahe;
ratur oder andere Umweltbedingungen, andererseits sozioökonomi- bis zur eindeutigen taxonomischen Zuordnung werden Mikrospori-
sche Faktoren, die zu unzureichender Hygiene und Gesundheitsvor- dien weiterhin bei den Protozoen besprochen (7 Abschn. 82.10).
sorge führen und dadurch die Verbreitung von Infektionserregern
begünstigen. Helminthen (Würmer) Dies sind mehrzellige Organismen, die in
Infektionen durch Parasiten (Parasitosen) sind daher in Ent- Rundwürmer (Nematoden) und Plattwürmer (Plathelminthes) un-
wicklungsländern von besonderer Bedeutung. Dies spiegelt sich terteilt werden. Letztere werden wiederum in Egel (Trematoden)
zum einen in einer z. T. sehr hohen Mortalität wider (z. B. Malaria). und Bandwürmer (Zestoden) aufgeteilt. Die Vermehrung erfolgt in
Zum anderen können auch chronische, nichtletale Parasitosen (z. B. der Regel sexuell mit Produktion von Eiern oder lebenden Larven,
Hakenwurminfektionen) zu Wachstums- und Entwicklungsstörun- selten auch asexuell (z. B. Trematoden). Sie definiert wie bei Proto-
gen bei Kindern und eingeschränkter Leistungsfähigkeit bei Er- zoen End- oder Zwischenwirte (7 s. o.). Fehlwirte sind akzidentell
wachsenen führen. besiedelte Wirte, die normalerweise nicht zur Vollendung des para-
Im Gegensatz hierzu spielen Parasitosen in Industrieländern sitären Vermehrungszyklus beitragen (z. B. Mensch für Echinococ-
eine Rolle als durch Reiseverkehr oder Nahrungsmittelimporte ein- cus). In paratenischen Wirten (}Stapelwirtenm) kommt es über die
geführte Infektionen, die sich dann aber in der Regel nicht weiter Zeit zu einer Ansammlung, jedoch nicht zur Weiterentwicklung
ausbreiten. Darüber hinaus kommen einige Parasiten (z. B. Toxo- oder Vermehrung der Parasiten (z. B. Raubfische bei Diphyllobo-
plasmen, Lamblien, Echinokokken) auch in gemäßigten Klimazo- thrium latum).
nen vor, manche (z. B. Kryptosporidien) bedrohen immunsuppri-
mierte Patienten als opportunistische Krankheitserreger.
. Tab. 81.1 Einteilung der Protozoen
Im Gegensatz zu Parasiten schaden kommensalisch lebende
Protozoen (z. B. Entamoeba coli im Darm) dem Wirt nicht, ziehen
Stamm Klasse Subklasse Gattung
selbst jedoch einen Vorteil aus der Lebensgemeinschaft.
Die žbertragung der Erreger auf den Menschen erfolgt häufig Euglozoa Kinetoplastida Leishmania,
als orale Infektion; wie andere Infektionserreger sind Parasiten je- Trypanosoma
doch auch vektoriell, sexuell oder diaplazentar übertragbar. Die In-
Metamonada Diplomonada Giardia
kubationszeit von Parasitosen, also die Zeit zwischen Infektion und
ersten Krankheitserscheinungen, kann länger, aber auch kürzer sein Parabasalea Trichomonas
als die Zeit zwischen Infektion und erstem diagnostisch nachweisba- Amoebazoa Archamoeba Entamoeba
ren Auftreten des Erregers (Präpatenzzeit) (z. B. Malariaparasiten
Apicomplexa Aconoidasida Plasmodium,
im Blut).
Babesia
Das klinische Bild von Parasitosen kann sehr variieren und wird
von der Virulenz des Parasiten und der Prädisposition des Wirtes Conoidasida Coccidiasina Toxoplasma
bestimmt. Die immunologische Abwehr von Parasiten ist oft sehr Coccidia Cryptosporidium,
komplex und basiert meist sowohl auf humoralen als auch auf zellu- Cyclospora,
lären Immunmechanismen. Einige Parasiten haben Mechanismen Isospora
entwickelt, die es ihnen ermöglichen, der Wirtsabwehr zu entkom- Ciliophora Vestibulifera Balantidium
men (z. B. immunologische Mimikry, Antigenvariation).
Parasitologie
652 Kapitel 81 · Allgemeine Parasitologie

Ektoparasiten Zu ihnen zählen Arthropoden (Gliederfüßer), die


sich weiter in Insekten (Läuse, Flöhe, Wanzen, Mücken, Fliegen) und
Spinnentiere (Milben, Zecken) einteilen lassen. Sie können selbst
Erkrankungen verursachen oder als Vektoren Infektionserreger auf
den Menschen übertragen.
653 82

Protozoen
R. Ignatius, J. P. Cramer

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_82, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Parasitäre Protozoen leben in Abhängigkeit von ihrem Wirt. Sie gehö- endständigen Kinetoplasten auf. Aus dem mit diesem assoziierten
ren zu den einfachsten Organismen. Protozoen sind einzellige Euka- Basalkörper entspringt eine Geißel, die zunächst mit der Zellober-
ryonten, von einer Membran umschlossen und besitzen meist einen, fläche über Mikrotubuli verbunden ist (erscheint als Häutchen oder
selten mehrere Zellkerne. Sie vermehren sich im Wirtsorganismus ent- »undulierende Membran«) und dann als freie Geißel das Vorder-
weder asexuell oder sexuell. Einige Parasiten, wie z. B. Plasmodien, ende überragt. Bei T. cruzi gibt es daneben eine unbegeißelt erschei-
machen sowohl asexuelle als auch sexuelle Vermehrungszyklen durch. nende, rundliche Form im Gewebe, bei der lichtmikroskopisch Kern
Beim Menschen werden Infektionen durch intestinale (z. B. Amöben, und Kinetoplast nachweisbar sind (die rudimentäre Geißel tritt
Lamblien), Blut- (z. B. Plasmodien, Trypanosomen) und Gewebeproto- kaum aus). Diese wird als amastigote Form bezeichnet.
zoen (z. B. Toxoplasmen, Leishmanien) unterschieden. Infektionen
durch Protozoen verursachen beim Menschen enorme Morbidität und jEntwicklung
Mortalität. T. brucei gambiense und T. brucei rhodesiense Die Erreger der
Schlafkrankheit werden mit dem Speichel von Tsetsefliegen als try-
pomastigote Formen (metazyklische Stadien) beim Blutsaugen auf
82.1 Trypanosomen den Menschen übertragen bzw. von den Fliegen aufgenommen
(. Abb. 82.1). Im Vektor wandern sie dann vom Darm in die Spei-
cheldrüse, vermehren sich dabei durch Zweiteilung und wandeln
Steckbrief
sich über die epimastigote in die infektiöse (metazyklische) trypo-
Trypanosomen sind Protozoen, die je nach Art und Stadium mastigote Form um.
begeißelt und/oder unbegeißelt vorkommen. Diese Parasiten
werden durch Insekten übertragen. Im System der Protozoa T. cruzi Der Erreger der Chagas-Krankheit wird ebenfalls als meta-
gehören die Trypanosomen zur Ordnung Kinetoplastida. zyklische, trypomastigote Form übertragen, als Vektoren dienen hier
Trypanosoma (T.) brucei gambiense und T. brucei rhodesiense jedoch blutsaugende Raubwanzen. T. cruzi hält sich als begeißelte
sind die Erreger der Schlafkrankheit in Afrika. Benannt wurde (trypomastigote) Form in der Blutbahn auf, im Gewebe erfolgen die
diese Spezies nach David Bruce, der diese 1895 erstmals in Umwandlung in die intrazelluläre amastigote Form und die Vermeh-
Rindern beobachtete. Den Entwicklungszyklus der Tsetsefliege rung durch Zweiteilung (. Abb. 82.2).
beschrieb 1909 Karl Kleine, ein Mitarbeiter Robert Kochs.
T. cruzi verursacht in Mittel- und Südamerika die Chagas-Krank- jResistenz gegen äußere Einflüsse
heit. Der Erreger wurde 1907 von Carlos Chagas in Raubwanzen Außerhalb von Wirt und Vektor kommt T. brucei nicht vor. T. cruzi
nachgewiesen, später auch im Blut von Kindern. wird meist unmittelbar im Zusammenhang mit der vektoriellen
Blutmahlzeit übertragen, sodass anzunehmen ist, dass der Erreger
im Wanzenkot nicht lange infektiös bleibt.

jVorkommen
T. brucei gambiense kommt in Zentral- und Westafrika vor, Haupt-
reservoir ist der Mensch. Nebenwirte sind verschiedene Säugetiere
(Schwein, Hund) (. Abb. 82.1). T. brucei rhodesiense tritt in Ost-
und Südafrika auf, dort sind Wild- und Nutztiere wie Rinder die
hauptsächlichen Wirte.
T. cruzi kommt in Mittel- und Südamerika vor. Reservoire sind
neben dem Menschen Haus- und Wildtiere, wobei Raubwanzen
Trypanosomen: amastigote, promastigote, (Triatoma, Rhodnius, Panstrongylus) als wechselseitige Überträger
epimastigote und trypomastigote Form dienen (. Abb. 82.2).

82.1.2 Rolle als Krankheitserreger


82.1.1 Beschreibung
kEpidemiologie
jMorphologie und Aufbau Nach neueren Schätzungen sind in Endemiegebieten etwa 50.000–
Die im Blut auftretende trypomastigote Form der Trypanosomen 70.000 Menschen mit einem der beiden Schlafkrankheitserreger
ist 16–35 μm lang und weist einen mittelständigen Kern und einen infiziert. Aufgrund nachhaltiger Kontrollmaßnahmen sank die Zahl
Parasitologie
654 Kapitel 82 · Protozoen

. Abb. 82.1 Zyklus von Trypanosoma brucei gambiense

. Abb. 82.2 Zyklus von Trypanosoma cruzi


82.1 · Trypanosomen
655 82
der Neuerkrankungen an der Schlafkrankheit nach Angaben der
WHO ab 2009 auf unter 10.000 pro Jahr.
Die Chagas-Krankheit ist in Mittel- und Südamerika weit ver-
breitet, die Hauptlast der Erkrankung trägt die ärmere Bevölkerung,
die in einfachen Behausungen der nachtaktiven Raubwanze ausge-
setzt ist. Die Anzahl der Infizierten wird auf 6–7 Mio. geschätzt, bis
zu 45.000 Patienten versterben jährlich im Rahmen der akuten oder
an den Folgen der chronischen Chagas-Krankheit. Zunehmend wird
die Chagas-Krankheit auch in Europa und Nordamerika bei Migran-
ten aus Lateinamerika diagnostiziert.

kÜbertragung
Beide T. brucei-Unterarten werden vektoriell, durch den Stich männ-
licher und weiblicher tagaktiver Tsetsefliegen (Glossina), übertragen.
Die Tsetsefliege ist aggressiv, der Stich schmerzhaft. T. brucei gam-
biense ist für ca. 90 % der gemeldeten Fälle verantwortlich. . Abb. 82.3 Schlafkrankheit – postmortale histologische Untersuchung
T. cruzi wird vektoriell bei der Blutmahlzeit der nachtaktiven des Gehirns: dichte perivaskuläre Zellinfiltrate (mit freundl. Genehmigung
Raubwanzen übertragen, indem diese erregerhaltigen Kot absetzen. von Prof. Dr. W. Bommer, Göttingen)
Die Erreger werden dann vom Menschen in den Stichkanal, in Mik-
roläsionen der Haut oder die Schleimhäute (besonders Konjunkti-
ven) eingerieben. Infektionen durch erregerhaltige Blutkonserven, Chagas-Krankheit Zunächst kommt es zur Vermehrung der Erre-
perorale Infektionen durch kontaminierte Lebensmittel und präna- ger in Pseudozysten im Muskelgewebe (besonders Herz) ohne zellu-
tale Infektionen sind ebenfalls möglich. Laborinfektionen wurden läre Infiltration. Erst im weiteren Verlauf entstehen massive Entzün-
häufiger beschrieben und sind wegen der Virulenz des Erregers und dungsreaktionen mit Beteiligung von Mono- und Lymphozyten und
der schlechten Therapierbarkeit der Erkrankung gefürchtet. anschließender Nekrose des Gewebes. Im chronischen Stadium
stehen chronische Myokarditis, dilatative Kardiomyopathie und api-
kPathogenese kale Aneurysmabildung sowie Megabildungen im Gastrointestinal-
Schlafkrankheit Pathologische Veränderungen im Rahmen der trakt (besonders Ösophagus und Kolon) im Mittelpunkt. Sie sind
Schlafkrankheit betreffen das hämolymphatische und das Immun- durch degenerative Veränderungen der autonomen Nervenzellen in
system. Entzündungsreaktionen treten in verschiedenen Organen den entsprechenden Ganglien gekennzeichnet.
auf (z. B. Myokard, ZNS). Diese sind durch perivaskuläre Infiltrate Sensitive Nachweismethoden (PCR, Immunhistochemie) bele-
aus Monozyten, Lymphozyten und Plasmazellen gekennzeichnet. gen eine Persistenz der Erreger in den Bereichen zellulärer Infiltrate
Pathognomonisch ist darin der Nachweis besonders großer Plasma- im Gewebe und sprechen gegen eine wesentliche Bedeutung von
zellen, sog. Mott-Zellen. Mit dem Speichel übertragen Tsetsefliegen Autoimmunreaktionen bei der Pathogenese der chronischen Cha-
den Erreger. An der Eintrittspforte kann als lokale entzündliche Re- gas-Krankheit. Klinische Ergebnisse stützen diese Befunde: Eine
aktion ein Trypanosomenschanker auftreten (v. a. bei T. brucei rho- Immunsuppression von Patienten im chronischen Stadium führt
desiense). eher zur Exazerbation der Infektion als zu einer günstigen Beeinflus-
Die Erreger vermehren sich extrazellulär durch Zweiteilung, ver- sung der Erkrankung.
breiten sich in Blut und Lymphe und dringen schließlich in das ZNS
ein. Die oft bestehende Anämie und Thrombozytopenie sind wahr- kKlinik
scheinlich auf vermehrten Abbau und verminderte Neubildung der Schlafkrankheit Nach normalerweise 2–3 Wochen Inkubationszeit
betroffenen Zellen zurückzuführen. Die Immunantworten auf im- kann sich an der Stichstelle eine lokale, relativ schmerzlose, ödema-
mer wieder wechselnde Erregervarianten führen zur ausgeprägten töse Schwellung (Trypanosomenschanker) in Verbindung mit einer
B-Zell-Proliferation und Bildung von unspezifischem IgM durch regionären Lymphknotenschwellung bilden. Nach 2–4 Wochen
Mitogene (Anstieg der Serumimmunglobuline führt zu prominenter kommt es in der Phase der Generalisierung (hämolymphatische Pha-
Gammaglobulin-Vermehrung in der Serumelektrophorese). Dane- se) zu intermittierendem Fieber, Splenomegalie, Lymphadenitis,
ben sind die Proliferation von T-Zellen und die Fähigkeit von Mak- Exanthembildung, Ödemen, Hyperästhesie und Tachykardie. Die
rophagen, T-Zellen Antigene zu präsentieren, supprimiert. Eine westafrikanische Form (T. brucei gambiense) geht häufig mit einer
generalisierte Immunsuppression ist Grundlage der häufig auftre- prall-elastischen, indolenten Schwellung der nuchalen Lymphkno-
tenden Sekundärinfektionen. ten (Winterbottom-Zeichen) einher.
Die entzündlichen ZNS-Veränderungen, wiederum durch peri- Die meningoenzephalitische Phase ist durch starkes Schlafbe-
vaskuläre Infiltrate gekennzeichnet und hervorgerufen durch das dürfnis, aber auch Schlaflosigkeit, Umkehr des Schlaf-Wach-Rhyth-
Eindringen der Erreger, gehen einher mit einer Störung der Blut- mus und allgemeine Schwäche gekennzeichnet (. Abb. 82.4). Diese
Hirn-Schranke (. Abb. 82.3). Die Ablagerung von Immunkomple- Phase stellt sich bei der ostafrikanischen Form (T. brucei rhodesi-
xen mit Aktivierung von Komplement mag ebenfalls zur Gewebe- ense) schneller (nach einigen Wochen bis Monaten) als bei der west-
schädigung beitragen. ZNS-spezifische Autoantikörper können im afrikanischen ein (hier erst nach mehreren Monaten bis einigen
Serum von Patienten nachweisbar sein. Im Spätstadium wird eine Jahren); sie endet ohne Behandlung mit dem Tod. Ein akuter, tödli-
Aktivierung der Astrozyten beobachtet, die durch die Sekretion cher Verlauf durch Myokarditis ohne das Auftreten einer chroni-
schlafregulierender Substanzen möglicherweise direkt das klinische schen Meningitis kommt bei der ostafrikanischen Form vor.
Bild beeinflussen. Eine akute, oft tödlich verlaufende Myokarditis
mit Ausbreitung auf alle Herzwandschichten kommt bei der Infek- Chagas-Krankheit Sie beginnt ebenfalls mit einer lokalen Haut-
tion mit T. brucei rhodesiense vor. reaktion und Anschwellung der regionalen Lymphknoten. Wenn die
Parasitologie
656 Kapitel 82 · Protozoen

. Abb. 82.5 Trypanosoma brucei rhodesiense im Blutausstrich


(aus: Springer Lexikon Medizin, 2004)

Chagas-Krankheit Die Abwehr von T. cruzi wird sowohl von hu-


moralen (antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität, ADCC)
als auch zellvermittelten Mechanismen (T-Zellen, aktivierte Makro-
phagen) getragen.
. Abb. 82.4 Schlafkrankheit – Patient im meningoenzephalitischen Stadium
(mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. W. Bommer, Göttingen) kLabordiagnose
Schlafkrankheit Während der Fieberphase werden möglichst Blut-
ausstriche und Dicke Tropfen (ggf. nach Anreicherung) angefertigt
Region eines Auges betroffen ist (transkonjunktivale Infektion), und nach Giemsa gefärbt. Die Erreger sind im Blut zwischen den
führt dies zur unilateralen Augenlidschwellung mit Konjunktivitis Zellen zu finden (. Abb. 82.5). Die Trypanosomen sind auch in Aus-
(Romaña-Zeichen, . Abb. 82.6). Nach 2–4 Wochen kommt es zur strichen aus Schanker, Liquor, Lymphknoten und Knochenmark
Generalisierung mit Fieber, Exanthem, Lymphadenitis und Hepa- nachweisbar. PCR-Verfahren sind in Speziallaboratorien ebenfalls
tosplenomegalie. Tachykardien und andere, evtl. schwerwiegende verfügbar.
Herzrhythmusstörungen sind Ausdruck einer akuten Myokarditis.
Die Infektion führt bei bis zu 10 % der Patienten im akuten Stadium Chagas-Krankheit Blutausstriche und Dicke Tropfen werden auch
zum Tod oder geht in ein asymptomatisches Stadium über. bei akuter Chagas-Krankheit untersucht. Bei der chronischen Er-
Etwa ein Drittel der Patienten entwickelt später eine klinisch krankung ließ man früher trypanosomenfreie Raubwanzen Patien-
manifeste, chronische Chagas-Krankheit, häufiger als dilatative Kar- tenblut saugen (Xenodiagnose), der Kot der Wanzen wurde 1–2 Wo-
diomyopathie, seltener mit pathologischen Vergrößerungen und chen später auf Trypanosomen untersucht. Diese Methode wird
Dysfunktionen von Abschnitten des Gastrointestinaltrakts (Mega- heute aufgrund des hohen methodologischen Aufwands sowie von
ösophagus, -kolon, . Abb. 82.6). Diese Störungen treten regional Bedenken in Bezug auf Laborsicherheit nicht mehr angewandt. Die
mit unterschiedlicher Häufigkeit auf. Die Kardiomyopathie führt PCR-Untersuchung von Gewebe spielt insbesondere zur Abklärung
zur Herzinsuffizienz mit Stauungszeichen, Thrombosen mit Gefahr fraglicher chronischer Fälle eine wichtige Rolle; aus dem Blut kann
von Embolien oder zur Aneurysmabildung mit der Gefahr der Myo- sie bei unklaren serologischen Ergebnissen hilfreich sein.
kardruptur und Herzbeuteltamponade. Für die Labordiagnose beider Erkrankungen gibt es auch Verfah-
ren zum Nachweis spezifischer Antikörper im Serum (IF, EIA, HA).
kImmunität
Schlafkrankheit An der Abwehr von T. brucei sind Antikörper kTherapie
maßgeblich beteiligt. Dadurch kann sich eine Teilimmunität ausbil- Schlafkrankheit Die frühen Stadien der westafrikanischen Schlaf-
den, die jedoch durch neue Erregervarianten durchbrochen wird. krankheit (T. b. gambiense) werden mit Pentamidin, die späten mit
Diese beruhen auf Änderungen der Glykokalyx, eines schützenden Nifurtimox und Eflornithin behandelt, die ostafrikanische Schlaf-
Außenmantels von T. brucei, der sich noch vor Übertragung auf den krankheit (T. b. rhodesiense) mit Suramin bzw. Melarsoprol. Der
Menschen in der Tsetsefliege ausbildet. Einzelne Polypeptidketten Erfolg hängt vom möglichst frühzeitigen Therapiebeginn ab und
der Glykokalyx sind in hohem Grad variabel. Das beruht auf der wird von den z. T. beträchtlichen Nebenwirkungen beeinflusst. Die
Anzahl von Strukturgenen und Rekombinationsmöglichkeiten von bei 5–10 % der Patienten im Verlauf einer Melarsoprol-Behandlung
Teilstücken derselben. Dadurch entstehen neue Epitopmuster (»va- auftretende reaktive Enzephalopathie verläuft häufig tödlich. Eine
riant surface glycoproteins«, VSG). Zunahme der Resistenz der Erreger, besonders gegen Melarsoprol,
Während die Erreger mit einem nichtveränderten Muster abge- wurde beschrieben.
tötet werden, wenn der Wirt dagegen Antikörper gebildet hat, füh-
ren diejenigen mit neuen Oberflächenantigenen durch Zweiteilung Chagas-Krankheit Im akuten Stadium sollten die Patienten mit
zu einem erneuten Ansteigen der Parasitämie. Diese zyklischen Va- dem relativ toxischen Nifurtimox oder mit Benznidazol behandelt
riations- und Lysisvorgänge wiederholen sich. Das bedeutet jedoch werden, deren Wirkung in der chronischen Phase weitaus geringer
auch, dass die Entwicklung eines Impfstoffs für eine protektive Im- ist. Bradyarrhythmien oder eine Herzinsuffizienz werden sympto-
munantwort, die sich also gegen alle Erregervarianten richtet, in matisch behandelt. Chirurgische Interventionen können im chroni-
nächster Zukunft aussichtslos erscheint. schen Stadium mit intestinaler Megabildung indiziert sein.
82.2 · Leishmanien
657 82

Entwicklung T. brucei wird durch Tsetsefliegen und T. cruzi


durch Raubwanzen übertragen, Vermehrung im Menschen
extrazellulär durch Zweiteilung.
Epidemiologie Neben dem Menschen dienen Säugetiere als
Erregerreservoire.
Pathogenese
5 Schlafkrankheit: Perivaskuläre Infiltrate besonders in Myokard
und ZNS. Zyklisch wechselnde Erregervarianten. Immunsup-
pression.
5 Chagas-Krankheit: Akute Myokarditis mit zellulärer Infiltra-
tion und Nekrose. Chronisches Stadium: chronische Myo-
karditis, degenerative Veränderungen der autonomen
a
Nervenganglien, besonders in Herz (Kardiomyopathie) und
Gastrointestinaltrakt (Megabildungen).

Klinik
5 Schlafkrankheit: ggf. Trypanosomenschanker an Stichstelle,
regionäre Lymphknotenschwellung, Generalisierung mit
Fieber, Splenomegalie, Lymphadenitis, Ödemen, Tachykardie.
Chronische Meningoenzephalitis.
5 Chagas-Krankheit: Lokale Schwellung an Erregereintritts-
stelle, regionäre Lymphknotenschwellung. Generalisierung
mit Fieber, Lymphadenitis, Hepatosplenomegalie, akuter
Myokarditis. Chronisches Stadium: chronische Myokarditis
mit Myokardinsuffizienz und Aneurysmabildung, Gefahr der
Myokardruptur, Thrombosen und Embolien. Kardiomyo-
pathie. Megakolon, -ösophagus.

Labordiagnose Blutausstriche und Dicke Tropfen, Ausstriche


von Liquor (T. brucei): Giemsa-Färbung; Gewebehistologie, PCR
sowie Antikörpernachweise.
Therapie Suramin, Pentamidin, Eflornithin, Melarsoprol,
b
Nifurtimox (T. brucei); Nifurtimox, Benznidazol (T. cruzi).
. Abb. 82.6a, b Romaña-Zeichen bei einem Kind mit akuter Chagas-Krank-
heit (a). Megaösophagus bei chronischer Chagas-Krankheit (b)

82.2 Leishmanien
kPrävention
Schlafkrankheit Die Prävention der Schlafkrankheit stützt sich auf
die Abwehr und die Ausrottung der tagaktiven Tsetsefliege. Insekti- Steckbrief
zidimprägnierte Tsetsefallen sind hilfreich bei der fokalen und regi-
Leishmanien sind fakultativ intrazelluläre Protozoen, die nur in
onalen Vektorreduktion. Der Einsatz steriler Männchen wurde er-
den übertragenden Insekten begeißelt, im Menschen jedoch un-
folgreich erprobt. Früherkennung sowie Surveillance sind weitere
begeißelt vorkommen. Die Infektion manifestiert sich je nach Art
wichtige Maßnahmen.
des Erregers entweder als Erkrankung des mononukleär-phago-
Chagas-Krankheit Da sich die T. cruzi übertragenden Raubwanzen zytären Systems (MPS), der Haut oder von Haut und Schleimhaut.
tagsüber in Wandspalten aufhalten, bestehen Möglichkeiten zur Ein- Leishman und Donovan entdeckten die Erreger 1903 unabhän-
dämmung der Verbreitung der Chagas-Krankheit im Aussprühen gig voneinander in Milzpunktaten. Beschreibungen von Krank-
der Wohnhäuser mit Insektiziden (hierauf beruhen gegenwärtige heiten, die durch Leishmanien verursacht gewesen sein könn-
Eradikationsprogramme überwiegend) oder sinnvoller durch die ten, sind z. T. jahrhundertealt.
Verbesserung der sozialen Verhältnisse, z. B. die Schaffung von
Wohnraum ohne Wandspalten. Blutkonserven in Endemiegebieten
sollten wegen der Gefahr der Kontamination routinemäßig auf spe-
zifische Antikörper untersucht werden.

In Kürze
Trypanosomen
Parasitologie Flagellaten der Gattung Trypanosoma, die
begeißelt im Blut und Liquor (T. brucei gambiense, T. brucei
rhodesiense) oder im Falle von T. cruzi begeißelt im Blut und
unbegeißelt im Gewebe vorkommen. Leishmanien: intra- und extrazellulär
Parasitologie
658 Kapitel 82 · Protozoen

82.2.1 Beschreibung jResistenz gegen äußere Einflüsse


Unter natürlichen Bedingungen kommen Leishmanien nicht außer-
Innerhalb des Systems der Protozoa gehören die Leishmanien zur halb von Wirt oder Vektor vor. Im Labor können sie unter bestimm-
Ordnung Kinetoplastida. Die taxonomische Zuordnung ist unein- ten Zellkulturbedingungen gehalten werden.
heitlich. Durch molekularbiologische Studien (DNA-Analyse) ist
künftig eine fundierte Einteilung zu erwarten. Folgende Gliederung jVorkommen
erscheint hier als ausreichend: Das Auftreten der Leishmaniasen in den Tropen und Subtropen ist
4 Leishmania-Arten der »Alten Welt« (Afrika, Asien,Europa): an das Vorkommen der Überträger gebunden, die u. a. in einfach
Leishmania (L.) donovani, L. infantum, L. tropica, L. major, gebauten Häusern und Ställen leben, wo es Vegetation und faulendes
L. aethiopica organisches Material gibt.
4 Leishmania-Arten der »Neuen Welt« (Mittel- und Südamerika): Die Leishmania-Arten der »Neuen Welt« sind in weiten Teilen
L. braziliensis-Komplex, L. mexicana-Komplex, L. chagasi Mittel- und Südamerikas, diejenigen der »Alten Welt« in Europa,
(wahrscheinlich identisch mit L. infantum) Afrika und Asien bis nach China verbreitet. Das Verbreitungsgebiet
in Südeuropa erstreckt sich vom Mittelmeergebiet nordwärts bis
jMorphologie und Aufbau zum Südrand der Alpen. Während einige Leishmania-Arten (L. do-
Im Überträger (Sandmücken der Gattungen Phlebotomus und novani, L. tropica) ausschließlich den Menschen befallen, dienen
Lutzomyia) und in Kulturmedien sind die Protozoen 10–20 μm lang, anderen verschiedene Säugetiere als Erregerreservoire; so v. a. Hun-
schlank und begeißelt (promastigote Form). Im Menschen geht der de für L. infantum (L. chagasi), Nagetiere für L. major und L. mexi-
Erreger in das intrazelluläre Stadium der Leishmanien mit licht- cana und Klippschliefer für L. aethiopica.
mikroskopisch nicht sichtbarer, rudimentärer Geißelanlage (amas-
tigote Form) über. 82.2.2 Rolle als Krankheitserreger
jEntwicklung kEpidemiologie
Während der Blutmahlzeit nehmen die Phlebotomen Leukozyten Es wird mit etwa 12 Mio. Infizierten gerechnet; nach WHO-Schät-
mit den amastigoten Stadien der Erreger auf (. Abb. 82.7). Die Para- zung beträgt die jährliche Zahl von Neuerkrankungen 0,7–1,3 Mio.
siten durchlaufen dann in begeißelter, promastigoter Form einen Fälle kutaner bzw. mukokutaner und 200.000–400.000 Fälle viszera-
Entwicklungszyklus und gelangen in die Mundwerkzeuge der Mü- ler Leishmaniase.
cken. Die Leishmanien können nun bei weiteren Stichen wieder auf
Menschen übertragen werden. Sofort nach Inokulation phagozytie- kÜbertragung
ren Makrophagen, Monozyten oder Langerhans-Zellen die übertra- Die Übertragung erfolgt vektoriell durch den Stich der Sandmücke.
genen Parasiten, die sich dabei in die amastigote Form umwandeln. Selten wurden Übertragungen durch Bluttransfusion oder »needle
Die Parasiten befinden sich intrazellulär in einer parasitophoren sharing« bei i. v. Drogenkonsum beschrieben. Leishmanien können
Vakuole in Phagolysosomen bei pH 4,5–5,0 und vermehren sich auch durch Organ- oder Knochenmarktransplantation und sehr sel-
durch Zweiteilung. ten während der Schwangerschaft auf den Fetus übertragen werden.

. Abb. 82.7 Zyklus von Leishmanien


82.2 · Leishmanien
659 82
kPathogenese
Viszerale Leishmaniase (L. donovani, L. infantum, L. chagasi)
Zunächst vermehren sich die Parasiten in der Haut und im regiona-
len Lymphknoten. Belastende Faktoren, z. B. zusätzliche Infektio-
nen, eine Immunschwäche oder Eiweißmangel, scheinen die Gene-
ralisierung zu begünstigen. Diese beginnt mit dem Einbruch der
Erreger in die Blutbahn. Die weitere Vermehrung erfolgt in den
Zellen des MPS (Milz, Leber, Knochenmark, Lymphknoten). Es folgt
eine weitgehende Abtötung der Erreger durch die einsetzende zell-
vermittelte Immunantwort, verbunden mit der Induktion einer gra-
nulomatösen Entzündungsreaktion.
Bei unzureichender Immunreaktion hingegen vermehren sich
die Parasiten ungehindert in den betroffenen Organen ohne zellulä-
re Reaktion. Hieraus resultieren die typischen Organvergrößerun-
gen, insbesondere von Leber und Milz (Hepatosplenomegalie). Im . Abb. 82.8 Kutane Leishmaniase mit Läsion im Gesicht
weiteren Verlauf kommt es zur Panzytopenie durch Hypersplenis-
mus, Knochenmarksuppression und unspezifischer B-Zell-Stimula-
tion mit polyklonaler IgG-Erhöhung. Die entstehende Immunsup- Kutane Leishmaniase (u. a. Orientbeule, Chiclero-Ulkus, Uta) Einige
pression prädisponiert für bakterielle Sekundärinfektionen. Im An- Wochen bis Monate nach dem Stich entsteht eine Papel, aus der sich
schluss an eine viszerale Leishmaniase können erregerbedingte, ein Ulkus entwickelt. Die Ulzera sind meist von einer zentralen
fleckige oder knotige Hautveränderungen (Post-Kala-Azar-Leishma- Kruste bedeckt. Auch flächige oder warzenförmige Effloreszenzen
noid) auftreten. kommen vor. Die Prozesse finden sich meistens an den nicht bedeck-
ten Körperstellen und heilen nach etwa 1 Jahr unter Narbenbildung
Kutane Leishmaniase (L. tropica, L. major, L. aethiopica, L. mexi- ab. Mitunter kann es zu einem Rezidiv kommen. Je nach Art des
cana-Komplex) An der Stichstelle entsteht eine papulöse Entzün- Erregers und der Immunantwort des Patienten können klinisches
dung, die häufig ulzeriert mit der Bildung trockener oder feuchter, Bild und Verlauf erheblich variieren. Grundsätzliche Ausnahmen
bis in die Subkutis reichender Geschwüre (. Abb. 82.8). Diese kön- von diesem Verlauf sind die chronischen, knorpeldestruierenden
nen verkrustet sein und sind von einem erhabenen, rötlichen Rand Infektionen beim Befall des Ohres durch L. mexicana (Chiclero-
umgeben, in dem sich infizierte und nichtinfizierte Makrophagen, Ulkus) und die bei L. mexicana und L. aethiopica geografisch anteil-
Lymphozyten und Plasmazellen finden. Die verschiedenen klini- mäßig unterschiedlich auftretenden disseminierenden Infektionen
schen und histologischen Bilder werden vom Erreger und der Im- (diffuse kutane Leishmaniase).
munreaktion des Patienten bestimmt; sie reichen von einem anergen
Verlauf mit massiver Vermehrung der Protozoen ohne zelluläre In- Mukokutane Leishmaniase Schleimhaut-Leishmaniasen kommen
filtration und ohne Ulzeration bis zur hyperergen Reaktion mit aus- am häufigsten in Südamerika vor (Espundia). Inkubationszeit und
geprägter granulomatöser Entzündung und Langhans-Riesenzellen. Lokalisation entsprechen denen der kutanen Leishmaniase. Auch
können die regionären Lymphknoten beteiligt sein. Primäre muko-
Mukokutane Leishmaniase (L. braziliensis-Komplex) Je nach Art kutane Leishmaniasen kommen selten vor. Häufiger jedoch kommt
des Parasiten und der Immunantwort des Patienten verläuft die es nach Selbstheilung oder Therapie der kutanen Läsionen, häufig
Infektion einerseits als selbstheilende Hautleishmaniase mit aus- ausgehend vom Befall der Nase und des Nasenseptums, zu Ulzera-
gedehnter Geschwür- und Narbenbildung. Andererseits können tionen (typischerweise Zerstörung des Nasenseptums) und Bildung
auch Monate bis Jahre nach Abheilung der Primärläsionen Spät- von Granulationsgewebe mit infiltrativer Ausdehnung und poly-
rezidive an den Schleimhäuten (Nase, Mund, Rachen) auftreten. Sie pösen Schleimhautwucherungen. Oropharynx und Larynx können
sind durch ausgeprägte Infiltration mononukleärer Zellen, geringe beteiligt sein. Das klinische Bild kann durch erhebliche Verstümme-
Parasitendichte und fortschreitende Gewebedestruktion gekenn- lungen bis zur Zerstörung des Gesichts geprägt sein. Todesursachen
zeichnet. sind Sekundärinfektionen (z. B. Aspirationspneumonie), Kachexie
oder Erstickung bei Pharynxbefall.
kKlinik In seltenen Fällen kann es auch im Rahmen einer viszeralen
Viszerale Leishmaniase (Kala-Azar) Während die Mehrzahl der Leishmaniase, sowohl während der akuten Infektion als auch als
Fälle asymptomatisch verläuft, tritt bei einem Teil der Infektionen Post-Kala-Azar-Leishmanoid, zu mukosalen Läsionen kommen
nach einer mehrere Wochen bis Monate dauernden Inkubationszeit (häufiger oropharyngeal). Im Gegensatz zur mukokutanen Leishma-
zunächst remittierendes Fieber auf, später sind es unregelmäßige niase ist das Nasenseptum jedoch in der Regel nicht zerstört und die
Fieberperioden. Es kommt zur Milz-, Leber- und gelegentlich Infektion reagiert gut auf eine Antimontherapie.
Lymphknotenschwellung. Typisch ist eine Panzytopenie (Leukope-
nie, Anämie, Thrombopenie). Ikterus, Aszites- oder Ödembildung kImmunität
sind als prognostisch ungünstig zu werten. Kachexie sowie selten eine Viszerale Leishmaniase Die Ausbildung der vielen und z. T. inein-
dunkle Pigmentierung der Haut (Kala-Azar = schwarze Krankheit) ander übergehenden Verlaufsformen der Leishmaniasen ist sowohl
sind weitere Zeichen der Erkrankung. Hinzu können Komplikatio- vom Parasiten als auch von der individuellen Immunantwort des
nen in Form von Bronchopneumonien und Hämorrhagien kom- Wirtes abhängig. Im Rahmen der viszeralen Leishmaniase tritt eine
men. Unbehandelt tritt der Tod nach 1,5–2 Jahren ein. Akute Mani- unspezifische Immunsuppression auf (so ist der Tuberkulintest bei
festationen und Reaktivierungen subklinischer Infektionen werden diesen Patienten negativ), Serumantikörper sind nachweisbar. Eine
bei Patienten mit Unterernährung oder Immunsuppression (z. B. bei gleichzeitige unspezifische B-Zell-Stimulation führt zu einer poly-
Therapie mit TNF-α-Blockern, bei AIDS) beobachtet. klonalen IgG-Vermehrung. Wesentliche Mediatoren protektiver
Parasitologie
660 Kapitel 82 · Protozoen

Immunität sind spezifische T-Lymphozyten, die durch Sekretion


von IFN-γ Makrophagen aktivieren. Kommt es zu einer Suppression
dieser T-Zell-vermittelten Immunmechanismen (z. B. HIV-Infekti-
on, Kortikosteroidgabe), kann eine inapparente Leishmaniase akti-
viert werden.

Kutane und mukokutane Leishmaniase Hier werden neben der


normalen Verlaufsform mit zellulär vermittelter Immunantwort, die
zur Heilung der Läsionen führt, auch anerge oder hypererge Verläufe
beobachtet. Nach Abheilung der Läsionen besteht in der Regel eine
lebenslange Immunität. Die immunpathologischen, möglicherweise
hyperergen Immunreaktionen, die bei den Spätrezidiven der muko-
kutanen Form zu den ausgedehnten Schleimhautläsionen führen,
sind bislang, auch wegen des Fehlens eines geeigneten Tiermodells,
nur unzureichend bekannt.
. Abb. 82.9 Viszerale Leishmaniase – Knochenmarkbiopsie mit zahlreichen
kLabordiagnose Leishmanien in mononukleären Zellen (mit freundl. Genehmigung von Prof.
Bei der viszeralen Leishmaniase werden primär Punktate von Kno- Dr. W. Bommer, Göttingen)
chenmark, aber auch Milz, Leber oder Lymphknoten entnommen,
ausgestrichen und nach Giemsa gefärbt oder histologisch aufgear- räumen (z. B. durch Aufbringen von Insektiziden auf die Innen-
beitet (. Abb. 82.9). Bei Patienten mit Geschwüren der Haut oder wände) und Verhinderung weiteren Einflugs sowie durch Verwen-
Schleimhaut wird Material vom Rand der Prozesse gewonnen, aus- dung engmaschiger, möglichst insektizidbehandelter Moskitonetze.
gestrichen und ebenfalls nach Giemsa gefärbt. Die Parasiten sind Zusätzlich sollten die Brutstätten der Insekten (z. B. Abfallhaufen) in
intrazellulär in myelomonozytären Zellen zu finden, bei Ausstrich- Wohngebieten beseitigt und Reservoirtiere (Nager und streunende
präparaten können sie extrazellulär liegen (wenn Zellen beim Aus- Hunde) bekämpft werden.
streichen platzen).
Heutzutage erfolgt die Diagnose bei allen Formen der Leishma-
niasis sowie auch die Speziesdifferenzierung meist mittels PCR. In Kürze
Bei Verdacht auf viszerale Leishmaniase kann auch auf Serum- Leishmanien
antikörper untersucht werden (IF, EIA, HA), die Diagnose sollte aber Parasitologie Flagellaten der Gattung Leishmania, die unbe-
durch den direkten Erregernachweis gesichert werden. geißelt in Gewebe und Blutmonozyten vorkommen.
Entwicklung Übertragung durch Sandmücken, Vermehrung im
kTherapie Menschen durch Zweiteilung.
Viszerale Leishmaniase Mittel der Wahl sind liposomales Ampho- Epidemiologie Neben dem Menschen dienen einigen Säuger-
tericin B, das intravenös gegeben wird, oder Miltefosin, das oral ver- arten (Hunde, Nagetiere, Klippschliefer) als Erregerreservoire.
abreicht wird. Kombinationstherapien mit beiden Medikamenten Pathogenese
werden gegenwärtig geprüft. Fünfwertige Antimonpräparate (Pento- 5 Viszerale Leishmaniase: von der Infektionsstelle ausgehend
stam, Glucantime) sind mittlerweile wegen ihrer Toxizität Mittel der Dissemination und Zerstörung der Zellen des MPS; Panzyto-
3. Wahl. Bei zunehmender Resistenz gegen Antimonpräparate (ins- penie; Immunsuppression.
besondere L. donovani in Indien) werden auch Paromomycin, Penta- 5 Hautleishmaniase: papulöse, ulzerierende Entzündung an
midin oder Azole (z. B. Ketoconazol, Itraconazol) eingesetzt. der Stichstelle, zelluläre Infiltration im Randwall.
5 Haut- und Schleimhautleishmaniase: Primärläsion wie bei
Kutane Leishmaniase Hier können Paromomycin topisch ange- Hautleishmaniase, Spätrezidive als progressiv gewebe-
wandt oder Antimonpräparate lokal injiziert werden. Eine orale destruierende Geschwüre mit zellulärer Infiltration im Über-
Therapie mit Ketoconazol oder Itraconazol ist ebenfalls möglich; im gangsbereich Haut–Schleimhaut (Nase, Oropharynx),
Allgemeinen heilen die Läsionen aber spontan ab. Kleinere Läsionen geringe Parasitendichte.
lassen sich operativ entfernen. Ausgedehntere Prozesse oder Primär-
Klinik
infektionen aus Regionen, in denen mukokutane Rezidive möglich
5 Viszerale Leishmaniase: Fieber, Panzytopenie, Milz-, Leber-,
sind, bedürfen einer systemischen Therapie analog der viszeralen
ggf. Lymphknotenvergrößerung, bakterielle Sekundär-
Leishmaniase.
infektion.
5 Hautleishmaniase: Hautulzera, i. d. R. selbstheilend unter
Mukokutane Leishmaniase Die Therapie erfolgt parenteral und
Narbenbildung.
kann bei kleineren Läsionen mit der Applikation von Antimonprä-
5 Haut- und Schleimhautleishmaniase: Primärläsion wie bei
paraten versucht werden. Bei schlechtem Ansprechen oder ausge-
Hautleishmaniase, Spätrezidive als chronisch-infiltrative
dehnteren Prozessen sollte liposomales Amphotericin B gegeben
Ulzerationen mit Granulationsgewebe, oft ausgehend vom
werden. Die Datenlage zum Einsatz von Miltefosin ist nicht ein-
Nasenseptum.
deutig. Plastisch-chirurgische Korrekturen sollten nach einem zeit-
lichen Sicherheitsabstand erfolgen. Labordiagnose Ausstriche entsprechenden Materials, Giemsa-
Färbung, PCR, Serodiagnostik.
kPrävention Therapie (Liposomales) Amphotericin B, 5-wertige Antimon-
Prävention ist möglich durch den Bau von Häusern, die mückenfrei präparate, Miltefosin, Pentamidin, Paromomycin, Azole.
gehalten werden können, durch Vernichtung der Mücken in Schlaf-
82.3 · Trichomonas
661 82
82.3 Trichomonas kPathogenese
Die detaillierte Pathogenese ist weitgehend ungeklärt. Neben Stoff-
wechselleistungen, die Ähnlichkeiten mit anaeroben Bakterien auf-
Steckbrief
weisen, sind Adhäsine bekannt. Der Parasit induziert eine transiente
T. vaginalis ist ein Protozoon mit 5 Geißeln. Es ruft eine Entzün- lokale und systemische IgA-Antwort. Polymorphkernige Granulo-
dung des Urogenitaltrakts bei Frauen und Männern hervor. zyten werden durch den Parasiten angelockt und können ihn ab-
töten.

kKlinik
Nach 5–20 Tagen Inkubationszeit entwickelt sich bei der Frau eine
Kolpitis oder Zervizitis, beim Mann eine Urethritis. Daneben ist der
Erreger mit Frühgeburt, entzündlicher Beckenerkrankung (PID)
sowie Infertilität assoziiert. Übel riechender Ausfluss und Irritatio-
nen der Schleimhaut sind die häufigsten Symptome, die jedoch
auch bei anderen Infektionen auftreten können. Die Infektion ver-
läuft bei Frauen in 20–40 % asymptomatisch, bei Männern in bis
zu 90 %.

kImmunität
Die Infektion induziert eine transiente lokale und systemische hu-
82.3.1 Beschreibung morale Immunantwort. Inwieweit diese vor einer erneuten Infektion
schützt, ist nicht bekannt.
jMorphologie und Aufbau
Der Parasit ist oval bis rund und 7–20 μm lang. Er besitzt am vorde- kLabordiagnose
ren Pol 4 Geißeln, eine fünfte verläuft in einer Membranfalte (undu- Die mikroskopische Diagnose aus Vaginalsekret bei der Frau bzw.
lierende Membran). Diese tritt jedoch nicht frei aus, sondern endet Urethralabstrichen beim Mann ist nur eingeschränkt sensitiv. Bes-
in der Zellmitte. Am gegenüberliegenden Pol ragt der Achsenstab ser gelingt der Nachweis mittels Immunfluoreszenz oder kulturel-
heraus, der den Zellleib durchzieht. Der Achsenstab verleiht dem ler  Anzucht in Spezialmedien, die höchste Sensitivität besitzt die
Parasiten zusammen mit dem im vorderen Teil liegenden Kern ein PCR.
charakteristisches Aussehen.
kTherapie
jEntwicklung Für die orale (und bei der Frau zusätzliche vaginale) Behandlung
Trichomonaden besiedeln die Schleimhäute des Urogenitaltrakts werden Imidazolpräparate (z. B. Metronidazol) verwendet, die aller-
und vermehren sich durch longitudinale Zweiteilung. dings in der Frühschwangerschaft kontraindiziert sind. Geschlechts-
partner müssen mitbehandelt werden.
jResistenz gegen äußere Einflüsse
Da der Parasit keine Zysten bildet, stirbt er bei trockener Umgebung kPrävention
ab. In ungechlortem Wasser überlebt er mehrere Stunden. Die Prävention der Infektion mit Trichomonaden entspricht der
anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen.
jVorkommen
Trichomonas vaginalis kommt weltweit nur beim Menschen vor. Eng
In Kürze
verwandte Spezies sind in der Natur weit verbreitet und verursachen
Trichomonas
bei Tieren Urogenitalinfektionen.
Parasitologie Flagellaten mit 5 Geißeln und Achsenstab, im
Urogenitaltrakt vorkommend.
Entwicklung Direkt durch Zweiteilung, kein Zystenstadium,
82.3.2 Rolle als Krankheitserreger keine Zwischenwirte.
Epidemiologie Sexuell übertragen, nur der Mensch ist Reser-
kEpidemiologie
voir.
Nach WHO-Schätzungen betrug 2008 die weltweite Inzidenz mehr
Pathogenese Weitgehend ungeklärt.
als 270 Mio. Fälle. In einigen Regionen sind bis zu 20 % aller Frauen
Klinik Kolpitis mit übel riechendem Ausfluss bei der Frau,
im gebärfähigen Alter infiziert.
Urethritis beim Mann. Häufig asymptomatischer Verlauf.
Labordiagnose Nativ im Vaginalsekret oder Urethralabstrich,
kÜbertragung
Kultur, PCR.
Trichomonas vaginalis wird durch Geschlechtsverkehr übertragen.
Therapie Metronidazol.
Bis zu 15 % der infizierten Schwangeren übertragen die Infektion
perinatal auf ihre Neugeborenen. Epidemiologisch ist die Verbrei-
tung der Infektion durch asymptomatisch Infizierte (meist Männer)
von Bedeutung. Das Risiko der Infektion steigt mit der Zahl der
Sexualpartner und mangelnder Hygiene.
Parasitologie
662 Kapitel 82 · Protozoen

82.4 Giardia Mensch ist beschrieben worden. Die minimale Infektionsdosis be-
trägt 10–25 Zysten. Giardia lamblia ist ein häufiger Erreger trink-
Steckbrief wasserassoziierter Ausbrüche.

Giardia lamblia ist ein begeißeltes Protozoon, das als Trophozoit kPathogenese
oder Zyste vorkommt. Es ruft die Lambliasis hervor, eine häufig Nach oraler Aufnahme besiedeln die Erreger den proximalen Dünn-
vorkommende Ursache akuter oder chronischer Magen-Darm- darm. Die Zysten wandeln sich unter Einfluss von Magensäure und
Beschwerden, ggf. mit Malabsorptionssymptomen. Pankreasenzymen in Trophozoiten um. Diese heften sich mit einer
Adhärenzscheibe an Enterozyten besonders des Jejunums an. Es
wird eine Enterozytenbarrierestörung diskutiert, die für die Durch-
fälle verantwortlich sein könnte. Eine Invasion der Mukosa ist nicht
zu beobachten, bislang ist auch keine Enterotoxinproduktion be-
schrieben worden. Histologisch imponieren bei einigen Patienten
eine Kryptenhyperplasie und Zottenatrophie.

kKlinik
In der Mehrzahl der Fälle kommt es innerhalb von 2–10 Tagen nach
Infektion plötzlich zu breiig-wässrigem Durchfall, der von Ober-
bauchbeschwerden, Magenkrämpfen, Meteorismus und Flatulenz
begleitet ist. Die voluminösen Stühle sind übel riechend und eher
entfärbt. Erbrechen, Blutbeimengungen oder Fieber werden in der
Regel nicht beobachtet. Das klinische Spektrum reicht von asympto-
82.4.1 Beschreibung matischen Ausscheidern über akute, selbstlimitierende Verläufe bis
hin zu chronischer Lambliasis mit Malabsorption und Gewichtsver-
jMorphologie und Aufbau lust. In letzteren Fällen können Symptome verschwinden und nach
Giardia lamblia kommt in 2 Formen vor: Tagen bis Wochen wieder auftreten, was die Diagnosestellung oft
4 Trophozoiten sind vegetative Stadien, 10–20 μm lang und von erschwert.
birnenförmiger Gestalt. Sie besitzen 8 Geißeln, 2 beidseits der
Längsachse gelegene Kerne sowie eine saugnapfartige Vertie- kImmunität
fung an der Seite, die als Adhärenzscheibe fungiert. Die Infektion resultiert in einer lokalen und systemischen Immun-
4 Zysten sind oval, 10–14 μm lang und besitzen 4 Kerne, sichel- antwort. Sowohl das angeborene als auch erworbene Immunsystem
förmige Mediankörper und Geißeln. sind beteiligt. Neben Paneth-Zellen, die Defensine produzieren, sind
sekretorische IgA-Antikörper nachweisbar. In Tiermodellen führt
jEntwicklung die Abwesenheit von CD4+-T-Zellen zu einer Chronifizierung der
Nach der oralen Aufnahme von Zysten erfolgt die Exzystierung im Infektion. Antikörper spielen eine zentrale Rolle in der Abwehr: So
Magen und Umwandlung in Trophozoiten im Dünndarm. Tropho- vermitteln Antikörper in der Muttermilch einen wirksamen Schutz
zoiten wandeln sich nach 3–4 Wochen in Zysten um, die mit dem gegen G. lamblia. Patienten mit gestörten Antikörperproduktionen,
Stuhl ausgeschieden werden. z. B. IgA-Mangel, erkranken häufiger an einer Lambliasis.

jResistenz gegen äußere Einflüsse kLabordiagnose


Mit dem Stuhl ausgeschiedene Zysten sind in feuchter Umgebung Die Diagnosestellung erfolgt in der Regel durch mikroskopischen
wochen- bis monatelang lebensfähig. Nachweis der charakteristischen Erreger als 2-kernige Trophozoiten
oder Zysten im Stuhl. Sensitiver als die Lichtmikroskopie ist der
jVorkommen Nachweis spezifischer Antigene mittels direkter Immunfluoreszenz
Giardia lamblia kommt weltweit beim Menschen vor. Ähnliche Lam- oder ELISA oder der DNA-Nachweis durch PCR. Die Untersuchung
blien-Spezies (G. muris, G. duodenalis u. a.) sind im Tierreich weit von Duodenalsekret auf das Vorhandensein von Trophozoiten ist
verbreitet. Der Mensch scheint das wichtigste Erregerreservoir dar- möglich, aber wohl nicht sensitiver als wiederholte gezielte Stuhlun-
zustellen, die Bedeutung tierischer Reservoire scheint geringer zu tersuchungen.
sein.
kTherapie
Zur Anwendung kommen Imidazolpräparate (z. B. Metronidazol).
82.4.2 Rolle als Krankheitserreger Auch Paromomycin, Nitazoxanid oder Albendazol können einge-
setzt werden. Nicht selten treten nach Behandlung erneut Beschwer-
kEpidemiologie den auf, u. U. sind auch Erreger wieder nachweisbar. Dann bieten
Giardia lamblia gehört zu den häufigsten intestinalen Parasiten. sich Kombinationsbehandlungen (z.B. Metronidazol plus Paromo-
Während für Entwicklungsländer Prävalenzen von bis zu 30 % be- mycin) oder prolongierte Therapieregimes an.
richtet wurden, liegt die Prävalenz in Industrieländern bei bis zu 5 %.
Die Infektion tritt v. a. in den Sommermonaten auf. kPrävention
Die Prävention der Lambliasis beruht auf Hygiene. Aufgrund der
kÜbertragung weiten Verbreitung in menschlichen und tierischen Reservoiren
Die Parasiten werden durch verunreinigte Nahrung und kontami- sollte bei Reisen in tropische Länder unbehandeltes Trinkwasser ver-
niertes Wasser übertragen. Eine direkte Übertragung von Mensch zu mieden werden.
82.5 · Amöben
663 82
Meldepflicht Der direkte oder indirekte Nachweis von Giardia gungsrichtung bruchsackartige Scheinfüßchen (Pseudopodien)
lamblia ist namentlich meldepflichtig, soweit der Nachweis auf eine ausgebildet, die der Fortbewegung und Nahrungsaufnahme dienen.
akute Infektion hinweist (§ 7 IfSG). Im Zytoplasma befindet sich ein lichtmikroskopisch ringförmig er-
scheinender Kern, der ein zentrales Kernkörperchen beinhaltet und
an dem Chromatingranula liegen. Trophozoiten können Gewebe
In Kürze
auflösen und Erythrozyten sowie Bakterien aufnehmen. Formen
Giardia
mit phagozytierten Erythrozyten wurden früher als »Magna-
Parasitologie Begeißelte Flagellaten, als Trophozoiten und
formen«, kleinere Formen im Darmlumen als »Minutaformen«
Zysten vorkommend.
bezeichnet. Zysten sind kugelförmig und unbeweglich, besitzen
Entwicklung Trophozoiten an der Darmwand adhärierend,
eine widerstandsfähige Hülle und haben einen Durchmesser von
Zysten werden mit dem Stuhl ausgeschieden.
10–15 μm.
Epidemiologie Orale Aufnahme der Zysten durch kontaminier-
tes Trinkwasser oder Nahrung.
jEntwicklung
Pathogenese Anheftung der Erreger an Enterozyten, Krypten-
Mit dem Stuhl ausgeschiedene Zysten sind anfangs 1-, später 2-ker-
hyperplasie und Zottenatrophie.
nig und im infektiösen Stadium 4-kernig. Nach oraler Aufnahme
Klinik Akute oder chronische Durchfälle, häufig symptomlos,
reifer Zysten wird die Zystenwand eröffnet und aus der Zyste gehen
ggf. Malabsorption
4 bzw. nach Teilung 8 einkernige Trophozoiten hervor. Diese sind
Labordiagose Mikroskopischer Nachweis, Antigennachweis
zur Invasion der Darmmukosa befähigt. Im Darmlumen lebende
mittels direkter Immunfluoreszenz oder ELISA, ggf. Tropho-
Trophozoiten vermehren sich und differenzieren sich zu Zysten, die
zoitennachweis im Duodenalsekret, PCR.
mit dem Stuhl ausgeschieden werden.
Therapie Metronidazol, Paromomycin u. a.
jResistenz gegen äußere Einflüsse
In feuchter, kühler Umgebung sind die Zysten über mehrere Monate
infektiös. Eintrocknung oder Temperaturen über 55 °C töten die Er-
82.5 Amöben reger ab.

jVorkommen
Steckbrief
Entamoeba histolytica kommt weltweit, v. a. in tropischen Regionen,
Amöben sind Protozoen, die sich im beweglichen Stadium beim Menschen vor. Der Mensch ist, abgesehen von wenigen Affen-
(Trophozoiten) mit sog. Scheinfüßchen fortbewegen. Die rund- spezies, Hauptwirt von E. histolytica.
lichen Zysten stellen Dauerstadien dar. Wie der Name dieses
Protozoons schon verrät, kann Entamoeba histolytica, im Ge-
gensatz zu apathogenen Amöben, Gewebe zerstören und so zu 82.5.2 Rolle als Krankheitserreger
ggf. lebensbedrohlichen Infektionen (Amöbenruhr, Amöben-
leberabszess) führen. kEpidemiologie
Die Seroprävalenz beträgt je nach geografischer Region bis zu 80 %.
Die WHO schätzt die Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr auf bis zu
50 Mio. mit 40.000–80.000 Todesfällen – aktuelle Daten liegen aber
nicht vor. In den USA und Europa sind vorwiegend importierte
Infektionen von Bedeutung.

kÜbertragung
Symptomlose E. histolytica-Infizierte sind als Überträger wichtiger
als Erkrankte. Durch mangelhafte hygienische Bedingungen gelangt
E. histolytica ins Trinkwasser und/oder in Nahrungsmittel. Eine
direkte fäkal-orale Übertragung von Mensch zu Mensch kommt
ebenfalls vor. Fliegen und andere Insekten können die Erreger auf
Nahrungsmittel übertragen.
Verschiedene Amöbenarten finden sich weltweit im Darm des Men-
schen. Als apathogene Arten sind häufig Entamoeba coli, E. dispar, kPathogenese
E. hartmanni oder Endolimax nana nachweisbar. Von diesen abzu- Nach oraler Aufnahme der Zysten kommt es zur Exzystierung
grenzen ist die pathogene Art Entamoeba histolytica, die akute Er- im Darmlumen und zur Adhärenz an Enterozyten im Dickdarm
krankungen des Dickdarms sowie extraintestinale Abszesse verur- (. Abb. 82.10). Diese ist vermittelt durch ein Galaktose- und N-Aze-
sacht, meist in der Leber. Morphologisch sind Entamoeba histolytica tyl-D-Galaktosamin-spezifisches Lektin. Der Trophozoit kann Zel-
und E. dispar nicht zu unterscheiden. len der Mukosa invadieren und charakteristische Virulenzfaktoren
produzieren, die initial zu einer oberflächlichen, erosiven Läsion
führen: Neben Amöbapore, einem porenbildenden Protein, sind
82.5.1 Beschreibung Cysteinproteinasen, welche die Extrazellulärmatrix auflösen und die
IL-1-Produktion stimulieren, von Bedeutung. Mittels Caspasen wird
jMorphologie und Aufbau die Apoptose, mittels anderer Virulenzfaktoren die Nekrose von
Trophozoiten von E. histolytica können einen Durchmesser zwi- Zielzellen, auch Zellen des Immunsystems, induziert. Neutrophile
schen 10 und 50 μm haben. An der Oberfläche werden in Bewe- Granulozyten sind v. a. in der Frühphase der invasiven Amöbiasis
Parasitologie
664 Kapitel 82 · Protozoen

. Abb. 82.11 Amöbenleberabszess in der Sonografie

tinale Form ist nur selten mit gleichzeitigen intestinalen Symptomen


wie Übelkeit und Durchfall assoziiert. Männer sind 10-mal häufiger
als Frauen betroffen. Durch hämatogene Streuung können Abszesse
selten auch in anderen Organen wie Milz, Lunge, Gehirn und Haut
auftreten. Komplikationen sind Rupturen in Peritoneum, Pleura
oder Perikard.

kImmunität
Der Mukus im Kolon inhibiert die Adhärenz der Parasiten an En-
terozyten und hemmt die parasitäre Beweglichkeit. Nur die invasive
. Abb. 82.10 Zyklus von Entamoeba histolytica (intestinale und extraintestinale) Verlaufsform führt zu einer syste-
mischen Antikörperantwort. Mukosales IgA (v. a. gegen das galak-
tosespezifische Lektin) vermindert die Häufigkeit einer Reinfektion
nachweisbar und tragen zur Entzündungsreaktion und Gewebe- im 1. Jahr nach Infektion. Bei Patienten mit Amöbenleberabszess
nekrose bei. In der späteren Phase kommt es zu tiefen Ulzerationen. sind auch zelluläre Immunmechanismen beschrieben worden, deren
Vom Darm ausgehend kann eine Besiedlung der Leber erfolgen, protektive oder pathogenetische Rolle jedoch nicht im Detail geklärt
seltener ist eine Aussaat über den Blutweg in Gehirn, Milz oder an- sind.
dere Organe. Darin imponiert die Amöbiasis als Kolliquationsnek-
rose (»Abszess«), die beträchtliche Ausmaße annehmen kann. kLabordiagnose
Der Nachweis von E. histolytica erfolgt aus dem Stuhl. Frischer, war-
kKlinik mer Stuhl wird mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt und
Bei der Infektion mit E. histolytica unterscheidet man 3 Verlaufsfor- im Direktpräparat mikroskopiert. Die charakteristische, durch Pseu-
men. Neben dem asymptomatischen Ausscheidertum kommt es dopodien verursachte Beweglichkeit der vegetativen Stadien und der
bei 4–10 % der Infizierten zur invasiven intestinalen und/oder in- mikroskopische Nachweis hämatophager Trophozoiten (»Magna-
vasiven extraintestinalen Verlaufsform. formen«; Trophozoiten mit phagozytierten Erythrozyten) erlauben
in Zusammenhang mit der Klinik die Diagnose.
Invasive intestinale Form Diese Form verläuft nach einer variablen Abszess- und Biopsiematerial kann zur Untersuchung herange-
Inkubationszeit von Wochen bis Monaten als Enteritis (Amöben- zogen werden. Mehrfache Untersuchungen steigern die Sensitivität
ruhr). Neben krampfartigen Bauchschmerzen stellen sich Gewichts- der Mikroskopie auf über 60 %. Zysten von E. histolytica sind auch
verlust, bei bis zu 40 % der Infizierten auch Fieber ein. In seltenen im fixierten Stuhl nachweisbar, jedoch nicht von der apathogenen
Fällen kann die intestinale Amöbiasis als nekrotisierende Enteroko- Spezies E. dispar zu unterscheiden. Der Nachweis E. histolytica-
litis mit hoher Letalität verlaufen. Schwangerschaft und Immunsup- spezifischer Antigene im Stuhlüberstand per ELISA ist zwar sensitiv
pression (u. a. Kortikosteroideinnahme) sind hierfür Risikofaktoren. (Sensitivität ca. 90 %), jedoch unterscheiden nicht alle angebotenen
Als Komplikationen sind ein toxisches Megakolon, Amöbome (ent- Tests zwischen E. histolytica und E. dispar. Die sehr sensitive und
zündungsvermittelte tumorartige Verdickungen der Darmwand mit spezifische Stuhl-PCR kann Amöbenspezies sicher differenzieren.
Narbenbildung), Perforationen sowie perianale Ulzerationen und Auch zur Therapiekontrolle ist sie hilfreich.
Fisteln beschrieben worden. Die Mukosa des Dickdarms ist durch Bei invasiver Amöbiasis, v. a. bei extraintestinalem Verlauf, besitzt
ödematöse bis nekrotische Areale gekennzeichnet, der Stuhl ist ini- der Antikörpernachweis eine Sensitivität von ca. 70 bis über 90 %.
tial breiig, später blutig tingiert.
kTherapie
Invasive extraintestinale Form Diese Form tritt häufig als Amö- Zur Behandlung der invasiven intestinalen und extraintestinalen
benleberabszess (ALA), meist Monate oder Jahre nach der Infektion Form der Amöbiasis werden Imidazolpräparate (Metronidazol) an-
auf (. Abb. 82.11). Fieber, Schmerzen im rechten Oberbauch, Hepa- gewendet. Da die Parasiten im Darmlumen in bis zu 60 % persistie-
tomegalie und allgemeine Schwäche entwickeln sich. Die extraintes- ren, sollte eine Therapie mit Paromomycin zur Rezidivprophylaxe
82.6 · Plasmodien
665 82
angeschlossen werden. Paromomycin dient auch zur Behandlung 82.6 Plasmodien
der asymptomatischen Träger von E. histolytica. Diese sollten
grundsätzlich behandelt werden, um einer späteren invasiven Amö- Steckbrief
biasis vorzubeugen. Die Besiedlung mit E. dispar ist nicht behand-
lungsbedürftig. Plasmodien sind Protozoen, die je nach Entwicklungsstadium in
Beim Amöbenleberabszess ist nur in Ausnahmefällen eine chi- Erythrozyten und in Leberparenchymzellen vorkommen und
rurgische Intervention oder Punktion/Drainage erforderlich (z. B. durch weibliche Mücken der Gattung Anopheles übertragen
bei Perforationsgefahr). Das Ansprechen auf die medikamentöse werden. Sie gehören zur Klasse der Apicomplexa, stehen also
Therapie ist auch bei sehr großen oder multiplen Abszessen gut. Toxoplasma nahe. Von den zahlreichen bekannten Plasmodien-
arten sind die folgenden humanpathogen:
kPrävention 5 Plasmodium (P.) falciparum (Malaria tropica)
Die Vermeidung der fäkalen Kontamination von Lebensmitteln und 5 P. vivax (Malaria tertiana)
Trinkwasser stellt die wichtigste Präventivmaßnahme dar. Chemo- 5 P. ovale (Malaria tertiana)
prophylaxe oder Impfstoffe liegen nicht vor. 5 P. malariae (Malaria quartana)
5 P. knowlesi

82.5.3 Frei lebende Amöben Während die ersten 4 Spezies seit langem als Malariaerreger
des Menschen bekannt sind, wurde erst 2004 registriert, dass
Frei lebende Amöben (Naegleria fowleri, Acanthamoeba spp. und P. knowlesi (bislang vorwiegend Affen zugeordnet) in Teilen
Balamuthia mandrillaris) kommen in Süßwasser und Boden vor und Asiens für eine relevante Anzahl der Malariafälle verantwortlich
verursachen seltene, u. U. letal verlaufende Meningitiden bzw. Enze- ist.
phalitiden. Infektionen mit Acanthamöben können zudem, v. a. bei Der Name »Malaria« leitet sich aus dem Italienischen ab
Kontaktlinsenträgern, zur Keratitis führen. und steht im Zusammenhang mit der Vorstellung von krank
Die Diagnose erfolgt durch den Erregernachweis mittels Mikro- machender »schlechter Luft« in Sumpfgebieten (»mal aria«).
skopie, Kultur oder PCR. Die therapeutischen Möglichkeiten sind, P. falciparum wurde 1880 von Alphonse Laveran entdeckt, die
insbesondere bei Meningitis/Enzephalitis, limitiert. Bei der Keratitis Übertragung 1895 von Ronald Ross aufgeklärt.
werden antimikrobielle Substanzen (Chlorhexidin u. a.) topisch ein-
gesetzt, eine perforierende Keratoplastik kann erforderlich sein.

In Kürze
Amöben
Parasitologie Protozoen, als Trophozoiten (beweglich durch
Scheinfüßchen) und Zysten vorkommend.
Entwicklung Orale Aufnahme reifer Zysten, aus der invasive
Trophozoiten freigesetzt werden. Zysten werden mit dem Stuhl
ausgeschieden.
Epidemiologie Seroprävalenz je nach geografischer Region bis Plasmodium falciparum: intraerythrozytäre Ringform
zu 80 %. Pro Jahr bis zu 50 Mio. Neuerkrankungen. In den USA
und Europa vorwiegend importierte Infektionen.
Pathogenese Adhärenz an Enterozyten im Dickdarm. Invasion
von Zellen der Mukosa. Produktion eines porenbildenden Pro- 82.6.1 Beschreibung
teins, von Cysteinproteinasen und Aktivierung von Caspasen.
Klinik Asymptomatisches Ausscheidertum, invasive intestinale jMorphologie und Aufbau
(Kolitis) und/oder invasive extraintestinale (v. a. Amöbenleber- Plasmodien sind je nach Art und Entwicklungsstadium rundliche
abszess) Verlaufsform. bis längliche Protozoen, die im Blut so groß werden können, dass sie
Immunität Mukosales IgA vermindert transient die Häufig- einen befallenen Erythrozyten ausfüllen und z. T. noch vergrößern.
keit der Reinfektion. Bei Patienten mit invasiven Infektionen Es gibt ein- bis vielkernige Stadien.
Nachweis systemischer humoraler und zellulärer Immun-
mechanismen. jEntwicklung
Labordiagnose Zystennachweis im Stuhl (cave: keine Unter- Schizogonie Gleichzeitig mit der Blutmahlzeit injiziert die Mücke
scheidung von E. dispar möglich). Nachweis von Trophozoiten mit dem Speichel Sporozoiten (. Abb. 82.12). Diese dringen in Le-
im warmen Stuhl. Nachweis von E. histolytica-spezifischen Anti- berparenchymzellen ein und vermehren sich dort durch unge-
genen im Stuhlüberstand per ELISA. PCR. Bei invasiver Amöbiasis schlechtliche Vielteilung (Vorgang: Schizogonie; dadurch entstande-
Antikörpernachweis aus dem Serum. nes Stadium: Schizont). Die durch Teilung der Schizonten entstande-
Therapie Behandlung der invasiven intestinalen und extrain- nen Parasitenformen heißen Merozoiten (präerythrozytäre Schizo-
testinalen Amöbiasis mit Imidazol-Präparaten (Metronidazol). gonie, Gewebeschizogonie). Nach mehreren Tagen werden diese in
Therapie lumenständiger Formen und asymptomatischer Träger Vakuolen (»Merosomen«) aus der Leber in die Blutbahn transportiert
mit Paromomycin. (Ende der Präpatenzzeit), dringen in Erythrozyten ein und vermehren
Prävention Vermeidung der fäkalen Kontamination von sich dort ebenfalls durch Vielteilung (erythrozytäre Schizogonie, Blut-
Lebensmitteln und Trinkwasser. schizogonie). Durch Zerfall der Erythrozyten werden wieder Mero-
zoiten frei, die ihrerseits andere Erythrozyten befallen. Bei P. vivax
Parasitologie
666 Kapitel 82 · Protozoen

. Abb. 82.12 Zyklus humanpathogener Plasmodien

und P. ovale können Schizonten auch ohne Bildung von Merozoiten 82.6.2 Rolle als Krankheitserreger
in der Leber persistieren (Hypnozoiten). Diese sind Ursache für Rezi-
dive oder Spätmanifestationen einer Malaria tertiana. kEpidemiologie
In Europa konnte die Malaria nach dem Zweiten Weltkrieg ausgerot-
Gamogonie Je nach Spezies differenzieren sich nach 5–23 Tagen in tet werden, letzte Fälle autochthoner Malaria tertiana wurden z. B.
den Erythrozyten einige Merozoiten in weibliche (Makrogametozy- im Emsland noch bis in die 1950er Jahre registriert. Die heute in
ten) und männliche Geschlechtsstadien (Mikrogametozyten). Deutschland diagnostizierten Fälle werden aus Malariaendemiege-
bieten mitgebracht. Der Grad der Verbreitung in den Endemiegebie-
Sporogonie Die Gametozyten werden bei erneutem Stich von der ten hängt von vielen Faktoren ab, u. a. von Art und Verbreitung des
Mücke aufgenommen und vereinigen sich im Magen der Mücke zur Vektors, Immunitätslage der Menschen und deren Exposition sowie
Zygote (Ookinet), welche die Magenwand durchdringt. In der sich den Bekämpfungsmaßnahmen.
dann außerhalb des Magens bildenden Oozyste entstehen Sporozo- Plasmodien sind die Ursache von jährlich geschätzten etwa
iten, die in die Speicheldrüsen der Mücke wandern. Je nach Tempe- 200 Mio. klinischen Episoden mit 600.000 Todesfällen, die in der
ratur dauert die Entwicklung in der Mücke 1–2 Wochen. überwiegenden Mehrzahl auf Infektionen mit P. falciparum zurück-
zuführen sind und vorwiegend Kinder im subsaharischen Afrika
jResistenz gegen äußere Einflüsse betreffen. Die 1932 von Sinton und Mulligan beschriebene Affen-
Plasmodien kommen unter natürlichen Bedingungen nur im Wirt malaria durch P. knowlesi ist mittlerweile im südostasiatischen
oder in Vektoren vor. Unterhalb von 13 °C und oberhalb von 33 °C Bereich auf den Menschen übergetreten; der Erreger muss inso-
findet in der Mücke keine Sporogonie statt; die Temperaturtoleranz fern  nunmehr als 5. humanpathogener Malariaerreger bezeichnet
innerhalb dieser Grenzen ist von Art zu Art unterschiedlich. werden.
Substanzielle Mittel werden international mit dem Ziel der Era-
jVorkommen dikation dieser Erkrankung investiert. Angesichts aktueller Daten
Während die übertragende Anopheles-Mücke in weiten Teilen der erscheint dieses Ziel jedoch noch weit entfernt.
Welt vorkommt, beschränkt sich das Verbreitungsgebiet der Plasmo-
dien heutzutage auf die Tropen und Subtropen. Infektionen treten in kÜbertragung
Süd- und Mittelamerika, Afrika, Nah- und Fernost auf. Am weites- Plasmodien werden hauptsächlich vektoriell durch den Stich der
ten verbreitet sind P. falciparum und P. vivax, während P. ovale vor- weiblichen Anopheles-Mücke übertragen. Übertragungen sind auch
wiegend in Westafrika vorhanden ist und P. malariae sporadisch in durch Transfusionen, Injektionen bei Drogenabhängigen, Trans-
den Malariagebieten vorkommt. P. knowlesi kommt in Südostasien plantationen und perinatal möglich.
vor.
82.6 · Plasmodien
667 82
kPathogenese
Kardinalsymptom der Malaria, unabhängig von der Art des Parasi-
ten, ist Fieber. Dieses wird auf die Ruptur reifer Schizonten, eine
damit verbundene Freisetzung von Glykosylphosphatidylinositol
und anderer Pyrogene und die darauf folgende Sekretion von TNF-α
zurückgeführt. Findet der Erythrozytenzerfall synchronisiert statt
(bei Malaria tertiana und quartana oft nach einigen parasitären Ver-
mehrungszyklen), kommt es zum klassischen Malariaanfall. Diese
Synchronisation erfolgt nicht bei der Malaria tropica.
Die Anämie, die sehr ausgeprägt sein kann, entwickelt sich im
Verlauf und ist einerseits auf den Zerfall befallener Erythrozyten zu-
rückzuführen, andererseits aber durch Hypersplenismus, Autoanti-
körper und Myelosuppression bedingt. Der Hypersplenismus kann
darüber hinaus auch zu Neutro- und Thrombopenie führen. Die Milz
a
spielt auch eine zentrale Rolle beim Abbau parasitierter Erythrozyten.
Das dabei anfallende Malariapigment ist in den Organen des mono-
nukleär-phagozytären Systems (MPS), insbesondere der Milz, nach-
weisbar. Es kommt zur Splenomegalie.
Das intraerythrozytäre Wachstum von P. falciparum ist verbun-
den mit der Expression parasitärer Moleküle (z. B. Plasmodium falci-
parum-Erythrozyten-Membranprotein 1, PfEMP-1) an der Erythro-
zytenoberfläche (»knobs«). Diese Moleküle bewirken die Bindung an
Rezeptoren von Endothelzellen (ICAM-1 etc.) und wohl auch andere
befallene und nichtbefallene Erythrozyten (»Rosettenbildung«). Da-
durch kommt es zu Mikrozirkulationsstörungen (. Abb. 82.13b)
und Gewebehypoxie mit petechialen Blutungen und Nekrosen in
den betroffenen Organen, v. a. in Gehirn (zerebrale Malaria), Lunge
und Nieren, die innerhalb weniger Tage zum Tode führen können.
Die Sekretion von TNF-α induziert zudem eine vermehrte Expres- b
sion der erforderlichen Endothelrezeptoren und trägt somit zu den
Mikrozirkulationsstörungen bei. . Abb. 82.13a, b Malaria tropica. Postmortale Diagnose durch Nachweis
Ebenfalls an der Ausbildung der zerebralen Malaria beteiligt ist parasitierter Erythrozyten in Kapillaren des Herzmuskels (a) bzw. von Pigment-
wohl eine metabolische Enzephalopathie aufgrund eines erhöhten anreicherungen in den Kupffer-Sternzellen der Leber (b) (mit freundl. Geneh-
Glukoseverbrauchs und Laktatanfalls. Schwere intravasale Auto- migung von Prof. Dr. W. Bommer, Göttingen)
immunhämolyse mit Hämoglobinämie und -urie kennzeichnen
das Schwarzwasserfieber, eine seltene Komplikation der Malaria
tropica. Schock und Multiorganversagen, Hypoglykämie (besonders bei
Eine unspezifische Suppression der humoralen und zellulä- Schwangeren) und Nierenversagen. Eine Milzruptur ist selten.
ren Immunität kann auftreten und die Schwere des Verlaufs anderer Durch persistierende Parasiten im Blut (in der Zahl oft unterhalb der
Infektionen, z. B. Masern oder Pneumonien, beeinflussen. Diese Im- mikroskopischen Nachweisgrenze = subpatent) kann es bei semi-
munalterationen sind möglicherweise auch für das gehäufte Auftre- immunen Patienten noch bis zu etwa 2 Jahre nach der Infektion zu
ten des EBV-assoziierten Burkitt-Lymphoms in Malariaendemiege- Rückfällen (Rekrudeszenz) kommen.
bieten verantwortlich. Bei der Malaria tertiana und Malaria quartana Malaria tertiana und quartana sind durch Fieber, Anämie und
stehen Fieber und eine, verglichen mit der Malaria tropica, minder- Splenomegalie gekennzeichnet und verlaufen im Vergleich zur Ma-
schwere Anämie und Splenomegalie im Vordergrund. laria tropica deutlich gutartiger. Bei der P. vivax-Malaria können
jedoch Milzrupturen eine u. U. tödliche Komplikation darstellen. Bei
kKlinik der Malaria tertiana können durch Hypnozoiten verursachte Rezi-
Je nach Plasmodienart beträgt die Inkubationszeit meist 7–30 Tage. dive mehrere Jahre nach Erstinfektion auftreten.
Erste klinische Anzeichen können Mattigkeit, Appetitlosigkeit,
Durchfälle, Erbrechen, Kopf- und Gliederschmerzen sein. Zum klas- kImmunität
sischen Malariaanfall, der durch Schüttelfrost, Fieberanstieg und Die Ausbildung einer Semiimmunität, die nicht vor der Infektion,
-abfall mit Schweißausbrüchen gekennzeichnet ist, kommt es bei der jedoch vor einem schweren Verlauf schützen kann, ist in Endemie-
Malaria tertiana alle 48 h, bei der Malaria quartana alle 72 h. Das gebieten durch ständige Reinfektionen möglich. Fällt diese natür-
Fieber bei Malaria tropica ist wegen der ausbleibenden Synchronisa- liche immunologische Boosterung weg (z. B. nach Auswanderung
tion der Erreger unregelmäßig. Der Replikationszyklus bei der aus Malariaendemiegebieten), kann es zu einer erneuten schweren
P. knowlesi-Malaria ist kürzer als der anderer humanpathogener Erkrankung kommen. Diese Semiimmunität ist sowohl humoral als
Erreger und beträgt nur etwa einen Tag. auch zellulär bedingt, korreliert jedoch nicht mit bestehenden Anti-
Die Malaria tropica ist die gefährlichste Malariaform. Neben körpertitern.
der Anämie bestehen oft eine Splenomegalie, Thrombozytopenie Hämoglobinopathien verleihen eine gewisse natürliche Resis-
und gelegentlich ein Ikterus als Ausdruck der Leberbeteiligung tenz gegen schwere Erkrankungen: So sind heterozygote Träger des
(. Abb. 82.13a). Schwere und oft tödlich verlaufende Komplikatio- Sichelzellgens weitgehend gegen schwere Krankheitsverläufe ge-
nen sind die Entwicklung einer zerebralen Malaria, Lungenödem, schützt. Dieses beruht auf unwirtlichen Bedingungen für den Para-
Parasitologie
668 Kapitel 82 · Protozoen

währleistet die Diagnostik aus dem Dicken Tropfen die Möglich-


keit der Untersuchung größerer Mengen Blut in kürzerer Zeit, setzt
allerdings bei der Beurteilung und Differenzierung der Arten mehr
Erfahrung als bei der Beurteilung von Ausstrichen voraus. Bei nega-
tivem Ergebnis und weiter bestehendem Verdacht auf Malaria
sollten kurzfristig weitere Blutproben entnommen und untersucht
werden.
Die Speziesdifferenzierung erfolgt durch Beurteilung der Grö-
ße und Form der befallenen Erythrozyten sowie der intraerythrozy-
tären Erreger und einer möglicherweise vorhandenen Tüpfelung
oder Fleckung. Daneben sollte bei der Malaria tropica die Parasiten-
zahl pro mm3 durch Korrelation der Parasiten- und Leukozytenzahl
in den Gesichtsfeldern mit der Gesamtleukozytenzahl bestimmt
a b werden, da sie ggf. einen Risikofaktor für einen komplizierten Ver-
lauf darstellt.

Serologische Untersuchungen Cave: Diese sind wegen des ver-


zögerten Ansteigens der Antikörper im Serum zur Diagnose einer
akuten Erkrankung nicht geeignet! Sie kommen v. a. bei Fällen, bei
denen trotz starken Verdachts auf das Vorliegen einer Malaria wie-
derholt keine Parasiten im Blut nachgewiesen werden können, bei
der Untersuchung von Blutspendern und bei arbeitsmedizinischen
Untersuchungen von Tropenrückkehrern zur Anwendung. Daneben
sind sie notwendig zur Diagnostik des malariaassoziierten tropi-
schen Splenomegaliesyndroms und hilfreich bei der Durchführung
epidemiologischer Studien. Es wird v. a. der indirekte Immunfluo-
reszenztest unter Verwendung von P. falciparum als Antigen einge-
setzt.
c

. Abb. 82.14a–c Plasmodium vivax (a, b), Plasmodium falciparum (c) im Antigentests Kommerziell erhältliche Malariaschnelltests basieren
Blutausstrich (aus: Springer Lexikon Medizin, 2004) auf dem Nachweis plasmodienspezifischer Antigene mittels auf Test-
streifen fixierter monoklonaler Antikörper. Sie sind hinsichtlich
Sensitivität und Spezifität bei P. falciparum-Infektionen besser, bei
siten in den Erythrozyten (niedriger pH, geringere Sauerstoffbela- Infektionen mit den übrigen Spezies (wahrscheinlich einschließlich
dung) und einem schnelleren Abbau befallener Erythrozyten. Den P. knowlesi) gleich gut oder schlechter als die Mikroskopie. Da je-
vollständigsten Schutz vor der Infektion stellt das Fehlen des für die doch falsch negative Befunde vorkommen, Therapiekontrollen nicht
Invasion der Merozoiten erforderlichen Rezeptors auf der Erythro- sicher möglich sind (wegen der langen Persistenz von Malariaanti-
zytenoberfläche dar (Duffy-Antigen für P. vivax, daher v. a. P. ovale gen auch nach erfolgreicher Therapie) und eine Bestimmung der
in Westafrika). Parasitämie nicht möglich ist, ist die Expertenmikroskopie weiterhin
Impfstoffe, die momentan allerdings eher in Endemiegebieten der diagnostische Goldstandard. In Endemiegebieten wird die Um-
als bei Reisenden hilfreich sein können, befinden sich in der klini- stellung auf Antigentests wegen fehlender Ressourcen im Rahmen
schen Prüfung. von Studien untersucht.

kLabordiagnose Molekularbiologische Verfahren Die in spezialisierten Zentren


Cave: Bei Patienten mit Fieber, die sich in Malariagebieten auf- verfügbare PCR steht für diagnostische (z. B. Speziesdifferenzierung
gehalten haben, muss – unabhängig davon, ob diese eine Malaria- bei niedrigen Parasitendichten), wissenschaftliche (z. B. Resistenz-
prophylaxe durchgeführt haben – eine Malaria ausgeschlossen entwicklung) oder forensische Fragestellungen zur Verfügung. Sie ist
werden! zudem wichtig für die Diagnostik von P. knowlesi-Infektionen (bei
Patienten aus Südostasien).
Blutausstrich und Dicker Tropfen Der Ausschluss einer Malaria
geschieht durch mehrere Blutausstriche und Dicke Tropfen (. Abb. kTherapie
82.14). Methanolfixierte Ausstriche werden nach Giemsa gefärbt Die Therapie der Malaria tropica erfolgt bevorzugt mit Artemisinin-
und mit Ölimmersion sehr gründlich durchgemustert, da auch Verbindungen (Artemether/Lumefantrin oder Dihydroartemisinin-
Mischinfektionen mit verschiedenen Plasmodienarten vorkommen Piperaquin) oder mit Atovaquon/Proguanil, in schweren Fällen ggf.
können. auch i. v. mit Artesunat (nicht zugelassen, Informationen unter
Dicke Tropfen (nichtausgestrichene Tropfen Blut auf einem Ob- www.dtg.org) oder Chinin und Doxycyclin (bei Kindern Chinin mit
jektträger) werden gut getrocknet, vor der Giemsa-Färbung jedoch Clindamycin). In bestimmten Fällen, z. B. bei Schwangeren oder
nicht fixiert. Bei der Färbung kommt es zur Hämolyse und Entfär- kleinen Kindern hat auch Mefloquin weiterhin Bedeutung.
bung der Erythrozyten, sodass mehrere übereinanderliegende Ery- Bei Malaria quartana und Malaria tertiana gibt man i. d. R.
throzytenschichten beurteilt werden können. Chloroquin (Ausnahme: P. vivax-Infektion aus Südostasien wegen
Insbesondere bei niedriger Parasitämie, z. B. bei anbehandelten verbreiteter Chloroquinresistenzen). Bei Malaria tertiana schließt
oder semiimmunen Patienten oder nach Chemoprophylaxe, ge- sich eine Behandlung mit Primaquin zur Rezidivprophylaxe durch
82.8 · Toxoplasma
669 82
Eradikation evtl. vorhandener Hypnozoiten in der Leber an. Ein 82.7 Babesien
Mangel an Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase (G6PDH) muss zur
Vermeidung u. U. schwerer Hämolysen vor der Gabe von Primaquin Mit Plasmodien verwandt sind Babesien, Blutparasiten bei Mensch
ausgeschlossen werden. Atovaquon/Proguanil besitzt als einziges und Tier. Verschiedene Spezies können durch Zecken, aber auch
Schizontenmittel eine gewisse Wirksamkeit gegen Plasmodien in der Bluttransfusionen auf den Menschen übertragen werden. Die beiden
Leber. wichtigsten sind Babesia divergens, die v. a. in Europa vorkommt,
Zunehmende Bedeutung hat die Resistenz besonders von P. fal- und B. microti, überwiegend in den USA.
ciparum gegen eines oder mehrere Therapeutika erlangt. Zur The- Die meisten Infektionen verlaufen offenbar asymptomatisch. In
rapie der P. knowlesi-Infektion liegen keine hinreichend validen seltenen Fällen entwickeln Infizierte nach wenigen Wochen Inku-
Daten vor. Derzeit scheint ein therapeutisches Vorgehen – je nach bationszeit Fieber, Schüttelfrost, Abgeschlagenheit und eine hämo-
Schweregrad – wie bei der Malaria tropica gerechtfertigt (s. o.). lytische Anämie. Fatale Verläufe wurden v. a. bei splenektomierten
Aktuelle Therapieempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Patienten nach Infektion mit B. divergens beschrieben.
Tropenmedizin und Internationale Gesundheit sind unter www.dtg. Die Diagnose erfolgt durch mikroskopischen Nachweis der Erre-
org erhältlich. ger in Blutausstrichen oder Dicken Tropfen. Therapeutisch kommen
Clindamycin und Chinin oder Azithromycin plus Atovaquon zum
kPrävention Einsatz. Bei splenektomierten Patienten mit sehr hoher Parasitämie
Die Bekämpfung der Überträger ist wegen der zunehmenden Resis- können Austauschtransfusionen erwogen werden.
tenz der Mücken gegen Insektizide deutlich erschwert worden. Rei-
sende sollten eine Mückenstichprophylaxe durchführen v. a. mittels
Moskitonetzen in den Schlafräumen, aber auch durch Tragen ent- 82.8 Toxoplasma
sprechender Kleidung, die Anwendung von Repellents und durch
Vermeiden des Aufenthalts im Freien während der Dämmerung.
Zusätzlich kann eine Chemoprophylaxe notwendig sein. Für Steckbrief
den Fall des Auftretens von Fieber im Reisegebiet und Fehlen eines
Toxoplasma (T.) gondii ist ein Protozoon (Apicomplexa), das
Arztes kann dem Reisenden zur Notfallbehandlung ein geeignetes
als Trophozoit oder Zyste in Geweben vom Menschen und
Medikament (»stand-by treatment«) mitgegeben werden. Jährlich
warmblütigen Tieren sowie als Oozyste bei Katzenartigen vor-
aktualisierte, länderspezifische Empfehlungen finden sich unter
kommt. Es kann vom Tier auf den Menschen übertragen werden
www.dtg.org.
(Anthropozoonose). Die Infektion verläuft meistens symptomlos
(Toxoplasma-Infektion), seltener mit Krankheitserscheinungen
Meldepflicht Der direkte oder indirekte Nachweis von Plasmodien
(Toxoplasmose).
ist nichtnamentlich meldepflichtig (§ 7 IfSG).

In Kürze
Plasmodien
Parasitologie Apicomplexa der Gattung Plasmodium, in Toxoplasma gondii:
Erythrozyten und Leberzellen vorkommend. gebogene Trophozoiten
Entwicklung Präerythrozytäre Entwicklung und Teilung in (gr.: »toxon«: Bogen),
entdeckt 1908 von
Leberzellen, dann erythrozytäre Entwicklung und Vermehrung
Charles J. H. Nicolle und
im Blut.
Louis H. Manceaux im
Epidemiologie Übertragung durch Anopheles-Mücken. Nagetier Gondi
Pathogenese Zerfall der Erythrozyten und Freisetzung endoge-
ner Pyrogene. Anämie. Belastung des MPS durch Erythrozyten-
zerfall und Parasitenstoffwechselprodukte. Malaria tropica:
Mikrozirkulationsstörungen, Gewebshypoxie, petechiale Blutun-
gen, Nekrosen. Immunsuppression. 82.8.1 Beschreibung
Klinik Fieber, Anämie, Splenomegalie. Evtl. Milzruptur. Malaria
tropica: keine periodischen Fieberanfälle, Ikterus, Schock, zere- jMorphologie und Aufbau
brale Malaria, Multiorganversagen. Malaria tertiana: u. U. Rezidive Toxoplasmen treten in 3 Entwicklungsstadien auf.
durch Hypnozoiten. 4 Tachyzoiten (Trophozoiten) sind sichelförmig gebogene Ein-
Immunität Erworbene zelluläre und humorale Semiimmunität. zelparasiten; ihre Länge entspricht einem Erythrozytendurch-
Labordiagnose Blutausstriche und Dicke Tropfen, Giemsa- messer.
Färbung, Antigennachweis, PCR. 4 Zysten sind bis zu 200 μm große, runde Dauerstadien, die in-
Therapie Malaria tropica: Je nach Erkrankungsschwere und nerhalb der Membran hunderte bis tausende Einzelparasiten
ggf. Resistenz des Erregers: Artesunat, Chinin plus Doxycyclin, (Bradyzoiten) enthalten.
Artemether/Lumefantin, Dihydroartemisinin-Piperaquin, 4 Oozysten sind eiförmige Dauerstadien im Kot von Katzen, die
Atovaquon/Proguanil, Mefloquin. Malaria tertiana: Meist Chloro- einige Tage nach Ausscheidung sporulieren und dann 2 Sporo-
quin, anschließend Primaquin. Malaria quartana: Chloroquin. zysten mit je 4 Sporozoiten enthalten.
P. knowlesi: Nach Erkrankungsschwere wie Malaria tropica.
Prävention Mückenabwehr und Medikamente (je nach geogra- Es werden 3 Genotypen von T. gondii unterschieden, v. a. Geno-
fischer Region). typ II ist in der nördlichen Halbkugel für Infektionen verantwort-
lich.
Parasitologie
670 Kapitel 82 · Protozoen

. Abb. 82.15 Zyklus von Toxoplasma gondii

jEntwicklung 82.8.2 Rolle als Krankheitserreger


Der Mensch und andere Säugetiere infizieren sich durch orale Auf-
nahme von Gewebezysten (im rohen oder ungenügend gekochten kEpidemiologie
Fleisch) oder von Oozysten (aus Katzenkot oder mit Katzenkot kon- Die Durchseuchung beim Menschen nimmt mit jedem Lebensjahr-
taminierter Umwelt). Die Parasiten durchdringen die Darmwand zehnt um ca. 10 % zu und erreicht in der Altersgruppe der 60- bis
und können über den Blut- und Lymphweg im gesamten Körper 65-Jährigen in Deutschland bis zu 70 %.
disseminieren. Durch ungeschlechtliche, intrazelluläre Zweiteilung Konnatale Infektionen beobachtet man bei etwa 1 auf 1000–
entstehen Tachyzoiten. Durch die Abwehrreaktionen des Wirtes 10.000 Lebendgeburten. Aufgrund der hohen Zahl asymptomati-
kommt es zur Ausbildung von Zysten, die vorwiegend in Gehirn scher Neugeborener ist die Zahl gemeldeter konnataler Infektionen
und Retina sowie in Skelett- und Herzmuskulatur zu finden sind und epidemiologisch wenig aussagekräftig.
lebenslang im Gewebe überdauern. Eine (konnatale) Infektion di-
rekt auf dem Blutwege ist intrauterin möglich. kÜbertragung
Bei Hauskatzen und deren nahen Verwandten (Feliden) kann es Die Übertragung auf den Menschen geschieht v. a. durch den Ver-
im Darm zusätzlich zu einer geschlechtlichen Vermehrung mit Aus- zehr rohen oder ungenügend erhitzten Fleischs (Hackfleisch). Aus
bildung von Oozysten kommen, die mit dem Kot ausgeschieden Katzenkot (Katzenstreu, Spielsand, Gartenarbeit, Landwirtschaft)
werden und nach Sporulation infektiös sind. Katzen dienen daher kann es zur oralen Aufnahme von Toxoplasma-Oozysten kommen
als Endwirte für den Parasiten (. Abb. 82.15). (. Abb. 82.15).
Warmblütige Tiere können sich durch Fressen Gewebezysten-
jResistenz gegen äußere Einflüsse haltigen Fleischs (z. B. Futterfleisch, Nagetiere), Aufnahme von To-
Die Trophozoiten sterben bei Austrocknung sehr schnell ab, wäh- xoplasma-Oozysten aus Katzenkot oder auf pränatalem Wege infi-
rend die Zysten im gekühlten Fleisch mehrere Wochen lang lebens- zieren. Die Infektionsraten sind teilweise beträchtlich.
fähig sind, aber bei Tiefgefrieren absterben. Die Oozysten leben
im feuchten Erdboden mehrere Jahre und überstehen dabei Frost- kPathogenese
perioden. Die Parasiten vermehren sich intrazellulär durch Zweiteilung. Da-
durch kommt es zum Platzen der Wirtszellen und zur Besiedelung
jVorkommen weiterer benachbarter Zellen. Bei Infektion der Plazenta kann es zu
Die Infektion ist beim Menschen und bei warmblütigen Tieren welt- einer konnatalen Infektion und in deren Folge zu Abort, seltener zu
weit verbreitet. Je nach geografischer Region liegt die Seroprävalenz Totgeburt oder schweren Schäden beim Neugeborenen kommen.
bei bis zu 80 %. Das Aufbrechen von Zysten kann sich beim Immungesunden als
rezidivierende Retinochorioiditis manifestieren. Auch eine zelluläre
Immunschwäche (z. B. HIV-Infektion/AIDS, Transplantationen)
82.8 · Toxoplasma
671 82
kImmunität
Bei einer Toxoplasma-Infektion werden humorale und zelluläre Im-
munmechanismen induziert. Diese vermitteln einen vermutlich le-
benslangen Schutz vor symptomatischen Zweitinfektionen, auch vor
der konnatalen Infektion. Spezifische Antikörper sind im Serum
nachweisbar, verleihen aber nur einen geringen Schutz; dieser ist v. a.
zellulärer Natur. Wesentliche Bedeutung haben T-Zellen und TH1-
Typ-Zytokine, v. a. IFN-γ. Für die Bedeutung der zellulären Ab-
wehr sprechen neben Ergebnissen von Tierversuchen auch Erfah-
rungen mit Immunsuppression beim Menschen:
4 Bei über 30 % von AIDS-Patienten tritt bei fehlender antiretro-
viraler Therapie bzw. fehlender Prophylaxe durch Antiparasitika
durch Reaktivierung einer latenten Toxoplasma-Infektionen
eine fokale nekrotisierende Enzephalitis auf, z. T. mit Dissemi-
nation in andere Organe. Unbehandelt ist der Verlauf tödlich.
4 Durch die Unterdrückung der Immunabwehr bei Transplanta-
tionspatienten kann es zu Reaktivierungen oder symptoma-
tisch verlaufenden Erstinfektionen kommen, häufig durch das
infizierte Spenderorgan. Die Infektion zeigt dann oft das Bild
einer Septikämie.
. Abb. 82.16 Konnatale Toxoplasmose – ausgeprägter Hydrozephalus
nach diaplazentarer Infektion mit Toxoplasma gondii (mit freundl. Geneh-
migung von Prof. Dr. W. Bommer, Göttingen) kLabordiagnose
Der Nachweis des Erregers ist direkt und indirekt möglich.
Größere Bedeutung für die Diagnostik einer Toxoplasma-Infek-
führt zum Aufbrechen der Zysten und zur Reaktivierung der laten- tion besitzen Tests auf spezifische Antikörper. IgG-Antikörper sind
ten Toxoplasma-Infektion, die sich meist als Enzephalitis mani- bei allen Infizierten nachweisbar. Toxoplasma-IgM-Antikörper-Nach-
festiert. weise und die Avidität Toxoplasma-spezifischer IgG-Antikörper wer-
den zur Differenzierung zwischen einer latenten und aktiven Infek-
kKlinik tion eingesetzt. Werden IgM-Antikörper nachgewiesen, so bedeutet
Die Infektion verläuft meistens symptomlos (Toxoplasma-Infek- das nicht zwingend, dass auch eine frische Infektion vorliegt. Bei Neu-
tion), seltener mit Krankheitserscheinungen (Toxoplasmose). Kli- geborenen sind IgM- und/oder IgA-Antikörper jedoch ein sicherer
nisch sind 2 Verlaufsformen zu unterscheiden: die postnatal und Hinweis auf einen pränatalen Übergang des Erregers. Der Nachweis
die pränatal erworbene Toxoplasmose: von IgG-Antikörpern identifiziert den immunsupprimierten Patien-
ten als Risikopatienten für eine Reaktivierung. Das RKI hält Informa-
Postnatal erworbene Toxoplasmose 95 % aller postnatalen Infek- tionen zur Beurteilung von serologischen Befunden sowie eine Liste
tionen verlaufen symptomlos. In seltenen Fällen kommt es nach von Beratungslabors bereit (www.rki.de). . Tab. 82.1 gibt den aktuel-
1–3 Wochen Inkubationszeit zu leichtem Fieber, Mattigkeit, Muskel- len Stand der Diagnostik der konnatalen Infektion wieder.
und Gelenkschmerzen sowie zervikalen Lymphknotenschwellun- Zur direkten Untersuchung können Gewebeproben aus ver-
gen. Eine Retinochorioiditis kann ebenfalls Ausdruck einer frischen schiedenen Organen (z. B. Lymphknoten, Plazenta, Hirnbioptate)
Infektion sein. Bei HIV-Infizierten oder Patienten unter Immun-
suppression verläuft eine akute Toxoplasma-Infektion meist schwer.
Es kommt zu einer interstitiellen Pneumonie, oft mit Beteiligung
. Tab. 82.1 Toxoplasmosediagnostik bei Verdacht auf konnatale-
anderer Organe wie Leber oder Milz. Häufiger als die akute Infektion Infektion
ist die Reaktivierung einer latenten Toxoplasma-Infektion unter
Immunsuppression. Klinisch eindrucksvoll ist eine zerebrale Mani- Zeitpunkt Diagnostisches Verfahren Material
festation mit einer Symptomatik entsprechend der Lokalisation des
Herdes. Fetus Direktnachweis mittels PCR Fruchtwasser
ab 17. SSW oder Tierversuch
Pränatal erworbene Toxoplasmose (konnatale Toxoplasmose) Infi- Fetus Sonografie
ziert sich eine Frau während der Schwangerschaft erstmalig mit To- ab 22. SSW
xoplasmen, so geht in etwa der Hälfte der Fälle (1. Trimester 15 %,
2. Trimester 30 %, 3. Trimester 60 %) der Parasit auf den Fetus über. U1 IgG, IgM, IgA mittels ELISA, Serum (Mutter
ISAGA* und Immunoblot und Kind)
Je nach Zeitpunkt und Intensität der Infektion kann es zum Abort,
seltener zur Totgeburt oder zu Symptomen wie Hydrozephalus U1 Direktnachweis mittels PCR Liquor, Blut
(. Abb. 82.16), intrazerebralen Verkalkungen und Retinochorioiditis U1 Schädelsonografie, Spiegelung
kommen. Infektionen am Beginn einer Schwangerschaft führen zu des Augenhintergrundes
schweren Schäden; erfolgen die Infektionen später, so ist das Aus-
maß der Veränderungen geringer. Wird ein konnatal infiziertes Kind Bis U6 IgG** Serum
zunächst klinisch gesund geboren (ca. 85 % aller Fälle), so können
* »Immunosorbent Agglutination Assay«
nach Monaten oder Jahren doch noch Spätschäden (Entwicklungs-
** Bis zur Negativierung zum Ausschluss einer konnatalen Infektion,
störungen, geistige Retardierung, Retinochorioiditis bis hin zur Er- IgG-Persistenz bei konnataler Infektion
blindung) auftreten.
Parasitologie
672 Kapitel 82 · Protozoen

sowie Fruchtwasser verwendet werden. Das Material kann histolo- 82.9 Kryptosporidien
gisch mit den üblichen klassischen Methoden (z. B. HE-Färbung)
oder mit Antikörpern gefärbt werden. Die PCR kommt v. a. beim Steckbrief
ungeborenen Kind (Fruchtwasser) und bei immunsupprimierten
Patienten (AIDS, Transplantationen) zur Anwendung. Die humanpathogenen Kryptosporidien Cryptosporidium (C.)
parvum, C. hominis u. a. sind obligat intrazelluläre Protozoen,
kTherapie die bei immunkompetenten Patienten selbstlimitierende, bei
Es wird im Allgemeinen nur die Toxoplasmose durch Gabe einer Patienten mit zellulärer Abwehrschwäche (z. B. AIDS-Patienten)
Kombination von Pyrimethamin mit Sulfonamiden oder Clindamy- hingegen chronische, z. T. lebensbedrohliche Gastroenteritiden
cin behandelt. Zur Vorbeugung einer Störung der Hämatopoese ist verursachen. Kryptosporidien wurden in Tieren 1907 von dem
zusätzlich zu dieser Kombination Folinsäure (nicht Folsäure!) zu amerikanischen Parasitologen E. E. Tyzzer entdeckt, die ersten
verabreichen. Bei einer Erstinfektion während der Schwangerschaft Fälle beim Menschen beschrieben 1976 unabhängig voneinan-
ist eine Behandlung auch ohne Krankheitserscheinungen notwen- der J. L. Meisel sowie F. A. Nime und Mitarbeiter. Innerhalb der
dig. Bis zur 15. SSW werden Spiramycin zur Verringerung der Rate Klasse Apicomplexa und der Ordnung Coccidia stehen Krypto-
der Übertragung und danach die Kombination Pyrimethamin plus sporidien den Toxoplasmen nahe.
Sulfadiazin (verhindert die Replikation der Parasiten bei Mutter und
Fetus) und Folinsäure gegeben.

kPrävention
Verhütungsempfehlungen (Expositionsprophylaxe, primäre Pro-
phylaxe) gelten v. a. für Schwangere, die nicht mit Toxoplasmen
infiziert sind. Auf den Genuss von rohem oder ungenügend erhitz-
tem Fleisch sollte verzichtet werden. Kotkästen von Katzen sind täg-
lich zu reinigen, da evtl. vorhandene Oozysten zu diesem Zeitpunkt
noch nicht infektiös sind. Bei und nach Gartenarbeit (Oozysten im
Erdboden) sind hygienische Grundregeln zu beachten. Katzen sind
von Spielsandkästen fernzuhalten.
Durch serologische Untersuchungen kann das Risiko einer prä- 82.9.1 Beschreibung
natalen Infektion frühzeitig erkannt und mittels Chemotherapie
minimiert werden. Bei AIDS-Patienten ist sowohl die primäre als jMorphologie und Aufbau
auch die sekundäre Prophylaxe (prophylaktische Therapie bis zur Die mit dem Stuhl ausgeschiedenen Oozysten sind rundlich und
Immunrekonstitution) zu beachten. haben einen Durchmesser von 4–6 μm. Sie enthalten 4 Sporozoiten,
die im Gegensatz zu anderen verwandten Kokzidien (Isospora, Cy-
Meldepflicht Der direkte oder indirekte Nachweis konnataler clospora) freiliegen und nicht in Sporozysten enzystiert sind. Die
Infektionen mit Toxoplasma gondii ist nichtnamentlich melde- relativ dicke, widerstandsfähige Wand der Oozyste führte zur Na-
pflichtig (§ 7 IfSG). mensgebung (gr. »kryptein«: verbergen).

jEntwicklung
In Kürze Nach oraler Aufnahme der Oozysten werden 4 Sporozoiten freige-
Toxoplasma setzt, die sich im Dünndarm im Bereich der Mikrovilliregion zu-
Parasitologie Intrazelluläres Protozoon der Art Toxoplasma nächst an die Enterozyten anlagern. Es kommt zur Ausbildung einer
gondii, überwiegend im Gewebe vorkommend. parasitophoren Vakuole, bestehend aus je 2 Wirts- und 2 Parasiten-
Entwicklung Tachyzoiten in der akuten Phase, Zysten (mit membranen. Die Parasiten liegen so intrazellulär, jedoch extrazyto-
Bradyzoiten gefüllt) in ZNS und quer gestreifter Muskulatur in plasmatisch. Es folgen Reifung und Teilung (asexuelle Vermehrung,
der latenten Phase. Oozysten nur im Kot von Katzen. Schizogonie) und Merozoiten werden ins Darmlumen freigesetzt.
Pathogenese Intrazelluläre Vermehrung mit Evasion des Diese befallen zunächst neue Enterozyten (Autoinfektion), im wei-
Immunsystems. Bei Erstinfektion der Schwangeren konnatale teren Verlauf entwickeln sich auch einige Merozoiten zu sexuellen
Übertragung. Reaktivierung bei Immunsuppression (v. a. AIDS). Formen (Gametozyten). Diese verschmelzen zur Zygote und bilden
Klinik Meistens symptomlos, Lymphknotentoxoplasmose, in der parasitophoren Vakuole infektiöse, d. h. 4 reife Sporozoiten
konnatal: Abort, Totgeburt, Enzephalitis, Hydrozephalus, Retino- enthaltende Oozysten (Sporogonie), jedoch mit unterschiedlicher
chorioiditis; Enzephalitis bei AIDS-Patienten. Wanddicke. Nach Freisetzung ins Darmlumen kann die Wand der
Immunität Vor allem T-Zell-vermittelt. dünnwandigen Oozysten rupturieren und so erneut zur Autoinfek-
Labordiagnose Serodiagnostik bei Immungesunden, direkter tion führen, die dickwandigen Oozysten werden mit dem Stuhl aus-
Erregernachweis mittels PCR im Fruchtwasser bei Schwangeren geschieden.
und im ZNS bei Immunsupprimierten.
Therapie Pyrimethamin plus Sulfadiazin (plus Folinsäure); bei jResistenz gegen äußere Einflüsse
Erstinfektion in der Schwangerschaft Vorstellung in einer Oozysten von Kryptosporidien sind resistent gegenüber Umweltein-
Fachabteilung. flüssen und bereits bei Ausscheidung infektiös. Somit sind Autoin-
Prävention Insbesondere nichtimmune Schwangere: fektionen möglich.
kein rohes Fleisch essen, hygienischer Umgang mit Katzen,
Antikörpertests zur Erkennung einer Erstinfektion.
82.9 · Kryptosporidien
673 82
jVorkommen
Kryptosporidien kommen weltweit vor und werden entweder als
Anthropozoonose von Tieren (v. a. Rindern und Schafen) oder
direkt von Mensch zu Mensch übertragen.

82.9.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
Während die Prävalenz der Kryptosporidiose bei immunkompeten-
ten Patienten mit Diarrhö in Industrieländern bei bis zu 2 % liegt,
kann der Anteil der Kryptosporidieninfektionen bei AIDS-Patienten
mit Durchfall in Entwicklungsländern auf über 20 % ansteigen. Mas-
senausbrüche, v. a. durch kontaminiertes Trinkwasser, wurden be-
schrieben.

kÜbertragung
. Abb. 82.17 Kryptosporidien, Oozysten im Stuhl (Kinyounfärbung) (mit
Die Übertragung der Oozyten erfolgt meist fäkal-oral über Nahrung
freundl. Genehmigung von Dr. Martin Eisenblätter)
oder Trinkwasser. Für eine Infektion reichen schon 10–100 Oozys-
ten aus.
kLabordiagnose
kPathogenese Der lichtmikroskopische Nachweis der Oozysten von C. parvum
Die Pathogenese der Kryptosporidiose ist bisher weitgehend unge- gelingt gut bei Anwendung einer säurefesten Färbung mit Karbol-
klärt. Während in infizierten Epithelzellen Gene des zellulären fuchsin und einer Gegenfärbung mit Methylenblau. Die Erreger sind
Überlebens (z. B. NF-κB) aktiviert werden, welche die parasitäre dann auf blauem Untergrund rot angefärbt (. Abb. 82.17). Des Wei-
Entwicklung begünstigen, wird gleichzeitig die Apoptose nichtinfi- teren kommen direkte und indirekte Immunfluoreszenz sowie der
zierter, benachbarter Epithelzellen induziert. Histologisch nachweis- Nachweis sezernierter Proteine oder von Oozysten-Oberflächen-
bare Atrophie und Verlust der Mikrovilli, verbunden mit Krypten- molekülen mittels ELISA zur Anwendung.
hyperplasie und bakterieller Überbesiedlung, könnten zur Mal-
absorption und Maldigestion beitragen und zum Entstehen einer kTherapie
osmotischen Diarrhö führen. Die »choleraähnlichen« Diarrhöen Kryptosporidien sind ausgesprochen resistent gegenüber Antibioti-
legen darüber hinaus die Freisetzung eines bislang jedoch nicht ka. Während Behandlungsversuche mit verschiedenen antiparasitä-
nachgewiesenen Exotoxins mit der Folge einer sekretorischen Diar- ren Substanzen (z. B. Paromomycin) erfolglos waren, scheint u. U.
rhö nahe. In der Lamina propria sind eingewanderte inflammatori- Nitazoxanid wirksam zu sein. Bei AIDS-Patienten beeinflusst eine
sche Zellen (Lymphozyten, Makrophagen, Plasmazellen und neutro- Verbesserung der Immunabwehr durch antiretrovirale Therapie den
phile Granulozyten) histologisch nachweisbar. Verlauf der Erkrankung günstig.

kKlinik kPrävention
Nach Aufnahme infektiöser Oozysten kommt es im immunkompe- Patienten mit Immunschwäche sollten Tierkontakte, aber auch Kon-
tenten Patienten nach ca. 7–10 Tagen Inkubationszeit zu einem takte zu infizierten Patienten meiden. Neben dem Einhalten allge-
kurzzeitigen, selbstlimitierten wässrigen Durchfall, evtl. begleitet meiner Hygienevorschriften sollten HIV-Patienten mit einer sehr
von Fieber, Übelkeit und Erbrechen oder die Infektion verläuft niedrigen CD4-Zellzahl u. U. abgekochtes bzw. industriell abgefüll-
asymptomatisch. Bei Personen mit Immunschwäche (z. B. AIDS) tes Wasser trinken, da die Oozysten extrem resistent gegenüber Um-
kann es dagegen zu schweren chronischen Durchfällen mit erhebli- welteinflüssen sind und die Infektionsdosis relativ niedrig ist.
chen, z. T. lebensbedrohlichen Flüssigkeitsverlusten kommen. Da-
neben wurden in immunsupprimierten Patienten auch extraintesti- Meldepflicht Der direkte oder indirekte Nachweis von Cryptospo-
nale Manifestationen, z. B. Cholezystitis, Hepatitis, Pankreatitis und ridium parvum ist namentlich meldepflichtig, soweit der Nachweis
Erkrankungen der Atemwege beschrieben, letztere evtl. durch aspi- auf eine akute Infektion hinweist (§ 7 IfSG).
rierte Oozysten verursacht.

kImmunität 82.9.3 Weitere Kokzidien


Das Auftreten chronischer Verläufe von Kryptosporidiose in Patien-
ten mit T-Zell-, aber auch humoralen Immundefekten weist auf die Sarcocystis Der Mensch kann sowohl als Fehlwirt als auch als End-
Beteiligung von T- und B-Lymphozyten bei der Abwehr von Kryp- wirt fungieren. Im ersten Fall werden reife Oozysten mit kontami-
tosporidien hin. Neben mukosal sezernierten Antikörpern, die mit niertem Trinkwasser oder Nahrung aufgenommen, diese entwickeln
der Anheftung von Sporo- und Merozoiten interferieren mögen, sich im Darm weiter und schließlich kommt es zur Absiedlung ase-
scheinen CD4-T-Lymphozyten und IFN-γ bei der Überwindung der xueller Stadien im Muskelgewebe. Dies kann zu einer eosinophilen
Infektion und der erworbenen Immunität, die vor einer Neuinfek- Myositis führen. Im zweiten Fall werden asexuelle Sarkozysten aus
tion schützt, von Bedeutung zu sein. dem Muskelgewebe von kontaminiertem Rind- bzw. Schweine-
fleisch oral aufgenommen und, nach Weiterentwicklung im Darm,
reife Oozysten mit dem Stuhl ausgeschieden. Hierbei können kurz-
zeitig leichte gastrointestinale Beschwerden auftreten.
Parasitologie
674 Kapitel 82 · Protozoen

Isospora belli Der Mensch ist der einzige Wirt dieses fäkal-oral oraler, möglicherweise auch inhalativer Aufnahme stimulieren die
übertragenen Erregers. Nach oraler Aufnahme reifer Oozysten mit damit verbundenen Veränderungen der Umwelt (pH, Ionenkonzen-
der Nahrung oder kontaminiertem Trinkwasser ähnelt das klinische trationen) die Ausstülpung des charakteristischen, bis zu diesem
Bild der Kryptosporidiose, selten kann die Erkrankung auch bei Zeitpunkt spiralig aufgewundenen tubulären Polfadens. Durch diese
immunkompetenten Patienten chronisch oder intermittierend ver- teleskopartige Zellorganelle wird dann das Sporoplasma in die
laufen. Mittel der Wahl zur Behandlung ist Trimethoprim-Sulfame- Wirtszelle injiziert.
thoxazol. Die Parasiten teilen sich daraufhin intrazellulär (Merogonie, bei
Encephalitozoon spp. in einer parasitophoren Vakuole), im Rahmen
Cyclospora cayetanensis Die Infektion mit diesem Erreger ähnelt der Sporogonie erfolgen bei weiterer Teilung eine Verdickung der
der Kryptosporidiose. Therapeutisch wirksam ist Trimethoprim- Zellmembran und die Bildung neuer, infektiöser Sporen. Wenn die
Sulfamethoxazol. Wirtszellmembran rupturiert, werden die Sporen freigesetzt und
ausgeschieden, können jedoch innerhalb des Wirtes auch neue Ziel-
zellen befallen (Autoinfektion).
In Kürze
Kryptosporidien
jKlinik
Parasitologie Obligat intrazelluläre Protozoen der Arten
Während einige Gattungen bislang nur in Einzelfällen als Krank-
C. parvum, C. hominis u. a., im Dünndarm von Säugetieren
heitserreger isoliert wurden (Myositis durch Pleistophora, Keratitis
und Menschen vorkommend.
durch Nosema), spielen Encephalitozoon und Enterocytozoon bei
Entwicklung Orale Aufnahme der sehr resistenten Oozysten,
immunsupprimierten, insbesondere AIDS-Patienten mit einer nied-
Freisetzung von Sporozoiten, Befall von und Vermehrung in
rigen CD4+-Lymphozytenzahl (meist < 100/μml), eine bedeutendere
Enterozyten, Ausscheidung von Oozysten im Stuhl.
Rolle.
Klinik Selbstlimitierte Diarrhö oder symptomloser Verlauf
bei immunkompetenten Patienten; bei immunsupprimierten
Enterocytozoon bieneusi Infektionen mit Enterocytozoon bieneusi,
Patienten sind neben chronischer, z. T. lebensbedrohlicher
die weitaus häufigsten Manifestationen einer Mikrosporidiose beim
Diarrhö auch extraintestinale Manifestationen möglich.
Menschen, sind überwiegend auf Darm und Gallenwege beschränkt
Labordiagnose Untersuchung von Stuhlausstrichen mittels
und wurden vereinzelt auch bei immunkompetenten Patienten be-
säurefester Färbung oder DIF, ELISA.
schrieben. Nach oraler Aufnahme der Sporen erfolgt der Befall von
Therapie Nitazoxanid.
Enterozyten mit der Gefahr der Aszension der Erreger in die Gallen-
wege. Die klinische Symptomatik wird durch z. T. schwere, chroni-
sche, wässrige Durchfälle ohne Fieber, aber auch das Auftreten von
Cholangitis und Cholezystitis bestimmt. Unklar ist, ob der gelegent-
82.10 Mikrosporidien liche Nachweis der Erreger aus dem Respirationstrakt auf die Aspi-
ration von Darminhalt, eine hämatogene Streuung der Erreger oder
Steckbrief eine wirkliche Infektion der Atemwege zurückzuführen ist.
Die histopathologischen Veränderungen reichen von unbeschä-
Mikrosporidien sind obligat intrazelluläre Eukaryonten, die der digtem Epithel mit minimaler oder fehlender Einwanderung in-
Ordnung Microsporida des Stamms Microspora angehören und flammatorischer Zellen bis zu erheblicher Villusatrophie, Krypten-
den Pilzen nahestehen. Als humanpathogen wurden bislang verlängerung, fokalen Nekrosen, auch in der Lamina propria, und
v. a. die Gattungen Enterocytozoon, Encephalitozoon, Nosema ausgeprägter, überwiegend lymphozytärer Infiltration. Im Bereich
und Pleistophora beschrieben, die ersten beiden davon als der Gallenwege wurden sklerosierende Cholangitiden, Papillenste-
opportunistische Erreger v. a. bei AIDS-Patienten. Obwohl ein nose und Erweiterung der Gallenwege beschrieben.
Zellkern mit mitotischer Teilung Mikrosporidien als Eukaryonten
ausweist, haben sie mit Prokaryonten die sehr kleine Menge Encephalitozoon intestinalis Der Erreger infiziert ebenfalls zu-
an ribosomaler RNA und das Fehlen von Mitochondrien und nächst wahrscheinlich Enterozyten, besitzt aber im Gegensatz zu
Golgi-Membranen gemeinsam. Enterocytozoon bieneusi eine größere Tendenz zur Disseminierung
mit Befall insbesondere der Nieren. Die klinischen Symptome und
histopathologischen Veränderungen ähneln denen der vorherigen
Infektion. Jedoch werden häufiger neutrophile Infiltrate im Bereich
Mikrosporidie:
der Lamina propria gesehen und der Erreger konnte auch in anderen
1857 wurden Mikrosporidien
Zellen (Makrophagen, Fibroblasten und Endothelzellen) nachge-
als Parasiten der Seidenraupe
entdeckt, 1959 wurde eine In- wiesen werden. Bei Disseminierung und Nierenbefall entsteht eine
fektion des Menschen erstmals tubulointerstitielle Nephritis, klinisch überwiegt auch in diesen Fäl-
beschrieben. Insgesamt mehr len die Symptomatik der intestinalen Infektion.
als 1100 Arten können diverse
Wirte (Insekten, Fische, Säuge- E. cuniculi, E. hellem Die übrigen humanpathogenen Encephalito-
tiere etc.) infizieren. zoon-Spezies (E. cuniculi, E. hellem) verursachen disseminierte fie-
berhafte Infektionen (Hepatitis, Peritonitis, Infektionen des Respira-
tionstrakts und der Nieren und ableitenden Harnwege). Die Ein-
jMorphologie, Aufbau und Entwicklung trittspforte für diese Erreger könnte der Respirationstrakt sein, im
Die sehr differenzierten infektiösen Sporen der humanpathogenen Darm waren diese Spezies bislang nicht nachweisbar. Die ebenfalls
Mikrosporidien sind 1–2,5 (–5) μm lange, ovale Dauerformen der beschriebene Keratokonjunktivitis scheint eher begleitend im Rah-
Parasiten mit hoher Resistenz gegenüber Umwelteinflüssen. Nach men dieser systemischen Infektionen durch Schmierinfektion auf-
82.10 · Mikrosporidien
675 82
zutreten. Histopathologisch fallen inflammatorische Infiltrate durch
mononukleäre Zellen, granulomatöse Entzündung, aber auch einge-
wanderte neutrophile Granulozyten auf. Bei Befall der Nieren ent-
steht wie bei der Infektion mit E. intestinalis eine tubulointerstitielle
Nephritis.

jLabordiagnose
Bei intestinaler Infektion eignen sich Stuhl und Duodenalsaft, bei
systemischer Infektion Urinsediment für den Erregernachweis. Die
Sporen sind nach Chromotropfärbung (Trichrom) lichtmikrosko-
pisch oder nach Anfärbung mit optischen Aufhellern (Fluorochro-
men) fluoreszenzmikroskopisch zu erkennen. Auch Dünndarm-
biopsien können lichtmikroskopisch (Färbung nach Giemsa,
Warthin-Starry etc.) untersucht werden. Zur Speziesdiagnose kön-
nen elektronenmikroskopische, immunologische, biochemische
oder molekularbiologische Untersuchungen erforderlich sein.

jTherapie
Albendazol sollte bei intestinalen Infektionen mit E. intestinalis und
disseminierten Mikrosporidieninfektionen eingesetzt werden. Bei
HIV-Patienten sollte eine Verbesserung der Immunabwehr durch
antiretrovirale Therapie versucht werden.

jPrävention
Zur Vermeidung von Mensch-zu-Mensch-Infektionen (fäkal-oral,
Inhalation oder konjunktivale Schmierinfektion) sollten Patienten
mit Mikrosporidiose auf die Einhaltung einer sorgfältigen Kör-
perhygiene aufmerksam gemacht werden.

In Kürze
Mikrosporidien
Parasitologie Obligat intrazelluläre Erreger verschiedener
Spezies. Enterocytozoon bieneusi und Encephalitozoon intes-
tinalis als wichtigste humanpathogene Erreger dieser Gruppe
im Darm vorkommend, letztere Spezies von dort auch dissemi-
nierend.
Entwicklung In Enterozyten (E. bieneusi) oder anderen Zellen,
Ausscheidung mit dem Stuhl oder Urin.
Klinik Chronische, wässrige Diarrhö, Encephalitozoon-Spezies
auch disseminierte Infektionen.
Labordiagnose Mikroskopische Untersuchung von Stuhl-
ausstrichen oder Urinsedimenten (bei Disseminierung) nach
modifizierter Trichromfärbung oder Färbung mit optischen
Aufhellern.
Therapie Albendazol (Encephalitozoon spp.).
677 83

Trematoden
R. Ignatius, G. Burchard

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_83, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Trematoden (Saugwürmer, Egel) gehören mit den Zestoden zu den 83.1.1 Beschreibung
Plathelminthes (Plattwürmer), im Gegensatz zu den Zestoden sind sie
ungegliedert. Sie besitzen einen Mund- und einen Bauchsaugnapf jMorphologie und Aufbau
(»trema«: Öffnung, Loch, Foramen), die als Haftorgane dienen, sowie Adulte Schistosomen sind 6–22 mm lang und besitzen Geschlechts-
einen blind endenden, meist 2-schenkligen Darmkanal. Die meisten organe und einen Genitalporus. Das Männchen ist blattförmig, wo-
Spezies sind Zwitter, Schistosomen sind jedoch getrenntgeschlecht- bei die äußeren Ränder (Bauchfalten) zu einem »gynäkophoren«
lich. Trematoden benötigen für ihre Entwicklung obligate Zwischen- Kanal zusammengelegt werden, in dem sich das runde Weibchen
wirte (Schnecken, bei einigen Gattungen anschließend Arthropoden befindet (Pärchenegel).
oder Fische) und können somit nicht direkt von Mensch zu Mensch
übertragen werden. Die humanpathogenen Trematoden sind einige jEntwicklung
Millimeter bis wenige Zentimeter lang. Der Mensch ist Endwirt und die geschlechtsreifen Würmer leben als
Schistosoma ist die medizinisch bedeutsamste Gattung. Die adulten Pärchen in den Mesenterialvenen bzw. den Venengeflechten des klei-
Erreger sind in den Venen lokalisiert, die Erkrankung resultiert aus Ent- nen Beckens, wo auch die Eier produziert werden. Diese gelangen
zündungsreaktionen um die ausgeschiedenen Eier. Zahlreiche andere durch Proteolyse entzündlichen Gewebes ins Lumen von Darm bzw.
Egelarten können den Menschen infizieren, hier ergibt sich die Patho- Blase und damit ins Freie. Im Wasser schlüpft aus dem Ei eine Wim-
logie meist durch die adulten Erreger. Die wichtigsten sind entspre- pernlarve (Mirazidium), die in Wasserschnecken eindringt und sich
chend ihrer Hauptlokalisation im Körper: darin ungeschlechtlich vermehrt (. Abb. 83.1).
4 Gallengänge/Leber: Fasciola hepatica (Großer Leberegel); Aus diesen Zwischenwirten schlüpfen Gabelschwanzlarven
F. gigantica (Riesenleberegel); Dicrocoelium dendriticum (Zerkarien), die sich im Wasser in die menschliche Haut einbohren.
(Kleiner Leberegel); Opisthorchis felineus und O. viverrini Dabei verlieren sie den Schwanz und wandern als Schistosomula
(Katzenleberegel), Clonorchis sinensis (Chinesischer Leberegel) über die Lunge in das Portalvenensystem, wo sie zu adulten Wür-
4 Lunge: Paragonimus spp. (Lungenegel) mern ausreifen. Männchen und Weibchen vereinigen sich und
4 Darm: Fasciolopsis buski (Großer Darmegel) wandern als Pärchen in das Venengeflecht der Zielorgane. 4–6
(bis zu 12) Wochen nach der Invasion werden die ersten Eier ausge-
83.1 Schistosomen schieden.
Die adulten Würmer können einige Jahre, in Ausnahmefällen
Steckbrief Jahrzehnte, leben. Die Mirazidien sind bis zu 24, Zerkarien 48 h le-
bensfähig. Die Schnecken selbst können mehrere Jahre überleben.
Die Schistosomen gehören innerhalb der Klasse der Trematoden
zu denjenigen mit Generationswechsel (Digenea). Süßwasser- jResistenz gegen äußere Einflüsse
schnecken dienen ihnen als Zwischenwirte. Humanpathogen Schistosoma-Eier sterben nach Einwirkung von Sonnenlicht und
sind Schistosoma (S.) mansoni, S. japonicum, S. haematobium, nach Trockenheit schnell ab. Für die Entwicklung und das Schlüpfen
S. intercalatum und S. mekongi. Nach einem fiebrigen akuten der Mirazidien ist Süßwasser unbedingte Voraussetzung.
Stadium (Katayama-Syndrom) ist das chronische Stadium der
Schistosomiasis (Bilharziose) je nach Art der Parasiten eine Er- jVorkommen
krankung des Darmes, der Leber und Milz bzw. der ableitenden S. mansoni und S. haematobium sind überwiegend in Afrika und
Harnwege. Theodor Maximilian Bilharz entdeckte 1851 die Eier dem Nahen Osten verbreitet, S. mansoni kommt darüber hinaus
von Schistosoma haematobium im Urin. auch in Teilen Südamerikas vor. Der Mensch ist der einzige bedeut-
same Wirt. Die Verbreitung von S. japonicum beschränkt sich auf
Ostasien, verschiedene Wild- und Haustiere werden ebenfalls infi-
ziert. S. intercalatum (Zentralafrika) und S. mekongi (Thailand und
Laos, infiziert auch Hunde) sind deutlich seltener als die zuvor ge-
nannten Arten.

83.1.2 Rolle als Krankheitserreger

Schistosoma haematobium: S. mansoni: Ei mit seitlichem kEpidemiologie


Ei mit endständigem Stachel Stachel Schistosomen sind häufige Krankheitserreger: Über 200 Mio. Men-
schen sind infiziert, ca. 10 % davon mit schweren Symptomen.
Parasitologie
678 Kapitel 83 · Trematoden

. Abb. 83.1 Zyklus von S. mansoni

Durch die vielfältigen Kontakte des Menschen mit Wasser (barfüßi- 4 S. mansoni/S. japonicum/S. intercalatum/S. mekongi: Eier,
ges Waten, Baden) kommt es bereits im Kindesalter zu Erstinfektio- die nicht das Darmlumen erreichen, induzieren eine granulo-
nen und zu weiteren Infektionen bei Jugendlichen und jungen Er- matöse Entzündung und Fibrose in der Darmwand mit Hyper-
wachsenen (höchste Prävalenz und Wurmbeladung in Kindern plasie, Ulzerationen, Mikroabszessen und Polyposis. Abge-
zwischen 5 und 15 Jahren). Erregerspezifische Immunantworten schwemmte Eier gelangen über die Pfortader überwiegend in
reduzieren später die Infektionsgefahr. die Leber, wo sie perisinusoidale, granulomatöse Entzündungs-
Einer Ausbreitung der Schistosomiasis durch Veränderungen reaktionen, eine gesteigerte Kollagensynthese und schließlich
des ökologischen Gleichgewichts (z. B. Bau von Staudämmen) ste- nach Jahren eine periportale Fibrose (»Symmers Pfeifenstiel-
hen Massenbehandlungskampagnen von Patienten und die Anwen- fibrose«) erzeugen. Folgen der portalen Hypertension können
dung von Molluskiziden zur Reduzierung der Schneckenpopulatio- Ösophagusvarizen und Splenomegalie sein (. Abb. 83.2). Ein
nen als Maßnahmen zur Eindämmung der Infektion gegenüber. Hypersplenismus kann zu Panzytopenie führen. Die Ausbil-
dung portokavaler Shunts begünstigt das Einschwemmen von
kÜbertragung Eiern in das Lungenstromgebiet; die entzündlichen Verände-
Die Erreger gelangen meist transkutan, selten über die pharyngeale rungen können zu einem Cor pulmonale führen. Eier können
Schleimhaut in den Körper. auch in andere Organe, z. B. Niere oder ZNS, gelangen, wo sie
ebenfalls granulomatöse Entzündungsreaktionen induzieren.
kPathogenese 4 S. haematobium: Charakteristische chronisch-granulomatöse
Initiale Phase (Invasion) Als Folge der transkutanen Invasion der Entzündungsreaktionen finden sich in Harnblase, Ureteren mit
Zerkarien kann wenige Stunden bis einige Tage nach Exposition ein fortschreitender Obstruktion (. Abb. 83.3) sowie häufig in
makulopapulöses Exanthem entstehen, insbesondere als allergische den Geschlechtsorganen. Auch der Darm kann betroffen sein.
Reaktion bei wiederholter Infektion (Zerkariendermatitis). Patho- Die chronische Entzündung der Blasenwand führt oft zu Ver-
logische Grundlage sind antikörperabhängige, zellvermittelte zyto- kalkungen und ist mit dem Auftreten von Blasenkarzinomen
toxische Immunmechanismen (ADCC). assoziiert. Die Ausbildung eines Cor pulmonale ist eher selten.
Ektope Eier finden sich gelegentlich in Nieren, ZNS und Haut.
Akute Schistosomiasis (Katayama-Syndrom) Antikörper spielen
auch in der Phase der akuten Schistosomiasis eine entscheidende kKlinik
Rolle. Die immunologische Erkennung verschiedener Antigene Initiale Phase (Invasion) Selten bildet sich eine z. T. heftig juckende
führt zur Bildung von Antigen-Antikörper-Komplexen, die eine Dermatitis mit makulopapulösem Exanthem an der Eintrittsstelle
Glomerulonephritis verursachen können. Die Plasmakonzentratio- der Zerkarien aus, die meist innerhalb 2–3 Tagen wieder verschwin-
nen von TNF-α, IL-1 und IL-6 sind erhöht. det. Dieses Stadium findet sich normalerweise nicht bei Patienten in
Endemiegebieten und ist oft besonders ausgeprägt bei Kontakt mit
Chronische Schistosomiasis Das Bild der chronischen Schistoso- Schistosomenarten, die andere Warmblüter als Wirt benötigen, z. B.
miasis wird durch zelluläre Immunreaktionen auf die Produktion Trichobilharzia von Wasservögeln (»Badedermatitis«).
und Ablage der Eier beherrscht. Um abgestorbene Eier finden sich
Granulome und eosinophile Infiltrate. Das Ausmaß der Entzündung Akute Schistosomiasis (Katayama-Syndrom) Die Inkubationszeit
mit nachfolgendem fibrotischen Umbau des Gewebes korreliert mit beträgt 2–12 Wochen. Fieber, Kopfschmerzen, abdominelle Be-
dem Eiausstoß der adulten Würmer. Je nach den beteiligten Schisto- schwerden, Myalgien, Diarrhö und nicht selten auch respiratorische
soma-Spezies ergeben sich pathogenetische Besonderheiten: Symptome stehen im Vordergrund. Ödeme, Urtikaria und vergrö-
83.1 · Schistosomen
679 83

. Abb. 83.2 Chronische Schistosomiasis (S. mansoni) – Hepatosplenomega- . Abb. 83.3 Chronische Schistosomiasis (S. haematobium) – Hydroureter
lie, Aszites (mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. W. Bommer, Göttingen) beidseits bei Blasenbilharziose

ßerte Lymphknoten können vorhanden sein. Die Leber ist häufig Fistelbildungen und nodulären Hautläsionen im Bereich von
vergrößert, gelegentlich kann eine Splenomegalie auftreten. In Vulva und Perineum wird in Endemiegebieten bei etwa einem
schweren Fällen sind neurologische Symptome möglich. Eine ausge- Drittel aller infizierten Frauen gefunden.
prägte Eosinophilie ist nahezu immer nachweisbar. Nach der initia-
len Phase verläuft auch die akute Infektion bei Patienten in Endemie- Zusammenfassend sollte an eine Schistosomiasis gedacht werden
gebieten häufig asymptomatisch. bei:
4 unklarem Fieber mit Eosinophilie nach Aufenthalt in
Chronische Schistosomiasis Ein beträchtlicher Anteil der Patien- Endemiegebieten
ten weist keine oder nur eine geringe Symptomatik auf. Schistoso- 4 unklaren urogenitalen Symptomen nach Aufenthalt in
miasis in der Kindheit kann jedoch Wachstumsstörungen und ein- Endemiegebieten
geschränkte geistige Fähigkeiten nach sich ziehen. 4 sonografischem Nachweis einer periportalen oder inter-
4 S. mansoni/S. japonicum/S. intercalatum/S. mekongi: Bei septalen Fibrose
intestinaler Schistosomiasis kann die chronische Entzündung 4 bei unklaren neurologischen Symptomen nach Aufenthalt
des Kolons zu blutiger oder schleimiger Diarrhö, die Protein- in Endemiegebieten
verlust und Anämie zur Folge hat, und zu Tenesmen führen.
Ein geringer Prozentsatz von Patienten entwickelt die hepato- kImmunität
lienale Verlaufsform, häufig mit Ösophagusvarizenblutungen Pathogenese und Klinik der Schistosomiasis sind wesentlich durch
als erstem Symptom. Die Patienten klagen über Oberbauch- die Immunantworten des Patienten geprägt. Im akuten Stadium
beschwerden, eine Hepatosplenomegalie ist nachweisbar, spielen antikörper- und zellvermittelte Immunmechanismen (IgG,
Aszitesbildung kann vorhanden sein. Die Syntheseleistung IgE, Immunkomplexe, eosinophile Granulozyten, Makrophagen)
der Leber ist in der Regel nicht beeinträchtigt. Typisch ist eine gegen die Schistosomula eine tragende Rolle, während das chroni-
sonografisch nachweisbare periportale Fibrose der Leber. sche Stadium mit TH2-CD4+-T-Zell-vermittelten Immunantworten
Eine Dyspnoe kann auf eine pulmonale Hypertonie hinwei- gegen Ei-Antigene assoziiert ist.
sen. Entzündungen anderer Organe können zu weiteren organ- IL-13 ist wahrscheinlich ursächlich an der Induktion der granu-
spezifischen klinischen Zeichen führen. Infektionen mit S. in- lomatösen Entzündungsreaktionen und Fibrose beteiligt, während
tercalatum und S. mekongi verlaufen meist milder als durch IFN-γ hier eine protektive Bedeutung besitzen mag. IL-10 scheint
S. mansoni verursachte Infektionen. Dagegen zeigen S. japoni- für beide Stadien durch Suppression der Immunantworten und da-
cum-Infektionen oft schwerere Verläufe, wahrscheinlich auf- durch Vermeidung immunpathologischer Veränderungen eine
grund der großen Eiproduktion der adulten Erreger. wichtige regulatorische Bedeutung zu besitzen. Die adulten Würmer
4 S. haematobium: Dysurie und terminale Hämaturie, eventuell binden Wirtsantigene an ihre Oberfläche und werden so durch das
verbunden mit Proteinurie und Leukozyturie, treten frühestens Immunsystem des Wirtes nicht erkannt (Immunevasion).
10–12 Wochen nach Infektion auf und stehen auch im weiteren
Verlauf im Vordergrund. Die pathologischen Veränderungen im kLabordiagnose
Bereich von Ureteren (. Abb. 83.3) und Blase begünstigen das Der mikroskopische Nachweis der Schistosomeneier gelingt frü-
Entstehen einer Hydronephrose mit Gefahr des Nierenversagens hestens 5–12 Wochen nach der Infektion. Im Stuhl können nach
und bakterielle Harnweginfektionen, ein Blasenkarzinom kann Anreicherung die Eier von S. mansoni, S. japonicum, S. intercala-
entstehen. Genitaler Befall mit ulzerativen Veränderungen, tum und S. mekongi nachgewiesen werden. Für Felduntersuchun-
Parasitologie
680 Kapitel 83 · Trematoden

gen in Endemiegebieten hat sich die Kato-Methode bewährt, die 83.2 Andere Trematoden
einen quantitativen Nachweis zulässt. Urinsediment oder -filtrat
wird nativ oder nach Anfärbung mit Jodtinktur auf S. haematobium- Man unterscheidet den Großen Leberegel (Fasciola hepatica) von
Eier untersucht. Bei negativen Ergebnissen und fortbestehendem mehreren kleinen Leberegeln, insbesondere dem Katzenleberegel
Verdacht auf Schistosomiasis sollten die Untersuchungen wiederholt Opisthorchis und dem chinesischen Leberegel Clonorchis sinensis.
werden, es kann auch Biopsiematerial aus den betroffenen Schleim- Die Fasziolose ist eine weltweit bei Nutztieren verbreitete Zoo-
hautarealen histologisch untersucht werden. nose, der Mensch infiziert sich durch Verzehr kontaminierter Was-
Für Screening-Untersuchungen, insbesondere bei Verdacht auf serpflanzen. Clonorchis und Opisthorchis kommen vorwiegend in
leichte Infektionen, die parasitologisch nicht nachweisbar sind, ste- Ostasien vor, der Mensch infiziert sich durch Verzehr unzureichend
hen Antikörperbestimmungen zur Verfügung. Cave: Im akuten erhitzten Fisches. Die akute Phase der Fasziolose ist gekennzeichnet
Stadium (Katayama-Syndrom) kann auch der Antikörpernachweis durch Eosinophilie, Fieber und Abdominalschmerzen, in der Bild-
noch negativ ausfallen, in Speziallaboratorien kann aber eventuell gebung finden sich Raumforderungen in der Leber. In der biliären
Schistosomen-DNA mittels PCR im Blut nachgewiesen werden. Phase der Fasziolose bzw. bei Befall mit den kleinen Leberegeln
kommt es zu Zeichen einer Gallenwegerkrankung.
kTherapie Infektionen werden mit Triclabendazol (Fasziolose) bzw. Prazi-
Mittel der Wahl ist Praziquantel, das oral gegeben wird und gegen quantel (kleine Leberegel) behandelt.
die adulten Würmer aller Schistosoma-Spezies wirkt. Bei fortgesetz-
ter Eiausscheidung muss die Behandlung wiederholt werden. Trotz
Massenbehandlungen mit Praziquantel und vereinzelter Beschrei-
bung resistenter Erreger ist keine signifikante Zunahme von Be-
handlungsmisserfolgen zu verzeichnen. Da juvenile Würmer nur
schlecht auf Praziquantel ansprechen, sollte beim Katayama-Syn-
drom die Therapie erst einige Wochen später erfolgen. Die patholo-
gischen Veränderungen des fortgeschrittenen chronischen Stadiums
sind unter Chemotherapie nur bedingt reversibel.
Artemisinine, die zur Malariatherapie eingesetzt werden, wirken
gegen Schistosomula, Studien zur Chemoprophylaxe und/oder The-
rapie in Kombination mit Praziquantel laufen. Ein solcher Einsatz
verbietet sich jedoch wegen der Gefahr der Resistenzentwicklung in
Gegenden, wo die Malaria endemisch ist.

kPrävention
Durch striktes Meiden des Kontakts mit Süßgewässern in Endemie-
gebieten lässt sich eine Schistosomiasis vermeiden. Für eine Verbes-
serung der Situation in Endemiegebieten müssen die Wurmträger
behandelt werden (Massenbehandlungen mit Praziquantel). Dane-
ben sind der Bau von Toiletten, die Versorgung mit sauberem Wasser
und die gesundheitliche Aufklärung über die Erkrankung und die
Infektionsquellen wichtig. Auch die Bekämpfung der Schnecken
kann erforderlich sein.

In Kürze
Schistosoma
Parasitologie Trematoden der Arten S. mansoni, S. japonicum,
S. intercalatum und S. mekongi in Mesenterialvenen, sowie
S. haematobium im Venengeflecht der Harnblase.
Entwicklung Infektion über die Haut durch Zerkarien, adulte
Würmer in venösen Blutgefäßen; Larven aus ausgeschiedenen
Eiern entwickeln sich in Wasserschnecken zu Zerkarien, die ins
Wasser gelangen.
Klinik Zerkariendermatitis. Akutes febriles Stadium. Chronisches
Stadium: granulomatöse Entzündung um Eier, in Darm und
Leber, portale Stauung (S. mansoni, S. japonicum, S. intercala-
tum, S. mekongi), Zystitis und Hämaturie (S. haematobium).
Immunität Humorale und zelluläre Immunreaktionen, Teil-
immunität reduziert Re- und Superinfektionen.
Labordiagnose Nachweis von Eiern im Stuhl (S. mansoni,
S. japonicum, S. intercalatum, S. mekongi) und Urinsediment
(S. haematobium), Histologie; Antikörpernachweis.
Therapie Praziquantel.
Prävention Kein Baden in Süßgewässern endemischer Gebiete.
681 84

Zestoden
R. Ignatius, G. Burchard

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_84, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Zestoden (Bandwürmer) bestehen aus Kopf (Skolex) und Gliedern 84.1.1 Beschreibung
(Proglottiden) und gehören zusammen mit den Trematoden zu den
Plattwürmern (Plathelminthes). Der Kopf ist mit Saugnäpfen behaftet, jMorphologie und Aufbau
daran schließt sich eine ungegliederte Wachstumszone an, die von Adulte Echinokokken sind 1,4–8 mm lange, 3- bis 5-gliedrige Band-
der Kette von Proglottiden gefolgt ist. Da den Würmern ein Verdau- würmer mit Hakenkranz am Skolex. Die Larvenstadien (Metazesto-
ungstrakt fehlt, wird Nahrung durch direkte Diffusion aufgenommen. den, Finnen) von E. granulosus sind meist 1–15 cm (selten bis
Zestoden sind Zwitter. Adulte Würmer werden je nach Spezies bis zu 30 cm) große Blasen (Hydatiden), die von einer Bindegewebskapsel
10 m lang. umgeben und mit Flüssigkeit gefüllt sind (zystische Echinokokkose).
Die häufigsten Bandwürmer des Menschen sind Taenia saginata An der Innenwand (germinative oder Keimschicht) entstehen durch
(»taenia«: Band), T. solium, Diphyllobothrium latum und Hymenolepis Knospung (endogene Proliferation) zahlreiche Larvenstadien
nana. Wenn der Mensch sich mit den Larven dieser Spezies infiziert, (Kopfanlagen, Protoskolizes). Bei E. multilocularis sind die Metazes-
ist er Endwirt. Die adulten Erreger parasitieren im Dünndarm des Men- toden kleinblasig (alveoläre Echinokokkose) und wachsen tumor-
schen und verursachen dort v. a. gastrointestinale Symptome. Bei artig infiltrativ (exogene Proliferation). Bereits die Larven beider
T. solium und H. nana kann der Mensch auch Träger von Larven in unter- Arten besitzen einen Hakenkranz (»echino«: Igel; »coccus«: Kugel).
schiedlichen Organen, also Zwischenwirt, sein. Die Erkrankung durch
die Absiedlung von Larven des Schweinebandwurmes, v. a. auch im Ge- jEntwicklung
hirn, bezeichnet man als Zystizerkose bzw. Neurozystizerkose. Die Auf- E. granulosus lebt vorwiegend im Dünndarm von Hunden (End-
nahme erfolgt dann über Eier im Stuhl von Bandwurmträgern (exogene wirt); bei E. multilocularis sind meistens Füchse betroffen, selten
Infektion, ggf. Autoinfektion) oder im Darmtrakt selbst als endogene Hunde oder Katzen. Eier bzw. mit Eiern gefüllte Bandwurmglieder
Autoinfektion aus graviden Proglottiden. Symptome sind durch die werden mit dem Kot ausgeschieden. Gelangen diese mit der Nah-
Größenausbreitung der Larven verursacht. rung in die Zwischenwirte (Rinder, Schafe, Ziegen u. a. Huftiere bei
Hunde (Echinococcus granulosus) oder Füchse (E. multilocularis) sind E. granulosus, Nagetiere bei E. multilocularis), schlüpfen im Dünn-
die Endwirte für Echinokokken, der Mensch infiziert sich durch orale darm die Larven (Onkosphären), durchdringen die Darmwand und
Aufnahme der Eier. Die Larven siedeln sich in verschiedenen Organen, gelangen über den Blut- oder Lymphweg in die Zielorgane. Dort
meist der Leber, ab und verursachen die zystische (E. granulosus) oder kommt es zur Ausbildung der Metazestoden mit anschließender
alveoläre Echinokokkose (E. multilocularis). asexueller Vermehrung. Werden diese von den jeweiligen Endwirten
wieder gefressen, ist der Zyklus geschlossen. Der Mensch kann für
beide Infektionen Fehlwirt (Zwischenwirt ohne Zyklusvollendung),
selten Zwischenwirt sein.
84.1 Echinococcus
jResistenz gegen äußere Einflüsse
Steckbrief Die Eier sind zwar gegenüber Austrocknung empfindlich, aber im
feuchten Milieu widerstehen sie allen Desinfektionsmitteln und
Echinococcus (E.) granulosus (Hundebandwurm) und E. multilo- auch tiefen Temperaturen im Winter.
cularis (Fuchsbandwurm) sind Bandwürmer, die im Darm ver-
schiedener Fleischfresser vorkommen und deren Larven im jVorkommen
Menschen raumfordernde Prozesse (E. granulosus: zystische E. granulosus ist weltweit verbreitet. In Mitteleuropa ist der Parasit
Echinokokkose; E. multilocularis: alveoläre Echinokokkose) ver- jedoch relativ selten. Die meisten hier festgestellten Fälle beim Men-
ursachen können. schen stammen aus dem Mittelmeerraum. E. multilocularis ist in der
E. vogeli, E. oligarthrus sind die Erreger der polyzystischen Echi- nördlichen Hemisphäre verbreitet. Er kommt in Deutschland beim
nokokkose und kommen ausschließlich in Mittel- und Südame- Fuchs gebietsweise sehr häufig vor.
rika vor. Fälle beim Menschen wurden nur vereinzelt berichtet,
diese Spezies werden daher nicht besprochen.
Pierre Simon Pallas identifizierte 1766 die im Zwischenwirt 84.1.2 Rolle als Krankheitserreger
entstehenden Zysten als Larvenstadium von Bandwürmern;
den vollständigen Zyklus von E. granulosus beschrieb erstmals kEpidemiologie
Carl von Siebold 1853. Innerhalb des Stamms der Plattwürmer Echinokokkosen sind Zoonosen. Trotz z. T. hoher Infektionsraten
(Plathelminthes) gehören die Echinokokken in dieselbe Familie der Endwirte ist der Mensch, auch in Hochendemiegebieten, relativ
(Taeniidae) wie die Tänien. selten betroffen. Die weltweite jährliche Inzidenz schwankt zwischen
0,2 und 220 Fällen pro 100.000 Einwohner. Die vergleichsweise nied-
Parasitologie
682 Kapitel 84 · Zestoden

. Abb. 84.1 Zyklus von Echinococcus

rige Infektionsrate des Menschen könnte an immungenetischen Fak- b


toren sowie unterschiedlichen Parasiten liegen. (9 Genotypen von
E. granulosus wurden beschrieben). Dem Robert Koch-Institut wur- . Abb. 84.2a, b Zystische Echinokokkose – geschlossene (a) und geöffnete
den für die Jahre 2013 und 2014 121 bzw. 112 Fälle von Echinokok- Zyste (b) nach Leberteilresektion (mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr.
kose gemeldet, mit einer höheren Dunkelziffer ist zu rechnen. Durch W. Bommer, Göttingen)
verstärktes Einwandern von Füchsen in die Städte könnte die Inzi-
denz von Infektionen mit E. multilocularis zunehmen.

kÜbertragung
Der Mensch infiziert sich durch orale Aufnahme von Eiern (. Abb.
84.1). Infektionsquellen für E. granulosus sind Hunde in südlichen
Ländern oder solche, die von dort mitgebracht wurden. Infektionen
mit E. multilocularis kommen durch direkten Kontakt mit Füchsen
(Jäger) bzw. Kot vom Fuchs (aber auch von Hund und Katze) zu-
stande.

kPathogenese
Beide Erkrankungen beruhen auf der Proliferation der Metazesto-
den in den Zielorganen. Bei der zystischen Echinokokkose bilden
sich vom umliegenden Gewebe gut abgegrenzte Zysten in Leber
(50–70 %; . Abb. 84.2 und . Abb. 84.3) oder Lunge (20–30 %). Die
restlichen Fälle (< 10 %) verteilen sich auf andere Organmanifesta-
tionen (ZNS, Niere, Milz, Knochen, Muskeln etc.). Die Zysten wach- . Abb. 84.3 Echinococcus-Zyste der Leber im CT
sen sehr langsam, sodass sich die raumfordernden Prozesse oft erst
nach Jahren, wenn überhaupt, klinisch bemerkbar machen. Atrophi-
sche Schäden können in den Organen durch den Druck entstehen, metastasieren. Im Gegensatz zu E. granulosus sind hier die Läsionen
bei Befall der Leber kann es zur Cholestase kommen. nicht so klar abgegrenzt, ein Konglomerat aus kleineren Blasen und
Die Immunantwort führt zur Ausbildung einer fibrösen, z. T. Zysten, umgeben von einem granulomatösen Entzündungsprozess,
auch verkalkten Kapsel, welche die beiden Schichten der Metazesto- breitet sich chronisch progredient im Gewebe aus. Verkalkungen
den umgibt. Die Ruptur einer Zyste kann zu allergischen Reaktionen und zentrale Nekrosen können später auftreten, Protoskolizes bilden
führen. Eine dabei stattfindende Aussaat der Protoskolizes begüns- sich beim Menschen meistens nicht. Die Infektion kann auch, wahr-
tigt die Ansiedlung der Parasiten an anderen Stellen im Körper. scheinlich als Folge einer suffizienten Immunantwort, abortiv ver-
Die Metazestoden von E. multilocularis befallen fast immer die laufen, d. h., der Parasit stirbt in einem frühen Stadium ab und es
Leber, können aber von dort in andere Organe (z. B. ZNS, Lunge) finden sich nur kleine verkalkte Residuen.
84.1 · Echinococcus
683 84
kKlinik Der direkte Parasitennachweis durch Punktion suspekter raum-
Der Infektion mit E. granulosus folgt zunächst eine lange asympto- fordernder Prozesse sollte wegen der Gefahr der Metastasierung
matische Zeit (viele Monate bis Jahre). Falls die Erkrankung symp- oder eines Schocks nicht angestrebt werden; er gelingt jedoch mik-
tomatisch wird, hängen die auftretenden Beschwerden und Sympto- roskopisch nach spontanem Platzen der Zysten bei der zystischen
me von der Lokalisation und Größe der Zysten (. Abb. 84.2) und Echinokokkose (Protoskolizes im Aszites bzw. Bronchialsekret) oder
möglichen Komplikationen (in weniger als 10 % der Fälle) ab. Bei auch in Operationsmaterial.
Befall der Leber können rechtsseitige Oberbauchbeschwerden,
Übelkeit, Erbrechen und ein Ikterus aufgrund von Cholestase auf- kTherapie
treten. Der einzige kurative Therapieansatz ist für beide Infektionen die
Rupturieren die Zysten, kann sich das klinische Bild einer Cho- Radikaloperation; eine frühzeitige Diagnose ist daher von großer
langitis und Pankreatitis mit Ikterus ausbilden, ein lebensbedrohli- Bedeutung. Ist eine Operation nicht möglich, kommt bei der zysti-
cher anaphylaktischer Schock kann ebenfalls auftreten. Die Zysten schen Echinokokkose auch die PAIR-Technik (Punktion, Aspiration,
können auch bakteriell superinfiziert werden. Lungenzysten können Injektion protoskolizider Mittel, z. B. 70–95 %iger Ethanol, Reaspira-
zu chronischem Husten, Hämoptysen, Pleuritis und Lungenabszes- tion) in Betracht.
sen führen. Eine Beteiligung des Herzens ist selten, kann aber lebens- Eine adjuvante medikamentöse Behandlung mit einem Benzi-
gefährlich verlaufen durch akute Herzbeuteltamponade bei intrape- midazolderivat (Albendazol, Mebendazol) scheint das Komplika-
rikardialer Ruptur oder bei Embolisation von Keimmaterial bei int- tionsrisiko zu senken. Beide Medikamente werden auch zur Lang-
rakavitärer Zystenruptur. zeittherapie inoperabler Fälle oder nach miliarer Aussaat nach Zys-
Die alveoläre Echinokokkose hat eine längere Inkubationszeit tenruptur eingesetzt. Albendazol besitzt eine größere Wirksamkeit,
(5–15 Jahre). Etwa ein Drittel der Patienten entwickelt einen Ikterus, die jedoch oft, gerade bei E. multilocularis, nur parasitostatisch ist,
ein weiteres Drittel klagt über unklare Oberbauchbeschwerden sodass u. U. eine lebenslange Therapie erforderlich sein kann.
und beim restlichen Drittel werden die Zysten zufällig bei Abklärung Lebertransplantationen bergen aufgrund der anschließenden
unspezifischer Beschwerden (z. B. Schwäche, Gewichtsabnahme) Immunsuppression das Risiko eines erneuten Befalls der Leber
oder nach Feststellung einer Hepatomegalie entdeckt. Nur bei etwa durch im Körper verbliebene Parasiten bzw. das Wachstum zuvor
10 % der Patienten ist eine periphere Eosinophilie nachweisbar. Die inapparenter Metastasen (z. B. im ZNS).
Letalität unbehandelter, symptomatischer E. multilocularis-Infek-
tionen beträgt über 90 %. kPrävention
Die Prävention besteht im Vermeiden von Kontakt bzw. einer sorg-
kImmunität fältigen Hygiene nach dem Umgang mit Hunde- oder Fuchskot, der
Humorale Immunmechanismen sind früh nach Infektion von Be- Behandlung infizierter Endwirte mit Praziquantel (bei Füchsen im
deutung, vor der Etablierung der eigentlichen Erkrankung. So kön- Auslegen Praziquantel-haltiger Köder) und dem Vermeiden roher,
nen Onkosphären durch Antikörper und Komplement abgetötet ungewaschener Waldfrüchte in Endemiegebieten. Für epidemiolo-
werden. Zu späteren Zeitpunkten sind es überwiegend zelluläre Me- gische Untersuchungen von Fuchskot stehen Antigennachweise und
chanismen, die der Ausdehnung der Metazestoden im Gewebe ent- PCR zur Verfügung.
gegenwirken. Bei der zystischen Echinokokkose werden sowohl
TH1- als auch TH2-assoziierte Immunantworten induziert; dabei
In Kürze
sind erstere eher mit Protektion und letztere mit Progression der
Echinococcus
Erkrankung verbunden.
Parasitologie Kleine Bandwürmer der Arten E. granulosus
Eine große Anzahl von CD4+-T-Lymphozyten in dem die Meta-
(Endwirt Hund), E. multilocularis (Endwirt Fuchs). Im Menschen
zestode umgebenden granulomatösen Gewebe konnte mit einem
Larven in Leber, Lunge u. a. Organen.
günstigeren Verlauf und u. U. mit einer abortiven Infektion einer
Entwicklung Nach Aufnahme der Eier durch Zwischenwirte
alveolären Echinokokkose assoziiert werden, während eine starke
ungeschlechtliche Entwicklung von Larven in Zielorganen. Nach
CD8-Antwort und/oder eine vermehrte Sekretion von IL-10 offen-
deren Aufnahme durch Endwirte Entwicklung adulter Würmer
bar eher mit einer Progredienz der Erkrankung einhergeht. Eine
im Darm.
Suppression von CD4-Immunantworten (z. B. AIDS) begünstigt ei-
Pathogenese Bildung zystischer (E. granulosus) oder tumor-
nen schnellen Verlauf und die Disseminierung einer alveolären
artiger Prozesse (E. multilocularis), Zerstörung und Verdrängung
Echinokokkose.
von Geweben bzw. Organen.
Klinik Abhängig von Parasitenart, Sitz und Größe der Prozesse,
kDiagnose
v. a. in Leber und Lunge, allergischer Schock nach Ruptur von
Die Darstellung der Läsionen mittels bildgebender Verfahren (So-
Zysten.
nografie, CT- und MRT) sind bei der Diagnostik beider Infektionen
Labordiagnose Serologisch, Larvennachweis histologisch im
von großer Bedeutung. Insbesondere die alveoläre Echinokokkose
Operationsmaterial.
ist oft nur schwer von einem Leberzellkarzinom oder einer diffusen
Therapie Operation, PAIR, Albendazol, Mebendazol.
Metastasierung zu unterscheiden.
Prävention Hunde- bzw. Fuchskontakt meiden, keine rohen
Der Nachweis spezifischer Antikörper ermöglicht meist die Be-
Waldfrüchte ungewaschen verzehren.
stätigung der Diagnose und die Unterscheidung zwischen alveolärer
und zystischer Echinokokkose: Bei der alveolären Echinokokkose ist
die Rate der Serokonversionen hoch (> 90 %), während bei der zys-
tischen Echinokokkose, besonders bei extrahepatischen Zysten, bis
zu 30 % falsch negative serologische Ergebnisse vorkommen. Kreuz-
reaktionen, z. B. mit Antikörpern gegen Taenia solium, sind mög-
lich.
Parasitologie
684 Kapitel 84 · Zestoden

84.2 Taenia saginata Proglottiden freigesetzten Eier gelangen mit ungeklärten Abwässern
auf Weiden, wo sie von Rindern, den Zwischenwirten, aufgenom-
Steckbrief men werden. Nach Dissemination entwickeln sich im Rind v. a. im
Muskelgewebe Finnen, die vom Menschen aufgenommen werden
Taenia (T.) saginata ist der nur im Darm des Menschen ge- (. Abb. 84.4).
schlechtsreif werdende Rinderbandwurm.
jResistenz gegen äußere Einflüsse
In feuchter, kühler Umgebung sind die Eier von T. saginata wochen-
lang überlebensfähig. Die Finnen von T. saginata bleiben bei Tempe-
raturen unter 0 °C nur Stunden infektiös. Temperaturen über 45 °C
werden nur kurz überlebt.

jVorkommen
T. saginata kommt weltweit vor.

84.2.2 Rolle als Krankheitserreger


Ei von Taenia spp.
kEpidemiologie
Infektionen durch T. saginata sind in Deutschland selten. Bei Rin-
dern wird eine Prävalenz von ca. 1 % vermutet. Weltweit sind etwa
84.2.1 Beschreibung 50 Mio. Menschen infiziert, v. a. in südlichen Ländern mit umfang-
reicher Rinderhaltung. Fleischbeschau und moderne Tierhaltungs-
jMorphologie und Aufbau methoden tragen zur Abnahme der Prävalenz bei.
Der Rinderbandwurm wird meist 2–5 m, selten auch bis zu 10 m
lang und besitzt einen Skolex mit 4 Saugnäpfen. Ein Hakenkranz kÜbertragung
liegt nicht vor. Die Proglottiden (bis zu 2000) enthalten astförmig T. saginata wird durch den Verzehr finnenhaltigen Rindfleischs auf
abgehende Seitenäste, im graviden Zustand zwischen 15 und 25. Jede den Menschen übertragen (. Abb. 84.4).
Proglottide (ca. 200–400 reife) enthält bis zu 100.000 Eier, die bei
Abtrennung der Proglottide vom Wurm mit dem Stuhl freigesetzt kPathogenese
werden. Die aus Proglottiden freigesetzten Eier, die in feuchtem Die Infektion mit T. saginata verursacht nur selten pathologische
Milieu monatelang überleben können (hohe Tenazität), sind ca. Veränderungen. T. saginata ist als Nahrungskonkurrent von Bedeu-
30–40 μm groß. tung. Beim Einwandern von Proglottiden in die Appendix oder an-
dere Organe kann es zu entzündlichen Veränderungen kommen.
jEntwicklung
Der Mensch infiziert sich durch den Verzehr von rohem finnenhal- kKlinik
tigem Rindfleisch. Die Finne (meist nur eine, seltener mehrere) hef- In der Mehrzahl der Fälle verläuft die Infektion mit T. saginata
tet sich mit den Saugnäpfen an die Wand des Dünndarms, meist am asymptomatisch. Abdominelle Krämpfe oder Übelkeit können auf-
Übergang zwischen Duodenum und Jejunum. Nach 3–4 Monaten ist treten. In einigen Fällen ist auch eine Eosinophilie beschrieben.
der adulte Wurm zur Eiausscheidung befähigt. Während der Wurm Der Abgang der Proglottiden oder ihr Auswandern aus dem Stuhl
jahrzehntelang im Wirt verweilt, werden bewegliche Proglottiden, können vom Infizierten bemerkt werden und zu erheblichen psy-
einzeln oder in kleinen Ketten mit dem Stuhl ausgeschieden. Die aus chischen Störungen führen.

. Abb. 84.4 Zyklus von T. saginata und T. solium


84.3 · Taenia solium
685 84
kImmunität jVorkommen
Die Immunantwort des Menschen ist kaum untersucht. Es wird T. solium kommt weltweit vor, ist jedoch in Deutschland sehr selten.
keine dauerhafte Immunität ausgebildet. Die Infektion zeigt v. a. in südlichen Ländern (Mexiko, Zentral- und
Südamerika, Afrika, Südostasien, Indien und Südeuropa) eine hohe
kLabordiagnose Prävalenz.
Der Nachweis von T. saginata wird v. a. über die mit dem Stuhl oder
allein ausgeschiedenen Proglottiden, selten über die Eier, geführt.
Die Zahl der Seitenäste in den 1–2 cm langen Proglottiden erlaubt 84.3.2 Rolle als Krankheitserreger
die Unterscheidung zwischen T. saginata (15–20) und T. solium
(7–13). Eier von T. saginata und T. solium unterscheiden sich mik- kEpidemiologie
roskopisch nicht. PCR-Assays erlauben die Unterscheidung der bei- Infektionen durch T. solium sind in Deutschland sehr selten. Die
den Spezies aus Proglottiden. WHO geht weltweit von etwa 5–7 Mio. Infizierten aus. Bei Schwei-
nen wird in Endemiegebieten von einer Prävalenz von bis zu 25 %
kTherapie
ausgegangen. Die Seroprävalenz der Zystizerkose liegt in der Be-
Die Rinderbandwurminfektion wird mit Praziquantel oder Niclosa-
völkerung ländlicher Regionen südlicher Länder (v. a. durch das
mid behandelt.
Herumlaufen von Schweinen) bei bis zu 10 %. Die Zystizerkose ist
kPrävention die häufigste Helmintheninfektion des ZNS.
Prophylaktische Maßnahmen sind die Erfassung von finnenhalti- kÜbertragung
gem Fleisch (Fleischbeschau) und moderne Haltung von Rindern.
T. solium wird auf den Menschen durch den Verzehr finnenhaltigen
Individuelle Prophylaxe ist durch den Verzicht auf Verzehr von ro-
Schweinefleischs übertragen (. Abb. 84.4). Autoinfektionen können
hem oder ungenügend gekochtem Rindfleisch möglich. Tiefgefrore-
exogen (durch Eier in Fäkalien) oder endogen (durch Eier aus Pro-
nes Rindfleisch stellt keine Infektionsquelle dar.
glottiden im Darm) entstehen.

kPathogenese
84.3 Taenia solium
Die Infektion mit T. solium verursacht im Gegensatz zur Zystizer-
kose nur selten pathologische Veränderungen. T. solium ist als Nah-
Steckbrief rungskonkurrent von Bedeutung.
Bei der Zystizerkose kommt es v. a. im ZNS und Auge zu patho-
Taenia solium ist der nur im Darm des Menschen geschlechtsreif
logischen Veränderungen. Im Parenchym und in den Meningen
werdende Schweinebandwurm.
entwickeln sich im Laufe von Jahren um die Larven herum lympho-
zytäre Infiltrationen, die zur Degranulation und Kalzifizierung der
Larven beitragen.
84.3.1 Beschreibung kKlinik
In der Mehrzahl der Fälle verläuft die Infektion mit T. solium asymp-
jMorphologie und Aufbau tomatisch. Abdominelle Krämpfe oder Übelkeit können auftreten.
T. solium (Schweinebandwurm) ist mit einer Länge von bis zu 4 m Der Abgang der Proglottiden kann vom Infizierten bemerkt werden
kürzer als T. saginata. Der Wurm besitzt wie T. saginata einen Saug- und zu erheblichen psychischen Störungen führen.
napf und zusätzlich einen doppelten Hakenkranz. Die Proglottiden Die durch Infektion mit Eiern verursachte Zystizerkose führt
sind durch einen Uterus mit im Vergleich zu T. saginata nur 7–13 Sei- meist erst nach jahrelangem Verlauf, je nach Lokalisation der Fin-
tenästen charakterisiert. Die aus Proglottiden freigesetzten Eier mes- nen, zu psychiatrischen oder neurologischen Symptomen wie
sen ca. 30–40 μm und sind morphologisch mit denen von T. sagina- Krampfanfällen, anderen Herdbefunden, Enzephalitis, Meningitis,
ta identisch. sensomotorischen Defiziten oder internem Hydrozephalus (Neuro-
zystizerkose). Eine spinale Beteiligung ist eher selten. Befall der
jEntwicklung Augen kann zur Erblindung führen. Finnen finden sich häufig auch
Der Mensch infiziert sich durch den Verzehr von rohem oder unge- in Unterhaut und Muskulatur.
nügend gekochtem finnenhaltigen Schweinefleisch. Die Finne heftet
sich mit den Saugnäpfen an die Wand des Dünndarms. Der Wurm kImmunität
verweilt jahrzehntelang im Wirt, der Proglottiden, einzeln oder in Die Immunantwort des Menschen ist wenig untersucht. Die lokale
kleinen Ketten, ausscheidet. Die aus Proglottiden freigesetzten Eier Immunantwort im Gehirn von Patienten mit Neurozystizerkose ist
gelangen mit ungeklärten Abwässern auf Weiden, wo sie von Schwei- durch Makrophagen, IL-12-Produktion und IFN-γ-produzierende
nen, den Zwischenwirten, aufgenommen werden. TH1-CD4+-Zellen charakterisiert. Es wird keine dauerhafte Immu-
Nach Dissemination entwickeln sich im Schwein v. a. im Mus- nität ausgebildet.
kelgewebe Finnen (Zystizerkus, »Blasenwurm«), die nach 2–3 Mo-
naten infektiös sind und vom Menschen zusammen mit rohem kLabordiagnose
Fleisch aufgenommen werden. Der Mensch kann auch Zwischenwirt Der Nachweis von T. solium wird v. a. über die mit dem Stuhl ausge-
sein, diese Infektion wird als Zystizerkose bezeichnet (. Abb. 84.4). schiedenen Proglottiden, selten über die Eier geführt. Die Zahl der
Seitenäste in den 1–2 cm langen Proglottiden erlaubt die Unterschei-
jResistenz gegen äußere Einflüsse dung zwischen T. saginata (15–20) und T. solium (7–13). Eier von
In feuchter, kühler Umgebung sind die Eier von T. solium wochen- T. saginata und T. solium unterscheiden sich mikroskopisch nicht.
lang überlebensfähig. Die Finnen sterben bei Temperaturen unter PCR-Assays erlauben die Unterscheidung der beiden Spezies aus
0 °C und über 45 °C in kurzer Zeit ab. Proglottiden.
Parasitologie
686 Kapitel 84 · Zestoden

Zwergbandwurm Eier von Hymenolepis nana werden durch kon-


taminierte Nahrung oder Autoinfektion aufgenommen. In den Zot-
ten des Dünndarms entwickeln sich Larven, die im Lumen zu
3–4 cm langen adulten Würmern ausreifen. Die Eier (40–50 μm)
werden mit dem Stuhl ausgeschieden. Als Zwischenwirte dienen ver-
schiedene Insekten. Die Infektion wird v. a. in südlichen Ländern bei
Kindern angetroffen (weltweit etwa 75 Mio. Infizierte). Infektionen
verlaufen meist asymptomatisch, selten treten unspezifische gastro-
intestinale Beschwerden auf. Die Diagnose erfolgt über die Stuhlmi-
kroskopie der charakteristischen Eier, als Therapie kommt Prazi-
quantel zur Anwendung. Nahrungsmittel- und allgemeine Hygiene
sowie die Behandlung Infizierter dienen der Prophylaxe.

In Kürze
Tänien, Diphyllobothrium latum, Hymenolepis nana
Parasitologie Bandwürmer der Arten T. saginata, T. solium,
Diphyllobothrium latum und Hymenolepis nana, im Dünndarm
. Abb. 84.5 Exstirpation eines Zystizerkus aus dem Gehirn
vorkommend, T. solium als Finne auch in Geweben.
Entwicklung Orale Aufnahme von Finnen im Fleisch von
Zwischenwirten (Rind, Schwein, Fisch) oder von Eiern von
Die Diagnose der Zystizerkose wird durch die Kombination bild-
Hymenolepis. Autoinfektionen bei T. solium und Hymenolepis.
gebender und serologischer Verfahren (ELISA, Western-Blot) ge-
Klinik Meist asymptomatisch, Zystizerkose des ZNS (T. solium),
stellt. In frühen Stadien sind dünnwandige Zysten typisch, in denen
Anämie (Diphyllobothrium).
manchmal der Skolex erkennbar ist, später kann es zu Verkalkungen
Labordiagnose Proglottiden im Stuhl, Mikroskopie der Eier in
kommen.
der Stuhlanreicherung, Antikörpernachweis bei Zystizerkose.
Therapie Praziquantel, Niclosamid, selten chirurgisch (Zystizer-
kTherapie
kose).
Die Behandlung der Schweinebandwurminfektion erfolgt mit Prazi-
Prävention Umwelt- und Nahrungsmittelhygiene (Vermeidung
quantel oder Niclosamid. Die Zystizerkose wird medikamentös
von rohem oder ungenügend gekochtem Fleisch oder Fisch).
mit Albendazol oder Praziquantel, oft in Kombination mit Kortiko-
steroiden, in schweren Fällen auch neurochirurgisch behandelt
(. Abb. 84.5).

kPrävention
Prophylaktische Maßnahmen sind die Erfassung von finnenhalti-
gem Fleisch (Fleischbeschau) und moderne Haltung von Schweinen.
Individuelle Prophylaxe ist durch den Verzicht auf Verzehr von
rohem oder ungenügend gekochtem Schweinefleisch möglich. Tief-
gefrorenes Schweinefleisch stellt keine Infektionsquelle dar.

84.4 Andere Bandwurmarten

Neben T. saginata und T. solium ist in Asien eine weitere Form be-
schrieben, die T. saginata sehr ähnlich ist und als T. asiatica bezeich-
net wird. Außer durch Tänien wird der Mensch auch durch den
Fischbandwurm (Diphyllobothrium latum) und den Zwergband-
wurm (Hymenolepis nana, Syn.: Rodentolepis nana) infiziert.

Fischbandwurm Durch den Verzehr von larvenhaltigem rohen


oder ungenügend gekochtem Süßwasserfisch infiziert sich der
Mensch als Endwirt. Die Infektion ist in Deutschland selten, wird
aber in Nordeuropa und Russland häufiger angetroffen. Der Wurm
ist nach oraler Aufnahme in 2–3 Wochen geschlechtsreif, bis zu 20 m
lang und besteht aus Tausenden von Proglottiden. Gedeckelte Eier
(ca. 70×45 μm) werden mit dem Stuhl ausgeschieden und gelangen
in die Zwischenwirte, initial Kleinkrebse, später Süßwasserfische.
Die Infektion verläuft meist asymptomatisch, bei langem Verlauf
kann eine megaloblastäre Anämie durch Vitamin-B12-Mangel auf-
treten. Die Diagnose wird über Stuhlmikroskopie der Eier oder die
Proglottiden gestellt. Die Behandlung erfolgt medikamentös mit
Praziquantel.
687 85

Nematoden
R. Ignatius, G. Burchard

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_85, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Nematoden bilden die Klasse der Fadenwürmer (»nema«: Faden) und 85.1.1 Beschreibung
gehören zu den häufigsten Infektionserregern weltweit. Sie sind nicht
segmentiert und besitzen einen Verdauungstrakt. Sie sind getrennt- jMorphologie und Aufbau
geschlechtlich, die Weibchen produzieren Larven oder Eier, aus denen T. trichiura (Peitschenwurm) ist zwischen 3 und 5 cm lang. Der
Larven schlüpfen. Die humanpathogenen Nematoden sind zwischen Wurm besitzt einen fadenförmigen dünnen Vorderteil und einen
wenigen Millimetern und ca. 80 cm lang. dickeren Hinterabschnitt. Die Eier sind 50×20 μm groß und haben
Bei intestinalen Nematodeninfektionen finden sich die adulten Wür- eine charakteristische ovale Form mit Polpfröpfen.
mer im Darmlumen des Menschen, Filariosen sind Infektionen mit ge-
webebewohnenden Nematoden. Häufig werden Erkrankungen aber jEntwicklung
auch durch Nematodenlarven hervorgerufen, bei denen der Mensch Der Mensch infiziert sich mit Eiern von T. trichiura durch den Ver-
als Fehl- oder Zufallswirt betroffen ist. zehr kontaminierter Nahrungsmittel (Salate, rohes Gemüse etc.).
Der Mensch infiziert sich mit einigen Nematoden (Enterobius, Ascaris, Der Wurm wird im Dünndarm freigesetzt, heftet sich mit seinem
Trichuris) durch die Aufnahme von Eiern. Bei anderen Gattungen (An- Vorderteil im Dickdarm, vorwiegend im Zäkum, an die Darmzotten
cylostoma, Necator, Strongyloides) durchdringen Larven aktiv die Haut an und dringt dabei in die Mukosa ein. Das Hinterteil flottiert frei
oder werden mit im Wasser lebenden Flöhen aufgenommen (Dracun- im Lumen (peitschenförmige Bewegung). Nach 1–3 Monaten sind
culus) bzw. durch Insekten übertragen (Filarien). die Würmer geschlechtsreif und setzen pro Tag 5000–20.000 Eier
frei. Der Wurm ist ca. 1 Jahr lebensfähig, in den Eiern entwickeln
sich innerhalb von Wochen infektiöse Larven.
85.1 Trichuris
jResistenz gegen äußere Einflüsse
Steckbrief In feuchter, kühler Umgebung sind die Eier von T. trichiura mona-
telang überlebensfähig.
Trichuris wurde bereits 1771 von Linné beschrieben und kommt
im Dickdarm des Menschen vor. Neben Ascaris und Enterobius jVorkommen
gehört er zu den häufigsten intestinalen Parasiten. Die Infektion T. trichiura kommt weltweit v. a. in warmen Regionen mit geringem
führt zu gastrointestinalen Symptomen und Anämien. hygienischen Standard vor.

85.1.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
Die WHO geht weltweit von etwa 600–800 Mio. Infizierten aus, v. a.
Kinder sind betroffen. Der Parasit kann auch in Affen und anderen
Säugetieren nachgewiesen werden.

kÜbertragung
Die Übertragung erfolgt fäkal-oral durch kontaminierte Nahrungs-
Trichuris trichiura mittel oder Wasser.

kPathogenese
Therapie chronisch entzündlicher Darmkrankheiten mit Trichuris-Eiern Die Würmer dringen mit dem Vorderteil in die Darmmukosa ein.
Infektionen mit Trichuris spp. lösen eine ausgeprägte lokale TH2-Antwort aus. Dabei kommt es zu entzündlichen Veränderungen, die bei massivem
Die durch Trichuris induzierte TH2-Antwort kann in Tiermodellen chronische Befall zu hämorrhagischen Kolitiden führen können.
TH1-Antworten unterdrücken, die pathogenetisch assoziiert sind mit sog.
TH1-Erkrankungen, z. B. chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Des-
kKlinik
halb wurden für Patienten mit Morbus Crohn Therapiestrategien entwickelt,
die auf der therapeutischen Gabe von Eiern von Trichuris basieren. Um eine In der Mehrzahl der Fälle verläuft die Infektion mit T. trichiura
Infektion des Menschen und davon ausgehende Kontamination der Umwelt asymptomatisch. Unspezifische gastrointestinale Symptome und Ei-
und Gefahr von Übertragungen auszuschließen, wird die Gabe von Eiern von senmangelanämien durch die Blutaufnahme des Parasiten sind be-
Trichuris suis verfolgt. In ersten Studien konnten Sicherheit und therapeuti- schrieben. Bei starkem Befall kann es zur Dysenterie kommen. Wie
scher Effekt einer v. a. wiederholten Gabe von Eiern von T. suis gezeigt werden. bei Infektionen durch andere intestinale Helminthen kann die Infek-
Parasitologie
688 Kapitel 85 · Nematoden

tion mit T. trichiura in Kombination mit Mangelernährung zur 85.2.1 Beschreibung


Wachstumsverlangsamung führen. Eine signifikante Eosinophilie
wird bei der Infektion mit T. trichiura nicht beobachtet. jMorphologie und Aufbau
Adulte Trichinen sind 1,6–4 mm lang. Die wandernden Larven mes-
kImmunität sen etwa 0,1 mm und wachsen nach Einwanderung in die Muskula-
Die Immunantwort des Menschen ist kaum untersucht. Es wird tur auf etwa 1 mm heran. Im Muskel befinden sie sich bei den Spe-
keine dauerhafte Immunität ausgebildet. zies T. spiralis, T. britovi, T. nativa, T. murrelli und T. nelsoni in einer
0,4–0,7 mm dicken Kapsel; die Larven von T. pseudospiralis und
kLabordiagnose
T. papuae sind unbekapselt.
Der Nachweis von T. trichiura wird im Stuhl v. a. über den mikros-
kopischen Nachweis der charakteristischen zitronenförmigen Eier jEntwicklung
mit polaren Pfröpfen geführt. Wie immer bei parasitologischen
Die Trichinellose ist eine Zoonose; wahrscheinlich können sämt-
Stuhluntersuchungen sollten mindestens 3 Proben untersucht
liche Säugetierarten (bei T. pseudospiralis auch Vögel) durch orale
werden.
Aufnahme der Larven infiziert werden. Im Fall einer Kapsel wer-
kTherapie den  die Larven während der Magenpassage freigesetzt und ge-
Mebendazol ist das Mittel der Wahl. langen in den Dünndarm, wo sie in das Epithel eindringen. Dort
erreichen sie nach 4-maliger schneller Häutung die Geschlechts-
kPrävention reife. Während das Männchen kurz nach der Paarung abstirbt, ge-
Adäquate Nahrungsmittelhygiene stellt die wichtigste Präventiv- bären die Weibchen etwa 1 Woche nach Infektion 1500 oder mehr
maßnahme dar. Larven, die über Blut- und Lymphwege in Herz und Lunge wandern
und von dort über den arteriellen Kreislauf in die quer gestreifte
Muskulatur gelangen. Bei einigen Trichinenspezies bilden sich
In Kürze
dort 2–6 Wochen nach Infektion um die spiralförmig aufgerollten
Trichuris
Larven Kapseln aus einer Doppelschicht aus Proteinen und Glyko-
Parasitologie Nematode der Art Trichuris trichiura, im
proteinen.
Dickdarm vorkommend.
Etwa 5 Monate nach Infektion beginnen die Kapseln zu verkal-
Entwicklung Direkt, ohne Zwischenwirte.
ken, dieser Vorgang ist nach ca. 18 Monaten abgeschlossen. Die Kap-
Klinik Meist asymptomatisch, selten gastrointestinale
seln lassen noch einen begrenzten Stoffaustausch zu, sodass die Lar-
Symptome und Eisenmangelanämie.
ven bis zu 30 Jahre überleben können. Im Gegensatz dazu überleben
Labordiagnose Stuhlanreicherung zum Nachweis der Eier.
die adulten Trichinen im Dünndarm bei intaktem Immunsystem des
Therapie Mebendazol.
Wirtes nur einige Wochen.

jResistenz gegen äußere Einflüsse


Die Larven sterben bei Erhitzen (> 65 °C) von Schlachtfleisch. Ein-
85.2 Trichinella
frieren des Fleischs ist nur bedingt larvizid; die Larven der in arkti-
schen Bereichen vorkommenden T. nativa sind sehr resistent gegen-
Steckbrief über niedrigen Temperaturen.
Die Trichinellose des Menschen wird durch 7 Rundwurmarten
jVorkommen
der Gattung Trichinella (T.) verursacht, T. spiralis ist die bei wei-
tem häufigste beim Menschen nachgewiesene Art. Die Infektion
Die 7 Trichinenarten sind mit unterschiedlicher geografischer
äußert sich zunächst in abdominellen Beschwerden und Fieber,
Häufigkeit weltweit verbreitet. Sie kommen in einem domestischen
später treten Ödeme, Muskelschmerzen und je nach Organbe-
Zyklus (wahrscheinlich nur T. spiralis), in dem Hausschwein und
fall weitere Symptome hinzu.
Ratten die wesentlichen Reservoirtiere sind, und einem silvatischen
F. Tiedemann beschrieb 1821 erstmals die Verkalkungen in Muskel-
Zyklus (T. spiralis und die anderen Arten) mit Fuchs, Wildschwein
fleisch, 1835 entdeckte J. Paget (von R. Owen berichtet) den Erre-
und anderen Säugetieren als Reservoiren vor.
ger. Den vollständigen Zyklus der Trichinen mit der Bedeutung von
rohem Fleisch als Erregerreservoir beschrieb 1860 F. Zenker. Zu-
sammen mit den weiteren humanpathogenen Gattungen Trichuris
85.2.2 Rolle als Krankheitserreger
und Capillaria gehört die Familie der Trichinellidae zur Überfamilie
kEpidemiologie
Trichinelloidea (= Trichuroidea).
Weltweit rechnet man mit über 10 Mio. Infizierten, die meisten In-
fektionen sind dabei durch T. spiralis verursacht. Eine saisonale
Häufung der Infektionen, oft in Epidemien, wird in den Wintermo-
naten beobachtet, wenn die Schlachtung von Schweinen und die Jagd
auf Wildschweine ihren Höhepunkt erreichen. Der genaue Infek-
tionsweg von Pferden, deren Fleisch die zuletzt beobachteten größe-
ren Ausbrüche in Italien und Frankreich ausgelöst hat, und anderer
pflanzenfressender Nutztiere ist unklar. Möglicherweise ist die Ver-
fütterung tierischer Abfallprodukte hierfür verantwortlich. Bei sin-
kender Prävalenz der Trichinellose in Hausschweinen werden in den
Trichinella spiralis: Muskeltrichine letzten Jahren zunehmend Infektionen durch Fleisch von Wildtieren
(auch Kamel- und Bärenfleisch) verzeichnet.
85.2 · Trichinella
689 85
In Deutschland ist die Trichinellose heute eine seltene Erkran-
kung. Von 2001 bis 2014 wurden dem RKI 80 Fälle übermittelt, meist
aus dem Ausland importiert.

kÜbertragung
Trichinen werden durch den Verzehr infizierten Fleisches übertra-
gen, in Europa insbesondere von Schweinen, Wildschweinen und
Pferden.

kPathogenese
Enterale Phase In der enteralen Phase der Trichinellose induzie-
ren die in das Dünndarmepithel einwandernden Larven und an-
schließend die adulten Würmer Entzündungsreaktionen, die einer
allergischen Reaktion vom Typ 1 ähneln und zur Ausscheidung
der Erreger führen. Histologisch finden sich Epithelläsionen mit
Kryptenhyperplasie und entzündliche Infiltrate (aktivierte Mast- a b
zellen, Lymphozyten, eosinophile Granulozyten). Die gleichzeitig
beobachtete Diarrhö beruht auf der Sekretion von Wasser und Elek- . Abb. 85.1a, b Trichinellose. a Akute Trichinellose – Fieber, Augenlid- und
Gesichtsödeme, Durchfälle; b Dieselbe Patientin nach 3-wöchiger Therapie
trolyten.
mit Mebendazol und Decortin (mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr.
W. Bommer, Göttingen)
Extraintestinale Phase In dieser anschließenden Phase führt die
Freisetzung von Zytokinen und anderen Entzündungsmediatoren
(z. B. Histamin, Serotonin, Prostaglandinen) zu Fieber und Vasku-
litis mit Ödembildung; auch Hämorrhagien können auftreten. Vas- betreffen oder in Sekundärinfektionen (z. B. Bronchopneumonie)
kulitis und granulomatöse Entzündungsreaktionen, später auch bestehen. In ca. 1 % verläuft die Infektion letal. Nach abgeschlossener
Schäden durch eingewanderte eosinophile Granulozyten, liegen Einwanderung der Larven in die Muskulatur (5–7 Wochen nach In-
auch dem möglichen Befall des ZNS (Neurotrichinellose) zugrun- fektion) gehen die Symptome allmählich zurück. Eine nahezu obli-
de. Eine Myokarditis ist offenbar zunächst auf einwandernde Lar- gate und oft stark ausgeprägte periphere Eosinophilie kann länger
ven selbst, später ebenfalls auf infiltrierende inflammatorische bestehen bleiben.
Zellen (Eosinophile, Mastzellen) zurückzuführen. Außerdem führt
der Befall der quer gestreiften Muskulatur zur Zerstörung von Mus- kImmunität
kelfasern, zur basophilen Transformation befallener Myozyten und, Eine protektive Immunantwort bildet sich nur aus, wenn bei Erstin-
nach Einwanderung von Entzündungszellen, zu einer eosinophilen fektion infektiöse Larven produziert wurden, und ist gegen die adul-
Myositis. ten Würmer und Larven gerichtet. Die Abwehr der adulten Trichi-
nen beruht offenbar auf aktivierten T-Lymphozyten, Mastzellen und
kKlinik eosinophilen Granulozyten; die genauen Mechanismen sind unklar.
Die Symptomatik ist abhängig von der Spezies der aufgenommenen Bereits früh im akuten Stadium werden spezifische IgE-Antikörper
Trichinen, der Anzahl der aufgenommenen Larven und von Wirts- gebildet, und neugeborene Larven sind anfällig gegenüber antikör-
faktoren wie z. B. Geschlecht, Alter, Immunstatus. Die Infektion perabhängiger, zellvermittelter Zytotoxizität (ADCC). Die immuno-
kann asymptomatisch verlaufen, bei symptomatischer Infektion be- logischen Prozesse haben eine große Bedeutung für die Pathogenese
trägt die Inkubationszeit 1–4 Wochen. Je kürzer die Inkubationszeit der Trichinellose.
ist, desto schwerer verläuft meist die Infektion. Die Ausprägung der
Symptomatik in der enteralen Phase variiert stark; abdominelle kLabordiagnose
Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Fieber und Diarrhö können auftre- Neben anamnestischen Angaben über den Verzehr verdächtigen
ten, gelegentlich auch Obstipation. Meist dauert diese Phase nicht Fleischs, den klinischen Symptomen und Laborauffälligkeiten (Ge-
länger als 1 Woche. samt-IgE, Eosinophilie, erhöhte CK und LDH) beruht die Diagnose
Im extraintestinalen Stadium stehen intermittierendes Fieber, der Trichinellose auf dem Nachweis spezifischer Antikörper im Se-
Ödeme (besonders im Gesicht) und Muskelschmerzen im Vorder- rum. Diese sind meist ab der 2.–3. Woche nach Infektion mittels
grund (. Abb. 85.1). Letztere können sehr stark sein und zu allge- ELISA (gegen lösliche Antigene) und Immunfluoreszenztest (gegen
meiner Schwäche mit Einschränkungen beim Laufen, Sprechen und Oberflächenantigene) nachweisbar. Erhöhte Titer persistieren oft
Atmen führen. Seltener finden sich eine Myokarditis, fortgesetzte jahrelang trotz erfolgreicher Therapie. Die Tests differenzieren nicht
Diarrhö und konjunktivale und/oder subunguale Blutungen. EMG- zwischen den Infektionen durch die diversen Trichinella-Spezies,
und EKG-Veränderungen (Erregungsrückbildungsstörungen, Kreuzreaktionen bei Infektionen mit anderen Helminthen können
Überleitungsstörungen oder infarktähnliche Bilder) sind Ausdruck u. U. falsch positive Ergebnisse ergeben.
des Befalls der entsprechenden Organe, letztere auch Folge von Elek- Im extraintestinalen Stadium können Trichinenlarven zunächst
trolytverschiebungen. Laborchemisch fallen außerdem Erhöhungen im Blut (nach Hämolyse und Anreicherung), nach Befall der Mus-
der Kreatinkinase (CK) und Laktatdehydrogenase (LDH), gelegent- kulatur auch direkt oder immunhistochemisch in Muskelbiopsien
lich auch eine Hypokaliämie auf. Husten und Dyspnoe können aus (meist aus dem M. deltoideus) gefunden werden. Auch wenn diese
der Lungenpassage der Larven und dem Befall des Zwerchfells resul- nur selten erforderlich sind (z. B. bei negativer Serologie), erlauben
tieren. sie eine Typisierung der Erreger und eine Einschätzung des Ausma-
Weitere Komplikationen können am Auge als Schmerzen, Seh- ßes des Muskelbefalls. Selten finden sich adulte Würmer oder Larven
störungen und Retinaschäden auftreten, ZNS, Lunge oder Nieren im Stuhl.
Parasitologie
690 Kapitel 85 · Nematoden

kTherapie 85.3 Strongyloides


Mebendazol ist in der intestinalen Phase gut wirksam, während
Albendazol aufgrund seiner besseren Absorption stärker gegen Steckbrief
die extraintestinalen Larven wirksam sein mag. In schweren Fällen
kann ein 2. Therapiezyklus erforderlich sein. Schwangere und Kin- Larven von Strongyloides stercoralis, dem Zwergfadenwurm,
der unter 2 Jahren werden mit Pyrantel behandelt. Eine frühzeitige wurden 1876 erstmals beschrieben. Der Wurm kommt im Dünn-
Gabe von Kortikosteroiden kann den Verlauf günstig beeinflussen, darm vor, die Infektion manifestiert sich als Enteritis. Infektio-
jedoch auch das Überleben der adulten Würmer im Dünndarm ver- nen sind relativ selten, lebensbedrohliche Autoinfektionen sind
längern. jedoch bei Immunsupprimierten beschrieben worden.

kPrävention
Innerhalb der EU und auch in einigen anderen Ländern unterliegt
das Fleisch von Haus- und Wildschweinen sowie Pferden und wei-
terer potenziell übertragender Tiere einer amtlichen Trichinenun-
tersuchung oder gleichwertigen Schutzmaßnahmen (z. B. Einfrieren
unter definierten Bedingungen). Diese Bestimmungen gelten auch
für aus Drittländern importiertes Fleisch.
Maßnahmen zur Verhütung von Epidemien umfassen Unter-
suchungen zur Epidemiologie der Trichinellose bei Wildtieren.
Bei Verzehr von Wildtieren, besonders außerhalb der EU, ist
dennoch Vorsicht geboten. Bei einem Ausbruch sind epidemiolo- Strongyloides stercoralis
gische Untersuchungen zur Ermittlung der Infektionsquelle uner-
lässlich.

kMeldepflicht
Der direkte und indirekte Nachweis von T. spiralis ist nament- 85.3.1 Beschreibung
lich  meldepflichtig, soweit er auf eine akute Infektion hinweist
(§ 7 IfSG). jMorphologie und Aufbau
Zwergfadenwürmer sind fadenförmig und 2–3 mm lang. Die Eier
sind 40×30 μm groß, aber nur äußerst selten im Stuhl nachweisbar.
In Kürze
Trichinella
jEntwicklung
Parasitologie Nematoden der Gattung der Trichinella, je nach
Der Lebenszyklus von S. stercoralis ist komplex. Die weiblichen
Entwicklungsstadium im Darm, Blut oder der Muskulatur vor-
Würmer leben in der Epithelschicht des Jejunums, wo sie durch
kommend.
Parthenogenese Eier erzeugen. Die Erstlarven (sog. rhabditiforme
Entwicklung Aufnahme der Larven mit Fleisch, adulte Würmer
Larven) schlüpfen bereits in der Darmmukosa oder während ihrer
im Darmepithel, Wanderung der Larven über Blut in Muskulatur,
Passage durch den Darmkanal. Im Freien können sich diese zu fila-
dort sich u. U. einkapselnd.
riformen Infektionslarven oder zu adulten Würmern umwandeln.
Pathogenese Enterale Phase: Entzündung der Dünndarm-
Aus den Eiern der Adulten können in der Umwelt wieder adulte
mukosa, sekretorische Diarrhö. Extraintestinale Phase: Vaskulitis,
Würmer oder aber filariforme infektiöse Larven entstehen. Diese
eosinophile Myositis, u. U. eosinophile Entzündung weiterer
penetrieren die Haut, gelangen über Lymph- oder Blutweg in die
Organe.
Lunge, durchbohren die Alveolen, werden aufgehustet und in den
Klinik Enterale Phase: Durchfälle, Fieber. Extraintestinale Phase:
Verdauungstrakt abgeschluckt.
Muskelbeschwerden, Fieber, Ödeme, u. U. Myokarditis, Neuro-
Autoinfektionen können durch Umwandlung der rhabditi-
trichinellose und andere Komplikationen.
formen Larven bereits im Dickdarm in infektiöse Larven entstehen
Labordiagnose Antikörpernachweis, Nachweis der Larven in
(. Abb. 85.2). Diese invadieren den Dickdarm oder die Analregion.
Muskelbiopsien.
Dieser interne Autoinfektionszyklus verläuft bei den meisten Infi-
Therapie Mebendazol, Albendazol, Glukokortikoide.
zierten kontinuierlich auf niedrigem Niveau und ist für eine jahre-
Prävention Gesetzlich vorgeschriebene Untersuchung von
lange Persistenz der Infektion verantwortlich. Bei Immunsuppres-
Fleisch, Vorsicht beim Verzehr von Wildfleisch.
sion können dann klinische Symptome auftreten (Hyperinfektions-
syndrom).

jResistenz gegen äußere Einflüsse


In feuchter, kühler Umgebung sind die Larven von S. stercoralis
mehrere Wochen überlebensfähig.

jVorkommen
S. stercoralis kommt weltweit v. a. in warmen Regionen mit gerin-
gem hygienischen Standard vor.
85.4 · Necator und Ancylostoma
691 85
kImmunität
Die Immunantwort des Menschen ist wenig untersucht. Es wird kei-
ne dauerhafte Immunität ausgebildet. Das Auftreten von Autoinfek-
tionen (Hyperinfektionen) bei Immunsupprimierten deutet auf eine
protektive Funktion von T-Zellen hin.

kLabordiagnose
Die Diagnose wird über den Nachweis der Larven von S. stercoralis
in Stuhl oder Duodenalsekret gestellt. Antikörpernachweise aus Se-
rum stehen ebenfalls zur Verfügung. Eosinophilie ist typischerweise
zu beobachten, kann aber beim Hyperinfektionssyndrom fehlen.
Beim Hyperinfektionssyndrom ist die schnelle Diagnose von großer
Bedeutung.

kTherapie
Ivermectin ist das Mittel der Wahl. Alternativ kommt Albendazol
zur Anwendung.

kPrävention
Die Behandlung Infizierter, allgemeine hygienische Maßnahmen
wie Beseitigung von Fäkalien und Abwasserbehandlung sowie die
Vermeidung der perkutanen Aufnahme durch adäquates Schuhwerk
sind von Bedeutung. Vor einer Therapie mit Immunsuppressiva
sollte bei Herkunft des Patienten aus Endemiegebieten eine Infek-
. Abb. 85.2 Zyklus von Strongyloides stercoralis
tion mit S. stercoralis ausgeschlossen werden.

85.3.2 Rolle als Krankheitserreger In Kürze


Strongyloides
kEpidemiologie
Parasitologie Nematode der Art Strongyloides stercoralis, im
Die WHO geht weltweit von etwa 50–100 Mio. Infizierten aus. Der
Dünndarm vorkommend.
Parasit kann auch in Affen und anderen Säugetieren nachgewiesen
Entwicklung Komplexer Lebenszyklus in der Umwelt und im
werden. Die Infektion wird in gemäßigten Zonen häufig in Institu-
Darmtrakt.
tionen nachgewiesen, was auf die Übertragung durch engen Kontakt
Klinik Je nach Stadien der Infektion gastrointestinale Symptome
hinweist.
wie Diarrhö, Jejunitis, Juckreiz und Erythem an der kutanen Ein-
trittsstelle sowie pneumonische Symptome bei Lungenpassage
kÜbertragung
(Löffler-Syndrom).
Feuchte Bedingungen fördern die Vermehrung des Parasiten und
Labordiagnose Nachweis der Larven im Stuhl oder Duodenal-
den Austritt aus dem Stuhl in die Umgebung. Die Übertragung er-
sekret.
folgt durch Penetration der Haut durch filariforme Larven.
Therapie Ivermectin oder Albendazol.
kPathogenese
Entzündliche Veränderungen mit Infiltration eosinophiler Granulo-
zyten und Vermehrung von Becherzellen sowie ein IgE-Anstieg in 85.4 Necator und Ancylostoma
der BAL sind während der Lungenpassage zu beobachten, während
im Darmtrakt Eosinophilie, Mastozytose und eine Vermehrung der Steckbrief
Becherzellen vorherrschen.
Ancylostoma duodenale und Necator americanus sind Haken-
kKlinik würmer, die den Dünndarm befallen und Anämien und Durch-
In etwa 30 % der Fälle verläuft die Infektion mit S. stercoralis asym- fälle verursachen. Larven anderer Hakenwürmer von v. a. Hunden
ptomatisch. An der Eintrittsstelle können sich an der Haut juckende, verursachen das Krankheitsbild der »Larva migrans cutanea«.
wandernde serpiginöse Exantheme (Larva currens) ausbilden. Wäh-
rend der Lungenpassage kann es bei ausgeprägtem Befall zu einer
Pneumonitis mit trockenem Husten kommen (Löffler-Syndrom).
Die intestinale Infektion führt zu gastrointestinalen Symptomen wie
brennenden, kolikartigen Schmerzen, Durchfällen, Übelkeit, Erbre-
chen und Gewichtsverlust.
Beim Hyperinfektionssyndrom kommt es durch Ausbreitung
der Larven in alle Organe zu lebensbedrohlichen Verläufen mit
schweren abdominellen Beschwerden, Schock, Ileus, Meningitis
oder Sepsis. Das Hyperinfektionssyndrom wird durch immunsup-
pressive Therapie, HTLV-1-Infektion, Organtransplantationen, hä- Hakenwurm
matologische maligne Erkrankungen, Alkoholismus etc. begünstigt.
Parasitologie
692 Kapitel 85 · Nematoden

85.4.1 Beschreibung v. a. über den mikroskopischen Nachweis der Eier geführt. Larven
können nach Auswanderung anhand ihrer Mundwerkzeuge von an-
jMorphologie und Aufbau deren Nematoden wie Strongyloides-Larven unterschieden werden.
Hakenwürmer sind zylindrische, ca. 1 cm lange Nematoden und be-
sitzen ein hakenförmiges, gebogenes Vorderende. Die Eier sind kTherapie
60×45 μm groß. Der Mund besitzt zahnartige Strukturen (Ancylo- Mebendazol oder Albendazol kommen zur Anwendung. Die Eisen-
stoma) oder Schneiden (Necator). mangelanämie wird durch Eisensubstitution behandelt.

jEntwicklung kPrävention
Aus Eiern werden Larven freigesetzt, die nach 2 Häutungen zu in- Präventivmaßnahmen umfassen die Behandlung Infizierter, eine
fektionsfähigen Drittlarven werden. Diese penetrieren die Haut des sachgerechte Beseitigung von Fäkalien und das Vermeiden von Bar-
Menschen. Über den Lymph- oder Blutweg wird die Lunge erreicht, fußgehen.
die Alveolen werden durchbohrt, die Erreger werden aufgehustet
und in den Verdauungstrakt abgeschluckt, wo nach wenigen Wo-
In Kürze
chen die Geschlechtsreife eintritt. Hakenwürmer besiedeln den obe-
Ancylostoma und Necator
ren Dünndarm, persistieren jahrelang im Darm und legen pro Tag
Parasitologie Nematoden der Art Ancylostoma duodenale und
etwa 10.000–30.000 Eier.
Necator americanus, im Dünndarm vorkommend.
Entwicklung Perkutanes Eindringen von Larven, Wanderung
jResistenz gegen äußere Einflüsse
über Lunge, Abschlucken in den Darm. Aus mit dem Stuhl abge-
Eier reifen nur bei Temperaturen > 13 °C. In feuchter, kühler Umge-
setzten Eiern schlüpfen Larven.
bung sind Hakenwurmeier wochenlang überlebensfähig.
Klinik Juckreiz an der Eintrittsstelle, pneumonische Symptome
bei Lungenpassage, Eisenmangelanämie, Proteinmangel, Eosino-
jVorkommen
philie.
Hakenwürmer kommen weltweit v. a. in warmen Regionen mit ge-
Labordiagnose Anreicherungsverfahren im Stuhl zum mikros-
ringem hygienischem Standard vor.
kopischen Nachweis von Eiern.
Therapie Mebendazol, Albendazol.

85.4.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
Die WHO geht von 580–700 Mio. Infizierten aus. 85.5 Enterobius
kÜbertragung
Steckbrief
Die Übertragung erfolgt perkutan durch Kontakt mit den im Boden
befindlichen Larven (Barfußgehen). Enterobius vermicularis (Oxyuris, Madenwurm) ist ein Rund-
wurm, der im Dickdarm lebt und zur Eiablage an den After
kPathogenese kriecht, was sich klinisch als Jucken im Analbereich manifestiert.
Bei der Penetration der Haut, der Lungenpassage und im Darm Linné beschrieb 1758 Eier von E. vermicularis.
kommt es zu milden Entzündungsreaktionen, die durch eosinophile
Infiltrate charakterisiert sind. Hakenwürmer heften sich fest an der
Mukosa an, setzen gerinnungshemmende Substanzen frei und sau-
gen Blut. Dadurch kommt es zu chronischem Blut- und Eiweißver-
lust.

kKlinik
An der Eintrittsstelle kann es zu Juckreiz und Hautrötung kommen.
Bei der Lungenpassage können pneumonische Symptome (Löffler-
Syndrom) auftreten. Wie bei Infektionen durch andere intestinale
Helminthen auch kann die Infektion mit Hakenwürmern in Kombi-
nation mit Mangelernährung zur Wachstumsverlangsamung beitra- Enterobius vermicularis
gen. Klinisch am wichtigsten ist die Entwicklung einer hypochro-
men und mikrozytären Eisenmangelanämie, die aufgrund ihrer
langsamen Entwicklung und entsprechender Adaptation extreme
Ausmaße annehmen kann. 85.5.1 Beschreibung
kImmunität jMorphologie und Aufbau
Die Immunantwort des Menschen ist wenig untersucht. Es wird kei- Madenwürmer sind 2–13 mm lang. Die Eier sind 55×25 μm groß
ne dauerhafte Immunität ausgebildet. und längsoval.

kLabordiagnose jEntwicklung
Charakteristisch für Hakenwurminfektionen sind Eosinophilie, Ei- Der Mensch scheidet Eier des Madenwurmes aus. In diesen reift der
senmangelanämie und Proteinmangel. Die Diagnose wird im Stuhl infektiöse Embryo heran. Die embryonierten Eier werden oral auf-
85.6 · Ascaris
693 85
genommen. Im Darmtrakt schlüpfen aus den Eiern Larven, die nach werden häufig beobachtet. Bei Wiederholung der Therapie nach 2
Häutungen in 5–6 Wochen geschlechtsreif werden. Infizierte tragen und 4 Wochen werden jedoch Heilungsraten von annähernd 100 %
meist bis zu 50 Larven im Darm. Nach der Kopulation wandern die beobachtet.
Weibchen zum Anus, die Männchen sterben schnell ab. Im Anusbe-
reich (vermutlich wegen der geringeren Temperaturen und des hö- kPrävention
heren Sauerstoffgehalts) werden meist nachts bis zu 10.000 Eier ab- Adäquate Hygienemaßnahmen sind die Unterbrechung der Über-
gelegt, die an Haut und Bettwäsche haften. Der infektiöse Embryo tragung durch v. a. morgendliche Reinigung der Perianalhaut, das
entwickelt sich bereits nach etwa 6 h. Bei starkem Befall werden Kochen der Wäsche und die Reinigung kontaminierter Gegen-
häufig lebende Würmer ausgeschieden, die auf dem Stuhl als be- stände.
wegliche Würmer sichtbar sind. Weibliche Würmer leben wenige
Wochen lang.
In Kürze
Enterobius
jResistenz gegen äußere Einflüsse
Parasitologie Nematoden der Art Enterobius vermicularis
In feuchter, kühler Umgebung sind die Eier von E. vermicularis wo-
(Oxyuren), im Dick- und Enddarm lebend.
chenlang überlebensfähig.
Entwicklung Aufnahme embryonierter Eier, weibliche Larven
legen Eier nachts im Anusbereich ab, diese sind in wenigen
jVorkommen
Stunden infektiös.
E. vermicularis kommt weltweit unabhängig von sozioökonomi-
Klinik Juckreiz am Anus.
schen Faktoren vor.
Labordiagnose Wurmnachweis auf dem Stuhl, Ei-Nachweis mit
Klebestreifenmethode.
Therapie Mebendazol, Pyrviniumembonat.
85.5.2 Rolle als Krankheitserreger Prävention Allgemeine und körperliche Hygiene, Umgebungs-
untersuchungen und ggf. Mitbehandlung.
kEpidemiologie
Die WHO geht weltweit von über 1 Mrd. Infizierten aus. Kinder im
Alter von 5–9 Jahren sind am häufigsten betroffen. Ausbrüche in
Familien sind häufig.
85.6 Ascaris
kÜbertragung
Die Übertragung der Eier (auch Autoinfektion) erfolgt durch konta- Steckbrief
minierte Hände (v. a. Fingernägel nach Kratzen oder Kontakt mit
Bettwäsche). Alternativ können Eier auch durch Gegenstände über- Ascaris lumbricoides ist ein im Dünndarm lebender Rundwurm.
tragen werden. Er ist der vermutlich häufigste intestinale Helminth. Die Infek-
tion führt zu gastrointestinalen, seltener auch zu biliären Symp-
kPathogenese tomen.
Die Würmer setzen sich auf der Darmmukosa fest. Akzidentell kann
es zur Einwanderung in Appendix und andere Organe mit Entzün-
dungsreaktionen kommen.

kKlinik
Charakteristisches Zeichen der Madenwurminfektion ist nächtli-
cher Juckreiz in der Analregion. Dieser kann zu Schlafstörungen
führen. Bei Einwandern in andere Organe können z. B. eine Vulvo-
vaginitis, seltener Appendizitis oder Salpingitis entstehen. Eosino-
philie und IgE-Anstieg werden nicht beobachtet.

kImmunität Ascaris lumbricoides


Die Immunantwort des Menschen ist wenig untersucht. Es wird kei-
ne dauerhafte Immunität ausgebildet.

kLabordiagnose 85.6.1 Beschreibung


Der Nachweis von E. vermicularis wird durch den Nachweis von Ma-
denwürmern auf dem Stuhl oder durch den mikroskopischen Nach- jMorphologie und Aufbau
weis der Eier im Klebestreifenpräparat geführt. Man klebt am frü- A. lumbricoides (Spulwurm) ist gelblich bis rötlich, bleistiftdick und
hen Morgen einen Klebestreifen auf die Perianalregion, anschließend zwischen 15 und 40 cm lang (. Abb. 85.3). Die Eier sind 65×45 μm
auf einen Objektträger und mikroskopiert ihn dann. Mehrfachunter- groß und besitzen eine bräunliche, dicke Schale.
suchungen erhöhen die Sensitivität, bei Auftreten in Familien sollten
alle Familienmitglieder untersucht werden. jEntwicklung
Der Mensch infiziert sich mit Eiern von A. lumbricoides durch den
kTherapie Verzehr kontaminierter Nahrungsmittel. Im Dünndarm schlüpfen
Mebendazol und Pyrviniumembonat kommen zur Anwendung. Es die Larven, dringen in venöse Gefäße ein und werden über den Blut-
sollten alle Familienmitglieder behandelt werden. Reinfektionen weg in die Leber und nachfolgend in die Lunge transportiert. Dort
Parasitologie
694 Kapitel 85 · Nematoden

. Abb. 85.3 Ascaris lumbricoides – adulte Spulwürmer aus dem mensch-


lichen Darm (Länge: männlich 15–25 cm, weiblich: 20–40 cm) (mit freundl.
Genehmigung von Prof. Dr. W. Bommer, Göttingen)

wandern sie in die Alveolen ein und gelangen über den Rachen in
den Darm. Innerhalb von Wochen erlangen sie die Geschlechtsreife
und produzieren täglich bis zu 200.000 Eier. Der Wurm überlebt
monatelang im Darmtrakt. Eier enthalten nach 3–6 Wochen infek-
tiöse Larven.

jResistenz gegen äußere Einflüsse


In feuchter, kühler Umgebung sind die Eier von A. lumbricoides . Abb. 85.4 Zyklus von Ascaris lumbricoides
jahrelang überlebensfähig. Bei Temperaturen zwischen 5 und 10 °C
können Eier 2 Jahre überleben, auch Austrocknung und Sauerstoff-
entzug sowie winterliche Temperaturen werden wochenlang über-
lebt.

jVorkommen
A. lumbricoides kommt weltweit v. a. in warmen Regionen mit ge-
ringem hygienischen Standard vor.

85.6.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
Die Zahl Infizierter wird auf 1,2–1,5 Mia. geschätzt; v. a. Kinder im
Vor- und jungen Schulalter sind betroffen. Die enorm hohe Fertilität
der Würmer und die hohe Umweltresistenz der Eier fördern die Ver-
breitung.

kÜbertragung
Die Übertragung erfolgt durch kontaminierte Nahrungsmittel oder
. Abb. 85.5 Askariasis – flüchtiges eosinophiles Lungeninfiltrat (Löffler-
Wasser. Eine direkte fäkal-orale Übertragung ist jedoch nicht mög-
Syndrom) bei Wanderung der Larven durch die Lunge (mit freundl. Geneh-
lich.
migung von Prof. Dr. D. W. Büttner, Hamburg)

kPathogenese
Pathologische Veränderungen treten während der Lungenpassage
(Löffler-Syndrom) als Hämorrhagien und eosinophile Infiltrate auf deren Stoffen führen. Bei starkem Befall kann insbesondere bei Kin-
(. Abb. 85.4, . Abb. 85.5). Komplikationen können auftreten, da die dern eine Obstruktion des Darmlumens mit Ileussymptomatik auf-
Würmer wandern, z. B. in die Papilla Vateri oder die Appendix. treten. Bei Einwandern in den Gallengang kann es zu Obstruktion,
aszendierender Cholangitis und Leberabszessen kommen, bei Ein-
kKlinik wandern in den Ductus Wirsungianus auch zur Pankreatitis.
Die Ausprägung der klinischen Symptome hängt von der Befallsstär-
ke ab. Respiratorische Symptome und Bluteosinophilie sind in der kImmunität
frühen Phase zu beobachten. Chronische Verläufe können zu Antigene von A. lumbricoides lösen eine charakteristische TH2-
Wachstumsretardierung und Malabsorption von Proteinen und an- Immunantwort aus.
85.7 · Filarien
695 85
kLabordiagnose 85.7 Filarien
Aufgrund der hohen Zahl von Eiern im Stuhl reicht die direkte
Stuhlmikroskopie meist zur Diagnosestellung aus. Bei biliärer oder Steckbrief
pankreatischer Askariasis kann man die Würmer eventuell mit bild-
gebenden oder endoskopischen Verfahren nachweisen. Filarien sind Nematoden, die sich im Gewebe aufhalten. Die
Weibchen gebären Larven, sog. Mikrofilarien, die von Insekten
kTherapie aufgenommen und nach Weiterentwicklung wieder übertragen
Mebendazol ist das Mittel der Wahl, alternativ kann Albendazol ein- werden. Je nach Spezies kommt es – teils durch die adulten
gesetzt werden. Bei Obstruktion wird Piperazin verabreicht, das als Würmer, teils durch die Mikrofilarien – insbesondere zu Erkran-
Narkotikum auf den Wurm wirkt und die Obstruktion vermindert, kungen des Lymphsystems, der Haut und der Augen.
häufig ist allerdings eine chirurgische Therapie erforderlich.

kPrävention Entdeckung der Filarien


J.-N. Demarquay und O. H. Wucherer entdeckten 1862 bzw. 1866 unabhän-
Die Prävention umfasst Abwasserreinigung, sauberes Trinkwasser, gig voneinander die Mikrofilarien von Wuchereria (W.) bancrofti, dem häu-
adäquate Nahrungsmittelhygiene und die Behandlung Infizierter. figsten Erreger der lymphatischen Filariasis. Der Nachweis im Blut und die
Assoziation mit der Erkrankung gelang T. Lewis 1872. Die adulten Würmer
kVerwandte Arten entdeckte J. Bancroft 1876, der komplette Lebenszyklus wurde erstmals
Larven des Hundespulwurms (Toxocara canis) und anderer Toxoca- 1877 von P. Manson beschrieben, der 1880 auch die nächtliche Periodizität
ra-Arten können im Menschen nach akzidenteller oraler Aufnahme erkannte. 1927 entdeckten Brug und Lichtenstein in Indonesien eine mor-
der Eier wandern, nachdem sie im Dünndarm in die Mukosa einge- phologisch unterschiedliche Spezies, heute Brugia (B.) malayi genannt. Erst
drungen sind. Von dort gelangen sie ins Parenchym verschiedener 1965 beschrieben David und Edeson schließlich B. timori als eigenständige
Spezies.
Organe wie Leber, Lunge oder ZNS. Endwirte dieser Erreger sind
J. O’Neill beschrieb 1874 die Larven von Onchocerca (O.) volvulus, 1890
Hund bzw. Katze und Fuchs. Im Menschen, dem Fehlwirt, entwi-
entdeckte Manson die adulten Würmer. Die Assoziation der Hautläsionen
ckeln sich keine adulten Würmer. und Augenveränderungen bei der Onchozerkose (Onchocerciasis) mit dem
Das Krankheitsbild wird als Larva migrans visceralis (Toxocari- Erreger gelang J. Montpellier und A. Lacroix 1920 bzw. J. Hissette 1932, die
asis) bezeichnet und hängt von der Lokalisation der Erreger ab. Es Bedeutung von Simulien bei der Übertragung des Erregers beschrieb
können Blutbildveränderungen sowie Hepatomegalie, gastrointesti- D. Blacklock 1926.
nale Störungen, pneumonische oder zentralnervöse Symptome auf- Bereits aus dem späten 18. Jahrhundert stammen erste Berichte über sub-
treten. Die Diagnosestellung erfolgt serologisch, therapeutisch konjunktival wandernde Würmer der Spezies Loa (L.) loa. Die subkutane
kommt Albendazol zum Einsatz. Manifestation der Loiasis (»Calabar-Schwellung«) berichtete D. Argyll-
Die Anisakiasis (Heringswurmerkrankung) entsteht nach Auf- Robertson 1895 aus Old Calabar, Nigeria; Manson assoziierte sie 1910 mit
der Infektion mit L. loa. Die Übertragung der Larven durch Fliegen der
nahme von Larven mit rohem Salzwasserfisch. Die adulten Würmer
Gattung Chrysops entdeckte R. Thompson Leiper 1912.
leben im Darm von Meeressäugern. Erkrankungen des Menschen
werden vorwiegend dort beobachtet, wo häufig roher oder marinier-
ter Fisch gegessen wird, wie in Japan, den Niederlanden und an der 85.7.1 Beschreibung
amerikanischen Pazifikküste. Im Magen oder Ileum des Menschen
resultiert ein eosinophiles Infiltrat. Es entwickeln sich gastrointesti- jMorphologie und Aufbau
nale Symptome mit Bauchschmerzen. Die etwa 1–2 mm langen infektiösen Larven gelangen beim Blutsau-
gen der Vektoren in den Menschen. Die adulten Weibchen messen
bei W. bancrofti 5–10 cm, bei L. loa 5–7 cm und bei O. volvulus
In Kürze
20–50 cm, selten bis 70 cm, die Männchen sind kleiner. Die Mikro-
Ascaris
filarien messen zwischen 200 und 320 μm. Je nach Färbemethode
Parasitologie Nematoden der Art Ascaris lumbricoides, im
kann mikroskopisch um die Larven von W. bancrofti, B. malayi,
Dünndarm vorkommend. Verwandte Gattungen sind Toxocara
B. timori und L. loa eine wahrscheinlich aus der Eihülle entstandene
und Anisakis.
Scheide sichtbar sein; die Mikrofilarien von O. volvulus sind ohne
Entwicklung Aufnahme von Eiern, Larven wandern über Leber,
Scheide.
Lunge und Rachen in den Darm.
Klinik Lungeninfiltrate entstehen durch migrierende Larven,
jEntwicklung
adulte Würmer verursachen milde gastrointestinale Symptome,
Im Menschen entwickeln sich aus den infektiösen Larven innerhalb
bei massivem Befall auch Ileussymptomatik.
von 3–15 Monaten die adulten Würmer, die sich im Fall von Wuche-
Labordiagnose Mikroskopischer Nachweis der Eier im Stuhl
reria und Brugia in Lymphgefäßen und -knoten, bei O. volvulus in
oder in der Stuhlanreicherung.
subkutanen Knoten und bei L. loa als subkutan und subkonjunktival
Therapie Mebendazol und Albendazol.
im Körper wandernde Würmer aufhalten. Dort können einige Spe-
Prävention Allgemeine Nahrungsmittelhygiene.
zies mehr als 10 Jahre überleben, die Weibchen können mehrere
hundert Mikrofilarien pro Tag produzieren. Bei Wuchereria, Brugia
und Onchocerca, jedoch nicht bei L. loa, konnten intrazelluläre
Bakterien der Gattung Wolbachia als Endosymbionten identifiziert
werden, die für die Fertilität der weiblichen Erreger von Bedeutung
sind.
Die Mikrofilarien befinden sich bei Wuchereria, Brugia und Loa
im Blut, wobei das Auftauchen in der Peripherie einer Periodizität
unterliegt, die mit der Zeit der Hauptaktivität der Vektoren korreliert:
Parasitologie
696 Kapitel 85 · Nematoden

. Tab. 85.1 Filarien: Gattungen, Überträger und Vorkommen im Menschen

Gattung Vektor Vorkommen

Adulte Mikrofilarien

Wuchereria, Brugia Stechmücken (Culex, Anopheles, Aedes, Mansonia) Lymphsystem Blut

Loa Fliegen (Chrysops) Subkutis Blut

Onchocerca Kriebelmücken (Simulium) Subkutis Haut/Auge

So sind die Mikrofilarien bei der lymphatischen Filariasis meist kPathogenese


nachts im peripheren Blut, während sie bei der Loiasis dort tagsüber Lymphatische Filariasis Die adulten Erreger halten sich in Lymph-
zu finden sind. Die Mikrofilarien von O. volvulus unterliegen keiner bahnen und -knoten auf und können dort zu akuten und chroni-
Periodizität und halten sich in der oberen Dermis, in Lymphknoten schen Entzündungsreaktionen (Lymphangitis, Lymphadenitis) mit
und in der Kornea auf; selten werden sie auch in Blut oder Urin ge- Lymphangiektasien sowie zu akuter und chronischer Hydrozele
funden. Nach Aufnahme der Mikrofilarien durch die Zwischenwirte führen (. Abb. 85.6). Abgestorbene Erreger bilden zusätzliche
erfolgt in diesen meist innerhalb von 6–14 Tagen die Entwicklung zu Entzündungsherde mit Bildung granulomatöser Knoten. Zum Teil
infektiösen Larven, die wieder auf den Menschen übertragen werden sind die Entzündungen möglicherweise auch auf Reaktionen gegen
können. die Wolbachien zurückzuführen. Sekundäre bakterielle oder Pilz-
infektionen tragen zur Entwicklung chronischer Lymphödeme bei.
jResistenz gegen äußere Einflüsse Selten kommt es zum Durchbruch von Lymphgefäßen in die
Filarien kommen nicht außerhalb ihrer Wirte vor. Harnwege (Chylurie) mit der Folge von Lymphopenie, Hypo-
proteinämie und Anämie, letztere u. U. auch als Ausdruck einer Ab-
jVorkommen lagerung von Immunkomplexen in den Nieren. Bei asymptomatisch
Filarien sind an die Verbreitung ihrer Überträger gebunden, die Ge- Infizierten finden sich subklinische Veränderungen des Lymph-
wässer für ihre Entwicklung benötigen (Onchozerkose = Flussblind- abflusssystems.
heit!). Während W. bancrofti nur im Menschen bzw. in den Zwi- Die tropische pulmonale Eosinophilie (TPE) bezeichnet eine
schenwirten vorkommt, wird B. malayi auch in verschiedenen Tier- seltene Sonderform der Erkrankung, wahrscheinlich verursacht
arten (z. B. Katzen) gefunden, wo der Erreger ebenfalls die gesamte durch antikörpervermittelte allergische Reaktionen gegen die Erre-
Entwicklung durchlaufen kann. Auch die Infektionen mit O. volvu- ger in der Lunge. Mikrofilarien sind bei der TPE in der Peripherie
lus und L. loa sind Anthroponosen. nicht zu finden, jedoch in Lungenbiopsien nachweisbar.
W. bancrofti ist in weiten Teilen Afrikas südlich der Sahara und
Süd- und Südostasiens sowie in einer Reihe südamerikanischer Län- Onchozerkose Während sich die adulten Erreger in bindegewebig
der sowie auf einigen Karibikinseln verbreitet. B. malayi kommt aus- abgekapselten, einige Zentimeter großen subkutanen Knoten (On-
schließlich in Südostasien vor, die Verbreitung von B. timori ist auf chozerkomen) befinden, die oft direkt über Knochen lokalisiert sind
Timor und Inseln der Sunda-Gruppe beschränkt. O. volvulus kommt (. Abb. 85.7), wandern die Mikrofilarien vornehmlich in der Haut
von West- bis Ostafrika, im Jemen und einigen Ländern Mittel- und und im Auge. Abgestorbene Mikrofilarien und Wolbachien lösen
Südamerikas vor, während L. loa ausschließlich in West- und Zen- dort Entzündungsreaktionen aus, die je nach Immunreaktion des
tralafrika gefunden wird.

85.7.2 Rolle als Krankheitserreger


kEpidemiologie
Weltweit sind etwa 120 Mio. Menschen mit einem der Erreger der
lymphatischen Filariasis infiziert, davon ca. 90 % mit W. bancrofti.
Circa 25 Mio. Menschen, 99 % davon in Afrika, sind mit O. volvulus
und 3–13 Mio. Menschen mit L. loa infiziert. In Deutschland werden
nur selten Fälle von Filariasis bei Migranten oder bei Patienten dia-
gnostiziert, die sich meist über längere Zeit in Endemiegebieten auf-
gehalten haben.

kÜbertragung
Filarien werden vektoriell übertragen, Zwischenwirte sind Insekten
(. Tab. 85.1): bei der lymphatischen Filariasis Mücken, bei der Loia-
sis Bremsen und bei der Onchozerkose Kriebelmücken (Simulien),
a b
die in rasch fließenden Bächen und Flüssen brüten, wodurch die
Erkrankungsverbreitung im wesentlichen auf die Bewohner von . Abb. 85.6a, b Lymphatische Filariasis. a Elephantiasis bei Infektion mit
Flussgebieten beschränkt ist und die Erkrankung den Namen Fluss- Brugia malayi (Foto: S. M. Wagner); b chronische Hydrozele bei Infektion mit
blindheit erhielt. Wuchereria bancrofti
85.7 · Filarien
697 85

. Abb. 85.7 Onchozerkose – Onchozerkome auf der Crista iliaca, am . Abb. 85.8 Loiasis – subkonjunktivale Wurmwanderung
Trochanter und am Steißbein sowie typische Hautveränderungen

Wirtes unterschiedlich ausgeprägt sind. Initial kommt es durch An- TPE Sie ist durch insbesondere nachts auftretende Husten- und
tikörper, Immunkomplexe und Aktivierung von Komplement zur Asthmaanfälle gekennzeichnet.
Ansammlung von eosinophilen und neutrophilen Granulozyten
sowie Makrophagen und zur akuten, in der Folge zur chronischen Onchozerkose Die Inkubationszeit beträgt meist länger als 1 Jahr.
Dermatitis mit Fibrosierung (. Abb. 85.7). Patienten können trotz hoher Mikrofilariendichte symptomlos sein.
Sowda, eine Sonderform der Erkrankung, beruht auf einem Erstes und häufigstes Symptom ist Juckreiz, bei zunehmender Infek-
massiven Einstrom von Entzündungszellen in die Dermis. Entzün- tionsdauer kommt es zu einer papulösen, schuppenden und ödema-
dungsherde in der Kornea führen über eine Keratitis punctata zur tösen Dermatitis. Die chronische Dermatitis führt dann zu Ver-
sklerosierenden Keratitis mit chronischer Entzündung und Vaskula- dickung (»Leguanhaut«), Lichenifikation, Depigmentierung (»Leo-
risierung, eine Iridozyklitis kann auftreten. Am hinteren Auge kom- pardenhaut«) und Atrophie der Haut mit Verlust ihrer Elastizität,
men Atrophie des N. opticus und Chorioretinitis vor. was in der Leistengegend zu den sog. »hanging groins« führen kann.
Kratzeffekte und sekundäre Infektionen können zu den chronischen
Loiasis Die adulten Erreger wandern durch das subkutane Bindege- Hautveränderungen beitragen, die Haut scheint insgesamt vorgeal-
webe, wo allergische Reaktionen zu vorübergehenden Schwellungen tert (Presbyderma). Sowda ist durch ein lokalisiertes papulöses Ex-
führen, und subkonjunktival. Chronischer Befall führt in seltenen anthem, starken Juckreiz, Schwellungen der Haut und der lokalen
Fällen zur Ausbildung eosinophiler granulomatöser Entzündungs- Lymphknoten sowie eine Hyperpigmentierung der Haut gekenn-
reaktionen. zeichnet. Die Onchozerkome sind in Afrika eher am Beckenkamm
(. Abb. 85.7), in Südamerika häufiger am Kopf lokalisiert, was auf
kKlinik die Stichgewohnheiten der jeweiligen Simulienspezies zurückge-
Lymphatische Filariasis Das Spektrum der Erkrankung umfasst führt wird, und verursachen meist keine Beschwerden.
asymptomatisch Infizierte ohne (»amikrofilarämisch«) oder mit Die Veränderungen am vorderen Auge äußern sich zunächst als
Nachweis von Mikrofilarien (»mikrofilarämisch«), bei denen sich oft reversible (Schneeflocken-)Keratitis, Mikrofilarien können mittels
mittels Ultraschall bewegliche adulte Würmer nachweisen lassen Spaltlampe nachgewiesen werden. Die anschließende sklerosierende
(»Filarientanzzeichen«), sowie Patienten mit Symptomen (etwa ein Keratitis mit vaskulärer Infiltration und Vernarbung sowie mögliche
Drittel der Infizierten) in unterschiedlicher Ausprägung. Die Inku- Veränderungen am hinteren Auge führen zur Blindheit. Die Oncho-
bationszeit beträgt Wochen bis Monate. zerkose ist nach der Infektion mit Chlamydia trachomatis die zweit-
4 Zu den akuten Manifestationen zählt die Dermatolymphan- häufigste infektionsbedingte Ursache von Blindheit.
gioadenitis mit Fieber, Schüttelfrost, schmerzhaften Lymph-
knotenschwellungen und nachfolgenden Schwellungen Loiasis Juckende »Calabar«-Schwellungen treten meist an den Hän-
der betroffenen Regionen, meist der unteren Extremitäten. den und Unterarmen auf, können aber auch an jeder anderen Stelle
Die Symptome sind ein- oder beidseitig, bilden sich, gefolgt des Körpers lokalisiert sein und verschwinden nach einigen Stunden
von Hautschuppung, innerhalb einiger Tage wieder zurück, bis Tagen wieder. Die Patienten können daneben generalisierten
können aber rezidivieren. Juckreiz, Schwächegefühl und Gelenkschmerzen aufweisen, seltene
4 Die akute Filarienlymphangitis verläuft dagegen meist ohne Komplikationen sind Meningitis, Nephropathie und Endokarditis.
Fieber, ist die Reaktion auf tote Erreger und betrifft einen Die subkonjunktivale Durchwanderung des Auges (Dauer 10–
Lymphknoten oder eine Lymphbahn. Männliche Patienten 15 min) ist schmerzhaft (. Abb. 85.8).
leiden häufig unter akuter Hydrozele.
4 Im chronischen Stadium bilden sich Lymphödeme (»Ele- kImmunität
phantiasis«), meist an den unteren Extremitäten, seltener an Lymphatische Filariasis In der präpatenten Infektion überwiegt
Armen, Brüsten oder im Genitalbereich, und chronische eine gemischte Immunantwort (Sekretion von IL-2, IFN-γ, IL-4 und
Hydrozelen. Auch rheumaartige Beschwerden (Arthritis, IL-5). Später werden je nach Parasitenlast häufig erregerspezifische
Myositis) werden beobachtet. Das Auftreten von milchig- TH2- und humorale Immunantworten induziert, die Sekretion von
trübem Urin ist Zeichen einer Chylurie. IL-10 führt zur partiellen erregerspezifischen sowie generellen Im-
Parasitologie
698 Kapitel 85 · Nematoden

munsuppression. Immunantworten in späten Stadien korrelieren Patienten mit Onchozerkose werden mit Ivermectin in Kombi-
mit der Ausbildung der chronischen pathologischen Veränderungen nation mit Doxycyclin behandelt. Die chirurgische Entfernung der
im lymphatischen System. Der asymptomatische und amikrofilarä- subkutanen Knoten unterbindet darüber hinaus die Mikrofilarien-
mische Status einiger Infizierter in Endemiegebieten ist möglicher- produktion und kann insbesondere bei Knoten in Augennähe indi-
weise Folge einer effizienten Immunantwort. Im Falle einer Toleranz- ziert sein.
induktion in utero sind die Kinder später nur eingeschränkt zur DEC und Ivermectin wirken auch bei der Loiasis, jedoch können
Induktion filarienspezifischer Immunantworten in der Lage. hier bei einer starken Mikrofilarämie schwere allergische Reaktio-
nen, besonders Enzephalopathien, auftreten. Einschleichende Medi-
Onchozerkose Patienten zeigen in der Regel ausgeprägte humorale kation und stationäre Behandlung sind erforderlich. Bei sehr hohen
Immunantworten, Antikörper sind an der Abtötung von Mikrofila- Mikrofilariendichten wird zunächst mit Albendazol behandelt, des-
rien beteiligt. Dagegen sind spezifische und nichterregerspezifische sen Wirkung langsamer als bei den vorher genannten Medikamen-
zelluläre Reaktionen (TH1- und TH2-assoziiert) oft supprimiert. ten einsetzt. Subkonjunktival wandernde L. loa können in Lokalan-
Dies korreliert mit zunehmender Mikrofilariendichte und ist mög- ästhesie entfernt werden. Die Gabe von Antihistaminika und Korti-
licherweise Folge einer gesteigerten Aktivität regulatorischer T-Zel- kosteroiden kann zur Reduktion der allergischen Reaktionen erfor-
len. Neugeborene O. volvulus-infizierter Mütter werden bereits in derlich sein.
utero sensibilisiert und bilden erregerspezifische zelluläre Immun-
antworten. Patienten mit Sowda zeigen ausgeprägte humorale und kPrävention
zelluläre TH2-Immunantworten, die zur Immunpathologie, aber Massenbehandlungen werden mit Ivermectin und Albendazol, al-
auch zur relativ geringen Anzahl von Mikrofilarien in diesen Patien- lein oder in Kombination, zur Reduktion der Übertragung von Wu-
ten beitragen. chereria, Brugia, und O. volvulus und zur Besserung der individuel-
len Symptomatik durchgeführt. Weitere Kontrollprogramme basie-
Loiasis Die humorale Immunantwort ist oft sehr ausgeprägt. In Pa- ren auf Kombinationsbehandlungen mit DEC, jedoch nur in Gegen-
tienten ohne Mikrofilarien im Blut (okkulte Loiasis) konnten Anti- den, wo O. volvulus nicht vorkommt. Diese Behandlungen haben
körper gegen ein Oberflächenantigen nachgewiesen werden. Diese zusätzliche Effekte auf intestinale Nematoden, besonders Haken-
eliminieren möglicherweise die Mikrofilarien und fehlen bei mikro- würmer, solche mit Ivermectin auch auf Ektoparasiten einschließlich
filarämischen Patienten. Letztere weisen oft auch gestörte zelluläre Vektoren. Insektizide werden zur Bekämpfung der Vektoren einge-
Immunantworten auf. setzt. Individualreisenden empfiehlt sich eine möglichst konsequen-
te Vermeidung von Insektenstichen.
kLabordiagnose
Je nach Anzahl der Mikrofilarien im Patienten und der jeweiligen
Periodizität sind die Mikrofilarien von Wuchereria, Brugia und 85.7.3 Weitere humanpathogene Filarien,
Loa im Blut in Giemsa- oder hämatoxilingefärbten Ausstrichen Dirofilarien, Dracunculus medinensis
bzw. nach Anreicherung (z. B. nach Knott) oder Filtration nach-
weisbar. Mansonella streptocerca, M. perstans und M. ozzardi sind relativ
Die Diagnose einer W. bancrofti-Filariose ist auch durch den kleine Filarien, die z. T. weit verbreitet sind und von Simulien und
immunologischen Nachweis von zirkulierendem Filarienantigen kleinen Mücken (Gnitzen) der Gattung Culicoides übertragen wer-
(»circulating filarial antigen«, CFA) im Blut möglich. CFA wird von den. Infektionen verlaufen meist symptomlos oder mild, sind oft von
adulten Würmern sezerniert, auch wenn keine Mikrofilarien im Blut einer Eosinophilie begleitet und werden mit den zuvor genannten
nachweisbar sind. Medikamenten behandelt.
Die Mikrofilarien von O. volvulus findet man in kleinen Haut- Dirofilaria immitis , D. repens und D. tenuis sind die Erreger der
biopsien (»skin snips«), aus denen sie entweder in Kochsalzlösung kardiopulmonalen (D. repens) bzw. subkutanen Dirofilariasis
auswandern oder in denen sie histologisch nachgewiesen werden (D. immitis, D. tenuis) und werden durch Mücken der Familie Culi-
können. Die Entfernung subkutaner Knoten ermöglicht die Diagno- cidae auf Hunde, Katzen oder Waschbären übertragen. Selten wird
se durch den Nachweis adulter Erreger. auch der Mensch infiziert, meist kommt es hier jedoch nicht zur
Subkonjunktival wandernde Würmer sind pathognomonisch Entwicklung reifer adulter Würmer. Neben Lunge und Haut können
für L. loa (»Augenwurm«), meist wird die Erkrankung jedoch über auch andere Organe, v. a. das Auge befallen werden, eine leichte
den Nachweis der Mikrofilarien im Blut (7 s. o.) diagnostiziert. Eosinophile kann vorkommen. Diagnose und Behandlung beruhen
Eine periphere Eosinophilie ist bei der Diagnostik der Filarien- meist auf der chirurgischen Entfernung der Parasiten.
infektionen hinweisgebend. Serologische Untersuchungen auf Anti- Den Filarien nahe steht Dracunculus medinensis (Medina-, Gui-
körper sind in Endemiegebieten wegen Kreuzreaktionen mit ande- neawurm). Die Dracunculiasis kommt nur noch in relativ regenar-
ren Nematoden meist wenig hilfreich, besser ist der Nachweis von men Gebieten des tropischen Afrika vor. Die 60–80 cm langen Weib-
spezifischem IgG4. Hohe Antikörpertiter kennzeichnen die TPE. chen gelangen ins Unterhautbindewege der Beine, bei Wasserkon-
takt durchbricht das trächtige Weibchen die Haut und stößt seine
kTherapie Larven ab, wobei das Wurmende rupturiert. Es kann sich ein Hautul-
Die Therapie der Filarieninfektionen richtet sich in erster Linie ge- kus entwickeln, das häufig sekundär superinfiziert wird. Die Larven
gen die Mikrofilarien, die Medikamente sind nur bedingt gegen die werden von Wasserflöhen aufgenommen, in denen sie sich weiter-
adulten Erreger wirksam. Eine Behandlung mit Antibiotika, z. B. entwickeln. Die Infektion des Menschen geschieht durch Aufnahme
Doxycyclin oder Rifampicin, stellt einen neuen Therapieansatz dar, infizierter Wasserflöhe mit dem Trinkwasser. Die Therapie besteht
der sich gegen die Wolbachien von lymphatischen Filarien und On- in der vorsichtigen Extraktion des Wurmes und der gleichzeitigen
chocerca richtet. Gabe von Antibiotika gegen sekundäre bakterielle Infektionen. Ziel
Mittel der Wahl bei der lymphatischen Filariasis sind DEC der WHO ist die Eradikation der Erkrankung durch Bereitstellung
(Diethylcarbamazin) und Doxycyclin. sauberen Trinkwassers.
85.7 · Filarien
699 85

In Kürze
Filarien
Parasitologie Nematoden der Gattungen Wuchereria, Brugia,
Onchocerca und Loa, je nach Spezies in Lymphsystem, Haut
oder Auge vorkommend.
Entwicklung Übertragung infektiöser Larven durch verschiede-
ne Insektenarten; adulte Würmer produzieren Mikrofilarien, die
aus dem Blut (Wuchereria, Brugia, Loa) oder der Haut (Onchocerca)
wieder von Insekten aufgenommen werden. Im Insekt Weiter-
entwicklung vor erneuter Übertragung.
Pathogenese Lymphatische Filariasis: Lymphangitis, -adenitis.
Onchozerkose: Dermatitis, Keratitis. Loiasis: allergische Reaktio-
nen auf adulte Erreger.
Klinik Lymphatische Filariasis: akute und chronische Lymph-
ödeme, Hydrozele. Onchozerkose: multiple Hautveränderungen,
Keratitis, Blindheit. Loiasis: wechselnde subkutane Schwellungen,
Augendurchwanderung.
Labordiagnose Nachweis der Mikrofilarien im Blut oder in
Hautbiopsien, Antigen-, Antikörpernachweis.
Therapie Diethylcarbamazin, Ivermectin, Albendazol.
701 86

Ektoparasiten
R. Ignatius, G. Burchard

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_86, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Ektoparasiten, also äußerlich im Bereich der Haut und Schleimhäute neben Läusen, Milben, Sandflöhen und Fliegenlarven auch verschie-
den Menschen befallende Parasiten, lassen sich in Infektionserreger dene blutsaugende Wasser- und Landegel der Familie Hirudinidae zäh-
übertragende Parasiten (sog. Vektoren, . Tab. 86.1) sowie Parasiten, len, die hier nicht besprochen werden.
deren Befall Krankheiten auslöst, einteilen. Zu letzteren kann man

. Tab. 86.1 Vektoren

Arthropoden Infektionserreger Krankheit

Insekten

Stechmücken (Anopheles, Culex, Aedes, Mansonia) Plasmodium Malaria


Wuchereria, Brugia lymphatische Filariasis
Flaviviren z. B. Gelbfieber, Dengue-Fieber
Bunyaviren z. B. Hantavirus-Infektion
Alphaviren z. B. Chikungunyavirus-Infektion
Francisella tularensis Tularämie

Kriebelmücken (Simulium) Onchocerca volvulus Onchozerkose

Sandmücken (Phlebotomus, Lutzomyia) Leishmania Leishmaniase


Bunyaviren Pappataci-Fieber
Bartonella bacilliformis Oroya-Fieber, Verruga peruana

Tsetsefliege (Glossina) Trypanosoma brucei Schlafkrankheit

Bremsen (Chrysops) Loa loa Loiasis


Francisella tularensis Tularämie

Körperlaus (Pediculus) Rickettsia prowazekii epidemisches Fleckfieber


Bartonella quintana Wolhynisches Fieber
Borrelia recurrentis epidemisches Rückfallfieber

Raubwanzen (z. B. Triatoma) Trypanosoma cruzi Chagas-Krankheit

Rattenfloh (Xenopsylla) Yersinia pestis Pest


Rickettsia typhi endemisches (murines) Fleckfieber

Spinnentiere

Schildzecken FSME-Virus Frühsommermeningoenzephalitis


(z. B. Ixodes, Dermacentor, Amblyomma, Hyalomma) Bunyaviren Krim-Kongo-hämorrhagisches Fieber
Borrelia burgdorferi Borreliose
Rickettsia rickettsi Rocky-Mountain-Fleckfieber
Rickettsia conori Mittelmeerfleckfieber
Rickettsia africae Altweltliches Zeckenbissfieber
Ehrlichia, Anaplasma Ehrlichiose, Anaplasmose
Francisella tularensis Tularämie
Babesia Babesiose

Lederzecken (Ornithodoros) Borrelia endemisches Rückfallfieber

Milben Orientia tsutsugamushi Tsutsugamushi-Fieber


Rickettsia akari Rickettsienpocken
Parasitologie
702 Kapitel 86 · Ektoparasiten

86.1 Läuse kopischer Betrachtung können Verwechslungen mit Kopfschuppen


oder z. B. Haarspraypartikeln vorkommen.
Steckbrief
jTherapie
Läuse gehören zu den »echten« Läusen (Anoplura), die sich Die Therapie erfolgt durch mechanische Entfernung mittels Läuse-
durch stechend-saugende Mundwerkzeuge auszeichnen und kamm, durch topische Anwendung eines Pedikulozids oder durch
sich mit Klammerfüßen am Wirt anheften. Läuse sind flügellose systemische Behandlung mit dem Antihelminthikum Ivermectin,
Insekten und verursachen die Pedikulose, den Läusebefall. Beim das auch insektizide Wirkung besitzt.
Menschen kommen die Kopflaus (Pediculus humanus capitis), Die Pedikulozide, v. a. Allethrin, Permethrin und Pyrethrum,
die Körper- oder Kleiderlaus (Pediculus humanus corporis) und wirken z. T. neurotoxisch auf das Nervensystem der Läuse. Weltweit
die Filz- oder Schamlaus (Phthirus pubis) vor. . Tab. 86.1 zeigt haben sich resistente Kopflauspopulationen entwickelt. Problema-
die durch Läuse übertragenen Erkrankungen. Diese sind in tisch ist auch die Toxizität einiger Pedikulozide. Zu bevorzugen sind
Europa bis auf das Fleckfieber selten, häufig sind jedoch die physikalisch wirkende Pedikulozide: Sie enthalten Dimeticon, poly-
Schadwirkungen durch Stiche, v. a. von Kopfläusen. mere Verbindungen aus Silizium und Sauerstoff. Jede Therapie muss
nach 8–10 Tagen wiederholt werden, um alle geschlüpften Larven
abzutöten.

jPrävention
Die Prävention umfasst die Identifizierung von Erkrankten, die so-
fortige Behandlung nach Diagnosestellung inkl. Wiederholung der
Behandlung, die umgehende Benachrichtigung der Gemeinschafts-
einrichtung sowie Reinigungs- und Entwesungsmaßnahmen.

86.1.2 Filzläuse
Filzlaus Kleiderlaus
Die Filzlaus, mit 1–2 mm Länge deutlich kleiner als die o. g. Läuse,
klammert sich am behaarten Bereich vorwiegend des Scham- und
Perianalbereichs, selten auch anderer behaarter Körperregionen an.
86.1.1 Kopfläuse Die Übertragung erfolgt durch engen Körperkontakt. Klinisch im-
ponieren Juckreiz und Exkoriationen in befallenen Körperregionen.
jMorphologie, Aufbau Die Diagnose wird durch den Nachweis der Läuse mittels Lupe ge-
Läuse sind 1–4 mm lang und schlüpfen innerhalb von 6–7 Tagen stellt, therapeutisch kommen wie bei Kopflausbefall Insektizide zur
nach der Eiablage. Bis zur Geschlechtsreife nach 2–3 Wochen wer- Anwendung.
den 3 Larvenstadien durchlaufen. Die Eiablage beginnt 2–3 Tage
später und die Laus stirbt 4–5 Wochen nach dem Schlüpfen. Läuse
ernähren sich durch häufige Blutmahlzeiten. 86.1.3 Kleiderläuse
jEpidemiologie Kleiderläuse sind von der Kopflaus nur schwer zu unterscheiden und
Die Pediculosis capitis ist die häufigste Parasitose im Kindesalter in in Mitteleuropa selten. Die Läuse setzen auf den Fasern der Beklei-
Deutschland. Befallsraten von bis zu 50 % sind beschrieben worden, dung Eier ab und ernähren sich durch Blutmahlzeiten. Kleiderlaus-
in Entwicklungsländern sogar darüber. In Schulen und anderen Ge- befall tritt v. a. bei mangelnder Hygiene (oft Obdachlose, Vertriebe-
meinschaftseinrichtungen kommt es zu gehäuftem Auftreten. Die ne und Gefangene) auf. Hauptgefahren gehen von der Kleiderlaus als
Ansteckung erfolgt meist durch direkten Kontakt oder Gegenstände Vektor für bakterielle Erkrankungen aus (. Tab. 86.1).
(Wäsche). Klinisch sind Stichreaktionen hervorstechende Symptome, zur
Diagnose trägt der Nachweis der Läuse und Nissen auf der Kleidung
jKlinik bei. Die Therapie- und Präventionsmaßnahmen entsprechen denje-
Der Kopflausbefall führt meist zum Befall der Kopfhaut, selten nigen bei Kopflausbefall (7 Abschn. 86.1.1).
auch anderer Körperbehaarung. Häufige Stiche der Kopflaus re-
sultieren in lokalen Reaktionen (urtikarielle Papeln), erheblichem
Juckreiz und Kratzeffekten mit Exkoriationen und Krustenbil-
dung.  Vor allem Ohren, Hinterkopf und Nacken sind betroffen.
Bakterielle Superinfektionen können hinzukommen, Kopfläuse
spielen jedoch als Vektoren keine Rolle. Die Diagnose wird durch
den Nachweis von Läusen oder vitalen, embryonierten Eiern ge-
stellt – Eihüllen (Nissen) zeigen eine früher durchgemachte In-
fektion an.

jDiagnose
Die Diagnose erfolgt direkt oder mit Lupe über den Nachweis der
Läuse oder Nissen, evtl. unter Zuhilfenahme eines Läusekamms,
dessen Zinken weniger als 0,2 mm auseinanderstehen. Bei makros-
86.3 · Flöhe
703 86
86.2 Krätzemilbe sen werden. Der mikroskopische Nachweis gelingt auch mit Kleb-
streifen, die auf einen eröffneten Gang gedrückt und anschließend
Steckbrief auf einen Objektträger geklebt werden. Histologisch finden sich
eosinophile, später auch lymphozytäre Infiltrate.
Der Erreger der Skabies, die 0,2–0,4 mm große, 8-beinige Krät-
zemilbe (Sarcoptes scabiei var. hominis), gehört zur Klasse der jTherapie
Spinnentiere (Arachnida) in die Familie Sarcoptidae. Zur Therapie kommen Insektizide topisch zum Einsatz, z. B. Perme-
thrin-Creme oder Benzylbenzoat-Emulsion, Crotamidon ist weni-
ger wirksam. Alternativ, insbesondere bei schweren Fällen wie z. B.
Scabies crustosa, ist eine systemische Therapie mit Ivermectin mög-
lich. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Vermeidung der Weiter-
verbreitung (§ 34 IfSG) sind zu beachten.

86.2.1 Weitere Milben

Tierische und freilebende, sich auf dem Menschen nicht weiter ver-
Skabies: Krätzemilbe (Sarcoptes scabiei var. hominis) mehrende Milben können selbstlimitierte, juckende Dermatitiden
(aus: Springer Medizin Lexikon, 2004) (Tier-, Ernte-, Herbstkrätze) hervorrufen. Hausstaubmilben sind als
Allergieerreger von Bedeutung.

jEntwicklung 86.3 Flöhe


Nach der Übertragung befruchteter Weibchen bohren sich diese we-
nige Millimeter lange, flache Gänge im Stratum corneum der Haut, Steckbrief
in denen sie je etwa 40–50 Eier ablegen. Die nach 3–4 Tagen schlüp-
fenden 6-beinigen Larven bohren sich sog. Bohr- oder Häutungsta- Flöhe (Siphonapterida) verursachen das Krankheitsbild des
schen in gesunder Haut, in denen sie sich innerhalb einiger Tage zu Flohbefalls, das klinisch durch Bissreaktionen auf der Haut (Ery-
8-beinigen Nymphen und schließlich zu adulten Milben weiterent- them, Papeln) charakterisiert ist. Neben dem Menschenfloh (Pu-
wickeln. Hier erfolgt auch die Befruchtung, die befruchteten Weib- lex irritans) kommen zahlreiche Arten vor, die von Tieren auf
chen verlängern die Taschen zu Gängen. Die Lebenszeit der Weib- den Menschen übertragen werden.
chen beträgt mehrere Wochen; oft finden sich jedoch nur 20 oder
weniger adulte Milben auf dem Patienten.

jEpidemiologie
S. scabiei ist weltweit verbreitet. Die Übertragung erfolgt temperatur-
unabhängig durch direkten Kontakt, auch sexuell, von Mensch zu
Mensch, seltener durch kontaminierte Wäsche, und wird durch
mangelnde Hygiene begünstigt. Ausbrüche bei engen sozialen Kon-
takten kommen vor, z. B. in Schulklassen und Altenheimen.

jKlinik
Meist vergehen 6–8 Wochen bis zum Auftreten erster klinischer
Symptome, die als Reaktion auf die Erreger sowie als allergische Re-
aktion auf deren Zerfalls- und Ausscheidungsprodukte entstehen. jAufbau, Entwicklung
Papulöse, stark juckende Hautveränderungen bilden sich an den Flöhe sind etwa 2–5 mm lang und besitzen 6 Beine, von denen die
Milbengängen, die sich insbesondere im Bereich der Interdigitalräu- hinteren als Sprungbeine benutzt werden. Die Eiablage erfolgt am
me und an den Handrücken befinden. Der Juckreiz wird unter Bett- Wirt, Eier entwickeln sich in der Umwelt über Larven- und Puppen-
wärme oft noch verstärkt. stadium innerhalb von 1–3 Monaten zu adulten Flöhen.
Exantheme als Folge der Sensibilisierung finden sich auch im
Bereich der Achseln, am Stamm, im Genitalbereich und an den un-
teren Extremitäten, Kratzeffekte können das klinische Bild beein- 86.3.1 Rolle als Krankheitserreger
flussen. Komplikationen sind sekundäre bakterielle Infektionen, z. B.
durch β-hämolysierende Streptokokken mit möglichen Nachkrank- Flöhe ernähren sich durch Blutmahlzeiten. Rattenflöhe sind als
heiten (Glomerulonephritis), sowie bei Immunsuppression sehr Überträger von Yersinia pestis von Bedeutung. Die Diagnose wird
starker Befall mit ausgeprägten Hautveränderungen (Verkrustun- klinisch gestellt, der Nachweis der Flöhe erfolgt meist am Tier. Die
gen, hyperkeratotische Plaques, »Scabies crustosa«). Therapie wird v. a. am Tier mit Kontaktinsektiziden durchgeführt.
Bei der Therapie des Menschen steht die Bekämpfung des Juckreizes
jDiagnose im Vordergrund.
Die Milben können mit einem Vergrößerungsglas in mit einer Nadel
oder einem Skalpell eröffneten Gängen gesehen und in Hautge-
schabseln nach Inkubation in Kalilauge mikroskopisch nachgewie-
Parasitologie
704 Kapitel 86 · Ektoparasiten

86.4 Sandflöhe

Steckbrief

Der Sandfloh (Tunga penetrans) verursacht die Tungiasis, die in


Ländern der Karibik, Südamerikas und Afrikas endemisch ist.
Reisende in Endemiegebiete können sporadisch betroffen sein.
Hunde, Katzen, Ratten und Schweine werden ebenfalls befallen.

86.4.1 Rolle als Krankheitserreger

Das ca. 1 mm große Weibchen bohrt sich mit dem Kopfteil in die
Haut des Wirtes, meist im Bereich der Füße, und beginnt wenig
später mit der Eiproduktion, was mit einer Größenzunahme um das
2000- bis 3000-Fache auf Erbsengröße einhergeht. Die auf der Haut
haftenden Eier entwickeln sich nach wenigen Tagen zu Larven, aus
denen adulte Sandflöhe heranreifen.
Klinisch imponiert meist an den Zehen, der Fußsohle oder Fer-
se starker Juckreiz. Bakterielle Superinfektionen sind häufig. Die
Diagnose wird durch klinische Untersuchung gestellt, möglichst mit
Lupe. Die Therapie besteht in chirurgischer Exzision. Auch das
pflanzenbasierte Repellent Zanzarin zeigt Wirksamkeit. Das Tragen
. Abb. 86.1 Dermatobia hominis (mit freundl. Genehmigung von Prof.
von adäquatem Schuhwerk verhindert die Tungiasis.
Dr. Dr. Thomas Schneider)

86.5 Fliegenlarven Überleben angewiesen sind. Von klinischer Bedeutung sind die Lar-
ven der Seidengoldfliege (Lucilia sericata), die sich ausschließlich
Steckbrief von nekrotischem Gewebe ernähren und therapeutisch zur
Wundreinigung verwendet werden, z. B. bei chronischen Ulzera
Fliegen können als blutsaugende Larven (Larven von Auchme- oder vor Hauttransplantationen.
romyia), aber auch durch die Ablage der Eier und die Entwick-
lung zu Larven im Bereich der Haut, der Schleimhäute oder von kDiagnostik und Therapie
Körperhöhlen Krankheiten (Myiasis) hervorrufen. Oft handelt es Diagnose und Therapie der Myiasis bestehen in der Extraktion, Ent-
sich um tierische Parasiten, die in tropischen oder subtropi- fernung und Identifizierung der Erreger.
schen Gebieten vorkommen und nur ausnahmsweise den Men-
schen befallen.

86.5.1 Rolle als Krankheitserreger

Je nach Lokalisation unterscheidet man an der Haut Formen der


kutanen, »kriechenden« Myiasis, verursacht durch Dasselfliegen
der Gattungen Gasterophilus und Hypoderma, sowie die subkutane
oder furunkuläre Myiasis, hervorgerufen durch die Tumbufliege
(Cordylobia anthropophaga) oder humane Dasselfliege (Dermato-
bia hominis, . Abb. 86.1).
Unter Körperhöhlenmyiasis werden Manifestationen von nasa-
ler und Ohrmyiasis sowie okularer oder Ophthalmomyiasis (kon-
junktivaler Befall oder interne Ophthalmomyiasis) zusammenge-
fasst, verursacht durch Dasselfliegen verschiedener Gattungen
(Chrysomyia, Oestrus, Wohlfahrtia, Dermatobia, Rhinoestrus u. a.).
Fälle von analer/vaginaler Myiasis sind meist Folge unhygienischer
Bedingungen, akzidenteller urogenitaler und intestinaler Befall
kommt ebenfalls vor.
Bei der Wundmyiasis gilt es fakultative Erreger (Schmeiß- und
Fleischfliegen der Gattungen Musca, Calliphora, Lucilia etc.), deren
Larven gelegentlich auf Wunden gefunden werden, von obligaten
Myiasiserregern, z. B. der Schraubenwurmfliege (Cochliomyia ho-
minivorax), zu unterscheiden, die grundsätzlich auf Gewebe für ihr
705 IX

Antimikrobielle und
antivirale Chemotherapie
Kapitel 87 Allgemeines – 707

Kapitel 88 Antibakterielle Wirkung – 709

Kapitel 89 Resistenz – 713

Kapitel 90 Pharmakokinetik – 717

Kapitel 91 Applikation und Dosierung – 719

Kapitel 92 Nebenwirkungen – 721

Kapitel 93 Auswahl antimikrobieller Substanzen (Indikation) – 723

Kapitel 94 β-Laktam-Antibiotika I: Penicilline – 727

Kapitel 95 β-Laktam-Antibiotika II: Cephalosporine – 731

Kapitel 96 Kombinationen mit β-Laktamase-Inhibitoren – 735

Kapitel 97 β-Laktam-Antibiotika III: Carbapeneme – 737

Kapitel 98 Glykopeptidantibiotika – 741

Kapitel 99 Aminoglykoside – 745

Kapitel 100 Tetracycline (Doxycyclin) und Glycylcycline – 749

Kapitel 101 Lincosamide (Clindamycin) – 753

Kapitel 102 Makrolide – 755

Kapitel 103 Antimikrobielle Folsäureantagonisten – 759

Kapitel 104 Fluorchinolone – 761

Kapitel 105 Antimykobakterielle Therapeutika – 763

Kapitel 106 Weitere antibakterielle Substanzen – 767

Kapitel 107 Antimykotika – 775

Kapitel 108 Antivirale Chemotherapie – 785

Kapitel 109 Antiparasitäre Substanzen – 797


707 87

Allgemeines
M. P. Dierich, M. Fille

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_87, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Antimikrobielle Therapie ist eine Heilmethode zur Behandlung von 1946 als erstes Antituberkulotikum Eingang in die Therapie fand.
Infektionskrankheiten. Die Erreger werden im Wirtsorganismus abge- Diesem folgte das Isoniazid (Kurzname für Isonikotinsäurehydrazid,
tötet oder an der Vermehrung gehindert, ohne die Zellen des Wirtes INH), das 1952 ebenfalls Domagk vorstellte.
zu schädigen (Prinzip der selektiven Toxizität). Das Kapitel enthält eine In rascher Folge fanden dann weitere Substanzklassen und Mo-
Einteilung der Substanzen gemäß den Zielorganismen und umreißt difikationen bekannter Substanzen Eingang in die Therapie.
einige historische Meilensteine der Entwicklung von Chemothera-
peutika.
Literatur

87.1 Einteilung der Substanzen Lorian V (2005) Antibiotics in Laboratory Medicine, 5th ed. Philadelphia:
Lippincott Williams & Wilkins.
Unterschieden werden folgende Substanzen: Stille W et al. (2005) Antibiotika-Therapie, 11. Aufl. Stuttgart: Schattauer.
4 Antibiotika (gegen Bakterien; 7 Kap. 94 ff)
4 Antimykotika (gegen Pilze; 7 Kap. 107)
4 Viru- oder Virostatika (gegen Viren; 7 Kap. 108)
4 Antiparasitika (gegen Parasiten wie Protozoen; 7 Kap. 109)
4 Anthelminthika (gegen Würmer)

87.2 Historie

Gezielte antiinfektiöse Therapie wurde erstmals im 17. Jahrhundert


von Jesuiten aus Peru berichtet, wo Eingeborene die Malaria erfolg-
reich mit der Rinde des Chinabaums (»quina-quina«) behandelten.
Paul Ehrlich (1854–1915, Nobelpreis 1908) entwickelte den
Gedanken, dass Farbstoffe mit spezifischer Affinität für pathogene
Mikroorganismen im Sinne einer »magischen Kugel« selektiv
toxisch auf diese einwirken und sich zur Therapie von Infektions-
krankheiten eignen müssten. 1891 legte er mit der Anwendung von
Methylenblau bei der Behandlung der Malaria den Grundstein für
die antimikrobielle Therapie. Zusammen mit Sahachiro Hata (1873–
1938) schaffte er 1910 mit der Einführung des Salvarsans den Durch-
bruch in der Therapie der Syphilis und anderer Spirochätosen.
Gerhard Domagk (1895–1964, Nobelpreis 1939) führte die
Untersuchungen über die antimikrobiellen Wirkungen von Azo-
farbstoffen weiter. Mit der Synthese von 2’,4’-Diaminoazoben-
zol-N4-Sulfonamid (Handelsname Prontosil) gelang 1935 die
entscheidende Entdeckung. Damit war erstmals möglich, bakterielle
Infektionen zu heilen.
Alexander Fleming (1881–1955) entdeckte 1928 das Penicillin
aufgrund der Beobachtung, dass in der Umgebung einer Kultur von
Penicillium notatum auf einem festen Kulturmedium die Vermeh-
rung von Staphylokokken gehemmt war. Es wurde 1939 von Howard
Walter Florey (1898–1968) und Ernst Boris Chain (1906–1979), dem
sog. »Oxford-Kreis«, in reiner Form dargestellt und 1941 in die The-
rapie eingeführt (Nobelpreis 1945 an Fleming, Chain und Florey).
Nachdem Domagk 1941 mit dem Sulfathiazol die erste gegen
M. tuberculosis wirksame Substanz vorgestellt hatte, entdeckte
Albert Schatz, Doktorand von Selman Abraham Waksman (1888–
1973, Nobelpreis 1952) 1943 das Aminoglykosid Streptomycin, das
709 88

Antibakterielle Wirkung
M. Fille, S. Ziesing

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_88, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Antibakteriell wirkende Substanzen hemmen die Vermehrung von MHK und MBK Messgrößen, die zur Quantifizierung der Wirkungs-
Bakterien reversibel (bakteriostatisch) oder irreversibel (bakterizid). weise dienen, sind die minimale Hemmkonzentration (MHK) und
Unterschieden wird weiterhin der Angriffspunkt der Wirkstoffe am die minimale bakterizide Konzentration (MBK), die mittels Reihen-
Bakterium. verdünnungstests ermittelt werden (7 Abschn. 18.8).
4 Die minimale Hemmkonzentration ist die niedrigste Konzen-
tration eines Antibiotikums, welche die Vermehrung eines
88.1 Wirktyp Bakteriums in vitro verhindert.
4 Die minimale bakterizide Konzentration ist die niedrigste
Bakteriostase Dies bedeutet eine reversible Hemmung der Ver- Konzentration eines Antibiotikums, bei der 99,9 % einer defi-
mehrung von Bakterien: Wird das Antibiotikum von den Bakterien nierten Einsaat eines Erregers abgetötet werden (Einwirkzeit
getrennt, können diese sich wieder vermehren (. Abb. 88.1). 24 h).

Bakterizidie Dies ist eine irreversible Hemmung, da hierbei eine


Abtötung von Bakterien erfolgt, sodass diese sich nach Entfernen der 88.2 Wirkungsmechanismus
antibakteriellen Substanz nicht erneut vermehren können (. Abb.
88.1). Definitionsgemäß liegt eine klinisch relevante Bakterizidie vor, Die Wirkungsmechanismen antimikrobieller Substanzen lassen sich
wenn innerhalb von 6–24 h nach Zugabe von Antibiotikum 99,9 % in Bezug auf ihren Angriffsort in 5 Gruppen einteilen:
der Bakterien in der Kultur abgetötet sind. 4 Störung der Zellwandbiosynthese
Substanzen, die nur in Vermehrung befindliche Bakterien abtö- 4 Störung der Proteinbiosynthese
ten, heißen sekundär bakterizid, als primär bakterizid bezeichnete 4 Störung der Nukleinsäuresynthese
Antibiotika töten dagegen auch ruhende Bakterien ab. 4 Schädigung der Zytoplasmamembran
4 Störung der Synthese essenzieller Metaboliten

. Abb. 88.1 Wirktyp: Bakterizidie und Bakteriostase. Antibiotika hemmen


die Vermehrung von Bakterien: Bakteriostase – oder töten sie ab: Bakteri-
zidie. Nach Zugabe (ൻ) eines bakteriostatischen Antibiotikums bleibt die . Abb. 88.2 Hemmung der Zellwandsynthese. β-Laktam-Antibiotika
Bakterienzahl konstant (im Körper des Patienten kann sie durch die Immun- (Penicilline, Cephalosporine, Carbapeneme) hemmen die Transpeptidase,
abwehr reduziert werden), nach Entfernung (൹) des Antibiotikums kommt welche die Quervernetzung einzelner Mureinstränge katalysiert. Glyko-
es zur erneuten Vermehrung. Diese erneute Vermehrung findet bei bakteri- peptide (Vancomycin, Teicoplanin) und Bacitracin inhibieren die Murein-
ziden Antibiotika nicht statt (KBE, koloniebildende Einheiten) polymerisierung
710 Kapitel 88 · Antibakterielle Wirkung
Chemotherapie

. Abb. 88.3 Hemmung der Proteinbiosynthese

Störung der Zellwandbiosynthese Die Neusynthese des Murein- Postantibiotischer Effekt (PAE) In manchen Fällen wirkt die Bakte-
sakkulus kann auf verschiedenen Stufen gestört werden (. Abb. rienhemmung noch nach, auch nachdem das Antibiotikum aus der
88.2). Dadurch fehlt den sich vermehrenden Bakterien das starre Umgebung der Bakterien entfernt worden ist. Diese Eigenschaft fin-
Stützkorsett: Die Zelle platzt aufgrund des in ihr herrschenden det sich unter anderem bei Aminoglykosiden, Carbapenemen und
hohen osmotischen Druckes und stirbt ab. Zellwandsynthesehem- Fluorchinolonen.
mer wirken also sekundär bakterizid.

Störung der Proteinbiosynthese Sie erfolgt am Ribosom. Hier


können die Anlagerung der tRNA, die Transpeptidierung, die Trans-
lokation oder die Ablösung der tRNA gestört sein (. Abb. 88.3). Die
Folge ist je nach Substanz ein bakteriostatischer oder bakterizider
Effekt. Um wirken zu können, muss ein Proteinbiosynthesehemmer
das intrazelluläre Ribosom erreichen, also die gesamte Zellhülle
durchdringen.

Störung der Nukleinsäuresynthese Dies kann auf dreierlei Weise


erfolgen:
4 Folsäureantagonisten verhindern die Bereitstellung
von Purinnukleotiden (. Abb. 88.4)
4 Rifampicin hemmt die RNA-Polymerase, also die
Transkription
4 Chinolone hemmen bestimmte Topoisomerasen
(bakterielle Enzyme zuständig für Verpackung und
Trennung der bakteriellen DNA-Stränge)

Schädigung der Zytoplasmamembran Einige Antibiotika schädi-


gen die Zytoplasmamembran. Diese Substanzen, z. B. Polymyxin B,
wirken dadurch primär bakterizid. . Abb. 88.4 Hemmung der Folsäuresynthese. Sulfonamide und Trimetho-
prim hemmen an 2 unterschiedlichen Stellen die Folsäuresynthese und
Störung der Synthese essenzieller Metaboliten Substanzen wie damit die Bereitstellung von Purinnukleotiden. Durch kombinierte Gabe,
Sulfonamide und Trimethoprim wirken durch die Hemmung der z. B. in Cotrimoxazol (Trimethoprim + Sulfamethoxazol), erhält man eine
Folsäuresynthese bakteriostatisch. erhebliche Wirkungssteigerung
88.3 · Wirkungsspektrum
711 88
88.3 Wirkungsspektrum

Das Wirkungsspektrum umfasst die Mikroorganismen, die von dem


Antibiotikum gehemmt werden. Es kann breit sein, also viele ver-
schiedene Erreger erfassen (Breitspektrumantibiotikum) oder eng,
nur wenige Arten umfassend (Schmalspektrumantibiotikum).

Breitspektrumantibiotika Diese kommen dann zum Einsatz, wenn


der Erreger noch nicht diagnostiziert wurde (kalkulierte Initialthe-
rapie), oder bei Infektionen mit multiresistenten Erregern, die an-
ders nicht zu behandeln sind (in diesem Sinne auch Reserveantibio-
tika). So wird z. B. die kalkulierte Therapie der akuten Meningitis mit
dem breit wirksamen Ceftriaxon durchgeführt, das alle wesentlichen
Meningitiserreger erfasst; die Therapie von MRSA-Infektionen er-
fordert den Einsatz eines Reservemittels (z. B. Vancomycin, Teico-
planin oder Linezolid), weil hier das sonst übliche Flucloxacillin
unwirksam ist.

Schmalspektrumantibiotika Diese werden dann eingesetzt, wenn


der Erreger und seine Empfindlichkeit durch das mikrobiologische
Labor bestimmt worden sind. Sie lösen die Breitspektrumantibiotika
ab, wodurch eine Resistenz gegen letztere minimiert und dadurch
eine gezielte Behandlung ermöglicht wird.

In Kürze
Antibakterielle Wirkung
Bakteriostase und Bakterizidie eines Antibiotikums lassen sich
mittels Messgrößen quantifizieren:
5 Minimale Hemmkonzentration (MHK): niedrigste Konzen-
tration eines Antibiotikums, welche die Vermehrung eines
Bakteriums in vitro verhindert.
5 Minimale bakterizide Konzentration (MBK): niedrigste Kon-
zentration eines Antibiotikums, bei der 99,9 % einer definier-
ten Einsaat eines Erregers innerhalb eines bestimmten Zeit-
raums (24 h) abgetötet werden.

Je nach Wirkungsmechanismus lassen sich Antibiotika unter-


scheiden:
5 Störung der Zellwandsynthese: sekundär bakterizide
Wirkung
5 Störung der Proteinbiosynthese: bakteriostatisch oder
bakterizid
5 Störung der Nukleinsäuresynthese: bakteriostatisch
5 Schädigung der Zytoplasmamembran: primär bakterizid

Je nach Bandbreite der Erreger, die sich durch ein bestimmtes


Antibiotikum hemmen lassen, grenzt man Breitspektrum- von
Schmalspektrumantibiotika ab.
713 89

Resistenz
S. Ziesing, M. Fille

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_89, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Ein Bakterienstamm ist resistent gegen ein Antibiotikum, wenn seine ness«). Letzteres ist eine Ursache für das Verschwinden von Resis-
minimale Hemmkonzentration so hoch ist, dass auch bei Verwendung tenzen, wenn der Selektionsdruck durch das Antibiotikum entfällt.
der zugelassenen Höchstdosierung ein therapeutischer Erfolg nicht
zu erwarten ist. Übertragbare Resistenz Die andere Möglichkeit der Resistenz-
entwicklung besteht in der Aufnahme von DNA, die einen Resis-
tenzfaktor kodiert, durch Transformation, Transduktion und Kon-
89.1 Formen jugation:
4 Bei der Transformation nimmt der Mikroorganismus freie
Die Resistenz gegen antibakterielle Substanzen stellt ein natürliches DNA aus der Umgebung auf. Für diesen Vorgang muss die
Phänomen dar. Die evolutionäre Entwicklung von Substanzen mit Zellhülle »kompetent« sein (. Abb. 89.1).
antimikrobieller Wirkung (Bakteriozine etc.) musste zur Entstehung 4 Bei der Transduktion wird resistenzkodierende DNA durch
von Mechanismen führen, welche die schädigende Wirkung dieser einen Bakteriophagen übertragen. Diese Art des Resistenz-
Substanzen aufheben oder vermindern. Es sind zu unterscheiden: erwerbs gelingt nur, wenn die Phageninfektion nicht zur Lyse
des Bakteriums führt (lysogene, nichtlytische Infektion;
Natürliche (primäre) Resistenz Diese beruht auf einer stets vorhan- . Abb. 89.2). Sie ist selten.
denen, genetisch bedingten Unempfindlichkeit einer Bakterienart 4 Bei der Konjugation bildet ein Bakterium einen Sexpilus aus,
gegen ein Antibiotikum. Mögliche Ursachen sind das Fehlen der durch den es eine Verbindung mit einem Rezipienten herstel-
erforderlichen Zielstrukturen oder strukturelle Eigenschaften der len kann, über die Plasmid-DNA oder Fragmente des Chromo-
Bakterienhülle, die ein Chemotherapeutikum am Erreichen der soms übertragen werden (. Abb. 89.3). Häufig trägt das Plas-
Zielstruktur hindern. Beispiele hierfür sind die Unwirksamkeit von mid neben der Resistenzinformation auch die für den Sexpilus:
Cephalosporinen gegen Enterokokken oder von Penicillin G gegen Solche Plasmide werden Resistenztransferfaktoren (RTF)
P. aeruginosa. genannt. Konjugation findet vorwiegend zwischen gramnegati-
ven Bakterien statt und kann speziesübergreifend, z. B. inner-
Erworbene (sekundäre) Resistenz Der grundlegende Mechanismus halb der Familie der Enterobacteriaceae, sein. Konjugation
der Entstehung neuer Resistenzen ist der evolutionäre Vorgang der zwischen grampositiven und -negativen Bakterien wurde eben-
Mutation. Die sekundäre Resistenz entsteht bei einer empfindlichen falls beschrieben.
Art durch Selektion resistenter Stämme, die in jeder ausreichend
großen Bakterienpopulation in geringer Zahl vorkommen, unter Die plasmidvermittelte Resistenz führt im Gegensatz zur chromoso-
Einwirkung des Antibiotikums, das die empfindlichen Populations- malen Resistenz nicht zu Stoffwechselstörungen.
mitglieder abtötet. Andererseits entstehen durch Mutationen oder
Übertragung von Resistenzgenen resistente Bakterien, die unter Ein-
wirkung des Chemotherapeutikums selektioniert werden. Beispiel
hierfür ist die Induktion von β-Laktamasen unter β-Laktam-
Antibiotikatherapie. Wird das Infektionsgeschehen durch die resis-
tenten Bakterien aufrechterhalten, so äußert sich dies klinisch als
Therapieversagen.
Hieraus folgt: Je häufiger ein Chemotherapeutikum eingesetzt
wird, desto wahrscheinlicher entsteht eine Resistenz.

89.2 Genetik der Resistenz

Chromosomenmutation In einer Bakterienpopulation finden sich


mit einer Häufigkeit von 10–6–10–8 spontane Chromosomenmutati-
onen, die durch Punktmutation oder größere DNA-Veränderungen
wie Inversion, Duplikation, Insertion, Deletion oder Translokation . Abb. 89.1 Resistenzerwerb durch Transformation. Durch den Untergang
zur Resistenz gegen eine oder mehrere antimikrobielle Substanzen von Organismen wird deren DNA mit Resistenzgenen frei und kann von
führen. Sie führen neben dem Resistenzerwerb jedoch in einem Teil lebenden Bakterien aufgenommen werden. Hierzu muss die Membran
der Fälle zusätzlich zu bakteriellen Stoffwechselstörungen, sodass kompetent für die DNA-Aufnahme sein. Dies kann durch Membranproteine
die Bakterien sich weniger gut vermehren können (reduzierte »Fit- vermittelt werden, die eine Auswahl der DNA-Fragmente treffen
714 Kapitel 89 · Resistenz
Chemotherapie

. Abb. 89.3 Resistenzerwerb durch Konjugation. Bakterien können über


Sexpili Kontakt mit anderen Bakterien aufnehmen. Durch die hohlen Pili
kann ein plasmidgebundenes Resistenzgen (und andere Plasmidanteile)
vom »männlichen« auf den »weiblichen« Partner übertragen werden

. Abb. 89.2 Resistenzerwerb durch Transduktion. Bakteriophagen infi-


zieren Bakterien. Sie übertragen ihr Genom. Dies kann zur Produktion neuer
nur in geringem Ausmaß exprimiert werden. Erst unter der Einwir-
Phagen führen, die durch Lyse der Wirtszelle freigesetzt werden. Bei dieser
kung eines Antibiotikums wird in diesen Fällen durch Induktion der
Vermehrung können »transducing particles« entstehen, die statt des Phagen-
genoms Teile des Wirtszellgenoms, z. B. ein Resistenzgen, beinhalten
Genexpression der Resistenzmechanismus phänotypisch, d. h. im
(ca. 1 ‰ der Phagen). Die andere Möglichkeit ist der Einbau des Phagen- Antibiogramm und in der therapeutischen Situation beim Patienten
genoms als Prophage in das Genom des Wirtes ohne Neuproduktion von als Therapieversagen, sichtbar.
Phagen: Lysogenie. Die Integration von Phagen-DNA erfolgt mit einer
Integrase. Dadurch kann die Wirtszelle neue Eigenschaften erwerben,
z. B. Resistenz gegen Antibiotika 89.3 Resistenzmechanismen

Inaktivierende Enzyme Am häufigsten ist die Bildung inaktivieren-


Neben Plasmiden kommen auch Transposons (»springende der Enzyme (. Tab. 89.1). Hierzu zählen:
Gene«) als Träger von Resistenzgenen infrage. 4 β-Laktamasen
4 aminoglykosidmodifizierende Enzyme
Genkassetten In ihnen organisiert können auch mehrere Resis- 4 Chloramphenicol-Azetyltransferasen
tenzgene, die Resistenzen gegen diverse Antibiotika(gruppen) ver- 4 Erythromycin-Esterasen
mitteln, kombiniert und weitergegeben werden. Ein Beispiel hierfür
stellen die nosokomialen MRSA-Stämme dar, die häufig nicht nur β-Laktamasen spalten den β-Laktam-Ring, was zum Wirkungsver-
gegen Methicillin, sondern auch die Fluorchinolone, Makrolide, lust führt. Abhängig von ihren Substraten und der Hemmbarkeit
Tetracyclin und andere Antibiotika resistent sind. durch β-Laktamase-Inhibitoren werden β-Laktamasen nach Bush
Die phänotypische Expression genetisch angelegter Resistenz- eingeteilt (. Tab. 89.2). β-Laktamasen verursachen die Penicillinre-
mechanismen muss nicht gleichförmig sein, sie unterliegt unter Um- sistenz von Staphylokokken (Penicillinase) oder die Penicillin- oder
ständen Regulationsmechanismen. Resistenz kann gar nicht oder Cephalosporinresistenz von Enterobakterien.

. Tab. 89.1 Genetik der Antibiotikaresistenzmechanismen

Antibiotikaklasse Enzymatische Verändertes Permeabilitäts- Verstärkte Überproduktion


Inaktivierung Zielmolekül hemmung Ausschleusung des Zielmoleküls

β-Laktame P, C C C – –

Aminoglykoside P, C C C – –

Tetracycline – P, C P, C P, C –

Lincosamine – P, C – C –

Makrolide P P, C – C –

Glykopeptide – P, C C – –

Folsäureantagonisten – P, C C – C

Gyrasehemmer – C – C –

Chloramphenicol P C P – –

Rifampicin – C – – –

P, plasmidkodiert; C, chromosomal kodiert; –, bisher nicht beschrieben


89.3 · Resistenzmechanismen
715 89
deutet »Resistenz«, dass eine zur Wachstumshemmung notwendige
. Tab. 89.2 β-Laktamasen: Einteilung nach Bush
Konzentration des Antibiotikums am Infektionsort beim Patienten
nicht erreicht werden kann (7 Kap. 90).
Gruppe Eigenschaften Hemmung durch
Clavulansäure
Kreuzresistenz Ein definierter Resistenzmechanismus kann nicht
1 Cephalosporinasen nein nur gegen eine, sondern auch mehrere Antibiotika, unter Umstän-
den auch gegen mehrere Antibiotikagruppen, wirksam sein. So ist
2 Cephalosporinasen/Penicillinasen ja
die Penicillinase von Staphylokokken nicht nur gegen Penicillin,
2a Penicillinasen sondern auch die Amino- und Azylureidopenicilline wirksam, nicht
jedoch die Isoxazolylpenicilline und auch nicht gegen die Cephalo-
2b Breitspektrum-β-Laktamasen
sporine. Ist die Penicillinresistenz jedoch durch eine veränderte Ziel-
2 b’ »extended-spectrum β-lactamases« struktur (PBP-2a) bedingt, resultiert eine breite Kreuzresistenz ge-
(ESBL) gen alle Penicilline (inkl. Isoxazolylpenicilline), der Cephalosporine
2c Carbenicillinasen und der Carbapeneme.
2d Cloxacillinasen
In Kürze
2e Cephalosporinasen
Resistenz
3 Metalloenzyme nein Im Gegensatz zur primären Resistenz eines Bakteriums ist die
4 Penicillinasen nein sekundäre Resistenz durch Selektion unter Einwirkung eines Anti-
biotikums erworben. Dies kann Folge einer Chromosomenmuta-
tion oder einer Übertragung – also der Aufnahme von DNA, die
einen Resistenzfaktor kodiert – sein.
Aminoglykosidmodifizierende Enzyme werden beim Transport
Bakterien verfügen über verschiedene Resistenzmechanismen
des Antibiotikums durch die Zellwand wirksam. Es kommt zu Phos-
zur »Abwehr« von Antibiotika:
phorylierung, Azetylierung oder Adenylierung des Aminoglykosids.
Inaktivierende Enzyme Antibiotikum verliert seine Wirkung.
Veränderte Zielmoleküle Antibiotikum kann nicht mehr an
Veränderte Zielmoleküle Eine Modifikation des Zielmoleküls
Zielmolekül binden.
kann zur Folge haben, dass das Antibiotikum nicht mehr daran bin-
Veränderte Permeabilität der Zellhülle Antibiotikum gelangt
det und damit seine Wirkung nicht mehr entfalten kann. Veränder-
nicht mehr in die Zelle zum Zielmolekül.
te penicillinbindende Proteine (PBP) liegen der Resistenz von me-
Verstärkte Ausschleusung aus der Zelle Antibiotikum wird
thicillinresistenten S. aureus (MRSA) oder penicillinresistenten
sehr rasch aus der Zelle eliminiert.
Pneumokokken zugrunde. Die Chinolonresistenz von E. coli ist
Überproduktion des Zielmoleküls/Umgehungswege Konzen-
bedingt durch Punktmutationen in DNA-Gyrase-Genen.
tration des Antibiotikums reicht für Wirksamkeit nicht mehr aus.

Veränderte Permeabilität der Zellhülle Der Transport hydrophiler


Substanzen durch die äußere Membran gramnegativer Bakterien
erfolgt durch Porine. Wird der Porinkanal verändert, passt das An-
tibiotikum nicht mehr hindurch und gelangt nicht an sein Ziel-
molekül. Auf einer solchen Veränderung des D2-Porins basiert die
Imipenemresistenz von P. aeruginosa.
Auch können Transportproteine der Zytoplasmamembran ver-
ändert sein. Diesen Resistenzmechanismus findet man z. B. bei der
Aminoglykosidresistenz obligater Anaerobier.

Verstärkte Ausschleusung aus der Zelle Durch die Induktion von


Effluxpumpen in der Zellhülle kann ein eingedrungenes Antibioti-
kum so schnell aus der Zelle eliminiert werden, dass es ohne Wir-
kung bleibt. Hierauf beruht die Resistenz von Enterobakterien gegen
Tetracycline.

Überproduktion des Zielmoleküls/Umgehungswege Wird das


Zielmolekül überexprimiert, kann die erreichbare Konzentration
des Antibiotikums nicht ausreichen, um eine vollständige Inhibition
zu bewirken. Die Aktivierung alternativer Stoffwechselwege kann
ebenfalls zur Unwirksamkeit eines Antibiotikums führen, obwohl
sich eine sonst ausreichende Menge in der Bakterienzelle befindet.
Solche Mechanismen spielen bei der Resistenz gegen Folsäureanta-
gonisten eine Rolle.
Eine Resistenz gegen Antibiotika ist selten absolut, vielmehr hat
sie zur Folge, dass im Vergleich zu einem sensiblen Wildstamm hö-
here Konzentrationen eines Antibiotikums zur Hemmung des bak-
teriellen Wachstums benötigt werden. Im medizinischen Sinne be-
717 90

Pharmakokinetik
S. Ziesing, M. Fille

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_90, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Pharmakokinetik beschreibt die zeitabhängige Veränderung der Bei oral verabreichten Substanzen muss ein möglicher »First-
Konzentration einer Substanz in einem lebenden Organismus. pass-Effekt« berücksichtigt werden, also eine Metabolisierung in der
Leber, bevor der systemische Kreislauf und damit der Infektionsort
Resorption Die Aufnahme einer Substanz über äußere oder innere erreicht werden. Manche Präparationen sind »prodrugs«: Sie werden
Körperoberflächen wird als Resorption bezeichnet. Sie hat entschei- erst im Organismus in die eigentlich aktive Form umgewandelt.
denden Einfluss auf die Applikationsart eines Antibiotikums und
lässt Voraussagen bezüglich möglicher Nebenwirkungen zu. Elimination Die Elimination der meisten Antibiotika erfolgt vor-
Zum Beispiel wird Vancomycin nicht über den Darm resorbiert. wiegend durch die Nieren; einige Antibiotika, z. B. Rifampicin und
Soll eine systemische Infektion, z. B. eine MRSA-Sepsis, behandelt Ceftriaxon, werden in erster Linie durch Galle und Fäzes ausgeschie-
werden, so muss Vancomycin parenteral (i. v.) gegeben und es muss den. Dabei kann es zur Rückresorption im Darm kommen.
die Möglichkeit einer Nierenschädigung bedacht werden; ist die Indi- Ausscheidungsstörungen spielen bei der Anwendung von Anti-
kation dagegen eine antibiotikaassoziierte Kolitis durch C. difficile, biotika eine bedeutende Rolle, da die Gefahr der Kumulation be-
erfolgt die Gabe oral und es ist nicht mit systemischen Nebenwirkun- steht. So ist eine ständige Kontrolle des Plasmaspiegels bei Amino-
gen wie Nierenschädigung zu rechnen. glykosidtherapie von Patienten mit Niereninsuffizienz angezeigt, um
Die Resorption nach oraler Gabe kann unvollständig sein. Die einer Kumulation in den toxischen Bereich vorzubeugen.
Bioverfügbarkeit gibt an, welcher Teil der zugeführten Substanz Die Dauer der Elimination hat wesentlichen Einfluss auf die Ver-
enteral resorbiert werden kann. Bei Fluorchinolonen ist dieser Anteil abreichungsfrequenz einer Substanz. Cefotaxim hat eine Halbwerts-
hoch, je nach Substanz fast 100 %, bei β-Laktam-Antibiotika auf- zeit von etwa 1 h; für Ceftriaxon, gleichfalls ein Cephalosporin der
grund einer limitierten Kapazität der Resorptionsmechanismen 3. Generation, beträgt sie dagegen 8 h. Als Konsequenz ist Cefota-
niedriger. Daher kann eine orale Therapie auch im Hinblick auf die xim üblicherweise 3-mal täglich, Ceftriaxon nur 1-mal täglich zu
applizierbare Dosis nicht mit einer parenteralen Therapie gleichge- applizieren.
setzt werden.
Konzentrations-Zeit-Verlauf – Kinetikkurve Abhängig von Dosie-
Kompartimentierung Eine Substanz kann sich gleichmäßig oder in rung und Dosierungsintervall ändert sich das Muster des Kon-
den verschiedenen Körperregionen (Kompartimenten) unterschied- zentrationsverlaufs in einem Kompartiment (. Abb. 90.1). Hierbei
lich verteilen. lassen sich folgende pharmakokinetische Größen bestimmen und
Cefotiam gelangt z. B. nicht in den Liquor (Funktion der Blut- für die Beurteilung einer antimikrobiellen Substanz heranziehen
Hirn-Schranke); bei einer Meningitis durch E. coli kann es daher (. Abb. 90.2):
nicht eingesetzt werden, selbst wenn der Erreger bei der Sensibili- 4 Dauer der Konzentration oberhalb der MHK (toMIC = »time
tätsprüfung in vitro eine geringe minimale Hemmkonzentration over minimal inhibitory concentration«)
aufweist, die die Behandlung einer Pneumonie durch diesen Stamm 4 Peak-MHK-Quotient
erlauben würde. 4 AUC-MHK-Quotient (AUC = »area under curve«).
Weitere Kompartimente, in denen Antibiotika u. U. deutlich un-
terschiedliche Spiegel relativ zum Serumspiegel erreichen, sind
Haut- und Weichgewebe, Knochen oder Lunge.
Um in Wirtszellen befindliche, intrazelluläre Erreger zu errei-
chen, muss ein Medikament durch Lipiddoppelmembranen hin-
durch ins Zellinnere gelangen. Fluorchinolone, Makrolide oder
Tetracycline haben diese Eigenschaft, hydrophile Substanzen wie
z. B. Penicillin G dagegen nicht.
Ein bedeutendes »Kompartiment« ist das Plasmaeiweiß. An
dieses gebundene Substanzen (Plasmaeiweißbindung) stehen zu-
nächst nicht zur Verfügung, sie dissoziieren aber mit unterschied-
licher Kinetik wieder ab.

Metabolisierung Eine Metabolisierung findet bei den meisten


Antibiotika in verschiedenem Ausmaß statt. Die durch Oxidation,
Reduktion, Hydrolyse oder Konjugation entstandenen Abbaupro-
dukte sind z. T. antibakteriell inaktiv und erscheinen in dieser Form . Abb. 90.1 Pharmakokinetik. Kinetikkurve. A, B: Zeitpunkte der Antibiotika-
in Blut, Urin, Galle oder Fäzes. gabe
718 Kapitel 90 · Pharmakokinetik
Chemotherapie

. Abb. 90.2 Pharmakokinetik. Eine antimikrobielle Substanz unterliegt


einem bestimmten Konzentrationszeitverlauf (Kinetik). Hierbei lassen sich
einige Messgrößen bestimmen, die sich zur antimikrobiellen Wirkung in
Beziehung setzen lassen: toMIC, peak-MHK- und AUC-MHK-Quotient.
Näheres s. Text

Der therapeutische Erfolg einer Antibiotikatherapie korreliert in


manchen Fällen mit einem der vorgenannten Parameter:
4 β-Laktam-Antibiotika – toMIC
4 Aminoglykoside – Peak-MHK-Quotient
4 Fluorchinolone – AUC-MHK-Quotient

In der Praxis der Antibiotikatherapie müssen außer dem mikrobio-


logischen Wirkspektrum, der im Antibiogramm nachgewiesenen
Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Allergien auch die pharmako-
kinetischen Eigenschaften einer Substanz beachtet werden. Zur
sicheren Anwendung eines Antibiotikums müssen daher ggf. die
folgenden Parameter bekannt sein:
4 Bioverfügbarkeit
4 Halbwertszeit der Elimination
4 Ausscheidungsweg und notwendige Dosisanpassung bei
Insuffizienz des Ausscheidungsorgans
4 Eignung zur Therapie von Infektionen in verschiedenen
Kompartimenten (Gewebespiegel, intrazelluläre Aktivität)

In Kürze
Pharmakokinetik
Für die Pharmakokinetik spielen folgende Begriffe einer Rolle:
Resorption Aufnahme einer Substanz über innere und äußere
Körperoberflächen, z. B. über den Darm (orale Gabe möglich)
oder nicht über den Darm (parenterale Gabe nötig).
Kompartimentierung Verteilung einer Substanz in verschie-
denen Körperregionen, z. B. Gehirn, Zytoplasma.
Metabolisierung Abbau einer Substanz in verschiedenem
Ausmaß infolge verschiedener Stoffwechselsysteme des Orga-
nismus.
Elimination Ausscheidung einer Substanz aus dem Organis-
mus, meist renal.
719 91

Applikation und Dosierung


M. Höck, M. Fille

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_91, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Antimikrobielle Substanzen könne oral, parenteral oder lokal auf der pie anbieten, eignen sich desinfizierend wirkende Substanzen
Haut/Schleimhaut verabreicht werden. Die Dosierung des Antibiotikums wie Octenidin, Polihexanid oder Jodkomplexe in Salben- oder
ist abhängig von patienteneigenen Parametern wir Alter, Gewicht etc., Lösungsform.
von der Schwere der Infektionskrankheit, von der Lokalisation der
Infektion, z. B. im Liquorraum bei Meningitis, sowie von den pharmako- jDosierung
kinetischen und -dynamischen Eigenschaften des Antibiotikums. Hier sind die Empfindlichkeit der Erreger, die Pharmakokinetik und
die Verträglichkeit des Antibiotikums sowie die Lokalisation des
Krankheitsprozesses zu berücksichtigen. Bei schwer zugänglichen
jApplikation Prozessen muss ein Antibiotikum in der erlaubten Maximaldosis
Antimikrobielle Substanzen können oral, parenteral (i. v., i. m.) oder gegeben werden. So ist z. B. bei bakterieller Meningitis das relativ
lokal verabreicht werden. Welcher Weg gewählt wird, hängt von der schlecht liquorgängige Penicillin G höher zu dosieren, um eine ge-
Substanz und der Indikation ab. nügend hohe Liquorkonzentration zu erzielen. Dagegen ist bei der
4 Eine intravasale (intravenöse oder intraarterielle) Applikation Endokarditistherapie notwendig, die Aminoglykoside niedriger
hat die Vorteile der genauen Dosierung durch Ausschaltung (3 mg/kg Körpergewicht), jedoch gleichmäßig über den Tag verteilt,
der Resorption, raschen Wirkungseintritt und der Gabe auf 3 Einzelgaben zu applizieren, damit immer ein konstanter
großer Volumina, aber auch Nachteile wie die erhöhte Gefahr Serumspiegel vorhanden ist.
unerwünschter Nebenwirkungen. Auch können keine was-
serunlöslichen Substanzen auf diesem Wege verabreicht jDosierungsintervall
werden. Dieses Zeitintervall zwischen 2 Arzneimittelgaben ist abhängig von
4 Die intramuskuläre Applikation hat eine verlässliche und Verteilungsvolumen, Clearance und Halbwertszeit. Nach Eintritt des
noch raschere Resorption als die orale Gabe und ist für Gleichgewichts zwischen Aufnahme und Elimination ist das Inter-
gefäßirritierende Substanzen geeignet. Bei Patienten mit vall genau einzuhalten, um gleich bleibende Spitzen- oder Talspiegel
Antikoagulation ist die intramuskuläre Applikation kontra- zu erhalten.
indiziert. 4 Bei bakteriostatisch wirkende Substanzen muss für eine
möglichst dauerhaft über der MHK liegende Konzentration am
Intravasale und intramuskuläre Applikationen sind invasive Maß- gewünschten Wirkort gesorgt werden, d. h., die Antibiotika-
nahmen, die neben den pharmakokinetischen Vorteilen auch Nach- konzentration muss im Blut deutlich über der MHK liegen
teile wie schlechte Praktikabilität und auftretende Nebenwirkungen, (toMIC, 7 Kap. 89).
z. B. Phlebitis, haben. Parenterale Applikationen sollte immer Mittel 4 Einige bakterizid wirkenden Antibiotika wie β-Laktame müs-
der Wahl bei schwersten, lebensbedrohlichen Infektionen wie z. B. sen durch die Abhängigkeit der antibakteriellen Wirkung von
Sepsis, Endokarditis, Meningitis, Peritonitis etc. sein. Nach Eintritt der Dauer der Konzentration im Gewebe oberhalb der MHK
der klinischen Besserung kann mit einem entsprechenden Präparat (t > MHK, 7 Kap. 89) mehrmals und gleichmäßig über den Tag
in oraler Form, genannt Sequenz- oder Sequenzialtherapie, fortge- verteilt (z. B. 3-mal, d. h. jeweils im Abstand von 8 h) appliziert
setzt werden. werden.
4 Die orale Applikation wird als nichtinvasive Methode bevor- 4 Bei dosisabhängig bakteriziden Substanzen wie Aminoglyko-
zugt bei ambulanten Patienten eingesetzt. Nachteile sind die siden (cmax/MHK, 7 Kap. 89) und Fluorchinolonen (AUC/MHK,
variable, nicht immer genau determinierbare Bioverfügbarkeit, 7 Kap. 89) hingegen werden mit einer höheren Spitzenkonzen-
die abhängig ist von pharmakologischen Eigenschaften und lo- tration bessere Erfolge erzielt.
kalen Faktoren. Bei Erbrechen oder Diarrhö ist die orale Appli-
kationsform nicht indiziert, da die Kontaktzeit mit der Resorp- jBehandlungsdauer
tionsoberfläche des Darms stark verkürzt ist. Auch muss die Die Behandlungsdauer hängt vom Krankheitsverlauf und von der
Patientencompliance berücksichtigt, ggf. durch kontrollierte Erregerart ab, sollte so kurz wie möglich, jedoch so lang wie nötig
Einnahmen korrigiert werden. sein. Je nach Erkrankung kann eine Therapie eine einmalige Gabe
4 Eine lokale Gabe von Antibiotika ist nur in wenigen Fällen eines Antibiotikums umfassen, z. B. bei einer unkomplizierten Zys-
sinnvoll, etwa bei erregerbedingter Konjunktivitis oder das titis bei Frauen. Dagegen muss eine Lobärpneumonie über 5–7 Tage,
Inhalieren eines colistinhaltigen Präparats bei Vorliegen von eine nekrotisierende Pankreatitis und Sepsis über 7–10 Tage und
multiresistentem Pseudomonas aeruginosa zur Reduktion der eine Endokarditis sogar über 2, 4, 6 oder mehr Wochen antibiotisch
Kolonisationsflora. Sie birgt, v. a. an Schleimhaut und Haut, therapiert werden. Auch bei granulomatösen Infektionen wie z. B.
die Gefahr der Allergisierung. Bei oberflächlichen Wundinfek- Tuberkulose oder bei Pilzinfektionen wie z. B. der Dermatophytose
tionen, die sich auf erste Sicht für eine lokale Antibiotikathera- ist eine monatelange Behandlung notwendig.
720 Kapitel 91 · Applikation und Dosierung

jMemo
In der Regel gilt: So schnell wie möglich beginnen, so hoch wie mög-
lich applizieren, so kurz wie möglich therapieren!

Literatur
Chemotherapie

Brodt, H.-R. (2013) Antibiotika-Therapie. Klinik und Praxis der antiinfektiösen


Behandlung. 12. Aufl. Stuttgart: Schattauer.
721 92

Nebenwirkungen
S. Ziesing, M. Fille, M. P. Dierich

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_92, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Wie alle anderen Pharmaka können auch Antiinfektiva unerwünschte Die antibiotikaassoziierte Enterokolitis kann unter einer Be-
Wirkungen hervorrufen. Im engeren Sinne sind dies toxische, allergische handlung mit vielen Antibiotika auftreten. Sie ist durch das Über-
und biologische Nebenwirkungen. Darüber hinaus sind Interaktionen wuchern mit toxinbildenden Clostridium difficile-Stämmen be-
mit anderen Medikationen zu beachten. dingt (7 Abschn. 39.4).

Interaktionen Nicht zu den Nebenwirkungen im eigentlichen Sinne


Toxische Nebenwirkungen Den Antibiotika mit geringer Toxizität zählen die Interaktionen von Antibiotika mit anderen Pharmaka.
(Penicillinen, Cephalosporinen) stehen potenziell toxische Antibio- Gleichwohl ist die Kenntnis dieser Interaktionen, die zur Wirkungs-
tika, wie Aminoglykoside und Fluorchinolone, gegenüber, die bei abschwächung, aber auch zur Wirkungsverstärkung anderer Subs-
Überdosierung teils reversible, teils irreversible Schäden hervorru- tanzen führen können, von großer Bedeutung in der Antibiotika-
fen können. anwendung. Betroffen können Dauermedikationen bei chronisch
Kranken (Theophyllin, Immunsuppressiva), Kontrazeptiva und
Therapeutische Breite Dieser Abstand zwischen therapeutischer viele andere sein.
und toxischer Dosierung ist praktisch bedeutsam. Er ist bei β-Lak-
tam-Antibiotika groß, bei Aminoglykosiden gering; letztere müssen
daher exakt, ggf. unter laufender Kontrolle der Serumkonzentration,
dosiert werden.
Auch bei normaler Dosierung sind toxische Nebenwirkungen
möglich, wenn durch eine Störung der Entgiftungsfunktion der
Leber oder durch eine Ausscheidungsstörung bei Herz- oder Nieren-
insuffizienz das Antibiotikum kumuliert. Intrazellulär wirkende
Mittel sind oft hämato- und hepatotoxisch (z. B. Rifampicin, Cotri-
moxazol, Isoniazid).

Allergische Nebenwirkungen Diese kommen v. a. bei der Therapie


mit Penicillinen vor, und zwar am häufigsten bei lokaler Anwen-
dung: polymorphe Exantheme, Urtikaria, Eosinophilie, Ödeme,
Fieber, Konjunktivitis, Fotodermatosen, Immunhämatopathie. Ge-
fürchtet ist der anaphylaktische Schock mit u. U. tödlichem Ausgang
(deshalb ist vor Einsatz von Penicillinen nach bekannter Unverträg-
lichkeit zu fragen).
Auch Vancomycin, Streptomycin, Sulfonamide (auch in Cotri-
moxazol) und Nitrofurane führen nicht selten zu allergischen Reak-
tionen. Eine Allergisierung durch andere Antibiotika ist bei einer
Allgemeinbehandlung relativ selten, wird aber als Kontaktallergie
nach lokaler Anwendung häufiger beobachtet.

Biologische Nebenwirkungen Sie entstehen durch die Beeinflus-


sung der normalen Bakterienflora auf der Haut oder Schleimhaut
und sind unter der Behandlung mit Breitspektrumantibiotika beson-
ders häufig. Durch Schädigung der physiologischen Flora kommt es
zum Überwuchern mit Pilzen (Candida albicans) oder mit resisten-
ten Bakterien (z. B. Staphylokokken, P. aeruginosa, Klebsiella) und
das Risiko für Sekundärinfektionen wird erhöht (z. B. Candida-Sto-
matitis). Diese selektionierende Wirkung ist im größten Keimreser-
voir des Menschen, dem Darm, stärker ausgeprägt, wenn aktives
Antibiotikum in hoher Dosierung vorliegt, z. B. bei oraler Gabe und
unvollständiger Resorption oder bei Substanzen, die in wirksamer
Form hepatisch eliminiert werden.
723 93

Auswahl antimikrobieller Substanzen


(Indikation)
M. Fille, S. Ziesing

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_93, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Ausgangspunkt für die Indikation einer antimikrobiellen Therapie ist Häufig erlauben es die mikrobiologischen Laborergebnisse, Breit-
der Patient, nicht ein (mikrobiologischer) Laborbefund. spektrumantibiotika durch Mittel mit engem Spektrum zu ersetzen.
Dies reduziert die Resistenzentwicklung gegen Breitspektrumanti-
biotika, d. h., deren Wirksamkeit bleibt länger erhalten, und senkt
93.1 Grundlagen die Behandlungskosten.
Beispiel: Wird als Meningitiserreger ein Penicillin-G-empfind-
Der Arzt muss neben mikrobiologischen und pharmakologischen licher Meningokokkenstamm identifiziert, tauscht man das breit
Parametern den Zustand des Patienten berücksichtigen, um aus wirksame Ceftriaxon gegen das preiswerte Schmalspektrumantibio-
einer Vielzahl von Substanzen die geeignetste auszuwählen. Hierzu tikum Penicillin G aus.
muss er sich eine Reihe von Fragen beantworten:
4 Ist aufgrund von Anamnese und klinischem Befund eine Kombinationstherapie Die gleichzeitige Gabe mehrerer Antibio-
Infektion anzunehmen (Verdachtsdiagnose)? tika kann aus folgenden Gründen von Vorteil sein:
4 Welche Erregergruppe(n) ist (sind) wahrscheinlich die 4 Die Selektion resistenter Stämme wird reduziert. Von 106–108
Ursache (Bakterien, Viren, evtl. Pilze oder Parasiten)? Bakterien einer Population ist nur eines gegen eine bestimmte
4 Ist eine Therapie mit Antibiotika indiziert? (Keine Antibiotika antimikrobielle Substanz resistent; kombiniert man 2 Antibioti-
bei viralen Infektionen!) ka, beträgt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer gegen
4 Welche Erreger kommen als Ursache infrage (Erregerspektrum)? beide Substanzen resistenten Mutante 1:1012–1016.
Diese Überlegung ist für die »kalkulierte Therapie« zu Beginn 4 Durch Kombination antimikrobieller Substanzen erhält man
der Behandlung besonders wichtig. eine Spektrumerweiterung.
4 Welche antimikrobiellen Substanzen wirken gegen die ver- 4 Ein weiterer Grund für die Kombination von Antibiotika ist
muteten Erreger auch unter Berücksichtigung der lokalen das Ausnutzen synergistischer Effekte.
Resistenzsituation (Wirkungs-, Resistenzspektrum)?
4 Sprechen pharmakokinetische Gründe oder besondere Eigen- Typischerweise wird ein Synergismus durch Kombination von
schaften des Patienten gegen den Einsatz einer Substanz β-Laktam-Antibiotika mit Aminoglykosiden erreicht: Penicillin G
(Pharmakokinetik, Nebenwirkungen)? stört die Zellwandsynthese und erleichtert dadurch dem Aminogly-
4 Wie muss das gewählte Mittel verabreicht werden, damit die kosid den Zugang zu seinem Zielmolekül am Ribosom. Dies wird bei
Konzentration rechtzeitig am Infektionsort erreicht bzw. über- der Endokarditistherapie ausgenutzt (7 Kap. 112).
schritten wird (Dosierung, Applikationsart)? So wünschenswert ein synergistischer Effekt in der Therapie ist,
kann mit den in der Routine genutzten Methoden der Empfindlich-
Kalkulierte Antibiotikatherapie Durch die Beantwortung dieser keitsprüfung ein gegenteiliger, antagonistischer Effekt nicht ausge-
Fragen kalkuliert der Arzt empirisch, ohne Kenntnis des im Einzel- schlossen werden. Daher sollte, wann immer möglich, einer Mono-
fall vorliegenden Erregers, eine wahrscheinlich wirksame Therapie. therapie der Vorzug gegeben werden.
Diese ist erforderlich, wenn erregerbedingte Krankheiten sofort
(aber immer erst nach Abnahme der Proben für die Diagnostik!) Chemoprophylaxe In einigen Fällen werden antimikrobielle Che-
einer Therapie bedürfen und die Ergebnisse der mikrobiologischen motherapeutika zur Vorbeugung gegen Infektionen eingesetzt. Hier-
Labordiagnostik nicht abgewartet werden können. zu zählen die Malariaprophylaxe (7 Abschn. 82.6), die Pneumo-
Die kalkulierte Antibiotikatherapie z. B. einer eitrigen Meningi- cystis-Prophylaxe bei AIDS-Patienten, die Endokarditisprophylaxe
tis erfolgt mit Ceftriaxon, weil es alle relevanten Erreger erfasst, z. B. (7 Kap. 112), die Rifampicingabe an Indexfälle und enge Kontakt-
sowohl die Penicillin-G-empfindlichen Meningo- und Pneumokok- personen bei Meningokokken- und Haemophilus-Meningitis und
ken als auch den Penicillin-G-resistenten H. influenzae (bei älteren die perioperative Prophylaxe.
Patienten wird wegen des Listerioserisikos zusätzlich Ampicillin Die perioperative Prophylaxe zielt v. a. darauf ab, das Auftreten
gegeben). postoperativer Wundinfektionen zu reduzieren; es müssen also ins-
besondere Staphylokokken und Enterobakterien an der Etablierung
Gezielte Therapie Nach Identifizierung und Resistenztestung des gehindert werden. Die Prophylaxe sollte so vor der Operation be-
Erregers kann die kalkulierte Antibiotikatherapie in die gezielte The- gonnen werden, dass zu OP-Beginn (Hautschnitt) ausreichende Ge-
rapie überführt werden. Hierbei stellt sich folgende Frage: webekonzentrationen erreicht werden (bei parenteraler Gabe von
4 Kann oder muss die Therapie modifiziert werden? β-Laktam-Antibiotika 30 min vorher). Eine einmalige Applikation
724 Kapitel 93 · Auswahl antimikrobieller Substanzen (Indikation)

ist ausreichend, bei länger dauernden Operationen kann abhängig 93.4 Patienteneigenschaften
von der Halbwertszeit nach 4 h eine weitere Dosis gegeben werden.
Als geeignetes Mittel für die meisten Fälle gilt Cefazolin; müssen Besondere Eigenschaften des Patienten sind bei der Auswahl der
zusätzlich Anaerobier bedacht werden (z. B. bei kolorektaler Chirur- antimikrobiellen Chemotherapie zu berücksichtigen.
gie), ist Cefoxitin mit Metronidazol in Kombination oder Clindamy-
cin geeignet. Alter, Schwangerschaft, Stillperiode Das Alter des Patienten hat
nicht nur Einfluss auf das Erregerspektrum, z. B. bei der Meningitis,
Chemotherapie

sondern muss auch im Hinblick auf Nebenwirkungen und verän-


93.2 Mikrobiologische Parameter derte Leber- und Nierenstoffwechselleistungen beachtet werden.
Für den Embryo/Fetus sind Penicilline und Cephalosporine
Erregerspektrum Mit seiner Kenntnis lässt sich bei einem gegebe- ungefährlich, während Chloramphenicol, Erythromycin-Estolat,
nen Krankheitsbild vermeiden, dass bei jedem Infektionsverdacht Tetracycline, Metronidazol, Fluorchinolone, Aminoglykoside, Clin-
»omnipotente« Breitspektrumantibiotika eingesetzt werden müssen. damycin, Nitrofurantoin und Cotrimoxazol in der Schwangerschaft
Das Erregerspektrum hängt maßgeblich davon ab, ob eine Infektion kontraindiziert sind und Vancomycin und Imipenem nur mit großer
ambulant oder nosokomial, d. h. im Krankenhaus, erworben wurde. Vorsicht eingesetzt werden sollen.
Im Krankenhaus werden multiresistente Problemkeime selektioniert Wegen möglicher Störungen der Zahn- und Knochenentwick-
und dominieren das Spektrum. Zum Beispiel sind die häufigsten lung sollen Tetracycline und Fluorchinolone bei Kindern nicht ein-
Erreger ambulant erworbener Pneumonien S. pneumoniae, H. in- gesetzt werden.
fluenzae und Legionellen, während bei nosokomialen Pneumonien Bei einem Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel ist der
Enterobakterien, P. aeruginosa und S. aureus (nicht selten methicil- Einsatz von Sulfonamiden oder Nitrofurantoin kontraindiziert.
linresistent) im Vordergrund stehen.
Grundkrankheiten Sie können eine Kontraindikation darstellen. So
Resistenzspektrum Die Kenntnis des Resistenzspektrums in einem werden Substanzen mit nephro- oder hepatotoxischen Nebenwir-
Krankenhaus, einer Abteilung oder einer Station erlaubt eine weitere kungen möglichst nicht bei Nieren- und Leberfunktionsstörungen
Einengung. Entscheidend für das Resistenzspektrum ist die Häufig- angewendet.
keit, mit der ein bestimmtes Antibiotikum zum Einsatz kommt. Dies
zeigt sich nicht nur im Vergleich verschiedener Länder oder von Allergien Eine bekannte Allergie gegen eine Substanz schließt
ambulanten und nosokomialen Erregern, sondern das Spektrum deren Gebrauch nahezu aus.
kann selbst innerhalb eines Krankenhauses von Abteilung zu Abtei- Eine Allergie gegen Penicillin wird bei 1–10 % der Patienten ge-
lung oder von Jahr zu Jahr erheblich variieren. sehen, 0,002 % dieser Fälle enden tödlich. Am gefährlichsten sind
IgE-vermittelte Typ-I-Reaktionen (Soforttyp, 7 Kap. 14), da sie zum
Antibiogramm Die Bestimmung der Empfindlichkeit eines Er- allergischen Schock führen können. Häufiger sind verzögerte Reak-
regers gegen antimikrobielle Substanzen in vitro durch das Anti- tionen (nach > 72 h), sie äußern sich meist in Form morbilliformer
biogramm erlaubt Rückschlüsse darauf, welche Substanzen in die Exantheme oder als »drug fever«.
engere Auswahl als Therapeutikum kommen. Ist eine Allergie gegen eine Substanz bekannt, müssen Kreuzall-
ergien bedacht werden. Hat ein Patient gegen Penicillin G allergisch
reagiert, so ist zu erwarten, dass er auch gegen andere Penicilline,
93.3 Pharmakologische Parameter z. B. Ampicillin, allergisch ist, während die Kreuzallergierate gegen
Cephalosporine nur mit ca. 1–2 % angenommen wird.
Infektionslokalisation Die Lokalisation des Infektionsprozesses ist
entscheidend bei der Auswahl eines Antibiotikums. Ein Erreger sitzt Risiko von Nebenwirkungen Letztlich muss dieses gegen das
nicht immer an leicht zugänglichen Orten, sondern kann sich in Risiko eines Therapieversagens abgewogen werden. In lebensbe-
Kompartimenten befinden, die für ein Medikament schlecht er- drohlichen Situationen kann der Einsatz eines ansonsten kontra-
reichbar sind (ZNS, Gallenwege, Prostata). indizierten Medikaments erforderlich sein, wenn es keine Alternati-
Bei einer Meningitis befindet sich der Erreger im Subarachnoi- ven dazu gibt. So kann die Behandlung einer Sepsis durch Candida
dalraum, jenseits der Blut-Liquor-Schranke. Ein solcher Erreger glabrata den Einsatz von Amphotericin B erforderlich machen,
kann in vitro (im Antibiogramm) empfindlich gegen Cefotiam sein; selbst wenn der Patient hierdurch ein dialysepflichtiges Nierenver-
dieses kann bei dem Patienten aber nicht eingesetzt werden, da es sagen erleidet.
keine ausreichende Konzentration im Subarachnoidalraum erreicht.
Befindet sich ein Erreger innerhalb einer Wirtszelle, wie z. B.
Chlamydien, muss das Antibiotikum nicht nur die Zellhülle des Bak- In Kürze
teriums durchdringen, sondern vorher auch Zellmembranen der Auswahl antimikrobieller Substanzen (Indikation)
Wirtszelle penetrieren können. Bei der Auswahl antimikrobieller Substanzen sind zunächst Fra-
Weiterhin können am Infektionsort Bedingungen herrschen, die gen nach Indikation, möglichem Erregerspektrum, Gesundheits-
zur Inaktivierung des Medikaments führen. Aminoglykoside sind in zustand/Vorerkrankungen des Patienten und Pharmakokinetik
saurem Milieu (z. B. Eiter oder Sputum) weniger wirksam. zu beantworten.
Kalkulierte Interventionstherapie Sofortiger Therapiebeginn
Stoffwechselfunktionen Nieren- oder Leberfunktionsstörungen nach Entnahme mikrobiologischer Proben, sofern eine solche
machen häufig die Dosisanpassung eines Antibiotikums erforder- indiziert ist.
lich. Das Gleiche gilt bei Durchführung einer Dialyse.
93.4 · Patienteneigenschaften
725 93

Gezielte Therapie Sie löst die kalkulierte Interventionstherapie


ab, sobald der Erreger und dessen Empfindlichkeit mittels Anti-
biogramm bekannt sind. Diese erfolgt nach Möglichkeit mit ei-
nem Wirkstoff mit schmalerem Wirkspektrum.
Kombinationstherapie Sie reduziert die Wahrscheinlichkeit der
Selektion resistenter Keime, bietet ein breiteres Spektrum und
nutzt ggf. synergistische Effekte aus.
Chemoprophylaxe Vorbeugender Einsatz antimikrobieller Sub-
stanzen, z. B. vor einer Operation. Entscheidend für die Auswahl
eines antimikrobiellen Wirkstoffs sind neben Erreger- und Resis-
tenzspektrum pharmakologische Parameter.
Infektionslokalisation Kann der Wirkstoff zum Ort der Infektion
(z. B. ZNS) gelangen?
Stoffwechselfunktionen Nieren- oder Leberfunktionsstörun-
gen sind bei der Dosierung zu beachten.
Alter, Schwangerschaft, Stillzeit, Grunderkrankungen, Allergien,
Nebenwirkungsrisiko
Diese Punkte sind in Hinsicht auf die Verträglichkeit/Toxizität
des Wirkstoffs zu berücksichtigen.
727 94

β-Laktam-Antibiotika I: Penicilline
M. Fille, J. Hausdorfer, M. P. Dierich

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_94, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

94.1 Penicillin G und Penicillin V Veränderte Zielmoleküle Die Penicillinresistenz von MRSA oder
penicillinresistenten Pneumokokken basiert auf der Bildung verän-
Steckbrief derter penicillinbindender Proteine (PBP), an die sich das Antibioti-
kum nicht mehr heften kann.
Penicillin G ist das erste Penicillin, das therapeutisch zur Anwen-
dung kam. Es ist säureempfindlich und muss daher parenteral
verabreicht werden. Penicillin V ist säurefest und daher oral 94.1.2 Rolle als Therapeutikum
applizierbar, besitzt aber eine geringere Aktivität als Penicillin G.
jIndikationen
PenicillinG ist indiziert bei Endokarditis (in Kombination mit
einem Aminoglykosid); des Weiteren bei Meningokokkenmenin-
gitis, je nach Resistenzsituation bei Staphylo-, Pneumo- und Gono-
kokkeninfektionen, außerdem bei Syphilis, Diphtherie und Tetanus
(zusätzlich zur Antitoxingabe). Es ist auch indiziert bei Gasbrand.
PenicillinV ist Mittel der Wahl bei Streptokokkeninfektionen wie
Angina tonsillaris, Scharlach und Erysipel.

jKontraindikationen
Penicillinallergie.

94.1.1 Beschreibung jAnwendungen


Aufgrund fehlender Säurestabilität muss Penicillin G parenteral
jWirkungsmechanismus und Wirktyp appliziert werden. Nierenfunktionsstörungen machen eine Dosis-
Penicillin G wirkt bakterizid durch Hemmung der Transpeptidase anpassung entsprechend der Kreatinin-Clearance erforderlich.
bei der Mureinsynthese; es verhindert die Quervernetzung der ein-
zelnen Mureinstränge. jNebenwirkungen
Allergie Die häufigsten Nebenwirkungen unter Penicillintherapie
jWirkungsspektrum sind allergische Reaktionen. Sie treten in bis zu 10 % der Fälle auf. Je
Penicillin G wirkt gut gegen Streptokokkenarten, Diphtheriebakte- nach Beginn der Symptomatik unterscheidet man Sofortreaktionen
rien, Spirochäten, Clostridien (außer C. difficile), Aktinomyzeten, (0–1 h nach Gabe), verzögerte (1–72 h nach Gabe) und Spätreaktio-
Gonokokken (zunehmende Zahl resistenter Stämme!) und Menin- nen (> 72 h nach Gabe):
gokokken. 4 Die Sofortreaktion basiert auf einer IgE-vermittelten
Nicht erfasst werden Enterobakterien, Pseudomonaden, Haemo- Typ-I-Reaktion (7 Kap. 14), äußert sich als Urtikaria oder
philus, Enterokokken und die meisten Staphylokokkenstämme. Anaphylaxie und kann sich bis zum anaphylaktischen
Schock steigern.
jPharmakokinetik 4 Die Spätreaktionen treten auf als morbilliforme Exantheme,
Penicillin G wird parenteral verabreicht (fehlende Säurestabilität), es interstitielle Nephritiden, hämolytische Anämien, Neutro-
hat eine Halbwertszeit von 40PLQ und wird hauptsächlich renal aus- und Thrombozytopenien, Serumkrankheit, Stevens-Johnson-
geschieden. Da es schlecht fettlöslich ist, diffundiert es nur in gerin- Syndrom und exfoliative Dermatitiden.
gem Maße in Nervengewebe und Gehirn.
Penicillin V (Phenoxymethylpenicillin; ist durch Seitenketten- Bei Verdacht auf Vorliegen einer Penicillinallergie wird dringend
modifikation relativ stabil gegenüber der Magensäure und kann da- eine klinische Abklärung empfohlen!
her oral appliziert werden. Es wird dabei zu etwa 50 % resorbiert. Die
Halbwertszeit beträgt ca. 30 min. Penicillin V wird im Organismus Neurotoxizität Seltene Nebenwirkungen sind Myoklonien (beson-
stärker metabolisiert als Penicillin G und zu 30‒50 % mit dem Urin ders bei Gabe kaliumreicher Präparationen: Hyperkaliämie) und, bei
in aktiver Form ausgeschieden. hohen Liquorkonzentrationen, Krampfanfälle.

jResistenz Jarisch-Herxheimer-Reaktion Zu Beginn einer Therapie kann es zu


β-Laktamasen Die Resistenz gegen Penicillin G beruht hauptsäch- Fieber und Schüttelfrost kommen, wenn bakterielle Endotoxine frei-
lich auf dem Vorhandensein von β-Laktamasen. gesetzt werden.
728 Kapitel 94 · β-Laktam-Antibiotika I: Penicilline

94.2 Aminobenzylpenicilline: Ampicillin, jKontraindikationen


Amoxicillin, Bacampicillin Eine bestehende Penicillinallergie ist eine Kontraindikation.

Steckbrief
jAnwendungen
Aufgrund der schlechten Resorption soll Ampicillin parenteral ge-
Ampicillin ist ein halbsynthetisches Penicillinderivat geben werden, während Amoxicillin und Bacampicillin für die orale
(α-Aminobenzyl-Penicillin) mit erweitertem Spektrum, insbe- Therapie geeignet sind.
Chemotherapie

sondere gegen gramnegative Bakterien.


jNebenwirkungen
Häufige Nebenwirkungen von Ampicillin sind morbilliforme Haute-
xantheme (ca. 1 Woche nach Therapiebeginn) oder Durchfälle, ver-
bunden mit Übelkeit. Bei Auftreten einer urtikariellen Sofortreakti-
on kann eine echte Penicillinallergie zugrunde liegen! Ampicillin
kann eine pseudomembranöse Enterokolitis auslösen.

94.3 Azylaminopenicilline (Ureidopenicilline):


Mezlocillin, Piperacillin

Steckbrief
94.2.1 Beschreibung
Die Azylamino-(Ureido-)Penicilline (Hauptvertreter: Mezlocillin
jWirkungsmechanismus und Wirktyp und Piperacillin) besitzen ein gegenüber Ampicillin erweitertes
Aminobenzylpenicilline wirken wie Penicillin G bakterizid durch Wirkungsspektrum gegen gramnegative Stäbchen; insbesonde-
Hemmung der Zellwandsynthese (Hemmung der Transpeptidase). re ist Piperacillin gegen P. aeruginosa wirksam. Sie sind nicht
penicillinasefest und nur parenteral anwendbar.
jWirkungsspektrum
Das Wirkungsspektrum umfasst Penicillin-G-empfindliche Keime,
zusätzlich Enterococcus faecalis, H. influenzae (jedoch zunehmend
resistente Stämme), E. coli (30–50 % der Stämme resistent!), P. mira-
bilis und Listerien.
Resistent sind u.a. Klebsiella spp., Enterobacter spp., P. vulgaris,
B. fragilis und P. aeruginosa.

jPharmakokinetik
Nach oraler Gabe wird Ampicillin nur zu 30–40 % resorbiert. Die
Halbwertszeit beträgt 1 h. Die Plasmaeiweißbindung ist niedrig, die
Gewebegängigkeit gut. Ampicillin wird im Körper z. T. metabolisiert
und nach oraler Gabe zu 20–30 % mit dem Urin ausgeschieden.
94.3.1 Beschreibung
Amoxicillin ist ein halbsynthetisches Aminopenicillin, das zu
jWirkungsmechanismus und Wirktyp
90 % aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert wird.
Azylamino-(Ureido-)Penicilline wirken wie Penicillin G bakterizid
Bacampicillin wird im Verdauungstrakt in die wirksame Form
durch Hemmung der Zellwandsynthese (Transpeptidasehemmung).
übergeführt.
jWirkungsspektrum
jResistenz Mezlocillin und Piperacillin haben ein erweitertes Spektrum gegen
Die Resistenzmechanismen gegen Ampicillin und seine Derivate gramnegative Bakterien: Die meisten Enterobakterien sind empfind-
basieren auf β-Laktamasen und veränderten penicillinbindenden lich, jedoch gibt es resistente Enterobacter-, Serratia- und Klebsiella-
Proteinen. Stämme. Mezlocillin ist in der Wirksamkeit gegen Enterokokken
dem Ampicillin und Piperacillin überlegen, Piperacillin erfasst zu-
sätzlich P. aeruginosa.
94.2.2 Rolle als Therapeutikum In Kombination mit Aminoglykosiden wirken sie bei gramnega-
tiven Stäbchen und grampositiven Kokken synergistisch.
jIndikationen Gegenüber penicillinasebildenden Staphylokokken und ampi-
Indikationen für Ampicillin sind Haemophilus-Infektionen (bei cillinresistenten Haemophilus-Stämmen sind alle Azylamino-
nachgewiesener Empfindlichkeit), Enterokokkeninfektionen (in (Ureido-)Penicilline unwirksam.
Kombination mit Gentamicin v. a. Endokarditis) sowie Listeriose.
Zur oralen Anwendung ist Amoxicillin zu bevorzugen, das we- jPharmakokinetik
sentlich besser aus dem Magen-Darm-Kanal resorbiert wird. Am- Die Pharmakokinetik von Mezlocillin und Piperacillin ist ähnlich
oxicillin ist auch bei akuten Harnweginfektionen mit empfindlichen bezüglich der Höhe des Serumspiegels und der Halbwertszeit (1 h).
Erregern (hohe Resistenzrate bei E. coli!) eine therapeutische Alter- Die Gewebegängigkeit ist gut, die Liquorkonzentration niedrig. Im
native. Harn wird über 80 % der verabreichten Dosis in aktiver Form ausge-
schieden (Piperacillin).
94.4 · Isoxazolylpenicilline (Oxacilline)
729 94
jResistenz jPharmakokinetik
Die wesentlichen Resistenzmechanismen gegen Azylaminopeni- Oxacillin, Dicloxacillin und Flucloxacillin sind weitgehend säuresta-
cilline basieren auf β-Laktamasen und veränderten Bindungs- bil und können oral und parenteral verabreicht werden. Die Halb-
proteinen. wertszeit von Dicloxa- und Flucloxacillin beträgt 45 min. Im Harn
werden nach parenteraler Gabe 30–60 % der verabreichten Dosis
wiedergefunden.
94.3.2 Rolle als Therapeutikum
jResistenz
jIndikationen Die Resistenz von methicillinresistenten Staphylokokken (MRSA)
Diese umfassen Infektionen der Harnwege, des Genitaltrakts und gegen Isoxazolylpenicilline beruht auf der Expression veränderter
der Gallenwege durch empfindliche gramnegative Stäbchen oder Bindungsproteine.
Enterokokken. Piperacillin eignet sich zur Behandlung nachgewie-
sener oder vermuteter P.aeruginosa-Infektionen (bevorzugt in
Kombination mit einem Aminoglykosid).
94.4.2 Rolle als Therapeutikum
jIndikationen
jKontraindikationen
Infektionen durch penicillinasebildende Staphylokokken sind die
Bei bestehender Penicillinallergie sind Azylamino-(Ureido-)Penicil-
einzige Indikation.
line kontraindiziert.
jKontraindikationen
jAnwendungen
Hauptkontraindikation ist die Penicillinallergie.
Azylamino-(Ureido-)Penicilline werden i. v. verabreicht.
jAnwendungen
jNebenwirkungen Isoxazolylpenicilline können je nach Schweregrad der Infektion oral
Das Nebenwirkungsspektrum entspricht dem von Penicillin G. oder parenteral verabreicht werden.

jNebenwirkungen
94.4 Isoxazolylpenicilline (Oxacilline) Nebenwirkungen durch Dicloxa- und Flucloxacillin sind Phlebiti-
den und Diarrhöen. Bei längerer Verabreichungsdauer (> 2 Wo-
Steckbrief
chen) kann es zu Hepatotoxizität (v. a. bei älteren Patienten) und
Knochenmarkdepression kommen.
Die Isoxazolylpenicilline (Oxacillin, Dicloxacillin und Flucloxacil-
lin) sind resistent gegen die von Staphylokokken gebildeten
β-Laktamasen und werden daher auch als penicillinasefeste Pe- In Kürze
nicilline oder Staphylokokkenpenicilline bezeichnet. Penicillin G und Penicillin V
Resistenz Bildung von β-Laktamasen, veränderte Zielmoleküle.
Indikationen Streptokokken- und Meningokokkeninfektionen,
Gasbrand und Borrelien, Syphilis und Diphtherie, bei Pneumo-
Gono- und Staphylokokkeninfektionen lokale Resistenzlage
beachten.
Kontraindikationen Penicillinallergie.

Aminobenzylpenicilline: Ampicillin, Amoxicillin,


Bacampicillin
Resistenz Bildung von β-Laktamasen, veränderte Zielmoleküle.
Indikationen Haemophilus- und Enterokokkeninfektionen,
Listeriose.
Kontraindikation Penicillinallergie.

94.4.1 Beschreibung Azylaminopenicilline (Ureidopenicilline): Mezlocillin,


Piperacillin
jWirkungsmechanismus und Wirktyp Resistenz Bildung von β-Laktamasen, veränderte Zielmoleküle.
Isoxazolylpenicilline wirken bakterizid durch Hemmung der Tran- Indikationen Infektionen im Abdominal- und Genitalbereich.
speptidierung der Mureinstränge der Zellwand. Kontraindikation Penicillinallergie.
Besonderheiten Nur i. v. Applikation möglich.
jWirkungsspektrum
Die Modifikation des Penicillingerüsts führt dazu, dass Penicillinase Isoxazolylpenicilline (Oxacilline)
unwirksam wird. Gegen Penicillin-G-empfindliche Staphylokokken Resistenz Veränderte Bindungsproteine.
wirken die Isoxazolylpenicilline jedoch schwächer. Indikationen Infektionen durch penicillinasebildende
Gegen die übrigen grampositiven Bakterien haben sie eine Staphylokokken.
schwächere Aktivität als Penicillin G, gegen gramnegative Stäbchen Kontraindikation Penicillinallergie.
sind sie unwirksam. Besonderheiten Orale und parenterale Verabreichung.
731 95

β-Laktam-Antibiotika II: Cephalosporine


M. Fille, J. Hausdorfer, M. P. Dierich

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_95, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Cephalosporine sind bizyklische β-Laktam-Antibiotika mit 7-Amino- jPharmakokinetik


Cephalosporansäure als Grundgerüst. Wie Penicilline wirken sie bakte- Cefazolin kann nur i. v. verabreicht werden. Die Gewebediffusion ist
rizid. Cephalosporine weisen charakteristische, gemeinsame Lücken im gut, jedoch nur geringe Liquorgängigkeit. Serumhalbwertszeit ca.
Wirkungsspektrum auf: Primär resistent sind Enterokokken, Listerien, 90 min, Plasmaeiweißbindung ca. 80 %.
Campylobacter, Legionellen, C. difficile, Mykobakterien, Mykoplasmen
und Chlamydien. Bis auf wenige Spezialsubstanzen wirken Cephalo- jResistenz
sporine nicht gegen Anaerobier. Die Resistenz beruht auf β-Laktamasen oder veränderten penicillin-
Die Einteilung erfolgt nach Gruppen: Höhere Gruppen haben eine bindenden Proteinen.
bessere Aktivität gegen gramnegative Stäbchenbakterien, gegen
grampositive Bakterien ist diese z. T. geringer (Gruppe 3a, Ceftriaxon).
Cephalosporine der Gruppe 3b wirken auch bei P. aeruginosa, solche 95.1.2 Rolle als Therapeutikum
der Gruppe 4 (Cefepim) haben zusätzlich eine starke Wirksamkeit im
grampositiven Bereich. Sog. MRSA-Cephalosporine wie Ceftobiprol jIndikationen
und Ceftarolin sind Neuentwicklungen, die auch gegen penicillinresis- Hauptindikation für Cefazolin ist die perioperative Prophylaxe (au-
tente Pneumokokken wirken. ßer Kolonchirurgie).
Der massive klinische Einsatz der Cephalosporine hat wesentlich zur
Selektion multiresistenter, ESBL-bildender (»extended-spectrum jKontraindikationen
β-lactamase«) Enterobakterien und Enterococcus faecium-Stämme Cephalosporinallergie. Kreuzallergie mit Penicillinen möglich.
beigetragen.
jAnwendungen
Zur perioperativen Prophylaxe erfolgt eine Einmalgabe 30 min vor
95.1 Cefazolin (Gruppe 1) Hautschnitt, bei langen Operationen muss nach 4 h eine weitere
Dosis verabreicht werden.
Steckbrief
jNebenwirkungen
Cefazolin ist ein parenterales Gruppe-1-Cephalosporin mit In 1–4 % der Fälle treten allergische Reaktionen mit Fieber, Exan-
guter Wirksamkeit im grampositiven Bereich (Staphylokokken, themen oder Urtikaria auf. Seltener als bei Penicillin kann ein ana-
auch Penicillinasebildner) und einigen Lücken bei gramnega- phylaktischer Schock auftreten. Des Weiteren kann es zur allergi-
tiven Stäbchen (Klebsiellen, Enterobacter, Serratia). schen, reversiblen Neutropenie und zu stärkerer Blutungsneigung
kommen.

95.2 Cefotiam (Gruppe 2)

Steckbrief

Cefotiam ist ein breit wirksames Cephalosporin der Gruppe 2


mit guter Wirksamkeit gegen Staphylokokken, Streptokokken,
Neisserien (auch penicillinresistente Gonokokken) und manche
Enterobakterien.
95.1.1 Beschreibung
jWirkungsmechanismus und Wirktyp
Cefazolin wirkt bakterizid durch Hemmung des Transpeptidie-
rungsschrittes bei der Zellwandsynthese.

jWirkungsspektrum
Praktisch bedeutsam ist seine gute Wirkung gegen Staphylokokken,
und zwar auch gegen Penicillinasebildner; bei gramnegativen Bak-
terien ist die Wirkung eingeschränkt.
732 Kapitel 95 · β-Laktam-Antibiotika II: Cephalosporine

95.2.1 Beschreibung 95.3.1 Beschreibung


jWirkungsmechanismus und Wirktyp jWirkungsmechanismus und Wirktyp
Analog den übrigen Cephalosporinen. Ceftriaxon und Cefotaxim hemmen die Zellwandsynthese analog zu
anderen β-Laktam-Antibiotika.
jWirkungsspektrum
Im Vergleich zu Cefazolin ist das Spektrum gegen gramnegative jWirkungsspektrum
Chemotherapie

Stäbchen erweitert, z. B. Enterobakterien (außer P. vulgaris und Cit- Das Spektrum der Cephalosporine der Gruppe 3a ist im Vergleich
robacter); die gute Wirksamkeit gegen Staphylo- und Streptokokken zu Cefotiam im gramnegativen Bereich erweitert; jedoch besteht
ist dabei erhalten geblieben. eine klinisch relevante verminderte Wirkung gegen Enterobacter-
Arten und C. freundii. Die Wirksamkeit gegen Staphylokokken ist
jPharmakokinetik vergleichbar mit Cephalosporinen der Gruppe 2.
Cefotiam wird bei oraler Gabe nicht resorbiert. Die Serumhalb- Gegen typische Meningitiserreger (Pneumo-, Meningokokken,
wertszeit beträgt 45 min, die Plasmaeiweißbindung 40 %. Die Gewe- Haemophilus) und gegen Borrelia burgdorferi sind sie hochwirk-
begängigkeit ist gut, jedoch werden keine ausreichenden Liquorkon- sam, ebenso gegen Gonokokken.
zentrationen erreicht.
jPharmakokinetik
jResistenz Die Halbwertszeit von Ceftriaxon beträgt wegen der hohen Plasma-
Die Resistenz gegen Cefotiam beruht hauptsächlich auf der Bildung eiweißbindung 7–8 h, die von Cefotaxim 1 h. Beide Mittel weisen
von β-Laktamasen, aber auch auf veränderten Bindungsproteinen. eine gute Gewebegängigkeit auf und erreichen bei Meningitis thera-
peutisch wirksame Liquorkonzentrationen. Beide Substanzen wer-
den jeweils zur Hälfte renal ausgeschieden. Cefotaxim unterliegt
95.2.2 Rolle als Therapeutikum einer starken Metabolisierung, während ein großer Anteil von Cef-
triaxon in aktiver Form mit der Galle ausgeschieden wird.
jIndikationen
Staphylokokkeninfektionen, auch Infektionen mit empfindlichen jResistenz
gramnegativen Erregern. Haut- und Weichgewebeinfektionen, Kno- Der Hauptresistenzmechanismus beruht auf der Bildung von
cheninfektionen, Infektionen der Atemwege, Harnweginfektionen, β-Laktamasen.
perioperative Prophylaxe.

jKontraindikationen 95.3.2 Rolle als Therapeutikum


Cephalosporinallergie, Vorsicht bei bekannter Penicillinallergie.
Wegen der unzureichenden Liquorgängigkeit darf Cefotiam nicht jIndikationen
zur Therapie der Meningitis eingesetzt werden. Ceftriaxon und Cefotaxim sind Antibiotika für die kalkulierte Ini-
tialtherapie schwerer Infektionen, insbesondere der eitrigen Menin-
jAnwendungen gitis, Sepsis; ggf. werden durch Kombination mit Aminoglykosiden
Cefotiam wird i. v. appliziert. oder Metronidazol Spektrumlücken geschlossen.
Weitere Indikationen sind die Neuroborreliose und die Behand-
jNebenwirkungen lung der Gonorrhö.
Wie bei anderen Cephalosporinen stellt die Allergie eine mögliche
Nebenwirkung dar. jKontraindikationen
Ceftriaxon und Cefotaxim dürfen bei Cephalosporinallergie nicht
eingesetzt werden.
95.3 Ceftriaxon, Cefotaxim (Gruppe 3a)
jAnwendungen
Steckbrief Cefotaxim und Ceftriaxon werden i. v. verabreicht. Cefotaxim muss
3-mal verabreicht, Ceftriaxon braucht nur 1-mal am Tag appliziert
Ceftriaxon und Cefotaxim sind Breitspektrumcephalosporine, zu werden.
die parenteral verabreicht werden und deren Spektrum bei
Enterobakterien erweitert ist jNebenwirkungen
Allergische Reaktionen, gastrointestinale Beschwerden, Verände-
rungen im Blutbild. Unter Ceftriaxongabe kann sich eine Pseudo-
cholelithiasis entwickeln.
95.6 · Ceftobiprol und Ceftarolin
733 95
95.4 Ceftazidim (Gruppe 3b) 95.5 Cefepim

Steckbrief Cefepim ist ein Cephalosporin der Gruppe 4, das ein breites Spekt-
rum gramnegativer Bakterien inklusive P. aeruginosa erfasst, aber
Ceftazidim erfasst ein breites Spektrum gramnegativer Bakterien, auch gegen Staphylokokken und Streptokokken gut wirksam ist. Es
inklusive P. aeruginosa, die Wirksamkeit gegen Staphylokokken wird zur kalkulierten Therapie lebensbedrohlicher Infektionen ein-
und Streptokokken ist unzureichend. gesetzt.

95.6 Ceftobiprol und Ceftarolin

Diese sog. MRSA-Cephalosporine zeichnen sich durch eine hohe


Bindungsaffinität an den penicillinbindenden Proteinen gramposi-
tiver Bakterienzellen aus. Multiresistente Staphlo-, Strepto- und En-
terokokken (außer vancomycinresistenten Stämmen) werden gut
erfasst, die Wirkung im gramnegativen Bereich ist der Gruppe 3
vergleichbar, ESBL-Bildner sind resistent. Resistent sind auch Pseu-
domonaden und einige Anaerobier.

In Kürze
95.4.1 Beschreibung Cephalosporine
Cefazolin (Gruppe 1)
jWirkungsmechanismus und Wirktyp Resistenz Bildung von β-Laktamasen oder veränderten Bindungs-
Analog den anderen Cephalosporinen. proteinen.
Indikationen Perioperative Prophylaxe (außer Kolonchirurgie).
jWirkungsspektrum
Kontraindikationen Cephalosporinallergie, Kreuzallergie mit
Im Vergleich zu Cefotaxim ist das Spektrum um P. aeruginosa er- Penicillinen möglich.
weitert (etwa 10-mal wirksamer).

jPharmakokinetik Cefotiam (Gruppe 2)


Resistenz Bildung von β-Laktamasen oder veränderten Bindungs-
Die Halbwertszeit im Serum beträgt 2 h, die Serumeiweißbindung
proteinen.
17 %. Die Ausscheidung erfolgt unverändert nach glomerulärer
Indikationen Kalkulierte Therapie (z. B. ambulant erworbene
Filtration.
Pneumonie).
jResistenz Kontraindikationen Cephalosporinallergie, Kreuzallergie mit
Die Resistenz gegen Ceftazidim kann auf Bildung von β-Laktamasen Penicillinen möglich.
oder veränderten Bindungsproteinen beruhen, Enterobacter spp.
und Serratia spp. können unter der Therapie mit Cephalosporinen Ceftriaxon, Cefotaxim (Gruppe 3a)
resistent werden (Resistenzinduktion). Resistenz Hauptsächlich Bildung von β-Laktamasen
Indikationen Kalkulierte Initialtherapie schwerer Infektionen.
Kontraindikationen Cephalosporinallergie.
95.4.2 Rolle als Therapeutikum Besonderheiten Regional unterschiedlich häufiges Auftreten
von Erregern mit β-Laktamase-Bildung macht Resistenztestung
jIndikationen notwendig!
Ceftazidim ist ein Reserveantibiotikum zur Behandlung schwerer
Infektionen mit vermuteter und nachgewiesener Beteiligung von Ceftazidim (Gruppe 3b)
P. aeruginosa. Es wird zusammen mit einem Aminoglykosid zur kal- Resistenz Hauptsächlich Bildung von β-Laktamasen.
kulierten Therapie von Infektionen bei neutropenischen Patienten Indikationen Therapie von Pseudomonas-Infektionen.
eingesetzt. Die unzureichende Wirkung gegen Staphylokokken, Kontraindikationen Cephalosporinallergie.
Streptokokken und Anaerobier kann bei vorhandener Sensitivität Besonderheiten Regional unterschiedlich häufiges Auftreten
durch Clindamycin ausgeglichen werden. von Erregern mit β-Laktamase-Bildung macht Resistenztestung
notwendig!
jKontraindikationen
Allergie gegen Cephalosporine; selten sind Kreuzallergien mit Peni-
Cefepim (Gruppe 4)
cillinen.
Resistenz Hauptsächlich Bildung von β-Laktamasen.
jAnwendungen Indikationen Therapie von Staphylokken, Enterobakterien
Ceftazidim wird parenteral verabreicht. Nach Dialyse muss die Er- und Pseudomonas-Infektionen.
haltungsdosis nachgegeben werden. Kontraindikationen Cephalosporinallergie.
Besonderheiten Gute Wirkung sowohl im grampositiven wie
jNebenwirkungen auch im gramnegativen Bereich.
Als wesentliche Nebenwirkung kommen Allergien vor.
734 Kapitel 95 · β-Laktam-Antibiotika II: Cephalosporine

Ceftobiprol (Gruppe 5)
Resistenz Hauptsächlich Bildung von β-Laktamasen.
Indikationen Therapie von MRSA und Enterobakterien-
Infektionen.
Kontraindikationen Cephalosporinallergie.
Besonderheiten Gute Wirkung sowohl im grampositiven wie
Chemotherapie

auch im gramnegativen Bereich.

95.7 Orale Cephalosporine

Oral verabreichbare Cephalosporine werden im ambulanten Bereich


eingesetzt. Analog den i. v. verabreichten Substanzen werden sie in
3 Gruppen eingeteilt, wobei Cefalexin (Gruppe 1) wiederum die
höchste Aktivität gegen Staphylokokken aufweist, die Substanzen
der Gruppe 3 (Cefixim, Cefpodoximproxetil) die höchste Aktivität
gegen gramnegative Keime besitzen.
Pseudomonas aeruginosa wird von oralen Cephalosporinen
nicht erfasst!
Indikationen sind Haut- und Weichgewebeinfektionen (Grup-
pe 1), Atemweginfektionen, Infektionen im HNO-Bereich und
Harnweginfektionen (Gruppe 3). Nebenwirkungen siehe i. v. Sub-
stanzen.
735 96

Kombinationen mit β-Laktamase-


Inhibitoren
M. Fille, S. Ziesing

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_96, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Steckbrief jIndikationen
Kombinationen aus Aminopenicillin mit einem β-Laktamase-
β-Laktamase-Inhibitoren hemmen als Strukturanaloga der Inhibitor sind bei leichteren Infektionen durch aminopenicillinresis-
β-Laktam-Antibiotika β-Laktamasen, ohne ausreichende eigene tente Erreger indiziert, insbesondere bei Atem- und Harnwegsinfek-
antibakterielle Wirksamkeit zu besitzen (Ausnahme: Sulbactam tionen. Die feste Kombination Piperacillin/Tazobactam ist für die
bei Acinetobacter spp.). Sie werden mit β-Laktam-Antibiotika Therapie intraabdomineller Infektionen und zur Sepsistherapie
kombiniert. geeignet.

jNebenwirkungen
Durchfälle, Übelkeit und Erbrechen, seltener pseudomembranöse
Enterokolitis und Leberfunktionsstörungen.

jWirkungsspektrum
Aminopenicilline (Ampicillin und Amoxicillin) werden durch die
Kombination mit Sulbactam bzw. Clavulansäure wirksam gegen
β-Laktamasen von Staphylokokken, Haemophilus-Arten, M. catar-
rhalis, N. gonorrhoeae, E. coli, K. pneumoniae, P. mirabilis, P. vulga-
ris und B. fragilis geschützt; nicht erfasst werden P. aeruginosa,
S. marcescens, Enterobacter-Arten, M. morganii, P. rettgeri, einige
Stämme von E. coli, K. pneumoniae sowie methicillinresistente Sta-
phylokokken.
Die Kombination Piperacillin/Tazobactam erweitert das Spek-
trum des Aminoazylpenicillins Piperacillin gegen β-Laktamase pro-
duzierende Staphylokokken sowie gegen die meisten E. coli-, Serratia-,
K. pneumoniae-, E. cloacae-, C. freundii-, Proteus- und Bacteroides-
Stämme.
Avibactam, ein neuer β-Laktamase-Hemmer, soll, kombiniert
mit diversen β-Laktam-Antibiotika bei multiresistenten Keimen mit
ESBL- und Carbapenemase-Bildung gute Wirkung zeigen.
737 97

β-Laktam-Antibiotika III: Carbapeneme


M. Höck

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_97, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Steckbrief Dagegen ist die Bindungsaffinität von Imipenem an PBP-3 von P. ae-
ruginosa schwächer ausgeprägt und sollte nie allein zur Therapie
Thienamycin ist das erste in der Natur vorkommende Antibio- schwerer Pseudomonas-Infektionen eingesetzt werden.
tikum aus der Klasse der Carbapeneme und wurde 1976 aus Durch Anheftung einer Hydroxyethylseitenkette an den β-Lak-
Streptomyces cattleya isoliert. Wegen Instabilität der Substanz tam-Ring und zusätzliche Verknüpfungen wird bei allen Carba-
kam es zur Entwicklung halbsynthetischer Derivate wie Imipe- penemen eine Stabilität gegen ein breites Spektrum von durch
nem, Meropenem, Ertapenem und Doripenem. Nach Funktion Enterobakterien produzierten β-Laktamasen, auch gegen ESBL und
werden 3 Gruppen unterschieden: AmpC, erreicht.
5 Gruppe 1: Carbapeneme ohne P. aeruginosa-Wirksamkeit: Cilastatin ist ein Heptankarbonsäurederivat und inhibiert die in
Ertapenem den Nieren des Patienten produzierte Dehydropeptidase 1 reversibel
5 Gruppe 2: Carbapeneme mit P. aeruginosa-Wirksamkeit: und kompetitiv. Dadurch wird Imipenem selbst nicht hydrolysiert
Imipenem, Meropenem, Doripenem (Schutz vor Abbau). Zugleich wird die Nephrotoxizität des Imi-
5 Zur Gruppe 3 würden Carbapeneme gehören, die auch penems bei hoher Dosierung erniedrigt. Imipenem wird immer in
gegen MRSA wirksam sind: Substanzen, die im Erprobungs- Kombination mit Cilastatin im Verhältnis 1:1 verabreicht. Cilastatin
stadium sich befinden. selbst wirkt nicht antimikrobiell.

Carbapeneme gehören zu den β-Laktam-Antibiotika mit sehr jWirkungsspektrum


breitem Spektrum gegen fast alle aerob und anaerob wachsende Imipenem wirkt gegen fast alle aerob und anaerob wachsenden
grampositive und -negative Bakterien. Alle Carbapeneme wirken grampositiven und -negativen Bakterien einschließlich E. faecalis,
bakterizid und werden nicht durch ESBL- oder AmpC-bildende Listerien, β-Laktamase-bildender Stämme von H. influenzae, Pneu-
Enterobakterien hydrolysiert, sondern nur durch die seltenen mokokken und Gonokokken sowie ESBL- und AmpC-bildender
gramnegative Bakterien, die Carbapenemasen bilden können. Enterobakterien. Die Therapie von P. aeruginosa-Infektionen ist
möglich. Deshalb wird Imipenem der Gruppe 2 der Carbapeneme
mit P. aeruginosa-Wirksamkeit zugeordnet. Jedoch muss immer
eine Kombinationstherapie mit einem anderen wirksamen Antibio-
tikum erfolgen (7 s. o.).
Imipenem ist unwirksam gegen oxacillinresistente S. aureus-
(MRSA-)Isolate und koagulasenegative Staphylokokkenisolate,
Burkholderia cepacia, Stenotrophomonas maltophilia, C. difficile
und auch gegen intrazelluläre Erreger wie Mykoplasmen, Chlamy-
dien und Legionellen. Eine Kreuzresistenz mit Penicillinen und
Cephalosporinen ist selten (7 s. u.).

jPharmakokinetik
97.1 Imipenem/Cilastatin Alle Carbapeneme besitzen eine konzentrationsunabhängige, aber
von der Einwirkungszeit abhängige bakterizide Wirkung. Zwischen
97.1.1 Beschreibung Serumkonzentration und therapeutischer Dosierung besteht keine
Korrelation. Die maximale Wirkung wird bei der 4-fachen minima-
jWirkungsmechanismus und Wirktyp len Hemmkonzentration (MHK) des Infektionserregers erreicht
Imipenem gehört zu den Carbapenemen der β-Laktam-Antibio- (→ Antibiotikum vom Penicillintyp).
tika  und hemmt die Peptidoglykansynthese in der Bakterien- Imipenem und Cilastatin sind gut gewebegängig und werden
zellwand. Damit wirkt es bakterizid in der Vermehrungsphase der nach i. v. Gabe gut im Körper verteilt. Hohe Konzentrationen wer-
Bakterien. Die sehr gute Bakterizidie wird bereits mit niedrigen den im Gewebe, Urin, Galle erreicht, mäßige Konzentrationen auf-
Konzentrationen durch die hohe Affinität zu den an der Zellwand- grund der polaren Substanzeigenschaft im Liquor cerebrospinalis
synthese beteiligten Enzymen (penicillinbindenden Proteinen, bei einer Infektion mit Blut-Hirn-Schranken-Störung. Keine zur
PBP) erreicht. Therapie geeignete Konzentration kommt intrazellulär, in der Pros-
Unterschiede zwischen den Carbapeneme liegen in der Affinität tata, im Kammerwasser etc. zustande.
zu PBP verschiedener Bakterienspezies begründet. Imipenem bindet Imipenem zeigt wie Meropenem gegenüber grampositiven und
stärker als die anderen Carbapenemen an PBP-1 bis PBP-4 von -negativen Erregern einen postantibiotischen Effekt (PAE), der
S. aureus sowie an Enterococcus faecalis und ist deshalb wirksamer. bakterienspezies- und stammabhängig ist. Damit wird die Fortdauer
738 Kapitel 97 · β-Laktam-Antibiotika III: Carbapeneme

. Tab. 97.1 Einteilung der β-Laktamasen in Klassen A–D nach Ambler und in die BJM-Gruppen 1–4

Klasse nach Typ der β-Laktamase BJM-Gruppe* Substrat Hemmung


Ambler (1980) (1995)

A Penicillinasen, Cephalosporinasen 1 Cephalosporine Unzureichende Hemmung


durch Clavulansäure
Chemotherapie

B Metallo-β-Laktamasen 2 Penicilline Hemmung durch Clavulansäure


Cephalosporine

C Cephalosporinasen 3 Penicilline Keine Hemmung durch


Cephalosporine β-Lactam-Inhibitoren
Carbapeneme

D Oxacillinasen 4 Enzyme, die nicht in andere Gruppen


passen

* Bush-Jacoby-Medeiros-Gruppe

der antimikrobiellen Wirkung nach Absetzen des Antibiotikums ger Abwehrschwäche; nicht jedoch ZNS-Infektionen. Imipenem ist
bezeichnet. Mittel der Wahl bei Nocardieninfektionen.
Die Elimination erfolgt renal in unveränderter Form oder durch
Hydrolyse des β-Laktam-Rings zu antibiotisch unwirksamen Meta- jKontraindikationen
boliten. Bei Nierenfunktionsstörungen muss die Dosis wegen Ku- Imipenem ist kontraindiziert bei Allergie gegen Bestandteile des
mulation von Cilastatin reduziert werden. Beide Substanzen sind Arzneimittels oder gegen Carbapeneme. Eine Kreuzallergie zwi-
dialysierbar. Beider Halbwertszeit beträgt ca. 1 h. schen Imipenem oder anderen Carbapenemen einerseits und ande-
ren β-Laktam-Antibiotika andererseits kann, muss aber nicht beste-
jResistenz hen. Vor Gabe sollte deshalb bei bekannter Penicillinallergie eine
Es bestehen 2 Resistenzmechanismen: Prüfung erfolgen. Keine Anwendung in Schwangerschaft, Stillzeit,
4 Inaktivierung durch Carbapenem hydrolysierende Enzyme: bei Neugeborenen unter 3 Monaten und bei Kindern mit Nieren-
5 Metallo-β-Laktamasen der Klasse B nach Ambler oder insuffizienz, da keine ausreichenden Untersuchungen vorliegen.
Gruppe 2 nach Bush/Jacoby/Medeiros (BJM; . Tab. 97.1),
z. B. VIM, IMP, NDM-1, KHM, produziert von P. aeru- jAnwendungen
ginosa, Stenotrophomonas maltophilia, Bacteroides fragilis, Imipenem wird ausschließlich i. v. verabreicht. Da Imipenem ein
Aeromonas spp. etc. starker β-Laktamase-Induktor ist, ist eine Kombination mit Breit-
5 β-Laktamasen der Klasse A nach Ambler oder Gruppe 1 spektrumpenicillinen und Cephalosporinen zu vermeiden (Antago-
nach BJM (. Tab. 97.1), z. B. Sme-1 bis -3, IMI-1, KPC-1, nismus). Bei Verdacht oder Nachweis einer P. aeruginosa-Infektion
-2, -3, GES-2, -4, -5, -6, NMC-A etc., produziert von ist eine Kombinationstherapie angezeigt!
Enterobakterien
5 β-Laktamasen der Klasse D nach Ambler oder Gruppe 4 jNebenwirkungen
nach BJM (. Tab. 97.1), z. B. OXA-48, produziert von Ernste Nebenwirkungen sind selten. Gastrointestinale Reaktionen,
P. aeruginosa, Acinetobacter baumannii, Klebsiella Thrombophlebitis und allergische Reaktionen sind möglich. In
pneumoniae etc. 1–2 % können zentralnervöse Nebenwirkungen (Krämpfe, Verwirrt-
4 Porinverlust bei P. aeruginosa oder Enterobakterien meist in heitszustände, Somnolenz), bei Imipenem häufiger als bei den ande-
Kombination mit ESBL- oder AmpC-Bildung ren Carbapenemen, auftreten, die jedoch nur bei Überschreiten der
Normaldosis, bei eingeschränkter Nierenfunktion und bei Vorschä-
Cave: Imipenem ist ein starker β-Laktamase-Induktor, sodass digung des ZNS vorkommen. Nierenfunktionsstörungen sind selten.
gleichzeitig verabreichte andere β-Laktam-Antibiotika inaktiviert
werden können (Antagonismus)!
97.2 Meropenem
97.1.2 Rolle als Therapeutikum jWirkungsmechanismus und Wirktyp
Meropenem gehört ebenfalls zu den Carbapenemen der β-Laktam-
jIndikationen Antibiotika und wirkt wie Imipenem bakterizid durch Hemmung der
Imipenem ist ein Reserveantibiotikum; es soll nur verwendet wer- Peptidoglykansynthese in der Bakterienzellwand. Unterschiede in
den, wenn Alternativen nicht zur Verfügung stehen. Indikationen der sehr guten Bakterizidie liegen in der unterschiedlichen Affinität
sind die kalkulierte Initialtherapie von schweren, meist polymikro- zu PBP: Meropenem bindet stärker als Imipenem an die PBP von
biell oder gemischt aerob-anaeroben Infektionen wie Sepsis, intra- Entero- und anderen gramnegativen Bakterien; unter anderem be-
abdominellen, gynäkologischen und urogenitalen Infektionen, Kno- sitzt es eine hohe Affinität zu den PBP-2 und -3 von P. aeruginosa. Die
chen- und Gelenkinfektionen, Haut- und Weichgewebeinfektionen Bakterizidie von Meropenem gegenüber S. aureus und allen Entero-
sowie Infektionen des Respirationstrakts, besonders bei gleichzeiti- kokkenarten ist dagegen schwächer ausgeprägt als bei Imipenem.
97.3 · Ertapenem
739 97
Anheften einer Hydroxyethylseitenkette an den β-Laktam-Ring 97.3 Ertapenem
und zusätzliche Verknüpfungen bewirken bei allen Carbapenemen
Stabilität gegen ein breites Spektrum von durch Enterobakterien jWirkungsmechanismus und Wirktyp
produzierten β-Laktamasen, auch gegen ESBL und AmpC. Ertapenem gehört ebenfalls zu den Carbapenemen der β-Laktam-
Im Gegensatz zu Imipenem wird durch die Methylgruppe an C1 Antibiotika und wirkt wie Imipenem bakterizid durch Hemmung
eine ausreichende Stabilität gegen die renale Dehydropeptidase 1 der Peptidoglykansynthese in der Bakterienzellwand. Unterschiede
erreicht. Der Zusatz von Cilastatin ist deshalb nicht notwendig. in der sehr guten Bakterizidie sind in der unterschiedlichen Affinität
zu den PBP begründet: Ertapenem bindet stärker als Imipenem an
jWirkungsspektrum die PBP von Enterobakterien; unter anderem besitzt Ertapenem eine
Das Wirkungsspektrum entspricht dem von Imipenem, jedoch mit hohe Affinität zu den PBP-2 und -3 von E. coli.
dem Unterschied, dass Meropenem eine Enterokokkenlücke auf- Anheften einer Hydroxyethylseitenkette an den β-Laktam-Ring
weist und nicht zur Therapie von Enterokokkeninfektionen einge- und zusätzliche Verknüpfungen bewirken bei allen Carbapenemen
setzt werden darf. Bei schweren P. aeruginosa-Infektionen sollte Stabilität gegen ein breites Spektrum von durch Enterobakterien
bevorzugt Meropenem vor Imipenem zum therapeutischen Einsatz produzierten β-Laktamasen, auch gegen ESBL und AmpC.
kommen, ggf. in Kombination mit dem Aminoglykosid Tobramycin. Im Gegensatz zu Imipenem wird durch die Methylgruppe an C1
Zusätzlich kann die bakterielle Meningitis mit Meropenem behan- ausreichende Stabilität gegen die renale Dehydropeptidase 1 er-
delt werden (7 Kap. 113). reicht. Der Zusatz von Cilastatin ist deshalb nicht notwendig.

jPharmakokinetik jWirkungsspektrum
Die Pharmakokinetik entspricht der von Imipenem. Jedoch entste- Ertapenem wirkt gegen viele aerob wachsende grampositive und
hen nach Hydrolyse inaktivierte Metaboliten. Die Meropenemdosis -negative Bakterien wie β-hämolysierende Streptokokken, Pneumo-
muss bei Nierenfunktionsstörungen reduziert werden, auch wenn kokken, H. influenzae sowie ESBL- und AmpC-bildende Entero-
kein Cilastatin in Kombination verabreicht wird. bakterien.
Ertapenem ist unwirksam gegen oxacillinresistente Isolate von
jResistenz S. aureus (MRSA) und koagulasenegativen Staphylokokken, Entero-
Gegen Meropenem können ebenfalls 2 Resistenzmechanismen zum kokken, P. aeruginosa, Acinetobacter spp., Burkholderia cepacia,
Tragen kommen: zum einen Carbapenem hydrolysierende Enzyme Stenotrophomonas maltophilia, C. difficile sowie gegen intrazellu-
(vgl. Resistenz von Imipenem), zum anderen energieabhängige Ef- läre Erreger wie Mykoplasmen, Chlamydien und Legionellen. Durch
fluxpumpen. Demgegenüber gibt es keinen Resistenzmechanismus die fehlende Pseudomonas-Wirksamkeit wird Ertapenem der Grup-
gegenüber Meropenem durch Porinverluste, da Meropenem leicht pe 1 der Carbapeneme zugeordnet. Eine Kreuzresistenz mit Penicil-
und durch mehrere Porintypen die äußere Zellwandmembran linen und Cephalosporinen ist selten (vgl. Resistenz von Imipenem).
v. a. der gramnegativen Bakterien penetriert. Somit besteht nur eine
teilweise Kreuzresistenz von Meropenem zu Imipenem. So kann jPharmakokinetik
P. aeruginosa gegen Meropenem sensibel, aber zugleich gegen Imi- Alle Carbapeneme besitzen eine konzentrationsunabhängige, aber
penem resistent sein. von der Einwirkungszeit abhängige bakterizide Wirkung. Zwischen
Serumkonzentration und therapeutischer Dosierung besteht keine
echte Korrelation. Die maximale Wirkung wird bei 4-facher MHK
97.2.1 Rolle als Therapeutikum des Infektionserregers erreicht (→ Antibiotikum vom Penicillintyp).
Ertapenem ist gut gewebegängig und wird nach i. v. Gabe gut im
jIndikationen Körper verteilt. Hohe Konzentrationen werden im Gewebe, in Urin,
Meropenem ist ebenfalls ein Reserveantibiotikum und soll nur ver- Galle und Haut erreicht, dagegen keine zur Therapie geeignete Kon-
wendet werden, wenn Alternativen nicht zur Verfügungstehen. In- zentration intrazellulär, in Liquor, Prostata, Kammerwasser etc. Er-
dikationen sind die kalkulierte Initialtherapie von schweren, meist tapenem hat keinen PAE gegen gramnegative und einen geringen
polymikrobiellen oder gemischt aerob-anaeroben Infektionen wie PAE gegen grampositive Erreger (vgl. Pharmakokinetik von Imi-
Sepsis, von intraabdominellen, gynäkologischen und urogenitalen penem).
Infektionen, Knochen- und Gelenkinfektionen, Haut- und Weichge- Die Elimination erfolgt renal in unveränderter Form oder durch
webeinfektionen. Meropenem ist bevorzugt einzusetzen bei P. aeru- Hydrolyse des β-Laktam-Rings zu antibiotisch inaktiven Metaboli-
ginosa-Infektionen, z. B. bei nosokomialer und Beatmungspneumo- ten. Bei Nierenfunktionsstörungen muss die Dosis wegen Kumula-
nie, bei Meningitis und zur empirischen Therapie fieberhafter, bak- tion reduziert werden. Ertapenem ist dialysierbar. Die Halbwertszeit
terieller Infektionen neutropenischer Patienten. beträgt ca. 4 h.

jKontraindikationen jResistenz
Die Kontraindikationen entsprechen denen von Imipenem. Die Resistenzmechanismen entsprechen denen von Imipenem. Es
besteht keine Resistenz durch Effluxpumpen aufgrund fehlender
jAnwendungen Substrate.
Meropenem wird wie Imipenem ausschließlich i. v. verabreicht. Da
es ebenfalls ein starker β-Laktamase-Induktor ist, sollte eine Kombi-
nation mit Breitspektrumpenicillinen und Cephalosporinen vermie- 97.3.1 Rolle als Therapeutikum
den werden (Antagonismus).
jIndikationen
jNebenwirkungen Ertapenem ist ebenfalls ein Reserveantibiotikum und soll nur ver-
Das Nebenwirkungsspektrum entspricht dem von Imipenem. wendet werden, wenn Alternativen nicht zur Verfügung stehen.
740 Kapitel 97 · β-Laktam-Antibiotika III: Carbapeneme

Indikationen sind die kalkulierte Initialtherapie von ambulant er- dikationen sind die kalkulierte Initialtherapie von Pneumonien ein-
worbenen Pneumonien, schweren intraabdominellen und gynäko- schließlich der Beatmungspneumonie, komplizierte intraabdomi-
logischen Infektionen sowie von Haut- und Weichgewebeinfektio- nelle und Harnweginfektionen. Doripenem ist ebenso wie Merope-
nen beim diabetischen Fuß. Ertapenem darf nicht zur Therapie von nem bevorzugt bei P. aeruginosa-Infektionen einzusetzen.
Infektionen durch P. aeruginosa und andere Nonfermenter sowie bei
Meningitis gegeben werden. jKontraindikationen
Doripenem ist wie alle anderen Carbapeneme kontraindiziert bei
jKontraindikationen
Chemotherapie

Allergie gegen Bestandteile des Arzneimittels oder gegen Carbape-


Die Kontraindikationen entsprechen denen von Imipenem. neme. Ebenfalls kann, muss aber keine Kreuzallergie zwischen
Doripenem und anderen β-Laktam-Antibiotika bestehen. Vor Gabe
jAnwendungen sollte deshalb bei bekannter Penicillinallergie eine Prüfung erfolgen.
Die Anwendungen entsprechen denen von Meropenem. Aufgrund fehlender Untersuchungen erfolgt keine Anwendung
bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren, auch nicht in der
jNebenwirkungen Schwangerschaft und in der Stillzeit.
Das Nebenwirkungsspektrum entspricht dem von Imipenem.
jAnwendungen
Die Anwendungen entsprechen denen von Meropenem.
97.4 Doripenem
jNebenwirkungen
jWirkungsmechanismus und Wirktyp Das Nebenwirkungsspektrum entspricht dem von Imipenem.
Doripenem gehört ebenfalls zu den Carbapenemen der β-Laktam-
Antibiotika und wirkt wie Imipenem bakterizid durch Hemmung
In Kürze
der Peptidoglykansynthese in der Bakterienzellwand. Unterschiede
Carbapeneme
in der sehr guten Bakterizidie liegen in der unterschiedlichen Affi-
Imipenem
nität zu PBP: Doripenem bindet stärker als Imipenem und Merope-
Resistenz Bildung von β-Laktamasen, veränderte Bindungs-
nem an die PBP-2 und -3 von P. aeruginosa, gleich stark wie Mero-
proteine (Porinverluste).
penem an die PBP von anderen gramnegativen Enterobakterien und
Indikationen Kalkulierte Initialtherapie schwerer Infektionen,
Nonfermentern, genauso gut wie Imipenem an die PBP von S. aure-
Reserveantibiotikum.
us und Enterococcus faecalis.
Kontraindikationen Allergie, bei Penicillinallergie Kreuzallergie
Wie bei den anderen Carbapenemen bewirken das Anheften
ausschließen! Weitere beachten.
einer Hydroxyethylseitenkette an den β-Laktam-Ring und zusätzli-
Besonderheiten Starker Induktor von β-Laktamasen, daher
che Verknüpfungen Stabilität gegen ein breites Spektrum von durch
Vorsicht bei Kombinationstherapien.
Enterobakterien produzierten β-Laktamasen, auch gegen ESBL und
AmpC.
Meropenem
Wie bei Meropenem wird durch die Methylgruppe an C1 eine
Resistenz Bildung von β-Laktamasen, Effluxpumpen.
ausreichende Stabilität gegen die renale Dehydropeptidase 1 er-
Indikationen Schwere, meist polymikrobielle oder gemischt
reicht. Der Zusatz von Cilastatin ist deshalb nicht notwendig.
aerob-anaerobe Infektionen, Infektionen mit P. aeruginosa,
Reserveantibiotikum.
jWirkungsspektrum
Kontraindikationen Allergie, bei Penicillinallergie Kreuzallergie
Das Wirkungsspektrum entspricht bei grampositiven Erregern wie
ausschließen! Weitere beachten.
S. aureus und Enterococcus faecalis dem von Imipenem, bei gram-
Besonderheiten Starker Induktor von β-Laktamasen, daher
negativen Erregern einschließlich P. aeruginosa dem von Merope-
Vorsicht bei Kombinationstherapien.
nem. Zur Therapie von ZNS-Infektionen ist Doripenem nicht zuge-
lassen.
Ertapenem
Resistenz Bildung von β-Laktamasen, veränderte Bindungs-
jPharmakokinetik
proteine (Porinverluste).
Die Pharmakokinetik entspricht der von Meropenem. Der PAE von
Indikationen Kalkulierte Therapie ambulant erworbener
Doripenem ist besonders wirksam gegen S. aureus- und P. aerugino-
Pneumonien, schwere intraabdominelle und gynäkologische
sa-Infektionen, dagegen nicht gegen Klebsiella-pneumoniae- und
Infektionen.
E. coli-Infektionen ausgeprägt.
Kontraindikationen Allergie, bei Penicillinallergie Kreuzallergie
ausschließen! Weitere beachten.
jResistenz
Die Resistenzmechanismen entsprechen denen von Imipenem. Es
Doripenem
besteht keine Resistenz durch Effluxpumpen aufgrund fehlender
Resistenz Bildung von β-Laktamasen, veränderte Bindungs-
Substrate.
proteine (Porinverluste).
Indikationen Kalkulierte Therapie schwerer Infektionen beson-
ders P. aeruginosa, Reserveantibiotikum.
97.4.1 Rolle als Therapeutikum Kontraindikationen Allergie, bei Penicillinallergie Kreuzallergie
ausschließen! Weitere beachten.
jIndikationen
Doripenem ist ebenfalls ein Reserveantibiotikum und soll nur ver-
wendet werden, wenn keine Alternativen zur Verfügungstehen. In-
741 98

Glykopeptidantibiotika
M. Höck

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_98, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Steckbrief vernetzung des Mureins führen. Daraus ergibt sich: Eine Kombina-
tionstherapie von Vancomycin oder Teicoplanin mit einem β-Lak-
Zu den Glykopeptidantibiotika gehören Vancomycin, 1955 erst- tam-Antibiotikum (Penicillin oder Cephalosporin) ist nicht sinn-
mals aus Streptomyces orientalis isoliert, und Teicoplanin, erst- voll.
mals 1982 aus Actinoplanes teichomyceticus gewonnen. Beide
Substanzen wirken bakterizid gegen fast alle aerob und einige jWirkungsspektrum
anaerob wachsende grampositive Bakterien, nicht aber gegen Vancomycin wirkt bakterizid gegen aerob wachsende grampositive
gramnegative. Als Reserveantibiotika können sie zur Behand- Erreger wie S. aureus einschließlich MRSA, auf oxacillinsensible und
lung schwerer Infektionen durch oxacillinresistente Staphylo- -resistente koagulasenegative Staphylokokken, β-hämolysierende
kokken und ampicillinresistente Enterokokken sowie oral verab- Streptokokken der serologischen Gruppen A und B sowie auf nicht-
reicht bei Enterokolitis durch toxinbildende C. difficile-Stämme hämolysierende Streptokokken, Enterokokken, Corynebacterium
eingesetzt werden. diphtheriae und jeikeium, Bacillus spp., Listerien sowie auf gram-
Neue Glykopeptidantibiotika, die klinisch geprüft wurden und positive Anaerobier wie Clostridium difficile und perfringens, Pep-
für die gezielte Indikationen als Mittel der letzten Wahl festge- tostreptokokken, Propioni- und Eubacterium. Die bakterizide Wirk-
legt wurden, gehören als Analoga von Vancomycin zu den semi- samkeit auf Clostridium difficile ist 10-mal schwächer als die von
synthetischen Lipoglykopeptiden Telavancin und Oritavancin, Teicoplanin. Synergistisch wirkt die Kombination von Vancomycin
als Analoga von Teicoplanin Dalbavancin und das neue Glykoli- mit Rifampicin auf S. aureus und S. epidermidis, mit Gentamicin auf
podepsipeptid-Antibiotikum Ramoplanin. Die Anwendung ist Enterokokken und Streptococcus viridans. Keine Wirkung auf
zurzeit noch sehr begrenzt. gramnegative Erreger!

jPharmakokinetik
Vancomycin hat wie alle Glykopeptidantibiotika eine große Moleku-
larmasse und wird oral nicht resorbiert. Diese Eigenschaft kann zur
Therapie der durch toxinbildende C. difficile bedingten pseudo-
membranösen Enterokolitis genutzt werden. Die Applikation muss
per os erfolgen.
Vancomycin hat eine gute Penetration in Pleura-, Perikard-,
Aszites- und Synovialflüssigkeit, in Herzmuskel und -klappen, da-
gegen eine variable Penetration in den Knochen und keine thera-
peutisch wirksame Konzentration ins Gehirn, die zum Ausschluss
der Indikation einer bakteriellen Meningitis führt. Zu 55 % wird
Vancomycin an Plasmaproteine gebunden. Die Halbwertszeit be-
trägt 4–6 h.
Die Elimination erfolgt bis zu 90 % renal durch glomeruläre Fil-
tration und bis zu 5 % biliär. Es besteht eine enge Korrelation zwi-
98.1 Vancomycin schen glomerulärer Filtrationsrate und Clearance von Vancomycin.
Bei Nierenfunktionsstörungen muss abhängig vom Serumspiegel
98.1.1 Beschreibung eine Dosisanpassung erfolgen. Verschiedene Dialyseverfahren ent-
fernen Vancomycin in unterschiedlichem Maße.
jWirkungsmechanismus und Wirktyp
Vancomycin gehört zu den Glykopeptidantibiotika und hemmt die jResistenz
zur Quervernetzung von Mureinvorstufen notwendige Transglyko- Eine natürliche, intrinsische Resistenz gegen Vancomycin liegt vor
sylierungsreaktion, sodass die Wirkung auf proliferierende Erreger bei Leuconostoc, Pediococcus, Lactobacillus und Gemella spp., be-
bakterizid ist. Vancomycin und Teicoplanin wirken in der Anfangs- dingt durch das Depsipeptid der Peptidoglykanseitenkette D-Ala-D-
phase der Zellwandsynthese durch Blockierung der Bausteine, die Lac im Gegensatz zu der bei den anderen grampositiven Erregern
für die Quervernetzung der Mureinzellwand notwendig sind. üblichen D-Ala-D-Ala-Struktur. Dadurch ist die Affinität von Van-
Dagegen wirken andere zellwandaktive Antibiotika wie Penicil- comycin und Teicoplanin um den Faktor 1000 reduziert.
line (7 Kap. 94) und Cephalosporine (7 Kap. 95) erst in einer späteren Ebenfalls intrinsisch ist die Glykopeptidresistenz (»low level«
Phase der Zellwandsynthese durch Blockierung von bakteriellen für Vancomycin und Teicoplanin) bei E. flavescens und E. gallina-
Peptidasen, den penicillinbindenden Proteinen (PBP), die zur Quer- rum durch die Endgruppe der Peptidseitenkette mit D-Ala-D-Ser.
742 Kapitel 98 · Glykopeptidantibiotika

Von den Ligasegenen her wird dieser Resistenzgenotyp der Entero- durch oxacillin- oder penicillin-/ampicillinresistente Erreger
kokken als VanC (C1 und C2) bezeichnet. (MRSA, oxacillinresistente koagulasenegative Staphylokokken, En-
Erworbene Resistenz gegenüber Vancomycin beruht auf: terococcus faecium etc.) verursacht werden oder wenn beim Patien-
4 Verminderter Empfindlichkeit oder Resistenz durch eine ten eine Penicillinallergie vorliegt. Indikationen sind Sepsis, Endo-
Überproduktion von Peptidoglykan, das nicht ausreichend karditis, Osteomyelitis, septische Arthritis, Pneumonie, Haut- und
quervernetzt ist und damit Glykopeptide bindet, bevor sie ihr Weichgewebeinfektionen, ggf. Diphtherie sowie die Prophylaxe der
eigentliches Target an der zytoplasmatischen Membran errei- Endokarditis. Die orale Gabe ist indiziert bei schwerer pseudomem-
Chemotherapie

chen. Ursache sind Mutationen in Genen, welche die Peptido- branöser Enterokolitis durch toxinbildende C. difficile-Stämme.
glykansynthese übergeordnet regulieren (z. B. in vraA). Dabei
kann eine Parallelresistenz gegen Daptomycin (7 Abschn. 106.7) jKontraindikationen
auftreten. Dieser Resistenzmechanismus liegt bei S. aureus mit Vancomycin darf nicht gegeben werden in der Schwangerschaft we-
»Low-level«-Glykopeptidresistenz vor (MHK für Vancomycin: gen unzureichender Erfahrung und auch nicht in der Stillzeit wegen
4–8 mg/l, früher als »glycopeptide intermediate S. aureus« oder Störungen der Darmflora beim Säugling. Bei Niereninsuffizienz
GISA bezeichnet) und kann auch zu »Low-level«-glykopeptid- muss eine Dosisreduzierung erfolgen. Bei akutem Nierenversagen
resistenten S. epidermidis und wahrscheinlich auch S. haemo- und bei Schwerhörigkeit darf Vancomycin nicht gegeben werden.
lyticus führen.
4 Veränderung der Zielstruktur aufgrund des Austauschs der jAnwendungen
D-Ala-D-Ala-Struktur durch D-Ala-D-Lac. Ursache ist der Vancomycin kann i. v. als Infusion oder oral verabreicht werden. Die
Erwerb von Resistenzgenen durch horizontalen Gentransfer. orale Applikation eignet sich zur Therapie der durch toxinbildende
Folge ist eine 1000-fache Reduktion der Bindungsaffinität. C. difficile verursachten Enterokolitis bei Erwachsenen. Die i. v.
Dieser Resistenzmechanismus ist durch Glykopeptide indu- Therapie ist ab dem Säuglingsalter zugelassen. Bei allen schweren
zierbar. Die Resistenzgene sind in einer Operonstruktur Infektionen muss eine i. v. Gabe zur Anwendung kommen. Bevor-
angeordnet, der ein Zwei-Komponenten-Regulationssystem zugt sollte bei Enterokokkeninfektionen eine Kombinationstherapie
vorgeschaltet ist. Beispiel vancomycinresistente Enterokokken mit Gentamicin gegeben werden, bei S. aureus- und S. epidermidis-
(VRE): Bei Enterococcus (E.) faecium, aber auch bei E. faecalis Infektionen mit Rifampicin.
etc. kann eine kombinierte Teicoplanin- und Vancomycin- Eine i. v. Injektion ist wegen der erhöhten Gefahr der Ototoxizi-
resistenz plasmidkodiert vorliegen. tät aufgrund der Konzentrationsspitze sowie wegen des Risikos eines
Blutdruckabfalls und Herzstillstands kontraindiziert. Auch die i. m.
Wir kennen bei Enterokokken bisher 6 Genotypen der erworbenen Verabreichung steht wegen starker Muskelschmerzen und Unter-
Resistenz: A, B, D, E, G und M. gang von Muskelzellen zu Nekrosen nicht zur Verfügung.
4 Am weitesten verbreitet, v. a. in Europa, ist der Genotyp VanA.
Er wurde erstmals 1988 beobachtet. Als eine der Ursachen jNebenwirkungen
für die weite Ausbreitung gilt die früher massenhafte Verab- Gelegentlich werden allergische Reaktionen bis hin zum anaphy-
reichung des Glykopeptids Avoparcin in der Tiermast. In laktischen Schock beobachtet. Bei zu rascher Infusion kann es zum
Deutschland wurde Avoparcin seit 1974 verfüttert. Seit 1996 »Red-neck-Syndrom« durch massive Ausschüttung von Mediatoren,
ist diese Anwendung verboten. zum Blutdruckabfall und Herzstillstand kommen.
4 VanB ist der zweithäufigste Resistenzgenotyp bei den Entero- Stark erhöhte Serumkonzentrationen von Vancomycin, bedingt
kokken und gekennzeichnet durch eine niedrigtitrige (»low durch Niereninsuffizienz, können zur Ototoxizität führen. Deshalb
level«) Vancomycinresistenz bei Fehlen der Teicoplanin- sind Serumspiegelkontrollen unter Therapie unabdingbar! Bei
resistenz. gleichzeitiger Gabe mit anderen ototoxischen Arzneimitteln kann es
4 Folgende Genotypen sind bisher sehr selten nachgewiesen zum Hörverlust, Tinnitus oder veränderter Vestibularisfunktion
worden: VanD, VanE und VanG vermitteln eine moderate Van- kommen. Bei Kombination mit Aminoglykosiden sind diese oto-
comycinresistenz (MHK 8–16 mg/l), aber keine Teicoplaninre- toxische und nephrotoxische Effekte sehr selten beobachtet worden.
sistenz; bei VanM liegt eine Hochresistenz gegen Vancomycin Auf vorübergehende Erhöhungen der Transaminasen oder des
und Teicoplanin vor. Kreatinins muss geachtet werden.

Zumindest für VanA und VanB ist gut untersucht, dass die Resis-
tenzgencluster Bestandteile von Transposons sind, die ihrerseits in 98.2 Teicoplanin
konjugative Plasmide integriert sind. Dadurch ist nicht nur eine
Übertragung zwischen verschiedenen Spezies des Genus Enterococ- 98.2.1 Beschreibung
cus möglich, sondern auch auf Strepto- und Staphylokokken.
Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen die bisher noch selten jWirkungsmechanismus und Wirktyp
beobachteten glykopeptidresistenten S. aureus (GRSA) bzw. vanco- Teicoplanin gehört zu den Glykopeptidantibiotika und hat den glei-
mycinresistenten S. aureus (VRSA). Ursache ist hier eine von VRE chen Wirkmechanismus wie Vancomycin.
übertragene VanA-Resistenz.
jWirkungsspektrum
Teicoplanin wirkt bakterizid gegen alle Bakterien, gegen die auch
98.1.2 Rolle als Therapeutikum Vancomycin wirkt (7 s. o.). Klinische Untersuchungen zur Anwen-
dung von Teicoplanin bei Diphtherie liegen jedoch nicht vor. Die
jIndikationen bakterizide Wirksamkeit auf Clostridium difficile ist 10-mal stärker
Vancomycin ist wie alle Glykopeptidantibiotika ein Reserveantibio- als die von Vancomycin. In Ausnahmefällen wirkt Teicoplanin nur
tikum und soll nur verwendet werden, wenn schwere Infektionen bakteriostatisch, z. B. bei einigen Stämmen von Enterokokken, Lis-
98.2 · Teicoplanin
743 98
teria monocytogenes und Staphylokokken. Wie Vancomycin wirkt hungen der Transaminasen oder des Kreatinins muss geachtet wer-
Teicoplanin synergistisch in Kombination mit Rifampicin auf S. au- den. Bei Kombination mit Aminoglykosiden sind keine ototoxischen
reus und S. epidermidis, mit Gentamicin auf Enterokokken und und nephrotoxischen Effekte beobachtet worden.
Streptococcus viridans. Keine Wirkung auf gramnegative Erreger!
In Kürze
jPharmakokinetik
Glykopeptidantibiotika
Teicoplanin hat wie alle Glykopeptidantibiotika eine große Moleku-
Vancomycin
larmasse und wird bei oraler Gabe nicht resorbiert. Diese Eigen-
Resistenz Veränderte Zielmoleküle, v. a. bei vancomycinresis-
schaft kann zur Therapie der durch toxinbildende C. difficile-Stäm-
tente Enterokokken (VRE), und geringere Empfindlichkeit durch
me bedingten pseudomembranösen Kolitis genutzt werden. Die
Überproduktion von Peptidoglykan.
Applikation muss per os erfolgen.
Indikationen Insbesondere Staphylokokkeninfektionen durch
Teicoplanin besitzt eine starke Lipophilie und eine über 90 %ige
methicillinresistente Erreger (z. B. bei MRSA).
Plasmaeiweißbindung. Die Halbwertszeit beträgt 3,6 h in den ersten
Kontraindikationen Akutes Nierenversagen und bestehende
12 h. Nach wiederholten i. v. Gaben ist sie auf das 2- bis 4-Fache
Innenohrschwerhörigkeit. Weitere beachten.
verlängert. Durch diese auf bis zu 15 h verlängerte Halbwertszeit ist
Teicoplanin auch für die ambulante Therapie von Endokarditis und
Teicoplanin
Osteomyelitis geeignet.
Resistenz Veränderte Zielmoleküle. Bei manchen VRE-Stämmen
Die Diffusion in Gewebe, Knochen und verschiedene Körper-
liegt auch Teicoplanin-Resistenz vor
flüssigkeiten ist gut. Dagegen schließt die schlechte Liquorgängigkeit
Indikationen Insbesondere Staphylokokkeninfektionen durch
trotz der lipophilen Eigenschaft die Therapie einer bakteriellen Me-
methicillinresistente Erreger (z. B. bei MRSA), ambulante Endo-
ningitis aus.
karditiden und Osteomyelitiden.
Die Elimination erfolgt renal durch glomeruläre Filtration. Tei-
Kontraindikationen Akutes Nierenversagen und bestehende
coplanin wird in unveränderter Form ausgeschieden. Bei Nieren-
Innenohrschwerhörigkeit. Keine Applikation in den Liquorraum.
funktionsstörungen muss eine Dosisanpassung abhängig vom Se-
Weitere beachten.
rumspiegel erfolgen. Teicoplanin ist nicht dialysierbar.

jResistenz
Wildtypische wie erworbene Resistenz durch Veränderung der Ziel-
struktur bei Teicoplanin ist identisch mit der bei Vancomycin. Den
Resistenztyp der verminderten Empfindlichkeit gegenüber Teico-
planin gibt es nicht.

98.2.2 Rolle als Therapeutikum


jIndikationen
Das Indikationsspektrum entspricht dem von Vancomycin. Zusätz-
lich ist Teicoplanin für die ambulante Therapie der Endokarditis und
Osteomyelitis geeignet.

jKontraindikationen
Die Kontraindikationen entsprechen denen von Vancomycin. Appli-
kation in den Liquorraum ist nicht möglich wegen der Gefahr des
Auslösens von Krampfanfällen.

jAnwendungen
Teicoplanin kann wie Vancomycin i. v. oder oral verabreicht werden.
Die orale Applikation eignet sich ebenfalls zur Therapie der durch
toxinbildende C. difficile-Stämme verursachten Enterokolitis bei
Erwachsenen. Die i. v. Therapie ist gewichtsbezogen ab der Geburt
zugelassen. Je nach Schwere der Erkrankung können bereits am
1. Tag eine 2. Dosis gegeben und an Folgetagen die Dosierung beibe-
halten oder halbiert werden. Bevorzugt sollte bei Teicoplanin wie bei
Vancomycin eine Kombinationstherapie mit Gentamicin bei Ente-
rokokkeninfektionen, mit Rifampicin bei S. aureus- und S. epider-
midis-Infektionen erfolgen.

jNebenwirkungen
Ernste Nebenwirkungen sind selten. Gelegentlich werden allergische
Reaktionen beobachtet. Bei gleichzeitiger Gabe mit anderen oto-
toxischen Arzneimitteln kann es zu Hörverlust, Tinnitus oder ver-
änderter Vestibularisfunktion kommen. Auf vorübergehende Erhö-
745 99

Aminoglykoside
M. Höck, M. Fille

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_99, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Steckbrief dis, Serratia, P. aeruginosa sowie hochgradig (»high level«) resistente


Entero- und Streptokokken kommen in zunehmender Häufigkeit
Aminoglykoside umfassen eine Gruppe von Antibiotika, bei vor.
denen Aminozucker mit Aminocyclitol glykosidisch verbunden
sind. Zu den in der heutigen Zeit verwendeten Aminoglyko- jPharmakokinetik
siden gehören Gentamicin, Tobramycin, Amikacin und Strepto- Die Substanzen werden parenteral (i. v.) verabreicht. Die maximalen
mycin. Sie wirken vorwiegend gegen aerob wachsende gram- Serumspiegel von Gentamicin und Tobramycin nach i.m. Applika-
negative Bakterien und werden bei schweren Infektionen auch tion werden nach 1 h erreicht. Der starke postantibiotische Effekt
bei grampositiven, aerob wachsenden Erregern durch die (PAE) unterdrückt das Wachstum der Bakterien viele Stunden nach
synergistische, bakterizide Wirkung bereits in der Ruhephase Kontakt. Deshalb wird heute die 1-mal tägliche Gabe von Amino-
der Bakterien in Kombination mit β-Laktam-Antibiotika ein- glykosiden praktiziert bei verminderter Nebenwirkungsrate.
gesetzt. Gentamicin und Tobramycin werden nur gering metabolisiert
und zu etwa 90 % in aktiver Form mit dem Harn ausgeschieden. Bei
Niereninsuffizienz muss in Abhängigkeit vom Serumspiegel eine
Dosisreduktion zum Schutz vor Nebenwirkungen erfolgen.
Eine Gewebegängigkeit der beiden Substanzen ist nicht vorhan-
den, da keine Lipidlöslichkeit vorliegt. Wegen der guten Wasserlös-
lichkeit ist eine intravasale Gabe möglich.
Ausreichende Liquorkonzentrationen werden nicht erreicht. Die
Resorption nach oraler und lokaler Gabe ist schlecht.

jResistenz
Gegen Aminoglykoside treten alle 4 Resistenzmechanismen auf, die
je nach Resistenztyp zur Kreuzresistenz führen können:
4 Reduzierte Aufnahme in die Bakterienzelle, gekennzeichnet
durch eine »Low-level«-Resistenz bei Anaerobiern und fakulta-
99.1 Gentamicin und Tobramycin tiv anaeroben Erregern.
4 Enzymatische Inaktivierung durch bisher über 50 bekannte,
99.1.1 Beschreibung aminoglykosidinaktivierende Enzyme wie Azetyl-, Adenyl-,
Nukleotidyl- und Phosphotransferasen. Häufig werden Genta-
jWirkungsmechanismus und Wirktyp micin und Tobramycin gleichermaßen enzymatisch gespalten,
Aminoglykoside werden nach elektrostatischer Bindung an die Bak- wogegen Amikacin stabil bleiben kann. Amikacin kann nur
terienzellwand aufgenommen, die zu Formationsänderungen und an einer Bindungsstelle von modifizierenden Enzymen inakti-
Löchern in der Zellwand führt. Die bakterizide Wirkung in der viert werden. Hochgradige (»High-level-«)Resistenz ist der
Vermehrungs- und Ruhephase beruht auf der Bindung an die häufigste Resistenzmechanismus bei grampositiven Erregern
30S-Untereinheit der bakteriellen Ribosomen und führen zu Fehl- wie Enterokokken. Dabei besteht eine Kreuzresistenz zu allen
ablesungen der mRNA. anderen Aminoglykosiden, nur nicht zu Streptomycin. Umge-
Die Kombination mit β-Laktam-Antibiotika bedingt einen Syn- kehrt führt eine meist durch spezielle Enzyme verursachte
ergismus: Die Störung der Zellwandsynthese durch das β-Laktam High-Level-Streptomycinresistenz nicht zu einer High-Level-
mit Entstehung von Poren erlaubt es dem Aminoglykosid, sein Ziel, Resistenz gegen andere Aminoglykoside. Streptomycinresis-
das Ribosom, besser zu erreichen. tenz bei gramnegativen Bakterien wird durch spezifische
Nukleotidyl- und Phosphotransferasen verursacht.
jWirkungsspektrum 4 Veränderung der ribosomalen Bindungsstelle.
Das Wirkungsspektrum von Gentamicin und Tobramycin umfasst 4 Efflux der Aminoglykoside durch aktiven Transport aus der
Enterobakterien, Pseudomonas aeruginosa, Staphylokokken, auch Bakterienzelle kann bei P. aeruginosa vorliegen, ist häufig aller-
Pasteurellen und Brucellen. Gegen Pseudomonas aeruginosa besitzt dings mit Enzymen gekoppelt, die eine »Low-level«-Resistenz
Tobramycin eine stärkere Aktivität als Gentamicin. Zwischen Gen- bewirken.
tamicin und Tobramycin besteht eine fast vollständige Kreuzresis-
tenz. Dagegen können gentamicin-/tobramycinresistente Stämme
gegen Amikacin sensibel sein. Resistente Stämme von S. epidermi-
746 Kapitel 99 · Aminoglykoside

99.1.2 Rolle als Therapeutikum 99.2 Amikacin


jIndikationen Steckbrief
Gentamicin und Tobramycin werden gezielt oder ungezielt bei
schweren Infektionen durch gramnegative Bakterien, z. B. Sepsis, Amikacin ist ein Kanamycinderivat, das von den meisten amino-
Peritonitis und Endokarditis, in Kombination mit z. B. einem Azyl- glykosidinaktivierenden Bakterienenzymen nicht angegriffen
aminopenicillin oder Cephalosporin verabreicht. Gentamicin wird wird.
Chemotherapie

auch bei durch Strepto- und Enterokokken bedingter Endokarditis


als Kombinationsantibiotikum verabreicht, vorausgesetzt, es liegt
keine hochgradige (»High-level«-)Resistenz vor.
Bei der Endokarditis wird trotz des ausgeprägten postantibioti-
schen Effekts eine 3-malige Gabe bevorzugt, weil mit keiner immu-
nologischen Abwehrfunktion an der Rückseite der Herzklappe zu
rechnen ist und deshalb eine gleichmäßige, aber niedrigtitrige
Serumkonzentration eine bakterizide Wirkung an der Herzklappe
entfalten soll. Gentamicin wird lokal zur Behandlung von Augen-
infektionen eingesetzt.

jKontraindikationen
Aminoglykoside dürfen nicht eingesetzt werden in der Schwanger-
schaft, bei terminaler Niereninsuffizienz und Vorschädigungen von
Vestibularorgan oder Kochlea. Ebenso ist die gleichzeitige Gabe ne-
phrotoxischer Substanzen (z. B. Cisplatin) oder schnell wirkender
Diuretika wie Furosemid kontraindiziert.

jAnwendungen
Gentamicin und Tobramycin werden i. v. verabreicht. Für Spezialin- 99.2.1 Beschreibung
dikationen kann Gentamicin auch lokal verabreicht werden: Augen-
infektionen, unterstützend bei Knochen- und Weichgewebeinfek- jWirkungsmechanismus und Wirktyp
tionen mit gentamicinhaltigen Kugelketten oder Knochenzement. Der Wirkungsmechanismus von Amikacin entspricht dem von Gen-
Eine alleinige topische Applikation reicht bei invasiven, schweren tamicin.
Infektionen nicht aus.
Da Aminoglykoside bei Mischinfusionen durch Penicilline und jWirkungsspektrum
Cephalosporine inaktiviert werden, müssen die Antibiotika immer Der Wirkungsmechanismus von Amikacin entspricht dem von Gen-
getrennt per infusionem zugeführt werden. tamicin. Zusätzlich ist eine Vielzahl gentamicinresistenter Bakterien
gegenüber Amikacin sensibel.
jNebenwirkungen
Gentamicin und Tobramycin haben eine geringe therapeutische jPharmakokinetik
Breite und müssen daher vorsichtig dosiert werden. Die Pharmakokinetik von Amikacin entspricht der von Gentamicin.
Als Nebenwirkungen können bei höherer Dosierung und länge- Die Halbwertszeit nach i. m. Applikation beträgt aber ≥ 2 h.
rer Therapie, v. a. bei eingeschränkter Nierenfunktion (Akkumula-
tion!), eine Vestibularis- und eine Akustikusschädigung auftreten. jResistenz
Eine Nephrotoxizität wird bei sachgemäß durchgeführter Therapie Die Resistenzmechanismen von Amikacin entsprechen denen von
selten beobachtet, dennoch sollte alle 2–4 Tage die Kreatininkonzen- Gentamicin.
tration im Serum kontrolliert werden.
Bei schneller i. v. Infusion kann eine neuromuskuläre Blockade
mit Atemstillstand entstehen, insbesondere bei gleichzeitiger Medi- 99.2.2 Rolle als Therapeutikum
kation mit Anästhetika, Muskelrelaxanzien oder Zitratbluttrans-
fusionen (Antidot: Kalziumglukonat). Selten werden Allergien jIndikationen
beobachtet. Indikationen zur Gabe von Amikacin entsprechen denen von Gen-
tamicin. Jedoch kommt Amikacin bei gegen Gentamicin resistenten
Bakterien, insbesondere bei Proteus-Arten, Serratia marcescens und
P. aeruginosa vorrangig zum Einsatz. Bei Patienten mit hochgradiger
Immunsuppression und entsprechender Diagnose kann Amikacin
anstelle von Gentamicin bereits kalkuliert gegeben werden. Eine
weitere Indikation ist die Therapie von Mycobacterium avium-intra-
cellulare-Infektionen bei Patienten mit AIDS.

jKontraindikationen
Die Kontraindikationen entsprechen denen von Gentamicin.
99.3 · Streptomycin
747 99
jAnwendungen
Die Anwendungen entsprechen denen von Gentamicin. In Kürze
Aminoglykoside
jNebenwirkungen Gentamycin und Tobramycin
Die Nebenwirkungen entsprechen denen von Gentamicin. Resistenz Vorrangig durch Inaktivierung durch Phosphorylie-
rung, Adenylierung oder Azetylierung.
Indikationen In Kombination mit anderen Antibiotika bei
99.3 Streptomycin gramnegativer Sepsis und Endokarditis.
Kontraindikationen Schwangerschaft, gleichzeitige Gabe
nephrotoxischer Substanzen.
Steckbrief

1943 war Streptomycin das erste Aminoglykosid, das entdeckt Amikacin


wurde. Es wird von Streptomyces griseus produziert und ist Resistenz Inaktivierung durch Phosphorylierung, Adenylierung
heute noch immer ein Mittel der First-Line-Therapie zur Behand- oder Azetylierung.
lung der Tuberkulose; zusätzlich ist es einsetzbar bei Brucellose, Indikationen In Kombination mit anderen Antibiotika bei
Pest und Tularämie. gramnegativer Sepsis und Endokarditis.
Kontraindikationen Schwangerschaft, gleichzeitige Gabe
nephrotoxischer Substanzen.

99.3.1 Beschreibung Streptomycin


Resistenz Inaktivierung durch Phosphorylierung, Adenylierung
jWirkungsmechanismus und Wirktyp oder Azetylierung.
Der Wirkungsmechanismus von Streptomycin entspricht dem von Indikationen Kombinationspräparat bei Tuberkulosetherapie,
Gentamicin. Brucellose, Pest, Tularämie.
Kontraindikationen Schwangerschaft, gleichzeitige Gabe
jWirkungsspektrum nephrotoxischer Substanzen.
Der Wirkungsmechanismus von Streptomycin entspricht dem von
Gentamicin. Zusätzlich ist eine Vielzahl gentamicinresistenter Bak-
terien gegenüber Streptomycin sensibel.

jPharmakokinetik
Die Pharmakokinetik von Streptomycin entspricht der von Genta-
micin. Die Halbwertszeit beträgt aber ≥ 2 h. Die Ausscheidung er-
folgt zu 60 % renal und zu 2 % biliär.

jResistenz
Die Resistenzmechanismen von Streptomycin entsprechen denen
von Gentamicin. Eine Resistenzentwicklung unter Streptomycin-
therapie wird bei Tuberkulose innerhalb weniger Tage beobachtet,
sodass immer eine Mehrfachkombinationstherapie zum Einsatz
kommen muss.

99.3.2 Rolle als Therapeutikum


jIndikationen
Indikationen zur Gabe von Streptomycin ist die First-Line-Therapie
der Tuberkulose, weiterhin Erkrankungen durch Brucella melitensis,
Yersinia pestis und Francisella tularensis. Weitere Indikationen ent-
sprechen denen von Gentamicin. Jedoch sollte Streptomycin nur bei
Bakterien mit Resistenz gegen Gentamicin und Amikacin zum Ein-
satz kommen.

jKontraindikationen, Anwendungen, Nebenwirkungen


Sie entsprechen denen von Gentamicin.
749 100

Tetracycline (Doxycyclin)
und Glycylcycline
M. Höck, S. Ziesing

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_100, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Steckbrief Brucellen, Burkholderia pseudomallei, Coxiella burneti, Ehrlichien,


Francisella tularensis, Listeria monocytogenes, Pasteurellen, Rickett-
Tetracycline und Glycylcycline bestehen aus einem komplexen sien, Vibrionen, Yersinien sowie Aktinomyzeten, Spirochäten wie
polyzyklischen Hydronaphthacen-Ringsystem und wirken bak- Borrelien, Leptospiren und Treponemen etc. Auch gegen Plasmo-
teriostatisch durch Hemmung der Proteinsynthese. Heute weiter- dium falciparum kann Doxycyclin in Kombination zur Anwendung
hin verwendete Antibiotika mit breitem Spektrum sind Doxy- kommen.
cyclin, selten Minocyclin aus der Gruppe der Tetracycline und Tetracycline wirken nicht gegen P. aeruginosa, Proteus-Arten
Tigecyclin als erster Vertreter der Glycylcycline. Doxycyclin und S. marcescens. Enterobakterien, Staphylo-, Strepto- und Entero-
kommt v. a. bei Infektionen durch intrazelluläre Erreger zum kokken zeigen zu einem hohen Prozentsatz eine erworbene Resis-
Einsatz, Tigecyclin eher bei Infektionen mit multiresistenten Er- tenz. Deshalb ist hier nur nach mikrobiologisch bestätigter Emp-
regern wie MRSA, VRE und Enterobakterien mit erweiterter findlichkeit eine Therapie indiziert.
β-Laktamase-Bildung.
Chlortetracyclin, ein Tetracyclinderivat, wurde erstmals 1940 von jPharmakokinetik
Lloyd Conover aus Streptomyces aureofaciens isoliert; es war das Doxycyclin wird nach oraler Gabe gut resorbiert und kann auch i. v.
erste Breitspektrumantibiotikum. Alle Tetracycline haben eine appliziert werden (cave: gleichzeitige Einnahme von Milch und
antiinflammatorische und immunsuppressive Wirkung, die früher Milchprodukten sowie anderen Nahrungsmitteln). Die Halbwerts-
zur Therapie des Rheuma genutzt wurde. Durch die zusätzliche zeit beträgt 15 h.
Wirkung von Tetracyclinen gegen Lipasen und Kollagenasen Durch die Lipophilie hat Doxycyclin eine sehr gute Gewebegän-
wurden diese Antibiotika in den Anfängen auch zur intrapleura- gigkeit und penetriert in verschiedene Körperflüssigkeiten ein-
len Behandlung maligner Ergüsse eingesetzt. schließlich Galle, Gewebe, auch Plazenta, Sekrete wie Kammerwas-
ser und Muttermilch, Knochen, Zähne sowie in sehr geringem Maße
auch in den Liquor cerebrospinalis ohne Inflammation oder Blut-
Hirn-Schranken-Störung. Auch intrazellulär werden therapeutisch
wirksame Konzentrationen erreicht.
Doxycyclin wird durch glomeruläre Filtration nach i. v. Gabe zu
70 %, nach oraler Gabe zu 40 % mit dem Harn ausgeschieden. Ein
geringer Teil wird über die Galle ausgeschieden und z. T. im Darm
rückresorbiert (enterohepatischer Kreislauf).

jResistenz
Es bestehen 3 Resistenzmechanismen:
100.1 Doxycyclin 4 Durch Induktion von Effluxpumpen wird die Substanz Doxy-
cyclin aus der Bakterienzelle transportiert.
100.1.1 Beschreibung 4 Ribosomale Schutzproteine (»ribosome protecting proteins«)
lösen Doxycyclin aktiv vom Ribosom, dem Zielort, ab.
jWirkungsmechanismus und Wirktyp 4 Durch Mutation des Wirkorts, der 16S-rRNA, kann Doxy-
Doxycyclin hemmt die Proteinbiosynthese durch Bindung an die cyclin nicht an das Ribosom binden.
ribosomale 30S-Untereinheit und verhindert damit die Anlagerung
der tRNA an das Ribosom. Die Elongation der Peptidkette wird da-
mit verhindert. Die Hemmung der Proteinsynthese ist reversibel. Es 100.1.2 Rolle als Therapeutikum
resultiert eine bakteriostatische Wirkung.
jIndikationen von Doxycyclin
jWirkungsspektrum Doxycyclin ist das Mittel der Wahl zur Behandlung intrazellulärer
Das Wirkungsspektrum umfasst grampositive und -negative Bakte- Chlamydieninfektionen:
rien sowie intrazelluläre Infektionserreger. 4 Chlamydophila pneumoniae-Pneumonie
Doxycyclin ist sehr gut wirksam gegen Chlamydien, Myko- 4 Psittakose
plasmen, Ureaplasmen, Moraxellen, H. influenzae, Bartonellen, 4 nichtgonorrhoische Urethritis
750 Kapitel 100 · Tetracycline (Doxycyclin) und Glycylcycline

4 Lymphogranuloma venereum 100.2 Glycylcycline (Tigecyclin)


4 Trachom
100.2.1 Beschreibung
Des Weiteren wird es zur Behandlung zahlreicher Anthropozoono-
sen eingesetzt: jWirkungsmechanismus und Wirktyp
4 Borreliose (außer Neuroborreliose) Tigecyclin ist der erste Vertreter der Glycylcyclin-Breitspektruman-
4 Brucellose tibiotika. Der Wirkmechanismus entspricht dem der Tetracycline.
4 Leptospirose
Chemotherapie

Allerdings ist die Bindungsaffinität von Tigecyclin an das Ribosom


4 Q-Fieber 5-mal stärker als die von Tetracyclinen.
4 Rickettsiosen (z. B. Fleckfieber)
4 Tularämie jWirkungsspektrum
Das Wirkungsspektrum umfasst zahlreiche aerobe und anaerobe
Zugelassen ist Doxycyclin für die kalkulierte Therapie der akuten grampositive und -negative sowie intrazelluläre Erreger. So ist Tige-
Exazerbation einer chronischen Bronchitis und anderer Infektionen cyclin auch wirksam gegen MRSA, VRE, ESBL- oder AmpC-bilden-
im Bereich HNO, des Urogenitalsystems und der Haut sowie zur de Enterobakterien und multiresistente Acinetobacter-Stämme, int-
zielgerichteten Therapie von Cholera und Pest. razelluläre Bakterien wie Legionellen, Chlamydien, Mykoplasmen,
Eine Spezialindikation ist die Malaria tropica durch chloroquin- Rickettsien sowie gegen Anaerobier. Tigecyclin wirkt nicht oder nur
resistente Plasmodien; hier wird es mit Chinin kombiniert gegeben unvollständig gegen P. aeruginosa, Proteus spp., Providencia spp.,
(7 Abschn. 109.1). Morganella morganii und Burkholderia cepacia.

jIndikation von Minocyclin jPharmakokinetik


Minocyclin ist stark lipophil und wirkt deshalb besser als Doxycyclin Tigecyclin ist gut gewebegängig und wird nach i. v. Infusion gut im
bei Acne vulgaris und beim Schwimmbadgranulom, verursacht Körper verteilt. In vielen Geweben, Körperflüssigkeiten und Zellen
durch Mycobacterium marinum. werden höhere Konzentrationen als im Serum erzielt, z. B. in der
Gallenblase das 38-Fache und in polymorphkernigen Neutrophilen
jKontraindikationen das 20-Fache der Serumkonzentration.
Tetracycline dürfen nicht in der Schwangerschaft, von Kindern unter Hauptsächlicher Eliminationsweg ist die Exkretion von unverän-
8 Jahren (Gelbfärbung der Zähne) sowie bei Myasthenia gravis ein- dertem Tigecyclin über Galle und Stuhl, ein sekundärer Elimina-
genommen werden. tionsweg die unveränderte renale Ausscheidung. In der Leber wird
Tigecyclin in geringem Maße metabolisiert. Deshalb ist bei schwerer
jAnwendungen Leberfunktionsstörung eine Dosisreduktion angezeigt; nicht dagegen
Doxycyclin wird meist oral, selten i. v. verabreicht. Die Therapie- bei Nierenfunktionsstörungen. Die Halbwertszeit beträgt 42 h.
dauer kann unter Umständen lebenslang sein.
jResistenz
jNebenwirkungen Eine Resistenz ist durch Mutation des Zielortes, der 16S-rRNA, oder
Doxycyclin ist gut verträglich. Über Magen-Darm-Störungen im selten durch eine »Multi-drug-resistance«-(MDR-)Effluxpumpe
Sinne von Übelkeit wird bei Einnahme im nüchternem Zustand, möglich. Resistenzmechanismen gegen Tetracycline, wie die häufi-
über Schleimhautulzerationen im Ösophagus nach Einnahme von geren anderen Effluxpumpen oder »ribosome protecting proteins«
Doxycyclin in Kapselform berichtet. Selten entwickelt sich eine beeinträchtigen die Aktivität von Tigecyclin vermutlich nicht. Dar-
pseudomembranöse Enterokolitis durch Selektion toxinbildender aus resultiert die Empfindlichkeit von MRSA, VRE, ESBL- oder
C. difficile-Stämme. AmpC-bildenden Enterobakterien und multiresistenten Acineto-
Fotodermatosen können sich an belichteten Körperstellen ent- bacter.
wickeln. Deshalb soll während der Einnahme starke Sonnenbestrah-
lung vermieden werden. Selten wird eine Tetracyclinallergie, eine
Kreuzallergie gegen alle Derivate dieser Antibiotikaklasse, beobach- 100.2.2 Rolle als Therapeutikum
tet.
Es bestehen viele Interaktionen zu anderen Arzneimitteln. So jIndikationen
kann es durch beschleunigten, enzyminduzierten Abbau in der Tigecyclin ist zugelassen für die Therapie komplizierter Haut- und
Leber bei Barbituraten, Carbamazepine etc. zur verminderten Wir- Weichgewebeinfektionen sowie komplizierter intraabdomineller In-
kung kommen. Dagegen kann die Wirkung bei gleichzeitiger Anti- fektionen. Hier handelt es sich meist um Infektionen durch mehrere
koagulanzien- oder Sulfonylharnstofftherapie beim Diabetes melli- Erreger. Treten bei den genannten Indikationen Infektionen durch
tus verstärkt werden. Auch erfolgt bei gleichzeitiger Gabe eine die o. g. multiresistenten Erreger (MRSA, VRE, ESBL- oder AmpC-
Erhöhung der toxischen Wirkung von Ciclosporin A. Orale Kontra- bildende Enterobakterien und multiresistente Acinetobacter) auf, so
zeptiva können bei gleichzeitiger Tetracyclineinnahme unwirksam wird gezielt therapiert. Bei resistenten Acinetobacter-Stämmen so-
sein. wie gegen Carbapenem resistenten und ESBL-Stämmen von Kleb-
siella spp. wurde unter der Therapie eine rasche Resistenzentwick-
lung beobachtet. Bei schweren Infektionen bis hin zur Sepsis wird
die Kombination mit anderen geeigneten Antibiotika empfohlen.

jKontraindikationen
Tigecyclin und Doxycyclin dürfen nicht in der Schwangerschaft, bei
Kindern unter 8 Jahren (Gelbfärbung der Zähne) sowie bei Myasthe-
100.2 · Glycylcycline (Tigecyclin)
751 100
nia gravis eingenommen werden. Wegen fehlender Untersuchungen
darf Tigecyclin nicht bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahre
zur Anwendung kommen.

jAnwendung
Tigecyclin wird i. v. als 30- bis 60-minütige Infusion verabreicht.
Eine orale Applikationsform steht nicht zur Verfügung.

jNebenwirkung
Tigecyclin ist gut verträglich. Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen,
Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, auf der Haut Pruritus und
Ausschlag, veränderte Gerinnungsparameter wie verlängerte
Thromboplastin- und Prothrombinzeit etc. wurden beobachtet.

In Kürze
Tetracycline
Doxycyclin
Resistenz Effluxpumpen, ribosomale Schutzmechanismen und
Mutation des Wirkorts.
Indikationen Chlamydieninfektionen, zahlreiche Anthropozoo-
nosen wie Borreliose.
Kontraindikationen Schwangerschaft, Kinder < 8 Jahren,
Myasthenia gravis.

Glycylcycline (Tigecyclin)
Resistenz Mutation des Zielorts und selten MDR-Effluxpumen.
Indikationen Komplizierte Haut- und Weichgewebeinfektionen
sowie intraabdominelle Infektionen.
Kontraindikationen Schwangerschaft, Kinder und Jugendliche
< 18 Jahren, Myasthenie gravis
753 101

Lincosamide (Clindamycin)
M. Fille, S. Ziesing

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_101, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Clindamycin ist ein Lincosamidantibiotikum. Es wirkt bakteriostatisch 101.2 Rolle als Therapeutikum
auf grampositive aerobe und obligat anaerob wachsende Bakterien.
jIndikationen
Anaerobierinfektionen und schwere Staphylokokkeninfektionen
Steckbrief bei Patienten mit Penicillinallergie stellen die häufigsten Indikatio-
nen dar. Kombinationen mit β-Laktam-Antibiotika erweitern das
Clindamycin ist ein Lincosamidantibiotikum. Es wirkt bakterio-
Spektrum bei komplizierten, polymikrobiellen Infektionen.
statisch auf grampositive aerobe und obligat anaerob wachsen-
Eine weitere Indikation stellt die Verwendung bei lebensbedroh-
de Bakterien.
lichen Infektionen mit grampositiven, toxin- oder superantigenpro-
duzierenden Erregern dar, bei denen der Wirkungsmechanismus als
Proteinbiosynthese-Inhibitor zur Suppression der Toxinproduktion
genutzt wird.
Infektionen mit ambulant erworbenen (»community-acquired«)
MRSA-Stämmen können meist mit Clindamycin therapiert werden.

jKontraindikationen
In Schwangerschaft und Stillperiode soll Clindamycin nicht gegeben
werden; da die i. v. Präparation verhältnismäßig viel Benzylalkohol
enthält, verbietet sich auch der Gebrauch im 1. Lebensmonat wegen
möglicher schwerer Atemstörungen und Angioödemen.
101.1 Beschreibung
jAnwendungen
jWirkungsmechanismus und Wirktyp Clindamycin kann sowohl oral als auch parenteral verabreicht
Clindamycin hemmt die Proteinbiosynthese in der Bakterienzelle. werden.

jWirkungsspektrum jNebenwirkungen
Clindamycin wirkt gut gegen Staphylokokken und Anaerobier, auch Eine gefährliche Nebenwirkung ist die bei Erwachsenen häufiger als
gegen Pneumokokken, Streptokokken und Diphtheriebakterien. bei Kindern auftretende antibiotikaassoziierte Kolitis, in ihrer
Anaerobe Bakterien wie Bacteroides-, Fusobacterium- und Actino- schwersten Form die pseudomembranöse Enterokolitis, die durch
myces-Arten, Peptostrepto- und Peptokokken, außerdem Propioni- Überwuchern clindamycinresistenter; toxinbildender C. difficile-
bakterien und die meisten C. perfringens-Stämme werden erfasst. Es Stämme ausgelöst werden kann. Allergische Reaktionen sind selten.
wirkt auch gegen Pneumocystis, Plasmodien und Toxoplasmen. Nach i. v. Gabe können Ikterus oder Leberfunktionsstörung auf-
Resistent sind C. difficile, ebenso Enterokokken, Mykoplasmen treten.
und sämtliche aeroben gramnegativen Stäbchenbakterien.
In Kürze
jPharmakokinetik
Lincosamide (Clindamycin)
Clindamycin wird nach oraler Gabe gut resorbiert und kann auch
Resistenz Veränderte Bindungsstellen am Ribosom.
i. v. appliziert werden. Die Halbwertszeit beträgt ca. 3 h. Es hat eine
Indikationen Anaerobierinfektionen, schwere Staphylokokken-
gute Gewebegängigkeit und penetriert das Knochengewebe. Clin-
infektionen bei Penicillinallergie, Toxoplasmose, Pneumocystis-
damycin wird in der Leber metabolisiert und nur zu 30 % in aktiver
Pneumonie
Form mit dem Harn ausgeschieden.
Kontraindikationen Schwangerschaft und Stillperiode, Neuge-
borene.
jResistenz
Die Resistenz entsteht durch Veränderungen der Bindungsstellen
am Ribosom.
755 102

Makrolide
M. Höck

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_102, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Makrolide sind zyklisch aufgebaute Antibiotika mit einem Laktonring. jWirkungsspektrum


Aufgrund der Derivate des Laktonrings oder einer Ketogruppe werden Erythromycin wirkt gegen die meisten aerob und anaerob wach-
Makrolide unterteilt in Azalide, zu denen Erythromycin und Azithro- senden grampositiven Bakterien (Strepto-, Staphylokokken,
mycin gehören, und Ketolide mit Clarithromycin. Diphtheriebakterien, Bacillus anthracis, Clostridien, Peptokokken,
Alle Makrolide haben eine gute extra- und intrazelluläre Wirksamkeit Propionibacterium acnes u. a.), auf intrazelluläre Bakterien wie
v. a. auf aerob und anaerob wachsende grampositive und intrazelluläre Legionellen, Mycoplasma pneumoniae, Ureaplasma urealyticum,
Bakterien und auf Spirochäten. Die Wirkung ist bakteriostatisch. Chlamydophila pneumoniae und Listeria monocytogenes, auf
Die Penetration ins Gewebe, v. a. Lungengewebe, sowie in Zellen wie Spirochäten wie Treponema pallidum und Borrelia burgdorferi so-
Makrophagen und Granulozyten ist sehr gut. Klinische Indikationen wie gegen Bordetella pertussis, Campylobacter jejuni, Helicobacter
sind Infektionen des oberen und tiefen Respirationstrakts, A-Strepto- pylori etc.
kokken-Infektionen, Pertussis, Haut- und Weichgewebeinfektionen Resistent sind Brucellen, Chlamydia psittaci, Mycoplasma homi-
sowie Infektionen durch Spirochäten. nis, Mykobakterien, Anaerobier wie Bacteroides fragilis, Entero-
bakterien, Pseudomonaden sowie einige MRSA-Epidemiestämme
und teilweise auch Staphylococcus aureus, Enterokokken und Neis-
102.1 Erythromycin serien.

Steckbrief jPharmakokinetik
Erythromycin, seine Salze und Esterverbindungen werden nach
Erythromycin ist die Leitsubstanz der Makrolidgruppe und oraler Applikation aus dem Magen-Darm-Trakt nur unvollständig
wurde nach seiner Entdeckung im Jahr 1952 in die Therapie ein- resorbiert, da die Magensäure in unterschiedlichem Ausmaß zer-
geführt. Durch Probleme der Resorption nach oraler Applikation störend wirkt. Auch ist die Resorption abhängig vom Füllungs-
sowie aufgrund der Nebenwirkungen sollten andere Makrolide zustand des Magen-Darm-Trakts und von den Derivaten wie Base,
wie Clarithromycin oder Azithromycin vorrangig eingesetzt Ester, Salz. Die Resorption selbst erfolgt überwiegend im Duo-
werden. denum.
Wird Erythromycin resorbiert, zeichnet es sich durch eine gute
Gewebegängigkeit in Lunge, Leber, Pankreas, Pleura-, Peritoneal-
und Synovialflüssigkeit, Prostatasekret und -gewebe sowie nahezu
alle Körpergewebe mit Ausnahme des Gehirns und des Liquor cere-
brospinalis aus. Erythromycin reichert sich intrazellulär in Erythro-
zyten, Makrophagen und Leukozyten an.
Erythromycin passiert die Plazenta, wird in der Leber ange-
reichert und über die Galle ausgeschieden. Seine Halbwertszeit be-
trägt 1–2 h. Bei Niereninsuffizienz ist keine Dosisreduzierung not-
wendig.

jResistenz
Bekannt sind 3 Resistenzmechanismen:
1. Durch Mutation und Modifikation der Zielstruktur: Durch
102.1.1 Beschreibung Methylierung der 23S-rRNA der ribosomalen 50S-Unterein-
heit vermögen Antibiotika wie Erythromycin und alle anderen
jWirkungsmechanismus und Wirktyp Makrolide (M) sowie Lincosamine (L) nicht mehr an die Ziel-
Makrolide sind zyklisch aufgebaut und haben einen Laktonring struktur in der Bakterienzelle zu binden.
als Grundstruktur. Sie werden in Azalide und Ketolide unterteilt. 2. Efflux von ausschließlich 14- und 15-gliedrigen Makroliden
Erythromycin gehört mit dem 14-gliedrigen Laktonring zu den durch Erhöhung der Anzahl von Effluxpumpen (sog. M-Phäno-
Azaliden. Alle Makrolide wirken durch Bindung an die ribosomale typ), d. h. vollständige Kreuzresistenz von Erythromycin,
50S-Untereinheit von Bakterien und hemmen durch Inhibition der Clarithromycin und Azithromycin.
Peptidyltransferase die bakterielle Proteinsynthese. In therapeuti- 3. Enzymatische Inaktivierung durch plasmidkodierte Esterasen
schen Konzentrationen ist die Wirkung bakteriostatisch, bei sehr von Staphylo- und Streptokokken.
hohen Konzentrationen oder gesteigertem pH-Wert auch bakte-
rizid.
756 Kapitel 102 · Makrolide

102.1.2 Rolle als Therapeutikum jPharmakokinetik


Azithromycin zeigt nach oraler oder i. v. Applikation und sehr guter
jIndikationen Diffusion eine nahezu 100-fache Konzentration und Anreicherung
Erythromycin ist klinisch wirksam bei: im Gewebe, z. B. Lungen-, Tonsillen- und Prostatagewebe, in Kör-
4 Infektionen des oberen Respirationstrakts, z. B. Sinusitis, Otitis perflüssigkeiten (Knochen, Ejakulat, Prostata, Ovarien, Uterus,
media, Tonsillitis und Pharyngitis Tuben, Magen, Leber und Gallenblase) und intrazellulär in Phago-
4 ambulant erworbener Pneumonie, verursacht durch Pneumo-, zyten. Dagegen diffundiert Azithromycin schlecht in den Liquor
Chemotherapie

Strepto- und Staphylokokken sowie H. influenzae cerebrospinalis.


4 interstitieller Pneumonie durch Legionellen, Mycoplasma Nach i. v. Applikation von Azithromycin wird der größte Teil
pneumoniae, Chlamydophila pneumoniae über die Niere ausgeschieden. Nach oraler Gabe ist die biliäre Elimi-
4 Infektionen durch β-hämolysierende A-Streptokokken, nation der Hauptausscheidungsweg von unverändertem Azithro-
z. B. Angina tonsillaris, Scharlach, Erysipel, Impetigo, Zellulitis mycin und mikrobiologisch inaktiven Metaboliten. Die terminale
4 Pertussis Plasmahalbwertszeit, gemessen an der Gewebehalbwertszeit, beträgt
4 Haut- und Weichgewebeinfektionen wie Acne vulgaris, Folliku- 2–4 Tage.
litis oder Furunkel, verursacht durch Propionibacterium acnes
4 Borreliose im Stadium 1 mit 3 Wochen Therapiedauer jResistenz
4 Trachom Resistenzmechanismen 1 und 2 von Erythromycin (7 Abschn.
4 nichtgonorrhoischer Urethritis durch Chlamydia trachomatis 102.1.1) sind auch gegen Azithromycin aktiv, nicht dagegen der
oder Ureaplasma urealyticum 3. Resistenztyp (enzymatischer Abbau), da Azithromycin chemisch
4 Syphilis (Lues) im primären Stadium bei Penicillinallergie nicht als Ester vorliegt.

jKontraindikationen
Kontraindikation bei schwerer Leberinsuffizienz besteht wegen des 102.2.2 Rolle als Therapeutikum
Lebermetabolismus von Erythromycin. Keine Anwendung in der
Schwangerschaft und Stillzeit wegen ungenügender Untersuchun- jIndikationen
gen. Cave bei Säuglingen: Es gibt Hinweise auf ein mögliches Risiko Die Indikationen entsprechen weitgehend denen von Erythromycin,
für die Ausbildung einer Pylorusstenose! jedoch besteht keine Zulassung bei Syphilis. Dagegen kann Azithro-
mycin zur Prophylaxe von Mycobacterium avium-Infektionen bei
jAnwendungen AIDS-Patienten gegeben werden. Die Therapiedauer der Borreliose
Erythromycin kann oral oder als Kurzinfusion parenteral verab- im Stadium 1 beträgt nur 1 Woche.
reicht werden.
jKontraindikationen
jNebenwirkungen Obwohl keine Interaktion mit dem hepatischen Cytochrom P 450
Bei allen Makroliden wurden gastrointestinale Nebenwirkungen wie besteht, darf Azithromycin bei Leberinsuffizienz nicht gegeben wer-
Leibschmerzen, Übelkeit oder dünne Stühle bei höherer Dosierung den. Wie Erythromycin keine Anwendung in der Schwangerschaft
beobachtet. Erythromycin interagiert mit dem hepatischen Cyto- und Stillzeit wegen ungenügender Untersuchungen. Bei Nieren-
chrom-P450-System im Sinne einer Induktion bzw. Inaktivierung. insuffizienz keine Dosisreduktion.
Es kann zur Konzentrationserhöhung oder zu vermehrtem Abbau
anderer Arzneimittel kommen. Durch Selektion toxinbildender jAnwendungen
C. difficile-Stämme kann es zur C. difficile-assoziierter Diarrhö Azithromycin kann oral und parenteral appliziert werden. Durch die
(CDAD) bis hin zur Kolitis kommen. lange Halbwertszeit intrazellulär und im Gewebe ist nur einmal am
Tag eine Applikation notwendig. Nach 3 Tagen Therapiedauer wird
eine Depotwirkung für weitere 4 Tage aufgebaut.
102.2 Azithromycin
jNebenwirkungen
102.2.1 Beschreibung In Einzelfällen wurden schwere allergische Reaktionen einschließ-
lich Angioödem und Anaphylaxie beobachtet. Azithromycin inter-
jWirkungsmechanismus und Wirktyp agiert im Unterschied zu Erythromycin nicht mit dem hepatischen
Azithromycin ist wie Erythromycin ein Makrolid und zählt zur Un- Cytochrom-P450-System. Daher gibt es keine Interaktionen mit
tergruppe der Azalide. Der Wirkmechanismus entspricht dem von anderen Arzneimitteln.
Erythromycin.

jWirkungsspektrum 102.3 Clarithromycin


Das Wirkspektrum von Azithromycin gleicht weitgehend dem von
Erythromycin. Zusätzlich wirkt es gegen die Enterobakterien E. coli, 102.3.1 Beschreibung
Salmonellen, Shigellen und Yersinia enterocolitica. Azithromycin ist
stärker als Erythromycin wirksam gegen H. influenzae, Moraxella jWirkungsmechanismus und Wirktyp
catarrhalis, Neisseria gonorrhoeae, Mycobacterium avium, kansasii Clarithromycin ist ebenso wie Erythro- und Azithromycin ein
und xenopi, jedoch schwächer wirksam gegen Strepto-, Pneumo- Makrolid, gehört aber wegen des 14-gliedrigen Laktonrings und
und Staphylokokken. einer Ketogruppe zu den Ketoliden. Dadurch wirkt Clarithromycin
Resistent sind immer Pseudomonaden und zum Teil Enterokok- an der ribosomalen 50S- und der 30S-Untereinheit und hemmt die
ken, MRSA und andere als die gerade genannten Enterobakterien. Proteinsynthese bakteriostatisch.
102.3 · Clarithromycin
757 102
jWirkungsspektrum
Clarithromycin hat als Ketolid gegenüber Erythromycin (7 Abschn. In Kürze
102.1.1) ein erweitertes antibakterielles Spektrum. So werden auch Makrolide
Enterokokken und makrolidresistente Staphylo- und Pneumo- Erythromycin
kokken erfasst. Resistenz Veränderung der Bindungsstellen am Ribosom,
Effluxpumpen und enzymatische Inaktivierung.
jPharmakokinetik Indikationen Akute Infektionen des Respirationstrakts, Harn-
Clarithromycin zeichnet sich wie die anderen Makrolide durch gute weginfektionen sowie Haut- und Weichgewebeinfektionen.
Gewebegängigkeit in Leber, Pankreas, Pleura-, Peritoneal- und Kontraindikationen Leberinsuffizienz, weitere beachten.
Synovialflüssigkeit, Prostatasekret und -gewebe sowie nahezu allen
Körpergeweben mit Ausnahme des Gehirns und der Zerebrospinal- Azithromycin
flüssigkeit aus. Auch Clarithromycin reichert sich intrazellulär in Resistenz Veränderung der Bindungsstellen am Ribosom und
Erythrozyten, Makrophagen und Leukozyten an. Es passiert die Effluxpumpen.
Plazentaschranke. Indikationen Akute Infektionen des Respirationstrakts, Harn-
Der Metabolismus erfolgt in der Leber über das Cyto- weginfektionen sowie Haut- und Weichgewebeinfektionen.
chrom-P450-System. Es entstehen antibakteriell wirksame und Kontraindikationen Leberinsuffizienz.
inaktive Metaboliten, die über die Galle ausgeschieden werden. Die
Verträglichkeit ist deutlich besser als bei Erythromycin. Die Halb- Clarithromycin
wertszeit von Clarithromycin beträgt 5 h. Daher ist eine 2-mal täg- Resistenz Veränderung der Bindungsstellen am Ribosom und
liche Verabreichung ausreichend. Die Ausscheidung über die Niere Effluxpumpen.
ist gering. Eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz ist nicht not- Indikationen Akute Infektionen des Respirationstrakts, Harn-
wendig. weginfektionen, Haut- und Weichgewebeinfektionen sowie
Eradikation von Helicobacter pylori.
jResistenz Kontraindikationen Leberinsuffizienz.
Resistenzmechanismen 1 und 2 von Erythromycin (7 Abschn.
102.1.1) sind auch gegen Clarithromycin aktiv. Nicht dagegen der
3. Resistenztyp, der enzymatische Abbau, da Clarithromycin che-
misch nicht als Ester vorliegt.

102.3.2 Rolle als Therapeutikum


jIndikationen
Clarithromycin ist zugelassen zur Therapie von:
4 Infektionen des oberen Respirationstrakts, z. B. Sinusitis, Otitis
media, Tonsillitis und Pharyngitis
4 ambulant erworbener Pneumonie, verursacht durch Pneumo-,
Strepto-, Staphylokokken und H. influenzae
4 interstitiellen Pneumonien durch Legionellen, Mycoplasma
pneumoniae, Chlamydophila pneumoniae
4 Haut- und Weichgewebeinfektionen wie Acne vulgaris,
Follikulitis oder Furunkel, verursacht durch Propionibacterium
acnes
4 Borreliose im Stadium 1 mit 2 Wochen Therapiedauer
4 Helicobacter pylori-Infektionen als Kombinationspartner

jKontraindikationen
Kontraindikation bei schwerer Leberinsuffizienz besteht wegen des
Lebermetabolismus von Clarithromycin. Keine Anwendung in
Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern unter 12 Jahren we-
gen ungenügender Untersuchungen.

jAnwendungen
Clarithromycin kann oral und parenteral appliziert werden.

jNebenwirkungen
Die Nebenwirkungen entsprechen denen von Erythromycin, treten
aber seltener auf.
759 103

Antimikrobielle Folsäureantagonisten
M. Fille

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_103, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Sulfonamide haben infolge der Resistenzentwicklung und des Einsat- jResistenz


zes wirksamerer und nebenwirkungsärmerer Substanzen heute an Be- Hemmung des bakteriellen Folsäurestoffwechsels. Wichtigster Me-
deutung verloren. Sie werden heute v. a. in Kombination mit Trimetho- chanismus scheint die Veränderung der Zielenzyme zu sein.
prim (Cotrimoxazol) eingesetzt, z. B. bei unkomplizierten Harnweg-
infekten, Pneumocystis-Pneumonie und Toxoplasmose.
103.1.2 Rolle als Therapeutikum

103.1 Trimethoprim/Sulfamethoxazol jIndikationen


(TMP/SMX) Akute und chronische Harnweginfektionen, chronische Bronchitis,
Sinusitis (lokale Resistenzlage beachten!), Prostatitis und Prostata-
Steckbrief abszess, außerdem in der Prophylaxe und Therapie der Pneumo-
cystis-Pneumonie, Nocardiose und Toxoplasmose.
Sulfonamide haben infolge der Resistenzentwicklung und des
Einsatzes wirksamerer und nebenwirkungsärmerer Substanzen jKontraindikationen
heute an Bedeutung verloren. Sie werden heute v. a. in Kombi- Cotrimoxazol ist kontraindiziert bei Folsäuremangelanämien,
nation mit Trimethoprim (Cotrimoxazol) eingesetzt. schweren Lebererkrankungen, im 1. Trimenon und im letzten
Monat der Schwangerschaft, bei Früh- und Neugeborenen, bei Glu-
kose-6-Phosphat-Dehydrogenase-(G6PD-)Mangel, bei bestimmten
Hämoglobinanomalien sowie bei hepatischer Porphyrie. Bei Sulfon-
amidallergie darf Cotrimoxazol nicht verabreicht werden.

jAnwendungen
Oral, i. v.

jNebenwirkungen
Als Nebenwirkungen werden eine meist reversible Hämatotoxizität
(Leukopenie, Thrombopenie, aplastische Anämien), fotoallergische
Reaktionen, bei i. v. Gabe auch Phlebitis beobachtet. Sehr selten sind
schwere Nebenwirkungen wie Stevens-Johnson-Syndrom, Lyell-
Syndrom (toxische epidermale Nekrolyse), dafür zeichnet die Sul-
fonamidkomponente verantwortlich.

103.1.1 Beschreibung
103.2 Dapson
jWirkungsmechanismus und Wirktyp
Der Wirkungsmechanismus von Trimethoprim/Sulfamethoxazol Steckbrief
(Cotrimoxazol) beruht auf der Blockade zweier aufeinanderfolgen-
der Syntheseschritte in der Bakterienzelle. Dapson ist Diaminodiphenylsulfon. Es wird zur Behandlung
der Lepra eingesetzt und, in Kombination mit Trimethoprim,
jWirkungsspektrum bei Pneumocystis-Pneumonie.
Cotrimoxazol ist wirksam gegen Enterobakterien, Strepto- und
Staphylokokken, Korynebakterien, Listerien, Meningokokken,
Nocardien, Chlamydien, Pneumocystis und Toxoplasmen.
Resistent sind Clostridien, Treponemen, Leptospiren, Rickett-
sien, Tuberkulosebakterien, Pseudomonas und Mykoplasmen.

jPharmakokinetik
TMP-SMX wird nahezu vollständig absorbiert, die Serumhalbwerts-
zeit beträgt 10 h, Die Ausscheidung erfolgt überwiegend renal.
760 Kapitel 103 · Antimikrobielle Folsäureantagonisten

103.2.1 Beschreibung
In Kürze
jWirkungsmechanismus und Wirktyp Antimikrobielle Folsäureantagonisten
Dapson wirkt durch Hemmung der Dihydropteroinsäure-Synthe- Trimethoprim/Sulfamethoxazol (TMP/SMX)
tase als Folsäureantagonist. Resistenz Hemmung des bakteriellen Folsäurestoffwechsels.
Veränderung der Zielenzyme.
jWirkungsspektrum Indikationen Harnweginfektion, Bronchitis, Sinusitis, Prostatitis,
Chemotherapie

Dapson ist wirksam gegen M. leprae und andere Mykobakterien- Pneumocystis-Infektion.


arten einschließlich M. tuberculosis, gegen Pneumocystis, Plasmo- Kontraindikationen Schwere Lebererkrankungen, Folsäure-
dien und Toxoplasma gondii. mangelanämien, Schwangerschaft, Neugeborene.

jPharmakokinetik Dapson
Dapson verteilt sich in die meisten Gewebe und Exkrete einschließ- Indikationen Kombinationspräparat bei Lepra, Pneumocystis-
lich Plazenta und Muttermilch, nicht jedoch in das Auge. Die Infektion.
Serumhalbwertszeit beträgt bis zu 50 h, die Elimination erfolgt zu Kontraindikationen Schwangerschaft und Stillzeit.
80 % hepatisch.

jResistenz
Über Resistenzmechanismen ist nur Unzureichendes bekannt.

103.2.2 Rolle als Therapeutikum


jIndikationen
Dapson ist in Kombination mit Clofazimin und Rifampicin zur Be-
handlung der Lepra geeignet, zudem zur Therapie und Prophylaxe
der Pneumocystis-Infektion.

jKontraindikationen
In der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei bestehender Dapson-
allergie darf das Mittel nicht eingesetzt werden. Bei G6PD-Mangel
und Niereninsuffizienz ist besondere Vorsicht geboten (vor Gabe
testen!).

jAnwendungen
Dapson wird oral verabreicht.

jNebenwirkungen
Methämoglobinämie, Hämolyse (beide durch NOH-Dapson) und
Sulfonsyndrom (allergische Reaktion mit Fieber, Exanthem und
Leberschädigung: Hepatomegalie, Ikterus, Hyperbilirubinämie).
Gelegentlich finden sich Leukozytopenie, Hepatitis und Hyper-
kaliämie.

103.3 Pyrimethamin
Pyrimethamin hemmt die Dihydrofolatreduktase. Es wurde zusam-
men mit Sulfonamiden (Fansidar = Pyrimethamin + Sulfadoxin) in
der Therapie der Toxoplasmose und der chloroquinresistenten
Malaria eingesetzt.
761 104

Fluorchinolone
M. Fille

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_104, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Fluorchinolone werden in 4 Gruppen eingeteilt: jResistenz


4 orale Fluorchinolone mit der Indikation Harnweginfektion Die Resistenz gegen Ciprofloxacin beruht auf Veränderungen des
(Norfloxacin) Zielmoleküls oder auf der aktiven Entfernung (Efflux) aus der Bak-
4 systemisch anwendbare Fluorchinolone mit breiter Indikation terienzelle. Sie ist meist chromosomal kodiert. Aufgrund des massi-
wie Ciprofloxacin (7 Abschn. 104.1), Ofloxacin ven Einsatzes stieg die Anzahl resistenter E. coli- und P. aeruginosa-
4 Fluorchinolone mit verbesserter Aktivität gegen grampositive Isolate in den vergangenen Jahren beträchtlich.
und atypische Erreger (Levofloxacin, 7 Abschn. 104.2)
4 Fluorchinolone mit verbesserter Aktivität gegen grampositive,
atypische sowie anaerobe Bakterien (Moxifloxacin, 7 Abschn. 104.3). 104.1.2 Rolle als Therapeutikum
jIndikationen
104.1 Ciprofloxacin Indikationen für Ciprofloxacin sind Harnweginfekte (lokale Resis-
tenzsituation!), akute Gastroenteritiden und Atemweginfekte.
Ciprofloxacin ist wirksam bei Milzbrandinfektionen.
Steckbrief
Falsche Indikationen sind Infektionen durch grampositive Kok-
Ciprofloxacin ist ein Abkömmling der Nalidixinsäure; es hemmt ken, z. B. S. aureus-Osteomyelitis, Pneumokokken-Pneumonie oder
die bakterielle DNA-Gyrase. Ein breites Spektrum und gute Weichgewebeinfektionen.
Gewebegängigkeit sind seine Hauptvorteile.
jKontraindikationen
Schwangerschaft, Stillzeit und Epilepsie. Anwendungsbeschränkun-
gen werden für Patienten in höherem Lebensalter (> 70 Jahre), bei
Niereninsuffizienz, Lebererkrankungen und für Patienten mit ZNS-
Vorschädigung empfohlen. Verabreichung im Kindes- oder Jugend-
alter ist nur bei strengster Indikationsstellung (z. B. bei Mukoviszi-
dose) vertretbar!

jAnwendungen
Ciprofloxacin kann sowohl parenteral (i. v.) als auch oral gegeben
werden.
Bei Pseudomonas-Infektionen sollte Ciprofloxacin wegen der
synergistischen Wirkung und der Gefahr einer Resistenzentwick-
104.1.1 Beschreibung lung mit einem Aminoglykosid oder einem gegen Pseudomonas
wirksamen β-Laktam-Antibiotikum kombiniert werden.
jWirkungsmechanismus und Wirktyp
Die bakterizide Wirkung von Ciprofloxacin beruht auf einer Hem- jNebenwirkungen
mung von Topoisomerasen, die bei der Replikation, Transkription Gastrointestinale Beschwerden, seltener zentralnervöse Reaktionen
und Reparatur der bakteriellen DNA benötigt werden. (Schwindel, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Erregtheit, Sehstörungen,
Krampfanfälle), allergische Reaktionen (Exantheme, Juckreiz, Ge-
jWirkungsspektrum sichtsödeme) und Kreislaufreaktionen (Blutdruckanstieg, Tachykar-
Ciprofloxacin erfasst v. a. gramnegative Bakterien wie Neisserien, die, Hautrötung).
Haemophilus, Bordetellen, Enterobakterien (auch enteropathogene Bei gleichzeitiger Gabe von Ciprofloxacin wird die Elimination
Arten) und nichtfermentierende gramnegative Stäbchen, einschließ- von Theophyllin und Cyclosporin verzögert.
lich Pseudomonaden (eingeschränkt), nicht aber Stenotrophomonas
und Burkholderia cepacia.
Die Wirkung gegen grampositive Kokken ist deutlich geringer, die 104.2 Levofloxacin
Aktivität gegen Anaerobier und gegen Treponemen unzureichend.
Levofloxacin hat im Vergleich zu Ciprofloxacin eine stärkere Wirk-
jPharmakokinetik samkeit gegen grampositive (auch penicillinresistente Pneumo-
Ciprofloxacin wird oral oder i. v. verabreicht. Es besitzt eine gute kokken) und atypische Atemweginfektionserreger wie Chlamydien,
Gewebepenetration, die Liquorgängigkeit ist allerdings gering. Die Mykoplasmen und Legionellen. Die Wirksamkeit gegen Pseudomo-
Ausscheidung erfolgt über Niere und Darm. nas ist schwächer.
762 Kapitel 104 · Fluorchinolone

Eine tägliche Einmalgabe ist möglich, da die Plasmahalbwerts- 104.3.2 Rolle als Therapeutikum
zeit 6‒8 h beträgt. Levofloxacin kann sowohl parenteral als auch oral
verabreicht werden. An unerwünschten Wirkungen treten haupt- jIndikationen
sächlich Übelkeit und Diarrhö auf, fototoxische Reaktionen zeigen Akute Exazerbation der chronischen Bronchitis, ambulant erwor-
sich dagegen sehr selten. bene Pneumonie, akute, bakterielle Sinusitis, komplizierte Infektio-
nen der Haut und des Weichgewebes.

jKontraindikationen
Chemotherapie

104.3 Moxifloxacin
Kontraindikationen sind Schwangerschaft und Stillzeit, Kinder und
Steckbrief Jugendliche in der Wachstumsphase, Sehnenerkrankungen/-schä-
den infolge einer Chinolontherapie in der Anamnese, Überempfind-
Moxifloxacin hat als Fluorchinolon der 4. Generation eine gute lichkeit, QT-Intervall-Verlängerungen im EKG, Störungen des Elek-
Aktivität gegen gramnegative und -positive Erreger, zusätzlich trolythaushalts (v. a. unkorrigierte Hypokaliämie), klinisch relevan-
werden Anaerobier und atypische Bakterien erfasst. Als Fluor- te Bradykardie, klinisch relevante Herzinsuffizienz mit reduzierter
chinolon mit erweitertem Spektrum eignet es sich für Atem- linksventrikulärer Auswurffraktion, symptomatische Herzrhyth-
weginfektionen sowie komplizierte Infektionen der Haut- und musstörungen. Hinzu kommt eine stark eingeschränkte Leberfunk-
Weichgewebe. tion (Child Pugh C; mehr als 5-facher Transaminasenanstieg).

jAnwendungen
Moxifloxacin kann sowohl parenteral (i. v.) als auch oral verabreicht
werden.

jNebenwirkungen
Gelegentlich kommen zentralnervöse Nebenwirkungen sowie QT-
Verlängerungen im EKG vor, selten Tendinitis. Im Übrigen ent-
sprechen die Nebenwirkungen weitgehend denen von Cipro- und
Levofloxacin.

jWechselwirkungen
Bei gleichzeitiger Gabe mineralischer Antazida ist die Resorption
von Moxifloxacin vermindert. Es findet keine Interaktion zwischen
104.3.1 Beschreibung Moxifloxacin mit Ranitidin, Probenecid, oralen Kontrazeptiva,
Theophyllin oder Itraconazol statt; zudem keine klinisch relevante
jWirkungsmechanismus und Wirkungstyp Interaktion mit Digoxin und Glibenclamid. Vorsicht ist geboten bei
Die bakterizide Wirkung von Moxifloxacin resultiert aus einer Hem- gleichzeitiger Gabe von Medikamenten, die eine QT-Verlängerung
mung der beiden Typ-II-Topoisomerasen (DNA-Gyrase und Topi- im EKG hervorrufen können (z. B. Antiarrhythmika der Klassen Ia
somerase IV). Zusätzlich verhindert der sperrige Bicycloaminsubs- und III).
tituent in C7-Position den aktiven Efflux in bestimmten gramposi-
tiven Bakterien.
In Kürze
jWirkungsspektrum Fluorchinolone
Darüber hinaus erfasst Moxifloxacin auch anaerobe Bakterien. Pseu- Ciprofloxacin
domonaden und im Krankenhaus erworbene MRSA hingegen sind Resistenz Mutationen an den Bindungsstellen von Topoiso-
meistens resistent. merasen, aktiver Efflux.
Indikationen Harnweginfektionen, Typhus abdominalis, Milz-
jPharmakokinetik brand.
Nach oraler Gabe wird Moxifloxacin schnell und nahezu vollständig Kontraindikationen Schwangerschaft und Stillzeit, bestehen-
resorbiert. Die absolute Bioverfügbarkeit beträgt ca. 91 %. Die Halb- des zerebrales Anfallsleiden, Kindes- und Jugendalter nur bei
wertszeit beträgt ca. 12 h und erlaubt eine tägliche Einmalgabe der strengster Indikationsstellung.
Substanz. Moxifloxacin wird renal und biliär unverändert ausge-
schieden. Moxifloxacin
Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion einschließ- Resistenz Mutationen an den Bindungsstellen von Topoiso-
lich Dialysepatienten (Hämo- und Peritonealdialyse) sowie bei Per- merasen.
sonen mit leicht bis mäßig eingeschränkter Leberfunktion ist keine Indikationen Akute Exazerbation der chronischen Bronchitis,
Dosisanpassung erforderlich. ambulant erworbene Pneumonie, komplizierte Haut- und
Weichgewebeinfektionen.
jResistenz Kontraindikationen Wie Ciprofloxacin, zusätzlich QT-Intervall-
In-vitro-Resistenz gegen Moxifloxacin entwickelt sich schrittweise Verlängerungen, Störungen des Elektrolythaushalts, stark ein-
durch Mutationen an den Bindungsstellen in den beiden Typ-II- geschränkte Leberfunktion.
Topoisomerasen (DNA-Gyrase und Topoisomerase IV).
763 105

Antimykobakterielle Therapeutika
F.-Ch. Bange, M. Fille

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_105, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

In diesem Kapitel werden die 4 Standardmedikamente Isonikotinsäure- Die Halbwertszeit hängt von der Geschwindigkeit der metaboli-
hydrazid (INH), Rifampicin (RMP), Ethambutol (EMB) und Pyrazinamid schen Inaktivierung durch die Azetylierung ab; hierbei unterteilt
(PZA) zur Therapie der Tuberkulose vorgestellt. Im Einzelnen werden man in Schnell- und Langsaminaktivierer: Bei Schnellinaktivierern
der Wirkungsmechanismus, die Pharmakokinetik, Indikationen, Kontra- beträgt die Halbwertszeit etwa 1 h, bei Langsaminaktivierern ca. 3 h.
indikationen sowie Nebenwirkungen beschrieben. Schließlich werden Die Metaboliten werden renal eliminiert.
Reseverantituberkulotika genannt.
jResistenz
Resistenzen entstehen durch Mutationen in den Genen (inhA, kasA)
105.1 Isonikotinsäurehydrazid (INH) für die Enzyme der Mykolsäuresynthese. Mutationen im katG-Gen
führen ebenfalls zur INH-Resistenz. In Deutschland sind gegenwär-
Steckbrief
tig ca. 10 % aller Isolate resistent gegenüber INH. Die Resistenzent-
wicklung wird durch eine Monotherapie begünstigt.
Isonikotinsäurehydrazid (INH), kurz Isoniazid, ist ein ausschließ-
lich auf M. tuberculosis wirkendes Antituberkulotikum. Es hat
wegen seiner ausgeprägten Bakterizidie neben Rifampicin die 105.1.2 Rolle als Therapeutikum
größte Bedeutung unter den Antituberkulotika.
jIndikationen
Einzige Indikation ist die Tuberkulose (zur Therapie als wesentliche
Komponente einer Mehrfachkombination; zur Prävention als Mo-
notherapie nach Exposition).

jKontraindikationen
Bei akuter Hepatitis, Epilepsien, Neuritiden sowie Psychosen ist INH
kontraindiziert. Bei chronischen Leberschäden (z. B. bei Alkoholis-
e
mus) ist besonders vorsichtig zu dosieren.

jAnwendungen
INH wird in aller Regel oral verabreicht, kann aber auch i. v. gegeben
105.1.1 Beschreibung werden.

jWirkungsmechanismus und Wirktyp jNebenwirkungen


INH wird durch die Katalase (katG) von Mycobacterium (M.) tuber- Im Vordergrund stehen Störungen des ZNS (z. B. Optikusneuritis:
culosis zu einem Isonikotinsäureazylradikal aktiviert und hemmt die Gesichtsfeld prüfen!) und des peripheren Nervensystems (Polyneu-
Mykolsäuresynthese des Pathogens. Es wirkt bakterizid auf extra- ropathie). Die neurotoxischen Wirkungen beruhen auf einem Ant-
und intrazelluläre Bakterien. agonismus zu Vitamin B6, was die gleichzeitige Gabe von Pyridoxin
(Vitamin B6) erfordert. Des Weiteren treten gastrointestinale Stö-
jWirkungsspektrum rungen, Transaminasenanstiege und Hepatitis, z. T. mit Ikterus (in
INH wirkt ausschließlich gegen M. tuberculosis. diesem Fall: sofort absetzen!), Allergien sowie Blutbildungsstörun-
gen auf.
jPharmakokinetik
INH wird nach oraler Gabe ausreichend resorbiert und verteilt sich
gut im Gewebe. Im Liquor werden bei Meningitis Serumspiegel er-
reicht. INH wird in der Leber azetyliert und anschließend renal eli-
miniert.
764 Kapitel 105 · Antimykobakterielle Therapeutika

105.2 Rifampicin (RMP) tionspartner mit Makroliden bei der Behandlung schwerer Legionel-
losen und mit Vancomycin bei der Endokarditis künstlicher Herz-
Steckbrief klappen verwendet.

Rifampicin ist ein bakterizides Ansamycinantibiotikum, das zur jKontraindikationen


Behandlung der Tuberkulose und anderen Infektionskrankhei- Bei bestehender Schwangerschaft (im 1. Trimenon) sowie bei schwe-
ten eingesetzt wird. Es hat neben Isoniazid unter den Antituber- ren Leberstörungen ist Rifampicin kontraindiziert.
Chemotherapie

kulotika die größte Bedeutung.


jAnwendungen
Rifampicin wird in der Regel oral eingenommen, i. v. Gaben sind
aber möglich.

jNebenwirkungen
In bis zu 2 % ist ein Transaminasenanstieg festzustellen. Seltener
werden Leberfunktionsstörungen, gastrointestinale Beschwerden
sowie allergische Reaktionen beobachtet. Stuhl, Urin, Speichel, Trä-
nenflüssigkeit (Kontaktlinsen) und Schweiß können sich orange
verfärben.

105.3 Ethambutol (EMB)

Steckbrief

Ethambutol ist ein bakteriostatisches Antituberkulotikum, das


neben INH und Rifampicin während der 2-monatigen Initial-
105.2.1 Beschreibung phase der Kombinationstherapie der Tuberkulose verwendet
wird.
jWirkungsmechanismus und Wirktyp
Rifampicin hemmt die bakterielle RNA-Polymerase und damit die
RNA-Synthese. Es wirkt bakterizid auf extra- und intrazellulär
lebende Bakterien.

jWirkungsspektrum
Das Spektrum ist sehr breit. Neben M. tuberculosis und weiteren
Mykobakterien werden auch Staphylokokken (inkl. MRSA), Strepto-
kokken (auch penicillinresistente Pneumokokken), Enterokokken,
Neisserien, Legionellen und andere Bakterien erfasst.
105.3.1 Beschreibung
jPharmakokinetik
Die lipophile Substanz wird oral gut resorbiert. Die Gewebepenetra- jWirkungsmechanismus und Wirktyp
tion ist im Vergleich zu anderen Antiinfektiva sehr hoch. Bei Menin- Ethambutol blockiert die Synthese des Arabinogalaktans, eines Be-
gitis wird eine genügend hohe Liquorkonzentration erreicht. Die standteils der mykobakteriellen Zellwand. Es wirkt bakteriostatisch.
Metabolisierung geschieht in der Leber – auch die Metaboliten sind
gegenüber Mykobakterien wirksam. Durch Enzyminduktion ist der jWirkungsspektrum
Stoffwechsel zahlreicher anderer Medikamente erhöht, wodurch Ethambutol wirkt gegen tuberkulöse und viele nichttuberkulöse My-
eine Dosisanpassung notwendig wird. kobakterien wie z. B. M. kansasii, M. marinum und M. avium/intra-
cellulare.
jResistenz
Grundsätzlich ist bei einer Monotherapie mit einer Einschritt- jPharmakokinetik
resistenz zu rechnen. Resistenzen entstehen durch Mutationen im Die orale Resorption ist gut; die Substanz verteilt sich im ganzen
Gen der RNA-Polymerase (rpoB). Wegen der schnellen Resistenz- Körper und erreicht bei Meningitis eine genügend hohe Liquorkon-
entwicklung sollte Rifampicin auch bei der Therapie anderer Infek- zentration. Die Elimination erfolgt zu 50 % unverändert mit dem
tionen nur in Kombination mit weiteren Antibiotika verwendet Urin, zu 20 % mit dem Stuhl; der Rest wird metabolisiert.
werden.
jResistenz
Mutationen in Genen (emb) der Arabinotransferase vermitteln Re-
105.2.2 Rolle als Therapeutikum sistenz gegenüber Ethambutol. Resistente M. tuberculosis-Stämme
kommen in etwa 4 % der Fälle vor.
jIndikationen
Die Hauptindikationen für Rifampicin sind die Kombinationsthera-
pien der Tuberkulose und der Lepra. Daneben wird es als Kombina-
105.5 · Weitere Antituberkulotika
765 105
105.3.2 Rolle als Therapeutikum auch gegen Pyrazinamid resistent. Resistenzen entstehen durch Mu-
tationen in der mykobakteriellen Pyrazinamidase.
jIndikationen
Hauptindikation ist die Kombinationstherapie der Tuberkulose.
105.4.2 Rolle als Therapeutikum
jKontraindikationen
Bei Optikusatrophie oder anamnestischer Optikusneuritis darf jIndikationen
Ethambutol nicht verabreicht werden. Einzige Indikation ist die Kombinationstherapie der Tuberkulose; es
wird nur in der Initialphase (2 Monate) verabreicht.
jAnwendungen
Meist wird Ethambutol oral eingenommen, es kann aber auch i. v. jKontraindikationen
gegeben werden. Bei Niereninsuffizienz muss die Dosis reduziert Bei schweren Leberschäden, Gicht und in der Schwangerschaft ist
werden. das Mittel kontraindiziert.

jNebenwirkungen jAnwendungen
Auffälligste Nebenwirkung ist eine meist langsam reversible retro- Pyrazinamid wird oral verabreicht. Bei Niereninsuffizienz muss die
bulbäre Neuritis n. optici. (»Der Patient sieht nichts und der Arzt Dosis reduziert werden. Eine beginnende Leberschädigung erfor-
auch nicht!«) Des Weiteren kann die Harnsäurekonzentration an- dert das sofortige Absetzen der Substanz.
steigen, sodass es zu Gichtanfällen kommen kann. Selten sind peri-
phere Neuritiden, zentralnervöse Störungen, Leberfunktionsstörun- jNebenwirkungen
gen und Allergien. Selten treten Leberstörungen (Ikterus), gastrointestinale Beschwer-
den, Hyperurikämie (evtl. Gichtanfall), Thrombozytopenie oder
eine interstitielle Nephritis sowie Fotosensibilisierungen auf.
105.4 Pyrazinamid (PZA)

Steckbrief 105.5 Weitere Antituberkulotika


Pyrazinamid ist ein bakterizides Nikotinamidanalogon, das wie Sekundäre Antituberkulotika sind Chinolone (Moxifloxacin), Ami-
Ethambutol bei der initialen Kombinationstherapie der Tuberku- noglykoside (Streptomycin, Amikacin, Capreomycin), Makrolide
lose verwendet wird. (Azithro-, Clarithromycin), Prothionamid, Cycloserin sowie Para-
aminosalizylsäure (PAS).

In Kürze
Antimykobakterielle Therapeutika
Isonikotinsäurehydrazid (INH)
Resistenz Genmutationen (katG, inhA oder kasA-Gen) auf dem
Chromosom des Bakteriums.
Indikationen Kombinationstherapie bei Tuberkulose.
Kontraindikationen Leberschäden, Epilepsie, Psychosen.

105.4.1 Beschreibung Rifampicin (RMP)


Resistenz Genmutation (rpoB-Gen) auf dem Chromosom des
jWirkungsmechanismus und Wirktyp Bakteriums.
Das Pyrazinkarbonsäureamid ist ein synthetisches Analogon von Indikationen Kombinationstherapie bei Tuberkulose.
Nikotinamid. Es wirkt bakterizid gegen M. tuberculosis. Es ist Kontraindikationen Schwangerschaft, Leberschäden.
aktiver bei niedrigem pH und besonders effektiv im nekrotischen
Zentrum der Tuberkulome. Pyrazinamid wird durch das mykobak- Ethambutol (EMB)
terielle Enzym Pyrazinamidase (zugehöriges Gen: pcnA) in seine Resistenz Genmutation (emb-Gene) auf dem Chromosom des
aktive Form, die Pyrazinkarbonsäure, umgewandelt. Bakteriums.
Indikationen Kombinationstherapie bei Tuberkulose.
jWirkungsspektrum Kontraindikationen Optikusatrophie, -neuritis.
Pyrazinamid wirkt nur gegen M. tuberculosis.
Pyrazinamid (PZA)
jPharmakokinetik
Resistenz Genmutation (pcnA-Gen) auf dem Chromosom des
Das Mittel wird intestinal gut resorbiert und verteilt sich im ganzen Bakteriums.
Körper, selbst im Liquor werden bei Meningitis therapeutische Kon- Indikationen Kombinationstherapie bei Tuberkulose.
zentrationen erreicht. Pyrazinamid wird hepatisch metabolisiert Kontraindikationen Schwere Leberschäden,
und die Metaboliten werden renal ausgeschieden. Gicht,Schwangerschaft.
jResistenz
Eine primäre Resistenz ist selten (< 1 %), jedoch sind etwa 50 % der
gegen INH und Rifampicin resistenten M. tuberculosis-Stämme
767 106

Weitere antibakterielle Substanzen


M. Höck, M. Fille

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_106, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Als weitere antibakterielle Substanzen werden in diesem Kapitel Met- Leber oxidiert und zu antibakteriell schwach wirksamen Metaboli-
ronidazol, Fosfomycin, Fusidinsäure, Polymyxine (Colistin oder »Poly- ten konjugiert. Die Wiederfindungsrate im Urin beträgt 30 %.
myxin E«, Polymyxin B), Muporicin, Oxazolidinone, Daptomycin und
Chloramphenicol vorgestellt. jResistenz
Erworbene Resistenzmechanismen gegen Metronidazol sind:
4 verminderte Aufnahme in die Bakterienzelle
106.1 Metronidazol 4 verminderte oder fehlende Reduktion der Nitroverbindung
4 verminderte Wechselwirkung zwischen zytotoxischem Radikal
Steckbrief und Bakterien-DNA
4 Umwandlung von Metronidazol in nichttoxische Derivate
Metronidazol ist ein bakterizid und protozoozid wirksames durch eine Reduktase (nim-Resistenzgene)
Nitroimidazol, das gegen die meisten Anaerobier, insbesondere
B. fragilis und C. difficile, gegen E. histolytica, Trichomonas vagi-
nalis und Giardia lamblia zum Einsatz kommt. 106.1.2 Rolle als Therapeutikum
jIndikationen
Die Indikationen sind Trichomoniasis und Vaginose durch Gard-
nerella vaginalis, Amöbenruhr (alle Formen, auch Leberabszess),
Darminfektionen durch Giardia sowie Anaerobierinfektionen (z. B.
Thrombophlebitis, Organ- und intraabdominelle Abszesse, Perito-
nitis, Endometritis, Puerperalsepsis, fieberhafter Abort, Gangrän).
Dabei kombiniert man stets mit einem aerobierwirksamen Breit-
spektrumantibiotikum (Penicillin, Cephalosporin oder Chinolon).
Metronidazol gilt als Mittel der Wahl bei leichteren und mittelschwe-
ren Formen der antibiotikaassoziierten Kolitis durch toxinbildende
C. difficile-Stämme. Es dient bei großen gynäkologischen Operatio-
106.1.1 Beschreibung nen und Dickdarmoperationen zur perioperativen Prophylaxe.

jWirkungsmechanismus und Wirktyp jKontraindikationen


Metronidazol wirkt bakterizid und protozoozid durch Hemmung Nitroimidazolallergie, Schwangerschaft (1. Trimenon: Trichomo-
der Nukleinsäuresynthese. Erst in anaerober Umgebung entstehen nas-Therapie mit Zäpfchen) und Stillzeit sind Kontraindikationen.
in Gegenwart eines Elektronentransportsystems durch Reduktion Bei schweren Leberschäden, Blutbildungsstörungen und Erkran-
der Nitroverbindung ein inaktives Endprodukt und ein zytotoxi- kungen des zentralen und peripheren Nervensystems sollte auf den
sches Radikal, das die eigentliche antibakterielle Wirkung erzeugt. Einsatz verzichtet werden.

jWirkungsspektrum jAnwendungen
Metronidazol wirkt gegen alle obligat anaeroben Bakterien (Clostri- Metronidazol kann oral oder i. v. gegeben werden. Aufgrund seiner
dien und sporenlose Anaerobier) sowie H. pylori. Resistent sind mutagenen und karzinogenen Wirkungen im Tierversuch sollte die
Propionibakterien und Aktinomyzeten. Die Protozoen E. histoly- Therapiedauer 10 Tage möglichst nicht überschreiten, wiederholte
tica, Trichomonas vaginalis und G. lamblia hemmt Metronidazol bei Anwendungen sind zu vermeiden.
niedrigen Konzentrationen.
jNebenwirkungen
jPharmakokinetik In 3 % treten gastrointestinale Störungen auf. Bei längerer Therapie
Nach oraler Gabe ist die Resorption gut, nach rektaler Anwendung und höherer Dosierung kommen eine periphere Neuropathie (mit
gering. Nach intravaginaler Applikation finden sich niedrige Serum- Parästhesien) sowie zentralnervöse Störungen (Schwindel, Ataxie,
spiegel. Bei i. v. Anwendung gibt es bei wiederholter Gabe keine Bewusstseinsstörungen, Krämpfe etc.) vor. Es besteht eine ausge-
Kumulation. Die Halbwertszeit von Metronidazol beträgt 7 h. prägte Alkoholintoleranz.
Die Gewebepenetration ist gut, besonders in Hirn, Leber, Uterus,
auch in Abszesshöhlen. Hohe Konzentrationen werden im Liquor,
Vaginalsekret und Fruchtwasser erreicht. Metronidazol wird in der
768 Kapitel 106 · Weitere antibakterielle Substanzen

106.2 Fosfomycin 106.2.2 Rolle als Therapeutikum

Steckbrief jIndikationen
Fosfomycin kann zur Therapie schwerer Infektionen wie Infektionen
Fosfomycin ist ein Antibiotikum aus der Gruppe der Phosphon- des ZNS, des Abdomens, von Gallenwegen, Haut und Weichgewebe,
säurederivate und wurde 1969 erstmalig aus Streptomyces bei Osteomyelitis, Pneumonien und Lungenabszessen, Sepsis, Endo-
fradiae, S. wedomorensis und S. viridochromogenes isoliert. karditis und Infektionen im HNO-Bereich in Kombination mit
Chemotherapie

Die bakterizide Wirkung an der Zellwand zeigt sich bei vielen einem β-Laktam-Antibiotikum verabreicht werden. Bei Infektionen
aerob oder anaerob wachsenden grampositiven und -negativen durch Staphylokokken wirkt Fosfomycin mit Rifampicin synergis-
Bakterien. Die gute Gewebe- und Liquorgängigkeit macht Fos- tisch. Bei Infektionen der Harnwege ist auch eine Monotherapie
fomycin zu einer wertvollen Kombinationssubstanz zusammen möglich. Bei unkomplizierter Harnweginfektion der Frau kann oral
mit einem β-Laktam-Antibiotikum bei vielen Indikationen ein- eine Einmaltherapie zur Anwendung kommen.
schließlich des ZNS und bei Osteomyelitis.
jKontraindikationen
Fosfomycin darf wegen Übertritts in den fetalen Kreislauf nicht in
der Schwangerschaft und wegen Störungen der Darmflora beim
Säugling nicht in der Stillzeit gegeben werden. Bei Niereninsuffi-
zienz muss eine Dosisreduktion erfolgen. Akutes Nierenversagen
und Fosfomycinallergie stellen weitere Kontraindikationen dar.

jAnwendungen
Fosfomycin kann i. v. ab der Geburt körpergewichtsbezogen appli-
106.2.1 Beschreibung ziert werden. Kontrolle der Natrium- und Kaliumelektrolyte im
Serum beachten. Bei schweren Infektionen wegen schneller (Ein-
jWirkungsmechanismus und Wirktyp schritt-)Resistenzentwicklung immer in Kombination, z. B. mit
Fosfomycin wirkt bakterizid in der Wachstumsphase der Bakterien β-Laktam-Antibiotikum, Rifampicin, (s. o.) anwenden.
bei der Peptidoglykansynthese an der Zellwand durch Hemmung
der Phosphoenol-Pyruvyltransferase, ein Wirkmechanismus, der jNebenwirkungen
nicht mit dem von β-Laktam-Antibiotika identisch ist. Seltene unerwünschte Nebenwirkungen sind Verdauungsbeschwer-
den wie Übelkeit, Brechreiz, Durchfall etc. sowie allergische Haut-
jWirkungsspektrum reaktionen und Kopfschmerzen.
Fosfomycin wirkt bakterizid gegen viele aerob oder anaerob wach-
sende Bakterien wie Staphylo-, Strepto- und Pneumokokken, bei
Enterokokken v. a. gegen E. faecalis, Enterobakterien (außer Morga- 106.3 Fusidinsäure
nella morganii), P. aeruginosa und Anaerobier (außer Bacteroides-
Arten). Steckbrief
Keine Wirkung gegen Listeria monocytogenes, Acinetobacter
spp., Stenotrophomonas maltophilia und intrazelluläre Erreger. Fusidinsäure ist ein Steroidantibiotikum und wurde 1960 aus
Fusidium coccineum isoliert. Die Wirkung ist bakteriostatisch
jPharmakokinetik v. a. auf Staphylokokken. Hauptindikationen der Fusidinsäure
Fosfomycin wird bei i. v. Applikation und 10 %iger Plasmaeiweiß- sind Staphylokokken-Infektionen, aber nur bei Versagen anderer
bindung gut in alle Gewebe verteilt, etwa in Liquor, Knochen, Lunge, Staphylokokken-Antibiotika. Darf nur in Kombination mit einem
Galle, Wundsekret, Muskulatur und Auge. Es passiert die Plazenta- anderen Antibiotikum verabreicht werden.
schranke und geht in die Muttermilch über. Die Plasmahalbwertszeit
beträgt 2 h.
Die Elimination erfolgt zu über 90 % in biologisch aktiver Form
über die Niere. Bei Niereninsuffizienz muss deshalb eine Dosis-
reduktion erfolgen. Eine Metabolisierung findet nicht statt, sodass
Leberinsuffizienz keine Kontraindikation darstellt.

jResistenz
Erworbene Resistenzmechanismen gegen Fosfomycin sind:
4 verminderter Eintritt in die Bakterienzelle durch verminderten
aktiven Hexose-6-Phosphat-abhängigen Transport
4 plasmidkodierte enzymatische Inaktivierung
4 Veränderung der Zielmoleküle durch Überproduktion oder
Modifikation der Pyruvyltransferase. 106.3.1 Beschreibung
jWirkungsmechanismus und Wirktyp
Fusidinsäure wirkt bakteriostatisch durch Hemmung der Protein-
synthese. Die Hemmung erfolgt bei der Translation durch Blockie-
rung der Ablösung der tRNA und des Elongationsfaktors. Der
106.4 · Polymyxine: Colistin und Polymyxin B
769 106
Wirkmechanismus ist nicht mit dem der β-Laktam-Antibiotika 106.3.2 Rolle als Therapeutikum
identisch.
jIndikationen
jWirkungsspektrum Fusidinsäure kann verabreicht werden zur Therapie von Staphylo-
Fusidinsäure wirkt bakteriostatisch gegen Staphylokokken, Coryne- kokken-Infektionen wie Osteomyelitis, Sepsis, Pneumonie, Haut-
bacterium diphtheriae und andere Korynebakterien, Neisseria go- und Weichgewebeinfektionen, aber nur bei Versagen anderer Sta-
norrhoeae und Neisseria meningitidis, Bordetella pertussis, Myco- phylokokken-Antibiotika und immer in Kombination mit einem
bacterium tuberculosis und Mycobacterium leprae und Anaerobier. anderen Antibiotikum, z. B. β-Laktam- oder Glykopeptidantibioti-
Nur geringe Wirkung auf Streptokokken, dagegen keine Wirkung kum, Rifampicin etc. Eine Eradikation von MRSA auf der Nasen-
auf gramnegative Erreger. schleimhaut wird nicht erreicht. Topisch ist Fusidinsäure anzuwen-
den bei Hautinfektionen und Erythrasma, letzteres durch Coryne-
jPharmakokinetik bacterium minutissimum bedingt.
Fusidinsäure diffundiert nach oraler und i. v. Gabe gut in Knochen,
Bronchialsekret, Galle, Synovialflüssigkeit und Eiter, schlecht bis gar jKontraindikationen
nicht dagegen in Liquor, Muttermilch und Kammerwasser. Die Plas- Fusidinsäure darf nicht bei Allergie und hochgradiger Leberinsuffi-
mahalbwertszeit beträgt 4–6 h. Die Elimination erfolgt über die fast zienz zur Anwendung kommen. Keine Anwendung in der Schwan-
vollständige Metabolisierung in der Leber und Ausscheidung über gerschaft und Stillzeit, da keine ausreichenden klinischen Unter-
die Galle. suchungen vorliegen. Keine Anwendung bei Neugeborenen mit
Ikterus!
jResistenz
Fusidinsäureresistenz kann bei Staphylokokken erworben werden jAnwendungen
durch: Fusidinsäure kann oral, i. v. und topisch zur Anwendung kommen.
4 Änderung der Membranpermeabilität mit vermindertem Bei invasiven Staphylokokken-Infektionen niemals allein, sondern
Durchtritt durch die Zellwand immer kombiniert mit einem anderen Antibiotikum verabreichen!
4 reduzierte Affinität am Zielort, den Ribosomen, durch Punkt- Die topische Anwendung sollte wegen der Gefahr der Resistenz-
mutation im Chromosom entwicklung nicht länger als 2 Wochen dauern.
4 Verhinderung der Komplexbildung der Fusidinsäure mit dem
Elongationsfaktor am Ribosom oder Freisetzung der Fusidin- jNebenwirkungen
säure vom Elongationsfaktor-Ribosomen-Komplex, plasmid- Die seltenen Nebenwirkungen fokussieren sich auf die orale Aufnah-
kodiert me, nach der Magenschmerzen, Erbrechen sowie reversible Leber-
schäden mit Ikterus auftreten können.

106.4 Polymyxine: Colistin und Polymyxin B

Steckbrief

Polymyxine sind basische zyklische Polypeptide und wurden 1947 aus Bacillus polymyxa isoliert. Es liegt keine Verwandtschaft mit anderen
Antibiotika vor. Colistin, auch Polymyxin E genannt, und Polymyxin B sind sehr ähnlich und werden deshalb gemeinsam besprochen.
Wegen vieler Nebenwirkungen steht die topische Anwendung bei bakterieller Konjunktivitis und Inhalation bei Patienten mit Mukoviszidose
(zystische Fibrose) im Vordergrund; nur in Ausnahmefällen erfolgt die Applikation i. v.: bei schweren, invasiven Infektionen mit multiresisten-
ten gramnegativen Bakterien, v. a. P. aeruginosa und Acinetobacter-Arten.
770 Kapitel 106 · Weitere antibakterielle Substanzen

106.4.1 Beschreibung jResistenz


Über die Resistenzentwicklung unter Therapie ist bisher wenig be-
jWirkungsmechanismus und Wirktyp kannt.
Polymyxine wirken auf ruhende und sich vermehrende Bakterien
bakterizid. Die Zytoplasmamembran der Bakterienzelle wird inner-
halb kürzester Zeit durch die Wirkung der Polymyxine als Kationen- 106.4.2 Rolle als Therapeutikum
detergens zerstört.
jIndikationen
Chemotherapie

jWirkungsspektrum Polymyxine können zur Therapie bakterieller Konjunktivitiden oder


Polymyxine wirken bakterizid auf extrazellulär gelegene, aerob und Infektionen des äußeren Ohres und Gehörgangs durch topische An-
teilweise auch fakultativ anaerob wachsende gramnegative Bakterien wendung und bei Exazerbation einer Mukoviszidose oder Pneumo-
wie P. aeruginosa, E. coli, Klebsiella pneumoniae, Enterobacter spp. nie mittels Inhalation bei sensiblen Erregern eingesetzt werden. Die
und andere Enterobakterien, Pasteurellen, H. influenzae, Stenotro- Gabe ist v. a. bei multiresistenten Stämmen von P. aeruginosa und
phomonas maltophilia und Acinetobacter-Arten. Acinetobacter baumannii indiziert. Eine i. v. Anwendung sollte nur
Primär resistent sind Proteus-, Providencia- und Serratia-Arten bei schwersten Infektionen durch o. g. Erreger unter Abwägung des
sowie Neisserien. therapeutischen Nutzens und der Nachteile durch Toxizität und an-
dere Nebenwirkungen erfolgen. Bei durch Acinetobacter verursach-
jPharmakokinetik ten Infektionen kann durch Kombination mit Rifampicin eine syn-
Polymyxin kommt wegen toxischer Nebenwirkungen und der gerin- ergistische Wirkung bewirkt werden (nur In-vitro-Daten).
gen Diffusionsfähigkeit in verschiedenen Geweben und Körperflüs-
sigkeiten v. a. topisch zur Anwendung. Die Resorption durch die jKontraindikationen
Haut oder Schleimhaut ist dabei gering. Bei Inhalation ist die Polymyxingabe ist kontraindiziert bei Überempfindlichkeit gegen
Resorption sehr unterschiedlich und patientenabhängig, sodass es die Substanz, zur Anwendung per Instillation in Körperhöhlen und
unter Umständen zu relevanten Serumspiegeln kommen kann. Nach zur Lokalbehandlung offener Wunden und Verbrennungen.
intravasaler Gabe, die nur in Ausnahmefällen erfolgen soll, sind
keine zuverlässigen Gewebekonzentrationen bekannt. Polymyxin jAnwendungen
kann sich in verschiedenen Geweben anreichern, etwa in Niere und Polymyxine können lokal als Salbe oder in Tropfenform, inhalativ
Gehirn, die Grenze zur Toxizität ist dabei nicht bekannt. sowie parenteral zur Anwendung kommen.
Die Ausscheidung von Polymyxin und seinen Metaboliten er-
folgt renal über glomeruläre Filtration. Die Halbwertszeit beträgt jNebenwirkungen
4 h. Bei Niereninsuffizienz muss eine Dosisreduktion erfolgen. Bei Polymyxinen kann es bei topischer Anwendung zur Kontaktder-
Polymyxine sind nicht dialysierbar. matitis, bei Inhalation zu Histaminfreisetzung und Bronchospasmus
und bei parenteraler Applikation zu nephro-, neurotoxischen oder
allergischen Komplikationen sowie zur Blockade der neuromusku-
lären Übertragung kommen.

106.5 Mupirocin

Steckbrief

Mupirocin, auch als Pseudomoninsäure A bezeichnet, ist ein Antibiotikum, das von Pseudomonas fluorescens gebildet wird und keine Ver-
wandtschaft zu anderen Antibiotikagruppen hat. Mupirocin darf ausschließlich topisch zur Eradikation von nasalem MRSA-Trägertum und
bei v. a. staphylo- und streptokokkenbedingten kleinflächigen Hautinfektionen zur Anwendung kommen.

106.5.1 Beschreibung jWirkungsspektrum


Mupirocin wirkt bakteriostatisch gegen Staphylokokken, Strepto-
jWirkungsmechanismus und Wirktyp kokken wie S. pyogenes und S. agalactiae, Pneumokokken, H. influ-
Mupirocin wirkt bakteriostatisch durch Hemmung der Proteinsyn- enzae, Bacillus subtilis, Neisserien und Pasteurellen.
these. Die Hemmung erfolgt durch die Inaktivierung der Isoleucyl-
tRNA-Synthetase aufgrund der Bindung der Pseudomoninsäure A. jPharmakokinetik
Dadurch wird der Einbau von Isoleucin in Proteine verhindert, die Da bei systemischer Applikation Mupirocin schnell zu Moninsäure
Peptidkette bricht am Ribosom ab. inaktiviert wird, steht nur die topische Anwendung zur Verfügung,
106.6 · Oxazolidinone
771 106
bei der vor Ort auf der Haut oder Schleimhaut eine sehr hohe 106.6.1 Beschreibung
Mupirocinkonzentration erreicht wird.
jWirkungsmechanismus und Wirktyp
jResistenz Linezolid wirkt je nach Bakterienart bakteriostatisch oder bakterizid
Eine natürliche, intrinsische Resistenz gegen Mupirocin besitzen aufgrund seiner Hemmung der Proteinsynthese durch Bindung an
alle Pseudomonas fluorescens-Stämme dank ihrer strukturell verän- die ribosomale 50S-Untereinheit. Dieser Vorgang wird kompetitiv
derten Isoleucyl-tRNA-Synthetase, an die Mupirocin nicht binden durch Chloramphenicol und Lincosamine, z. B. Clindamycin, ge-
kann. hemmt. Vermutlich wird die Initiation des 70S-Ribosoms gestört
Eine erworbene Resistenz gegen Mupirocin liegt bei Staphylo- und damit die Proteinbiosynthese in einem frühen Stadium unter-
kokken durch Veränderung der Bindungsstelle an der Isoleucyl- brochen.
tRNA-Synthetase vor:
4 Bei einer »Low-level«-Resistenz liegt eine sterische Konforma- jWirkungsspektrum
tionsänderung der Bindungsstelle vor. Linezolid wirkt auf alle grampositiven Erreger, aerob und anaerob
4 Bei einer »High-level«-Resistenz wird eine veränderte Iso- wachsende:
leucyl-tRNA-Synthetase hergestellt, an die Mupirocin nicht 4 bakteriostatisch, z. B. auf Staphylokokken einschließlich
binden kann. MRSA, Enterokokken einschließlich bei Vancomycinresistenz,
Korynebakterien, Rhodokokken, Listerien, M. tuberculosis und
M. avium/intracellulare, Bazillen, Clostridien und
106.5.2 Rolle als Therapeutikum Peptostreptokokken
4 bakterizid auf Streptokokken einschließlich penicillinresistenter
jIndikationen Pneumokokken.
Sanierung von in der Nase kolonisierten MRSA-Trägern und topi-
sche Behandlung von Hautinfektionen wie Impetigo, Follikulitis Gramnegative Bakterien sind resistent. Eine Ausnahme bilden die
sowie infizierte kleinflächige Ekzeme und Hautverletzungen. Pasteurellen, die mit Oxazolidinonen abgetötet werden können.

jKontraindikationen jPharmakokinetik
Mupirocin darf nicht in der Schwangerschaft und bei Säuglingen bis Linezolid wird nach oraler Applikation unabhängig von der Nah-
zu 1 Jahr angewendet werden. Bei topischer Anwendung stellt nur rung vollständig resorbiert und diffundiert in alle Gewebe (z. B.
die Überempfindlichkeit gegenüber Mupirocin eine Kontraindika- Knochen, Haut, Schleimhäute, Muskulatur, Lunge) und Körperflüs-
tion dar. sigkeiten. Im Liquor cerebrospinalis wird sogar eine 4-mal so hohe
Konzentration wie im Serum erreicht. Die Metabolisierung durch
jAnwendungen Oxidation des Morpholinrings erfolgt zu 65 % über die Leber in anti-
Mupirocin wird nur in Salbenform auf die entsprechenden Haut- bakteriell unwirksame Metaboliten. Das Cytochrom-P450-Enzym-
areale oder auf die Nasenschleimhaut aufgetragen. system der Leber und die Nierenfunktion bei renaler Ausscheidung
werden nicht beeinträchtigt. Die Halbwertszeit beträgt 5–7 h.
jNebenwirkungen
Bei topischer Anwendung sind keine Nebenwirkungen von Mupiro- jResistenz
cin bekannt. Selten wird Resistenz aufgrund der Veränderung des Zielmoleküls
an der Ribosomenuntereinheit der 23S-rRNA durch Punktmuta-
tion(en) beobachtet. Unter länger dauernder Therapie, bei Infektio-
106.6 Oxazolidinone nen durch nichtentfernte Endo- und Gefäßprothesen oder bei nicht-
drainierten Abszessen ist es zu verminderter Empfindlichkeit bei
Steckbrief Staphylo- und Enterokokken gekommen. Beide Bakteriengruppen
besitzen eine unterschiedliche Zahl von Genen für die 23S-rRNA.
Oxazolidinone sind synthetisch hergestellte, antibakteriell Bei Punktmutationen nur in einem Teil der Gene wird entsprechend
wirksame Chemotherapeutika ohne Verwandtschaft zu anderen dem Gendosiseffekt eine verminderte bis vollständige Resistenz
Antibiotika. Linezolid als erstes zugelassenes Präparat zur An- beobachtet.
wendung beim Menschen wirkt auf alle grampositiven, aerob
und anaerob wachsenden Erreger, auch MRSA und VRE, je nach
Bakterienart entweder bakteriostatisch oder bakterizid. Es kann 106.6.2 Rolle als Therapeutikum
wegen seiner guten Bioverfügbarkeit bei diversen schweren
Infektionen eingesetzt werden. jIndikationen
Linezolid kann zur Therapie schwerer Infektionen einschließlich
Pneumonie, Haut- und Weichgewebeinfektionen v. a. durch (multi)
resistente grampositive Erreger, inklusive MRSA und VRE, verab-
reicht werden.

jKontraindikationen
Linezolid darf nicht bei Allergie gegen die Substanz, Patienten mit
unkontrollierter Hypertonie, Phäochromozytom, Karzinoid, Thy-
reotoxikose, bipolarer Depression, schizoaffektiver Psychose, akuten
Verwirrtheitszuständen sowie bei gleichzeitiger Einnahme einer
772 Kapitel 106 · Weitere antibakterielle Substanzen

Reihe von Arzneimitteln wie Monoaminoxidase-A/B-Blocker, Sero- jNebenwirkungen


toninaufnahmeblocker, Sympathomimetika, blutdrucksteigernde Unerwünschte Wirkungen können eine reversible Knochenmark-
Arzneimittel, Dopaminergika, Pethidin oder Buspiron gegeben suppression bei Therapiedauer über 4 Wochen, Kopfschmerz, Übel-
werden. keit, Diarrhö, Verfärbung der Zunge und allergische Reaktionen
sein. Wegen einer möglichen Hemmung der Monoaminoxidase und
jAnwendungen der Gefahren von Blutdruckabfall, Verwirrung und Temperaturer-
Linezolid kann oral und parenteral appliziert werden. Die gute Phar- höhung soll die gleichzeitige Aufnahme von Tyramin vermieden
Chemotherapie

makokinetik ist Grundlage der gleichen Dosierung für beide Appli- werden.
kationsformen. Eine Dosisreduktion bei Nieren- oder Leberinsuffi-
zienz ist nicht notwendig.

106.7 Daptomycin

Steckbrief

Daptomycin ist ein zyklisches Lipopeptidantibiotikum und wurde aus Streptomyces roseosporus isoliert. Es besitzt keine Verwandtschaft
zu anderen Antibiotika. Daptomycin ist ein Reserveantibiotikum und zur Therapie ausschließlich grampositiver Infektionen, v. a. durch
MRSA, in Haut- und Weichgeweben sowie bei Rechtsherzendokarditis parenteral applizierbar.

106.7.1 Beschreibung jPharmakokinetik


Daptomycin wird nur eingeschränkt im Gewebe, v. a. in stark vasku-
jWirkungsmechanismus und Wirktyp larisiertem Gewebe, extrazellulär verteilt. Keine ausreichende Kon-
Daptomycin wirkt durch Depolarisation in Gegenwart von Kalzium- zentration in Lunge, Liquor und Galle. Die Bioverfügbarkeit ist bei
ionen und Zusammenbruch des Ionengradienten bakterizid an der > 90 %iger Proteinbindung und der molekularen Größe einge-
Zellmembran. Das führt zu einer raschen Hemmung der Protein-, schränkt. Die Halbwertszeit beträgt 8–9 h. Die Metabolisierung er-
DNA- und RNA-Synthese. Ausgeprägte Bakterizidie besteht durch folgt nur in geringem Maß über das Cytochrom-P450-System in der
Abtötung der Bakterienzellen über mehr als 3 Log-Stufen innerhalb Leber. Die Ausscheidung erfolgt renal in unveränderter Form.
von 8 h und zusätzlichen postantibiotischen Effekt über 1–6 h.
jResistenz
jWirkungsspektrum Eine natürliche, intrinsische Resistenz bei gramnegativen Bakterien
Daptomycin wirkt stark bakterizid auf aerob und anaerob wachsen- besteht wegen fehlender Penetration der äußeren Zellmembran
de grampositive Bakterien wie S. aureus einschließlich MRSA, Ente- durch Daptomycin. Eine erworbene Resistenz wurde bei S. aureus
rokokken einschließlich vancomycinresistenter E. faecium, S. pneu- unter Therapie beobachtet. Ursache könnte die reduzierte Empfind-
moniae und β-hämolysierender Streptokokken, Korynebakterien, lichkeit gegenüber einer daptomycininduzierten Depolarisation,
Listerien, Erysipelothrix rhusiopathiae, Bazillen, Clostridien, Leuco- Permeabilisierung und Autolyse sein oder die reduzierte Daptomy-
nostoc, Pediococcus, Laktobazillen, Propionibakterien und Actino- cinbindung durch erhöhte Fluidität und positive Ladung der Zell-
myces. membran.
Keine Wirkung besteht auf gramnegative Bakterien.
106.8 · Chloramphenicol
773 106
106.7.2 Rolle als Therapeutikum tRNA. Damit wird auch die Anlagerung löslicher rRNA-tRNA-
Komplexe an die Ribosomen verhindert. Der Wirkmechanismus ist
jIndikationen nicht mit dem der β-Laktam-Antibiotika identisch.
Daptomycin kann zur Therapie komplizierter Haut- und Weichge-
webeinfektionen durch o. g. Erreger sowie von S. aureus-bedingter jWirkungsspektrum
Rechtsherzendokarditis und Bakteriämie eingesetzt werden. Liegt Chloramphenicol wirkt bakteriostatisch gegen viele aerob oder
eine Mischinfektion mit gramnegativen Bakterien vor, muss stets sporenlos anaerob wachsende grampositive und -negative sowie
eine Kombinationstherapie mit einem entsprechend wirksamen An- intrazelluläre Bakterien. Eine besonders gute Wirkung wird gegen
tibiotikum erfolgen. Salmonellen, Rickettsien, Chlamydien, Mykoplasmen, Leptospiren,
Fusobakterien sowie Bacteroides- und Peptostreptokokkenarten
jKontraindikationen erzielt.
Keine Anwendung in Schwangerschaft, Stillzeit und bei Kindern we- Keine Wirkung auf P. aeruginosa, Mykobakterien und Nocar-
gen fehlender klinischer Untersuchungen. Keine Anwendung bei dien.
Überempfindlichkeit gegen Daptomycin.
jPharmakokinetik
jAnwendungen Chloramphenicol wird nach oraler und i. v. Applikation bei 50 %iger
Daptomycin wird ausschließlich parenteral appliziert. Bei Nierenin- Plasmaeiweißbindung gut in alle Gewebe und intrazellulär verteilt,
suffizienz muss eine Dosisreduktion erfolgen. Bei Hämo- und Peri- v. a. auch in Liquor, Pleura-, Peritoneal-, Synovialflüssigkeit, Kam-
tonealdialyse werden 10–15 % von Daptomycin entfernt. Bei Leber- merwasser und Glaskörper des Auges, Nabelschnurblut, Amnion-
insuffizienz ist keine Dosisreduktion notwendig. flüssigkeit, Muttermilch etc. Die Plasmahalbwertszeit beträgt 3 h.
Die Elimination erfolgt zu über 90 % renal mit einem Anteil
jNebenwirkungen von bis zu 80 % in biologisch inaktiver Form des Glukuronids durch
Nach i. v. Gabe von Daptomycin wurden lokale Reizungen, Erbre- tubuläre Sekretion, der Rest unverändert über glomeruläre Filtra-
chen, Durchfall oder Obstipation, Kopf- und Muskelschmerzen, tion. Bei Leberinsuffizienz ist die Halbwertszeit durch die ver-
Schlaflosigkeit und eine Kreatininerhöhung bis hin zum Nierenver- ringerte Bindung an Glukuronsäuren verlängert und es muss eine
sagen beobachtet. Die gleichzeitige Gabe von HMG-CoA-Inhibitor, Dosisanpassung erfolgen. Die biliäre Ausscheidung ist gering.
einem Inhibitor der Cholesterinsynthese, erhöht das Risiko für eine
Myopathie. jResistenz
Erworbene Resistenzmechanismen gegen Chloramphenicol:
4 Änderung der Membranpermeabilität mit vermindertem
106.8 Chloramphenicol Zellwanddurchtritt bedingt durch Resistenzplasmid
4 plasmidkodierte enzymatische Inaktivierung durch Azetyl-
Steckbrief
transferasen
4 plasmidkodierter Efflux, der zum aktiven Transport aus
Chloramphenicol ist ein Antibiotikum aus der Gruppe der Phenyl- der Bakterienzelle führt
alaninderivate und wurde bereits 1947 erstmalig aus Strepto-
myces venezuelae isoliert. Wegen seiner starken Toxizität darf
Chloramphenicol nicht mehr ohne spezielle Indikation eingesetzt 106.8.2 Rolle als Therapeutikum
werden. Bedingt durch die weltweite Resistenzentwicklung der
Bakterien gegen alle anderen Antibiotika in Einzelfällen und nach jIndikationen
Resistenztestung sowie durch Zunahme der Unverträglichkeiten Chloramphenicol wird heute wegen der hohen Toxizität nur selten
wird es wieder benötigt. Indikationen stellen Hirnabszesse, eingesetzt. Durch die weltweite Resistenzentwicklung der Bakterien
Typhus, Paratyphus, Salmonellenmeningitis, Melioidose und gegen alle anderen Antibiotika wird diese Substanz in Einzelfällen
Rickettsiose sowie intraokuläre Infektionen dar. und nach Resistenztestung sowie durch Zunahme der Unverträg-
lichkeiten wieder benötigt. Indikationen stellen Hirnabszesse, Ty-
phus, Paratyphus, Salmonellenmeningitis, Melioidose und Rickett-
siose sowie intraokuläre Infektionen dar. Aktuell steht Chloramphe-
nicol in Deutschland nur zur topischen Therapie von Augenerkran-
kungen als Augensalbe und in Österreich gar nicht mehr zur
Verfügung.

jKontraindikationen
Chloramphenicol darf nicht ohne gesicherte Diagnosestellung ver-
abreicht werden. Kontraindikationen sind Schwangerschaft, Stillzeit,
aplastische Blutkrankheiten und Leberinsuffizienz.
106.8.1 Beschreibung
jAnwendungen
jWirkungsmechanismus und Wirktyp Chloramphenicol kann i. v. und oral ab der Geburt appliziert werden.
Chloramphenicol wirkt bakterizid durch Hemmung der Proteinsyn- Wegen der Gefahr der Kumulation und der dadurch bedingten
these. Diese erfolgt mittels Peptidyltransferase durch Anlagerung Nebenwirkungen sollte der Serumspiegel wiederholt kontrolliert
von Chloramphenicol an die 23S-rRNA und führt zur Blockierung werden. Topische Anwendung zur kurzzeitigen Therapie von Augen-
der Bindung des Chloramphenicol-23S-rRNA-Komplexes an die infektionen ist möglich.
774 Kapitel 106 · Weitere antibakterielle Substanzen

jNebenwirkungen
Chloramphenicol hat ein ausgeprägtes Nebenwirkungsspektrum.
Bei einem von 20.000 Patienten kommt es nach der Einnahme zu
irreversiblen aplastischen Blutkrankheiten wie Panzytopenie, aplas-
tische Anämie, Neutropenie oder Thrombozytopenie, die erst nach
einer bis zu 2 Monaten langen Latenzzeit auftreten und mit einer
Letalität > 50 % assoziiert sind. Weiterhin treten reversible Erythro-
Chemotherapie

poesestörungen, Gray-Syndrom, Neuritis n. optici und periphere


Neuritis sowie leichte gastroenterale Störungen auf.

In Kürze
Weitere antibakterielle Substanzen
Metronidazol
Indikationen Protozoonosen wie Giardiasis, Amöbiasis, Anaero-
bierinfektionen, perioperative Prophylaxe und antibiotikaindu-
zierte Enterokolitis.
Kontraindikationen Schwangerschaft und Stillzeit, Nitroimida-
zolallergie.

Fosfomycin
Indikationen Schwere Infektionen auch im ZNS, vor allem in
Kombination mit β-Laktam-Antibiotika.
Kontraindikationen Allergie, akutes Nierenversagen,
Schwangerschaft und Stillzeit.

Fusidinsäure
Indikationen Infektionen durch Staphylokokken, topische
Anwendung bei Hautinfektionen.
Kontraindikationen Allergie und Leberinsuffizienz.

Polymyxine
Indikationen Topische Anwendung bei Konjunktivitiden,
Vernebelung bei Mukoviszidose, i. v. Gabe bei multiresistenten
Erregern nach Resistenztestung
Kontraindikationen Allergie und Anwendung in Körperhöhlen.

Mupirocin
Indikationen MRSA-Sanierung der Nasenschleimhaut und
topische Anwendung auf der Haut.
Kontraindikationen Allergie, Schwangerschaft und Stillzeit.

Oxazolidinone (Linezolid)
Indikationen Schwere Infektionen durch grampositive multi-
resistente Erreger (MRSA, VRE).
Kontraindikationen Allergie und unkontrollierte Hypertonie.

Daptomycin
Indikationen Komplizierte Haut- und Weichgewebeinfektionen,
v. a. durch grampositive multiresistente Erreger (MRSA, VRE).
Kontraindikationen Allergie, Schwangerschaft und Stillzeit.

Chloramphenicol
Indikationen Nur im Einzelfall bei Resistenz von schweren
Infektionen und Hirnabszessen.
Kontraindikationen Aplastische Bluterkrankungen und Leber-
insuffizienz.
775 107

Antimykotika
G. Haase

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_107, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Zur wirksamen i. v. Therapie von Systemmykosen standen bis 1985 107.1 Einteilung der Antimykotika
praktisch nur 2 Substanzen zur Verfügung: Amphotericin B und Flucy-
tosin. Flucytosin sollte aufgrund der schnellen Resistenzentwicklung Chemisch lassen sich die Antimykotika 11 Substanzklassen zuord-
nur in Kombination mit Amphotericin B verabreicht werden. Die Ein- nen: Allylamine, Benzofurane, Benzoxaborole, Echinocandine,
führung des Triazolderivats Fluconazol im Jahr 1990 leitete dann eine Hydroxypyridone, Imidazole, Morpholine, Polyene, Pyrimidine,
Trendwende in der Behandlung von Schleimhaut- und Systemmyko- Thiocarbamate, Triazole. Molekularbiologisch kann man die Anti-
sen ein, da dieses Antimykotikum sehr viel verträglicher war. mykotika nach ihrem Wirkort und -mechanismus in 4 Gruppen
Kurze Zeit danach wurde ein neues Triazol, das Itraconazol, zur Behand- einteilen:
lung von Systemmykosen zugelassen. Es weist ein wesentlich breiteres 4 Hemmung der Ergosterolsynthese
Wirkungsspektrum auf als Fluconazol. 10 Jahre später erfolgte dann die 4 Porenbildung in der Plasmamembran
Einführung weiterer Triazolderivate: Voriconazol und Posaconazol und 4 Hemmung der Zellwandsynthese
2015 das Isavuconazol. Als Vertreter einer neuen Substanzklasse, der 4 andere Wirkungsmechanismen (z. B. Hemmung der Mikro-
Echinocandine [hemmen die Synthese von β-(1,3)-D-Glykan in der Pilz- tubulisynthese und der Leucyl-tRNA-Synthetase)
zellwand, 7 s. u.], wurde zuerst das Caspofungin, 2007 das Anidulafun-
gin und 2012 das Micafungin eingeführt. Somit hat sich das Arsenal
an Antimykotika, die zur Therapie lebensbedrohlicher Systemmykosen 107.1.1 Hemmung der Ergosterolsynthese
geeignet sind, erheblich ausgeweitet.
Ergosterol ist ein pilzspezifischer Bestandteil der Zellmembran und
kommt nicht in der menschlichen Zelle vor. Somit ist die Hemmung
Schwierigkeiten bei der Therapie von Mykosen der Synthese dieses lebenswichtigen Moleküls eine Möglichkeit
Die Letalität von Systemmykosen ist, trotz optimaler Therapie, mit ca. 50 % zur spezifischen Behandlung von Pilzinfektionen. Dies kann auf
weiterhin sehr hoch. Problematisch ist eine noch unzureichende Diagnostik, den verschiedenen Stufen der Biosynthese von Ergosterol durch
die den Therapiebeginn verzögern kann. Außerdem setzt der therapeutische Blockade der jeweils beteiligten Enzyme erfolgen.
Erfolg sehr viel später ein als bei einer antibakteriellen Therapie. Dies ist u. a. Die wichtigsten Substanzen dabei sind die Imidazol- und Tria-
auf die im Vergleich zu Bakterien deutlich geringere Wachstumsgeschwin-
zolderivate, die das pilzspezifische Enzym Lanosterol-C-14-α-
digkeit der Pilze zurückzuführen.
Demethylase durch Bindung an die Hämgruppe in ihrer enzymati-
Deshalb ist es sinnvoll, entsprechend gefährdete Patienten (z. B. nach häma-
topoetischer Stammzelltransplantation mit der dabei obligat verbundenen schen Aktivität hemmen (Umwandlung Lanosterol zu Ergosterol).
Neutropenie (< 500 neutrophile Granulozyten/μl Blut) durch eine Antimyko- Durch die Enzymblockade kommt es zu einer starken Verminde-
tikaprophylaxe vor der Entstehung einer systemischen Mykose zu bewah- rung der Synthese von Ergosterol, das zum Aufbau und zur Funktion
ren. Diese und die präemptive Therapie, die bei auf eine beginnende Sys- der Pilzzellmembran lebensnotwendig ist (z. B. Veränderung der
temmykose hinweisenden Befunden (z. B. Anstieg der Aspergillusantigen- Fluidität).
Konzentration im Blut) eingeleitet wird, konnten die Rate an manifesten Stattdessen werden dann sog. toxische Sterole (Zwischenpro-
Systemmykosen deutlich verringern. Auch krankenhaushygienische Maß- dukte) akkumuliert und in die Zellmembran eingebaut ( . Abb.
nahmen, wie z. B. eine effektive Luftfilterung von Pilzsporen, haben dazu 107.1). Die Pilzzelle kann dann nicht mehr wachsen bzw. sich repro-
beigetragen. Somit kann man heute viele Patienten in der infektanfälligen
duzieren. Daraus resultiert bei diesen Substanzen eine vornehmlich
neutropenischen Phase vor Pilzinfektionen schützen und damit deren Über-
fungistatische Wirkung. Auf Pilze in einem Biofilm (z. B. luminal
leben sichern.
Ein zahlenmäßig größeres Problem stellt die adäquate Therapie von Pilz- besiedelter Katheter) wirken diese Substanzen kaum.
infektionen der Haut- und Hautanhangsorgane durch Dermatophyten und Bei der Lanosterol-Demethylase des Pilzes handelt es sich um
Hefen dar. Bis 1970 war dafür Griseofulvin das alleinige Mittel der Wahl. Aber ein Enzym des Cytochrom-P450-Komplexes (CYP51). Daher kön-
auch hier sind die neu entwickelten Substanzen, z. B. Clotrimazol, Itracona- nen die Triazole in unterschiedlichem Ausmaß auch mit Cyto-
zol und Terbinafin, wesentlich verträglicher und erlauben häufig eine kür- chrom-P450-Enzymen menschlicher Zellen interagieren. So kann
zere Behandlungsdauer. z. B. durch gleichzeitige Rifampicintherapie und die dadurch be-
dingte Cytochrom-P450-Enzyminduktion die Plasmakonzentration
aller Triazole vermindert werden.
776 Kapitel 107 · Antimykotika

100‒1600 mg/d anwendbar. Eine i. v. Applikation erfolgt typischer-


weise 1-mal täglich. Zu beachten sind die zahlreichen Interaktionen
mit anderen Medikamenten.

jWirkungsspektrum
Fluconazol ist das in den letzten 25 Jahren weltweit am häufigsten
eingesetzte Antimykotikum zur Therapie von Candidosen. Neben
Chemotherapie

C. albicans sind C. dubliniensis, C. guilliermondii, C. parapsilosis


und C. tropicalis in der Regel empfindlich. Bei C. glabrata ist nur ein
geringerer Prozentsatz in vitro voll empfindlich, während C. krusei-
Isolate als intrinsisch resistent einzustufen sind. Bei Infektionen mit
Cryptococcus neoformans und bei den außereuropäischen System-
mykoseerregern (Blastomyces dermatitidis, Coccidioides spp., His-
toplasma capsulatum und Paracoccidioides brasiliensis) kann diese
Substanz als Kombinationspartner eingesetzt werden.

jNebenwirkungen
Unerwünschte Nebenwirkungen sind gastrointestinale Beschwer-
den wie Erbrechen und Durchfälle.

Voriconazol
Steckbrief

Voriconazol als Weiterentwicklung des Fluconazol steht eben-


falls als orale und i. v. Applikation zur Verfügung. Der Wirkstoff
penetriert gut in wichtige Kompartimente, z. B. Hirnparenchym,
Glaskörper etc. Da er hepatisch verstoffwechselt wird, sind zum
. Abb. 107.1 Wirkungsmechanismus von Triazolen. Die Inhibition diverser
einen Wechselwirkungen zu beachten, zum anderen besteht
intrazellulärer Enzyme, die an der Biosynthese vom Ergosterol beteiligt
eine relative Kontraindikation bei Leberinsuffizienz. In der Struk-
sind, insbesondere 14-α-Demethylase führt zum Einbau »toxischer« Inter-
mediate in die Plasmamembran
turformel sind die Unterschiede zum Fluconazol (rechter oberer
Molekülrest) erkennbar.

Fluconazol
Steckbrief

Fluconazol lässt sich sowohl oral als auch i. v. bei Sprosspilz-


mykosen und auch topisch bei Hautmykosen einsetzen. Der
Wirkstoff ist gut liquorgängig und reichert sich auch im Urin an.
Er besitzt eine große therapeutische Breite; zu beachten sind
mögliche Resistenzen (z. B. Candida glabrata, C. krusei [intrin-
sisch resistent]).

jPharmakologie
Voriconazol (VFend) ist eine Weiterentwicklung des Fluconazols.
Auch diese Substanz gibt es in einer oralen und einer i. v. Formulie-
rung (zusammen mit einem Cyclodextrin als Lösungsvermittler,
. Abb. 107.2). Dies ermöglicht eine kostengünstige Sequenztherapie
(= Umstellung von i. v. auf orale Therapie, sobald es der verbesserte
Zustand des Patienten erlaubt). Nach der Aufsättigungsphase beträgt
die tägliche Dosierung 2-mal 4 mg/kg KG.
Die Substanz wird bei oraler Gabe praktisch vollständig resor-
biert und zeigt eine hohe Gewebepenetration in die relevanten Kör-
jPharmakologie perkompartimente, z. B. Alveolarflüssigkeit, Hirnparenchym, Kam-
Das Triazol Fluconazol (Diflucan) ist sowohl oral als auch zur i. v. merwasser und Glaskörper. Im Gegensatz zu Fluconazol wird Vori-
Applikation verfügbar. Berichtet wird auch über eine erfolgreiche conazol hauptsächlich in der Leber durch Cytochrom-P450-Isoen-
Applikation von Salben zur topischen Behandlung von Hautmyko- zyme metabolisiert und dann biliär ausgeschieden. Daher ist bei
sen. Die hydrophile Substanz wird gut und schnell resorbiert und Patienten mit Leberinsuffizienz eine Dosisreduktion notwendig bzw.
penetriert wässrige Kompartimente wie Liquor und Urin gut. Sie eine Gabe kontraindiziert. Bei Niereninsuffizienz kann es zur ver-
wird wenig in der Leber metabolisiert und hauptsächlich unver- minderten renalen Exkretion des Lösungsvermittlers Cyclodextrin
ändert über den Urin ausgeschieden. Fluconazol weist eine hohe kommen. Daher sollten diese Patienten dann vorzugsweise oral be-
therapeutische Breite auf und ist in einem Dosisbereich von handelt werden (ggf. via Magensonde).
107.1 · Einteilung der Antimykotika
777 107
H2O Itraconazol
Steckbrief

Itraconazol (Sempera) ähnelt in seiner Molekülstruktur Keto-


conazol; es liegt als orale und i. v. Formulierung vor. Da der Wirk-
stoff jedoch schlecht resorbiert wird, ist jeweils Cyclodextrin
zugesetzt. Itraconazol wird v. a. renal eliminiert, daher ist bei be-
stehender Niereninsuffizienz auf die Dosierung zu achten.
Zu berücksichtigen sind wegen des hepatischen Metabolismus
Interaktionen mit anderen Medikamenten.
Gastmolekül, Cyclodextrin-
z. B. Voriconazol molekül
. Abb. 107.2 »Verpackung« eines lipophilen Medikaments (z. B. Voricona-
zol) mittels Cyclodextrin

Durch die Leberverstoffwechselung sind zahlreiche Interaktio-


nen mit anderen Medikamenten zu beachten (insbesondere Immun-
suppressiva, z. B. Sirolimus, oder Sedativa wie Benzodiazepine). Hier
ist ggf. eine Dosisanpassung notwendig. Auch genetische Varianten
der Cytochrom-P450-Isoenzyme haben eine unterschiedliche Affi- jWirkungsspektrum
nität zum Voriconazol (Pharmakogenetik!) und sind Ursache für Itraconazol hat ein breiteres Wirkungsspektrum als Fluconazol und
ein unterschiedliches Ausmaß von Arzneimittelinteraktionen beim ist gegenüber Candida spp., C. neoformans und Aspergillus spp.
Patienten. wirksam. Bei Candida spp. besteht häufig (aber nicht immer) eine
Kreuzresistenz mit Fluconazol. Außerdem sind Dermatophyten und
jNebenwirkungen außereuropäische Systemmykoseerreger, Schwärzepilze (Chromo-
Unerwünschte Nebenwirkungen sind, wie beim Fluconazol, gastro- mykose, Phäohyphomykose) sowie S. schenckii in vitro empfind-
intestinale Beschwerden sowie Erbrechen und Durchfälle. Andere lich. Eine sehr geringe Wirksamkeit besteht gegenüber Zygomyze-
Nebenwirkungen treten üblicherweise nur vorübergehend auf, z. B. ten. In mehreren Studien war eine gute Wirksamkeit im Rahmen
Veränderung der Farbwahrnehmung, Fotodermatosen und Erhö- eine Pilzprophylaxe bei gefährdeten Patienten nachweisbar.
hung der Leberenzymwerte.
jPharmakologie
jIndikationen und Wirkungsspektrum Itraconazol ähnelt in seiner Molekülstruktur Ketoconazol (einem
Voriconazol ist ein Breitbandantimykotikum und derzeit das Mittel Imidazol, das aufgrund seines Nebenwirkungsprofils heute nicht
der Wahl zur Therapie invasiver Aspergillosen (auch bei Gehirn- mehr i. v. verabreicht wird) und ist seit 1991 in oraler Formulierung
und Skelettbeteiligung). Ferner besteht eine Zulassung für Candidä- verfügbar. Da die Substanz auch oral schlecht resorbiert wird (besser
mien bei nichtneutropenischen Patienten. Hierbei werden auch bei niedrigem pH – daher Gabe zusammen mit z. B. Coca-Cola emp-
fluconazolresistente Arten wie C. krusei erfasst. Allerdings weist fohlen; cave: gleichzeitige Gabe von Antazida oder H2-Rezeptor-
diese Substanz wie Fluconazol höhere MHK-Werte gegenüber Blocker), wurde hier ebenfalls mittlerweile durch Cyclodextrin-
C. glabrata auf. zusatz (Sirupformulierung) eine bessere Resorbierbarkeit erreicht.
Erstmalig sind mit Voriconazol invasive Acremonium-, Fusa- Folglich lag der Schwerpunkt des Einsatzes bei der Behandlung
rium- und Scedosporium-Infektionen mit einigem Erfolg therapier- von Dermatomykosen und in der Prophylaxe mykosegefährdeter
bar. Auch gegenüber den basidiomyzetalen Hefearten Cryptococcus immunsupprimierter Patienten. Wegen der schlechten Wasserlös-
spp. und Trichosporon spp., den außereuropäischen Systemmykose- lichkeit wurde erst sehr viel später (wiederum durch Cyclodextrin-
erregern sowie den Schwärzepilzen (Cladophialophora bantiana, zusatz) eine i. v. Formulierung entwickelt.
Exophiala spp., Rhinocladiella mackenziei) und den Dermatophyten Nach der Aufsättigungsphase beträgt die Dosierung 200 (i. v.
ist diese Substanz in vitro wirksam. Einmalgabe) bis 400 mg/d (oral). Auch Itraconazol wird durch eine
Das im Vergleich zum Fluconazol erweiterte Wirkungsspektrum humane Cytochrom-P450-Monooxygenase metabolisiert, wobei das
ist auf eine starke (bis zu 100-fache) Erhöhung der Bindungsintensi- ebenfalls antimykotisch wirksame Hydroxyitraconazol entsteht. Die
tät gegenüber dem Zielenzym zurückzuführen. Deshalb wird diese Substanz wird überwiegend renal eliminiert. Wiederum ist auf eine
Substanz zukünftig wahrscheinlich auch in der Prophylaxe einge- Akkumulation von Cyclodextrin bei bestehender Niereninsuffizienz
setzt werden. Isavuconazol (Cresemba) ist eine Weiterentwicklung zu achten.
des Voriconazols und seit 2015 auch als i. v. sowie orale Formulie-
rung verfügbar. Dieses Triazol soll auch gegen Mucorales wirksam jIndikationen
sein. Da Itraconazol noch bis zu 6 Monate nach Therapieende in der
Nagelmatrix nachweisbar ist, wird es besonders in Form einer inter-
jResistenz mittierenden Therapie (3-mal je 1 Woche Behandlung mit 400 mg/
Resistent sind alle Mucoromycotina (Zygomyzeten) sowie Paecilo- Tag, jeweils im 1-Monats-Abstand) bei Onychomykosen eingesetzt.
myces variotii, Lomentospora (Scedosporium) prolificans (hier aber Weil sich die Substanz auch in der Haut anreichert, wird sie bei groß-
ggf. als Kombinationspartner mit einem Echinocandin einsetzbar) flächigen Dermatomykosen wie Tinea pedis und Tinea manuum
und Sporothrix schenckii. eingesetzt. Auch zur Therapie von Vulvovaginalmykosen wird Itra-
conazol erfolgreich verwendet.
778 Kapitel 107 · Antimykotika

jWechselwirkungen und Kontraindikationen Topisch angewendete Ergosterolsynthesehemmer


Wie bei den anderen Triazolen sind die durch die Leberverstoff- Es gibt weiterhin eine Vielzahl von Antimykotika, die auch die
wechselung bedingten, zahlreichen Interaktionen mit anderen Ergosterolsynthese hemmen, aber vorzugsweise topisch eingesetzt
Medikamenten zu beachten (insbesondere Antiarrhythmika, Pro- werden. Von diesen Substanzen werden hier nur 3 häufig eingesetzte
teaseinhibitoren, Statine). Eine Kontraindikation besteht bei Patien- Substanzen detaillierter dargestellt: Amorolfin, Cotrimazol und Ter-
ten mit Herzinsuffizienz. binafin.

jNebenwirkungen jAmorolfin
Chemotherapie

Unerwünschte Nebenwirkungen sind, wie beim Fluconazol, gastro- Amorolfin (Loceryl) ist ein Morpholinderivat und nur als Nagellack
intestinale Beschwerden sowie Appetitlosigkeit und Müdigkeit. erhältlich. Die Substanz blockiert die Δ14-Reduktase und die Δ7-8-
Schwerwiegende Nebenwirkungen (z. B. Hepatotoxizität) sind sel- Isomerase bei der Biosynthese des Ergosterols. Eine Wirksamkeit
ten. Sehr selten kann ein kongestives Herzversagen auftreten. besteht gegenüber allen Dermatophytenarten und den Onychomy-
koseerregern Scopulariopsis spp. und Neoscytalidium spp. Sinnvol-
Posaconazol lerweise kann sie bei leichten Formen der Onychomykosen erfolg-
Steckbrief versprechend eingesetzt werden. Die Anwendungsdauer beträgt
dabei bis zu 6 Monate bei wöchentlich 2-maliger Applikation.
Als weiter entwickelte Form des Itraconazols wird Posaconazol
bislang hauptsächlich als orale Formulierung eingesetzt. Die jCotrimazol
Substanz wird im Gegensatz zu den vorgenannten nicht über Cotrimazol (Canesten) ist ein Imidazolderivat und wurde 1973 als
Cytochrom-P450-Monooxygenasen verstoffwechselt, sondern in Breitbandantimykotikum zur topischen Behandlung von Haut- und
der Leber glukuronidiert; es erfolgt keine renale Ausscheidung. Schleimhautmykosen zugelassen. Es gibt diese Substanz in zahlrei-
chen Zubereitungsformen (Puder, Salbe, Tinktur, Vaginalzäpfchen).
Durch Hemmung der Lanosterol-Demethylase wird letztendlich die
Ergosterolbiosynthese vermindert.Außerdem bindet Cotrimazol
direkt an Phospholipide in der Zellmembran der Pilze und beein-
trächtigt damit direkt die Membranintegrität. Eine orale Therapie
mit dieser Substanz wird wegen der Verfügbarkeit besser wirksamer
Substanzen nicht mehr durchgeführt.
Das Wirkungsspektrum umfasst alle Dermatophyten und
C. albicans sowie grampositive Bakterien. Daher wird Cotrimazol
jWirkungsspektrum vorzugsweise bei klassischem Fußpilz, Vaginalmykose (cave: un-
wirksam bei C. glabrata) und bakteriellen Mischinfektionen wie
In vitro ist Posaconazol v. a. wirksam gegen Candida spp. und Asper-
Erythrasma mit großem Erfolg eingesetzt.
gillus spp. sowie gegen Coccidioides immitis und Fusarium spp. Ge-
genüber den anderen heutzutage eingesetzten Triazolen besitzt es
jTerbinafin
auch eine gute Wirksamkeit gegenüber Mucorales. Die Substanz
Terbinafin (Lamisil) ist ein Allylamin, das 1991 eingeführt wurde. Es
wird schwerpunktmäßig im Rahmen der Prophylaxe eingesetzt.
wird nach oraler Gabe in der Haut, den Nägeln und, aufgrund seiner
jPharmakologie Lipophilie, im Fettgewebe angereichert. Durch Inhibition der Squa-
Bei Posaconazol (Noxafil) handelt es sich um eine Weiterentwicklung len-Epoxidase kommt es zur Verminderung der Ergosterolbiosyn-
des Itraconazols. Die Substanz lag lange Zeit nur in einer oralen these. Die Substanz wird lokal und systemisch bei Dermatophyten-
Applikationsform vor (orale Suspension, magensaftresistente Tablet- infektionen mit großem Erfolg eingesetzt.
ten), ab 2014 ist auch eine i. v. Formulierung (Lösungsvermittler Typischerweise beträgt die orale Dosierung 250 mg/d. Die Ver-
β-Cyclodextrin) zugelassen. Die Resorption ist im Gegensatz zum träglichkeit ist gut und unerwünschte Nebenwirkungen sind v. a.
Itraconazol nicht pH-abhängig. Da sie aber nur langsam im Zu- gastrointestinale Beschwerden. Als topische Zubereitungsformen
sammenhang mit einer Nahrungsaufnahme (Fett begünstigt die stehen Salben und Tinkturen zur Verfügung. Erste Ergebnisse einer
Resorption) erfolgt, muss die Gabe mindestens 2-mal täglich erfolgen Zubereitung von Terbinafin in kleinen Lipidvesikeln (Transferosom)
(2- bis 4-mal 200 mg). Die Substanz wird praktisch nicht über Cyto- zeigen eine erhöhte Wirksamkeit. Neuerdings wird ähnlich wie bei
chrom-P450-Monooxygenasen verstoffwechselt. In der Leber erfolgt Itraconazol eine pulsatorische Therapie praktiziert (z. B. 500 mg/d
eine Glukuronidierung, die entstehenden Konjugate werden über den für 1 Woche, 4 Wochen Pause).
Stuhl ausgeschieden. Eine renale Ausscheidung erfolgt nicht. Terbinafin ist in vitro auch wirksam gegenüber Aspergillus spp.,
Candida spp. (nur fungistatisch), Cryptococcus spp., Sporothrix
jNebenwirkungen schenckii und Trichosporon spp., wobei z. T. sehr niedrige MHK-
Unerwünschte Nebenwirkungen entsprechen denen von Fluconazol Werte erzielt werden. Umfangreichere systematische Studien zum
bei guter Verträglichkeit. Therapieerfolg bei diesen Nicht-Dermatophyten-Infektionen exis-
tieren aber bislang nicht. Möglicherweise eignet sich die Substanz
Optimierung von Substanzeigenschaften durch kombinatorische
auch als synergistisch wirksamer Kombinationspartner bei Therapie
Chemie
von Systemmykosen.
Die Ausweitung des Wirkungsspektrum bei den Triazolen Voriconazol bzw.
Posaconazol im Vergleich zu den entsprechenden Ausgangssubstanzen Flu-
conazol bzw. Itraconazol sind ein typisches Beispiel, wie sich in der Pharma-
kologie mithilfe der kombinatorischen Chemie Substanzeigenschaften opti-
mieren lassen. Zu beachten sind die relativ geringfügigen Unterschiede bei
den Liganden des Grundgerüsts dieser beiden Triazolpaare (Steckbriefe).
107.1 · Einteilung der Antimykotika
779 107
107.1.2 Porenbildung in der Zellmembran sion, die als Langzeitinfusion (lichtdicht einpacken) über 24 h am
besten verträglich ist, müssen größere Kolloidpartikel ausfiltriert
Amphotericin B werden.
Steckbrief Aufgrund des sehr breiten Wirkungsspektrums von AmB, aber
der relativ schlechten Verträglichkeit der kolloiden Darreichungs-
Bei Amphotericin B handelt es sich um ein zyklisches Polyen- form, hat man versucht, durch andere galenische Formulierungen
Makrolakton mit 7 konjugierten Doppelbindungen, die den die Verträglichkeit zu verbessern. Seit 1995 ist in Deutschland eine
hydrophoben Teil des Moleküls darstellen: Die gegenüberlie- liposomale Zubereitung (L-AmB) erhältlich, in der das AmB in uni-
gende Kette, gebildet aus der Polyhydroxylgruppe und dem lamellaren Liposomen »verpackt« vorliegt (AmBisome). Dadurch
Aminozucker Mukosamin, ist dagegen hydrophil. Die Substanz konnte die Nebenwirkungsrate (aber nicht das Nebenwirkungsspek-
wird in der klassischen Formulierung mit Desoxycholat verab- trum!) stark gesenkt werden. Die Liposomenmembran besteht aus
reicht, da sie im neutralen Bereich nicht wasserlöslich ist. Eine Sojaphosphatidylcholin, Cholesterol und Distearoylphosphatidyl-
neuere Formulierung nutzt Liposomen als »Verpackung«. glyzerol, in der auch die AmB-Moleküle eingebaut vorliegen. L-Amb
war das erste zugelassene Medikament mit einer liposomalen Zube-
reitung.

jWirkungsmechanismus
Das amphiphile AmB bildet Poren in der Pilzzellmembran aus. Da-
durch wird die Semipermeabilität der Plasmamembran der Pilzzelle
aufgehoben und durch die Poren können intrazelluläre monovalen-
te Kationen wie Kalium und Magnesium, aber auch niedermoleku-
lare Substanzen wie Aminosäuren, Nukleotide und Zuckermoleküle
hinausdiffundieren (. Abb. 107.3). Daneben kommt es zu anderen,
bislang noch nicht genauer erforschten Interaktionen mit der Pilz-
zelle, die mit zu deren Abtötung beiträgt.

jPharmakologie jWirkungsspektrum und Indikationen


Amphotericin wurde aus einer Kulturlösung von Streptomyces In vitro ist die Substanz gegenüber fast allen humanpathogenen Pil-
nodosus isoliert und 1955 beschrieben. Da die stereochemische zen wirksam. Ausnahmen sind Aspergillus terreus, Fusarium spp.,
B-Form (AmB, 7 Steckbrief) eine höhere biologische Aktivität auf- Malassezia spp., Scedosporium spp. und Trichosporium asahii. Bei
weist, wird nur diese als wirksame Substanz eingesetzt. Bezüglich Candida spp. werden sehr selten resistente Isolate gefunden, z. B. bei
seines Wirkungsspektrums gilt es bis heute als Goldstandard für C. guilliermondii, C. krusei, C. lusitaniae, C. norvegensis und C. pa-
Antimykotika. Das amphiphile Verhalten hat zur Namensgebung rapsilosis. Eine Resistenz beruht in der Regel auf dem Vorkommen
dieser Substanz geführt. Die konjugierten Doppelbindungen sind modifizierter Cholesterolmoleküle in der Zellwand dieser Pilze, die
auch für die gelbe Farbe und die Lichtempfindlichkeit dieser Sub- eine geringere Bindungsaffinität zum AmB aufweisen.
stanz verantwortlich. Ferner sind Protozoen wie Akanth- und Entamöben, Leishma-
Da AmB im neutralen Bereich nicht wasserlöslich ist, wird es in nien und Trypanosomen (7 Kap. 82) empfindlich. Auch bei der Pro-
der klassischen Formulierung seit 1960 als kolloidale Lösung mit tothekose, einer durch chlorophylllose Algenarten hervorgerufenen
dem Gallensalz Desoxycholat verabreicht (Fungizone). Bei der Infu- Erkrankung, wird AmB erfolgreich therapeutisch eingesetzt. Insbe-

. Abb. 107.3 Einbau des AmB-Moleküls in die Plasmamembran. Beim L-AmB gelangen durch Verschmelzung der Liposomenmembran mit der Plasma-
membran der Pilzzellen die amphiphilen AmB-Moleküle direkt in die Plasmamembran der Pilzzelle. Dabei interagieren die hydrophoben Teile der AmB-Mole-
küle mit den Cholesterolmolekülen, während die hydrophilen Teile mehrerer AmB-Moleküle eine Pore ausbilden
780 Kapitel 107 · Antimykotika

sondere bei der meist tödlich verlaufenden primären Amöben-Me- 107.1.3 Hemmung der Zellwandsynthese
ningoenzephalitis, hervorgerufen durch Naegleria fowleri, ist AmB
zzt. das einzig wirksame Medikament. Caspofungin
Steckbrief
jAnwendung
Konventionelles AmB (c-AmB) wird nach Gabe einer Testdosis Die zyklische Lipopeptidverbindung Caspofungin wird aus
(cave: anaphylaktische Reaktionen) typischerweise einschleichend Pneumocandin (einer aus dem Pilz Glarea lozoyensis gewonne-
Chemotherapie

(beginnend mit 0,3 mg/kg KG) und dann bis zu einer Maximal- nen Substanz) halbsynthetisch hergestellt. Die Substanz steht
dosierung von 1,5 mg/kg KG dosiert. Die Substanz wird schnell aus nur als i. v. Therapeutikum zur Verfügung. Die Ausscheidung er-
dem Blut eliminiert. Die höchsten Gewebespiegel werden in Leber folgtrenal und hepatisch; daher ist bei Leberinsuffizienz eine
und Milz erreicht. In den Liquor diffundiert AmB praktisch nicht Dosisanpassung wichtig.
(ggf. intrathekale Applikation).
AmB wird im Gewebe metabolisiert und überwiegend biliär
ausgeschieden. Die (terminale) Halbwertszeit ist mit 2 Wochen bei
c-AmB bzw. 36 h bei L-AmB sehr lang. Deshalb wird auch eine
Sequenztherapie propagiert. Dabei wird zunächst eine »loading
dose« mit L-AmB (5‒10 mg/kg KG = schnell wirksam, aber teuer)
über mehrere Tage gegeben, die anschließend als »Erhaltungsthera-
pie« mit c-AmB (0,5‒0,7 mg/kg KG = relativ gut verträglich und
preiswert) fortgeführt wird. Somit ist ein schneller Wirkungseintritt
gewährleistet und es wird über einen langen Zeitraum ein hoher
Gewebespiegel erzielt.
Neben den i. v. Formulierungen gibt es auch Lutschtabletten und
Suspension (Ampho-Moronal) zur topischen Behandlung der oro-
pharyngealen Candidose (Soor). In dieser Zubereitungsform wird
AmB praktisch nicht resorbiert und ist daher auch nicht toxisch.
Weitere lokal anwendbare Polyene sind das Nystatin (Akronym
für: New York State Department of Health – dort wurde die Substanz
1948 aus dem Bakterium Streptomyces nourseri erstmalig isoliert) jPharmakologie und Wirkungsmechanismus
und das Natamycin (dient u. a. zur Lebensmittelkonservierung). Caspofungin (Cancidas) ist der erste zugelassene Vertreter (2001)
der neuen Substanzklasse der Echinocandine. Es wird ausgehend
jNebenwirkungen vom Pneumocandin, das aus dem Pilz Glarea lozoyensis gewonnen
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen sind, neben einer wird, halbsynthetisch hergestellt. Es handelt sich um eine zyklische
Thrombophlebitis an der Injektionsstelle, Fieber, Schüttelfrost und Lipopeptidverbindung. Echinocandine interagieren mit der in der
Myalgien. Eine Prämedikation mit Paracetamol, Pethidin oder Kor- Zellmembran befindlichen β-(1,3)-D-Glukan-Synthase (genauer
tison kann helfen, diese Nebenwirkungen zu kupieren. molekularer Mechanismus bislang unbekannt). Dadurch wird die
Besonders schwerwiegend ist eine Nierenfunktionsstörung, Synthese von Glukan gehemmt, einem wichtigen Strukturbestand-
hervorgerufen durch eine Membranschädigung im proximalen Tu- teil in der Pilzzellwand, der nicht in der menschlichen Zelle vor-
bulus (gewisse Bindungsaffinität von AmB an das Cholesterol huma- kommt (. Abb. 107.4).
ner Zellmembranen). Sie führt häufig zum Therapieabbruch. Die Caspofungin wird in der Leber abgebaut und in etwa gleichen
AmB-bedingte Nierenschädigung ist z. T. irreversibel und erfordert Teilen biliär bzw. renal ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt ca.
häufig eine Dialysebehandlung. Ihr lässt sich durch gleichzeitige 10 h. Bei hochgradiger Leberfunktionsstörung muss eine Dosisan-
NaCl-Gabe vorbeugen. passung erfolgen. Die höchsten Gewebekonzentrationen finden sich
Dies kann praktischerweise durch die gleichzeitige Applikation in Leber, Niere und Darm. Muskel- und Gehirngewebe weisen nur
von Flucytosin (Antimykotikum mit anderem synergistischem Wir- sehr geringe Konzentrationen auf.
kungsmechanismus, 7 Abschn. 107.1.4) erfolgen, da die entsprechen-
de Infusionslösung einen hohen Kochsalzgehalt aufweist und dies jWirkungsspektrum
zugleich auch eine Dosisreduktion von AmB erlaubt. Im Vergleich In vitro ist Caspofungin wirksam gegenüber Aspergillus spp., Can-
dazu ist die Verträglichkeit von L-AmB sehr viel besser und erlaubt dida spp., Histoplasma capsulatum, Pneumocystis jirovecii und Spo-
eine Dosierung von 3‒12 mg/kg KG (allerdings auch extrem teuer!) rothrix schenckii. Hohe MHK-Werte weisen C. guilliermondii und
ohne größeren Anstieg der Nebenwirkungsrate. Daher ist heutzu- C. parapsilosis auf.
tage der Einsatz von c-AmB zugunsten von L-AmB stark reduziert Gegenüber Zygomyzeten und basidiomyzetalen Pilzen (Crypto-
worden. coccus spp., Malassezia spp., Trichosporon spp.) sind die Echinocan-
dine nicht wirksam, da der β-(1,3)-D-Glukangehalt ihrer Zellwand
gering ist.

jIndikationen
Caspofungin ist zzt. zur Behandlung therapierefraktärer invasiver
Aspergillosen (»Salvage«-Therapie) als auch zur Therapie von Can-
didämien zugelassen. Außerdem besteht eine Indikation für eine
empirische Therapie bei Verdacht auf invasive Pilzinfektion beim
febrilen neutropenischen Patienten.
107.1 · Einteilung der Antimykotika
781 107

. Abb. 107.4a, b Wirkung von Echinocandinen. a Mechanismus der Hemmung der Zellwandsynthese; b Auflösung der Pilzzellwand im Bereich der Wachs-
tumsfront (Hyphenspitze) mit Austritt von Zytoplasma (aus Bowman et al. AAC 2002; 46:3001–3012)

Weitere Echinocandine sind Anidulafungin (Ecalta, zugelassen 107.1.4 Andere Wirkungsmechanismen


2007) sowie Micafungin (Mycamine, zugelassen 2009). Sie weisen
eine dem Caspofungin vergleichbare Wirksamkeit und Verträglich- Flucytosin
keit auf. Aufgrund ihrer fungiziden Wirkung sowie der nachgewie- Steckbrief
senen Wirkung auf stoffwechselreduzierte Pilze in Biofilmen wird
jetzt auch ihr primärer Einsatz bei Candidämien empfohlen. Flucytosin wird nach Aufnahme in die Pilzzelle zu 5-Fluor-Uracil
(5-FU) umgewandelt, das als Antimetabolit wirksam ist. 5-FU
jAnwendung wird zudem weiter zu 5-Fluor-dUMP umgewandelt, das die Zell-
Caspofungin ist nur als i. v. Applikationsform erhältlich. Als »loa- teilung des Pilzes beeinträchtigt. Dieses Antimykotikum wird
ding dose« werden 70 mg gegeben, gefolgt von einer Erhaltungsdo- nur in Kombination mit anderen Antimykotika verabreicht.
sierung von 50 mg bei Patienten < 80 kg KG. Die Substanz wird zum größten Teil renal ausgeschieden, bei
Niereninsuffizienz ist daher eine Dosisanpassung wichtig.
jNebenwirkungen/Wechselwirkungen
Es sollte keine gleichzeitige Gabe von Ciclosporin erfolgen; bei Tac-
rolimusgabe sollten entsprechende Spiegelbestimmungen durchge-
führt werden, da es zu einer Konzentrationserniedrigung dieser
Substanz kommen kann.
Insgesamt sind die Echinocandine gut verträglich und weisen
nur eine geringe Nebenwirkungsrate auf. Die häufigsten uner-
wünschten Nebenwirkungen sind, neben Fieber, Übelkeit und Er-
brechen, eine transiente Hautrötung (»flush« durch Histaminfreiset- jWirkungsspektrum
zung). In vitro ist Flucytosin wirksam gegenüber Aspergillus fumigatus,
Candida spp., Cryptococcus neoformans, Geotrichum candidum
und Schwärzepilzen (insbesondere Chromoblastomykoseerregern).
Allerdings können Candida-spp.-Isolate schon primär resistent sein
(z. B. C. albicans Serotyp B). Daher ist hier eine Resistenztestung
notwendig. Ferner kann sich relativ schnell eine sekundäre Resistenz
unter der Therapie durch eine Mutation der Cytosin-Permase bzw.
-Desaminase ausbilden. Daher wird Flucytosin in der Regel nur als
synergistisch wirkender Kombinationspartner eingesetzt, insbeson-
dere bei Kryptokokkenmeningitis.
782 Kapitel 107 · Antimykotika
Chemotherapie

. Abb. 107.5 Wirkung von Flucytosin in der Pilzzelle

jPharmakologie und Wirkungsmechanismus rapeutische Breite von Flucytosin gering ist, sollte, insbesondere
Flucytosin (5-Fluor-Cytosin [5-FC]; Ancotil) wurde 1972 einge- bei längerer Therapiedauer, regelmäßig eine Spiegelbestimmung er-
führt. Die Aufnahme in die Pilzzelle erfolgt mittels Cytosin-Per- folgen.
mease. Anschließend wird 5-FC enzymatisch desaminiert und zu
5-Fluor-Uracil umgewandelt (. Abb. 107.5). Beide beteiligten Enzy- Ciclopirox
me sind pilzspezifisch. Ciclopirox (Batrafen) ist ein Hydroxypyridonderivat, das u. a. die
5-Fluor-Uracil (5-FU) ist die eigentlich wirksame Substanz (Flu- Na-K-ATPase der Pilzzellmembran inhibiert und infolge einer
cytosin = »Prodrug«), die dann anstelle des Uracils in die RNA ein- Eisenchelatbildung die Aktivität weiterer intrazellulärer Enzyme
gebaut wird (Antimetabolit). Dadurch erfolgen ein Kettenbruch bei hemmt. Es handelt sich dabei um ein Breitbandantimykotikum mit
der mRNA-Synthese und konsekutiv eine Verminderung der Prote- fungizider Wirkung gegen Dermatophyten, Hefen (u. a. auch Malas-
inbiosynthese. Außerdem wird 5-FU zu 5-Fluor-dUMP umgewan- sezia spp.) und Hyphomyzeten. Außerdem wird das Wachstum
delt, welches das Enzym Thymidylat-Synthase inhibiert. Dies hemmt gramnegativer und -positiver Bakterien gehemmt (z. B. auch hoch-
die DNA-Synthese (. Abb. 107.5) und stört die Zellteilung des resistente Acinetobacter baumannii-Isolate).
Pilzes. Es gibt zahlreiche galenische Zubereitungen (Creme, Nagellack,
5-Fluor-Uracil wird bei einer Halbwertszeit von ca. 4 h zu 90 % Puder, Salbe, Shampoo mit Ciclopiroxolamin) zur lokalen Behand-
renal ausgeschieden. Bei einer Niereninsuffizienz muss daher eine lung von Mykosen (insbesondere Vaginal- u. Onychomykosen). Die
Dosisanpassung erfolgen, berechnet aufgrund einer entsprechenden Substanz penetriert Hornhaut und Nagelmatrix gut. Die Behand-
Spiegelbestimmung. Die Substanz ist gut wasserlöslich und erreicht lungsdauer bei Onychomykosen beträgt etwa 6 Monate.
daher hohe Konzentrationen in Augenkammerwasser, Galle, Liquor
und Peritonealexsudat. Griseofulvin
Griseofulvin, ein Benzofuranderivat, wurde 1939 erstmalig aus Pe-
jAnwendung nicillium griseofulvum isoliert. Nach oraler Gabe in mikrokristalli-
Typischerweise werden 150 mg/kg KG verteilt auf 4 i. v. Dosen als ner Form wird es in Keratin bildende Zellen eingelagert. Wenn diese
»loading dose« gegeben, gefolgt von einer Erhaltungsdosierung mit Zellen dann von Dermatophyten infiziert werden, wird diese Subs-
50 mg/kg KG. tanz in einem energieabhängigen Schritt spezifisch von der Pilzzelle
aufgenommen und bindet an Tubulin. Dies verhindert den Aufbau
jNebenwirkungen der Mikrotubuli und stört die weitere Zellteilung der Pilzzelle.
Eine gefährliche Nebenwirkung ist eine in der Regel reversible Kno- Der Wirkungsmechanismus erklärt, warum die Therapie einer
chenmarkschädigung (Anämie, Leukozyto-, Thrombozytopenie). Dermatophyteninfektion sehr lange dauern kann (von mindestens
Die gleichzeitige Gabe von Zytostatika kann diese Knochenmarkto- 6 Monaten bis zu 2 Jahren). Daher ist der Einsatz von Griseofulvin
xizität steigern. Ferner können Halluzinationen, Kopfschmerzen heute vielfach durch das schneller wirksame und nebenwirkungsär-
und gastrointestinale Beschwerden auftreten. Da insgesamt die the- mere Terbinafin ersetzt worden. Unerwünschte Nebenwirkungen
107.2 · Antimykotikaresistenz
783 107
sind Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Schwindel sowie eine
. Tab. 107.1 Pilze mit hoher MHK gegenüber Antimykotika. Die
erhöhte Alkoholintoleranz.
Angaben in Klammern bezieht sich nur auf einige Isolate
Es gibt Hinweise, dass Griseofulvin sich auch zur Proliferations-
hemmung von Krebszellen eignet.
Spezies Antimykotikum*

Aspergillus flavus AMB, FLU


107.2 Antimykotikaresistenz
Aspergillus terreus AMB, FLU
jResistenzformen Cladophialophora bantiana AMB, CAS, FLU
Man unterscheidet bei Pilzen zwischen einer primären Resistenz
Exophiala spp. AMB, CAS, FLU
(z. B. C. krusei gegenüber Fluconazol) und einer unter der Therapie
erworbenen sekundären Resistenz (z. B. bei Candida albicans ge- Fusarium spp. AMB, CAS, FLU, ITZ
genüber Flucytosin während der Behandlung). Eine Parallelresis- Paecilomyces variotii AMB, FLU, VOR
tenz liegt vor, wenn in einer Substanzklasse sowohl eine Resistenz
gegenüber z. B. Fluconazol als auch gegen Itraconazol besteht (z. B. Scedosporium apiospermum AMB, CAS, FLU, ITZ
bei C. glabrata – aber nicht zu 100 %!). Antimykotika abbauende Lomentospora (Scedosporium) AMB, CAS, FLU, ITR, (VOR)
Enzyme sind bei Pilzen bislang nicht beschrieben worden. prolificans

Sporothrix schenckii* AMB, CAS, FLU, FC, VOR


jResistenzmechanismen
Die der Resistenz zugrunde liegenden Mechanismen sind komplex: Mucorales CAS, FLU, VOR
4 Verminderung der Ergosterolkonzentration (z. B. durch diver- C. glabrata FLU, ITZ, (VOR)
se Mutationen der Gene für die an der Synthese beteiligten
C. guilliermondii ANF, CAS, MIC
Enzyme) oder Ersatz dieses Moleküls durch Episterol oder
Fecosterol können zu einer verminderten Affinität gegenüber C. krusei AMB, FLU, FC, ITZ
AmB führen.
C. lusitaniae (AMB), FC
4 Eine Veränderung des Zielenzyms der Triazole, der Lanosterol-
C-14-α-Demethylase, bzw. deren Überexpression kann zu C. parapsilosis (AMB), ANF, CAS, MIC
einer Resistenz führen. C. tropicalis FC
4 Da Triazole nur intrazellulär wirksam sind, kann durch ver-
minderten Influx bzw. vermehrten Efflux eine verminderte Cryptococcus neoformans ANF, CAS, MIC
Wirksamkeit resultieren. Trichosporon asahii AMB, ANF, CAS, MIC
4 Auch bei Flucytosin und Echinocandinen sind Veränderungen
der Zielenzyme für eine Resistenz verantwortlich. AMB, Amphotericin B; ANF, Anidulafungin; CAS, Caspofungin;
FLU, Fluconazol; FC, Flucytosin; MIC, Micafungin; ITR, Itraconazol;
Bei hochresistenten Isolaten sind meist mehrere dieser Mechanis- VOR, Voriconazol
* mit Unterschieden bzgl. der morphologischen Formen: Hyphen
men gleichzeitig nachweisbar. Neueren Hinweisen zufolge kommt es
– Sprosszellen
ggf. zu einer Selektion von triazolresistenten A. fumigatus-Isolaten
durch den starken Einsatz dieser Substanzen in der Landwirtschaft.

jResistenzbestimmung
Die Wertigkeit regelmäßiger Resistenzbestimmungen mit den mitt-
lerweile verfügbaren standardisierten Verfahren ist umstritten, da es
im Gegensatz zu den Bakterien eine Übertragung von Resistenzfak-
toren mittels mobiler genetischer Elemente bei Pilzen nicht gibt.
Daher kann aufgrund der Speziesbestimmung häufig eine relativ
sichere Aussage über die zu erwartende Resistenz des Isolats ge-
macht werden (. Tab. 107.1).
Ferner gibt es nicht immer eine strikte Korrelation zwischen dem
Ergebnis der In-vitro-Resistenztestung (. Abb. 107.6) und dem Er-
folg einer Antimykotikatherapie (z. B. spielen die Leistungsfähigkeit
der zellulären Abwehr und Faktoren wie eine Biofilmbildung eine
wesentliche Rolle für den Therapieausgang). Es gilt vielmehr die sog.
90-60-Regel, die besagt, dass in etwa 90 % der Fälle bei einem in
vitro als sensibel getesteten Isolat eine entsprechende Therapie er-
folgreich ist, während bei einer In-vitro-Resistenz immerhin noch in
bis zu 60 % der Fälle ein therapeutischer Erfolg zu erwarten ist.
. Abb. 107.6 Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration (MHK;
hier 0,38 mg/ml von Amphotericin B bei Aspergillus fumigatus-Isolat) mitttels
Etest
784 Kapitel 107 · Antimykotika

In Kürze
Antimykotika
Systemmykosen Heutzutage erfolgt die antimykotische Thera-
pie einer Systemmykose vorzugsweise mit den »neuen« Triazo-
len Fluconazol (Candidosen), Voriconazol oder den Echinocandi-
nen, z. B. Caspofungin. Alternativ wird aufgrund der besseren
Chemotherapie

Verträglichkeit und der damit verbundenen höheren Dosierbar-


keit das Breitbandantimykotikum Amphotericin B vorzugsweise
in liposomaler Darreichungsform (AmBisome) verabreicht.
Flucytosin ist ein Prodrug, das erst in der Pilzzelle in das wirk-
same 5-Fluor-Uracil umgewandelt wird.
Eine Antimykotikaprophylaxe bzw. eine präemptive Therapie
bei mykosegefährdeten Patienten konnte die Rate letaler Pilz-
infektionen deutlich senken.
Dermatophytose Zur topischen Therapie von Dermatophyten-
infektionen werden vorzugsweise Cotrimazol und Terbinafin
eingesetzt, die ein breites Wirkungsspektrum aufweisen. Unter-
stützend hat sich dabei eine Sequenztherapie (7 Tage »loading
dose«, gefolgt von 21 Tagen Therapiepause, 3-mal) mit Itracona-
zol bewährt.
Galenik Bemerkenswert ist die Vielzahl galenischer Zuberei-
tungen bei Antimykotika. So werden Cyclodextrine als Lösungs-
vermittler bei wasserunlöslichen Triazolen verwendet. Bei
Amphtericin B wird eine kolloidale Lösung durch Zugabe von
Gallensalzen hergestellt bzw. eine besser verträgliche lipo-
somale Zubereitung benutzt. Die mikrokristalline Zubereitung
von Griseofulvin steigert die Aufnahme dieser Substanz in die
menschliche Zelle. Bei den topisch anzuwendenden Präparaten
gibt es eine Vielzahl spezieller Darreichungsformen: Lutsch-
tablette, Nagellack, Puder, Salbe, Shampoo, Spray, Tinktur und
Vaginalovulum.
Interaktionen Aufgrund der relativ hohen Nebenwirkungsrate
und der Interaktionen mit anderen Medikamenten sind teilweise
Spiegelkontrollen und Dosisanpassungen (z. B. bei Nieren-
insuffizienz) notwendig. Genetische Varianten der humanen
Cytochrom-P450-Isoenzyme können zu einer unterschiedlichen
Pharmakokinetik der Triazole führen und erfordern daher eine
entsprechende pharmakogenetische Diagnostik.
785 108

Antivirale Chemotherapie
T. F. Schulz

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_108, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Ausgehend von einem besseren Verständnis der molekularen Details 1. Maraviroc (UK-427857) hemmt die Interaktion von HIV-1 mit
der Virusvermehrung im Innern der Zelle hat die Entwicklung antiviral CCR5; Enfuvirtid (T-20) blockiert die gp41-induzierte Fusion
wirkender Medikamente in den letzten Jahren große Fortschritte ge- der HIV-1-Hülle mit der Zellmembran
macht und die Behandlungsmöglichkeiten z. B. der HIV-Erkrankung, 2. Adamantin (Adamantanamin) inhibiert die Penetration des
der viralen Hepatitis und von durch das Zytomegalievirus verursachten Influenzavirus in die Zelle und frühe Schritte der Virusrepli-
Erkrankungen revolutioniert. Heute stehen ca. 50 antiviral wirkende kation
Substanzen zur Verfügung, die bereits für die Therapie zugelassen sind 3. Azidothymidin (AZT), ein Nukleosidanalogon, hemmt die
oder in den nächsten Jahren zugelassen werden dürften. Die meisten reverse Transkriptase von HIV kompetitiv; Nevirapin hemmt
antiviral wirkenden Medikamente greifen für die Vermehrung eines sie nichtkompetitiv (allosterisch)
Virus essenzielle virale, seltener auch zelluläre Proteine an. Trotz aller 4. Aciclovir (Acycloguanosin), ein Nukleosidanalogon, hemmt
Erfolge verursachen manche Virostatika signifikante Nebenwirkungen die HSV-Polymerase kompetitiv
und die Entwicklung von Resistenzen stellt ein wichtiges Problem 5. Raltegravir hemmt die HIV-Integrase und damit die Integra-
der antiviralen Therapie dar. tion des HIV-Provirus in die zelluläre DNA (7 Kap. 66).
6. Simeprevir hemmt die NS2/3-Protease des HCV und die
Freisetzung von Nichtstrukturproteinen aus dem HCV-Poly-
108.1 Allgemeines proteinvorläufer (7 Kap. 72).
7. Sofosbuvir hemmt die HCV-Polymerase; Daclatasvir hemmt
Wie in der Sektion VI zur Virologie (7 Kap. 51–73) ausgeführt, sind das für die HCV-Replikation an intrazellulären Membranen
Viren strikt intrazelluläre Parasiten. Antiviral wirkende Medika- wichtige NS5A-Protein.
mente können in verschiedenen Stadien des viralen Lebenszyklus 8. Oseltamivir und Zanamivir hemmen die Neuraminidase des
eingreifen, vom Andocken und Eindringen des Virus in die Zelle Influenzavirus und damit dessen Freisetzung aus virusprodu-
über die Replikation der viralen DNA oder RNA bis zur Bildung zierenden Zellen (7 Kap. 60).
neuer Viruspartikel und deren Ausschleusung. 9. Ritonavir, Saquinavir etc. (Inhibitoren der HIV-Protease)
Die meisten antiviralen Medikamente interferieren mit der hemmen die Prozessierung des Gag-Vorläuferproteins und
Funktion viraler Enzyme oder Strukturproteine. Hierauf beruht ihre damit die Reifung infektiöser Viruspartikel
mehr oder weniger ausgeprägte Selektivität. Einige Substanzen
binden jedoch an zelluläre Glykoproteine oder Proteine, die intra- Als therapiebedürftig sind alle diejenigen Viruskrankheiten einzu-
zellulär für die Virusreplikation erforderlich sind oder den Viren als stufen, die lebensbedrohlich sind oder mit Folgekrankheiten einher-
Rezeptoren dienen. gehen (z. B. Hepatitis B und C, Herpesenzephalitis, CMV-bedingte
Antiviral wirkende Substanzen hemmen die Vermehrung eines Erkrankungen bei immunsupprimierten Transplantatempfängern,
Virus und erlauben dadurch dem Immunsystem, mit einer geringe- HIV-Infektion, Influenza).
ren Zahl virusinfizierter Zellen »fertig zu werden«. Eine Substanz Voraussetzung für eine effektive antivirale Therapie ist die
(Imiquimod) steigert jedoch nur die Zytokinsynthese (Interferon Kenntnis des Erregers: Diese bestimmt die Auswahl der Medika-
etc.) und hemmt auf diese Weise die Replikation. Im Unterschied mente. Im Unterschied zu bakteriellen Erkrankungen gibt es keine
zu bakteriziden Antibiotika zerstören antiviral wirkende Chemo- »Breitbandvirostatika«! Eine Schnelldiagnose mit PCR oder IFT ist
therapeutika die Viruspartikel nicht. Man spricht deshalb von »Viro- jetzt bei vielen Viruskrankheiten durchführbar. Wenn die virologi-
statika«. sche und klinische Differenzierung versagt oder unsicher ist, z. B. bei
Als Angriffspunkte für eine selektiv wirkende antivirale Thera- lebensbedrohlicher Enzephalitis, muss bereits bei Verdacht, also
pie werden genutzt (. Abb. 108.1): »blind«, mit der antiviralen Therapie begonnen werden; die virolo-
4 Virusadsorption an die Rezeptoren der Zelle gische Diagnose wird dann ggf. nachgeliefert. Solch ein Vorgehen ist
4 Aufnahme des Virus in die Zelle (z. B. Virus-Zell-Fusion) für den Erfolg entscheidend.
4 Freisetzen des viralen Genoms (»uncoating«)
4 Enzyme (reverse Transkriptase, DNA- und RNA-abhängige
Polymerasen, Protease, Integrase, Kinase, Helikase) 108.2 Wirkungsmechanismus und Selektivität
4 Faltung viraler Proteine
4 Prozesse der Virusmontage (»packaging«) Um selektiv zu wirken, müssen Virostatika besondere Eigenschaften
4 Ausschleusen des Virus aus der Zelle aufweisen. Ihre Affinität z. B. gegenüber den Viruspolymerasen
muss möglichst hoch und gegenüber den zellulären Polymerasen
Die Angriffspunkte folgender Beispiele für Virostatika sind numme- möglichst gering sein, um Nebenwirkungen durch die Hemmung
riert wie in . Abb. 108.1: zellulärer Polymerasen möglichst gering zu halten.
786 Kapitel 108 · Antivirale Chemotherapie
Chemotherapie

. Abb. 108.1 Angriffspunkte von Virustatika: Die folgenden Schritte im viralen Lebenszyklus können Angriffspunkte darstellen: 1 Bindung des Virus an
seinen Rezeptor auf der Zelloberfläche. 2 Eintritt in die Zelle. 3 reverse Transkription im Zytoplasma (im Fall eines Retrovirus, z. B. HIV). 4 Replikation der
viralen DNA durch die virale DNA-Polymerase im Kern der infizierten Zelle (etwa im Fall eines Herpesvirus, z. B. HSV, CMV). 5 Integration des viralen Provirus
in die zelluläre DNA (im Fall eines Retrovirus, z. B. HIV). 6 Prozessierung eines viralen Vorläuferproteins in aktive Proteine [z. B. Nichtstruktur-(NS-)Proteine
des HCV]. 7 Hemmung der Replikation viraler RNA (z. B. HCV) durch Blockade der viralen RNA-Polymerase oder des NS5A-Proteins. 8 Hemmung der Aus-
schleusung von Viruspartikeln (z. B. Influenza). 9 Hemmung der Reifung von Viruspartikeln durch Inhibition einer viralen Protease (z. B. HIV)

Aciclovir (Acycloguanosin, ACG) stellt ein gutes Beispiel für ei- oder »allosterische« Inhibitoren der reversen Transkriptase von HIV
nen hochselektiven Inhibitor der HSV- und VZV-DNA-Polymerase (z. B. Nevirapin, Efavirenz), die deren Enzymkinetik verschlechtern.
dar. Die ausgeprägte Selektivität dieser Verbindung rührt daher, dass Gegen HIV sind eine Reihe von Proteaseinhibitoren entwickelt
die herpeskodierte Thymidinkinase Aciclovir und seine Derivate worden, welche die proteolytische Prozessierung des HIV-Gag-Vor-
nach Aufnahme in die Zelle zunächst selektiv zu Aciclovir-Mono-
phosphat phosphoryliert. Deshalb wird Aciclovir-Monophosphat
nur in virusinfizierten Zellen gebildet: Da das unphosphorylierte
Molekül keine Aktivität entfaltet, werden nichtinfizierte Zellen nicht
beeinträchtigt. Zelluläre Kinasen bilden dann Aciclovir-Di- und
-Triphosphat.
Die virale DNA-Polymerase baut Aciclovir-Triphosphat als
Analogon eines Nukleotids in die virale DNA ein; da nun kein wei-
teres Nukleotid an das DNA-Molekül synthetisiert werden kann,
kommt es zum sog. Ketten- oder Strangabbruch: Die Substanz wirkt
also als »kompetitiver« Inhibitor der viralen DNA-Polymerase
(. Abb. 108.2). Eine virale Thymidinkinase (TK) kommt nur bei
HSV, VZV, EBV und HHV-6 vor. Aciclovir ist aber v. a. bei HSV und
VZV aktiv, die Wirkung gegen EBV, KSHV und HHV-6 ist nicht so
ausgeprägt.
Bei CMV existiert ein anderes Enzym (pUL97; eine Proteinkina-
se), das die Phosphorylierung des bei CMV-Erkrankungen einge- . 108.2 Wirkungsmechanismus des Aciclovir (Acycloguanosin, ACG).
setzten Ganciclovir bewirkt. Für einige antiviral wirkende Substan- Die HSV- oder VZV-kodierte Thymidinkinase phosphoryliert Aciclovir nach
zen existieren oral aufzunehmende Derivate vor, die im Körper zur Aufnahme in die Zelle besonders effizient zu Aciclovir-Monophosphat.
Die weitere Phosphorylierung zum Di- und Triphosphat bewirken dagegen
aktiven Verbindung metabolisiert werden, sog. Prodrugs wie z. B.
zelluläre Enzyme. Die virale DNA-Polymerase baut Aciclovir-Triphosphat in
Valaciclovir. Diese haben oft eine größere Bioverfügbarkeit und eine
die sich replizierende virale DNA ein. Die Synthese eines Aciclovir enthal-
bessere Pharmakokinetik. tenden DNA-Strangs kann nicht fortgesetzt werden: Es kommt zum Strang-
Dem Prinzip der kompetitiven Hemmung der viralen Polyme- abbruch. Obwohl Aciclovir-Triphosphat prinzipiell auch zelluläre DNA-Poly-
rase (DNA-Polymerase bei DNA-Viren, reverse Transkriptase bei merasen hemmen könnte, wird es dank der Selektivität der herpesviralen
HIV, virale RNA-abhängige RNA-Polymerase [NS5B] bei HCV) fol- Thymidinkinase überwiegend in infizierten Zellen gebildet und schädigt
gen viele Virostatika. Darüber hinaus gibt es »nichtkompetitive« deshalb nichtinfizierte Zellen praktisch nicht
108.3 · Resistenzentwicklung und Kombinationstherapie
787 108
läuferproteins durch die virale Protease inhibieren und damit die senken. Diese Kombinationstherapie wird als »highly active anti-
Reifung der freigesetzten Viruspartikel zu infektiösen Virionen blo- retroviral therapy« (HAART) bezeichnet.
ckieren (. Abb. 108.1; 7 Abschn. 108.4.6). Einem ähnlichen Prinzip Zu Überwachung der HAART kontrolliert man die »Viruslast«
folgen die kürzlich in die Therapie eingeführten Inhibitoren der (Konzentration der HIV-RNA-Kopien im Plasma) mittels quantita-
HCV-Protease, welche die Freisetzung von HCV-Nichtstrukturpro- tiver PCR. Wichtig ist für die dauerhafte Senkung der Viruslast die
teinen und damit die Replikation des Virus hemmen (. Abb. 108.1, regelmäßige Einnahme der 3 Medikamente. Eine unregelmäßige
7 Kap. 72; 7 Abschn. 108.4.6). Bei der Influenza setzt man Neurami- Einnahme hat aufgrund der dann schwankenden Wirkstoffkonzen-
nidaseinhibitoren ein, welche die Ausschleusung infektiöser Vi- trationen in den relevanten Geweben zur Folge, dass das Virus inter-
ruspartikel blockieren. Bei HIV-Infizierten werden Fusionsinhibito- mittierend immer wieder replizieren und neue Resistenzen ausbil-
ren (z. B. Enfuvirtide) und Antagonisten des CCR5-Korezeptors den kann.
(Maraviroc) angewendet. Beim klinischen Versagen einer Therapiekombination muss des-
Die Aktivität der Arzneimittel abbauenden Enzyme bestimmt halb überprüft werden, ob die verwandten Medikamente noch wirk-
die Geschwindigkeit, mit der Medikamente aus dem Körper elimi- sam gegen die in einem Patienten zirkulierenden HIV-Varianten
niert werden. Hierfür ist oft der Abbau zu unwirksamen Metaboliten sind. Da die Mutationen in der reversen Transkriptase und Protease
durch die Enzyme des Cytochrom-P450-Systems verantwortlich. von HIV, die zur Resistenz gegenüber bestimmten Medikamenten
Die Variabilität der Funktion dieser Enzyme ist genetisch bestimmt führen, heute weitgehend bekannt sind, kann man durch Amplifi-
(Polymorphismen) und ist – bei gleicher Dosierung – die Ursache zierung (PCR!) und anschließende Hybridisierung mit mutations-
der unterschiedlich langen Dauer von Wirkung und Nebenwirkung/ spezifischen Sonden oder Sequenzierung der reversen Transkriptase
Toxizität eines Medikaments. Ferner können Medikamente, die und Protease von HIV diese Mutationen identifizieren und daraus
durch dieselben Enzyme des Cytochrom-P450-Systems verstoff- ein Resistenzprofil ableiten (»genotypischer« Resistenztest). Das
wechselt werden, sich gegenseitig in ihrer Halbwertszeit beeinflus- erhobene Resistenzprofil bestimmt dann die Auswahl der noch
sen. So können manche Virostatika mit anderen Medikamenten wirksamen Medikamente.
wechselseitig interferieren. Alternativ kann man aus dem Patienten isolierte Virusvarianten
Viele der modernen Virustatika weisen z. T. erhebliche Neben- in vitro auf ihre Empfindlichkeit gegenüber verschiedenen Medika-
wirkungen auf, die manchmal aus ihrem Wirkungsmechanismus menten untersuchen; dieser »phänotypische« Resistenztest findet
ableitbar sind (so wirken weniger spezifische Inhibitoren von viralen aber, wegen des damit verbunden Aufwands und der benötigten Zeit
DNA-Polymerasen auch auf zelluläre DNA-Polymerasen und beein- (Wochen), in der Praxis kaum noch Anwendung.
trächtigen Gewebe mit sich rasch teilenden Zellen, z. B. das Kno-
chenmark), oft aber mechanistisch schwer erklärbar sind (z. B. Lipo-
dystrophie bei HIV-Protease-Inhibitoren). Ihr Einsatz setzt deshalb 108.3.2 Therapie anderer Virusinfektionen
ein sorgfältiges Abwägen der klinischen Situation voraus. Andere
Substanzen, z. B. Aciclovir, sind hingegen aufgrund des oben erklär- Ähnliche Probleme treten z. B. bei der Therapie der persistierenden
ten Wirkungsmechanismus beeindruckend nebenwirkungsarm. HBV-Infektion mit 3TC (Lamivudin) auf: Hier kommt es ebenfalls
recht schnell zum Auftreten resistenter Mutanten. In Zukunft wird
die zusätzliche Verwendung weiterer Substanzen (z. B. Adefovir,
108.3 Resistenzentwicklung Entecavir) wahrscheinlich eine Verbesserung bringen.
und Kombinationstherapie Für HCV wurde bis vor kurzem eine Kombinationstherapie mit
Ribavirin und pegyliertem IFN-α eingesetzt, die durch Stimulation
108.3.1 Therapie der HIV-Infektion interferoninduzierter, antiviral wirksamer zellulärer Proteine eine
Viruselimination bezweckte, aber nur teilweise erfolgreich und
Ein zentrales Problem der antiviralen Therapie ist die Entwicklung von erheblichen Nebenwirkungen begleitet war (7 Abschn. 108.6.4).
therapieresistenter Virusmutanten. Dieses Problem lässt sich gut am Dank einer Reihe von kürzlich entwickelten Medikamenten, welche
Beispiel der HIV-Therapie veranschaulichen: die Replikation des HCV direkt hemmen (»direct acting antivirals«,
Sowohl die sehr hohe Replikationsrate des HIV-1 (109–1010 neue DAA), ist heute die interferonfreie Therapie der HCV-Infektion mit
Viruspartikel pro Tag bei einem AIDS-Patienten) als auch die hohe Erfolgsraten von mehr als 90 % möglich. Dabei stellen Inhibitoren der
Fehlerrate seiner reversen Transkriptase (ca. 1–3 Mutationen pro viralen RNA-Polymerase (z. B. Sofosbuvir), der viralen Protease (z. B.
neu repliziertem Genom) tragen dazu bei, dass jeden Tag theoretisch Simeprevir) und des viralen NS5A-Proteins (z. B. Daclatasvir) Kom-
etwa 1010 neue Mutanten entstehen können. Selbst wenn die Mehr- ponenten möglicher Kombinationstherapien dar. Auch hier ist mit
zahl dieser Mutationen keine funktionellen Auswirkungen hat oder dem Auftreten von Resistenzen gegen die neuen Inhibitoren zu rech-
für das Virus »letal« sind, bleiben genügend replikationsfähige Vari- nen.
anten übrig, die sich z. B. durch eine geringere Empfindlichkeit ge- Bei Influenza sind bereits oseltamivirresistente Isolate beschrie-
genüber einem Medikament auszeichnen. Durch ständige Anwesen- ben worden.
heit dieser antiviralen Substanz werden dann solche »resistenten« Auch bei Herpesviren kann es zum Auftreten von Resistenzen
Virusvarianten selektiert. Bis jetzt sind alle Klassen von HIV-Medi- gegen Aciclovir (HSV, VZV) und Ganciclovir (CMV) kommen. Vor
kamenten von diesem Problem betroffen. allem bei lebensbedrohlichen Infektionen, z. B. bei immunge-
Aus diesem Mechanismus der Resistenzentwicklung lässt sich schwächten Transplantatempfängern, kann es erhebliche Probleme
auch die Gegenmaßnahme ableiten: Je besser die Senkung der Re- geben, da hier weitere Therapieoptionen begrenzt sind: Bei CMV
plikationsrate eines Virus gelingt, desto geringer die Chancen für kommen Foscarnet und ggf. Cidofovir als Alternativen infrage,
das Virus, resistente Varianten zu entwickeln. Bei der Behandlung deren Einsatz aber wegen ihrer Nebenwirkungen sorgfältig abgewo-
der HIV-Infektion versucht man deshalb, die Virusreplikation durch gen werden muss.
Einsatz von üblicherweise 3 Medikamenten mit nach Möglichkeit Bei Virostatika, die mit zellulären Proteinen interferieren, die
unterschiedlichem Wirkungsmechanismus so gut wie möglich zu für die Replikation eines Virus essenziell sind, ist die Gefahr der
788 Kapitel 108 · Antivirale Chemotherapie

Resistenz geringer, da sich zelluläre Proteine unter dem Selek- Enfuvirtide (T-20, Fuzeon) Dies ist ein Fusionsinhibitor für die
tionsdruck von kleinmolekularen Substanzen nicht verändern. HIV-Zellfusion beim Eintritt in die Zelle. Chemisch ist es ein Peptid
Allerdings besteht die Möglichkeit, dass sich Viren so adaptieren, aus 34 Aminosäuren und bindet an 2 Regionen des gp41 von HIV
dass sie »alternative« zelluläre Moleküle verwenden (z. B. Wechsel (7 Kap. 66). Es ist auch wirksam, wenn Resistenzen gegen andere
eines Rezeptors) und sich auf diese Weise einem Inhibitor ent- Inhibitoren bestehen. Enfuvirtide muss täglich injiziert werden
ziehen. (2-mal/Tag s. c.) und ist deshalb kein Medikament der 1. Wahl
(. Abb. 108.3b).
Chemotherapie

108.4 Antiviral wirksame Substanzen Amantadin (1-Aminoadamantan-HCI) Es blockiert selektiv das


und ihre Wirkungsmechanismen Uncoating der Influenza-A-Viren durch Blockade der Ionenkanal-
funktion des M2-Proteins. Ein Derivat ist das ähnlich wirkende
In diesem Abschnitt werden einige Beispiele für antiviral wirksame Rimantidin (α-Methyl-1-Adamantanmethylamin-HCl). Beide Sub-
Medikamente vorgestellt. Diese Aufzählung ist nicht vollständig. stanzen verlieren wegen einer Resistenzentwicklung des Virus zu-
Weitere Beispiele finden sich, geordnet nach dem von ihnen inhi- nehmend ihre Bedeutung (. Abb. 108.3c).
bierten Virus, in . Tab. 108.1.

108.4.2 Inhibitoren viraler DNA-Polymerasen


108.4.1 Inhibitoren der Virusaufnahme
in die Zelle Joddesoxyuridin (5-Jod-2’-desoxyuridin) und Trifluormethylthy-
midin (5’-Trifluormethylthymidin) Diese Basenanaloga des Thymi-
Maraviroc (Celsentri, UK-427857) Dies ist ein CCR5-Antagonist, der dins waren die ersten, jedoch nichtselektiven Viruschemotherapeu-
durch Blockade dieses HIV-Korezeptors das Andocken des Virus tika, die 1962 entdeckt wurden. Sie selbst hemmen die Thymidinki-
an die Zelle und damit den Eintritt von HIV in die Zelle blockiert nasen, ihre Triphosphatderivate die zellulären und viralen DNA-
(. Abb. 108.3a; 7 Kap. 66). Polymerasen. Die Substanzen wurden zur Behandlung der
HSV-bedingten Keratitis dendritica eingesetzt (. Tab. 108.1). In der
dargestellten Strukturformel (. Abb. 108.4a) sind die modifizierten
chemischen Gruppen hellblau unterlegt.

Acycloguanosin (ACG; Aciclovir) Dieses Nukleosidanalogon wird


selektiv durch die HSV-kodierte Thymidinkinase phosphoryliert
und damit aktiviert; es kann deshalb nur in HSV-infizierten Zellen
wirksam werden, was die hohe Selektivität dieser Substanz erklärt
(7 Abschn. 108.2). Aciclovir-Triphosphat hemmt dann die DNA-
Polymerase von HSV und VZV. Nach dem Einbau erfolgt ein Ketten-

a b

c d
c

. 108.4 a Joddesoxyuridin, b Acycloguanosin, c Cidofovir, d Phosphono-


. Abb. 108.3 a Maraviroc, b Enfuvirtide (T20), c Amatadin format
108.4 · Antiviral wirksame Substanzen und ihre Wirkungsmechanismen
789 108
oder Strangabbruch der DNA-Synthese, weil die 3’-OH-Gruppe der Dasabuvir und Beclabuvir sind nichtnukleosidische HCV-Poly-
D-Ribose fehlt. Für die Entwicklung der Substanz erhielt Gertrude merase-Inhibitoren. Dasabuvir ist in Kombination mit dem NS5A-
Elion 1988 den Nobelpreis. Aciclovir wird sehr gut vertragen und ist Inhibitor Ombitasvir und dem Proteaseinhibitor Paritaprevir zuge-
das Mittel der Wahl bei generalisierten HSV und VZV-Infektionen lassen.
(. Abb. 108.4b). MK-3682 ist ein Nukleotid-Polymerase-Inhibitor, der sich An-
Valyl-Aciclovir (Valaciclovir) wirkt oral besser als Aciclovir. Es fang 2016 noch in klinischen Studien befand.
ist ein Prodrug (Valylester des Aciclovir), dessen Valylrest in der
Leber abgespalten wird.
108.4.4 Inhibitoren der reversen Transkriptase
Bromvinyldesoxyuridin (5-Brom-2’-desoxyuridin) (BVDU, Brivu- von Retroviren
din) Dieses Nukleosid wird, ähnlich wie Aciclovir, von der HSV-
und VZV-Thymidinkinase zum aktiven Nukleotid (BVDU-Triphos- Azidothymidin (AZT, Zidovudin) Diese Substanz bzw. sein Triphos-
phat) phosphoryliert, das die virale Polymerase hemmt. Es wird oral phat ist ein Inhibitor der reversen Transkriptase des HIV-1 und -2.
eingesetzt zur Behandlung des Zoster und der mit diesem verbunde- Sie wirkt kompetitiv: Die Wirkung beruht auf einem Kettenabbruch
nen Neuralgien, seltener auch bei HSV-1- und VZV-Infektionen bei nach dem Einbau infolge Fehlens der 3’-OH-Gruppe der Desoxyri-
Immunsupprimierten. bose, die durch eine N3-(Azid-)Gruppe ersetzt ist (. Abb. 108.5a).
Damit gehört es zur Gruppe der nukleosidischen Reverse-Tran-
Ganciclovir (DHPG) Ebenfalls ein Nukleosidanalog, das v. a. zur skriptase-Inhibitoren (NRTI).
Therapie schwerer CMV-Infektionen (z. B. Retinitis, Kolitis, Pneu- NRTI bilden das Rückgrat jeder HAART. AZT ist der Prototyp
monie, Hepatitis) bei immunsupprimierten Personen eingesetzt dieser Substanzgruppe. Weitere NRTI mit Wirkung gegen HIV fin-
wird. Die Substanz wird von der CMV-UL97-Kinase phosphoryliert den sich in . Tab. 108.1.
und dadurch aktiviert. Sein Prodrug Valganciclovir wird oral verab- Durch Hemmung der reversen Transkriptase reduziert sich die
reicht. Zahl der Präintegrationskomplexe (7 Kap. 66). Das bereits in die
zelluläre DNA integrierte Provirus wird jedoch nicht beeinflusst.
Famciclovir Diese Substanz ist ein oral anwendbares Prodrug des Unter AZT-Therapie treten bald resistente Mutanten auf – AZT soll-
Penciclovirs und wird zu diesem metabolisiert. Die Phosphorylie- te deshalb nicht mehr als Monotherapie gegeben werden (Ausnah-
rung erfolgt analog zu Aciclovir. Es wirkt stärker als Aciclovir bei me: zeitlich begrenzter Einsatz am Ende der Schwangerschaft, um
Zoster und Neuralgien. Seine Halbwertszeit und die Bioverfügbar- die Viruslast und dabei das Risiko der Übertragung auf das Kind
keit sind erheblich länger und die Dosierung ist niedriger als bei unter der Geburt zu reduzieren).
Aciclovir. Es eignet sich gut für die Behandlung des Zoster und der Lamivudin (3TC) ist ebenfalls ein NRTI. Aufgrund der RT-ähn-
Zosterschmerzen sowie bei Herpes genitalis. Penciclovir wird auch lichen Eigenschaften der HBV-Polymerase wirkt es auch gegen diese
lokal als Creme eingesetzt. (7 Kap. 72). Klinisch wird es oral bei HIV- und HBV-Infektion ein-
gesetzt. Gegen Lamivudin entstehen bei einer Langzeittherapie re-
Cidofovir (HPMPC) Diese Substanz wirkt gegen viele DNA-Viren sistenzverursachende Mutationen in der reversen Transkriptase von
inhibitorisch, darunter CMV, KSHV/HHV-8, HBV, manche Adeno- HIV bzw. der HBV-Polymerase. Die Mutationen betreffen die Ami-
viren, HPV und auch aciclovirresistentes HSV. Sie ist ein Monophos- nosäuresequenz YMDD im aktiven Zentrum des Enzyms. Man
phat und enthält keinen Pentoserest (. Abb. 108.4c), das Diphosphat kombiniert 3TC deshalb im Rahmen von HAART (7 s. o.; 7 Kap. 66)
hemmt die Polymerase durch Verdrängung von dCTP. mit anderen Medikamenten, z. B. Abacavir und AZT (Kombination
enthalten in Trizivir). Eine ähnliche Doppelwirkung gegen HIV und
Adefovir dipivoxil (Bis-POM PMEA; 2-(6-aminopurin-9-yl)etho- HBV besitzen Entecavir und Emtricitabin.
xymethylphosphonat-Säure) ist ein Inhibitor der Polymerase/rever- Nevirapin (. Abb. 108.5b) ist ein Beispiel eines nichtnukleosidi-
sen Transkriptase von HBV. Es wird bei chronischer Hepatitis einge- schen Inhibitors der reversen Transkriptase (NNRTI) von HIV. Sub-
setzt. Trotz der während der Behandlung auftretenden Resistenzen stanzen dieser Gruppe wirken nicht kompetitiv, sondern alloste-
gilt es als Medikament mit gutem, langfristigem Resistenzprofil. risch, binden also nicht ans aktive Zentrum des Enzyms, sondern an
andere Regionen und verschlechtern so die Enzymkinetik. Weitere
Phosphonoformat (Foscarnet, Foscavir) hemmt herpesvirale Substanzen dieses Typs sind Delavirdin, Efavirenz und Lovirid und
DNA-Polymerasen und damit die Virusreplikation (. Abb. 108.4d). andere (. Tab. 108.1).
Es wird lokal und systemisch gegen verschiedene Herpesviren ein-
gesetzt, insbesondere bei Ganciclovir-resistenter Zytomegalie, ruft
jedoch relativ viele Nebenwirkungen hervor.

108.4.3 Inhibitoren viraler RNA-Polymerasen

Sofosbuvir ist ein kompetitiver Nukleotidinhibitor der HCV-Poly-


merase (NS5B; 7 Kap. 72). Als Prodrug wird es im Körper metaboli-
siert. Es hat keine inhibitorische Wirkung auf zelluläre Polymerasen,
wirkt aber gegen alle HCV-Genotypen. Es ist in Kombination mit
anderen HCV-Medikamenten (z. B. Ribavirin, Daclatasvir, Simepre- a b
vir) als Kombinationstherapie zugelassen. Es wird über die Niere
eliminiert und deshalb zurzeit bei Patienten mit Niereninsuffizienz
nicht eingesetzt. . Abb. 108.5 a Azidothmidin, b Nevirapin
790 Kapitel 108 · Antivirale Chemotherapie

108.4.5 Inhibitoren der retroviralen Integrase Inhibitoren der HCV-Protease Inhibitoren der NS3/4A-Serinprote-
ase des HCV haben Eingang in die HCV-Therapie gefunden und
Raltegravir Die Substanz (. Abb. 108.6) inhibiert die Integrase des erweisen sich als sehr effektiv. Sie inhibieren die Freisetzung der
HIV, d. h. das Enzym, das für die Integration der proviralen DNA einzelnen HCV-Nichtstrukturproteine aus dem HCV-Polyprotein-
(entstanden durch reverse Transkription der viralen genomischen vorläufer (7 Kap. 72). Alle HCV-Proteaseinhibitoren haben die
RNA nach Eintritt in die Zelle; 7 Kap. 66) in das Genom der Wirts- Buchstabenfolge »pre« im Namen. Die ersten beiden Substanzen
zelle verantwortlich ist. Da diese Integration eine wichtige Rolle für dieser Gruppe waren Telaprevir und Boceprevir, die inzwischen
Chemotherapie

die langfristige Persistenz des HIV spielt, stellt ihre Hemmung eine zugunsten neuerer und nebenwirkungsärmerer Verbindungen ver-
wichtige Komponente in der Kombinationstherapie der HIV-Infek- lassen wurden. Hierzu gehört Simeprevir, das in Kombination mit
tion dar. Sofosbuvir (Polymeraseinhibitor, 7 Abschn. 108.4.3) angewandt
Wie alle HIV-Chemotherapeutika sollten Integrasehemmer wird. Weitere effektive HCV-Proteaseinhibitoren sind Paretaprevir
nicht allein verabreicht werden (Gefahr der Resistenzbildung). Ein und Grazoprevir. Die Kombination von Grazoprevir mit dem HCV-
weiterer zugelassener Integrasehemmer ist Elvitegravir. NS5A-Inhibitor Elbasvir (7 s. u.) erreicht eine Elimination von HCV
12 Wochen nach Therapieende (»sustained virological response«,
SVR) bei mehr als 90 % der behandelten Patienten. Da diese Kombi-
nation keine über die Niere ausgeschiedenen HCV-Polymerase-In-
hibitoren enthält, ist sie auch bei Patienten mit Niereninsuffizienz
einsetzbar.

Inhibitoren des HCV-NS5A-Proteins Das nichtstrukturelle NS5A-


Membranprotein des HCV ist für die korrekte Bildung der Replika-
tionskomplexe des HCV an intrazellulären Membranen essenziell
Raltegravir (7 Kap. 72) und durch Inhibitoren therapeutisch angreifbar. Alle
. Abb. 108.6 Raltegravir NS5A-Inhibitoren tragen die Buchstabenfolge »as« im Namen. Der
erste zugelassene NS5A-Inhibitor, Daclatasvir, wird in Kombination
mit dem Polymeraseinhibitor Sofosbuvir gegeben. Ein weiterer
108.4.6 Inhibitoren von Virusproteasen NS5A-Inhibitor, Ledipasvir, ist in den USA in einer Ein-Tabletten-
Kombination mit Sofosbuvir zugelassen. Ombitasvir ist in Kombi-
Inhibitoren der HIV-Protease Die Kapsidproteine (p24, p18 etc.) nation mit dem Proteaseinhibitor Paritaprevir und dem Polymeras-
des HIV entstehen aus einem Vorläuferprotein (abgelesen vom gag- einhibitor Dasabuvir zugelassen. Elbasvir wurde erfolgreich in
Gen) durch proteolytische Spaltung, welche die HIV-Protease ver- Kombination mit dem Proteaseinhibitor Grazoprevir (7 s. o.) er-
mittelt (7 Kap. 66). Dieses Enzym lässt sich durch Proteaseinhibito- probt.
ren blockieren, sodass infektiöse Viruspartikel nicht gebildet werden
können. Solche Proteaseinhibitoren spielen heute eine zentrale Rol-
le in der Behandlung von HIV-Infektionen. Vertreter dieser Subs- 108.4.7 Andere Angriffspunkte
tanzgruppe sind Saquinavir (. Abb. 108.7), Indinavir, Nelfinavir,
Amprenavir, Lopinavir, Ritonavir und Tripanavir. Neuraminidaseinhibitoren Sie blockieren sehr selektiv die Neura-
Die Wirkungen dieser Substanzen sind sehr gut. Allgemeine Ne- minidase in der Hülle des Influenzavirus A und B. Es handelt sich
benwirkungen sind Glukoseintoleranz, Fettstoffwechselstörungen chemisch um kompetitiv wirkende Neuraminsäureanaloga. Die In-
und Lipodystrophie infolge Umverteilung des Körperfettes, deren hibitoren verhindern die Abspaltung der mit endständigen Neura-
Mechanismus unbekannt ist. Eine Hepatitis steigert das Risiko für minsäuremolekülen ausgerüsteten und nach außen gerichteten In-
Hepatotoxizität bei HIV-Patienten mit HAART. fluenzarezeptoren (= Glykoproteine) der Zellmembran durch die
Da jedoch auch bei dieser Wirkstoffgruppe Resistenzen des HIV Neuraminidase des Influenzavirus. Die Viren können deshalb nicht
entstehen, müssen sie mit anderen HIV-Medikamentenklassen freigesetzt werden. Zanamivir (. Abb. 108.8a; »Relenza«) wird als
kombiniert werden, z. B. Saquinavir mit AZT und Didanosin. Nasenspray 5 Tage lang 2-mal pro Tag angewandt (je 10 mg pro
Dosis). Oseltamivir (»Tamiflu«) wird oral für die Dauer der Er-
krankung oder auch prophylaktisch (4–6 Wochen lang) eingesetzt.
Im Erkrankungsfall sollten diese Substanzen innerhalb der ersten
24–48 h nach Beginn der Symptome gegeben werden, um eine sig-
nifikante Wirkung zu erzielen.

Inhibitor einer viralen Kinase Maribavir ein Benzimidazolderivat


(. Abb. 108.8b), hemmt die UL97-Kinase des CMV, die beim Aus-
schleusen neu gebildeter Viruskapside aus dem Kern ins Zytoplasma
(Herpesviren replizieren im Kern und bilden dort die neuen Kapsi-
de; 7 Kap. 71) eine wichtige Rolle spielt. Ferner phosphoryliert die
UL97-Kinase das Ganciclovir und aktiviert es dadurch spezifisch in
virusinfizierten Zellen (7 Abschn. 108.4.2). Obwohl eine Phase-II-
Studie die Effektivität der prophylaktischen Anwendung von Mari-
bavir andeutete, konnte dies in einer Phase-III-Studie nicht reprodu-
Saquinavir ziert werden, evtl. wegen zu niedriger Dosierung. Die Substanz hat
. Abb. 108.7 Saquinavir deshalb noch keinen Eingang in die Routinetherapie gefunden.
108.4 · Antiviral wirksame Substanzen und ihre Wirkungsmechanismen
791 108
Inhibitor der herpesviralen Helikase/Primase Eine gegenwärtig pockeninfektionen, Basaliomen und Warzen eingesetzt. Ihre Wirk-
in klinischen Studien erprobte Substanz, Pritelivir (BAY 57-1293; samkeit beruht auf einer lokalen Entzündung, die nicht zu stark
. Abb. 108.8c), inhibiert den Helikase-Primase-Komplex des HSV, werden sollte.
der eine essenzielle Rolle bei der Replikation der viralen DNA spielt. Resiquimod ist eine verwandte Substanz und reduziert als
Diese Verbindung hat deshalb einen anderen Angriffspunkt als die Creme angewendet die Genitalausscheidung von HSV-2 und die
kompetitiven DNA-Polymerase-Inhibitoren vom Typ des Aciclovir Größe der Bläschen.
(7 Abschn. 108.4.2). Kürzlich veröffentlichte Studien belegen die
Effektivität von Pritelivir bei genitalem Herpes.

Inhibitor des Terminasekomplexes des Zytomegalovirus Die her-


pesvirale Terminase ist ein Proteinkomplex, der eine entscheidende
Rolle bei der »Beladung« von neu gebildeten Viruskapsiden mit vi-
raler DNA im Zellkern spielt (7 Kap. 71). Eine neue Substanz, Leter-
movir, erwies sich als effektiv in der Prophylaxe der CMV-Reaktivie-
rung bei Empfängern eines Stammzelltransplantats und wird gegen-
wärtig in einer Phase-III-Studie getestet.
a b
Inhibitor der Faltung viraler Kapsidproteine Die korrekte 3D-
Faltung der Kapsidproteine des HIV und HCV erfolgt in der Zelle
unter Mitwirkung des Cyclophilin-A- bzw. Cyclophilin-B-Kom-
plexes. Cyclophilin A und B werden inhibiert von dem (im Gegen-
satz zu Ciclosporin A) nichtimmunsupprimierenden Cyclophilinin-
hibitor Debio-025. Obwohl diese Substanz noch keinen Eingang in
die Klinik gefunden hat, könnte sie die Perspektive einer gemeinsa-
men Behandlung von mit HIV und HCV koinfizierten Patienten
eröffnen.
c
Ribavirin Diese Substanz ist ein Analogon des Guanosins (. Abb. Pritelivir
108.8d). Nach Aufnahme in die Zelle wird sie phosphoryliert und
hemmt als Monophosphat kompetitiv die Inosinmonophosphat-
Dehydrogenase und damit die Bildung von Guanosinmonophos-
phat. Die Substanz wirkt gegen eine Reihe von RNA- und DNA-Vi-
ren. Ribavirin wurde für viele Jahre für die Therapie der HCV-Infek-
tion in Kombination mit pegyliertem IFN-α verwendet. Weitere
Indikationen sind durch RNA-Viren verursachte schwere Erkran-
kungen wie Lassa-Fieber, Krim-Kongo hämorrhagisches Fieber und
RSV-Bronchiolitis.

Imiquimod (R-837) Diese Substanz (. Abb. 108.8e) induziert als d e


Creme lokal nach Bindung an TLR7 und TLR8 Interferon und ande-
re Zytokine und dadurch die TH-Zellantwort. Sie wird erfolgreich
zur Behandlung von Kondylomen, Molluscum contagiosum, Para- . Abb. 108.8 a Zanamivir, b Maribavir, c Pritelivir, d Ribavirin, e Imiquimod
792 Kapitel 108 · Antivirale Chemotherapie

108.5 Für die Behandlung diverser Viruserkrankungen verfügbare Medikamente im Überblick


(. Tab. 108.1)

. Tab. 108.1 Medizinisch bedeutende Viren und gegen sie verfügbare antivirale Medikamente

Virusgruppe Virus Antivirale Substanz Wirkungsmechanismus/ Anmerkungen


Chemotherapie

Angriffspunkt

Herpesviren HSV-1, -2 Aciclovir virale DNA-Polymerase

Foscarnet virale DNA-Polymerase

Cidofovir (HPMPC) virale DNA-Polymerase

Valaciclovir virale DNA-Polymerase oral verabreichbares »Prodrug« des Aciclovir

Famciclovir virale DNA-Polymerase oral verabreichbares »Prodrug« des Penciclovir

Pritelivir virale Helikase/Primase neue Substanz, zzt. in klinischen Studien

VZV Aciclovir virale DNA-Polymerase

Valaciclovir virale DNA-Polymerase oral verabreichbares »Prodrug« des Aciclovir

Famciclovir virale DNA-Polymerase oral verabreichbares »Prodrug« des Penciclovir

BVDU virale DNA-Polymerase

Herpesviren CMV Ganciclovir virale DNA-Polymerase

Valganciclovir virale DNA-Polymerase oral verabreichbares »Prodrug« des Ganciclovir

Cidofovir (HPMPC) virale DNA-Polymerase

Foscarnet virale DNA-Polymerase

Letermovir virale Terminase vielversprechendes Wirkungsprofil in klinischen


Studien, Phase-III-Studie läuft

Maribavir UL97-Proteinkinase klinische Wirksamkeit noch unklar, nicht zuge-


lassen

HHV-6 Cidofovir (HPMPC) virale DNA-Polymerase

Maribavir U69-Proteinkinase klinische Wirksamkeit noch unklar, nicht zuge-


lassen

Valganciclovir virale DNA-Polymerase oral verabreichbare »Prodrug« des Ganciclovir

EBV keine wirksame Substanz verfügbar; bei PTLD


(7 Kap. 71) Eliminierung der EBV-infizierten,
proliferierenden B-Zellen durch Rituximab, einen
zytotoxischen Antikörper gegen das CD20-Mole-
kül auf der B-Zell-Oberfläche

KSHV/HHV-8 Cidofovir virale DNA-Polymerase keine Wirkung bei KSHV-verursachten Tumoren

Pockenviren Affenpockenvirus Cidofovir virale DNA-Polymerase

Vacciniavirus Cidofovir virale DNA-Polymerase bei versehentlicher Inokulation immunsuppri-


mierter Patienten

Molluscum conta- Cidofovir virale DNA-Polymerase lokale Anwendung


giosum-Virus
108.5 · Für die Behandlung diverser Viruserkrankungen verfügbare Medikamente im Überblick
793 108

. Tab. 108.1 (Fortsetzung)

Virusgruppe Virus Antivirale Substanz Wirkungsmechanismus/ Anmerkungen


Angriffspunkt

Hepatitisviren HBV pegyliertes IFN-α2a/b

Lamivudin virale Polymerase


Adefovir dipivoxil virale Polymerase
Entecavir virale Polymerase
Telbivudin virale Polymerase
Tenofovir disoproxil virale Polymerase
fumarat (TDF)
HCV pegyliertes IFN-α2a/b bisherige Standardtherapie, jetzt von neuen
in Kombination mit HCV-Inhibitoren abgelöst
Ribavirin
Sofosbuvir virale RNA-Polymerase, in Kombination mit Ribavirin, Daclatasvir,
(kompetitiver) Nukleotid- Simeprivir
Inhibitor
Dasabuvir virale RNA-Polymerase, in Kombination mit Ombitasvir und Paritaprevir
nichtnukleosidischer
(nichtkompetitiver)
nhibitor
Simeprevir virale NS3A/4A-Protease in Kombination mit Sofosbuvir
Paretaprevir virale NS3A/4A-Protease in Kombination mit Ombitasvir und Dasabuvir
Grazoprevir virale NS3A/4A-Protease in Kombination mit Elbasvir (1 Tabl.); auch bei
Niereninsuffizienz einsetzbar
Daclatasvir NS5A-Membranprotein in Kombination mit Sofosbuvir
Ledipsavir NS5A-Membranprotein in Kombination mit Sofosbuvir (1 Tabl.)
Ombitasvir NS5A-Membranprotein In Kombination mit Paretaprevir und Dasabuvir
Elbasvir NS5A-Membranprotein In Kombination mit Grazoprevir (1 Tabl.); auch bei
Niereninsuffizienz einsetzbar
Debio-025 Cyclophilinantagonist; begrenzte klinische Erfahrung, noch nicht zuge-
beeinträchtigt korrekte lassen
Faltung viraler Proteine
HIV AZT, Didanosin, nukleosidische (kompetiti- weitere Substanzen in dieser Kategorieverfügbar
Zalcitabin, Stavudin, ve) Reverse-Transkriptase-
Lamivudin, Abacavir, Inhibitoren (NRTI)
Emtricitabin
Tenofovir Reverse-Transkriptase-
Nukleotid-Inhibitor
Nevirapin, Delavirdin, nichtnukleosidische (allos-
Efavirenz, Etravirin, terische) Reverse-Tran-
Rilpivirin, Dapivirin skriptase-Inhibitoren
(NNRTI)
Sequinavir, Ritonavir, HIV-Protease-Inhibitoren Ritonavir verzögert Ausscheidung anderer
Indinavir, Nelfinavir, Medikamente; dieser Effekt kann therapeutisch
Amprenavir, Lopinavir, zur Verstärkung der Wirksamkeit anderer Medika-
Atazonovir, Fosamp- mente genutzt werden
renavir, Tipronavir,
Darunovir
Enfuvirtide Fusionsinhibitor
Maraviroc Korezeptor-CCR5-Antago-
nist

Raltegravir, Elvite- Integraseinhibitoren


gravir
794 Kapitel 108 · Antivirale Chemotherapie

. Tab. 108.1 (Fortsetzung)

Virusgruppe Virus Antivirale Substanz Wirkungsmechanismus/ Anmerkungen


Angriffspunkt

Picornaviren Enteroviren Pleconaril VP1-Kapsid-Uncoating- noch nicht kommerziell erhältlich


Inhibitor
Chemotherapie

Rhinoviren Rupintrivir Protease-3c-Inhibitor nicht zugelassen

Enteroviren, Enviroxim Protein-3A-Inhibitor nicht zugelassen


Rhinoviren

Enteroviren TBZE-029 Protein-2c-Inhibitor nicht zugelassen

Orthomyxoviren Influenza A Zanamivir virale Neuraminidase Aerosolanwendung

Oseltamivir virale Neuraminidase orale Anwendung

Favipiravir (T-705) virale RNA-Polymerase bis jetzt nur experimentelle Anwendung; auch
wirksam gegen Bunya-, Filo- und Arenavirusinfek-
tionen; bei Ebola-Epidemie 2014 eingesetzt

Paramyxoviren RSV Ribavirin Aerosolanwendung

GS-5806 RSV-Fusionsinhibitor erfolgreich in klinischer Studie mit experimentell


RSV-infizierten Freiwilligen

108.6 Interferone als antivirale 108.6.3 Physiologische und intrazelluläre


Immunmodulatoren Interferonwirkungen

108.6.1 Interferenz und Interferon Typ-I- und Typ-III-Interferone wirken antiviral und werden in vie-
len virusinfizierten Zellen gebildet. Dagegen wird das Typ-II-Inter-
Historisch verstand man unter Interferenz die Beeinflussung der feron IFN-γ in erster Linie von T-Zellen gebildet und wirkt immun-
Wirtsempfänglichkeit für das virulente Virus »A« durch eine vorher- modulierend (. Abb. 108.9).
gehende Infektion mit einem avirulenten Virus »B«: Die Infektion Interferone sind für den Sofortschutz der Basisabwehr und die
mit B schützt den Organismus (oder dessen Zellen) vor dem Ange- Stimulierung der adaptiven Immunität verantwortlich. Sie werden
hen von A. Dieser Effekt hat nichts mit Antikörpern oder anderen in die Umgebung der produzierenden Zelle sezerniert; sie wirken
Faktoren der erworbenen Immunität zu tun, vielmehr geht die Inter- auf benachbarte Zellen in der unmittelbaren oder mittelbaren Nach-
ferenz auf die Produktion eines Stoffs zurück, den Isaacs und Lin- barschaft, an die sie sich mittels IFN-Rezeptoren anheften.
denmann 1957 erstmals nachgewiesen und Interferon genannt Durch Stimulierung dieser Rezeptoren setzen Interferone intra-
haben. zelluläre, durch die Tyrosinkinasen JAK1–3 bzw. Tyk sowie die Tran-
skriptionsaktivatoren STAT1–5 vermittelte intrazelluläre Signalkas-
kaden in Gang. Diese führen unter anderem zur Synthese zellulärer
108.6.2 Einteilung der Interferone Proteine mit antiviralen Eigenschaften, z. B. von RNasen, die virale
mRNA abbauen, oder Mx-Proteinen, die durch Ubiquitinabbau den
Interferone (IFN) sind die ersten Vertreter einer großen Gruppe von Transport von Nukleoproteinen der Orthomyxoviren in den Kern
Wirkstoffen (Zytokinen, 7 Abschn. 12.9). Sie werden in 3 Typen (I, II, blockieren. Ferner können Initiationsfaktoren der Translation (elF-2)
III) eingeteilt: durch Proteinkinasen (PKR) phosphoryliert und damit unwirksam
4 Typ-I-Interferone: gemacht werden. IFN-α/β aktivieren zudem die p53-Signalkette, die
5 13 α-Interferone (IFN-α) via Apoptose die virusinfizierte Zelle zerstört, d. h. die Virusreplika-
5 1 β-Interferon (IFN-β) tion begrenzt.
5 1 κ-Interferon (IFN-κ) Umgekehrt haben viele Viren Mechanismen entwickelt, mit
5 1 ε-Interferon (IFN-ε) denen sie sich gegen die Bildung der Interferone in virusinfizierten
5 1 ϖ-Interferon (IFN-ϖ) Zellen »wehren« oder der Interferonwirkung auf benachbarte Zellen
4 Typ-II-Interferon: entgegensteuern können. Hierzu gehört z. B. die Fähigkeit, die Funk-
5 1 γ-Interferon (IFN-γ). tion von IRF-3 oder IRF-7 zu antagonisieren oder mit der Funktion
4 Typ-III-Interferone: Es gibt 3 λ-Interferone: des JAK/STAT-Komplexes zu interferieren (. Abb. 108.9).
5 IFN-λ1 (auch als IL-29 bezeichnet)
5 IFN-λ2 (IL-28a)
5 IFN-λ3 (IL-28b). 108.6.4 Therapeutische Anwendung
von Interferon

Interferon wird heute für die Therapie einiger Viruserkrankungen


eingesetzt. Die Effekte der Interferone lassen sich z. T. auf die Hem-
108.6 · Interferone als antivirale Immunmodulatoren
795 108

. Abb. 108.9 Interferonsystem. Die IFN-Synthese wird in der Zelle von Viren (IFN-α/β/λ) oder durch Antigenkontakt mit T-Zellen (IFN-γ) ausgelöst.
IFN-Induktoren bei Virusinfektionen sind die während der Virusreplikation auftretende Doppelstrang-RNA (replikative Intermediate), virale DNA oder auch
bestimmte Virusproteine. Virale RNA und DNA wird von Toll-ähnlichen Rezeptoren TLR3, TLR7 und TLR9 bzw. den zytoplasmatischen Rezeptoren RIG-I,
MDA-5, cGAS, STING erkannt. In der Folge werden Signalwege aktiviert, die zu gesteigerter IFN-Synthese führen. Die IFN-Synthese und -Wirkung lässt sich
in 4 Phasen gliedern: 1 Erkennung von Virusbestandteilen durch TLR, RIG-I, MDA-5, cGAS und Phosphorylierung der zellulären Faktoren IRF-3, IRF-5.
2 Induktion der IFN-mRNA im Kern, Transkription, Translation und Sezernierung der IFN-Moleküle. 3 Nach Bindung an IFN-Rezeptoren benachbarter Zellen
werden andere Signalwege (JAK/STAT-Kaskaden) stimuliert. 4 Diese regen die Synthese translationsinhibierender Proteine (TIP) an den IFN-stimulierten
Genen (ISG) an. Viren können die IFN-Produktion und -Wirkung in allen Phasen auf komplizierte Weise blockieren

mung der Virusreplikation zurückführen. Auch werden z. B. MHC-


Gene aktiviert, die eine bessere Erkennung virusinfizierter Zellen Daher setzt sich eine kombinierte Verwendung von Substanzen
durch virusspezifische T-Zellen ermöglichen. Es müssen sehr hohe mit unterschiedlichen Angriffspunkten durch, soweit diese
Dosen gegeben werden, weil die Halbwertszeit der Interferone kurz verfügbar sind. Damit soll die Replikation eines Virus effektiver
ist. Ihr Abbau erfolgt in Leber und Niere. unterdrückt und der Entstehung von Resistenzen entgegen-
IFN passiert kaum die Blut-Liquor-Schranke. Durch Kupplung gewirkt werden. Dieses Konzept findet bei der Therapie der
von IFN an Polyethylenglykole entstandenes PEG-IFN (pegyliertes HIV-Infektion, für die über 25 wirksame Substanzen zur Verfü-
IFN) ist ein »Depot-IFN« (Anwendung 1-mal pro Woche) entstan- gung stehen, bereits Anwendung (HAART – »highly active anti-
den. Die bis vor kurzem häufigste Anwendung dieser Therapie ist retroviral therapy«). Ebenso ist heute eine interferonfreie Kombi-
die Kombination von PEG-IFN mit Ribavirin zur Therapie der nationstherapie mit 2 oder 3 direkt gegen HCV wirkenden Medi-
HCV-Infektion. Diese Kombinationstherapie ist mit z. T. erhebli- kamenten möglich.
chen Nebenwirkungen verbunden und wurde kürzlich zugunsten
neuer HCV-Medikamente verlassen (7 s. o.).

In Kürze
Antivirale Therapie
Allgemeines Viren replizieren nur in lebenden Zellen, sie sind
diesbezüglich auf den Zellstoffwechsel angewiesen. Auf diesem
Umstand beruhen die Schwierigkeiten, selektiv auf die Virus-
synthese einwirkende Substanzen zu finden, ohne die Prozesse
normaler Zellen zu stören.
Angriffspunkte Virusspezifische Prozesse in der Zelle:
5 Adsorption (Virusanheftung an die Zelle)
5 Zelleintritt
5 Freisetzen des Virusgenoms
5 Nukleinsäuresynthese (virale DNA- bzw. RNA-Polymerasen)
5 Integration in das Wirtsgenom (nur Retroviren)
5 Virusmontage
5 proteolytische Spaltung viraler Vorläuferproteine
5 Immunmodulation

Heute stehen Inhibitoren aller dieser Schritte im Lebenszyklus


eines Virus zur Verfügung. Aufgrund der hohen Replikationsrate
vieler Viren und der fehlerhaften Replikation mancher viraler
Genome (v. a. RNA-Viren) entstehen Mutanten, die gegen ein-
zelne Virostatika resistent sein können und bei Anwesenheit die-
ses Medikaments dann selektioniert und vermehrt werden.
797 109

Antiparasitäre Substanzen
M. Fille, G.-D. Burchard

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_109, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die Vielzahl an Einzelsubstanzen, die bei einzelnen Parasitosen einge- Radikalen, welche die Parasitenmembran schädigen. Zur intra-
setzt werden, erfordert eine Gliederung, die sich hauptsächlich an den venösen Gabe steht Artesunat zur Verfügung, zur oralen Gabe die
Indikationen und weniger an der chemischen Struktur orientiert. Kombinationspräparate Artemether/Lumefantrin (Riametp) und
Dihydroartemisinin/Piperaquin (Eurartesimp).
Doxycyclin hemmt die Proteinbiosynthese (7 Kap. 100). Es ist
109.1 Antimalariamittel nicht zur alleinigen Therapie geeignet, sondern nur in Kombination
sowie zur Prophylaxe.
Steckbrief
Primaquin Dieses ist ein 8-Aminochinolin, die Abbauprodukte
Die verschiedenen Arten von Plasmodien und die verschiede- führen zu einer Schädigung der mitochondrialen Atmungskette und
nen Entwicklungsstadien der Plasmodien sprechen auf unter- Pyrimidinsynthese.
schiedliche Medikamente an.
jWirkungsspektrum
Chloroquin, Chinin, Mefloquin, Doxycyclin und die Artemisinine
wirken gegen die erythrozytären Formen der Plasmodien. Dabei
hemmen die Artemisinine die Reifung der frühen Ringformen bis
zu den frühen Schizonten und verhindern so besonders wirkungs-
voll die Zytoadhärenz parasitierter Erythrozyten an das Kapillaren-
dothel (7 Kap. 82). Atovaquon-Proguanil wirkt auch gegen die
Leberformen der Plasmodien. Primaquin wirkt darüber hinaus
gegen Hypnozoiten von P. vivax und P. ovale und kann so Rückfälle
einer Malaria tertiana verhindern.

jResistenzen
Von besonderer Bedeutung ist die Resistenz von P. falciparum gegen
109.1.1 Beschreibung Chloroquin: Sie beruht auf der schnelleren Ausschleusung der Sub-
stanz aus dem Parasiten (1–2 vs. > 55 min). Chloroquinresistente
jSubstanzen und Wirkungsmechanismus P. falciparum-Stämme finden sich weltweit außer in Mittelamerika.
Chloroquin ist ein 4-Aminochinolin. Die Substanz interferiert mit Die Resistenz gegen Mefloquin ist mit »Multi-drug«-Resistenz-arti-
dem Hämoglobinabbau in den intraerythrozytären Schizonten. Die- gen Genen (»mdr-like genes«) assoziiert, Mefloquinresistenzen
ses Enzym schützt den Parasiten gegen Ferriprotoporphyrin IX, ein kommen insbesondere in Südostasien vor. Dort wurde in den letzten
membrantoxisches Hämoglobinabbauprodukt. Jahren auch eine verminderte Wirksamkeit von Artemisininen
Chinin ist ein Alkaloid aus der Rinde des Chinarindenbaums. beobachtet, die dazu führt, dass Plasmodien langsamer aus dem Blut
Der genaue Wirkungsmechanismus ist nicht bekannt, möglicher- eliminiert werden. Molekulare Marker für die Resistenz wurden be-
weise kommt es infolge einer pH-Erhöhung durch Anreicherung in schrieben und dienen dazu, die Resistenzausbreitung zu verfolgen.
intrazellulären Organellen des Parasiten zu einer Störung des Mem-
branaufbaus.
Mefloquin ist ein 4-Aminochinolin-Methanol. Es wird ein ähn- 109.1.2 Rolle als Therapeutika
licher Mechanismus wie bei Chinin angenommen.
jIndikationen
Atovaquon-Proguanil (Malaronep) Atovaquon ist ein Naphthoch- Mittel der Wahl bei unkomplizierter Malaria tropica sind Atova-
inon-Derivat, Proguanil ein Isopropylbiguanid. Der Wirkungs- quon/Proguanil oder die o. g. Artemisinin-Kombinationspräparate.
mechanismus von Atovaquon besteht in einer selektiven Inhibition Mefloquin wird wegen der zentralnervösen Nebenwirkungen nur
der mitochondrialen Atmungskette, Proguanil wirkt auf den Fol- noch ausnahmsweise eingesetzt. Zur Therapie der schweren, lebens-
säuremetabolismus des Parasiten. bedrohlichen Malaria tropica werden Artesunat i. v. oder als Mittel
zweiter Wahl Chinin in Kombination mit Doxycyclin eingesetzt.
Artemisinine Dies sind Derivate des Artemisinins, eines Wirkstoffs Malaria tertiana und quartana können mit Chloroquin behan-
der chinesischen Pflanze Artemisia annua (einjähriger Beifuß). Cha- delt werden, Chloroquinresistenzen kommen allerdings bei P. vivax
rakteristika der Artemisininstruktur sind ein Trioxanring und eine insbesondere in Südostasien vor. Primaquin wird bei Malaria ter-
Peroxidbrücke. Die Wirksamkeit beruht auf der Freisetzung von tiana zur Beseitigung der Hypnozoiten in der Leber eingesetzt (zu-
798 Kapitel 109 · Antiparasitäre Substanzen

sätzlich zur Therapie gegen die erythrozytären Formen mit o. g. ist bisher nicht zu rechnen. Metronidazol ist nicht ausreichend wirk-
Medikamenten). sam gegen die Amöben im Darmlumen, daher muss immer eine
Nachbehandlung mit dem im Darmlumen wirksamen Paromomy-
jKontraindikationen cin erfolgen.
Chloroquin Vorbestehende Retinopathie und Gesichtsfeldein- Mittel der Wahl bei der Giardiasis sind die Nitroimidazolpräpa-
schränkungen, Erkrankungen des blutbildenden Systems und Myas- rate, bei Therapieversagern können Albendazol (s. u.) oder Paromo-
thenia gravis, Anwendungsbeschränkungen stellen Psoriasis, Por- mycin versucht werden.
phyrie sowie schwere Leber- und Nierenerkrankungen dar.
Chemotherapie

Chinin Bekannte Überempfindlichkeit. 109.3 Mittel gegen Trypanosomen


Mefloquin Neuropsychiatrische Erkrankungen, Epilepsie; relative
Kontraindikationen sind kardiale Überleitungsstörungen oder Be- Steckbrief
handlung mit herzwirksamen Medikamenten.
Suramin, Pentamidin, Melarsoprol und Eflornithin sind gegen
Atovaquon/Proguanil Kreatinin-Clearance < 30 ml/min. die Erreger der Schlafkrankheit, Nifurtimox und Benznidazol
gegen die Erreger der Chagas-Krankheit wirksam. Sie sind sehr
Artemisinin-Kombinationspräparate Herzkrankheit oder Verlän- toxisch. Pentamidin wird auch als Ersatzmittel zur Therapie von
gerung der QTc-Zeit, plötzlicher Herztod in der Familienanamnese Pneumocystis jirovecii-Infektionen eingesetzt.
oder die gleichzeitige Einnahme von Mitteln, die zur Verlängerung
der QTc-Zeit führen können.

109.2 Mittel gegen Darmprotozoen

Steckbrief

Metronidazol ist Mittel der Wahl zur Therapie der invasiven


Amöbiasis, Paromomycin zur Elimination von Entamoeba histo-
lytica aus dem Darm. Nitroimidazole werden auch gegen die
Giardiasis eingesetzt.

109.2.1 Beschreibung
jSubstanzen und Wirkungsmechanismus
Metronidazol ist ein Nitroimidazol (7 Abschn. 106.1), es ist nicht nur
gegen anaerobe Bakterien wirksam, sondern auch gegen Protozoen.
Die Wirksamkeit beruht darauf, dass die reduzierte Form des Met-
ronidazols an Thioredoxinreduktase bindet und so zu DNA-Brü-
chen führt. 109.3.1 Beschreibung
Paromomycin ist ebenfalls ein Antibiotikum, das im Darm
kaum resorbiert wird und somit gegen Amöben im Kolonlumen jSubstanzen und Wirkungsmechanismus
wirken kann. Suramin hemmt Enzyme des parasitären Energiestoffwechsels. Pen-
Die Wirkung von Nitazoxanid beruht vermutlich auf einer In- tamidin interagiert mit DNA, RNA, Phospholipiden und Proteinen;
terferenz mit dem Elekronentransport der Parasiten. Es ist bisher in der genaue Wirkungsmechanismus ist nicht bekannt. Die trivalente
Deutschland nicht zugelassen und kommt daher nur als Reserveme- Arsenverbindung Melarsoprol (MelB) wird durch einen Adenosin-
dikament in Einzelfällen zur Anwendung. transporter vom Parasiten aufgenommen; die Substanz könnte dann
mit Sulfhydrylresten von Strukturproteinen und Enzymen interagie-
jWirkungsspektrum ren und damit deren Funktion beeinträchtigen. Eflornithin hemmt
Metronidazol wirkt gut gegen Entamoeba histolytica, aber auch ge- irreversibel die Ornithindekarboxylase, ein Enzym des Polyamid-
gen Giardia lamblia. Paromomycin wirkt auf Amöben und Lam- stoffwechselweges – Polyamide sind für Trypanosomen bei Wachs-
blien, aber auch gegen Leishmanien. Nitazoxanid ist ein Medika- tum, Differenzierung und Vermehrung unerlässlich.
ment mit breiter Wirksamkeit gegen intestinale Protozoen wie z. B. Nifurtimox und Benznidazol induzieren toxische Sauerstoff-
Kryptosporidien, aber auch gegen Würmer. radikale.

jWirkungsspektrum
109.2.2 Rolle als Therapeutika Suramin, Pentamidin, Melarsoprol und Eflornithin sowie Nifurti-
mox wirken gegen Trypanosomen. Nifurtimox und Benznidazol
jIndikationen und Anwendungen sind wirksam gegen Trypanosoma cruzi, den Erreger der Chagas-
Eine invasive Amöbiasis wird mit Metronidazol behandelt. Andere Krankheit. Pentamidin wirkt auch gegen Pneumocystis und Leish-
Nitroimidazole bieten keine wesentlichen Vorteile. Mit Resistenzen manien.
109.5 · Mittel mit vorwiegender Wirkung gegen intestinale Rundwürmer
799 109
109.3.2 Rolle als Therapeutika jNebenwirkungen
Liposomales Amphotericin B Kopf-, Glieder- und Muskelschmer-
jIndikationen und Anwendungen zen, insbesondere Rückenschmerzen zu Beginn der Infusionen, sel-
Die frühen Stadien der westafrikanischen Schlafkrankheit (T. brucei ten Nierenfunktionsstörungen.
gambiense) werden mit Pentamidin, die späten mit Nifurtimox und
Eflornithin behandelt, die ostafrikanische Schlafkrankheit (T. brucei Miltefosin Erbrechen, Durchfall und selten Erhöhung der Leberen-
rhodesiense) mit Suramin bzw. Melarsoprol. Als Nebenwirkung des zyme und des Serumkreatinins. Miltefosin-Resistenzen wurden be-
Melarsoprols kann eine toxische Enzephalopathie auftreten. schrieben.
Die Chagas-Krankheit wird mit Nifurtimox oder Benznidazol
behandelt.
Pentamidin wird als Alternativmedikament bei der Prophylaxe 109.5 Mittel mit vorwiegender Wirkung gegen
und Therapie der Pneumocystis jirovecii-Pneumonie eingesetzt, es intestinale Rundwürmer
kann auch als Aerosol gegeben werden. Mögliche Nebenwirkungen
sind Hyper- und Hypoglykämie, Pankreatitis, Hypokalzämie, Leu- Steckbrief
kopenie, Thrombozytopenie, Anämie.
Albendazol und Mebendazol sind Benzimidazole mit hoher
Wirksamkeit gegen intestinale Rundwürmer.
109.4 Mittel gegen Leishmanien

Steckbrief

Mittel der Wahl zu Behandlung von Leishmaniosen sind liposo-


males Amphotericin B (7 Abb.) und Miltefosin.

OH
H3C OH
O OH

HO O OH OH OH OH O O
CH3
OH
H3C
O O CH3

HO OH
NH2
109.5.1 Beschreibung
jSubstanzen und Wirkungsmechanismus
Albendazol und Mebendazol binden sich an helminthisches Tubu-
lin und verhindern die Mikrotubulibildung. Ebenso wird die Gluko-
109.4.1 Beschreibung seaufnahme blockiert, wodurch die Glykogenspeicher des Wurmes
verbraucht werden. Der Parasit büßt seine Beweglichkeit ein und
jSubstanzen und Wirkungsmechanismus stirbt.
Liposomales Amphotericin B (AmBisomep) gehört zur Gruppe der
lipidassoziierten Amphotericine, diese sind Polyenmakrolaktone, jWirkungsspektrum
die von Makrophagen aufgenommen und an den Ort der Infektion Die Benzimidazole sind hochwirksam gegen intestinale Rundwür-
gebracht werden (Wirkungsmechanismus 7 Abschn. 107.1.2). mer (Nematoden). Albendazol erfasst ebenfalls Bandwürmer (Ces-
Miltefosin ist ein Phospholipidanalogon, das die Membransyn- toden) und auch Giardia lamblia.
these und Signalfunktion der parasitären Zelle stört.

jWirkungsspektrum 109.5.2 Rolle als Therapeutika


Liposomales Amphotericin B und Miltefosin wirken in unterschied-
lichem Ausmaß auf die verschiedenen humanpathogenen Leishma- jIndikationen
nienarten. Albendazol und Mebendazol sind bei intestinalen Rundwurmer-
krankungen (z. B. Enterobiasis/Oxyuriasis, Askariasis, Trichuriasis,
Ankylostomiasis, Strongyloidiasis) indiziert. Bei extra-intestinalen
109.4.2 Rolle als Therapeutika Erkrankungen durch Rundwürmer (z.B. Trichinose, Larva migrans
cutanea) kommt eher Albendazol zum Einsatz, da Mebendazol
jIndikationen, Kontraindikationen, Anwendungen schlecht resorbiert wird. Albendazol ist auch das Mittel der Wahl zur
Hauptindikation ist die Chemotherapie der viszeralen Leishmaniose Therapie einer Echinokokkose und (eventuell in Kombination mit
(Kala-Azar). Kutane Verlaufsformen (Orientbeule) können manch- Praziquantel, s.u.) einer Neurozystizerkose.
mal auch lokal behandelt werden (Paromomycin-Salbe, Infiltration
von Antimonen oder Amphotericin B, Kryotherapie). jNebenwirkungen
Albendazol und Mebendazol werden bei kurzfristiger Anwendung
gut vertragen, selten treten gastrointestinale Beschwerden auf.
800 Kapitel 109 · Antiparasitäre Substanzen

109.6 Mittel mit vorwiegender Wirkung 109.7 Mittel mit vorwiegender Wirkung
gegen Filarien gegen Egel und Bandwürmer

Steckbrief Steckbrief

Diethylcarbamazin ist ein Piperazinderivat, das Mikrofilarien ab- Praziquantel ist ein heterozyklisches Pyrazinoisochinolin mit
tötet. Ivermectin ist ein makrozyklisches Lakton mit breiter breiter Wirksamkeit gegen Trematoden (Egel) und Zestoden
Chemotherapie

Wirksamkeit gegen Rundwürmer inklusive Mikrofilarien. (Bandwürmer).

109.6.1 Beschreibung
109.7.1 Beschreibung
jSubstanzen und Wirkungsmechanismus
Diethylcarbamazin (DEC) hemmt den Arachidonsäurestoffwechsel jSubstanzen und Wirkungsmechanismus
und bewirkt, dass wirtseigene Abwehrzellen besser angreifen kön- Praziquantel erhöht die Kalziumpermeabilität des Teguments
nen. Ivermectin verstärkt die Öffnung glutamatabhängiger Chlorid- (Schistosomen) oder setzt Kalzium aus intrazellulären Speichern
kanäle; dies führt zu Lähmung der Pharynxpumpe des Wurms. frei. Hierdurch entstehen intrazellulär tetanische Kalziumkonzen-
trationen und somit resultiert eine Lähmung des Helminthen.
jWirkungsspektrum
Larven (Mikrofilarien) und Adulte der Filarien werden in unter- jWirkungsspektrum
schiedlichem Ausmaß durch DEC und Ivermectin abgetötet. Iver- Praziquantel erfasst zahlreiche Egel und Bandwürmer (Adulte und
mectin hat auch eine gute Wirksamkeit gegen den intestinalen Larven), also Schistosomen, Lungen- (Paragonimus), Darm- (z. B.
Rundwurm Strongyloides, gegen die Erreger einer Larva migrans Fasciolopsis) und die Leberegel Clonorchis sinensis und Opisthor-
cutanea sowie gegen Krätzemilben. chis. Nicht wirksam ist Praziquantel gegen Echinokokken und gegen
den Leberegel Fasciola hepatica.

109.6.2 Rolle als Therapeutika


109.7.2 Rolle als Therapeutikum
jIndikationen, Kontraindikationen, Anwendungen
Zur Therapie der lymphatischen Filariose, der Loiasis und der On- jIndikationen
chozerkose stehen vorwiegend Diethylcarbamazin, Ivermectin und Praziquantel ist das Mittel der Wahl bei allen Erkrankungen durch
Albendazol zur Verfügung. Egel und Bandwürmer – mit den folgenden beiden Ausnahmen:
Eine zusätzliche Strategie ist die Abtötung von Endosymbionten 4 Echinokokkose (hier: Albendazol, ggf. Chirurgie)
der Würmer (Wolbachien = rickettsienähnlichen Bakterien) mit An- 4 Infestationen durch Fasciola hepatica (hier: Triclabendazol)
tibiotika wie Doxycyclin, die bei der Onchozerkose und der lympha-
tischen Filariasis zum Absterben der Würmer führt.
In Kürze
Antiparasitäre Substanzen
Antimalariamittel Eine unkomplizierte Malaria tropica wird
mit Atovaquon-Proguanil oder Artemisinin-Kombinationspräpa-
raten behandelt. Chloroquin kommt wegen weltweiter Resisten-
zen, Mefloquin wegen zentralnervöser Nebenwirkungen kaum
noch zum Einsatz. Eine komplizierte Malaria tropica muss unter
intensivmedizinischer Überwachung mit Artesunat behandelt
werden. Rückfälle einer Malaria tertiana lassen sich mit Prima-
quin verhindern.
Mittel gegen Darmprotozoen Amöbenruhr und Amöbenleber-
abszess werden mit Metronidazol therapiert, zur Elimination
von Darmlumenformen muss eine Behandlung mit Paromomy-
cin angeschlossen werden. Metronidazol ist auch zur Behand-
lung der Giardiasis geeignet.
109.7 · Mittel mit vorwiegender Wirkung gegen Egel und Bandwürmer
801 109

Mittel gegen Trypanosomen Bei der Afrikanischen Schlaf-


krankheit kommen Suramin, Pentamidin, Eflornithin, Melar-
soprol und Nifurtimox zum Einsatz; bei der Chagas-Krankheit
Nifurtimox und Benznidazol.
Mittel gegen Leishmaniosen Die viszerale Leishmiasis (Kala-
Azar) wird intravenös mit liposomalem Amphotericin B, bei Her-
kunft auf Indien alternativ auch oral mit Miltefosin behandelt.
Eine orale Leishmaniasis (Orientbeule) kann eventuell lokal the-
rapiert werden.
Mittel gegen intestinale Rundwürmer Albendazol und Meben-
dazol sind im Allgemeinen gut wirksam.
Mittel gegen Filarien Diethylcarbamazin wirkt gegen Wuche-
reria und Loa loa, Ivermectin gegen Onchocerca volvulus.
Zusätzlich können bei der Onchozerkose Tetracycline gegeben
werden, um endosymbiotische Bakterien (Wolbachien) abzu-
töten und so die Würmer zu schädigen.
Mittel gegen Egel und Bandwürmer Praziquantel ist Mittel der
Wahl bei Egeln und Bandwürmern (es ist allerdings nicht wirk-
sam bei Echinokokken und bei Fasciola hepatica).
803 X

Krankheitsbilder
Kapitel 110 Fieber – Pathophysiologie und Differenzialdiagnose – 805

Kapitel 111 Sepsis – schwere Sepsis – septischer Schock – 807

Kapitel 112 Infektionen des Herzens – 813

Kapitel 113 Infektionen des ZNS – 827

Kapitel 114 Augeninfektionen – 839

Kapitel 115 Infektionen des oberen Respirationstrakts – 845

Kapitel 116 Pleuropulmonale Infektionen – 851

Kapitel 117 Harnweginfektionen – 859

Kapitel 118 Genitoanale und sexuell übertragbare


Infektionen (STI) – 865

Kapitel 119 Infektionen der Knochen und Gelenke – 873

Kapitel 120 Haut- und Weichgewebeinfektionen – 887

Kapitel 121 Gastroenteritiden und Peritonitis – 897

Kapitel 122 Infektionen der Leber, der Gallenwege


und des Pankreas – 903

Kapitel 123 Infektionen der Zähne und des Zahnhalteapparates – 907

Kapitel 124 Nosokomiale Infektionen – 913

Kapitel 125 Importierte Infektionen – 917

Kapitel 126 Infektionen bei Immunsuppression – 923

Kapitel 127 Biologische Waffen – eine Herausforderung an Diagnostik,


Therapie, Klinik und Prävention – 931
805 110

Fieber – Pathophysiologie
und Differenzialdiagnose
G.-D. Burchard

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_110, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Fieber ist eine Erhöhung der Körperkerntemperatur infolge einer Angeborene Störungen im Stoffwechsel der an den Regelkreisen be-
Änderung des Temperatursollwerts im hypothalamischen Wärme- teiligten Substanzen können zu erblichen Fiebersyndromen führen
regulationszentrum. Es ist ein häufiges Begleitsymptom von Infektio- (z. B. familiäres Mittelmeerfieber, FMF, oder Tumornekrosefaktor-
nen und spielt deshalb in der Infektiologie eine wichtige Rolle. Rezeptor-assoziiertes periodisches Syndrom, TRAPS).
Bei gesunden Menschen variiert die Körpertemperatur zwischen 35,6
und 38,0 °C. Im zirkadianen Rhythmus wird das Temperaturmaximum
nachmittags erreicht. Als Fieber gilt im Allgemeinen eine Erhöhung 110.1.1 Infektabwehr
der rektal gemessenen Temperatur auf über 38,0 °C (100,4 °F). Tympa-
nische (Infrarot-) oder sublinguale Messungen zeigen um 0,2–0,5 °C Mehrere Argumente sprechen dafür, dass Fieber eine nützliche Ant-
niedrigere Werte. wort des Körpers ist:
4 Evolutionsbiologisches Argument: Kaltblütige Tiere suchen
natürlicherweise die Temperatur auf, die optimal für ihr Über-
110.1 Pathophysiologie des Fiebers leben ist. Grünen Leguanen, denen man lebende oder tote
Bakterien injiziert, überleben eher, wenn sie wärmere Orte
Die wichtigsten thermoregulatorischen Strukturen sind in der prä- aufsuchen.
optischen Region des anterioren Hypothalamus lokalisiert: Hier 4 Klinische Studien: Bei chirurgischen Patienten mit Bakteriämie
wird die Ist-Körperkerntemperatur direkt wahrgenommen. Ferner war eine höhere Körpertemperatur in den ersten 24 h mit einer
laufen hier afferente Signale z. B. von Wärme- und Kälterezeptoren höheren Überlebensrate assoziiert. Fiebersenkung mit Aceta-
aus der Haut des ganzen Körpers zusammen. minophen bei kritisch kranken Traumapatienten führte zu
In diesem Temperaturzentrum finden sich wärmesensitive und höherer Letalität.
in geringerer Anzahl kältesensitive Neuronen. Deren Temperatur-
empfindlichkeit wird durch Ionenkanäle vermittelt. Vermutlich Diesen Studien zufolge hat Fieber im Wesentlichen 2 Funktionen:
entsteht der sog. Temperatursollwert durch einen Vergleich der 4 Es hilft dem Immunsystem.
Aktivität der temperaturunempfindlichen mit den wärmesensitiven 4 Es schwächt Infektionserreger.
Neuronen. Die temperaturempfindlichen Neuronen können durch
Pyrogene gehemmt werden, wodurch dann das normale regula- Bei Fieber wird vermehrt IL-6 hergestellt. Dieses induziert die Bil-
torische Gleichgewicht im Thermoregulationszentrum verschoben dung von Adhäsionsmolekülen auf Leukozyten. Eine Rolle spielt
wird. zudem die verstärkte Bildung von Hitzeschockproteinen (HSP), wel-
Die thermoregulatorischen Antworten können in autonome che die korrekte Faltung neu hergestellter Eiweißketten kontrollieren
Reaktionen und Verhaltensänderungen unterteilt werden. Bei Er- und ggf. korrigieren. Dieser Fiebereinfluss auf das Immunsystem
höhung der Körperkerntemperatur wird das sympathische System ließ sich auch in klinischen Studien nachweisen: So zeigten Kinder,
inhibiert, Folge ist eine aktive präkapillare Vasodilatation der Haut- die symptomatisch nach Kombinationsimpfungen mit Paracetamol
gefäße und eine Stimulation der Schweißdrüsen. Autonome Reak- behandelt wurden, zwar erwartungsgemäß weniger Fieber, entwi-
tionen gegenüber Kälte sind Vasokonstriktion von arteriovenösen ckelten auch geringere Antikörpertiter.
Shunts, Kältezittern sowie die Sekretion von Neurotransmittern, die Bei einigen Erregern beeinträchtigte eine Erhöhung der Umge-
den Zellstoffwechsel steigern. bungstemperatur das Wachstumsverhalten. Bakterien reagieren auf
Pyrogene sind per definitionem Substanzen, die Fieber erzeu- Temperaturanstieg ebenfalls mit einer verstärkten Expression von
gen. Man unterscheidet exogene und endogene: Hitzeschockproteinen, diese stellen Zielantigene für die Immunant-
4 Ein wichtiges exogenes Pyrogen ist das Lipopolysaccharid wort dar. Auch für diese Beeinträchtigung der Erreger durch erhöh-
(LPS) aus der Zellwand gramnegativer Bakterien. Exogene te Temperaturen gibt es klinische Belege:
Pyrogene binden z. B. an Toll-ähnlichen Rezeptoren (TLR) und 4 Behandelt man Patienten mit Malaria fiebersenkend mit Para-
beeinflussen die Synthese verschiedener Zytokine und Prosta- cetamol oder Ibuprofen, dauert es länger, bis die Plasmodien
glandine. Auch diverse Medikamente können die Freisetzung aus dem Blut verschwinden.
von Zytokinen triggern. 4 Bei der Syphilistherapie wurden vor Einführung der Antibio-
4 Ein wichtiges endogenes Pyrogen ist IL-1. Wie solche Zyto- tika Erfolge mit künstlich hergestelltem Fieber gesehen (indu-
kine im Einzelnen mit dem Hypothalamus interagieren, ist ziert z. B. durch die Infektion mit Malariaerregern – Nobelpreis
unklar. 1927 für Julius Wagner-Jauregg).
806 Kapitel 110 · Fieber – Pathophysiologie und Differenzialdiagnose

110.1.2 Fiebersenkung 4 bei Nachweis einer bakteriellen Infektion oder


4 bei Neutropenie oder
Fieber ist einerseits eine grundsätzlich nützliche Reaktion des 4 bei hämodynamisch instabilen Patienten ohne offensichtlich
Körpers, kann aber andererseits unerwünschte Auswirkungen haben nichtinfektiöse Fieberursache.
wie z. B. Dehydratation und erhöhten Sauerstoffverbrauch, bei
längerem Fieber starke Abgeschlagenheit. Nur in bestimmten Situa- Fieber bei Neutrophilenzahlen < 500/μl ist ein Notfall (7 Kap. 111).
tionen ist eine Fiebersenkung indiziert: Das Fieberprofil ist nicht sehr hilfreich in der Differenzial-
4 Fieber > 41 °C: Nützliche Fiebereffekte sind nicht mehr zu er- diagnose. Allgemein gilt: Bei Infektionskrankheiten bleibt der zirka-
warten und die kardiopulmonale Belastung wird hoch. diane Temperaturverlauf mit Höchstwerten am späten Nachmittag
4 Bei neurologischen Krankheitsbildern kann erhöhte Körper- und Tiefstwerten in den frühen Morgenstunden erhalten.
temperatur eher nachteilig sein. 4 Noch am ehesten ist rezidivierendes Fieber zu verwerten. Es
4 Wenn bei Kindern Fieberkrämpfe auftreten, sollte die Tempe- kommt vor bei Malaria, Rückfallfieber, Kala-Azar, Trypanoso-
ratur gesenkt werden. miasis oder Cholangitis.
4 Hohe Temperaturen in den ersten Schwangerschaftswochen 4 Kontinuierliches Fieber (gleich bleibendes Fieber mit Tages-
wurden mit Neuralrohrdefekten in Verbindung gebracht. schwankung < 1 °C) findet sich z. B. bei Lobärpneumonie oder
4 Fieber führt meist zur Tachykardie. Wenn diese für den Pa- Typhus abdominalis.
tienten gefährlich sein könnte, sollte die Temperatur gesenkt 4 Intermittierendes Fieber ist ein sehr stark schwankendes
Krankheitsbilder

werden. Fieber, häufig mit normalen Temperaturen morgens und Fie-


berspitzen abends, mit schnellen Fieberanstiegen inklusive
Fiebersenkende Medikamente (Antipyretika) sind z. B. Azetylsali- Schüttelfrost. Schüttelfröste als Ausdruck eines sehr raschen
zylsäure, Ibuprofen, Paracetamol oder Metamizol. Sie hemmen die und hohen Fieberanstiegs sind immer verdächtig auf eine
Prostaglandinsynthese und können damit den Regelkreis im Hypo- Bakteriämie, aber auch ein charakteristisches Symptom der
thalamus unterbrechen. Ihr Einsatz sollte auch deshalb kritisch er- Malaria.
folgen, weil Antipyretika signifikante Nebenwirkungen haben, z. B. 4 Ein sattelförmiger Fiebertyp mit morgendlichen und abend-
akutes Nierenversagen, membranöse Glomerulonephritis, nephroti- lichen Temperaturanstiegen gilt als typisch für die Kala-Azar.
sches Syndrom und gastrointestinale Blutungen.
In Kürze
Fieber – Pathophysiologie und Differenzialdiagnose
110.2 Differenzialdiagnose des Fiebers Fieber ist ein wichtiges Symptom, das eine sorgfältige Diagnostik
verlangt. Die Differenzialdiagnose ist umfangreich, Infektions-
Fieber ist ein unspezifisches Symptom und kann bei zahlreichen
krankheiten sind immer zu beachten. Eine spezielle Abklärung ist
Erkrankungen auftreten. Während akute fieberhafte Erkrankungen
notwendig bei Fieber bei hospitalisierten Patienten, bei immun-
(< 2 Wochen) weltweit ganz überwiegend durch Infektionen bedingt
supprimierten Patienten und bei Patienten nach Auslandsaufent-
sind, spielen bei chronisch persistierenden oder rezidivierenden
halt.
Fieberzuständen auch Neoplasien und entzündliche Erkrankungen
nichtinfektiöser Genese eine wichtige ätiologische Rolle.
Eine infektiöse Ursache eines anhaltenden Fiebers wird man vor
allem bei Kindern und alten Menschen, bei Abwehrschwäche durch
Grundkrankheiten wie Diabetes mellitus und bei Immundefekten in
Betracht ziehen. Wichtige infektiöse Ursachen eines zunächst unkla-
ren Fiebers sind die infektiöse Endokarditis, die Tuberkulose und
Abszesse. Zur Abklärung eines unklaren Fiebers gehört immer die
Erhebung einer Reiseanamnese, um eventuelle tropenspezifische
Infektionskrankheiten auszuschließen, insbesondere die akut lebens-
bedrohliche Malaria tropica.
Bei malignen Erkrankungen wird Fieber oft durch Sekundär-
infektionen hervorgerufen. Aber auch ein Tumor selbst kann die
Bildung von Pyrogenen induzieren und zu Fieber führen. Eine
häufige Fieberursache sind Kollagen- und entzündliche Gefäß-
erkrankungen, z. B das mit wochen- bis monatelangen Fieberschü-
ben einhergehende Still-Syndrom des Erwachsenen. Nichtinfek-
tiöse Fieberursachen bei kritisch kranken Patienten können z. B.
sein: Bluttransfusionen, zerebrale Blutungen, Subarachnoidalblu-
tung, Nebenniereninsuffizienz, Herzinfarkt, Pankreatitis, Darm-
gangrän, Aspirationspneumonitis, Fettembolie, tiefe Venenthrom-
bose, Zirrhose, gastrointestinale Blutungen, Dekubitalulzera etc.
Fieber kann eine Manifestation einer Medikamentennebenwir-
kung sein, häufig z. B. bei Amphotericin B oder Bleomycin, grund-
sätzlich aber bei allen Medikamenten.
Daraus resultiert, dass Fieber nicht automatisch zur Gabe eines
Antibiotikums führen sollte. Grundsätzlich sollte ein Antibiotikum
gegeben werden
807 111

Sepsis – schwere Sepsis –


septischer Schock
W. V. Kern

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_111, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Sepsis ist eine Infektion mit komplexer allgemeiner, systemischer Ent- 111.1). Die Entwicklung einer schweren Sepsis aus einer harmlos
zündungsreaktion. Eine Sepsis kann bei sehr unterschiedlichen Infek- erscheinenden Infektion kann rasch erfolgen. Ein kurzfristiges Be-
tionserregern und unterschiedlichen Infektionslokalisationen (Herden) obachten mit Neuerhebung von Symptomen und mit wiederholtem
entstehen. Ursprünglich (nach der Definition von Hugo Schottmüller, Überprüfen der Befunde ist notwendig.
Hamburger Internist, 1867–1936) waren damit bakterielle Infektionen Bei der Entwicklung einer schweren Sepsis kommt es oft zur
gemeint, bei denen es aus einem lokalen eitrigen Entzündungsherd zu initialen hyperdynamen Phase mit Tachkardie und überwärmter,
einer Generalisierung mit eitrigen Sekundärherden (»septisch-metas- trockener Haut. Der Patient wirkt in dieser Phase unter Umständen
tatische Absiedlungen«) kam – damals auch Septikämie oder Septiko- nicht schwerkrank. Es kann zu einer Flüssigkeitseinlagerung in das
pyämie genannt. Heute sind die Begriffe »schwere Sepsis« und »septi- Gewebe in dieser Zeit kommen (Ödemneigung). Ursache ist die
scher Schock« wichtiger. Dabei handelt es sich um fortgeschrittene erhöhte Durchlässigkeit der Kapillargefäße durch Entzündungs-
Krankheitsstadien, bei denen es im Rahmen der generalisierten Ent- mediatoren. Die Sauerstoffausschöpfung in der Peripherie ist ge-
zündungsreaktion zu Zeichen der Organdysfunktion kommt und ein stört. Die Herzfunktion kann vermindert sein (»septische Kardio-
Kreislaufversagen entsteht (septischer Schock), was eine umgehende, myopathie«). Das Laktat – als Integral der zunehmenden Sauerstoff-
meist intensivmedizinische Behandlung notwendig macht. Die schwe- schuld in der Peripherie – steigt an.
re Sepsis und der septische Schock verlangen eine rasche Infektions- Diese Phase kann abrupt in eine hypodyname Phase mit plötz-
therapie mit Antibiotika und ggf. anderen antimikrobiellen Substanzen, lichem Kreislaufversagen münden: Ein septischer Schock hat sich
eine chirurgische Sanierung von Infektionsherden sowie eine intensive entwickelt. In dieser Phase ist die Prognose dann sehr schlecht: Die
supportive Therapie. Sterblichkeit verdoppelt sich von etwa 20–30 % (schwere Sepsis) auf
etwa 40–60 %.

jDefinition jUrsachen
Sepsis, schwere Sepsis und septischer Schock definieren ein Krank- Meist handelt es sich um bakterielle Infektionen, die generalisieren,
heitskontinuum von allgemeiner Entzündungsreaktion mit Folgen d. h. um typische ambulant erworbene oder nosokomiale Infektio-
für kritische Organfunktionen. Die Diagnose kann nur über eine nen (. Tab. 111.2), die besonders schwer verlaufen. Ursachen hierfür
Kombination von Symptomen und Befunden gestellt werden (. Tab. können Faktoren des Erregers (wie Toxinproduktion) und/oder Fak-

. Tab. 111.1 Definition von Sepsis, schwerer Sepsis und septischem Schock

Sepsis Verdacht auf oder gesicherte Infektion mit mind. 2 der folgenden Zeichen einer allgemeinen Entzündungsreaktion:
– Fieber (≥ 38 °C) oder Körpertemperatur < 36 °C
– Tachykardie (Herzfrequenz ≥ 90/min)
– Tachypnoe (Atemfrequenz ≥ 20/min) und/oder Hyperventilation mit Hypokapnie (PaCO2 ≤ 32 mmHg)
– Leukozytose (≥ 12.000/μl) oder Leukopenie (≤ 4000/μl) oder Linksverschiebung (≥ 10 % unreife Neutrophile im
Differenzialblutbild)

Schwere Sepsis Sepsis plus mind. eines der folgenden Zeichen für akute Organdysfunktionen:
– Enzephalopathie: eingeschränkte Vigilanz, Desorientiertheit, Unruhe, Delirium
– Thrombozytopenie: Thrombozytenzahl ≤ 100.000/μl oder Abfall um 30 % innerhalb 24 h ohne andere Erklärung
– arterielle Hypoxämie: PaO2 ≤ 75 mmHg unter Raumluft oder PaO2-FiO2-Ratio ≤ 250 mmHg unter Sauerstoffgabe
– Oligurie: ≤ 0,5 ml/kg/h für mind. 2 h trotz ausreichender Volumensubstitution und/oder Serumkreatininanstieg auf mehr
als den doppelten oberen lokal üblichen Referenzwert
– metabolische Azidose: Basenüberschuss ≤ –5 mmol/l oder Laktatkonzentration > 1,5-facher oberer lokal üblicher
Referenzwert

Septischer Schock schwere Sepsis mit Hypotonie (systolischer Blutdruck < 90 mmHg bzw. arterieller Mitteldruck ≤ 65 mmHg), die
– trotz adäquater Flüssigkeitssubstitution > 1 h persistiert und/oder
– den Einsatz von Vasopressoren (Katecholaminen) notwendig macht, um den systolischen Blutdruck bei mind. 90 mmHg
bzw. den arteriellen Mitteldruck > 65 mmHg zu halten
808 Kapitel 111 · Sepsis – schwere Sepsis – septischer Schock

. Tab. 111.2 Sepsis und schwere Sepsis: typische Erreger nach


Fokus/Grunderkrankung

Urosepsis E. coli

Pseudomonas aeruginosa

Cholangiogene Sepsis E. coli

Klebsiella spp.

Anaerobier

Enterokokken

Wundsepsis S. aureus

Enterobacter spp.

Serratia spp.

Enterokokken
Krankheitsbilder

Puerperalsepsis A- und B-Streptokokken

Postangina-Sepsis Fusobacterium necrophorum

Pneumogene Sepsis Pneumokokken


. Abb. 111.1 Thorax-Röntgenbild eines 57-jährigen Mannes, der mit
Zeichen einer schweren Sepsis (Fieber, Tachykardie, Tachypnoe, Desorien- Klebsiella spp.
tiertheit, Hypoxämie, Oligurie) stationär aufgenommen wurde. Ursache
war eine ambulant erworbene Legionellen-Pneumonie nach Spanienreise S. aureus
und Campingaufenthalt mit Entwicklung von beidseitigen Infiltraten. Nosokomiale S. aureus
Das Behandlungsergebnis war gut. Es entwickelte sich kein septischer pneumogene Sepsis
Schock. Eine maschinelle Beatmung war nicht notwendig Pseudomonas aeruginosa

Klebsiella spp.

Venenkatheterassoziierte S. aureus
Sepsis
Koagulase-negative Staphylokokken

Candida spp.

Schwere Sepsis nach Pneumokokken


Splenektomie

Schwere Sepsis E. coli


bei Neutropenie
Pseudomonas aeruginosa

Vergrünende Streptokokken

Schwere Sepsis Meningokokken


bei eitriger Meningitis
Pneumokokken

Schwere Sepsis bei tiefer A-Streptokokken


Haut-Weichteil-Infektion/
S. aureus
. Abb. 111.2 Schwere, beginnend nekrotisierende Haut-Weichteil-Infek- Phlegmone
tion (Phlegmone) am rechten Bein bei 62-jähriger Diabetikerin mit Fieber, Anaerobier
Leukozytose, Tachykardie und Oligurie. Es handelte sich um eine Mischin-
fektion durch S. aureus und A-Streptokokken (lokaler Erregernachweis). Im Pseudomonas aeruginosa
Verlauf entwickelten sich Nekrosen mit eitriger Umwandlung, die chirur- Vibrio spp.
gisch behandlungspflichtig waren
Aeromonas spp.

Schwere Sepsis nach Pasteurella multocida


toren auf der Patientenseite (wie Immundysfunktion, Fremdkörper Tier- oder Menschenbiss
A-Streptokokken
in situ, schwere Grunderkrankungen) sein. Oft handelt es sich um
pulmonale Infektionen (. Abb. 111.1). Am zweithäufigsten sind S. aureus
Bakteriämien ausgehend von den Harnwegen, Gallenwegen oder
vom Venenkatheter oder auch Bakteriämien ohne (erkennbaren)
Fokus. Gefürchtet sind auch schwere Haut-Weichteil-Infektionen Infektionserreger lassen sich nicht immer sichern. Ein Direkt-
mit tief reichenden Nekrosen (. Abb. 111.2) – oft polymikrobiell nachweis gelingt in etwa 50 % (Blutkulturen [. Tab. 111.3], Punkta-
verursacht oder durch Toxin-bildende A-Streptokokken. Seltener te). Pilze und Viren können ebenfalls eine schwere Sepsis auslösen.
ist die eitrige Meningitis, die jedoch relativ oft mit Zeichen der Eine schwere Malaria entspricht ebenfalls einer sepsisähnlichen Re-
schweren Sepsis verläuft. aktion und kann zu einem Bild wie beim septischen Schock führen.
111 · Sepsis – schwere Sepsis – septischer Schock
809 111

. Tab. 111.3 Prozentuale Verteilung der in Blutkulturen nach-


gewiesenen Sepsiserreger

Aerobe grampositive Bakterien ~ 50

S. aureus 20–30

Koagulase-negative Staph. 10

S. pneumoniae 10–15

Hämolysierende Streptokokken <5

Sonstige Streptokokken <5

Enterococcus spp. 5–10

Listerien <5

Aerobe gramnegative Bakterien ~ 40

E. coli 20–30 . Abb. 111.3 Nekrosen im Bereich des linken Fußes im Rahmen von
Mikrozirkulationsstörungen und Kreislaufversagen bei septischem Schock.
Klebsiella spp. 5–10 Es handelte sich um einen 45-jährigen Patienten mit einer fulminanten
Aortenklappenendokarditis und multiplen »septisch-metastatischen Ab-
Proteus mirabilis <5
siedlungen« in verschiedenen Organen. Als Erreger wurde S. aureus aus
Enterobacter spp. <5 Blutkulturen gesichert. Der Patient verstarb im septischen Schock, kompli-
ziert durch die Destruktion der Aortenklappe mit nachfolgend akuter
Salmonellen <5
schwerer Aortenklappeninsuffizienz
Pseudomonas aeruginosa <5

Acinetobacter spp. <5

Meningokokken <5

Anaerobe Bakterien <5

Hefepilze (Candida spp.) <5

Die schwere Sepsis ohne Fokus ist eine besondere klinische


Herausforderung. Bestimmte Erreger sind hier häufiger nachweis-
bar: Pneumokokken, Meningokokken, A-Streptokokken, S. aureus.
Fehlen die Granulozyten (z. B. im Rahmen einer Zytostatikatherapie
bei Tumorleiden) oder besteht ein andersartiger Immundefekt, kön-
nen auch sonstige Erreger sehr viel häufiger eine schwere Sepsis
ohne einen klinischen Fokus hervorrufen. Bekannt ist die fulminan-
te Sepsis meist ohne Fokus durch Pneumokokken bei Patienten mit
anatomischer oder funktioneller Asplenie.

jPathophysiologie
Pathophysiologisch kommt es zu einer Gewebeschädigung im Rah-
men einer zunächst überschießenden, später unzureichenden allge-
meinen immunologischen Reaktion mit in der Folge schwersten
Mikrozirkulationsstörungen und im Extremfall Ausbildung von
Nekrosen (. Abb. 111.3).
Eine Gewebeschädigung mit sepsisähnlichen Folgen kann aller-
dings auch im Rahmen von Polytraumata, Verbrennung, Pankreati-
tis, großen operativen Eingriffen, Nekrosen und erregerunabhängi-
gen Immunreaktionen entstehen. Die Zentralisation des Kreislaufs
und Mikrozirkulationsstörungen führen terminal weitgehend unab-
hängig von ihrer Entstehung zu ähnlichen klinischen Befunden.
Aus einem lokalen eitrigen Entzündungsherd kann es im Rah-
men der Generalisierung zu eitrigen Sekundärherden (»septisch-
metastatische Absiedlungen«) kommen. Diese können in Form von
Mikroembolien (. Abb. 111.4) klinisch auffällig werden, aber auch . Abb. 111.4 Mikroembolien mit eitriger Umwandlung im Bereich des
große sekundäre Eiterherde an verschiedensten Stellen hervorrufen Daumens (oben) bzw. mit stärkerer Einblutung im Bereich der Fußsohle
(Knochen, Gelenke, Niere, ZNS, Auge etc.). Ist der primäre Fokus (unten) im Rahmen einer Salmonellen-Sepsis bei einem Patienten mit
eine Herzklappe (»intravaskulärer« Fokus), kommt es fast regelhaft malignem Non-Hodgkin-Lymphom. Der Patient hatte keine vorangegan-
und früh zu Sekundärherden. gene Durchfallerkrankung
810 Kapitel 111 · Sepsis – schwere Sepsis – septischer Schock

. Abb. 111.6 Typischer Verlauf von Zytokinen, Procalcitonin (PCT) und


C-reaktivem Protein (CRP) (Plasmakonzentrationen) nach massivem Endo-
toxineinstrom in die Blutbahn, was zu einem klinischen Bild wie bei
schwerer Sepsis/septischem Schock führt
Krankheitsbilder

Endotoxine und/oder bestimmte Exotoxine und andere mikro-


bielle Komponenten wie Zellwandbestandteile können nach Bin-
dung an verschiedene Zielzellen zur direkten Zytokinfreisetzung
führen, die je nach Quantität und Qualität zu Fieber, Kreislaufreak-
tion und Sekundärreaktionen führen kann:
4 Beispiel für eine Endotoxin-vermittelte schwere Sepsis ist der
Morbus Weill, aber auch die Urosepsis oder cholangiogene
Sepsis durch Escherichia coli.
4 Beispiel für eine Exotoxin-vermittelte schwere Sepsis ist das
Staphylokokken-Toxinschocksyndrom, bei dem es nach über-
standener Sepsis zu einer Schuppung an der Haut der Hand-
. Abb. 111.5 Disseminierte Einblutungen in die Haut im Rahmen einer innenflächen und Fußsohlen kommt (. Abb. 111.7).
Verbrauchskoagulopathie bei einer 22-jährigen Erzieherin mit Meningo-
kokken-Meningitis und schwerer Sepsis jEpidemiologie
Schwere Sepsis und septischer Schock treten in Deutschland mit
einer geschätzten Häufigkeit von zusammen ca. 100.000 Fällen pro
Die zunächst überschießende, aber bezüglich einer Erregerera- Jahr auf. Dies entspricht etwa der Häufigkeit des Herzinfarkts. Sepsis
dikation oft unzureichende Immunreaktion kann gemessen werden. ist etwa 2- bis 4-mal häufiger (. Abb. 111.8). 40–70 % der Fälle sind
Verschiedene proinflammatorische Zytokine und vasoaktive Subs- außerhalb des Krankenhauses erworben, wobei auch bei den ambu-
tanzen einschließlich bestimmter Komplementfaktoren werden frei- lant erworbenen Fällen Patienten mit Grunderkrankungen dominie-
gesetzt. Monozyten/Makrophagen spielen dabei eine entscheidende ren, und schwere Sepsis/septischer Schock bei sonst immer gesund
Rolle. Der Körper reagiert auch mit der Freisetzung von körpereige- gewesenen Patienten eine Seltenheit darstellt.
nen antimikrobiellen Peptiden. Es kommt direkt oder indirekt über Es gibt Hinweise aus der Forschung zur Meningokokkensepsis,
das Gefäßendothel zur Gerinnungsaktivierung und zur Gefäßdila- dass hier verschiedene genetische Prädispositionen eine Rolle spie-
tation. len dürften. Die Sterblichkeit der schweren Sepsis und des septischen
Die Gerinnungsaktivierung kann zum Verbrauch von Gerin- Schocks ist nach wie vor hoch. Sie hängt von der Früherkennung
nungsfaktoren wie Protein C und andere (Verbrauchskoagulopa- speziell der schweren Sepsis und frühen Einleitung einer intensivier-
thie) führen und Blutungen nach sich ziehen. Dies wird nicht selten ten Therapie in diesem Stadium ab, ist aber natürlich auch stark
bei der Meningokokken-Sepsis beobachtet und kann zur Einblu- beeinflusst von Alter und Situation/Stadium einer Grunderkran-
tung (. Abb. 111.5) nicht nur diffus oder umschrieben im Bereich kung.
septischer Mikroembolien in der Haut, sondern auch beispielsweise
in der Nebenniere (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom, Purpura jDiagnostik und Therapie
fulminans) führen, ist jedoch hierfür nicht spezifisch. Die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen sind das wiederholte
Zu den wichtigsten proinflammatorischen Zytokinen, die bei Überprüfen der Organfunktionen (Überwachung) sowie die Fokus-
der schweren Sepsis früh in der Zirkulation messbar werden, gehö- und Erregersuche. Für die Fokussuche werden klinische und bildge-
ren TNF-α sowie IL-1β. Sekundär steigen die Konzentrationen von bende Verfahren (Ultraschall, Röntgen/CT, MRT) – ggf. wiederholt
IL-6, IL-8 und anderen Zytokinen, die teilweise bereits eine antiin- – eingesetzt. Zum Erregernachweis gehören 2–3 Blutkultursets sowie
flammatorische Gegenreaktion auslösen, an (. Abb. 111.6). – falls möglich – Punktate aus den betroffenen Herden. Die erwei-
IL-6 ist Teil einer allgemeineren sog. Akutphasereaktion, in de- terte mikrobiologische Diagnostik ist von anamnestischen Angaben
ren Rahmen auch weitere körpereigene Proteine wie C-reaktives und weiteren Symptomen und Befunden abhängig.
Protein, Fibrinogen, Ferritin, Serum-Amyloid-A, Procalcitonin und Zur Diagnostik gehören die Prüfung der Organfunktionen (u. a.
andere erhöht nachweisbar sind. C-reaktives Protein und Procalci- Gerinnung, Ausscheidung, Leberfunktion, Laktat und Glukose) und
tonin haben sich als gut messbarer Indikator für die allgemeine Ent- die Abschätzung der Stärke der allgemeinen Entzündungsreaktion
zündungsreaktion bewährt. (C-reaktives Protein und Procalcitonin). Das C-reaktive Protein
111 · Sepsis – schwere Sepsis – septischer Schock
811 111

. Abb. 111.7 Schuppung der Handinnenflächen und Fingerkuppen sowie Fußsohlen und Zehen nach Staphylokokken-bedingtem Toxinschocksyndrom.
Die 39-jährige Patientin wurde mit schlagartig auftretendem Fieber, Konjunktivitis, kleinfleckigem Exanthem, Verwirrtheit, Hypotonie und Nierenversagen
stationär aufgenommen. Sie hatte keine Serumantikörper gegen das Toxin TSST-1, ein klinischer Fokus wurde nicht gefunden, im Konjunktivalabstrich
wurden TSST-1-produzierende S. aureus nachgewiesen. Die intensivmedizinische Behandlung war mit 3 Tagen kurz und effektiv. Das typische Phänomen
der Schuppung trat ab dem 8. Tag nach Symptombeginn auf

reagiert träge; es kann verzögert ansteigen und verzögert abfallen. Gesicherte therapeutische Maßnahmen bei schwerer Sepsis/
Die Messung des Procalcitonins als Verlaufsparameter wird besser septischem Schock sind die umgehende (empirische/kalkulierte)
beurteilt und kann für die Dauer der Antibiotikatherapie eine dia- Infektionstherapie mit Antibiotika und ggf. anderen antimikro-
gnostische Hilfe darstellen. Die Verwendung klinischer Scores zur biellen Substanzen, die (chirurgische) Sanierung von Infektions-
besseren Schweregraddefinition wird empfohlen, z. B. der »Sequen- herden und die supportive Therapie – in der Regel auf der Intensiv-
tial Organ Failure Assessment« (SOFA) Score. station.

Antibiotika Die Gabe von Antibiotika muss rasch erfolgen. Rasch


bedeutet in dieser Situation möglichst sofort bzw. maximal inner-
halb von wenigen Stunden. Die Auswahl der Antibiotika orientiert
sich am klinischen Fokus und vermuteten Erreger (sog. empirische/
kalkulierte Antibiotikagabe vor Erregersicherung). In unübersicht-
lichen Fällen mit fulminantem Verlauf müssen zunächst breit wir-
kende Substanzen (Beispiel: Piperacillin/Tazobactam oder Merope-
nem) eingesetzt werden, die je nach Erregersicherung und Verlauf
angepasst werden können.
Aufgrund des in der Phase der schweren Sepsis nahezu immer
erhöhten Verteilungsvolumens (hyperdynamer Kreislauf, Kapillar-
durchlässigkeit, vermehrte Flüssigkeitszufuhr im Rahmen der sup-
portiven Therapie) kommt es zu einer rascheren Clearance von
Antiinfektiva. Eine hohe Antiinfektivadosis initial ohne Anpassung
an eine eventuell schon beginnend eingeschränkte Nierenfunktion
wird daher empfohlen.

Herdsanierung Ein »septischer« Herd muss möglichst unverzüg-


. Abb. 111.8 Relative Häufigkeit (in %) von Sepsis, schwerer Sepsis und lich inzidiert, drainiert oder chirurgisch entfernt werden. Potenziell
septischem Schock und jeweilige Sterblichkeit (dunkle Balkenanteile, in %) infizierte Katheter oder auch andere Fremdkörper müssen, wenn sie
812 Kapitel 111 · Sepsis – schwere Sepsis – septischer Schock

als Quelle der Sepsis vermutet werden, entfernt werden. Es muss an Literatur
Sekundärherde gedacht werden.
Dellinger RP, Levy MM, Carlet JM, Bion J, Parker MM, Jaeschke R, Reinhart K,
Supportive Therapie Hier handelt es sich teilweise um intensiv- Angus DC, Brun-Buisson C, Beale R, Calandra T, Dhainaut JF,Gerlach H,
medizinische Maßnahmen, die je nach Organdysfunktion und Er- Harvey M, Marini JJ, Marshall J, Ranieri M, Ramsay G, Sevransky J,
Thompson BT, Townsend S, Vender JS, Zimmerman JL, Vincent JL (2008)
krankungsschwere eingeleitet werden müssen. Dazu gehören:
Surviving Sepsis Campaign: international guidelines for management
4 Aggressive Volumenzufuhr (Ringer-Lösung) und ggf. vaso-
of severe sepsis and septic shock. Crit Care Med 2008. 36:296-327.
aktive Medikation (mit Noradrenalin) zur Aufrechterhaltung Ferrer R, Artigas A, Suarez D, Palencia E, Levy MM, Arenzana A, Pérez XL,
eines zentralen Venendruckes von 8–12 mmHg, eines mittleren Sirvent JM (2009) Effectiveness of treatments for severe sepsis: a pro-
arteriellen Druckes von 65–90 mmHg, einer zentralvenösen spective, multicenter, observational study. Am J Respir Crit Care Med.
Sättigung > 70 %, eines Hämatokritwertes > 30 % sowie einer 180:861-866.
Diurese > 0,5 ml/kg KG/h. Levy MM, Dellinger RP, Townsend SR, Linde-Zwirble WT, Marshall JC, Bion J,
4 Beeinflussung körpereigener Mediatoren mittels Hydrokorti- Schorr C, Artigas A, Ramsay G, Beale R, Parker MM, Gerlach H, Reinhart K,
sontherapie in einer Dosierung von 200–300 mg/Tag beim Silva E, Harvey M, Regan S, Angus DC (2010) The Surviving Sepsis Cam-
septischen Schock (relative Nebennierenrinden-Insuffizienz paign: results of an international guideline-based performance improve-
ment program targeting severe sepsis. Crit Care Med. 38:367-374.
mit abgeschwächter antiinflammatorischer Wirkung des endo-
Moore LJ, Moore FA, Todd SR, Jones SL, Turner KL, Bass BL (2010) Sepsis in
genen Kortisols und reduziertem Ansprechen auf Katechola-
Krankheitsbilder

general surgery: the 2005-2007 national surgical quality improvement


mine). program perspective. Arch Surg. 145: 695-700.
4 Beatmung mit niedrigem Atemzugvolumina und ausreichen- Morrell MR, Micek ST, Kollef MH (2009) The management of severe sepsis and
dem positivem endexspiratorischem Druck (PEEP). septic shock. Infect Dis Clin North Am. 23:485-501.
4 Nierenersatzverfahren (Hämodialyse, Hämoflitration) Reinhart K, Brunkhorst FM, Bone HG (2010) Prävention, Diagnose, Therapie
4 Ernährung, möglichst enteral oder zumindest teilweise enteral, und Nachsorge der Sepsis 1. Revision der S-2k Leitlinien der Deutschen
und Kontrolle des Blutzuckerspiegels (< 150 mg/dl), falls er- Sep-Gesellschaft e. V. (DSG) und der Deutschen Interdisziplinären Ver-
forderlich mit Insulin einigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) AWMF-Leitlinien-Regis-
4 Oberkörperhochlage bei beatmeten Patienten zur Verhinde- ter Nr. 079/001, 2010.
Singer M, Deutschman CS, Seymour CW, Shankar-Hari M, Annane D, Bauer M,
rung einer pulmonalen Superinfektion
Bellomo R, Bernard GR, Chiche JD, Coopersmith CM, Hotchkiss RS,
4 Medikamentöse Stressulkusprophylaxe
Levy MM, Marshall JC, Martin GS, Opal SM, Rubenfeld GD, van der Poll T,
Vincent JL, Angus DC (2016) The Third International Consensus Defini-
Die frühere empfohlene Gabe von aktiviertem Protein C bei ausge- tions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3). JAMA. 315:801-810.
wählte Fällen von schwerer Sepsis bzw. septischem Schock (antiko-
agulatorische und antiinflammatorische Wirkungen) hat sich als
insgesamt nicht wirksam und verträglich genug gezeigt.

In Kürze
Sepsis – schwere Sepsis – septischer Schock
Schwere Sepsis und septischer Schock sind Komplikationen
meist bakterieller Infektionen. Die Letalität des septischen
Schocks ist sehr hoch; die Früherkennung der schweren Sepsis
und rasche Therapieeinleitung sind für die Prognoseverbesse-
rung enorm wichtig. Die Therapie umfasst umgehend verab-
reichte, systemisch wirksame Antiinfektiva und eine chirurgische
Revision des oder der Sepsisherde sowie weitere intensivmedizi-
nische Maßnahmen wie Volumenzufuhr und Kreislaufstabilisie-
rung, Antikoagulation, Hydrokortison, Beatmung, Nierenersatz-
verfahren, enterale Ernährung und aktive Blutzuckerkontrolle,
Oberkörperhochlage zur Pneumonieprävention und medika-
mentöse Stressulkusprophylaxe.
813 112

Infektionen des Herzens


G. Michels, S. Baldus

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_112, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

112.1 Infektiöse Endokarditis männliche Geschlecht ist im Gegensatz zum weiblichen 2-fach
häufiger betroffen. In knapp 50 % aller Endokarditiden ist eine
Unter einer Endokarditis versteht man eine akute oder subakute bzw. chirurgische Behandlung notwendig. Die früher bei jungen Pa-
chronische Entzündung des Endokards (meist) der Herzklappen. Neue tienten nachgewiesene postrheumatische Endokarditis ist gegen-
bildgebende Verfahren und neue Antiinfektiva haben Diagnostik und über der heutigen Endokarditis an degenerativ-veränderten Herz-
Behandlung in den letzten 10 Jahren erleichtert, ohne jedoch die Mor- klappen im höheren Alter in den Hintergrund getreten. Auch die
talität wesentlich zu senken. Ein Grund hierfür ist die erhebliche diag- heutzutage zunehmende Anwendung von intravasal liegendem
nostische Latenz, d. h. das Zeitintervall vom Auftreten der Symptome Fremdmaterial, z. B. Herzschrittmachersonden, Dialysekathetern
bis zur Diagnosestellung, von 29±35 Tagen (Deutsches Endokarditis- (z. B. Demers-Katheter) stellt eine neuen, nicht zu unterschä-
Register). Die durchschnittliche Letalität der Nativklappenendokarditis tzenden Risikofaktor dar. Die mittlere stationäre Verweildauer
unter Therapie liegt bei 20 % und der Prothesenendokarditis bei 40 %, von 42±29 Tage verdeutlicht, dass die infektiöse Endokarditis
bei fehlender Antiinfektivatherapie steigt diese bis 100 % an. Wie bei sowohl von medizinischer als auch von sozioökonomischer Bedeu-
der Sepsis ist daher die Zeit der bestimmende Faktor in der Behand- tung ist.
lung der infektiösen Endokarditis. In ca. 80 % handelt es um eine Nativ-
klappenendokarditis, in 20 % um eine Kunstklappenendokarditis. Be- jErregerspektrum
züglich der Lokalisation der Endokarditis findet man in 80–90 % eine Die häufigsten Erreger (> 80 %; . Tab. 112.1) der Nativklappenendo-
Linksherzendokarditis (Aorten-/Mitralklappenendokarditis) und in karditis und der späten Kunstklappenendokarditis (> 12 Monate
5–10 % eine Rechtsherzendokarditis (meist Befall der Trikuspidalklap- postoperativ) bilden grampositive Kokken: Staphylokokken (ca.
pe). Das Management der infektiösen Endokarditis gehört in die Hand 40 %), Streptokokken (30–40 %) und Enterokokken (ca. 10 %). Wäh-
eines interdisziplinären Teams aus Kardiologen, Kardiochirurgen, Infek- rend bei den Enterokokken vor einigen Jahren noch Enterococcus
tiologen und Mikrobiologen. Die aktuellen Empfehlungen beruhen auf faecalis deutlich dominierte (> 90 %), zeigt sich mittlerweile eine
der Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie aus dem Zunahme von E. faecium (ca. 20 %).
Jahre 2009. In der aktuellen Empfehlung von 2015 wurden neue bild- Bei der Kunstklappenfrühendokarditis (< 12 Monaten postope-
gebende Methoden wie Herz-CT/FDG-PET/CT integriert. Die Antibiotika- rativ) findet man meist Staphylokokken, Pilze und gramnegative
prophylaxe bleibt wie in 2009 weiterhin für die Hochrisikogruppen be- Erreger. Insgesamt bilden die Staphylokokken die häufigsten Erreger
stehen. der infektiösen Endokarditis. Der Verlauf einer Staphylokkoken-
Endokarditis ist zudem mit einer deutlich höheren Mortalität asso-
ziiert. Zwischen Streptococcus gallolyticus (S. gallolyticus ssp. gallo-
jEpidemiologie lyticus) und Polypen/Kolonkarzinom besteht ein enger Zusammen-
Die Inzidenz der infektiösen Endokarditis liegt bei 3–30/100.000 hang, sodass bei entsprechender Erregerkonstellation im Krank-
Patientenjahre; die genaue Inzidenz ist jedoch unbekannt. Das heitsverlauf eine Gastro-/Koloskopie anzustreben ist.

. Tab. 112.1 Erregerspektrum der infektiösen Endokarditis (relative Häufigkeit; modifiziert nach Moreillon P und Que Y, 2004)

Erreger Nativklappen- Prothesen- Prothesen- i. v. Drogenkonsum


Endokarditis Frühendokarditis Spätendokarditis

Staphylokokken

– S. aureus 38 20 21 69

– koagulasenegative (z. B. MRSA, S. epidermidis) 6 47 25 0

Streptokokken

– orale 21 0 26 3

– andere 10 0 8 5

Enterokokken 8 7 7 2

HACEK–Organismen, gramnegative, Pilze, 16 4 12 21


andere Erreger, kulturnegativ
814 Kapitel 112 · Infektionen des Herzens

jPathogenese Erregern – beinhalten. Hierzu zählen u. a. die Inspektion der Füße/


Die Entstehung einer infektiösen Endokarditis setzt das Vorliegen Zehen, der Interdigitalräume sowie die Inspektion der Mundhöhle
von verschiedenen Risikofaktoren voraus: (mangelhafter Zahnstatus, Gingivitis, Tonsillitis).
4 kongenitale Herzfehler, z. B. bikuspide Aortenklappe Das Ruhe-Elektrokardiogramm (Ruhe-EKG) gehört zum Stan-
4 medizinische Eingriffe im Zahnbereich (Zahnbehandlung) dard der kardiologischen Diagnostik. Bei der infektiösen Endokar-
oder Oropharynx (HNO-Eingriffe) ditis kann bei einer paravalvulären Abszessbildung nahe dem mem-
4 kardiochirurgische Eingriffe branösen Septum und dem AV-Knoten das Bild eines AV- und/oder
4 Klappenprothesen Linksschenkelblocks nachgewiesen werden. Selten (< 1 %) kann im
4 rheumatisches Fieber in der Vorgeschichte Rahmen einer Aortenklappenendokarditis eine septische Koronar-
4 abgelaufene infektiöse Endokarditis embolie und somit ein akuter Myokardinfarkt resultieren, weswegen
4 i. v. Drogenkonsum (→ Rechtsherzendokarditis) die ST-Strecke stets mitbeurteilt werden sollte.
4 Alkoholkonsum Die Labordiagnostik beinhaltet neben der Bestimmung der
4 Immundefekte (angeboren oder erworben) Blutsenkungsgeschwindigkeit (meist erhöht), die Bestimmung der
4 Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, terminale Nieren- klassischen Entzündungsparameter wie des C-reaktiven Proteins
insuffizienz (chronische Hämodialyse), Leberzirrhose, Virus- (CRP) und des Procalcitonins (beides meist erhöht). Im Blutbild
hepatitis, Malignome können häufig eine mäßige bis ausgeprägte Leukozytose sowie eine
Infektanämie (erhöhtes Ferritin und erniedrigtes Transferrin) nach-
Krankheitsbilder

Basierend auf diesen Risikofaktoren kann eine Schädigung der Herz- gewiesen werden. In der Urindiagnostik können eine Hämaturie/
klappe mit Endothelläsionen resultieren. Infolge dieser endothelia- Erythrozyturie und/oder eine Proteinurie beobachtet werden. Alle
len Läsionen kommt es zu einer Formierung von thrombotischen laborchemischen Veränderungen sind unspezifisch; eine charakte-
Auflagerungen auf dem Endothel der Herzklappen, sodass primär ristische Laborkonstellation für eine infektiöse Endokarditis existiert
eine »nichtbakterielle thrombotische Endokarditis« entsteht. Erst nicht.
durch »transitorische Bakteriämien« nach z. B. medizinischen Ein- Der mikrobiologische Erregernachweis bildet neben der kar-
griffen oder hyperaktivem Zähneputzen, kann je nach Virulenz dialen Bildgebung (Echokardiografie) den Goldstandard der Endo-
des Erregers und individueller Abwehrlage über eine Adhäsion von karditisdiagnostik. Die Blutkultur bildet einen zentralen Baustein
Mikroorganismen und nachfolgender Kolonisation der thromboti- in der Infektionsdiagnostik. Bei jedem Verdacht auf eine schwere
schen Auflagerungen eine »endokarditische Vegetation« entstehen. Infektion mit möglicher begleitender Bakteriämie oder Fungämie
Da in über 50 % der Fälle mit infektiöser Endokarditis kein ent- sollte eine Blutkulturdiagnostik in die Wege geleitet werden. Es soll-
sprechendes Risikoprofil gefunden wird, scheint die Ursache der ten mindestens 3 Blutkulturpaare (aerob/anaerob) in 3 Stunden,
transitorischen Bakteriämien nicht alleinig mit einem speziellen d. h. jede Stunde ein Paar (Bebrütung > 10 Tage), gewonnen werden.
medizinischen Eingriff assoziiert zu sein. Die Pathogenese der infek- Die Entnahme von Blutkulturen soll unabhängig von der Kör-
tiösen Endokarditis ist bis heute noch nicht im Detail verstanden. pertemperatur (auch bei Fieberfreiheit) und immer vor Beginn der
Antibiotikatherapie stattfinden. Ein obligates Warten auf Fieberspit-
jKlinik zen ist nicht notwendig, da meist eine kontinuierliche Bakteriämie
Die klassischen Leitsymptome der infektiösen Endokarditis sind un- oder Fungämie vorliegt. Bei bereits begonnener antibiotischer The-
geklärtes Fieber (67–95 %) und ein neu aufgetretenes Herzgeräusch rapie entnimmt man die Blutkulturen vor der nächsten Antibiotika-
(ca. 50 %). Die Diagnosestellung einer Endokarditis – alleinig basie- gabe am Ende des Dosierungsintervalls.
rend auf dem klinischen Bild – ist jedoch aufgrund der unspezifi- Das Blut für die Blutkulturen sollten aus einer peripheren Vene
schen Symptomatik wie Abgeschlagenheit (ca. 30 %), Dyspnoe, Ge- (meist V. cubitalis) und – falls vorhanden – aus zentralen Venenka-
wichtsverlust, Arthralgien/Myalgien erschwert. Septische Embolien thetern stammen. Die Entnahme arterieller Blutkulturen bringt kei-
treten in bis zu 50 % auf, sodass nicht selten ein Schlaganfall als Aus- ne Vorteile. Wenn ein Erregernachweis mit der ersten Blutkultur
druck einer infektiösen Endokarditis imponieren kann. nicht gelungen ist, dann ist eine Entnahme weiterer Blutkulturen
unter laufender antibiotischer Behandlung ohne Änderung der kli-
jDiagnostik nischen Symptomatik in der Regel nicht sinnvoll.
Zur Diagnostik der Endokarditis gehören wie bei jeder Erkrankung Wurde ein Erreger in der Blutkultur nachgewiesen, sind unter
die gezielte Anamnese und die körperliche Untersuchung. Die bestimmten Voraussetzungen erneute Kontrollblutkulturen sinn-
Anamnese sollte insbesondere die Risikofaktoren erfassen. Ein neu voll. Beim Nachweis von Staphyloccous aureus und Candida spp. in
aufgetretenes Herzgeräusch als Zeichen einer Endokarditis wird in der Blutkultur sind tägliche Kontrollblutkulturen unabhängig von
über 50 % gefunden. Da die höchste Inzidenz der infektiösen Endo- der klinischen Symptomatik solange erforderlich, bis 2 Blutkulturen
karditis im Alter zwischen 75–80 Jahren liegt und viele Patienten in Folge negativ sind. Blutkulturen sollten auch nach Beendigung der
eine degenerativ-veränderte Herzklappe aufweisen, ist die Beant- Antibiotikatherapie im Abstand von 2–4 Wochen abgenommen
wortung der Frage nach einem neuen Herzgeräusch häufig er- werden.
schwert. Obwohl sich in ca. 85 % der Endokarditisfälle positive Blutkul-
Der dermatologischen Untersuchung sollte hohe Aufmerksam- turen finden, kann in 10–30 % kein typischer Endokarditiserreger
keit geschenkt werden, da so septisch-embolische und immunologi- nachgewiesen werden. Endokarditiden mit »negativem Blutkultur-
sche Hautveränderungen in Form von Osler-Knötchen (subkutane, befund«, sog. kulturnegative Endokarditiden, stellen eine diagnos-
schmerzhafte hämorrhagische Knötchen an Zehen/Fingerkuppen), tische Herausforderung dar.
Janeway-Läsionen (schmerzlose Hämorrhagien der Handinnenflä- Ungefähr 50 % der kulturnegativen Endokarditiden sind Folge
chen und Fußsohlen) oder Splinter-Hämorrhagien (subunguale Ein- einer bereits eingeleiteten kalkulierten Antibiotikatherapie oder Fol-
blutungen) detektiert werden können. Die Inspektion der Haut soll- ge von schwer anzuzüchtender Mikroorganismen (15–30 %), z. B.
te neben der Detektion von endokarditisassoziierten Hautverände- HACEK-Gruppe (Haemophilus species, Aggregatibacter [früher:
rungen die Fokussuche – Suche nach möglichen Eintrittspforten von Actinobacillus] actinomycetemcomitans, Cardiobacterium homi-
112.1 · Infektiöse Endokarditis
815 112
Der folgende Algorithmus zum Einsatz der Echokardiografie in
. Tab. 112.2 Echokardiografie-Befunde bei einer Endokarditis
der Diagnostik der infektiösen Endokarditis wird seit Jahren im Kli-
niksalltag umgesetzt (. Abb. 112.1).
Haupt-Echokardiografie - Weitere Echokardiografie-
Obwohl die transösophageale Echokardiografie (TEE) mit Aus-
befunde befunde
nahme der Trikuspidalklappenendokarditis der transthorakalen
Vegetationen (bakteriell Pseudoaneurysmen Untersuchung (TTE) überlegen ist, so zeigt auch diese bildmorpho-
besiedelte thrombotische (Höhle mit Kommunikation) logische Untersuchungsmethode einige Limitationen. Zum Beispiel
Klappenauflagerungen) ist die echokardiografische Untersuchung insbesondere der mecha-
Paravalvulärer Abszess Perforation der Taschen/Segel nischen Kunstklappen sehr von Artefakten überlagert, sodass eine
(Höhle ohne Kommunikation) Beurteilung eingeschränkt möglich ist. In solchen erschwerten Fäl-
len können – je nach Verfügbarkeit und Mehrkosten – neue Unter-
Klappenprothesendehiszenz Fistelbildungen (z. B. zwischen
(neu aufgetretenes paravalvuläres Aorta ascendens und linkem suchungsmethoden, wie z. B. eine Positronenemissionstomografie
Leck an einer Klappenprothese) Ventrikel/Vorhof ) mit Computertomografie (PET/CT), angewandt werden. Erste Stu-
dien und Fallberichte zeigen, dass eine erhöhte Aufnahme von 18F-
Fluor-Desoxyglukose im Bereich des infizierten Klappenapparates
nis, Eikenella corrodens, Kingella kingae), Coxiella burnetii (Q-Fie- auf einen inflammatorischen Prozess hindeutet.
ber), Bartonella spp., sodass spezielle Untersuchungen – angefangen Die infektiöse Endokarditis kann je nach Schweregrad und Ver-
von serologischen Untersuchungen (Antikörper gegen Coxiella bur- lauf in eine Multisystemerkrankung degenerieren. Die Herzklappen
netii und Bartonella spp.) über spezifische PCR-Tests (Tropheryma können derart in Mitleidenschaft gezogen werden, dass es aufgrund
whipplei, Bartonella-Spezies, Hefe- und Schimmelpilze) bis hin zu einer massiven Klappenzerstörung zu einer hochgradigen Insuffizi-
Sequenzanalysen der ribosomalen Ribonukleinsäure (rRNA) – not- enz der befallenen Herzklappe kommt, die schließlich bedingt durch
wendig sind. die Schlussunfähigkeit zu einer massiven Volumenüberladung bis
Eine standardisierte Suche nach schwer anzüchtbaren bzw. sel- hin zu einer akuten kardialen Dekompensation bzw. einem kardio-
tenen Erregern hat jedoch aufgrund von fehlenden klinischen Stu- genen Schock führen kann.
dien und hohen Kosten der neuen Techniken noch keinen Eingang Des Weiteren können Vegetationen an Herzklappen zu sep-
in die Routinediagnostik gefunden. Goldstandard für die »definitive tischen Embolien (20–50 %) sowohl in der Lungenstrombahn
Diagnose« der infektiösen Endokarditis ist jedoch weiterhin die (im- (septische Lungenembolien bei Rechtsherzendokarditis) als auch im
mun)histologische Untersuchung von operativ gewonnenem Ge- Systemkreislauf (septische Embolien bei Linksherzendokarditis)
webe. Die mikrobiologische Untersuchung von exzidiertem Herz- führen, sodass eine bildgebende Diagnostik zur Detektion mögli-
klappenmaterial ist obligat, hier kann im Gegensatz zur Blutunter- cher septischer Embolien zusätzlich notwendig ist (. Tab. 112.3). Das
suchung die PCR richtungsweisende Ergebnisse liefern. Embolierisiko steigt mit zunehmender Vegetationsgröße (≥ 10 mm),
Wie bereits oben erwähnt, zählt die kardiale Bildgebung (Echo- Mobilität der Vegetation, dem Erregertyp (insbesondere bei Nach-
kardiografie) in Form der transthorakalen (TTE) und transösopha- weis von S. aureus), dem Zeitpunkt nach Antibiotika-Therapiebe-
gealen Echokardiografie (TEE) zur Basis der Endokarditisdiagnostik ginn (hohes Embolierisiko in der 1. und 2. Therapiewoche) und der
(. Tab. 112.2). Die TTE stellt das Bildgebungsverfahren der 1. Wahl Lokalisation der Endokarditis (besonders hohes Risiko bei Mitral-
bei Verdacht auf eine infektiöse Endokarditis dar. klappenendokarditis).

V.a. Endokarditis

TTE

Negativer Befund Positiver Befund Klappenprothese, Schlechte Schallqualität


für eine Endokarditis für eine Endokarditis intrakardiale Devices im TTE

Niedriger klinischer Hochgradig


Verdacht auf eine klinischer Verdacht
Endokarditis auf eine Endokarditis

Suche nach anderen


*T E E
Differentialdiagnosen

*Im Falle eines unauffälligen initialen TEEs und weiterhin bestehendem V.a. eine Endokarditis, dann wird ein Re-TEE in 7-10 Tagen empfohlen.
Bei V.a. auf eine isolierte Rechtsherz-Nativklappenendokarditis ist bei guter Schallqualität ein TTE ausreichend.

. Abb. 112.1 Einsatz der Echokardiografie bei Verdacht auf (V. a.) das Vorliegen einer infektiösen Endokarditis (modifiziert nach Habib et al., 2009);
TTE: transthorakale Echokardiografie; TEE: transösophageale Echokardiografie
816 Kapitel 112 · Infektionen des Herzens

. Tab. 112.3 Bildgebende Diagnostik zur Detektion septischer Embolien (cMRT: kraniale Magnetresonanztomografie; cCT: kranielle Computer-
tomografie; CEUS: Kontrastmittelultraschall; PET: Positronenemissionstomografie)

Endokarditis Organ und Komplikationen Bildgebende Diagnostik

Linksherzendokarditis Gehirn: septischer Schlaganfall cMRT, ggf. cCT


(Aorten-/Mitralklappe)
Milz: Milzinfarkt CEUS der Milz, ggf. CT

Leber: Leberinfarkt CEUS der Leber, ggf. CT

Nieren: Niereninfarkt CEUS der Nieren, ggf. CT

Herz: Myokardinfarkt Herzkatheteruntersuchung

Periphere Arterien: Arterieller Verschluss Farbdoppler-/Duplex-Untersuchung

Rechtsherzendokarditis Lunge: septische Lungenembolien Angio-CT oder PET-CT


(Trikuspidal-/Pulmonalklappe)
Krankheitsbilder

. Tab. 112.4 Duke-Kriterien der infektiösen Endokarditis

2 Hauptkritieren*

Positive Blutkultur endokarditistypische Erreger in 2 unabhängigen Blutkulturen: Streptococcus viridans, Streptococcus


gallolyticus [früher: S. bovis], HACEK-Gruppe, Staphylococcus aureus (S. aureus-Bakteriämie);
oder ambulant erworbene Enterokokken, ohne Nachweis eines primären Fokus

persistierend positive Blutkulturen: mindestens 2 positive Blutkulturen aus Blutentnahmen mit mind.
12 Stunden Abstand; oder jede von 3 oder eine Mehrzahl von ≥ 4 separaten Blutkulturen (erste und
letzte Probe in mindestens 1 Stunde Abstand entnommen)

Modifikation: einzelne positive Blutkultur mit Coxiella burnetii oder Phase-1-IgG-Antikörper-Titer > 1:800

Nachweis einer Endokardbeteiligung Echokardiografie (TTE/TEE): Vegetation, Abszess, neu aufgetretene Dehiszenz

Neu aufgetretene Klappeninsuffizienz (Echokardiografie oder Auskultation)

5 Nebenkriterien

Prädisposition prädisponierende Herzerkrankung oder i. v. Drogenabusus

Fieber Temperaturen > 38 °C

Vaskuläre Phänomene arterielle Embolien, septisch-pulmonale Infarkte, mykotische Aneurysma, intrakranielle oder
konjunktivale Blutungen, Janeway-Läsionen (schmerzlos; Handinnenflächen)

Immunologische Phänomene Glomerulonephritis/Löhlein-Herdnephritis, Osler-Knötchen (schmerzhaft; Fingerkuppen/Zehen), retinale


Blutung (Roth-Flecken), Splinter-Hämorrhagien (subungual), positiver Rheumafaktor

Mikrobiologie positive Blutkultur, die nicht einem Hauptkriterium entspricht, oder serologischer Nachweis einer aktiven
Infektion mit einem mit infektiöser Endokarditis zu vereinbarendem Organismus

* Als Majorkriterium wurde im Jahre 2015 die pathologische 18F-FDG-PET/CT oder in der Leukozyten-SPECT/CT im Gebiet eines (vor mind. 3 Monaten
implantierten) Klappenersatzes integriert.

Die Erfassung von septischen Embolien ist nicht nur von kli- Befunden. Ihr Wert ist bei bestimmten Formen der Erkrankung ein-
nisch-diagnostischer Bedeutung, sondern auch von therapeutischer geschränkt (Klappenprothesen, Schrittmacher, ICD-/CRT-Devices,
Konsequenz. Zum Beispiel ergibt sich beim Nachweis einer großen negative Blutkulturen). Die Duke-Kriterien können und dürfen in
Vegetation (> 10 mm) mit einem oder mehreren embolischen Ereig- keinem Fall die klinische Beurteilung ersetzen.
nissen trotz adäquater Antibiotikatherapie eine dringende OP-Indi- Anhand der Duke-Kriterien wird die Wahrscheinlichkeit für das
kation. Vorliegen einer infektiösen Endokarditis in »definitiv«, »möglich«
oder »ausgeschlossen« eingeteilt.
jDiagnostische Kriterien
Zur Objektivierung der komplexen Symptomatik und Befundkons- jKonservative Therapie
tellation der infektiösen Endokarditis wurden von David Durack Die Therapie der Endokarditis sollte stets interdisziplinär (Team aus
und Mitarbeitern im Jahre 1994 die Duke-Kriterien (benannt nach Kardiologe, Kardiochirurg, Infektiologe, Mikrobiologe) erfolgen
der Duke-Universität, Durham, North Carolina) vorgestellt und (»management-based approach«). Vor Therapiebeginn ist die Ab-
rasch in den klinischen Alltag implementiert (. Tab. 112.4). Sie be- nahme von mindestens 3 Blutkulturpaaren obligat, danach sollte
ruhen auf klinischen, echokardiografischen und mikrobiologischen umgehend eine kalkulierte Kombinationstherapie eingeleitet werden
112.1 · Infektiöse Endokarditis
817 112

. Tab. 112.5 Initial kalkulierte Antibiotikatherapie der infektiösen Endokarditis

Antibiotikum Dosierung Therapiedauer Evidenzgrad Bemerkungen

Nativklappenendokarditis des linken Herzens und Kunstklappenspätendokarditis (≥ 12 Monate postoperativ)

Ampicillin/Sulbactam 12 g/Tag i. v. in 4 Dosen 4–6 Wochen IIbC zusätzliche Gabe von Gentamycin für
oder 4–6 Wochen ist heute die Ausnahme
Amoxicillin/Clavulansäure 3-mal 2,2 g/Tag i. v. 4–6 Wochen IIbC
plus
Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i. v. oder i. m., 2 oder 4–6 Wochen IIbC
3 Dosen
Alternativ bei β-Laktam-Unverträglichkeit
Vancomycin 30 mg/kg KG/Tag i. v. in 2 Dosen 4–6 Wochen IIbC Tägliche Bestimmung des Vancomycin-
plus und Gentamycinspiegels
Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i. v. oder i. m., 2 oder 4–6 Wochen IIbC
plus 3 Dosen
Ciprofloxacin 1000 mg/Tag p. o. oder 800 mg/Tag i. v. 4–6 Wochen IIbC Ciprofloxacin ist nicht einheitlich aktiv
in 2 Dosen gegen Bartonella spp., evtl. Ergänzung
von Doxycyclin
Nativklappenendokarditis des rechten Herzens
– Behandlung wie Linksherzendokarditis
– Therapiedauer häufig reduziert (2–4 Wochen)
Kunstklappenfrühendokarditis (< 12 Monate postoperativ)
Vancomycin 30 mg/kg KG/Tag i. v. in 2 Dosen 6 Wochen IIbC Talspiegel: 10–15 mg/l
plus
Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i. v. oder i. m., 2 oder 2 Wochen IIbC Talspiegel: < 1–2 mg/l
plus 3 Dosen

Rifampicin 600–900 mg/Tag p. o., Einmaldosis 2 Wochen IIbC ggf. 600–900 mg/Tag p. o. in 2–3 Dosen

(. Tab. 112.5). Der frühzeitige Beginn einer adäquaten Antibiotika- rechnet und nicht anhand des Datums des chirurgischen Eingriffs.
therapie ist von großer Bedeutung, da sie neben der Infektkontrolle Nach erfolgreicher Operation wird eine postoperative Antibiotika-
auch das Risiko für septische Embolien reduziert. Nach Erhalt des therapie für 2 Wochen empfohlen. Sollten sich jedoch intraoperativ
mikrobiologischen Befundes ist ggf. eine – auf den Erreger adap- Infektionsherde nachweisen lassen oder an der explantierten Klappe
tierte – Therapieumstellung erforderlich. der Nachweis von Mikroorganismen gelingen, dann sollte eine er-
Im Rahmen der Antibiotikatherapie sind bakterizide Antibioti- neute Antibiotikatherapie in voller Dauer von 4–6 Wochen erfolgen.
ka den bakteriostatischen Präparaten deutlich überlegen. Bei Ver- Die Wahl des Antibiotikums sollte in diesen Fällen stets dem Resis-
dacht oder Vorliegen einer Kunstklappenendokarditis sollte immer tenzprofil des zuletzt identifizierten Mikroorganismus angepasst
mit Rifampicin kombiniert werden. Die parenterale Antibiotika- werden.
therapie bei Endokarditis (. Tab. 112.5, . Tab. 112.6, . Tab. 112.7, Bei persistierendem Fieber unter antibiotischer Therapie sollte
. Tab. 112.8, . Tab. 112.9) sollte über einen peripher-venösen Zu- an ein echtes Therapieversagen, an einen paravalvulären Abszess, an
gang erfolgen und nur in absoluten Ausnahmefällen, wie z. B. bei Drug-fever, an eine Venenkatheterinfektion, an eine Pneumonie, an
maximaler Intensivpflichtigkeit oder ungenügenden peripheren Ve- einen Harnweginfekt, an einen extrakardialen Abszess (z. B. Spon-
nenverhältnissen, über zentrale Zugänge, da zentrale Venenkatheter dylodiszitis) und an antibiotikaassoziierte Diarrhöen (Clostridien)
ein hohes Infektionsrisiko haben. Obwohl die aktuellen Empfehlun- gedacht werden.
gen auch die Möglichkeit einer i. m. Applikation von Antibiotika Neben diesen klinischen Aspekten sollte ein gewisses pharma-
eröffnet, so wird diese Option bei der initial-kalkulierten/empiri- kologisches Grundverständnis über die einzelnen Antibiotikagrup-
schen Therapie oder bei septischen Zuständen nicht empfohlen. pen vorhanden sein. Bei der Gabe von Aminoglykosiden sind auf-
Eine ambulante Therapie ist auch weiterhin nur nach einer grund von Nephro- und Ototoxizität regelmäßige Bestimmungen
2-wöchigen stationären Behandlung bei streng ausgesuchten Patien- der Retentionsparameter (Kreatinin, GFR) sowie ein therapeuti-
ten mit strenger Indikationsstellung zu erwägen. Der Grund für sches Drug-Monitoring (TDM) und die Kontrolle des Hörvermö-
diese Empfehlung ist, dass Komplikationen in den ersten 2 Wochen gens erforderlich. Bei kritisch kranken Patienten mit terminaler
nach Beginn der Antibiotikatherapie noch gehäuft auftreten und ein Niereninsuffizienz stellt die Dosisfindung von Antibiotika eine be-
engmaschiges Monitoring auch bei offensichtlich blanden Verläufen sondere Herausforderung dar, da Empfehlungen zur nierenadaptier-
empfohlen werden muss. ten Dosierung von Antibiotika nur begrenzt vorliegen.
Die Dauer der Therapie der infektiösen Endokarditis wird an- Unter der Antibiotikatherapie der infektiösen Endokarditis
hand der Erstapplikation einer effektiven Antibiotikatherapie be- sollte ein kontinuierliches Monitoring veranlasst werden. Hierzu
818 Kapitel 112 · Infektionen des Herzens

. Tab. 112.6 Antibiotikatherapie der Streptokokkenendokarditis (orale Streptokokken und Gruppe-D-Streptokokken)

Antibiotikum Dosierung Therapiedauer Evidenzgrad Bemerkungen

Standardtherapie bei Penicillin-sensiblen Stämmen (MHK < 0,125 mg/l)


Penicillin G 12–18 Mio. IE/Tag i. v. in 6 Einzeldosen 4 Wochen IB Bei Allergie: Vancomycin 30 mg/
oder kg KG/Tag i. v. in 2 Dosen
Amoxicillin 100–200 mg/kg KG/Tag i. v. in 4–6 Gaben 4 Wochen IB
oder
Ceftriaxon 2 g/Tag i. v. oder i. m. als Einzelgabe 4 Wochen IB
Standardtherapie bei (relativ) Penicillin-resistenten Stämmen (MHK > 0,125-2 mg/l)
Penicillin G 24 Mio. IE/Tag i. v. in 6 Dosen 4 Wochen IB Bei Allergie: Vancomycin (4 Wochen)
plus plus ggf. Gentamycin (2 Wochen)
Amoxicillin 200 mg/kg KG/Tag i. v. in 4–6 Gaben 4 Wochen IB
plus ggf.
Krankheitsbilder

Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i. v. oder i. m., Einmaldosis 2 Wochen IB

. Tab. 112.7 Antibiotikatherapie der Staphylokokkenendokarditis

Antibiotikum Dosierung Therapiedauer Evidenzgrad Bemerkungen

MSSA-Nativklappenendokarditis
Flucloxacillin 12 g/Tag i. v. in 4–6 Gaben 4–6 Wochen IB Bei Allergie: Vancomycin (4 Wochen)
oder plus ggf. Gentamycin (3–5 Tage)
Oxacillin 12 g/Tag i. v. in 4–6 Gaben 4–6 Wochen IB
plus ggf.
Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i. v. oder i. m., 2 oder 3–5 Tage IB
3 Dosen
MRSA-Nativklappenendokarditis
Vancomycin 30 mg/kg KG/Tag i. v. in 2 Gaben 4–6 Tage IB Daptomycin (6 mg/kg KG/Tag i. v.) als
plus ggf. Alternative zu Vancomycin bei Nie-
reninsuffizienz
Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i. v. oder i. m., 2 oder 3–5–Tage IB
3 Dosen

Flucloxacillin 12 g/Tag i. v. in 4–6 Gaben ≥ 6 Wochen IB Gentamicin nur noch optional


plus
Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i. v. oder i. m., 2 oder 2 Wochen IB
plus 3 Dosen
Rifampicin 600–900 mg/Tag p. o., Einmaldosis ≥ 6 Wochen IB
MRSA-Klappenprotheseninfektion
Vancomycin 30 mg/kg KG/Tag i. v. in 2 Gaben ≥ 6 Wochen IB Gentamicin nur noch optional
plus
Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i. v. oder i. m., 2 oder 2 Wochen IB
plus 3 Dosen
Rifampicin 600–900 mg/Tag p. o., Einmaldosis ≥ 6 Wochen IB

. Tab. 112.8 Antibiotikatherapie der Enterokokkenendokarditis

Antibiotikum Dosierung Therapiedauer Evidenzgrad Bemerkungen

Amoxicillin 200 mg/kg KG/Tag i. v. in 4–6 Gaben 4–6 Wochen IB Bei Allergie: Vancomycin (6 Wochen)
oder plus Gentamycin (6 Wochen)
Ampicillin 200 mg/kg KG/Tag i. v. in 4–6 Gaben 4–6 Wochen IB
plus
Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i. v. oder i. m., 2 Dosen 4–6 Wochen IB
112.1 · Infektiöse Endokarditis
819 112

. Tab. 112.9 Antibiotikatherapie der blutkulturnegativen Endokarditis

Erreger Therapie

HACEK-Gruppe Ceftriaxon (2 g/Tag i. v., 4 Wochen); alternativ: Ampicillin (12 g/Tag i. v. in 4–6 Gaben)
plus Gentamycin (3 mg/kg KG/Tag i. v. in 2 oder 3 Gaben) für 4 Wochen

Coxiella burnetii Doxycyclin (200 mg/Tag) plus Hydroxychloroquin (200–600 mg/Tag) p. o.


oder Doxycyclin (200 mg/Tag) plus Quinolon (Ofloxacin, 400 mg/Tag) p. o., > 18 Monate

Bartonella spp. Ceftriaxon (2 g/Tag) oder Ampicillin (oder Amoxicillin) (12 g/Tag) i. v.
oder Doxycyclin (200 mg/Tag p. o., 6 Wochen) plus Gentamycin (3 mg/kg KG/Tag; 3 Wochen)

Brucella spp. Doxycyclin (200 mg/Tag) plus Cotrimoxazol (960 mg/12h) plus Rifampicin (300–600 mg/Tag)
über ≥ 3 Monate p. o.

Chlamydien / Mykoplasmen Fluorochinolone (neue Generation, > 6 Monate)

Legionella spp. Erythromycin (3 g/Tag, initial i. v. über 2 Wochen; danach p. o. über 4 Wochen)
plus Rifampicin (300–1200 mg/Tag) oder Ciprofloxacin (1,5 g/Tag, p. o., 6 Wochen)

Tropheryma whipplei Cotrimoxazol, Penicillin G und Streptomycin


oder Doxycyclin plus Hydrochloroquin

zählen die Beobachtung des klinischen Erfolgs der Antibiotikathe- 5 operativ oder interventionell unter Verwendung von pro-
rapie (Temperaturkontrolle, laborchemische Kontrolle [C-reaktives thetischem Material behandelte Herzfehler in den ersten
Protein, Blutsenkungsgeschwindigkeit, Blutbild]), die echokardio- 6 Monaten nach der Prozedur
grafische Kontrolle (Progredienz oder Regredienz, lokale Komplika- 5 persistierender residueller Defekt an der Implantationsstelle
tionen?), des mikrobiologischen Status (Abnahme von Blutkulturen von chirurgisch oder interventionell eingebrachtem prothe-
unter Antibiotikatherapie, insbesondere bei S. aureus-Bakteriämie) tischem Material
und das therapeutische Drug-Monitoring (Bestimmung der Talkon- 4 Patienten mit überstandener infektiöser Endokarditis, insbe-
zentrationen von Gentamycin [< 1–2 mg/l] und Vancomycin [10– sondere Patienten mit Endokarditisrezidiven
15 mg/l] unmittelbar vor der nächsten Applikation), um Nebenwir-
kungen bzw. Über-/Unterdosierungen zu vermeiden. Eine Prophylaxe mit Antibiotika sollte nur bei zahnärztlichen Ein-
griffen in Betracht gezogen werden, bei denen es zu einer Manipu-
jHerzchirurgische Therapie lation der Gingiva oder der periapikalen Zahnregion oder zu einer
In ungefähr 50 % aller Endokarditisfälle ist neben der antibiotischen Perforation der oralen Mukosa kommt. Zu den Manipulationen an
Therapie ein chirurgisches Vorgehen indiziert, um infiziertes Klap- der Gingiva zählt auch die intraligamentäre Anästhesie zur lokalen
penmaterial vollständig zu resezieren oder bereits vorhandene Or- Schmerzausschaltung, die mit einer Häufigkeit bis zu 97 % weit häu-
gankomplikationen zu versorgen. Als Hauptindikationen für eine figer zu Bakteriämien führt als endodontische Maßnahmen oder
kardiochirurgischen Therapie werden die Entwicklung einer Herz- Sondierungsmaßnahmen in einer entzündlich veränderten Zahn-
insuffizienz, die unkontrollierte Infektion und die Prävention septi- fleischtasche.
scher Embolien aufgeführt. Die eigentliche Therapieentscheidung Bei Eingriffen an infiziertem Gewebe bei Risikopatienten wird
kardiochirurgische versus konservative Behandlung sollte stets indi- empfohlen, je nach Infektionsort auch organtypische potenzielle
viduell und interdisziplinär – optimal im Rahmen eines Endokardi- Endokarditiserreger mitzubehandeln. Dies schließt z. B. bei Infek-
tits-Boards – erfolgen. tionen der oberen Atemwege und bei Haut- und Weichteilinfek-
tionen Streptokokken- und Staphylokokkenspezies ein, bei gastro-
jEndokarditisprophylaxe intestinalen oder urogenitalen Prozeduren ist an Enterokokken zu
Die Endokarditisprophylaxe hat das Ziel, Bakteriämien zu vermei- denken.
den, die im Rahmen medizinischer Eingriffe entstehen und somit Die perioperative bzw. periinterventionelle Endokarditispro-
bei Patienten mit Risikofaktoren zu infektiösen Endokarditiden füh- phylaxe erfolgt mindestens 30–60 min vor der Prozedur. Im Rahmen
ren können. Zu den allgemeinen präventiven Maßnahmen zählen der Endokarditisprophylaxe kommen primär Aminobenzylpenicil-
eine gute Mundhygiene und zahnärztliche Kontrollen. Eine Antibio- line zur Anwendung, wie Amoxicillin (2 g p. o.) oder Ampicillin (2 g
tikaprophylaxe ist bei 3 Hochrisikopatientengruppen mit zahnärzt- i. v.). Bei Penicllinallergie kann alternativ Clindamycin (600 mg p. o.
lichen Höchstrisikoeingriffen indiziert. Zu den 3 Hochrisikogrup- oder i. v.) angewandt werden. In Fällen, in denen die Endokarditis-
pen gehören: prophylaxe vor dem Eingriff nicht gegeben wurde, scheint eine Gabe
4 Patienten mit Herzklappenersatz (mechanisch oder biolo- noch bis zu 120 min nach der Prozedur sinnvoll. Bei allen anderen
gisch) oder rekonstruierte Klappen unter Verwendung von Risikogruppen gilt bezüglich der Endokarditisprophylaxe ein »indi-
alloprothetischem Material in den ersten 6 Monaten nach viduelles« Abschätzen des Risikos, z. B. erworbene Vitien, bikuspide
Operation Aortenklappe, hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie, Mitral-
4 Patienten mit angeborenen Vitien: klappenprolaps mit Insuffizienz.
5 unkorrigierte zyanotische Vitien oder residuelle Defekte,
palliative Shunts oder Conduits (mit/ohne Klappe)
820 Kapitel 112 · Infektionen des Herzens

112.2 Myokarditis Vordergrund. Die individuelle genetische Prädisposition spielt bei


Pathogenese der Myokarditis eine bedeutende Rolle, d. h., es gibt
Bei der Myokarditis handelt es sich um eine akute oder chronische Menschen, die für eine Virusinfektion sehr empfänglich sind.
Inflammationsreaktion des Myokards diverser Genese, die in unter- Nach einer Initiierungsphase mit zellulärer Infiltration
schiedlichem Umfang Kardiomyozyten, interstitielles und perivaskulä- (≥ 14 Lymphozyten/mm2 mit ≥ 7 CD3-positiven T-Lymphozyten)
res Bindegewebe sowie koronare Arteriolen, Kapillaren und in eini- kommt es zu einer direkten oder indirekten (Autoimmunprozess)
gen Fällen sogar die epikardialen Koronararterien einbezieht. Häufig myokardialen Schädigung. Die Ausbildung eines myokardialen
spricht man auch von einer inflammatorischen Kardiomyopathie. Die Ödems bis hin zur Zellnekrose und – in späteren Stadien – Narben-
Empfehlungen zum Management der Myokarditis beruhen auf den bildung mit Fibrose können die Folgen sein. Obwohl eine akute
Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie aus dem Jahre Myokarditis in über 50 % in den ersten 4 Wochen folgenlos ausheilen
2013. kann, entwickelt sich bei ungefähr 30 % der Patienten eine schwere
dilatative Kardiomyopathie.
Unter einer dilatativen Kardiomyopathie versteht man eine reine
jEpidemiologie (meist systolische) Funktionseinschränkung des Ventrikelmyokards.
Die Prävalenz der Myokarditis liegt nach Auswertungen von Die inflammatorische Kardiomyopathie dagegen bezeichnet eine
Autopsien zwischen 2 und 42 %. Bei bis zu 12 % junger Erwachsener histologisch bzw. immunhistochemisch diagnostizierte Myokarditis
mit plötzlichem Herztod wird die Myokarditis als Ursache ange- mit paralleler myokardialer Funktionseinschränkung. Die Myokar-
Krankheitsbilder

nommen. ditis bzw. inflammatorische Kardiomyopathie wird in 3 Gruppen


unterteilt (. Tab. 112.11).
jPathogenese
Die Myokarditis stellt eine häufige Ursache bei jungen Patienten für jKlinik
eine Herzinsuffizienz oder Herzrhythmusstörungen dar, wobei in Das klinische Bild der Myokarditis reicht von einer völligen Asymp-
9–16 % der Fälle mit dilatativer Kardiomyopathie eine inflammato- tomatik über pektanginöse Beschwerden bis hin zum plötzlichen
rische Komponente nachgewiesen werden kann. Pathogenetisch für Herztod. Es existiert kein spezifisches Leitsymptom.
eine Myokarditis können infektiöse oder nichtinfektiöse Ursachen
aufgeführt werden (. Tab. 112.10), wobei die virale Genese in der jDiagnostik
westlichen Welt dominiert. In der Pathogenese der Myokarditis Die Anamnese sollte der Frage nach einem zurückliegenden grip
stehen zum einen virale als auch autoimmune Mechanismen im palen oder gastrointestinalen Infekt nachgehen. Im Rahmen der

. Tab. 112.10 Ätiologie der Myokarditis

Infektiöse Genese

Viren Viren in 50 % der Fälle: Parvovirus B19 und Adenoviren, Coxsackie A/B1–B5

humanes ECHO-Virus (enteric cytopathogenic human orphan)

Humanes Herpesvirus 6 (HHV-6), Hepatitis-C-Virus, HI-Virus

Bakterien Staphylo-, Strepto-, Pneumo-, Meningo-, Gonokokken, Borreliose (Lyme-Erkrankung), Mykobakterien,


Chlamydien, Mykoplasmen, Legionellen, Salmonellen, Rickettsien, Corynebakterien, Leptospiren (Morbus
Weil)

Pilze Aspergillus, Candida, Cryptococcus (insbesondere bei HIV-Koinfektion)

Protozoen Trypanosoma cruzi (Chagas-Krankheit), Toxoplasma gondii

Würmer Trichinen, Echinokokken

Nichtinfektiöse Genese

Immunologische Myokarditis – idiopathisch als Fiedler-Riesenzell-Myokarditis, rheumatische Arthritis, Kollagenosen, Vaskulitiden

– Kreuzantigenität von viralen und myokardialen Strukturen: antimyolemmale und antisarkolemmale


Antikörper, IgM und C3 in der Biopsie

– granulomatöse Riesenzellmyokarditis: mit riesenzellartigen Granulomen vom Sarkoidosetyp


bei Sarkoidose, Wegener-Granulomatose

– Abstoßungsreaktion nach Herztransplantation (Alloantigene)

– Medikamentenallergene (Hypersensitivitätsmyokarditis, eosinophile Myokarditis): Penicillin, Colchizin,


Furosemid, Thiazide, Isoniazid, Lidocain, Tetracyclin, Sulfonamide, Phenytoin, Phenylbutazon, Amitriptylin

Toxische Myokarditis – Medikamente: Katecholamine, Anthrazykline, Lithium, Zytokine

– Schwermetalle: Blei, Eisen, Kupfer, Kobalt, Chrom

– andere Toxine: Ethanol, Kokain, Zytokine (septische Kardiomyopathie)

– physikalische Ursachen: Bestrahlung, Hypothermie, Hitzschlag, Elektroschock


112.2 · Myokarditis
821 112

. Tab. 112.11 Unterformen der Myokarditis

Myokarditisform Beschreibung

Virale Myokarditis histologisch/immunhistochemischer Nachweis einer Myokarditis (meist lymphozytisch) mit positivem Ergebnis
in der PCR zum Nachweis kardiotroper Erreger

Autoimmune Myokarditis histologisch/immunhistochemischer Nachweis einer Myokarditis mit negativem Ergebnis in der PCR zum Nachweis
kardiotroper Erreger mit oder ohne Nachweis von kardialen Autoantikörpern, z. B. Sarkoidose, Hypereosinophilie-
Syndrom (eosinophile Myokarditis), Skerodermie, systemischer Lupus erythematodes

Kombinierte virale und histologisch/immunhistochemischer Nachweis einer Myokarditis mit positivem Ergebnis in der PCR zum Nachweis
autoimmune Myokarditis kardiotroper Erreger mit Nachweis von kardialen Autoantikörpern

körperlichen Untersuchung sollten auf akzidentelle Herzgeräusche mischer Instabilität oder Arrhythmien empfohlen (Klasse-I-Indika-
und – bei möglicher Mitbeteiligung des Perikards – auf ein Peri- tion, Evidenzgrad B).
kardreiben geachtet werden. Die kardiale Magnetresonanztomografie (Kardio-MRT) hat in
Zur laborchemischen Untersuchung gehören die Bestimmung letzten Jahren zunehmend in der nichtinvasiven Routinediagnostik
der Entzündungsparameter (Blutsenkungsgeschwindigkeit, C-reak- der Kardiomyopathien und Myokarditis an Bedeutung gewonnen.
tives Protein, Blutbild) und der kardialen Biomarker (BNP, Troponin Im Rahmen der nichtinvasiven Myokarditisdiagnostik ist das Kar-
und Herzenzyme). Der viral-serologische Nachweis kardiotroper dio-MRT der Echokardiografie überlegen. Mittels der Kardio-MRT-
Viren ist wenig spezifisch, sodass diese Untersuchung nicht empfoh- Untersuchung ergibt sich die einzigartige Möglichkeit, bestimmte
len wird. Der Nachweis von speziellen Autoantikörpern wird eben- Gewebecharakteristiken nichtinvasiv direkt zu visualisieren. Neben
falls nicht empfohlen. der Gewebecharakterisierung lassen sich sowohl die Morphologie
Bei jedem Patienten mit kardialer Anamnese bzw. Verdacht auf als auch die Funktion des Herzens beurteilen. Die Kardio-MRT eig-
eine Myokarditis ist stets ein Elektrokardiogramm durchzuführen. net sich daher zur Diagnosestellung und zur Verlaufsbeobachtung
Obwohl das EKG bei einer Myokarditis fast immer Veränderungen der Myokarditis.
aufweist, sind seine Spezifität und Sensitivität niedrig. Bei einer Die Nuklearmedizin hat im Wesentlichen keine Bedeutung in
Myokarditis lassen sich folgende EKG-Veränderungen nachweisen: der Bildgebung der Myokarditis – mit einer Ausnahme: Die kardiale
Sinustachykardien, Extrasystolen, supraventrikuläre und ventriku- Sarkoidose ist die einzige Myokarditisform, bei der eine nuklearme-
läre Arrhythmien, ST-Streckenveränderungen wie z. B. terminale dizinische Bildgebung empfohlen wird (18F-FDG-PET Untersu-
T-Negativierungen oder konkave ST-Streckenhebungen. Das Auf- chung).
treten einer AV-Blockierung kann auf eine kardiale Beteiligung bei
einer Borreliose (Lyme-Karditis), einer Sarkoidose oder auf eine Diagnostische Kriterien Die Myokardbiopsie stellt zwar den Gold-
Riesenzellmyokarditis hindeuten. standard für die Diagnose der Myokarditis dar. Es ist jedoch in der
Eine transthorakale Echokardiografie (TTE) ist bei jedem Ver- klinischen Routine eher unrealistisch, jeden Patienten mit der Ar-
dacht auf eine Myokarditis zu veranlassen. Obwohl eine Myokarditis beitsdiagnose Myokarditis zu biopsieren. Daher wird empfohlen, die
selbst nicht echokardiografisch diagnostiziert werden kann, so ist die klinische Verdachtsdiagnose Myokarditis um die diagnostische Vor-
echokardiografische Beurteilung der regionalen und globalen links- testwahrscheinlichkeit anhand spezieller Diagnosekriterien zu erhö-
ventrikulären Pumpfunktion von klinischer Bedeutung. Gelegent- hen. Die diagnostischen Kriterien setzen sich zusammen aus der
lich kann eine Zunahme der Signalintensität und der Wanddicke bei Klinik (asymptomatisch/symptomatisch) und 4 Befunden aus EKG-
ödematösen Veränderungen nachgewiesen werden. Die Echokardio- Untersuchung, Laborchemie (kardiale Biomarker) und kardialer
grafie eignet sich optimal zur Verlaufskontrolle. Bildgebung (TTE und MRT) (. Tab. 112.12).
Die Herzkatheteruntersuchung sollte eine Koronarangiografie Der Verdacht auf eine Myokarditis besteht, wenn
(Ausschluss/Nachweis einer ischämischen Genese) sowie eine Endo- 4 ein symptomatischer Patient mehr als ein Diagnosekriterium
myokardbiopsie (Ausschluss/Nachweis einer Myokarditis) beinhal- aufweist
ten. Bei jüngeren und hämodynamisch stabilen Patienten ohne 4 oder ein asymptomatischer Patient mehr als 2 Diagnose-
kardiovaskuläres Risikoprofil kann anstelle der invasiven Koronar- kriterien aufweist.
angiografie eine CT-Koronarangiografie durchgeführt werden.
Die Endomyokardbiopsie stellt auch in den aktuellen Leitlinien Eine koronare Herzerkrankung, kardiovaskuläre Erkrankungen,
der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie aus dem Jahre 2013 Klappenvitien, Intoxikationen, pulmonale Ursachen und eine
den Goldstandard für die Differenzialdiagnose bei Verdacht auf eine Hyperthyreose sollten ausgeschlossen sein.
Myokarditis bzw. auf eine nichtischämische Kardiomyopathie (z. B.
Sarkoidose, Amyloidose, Morbus Fabry) dar. Die Myokardbiopsie jTherapie
erfolgt dabei in der Regel von der rechtsventrikulären Seite des Eine kausale Therapieoption ist derzeit nicht belegt, sodass primär
interventrikulären Septums (ggf. linksventrikuläre Biopsie). An- die symptomatische Therapie im Vordergrund steht. Eine adäquate
schließend werden die Biopsate histologisch (z. B. lymphozytäre Herzinsuffizienztherapie (ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten, β-Blo-
Infiltrate), immunhistologisch (z. B. Anti-CD3-T-Lymphozyten, cker, Diuretika, Aldosteronantagonisten) und eine strenge kardiolo-
Anti-CD4-T-Helferzellen) und molekularpathologisch (Erreger- gische Anbindung sind obligat. Eine moderate körperliche Schonung
nachweis mittels PCR) begutachtet. In den Leitlinien zur Rolle der wird für mindestens 6 Monate empfohlen.
Myokardbiopsie wird eine Biopsieentnahme insbesondere bei akuter In einigen Fällen akuter Myokarditiden kann sich eine schwere
Herzinsuffizienz mit oder ohne Ventrikeldilatation und hämodyna- systolische Dysfunktion entwickeln, sodass die Gefahr von lebens-
822 Kapitel 112 · Infektionen des Herzens

. Tab. 112.12 Diagnosekriterien der Myokarditis

Untersuchungsmethode Beschreibung der 4 Diagnosekriterien

EKG, Langzeit-EKG, Ergometrie EKG-Veränderungen: AV-Blockierung, De-/Repolarisationsstörung, Sinusarrest, VT/VF, Asystolie,


Extrasystolen, ventrikuläre und supraventrikuläre Arrhythmien

Laborchemie kardiale Biomarker: erhöhtes Troponin

Kardiale Bildgebung funktionelle und strukturelle Veränderungen: regionale Wandbewegungsstörungen, Einschränkung


(TTE, Herzkatheter, kardiales MRT) der globalen systolischen und diastolischen Funktion, ggf. linksventrikuläre Dilatation, Perikarderguss
oder intraventrikuläre Thromben

Kardiales MRT Gewebecharakterisierung: myokardiales Ödem und/oder »late gadolinium enhancement«


(Lake-Louise-Konsensus-Kriterien)

bedrohlichen ventrikulären Arrhythmien und damit eine Indikation jPathogenese


zur strengen rhythmologischen Überwachung besteht! Verschiedene Ursachen werden für die Perikarditis beschrieben,
Krankheitsbilder

Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) sollten bei Myokarditi- allerdings bleibt im Einzelfall die Ergründung der definitiven Ursa-
den ohne Perikarderguss, d. h. ohne Perikardbeteiligung, nicht an- che offen (. Tab. 112.13). 80–90 % der akuten Perikarditiden werden
gewandt werden. Die Behandlung mit nichtsteroidalen Antiphlogis- als idiopathisch eingestuft, wobei meist eine virale Genese als Ur-
tika kann während der Akutphase einer viralen Myokarditis zu einer sache der Perikarditis angenommen wird. Von all den übrigen Ursa-
Progression der myokardialen Zellschädigung führen. chen (10–20 %) werden hauptsächlich Autoimmunerkrankungen
In Fällen viruspositiver Myokarditiden besteht die therapeuti- (z. B. Postkardiotomiesyndrom) verantwortlich gemacht.
sche Option der Immunmodulation (z. B. antivirale Therapie bei Die Perikarditis führt zu fibrinösen Belägen am Perikard, die
kardialer Herpesvirusinfektion mit Ganciclovir oder Aciclovir; durch Reibung präkordiale Schmerzen und ein lederartiges systo-
β-Interferon-Therapie bei Nachweis von Adenoviren), bei virusne- lisch-diastolisches Geräusch in der Herzauskultation zur Folge ha-
gativen Myokarditiden der Immunsuppression (z. B. Steroide, Aza- ben. Eine Perikarditis mit rascher Ergussentwicklung kann über eine
thioprin und Cyclosprorin A bei chronischer virusnegativer Inflam- Kompression des rechten Herzens (Perikardtamponade) zu einer
mationskardiomyopathie, Riesenzellmyokarditis, kardialen Sarkoi- hämodynamischen Instabilität bzw. zum kardiogenen Schock
dose sowie Autoimmunmyokarditis). Dies setzt jedoch eine hohe führen.
Expertise und die Anbindung an spezielle Zentren voraus.
In hämodynamisch instabilen Situationen ist ein interdisziplinä- jKlinik
res Management zwischen Kardiologen, Herzchirurgen und Inten- Patienten mit einer Perikarditis klagen meist über allgemeine Schwä-
sivmedizinern erforderlich. Neben der hämodynamisch gesteuerten che oder über Dyspnoe mit Leistungsminderung als Zeichen der
Therapie des kardiogenen Schocks mittels u. a. Katecholaminen be- Herzinsuffizienz. Subfebrile Temperaturen bis Fieber, retrosternale
steht die Möglichkeit der Implantation eines biventrikulären Assist- oder linksthorakale Schmerzen, teils atemabhängig, werden eben-
Device oder eines Kunstherzens bis hin zur High-Urgency-Listung falls beschrieben. Bei Ausbildung eines Perikardergusses wird meist
bezüglich einer Herztransplantation. eine progrediente Dyspnoe mit oder ohne obere Einflussstauung
beschrieben.

112.3 Perikarditis jDiagnostik


Die Anamnese sollte die ursächlichen Faktoren für eine Perikarditis
Bei der Perikarditis handelt es sich um eine Entzündung des Epi- und beinhalten (z. B. Urämie). In der körperlichen Untersuchung kann
des Perikards, die als isolierte Perikarditis oder in Kombination mit häufig ein Perikardreiben (pulssynchrones, knarrendes/lederartiges
einer Myokarditis (15–30 %), als sog. Perimyokarditis, auftreten kann. systolisch-diastolisches Geräusch) über dem Erb-Punkt auskultiert
Entsprechend dem klinischen Verlauf wird die Perikarditis in eine werden.
akute, chronische (> 3 Monate anhaltende Perikarditis), chronisch- Laborchemisch sollten die wesentlichen Entzündungsparame-
persistierende Perikarditis und eine Pericarditis constrictiva eingeteilt. ter (Blutbild, CRP, BSG) und ursächlichen Faktoren für eine Perikar-
In den meisten Fällen manifestiert sich die Perikarditis primär als akute ditis bestimmt werden (Harnstoff, Kreatinin → urämische Perikardi-
Verlaufsform, in 20 % ist ein Übergang in eine chronische Erkrankung tis, TSH/T3/T4 → Myxödemperikarditis bei Hypothyreose, HDL/
mit rezidivierenden Schüben möglich. Die aktuellen Empfehlungen LDL → Cholesterinperikarditis). In 15 % können bei Mitbeteiligung
zum Management der Perikarditis beruhen auf den Leitlinien der Euro- des Myokards erhöhte Herzenzyme (CK, CK-MB) und ein erhöhtes
päischen Gesellschaft für Kardiologie aus dem Jahre 2004, die 2015 Troponin nachgewiesen werden.
aktualisiert wurden. Die infektiologische Diagnostik sollte eine Tbc-Diagnostik
(Mykobakterien) und ggf. der Nachweis von kardiotropen Viren
jEpidemiologie (Coxsackie-A/B-, ECHO-, Ebstein-Barr-, Influenza-, Adeno-, Zyto-
Die Inzidenz der Perikarditis beträgt ca. 2–3 Fälle pro 100.000 Ein- megalie-, Varizella-Zoster-, Mumps-, Masern-, Rötelnviren) bein-
wohner. Im Rahmen von Autopsien findet sich in 2–10 % eine Peri- halten. Zum Ausschluss einer autoimmunen Komponente wird eine
karditis. In der Notaufnahme beträgt der Anteil der akuten Perikar- immunologische Diagnostik (Bestimmung von ANA, ANCA,
ditiden ca. 5 % aller Aufnahmen. dsDNS-Antikörper) empfohlen.
Das EKG bei Perikarditis zeigt in 60–80 % charakteristische Ver-
änderungen. Konkave ST-Streckenhebungen »aus dem S heraus«
112.3 · Perikarditis
823 112

. Tab. 112.13 Ätiologie der Perikarditis

Infektiöse Genese (70–90 %)

Idiopathisch Meist viral bedingt

Viral meist Coxsackie B1-B4, ECHO-, CMV-, Adenoviren

Bakteriell meist Tuberkulose

Nichtinfektiöse Genese (10–30 %)

Immunologisch – Systemischer Lupus erythematodes (SLE)

– rheumatisches Fieber

– familiäres Mittelmeerfieber (FMF)

– allergisch

– Postmyokardinfarktsyndrom (Dressler-Syndrom): Risikofaktoren sind großer Myokardinfarkt plus Phenpro-


coumon, Auftreten 4–8 Wochen nach Myokardinfarkt

– Postkardiotomiesyndrom (Perikarditis nach operativer Eröffnung des Perikards): entwickelt sich in ca. 25 %
nach 1–6 Wochen nach dem herzchirurgischen Eingriff

Posttraumatisch jedes Trauma, z. B. Contusio cordis oder nach kardiochirurgischen Eingriffen (5 %)

Physikalisch Strahlentherapie

Postmyokardinfarkt Auftreten in 3–6 % aller Infarktpatienten nach 1–6 Wochen nach Myokardinfarkt (Postmyokardiotomiesyndrom,
Pericarditis epistenocardica, Dressler-Syndrom)

Perikarditis constrictiva – Rechtsherzinsuffizienz, diastolische Herzinsuffizienz

– Folgestadium einer chronisch-persistierenden Perikarditis

– meist schwierige Abgrenzung von restriktiver Kardiomyopathie

Metabolisch / endokrinologisch – Perikarditis bei Niereninsuffizienz: urämische Perikarditis (vor oder nach Beginn einer Hämodialysebehandlung),
dialyseassoziierte Perikarditis

– Diabetes mellitus (diabetische Ketoazidose)

– Cholesterinperikarditis bei Hypercholesterinämie

– Myxödemperikarditis bei Hypothyreose

– Addison-Krise (Hyperkaliämie, Hyponatriämie, Cortisol kaum nachweisbar, ACTH ൹)

Neoplastisch / paraneoplastisch – primäre Perikardtumoren: z. B. Mesotheliom des Perikards

– Perikardmetastasen, z. B. bei Mamma-/ Bronchialkarzinom

– weitere Tumorerkrankungen: z. B. Lymphome, Leukämien, Melanome

sind ein Ausdruck der subepikardialen Entzündung des Myokards ses als auch der um das Perikard liegenden Strukturen besser beur-
(. Abb. 112.2). Eine Niedervoltage sowie eine elektrischer Alternans teilbar sind. Zudem lassen sich Perikardkalzifizierungen/-verdi-
(Wechsel der R-Amplitude von Aktion zu Aktion) kann bei Peri- ckungen optimal darstellen. Eine Unterscheidung zwischen hämor-
karderguss/-tamponade beobachtet werden. rhagischen und serösen Ergüssen anhand der gemessenen
Als bildgebende Verfahren zum Nachweis einer Perikarditis eig- Dichtewerte (Hounsfield-Einheiten [HE]: serös ≤ 20 HE, hämor-
nen sich in der Akutsituation die transthorakale Echokardiografie rhagisch HE > 50) ist ebenfalls anhand der Computertomografie
(TTE) und die Computertomografie. Ein Röntgen des Thorax ist möglich.
aus differenzialdiagnostischen Gründen bei »Dyspnoe« immer indi- Eine Magnetresonanztomografie eignet sich ebenfalls zur pri-
ziert. In der Echokardiografie gelingt der Nachweis eines Perikarder- mären Diagnostik, insbesondere um eine Mitbeteiligung des Myo-
gusses ab einer Menge von über 25 ml. Zudem eignet sich die TTE- kards im Sinne einer Perimyokarditis nachzuweisen bzw. auszu-
Untersuchung zur Beurteilung der hämodynamischen Relevanz schließen.
(Kompression des rechten Atriums und/oder des rechten Ventrikels)
und der Lokalisation des Perikardergusses (lokaler, gekammerter jTherapie
oder zirkulärer Perikarderguss) sowie zur Verlaufskontrolle. Behandlung der akuten Perikarditis Die Behandlung der akuten
In verschiedenen Fällen ist ggf. eine transösophageale Echokar- Symptomatik und eine Vermeidung eines Rezidivs stehen therapeu-
diografie (TEE) oder eine Computertomografie notwendig, da sich tisch im Vordergrund. In der Akutsituation, d. h. beim Nachweis
z. B. ein isolierter, abgekapselter Perikarderguss der transthorakalen eines hämodynamisch relevanten Perikardergusses, muss unter
Echokardiografie entziehen kann. Der Vorteil der Computertomo- echokardiografischer Kontrolle eine umgehende entlastende Peri-
grafie besteht darin, dass sowohl die Lokalisation des Perikardergus- kardpunktion veranlasst werden. Die Perikardflüssigkeit sollte an-
824 Kapitel 112 · Infektionen des Herzens

I U1

II U2

III U3

AUR U4

AUL U5
Krankheitsbilder

AUF U6

. Abb. 112.2 Ruhe-EKG einer Perimyokarditis

schließend analysiert (Diskriminierung zwischen Exsudat und


Transsudat) und zur weiteren Diagnostik aufbewahrt bzw. direkt In Kürze
versandt werden (insbesondere Mikrobiologie, Zytologie/Patholo- Infektionen des Herzens
gie). Im Anschluss daran kann die Basistherapie – Behandlung der Die infektiöse Endokarditis stellt nicht nur die häufigste Infektion
Grunderkrankung und Entzündungshemmung – initiiert werden. des Herzens dar, sondern eine Multisystemerkrankung, da neben
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) fungieren dabei als Anti- den Herzklappen bedingt durch septische Embolisationen ande-
phlogistikum und Analgetikum (z. B. 3-mal 600 mg Ibuprofen/Tag re Organe befallen werden können. Das Management der Endo-
p. o. für 2–4 Wochen oder 4-mal 300 mg ASS/Tag p. o.). Für Ibu- karditis gehört in die Hand eines interdisziplinären Teams aus
profen liegt ein günstiges Nebenwirkungsprofil vor. Da es den koro- Kardiologen, Kardiochirurgen, Infektiologen und Mikrobiologen.
naren Blutfluss erhöht, kann es auch bei Patienten mit koronarer Die Myokarditis stellt eine häufige Ursache bei jungen Patienten
Herzerkrankung eingesetzt werden. Eine sinnvolle Ergänzung zur für eine Herzinsuffizienz oder Arrhythmien dar. Die Myokard-
Basistherapie stellt das Therapeutikum Colchizin dar. biopsie gilt insbesondere bei hämodynamisch instabilen Patien-
Der Einsatz von Steroiden ist aufgrund der verminderten Virus- ten mit der Verdachtsdiagnose einer Myokarditis weiterhin als
clearance mit einem erhöhten Rezidivrisiko assoziiert und daher nur diagnostischer Goldstandard, ansonsten hat die Herz-MRT-Unter-
bei nachgewiesenen Autoimmunerkrankungen indiziert (Dosie- suchung an Bedeutung gewonnen. Die Behandlung der Myo-
rung: Prednisolon 1–1,5 mg/kg KG p. o.; Dauer: 1 Monat, danach karditis besteht in einer symptomatischen Therapie (Herzinsuffi-
Dosisreduktion über 3 Monate). zienztherapie) und in moderater körperlicher Schonung. Eine
Myokarditis kann mit einer Perikardbeteiligung einhergehen:
Behandlung der chronischen Perikarditis Ziel ist die Vermeidung sog. Perimyokarditis. Die Behandlung der akuten Symptomatik
von Rezidiven bzw. die Reduktion der Rezidivrate. Wie bereits er- und eine Vermeidung eines Rezidivs stehen bei der Perikarditis
wähnt ist die häufigste Komplikation der akuten Perikarditis die therapeutisch im Vordergrund. Die Basistherapie der Perikarditis
Entwicklung einer rezidivierenden chronischen Perikarditis. Die besteht in der kombinierten Gabe von nichtsteroidalen Anti-
Rezidivrate nach dem Erstereignis beträgt ca. 30 %, die Rate nach rheumatika und Colchizin über mehrere Monate.
dem Erstrezidiv ca. 50 %. Als Grund für die Rezidive werden Au-
toimmunprozesse, virale und neoplastische Ursachen sowie eine
unzureichende Therapiedauer von NSAR und/oder Colchizin ange- Literatur
nommen. Wie bei Behandlung der akuten Perikarditis besteht auch
hier die Basis in der kausalen Therapie (z. B. tuberkulostatische The- Endokarditis:
rapie bei tuberkulöser Perikarditis) und der Kombinationstherapie Dietz S, Lemm H, Bushnaq H, Hobbach HP, Werdan K, Buerke M (2013) Infekti-
von NSAR mit Colchizin über mindestens 6 Monate. Bei therapiere- ose Endokarditis: Notfallbehandlung und Langzeitbetreuung. Internist.
fraktärer chronischer Perikarditis kann ggf. eine Therapie mit Stero- 54(1):51-62.
Habib G, Hoen B, Tornos P, Thuny F, Prendergast B, Vilacosta I, Moreillon P, de
iden erwogen werden. Eine chirurgische Behandlung bei chronisch-
Jesus Antunes M, Thilen U, Lekakis J, Lengyel M, Müller L, Naber CK,
persistierender Perikarditis bzw. Pericarditis constrictiva im Sinne
Nihoyannopoulos P, Moritz A, Zamorano JL; ESC Committee for Practice
einer Perikardfensterung bis Perikardektomie ist in Einzelfällen zu Guidelines (2009) Guidelines on the prevention, diagnosis, and treat-
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825 112
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827 113

Infektionen des ZNS


E. Schmutzhard

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_113, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Ein breites Spektrum an Erregern, v. a. Viren, Bakterien, aber auch Pro- Enzephalopathie im Rahmen eines systemischen Infekts, Intoxika-
tozoen, Helminthen und Pilze, können, sofern es ihnen gelingt, die tionen etc.) differenziert werden. In vielen Fällen ist sinnvollerweise
Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, das zentrale und gelegentlich das der Ausdruck virale Meningoenzephalitis zu gebrauchen, ein Hin-
periphere Nervensystem involvieren; Meningitis, Enzephalitis, Hirnabs- weis, dass neben dem Hirngewebe auch die Meningen betroffen
zess, Meningovaskulitis oder granulomatöse Prozesse sind die poten- sind. Bei Mitbetroffensein des Myelons spricht man von Enzephalo-
ziellen Folgen. myelitis.
Neben der Tatsache, dass für eine Reihe von Erregern die Inzidenz der
Infektionen deutlich gesunken ist, z. B. Meningokokken, aber auch jAnamnese und neurologische Symptomatik
Pneumokokken und Haemophilus influenzae B als Auslöser der bakte- Auf eine virale Meningoenzephalitis verdächtig ist die Konstellation:
riellen Meningitis, aber auch Plasmodium falciparum als Auslöser der 4 fieberhafte Erkrankung, begleitet von
zerebralen Malaria, ist v. a. das Auftreten neuer, neu entdeckter und/ 4 Kopfschmerzen
oder importierter Erreger als Ursache akuter ZNS-Infektionen absolut 4 neurologischen Herdsymptomen bzw.
bemerkenswert. Virale Infektionen (West-Nil-Virus, Toskanavirus, etc.) 4 Zeichen einer generellen zerebralen Dysfunktion
sind im letzten Jahrzehnt zunehmend häufiger auch in Mitteleuropa 4 epileptischen Anfällen und/oder
autochthon als Auslöser einer ZNS-Infektion zu beobachten, demge- 4 qualitativer oder quantitativer Beeinträchtigung des Bewusst-
genüber sind v. a. bakterielle Erreger, aber auch Viren und Protozoen – seins
aufgrund der Veränderung der epidemiologischen Parameter, zuneh-
mendem Durchschnittsalter in Mitteleuropa, v. a. aber bei immer brei- . Tab. 113.1 präzisiert diese komplexe neurologische Symptomatik
ter eingesetzten immunmodulierenden und -supprimierenden Thera- in ihren Hauptkategorien.
pien (als prädisponierende Faktoren) – als Ursache von Eine detaillierte Außenanamnese ist essenziell, häufig mit An-
ZNS-Infektionen zu sehen. Letztlich verdient das Auftreten multiresis- gehörigen notwendig, da der Patient qualitativ oder quantitativ be-
tenter Keime als Auslöser einer »hospital-acquired meningitis«, »noso- wusstseinsverändert sein kann und pseudopsychotische Symptome
komialen Meningitis«, vermutlich aber auch – wie Einzelfälle vermuten oder neurologische Herdsymptome (z. B. Aphasie) zeigen kann.
lassen – im Sinne einer »nursing-home-acquired meningitis« Beach- Expositionsanamnese, Reiseanamnese in Endemiegebiete etc. sind
tung. Neben diesen Negativentwicklungen sind die Einführung neuer ebenso wichtig wie das Erfragen von vergleichbaren Erkrankungen
Impfstoffe, z. B. gegen Meningokokken B, berichtenswert; flächen- im Umfeld des Patienten. Auch berufliche Exposition, saisonales
deckende Impfkampagnen gegen Meningokokken A in Subsahara- Auftreten von Erkrankungen, Kontakt mit Wildtieren bzw. poten-
Afrika haben auch in dieser Region bereits zu einer markanten Redu- ziellen Reservoirtieren, Tierbisse sowie die präzise Erhebung und
zierung der potenziell tödlichen akuten Meningokokkenerkrankung Erfassung einer eventuellen Immunsuppression bzw. immunmodu-
geführt. lierenden Therapie (Zustand nach Transplantation, Kortisonthera-
pie, zytostatische oder immunmodulierende Therapie etc.) sind
Grundlage jeder Anamnese bei Verdacht auf Enzephalitis.
113.1 Virale (Meningo-)Enzephalitis Letztlich ist ein interdisziplinäres Herangehen notwendig. Haut-
veränderungen, Myokarditis, Hepatitis, Lymphadenitis etc. können
Die Involvierung des Zentralnervensystems (ZNS) ist grundsätzlich wegweisend für die Differenzialdiagnose sein.
eher eine seltene Manifestation einer viralen Infektion, wesentlich
häufiger als das Hirngewebe werden die Meningen betroffen.
Obwohl eine spezifische Therapie nur bei wenigen Viren, die eine
. Tab. 113.1 Hauptkategorien der neurologischen Symptomatik
Enzephalitis verursachen, verfügbar ist, ist eine frühestmögliche
einer Enzephalitis
Diagnose und die daraus sich eventuell ableitende antivirale The-
rapie sowie eine maximale supportive/symptomatische Therapie
Änderung im Verhalten – pseudopsychotische Symptomatik:
essenziell, um die bestmögliche Prognose zu erreichen. Desorientiertheit, Persönlichkeitsveränderungen, Agitation,
Halluzinationen
jDefinition
Eine Enzephalitis ist ein inflammatorischer Prozess im Hirnparen- Kognitive Dysfunktion: Störung der Sprache, Orientierung,
Koordination, Gedächtnis etc.
chym, der mit einer klinisch-neurologisch fassbaren Fehlfunktion
des Gehirns einhergeht. Sie kann nichtinfektiöser oder infektiöser Fokale neurologische Symptomatik, quantitative Bewusstseins-
Ursache sein, letztere ist typischerweise diffus und in den meisten störung (Somnolenz bis Koma)
Fällen virusbedingt. Die Enzephalitis muss außerdem von Enze- Fokale und/oder generalisierte epileptische Anfälle
phalopathien anderer Ursache (metabolische, hypoxische, septische
828 Kapitel 113 · Infektionen des ZNS

jDiagnose und Differenzialdiagnose Eine zerebrale Computertomografie wird nur als Screening-
Leukozytenzahl, Differenzialblutbild, C-reaktives Protein und Untersuchung durchgeführt, v. a. wenn eine akute MRT nicht zur
Procalcitonin sind wesentliche Parameter bei jedem Patienten mit Verfügung steht.
Fieber und Verdacht auf Meningoenzephalitis. Sie erlauben relativ
klar die Differenzierung einer viralen von einer akuten bakteriellen Lumbalpunktion Sie ist nach vorhergehender zerebraler Bildge-
Infektion. Einzige Ausnahme ist die akute HSV-1-Enzephalitis, weil bung essenziell. Der Liquor bei einer viralen Enzephalitis ist charak-
diese häufig mit einer deutlichen Leukozytose im peripheren Blut teristischerweise unspezifisch mit einer milden gemischtzelligen, im
einhergeht. Verlauf lymphozytären Pleozytose mit Eiweißerhöhung und norma-
Wesentliche unterstützende bzw. beweisende Untersuchungen lem Liquorzucker und Laktat. Ein hämorrhagisch nekrotisierender
sind EEG, zerebrale Bildgebung sowie Liquoruntersuchung inklu- Verlauf kann zum Nachweis von Erythro- und Siderophagen führen.
sive präziser virologischer, eventuell mikrobiologischer/molekular-
biologischer Untersuchung des Liquors und ggf. anderer Körperflüs- Mikrobiologische, virologische und molekularbiologische Unter-
sigkeiten (z. B. bei Verdacht auf Enterovirusinfektion: Stuhlunter- suchungen Früherer Goldstandard der Diagnose bei Verdacht auf
suchung). Enzephalitis ist die Virusisolation mittels Zellkultur. Moderne mo-
lekularbiologische Methoden, insbesondere PCR (7 s. u.), haben ihn
Elektroenzephalografie (EEG) Das EEG ist eine sensitive, aber jedoch im letzten Jahrzehnt weitestgehend ersetzt. Der Nachweis
unspezifische Untersuchungstechnik, im Einzelfall können relativ einer intrathekalen Antikörperproduktion (Antikörper gegen ein
Krankheitsbilder

typische EEG-Veränderungen erhoben werden. In der akuten Phase spezifisches Virus) hat einen vergleichbaren hohen Grad an Evi-
einer Enzephalitis ist der Schweregrad der EEG-Abnormalitäten denz, benötigt jedoch üblicherweise mehr Zeit (bis zu 2 Wochen
mit dem klinischen Verlauf und letztlich der Prognose korreliert. nach Beginn der Symptomatik).
Eine fehlende Erholung der EEG-Abnormalitäten zeigt eine ten- Eine Virusisolation aus Rachenspülflüssigkeit, Stuhl, Harn, gele-
denziell schlechte Prognose. Die EEG-Veränderungen erholen sich gentlich auch aus dem Blut (bei eindeutiger Virämie) sowie eine
üblicherweise deutlicher langsamer als die klinischen Symptome. Serokonversion (ausschließlich im Serum) gibt zwar einen Hinweis
Im EEG eines Patienten mit Herpes-simplex-1-Enzephalitis finden auf die mögliche Ätiologie, erlaubt jedoch nicht mit gleich starker
sichtypische periodische lateralisierte epileptiforme Entladungen Evidenz, den kausalen Beweis zu führen.
(PLED). Eine Hirnbiopsie ist bei einer akuten viralen Enzephalitis nur
Bei Verdacht auf Hirnstammenzephalitis finden sich häufig mehr selten notwendig, ggf. führt allerdings eine Hirnbiopsie bei
EEG-Veränderungen, die das beeinträchtige Bewusstsein widerspie- chronischen Enzephalitiden (subakute, sklerosierende Panenzepha-
geln, insgesamt jedoch im Vergleich zum klinischen Befund relativ litis, SSPE; progressive multifokale Leukenzephalopathie, PML) zur
milde Veränderungen zeigen. Diagnose.
Die Polymerasekettenreaktion (PCR) steht für HSV-1, HSV-2,
Zerebrale Bildgebung/Neuroimaging Mittel der Wahl der bildge- VZV, HHV-6 und -7, CMV, EBV, JCV, Enteroviren, HIV und Den-
benden Untersuchung bei Verdacht auf virale Enzephalitis ist eine gue-Viren zur Verfügung und kann sowohl im Liquor als auch im
Magnetresonanztomografie (MRT). Das MRT-Protokoll sollte Hirngewebe angewandt werden. Bei einer Herpes-simplex-Enze-
Routine-T1- und -T2-Sequenzen sowie Flair-Sequenzen beinhalten. phalitis beträgt die Sensitivität der PCR 96 % und die Spezifität 99 %,
Gradientenecho-Imaging kann kleine Areale einer hämorrhagi- wenn der Liquor innerhalb von 2–10 Tagen nach Beginn der neuro-
schen Transformierung frühzeitig darstellen. In spezifischen Fällen logischen Symptomatik gewonnen wurde. Multiplex-PCR-Techni-
kann die Magnetresonanztomografie bereits konkrete Erregerhin- ken sowie Echtzeit-PCR sind als Alternative zu den Einzel-PCR-
weise liefern (. Tab. 113.2). Tests verfügbar, sie haben das Potenzial einer nützlichen diagnosti-
schen Screeningtechnik.

Serologie Eine serologische Aufarbeitung des Liquor cerebrospina-


. Tab. 113.2 »Erregerspezifische« neuroradiologische Befunde
(MRT) bei Enzephalitiden lis (dabei Liquor- und Serumproben parallel abnehmen!) ist durch-
aus von Nutzen, wenngleich der »klassische Titeranstieg« für die
EnzephalitisErreger MRT-Befund therapeutische Entscheidung viel zu spät kommt. Aus epidemiologi-
schen und gesundheitspolitischen Gründen ist jedoch zu versuchen,
HSV-1 Marklagerläsionen (temporale unter allen Umständen auch post hoc die Diagnose zu sichern.
und/oder frontobasale)

Arboviren: Differenzialdiagnose Neben akuten bakteriellen Meningoenze-


phalitiden sind nicht- bzw. postinfektiöse Ursachen in die Diffe-
– FSME, Japanische Enzephalitis, asymmetrischer Stamm- renzialdiagnose eines Patienten mit Verdacht auf Meningoenzepha-
West-Nil-Nirus ganglienbefall
litis einzubeziehen (. Tab. 113.3; Daten von Steiner et al. 2010), z. B.
– Japanische Enzephalitis, thalamische Herde akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM), ZNS-Vaskuli-
West-Nil-Virus tis, Pseudomigräne mit Pleozytose etc. Bei Patienten mit einer Reise-
Enterovirus 71 T2-gewichtete hyperintense
anamnese – diese umfasst nicht nur tropische Länder (z. B. West-
Läsionen in Nucleus dentatus, Nil-Virus, USA; Sandfliegenfieber, Toskana) –, sind auch spezifische
Zerebellum und Hirnstamm regionale Erkrankungen miteinzubeziehen.
JC-Polyomavirus (= Humanes multiple Marklagerläsionen jAntivirale Therapie
Polyomavirus 2) Erreger der PML
Herpes-simplex-Enzephalitis (HSE) Aciclovir ist das antivirale
PML, progressive multifokale Leukoenzephalopathie Therapeutikum der 1. Wahl bei Verdacht auf Herpes-simplex-Enze-
phalitis (HSV-1 beim Erwachsenen, HSV-2 beim Neugeborenen).
113.1 · Virale (Meningo-)Enzephalitis
829 113

. Tab. 113.3 Differenzialdiagnosen der Enzephalitis

Ursache Erkrankung

Infektiös bakterielle ZNS-Infektionen – bakterielle Meningitis


– Tuberkulose
– Hirnabszess
– Typhus (Salmonellose)
– parameningeale Infektionen
– Lyme-Erkrankung
– Syphilis
– Rückfallfieber
– Leptospirose
– Mycoplasma pneumoniae-Infektion
– Listeriose
– Brucellose
– subakute bakterielle Endokarditis
– Morbus Whipple
– Nocardiose
– Aktinomykose
Rickettsien – Felsengebirgsfleckfieber
– Flecktyphus
– Q-Fieber
– Ehrlichiose, Anaplasmose
– Katzenkratzkrankheit
Pilze – Candidose
– Kryptokokkose
– Kokzidioidomykose
– Histoplasmose
– Nordamerikanische Blastomykose
parasitär – zerebrale Malaria
– Toxoplasmose
– Trypanosomiasis
– Amöbiasis
– Zystizerkose
– Echinokokkose
– Trichinose
– Baylisascaris procyonis-Infektion
para-/postinfektiös – virale Erkrankungen mit febrilen Konvulsionen
– akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM)
– Bickerstaff-Enzephalitis
Nichtinfektiös vaskulär – Vaskulitis
– systemischer Lupus erythematodes (SLE)
– subarachnoidale und/oder subdurale Blutung
– Hirninfarkt
– Morbus Behçet
neoplastisch – primärer Hirntumor
– Metastasen
– paraneoplastische limbische Enzephalitis
metabolisch – hepatische Enzephalopathie
– renale Enzephalopathie
– Hypo-/Hyperglykämie
– Schilddrüsenfehlfunktion
– Reye-Syndrom
toxische Enzephalopathie – Alkohol
– Medikamente
– Drogen
– medikamentös bedingte Meningoenzephalitis (nichtsteroidale Antirheumatika,
bestimmte Antibiotika, i .v. Immunglobuline [ivIG] etc.)
andere – limbische Enzephalitis
– NMDA-Rezeptor-assoziierte Enzephalitis
– mit spannungsabhängigem Kaliumkanal assoziierte Enzephalitis
– steroidresponsive Enzephalopathie assoziiert mit Autoimmunthyreoiditis (SREAT)
– epileptische Anfälle
– nichtsomatische, psychosomatische Zustände (Hysterie etc.)
830 Kapitel 113 · Infektionen des ZNS

Die Standarddosis ist 10 (–15) mg/kg KG i. v., alle (6–)8 h, die Dauer Hepatitis erfordert ebenfalls den vorsichtigen Umgang mit poten-
der Therapie beträgt 14 Tage. Die Dosis kann bis auf 60 mg/kg KG ziell hepatotoxischen Substanzen (z. B. Valproinsäure).
pro Tag erhöht werden, eine Dosis, die auch bei der neonatalen HSV- Autoimmunenzephalitiden stellen zunehmend mehr wichtige
2-Enzephalitis empfohlen wird. Bei immunologisch nichtkompeten- behandlungsbedürftige und behandlungsmögliche Differenzialdia-
ten Menschen sollte die Dauer der Therapie auf 21 Tage ausgedehnt gnosen dar (. Tab. 113.3). Frühes Erkennen, systemische und allge-
werden. mein intensivmedizinische Betreuung sowie Hochdosis-Kortikoste-
Eine Aciclovirtherapie ist beim geringsten Verdacht auf eine roide, 7S-Immunglobuline oder Plasmapherese und symptomati-
Herpes-simplex-Enzephalitis sofort zu beginnen. Ohne antivirale sche Therapie der massiven potenziell lebensbedrohlichen Unruhe-
Therapie hat die HSV-1-Enzephalitis eine Sterblichkeit von 70 % und bewegungen sind Grundlage einer relativ guten Prognose dieser
eine Morbidität von fast 30 %. Ohne antivirale Therapie überlebt also Autoimmunenzephalitiden.
kaum ein Patient, ohne dass er neurologische Langzeitfolgen davon-
trägt!
Die frühzeitige Initiierung einer Aciclovirtherapie reduziert die 113.2 Akute bakterielle Meningitis
Sterblichkeit auf < 20 %. Höheres Lebensalter sowie initial (zum Zeit-
punkt des Therapiebeginns) bereits bestehende Bewusstseinsstörun- Eine akute bakterielle Meningitis ist ein medizinischer Notfall und
gen sind prognostisch schlechte Prädiktoren. Bei entsprechend kli- muss in kürzester Zeit diagnostisch geklärt und antibiotisch behan-
nisch günstigem Verlauf und negativer Herpes-simplex-Virus-PCR delt werden. Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken) und
Krankheitsbilder

kann die initial begonnene Aciclovirtherapie nach wenigen Tagen Neisseria meningitidis (Meningokokken) sind die häufigsten Erre-
abgesetzt werden. Das Nebenwirkungsspektrum von Aciclovir ist ger der bakteriellen Hirnhautentzündung. Diese ist eine lebensbe-
insbesondere in den ersten Tagen vernachlässigbar gering. drohliche Erkrankung (bis zu 30 % Letalität). Überlebende leiden
Es gibt Einzelfallberichte über aciclovirresistente HSV-Infektio- häufig an neurologischen und neuropsychologischen Defiziten. Eine
nen bei Immunkompromittierten. Alternativ zum Aciclovir wird rasche Behandlung und eine kompetente spezialisierte Intensivme-
Foscarnet verwendet (60 mg/kg KG i. v. über 1 h infundiert, alle 8 h, dizin können die Prognose deutlich verbessern.
Dauer mindestens 3 Wochen).
jDefinition
Andere virale Enzephalitiden Eine CMV-Enzephalitis (üblicherwei- Unter Meningitis versteht man eine Entzündung der weichen Hirn-
se beim immunologisch Inkompetenten) wird mit Ganciclovir häute, die mit der Ausbreitung des (bakteriellen) Erregers im Liquor,
(5 mg/kg KG, alle 12 h i. v.), eventuell mit Foscarnet (s. o.) kombi- im Ventrikelsystem und im Spinalkanal verbunden ist. Häufig betrifft
niert therapiert. die Entzündung auch das Hirnparenchym (Zerebritis, Hirnabszess).
Die derzeit empfohlene Therapie für eine HHV-6-Enzephalitis
ist Foscarnet (Dosis s. o.), eventuell Ganciclovir (Dosis s. o., nur für jEpidemiologie und klinische Bedeutung
die B-Variante der HHV-6-Enzephalitis überprüft). Die Inzidenz der bakteriellen Meningitis beträgt 1 bis > 12/100.000
Antivirale Therapeutika stehen für enterovirale oder arbovirale pro Jahr, mit erheblichen regionalen Unterschieden.
Enzephalitiden derzeit nicht zur Verfügung. Einzelfallberichte exis- Das Risiko, an einer Meningitis zu erkranken, ist besonders hoch
tieren über erfolgreiche Therapie mit Oseltamivir sowie Rimantadine bei unter 5- und über 60-Jährigen, sowie bei Patienten mit prädispo-
bei Verdacht auf H1N1-assoziierte Enzephalitis. nierenden Faktoren wie Splenektomie, Diabetes mellitus, Alkohol-
erkrankung oder bei Neoplasien.
jAdjuvante/supportive Therapien Durch erfolgreiche Impfprogramme hat sich eine Veränderung
Jeder Patient mit der klinischen Symptomatik einer Enzephalitis der Epidemiologie ergeben. Der früher wichtige Erreger Haemophi-
muss monitorisiert werden, d. h., er ist überwachungs- oder inten- lus influenzae Typ B im Kindesalter ist in Europa nun extrem selten.
sivtherapiepflichtig. Neuerdings beobachtet man durch den Einsatz konjugierter Pneu-
Frühzeitiges Erkennen einer Hirndrucksymptomatik, einer mokokkenimpfstoffe auch einen Rückgang der Pneumokokkener-
Ateminsuffizienz etc. ist bei intensivmedizinischem Monitoring am krankung. Die häufigsten Erreger im Kindes- und Erwachsenenalter
ehesten gewährleistet. Fulminante Enzephalitiden führen zur Erhö- sind Pneumo- und Meningokokken sowie deutlich seltener Listerien
hung des Hirndruckes, das Management entspricht den gängigen (ca. 5 %), bei Neugeborenen Gruppe-B-Streptokokken und Koli-
Methoden (Oberkörperhochlagerung, vorsichtige kurzfristige Hy- bakterien. Meningokokken sind die bedeutendsten Erreger im tro-
perventilation, Osmotherapie). Im Einzelfall konnte eine dekom- pischen Afrika, sind aber auch wichtig in Europa und USA.
pressive Kraniotomie bei massivem Hirnödem im Rahmen einer Weltweit gibt es ungefähr 300.000 Erkrankungen pro Jahr, etwa
Enzephalitis nicht nur das Überleben, sondern sogar ein qualitativ 20.000 Patienten versterben. Die höchste Inzidenz wird im »Menin-
gutes Überleben sichern. gitisgürtel« südlich der Sahara mit zyklischen Epidemien beobach-
Kortikosteroide werden derzeit nicht empfohlen, wenngleich in tet, wenngleich die Einführung flächendeckender Impfprogramme
Einzelfallberichten eine Methylprednisolon-Hochdosistherapie bei die Inzidenz von H. influenzae B und Meningokokken-Serotyp-A-
Enzephalitiden als durchaus erfolgreich beschrieben wurde. Der Meningitis deutlich senken konnte. Ein bedeutendes Problem in
Nutzen einer adjuvanten Dexamethasontherapie bei HSV-1-Enze- einzelnen Regionen ist die zunehmende Resistenz von Pneumo-
phalitis ist bisher nicht erwiesen. kokken gegen β-Laktam-Antibiotika. Bei in Mitteleuropa ambulant
Epileptische Anfälle sind intensivmedizinisch (Analgosedie- erworbenen Pneumokokken und bei Meningokokken (weltweit)
rung mit Propofol, Midazolam etc.) keine echte Herausforderung. besteht heute noch kein relevantes Resistenzproblem.
Sie sollten jedoch, insbesondere bei Auftreten in Serien antikonvul-
siv therapiert werden. Die atemdepressive Wirkung von Benzodia- jPathogenese und Klinik
zepinen bzw. die potenziell arrhythmogene Wirkung von Phenytoin Vermutlich ist eine Bakteriämie Voraussetzung für die bakterielle Pe-
(im Rahmen einer Virämie kommt es gelegentlich zu einer Begleit- netration der Blut-Hirn-Schranke. Auch lokales Eindringen, z. B. aus
myokarditis!) muss dabei berücksichtigt werden. Eine begleitende ZNS-nahen Infektionen (Sinusitis, Otitis, Mastoiditis), ist möglich.
113.2 · Akute bakterielle Meningitis
831 113
oder einer septischen Hirnvenen-/Sinusthrombose, selten Abszedie-
rungen. Wichtig ist die bildgebende Erfassung möglicher Ursachen,
wie Sinusitis, Mastoiditis und anderer knöcherner Defekte als Ein-
trittspforte (Knochenfensterdarstellung ist essenziell). Das MRT
bringt in der Akutdiagnostik keine Vorteile gegenüber einem CT
und verzögert den diagnostischen Ablauf.
Im Liquor findet sich eine Erhöhung der Zellzahl auf über 1000/
μl mit > 90 % neutrophilen Granulozyten. In sehr frühen Erkran-
kungsphasen kann die Zellzahl unter 100/μl liegen. Bereits die ein-
malige Gabe eines Antibiotikums verändert die Zusammensetzung
der Liquorpleozytose bei Zunahme des lymphozytären Anteils.
Auch durch Listerien und Mykobakterien hervorgerufene akute
Meningitiden präsentieren sich mit einer gemischten Pleozytose und
Zellzahlen unter 350/μl.
In deutlich über 50 % findet sich ein massiv erniedrigtes Liquor-
Serum-Glukose-Verhältnis < 0,3. Eine Laktatkonzentration
. Abb. 113.1 Waterhouse-Friderichsen-Syndrom: fulminante Meningo- > 3,5 mmol/l hat einen vergleichbar hohen diagnostischen Stellen-
kokkensepsis wert und ist in 90 % mit einer bakteriellen Meningitis assoziiert.

Labor und Mikrobiologie Eine Leukozytose mit einer Linksver-


Die initialen klinischen Zeichen der bakteriellen Meningitis sind schiebung dominiert das Blutbild. Ein normales C-reaktives Protein
unspezifisch. Die Patienten präsentieren sich mit Fieber, allgemei- schließt eine bakterielle Meningitis nahezu aus. Die Wertigkeit von
nem Krankheitsgefühl sowie Kopfschmerzen und entwickeln dann, Procalcitonin (> 0,5 ng/ml) ist für die frühe Diagnose und den Ver-
oft sehr rasch, ein meningeales Syndrom mit Meningismus lauf der bakteriellen Meningitis unklar, allerdings zur Erfassung
(Nackensteifigkeit), Fotophobie, Phonophobie und Erbrechen. einer bakteriellen Sepsis gut geeignet.
Kopfschmerz und Meningismus sind Zeichen der entzündlichen 4 Liquorkultur/Grampräparat, Blutkultur: Bei nicht anbehan-
Irritation trigeminaler sensorischer Nervenfasern, welche die Me- delten Patienten ist im Grampräparat des Liquors bei 70–90 %
ningen innervieren. der Erregernachweis möglich. Der Erregernachweis aus der
Der Meningismus kann in der frühen Phase der Erkrankung, bei Liquorkultur gelingt bei optimalem Probenhandling in etwa
tief komatösen Patienten, sehr kleinen Kindern und sehr alten Pa- 80 %. Blutkulturen sind in bis zu 70 % positiv. Die Erregerkul-
tienten fehlen. Cave: Die klassische Trias aus Fieber, Nackensteifig- tur erlaubt die Resistenztestung.
keit und quantitativer Bewusstseinsstörung ist nur etwa bei jedem 4 Agglutinationsschnelltests: Damit können Antigene der
zweiten Patienten mit nachgewiesener bakterieller Meningitis vor- häufigen Meningitiserreger mit hoher Spezifität, allerdings mit
handen! Ein Drittel der Patienten entwickelt fokal neurologische niedriger Sensitivität rasch nachgewiesen werden. Die Tests
Zeichen und/oder epileptische Anfälle. Zwei Drittel haben eine ge- sind in der klinischen Routine von untergeordneter Bedeu-
störte Bewusstseinslage, diese kann sowohl qualitativ (verwirrt, de- tung.
lirant etc.) als auch quantitativ (Somnolenz bis Koma) gestört sein. 4 PCR: Sie hat beim Nachweis bakterieller Erkrankungen, ins-
Wichtig ist die rasche Inspektion der Haut und Schleimhäute. besondere bei den relevanten Erregern wie Pneumokokken,
Petechiale Blutungen sprechen für eine Meningokokkenerkrankung, Meningokokken und Listerien nur eine untergeordnete Bedeu-
die fulminant als Sepsis mit Schock und disseminierter intravasku- tung. Die molekularen Techniken eignen sich zum Nachweis
lärer Gerinnungsstörung (Purpura fulminans – Waterhouse-Fride- von Meningokokken, haben aber für die akute Diagnostik der
richsen-Syndrom, . Abb. 113.1 sowie . Abb. 111.5) verlaufen kann bakteriellen Meningitis keinen Wert.
(7 Kap. 111). In Deutschland müssen Patienten mit Verdacht auf
Meningokokkenmeningitis 24 h isoliert werden (www.rki.de). jTherapie
Eine Meningitis kann selten eine wegweisende Manifestation Die empirische antibiotische Therapie muss dringlich nach Liquor-
einer bakteriellen Endokarditis sein, insbesondere dann, wenn un- punktion bzw., wenn nötig, bereits vor dieser begonnen werden. In
typische Erreger, wie z. B. S. aureus im Liquor isoliert werden. Selten den meisten Fällen muss initial daher die Erregerwahrscheinlichkeit
wird eine Pneumokokkenmeningitis, eine Endokarditis und eine kalkuliert behandelt werden (. Tab. 113.4). Nach Erregernachweis
Pneumonie gleichzeitig als Austrian-Syndrom diagnostiziert. und Antibiogramm ist eine entsprechende Therapiemodifikation
anzustreben.
jDiagnostisches Vorgehen
Bei klinischem Verdacht darf die Durchführung einer kraniellen Adjuvante Therapie Dexamethason reduziert bei europäischen
Computertomografie (cCT) zur Reduktion des Herniationrisikos Patienten, die älter als 55 Jahre sind, Mortalität und Morbidität
durch Hirndruck (bei der Lumbalpunktion [LP]) die Therapie nicht (4× 10 mg täglich an den ersten 4 Erkrankungstagen). Dieser Korti-
verzögern. Cave: Jede Beeinträchtigung der Bewusstseinslage und soneffekt ist nur bei der Pneumokokkenätiologie zu sehen. Anzu-
eine neurologische Herdsymptomatik verbieten eine LP! Bei Zeichen streben ist die Verabreichung vor oder zeitgleich mit der 1. Dosis der
einer Sepsis oder bei petechialen Hautblutungen muss ebenfalls nach antibiotischen Therapie.
Abnahme einer Blutkultur sofort, d. h. vor LP und CT, mit der anti- Wichtig sind Allgemeinmaßnahmen wie eine 30°-Kopfhoch-
biotischen Therapie begonnen werden! lagerung, Analgosedierung, Verabreichung antikonvulsiver Medika-
In der kraniellen Bildgebung zeigen sich bei bis zu 15 % frühe mente bei symptomatischen fokalen epileptischen Anfällen, Fieber-
intrakranielle Komplikationen wie Hydro-/Pyozephalus und senkung, Optimierung des Stoffwechsels (Glukose etc.) und der
Hirnödem, selten hypodense Läsionen als Ausdruck einer Vaskulitis Oxygenierung. Insbesondere das Management von Komplikationen
832 Kapitel 113 · Infektionen des ZNS

. Tab. 113.4 Kalkulierte Antibiotikatherapie bei eitriger Meningitis in Mitteleuropa

Patientenalter, Vorgeschichte Wahrscheinlichste Erreger Empfohlene Substanz(en)

Neugeborenes < 1 Monat gramnegative Stäbchen, Streptokokken der Gruppe B Cefotaxim (Cephalosporin der Gruppe 3a)
+ Ampicillin

Patient bisher gesund, 1 Monat bis Meningo-, Pneumokokken Ceftriaxon (Cephalosporin der Gruppe 3a)
6 Jahre alt

Patient bisher gesund, > 6 Jahre alt Pneumokokken*, Meningokokken, Listerien, aerobe Ceftriaxon (Cephalosporin der Gruppe 3a)
Streptokokken (H. influenzae) + Ampicillin

Shunt-Infektion Vancomycin + Meronem; alternativ Ceftazidim

* In Regionen mit hohem Anteil penicillinresistenter Pneumokokken (Teile Südeuropas, Südafrika, Teile Nord- und Südamerikas etc.)

bedarf spezialisierter neurologischer Intensivmedizin. Eine kontinu- ner. In den meisten Studien überwiegen männliche Patienten. Die
Krankheitsbilder

ierliche Osmotherapie (Mannit, Glyzerol) wird in der Akutphase der Inkubationszeit variiert beträchtlich; meist beträgt sie 1–2 Wochen
akuten bakteriellen Meningitis nicht empfohlen und trägt mögli- nach Infektion durch das Pathogen. Nach einem Trauma kann ein
cherweise zur Verschlechterung der Prognose bei. Ein hirndruckba- Hirnabszess aber auch erst nach Monaten oder Jahren entstehen.
siertes neurointensivmedizinisches Management konnte in einer
prospektiven randomisierten Studie als signifikant Prognose verbes- jPathogenese
sernd gezeigt werden. Im Zentrum des Entzündungsherds kommt es zur Gewebeein-
schmelzung; in der Folge entsteht eine Abszesshöhle, die mit der Zeit
Behandlungsverlauf, Komplikationen und Prognose Der Be- eine Abszesskapsel ausbildet. Durch den Druck des Abszesses auf das
handlungserfolg äußert sich meist in einer raschen klinischen Bes- umgebende Gewebe sowie infolge der Entzündungsreaktion bildet
serung des Patienten. Eine Liquorpunktion nach 24–48 h ist sinn- sich in der Umgebung des Abszesses ein Ödem. Dieses kann wesent-
voll, um die Erregerelimination zu beweisen. Bei persistierendem lich größer als der Abszess selber sein, auf umgebende Strukturen
Erregernachweis ist je nach gewonnenem Antibiogramm rasch ein wirken und damit für die Symptomatik hauptverantwortlich sein.
Wechsel des Antibiotikums anzustreben. Bei unkompliziertem Be- Hirnabszesse treten in 70–90 % singulär auf. Die häufigste Loka-
handlungsverlauf dauert die Therapie 1 Woche bei Meningokokken, lisation ist der Frontallappen, gefolgt vom Temporallappen.
2 Wochen bei Pneumokokken und 3 Wochen bei Listerien, Staphy-
lokokken und gramnegativen Enterobakterien. Ursachen, Entstehungswege, Erregerspektrum Die Erreger eines
Eine persistierende, mäßiggradige Schrankenstörung kann bei Hirnabszesses können das Hirngewebe als Folge einer hämatogenen
Patienten nach akuter ZNS-Infektion für einige Wochen bestehen Keimverschleppung oder ausgehend von Nachbarschaftsprozessen
und ist kein Hinweis auf ein Therapieversagen. Bei entsprechender (per continuitatem) erreichen. Von einer Otitis media, Mastoiditis,
klinischer Besserung ist eine Liquoruntersuchung im späteren Ver- dentogenen Herden oder einer Sinusitis ausgehend kann der ent-
lauf oder vor Absetzen der Antibiose nicht sinnvoll. zündliche Prozess auf das Hirngewebe übergreifen. Solche fortgelei-
Zur schlechten Prognose tragen intrakranielle Komplikationen teten Hirnabszesse finden sich vorwiegend im Stirn- und Schläfen-
wie Hirnödem, Hydrozephalus, vaskuläre Komplikationen (Arterii- lappen.
tis, Autoregulationsstörung, Sinusthrombose) und systemische Bei offenem Schädel-Hirn-Trauma (posttraumatisch) oder nach
Komplikationen wie septischer Schock, Verbrauchskoagulopathie, neurochirurgischen Eingriffen (postoperativ) können Erreger aber
Lungenversagen (ARDS) sowie inadäquate ADH-Sekretion bei. Die auch direkt nach intrakraniell gelangt sein. Liegen versprengte
Mortalität der bakteriellen Meningitis beträgt 5–35 %; bis zu 50 % Fremdkörper (posttraumatisch, postoperativ) vor, können sie über-
der Überlebenden kehren nicht an ihren Arbeitsplatz zurück. all entstehen, auch in der Tiefe.
Prognostische Faktoren sind der auslösende Erreger, höheres Etwa 30–60 % werden aus einer in der Umgebung liegenden In-
Lebensalter, Verlaufsformen, die sich durch eine geringe Zellzahl bei fektion fortgeleitet, 20–30 % sind (post)traumatisch bedingt und
einer sehr hohen Bakteriendichte im Liquor zeigen, insbesondere 10–20 % entstehen hämatogen. Bei 10–30 % der Betroffenen lässt
aber ein verzögerter Behandlungsbeginn. sich je nach untersuchter Kohorte die Ursache des Hirnabszesses
nicht bestimmen. . Tab. 113.5 fasst die Ursachen für die Entstehung
eines Hirnabszesses zusammen.
113.3 Hirnabszess Die verursachenden Erreger variieren je nach Grunderkran-
kung. Häufigste Erreger sind Streptokokken, Bacteroides spp. und
jDefinition Staphylokokken.
Der Hirnabszess ist eine lokal begrenzte Infektion des Hirngewebes, Für jeden Infektionsweg gibt es typische Erregerkeime: beim
die zunächst als fokale Enzephalitis beginnt und die sich im weiteren otogenen Abszess Bacteroides, Streptokokken und Proteus, bei der
Verlauf langsam zu einer Eiteransammlung mit einer bindegewebi- Sinusitis Strepto- und Staphylokokken und beim posttraumatischen
gen Kapsel entwickelt. und postoperativen Abszess Staphylokokken, eventuell gramnegati-
ve Stäbchen. Daher müssen die Grundkrankheiten und Infektions-
jEpidemiologie wege in die Überlegungen zur empirischen Therapie einfließen.
Die jährliche Inzidenz des Hirnabszesses, der in jedem Lebensalter Typisch für den Hirnabszess sind v. a. jedoch Mischinfektionen
vorkommen kann, beträgt zwischen 0,3 und 3 pro 100.000 Einwoh- aus aeroben und anaeroben Bakterien. Bei ungeeigneter Aufarbei-
113.3 · Hirnabszess
833 113

. Tab. 113.5 Entstehung eines Hirnabszesses . Tab. 113.7 Differenzialdiagnosen bei Hirnabszess

Hämatogen (oft multipel) Hirneigener Tumor

Direkte Fortleitung: hämatogen Metastase

Direkt Fortleitung: nichthämatogen: Parasitose


– otogen (Otitis, Mastoiditis) Hämatom in Resorption
– paranasal (Sinusitis) Subakuter Infarkt (im Stadium der Luxusperfusion)
– Osteomyelitis
– retrobulbärer Abszess
– Furunkel, septische Thrombophlebitis jDiagnostisches Vorgehen
C-reaktives Protein ist bei 70–90 % der Patienten erhöht, andere Ent-
Meningitis
zündungsparameter wie eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit
Traumatisch (Schädelbasisfraktur) oder Leukozytose fehlen häufig.
Postoperativ Die Liquorveränderungen sind unspezifisch (leichte bismäßige
Pleozytose, Proteinerhöhung). Nur sehr selten sind beim Hirn-
Eventuell begünstigt durch Immunsuppression
abszess im Liquor Erreger nachweisbar. Bei raumfordernden Abszes-
sen ist die Lumbalpunktion wegen der Gefahr der Herniation
kontraindiziert.
Die kranielle Bildgebung (CT oder MRT) mit Applikation von
. Tab. 113.6 Symptomatik bei Hirnabszess. Cave: Diese ist oft Kontrastmittel (KM) ist der goldene diagnostische Standard; ein
unspezifisch! Leukozytose, BSG-Erhöhung und Fieber sind nicht
Abszess kann aber differenzialdiagnostisch schwer von anderen
obligat!
Läsionen wie z. B. Metastasen, Hirntumoren oder Strahlennekrosen
zu unterscheiden sein (. Tab. 113.7). Die KM-Applikation gibt
Abgeschlagenheit
Anhaltspunkte für das Alter des Prozesses. 4 Stadien der Abszess-
Fieber entwicklung werden unterschieden:
Kopfschmerzen 1. Die frühe »Zerebritis« zeigt sich als unscharf begrenzte Hypo-
densität ohne KM-Anreicherung.
Übelkeit und Erbrechen (Zeichen einer Druckerhöhung im Schädel) 2. Die späte »Zerebritis« ist eine Hypodensität mit zentraler flauer
Bewusstseinsstörungen KM-Anreicherung.
3. Die frühe Kapselbildung ist gekennzeichnet durch eine scharf
Fokale neurologische Ausfälle
begrenzte, ringförmige KM-Anreicherung.
Epileptische Anfälle 4. Bei der späten Kapselbildung ist die Kapsel bereits im Nativ-
Foudroyanter Verlauf bei Ventrikeleinbruch oder diffuser Zerebritis
CT als flaue Hyperdensität mit zentraler Hypodensität sichtbar.
Nach KM-Gabe zeigt sich eine scharf begrenzte ringförmige
Anreicherung in der Kapsel (. Abb. 113.2).

tung des entnommenen Abszessinhalts wird die Häufigkeit von In- jTherapie
fektionen mit Anaerobiern bzw. aeroben/anaeroben Mischinfektio- Das therapeutische Vorgehen bei nachgewiesenem oder vermutetem
nen unterschätzt. Hirnabszess wird bis heute kontrovers diskutiert. Die Sanierung ei-
Bei immunkompromittierten Patienten können Hirnabszesse nes eventuell bestehenden Fokus soll möglichst früh erfolgen, d. h.
auch durch völlig andere Erreger, z. B. Nocardien, Pilze sowie Myko- unmittelbar vor oder nach dem operativen Angehen des zerebralen
bakterien verursacht werden. Liegt eine entsprechende Reise- oder Herdes. Auch hierbei muss Material für die Erregeridentifikation
Expositionsanamnese vor, können in seltenen Fällen auch Protozoen asserviert werden.
(z. B. freilebende Amöben) einen Hirnabszess verursachen. Die Therapie ist in der Regel kombiniert operativ (Abszessaspi-
ration oder offenes neurochirurgisches Vorgehen) und antibiotisch.
jKlinik Gelingt kein Erregernachweis, richtet sich die antibiotische Therapie
Die klinische Symptomatik des Hirnabszesses wird durch seine nach der Ursache bzw. der Eintrittspforte. Eine alleinige Antibioti-
Lokalisation und Größe, die Anzahl der Läsionen, die Virulenz der katherapie zur Abszessbehandlung ist gerechtfertigt, wenn multiple,
Erreger, das Alter des Patienten und dessen Immunstatus bestimmt tief gelegene und/oder kleine Abszesse (Durchmesser deutlich
und ist anfänglich oft unspezifisch (. Tab. 113.6). < 3 cm) vorliegen.
Häufigstes klinisches Symptom ist Kopfschmerz (ca. 80 %), nicht Bei ambulant erworbenem Hirnabszess und unbekanntem
selten vergesellschaftet mit Übelkeit und Erbrechen, Zeichen für den Erreger wird als empirische antibiotische Therapie die hochdosierte
erhöhten intrakraniellen Druck. Bei 25–35 % ist die Symptomatik mit Gabe eines Cephalosporins der 3. Generation kombiniert mit Metro-
dem Auftreten fokaler oder generalisierter epileptischer Anfälle ver- nidazol und einem gut gegen Staphylokokken wirksamen Antibioti-
bunden. Höheres Fieber ist nur in 50 % vorhanden. Bewusstseinsstö- kum (z. B. Flucloxacillin, Rifampicin, Fosfomycin oder Vancomycin)
rungen und/oder neurologische Herdsymptome wie Hemiparese, empfohlen. Bei postoperativen bzw. posttraumatischen Abszes-
Sprach- oder Sehstörungen treten bei 30–60 % der Kranken auf. Be- sen wird als empirische Therapie ebenfalls ein Cephalosporin der
wusstseinsstörungen sind der stärkste Prädiktor für schlechtes Out- 3. Generation plus Metronidazol plus Vancomycin (alternativ Fosfo-
come bzw. erhöhte Mortalität. mycin oder Linezolid) empfohlen.
834 Kapitel 113 · Infektionen des ZNS
Krankheitsbilder

a b

c d

. Abb. 113.2a–d MRT bei Hirnabszess. a T1 ohne Kontrastmittel (KM), b Diffusionsgewichtung, c T1 mit KM, d T2-Gewichtung (mit freundl. Genehmigung
von Gabriele Wurm, Wagner Jauregg KH, Linz, Österreich)

Die Antibiotikatherapie des Hirnabszesses erstreckt sich über Fremdkörper bzw. Knochensplitter befinden, Abszesse mit fester
mindestens 4–8 Wochen, je nach klinischem und bildgebendem Konsistenz (Pilz-, Mykobakterien- oder Actinomyces-Genese) vor-
Verlauf, Abszesslage und -größe sowie Art des chirurgischen Vor- liegen oder eine massive intrakranielle Raumforderung besteht.
gehens. Die Fokussuche schließt Inspektion der Mundhöhle, Erhebung
Für die Erregeridentifikation sind Blutkulturen sowie die rasche des Zahnstatus, Untersuchung von Rachen und Gehörgang sowie
Gewinnung von Abszessinhalt durch Punktion, Drainage oder Abs- CT-Aufnahmen von Schädelbasis, Nasennebenhöhlen, Mastoid und
zessexzision entscheidend, möglichst vor Beginn der 1. Antibiotika- Mittelohr ein. Bei Verdacht auf einen von einer Infektion der Umge-
gabe. bung fortgeleiteten Abszess sollte die Fokussuche im Vorfeld des
Cave: Es ist beim Hirnabszess nicht zulässig, nur den in der Blut- neurochirurgischen Eingriffs erfolgen, um eine gleichzeitige opera-
kultur nachgewiesenen Erreger zu therapieren. Bei Mischinfektio- tive Sanierung von Fokus und Abszess zu ermöglichen. Sind Nach-
nen lassen sich insbesondere Anaerobier aus der Blutkultur oft nicht barschaftsprozesse ausgeschlossen, muss an einen kardialen, pulmo-
anzüchten. nalen, kutanen oder ossären Primärherd gedacht und müssen ent-
Für Patienten mit solitären Abszessen, die erfolgreich punktiert sprechende Zusatzuntersuchungen durchgeführt werden.
oder exzidiert wurden, sind CT- bzw. MR-Kontrollen alle 1–2 Wo- . Tab. 113.8 fasst die Therapieoptionen bei Hirnabszess kurz zu-
chen ausreichend. Eine verzögerte Rückbildung der Kontrastmit- sammen.
telanreicherung der in situ verbliebenen Abszesskapsel ist normal
und kein Hinweis auf ein drohendes Rezidiv. jVerlauf und Prognose
Die Abszessexzision mit Entfernung der Kapsel ist dann indi- Bevor Antibiotika eingeführt wurden, war ein Hirnabszess fast im-
ziert, wenn der Abszess gekammert ist, oder sich im Abszessbereich mer tödlich. Die Möglichkeiten der antibiotischen Therapie und
113.4 · Chronische Meningitis
835 113

. Tab. 113.8 Therapieoptionen bei Hirnabszess . Tab. 113.9 Wichtige Ursachen einer chronischen Meningitis

Rein konservativ (= Antibiose) Nichtinfektiös Meningeosis carcinomatosa


Meningeosis lymphomatosa/primäres
Antibiose und Drainage
ZNS-Lymphom
Antibiose und Exstirpation Sarkoidose
systemischer Lupus erythematodes (SLE)
Antibiose, Drainage und Exstirpation
Morbus Behçet
Sanierung des Ausgangsherdes chemisch/medikamentös induzierte Meningitis
Sjögren-Syndrom
Evtl. kurzfristig Kortikosteroide
isolierte Angiitis
Antibiose primär meist empirisch beginnen Vogt-Koyanagi-Harada-Syndrom
Wegener-Granulomatose
steroidempfindliche, chronische idiopathische
Meningitis (1⁄3 aller Patienten mit chronischer
Fortschritte in der Diagnostik durch moderne Bildgebung senkten Meningitis)
die Letalität dramatisch auf heute 5–15 %. Die Antibiotikatherapie
erstreckt sich mindestens über 4–8 Wochen. Während dieser Zeit Infektiös:
sind Kontroll-MRT-Aufnahmen notwendig. Viren HIV
Etwa 50 % dürfen eine Restitutio ad integrum erwarten. Bei Mumps, Masern (subakute, sklerosierende
etwa 5 % bildet sich trotz vorerst erfolgreicher Behandlung des Panenzephalitis, SSPE)
Hirnabszesses ein Rezidiv aus. Weitere Komplikationen im Verlauf HSV, CMV, VZV, EBV, HHV-6
sind maligne Hirnschwellung mit Einklemmung, Ruptur in das HTLV-1 und -2
Ventrikelsystem mit Ventrikulitis und eine fulminante Meningitis. ECHO-Viren
Sie gehen alle mit hoher Mortalität einher. Virus der lymphozytären Choriomeningitis (LCV)

Bakterien Mycobacterium tuberculosis


Treponema pallidum
113.4 Chronische Meningitis Brucella spp., v. a. B. melitensis
Borrelia burgdorferi
Die chronische Meningitis zählt zu den seltenen Erkrankungen. Ge- Nocardien
Actinomyces spp.
naue Inzidenzzahlen sind nicht bekannt, beim Immuninkompetenten
Listeria monocytogenes
ist jedoch häufiger an diese Erkrankung zu denken als beim Immun-
Ehrlichia chaffeensis
kompetenten. Aufgrund der initial oft unspezifischen Symptome
vergehen bei vielen Patienten oft Wochen bis Monate bis zur definiti- Pilze Cryptococcus neoformans
ven Diagnosestellung. Häufig sind im Vorfeld bereits andere Diagno- Candida spp.
sen gestellt, Zusatzuntersuchungen eingeleitet, verschiedene Spezialis- Aspergillus
Histoplasma capsulatum
ten konsultiert und diverse Behandlungen eingeleitet worden.
Coccidioides immitis

jDefinition und klinische Präsentation Protozoen Toxoplasma gondii


Die Definition einer chronischen Meningitis geht auf J. J. Ellner und Acanthamoeba spp.
J. E. Bennet im Jahre 1976 zurück. Sie beschrieben diese als menin- Trypanosoma brucei spp.
geale Irritation bzw. Inflammation, die zu einer Pleozytose im Liquor
führt und länger als 4 Wochen besteht.
Klinisch präsentieren sich die Patienten mit einer subakut be- men können zur chronischen Inflammation der Meningen mit einer
ginnenden Meningitis – ein akuter Beginn ist gelegentlich jedoch Pleozytose des Liquors führen:
möglich – mit persistierenden, im Verlauf therapierefraktären Kopf- 4 Die Erreger können direkt Meningen, perivaskulären Raum
schmerzen, Nackensteifigkeit und subfebrilen Temperaturen. Fie- und Hirngewebe infiltrieren, während z. B. Tuberkulosebak-
ber und allgemeines Krankheitsgefühl sind bei einer chronischen terien eine Granulombildung in den Meningen und im Hirn-
Meningitis in der Regel nur milde vorhanden. Im Vordergrund parenchym begünstigen und damit neben dem meningealem
der somatischen Beeinträchtigung stehen die therapierefraktären Symptom auch fokal neurologische Herdsymptome verur-
Kopfschmerzen. sachen.
Bei Fortschreiten der Erkrankung kommt es häufig zum Über- 4 Chemische Substanzen, Medikamente und systemische Infek-
greifen der Infektion von den Meningen auf das Hirngewebe, sodass tionen (z. B. systemischer Lupus erythematodes) bewirken eine
zusätzlich neurologische Herdsymptome und epileptische Anfälle immunvermittelte/allergische chronische Meningitis mit
auftreten können. Eine Begleitvaskulitis oder ein Hydrocephalus oc- inflammatorischer Reaktion der Meningen und von Teilen des
clusus können zu einer akuten Verschlechterung und einer vital be- Hirngewebes.
drohlichen Situation führen. Seh- und Schluckstörungen sind Hin- 4 Eine wichtige nichtinfektiöse Ursache einer chronischen Me-
weise für eine vorwiegende Inflammation basaler meningealer Struk- ningitis ist des Weiteren die Meningeosis neoplastica (Menin-
turen mit Infiltration der Hirnnerven. geosis carcinomatosa, Meningeosis leucaemica, Meningeosis
lymphomatosa): Meningen und Hirngewebe werden direkt von
jÄtiologie und Pathogenese Tumorzellen infiltriert. Die Erkrankung zeigt meist einen ful-
Primär ist zwischen infektiösen und nichtinfektiösen Ursachen zu minanten Verlauf und führt unbehandelt zum raschen Tod des
unterscheiden (. Tab. 113.9). Verschiedene pathogene Mechanis- Patienten.
836 Kapitel 113 · Infektionen des ZNS

Aufgrund der Komplexität der möglichen Ursachen ist die Diagnose- Malignomerkrankungen zu sehen. Mycobacterium tuberculosis,
findung oft schwierig, aufwendig und langwierig. In bis zu 30 % der Cryptococcus neoformans, Toxoplasma gondii, Zytomegalie- und
Erkrankungen kann keine Ursache für die chronische Pleozytose JC-Virus sind die häufigsten Erreger beim immunkompromittierten
eruiert werden. Patienten.

jDiagnostisches Vorgehen Zerebrale Bildgebung (MRT, CT) Sie ist bei Verdacht auf chronische
Das breite Spektrum erregerassoziierter und nichterregerassoziier- Meningitis stets angezeigt und mit Kontrastverstärkung durchzu-
ter Ursachen einer chronischen Meningitis erfordert in der Abklä- führen. Die meningeale Kontrastmittelaufnahme kann als indirektes
rung einen diagnostischen Algorithmus. Neben einer ausführlichen Zeichen der Schwere der Inflammation gewertet werden, sie gibt
Anamnese (Exposition, Kontakt, Reiseanamnese, Medikamente) ist zudem eine lokalisatorische Information der Entzündung (. Abb.
das exakte Erheben von Begleitsymptomen anderer Organe (Uveitis, 113.3), stellt Granulombildungen dar, erlaubt die Beurteilung eines
Ulzera, Hauterscheinungen) oft wegweisend für weitere diagnosti- Hydrozephalus und vaskulitischer/hämorrhagischer Veränderun-
sche Schritte. gen. Die Bildgebung ist jedoch nicht diagnostisch.
Die Basisdiagnostik umfasst Blutanalyse, serologische und mi-
krobiologische Aufarbeitung des Liquors und neben der spezifischen Liquoranalyse Die Liquorgewinnung ist zur Diagnose und weite-
zerebralen Bildgebung meist auch eine strukturelle Abklärung ande- ren mikrobiologischen und serologischen Aufarbeitung einer chro-
rer Organe (. Tab. 113.10, . Tab. 113.11, jeweils unter Verwendung nischen Meningitis essenziell. Die Liquoranalyse ist unspezifisch,
Krankheitsbilder

von Daten aus Akman-Demir 1999, Cheng 1994, Ellner 1976, Helbok zeigt vorwiegend eine lymphozytäre Pleozytose und eine Protein-
2009, Roos 2003, Schmutzhard 2000). erhöhung; das Liquor-Serum-Glukose-Verhältnis kann sowohl nor-
In unseren Breiten sind bei immunkompetenten Patienten My- mal als auch erniedrigt sein.
cobacterium tuberculosis, eine chronische Entzündung paramenin-
gealer Strukturen und eine Meningeosis neoplastica die häufigsten Mikrobiologie, Serologie Bei der mikrobiologischen Aufarbeitung
Ursachen einer chronischen Meningitis. ist neben den Standardfärbungen (Gram, Methylenblau) auf die spe-
Die 2 wichtigsten Differenzialdiagnosen bei Patienten mit zifischen Färbungen bei Verdacht auf Mykobakterien (Ziehl-Neel-
chronischer Meningitis sind die ZNS-Tuberkulose und die Menin- sen-Färbung) und Pilzen (Tuschepräparat) zu achten. Der Nachweis
geosis carcinomatosa (. Tab. 113.11). von Virus-DNA mittels PCR ermöglicht für einige infektiöse Erreger
einer chronischen Meningitis eine rasche Diagnostik. Sensitivität
Chronische Meningitis und Immunsuppression Neben Infektio- und Spezifität der Tests sind jedoch für die einzelnen Erreger stets zu
nen mit opportunistischen Keimen sind steigende Inzidenzzahlen beachten. Für viele infektiöse Erreger, insbesondere Pilze und Wür-
an chronischen Meningitiden in Zusammenhang mit der längeren mer, sind weiterhin nur serologische Untersuchungsmethoden vor-
Lebenserwartung von Patienten unter immunmodulatorischer The- handen. Diagnostisch aussagekräftig sind der Anstieg erregerspezi-
rapie bei Autoimmunerkrankungen und nach Organtransplantatio- fischer, intrathekal gebildeter Immunglobuline (Titerbewegungen)
nen, bei HIV-Erkrankungen und unter zytostatischer Therapie bei während des Krankheitsverlaufs bzw. extrem hohe Titer. Da diese

. Tab. 113.10 Empfohlene Untersuchungen bei Patienten mit chronischer Meningitis

Untersuchung Parameter, Befund, (Ausschluss-)Diagnose

Blutanalyse Blutbild, Differenzialblutbild, Blutsenkung, Nieren- und Leberfunktionsparameter, Elektrolyte, ACE,


evtl. auch ANA, ANCA, HLA-Analyse

Liquor cerebrospinalis Zellzahl und Differenzialblutbild, Protein, Glukose, Zytologie, Färbungen (Ziehl-Neelsen, Tuschepräparat),
Kryptokokken-Ag (bei Verdacht), VDRL

Kulturen (aerob, anaerob, Liquor cerebrospinalis, Blut, andere betroffene Proben


Mykobakterien und Pilze)

Serologie je nach Verdachtsdiagnose (. Tab. 113.9, . Tab. 113.11), VDRL

Bei Verdacht auf Pilzinfektion Kultur auf speziellem Agar (Blut, Liquor, Urin, evtl. Biopsate)

Thorax-Röntgen Sarkoidose, Malignom, Tuberkulose, Pilzerkrankung

Zerebrale Bildgebung basale KM-Anspeicherung, Granulome, Neoplasie, Neurozystizerkose


(cCT/MRT ohne/mit KM)

Biopsie primäre granulomatöse Angiitis, Sarkoidose (meningeale und zerebrale Biopsie)


Knochenmarkpunktion

Spezifische Untersuchungen Thorax-CT, Sonografie (oder CT) von Abdomen, Retroperitoneum, CT-Angiografie, transkranielle Doppler-
Sonografie, zerebrale Panangiografie (bei Verdacht auf Vaskulitis), EEG (bei Enzephalitis, SSPE)
Meningenbiopsie, Hirnbiopsie (primär granulomatöse Angiitis, Sarkoidose) oder spezifische
extrameningeale Biopsie (z. B. Lymphknoten, Knochenmark)

ACE, »angiotensin-converting enzyme«; ANA, antinukleäre Antikörper; ANCA, antineutrophile zytoplasmatische Antikörper; HLA, humane Leuko-
zytenantigene; KM, Kontrastmittel; SSPE, subakute, sklerosierende Panenzephalitis; VDRL, Venereal Disease Research Laboratory Test
113.4 · Chronische Meningitis
837 113

. Tab. 113.11 Wichtige Differenzialdiagnosen der chronischen Meningitis und ihre diagnostische Abklärung

Differenzialdiagnose Diagnostik

Bakterien

M. tuberculosis AFB, Kultur, PCR, evtl. T-Zell-IFN-γ-Release-Assay (TIGRA)


Listeria monocytogenes Serologie
Brucella spp. Antikörper, Kultur (Blut und Liquor)
Spirochäten:
– Borrelia burgdorferi – N.-VII-Parese, Serologie, oligoklonale Banden, IgG-Index
– ELISA (Suchtest), Western-Blot (Bestätigungstest), Kultur nur bei akuter Erkrankung (PCR)
– Treponema pallidum Liquor: VDRL; Serum: VDRL und FTA-ABS
Viren
HSV, CMV, VZV, HIV 1. Wahl: PCR, HIV-Serologie (Ag und Ak; ELISA, Western-Blot)
2. Wahl Serologie
ECHO-Viren
1. Wahl: PCR, Serologie
2. Wahl: Erregerisolation
SSPE, lymphozytäre Choriomeningitis 1. Wahl: Serologie
2. Wahl: PCR
HTLV-1 und -2 ELISA, Western-Blot
Pilze
Histoplasma, Coccidioides, Sporothrix – Serologie: Liquor > Serum: Histoplasma-Polysaccharidantigen, Komplementfixation (Coccidioides),
Sporotrix-Antikörper
– Kultur: Blut, Urin
Cryptococcus neoformans Tuschepräparat, Antigen im Liquor und Serum, Kultur
Parasiten
Toxoplasma gondii serologisch (IFA)
Taenia solium (Zystizerkose) ELISA, Immunoblot
Angiostrongylus ELISA
Nichtinfektiöse Ursachen
Meningeosis carcinomatosa – Liquor (2 Punktionen zu je 30 ml): FACS-Analyse, zytologische Aufarbeitung
– MRT mit Kontrastmittel: zerebral und Neuroachse
– CT mit Kontrastmittel: Zerebrum, Thorax, Abdomen
– Mammografie
– dermatologische Untersuchung
Morbus Behçet rezidivierende orale Ulzerationen und mind. 2 der folgenden Symptome/Befunde:
– genitale Ulzerationen
– Hautläsionen (Pseudofollikulitis, Erythema nodosum)
– Uveitis
– positiver Pathergietest
– HLA-B51-positiv
Wegener-Granulomatose – c-ANCA
(= Granulomatose mit Polyangiitis) – nekrotisierend granulomatöse Vaskulitis (oberer und unterer Respirationstrakt, Glomerulonephritis)
– Hirnnervendefizite
– Liquorpleozytose
Sarkoidose – Thorax-Röntgen: bilaterale hiläre und mediastinale Lymphadenopathie
– Liquor: oligoklonale Banden, intrathekale IgG-Synthese, ACE
– Serum: ACE
– Biopsie: Lymphknoten, Hautläsion, transbronchial, Meningen

Sjögren-Syndrom Sicca-Syndrom (Xerophthalmie, Xerostomie), Raynaud-Symptomatik, hohe Serumtiter gegen nukleäre


Antigene, BSG, Schirmer-Test, evtl. Lippenbiopsie

ACE, »angiotensin-converting enzyme«; AFB, »acid fast bacilli« (säurefeste Stäbchen); ANCA, antineutrophiler zytoplasmatischer Antikörper; SSPE,
subakute, sklerosierende Panenzephalitis
838 Kapitel 113 · Infektionen des ZNS

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839 114

Augeninfektionen
B. Stemplewitz, G. Richard

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_114, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Infektionen der Augen umfassen entzündliche Prozesse der Augen- 40 Mio. Menschen mit aktiver Erkrankung und ist trotz intensiver
lider, der Augenhöhle und des Augapfels selbst. Es sind häufige Erkran- internationaler Bemühungen ursächlich für ca. 1 Mio. Erblindun-
kungen, mit denen sowohl Augenärzte als auch Allgemeinmediziner gen. Das Trachom ist in vielen Ländern Afrikas, Asiens, Zentral-
und Kinderärzte konfrontiert werden. Kenntnisse über die typischen und Südamerikas, des Mittleren Ostens sowie in Australien hyper-
klinischen Symptome sowie das infrage kommende Keimspektrum der endemisch, mit einer Prävalenz von bis zu 60–90 % bei Vorschul-
Infektionen sind für eine erfolgreiche antiinfektiöse Therapie entschei- kindern.
dend.
jErregerspektrum
kAdnexe und Orbita
jEinteilung Lider Infektionen der Lider haben ein ähnliches Keimspektrum wie
Infektionen des Auges und seiner Umgebung lassen sich nach ihrer Infektionen der übrigen Haut. Bei den bakteriellen Infektionen wie
Lokalisation einteilen: Hordeola oder oberflächlichen Blepharitiden dominieren die Sta-
4 Infektionen der Adnexe und Orbita: phylokokkenspezies. Virale Entzündungen der Lidregion durch
5 Infektionen der Lider wie Hordeolum (Gerstenkorn), Herpes-simplex- und Herpes-Zoster-Viren entstehen meist im Zuge
Chalazion (Hagelkorn), infektiöse Blepharitis (Lidentzün- von Reaktivierungen einer Latenzinfektion.
dung), Lidphlegmone Abgesehen vom häufig asymptomatischen Befall der Haarfolli-
5 Infektionen der ableitenden Tränenwege wie Kanalikulitis kel der Zilien mit Demodex-Milben sind parasitäre und mykotische
und Dakryozystitis (Tränenkanälchen- und Tränensack- Lidinfektionen eine Rarität.
entzündung)
5 Infektionen der Orbita wie Orbitaphlegmone und Dakryo- Tränenwege Bei der akuten Verlaufsform einer Dakryozystitis liegt
adenitis (Tränendrüsenentzündung) meist eine Monoinfektion mit Staphylokokken, Pseudomonaden
4 Infektionen der Augenoberfläche: (. Abb. 114.1) oder E. coli vor. Streptokokken, Pneumokokken,
5 Konjunktivitis (Bindehautentzündung) Neisseria spp. und Aktinomyzeten können ebenfalls ursächlich sein.
5 Keratitis (Hornhautentzündung) Die Kanalikulitis wird häufig durch Actinomyces, ein grampositives
4 Infektionen des vorderen Augenabschnitts: Fadenbakterium, verursacht.
5 Iritis und Iridozyklitis (Uveitis anterior, Regenbogenhaut-
entzündung) Augenhöhle Die Orbitaphlegmone ist bei Kindern etwas häufiger
5 Episkleritis und Skleritis (Skleraentzündung) und wird hauptsächlich durch Streptococcus pneumoniae und
4 Infektionen des hinteren Augenabschnitts: S. pyogenes, Staphylococcus aureus, Haemophilus influenzae und
5 Retinitis (Netzhautentzündung) seltener durch Anaerobier ausgelöst.
5 Chorioiditis (Aderhautentzündung)
5 Endophthalmitis (Infektion des Augeninneren)

jEpidemiologie
Je nach Umgebung, Klimazone und Hygienestandard unterscheiden
sich die infektiologischen Probleme.
Infektionen der Augenoberfläche wie Konjunktivitis und Kera-
titis, aber auch unkomplizierte Entzündungen der Lider dominieren
die klinische Praxis in der westlichen Hemisphäre. Die gefürchtete
Endophthalmitis ist weiterhin eine seltene Erkrankung; ihr Auftre-
ten ist jedoch mit der Zunahme der intraokularen Eingriffe absolut
gesehen häufiger geworden. Insgesamt wird das Risiko nach intra-
okularer Chirurgie mit ca. 0,1 % angegeben, nach Kataraktoperation
z. B. mit 0,04–0,16 %. Das führt in Deutschland jedes Jahr zu ca. 1000
postoperativen Fällen.
In tropischen Regionen sind infektiöse Erkrankungen wie Tra-
chom und Onchozerkose (Flussblindheit) weiterhin häufige, ver-
meidbare Erblindungsursachen. Das Trachom, eine chronische
Keratokonjunktivitis, die durch Chlamydia trachomatis ausgelöst
wird, betrifft weltweit bei z. T. unterschiedlichen Angaben ca. . Abb. 114.1 Dakryozystitis, Entzündung des Tränensackes
840 Kapitel 114 · Augeninfektionen

Infektionen der Sklera sind selten und oft sekundär; bei akuten
. Tab. 114.1 Erregerspektrum der infektiösen Konjunktivitis
Infektionen sind meist bakterielle Keime ursächlich (P. aeruginosa,
S. pneumoniae, S. aureus).
Bakterien Viren Pilze

Staphylococcus epidermidis Herpes-simplex-Virus, Candida spp.


kHinterer Augenabschnitt
Herpes-Zoster-Virus Aderhaut und Netzhaut Eine Chorioretinitis kann im Rahmen
einer viralen Infektion durch HSV oder VZV oder – v. a. bei Immun-
Staphylococcus aureus Adenoviren Typ 1, 2, 3, Blastomyces
suppression oder HIV-Infektion – durch das Zytomegalievirus
5, 7, 8, 19, 37, 53, 54 spp.
(CMV) verursacht werden. Bakterielle Uveitiden sind selten und
Streptococcus viridans Enterovirus sp. (70) werden z. B. von Borrelia burgdorferi, Mykobakterien (M. tubercu-
Streptococcus pneumoniae Coxsackie-Virus
losis ca. 3 %) oder T. pallidum verursacht. Die Chorioretinitis durch
sp. (A24) Toxoplasma gondii ist die häufigste Ursache einer posterioren Uvei-
tis bei immunkompetenten Patienten. Pilzinfektionen treten meist
Haemophilus influenzae Zytomegalievirus metastatisch im Rahmen einer systemischen Fungämie auf und wer-
Moraxella catarrhalis Papilloma spp. den am häufigsten durch Candida spp., Kryptokokken, Blastomyces
spp. etc. verursacht.
E. coli
Krankheitsbilder

Pseudomonas aeruginosa Endophthalmitis Die postoperative Endophthalmitis wird zu ca.


Neisseria gonorrhoeae 70 % von grampositive Kokken verursacht (Staphylococcus epi-
dermidis, S. aureus, Streptococcus spp.) neben Pseudomonaden,
Obligat intrazellulär: Clostridien und Bacillus spp. Bei posttraumatischen Entzündungen
– Chlamydia trachomatis des Augeninneren muss zusätzlich mit seltenen Erregern wie An-
(Typ D–K) aerobiern oder Pilzen gerechnet werden.
– Chlamydia trachomatis
jPathogenese
(Typ A–C)
Das Auge ist ein »immunologisch privilegiertes Organ«:
4 Es existieren physiologische Barrieren wie Hornhautepithel,
Blut-Retina-Schranke oder Blut-Kammerwasser-Schranke.
kAugenoberfläche 4 Intraokular liegen keine immunkompetenten Zellen vor.
Bindehaut Die infektiöse Konjunktivitis zeigt ein breites Erreger- 4 Eine Lymphdrainage fehlt.
spektrum (. Tab. 114.1). Sie kann durch bakterielle, virale und sel-
ten durch mykotische Erreger verursacht werden. Bei der eitrigen, Zusätzlich verfügt das Auge über protektive Faktoren wie Lidreflex,
bakteriellen Konjunktivitis sind hauptsächlich grampositive Sta- Tränenfilm mit Spülfunktion (enthält zusätzlich IgA und Lysozym)
phylo- und Streptokokken nachweisbar. Gramnegative Erreger sind sowie die gesunde Standortflora des äußeren Auges.
deutlich seltener. Eine Infektion mit den obligat intrazellulären Erreger gelangen meist exogen durch Tröpfchen- und Schmierin-
Chlamydientypen A–C führt zum Trachom (in Europa selten), fektionen oder selten iatrogen durch Inokulation bei chirurgischen
während die Serotypen D–K die relativ häufige Einschlusskörper- Eingriffen ins Auge. Nicht häufig sind endogen fortgeleitete Entzün-
chen- oder »Schwimmbadkonjunktivitis« verursachen. Neisseria dungen aus anderen Infektionsherden des Körpers.
gonorrhoeae ist der Auslöser der (Neugeborenen-)Gonoblennor- Abgesehen von der einfachen Konjunktivitis treten viele Infek-
rhö, auch Ophthalmia neonatorum genannt. Virale Infektionen tionen des Auges häufig in bestimmten Risikogruppen oder -situa-
werden v. a. durch Viren der Herpesgruppe und Adenoviren verur- tionen auf:
sacht. Die Adenoviren der Typen 8, 19, 37, 53 und 54 können die 4 gehäuftes Auftreten von Hordeola oder Chalazien bei
Keratokonjunktivitis epidemica, eine hochkontagiöse Entzündung, Diabetikern
verursachen. 4 Dakryozystitis bei chronischer Tränenwegstenose oder fort-
geleiteter Sinusitis
Hornhaut Häufige bakterielle Keime, die eine Keratitis auslösen, 4 Keratitis bei Kontaktlinsenträgern, bei Zustand nach Horn-
sind S. aureus, koagulasenegative Staphylokokken, Streptococcus hautchirurgie oder okulärem Trauma, bei mangelnder Ober-
pneumoniae, S. pyogenes oder gramnegative Stäbchen wie E. coli, flächenbefeuchtung oder Exposition der Hornhaut
Pseudomonas aeruginosa, Klebsiella pneumoniae etc. Seltener sind 4 exogene Endophthalmitis bei Zustand nach intraokularer
Proteus, Moraxella und Neisseria spp. Bei der viralen Form sind Chirurgie oder penetrierender Bulbusverletzung
häufig Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1), Herpes-Zoster- 4 endogene Endophthalmitis bei immunsupprimierten Patien-
(VZV), Epstein-Barr-Virus (EBV) oder Adenoviren ursächlich. Bei ten, bei Patienten auf Intensivstationen mit länger liegenden
den relativ seltenen Pilzkeratitiden werden am häufigsten filamen- i. v. Kathetern oder bei i. v. Drogenabusus
töse Pilze wie Aspergillus, Cephalosporium, Fusarium oder Hefen
wie Candida spp. isoliert. Selten kommen v. a. bei Kontaktlinsen- jKlinik
trägern Akanthamöben (v. a. A. castellani und polyphaga) als aus- kAdnexe und Orbita
lösende Keime bei einer Keratitis vor. Lider Hordeola sind schmerzhafte und stark gerötete umschriebene
Abszesse der Lidranddrüsen; sie entstehen relativ schnell. Das Chala-
kVorderer Augenabschnitt zion ist eine chronische, schmerzlose Verhärtung im Bereich des Tar-
Iris und Ziliarkörper Die anteriore Uveitis wird zu etwa 10 % durch sus des Ober- oder Unterlides. Die Lidphlegmone ist im Gegensatz zur
Mikroorganismen verursacht. Erreger sind Viren der Herpesgruppe gefährlicheren Orbitaphlegmone präseptal und betrifft im Wesentli-
sowie seltener M. tuberculosis oder T. pallidum. chen die Lidhaut, die geschwollen, überwärmt und schmerzhaft ist.
114 · Augeninfektionen
841 114
sieht man die typische ziliare Injektion tiefer liegender Gefäße, einen
Vorderkammerreiz bis hin zum Hypopyon (Eiter in der Vorderkam-
mer), Hornhautendothelbeschläge und gelegentlich Fibrinaus-
schwitzungen.

kHinterer Augenabschnitt
Aderhaut und Netzhaut Da die Netzhaut über keinerlei Versor-
gung durch sensible Schmerznerven verfügt, bemerken Patienten
mit einer Chorioretinitis v. a. eine Sehstörung und evtl. Gesichts-
feldausfälle. Je nach Lage des Entzündungsherdes können die Pro-
zesse auch lange asymptomatisch bleiben, wenn Makula und Seh-
nerv ausgespart bleiben. Bei der funduskopischen Untersuchung
findet man je nach Krankheitsbild verschiedene Veränderungen der
Netzhaut, der Aderhaut und/oder des retinalen Pigmentepithels so-
wie der Gefäße.

. Abb. 114.2 Adenovirale Konjunktivitis (Keratokonjunktivitis epidemica) Endophthalmitis Die exogene Endophthalmitis nach Trauma oder
Augenoperation verläuft meistens perakut mit starken Schmerzen
und Visusreduktion. Bei beginnender Septikämie haben die Patien-
Tränenwege Die Kanalikulitis wird häufig verkannt, da sie sympto- ten auch Allgemeinsymptome wie Fieber, Übelkeit und Erbrechen.
matisch (Rötung der Bindehaut, Epiphora, mukopurulente Se- Klinisch finden sich eine Hyperämie der Bindehaut, Trübungen der
kretabsonderung, Schwellung des Tränenpünktchens) eher einer Hornhaut, ein ausgeprägten Vorderkammerreiz mit Hypopyon so-
Konjunktivitis ähnelt. Die Dakryozystitis zeichnet sich durch eine wie ein zellulärer Reiz auch im Glaskörperraum. Dagegen verläuft
hochrote, z. T. sehr schmerzhafte Schwellung unterhalb des media- die endogene Form häufig protrahiert und symptomärmer.
len Lidbändchens (. Abb. 114.1) aus, bei der man gelegentlich puru-
lentes Sekret aus dem Tränenpünktchen exprimieren kann (positive jDiagnostisches Vorgehen
West-Probe). Ist die Diagnose nicht durch das klinische Bild allein zu stellen, wird
ein Erregernachweis für eine gezielte Therapie benötigt. Eingesetzt
Augenhöhle Die Orbitaphlegmone ist eine potenziell lebensbe- werden Mikroskopie, kultureller Erregernachweis, serologische
drohliche Erkrankung, die sich durch Chemosis und Hyperämie der Diagnostik und Polymerasekettenreaktion (PCR).
Bindehaut, Lidschwellung, Exophthalmus, verminderte Motilität, Bei Lid- und Tränenweginfektionen können Erreger durch einen
Visusreduktion und Allgemeinsymptome wie Fieber auszeichnet. Abstrich aus dem betroffenen Gewebe gewonnen werden. Gleiches
Vorgehen gilt für die Konjunktivitis. Hier kann ein einfacher Ab-
kAugenoberfläche strich aus dem Konjunktivalsack entnommen werden. Der Abstrich-
Bindehaut Bei der häufigen Konjunktivitis zeigt sich ein »rotes tupfer darf nicht mit dem Lidrand in Kontakt kommen, um Verun-
Auge« durch die konjunktivale Gefäßdilatation mit Absonderung reinigungen durch die Standortflora zu vermeiden.
von Sekret. Die Patienten klagen v. a. über ein Fremdkörpergefühl. Cave: Bei Verdacht auf Gonoblennorrhö muss zum Selbstschutz
Schmerzen bei Patienten mit »rotem Auge« sprechen meist für eine bei der Untersuchung und Materialgewinnung eine Schutzbrille ge-
zusätzliche Beteiligung der gut innervierten Hornhaut oder einen tragen werden. Für einen Hornhautabstrich ist das Abschaben von
begleitenden uveitischen Reiz. Während bakterielle sowie herpeti- Hornhautzellen z. B. mit einem Hockeymesser erforderlich. Die
sche Infektionen häufig einseitig sind, ist es ein typisches Kennzei- Diagnostik intraokularer Entzündungen wie der anterioren und
chen der adenoviralen Konjunktivitis (. Abb. 114.2), dass sie nach- posterioren Uveitis bzw. der Endophthalmitis erfordert zum Nach-
einander beide Augen befällt. weis dort angesiedelter Keime Punktionen der Vorderkammer oder
des Glaskörperraumes.
Hornhaut Patienten mit akuter Keratitis klagen bei infektiöser Ge- Bei Verdacht auf eine Pilzinfektion sollte grundsätzlich ein Hin-
nese über starke Schmerzen und Visusminderung sowie durch den weis an das Labor erfolgen, um Kulturzeit und Nährböden entspre-
häufig begleitenden Vorderkammerreiz über Lichtempfindlichkeit. chend anzupassen. Eine infektiöse Uveitis durch Borrelien, Trepo-
An der Spaltlampe sieht man bei bakteriellen oder mykotischen In- nemen, HSV, EBV, VZV, CMV, Toxoplasmose etc. wird serologisch
fektionen umschriebene Infiltrate bis hin zu Ulzera. Die herpeti- anhand der Antikörperprofile diagnostiziert. Zum Nachweis eini-
schen Infektionen haben ein typisches Erscheinungsbild bei der ger viraler Erreger wie z. B. der Adenoviren eignet sich am besten
epithelialen (Keratitis dendritica) und der stromalen Verlaufsform eine PCR, da sie sensitiver und spezifischer als viele Schnelltestver-
(Keratitis disciformis), sodass hier oftmals an der Spaltlampe eine fahren ist.
Blickdiagnose gestellt werden kann. Die seltene Akanthamöbenke- Bei der Befundinterpretation aus Abstrichen und Punktaten
ratitis, die meistens bei Kontaktlinsenträgern auftritt, hat als typische muss beim Nachweis von Keimen wie koagulasenegativen Staphylo-
Konstellation starke subjektive Beschwerden wie Schmerzen und kokken, Propioni- und Korynebakterien, aber auch bei koagulase-
Visusminderung bei relativ geringem klinischem Befund. Erst im positiven Staphylokokken, Streptokokken und Haemophilus spp.
Verlauf kann sich das typische Ringinfiltrat im kornealen Stroma immer an eine möglich Verunreinigung durch die Standortflora
ausbilden. gedacht werden.

kVorderer Augenabschnitt jTherapie


Iris und Ziliarkörper Die Uveitis anterior führt zu Schmerzen, Fo- Viele Infektionen des Auges können topisch mit Augentropfen und
tophobie und Visusminderung. Bei der Spaltlampenmikroskopie -salben, per subkonjunktivaler, parabulbärer oder intraokularer In-
842 Kapitel 114 · Augeninfektionen

jektion oder systemisch per os und i. v. behandelt werden. Durchfüh- Einzig die präoperative Spülung des Konjunktivalsackes mit anti-
rung und Überwachung der Therapie gehören wegen der notwendi- septischer 5 %iger Povidon-Jod-Lösung wird in jedem Fall empfoh-
gen Kontrollen an der Spaltlampe in die Hände des Augenarztes. len; sie führt zur 10- bis 100-fachen Reduktion der Keimzahl. Den-
Für oberflächliche bakterielle Infektionen des Lides und der noch ist eine perioperative topische Antibiotikagabe sinnvoll
Augenoberfläche eignet sich die topische und evtl. subkonjunktivale (z. B. ein Chinolon), um die Keimzahl auf der Bindehaut vor der
Gabe von Chinolonen wie Ofloxacin oder Levofloxacin, Aminogly- Operation und während der Wundheilungsphase zu reduzieren. Bei
kosiden wie Gentamicin oder von Peptidantibiotika wie Bacitracin den heutzutage hochfrequent durchgeführten intravitrealen Injek-
oder Polymyxin B. tionen scheint eine perioperative Antibiotikagabe jedoch nicht pro-
Bei einer Endophthalmitis ist neben der intravitrealen Antibio- tektiv und daher nicht erforderlich zu sein; sie wird nicht mehr
tikagabe inzwischen auch die Vitrektomie zum Standard geworden. empfohlen.
Eine i. v. Antibiose mit z. B. Ceftazidim und Vancomycin bzw. im Die früher standardmäßig durchgeführte Credé-Prophylaxe zur
Verlauf nach Antibiogramm ist zusätzlich empfehlenswert, um die Verhinderung der Gonoblennorrhö mit 5 %iger Silbernitratlösung
Dosis im Glaskörperraum zu erhöhen bzw. eine Diffusion nach wird heute nicht mehr regelmäßig durchgeführt, auch weil die
außen zu verlangsamen. viel häufiger vorkommenden Chlamydien davon nicht erfasst sind.
Bakterielle Tränenweginfektionen sowie die Lid- und Orbita- Alternativpräparate wie z. B. 2,5 %iges Povidon-Jod sind jedoch für
phlegmone bedürfen immer einer systemischen Therapie z. B. mit diese Anwendung nicht zugelassen. Einige Kliniken setzen gar keine
Cephalosporinen wie Cefuroxim oder Breitbandpenicillinen mit standardmäßige Prophylaxe mehr ein, sondern führen die präven-
Krankheitsbilder

β-Laktamase-Inhibitoren wie Sultamicillin. tive Gabe nur bei Risikogruppen durch.


Antivirale Medikamente wie Aciclovir oder Ganciclovir werden
je nach Infektion und Schweregrad topisch, intravitreal oder syste-
misch appliziert. Bei Beteiligung der Vorderkammer oder der hinte- In Kürze
ren Augenabschnitte ist stets auch eine systemische Applikation er- Augeninfektionen
forderlich. Einteilung
Zur antimykotischen Therapie steht mit Natamycin eine 5 Adnexe und Orbita (Lider, ableitende Tränenwege,
Augensalbe zur topischen Gabe zur Verfügung, die zur Therapie von Augenhöhle)
Infektionen mit Fadenpilzen geeignet ist. Voriconazol ist ein breit 5 Augenoberfläche (Bindehaut, Hornhaut)
wirksames Antimykotikum und kann zur Therapie schwerer Pilz- 5 vorderer Augenabschnitt (Iris, Ziliarkörper, Sklera)
infektionen mit Candida-Arten, Cryptococcus spp., Aspergillen so- 5 hinterer Augenabschnitt (Aderhaut, Netzhaut)
wie selteneren Pilzarten lokal (angefertigt aus der Infusionslösung)
und systemisch gegeben werden. Erregerspektrum
Die Therapie der Akanthamöbenkeratitis ist langwierig und 5 Lider: Staphylokokken, HSV, VZV, Demodex-Milben
nicht immer erfolgreich. Zur heutigen Standardtherapie gehören 5 Tränenwege: Staphylokokken, Pseudomonaden, E. coli,
Diamidinderivate wie Propamidinisoethionat und desinfizierende Strepto-, Pneumokokken, Neisserien, Actinomyces
Substanzen wie Polyhexamethylenbiguanid, die zu Beginn viertel- (Kanalikulitis)
bis halbstündlich lokal gegeben werden müssen. Später kann auch 5 Orbita: Strepto-, Staphylokokken, H. influenzae
eine Keratoplastik (Hornhauttransplantation) erforderlich werden. 5 Bindehaut (. Tab. 114.1): Staphylo-, Streptokokken,
Hoffnungsvolle Ergebnisse zeigte auch der Einsatz des kornealen Moraxella spp., Haemophilus, Chlamydia trachomatis D–K
Crosslinkings bei der Akanthamöbenkeratitis bestehend aus der Ap- (Einschlusskörperchenkonjunktivitis), A–D (Trachom), HSV,
plikation von Riboflavin und UV-A-Licht. Es bietet eine antibioti- VZV, Adeno-, Enteroviren, Candida spp.
kaunabhängige Therapieoption, ggf. auch bei bakteriell bedingten 5 Hornhaut: Staphylo-, Streptokokken, gramnegative
Keratitiden. Stäbchen, HSV, VZV, EBV, Adenoviren, Aspergillus spp.,
Bei der Toxoplasmose bestimmt die Lokalisation der Herde Candida spp.
die Entscheidung für einen Therapiebeginn: Bedroht ein aktiver 5 Iris, Ziliarkörper: HSV, VZV, M. tuberculosis, T. pallidum
Herd Makula oder Sehnerv, wird mit einer Therapie begonnen. 5 Netz-, Aderhaut: HSV, VZV, CMV (Immunsuppression),
Eingesetzt werden Clindamycin, Sulfadiazin, Pyrimethamin oder B. burgdorferi, M. tuberculosis, T. gondii, Candida spp.,
Cotrimoxazol. Kryptokokken
Bei Entzündungen mit begleitendem Vorderkammerreiz wird 5 Endophthalmitis: Staphylo-, Streptokokken, gramnegative
neben der topischen antiinfektiösen Therapie zusätzlich mit Mydria- Stäbchen, Candida spp., Kryptokokken
tika (Augentropfen zu Weitstellung der Pupille) behandelt, damit es
nicht zu Synechierung der Pupille mit der Linse kommt sowie zur Klinik
»Ruhigstellung« und Schmerzlinderung des Auges. 5 Lider/Tränenwege: Schwellung, Rötung, Schmerzen
Gelegentlich ist im Laufe einer Infektion auch additiv die Gabe 5 Bindehaut: »rotes Auge«, Sekret, Fremdkörpergefühl
von Steroiden erforderlich, um die körpereigene Entzündungs- 5 Hornhaut: Schmerzen, Sehminderung, Lichtempfindlichkeit,
reaktion auf den Erreger zu modulieren und weitere Schäden zu »tränendes Auge«
verhindern. 5 Iris/Ziliarkörper: »rotes Auge«, Schmerzen, Sehminderung,
Lichtempfindlichkeit
jPrävention 5 Netz-/Aderhaut: Sehminderung, Gesichtsfeldausfälle
Allgemeine Hygienemaßnahmen wie Händehygiene sowie besonde- 5 Endophthalmitis: starke Schmerzen, »rotes Auge«, Sehmin-
re Vorsicht im Umgang mit Kontaktlinsen können viele Infektionen derung, ggf. Allgemeinsymptome wie Fieber, Übelkeit
verhindern.
Perioperativ gibt es bei intraokularen Eingriffen keine einheit-
lichen Empfehlungen zur prophylaktischen Gabe von Antibiotika.
Literatur
843 114

Diagnostik
5 Material:
– Abstriche von Bindehaut und Hornhaut
– Punktion der Vorderkammer oder des Glaskörpers
(cave: physiologische Standortflora)
– peripheres Blut
5 Methoden:
– Mikroskopie
– kultureller Erregernachweis
– serologische Diagnostik
– PCR

Therapie
5 Topisch mit Augentropfen und Augensalben, subkonjunkti-
vale, parabulbäre oder intraokulare Injektion
5 Systemisch per os und i. v.
5 Chirurgisch: Vorderkammerspülung und Vitrektomie mit
antibiotischer Spülung bei Endophthalmitis
5 Additiv: Mydriatika, Steroide

Prävention
5 Allgemeine Hygienemaßnahmen
5 Perioperativ: Spülung des Konjunktivalsackes mit 5 %iger
Povidon-Jod-Lösung, lokale Antibiose
5 Credé: nicht mehr Standard, je nach Klinik verschieden,
z. T. gar keine Prophylaxe

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Infektionen des oberen


Respirationstrakts
V. van Laak, N. Suttorp

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_115, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Infektionen des oberen Respirationstrakts, zu denen grippaler Infekt, jEpidemiologie


Sinusitis, Pharyngitis und Tonsillitis, Otitis media und Epiglottitis Eine Erkältung ist die häufigste Ursache für Arztbesuche, Arbeits-
zählen, sind sehr häufig (in ca. 90 %) viral bedingt. Eine bakterielle ausfälle und Abwesenheit von der Schule. Bei Erwachsenen kommt
Superinfektion kann im weiteren Verlauf zu einer Verschlechterung sie durchschnittlich 2- bis 3-mal pro Jahr vor. Kinder erkranken
der Symptomatik führen. 6- bis 12-mal pro Jahr daran. Bei 0,5–5 % der Erkältungen kommt es
als Komplikation zu einer Sinusitis.
Ohrenschmerzen infolge einer Otitis media sind die häufigste
jEinteilung Ursache für einen Arztbesuch im Kindesalter. Bis zu ihrem 10. Le-
Die Einteilung der Infektionen des oberen Respirationstrakts erfolgt bensjahr erkranken 40 % aller Kinder an einer Otitis media mit einem
anhand der anatomischen Strukturen: Erkrankungsgipfel zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 4. Le-
4 grippaler Infekt (Erkältung, »common cold«): virale Infektion, bensjahr. Rezidivierende Infektionen der Paukenhöhle kommen bei
die mit Rhinopharyngitis, Katarrh und ggf. leichtem Fieber bis zu einem Drittel aller Kinder vor.
einhergeht.
4 Otitis media: Kennzeichen der Mittelohrentzündung sind eine jErregerspektrum und Pathogenese
Hörminderung des betroffenen Ohres durch die Ansammlung . Tab. 115.1 zeigt das Erregerspektrum der Erkrankungen des oberen
von serösem oder putridem Sekret in der Paukenhöhle und Respirationstrakts.
damit einhergehenden Ohrenschmerzen, Fieber und allgemei- Eine Infektion des oberen Respirationstrakts erfolgt in der Regel
nes Krankheitsgefühl. durch Schmierinfektionen oder aerogene Übertragung. Die Viren
4 Sinusitis: Infektion der Nasennebenhöhlen (Sinus maxillaris, infizieren die Epithelzellen der Schleimhaut und vermehren sich
S. ethmoidalis, S. frontalis), geht mit starken lageabhängigen dort. Dadurch kommt es zur Störung der mukoziliaren Funktion
Kopfschmerzen, Rhinitis und ggf. Fieber und allgemeinem und in der Folge zu einer Superinfektion mit Bakterien.
Krankheitsgefühl einher. Die Aktivierung der lokalen Abwehrmechanismen führt zur
4 Pharyngitis: Die Rachenentzündung umfasst eine Gruppe Ausschüttung zahlreicher Mediatoren. Dadurch kommt es zur mas-
von Erkrankungen, die mit Halsschmerzen, Schluckbeschwer- siven Sekretion von Schleim, der die Erreger ausschwemmen soll.
den und ggf. Fieber sowie allgemeinem Krankheitsgefühl Die ödematöse Schwellung der Nasenschleimhaut durch die gestei-
einhergehen. Diese sind die virale Pharyngitis, Angina tonsil- gerte Durchblutung verstärkt die Behinderung der Nasenatmung.
laris, Seitenstrangangina, Diphtherie, Angina Plaut-Vincent, Durch den Verschluss der Nasengänge bzw. der Eustachi-Röhre
Soor und das Pfeiffer-Drüsenfieber (Mononukleose). Als Kom- können sich pathogene Bakterien in den Sinus bzw. der Paukenhöh-
plikation kann es in seltenen Fällen zum Lemierre-Syndrom le vermehren. Es kommt zu einer bakteriellen Sinusitis bzw. Otitis
kommen. media. Insbesondere bei Kleinkindern ist die Eustachi-Röhre sehr
4 Epiglottitis: Die Infektion der Epiglottis mit H. influenzae kurz, gerade und weit offen, sodass Bakterien besonders leicht ein-
Typ B ist eine akut lebensbedrohliche Erkrankung des Klein- dringen können. Es folgt eine eitrige Entzündungsreaktion, die den
kindalters, die mit einer starken Schwellung der Epiglottitis gesamten Hohlraum ausfüllt kann → Empyem.
und einer dadurch ausgelösten Verlegung der Atemwege zu
massiver Dyspnoe führt. jKlinik
kGrippaler Infekt
Wichtig für das Verständnis der Pathogenese und für Diagnostik Nach einer Inkubationszeit von wenigen (1–3) Tagen kommt es zur
und Therapie ist das Wissen um die physiologische Besiedlung der Ausbildung eines typischen Symptomkomplexes mit Rhinitis, ver-
Mund- und Nasenhöhle mit einer gemischten Kolonisationsflora. stopfter Nase, Kratzen im Hals, allgemeinem Krankheitsgefühl mit
Die Nasennebenhöhlen sowie die Paukenhöhle gelten als steril, so- Gliederschmerzen und Abgeschlagenheit und gelegentlich Fieber.
dass jeder hier gefunden Keim als Pathogen anzusehen ist. Jedoch Als Komplikation können eine Otitis media, eine Sinusitis, Bronchi-
bestehen durch die Nasengänge und die Eustachi-Röhre direkte Ver- tis oder Pneumonie entstehen.
bindungen zum besiedelten Nasen- und Mundraum, sodass die Er-
reger der Sinusitis und Otitis media zumeist aus diesen aszendiert kOtitis media
und Bestandteil der lokalen Flora sind. Die bakteriellen Erreger Nach einer Inkubationszeit von ca. 4–6 Tagen beginnt eine Otitis
der Pharyngitis und Epiglottitis hingegen sind in der Regel obligat media, meist im Zusammenhang mit einer Erkältung, mit akuten
pathogen. Ohrenschmerzen und einer Hörminderung auf dem betroffenen
846 Kapitel 115 · Infektionen des oberen Respirationstrakts

. Tab. 115.1 Spektrum der Erreger und Angaben zu ihrer Häufigkeit bei Erkrankungen des oberen Respirationstrakts

Erkrankung Erregerspektrum Häufigkeit

Grippaler Infekt Viren: 40 %

– Rhinoviren 10–15 %

– Coronaviren, Adeno-, (Para-)Influenza-, Reo- und Enteroviren 10 %

– RS-Viren insb. bei Erwachsenen (RSV-Infektion bei Kindern ൺ Bronchitis)

Sinusitis meist sekundär nach viralem Infekt oder bei allergischer Rhinitis

S. pneumoniae 30 %

H. influenzae 20 %

diverse Anaerobier 10 %

S. pyogenes 4%
Krankheitsbilder

M. catarrhalis (überwiegend Kinder) 2%

Aspergillen und P. aeruginosa bei chronischen Verläufen möglich

Otitis media Erregerspektrum gleicht dem der Sinusitis:

S. pneumoniae 40 %

H. influenzae 30 %

M. catarrhalis 10 %

S. pyogenes 3%

S. aureus 2%

Nachweis der o. g. Viren, insbes. RS-Virus (bei 74 % der viral bedingten Fälle bei Kindern) ca. 25 %

Aspergillen und P. aeruginosa bei chronischen Verläufen möglich

Pharyngitis/Tonsillitis meist viraler Infekt oder S. pyogenes

selten: C. diphtheriae, Treponema vincentii, Fusobacterium nucleatum, F.necrophorum,


C. albicans, Epstein-Barr-Virus

Epiglottitis H. influenzae Typ B

Ohr sowie Fieber und allgemeinem Krankheitsgefühl. Kinder grei- Mögliche Komplikationen sind ein Einbruch der Infektion
fen sich oft an das schmerzende Ohr. Bei der Untersuchung fällt ein durch die Lamina papyracea in die Orbita mit Verdrängung des Bul-
Tragusdruckschmerz auf. In der Otoskopie finden sich ein gerötetes bus opticus oder in das Gehirn (Meningitis, Hirnabszess) sowie eine
Trommelfell, durch das der Erguss in der Paukenhöhle hindurch- Chronifizierung.
schimmert (. Abb. 115.1), und eine verminderte Trommelfellbeweg-
lichkeit in der pneumatischen Otoskopie. kPharyngitis
Eine insbesondere bei Kindern gefürchtete Komplikation ist das Die Pharyngitis kann durch verschiedene Pathogene mit jeweils
Übergreifen der Infektion auf das umliegende Gewebe, insbesonde- typischer Lokalisation der Infektion verursacht werden. Allen ge-
re auf die Strukturen des Innenohres (Labyrinthitis mit Schwindel meinsam ist jedoch eine Rötung des Rachenraumes einhergehend
und Nystagmus), das Mastoid (Mastoiditis), das Gehirn mit Ausbil-
dung einer Meningitis oder eines Hirnabszesses sowie der Schädi-
gung des N. facialis.
Seit Einführung des Pneumokokkenimpfstoffs und der STIKO-
Empfehlung zur Impfung gegen Pneumokokken steht eine sinnvolle
Präventivmaßnahme gegen den häufigsten Erreger der Otitis media
zur Verfügung.

kSinusitis
Nach einer Inkubationszeit von 4–6 Tagen kommt es zu den typi-
schen Symptomen einer bakteriellen Sinusitis mit verstopfter Nase,
eitrigem Schnupfen, Kopfschmerzen insbesondere bei gesenktem
a b
Kopf, Fieber und Klopf-/Druckschmerz über der betroffenen Nasen-
nebenhöhle. In der Röntgen-Übersicht der Nasennebenhöhlen fin- . Abb. 115.1a, b Akute Otitis media(a), Grippeotitis(b) (aus Boenninghaus,
det sich eine Verschattung der vereiterten Nebenhöhle. Lenarz: Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Springer 2007)
115 · Infektionen des oberen Respirationstrakts
847 115
mit Halsschmerzen und Schluckbeschwerden bzw. einer Verstär- kPfeiffer-Drüsenfieber (Mononukleose)
kung der Schmerzen durch den mechanischen Reiz des Schluckens. Das Pfeiffer-Drüsenfieber ist eine systemische Infektion mit Ep-
stein-Barr-Virus. Dominierende Symptome sind Fieber, Schwäche,
kAngina tonsillaris (lacunaris) allgemeine Krankheitssymptomatik, ausgeprägte Lymphadeno-
Zusätzlich zu den gerade beschriebenen Symptomen finden sich pathie insbesondere an Hals und Nacken sowie Splenomegalie.
Eiterstippchen auf den Tonsillen, die in der Regel vergrößert und Häufig sind die Tonsillen gräulich belegt, wodurch eine Unter-
mit tiefen, eitergefüllten Kavernen imponieren. Weiterhin klagen die scheidung von den weißen Belägen bei der Angina tonsillaris mög-
Patienten über Fieber und weisen eine Lymphadenopathie entlang lich ist. Die Patienten klagen über Halsschmerzen und haben einen
der Lymphabflussbahnen am Hals und submandibulär auf. Bei einer unangenehmen Mundgeruch. Gelegentlich besteht Heiserkeit. Bei
Infektion mit Streptokokken der Gruppe A (z. B. S. pyogenes), die ein massiver Splenomegalie droht als gefährliche Komplikation eine
bakteriophagenkodiertes Toxin bilden, kann es im Verlauf zu Schar- Milzruptur.
lach kommen. Hierbei kommt es zu einem Exanthem insbesondere
am Hals, der oberen Brust- und Rückenpartie, einer perioralen Bläs- kLemierre-Syndrom
se sowie der charakteristischen glänzend roten Zunge mit hervorste- Meist ausgehend von einer Pharyngitis mit Fusobacterium necro-
henden Geschmacksknospen (Erdbeer- oder Himbeerzunge). phorum kommt es hierbei zu einer lokalen Abszessbildung mit
Weiterhin kann es ca. 3–4 Wochen nach einer Angina tonsillaris exsudativer Tonsillitis, Peritonsillarabszess und retropharyngealer
zum rheumatischen Fieber kommen. Dabei reagieren gegen Gruppe- Ausbreitung mit Einbruch in die A. carotis und V. jugularis interna.
A-Streptokokken gebildete Antikörper mit körpereigenem Gewebe Infolgedessen kann es zu einer Jugularvenenthrombose sowie einer
und es resultieren eine Polyarthritis (7 Kap. 119), Karditis (Endo-, septischen Ausbreitung des Erregers auf weitere Lokalisationen
Myo-, Perikarditis; 7 Kap. 112), ein Erythema nodosum und Erythe- (Herz, Lunge, etc.) kommen. In manchen Fällen kommt es im Ver-
ma anulare/marginatum sowie eine Chorea minor. lauf zu einem weiteren Absinken der Abzesse entlang der Karotisloge
Ebenfalls ca. 3–5 Wochen nach einer Infektion mit Gruppe-A- bis ins Mediastinum.
Streptokokken kann es zur akuten Glomerulonephritis kommen, die Das häufig bereits bei Diagnose bestehende septische Krank-
sich sehr häufig spontan zurückbildet. heitsbild tritt in der Regel rasch nach den ersten Symptomen einer
Pharyngitis mit Halsschmerzen und Dysphagie auf. Eine Therapie
kDiphtherie (Echter Krupp, Krupp) besteht in der lokalen Sanierung und Drainage der Abzesse sowie
Die Diphtherie zeichnet sich durch eine schwere Entzündung des einer Therapie mit Penicillinen oder Aminopenicillinen und, wenn
Nasen-Rachen-Raumes mit Pseudomembranbildung aus. Sie wird nötig, einer intensivmedizinischen Therapie der Sepsis.
ausgelöst durch ein von C. diphtheriae gebildetes, phagenkodiertes
Toxin. Im Verlauf droht eine Verlegung der Atemwege durch die kEpiglottitis
massive Schwellung der Schleimhäute und durch Pseudomembra- Eine Epiglottitis ist eine Infektion mit H. influenzae Typ B. Sie geht
nen. Hierbei fallen besonders der bellende Husten sowie ein inspira- in der Regel mit hohem Fieber einher. Eine massive Schwellung der
torischer Stridor auf. Durch die Fernwirkung des Toxins kann es zu Epiglottis führt zu einem inspiratorischen Stridor mit kehliger,
einer Beteiligung des Herzens und der Nieren sowie zu einer Poly- schnarchender Atmung, als Notfall droht massive Atemnot, erkenn-
neuritis kommen. bar an der Nutzung der Atemhilfsmuskulatur. Die Epiglottitis ist
Unbehandelt kann die Diphtherie rasch zum Tod durch Er- durch einen sehr raschen, oft nur wenige Stunden dauernden Verlauf
sticken und Herzstillstand führen! Zur Therapie der Diphtherie steht gekennzeichnet. Eine Untersuchung mit mechanischen Instrumen-
ein Antitoxin zur Verfügung, das bei akutem Verdacht auf eine Diph- ten sollte unterbleiben, da sie das Risiko einer vollständigen Verle-
therie sofort verabreicht werden muss. Durch die Impfung gegen gung der Atemwege stark erhöht.
Diphtherietoxin sind die Folgen einer Infektion nur noch sehr selten Seit 1991 steht ein Impfstoff gegen H. influenzae zur Verfügung.
zu beobachten. Durch die Impfung konnte die Inzidenz der Epiglottitis drastisch
gesenkt werden, sodass sie heute eine seltene Erkrankung in
kAngina Plaut-Vincent Deutschland ist.
Eine Mischinfektion mit Treponema vincentii und Fusobacterium
nucleatum führt zu einer meist einseitigen Tonsillitis der Tonsilla jDiagnostisches Vorgehen
palatina mit in der Regel nur leichter Allgemeinsymptomatik, Hals- In den meisten Fällen einer Infektion der oberen Atemwege ist die
schmerzen und Schluckbeschwerden. Im Gegensatz dazu steht der Diagnosestellung bereits durch die Anamnese und eine klinische
dramatische Verlauf mit massiv ulzerierendem und nekrotisieren- Untersuchung möglich. Eine genaue Erregerdiagnostik ist in den
dem Befall der Tonsille. Dabei fällt ein übel riechender grünlich- meisten Fällen nicht notwendig. Insbesondere virale Infekte können
schmieriger Belag auf dem Ulkus auf, durch den sich die Angina nicht spezifisch therapiert werden, sodass eine genaue Diagnostik
Plaut-Vincenti gut von einer Streptokokkenangina unterscheiden des Erregers keine therapeutische Konsequenz hätte.
lässt. Ein schwerer oder chronischer Krankheitsverlauf stellt eine
Indikation zu weiterer Diagnostik dar.
kSoor (Candidose, Stomatitis candidomycetica)
Soor wird durch einen Befall der Schleimhaut mit Candida albicans Untersuchungsmaterial Da der Nasen-Rachen-Raum mit einer
ausgelöst. Er äußert sich durch Schluckbeschwerden und eine physiologischen Flora besiedelt ist, ist ein Abstrich aus diesem Be-
schmerzhafte, gerötete Schleimhaut mit weißlichen Belägen. Eine reich nicht zur Erregerdiagnostik geeignet. Die Paukenhöhlen und
Unterscheidung zur Leukoplakie ist durch die Abstreichbarkeit der die Nasennebenhöhlen gelten als steril, sodass Punktate aus diesem
Beläge beim Soor möglich. Dieser kann sämtliche Schleimhäute des Bereich ein geeignetes Untersuchungsmaterial darstellen. Weiterhin
Menschen befallen, sodass insbesondere bei immungeschwächten ist es möglich, Abstriche von Belägen der Schleimhaut bzw. Tonsillen
Patienten ein Befall von Speiseröhre, Trachea und Bronchien sowie bei Verdacht auf einen Befall mit Candida zu untersuchen bzw. einen
des gesamten Magen-Darm-Trakts möglich ist. Streptokokkenschnelltest durchzuführen.
848 Kapitel 115 · Infektionen des oberen Respirationstrakts
Krankheitsbilder

. Abb. 115.2 Diagnostik und Therapie bei Infektionen der oberen Atemwege

Die Gewinnung des Materials sollte durch aseptische Punktion


erfolgen. Die Lagerung des Materials sollte bei Raumtemperatur In Kürze
in einem geeigneten Transportmedium und der Transport in die Infektionen des oberen Respirationstrakts
Mikrobiologie rasch erfolgen. Aseptisch gewonnenes Punktat lässt Definition Zu den Infektionen des oberen Respirationstrakts
sich auch in Blutkulturflaschen bei 37 °C transportieren. zählen grippaler Infekt, Sinusitis, Pharyngitis und Tonsillitis,
Otitis media und Epiglottitis.
jTherapie Erregerspektrum
Die Therapie der Infektionen der oberen Atemwege erfolgt fast 5 Grippaler Infekt: Viren (Rhino-, Adeno-, Corona-, [Para-]
ausschließlich symptomatisch (. Abb. 115.2). Es kommen abschwel- Influenza-, RS-Viren)
lende Nasensprays (z. B. Xylometazolinhydrochlorid), antiphlogisti- 5 Sinusitis/Otitis: S. pneumoniae, H. influenzae, M. catarrhalis,
sche und analgetische Medikamente wie NSAR (insbesondere Para- S. pyogenes, S. aureus, chronisch: Aspergillen, P. aeruginosa
cetamol) und z. B. lidocainhaltige Lutschtabletten zum Einsatz. 5 Pharyngitis/Tonsillitis: Viren (Rhino-, Adeno-, Corona-, [Para-]
Bei schweren oder chronisch verlaufenden Infektionen kann Influenza-, RS-Viren, EBV), S. pyogenes, Candida albicans,
eine antimikrobielle Chemotherapie nach Erregerdiagnostik erfol- C. diphtheriae, Treponema vincentii, Fusobacterium nucleatum
gen. Hierfür eignen sich β-Laktam-Antibiotika (besonders Penicil- und Fusobacterium necrophorum
line und Aminopenicilline) zur kalkulierten Therapie. 5 Epiglottitis: H. influenzae Typ B
Bei einer chronischen Sinusitis bzw. Otitis media oder dem Le-
mierre-Syndrom kann eine chirurgische Eröffnung des infizierten Diagnosesicherung Meist Anamnese und klinische Untersuchung
Hohlraumes (z. B. durch Einlegen eines Paukenröhrchens, Drainage ausreichend. Bei therapierefraktärer Sinusitis/Otitis Punktate/Biop-
der Abzesse) notwendig werden. sien aus Nasennebenhöhlen/Paukenhöhle. Abstriche aus Nase,
. Abb. 115.2 fasst Diagnostik und Therapie von Infektionen der Nasopharynx und Gehörgang sind ungeeignet.
oberen Atemwege zusammen. Therapie Symptomatisch! Kalkulierte antimikrobielle Chemo-
therapie eitriger Infektionen mit Penicillinen und oralen
jPrävention Cephalosporinen.
Die STIKO empfiehlt eine Impfung gegen H. influenza Typ B, Prävention Impfung gegen S. pneumoniae, H. influenzae,
C. diphtheriae-Toxin und S. pneumoniae. Weiterhin steht eine jähr- C. diphtheriae.
liche Impfung gegen Influenzaviren zur Verfügung (7 Kap. 116).
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849 115
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Pleuropulmonale Infektionen
T. Welte

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_116, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Akute und chronische Infektionen der Atemwege sind häufig und in (7 Kap. 110) ist möglich. Sekretolytika, die früher häufig in dieser
der Mehrzahl durch Viren bedingt. Indikation verschrieben wurden, beeinflussen den Krankheitsver-
Bei der Pneumonie lassen sich hinsichtlich Erreger, Prognose und Ver- lauf wenig. Gerade beim alten Menschensollte auf ausreichende
lauf 3 Formen unterscheiden: Flüssigkeitszufuhr geachtet werden.
4 ambulant erworbene Pneumonie (»community-acquired pneu- Eine akute bakterielle Bronchitis ist selten und tritt wenn am
monia«, CAP): jede außerhalb des Krankenhauses oder während häufigsten bei Patienten mit schweren Komorbiditäten wie chroni-
der ersten 48 h nach Aufnahme ins Krankenhaus erworbene schen Herz-, Leber- oder Nierenerkrankungen auf. Wesentliches
Pneumonie klinisches Merkmal ist das purulente Sputum. Entzündungsparame-
4 nosokomiale Pneumonie (»hospital-acquired pneumonia«, ter wie CRP oder Procalcitonin sind deutlich erhöht. Im Einzelfall
HAP)> 48 h nach Krankenhausaufnahme und in den ersten lässt sich eine eitrige Tracheobronchitis nur schwer von einer begin-
Tagen (bis zu 4 Wochen) nach Krankenhausentlassung erworben nenden Pneumonie abgrenzen. Wesentliche Erreger sind Strepto-
– Sonderform: beatmungsassoziierten Pneumonie (»ventilator- coccus pneumoniae, H. influenzae, Moraxella catarrhalis und En-
associated pneumonia«, VAP) terobakterien. Die Therapie entspricht jener der unkomplizierten,
4 Pneumonie bei Immunsupprimierten (7 Kap. 126): ambulant erworbenen Pneumonie.
Patienten nach solider Organ- oder Knochenmarktransplantation,
Patienten mit HIV/AIDS und Patienten unter Zytostatikatherapie
aus dem hämatologisch/onkologischen oder rheumatologischen 116.1.2 Chronische Bronchitis und chronisch
Bereich. Alleinige Therapie mit > 10 mg Prednisolonäquivalent über obstruktive Bronchitis (COPD)
> 14 Tage führt ebenfalls zu nennenswerter Immunsuppression.
Von der akuten Bronchitis ist die chronische Bronchitis (WHO-
In den USA werden Patienten mit regelmäßigem Kontakt zum Ge- Definition: Husten und Auswurf über mehr als 3 Monate in 2 auf-
sundheitssystem (Alten- und Pflegeheimpatienten, chronische Hämo- einanderfolgenden Jahren) und insbesondere die chronisch obstruk-
dialyse, onkologische Patienten) unter dem Oberbegriff »health care- tive Bronchitis (COPD) abzugrenzen. Die Mehrzahl der Exazerba-
associated pneumonia« (HCAP) zusammengefasst und im Hinblick tionen der COPD ist ebenfalls viral bedingt, 20–30 % haben jedoch
auf Diagnostik und Therapie anders behandelt als klassische CAP-Pa- eine bakterielle Genese.
tienten. In Europa gibt es bisher keine Hinweise, dass sich in dieser Das Risiko bakterieller Exazerbationen ist umso höher, je
Patientengruppe das Keimspektrum verschiebt. Die europäischen schlechter die Lungenfunktion in stabilem Zustand ist. Neben den
Leitlinien beinhalten daher keine eigenständige Empfehlung für schon bei der akuten Bronchitis (7 Abschn. 116.1.1) genannten Er-
HCAP. regern spielt v. a. P. aeruginosa eine wesentliche Rolle. Dieser ist
Die frühere Einteilung der Pneumonie in Lobär-, Broncho-, interstitielle bisher der einzige Erreger, für den ein Zusammenhang mit der
Pneumonie ist aufgrund ihres geringen Aussagewertes für Verlauf und Prognose der Exazerbation gezeigt werden konnte.
Prognose und damit für Diagnostik und Therapie verlassen worden. Wichtigstes klinisches Zeichen der bakteriellen Exazerbation
der COPD ist das purulente Sputum, dessen Sensitivität und Spezi-
fität jedoch auch nur begrenzt ist, sodass es immer im Kontext der
116.1 Akute und chronische Bronchitis anderen klinischen Befunde beurteilt werden muss. Weitere klini-
sche Zeichen sind Dyspnoe und eine Vermehrung des Sputumvolu-
116.1.1 Akute Bronchitis mens. Ein erhöhtes CRP (> 40 mg/l) spricht für eine bakterielle
Infektion und ist der wichtigste Laborparameter. Bei gehäuften bak-
Die akute Bronchitis ist die häufigste Infektionskrankheit der Atem- teriellen Exazerbationen der COPD sollte in jedem Fall eine mikro-
wege. Es gibt eine eindeutige saisonale Häufung dieser Erkrankung, biologische Diagnostik angestrebt werden.
die v. a. in den Herbst- und Wintermonaten mit einem Maximum Basistherapie ist die Intensivierung der Bronchodilatation und
zwischen Dezember und März auftritt. ein kurzzeitiger (max. 5 Tage dauernder) oraler Kortikosteroidstoß
99 % aller akuten Bronchitiden sind viral ausgelöst, subfebrile mit 20–40 mg Prednisolonäquivalent.
Temperaturen und Husten mit glasig-weißlichem Auswurf sind die Die antibiotische Therapie der Exazerbation richtet sich nach
wesentlichen Symptome. Begleitende Symptome oberer Atemweg- deren Schwere:
infektionen wie Schnupfen und Halsschmerzen sind häufig. 4 Für leichte Exazerbationen gelten die Richtlinien für die
Eine kausale Therapie der viralen Atemweginfektion gibt es mit unkomplizierte, ambulant erworbene Pneumonie.
Ausnahme der Influenza nicht. In der Regel bessert sich die Symp- 4 Für mittelschwere Exazerbationen gelten die Richtlinien der
tomatik nach 3 Tagen, letzte Krankheitssymptome verschwinden stationär behandelten Pneumonie. Eine orale Applikation der
nach 10 Tagen. Eine symptomatische Therapie zur Fiebersenkung Antibiotika ist möglich.
852 Kapitel 116 · Pleuropulmonale Infektionen

4 Bei schweren Exazerbationen und bei bekannter Besiedlung gegeben wird. Nach Nutzen-Risiko-Abschätzung scheint auch eine
mit P. aeruginosa sollte eine Pseudomonas-wirksame Therapie Therapie mit Neuraminidase-Inhibitoren 48 h nach Symptom-
eingeleitet werden. Wesentliche Risikofaktoren für eine Pseu- beginn bei Intensivpatienten mit Verdacht auf oder gesicherter
domonas-Besiedlung sind die weit fortgeschrittene COPD und Influenzainfektion gerechtfertigt. Die empirische Oseltamivir-The-
v. a. das Vorhandensein von Bronchiektasen. rapie sollte nach Ausschluss einer Influenzainfektion durch mikro-
biologische Untersuchungen wieder beendet werden (Deeskalation).
Für die orale Antibiotikatherapie der schweren Exazerbation stehen Wichtig: Eine Influenzainfektion durch einen negativen Antigen-
nur die oralen Fluorchinolone Levo- und Ciprofloxacin zur Verfü- schnelltest aufgrund der niedrigen Sensitivität nicht ausgeschlossen
gung, die jedoch nur in Ausnahmefällen gegeben werden sollten und werden kann.
ausreichend hoch (2-mal 500–750 mg Ciprofloxacin und 2-mal Etwas mehr als ein Viertel aller CAP-Patienten in entwickelten
500 mg Levofloxacin) dosiert werden müssen. In der Regel ist eine Ländern kommt inzwischen aus Bereichen mit intensivem medizini-
stationäre parenterale Antibiotikagabe notwendig. Es gibt keinen schem Versorgungsbedarf (Alten- und Pflegeheime, chronische Er-
Hinweis, dass eine Therapie mit Antibiotika über 7 Tage hinaus zu krankungen mit dauerndem Kontakt zu medizinischen Versorgern
einer zusätzlichen Verbesserung der COPD-Symptomatik führt. wie Hämodialyse, Tumornachsorge u. Ä.). In den USA wird für diese
Die Influenzaimpfung ist eine nachgewiesene, die Impfung ge- Patienten ein Wandel des Erregerspektrums von den bei uns domi-
gen Pneumokokken eine wahrscheinliche präventive Maßnahme nierenden S. pneumoniae und H. influenzae hin zu gramnegativen
im Hinblick auf die Exazerbation der COPD. Erregern und Staphylokokken beschrieben.
Krankheitsbilder

Selbst eine Variante eines methicillinresistenten S. aureus, der am-


bulant erworbenen wird (»community-acquired« oder c-MRSA) und
116.2 Ambulant erworbene Pneumonie (CAP) sich durch hohe Pathogenität auszeichnet, wird gehäuft beobachtet.
Primär sind c-MRSA für schwere, hochgradig ansteckende Haut-
jEpidemiologie Weichgewebe-Infektionen verantwortlich. Inzwischen sind jedoch
Seit 2001 gibt es ein vom Bundesministerium für Bildung und For- schwere, nekrotisierende Pneumonien bei gesunden, jungen Men-
schung finanziertes Netzwerk zur ambulant erworbenen Pneumonie schen beschrieben worden, die sich durch hohe Morbidität und Leta-
(CAPNETZ [Welte 2012]), das 2007 erstmals zuverlässige Daten zur lität (bis zu 32 %) auszeichnen.
CAP-Inzidenz in Deutschland präsentierte: Je nach Statistik ist von In Europa findet sich zurzeit kein Anhalt für einen ähnlich dra-
3,7–10,1 Pneumonien pro 1000 Einwohnern auszugehen, das ent- matischen Erregerwechsel. Zwar findet sich auch bei uns eine Zu-
spricht ca. 400.000–680.000 CAP-Fällen in Deutschland pro Jahr. nahme an Enterobacteriaceae, die Breitspektrum-β-Laktamasen
Davon werden ca. 200.000 Patienten stationär behandelt. Die mitt- (»extended-spectrum betalactamases«, ESBL) bilden, allerdings nur
lere Sterblichkeit der ambulant behandelten CAP ist nicht bekannt, bei Patienten mit schwerwiegenden Komorbiditäten. P. aeruginosa
dürfte jedoch unter 1 % liegen, dagegen ist sie nach Daten der Bun- spielt in Deutschland im ambulanten Bereich außer bei Patienten
desqualitätssicherung im stationären Bereich mit 12–13 % hoch mit Bronchiektasen im Rahmen fortgeschrittener Lungenerkran-
(Ewig 2009). Besonders hoch war sie bei Patienten aus Alten- und kungen keine Rolle. Resistente Erreger wie c-MRSA und ESBL wur-
Pflegeheimen. Das mittlere Lebensalter von Pneumoniepatienten lag den nur in wenigen Fällen als CAP-Erreger beschrieben.
bei knapp 76 Jahren. Es ergab sich eine lineare Abhängigkeit der
Sterblichkeit vom Alter mit 2–3 % Zuwachs pro Lebensdekade vom kRisikostratifizierung von CAP-Patienten
30. Lebensjahr an. und entsprechende Diagnostik und Therapie
Das Sterberisiko von Patienten mit CAP lässt sich mittels eines ein-
jPathogenese fachen Scores (CRB-65, C= »confusion«, Bewusstseinseinschrän-
Eine definitive Klärung der Ätiologie einer ambulant erworbenen kung, R = Atemfrequenz ≥ 30/min, B= systolischer Blutdruck
Pneumonie gelingt selbst unter Studienbedingungen in maximal < 90 mmHg, 65 = Alter ≥ 65 Jahre) zuverlässig abschätzen. Klassi-
60 % aller Fälle. Der am häufigsten detektierte Erreger ist weltweit sche klinische Symptome wie Fieber, Husten oder die Schwere der
Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken, in ca. 30–50 % aller Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens waren für die Risiko-
Fälle), gefolgt von Mycoplasma pneumoniae, H. influenzae (beide abschätzung wenig hilfreich. Gerade ältere Menschen waren häufig
ca. 10 %) und Legionella pneumophila (ca. 3–5 %). Seltener findet nur wenig symptomatisch. Da die klinische Untersuchung nicht für
man Chlamydophila pneumoniae, M. catarrhalis, S. aureus und En- die Pneumoniediagnose ausreicht, wird eine radiologische Diagnose-
terobacteriaceae (die beiden letzteren v. a. bei »Patienten aus Alten- sicherung dringlich empfohlen.
und Pflegeheimen«). Mischinfektionen mehrerer Erreger sind mög- Eine schwere akute respiratorische Insuffizienz mit Beatmungs-
lich, aber eher selten. pflicht (invasiv oder nichtinvasiv) und Zeichen eines septischen
Die Bedeutung von Viren (v. a. von Influenza A/B im Herbst/ Schocks (mit Vasopressorbedarf) zeigen die schwere ambulant er-
Winter) ist nicht abschließend geklärt. Wahrscheinlich lösen sie nur worbene Pneumonie an und erfordern die Aufnahme auf die Inten-
in seltenen Fällen selbst eine Pneumonie aus. Viren sind jedoch in sivstation. In den US-amerikanischen Leitlinien (Mandell et al.
der Lage, das Atemwegepithel zu schädigen und die Immunabwehr 2007) wird zudem zumindest eine Aufnahme auf eine Über-
negativ zu beeinflussen, sodass der Weg für bakterielle Infektionen, wachungsstation empfohlen, wenn 3 der folgenden Kriterien zu-
insbesondere Pneumokokken- und Staphylokokkeninfektionen, be- treffen:
reitet wird. 4 Atemfrequenz > 30/min
Die Anwendung von Neuraminidasehemmern (Oseltamivir) bei 4 PaO2/FiO2 < 250
mild bis moderat erkrankten Erwachsenen ohne Begleiterkrankun- 4 multilobäre Infiltrate im Röntgen-Thorax
gen wird kontrovers diskutiert und zurzeit eher nicht empfohlen. Da 4 neu auftretende Verwirrtheit
Oseltamivir gut verträglich ist, scheint eine empirische frühzeitige 4 Urämie (BUN-Wert [»blood urea nitrogen«] ≥ 20 mg/dl)
Therapie bei hospitalisierten Patienten mit Risikofaktoren gerecht- 4 Leukopenie (< 4000/mm2 Leukozyten)
fertigt, vor allem wenn es frühzeitig nach Beginn der Symptomatik 4 Thrombozytopenie (< 100.000/mm2)
116.2 · Ambulant erworbene Pneumonie (CAP)
853 116
4 Hypothermie (< 36 °C rektal)
4 Hypotension, die eine aggressive Volumensubstitution
erfordert

jKlinik
Zu beachten sind:
4 respiratorische Symptome (Husten, purulenter Auswurf,
Dyspnoe), Fieber, Tachypnoe (beim Kleinkind Nasenflügeln als
Zeichen der Dyspnoe), Zyanose, Pleuraschmerzen
4 Allgemeinsymptome wie allgemeines Krankheitsgefühl,
Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit
4 Extrapulmonale Symptome wie Durchfall oder eine neurologi-
sche Symptomatik (Verwirrtheit, Halluzinationen) können
vor der pulmonalen Symptomatik auftreten.

Zeichen einer viralen Erkrankung (Pharyngitis, Rhinitis, Otitis)


können vorausgegangen sein. Man findet nur selten alle klinischen
Symptome gleichzeitig. Gerade beim alten Menschen kann eine
Pneumonie sehr symptomarm verlaufen.
Bei der körperlichen Untersuchung findet man eine Klopf- . Abb. 116.1 Pneumokokkenpneumonie bei 62 Jahre altem Patienten mit
schalldämpfung, ein verschärftes Atemgeräusch und ohrnahe Ras- chronischer Bronchitis (Segmentpneumonie) (aus: Adam et al. Die Infektio-
selgeräusche. Sensitivität und Spezifität des Auskultationsbefundes logie, Springer 2004)
sind jedoch gering, sodass man sich nicht auf diese Befunde allein
verlassen kann.
Eine pulmonale Stauung bei kardialen Erkrankungen imitiert
jDiagnostisches Vorgehen häufig eine Pneumonie, zumal bei akuter Herzinsuffizienz sub-
kBildgebung febrile  Temperaturen und erhöhte Laborentzündungsparameter
Die Routinediagnostik für Pneumonie besteht in einer Thorax-Rönt- häufig sind. Dasselbe gilt für Infarktpneumonien nach Lungenem-
genaufnahme in 2 Ebenen, die allerdings nicht 100 % sensitiv ist bolie, v. a. wenn ein pleuraständiges Infiltrat im Röntgenbild nach-
(. Abb. 116.1). Die hochauflösende CT zeigt gelegentlich Infiltrate weisbar ist. Interstitielle Lungenerkrankungen und Erkrankungen
bei Patienten mit unauffälliger Thorax-Röntgenaufnahme. Besteht aus dem rheumatischen und vaskulitischen Formenkreis sollten v. a.
daher trotz unauffälliger Röntgen-Thoraxaufnahme ein begründeter bei Versagen der antibiotischen Therapie erwogen werden.
klinischer Verdacht auf eine Pneumonie und zeigt sich klinisch keine Wichtigste infektiologische Differenzialdiagnose ist die Lungen-
Verbesserung, kann die Röntgenaufnahme nach 24–48 h wiederholt tuberkulose, v. a. bei Infiltraten mit zentraler Einschmelzung.
oder eine CT durchgeführt werden. Andererseits ist nicht jede Ver-
schattung auf einem Thorax-Röntgenbild pneumoniebedingt. jTherapie
Die deutsche Leitlinie zur Behandlung der ambulant erworbenen
kLabor Pneumonie (Ewig et al. 2015) unterscheidet Patienten
Der Anstieg des C-reaktiven Proteins ist wegweisend, wenn auch nicht 4 mit höherem Risiko, die stationär behandelt werden sollten;
infektionsbeweisend. Das hochsensitive Procalcitonin (> 0,25 ng/ml) 4 mit niedrigem Sterblichkeitsrisiko (CRB-65 = 0), die ambulant
ist ein deutlich spezifischerer Marker für bakterielle Infektionen, hat behandelt werden sollten; im Falle einer ambulanten Therapie
sich aber aufgrund des hohen Preises nicht überall etabliert. Bei bak- sollte nach 48–72 h eine Reevaluation erfolgen. Weitere Krite-
teriellen Pneumonien liegt in der Regel eine Leukozytose mit Links- rien, die eine stationäre Aufnahme eventuell trotz eines nied-
verschiebung vor. Eine Leukopenie kann Zeichen einer bereits sep- rigen Scores erforderlich machen (Hypoxämie/Sauerstoff-
tisch verlaufenden Infektion sein und ist prognostisch ungünstig. pflichtigkeit, Komplikationen [z. B. Pleuraerguss], instabile
Eine mikrobiologische Diagnostik wird bei Patienten im ambu- Komorbiditäten, soziale Faktoren wie z. B. ein fehlende häus-
lanten Bereich nicht empfohlen. Ansonsten gelten für die mikrosko- liche Versorgung) sollten berücksichtig werden.
pische Diagnostik die in den anderen Kapiteln dieses Buches be-
schriebenen Richtlinien. Geeignete Proben sind dabei Materialien Innerhalb der Therapieempfehlungen für die einzelnen Risikoklas-
aus den tiefen Atemwegen (Sputum, bronchoalveoläre Lavageflüs- sen wird noch einmal dahingehend unterschieden, ob spezifische
sigkeit [BAL], bei bestimmten Fragestellungen [Pilzinfektionen] Risikofaktoren vorliegen.
Biopsien), Pleuraflüssigkeit (bei Ergussnachweis durch Sonografie) Wesentliche Risikofaktoren für ein bestimmtes Erregerspektrum
und Blutkulturen. Bei Verdacht auf Legionelleninfektion sollte eine sind dabei klinisch relevante Komorbiditäten (bekanntes Tumor-
Antigenbestimmung im Urin erfolgen. Serologische Untersuchun- leiden, chronische Herzerkrankung, chronisch strukturelle Lun-
gen (Mykoplasmen, Chlamydien, Viren) werden zurzeit nicht routi- generkrankung, chronische Niereninsuffizienz, Leberzirrhose und
nemäßig empfohlen. eine neurologische Erkrankung mit erhöhtem Aspirationsrisiko).
Eine Antibiotikavortherapie in den letzten 3 Monaten erhöht genau-
kDifferenzialdiagnostik so wie häufige Hospitalisierungen im letzten Jahr die Wahrschein-
Wesentliche Differenzialdiagnosen der Pneumonie sind pulmonale lichkeit für das Auftreten resistenter Erreger.
Tumoren. Ein schneller Pneumonierückfall nach einem ersten The- Da die Resistenzsituation des wichtigsten Atemwegerregers
rapieerfolg kann ebenfalls auf eine poststenotische Pneumonie bei S. pneumoniae gegenüber den gängigen Antibiotika in Deutschland
Bronchialkarzinom hinweisen. nach wie vor gut ist, wird in der deutschen Leitlinie ein Penicillinde-
854 Kapitel 116 · Pleuropulmonale Infektionen

rivat als Therapie der Wahl für Niedrigrisikopatienten empfohlen. jPrävention


Doxycyclin und Makrolidantibiotika gelten nur als Alternative bei Die jährliche Influenzaimpfung führt nicht nur zu einem Rückgang
Unverträglichkeit gegenüber Penicillinen. Mit Einführung des an Viruspneumonien, sondern reduziert die Pneumonierate insge-
konjungierten Pneumokokkenimpfstoffs im Säuglings- und Klein- samt. Wie kürzlich gezeigt wurde, hat die Impfung auch einen Ein-
kindalter (Prevenar) ist es zu einem dramatischen Rückgang bakte- fluss auf den Verlauf von Pneumonien. Hierfür dürfte die impfungs-
riämischer Pneumokokkeninfektionen auch bei Erwachsenen und bedingte Aktivierung des Immunsystems eine Rolle spielen.
zu einer signifikanten Reduktion der Resistenzentwicklung von Die Rolle der Pneumokokkenimpfung in der Prävention von
S. pneumoniae gegenüber Makrolidantibiotika in Deutschland ge- CAP ist umstritten. Die bisher eingesetzten 23-valenten Polysaccha-
kommen. In anderen Ländern, vor allem in Asien und Südamerika ridimpfstoffe reduzieren zwar die Anzahl bakteriämischer Pneumo-
spielt eine Makrolidresistenz jedoch eine wichtige Rolle, die Reise- nien, nicht jedoch die Anzahl an Pneumonien insgesamt, da sie kei-
anamnese muss deshalb immer Bestandteil der Patientenanamnese ne mukosale Immunität erzeugen. Die bei Kleinkindern erfolgreich
sein. eingesetzten konjugierten Impfstoffe haben nicht nur zu einem dra-
Bei stationären Patienten sollten gramnegative und atypische matischen Rückgang an Pneumokokkenerkrankungen im Kindes-
Erreger Berücksichtigung finden. Aminopenicillin-Inhibitor-Kom- alter geführt, sondern auch zu einer Reduktion im Erwachsenen-
binationen einerseits und Cephalosporine andererseits, die je nach bereich beigetragen, da die Kinder die Erreger nicht mehr auf Er-
Schwere der Erkrankung mit Makrolidantibiotika kombinierbar wachsene und insbesondere ältere Menschen übertragen haben. Die
sind, stellen die Mittel der Wahl dar. Gegen Atemwegerreger aktive niederländische CAPITA-Studie (Bonten 2015) zeigt für über 65
Krankheitsbilder

Fluorchinolone wie Levo- oder Moxifloxacin sind wahrscheinlich Jahre alte Erwachsene einen Rückgang der Pneumokokkenpneumo-
ebenbürtig. nien gegenüber Plazebo um fast 50 %. Während der 13-valente Kon-
Ciprofloxacin wird aufgrund seiner schlechten Wirksamkeit im jugatimpfstoff in vielen europäischen Ländern und den USA empfoh-
grampositiven Bereich und der steigenden Resistenzraten gegenüber len wird, hat die Ständige Impfkommission in Deutschland bisher
den wichtigsten gramnegativen Erregern nicht zur Monotherapie nur die Anwendung bei Risikopatienten vorgeschlagen (RKI 2015).
von Atemweginfektionen empfohlen. Weltweit, jedoch nicht in
Deutschland, sind steigende Resistenzen gegenüber β-Laktam-
Antibiotika und Makroliden, aber auch gegenüber Fluorchinolonen 116.3 Nosokomiale Pneumonie (HAP/VAP)
zu verzeichnen. Eine Vorbehandlung mit Fluorchinolonen inner-
halb der letzten 3 Wochen vor der jeweils aktuellen Krankheits- jPathogenese
episode ist dabei der wichtigste Risikofaktor für den Erwerb einer Seit 2002 werden Infektionen im Krankenhaus dem Infektions-
Fluorchinolonresistenz. schutzgesetz entsprechend erfasst. Zusätzlich steht mit dem nationa-
Die Prävalenz von P. aeruginosa ist in Deutschland im ambulan- len Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) eine detail-
ten Bereich sehr niedrig. Bei P. aeruginosa-Verdacht wird eine The- liertere, vergleichende Erfassung nach US-amerikanischem Vorbild
rapie mit einem gegenüber Pseudomonas wirksamen Antibiotikum zur Verfügung.
wie Piperacillin/Tazobactam, Ceftazidim oder Imipenem/Merope- Staphylokokken sind der wichtigste grampositive Erreger der
nem empfohlen (7 Abschn. 116.3). Im stationären Bereich wird HAP/VAP, Enterobacteriaceae und Nonfermenter wie P. aeruginosa
grundsätzlich die parenterale Therapie empfohlen, weil v. a. bei alten und Acinetobacter spp. dominieren auf der gramnegativen Seite.
Menschen mit schwerer Erkrankung die Pharmakokinetik oral ver- Beachtenswert ist die zunehmende Prävalenz von Pilzinfektio-
abreichter Medikamente unklar erscheint. Bei gutem klinischem nen auch bei nichtimmunsupprimierten Patienten. Hierfür gibt es
Ansprechen der Therapie kann jedoch – auch bei schwerer Pneumo- 2 wesentliche Gründe:
nie – frühzeitig (nach 72 h) auf vergleichbare orale Medikamente 4 Patienten der Intensivmedizin werden immer älter.
umgestellt werden. 4 Aufgrund der enormen Fortschritte überleben Patienten auf
Ein Erfolg einer Therapie wird im Allgemeinen angenommen, der Intensivstation immer länger; der lang dauernde Intensiv-
wenn Folgendes zu verzeichnen ist: aufenthalt des Schwerkranken bewirkt jedoch eine Immun-
4 Atemfrequenz < 25/min suppression und begünstigt opportunistische Infektionen,
4 Sauerstoffsättigung > 90 % v. a. Pilzinfektionen.
4 Temperaturabfall um 1 °C
4 hämodynamischer und neurologischer Status unauffällig Zudem gibt es praktisch keinen Langlieger auf der Intensivstation,
4 Patient vermag normal Nahrung aufzunehmen der nicht über längere Zeit antibiotisch behandelt wird. Dies leistet
der Selektion – zumindest von Candida – Vorschub. Die Bedeutung
Therapieversagen Dies liegt vor, wenn nach 72 h keine klinische eines Candida-Nachweises im Atemwegmaterial ist allerdings – im
Besserung eingetreten bzw. eine Verschlechterung sichtbar ist. Gegensatz zu positiven Blutkulturen – strittig, da (v. a. bei Beatmeten
Neben einer erweiterten Diagnostik (Sonografie, CT-Thorax, Bron- und unter antibiotischer Therapie) praktisch immer innerhalb von
choskopie mit BAL, evtl. Biopsie), die auch der Erkennung wichti- 3 Tagen ein positiver Candida-Nachweis möglich ist. Candida-
ger Komplikationen der CAP (Pleuraempyem, Lungenabszess) Nachweise im Atemwegsmaterial stellen jedoch praktisch immer
dient, muss eine Anpassung der Antibiotikatherapie erfolgen. Im Besiedlungen dar und haben keinen pathogenen Wert.
Vordergrund steht dabei die Erweiterung der Therapie im Hinblick Aspergillus-Nachweis geht zumindest mit einer dramatisch ver-
auf atypische Pathogene (Kombination mit Makrolidantibiotika schlechterten Prognose von Intensivpatienten einher, auch wenn
oder neueren Fluorchinolonen) bzw. resistente gramnegative Er- unklar ist, ob bei diesen Patienten eine Schimmelpilzinfektion ur-
reger. sächlich für die erhöhte Letalität ist oder ob Aspergillus gehäuft bei
Schwerkranken als Siedler auftaucht und damit eine Art »Marker«
Therapiedauer Sie wurde im Leitlinien-Follow-up auf 5–7 Tage re- für Patienten mit schlechter Prognose darstellt. Der Nachweis von
duziert. Einzig für die seltene Pseudomonas-Pneumonie ist eine Galaktomannan im Serum oder – spezifischer – in der BAL gibt je-
längere Therapie (7–14 Tage) vorgesehen. doch einen Hinweis auf eine invasive Aspergilleninfektion. Wann
116.3 · Nosokomiale Pneumonie (HAP/VAP)
855 116
immer möglich sollte ein CT-Thorax zur Bestätigung der Diagnose Blutkulturen werden in 10–30 % positiv und sollten bei schwe-
durchgeführt werden. reren Infektionen immer durchgeführt werden.
Serologische Untersuchungen spielen mit wenigen Ausnahmen
jKlinik in der Diagnostik keine Rolle. Dies gilt insbesondere für Candida
Die klassischen klinischen Symptome der Atemwegerkrankung wie und die atypischen Erreger (Mykoplasmen, Chlamydien).
Husten, purulenter Auswurf, Dyspnoe, Fieber oder Pleuraschmer-
zen können auftreten. Gerade bei alten und multimorbiden Patienten jTherapie
kann eine Pneumonie allerdings symptomarm verlaufen. Eine aus- kResistenzentwicklung
führliche Untersuchung ist häufig aufgrund der Schwere der Erkran- Seit Mitte der 1990er Jahre ist für alle wichtigen Erreger eine stetige
kung nicht möglich. Einen pathognomonischen Auskultationsbe- Zunahme von Resistenzen gegen Standardantibiotika zu beobachten.
fund für die Pneumonie gibt es nicht. Zudem häufen sich auch Einzelfallberichte über Erreger, die gegen-
Die Diagnosestellung ist bei nosokomialer Pneumonie daher über keiner der bekannten Antibiotikagruppen mehr sensibel sind.
wesentlich schwieriger als bei der ambulant erworbenen. Der Zu- Die sich kontinuierlich ändernde Erregerepidemiologie muss in
sammenschau aller Befunde und der Erfahrung des Diagnostikers der Planung der Antibiotikatherapie berücksichtigt werden. Dabei
kommt daher eine wesentliche Bedeutung zu. ist die infektionsepidemiologische Variabilität hoch: Sogar zwi-
Für den Sonderfall der beatmungsassoziierten Pneumonie schen Krankenhäusern derselben Stadt oder verschiedenen Inten-
(VAP) wird der »clinical pulmonary infection score« (CPIS) als Kri- sivstationen desselben Hauses kann es erhebliche Unterschiede hin-
terium zur Diagnostik herangezogen (siehe Lehrbücher der Inneren sichtlich der wichtigsten Erreger und der zu beobachtender Resis-
Medizin und der Intensivmedizin), Sensitivität und Spezifität sind tenzen geben. Erreger- und Resistenzstatistiken sollten daher für
jedoch gering. jede Intensivstation einzeln und in regelmäßigen Abständen erstellt
werden.
jDiagnostisches Vorgehen
kBildgebung kAuswahl, Beginn und Dauer der Antibiotikatherapie
Das Röntgen-Thoraxbild stellt nach wie vor das Basisdiagnostikum Die Prognose von Patienten mit nosokomialer Pneumonie hängt
bei Pneumonie dar. Wann immer durchführbar, sollte eine Thorax- von der initial richtigen Antibiotikatherapie ab.
Röntgenaufnahme in 2 Ebenen angefertigt werden. Dies ist bei Inadäquate Therapie – sowohl ein falsches als auch ein nicht
schwer kranken Patienten und im Intensivbereich häufig nicht mög- ausreichend dosiertes oder zu spät gegebenes Antibiotikum – erhöht
lich. Liegend-Röntgenaufnahmen sind in der Regel von einge- die Sterblichkeitswahrscheinlichkeit um bis zu 40 %! Hauptgrund
schränkter Qualität, die Differenzialdiagnose zum pneumonischen für eine initiale Falschtherapie ist eine Infektion durch multiresis-
Infiltrat ist vielfältig. tente Erreger, die durch eine zu eng gewählte Antibiotikastrategie
Die hochauflösende CT ist wesentlich sensitiver. Der Transport nicht erreicht werden können.
zum CT stellt jedoch einen Risikofaktor für nosokomiale Infektio- Risikofaktoren für multiresistente Erreger (. Tab. 116.1) müssen
nen dar. Die Indikation muss deswegen sorgfältig überdacht werden. daher in die Therapieempfehlungen einbezogen werden. Einer even-
Die Untersuchung sollte nur erfolgen, wenn eine therapeutische tuellen Antibiotikavortherapie kommt dabei eine wesentliche Rolle
Konsequenz abzusehen ist. zu. Bis auf Ausnahmen sollte nicht mit einem Antibiotikum behan-
delt werden, das in den letzten 4 Wochen bereits eingesetzt wurde.
kLabor Eine genaue Antibiotikaanamnese ist daher enorm wichtig.
Für die Labordiagnostik gelten die für die CAP getroffenen Aussagen.
C-reaktives Protein steigt jedoch nach operativen Eingriffen regelhaft
an, sodass es noch schwieriger als bei CAP als diagnostisches Kriteri- . Tab. 116.1 Risikofaktoren für multiresistente Erreger
um genutzt werden kann. Seine Stärke liegt eher in der Verlaufskon-
trolle und in der Bedeutung für die Steuerung der Therapiedauer. Risikofaktoren für das antibiotische Vortherapie in den letzten
Die Durchführung einer Blutgasanalyse oder zumindest eine Auftreten multiresistenter 90 Tagen
pulsoxymetrisch bestimmte Sauerstoffsättigung ist zur Risikoein- Erreger (modif. nach
Hospitalisierung seit mindestens 5 Tagen
schätzung bei jeder nosokomialen Pneumonie zu fordern. Ausge- American Thoracic Society
dehnter Befall im Röntgenbild und/oder eine Hypoxämie machen 2005) bekannt hohe Prävalenz multiresistenter
immer eine intensivere Überwachung des Patienten nötig. Erreger für die Region bzw. das Kranken-
Welche mikrobiologische Diagnostik sinnvoll ist – tracheobron- haus
chiales Aspirat, Bronchoskopie mit BAL oder geschützter Bürste) –, Zusätzliche Risikofaktoren Hospitalisierung für 2 oder mehr Tage
ist Gegenstand heftiger Kontroversen: für bestimmte Erreger wie in den letzten 3 Monaten
4 Wenn die Bronchoskopie im Intensivbereich etabliert ist, z. B. MRSA
Bewohner eines Alten- oder Pflegeheimes
bietet sie neben der Erregerdiagnostik den Vorteil der makro-
skopischen Atemweg- und Schleimhautbeurteilung und sollte parenterale Therapie zu Hause
favorisiert werden. (auch Antibiotika)
4 Bei ausbleibender klinischen Besserung innerhalb der ersten chronische Hämodialyse
72 h nach Beginn der Antibiotikatherapie (Therapieversagen)
und bei immunsupprimierten Patienten sollte der invasiven offene Wundbehandlung zu Hause
Erregerdiagnostik in jedem Fall der Vorzug gegeben werden. Familienangehöriger mit Nachweis einer
Kolonisation mit multiresistenten Erregern
Pleuraergüsse sollten, v. a. bei persistierenden Infektionszeichen,
immunsuppressive Erkrankung oder
punktiert werden. Die pH-Wert-Bestimmung im Pleuraerguss Therapie
(< 7,2) gibt klare Hinweise auf ein Pleuraempyem.
856 Kapitel 116 · Pleuropulmonale Infektionen

Neben der richtigen Auswahl spielt der Zeitpunkt der Antibio- 4 plus/evtl. plus gegen S. pneumoniae (bei CAP) oder S. aureus
tikagabe für das Überleben des Patienten eine entscheidende Rolle. wirksames Antibiotikum (bei MRSA-Verdacht)
Sobald ein Infektionsverdacht besteht, muss die Therapie begonnen
werden. Diagnostische Maßnahmen (Gewinnung von Blutkultur Wegen der hohen Resistenzrate von Ciprofloxacin bei Enterobacte-
oder Atemwegmaterial) sollten dann abgeschlossen sein. Die Anti- riaceae und Pseudomonas wird keine Monotherapie mit dieser Sub-
biotikagabe darf jedoch in keinem Fall durch zu aufwendige Dia- stanz empfohlen.
gnostik wesentlich verzögert werden: Bei nosokomialer Pneumonie Heute werden Aminoglykoside 1-mal täglich hochdosiert gege-
kann sich die Letalität durch Verzögerung der adäquaten antibioti- ben. Dafür wird – vielleicht mit Ausnahme der Endokarditis – die
schen Therapie vervierfachen! Therapiedauer auf 3 Tage verkürzt. Eine retrospektive Analyse bei
Wie oben bereits gezeigt, beschleunigt eine Übertherapie mit Patienten mit Pseudomonas-Sepsis konnte den Erfolg dieses Vorge-
Antibiotika die Resistenzentwicklung der wichtigsten Erreger und hens bestätigen.
trägt damit indirekt zu einer erhöhten Sterblichkeit bei. Zuverlässige Für die Kombinationstherapie von β-Laktam-Antibiotika mit
Marker, die eine bakterielle Infektion belegen, fehlen. Fluorchinolonen bei VAP wurden Daten publiziert, die keinen Vor-
Primär wird man bei einem Infektionsverdacht immer mit einer teil der Kombinationstherapie erkennen ließen. Unglücklicherweise
breit wirksamen Antibiotikatherapie starten. Diese sollte ausrei- wurden jedoch alle problematischen Erreger in dieser Studie von
chend hoch dosiert sein – d. h. in der Intensivtherapie im obersten Vornherein ausgeschlossen, sodass insbesondere für Nonfermenter
zugelassen Dosisbereich. Entscheidend für die Entwicklung von An- und multiresistente Erreger keine endgültige Aussage zu treffen ist.
Krankheitsbilder

tibiotikaresistenzen ist jedoch u. a. die Dauer der Antibiotikathera- Aufgrund der problematischen Resistenzsituation v. a. bei Non-
pie: Diese ist auf den meisten Intensivstationen im Schnitt deut- fermentern und dem Fehlen neuer gramnegativ wirksamer Antibio-
lich zu lang! tika erlangen Substanzen wie Polymyxin B (Colistin) wieder eine
Mehreren Studien zufolge ist es sinnvoll, die Berechtigung einer klinische Bedeutung. Mehrere Fallserien bestätigten den Erfolg eines
solchen Therapie bereits an Tag 3 zu überprüfen. Lässt sich zu die- solchen Therapieansatzes (9 Mio. E als Ladungsdosis 1-malig, 4,5–
sem Zeitpunkt kein Infektionsverdacht mehr bestätigen, konnte die 5 Mio. E  66,7 mg Colistinbase 2-mal tgl.) gegen multiresistente
Therapie ohne Verschlechterung des Outcome beendet werden. Die Erreger. Die Nephrotoxizität muss bachtet werden.
Resistenzentwicklung wurde auf diese Weise reduziert und Kosten Aufgrund der Zunahme resistenter Erreger ist die inhalative
wurden gespart. Antibiotikatherapie ergänzend zur parenteralen Therapie bei
Aber auch für die Beurteilung des Therapieversagens ist der beatmeten Patienten in den Fokus gerückt. In erster Linie kommen
3. Tag der entscheidende Zeitpunkt, um das zu wählende Vorgehen Colistin und Tobramycin zum Einsatz, inhalatives Amikacin und
neu zu überdenken. Gegebenenfalls ist eine Erweiterung der Anti- Ciprofloxacin sind in Entwicklung. Parallel werden verbesserte In-
biotikatherapie (v. a. bei Verdacht auf multiresistente Erreger) oder halationssysteme entwickelt, die auch unter Beatmungstherapie zu
ein Wechsel des Antibiotikums notwendig. Bei Unklarheiten über nutzen sind. Studien, die die Effektivität dieser Therapie beweisen
Infektionsart und -herd sollte eine erweiterte Diagnostik unter Ein- würden, gibt es bisher nicht, 2 Phase-III-Studien laufen jedoch zur-
schluss endoskopischer und radiologischer Verfahren erwogen wer- zeit. Der Stellenwert dieser Therapieoptionen wird sich so erst in
den. einigen Jahren abschätzen lassen.
Zeichnet sich an Tag 3 ein Therapieerfolg ab, sollte die Therapie Bei Verdacht auf eine Infektion mit methicillinresistenten
bis zum Tag 7 unverändert fortgesetzt werden; bei bakteriämischen S. aureus (MRSA) ist eine Glykopeptidtherapie (Vancomycin) in
Staphylokokkenpneumonien und bei Pseudomonas und anderen der Regel nicht ausreichend, da sich Glykopeptide schlecht in der
Nonfermentern muss sie evtl. auf 10–14 Tage verlängert werden. Lunge anreichern. Kombinationen mit einem gewebegängigen
Antibiotikum (Rifampicin, Fosfomycin) sind möglich, jedoch nicht
kBestimmte Patientengruppen in großen Studien überprüft.
Die Therapie der nosokomialen Pneumonie orientiert sich an den Eine Alternative für schwere MRSA-Fälle ist das Oxazolidinon
Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (Dalhoff Linezolid, das sich in einer Studie dem Vancomycin signifikant
2012). Diese stratifizieren entsprechend dem Risiko für multiresis- überlegen zeigte. Wegen schwerwiegender neuro- und hämatotoxi-
tente Erreger (. Tab. 116.1). scher Nebenwirkungen ist diese Substanz jedoch nicht zur Langzeit-
Für Patienten ohne Risiko für multiresistente Erreger und mit therapie (> 4 Wochen) geeignet. Daten zur Therapie bakteriämi-
einer Beatmungsdauer unter 5 Tagen werden Aminopenicillin-Inhi- scher MRSA-Pneumonien mit Linezolid gibt es bisher nicht.
bitor-Kombinationen einerseits oder nicht gegen Pseudomonas Kürzlich wurde mit Tedizolid ein zweites Oxazolidinon zugelas-
wirksame Cephalosporine (alternativ respiratorische Fluorchinolo- sen, dass auch bei Linezolid-resistenten MRSA wirksam ist. Mit den
ne) als Monotherapie andererseits eingesetzt. Fünftgenerations-Cephalosporinen Ceftarolin und Ceftobiprol
Die überwiegende Mehrzahl – v. a. der VAP-Patienten – weist (mit zusätzlicher Wirksamkeit gegen P. aeruginosa) stehen Alterna-
jedoch signifikante Risikofaktoren auf und muss mit folgenden tiven zur Behandlung von MRSA-Infektionen zur Verfügung. Das
Wirkstoffen behandelt werden: gut bakterzide Daptomycin ist aufgrund einr Bindung an Surfactant
4 Pseudomonas-aktives β-Laktam: zur Pneumoniebehandlung nicht geeignet.
5 Piperacillin/Tazobactam In Anbetracht der hohen MRSA-Rate in den meisten deutschen
5 Cefepim oder Ceftazidim Krankenhäusern muss darauf hingewiesen werden, dass die Mehr-
5 Imipenem zahl der Nachweise reine Atemwegkolonisationen und nicht »ech-
5 Meropenem te« Infektionen anzeigt. Aufgrund der geringen Eradikations- und
5 Doripenem der hohen Rückfallraten von MRSA ist eine Therapie der Kolonisa-
4 plus/evtl. plus tion nicht indiziert. Vor Einleitung einer MRSA-Therapie sollte
5 Aminoglykosid oder klinisch, radiologisch und mittels Biomarkern kritisch geprüft wer-
5 gegen Pseudomonas wirksames Fluorchinolon (Levofloxa- den, ob tatsächlich eine Infektion vorliegt, die behandlungsbedürf-
cin oder Ciprofloxacin) tig ist.
Literatur
857 116
jPrävention
Auf prophylaktische Maßnahmen zur Verhinderung der Pneu- dert die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen. In Einzelfällen
monieentstehung, die einen wesentlichen Baustein in der Infektions- sind bakterielle Bronchitiden zu beobachten, die sich durch ver-
bekämpfung einnehmen, kann im Rahmen dieses Buches nicht mehrte Krankheitssymptome wie höheres Fieber, eine Zunahme
eingegangen werden. Hier wird auf die Empfehlungen des RKI der Luftnot und einen gelbgrünen Auswurf auszeichnen. Die
(www.rki.de) sowie der Centers of Disease Control (Rebmann u. chronische Bronchitis, vor allem bei Patienten mit obstruktiven
Greene 2010) verwiesen. Lungenerkrankungen, hat häufiger eine bakterielle Genese.
Die Zunahme des Sputumvolumens und die gelbgrüne Sputum-
farbe sind wegweisend. Die antibiotische Behandlung richtet
116.4 Pleuritis sich nach der Schwere der Exazerbation.
Ambulant erworbene Pneumonie (CAP) Die Therapie der
Man unterscheidet virale von bakteriellen Pleuritiden. Letztere ge- ambulant erworbenen Pneumonie orientiert sich an der Risiko-
hen in der Regel mit der Entwicklung eines Pleuraempyems einher. stratifizierung mithilfe des CRB-65-Scores. Niedrigrisikopatien-
Wesentliche Differenzialdiagnose für eine Pleuritis ist eine ten benötigen keine mikrobiologische Diagnostik und werden
Lungenembolie, die im Zweifelsfall immer ausgeschlossen werden mit Antibiotika mit schmalem Wirkspektrum behandelt. Patien-
sollte. Auch an eine maligne Genese der Pleuraschmerzen muss im- ten mit höherem CRB-Score, vor allem Patienten mit schweren
mer gedacht und ein Tumorgeschehen radiologisch ausgeschlossen Begleiterkrankungen, chronischer Bettägerigkeit und einer
werden. Wichtigste Differenzialdiagnose der bakteriellen Pleuritis Hypoxämie sollten stationär behandelt werden. Neben Pneumo-
ist die Tuberkulose. kokken sind gramnegative Erreger in der Therapie zu berück-
Wesentliches klinisches Symptom der Pleuritis ist der atem- sichtigen. Die Behandlungsdauer der CAP beträgt 5–7 Tage.
abhängige Pleuraschmerz. Subfebrile Temperaturen und erhöhte Wesentliche Komplikationen der CAP sind das Pleuraempyem
Entzündungswerte sind häufig. Im Verlauf der Erkrankung kann es und der Lungenabszess.
zu einem Pleuraerguss kommen. Typischerweise verschwinden die Eine Impfung gegen den wichtigsten Pneumonieerreger,
pleuritischen Beschwerden bei Ausbildung des Ergusses. S. pneumoniae, wird für Säuglinge und Kinder bis 2 Jahre sowie
Jeder Pleuraerguss > 10 mm in der Sonografie muss punktiert als Standardimpfung bei Personen > 60 Jahren und als Indika-
werden. Wichtigster Laborparameter aus dem Punktat des Pleura- tionsimpfung bei Risikogruppen (chronische Krankheiten, ange-
ergusses ist der pH-Wert: Ein Wert < 7,2 weist auf ein Empyem hin borene oder erworbene Immundefekt bzw. Immunsuppression)
und sollte drainiert werden. Neben dem pH sollten Eiweiß, Cho- empfohlen.
lesterin und LDH zur Abgrenzung eines Transsudats von einem Nosokomiale Pneumonie (HAP/VAP) Die wesentlichen Erre-
Exsudat im Erguss untersucht sowie eine mikrobiologische Unter- ger der HAP, S. aureus, Enterobacteriaceae und Nonfermenter,
suchung (evtl. auch eine Untersuchung auf Tuberkulose) angestrebt sollten in der empirischen Therapie abgedeckt werden. Risiko-
werden. faktoren für Multiresistenz wie eine kurz zurückliegender Kran-
Eine spezifische Therapie der viralen Pleuritis gibt es nicht. kenhausaufenthalt, eine antibiotische Vorbehandlung oder
Neben der antiphlogistischen Therapie ist die Überwachung der ein Kontakt zu einem Patienten mit multiresistenten Erregern
Komplikationen (Pleuraerguss) wesentlich. müssen in der Therapieplanung berücksichtigt werden. Die An-
Bakterielle Pleuritiden und v. a. Pleuraempyeme können von tibiotikadosierungen sollten sich bei HAP/VAP im Bereich der
vielen Pathogenen verursacht werden. Am häufigsten finden sich oberen empfohlenen Dosis bewegen. Je schwerer krank der Pa-
S. pneumoniae, S. aureus und Anaerobier (klassischer Geruch des tient ist, umso schneller muss die Antibiotikatherapie gestartet
Punktats nach Karies). Bei schlechtem Zahnstatus und pleuropul- werden.
monalen Infiltraten muss differenzialdiagnostisch an eine Aktino- Pleuritis Eine bakterielle Pleuritis geht in der Regel mit einem
mykose gedacht werden. Pleuraerguss einher. Dieser sollten punktiert werden, ein pH-
Die Standardtherapie des Pleuraempyems beinhaltet neben der Wert < 7,2 spricht für ein Pleuraempyem. Die Empyemdrainage
Drainagetherapie eine Antibiotikatherapie, welche die wesentlichen ist die wesentliche therapeutische Maßnahme. Die antibiotische
grampositiven und -negativen Erreger die Anaerobier erfasst. Neben Therapie sollte neben grampositiven Kokken vor allem Anaero-
Ampicillin-β-Laktamase-Inhibitor-Kombinationen wird ein Cepha- bier berücksichtigen.
losporin der 2. oder 3. Generation in Kombination mit Clindamycin
oder Moxifloxacin mit Erfolg eingesetzt. Die Therapiedauer richtet
sich nach dem klinischen Erfolg und beträgt in der Regel 14–21 Tage,
in Einzelfällen jedoch auch deutlich länger. Literatur

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Bronchitiden sind viraler Genese. Eine antibiotische Therapie ist Infectious Diseases, the German Society for Hygiene and Microbiology,
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858 Kapitel 116 · Pleuropulmonale Infektionen

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Krankheitsbilder

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859 117

Harnweginfektionen
G. v. Gersdorff

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_117, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die meisten jungen Frauen kennen sie von sich selbst oder zumindest jEinteilung
von einer guten Freundin: die akute Blasenentzündung (Zystitis). Zu Anatomisch unterscheidet man die Zystitis (untere Harnweginfek-
dieser Harnweginfektion (HWI) im engeren Sinne wird auch noch die tion) von oberen Harnweginfektionen wie Pyelonephritis und Infek-
akute Nierenbecken-/Nierenentzündung (Pyelonephritis) gezählt. Auf tionen des Nierenparenchyms (z. B. Nierenabszess). Im engeren
Intensivstationen und bei älteren Menschen sind Harnweginfektionen Sinne sind jedoch mit einer Harnweginfektion meist Zystitis und
häufige und oft lebensbedrohliche Erkrankungen. Pyelonephritis gemeint. Pathogenetisch kennzeichnet beide das
Multiple Mechanismen halten den Urin, der einen reichhaltigen Nähr- Aufsteigen von Keimen aus dem unteren Harntrakt, sodass die Py-
boden für Bakterien und Pilze darstellt, steril und müssen für die Ent- elonephritis gegenüber der Zystitis als schwerere Verlaufsform der
stehung einer Harnweginfektion gestört sein. Eine rationale Diagnostik gleichen Erkrankung angesehen werden kann. Dem steht eine hä-
und Therapie orientiert sich an diesen Mechanismen. Infektionen der matogene Keimverschleppung in das Nierenparenchym gegenüber
Urethra, der Prostata oder der anderen inneren Geschlechtsorgane oder das Übergreifen einer Infektion von der Umgebung auf das
können ähnliche Symptome verursachen, unterscheiden sich jedoch Nierenparenchym.
bezüglich Pathogenese und Erregerspektrum sowie diagnostischem Wichtig für die Behandlung, insbesondere für die initiale, empi-
und therapeutischem Vorgehen (7 Kap. 118). rische Wahl der Antibiotika, ist die Einteilung in ambulant versus
nosokomial erworbene Harnweginfektionen. Wichtigster Faktor ist
dabei das Risiko, dass die ursächlichen Erreger Resistenzen gegen-
Eine Infektion der Harnwege liegt vor bei Erregernachweis aus über den Standardantibiotika entwickelt haben. Dieses Risiko ist am
dem Urin, verbunden mit typischen Symptomen (wie Dysurie, Pol- höchsten in Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen oder bei
lakisurie) und klinischen Zeichen (wie Leukozyturie oder Fieber). chronischer Exposition gegenüber Antibiotika (. Tab. 117.2). Für
Bei Vorliegen eines Fremdkörpers wie z. B. eines Blasendauer- den Erfolg der Therapie ist die Abgrenzung unkomplizierte versus
katheters (BDK) ist die klinische Diagnose einer Infektion oft schwie- komplizierte Harnweginfektion notwendig, um aktiv nach Fak-
rig. Denn die meisten Patienten werden bakteriell besiedelt und wei- toren  suchen zu können, die eine Ausheilung behindern könnten.
sen Leukozyten im Urin als Abwehrreaktion auf. Ein Keimnachweis . Tab. 117.1 fasst die gängigen Einteilungen der Harnweginfektionen
im Urin ohne Symptome (asymptomatische Bakteriurie) beruht häu- zusammen.
fig auf einer kontaminierten Urinprobe oder einem fehlerhaften Trans- Eine therapeutische Herausforderung stellen rezidivierende
port ins Labor und kann Anlass für unnötige Antibiotikagaben sein. Harnweginfektionen dar. Davon spricht man beim Auftreten einer

. Tab. 117.1 Häufig gebrauchte Einteilungen von Harnweginfektionen (HWI). Zystitis und Pyelonephritis werden als Harnweginfektion im engeren
Sinne bezeichnet

Erklärung Pathogenese Bemerkung

Infektionen der Niere:


Akut Nierenabszess (einzeln oder multipel), hämatogene Aussaat oder Komplikation typische Urinbefunde können fehlen, wenn
perinephrischer Abszess einer aufsteigenden Infektion, Erreger- keine Verbindung mit dem Harntrakt besteht
spektrum abhängig von Fokus
Chronisch chronifizierte Entzündung, meist Nieren- chronische Abflussstörung, anatomische z. B. xanthogranulomatöse Pyelonephritis,
becken und -parenchym betroffen Fehlbildung M. tuberculosis, Malakoplakie
Infektionen der ableitenden Harnwege:
Unkomplizierte Infektion in strukturell und neurologisch aufsteigende Infektion mit Darmflora meist junge Frauen
HWI normalem Harntrakt aus der Perianal- und Perinealregion
Komplizierte Infektion in Harntrakt mit strukturellen Risikofaktoren (z. B.): klinische Zeichen, die auf komplizierende
HWI oder funktionellen (neurologischen) – Blasenkatheter, Ureterstent Faktoren hinweisen:
Veränderungen – Abflussbehinderung, Steine – verzögertes klinisches Ansprechen (> 48 h)
– Immunsuppression – Rekurrenz < 1 Monat trotz adäquater
– nach urologischem Eingriff (Schleim- Therapie
hautverletzung) cave: komplizierende Faktoren aktiv suchen!
– Kinder, Männer, Schwangere
860 Kapitel 117 · Harnweginfektionen

2. Harnweginfektion innerhalb von 6 Monaten oder bei 3 Harnweg-


infektionen innerhalb eines Jahres. Oft ist es schwierig, eine Reinfek-
tion (mit einem neuen Erreger) vom Wiederauftreten des gleichen
Erregers (Relaps oder Rezidiv) zu unterscheiden.

jEpidemiologie
Die Prävalenz von aufsteigenden Harnweginfektionen hängt wesent-
lich von Alter und Geschlecht ab. Während in den ersten 3 Lebens-
monaten Harnweginfektionen deutlich häufiger bei Knaben auftre-
ten, dominieren bei Kindern und Erwachsenen weibliche Patienten
(Verhältnis bis zu 30:1). Nach dem 65. Lebensjahr, mit vermehrtem
Auftreten von Prostatahyperplasien, steigt der Anteil männlicher
Patienten an, sodass sich die Relation Frauen zu Männer nahezu
angleicht (ca. 2–3:1).
10–20 % aller erwachsenen Frauen haben mindestens einmal in . Abb. 117.1 Erregerspektrum bei Harnweginfektionen (ARESC-Studie,
ihrem Leben eine symptomatische Harnweginfektion. Harnweginfek- Deutschland: Urinkulturen von 412 Frauen mit klinisch unkomplizierter
tionen stellen damit in der ambulanten Praxis eine der häufigsten Harnweginfektion)
Krankheitsbilder

Indikationen für eine antibiotische Behandlung dar.


Rezidivierende Zystitiden sind häufig und weisen nicht unbe-
dingt auf zugrunde liegende Störungen des Harntrakts hin. In etwa
30 % der Fälle kann es bei jungen gesunden Frauen nach einer Zys- nicht mehr steril und nach 30 Tagen ist die große Mehrheit bakteriell
titis innerhalb von 6 Monaten zu einer erneuten Infektion kommen, besiedelt. Etwa 10–25 % der Patienten entwickeln in der Folge eine
obwohl der Harntrakt anatomisch und physiologisch normal ist. symptomatische Harnweginfektion, häufig als Pyelonephritis. Nicht
Diese Rezidive sind meistens durch Reinfektionen mit einem neuen nur die Indikation für die Anlage eines Blasendauerkatheters sollte
Erreger verursacht. Gelegentlich können aber Bakterien, v. a. E. coli, deshalb kritisch gestellt werden. Man sollte im Verlauf immer wieder
den Abwehrmechanismen des Harntrakts entkommen und z. B. im überprüfen, ob der Katheter entfernt werden kann.
Schleimhautepithel der Blase persistieren.
Risikofaktoren für Rezidive sind v. a. Geschlechtsverkehr, Ver- jErregerspektrum
wendung von Spermiziden und vorausgegangene antibiotische The- Die meisten ambulant erworbenen Infektionen der ableitenden
rapie. Daneben werden eine Reihe biologischer und genetischer Harnwege werden durch gramnegative Erreger verursacht (. Abb.
Faktoren diskutiert sowie Pathogenitätsfaktoren der Erreger. Rezidi- 117.1; nach Wagenlehner et al. 2010). Am häufigsten sind (uropatho-
vierende Pyelonephritiden sind selten. gene) E. coli, Klebsiellen und Proteus spp. Daneben spielen auch
Bakteriurie ohne Symptome tritt sowohl bei gesunden wie auch grampositive Enterokokken und Staphylococcus saprophyticus eine
bei immungeschwächten Patienten auf und muss meist nicht behan- Rolle.
delt werden. Nur bei Schwangeren und Nierentransplantierten oder Das Spektrum der Organismen, die eine nosokomiale Harn-
vor urologischen Eingriffen stellt eine asymptomatische Bakteriurie weginfektion verursachen, ist oft breiter und schwerer vorherzu-
ein erhöhtes Risiko dar und eine aktive Suche danach (Screening) sagen oder weist eine höhere Rate von Resistenzen auf als die ur-
wird empfohlen. sächlichen Erreger im ambulanten Bereich. So kommen zusätzlich
Nach Nierentransplantation, v. a. in den ersten 6 Monaten, multiresistente E. coli, Pseudomonas und Klebsiella spp. vor
stellen Harnweginfektionen eine der häufigsten Ursachen für eine (3- bzw. 4-fach multiresistente gramnegative Erreger = 3/4-MRGN).
Abstoßungsreaktion dar. Da die Niere bei der Transplantation Bei schwerkranken Patienten können Harnweginfektionen auch
denerviert wird, treten bei einer späteren Infektion nur wenige und durch Pilze verursacht werden, v. a. durch Candida albicans. Dies
unspezifische Symptome auf. geschieht v. a. unter intensiver antibiotischer Behandlung, bei Im-
Bei nosokomialen Infektionen stehen Harnweginfektionen in munsuppression und fast immer in Verbindung mit einem Blasen-
jeder Statistik ganz vorn. Etwa 30 % der Septitiden im Krankenhaus katheter.
gehen von den Harnwegen aus. Die Abklärung auf eine Harnweg- . Tab. 117.2 zeigt eine Einteilung der Harnweginfektionen nach
infektion gehört deshalb zur Routinediagnostik bei Fieber in Kran- zu erwartendem Erregerspektrum. Es gibt keine Surveillance-Stu-
kenhaus und Notaufnahme. dien über Erregerspektren und Resistenzraten bei Pyelonephritis.
Häufige Ursachen für diese hohe Rate sind Blasendauerkathe- Wegen des ähnlichen Pathomechanismus wird üblicherweise von
ter: Innerhalb von 48 h nach Anlage sind schon 10–20 % der Urine der Zystitis extrapoliert.

. Tab. 117.2 Einteilung der Harnweginfektionen nach zu erwartendem Erregerspektrum

Erklärung Erreger Bemerkung

Ambulant ambulant erworben E. coli, Enterokokken, Staphylococcus Resistenzraten gegen Standard-


saprophyticus, Klebsiella spp., Proteus antibiotika können lokal stark variieren!

Nosokomial erworben in einem Krankenhaus, Pflege- E. coli, P. aeruginosa, Enterobacter spp., Resistenzspektrum des Krankenhauses
heim o. Ä. bzw. innerhalb 4 Wochen nach Klebsiella spp., Enterokokken etc. bzw. Pflegeheims etc. beachten
Entlassung aus einer solchen Einrichtung
117 · Harnweginfektionen
861 117

. Abb. 117.2 Virulenz und Abwehr bei Harnweginfektionen: Virulenzfaktoren (rote Schrift) sind Eigenschaften der Bakterien, welche die Adhäsion,
Invasion und Replikation befördern. Abwehrfaktoren (blaue Schrift) sind Mechanismen und Reaktionen des Organismus, um den Urin steril zu halten

jPathogenese verschiedenen löslichen Abwehrfaktoren den Kontakt von Erregern


kZystitis und Pyelonephritis mit der Blasenwand behindern. Anatomische Abflussbehinderun-
Zystitis und Pyelonephritis entstehen durch Aszension von Erre- gen durch Tumoren, eine hypertrophierte Prostata, reduzierte Peri-
gern aus der Perianal- und Perinealregion sowie der fehlbesiedelten staltik in der Schwangerschaft und andere Faktoren begünstigen
Vagina, von der Harnröhrenöffnung in die Blase und ggf. weiter in deshalb in starkem Maß die Entstehung einer Infektion.
die Nieren. Verschiedene Virulenzfaktoren begünstigen die Anlage- Als Reaktion der epithelialen Barriere kann die Anlagerung und
rung und Vermehrung uropathogener Keime am Blasenepithel, z. B. Vermehrung von Erregern eine Apoptose von Deckzellen aktivieren,
Typ-1- und P-Fimbrien (Adhäsine). die zu einer Abschilferung und damit zum Entfernen infizierter Zel-
Multiple Abwehrmechanismen halten den Urin, der einen gu- len führt. Ebenso wird die Produktion proinflammatorischer Zyto-
ten Nährboden für Erreger darstellt, steril. Fremdmaterial, einge- kine und eine neutrophile Entzündungsreaktion ausgelöst.
schränkter Urinfluss und Schädigung der epithelialen Barriere sind Bakterien, die ins Urothel einwandern oder in Biofilmen persis-
die wichtigsten disponierenden Faktoren für die Entstehung einer tieren können, entgehen den Immunabwehrmechanismen und stel-
Harnweginfektion. Vor allem der Urinfluss kann in Verbindung mit len ein Reservoir für Rezidive dar (. Abb. 117.2).
862 Kapitel 117 · Harnweginfektionen

Die Kürze der weiblichen Harnröhre ist Ursache für die Häufig- kUringewinnung bei ambulanten Patienten
keit der Harnweginfektionen bei Frauen. Für eine orientierende Urinuntersuchung (Teststreifen, Urinsedi-
Fremdmaterial, z. B. Harnblasenkatheter, begünstigen Harn- ment) in Ambulanz oder Praxis ist Spontanurin (10 ml) ausrei-
weginfektionen stark und sollten wann immer möglich entfernt chend. Dieser kann bei 4 °C 1–2 Tage gelagert werden.
werden. Weiterführende mikrobiologische Untersuchungen erfordern
jedoch eine korrekte Gewinnung von Urin. Urin für eine Kultur
kPerinephrische und Nierenabszesse muss bei Raumtemperatur innerhalb von 2 h, gekühlt bei 4 °C inner-
Nierenabszesse und perinephrische Abszesse entstehen entweder als halb von 24 h ins Labor gebracht werden.
Komplikation einer aufsteigenden Harnweginfektion oder durch
hämatogene Aussaat. Mittelstrahlurin Da diese Technik nicht ganz einfach ist, sollte da-
4 Prädisponierende Faktoren bei aufsteigenden Infektionen rauf nur bestanden werden, wenn es die Diagnostik erfordert. Pa-
sind z. B. vesikourethraler Reflux, neurogene Blasenstörungen tienten werden aufgefordert, den Meatus urethrae nur mit Wasser zu
oder andere Abflusshindernisse wie Zysten, Tumoren oder säubern (beim Mann Vorhaut zurückziehen, bei der Frau Labien
Nierensteine (v. a. im Nierenbecken). Die ursächlichen Erreger spreizen) und anschließend eine 1. Portion des Urins zu verwerfen.
sind dann die gleichen wie für Zystitis und Pyelonephritis. Die 2. Portion wird dann in ein steriles Gefäß aufgefangen.
4 Im Rahmen von Bakteriämien können sich Erreger auch in
der Niere festsetzen und einzelne oder multiple Abszesse bilden. Katheterurin Einmalkatheterisierung zur Gewinnung von Urin zur
Krankheitsbilder

Dies ist eine klassische Komplikation einer S. aureus-Bakteriämie Diagnostik bedarf aufgrund der erheblichen Infektionsgefahr einer
und kann sich bis zu 8 Wochen nach der initialen Infektion strengen Indikationsstellung. Sie ist bei Kindern und Schwangeren
manifestieren. deshalb kontraindiziert. Die Gewinnung erfolgt unter aseptischen
Bedingungen. Materialgewinnung aus einem Dauerkatheter ist nur
Die Wahl der empirischen Antibiotika hängt damit von der Präsen- bei Neuanlage sinnvoll. Ein Großteil ist bereits nach 1 Woche bakte-
tation ab: Im Zusammenhang mit einer Pyelonephritis sollte die riell besiedelt, ohne dass eine Infektion vorliegen muss.
Therapie gegen Enterobakterien gerichtet sein. Bei einer wahr-
scheinlich hämatogenen Genese sollten grampositive Erreger, v. a. Blasenpunktat Die Gewinnung von Urin durch sterile, suprapubi-
S. aureus, abgedeckt sein (7 Abschn. Therapie). sche Blasenpunktion ist auch für Kinder und Schwangere geeignet.
Die Harnblase muss dafür gefüllt sein, Infektionen oder Narben im
jKlinik Bereich der Einstichstelle dürfen nicht vorhanden sein und der Pati-
Leitsymptome einer Zystitis sind Dysurie (Schmerz oder Brennen ent sollte keine schweren Blutgerinnungsstörungen haben. Durch die
beim Wasserlassen), Pollakisurie (häufiges Wasserlassen bzw. häufi- sterile Technik gilt jede Zahl von Erregern als klinisch signifikant.
ger Harndrang), imperativer Harndrang (oft auch nachts, Nykturie)
und suprapubische Druckdolenz bzw. Schmerzen. Der Urin kann 1. Morgenurin Er ist durch die Flüssigkeitskarenz über Nacht be-
dabei trüb sein, unangenehm riechen oder etwas Blut enthalten. sonders konzentriert. Das kann bei typischen Symptomen und feh-
Hinzu kommen wechselnd starke Allgemeinsymptome wie Unwohl- lendem Erregernachweis in regulärem Mittelstrahlurin von Vorteil
sein, Abgeschlagenheit oder Appetitlosigkeit. Fieber gehört im All- sein.
gemeinen nicht dazu.
Fieber > 38 °C weist auf eine Pyelonephritis (Nieren- und kUrindiagnostische Tests
Nierenbeckeninfektion) hin. Diese ist gekennzeichnet durch Teststreifen (dipstick, U-Stix) zeigen mit ausreichender Sensitivität
Schmerzen im kostovertebralen Winkel (Nierenlager) oder in der und Spezifität Leukozyturie (Leukozytenesterase), Nitritbildung,
Flanke, ggf. mit Ausstrahlung in die Leiste. Allgemeinsymptome Hämat- und Proteinurie sowie den pH-Wert an. Sie sind zur Bestä-
sind meist ausgeprägter (Übelkeit/Erbrechen) und Schmerzen tigung des klinischen Verdachts einer unkomplizierten Harnweg-
können auch als diffus im Abdomen angegeben werden. Bei älteren infektion geeignet.
Patienten, kleinen Kindern und bei Immunsuppression können
Symptome abgeschwächt oder uncharakteristisch sein, Fieber kann Urinsediment Quantifizierung von Leuko- und Erythrozyten sowie
fehlen. Bakterien, ggf. auch von Zellzylindern und Kristallen aus einer fri-
Dysurie tritt auch bei Urethritis, Prostatitis und Vaginitis auf schen Urinprobe. Heute häufig als Durchflusszytometrie anstatt der
und sollte von diesen Krankheitsbildern abgegrenzt werden (7 Kap. klassischen Zentrifugation und Mikroskopie des Niederschlags.
120).
Urinkultur Sie wird bei allen komplizierenden Faktoren empfohlen.
jDiagnostisches Vorgehen Urin sollte dafür mindestens 3 h in der Blase verweilt haben und vor
In der ambulanten Praxis sind die klinischen Zeichen meist ausrei- dem Beginn einer antibiotischen Therapie gewonnen werden. Wich-
chend, um eine Therapie einzuleiten. So wird bei jungen Frauen tig ist dabei die korrekte Gewinnung und Weiterverarbeitung des
ohne weitere Risikofaktoren (. Tab. 117.1) außer einem Urin-Test- Urins (7 s. o.).
streifen (dipstick, U-stix) oder einem Urinsediment (7 s. u.) keine
weitere Diagnostik empfohlen. kBefundinterpretation
Harnweginfektionen bei Männern gelten in aller Regel als kom- Urinsediment
pliziert, weswegen eine weitergehende Diagnostik notwendig ist. 4 Leukozyturie: Ein Wert > 10 Leukozyten/ml gilt als signifikant.
Trotzdem kommen unkomplizierte Harnweginfektionen auch bei 4 Leukozyturie ohne Bakteriurie ist unter anderem mit Urethri-
jungen Männern vor. tis, allergischer interstitieller Nephritis oder untypischen Erre-
Für eine erfolgreiche Diagnostik ist eine korrekte Uringewin- gern (z. B. M. tuberculosis) vereinbar.
nung, Auswahl des Testverfahrens und Interpretation der Befunde 4 Bakteriurie ohne Leukozyturie weist auf einen Entnahme-
von großer Bedeutung: oder Transportfehler hin.
117 · Harnweginfektionen
863 117
Urinkultur
. Tab. 117.3 Behandlung der unkomplizierten Zystitis
4 Der Nachweis von Erregern bei steril gewonnenen Urinen ist
immer signifikant.
Substanz Tagesdosierung Dauer
4 Bei transurethral gewonnenen Urinen weisen > 105 CFU/ml
auf eine Harnweginfektion hin, bei < 103 CFU/ml liegt in der Mittel der 1. Wahl (A):
Regel keine Infektion vor.
Fosfomycin-Trometamol 3000 mg 1× 1 Tag
4 Da die meisten Harnweginfektionen Monoinfektionen sind,
spricht der Nachweis von ≥ 3 Bakterienstämmen (Bakterien- Nitrofurantoin RT 100 mg 2× tgl. 5 Tage
mischflora) für eine Kontamination bei Abnahme oder oft
Pivmecillinam* 400 mg 2× tgl. 3 Tage
unsachgemäßen Transport.
Mittel der 2. Wahl (B):
Blasendauerkatheter Ciprofloxacin 250 mg 2× tgl. 3 Tage
4 Bei Fremdkörpern im Harntrakt, z. B. Blasendauerkatheter,
Levofloxacin 250 mg 1× tgl. 3 Tage
wird der Urin oft durch mehrere Bakterienstämme bakteriell
besiedelt (Bakterienmischflora) und enthält auch Leukozyten Norfloxacin 400 mg 2× tgl. 3 Tage
als Abwehrreaktion. Eine eindeutige Diagnose einer Harnweg- Ofloxacin 200 mg 2× tgl. 3 Tage
infektion ist dann schwierig. Zumeist muss in diesem Fall unter
dem Verdacht auf Harnweginfektion als Ursache einer Zu- Cefpodoximproxetil 100 mg 2× tgl. 3 Tage
standsverschlechterung oder von Fieber behandelt werden. Bei Kenntnis der lokalen Resistenzsituation (E. coli-Resistenz < 20 %):
4 Bei Erregernachweis > 105 CFU/ml und Fieber, suprapubischer
Cotrimoxazol 160/800 mg 2× tgl 3 Tage
Druckdolenz oder Klopfschmerzhaftigkeit im Nierenlager ist
die Diagnose einer Harnweginfektion auch bei Blasendauerka- Trimethoprim 200 mg 2× tgl. 5 Tage
theter gesichert. Dies gilt ebenfalls für Katheter, die bis zu 48 h
vor Symptombeginn entfernt wurden. RT, Retardform (makrokristalline Form)
* nicht in Deutschland, aber in Österreich und Skandinavien

Fieber Dieser Befund bedeutet in aller Regel, dass Erreger Zugang


zum Gefäßsystem bekommen haben. Deshalb ist bei Fieber > 38 °C
die Gewinnung von Blutkulturen immer obligat. Bei rezidivierenden Zystitiden steht die Prävention und das Ver-
meiden von Risikofaktoren im Vordergrund der Behandlung: So
jTherapie sollte nach Sexualpraktiken gefragt und ggf. die Miktion nach dem
kIndikation und Therapieprinzipien Geschlechtsverkehr empfohlen werden. Auch eine erhöhte Trink-
Die Vermeidung unnötiger Antibiotika wird von vielen Patienten menge, um den Urinfluss anzuregen, kann hilfreich sein. Wichtig für
gewünscht und ist außerdem ein wesentliches Element im Kampf den Behandlungserfolg sind außerdem der Ausschluss komplizieren-
gegen zunehmende Resistenzen bei den Erregern. Wie plazebokon- der Faktoren (z. B. vesikourethraler Reflux) und das Gespräch mit der
trollierte Studien zeigen, ist jedoch z. B. selbst die Ausheilung einer Patientin, um sich der Medikamentenadhärenz zu versichern.
unkomplizierten Zystitis ohne adäquate antibiotische Behandlung Rezidivierende Episoden sollten immer nach den Ergebnissen
deutlich (ca. 3- bis 9-fach) unwahrscheinlicher und Reinfektionen einer Urinkultur behandelt werden. Die Datenlage zu den meisten
oder Rezidive kommen 2- bis 3-fach häufiger vor als mit gezielter nichtantibakteriellen Therapeutika zur Rezidivprophylaxe (z. B.
Therapie (Falagas et al. 2009). Cranberry-Produkte, Immunstimulation/Impfung, D-Mannose) ist
Ziele der antibiotischen Behandlung sind also rasche Symptom- zurzeit noch schwach. Antibiotische Strategien beinhalten die kon-
freiheit, Reduzierung der Morbidität und Reinfektionsprophylaxe. tinuierliche Antibiotikaprophylaxe, die postkoitale Prophylaxe und
Dabei wird die kürzest mögliche Behandlungsdauer angestrebt, die die Selbsttherapie bei Bedarf.
zu einer sicheren Eradikation der Erreger führt. Die Auswahl der
initialen Therapie erfolgt empirisch, nach dem zu erwartenden Er- kPyelonephritis
regerspektrum (. Tab. 117.2). Dies muss immer die lokalen Resis- Die Therapie einer unkomplizierten Pyelonephritis kann häufig
tenzraten mit berücksichtigen. Liegen nach 1–2 Tagen mikrobiolo- mit oralen Fluorchinolonen oder Cephalosporinen der 3. Genera-
gische Ergebnisse vor, soll die Therapie gezielt anhand des Anti- tion begonnen werden. Bei schwererem Verlauf mit Übelkeit/Erbre-
biogramms erfolgen. Sobald eine deutliche Besserung eingetreten chen wird parenteral behandelt. Die Gesamttherapiedauer beträgt
ist, kann in vielen Fällen auf ein orales Antibiotikum umgestellt 7–10 Tage. Ein Behandlungserfolg sollte sich innerhalb von 48–72 h
und so die empfohlene Therapiedauer auch ambulant komplettiert einstellen, andernfalls liegen oft komplizierende Faktoren vor (z. B.
werden. Nierenbeckensteine).
Die initiale empirische Therapie komplizierter und nosokomi-
kZystitis aler Infektionen besteht meist aus einem nierengängigen Fluor-
Die Behandlung einer unkomplizierten Zystitis erfolgt in der Praxis chinolon (Ciprofloxacin, Levofloxacin), einem Aminopenicillin mit
meist empirisch. Eine mikrobiologische Diagnostik wird in der Re- β-Laktamase-Inhibitor oder einem Cephalosporin der Gruppe 3.
gel nicht durchgeführt. Viele Therapieschemata erlauben eine 1- bis Bei > 10 % 3/4-MRGN-produzierenden Stämmen in der lokalen
3-tägige Therapiedauer (. Tab. 117.3 nach der S3-Leitlinie Harnwe- Umgebung empfiehlt sich die Behandlung mit einem Carbapenem
ginfektionen: Wagenlehner et al. 2010; Gupta et al. 2011). In der in Kombination mit einem Aminoglykosid.
Schwangerschaft können Aminopenicilline gegeben werden. Bei
niereninsuffizienten oder transplantierten Patienten ist auf Kontra- kRenale und perinephrische Abszesse
indikationen (z. B. Nitrofurantoin) und Interaktionen mit den Im- Renale und perinephrische Abszesse müssen häufig perkutan drai-
munsuppressiva zu achten. niert werden, idealerweise noch vor Gabe der Antibiotika, um
864 Kapitel 117 · Harnweginfektionen

Kulturen für eine antibiogrammgerechte Therapie zu erhalten. Die


empirische Wahl der Antibiotika ist die gleiche wie für komplizierte
Harnweginfektionen. Hämatogen entstandene Abszesse werden wie
Bakteriämien behandelt.

In Kürze
Harnweginfektionen
Definition Aszendierende Infektion der Blase (Zystitis) oder des
Nierenbeckens (Pyelonephritis) durch perianale Standortflora.
Eine unkomplizierte Harnweginfektion in einem anatomisch
und funktionell unauffälligen Harntrakt ist ohne größeres Risiko
für weitergehende Morbidität.
Risikofaktoren Behinderung des Urinflusses (Steine, Tumoren,
Zysten, verringerte Harnleiterperistaltik in der Schwangerschaft
etc.), Fremdkörper (v. a. transurethrale Blasendauerkatheter),
kurze Harnröhre der Frau.
Krankheitsbilder

Leitsymptome Dysurie, Pollakisurie, suprapubischer Schmerz.


Bei Pyelonephritis zusätzlich: Fieber, Nierenlager-Klopfschmerz.
Erregerspektrum Vor allem E. coli, Enterokokken und Entero-
bakterien. Bei komplizierten nosokomialen Infektionen zusätz-
lich multiresistente Klebsiella, P. aeruginosa, 3/4-MRGN möglich.
Diagnostik Klinische Symptome und ein Teststreifenbefund
sind in Ambulanz/Praxis meist ausreichend. Bei komplizieren-
den Faktoren ist Mittelstrahlurin oder Blasenpunktat notwendig.
Bei Fieber Blutkulturen. Bakteriurie ohne Leukozyturie weist oft
auf Lagerungs- oder Transportfehler hin. Bakteriurie ist signifi-
kant > 105 CFU/ml.
Therapie Behandlung 1–3 Tage für unkomplizierte Zystitis,
7–10 Tage bei unkomplizierter Pyelonephritis. Fosfomycin-Tro-
metamol ist zurzeit bei unkomplizierter Zystitis der Frau Mittel
der Wahl. Die lokale Resistenzlage sollte bei der empirischen
Therapie von allen anderen Formen der Harnweginfektion be-
achtet werden.
Prävention Ambulante Zystitis: postkoitale Miktion. Nosoko-
miale Harnweginfektion: Indikationen für Blasendauerkatheter
streng stellen und häufig überprüfen, ob er gezogen werden
kann.

Literatur

Falagas ME, Kotsantis IK, et al. (2009) Antibiotics versus placebo in the treat-
ment of women with uncomplicated cystitis: A meta-analysis of random-
ized controlled trials. J Infect. 58(2):91-102.
Gupta K, et al. (2010) International Clinical Practice Guidelines for the Treat-
ment of Acute Uncomplicated Cystitis and Pyelonephritis in Women:
A 2010 Update by the Infectious Diseases Society of America and the
European Society for Microbiology and Infectious Diseases. Clin Infect
Dis. 52:e103-e120.
Mulvey MA, Schilling JD, et al. (2000) Bad bugs and beleaguered bladders:
Interplay between uropathogenic Escherichia coli and innate host
defenses. PNAS. 97(16):8829-8835.
Wagenlehner FME, Hoyme U, Fünfstück R, et al.(2010): Epidemiologie,
Diagnostik, Therapie und Management unkomplizierter bakterieller
ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten.
S3-Leitlinie AWMF-Register-Nr. 043/044 Langfassung.
865 118

Genitoanale und sexuell übertragbare


Infektionen (STI)
H. Schöfer

S. Suerbaum et al. (Hrsg.), Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie,


DOI 10.1007/978-3-662-48678-8_118, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Die speziellen anatomischen und physiologischen Verhältnisse der Meldepflicht für HIV-Neuinfektionen und die aktive, behandlungs-
Genitoanalregion bieten diversen, meist auf den Menschen spezialisier- bedürftige Syphilis erhalten (Ausnahme Sachsen). Die Meldung er-
ten Bakterien, Pilzen, Viren und Parasiten besondere Lebensräume. folgt anonym auf einem Durchschreibeformular an das Robert
Wichtige Pathogenitätsfaktoren sind Feuchtigkeit (aus Körperöffnun- Koch-Institut (RKI, Berlin). Eingetragen werden 1.) vom Labor der
gen wie Urethra, Vagina und Anus sowie durch Schwitzen in intertrigi- jeweils positive Labornachweis 2.) vom behandelnden Arzt die wich-
nösen Hautfalten), Wärme und Okklusion (besonders bei Adipositas). tigsten epidemiologischen Patientendaten. Gemeldet werden auch
Durch den engen körperlichen Kontakt beim Geschlechtsverkehr die direkten oder indirekten Nachweise akuter Hepatitisvirusinfek-
(feuchtwarme Schleimhäute, Reibung) können selbst gewebeständige tionen. Für alle anderen Erkrankungen dieses Kapitels gibt es nur
Keime übertragen werden, die sehr empfindlich gegen Austrocknung vage epidemiologische Schätzungen und Trendanalysen der sog.
sind und außerhalb des Körpers nur sehr kurz überleben würden STD-Sentinel-Einrichtungen des RKI.
(z. B. Treponema pallidum). 2014 wurden dem RKI 3525 neu diagnostizierte HIV-Infektio-
Krankheiten, die überwiegend oder ausschließlich sexuell übertragen nen und 5722 Syphilisneuinfektionen gemeldet. In den STD-Senti-
werden, werden heute als »sexually transmitted infections« (STI) nel-Einrichtungen, deren Klientel zu 70 % sog. Hochrisikogruppen-
zusammengefasst. Die Harnröhren beider Geschlechter, aber auch patienten (v. a. »sex worker«) sind, führt unter den Erkrankungen
die samenableitenden Wege des Mannes sowie Vagina, Zervixkanal, mit Urethritis die Chlamydieninfektion (6 % aller Untersuchten) vor
Uterus und Eileiter der Frau ermöglichen eine direkte Ausbreitung der Gonorrhö (3,7 %) und der Trichomoniasis (2,5 %). In Sachsen
von Erregern (aufsteigende Infektionen), die zu regionalen (Epididymi- (Meldepflicht für Gonorrhö!) wurden 2013 auf je 100.000 Einwoh-
tis, Prostatitis, Salpingitis, »pelvic inflammatory disease« [PID], Perito- ner 17,6 Fälle gemeldet. Allgemein wird die Häufigkeit der Chlamy-
nitis), aber auch systemischen Komplikationen (Endokarditis, Sepsis) dieninfektionen in Europa auf 4–5 % aller Erwachsenen geschätzt.
führen können. Ulcus molle und Granuloma inguinale treten in Deutschland nur
Extragenitale Manifestationen der STI können durch direkte Infektion sehr vereinzelt auf. Das Lymphogranuloma venereum breitete sich
empfindlicher Schleimhäute (Oral- bzw. Analverkehr, Schmierinfektio- seit 2003 in einigen europäischen Ballungszentren unter Männern,

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