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Springer-Lehrbuch

Thomas Gasser

Basiswissen
Urologie
4., vollständig überarbeitete Auflage

Mit 84 Abbildungen und 13 Tabellen

123
Professor Dr. med. Thomas Gasser
Urologische Universitätsklinik
Basel – Liestal
Klinik Liestal
Rheinstr. 26
4410 Liestal, Schweiz

ISBN-13 978-3-540-79835-4 Springer Medizin Verlag Heidelberg

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Zeichnungen: Albert R. Gattung und Regine Gattung-Petit, Edingen-Neckarhausen
Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg

SPIN 12234202

Gedruckt auf säurefreiem Papier 15/2117 – 5 4 3 2 1 0


V

Vorwort

Die Urologie ist ein Teilgebiet der Chirurgie und beschäftigt sich mit Nieren und
ableitenden Harnwegen, der Blase und den männlichen Geschlechtsorganen.
Die Patientinnen und Patienten werden vom ersten Symptom über die Abklä-
rung, medikamentöse oder chirurgische Therapie bis zur Nachsorge betreut.
Der Urologe benutzt dazu modernste Techniken wie zum Beispiel:
4 untersuchende und interventionelle Ultraschalltechnik,
4 bildgebende Evaluation von Nieren-, Harn- und Sexualorganen mit und
ohne Röntgenstrahlen,
4 transurethrale und perkutane Endoskopie der unteren und oberen Harn-
wege,
4 physikalische, nuklear-medizinische und biochemische Funktionstests,
4 die extrakorporelle Stoßwellenbehandlung von Harnsteinen und
4 die endoskopische, perkutan-endoskopische, laparoskopische und offene
Chirurgie des Urogenitalapparates.

In den letzten Jahren haben sich die therapeutisch-interventionellen Methoden


von der offenen Chirurgie immer mehr minimal-invasiven Techniken zuge-
wandt. So haben heute neben der transurethralen Chirurgie der Prostata auch
die Endoskopie der oberen Harnwege und die Laparoskopie stark an Bedeutung
gewonnen.
Die Urologie ist ein übersichtliches und doch sehr vielseitiges Fach. Im
Kindesalter dominieren angeborene Missbildungen des Urogenitaltraktes und
im Erwachsenenalter steht die Behandlung gutartiger Erkrankungen wie Harn-
steinleiden und Entzündungen im Vordergrund. Durch die zunehmende Über-
alterung gewinnen vor allem die Abklärung und Behandlung bösartiger Tumo-
ren an Bedeutung. Insbesondere das Prostatakarzinom, das zum häufigsten
bösartigen Tumor des Mannes geworden ist, stellt große Anforderungen.
Durch vermehrte Enttabuisierung intimer Probleme haben Erektions-
störungen und Inkontinenz an Interesse gewonnen.
Die ganzheitliche Betreuung von Patientinnen und Patienten wird durch die
schnellen Veränderungen und die rasche Wissensvermehrung immer schwie-
riger. Urologische Probleme machen mittlerweile auch bei nichturologischen
Patienten einen zunehmend wichtigeren Teil aus. In Zeiten, in denen fast alles
machbar, aber nicht mehr alles bezahlbar ist, besteht die größte Kunst in der
VI Vorwort

Unterscheidung zwischen Notwendigem und Wünschbarem. Dem gezielten


und stufenweisen Einsatz der teilweise kostspieligen Methoden kommt eine
immer größere Bedeutung zu.
Dass auch in Zeiten des Internets mit seiner riesigen Informationsmenge
der Wunsch nach kompakter und gewichteter Information besteht, zeigt der
Erfolg des vorliegenden Büchleins, das nun schon in der 4. Auflage vorliegt. Für
diese Auflage wurde wiederum der ganze Inhalt auf seine Aktualität und Rele-
vanz überprüft. Nach Möglichkeit wurden die Rückmeldungen von engeagier-
ten Lesern eingearbeitet. All denen, die sich die Mühe gemacht haben, kons-
truktive Kritik anzubringen sei, an dieser Stelle herzlich gedankt. Auch für die-
se Ausgabe sind kritische Kommentare wieder erwünscht. Vereinzelt wurde
gestrafft und teilweise wurden Informationen ausführlicher und klarer darge-
stellt. Die Abbildungen wurden um der Klarheit willen mit Pfeilen versehen und
die Übungsfragen aktualisiert. Statt einer Literaturliste, die in einem Buch nie
aktuell sein kann, wurden ausgewählte Internetlinks angeführt. Die urolo-
gischen Leitsymptome wurden mit dem deutschen IMPP Gegenstandskatalog
(IMPP-GK-2) abgeglichen. Der Grundsatz der Beschränkung auf das absolut
Notwendige wurde weiterhin konsequent beachtet.
Bei der vorliegenden 4. Auflage hat der erste Verfasser des »Basiswissen«,
Prof. G. Rutishauser, erstmals nicht mehr mitgearbeitet. Für sein jahrelanges
Engagement, seinen Sinn für das Wesentliche, seine große ärztliche Erfahrung
und sein Bestreben, im Patienten immer den Menschen zu sehen, sei an dieser
Stelle sehr herzlich gedankt, verbunden mit den besten Wünschen für eine gute
Gesundheit.
Möge das Büchlein Studierenden die Prüfungsvorbereitung erleichtern und
auch dem einen oder anderen Nicht-Urologen Hilfestellung bei urologischen
Problemen leisten.

Thomas Gasser
Liestal im Herbst 2008
Das neue Gasser Basiswissen Urologie

Inhaltliche Struktur:
Klare Gliederung
durch alle Kapitel

Leitsystem führt
durch die Sekionen

Wichtig: Zentrale
Informationen auf
einen Blick

Zahlreiche
Abbildungen
veranschaulichen
komplexe Sach-
verhalte
Navigation: Kapitel und
Seitenzahlen für die schnelle
Orientierung

Tabellen:
Kurze Übersicht der
wichtigsten Fakten

Fallbeispiele:
Typische Fälle zum
Thema

Fragen und Lösungen


zur Wissensüber-
prüfung
XI

Inhaltsverzeichnis

I Symptome und Diagnostik

1 Urologische Leitsymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.1 Schmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Veränderungen der Harnmenge und Harnzusammensetzung . . . . . 5
1.3 Miktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.4 Symptome aus dem Sexualbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2 Urologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.1 Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.2 Wichtige urologische Laboruntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.3 Bildgebende Untersuchungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.4 Instrumentell-endoskopische Untersuchung und Endourologie . . . . 19
2.5 Urodynamische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

II Urologische Erkrankungen

3 Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane . . . . . . . . . . . . . . 31


3.1 Nierenanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
3.2 Anomalien des Nierenhohlsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.3 Ureteranomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.4 Blasenanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.5 Anomalien der Urethra und der Genitalorgane . . . . . . . . . . . . . . . 46

4 Entzündungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
4.1 Der unspezifische Harnwegsinfekt (HWI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.2 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
4.3 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.4 Unspezifische Entzündungen der Urethra und der Adnexe . . . . . . . 59
XII Inhaltsverzeichnis

4.5 Medikamente zur Behandlung von Harnwegsinfekten . . . . . . . . . . 61


4.6 Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems . . . . . . . . . . . . . 63

5 Harnsteinerkrankung (Urolithiasis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
5.1 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
5.2 Zusammensetzung, Form und Lage der Harnsteine . . . . . . . . . . . . . 72
5.3 Klinik und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
5.4 Therapie und Metaphylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

6 Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren) . . . . . . . . . . 88


6.1 Gutartige Tumoren des Nierenparenchyms . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
6.2 Bösartige Nierentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
6.3 Tumoren des Urothels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
6.4 Prostatakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
6.5 Hodentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
6.6 Peniskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
6.7 Skrotalkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

7 Störungen der Harnentleerung und -speicherung. . . . . . . . . . 122


7.1 Prostatahypertrophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
7.2 Prostatakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
7.3 Neurogene Blasenfunktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
7.4 Harnröhrenstrikturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
7.5 Angeborene Harnröhrenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
7.6 Inkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

8 Sexualpathologie des Mannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145


8.1 Erektile Dysfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
8.2 Infertilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
8.3 Varikozele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
8.4 Vasektomie und Familienplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
8.5 Klimakterium virile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
8.6 Orgasmusstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

9 Urologie und Sexualpathologie der Frau . . . . . . . . . . . . . . . 155


9.1 Infektionen und Reizsyndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
9.2 Interstitielle Zystitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
XIII
Inhaltsverzeichnis

9.3 Harnröhrenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157


9.4 Inkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .......... . 158
9.5 Fistelbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
9.6 Sexualpathologie mit urologischen Bezügen . . . . . . . . . . . . . . . . 159

10 Urologische Erkrankungen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . 161


10.1 Allgemeine Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
10.2 Angeborene Abflussbehinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
10.3 Primärer vesikoureteraler Reflux . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
10.4 Blasenekstrophie, Epi- und Hypospadie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
10.5 Kryptorchismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
10.6 Phimose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
10.7 Torsion des Hodens und seiner Anhangsgebilde . . . . . . . . . . . . . . 166
10.8 Tumoren des Urogenitalsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
10.9 Enuresis (nocturna) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

11 Verletzungen der Urogenitalorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169


11.1 Klinik der Urogenitalverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
11.2 Nierenverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
11.3 Harnleiterverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
11.4 Harnblasenverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
11.5 Harnröhrenverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
11.6 Verletzungen des Genitale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

III Urologische Behandlung in Klinik


und Sprechstunde

12 Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen . . . . . . . . . 181


12.1 Nephrektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
12.2 Nierenbeckenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
12.3 Perkutane Nierenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
12.4 Blasenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
12.5 Harnumleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
12.6 Nierentransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
12.7 Radikale Prostatektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
XIV Literaturverzeichnis

12.8 Endoskopische (transurethrale) Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190


12.9 Laparoskopie und Retroperitoneoskopie in der Urologie . . . . . . . . . 191

13 Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie . . . . . . . 193


13.1 Hämaturie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
13.2 Oligurie und Anurie, Harnverhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
13.3 Unfreiwilliger Harnabgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
13.4 Akute Urogenitalinfekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
13.5 Steinkolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
13.6 Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes, Hodenschmerzen . . 202
13.7 Induratio penis plastica (M. Peyronie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
13.8 Priapismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
13.9 Paraphimose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
13.10 Psychosomatische Aspekte der Urologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Anhang

Lösungen zu den Übungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Weiterführende Internet-Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
XV
Übersichtsgrafiken

Urologische Anatomie – Übersicht


XVI Übersichtsgrafiken

Urologische Anatomie –
Untere Harnwege
I Symptome und Diagnostik

1 Urologische Leitsymptome –3

2 Urologische Diagnostik –9
1

Urologische
Leitsymptome
1.1 Schmerzen –4

1.2 Veränderungen der Harnmenge und Harn-


zusammensetzung – 5

1.3 Miktionsstörungen –6

1.4 Symptome aus dem Sexualbereich –7


4 Kapitel 1 · Urologische Leitsymptome

1 Leitsymptome, die auf urologische Erkrankungen hinweisen sind:


4 Schmerzen,
4 Veränderungen der Harnmenge und Harnzusammensetzung,
4 Miktionsstörungen und
4 Symptome aus dem Sexualbereich.

1.1 Schmerzen

Schmerzen, die ihre Ursache in den oberen Harnwegen haben, sind praktisch
immer Kolikschmerzen. Echte nierenbedingte lumbale Dauerschmerzen sind
selten (z.B. starke entzündliche Schwellung des Nierenparenchyms). Die Schmer-
zen in Blase, Prostata und Genitale haben keinen Kolikcharakter. Sie sind
»dumpf«, evtl. krampfartig oder brennend.

Kolik (Nieren-, Harnleiterkolik)


Ursache. Akute Verlegung der oberen Harnwege → Überdruck evtl. Spasmus.

Klinik. »Vernichtender«, einseitiger Dauerschmerz von wechselnder Intensität,


verbunden mit Übelkeit, Erbrechen, Kollaps, Darmlähmung (»vegetatives Ge-
witter«), Ausstrahlung in Richtung Genitalien und Oberschenkel.

Therapie. Rasche Therapie hat Vorrang vor ausführlicher Diagnostik! Intra-


venös! Analgetika (z.B. Metamizol), evtl. Opiate.

Nierenschmerzen (»mal aux reins«)

! Chronische Rückenschmerzen sind kaum jemals nierenbedingt


(→ orthopädische Abklärung, WS-Metastasen?).

Vorkommen. Konstantes lumbales Druckgefühl im kostovertebralen Winkel,


möglich bei Tumor (Nierenzellkarzinom, Hydronephrose, Zystennieren), bei
Entzündung (Pyelonephritis, Paranephritis) und bei beginnender Steinkolik.

Differentialdiagnose. Orthopädische, gynäkologische, rheumatologische, me-


tastasenbedingte (Prostatakarzinom) Rückenschmerzen.
1.2 · Veränderungen der Harnmenge
5 1
Blasenschmerzen
Vorkommen. Akute Retention: heftiger suprapubischer Dauerschmerz; akute
bakterielle Zystitis: brennender Schmerz in der Urethra; Blasenkrämpfe (Tenes-
men).

Prostataschmerzen
Vorkommen. Bei akuter abszedierender Prostatitis, selten bei subakut-chro-
nischer Prostatitis. Schmerzhafte Defäkation und dumpfes Druckgefühl im
Dammbereich.
! Uncharakteristische Beschwerden im Unterbauch bzw. im Damm-
bereich genügen nicht für die bequeme Schnelldiagnose »chronische
Prostatitis«.

Differentialdiagnose. Hämorrhoiden, Proktalgie. Nicht selten psychosoma-


tische Überlagerung.

Hoden- bzw. Nebenhodenschmerzen


Bei Infekt, nach Trauma: akut, heftig bis »vernichtend«, oft ausstrahlend; bei
Varikozele, Hydrozele, Tumor: dumpf, wenig intensiv, »ziehend«.

1.2 Veränderungen der Harnmenge


und Harnzusammensetzung

Anurie (IMPP GK-2:10.2). Als Anurie wird die fehlende Urinausscheidung


(<100 ml Urin/24 h) bezeichnet. Die Ursache kann prärenal (z.B. Hypovolämie),
renal (z.B. Nephritis) oder postrenal (z.B. obstruierender Ureterstein bei Ein-
nierigkeit) liegen. 7 Kap. 13.2, Seite 196.

Hämaturie. (IMPP GK-2:10.5). Blutbeimengung im Urin. Makro-, Mikro-


hämaturie; initiale, terminale, totale Hämaturie. Für eine erkennbare Makro-
hämaturie genügen 0,5 ml Blut in 1.000 ml Urin. Eine relevante Mikro-
hämaturie besteht, wenn mehr als 2–3 Erythrozyten pro Gesichtsfeld erkenn-
bar sind.
! Hämaturie muss immer abgeklärt werden, sie ist so lange tumor-
verdächtig, bis das Gegenteil bewiesen ist.
6 Kapitel 1 · Urologische Leitsymptome

1 Oligurie (IMPP GK-2:10.11). Verminderte Harnausscheidung (<500 ml/24 h):


bei Dehydratation, akutem und chronischem Nierenversagen.

Schaumiger Urin (IMPP GK-2:10.14). Urin schäumt normalerweise. Davon


abzugrenzen ist eine Gasbeimengung durch Infekt mit gasbildenden Bakterien.
Die so genannte Pneumaturie (»Urin der pssst macht«) ist gekennzeichnet
durch Luftbeimengung zum Urin, oft gegen Ende der Miktion. Praktisch bewei-
send für Darm-Blasen-Fistel.

Braunverfärbter Urin (IMPP GK-2:10.8). So genannter »bierbauner«, schau-


miger Urin durch Bilirubinurie bei Ikterus.

Polyurie (IMPP GK-2:10.13). Vermehrte Harnproduktion z.B. bei Diabetes oder


bei Behandlung einer Herzinsuffizienz mit Diuretika; führt zur Pollakisurie und
Nykturie. Entlastungspolyurie nach Behebung einer Harnverhaltung (gelegent-
lich >5.000 ml/24 h).

Pyurie (IMPP GK-2:10.1, 10.8). Leukozyten im Urin in unterschiedlicher Men-


ge, in der Regel gleichzeitige Bakteriurie, Leukozytenzylinder bei Nierenbetei-
ligung. Urin meist übelriechend, trüb. »Sterile« Pyurie: bei Tbc, nach Antibiotika-
behandlung, bei Chlamydien, Mykoplasmen.
! Keine Zystitis ohne Bakteriurie und Leukozyturie (Pyurie), Pollakisurie
und Nykturie!

1.3 Miktionsstörungen

Akute Harnverhaltung (IMPP GK-2:10.9). Entleerungsunmöglichkeit mit


qualvollem Harndrang → urologische Notfallsituation. Therapie: Entlastung
mit Katheter oder suprapubischer Ableitung.

Schmerzhafte Miktion-(Algurie) (IMPP GK-2:10.15). Krampfartige, schmerz-


hafte Miktion bei Entzündungen (Zystitis, Urethritis, Prostatitis).

Dysurie (IMPP GK-2:10.4). Mit Missempfindungen verbundene verzögerte


Entleerung, schwacher Strahl (bei Entzündungen und Abflussbehinderung).
1.4 · Symptome aus dem Sexualbereich
7 1
Enuresis. Enuresis nocturna (»Bettnässen«): meist psychosomatische Erkran-
kung (7 Kinderurologie).

Imperativer Harndrang (Urge). Unbeherrschbarer Drang zu – meist schmerz-


hafter – Entleerung bei Zystitis, nach Blasenoperationen und nach Strahlenthe-
rapie, kann bis zu Inkontinenz führen. Typisches Symptom bei gutartiger Pros-
tatavergrößung.

Initiales Warten. Verzögerter Miktionsbeginn. Meist Prostatavergrößerung.

Harninkontinenz (IMPP GK-2:10.6). (Unfreiwilliger Harnabgang). Verschie-


dene Ursachen und Schweregrade. Missbildung: totale Inkontinenz; defekter
Verschlussapparat: Belastungsinkontinenz; neurologischer Defekt: Drangin-
kontinenz (»Urge«-Inkontinenz) → reflektorische Entleerung.

Nykturie (IMPP GK-2:10.10). Häufiges nächtliches Wasserlassen meist in


kleinen Portionen. Zu unterscheiden von nächtlicher Polyurie bei Herzin-
suffizienz.

Pollakisurie (IMPP GK-2:10.12). Häufige Entleerung kleiner Portionen (bei


Blasenentzündungen oder Abflussbehinderung).

Tenesmen. Blasenkrämpfe im Anschluss an die Miktion z. B. bei Zystitis oder


Fremdkörpern in der Blase → imperativer Harndrang.

Veränderungen des Harnstrahls. Zweiteilung, Drehung, dünner Strahl z.B. bei


Urethraerkrankungen (Entzündungen) oder Narbenbildung (Strikturen).

1.4 Symptome aus dem Sexualbereich

Blutiges Ejakulat (Hämatospermie oder Hämospermie) (IMPP GK-2:12.1).


Meist ohne große Bedeutung; wird gelegentlich beobachtet bei Entzündungen
von Prostata und Samenblasen, sehr selten bei Tumoren. Die Patienten sind in
der Regel sehr verängstigt und müssen beruhigt werden. »Nasenbluten an der
falschen Stelle«.
8 Kapitel 1 · Urologische Leitsymptome

1 Fehlende Ejakulation. Nach ausgedehnten Lymphadenektomien (bei Hoden-


tumoren) oder nach Prostataoperationen (retrograde Ejakulation in die Blase).

Erektile Dysfunktion (»Impotenz«). Unvermögen, eine für den Geschlechtsver-


kehr taugliche Erektion zu erzielen (7 Kap. 8.1, S. 146).

Infertilität (Sterilität) (IMPP GK-2:11.4). Zeugungsunfähigkeit (7 Kap. 8.2,


S. 149).

Ausfluss aus der Harnröhre (IMPP GK-2:10.3). Physiologisch bei starker sexu-
eller Erregung (sog. »Liebestropfen«). Sonst meist Zeichen einer Urethritis. Bei
miktionsunabhängigem, eitrigem Ausfluss an Gonorrhoe denken. Bei Chlamy-
dien/Mykoplasmainfekten oder bei unspezifischen Urethritiden ist der Ausfluss
weißlich, glasig.

? Übungsfragen zu den Kapiteln 1 und 2


→ Seite 27
2

Urologische
Diagnostik
2.1 Klinische Untersuchung – 10

2.2 Wichtige urologische Laborunter-


suchungen – 13

2.3 Bildgebende Untersuchungsverfahren – 15

2.4 Instrumentell-endoskopische
Untersuchung und Endourologie – 19

2.5 Urodynamische Untersuchung – 24


10 Kapitel 2 · Urologische Diagnostik

! Keine Untersuchung ohne Anamnese. Eine sorgfältig aufgenommene


Anamnese kann 50–90% der Diagnose bringen.
2
2.1 Klinische Untersuchung

Nieren
Inspektion. Tumoren sind höchstens bei Kindern zu erkennen.

Palpation. Bimanuell am Patienten in Rückenlage. Bei tiefer Inspiration ist


bei mageren Patienten der untere Nierenpol, evtl. die ganze Niere palpierbar
(. Abb. 2.1). Klopfschmerz bei Pyelonephritis.

Auskultation. Bei <5% der Hypertoniker systolisches Geräusch im Kostover-


tebralwinkel bzw. im Oberbauch als Hinweis für eine Nierenarterienstenose.

Sonographie. Bei Verdacht auf Tumoren, Zysten, Steine, Harnstauung.

Blase
Inspektion. Erkennbarer Unterbauchtumor bei chronischer Harnretention.

Palpation und Perkussion. Nützlich zur Restharnbeurteilung.

. Abb. 2.1. Nierenuntersuchung,


bimanuelle Palpation der Niere in
Inspiration
2.1 · Klinische Untersuchung
11 2

. Abb. 2.2. Ultraschallbild in 2 Ebenen zur Restharnbestimmung. a = Querschnitt; b = Sagit-


talschnitt.

Katheterismus. Bei der Frau zur Harngewinnung für die bakteriologische Un-
tersuchung.

Harnflussmessung. Nützlich für die Beurteilung von Abflussbehinderungen


und für die Kontrolle von Harnröhrenstrikturen (Harnflussrate in ml/s).

Sonographie. Zur Messung der Restharnmenge (angenähert) (. Abb. 2.2).

Penis
Inspektion. Phimose, Meatusstenose, Hypo- bzw. Epispadie, Primäraffekt, spit-
ze Kondylome, Balanitis, Urethraausfluss, Tumor.

Palpation. Narbige Verhärtungen: Strikturen, Induratio penis plastica.

Skrotum und Testes

! Jede schmerzlose Volumenzunahme des Skrotalinhalts ist zunächst


einmal tumorverdächtig.
12 Kapitel 2 · Urologische Diagnostik

Inspektion. Hauterkrankungen, Hodengröße und -lage (Leistenhoden, Pendel-


hoden, Kryptorchismus).
2 ! Bei Hodenhochstand im Kleinkindesalter ist die rechtzeitige Behand-
lung angezeigt (Zeugungsfähigkeit).

Palpation. Bimanuell, ohne Druck, Beurteilung von Hoden und Nebenhoden:


Abgrenzbarkeit, Schmerzhaftigkeit usw.

Sonographie. Zur Differentialdiagnose Tumor – Hydrozele – Spermatozele.

Rektalstatus (Prostatabeurteilung)
Inspektion. Anorektale Erkrankungen (Hämorrhoiden, Fissuren).

Palpation.
4 Rektum: Sphinktertonus, Rektumkarzinom;
4 Prostata: Konsistenz, Begrenzung, Oberflächenbeschaffenheit, Schmerz-
haftigkeit, Größe (die Größe erlaubt keinen Schluss auf das
Ausmaß einer Abflussbehinderung);
4 Samenblasen: sind nur selten tastbar.
! Die Rektaluntersuchung dient der Früherkennung des Prostatakar-
zinoms. Sie ist obligater Bestandteil der Allgemeinuntersuchung bei
Männern jenseits des 50. Lebensjahres.
Vaginalstatus
Inspektion. Vulva (Ausfluss), Urethramündung (Tumor, Karunkel, Entzün-
dung, Schleimhautatrophie).

Palpation. Blasenhals und Urethra (Divertikel, Abszess).

Neurourologische Untersuchung
S2-S4-Sensibilität: perianaler Bereich.
S2-S4-Reflexe: Achillessehnenreflex und Bulbokavernosusreflex (Pressen
der Glans → Kontraktion des Analsphinkters).
2.2 · Wichtige urologische Laboruntersuchungen
13 2
2.2 Wichtige urologische Laboruntersuchungen

Serum
Kreatinin und Harnstoff. Wichtige Parameter zur Beurteilung der Nierenfunk-
tion.

Serumelektrolyte. Dyselektrolytämie bei Nierenfunktionseinschränkung.


Kalzium (Hyperparathyreoidismus), Harnsäure, Zitrat, Oxalat bedeutungs-
voll bei rezidivierender Urolithiasis.

Tumormarker. Bei Hodentumoren:


4 AFP (α-Fetoprotein),
4 β-HCG (humanes Choriongonadotropin).

Beim Prostatakarzinom:
4 PSA (prostataspezifisches Antigen) (7 Kap. 6.4)

Urin

! Die Urinbeurteilung gehört obligat zum Allgemeinstatus des


urologischen Patienten. Nur frischen Urin untersuchen.

Urinentnahme. Die Uringewinnung ist von Alter und Geschlecht abhängig:


4 Männer: Mittelstrahlurin,
4 Frauen: In der Regel steriler Einmalkatheterismus, ausnahmsweise Mittel-
strahlurin,
4 Kinder: Mittelstrahlurin, beim Mädchen evtl. Katheter,
4 Kleinkinder: steriler Klebebeutel.

Beurteilung. Die chemische Diagnostik mit Teststreifen ist für die Praxis voll-
auf genügend:
4 Nitrit (Koliinfekt, unzuverlässig),
4 pH,
4 Protein,
4 Glukose,
4 Ketonkörper,
4 Leukozyten,
4 Urobilinogen,
14 Kapitel 2 · Urologische Diagnostik

4 Bilirubin,
4 Hämoglobin.
2
Die Untersuchung mit dem Mikroskop kann Hinweise geben auf: Erythro-
zyten, Leukozyten, Bakterien, Spermien, Kristalle, Zylinder.
Die Objektträgerkultur gestattet eine bakteriologische Diagnose am Kran-
kenbett:
4 > 100.000 Keime = Infekt
4 ~ 10.000 Keime = Infektverdacht
4 < 10.000 Keime = Kontamination

Keimidentifikation und Resistenzbeurteilung anschließend im Labor.


Weitere Urinuntersuchungen
Urinzytologie. Zur Diagnose von Urotheltumoren und zur Verlaufskontrolle.

24-h-Urin. Zur Messung der Elektrolytausscheidung (Kalzium, Oxalat, Zystin)


v.a. bei rezidivierender Harnsteinerkrankung.

Phasenkontrastmikroskopie des Urinsediments. Gestattet Unterscheidung


zwischen glomerulären Erythrozyten und Erythrozyten aus den ableitenden
Harnwegen.

Beurteilung der Nierenfunktion


Spezifisches Gewicht des Urins. Konzentration möglich bis ca. 1.030 (50-jäh-
rig), bis 1.040 (20-jährig). Bei fortschreitendem Nierenschaden Absinken der
Konzentrationsfähigkeit bis 1.006/1.010.

Proteinurie. Bis 100 mg/24 h physiologisch. Beurteilung sollte immer im Zu-


sammenhang mit dem spezifischen Gewicht erfolgen. Ursache v.a. glomeruläre
Nephropathien.

Serumkreatinin. 50–120 μmol/l (0,6–1,2 mg%).

Clearanceuntersuchungen. Endogene Kreatininclearance gestattet approxi-


mative Beurteilung der glomerulären Filtration (70–140 ml/min = normal,
<10 ml/min = dialysepflichtige Niereninsuffizienz) → 7 auch Isotopendia-
gnostik.
2.3 · Bildgebende Untersuchungsverfahren
15 2
2.3 Bildgebende Untersuchungsverfahren

Sonographie
Wegen der einfachen Anwendung und völligen Risikofreiheit ist die Sono-
graphie zum am häufigsten angewendeten bildgebenden Verfahren in der Uro-
logie geworden. Besonders wichtig ist sie
4 für die Differentialdiagnose von raumfordernden Nierenprozessen (Zysten,
Tumoren),
4 für die Restharnbestimmung und zur Prostatabeurteilung (Rektalsonde),
4 für die Differentialdiagnose von »Kolikschmerzen« und Nierenstaus,
4 für die Beurteilung von Skrotalschwellungen,
4 für Punktionen und Biopsien (interventionelle Sonographie).

Die Sonographie ist keine einfache Untersuchungsmethode. Ihre Anwendung


will erlernt sein und die Deutung der Befunde fällt auch dem Erfahrenen nicht
immer leicht.

Konventionelle Uroradiologie
Die Röntgenuntersuchung der Nieren und Harnwege mit ihren verschiedenen
Spezialmethoden ist nach wie vor eines der wichtigsten diagnostischen Verfah-
ren in der Urologie.

Abdomenübersichtsaufnahme im Liegen ohne Kontrastmittel (»Leeraufnah-


me«). Beurteilt werden:
4 Psoasschatten (gestattet Beurteilung der Qualität der Aufnahme),
4 Nierenschatten (Achsenstellung, Lage, Größe, Form),
4 Ureterverlauf,
4 kalkdichte Verschattungen (Harnsteine, Phlebolithen, verkalkte Lymphome),
4 Skelett (Anomalien, Metastasen).
! Harnsäuresteine sind nicht schattengebend!

Urogramm (»Ausscheidungsurogramm«, »intravenöse Urographie«). Dar-


stellung der Nieren und Harnwege durch intravenöse Verabreichung eines jo-
dierten, niederosmolaren Kontrastmittels. Untersuchungsablauf je nach Frage-
stellung (Urogramm »nach Maß«), z.B:
4 Harnleitersteine: Stauung? Steinlage?
4 Abflussbehinderung der Blase: Stauung der oberen Harnwege? Restharn?
16 Kapitel 2 · Urologische Diagnostik

4 Einschränkung der Nierenfunktion: Infusionsurogramm evtl. mit Schicht-


aufnahmen.
2 4 Nachteile: Zeitaufwendig. Kontraindiziert bei Überempfindlichkeit jodhal-
tige Kontrastmittel.
4 Wird zunehmend weniger wichtig.
! Kontrastmittel bei Nierenfunktionseinschränkung nephrotoxisch!
Zuvor Serumkreatinin bestimmen!

Retrograde Urographie (»retrogrades Ureteropyelogramm«). Kontrastdar-


stellung der oberen Harnwege über einen zystoskopisch eingelegten Ureteren-
katheter. Weitgehend ersetzt durch Computertomographie. Hauptgefahr ist die
iatrogene Infekteinschleppung.

Deszendierende Urographie (»antegrades Pyelogramm«). Nach Punktion


und Fistelung von Harnstauungsnieren durch die Haut: zur Beurteilung der
Abflussbehinderung. Meist bei transplantierten Nieren.

Zystographie. Kontrastdarstellung der Harnblase über einen Katheter bei Ver-


dacht auf Tumor, Divertikel, Reflux (Miktionszystourethrogramm: MCUG bei
Refluxverdacht).

Urethrographie retrograde. Kontrastmittelfüllung der Harnröhre zur Darstel-


lung von Strikturen und Divertikeln. Bei Harnröhrentrauma: zur Prüfung der
Harnröhrenkontinuität (Abriss? Kontrastmittelaustritt?).

Nierenangiographie. Vor allem zur Beurteilung von Nierenverletzungen und


bei Verdacht auf renale Hypertonie.

Vasovesikulographie, Kavernosographie. Seltene uroradiologische Untersu-


chungen bei Fertilitätsproblemen und erektiler Dysfunktion.

Nuklearmedizinische Untersuchungen
Prinzip. Eine radioaktive Substanz wird injiziert und nachdem sich das Radio-
nuklid angereichert hat, wird die Strahlung mit einer Gammakamera ge-
messen. Es lassen sich so sowohl statische wie auch dynamische Prozesse
messen.
2.3 · Bildgebende Untersuchungsverfahren
17 2
Skelettszintigramm (Knochenszintigramm). Zur Suche von Knochenmetasta-
sen. Sehr zuverlässig. 99m Technetiumphosphat wird intravenös injiziert und
reichert sich an Stellen erhöhten Knochenumbaus an.

Nierenszintigramm (Isotopennephrogramm). Zur Beurteilung von Nieren-


funktion, Obstruktion und Narbenbildungen der Nieren. Das früher verwen-
dete 131J-Hippuran ist heute weitgehend durch 99m Technetium ersetzt. Es lassen
sich 3 Phasen beurteilen:
4 Durchblutungsphase,
4 Sekretionsphase,
4 Entleerungsphase.

Bei der dynamischen Untersuchung wird 99m Technetium-Mercaptoacetyltri-


glycin (MAG3) verwendet. Es wird überwiegend renal ausgeschieden und kann
zur Beurteilung einer Harntransportstörung im oberen Harntrakt verwendet
werden. Erlaubt die Unterscheidung zwischen Dilatation (z.B. refluxbedingt)
und Obstruktion (z.B. durch Ureterabgangsstenose) sowie den relativen Funk-
tionsvergleich zwischen den beiden Nieren (. Abb. 2.3).
Bei der statischen Untersuchung wird 99m Technetium-Dimercaptosucci-
nic-acid (99m Tc-DMSA) verwendet, das sich in intaktem Nierengewebe
anreichert. Es ist deshalb geeignet zur Beurteilung von renalen Narben und
zur Darstellung von dystopen Nieren. Kommt vor allem bei Kindern zur An-
wendung.

Computertomographie (CT)
Radiologisches Untersuchungsverfahren, das axiale Querschnittsbilder des
Körpers vermittelt. Moderne Geräte lassen dreidimensionale Rekonstruktionen
zu. Die Untersuchung ohne Kontrastmittel wird zunehmend in der Steindi-
agnostik eingesetzt (viel schneller als Urogramm).
Mit Kontrastmittel zur Beurteilung des Parenchyms (Tumorstadium) und
von Metastasen:
4 Infiltration in benachbarte Strukturen (Blase, Prostata, Nieren),
4 Befall regionaler Lymphknoten,
4 Fernmetastasen.
2
18
Kapitel 2 · Urologische Diagnostik

. Abb. 2.3. Isotopennephrogramm. Praktisch funktionslose Niere links. Funktion rechts und Anflutung in Blase normal
2.4 · Instrumentell-endoskopische Untersuchung
19 2
Kernspintomographie/Magnetresonanztomographie (MRT)
Auf der magnetischen Kernresonanz beruhendes Untersuchungsverfahren, das
Schnittbilder des Körpers in beliebiger Ebene (axial, sagittal und frontal) ver-
mittelt. Vorteil: keine ionisierende Strahlung, verschiedene Schnittebenen.
Diagnostische Wertigkeit bei urologischen Erkrankungen: Dem CT ver-
gleichbar, diesem nur ausnahmsweise überlegen.

Positronenemissionstomographie (PET). Auf Anregung von Positronen beru-


hende neue Methode. Geeignet zur Metastasensuche (in Ausnahmefällen).

2.4 Instrumentell-endoskopische Untersuchung


und Endourologie

Die Instrumentation der Harnwege verlangt eine strikt aseptische Technik. Sie
sollte deshalb – mit Ausnahme des Katheterismus – nur unter OP-Bedingungen
vorgenommen werden. Die unsachgemäße Einführung der Instrumente ist
nicht nur sehr unangenehm, sondern kann auch gravierende Spätfolgen nach
sich ziehen. Instrumentelle und endoskopische Maßnahmen beim Mann sind
deshalb die Domäne des Urologen.

Katheterismus
Indikationen.
4 Blasenentleerung bei Abflussbehinderung,
4 Freihaltung und Überwachung der Urinausscheidung (postoperativ, Trau-
ma, Schock),
4 Restharnbestimmung (ausnahmsweise),
4 Uringewinnung zur bakteriologischen Untersuchung bei der Frau.

Instrumente. Einmalkatheter (aus Kunststoffmaterial). Dauerkatheter (aus La-


texgummi oder Silikon mit Ballon). Sonden und Bougies (aus Kunststoffma-
terial) zur Beurteilung des Harnröhrenkalibers und zur Erweiterung von Strik-
turen.

Kaliber und Typ. Die Kaliberbezeichnung erfolgt traditionsgemäß in Charrière


(Charr), im Angelsächsischen French (F) genannt (. Abb. 2.4).
20 Kapitel 2 · Urologische Diagnostik

. Abb. 2.4. Gebräuchliche Kathetertypen

! Mit der Charrièrezahl meint man den Umfang (U) in mm. Davon aus-
gehend ergibt sich der Durchmesser (= 2r) wie folgt:
U = 2r x π; π = ungefähr 3; Durchmesser = U/π also etwa = U/3
Die Teilung der Charrièrezahl durch 3 ergibt also in etwa den Durch-
messer in mm.

Die wichtigsten Kathetertypen sind die geraden »Nelaton«-Katheter und die


»Tiemann«- (oder »Mercier«-)Katheter mit aufgebogener Spitze (. Abb. 2.4).
! Das Instrument der Wahl für die Behebung der Harnverhaltung
des Prostatapatienten ist ein Tiemann-Katheter, Charrière 16–20
(. Abb. 2.5).

Durchführung. Man benötigt: Katheter, Desinfektionsmittel, Tupfer, Gleitmit-


tel, Klemme, Schale, Handschuhe auf steriler Unterlage.

Vorgehen. Patient in Rückenlage, evtl. Beckenbereich unterlegen. Streng asep-


tisches und atraumatisches Vorgehen. Desinfektion der Urethramündung. Ins-
tillation eines anästhesierenden Gleitmittels (Einmalgebrauchspackung).
2.4 · Instrumentell-endoskopische Untersuchung
21 2
Katheter mit Hand (sterile Handschuhe!) oder Klemme 5–7 cm hinter der
Spitze fassen. Katheterpavillon zwischen 4. und 5. Finger der gleichen Hand
klemmen (. Abb. 2.6). Katheterspitze mit reichlich Gleitmittel versehen. Kathe-
ter einführen und 15–20 cm vorschieben. Pavillon loslassen. Mit der Hand
vorsichtig vollständig einführen (. Abb. 2.7).

. Abb. 2.5. Tiemann-Katheter


bei der Einführung in die Blase.
Die gekrümmte Katheterspitze
passt sich der Biegung der
hinteren Harnröhre im Prosta-
tabereich an; dadurch werden
Verletzungen vermieden

. Abb. 2.6. Katheterismus. Haltung


des Katheters für die sterile Einfüh-
rung in die Blase. Die Katheterspitze
wird mit einer sterilen Pinzette fixiert;
das Katheterende wird zwischen dem
4. und 5. Finger der Katheterhand
gehalten
22 Kapitel 2 · Urologische Diagnostik

. Abb. 2.7. Ballonkatheter. Funktionsgerechte Lage des Ballonkatheters mit aufgefülltem


Ballon

! Niemals Gewalt anwenden (Verletzungs-/Strikturgefahr). Infektpro-


phylaxe ist nur ausnahmsweise notwendig. Bei Einführungsproblemen
(z.B. vergrößerte Prostata) – suprapubische Blasendrainage (. Kap.12).

Blasenspülung
4 Zur mechanischen Reinigung der Blase bei Dauerkatheterträgern mit Ten-
denz zur Steinbildung. Desinfektionsmittel oder Antibiotikalösungen als
Spülflüssigkeiten sind teuer. Ebenso gut geeignet sind: abgekochtes Wasser,
Ringerlaktat.
Eine dem Blasenvolumen entspechende Flüssigkeitsmenge wird unter Ver-
wendung einer Blasenspritze und kräftigem Stempeldruck mehrfach instilliert.
4 Zur Gewinnung von Zellmaterial bei Verdacht auf Urothelkarzinom. Iden-
tisches Vorgehen, aber mit 50 ml physiologischer NaCl-Lösung.

Endoskopie
Die endoskopische Untersuchung der unteren und oberen Harnwege ist aus der
urologischen Diagnostik und Therapie nicht mehr wegzudenken. Durch konti-
2.4 · Instrumentell-endoskopische Untersuchung
23 2
nuierliche technische Verbesserung der Instrumente, Optiken und Monitore ist
heute der gesamte Harntrakt der direkten Sicht zugänglich geworden. Die star-
ren Instrumente werden mehr und mehr durch flexible Endoskope ergänzt oder
durch diese ersetzt.
Das Prinzip ist bei allen urologischen Endoskopien gleich. Das Instrument
verfügt über eine Optik, einen Kanal zur kontinuierlichen Spülung und einen
Arbeitskanal, durch den verschiedene Instrumente (Zangen, Schlingen etc.)
eingeführt werden können. Das Licht wird über ein Glasfaserkabel von der
externen Lichtquelle zum Endoskop und durch dieses an den Beobachtungsort
geleitet. Das Bild wird meist mit einer Kamera registriert und auf einen Monitor
übertragen.

Untersuchung von Harnröhre und Blase (Zystoskopie oder Urethrozystoskopie)


(. Abb. 2.8). Für die Diagnostik und die Tumornachsorge (bei Blasentumoren)
werden heute aus Komfortgründen fast ausschließlich flexible Zystoskope ver-
wendet (v.a. bei Männern, da die flexiblen Instrumente sich der Harnröhre des

. Abb. 2.8. Die flexible Zystoskopie


24 Kapitel 2 · Urologische Diagnostik

Mannes anpassen). Dazu wird die Harnröhre mit einem ein Lokalanästhetikum
enthaltenden Gel unempfindlich gemacht. Das Einführen der Instrumentes
2 erfolgt unter Sicht und erlaubt die Beurteilung der Harnröhre (Einengungen,
Via falsa, Tumoren), der Prostata (Obstruktion, Größe) und der Blase (Diverti-
kel, Tumoren, Fremdkörper, Lage der Ostien).
Für Interventionen werden in der Regel starre Instrumente verwendet und
der Patient erhält eine Analgosedierung oder eine Anästhesie. Mögliche zysto-
skopische Maßnahmen sind: Einführen von Kathetern in die oberen Harn-
wege zur Diagnostik (retrograde Röntgendarstellung, Entnahme von seiten-
getrenntem Urin für bakteriologische oder zytologische Untersuchungen)
und Therapie (Sicherung der Harnabflusses durch Einlage von Ureterschienen,
z.B. Doppel-J-Katheter). Für transurethrale chirurgische Eingriffe an und in
der Blase und an der Prostata ist eine Anästhesie (spinal oder Vollnarkose)
nötig.

Untersuchung der Harnleiter (Ureterorenoskopie, URS). Mit speziellen, dün-


nen (7–11 Charr), starren (aber auch flexiblen) Instrumenten, die im Prinzip
gleich aufgebaut sind wie die Urethrozystoskope. Die Ureterorenoskopie ist
angezeigt bei Harnleitersteinen, Tumoren und unklaren Befunden in Harnleiter
und Nierenbecken. Anästhesie notwendig (. Abb. 2.9).

Perkutane Nephro- oder Renoskopie. Dazu wird nach perkutaner Punktion


des Nierenbeckens (unter Röntgen- oder Ultraschallkontrolle) und langsamer
Erweiterung des Punktionskanals durch diesen ein Instrument direkt ins Nie-
renbecken eingeführt, mit dem der Nierenhohlraum inspiziert und Operatio-
nen (Steinentfernungen, Tumorabtragungen) durchgeführt werden können.

2.5 Urodynamische Untersuchung

Blasendruck- und Sphinkterdruckmessung


(Zystomanometrie)
Druckregistrierung in Blase und hinterer Harnröhre bei langsamer Füllung;
wird oft mit Röntgendarstellung kombiniert.
Indiziert ist die Zystomanometrie zur Beurteilung von neurogenen und
myogenen Blasenerkrankungen und bei Schäden am Verschlussapparat (Diffe-
rentialdiagnose verschiedener Inkontinenzformen).
2.5 · Urodynamische Untersuchung
25 2
. Abb. 2.9. Ureterorenoskopie
(nach Hautmann u. Huland 1997)

Zur Beurteilung des Sphinkterschlusses wird ein Messkatheter, aus dem eine
Spüllösung in konstantem Fluss ausströmt, langsam durch die hintere Harn-
röhre gezogen und ein »Druckprofil« aufgezeichnet (. Abb. 2.10).

Harnflussmessung (Uroflowmetrie)
Die Uroflowmetrie ermöglicht die objektive Messung des Harnflusses in ml/s
und ist indiziert zur Beurteilung der Abflussbehinderung bei Prostataerkran-
kungen und Harnröhrenstrikturen.
26 Kapitel 2 · Urologische Diagnostik

. Abb. 2.10. Urethradruckprofil (nach Hautmann u. Huland 1997)

. Abb. 2.11. Charakteristische


Miktionsbilder (nach Hautmann
u. Huland 1997)
2.5 · Urodynamische Untersuchung
27 2
Normale Harnflussrate: 15–40 ml/s. Werte unter 15 ml/s sind pathologisch.
Die Messungen müssen mehrfach vorgenommen werden und sind nur ver-
wertbar, wenn die entleerte Urinmenge nicht weniger als 150–200 ml beträgt
(. Abb. 2.11).

Cave: Die Urinflussrate kann auch bei schwachem Detensor erniedrigt sein.
(nicht nur bei Obstruktion).

? Übungsfragen zu den Kapiteln 1 und 2


1. Was verstehen Sie unter »imperativem Harndrang« und an welche Erkrankungen
denken Sie bei diesem Symptom?
2. Was ist der Unterschied zwischen Pollakisurie und Polyurie?
3. Wie prüfen Sie, ob bei einem Rückenmarksverletzten eine Kaudaläsion vor-
liegt?
4. Nennen Sie wichtige Indikationen für eine Ultraschalluntersuchung (Sonogra-
phie) der Harnwege!
5. Was ist das typische am Nieren-, Harnleiterkolikschmerz?
6. Warum führen Sie bei einem 60-jährigen Mann eine Rektaluntersuchung durch?
7. Wie viele Keime müssen auf einer Urin-Objektträgerkultur vorhanden sein, da-
mit Sie die Diagnose »Infekt« stellen?
8. Was verstehen Sie unter einem »Urogramm«, »Computertomogramm«?
9. Mit welchem Kathetertyp beheben Sie die Harnverhaltung eines 70-Jährigen?
10. In welchen Einheiten notieren Sie das Ergebnis einer Harnflussmessung?

Lösungen → S. 216
II Urologische Erkrankungen

3 Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane – 31

4 Entzündungen – 51

5 Harnsteinerkrankungen (Urolithiasis) – 69

6 Neubildungen des Urogenitalsystems


(Tumoren) – 88

7 Störungen der Harnentleerung


und -speicherung – 122

8 Sexualpathologie des Mannes – 145

9 Urologie und Sexualpathologie der Frau – 155

10 Urologische Erkrankungen im Kindesalter – 161

11 Verletzungen der Urogenitalorgane – 169


3

Wichtige Anomalien
der Urogenitalorgane
3.1 Nierenanomalien – 33

3.2 Anomalien des Nierenhohlsystems – 39

3.3 Ureteranomalien – 41

3.4 Blasenanomalien – 46

3.5 Anomalien der Urethra und


der Genitalorgane – 46
32 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

! Etwa 1/3 der möglichen Fehlbildungen des menschlichen Körpers


entfallen auf die Urogenitalorgane. Diese haben damit die höchste
Fehlbildungsquote aller Organsysteme (. Abb. 3.1).

3 Ursache. Komplexe Embryologie. Die Nierenentwicklung durchläuft mehrere


ontogenetische Phasen:
4 Vereinigung der Ureterknospe des Wolff-Ganges mit dem Nierenblastem,
4 verschiedene Verschiebungs-, Reduktions- und Rotationsprozesse.

Blase und Genitalien entwickeln sich unter Teilnahme aller 3 Keimblätter.

. Abb. 3.1. Wichtige Anomalien in der Übersicht (nach Allgöwer u. Siewert 1992)
3.1 · Nierenanomalien
33 3
Bedeutung. Der größere Teil der Anomalien sind Normvarianten ohne patho-
genetische Folgen (z.B. Nierenbeckenvariationen). Manche Anomalien sind
aber echte Missbildungen mit entsprechend schweren Konsequenzen für den
Betroffenen (z.B. Blasenekstrophie). Einige sind mit dem Leben gar nicht zu
vereinbaren (z.B. Nierenagenesie, frühkindliche Form der polyzystischen Nie-
rendysplasie).

Entdeckung. Oft zufällig (Ultraschall), evtl. pränatal oder bei der Abklärung
von Nierenfunktionsstörungen, Harnwegsinfekten, Hypertonie.

3.1 Nierenanomalien

Grundsätzlich lassen sich folgende Arten von Anomalien unterscheiden


(. Abb. 3.2):
4 Zahlen- und größenmäßige Anomalien,
4 Lage- und Formanomalien,
4 Gefäßanomalien,
4 zystische Nierenfehlbildungen.

Variationen von Größe, Zahl, Lage und Form der Nieren


4 Bilaterale Agenesie: Sehr selten; letal.
4 Unilaterale Agenesie: Bei gesunder Restniere bedeutungslos (1 : 1.000–
1.500).

. Abb. 3.2 a–c. Verschiedene Nieren- und Ureteranomalien. a, b Verschmelzungsnieren:


a Hufeisenniere, b gekreuzte Dystopie, c rechts Ureter fissus, links Beckenniere
34 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

. Abb. 3.3. Nierenhypo-


plasie rechts. Niere rechts
ist geschrumpft, aber funk-
tionsfähig

Ursache. Fehlen des Wolff-Ganges bzw. der Ureterknospe, Ausbleiben der Dif-
ferenzierung des metanephrogenen Gewebes.
! Keine Entfernung einer verletzten oder erkrankten Niere ohne vor-
herige Beurteilung des Schwesterorgans.

Hypoplasie (kleiner als 50%)


Ursache. Asymmetrische Verteilung des Nierenblastems, reduzierte Blutversor-
gung → reduzierte Funktion (. Abb. 3.3). DD: entzündliche Schrumpfniere.

Mehrfachbildungen
Ursache. Spaltung der Ureterknospe → dendritisches Nierenbecken → Ureter
fissus → Ureter duplex (2 Ostien).
Meyer-Weigert-Regel. Kranial-laterales Ostium (mit kurzem intramuralem
Ureter) gehört zum kaudalen ableitenden System (. Abb. 3.6b).
3.1 · Nierenanomalien
35 3
Klinik. Bei Ureter duplex findet sich gehäuft Reflux, gelegentlich auch Stauung
(z.B. durch Ureterozelenbildung). Es handelt sich in der Regel aber um harm-
lose – bei der urographischen Untersuchung entdeckte – Zufallsbefunde.

Rotationsanomalien
Zum Beispiel: »Kuchenniere« mit ventral gelegenem Nierenbecken, ähnlich den
Hufeisennieren. Meist ohne Bedeutung.

Verschmelzungsanomalien (Hufeisennieren)
Ursache. Fusion beider Nierenblasteme, kaudal von der A. mesenterica inferior,
häufig kombiniert mit weiteren Anlagestörungen: asymmetrische Verlagerung
(L-Nieren), Hypoplasie eines Nierenanteils, Gefäßanomalien, Malrotation, un-
vollständige Ascension. Männliches Geschlecht bevorzugt (2 : 1).

Klinik. Häufig ist der Abfluss aus dem Nierenbecken behindert (Hydrone-
phrose), dadurch vermehrte Steinbildung (30%) und Infektdisposition. 2/3 der
Hufeisennieren bleiben symptomlos.

Diagnostik. Ultraschall, CT, Urographie: typisch kaudalwärts konvergierende


Nierenachsen.

Dystopien
Beckenniere, Thoraxniere, gekreuzte Dystopie (Niere liegt auf der Gegenseite,
Uretermündungen normal).

Nierengefäßanomalien
Variationen der Gefäßversorgung sind sehr häufig und in der Regel bedeu-
tungslos. Gelegentlich sind sie die Ursache von Hydronephrosen, weil sie als
»Polgefäße« den pyeloureteralen Übergang kreuzen.
Intrarenale Gefäßmissbildungen (Aneurysmen, arteriovenöse Fisteln) kön-
nen angeboren oder erworben (Punktionen) sein.
Die fibromuskulöse Hyperplasie der Nierenarterienwand engt das Gefäß-
lumen ein und ist eine Ursache der renalen Hypertonie.

Zystische Nierenfehlbildungen
Mit der zunehmenden Verwendung von Ultraschall und CT und der sicher
ständig verbessernden Auflösung werden vermehrt zystische Raumforderun-
36 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

. Tabelle 3.1. Einteilung der zystischen Nierenfehlbildungen nach Bosniak

Kategorie Charakteristika Klinische Konsequenz

I Glatt begrenzt, dünne Wand, keine Kon- Gutartige, banale Zyste;


3 trastmittelanreicherung kein Behandlungsbedarf

II Wie I, aber dünne Septen, minimale Ver- Gutartige Zyste; kein


kalkungen, leicht erhöhte Dichtewerte Behandlungsbedarf

IIF Wie II, aber Verkalkungen können dicker Maligner Tumor selten;
oder nodular sein, minimales Anreichern Kontrolle nach 6–12
der Septen Monaten

III Komplizierte Zyste, dickere Wand, mehr Tumorverdacht; chirur-


Verkalkungen, dickere Septen. Meist gut- gische Freilegung und/
artig, aber Tumor nicht ausgeschlossen oder Entfernung

IV Irreguläre Zysten mit dicker Wand, solide Zystisches Nierenzell-


Anteile, Kontrastmitelanreichernd karzinom; chirurgische
Entfernung

gen in der Niere gefunden. Diese werden heute nach den Kriterien von Bosniak
(aufgrund des CT-Bildes) in 4 Kategorien eingeteilt (. Tabelle 3.1).
! Banale Zysten sind häufig und müssen nicht behandelt werden.

Polyzystische Nierenfehlbildungen
Angeboren, vererbbar, bilateral, progredient, oft kombiniert mit Zysten anderer
Organe, v.a. der Leber.
4 Infantile Form: Unmittelbar letal (autosomal-rezessiv vererbt).
4 Adulte Form: Manifestiert sich in der Regel zwischen dem 30. und 50. Le-
bensjahr (autosomal-dominant vererbt).

Klinik. Schmerzlos, gelegentlich lumbales Völlegefühl oder intestinale Verdrän-


gungserscheinungen, evtl. Hämaturie, Steinbildung, Infekt, später: Niereninsuf-
fizienz.

Diagnostik. Im Urogramm typische lang ausgezogene, auseinandergedrängte Kel-


che. Im Sonogramm/CT: rundlich-zystische Hohlräume unterschiedlicher Größe.
3.1 · Nierenanomalien
37 3

. Abb. 3.4. Zystennieren beidseits. Große, das ganze Nierenparenchym verdrängende Zys-
ten (Pfeile) in beiden Nieren. Die übrigen Bauchorgane sind verdrängt.

Therapie. Eine kausale Behandlung gibt es nicht. Im Spätstadium: Dialyse →


Transplantation.

Prognose. In der Regel vergehen vom Zeitpunkt des Auftretens klinischer Er-
scheinungen bis zur Niereninsuffizienz 5–10 Jahre.

Markschwammniere
Charakteristisch sind pfefferkorngroße Zysten im Bereich der Papillen, ein-
oder doppelseitig auftretend; evtl. sind nur Teile einer Niere befallen. Angebo-
ren, aber nicht hereditär.

Klinik. Die Krankheit ist häufig kombiniert mit Hyperkalziurie und Tendenz zur
Steinbildung in den Zysten: Rezidivierende Uretersteine.
38 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

Diagnostik. Multiple, pfefferkornartige Verschattungen im Papillenbereich auf


der Leeraufnahme. Im Urogramm sind die erweiterten Sammelrohre mit klei-
nen Zysten gelegentlich deutlich erkennbar.

3 Therapie. Meist keine. Bei partiellem Befall der Niere evtl. Teilresektion.

Nephroptose
(»Senkniere«, »Wanderniere«, Ren mobilis). Die normale Niere verschiebt sich
um 1–2 Wirbelkörper (Liegen → Stehen). Die rechte Niere steht immer tiefer.
Die Nephroptose ist Ausdruck einer allgemeinen Enteroptose und abnor-
mer Beweglichkeit durch Lockerung der renalen Fixierung. In der Regel symp-
tomlos, in Einzelfällen vorübergehende Abflussbehinderung mit Druckgefühl
möglich (. Abb. 3.5).
Betroffen ist vorwiegend die rechte Niere, besonders bei grazilen Frauen
(oder nach starker Gewichtsabnahme). Keine Behandlungsnotwendigkeit.

. Abb. 3.5. Nephroptose: Senkung und Kippung der Niere. Zug am Gefäßbündel. Vorüber-
gehende Abflussbehinderung aus dem Nierenbecken möglich
3.2 · Anomalien des Nierenhohlsystems
39 3
! Vorsicht mit so genannter Nephropexie.

! Rückenschmerzen (»mal aux reins«) sind kaum je nierenbedingt.


Daher keine voreilige, die Nieren involvierende Diagnosen.

Fallbeispiel
Anamnese. Eine 55-jährige Frau konsultiert wegen Oberbauchbeschwerden,
vor allem Druck- und Völlegefühl, den Hausarzt, der zuerst symptomatisch be-
handelt. Wegen einer Hypertonie von 150/95 wird eine blutdrucksenkende The-
rapie eingeleitet. Als einige Wochen später eine rechtsseitige Nierenkolik mit
Hämaturie auftritt, wird eine Serumprobe entnommen, die eine Kreatininer-
höhung auf 150 mol/L ergibt. Im Urinstatus finden sich nur leicht vermehrt
Erythrozyten.

Weitere Abklärungen. Erstmals wird nun der Oberbauch der Patientin inspiziert.
Er ist aufgetrieben, man denkt an eine Lebervergrößerung. Zur Abklärung wird
eine Computertomographie veranlasst, die beidseits massiv vergrößerte Zysten-
nieren ergibt. Retrospektiv erfolgt nun auch eine genauere Familienanamnese.
Diese ergibt, dass eine Tante mit 50 Jahren an Urämie gestorben ist.

Diagnose. Polyzystische Nierenerkrankung vom Erwachsenentyp, möglicher-


weise mit rechtsseitiger Steinepisode.

Beurteilung. Unheilbar fortschreitende Nierenerkrankung, die letztlich zum Nie-


renversagen führt.

Therapie. Symptomatisch, Eiweißrestriktion, Hochdruckbehandlung, letztlich


Nierenersatztherapie (Dialyse, Transplantation). Vor einer eventuellen Transplan-
tation muss manchmal aus Platzgründen im Abdomen einseitig nephrektomiert
werden.

3.2 Anomalien des Nierenhohlsystems

Hydronephrose (»Sackniere«)
Normalerweise fasst das Nierenbecken 4–5 ml. In hydronephrotisch erweiter-
ten Sacknieren finden sich bis zu 1.000 ml Urin.
40 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

Ätiologie. Abflussbehinderung aus dem Nierenbecken durch Kompression von


außen (Gefäße, Bindegewebestränge). Andere Ursachen: kongenitale subpel-
vine Harnleiterstenose (sog. Ureterabgangsstenose) oder sekundäre Stenosie-
rung des pyeloureteralen Übergangs z.B. durch Konkremente.
3
Pathophysiologie. Senkung des effektiven Filtrationsdrucks → Sammelrohr-
und Tubuluserweiterung → Durchblutungsverminderung → Parenchymatro-
phie → atrophische Sackniere.

Klinik. Die Entwicklung verläuft häufig symptomlos. Bei großen Hydronephro-


sen gelegentlich lumbales Druckgefühl und gastrointestinale Verdrängungs-
erscheinungen. Symptome manifestieren sich in der Regel erst beim Auftreten
von Komplikationen (Schmerzen, Hämaturie, septische Erscheinungen).

Diagnostik. Sonographie (. Abb. 3.6), Urogrammbefunde je nach Stadium, im


Spätstadium keine Darstellung (»stumme« Niere) und Verdrängung des Darms.
Weitere Abklärung durch CT. DD: große Zyste.

. Abb. 3.6. Hydronephrose im Sonogramm. Massiv dilatiertes Nierenbeckenkelchsystem ( )


und verschmälerter Parenchymsaum ( )
3.3 · Ureteranomalien
41 3
Therapie. Das Ziel ist die Erhaltung der vorhandenen Nierenfunktion. Sehr oft
bleibt auch nach erfolgreicher Therapie eine Restaufweitung bestehen, die i. d. R.
nicht Ausdruck eines Therapieversagens ist. Bei funktionstüchtigem Organ
Nierenbeckenplastik nach Anderson-Hynes (. Abb 12.3, S. 184): Resektion des
pyeloureteralen Übergangs und Verkleinern des aufgeweiteten Nierenbeckens;
Neueinpflanzung des Harnleiters in das verkleinerte Nierenbecken an tiefster
Stelle. In jüngster Zeit wird die offene Nierenbecken- oder Pyelonplastik ver-
mehrt durch einen laparoskopischen oder retroperitoneoskopischen Eingriff
ersetzt. Gleiches Prinzip, aber technisch anspruchsvoll. Die minimal-invasive
endoskopische Schlitzung des pyeloureteralen Übergangs, die so genannte »En-
dopyelotomie« wird wegen schlechterer Resultate immer seltener angewendet.
Entfernung der Niere nur bei schwerer Schädigung.
! Grundprinzip der Nieren- und Harnwegschirurgie: funktionstüchtiges
Nierenparenchym soll erhalten werden, wenn immer es klinisch sinn-
voll und technisch möglich ist.

3.3 Ureteranomalien

4 Zahlenmäßige Anomalien (Agenesie, Mehrfachanlagen),


4 Lageanomalie (retrokavaler Ureterverlauf),
4 strukturelle Anomalien (Megaureter),
4 Anomalien an der ureterovesikalen Einmündung (Obstruktion, Reflux,
Ureterozele),
4 retroperitoneale Fibrose (M. Ormond).

Zahlenmäßige Anomalien
Doppelanlagen (. Abb. 3.7).
4 Ureter fissus: 1 Ostium.
4 Ureter duplex: 2 Ostien, nicht selten vesikorenaler Reflux mit Infektkompli-
kationen, Ureterozelenbildung, ektopische Mündung eines Ureters; 7 auch
Abschn. 3.1 (Mehrfachbildungen).

Lageanomalien
Retrokavaler Ureter. Sehr selten. Erweiterung von proximalem Ureter und Nie-
renbecken.
42 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

. Abb. 3.7 a, b. Doppelanlagen;


a Ureter fissus,
b Ureter duplex
(Meyer-Weigert-Regel: Das
kraniale System mündet distal
3 in der Blase)

Strukturelle Anomalien
Megaureter. Angeborene Uretererweiterung, oft ohne sicheres Abflusshinder-
nis an der vesikoureteralen Einmündung, mit oder ohne Reflux. Gelegentlich
kombiniert mit Blasen- bzw. Blasenhalsanomalien und Urethrastenosen.

Anomalien an der ureterovesikalen Einmündung


Obstruktiver Megaureter (Hydroureter). Angeborenes stenotisches Segment
oder erworbene Stenose an der ureterovesikalen Einmündung (iatrogen, Stein,
Tumor).
Behandlung: Operative Behebung der Abflussbehinderung, Vorgehen je
nach Ursache und Ausmaß; evtl. Neueinpflanzung.

Reflux
Antirefluxmechanismus. Die Längsmuskelfasern der Uretermündung, die ins
Trigonum einstrahlen, werden während der Miktion durch die Trigonummus-
kulatur blasenhalswärts gespannt. Dadurch verengt sich das Lumen des termi-
nalen Ureters zum virtuellen Spalt. Gleichzeitig wird der intramural-intrave-
sikale Abschnitt durch den Miktionsdruck der Blase (bis zu 50 mmHg) auf der
Muskelunterlage komprimiert.

Vesikoureteraler Reflux. Der ureterovesikale Einmündungsbereich ist funktio-


nell ein Einwegventil. Bei Versagen tritt vesikoureteraler Reflux auf.
3.3 · Ureteranomalien
43 3
Ätiologie: Die Ursachen sind vielfältig. Entwicklungsstörungen der Trigo-
numarchitektur, neurogene Erkrankungen, subvesikale Abflussbehinderung.
Sie legen eine Einteilung in primären und sekundären Reflux nahe:
4 Primärer Reflux: Beruht auf einer anlagemäßigen Fehlbildung des uretero-
vesikalen Übergangs. Nach »Reifung« dieser Strukturen kann der Reflux
verschwinden. Häufigkeit >10% aller Kinder. Bei Kindern mit Harnwegsin-
fekt findet sich Reflux in bis zu 70% (Neugeborene 70% → 4-Jährige 25%).
4 Sekundärer Reflux:
5 Obstruktiv: Kongenitale Urethraanomalien, Prostataerkrankungen,
Urethrastrikturen.
5 Neurogen: Neurogene Blasen nach Rückenmarkstrauma bzw. -erkran-
kung.
5 Entzündlich: Bei chronischer Zystitis, interstitieller Zystitis und bei
aktinischer Blasenschädigung.
5 Postoperativ-iatrogen: Nach Ostiumoperationen wegen Ureterozele
oder Uretersteinen.

Einteilung. In 5 Grade. Grad 1: Reflux in den distalen, 2: in den proximalen


Ureter und die Nierenbecken, 3–5: mit zunehmender Dilatation (. Abb. 3.8).
! Steriler, unkomplizierter Reflux führt nicht zu Nierenparenchym-
schädigung und verschwindet oft mit der normalen Entwicklung
des ureterovesikalen Übergangs. Harnwegsinfekte mit Reflux können
zu progredienten Nierenschäden und Parenchymnarben führen.

. Abb. 3.8. Internationale Klassifikation des Vesikoureteralen Refluxes. Schemazeichnung


der Refluxgrade (nach Intern. Reflux Study Committee 1981)
44 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

Das Aufsteigen von Bakterien aus den unteren Harnwegen ins Nierenbecken ist
die Hauptursache der chronischen Pyelonephritis.

Klinik. Symptome bei Neugeborenen oft unspezifisch (Lethargie, Fieber), bei


3 älteren Kindern suggestiv für Harnwegsinfekt (Fieber, Dysurie, übelriechender
Urin, Pollakisurie, Übelkeit, Erbrechen).

Diagnostik. Diagnostisch beweisend ist das Miktionszystourethrogramm


(MCUG). Es ist indiziert beim ersten pyelonephritischen Schub, bei unklarer
Uretererweiterung und bei ungeklärten Lumbalbeschwerden während der Mik-
tion. Immer sollte auch eine Urinbakteriologie angelegt werden.

Therapie. Je geringer der Refluxgrad und je jünger der Patient, desto konserva-
tiver die Behandlung!
Die meisten Refluxgrade I und II und etwa 50% der Grade III heilen spontan
aus. Da aber auch von den Graden IV und V einige ausheilen, ist oft – v. a. bei
sehr kleinen Kindern – ein konservatives Vorgehen zu rechtfertigen.
4 Konservativ: Vor allem bei Kleinkindern. Möglichst häufige und vollstän-
dige Entleerung der Harnwege nach der Uhr. Zur Verhinderung von In-
fekten (Refluxgrade III bis V): Niederdosis-Langzeit-Antibiotikaprophylaxe
bis zur Ausheilung des Refluxes. Bei septischen Symptomen sofortige Harn-
ableitung und hochdosierte Antibiotikagabe. Regelmäßige Kontrolle von
Urin, Nierenentwicklung und -funktion.
4 Chirurgisch: Oft – aber nicht routinemäßig – bei hohen Refluxgraden
(IV und V). Indiziert bei progredienter Nierenfunktionsverschlechterung,
»Durchbruchsinfekten« trotz Antibiotikaprophylaxe und perisistierendem
Reflux bei älteren Kindern.
4 Behandlung etwaiger Refluxursachen wie Abflussbehinderung; Ausgleich
der Funktion bei neurogener Blase (z.B. durch intermittierenden Selbst-
katheterismus oder TUR) und
4 »Reparatur« des Antirefluxventils; Operationen an der Einmündungsstelle
des Harnleiters, die eine Rekonstruktion des Ventilmechanismus an-
streben.
4 Entfernung des infektiösen Herdes bei einseitigem Befall und gesunder Ge-
genniere durch Nephrektomie.
3.3 · Ureteranomalien
45 3
Ektopische Uretermündung
Im Trigonum (Ureter duplex), in der Urethra (vor oder hinter dem Sphinkter-
system), in Vagina, Samenblasen und Rektum (sehr selten).
Gemäß der Meyer-Weigert-Regel handelt es sich immer um den zum kra-
nialen Teil der Niere gehörenden Doppelureter (. Abb. 3.7).

Klinik. Kontinuierliches Harnträufeln (»Inkontinenz«), sofern die Mündung


außerhalb des Verschlussapparates liegt.

Ureterozele
Kongenitale Ostiumstenose: ballonartige Vorwölbung des submukösen Ure-
terabschnitts mit punktförmigem Ostium, gelegentlich Hydroureter.

Klinik. Stauungsschmerzen, Steinbildung, Infekt → Pyelonephritis.

Retroperitoneale Fibrose (M. Ormond)


Seltene Form der Abflussbehinderung im Bereich der Harnleiter durch eine
pathogenetisch bisher unvollständig geklärte, langsam fortschreitende retro-
peritoneale Bindegewebeneubildung. Möglicherweise Zusammenhang mit
Atherosklerose. Betroffen sind v.a. Männer im mittleren Alter (Geschlechts-
verhältnis 4:1). Differentialdiagnostisch kommen in Frage:
4 Trauma (organisiertes Hämatom, Urinextravasat),
4 Entzündung (Divertikulitits, Kolitis),
4 Infiltration durch retroperitoneale Tumoren.

Die Erkrankung manifestiert sich durch Ureterkompression meist auf Höhe


L4/L5 mit zunehmender Ektasie und Medialverlagerung der betroffenen Harn-
leiter-Nierenbecken-Einheit.

Klinik. Unterschiedlich starke, uncharakteristische, lumbale Druckbeschwer-


den. Die Behandlung besteht in der »Ausschälung« und intraperitonealen Ver-
lagerung des betroffenen Ureters. Bei fortgeschrittenen, doppelseitigen Fällen
kann eine Harnumleitung notwendig werden. Kortikosteroide und Immun-
suppressiva können im Anfangsstadium (gelegentlich durchaus mit Erfolg)
versucht werden.
46 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

3.4 Blasenanomalien

Urachusfistel/Urachuszyste
Selten. Vollständige bzw. partielle Persistenz des Urachusganges.
3 Klinik: Zystenbildung in der Medianlinie, Urinaustritt in der Nabelge-
gend.

Blasenekstrophie
Sehr selten, häufiger bei Knaben. Blase plattenartig, mit der Haut kommuni-
zierend, kombiniert mit Anomalien der Bauchdeckenmuskulatur und des Be-
ckenskeletts (fehlender Symphysenschluss). Es sind unterschiedliche Schwere-
grade möglich (→ Epispadie).
Klinik: Inkontinenz, lokale Entzündungen und Pyelonephritis, gehäuft Tu-
moren der Blasenschleimhaut.
Verschlussoperationen sind selten erfolgreich: Kontinenz lässt sich kaum je
erreichen; deshalb wird häufig eine supravesikale Harnumleitung durchgeführt
(7 Kap. 10.4).

Blasendivertikel
Häufig. Die Disposition – eine lokale Schwäche der Detrusormuskulatur –
kann angeboren sein. Die ballonartige Ausstülpung der Schleimhaut durch
die Blasenwand erfolgt besonders oft im Bereiche der Uretereinmündungsstel-
len und wird durch subvesikale Abflusshindernisse und neurogene Dysfunk-
tion gefördert.
Klinik: Schwacher Harnstrahl, chronische Blaseninfekte mit Steinbil-
dung.

3.5 Anomalien der Urethra und der Genitalorgane

Stenosen und Klappen


Lokalisation meist am Blasenhals, in der Pars membranacea und in der Fossa
navicularis.
Manifestation im Säuglings- oder Kleinkindalter mit Harnstauung und In-
fekt. Die Behandlung besteht in der transurethralen Resektion der Klappen-
bzw. Blasenhalsverengung (. Abb. 3.9).
3.5 · Anomalien der Urethra und der Genitalorgane
47 3
. Abb. 3.9. Hintere Harnröhren-
klappen (Schemazeichnung nach
Robertson und Hayes 1969)

. Abb. 3.10. Hodendystopie;


Hodenretentionen:
a präskrotal, b inguinal,
c abdominell.
Hodenektopien: d suprafaszial-
inguinal, e und f femoral
(nach Alken u. Walz 1992)
48 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

Hypospadie
Ventrale Verschlussstörung der Urethralrinne (Hypospadia glandis, penis, pe-
noscrotalis). Meist besteht ein distaler Bindegewebestrang (Chorda), der eine
Peniskrümmung nach unten zur Folge hat (. Abb. 10.1, S. 164).
3 Nach Exzision der Chorda wird die Urethralrinne plastisch verschlossen.
Die operative Korrektur sollte bis zum Schuleintritt abgeschlossen sein.

Epispadie
Viel seltener als Hypospadie! Offenbleiben des Urethraldaches (dorsal) meist
mit Sphinkterdefekt. Extreme Ausbildung → Blasenekstrophie.
Auch hier wird die offene Urethralrinne plastisch verschlossen. Bei feh-
lendem Sphinktermechanismus (Inkontinenz): supravesikale Harnumleitung.

Phimose
Angeborene oder erworbene Enge der Vorhautöffnung → Smegmaretention →
Balanitis → narbige Verengung (→ Peniskarzinom). Die Behandlung erfolgt
durch Zirkumzision. Bei Verengung des Meatus (Meatusstenose) ist die chirur-
gische Erweiterung (Meatotomie) notwendig.

Paraphimose (Notfall) (. Abb. 13.6, S. 209)


Nicht reponierbare, hinter die Glans zurückgezogene verengte Vorhaut: →
Ödem → Eiterung → Nekrosen im Bereich des Vorhautrings (»Schnürring«).
Die manuelle Reposition ist oft nicht mehr möglich und zudem sehr
schmerzhaft, daher in der Regel sofortige Inzision des Schnürrings in der Längs-
richtung auf dem Dorsum penis in Lokalanästhesie → urologischer Notfall.
Paraphimose gehäuft bei Dauerkatheterträgern. Deshalb immer darauf ach-
ten, dass bei liegendem Katheter die Vorhaut nach vorne reponiert ist.
! Bei liegendem Katheter Vorhaut nach vorne!

Deszensusanomalien des Hodens (. Abb. 3.8)


4 Kryptorchismus: Hoden ist nicht tastbar; retroperitoneale Retention.
4 Leistenhoden: Hoden ist im Leistenkanal zu tasten.
4 Pendelhoden: Hoden liegt normalerweise im Skrotum, kann in den Ingu-
inalkanal hinaufrutschen (meist ohne Krankheitswert).
4 Hodenektopie: Hoden liegt außerhalb der normalen Deszensusroute (z. B.
im Dammbereich).
3.5 · Anomalien der Urethra und der Genitalorgane
49 3
Auswirkungen und Behandlung (7 Kap. 10.5)

Deszensusanomalien im Erwachsenenalter. Bei Deszensusanomalien ist das


Risiko für die spätere Entwicklung eines Hodentumors um ein Vielfaches (bis
zu 10-mal) größer als bei orthotoper Hodenlage. Diese Feststellung gilt auch für
operativ reponierte Hoden (Orchidopexie). Nach der Pubertät werden deshalb
unvollständig deszendierte Hoden am besten entfernt.

Fallbeispiel
Anamnese. Bei der Rekrutenmusterung wird festgestellt, dass bei einem 19-
jährigen Lehrling der rechte Hoden fehlt. Er wird deshalb an die urologische
Poliklinik gewiesen.

Weitere Abklärung. Das rechte Hemiskrotum ist hypotroph und leer. Der äuße-
re Leistenring ist tastbar. Ein Samenstrang oder Hoden lässt sich im bzw. unter-
halb des Leistenrings nicht finden. Hormonstatus und Spermiogramm sind un-
auffällig. Deshalb wird ein Magnetresonanztomogramm (MRI) durchgeführt, in
dem der Hoden retroperitoneal rechts oberhalb der Beckengefäße zur Darstel-
lung kommt. Er ist stark hypoplastisch.

Diagnose. Retroperitoneal-abdominelle Hodenretention rechts bei 19-jährigem


Mann.

Beurteilung. Wegen der hohen Lage und der Hypoplasie des kryptorchen Ho-
dens ist eine Orchidopexie weder möglich noch sinnvoll. In kryptorchen Hoden
besteht zudem ein stark erhöhtes Risiko für maligne Entartung. Eine Selbstkont-
rolle ist selbstverständlich nicht möglich. Es wird dem Patienten deshalb die
Entfernung des rechten Hodens empfohlen.

Therapie. Laparoskopische, selten retroperitoneale Revision und Orchiektomie


rechts. Histologisch handelt es sich um weitgehend sklerosiertes Hodengewebe
mit angedeuteter Kanälchenbildung ohne erkennbares Samenepithel.

Empfehlung. Regelmäßige Selbstkontrolle des linken Hodens.


50 Kapitel 3 · Wichtige Anomalien der Urogenitalorgane

? Übungsfragen
1. Was versteht man unter einer Hufeisenniere?
2. Was ist der Unterschied zwischen einem Ureter fissus und einem Ureter duplex?
3. Wo mündet beim doppelt angelegten Ureter, der die obere Kelchgruppe ablei-
3 tende Harnleiter in die Blase?
4. Was ist der Unterschied zwischen einer Nierenzyste und einer Hydronephrose?
Überlegen Sie sich die Behandlung der genannten Erkrankungen!
5. An welche Ursachen denken Sie, wenn Sie auf einer Seite einen erweiterten
Ureter feststellen?
6. Wie diagnostizieren Sie einen Reflux?
7. Kennen Sie den Unterschied zwischen Hypospadie und Epispadie? Wie steht es
mit der Harnkontinenz bei diesen Fehlbildungen?
8. Wie beraten Sie einen jungen Mann bei dem nur auf einer Seite ein (normaler)
Hoden tastbar ist?

Lösungen → S. 216
4

Entzündungen
4.1 Der unspezifische Harnwegsinfekt (HWI) – 52

4.2 Pathophysiologie – 53

4.3 Klinik – 56

4.4 Unspezifische Entzündungen der Urethra


und der Adnexe – 59

4.5 Medikamente zur Behandlung


von Harnwegsinfekten – 61

4.6 Spezifische Entzündungen


des Urogenitalsystems – 63
52 Kapitel 4 · Entzündungen

4.1 Der unspezifische Harnwegsinfekt (HWI)

Im Gegensatz zu den »spezifischen« Entzündungen der Harnwege (z. B. Tbc,


Bilharziose usw.) werden »unspezifische« Harnwegsinfekte in der Regel durch
gramnegative Keime (70% E. coli) verursacht, seltener durch grampositive
Kokken. Das Keimspektrum in Praxis und Spital zeigt beachtliche Unterschiede
4 (. Tabelle 4.1). Sofern keine zusätzlichen Krankheitsfaktoren wie Harnabfluss-
behinderung, Funktionsstörungen der Blase, Fremdkörper u. a. hinzukommen
(= komplizierte HWI), haben bakteriell bedingte Infektionen (= banale oder
unkomplizierte HWI) eine bemerkenswerte Tendenz zur Selbstheilung.
! Komplizierter Harnwegsinfekt: Vorliegen einer strukturellen oder funk-
tionellen Abnormalität des Harntraktes.

Komplizierte HWI lassen sich durch antibakterielle Chemotherapie allein meist


nicht zur definitiven Ausheilung bringen (→ chronische HWI). Hier muss auch
der den Infekt unterhaltende Faktor ausgeschaltet werden.
Entzündungen der parenchymatösen Urogenitalorgane, also der Nieren,
der Prostata, der Nebenhoden, der Hoden, verursachen in der Regel Fieber und
eine starke Beeinträchtigung des Allgemeinzustands, während Infekte der
Hohlorgane, wie der Blase oder der Urethra, häufig afebril verlaufen.

. Tabelle 4.1. Relative Häufigkeit der uropathogenen Keime in %

Praxis Spital

Escherichia coli 72 58
Proteus mirabilis 4 7
Klebsiella-Enterobacter 4 8
Enterokokken 2 8
Staphylokokken 16 8
andere 2 11

100 100
4.2 · Pathophysiologie
53 4
4.2 Pathophysiologie

Infektionswege und pathogenetische Faktoren


4 Aszendierend: Urethra → Blase → Nierenbecken. Häufigster Infektions-
weg, besonders bei Frauen (> 90%). Bakterielles Reservoir sind Rektum und
Perineum. Die meisten Infektepisoden entwickeln sich ohne äußeren An-
lass »spontan«. Gelegentlich Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr
(»Honeymoon«-Zystitis).
4 Hämatogen: gesichert für Nierenabszesse, Nierentuberkulose und für
Mumpsorchitis.

Infektentwicklung. Es ist verständlich, dass sich Bakterien in erkrankten oder


funktionsgestörten Harnwegen festsetzen und einen HWI verursachen können.
Unklar ist, weshalb sich ein Infekt auch in anatomisch und funktionell »ge-
sunden« Harnwegen etabliert und gelegentlich sogar chronisch wird, obwohl
die Abwehrsysteme funktionieren. Hier spielen verschiedene Virulenzfaktoren
(Haftungsfähigkeit von Bakterien auf der Mukosa durch Fimbrien und sog.
Adhesine, Motilität, Zytotoxin- und Ureaseproduktion) eine pathogenetische
Rolle. Abwehrsysteme sind:
4 Klärmechanismus: anhaltende Spülung der Harnwege durch den Urin;
4 endogenes Abwehrsystem: antibakterielle Faktoren in der Harnwegsmuko-
sa und in den Drüsensekreten (z.B. im Prostatasekret).

Grundlage des Klärmechanismus ist der regelmäßige Urinaustausch. Die Bak-


terienpopulation verdoppelt sich in geometrischer Reihe alle 30 min, während
das Urinvolumen wesentlich langsamer zunimmt.
! Die infektbegünstigende Wirkung von Abflusshindernissen beruht
auf der Beeinträchtigung des Gleichgewichts zwischen Urinaustausch
und Bakterienvermehrung. Entscheidend für den Spüleffekt in der
Blase sind Miktionsvolumen, Miktionsfrequenz und Restharn.

Nach physiologischer Miktion bleibt kein Urin in der Blase zurück. Die Bakte-
rien sind den endogenen Abwehrfaktoren intensiv ausgesetzt. Durch den neu
ausgeschiedenen Urin wird ihre Konzentration zudem reduziert. Der Zeitfaktor
ist allerdings in Bezug auf die Bakterienverdünnung nur linear, in Bezug auf die
Bakterienvermehrung aber im Quadrat wirksam. Deshalb sind Diuresesteige-
rung und häufige Miktionen die Grundlage der Infekttherapie.
54 Kapitel 4 · Entzündungen

Im Ureter wirken angeborene Anomalien wie Megaureter und zystoure-


teraler Reflux infektfördernd. Das Gleiche gilt für das Nierenbecken (infizierte
Hydronephrose).
In den Sammelrohren ist eine verminderte Urinbildung gleichbedeutend
mit mangelhafter Durchspülung. Der aufsteigende Infekt etabliert sich in einer
Kelchnische, breitet sich in der Medulla aus und führt schließlich zu Herden im
4 Parenchym.
Die Tatsache, dass (trotz Spülmechanismus) in der Blase zurückbleibende
Bakterien normalerweise in kurzer Zeit unschädlich gemacht werden, deutet
auf in der Mukosa lokalisierte Abwehrsysteme, deren Wirkungsmechanismus
bisher unvollständig geklärt ist.
Frauen haben eine starke Tendenz zu Infektrezidiven. Dabei bestehen zwei
Möglichkeiten:
4 Nach Behandlungsabschluss manifestiert sich erneut der ursprünglich
identifizierte Keim = Rückfall (Therapieversagen!).
4 Es lässt sich ein neues, bisher nicht nachgewiesenes Bakterium isolieren =
Reinfektion (Defekt im Abwehrmechanismus?).
! Rezidivierende Harnwegsinfekte:
4 Rückfall (engl. »relapse«): gleicher Keim
4 Reinfekt: neuer Keim

Begünstigende Faktoren: Restharn in der Blase (Prostataerkrankungen, Di-


vertikel). Abflussbehinderung in den oberen Harnwegen durch Fehlbildungen
(Hydronephrose, Megaureter) oder Erkrankungen (Kompression durch Tu-
mor) begünstigen die Entwicklung eines Harnweginfekts. Vesikourethraler Re-
flux wirkt wie Restharn.
Dauerkatheter oder Nephrostomiedrains führen immer zur bakteriellen
Besiedelung des Hohlorgans. Die medikamentöse Behandlung solcher Bakteri-
urien ist sinnlos, solange die Ableitungen belassen werden müssen und ein-
wandfrei funktionieren.

Allgemeine Infektdiagnostik
Harngewinnung. Grundsätzlich nur Mittelstrahlurin nach vorheriger Reini-
gung der Harnröhrenmündung. Bei pathologischem Mittelstrahlurinbefund
der Frau → Katheterismus. Die diagnostische Blasenpunktion ist für die Allge-
meinpraxis ungeeignet.
4.2 · Pathophysiologie
55 4
Teststreifenuntersuchung. Zur raschen semiquantitativen Bestimmung von
pH, Proteinurie, Glukosurie, Hämaturie, Ketonkörpern, Urobilinogen, Bili-
rubin.
Auch Erythrozyten oder Leukozyten lassen sich erfassen, zudem vermittelt
die Nitritprobe erste Hinweise auf einen Infekt. Der pathologische Befund wird
in der Regel durch eine Sedimentuntersuchung bestätigt.

Sedimentuntersuchung. In zentrifugiertem (400 g/5 min) Urin findet man


(40er Objektiv, 10er Okular) normalerweise 0–2 Erythrozyten und 3–5 Leuko-
zyten pro Gesichtsfeld; mehr als 10 sind eindeutig pathologisch, ebenso Leuko-
zytenzylinder (Pyelonephritis).
Trichomonaden müssen im Nativpräparat von frisch gelöstem Urin gesucht
werden (Bewegung!).

Mikrobiologische Diagnostik. Bei jedem nicht innerhalb etwa einer Woche


spontan abklingendem Infekt muss eine bakteriologische Untersuchung (Erre-
gernachweis/Resistenzprüfung) erfolgen.

Eintauchnährböden. Objektträger mit bestimmten Kulturmedien in den Urin


eintauchen → Wärmeschrank (fakultativ) → Ablesen nach ca. 24 h → 105 Ko-
lonien bedeuten signifikante Bakteriurie. Wenn nötig (Rezidiv, unwirksame
Therapie) zur Differenzierung und Resistenzprüfung in ein bakteriologisches
Labor geben (. Abb. 4.1).

. Abb. 4.1. Anfertigung einer Objektträgerkultur (nach Hautmann u. Huland 1997)


56 Kapitel 4 · Entzündungen

Einige gramnegative Bakterienstämme (E. coli, Proteus) bilden Nitrite, die


sich mit einem Farbumschlag auf einem Teststreifen nachweisen lassen.
Typische Erreger sind: E. coli, Proteus, Staphylococcus aureus, Pseudo-
monas, seltener Streptococcus faecalis (Enterokokken), Klebsiellen.

4 4.3 Klinik

Akute Infekte
Bei der Frau sind akute Blaseninfekte häufig und entwickeln sich oft
nach Geschlechtsverkehr. Beim jungen Mann dagegen ist die akute Zystitis
selten. Oft sind hier zusätzliche Faktoren beteiligt (Restharn, Steine, Tumo-
ren).

Akute Zystitis. Pollakisurie, Algurie, Tenesmen. Gelegentlich terminale Häma-


turie. Gelegentlich subfebrile Temperaturen.

Akute Pyelonephritis. Hohes Fieber, Schüttelfrost, lumbales Druckgefühl,


Übelkeit, Erbrechen, ausgeprägtes Krankheitsgefühl.
! Der akute pyelonephritische Schub kann in der Regel schon aus
der Anamnese diagnostiziert werden: hohes Fieber, Schüttelfrost,
Beeinträchtigung des Allgemeinzustands. Häufigste Fehldiagnose:
»Grippe«.

Behandlung (resistenzgerecht). Kann das Resultat der bakteriologischen


Testung nicht abgewartet werden, empfiehlt sich ein Medikament, das die
häufigsten uropathogenen Keime abdeckt:
4 Trimethoprim/Sulfomethoxazol (Bactrim),
4 Ciprofloxacin (Ciproxin),
4 Aminopenizillin: Amoxyzillin (Clamoxyl), evtl. mit Clavnlansäure (Aug-
mentin),
4 Nitrofurantoin (Furadantin).

Bei unkomplizierten Blasenentzündungen der Frau Einmaldosierung (z. B.


3 Tabl. Bactrim forte oder 3 Tabl. Clamoxyl à 750 mg) oder Behandlung über
3 Tage (wirkungsvoller!).
4.3 · Klinik
57 4
Bei Frauen mit häufigen, unkomplizierten Reinfektionen ist die Selbst-
behandlung eine gute Alternative zu häufigen Arztbesuchen. Eine wei-
tere Möglichkeit ist die Langzeitprophylaxe (z. B. ½ Tabl. Bactrim forte
abends).
Besteht ein Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr, kann 1 Dosis
eines wirksamen Medikaments unmittelbar anschließend sowie die sofortige
Blasenentleerung empfohlen werden.
Komplizierte HWI, mit Fieber (das auf Nierenbeteiligung hinweist) bei
bekannten Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes) sowie bei Männern, müs-
sen in voller Dosierung während 7–10 Tagen behandelt werden. Schwangere
erhalten ein nichtteratogenes Antibiotikum (z.B. Clamoxyl 3-mal 375 mg/Tag)
während einer Woche. Behandlungsabschluss erst, wenn negative Kulturen
vorliegen.
Bei Therapieresistenz und anamnestischen Hinweisen auf komplizierende
Faktoren ist eine uroradiologische Abklärung angezeigt.
! Wiederholte Schüttelfrostanfälle sind dringend verdächtig auf Uro-
sepsis und machen sofortige Krankenhauseinweisung notwendig.
Bei Hinweis auf Stauung → notfallmäßige Entlastung (Ureterkatheter,
Nephrostomie, Blasenkatheter).

Chronische Infekte
Chronische Bakteriurie und Pyurie sind Ausdruck einer chronischen Pyelo-
nephritis und verlangen nach sorgfältiger radiologischer und funktioneller Ab-
klärung. Die Identifikation der Keime ist bei solchen Patienten nur der erste
diagnostische Schritt. Unterhaltende Faktoren sind:
4 Reflux,
4 Nephrolithiasis,
4 Diabetes,
4 Abflussbehinderung.

Die Klinik ist häufig symptomarm; evtl. leichte Blasenreizung, trüber, übelrie-
chender Harn, Müdigkeit, Kopfschmerz, Inappetenz, sekundäre Anämie, leich-
te Proteinurie.
Leukozytenzylinder sind beweisend für Pyelonephritis.
In fortgeschrittenen Fällen finden sich radiologisch asymmetrisch verklei-
nerte, unregelmäßig konturierte Nieren mit plumpen Kelchen (. Abb. 4.2).
58 Kapitel 4 · Entzündungen

. Abb. 4.2. a Gesunde, radiologisch


unauffällige Niere, b, c pyelonephri-
tische Parenchymnarben und Kelch-
verplumpungen

Die Behandlung ist einerseits ursachenzentriert: Sanierung der Harnwege


(Abflussbehinderung, Reflux, Divertikel usw.).
Weiter ist eine gezielte antiinfektiöse Chemotherapie notwendig, ggf. als
»Langzeitbehandlung« über Monate (in verminderter Dosierung im symptom-
freien Intervall).
Bei Nierenfunktionseinschränkung muss die Dosis angepasst werden.

Fallbeispiel
Anamnese. Eine 30-jährige Lehrerin muss immer wieder einmal wegen »grippa-
ler Erkrankung« dem Unterricht fernbleiben. Angeblich ist sie seit vielen Jahren
empfindlich für Erkältungen aller Art. Jetzt konsultiert sie, weil sie sich gegen
Grippe impfen lassen möchte.

Befund. Der Hausarzt macht einen Urinstatus und findet eine massive Leuko-
zyturie. Gleichzeitig stellt er erhöhtes C-reaktives Protein (CRP) fest. Im Urin
finden sich in der Objektträgerkultur mehr als 100.000 Kolikeime pro ml.

Weitere Abklärung. Es wird eine Urographie durchgeführt, die eine schwer ent-
zündlich destruierte rechte Niere mit Papillennekrosen und hydronephrotischer
6
4.4 · Unspezifische Entzündungen der Urethra
59 4
Aufweitung des Hohlsystems zeigt. Auch der rechte Ureter ist segmentartig er-
weitert.
Die linke Niere ist vergrößert und das Nierenbeckenkelchsystem unauffällig.
Ein Isotopennephrogramm ergibt eine Funktionsverteilung von 30 zu 70 zu-
gunsten der linken Niere. Eine Refluxabklärung findet nicht statt.

Beurteilung. Schwere chronisch-entzündliche Infektnephropathie rechts mit


massiver Funktionseinbuße möglicherweise auf der Basis von vesikoureteralem
Reflux rechts.

Therapie. Nephroureterektomie rechts.

Verlauf. Drei Monate nach dem Eingriff ist bei einer Kontrolle der Urin steril und
das CRP normal. Die Patientin hat an Gewicht zugenommen und fühlt sich völlig
gesund.

4.4 Unspezifische Entzündungen der Urethra


und der Adnexe

Urethritis. Harnröhrenausfluss, Brennen, Rötung und Verklebung des Meatus


urethrae. Grampositive oder gramnegative Erreger im Ausstrich → Kultur- und
Resistenzprüfung.
An die Möglichkeit einer Gonorrhö, einer Harnröhrenstriktur oder eines
Fremdkörpers denken.
Bei negativer Kultur Abklärung auf Trichomonaden, Chlamydien, Myko-
plasmen.
Behandlung der Wahl: Chinolone, evtl. Erythromycin. Bei Trichomonaden:
Metronidazol (Flagyl).

Prostatitis
»Prostatitis« wird oft als Verlegenheitsdiagnose missbraucht für unklare, manch-
mal auch psychosomatisch bedingte Urogenitalbeschwerden. Die Diagnose muss
deshalb durch einen Urologen gesichert oder ausgeschlossen werden. Keine vor-
schnelle Diagnose und »probatorische« oder »ex juvantibus« Antibiotikagabe.
Es gibt verschiedene Klassifikationen. Die heute gebräuchlichste ist die ge-
mäß dem amerikanischem National Institute of Health (NIH), 1998.
60 Kapitel 4 · Entzündungen

4 Kategorie I: Akute bakterielle Prostatitis. Eindrückliche, typische Klinik:


perineale oder suprapubische Schmerzen, Fieber, Abgeschlagenheit, impe-
rativer Harndrang, Pollakisurie, manchmal Harnverhalt. Extrem schmerz-
hafte, geschwollene Prostata. Im Blut Infektzeichen. Urin pathologisch.
Therapie: Antibiotika gemäß Resistenzprüfung, Analgetika, Bettruhe.
4 Kategorie II: Chronisch bakterielle Prostatitis. Oft Ursache rezidivie-
4 render Harnwegsinfekte. Symptome weniger spezifisch: Dammbeschwer-
den, Blasenreizung, Miktionsbeschwerden. Kein Fieber. Im Prostatasekret
Leukozyten und Bakterien. Positive Urinbakteriologie nur in 5%. Therapie:
Antibiotika resistenzgerecht, meist Quinolone. Ausreichend lange, 4–12
Wochen.
4 Kategorie III: Chronisches Beckenschmerzsyndrom (engl. »chronic pel-
vic pain syndrome«, CPPS). Kein Bakteriennachweis. Symptome unspezi-
fisch. Meist Schmerzen im Damm-, Blasen- oder Genitalbereich. Irritative
Miktionsbeschwerden. Gelegentlich Schmerzen bei der Ejakulation.
Die entzündliche Kategorie IIIA (chronisch abakterielle Prostatitis) un-
terscheidet sich von der Kategorie IIIB (Prostatodynie) nur durch den
Nachweis von Leukozyten im Prostatasekret. Therapie: Oft wenig erfolg-
reich. Keine Antibiotika. Antiphlogistika. Alphablocker. Evtl. Prostatamas-
sage.
4 Kategorie IV: Asymptomatische inflammatorische Prostatitis. Keine
Symptome. Oft Zufallsbefund in Biopsien oder Prostataresektaten. Nach-
weis von Entzündung in Prostatagewebe oder durch PSA-Erhöhung. Meist
keine Therapie nötig, evtl. Antibiotikaprophylaxe vor endoskopischen Ein-
griffen.
! Nie Verlegenheitsdiagnose »Prostatitis« bei unklaren urogenitalen Be-
schwerden oder perinealen Schmerzen. Urologische Abklärung.

Epididymitis. Meist kanalikulär aszendierend bei Prostatitis oder Zystitis, durch


Dauerkatheter, nach Prostatektomie.
Akute, stark schmerzhafte einseitige Skrotalschwellung, oft hohes Fieber.
Wichtigste Differentialdiagnose bei Adoleszenten ist die Hodentorsion.
Die Behandlung besteht in Antibiotikaverabreichung, Bettruhe, Hoden-
hochlagerung, evtl. kühle Umschläge.
4.5 · Medikamente zur Behandlung
61 4
Fallbeispiel
Anamnese. Ein 64-jähriger Weinhändler, auf der Durchreise, meldet sich auf der
Notfallstation mit starkem Fieber, Schüttelfrost und Abgeschlagenheit. Er be-
richtet, dass 3 Tage zuvor eine Biopsie aus der Prostata wegen einer PSA-Erhö-
hung durchgeführt worden sei. Er habe Fieber und einmal Schüttelfrost gehabt
und fühle sich nun abgeschlagen. Zudem habe er ständigen Harndrang und das
Gefühl, er könne die Blase nicht vollständig entleeren.

Befund. Der Patient macht einen kranken Eindruck. Im Urinstatus findet sich eine
massive Leukozyturie. Die Leukozyten im Blut betragen 16.000/μl und das CRP 184
mg/l. Im Ultraschall finden sich rund 100 ml Restharn. Die oberen Harnwege sind
nicht dilatiert. Eine rektale Untersuchung ist wegen Schmerzen nicht möglich.

Beurteilung: Es liegt eine akut bakterielle Prostatitis vor, wohl als Folge der Biop-
sie. Gefahr von Urosepsis und Prostataabszess.

Therapie. Hospitalisation. Bettruhe. Intravenöse Antibiose mit einem Breitspekt-


rum-Cepholosporin. Analgetika und Antiphlogistika zur Fiebersenkung. Alpha-
Blocker zur Linderung der Miktionsbeschwerden. Ableitung der Harnblase mit
einer suprapubischen Zystostomie in Lokalanästhesie.

Verlauf. In den folgenden 2 Tagen entwickelt der Patient immer wieder Fieber-
zacken. Ab dem 3. Tag fühlt er sich deutlich besser. Bei restharnfreier Miktion
wird die Zystostomie entfernt. Entlassung des Patienten und Weiterführen der
peroralen Antibiose für 10 Tage. Eine Kontrolle nach 6 Wochen zeigt einen wie-
der gesunden Patienten. Er berichtet noch etwas über Miktionsbeschwerden.
Der PSA-Wert beträgt noch 18 ng/ml und hat sich nach weiteren 3 Monaten
wieder auf 2,6 ng/ml normalisiert.

4.5 Medikamente zur Behandlung


von Harnwegsinfekten

Sulfamethoxazol-Trimethoprim. Bactrim, Eusaprim: 2-mal 2 Tbl. oder 2-mal


1 forte Tbl. Spektrum: grampositive und -negative Keime, ohne Pseudomonas.
Indikation: akute Infekte der oberen und unteren Harnwege. Nicht bei Neuge-
borenen und Schwangeren.
62 Kapitel 4 · Entzündungen

Norfloxacin. Noroxin 2-mal täglich 400 mg per os. Spektrum: Alle grampositi-
ven und -negativen Keime, inklusive Pseudomonas. Weniger gut gegen Entero-
kokken. Indikation: komplizierte Infektionen der oberen und unteren Harn-
wege. Nicht bei Kindern und Schwangeren.

Ciprofloxacin. Ciproxin 2-mal täglich 250 bis 750 mg per os. Spektrum: wie
4 Norfloxacin, aber höhere Gewebespiegel, kann auch intravenös gegeben wer-
den. Bei Pyelonephritis angezeigt.

Nitrofurantoin. Furadantin 3-mal täglich 100 mg per os. Spektrum: viele gram-
positive und -negative Keime, ohne Pseudomonas und einige Klebsiella, En-
terobacter, Proteus. Indikation: unkomplizierte Harnwegsinfekte.

Amoxicillin. Clamoxyl 3-mal täglich 375 mg bis 750 mg per os. Spektrum:
grampositive und -negative Keime, nicht β-Laktamase-stabil. Indikation: akute
Infekte der oberen und unteren Harnwege. Als Endokarditisprophylaxe bei
Katheterismus.

Clavulansäure-Amoxicillin. Augmentin 3-mal täglich 375 bis 625 mg per os.


Spektrum: wie Amoxicillin, aber erweitert, da β-Laktamase-stabil. Evtl. auch
intravenös.

Cephalosporine. Dosierung je nach Medikament. Spektrum: breit. Indikation:


schwere Infektionen der oberen Harnwege. Meist intravenöse Verabreichung.
Nicht Medikament der ersten Wahl.

Tobramycin. Obracin 3-mal 80 mg i.v. Spektrum: sehr breit, meist gram-


positive und -negative Keime inklusive Pseudomonas. Wenig Resistenzen.
Indikation: schwere Infektionen, Urosepsis. Nur in Kombination mit ande-
ren Antibiotika (z.B. Amoxicillin). Vorsicht bei Niereninsuffizienz, Vestibula-
risschäden.
4.6 · Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems
63 4
4.6 Spezifische Entzündungen
des Urogenitalsystems
Harnwegs- und Genitaltuberkulose
Wichtigste und immer noch häufigste spezifische Entzündung des Urogenital-
trakts. Rund 7% der Fälle betreffen den Urogenitaltrakt. Weltweit wird seit 1985
wieder eine Zunahme registriert, v. a. in Entwicklungsländern. AIDS-Patienten
sind besonders gefährdet.
! Weltweit betrachtet ist Tuberkulose die häufigste opportunistische
Infektion von AIDS-Patienten!

Pathologie. Der Primärherd liegt in der Regel in der Lunge. Von dort erfolgt
eine hämatogene Streuung, häufig im Zusammenhang mit der postprimären
Frühgeneralisation (Pleuritis, Erythema nodosum). Dabei bilden sich multiple
disseminierte Herde im Nierenparenchym (»parenchymatöses Initialstadium«),
die vollständig oder teilweise abheilen oder aber lokale Destruktion verursa-
chen. Konglomerattuberkel brechen ins Nierenbecken durch und führen zur
offenen Nierentuberkulose (»ulzerokavernöses Stadium« – Stadium 2).
Nun besteht die Möglichkeit zur »Pseudoheilung« durch Abriegelung oder
aber zum weiteren Umsichgreifen der Krankheit bis zur totalen Destruktion
(tuberkulöse Pyonephrose, »tuberkulöse Kittniere« – Stadium 3).
Die Krankheit breitet sich je nach Immunitätslage auch deszendierend
weiter aus: Nierenbecken → Harnleiter → Blase → Prostata → Nebenhoden
(. Abb. 4.3).

Klinik. Im Initialstadium bestehen nur Allgemeinerscheinungen und Tuberkel-


bakteriurie.
Im ulzerokavernösen Stadium findet man eine abakterielle Leukozyturie
(»sterile Pyurie«), Mikrohämaturie. Subjektiv besteht oft eine therapieresisten-
te Zystitis.
! Jede »sterile Pyurie« und jede chronisch-therapieresistente Zystitis
ist verdächtig auf Harnwegstuberkulose.

Die Diagnose wird gesichert durch Nachweis von Tuberkelbazillen im Urin im


Direktpräparat (Ziehl-Neelsen) oder mit Löwensteinkultur. Resultat nach 6–
8 Wochen erhältlich. Morgenurin verwenden, mindestens 3 Untersuchungen,
da Tuberkelbakterien intermittierend ausgeschieden werden.
64 Kapitel 4 · Entzündungen

. Abb. 4.3. Typische Erkrankungsstellen bei Urogenitaltuberkulose, mit Hinweisen auf die
Folgen der Erkrankung

Radiologische Hinweise für das Vorliegen einer chronischen Harnwegs-


tuberkulose ergeben sich oft schon aus einer Leeraufnahme (typische Verkal-
kungen).
Wichtig für die Beurteilung des Stadiums ist die Urographie (evtl. ergänzt
durch Tomogramme). Befall der Prostata zeigt sich evtl. im Urethrogramm
(Kavernenbildungen).

Therapie. Grundlage der Behandlung der Urogenitaltuberkulose ist die tuber-


kulostatische Chemotherapie mit mehreren Medikamenten. Antituberkulotika
der ersten Wahl sind: Rifampizin, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol.
Initial wird eine 3fach-Kombination für 2–3 Monate verabreicht, dann wird
zur Stabilisierung während 3–4 weiteren Monaten eine 2fach-Kombination ver-
abreicht.
4.6 · Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems
65 4
Bei Einschränkung der Nierenfunktion muss die Dosierung angepasst
werden.
Die antituberkulöse Behandlung benötigt strenge Kontrollen und dauert
minimal 6 Monate (wenn während der ganzen Behandlungsdauer Rifampizin
und Isoniazid verabreicht werden konnte), sonst verlängert sich die Therapie-
dauer auf 9–12 Monate.
Eine chirurgische Zusatzbehandlung ist selten notwendig. Sie erfolgt in
der Absicht, die »Herdsanierung« zu unterstützen. Darunter versteht man
die Entfernung des zerstörten Nierenabschnitts oder einer evtl. total zer-
störten Niere. Funktionstüchtiges Parenchym wird nach Möglichkeit erhalten
(. Abb. 4.4).
Patienten mit behandelter Urogenitaltuberkulose sollten zunächst alle
3 Monate, später halbjährlich bis jährlich nachkontrolliert werden. Die Rezidiv-
häufigkeit im Verlauf der anschließenden 2–8 Jahre beträgt 10–15%.
Für die Praxis ist im Hinblick auf die Urogenital-Tbc bedeutsam, dass man
bei chronischen, therapieresistenten Pyurien die Tuberkulose in die Differen-
tialdiagnose miteinbezieht. Mischinfekte mit banalen Keimen sind durchaus
möglich (ca. 20%).
In der Nachsorge dürfen urographische Kontrollen nicht vergessen werden.
Die tuberkulostatische Therapie bewirkt »eine erwünschte Vernarbung, aber oft

. Abb. 4.4. Stadieneinteilung der Nierentuberkulose mit Hinweisen für eine kombinierte
medikamentös-chirurgische Therapie
66 Kapitel 4 · Entzündungen

am unerwünschten Ort« → Strikturen → Abflussbehinderung → Nieren-


schaden durch Stauung.

Bilharziose
Bei chronisch-therapieresistenter Zystitis lohnt sich die Aufnahme einer »Reise-
anamnese«. Bei Aufenthalten in Endemiegebieten sind parasitäre Infestationen
4 möglich.
Bei der Schistosomiasis verursachen die aus kleinen Blutgefäßen durch Ul-
zera in die Blase entleerten Eier von Schistosoma haematobium entzündliche
Symptome (terminale Dysurie) und Hämaturie. Narbenbildungen und Verkal-
kungen führen schließlich zu Blasenschrumpfungen und Stauung bzw. Reflux,
später auch zu Blasenkarzinomen. Zystoskopisch lassen sich tuberkelähnliche
Knötchen oder Ulzera erkennen. Die Histologie bestätigt die Vermutungsdiag-
nose. Der Allgemeinzustand ist durch Fieber und Schüttelfröste beeinträchtigt
und im Blutbild findet sich eine Eosinophilie.

Therapie. Die Behandlung erfolgt mit Praziquantel (20 mg/kg 2- bis 3-mal täg-
lich) und wird, wenn notwendig, durch chirurgische Maßnahmen ergänzt.

Echinokokkenerkrankung
Die Infektion mit Echinococcus multilocularis (auch granulosus) kann zu Zys-
tenbildungen in der Niere führen, die typischerweise ringförmige Kalkeinlage-
rungen zeigen und bei raumverdrängenden Prozessen differentialdiagnostisch
in Erwägung gezogen werden müssen. Meist oligosymptomatisch (dumpfer
Flankenschmerz). Diagnose durch CT. Gelegentlich serologische Bestätigung
notwendig.

Gonorrhö
Die Gonorrhö manifestiert sich bei Mann und Frau mit einer eitrigen Ure-
thritis und wird deshalb ab und zu auch in der urologischen Praxis be-
obachtet.
Bei der Frau führt sie überdies zu aufsteigenden Infektionen der inneren
Genitale. Auch beim Mann kann sie eine Prostatitis oder Epididymitis zur Fol-
ge haben. Der verursachende gramnegative intrazelluläre Diplococcus führt
typischerweise nach 3- bis 10-tägiger Inkubation zu starkem Brennen bei der
Miktion, kann aber auch (bei Frauen häufiger: 50–60%) klinisch weitgehend
symptomfrei vorhanden sein.
4.6 · Spezifische Entzündungen des Urogenitalsystems
67 4
Die Diagnose ist im Direktpräparat mit Gramfärbung oder in der Kultur
problemlos möglich. Urethraler Abstrich und spezielle Nährböden not-
wendig.
Die Behandlung ist einfach und erfolgreich. Die früher gebräuchlichen Pe-
nizilline sind wegen hoher Resistenzraten obsolet. Mittel der Wahl ist die intra-
muskuläre Einmaldosis von Ceftriaxome. Alternativen sind Ciprofloxacin oder
Doxycyclin per os.
Abklärung und Behandlung des Partners! An AIDS denken (ungeschützter
Geschlechtsverkehr).

Spitze Kondylome (Condylomata accuminata)


Virusbedingte (durch Sexualkontakt übertragbare) warzenförmige Haut- und
Schleimhauteffloreszenzen am Penisschaft, Vorhaut, Glans und Meatus, gele-
gentlich auch in der vorderen Urethra. Sehr kleine Effloreszenzen können mit
Essigsäurelösung erkennbar gemacht werden.
Unbehandelt können spitze Kondylome wachsen und mit der Zeit ein tu-
morartiges Aussehen annehmen (Buschke-Löwenstein-Tumor). Differential-
diagnostisch muss an ein Peniskarzinom gedacht werden. Es kann eine Behand-
lung mit Podophyllin- oder Fluorouracillösungen versucht werden. Besser ist
die Elektro- oder Laserkoagulation.

Fallbeispiel
Anamnese. Ein 46-jähriger Facharbeiter aus dem Balkan wird vor dem Abschluss
einer Lebensversicherung ärztlich untersucht.

Anamnese. In der Familie keine erwähnenswerten Erkrankungen. Der Patient


fühlt sich gesund und hat außer dem Abgang eines kleinen Ureterkonkrementes
rechts vor drei Jahren in der letzten Zeit keine Gesundheitsstörung bemerkt.

Befund. Im Urin finden sich ca. 20 Leukozyten und ca. 10 Erythrozyten pro Ge-
sichtsfeld. Der bakteriologische Objektträgerkulturbefund ist negativ. Die Blut-
senkung beträgt 15/–. Nach einer ungezielten zweiwöchigen Behandlung mit
Ciprofloxacin ist die Pyurie unverändert nachweisbar.

Weitere Abklärungen. Eine Urographie ergibt eine rosettenartige Ausweitung


der unteren Kelchgruppe rechts, wobei der unterste Kelch mit lockeren Verkal-
6
68 Kapitel 4 · Entzündungen

kungen gefüllt ist. Der Hauptkelch der unteren Kelchgruppe ist stenosiert. Bei
der Blasenspiegelung finden sich Rötungen im Bereich des rechten Ostiums.
Sonst ist die Blase unauffällig. Ebenso sind Hoden und Nebenhoden beidseits
unauffällig. Auch die Prostatabetastung ergibt keine Besonderheiten. Tuberkel-
bazillennachweis im Urin positiv.

4 Diagnose. Ulzerokavernöse Nierentuberkulose rechts, Stadium 2.

Therapie. 3er-Kombinationsbehandlung mit Rifampicin, Isoniazid und Etham-


butol drei Monate lang. Anschließend ist eine 4- bis 5-monatige »Stabilisierungs-
therapie« mit einer 2er-Kombination geplant. Vorerst besteht keine chirurgische
Indikation, etwa zu einer Teilresektion. Der Verlauf wird regelmäßig, vorerst in
kürzeren und dann in längeren Abständen kontrolliert.

? Übungsfragen
1. Was verstehen Sie unter einem »komplizierten« Harnwegsinfekt?
2. Welches ist der häufigste uropathogene Keim bei einer einfachen Zystitis?
3. Welche Methode benutzen Sie zur Uringewinnung beim Mann, wenn es
um die Frage geht, ob ein Harnwegsinfekt vorliegt?
4. Und bei der Frau?
5. Wie lange benötigt eine banale Zystitis zur Abheilung?
6. Zu welchen Überlegungen bezüglich Pathogenese und Therapie veranlasst Sie
das Auftreten von Schüttelfrostanfällen im Rahmen der Betreuung eines Pati-
enten mit Harnwegsinfekt?
7. Nennen Sie zwei gebräuchliche Medikamente zur Behandlung von Harnwegs-
infekten!
8. Bei welchem Harnbefund denken Sie an die Möglichkeit einer Harnwegs-
tuberkulose?

Lösungen → S. 217
51

Harnsteinerkrankung
(Urolithiasis)
5.1 Pathophysiologie – 70

5.2 Zusammensetzung, Form und


Lage der Harnsteine – 72

5.3 Klinik und Diagnostik – 74

5.4 Therapie und Metaphylaxe – 78


70 Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)

Die Erkrankung ist seit dem Altertum bekannt und weltweit verbreitet; sie tritt
gehäuft in warmen, trockenen Zonen und in Gebieten mit einseitiger Mangel-
ernährung auf. Die Häufigkeit nimmt offenbar auch in Europa eher zu: rund
3–4% der Bevölkerung leidet an Harnsteinen (größenordnungsmäßig ähnlich
Diabetes mellitus).

5.1 Pathophysiologie
5
Harnsteinbildung
Die Konkremententstehung wird heute als Kristallisationsprozess aufgefasst,
der in einem mit steinbildenden Substanzen übersättigten Urin (Ionenprodukt
über der Löslichkeitsgrenze) abläuft. Die Kristalle lagern sich zusammen. Man
spricht von Aggregation und anschließender epitaktischer Auflagerung neuer
Kristalle auf die Oberfläche der Aggregate, wodurch die typische Schichtung der
Harnsteine zustande kommt (. Abb. 5.1).
Die Rolle eines – vermutlich organischen – Kristallisationszentrums (Ma-
trix) als Ausgangspunkt der Steinbildung ist umstritten.
Unumstritten ist aber, dass die Übersättigung des Urins mit steinbildenden
Ionen (Ca, NH4, PO4, Oxalat, Urat) eine fördernde und die Anwesenheit von
»Inhibitoren« (Zitrat, Pyrophosphat, saure Mukopolysaccharide u.a.) eine hem-
mende Wirkung haben.
Weitere, den Kristallisationsvorgang beeinflussende Faktoren sind:
4 pH des Urins: Phosphate sind bei niedrigem Urin-pH besser löslich, für
Harnsäure gilt das Gegenteil; die Löslichkeit der Oxalate lässt sich durch
pH-Verschiebungen nicht beeinflussen (. Abb. 5.2).
4 Urinvolumen: größere Urinmengen bedeuten geringeren Sättigungsgrad.

. Abb. 5.1. Zeichnung eines Blasensteins mit typischer Schichtung. Im Zentrum des scha-
lenförmigen Steins, die organisches Material enthaltende »Matrix« (nach Kleinschmidt 1911)
5.1 · Pathophysiologie
71 5
. Abb. 5.2. Löslichkeit steinbilden-
der Salze und Urin-pH (schematische
Darstellung). Hoher Sättigungsgrad
begünstigt Steinbildung

4 Komplexbildner: Sie vereinigen sich mit steinbildenden Ionen zu leicht


löslichen Verbindungen (Ca-Zitrat, Mg-Oxalat) und behindern die Kristal-
lisation.

Die Konzentration der steinbildenden Substanzen im Urin wird, abgesehen von


der Diurese, bestimmt durch:
4 die Zufuhr mit der Nahrung (Kalzium in Milchprodukten; Oxalat in gewis-
sen Pflanzen wie Spinat, Rhabarber, Kakao; Purinkörper in gewissen Fleisch-
waren usw.),
4 den Grad der intestinalen Absorption (z. B. Ca-Hyperabsorber). Anderer-
seits behindert Kalzium die Absorption von Oxalat durch Bildung von
schwer löslichem Ca-Oxalat.
4 die endogene Freisetzung von steinbildenden Substanzen (z. B. Oxalsäure
und Harnsäure als Stoffwechselendprodukte, Kalzium durch vermehrte Re-
sorption aus dem Knochen (Hyperparathyreoidismus).

Für rund 20% der Harnsteine kennt man die Entstehungsursache oder zumin-
dest wesentliche kausalgenetische Faktoren. Beim verbleibenden Teil spricht
man von idiopathischer (ungeklärter) Steinbildung. In der Regel wirken bei der
Steinentstehung mehrere Faktoren zusammen.

Geklärt ist die Steinbildung bei


4 primärem Hyperparathyreoidismus (2–3%): Gesteigerte Parathormon-
sekretion → Hyperkalziämie → Hyperkalziurie und verminderte tubuläre
Phosphatreabsorption.
4 Oxalose (sehr selten): Angeborene Störung des Oxalatstoffwechsels →
Nephrokalzinose im Kindesalter.
72 Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)

4 Markschwammnieren (< 3%): Angeborene Mikrozystenbildung in den


Papillen → Urinstase → Steinbildung.
4 Hyperurikämie und Hyperurikosurie (10–15%): Großes exogenes und
endogenes (Gicht) Purinkörperangebot. Bei niedrigem Urin-pH → Ausfall
von Harnsäurekristallen → Steinbildung.
4 Zystinsteinen (< 1%): Seltene autosomal-dominant vererbte Stoffwechsel-
störung im proximalen Tubulus (fehlende Rückresorption für dibasische
Aminosäuren).
5 4 Renal-tubulärer Azidose (< 3%): Funktionsdefekt im Tubulus: Es kann
kein ausreichend saurer Urin gebildet werden → Kalziumphosphatsteine.
4 Infektsteinen (ca. 15%): Fast obligat bei chronischer Pyelonephritis mit
ureasebildenden Bakterien (z.B. Proteus) die Harnstoff in Kohlensäure und
Ammoniak spalten → Alkalisierung des Urins → verminderte Löslichkeit
für Phosphate → Ca-Phosphat- und Struvitsteine.

Als wichtige kausalgenetische Teilfaktoren sind erkannt:


4 Einseitige Diät: Überreichliche Zufuhr von Milchprodukten, Vitamin-D-
Überschuss, Vitamin-A-Mangel, Vitamin-B6-Mangel.
4 Dehydratation: Klima, Lebensgewohnheiten, Darmerkrankungen wie Ko-
litis, Ileostomaträger.
4 Harnstauung: Hydronephrosen begünstigen Nierenbeckensteine, Blasen-
abflussbehinderung → Blasensteine.
4 Immobilisation führt zu vermehrtem Knochenumbau und konsekutiver
Hyperkalziurie.

5.2 Zusammensetzung, Form und Lage


der Harnsteine

Chemisch reine, nur aus einer Substanz bestehende Konkremente sind selten.
Orientiert man sich an der am Stein maßgeblich beteiligten Substanz, so ergibt
sich die in . Tabelle 5.1 angegebene Häufigkeitsverteilung.
Je nach Form, Größe und Lage verursacht das Konkrement die Erschei-
nungen der Harnsteinkrankheit (. Abb. 5.3). Ihre Prognose ist letztlich abhän-
gig von den steinbedingten Rückwirkungen auf die Nierenfunktion.
Klinisch unterscheidet man Harnwegskonkremente überdies nach ihrer
Röntgenschattendichte (in abnehmender Reihenfolge): Kalziumphosphat →
5.2 · Zusammensetzung, Form und Lage der Harnsteine
73 5

. Tabelle 5.1. Häufigkeit der verschiedenen Konkremente

Steinart Chemie Häufigkeit (%)

anorganische Konkremente Kalziumoxalat ~ 65


Kalziumphosphat und ~ 20
Magnesiumammonium-
phosphat

Organische Konkremente Harnsäure ~ 15


Zystin, Xanthin ~1

. Abb. 5.3. Lokalisation, Form und Bezeichnung für einige im Harnsystem auftretende
Steine
74 Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)

Kalziumoxalat → Ammoniummagnesiumphosphat → Zystin → Harnsäure.


Reine Harnsäuresteine sind für Röntgenstrahlen durchlässig und ergeben folg-
lich keinen Kontrastschatten. Durch die berechneten Dichteunterschiede sind
sie aber im CT zu erkennen.

5.3 Klinik und Diagnostik

5 Steinkolik
Parenchymverkalkungen und Kelchsteine machen in der Regel keine
Beschwerden (»stumme« Steine). Freibewegliche, manchmal sehr kleine Kon-
kremente im Nierenbecken und im Harnleiter behindern den Harnfluss
und verursachen dadurch den typischen »Kolikschmerz«. Die Kolik tritt oft
in Ruhe und nachts auf. Sie ist gekennzeichnet durch vernichtenden, an-
und abschwellenden Schmerz in der Flanke oder dem Unterbauch, teil-
weise mit Ausstrahlung in die Genitalien. Patienten mit einer Kolik krüm-
men sich förmlich vor Schmerz. Die Kolik ist meist begleitet von Übelkeit,
Erbrechen, Darmparese mit Meteorismus, Druck- und Klopfempfindlichkeit
im betroffenen Nierenlager. Ganz im distalen Harnleiter gelegene Steine
können auch irritative Miktionsbeschwerden und ständigen Harndrang ver-
ursachen.
Tritt zur Stauung ein Infekt, kann rasch eine lebensbedrohliche Urosepsis
auftreten.
! Stauung + Infekt = Urosepsisgefahr.

Differentialdiagnose (je nach Schmerzlokalisation). Gallensteinkolik, Chole-


zystitis, Appendizitis, Adnexitis, Sigmadivertikulitis, Hodentorsion, Aorten-
aneursyma (. Abb. 5.4).

Diagnostik
4 Klinik: Koliken. Klopfempfindlichkeit im betroffenen Nierenlager. Im Urin
meist Mikro-, evtl. Makrohämaturie. Bei Infekt: Fieber, Schüttelfrost, Erhö-
hung C-reaktives Protein, massive Leukozytose, evtl. Kreislaufsymptome.
4 Ultraschall: erstes bildgebendes Verfahren. Meist ist eine Dilatation in den
über dem Stein gelegenen Harnwegsabschnitten festzustellen. Oft kann der
Stein direkt gesehen werden. Auch »röntgennegative« Steine (Harnsäure)
können erkannt werden.
5.3 · Klinik und Diagnostik
75 5
. Abb. 5.4. Schmerzprojek-
tion beim Nieren- oder Ureter-
stein und beim Gallensteinlei-
den (nach Alken u. Sökeland
1982)

4 Abdomenleeraufnahme im Liegen: Zeigt rund 80% der Konkremente als


röntgendichte Schatten im Bereich der Harnwege.
4 Urogramm: Lässt auch röngtendurchlässige Steine erkennen. Gibt Hin-
weise auf Nierenfunktion und stauungsbedingte Aufweitung des Hohlsys-
tems. Fehlt bei vollständiger Verlegung des Harnabflusses die Kontrastmit-
telausscheidung spricht man von »stummer Niere«.
4 Computertomogramm: Verdrängt zunehmend das Urogramm. Untersu-
chung rasch und meist ohne Kontrastmittel möglich (»Stein-CT«). Erkennt
auch röntgennegative Steine, Stauung und etwaige andere Pathologien der
Niere und des Abdomens (. Abb. 5.5). Nachteil: höhere Strahlenbelas-
tung.
4 Endoskopische Untersuchungen: Praktisch immer im Zusammenhang
mit Therapiemaßnahmen → z. B. Einlage einer Ureterschiene (Doppel-J-
Katheter) oder zur ureteroskopischen Steinentfernung.
! Die bildgebenden Verfahren der Wahl bei Harnsteinverdacht sind Ultra-
schall und Computertomographie ohne Kontrastmittel. Urogramm nur
noch selten.
76 Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)

. Abb. 5.5a, b. Pyelonstein rechts. a Im


Abdomen-Leerbild im Liegen nur schlecht
zu sehen (Pfeil). b Im CT ohne Kontrast-
mittel ist der Stein (Pfeil) bei demselben
Patienten viel besser zu sehen

Spezielle Abklärungsuntersuchungen. Eine erste Steinepisode benötigt keine


Abklärung der Stoffwechselsituation. Bei Steinrezidiv oder doppelseitigem Be-
fall der normalen, nichtinfizierten Harnwege muss eine Stoffwechselursache für
das Steinleiden ausgeschlossen werden. Dazu sind die folgenden Abklärungen
nützlich:
5.3 · Klinik und Diagnostik
77 5
4 Analyse abgegangener Konkremente,
4 Ernährungsgewohnheiten,
4 Serumkreatinin,
4 quantitative Serum- und Urinanalyse (24-h-Urin) auf steinbildende Ionen
und Salze (Hyperkalziämie und Hypophosphatämie wecken Verdacht auf
Hyperparathyreoidismus),
4 pH-Bestimmung im Urin (pH-Profil bei Harnsäuresteinverdacht),
4 Belastungstests (Ca, Purin, Ammoniumchlorid) zur Beurteilung des intes-
tinalen und renalen Kalziumstoffwechsels sollten nur in spezialisierten
Steinzentren durchgeführt werden.

Komplikationen und Verlauf. Die Stauung durch ein abflussbehinderndes Kon-


krement führt zur Ausweitung des proximal gelegenen Harnwegsabschnitts.
Stauungen leichteren Grades sind ohne weiteres reversibel und können über
Wochen toleriert werden.
Eine über Monate anhaltende Stauung kann eine Druckatrophie und eine
entsprechende Funktionsminderung der betroffenen Niere zur Folge haben.
Infizierte Steine (meist Ausgusssteine) unterhalten eine chronische Pyelone-
phritis und führen im Lauf der Jahre letztlich zur Zerstörung des Organs. Ohne
Entfernung des Steines kann der Infekt nicht zur Ausheilung gebracht werden.
Septische Komplikationen sind bei Harnwegsinfekt und steinbedingter
Stauung jederzeit möglich. Gefürchtet ist der septische Schock. Betroffene Pa-
tienten müssen sofort eingewiesen werden (→ Doppel-J-Katheter . Abb. 5.7
oder perkutane Entlastungsnephrostomie, . Abb. 5.6).

. Abb. 5.6. Perkutane


Nephrostomie (PCN)
(nach Eisenberger u. Miller
1987)
78 Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)

5.4 Therapie und Metaphylaxe

Therapie
4 Kolik: Analgetika (evtl. Spasmolytika): Metamizol-Natrium (Novalgin)
2–5 ml langsam i.v., Pethidin 80–100 mg i.v. Nichtsteroidale Analgetika
(z. B. Diclofenac) fördern den Steinabgang.
Analgetika müssen bei Koliken intravenös verabreicht werden. Wenn notwen-
dig »Entlastung« durch Doppel-J-Katheter (. Abb. 5.7) oder Nephrostomie.
5
! Bei Koliken hat die rasche intravenöse Analgesie Vorrang vor langwie-
riger Diagnostik.

. Abb. 5.7. Doppel-J-Katheter. Einlage via Blase


über Führungsdraht an Hindernis vorbei. Selbsthaltende
Fixation in Nierenbecken und Blase durch beidseitige
Krümmung
5.4 · Therapie und Metaphylaxe
79 5
. Abb. 5.8. Schematische Darstellung
der ESWL (Extrakorporale Stosswellen-
lithotrypsie)

4 Konkremente:
Zurückhaltend, abwartend. Symptomlose Parenchymverkalkungen und
Kelchsteine bedürfen in der Regel keiner Behandlung. Mehr als 80% aller
Steine gehen spontan ab! Bei abgangsfähigen Steinen korrekte Analgesie im
Kolikfall, Bewegung. Die früher gängige forcierte Diurese gilt heute als ob-
solet, da sie Koliken verstärken und eine Kelchruptur induzieren kann.
! Kein endoskopischer und chirurgischer Hyperaktivismus! Primum nil
nocere!

4 Interventionell. Nur bei persistierenden, therapieresistenten Koliken, bei


persistierender Stauung, bei Hinweisen auf Infekt oder bei wegen der
Größe nicht spontan abgangsfähiger Steine (ca. 5 mm).

Für unkomplizierte, im Nierenbecken und im oberen Harnleiter gelegene Stei-


ne hat die berührungsfreie Steinzertrümmerung (ESWL = extrakorporelle
Stoßwellenlithotrypsie) die Chirurgie weitgehend ersetzt. Im Wasserbecken
werden mit Generatoren Druckwellen erzeugt, die in der ellipsenförmigen
Wanne reflektiert werden. Fokussierung auf den Stein mit Röntgen- oder Ultra-
schallortung. Die zur Zertrümmerung notwendige Energie wird außerhalb des
Körpers erzeugt und auf den mit Röntgen oder Ultraschall georteten Stein ge-
richtet (. Abb. 5.8 und 5.9). Eine wichtige Voraussetzung sind freie Abflussver-
hältnisse: Nierenbeckenabgangsstenosen sind Kontraindikationen. Wenn große
Steintrümmermassen erwartet werden oder wenn Infektverdacht besteht, ist es
empfehlenswert, Ableitungskatheter (sog. Doppel-J-Katheter) durch Blase und
80 Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)

. Abb. 5.9a, b. Großer


Pyelonstein (Pfeil) a vor und b
nach ESWL. Auf dem unteren
Bild ist der Stein nicht mehr
sichtbar

b
5.4 · Therapie und Metaphylaxe
81 5
. Abb. 5.10. »Steinstraße«
(Pfeile). Mehrere Desintegrale
im Ureterverlauf rechts. Zur
Entlastung musste eine Ne-
phrostomie eingelegt werden

Harnleiter in das Nierenbecken einzulegen (. Abb. 5.7). Solche Maßnahmen


sind bei etwa einem Drittel der Patienten notwendig. Gelegentlich kommt es zu
einer Ablagerung von Desintegraten im Ureter. Man spricht dann – auch im
Englischen – von einer »Steinstraße« (. Abb. 5.10).
Blasensteine werden je nach Größe endoskopisch mit einer Zange oder
mit über eine Sonde an den Stein gebrachten Stoßwellen zerkleinert und ausge-
spült. Chirurgische Blasensteinentfernungen erfolgen eigentlich nur noch im
Zusammenhang mit anderweitig indizierten offenen Eingriffen an Blase und
Prostata.
Harnleitersteine, die nicht spontan abgehen, werden heute – wenn nicht z.B.
ein intravesikal entwickeltes Prostataadenom den Zugang zum Ostium behin-
dert – ureteroskopisch zertrümmert und entfernt (. Abb. 5.11).
Auch für Harnleitersteine gilt das »primum nil nocere« und weiter, dass ein
großer Teil davon spontan abgeht, wenn Patient und Arzt die nötige Geduld
aufbringen. Eine vorerst konservative Grundhaltung gegenüber symptomar-
men Harnleitersteinen ist deshalb nie falsch.
82 Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)

. Abb. 5.11. Ureteroskopie und


endoureterale Lithotrypsie

Nierensteine können ebenfalls auf endoskopischem Weg entfernt werden.


Dank stark verbesserter flexibler Ureteroskope, feiner Lasersonden und moder-
ner Körbchen und Zangen können auch Kelch- und sogar Unterpolsteine er-
folgreich angegangen werden. Gerade bei den – normalerweise schwer abge-
henden – Unterpolkonkrementen ist die flexible Ureterorenoskopie viel ver-
sprechend und möglicherweise der ESWL überlegen. Sehr große Nierensteine
(i. d. R. >2 cm), welche mehrere ESWL-Behandlungen benötigen würden, kön-
nen erfolgreich auf perkutanem Weg angegangen werden. Dazu wird das Nie-
renbecken durch die Haut (unter Röntgen- oder Ultraschallkontrolle) angesto-
chen und der Stichkanal anschließend so aufgeweitet, dass er ein Endoskop
5.4 · Therapie und Metaphylaxe
83 5

. Abb. 5.12. Perkutane Litholapaxie eines Nierenbeckensteines (nach Eisenberger u. Miller 1987)

aufnehmen kann, durch das sich der Stein nach Zertrümmerung mit Zangen
entfernen bzw. ausspülen lässt. Dieses »perkutane Litholapaxie« genannte Ver-
fahren hat durch die Verbreitung der extrakorporalen Steinzertrümmerung an
Bedeutung eingebüßt (. Abb. 5.12).
Chirurgische Steinoperationen sind selten geworden. Indiziert sind sie
weiterhin beim Vorliegen von komplizierenden chirurgischen Nierenerkran-
kungen, die z.B. eine Pyelonplastik oder eine Teilresektion notwendig machen.
Auch große, nicht voroperierte Ausgusssteine sind eine gute chirurgische
Indikation geblieben.
Eine Steinauflösung durch peroral zugeführte Medikamente ist bei (rönt-
gendichten) kalziumhaltigen Steinen unmöglich. Anders bei Harnsäurekon-
krementen, die durch Harnalkalisierung auf pH 6,4 bis 6,7 und Diurese-
steigerung aufgelöst werden können.

Fallbeispiel
Anamnese. Eine 52-jährige Hausfrau meldet sich wegen Flankenschmerzen auf
der urologischen Poliklinik. Seit einigen Monaten bemerkt sie dumpfe Flanken-
schmerzen, die teilweise auch etwas stärker sind. Fraglich bemerkt sie auch
immer wieder Blut im Urin, vor allem nach dem Joggen. Außer 2 normalen Ge-
burten und einer Blinddarmoperation war sie immer gesund.
6
84 Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)

Befund. Im Urinstatus findet sich eine Mikrohämaturie, Bakterienwachstum lässt


sich keines nachweisen. Im Ultraschall lässt sich auf der rechten Seite eine große
schattengebende Formation im Pyelon feststellen. Mit Verdacht auf Pyelonstein
wird deshalb ein Computertomogramm (CT) angefertigt. Es zeigt einen 3 cm
großen Pyelonstein. Die Niere selbst erscheint unauffällig.

Beurteilung. Großes Pyelonkonkrement rechts. Empfehlung zur perkutanen


Entfernung, da bei einer Steinzertrümmerung mit mehreren Behandlungen zu
5 rechnen ist.

Weiteres Vorgehen. Die Patientin wünscht eine Behandlung. Sie wünscht zu-
nächst nur einen minimal-invasiven Eingriff und entschließt sich zur ESWL. Eine
Kontrolle danach zeigt, dass kaum eine Fragmentation des Steines eingetreten
ist. Sie entschließt sich deshalb schließlich doch zur perkutanen Nephrolithola-
paxie (PNL). In einem rund 1½-stündigen Eingriff in Narkose kann der Stein voll-
ständig zertrümmert und entfernt werden.

Verlauf. Ein Röntgenbild und ein antegrades Pyelogramm via die noch liegende
Nephrostomie am 3. postoperativen Tag bestätigt die Steinfreiheit und zeigt
einen guten Ablauf. Entfernung der Nephrostomie und Entlassung am Folgetag.
Empfehlung: Diuresesteigerung. Kontrolle nach 1 Jahr.

Rezidivprophylaxe (Metaphylaxe). Die Steinentfernung bedeutet in der Regel


nur den Abschluss einer Episode des Harnsteinleidens. Bei 30–50% der Pa-
tienten manifestiert sich die Steinkrankheit innerhalb der folgenden 10 Jahre
erneut. Rezidive sind um so häufiger, je mehr prädisponierende Faktoren
vorhanden sind. Die Metaphylaxe ist deshalb ein wesentlicher Teil der Be-
handlung.

Allgemeine Richtlinien. Diuresesteigerung auf mehr als 1,5 l Urin täglich.


Das spezifische Gewicht sollte unter 1.015 liegen. Die Kontrolle des spezifi-
schen Gewichts mit einem Urometer ist für den Patienten einfacher als die
Messung der Gesamturinmenge/24 h. Für den täglichen Gebrauch genügt es,
wenn der Patient darauf achtet, hellen oder gar »Wasserklaren« Urin zu-
haben.
Normale, körperlich aktive Lebensweise. Gezielte Behandlung von Infekten
durch Chemotherapie und Ansäuerung des Harns.
5.4 · Therapie und Metaphylaxe
85 5
Keine einseitige Diät (z.B. vorwiegend Milch- und Milchprodukte). Auch hier
ist die sog. »Mediterrane« Diät empfehlenswert (viel Gemüse, wenig Fleisch und
tierische Fette). Salzkonsum beschränken. Für ausreichend Ballaststoffe sorgen,
Abführmittel vermeiden. Erhöhung der Zitratausscheidung (Hemmstoff).
Voraussetzung für die Empfehlung spezifischer Metaphylaxemaßnahmen
ist das Vorliegen einer Steinanalyse.

Praktische Empfehlungen bei kalziumhaltigen Harnsteinen


4 Diuresesteigerung: Kräutertee, kalziumarmes Mineralwasser; Milchge-
tränke in größeren Mengen vermeiden.
4 Vitaminreiche, säuernde Kost: Brot, Fleisch, Fisch. Für Oxalatsteinpatien-
ten: Zurückhaltung mit Tomaten, Spinat, Rhabarber, Beerenobst, Schoko-
lade.
4 Medikamentöse Metaphylaxe (nur bei speziellen Indikationen): Senkung
des Kalziums im Urin bei idiopathischer Hyperkalziurie durch Thiazide zur
Steigerung der tubulären Kalziumrückresorption. Normale Kalziumaus-
scheidung beim Mann bis 300 mg/24 h, bei der Frau bis 250 mg/24 h. Alkali-
verabreichung zur Anhebung der Zitratausscheidung.

Praktische Empfehlungen bei Harnsäuresteinen


4 Diuresesteigerung auf über 2 l/24 h: Frucht- und Gemüsesäfte, Zitronen-
wasser, Kräutertee, alkalisierende Mineralwasser zur Erhöhung des Urin-
pH. Weniger empfehlenswert: Bohnenkaffee, Kakao, schwarzer Tee, Alko-
hol.
4 Kost: Bei Übergewicht Gewichtsabnahme anstreben. Normale Mischkost:
Zurückhaltung mit stark harnsäurebildenden (purinreichen) Nahrungsmit-
teln wie Innereien, Sardinen, Heringe usw.
4 Medikamentöse Prophylaxe (und Steinauflösung): Einstellung des Urin-
pH auf 6,4–6,7 mit Alkalizitrat unter Kontrolle des Urin-pH mit Indikator-
papier. Allopurinolverabreichung bei erhöhter Serumharnsäure.

Praktische Empfehlungen bei Zystinsteinen (~ 1%)


4 Massive Diuresesteigerung: > 3 l/24 h.
4 Kost: eiweißarm, alkalisierend.
4 Medikamente: Ascorbinsäure (5-mal 1 g/Tag), sog. Chelatbildner.
86 Kapitel 5 · Harnsteinerkrankung (Urolithiasis)

Fallbeispiel
Ein 30-jähriger Kaufmann leidet seit 12 Stunden an zunehmend starken Nieren-
koliken links. Er sucht im Kolikintervall die Notfallstation auf.

Anamnese. Der Kolikschmerz ist dem Patienten nicht unbekannt. Seit dem
20. Lebensjahr hat er gelegentlich Steinkoliken durchgemacht. Es sind drei
Uretersteine abgegangen (links und rechts). Eine Steinanalyse fand bisher
nicht statt.
5 In den letzten Stunden hat sich der Schmerz nach unten in die linke Leisten-
gegend verlagert und strahlt gegen das Skrotum aus. Fieber besteht nicht.

Beurteilung. 4. Steinepisode bei ätiologisch unabgeklärter Urolithiasis beid-


seits.

Weiteres Vorgehen. Aktuelle Steinepisode: Notfallmäßiges Stein-CT (ohne KM)


im Kolikintervall. Diese zeigt einen leicht erweiterten Ureter links mit einem
prävesikalen pfefferkorngroßen Konkrement. Die Nieren sind sonst unauffällig,
abgesehen von einer pfefferkorngroßen Verkalkung im Bereich der rechten
Niere.
Es ist demnächst mit dem spontanen Abgang des Konkrements zu rechnen.
Sollten nochmals Koliken auftreten, so lässt sich der Patient eine Ampulle
Novalgin (2 ev. 5 ml) i.v. spritzen. Das abgehende Konkrement wird er, wenn
möglich, abfangen.

Abklärung des Steinleidens. Analyse des Konkrements. Es handelt sich um


einen Oxalat-Phosphat-Mischstein. Bestimmung der Serumelektrolyte, be-
sonders Kalzium und Phosphor. Die Werte sind im Normbereich. Ein Hyper-
parathyreoidismus ist daher unwahrscheinlich. Auch das Serumkreatinin und
Urinelektrolyte im 24-h-Urin sind im Normbereich. Die Abklärung der Ess-
gewohnheiten des Patienten ergibt, dass er eine normale Mischkost zu sich
nimmt.

Empfehlungen für die Rezidivprophylaxe. Diuresesteigerung wenn möglich


auf 1,5 l/Tag. Keine Diätvorschriften. Vermehrte körperliche Aktivität wird emp-
fohlen.
5.4 · Therapie und Metaphylaxe
87 5
? Übungsfragen
1. Welche Harnsteinarten kennen Sie bezüglich ihrer chemischen Zusammenset-
zung und wie beurteilen Sie ihre relative Häufigkeit?
2. Charakterisieren Sie aufgrund von Lage und Form vier verschiedene Steinsitua-
tionen in den oberen Harnwegen!
3. Nennen Sie drei kausalgenetische Teilfaktoren, die die Bildung von Harnsteinen
begünstigen!
4. Welche Harnsteinart kann man allenfalls medikamentös auflösen?
5. Welches ist die wichtigste Empfehlung in der Harnsteinrezidivprophylaxe?

Lösungen → S. 217
6

Neubildungen
des Urogenitalsystems
(Tumoren)
6.1 Gutartige Tumoren
des Nierenparenchyms – 89

6.2 Bösartige Nierentumoren – 91

6.3 Tumoren des Urothels – 95

6.4 Prostatakarzinom – 103

6.5 Hodentumoren – 114

6.6 Peniskarzinom – 119

6.7 Skrotalkarzinom – 121


6.1 · Gutartige Tumoren des Nierenparenchyms
89 6
Die wichtigsten Tumoren des Urogenitalssystems sind in . Abb. 6.1 schema-
tisch dargestellt. Nach den Angaben zentraleuropäischer Krebsregister ist das
Prostatakarzinom mit ca. 20% vor dem Lungenkarzinom (17,6%) und dem
Kolonkarzinom (13%) das häufigste Malignom der männlichen Bevölkerung.
Das Blasenkarzinom folgt mit 6% an 5. Stelle. Sowohl das Prostatakarzinom
(rektale Untersuchung, PSA) wie auch das Urothelkarzinom (Hämaturieabklä-
rung) sind der Früherkennung durchaus zugänglich. Die TNM-Klassifikation
mit Einschluss des histologischen Differenzierungsgrades (G1–G3) ermöglicht
eine überall verständliche Charakterisierung der Tumorausdehnung und des
Malignitätspotentials, was angesichts der modernen multidisziplinären Krebs-
therapie, an der neben dem Allgemeinpraktiker der Urologe, Onkologe und
Radioonkologe maßgeblich Anteil nehmen, große Vorteile bietet.
! TNM-Klassifikation:
T = Primärtumor
N = Regionäre Lymphknoten
M = Fernmetastasen

Tumoren des Urogenitalsystems haben gewisse Gemeinsamkeiten:


4 Leitsymptom: (intermittierende) Hämaturie. Hämaturie ist immer ver-
dächtig auf ein malignes Geschwulstleiden in der Blase bzw. in den oberen
Harnwegen. Beim Nierenzellkarzinom tritt die Hämaturie leider oft erst in
einer späten Erkrankungsphase auf.
4 Meist geringe und erst spät auftretende subjektive Beschwerden. Tumo-
ren der Nieren, der Harnwege, der Prostata oder des Hodens machen in
frühen Erkrankungsphasen kaum Beschwerden.
4 Bevorzugt lymphogene Metastasierung. Vom Adenokarzinom der Nieren
und vom Chorionkarzinom des Hodens abgesehen, die früh hämatogene
Metastasen setzen können, breiten sich die Urogenitaltumoren vorwiegend
lymphogen im Becken und im Retroperitoneum aus.
! Tumoren des Urogenitaltraktes metastasieren lymphogen iliakal und
retroperitoneal. Ausnahme: Peniskarzinom → inguinal.

6.1 Gutartige Tumoren des Nierenparenchyms

Gutartige Nierentumoren sind selten, meist klein und symptomlos; häufig han-
delt es sich um Zufallsbefunde. Meist sind es Adenome mit tubuluszellähnlichem
90 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

. Abb. 6.1. Wichtige Neoplasmen des Urogenitalsystems


6.1 · Gutartige Tumoren des Nierenparenchyms
91 6
Gewebebild. Diese sind wahrscheinlich Ausgangspunkte der Nierenzellkarzi-
nome. »Adenome« mit einem Durchmesser von über 2 cm sind deshalb nicht
mehr als gutartig zu betrachten. Daneben gibt es Fibrome, Lipome, Onkozy-
tome, Hämangiome, Hamartome, Angiolipoleiomyome (gehäuft bei tuberöser
Sklerose).

6.2 Bösartige Nierentumoren

Nierenzellkarzinom (Adenokarzinom, »Hypernephrom«)


Häufigster Nierentumor des Erwachsenen, aber insgesamt doch ein seltener
Tumor (1–2% aller Tumoren). Männer sind häufiger betroffen (2 : 1), Alters-
gipfel 50–70 Jahre.

Ätiologie. Grawitz (1884) glaubte an eine Entstehung aus in der Niere liegen-
den, versprengten Nebennierenzellen → Bezeichnung »Hypernephrom«. Diese
Hypothese hat sich als unrichtig erwiesen. Die Bezeichnung ist indessen weiter-
hin gebräuchlich. Wahrscheinlich entstehen Nierenzellkarzinome aus Adeno-
men. Gehäuft bei von Hippel- Lindau-Erkrankung.

Pathologie. Die Tumoren entwickeln sich meist in einem Nierenpol → kon-


zentrisches Wachstum (»raumfordernder Prozess« im Sonogramm/CT bzw.
Urogramm). Verdrängung des Hohlsystems → Einbruch in Nierenbecken und
in Nierenvenen → Einwachsen in Nierenhauptvene und in V. cava (→ »symp-
tomatische« Varikozele durch Behinderung des Blutabflusses aus der V. sper-
matica).
Metastasierung nach dem Hohlvenentyp → Lunge (60%), Skelett (30%), Le-
ber, Hirn. Lymphogene Metastasierung → lumbale Lymphknoten (30%). Frühe
Metastasierung ist nicht die Regel, aber spätes Auftreten von Metastasen, Jahre
nach Entfernung des Primärtumors, ist möglich.

Klinik. Makrohämaturieepisoden ohne Schmerzen sind Leitsymptom, aber


meist nicht Frühsymptom des Nierenkarzinoms.
Weniger häufig: lumbales Druckgefühl, tastbarer Flankentumor.
Weitere Symptome: ungeklärtes remittierendes Fieber, Polyzythämie, Sen-
kungserhöhung, Müdigkeit, Kachexie. Zeichen einer Leberschädigung (para-
neoplastisches Syndrom).
92 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

! Nierenkarzinome können sich in relativ frühen Stadien mit einem


paraneoplastischen Syndrom manifestieren.

Diagnose. Die meisten Nierentumoren werden zzt. bei der Ultraschalluntersu-


chung des Abdomens (häufig zufällig) entdeckt. Andere werden im Rahmen der
Hämaturieabklärung gefunden.
4 Ultraschalluntersuchung: Entscheidung Zyste/solider Tumor mit Ultra-
schall fast immer (95%) möglich.
4 Computertomographie (. Abb. 6.2) sichert Diagnose (± 100%) und er-
laubt Ausdehnungsbeurteilung. Einwachsen in Nierenvene und Vena cava
6 kann erkannt werden.
4 Arteriographie und Kavographie werden nur ausnahmsweise benötigt
(z.B. Operationsplanung bei Einzelniere).
4 Biopsie: Da die Diagnose von malignen Tumoren fast immer aufgrund der
Bildgebung möglich ist und die (geringe) Gefahr der Tumorverschleppung
besteht, ist die Biopsie von Raumforderungen der Niere von untergeord-
neter Bedeutung. Ausnahmen: Unterscheidung zwischen Primärtumor und
Metastasen bei bekanntem Zweittumor (z.B. Raumforderung bei bekanntem
Melanom).

Differentialdiagnose. Sie ist mit Ultraschall und CT problemlos. In Frage kom-


men im Wesentlichen:
4 Angiolipoleiomyome,
4 solitäre Nierenzysten und
4 Hydronephrosen.

Behandlung. Die chirurgische Therapie ist Behandlung der Wahl: »En-bloc«-


Entfernung von Niere, perirenalem Fett und Faszie, je nach Tumorlage
und -ausdehnung von einem abdominalen oder thorakoabdominalen Zu-
gang aus. Der kurative Wert der Lymphadenektomie ist umstritten, dagegen
ist die Exzision solitärer Metastasen (Lunge, Hirn) sinnvoll. Eine pallia-
tive Nephrektomie ist auch bei metastasierenden Nierenkarzinomen meist
indiziert. Alternativ kommt eine Embolisierung über die Nierenarterie in
Frage. Bei kleinen Geschwülsten ist in bestimmten Fällen die Tumorenuklea-
tion bzw. eine Nierenteilresektion möglich, ohne die Prognose zu beein-
trächtigen.
6.2 · Bösartige Nierentumoren
93 6

. Abb. 6.2. a Nierentumor rechts (Pfeil),


b
b sagittale Rekonstruktion, derselbe Patient

! Das Nierenzellkarzinom spricht auf Strahlen- und Hormontherapie


nicht an. In jüngster Zeit Erfolg versprechende Chemotherapie bei
metastasiertem Leiden mit Angiogenesehemmern.
94 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

Chemotherapie. Bis vor kurzem galt das Nierenkarzinom als »chemoresistent«.


In jüngster Zeit Erfolg versprechende neue Chemotherapie mit Tyrosinkinase-
Hemmern (Hemmern der Angiogenese). Mit Sorafenib und Sunitinib An-
sprechraten bis 40%. Genauer Stellenwert dieser neuen Medikamente noch
nicht geklärt.

Immuntherapie. Mit den modernen Methoden zur Beeinflussung der Immuni-


tätslage scheinen sich (vorerst in klinischen Studien) neue Therapiemöglich-
keiten zu eröffnen (Interferon, Zytokine, tumorinfiltrierende Lymphozyten).

6 Prognose. In Frühfällen günstig. Bei organbegrenzten Tumoren 70–90% Über-


lebende nach 5 Jahren, bei Infiltration der Fettkapsel ca. 50%.
Kleine Nierentumoren (T1) können durch Nephrektomie oder Nierenteilre-
sektion in 80–90% der Fälle definitiv geheilt werden. Lymphknotenbefall (N+)
verschlechtert die Prognose deutlich: Fünfjahresüberlebensrate maximal 25%.
Bei multiplen Fernmetastasen (M+) überleben weniger als 10% 5-Jahre.
Spontanremissionen sind extrem selten (< 0,5%).

Nephroblastom (Wilms-Tumor)
Häufigster Abdominaltumor des Kindes, 90% in der Altersgruppe 1–7-Jahre.
Im Gegensatz zum Adenokarzinom gutes Ansprechen auf Strahlen- oder Che-
motherapie. Prognose der kombinierten chirurgisch-radiotherapeutisch-che-
motherapeutischen Behandlung günstig (7 Kap. 10.8).

Liposarkom, Fibrosarkom
Sehr selten. Symptomatologie und Behandlung wie Adenokarzinom. Prognose
wesentlich ungünstiger, weniger als 10% Überlebende nach 5-Jahren.

Fallbeispiel
Anamnese. Ein 60-jähriger Redakteur, Kettenraucher, hat bei sich nun schon
zum 2. Mal eine kurzdauernde Makrohämaturieepisode beobachtet und ist be-
unruhigt.

Befund. Zurzeit im Urin nur 7 Erythrozyten pro Gesichtsfeld. Urinzytologie ne-


gativ. Im Ultraschall solide orangengroße »Raumforderung« im Unterpol der
rechten Niere. Deshalb erfolgt ein Computertomogramm des Abdomens, das
6
6.3 · Tumoren des Urothels
95 6
einen Tumor beweist. Die Nierenvene ist gut erkennbar ohne Tumor. Auffällige
Lymphome im Hilusbereich lassen sich nicht nachweisen. Eine Thoraxaufnahme
ist unauffällig, das c-reaktive Protein ist erhöht.

Diagnose. Nierenzellkarzinom rechts, Stadium T2N0M0 .

Therapie. Extrakapsuläre Nephrektomie über einen Interkostalschnitt 10./11.


Rippe. Unter extrakapsulär versteht man die Mitnahme des perirenalen Fettge-
webes innerhalb der sog. Gerota-Kapsel.

Verlauf. Komplikationsloser postoperativer Verlauf. Nachkontrollen nach 6 und


12 Monaten. Es ist mit einer Dauerheilung zu rechnen.

6.3 Tumoren des Urothels

Diese Neoplasmen entwickeln sich aus dem Übergangsepithel der Harnwege


und zeigen daher trotz unterschiedlicher Lokalisation ein nahezu identisches
histologisches Bild.
Zum Zeitpunkt der Diagnose sind 70% oberflächlich wachsende und 30%
muskelinvasive Karzinome vorhanden. Die oberflächlich wachsenden Urothel-
tumoren (sog. pTa-Tumoren) verhalten sich gutartig und werden deshalb auch
als »Papillome« oder etwas umständlicher als »Tumoren mit niedrigem Malig-
nitätspotential« bezeichnet. Sie haben eine hohe Rezidivierungstendenz. Bei
den muskelinvasiven Tumoren handelt es sich um aggressive, relativ rasch me-
tastasierende Tumoren. In rund 5% finden sich Plattenepithelanteile. Eine Zwi-
schenstellung nimmt das sog. Carcinoma in situ ein. Es ist ein oberflächlich
wachsender Tumor mit Metastasierungspotential. Es ist genetisch den invasiven
Tumoren näher. Sehr selten sind Adenokarzinome.
Am häufigsten ist die Blase befallen, dann in abnehmender Häufigkeit die
Nierenbecken, die Ureteren und die hintere Urethra.

Nierenbeckentumoren
Nierenbeckentumoren machen rund 10% aller Nierentumoren aus und sind
fast immer (90%) papilläre Urothelkarzinome.
Oft treten die Geschwülste multipel auf (30–40%) oder führen zu Ablegern
in Ureter und Blase. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen.
96 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

Ätiologie. Neben der unspezifischen, chronischen Entzündung gibt es seltene,


regional auftretende Nephritiden mit erhöhtem Tumorrisiko (Balkannephritis).
Eine wichtige Ätiologie in Westeuropa war der Phenazetinabusus (Kopf-
schmerztabletten). Weitere ätiologische Hinweise 7 Blasentumoren.

Pathologie. Die dünne Wand der oberen Harnwege ist rasch durchwachsen →
Infiltration ins peripelvine Fettgewebe und Metastasierung in lumbale Lymph-
knoten.

Klinik. Hauptsymptom (80%) und (im Gegensatz zum Nierenzellkarzinom)


6 auch Frühsymptom ist die Mikro- (Makro-)hämaturie.
Im Urogramm manifestiert sich der Tumor durch Kontrastmittelausspa-
rung. Gelegentlich ist ein retrogrades Pyelogramm notwendig, mit dem der
Füllungsdefekt besser dargestellt werden kann. Differentialdiagnostisch kom-
men in Frage: Gefäßimpressionen, röntgennegative Konkremente, evtl. Tuber-
kulose. Hilfreich sind Urinzytologie, evtl. Ureterorenoskopie.

Therapie. Nephroureterektomie, unter Mitentfernung der Uretermündung.


Die vollständige Entfernung des Ureters ist notwendig wegen der Gefahr
einer späteren Geschwulstentwicklung im zurückgebliebenen Ureterstumpf
(bis 30%).

Prognose. Je nach Tumortyp und Stadium: bei bedingt malignen Tumoren 80%,
bei infiltrierenden Karzinomen 25% Überlebende nach 5 Jahren.

Uretertumoren
Diese sind seltener und entwickeln sich in der Regel im distalen Abschnitt.

Klinik. Ähnlich wie bei den Nierenbeckentumoren. Im intravenösen oder retro-


graden Kontrastbild erkennt man eine tumorbedingte Kontrastaussparung und
in der Regel eine mehr oder weniger starke Stauung.

Therapie. Nephroureterektomie. Bei gutartigen distalen Geschwülsten ist gele-


gentlich eine Teilresektion mit Neueinpflanzung in die Blase möglich. Bei infilt-
rierendem Karzinomwachstum ist die Prognose ungünstig; nur wenige Prozent
Überlebende nach 5 Jahren.
6.3 · Tumoren des Urothels
97 6
Blasentumoren
Der Blasentumor ist nach dem Prostatakarzinom der zweithäufigste Urogeni-
taltumor. Befallen sind vorzugsweise Männer (3 : 1) in der Altersgruppe von
50–80 Jahren.

Ätiologie. Bereits 1895 hat der Chirurg Rehn einen Zusammenhang zwischen
Blasentumoren und einer Exposition mit Farbstoffen nachgewiesen. Seine Be-
zeichnung »Anilinkrebs« ist allerdings unzutreffend.
In Wirklichkeit sind es aromatische Amine (Amingruppe in Orthostel-
lung), die im Tierversuch Blasentumoren verursachen. Gefährdet sind die Ar-
beiter in gewissen Sparten der Textil-, Leder-, Farb- und Gummiindustrie. Zur
Tumorinduktion ist eine gewisse Expositionszeit notwendig (2 Jahre). Das Auf-
treten der Tumoren erfolgt nach einer Latenzzeit, die je nach Expositionsdauer
und Intensität zwischen 5 und 40 Jahren beträgt. Heute selten.
Auch das Zigarettenrauchen ist als blasentumorinduzierender Faktor gesi-
chert. Die Konzentrationen der Tryptophanmetaboliten im Urin liegen bei Rau-
chern bis zu 50% höher. Weiter können chronische Entzündungen (besonders
Bilharziose, evtl. Steine) zur Tumorbildung Anlass geben (→ Plattenepithelkar-
zinome).
Urinstase und Restharn (in Divertikeln) begünstigen vermutlich die Tu-
morentstehung (auch in den oberen Harnwegen).

Pathologie. Es handelt sich in der Regel (> 90%) um Tumoren vom Übergangs-
epitheltyp. Vom Wachstumstyp her unterscheidet man papilläre Tumoren,
oberflächliche (Carcinoma in situ) und infiltrierende Karzinome unterschied-
licher T-Stadien (. Abb. 6.3). Das Carcinoma in situ (CIS) der Harnblase ist
vermutlich eine Vorstufe der invasiven Tumoren.
! Für die Klinik ist die Unterscheidung zwischen oberflächlichen (meist
relativ gutartigen) und invasiven (aggressiv wachsenden und metasta-
sierenden) Urothelkarzinomen hilfreich.

Das Geschwulstwachstum erfolgt meist exophytisch, papillomatös und häufig


multizentrisch mit starker Neigung zu Rezidiven (bis 70%).
Die Metastasierung geschieht vorwiegend lymphogen → Beckenlymphkno-
ten → paraaortokavale Lymphknoten → Lunge, Leber, Knochen (hämatogene
Fernmetastasen).
98 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

. Abb. 6.3. Blasentumorstadien im TNM-Sys-


tem. Ta, Tis, T1–T4 bedeuten unterschiedliche
Infiltrationstiefe, N0–N+ beurteilen die lympho-
gene Metastasierung, M0–M+ beurteilen die
Fernmetastasierung

Klinisches Verhalten. Das Wachstum erfolgt meist exophytisch, papillomatös


und häufig multizentrisch. Die oberflächlichen pTa-Tumoren (»Papillome«,
»Tumoren mit niedrigem Malignitätspotential«) metastasieren praktisch nie,
zeigen aber eine hohe Rezidivierungstendenz (>50%). Die muskelinvasiven
(≥pT2) Blasenkarzinome verhalten sich aggressiv, metastasieren früh und ha-
ben eine ungünstige Prognose. Geschätzte 50% der Patienten haben zum Zeit-
punkt der Diagnose bereits Mikrometastasen. pT1-Tumoren sind früh entdeck-
te, muskelinvasive Tumoren. Eine besondere Stellung nimmt das so genannte
Carcinoma in situ (Cis) ein. Es wächst ganz oberflächlich, ist manchmal schwie-
rig zu diagnostizieren, hat aber unbehandelt ein hohes Malignitätspotential (ca.
50% werden muskelinvasiv). Genetische Untersuchungen zeigen, dass es den
invasiven Tumoren verwandt ist.
! Das Carcinoma in situ (Cis) spricht gut auf BCG-Instillationen an.

Klinik. Haupt- und Frühsymptom: schmerzlose Mikrohämaturie mit Makro-


hämaturieepisoden (80%); seltener Pollakisurie und »Zystitis« (20%). Beginn
schleichend, ohne Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens. Die Erschei-
nungen werden daher vom Patienten, gelegentlich aber auch vom Arzt (zu Un-
recht) bagatellisiert.
! Mikro- und Makrohämaturie sowie therapieresistente Zystitiden sind
immer tumorverdächtig.
6.3 · Tumoren des Urothels
99 6

. Tabelle 6.1. Blasentumoren. Schematische Übersicht über Diagnostik, Prognose


und Therapie in Abhängigkeit vom Stadium.

Klinische Patho- Diagnos- Therapie Prognose


Bezeichnung logische tik
Einteilung

»Papillom«, pTa TUR-B TUR-B Gut. Rezidive in


»Tumor mit (Diagnostik = >50%
niedrigem Therapie)
Malignitäts-
potential«

»Cis« Carcinoma TUR-B, BCG Instilla- Behandelt: güns-


in situ Zytologie tion, selten tig (>90% Tumor-
(90% pa- Zystektomie freies 5-Jahres-
thologisch) überleben)

»T1-Tumoren« pT1 TUR-B TUR-B und Mit frühzeitiger,


BCG-Instil- aggressiver Thera-
lation oder pie günstig
Zystektomie

»(Muskel-)- ≥pT2 TUR-B, evtl. Zystektomie Ungünstig. Mit


Invasive Re-TUR-B aggressiver
Tumoren« Therapie 50–70%
tumorfreies 5-Jah-
resüberleben

Diagnostik
4 Die Urethrozystoskopie, manchmal ergänzt durch eine Urinzytologie,
zeigt den Typ, die Ausdehnung und die Anzahl der Tumoren. Gesichert wird
die Diagnose mit einer transurethralen Resektion der Blase (TUR-B).
Durch die Anwendung der sog. photodynamischen Diagnostik (PDD)
kann die Detektionsrate von flachen, schwer sichtbaren Blasentumoren ver-
bessert werden. Hexaminolävulinsäure wird ca. 2 h vor der TUR-B in die
Blase instilliert und reichert dort in sich rasch vermehrenden Zellen an.
Befallene Stellen leuchten rot und können mit speziellen Fluoreszenz-Zys-
toskopen gut gesehen werden. Kommt insbesondere bei Verdacht auf Car-
cinoma in situ (CIS) zur Anwendung.
100 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

. Abb. 6.4. Kugeliger, papillär


wachsender Tumor der linken
Harnblasenwand. Kontrastmit-
telaufnahme. Kein Hinweis auf
Infiltration

4 CT oder Urographie: Füllungsdefekte in der Harnblase, gelegentlich ein-


seitige Stauung der oberen Harnwege durch infiltratives Wachstum im Tri-
gonumbereich. Eine Urographie oder CT-Untersuchung ist bei Hämaturie
und anders motiviertem Tumorverdacht obligatorisch (. Abb. 6.4).

Die Beurteilung der lokalen Ausdehnung (Infiltration in benachbarte Struktu-


ren) und des Lymphknotenbefalls erfolgt durch die Computertomographie
oder auch Magnetresonanztomographie (. Abb. 6.5). Zur Suche nach Fern-
metastasen in Lunge, Leber und Skelettsystem eignen sich Thoraxaufnahmen,
Computertomogramm und Skelettszintigramm.

. Abb. 6.5. Magnetresonanztomogramm eines Blasentumors. Man sieht einen diffus wach-
senden Tumor (Pfeil), der die Blasenwand aber noch nicht überschritten hat.
6.4 · Prostatakarzinom
101 6
Therapie. Bei der Indikationsstellung zu berücksichtigen sind Stadium, histolo-
gischer Typ, Malignitätsgrad, Alter, Allgemeinzustand, familiäre Situation u.a.
Behandlungsmöglichkeiten:
4 Transurethrale Resektion (TUR-B): Erster diagnostischer Schritt und Ba-
sis für die Beurteilung des weiteren Vorgehens. Ist gleichzeitig die definitive
Therapie bei oberflächlichen, gut differenzierten und lokalisierten Tumoren
(Ta, T1, evtl. T2 immer mit Nachresektion einige Wochen später). Vorteile:
kleines Operationstrauma, geringe postoperative Beschwerden, kurze
Krankheitsdauer, jederzeit wiederholbar.
4 Blasenteilresektion: Sehr selten indiziert: z.B. bei einem für die TUR-B
ungünstigen Tumorsitz in der Blasenkuppe bzw. an der Blasenhinter-
wand und beschränkter Lebenserwartung; Gefahr der Tumorzellver-
schleppung.
4 Zystektomie + Lymphadenektomie + Harndeviation: Für alle infilt-
rierenden und multizentrisch wachsenden Tumoren, die die Möglichkeiten
der TUR-B übersteigen und bei denen Heilung angestrebt wird (therapie-
resistentes Tis, T2/T3, N0, M0). Die Zystektomie ist nur sinnvoll, wenn kein
offensichtlicher Befall der regionalen Lymphknoten besteht (präoperatives
CT, Schnellschnittuntersuchung). Der Urin wird meist nach außen umge-
leitet. Zur Harnumleitung am gebräuchlichsten ist ein sog. Ileum conduit
mit äußerlich aufgeklebtem Auffangbeutel (. Abb. 12.8). Alternativ lässt
sich ein inneres Darmbeutelreservoir (»Ersatzblase«, »Neoblase«, »Pouch«)
bilden, das »kontinent« ist. Bevorzugt wird beim Mann, in letzter Zeit auch
vermehrt bei der Frau, die Verbindung dieser Neoblase mit der Urethra,
sofern diese tumorfrei ist (»orthotoper Blasenersatz«; . Abb. 12.7). Diese
Patienten haben eine mehr oder weniger »normale« Pressmiktion. Seltener
wird ein kontinenter Blasenersatz mit Verbindung zur Bauchhaut (meist im
Nabelbereich) gewählt, der regelmäßig durch Katheterismus entleert wer-
den muss.
4 Chemotherapie: Die Zytostatikabehandlung ist zu einer wichtigen Zusatz-
therapie geworden, die die Prognose des Blasenkarzinoms günstig beein-
flusst.
5 Die intravesikale Instillationsbehandlung (in Kombination mit der
TUR-B) bei diffusem oberflächlichen Tumorbefall (Mitomycin C,
Adriamycin, BCG) senkt die Rezidivrate und verlangsamt die Entste-
hung histologisch bösartiger, infiltrierender Rezidive. Die Instillation
von BCG-Impfstoff ist für das gefürchtete Carcinoma in situ (Tis) erste
102 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

Behandlungsoption. Bei infiltrativem Tumorwachstum (T2) sind Ins-


tillationsbehandlungen wertlos.
5 Die systemische Chemotherapie mit verschiedenen Zytostatika-
Kombinationen wird in chirurgischen Grenzfällen prä- und postope-
rativ (»neoadjuvant« und »adjuvant«) mit Erfolg eingesetzt. Auch in
der Behandlung des metastasierenden Blasenkarzinoms lassen sich zu-
mindest partielle Remissionen erreichen. Die wichtigsten Medikamente
(mit ihren objektiven Ansprechraten) sind Cisplatin (30%), Gemcitabin
(25%), Methotrexat (30%), Adriamycin (18%) und Vinblastin (18%).
Das früher übliche M-VAC-Schema wurde zugunsten einer Kombina-
6 tion aus Cisplatin und Gemcitabin verlassen. Gleich gute Ansprechraten
(ca. 40%), aber deutlich weniger Nebenwirkungen.

Prognose. Die Prognose hängt ab vom Malignitätsgrad (G) und von der Infil-
trationstiefe (T-Kategorie).
Die Fünfjahresüberlebensrate bei wenig invasivem Tumorwachstum
(T1/T2) liegt bei rund 60% oder weniger (bei niedrigem Differenzierungs-
grad); bei fortgeschrittener Infiltration der Harnblasenwand (T3/T4) 10% oder
weniger.

Fallbeispiel
Anamnese. »Hämorrhagische« Zystitis bei einem 61-jährigen Magazinverwalter
(Nichtraucher). Nach Behandlung mit Norfloxacin über zwei Wochen gehen die
Beschwerden nur teilweise zurück. Besonders die Pollakisurie bleibt und im Urin
kann weiterhin eine Mikrohämaturie nachgewiesen werden. Bakterien finden
sich aber bei wiederholter Untersuchung nicht.

Weitere Abklärungen. Im CT unauffällige Nieren und unauffällige obere


Harnwege. In der Blase vereinzelte Aussparungen im Kontrastbild (Koagula?).
In der Urinzytologie vereinzelt unregelmäßige Urothelien, ohne dass eine
sichere Malignitätsdiagnose gestellt werden kann. Deshalb wird eine flexible
Zystoskopie durchgeführt, die drei nebeneinander liegende exophytische
Wucherungen über dem rechten Ostium ergibt. Die übrige Blase ist un-
auffällig.

Diagnose. Multiple exophytisch wachsende Urotheltumoren der Blase.


6
6.4 · Prostatakarzinom
103 6
Therapie. Transurethrale Abtragung der Geschwülste mit Hochfrequenzschlin-
ge (TURB). Histologisch handelt es sich um oberflächliche Karzinome pTa (ohne
Durchbruch durch die Lamina propria der Submukosa).

Weiteres Vorgehen. Drei Monate später Nachresektion im Operationsgebiet. Bei


tumorfreiem Präparat kann von Heilung ausgegangen werden. Anschließend
sind aber Kontrollen in sechsmonatigen Abständen notwendig (Urinzytologie
und Zystoskopie), da bei multiplen Tumoren mit einer hohen Rezidivhäufigkeit
(bis 70%) gerechnet werden muss.

6.4 Prostatakarzinom

Es ist das häufigste Urogenitalkarzinom des Mannes und ein ausgesprochenes


»Alterskarzinom«. Klinisch nicht in Erscheinung getretene »latente« Karzinome
finden sich anlässlich der Autopsie von über 70-jährigen Männern in rund 40%
der Fälle. In Deutschland ca. 40.000 neue Fälle pro Jahr und ca. 12.000 Todes-
fälle am Tumor.
Es ist zudem die häufigste Krebserkrankung des Mannes überhaupt. Die
jährliche Prostatakrebsinzidenzrate pro 100.000 Männer beträgt zurzeit in Basel
um die 85.
Initial liegen meist keine Symptome vor. »Klinisch-manifest« wird ein Pros-
tatakarzinom durch sein abflussbehinderndes Tumorwachstum oder durch
Metastasenschmerzen. Beim »okkulten« Karzinom werden zuerst Metastasen
nachgewiesen (z.B. durch Röntgenaufnahmen). Das »inzidentielle« Karzinom
findet sich unerwarteterweise bei der histologischen Untersuchung von Prosta-
tagewebe nach TUR bei vermeintlich gutartiger Vergrößerung (ca. 10%).
! »Nur« jeder 3. bis 4. Mann, der an Prostatakarzinom erkrankt, stirbt
daran → Gefahr der Überbehandlung.

Ätiologie. Die Krankheitsursachen sind unbekannt. Alter (»Alterskarzinom«),


hormonale Faktoren (Androgene stimulieren offenbar das Tumorwachstum)
und Rasse (Japan: seltener, Afroamerikaner: häufiger betroffen) und mögli-
cherweise auch die Umwelt (Ernährung zu fett!) spielen eine Rolle. Es besteht
eine höhere Inzidenz in den Industrieländern. Daneben spielt die genetische
Disposition eine Rolle. Bei I. gradig Verwandten (Vater, Bruder) Risiko 2- bis
3-mal höher.
104 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

Pathologie. Das Karzinom bildet sich aus den Drüsenepithelien (Adenokarzi-


nom) meist im dorsalen Anteil. Es entwickelt sich in der Prostata entlang den
Lymphspalten, durchbricht die anatomische Kapsel und infiltriert lokal zu-
nächst die Samenblasen.
Später metastasiert es in die regionalen Lymphknoten und streut hämatogen
bevorzugt in das Skelett (Becken, LWS).
Der Tumor entwickelt sich vollständig unabhängig von (aber häufig gleich-
zeitig mit) einer benignen Prostatahyperplasie (BPH). 70% der Karzinome
entwickeln sich im peripheren, dorsalen Anteil der Prostata und können
deshalb oft vom Rektum aus getastet werden. Damit kann die Vermutungs-
6 diagnose Karzinom durch jeden Untersucher gestellt und anschließend durch
die Bestimmung des prostataspezifischen Antigens im Serum (PSA) erhärtet
werden. Seitdem die Bestimmung des PSA weite Verbreitung gefunden hat, ist
der Anteil der tastbaren Karzinome stark zurückgegangen.
Das histologische Wachstumsmuster wird nach Gleason differenziert. Ein
tiefer Gleason-Score (2–6) bedeutet eine relativ günstige, ein hoher (7–10) eine
ungünstige Prognose.

Klinik. Von der Patientengruppe, die wegen Dysurie einen Arzt aufsucht, haben
ca. 10% ein Prostatakarzinom. Bei rund der Hälfte dieser Patienten sind zu
diesem Zeitpunkt bereits Metastasen vorhanden.
Bei einigen Prostatakarzinompatienten sind Metastasenschmerzen (»Lum-
bago«, »Ischias«) das erste Krankheitssymptom überhaupt. Heutzutage werden
die meisten Prostatakarzinome (>95%) nicht aufgrund von Symptomen ent-
deckt, sondern wegen einer PSA-Erhöhung.
! Chronische Lumbalgien bei über 60-jährigen Männern sind metasta-
senverdächtig.

Diagnostik
Rektaluntersuchung. Beurteilt werden:
4 Begrenzung → unscharfe Begrenzung bedeutet Infiltration.
4 Konsistenz → jede Induration ist karzinomverdächtig.
4 Oberflächenbeschaffenheit → die glatte Oberfläche des Adenoms wird
durch Karzinomknoten unregelmäßig.
6.4 · Prostatakarzinom
105 6
Laboruntersuchungen. Prostataspezifisches Antigen (PSA). Das PSA ist der
mit Abstand wichtigste Parameter für die Früherkennung des Prostatakarzi-
noms, für die Beurteilung von dessen Aktivität und der Erkennung eines Rezi-
dives nach der Behandlung.
4 Normwert: bis 4 ng/ml (= 4 mg pro Liter)
4 »Graubereich«: 4–10 ng/ml
4 Abklärungsbedürftig: > 10 ng/ml

Erhöhte Werte in der Regel kontrollieren. Steigende Werte sind abklärungsbe-


dürftig. PSA-Erhöhung auch bei gutartiger Prostatahyperplasie, Entzündungen,
transurethralen Manipulationen. Im Zweifel Beurteilung durch den Urologen.
! Das PSA ist organ-, nicht aber karzinomspezifisch. Es ist deshalb kein
eigentlicher Krebstest.

Die sehr unspezifische alkalische Phosphatase (AP) spricht, wenn sie beim
Prostatakarzinom erhöht ist, für eine Skelettmetastasierung. Die saure Pros-
tataphosphatase wird nicht mehr gemessen.

Radiologische und nuklearmedizinische Untersuchungen (. Abb. 6.6). Ein-


seitige Harnleiterabflussbehinderung im Urogramm spricht für Einwachsen des
Tumors im Ostiumbereich.
4 Kapseldurchbruch und Samenblasenbefall können im CT erkennbar sein.
4 Die Skelettszintigraphie ist ein sehr empfindlicher bildgebender Test für die
Erfassung von Metastasen (DD: M. Paget).
4 Skelettröntgenaufnahmen sind nur ausnahmsweise nötig (osteoplastische
Metastasen), Frage nach Frakturgefährdung.

Biopsie. Die Sicherung der Diagnose erfolgt heute durch die ultraschallgezielte
transrektale Biopsie (. Abb. 6.7).

Therapie
Alle Therapiemaßnahmen in der Chirurgie erfolgen aufgrund einer Indika-
tionsstellung, bei der eine Vielzahl von Faktoren (z.B. Überlebenserwartung,
Tumorstadium, Differenzierungsgrad usw.) berücksichtigt werden.
Die Therapiemöglichkeiten aufgrund des Tumorstadiums sind in . Tabel-
le 6.3 aufgeführt.
106 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

. Abb. 6.6a, b. Knochen-


szintigramm, a normal,
b zahlreiche Metastasen
(dunkle Flächen und
Punkte)

a b

! Für Therapie und Prognose ist entscheidend, ob der Tumor noch organ-
begrenzt (≤ T2) ist (»Prognostische Wasserscheide«).

Die radikale Prostatektomie ist nur in Frühstadien (bis T2 N0) wirklich sinn-
voll. Sie bedeutet ein Risiko für die Erhaltung der Erektionsfähigkeit und
der Kontinenz (Belastungsinkontinenz) und für Strikturbildungen an der vesiko-
urethralen Anastomose. Die radikale Prostatektomie kann auf retropubischem,
perinealem und laparoskopischem Weg durchgeführt werden. Zurzeit ist un-
6.4 · Prostatakarzinom
107 6
. Abb. 6.7. Biopsie der Pros-
tata. Transrektale Entnahme
von Gewebe aus der Prostata
mit einer feinen Nadel zur
histologischen oder zytolo-
gischen Untersuchung

klar, ob eine der Methoden überlegen ist. Das Prinzip ist bei allen 3 Zugängen
identisch (. Abb. 6.8). In jüngster Zeit wird die Prostatektomie auch sog. robo-
terassistiert durchgeführt. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine laparosko-
pische Operation. Die Instrumente und die Optik werden aber dabei nicht di-
rekt vom Chirurgen geführt, sondern von einer Maschine (die einem Roboter
ähnlich sieht). Der Chirurg sitzt an einer Konsole und führt die Instrumente.
Seine Bewegungen werden vom Roboter im Patienten präzise und zeitgleich
ausgeführt. Vorteil: dreidimensionale Sicht für den Chirurgen an der Konsole,
bessere Beweglichkeit der Instrumente, Elimination des Händezitterns. Nach-
teil: sehr teuer. Langzeitresultate noch nicht genügend vorhanden.
Die Strahlentherapie mit kurativem Ansatz ist nur in lokal begrenzten Sta-
dien (bis T3, N0–1, M0) sinnvoll. Sie kann eine vorübergehende Reizsympto-
matologie der Blase und des Darms zur Folge haben. Dauerschäden sind selten.
Die Potenz ist bei einem großen Teil der Patienten im späteren Verlauf ebenfalls
beeinträchtigt.
Eine besonders in den USA verbreitete, zunehmend auch in Europa ver-
wendete Art der Strahlentherapie ist die sog. Brachytherapie (»Seed-Implanta-
tion«, »Spickung«). Dabei wird die Strahlenquelle auf perinealem Weg direkt in
die Prostata eingebracht und entfaltet dort ihre Wirkung. Als Strahlenquelle
verwendet man meist kleine, permanent belassene, radioaktive Metallstifte
108 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

. Tabelle 6.2. Prostatakarzinom. Vereinfachte TNM Klassifikation (UICC 2002). Grau


hinterlegt sind lokal fortgeschrittene Tumoren; alle anderen sind lokal begrenzt (poten-
tiell heilbar)

T-Stadium Definition
T-Primärtumor

T1 Tumor klinisch nicht erkennbar (Abtasten, Bildgebung)

T1a Zufälliger histologischer Befund (z.B. bei TUR-P), ≤5% des unter-
suchten Gewebes befallen

6 T1b Wie T1a, aber >5% des untersuchten Gewebes befallen

T1c Tumor durch Biopsie diagnostiziert, z.B. wegen PSA-Erhöhung

T2 Tumor begrenzt auf Organ

T2a Befall ≤50% eines Lappens

T2b Befall >50% eines Lappens

T2c Befall beider Lappen

T3 Tumor durchbricht Prostatakapsel

T3a Extrakapsuläre Ausbreitung

T3b Infiltration Samenblasen

T4 Tumor ist fixiert oder infiltriert benachbarte Strukturen (z.B.


Rektum)

N – Regionäre Lymphknoten (LK)

N-Stadium Definition

Nx LK nicht beurteilbar, nicht bekannt

N0 Keine regionären LK

N1 Regionäre LK-Metastasen

M – Fernmetastasen

M-Stadium Definition

Mx Fernmetastasen nicht beurteilbar

M0 Keine Fernmetastasen

M1 Fernmetastasen
6.4 · Prostatakarzinom
109 6

. Tabelle 6.3. Therapiemöglichkeiten aufgrund des Tumorstadiums

T1 + T2 (N0M0) Radikale Prostatektomie: vollständige Entfernung der Prostata


mit Samenblasen in kurativer Absicht (suprapubisch, perineal,
laparoskopisch, roboterassistiert)
Strahlentherapie: externe Hochvoltbestrahlung oder
Brachytherapie (»seeds«)
Abwartende Haltung (»wait and watch«):
bei hochdifferenziertem Tumor, beschränkter Lebenserwartung

T3 (NxM0) Wie T2, in der Regel jedoch keine Prostatektomie. Bei Hochvolt-
therapie größere Bestrahlungsfelder und zusätzlich antiandrogene
Behandlung

T3 + T4 (M+) Hormonentzugsbehandlung: Androgensuppression


(Orchiektomie oder LH-RH-Agonisten)

. Abb. 6.8a–c. Schematische Darstellung der


radikalen Prostatektomie. a Prostata mit organbe-
schränktem Tumor. b Entfernung der gesamten
Prostata mit Samenblasen und Endstücken der
Ductus deferentes. Oft gleichzeitiges Entfernen
der iliakalen und obturatorischen Lymphknoten zu
diagnostischen Zwecken. c Anastomose zwischen
Blasenhals und Urethrastumpf
110 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

. Tabelle 6.4. Mittlere Lebenserwartung für Männer (Quelle: Statistisches Jahrbuch


der Schweiz)

Alter Ø Lebenserwartung

60 19,6
65 15,8
70 12,5
75 9,4
80 7,1
85 3,8
6

(»Seeds«; 125Iod oder 103Palladium), seltener von außen eingestochene und nach
der Behandlung wieder entfernte Metallstäbe (109Iridium; sog. After-loading-
Technik). Langzeitresultate liegen erst beschränkt vor. Vorteil scheinen gerin-
gere Nebenwirkungen, v. a. auf die Sexualfunktion zu sein.
Die Verlaufsbeobachtung ohne Behandlung ist in ausgewählten Fällen
durchaus gerechtfertigt. Hochdifferenzierte Tumoren bleiben oft jahrelang sta-
tionär und dürfen deshalb bei Patienten mit begrenzter Lebenserwartung
durchaus vorerst einmal ohne Behandlung beobachtet werden (. Tabelle 6.4).
Die Indikationsstellung und Durchführung der Therapie verlangen aus den
angeführten Überlegungen große Erfahrung und enge Zusammenarbeit der
beteiligten Disziplinen (Urologie, Strahlentherapie, Onkologie) sowie die posi-
tive Mitwirkung des über sein Leiden aufgeklärten Patienten.

Behandlungsgrundsätze für das metastasierende Prostatakarzinom (M+).


Endokrine Therapie: Ausschaltung der wachstumsanregenden Wirkung der
Androgene auf den Primärtumor und die Metastasen. Dazu gibt es zwei Mög-
lichkeiten:
4 Orchiektomie (chirurgische Androgensuppression): Entfernung des Ho-
denparenchyms unter Belassung des Nebenhodens (evtl. der Tunica albugi-
nea). Der Patient fühlt sich nicht vollständig »kastriert« → Plasmatestoste-
ron fällt jedoch auf Kastrationswerte (einfach, kostengünstig).
4 Medikamentöse Androgensuppression (»medikamentöse« Kastration)
5 LH-RH-Analoga: Die regelmäßige Verabreichung von LH-RH-Analo-
gen erniedrigt – nach einer initialen Stimulationsphase – den Androgen-
spiegel auf Kastrationsniveau.
6.4 · Prostatakarzinom
111 6
5 Antiandrogene: Es gibt steroidale (Cyproteronazetat) und nichtsteroi-
dale (Flutamid, Bicalutamid) Antiandrogene, die sich in gewissen Ne-
benwirkungen unterscheiden. Antiandrogene blockieren die zellulären
Androgenrezeptoren an Prostatazellen.
5 Östrogene wirken zentral antigonadotrop. Sie blockieren die LH-Sekre-
tion und damit die Androgenausscheidung. Wegen kardiovaskulärer
Nebenwirkungen werden Östrogene zurzeit wenig eingesetzt.
! Antiandrogene Therapie (= Hormonentzugsbehandlung) bei fortge-
schrittenen Prostatakarzinomen.

In der Planung der endokrinen Therapie gibt es offene Fragen:


4 Soll die Androgensuppression unmittelbar nach der Feststellung von PSA-
Anstieg oder Metastasen eingeleitet werden oder soll das Auftreten von
Beschwerden abgewartet werden? Nach derzeitigem Wissen ist der frühzei-
tige Behandlungsbeginn besser.
4 Soll eine »komplette« Androgenblockade (zur Blockierung der 5% Testoste-
ron aus der Nebenniere) durch zusätzliche Verabreichung eines Antiandro-
gens durchgeführt werden? Nach aktuellem Wissensstand ist die routine-
mäßige komplette Andogenblockade nicht indiziert. Bei einzelnen Patienten
kann aber durchaus ein positiver Effekt erzielt werden. Gelegentlich auch
Ansprechen des Tumors auf späteres Wiederabsetzen des Antiandrogens
(sog. »Antiandrogenentzug«).
4 Chemotherapie: Bis vor kurzem galt das hormonrefraktäre Prostatakarzi-
nom als weitgehend »chemotherapieresistent« und somit »austherapiert«.
Neuere Behandlungsmodalitäten mit Taxanen (Docetaxel) und Kortikoste-
roiden verbessern aber nicht nur das Überleben, sondern haben vor allem
einen günstigen Effekt auf die Lebensqualität.
4 Bisphosphonate: Bei generalisierter Knochenmetastasierung werden er-
folgreich Bisphosphonate (Zometa, Aredia) eingesetzt. Sie inhibieren die
Osteoklastenaktivität und verringern skeletale Komplikationen (Frakturen)
und Schmerzen eindrücklich. Cave: Bei nicht sanierten Zähnen erhöhte
Gefahr von Unterkiefer-Osteonekrosen.

Strahlentherapie. Bei Metastasierung mit lokalen Metastasenschmerzen »am


Ort der Not« ist die Strahlentherapie sehr wirkungsvoll.

TUR. Bei Harnabflussbehinderung palliative transurethrale Prostataresektion.


112 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

Prognose
Bei stadiengerechter Behandlung:
4 T1: ± normale Lebenserwartung,
4 T2: nach 5 Jahren 80% Überlebende, nach 10 Jahren 60% Überlebende,
4 T3/M0: nach 5 Jahren 40% Überlebende, nach 10 Jahren 25% Über-
lebende,
4 T3/T4/M+: Lebenserwartung einige Monate bis 1 Jahr.

Leider befinden sich zum Zeitpunkt der Diagnose viele Patienten bereits im
Stadium T3/T4/M+ und können nur noch palliativ behandelt werden. Die
6 Suche nach Frühfällen ist deshalb sinnvoll. Frühe Erkennung gestattet es bei
rund 40% der Karzinomträger, die Therapie in einem noch lokalisierten, von der
Prognose her aussichtsreichen Stadium einzuleiten. Die Mithilfe bei der Früher-
kennung ist deshalb – neben der Beratung des Patienten und gegebenenfalls der
Durchführung und Überwachung der antiandrogenen Therapie – eine sehr
wichtige Aufgabe des Hausarztes (Rektaluntersuchung, PSA-Bestimmung).

Fallbeispiel
Anamnese. Ein 50-jähriger Chemiker unterzieht sich einer »Check-up«-Untersu-
chung, anlässlich derer – auf seinen Wunsch – auch das PSA bestimmt wird.
Miktionsbeschwerden bestehen nicht. Anlass der Untersuchung war, dass sein
älterer Bruder an einem Prostatakarzinom erkrankt war.

Befund. PSA 8 ng/ml, bei der rektalen Untersuchung erweist sich die Prostata als
etwa 30 g schwer. Der rechte Lappen ist etwas asymmetrisch vergrößert und
zeigt eine etwas vermehrte Konsistenz.

Weitere Abklärung. Es erfolgt eine mit rektalem Ultraschall gezielte Biopsie, bei
der acht Gewebeproben (vier aus jedem Lappen) entnommen werden. Zwei der
drei Proben aus dem rechten Lappen sind von einem Adenokarzinom (Gleason-
Score 7) durchsetzt.

Diagnose. Prostatakarzinom im rechten Lappen (Stadium T2; Gleason-Score 7).

Therapie. Radikale Prostatektomie unter Schonung des »neurovaskulären Bün-


dels« links, in der Hoffnung auf Erhaltung der Potenz.
6
6.4 · Prostatakarzinom
113 6
Verlauf. Nach Katheterentfernung ist der Patient kontinent. Es besteht noch eine
Belastungsinkontinenz, die sich aber in den ersten 3 Monaten bessert und nach
1 Jahr verschwunden ist. Die Kontrolle des PSA-Wertes nach drei Monaten ergibt
unmessbare Werte (<0,01 ng/ml). Es wird empfohlen, den PSA-Wert in 8–12 Mo-
naten wieder zu kontrollieren. Die definitive Beurteilung der Potenz sollte nicht
vor Ablauf eines Jahres erfolgen.

Fallbeispiel
Anamnese. Ein 74-jähriger Bauer meldet sich in der Sprechstunde mit Miktions-
beschwerden und zunehmenden Rückschmerzen. Er sei bis anhin noch nie bei
einem Arzt gewesen.

Befund. Bei der rektalen Palpation findet sich eine große, derbe, irregulär be-
grenzte Prostata. Der PSA-Wert beträgt 76 ng/ml. Im Ultraschall finden sich un-
gefähr 80 ml Restharn bei einer großen Prostata. Die oberen Harnwege sind
undilatiert.

Beurteilung. Verdacht auf metastasiertes Prostatakarzinom. Der Patient würde


von einer antiandrogenen Behandlung profitieren.

Weitere Abklärung. Es wird dem Patienten eine Biopsie aus der Prostata emp-
fohlen, welche in allen Stanzen ein Prostatakarzinom mit einem Gleason-Score
von 4 + 5 = 9 ergibt. Ein Skelettszintigramm zeigt eine diffuse Anreicherung im
Stammskelett.

Diagnose. Metastasiertes Prostatakarzinom T3 Nx M1, Gleason-Score 9.

Therapie. Eine kurative Therapie ist nicht mehr möglich. Dem Patienten wird
deshalb die antiandrogene Therapie mit einer beidseitigen Orchiektomie emp-
fohlen.

Verlauf. 3 Wochen postoperativ sind die Rückenschmerzen verschwunden. Auch


die Miktion hat sich verbessert. Eine PSA-Kontrolle 3 Monate postoperativ zeigt,
dass der PSA-Wert auf 0,8 ng/ml abgefallen ist. Regelmäßige Kontrollen in halb-
jährlichen Abständen. Nach über 6 (!) Jahren beginnt der PSA-Wert wieder zu
steigen. Der Tumor wird rasch progredient und der Patient stirbt 83-jährig zu
Hause.
114 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

6.5 Hodentumoren

Häufigkeit und Bedeutung. 1–2% aller Malignome des Mannes.


Pro Jahr und pro 100.000 Einwohner sind 6–7 Neuerkrankungen, vorwie-
gend in der Altersgruppe 20–35 Jahre, zu erwarten.
Fast durchweg (95%) handelt es sich um bösartige Geschwülste, die rasch
wachsen und früh metastasieren. Je nach histologischem Typ haben 25–30% der
Erkrankten zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Metastasen.
Trotz leichter Zugänglichkeit für die Selbstuntersuchung beträgt die Zeit
zwischen erstem Symptom und ärztlicher Diagnose gelegentlich Wochen bis
6 Monate.

Ätiologie. Die Ätiologie ist unbekannt. Gehäuftes Vorkommen in der Phase


größter sexueller Aktivität. 95% der Malignome gehen vom Keimepithel aus. An
ihrem Ursprung steht die maligne Entartung der germinalen Stammzelle. Nach
Behandlung eines Hodentumors ist das Risiko für einen zweiten Tumor auf der
Gegenseite signifikant erhöht.
! Bei gestörtem Hodendeszensus (auch nach reparativer Orchidopexie)
ist das Risiko für die Entwicklung einer Geschwulst rund 10-mal höher
als bei normotopem Hoden.

Pathologie. Es gibt verschiedene histologische Klassifikationsschemata. Die


WHO hat versucht, diese zu vereinheitlichen. Ohne auf Einzelheiten einzuge-
hen, gibt die . Tabelle 6.5 einen Überblick.
! Für die Klinik wird im Hinblick auf Therapie und Prognose grob ver-
einfachend unterschieden zwischen Seminomen und Nicht-Semi-
nomen.

Die Metastasierung erfolgt lymphogen oder/und hämatogen:


4 Lymphogen: Entlang dem Lymphabfluss des Hodens zur Nierengefäß-
kreuzung. Inguinale Metastasierung ist nur nach vorausgegangenen ingui-
nalen Operationen zu erwarten.
4 Hämatogen: Rasche hämatogene Metastasierung besonders bei Tumoren
mit Trophoblastanteilen (Choriokarzinom).
6.5 · Hodentumoren
115 6

. Tabelle 6.5. Einteilung der Hodentumoren (nach WHO)

Keimgewebetumoren (95%)
4 Seminome (> 50%)
4 Teratome/Teratokarzinome
4 embryonale Karzinome (< 50%)
4 Choriokarzinome
4 Dottersacktumoren (selten, Kinder)
4 Mischformen
Stromatumoren (4%), oft gutartig
4 Leydig-Zellen-Tumoren
4 Sertoli-Zellen-Tumoren
Metastasen (1%)
4 häufig maligne Lymphome

Diagnose
Die Frühdiagnose ist an sich leicht, wird aber nicht selten durch den Patienten
(weil kaum schmerzhaft) und gelegentlich auch durch den Arzt (der zuwenig
an diese gefährliche Erkrankung denkt) verzögert. Der typische Hodentumor
ist sehr hart und indolent.
! Eine schmerzlose oder wenig schmerzhafte derbe Hodenschwellung
ist so lange tumorverdächtig, bis das Gegenteil erwiesen ist. Die Abklä-
rung hat notfallmäßig zu erfolgen.

Hilfreich bei der Erstbeurteilung sind neben der Anamnese, Inspektion und
Palpation die Ultraschalluntersuchung oder, wenn nicht möglich, die Diapha-
noskopie (»Durchleuchtung« des erkrankten Skrotalinhalts mit einer starken
Lichtquelle).

Differentialdiagnostisch kommen in Frage:


4 Epididymitis/Orchitis (Rötung, Schmerz, Fieber, Harnwegsinfektzeichen),
4 Hydrozele/Spermatozele (bei der Diaphanoskopie erkennbar, positiv durch-
scheinend),
4 Hodentorsion (akuter, hochschmerzhafter Beginn).
116 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

Wichtige Abklärungen:
4 Onkofetale Tumormarker (Blutentnahme vor Orchiektomie!): α-Fetopro-
tein (AFP) bei Seminom nicht erhöht; β-HCG (humanes Choriongonado-
tropin) bei Seminom nur ausnahmsweise erhöht. Bei 80–90% der Träger
einer nichtseminomatösen Hodengeschwulst sind α-Fetoprotein oder β-
HCG oder beide Marker erhöht. Die Kontrolle der Tumormarker ist für die
Nachsorge sehr bedeutungsvoll.
4 Gynäkomastie spricht für einen hormonaktiven (Stroma-)Tumor → Hor-
monstatus.
4 Computertomographie des Abdomens und der Thoraxorgane: zur Beurtei-
6 lung der lymphogenen Metastasierung im Retroperitoneum und in den
Lungen (Stadiumdiagnostik).

Beurteilt werden:
4 Tumorausdehnung im Orchidektomiepräparat: pT-Stadium,
4 computertomographische Beurteilung der lymphatischen Ausbreitung:
N-Stadium,
4 Thoraxaufnahmen (bzw. Thorax-CT): M-Stadium,
4 histologische Diagnose und Ergebnis der Tumormarkerbestimmungen.

Im Hinblick auf die Therapie werden die folgenden klinischen Stadien unter-
schieden (. Abb. 6.9):
4 Stadium I: Tumor auf Hoden beschränkt, keine Metastasen,
4 Stadium II: Lymphknotenmetastasen unterhalb des Zwerchfells
(. Abb. 6.10),
4 Stadium III: Metastasen oberhalb des Zwerchfells und Fernmetastasen.

Therapie und Prognose


Inguinale Orchidektomie (»Semicastratio«). Bei allen Hodentumoren ist die
erste Therapiemaßnahme die Entfernung des Hodens von einem Inguinal-
schnitt aus, wobei der Samenstrang am inneren Leistenring durchtrennt wird.
Der entfernte Hoden liefert die histologische Diagnose und das pT-Stadium.
Daraus und aus den eben erwähnten Beurteilungskriterien wird in Zu-
sammenarbeit mit Onkologen und Strahlentherapeuten ein für den indivi-
duellen Erkrankungsfall geeigneter Therapieplan erstellt. Da sich die Behand-
lungsmöglichkeiten kontinuierlich weiterentwickeln, werden hier nur einige
grundsätzliche Aspekte dargestellt.
6.5 · Hodentumoren
117 6

. Abb. 6.9. Stadien des Hodentumors (nach Hautmann u. Huland 2006)

. Abb. 6.10. Hodentumor. Große retroperitoneale Lymphknotenmetastasen (Pfeile) bei


nichtseminomatösem Hodentumor. Die linke Niere wird verdrängt
118 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

Seminome
4 Seminome sind sehr strahlensensibel.
4 Klinisches Stadium I(–II): Bestrahlung des Lymphabflussgebietes der
Hoden entlang der großen Gefäße bis zum Zwerchfell. In letzter Zeit ver-
mehrt 2 Zyklen Carboplatin (geringeres Risiko von Zweittumoren). 95–
100% Fünfjahresheilungen.
4 Klinisches Stadium II(–III): Eventuell Zusatzbestrahlung des Mediasti-
nums, zytostatische Chemotherapie, meist im Sinne einer Kombinationsbe-
handlung mit Cisplatin, Etoposid, Bleomycin (PEB). Fünfjahresüberlebens-
rate je nach Tumormasse und Lokalisation der Metastasen im Stadium II
6 95%, im Stadium III 70–90%.

Nichtseminomatöse Tumoren
4 Klinisches Stadium I: Hier bestehen 3 Möglichkeiten:
4 sorgfältige Nachkontrollen in kurzen Zeitabständen ohne weitere Therapie-
maßnahme (Überwachung oder »wait and see«),
4 adjuvante Chemotherapie (PEB),
4 seltener retroperitoneale Lymphadenektomie. Fünfjahresüberlebensrate:
95–100%.
4 Klinisches Stadium II: Zur Diskussion stehen Lymphadenektomie gefolgt
von Chemotherapie (PEB) und umgekehrt; Fünfjahresüberlebensrate bis
95%.
4 Klinisches Stadium III: Chemotherapie (PEB) evtl. kombiniert mit tumor-
reduktiver Metastasenchirurgie; Fünfjahresüberlebensrate 70–90%.

Bei Choriokarzinomen und malignen Teratomen mit Trophoblastanteilen ist


die Prognose in fortgeschrittenen Stadien ungünstig.
Die sich laufend weiterentwickelnde zytostatische Chemotherapie hat die
Prognose der Hodentumorträger massiv verbessert. Allerdings um den Preis
von wiederholten, für den Patienten unangenehmen Chemotherapiebehand-
lungsphasen (mit Stomatitis, gastrointestinaler Symptomatik, Leukopenie
und Haarausfall). Mit moderner antiemetischer Therapie sind Übelkeit und
Erbrechen viel seltener geworden. Während dieser Zeit bedarf der durch sein
Tumorleiden auch psychisch unter Druck stehende Patient einer sehr engen
ärztlichen Führung, an der selbstverständlich auch der Hausarzt wichtigen
Anteil hat.
6.6 · Peniskarzinom
119 6
Fallbeispiel
Anamnese. Ein 24-jähriger Bäcker, Mitglied eines Fußballclubs, wird wegen
linksseitiger kaum schmerzhafter Hodenschwellung vier Wochen lang anti-
biotisch behandelt und konsultiert nun einen Arzt, weil er keine Besserung
bemerkt hat. Zwei Brüder und eine Schwester sind gesund, ebenso die Eltern.
In der persönlichen Anamnese keine Besonderheiten im Urogenitalbereich.

Befund. Der linke Hoden ist auf knapp Hühnereigröße angeschwollen, von der-
ber Konsistenz, aber glatter Oberfläche. Kein Durchschimmern der Lichtquelle
bei der Diaphanoskopie. Im Ultraschall solide Verschattung. Von den Tumormar-
kern im Serum ist das α-Fetoprotein mit 7 U/l normal und das β-HCG mit 10 U/l
nur wenig über der Norm. Das Thoraxbild ist unauffällig, ebenso das CT des
Abdomens, wo sich insbesondere im Nierenbereich keine Lymphknotenpakete
finden.

Verdachtsdiagnose. Markernegativer Hodentumor links, klinisches Stadium I.

Therapie. Hohe Ablatio testis (Absetzung des Samenstranges am äußeren Leis-


tenring). Gleichzeitig wird aus dem rechten Hoden eine Probebiopsie entnom-
men (intraepitheliale Neoplasie?).

Histologie. Seminomatöse Hodengeschwulst von ca. 2,5 cm Durchmesser mit


Infiltration des Rete testis. Samenstrang und Tunica albuginea testis tumorfrei
(Stadium pT1). Die Biopsie des rechten Hodens ist unauffällig.

Weitere Behandlung. Da die Seminome sehr strahlenempfindlich sind, wird


eine adjuvante Strahlentherapie des Retroperitoneums durchgeführt. Anschlie-
ßend kann sich der Patient als geheilt betrachten. Die Fünfjahresüberlebensrate
beträgt 100%.

6.6 Peniskarzinom

Häufigkeit. Rund 0,5% aller Karzinome der Männer in Europa.

Ätiologie. Deutlich gehäuftes Auftreten in Gebieten mit geringer Genital-


hygiene: offensichtlicher Zusammenhang zwischen Smegmaretention und
120 Kapitel 6 · Neubildungen des Urogenitalsystems (Tumoren)

Tumorbildung. Smegma hat im Tierexperiment kanzerogene Wirkung. Eine


Phimose kann einen Tumor zudem lange verbergen.
Zirkumzision ist eine wichtige tumorprophylaktische Maßnahme.
Das Risiko erhöht sich mit zunehmender Zahl der Sexualpartner (wahr-
scheinlich durch Übertragung von Human-Papillomavirus, HPV).

Pathologie. Die Erythroplasie Queyrat, die Leukoplakie, die Balanitis xerotica


obliterans und der Morbus Bowen (Carcinoma in situ) werden als Präkanzero-
sen aufgefasst. Der Morbus Bowen führt – unbehandelt – häufig zum Karzi-
nom. Peniskarzinome entwickeln sich langsam und sind zu 95% Plattenepi-
6 thelkarzinome.
Die Metastasierung erfolgt zunächst in die inguinalen Lymphknoten.
! Inguinale Lymphknoten sind häufig palpierbar, aber nicht jede palpier-
bare Schwellung ist gleichbedeutend mit Metastasierung, besonders
dann nicht, wenn eine ausgeprägte Balanitis besteht.

Klinik. Peniskarzinome manifestieren sich kaum vor dem 5. bis 6. Lebens-


jahrzehnt. Sie befallen vorwiegend Glans und Präputium. Der Patient konsul-
tiert den Arzt in der Regel wegen einer »Entzündung«. Die Erkrankung wird
vom Patienten nicht selten über längere Zeit verschleppt. Differentialdiagnos-
tisch an gutartige Condylomata acuminata (Buschke-Löwenstein-Tumor) den-
ken. Bei zweifelhaftem Befund ist eine Biopsie indiziert, evtl. auch im Bereich
des inguinalen Lymphabflussgebiets (»Schildwache«-Lymphknoten, »sentinel
lymph node«).
Die Therapie richtet sich nach dem Stadium. Bei kleinem Primärtumor:
Exzision im Gesunden (Zirkumzision) evtl. Laserbehandlung, evtl. Lymphkno-
tenbiopsie. Bei größeren Tumoren Penisamputation und inguino-(iliakale)
Lymphadenektomie. Als Zusatzbehandlung (evtl. auch als Primärtherapie sehr
kleiner Tumoren) kommen die Strahlentherapie und evtl. eine adjuvante zytos-
tatische Chemotherapie (v.a. mit Bleomycin) in Frage.

Prognose. In Frühstadien ohne Lymphknotenmetastasierung günstig: 70–90%


Fünfjahresheilungen. Bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen ungünstig:
20–50% Überlebende nach 5 Jahren.
6.7 · Skrotalkarzinom
121 6
6.7 Skrotalkarzinom

Heute in Westeuropa seltener Hautkrebs (Plattenepithelkarzinom), verursacht


durch chronischen Kontakt mit Karzinogenen bei mangelhafter Hygiene. Me-
dizinhistorisch interessant als »Kaminfegerkrebs«.

? Übungsfragen
1. Was ist charakteristisch für die Metastasierung der wichtigsten Urogenital-
tumoren (Blase, Prostata, Hoden)?
2. Bei welchen Urogenitaltumoren ist eine Chemotherapie besonders aussichts-
reich und bei welchen weitgehend erfolglos?
3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Symptom »Hämaturie« und
Tumoren des Harnapparates?
4. Welche Überlegungen machen Sie, wenn in einem CT ein »raumverdrängender
zystischer Prozess« festgestellt wird und wie klären Sie den Befund weiter ab?
5. Wie »übersetzen« Sie den Bericht, dass bei einem Ihrer Patienten ein Urothelkar-
zinom der Harnblase vom Stadium T4, N+, M?/G3 vorliegt den Angehörigen
bezüglich der Behandlungsmöglichkeiten und der Prognose?
6. Wie beurteilen Sie das Rezidivrisiko bei »gutartigen« Blasenpapillomen (Ta/G1)
4 wenn ein solitäres Papillom entfernt wurde?
4 wenn mehrere Papillome entfernt wurden?
7. Welche Erkrankungen können zu einer Konsistenzvermehrung und zu einer
Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit der rektal tastbaren Prostata-
abschnitte führen?
8. Welche Untersuchungen veranlassen Sie, wenn Sie ein Prostatakarzinom vermu-
ten?
9. Welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen grundsätzlich im Anfangsstadium
(T2) eines Prostatakarzinoms?
10. Nennen Sie drei Erkrankungen, die eine einseitige Schwellung des Skrotal-
inhaltes verursachen können!
11. Welche Erkrankung begünstigt eindeutig die Entstehung eines Peniskarzi-
noms?

Lösungen → S. 217
7

Störungen
der Harnentleerung
und -speicherung
7.1 Prostatahypertrophie – 123

7.2 Prostatakarzinom – 133

7.3 Neurogene Blasenfunktionsstörungen – 133

7.4 Harnröhrenstrikturen – 136

7.5 Angeborene Harnröhrenerkrankungen – 137

7.6 Inkontinenz – 137


7.1 · Prostatahypertrophie
123 7
Verschiedene Möglichkeiten subvesikaler Abflussbehinderung führen zu glei-
chen Symptomen und Folgeerscheinungen. Die wichtigsten Ursachen für eine
erschwerte Blasenentleerung sind (. Abb. 7.1):
4 gutartige Prostata- und Blasenhalserkrankungen (Adenomyomatose,
Sphinktersklerose),
4 Prostatakarzinom (7 Kap. 6.4),
4 neurogene Blasendysfunktion,
4 Harnröhrenstrikturen,
4 angeborene Harnröhrenerkrankungen (Klappen, Stenosen).

7.1 Prostatahypertrophie

Die wichtigste und häufigste Behinderung der Blasenentleerung ist zweifellos


die sog. benigne Prostatahypertrophie (BPH), eine gebräuchliche, aber in ver-
schiedener Beziehung inkorrekte Bezeichnung für eine gutartige Adenomyofi-
bromatose, die bei praktisch allen Männern über 50 Jahren nachgewiesen wer-
den kann, jedoch nur bei einem kleinen Teil davon behandlungsbedürftige
Symptome verursacht.

. Abb. 7.1. Ursachen der Behinderung des freien Harnabflusses aus der Blase
124 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

Anatomie. Die Prostata ist ein fibromuskuläres Drüsenorgan mit dünner


Bindegewebskapsel von der Form einer Esskastanie. Länge: ca. 3 cm, Gewicht:
15–20 g.

Physiologie. Die Prostata entwickelt sich hormonal gesteuert, parallel zur ge-
schlechtlichen Reifung. Die Drüse nimmt in der Pubertät stark an Größe zu.
Kastration hat Atrophie zur Folge.
Das Prostatasekret ist zusammen mit dem Samenblasensekret ein wichtiger
Bestandteil der Samenflüssigkeit. Es enthält physiologische Ionen, Fruktose,
Zitronensäure, Zink, Phosphatasen und eiweißspaltende Enzyme. Diese bewir-
ken die Auflösung der Spermienagglutination und sind mitverantwortlich für
Mobiliät der Samenfäden.
7
Pathologie. Die BPH ist ein gutartiger, aus verschiedenen histologischen Kom-
ponenten zusammengesetzter Tumor, eigentlich eine Fibroadenomyomatose.
Die Bezeichnung »Prostatahypertrophie« ist deshalb irreführend, aber sehr ge-
bräuchlich.

Formalgenese. Ausgangspunkt des Tumorwachstums ist das submuköse Ge-


webe der sog. Übergangszone am Blasenhals (. Abb. 7.2). Bisher wenig geklär-
te Faktoren induzieren dort – etwa ab Mitte 30 – die Proliferation von Drüsen-
zellengruppen.

Kausalgenese. Als kausalgenesische Risikofaktoren sind lediglich das Alter und


die intakte Androgeninkretion bewiesen. Sowohl Androgene wie auch Östro-
gene scheinen in der komplizierten, vermutlich mehrstufigen kausalen Genese
der BPH eine Rolle zu spielen. Auch altersbedingte Änderungen im Androgen/
Östrogen-Verhältnis werden als krankheitsauslösende Faktoren diskutiert.
! Die BPH ist als Geschwulstbildung an sich völlig harmlos. Krankheits-
verursachend sind die Rückwirkungen dieser Geschwulst auf die Harn-
wege und später auf die Nierenfunktion.

Klinik
Prostatabedingte Miktionssymptome werden oft als »Prostatismus« bezeich-
net. In letzter Zeit wird zunehmend auch das Akronym LUTS (lower urinary
tract symptoms) verwendet. Der Begriff ist umständlicher, aber korrekter, weil
7.1 · Prostatahypertrophie
125 7

. Abb. 7.2. Schema der formalgenetischen Entwicklung der Prostataadenomyomatose

auch andere Erkrankungen (z.B. Urethrastriktur, Zystitis usw.) ähnliche Mik-


tionsbeschwerden hervorrufen können.

Wichtige Symptome sind:


4 Verzögerter Miktionsbeginn (»initiales Warten«), schwacher Strahl, verlän-
gerte Miktionsdauer, Nachträufeln, plötzlicher Harndrang (imperativer
Harndrang),
4 Pollakisurie, Nykturie (durch Herabsetzung der Reizschwelle des
Blasenmuskels),
4 selten Hämaturie (aus kongestionierten Prostatarandvenen),
4 nächtliche Inkontinenz (bei chronischer Harnretention),
4 Durst, Gewichtsabnahme (Zeichen einer beginnenden Niereninsuffi-
zienz).

Die »Belästigung« durch die BPH-Symptome wird gerne in einem Symptomen-


und Lebensqualitätsindex festgehalten, der die Beurteilung des Verlaufs und der
Behandlung erleichtert (. Tabelle 7.1).

Untersuchungsbefunde. Abnahme des maximalen Harnflusses (ml/sec),


Verlängerung der Miktionsdauer, Auftreten von Restharn, der sonographisch
gemessen werden kann (. Abb. 2.2, S. 11). Anhebung des Beckenbodens in der
Sonographie. Bei chronischer Harnretention ist bei der Inspektion des
126 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

. Tabelle 7.1. Symptomenindex (I-PSS= internationaler Prostate Symptom Score).


0–7 Punkte leichte Symptome, 8–19 mäßige Symptome, 20–35 schwere Symptome
(nach Proceedings 4th International Consultation on Benign Prostatic Hyperplasia, 1997)
Symptomindex

Angaben beziehen niemals seltener seltener ungefähr in mehr fast immer


sich auf die letzen als in einem als in der in der als in der
4 Wochen von fünf Hälfte aller Hälfte Hälfte der
Fällen Fälle aller Fälle Fälle
Bitte ankreuzen (<20%) (ca. 50%)

Wie oft hatten Sie das


Gefühl, dass Ihre Blase 0 1 2 3 4 5
nach dem Wasserlassen
nicht ganz leer war?
Wie oft mussten Sie in-
nerhalb von 2 Stunden 0 1 2 3 4 5
7 ein zweites Mal Wasser
lassen?
Wie oft mussten Sie
beim Wasserlassen
mehrmals aufhören und 0 1 2 3 4 5
wieder neu beginnen
(Harnstottern)?
Wie oft hatten Sie
Schwierigkeiten, 0 1 2 3 4 5
das Wasserlassen hin-
auszuzögern?
Wie oft hatten Sie einen
schwachen Strahl beim 0 1 2 3 4 5
Wasserlassen?
Wie oft mussten Sie
pressen oder sich
anstrengen, um mit 0 1 2 3 4 5
dem Wasserlassen zu
beginnen
Wie oft sind Sie im
Durchschnitt nachts
aufgestanden, um Was- fünfmal
ser zu lassen? niemals einmal zweimal dreimal viermal oder mehr
Maßgeblich ist der Zeit- (0) (1) (2) (3) (4) (5)
raum vom Zubettgehen
bis zum Aufstehen am
Morgen
Gesamtsymptomenscore S =
Lebensqualitätsindex
Wie würden Sie sich gemischt
fühlen, wenn sich Ihre teils
jetzigen Symptome bei über- zufrieden überwie- un-
Wasserlassen künftig ausge- wiegend teils unzu- gend unzu- glück- sehr
nicht ändern würden? zeichnet zufrieden zufrieden frieden frieden lich schlecht
(0) (1) (2) (3) (4) (5) (6)

Lebensqualitätsindex L =
7.1 · Prostatahypertrophie
127 7
Abdomens gelegentlich eine Verwölbung erkennbar und tastbar, die der über-
dehnten Blase entspricht. In fortgeschrittenen Fällen findet man Stauungszei-
chen in den oberen Harnwegen (Verbreiterung und Schlängelung der Harn-
leiter, angelhakenartige Deformation der Uretereinmündung) und in der
Blase eventuell Divertikel oder Steine. Später Anstieg des Serumkreatinins.

Rektaler Tastbefund: Deutliche Volumenzunahme der Prostata. Der rektale


Tastbefund erlaubt keinen Rückschluss auf das Ausmaß der Abflussbehinderung:
eine nur geringfügige Prostatavergrößerung bedeutet nicht, dass lediglich eine
geringfügige Abflussbehinderung vorliegt und umgekehrt.
! Eine große Prostata allein ist noch keine Indikation zur Behandlung.

Für die Behandlung ist eine Stadieneinteilung nützlich (. Abb. 7.3):


4 Stadium I: Initialstadium (Reizstadium); kompensierte Abflussbehinde-
rung, Restharn wenige ml; keine Behandlungsnotwendigkeit, evtl. Medika-
mente (Phytotherapie)
4 Stadium II: Restharnstadium; Restharnwerte zwischen 50 und 150 ml,
zunehmende subjektive Beschwerden, Behandlung notwendig. Behand-
lungsversuch mit Medikamenten (α-Rezeptorenblocker, 5-α-Reduktase-
hemmer)
4 Stadium III: Stadium der chronischen Harnretention; der Restharn über-
steigt 150–200 ml. Es manifestieren sich Zeichen zunehmender Blasenschä-
digung (Divertikel, Überdehung). Anstieg des Serumkreatinins deutet auf
zunehmenden Nierenschaden. Operative Behandlung dringlich.

Eine akute Harnretention kann in jedem Stadium der Prostatahypertrophie


aufteten.

Therapie
Medikamentöse Behandlung. In den Stadien I und II Beeinflussung der Symp-
tome durch Dekongestion der Prostata, körperliche Betätigung und leichte
Laxanzien (Phytotherapeutika: dekongestionierende Wirkung).
Neuere Medikamente, die den Abfluss durch Tonussenkung oder Volumen-
verkleinerung des Adenoms verbessern, sind:
4 α-Rezeptorenblocker. Sie senken den muskulären Tonus am Blasenhals und
in der Prostata, verbessern den Harnabfluss und mildern die irritativen
Symptome.
128 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

. Abb. 7.3a–c. Stadien der benignen


Prostatahyperplasie. a Durch zuneh-
mende infravesikale Obstruktion ent-
steht eine Hypertrophie des Blasenmus-
kels mit so genannter »Balkenblase«.
b Bei vermindertem Harnabfluss Ent-
stehen von Restharn. c Bei lang an-
dauernder Obstruktion Rückstau in die
oberen Harnwege mit Hydronephrose
und möglicher Nierenschädigung

4 5-α-Reduktasehemmer. Sie reduzieren das Prostatavolumen durch Blockie-


rung der Testosteron → Dihydrotestosteronumwandlung. Langzeitbehand-
lung notwendig. Wirksam vor allem bei großen Adenomen >40 g.

Antiandrogene, die ebenfalls eine Volumenreduktion bewirken, kommen we-


gen ihrer Nebenwirkungen (Potenzverlust) als Dauertherapie nicht in Frage.
7.1 · Prostatahypertrophie
129 7
Bei inoperablen Patienten und bei akuter Harnverhaltung: Dauerkatheter
oder Zystofixableitung.

Operative Behandlung. Methoden der operativen Behandlung sind:


4 transurethrale Prostatektomie (TURP),
4 suprapubisch-transvesikale (oder prävesikale) Prostatektomie (TVP).

Die Operationsmethoden sind, was die Entfernung des Adenoms betrifft,


grundsätzlich gleichwertig. Weitaus am häufigsten (in 80–90% der Fälle) erfolgt
die Prostatektomie auf transurethralem Wege (. Abb. 7.4). Bei der transureth-
ralen Prostatektomie (TUR-P) wird unter Sicht das hyperplastische, obstruie-
rende Gewebe mit einer elektrischen Schlinge in kleinen Portionen abgetragen
und ausgespült. Trotz einer größeren Anzahl an alternativen Methoden ist die
TUR-P – dank erheblicher Fortschritte bei den Instrumenten, den Stromgene-
ratoren und den Optiken – nach wie vor die Methode der Wahl in der opera-
tiven Therapie der Prostatahyperplasie.
! Es gibt keine »beste« Operationsmethode für alle Patienten mit ope-
rationsbedürftiger BPH. Sehr wohl gibt es aber für einen bestimmten
Patienten und für eine bestimmte Situation ein optimal geeignetes Ver-
fahren.

. Abb. 7.4. Schematische Darstellung der transurethralen Prostataresektion (TUR-P)


(nach Hautmann u. Huland 2006)
130 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

Die postoperative Mortaliät der Prostataoperationen liegt heute auch bei breiter
Indikationsstellung unter 0,5%. Dabei ist der oft ungünstige Allgemeinzustand
alter Patienten, die wenn immer möglich von ihrem Katheter befreit werden
möchten, in Rechnung zu stellen.
Die Erektionsfähigkeit bleibt nach transurethraler und auch nach transve-
sikaler Prostatektomie im Prinzip erhalten. In der Gruppe, die eine ungünstige
Beeinflussung der Potenz beklagt (10–20%), finden sich Patienten mit psy-
chischen Auffälligkeiten (erhöhte Ängstlichkeit, depressive Lebenseinstellung)
und vor allem auch Patienten, die ungenügend über den Eingriff und seine
Auswirkungen informiert wurden.
Unabhängig von der Operationsmethode ist aber die Fertilität nach der
Prostatektomie in der Regel erloschen, da nach der Entfernung des Adenoms
7 die Ejakulation retrograd in die Blase erfolgt (. Abb. 7.5).

. Abb. 7.5. Retrograde Ejakulation. Durch den nach der Operation weit offenen Blasenaus-
lass nimmt das Ejakulat den Weg des geringsten Widerstandes in die Blase und wird bei der
nächsten Miktion ausgeschieden. Das Orgasmusgefühl bleibt erhalten
7.1 · Prostatahypertrophie
131 7
Alternativ-instrumentelle Behandlung. Trotz sehr geringer Mortalität darf die
Morbidität nach TURP (15–20%) und die Notwendigkeit von Zweiteingriffen
(innerhalb von 5 Jahren) nicht bagatellisiert werden.
Diese Fakten sind u.a. Ursache für das zunehmende Interesse an alternativen
Behandlungsverfahren. Diese zielen auf eine Verbesserung des Harnflusses un-
ter Vermeidung der Risiken der Prostatektomie und, wenn immer möglich,
auch der Anästhesie. In klinischer Prüfung stehen u.a.:
4 Inzision des Blasenhalses (mit Hochfrequenz- oder Laserenergie),
4 laserchirurgische Abtragung des Adenomgewebes,
4 Thermotherapie mit Mikrowellenenergie.
! Bei der transurethralen und der transvesikalen Prostatektomie wird nur
das obstruierende Gewebe innerhalb der sog. »chirurgischen Kapsel«
entfernt. Nicht zu verwechseln mit der radikalen Prostatektomie bei
Krebs, bei der auch die periphere Zone und die Samenblasen sowie die
Endstücke der Samenleiter entfernt werden.

BPH in der Praxis. Die Aufgaben des praktischen Arztes bei der Abklärung und
Behandlung von BPH-Patienten sind vielfältig:
4 Wichtig ist die Beurteilung des Rektalbefundes: Handelt es sich allenfalls
um ein Karzinom?
4 Die Prostatektomie (Adenomresektion) bringt keine Sicherheit im
Hinblick auf die spätere Entwicklung eines Prostatakarzinomes, da das Kar-
zinom vom Drüsengewebe ausgeht, von der sog. »chirurgischen Kapsel«,
die bei der Adenomentfernung zurückbleibt.
! Prostatakrebs ist auch nach Prostatektomie möglich.

4 Beratung und Betreuung des nicht operationsbedürftigen Patienten; medi-


kamentöse Behandlung.
4 Mitberaten des Patienten über die Prostatektomie und ihre Folgen.
4 Nachbehandlung und Kontrolle des Patienten in der postoperativen
Phase. Die nach der Operation obligate Leukozyturie verschwindet
2–3 Monate nach dem Eingriff spontan. Antibiotika und Chemotherapie
sind deshalb bei der Nachbehandlung des afebrilen Prostatikers selten
notwendig. Bei länger anhaltender Pyurie und bei erneutem Auftreten
dysurischer Erscheinungen ist eine urologische Kontrolle unumgäng-
lich.
132 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

4 Betreuung inoperabler Prostatiker mit Dauerkatheter. Katheterwechsel in


4- bis 6-wöchigen Abständen; Blasenspülungen und andere Maßnahmen
der Blasenhygiene (Instillationen) je nach Befund.

Fallbeispiel
Anamnese. Der 67-jährige, mit einer Freundin zusammenlebende Witwer bemerkt
seit Jahren eine Abnahme der Kraft des Harnstrahls. Er muss in letzter Zeit nachts
1- bis 2-mal aufstehen und kann dabei die Blase nur unbefriedigend entleeren.
Tagsüber verspürt er häufig Harndrang, den er oft kaum zurückhalten kann. Die
Selbstbehandlung mit verschiedenen Blasentees hat keine Besserung gebracht.

Befunde. Der Symptomenindex beträgt 20, der Lebensqualitätsindex 4. Der Patient


7 ist also erheblich symptomatisch und in seiner Lebensqualität eingeschränkt. Der
Allgemeinzustand ist gut, der Urinstatus normal. Serumkreatinin und PSA (3,7 ng/
ml) sind normal. Rektal spürt man eine mandarinengroße glatte, gut begrenzte von
der Konsistenz her prall elastische Prostata. Bei mehreren Untersuchungen misst
man immer wieder einen Restharn von rund 100 ml. Der Harnfluss ist bei zweima-
liger Untersuchung mit einem Blaseninhalt von etwa 200 ml auf maximal 8 ml pro
Sekunde vermindert. Endoskopisch findet sich ein obstruktives, dreilappiges Pros-
tataadenom (Mittellappen!) sowie eine deutliche Balkenzeichnung der Blase.

Diagnose. Obstruktives Prostataadenom, klinisches Stadium II.

Therapie. In einem ausführlichen Aufklärungsgespräch wird dem Patienten die


transurethrale Prostataresektion empfohlen. Im Gespräch wird besonders auch auf
die Konsequenzen des Eingriffs für das Sexualleben (retrograde Ejakulation, mögli-
cherweise Abnahme der Potenz) eingegangen. Eine medikamentöse Therapie mit
Alpha-Blockern oder 5-Alpha-Reduktase-Hemmern scheint in dieser Situation we-
nig erfolgversprechend. Der Patient ist mit dem Therapievorschlag einverstanden.

Operation. Anlässlich der etwa einstündigen Operation in Spinalanästhesie wer-


den insgesamt 47 g Gewebe entfernt, das sich histologisch als Prostataadeno-
myomatose mit Infarkt und Entzündungsherden erweist.

Verlauf. Bei der vereinbarten Kontrolle drei Monate nach der Operation findet
man eine restharnfreie Entleerung der Blase mit gutem Harnstrahl und unauffäl-
6
7.3 · Neurogene Blasenfunktionsstörungen
133 7
ligem Urinstatus. Die Beschwerden sind völlig verschwunden, und die Lebens-
qualität hat sich normalisiert. Eine Abnahme der Potenz hat der Patient nicht
beobachtet. Er ist mit seinem Zustand zufrieden und fühlt sich geheilt.

7.2 Prostatakarzinom

(7 Kap. 6.4)

7.3 Neurogene Blasenfunktionsstörungen

Physiologie. Die Blasenfunktion ist zweiphasig und steht unter willkürlicher


Kontrolle. Die Miktionsanamnese (Entleerungsfrequenz und Menge) gibt wich-
tige diagnostische Hinweise.
In der Speicherphase füllt sich die Blase bei nahezu konstantem niedri-
gem Druck bis zur Kapazitätsgrenze (300–500 ml). Die Füllung führt zum Anstieg
der Wandspannung, die von Spannungsrezeptoren registriert wird. Diese »melden«
nach Erreichen der Kapazitätsgrenze dem zerebralen Zentrum Harndrang, dem
stattgegeben wird, der aber auch unterdrückt werden kann.
Der Blasenverschluss oder die Kontinenz ist garantiert durch ein Geflecht
glattmuskliger Schlingen um den Blasenauslass und um die hintere Harn-
röhre sowie durch die muskulären Strukturen des Beckenbodens. Der harnaus-
treibende Detrusormuskel ist vorwiegend parasympathisch, die den Harn zu-
rückhaltende Verschlussmuskulatur am Blasenauslass symphatisch innerviert.
Die Blasenentleerung ist ein durch das ZNS konditionierter (bewusst ablau-
fender und beeinflussbarer) Reflexvorgang: Die Detrusorkontraktion führt zur
Steigerung des Blaseninnendrucks und zum Tiefertreten des Blasenauslasses,
gleichzeitig erschlaffen Verschlussmuskulatur und Beckenbodenmuskulatur,
womit die Miktion beginnt.

Pathophysiologie. Neurogene Entleerungsstörungen treten auf bei


4 Systemerkrankungen: multiple Sklerose, Neurolues, diabetische Neuropa-
thie, Parkinsonismus, Zerebralsklerose;
4 Querschnittssyndrom: Trauma, Tumor;
4 verschiedene andere Erkrankungen des ZNS: Myelomeningozelen, Disko-
pathien.
134 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

. Abb. 7.6. Schema der Blasen-


innervation und der typischen
neurogenen Funktionsstörungen
(nach Allgöwer u. Siewert 1992)

7
Der Typ der Entleerungsstörung ist verschieden je nach Lage und Ausdehnung
der Läsion und je nach Ausmaß des neurologischen Funktionsdefizits.

Typische Beispiele sind die Querschnittsyndrome (. Abb. 7.6). Eine supra-


nukleäre Läsion (oberhalb des im Sakralmark gelegenen Miktionszentrums)
lässt den Reflexbogen intakt. Es entwickelt sich eine Reflexblase mit automa-
tischer Entleerung. Die zentralen, regulierenden Impulse zur Erhaltung des
Gleichgewichts zwischen Füllung und Entleerung können sich aber nicht mehr
auswirken. Die Folgen sind Restharn und häufige spastische Miktionen.
Die nukleäre bzw. infranukleäre Läsion betrifft das sakrale Miktionszentrum
selbst bzw. die von dort in die Peripherie verlaufenden Nerven. Hier ist der
Reflexbogen zerstört, sodass eine reflektorische Miktion nicht mehr möglich ist.
Es besteht eine schlaffe, sog. autonome Blase, d.h. das Organ ist vollständig
abgekoppelt vom Reflexzentrum und von zentralnervösen Einflüssen. Eine
Entleerung ist nur durch Bauchpresse oder Katheter möglich.
Diese Form der neurogenen Dysfunktion sieht man z.B. nach Nerven-
schädigung in der Peripherie im Zusammenhang mit Eingriffen im kleinen
Becken (Rektumamputation).

Klinik. Die Diagnose des Funktionstyps beruht auf der Beurteilung der neuro-
logischen Ausfälle.
Bei der Reflexblase sind Bulbokavernosusreflex und Analreflex (somatisch)
erhalten. Der Eiswassertest (autonom) ist positiv (spontane Ausstoßung des
Katheters nach Füllung der Blase mit eiskaltem Wasser).
7.3 · Neurogene Blasenfunktionsstörungen
135 7
Bei der Zystometrie sieht man einen meist raschen Anstieg der Druckkurve
und das Auftreten von ungehemmten (reflektorischen) Druckwellen.

! Hohe intravesikale Drücke schädigen die oberen Harnwege!

Bei der autonomen Blase sind sämtliche Reflexe erloschen. Bei der Zystometrie
resultiert eine flache Kurve ohne Druckwellen.
Die Behandlung strebt ein tolerables Verhältnis zwischen Restharn und
Blasenkapazität an. Zur Beurteilung des Funktionszustandes dient der Rest-
harn-Kapazitäts-Test: Durch Addition von Restharn und unmittelbar vorher
entleertem Harnvolumen erhält man die Kapazität.
Toleriert werden die folgenden Restharnmengen (ausgedrückt in Prozent
der Kapazität):
4 Reflexblase 25%,
4 autonome Blase 10%.

Höhere Restharnwerte bedeuten auf Dauer Gefahr für die oberen Harnwege
und Nieren (chronische Rückstauung → zunehmende Nierenschädigung).
Weitere notwendige Untersuchungen zur Beurteilung der Harnwegsfunk-
tion sind:
4 Intravenöses Urogramm (Stauung, Steine, Pyelonephritis),
4 Zystogramm (Reflux in die oberen Harnwege, Divertikel der Blase),
4 Urethrozystoskopie (Verhältnisse am Blasenausgang, Konkremente).

Therapie. Durch Blasentraining während und nach Abschluss der initialen


Dauerkatheter-/Zystofixbehandlung wird eine ausgeglichene Blasenfunktion
angestrebt:
4 ein großes Glas Flüssigkeit jede Stunde;
4 regelmäßige Entleerung nach der Uhr, wobei darauf zu achten ist, dass die
entleerten Mengen nicht größer sind als die physiologische Blasenkapazität
(etwa 250 ml);
4 wenn möglich, regelmäßige Kontrolle durch »sauberen« Selbstkatheteris-
mus, im Spital durch Ultraschall.

Medikamente: Bei hypotonem Detrusorfunktionstyp, z.B. Bethanecholchlorid


(Myocholin, 4-mal tgl. 25 mg per os); bei spastischem Funktionstyp z.B. Tolte-
rodin (Detrusitol SR. 1-mal 4 mg per os), Oxybutinin (Ditropan 3-mal 5 mg per
136 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

os oder als transdermales Pflaster) oder Solifenacin (Vesicare 1-mal täglich


5 mg per os). Gelegentlich wirkt auch ein trizyklisches Antidepressivum wie
Imipramin (Tofranil) günstig. Wirkungsmechanismus unklar.
Zur Verbesserung der Entleerung durch Relaxation des Blasenhalses (α-
Blocker oder Myorelaxanzien), z.B. Tamsulosin (Pradif (CH) Alna (D) 1-mal
400 μg per os), Terazosin (Hytrin), Alfuzosin (Xatral Uno) oder Baclofen (Lio-
resal, 4-mal tgl. 25 mg per os).
Medikamente werden oft schlecht vertragen oder lassen in der Wirkung
nach. Die Alternative ist der saubere (nicht aseptische) Selbstkatheterismus
(3- bis 4-mal täglich).

Chirurgie. Bei zusätzlicher Adenomyomatose oder Sphinktersklerose → trans-


7 urethrale Resektion des Blasenhalses; bei spastischem Beckenboden → trans-
urethrale Inzision oder Resektion des Spincter externus.

7.4 Harnröhrenstrikturen

Das maximale Kaliber der Harnröhre beim Mann beträgt 24–26 Charr., bei der
Frau 28–30 Charr.
Harnröhrenstrikturen haben oft eine traumatische Ursache. Nicht selten
sind sie Folge iatrogener Verletzungen durch Katheter und Instrumente.
! Beim Katheterisieren von Bewusstlosen und Narkotisierten ist größte
Vorsicht angezeigt. Niemals Kraft anwenden. Bei Schwierigkeiten →
perkutane suprapubische Ableitung.

Gonorrhoische Strikturen, die früher häufig waren, sind heute kaum mehr an-
zutreffen. Unspezifische Entzündungen allein führen äußerst selten zur Ausbil-
dung einer Striktur.
Unbehandelt führen Strikturen zu Harnrückstau (Blasenüberdehnung, Di-
vertikelbildung) und begünstigen damit die Steinentwicklung sowie die Entste-
hung von Harnwegsinfekten. Sie manifestieren sich durch einen dünnen, ge-
drehten, oft auch geteilten Strahl sowie durch zunehmende Dysurie.
Verdacht auf eine Harnröhrenstriktur besteht, wenn beim Katheterismus
ein elastischer Widerstand auftritt. In solchen Situationen darf niemals Gewalt
angewendet werden. Die Vermutungsdiagnose wird vielmehr durch eine vor-
sichtige Urethrographie gesichert.
7.6 · Inkontinenz
137 7
Die Behandlung erfolgt durch Bougierung mit Sonden (aus dem franzö-
sischen Bougie = Kerze) von steigendem Kaliber. Charr. 10–22. Manchmal sind
sog. »filiforme« Sonden, auf die stärkere Kaliber nach Wahl aufgeschraubt wer-
den notwendig. Wirkung: Dehnung der verengten Harnröhrenabschnitte; Nach-
teil: starke Wiedervernarbungstendenz.
Eine andere Möglichkeit ist die innere Urethrotomie unter Sicht. Instru-
mentelle Spaltung der Striktur, evtl. über einem Führungskatheter mit einem
durch das Instrument vorschiebbaren Messer. Wirkung: glatter Schnitt, gerin-
gere Wiedervernarbungstendenz.
! Urethrastrikturen haben eine große Rezidivtendenz.

Definitive Heilung ist nur von plastischen Operationen zu erwarten:


4 Einzeitige Operationen:
5 Resektion des verengten Abschnitts und Reanastomose der Stümpfe,
5 Erweiterung des verengten Abschnitts duch Implantation rautenför-
miger gestielter Hautlappen (sog. Insellappen) oder freier Transplantate
(z.B. Mundschleimhaut).
4 Zweizeitige Operationsverfahren (heute selten angewendet):
5 Freilegung, Spaltung und Marsupialisation des verengten Urethraab-
schnitts (künstliche Hypospadie),
5 einige Monate später plastischer Verschluss.

7.5 Angeborene Harnröhrenerkrankungen


(7 Kap. 10.2)

7.6 Inkontinenz

Als Urininkontinenz wird jeder unwillkürliche Harnverlust bezeichnet. Sie ist


ein Symptom für ätiologisch sehr unterschiedliche Affektionen des Detrusors
oder des Verschlussapparates der Blase. Letzterer garantiert beim Gesunden die
Kontinenz. Wird der Verschlussapparat durch Blaserkrankungen überlastet
oder ist er selbst geschädigt, resultiert Inkontinenz. Inkontinenz ist ein immer
noch stark tabuisiertes Thema, das die Betroffenen, aber auch die Umgebung
und die Angehörigen erheblich belasten kann. In Deutschland gibt es geschätzte
5 Millionen Menschen, die an Inkontinenz leiden, wovon etwa die Hälfte über
138 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

. Tabelle 7.2. Relative Häufigkeit der wichtigsten Inkontinenzformen bei Mann und Frau.
Inkontinenzform Frau (%) Mann (%)

Belastungsinkontinenz 49 <10

Dranginkontinenz 22 40–80

Mischinkontinenz 29 10–30

60 Jahre alt ist. Rund 11% der 60-Jährigen und rund ein Drittel der 80-Jährigen
sind betroffen. Frauen sind viel häufiger betroffen als Männer (ca. 4:1). Inkon-
7 tinenz ist der häufigste Grund für die Einweisung in ein Pflegeheim. Durch
Inkontinenz entstehen in Deutschland jährliche Kosten von rund 1 Milliarde €.
Mit zunehmender Überalterung ist mit einer weiteren Zunahme zu rechnen.
Es gibt verschiedene, teilweise komplizierte Klassifikationen. Für die täg-
liche Praxis hat sich die folgende Einteilung bewährt (entsprechend den Leitli-
nien der Deutschen Gesellschaft für Urologie; . Tabelle 7.2):
4 Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz),
4 Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz),
4 Mischinkontinenz. Mischform von Belastungs- und Dranginkontinenz,
4 Harninkontinenz bei chronischer Harnretention (früher Überlauf-Inkonti-
nenz),
4 extraurethrale Harninkontinenz (selten),
4 Sonderformen der Harninkontinenz.

Belastungsinkontinenz
Sie ist bedingt durch einen insuffizienten Verschlussmechanismus der Harnröh-
re, meist als Spätfolge schwerer oder mehrfacher Geburten. Sie ist die häufigste
Ursache für den unfreiwilligen Urinverlust bei Frauen. Etwa 50% der Frauen in
der zweiten Lebenshälfte sind betroffen – meist allerdings nur in leichter Form.
Bei plötzlichem intraabdominalem Druckanstieg kommt es zum Abgang gering-
fügiger bis größerer Urinmengen. Männer sind sehr viel seltener betroffen. Meist
ist sie Folge eines operativen Eingriffes, z.B. einer radikalen Prostatektomie.

Diagnostik. Genaue Anamnese. Inspektion: Urinverlust aus der Urethra bei


Husten, manchmal Absinken der Harnröhre. Allen-Test: Nach Fixation der
7.6 · Inkontinenz
139 7
Urethra durch Finger in der Vagina verschwindet die Inkontinenz. Zur Abgren-
zung von Dranginkontinenz meist Zystomanometrie nötig.
Es werden verschiedene Schweregrade unterschieden:
4 Grad I: Harnverlust beim Husten und Niesen,
4 Grad II: Harnverlust beim Lagewechsel, Gehen und Aufstehen,
4 Grad III: Harnverlust bei unangestrengten Bewegungen, im Liegen.

Therapie. Behandlungsbedürftigkeit besteht bei 10–15% der Betroffenen. In


leichteren Fällen kann durch Beckenbodengymnastik, u. U. unterstützt durch
elektrische Stimulationsbehandlung und Biofeedback, eine Stärkung der Be-
ckenbodenmuskulatur und dadurch eine Verbesserung der Inkontinenz er-
reicht werden. Manchmal können auch Medikamente (Serotonin- und Norad-
renalin-Wiederaufnahmehemmer; Duloxetin) erfolgreich eingesetzt werden.
Bei ausgeprägter Symptomatologie sind operative Maßnahmen notwendig, die
alle zum Ziel haben, die Urethra an ihre physiologische Position zu bringen, den
urethrovesikalen Übergang zu stabilisieren und so ein Absinken der Harnröhre
bei intraabdominalem Druckanstieg zu verhindern. Die früher gebräuchlichen
offenen Operationen (z.B. nach Marshall-Marchetti oder Burch) sind heute
verlassen zugunsten minimal-invasiver Methoden. Am gebräuchlichsten sind
synthetische Polypropylen-Bänder, die sich aufgrund ihrer Netzstruktur im Ge-
webe selbst verankern. Sie werden nur bei Frauen erfolgreich eingesetzt. Die
Bänder werden wie eine Hängematte spannungsfrei (engl. »tension-free«) unter
die Harnröhre gelegt und entweder suprapubisch oder durch das Foramen ob-
turatorium platziert. Mit diesen sog. TVT (»transvaginal tension-free tape«)
oder TOT (»transobturator tape«) können bei reiner Belastungsinkontinenz bis
80–90% langfristige Heilungsraten erreicht werden. Bei Mischinkontinenz sind
die Resultate weniger gut (ca. 40%). Bei ausgeprägter Belastungsinkontinenz
des Mannes kann der Einbau eines künstlichen Schließmuskels sinnvoll sein
(teuer, komplikationsträchtig).

Dranginkontinenz (engl. Urge)


Sie ist von starkem Harndrang begleitet (Detrusorkontraktionen). Als Ursache
kommen Reize in der Blase in Frage, z.B. schwere bakterielle Zystitis, interstiti-
elle Zystitis, Strahlenblase, Fremdkörper oder Tumor. Sie ist die häufigste Form
der Inkontinenz beim Mann. Der Symptomenkomplex Pollakisurie, Nykturie
und imperativer Harndrang (mit oder ohne Urinverlust) wird auch als überak-
tive Blase oder »overactive bladder« (OAB) bezeichnet.
140 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

Diagnostik. Die genaue Anamnese (Harndrang unmittelbar vor oder wäh-


rend des Urinverlustes ) ist sehr suggestiv. Ausschluss einer behandelbaren
Blasenpathologie (Urinstatus, Zystoskopie). Die Diagnose ist gesichert mit
einer Zystomanometrie (Druck-Volumenmessung bei Füllen der Blase).
! Bei persistierender, therapieresistenter überaktiver Blase immer an
Carcinoma in situ der Harnblase denken!

Therapie. In der Regel medikamentös. Anticholinergika (Tolterodin, Oxybuti-


nin, Solifenacin). Neuerdings Injektion von Botulinumtoxin in den Detrusor.
Oft sehr erfolgreich, sicher, aber meist nur von beschränkter Dauer (3–6 Mo-
nate). Nach Möglichkeit behandeln der Ursache (z.B. TUR-P).

7 Mischinkontinenz
Es handelt es sich um eine Mischung von Belastungs- und Dranginkontinenz.
Unwillkürlicher Harnverlust, der von imperativem Harndrang begleitet ist und
auch bei körperlicher Belastung auftritt. Mischformen unterschiedlicher Aus-
prägung sind relativ häufig.

Diagnostik. Anamnese. Inspektion. Zystoskopie. Zystomanometrie (wie bei


Belastungs- und Dranginkontinenz).

Therapie. Zurückhaltung mit Operation. Manchmal gute Erfolge durch Opera-


tion und medikamentöse Behandlung (Anticholinergika).

Harninkontinenz bei chronischer Harnretention


Wurde früher als Überlauf-Inkontinenz bezeichnet. Sie betrifft meist Männer
mit großen Restharnmengen und äußert sich durch tropfenweisen Urinverlust.

Diagnostik. Vorwiegend Männer betroffen. Unfreiwilliger, meist kontinuier-


licher Harnverlust bei übervoller, durch infravesikales Abflusshindernis passiv
stark überdehnter Blase. Die massiv überdehnte Blase imponiert manchmal als
»Tumor« im Unterbauch und kann leicht perkutiert werden. Diagnosesiche-
rung mit Ultraschall.

Therapie. Dauerableitung der Blase mit transurethralem Blasenkatheter.


Meist Ableitung über viele Wochen oder gar Monate nötig. Deshalb immer
schon initial suprapubische Ableitung erwägen, da die Einlage nach Entlas-
7.6 · Inkontinenz
141 7
tung der Blase viel schwieriger ist (kollabierte Blase). Beheben der Ursache
(z.B. TUR-P).

Extraurethrale Inkontinenz
Inkontinenz durch Pathologie außerhalb der Harnröhre. Der Verschlussapparat
ist intakt. Die Inkontinenz tritt durch »Umgehung« des Schließmuskels statt,
z.B. durch einen unterhalb des Sphinkters mündenden ektopischen Harnleiter,
aber auch bei Harnleiter-Scheiden- oder Blasen-Scheidenfisteln. Gekennzeich-
net durch kontinuierlichen Urinverlust.

Diagnostik. Zystokopie: Eine Fistel kann gelegentlich direkt gesehen oder ver-
mutet werden (umschriebene Rötung). Zystogramm: Füllen der Blase mit wäss-
rigem Kontrastmittel; Manchmal kann der Fistelgang dargestellt werden. CT
mit Kontrastmittel und dreidimensionaler Rekonstruktion.

Therapie. Ursächlich. Fistelverschluss. Neueinpflanzung Ureter.

Sonderformen der Harninkontinenz


Dazu rechnet man die anderweitig nicht klassifizierbaren und in keine der ob-
genannten Kategorien passenden Formen der Inkontinenz. Dazu gehören zum
Beispiel:
4 Harnröhrenrelaxation ohne intraabdominellen Druckanstieg oder Detru-
sorkontraktion,
4 Fehlbildungen mit Sphinkterdefekt. Bei ausgeprägter Epispadie,
4 Reflexinkontinenz (»Reflexblase«). Verlust der zerebralen Kontrolle des sa-
kralen Reflexbogens, z.B. bei Querschnittsyndrom. Deshalb kein Harn-
drang (7 Kap. 7.3, S. 133),
4 Enuresis nocturna bei Kindern,
4 Inkontinenz bei Demenz.

Diagnostik. Ausschlussdiagnose.

Therapie. Ursachenorientiert und Situationsangepasst (medikamentös, Vorla-


gen, Kondomurinal etc.)
142 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

Fallbeispiel
Anamnese. Ein 68-jähriger Rentner kommt mit seiner Gattin in die Sprechstun-
de, weil er den Urin nicht mehr halten kann. Das ist für ihn und vor allem für die
Partnerin aus hygienischen Gründen ein großes Problem. Zudem berichtet sie,
dass er wegen seiner fast stündlichen Nykturie kaum durchschlafen könne und
deshalb dauernd müde sei. Der Patient dissimuliert eher, berichtet aber, dass er
oft starken Harndrang verspüre und es ihm deshalb manchmal nicht zur Toilette
reiche, da er etwas gehbehindert ist. Er nehme einen Alpha-Blocker ein, der aber
keine wesentliche Wirkung mehr zeige.

Befund. Der Urinstatus ist bland. Im Ultraschall findet sich eine mittelgroße Pros-
tata mit einem großen, in die Blase hinein ragenden Mittellappen. Es finden sich
7 ungefähr 120 ml Restharn. Der PSA-Wert beträgt 2,3 ng/ml.

Beurteilung. Es liegt wahrscheinlich eine Dranginkontinenz bei Prostatahy-


perplasie vor. Die großen Restharnmengen verbieten den Einsatz von Anticholi-
nergika.

Therapie. Dem Patienten wird die transurethrale Resektion der Prostata in Spi-
nalanästhesie empfohlen.

Verlauf. Nach 3 Monaten bestehen noch Pollakisurie und imperativer Harn-


drang, die Inkontinenz ist aber schon wesentlich besser. Der Restharn ist ver-
schwunden. Eine Kontrolle nach 6 Monaten zeigt, dass die Nykturie auf 1- bis
2-mal zurückgegangen ist und der imperative Harndrang bis zur Inkontinenz
nur noch ausnahmsweise vorkommt. Der Patient fühlt sich wieder viel besser
ausgeruht.

Fallbeispiel
Anamnese. Eine 50-jährige sportliche Hausfrau beklagt sich beim Hausarzt über
häufigen Harndrang und unfreiwilligen Urinverlust, besonders beim Sport. Sie
hat gehört, dass man mit einer Operation, bei der die erschlafften Bänder wieder
gerafft werden, die lästige Harninkontinenz beheben könnte. Im Rahmen des
Gesprächs gibt sie an, schon als Schulmädchen »eine schwache Blase« gehabt
zu haben. Die Schwangerschaften verliefen normal, die Patientin hat drei gesun-
de Kinder.
6
7.6 · Inkontinenz
143 7
Befund. Die Patientin trägt eine Einlage, die sie einmal täglich wechselt. Der Urin
ist unauffällig. Die Blase ist nach der Miktion leer. Beim Pressen erkennt man eine
leichte Zystozele.

Differentialdiagnose. Liegt hier eine Belastungsinkontinenz vor, als deren Ursa-


che man sich durch einen durch drei Geburten geschwächten Beckenboden
vorstellen könnte? Was hat es auf sich mit der »schwachen Blase« im Schulalter?
Der unfreiwillige Urinverlust erfolgt offenbar nur bei größerer Anstrengung, und
die abgehende Urinmenge scheint recht gering (Grad I).

Weiteres diagnostische Vorgehen. Zur Abklärung des Inkontinenztyps wird der


Patientin eine Zystourethromanomentrie empfohlen: Bei langsamer kontinuier-
licher Füllung der Blase wird der in der Blase herrschende Druck registriert. Dabei
werden mehrfach kurze Druckspitzen erkennbar, die unwillkürlichen Detrusor-
kontraktionen entsprechen. Die Blasenkapazität ist mit 250 ml relativ niedrig
und die anschließende Urethradruckmessung zeigt eine Kontinenzzone an der
unteren Normgrenze.

Diagnose. Eine reine Belastungsinkontinenz kann ausgeschlossen werden. Ver-


mutlich handelt es sich um eine gemischte Inkontinenz mit Belastungs- und
Drangkomponente.

Indikationsstellung und Behandlung. Zurückhaltung mit einer Suspensions-


operation. Versuch mit Beckenbodentraining unterstützt durch Spasmolytika.
Reevaluation in einem halben Jahr.

? Übungsfragen
1. Welche Auswirkungen hat die Behinderung der Harnentleerung
4 an der Blase?
4 an den oberen Harnwegen?
4 an der Niere?
2. Nennen Sie drei Symptome, die bei prostatahypertrophiebedingter Ent-
leerungsstörung beobachtet werden!
3. Gibt es medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten bei Prostatahypertrophie?
4. In welcher Beziehung steht die anlässlich der Rektaluntersuchung festgestellte
Größe der Prostata zum Ausmaß der Behinderung der Harnentleerung?
144 Kapitel 7 · Störungen der Harnentleerung und -speicherung

5. Kann nach der operativen Behandlung eines Prostataadenoms trotzdem später


noch ein Prostatakarzinom auftreten?
6. Welches ist die wichtigste Ursache von Harnröhrenstrikturen?
7. Nennen Sie drei Ursachen für neurogene Entleerungsstörungen der Blase!
8. Welche Formen der Urininkontinenz kennen Sie? Häufigkeit bei Mann und
Frau?

Lösungen → S. 218

7
MC-Fragen und Fälle
zur Prüfungsvorbereitung
F2 Basiswissen Urologie – Fallquiz

MC-Fragen

? 1. Ein 63-jähriger Bankier sucht Sie auf. Der Hausarzt hat


anlässlich eines »Check-ups« Nierenzysten festgestellt. Welche
Aussage ist richtig?

A Einfache Nierenzysten sind harmlose Veränderungen, während kom-


plizierte Zysten maligne Veränderungen darstellen.
B Multiple Nierenzysten gelten per se als kompliziert.
C Die Bosniak-Klassifikation ermöglicht aufgrund sonographischer Kri-
terien (Multiplizität, Echogenität, Verkalkungen) die Unterscheidung
zwischen einfacher und komplizierter Zyste.
D Mit Hilfe der Bosniak-Klassifikation können Zysten aufgrund compu-
tertomographischer Eigenschaften (Kontrastmittelaufnahme, Septie-
rung, Verkalkungen) in vier Grade eingeteilt werden, wobei Grad I für
die einfache Zyste und Grad IV hochverdächtig für das Nierenzellkar-
zinom steht.

? 2. Bei einer Frau im mittleren Alter wurde eine Adulte


Polyzystische Nierenerkrankung (APKD) diagnostiziert. Sie
kommt mit ihrer 26-jährigen Tochter und will sich über die
Krankheit orientieren. Die APKD

A ist eine Krankheit mit autosomal-rezessivem Erbgang;


B führt in schweren Fällen zu terminaler Niereninsuffizienz;
C führt rund 10–15 nach Auftreten klinische Symptome zur terminalen
Niereninsuffizienz;
D sollte im Kindesalter erfasst werden und gehört deshalb zum Screening
im Vorschulalter.
F3
Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 3. Bei einer 23-jährigen Medizinstudentin wird im Rahmen


des Ultraschallkurses eine Hydronephrose rechts festgestellt.
Sie ist überrascht und schaut im Lehrbuch nach. Was kann Sie
dort nachlesen?

A Eine Hydronphrose ist Ausdruck eines vesikorenalen Refluxes und


meistens sehr schmerzhaft.
B Eine Hydronphrose muss nur behandelt werden, wenn die Nierenfunk-
tion beeinträchtigt wird.
C Eine Hydronphrose ist bei Obstruktion und gleichzeitiger Infektion der
beteiligten Niere (Pyelonephritis) als Notfall zu beurteilen und bedarf
einer Harnableitung (perkutan oder transurethral).
D Eine Hydronphrose deutet häufig auf eine Nierenbeckenerkrankung
(Uretersteine, Tumoren etc.) hin.

? 4. Bei der Untersuchung eines Neugeborenen können Sie


einen Hoden nicht tasten. Was geht Ihnen durch den Kopf?

A Kryptorchismus ist mit lebenslang erhöhter Tumorgefahr (10-fach)


dieses Hodens assoziiert, auch wenn eine zeitgerechte Therapie durch-
geführt wurde.
B Kryptorchismus ist oft doppelseitig.
C Kryptorchismus tritt bei 3–5% aller männlichen Neugeborenen auf.
D Kryptorchismus ist spätestens in der Pubertät aktiv zu behandeln, da
durch die hohe Spontandeszensusrate eine Operation meist erspart
werden kann.

? 5. Eine 38-jährige, attraktive Geschäftsfrau konsultiert Sie


beunruhigt wegen immer wiederkehrenden
Blasenentzündungen. Was sagen Sie ihr?

A »Wiederkehrende Blasenentzündungen sind meistens unkompliziert,


da ihnen keine strukturelle oder funktionelle Abnormalität zugrunde
liegt. Sie sind harmlos und echte Reinfektionen«.
B »Wiederkehrende Blasenentzündungen haben als Ursache die Bakterien-
persistenz in Bereich der Vagina. Verwenden Sie mehr Vaginalsprays«.
F4 Basiswissen Urologie – Fallquiz

C »Passen Sie auf: Die Infekte werden oft chronisch und führen zu Pye-
lonephritis«.
D »Da kann man nichts machen. Wiederkehrende Blasenentzündungen
kommen meist bei sexuell aktiven Frauen vor«.

? 6. Ein 78-jähriger, rüstiger Bewohner eines Alterheims hat


vom Hausarzt nun schon die 3. Antibiotikakur bekommen.
Trotzdem stellt man immer wieder Bakterien im Urin fest.
Wie beurteilen Sie die Situation?

A Es liegt wahrscheinlich ein Harnwegsinfekt mit multiresistenten Bak-


terien vor.
B Der Mann hat wahrscheinlich die Tabletten nicht richtig eingenom-
men.
C Es liegt vermutlich eine strukturelle oder funktionelle Ursache (z. B.
Prostatavergrößerung mit Restharnbildung) vor, die nach resistenzge-
rechter Behandlung des Infektes behoben werden muss.
D Der Mann braucht eine »richtige« Behandlung über mindestens 3 Wo-
chen.

? 7. Eine 28-jährige brasilianische Tänzerin wird am Freitag-


abend mit Fieber (38,7°C) und linksseitigen Flankenschmerzen
hospitalisiert. Was entscheiden Sie als Stationsärztin?

A Sie verordnen Bettruhe und kühle Wickel und warten die Urinbakterio-
logie ab.
B Sie legen einen Blasenkatheter und verordnen Antibiotika.
C Sie veranlassen einen Ultraschall für Montag und entscheiden dann je
nach Befund.
D Sie veranlassen sofort einen Ultraschall, da bei Obstruktion eine Sepsis
droht.
F5
Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 8. Ein junger Mann kommt wegen heftigster Schmerzen in


der linken Flanke, auf die Notfallstation. Aktuell ist er gerade
schmerzfrei. Wie gehen sie vor?

A Es handelt sich um eine Nierenkolik. Deshalb sind Schmerzmittel das


Wichtigste. Viel Flüssigkeit (Schwemmen) und Abwarten bis der Stein
abgegangen ist.
B Urinstatus und Röntgen Abdomen, gegebenenfalls mit Ultraschall die
Situation klären und den Stein demonstrieren. Dieser kann dann mit-
tels ESWL zertrümmert werden.
C Nach Einleitung einer starken Analgesie (Opiate und nichtsteroidale
Schmerzmittel), kann das Computertomogramm mit fast 100%-iger
Sicherheit den Stein lokalisieren. Steinlage und -größe bestimmen das
weitere Procedere.
D Wenn der Patient kein Fieber hat, kann mit der weiteren Diagnostik
zugewartet werden, da die meisten Steine (>80%) spontan abgehen.
Eine rein symptomatische Therapie (Opiate, Spasmolytika) kann somit
eingeleitet werden.

? 9. Bei einer 47-jährigen Busfahrerin mit rezidivierenden


Harnwegsinfektionen führen Sie wegen unspezifischen
Bauchschmerzen ein Abdomen leer durch. Überraschender-
weise finden Sie einen Nierenbeckenausgussstein rechts.
Wie sehen Sie den Zusammenhang?

A Regelmäßige Antibiotikaeinnahme führt zu Nierensteinen.


B Die Patientin trinkt zu wenig und hat darum Harnwegsinfekte und
Nierensteine.
C Beta-Lactamasen produzierende Bakterien sind häufig Ursache von
Harnwegsinfekten und damit von Infektsteinen.
D Ausgusssteine sind häufig Infektsteine und bestehen aus Struvit. Struvit
entsteht durch die Spaltung von Harnstoff durch ureaseproduzierende
Bakterien wie z. B. Proteus mirabilis.
F6 Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 10. Ein 55-jähriger Lehrer hat schon längere Zeit Rücken-


schmerzen. Ein Freund ist kürzlich an Krebs erkrankt und er
befürchtet nun bei sich einen Nierentumor. Sie erklären ihm,
dass ein Nierentumor sich meist manifestiert

A mit Makrohämaturie,
B durch Skelettmetastasen,
C als Zufallsbefund, im Rahmen einer radiologischen Abklärung (US,
CT),
D durch Niereninsuffizienz.

? 11. Der Redakteur Ihrer Lokalzeitung will einen Bericht über


das Prostatakarzinom schreiben. Vor der Publikation will er
sich aber noch bei Ihnen absichern. Welche der geplanten
Aussagen sind falsch?

A Das Prostatakarzinom ist der häufigste maligne Tumor des Mannes.


B Weiße sind doppelt so häufig betroffen wie Schwarze oder Asiaten.
C Das Prostatakarzinom ist der Tumor des alternden Mannes.
D Beim Prostatakarzinom kommt eine familiäre Häufung vor.

? 12. Ein gerade 50 gewordener Uhrmacher, dessen Vater an


einem Prostatakarzinom verstorben sei, meldet sich zur
Vorsorgeuntersuchung. Welche Untersuchungen führen Sie
bei ihm durch?

A Rektalpalpation und Bestimmung des prostataspezifischen Antigens


(PSA)
B Magnetresonanztomographie mit Kontrastmittel
C Transrektale Ultraschallaufnahme
D Knochenszintigramm
F7
Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 13. Bevor der oben erwähnte Uhrmacher sich untersuchen


lässt, möchte er noch mehr Informationen über das prostata-
spezifische Antigen (PSA). Er habe gehört, man könne damit
den Prostatakrebs nachweisen. Was erklären Sie ihm?

A Das PSA ist heute der wichtigste Bluttest bei der Prostatakarzinomvor-
sorge, aber nicht krebsspezifisch.
B Ein erhöhtes PSA ist tatsächlich beweisend für ein Prostatakarzinoms.
C Ein PSA-Anstieg nach einer radikalen Prostatektomie bedeutet sicher
ein Rezidiv.
D Die PSA-Derivate (gesamtes und freies PSA, komplexiertes PSA, PSA-
Verdoppelungszeit, PSA-Dichte u. a. m.) sind bezüglich Aussagekraft
des PSA betreffend Prostatakarzinom viel besser.

? 14. Ein 79-jähriger pensionierter Lehrer meldet sich für eine


zweite Meinung. Bei ihm wurde auf sein Drängen eine
Prostatabiopsie durchgeführt, die nun ein Prostatakarzinom
ergeben hat. Welche von seinem Urologen vorgeschlagenen
Optionen sind korrekt?

A Radikale Prostatektomie. Ein lokalisiertes Prostatakarzinom kann nur


mittels Totalentfernung sicher geheilt werden.
B Nichts tun (»wait and watch«). Nicht jedes entdeckte Prostatakarzinom
muss behandelt werden.
C Von einer perkutanen, externen Strahlentherapie hat er ihm abgeraten,
da diese heute als veraltet gilt.
D Hormontherapie. Sie stellt eine palliative Therapie dar, führt aber nicht
zur Heilung.
F8 Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 15. Ein 65-jähriger, wegen lumbaler Rückenschmerzen behan-


delter und ansonsten gesunder Straßenarbeiter wird vom
Hausarzt zur urologischen Beurteilung zugewiesen, weil er
eine leicht vergrößerte und höckrige Prostata getastet
sowie ein erhöhtes PSA-Wert von 89,3 ng/ml festgestellt hat.
Welche diagnostischen Schritte sind sinnvoll?

A PSA wiederholen
B Urinuntersuchung (Streifentest, Urinstatus und/oder evtl. Bakteriolo-
gie)
C Prostatabiopsie
D Knochenszintigraphie

? 16. Welche therapeutischen Optionen sind für den obigen


Patienten bei histologisch nachgewiesenem Prostatakarzinom
sinnvoll, nachdem lumbale Metastasen nachgewiesen wurden?

A Radikale Prostatektomie
B Perkutane Strahlentherapie der Prostataregion
C TUR-P
D Antiandrogene Therapie

? 17. Ein 17-jähriger Gymnasiast meldet sich am frühen Morgen


telefonisch bei der Sprechstundenhilfe und berichtet über
Hodenschmerzen seit ca. 2 Stunden mit plötzlichem Beginn.
Sie sind stark beschäftigt. Was empfehlen Sie ihm?

A Er solle Eis auflegen und sich in 2 Tagen wieder melden, da solche


Schmerzen in der Pubertät häufig seien.
B Es solle in der Praxis vorbei kommen und ein Rezept für ein Antibio-
tikum abholen, da wahrscheinlich eine Epidiymitis vorliege.
C Er solle unverzüglich die nächste Notfallstation aufsuchen, da eine
Hodentorsion vorliegen könnte.
D Er solle nächste Woche vorbei kommen, damit ein maligner Tumor
ausgeschlossen werden könne.
F9
Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 18. Ein 31-jähriger gesunder Bereiter (Pferdedressur) beklagt


eine langsam zugenommene, prallelastische Hodenschwel-
lung der linken Seite, die permanent vorhanden ist. Trotz
seines Berufes ist er eigentlich nicht eingeschränkt. Im Ultra-
schall finden Sie viel Flüssigkeit um den Hoden. Was liegt vor
und was empfehlen Sie ihm?

A Ein maligner Hodentumor. Sie empfehlen dringend eine Semikastra-


tion.
B Ein gutartiger Hodentumor. Punktion des Inhaltes zu zytologischen
Untersuchung (Ausschluss Malignität).
C Eine Hydrozele. Sie beruhigen ihn und empfehlen Zuwarten.
D Eine Epididymitis. Sie verschreiben 10 Tage Antibiotika.

? 19. Ein 26-jähriger Eishockeyspieler meldet sich wegen einer


schmerzlosen, einseitigen Hodenschwellung. Er vermutet, er
habe einmal unbemerkt einen Tiefschlag bekommen. Sie stel-
len einen leicht vergrößerten, harten, aber schmerzlosen
Hoden rechts fest. Was vermuten Sie und was raten Sie?

A Eine Epididymitis. Auch bei unauffälligem Urinbefund wäre aufgrund


der Anamnese primär eine Antibiotikatherapie über 14 Tage und eine
mechanische Schonung sinnvoll.
B Ein Hodentumor. Beim geringsten klinischen, sonographischen oder
laborchemischen Verdacht auf das Vorliegen eines Hodentumors ist
eine unverzügliche explorative Hodenfreilegung zum Ausschluss oder
Sicherung der Diagnose angezeigt.
C Ein altes Hämatom, wahrscheinlich traumatisch. Zuwarten und Kon-
trolle in 6 Wochen.
D Normalbefund. Ein Hoden ist meist härter. Sie beruhigen den Pati-
enten und schließen die Behandlung ab.
F10 Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 20. Der diensttuende Notfallassistent ruft Sie am


Sonntagmorgen um 5 Uhr an und berichtet über einen 45-jäh-
rigen italienischen Kellner, der behauptet, seit 4 Stunden eine
Erektion zu haben. Es werde nun langsam schmerzhaft.
Welche Auskunft erteilen Sie?

A Der Patient solle doch froh sein, habe er eine Erektion. Viele Männer
würden ihn darum beneiden. Er solle zuwarten und sich – falls das
Problem nicht verschwindet – am Montag beim Hausarzt melden.
B Der Patient solle versuchen, zu ejakulieren, dann fällt die Erektion
zusammen.
C Er solle unverzüglich ins Krankenhaus kommen. Eine frühzeitige chi-
rurgische Therapie verhindert Schäden am Schwellkörper.
D Der Patient solle ein Beruhigungsmittel (Diazepam) und ein Schmerz-
mittel einnehmen.

? 21. Der 69-jährige Witwer will wieder einmal seine Prostata


kontrollieren lassen. Das Wasserlassen sei »nicht mehr wie frü-
her«. Welche typischen Symptome erwarten Sie und fragen
gezielt danach?

A Algurie und Polyurie


B Hämaturie und Oligurie
C Pollakisurie und Nykturie
D Pneumaturie

? 22. Bei obigem Witwer stellen Sie neben den Symptomen eine
leicht vergrößerte, unverdächtige Prostata und ca. 50 ml
Restharn fest. Welche medikamentöse Therapie empfehlen Sie
als erstes?

A α-Rezeptorenblocker
B β-Rezeptorenblocker
C 5-α-Reduktasemmer
D PDE-5-Hemmer
F11
Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 23. Ein 66-jähriger, immer noch berufstätiger Fahrlehrer kon-


sultiert, da ihn die Pollakisurie und der imperative Harndrang
beim Unterrichten stören. Die lange α-Rezeptorenblocker-
Therapie verliert die Wirkung. Sie empfehlen die transurethra-
le Resektion der Prostata. Was kann der Patient von diesem
Eingriff erwarten?

A Verbesserung des Harnflusses;


B Verhinderung der Entwicklung eines Prostatakarzinoms;
C muss keine α-Rezeptorenblocker mehr einnehmen;
D bessere Lebensqualität durch weniger Pollakisurie und imperativen
Harndrang.

? 24. Auf einem Transatlantikflug kann ein 63-jähriger


Geschäftsmann der ersten Klasse trotz quälendem, schmerz-
haftem Harndrang die Blase nicht entleeren. Sie werden als
zufällig mitfliegender Arzt zu ihm gerufen. Der Patient hat
Schmerzen und schwitzt. Es steht ihnen der Notfallkoffer der
Fluggesellschaft zur Verfügung. Was unternehmen Sie?

A Sie geben ein Diuretikum um die Diurese anzuregen.


B Sie lassen dem Kapitän ausrichten, eine Harnverhaltung sei ein urolo-
gischer Notfall. Er müsse den nächsten möglichen Flughafen ansteuern.
C Sie legen einen transurethralen Dauerkatheter.
D Sie spritzen ein Schmerzmittel und ein Entspannungsmittel (Diaze-
pam).

? 25. Ein 84-jähriger Insasse eines Altenheims wird gebracht,


da er den Urin nicht halten kann. Welche Ursachen kommen
in Frage?

A Zerebrovakulärer Insult
B Subklinische Diskushernie mit Wurzelkompression thorakal 12; Ent-
wicklung einer »autonomen Blase«
C Beginnende Demenz
D Multiple Sklerose mit Beteiligung des Miktionszentrums S2–S4
F12 Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 26. Ein 24-jähriger Medizinstudent meldet sich bei Ihnen. Er


hat Schwierigkeiten, die verschiedenen Inkontinenzformen zu
unterscheiden. Können Sie ihm helfen?

A Die Überlaufinkontinenz wird auch als Reflexinkontinenz bezeichnet.


B Unkontrollierte Detrusormuskelkontraktionen können zur Drangin-
kontinenz (Urge-Inkontinenz) führen.
C Eine infravesikale Obstruktion kann zur Überlaufinkontinenz führen.
D Bei der Belastungsinkontinenz ist die Blasenspeicherfunktion gestört.

? 27. Eine 46-jährige Verkäuferin mit einer milden Form von


multipler Sklerose klagt über Dranginkontinenz. Die Blasen-
entleerung ist restharnfrei möglich, eine Belastungsinkonti-
nenz liegt nicht vor. Was schlagen Sie ihr vor?

A Ein α-Rezeptorenblocker zu Hemmung der Detrusorkontraktionen.


B Anticholinergika verbessern häufig die Symptomatik der hyperaktiven
Blase.
C Blasentraining. Sie soll versuchen, die Miktion so lange wie möglich
hinaus zu zögern.
D Botulinumtoxin-Injektionen können die Blasenspeicherfunktion ver-
bessern.

? 28. Eine 55-jährige, 3-fache Mutter möchte wieder mit Sport


beginnen. Sie leidet aber unter unwillkürlichem Urinverlust bei
Anstrengung. Welche Möglichkeiten können Sie ihr anbieten?

A Ohne genaue Abklärung mit Röntgen und einer Zystomanometrie


kann man gar nichts sagen.
B Sie empfehlen Beckenbodentraining, denn vor der operativen Therapie
der Inkontinenz sollten die konservativen Therapiemöglichkeiten aus-
geschöpft worden sein.
C Die Implantation eines künstlichen Sphinkters wäre wahrscheinlich
erfolgversprechend.
D Ein TVT (»tension free vaginal tape«) wäre wahrscheinlich erfolgver-
sprechend.
F13
Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 29. Ein 61-jähriger, etwas übergewichtiger Malermeister mit


eigenem Geschäft hat kürzlich einen Koronarstent erhalten.
Seit dieser Intervention habe er Erektionsstörungen. Er ver-
mutet, man habe »etwas verletzt«. Was sagen Sie ihm?

A Die Ursache der erektilen Dysfunktion ist vermutlich durch Medi-


kamente (Nebenwirkungen) bedingt, die er wegen seiner koronaren
Herzkrankheit einnehmen muss.
B Die erektilen Dysfunktion ist vermutlich vaskulär bedingt und eine
andere Spielform der kardiovaskulären Erkrankung.
C Er rauche und trinke vermutlich zu viel.
D Er solle es etwas ruhiger nehmen (weniger psychosozialer Stress).

? 30. Ein 58-jähriger Börsenhändler kommt in die Sprechstunde.


Er ist geschieden und hat eine neue, viel jüngere Freundin. Er
habe nun zunehmend Mühe, die Erektion aufzubauen. Den
Nikotinabusus hat er schon auf 1 Packung pro Tag reduziert.
Ein kürzliches »Check-up« sei in Ordnung gewesen. Was kön-
nen Sie ihm anbieten?

A Behandlung bei einem Psychosomatiker, der ihm hilft, Stress abzubau-


en und ihm das Rauchen zu entwöhnen
B PDE-5-Hemmer (Viagra, Levitra, Cialis)
C Testosteronpflaster, da eine erektile Dysfunktion meist Ausdruck von
Hormonmangel ist
D Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT) mit Prostaglandin E1

? 31. Ein kürzlich in seinem Heimatland wegen einer Prostata-


vergrößerung transurethral resezierter 63-jähriger Bauarbeiter
berichtet in gebrochenem Deutsch, dass er keine Ejakulationen
mehr habe. Kann das stimmen und wie erklären Sie es ihm?

A Nach einer transurethralen Resektion der Prostata (TUR-P) erfolgt der


Samenerguss meist retrograd in die Harnblase.
B Nach einer transurethralen Prostatektomie kommt es nie zu einem
Orgasmus.
F14 Basiswissen Urologie – Fallquiz

C Häufig kommt es zu einem Samenerguss bevor oder kurz nach Einfüh-


ren des Penis in die Vagina.
D Häufig leiden die Patienten an einer verzögerten Ejakulation.

? 32. Ein 23-jähriger Sportstudent ist beim Mountainbiken mit


der Flanke auf den Lenker gestürzt. Er berichtet über erheb-
liche Schmerzen. Der Urin ist blutig, das Hämoglobin (Hb)
beträgt 12,3 g%. Wie entscheiden Sie?

A Entlassung nach Hause, da penetrierende Nierenverletzungen selten


sind und das Hb gut ist.
B Überwachung für 2 Stunden. Wenn der Blutdruck und das Hb stabil
bleiben kann er anschließend wieder nachhause. Er soll sich noch 5 Tage
schonen.
C Hospitalisation und Überwachung für 24 Stunden. Kontrolle von Blut-
druck und Hb. CT mit und ohne Kontrastmittel.
D Rasche chirurgische Revision planen wegen der Gefahr der Nierenrup-
tur. Das Hb ist für den jungen Sportler zu tief.

? 33. Ein 44-jähriges Unfallopfer mit Beckenfraktur wird auf die


Notfallstation gebracht. Es tritt Blut aus der Urethra aus und
er kann nicht Wasser lösen. Was unternehmen Sie aus urolo-
gischer Sicht?

A Ich versuche, vorsichtig transurethral zu katheterisieren.


B Ich lege schon initial einen suprapubischen Katheter.
C Ich plane ein retrogrades Urethrogramm.
D Ich führe eine rektale Untersuchung durch.
F15
Basiswissen Urologie – Fallquiz

? 34. Ein 68-jähriger Architekt berichtet über immer wiederkeh-


rende Infekte der Blase. Gegen Ende des Wasserlösen »zische
und stottere « der Urin; er glaube, es komme Luft. Er fragt: »Ist
das normal, Frau Doktor?« Sie antworten:

A Ja, die Pneumaturie ist eine seltene physiologische Manifestation und


daher nicht weiter abklärungsbedürftig.
B Nein, die Pneumaturie ist pathognomonisch für eine intestinovesikale
Fistel.
C Nein, ist aber harmlos. Es liegen wahrscheinlich gasbildende Bakterien
vor, die man antibiotisch behandeln muss.
D Ja. Das ist nämlich eine Täuschung, denn Urin schäumt stark.

? 35. Sie werden auf die Intensivstation zu einem 71-jährigen


Mann mit akuter Pneumonie gerufen. Er ist seit 2 Tagen dort.
Die betreuende Pflegeperson kann die Vorhaut des katheteri-
sierten Patienten nicht mehr nach vorne streifen. Was schlie-
ßen Sie?

A Es liegt eine Paraphimose vor (Einklemmung der Vorhaut hinter der


Glans im Sulcus coronarius, wodurch zunächst zu einer Schwellung des
inneren Präputialblattes kommt).
B Durch sofortige Vorhautreposition nach Manipulationen (nach dem
Waschen) hätte die Paraphimose verhindert werden können.
C Man sollte eine manuelle Reposition versuchen.
D Es ist eine operative Sanierung (Spaltung in Lokalanästhesie) indiziert.
F16 Basiswissen Urologie – Fallquiz

Antworten Fragen

v 1. Frage: D. Die Bosniak-Klassifikation ist heute am gebräuchlichsten. Sie erfolgt


aufgrund radiologischer Kriterien im CT. Banale Nierenzysten sind häufig und
harmlos.
v 2. Frage: C. Autosomal-dominant vererbt; terminale Niereninsuffizienz meist
nach rund 10 Jahren Latenz; frühe Erfassung zu optimalen Überwachung, Blut-
druckeinstellung usw. kann Niereninsuffizienz hinauszögern.
v 3. Frage: C. Hydronephrose meist schmerzarm, Schmerzen sind Hinweis auf
die Gefahr der Urosepsis bei Infekt und Obstruktion. Behandlung wenn immer
möglich, da Nierenfunktion bei einseitiger Hydronephrose und normaler Ge-
genniere meist normal; eine Hydronephrose (Aufweitung des Nierenbeckens)
kann Ausdruck eines infrarenalen Hindernisses oder von Reflux sein.
v 4. Frage: A, C. Kryptorchismus bei ca. 3% aller Knaben, 70% spontaner Deszen-
sus in ersten 3 Lebensjahren, in 95% unilateral, Behandlung bis Ende erstes
Lebensjahr.
v 5. Frage: A. Meist Reinfektionen, »lästig aber harmlos«, Keime meist aus Peri-
neum, betrifft alle Alter. Führt in der Regel nicht zu Pyelonephritis.
v 6. Frage: C. Vorliegen einer funktionellen oder strukturellen Abnormität = kom-
plizierter Infekt, A, B nicht ausgeschlossen, D falsch.
v 7. Frage: D. Harnwegsinfekt und Obstruktion = lebensgefährlich. Bei Obstruk-
tion sofortige Ableitung der Niere.
v 8. Frage: C. »Schwemmen« ist obsolet; Uretersteine manchmal schwierig zu se-
hen und oft einer ESWL nicht zugänglich; rasche Analgesie und anschließende
CT-Diagnostik; D nicht falsch, wenn der Patient schon ähnliche Episoden hinter
sich hat.
v 9. Frage: D. Infektsteine entwickeln sich oft recht schnell, wenn ureaseprodu-
zierende Bakterien vorliegen; Infekt- und Steinsanierung parallel.
v 10. Frage: C. Die meisten Nierentumoren sind völlig symptomlos und werden
zufällig entdeckt. Hämaturie nur in seltenen Ausnahmen; Nierentumoren me-
tastasieren vorwiegend in die Lunge, können aber auch jedes andere Organ
befallen; Niereninsuffizienz sehr selten.
v 11. Frage: B. Autopsiestudien haben gezeigt, dass rund 50–60% der 60-Jährigen
und mit zunehmendem Alter rund 80% der 80-Jährigen ein Prostatakarzinom
aufweisen. Schwarze sind häufiger als Weiße betroffen; Asiaten entwickeln am
seltensten ein Prostatakarzinom. Das Krankheitsrisiko steigt mit der Anzahl der
direkten Angehörigen mit Prostatakarzinom).
F17
Basiswissen Urologie – Fallquiz

v 12. Frage: A. Als erste Untersuchungen werden der PSA-Wert im Blut bestimmt
und eine Rektalpalpation durchgeführt. Damit kann mit genügend guter
Sicherheit ein Prostatakarzinom ausgeschlossen werden. MRT und Ultraschall
bieten zwar eine ausgezeichnete Bildgebung der Prostata, können aber nicht
sicher zwischen gutartiger und maligner Veränderung unterscheiden. Szinti-
gramm nur bei gesichertem Prostatakarzinom zum Staging.
v 13. Frage: A, C. Trotz einiger Schwächen und neuer Marker ist das PSA der
wichtigste Bluttest zu Prostatafrüherkennung. Das PSA ist nicht krebsspezifisch;
Erhöhung auch bei benigner Prostatahyperplasie, Prostatitis, Samenerguss,
ausgiebiges Fahrradfahren u. a. m. Ein erneuter PSA-Anstieg nach kurativer
Therapie gilt als biochemisches Rezidiv. Nach totaler Prostataentfernung fällt
der PSA unter die Nachweisgrenze ab und ist anschließend als Tumormarker
hoch sensitiv. Derivate verbessern die Aussagekraft von PSA etwas, ersetzen
dieses aber nicht.
v 14. Frage: B. Ein kleines, gut differenziertes Karzinom beim asymptomatischen
Mann mit einer Lebenserwartung unter 10 Jahren kann beobachtet und bei auf-
tretender Symptomatik palliativ behandelt werden (sog. »watchfull waiting«).
Eine radikale Prostatektomie kann lokalisierte Tumoren heilen, es profitieren
aber vor allem jüngere Männer (<70). Auch die Strahlentherapie (extern oder
als Brachytherapie) ist wirksam. Hingegen hat die Hormontherapie (korrekt
hormonblockierende Behandlung) palliativen Charakter.
v 15. Frage: B, C, D. Die Befunde sind hoch verdächtig auf ein Prostatakarzinom.
Eine Wiederholung der PSA-Bestimmung wäre in diesem Fall kaum ein Infor-
mationsgewinn. Eine gleichzeitige Infektion (Zystoprostatitis) führt ebenfalls
zu einer PSA-Erhöhung. Auch bei eindeutiger Klinik und hoch verdächtigem
PSA-Wert für ein Prostatakarzinom muss die Diagnosesicherung histologisch
erfolgen. Bei der genannten Konstellation ist eine Knochenmetastasierung
durchaus möglich und diese könnte die Lumbago verursachen, was deren
Therapie entscheidend beeinflusst.
v 16. Frage: D. Die antiandrogene Therapie ist die Therapie der Wahl, da kein lo-
kalisiertes Leiden mehr vorliegt. Entsprechend sind A und B nicht sinnvoll. Der
Patient hat keine Miktionsbeschwerden angegeben, weshalb sich dieser Eingriff
nicht aufdrängt.
v 17. Frage: C. Bei einem jungen Mann immer an eine Torsion denken! Keine Zeit
verlieren, da eine Revision innerhalb 6 Stunden erfolgen muss! Eine Epididymi-
tis ist auch möglich, aber weniger wahrscheinlich. Ein Tumor ist selten.
F18 Basiswissen Urologie – Fallquiz

v 18. Frage: C. Eine Hydrozele ist nur behandlungsbedürftig, wenn sie sympto-
matisch ist. Ein Hodentumor kann im Ultraschall ausgeschlossen werden. Keine
Punktion der Hydrozele! Eine Epididymitis ist schmerzhaft.
v 19. Frage: B. Ein Hodentumor ist meist sehr hart und indolent. Typisches
Alter. Sich nicht von Erklärungsversuchen der Patienten ablenken lassen. Im
Zweifelsfall rasche operative Freilegung innerhalb 1–2 Tagen. A und C wenig
wahrscheinlich. D ist falsch.
v 20. Frage: C. Ein Priapismus ist ein echter Notfall. Er kann unabhängig von
sexueller Aktivität auftreten. Ein länger Zeit bestehender Priapismus kann zu ir-
reparablen Schädigung der Schwellkörper und damit zur erektilen Dysfunktion
führen. Meist ist eine invasive oder chirurgische Therapie nötig.
v 21. Frage: C. Typische Miktionsbeschwerden bei der Prostatavergrößerung sind
Strahlabschwächung, Pollakisurie, imperativer Harndrang, initiales Warten und
Nykturie. Algurie, Polyurie, Oligurie und Pneumaturie gehören nicht dazu.
v 22. Frage: A. α-Rezeptorenblocker haben meist eine günstige Wirkung auf die
Miktionsymptome. 5-α-Reduktasemmer vorwiegend bei großer Prostata. β-Blo-
cker haben keinen Stellenwert. PDE-5-Hemmer werden bei Erektionsstörungen
eingesetzt.
v 23. Frage: A, C, D. Durch die Behebung der Obstruktion verbessern sich der
Harnstrahl und die Miktionssymptome. Die Medikamente muss der Patient
nicht mehr einnehmen. Die Entstehung eines Prostatakrebses wird nicht ver-
hindert.
v 24. Frage: C. Eine sofortige Entlastung der Blase ist einfach und befreit den
Patienten von seinem Problem. Er soll am Zielort gelegentlich einen Urologen
aufsuchen. Medikamente nützen nichts, Diuretika sind kontraindiziert.
v 25. Frage: A, C, D. Neurogene Blasenentleerungsstörungen können bei ver-
schiedenen neurologischen Erkrankungen auftreten. Das Miktionszentrum
liegt bei S2–S4. Eine sog. autonome Blase kann bei einer Läsion des sakralen
Miktionszentrums entstehen.
v 26. Frage: B, C. Es wird unterschieden zwischen Belastungs- und Dranginkon-
tinenz. Bei der Belastungsinkontinenz ist der Schließmechanismus gestört, die
Dranginkontinenz ist Folge ungehemmter Detrusorkontraktionen. Überlauf-
inkontinenz entsteht, wenn durch ein infravesikales Hindernis die Entleerung
nicht mehr möglich ist.
v 27. Frage: B, D. Anticholinergika »beruhigen« den Detrusor oft. Bei Versagen
neuerdings auch gute Wirkung durch Botulinumtoxin-Injektionen direkt in den
Detrusor. α-Blocker haben keine Wirkung auf den Detrusor. Die Blase kann man
nicht trainieren wie einen Muskel.
F19
Basiswissen Urologie – Fallquiz

v 28. Frage: B, D. Es liegt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Belastungsinkonti-


nenz vor. Mit Beckenbodentraining können milde Formen behandelt werden.
Chirurgische Therapie der Wahl ist heute das minimal-invasive TVT. Ein künst-
licher Sphinkter ist eine (seltene) Option bei insuffizientem Schließmuskel, z. B.
nach radikaler Prostatektomie.
v 29. Frage: B, C, D. Kardiovaskuläre Erkrankungen gehen oft mit eine erektilen
Dysfunktion einher. Nikotin- und Alkoholabusus sind Risikofaktoren für die
Entstehung einer erektilen Dysfunktion. Psychische Faktoren sind meist nicht
ursächlich, aber mit beeinflussend. Mit der Intervention selbst hat das nicht zu
tun (Kausalitätsbedürfnis).
v 30. Frage: B, D. Heute sind PDE-5-Hemmer Mittel der ersten Wahl; bei Versagen
SKAT. Stress und Rauchen sind ungünstig für die Erektion. Testosteron- oder
sonstiger Hormonmangel sind sehr seltene Ursachen der erektilen Dysfunktion.
v 31. Frage: A. Nach einer transurethralen Prostataresektion kommt es häufig zu
einer retrograden Ejakulation, da der innere Schließmuskel entfernt wird.
v 32. Frage: C. Es kann zu einem erheblichen retroperitonealen Blutverlust kom-
men. Dokumentation des Ausmaßes der Verletzung. Eine offene Revision ist nur
in 1–2% der Fälle nötig.
v 33. Frage: B. Es liegt wahrscheinlich ein Urethraabriss vor. Transurethraler
Katheterismus ist kontraindiziert. Bei geringer Verletzung evtl. vorsichtiges
Urethrogramm. Eine rektale Palpation ist schmerzhaft und bringt keine zusätz-
lichen Informationen.
v 34. Frage: B. Die Pneumaturie ist praktisch für das Vorliegen einer intestino-
vesikale Fistel beweisend. Durch eine intestinovesikale Fistel können auch
Stuhlpartikeln in die Harnblase eindringen, was die Infekte erklärt. Chirurgische
Sanierung.
v 35. Frage: A, B, C, D. Die sofortige Reposition der Vorhaut nach Manipulation
ist die wichtigste Handlung zur Prävention von Paraphimosen. Ein manueller
Repositionsversuch ist oft erfolgreich. Spaltung des Schnürringes in Lokalanäs-
thesie nur, wenn Reposition nicht möglich.
F20 Basiswissen Urologie – Fallquiz

Fälle
1 Gerötetes, schmerzhaftes Skrotum Schritt I

ä Ein 63-jähriger, etwas verwahrloster ehemaliger Knecht sucht Sie im Notfall-


dienst am Samstagabend auf und berichtet über eine Rötung am Skrotum und
Schmerzen. Sie stellen den folgenden Befund fest (. Abb. F.1). Die Leukozyten
im Blut betragen 22.000/ml, das C-reaktive Protein 261 mg/dl. Die Gerinnung
ist noch normal.

. Abb. F.1. Klinisches Bild

? Frage 1: Was fällt Ihnen auf?


? Frage 2: Welche weiteren diagnostischen Schritte leiten Sie ein und welche
Diagnose stellen Sie?
F21
Basiswissen Urologie – Fallquiz

1 Gerötetes, schmerzhaftes Skrotum Schritt II

v Antwort 1: Es findet sich eine Schwellung und Rötung des Skrotums. Bei
genauer Betrachtung sieht man eine kleine Nekrose rechts unterhalb der
Peniswurzel. Auch die suprapubische Gegend ist gerötet. Die Befunde lassen
an einen Infekt oder Abszess denken.

v Antwort 2: Die Anamnese und die kleine Nekrose sind praktisch pathog-
nomonisch für die Diagnose einer Fournier-Gangrän, einer hoch-aggres-
siven, nekrotisierenden Gangrän des männlichen Genitales. Eine weitere
Diagnostik ist nicht nötig.

? Frage 3: Wie beurteilen Sie Dringlichkeit und Prognose?

? Frage 4: Welche therapeutischen Maßnahmen sind indiziert?


F22 Basiswissen Urologie – Fallquiz

1 Gerötetes, schmerzhaftes Skrotum Schritt III

v Antwort 3: Es handelt sich um einen echten Notfall. Eine Behandlung hat


noch am Samstagabend zu erfolgen. Ein Wiedereinbestellen des Patienten
für den kommenden Montag wäre ein grober Fehler.

v Antwort 4: Der Patient wird notfallmäßig zur Operation angemeldet.


Gleichzeitig wird eine intravenöse Antibiose mit einem Breitspektrumanti-
biotikum begonnen.

> Der weitere Verlauf: Intraoperativ entleert sich massiv Eiter. Die Nekrose
hatte sich bereits bis zur rechten Axilla (!) ausgebreitet. Der Mann wurde 3
Tage auf der Intensivstation behandelt. Der weitere Verlauf war verzögert,
aber im Wesentlichen ohne Probleme. Die Wunde heilte zunächst sekundär
und wurde nach rund 4 Wochen chirurgisch verschlossen. Der Patient er-
holte sich vollständig.
F23
Basiswissen Urologie – Fallquiz

2 Warzenförmige Veränderungen am Penis Schritt I

ä Ein junger Soldat meldet sich nach seiner Rückkehr von einem Auslandeinsatz
in Ihrer Praxis. Er hat diese schmerzlose Veränderung am Penis festgestellt
(. Abb. F.2). Die Manifestation ist zum ersten Mal aufgetreten. Er ist beunruhigt
und befürchtet einen Krebs.

. Abb. F.2. Warzenförmige Veränderungen


an der Glans

? Frage 1: Welche anamnestischen Fragen stellen Sie?


? Frage 2: Welche Diagnose stellen Sie und welche weiteren Untersuchungen
führen Sie durch?
F24 Basiswissen Urologie – Fallquiz

2 Warzenförmige Veränderungen am Penis Schritt II

v Antwort 1: Sie denken an eine sexuell übertragbare Krankheit und fragen


ihn, ob er ungeschützten Geschlechtsverkehr (GV) hatte, was er bejaht.

v Antwort 2: Die warzenförmigen Veränderungen an der Glans sind typisch


und für die Diagnose Condylomata accuminata (»spitze Kondylome«) aus-
reichend. Es handelt sich um eine sexuell übertragbare virale Erkrankung.
Die Inspektion der Analgegend ist obligatorisch, da dort ebenfalls Kondy-
lome auftreten können.

? Frage 3: Was raten Sie dem Patienten?

? Frage 4: Welche therapeutischen Maßnahmen ergreifen Sie?


F25
Basiswissen Urologie – Fallquiz

2 Warzenförmige Veränderungen am Penis Schritt III

v Antwort 3: Der Patient sollte seine Partnerin informieren und bis zum Ende
der Behandlung nur geschützten Geschlechtsverkehr haben. Sie klären ihn
über die hohe Rezidivrate der Kondylome und die Übertragungsart der
Erkrankung auf. Außerdem empfehlen Sie ihm einen HIV-Test, da er unge-
schützten Geschlechtsverkehr hatte.

v Antwort 4: Die Behandlung besteht in der chirurgischen Abtragung der


Kondylome, meist mit Laser. Der Patient wird instruiert, sich bei Wieder-
auftreten zu melden. Der Partnerin wird eine gynäkologische Kontrolle
empfohlen.
F26 Basiswissen Urologie – Fallquiz

3 Starke Koliken Schritt I

ä Der Hausarzt schickt einen 43-jährigen Flugkapitän, der starke Schmerzen


auf der linken Seite hat, in die Notfallambulanz. Der Patient ist mittlerweile
praktisch beschwerdefrei. Er verspürt nur noch ein Ziehen in der linken Flanke.
Doch noch während der Untersuchung berichtet er über erneut auftretende,
heftigste Schmerzen. Der Patient windet sich, wird unruhig und erbricht.

? Frage 1: Welche Sofortmaßnahmen leiten Sie ein?

? Frage 2: Welche Maßnahmen führen Sie anschließend durch?


F27
Basiswissen Urologie – Fallquiz

3 Starke Koliken Schritt II

v Antwort 1: Sie vermuten eine Ureterkolik und spritzen ihm sofort Nova-
minsulfat langsam intravenös, worauf der Patient rasch schmerzfrei wird.

v Antwort 2: Er berichtet Ihnen, dass er vor über 10 Jahren einmal einen


kleinen Nierenstein spontan »geboren« habe. Sobald der Patient ohne
Schmerzen ist, führen Sie eine Urinuntersuchung durch, die eine Mikrohä-
maturie zeigt. Im Ultraschall ist die linke Niere dilatiert. Sie veranlassen ein
Computertomogramm (CT), das den folgenden Befund zeigt (. Abb. F.3):

. Abb. F.3. Computertomogramm der linken Niere

? Frage 3: Welche Diagnose teilen Sie dem Patienten mit?

? Frage 4: Welche Therapieoptionen haben Sie?


F28 Basiswissen Urologie – Fallquiz

3 Starke Koliken Schritt III

v Antwort 3: Es liegt ein Ureterstein auf der linken Seite vor (kleiner weißer
Fleck vor dem M. Psoas).

v Antwort 4: Der Stein ist an sich spontan abgangsfähig (Wahrscheinlichkeit


80% bei Steinen <4 mm). Da ein Pilot aber mit Harnsteinen nicht fliegen
darf, wird dem Patienten am Folgetag der Stein mittels einer Ureterskopie
entfernt. Außer einer Anleitung zu guter Diurese sind keine weiteren Maß-
nahmen nötig.
F29
Basiswissen Urologie – Fallquiz

4 Flankenschmerzen mit hohem Fieber Schritt I

ä Die 19-jährige Studentin der Slawistik hat immer wieder dumpfe Schmerzen
in der linken Flanke und im linken Unterbauch. Wegen Fieber bis 39°C weist
sie der Hausarzt ein. Im Urin findet sich eine massive Leukozyturie und im Blut
eine Leukozytose von 21.000. Eine Urinbakteriologie wird abgenommen, um
später u. U. auf ein resistenzgerechtes Antibiotikum wechseln zu können. Die
linke Flanke ist klopfdolent. Im Ultraschall ist die linke Niere dilatiert.

? Frage 1: Welche Differenzialdiagnosen kommen in Frage?

? Frage 2: Welche Untersuchung(en) veranlassen Sie und mit welcher Priori-


tät?
F30 Basiswissen Urologie – Fallquiz

4 Flankenschmerzen mit hohem Fieber Schritt II

v Antwort 1: Sie denken an eine Adnexitis oder einen Harnwegsinfekt.

v Antwort 2: Sie veranlassen notfallmäßig ein Computertomogramm des


Abdomens. Es findet sich folgendes Bild (. Abb. F.4):

. Abb. F.4. Computertomogramm des Abdomens

? Frage 3: Welche Diagnose stellen Sie?

? Frage 4: Welche besonders gefährliche Situation könnte sich entwickeln?

? Frage 5: Welche Therapiemaßnahmen leiten Sie notfallmäßig ein? Auf wel-


che weitere Therapie nach Abklingen der akuten Situation muss sich die
Patientin einstellen?
F31
Basiswissen Urologie – Fallquiz

4 Flankenschmerzen mit hohem Fieber Schritt III

v Antwort 3: Die klinischen Befunde und das CT legen eine Ureterabgangs-


stenose nahe.

v Antwort 4: Die Kombination aus Obstruktion und Infekt (obstruktive


Pyelonephritis) kann rasch in eine lebensgefährliche Urosepsis übergehen.

v Antwort 5: Es ist eine notfallmäßige Therapie einzuleiten. Die Patientin


wird sofort zur Einlage eines Doppel-J-Katheters (Ureterkatheter zur Ent-
lastung der Niere) angemeldet. Gleichzeitig wird eine intravenöse Antibio-
tikatherapie mit einem Penicillin begonnen.

> Der weitere Verlauf: Bei der Doppel-J-Einlage entleert sich eitriger Urin
unter Druck aus der linken Niere. 3 Stunden nach der Einlage entwickelt die
Patientin nochmals eine Fieberzacke bis 39°C. In den folgenden Tagen wer-
den die Fieber am Abend immer geringer und nach 3 Tagen ist sie afebril.
Sie wird nach 4 Tagen entlassen, fühlt sich aber noch müde. Der Doppel-J-
Katheter blieb 6 Wochen in situ. Ein Nierenszintigramm nach Entfernung
des Doppel-J-Katheters bestätigt eine Ureterabgangsstenose links.
Eine Ureterabgangstenose ist eine angeborene Fehlbildung, die sich
auch erst im Erwachsenenalter manifestieren kann. Unbehandelt führt sich
meist zu Funktionsverlust der Niere. Die operative Therapie mit Resektion
des pyeloureteralen Übergangs ist am erfolgversprechendsten. Die Resultate
der endoskopischen (laparoskopischen) Therapie sind gleich gut wie offen-
chirurgisch, aber weniger invasiv und kosmetisch besser. Die Endopyeloto-
mie wurde weitgehend verlassen, da die Langzeitresultate weniger gut
sind.
Die Patientin wurde laparoskopisch operiert. Ein Nierenszintigramm
nach 3 Monaten zeigt unbehinderte Abflussverhältnisse. Eine gewisse Rest-
dilatation der Niere wird bestehen bleiben.
F32 Basiswissen Urologie – Fallquiz

5 Verdacht auf Nierentumor bei Beschwerde-


freiheit Schritt I

ä Der 68-jährige Dachdeckermeister sucht wegen Müdigkeit im Anschluss an


eine Grippe den Hausarzt auf. Als Zufallsbefund zeigt sich im Ultraschall der
Verdacht auf einen Nierentumor, weshalb der Patient zur weiteren Abklä-
rung und Behandlung zu Ihnen überwiesen wird. Er ist beschwerdefrei. Auch
auf genaues Befragen gibt er keine Schmerzen an. Blut im Urin hat er nie
bemerkt.

? Frage 1: Welche Untersuchung(en) veranlassen Sie und mit welcher Priori-


tät?
F33
Basiswissen Urologie – Fallquiz

5 Verdacht auf Nierentumor bei Beschwerde-


freiheit Schritt II

v Antwort 1: Sie veranlassen bald, aber nicht notfallmäßig, ein Computerto-


mogramm, das folgendes Bild zeigt (. Abb. F.5):

. Abb. F.5. Computertomogramm des Abdomens

? Frage 2: Welche Diagnose stellen Sie?

? Frage 3: Welche weiteren Untersuchungen veranlassen Sie?

? Frage 4: Welche Therapie ist indiziert?


F34 Basiswissen Urologie – Fallquiz

5 Verdacht auf Nierentumor bei Beschwerde-


freiheit Schritt III

v Antwort 2: Aufgrund des Computertomogramms gibt es wenig Zweifel an


der Diagnose Nierenzellkarzinom.

v Antwort 3: Weitere bildgebende Verfahren wie PET oder MRT liefern keine
zusätzlichen Informationen. Eine Biopsie ist nicht nötig, da diese nur bei
bekanntem Zweittumor manchmal hilfreich ist (z. B. wenn bei dem Mann
ein Bronchuskarzinom bekannt gewesen wäre). Die Müdigkeit dürfte von
der durchgemachten Grippe stammen und hat nichts mit dem Nierentumor
zu tun.

v Antwort 4: Die Indikation zur chirurgischen Therapie ist klar gegeben.


Es wird eine Tumornephrektomie rechts durchgeführt. Die Histologie be-
stätigte ein Nierenzellkarzinom (pT2) und eine Entfernung im Gesunden.
Weitere Maßnahmen (Chemotherapie, Bestrahlung) sind nicht notwendig.

> Der weitere Verlauf: Der Patient wird zunächst 6-monatlich, dann jährlich
mit Röntgenaufnahmen des Thorax sowie Ultraschalluntersuchung der lin-
ken Niere nachkontrolliert, um einen eventuellen erneuten Tumor so früh
zu erkennen, dass eine organerhaltende Therapie möglich wäre.
F35
Basiswissen Urologie – Fallquiz

6 Unklarer Nierenbefund Schritt I

ä Bei diesem erst 52-jährigen Unternehmensberater wird im Rahmen einer


Hypertonieabklärung ein unklarer Befund der rechten Niere festgestellt. Der
Hausarzt hat ein Computertomogramm veranlasst, das der Patient mitbringt
(. Abb. F.6). Der Mann ist sehr beunruhigt und will möglichst rasch Klarheit
über das weitere Vorgehen.

. Abb. F.6. Computertomogramm der Nieren

? Frage 1: Welche Diagnose teilen Sie dem Mann mit?

? Frage 2: Welche weiteren diagnostischen Schritte leiten Sie ein?


F36 Basiswissen Urologie – Fallquiz

6 Unklarer Nierenbefund Schritt II

v Antwort 1: Es liegt ein Nierentumor rechts vor. Er ist peripher gelegen. Das
Computertomogramm ergibt keine Hinweise auf Metastasen. Nierentumo-
ren sind in über 90% der Fälle maligne.

v Antwort 2: Es sind keine weiteren diagnostischen Schritte sinnvoll. Eine


Biopsie ist nicht hilfreich, da die Tumoren oft heterogen aufgebaut sind: Bei
Vorliegen von Tumor muss operiert werden, bei negativem Befund besteht
erheblicher Zweifel, ob repräsentatives Material gewonnen wurde

? Frage 3: Welche Therapie empfehlen Sie dem Patienten?

? Frage 4: Wie beurteilen Sie die Lage und die Größe des Tumors?
F37
Basiswissen Urologie – Fallquiz

6 Unklarer Nierenbefund Schritt III

v Antwort 3: Der Befund ist resektionsbedürftig, da er mit größter Wahr-


scheinlichkeit maligne ist.

v Antwort 4: Der Befund ist von Lage und Größe her im Moment noch mit
Erhalt der Niere entfernbar.

> Der weitere Verlauf: Obwohl der Patient beruflich stark engagiert ist, ent-
schließt er sich zur Operation. Im Rahmen der Nierenteilresektion wird der
tumortragende Teil der Niere abgetragen. Die Schnellschnittuntersuchung
des Tumorgrundes ergibt eine Resektion im Gesunden. Die definitive His-
tologie ergibt ein Nierenzellkarzinom von 3 cm (pT1), Resektion im Gesun-
den. Der weitere Verlauf ist unauffällig. Die regelmäßigen, zunächst halb-
jährlichen, dann jährlichen Kontrollen mit Ultraschall beider Nieren nimmt
der Patient zuverlässig wahr. In den folgenden 5 Jahren tritt kein Rezidiv auf
und der Patient ist als geheilt zu betrachten.
F38 Basiswissen Urologie – Fallquiz

7 Ständiger Harndrang Schritt I

ä Die 69-jährige, äußerst fitte, gepflegte Unternehmersgattin leidet unter stän-


digem Harndrang und Pollakisurie. Sämtliche Behandlungsversuche mit Anti-
biotika durch den Hausarzt schlugen fehl. Die Anamnese ist sehr suggestiv für
rezidivierende Harnwegsinfekte. Der ständige Harndrang und das fehlende
Ansprechen auf Antibiotika machen Sie aber stutzig.

? Frage 1: Welche diagnostischen Maßnahmen empfehlen Sie der Dame?


F39
Basiswissen Urologie – Fallquiz

7 Ständiger Harndrang Schritt II

v Antwort 1: Sie führen eine Zystoskopie sowie eine Urinspülzytologie durch.


Zystoskopisch ist eine leichte Rötungen der Schleimhaut zu erkennen, die
Urinspülzytologie ergibt den Verdacht auf maligne Zellen. Die Zystoskopie
in Spinalanästhesie mit photodynamischer Diagnostik zeigte das folgende
Bild (. Abb. F.7):

. Abb. F.7. Photodynamische Diagnostik

? Frage 2: Welche Verdachtsdiagnose stellen Sie?

? Frage 3: Welche weiteren diagnostischen Untersuchungen leiten Sie ein?

? Frage 4: Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es?


F40 Basiswissen Urologie – Fallquiz

7 Ständiger Harndrang Schritt III

v Antwort 2: Sie denken an ein Carcinoma in situ der Harnblase. Die geröte-
ten Areale sind tumorverdächtig.

v Antwort 3: Sie führen kalte Biopsien der geröteten Stellen durch. Sie bestä-
tigen das Carcinoma in situ der Harnblase.

v Antwort 4: Das Carcinoma in situ ist ein maligner Tumor, der unbehandelt
invasiv werden und metastasieren kann. Wegen des diffusen Erscheinungs-
bildes kann mit einer Operation allein nicht der gesamte Tumor entfernt
werden. Das Carcinoma in situ spricht sehr gut auf eine Instillation mit BCG
(Bacille Calmette Guérin) an. Die in die Blase instillierten abgeschwächten
Tuberkulosebakterien führen zu einer Immunreaktion, die die Rezidiv- und
Progressionsrate des Carcinoma in situ signifikant senkt.

> Der weitere Verlauf: Nach 6 Behandlungen im Abstand von einer Woche
wird die Patientin nach 3, 6, 9 und 12 Monaten zystoskopiert. Sie bleibt
tumorfrei, insbesondere sind auch die irritativen Miktionsbeschwerden
verschwunden.
F41
Basiswissen Urologie – Fallquiz

8 Schmerzlose Makrohämaturie Schritt I

ä Der 66-jährige Wirt, ein starker Raucher, berichtet über stark rot gefärbten Urin.
Da er aber keine Schmerzen hatte und das Blut wieder verschwunden sei, habe
ihn das nicht weiter beunruhigt. Er meldet sich nun aber doch auf Drängen
seiner Frau.

? Frage 1: Welche Differenzialdiagnosen stellen Sie?

? Frage 2: Welche diagnostischen Schritte leiten Sie ein?


F42 Basiswissen Urologie – Fallquiz

8 Schmerzlose Makrohämaturie Schritt II

v Antwort 1: Die schmerzlose Makrohämaturie ist verdächtig auf ein Blasen-


karzinom, v. a. bei einem Raucher. Infekte, Fremdkörper oder Steine sind
meist mit Miktionsbeschwerden oder Schmerzen verbunden, können aber
auch einmal symptomarm verlaufen.

v Antwort 2: Zunächst wird die Hämaturie bestätigt und dem Patienten eine
Zystoskopie vorgeschlagen. Dabei zeigt sich folgendes Bild (. Abb. F.8):

. Abb. F.8. Zystoskopisches Bild

? Frage 3: Welche Diagnose stellen Sie?

? Frage 4: Welche weiteren diagnostischen Untersuchungen führen Sie durch?


Benötigen Sie bildgebende Verfahren?
F43
Basiswissen Urologie – Fallquiz

8 Schmerzlose Makrohämaturie Schritt III

v Antwort 3: Es besteht der hochgradige Verdacht auf einen soliden Blasen-


tumor.

v Antwort 4: Dem Patienten wird die transurethrale Resektion des Blasen-


tumors (TUR-B oder TUR-BT) zur Diagnosesicherung empfohlen. Wegen
der beruflichen Belastung lässt er den Eingriff erst 3 Monate später vorneh-
men. Vor der Operation wird noch ein CT durchgeführt (. Abb. F.9).

. Abb. F.9. Computertomogramm der Harnblase

? Frage 5: Welches therapeutische Vorgehen ist indiziert?

? Frage 6: Welche Urinableitung empfehlen Sie dem Patienten?


F44 Basiswissen Urologie – Fallquiz

8 Schmerzlose Makrohämaturie Schritt IV

v Antwort 5: Der Blasentumor macht im Computertomogramm einen soli-


den Eindruck, ist aber wahrscheinlich noch auf die Blase beschränkt. Die
Histologie ergibt ein wenig differenziertes Urothelkarzinom mit Muskelin-
vasion (mindestens pT2) der Harnblase. Dies bedeutet, dass der Tumor auf
transurethralem Wege nicht geheilt werden kann. Dem Patienten wird da-
her die radikale Zystektomie inklusive iliakaler Lymphadenektomie nahe
gelegt, da damit die besten Heilungschancen bestehen.

v Antwort 6: Als Urinableitung wird ein kontinentes Niederdruckreservoir


(»Ersatzblase«, »Pouch«) empfohlen. Damit sind – nach einer Anlernphase
– eine gute Kontinenz und ein weitgehend normales Leben möglich. Auch
wenn heutzutage die Ersatzblase meist erste Wahl ist, bleibt das Ileumcon-
duit eine bewährte und sichere Option.

> Der weitere Verlauf: Bei dem Patienten ergab die definitive Histologie ein
Urothelkarzinom der Harnblase pT2 pN0 M0 G2 R0 (das bedeutet: pT2 =
der Tumor war muskelinvasiv, pN0 = die Lymphknoten waren tumorfrei,
M0 = es gab keine Hinweise auf Fernmetatasen, G2 = histologisch mäßig
differenziertes Karzinom, R0 = Resektion im Gesunden). Der weitere Ver-
lauf war ohne Hinweis auf eine Tumorprogression. Das 5-Jahres-Überleben
beträgt bei muskelinvasiven Tumoren allerdings nur rund 50%.
F45
Basiswissen Urologie – Fallquiz

9 Juckender Penis mit Miktionsbeschwerden Schritt I

ä Ein 72-jähriger ehemaliger Automechaniker berichtet über leichtes Jucken am


Penis seit ein paar Monaten. Das Wasserlösen sei »auch nicht mehr wie früher«.
Sie vertiefen die Anamnese in Richtung Miktionsbeschwerden, da Sie an eine
Prostatahyperplasie denken.

? Frage 1: Welche einfache Untersuchungsmethode empfehlen Sie?


F46 Basiswissen Urologie – Fallquiz

9 Juckender Penis mit Miktionsbeschwerden Schritt II

v Antwort 1: Zwingend (aber leider oft vernachlässigt) ist eine Untersuchung


des äußeren Genitale. Sie finden den folgenden Befund (. Abb. F.10):

. Abb. F.10. Klinisches Bild des Genitales

? Frage 3: Welche Diagnose stellen Sie?

? Frage 4: Sind weitere Untersuchungen notwendig? Wenn ja, welche?

? Frage 5: Welche Therapie empfehlen Sie?


F47
Basiswissen Urologie – Fallquiz

9 Juckender Penis mit Miktionsbeschwerden Schritt III

v Antwort 3: Es liegt eine hochgradige, sog. absolute Phimose vor (d. h. die
Vorhaut kann auch bei schlaffem Glied nicht zurückgestreift werden).

v Antwort 4: Weitere Abklärungen sind unnötig. Die narbige Präputialhaut-


veränderung kann durch konservative Maßnahmen nicht entscheidend
beeinflusst werden. Es ist verständlich, dass der Patient auch Beschwerden
beim Wasserlösen hat.

v Antwort 5: Sie denken daran, dass ein Peniskarzinom praktisch nur bei
nicht-zirkumzidierten Männern vorkommt. Sie schlagen dem Patienten
eine Beschneidung in Lokal- oder Spinalanästhesie vor.

> Der weitere Verlauf: Die Zirkumzision verläuft ohne Probleme. Die darun-
ter liegende Glans ist gerötet; es findet sich viel Smegma. Hinweise auf ein
Peniskarzinom liegen nicht vor. Die erste Zeit ist die entzündete Glans noch
empfindlich. Bei der Abschlusskontrolle nach 6 Wochen ist der Patient mit
dem Resultat sehr zufrieden. Auch die Miktionsbeschwerden sind besser
geworden, wenn auch nicht ganz verschwunden.
8

Sexualpathologie
des Mannes
8.1 Erektile Dysfunktion – 146

8.2 Infertilität – 149

8.3 Varikozele – 151

8.4 Vasektomie und Familienplanung – 151

8.5 Klimakterium virile – 152

8.6 Orgasmusstörungen – 153


146 Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes

Erektile Dysfunktion (früher Impotentia coeundi) ist die andauernde Unfähig-


keit, eine für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion
zu bekommen und aufrecht zu erhalten. Infertilität (früher Impotentia gene-
randi) bedeutet Zeugungsunfähigkeit. Die Vasektomie ist ein sicherer, einfacher
männlicher Beitrag zur Verhütung. Mit Klimakterium virile wird die nicht
genau definierte Veränderung des Hormonhaushaltes des älter werdenden
Mannes bezeichnet. Orgasmusstörungen sind häufig, aber bis heute schlecht
verstanden.

8.1 Erektile Dysfunktion

Als Erektionsstörung wird die andauernde Unfähigkeit bezeichnet, eine


für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr nötige Erektion zu bekommen
8 und zu erhalten. Ein einmaliges oder gelegentliches Versagen – wie es bei
jedem Mann vorkommt – genügt nicht für die Diagnose einer erektilen Dys-
funktion.
Potenzstörungen sind häufig und finden sich in unterschiedlichem Ausmaß
bei rund der Hälfte der Männer in der Altersgruppe zwischen 40 und 70 Jahren.
Dabei ist der Urologe zu Recht der zuerst konsultierte Spezialist. Er hat zu be-
urteilen, ob eine organische Ursache vorliegt (70–80%) oder ob sich eine psy-
chische Konfliktsituation in der Sexualsphäre auswirkt und eine entsprechende
Behandlung notwendig wird (häufige Impotenzursache beim jüngeren, sonst
gesunden Mann).
Bei der erektilen Dysfunktion ist die Libido in der Regel erhalten. Die Hor-
monwerte im Serum sind in den meisten Fällen normal. Nur 1,5–3% der Fälle
von erektiler Impotenz haben eine endokrine Ursache (z. B. ein Prolaktinom der
Hypophyse).
! Rauchen verursacht Erektionsstörungen.

Diagnose. Wichtig ist der Ausschluss organischer Ursachen wie z. B.:


4 Diabetes mellitus (50% der Diabetiker haben eine Erektionsstörung),
4 multiple Sklerose und andere neurologische Erkrankungen,
4 vaskuläre Erkrankungen (Hypertonie, Arteriosklereose und Thrombosen
der Beckengefäße),
4 Peniserkrankungen wie Induratio penis plastica (bindegewebige Plattenbil-
dung und Deformation) oder Verletzungsfolgen,
8.1 · Erektile Dysfunktion
147 8
4 sekundäre Impotenz (nach Zystoprostatektomie, Ablatio testium, Bestrah-
lung im Prostata-Blasen-Bereich),
4 Toxikomanien (Nikotin- und Alkoholabusus),
4 Medikamente, insbesondere Tranquilizer, Antidepressiva und Antihyper-
tensiva.

Solche organischen bzw. »exogenen« Ursachen sind auszuschließen, bevor eine


psychische oder emotionale Ursache der Potenzstörung angenommen wird.
Auf die nichtorganischen Ursachen von Potenzstörungen und ihre
psychiatrisch-sexologische Behandlung kann in diesem Rahmen nicht einge-
gangen werden. Wichtig ist eine verständnisvolle Aufnahme der Anamnese, eine
vollständige Aussprache über mögliche Ursachen, das Ausräumen falscher Vor-
stellungen und der Verzicht auf die unkritische Substitution von Androgenen.
Die Abklärung und Indikationsstellung bei organisch bedingten Potenz-
störungen benötigt spezielles Wissen und technische Hilfsmittel. Sie ist deshalb
Sache einer in diesem Bereich spezialisierten Institution.
Erektionsstörungen stellen nicht nur eine Einschränkung der Lebensquali-
tät dar, sondern gehen oft anderen Gefäßerkrankungen, z. B. der koronaren
Herzkrankheit, um Jahre voraus. Sie sind deshalb immer ernst zu nehmen.
! Erektionsstörungen können Hinweise auf andere Gefäßerkrankungen
sein (sog. Markerkrankheit).

Therapie
Grundlage jeder Therapie ist eine genaue Diagnosestellung. Behandelbare Ur-
sachen sollen angegangen werden (z. B. gute Einstellung eines Diabetes melli-
tus, Behandlung des Prolaktinoms, Nikotinstopp etc.).
Die Therapie der Erektionsstörungen hat in den vergangen 20 Jahren eine
gewaltige Entwicklung erlebt. Der therapeutische Nihilismus hat einer effizi-
enten, nebenwirkungsarmen und individualisierten Behandlung Platz gemacht.
Parallel zur Einführung wirksamer Medikamente hat das Verständnis der nor-
malen Erektion und ihrer Störungen in gleichem Maße zugenommen, wie das
ganze Gebiet der Sexualfunktionsstörungen enttabuisiert wurde.
Je nach Situation stehen heute folgende therapeutische Optionen zur Ver-
fügung:
4 Orale Medikation: Die sog. Phosphodiesterase-5-Hemmer, haben die Be-
handlung revolutioniert und die Abklärung vereinfacht. Sildenafil (Viagra),
148 Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes

Vardenafil (Levitra) und Tadalafil (Cialis) gehören zur selben Substanzklas-


se und erleichtern die Erektion durch Senken der Reizschwelle. Sexuelle
Stimulation nötig. Gewisse Unterschiede bestehen im Wirkungseintritt und
der Wirkdauer. Die Medikamente werden in der Regel gut vertragen. Wich-
tigste Kontraindikation: nitrathaltige (Herz-)Medikamente. Apomorphin
(Uprima) hat sich nicht bewährt.
4 Intrakavernöse Injektion: Vasoaktive Substanzen – meist Prostaglandin E1
(Caverject) – werden mit feinen Nadeln direkt in den Schwellkörper inji-
ziert. Die Erektion entsteht unabhängig von sexueller Stimulation. Nach
Anleitung als Selbstbehandlung (SKAT: Schwellkörper-Autoinjektionsthe-
rapie). Gewisse Gefahr der verlängerten Erektion (→ Priapismus).
4 Prothesen: Schwellkörperimplantate mit kompliziertem Mechanismus.
Auslösen der Erektion durch Druck auf Ventil im Skrotum. In den USA
relativ beliebt, in Europa seltener.
8 4 Gefäßchirurgische Maßnahmen (selten indiziert).
4 Endokrine Therapie (nur bei nachgewiesenem Hypogonadismus).

Bei sorgfältiger Indikationsstellung sowie genauer Instruktion und Überwa-


chung der Patienten, kann der Mehrzahl der Betroffenen eine zweckmäßige und
wirkungsvolle Behandlung angeboten werden.

Fallbeispiel
Anamnese. Ein 71-jähriger nicht insulinpflichtiger Diabetiker, Nichtraucher, seit
fünf Jahren Witwer, mit 55-jähriger Partnerin, konsultiert wegen Potenzschwä-
che, die einen normalen Geschlechtsverkehr verunmöglicht.

Befunde. Erhaltene Libido, keine morgendlichen Spontanerektionen. Bei Stimula-


tion Auftreten einer gewissen Tumeszenz ohne Rigidität. Unauffälliger neurolo-
gischer Reflexstatus im Urogenitalbereich (Bulbokarvernosusreflex und Analre-
flex).

Vermutungsdiagnose. Diabetisch-arteriosklerotische Erektionsstörung.

Therapie. Mehrere Behandlungsversuche mit einem PDE-5-Hemmer (Viagra)


schlugen fehl. Der Patient entscheidet sich für eine intrakavernöse Pharmako-
therapie mit Prostaglandin E1. Nachdem die benötigte Dosis unter ärztlicher
6
8.2 · Infertilität
149 8
Kontrolle eruiert ist (in diesem Fall 15 mg), erlernt der Patient die Selbstinjektion
in die Corpora cavernosa, um eine Erektion, wenn erwünscht, selbst auslösen zu
können (SKAT: Schwellkörperautoinjektionstherapie).

Der Patient bleibt unter regelmäßiger Kontrolle und würde sich bei einer prolon-
gierten Erektion (mehr als 2 Std.) sofort melden.

8.2 Infertilität

Auch bei der Abklärung und Behandlung männlicher Infertilitätsstörungen hat


die Urologie eine wichtige Aufgabe. Mit dem Erfolg der hochtechnisierten (und
entsprechend teuren) Reproduktionsmedizin wird die genaue Abklärung der
männlichen Infertilität oft umgangen. Dabei wird vergessen, dass viele der Stö-
rungen, z. B. Varikozelen oder Infekte, recht einfach zu behandeln sind. Zudem
können ohne genaue Evaluation schwerwiegende Erkrankungen wie Hoden-
tumoren oder Hypophysentumoren übersehen werden. Primäre Infertilität
wird bei rund 15% aller Paare mit Kinderwunsch beobachtet. In 30–40% der
kinderlosen Ehen liegt die Ursache beim Mann, weshalb die Grundzüge der
Abklärung und Behandlung männlicher Fertilitätsstörungen auch dem Allge-
meinarzt geläufig sein sollten.
Eine Fertilitätsstörung liegt vor, wenn bei Kinderwunsch und einer Koitus-
frequenz von 2- bis 4-mal pro Woche innerhalb eines Jahres keine Schwanger-
schaft eintritt. Findet der Gynäkologe dafür bei der Frau keine hinreichende
Erklärung, so muss auch der männliche Partner untersucht werden.

Diagnose. Die Abklärung beinhaltet eine gezielte Anamnese: Familiäre Vorge-


schichte, Kryptorchismus, Torsion, Mumps, genitale Infektionen, Suchtmittel,
Medikamente usw.
Neben einer gezielten körperlichen Untersuchung (Behaarung, Körper-
entwicklung, Hinweise auf genetische Ursachen oder Endokrinopathien, Ope-
rationsnarben, Hodengröße, Nebenhoden und Samenstrang, Prostata, Urinsta-
tus, Urinbakteriologie) sind der Hormonstatus (Testosteron, FSH, LH, SBGH,
Schilddrüsentests, Prolaktin) und das Spermiogramm (nach mehrtägiger
Abstinenz) entscheidend. Das Ejakulat ist weißlich-grau, gelartig und verflüs-
sigt sich in 15–30 min. Es gibt verschiedenen Methoden der Beurteilung des
Spermiogramms, teilweise mit computerassistierter Analyse. Die gebräuch-
lichste Einteilung erfolgt nach den Kriterien der WHO (. Tabelle 8.1).
150 Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes

. Tabelle 8.1. Spermiogramm. Referenzwerte der WHO

Volumen ≥2,0 ml
pH ≥7,2
Spermienkonzentration: ≥20 Mio/ml
Totale Spermienzahl: ≥40 Mio Spermatozoen/Ejakulat
Beweglichkeit ≥50%
Morphologie ≥15% normale Formen (strikte Kriterien)
Lebende Spermien ≥75%
Leukozyten ≤1 Mio/ml

! Oligospermie = verminderte Spermienzahl (≤20 Mio/ml)


Azoospermie = fehlende Spermien
8 Asthenospermie = verminderte Beweglichkeit
Teratospermie = vermehrt abnorme Spermaformen.
Oft kombiniert: Oligoasthenoteratospermie (OAT-Syndrom)

Wichtig ist auch der Fruktosegehalt der Spermaflüssigkeit. Da Fruktose fast


ausschließlich in den Samenblasen gebildet wird, schließt ihr Nachweis einen
Verschluss der Samenwege distal davon praktisch aus.

Therapie. Die Möglichkeiten einer kausalen medikamentösen Therapie beim


Oligoasthenoteratospermie-(OAT)-Syndrom sind sehr begrenzt (allenfalls bei
Infekten als Ursache). Die empirische Behandlung mit Humangonadotropinen
oder Antiöstrogenen ist selten erfolgreich. Chirurgisch kommt bei Verschluss-
azoospermien (Zustand nach Vasektomie), die Vasovasostomie oder Vasoepi-
didymostomie in Frage, oft kombiniert mit der sogenannten TESE (testikuläre
Spermienextraktion).
Mit mikrochirurgischer Technik sind diese Operationen in einem hohen
Prozentsatz erfolgreich (Durchgängigkeit bei Vasovastostomie bis 90%). Leider
liegt die Schwangerschaftsrate wesentlich tiefer, v. a. weil sich im Anschluss
an eine Vasektomie Antikörper gegen die eigenen Spermien bilden können (in
ca. 30%).
In therapieresistenten Fällen wird heute immer häufiger versucht, die Ovo-
zyste extrakorporell durch Injektion eines einzelnen Spermiums zu befruch-
ten → intrazytoplasmatische Injektion von Samenzellen in die Eizelle (ICSI).
8.4 · Vasektomie und Familienplanung
151 8
8.3 Varikozele

Eine Varikozele kann möglicherweise die Spermaqualität beeinträchtigen und


Ursache eines OAT-Syndroms sein. Bei ausgeprägter Varikozele und Kinder-
losigkeit wird die retroperitoneale Durchtrennung der V. spermatica oberhalb
eines inneren Leistenringes empfohlen. Damit lässt sich die Qualität des Sper-
mas in vielen Fällen etwas verbessern. Die Schwangerschaftsrate wird allerdings
nur unwesentlich erhöht (10–40%), weshalb die Therapie kontrovers diskutiert
wird (7 auch Kap. 13.6).

8.4 Vasektomie und Familienplanung

Die Vasektomie als Methode zur definitven Empfängnisverhütung gewinnt


weiterhin an Bedeutung, seit gewisse Probleme der langfristigen hormonalen
Kontrazeption und des Intrauterinpessars bei der Frau offensichtlich gewor-
den sind. Als Eingriff ist sie – im Gegensatz zur Tubensterilisation – risikoarm
und kann ohne weiteres ambulant in Lokalanästhesie durchgeführt werden
(. Abb. 8.1).
Die Vasektomie setzt in der Regel ein Alter um oder über 25 Jahre und volle
Einsicht in die grundsätzliche Endgültigkeit des Eingriffs voraus. Die ausführ-
liche Vorbesprechung hat folgende Punkte zu berücksichtigen:
4 Die Vasektomie bewirkt keine Veränderung des Hormonstoffwechsels und
beeinträchtigt deshalb weder die Attribute der »Männlichkeit« noch die
Erektions- oder Orgasmusfähigkeit. Da Spermien nur etwa 1% des Ejaku-
lates ausmachen, ist diesem der Zustand nach Unterbindung nicht anzu-
sehen.

. Abb. 8.1. Vasektomie.


Entfernung eines Stückes vom
Vas deferens und Verschluss
der Faszie über einem Stumpf
(nach Hautmann u. Huland
2006)
152 Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes

4 Die Aussichten für eine erfolgreiche Reanastomose sind, wenn notwendig,


nicht ungünstig. Die Chancen für eine Konzeption sind allerdings durch eine
im Gefolge der Vasektomie mögliche Spermienresorption mit Antikörper-
entwicklung gegen eigene Spermien beeinträchtigt und liegen bei ca. 50%.
4 Die 20–25 ersten Ejakulate nach dem Eingriff enthalten noch Spermien. Auf
Verhütungsmaßnahmen kann deshalb erst verzichtet werden, wenn bei ei-
ner Kontrolluntersuchung des Ejakulats keine Samenfäden mehr nachweis-
bar sind.

Von den Akutkomplikationen müssen die (manchmal erheblichen) Hämatombil-


dungen (ca. 2%) und lokale Infekte (2–3%) beachtet werden, ebenso die
Entwicklung von (evtl. schmerzhaften) Spermagranulomen (1–2%). Als Spätfolgen
können lokale Druckempfindlichkeit und selten Hodenschmerzen persistieren.
8
8.5 Klimakterium virile

Der Mann hat eine gegenüber der Frau um rund 8 Jahre verkürzte Lebenserwar-
tung. In jüngster Zeit gibt es deshalb vermehrt Diskussionen, ob hormonale Un-
terschiede dafür verantwortlich sind, und in der Folge auch, ob es ein männliches
Pendant zum Klimakterium der Frau gibt. Die große Anzahl synonymer Begriffe
ist Ausdruck der unscharf definierten Veränderungen des älter werdenden Man-
nes: Klimakterium virile, Andropause, late onset hypogonadism (LOH), (par-
tielles) Androgendefizit des alternden Mannes (ADAM oder PADAM). PA-
DAM ist von allen Begriffen der korrekteste, da er rein deskriptiv ist.
Während der Hormonabfall bei der Frau in der Menopause abrupt erfolgt, sind
die Veränderungen beim Mann langsamer und kontinuierlicher. Der Testosteron-
spiegel nimmt ab dem 30. Lebensjahr ca. 2% pro Jahr ab, weist aber große indivi-
duelle Schwankungen auf. Die typischen tageszeitlichen Schwankungen (mit
höchsten Testosteronwerten am frühen Morgen) verlieren sich mit zunehmendem
Alter. Verschiedene altersbedingte Veränderungen lassen sich auch bei Testosteron-
mangel finden: Libidoverlust, Antriebslosigkeit, depressive Verstimmung, Mus-
kelschwund, Osteoprose, Konzentrationsmangel. Der Schluss lag deshalb nahe,
dass Testosteron eine entscheidende Rolle spielen könnte. Bei der Komplexität der
Alterungsvorgänge ist es aber unwahrscheinlich, dass ein einzelner Faktor ursäch-
lich ist. Andere Veränderungen wie Abnahme von Wachstumshormon, Dihydro-
epiandrosteron (DHEA), Melatonin etc. spielen möglicherweise ebenfalls eine Rolle.
8.6 · Orgasmusstörung
153 8
Während beim hypogonaden Mann die Testosterongabe angezeigt ist, bleibt
umstritten, ob die supraphysiologische Androgenverabreichung beim normogo-
naden Mann sinn- und wirkungsvoll ist. Die Androgengabe ist nämlich mit gewis-
sen Risiken verbunden, die bedacht werden müssen: Propagierung eines latenten
oder manifesten Prostatakarzinoms, Exazerbation einer gutartigen Prostata-
vergrößerung, Polyzythämie, Schlafapnoe. Bis jetzt fehlen zuverlässige Studien
über Nutzen, Dosierung, Dauer und Langzeitrisiken der Testosterongabe.
! Keine unkritische Testosterongabe bei älteren Männern.

Während bei einzelnen Patienten mit typischen Zeichen des PADAM und nach-
gewiesenem Hormonmangel (hypophysäre Ursachen ausgeschlossen) die An-
drogengabe sinnvoll ist, muss vor einer unkritischen Verabreichung als «Life-
style-Medikament« bis zum Vorliegen zuverlässiger Daten gewarnt werden. In
jedem Fall ist vor einer Androgengabe ein Prostatakarzinom auszuschließen
(rektale Palpation, PSA, evtl. Biopsie). Während der Behandlungsdauer sind
regelmäßige urologische Kontrollen angezeigt.
Testosteron kann intramuskulär (Testoviron, Nebido) oder als Gel (Andro-
gel, Testogel) verabreicht werden. Orale Formen sind nicht empfohlen (unge-
nügende Resorption, schwer steuerbar).

8.6 Orgasmusstörungen

Über den Orgasmus und seine Störungen ist wenig bekannt. Die WHO erkennt
Orgasmusstörungen aber mittlerweile als Krankheit an.

Vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox)


Eine der häufigsten Sexualfunktionsstörungen des Mannes. Geschätzte Präva-
lenz 25–40% bei Männern jeden Alters, aber große Dunkelziffer.
Keine Einheitliche Definition. Folgende Definitionen sind gebräuchlich:
4 Unfähigkeit, den Samenerguss für einen befriedigenden Geschlechtsver-
kehr hinaus zu zögern.
4 Intravaginale Latenzzeit <2 Minuten.

Die Ursachen sind weitgehend unbekannt. Diskutiert werden organische Faktoren


(penile Hypersensibilität, übererregbarer Reflexbogen, Endokrinopathien, gene-
tische Disposition) und psychogene Faktoren (ängstliche Erwartungshaltung, un-
154 Kapitel 8 · Sexualpathologie des Mannes

regelmäßiger Geschlechtsverkehr). Manchmal in Zusammenhang mit einer Erek-


tionsstörung (Ejakulation bevor eine genügende Erektion erreicht wurde).

Diagnostik. Sie ist aus nahe liegenden Gründen schwierig. Man verlässt sich auf
die Auskunft des Patienten.
Therapie. Die Behandlung beruht auf Verhaltensmaßnahmen, systemischen
und lokalen Medikamenten:
4 Verhaltensmaßnahmen: »Stop-and-Go«-Übungen (Stimulationsstop kurz
vor der Ejakulation) oder »Squeeze«-Methode (Pressen der Glans vor der
Ejakulation). Oft erfolgreich.
4 Systemische Medikamente: Antidepressiva (Serotonin-Wiederaufnahme-
hemmer) verzögern die Ejakulation, z.B. Paroxetin, Fluoexitin oder Clomipra-
mine. Bei Erektionsstörung gute Erfolge mit PDE-5-Hemmern (Sildenafil).
8 4 Lokale Medikamente: Lokalanästhesiehaltiger Gel auf Glans auftragen. Re-
duziert die Empfindlichkeit der Glans.

Verzögerter oder fehlender Samenerguss


Unfähigkeit, einen Samenerguss und/oder einen Orgasmus zu bekommen. Kei-
ne befriedigende Therapie, allenfalls verursachende Medikamente wechseln.
Mögliche Ursachen:
4 Medikamentös: Antidepressiva. Können den Orgasmus erschweren oder
verunmöglichen.
4 Iatrogen: Nach retroperitonealer Lymphadenektomie bei Hodentumoren
oder nach Gefäßeingriffen (Aortenprothese). Retrograde Ejakulation nach
TUR-P (Orgasmus erhalten). Nach radikaler Prostatektomie fehlt das Eja-
kulat (da Prostata, Samenblasen, Ampullen der Ductus deferentes entfernt
werden); Orgasmusgefühl aber oft erhalten.
? Übungsfragen
1. Nennen Sie drei organische Ursachen für erektile Dysfunktion!
2. Nennen Sie drei wichtige Methoden zur Behandlung der erektilen Dysfunktion!
3. Wie beurteilen Sie die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten beim
Oligoasthenoteratospermiesyndrom (OAT)?
4. Was wissen Sie über Ursache und mögliche Folgen der Varikozele?
5. Wann und wie kontrollieren Sie, ob eine zur Familienplanung erfolgte Vasektomie
erfolgreich war?

Lösungen → S. 218
9

Urologie und
Sexualpathologie
der Frau
9.1 Infektionen und Reizsyndrome – 156

9.2 Interstitielle Zystitis – 157

9.3 Harnröhrenerkrankungen – 157

9.4 Inkontinenz – 158

9.5 Fistelbildungen – 158

9.6 Sexualpathologie mit urologischen


Bezügen – 159
156 Kapitel 9 · Urologie und Sexualpathologie der Frau

Die besonderen anatomischen und physiologischen Beziehungen zwischen


dem unteren Harntrakt und dem Genitale der Frau machen verständlich, dass
sich gynäkologische Probleme häufig auch im urologischen Bereich manifes-
tieren.

9.1 Infektionen und Reizsyndrome

Das häufigere Auftreten von Harnwegsinfekten ist Folge der kurzen weiblichen
Harnröhre und des sie umgebenden weiblichen Perineums mit seiner Keimbe-
siedlung. Zusätzliche infektfördernde Faktoren sind:
4 Besondere Miktionsgewohnheiten (Zurückhalten der Miktion),
4 mechanische Irritation beim Geschlechtsverkehr,
4 hormonale Umstellung in der Schwangerschaft und
4 Östrogenmangelatrophie in der Menopause.
9
Für Diagnostik und Behandlung von Infekten gelten die allgemeinen Richt-
linien (7 Kap. 4).
In der Schwangerschaft ist die physiologische Dilatation der oberen Harn-
wege (vor allem rechts) mit verlangsamten Urintransport und zusätzlicher Stau-
ung durch den vergrößerten Uterus gelegentlich Ursache für eine Schwanger-
schaftpyelonephritis (1–2%), zu deren Therapie sich besonders Breitspektrum-
penizilline und Cephalosporine eignen. Bei septischen Zeichen sollte mit der
Einlage einer Doppel-J-Schiene nicht gezögert werden. Doppel-J-Schienen sind
beidseitig J-förmig gebogene Ureterenkatheter die (mit Hilfe eines Führungs-
drahtes) in gestrecktem Zustand eingelegt werden und sich durch ihre beidsei-
tige Krümmung in Nierenbecken und Blase selbst fixieren (. Abb. 5.7). Häufi-
ger als akute Schwangerschaftspyelonephritiden sind asymptomatische Bakte-
riurien (ca. 10%), die keine Antibiotika benötigen.
Auch nach mikrobiologischer Abheilung eines Blaseninfektes kann bei der
Frau eine Reizsymptomatologie persistieren, für die sich oft keine leicht fass-
bare Ursache finden lässt.
Man konstatiert die typischen Erscheinungen einer Zystitis, aber ohne
Leukozyten und Bakterien (im Katheterurin).
Gelegentlich persistiert das klinische Bild der »Reizblase«. Für die Beur-
teilung ist es dabei wesentlich, ob die Pollakisurie auch nachts weiterbesteht
(→ organische Ursache). Neben organischen Auslösern – wie z.B. durch Östro-
9.3 · Harnröhrenerkrankungen
157 9
genmangel bedingte Schleimhautatrophie nach der Menopause – dürfen aber
bei der »Reizblase« psychosomatische Ursachen nicht außer acht gelassen wer-
den: »Die Blase ist der Spiegel der Seele«, wie die Chinesen richtig sagen. Keine
Antibiotika! Dafür sich Zeit nehmen für die Aufnahme einer vertieften persön-
lichen Anmnese (mit Sexualanamnese).

9.2 Interstitielle Zystitis

Das klinische Erscheinungsbild dieser pathophysiologisch völlig ungeklärten


Erkrankung entspricht zumindest in der Anfangsphase demjenigen der »Reiz-
blase«. Im Vordergrund steht eine oft quälende Pollakisurie (bei Tag und Nacht!)
ohne relevanten (bakteriologischen) Urinbefund. Bei der Endoskopie ist die
Schleimhaut häufig blass und bei Dehnung sehr leicht blutend. Gelegentlich
sieht man ein Ulkus (so genanntes Hunner’sches Ulkus). Die Blasenkapazität
ist verringert, und aus der Pollakisurie wird mit der Zeit eine Dranginkontinenz.
Die Prognose ist ungünstig und die konservative Behandlung, z.B. durch Deh-
nung der Blase in Anästhesie, hilft meist nur vorübergehend. Gelegentlich ent-
wickelt sich eine echte Schrumpfblase, und es muss eine Blasenerweiterungs-
plastik oder eine Harnumleitung vorgenommen werden.

9.3 Harnröhrenerkrankungen

Nicht allzu selten entwickelt sich bei älteren Frauen an der äußeren Harnröh-
renmündung ein Ektropium der Schleimhaut, das polypenartige Form anneh-
men kann (Harnröhrenkarunkel). Diese gutartige Affektion blutet leicht und
führt zu Reizerscheinungen. Differentialdiagnostisch muss an ein Urethra-
karzinom gedacht werden. Die Behandlung besteht in der chirurgischen Ab-
tragung.
Urethradivertikel (. Abb. 9.1) entstehen aus erweiterten paraurethralen
Drüsen, die sich während der Miktion zunehmend mit Urin füllen. In solchen
Divertikeln entwickeln sich eitrige Entzündungen, und es kann zur Steinbildung
kommen. Bei der Palpation der Urethra von der Vagina aus sind die Divertikel
u. U. zu tasten. Die Betastung ist oft schmerzhaft und es tritt eitrig-gelbe Flüs-
sigkeit aus der Harnröhrenmündung. Die Behandlung besteht in der Exzision
von der vorderen Scheidenwand aus.
158 Kapitel 9 · Urologie und Sexualpathologie der Frau

. Abb. 9.1. Radiologische


Diagnose eines Urethradivertikels
bei der Frau mittels Spezial-
katheters (nach Hautmann u.
Huland 2006)

9 9.4 Inkontinenz (7 Kapitel 7.6, Seite 137)

Frauen sind wesentlich häufiger von Inkontinenz betroffen als Männer (Ver-
hältnis ca. 4:1). Es dominiert die Belastungsinkontinenz, gefolgt von Mischin-
kontinenz (Belastungs- und Dranginkontinenz) und Dranginkontinenz. Sel-
tener sind extraurethale Inkontinenz (Fisteln) und Sonderformen. Da das
Thema immer noch stark tabuisiert wird, für die Betroffenen aber sehr belas-
tend ist, sollte der Arzt eine »Brücke bauen« und feinfühlig danach fragen. Mo-
derne Therapiekonzepte können vielen Frauen helfen.

9.5 Fistelbildungen

Im Zusammenhang mit gynäkologischen und geburtshilflichen Eingriffen bzw.


nach Bestrahlung weiblicher Genitaltumoren kann es zu Fistelbildungen und/
oder Stenosierungen im Bereich des distalen Harnleiters kommen. Meist führt
der Fistelgang ins Scheidengewölbe.
Bei Blasenscheidenfisteln nach Blasenläsionen im Zusammenhang mit
einer Hysterektomie, besteht eine mehr oder weniger große Kommunikation
zwischen Blase und Scheide. Mit einer Spontanheilung ist in beiden Fällen nicht
zu rechnen.
9.6 · Sexualpathologie mit urologischen Bezügen
159 9
Ureterscheidenfisteln werden durch Neueinpflanzung des Harnleiters in die
Blase behoben, während Blasenscheidenfisteln je nach Größe entweder vaginal
(kleine Fisteln) oder aber abdominal-transvesikal verschlossen werden.

9.6 Sexualpathologie mit urologischen Bezügen

Der Urologe ist nicht Frauenarzt und überlässt die mannigfachen, vor
allem auch hormonal verursachten Probleme dieses Bereichs grundsätzlich
dem Gynäkologen.
Er muss aber die wichtigsten Aspekte der weiblichen Sexualpathologie ken-
nen, weil die Betroffenen nicht selten urologische Symptome äußern, denen
zum Teil eine urologische Organpathologie zugrunde liegen kann (Urethra-
tumoren, Urethradivertikel, Harnwegsinfekte u. a.).
Findet sich keine organische Ursache für die Dyspareunie, so lohnt sich die
Zeitinvestition für die Aufnahme einer Sexualanamnese. Häufig bringt sie den
Schlüssel zur Erklärung der Beschwerden und ist Grundlage für therapeutische
Entscheidungen.
Die wichtigsten Störungen der Sexualfunktion der Frau sind:
4 Libidodysfunktion (Abnahme, Verlust, bis zum Ekel vor sexuellen
Kontakten): Nach Ausschluss von organischen (vor allem Stoffwechsel-
krankheiten), medikamentösen (Sedativa, Antihypertensiva) und offen-
sichtlich psychischen Ursachen (Depressionen) bleibt ein weites Feld von
psychologischen, aus der Erziehung erklärbaren oder partnerbezogenen
Problemen.
4 Orgasmusdysfunktion: Fehlendem oder seltenem Orgasmus liegt meist ein
sexualtherapeutisch behandelbares (Koordinations-)Problem der Partner
zugrunde. Orgasmen eignen sich nicht als Leistungsausweis, schon eher als
Verkaufsargument für gewisse Presseprodukte.
4 Dysparenuie (Algopareunie): Als schmerzhafte Empfindung während/
nach Geschlechtsverkehr hat sie oft eine lokale organische (gynäkologische
oder urologische) Ursache, kann aber durchaus Ausdruck psychischer meist
partnerschaftlicher Probleme sein und sich bis zum Vaginismus – der
Unmöglichkeit zur Imissio penis – steigern. Beurteilung und Behandlung
sind die Domäne des Sexualtherapeuten.
160 Kapitel 9 · Urologie und Sexualpathologie der Frau

? Übungsfragen
1. Welche Ursachen sind für das häufige Auftreten von Harnwegsinfekten bei der
Frau mitverantwortlich? Nennen Sie drei!
2. Welche differentialdiagnostischen Möglichkeiten erwägen Sie bei einer Frau mit
andauernder »Reizsymptomatologie«?
3. Was verstehen Sie unter einer interstitiellen Zystitis?
4. Wie äußern sich Blasenscheidenfisteln? Was sind mögliche Ursachen?
5. Was sind die spezifischen Mitursachen einer so genannten Schwangerschafts-
pyelonephritis?

Lösungen → S. 219

9
10

Urologische
Erkrankungen im
Kindesalter
10.1 Allgemeine Diagnostik – 162

10.2 Angeborene Abflussbehinderungen – 162

10.3 Primärer vesikoureteraler Reflux – 163

10.4 Blasenekstrophie, Epi- und Hypospadie – 164

10.5 Kryptorchismus – 165

10.6 Phimose – 165

10.7 Torsion des Hodens und seiner


Anhangsgebilde – 166

10.8 Tumoren des Urogenitalsystems – 167

10.9 Enuresis (nocturna) – 167


162 Kapitel 10 · Urologische Erkrankungen im Kindesalter

10.1 Allgemeine Diagnostik

Die rezidivierende Pyurie beim Kind ist häufig Symptom einer angeborenen
Missbildung der Harnwege (. Abb. 3.1, 7 auch Kap. 3). Deshalb ist Zögern mit
der bildgebenden Diagnostik nicht am Platz; vor allem mit der Ultraschall-
untersuchung und der Urographie. Damit lassen sich die Anomalien der obe-
ren Harnwege und der Blase erkennen und beurteilen. Bei Refluxverdacht ist
eine Miktionszystourethrographie indiziert und bei Blasenabflussstörungen
die Urethrozystoskopie. Basis der Diagnostik sind die einschlägigen Urin- und
Blutuntersuchungen. Die Nierenfunktion kann vergleichend mit dem Iso-
topennephrogramm (7 Kap. 2.3; S. 15) beurteilt werden. Eine Systematik der
Nieren- und Harnleiterfehlbildungen findet sich in Kapitel 3.

10.2 Angeborene Abflussbehinderungen

Abflussbehinderung aus der Niere


10 Extrinsisch durch Gefäße oder Bindegewebsstränge. Intrinsisch durch Stenose
des Ureters am Abgang aus dem Nierenbecken. Die Folge ist eine Ausweitung
des Nierenbeckens, eine sog. Hydronephrose. Die Behandlung zielt auf Nor-
malisierung der Abflussverhältnisse durch Behebung der von außen wirkenden
Abflussbehinderung oder durch Resektion des verengten Ureterabschnittes und
Neueinpflanzung des Harnleiters ins verkleinerte Nierenbecken.

Abflussbehinderung im terminalen Ureter


Mechanisch durch intramurale Fibrose der Uretermuskulatur (angeboren? ent-
zündlich?). Funktionell (?) beim so genannten primären Megaureter (Inner-
vationsstörung (?) der terminalen Uretermuskulatur), oft kombiniert mit Re-
flux. Es kommt dadurch zur Erweiterung und Verlängerung des Harnleiters mit
Transportinsuffizienz. Die Behandlung besteht in der Ausschaltung des afunk-
tionellen Uretersegments, evtl. kombiniert mit einer plastischen Kaliberveren-
gerung und einer Antirefluxureterozystoneostomie.

Abflussbehinderung in der Blase


Durch Ureterozele (ballonartige Aufblähung des Ostiumbereichs ins Blasenlu-
men), häufig kombiniert mit Ureter duplex, wobei die Ureterozele in der Regel
zum Ureter gehört, der den oberen Nierenabschnitt ableitet.
10.3 · Primärer vesikoureteraler Reflux
163 10
Therapie. Elektrochirurgische Schlitzung, in schweren Fällen Resektion der
Ureterozele. Gelegentlich muss auch der zugehörige (erweiterte) Harnleiter mit
dem (pyelonephritisch-atrophischen) oberen Nierenpol reseziert werden.

Abflussbehinderung in der Harnröhre


Proximale Urethraklappen beim Knaben. Segelartige Klappen im Kollikulus-
bereich. Urethroskopisch oft nicht leicht erkennbar, können als schweres Ab-
flusshindernis wirken → Balkenblase, Deformation, Divertikelbildung, vesiko-
ureteraler Reflux.

Therapie. Endoskopische Resektion der Klappen und wenn nötig Korrektur-


operationen an der Blase.

Distale Urethrastenose beim Mädchen


Sehr selten (normales Urethrakaliber in Charrière: 10+Alter). Beim Knaben bei
hypospader Urethramündung Stenose möglich.

10.3 Primärer vesikoureteraler Reflux

Aufgrund eines insuffizienten Ventilverschlusses an der Uretermündung


(7 auch Kap. 3.3). Angeboren ist er oft Ausdruck einer unvollständigen Aus-
differenzierung dieser Strukturen. Kongenitaler Reflux (ohne zusätzliche Ure-
teranomalie) heilt deshalb in der Mehrzahl der Fälle (bei Infekten unter kon-
sequenter Dauertherapie) spontan innerhalb des ersten bis zweiten Lebens-
jahres.
Die Diagnose erfolgt mittels Miktionszystographie → verschiedene
Schweregrade (7 auch Kap. 3.3, Abb. 3.7).

Therapie. Grad I–III konservativ, Grad IV–V meist operativ (extra- oder
intravesikale Antirefluxplastik).

Prognose. In leichteren Fällen günstig (ca. 90% Heilungen). Bereits ausgebildete


refluxbedingte Nierenveränderungen bilden sich nicht zurück.
164 Kapitel 10 · Urologische Erkrankungen im Kindesalter

10.4 Blasenekstrophie, Epi- und Hypospadie

Die Blasenekstrophie ist eine sehr seltene schwerwiegende Fehlbildung von


Blase und Urethra infolge embryonaler Fehlentwicklung im Kloakenbereich:
die Blase liegt als Platte auf der Bauchwand und die Harnröhre ist dorsal offen.
Die Symphyse klafft.
Behandlung: Es wird eine primäre Rekonstruktion von Blase und Genitale
angestrebt. Die Behandlung stellt höchste Ansprüche an ein interdisziplinäres
Behandlungsteam. Oft bleiben Inkontinenz und vesikoureteraler Reflux zurück.
Nicht selten ist deshalb später doch noch eine Harnumleitung notwendig.
Bei geringgradiger Fehlbildung der Kloakenmembran ist die Blase zwar ge-
schlossen, die Harnröhre aber dorsal mehr oder weniger ausgedehnt gespalten.
Es resultiert eine Epispadia pubis, penis oder im besten Fall glandis.
Behandlung: plastischer Verschluss.
Der Hypospadie, einer vergleichsweise häufigeren Urethrafehlbildung (0,5%
der neugeborenen Knaben) liegt eine Verschlussstörung unterschiedlichen
Grades der Urethralrinne zugrunde (. Abb. 10.1). Anstelle der distalwärts
10 fehlenden Urethra findet sich ein bindegewebiger Strang (Chorda), der zu ei-
ner ventralen Krümmung des Penis führt. Das Präputium ist ventral gespalten
(dorsale Vorhautschürze).

. Abb. 10.1. Hypospadie. a Hypospadia glandis, b Hypospadia penis, c Hypospadia scrotalis,


d Hypospadia perinealis
10.6 · Phimose
165 10
Behandlung: Mit verschiedenen plastisch-chirurgischen Verfahren wird die
Harnröhre rekonstruiert. Angestrebt wird die Verlagerung der Urethralmün-
dung an die Spitze der Glans.

10.5 Kryptorchismus

Angeborene Deszensusstörung eines oder beider Hoden. Ursache multifakto-


riell, im Detail unbekannt. Für einen normalen Deszensus ist eine funktionie-
rende Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse notwendig. Eine der häu-
figsten Missbildungen bei Geburt (3–5% aller männlichen Neugeborenen,
häufiger bei Frühgeburten). 95% unilateral. Im Verlaufe der ersten 3 Lebens-
monate deszendieren viele Hoden spontan (ca. 70%). Eigentliche Ektopien
außerhalb der Deszensusbahn selten (<10%). Pendelhoden sind eine Normava-
riante und benötigen keine Therapie. Beim Kryptorchismus ist der Hoden
nicht tastbar (Bauchhoden oder Aplasie). Nichtdeszendierte Hoden haben ein
stark erhöhtes (10fach) Risiko für spätere maligne Entartung. Der nicht oder zu
spät behandelte Maldeszensus hat häufig eine Fertilitätsstörung zur Folge
(. Abb. 3.8).

Therapie. Nicht innerhalb der ersten 3 Lebensmonate. Primär operativ bei Be-
gleithernie und Ektopie: Funikolyse und Orchidopexie. Meist zuerst Behand-
lungsversuch mit HCG oder LHRH (Erfolgsrate aber nur ca. 20%). Bleibt der
Erfolg aus → Operation. Die Behandlung sollte bis zum Ende des ersten Lebens-
jahres erfolgt sein.

10.6 Phimose

Beim Neugeborenen und Säugling besteht physiologisch eine Verklebung des


inneren Vorhautblattes mit der Glans. Diese löst sich gegen den dritten Geburts-
tag spontan. Dehnungsmaßnahmen sind unnötig und können durch konseku-
tive Narbenbildung gegenteiligen Effekt haben.

Therapie. Plastische Erweiterung oder Zirkumzision sind nur ausnahmsweise


notwendig (Harnverhaltung, massive Balanitiden).
166 Kapitel 10 · Urologische Erkrankungen im Kindesalter

Beim Zurückgleiten der (zu engen) Vorhaut in den Sulcus coronarius kann
sich ein schmerzhafter Schnürring mit Ödem entwickeln (Paraphimose), der
(notfallmäßig) chirurgisch gespalten werden muss (7 auch Kap. 13.9).

10.7 Torsion des Hodens und seiner Anhangsgebilde

Die Hodentorsion (. Abb. 13.5, 7 auch Kap. 13.6) ist für über 90% der plötzlich
auftretenden einseitigen schmerzhaften Skrotalschwellungen des Heranwach-
senden verantwortlich und muss innerhalb der 6-Stundengrenze operiert wer-
den. Der betroffene Hoden wird detorquiert und fixiert. Aus prophylaktischen
Gründen wird auch der Gegenhoden fixiert.
! Keine Zeit für Diagnostik und konservative Therapie opfern.
Alle Verdachtsfälle sofort einweisen.

! Die Differentialdiagnose des »akuten Skrotums« erfolgt am


freigelegten Hoden. Im Zweifel immer operieren.
10
Fallbeispiel
Anamnese. Ein 16-jähriger Schüler auf einer Fahrradtour wird frühmorgens von
plötzlich aufgetretenen massiven Schmerzen im rechten Hoden geweckt. Der
zurate gezogene Arzt konstatiert einen leichten Hochstand des geschwollenen
und beim Anheben sehr schmerzhaften Hodens. Das Skrotum ist gerötet. Der
Urinstatus ist normal.

Überlegungen des Notfallarztes. Am wahrscheinlichsten ist eine Hodentorsion.


Gegen eine Entzündung sprechen der normale Urinstatus und das plötzliche
Auftreten der Symptome. Er entscheidet deshalb, den Patienten sofort (drei
Stunden nach Beginn der Schmerzattacke) in ein Spital einzuweisen.

Therapie. Die sofortige Revision des rechten Hodens in Narkose und inner-
halb der Sechs-Stunden-Grenze bestätigt die Vermutungsdiagnose. Der Hoden
ist dunkelblau-rot verfärbt und innerhalb der Hodenhüllen um 270º verdreht.
Die Lösung der Torsion führt zur raschen Besserung des Befundes. Die Durch-
6
10.9 · Enuresis (nocturna)
167 10
blutung normalisiert sich. Es erfolgt nun eine Orchidopexie, die ein Rezidiv ver-
hüten wird.
Da in solchen Fällen das Gubernaculum testis vielfach auch auf der Gegen-
seite ungenügend ausgebildet ist, erfolgt in gleicher Sitzung auch eine prophy-
laktische Orchidopexie auf der Gegenseite.

Verlauf. Komplikationslose Heilung, keine Kontrollen notwendig.

10.8 Tumoren des Urogenitalsystems

Sind bei Kindern selten. Am häufigsten ist der Wilms-Tumor (ein maligner
Mischtumor der Niere mit mesenchymalen und epithelialen Anteilen). Er ma-
nifestiert sich häufig als einseitige abdominale Schwellung oder mit allgemeinen
Symptomen (Gewichtsabnahme, allgemeine Krankheitserscheinungen).
Der Wilms-Tumor und seine Metastasen sind sehr strahlensensibel und
sprechen gut auf zytostatische Chemotherapie an. Die Behandlung richtet sich
nach dem Stadium und ist in der Regel kombiniert chirurgisch-strahlenthera-
peutisch-zytostatisch. In der Mehrzahl der Fälle (mehr als 80%) ist heute eine
Heilung möglich.
Weitere, seltene bis sehr seltene maligne Tumoren im Kindesalter sind das
retroperitoneale (Katecholamin produzierende) Neuroblastom, Sarkome von
Blase und Prostata (alle mit ungünstiger Prognose) sowie Hodentumoren.

10.9 Enuresis (nocturna)

Unter Enuresis (nocturna) versteht man tagsüber, vor allem aber nachts auftre-
tenden (portionsweisen) unkontrollierten Harnabgang. Bis zum Abschluss des
dritten (evtl. vierten) Lebensjahres physiologisch. Im Alter von fünf Jahren sind
noch etwa 15% der Kinder nachts nicht trocken. Bis zum 15. Lebensjahr ver-
mindert sich diese Zahl auf 1%. Die Ursachen der verspäteten nächtlichen Bla-
senkontrolle sind multifaktoriell und im Detail nicht bekannt. Psychosoziale
Faktoren sind möglicherweise seltener als bisher angenommen. Es gibt ver-
mehrte Evidenz, dass ein Missverhältnis von relativ großer nächtlicher Urinpro-
duktion bei relativ kleiner Blase, verbunden mit sehr tiefem Schlaf die Enuresis
nocturna begünstigt.
168 Kapitel 10 · Urologische Erkrankungen im Kindesalter

Therapie. Durch Verhaltenstraining (Urinalarmsysteme), gelegentlich unter-


stützt durch Medikamente (antidiuretisches Hormon als Nasenspray zur Re-
duktion der nächtlichen Urinmenge).
In Zweifelsfällen müssen zuvor mögliche organische Ursachen ausgeschlos-
sen werden (ektopische Uretermündung, Entzündungen, Entleerungsstörun-
gen der Blase, neurologische Defekte).

? Übungsfragen
1. Was ziehen Sie ursächlich in Erwägung, wenn Sie ein zweijähriges Mädchen
wiederholt wegen Harnwegsinfekten behandeln müssen?
2. Wenn bei diesem Mädchen ein vesikoureteraler Reflux (Grad 2) als Ursache für
die rezidivierenden Harnwegsinfekte nachgewiesen wurde, halten Sie eine
Spontanheilung für möglich?
3. Nennen Sie vier Fehlbildungen im Nieren-, Ureter- und Blasenbereich!
4. Ein kleiner Patient von Ihnen hat eine Hypospadia penis. Bis wann, raten Sie den
Eltern, sollte diese Fehlbildung spätestens korrigiert sein?
5. Was verstehen Sie unter einem Pendelhoden? Therapie?
10 6. Wie heißt der typische Nierentumor des Kindesalters und wie ist seine Prog-
nose?

Lösungen → S. 219
11

Verletzungen
der Urogenitalorgane
11.1 Klinik der Urogenitalverletzungen – 170

11.2 Nierenverletzungen – 171

11.3 Harnleiterverletzungen – 173

11.4 Harnblasenverletzungen – 173

11.5 Harnröhrenverletzungen – 174

11.6 Verletzungen des Genitale – 176


170 Kapitel 11 · Verletzungen der Urogenitalorgane

Verletzungen der Urogenitalorgane sind oft ein Teilaspekt von abdominalen


Traumen (Nierenverletzung, Blasenruptur), von Beckenfrakturen (Harnröh-
renverletzungen) und seltener von Thoraxtraumen (Nierenverletzungen). Rund
5% der Mehrfachverletzungen haben eine ins Gewicht fallende Mitverletzung
im Bereich des Urogenitalapparates.

11.1 Klinik der Urogenitalverletzungen

Die wichtigsten Symptome der Urogenitalverletzungen sind Schmerz, Häma-


turie und Anurie.

Schmerz
Bei Nierenverletzungen → Lumbalschmerz durch subkapsulares oder peri-
renales Hämatom, selten Ureterkoliken durch Blutgerinsel.
Bei Blasenverletzungen → Tenesmen (krampfartiger Harndrang) durch ab-
flussbehindernde Koagula in der Blase.

Hämaturie
11 Die Hämaturie ist meist eine Makrohämaturie, seltener eine Mikrohämaturie
(Nierenkontusion). Eine Urethrablutung spricht für Harnröhrenverletzung
außerhalb des Verschlussapparates.
Kontinuierlicher Austritt von blutigem Urin aus einer Hautwunde (bei pe-
netrierender Verletzung) spricht für Nieren- oder Blasenmitverletzung. Nach-
weis: Kreatininbestimmung in der Wundabsonderung.

Anurie
Die Anurie kann einen Blutungsschock zur Ursache haben. Bei Blasenruptur
besteht eine blutige »Anurie«, d. h. ein Miktionsversuch ergibt lediglich einige
Tropfen blutiger Flüssigkeit. Bei vollständigem Abriss der Urethra entleert sich
trotz miktionsbedingter Erleichterung kein Urin nach außen.

Untersuchung. Die allgemeine Untersuchung interessiert sich für Schocksymp-


tome (Hypotonie, Anstieg der Pulsfrequenz, Zeichen der Kreislaufzentralisa-
tion) und lokale Erscheinungen (Hämatome, Prellungen, Flankentumor) sowie
für den Urinstatus (Hämaturie).
11.2 · Nierenverletzungen
171 11
! Bei Verdacht auf Harnröhrenverletzung darf nicht katheterisiert
werden. Suprapubische Harnableitung!

Eine zentrale Stellung bei der Beurteilung von Urogenitalverletzungen in der


akuten Phase haben heute die Ultraschalluntersuchung und die Computer-
tomographie.
Sie orientieren über den Zustand der Nieren (Rupturen) und zeigen intra-
und extraperitoneale Flüssigkeitsansammlungen. Wichtig ist immer noch die
intravenöse Urographie. Das Kontrastmittel kann sofort, nachdem ein venöser
Zugang angelegt ist, infundiert werden. Bereits die orientierende Abdomen-
leeraufnahme ergibt Hinweise auf eine mögliche Mitbeteiligung der Niere. Wei-
tere Fragen beantworten die Kontrastaufnahmen: Sind beide Nieren vorhan-
den? Extravasate?
Die Nierenangiographie als digitale Subtraktionsangiograpie hat eigentlich
nur noch eine Bedeutung bei gestörter Nierendurchblutung (Thrombose?).
Die Endoskopie mit retrograder Darstellung ist sehr selten indiziert (Ure-
terabriss?). Bei Verdacht auf Harnröhrenverletzung ist das retrograde Ureth-
rogramm die Untersuchungsmethode der Wahl, bei Verdacht auf Blasenrup-
tur kann eine Zystographie indiziert sein.

11.2 Nierenverletzungen

Die Nieren sind bei 1–2% aller Unfallverletzten mitbeteiligt. Rund 25% der
Nierenverletzten sind Jugendliche. 90–95% der Verletzungen erfolgen stumpf
(Kontusionen).
Penetrierende Verletzungen sind selten und müssen raschmöglichst revi-
diert werden. Erst durch die Freilegung werden das volle Ausmaß und die
etwaige Mitbeteiligung anderer Organe (Darm, Pankreas, Milz, Leber) über-
haupt beurteilbar. Die Operationstaktik ist organerhaltend.
Beim häufigen stumpfen Trauma können Parenchymschäden verschiedener
Schwergrade resultieren: unbedeutende Kontusionen bis lebensbedrohliche
Organrupturen (. Abb. 11.1 und 11.2). Operationsindikation zurückhaltend
stellen; nur bei Kreislaufinstabilität. Rund 10% der Verletzungen müssen ope-
rativ versorgt werden. Auch hier ist die Operationstaktik organerhaltend. Ne-
phrektomien lassen sich aber nicht immer vermeiden. Bei Kreislaufstabilität ist
die Operationsindikation relativ.
172 Kapitel 11 · Verletzungen der Urogenitalorgane

a b c

11
d e f

. Abb. 11.1a–f. Einteilung des Nierentraumas; a kleiner Parenchymeinriss, b subkapsuläres


Hämatom, c einzelne, d multiple, große Parenchymverletzungen, e Beteiligung des Hohlraum-
systems, f Nierenstielverletzung (nach Hautmann u. Huland 2006)

. Abb. 11.2. Nierentrauma


links. Großes subkapsuläres,
perirenales Hämatom (weißer
Pfeil). Die Niere ist nach ventral
verdrängt (gestrichelter Pfeil).
11.4 · Harnblasenverletzungen
173 11
Fallbeispiel
Anamnese. Ein 26-jähriger Motorradfahrer wird nach einem Sturz zur Kontrolle
auf die Notfallstation gebracht. Er kommt zu Fuß, klagt aber über diffuse Rücken-
und Bauchschmerzen.

Befund. Eine genaue Untersuchung inklusive Röntgenbilder ergibt keine Hin-


weise auf Frakturen. Im Bereich der linken Flanke Kontusionsmarke. Der Urinsta-
tus zeigt eine Mikrohämaturie.
Im CT mit Kontrastmittel zeigt sich eine Lazeration der linken Niere mit
einem eindrücklichen perirenalen Hämatom. Die linke Niere scheidet etwas ver-
zögert aus, der Abfluss ist aber unbehindert.

Beurteilung. Nierenverletzung bei Kontusionstrauma, großes perirenales


Hämatom.

Therapie. Hospitalisation. Regelmäßige Kreislaufüberwachung (Gefahr der


zweizeitigen Milzruptur). Regelmäßige Ultraschallkontrollen der Niere.

Verlauf. Nach 4 Tagen kann der Patient, der immer kreislaufstabil war, wieder
entlassen werden. Eine Intervention war nicht notwendig. Sportverbot für 6 Wo-
chen. Eine Abschlusskontrolle nach 6 Monaten zeigt, dass das Hämatom voll-
ständig resorbiert ist und die Niere normal arbeitet.

11.3 Harnleiterverletzungen

Harnleiterverletzungen im Zusammenhang mit einem stumpfen Abdominal-


trauma sind eine Rarität. Nicht selten haben sie eine iatrogene Ursache (Ein-
griffe im kleinen Becken).

11.4 Harnblasenverletzungen

Harnblasenverletzungen sind dagegen nicht all zu selten bei Beckentrauma. Ein


Schlag auf die gefüllte Blase kann zur Ruptur führen. Andererseits kann die
Blase bei Beckenfrakturen durch Knochensplitter verletzt werden (in 5–10%)
und schließlich natürlich auch durch ein penetrierendes Trauma (z.B. Stich).
174 Kapitel 11 · Verletzungen der Urogenitalorgane

Meist liegen relativ schwere Zerreißungen vor: die gefüllte Blase »explo-
diert« bei abrupter Drucksteigerung. Die Ruptur kann extra- oder intraperito-
neal liegen: Im Zusammenhang mit Beckenfrakturen sind 80% der Rupturen
extraperitoneal. Verständlicherweise treten sie besonders leicht bei vorgeschä-
digter Blase auf (Retentionsblase, Tumorblase).
Hauptsymptom der Blasenruptur ist Harndrang ohne Miktion (»blutige
Anurie«). Bei leichteren Verletzungen Hämaturie. Bei intraperitonealer Ruptur
oft Schulterschmerz (Peritonealreizung durch Urin) später Peritonitiszeichen.
Bei extraperitonealer Ruptur droht eine Urinphlegmone (. Abb. 11.3).
Die Behandlung besteht im Verschluss der verletzten Blase, Drainage des
perivesikalen Raumes und zuverlässiger Urinableitung.

11.5 Harnröhrenverletzungen

Bei den Harnröhrenverletzungen muss unterschieden werden zwischen


4 Einriss oder vollständiger Durchtrennung,
4 im Diaphragma urogenitale (häufig bei Beckentrauma) oder weiter distal
gelegener Ruptur,
11

. Abb. 11.3. a Extraperitoneale Blasenverletzung bei Beckenringfraktur (schematisch),


b intraperitoneale Blasenverletzung, ebenfalls bei Beckenfraktur (schematisch von der Seite)
(nach Hautmann u. Huland 2006)
11.5 · Harnröhrenverletzungen
175 11
4 einfacher oder kombinierter Verletzung (Mitbeteiligung von Beckenskelett
und/oder Genitale).

Harnröhrenverletzungen äußern sich durch Blutaustritt aus der Urethra, ge-


gebenenfalls durch eine für den Patienten erleichternde Miktion ohne Urin-
austritt.
Ist die Urethra im Beckenboden durchtrennt, so werden Blase und Prostata
durch das Hämatom kranialwärts verlagert, was bei der rektalen Palpation ge-
tastet werden kann: Die Prostata ist »beweglich« geworden. Im retrograden
Urethrogramm zeigt das Kontrastmittelbild Lage und Ausmaß der Verletzung
(. Abb. 11.4).

Therapie. Die Behandlung sorgt vorerst für eine sichere suprapubische Urinab-
leitung durch Punktionsdrainage (Zystofix). Bei geringfügigen Einrissen genügt
die vorübergehende Harnumleitung. Bei schweren Verletzungen (z. B. im Be-
ckenboden) richtet sich das Vorgehen nach der Situation (Nebenverletzungen,
Allgemeinzustand): Möglich ist eine primäre chirurgische Versorgung, in der
Regel Adaptation der Stümpfe über einem Katheter oder aber auch der völlige
Verzicht auf primäre Versorgung und später Operation der Narbenstriktur.
Spätkomplikationen: Strikturen (Harnröhrenplastik, Bougierung, Sicht-
urethrotomie) und erektile Dysfunktion bei Mitverletzung des N. pudendus
und seiner Ausläufer sowie bei Gefäßverletzungen.

. Abb. 11.4. Urethraruptur bei Beckentrauma.


In typischer Weise erfolgt die Ruptur im Sinne
einer Abscherung, proximal vom Diaphragma
urogenitale. Es bildet sich ein großes Hämatom,
das die Prostata kranialwärts verdrängt
176 Kapitel 11 · Verletzungen der Urogenitalorgane

Fallbeispiel
Anamnese. Ein 34-jähriger Bankangestellter wird auf die Notfallstation gebracht.
Bei einem Go-Kart-Rennen während eines Betriebsausfluges hat er ein perine-
ales Trauma erlitten. Aus der Urethra entleere sich etwas Blut.

Beurteilung. Verdacht auf Urethraverletzung, allenfalls Beckenfraktur.

Befund. Es findet sich ein perineales Hämatom. Die Röntgenbilder zeigen keine
Hinweise auf Beckenfraktur. Eine Miktion ist dem sehr verängstigten Patienten
nicht möglich.

Therapie. Es wird eine suprapubische Kathetereinlage durchgeführt. Antibio-


tische Abschirmung. Ein retrogrades Urethrogramm zeigt ein Extravasat im Be-
reich der bulbären Harnröhre, möglicherweise ein Abriss.

Verlauf. Der immer kreislaufstabile Patient wird kurzzeitig hospitalisiert. Ein


Urethrogramm nach 6 Wochen zeigt eine hochgradige Striktur an der Stelle des
ehemaligen Extravasates. Nach 3 Monaten wird dem Patienten die Urethraplas-
tik durch eine Resektion des betroffenen Abschnittes und einer End-zu-End-
11 Anastomose empfohlen. Nach weiteren 3 Monaten ist der Patient beschwerde-
frei. Die aufgrund des Traumas befürchtete Erektionsstörung ist nicht eingetre-
ten. Die Urinflussmessung ergibt einen maximalen Fluss von 31 ml/s und einen
durchschnittlichen Fluss von 18 ml/s. Es liegt kein Restharn vor. Der Patient kann
als geheilt betrachtet werden.

11.6 Verletzungen des Genitale

Offene und stumpfe Penisverletzungen sind selten. Als offene Verletzung sieht
man im Zusammenhang mit Unfällen gelegentlich ein Décollement der Penis-
haut (Schindung). Stumpfe Traumen führen zu Hämatomen. Eine typische Ko-
habitationsverletzung ist die Penisfraktur. Ihre Entstehung ist in aller Regel von
einem Frakturgeräusch begleitet, und es entwickelt sich rasch ein massives Hä-
matom. Die Abknickung ist unschwer erkennbar und muss operativ versorgt
werden (Naht der Tunica albuginea).
Verletzungen des Skrotums und des Skrotalinhaltes sind vorwiegend Fol-
ge direkter Gewalteinwirkung (Fußtritt, Ballwurf usw.). Bei den offenen Verlet-
11.1 · Verletzungen des Genitale
177 11
zungen kommt es häufig zur Ablederung der Haut, wodurch die Hoden freige-
legt werden. Stumpfe Traumen können zu massiven Hämatomen Anlass geben.
Die Behandlung besteht in Ruhigstellung und Kälteapplikation, allenfalls Aus-
räumung einer Hämatozele. Bei offenen Verletzungen wird nach den Prinzipien
der Wundversorgung vorgegangen. Verletzte Hoden werden, wenn möglich,
erhalten.

? Übungsfragen
1. Was interessiert Sie am Urinstatus eines Unfallverletzten?
2. An was denken Sie, wenn ein Patient mit Schambeinfraktur Harndrang verspürt
und nicht urinieren kann?
3. Bei Verdacht auf Urethraabriss ist eine diagnostische Maßnahme kontraindiziert.
Welche? Hingegen kann Ihnen unter Umständen die Rektaluntersuchung wei-
terhelfen. Warum?
4. Was ist das Prinzip der Behandlung von Nierenverletzungen beim Kreislauf sta-
bilen Patienten?

Lösungen → S. 219
III Urologische Behandlung
in Klinik und Sprechstunde

12 Besondere urologische
Behandlungsmaßnahmen – 181

13 Dringliche Sprechstundensituationen
in der Urologie – 193
12

Besondere urologische
Behandlungsmaßnahmen
12.1 Nephrektomie – 182

12.2 Nierenbeckenplastiken – 183

12.3 Perkutane Nierenoperationen – 183

12.4 Blasenoperationen – 184

12.5 Harnumleitung – 184

12.6 Nierentransplantation – 188

12.7 Radikale Prostatektomie – 190

12.8 Endoskopische (transurethrale) Eingriffe – 190

12.9 Laparoskopie und Retroperitoneoskopie


in der Urologie – 191
182 Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen

12.1 Nephrektomie

Hauptindikation zur Entfernung einer Niere sind Tumoren des Nierenparen-


chyms (Nierenzellkarzinome), Urotheltumoren des Nierenbeckens, infizierte
Steinnieren und Hydronephrosen. Teilresektionen sind nur bei kleinen, im
Polbereich gelegenen Geschwülsten sinnvoll, müssen aber selbstverständlich
bei Tumoren in Einzelnieren versucht werden (. Abb. 12.1).
Bei Infekten wird der extraperitoneale Zugang durch einen lumbalen
Schrägschnitt bevorzugt, bei Tumoren ein transperitonealer Rippenbogenrand-
schnitt (. Abb. 12.2). Besonders sorgfältig muss bei der (extraperitonealen)
Nierenentnahme von Lebendspendern präpariert werden, um z.B. die Durch-
blutung des Ureters nicht zu gefährden.

12
a

b c
. Abb. 12.1a–c. Nephrektomietechnik: a Lagerung, b stumpfe Freipräparation der
Nierenstielgefäße, c Ligatur und Durchtrennung der Gefäße nach Anlegen von Stielklemmen
(nach Altwein u. Rübben 1993)
12.3 · Perkutane Nierenoperationen
183 12

. Abb. 12.2. Schnittführung für urologische Operationen (nach Alken u. Sökeland 1982)

Bei Urotheltumoren muss der Harnleiter bis zur Blase (mit einer Blasen-
manschette) entfernt werden.
In letzter Zeit zunehmend auch Nierenoperationen auf laparoskopischem
und retroperitoneoskopischem Weg.

12.2 Nierenbeckenplastiken

Sie erfolgen über einen extraperitonealen Zugang, vermehrt auch retroperito-


neoskopisch. Das erweiterte Nierenbecken wird reseziert, eventuelle Steine wer-
den entfernt und der Harnleiter wird an der tiefsten Stelle des Nierenbeckens
eingepflanzt (. Abb. 12.3). Ureterabgangsstenosen können auch endoskopisch
behandelt werden: retrograd (durch die Blase) oder anterograd (perkutan). Er-
folgsrate etwas weniger gut als bei offener Chirurgie, deshalb nur noch selten
durchgeführt.

12.3 Perkutane Nierenoperationen

Nierensteine, die sich für eine extrakorporelle Steinzertrümmerung nicht eig-


nen, werden über eine perkutane Nephrostomie instrumentell zertrümmert
und entfernt (. Abb. 5.12).
184 Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen

. Abb. 12.3. Nierenbeckenplastik nach Anderson-Hynes (nach Kelalis et al. 1992)

12.4 Blasenoperationen

Die meisten Eingriffe in der Blase (bei Steinen und Tumoren) erfolgen endo-
skopisch. Es kann aber notwendig werden, die Blase über einen suprapubischen
Medianschnitt freizulegen und zur Entfernung eines Steines oder eines Fremd-
körpers zu eröffnen (Sectio alta). Auch Divertikeloperationen und Harnleiter-
12 neueinpflanzungen erfolgen auf diesem Wege.
Bei ausgedehnten Blasentumoren (T2/T3) muss die Blase mit den Samen-
blasen und der Prostata (u. U. auch mit der Urethra) entfernt werden (Zystek-
tomie). Bei der Frau werden auch Uterus und Tuben mitentfernt (vordere
Exenteration). Immer wird auch eine (diagnostische) Lymphadenektomie im
Obturatoriusbereich durchgeführt.

12.5 Harnumleitung

Mit der Zystektomie entfällt das Harnspeicherorgan, und der Urin muss definitiv
umgeleitet werden. Harnumleitungen können aber auch als vorübergehende Maß-
nahme bei verschiedenen anderen Harnwegserkrankungen notwendig werden.
Für die definitive Harnumleitung sind verschiedene Verfahren gebräuchlich.
Keines kann allen Anforderungen an einen idealen Harnblasenersatz voll genü-
gen. Diese sind:
12.5 · Harnumleitung
185 12
4 volle Erhaltung der äußeren Integrität des Körpers,
4 Speicherfunktion mit Füllungssensibilität,
4 Kontinenz,
4 keine Resorption des Ersatzblaseninhalts,
4 kein Reflux in die oberen Harnwege,
4 Infektfreiheit.

Vorübergehende Harndeviation
Nephrostomie. Vor allem bei Verlegung des Harnleiters z.B. durch einen infi-
zierten Stein. Nephrostomien werden heute fast ausschließlich auf perkutanem
Wege angelegt (. Abb. 5.7, S. 78).

Ureterokutaneostomie. Als definitive Harndeviation nur bei starker Ureterer-


weiterung und voraussichtlich geringer Lebenserwartung zweckmäßig. In die-
sem Falle evtl. über ein einziges Stoma (mit Einpflanzung des gegenseitigen
Harnleiters in den zur Haut herausgeleiteten) oder nach Unterbindung des
Ureters der funktionell schlechten Niere.

Zystostomie. Nach Harnröhrenverletzungen oder -operationen (. Abb. 12.4).

Definitive Harndeviation
Ureterosigmoidostomie. Älteste gebräuchliche Form der definitiven Harnde-
viation, indiziert z.B. bei Blasenekstrophie oder nach Zystektomie. Vorausset-
zung für diese Harnumleitung ist ein funktionstüchtiger Sphincter ani. Ihre
Gefahren liegen v.a. in der Resorption von Harnelektrolyten (→ hyperchlorä-
mische Azidose) und im Reflux von Darminhalt in die oberen Harnwege (→
pyelonephritische Schübe). Durch Bildung eines »Darmbeutels« am Übergang
des Sigmas zum Rektum kann die Speicherkapazität erhöht und der Druck im
Darm in erwünschter Weise gesenkt werden (. Abb. 12.5). Problematisch sind
Harnwegsinfekte und als Spätfolge Karzinominduktion im Einpflanzungsbe-
reich der Ureteren. Heute kaum noch verwendet.

Rektumblase. Diese ist der Ureterosigmoideostomie insofern überlegen, als


Stuhl und Urin getrennt abgeleitet werden. Als Nachteil muss die inkontinente
Stuhlableitung durch einen Anus praeter in Kauf genommen werden
(. Abb. 12.6). Diese Form der Urinumleitung ist heute fast vollständig ersetzt
durch so genannte Darmbeutelersatzblasen (»Pouches« oder »Neoblasen«).
186 Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen

12

. Abb. 12.4. Suprapubische Blasen-


drainage mit dem Zystofixpunktions-
system; schematische Darstellung der
Punktionstechnik (modifiziert nach
Marx 1980)
12.5 · Harnumleitung
187 12

. Abb. 12.5. Ureterosigmoidostomie . Abb. 12.6. Rektumblase

Ersatzblasen (Pouches, Darmbeutelreservoir). Zum Blasenersatz nach Zystek-


tomie werden aus dem terminalen Ileum oder dem ileozoekalen Darm – nach
Ausschaltung aus der Kontinuität und antimesenterialer Eröffnung – Beutel
konstruiert, die entweder orthotop auf den Urethrastumpf aufgepflanzt oder im
Nabelbereich herausgeleitet werden. Die Ureteren werden in diese Pouches ein-
geleitet, wobei versucht wird, Reflux von Urin in die Nierenbecken zu vermei-
den. Durch die Bauchdecke abgeleitete Darmersatzblasen müssen regelmäßig
katheterisiert werden. Orthotope Ersatzblasen (. Abb. 12.7) können mit der
Bauchpresse entleert werden. Problematisch sind neben der nicht seltenen
nächtlichen Inkontinenz Entleerungsstörungen, Reflux und Störungen des
Elektrolythaushaltes.

Ileum und Kolonconduit. Eine derzeit immer noch häufig verwendete Harn-
umleitungsmethode ist das seit Jahrzehnten bewährte komplikationsarme
Ileum- oder Kolonconduit (. Abb. 12.8). Das in die Haut eingepflanzte Darm-
stück hat keine Reservoirfunktion, sondern dient der Verhinderung von Strik-
turen auf Hautniveau (Strikturen bei Ureterokutaneostomie häufig).
Nachteilig ist hier das inkontinente Hautstoma (»Urostoma«). Der Urin
wird mit einem auf die Haut geklebten Beutel aufgefangen. Die Beutelsysteme
sind jedoch heute so perfekt, dass eine vollständige soziale Reintegration des
Patienten die Regel ist.
188 Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen

12

. Abb. 12.7a–d. Orthotope Darmersatzblase aus dem Ileum; a Isolierung von 60–70-cm
terminalen Ileums und antimesenteriale Detubularisierung, b W-förmige Lagerung, c, d Beutel-
bildung und Anastomose mit dem Harnröhrenstumpf (nach Sigel 1993)

12.6 Nierentransplantation

Die Nierentransplantation stellt die beste (auch kostengünstigste) Therapie


des chronischen Nierenversagens dar. In den letzten Jahren Ausdehnung der
Indikation zur Transplantation (jüngere und ältere Empfänger, Diabetiker
usw.).
12.6 · Nierentransplantation
189 12

. Abb. 12.8. a Ileumconduit (sog. Brickerblase), b Sigma-(kolon-)conduit

Leichennierentransplantation
Bei frisch Verstorbenen transperitoneale »En-bloc«-Entnahme beider Nieren
mit Aorten- und Cava-Manschette (»Patch«) sowie langem Ureter. Transplan-
tation in zwei immunologisch kompatible Empfänger.

Lebendspendernierentransplantation
Wegen des chronischen Mangels an Leichennieren weltweite Zunahme der
Nierentransplantation zwischen Verwandten oder emotional verbundenen Per-
sonen. Setzt sehr sorgfältige Abklärung und Information von Spender und Emp-
fänger voraus. Auf die Transplantation selbst kann hier nicht eingegangen wer-
den. Die Nierenentnahme beim gesunden Lebendspender stellt eine Besonderheit
dar, weil es sich um eine Operation ohne primären Nutzen für den Operierten
handelt, sondern weil altruistische Beweggründe im Vordergrund stehen. Ent-
sprechend haben die Sicherheit für den Spender und das Organ höchste Priorität.
Die Lebendspendernephrektomie soll nur von erfahrenen Chirurgen vorgenom-
men werden. Durch die Vertrautheit mit der Niere ist der Urologe dazu beson-
ders geeignet. Besseres Überleben des Transplantates durch optimales Timing
und kurze warme und kalte Ischämie. Nach heutigem Wissensstand keine nach-
teiligen Folgen für den Spender. Zurzeit wird rund die Hälfte der Lebend-
spendernephrektomien auf laparoskopieassistiertem Wege durchgeführt.
190 Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen

Prinzip. Die Niere wird ohne Fettkapsel, aber mit genügend Ureterfett allseitig
frei präpariert, ohne die vaskuläre Versorgung zu beeinträchtigen. Getrennte
Darstellung von Nierenvene und -arterie. Absetzen über Klemmen und sofor-
tiges Spülen mit kalter Konservierungslösung. Unmittelbare Transplantation in
den von einem zweiten Team vorbereiteten Empfänger. Sorgfältige Versorgung
der Nierengefäße.

Urologische Komplikationen nierentransplantierter Patienten


Die urologischen Komplikationen des Transplantates sind dank verbesserter
Operationstechnik auf wenige Prozent zurückgegangen.
Folgende Komplikationen können auftreten:
4 Ureterstenose (meist an der Ureter-Blasen-Anastamose),
4 Ureternekrosen,
4 Urinleck,
4 Steine im Transplantat,
4 Tumoren in Transplantat oder nativen Urogenitalorganen des Empfängers.

Viele der urologischen Komplikationen können minimal invasiv behandelt


werden, z. B. mit:
4 Blasenkatheter bei Urinleck,
4 Doppel-J-Katheter bei Ureterstenose oder Ureterleck,
12 4 perkutane Transplantatnephrostomie bei Ureterobstruktion,
4 offen chirurgische Versorgung (Ureterneueinpflanzung) selten notwendig.

12.7 Radikale Prostatektomie (7 Kap. 6.4)

12.8 Endoskopische (transurethrale) Eingriffe

Erkrankungen und Unfallfolgen im Bereiche der Harnröhre, Prostata und Bla-


se werden heute in den meisten Fällen endoskopisch instrumentell behandelt.
Harnröhrenstrikturen werden unter Sicht mit einem im Instrument inte-
grierten, beweglichen Messer gespalten.
Tumoren der Prostata, insbesondere die gutartige Adenomyomatose, wer-
den mit einer beweglichen Drahtschlinge mit Hochfrequenzstrom schichtweise
abgetragen (TUR-P) (7 auch Kap. 7.1).
12.8 · Endoskopische (transurethrale) Eingriffe
191 12
Tumoren der Blase werden in gleicher Weise aus der Blasenwand heraus-
geschnitten (TUR-B).
Blasensteine werden mechanisch mit Zangen oder aber mit über Sonden
an den Stein herangebrachter Energie (z. B. Ultraschall- oder Laserenergie, u. a.)
zertrümmert und ausgespült.
Steine im Ureter können über entsprechend dünne und lange Endoskope
extrahiert oder zertrümmert und ausgespült werden (7 auch Kap. 5.4). Häufig
wird anschließend (zur inneren Harnableitung) ein so genannter Doppel-J-
Katheter in den Harnleiter eingelegt, der dank seiner Krümmung im Nierenbe-
cken fixiert bleibt und dieses mit der Blase kurzschließt (. Abb. 5.6).
Gelingt die Einlage nicht, so muss gelegentlich vorübergehend eine perku-
tane Nephrostomie angelegt werden.

12.9 Laparoskopie und Retroperitoneoskopie


in der Urologie

Nachdem die Laparoskopie in der Urologie lange Zeit von untergeordneter


Bedeutung war, ist sie nun als minimal-invasive Methode bei verschiedenen
urologischen Eingriffen etabliert. Ihr genauer Stellenwert wird sich aber noch
zeigen müssen. Da es sich meist um technisch anspruchsvolle Eingriffe handelt,
bleibt sie zurzeit spezialisierten Zentren vorbehalten. Möglicherweise werden
Operationsroboter, die den Chirurgen unterstützen, die Verbreitung fördern.
Bei der Laparoskopie wird der von anderen chirurgischen Gebieten her be-
kannte intraperitoneale Zugang verwendet. Nach Anlegen eines Pneumoperi-
toneums können die Nieren, die Harnleiter, die Blase und die Prostata erreicht
werden. Noch kontrovers diskutiert, an einzelnen Zentren aber routinemäßig,
wird auf diesem Wege z. B. die laparoskopische radikale Prostatektomie
durchgeführt. Langzeitresultate stehen noch aus. Teilweise wird auch die Le-
bendnierenspende laparoskopieassistiert durchgeführt.
In jüngster Zeit wurde vermehrt der retroperitoneale Zugang (sog. Retro-
peritoneoskopie) verwendet. Dabei wird das Retroperitoneum (das ja einen
virtuellen Raum darstellt) mit Expandern »entwickelt« und dann mit Gas ge-
füllt. Auf diesem Wege ist der direkte Zugang auf die Niere und die Harnleiter
möglich. Vorteil: Keine Behinderung durch Darmschlingen, geringe Verlet-
zungsgefahr der inneren Organe. Nachteil: enge Platzverhältnisse. In geübten
Händen eignet sich die Retroperitoneoskopie für Eingriffe an der Niere, am
192 Kapitel 12 · Besondere urologische Behandlungsmaßnahmen

Nierenbecken (z. B. Nierenbeckenplastik) und am Harnleiter. Seit kurzem auch


vermehrter Einsatz von sog. »Robotern« für die Führung der Laparoskopie
Instrumente.

Fallbeispiel
Anamnese. Eine 26-jährige Coiffeuse wird mit Verdacht auf Pyelonephritis hos-
pitalisiert. Sie klagt über rechtsseitige Flankenschmerzen, Fieber bis 40°C und
Abgeschlagenheit.

Befund. Fieber 39,6°C. Massive Leukozyturie. Im Ultraschall zeigt sich ein stark
dilatiertes Nierenbeckenkelchsystem rechts. Ein Stein kann nicht identifiziert
werden.

Beurteilung. Es wird eine obstruktive Pyelonephritis rechts angenommen. Ge-


fahr der Urosepsis.

Therapie. Notfallmäßige Einlage eines Doppel-J-Katheters rechts. Es entleert


sich trüber Urin. Nach 3 Tagen kann die fieber- und beschwerdefreie Patientin
mit liegendem Doppel-J-Katheter entlassen werden. Nach 3 Wochen Entfernen
des Doppel-J-Katheters und Durchführen eines CT mit Kontrastmittel. Dieses
zeigt eine Aufweitung des Nierenbeckenkelchsystems mit etwas verplumpten
12 Kelchen; der Ureter ist schlank. Eine Isotopen-Nephrogramm bestätigt die ver-
mutete Obstruktion im Bereich des pyeloureteralen Ueberganges. Der Patientin
wird die retroperitoneoskopische Nierenbeckenplastik empfohlen. Nach einer
4-tägigen Hospitalisation wird die Patientin wieder entlassen. Eine Kontrolle mit
i.v. Urogramm nach 6 Monaten zeigt freie Abflussverhältnisse mit einer leichten
Restdilatation der betroffenen Seite.

? Übungsfragen
1. Nierensteine werden nur selten offen operiert, so z.B., wenn gleichzeitig eine
Hydronephrose korrigiert werden muss. Wie heißen die gängigen Verfahren zur
minimal-invasiven Behandlung von Nierensteinen?
2. Nennen Sie zwei Möglichkeiten für eine definitive Harnumleitung nach
Blasenentfernung!
3. Wie werden Harnröhrenstrikturen endoskopisch behandelt?

Lösungen → S. 220
13

Dringliche Sprech-
stundensituationen
in der Urologie
13.1 Hämaturie – 194

13.2 Oligurie und Anurie, Harnverhaltung – 196

13.3 Unfreiwilliger Harnabgang – 198

13.4 Akute Urogenitalinfekte – 200

13.5 Steinkolik – 201

13.6 Einseitige Volumenzunahme


des Skrotalinhaltes, Hodenschmerzen – 202

13.7 Induratio penis plastica (M. Peyronie) – 207

13.8 Priapismus – 208

13.9 Paraphimose – 208

13.10 Psychosomatische Aspekte der Urologie – 209


194 Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie

13.1 Hämaturie

Die Hämaturie ist ein Alarmsymptom, das sich bei vielen Nieren- und Harnwe-
gsaffektionen findet und auf ernsthafte Erkrankungen hinweisen kann
(. Tabelle 13.1).

Makrohämaturie
Durch Blutbeimengung leicht erkennbar rot gefärbter Urin; verifiziert durch
mikroskopischen Erythrozytennachweis oder durch Teststreifen. Die Hämatu-
rie kann schmerzhaft sein (. Abb. 13.1). Auszuschließen sind:
4 Blutbeimengungen von außerhalb der Harnwege (weibliches Genitale),
4 Rotfärbung des Urins durch Nahrungmittel (Randen/Rote Bete) und Medi-
kamente (Pyridium, Laxanzien der Anthrachinonreihe, Pyrazolone),
4 Rotfärbung des Urins durch Urate (Ziegelmehlsediment),
4 Hämoglobinurie, Porphyrie.

. Tabelle 13.1. Ursächliche Differentialdiagnose der Hämaturie

Urologische Ursachen Internistische Ursachen

Niere und Tumoren, Steine, Allgemeinerkrankungen: hämorrhagische


obere Trauma, Tuberkulose, Diathese, Hämoblastosen, Antikoagulanzien-
Harnwege behandlung, Periarteriitis nodosa, nephro-
13 toxische Medikamente u.a.
Missbildungen, Nierenparenchymerkrankungen:
polyzystische Glomerulonephritis, interstitielle Nephritis,
Nierendegeneration Pyelonephritis/Papillennekrosen, Analgetika-
nephropathie, Niereninfarkt und Nierenvenen-
thrombose
Blase Tumoren, Fremdkörper, Hämoglobin- und Myoglobinurie:
Zystitis, Divertikel, schwere hämolytische Anämie, Vergiftungen,
Steine, Endometriose schwere Infekte, Muskelverletzungen
Adnexe Prostatahypertrophie,
Prostatitis
Urethra Tumoren, Verletzungen,
Fremdkörper
13.1 · Hämaturie
195 13

. Abb. 13.1. Häufigste Ursachen und Lokalisationen schmerzloser und schmerzhafter


Makrohämaturien (nach Alken u. Walz 1992)
196 Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie

Mikrohämaturie
Erhöhte Erythrozytenzahl im Urinsediment; bei der »Harnschau« nicht erkenn-
bar; aber nachgewiesen durch Teststreifen und mikroskopische Sedimentbeur-
teilung: (> 5 Erythrozyten/Gesichtsfeld).
! Makro- und Mikrohämaturie sind tumorverdächtig bis zum Aus-
schluss dieser differentialdiagnostischen Möglichkeit bzw. bis zum
Nachweis einer anderen Blutungsursache.

Lokalisatorische Differentialdiagnose der Blutungsquelle


Makroskopisch. Größere Koagula mit Blasentenesmen sprechen für die Blase
als Blutungsquelle. Ist die Blase mit Gerinnseln ausgefüllt, spricht man von einer
Blasentamponade.

! Blasentamponade → Klinikeinweisung!

Wurmförmige Koagula (Ureterausguss) werden gelegentlich bei Blutungen aus


den Nieren beobachtet. Meist bestehen auf der betroffenen Seite kolikartige
Schmerzen.
Blutaustritt aus der Harnröhre unabhängig von der Miktion spricht für eine
Blutungsquelle unterhalb des Blasenverschlusses.

Mikroskopisch. Erythrozytenzylinder stammen aus den Sammelrohren und


sprechen für eine Blutungsquelle im Nierenparenchym.
13 Mit dem Phasenkonstrastmikroskop lassen sich morphologische Unter-
schiede zwischen »glomulären« (renal-parenchymatösen) und »urologischen«
(Nierentumoren, Harnwegserkrankungen) Erythrozyten erkennen.

13.2 Oligurie und Anurie, Harnverhaltung

Oligurie < 500 ml Urin/24 h


Anurie < 100 ml Urin/24 h
Man unterscheidet prärenale, renale und postrenale Anurieursachen.
Handelt es sich um ein Abflusshindernis unterhalb des Blasenauslasses, so
spricht man von Harnverhaltung.
Die Ätiologie einer Oligurie/Anurie muss dringlich geklärt werden, da sich
die Prognose des Patienten rasch verschlechtert.
13.2 · Oligurie und Anurie, Harnverhaltung
197 13

. Tabelle 13.2. Ursachen, Topographie und pathogenetische Mechanismen der


Oligo-/Anurie

Pathogenese Topographie Wichtige Ursachen

Ausscheidungsstörung prärenal Hypovolämie


Schock
Ileus

renal Nephritis
Vergiftung

Transportstörung postrenal Tumoren


(Nierenbecken, Ureter) Steine
Papillennekrosen

Entleerungsstörung (Blase, Blasenauslass, Prostataerkrankungen


Urethra) Harnröhrenstriktur

Überlegungen zur Differentialdiagnose und Therapie der Oligo-


Anurie finden sich in . Tabelle 13.2.

Ausscheidungsstörung
Sicherung der Diagnose. Traumatischer, septischer, hämorrhagischer Schock?
Vergiftung? Gefäßprozess (Embolie, Thrombose)?

Therapie. Ausschaltung der Schockursache; Volumenersatz, Hämodialyse.

Supravesikale Transportstörung (Nierenbecken → Blase)


Sicherung der Diagnose:
4 keine Hinweise auf eine prärenale/renale Ursache,
4 Schmerzen? Kolik? (Steinschatten auf der Abdomenleeraufnahme),
4 Rektalbefund (Tumor im kleinen Becken? Prostata? Kollum?),
4 leere Blase (Katheter!),
4 gestaute obere Harnwege im Ultraschall (in welcher Höhe liegt das Hin-
dernis?).

Therapie. Endoskopische Uretersondierung. Einlage eines Doppel-J-Katheters.


Wenn unmöglich, perkutane Nephrostomie.
198 Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie

Entleerungsstörungen der Blase


Sicherung der Diagnose: Perkussion oder sonographische Untersuchung. Dif-
ferentialdiagnose: vesikale oder infravesikale Ursache?

Vesikale Funktionsstörung
Neurogen: Nervenschädigung nach Rektumamputation, Rückenmarkstrauma
oder multipler Sklerose.
Medikamentös-psychosomatisch: Medikamente (v.a. Psychopharmaka, Anti-
cholinergika), Drogen. Postoperative Miktionshemmung (bei 10–20% aller
Operierten).

Infravesikale Harnröhrenverlegung (akute Harnverhaltung)


4 Prostataadenom oder -karzinom,
4 Urethrastriktur,
4 Urethraruptur (Beckentrauma).

Therapie. Bei vesikalen Funktionsstörungen und infravesikaler Verlegung


durch Prostataerkrankungen: Katheterismus oder suprapubische Zystofix-
ableitung (. Abb. 12.4). Bei Striktur- bzw. Rupturverdacht sind Katheterisie-
rungsversuche kontraindiziert → Urethrogramm.

13.3 Unfreiwilliger Harnabgang


13 Beurteilung aufgrund einer gezielten Anamnese:
4 Art des unfreiwilligen Harnverlustes: kontinuierlich? → Fistel ausschließen;
diskontinuierlich? → mit oder ohne Dranggefühl.
4 Unter welchen Umständen erfolgt der unfreiwillige Harnverlust? Im Liegen,
im Stehen? Bei Anstrengungen? Bei Ruhe?
4 Welches Ausmaß hat der unfreiwillige Harnverlust? Müssen Vorlagen ge-
tragen werden, wie viele tagsüber? nachts?

Zu unterscheiden sind im Wesentlichen die folgenden Formen der Inkonti-


nenz (7 Kap. 7.6, S. 137).

Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz)


Schädigung des Verschlussapparates durch Geburtstrauma oder Blasenhals-
operationen → Erschlaffung des Beckenbodens. Häufigste Inkontinenzform
13.3 · Unfreiwilliger Harnabgang
199 13
der Frau. Wichtig ist die Abgrenzung zur Dranginkontinenz. Häufigste Ursache
beim Mann sind Prostataoperationen, z.B. radikale Prostatektomie.

Diagnose. Genaue Anamnese. Inspektion zeigt Urinverlust bei Husten. Siche-


rung der Diagnose und Differentialdiagnose zur Dranginkontinenz mit Zysto-
manometrie.

Therapie. Behandlung mit Beckenbodentraining. Chirurgische Behandlung


mit Schlingenoperationen.

Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz)
Unwillkürlicher Harnverlust infolge unkontrollierbarer Detrusorkontrak-
tionen. Meist verbunden mit imperativem Harndrang. Oft im Zusammenhang
mit Prostatavergrößerung. Häufigste Inkontinenzform des Mannes.

Diagnose. Genaue Anamnese (imperativer Harnddrang?). Zystomanometrie.

Therapie. Anticholinergika. Botulinumtoxin-Injektion in den Detrusor. Ev. Tri-


zyklische Antidepressiva.

Mischinkontinenz
Mischform von Belastungs- und Dranginkontinenz.

Diagnose. Zystomanometrie.

Therapie. Richtet sich nach der vorherrschenden Form. Zurückhaltung mit


einer Operation.

Harninkontinenz bei chronischer Harnretention


(früher Überlauf-Inkontinenz)
Unfreiwilliger, meist kontinuierlicher Harnverlust bei übervoller, durch infra-
vesikales Abflusshindernis passiv überdehnter Blase. Vorwiegend bei Män-
nern.

Diagnose. Perkussion. Ultraschall.

Therapie. Dauerableitung Blasenkatheter und Beheben der Ursache (z.B. TUR-P).


200 Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie

Extraurethrale Harninkontinenz
Selten. Die Ursache liegt außerhalb des Verschlussapparates, z.B. ektop mün-
dender Harnleiter. Blasen-Scheidenfisteln.

Diagnose. Zystokopie. Zystogramm. CT mit Kontrastmittel.

Therapie. Neueinpflanzung Ureter. Fistelverschluss.

Sonderformen der Harninkontinenz


In keine der oben genannten Kategorien passend oder nicht klassifizierbar.

13.4 Akute Urogenitalinfekte

Die Intensität der Erscheinungen einer akuten Zystitis verlangt nach sofortiger
Behandlung:
4 Harndesinfizienzien: Sulfomethoxazol-Trimethoprim, Norfloxacin, Cipro-
floxacin, u. a.,
4 Analgetika/Antipyretika,
4 Diuresesteigerung.

Vor Therapiebeginn sollte eine bakteriologische Abklärung (Objektträgerkul-


13 tur) eingeleitet werden. Bei Frauen: Uringewinnung mittels Einmalkatheter. Bei
ungünstiger Resistenzlage Umstellung der Therapie.
Bei Epididymitis: Ruhe, Hochlagerung des Skrotums, kühle Umschläge.

! Harnwegsinfekte, die nicht innerhalb von 3 Wochen vollständig abhei-


len, benötigen eine urologische Abklärung.

Bei Pyelonephritis mit Abflussbehinderung auf der betroffenen Seite (Stein,


nekrotische Papille) entwickelt sich u. U. das akut lebensbedrohliche Krank-
heitsbild der Urosepsis, das notfallmäßig behandelt werden muss: perkutane
Nephrostomie evtl. transvesikale Doppel-J-Katheter-Einlage. Symptome: Sep-
tische Temperaturen, Tachykardie, Blutdruckabfall (bei Verdacht sofortige Kli-
nikeinweisung!).
Im Zusammenhang mit einer schweren Pyelonephritis kann sich ein para-
nephritischer Abszess bilden, der sofort drainiert werden muss.
13.6 · Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes
201 13
Ein heute seltenes, aber schweres septisches Zustandsbild bietet auch die
akute Prostatitis/Prostataabszess. Die Prostata ist extrem schmerzhaft und
prall. Bei Verdacht sofortige Einweisung zur chirurgischen Drainage.
Eine seltene, aber besonders dramatische Form eines akuten Urogeni-
talinfekts ist die sog. Fournier-Gangrän. Es handelt sich um eine gang-
ränöse, nekrotisierende Faszitis des männlichen Genitale, bedingt durch
eine Streptokokkeninfektion. Ausgangspunkt ist oft eine kleine Verlet-
zung oder eine Operation im Genitalbereich. Prädisponierende Faktoren:
Diabetes mellitus, Alkoholismus mit Verwahrlosung, perirektale oder pe-
rianale Infektionen. Oft Gasbildung (Krepitation bei Palpation, Luft im
Röntgenbild). Dramatische Ausbreitung von kleiner Eintrittsporte zu
großflächiger Phlegmone innerhalb von Stunden möglich. Sofortiges,
ausgiebiges Débridement und i.v.-Antibiotikagabe entscheidend. Morta-
lität 20%.
! Die Fournier-Gangrän ist ein echter Notfall:
Daran denken! Sofortige Hospitalisation! Notfallmäßiges ausgedehntes
Débridement!

13.5 Steinkolik

Äußerst eindrücklicher akuter Schmerz auf der betroffenen Seite. Körperliche


Unruhe, Meteorismus, Darmatonie.

Differentialdiagnose: »Akutes Abdomen«, Gallenkolik, Gefäßembolie, Appen-


dizitis, Pankreatitis (. Abb. 13.2).
Sobald die Diagnose feststeht, Analgetika verabreichen:
4 Metamizol 2–5 ml i. v.,
4 Pethidin 75–100 mg. i. v.

Sofortige Klinikeinweisung zur evtl. Entlastung der Niere bzw. Steinbehand-


lung.
! 80% der Uretersteine sind spontan abgangsfähig.
202 Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie

. Abb. 13.2. Schmerzausstrahlung im Bereich des Abdomens bei abdominellen Erkran-


kungen (nach Altwein 1979)
13
13.6 Einseitige Volumenzunahme
des Skrotalinhaltes, Hodenschmerzen

Ohne Schmerzen:
4 Hodentumor,
4 Hydrozele/Spermatozele,
4 Hernia inguinalis.

Mit leichten Beschwerden:


4 Hodentumor (Schweregefühl),
4 Varikozele (typischer Inspektionsbefund im Stehen),
4 Hernia inguinalis (inguinale Schwellung, ziehende Unterbauchbeschwerden).
13.6 · Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes
203 13
Akut stark schmerzhaft:
4 Hodentorsion und Torsion von Hodenanhangsgebilden,
4 Hodentumor (bei Blutung in die Geschwulst mit intratunikaler Druckstei-
gerung),
4 Hodentrauma (Hämatozele),
4 Hernia inguinalis (bei Inkarzeration – Ileus),
4 Epididymitis acuta (Infektanamnese, pathologischer Urinbefund).

Hodentumor
(7 Kap. 6.5).

Hydrozele
Langsam zunehmende Flüssigkeitsansammlung innerhalb der Tunica vaginalis
testis (Hydrocele testis), seltener im Bereich des Samenstrangs (Hydrocele fu-
niculi) (. Abb. 13.3).
Bei der idiopathischen Hydrozele ist die Ursache unbekannt.
Eine symptomatische Hydrozele kann sich entwickeln nach Trauma, bei
Hodentumoren sowie bei entzündlichen Erkankungen (»Begleithydrozele«).
Bei Durchleuchtung mit einer starken punktförmigen Lichtquelle (Diaphanos-
kopie) schimmert der Lichtstrahl rötlich durch. Die Ultraschalluntersuchung
eignet sich gut für die Differentialdiagnose.
Die Entleerung der Hydrozele durch Punktion in Lokalanästhesie ist meist
nur vorübergehend erfolgreich. Eine sichere Heilung ist nur durch Operation
möglich (Abtragung bzw. Umstülpung des Hydrozelensackes). Bei Tumorver-
dacht immer chirurgische Revision veranlassen.

. Abb. 13.3a–c. Hydrozele; a der Tunica vaginalis testis, b vaginalis communis, c funiculi
(nach Tanagho u. McAninch 1992)
204 Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie

Spermatozele
Es handelt sich um ein Konglomerat von multiplen Zysten, gefüllt mit milchig
trüber Flüssigkeit, das tumorartig oberhalb und hinter dem Hoden gelegen
imponiert. Pathologisch-anatomisch sind es zystisch erweiterte Gänge des Ne-
benhodenkopfes (Retentionszysten).
Die differentialdiagnostische Abgrenzung von Tumoren geschieht mit
Ultraschall. Bei Beschwerden: Amputation des Nebenhodenkopfes mit der
Spermatozele.

Hernia inguinalis
Typisch die offene Bruchpforte und der in der Regel reponierbare Bruchsackin-
halt. Peristaltik im Skrotum gelegentlich erkennbar oder hörbar. Bei Inkarzera-
tion: schmerzhafte Ileuserscheinungen.

Varikozele
Krampfaderartige Erweiterung des Plexus pampiniformis, meist links (90%).
Bei etwa 5% aller Männer mehr oder weniger eindrücklich ausgebildet. Verur-
sacht gelegentlich »dumpfe«, ziehende, linksseitige Hodenschmerzen oder wird
bei der Abklärung einer Fertilitätsstörung entdeckt.
Ursache sind insuffiziente Klappen der V. spermatica und ihre rechtwink-
lige Einmündung in die V. renalis (. Abb. 13.4).
Selten als symptomatische Varikozele bei tumorbedingter Verlegung der
V. renalis bzw. der V. cava.
13 Bei der idiopathischen Form führt die venöse Stase zu einem Tempera-
turanstieg im Skrotum und dadurch zu einer Verminderung der normalen
Temperaturdifferenz Hoden-Körperhöhle (von bis zu 2,5 °C). Diskutiert
werden auch andere Mechanismen der Hodenschädigung wie Hypoxie
oder Regurgitation von Nebennierenblut mit spermiziden Hormonmeta-
boliten.

Therapie. Unterbindung bzw. Embolisierung der V. spermatica.

Epididymitis/Orchitis
Akute (kanalikulär deszendierende) Nebenhodenentzündung (7 auch Kap. 4.4).
Gefährdet sind ältere Patienten mit Harnwegsinfekten (besonders Dauer-
katheterträger). In der Regel akuter Beginn mit Schmerzen, Fieber und lokaler
Schwellung. Im Vollbild der Erkrankung kann der Nebenhoden nicht vom
13.6 · Einseitige Volumenzunahme des Skrotalinhaltes
205 13
. Abb. 13.4. Venöser Hauptabfluss des
Hodens; rechts direkt in die V. cava, links in
die V. renalis. Die ungünstigen Abflussver-
hältnisse links disponieren zur Entstehung
einer Varikozele. Die typische Behandlung
der Varikozele besteht in der retroperitone-
alen Unterbindung (+) der V. spermatica

Hoden abgegrenzt werden. Eine Orchitis liegt aber nur ausnahmsweise vor
(Hodenabszess).
Anheben des befallenen Hodens bringt Erleichterung. Es besteht ein typisch
entzündliches Harnsediment und eine positive Urinkultur.
Behandlung: (resistenzgerechte) Antibiotikatherapie, Hochlagerung, kühle
Umschläge. Die Schwellung des Nebenhodens kann mehrere Wochen an-
halten.
Echte Orchitiden sieht man im Zusammenhang mit Parotitis epidemica,
Varizellen und Mononukleose. Behandlung: symptomatisch (7 auch Kap. 4.4).

Hodentorsion
Die Hodentorsion (. Abb. 13.5) führt, wenn sie nicht oder zu spät erkannt wird,
zum Verlust des betroffenen Organs.
206 Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie

a b

. Abb. 13.5. a Intravaginale Hodentosion (nach Feustel 1976), b Torsion einer Morgagni-
Hydatide (nach Altwein 1979)

Ursache ist eine meist doppelseitige kongenitale Anomalie: ein strangför-


miges Mesorchium. Deshalb erfolgen Hodentorsionen praktisch nur im Kin-
des- und Adoleszentenalter (postpubertäres Hodenwachstum) und fast immer
innerhalb der Tunica vaginalis testis. Extravaginale Samenstrangtorsionen sind
selten (evtl. bei Deszensusstörung).
13 Auslösender Faktor kann eine Bewegung beim Spiel oder Sport sein, aber
auch eine Drehung im Schlaf. Ein eigentliches Trauma wird äußerst selten an-
gegeben. Die Torsion führt zur Durchblutungsstörung: Zuerst sind die Venen
gestaut (Ödem), in der Folge kommt es auch zur Drosselung der arteriellen
Blutzufuhr und zur Gangrän. Der anoxische Schaden ist in der Regel nach 6
Stunden irreversibel.
Klinisch manifestiert sich die Hodentorsion durch plötzlich auftretende,
heftige Schmerzen verbunden mit Skrotalschwellung, nach Stunden evtl. leich-
tes Fieber und Leukozytose. Viel zu häufig wird in dieser Situation differential-
diagnostisch die Diagnose »Epididymitis« vorgezogen, obwohl der Urinstatus
völlig bland ist.
Dadurch wird die Behandlung, die in der sofortigen Hodenfreilegung und
Detorsion besteht, mit fatalen Folgen verzögert.
13.7 · Induratio penis plastica (M. Peyronie)
207 13
! Die chirurgische Revision bei einem torsionsverdächtigen Hoden ist nie
falsch; zur Prophylaxe wird die Revision mit der Orchidopexie auch auf
der Gegenseite abgeschlossen.

Spezielle Differentialdiagnose: Hodentorsion/Epididymitis


Torsion:
4 perakut,
4 ohne erkennbaren Anlass,
4 afebril,
4 Urinsediment unauffällig,
4 bei Anheben des Hodens Zunahme der Beschwerden.
! Grob vereinfachend: »Der junge Mann hat keine Epidymitis, der alte
keine Torsion«!

Epididymitis acuta:
4 akut,
4 in der Anamnese Harnwegsinfekt,
4 oft febril bis hochfebril,
4 oft Leukozyturie, Pyurie,
4 bei Anheben des Hodens Rückgang der Beschwerden.

Therapie. Bei Verdacht chirurgische Revision innerhalb der 4- bis 6-h-


Grenze. Bei Jugendlichen mit akuter schmerzhafter Hodenschwellung, ohne
urologische Anamnese und ohne Urinbefund, liegt fast mit Sicherheit eine Tor-
sion vor. Sofortige Klinikeinweisung. Die Unterlassung der sofortigen Revision
in Verdachtsfällen ist fahrlässig.

13.7 Induratio penis plastica (M. Peyronie)

Es handelt sich um eine lokalisierte fibröse Verhärtung in der Schwellkörper-


wand mit (oft schmerzhafter) Verkrümmung des erigierten Penis und Kohabi-
tationsbehinderung.
Die Ätiologie ist unbekannt. Die Erkrankung tritt gelegentlich kombiniert
mit Dupuytren-Kontrakturen der Hohlhandfaszie auf.
Die Betroffenen sind meist über 45 Jahre alt, der Palpationsbefund ist ein-
deutig, differentialdiagnostisch kommt eigentlich nur ein Zustand nach
schwerem Penistrauma in Frage.
208 Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie

Therapie. Die Behandlung ist im Ganzen unbefriedigend, spontane Besserungen


sind selten. Versuchsweise werden Vitamin E p. o. und die lokale Injektion von
Kortikoiden angewendet. Oft sind die chirurgische Exzision der Narbenplatte und
Deckung mit freien Unterhauttransplantaten oder die Anbringung einer Plikatur
(eines »Abnähers«) auf der Gegenseite notwendig (Operation nach Nesbit).

13.8 Priapismus

Unter Priapismus versteht man eine schmerzhafte Dauererektion, die länger als
2 Stunden anhält. Solche Patienten müssen sofort auf eine urologische Abtei-
lung eingewiesen werden.
Eine spezifische Ursache ist in der Mehrzahl der Fälle nicht eruierbar.
Symptomatisch tritt der Priapismus gehäuft bei Bluterkrankungen (Leukosen,
Sichelzellenanämien) und Neoplasien auf. In jüngerer Zeit gelegentlich als Fol-
ge der Schwellkörperinjektionstherapie bei erektiler Dysfunktion (7 Kap. 8.1).
Der unbehandelte idiopathische Priapismus führt zum irreversiblen Ver-
lust der Erektion durch hypoxische Schädigung des Schwellkörpergewebes.

Therapie. Die Behandlung besteht in der Punktion der Corpora cavernosa,


Aspiration von Blut, Spülung mit NaCl 0,9% und Sympathomimetika (unter
anästhesiologischer Überwachung).
Bringt diese Maßnahme keinen Erfolg, so wird eine Anastomose zwischen
13 Corpus cavernosum einerseits und Corpus spongiosum angelegt, wofür ver-
schiedene Verfahren empfohlen werden.

13.9 Paraphimose

Die Paraphimose entsteht durch Strangulation der Glans durch eine enge, zu-
rückgestreifte Vorhaut. Bei der Einlage von Kathetern muss die Vorhaut zur
Paraphimoseprophylaxe immer reponiert werden. Die Zirkulationsstörung
durch den Schnürring führt zum Ödem der Glans und später zu Nekrosen im
Bereiche des Sulcus coronarius.
Ist ein Repositionsversuch (. Abb. 13.6a) – nach Verabreichung eines kräf-
tigen Analgetikums (z. B. Morphin 10 mg i. v.) – erfolglos, so muss der Schnür-
ring auf dem Dorsum penis in Lokalanästhesie ausgiebig gespalten werden, bis
13.10 · Psychosomatische Aspekte der Urologie
209 13
. Abb. 13.6. a Manuelle Repo-
sition einer Paraphimose (nach
Hofstetter u. Eisenberger 1986),
b dorsale Längsinzision des
Präputiums, c quere Vernähung
(nach Altwein 1979)

die Reposition möglich ist (. Abb. 13.6b). Als definitive Therapie muss später
eine Zirkumzision erfolgen.

13.10 Psychosomatische Aspekte der Urologie

Obwohl sich die klassischen psychosomatischen Syndrome in erster Linie an


den Kreislauf- und Atemorganen, an der Haut und am Magen-Darm-Trakt
manifestieren, gibt es gar nicht so selten auch an den Urogenitalorganen Er-
scheinungen, die einen psychosomatischen Hintergrund vermuten lassen.

Niere
Bei der Niere ist eine affektiv ausgelöste Polyurie bekannt. Auch eine anfallartig
auftretende Phosphaturie wird beschrieben. Sie soll auf der psychischen Ebene
210 Kapitel 13 · Dringliche Sprechstundensituationen in der Urologie

mit Affektlabilität und Introvertiertheit einhergehen. Gelegentlich besteht auch


bei »Nierenschmerzen« Veranlassung, an einen psychosomatischen Hinter-
grund zu denken (Nephroptose).

Blase
Die rasche und empfindliche Reaktion der Blase auf psychische Einflüsse ist
auch dem Laien geläufig: Kältereiz oder plätscherndes Wasser führen zu Harn-
drang, ganz besonders bei »nervösen« Menschen.
Pollakisurie und andere Reizblasensymptome sind bei emotionell labilen
Menschen nicht selten. Gelegentlich mögen sie Ausdruck von Konflikten im
sexuellen Bereich sein; manchmal verbirgt sich hinter ihnen eine uneingestan-
dene Karzinophobie oder Angst vor venerischen Erkrankungen. Letzteres be-
sonders bei Patienten, bei denen ein bestimmter sexueller Kontakt Schuldge-
fühle hervorgerufen hat. Nicht ganz selten persistieren bei jüngeren Patien-
tinnen nach Abheilung echter, bakterieller Zystitiden, infolge hypochondrischer
Fixierung (dann nur noch psychogen bedingte) Miktionsbeschwerden.
Oligurie, verursacht durch Umweltbedingungen, wird von ängstlichen,
psycholabilen Persönlichkeiten gelegentlich als Harnsperre interpretiert.

Prostata
Ein erheblicher Teil der Erkrankungen an sog. chronischer bakterieller Prosta-
titis sind in Wirklichkeit Prostataneurosen (»Prostatosen«) und stehen im Zu-
sammenhang mit Partnerproblemen, Potenzstörungen oder uneingestandener
13 Angst vor Geschlechtskrankheiten.
Erektile Dysfunktion (besonders bei jüngeren Patienten) ist häufig psycho-
gen mitverursacht und vielfach Ausdruck von Minderwertigkeits-, Schuld- oder
Angstgefühlen, etwa Versagerangst, Angst vor sexueller Überforderung, aber
auch Ausdruck durchaus unspezifischer psychischer Stresssituationen.

Verhalten bei Verdacht auf psychosomatische Beteiligung


In allen Verdachtsfällen ist ein ausführliches Gespräch mit dem Ziel, dem Pati-
enten behutsam Einsicht in mögliche psychologische Hintergründe seiner Er-
scheinungen zu vermitteln, von großer Bedeutung. Die Verschreibung von
Psychopharmaka kann höchstens in akuten Fällen, und auch dann nur als Be-
gleitmedikation, kurzfristig und gut überwacht, von Nutzen sein.
13.10 · Psychosomatische Aspekte der Urologie
211 13
! Die für den vielbeschäftigten Arzt bequeme »Somatisierung« von
unklaren Urogenitalsyndromen mit vielfach offensichtlichem psycho-
somatischem Hintergrund (z.B. der »Prostatitis«), und ihre nutzlose
Behandlung mit Antibiotika, ist eine ernstzunehmende und oft folgen-
reiche Fehlbehandlung.

? Übungsfragen
1. Wie kann der Arzt bei einem Hämaturiepatienten schon bei der Aufnahme der
Anamnese schon erste Hinweise auf die Lage der Blutungsquelle erhalten?
2. Wann spricht man von Anurie, und an welchen drei Stellen kann die Ursache
(grundsätzlich) liegen?
3. Was ist der Unterschied beim Einnässen wegen kongenitaler extrasphinkterieller
Dystopie der Harnleitermündung und wegen Enuresis nocturna?
4. Was denken Sie, wenn ein Harnwegsinfekt trotz korrekter Behandlung nach drei
Wochen immer noch (oder wieder) nachweisbar ist?
5. Können Uretersteine auch spontan abgehen? Wenn ja, wieviel Prozent schätzen
Sie, sind abgangsfähig?
6. Nennen Sie zwei Ursachen für eine nicht, bzw. kaum schmerzhafte einseitige
Volumenzunahme des Skrotalinhaltes!
7. Nach welcher Zeit sprechen Sie bei einer Dauererektion von Priapismus und was
unternehmen Sie (in der Praxis)?
8. Was unternehmen Sie bei einem Patienten mit Paraphimose?

Lösungen → S. 220
Anhang

Lösungen zu den Übungsfragen – 215

Weiterführende Internet-Seiten – 221

Sachverzeichnis – 223
Lösungen zu den
Übungsfragen
216 Anhang

Kapitel 1 und 2
1. Zwanghafter Drang zur Miktion, z. B. bei Zystitis
2. Pollakisurie: Häufige Entleerung kleiner Urinmengen unabhängig von der Gesamt-
urinmenge/häufige Entleerungen wegen großer Gesamturinmenge
3. Polyurie: Perianaler Sensibilitätsausfall, fehlender Achillessehnen- und Bulboka-
vernosusreflex
4. Restharn, Harnstauung, Tumorverdacht
5. Vernichtender, einseitiger Dauerschmerz von wechselnder Intensität
6. Sie wollen wissen, ob Hinweise für ein Prostatakarzinom bestehen.
7. Mehr als 100.000
8. Urogramm: Radiologische Darstellung von Nieren und Harnwegen nach intra-
venöser Verabreichung eines jodierten Kontrastmittels. CT: Radiologische Erzeu-
gung von axialen Querschnittsbildern des Körpers, meist ohne Kontrastmittel
(Steindiagnostik).
9. Tiemann, Charr. 16–18
10. In ml/s

Kapitel 3
1. Fusion der beiden Nierenunterpole kaudal von der A. mes. caudalis
2. Ureter fissus: ein Ostium; Ureter duplex: zwei Ostien
3. Der Harnleiter von der oberen Kelchgruppe mündet auf der Ureterleiste weiter
distal.
4. Die Zyste hat keine Verbindung zum Nierenbecken: operative Behandlung nur
ausnahmsweise angezeigt. Die Hydronephrose ist eine stauungsbedingte Er-
weiterung des Nierenbeckens: operative Behandlung zur Behebung der Abfluss-
behinderung angezeigt
5. Missbildung, Tumor, Stein
6. Mit einem Miktionszystogramm (MCUG)
7. Die Harnröhrenmündung ist in beiden Fällen proximalwärts verlagert. Liegt sie
auf der Ventralseite so handelt es sich um eine Hypospadie. Liegt sie auf der
Dorsalseite so liegt eine Epispadie vor. Kontinenz normal. (Im Extremfall ein in-
kontinenter Übergang zur Blasenekstrophie.)
8. Wenn der gesuchte Hoden retroperitoneal angelegt ist, sollte wegen der Gefahr
einer malignen Entartung zur Entfernung geraten werden.
217
Lösungen zu den Übungsfragen

Kapitel 4
1. Ein Harnwegsinfekt bei Vorliegen zusätzlicher Krankheitsfaktoren wie Steine,
Abflussbehinderung usw.
2. Escherichia coli
3. Mittelstrahlurin
4. Mittelstrahlurin (beweisend nur bei negativem Ausfall der bakterologischen
Untersuchung). Im Zweifel: Katheterurin
5. Einige Tage (je nach Behandlung)
6. Nierenbeteiligung, Urosepsisgefahr, intensive Antibiotikatherapie, bei Andauern
unverzügliche Spitaleinweisung
7. Trimethoprim, Norfloxacin, Ciprofloxacin, Nitrofurantoin
8. Mikrohämaturie und »sterile« Pyurie

Kapitel 5
1. Kalziumoxalat 60–70%, Kalziumphosphat (besonders Kalzium-Magnesium-
Ammoniumphosphat) rund 20%, Harnsäure 10–15%, Zystin/Xanthin selten
2. Ausgussstein, Ureterstein, Kelchstein, Nierenbeckenstein
3. Dehydration, Harnstauung, einseitige Diät, Immobilisation
4. Harnsäuresteine, durch Alkalisierung
5. Diuresesteigerung

Kapitel 6
1. Vorwiegend lymphogene Metastasierung, v.a. iliakal und retroperitoneal. Nur
das Peniskarzinom metastasiert inguinal.
2. Hodentumoren sprechen sehr gut auf Chemotherapie an, Nierentumoren we-
nig, Prostatakarzinome kaum.
3. Hämaturie ist Leitsymptom für Urotheltumoren, seltener Nierenzellkarzinome
(hier Spätsymptom).
4. Tumor/Zyste. Differentialdiagnose durch Ultraschall und/oder Computertomo-
graphie, Einteilung der Zysten nach Bosniak (I–IV)
5. Es handelt sich um einen weit fortgeschrittenen Blasenkrebs, für den es keine
Heilung mehr gibt. Evtl. Behandlung mit Gemcitabin.
6. Relativ gering 20–30%/Groß rund 70%
7. Praktisch nur das Prostatakarzinom, selten Prostatakonkremente und chronische
Entzündungen
218 Anhang

8. Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) und gegebenenfalls Be-


stätigung der Vermutungsdiagnose durch ultraschallgezielte Biopsie
9. Radikale Prostatektomie – kurative Bestrahlung – Beobachtung ohne Behand-
lung (bei einer Lebenserwartung von weniger als 5–8 Jahren)
10. Hodentumor, Leistenhernie, Hydro-(Spermato-)zele, Epididymitis
11. Phimose

Kapitel 7
1. Restharn, Ausbildung einer Balkenblase, später Rückstau mit Erweiterung der obe-
ren Harnwege, später Tubulusschädigung und beginnende Niereninsuffizienz
2. Verzögerter Miktionsbeginn, schwacher Harnstrahl, Gefühl der unvollständigen
Entleerung, Nachträufeln, Pollakisurie imperativer Harndrang
3. Ja, Phytotherapie, α-Rezeptorenblocker, 5-α-Reduktasehemmer.
4. In keiner bis nur sehr geringer Beziehung: Es gibt durchaus ältere Männer mit
eindrücklich vergrößerter Prostata ohne Symptome und Restharn, aber auch das
Umgekehrte ist möglich.
5. Ja, sicher, denn bei der Operation bleibt der größte Teil der Drüse als sog. chirur-
gische Kapsel zurück.
6. Unsorgfältiger Katheterismus
7. Multiple Sklerose, diabetische Neuropathie, Morbus Parkinson, Rückenmarks-
läsionen
8. Belastungsinkontinenz (Frau 50%); Dranginkontinenz (Mann 40–80%). Mischin-
kontinenz. Inkontinenz bei chronischer Harnrebention. Extraurethrale Sonder-
formen

Kapitel 8
1. Diabetes mellitus, Arteriosklerose, radikale Prostatektomie, neurologische Er-
krankungen
2. Medikamente (z. B. Viagra), intrakavernöse Injektionsbehandlung, Penispro-
thesen
3. Ungünstig, allenfalls erfolgreich bei Infekten
4. Ursache: Klappeninsuffizienz in der V. spermatica links und behinderter Blutab-
fluss durch rechtwinklige Einmündung in die V. renalis. Ungünstige Beeinflus-
sung der Spermaqualität
5. Mit einem Spermiogramm, nach Abgang von ca. 20 Ejakulaten
219
Lösungen zu den Übungsfragen

Kapitel 9
1. Die kurze weibliche Harnröhre, Miktionsgewohnheiten (Zurückhalten der Mikti-
on), mechanische Reizung beim GV, hormonale Umstellung in Schwangerschaft
und Menopause
2. Banale Zystitis, interstitielle Zystitis, Urothelkarzinom der Harnblase, Harnwegs-
tuberkulose, Harnröhrenerkrankung, psychosomatische Problematik
3. Unklare, schmerzhafte »Reizblase«. Führt zu quälender Pollakisurie und schließ-
lich zu einer Schrumpfblase.
4. Durch kontinuierlichen Urinverlust durch die Scheide Folge gynäkologischer
Tumor oder Operationen. Selten.
5. Physiologische Dilatation der oberen Harnwege mit verlangsamtem Urintrans-
port und Stauung durch den vergrößerten Uterus

Kapitel 10
1. Eine Fehlbildung der Harnwege, u.a. auch vesikoureteraler Reflux
2. Ja, unter geeigneter Infekttherapie und Überwachung darf durchaus auf spon-
tane Heilung gehofft werden.
3. Ureter duplex, Ureterozele, Megaureter, Blasendivertikel, Nierenbeckenab-
gangsstenose usw.
4. Bis zum Schuleintritt
5. Ein stark beweglicher Hoden, Normvariante, die keine Therapie benötigt
6. »Wilms«-Tumor (maligner Mischtumor). Bei kombinierter Behandlung ist die
Prognose günstig.

Kapitel 11
1. Hämaturie bedeutet möglicherweise Nieren- bzw. Harnwegsmitverletzung.
2. Verdacht auf Blasenruptur, evtl. auch Urethraverletzung
3. Katheterismus ist kontraindiziert. Rektale Untersuchung ergibt »bewegliche«,
kranialwärts verlagerte Prostata. Die Diagnose wird durch ein Urethrogramm
bestätigt.
4. Nach Möglichkeit konservatives Vorgehen
220 Anhang

Kapitel 12
1. Extrakorporelle Steinzertrümmerung, perkutane Litholapaxie, Ureteroskopie
2. Ileum- oder Kolonconduit, Ersatzblasen »Pouches« aus Dünn- und/oder Dickdarm
3. Durch »Sichturethrotomie«, das heißt durch ein Endoskop, in dem ein beweg-
liches Messer unter Sicht durch die Verengung geführt werden kann.

Kapitel 13
1. Initiale versus totale Hämaturie/Ureterkoagula im Urin/einseitige Schmerzen
2. Weniger als 100 ml Urin pro 24 Stunden/prärenal, renal, postrenal
3. Der unfreiwillige Harnverlust erfolgt im ersten Falle kontinuierlich.
4. Es handelt sich um einen sog. »komplizierten« Infekt. Es besteht Abklärungs-
bedürftigkeit
5. Ja, rund 80%
6. Hydrozele, Hodentumor Spermatozele, Ingninalhernie
7. Nach zwei Stunden. Sofortige Einweisung
8. Repositionsversuch, wenn erfolglos, dorsale Spaltung in Lokalanästhesie
Weiterführende
Internet-Seiten
222 Weiterführende Internet-Seiten

Weiterführende Internet-Seiten:
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU); Arbeitsgemeinschaft der Wissen-
schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF):
www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/index.html
Guidelines der Europäischen Urologen Gesellschaft (EAU):
http://www.uroweb.org/nc/professional-resources/guidelines/online/
Homepage European Board of Urology: www.ebu.com
Guidelines Amerikanische Urologengesellschaft (AUA): www.auanet.org/guidelines
Homepage des amerikanischen National Institute of Cancer (NCI): http://www.cancer.gov/
Literaturdatenbank des amerikanischen National Center for Biotechnology Information
(NCBI); Pubmed: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/sites/entrez
Digital Urology Journal: www.duj.com
Krebsinformationsdienst (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg:
www.krebsinformationsdienst.de/index.html
Homepage der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU): www.dgu.de
Homepage Schweizerische Gesellschaft für Urologie (SGU): www.urologie.ch
Homepage Österreichische Gesellschaft für Urologie und Andrologie (ÖGU): www.uro.at
Homepage Societé Internationale d’urologie (SIU): www.siu-urology.org
Homepage European Group of Robotic Urology: www.gfmer.ch/EGRU/Index.htm
Homepage Deutsche Kontinenzgesellschaft:
www.kontinenz-gesellschaft.de/daten_fakten.htm
Selbsthilfegruppen Blasenkrebs in Deutschland:
www.harnblasenkrebs.de/Selbsthilfe/selbsthilfe.html
Homepage Förderverein Interstitielle Zystitis: www.ica-ev.de
Sachverzeichnis

Sachverzeichnis
224 Sachverzeichnis

Bilharziose 66
A Blase
– autonome 134, 135
Abszess, paranephritischer 200 – Teilresektion 101
ADAM 152 – transurethrale Resektion 99, 101
Adenokarzinom 91 – überaktive 139, 140
Algopareunie 159 – Untersuchung 10
Algurie 6 Blasenanomalien 46
Alkoholabusus, Erektionsstörungen Blasendivertikel 46
146 Blasenekstrophie 46, 164
Androgendefizit, partielles 152 Blasenfunktionsstörungen
Androgensuppression, medikamen- – medikamentöse-psychosomatische
töse 110 198
Andropause 152 – neurogene 133–136, 198
Anomalien, Urogenitalorgane 31–50 – vesikale 198
Anurie 5, 170, 196 Blasenoperation 184
– Ätiologie 197 Blasenscheidenfistel 158
Asthenospermie 150 Blasenschmerz 5
Ausfluss 8 Blasenspülung 22
Azidose Blasenstein 70, 81
– hyperchlorämische 185 – endoskopische Entfernung
– renal-tubuläre 72 191
Azoospermie 150 Blasentamponade 196
Blasentraining 135
Blasentumor 97–102, 184
– endoskopische Resektion 191
B Blasenverletzungen 173, 174
Bougierung 137
Bakteriurie 6, 57 Brachytherapie 107
Balkenblase 163
Bauchhoden 165
Beckenbodentraining 139, 199
Beckenschmerzsyndrom, chronisches
C
60
Begleithydrozele 203 Carcinoma in situ 97, 98
Belastungsinkontinenz 138, 139, 158, Charrière 19, 20
198, 199 Choriokarzinom 118
Sachverzeichnis
225 A–H
Computertomographie 17 Epispadie 48, 141, 164
Condylomata accuminatum 67 erektile Dysfunktion 8, 146–148
– psychogene Ursachen 210
– Therapie 147, 148
– Ursachen 146, 147
D Erektionsstörungen 146, 147
– 7 erektile Dysfunktion
Darmbeutel 185, 187 Ersatzblase 101, 187
Deszensusanomalien 48, 49 – orthotope 187
Diabetes mellitus, Erektions-
störungen 146
Doppel-J-Katheter 191, 197
Dranginkontinenz 138–140, 158,
E
199
Dysfunktion, erektile 7 erektile Fibrosarkom 94
Dysfunktion Fibrose, retroperitoneale 45
Dyspareunie 159 Fournier-Gangrän 201
Dysurie 6

G
E
Genitaltuberkulose 63–65
Echinokokkose 66 Genitalverletzungen 176, 177
Ejaculatio praecox 153, 154 Gonorrhö 66, 67
Ejakulat, blutiges 7
Ejakulation
– fehlende 8
– retrograde 130, 154
H
– vorzeitige 153, 154
Endoskopie 22, 23 Hämaturie 5, 170, 194
Enuresis 7 – Ursachen 194, 195
– nocturna 167, 168 Hämoglobinurie 194
Epididymitis 60, 200, 203, 204, Hämospermie 7
207 Harnabgang, unfreiwilliger 198
– akute 207 – 7 Enuresis
– Therapie 207 Harnblase 7 Blase
226 Sachverzeichnis

Harndeviation 101, 185 – Diagnostik 54–56


– definitive 185 – Klinik 56–59
– vorübergehende 185 – komplizierter 52, 57
Harndrang – Pathophysiologie 53, 54
– imperativer 7, 125, 139 – rezidivierender 54
– krampfartiger 170 – Schwangerschaft 156
– plötzlicher 125 – Therapie 61, 62
Harnflussmessung 11, 25–27 – unspezifischer 52
Harninkontinenz 7 Inkontinenz Harnwegstuberkulose 63–65
Harnleiter Hautstoma 187
– 7 Urethra Hernia inguinalis 203, 204
– Untersuchung 24 Hodenaplasie 165
Harnleiterfistel 158 Hodenektopie 48
Harnleiterkolik 4 Hodenhochstand 12
Harnleiterstein 81 Hodenschmerz 5, 202
– endoskopische Entfernung 191 Hodentorsion 166, 203, 205, 206
– rezidivierender 37 – Therapie 206, 207
Harnleiterverletzungen 173 Hodentumor 49, 114–118, 167, 203
Harnretention 196 – Diagnostik 115, 203
– akute 6, 127, 198 – Metastasierung 114
– chronische 127, 140, 199 – nichtseminomatöse 118
Harnröhre – Pathophysiologie 114, 115
– 7 Ureter – Therapie 116
– Blutaustritt 196 – Tumormarker 13
– Bougierung 137 Hufeisenniere 35
– Schleimhautektropium 157 Hunner-Ulkus 157
Harnröhrenerkrankungen 157 Hydrocele
Harnröhrenstriktur 136, 137 – funiculi 203
– Spaltung 190 – testis 203
Harnröhrenverletzungen 171, 174, 175 Hydronephrose 39, 40, 162, 182
Harnsäurestein 15 Hydroureter 42
Harnstein 7 Urolithiasis Hydrozele 203
Harnumleitung 7 Harndeviation – idiopathische 203
Harnverhaltung 7 Harnretention – symptomatische 203
Harnwegsinfekt 52–57 Hyperkalziurie 37
– akuter 56, 200 Hypernephrom 91
– chronischer 57, 58 Hypertonie, Erektionsstörungen 146
Sachverzeichnis
227 H–M
Hyperurikämie 72
Hyperurikosurie 72
L
Hypogonadismus 146
Hypospadie 48, 164 Labordiagnostik 13, 14
Laparoskopie 191
Late-onset-Hypogonadismus 152
Leisenhoden 48
I Leitsymptome 4–8
Leukozyturie 6
Ileumconduit 187 Libidoverlust 159
Impotenz, sekundäre 147 Liposarkom 94
Induratio penis plastica 146, 207, lower urinary tract symptoms 124
208 LUTS 124
Infertilität 8, 146, 149, 150
Inkontinenz 7, 137–141, 198
– extraurethrale 138, 141, 158, 200
Isotopennephrographie 17
M
Magnetresonanztomographie 19
Makrohämaturie 98, 170, 194
K Markschwammniere 37, 72
Megaureter 42
Kastration, medikamentöse 110 – primärer 162
Katheterismus 11, 19–22 Mercier-Katheter 20
– Indikationen 19 Meyer-Weigert-Regel 34
– Instrumente 19, 20 Mikrohämaturie 98, 170, 196
– Vorgehen 20–22 Miktion, schmerzhafte 6
Kavernosographie 16 Miktionsstörungen 6, 7
Kernspintomographie 19 Miktionszysturethrographie 162
Klimakterium virile 152 Mischinkontinenz 140, 158, 199
Kolik 4 Morbus
Kolonconduit 187 – Ormond 45
Kondylom, spitzes 67 – Peyronie 207
Kreatinin 13, 14 MRT 19
Kreatininclearance 14 multiple Sklerose, Erektionsstörungen
Kryptorchismus 48, 165 146
Kuchenniere 35
228 Sachverzeichnis

Nierentransplantation 188–190
N – Lebendspende 189, 191
– Leichenniere 189
Nebenhodenschmerz 5 Nierentumoren, bösartige 91–94
Nelaton-Katheter 20 Nierenverletzungen 171, 172
Neoblase 101 Nierenzellkarzinom 91–94
Nephrektomie 182 Nierenzyste 36
Nephroblastom 94, 167 Nykturie 6, 7, 125, 139
Nephropexie 39
Nephroptose 38
Nephroskopie, perkutane 24
Nephrostomie 185
O
Nephroureterektomie 96
Neuroblastom 167 OAT-Syndrom 150
Niere Oligoasthenoteratospermie 150
– Agenesie 33 Oligospermie 150
– Angiographie 16, 171 Oligurie 6, 196
– Dystopie 35 – psychosomatische Aspekte 210
– Hypoplasie 34 Orchidopexie 114, 207
– Rotationsanomalien 35 Orchiektomie 110
– Untersuchung 10 Orchitis 204, 205
– Szintigraphie 17 Orgasmusstörungen
Nierenanomalien 33–39 – bei der Frau 159
Nierenbeckenplastik 183, 192 – beim Mann 153, 154
Nierenbeckentumor 95, 96 Oxalose 71
Nierenfehlbildungen, zystische 35, 36
Nierenfunktion, Beurteilung 14
Nierengefäßanomalien 35
Nierenhohlsystem, Anomalien 39–41
P
Nierenkolik 4
Nierenkontusion 171 PADAM 152, 153
Nierenoperation, perkutane 183, 184 Paraphimose 48, 208
Nierenparenchymtumoren 89–91, 182 Pendelhoden 48, 165
Nierenresektion 7 Nephrektomie Penis, Untersuchung 11
Nierenschmerz 4, 210 Penisfraktur 176
Nierenstein 82 Peniskarzinom 119, 120
– infizierter 182 Penisverletzungen 176
Sachverzeichnis
229 N–R
PET 19 Prostataschmerz 5
Phimose 48, 165, 166 prostataspezifisches Antigen 13, 105
Phosphaturie 209 Prostatatumor 190
Phosphodiesterase-5-Hemmer 147 Prostatektomie
Pneumaturie 6 – laparoskopische 191
Pollakisurie 6, 7, 125, 139, 157 – radikale 106
Polyurie 209 – robotorassistierte 107
Porphyrie 194 – suprapubisch-transvesikale 129,
Positronenemissionstomographie 130
19 – transurethrale 129, 130
Potenzstörungen 146, 147 Prostatismus 124
– 7 erektile Dysfunktion Prostatitis 5, 59, 60, 201
Pouch 187 – akute 60
Priapismus 148, 208 – asymptomatische inflammatorische
Prostataabszess 201 60
Prostatahypertrophie 123–132 – chronische 60
– Ätiopathogenese 124 Proteinurie 14
– benigne 123 PSA-Bestimmung 13, 105
– chirurgische Therapie 129–132 Pyelogramm, antegrades 16
– Diagnostik 125, 127 Pyelonephritis, akute 56
– Klinik 124, 125 Pyurie 6, 57
– medikamentöse Therapie 127,
128
– Stadieneinsteilung 127
Prostatakarzinom 103–112
Q
– Brachytherapie 107
– Chemotherapie 111 Querschnittsyndrome 134
– Diagnostik 104, 105
– endokrine Therapie 110, 111
– Früherkennung 12, 13
– metastasiertes 110, 111
R
– Pathophysiologie 104
– Prognose 112 Rauchen
– Strahlentherapie 107, 111 – Blasentumoren 97
– Therapie 105–112 – Erektionsstörungen 146, 147
– TNM-Klassifikation 108 Reflexblase 134, 141
Prostataneurose 210 Reflexinkontinenz 141
230 Sachverzeichnis

Reflux 42–44 Steinniere, infizierte 182


– primärer 43 Steinoperation 83
– sekundärer 43 Steinzertrümmerung, extra-
– vesikoureteraler 42, 163 korporelle 7 Stoßwellenlitho-
Reizblase 156, 210 trypsie, extrakorporelle
Rektaluntersuchung 12, 104 Sterilität 8
Rektumblase 185 Stoßwellenlithotrypsie,
Renoskopie, perkutane 24 extrakorporelle 79, 183
Restharnbestimmung 11 Stressinkontinenz 7 Belastungs-
Retroperitoneoskopie 191 inkontinenz
Struvitstein 72
Szintigraphie 17

S
Sackniere 39, 40
T
Samenerguss
– fehlender 154 Tadalafil 148
– verzögerter 154 Tenesmen 7, 170
– vorzeitiger 153, 154 Teratom 118
Schrumpfblase 157 Teratospermie 150
Schwellkörper-Autoinjektionstherapie Testosteronsubstitution 152, 153
148, 208 Tiemann-Katheter 20
Schwellkörperimplantat 148 TOT 139
Selbstkatheterismus 136 transobturator tape 139
Seminom 118 Transportstörung, supravesikale
Sildenafil 147 197
SKAT 148 transvaginal tension-free tape
Skelettszintigraphie 17 139
Skrotalkarzinom 121 Tuberkulose, Urogenitalsystem
Skrotalverletzungen 176 63–65
Skrotum, Untersuchung 11 TUR-B 99, 101
Sonographie 15 TURP 129, 130
Spermatozele 204 TVT 139
Spermiogramm 149, 150
Sphinkterdruckmessung 24
Steinkolik 74, 78, 201
Sachverzeichnis
231 R–V
– spezifisches Gewicht 14
U Urinentnahme 13
Urinuntersuchung 13, 14
Ultraschalluntersuchung 15 Uroflowmetrie 25
Untersuchung, neurologische 12 Urogenitalverletzungen
Ureter 169–176
– 7 Harnleiter Urographie 15
– duplex 34, 41, 162 – bei Kindern 162
– fissus 34, 41 – deszendierende 16
– retrokavaler 41 – intravenöse 171
Ureterabgangsstenose 40 – retrograde 16
Ureteranomalien 41–45 Urolithiasis 69–87
Ureterentumor 96 – Diagnostik 74–77
Uretermündung, ektopische 45 – Diuresesteigerung 85
Ureterokutaneostomie 185 – Klinik 74–77
Ureterorenoskopie 24, 82 – Metaphylaxe 85
Ureterosigmoidostomie 185 – Pathophysiologie 70–72
Ureterozele 45, 162 – Prophylaxe 84–86
Ureterpyelogramm, retrogrades – Therapie 78–84
16 Uroradiologie 15, 16
Ureterscheidenfistel 159 Urosepsis 74, 200
Ureterstein 201 Urostoma 187
Urethra Urotheltumor 95, 182
– 7 Harnröhre
– Anomalien 46, 47
Urethradivertikel 157, 159
Urethraklappe, proximale 163
V
Urethraruptur 175
Urethritis 59 Vaginalstatus 12
Urethrographie, retrograde 16, 171 Vardenafil 148
Urethrotomie 137 Varikozele 151, 204
Urethrozystoskopie 23, 24, 99, 162 Vasektomie 151, 152
Urge-Inkontinenz 7, 138–140, 199 Vasovesikulographie 16
Urin Viagra 147
– 24-h-Urin 14
– braunverfärbter 6
– schaumiger 6
232 Sachverzeichnis

Zystinstein 72, 85
W Zystitis 6
– akute 56, 200
Wilms-Tumor 94, 167 – interstitielle 157
Zystofixbehandlung 135
Zystographie 16
Zystomanometrie 24, 25
Z Zystostomie 185
Zytoskopie 23, 24
Zystektomie 101, 185
Zystenniere 37

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