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Facharztprüfung
Kardiologie
in Fällen, Fragen und Antworten
2. Auflage
14 15 16 17 18 5 4 3 2 1
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesonde-
re für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektro-
nischen Systemen.
Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch maskuline
Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint.
die 1. Auflage unseres Buchs „Facharztprüfung Kardiologie“ aus der bewährten Reihe „Facharztprüfung“ des
Elsevier-Verlags hat viel Zuspruch erfahren. Die Struktur dieses Buchs wurde daher beibehalten. Es soll Ih-
nen in der Vorbereitung auf die Facharztprüfung helfen, indem es speziell auf die Abläufe eines Prüfungsge-
sprächs eingeht. So wird zu Beginn jedes Kapitels eine Kasuistik präsentiert, mittels strukturierter, praxisna-
her Fragen und entsprechender Antworten werden Sie dann durch den Fall geleitet, der mit viel Bildmaterial
ausgestattet ist. Tabellen, Ablaufdiagramme und Literaturangaben ergänzen die jeweilige Thematik.
Das Autorenteam konnte um weitere Experten ergänzt werden. Die Herausgeber danken den Autoren für
die gewohnt kompetente Zusammenarbeit und die anregenden Diskussionen. Wir alle haben bei der Be- und
Überarbeitung der Fälle gelernt, dass es „die richtige“ Lösung bei vielen Fällen nicht gibt; aber genau diese
Situation spiegelt sich in der alltäglichen Praxis wider. Auch die Änderungen einzelner Leitlinien-Empfeh-
lungen sowie neue Studienergebnisse sind manchmal doch unerwartet.
Wir hoffen somit, dass die Lektüre dieses Buchs auch Sie stimuliert und für Sie eine wertvolle Hilfe bei der
Vorbereitung auf die Facharztprüfung Kardiologie sein wird. Ein ausführliches Lehrbuch kann und soll unser
Buch aber nicht ersetzen, ebenso wenig bewegte Bilddateien zur Interpretation bildgebender Verfahren und
den Blick ins Internet auf die neuesten Guidelines der Fachgesellschaften.
Die Kardiologie bleibt ein spannendes Fach. Seit der Drucklegung der 1. Auflage haben sich viele neue
Entwicklungen ergeben (u. a. neue orale Antikoagulanzien und Plättchenhemmer, interventionelle Klappen-
und Rhythmustherapie), die in der Neuauflage berücksichtigt wurden. Für weitere Verbesserungsvorschläge
sind wir Ihnen natürlich immer sehr dankbar.
Alle Autoren und Herausgeber danken wiederum den Mitarbeitern des Elsevier-Verlags für ihre engagier-
te und professionelle Zusammenarbeit.
Wir wünschen Ihnen, sehr verehrte Frau Kollegin, sehr verehrter Herr Kollege, eine stressarme Prüfungs-
vorbereitung und eine erfolgreiche Prüfung!
Abkürzungen
AAI Schrittmacherfunktionsmodus (Vorhofsti- CK Kreatininkinase
mulation und -wahrnehmung) CKMB MB-Fraktion der CK
ACA Arteria cerebri anterior CI Cardiac Index
ACB Aorta-koronarer Bypass CMP Kardiomyopathie
ACC American College of Cardiology CMV Zytomegalie-Virus
ACC Arteria carotis communis COPD chronisch obstruktive Lungenerkrankung
ACE Arteria carotis externa CRP C-reaktives Protein
ACE angiotensin converting enzyme CRT kardiale Resynchronisationstherapie
ACI Arteria carotis interna CRT-D kardiale Resynchronisations- und
ACS Akutes Koronarsyndrom Defibrillatortherapie
ACVB Aortokoronarer Venenbypass CS Koronarsinus
ADH Antidiuretisches Hormon CSE Cholesterin-Synthese-Enzym
ADP Adenosin-Phosphat CT Computertomografie
a. e. am ehesten CTO chronic total occlusion
AF Atemfrequenz CVI chronische venöse Insuffizienz
AH Zeitintervall Vorhof-His CYP Cytochrom P
AHA American Heart Association DAPT dual antiplatelet therapy
AI Aortenklappeninsuffizienz DCM dilatative Kardiomyopathie
AK Aortenklappe DD Differenzialdiagnose
AKE Aortenklappenersatz DDD Zweikammer-Schrittmacherfunktionsmo-
AML vorderes Mitralsegel (anterior mitral leaflet) dus, Steuerung dual
AMV Atemminutenvolumen DDI Zweikammer-Schrittmacherfunktionsmo-
ANA Antinukleäre Antikörper dus, Steuerung Inhibition
AO Aorta DEGUM Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in
AÖF Aortenklappenöffnungsfläche der Medizin e. V.
AP Angina pectoris DES Medikamenten-beschichteter Stent (drug
AP Vorhofstimulation (atrial pacing) eluting stent)
APC Aktiviertes Protein C DGK Deutsche Gesellschaft für Kardiologie
ARQ Aldosteron-Renin-Quotient DHL Deutsche Hochdruckliga
AS Vorhofwahrnehmung (atrial sensing) DOAK Direkte orale Antikoagulanzien
AS Aortenklappenstenose dPmax maximaler Druckgradient
ASA Vorhofseptumaneurysma dPmean mittlerer Druckgradient
AT1 Angiotensin-Rezeptor Typ 1 EBT Elektronenstrahltomografie
ASD Vorhofseptumdefekt ed enddiastolisch
ASS Acetylsalicylsäure EDD enddiastolischer Durchmesser
av atrioventrikulär EDP enddiastolischer Druck
AV arteriovenös EF Auswurffraktion (ejection fraction)
AVNRT AV-Knoten-Reentrytachykardie EKG Elektrokardiogramm
AVSD atrioventrikulärer Septumdefekt EPU elektrophysiologische Untersuchung
AZ Allgemeinzustand ERBS(T) Erregungsrückbildungsstörungen
BB Blutbild es endsystolisch
BGA Blutgasanalyse ESC European Society of Cardiology
BMI Body-Mass-Index ESD endsystolischer Durchmesser
BMS unbeschichteter Stent (bare metal stent) EZ Ernährungszustand
BNP brain natriuretic peptide FEV1 forcierte Einsekundenkapazität
BSG Blutsenkungsgeschwindigkeit FFP fresh frozen plasma
BWS Brustwirbelsäule FFR fraktionelle Flussreserve
BZ Blutzucker FKDS farbkodierte Duplexsonografie
CABG Coronary artery bypass graft = koronare FS Durchmesserverkürzung (fractional
Bypassoperation shortening)
CCS Canadian Cardiovascular Society FVC forcierte Vitalkapazität
CCT kraniale Computertomografie GGT Gammaglutamyltransferase
CDI Colour Duplex Imaging GFR glomeruläre Filtrationsrate
CDRIE Cardiac device-related infective endocar- GI gastrointestinal
ditis GK Glukokortikoide
Abkürzungen IX
Abbildungsnachweis
Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet M756 PD Dr. med. Andreas König, Füssen
sich bei allen Abbildungen im Werk am Ende des M757 Dr. med. Ralph Hein-Rothweiler, München
Legendentextes in eckigen Klammern. M758 Prof. Dr. med. Christoph Spes, Rosenheim
L106 Henriette Rintelen, Velbert M759 Dr. med. Marcus Leibig, München
L256 Sybille Yorck von Wartenburg, München M760 Dr. med. Sebastian Schmieder, Seeshaupt
M589 Prof. Dr. med. Volker Klauss, München M761 Prof. Dr. med. Hae-Young Sohn, München
M753 PD Dr. med. Johannes Rieber, München M762 Dr. med. Martin Hug, München
M754 Dr. med. Eva von Eckardstein-Thumb, M763 Dr. med. Hagen Gross-Ellinger, München
München M764 Prof. Dr. med. Florian Krötz, Starnberg
M755/589 Prof Dr. med. Thomas Schiele, München/ M815 Dr. med. Florian Straube, München
Prof. Dr. med. Volker Klauss, München T676 Dr. med. Nina Wunderlich, Frankfurt
M755/758 Prof Dr. med. Thomas Schiele, München/ U344 Edwards Life Sciences
Prof. Dr. med. Christoph Spes, Rosenheim V170–1 Medtronic GmbH Meerbusch
Inhaltsverzeichnis
1 Leitsymptom Thoraxschmerz .. 1 2.6 Intermittierende Palpitationen
1.1 Akuter Bauch- und Brustschmerz Florian Straube, Uwe Dorwarth 96
Johannes Rieber 1 2.7 Sprechprobleme im Urlaub
1.2 Rezidivierende Brustschmerzen Florian Krötz 102
Volker Klauss, Thomas Schiele 9
1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen 3 Leitsymptom Dyspnoe,
Eva von Eckardstein-Thumb 15 Leistungsschwäche 111
1.4 Akute Brustschmerzen 3.1 Terminale Herzinsuffizienz
Andreas König 23 Hae-Young Sohn 112
1.5 Belastungsabhängige 3.2 Herztransplantation
Thoraxschmerzen Hae-Young Sohn 119
Andreas König 27 3.3 Leistungsminderung bei rheuma
1.6 Brustschmerzen und Kollaps tologischer Grunderkrankung
Johannes Rieber 33 Hae-Young Sohn 123
1.7 Belastungsabhängige Atemnot 3.4 Belastungsabhängige Atemnot
und Brustschmerzen Andreas König 130
Ralph Hein-Rothweiler 38 3.5 Progrediente Atemnot
1.8 Stabile Angina pectoris - Messung Andreas König 137
der fraktionellen Flussreserve (FFR) 3.6 Dyspnoe bei langjährigem
Ralph Hein-Rothweiler 47 Bluthochdruck
1.9 Anhaltende Brustschmerzen und Martin Hug 142
Übelkeit 3.7 Belastungsdyspnoe und
Ralph Hein-Rothweiler 51 Angina pectoris
1.10 Brustschmerzen in Ruhe und Volker Klauss 146
bei Belastung 3.8 Langsam zunehmende
Christoph Spes 59 Belastungsdyspnoe
1.11 Angina pectoris und Eva von Eckardstein-Thumb 155
Belastungsdyspnoe 3.9 Progrediente Stauungsherz
Johannes Rieber 64 insuffizienz nach Aorten- und
Mitralklappenersatz
2 Leitsymptom Herzrasen 71 Ralph Hein-Rothweiler 161
2.1 Intermittierendes Herzrasen 3.10 Rasch zunehmende Luftnot
Marcus Leibig 71 Ralph Hein-Rothweiler 167
2.2 Plötzliches Herzrasen 3.11 Belastungsdyspnoe und Leistungs
Marcus Leibig 78 schwäche nach Afrikareise
2.3 Herzrasen und Schwindel Martin Hug 173
Marcus Leibig 82 3.12 Dyspnoe und Reizhusten
2.4 Patient mit ICD und Herzrasen Martin Hug 177
Sebastian Schmieder 88 3.13 Abnehmende Leistungsfähigkeit
2.5 Leitsituation: Patient mit Kollaps nach Aortenklappenersatz
und akutem thorakalem Hagen Gross-Ellinger 180
Engegefühl 3.14 Plötzlicher Leistungsknick
Sebastian Schmieder 92 Marcus Leibig 187
XII Inhaltsverzeichnis
1 Leitsymptom Thoraxschmerz
1.1 Akuter Bauch- und Brustschmerz Johannes Rieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
KASUISTIK
Sie haben Dienst in der Notaufnahme Ihres Krankenhauses. Gegen 18:00 Uhr stellt sich ein 34-jähriger Mann vor, der
über Unwohlsein und Schmerzen im Bereich des Bauchs und des unteren Thorax klagt. Er habe sich den ganzen Tag
eigentlich sehr wohl gefühlt, bis es gegen Nachmittag relativ plötzlich zu dem Unwohlsein gekommen sei. Diese Be-
schwerden hätten sich in der Stärke nicht verändert und seien auch jetzt noch vorhanden. Solche Beschwerden habe
er früher auch noch nie gehabt. Er treibe in Maßen Sport und fühle sich auch sonst sehr gut. Auf Nachfrage erfahren
Sie, dass der Patient seit seinem 14. Lebensjahr an einem Diabetes mellitus Typ 1 leidet. Er sei damit regelmäßig beim
Hausarzt in Kontrolle, die Einstellung sei aber leider nicht immer optimal. Ansonsten seien keine weiteren Erkrankun-
gen oder familiäre Dispositionen bekannt. Kein Nikotinkonsum, keine regelmäßige Medikamenteneinnahme (außer
Insulin).
2 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Körperliche Untersuchung: 186 cm großer und 95 kg schwerer Patient in gutem Allgemeinzustand und leicht adipö-
sem Ernährungszustand. AF 18/min, Jugularvenen nicht gestaut. RR 120/80; HF 63/min. Regelrechter 1. und 2. HT, keine
Extratöne. Bauchdecke weich, kein umschriebener Druckschmerz. Die übrige internistische Untersuchung ist unauffällig.
1 Beim Druck auf den Thorax gibt der Patient Schmerzen an, die sich jedoch von den von dem Patienten initial beschriebe-
nen Beschwerden unterscheiden.
• Labor: BB, Elektrolyte, kardiale Marker, Gerinnung, HbA1c, BZ, TSH, Kreatinin
• EKG.
Laborergebnisse: Leukozyten 20,6 G/l; Hb 15,8 g/dl; Na 143 mmol/l; K 3,7 mmol/l; CK 81 U/l; Troponin T < 0,010 ng/
dl; PTT 100 s; INR 1,0; HbA1c 10,6 %; BZ 81 mg/dl; TSH 1,31 μU/ml; Kreatinin 1,0 mg/dl.
• Nachweis eines Anstiegs oder Abfalls eines kardialen Biomarkers (vorzugsweise Troponin) mit mindes-
tens einem Wert über der 99. Perzentile des oberen Referenzwertes und mit mindestens einem der fol- 1
genden Charakteristika:
– Symptome der Ischämie
– neue oder vermutlich neue signifikante ST-T-Strecken-Veränderungen oder neuer LSB
– Entstehung von pathologischen Q-Zacken
– Nachweis eines neuen Untergangs von vitalem Myokardgewebe oder neue Wandbewegungsstörungen
mittels bildgebender Methoden
– Nachweis eines intrakoronaren Thrombus mittels Angiografie oder Autopsie
• Kardialer Tod mit ischämietypischen Symptomen und vermutlich neuen EKG-Veränderungen oder neu-
er LSB, ohne dass aufgrund der kurzen zeitlichen Abfolge die Werte der Biomarker (z. B. Troponin) be-
reits erhöht sind.
• Stentthrombose im Zusammenhang mit einem Myokardinfarkt, falls mittels Angiografie oder Autopsie
nachgewiesen, mit ischämietypischen Symptomen und mit Nachweis eines Anstiegs oder Abfalls eines
Biomarkers mit mindestens einem Wert über der 99. Perzentile des oberen Referenzwertes.
Rechtsseitige Brustwandableitungen. Da bei einem inferioren Infarkt nicht selten auch der rechte Ventrikel
(RV) mitbetroffen sein kann, wird nach den aktuellen Richtlinien empfohlen, hier auch die rechtsseitigen
Ableitungen VR 3–6 aufzuzeichnen. Sollte der rechte Ventrikel mitbetroffen sein (erkennbar an einer ST-He-
bung in den Ableitungen VR 3–6), ist dies mit einer deutlich höheren Mortalität assoziiert; außerdem unter-
scheidet sich das hämodynamische Management. Hier ist auf den Erhalt der RV-Funktion durch Aufrechter-
haltung der RV-Vorlast zu achten (ggf. Gabe von Volumen und/oder Dobutamin, Vermeiden von Nitraten)
sowie auf die Erniedrigung der RV-Nachlast (PA-PCW).
Nein, die Diagnosestellung erfolgte so früh, dass die kardialen Marker noch nicht positiv sind.
Myoglobin (Sensitivität 70–98 %, Spezifität 60–100 %): Anstieg nach ca. 1–4 Stunden. Troponin T/I (Sensiti-
vität von 70–90 % nach 6 h und 95–100 % nach 12 h; Spezifität 85–95 %): Anstieg nach 3–12 Stunden. Die
CK-MB bzw. das CK/CK-MB-Verhältnis (Sensitivität nach 6 h 50–75 % und nach 12 h 90–100 %; Spezifität
90–99 %) steigt nach ca. 4–6 h an und eignet sich aufgrund der kurzen Halbwertszeit (72–96 Stunden) im
Gegensatz zum Troponin T/I (HWZ 7–14 Tage) zur Verlaufskontrolle.
möglicher Vagusaktivierung beim Hinterwandinfarkt nicht selten sind; › Abb. 1.3), ASS (80–150 mg
i. v./150–300 mg oral), Prasugrel 60 mg (beachte KI) oder Ticagrelor 180 mg (Clopidogrel 600 mg als Alterna-
tive, wenn Prasugrel und Ticagrelor nicht verfügbar oder kontraindiziert sind), Antikoagulation, z. B. Hepa-
1 rin 5.000 I. E i. v., Kontrolle der Vitalparameter, Glyzeroltrinitrat (wenn keine Rechtsherzbeteiligung vor-
liegt).
Mittel der Wahl sind Opiate (z. B. Morphinsulfat 2–4 mg i. v. alle 5–15 Minuten). Wegen häufig auftretender
Übelkeit sollten Antiemetika (z. B. Metoclopramid 1–3 × 10 mg i. v.) verabreicht werden. Selektive COX-
2-Hemmer und andere traditionelle NSAR sind wiederholt mit prothrombotischen Effekten assoziiert wor-
den und daher kontraindiziert. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Einerseits kann durch die meisten NSAR
keine anhaltende Thrombozytenhemmung erreicht werden, andererseits wurden für einzelne Stoffe direkte
prothrombotische Effekte und Wirkstoffinteraktionen beschrieben.
In der Regel wird heute vorwiegend unfraktioniertes Heparin (i. v.) eingesetzt (I C). Verschiedene Studi-
en konnten die Wirksamkeit von niedermolekularem Heparin (I C) oder Bivalirudin (direkter Thrombin-
hemmer) nachweisen. Speziell bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko wird, basierend auf der HORI-
ZONS-AMI-Studie, in den aktuellen Guidelines die Verwendung von Bivalirudin als Alternative angese-
hen (I B).
Das kommt ganz auf die Situation in Ihrem Krankenhaus an. Wenn das Krankenhaus über eine durchgehen-
de Herzkatheterbereitschaft verfügt oder ein Krankenhaus mit dieser Möglichkeit schnell erreichbar ist, ist
die Therapie der Wahl eine primäre interventionelle Behandlung (primary PCI). Falls dies nicht der Fall ist,
sollte eine Thrombolyse-Therapie eingeleitet werden (z. B. mit Tenecteplase, gewichtsadaptiert, max. 1.000 IU
i. v. als Einmalgabe). Kriterium ist hier, innerhalb welcher Zeit eine PCI durchgeführt werden kann. Ist dies
mit einer Zeitverzögerung von maximal 90 Minuten möglich, ist eine PCI zu bevorzugen. Bei der Entschei-
dung zur Lysetherapie sollten die relevanten Kontraindikationen bedacht werden (› Tab. 1.1). Für die PCI
existieren demgegenüber keine relevanten Einschränkungen. Ebenso existiert eine Reihe von Situationen, bei
denen eine PCI auch bei Inkaufnahme einer längeren Transportzeit vorzuziehen ist. Eine Übersicht über den
therapeutischen Algorithmus ist in › Abbildung 1.2 dargestellt.
Bisher gilt die Empfehlung, dass die kombinierte Thrombozytenfunktionshemmung mit ASS und einem
ADP-Rezeptorantagonisten idealerweise für 12 Monate nach dem ACS fortgesetzt werden sollte. Ob dies für
alle Substanzen gilt oder ob ggf. ein Substanzwechsel im Verlauf vorteilhaft ist, wird derzeit in einigen klini-
schen Studien untersucht.
Prasugrel (Efient®) ist ein P2Y12-Hemmer, der sich im Vergleich zu Clopidogrel durch eine schnellere und
stärkere Hemmung der Thrombozytenaggregation auszeichnet. Basierend auf den Daten der Triton-Timi-
38-Studie sollte Prasugrel vorrangig bei Patienten mit niedrigem Blutungsrisiko (z. B. Körpergewicht > 60 kg
und Alter < 75 J.) angewendet werden. Die Behandlung wird mit 60 mg Aufsättigungsdosis begonnen und
dann mit einer Erhaltungsdosis von 10 mg/d bzw. 5 mg/d fortgesetzt. Als Alternative kann Ticagrelor (Bri-
lique®) mit einer Aufsättigungsdosis von 180 mg und einer Erhaltungsdosis von 2 × 90 mg gegeben werden.
Die Überlegenheit dieser Substanz gegenüber Clopidogrel wurde in der PLATO-Studie nachgewiesen. Als
unerwünschter Nebeneffekt kann Dyspnoe (insbesondere bei Therapieeinleitung) auftreten, die oft auch un-
ter Beibehaltung der Therapie reversibel ist.
Aufgrund der Unterlegenheit von Clopidogrel im Vergleich zu den neueren P2Y12-Hemmern stellt Clopi-
dogrel nur noch eine Therapiealternative bei Nichtverfügbarkeit oder Kontraindikation (z. B. Allergie, Z. n.
zerebraler Blutung etc.) dar (› Kap. 1.2).
6 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
STEMI-Patient,
bei dem eine Revaskularisation indiziert ist
1
Herzkatheter Herzkatheter
vorhanden nicht vorhanden
Auswahl der
Reperfusions-
Herzkatheter- Verlegung zum
strategie
untersuchung – Herzkatheter – Lysetherapie
„Primary PCI“ „Primary PCI“
Während Sie die Injektion des Betablockers vorbereiten, sehen Sie auf dem
Monitor folgenden Rhythmus (› Abb. 1.3)?
Halten Sie in der aktuellen Situation die Injektion des Betablockers für sinnvoll?
Nein, nach den neuesten Guidelines besteht bei Patienten mit einer Verlängerung des PR-Intervalls > 0,24 s
oder höhergradigen AV-Blockierungen eine Klasse-III-Indikation (› Tab. 1.2).
1.1 Akuter Bauch- und Brustschmerz 7
Basierend auf dem EKG, welche Koronararterie vermuten Sie als betroffen?
Die rechte Herzkranzarterie (RCA). In › Tabelle 1.3 finden Sie eine Aufstellung über die Infarktlokalisation
und die EKG-Manifestation.
Ausgeglichener koronarer Versorgungstyp. Die linke Herzkranzarterie weist keine relevanten Stenosierun-
gen auf. Es finden sich aber Kollateralen zur RCA. Die RCA ist nach Intubation mit dem Koronarkatheter
wieder spontan rekanalisiert. Es zeigt sich eine große Thrombuslast.
Die Entscheidung hierüber ist von den individuellen Faktoren des Patienten abhängig. Die Implantation ei-
nes medikamentenbeschichteten Stents bedingt eine mindestens 6-, besser 12-monatige Gabe von ASS und
1.2 Rezidivierende Brustschmerzen 9
KASUISTIK
Ein 61-jähriger Patient hat wegen seit 3 Tagen rezidivierenden Brustschmerzen die Rettungsleitstelle alarmiert. Der Pa
tient wird in die Chest-Pain-Unit Ihrer Klinik verbracht. Bis zuletzt hätten keine kardialen Symptome bestanden, keine
10 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Bestimmung von Blutbild, Glukose, Na, K, CK, GOT, LDH, Troponin, C-reaktivem Protein, Kreatinin, Harn-
stoff, PTT, TP, TSH, D-Dimer, BNP; EKG.
Die Labordiagnostik ergibt: Troponin T 0,17 ng/ml (Norm < 0,01 ng/ml), restliche Laborparameter im Normbereich.
EKG (› Abb. 1.6):
1.2 Rezidivierende Brustschmerzen 11
Sinusrhythmus, Herzfrequenz 79/min, Linkstyp, regelrechte Zeitintervalle, präterminal negatives T in den Brustwandablei-
tungen V2 bis V5, ansonsten unauffällige Stromkurvenmorphologie.
• Bei Linksschenkelblock (neu aufgetreten oder unklaren Alters) erfolgt bei anhaltenden Brustschmerzen
eine Behandlung wie beim STEMI.
Risiko-Scores: Der GRACE-Risk-Score wird bevorzugt, da er aus einem großen Register erstellt wurde, das
1 am ehesten die Realität abbildet. Das Programm kann aus dem Internet (http://www.outcomes.org/grace/)
heruntergeladen werden. In den Score gehen Alter, Herzfrequenz, systolischer Blutdruck, Kreatinin, Killip-
Klasse bei der Einweisung, ST-Senkungen, kardiale Biomarker und ein eventueller Herzstillstand ein. Zur
Abschätzung des Blutungsrisikos wird aktuell die Ermittlung des CRUSADE Bleeding Risk Score empfohlen.
Die Echokardiografie ist als nichtinvasives, kostengünstiges Verfahren frühzeitig einzusetzen, sofern ent-
sprechende Kenntnisse vorliegen. Sie ist geeignet, die linksventrikuläre Funktion global und regional zu be-
urteilen, und kann wichtige differenzialdiagnostische Hinweise auf z. B. Aortendissektion, Aortenstenose,
Lungenembolie, hypertrophe Kardiomyopathie liefern.
Die kardiale Computertomografie kann ebenfalls zur Ausschlussdiagnostik bei Patienten mit niedriger
und intermediärer Wahrscheinlichkeit für eine KHK und negativem EKG und Troponin eingesetzt werden.
Für die CT-Diagnostik ist eine geeignete apparative Ausstattung ebenso Voraussetzung wie entsprechende
ärztliche Expertise.
Es wird grundsätzlich die Untersuchung und Behandlung von Patienten mit V. a. ACS in Chest Pain Units
empfohlen.
Ihr Patient hat bei anhaltenden Brustschmerzen ein positives Risikoprofil, das TpT ist erhöht, das EKG weist Erregungs-
rückbildungsstörungen auf, die zusätzlich durchgeführte Echokardiografie zeigt eine normale linksventrikuläre Funktion
ohne regionale Wandbewegungsstörungen.
• Sauerstoff über Nasensonde oder Maske bei reduzierter O2-Sättigung (< 90 %).
• Symptomatisch Glyzeroltrinitrat 0,4–0,8 mg s. l., bei Beschwerdepersistenz Infusion mit 1–6 mg/h, systo-
lischer Blutdruck nicht unter 90–100 mmHg, bei fehlender Schmerzfreiheit trotz Nitratgabe nach Präme-
dikation mit 10 mg Metoclopramid i. v. Gabe von 3–5 mg Morphin i. v. bis zur Schmerzfreiheit.
• ASS initial als Kautablette (150–300 mg) oder i. v. (bislang üblicherweise 250–500 mg; die ESC-NSTEMI
Guidelines 2011 verweisen bezüglich der i. v.-Gabe auf die schlechte Studienlage und Verfügbarkeit und
geben keine i. v.-Dosisempfehlung an, die ESC-STEMI Guidelines 2012 empfiehlen bei i. v.-Gabe 80–
150 mg als Bolus, › Kap. 1.1).
• P2Y12-Rezeptorblocker zusätzlich zu ASS über einen Zeitraum von 12 Monaten. Prasugrel und Ticagrelor
haben Vorteile im Vergleich zu Clopidogrel bezüglich ischämischer Endpunkte und Mortalität (Ticagre-
lor).
• Prasugrel wird in einer Loading-Dosis von 60 mg verabreicht, danach 10 mg/d. Die Gabe wird empfohlen
bei Patienten mit geplanter PCI und ohne Kontraindikationen (Alter > 75 Jahre, Gewicht < 60 kg, voraus-
gegangener ischämischer Apoplex; Klasse IB).
• Ticagrelor wird in einer Startdosis von 180 mg und einer Erhaltungsdosis von 2 × 90 mg/d gegeben. Ti-
cagrelor ist indiziert sowohl bei Patienten ohne geplante PCI als auch bei mit Clopidogrel vorbehandelten
Patienten (Klasse IB).
1.2 Rezidivierende Brustschmerzen 13
• Clopidogrel ist nur bei Patienten indiziert, bei denen Prasugrel und Ticagrelor nicht gegeben werden kön-
nen (Klasse IA). Die Loading-Dosis beträgt 300 mg bzw. 600 mg bei geplanter PCI, die Erhaltungsdosis
75 mg/d.
• Im Falle einer geplanten Operation (z. B. Bypass-Operation) sollten Clopidogrel und Prasugrel 5 Tage und 1
Ticagrelor 7 Tage vorher pausiert werden.
• Bei Patienten mit gastrointestinaler Blutungsanamnese wird die zusätzliche Einnahme eines Protonen-
pumpeninhibitors (möglichst nicht Omeprazol) empfohlen.
• Die Testung der Thrombozytenfunktion unter einer Clopidogrel-Therapie sollte nur in Aufnahmefällen
erfolgen.
• Betablocker (p. o.) bei Tachykardie oder erhöhtem Blutdruck sowie eingeschränkter LV-Funktion ohne
Zeichen der Herzinsuffizienz.
• Antikoagulation: Wahl in Abhängigkeit vom geplanten Vorgehen (invasiv/nichtinvasiv) und Blutungsri-
siko (› Tab. 1.5)
Unter Monitorkontrolle und nach Legen eines i. v.-Zugangs erhält der Patient zunächst Nitrospray, da er
weiterhin Schmerzen hat.
Sie geben 250 mg ASS i. v. sowie 180 mg Ticagrelor per os.
Aufgrund der EKG-Veränderungen sowie der Klinik entschließen Sie sich zu einer baldigen Koronarangio-
grafie. Sie geben weiter 5.000 IE UFH.
Bei Patienten mit mittlerem bis hohem Risiko (vor allem erhöhtem Troponin, Diabetes mellitus oder ST-
Senkung) wurde bis vor Kurzem Tirofiban oder Eptifibatid als initiale Therapie zusätzlich zu oralen Throm-
bozytenhemmern empfohlen. Diese Strategie hat jetzt eine Klasse-IIb-C-Empfehlung und sollte daher auf
Ausnahmefälle beschränkt werden.
Nur bei angiografischem Hinweis auf eine ausgeprägte Thrombuslast kann der Einsatz eines IIb/IIIa-Re-
zeptorantagonisten erwogen werden, vorzugsweise Abciximab.
Der PJ-Student fragt Sie weiter nach dem richtigen Zeitpunkt für eine invasive Strategie.
14 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
• Bei Patienten mit sehr hohem Risiko (therapierefraktäre Angina, hämodynamische Instabilität, Kammer-
1 tachykardien, -flimmern) ist der Nutzen einer sofortigen (< 2 h) invasiven Diagnostik mittels Herzkathe-
teruntersuchung nachgewiesen („dringliche invasive Strategie“).
• Bei Patienten mit hohem Risiko ist eine invasive Abklärung innerhalb von 24 h nach Erstkontakt ange-
zeigt („frühe invasive Strategie“).
• Bei Patienten mit positivem Troponin, bei denen nach Applikation der Basismedikation völlige Be-
schwerdefreiheit erzielt wurde und die rhythmus- und hämodynamisch stabil sind, genügt die Durchfüh-
rung einer invasiven Diagnostik innerhalb von 72 h („invasive Strategie“).
• Eine routinemäßige Koronarangiografie bei Patienten mit niedrigen Risiko wird nicht empfohlen (III C).
Inzwischen ist der Hintergrunddienst eingetroffen und führt die Koronarangiografie und Intervention durch.
Die Linksherzkatheteruntersuchung ergab folgenden Befund (› Abb. 1.7): Deutliche diffuse Koronarsklerose, subtotale
Stenosierung der LAD medial. Es erfolgte eine Stentimplantation mit gutem Resultat.
Welche Kriterien sollten zur Auswahl von beschichteten (DES) vs. unbeschichteten
Stents (BMS) herangezogen werden?
Stent-Auswahl (BMS oder DES): Die Auswahl des Stents sollte den gleichen Kriterien folgen wie bei Patienten
mit stabiler KHK (Risiko/Nutzen-Profil, Begleiterkrankungen, evtl. erforderliche nichtkardiale Operationen,
Notwendigkeit einer Antikoagulation z. B. bei Vorhofflimmern).
Die Therapie des NSTEMI unterscheidet sich vom STEMI im Wesentlichen nur durch den Zeitpunkt der
invasiven Maßnahmen. Eine Lysetherapie ist beim NSTEMI grundsätzlich kontraindiziert.
1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen 15
Hinsichtlich der Prognoseabschätzung und des weiteren Vorgehens siehe › Kapitel 1.1.
Besondere Patientengruppen 1
Bestimmte ACS-Patienten haben ein erhöhtes Risiko für kardiale Ereignisse und benötigen eine besondere
Behandlungsstrategie. Diese Subgruppen sind z. B. ältere Patienten, Frauen, Patienten mit Nierenfunktions-
einschränkung, Diabetes mellitus und Anämie.
Ältere Patienten (> 75 J.) zeigen des Öfteren atypische Symptome, daher sollte eine Abklärung bereits bei
geringerem Verdacht als bei jüngeren Patienten erfolgen (IC). Älteren Patienten sollte eine invasive Diagnos-
tik nicht vorenthalten werden (IIaB). Die Vermeidung von Blutungskomplikationen ist bei älteren Patienten
besonders wichtig.
Bei Frauen tritt ein ACS im Schnitt 10 Jahre später als bei Männern auf, daher sind sie bei Präsentation
älter und haben oft mehr Begleiterkrankungen. Dies ist bei der Indikation zu einem invasiven Vorgehen so-
wie bei der Auswahl der Antikoagulation und Plättchenhemmung zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollte
das gleiche Vorgehen wie bei Männern gelten (IB).
Diabetiker haben eine doppelt so hohe Mortalität wie Nichtdiabetiker und haben häufiger eine Nierenin-
suffizienz sowie eine Hypertonie. Eine frühzeitiges invasives Vorgehen wird empfohlen (I A). DES sollten
gegenüber BMS bevorzugt werden. Bei komplexem Koronarbefund ist eine operative Versorgung zu erwä-
gen. Bei Diabetikern sollte Prasugrel im Falle einer Intervention gegenüber Clopidogrel bevorzugt werden.
Patienten mit Niereninsuffizienz werden häufig nicht optimal behandelt, obwohl sie ein sehr hohes Risiko
aufweisen. Die initiale Behandlung sollte wie bei jedem anderen Patienten erfolgen (I B). Antikoagulanzien
müssen sorgfältig dosiert werden (IC). Bei einer Kreatinin-Clearance unter 60 ml/min ist das Risiko für wei-
ter kardiale Ereignisse hoch, deshalb sollte immer ein invasives Vorgehen angestrebt werden (IIa-B). Maß-
nahmen zur Vorbeugung der kontrastmittelinduzierten Nephropathie müssen angewendet werden (IB).
Eine Anämie ist ein unabhängiger Prädiktor für Komplikationen innerhalb der ersten 30 Tage nach ACS
und muss daher in der Risikostratifizierung berücksichtigt werden (IB). Besonders sollte auf die Vermeidung
von Blutungskomplikationen geachtet werden (IB). Die Indikation zu einer Bluttransfusion sollte sehr zu-
rückhaltend gestellt werden (IC).
LITERATUR
Hamm CW, Bassand JP, Agewall S, et al. (2011) ESC guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients
presenting without persistent ST-segment elevation: The Task Force for the management of Acute Coronary Syndromes
(ACS) in patients presenting without persistent ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur
Heart J 32: 2999–3054
2010 Guidelines on myocardial revascularization. The Task Force on Myocardial Revascularization of the European Society of
Cardiology (ESC) and the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2010; 31(20): 2501–55.
Achenbach S, Szardien S, Zeymer U, et al. Kommentar zu den Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) zur Dia
gnose und Therapie des akuten Koronarsyndroms ohne ST-Strecken-Hebung (NSTE-ACS). Kardiologe 2012; 6: 283–301.
KASUISTIK
Ein 35-jähriger Soldat, Raucher, stellt sich mit heftigen stechenden linksthorakalen Schmerzen vor, die sich bei tiefer In
spiration verstärken. Er fühlt sich insgesamt matt und hat subfebrile Temperaturen.
16 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Abb. 1.8 SR, 80/min, LT. Angedeutete ST-Strecken-Hebungen in II, III, aVF, V5 und V6 [M754]
1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen 17
Die ST-Hebungen können auf einen akuten Myokardinfarkt (inferolateral) oder eine Perimyokarditis hin-
weisen. 1
Der Patient gibt an, vor etwa 3 Wochen einen grippalen Infekt gehabt zu haben. Er sei zwar schnell wieder arbeitsfähig
gewesen, jedoch seither weniger gut belastbar. Außer Rauchen lägen keine atherogenen Risikofaktoren vor. Dyspnoe
oder Belastungsdyspnoe verneint er.
Körperliche Untersuchung: guter Allgemein- und Ernährungszustand. BMI 23. RR 100/60 mmHg bds. Temperatur
38,8 °C (Ohr). JVD normal. Pulmo frei. Cor: regelmäßig, 68/min, deutliches Perikardreiben. Pulmo frei. Keine peripheren
Ödeme. Abdomen unauffällig. Periphere Pulse regelrecht tastbar. Unauffälliger neurologischer Status.
EKG (› Abb. 1.8):
Sie veranlassen ergänzend eine Echokardiografie: normale globale Pumpfunktion. Bei mäßiger Schallbarkeit
Hypokinesie inferior. LV normal groß, normale Wanddicken. LA und RA gering vergrößert. RV normal
groß. Aortenwurzel normal weit. Klappen gering sklerosiert, regelrecht beweglich, kein Vitium. Kein Peri
karderguss. VCI normal weit, atemmoduliert.
Der Patient hat Aspisol (Diskussion zur Dosis › Kap. 1.2) und 5.000 IE Heparin sowie 4 mg Morphin i. v.
erhalten und hat anhaltend Beschwerden, intermittierend jetzt auch thorakales Druckgefühl. Er erhält zu-
sätzlich Prasugrel und es wird umgehend eine Herzkatheteruntersuchung veranlasst (› Kap. 1.1).
Herzkatheteruntersuchung: Ventrikulografie: (30° RAO und 60° LAO): umschriebene inferomediale Hypokinesie bei
normaler Globalfunktion.
Koronarangiografie: Relevante fixierte Stenosen der großen Kranzgefäße liegen nicht vor (die Wandbewegungsstö-
rung ist DD durch passageren Spasmus oder wahrscheinlicher durch eine Perimyokarditis zu erklären).
18 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
1 Bei Perikarditis im Unterschied zu den EKG-Veränderungen beim akuten ST-Hebungsinfarkt: meist nicht
auf Vorderwand- oder Hinterwandableitungen beschränkt; keine reziproken ST-Streckenveränderungen;
ST-Hebungen beginnen in der Regel direkt am J-Punkt, kaum höher als 5 mm, meist konkave Form erhalten;
meist keine simultane T-Wellen-Inversion.
Labor: Leukozyten gering, CRP mäßig erhöht. Hb normal. CK im Normbereich. D-Dimer normal. TNI diskret erhöht.
Elektrolyte, Nierenretentionswerte und übrige Routineparameter unauffällig.
Wir gehen nun von einer akuten Perimyokarditis aus.
Können Sie einen kurzen Überblick über die mögliche Ätiologie einer Perikarditis
geben? Was ist hier naheliegend? Welche ergänzenden Untersuchungen sind
nun noch sinnvoll?
• Infektiös
• Viren (Adeno-, Entero-, CMV, Influenza, Hepatitis B, HSV)
• Bakterien (Tbc), Pilze.
• Autoreaktiv: Vaskulitiden, Kollagenosen, Systemerkrankungen
• Bei Erkrankungen angrenzender Organe: Myokardinfarkt, Pleuritis, Pneumonie
• Urämie
• Neoplastisch (häufig Mamma-, Bronchialkarzinom, Melanom)
• Traumatisch
• Ungeklärte Ursache.
Aufgrund der Anamnese ist am ehesten von viraler Genese auszugehen. Virale Infektionen sind mit Abstand
die häufigste Genese der akuten Perikarditis.
Additiv sollte eine Röntgen-Thorax-Untersuchung erfolgen (Infiltrate? Malignom?), eine Tuberkulose aus-
geschlossen werden, eine HIV-Serologie, ggf. auch ANA-Titer abgenommen sowie bei Fieber > 38,5 °C Blut-
kulturen gewonnen werden.
Es sollte eine Rhythmusüberwachung und eine Verlaufs-Echokardiografie erfolgen.
Im Langzeit-EKG wurden lediglich VES dokumentiert, aber keine komplexen ventrikulären Arrhythmien; kein Vorhofflim-
mern.
Verlaufs-Echokardiografie (3 Tage später, vor Entlassung):
Jetzt geringer zirkulärer Perikarderguss ohne Zeichen der hämodynamischen Relevanz.
Ansonsten unveränderter Befund.
1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen 19
Eine Perikardtamponade kann klinisch festgestellt werden: erhöhter JVD, Tachykardie, Dyspnoe; evtl. 1
Schocksymptome.
Echokardiografisch sollte der Perikarderguss in unterschiedlichen Schnittebenen beurteilt werden, eine
Bestimmung der maximalen Ergussbreite enddiastolisch mittels M-Mode in parasternaler langer Achse sollte
erfolgen. Die Einteilung der Ergussmenge in klein (< 10 mm), mittelgradig (10–20 mm) und groß (> 20 mm)
ist sinnvoll.
Echokardiografie bei Tamponade: „swinging heart“, Kompression, diastolischer Kollaps der rechten, ggf.
auch der linken Herzhöhlen. Lebervenenstauung, eingeschränkte Atemvariabilität der VCI. Im Doppler: ge-
steigerte respiratorische Variabilität im transmitralen Dopplerprofil (inspiratorischer Abfall der E-Wellen-
Geschwindigkeit > 25 %), inspiratorische Zunahme der trikuspidalen Einstromgeschwindigkeiten (> 40 %;
Buck et al. 2009; › Tab. 1.6).
In den ESC-Leitlinien werden Perikardergüsse nach der Horowitz-Klassifikation (› Abb. 1.9) eingeteilt:
EKG EKG
EN EN
P EP
P
A B
EKG EKG
EN EN
EP EP
P P
C1 C2
EKG EKG
EN EN
EP EP
P P
D E
Abb. 1.9 Horowitz-Klassifikation. Typ A: kein Erguss; Typ B: Erguss zwischen Perikard und Epikard (3–16 ml); Typ C1: Trennung
von Epikard und Perikard in Systole und Diastole (Erguss > 16 ml); Typ C2: Trennung von Epikard und Perikard in Systole und
Diastole mit abgeschwächter Perikardbewegung; Typ D: deutliche Trennung von Epikard und Perikard mit großem echofreiem
Raum; Typ E: Perikardverdickung (> 4 mm) [L106]
20 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Tab. 1.6 Empfehlungen zur Diagnose der Perikardtamponade (nach: Guidelines on the Diagnosis and Management
of Pericardial Diseases 2004)
Klinik erhöhter Venendruck, Hypotension. Pulsus paradoxus, Tachykardie, Dyspnoe oder Tachy
1 pnoe ohne pulmonale Stauung
Prädisponierende Faktoren Medikamente (Ciclosporin, Antikoagulanzien, Thrombolytika, etc.), kurz zurückliegende
Herzoperation, Verweilkatheter, Thoraxtrauma, Malignität, Kollagenosen, Nierenversagen,
Sepsis
EKG unauffällig oder unspezifisch verändert oder elektrischer Alternans. Bradykardie, elektro-
mechanische Entkoppelung (Endstadium)
Röntgen-Thorax vergrößerter Herzschatten ohne pulmonale Stauung
Echokardiografie 2-D-Bild: diastolisches Kollabieren der freien RV-Wand, RA-Kollaps, LA und sehr selten LV-
Kollaps, „Pseudohypertrophie“ (diastolisch verdickte LV-Wand), weite VCI, fehlende Atem-
modulation, „swinging heart“, Doppler: inspiratorisch steigender Fluss über der TK, sin-
kender Fluss über MK. Verringerter systolischer und diastolischer Fluss in den großen Ve-
nen bei Exspiration; Rückfluss bei atrialer Kontraktion erhöht
M-Mode-Farbdoppler: starke respirationsabhängige Fluktuation von Mitral- und Trikuspi-
dalfluss
Herzkatheteruntersuchung 1. Bestätigung der Diagnose und Quantifizierung des Ausmaßes der hämodynamischen Be-
einträchtigung (erhöhter RA-Druck, erhöhter intraperikardialer Druck – virtuell identisch
mit RA-Druck, RV mittdiastolischer Fluss erhöht und gleich dem RA und intraperikardia-
len Druck; keine „dip-plateau“-Konfiguration). PA-Druck leicht erhöht. PCWP erhöht
und annähernd gleich dem RA und intraperikardialen Druck. Systolischer LV- und aorta-
ler Druck normal oder reduziert
2. Dokumentation der hämodynamischen Verbesserung nach Aspiration
3. Nachweis von koexistenten hämodynamischen Abnormalitäten (Herzinsuffizienz, Konst-
riktion, pulmonale Hypertonie)
4. Nachweis von koexistenten kardiovaskulären Erkrankungen (KHK, KMP)
RV/LV-Angiografie atrialer Kollaps und kleine hyperdyname Ventrikel
Koronarangiografie Koronarkompression diastolisch
CT kein subepikardiales Fett entlang der Ventrikel sichtbar
Aspirin oder Ibuprofen ist bei viraler oder idiopathischer akuter Perikarditis wirksam; wenn nach einer Wo-
che darunter keine Beschwerdefreiheit erreicht wird, ist von einer anderen Genese auszugehen: ESC-Guideli-
nes 2004: 300–800 mg Ibuprofen alle 6–8 Stunden für Tage bis Wochen je nach Beschwerden. Alternativ:
800 mg Aspirin alle 6–8 Stunden, ausschleichen je nach Befinden über 3–4 Wochen. Colchicin (0,5–1 mg/d)
als Monotherapie oder in Kombination mit NSAR (ESC-Guidelines 2004). Nach neueren Daten ist eine Kom-
bination von Colchicin (0,5 mg 1–2 x/d) mit NRSA über 3 Monate einer alleinigen Therapie mit NRSA über-
legen (Imazio 2013).
Glukokortikoide (GK) werden nur bei NSAR und Colchicin-refraktären Beschwerden gegeben und wenn
eine spezifische Ursache der Perikarditis ausgeschlossen werden konnte (ESC-Richtlinien: GK bei akuter Pe-
rikarditis bei Connective Tissue Disease, bei Autoimmun-Perikarditis und urämischer Perikarditis; empfoh-
len ist dann eine Hochdosistherapie mit 1 mg/kg KG/d und rasches Ausschleichen).
1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen 21
Wie beraten Sie den Patienten? Ist eine stationäre Aufnahme und
Weiterbehandlung notwendig?
Nach 6 Wochen kommt der Patient zur vereinbarten echokardiografischen Verlaufskontrolle wieder; unter Einnahme von
Ibuprofen und Colchicin hatten sich die Beschwerden nach wenigen Tagen zurückgebildet, es wurden keine Nebenwir-
kungen beobachtet. Der Patient hat die medikamentöse Therapie nach 3 Wochen beendet. Nun verspürt er seit ca. 1
Woche nach körperlicher Belastung immer wieder ähnliche Brustschmerzen wie vor 6 Wochen. In der Echokardiografie
zeigt sich ein progredienter, jetzt mäßiger zirkulärer Perikarderguss, nach wie vor ohne Zeichen der hämodynamischen
Wirksamkeit.
Bei der rezidivierenden Perikarditis treten nach Wochen bis Jahren, üblicherweise jedoch innerhalb von 20
Monaten nach dem Erstereignis wieder Symptome auf. Zwei Formen werden unterschieden: „intermittend
type“: symptomfreie Intervalle ohne Therapie; und „incessant type“: Rückfall bei Absetzen der medikamentö-
sen Therapie. Etwa die Hälfte der betroffenen Patienten hat 1–2 Rezidive in ihrem Leben, es gibt aber auch
Verläufe über Jahrzehnte mit regelmäßigen Rezidiven. Insgesamt ist die Prognose gut; es gibt bei der rezidi-
vierenden idiopathischen Perikarditis keine Assoziation mit einer konstriktiven Perikarditis. Komplikatio-
nen (Tamponade) sind sehr selten.
In der CORE-Studie (Imazioi et al. 2005) wurden als Definition für die rezidivierende Perikarditis eine
dokumentierte akute Perikarditis und rezidivierende Symptome oder eine anhaltend aktive Perikarditis (Kri-
terien für ein Rezidiv: neuerliche Schmerzen und mindestens eines der folgenden Kriterien: Fieber, Peri-
kardreiben, EKG-Veränderungen, Perikarderguss im UKG, Leukozytose, beschleunigte BSG, erhöhtes CRP)
festgelegt. Die ESC-Leitlinien verweisen auf das diagnostische (und therapeutische) Vorgehen wie bei der
akuten Perikarditis (› Tab. 1.7):
22 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Vorgehen laut Task Force on Pericardial Disease der ESC: Perikardioskopie (ESC-Empfehlungsgrad IIa,
wenn man sonst nicht weiterkommt) und multiple epikardiale Biopsien entnehmen (Punktat: Lymphozyten/
Monozytenzahlen, Tbc, Borrelien, Chlamydien und andere pathogene Keime mittels PCR/Kulturen aus-
1 schließen; Entzündungsaktivität epikardialer und myokardialer Biopsien; zytologische Untersuchung des
Punktats und der Biopsien; systemische und metabolische Ursachen und Urämie ausschließen). In den USA
ist eine pragmatischere, weniger intensive und invasive Herangehensweise üblich.
Tab. 1.7 Diagnostisches Vorgehen bei akuter Perikarditis – Evidenzlevel B für alle Prozeduren (nach: Guidelines on
the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases 2004)
Obligat (Indikation Klasse I)
Auskultation Perikardreiben
EKG Stadium I: anterior und inferior konkave ST-Strecken-Hebungen. PR-Senkun-
gen (gegensätzlich zu P-Wellen-Polarität).
Frühes St. II: ST-Strecken normalisiert, PR-Abweichung
Spätes St. II: T-Wellen-Abflachung und Inversion
St. III: generalisierte T-Negativierungen
St. IV: EKG wieder wie vor Perikarditis
UKG Perikardergüsse Typ B–D (Horowitz), Tamponadezeichen
Labor Infektparameter erhöht, Myokardmarker erhöht
Röntgen-Thorax von unauffällig bis „Bocksbeutel“-Herzschatten
Mandatorisch bei Tamponade (Indikation Klasse I), optional bei großen oder wiederkehrenden Ergüssen
oder wenn Ergebnisse bisher nicht schlüssig (Indikation Klasse IIa). Bei kleinen Ergüssen (Indikation
Klasse IIb)
Perikardiozentese und Drainage PCR und Histologie (zur Eingrenzung Infektion, Neoplasie)
Optional oder wenn vorausgehende Ergebnisse nicht schlüssig sind
CT Ergüsse, Peri- und Epikard
MR Ergüsse, Peri- und Epikard
Perikardioskopie, Perikardbiopsie Sicherung der Ätiologie
• Ibuprofen, alternativ Acetylsalicylsäure wie bei akuter Perikarditis. Additiv Colchicin (vgl. CORE- und
COPE-Studie, s. o.).
• GK wenn möglich vermeiden, da Hinweise auf erhöhte Rezidivraten nach GK-Therapie vorliegen. Wenn
notwendig: Hochdosistherapie empfohlen (ESC-Richtlinien) mit 1–1,5 mg/kg KG/d über 1 Monat, dann
unter klinischen/laborchemischen Kontrollen langsam ausschleichen.
• Auch intraperikardiale GK-Gabe möglich, nebenwirkungsärmer; komplikationsreichere Applikations-
form.
• Azathioprin, Cyclophosphamid, Methotrexat, i. v. Immunglobulin: hierzu gibt es nur wenige Daten.
Eine Perikardiozentese ist bei Tamponade lebensrettend (Evidenzlevel B, Klasse-I-Indikation) und indiziert
bei Perikardergüssen von echokardiografisch > 20 mm enddiastolisch. Bei kleineren Perikardergüssen ist sie
indiziert, wenn dies diagnostisch wichtig ist (laborchemische, mikrobiologische und pathologische Analyse
des PE), die Komplikationsrate ist hier jedoch höher. Hinweis zur Patientenaufklärung: Wenn eine elektive
Perikardpunktion ohne unmittelbar verfügbare Herzchirurgie erfolgt, sollte auf diesen Umstand explizit hin-
gewiesen und dies auch dokumentiert werden.
1.4 Akute Brustschmerzen 23
LITERATUR
Buck T, Breithardt OA, Faber L, et al. Manual zur Indikation und Durchführung der Echokardiographie. Clin Res Cardiol
2009; Supplement 4: 3.
Imazio M, Brucato A, Trinchero R, et al. Colchicine as first-choice therapy for recurrent pericarditis: results of the CORE (COl-
chicine for REcurrent pericarditis) trial. Arch Intern Med 2005; 165: 1987.
Imazio M, Brucato A, Trinchero R, et al. Day hospital treatment of acute pericarditis: a management program for outpatient
therapy. J Am Coll Cardiol 2004; 43: 1042.
Imazio, M, Brucato A, Trinchero R, et al. Indicators for poor prognosis of acute pericarditis. Circulation 2007; 115: 2739.
Imazio M, Brucato A, Cemin R et al. A randomized trial for colchicine in acute pericarditis. N Engl J Med 2013; 369:1522–8.
Klatsky AL, Oehm R, Cooper RA. The early repolarization normal variant electrocardiogram: correlates and consequences.
Am J Med 2003; 115(3), 171–7.
Maisch B, Seforovic PM, Ristic AD, et al. Guidelines on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases. Eur Heart J
2004; 25: 587–610.
KASUISTIK
Ein 65-jähriger Patient wird vom Hausarzt zum Ausschluss eines akuten Koronarsyndroms in Ihre Notaufnahme überwie-
sen. Seit etwa drei Stunden verspürt er intermittierend stärkste Schmerzen in der Brustgegend mit Ausstrahlung in den
Rücken. Er habe in der Vergangenheit nie Probleme gehabt. Seit einigen Jahren ist ein hoher Blutdruck bekannt. Da er
nie Beschwerden hatte, habe er die empfohlene Medikation nicht eingenommen. Der Hausarzt informiert Sie, dass ihm
im EKG eine ST-Strecken-Senkung aufgefallen sei.
Der körperliche Untersuchungsbefund bei Aufnahme lautet: Größe: 170 cm, Gewicht: 76 kg, reduzierter Allgemein-
zustand. Keine Zyanose, keine Ödeme. Blutdruck initial 130/80 mmHg re. und 100/70 mmHg li., Herzfrequenz 55/min,
Atemfrequenz 12/min. Keine Jugularvenenstauung. Cor: 4⁄6-Systolikum und 2⁄6-Diastolikum über der Aorta. Pulmo: Klopf-
schall sonor, Vesikuläratmung ubiquitär. Abdomen, Wirbelsäule, Fußpulse und die orientierende neurologische Untersu-
chung sind unauffällig.
Es zeigt sich ein Sinusrhythmus mit einer Herzfrequenz von 55/min; diskrete muldenförmige ST-Senkungen
in V5, V6 sowie diskrete Hebung in V1; EKG-Befunde bei Aortendissektion sind nicht spezifisch. Bei einem
Drittel der Patienten zeigen sich EKG-Veränderungen im Sinne einer linksventrikulären Hypertrophie. Bei
Verlegung einer Koronararterie durch ein Dissektionssegel können ST-Hebungen wie bei einem Myokard
infarkt resultieren.
Am Monitor des Patienten sehen Sie einen Blutdruck von 80/60 mmHg re., HF: 55/min. Die Schmerzen des Patienten
persistieren. Die transthorakale Echokardiografie zeigt eine Dilatation (ca. 5 cm) der Aorta ascendens. Die Aortenklappe
selbst ist altersentsprechend und morphologisch unauffällig.
1.4 Akute Brustschmerzen 25
Akute Aorteninsuffizienz aufgrund einer Aortendissektion; diagnostisch stehen CT-Thorax, TEE und MRT 1
zur Verfügung. Die Auswahl der Bildgebung hängt von Kreislaufstabilität, Nierenfunktion, KM-Allergie und
Verfügbarkeit ab.
Methodenvergleich:
• Transthorakale Echokardiografie: Beurteilung der proximalen Aorta ascendens möglich. Ausmaß der
Aorteninsuffizienz, Klappenmorphologie (Ursache) beurteilbar, Sensitivität: 80 %, Spezifität: ca. 96 %.
• Transösophageale Echokardiografie: Sensitivität 89–99 %, Spezifität 89 %; schnelle Verfügbarkeit bei in-
stabilen Patienten.
• CT: Darstellung der gesamten Aorta bis in die Beckengefäße, genaue Lokalisierung und Ausdehnung.
Darstellung großer abgehender Gefäße sowie Diagnose der Organischämien möglich. Sensitivität 83–94 %,
Spezifität 87–100 %.
• MRT: Sensitivität und Spezifität höher als bei CT; Anfertigung einer MR-Aortografie möglich, jedoch län-
gere Untersuchungsdauer und geringere Verfügbarkeit.
• DSA: vorteilhaft zur Beurteilung der Organperfusion.
• Koronarangiografie: Der präoperative Einsatz zur Erhebung des Koronarstatus wird uneinheitlich beur-
teilt; Absprache mit dem Operateur wird empfohlen.
In den Bildausschnitten sieht man eine Dissektion im Aortenbogen sowie in der Aorta descendens. Diese
beginnt anhand der Gesamtbefundung auf der Höhe der Aortenklappe mit Ausdehnung bis in die Iliakalgefä-
ße. Die supraaortalen Gefäße sind ebenfalls betroffen. Der Truncus coeliacus, die A. mesenterica superior
und inferior sowie die Nierenarterien beidseits gehen vom wahren Lumen aus.
26 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Abb. 1.11 CT-Aufnahmen
• Stanford-Typ-A-Dissektion: sehr schlecht. Bei konservativer Therapie Überlebensrate von 2 % zwei Mo-
nate nach Initialereignis 1
• Stanford-Typ-B-Dissektion: Letalität bei konservativer Therapie niedriger als bei chirurgischer Therapie.
Wie lässt sich das klinische Risiko für eine akute Aortendissektion ermitteln?
Es erfolgt die umgehende Verlegung des Patienten in eine herzchirurgische Abteilung zur operativen Versorgung. Bei
diesem Krankheitsbild ist eine möglichst rasche Operation notwendig, da die Mortalität früh nach der Dissektion 1–2 %/h
beträgt!
Bei Typ-B-Dissektionen mit Komplikationen wie peripherer Malperfusion oder einer raschen Expansion des
falschen Lumens kann durch die Verwendung von Endoprothesen (Stentbehandlung) die Mortalität deutlich
reduziert werden.
LITERATUR
ACCF/AHA/AATS/ACR/ASA/SCA/SCAI/SIR/STS/SVM Guidelines for the Diagnosis and Management of Patients with Thoracic
Aortic Disease. J Am Coll Cardiol 2010; 55: 1509–44.
Nienaber CA, Akin I, Kische S, Ince H, Chatterjee T. Stentversorgung der thorakalen Aorta. Internist 2013; 54: 561–571.
www.acc.org.
www.americanheart.org.
KASUISTIK
Ein 73-jähriger Patient wird in Ihre kardiologische Sprechstunde überwiesen. Er klagt über ein belastungsabhängiges En-
gegefühl über der Brust sowie zunehmende Atemnot. Außerdem besteht eine Schwindelsymptomatik, Synkopen haben sich
bisher nicht ereignet. An kardiovaskulären Risikofaktoren sind eine arterielle Hypertonie sowie eine Dyslipidämie bekannt.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe: 180 cm, Gewicht: 83 kg, guter AZ und EZ, wach und orientiert. Keine
Zyanose, keine Ödeme. RR 160/80 mmHg, Herzfrequenz 65/min, unregelmäßig, Atemfrequenz: 12/min, keine Jugular
venenstauung, Cor: Herztöne rein, raues 3⁄6-Systolikum über ICR III re. mit Fortleitung in die Karotiden; 1⁄6-Diastolikum;
1–2⁄6-Systolikum über dem Mitralareal. Pulmo: beidseits basale RG. Abdomen und peripherer Pulsstatus o. p. B. Sie ordnen
ein 12-Kanal-EKG, einen Röntgen-Thorax sowie eine Echokardiografie an.
28 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Sinusrhythmus, Frequenz 56/min, Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie (Sokolow-Index > 3,5 mV),
Erregungsrückbildungsstörungen.
1.5 Belastungsabhängige Thoraxschmerzen 29
Neben der bikuspiden Klappenanlage und der rheumatischen Aortenstenose liegen diesem häufigsten erwor-
benen Herzklappenfehler meist eine Degeneration und Verkalkung des Klappenapparats als Folge eines in-
flammatorischen, der Arteriosklerose ähnlichen Prozesses zugrunde. Die Manifestation liegt zwischen der 6.
und 8. Dekade. Die Aortensklerose besteht bei ca. 25 % der über 65-Jährigen. Sie ist assoziiert mit Alter, männ-
lichem Geschlecht, arterieller Hypertonie, Nikotinabusus, LDL- und Lp(a)-Spiegel und Diabetes mellitus.
Die Entstehung einer relevanten Aortenklappenstenose verläuft gewöhnlich asymptomatisch über Jahrzehn-
te. Die hämodynamisch relevante Aortenstenose führt durch Zunahme der Wandspannung im linken Vent-
rikel zu einer konzentrischen Hypertrophie. Im Verlauf der Erkrankung kommt es nach Erschöpfung der
Kompensationsmechanismen zu einer Gefügedilatation mit Funktionseinschränkung, bedingt durch eine
reduzierte Kontraktilität des linken Ventrikels oder die stark erhöhte Nachlast.
Mit der Entwicklung einer konzentrischen Hypertrophie kann der erhöhte intraventrikuläre Druck kom-
pensiert werden. Dies führt jedoch (auch ohne relevante KHE) zu einer relativen Koronarinsuffizienz. Bei
30 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
% Überleben
75
1 des linken Ventrikels beeinträchtigt werden.
Während der langen Latenzzeit sind die Morbidi- 50 Asymptomatisches Ohne Aorten-
Stadium klappenersatz
tät und Mortalität gering. Nach Entwicklung einer 25
mittelgradigen Stenose (Vmax < 3 m/s) muss jedoch
mit einer jährlichen Progression gerechnet werden 10 15 20 25 30 35 40
(Erhöhung der Flussgeschwindigkeit um ca. 0,3 m/s Alter (Jahre)
und des mittleren Druckgradienten um ca. 7 mmHg,
Herzinsuffizienz
Reduktion der Klappenfläche um ca. 0,1 cm2). Synkope
Auftretende Symptome (Angina pectoris, Synkope, Angina pectoris
Herzinsuffizienz) verändern die Prognose dramatisch
(mittleres Überleben 2–3 Jahre) und triggern daher Abb. 1.15 Verlauf der Aortenstenose [L106]
die Entscheidung zur Klappenintervention (› Abb.
1.15).
Wie beurteilen Sie den Stenosegrad, welche weitere Diagnostik ist erforderlich?
Hochgradig: KÖF <1,0 cm2; mittlerer Gradient > 40 mmHg; Jet-Geschwindigkeit > 4 m/s.
Es liegt nach den hämodynamischen Parametern der Spitzenflussgeschwindigkeit über der Aortenklappe
(Vmax > 4 m/s) eine hochgradige Aortenklappenstenose vor; die systolische Globalfunktion ist bei konzentri-
scher linksventrikulärer Hypertrophie gut erhalten. Damit sind die klinischen Beschwerden des Patienten
und das Klappenvitium gut vereinbar.
• Mechanischer AKE:
– bei vorbestehendem mechanischem Ersatz der Mitral- oder Trikuspidalklappe (Klasse I)
– bei Alter < 65 J., Antikoagulation möglich (Klasse IIa)
• Bioklappe:
– wenn Antikoagulation nicht möglich (Klasse I)
– bei Alter < 65 J., bei Patientenwunsch nach Risikoaufklärung (Klasse IIa)
– bei Alter > 65 J. ohne erhöhtes Thromboembolierisiko (Klasse IIa)
– bei Frauen mit Kinderwunsch (Klasse IIb).
1.5 Belastungsabhängige Thoraxschmerzen 31
nein ja
LV-EF < 50%? Symptomatik?
Med.
Aortenklappenersatz AKE/TAVI2 TAVI
Therapie
Re-Evaluierung, 6 Monate
Abb. 1.16 Strategie bei schwerer Aortenklappenstenose (nach ESC Guidelines version 2012) [L106]
ACE-Hemmer führen zu einer peripheren Vasodilatation, die bei schwerer Aortenklappenstenose nicht
durch eine Zunahme des Schlagvolumens kompensiert werden und somit zu einer ausgeprägten Hypotonie
führen kann. Neuere Studien zeigen, dass eine vorsichtige ACE-Hemmer-Therapie bei hypertensiven Blut-
druckwerten möglich ist.
• Raues, spindelförmiges Geräusch über Aorta und Erb mit Fortleitung in die Karotiden
• Schwirren über der Ausflussbahn
32 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
• Hebender Herzspitzenstoß
• Pulsus parvus et tardus
• Eventuell leiser 2. Herzton, paradoxe Spaltung
1 • Fehlender 2. Herzton bei hochgradiger Stenose.
Welche Therapie schlagen Sie dem Patienten bei der Aortenklappenstenose und
der koronaren Herzerkrankung vor?
Bei der hochgradigen symptomatischen Aortenklappenstenose und der koronaren Herzerkrankung ist eine
operative Therapie dringend indiziert (Aortenklappenersatz und Bypassversorgung).
Sobald eine Aortenklappenstenose Symptome verursacht, ist eine Operation aufgrund des dann sehr un-
günstigen natürlichen Verlaufs indiziert. Davon profitieren auch Patienten in hohem Lebensalter!
Dagegen haben Patienten mit asymptomatischer Aortenklappenstenose eine gute Prognose (nur 1–2 %
zeigen eine rasche Progression), sodass diese Patienten nur regelmäßig klinisch und echokardiografisch un-
tersucht werden sollten, um eine Progression rechtzeitig zu erkennen. Dabei ist der Druckgradient über der
Aortenklappe prädiktiv für die Entwicklung von Symptomen, d. h., je höher der Gradient, desto wahrschein-
licher das Auftreten von Symptomen.
Cave: Einen operativen Klappenersatz bei asymptomatischen Patienten sollte man in Erwägung ziehen
bei:
• nicht anderweitig eingeschränkter LV-Pumpfunktion oder bei auffälligem Belastungstest (Symptome,
RR-Abfall),
• Patienten mit geringem perioperativem Risiko, guter Belastbarkeit und schwerer Aortenklappenstenose
(Spitzenflussgeschwindigkeit: > 5,5 m/s) oder
• hochgradiger Klappenverkalkung und im Verlauf rascher Progression der Spitzenflussgeschwindigkeit
(≥ 0,3 m/s/Jahr),
• nicht anderweitig erklärtem Anstieg der proBNP-Spiegel (wiederholte Messung),
• Anstieg des mittleren Druckgradienten unter Belastung > 20 mmHg,
• massiver linksventrikulärer Hypertrophie, klappenbedingt.
Zusatzinformation: Zusammengefasst besteht für Patienten mit symptomatischer Aortenklappenstenose
eine eindeutige (Klasse-I-)Indikation zum Aortenklappenersatz, weiterhin für Patienten mit hochgradiger,
(noch) asymptomatischer Stenose, die sich einer Bypass-Operation oder anderen Klappenoperationen unter-
ziehen müssen.
Sogenannte Klappensprengungen (Valvuloplastie) haben bei der Aortenklappenstenose im Erwachsenen-
alter nur palliative Indikationen, da sowohl die Akut- als auch Langzeitergebnisse sehr schlecht sind.
• Frühletalität des elektiven Aortenklappenersatzes 2–8 %, sehr hohes Operationsrisiko bei Notfalloperati-
on mit einer Letalität von 10–25 %.
• Erhöhtes Operationsrisiko bei ausgeprägter Symptomatik (NYHA III, IV), eingeschränkter linksventriku-
lärer Funktion, begleitender koronarer Herzerkrankung, ventrikulären Arrhythmien, begleitender mittel-
schwerer bis schwerer Aorteninsuffizienz, hohem Lebensalter.
• Durchschnittliche perioperative Letalität bei kombiniert AKE/ACB: 5,5–6,8 % (Society of Thoracic Surge-
ons).
1.6 Brustschmerzen und Kollaps 33
Bei leichter asymptomatischer Stenose sind im Intervall von einem Jahr und bei höhergradiger, asymptoma-
tischer Stenose im Intervall von drei bis sechs Monaten folgende Kontrollen angezeigt:
• Anamnese: Angina pectoris? Schwindel? Synkopen? Zeichen der Herzinsuffizienz?
• Echokardiografie, EKG
• Keine weitere Endokarditisprophylaxe.
Die degenerative kalzifizierte Aortenklappenstenose ist eine Erkrankung, die in der 6.–8. Dekade auftritt. Der
Anteil der älteren Bevölkerung (Octogenerians, > 80 J.) wird zunehmen; damit auch die Inzidenz der Aorten-
vitien. Die medikamentöse Therapie ist nicht effektiv und die Valvuloplastie hat nur palliativen Charakter; bei
symptomatischen Patienten muss daher ein Klappenersatz auch bei dieser Patientengruppe erwogen werden.
Patienten mit koronarer Herzerkrankung und reduzierter LV-Funktion haben eine eingeschränkte periope-
rative Prognose. Darüber hinaus spielt die erhöhte Komorbidität (maligne Erkrankungen, Insult) eine limi-
tierende Rolle; die operativen Komplikationen sind ebenfalls erhöht.
Die kathetergeführte Aortenklappenimplantation (TAVI) stellt ein neues Therapiekonzept für Patienten
mit einem hohen Operationsrisiko dar (› Kap. 1.11).
LITERATUR
Focused Update Incorporated into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients With Valvular Heart
Disease. Circulation 2008; 118: e523–e661 (Focus Update).
Kommentar zur Europäischen Leitlinie „Herzklappenerkrankungen“. Kardiologie 2009; 2: 101–7.
Guidelines on the management of valvular heart disease. Eur Heart J 2012; 33: 2451–2496.
KASUISTIK
Eine 39-jährige Patientin bricht auf einem Platz in der Stadtmitte plötzlich zusammen. Durch Passanten wird der Rettungs-
dienst verständigt, der nach kurzer Zeit eintrifft. Die Patientin ist ansprechbar, kreislaufstabil und wird vom Rettungsdienst
in die Notaufnahme der nächsten Klinik gebracht.
Die Patientin wirkt akut krank und berichtet, dass sie seit einiger Zeit häufiger Kopfschmerzen habe, gelegentlich ein thora-
kales Druckgefühl verspürt habe, das jedoch unabhängig von Belastung gewesen sei. Wesentliche Vorerkrankungen werden
verneint. An kardiovaskulären Risikofaktoren bestehe ein langjähriger Nikotinabusus (15 pack years), eine Hypercholeste-
rinämie sowie eine positive Familienanamnese. Der Vater der Patientin habe im Alter von 55 Jahren einen Herzinfarkt erlitten.
34 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Die derzeitige Medikamenteneinnahme beschränke sich auf orale Kontrazeptiva sowie häufiger Kopfschmerztabletten bei
„Migräneanfällen“.
Körperliche Untersuchung bei Aufnahme: Größe 172 cm, Gewicht 72 kg; Puls 120/min, regelmäßig. RR 220/120 mmHg,
1 Jugularvenen gering gestaut. Regelrechter 1. und 2. HT, keine Extratöne. Keine vitientypischen Geräusche. Basal über
beiden Lungenflügeln beginnend feuchte Rasselgeräusche. Die übrige internistische und orientierende neurologische
Untersuchung war unauffällig.
SR, HF ca. 120/min. Deutliche ST-Strecken-Hebung über II, III, aVF sowie V3–V6, angedeutet auch in I, V2.
EKG-Diagnose: ubiquitäre ST-Strecken-Hebungen, formal STEMI, DD Perimyokarditis.
• Labor (kardiale Marker, Elektrolyte, Gerinnung, kleines BB, TSH, Krea, HN).
– Laborbefunde [Normwerte]: CK 262 [< 155] U/l; MB 19 [< 6]%; Troponin T 2,23 [< 0,010] ng/ml; Na
134 [135–145] mmol/l; K+ 4,6 [3,5–5,0] mmol/l Kreatinin 1,3 [0,5–1,3] mg/dl; TSH 4,45 [0,3–4,0] μU/l.
Gerinnung und kleines Blutbild normal.
• Herzkatheteruntersuchung.
Monitorkontrolle, Sauerstoffgabe (2–4 l/min), Betablocker (z. B. Metoprolol 5 mg i. v. trotz der basalen Ras-
selgeräusche wegen des ausgeprägten Hypertonus), ASS (250 mg. i. v.; Diskussion zur i. v.-Dosis: › Kap.
1.2), Heparin (z. B. 5.000 IE), Prasugrel/Ticagrelor („loading dose“ 60/180 mg). Kontrolle der Vitalparameter,
Vorbereitung zur HK-Untersuchung.
1.6 Brustschmerzen und Kollaps 35
Im weiteren Verlauf verschlechtert sich die Patientin respiratorisch. Die Sauerstoffsättigung (transkutan gemessen) beträgt
82 % und die Patientin erschöpft sich respiratorisch (AF 30 min). Die Blutgasanalyse ergibt folgende Werte: pO2 53 mmHg,
pCO2 25 mmHg. Trotz der Betablockergabe bleibt der Blutdruck unverändert hoch (RR 240/120 mmHg).
1
• Intubation
• Medikamentöse Blutdrucksenkung:
– Urapidil (z. B. Ebrantil) initial 12,5 mg i. v.
– Nitroglyzerin z. B. 50 mg/50 ml, 0,5–5 mg/h über Perfusor
– Clonidin (z. B. Catapresan) 0,045 mg/ml, Perfusor 0,9–2,7 mg/h
– Metoprolol (z. B. Beloc) 5 mg i. v.; Enalapril (z. B. Xanef) 1,25–5 mg i. v. oder Dihydralazin (z. B.
Nepresol) 6,25–12,5 mg langsam i. v.
Nach Intubation und Gabe von nochmals 5 mg Metoprolol sowie 25 mg Urapidil lässt sich der Blutdruck auf 180/100
senken. Die Patientin lässt sich mit 40 % Sauerstoff bei einer AF von 14/min, PEEP von 8 mbar und AMV von 7,5 l gut
beatmen. Die BGA ergibt Werte von pO2 135 mmHg, pCO2 35 mmHg.
Es zeigt sich eine normale rechte und linke Herzkranzarterie (im bewegten Bild TIMI-III-Fluss). Relevante
Stenosen oder Verschlüsse der Koronararterien lassen sich nicht finden. Kein Hinweis auf Plaqueruptur,
Spasmus oder distale Embolisation.
36 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Sie führen nun ebenfalls noch eine Lävokardiografie durch. In › Abbildung 1.19
ist der Ventrikel in Diastole und Systole dargestellt. Bitte beschreiben Sie den
Befund.
1
Es zeigt sich eine global eingeschränkte linksventrikuläre Funktion. Zudem zeigen sich regionale Kontrak
tionsstörungen. Die basalen Anteile des Ventrikels weisen eine normale bis hyperkontraktile Funktion auf.
Die apikalen Anteile sind deutlich hypokontraktil. Hieraus resultiert ein sog. apical ballooning.
Erklärt der Befund der Koronarangiografie die Funktion des linken Ventrikels?
Nein; nachdem keine relevanten Stenosen oder Verschlüsse im Bereich der Koronararterien vorhanden sind,
scheidet eine koronare Herzerkrankung als Ursache für diese LV-Funktionsstörung aus.
Welche möglichen Ursachen für eine akute Einschränkung der LV-Funktion fallen
Ihnen ein?
Ist die Symptomatik dieser Patientin typisch für eine der genannten Ursachen?
Nein, die üblichen Formen der Kardiomyopathie führen typischerweise zu einer globalen Einschränkung der
LV-Funktion ohne deutlich ausgeprägte regionale Kontraktionsunterschiede.
Dieser Symptomenkomplex aus Tachykardie, hypertensiver Krise, ST-Hebungen und apikal betonter Ein-
schränkung der linksventrikulären Funktion ist typisch für eine katecholaminbedingte Kardiomyopathie.
1.6 Brustschmerzen und Kollaps 37
Welche weiteren diagnostischen Schritte leiten Sie bei der Patientin ein?
• Abnahme der Katecholamine im Urin und Blut. Hier zeigten sich deutlich erhöhte Werte für Metanephri-
ne, Adrenalin und Noradrenalin im Blut sowie im Urin.
• Bildgebende Diagnostik: Oberbauchsonografie/CT-Abdomen (› Abb. 1.20). Bei der Patientin fand sich
eine ca. 5 × 6 cm große Raumforderung im Bereich der linken Nebenniere mit zentraler Einschmelzung.
Die Prognose der Patienten ist ausgesprochen gut. Nahezu alle Patienten erholen sich nach Wegfall des pa-
1 thologischen Agens. Die Ventrikelfunktion ist innerhalb weniger Wochen wieder komplett normalisiert. Der
genaue pathophysiologische Zusammenhang, der zur Kontraktionsstörung führt, ist noch nicht geklärt. Die
Katecholamine sollen jedoch entweder über multiple Vasospasmen der epikardialen Koronararterien, Spas-
men der myokardialen Mikrozirkulation oder über eine direkte toxische Wirkung auf das Myokard zur tran-
sitorischen Wandbewegungsstörung führen. Das apikale Myokard soll offenbar auch sensibler auf die Kate-
cholaminwirkung reagieren als die basalen Abschnitte, weshalb es zu dieser typischen apikalen Ballonierung
kommt.
Was hätte Sie bei der Betrachtung des EKG misstrauisch werden lassen können?
Das EKG zeigt ubiquitäre ST-Strecken-Hebungen, die mehr als einem Koronarversorgungsgebiet zugeordnet
werden können (Hebungen sowohl über der Hinterwand wie auch über der Vorderwand).
LITERATUR
Kurisu S, Sato H, Kawagoe T, et al. Tako-tsubo-like left ventricular dysfunction with ST-segment elevation: a novel cardiac
syndrome mimicking acute myocardial. Am Heart J. 2002; 143(3): 448–55.
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cardial infarction. Am Heart J. 2008; 155(3): 408–17.
Tsuchihashi K, Ueshima K, Uchida T, et al. Transient left ventricular apical ballooning without coronary artery stenosis; a
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Wilkenfeld C, Cohen M, Lansman SL, et al. Heart transplantation for end-stage cardiomyopathy caused by an occult pheo-
chromocytoma. J Heart Lung Transplant 1992; 11: 363–6.
Madhavan M, Rihal CS, Lerman A, Prasad A. Acute heart failure in apical ballooning syndrome (TakoTsubo/stress cardio-
myopathy): clinical correlates and Mayo Clinic risk score. J Am Coll Cardiol 2011; 57: 1400–1401.
KASUISTIK
Ein 78-jähriger Patient stellt sich mit belastungsabhängiger Atemnot, verbunden mit leichtem retrosternalem Druck, in
der Ambulanz vor. Die Symptomatik bestehe schon seit ca. 8 Monaten und werde einfach nicht besser. Nach einem
Stockwerk gehe ihm die Luft aus, nach kurzer Ruhephase bessere sich die Symptomatik wieder. Eine abrupte Verschlech-
terung gebe es nicht. Die letzte kardiologische Vorstellung sei schon länger her. 1985 habe er einmal stundenlang
Schmerzen in der Herzgegend, verbunden mit Angst und Schweißausbrüchen, gehabt und sei deshalb vorübergehend
nicht mehr Auto gefahren. 1993 wurde ihm im Rahmen einer Magenspiegelung gesagt, dass er wahrscheinlich einmal
einen Hinterwandinfarkt durchgemacht habe. Nykturie 2–3 × pro Nacht.
Vorerkrankungen: Diabetes mellitus Typ 2 (seit ∼ 30 Jahren), arterielle Hypertonie (seit ∼ 25 Jahren), Adipositas Grad
II (BMI 35), chronische Niereninsuffizienz Grad 3 (GRF 30–60 ml/min), Aortenklappensklerose.
Körperlicher Untersuchungsbefund: guter AZ und adipöser EZ. RR 140/85 mmHg, Puls 80/min. Jugularvenen nicht
adäquat beurteilbar. Cor: regelmäßig, 2⁄6-Systolikum p. m. Aortenklappe. Kein Diastolikum. Pulmo: VA, AF 18/min, mittel-
hochfrequente RG in den basalen Lungenabschnitten bds., Abdomen unauffällig. Orientierende neurologische Untersu-
chung unauffällig. Unterschenkelödeme bds., keine Stauungsdermatose.
Aktuelle Medikation: ASS 100 mg/d, Captopril 25 mg/d, Propranolol 40 mg/d, HCT 25 mg/d, Metformin 1.000 mg/d.
1.7 Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen 39
Auswertung: Sinusrhythmus, HF 80/min, am ehesten S1Q3-Typ, AV-Block I.°, breites Q in III, q in II, aVF,
inadäquate R-Progression V1–4, um maximal 0,1 mV gesenkte ST-Strecken in II, V5,6, deszendierende ST-
Strecken in II, III, AVF, V5,6 mit präterminal negativer T-Welle, S-Zacken bis V6.
Interpretation: AV-Block I.°, alter inferiorer Infarkt möglich, unspezifische Erregungsrückbildungsstörun-
gen inferolateral.
Echokardiografie: Hypokinesie im Bereich der Vorder- und Hinterseitenwand, Akinesie der basal-mitt-inferioren
Wandabschnitte. Hochgradige Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion. Normale Wanddicken. Aortenklap-
pensklerose ohne relevanten Gradienten. Ausgeprägte diastolische Dysfunktion. Linker Ventrikel und linker Vorhof deut-
lich erweitert. Rechte Herzhöhlen grenzwertig weit, leichte Trikuspidalklappeninsuffizienz mit einem dpmax von 28 mmHg
plus ZVD systolisch.
40 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Gemäß Nationaler Versorgungsleitline „Chronische KHK“ soll eine Herzkatheteruntersuchung bei Hochrisi-
1 kopatienten (Vortestwahrscheinlichkeit > 90 %) auch ohne vorherige nichtinvasive Ischämietestung durch-
geführt werden. Im aktuellen Fall liegt eine erheblich Risikokonstellation bei einem Patientenalter > 65 Jahre,
typischer Angina pectoris (belastungsabhängig, Besserung in Ruhe), Q-Zacken im EKG, Herzinsuffizienz mit
einer hochgradig eingeschränkten Pumpfunktion (HF-REF) bei deutlichen regionalen Wandbewegungsstö-
rungen in Ruhe sowie dem Risikofaktor Diabetes mellitus vor (Vortestwahrscheinlichkeit > 93–97 % gemäß
NVL KHK bzw. 97 % nach der ESC-Leitlinie 2006). Ferner wird eine direkte Koronarangiografie bei Patienten
mit Symptomen einer chronischen Herzinsuffizienz und unbekanntem Koronarstatus in allen Leitlinien
stark empfohlen (Fihn et al. 2012, http://www.khk.versorgungsleitlinien.de). Es wird direkt eine Koronaran-
giografie geplant.
Der Patient muss über die Indikation, das Verfahren selbst und mögliche assoziierte Komplikationen aufge-
klärt werden. Nephrotoxische Medikamente (Metformin, Aminoglykoside, Vancomycin, NSAR, Diuretika)
sollten pausiert werden (direkt vor, besser 24–48 h vor der Untersuchung und bis 48 h danach). In vorliegen-
dem Fall sollte die Metformin-Therapie ohnehin beendet werden (Kontraindikationen: Niereninsuffizienz
mit GFR < 60 ml/min, Herzinsuffizienz ab NYHA III). Zur weiteren Prophylaxe einer kontrastmittelinduzier-
ten Nephropathie sollte eine patientenadjustierte Hydrierung, z. B. mit 0,9 % Natriumchlorid-Lösung (NaCl)
1 ml/kg KG/h über 24 h, beginnend 2–12 h vor der Untersuchung (I-C Empfehlung), erfolgen (cave: Patien-
ten mit Herzinsuffizienz oder Aortenklappenstenose). Man kann auch Acetylcystein (2 × täglich 600 mg Ace-
tylcystein am Vor- und Untersuchungstag) applizieren (IIa-A). Effektive prophylaktische Wirkung zeigte
auch die zusätzliche Verwendung einer isotonischen Natriumbikarbonat-Lösung (eine Stunde vor der Unter-
suchung mit 3 ml/kg KG/h sowie über 6 Stunden nach Kontrastmittel-Applikation mit 1 ml/kg KG/h).
Auch Schilddrüsenerkrankungen sollten erfragt werden; routinemäßig muss der basale TSH-Wert vor der
Untersuchung kontrolliert werden.
Wie gehen Sie generell bei Verdacht auf eine Thyreopathie vor?
Tab. 1.8 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Thyreopathie (nach Fricke et al. 2004)
Laborchemisch Euthyreose, anamnestisch/klinisch Hinweis auf Struma nodosa:→ Schilddrüsen-Sonografie → bei Knoten-
struma:
• Ausschluss fokale Autonomie durch 99mTc-SD-Szintigramm
• Szintigramm nicht durchführbar: Perchlorat-Prophylaxe (PP)
Tab. 1.8 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Thyreopathie (nach Fricke et al. 2004) (Forts.)
Manifeste Hyperthyreose:
• Indikation überdenken, KM-Gabe kontraindiziert
• Vitale Indikation: 1
– Perchlorat-Prophylaxe und weitere thyreostatische Therapie
– →Dosierung nach Stoffwechsellage, Rücksprache mit Endokrinologie
– postinterventionell (innerhalb 2 Wochen) ggf. operative Sanierung der Schilddrüse
Perchlorat-Prophylaxe (= Irenat: 1 ml = 15 gtt. = 344,2 mg):
• Initial (ideal: 4 Stunden vor KM-Exposition): 45 gtt. Perchlorat-Lösung
• Standard-Therapie: 3 × 15 gtt. bis 3 × 20 gtt. für 14 Tage
Herzkatheteruntersuchung (› Abb. 1.22, › Abb. 1.23): Der Hauptstamm hat distal eine 50-prozentige Stenose. Der
Ramus interventricularis anterior ist proximal verschlossen. Der erste Diagonalast ist zu 90 % stenosiert. Der Ramus cir-
cumflexus hat eine exzentrische 90-prozentige Stenose. Die kräftigen Marginaläste sind mittel- bis hochgradig stenosiert.
Retrograde Darstellung der peripheren rechten Kranzarterie, die proximal verschlossen ist. Schwergradige linksventriku-
läre Dysfunktion (LVEF 25 %). LVEDP 29 mmHg.
Anamnestisch ist bei dem Patienten die Einteilung der Canadian Cardiovascular Society (CCS) bei Patienten
mit stabiler koronarer Gefäßerkrankung am zutreffendsten. Da die Beschwerden zu einer erheblichen Ein-
schränkung der körperlichen Aktivität führen, besteht Angina pectoris der CCS-Klasse III. In vorliegendem
Fall muss allerdings auch an eine mögliche Maskierung typischer Angina-pectoris-Symptomatik durch den
langjährig bestehenden Diabetes gedacht werden.
42 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Sie kennen nun die MACCE-Ereignisrate für den Patienten im Fall einer
Katheterintervention oder Bypass-Operation. Welche Prognose hätte der Patient
ohne Intervention?
Um einen Richtwert zu erhalten, wie die Prognose von Patienten mit stabiler Angina pectoris ist, gibt es
zahlreiche Score-Systeme oder Überlebenstabellen. In der Nationalen Versorgungsleitlinie „Chronische
KHK“ wird z. B. ein Score-Modell aufgeführt, das die zu erwartende Wahrscheinlichkeit für Myokardin-
farkt oder Tod innerhalb der nächsten 12 Monate errechnet (http://www.khk.versorgungsleitlinien.de)
(Anm.: Wert im vorliegenden Fall = 23 %). Das Ergebnis wird hierbei anhand verschiedener Risikofakto-
ren, wie z. B. linksventrikuläre Dysfunktion, Dauer der Beschwerden oder Stärke der Angina pectoris, fest-
gemacht.
In der Zusammenschau der Befunde ist klar eine operative Therapieempfehlung auszusprechen. Gründe
hierfür sind:
• Mehrgefäßerkrankung mit hochgradigen proximalen Stenosen und Hauptstammbeteiligung sowie links-
ventrikulärer Dysfunktion
• SYNTAX-Score > 33 bedeutet Vorteile für die operative Therapie.
Bei o. g. Entitäten ist die Bypass-Operation der PCI und der konservativen Therapie in Bezug auf Überleben,
MACCE und Lebensqualität überlegen.
1.7 Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen 43
Eine Vitalitätsdiagnostik, z. B. die Szintigrafie, eine Stress-Echokardiografie oder eine Stress-MRT, wird ins- 1
besondere bei Patienten mit stabiler chronischer KHK, myokardialer Dysfunktion und Luftnot als Haupt-
symptom empfohlen (› Tab. 1.9; Patel et al. 2010, http://www.khk.versorgungsleitlinien.de). Es könnte also
eine Vitalitätsdiagnostik zur Evaluation einer adjustierten Bypassversorgung bei diesem Patienten erfolgen.
Dies erhöht jedoch nur theoretisch die Qualität der Diagnostik. In der STICH-Studie (Bonow 2011) fand sich
kein signifikanter Zusammenhang zwischen Vitalitätsstatus und Mortalität. Praktisch ist die Bypassversor-
gung stark vom Koronarbefund und von der Anastomosierbarkeit des Gefäßsystems abhängig.
Tab. 1.9 Empfehlungen zur Revaskularisationstherapie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris (Fox et al. 2006)
Indikation Bezüglich Bezüglich Studien
Prognose a Symptomen b
Perkutane Koronarintervention
Angina CCS-Klassifikation I–IV trotz medikamentöser IA ACME, MASS
Therapie
• Koronare Eingefäßerkrankung
Tab. 1.9 Empfehlungen zur Revaskularisationstherapie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris (Fox et al. 2006)
(Forts.)
Indikation Bezüglich Bezüglich Studien
1 Prognose a Symptomen b
Angina mit minimalen Symptomen (CCS I) unter Medika- IIbC ACIP
tion
Ein- und Mehrgefäßerkrankung und objektivem Nach-
weis einer großen Ischämie
a
Bezieht sich auf Mortalität, kardiale oder kardiovaskuläre Mortalität, oder Mortalität in Kombination mit Myokardinfarkt.
b
Bezieht sich auf Veränderung der Angina-Klassifikation, Belastungszeit, Zeit bis zum Auftreten von Angina während der Be-
lastungsuntersuchung, Hospitalisierung wegen Angina, oder anderer Parameter der funktionalen Kapazität oder Lebensqua-
lität.
Vordringliches Ziel ist eine optimale Einstellung der Risikofaktoren, um somit eine adäquate Prävention kar-
diovaskulärer (Zweit-)Ereignisse zu erwirken. Die jeweiligen Ziele des Risikofaktorenmanagements sind Ge-
genstand andauernder Forschung; es existieren Leitlinien unterschiedlicher Fachgesellschaften diesbezüglich
(Graham et al. 2007). Der Trend in aktuellen Studien deutet auf eine striktere Einstellung von LDL-Choleste-
rin und Blutdruckwerten hin, insbesondere bei Diabetikern mit KHK (› Tab. 1.10).
Weiter sollte eine optimale medikamentöse Behandlung der schweren Herzinsuffizienz gewährleistet sein.
Es sollten regelmäßige echokardiografische Nachuntersuchungen zur Beurteilung der Pumpfunktion erfol-
gen und im Verlauf über die Indikation einer ICD-Implantation entschieden werden.
Hierzu werden hauptsächlich Nitrate, β-Blocker und Kalziumantagonisten, aber auch neuere Substanzen 1
wie Ivabradin (Sinusknoten-Modulator) verwendet (Fox et al. 2006). Ranolazin ist bislang nur bei chro-
nisch rezidivierender Angina pectoris, die auf die konventionelle Therapie nicht anspricht, zugelassen
(› Abb. 1.25).
Betablocker Post-Myokardinfarkt A A
Kalziumantagonist oder
Intoleranz Symptome A/B
lang wirksames Nitrat
unkontrollierbar trotz
Symptom- Dosisoptimierung
verbessernde
Medikation Symptome unkontrollierbar
trotz Dosisoptimierung
Wechsel zu Kombination
alternativer Nitrat und
Kalziumkanal- Kalzium-
subklasse oder antagonist oder B/C
lang wirksames Kaliumkanal-
Nitrat öffner
Abb. 1.25 Algorithmus zur medikamentösen Therapie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris (nach Fox et al. 2006) [L106]
46 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
• Nitrate: Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Nach- und Vorlastsenkung. Hierdurch
Kupierung akuter Angina-pectoris-Anfälle bei Patienten mit stabiler KHK. Kein Einfluss auf die Prognose
(Empfehlungsgrad IC).
1 • β-Blocker: Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Hemmung der Katecholaminwirkung
auf Herzfrequenz, Kontraktilität und Blutdruck. Hierdurch Verminderung der Angina-pectoris-Sympto-
matik und Verbesserung der Belastungstoleranz. Verbesserung der Prognose bei Patienten mit Myokard-
infarkt oder KHK und Herzinsuffizienz. Senkung von Letalität und Morbidität bei Patienten mit Hyperto-
nie (Empfehlungsgrad IA).
• Kalziumantagonisten: Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Reduktion der Nachlast
und der myokardialen Kontraktilität. Lang wirksame Kalziumantagonisten senken die Morbidität bei Pa-
tienten mit KHK und Hypertonus (Empfehlungsgrad IA). Nichtretardierte Kalziumantagonisten vom Di-
hydropyridin-Typ sollten nicht eingesetzt werden (allenfalls in Kombination mit einem β-Blocker).
• Sinusknoten-Inhibitor (Ivabradin): Reduktion der Herzfrequenz (vergleichbar effektiv wie β-Blocker,
jedoch keine negative Inotropie, keine Blutdrucksenkung). Indiziert bei Patienten im Sinusrhythmus mit
chronisch stabiler Angina pectoris, wenn eine Kontraindikation/Unverträglichkeit hinsichtlich einer Be-
handlung mit β-Blockern besteht, bzw. bei Patienten mit einer Herzfrequenz > 60/min, die unter einer
optimalen β-Blockertherapie nicht symptomfrei sind. Zudem ist die Substanz seit 2012 bei Patienten mit
chronischer Herzinsuffizienz NYHA II–IV mit systolischer Dysfunktion und einer Herzfrequenz ≥ 75/
min unter bestehender Therapie mit β-Blockern oder bei β-Blocker-Unverträglichkeit bzw. Kontraindika-
tion zugelassen.
• INa-late-Inhibitor (Ranolazin): ähnlicher Wirkmechanismus wie Kalziumantagonisten, ohne jedoch
Einfluss auf die Herzfrequenz oder Blutdruck zu haben. Bislang nur zugelassen bei Patienten mit therapie-
refraktärer Angina pectoris und Kontraindikation/Unverträglichkeit gegenüber den „First-line-Substan-
zen“ (β-Blocker, Kalziumantagonist, Nitrate) bzw. als „On-top“-Therapie. Eine Reduktion kardiovaskulärer
Ereignisse konnte bislang nicht gezeigt werden, jedoch ein akzeptables Sicherheitsprofil. Cave: QT-Zeit,
Interaktion mit CYP3A4-Induktoren, GFR < 30 ml/min, LVEF < 40 %, Herzinsuffizienz NYHA III/IV.
• Kaliumkanalöffner: blutdrucksenkender Effekt (Reserve-Antihypertensivum), zudem Koronardilatation
durch Relaxation der Gefäßmuskulatur. Cave: Nebenwirkungsprofil der jeweiligen Substanz!
LITERATUR
Bonow RO, Maurer G, Lee KL, et al. Myocardial viability and survival in ischemic left ventricular dysfunction. N Engl J Med
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1.8 Stabile Angina pectoris – Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) 47
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Force, Society for Cardiovascular Angiography and Interventions, Society of Thoracic Surgeons, American Association for
Thoracic Surgery, American Heart Association, and the American Society of Nuclear Cardiology Endorsed by the American
Society of Echocardiography, the Heart Failure Society of America, and the Society of Cardiovascular Computed Tomogra- 1
phy. J Am Coll Cardiol 2009; 53(6): 530–53.
Montalescot G, Sechtem U, Achenbach S, et al. 2013 ESC guidelines on the management of stable coronary artery disease.
Eur Heart J doi:10.1093/eurheartj/eht296.http://www.khk.versorgungsleitlinien.de
KASUISTIK
Ein 75-jähriger Patient trifft auf der Chest-Pain-Unit ein. Er berichtet von einem linksthorakalen Schmerz (Stärke 5/10),
der nach starker körperlicher Belastung auftrat und über insgesamt 20 Minuten andauerte. Bei Ankunft der Erstversorger
sei der Blutdruck deutlich erhöht gewesen. Die gleichen Schmerzen hätten bereits mehrfach in der Vergangenheit, in
unregelmäßigen Abständen und strikt bei körperlicher Belastung eingesetzt. Bereits vor einem Jahr sei deswegen eine
Herzkatheteruntersuchung vorgenommen worden, in der sich eine ca. 60-prozentige Verengung im Bereich der die Herz-
vorderwand versorgenden Arterie zeigte, eine Dehnungsbehandlung sei damals nicht erfolgt. Vor drei Wochen fand sich
zudem ein nicht eindeutiger Befund in einem Myokard-SPECT mit fraglicher Minderbelegung im Bereich der Vorderwand;
es wurde weiter ein konservatives Vorgehen empfohlen. An Vorerkrankungen sind ein arterieller Hypertonus mit deutli-
cher linksventrikulärer Hypertrophie und ein Diabetes mellitus Typ 2 bekannt.
Die körperliche Untersuchung ergibt einen altersentsprechenden, unauffälligen Befund, RR 140/85 mmHg. Der TnI-
Wert ca. 7 Stunden nach Einsetzen der Schmerzsymptomatik liegt im Normbereich.
Aktuelle Medikation: ASS 100 mg/d, Ramipril 10 mg/d, Bisoprolol 10 mg/d, HCT 25 mg/d, Simvastatin 20 mg/d, Met-
formin 1.000 mg/d.
Der Patient hat definitionsgemäß eine stabile Angina pectoris CCS II. Die Schmerzinduktion im Sinne einer
reversiblen myokardialen Ischämie ist zum einen durch die vorbeschriebene Koronarverengung, zum ande-
ren durch eine hypertensive Entgleisung bei zugrunde liegender hypertensiver Herzerkrankung möglich.
Auch die Kombination aus epikardialen (koronare Gefäßerkrankung) und mikrovaskulären Zirkulationsstö-
rungen (Linksherzhypertrophie, Diabetes) kann diese Beschwerden verursachen.
Bis zum Beweis des Gegenteils ist bei dem Patienten von einem akuten Koronarsyndrom auszugehen. Nebst
TnI-Kontrolle, Ruhe-EKG und medikamentöser Therapie (ASS, Heparin, RR-Kontrolle) sollte eine Echokar-
diografie zur Beurteilung der globalen und regionalen Wandbewegung sowie zur Evaluation von Wandstär-
ken und möglichen Hinweisen auf eine diastolische Dysfunktion erfolgen. Des Weiteren ist die Wiederho-
lung eines nichtinvasiven Stresstests unter β-Blocker-Pause indiziert. Auch ist die Beschaffung von Angiogra-
fiebildern und -befund der letzten Herzkatheteruntersuchung sinnvoll.
48 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Das Ruhe-EKG ist unauffällig. In den Bildern der letzten Angiografie ist eine
mittelgradige Verengung des Ramus interventricularis anterior (RIVA) in zwei
Ebenen dargestellt. Wie valide ist die Angiografie im Hinblick auf die Beurteilung
1 des Stenosegrades?
Die Angiografie lässt – speziell bei mittelgradigen Stenosen (40–70 % Lumenreduktion) – keinen Aufschluss
über die hämodynamischen Auswirkungen einer epikardialen Gefäßstenose zu. Mittels digitaler Verfahren
können zwar visuelle Messungen vorgenommen werden, diese sind jedoch stark abhängig von Bildqualität,
Gefäßkalzifizierung etc. und lassen außerdem nur planare und keine dreidimensionalen Messungen zu. So-
mit obliegt die angiographische Stenosequantifizierung der subjektiven und visuellen Einschätzung des Un-
tersuchers. Es werden diesbezüglich jedoch gravierende intra- und interindividuelle Abweichungen in der
Beurteilung von Stenosen – auch bei sehr erfahrenen Untersuchern – mehrfach beschrieben (Tobis et al.
2007, White et al. 1984). Die Prognose eines Patienten ist in jedem Fall abhängig vom Grad der koronaren
Flussbehinderung, sowohl auf epikardialer als auch auf kapillarer Ebene und nicht vom visuellen Stenosegrad
in der Angiografie.
Die Echokardiografie zeigt eine normale globale und regionale Pumpfunktion mit vorbeschriebener Linksherzhypertrophie
und Hinweisen auf eine diastolische Dysfunktion. In der Ultraschall-Fahrradergometrie entwickelt der Patient bei 125 Watt
(Herzfrequenz 165/min) eine typische Angina pectoris ohne eindeutigen H. a. regionale Wandbewegungsstörungen oder
EKG-Veränderungen und einem maximalem Blutdruck von 220 mmHg systolisch. In einer Laborkontrolle 6 Stunden nach
der Belastungsuntersuchung fällt ein TnI-Wert im Graubereich (0,05 μg/ml, Norm < 0,032 μg/ml) auf.
Das alleinige Auftreten von Angina pectoris als Zeichen einer Myokardischämie wird nur bei ca. 30 % der
Patienten beobachtet. Das Ergebnis der Belastungsuntersuchung als auch der TnI-Wert sind prinzipiell mit
einer alleinigen hypertensiven Herzerkrankung zu vereinbaren. Eine Beeinträchtigung des koronaren Flusses
durch die vorbekannte RIVA-Verengung ist jedoch – auch angesichts des zeitnahen unklaren SPECT-Be-
funds – nicht auszuschließen.
Abgesehen von weiteren nichtinvasiven Untersuchungen, wie z. B. dem hochauflösenden Kardio-CT, ist als
invasives Diagnostikum zur morphologischen Beurteilung einer Koronarstenose der intravaskuläre Ultra-
schall (IVUS) oder (seltener) die optische Kohärenztomografie (OCT) etabliert. Mittels IVUS/OCT kann ein
exaktes intrakoronares Abbild von Ausmaß und Ausdehnung einer Koronarverengung angefertigt und somit
etwaige Diskrepanzen zur Angiografie festgehalten werden. Die Spektrumanalyse der mit IVUS abgeleiteten
Radiofrequenzanalyse liefert darüber hinaus eine detailliertere Untersuchung der Plaquekomposition und
Plaquemorphologie. Die einzelnen Plaquekomponenten (fibrotisch, fibrotisch-lipidhaltig, nekrotisch und
kalzifiziert) werden hierbei farbkodiert abgebildet. Durch Aufarbeitung der gewonnenen Daten mittels spezi-
eller Software können schließlich Hochrisikoläsionen detektiert werden. Derzeit besteht jedoch keine Evi-
denz für eine präventive Stentimplantation bei IVUS/OCT-diagnostizierten Hochrisikoläsionen, insbesonde-
re da nach Studienlage die optimierte medikamentöse Therapie (Courage-Studie) bei geringem oder fehlen-
dem Ischämienachweis gute Ergebnisse gezeigt hat.
1.8 Stabile Angina pectoris – Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) 49
Häufige Einsatzmöglichkeiten des IVUS/OCT umfassen v. a. die morphologische Charakterisierung von
Hauptstammstenosen sowie die mit dieser Technik mögliche postinterventionelle Stent-Kontrolle, indem
Aussagen über die Stent-Apposition getroffen werden können.
Des Weiteren wäre eine Herzkatheteruntersuchung mit kombinierter Messung der fraktionellen Flussre- 1
serve (FFR) möglich. Hiermit könnte die hämodynamische Relevanz der vorbekannten mittelgradigen RIVA-
Stenose evaluiert werden. Das 3-D-Myokardperfusions-MRT ist eine neue nichtinvasive Möglichkeit zur
Messung der funktionellen Wertigkeit epikardialer Koronarstenosen mit bislang guter Korrelation zur inva-
siven FFR.
In der FFR-Messung wird unter maximaler Hyperämie der Quotient aus mittlerem poststenotischem und
aortalem Druck unter Verwendung eines speziellen Druckdrahtes ermittelt. Hierbei werden der poststenoti-
sche Druck über den distalen Mikrotransducer des Druckdrahtes und der aortale Mitteldruck über den Füh-
rungskatheter abgeleitet. Zur Induktion einer maximalen Vasodilatation wird zumeist intravenös oder intra-
koronar appliziertes Adenosin verwendet. Die fraktionelle myokardiale Flussreserve (FFR) in einem nativen
Gefäß ohne Flusshindernis beträgt normalerweise 1. Ein Wert ≤ 0,75 entspricht einer funktionell bedeutsa-
men Stenose. Gemäß aktueller Studienlage profitiert ein Patient ab einer FFR > 0,8 nicht mehr von einer In-
tervention (zu ca. 90 % Ischämieausschluss). Werte innerhalb der Grauzone von 0,76 bis 0,79 bedürfen ge-
wöhnlich einer Abklärung hinsichtlich weiterer indikativer Kriterien, z. B. Läsionsmorphologie, Patientenko-
morbidität oder des Ergebnisses einer nichtinvasiven Ischämietestung. In der FAME- und der FAME-II-Stu-
die sowie in aktuellen Leitlinien (Fihn et al. 2012) wurde demgegenüber eine FFR ≤ 0,8 als Grenzwert
verwendet.
Bei der intravenösen Gabe von Adenosin sollte auf einen ausreichend großen peripheren Zugang geachtet
werden, um Konzentrationsfluktuationen zu vermeiden. Bei der intrakoronaren Applikation in die rechte
Kranzarterie sollte auf imminente AV-Blockierungen geachtet werden. Ein vorbestehender AV-Block II. oder
III. Grades stellt eine Kontraindikation für die Anwendung der Substanz dar. Koffein oder Theophyllin ant
agonisieren bedarfsweise die Wirkung von Adenosin. Da Adenosin auf die Bronchialmuskulatur konstrikto-
risch wirkt, sollte es bei Asthmatikern oder Patienten mit chronisch obstruktiver Atemwegs- bzw. Lungener-
krankung nicht gegeben werden.
Bei der intravenösen Gabe von Adenosin kann es zu einem Abfall des systemischen Blutdrucks um 10–
15 % kommen. Ferner kann die Substanz Angina-pectoris-ähnliche Symptome provozieren, die jedoch nicht
mit einer Ischämiereaktion assoziiert und daher als harmlos einzustufen sind.
› Abb. 1.26 und › Abb. 1.27 zeigen die FFR-Messung. In Zusammenschau der Befunde wurde eine Stentimplantation
in die LAD beschlossen (› Abb. 1.28).
50 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Die Bestimmung der FFR ist derzeit nur bei Patienten mit stabiler Angina pectoris indiziert und kann in fol-
genden angiografischen Szenarien hilfreich sein (Fihn 2012, Kern und Samady 2010):
• Unklares bzw. grenzwertiges Ergebnis der nichtinvasiven Ischämietestung
• Mittelgradige Stenosen
• Mehrgefäßerkrankungen
1.9 Anhaltende Brustschmerzen und Übelkeit 51
LITERATUR
Fihn SD, Gardin JM, Abrams J, et al. 2012 ACCF/AHA/ACP/AATS/PCNA/SCAI/STS Guidelines for the diagnosis and manage-
ment of patients with stable ischemic heart disease: a report of the American College of Cardiology Foundation/American
Heart Association Task Force on Practice Guidelines, and the American College of Physicians, American Association for
Thoracic Surgery, Preventive Cardiovascular Nurses Association, Society for Cardiovascular Angiography and Interven-
tions, and Society of Thoracic Surgeons. J Am Coll Cardiol 2012 Dec 18;60(24):e44–e164. doi: 10.1016/j.
jacc.2012.07.013. Epub 2012 Nov 19.
Kern MJ, Samady H. Current concepts of integrated coronary physiology in the catheterization laboratory. J Am Coll Cardiol
2010; 55(3): 173–85.
Montalescot G, Sechtem U, Achenbach S, et al. 2013 ESC guidelines on the management of stable coronary artery disease.
Eur Heart J doi:10.1093/eurheartj/eht296.
Tobis J, Azarbal B, Slavin L. Assessment of intermediate severity coronary lesions in the catheterization laboratory. J Am Coll
Cardiol 2007; 49(8): 839–48. Epub 2007 Feb 9.
White CW, Wright CB, Doty DB, Hiratza LF, Eastham CL, Harrison DG, Marcus ML. Does visual interpretation of the coronary
arteriogram predict the physiologic importance of a coronary stenosis? N Engl J Med 1984; 310(13): 819–24.
Wijns W, Kolh P, Danchin N et al. Guidelines on myocardial revascularization. (ESC/EACTS) Eur Heart J 2010; 2 501–2555.
KASUISTIK
Ein 78-jähriger Mann wird vom Notarzt unter der vorläu-
figen Diagnose „Akutes Koronarsyndrom“ in die internis-
tische Notaufnahme gebracht. Seit 3 Stunden besteht
anhaltend (auch nach mehrfacher Morphingabe) retro
sternaler Druck verbunden mit Übelkeit. Gemäß Vorbe-
funden war der Patient zuletzt vor 8 Jahren in der Endo-
krinologie des Hauses zur Einstellung seines Diabetes
mellitus; damals waren EKG und UKG unauffällig. Der
Patient ist Zeuge Jehovas.
Begleiterkrankungen: metabolisches Syndrom (inkl.
IDDM), pAVK vom Unterschenkel-Typ Fontaine-Stadium
IIa.
Welche Diagnose stellen Sie und wie gehen Sie weiter vor?
Die Konfiguration des Stromlinienverlaufs der retrokardialen Ableitungen deutet eine ST-Hebung i. S. eines
Hinterwandmyokardinfarkts Stadium I an, die maximale Hebung erreicht 0,05 mV. In Anbetracht der kon-
gruenten ST-Senkungen in V1–4 und der anhaltenden Beschwerdesymptomatik ist eine umgehende Herzka-
theteruntersuchung indiziert (Vorbehandlung siehe Kapitel STEMI).
Anmerkung: Bei offensichtlichen ST-Hebungen im Oberflächen-EKG (im vorliegenden Fall nur in den re-
trokardialen Ableitungen ersichtlich) ist eine Direktübergabe des Patienten im Herzkatheterlabor indiziert,
um eine möglichst geringe „Contact to balloon“-Zeit zu gewährleisten. Qualitätsindikatoren: „first medical
contact (FMC) to device time“ maximal 120 min; „FMC to device time“ optimal ≤ 90 min.
Bei einem inferioren Infarkt im Gebiet des Ramus circumflexus oder der rechten Kranzarterie finden sich
die EKG-Veränderungen typischerweise in II, III, aVF, bei inferolateraler Beteiligung ebenfalls in V3–6.
Im Fall einer rechtsventrikulären Beteiligung (z. B. proximale Stenose der rechten Kranzarterie) sind
meist auch EKG-Veränderungen (ST-Hebungen) in den rechtsventrikulären Ableitungen VR3–5 nach-
weisbar.
Bei einem Infarkt im Gebiet der strikt posterioren Wand („true posterior“, z. B. Stenose am distalen
Ramus posterolateralis sinister) finden sich als wegweisende EKG-Befunde ein R/S-Verhältnis > 1 in V1
mit hohen R-Zacken und T-Wellen in V1+2. Diese Veränderungen sind bedingt durch einen Amplituden-
Verlust der retrokardialen Ableitungen in V7–9, die als Gegenspieler zu den Vorderwandableitungen fun-
gieren.
1.9 Anhaltende Brustschmerzen und Übelkeit 53
Ja, der Patient ist Zeuge Jehovas und lehnt Blutprodukte strikt ab. Hinsichtlich der Blutungskomplikationen 1
scheint für diesen Patienten besonders der Zugang über die Arteria radialis geeignet zu sein, falls der Unter-
sucher über eine entsprechend profunde Erfahrung auf diesem Gebiet verfügt. Ferner hat der Patient Vorhof-
flimmern, d. h. zugunsten einer kürzeren Zeitspanne unter Tripletherapie könnte ggf. ein unbeschichteter
Stent verwendet werden – die Diabeteserkrankung spricht aber für einen beschichteten Stent.
Welche Score-Systeme können Sie zur Vorhersage der operativen Mortalität bei
Patienten mit instabiler koronarer Gefäßerkrankung verwenden?
Hierzu kann der euroSCORE oder Parsonnet-Score verwendet werden (› Kap. 3.9).
54 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Der Patient ist nach der Intervention beschwerdefrei. Wie behandeln Sie ihn
weiter?
1 Das initiale EKG zeigt Vorhofflimmern, das in den bisherigen Diagnosen nicht aufgeführt ist. Das Auftreten
des Vorhofflimmerns kann mit dem Infarktgeschehen assoziiert sein, kann aber auch zuvor bestanden ha-
ben. Der Patient sollte bzgl. des Vorhofflimmerns in jedem Fall antikoaguliert werden und ein TEE zum
Ausschluss eines Thrombus im Vorhofohr erhalten, bevor ein medikamentöser oder elektrischer Rhythmi-
sierungsversuch durchgeführt wird. Aufgrund der somit anstehenden Tripletherapie sollte auf einen Rhyth-
misierungsversuch im Intervall (kein TEE nötig, nach 3 Wochen Kardioversion) wegen der prolongierten
Antikoagulation verzichtet werden.
Neben dem Vorhofflimmern sollten die linksventrikuläre Pumpfunktion und das Ausmaß der Mitralklap-
peninsuffizienz im UKG bzw. TEE evaluiert und regelmäßig nachkontrolliert werden.
Der Patient hat einen CHA2DS2-VASc-Score (› Tab. 2.1) von mindestens 5, das entspricht einer jährlichen
Schlaganfallrate von ca. 7 %, eine Antikoagulation muss also erfolgen; im Falle einer erfolgreichen Kardiover-
sion zumindest über die nächsten 4 Wochen. Der HAS-BLED-Score (› Tab. 2.4) beträgt 2, somit besteht ein
mittleres Blutungsrisiko. Falls der Patient nach 4 Wochen erneut Vorhofflimmern hat, gibt es verschiedene
Strategien. Gemäß neuerer Erkenntnisse aus der WOEST-Studie kann ASS auch weggelassen werden, d. h.
Clopidogrel plus OAK (cave: kein Prasugrel oder Ticagrelor, kein NOAK) über 12 Monate, danach OAK-
Monotherapie (Dewilde et al. 2013). Die zweite Möglichkeit besteht darin, den genauen Typ des Medikamen-
te freisetzenden Stents zu erfahren. Einige Drug-eluting-Stents erfordern mindestens 6, andere 3 Monate
duale antithrombozytäre Therapie, manche haben auch ein CE-Zertifikat über nur noch 4 Wochen DAPT. Bei
der Wahl der Medikation muss also ein individueller Mittelweg gefunden werden, um möglichst Thrombo-
embolien, Stentthrombosen, aber auch Blutungen zu vermeiden. Letztlich besteht auch die Möglichkeit eines
interventionellen Verschlusses des Vorhofohrs, womit eine Antikoagulation möglicherweise (suffizienter
Verschluss, keine andere Indikation zur OAK) lebenslang entfällt. Über die Dauer der Tripletherapie sollte
ein Protonenpumpeninhibitor (vorzugsweise nicht Omeprazol) zum Schutz vor Magenblutungen verschrie-
ben werden.
Im weiteren stationären Verlauf optimieren Sie die medikamentöse Therapie (› Kap. 1.1) und organisieren eine kardio-
logische Anschlussrehabilitation.
Nach 5 Monaten wird der Patient erneut vom Notarzt in Ihre Notaufnahme gebracht. Der Patient gibt progrediente Kurz-
atmigkeit innerhalb der letzten Woche an. In der letzten Nacht konnte der Patient wegen stärkster Luftnot nicht mehr
schlafen. Die O2-Sättigung bei Aufnahme beträgt 85 % unter Raumluft.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe 175 cm, Gewicht 95 kg, BMI 31. Temperatur 36,9 °C. RR 140/75 mmHg,
Puls 100/min. Jugularvenenstauung. Periphere und zentrale Zyanose. Cor: unregelmäßig, tachykard, niederfrequentes
3
⁄6-Holosystolikum p. m. linker Sternumrand und Apex mit Fortleitung in die linke Axilla, lauter 2. HT. Pulmo: Vesikulärat-
mung, in den basalen Lungenabschnitten abgeschwächtes Atemgeräusch, mittel-hochfrequente RG über den belüfteten
Lungenabschnitten beidseits, AF 27/min. Abdomen: weich, kein Druckschmerz, rege Darmgeräusche ubiquitär. Deutliche
Unterschenkelödeme beidseits.
• Labor: Elektrolyte, Glukose, Nieren- und Leberwerte, Blutbild, Myokardmarker, Gerinnung, D-Dimer
• Röntgen-Thorax in 2 Ebenen
• Echokardiografie.
1
Der körperliche Untersuchungsbefund und die Anamnese geben einige Hinweise auf eine akute Stauungsinsuf-
fizienz. Differenzialdiagnostisch muss jedoch auch an andere Ursachen der Symptomatik gedacht werden, u. a.
an Lungenembolie. BNP und NT-proBNP haben als Marker der myokardialen Wandspannung einen hohen
negativen prädiktiven Wert, um eine antizipierte Herzinsuffizienz auszuschließen. Allerdings kann die Bestim-
mung in spezifischen Situationen, z. B. bei akutem Myokardinfarkt mit pulmonaler Stauung, negativ ausfallen.
In der Stratifizierung einer Herzinsuffizienz haben die B-Typ-natriuretrischen Peptide ihren festen Stellen-
wert. Werte über 100 pg/ml für das BNP bzw. über 300 pg/ml für das NT-proBNP gelten als bestätigende
Marker im Kontext einer akuten Herzinsuffizienz, Werte von über 35 pg/ml für das BNP und über 125 pg/ml
für das NT-proBNP sind, im entprechenden klinischen Kontext, Indikatoren einer chronischen Herzinsuffi-
zienz (McMurray et al. 2012).
Befundung: Cor global vergrößert. Hili bds. unscharf. Trachealwinkel vergrößert. Diffuse, rechtsbetonte
grobfleckige Verschattungen. Diffuse, ebenfalls rechtsbetonte Trübung, am ehesten hervorgerufen durch ei-
nen im Liegen nach kranial auslaufenden Erguss. Betonte periphere Gefäßzeichnung. Zusätzliche Infiltrate
können nicht ausgeschlossen werden. Korrekte Lage des ZVK mit Projektion auf den Übergang Vena cava
superior – rechter Vorhof.
56 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Anmerkung: Ein Thoraxbild sollte optimalerweise im Stehen und in zwei Ebenen aufgenommen werden:
dies ist bei schwer kranken Patienten oft nicht möglich. Ebenso sollte darauf geachtet werden, dass die Lun-
genrandwinkel komplett auf dem Bild zu sehen sind.
1
Sie erhalten die Ergebnisse der arteriellen BGA unter 8 l/min O2-Insufflation. Bitte
beschreiben und interpretieren Sie diese.
Arterielle Blutgasanalyse und Elektrolyte: pH 7,14, pCO2 45,3 mmHg pO2 67,2 mmHg, HCO3–15,1 mmHg, BE
–13,6, Na 145,0 mmol/l, K+3,6 mmol/l, Cl 108 mmol/l.
Auswertung: Es zeigt sich eine deutliche metabolische Azidose, die respiratorisch nicht kompensiert ist (bzw.
werden kann). Die O2-Aufnahme ist angesichts der erheblichen nasalen Sauerstoffinsufflation deutlich zu niedrig.
Interpretation: Trotz einer relativen Hyperventilation (AF von 27/min) bestehen ein erhöhter pCO2 und
ein erniedrigter pO2. Auslöser für den erhöhten Atemantrieb kann in diesem Fall ein alveoläres Lungenödem
sein, das eine suffiziente arterielle Oxygenierung und gleichzeitige CO2-Abgabe erschwert. Die deutliche me-
tabolische Azidose ist am ehesten durch die hypoxämische Phase mit konsekutiv insuffizienter Gewebsoxyge-
nierung vor Krankenhausaufnahme verursacht.
Der Patient hat weiter starke Dyspnoe, die Extremitäten sind kalt und zyanotisch. Auf die bereits vom Notarzt applizierten
intravenösen Diuretika beginnt der Patient nach kurzer Zeit suffizient auszuscheiden.
Sie betreuen den Patienten auf der Intensivstation weiter. Nach welchen
Kriterien entscheiden Sie, ob der Patient zu beatmen ist?
↓↓↑
pH pO2 pCO2 Symptom Therapie
sinkt sinkt steigt Dyspnoe Herzbett
Zyanose Sauerstoffgabe 1
Tachykardie Sedierung
Hypoventilation Diuretika, Nitrate
Herzrhythmusstörungen Kardioversion bzw. medikamentöse Rhythmus-
Bewusstseinsverlust stabilisierung
Schnappatmung Narkoseeinleitung
Apnoe Intubation
Blutdruckabfall (Schock) Kontrollierte Beatmung
lichtstarre Pupillen Katecholamine
Bradykardie Reanimation
Asystolie
Um eine Progression der KHK oder Restenosen im Bereich der beiden Stents auszuschließen, müssen Sie rasch eine er-
neute Herzkatheteruntersuchung durchführen. Die Katheteruntersuchung würde der Patient in Flachlage ohne Beatmung
respiratorisch nicht tolerieren. Deshalb und aufgrund der progredienten respiratorischen Erschöpfung entschließen Sie
sich, den Patienten zu intubieren und zu beatmen. Die korrekte Tubuslage kontrollieren Sie dann später unter Durchleuch-
tung im Katheterlabor.
Sie erhalten folgende Laborparameter: Kalium 4,0 mmol/l, TnI 0,07 μg/ml (Norm < 0,032 μg/ml), CK im Referenzbe-
reich, Kreatinin 1,4 mg/dl, Harnstoff 69 mg/dl, Glukose 150 mg/dl, Hb 11,6 g/dl, INR 1,4, BNP 3.041 ng/l, CRP 7,7 mg/l
(Norm < 5), GGT 115 U/l, GPT und GOT normal.
Sie führen eine Echokardiografie durch (› Abb. 1.34, › Abb. 1.35): linksventrikuläre Globalfunktion mittelgradig
eingeschränkt, Hypo-/Akinesie basal-mittposterolateral sowie der apikalen Vorderwand und des mitt-apikalen Septums.
Linker Ventrikel sphärisch erweitert (LVESD 52 mm), LA deutlich vergrößert. Klappen gering sklerosiert. Vorwölbung der
Mitralsegel aus der Klappenebene nach anterior, Restriktion des posterioren Segels durch Achsenabweichung des poste-
rioren Papillarmuskels. Im Color Duplex Imaging (CDI) prominente Vena contracta, großes Pendelvolumen mit hoher
frühdiastolischer transmitraler Flussgeschwindigkeit sowie verlangsamter systolischer Pulmonalvenenflussgeschwindig-
keit. Deutliche Druckbelastung des rechten Ventrikels mit einem dpmax von 58 mmHg + ZVD über der leicht insuffizienten
Trikuspidalklappe.
1 In Zusammenschau der Anamnese (Diabetes, Angina pectoris, Herzkatheteruntersuchung) ist am ehesten von
einer chronisch-ischämischen Mitralklappeninsuffizienz (MI) auszugehen. Folgende ätiologische Varianten
der ischämischen MI sind beschrieben worden (Levine et al. 2005, Vahanian et al. 2012, Nickenig et al. 2013):
• Ischämische MI ohne Ruptur von Papillarmuskel bzw. Sehnenfäden: Hierbei kommt es ischämiebedingt
(z. B. Infarkt der rechten Kranzarterie oder des Ramus circumflexus) zu einer Veränderung der Geometrie
des linken Ventrikels. Dies führt zu einer Verlagerung des posterioren Papillarmuskels nach außen und pos-
terior („Tethering“-Hypothese). Dies allein, oder in Kombination mit einer verminderten linksventrikulären
globalen Kontraktionskraft („Closing force“-Hypothese), kann zu einem insuffizienten Klappenschluss füh-
ren. Diese Form der ischämischen MI wird am häufigsten als „chronisch-ischämische“ MI klassifiziert.
• Partielle Ruptur eines Papillarmuskels bzw. Sehnenfadenruptur: Bei einer direkten Papillarmuskel
ischämie kann es im Zuge der Nekroseabräumung zu einer kompletten oder teilweisen Ruptur eines Pa-
pillarmuskels kommen. Die Inzidenz für diese Komplikation ist in der ersten Woche nach Myokardin-
farkt am höchsten und betrifft den posterioren Papillarmuskel ungefähr 5-mal häufiger als den anterio-
ren. Das Ausmaß der sekundären MI ist von der Lokalisation der Ruptur abhängig. Bei Papillarmuskel-
spitzeninfarkten, bei denen z. B. nur einer der sechs Köpfe des Papillarmuskels betroffen ist, geht der
Abriss eines Sehnenfadens mit der entsprechenden, kompensierbaren Symptomatik einer MI einher. Ein
solches Ereignis kann durchaus über längere Zeit überlebt werden bzw. unbemerkt bleiben.
• Komplette Ruptur eines Papillarmuskels: Bei einem kompletten Papillarmuskelabriss verlieren die Seh-
nenfäden des betroffenen Muskels – die zur Hälfte sowohl das anteriore als auch das posteriore Mitral-
klappensegel stabilisieren – ihre Haltefunktion. Dies führt fast immer zu einer schweren akuten MI, die
mit einer hohen Letalität einhergeht und eine sofortige Operationsindikation darstellt.
Eine organische Mitralklappeninsuffizienz ist denkbar, angesichts fehlender Hinweise in der Anamnese (z. B.
Endokarditis etc.) und blander Echokardiografie vor ca. 10 Jahren jedoch unwahrscheinlich.
Herzkatheteruntersuchung: Koronare Dreigefäßerkrankung mit ca. 50 % Restenose im Bereich des im Hauptstamm
implantierten Stents. Gutes Ergebnis im Stentbereich des großen Ramus marginalis I. Progression im Bereich der RCA, hier
jetzt hochgradige Stenose.
In der Ventrikulografie zeigt sich jetzt eine hochgradige Mitralklappeninsuffizienz (› Kap. 3.9, › Tab. 3.10).
Aufgrund der schweren Mitralklappenregurgitation und der koronaren Gefäßerkrankung sollte der Patient
einer kombinierten Bypass- und Mitralklappenersatz- bzw. Rekonstruktions-OP („undersized“ Ring-Anulo-
plastie, evtl. LV-Remodeling) unterzogen werden (› Tab. 1.12). Bis zur Operation muss der Patient inten-
sivmedizinisch überwacht werden. Im Zuge der OP-Vorbereitung ist ein TEE zur exakteren Darstellung der
intrakardialen (Klappen-)Morphologie sinnvoll.
Zusatzinformation: Abseits der operativen Therapiemodalitäten existieren verschiedene Systeme zur per-
kutanen Annuloplastie via Koronarsinus oder den transventrikulären Zugang. Diese sind zwar vielverspre-
chend, befinden sich derzeit jedoch noch in klinischer Erprobung (z. B. Viacor, Edwards Monarc-System,
QuantumCor, Mitralign). Auch Mitralclips via transseptalem Zugang sind im klinischen Einsatz (Boekstegers
et al. 2013). Im aktuellen Fall verweigerte der Patient nach der Rekompensation erneut strikt einen operati-
ven Eingriff (Zeuge Jehovas, Ablehnung von Erythrozytenkonzentraten). Er wurde deshalb einer perkutanen
Anuloplastie mit einem der o. g. Systeme unterzogen, die RCA gestentet und die Hauptstamm-Restenose mit
einem medikamentenbeschichteten Ballon behandelt.
1.10 Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung 59
LITERATUR:
Boekstegers P, Hausleiter J, Baldus S, et al. Interventionelle Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz mit dem MitraClip.
Kardiologe 2013 7:91–104.
Dewilde WJ, Oirbans T, Verheugt FW, et al. Use of clopidogrel with or without aspirin in patients taking oral anticoagulant
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und der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie zur Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz. Kar-
diologe 2013 7:76–90.
The Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2008 of the European Society of Cardiology.
ESC guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2008. Developed in collaboration with
the Heart Failure Association of the ESC (HFA) and endorsed by the European Society of Intensive Care Medicine (ESICM).
Eur J Heart Fail 2008; 10(10): 933–89.
Vahanian A, Alfieri O, Andreotti F, et al. Guidelines on the management of valvular heart disease (version 2012). EurHeart J.
2012 Oct; 33(19):2451–96.
KASUISTIK
Ein 55-jähriger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor. Er klagt über wiederkehrende linksthorakale Schmerzen, die bei
stärkerer Anstrengung auftreten und in die linke Halsseite und den linken Arm ausstrahlen. Einmal seien die Schmerzen
auch nachts aufgetreten mit Ausstrahlung in den Rücken. Bei Auftreten der Beschwerden sei der Blutdruck nicht gemes-
sen worden, er sei aber sonst beim Hausarzt immer normal, eher niedrig gewesen, mit Werten um 110/60–70 mmHg. Der
Patient rauchte seit 40 Jahren 10–20 Zigaretten pro Tag, hat dies wegen der Beschwerden aber vor einer Woche aufge-
geben. Herzkrankheiten in der Familie sind ihm nicht bekannt. Bei der letzten Blutuntersuchung sei das Cholesterin leicht
erhöht gewesen, der Blutzucker normal.
• Koronare Herzerkrankung
• Arterielle Hypertonie
60 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
• Aortensyndrom
• Refluxerkrankung
• Pulmonale Erkrankung
1 • Muskuloskelettale Problematik.
Die körperliche Untersuchung des Patienten (181 cm, 71 kg, RR 100/50 mmHg, Puls 96/min) ergibt keinerlei Auffäl-
ligkeiten.
Labor: Cholesterin gesamt 260 mg/dl, HDL 48 mg/dl, LDL 165 mg/dl, TG 236 mg/dl; im Normbereich: BB, Gerinnung,
Retentionswerte, Elektrolyte, TSH, TNI.
12-Kanal-EKG in Ruhe (› Abb. 1.36): SR, HF 91/min, Indifferenztyp. Störung der frühen Repolarisation mit erhöhtem
ST-Abgang in den BW-Ableitungen und auch inferior. Rechtsverspätung.
Der EKG-Befund ist schon lange Zeit bekannt und hat sich nicht geändert (der Patient war vor 23 Jahren bereits wegen
subjektiv empfundener Extrasystolie erstmals in der Praxis, vor 10 Jahren wegen einer OP-Vorbereitung, damals war je-
weils kein relevanter pathologischer Befund zu erheben).
Diese Veränderungen wurden lange als prognostisch irrelevant betrachtet. Einzelne Untersuchungen
sahen einen Zusammenhang mit erhöhter Vulnerabilität für Kammerflimmern. In einer kürzlich publi-
zierten finnischen Langzeitstudie (Nachbeobachtungsdauer 30 ± 11 Jahre) an 10.864 Patienten zeigte
sich allerdings doch eine etwas erhöhte kardiale Mortalität bei Patienten mit Frührepolarisationsstö-
rungen.
Echokardiografie: Herzhöhlen normal dimensioniert, normale globale und regionale LV-Funktion, keine LVH. Aorta im
eingesehenen Bereich normal weit ohne Dissektionsmembran. Klappen unauffällig, keine Druckerhöhung im kleinen
Kreislauf. Kein Perikarderguss. Zusammenfassend: Normalbefund.
Ergometrie (› Abb. 1.37): stufenweise Belastung bis 150 W, HF-Anstieg von 101 auf 162/min, RR-Anstieg von
100/70 mmHg auf 160/80 mmHg. Abbruch wegen Erschöpfung und Atemnot. Unter Belastung stechende thorakale
Schmerzen, die bis kurz nach Belastungsende anhalten. Im EKG T-Wellen-Abflachung inferior, diskrete aszendierende ST-
Senkung V5/V6.
1.10 Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung 61
Der Patient erhält ein Nitrospray zur Testung sowie ASS 100 mg/d. Es wird ein Termin zur Stressechokardio-
grafie vereinbart.
Zu diesem Termin erscheint der Patient eine Woche später. Er berichtet, das Nitropräparat habe beim Auftreten von Be-
schwerden prompt gewirkt. Er habe auch nochmals in der Familie nachgefragt und eruiert, dass eine Schwester wegen
62 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Durchblutungsstörungen am Herzen behandelt werde, eine andere Schwester habe eine deutlich eingeschränkte Herz-
funktion (EF 28 %). Näheres sei nicht bekannt.
Der Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung erhärtet sich. Für eine hochdruckbedingte Symptomatik,
eine Aortenerkrankung oder eine Lungenerkrankung gibt es keine positiven Anhaltspunkte.
Dynamische Stressechokardiografie: stufenweise Belastung bis 150 W, HF-Anstieg von 93 auf 150/min, RR-Anstieg
von 105/75 mmHg auf 185/80 mmHg. Abbruch wegen Erschöpfung und Atemnot. Unter Belastung stechende thorakale
Schmerzen mit Ausstrahlung in die Schulter links, die bis kurz nach Belastungsende anhalten. Echokardiografisch ange-
deutete septal-apikale Hypokinesie unter Belastung (nicht sehr ausgedehnter Befund).
Sie stellen die Indikation zur Koronarangiografie.
Herzkatheter:
Linke Kranzarterie: keinerlei Stenosen, aber Flussverlangsamung in der peripheren LAD.
Rechte Kranzarterie: Die erste Darstellung zeigt einen langstreckige Verengung mit glatten Konturen (› Abb. 1.38). Es
besteht ein stark verlangsamter Fluss in der Peripherie der RCA. Nach einmaliger intrakoronarer Gabe von Nitroglyzerin
(0,25 mg) ist keinerlei Stenose mehr zu erkennen (› Abb. 1.39)
Abb. 1.38 Koronarspasmus [M758] Abb. 1.39 Koronarspasmus nach einmaliger Nitroglyzeringa-
be [M758]
Es handelt sich um einen (evtl. auch durch den Katheter induzierten) Koronarspasmus der RCA. In der lin-
ken Kranzarterie könnte man versuchen, durch Gabe von Acetylcholin oder Ergonovin ebenfalls Spasmen
auszulösen. Therapeutische Konsequenzen hätte dies aber keine (wäre aber ein Risiko für den Patienten).
Zusätzlich weist der verlangsamte Kontrastmittelabfluss in LAD und RCA dieses Patienten auf eine mikro-
vaskuläre Dysfunktion hin.
1.10 Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung 63
Koronarspasmen können neben Beschwerden im EKG auch mit dem Bild eines ST-Hebungsinfarkts ein-
hergehen. Dies entspricht der klassischen Prinzmetal-Angina.
1
Welche Behandlung empfehlen Sie?
Es ist nachgewiesen, dass in „spastischen“ Koronararterien ein NO-Defizit besteht, weshalb die Behandlung
mit Nitraten sinnvoll ist. Betroffene Arterien reagieren gegenüber Nitraten überschießend im Vergleich zu
nicht von Spasmen betroffenen Arteriensegmenten beim gleichen Patienten. Ein additiver positiver Effekt von
Statinen zusätzlich zu Nitraten ist nachgewiesen worden. Auch Kalziumantagonisten werden zur Therapie
empfohlen, wenngleich die gefäßerweiternde Wirkung in spastischen und nicht spastischen Koronarsegmen-
ten vergleichbar scheint. Einige Autoren empfehlen, Betablocker zu vermeiden, da – analog zum Phäochro-
mozytom – vermehrt Alpharezeptoren durch zirkulierende Katecholamine stimuliert und somit eine Vaso-
konstriktion begünstigt werden könnte. Der Alphablocker Prazosin zeigte in einer Studie bei Prinzmetal-An-
gina ebenfalls positive Effekte. Die genannten Substanzen beeinflussen auch die mikrovaskuläre Dysfunktion
positiv.
Der Patient sollte unbedingt permanent auf Nikotin verzichten und regelmäßig Sport treiben, auch im Hin-
blick auf die Endotheldysfunktion. Substanzen und Situationen, die Spasmen auslösen können, sollten ver-
mieden werden. Dazu gehören Serotonin und Ergotamin, Katecholaminexzesse, z. B. durch mentalen Stress,
Entzug (z. B. Alkohol), ebenso Hyperventilation und Chemotherapeutika (5-Fluorouracil, Cyclophospha-
mid). Auch Magnesiummangel begünstigt Spasmen.
Der Patient sollte auch über mögliche Folgen eines etwaigen Kokainkonsums aufgeklärt werden. Kokain ist
ein potenter Vasokonstriktor und kann bei den Konsumenten zu Brustschmerzen und durchaus auch zu Herz-
infarkten führen. So wurden z. B. 2005 in den USA knapp 450.000 Personen kokainbedingt in Notaufnahmen
behandelt. 40 % davon gaben Brustschmerzen an. Verschiedene Studien zeigten, dass etwa 6 % der Patienten
mit kokainassoziierten Brustschmerzen einen Myokardinfarkt hatten! Bei kokaininduziertem Infarkt wird die
Gabe von Betablockern ausdrücklich nicht empfohlen (Klasse III, AHA 2008), da sie die Spasmusneigung der
Kranzgefäße erhöhen und den myokardialen Blutfluss reduzieren, zudem kommt es zu einer Blutdrucksteige-
rung und erhöhten Krampfanfallsneigung.
LITERATUR:
McCord J, Jneid H, Hollander JE, et al. Management of Cocaine-Associated Chest Pain and Myocardial Infarction. A Scienti-
fic Statement From the American Heart Association Acute Cardiac Care Committee of the Council on Clinical Cardiology.
Circulation 2008; 117: 1897–907.
Tikkanen JT, Anttonen O, Juntilla JM, et al. Long-term outcome associated with early repolarization on electrocardiography.
N Engl J Med 2009; 361: 2529–37.
64 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
1
KASUISTIK
Ihnen wird ein 84-jähriger sehr rüstiger Rentner vorgestellt, der in den letzten Wochen über zunehmende Angina-pectoris-
Symptomatik (CCS III) sowie Belastungsdyspnoe (NYHA III) klagt. Er habe sich letzte Woche schon beim Hausarzt
vorgestellt, nachdem er sich ein großflächiges Hämatom im Bereich der linken Hüfte während einer kurzen Synkope zu-
gezogen hatte. Der Hausarzt vermutet aufgrund des Auskultationsbefundes ein Klappenvitium. Im Langzeit-EKG zeigten
sich keine relevanten Bradykardien, Pausen oder höhergradigen Rhythmusstörungen. An Vorerkrankungen sind eine
pAVK vom Unterschenkeltyp links sowie ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus bekannt. Wegen der Dyspnoe hatte der
Hausarzt zuletzt auch Furosemid i. v. gegeben.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 176 cm großer und 85 kg schwerer Patient in gutem EZ und AZ. RR 95/65 mmHg.
In Ruhe keine Dyspnoe, keine Zyanose nachweisbar. Auskultatorisch 3⁄6-Systolikum mit p. m. über Erb und Aortenareal
sowie Ausstrahlung in beide Karotiden, 2. Herzton kaum abgrenzbar. Jugularvenendruck gering erhöht. Vesikuläres
Atemgeräusch. Geringgradige periphere Ödeme,
Labor: Normalwerte für Blutbild, Elektrolyte. Kreatinin mit 1,8 mg/dl erhöht, entsprechend die GFR mit 35 ml/min redu-
ziert, NT-proBNP mit 1.132 pg/ml erhöht. Troponin I negativ.
EKG: Linkstyp, SR, HF 80/min, regelrechte Zeitintervalle, Sokolow-Lyon-Index mit 3,5 mV grenzwertig im Sinne einer
linksventrikulären Hypertrophie. Keine eindeutigen ischämietypischen Veränderungen, keine pathologischen Q-Za-
cken.
• Hochgradige Aortenklappenstenose
• Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie
• Nicht hochgradige Aortenstenose und Mitralinsuffizienz (primäre oder relative), evtl. in Verbindung mit
koronarer Herzerkrankung
• Karotisstenosen möglich.
• Echokardiografie
• Herzkatheteruntersuchung
• Duplexuntersuchung der hirnversorgenden Arterien
Befund Echokardiografie: Eingeschränkte Beurteilbarkeit bei schlechten Schallbedingungen von transthorakal, Aor-
tenwurzel und Aorta ascendens normal weit (35 mm), Aortenklappe: stark verkalkt, Beweglichkeit stark eingeschränkt.
Aufgrund von Schallartefakten ist die Spitzenflussgeschwindigkeit nicht zuverlässig ableitbar, die gemessenen Werte sind
jedoch > 3 m/s. Geringgradige Insuffizienz. Mitralklappe deutlich sklerosiert mit mäßiggradiger Insuffizienz. Eingeschränk-
te LV-Funktion (EF planimetrisch ∼40 %).
Die Echokardiografie lässt eine relevante Aortenklappenstenose vermuten, die Befundqualität reicht aber für
eine Entscheidung nicht aus.
1.11 Angina pectoris und Belastungsdyspnoe 65
Eine Koronarangiografie ist in jedem Fall erforderlich, um eine begleitende KHK zu diagnostizieren und zur weite- 1
ren Therapieplanung. Eine invasive Druckmessung mittels retrograder Sondierung der Aortenklappe ist nur indi-
ziert, wenn die echokardiografischen Befunde nicht eindeutig sind (Risiko der Embolisation). Eine Lävokardiogra-
fie ist erforderlich, wenn die Ventrikelfunktion divergierend beurteilt wurde oder Zusatzinformationen über den
Schweregrad einer Mitralklappeninsuffizienz erforderlich sind. Eine Rechtsherzkatheteruntersuchung benötigen
Sie für die invasive Berechnung der Aortenklappenöffnungsfläche zur Bestimmung des HZV (mittels Thermodilu-
tion mit dem Einschwemmkatheter oder oxymetrisch nach dem Fick-Prinzip). Die Druckmessung im kleinen
Kreislauf ist für die Schweregradbestimmung der Aortenklappenstenose nicht erforderlich, liefert aber Zusatzin-
formationen. Oxymetrische Stufenmessungen benötigen Sie nur bei Shuntvitien zur Quantifizierung und Lokalisa-
tionsdiagnostik; zur Bestimmung des HZV benötigen Sie die Sauerstoffsättigung in PA-Position sowie in der Aorta.
Befund Rechtsherzkatheter (› Abb. 1.40, › Abb. 1.41, › Abb. 1.42, › Abb. 1.43):
PA-Druckkurve: Druckwerte: systolisch 32 mmHg, diastolisch 9 mmHg Mitteldruck 17 mmHg.
Wie interpretieren Sie die Druckkurven von Aorta und linkem Ventrikel (› Abb.
1.44)?
CO = Herzzeitvolumen; MVG = mittlerer Druckgradient über der Klappe; HR = Herzfrequenz; SEP = systoli-
sche Auswurfzeit. Die KÖF errechnet sich zu 0,65 cm2 und entspricht somit einer hochgradigen Aortenklap-
penstenose.
Sie betrachten nochmals die Druckkurven. Was fällt Ihnen bei den gemessenen
Druckwerten im LV auf?
Der LVEDP ist mit 5 mmHg unerwartet niedrig für eine hochgradige Aortenklappenstenose.
Der Messwert scheint korrekt zu sein, er passt auch zum im Rechtsherzkatheter bestimmten PCW-Druck.
Möglicherweise ist der Druck so niedrig, weil der Patient vor Kurzem noch i. v.-Diuretika erhielt. Sie achten
also darauf, dass der Patient ausreichend im Zusammenhang mit der jetzt erfolgten Kontrastmittelgabe hy
driert bleibt.
In der Duplexsonografie der Karotiden finden sich deutliche Plaques, aber keine relevante Stenosierung.
1.11 Angina pectoris und Belastungsdyspnoe 67
1. Konservatives Vorgehen
2. Operativer Aortenklappenersatz 1
3. Implantation einer kathetergestützten Klappe (TAVI = transcatheter aortic valve implantation).
Sie entscheiden sich gemeinsam im Herzteam (Kardiologe, Herzchirurg, Kardioanästhesist, unter Einbeziehung des Haus-
arztes), dem Patienten eine TAVI vorzuschlagen, da der Patient auch aufgrund starker Verkalkungen im Bereich des
Aortenbogens für eine konventionelle Operation nicht gut geeignet ist.
1. Transfemoraler Zugang: der bei geeigneten Gefäßverhälnissen am wenigsten invasive Zugang, idealer-
weise keine Intubationsnarkose nötig und tiefe Sedierung ausreichend. Voraussetzung sind gute Verhält-
nisse in der Beckenstrombahn (wenig Kinking, wenig Verkalkungen, ausreichende Diameter).
2. Transapikaler Zugang: Zugang über eine linkslaterale Minithorakotomie. Direkte Punktion der Herzspit-
ze und Einbringen der Klappenprothese. Vorteile sind der direkte Zugang und der kurze Abstand zur
Klappenebene. Da der große Implantationskatheter nicht über den Aortenbogen geschoben werden muss,
wird eine geringere Rate an neurologischen Komplikationen diskutiert. Nachteil ist der Verlust von kon-
traktilem Myokard im Bereich der Herzspitze, weswegen dieser Zugang bei Patienten mit eingeschränkter
LV-Funktion nicht favorisiert wird.
3. Transaortaler Zugang: Über eine obere mediale Teilsternotomie wird die Aorta ascendens freigelegt und
dann direkt punktiert. Die Klappenprothese wird dann wie beim transfemoralen Zugang retrograd über
die Aorta eingeführt. Gute Option bei Patienten, bei denen ein transfemoraler Zugang nicht möglich ist.
Der Zugang kann nicht verwendet werden, wenn der Patient z. B. Bypass-voroperiert ist.
68 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
4. Zugang über A. subclavia: seltener genutzter Alternativzugang. Er ist aufgrund der Anatomie und der
kleineren Gefäßdiameter aber komplikationsträchtiger.
1
Welches sind die derzeit am häufigsten eingesetzten Klappenprothesen und
wodurch unterscheiden sie sich?
Am häufigsten wurden bislang die Corevalve®-Klappenprothese von Medtronic (› Abb. 1.45) und die
Edwards-Sapien®-Klappenprothese von Edwards (› Abb. 1.46) eingesetzt. Die Corevalve-Prothese ist eine
selbstexpandierbare Klappe aus Nitinol mit Klappensegeln aus Schweineperikard. Sie kann bei Annulus
größen von 20–29 mm eingesetzt werden. Nachteil ist die höhere Rate an postinterventionellen AV-Blockie-
rungen und damit Schrittmacherpflichtigkeit (ca. 20–30 %). Die Edwards-Sapien®-Klappe ist eine ballonex-
pandierbare Klappe mit Rinderperikard. Sie kann bei Annulusgrößen von 18–27 mm eingesetzt werden.
Nach diesen beiden Prothesen wurden zahlreiche weitere TAVI-Systeme auch von anderen Herstellern ent-
wickelt, die bereits eine CE-Zulassung haben oder noch in klinischer Erprobung sind.
Initial wurde das 2D-TEE als Methode zur Vermessung des Annulusdiameters eingesetzt. Da der Annulus
aber oft ellipsoid konfiguriert ist, sind die 2D-Messungen ungenau. Heute wird die Vermessung in der Regel
mittels CT oder alternativ mit 3D-TEE durchgeführt.
1.11 Angina pectoris und Belastungsdyspnoe 69
Nach ausführlicher Aufklärung wurde bei dem Patienten komplikationslos die transfemorale Implantation einer 26-mm-
Edwards-Sapien®-Prothese durchgeführt (› Abb. 1.47). Im intraprozedural durchgeführten TEE zeigt sich ein regelrech-
ter Sitz der Klappe ohne Hinweis auf ein paravalvuläres Leck. Auf eine Intubationsnarkose konnte verzichtet werden und
der Patient wurde direkt nach dem Eingriff für 48 Stunden auf eine Überwachungsstation verlegt. 1
Überwachung des Patienten in der Regel für 24–48h, da sich auch später noch AV-Blockierungen entwickeln
können. Typischerweise erhalten die Patienten für die Dauer von 3–6 Monaten eine kombinierte Thrombo-
zytenfunktionshemmung. Die Empfehlung hierfür ist aber empirisch. Kleinere Studien haben bisher keinen
Vorteil der kombinierten Thrombozytenfunktionshemmung gegenüber ASS-Monotherapie nachweisen kön-
nen.
Nach weiteren 5 Tagen konnte der Patient die Klinik verlassen. Sie sehen ihn wieder nach 4 Wochen zur Kontrolluntersu-
chung. Er berichtet über eine deutliche Verbesserung der klinischen Symptomatik (NYHA I°) und fehlende Angina pecto-
ris. Die echokardiografische Kontrolle ergibt weiterhin eine regelrechte Klappenfunktion ohne relevanten Druckgradienten
über der Klappe (9 mmHg), eine Regurgitation kann nicht nachgewiesen werden.
LITERATUR:
Carabello BA, Paulus WJ. Aortic stenosis. Lancet 2009; 373: 956–966.
Nashef SA, Roques F, Sharples LD et al. EuroSCORE II. Eur J Cardiothorac Surg 2012; 41: 734–744.
Roques F, Michel P, Goldstone AR, Nashef SA. The logistic EuroSCORE Eur Heart J 2003; 24: 881–882.
Smith CR, Leon MB, Mack MJ et al. Transcatheter versus surgical aortic-valve replacement in high-risk patients. N Engl J
Med 2011; 364: 2187–2198.
Stone ML, Kern JA, Sade RM. Transcatheter aortic valve replacement: clinical aspects and ethical considerations. Ann Tho-
rac Surg 2012; 94: 1791–1795.
KAPITEL
2 Leitsymptom Herzrasen
2.1 Intermittierendes Herzrasen Marcus Leibig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
KASUISTIK
Ein 64-jähriger Patient bemerkt seit ca. 6 Monaten gelegentlich einen unregelmäßigen Puls, ein Hausarzt habe mal ein
EKG geschrieben, dabei seien Herzrhythmusstörungen aufgefallen, zuletzt sei jedoch wohl alles in Ordnung gewesen.
Weiterhin verspüre er bei starker körperlicher Belastung thorakale Druckgefühle. An internistischen Vorerkrankungen ist
ein arterieller Hypertonus bekannt, der seit 2 Jahren mit Ramipril 5 mg/d behandelt ist. An weiteren kardiovaskulären
Risikofaktoren besteht ein Nikotinabusus bis vor 5 Jahren (40 py).
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme: 181 cm Körpergröße, 93 kg Gewicht, Puls 64/min, rhythmisch,
Blutdruck 150/90 mmHg, Herz- und Lungenauskultation unauffällig, beiderseits Vesikuläratmen, ansonsten unauffälliger
körperlicher Untersuchungsbefund.
leicht erweitert. Keine Auffälligkeiten der Aorten-, Mitral- und Trikuspidalklappe. Es ist kein Druckgradient über der
Trikuspidalklappe nachweisbar. Kein Perikarderguss.
Das Routinelabor ist bis auf eine Hypercholesterinämie (LDL 155 mg %, HDL 37 mg %) unauffällig.
Bei der Fahrradergometrie war der Patient bis 150 Watt (84 % der submaximalen Herzfrequenz) belastbar. Der Abbruch-
grund war eine muskuläre Erschöpfung. Bei maximaler Belastung hatte der Patient leichte thorakale Beschwerden und
signifikante ST-Senkungen (0,2 mV) in den Ableitungen V4–V6. Der Herzfrequenzanstieg unter Belastung war physiologisch,
der Blutdruckanstieg pathologisch (max. 220/120 mmHg bei 100 Watt). Es fanden sich keine Herzrhythmusstörungen.
Paroxysmales Vorhofflimmern: Die erste Aktion ist eine Sinusaktion, nach einer VES folgt eine weitere Sinus-
aktion, im Anschluss zeigt sich Vorhofflimmern.
Aufgrund der pathologischen Ergometrie ist eine diagnostische Herzkatheteruntersuchung indiziert (› Abb.
2.3, › Abb. 2.4).
Es zeigt sich eine koronare Herzerkrankung mit einer hochgradigen medialen LAD-Stenose. Der RCX und
die RKA zeigen nur Wandunregelmäßigkeiten.
Die LAD wird mit einem Stent versorgt. Es wird ein Everolimus-beschichteter Stent (3,5/23 mm) implan-
tiert.
2.1 Intermittierendes Herzrasen 73
260
240 190
220 180
200 170
180 160
160 150
140 140
120 130
100 120
80 110
60 100
40 90 2
20 80
0 70
60
50
40
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Zeit
Tag Nacht
obere Grenzwerte (syst., diast.)
Der früher verwendete CHADS2-Score wurde vom CHA2DS2-VASc-Score abgelöst, der an einer größeren
Patientenanzahl validiert ist. Im Unterschied zum bisherigen Score wird jetzt ein Alter über 65 Jahre schon
als Risiko mit einem Punkt bewertet, über 75 Jahre mit 2 Punkten. Außerdem werden zusätzliche Punkte
vergeben für weibliches Geschlecht und koexistente Gefäßerkrankungen.
Die Empfehlung zur Embolieprophylaxe wurden mit den Guidelines 2012 der ESC geändert (› Abb. 2.5).
Ab einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 1 besteht die Indikation zur lebenslangen Antikoagulation (unabhän-
gig von der Manifestation – paroxysmal, persistierend oder permanent). Thrombozytenaggregationshemmer
2 sind nur noch bei Kontraindikationen oder Ablehnung der Antikoagulation (VKA und NOAK) indiziert. Pa-
tienten unter 65 Jahren (inkl. Frauen!) ohne weiteren Risikofaktor benötigen weder eine Antikoagulation
noch eine Thrombozytenaggregationshemmung.
Das jährliche Schlaganfallrisiko ist in › Tabelle 2.1 dargestellt.
Unser Patient hat eine klare Indikation sowohl zur dualen Plättchenhemmung nach DE-Stentimplantation
als auch zur oralen Antikoagulation (OAK) bei Vorhofflimmern (art. Hypertonie und KHK, damit liegt der
CHA2DS2-VASc-Score bei 2). Daher besteht die Indikation zur Tripletherapie (duale Plättchenhemmung plus
orale Antikoagulation).
Die Tripletherapie ist mit einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden. Dazu wurde von der European Heart
Organisation ein Konsensus-Dokument erarbeitet (› Tab. 2.3, › Tab. 2.4).
Tripletherapie = Vitamin-K-Antagonisten (VKA) (INR = 2,0–2,5), Clopidogrel 75 mg/d, ASS ≤ 100 mg/d.
Die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) werden zur oralen Antikoagulation empfohlen, da die Datenlage zu
NOAK (neue orale Antikoagulatien) in Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern limitiert ist.
Nur für Dabigatran war in der Zulassungsstudie zur Prävention einer Thromboembolie bei Vorhofflimmern
Clopidogrel zusätzlich erlaubt. Aus diesem Grund kann momentan abschließend keine klare Empfehlung
gegeben werden, ob auch NOAK zur OAK bei der Tripletherapie eingesetzt werden sollten (ESC 2012).
Die Dauer der dualen Plättchenhemmung kann durchaus kritisch diskutiert werden, da einige Leitlinien
auch für – limus-beschichtete Stents (Everolimus, Sirolimus, Zotarolimus) eine duale Plättchenhemmung für
mindestens 6 Monate empfehlen. Im Jahr 2012 wurden die Daten der WOEST-Studie auf dem Jahreskongress
der European Society of Cardiology veröffentlicht. Dabei wurde die Tripletherapie der alleinigen Therapie mit
Cumarinen und Clopidogrel nach Stentimplantation und Indikation zur oralen Antikoagulation gegenüber-
gestellt. Die Blutungsrate konnte durch den Verzicht auf Aspirin signifikant gesenkt werden, die Rate an
Stentthrombosen war vergleichbar. Es ist allerdings zu beachten, dass zur Antikoagulation VKA verwendet
wurden und die Daten damit nicht auf die NOAK übertragbar sind, Gleiches gilt hinsichtlich der Plättchen-
hemmung für Prasugrel und Tigagrelor.
Für Patienten, bei denen eine orale Antikoagulation kontraindiziert ist, stehen neue interventionelle Alter-
nativen zur medikamentösen Therapie zur Verfügung. Da im transösophagealen Echo nachgewiesen wurde,
dass der Hauptentstehungsort von kardialen Thromben während Vorhofflimmern das linke Vorhofohr ist,
wurden bereits früher chirurgische Verfahren, wie die Vorhofohrexzision oder der Verschluss mit einem
Stapler, als Begleittherapie bei entsprechenden Indikationen während offener herzchirurgischer Eingriffe an-
gewandt. Inzwischen gibt es z. B. mit dem WATCH-MAN (Boston Scientific) und dem Amplatzer Cardiac
Plug (St. Jude Medical) interventionelle, selbstexpandierende Devices, die transseptal im linken Vorhofohr
platziert werden. Aufgrund der noch geringen Datenlage ist die Anwendung auf Patienten mit hohem Risiko
für eine Thrombembolie und Kontraindikationen zur oralen Antikoagulation beschränkt (ESC 2012: Klasse
IIb Level B) (› Kap. 2.7).
2.1 Intermittierendes Herzrasen 75
Vorhofflimmern
Valvuläres Vorhofflimmern ja
(umfasst rheumatische Klappen-
erkrankungen und Kunstklappen)
nein 2
(nichtvalvuläres
Vorhofflimmern)
ja
< 65 Jahre und lone AF (inklusive Frauen)
nein
0 1 ≥2
Orale Antikoagulation
Keine
antithrombotische
Therapie neue orale Antikoagulatien Vitamin-K-Antagonisten
2 Tab. 2.2 Empfehlung zur Thrombozytenaggregation nach Stentimplantation (nach Gawaz et al. 2011)
Nach BMS 4 Wochen I-A
Nach PCI bei NSTEMI-ACS 12 Monate I-A
Nach PCI bei STEMI-ACS 9–12 Monate IIa-C
Nach DES 6–12 Monate I-C
Tab. 2.4 HAS-BLED-Blutungsrisiko
Anfangsbuchstabe klinische Charakteristika Punkte
H Hypertension 1
A abnormal renal and liver function (jeweils 1 Punkt) 1 bzw. 2
S Stroke 1
B Bleeding 1
L labile INRs 1
E elderly (e. g. age > 65 years) 1
D drugs or alcohol (jeweils 1 Punkt) 1 bzw. 2
HAS-BELD-Score ≥ 3 Punkte entspricht hohem Blutungsrisiko.
2.1 Intermittierendes Herzrasen 77
Bei struktureller Herzerkrankung (unser Patient: hypertensive Herzerkrankung, KHE) ergibt sich für Klas-
se-1c-Antiarrhythmika ein erhöhtes Risiko für eine medikamentös induzierte ventrikuläre Proarrhythmie.
Auch Sotalol sollte nur mit Vorsicht gegeben werden. Als wenig proarrhythmisch wirksam und daher bei
strukturellen Herzerkrankungen als unbedenklich gilt das Amiodaron, die Therapieeinleitung kann daher
auch ambulant erfolgen.
Amiodaron hat allerdings eine Vielzahl von Nebenwirkungen, daher wird im klinischen Alltag häufig ein 2
kardioselektiver Betablocker gegeben. In den Leitlinien gibt es hierfür klare Indikationen, zusätzlich haben
kardioselektive Betablocker positive Effekte auf die entsprechenden Begleiterkrankungen des Patienten.
Eine Alternative zu Amiodaron stellt Dronedaron dar. Es handelt sich dabei um ein neues Klasse-III-Anti-
arrhythmikum, das zur gleichen Wirkstofffamilie gehört. Dronedaron enthält keine Jodbestandteile und ist
seit Anfang 2010 für die Behandlung von nicht permanentem Vorhofflimmern zugelassen. Wegen einer er-
höhten kardiovaskulären Mortalität in der Pallas-Studie sollten allerdings Patienten mit permanentem Vor-
hofflimmern nicht mit Dronedaron behandelt werden. Die Indikation beschränkt sich auf paroxysmales und
persistierendes Vorhofflimmern. Im Vergleich zu den ESC-Giudelines von 2010 wird die Anwendung von
Dronedaron für die Herzinsuffizienz Grad I und II nicht mehr empfohlen, damit ergibt sich bei Herzinsuffizi-
enz keine Anwendungsindikation mehr (› Abb. 2.6). Die Kombination mit Dabigatran bzw. Digoxin ist zu
vermeiden.
ja nein
paroxysmal persistierend Herzinsuffienz
ja
Patientenwahl Aufgrund von
Vorhofflimmern
1.
• Dronedaron nein
• Flecainid
Katheterablation • Propafenon • Dronedaron 3.
• Sotalol Amiodaron
• Sotalol 4.
2.
Patientenwahl Patientenwahl
Amiodaron Katheterablation 4.
Abb. 2.6 Therapieempfehlungen bei paroxysmalem/persistierendem Vorhofflimmern nach ESC 2012 [L106]
78 2 Leitsymptom Herzrasen
LITERATUR
Gawaz M, Geisler T: Update orale Plättchenhemmer. Positionspapier der deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Kardiologe
2012; 6195–209.
Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY, et al. Guidelines for the management of atrial fibrillation. Eur Heart J 2010; 31: 2369–429.
Camm AJ, Lip G. Y. H., De Caterina R., et al.: An update of the 2010 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation.
Developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association. Eur Heart J 2012; 33, 2719–2747.
Darius H, Bosch R, Hindricks G,·Hoffmeister H. M., Hohnloser S., Israel C. W., Kirchhof P, Willems S.: Kommentar: Fokus
Update der Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zum Management des Vorhofflimmerns. Kardio-
loge 2013; 7:171–180.
Lip GY, Huber K, Andreotti F, et al. Management of antithrombotic therapy in atrial fibrillation patients presenting with
acute coronary syndrome and/or undergoing percutaneous coronary intervention/stenting. Thromb Haemost 2010; 103:
13–28.
KASUISTIK
Ein 39-jähriger Patient stellt sich in der Notaufnahme mit seit etwa 4 Stunden bestehendem Herzrasen mit wechselnder
Pulsfrequenz und starkem Angstgefühl vor. Unter diesen Symptomen leidet er schon mehrere Jahre, allerdings haben die
Beschwerden nie so lange angehalten.
Ein von Ihnen sofort veranlasstes EKG zeigt folgenden Befund (› Abb. 2.7):
2.2 Plötzliches Herzrasen 79
Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern, Kammerfrequenz ca. 80/min, Indifferenztyp, unspezifische Erre-
gungsrückbildungsstörungen in II, aVF, V3–V6.
Aufgrund der unterschiedlichen P-Wellen-Morphologie (z. B. in V1) kann es sich nicht um Vorhofflattern
handeln.
80 2 Leitsymptom Herzrasen
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme: 189 cm Körpergröße, 85 kg Gewicht, Puls 168/min, arrhyth-
misch, Blutdruck 110/70 mmHg, Herztöne rein, keine vitientypischen Geräusche auskultierbar, beiderseits Vesikulärat-
men, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.
2 Herzecho, Routinelabor.
Im Herzultraschall zeigte sich eine normale systolische LV-Funktion ohne reg. Kontraktionsstörungen.
Wanddicken normal. Der linke Vorhof ist mit 39 mm im Durchmesser normal groß. Keine Auffälligkeiten
der Aorten-, Mitral- und Trikuspidalklappe. Es ist kein Druckgradient über der Trikuspidalklappe nachweis-
bar. Kein Perikarderguss.
Das Routinelabor zeigte keine Auffälligkeiten, insbesondere Troponin, basales TSH und die Elektrolyte
(K+) lagen im Normbereich.
Vorsichtige Frequenzsenkung mit einem Betablocker (z. B. Metoprolol 2,5–5 mg i. v.) oder einem Kalzium
antagonisten (Verapamil 5–10 mg i. v.) (bei i. v.-Gabe schnellerer Wirkungseintritt, prinzipiell auch orale
Verabreichung möglich).
Die Herzfrequenz liegt unter Metoprolol 5 mg i. v. bei ca. 90/min, dem Patienten geht es schon deutlich besser.
Nein, da er kreislaufstabil ist. Sie verordnen ein niedermolekulares Heparin in Vollwirkdosis (z. B. Enoxapa-
rin 2 × 80 mg) und Metoprololsuccinat 47,5 mg 2 × tägl. und bitten den Patienten, sich am nächsten Tag
nochmals vorzustellen.
Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Konversion in den
Sinusrhythmus ein?
Etwa zwei Drittel der Patienten mit neu aufgetretenem Vorhofflimmern konvertiert innerhalb von 72 Stun-
den in den Sinusrhythmus.
Ihr Patient stellt sich am nächsten Morgen vor und hat weiterhin
Vorhofflimmern. Sie besprechen mit ihm die Kardioversion für den nächsten Tag.
Halten Sie eine transösophageale Echokardiografie zum Ausschluss von
Vorhofthromben für sinnvoll?
Nach den Leitlinien ist eine Kardioversion bei Vorhofflimmern innerhalb von 48 Stunden ohne den echokar-
diografischen Ausschluss von Thromben gerechtfertigt, daher in unserem Fall nicht notwendig.
2.2 Plötzliches Herzrasen 81
Ihr Patient ist am nächsten Tag spontan in den Sinusrhythmus konvertiert, eine
medikamentöse Rezidivprophylaxe möchte er aber nicht einnehmen. Was raten
Sie ihm?
• Nach den Empfehlungen der ESC 2012 kann bei einem CHA2DS2-VASc-Score unseres Patienten von 0 auf
eine antithrombotische Therapie verzichtet werden (Camm et al. 2012; › Abb. 2.5).
• Wenn die Arrhythmie länger als 24 Stunden anhält, sollte eine umgehende ärztliche Vorstellung erfolgen,
um das 48-Stunden-Fenster der Kardioversionsmöglichkeit ohne vorausgehende Antikoagulation nicht 2
zu verpassen.
• Da die Rhythmusstörungen bei diesem Patienten nur selten auftreten, ist eine „Pill in the Pocket“-Thera-
pie gerechtfertigt.
Diese Therapie ist für Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern (Dauer < 7 Tage) geeignet, die keine
häufigen Episoden, d. h. maximal 2–3 pro Monat, haben. Die Erfolgsaussicht beträgt nach den heutigen Er-
fahrungen ca. 90 %. Patienten mit weniger als 70 kg Körpergewicht nehmen 200 mg Flecainid oder 450 mg
Propafenon, Patienten über 70 kg Körpergewicht 300 mg Flecainid oder 600 mg Propafenon, sobald Vorhof-
flimmern auftritt.
Die Erstdosis muss unter Monitorüberwachung verabreicht werden, um proarrhythmische Effekte auszu-
schließen.
Ausschlusskriterien für dieses Konzept sind eine bekannte koronare Herzerkrankung, eine dilatative oder
hypertrophe Kardiomyopathie, eine Herzinsuffizienz in der Vorgeschichte, Herzklappenerkrankungen, ein
verlängertes QT-Intervall, Bradykardien, Präexzitationssyndrome und höhergradige AV-Blockierungen.
Der Patient stellt sich ca. 9 Monate nach erfolgter Therapieeinleitung erneut vor. Er berichtet, dass die Häufigkeit der
Tachykardien inzwischen zunimmt. Vor einer Woche habe er über zwei Tage Vorhofflimmern verspürt, die „Pill in the
Pocket“-Therapie hat keinen Effekt gezeigt. Er bittet Sie um eine alternative Therapie, wobei er Betablocker aufgrund von
Potenzproblemen prinzipiell ablehnt.
Da die Klasse-Ic-Antiarrythmika versagt haben, wäre Amiodaron oder Dronedaron als Alternative angezeigt.
Der Patient hat sich inzwischen selbst informiert und lehnt die beiden Klasse-III-Antiarrhythmika wegen
der Nebenwirkungen ab. Er hat allerdings etwas von einer Verödungstherapie gehört.
Es konnte gezeigt werden, dass autonome Zentren der Lungenvenen die Auslöser von Vorhofflimmern
darstellen. Durch die Katheterablation werden deshalb die Lungenvenen elektrisch isoliert, man spricht von
der Pulmonalvenenisolation. Die technische Ausführung ist derzeit in der Entwicklung, die Erfolgsraten und
Komplikationen variieren teilweise erheblich in Abhängigkeit von dem jeweiligen Zentrum.
Frührezidive sind häufig und klingen oft innerhalb der ersten 4–6 Wochen wieder ab (s. u.). Spätere Rezidive
treten generell häufiger bei persistierendem als bei paroxysmalem VHF auf.
• Rezidivraten:
– bis zu 30 % innerhalb von 12 Monaten
– bis zu 10 % nach einem Jahr.
82 2 Leitsymptom Herzrasen
• Komplikationen (› Kap. 2.6): in bis zu 6 % der Fälle (meist vaskuläre Komplikationen/Blutungen; 1,2 %
Herzbeuteltamponaden; [meist reversible] Phrenikusparesen, v. a. bei Cryo-Ballon; selten Pulmonalve-
nenstenosen)
• „Optimale“ Patienten:
– symptomatische Patienten (paroxysmal oder persistierend)
– < 70 Jahre alt
– keine schweren Begleiterkrankungen
2 – Herzinsuffizienz in Verbindung mit nicht kontrollierbarem Vorhofflimmern
– Durchmesser des linken Vorhofs < 55 mm.
Ihr Patient entschließt sich zur Ablationsbehandlung. In unserem Zentrum ist eine 4-wöchige Antikoagulation präinter-
ventionell vorgeschrieben. Je nach Zentrum wird der Eingriff auch ohne vorausgehendes Bridging (› Kap. 8.4) bei OAK
im therapeutischen Bereich durchgeführt. Dieses Vorgehen wird allerdings sehr unterschiedlich gehandhabt, am besten
nehmen Sie jeweils Rücksprache mit Ihrem Kooperationspartner. Einige Zentren verlangen bei einem niedrigen CHA2DS2-
Vasc-Score vor der Ablation nur ein TEE ohne vorherige Antikoagulation.
Innerhalb von 14 Tagen trat ein Frührezidiv auf. Stellt sich hiermit die Indikation
zur Re-Ablation?
Frührezidive innerhalb der ersten 4 Wochen nach der Ablation sind relativ häufig (bis zu 43 %) und stellen
keine Indikation zur Re-Ablation dar, da bei ca. 60 % der Patienten mit Frührezidiv in den folgenden Mona-
ten keine weiteren Rezidive auftreten.
LITERATUR
Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY, Schotten U, et al. Guidelines for the management of atrial fibrillation. Eur Heart J 2010; 31:
2369–429.
Camm AJ, Lip G. Y. H., De Caterina R., et al.: An update of the 2010 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillati-
on. Developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association. Eur Heart J 2012; 33,
2719–2747.
KASUISTIK
Eine 37-jährige Patientin stellt sich bei Ihnen in der Notaufnahme wegen Herzrasen und Schwindelgefühl vor. Die Frau
berichtet, dass die Symptomatik bereits seit ca. 2 Stunden besteht, gleichzeitig verspüre sie ein unangenehmes Klopfen
im Hals. Die Episode hätte schlagartig, ohne Vorankündigung, begonnen. Bisher sei das Herzrasen ca. 5-mal aufgetreten,
habe aber jeweils nur wenige Minuten gedauert. Wie lange das Problem insgesamt besteht, könne sie nicht so genau
sagen, sicher jedoch nicht länger als zwei Jahre.
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme: 169 cm Körpergröße, 62 kg Gewicht, Puls 180/min, rhythmisch,
Blutdruck 90/60 mmHg, Herztöne rein, keine vitientypischen Geräusche auskultierbar, sichtbare Pulsation der Jugularve-
nen, beiderseits Vesikuläratmen, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.
2.3 Herzrasen und Schwindel 83
Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG (25 mm/s) der Patientin bei
Aufnahme (› Abb. 2.8).
• Valsalva-Manöver
• Karotismassage (cave: ältere Patienten)
• Adenosin-Gabe (6–12 mg i. v. im Bolus)
• Verapamil 5–10 mg i. v.
Das EKG nach Terminierung (› Abb. 2.9) mit 9 mg Adenosin zeigt einen regelmäßigen Sinusrhythmus
sowie persistierende ST-Strecken-Senkungen.
84 2 Leitsymptom Herzrasen
Ultraschallkardiografie (UKG) und Stresstest zum Ausschluss einer strukturellen bzw. koronaren Herzer-
krankung, Routinelabor (Elektrolytentgleisungen, TSH).
Im UKG zeigt sich lediglich eine diastolische Funktionsstörung Grad 1, ansonsten findet sich ein altersentsprechender
Normalbefund.
Aufgrund der ST-Strecken-Senkungen im Ruhe-EKG ist ein Stressecho sinnvoll; keine Szintigrafie wegen der
Strahlenbelastung.
Im nachfolgenden Stressecho mit Dobutamin-Belastung ergab sich kein Hinweis für eine hämodynamisch relevante koro-
nare Herzerkrankung.
Sehr wahrscheinlich liegt eine AV-Knoten-Reentrytachykardie vor. Es handelt sich dabei um die häufigste
paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie, die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung beträgt ca. 5:1.000. Die-
se Form der Herzrhythmusstörung wird als benigne betrachtet, allerdings kommen hämodynamische Beein-
2.3 Herzrasen und Schwindel 85
trächtigungen bis zur Synkope vor. Für eine pharmakologische Rezidivtherapie eignen sich nur Präparate,
die den AV-Knoten in seinen Überleitungseigenschaften hemmen (z. B. Betablocker, Kalziumantagonisten
vom Verapamil- und Diltiazemtyp etc.). Da die individuelle Wirkung unsicher und eine Langzeittherapie zur
Verhinderung von seltenen Episoden nicht sinnvoll ist, gibt es derzeit keine Empfehlungen, Patienten primär
einer medikamentösen Rezidivprophylaxe zuzuführen.
Abhängig vom Leidensdruck und von den hämodynamischen Auswirkungen während der Tachykardie ist
eine elektrophysiologische Untersuchung mit anschließender Radiofrequenzablation zu empfehlen. Vorab
sollten die Patienten allerdings über die potenziellen Risiken sowie die Strahlenbelastung genau aufgeklärt 2
werden. Insbesondere auf die Möglichkeit eines kompletten AV-Blocks bei der Modulation des langsamen
Leitungswegs bei AV-Knoten-Reentrytachykardie mit anschließender Schrittmacherpflichtigkeit in weniger
als 3 % der Fälle sind die nicht selten jungen Patienten hinzuweisen. Alternativ kann der weitere klinische
Verlauf abgewartet werden, da über keine relevante Morbidität oder Mortalität im Zusammenhang mit die-
ser Rhythmusstörung berichtet wurde. Die Langzeiterfolgsrate der Ablation ist hoch, in ca. 1–6 % der Fälle
muss mit Spätrezidiven gerechnet werden.
› Abbildung 2.10 zeigt einen schematisierten AV-Knoten. Es zeigen sich zwei Leitungsbahnen, die sich
in ihren elektrophysiologischen Leitungseigenschaften unterscheiden. In Ruhe übernimmt die β-Leitungsbahn
die Überleitung aufgrund der höheren Leitungsgeschwindigkeit. Im Fall einer supraventrikulären Extrasys-
tole wird die β-Leitungsbahn wegen der längeren Refraktärzeit blockiert. Aufgrund der kürzeren Refraktär-
zeit leitet nun die langsamere α-Leitungsbahn auf die Ventrikel über. Im Oberflächen-EKG zeigt sich ein
AV-Block 1. Grades. Bei der AV-Knoten-Reentrytachykardie findet die Erregung Anschluss an die
β-Leitungsbahn, die nun retrograd erregt wird. Durch die kaudale Lage des AV-Knotens im rechten Vorhof
erscheint die P-Welle (negativ in den Ableitungen II, III und aVF) kurz nach oder im QRS-Komplex. Da Vor-
höfe und Ventrikel fast gleichzeitig erregt werden, schlägt der rechte Vorhof gegen die geschlossene Trikuspi-
dalklappe, somit werden die Pfropfungswellen in die Jugularvenen weitergeleitet (frog sign; › Abb. 2.11;
› Abb. 2.12; › Abb. 2.13; › Abb. 2.14).
α β α β α β
V6
A
HRA
2
A H V
HIS
A V
CSd
A V
CSm
A V
CSp
V
RVA
100 ms
Abb. 2.12 Lage der Katheterpositionen, von denen die in
Abb. 2.11 Intrakardiales EKG: Neben den beiden Oberflächen › Abb. 2.11 gezeigten EKGs stammen (Grafik: Sibylle Yorck
ableitungen (I und V6) sieht man das intrakardiale EKG von vier von Wartenburg) [L256]
verschiedenen Ableitungsorten (vgl. › Abb. 2.12). Die Vorho-
ferregung (A) beginnt im hohen rechten Vorhof (HRA) und er-
scheint kurze Zeit später im Bereich des AV-Knotens bzw. im
His-Bündel (H). In dieser Ableitung (HIS) findet man auch phy-
siologisch die erste Kammererregung (V). In den Koronarvenen-
sinus-Ableitungen ist die linksatriale Erregungsausbreitung
vom Ostium (CSp) nach linksanterior (CSd) zu erkennen. Die
hier erscheinenden Kammerpotenziale (V) sind entsprechend
aus dem linken Ventrikel. RVA repräsentiert Potenziale aus dem
rechten Ventrikel (V) [M759]
Abb. 2.13 Intrakardiales EKG während der elektrophysiologischen Untersuchung bei AVNRT. Im CS7/8 (proximale CS-Elektroden,
dadurch ist es nicht notwendig, einen Extrakatheter in der HRA zu legen) erfolgt eine Basisstimulation (S1) des Vorhofs über 8
Schläge mit 500 ms Zykluslänge. Daran angefügt wird ein Extrastimulus (S2) mit einem kürzeren Intervall, entsprechend einer An-
hebung der Herzfrequenz. Im Vergleich zur vorangegangenen Stimulationssequenz wird der S2 um jeweils 10 ms verkürzt. Zu sehen
ist eine deutliche Verlängerung des AH-Intervalls. Beträgt die Zunahme des AH-Intervalls im Vergleich zur vorangegangenen Sti-
mulationssequenz mehr als 50 ms, spricht man von einem Jump. Dieser entspricht einem „Sprung“ der Erregungsüberleitung von
der schnellen auf die langsame Bahn innerhalb des AV-Knotens. Anschließend zeigt sich eine supraventrikuläre Tachykardie mit fast
gleichzeitiger Erregung der Vorhöfe (A) und Ventrikel (V) [M759]
Abb. 2.14 Modulation der langsamen Leitungsbahn: Energieapplikation im inferoposterioren Bereich des Koch-Dreiecks (beinhaltet
den AV-Knoten, wird posterior durch die Todaro-Sehne, medial durch den Ansatz der septalen TK-Segel und inferior durch das CS-
Ostium begrenzt). Dabei zeigen sich sog. junktionale Schlage, die fur eine erfolgversprechende Lokalisation sprechen. Zu beachten ist,
dass in den CS-Ableitungen sowohl Vorhof- als auch Kammerpotenziale erscheinen. Falls dies nicht so ist, muss die Applikation unter-
brochen werden, da ein persistierender kompletter AV-Block droht. Bei weiterer Stimulation ist zwar ein „Jump“ nachweisbar, die
AV-Knoten-Reentrytachykardie kann jedoch nicht mehr ausgelöst werden [M759]
88 2 Leitsymptom Herzrasen
KASUISTIK
Durch den Notarzt wird ein 61-jähriger Mann in die Notaufnahme eingewiesen. Der Notarzt wurde vom Patienten in den
Morgenstunden zu Hause alarmiert. Herr F. berichtet, dass es vor ca. 1½ Stunden plötzlich zu Luftnot gekommen sei,
2 zusätzlich sei ihm der Schweiß auf der Stirn gestanden. Ferner habe er einen schnellen Pulsschlag bemerkt.
Aus den Unterlagen des Patienten erfahren Sie, dass Herr F. Träger eines implantierten Defibrillators ist. Der ICD wurde
ohne vorangehende Rhythmusereignisse im Sinne einer Primärprävention bei deutlich reduzierter LV-Funktion und Zustand
nach Myokardinfarkt implantiert. Ihre Frage, ob der ICD spürbar reagiert habe, verneint der Patient, an eine Schockabga-
be kann er sich nicht erinnern. Eine Synkope oder einen Sturz verneint Herr F. ebenso.
Vitalparameter bei Eintreffen des Notarztes: Blutdruck: 96/65 mmHg, Herzfrequenz: 169/min, Atemfrequenz: 16/min,
Blutzucker (Glukose-Stix): 116 mg/dl.
Befund des 12-Kanal-EKG: Tachykardie mit breitem Kammerkomplex, HF 169/min. Keine Schrittmacherak-
tionen sichtbar. Atypischer Lagetyp (überdrehter Rechtstyp). Möglicherweise p-Wellen.
2.4 Patient mit ICD und Herzrasen 89
Die Differenzierung supraventrikulärer Tachykardien (SVT) mit breitem Kammerkomplex von ventri-
kulären Tachykardien ist insgesamt schwierig. In der Literatur sind immer wieder verschiedene Algorith-
men beschrieben worden, um anhand des 12-Kanal-EKG eine möglichst sichere Unterscheidung zu tref-
fen.
Wichtige EKG-Differenzialdiagnosen zu einer VT sind: SVT mit Schenkelblock, z. B.
• Sinustachykardie
• Vorhofflimmern und Vorhofflattern
• Fokale atriale Tachykardie 2
• AVNRT
• Orthodrome Tachykardie mit Schenkelblock bei WPW-Syndrom
• Antidrome Tachykardie bei WPW-Syndrom
• SVT mit Präexzitation über ein akzessorisches Leitungsbündel bei WPW
• Stimulierter Rhythmus.
Die wichtigsten Kriterien, die für das Vorliegen einer VT sprechen, sind:
• VA-Dissoziation (beweisend für eine VT)
• Fusionsschläge (simultane Erregung des ventrikulären Myokards durch das spezifische Reizleitungssystem
und durch einen ventrikulären Fokus)
• Atypischer Lagetyp (Fehlen einer typischen Rechts- bzw. Linksschenkelblockkonfiguration).
KASUISTIK
Der Patient wurde zwischenzeitlich an einen Monitor angeschlossen, die Vitalparameter sind unverändert. Herr F. ist
orientiert und ansprechbar.
KASUISTIK
Befund der ICD-Abfrage und Überstimulation: Im Speicher des ICD finden sich multiple Episoden einer langsamen
VT meist knapp an der unteren programmierten Detektionsgrenze von 170/min (Monitorzone). Regelrechte Stimulations-
und Wahrnehmungsfunktion. Gute Reiz- und Wahrnehmungsschwellen, unauffällige Impedanz beider Sonden. Kammer-
frequenz > Vorhoffrequenz, damit VT bewiesen. Nach Absenkung der VT-Zone auf 160/min gelingt eine Terminierung der
VT mittels Überstimulation.
Nachdem Ihr Kollege die Tachykardie beenden konnte, ordnen Sie zur Dokumentation ein erneutes EKG an.
90 2 Leitsymptom Herzrasen
KASUISTIK
Sie erkundigen sich nach den Laborwerten.
Laborwerte: Normwerte für Blutbild, Elektrolyte (Kalium 3,9 mmol/l), Kreatinin, Leberwerte, TSH, CRP, Myokardmarker.
Außerhalb der Norm: Blutzucker 154 mg/dl.
Sie bitten den in der Notaufnahme tätigen PJ-Studenten, per Fax Unterlagen über frühere Krankenhausaufenthalte und
Diagnosen des Patienten anzufordern. Nach kurzer Zeit erhalten Sie folgende Informationen:
Diagnosen:
• Koronare Dreigefäßerkrankung mit reduzierter LV-Funktion bei ischämischer Kardiomyopathie (EF 29 %)
– Hinterwandinfarkt vor 10 Jahren
– Z. n. mehrfacher Koronarintervention mittels PTCA/Stentimplantation, letzter Herzkatheter vor 2 Monaten ohne
Hinweis auf Progression der bekannten KHK, kein Interventionsbedarf
– Z. n. Implantation eines ICD (Zweikammeraggregat) vor einem Jahr (Primärprävention)
• Arterielle Hypertonie (essenziell)
• Hypercholesterinämie
• Z. n. langjährigem Nikotinabusus
• Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (Stadium GOLD II).
Sie erhalten auch Kopien eines früheren EKG des Patienten. Es sind keine wegweisenden Änderungen festzustellen.
2.4 Patient mit ICD und Herzrasen 91
Da der Patient eine bekannte KHK hat, denken Sie über ein invasives Vorgehen
(erneute Koronarangiografie) nach. Wie entscheiden Sie sich? Bitte begründen
Sie Ihre Entscheidung!
Sie entscheiden sich zunächst gegen die Durchführung einer Koronarangiografie. Mehrere Faktoren spielen
eine Rolle für Ihre Entscheidung:
• Herr F. ist derzeit beschwerdefrei. Das EKG zeigt im Vergleich zu älteren Aufzeichnungen keine Änderungen.
• Die kürzlich durchgeführte Herzkatheteruntersuchung ergab keinen Interventionsbedarf. 2
• Das aktuelle Labor zeigt keinerlei Hinweise für eine akute Koronarischämie, obwohl die Tachykardie des
Patienten für mindestens 1½ Stunden mit einer hohen Kammerfrequenz anhielt.
Sie entscheiden sich dennoch, Ihren Patienten zur weiteren Beobachtung stationär aufzunehmen zur Opti-
mierung der Medikation und Ischämiediagnostik.
KASUISTIK
Aktuelle Medikation bei Entlassung:
ASS 100 mg 1-0-0
Clopidogrelhydrogensulfat 75 mg 1-0-0
Ramipril 5 mg 1-0-0
Spironolacton 25 mg 1-0-0
Torasemid 20 mg 1-0-0
Simvastatin 20 mg 0-0-1
Bisoprolol 5 mg 1-0-1
Thiotropiumbromid 18 μg 1-0-0 (per inhalationem)
Budesonid/Formoterol 320/9 μg 1-0-1 (per inhalationem)
Sie empfehlen, wenn es von RR und Laborwerten her toleriert wird, eine weitere schrittweise Steigerung der Ramiprildo-
sis auf 10 mg/d, ggf. auch der Spironolactondosis auf 50 mg/d (aus prognostischen Gründen und um einen hochnormalen
Kaliumspiegel zu erreichen).
LITERATUR
ESC Guidelines on cardiac pacing and cardiac resynchronization therapy. Eur. Heart J. 2013; 34:2281–2329
Calkins H, Epstein A, Packer D, et al. Catheter ablation of ventricular tachycardia in patients with structural heart disease
using cooled radiofrequency energy: results of a prospective multicenter study. J Am Coll Cardiol 2000; 35: 1905–14.
Connolly SJ, Dorian P, Roberts RS, et al. Comparison of beta-blockers, amiodarone plus beta-blockers, or sotalol for prevention
of shocks from implantable cardioverter defibrillators: The OPTIC study: a randomized trial. JAMA 2006; 295: 165–171.
92 2 Leitsymptom Herzrasen
Kuck KH, Schaumann A, Eckardt L, Willems S, Ventura R, Delacrétaz E, Pitschner HF, Kautzner J, Schumacher B, Hansen PS;
VTACH study group: Catheter ablation of stable ventricular tachycardia before defibrillator implantation in patients with
coronary heart disease (VTACH): a multicentre randomised controlled trial. Lancet. 2010 Jan 2; 375(9,708): 31–40.
Marchlinski FE, Callans DJ, Gottlieb CD, Zado E. Linear ablation lesions for control of unmappable ventricular tachycardia in
patients with ischemic and nonischemic cardiomyopathy. Circulation 2000; 101: 1288–96.
Moss AJ, Schuger C, Beck CA, Brown MW, Cannom DS, et al. Reduction in inappropriate therapy and mortality through ICD
programming. N Engl J Med. 2012 Dec 13; 367(24). 2275–83. doi: 10.1056/NEJMoa1211107.
Soejima K, Suzuki M, Maisel WH, et al. Catheter ablation in patients with multiple and unstable ventricular tachycardias
after myocardial infarction: short ablation lines guided by reentry circuit isthmuses and sinus rhythm mapping. Circulation
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Stevenson WG, Wilber DJ, Natale A, et al. Irrigated radiofrequency catheter ablation guided by electroanatomic mapping for
recurrent ventricular tachycardia after myocardial infarction: Multicenter Thermocool VT Ablation Trial Investigators. Cir-
culation. 2008; 118(25): 2773–82.
Wissner E, Stevenson WG, Kuck KH. Catheter ablation of ventricular tachycardia in ischaemic and non-ischaemic cardiomyo-
pathy: where are we today? A clinical review. Eur Heart J. 2012; 33, 1440–1450.
KASUISTIK
Sie haben Nachtdienst. Über den Notarzt wird gegen 22:30 Uhr ein 59-jähriger Mann (Schauspieler) in die Notaufnahme mit
zertifizierter Chest Pain Unit eingewiesen. Der Notarzt wurde vom Sicherheitsdienst des Theaters alarmiert. Der Notarzt berichtet,
dass er den Patienten kaltschweißig und präkollaptisch im Sitzen vorgefunden habe. Sie erfahren weiter, dass der Patient auf der
Bühne bei großer körperlicher Anstrengung über starkes thorakales Engegefühl geklagt habe und kollabiert sei. Das Einsatzteam
konnte eine schnelle, regelmäßige Tachykardie (HF 260/min) mittels 3-Kanal-EKG dokumentieren. Der Notarzt berichtet weiter,
dass er die Arrhythmie mittels Vagusmanöver terminieren konnte und dann „Sinusrhythmus“ dokumentiert werden konnte, was
Sie zunächst stutzig macht, als Sie einen ersten Blick auf das EKG werfen. Dem Notarztprotokoll können Sie entnehmen, dass
der Patient u. a. bereits mit ASS (500 mg i. v.), Clopidogrel (600 mg p. o.) und Heparin (5.000 IE i. v.) behandelt wurde.
Nachdem die Arrhythmie scheinbar terminiert worden war, wurde folgender EKG-Streifen aufgezeichnet:
Abb. 2.18 Befund des 3-Kanal-EKGs: Tachykardie mit breitem Kammerkomplex, HF 260/min. Keine eindeutigen P-Wellen sichtbar [M760]
2.5 Leitsituation: Patient mit Kollaps und akutem thorakalem Engegefühl 93
Abb. 2.19 Befund des 2-Kanal-EKGs: Vorhofflattern mit negativen P-Wellen und 2:1-Überleitung. HF 130/min [M760]
KASUISTIK
Nachdem Blut abgenommen wurde, wenden Sie sich an den Patienten, um eine erste Anamnese zu erheben. Herr S. berichtet,
dass er bereits seit Jahren an Herzrhythmusstörungen leide. Sein Hausarzt habe ihm auch einmal einen Betablocker verschrie-
ben. Er habe das Medikament aber nicht regelmäßig eingenommen. Das Gefühl von Brustenge und -brennen kenne Herr S.
auch schon länger, aber eigentlich immer nur in Zusammenhang mit einem schnellen Pulsschlag, dieser sei oft regelmäßig
schnell („Herzrasen“) oder auch als „Herzstolpern“ zu verspüren. Eine Herzerkrankung sei nicht bekannt. Herr S. berichtet
Ihnen aber einen erheblichen Alkoholkonsum von 6–7 Bier pro Tag und dazu auch Schnaps. In den letzten Tagen habe er noch
mehr getrunken als sonst und dabei auch vermehrt Rhythmusstörungen bemerkt. Momentan sei er beschwerdefrei.
Vitalparameter bei Eintreffen des Notarztes:
• Blutdruck: 159/96 mmHg
• Herzfrequenz: 79/min
• Atemfrequenz: 16/min
• Blutzucker (Glukose-Stix): 96 mg/dl
Welches sind Ihre ersten Schritte? Welche Untersuchungen veranlassen Sie zuerst?
Noch während Sie auf das Ergebnis der Laboruntersuchungen warten, macht Sie die Pflegekraft auf einen er-
neuten Anstieg der Herzfrequenz am Monitor aufmerksam. Sie ordnen eine erneute EKG-Untersuchung an
(› Abb. 2.21).
Bitte befunden Sie das EKG auf der vorhergehenden Seite (› Abb. 2.21)
Welche Diagnosen können Sie bei Ihrem Patienten aus den bislang vorliegenden
Befunden stellen?
Tab. 2.5 Langzeitmanagement bei Patienten mit Vorhofflattern (nach AHA/ACC/ESC 2008)
Klinischer Status Empfehlung Grad der Empfehlung Evidenzlevel
Erstmanifestation, Patient Kardioversion I B
hämodynamisch stabil Katheterablation IIa B
Rezidiv, Patient hämody- Katheterablation I B
namisch stabil Dofetilide (in Deutschland nicht IIa C
2 zugelassen!)
andere Antiarrhythmika (Klasse IIb C
I/Klasse III)
Patient hämodynamisch Katheterablation* I B
instabil
* gilt nur für die Langzeittherapie; akut auftretendes Vorhofflattern mit hämodynam. Instabilität sollte unmittelbar kardiover-
tiert werden!
Die Katheterablation gilt bei isthmusabhängigem Vorhofflattern heutzutage als Mittel der Wahl. Die primäre
Erfolgsrate liegt bei ca. 90 %, das Rezidivrisiko bei ca. 10 %.
Die antiarrhythmische Therapie ist im Vergleich zur Katheterablation mit einer deutlich geringeren
Erfolgsrate verbunden. Das Risiko eines iatrogenen AV-Blocks wird mit ca. 0,5–1 % angegeben (Natale et al.
2000, Spector et al. 2009).
LITERATUR
Natale A, Newby KH, Pisanó E, Leonelli F, Fanelli R, Potenza D, Beheiry S, Tomassoni G. Prospective randomized compari-
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Flutter and Supraventricular Tachycardia. Am J Cardiol 2009; 104: 671–677.
KASUISTIK
Ein 38-jähriger Viszeralchirurg stellt sich in Ihrer Praxis mit intermittierenden Palpitationen vor, die ihn so stark stören,
dass er sich gelegentlich nicht gut auf seine Arbeit konzentrieren kann. Die Episoden seien erstmals vor einem Jahr auf-
getreten, dauerten 2–3 Stunden an und träten mittlerweile etwa zweimal pro Woche auf. Meist kommen sie in Ruhe und
nachts, aber auch tagsüber am OP-Tisch. Betablocker verträgt der Patient wegen einer Bradykardieneigung nicht. Als
Nebendiagnosen weist der Patient eine arterielle Hypertonie auf, die seit zwei Jahren mit Ramipril 10 mg/d eingestellt ist.
Welche Diagnose stellen Sie und wie können Sie die Symptomatik des Patienten
bei dieser Erkrankung klassifizieren?
Der Patient leidet unter paroxysmalem Vorhofflimmern. Es wird empfohlen, die Symptomatik nach einer
Einteilung der European Heart Rhythm Association (EHRA) von I bis IV in Anlehnung an die New York
Heart Classification bei Herzinsuffizienz vorzunehmen. Der Patient ist im Alltag beeinträchtigt: EHRA III
(› Tab. 2.6).
Welche Aspekte der Therapie von Vorhofflimmern müssen Sie mit dem Patienten
besprechen?
Wie schätzen Sie das Risiko für Thrombembolien bei Ihrem Patienten ein und was
empfehlen Sie ihm?
Es liegt ein CHA2DS2-VASc-Score (› Kap. 2.1) von 1 vor, der sich aus der Diagnose arterielle Hypertonie
ergibt. Das Risiko für einen Schlaganfall liegt bei 1,3 % pro Jahr und kann als niedrig bis moderat eingestuft
werden. ASS 100 mg/d oder eine orale Antikoagulation werden empfohlen, vorzugsweise jedoch eine orale
Antikoagulation.
98 2 Leitsymptom Herzrasen
Welche Optionen haben Sie, um bei einer oralen Antikoagulation das Verhältnis
für Nutzen und Risiko bei dem Patienten zu optimieren?
Nach den aktuellen Leitlinien der ESC wird eine orale Antikoagulation bei einem CHA2DS2-VASc von 1 mit
einer Klasse-IIa-Indikation, Evidenzgrad A, empfohlen. Bei Frauen, die nur aufgrund ihres Geschlechts
1 Punkt bekommen (lone AF, < 65 J.), kann auf eine OAK verzichtet werden (IIa, B).
Die OAK kann mit einem Vitamin-K-Antagonisten (INR 2,0–3,0), einem direkten Thrombin-Inhibitor
2 (Dabigatran) oder einem Faktor-Xa-Inhibitor (Apixaban, Rivaroxaban) je nach individuellem Blutungs- und
Embolierisiko und unter Berücksichtigung des Patientenwunsches erfolgen. Die neuen Antikoagulanzien re-
duzieren v. a. das Risiko für schwere Blutungen (v. a. zerebrale) und sind hinsichtlich der Reduktion der Em-
boliegefahr den VKA mindestens gleichwertig, Dabigatran 2 × 150 mg/d sogar überlegen. Mit einer INR-
Selbstmessung kann das Risiko für Blutungskomplikationen und die Embolierate unter Vitamin-K-Antago-
nisten zusätzlich reduziert werden. Sie entscheiden sich zusammen mit Ihrem Patienten für eine orale Anti-
koagulation mit NOAK.
Kommt für den Patienten eine Frequenz- oder eine Rhythmuskontrolle infrage?
Was schlagen Sie ihm vor?
Der Patient hat paroxysmales Vorhofflimmern und ist symptomatisch (EHRA ≥ II). Zudem handelt es sich
um eine Erstdiagnose von Vorhofflimmern: Es besteht die Indikation zur Rhythmuskontrolle. Diese kann
medikamentös z. B. mit einem Klasse-Ic-Antiarrhythmikum (z. B. Flecainid) oder alternativ mit einer Kathe-
terablation von Vorhofflimmern (Klasse IIa, Evidenzgrad B) durchgeführt werden. Der Patient wünscht eine
Katheterablation, da er sich eine dauerhafte Antiarrhythmikatherapie nicht vorstellen kann und als Chirurg
einen kurativen Therapieansatz favorisiert.
Welches Ziel bzw. welchen Endpunkt hat die Ablation von Vorhofflimmern,
bezogen auf die Prozedur und auf Ihren Patienten?
Ziel der Ablation von Vorhofflimmern ist zunächst die elektrische Isolation der Pulmonalvenen. Für den Pa-
tienten sind stehen Symptomfreiheit und Freiheit von Vorhofflimmern im Vordergrund. Die Beendigung der
Antikoagulation ist kein Ziel der Ablation, da wegen möglicher Rezidive unabhängig vom Ergebnis der Abla-
tion die Antikoagulation nach dem CHA2DS2-VASc-Score fortgeführt wird.
Was sehen Sie in diesem intrakardialen EKG unseres Patienten vor Beginn der
Ablationstherapie (› Abb. 2.22)?
In den vier Oberflächenableitungen erkennt man kurze atriale Salven. Im Mappingkatheter in der linken
oberen Pulmonalvene (LSPV) zeigen sich hochfrequente Vorhofflimmersignale. Auch im hohen rechten Vor-
hof sind diese zu erkennen. In etwa 90 % der Fälle sind Pulmonalvenentrigger als Auslöser für Vorhofflim-
mern zu finden.
2.6 Intermittierende Palpitationen 99
Die Radiofrequenzstrom- und die Kryoballontechnik werden heute als Standardverfahren der Vorhofflim-
merablation angesehen. Ein weiteres Verfahren ist das endoskopische Laserballonverfahren.
Wie schätzen Sie Nutzen und Risiko bei Ihrem Patienten ein?
Im Vergleich zur medikamentösen Therapie ist ein deutlich höherer Anteil der Patienten nach Katheterabla
tion frei von Vorhofflimmern. Nach einem Jahr wird bei etwa 70 % der Patienten mit paroxysmalem Vorhof-
100 2 Leitsymptom Herzrasen
flimmern kein Vorhofflimmern mehr dokumentiert. Ein wesentlich höherer Prozentsatz von Patienten hat
darüber hinaus klinisch signifikant weniger Beschwerden und eine bessere Lebensqualität. Die Komplikati-
onsraten bei Vorhofflimmerablationen liegen in erfahrenen Zentren bei etwa 3 %. Am häufigsten sind Leisten-
komplikationen. Die schwersten und sehr seltenen Komplikationen sind in absteigender Häufigkeit Perikard-
tamponade, ischämischer Schlaganfall und die atrioösophageale Fisteln (meist letal). Auch Phrenikusparesen
(v. a. bei Kryoballontechnik, meist reversibel) und Pulmonalvenenstenosen können auftreten.
2
Beschreiben Sie, was Sie auf den beiden
Bildern von einer Kryoballonablation
erkennen können (› Abb. 2.24;
› Abb. 2.25).
Wann und wie lange sind routinemäßige Kontrollen nach Katheterablation von
Vorhofflimmern leitliniengerecht auch außerhalb von Studien empfohlen?
Kontrolluntersuchungen werden spätestens 3 Monate und anschließend alle 6 Monate nach Ablation über
mindestens 2 Jahre empfohlen.
Aufgrund der linksatrialen Narben nach Pulmonalvenenisolation ist eine suffiziente Antikoagulation für 2–3
Monate unabhängig vom CHA2DS2-VASc-Score unbedingt notwendig. Anschließend richtet sich die Antiko-
agulation nach dem CHA2DS2-VASc-Score. Innerhalb des ersten Jahres nach Ablation ist ein Wiederauftreten
von Vorhofflimmern am häufigsten. Auch danach kommt es noch zu weiteren Vorhofflimmer-Rezidiven von
ca. 10 % pro Jahr. Häufig ist der Patient aber weniger symptomatisch als vor der Ablation.
LITERATUR
Bloomfield HE, Krause A, Greer N, et al. Meta-analysis: effect of patient self-testing and self-management of long-term anti-
coagulation on major clinical outcomes. Ann Intern Med 2011; 154: 472–482.
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Darius H, Bosch R, Hindricks G, et al. Kommentar: Fokus Update der Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie
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atrial fibrillation: the Task Force for the Management of Atrial Fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur
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102 2 Leitsymptom Herzrasen
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Piccini JP, Lopes RD, Kong MH, et al. Pulmonary vein isolation for the maintenance of sinus rhythm in patients with atrial
fibrillation: a meta-analysis of randomized, controlled trials. Circ Arrhythm Electrophysiol 2009; 2: 626–633.
2
2.7 Sprechprobleme im Urlaub
Florian Krötz
KASUISTIK
Ein 76-jähriger Patient mit intermittierendem Vorhofflimmern und fraglicher TIA wird Ihnen vom Hausarzt zur kardio-
logischen Mitbeurteilung zugewiesen. Bei Auftreten der unklaren Symptomatik, die in einer etwa 2 Stunden andauern-
den Sprach- und Koordinationsstörung bestanden hatte, war er im Urlaub in der Türkei gewesen und wurde dort aus-
schließlich von einem Hotelarzt ambulant gesehen. Das vor Ort durchgeführten EKG sei unauffällig gewesen. Da die
Symptomatik sich bald gebessert hatte, war keine weitere Abklärung erfolgt. Laut Hausarzt bestehen ein fraglich inter-
mittierendes Vorhofflimmern und ein arterieller Hypertonus, der seit 5 Jahren mit Candesartan 16 mg/d behandelt wird.
Der zuweisende Kollege bittet um Stellungnahme bezüglich der Notwendigkeit einer antithrombotischen Therapie.
Soweit Sie es aus den Vorbefunden und den Angaben des Patienten erfahren können, war erstmals vor 3 Jahren in einer
Langzeit-EKG-Untersuchung eine vierstündige Episode von Vorhofflimmern aufgefallen. Diese sei asymptomatisch verlau-
fen, der Patient verneint generell Fragen nach Schwindel oder Palpitationen, ihm falle allenfalls auf, dass er in letzter Zeit
etwas mehr Durst habe. Aufgrund des auffälligen Langzeit-EKG sei er in der Folge wiederholt zum Ruhe-EKG bestellt
worden, das wohl immer Sinusrhythmus zeigte.
Darüber hinaus sei er in den letzten 10 Jahren bereits dreimal wegen einer Magenblutung in klinischer Behandlung
gewesen, weshalb ein Protonenpumpenhemmer eingenommen wurde, den er aber, da er Medikamente generell ungern
einnehme, zwischenzeitlich selbst abgesetzt habe.
Auf weiteres Nachfragen berichtet der Patient außerdem, dass vor ca. 1 Jahr ein etwa einstündiger einseitiger Visusverlust
aufgetreten sei, weshalb er am Folgetag einen Augenarzt aufgesucht habe, der einen unauffälligen ophthalmologischen
Befund erhoben habe. Der Augenarzt habe die Einnahme von ASS 100 mg/d empfohlen, was aufgrund der Magenblutun-
gen abgelehnt wurde. Außerdem war eine internistisch-fachärztliche Untersuchung empfohlen worden, die bisher noch
nicht erfolgt ist.
2.7 Sprechprobleme im Urlaub 103
Es besteht paroxysmales Vorhofflimmern, das einmalig dokumentiert wurde. Weitere Episoden von Vorhof-
flimmern sind nicht nachgewiesen, allerdings liegen Hinweise auf zerebral-embolische Ereignisse vor: die kurz-
zeitige Sprach- und Koordinationsstörung im Türkeiurlaub und der transiente Visusverlust vor einem Jahr.
Der CHA2DS2-VASc-Score beträgt mindestens 5 (1 Punkt Hypertonus, 2 Punkte Alter > 75 J., 2 Punkte
Z. n. TIA), es bestehen außerdem Hinweise auf eine chronische Niereninsuffizienz sowie auf eine gestörte
Glukosetoleranz bei erhöhtem Nüchtern-Blutzucker.
Geklärt werden muss, ob eine zerebrovaskuläre Erkrankung vorliegt, ob bereits ein manifester Diabetes mel-
litus besteht und ob eine strukturelle kardiale Erkrankung vorliegt.
Erfolgen sollten eine Echokardiografie, eine Duplexuntersuchung der Karotiden, eine Ergometrie sowie die
Messung des HbA1c.
Echokardiografie: normale globale und regionale Pumpfunktion. LV normal groß, Wanddicken grenzwertig hypertro-
phiert (Septum 12 mm, Hinterwand 12 mm). Diastolische Dysfunktion I°. LA mäßig vergrößert (M-Mode: 46 mm), rechte
Herzhöhlen normal groß. Klappen morphologisch unauffällig. MI I°, sonst kein Vitium. Kein Perikarderguss.
Ergometrie: Ausbelastung nach HF erreicht bei 150 W, dabei keine AP, keine Dyspnoe, keine ST-Strecken-Veränderun-
gen, keine Rhythmusstörungen, normale Herzfrequenz und hypertensives Blutdruckverhalten.
Duplex-Karotiden: Ausschluss einer Stenose der extrakraniellen Karotiden, IMT 0,9 mm beidseits. Normaler Fluss der
Vertebralarterien.
Der HbA1c liegt bei 6,4 %.
Es liegen Zeichen für eine hypertensive Herzerkrankung vor, darüber hinaus keine relevante strukturelle
Herzerkrankung. Die Intima-Media-Dicke liegt entsprechend dem Alter im oberen Normbereich (unter
40 Jahre: < 0,6 mm, 40–60 Jahre < 0,8 mm, > 60 Jahre < 1 mm), es liegt kein Hinweis auf eine relevante KHK
vor.
104 2 Leitsymptom Herzrasen
Allerdings kann nicht abschließend beurteilt werden, ob ein Diabetes vorliegt. Hierzu muss eine orale Glu-
kosetoleranztestung erfolgen.
Wie wird ein oGTT durchgeführt und welchen Stellenwert hat er in der
Diagnostik des Diabetes mellitus Typ 2?
2 Der Test soll morgens am zuvor zehn Stunden nüchternen Patienten durchgeführt werden. Der Patient sollte
an den drei vorangegangenen Tagen mindestens 150 g Kohlenhydrate pro Tag zu sich genommen, also keine
HbA1c *
**
Diagnose: Diagnose:
Diabetes kein Diabetes
Diät durchgeführt haben. Zum Zeitpunkt 0 wird eine Blutentnahme zur Nüchternglukose-Bestimmung
durchgeführt, woraufhin 75 g Glukose in 250–300 ml Wasser gelöst getrunken werden. Nach 60 und 120 Mi-
nuten wird erneut die Glukose bestimmt. Als diagnostisch gilt der 2-Stunden-Wert. Normal sind 2-h-BZ-
Werte im Kapillarblut < 140 mg/dl, ein 2-h-Wert > 200 mg/dl reicht zur Diagnose des DM Typ 2, zwischen
140–200 mg/dl besteht eine gestörte Glukosetoleranz, die bereits mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko
einhergeht. Bei Nüchternwerten > 110 mg/dl (kapillär) oder > 125 mg/dl (venös) liegt ein DM Typ 2 vor, der
Test ist dann kontraindiziert (› Abb. 2.27).
2
Der oGTT ergibt einen 2-h-Wert von 243 mg/dl, es liegt also ein Diabetes mellitus Typ 2 vor, der zunächst für einen Zeit-
raum von 3 Monaten mit diätetischen Maßnahmen therapiert werden kann und anschließend, wenn dies erfolglos bleiben
sollte, einer oralen antidiabetischen Therapie zugeführt werden sollte.
Der CHA2DS2-VASc-Score erhöht sich um einen Punkt auf 6 Punkte und zeigt damit ein noch höheres Embo-
lierisiko an (› Kap. 2.1).
Sie erklären dies dem Patienten, er hat dies bereits befürchtet und reagiert sehr abweisend, da ein Onkel von ihm Marcu-
mar® einnehmen musste und dann wohl nach einer Hirnblutung pflegebedürftig war. Der Patient argumentiert, es sei doch
gar nicht klar, ob wirklich Vorhofflimmern bestehe, schließlich bemerke er nichts davon und es sei ja auch nur einmal für
4 Stunden nachgewiesen worden.
Lange Zeit war unklar, in welcher Intensität intermittierendes Vorhofflimmern vorliegen muss, um das
Schlaganfallrisiko zu erhöhen. Jüngere Auswertungen von Holteraufzeichnungen bei Patienten mit Sinus-
rhythmus und Schrittmachern legen jedoch eindeutig einen Zusammenhang zwischen subklinischem Vor-
hofflimmern und erhöhtem Schlaganfallrisiko nahe. Außerdem lag bei unserem Patienten bereits zweimalig
mit hoher Wahrscheinlichkeit ein zerebral-embolisches Ereignis vor, sodass eindeutig eine Indikation zur An-
tikoagulation besteht.
Sie erklären dies dem Patienten, er weigert sich aber, Marcumar® einzunehmen, da er Angst vor Blutungen hat.
Unterschiedliche Scores zur Abschätzung des Blutungsrisikos wurden in den vergangenen Jahren entwickelt;
darunter sind der HEMORR2HAGES-, der HAS-BLED- und der ATRIA-Scores an Patienten mit Vorhofflim-
mern evaluiert.
Faktoren des HEMORR2HAGES-Score: Nieren- oder Lebererkrankung, Alkoholabusus, Malignität, Alter
≥ 75, Thrombopenie/Thrombopathie, stattgehabte Blutung, unkontrollierte Hypertonie, Anämie, genetische
Veranlagung, Sturzrisiko, und Z. n. Schlaganfall.
Faktoren des ATRIA-Scores: Anämie, GFR < 30 ml/min, Alter > 75, Hypertonus, Z. n. Blutungsereig-
nis.
106 2 Leitsymptom Herzrasen
Nach dem HAS-BLED-Score (› Kap. 2.1) hat unser Patient einen Score von 5, also ein deutlich erhöhtes
Blutungsrisiko.
2 Neben der Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten besteht die Möglichkeit, ein sog. neues orales Antikoagu-
lans (NOAK, engl. NOAC, synonym wird der Begriff „direktes orales Antikoagulans“, DOAK, verwendet)
einzunehmen. Diese sind gleichwertig bzw. überlegen im Vergleich zu Cumarinen in der Prophylaxe von ze-
rebral-embolischen Ereignissen, gehen jedoch ebenfalls mit einem – in den meisten Fällen vergleichbaren –
Blutungsrisiko einher. Es gibt Hinweise darauf, dass das Risiko von zerebralen Blutungen bei NOAK geringer
als unter VKA sein könnte. Vorteil der NOAK ist die deutlich einfachere Einnahme, da hier keine regelmäßi-
gen INR- oder Quick-Kontrollen erfolgen müssen. Ein Nachteil ist die schlechtere Abschätzbarkeit der anti-
koagulativen Wirkung dieser Substanzen in Notfallsituationen, da gängige Gerinnungstests, wie aPTT oder
INR-Messung, keine verlässliche Auskunft über deren Wirkung geben, obwohl diese in Einzelfällen durchaus
von NOAK beeinflusst werden können.
Eine Dauertherapie mit niedermolekularem Heparin, die ebenfalls denkbar ist, ist nicht durch ausreichen-
de Daten gesichert, wenig praktikabel und sehr teuer.
Welche neuen oralen Antikoagulantien kennen Sie? Wie wirken diese und
welches Zulassungsspektrum haben sie in welcher Dosis?
Welches NOAK ist für unseren Patienten mit einer GFR ∼ 40 ml/min geeignet?
Bei leicht eingeschränkter Nierenfunktion können alle 3 NOAK verabreicht werden (› Tab. 2.8).
2.7 Sprechprobleme im Urlaub 107
Allerdings wird bei Dabigatran bei einer GFR von 30–50 ml/min eine Dosisreduktion empfohlen, diese Emp-
fehlung gilt auch für Patienten mit Z. n. GI-Blutung und einem Alter > 75 Jahren. In der Zulassungsstudie zu Dabi-
gatran zur Schlaganfallprävention (RE-LY-Studie) wurde Warfarin mit Dabigatran 2 × 150 mg/d und Dabigatran
2 × 110 mg/d verglichen. Während die Dosis 2 × 150 mg eine Reduktion der Schlaganfallhäufigkeit im Vergleich zu
Warfarin ergab, zeigt sich bei dieser Gruppe eine leicht erhöhte Häufigkeit gastrointestinaler Blutungen bei insge-
samt nicht erhöhter Anzahl von schweren Blutungen (major bleedings). Die Patienten, welche die Dosis 2 ×
110 mg einnahmen, hatten im Vergleich zu Warfarin eine geringere absolute Rate schwerer Blutungen bei gleicher
Schlaganfallreduktion. Bei schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min) ist Dabigatran kontraindiziert. 2
Apixaban und Rivaroxaban sind bis zu einer GFR > 15 ml/min zugelassen, eine Dosisreduktion auf 1 ×
15 mg/d wird bei Rivaroxaban unter einer GFR von 50 ml/min empfohlen, bei Apixaban wird eine Dosis
reduktion auf 2 × 2,5 mg empfohlen, wenn 2 von 3 der folgenden Faktoren vorliegen: Alter > 80 J., Kreatinin
> 1,5 mg/dl, Gewicht < 60 kg. Insgesamt scheinen bei einer renalen Elimination von 35 % (Rivaroxaban) bzw.
25 % (Apixaban) die beiden Faktor-Xa-Inhibitoren besonders geeignet für unseren Patienten.
Therapieempfehlung für diesen Patienten:
• Im Falle von Rivaroxaban sollte dennoch eine Dosisreduktion auf 1 × 15 mg/d erfolgen.
• Im Falle von Apixaban kann die normale Dosis von 2 × 5 mg/d verabreicht werden.
• Im Falle von Dabigatran sollte (GFR ∼ 40 ml/min, Z. n. GI-Blutung, Alter > 75 J.) eine Dosis von 2 ×
110 mg/d gewählt werden.
Sie empfehlen eine Therapie mit Rivaroxaban 15 mg 1 x/d. Der Patient ist mit dieser Therapie einverstanden und glücklich,
kein Marcumar® einnehmen zu müssen, wenngleich Sie ihn darauf hingewiesen haben, dass das Blutungsrisiko vergleich-
bar ist und er das Medikament, z. B. vor einer Operation, pausieren muss.
Er hakt nun nach, wie lange er das Medikament denn vor einer OP pausieren müsse?
NOAK müssen vor einer geplanten Operation pausiert werden. Folgende Empfehlungen liegen entsprechend
Herstellerangaben vor (› Tab. 2.9):
108 2 Leitsymptom Herzrasen
Da die Elimination stark von der Nierenfunktion abhängig ist, kann die empfohlene Dauer der präoperativen
Pausierung z. B. nach folgendem Schema erfolgen (Baron et al. 2013):
• Rivaroxaban: bei normaler GFR mindestens 24 h; bei GFR 60–90 ml/min: 2 Tage, bei GFR 30–59 ml/min:
3 Tage, bei GFR < 30 ml/min: 4 Tage
• Apixaban: bei GFR < 60/min: 1–2 Tage, bei GFR < 50 ml/min: 3 Tage, bei GFR < 30 ml/min: 5 Tage
• Dabigatran: GFR > 50 ml/min 1–2 Tage, GFR < 50 ml/min 3–5 Tage.
In diesem Zusammenhang kann darauf hingewiesen werden, dass bei Vorhofflimmern, insbesondere wie im
vorliegenden Fall bei paroxysmalem Vorhofflimmern, das Embolierisiko bei einer kurzzeitigen Pausierung
der Antikoagulation gering ist und z. B. nicht vergleichbar mit dem Risiko bei Pausierung einer Antikoagula-
tion bei Patienten mit Kunstklappenprothesen (insbes. in Mitralposition).
Für Kunstklappenpatienten sind NOAK nicht zugelassen, die Indikationen bestehen lediglich für nichtval-
vuläres Vorhofflimmern. Im Falle von Dabigatran konnte sogar nachgewiesen werden, dass das Medikament
zur Embolieprophlaxe bei Patienten mit mechanischen Klappenprothesen einer Therapie mit Vitamin-K-Ant
agonisten unterlegen ist (› Kap. 8.4).
Sie informieren den Patienten (der eine GFR von 42 ml/min hat), dass er sein Medikament etwa 3 Tage vor einer elektiven
Operation absetzen soll.
Nach 2 Monaten werden Sie von einem ehemaligen Kollegen, einem Oberarzt der Gastroenterologie des örtlichen Kran-
kenhauses, kontaktiert, der Ihnen mitteilt, dass ihr Patient mit V. a. obere GI-Blutung zur dringlichen Endoskopie angemel-
det ist. Er bittet Sie um Stellungnahme bezüglich der Abschätzung des Blutungsrisikos und der blutungsstillenden Therapie.
Außerdem plant er, seine eigene Mutter, die bisher Marcumar® einnimmt, auf ein NOAK umzustellen, und fragt Sie, wie er
dabei vorgehen soll.
Wie ist das Vorgehen bei Auftreten einer Blutung? Wie wird von Vitamin-K-
Antagonisten auf NOAK umgestellt?
Die Wirkung der direkten Xa-Inhibitoren Apixaban und Rivaroxaban kann – sofern schnell verfügbar –
durch Bestimmung der Faktor-X-Hemmaktivität abgeschätzt werden. Die Dabigatranwirkung kann weniger
2.7 Sprechprobleme im Urlaub 109
gut durch schnell verfügbare klinische Tests eingeschätzt werden, Dabigatran beeinflusst zwar – abhängig
vom Zeitpunkt der Einnahme – PI und aPTT, jedoch kann insbesondere bei normaler aPTT und PI keine
Vorhersage hinsichtlich des Blutungsrisikos getroffen werden. Es wurden und werden spezielle Tests zur Er-
fassung der Dabigatranwirkung entwickelt, wie z. B. die „Ecarin Clotting Time“.
Als Notfallmaßnahmen bei Blutungen kommen neben Lokalmaßnahmen und Desmopressin oder Tran-
examsäure bestimmte Faktorenkonzentrate wie PPSB oder Faktor VIIA infrage.
Sie teilen dies Ihrem Kollegen mit, außerdem informieren Sie ihn darüber, dass bei der Umstellung seiner an Vorhofflim-
2
mern leidenden Mutter von Marcumar® auf ein NOAK mit der ersten Dosis des NOAK spätestens bei Unterschreiten der
unteren wirksamen Grenzdosis von Marcumar® begonnen werden sollte und fortan nur noch das NOAK verabreicht
werden sollte. Die jeweiligen Hersteller empfehlen, im Falle von Apixaban und Dabigatran bei einer INR < 2,0 mit der
ersten Dosis des NOAK zu beginnen, im Falle von Rivaroxaban bei der Indikation VHF sogar schon bei einer INR ≤ 3,0,
bei TVT/LE bei einer INR ≤ 2,5.
Da Sie wissen, dass seine Mutter vor kürzerer Zeit einen Herzinfarkt mit nachfolgender Stentimplantation erlitten hatte,
weisen Sie ihn darauf hin, dass für eine Kombination der NOAK mit dualer antithrombozytärer Therapie kaum Daten
vorliegen und zum jetzigen Zeitpunkt davon abgesehen werden sollte.
Sie bitten ihn abschließend, Ihnen vom Ergebnis der Gastroskopie zu berichten und den Patienten in der Folge wieder bei
Ihnen vorzustellen.
Eine Woche später stellt der Patient sich daraufhin wieder bei Ihnen vor und überreicht Ihnen den Entlassbrief des
Krankenhauses. Daraus erfahren Sie, dass er eine Hb-wirksame Forrest-IIa-Magenblutung („sichtbarer Gefäßstumpf“)
erlitten hatte, die durch Clipping und Transfusion von vier Erythrozytenkonzentraten sowie PPI therapiert wurde. Aus den
Biopsien konnte kein HP-Nachweis geführt werden, sodass aufgrund der gastrointestinalen Blutungsanamnese und der
fehlenden Möglichkeit der Eradikation eine Kontraindikation für Antikoagulanzien bestehe, daher wurde Rivaroxaban pau-
siert. Mit Interesse stellen Sie außerdem fest, dass am Vortag der Entlassung ein Ruhe-EKG aufgezeichnet wurde, bei dem
Vorhofflimmern bestand. Normofrequentes Vorhofflimmern liegt nun auch bei dem von Ihnen aufgezeichneten EKG vor.
Eine Therapie mit ASS oder anderen Thrombozytenaggregationshemmern kommt nicht infrage, da sie nicht
wirksam zur Prävention von Schlaganfällen bei Vorhofflimmern und im Falle von Cyclooxygenasehemmern
wie ASS sogar schädlich für die Magenschleimhaut wäre. Aufgrund des hohen CHA2DS2-VASc-Scores von 6
mit einem jährlichen Schlaganfallrisiko von nahezu 10 % sehen Sie jedoch Handlungsbedarf.
Sie erwähnen, dass es die Möglichkeit des Vorhofohrverschlusses gibt. Dies kann entweder operativ (als Zu-
satzmaßnahme bei einer Herzoperation) oder interventionell erfolgen. Die ESC bewertet diese Maßnahme bei
Patienten mit hohem Thromboembolierisiko und Unmöglichkeit einer oralen Antikoagulation als Klasse IIb.
Zum interventionellen LAA-Verschluss stehen verschiedene Systeme zur Verfügung. Dazu gehört der so-
genannte Watchman®-Occluder, mit dem eine längere klinische Erfahrung besteht und der – bei periproze-
duraler Komplikationsrate (vorwiegend Perikardergüsse) von ca. 2,5 % in erfahrenen Zentren – eine gleich-
wertige Sicherheit wie die orale Antikoagulation zu bieten scheint.
Ein alternatives Device ist der sogenannte „Amplatzer® Cardiac Plug“ (ACP bzw. Amulet), zu dem weniger
Daten aus randomisierten Studien vorliegen, der aber üblicherweise ohne periprozedurale Antikoagulation,
sondern lediglich unter dualer antithrombozytärer Therapie implantiert wird.
› Abbildung 2.28 zeigt im Durchleuchtungsbild, wie ein Vorhofohr-Occluder, der noch mit dem transsep-
tal in den LA eingebrachten Einführbesteck konnektiert ist, unter gleichzeitiger TEE-Kontrolle in Richtung
110 2 Leitsymptom Herzrasen
LAA positioniert wird. Bei korrrekter Lage des Device wird das Einführbesteck abgeschraubt und zurückge-
zogen. › Abbildung 2.29 dokumentiert im TEE-Bild, dass das implantierte Occludersystem im LAA veran-
kert und der Eingang des LAA abgedeckt ist.
LITERATUR
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KAPITEL
3 Leitsymptom Dyspnoe,
Leistungsschwäche
3.1 Terminale Herzinsuffizienz Hae-Young Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
3.19 Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel Andreas König . . . . . . . . . . . . . 211
KASUISTIK
Anamnese: Bei einem 48-jährigen Patienten ist seit ca. 5 Jahren eine dilatative Kardiomyopathie (DCM) bekannt. Der
Patient hat bereits einen CRT-ICD erhalten. Die klinische Situation hat sich rasch verschlechtert mit Dyspnoe bei NYHA-
Stufe III (IV), therapierefraktären Ödemen und nächtlicher Orthopnoe. Zusätzlich kommt es wiederholt zu ventrikulären
Tachykardien, die zwar erfolgreich durch den ICD terminiert werden, aber die Lebensqualität deutlich beeinträchtigen. Der
Patient wird zur Therapieoptimierung in einer Herzinsuffizienz-Spezialambulanz vorgestellt. Ansonsten bestehen keine
internistischen Vorerkrankungen. Der Patient ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist von Beruf Steuerberater.
Körperliche Untersuchung: leicht reduzierter Ernährungszustand (BMI 19,5 kg/m2), reduzierter Allgemeinzustand. Haut-
kolorit blass. Halsvenen deutlich gestaut. Prominente V-Welle als Hinweis auf relevante Trikuspidalinsuffizienz. Blutdruck
3 85/60 mmHg. Pulmo: vesikuläres Atemgeräusch, basale feinblasige RG bds. Puls 95/min. Herztöne rhythmisch, zahlreiche
Extrasystolen. Bandförmiges Holosystolikum über Mitralis mit Fortleitung in die Axilla. 3. Herzton. Abdomen: weich, Darm-
geräusche über allen vier Quadranten regelrecht. Leichte Unterschenkelödeme bds. Peripherer Pulsstatus unauffällig.
• Routine-Labor inkl.: Blutbild, Fe, Ferritin, Transferrinsättigung (Frage nach Anämie?), Na, K, Kreatinin,
Harnstoff (Niereninsuffizienz?), Leberwerte, BNP/NT-proBNP, TSH, INR
• EKG: relevante Brady- oder Tachykardien, Vorhofflimmern, Kammerkomplexbreite?
• Echokardiografie: Ventrikel- und Vorhofgrößen, Thromben, Klappeninsuffizienzen (u. a. Druckgradient
über der Trikuspidaklappe), Asynchronie?
• Röntgen-Thorax: Herzgröße, Stauungszeichen, Ergüsse, Infiltrate?
• ICD/CRT-Kontrolle: Herzfrequenzprofil, atriale oder ventrikuläre Tachykardien, ICD-Therapien (in der
Fast-VT- oder VF-Zone)?
Folgende Laborwerte wurden bestimmt: NT-proBNP: 9.735 pg/ml erhöht (Norm bis 125 pg/ml), alle übrigen Werte nor-
mal.
Welchen Stellenwert hat der Biomarker BNP/NT-proBNP bei der Diagnostik und
Therapiesteuerung bei chronischer Herzinsuffizienz?
Die außerordentliche Rolle von BNP/NT-proBNP bei der Erstdiagnostik der akuten oder chronischen Herz-
insuffizienz ist allgemein akzeptiert und wurde in den aktuellen Leitlinien als ein Standbein der Diagnostik
3.1 Terminale Herzinsuffizienz 113
implementiert. Ein erhöhtes BNP/NT-proBNP scheint auch ein Prognosemarker zu sein. Allerdings ist eine
Therapieführung bei chronisch herzinsuffizienten Patienten anhand der BNP/NT-proBNP-Werte bisher
nicht ausreichend etabliert und evaluiert.
Echokardiografie: Die Untersuchung zeigt einen außerordentlich vergrößerten linken Ventrikel mit einer LVEDD von
82 mm und einer LVEF von 12 %. Es besteht eine mäßige Mitral- sowie eine schwere Trikuspidalinsuffizienz (PA-Druck
50 mmHg).
Über die Norm vergrößertes Herz. Keine Stauungszeichen. Kein umschriebenes Infiltrat abgrenzbar, keine
wesentlichen Ergüsse. CRT-ICD in situ mit 3 Sonden in RA, RV sowie posterolateraler Koronarvene.
werden. Die günstigen Wirkungen der Betablocker setzen meist nach mehreren Wochen ein. Wichtige
Nebenwirkungen: Bradykardien, AV-Blockierungen, Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit,
Bronchospasmus, Raynaud-Symptomatik, Verschlechterung einer Psoriasis, Hypotonie.
• Die Kombination ACE-Hemmer oder ARB mit einem der genannten Betablocker wird aus prognosti-
schen Gründen empfohlen. Bei Betablockerunverträglichkeit sollte bei fortgeschrittener, symptomati-
scher Herzinsuffizienz (NYHA III–IV) der ACE-Hemmer oder der ARB eher mit einem Aldosteronant
agonisten kombiniert werden (Klasse-IB-Empfehlung). Eine Dreifachkombination ACE-Hemmer, ARB
und Aldosteronantagonist ist aufgrund der Gefahr einer Hyperkaliämie potenziell gefährlich.
• Aldosteron-Antagonisten: prognoseverbessernd. Spironolacton wurde bei Patienten mit fortgeschritte-
ner Herzinsuffizienz (NYHA III–IV) untersucht, während die Wirkung des selektiven Aldosteronantago-
nisten Eplerenon an Postinfarktpatienten mit eher leichter Herzinsuffizienz überprüft wurde. Eine Kom-
binationstherapie mit ACEH bzw. ARB mit Aldosteronantagonisten erhöht das Risiko für Hyperkaliämi- 3
en. Von einer Dreier-Kombination ACEH, ARB und Aldosteronantagonisten wird wegen der Gefahr einer
Hyperkaliämie abgeraten. Wichtige Nebenwirkungen: Hyperkaliämie, Hyponatriämie, Gynäkomastie
(nur Spironolacton, nicht für Eplerenon). Durch die EMPHASIS-Studie aus dem Jahr 2011 wurde die In-
dikation für Eplerenon auch bei Patienten mit stabiler Herzinsuffizienz auf NYHA-Stadium II erweitert.
• Digoxin: Symptomatische Therapie. Für Digoxin gibt es lediglich eine randomisierte Studie, weswegen
die Evidenzstufe im Jahr 2005 von I zunächst auf IIaB zurückgestuft wurde. In der jüngsten Leitlinie be-
steht für den Einsatz von Digoxin nur noch ein Evidenzlevel von IIbB. Die Empfehlung gilt eher für Pati-
enten auf NYHA Stufe III–IV. Bei der Herzinsuffizienztherapie und Sinusrhythmus wird eher ein niedrig
normaler Plasmaspiegel empfohlen. Unabhängig von der Herzinsuffizienztherapie wird Digoxin zur Fre-
quenzkontrolle bei Vorhofflimmern empfohlen. Wichtige Nebenwirkungen: grundsätzlich jede Form von
Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Sehstörungen. Verschiedene
Wechselwirkungen sind zu beachten.
• Ivabradin: Der If-Kanalblocker Ivabradin zeigte in der SHIFT-Studie 2010 bei Patienten mit chronischer
Herzinsuffizienz und bereits etablierter medikamentöser Therapie einen zusätzlichen Nutzen, wenn die
Herzfrequenz > 70/min lag. Die Mortalität konnte zwar nicht verbessert werden, Ivabradin führte aber zu
einer signifikanten Reduktion von Krankenhausaufenthalten. Diese Therapieoption wurde mit einem Evi-
denzgrad von IIa-B neu in die Leitlinie der ESC aufgenommen.
• Diuretika: Dienen der symptomatischen Behandlung, sind nicht prognoseverbessernd (Ausnahme Aldo-
steronantagonisten, s. o.). Die Substanzwahl (Thiazide ± Kaliumsparer, Schleifendiuretika, Kombinati-
onstherapie als sequenzielle Nephronblockade) wird vom gewünschten Ausmaß der Diurese, der Nieren-
funktion und dem Serum-Kalium mit beeinflusst.
Unser Patient erhält bereits eine vollständige Herzinsuffizienz-Therapie (› Tab. 3.1): Bisoprolol 5 mg/Tag,
Candesartan 8 mg/Tag, Eplerenon 25 mg/Tag, Torasemid 80 mg/Tag, HCT 25 mg/Tag, sowie Amiodaron
200 mg/Tag.
Die „konventionelle“ Herzinsuffizienz-Therapie erscheint weitgehend erschöpft zu sein. Eine Höherdosie-
rung der Therapie mit Bisoprolol bzw. Candesartan ist wegen Hypotonie nicht realisierbar.
116 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Tab. 3.1 Therapie der chronischen Herzinsuffizienz (modifiziert nach den Leitlinien der ESC von 2012)
Medikament Asymptomatische LV-Dysfunkti- NYHA II NYHA III NYHA IV
on/NYHA I
ACE-Hemmer indiziert indiziert indiziert indiziert
Betablocker (ohne • nach Myokardinfarkt indiziert* indiziert* indiziert*
ISA) • bei Hypertonie
Diurektika
Thiazide bei Hypertonie bei Flüssigkeitsre- • indiziert • indiziert
tention oder ehe-
mals vorgelegener • zur
Potenzie- • zur
Potenzie-
Flüssigkeitsretention rung der Schlei- rung der
3 fendiuretika Schleifen
diuretika
Schleifendiuretika – bei Flüssigkeitsre- indiziert indiziert
tention oder ehe-
mals vorgelegener
Flüssigkeitsretention
Aldosteron- nach Myokardinfarkt indiziert indiziert indiziert
Antagonisten
AT1-Rezeptor- bei ACE-Hemmer-Intoleranz bei ACE-Hemmer-In- bei ACE-Hemmer- bei ACE-Hem-
Blocker toleranz Intoleranz mer-Intoleranz
Ivabradin bei Herzfrequenz (> bei Herzfrequenz bei Herzfre-
70/min) (> 70/min) quenz (> 70/
min)
Herzglykoside bei tachysystolischem Vorhofflimmern • beitachysystoli- indiziert** indiziert**
schem Vorhofflim-
mern
• im Sinusrhythmus
nach Besserung
schwerer Sympto-
matik**
ISA = intrinsische Aktivität
* nur bei stabilen Patienten, langsam einschleichend unter engmaschiger Kontrolle
** mit niedrigen Zielserumspiegeln
Eine kardiale Resynchronisierungstherapie zur Optimierung des Kontraktionsablaufs erfolgte bereits. Ver-
schiedene mechanische Unterstützungssysteme (Ventricular Assist Device, VAD) wären prinzipiell möglich
und im Verlauf mit dem Patienten zu diskutieren. Die speziellen Schrittmachertherapien mit positiv inotro- 3
pem Wirkansatz (z. B. Cardiac Contractility Modulation, CCM) befinden sich im experimentellen Stadium.
Tab. 3.2 Empfehlungen zur CRT bei Patienten mit SR, LVEF ≤ 35%, NYHA II, III, IV, trotz adäquater medikamen
töser Therapie
LSB, QRS-Dauer ≥ 150 ms Klasse I A
LSB, QRS-Dauer 120–150 ms Klasse I B
Nicht-LSB, QRS-Dauer ≥ 150 ms Klasse IIa B
Nicht-LSB, QRS-Dauer 120–150 ms Klasse IIb B
QRS-Dauer < 120 ms Klasse III B
Herztransplantation (HTX): Diese Option stellt bei diesem Patienten die einzige Vorgehensweise dar, die eine
langfristige Prognose mit guter Lebensqualität ermöglicht.
Sie denken an die HTX als Therapieoption. Welche absoluten und relativen
Kontraindikationen sind für eine potenzielle Listung zu überprüfen?
• Tumorerkrankung
• Chronische Infektionserkrankungen
• Technische Limitationen
• Notwendigkeit einer kombinierten Herz-Lungen-Transplantation (HLTX?) bei älteren Patienten
• Compliance des Patienten.
Welche Untersuchungen sind für eine Listung für eine HTX notwendig?
• Infektionsdiagnostik
• Blutgruppen- und HLA-Typisierung
• Ruhe-EKG
118 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
• Spiroergometrie
• Echokardiografie
• Ggf. Koronarangiografie
• Rechtsherzkatheteruntersuchung
• Röntgen- bzw. CT-Thorax
• Abdomensonografie
• Ösophagogastroduodenoskopie mit histologischen Untersuchungen
• Ggf. Koloskopie mit histologischen Untersuchungen
• Ggf. urologische Untersuchung bei Männern
• Ggf. gynäkologische Untersuchung bei Frauen
• Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Untersuchung mit Röntgen der Nasennebenhöhlen
3 • Zahnärztliche Untersuchung
• Psychiatrische Untersuchung.
Es liegt eine leichtgradige postkapilläre pulmonale Hypertonie vor. Von zentraler Bedeutung ist eine normale
Wood-Einheit (in diesem Fall 1,8). Ab einer Wood-Einheit von 2,5 (–3,0) sollte auch die Reversibilitätsprü-
fung überprüft werden, da ansonsten bei alleiniger HTX ein Rechtsherzversagen des Transplantatherzens
droht (fixierte pulmonale Hypertonie). Beträgt die Wood-Einheit mehr als 5,0 oder steigt der transpulmonale
Gradient auf einen Wert über 16–20 mmHg, liegt eine relative Kontraindikation für eine alleinige HTX vor,
da die Prognose durch ein Rechtsherzversagen des transplantierten Herzens limitiert ist.
Es wurden keine Kontraindikationen für eine HTX gefunden. Der Patient wurde
erfolgreich gelistet und steht auf der Warteliste von Eurotransplant. Kennen Sie
verschiedene Stufen der Dringlichkeit bei der HTX-Listung?
• Hohe Dringlichkeit (high urgency – HU): Patienten in akut lebensbedrohlicher Situation, sie werden da-
her vorrangig transplantiert. Besondere Begründung notwendig: im Zentrum auf der Intensivstation nach
Ausschöpfung aller alternativer Behandlungsmöglichkeiten (ausgenommen ventrikuläre Unterstützungs-
systeme) trotz hoch dosierter Therapie mit Katecholaminen und Phosphodiesterase-Hemmern nicht re-
kompensierbar mit Zeichen des beginnenden Organversagens. Es handelt sich jedoch nicht um Patienten,
die zur Beobachtung oder mit niedrig dosierten Katecholaminen unter intensivmedizinischen Bedingun-
gen stationär behandelt werden.
3.2 Herztransplantation 119
• Elektiv (transplantable – T): Diese Patientengruppe erfüllt die Kriterien zur Aufnahme in die Warteliste
zur Herztransplantation, jedoch nicht die Kriterien für die höchste oder die erhöhte Dringlichkeit.
• Nicht transplantabel (not transplantable – NT): Bei einem auf der Warteliste geführten Patienten be-
steht vorübergehend eine Kontraindikationen zur Transplantation (z. B. Infekt).
Wenn Sie den Patienten über die HTX aufklären: Wie ist derzeit die Prognose der
Patienten nach HTX?
Nach den Daten des Jahresberichts der International Society for Heart and Lung Transplantation (ISHLT)
aus dem Jahr 2012 beträgt die 1- bzw. 5-Jahres-Überlebensrate bei Patienten, die innerhalb des ISHLT-Regis-
ters im Zeitraum von 2003–2010 transplantiert wurden, ca. 85 % bzw. 70 %. 3
LITERATUR
Anker SD, Comin Colet J, Filippatos G, et al. Ferric carboxymaltose in patients with heart failure and iron deficiency. N Engl
J Med. 2009; 361(25): 2436–48.
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3.2 Herztransplantation
Hae-Young Sohn
KASUISTIK
Anamnese: Ein 49-jähriger Patient mit terminaler Herzinsuffizienz bei dilatativer Kardiomyopathie (› Kap. 3.1) wurde
erfolgreich herztransplantiert. Der klinische Zustand ist stabil und der Patient frei von Herzinsuffizienzzeichen.
120 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Nennen Sie die gängige Medikation zur Immunsuppression bei Patienten nach
HTX?
3
• Kalzineurin-Inhibitoren: Ciclosporin, Tacrolimus
• Hemmer der Inosinmonophosphat-Dehydrogenase: Mycophenolat-Mofetil
• mTOR(Target of Rapamycin)-Hemmer: Sirolimus, Everolimus
• Blocker der Synthese von DNA und RNA: Azathioprin
• Steroide: Prednisolon.
Als Standard wird eine Kombination, die einen Kalzineurin-Inhibitor beinhaltet, eingesetzt, z. B. Tacrolimus
+ Mycophenolat-Mofetil. Bei progressiver Niereninsuffizienz kann ein Kalzineurin-Inhibitor-freies Regime
überdacht werden, z. B. Everolimus + Mycophenolat-Mofetil. Bei langjährig transplantierten Patienten kann
durchaus die Kombination von Ciclosporin + Azathioprin weitergeführt werden. Es ist die Entscheidung des
Zentrums gemeinsam mit dem Patienten, ob die Immunsuppression zugunsten einer moderneren Substanz
geändert werden soll. Oft limitieren beeinträchtigende Nebenwirkungen die „freie“ Auswahl der Medika-
mente.
Worauf ist bei Patienten mit Immunsuppression zu achten, wenn eine zusätzliche
Medikation notwendig ist oder wenn die Medikation geändert werden soll?
Es sollte unbedingt auf Arzneimittelinteraktionen mit den Immunsuppressiva geachtet werden. Hinweise
dazu findet man im Beipackzettel oder in den Fachinformationen. Ist ein Einsatz von Substanzen mit poten-
ziellen Wechselwirkungen nicht zu umgehen, sind engmaschige Überprüfungen der Medikamentenspiegel
notwendig. Weiterhin können Umstände wie Genuss von Grapefruitsaft oder anhaltende Durchfälle die Auf-
nahme der Immunsuppressiva, vor allem der Kalzineurin-Inhibitoren, deutlich beeinflussen. Bei gleichzeiti-
ger Anwendung von Allopurinol soll die Dosis von Azathioprin auf ein Viertel der normalen Dosis reduziert
werden.
Sie sehen den echokardiografischen Befund des Patienten 6 Wochen nach der
HTX (› Abb. 3.3). Wie interpretieren Sie den Befund?
Man erkennt im Vier-Kammer-Blick typischerweise deutlich vergrößerte Vorhöfe (Anastomose auf Vorhof
ebene) bei normaler Ventrikelgröße. Ein Perikarderguss ist in den ersten Wochen nach HTX ein häufiger
Befund. In diesem Fall liegt ein ausgeprägter Erguss vor, der nach 12 Monaten vollständig rückläufig war.
3.2 Herztransplantation 121
Der Patient nach HTX zeigt im Verlauf erneut Symptome einer Herzinsuffizienz.
An welche Differenzialdiagnosen sollten Sie denken?
• Zugang über die V. jugularis interna oder V. femoralis, meist über eine 9-F-Schleuse
• Spezielle flexible Biopsiezange
• Entnahmen aus dem rechten Ventrikel (apikal–septal)
• Mindestens 3–4 Proben
• Histologische Kriterien: nach der Klassifikation der International Society of Heart and Lung Transplanta-
tion (ISHLT, revidierte Version von 2004).
122 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
In den meisten Fällen reicht eine Kortisonstoßtherapie, z. B. Prednisolon 500–1.000 mg/d über 3 Tage aus. In
seltenen Fällen der steroidrefraktären Abstoßung kommen zytolytische Antikörper zum Einsatz. Bei V. a.
humorale Abstoßung kann als Therapieversuch eine Plasmapherese in Kombination mit einem Antikörper
(Rituximab) durchgeführt werden.
LITERATUR
Cooper LT, Baughman KL, Feldman AM, et al. The role of endomyocardial biopsy in the management of cardiovascular di
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ture in the diagnosis of heart rejection. J Heart Lung Transplant. 2005; 24(11): 1710–20.
KASUISTIK
Anamnese: Bei einer 59-jährigen Patientin ist ein CREST-Syndrom bekannt. Sie wird von der rheumatologischen Abtei-
lung in der Kardiologie vorgestellt wegen Leistungsminderung und Kurzatmigkeit bei körperlicher Belastung. Die Be-
schwerden bestehen seit wenigen Monaten und sind langsam progredient. In Ruhe besteht keine Dyspnoe. Die Patientin
ist zuletzt auf NYHA-Stufe (II–)III belastbar. Abends bestehen gelegentlich auch Beinödeme. Des Weiteren berichtet sie
über eine schlechte Verdauung mit Meteorismus, zudem Sodbrennen.
Körperliche Untersuchung: guter EZ und reduzierter AZ. Haut: Teleangiektasien. Schilddrüse unauffällig. Halsvenen
gering gestaut. Pulmo: vesikuläres Atemgeräusch, basale mittelblasige RG bds. Cor: Blutdruck 130/80 mmHg. Puls 80/
min. Herztöne rhythmisch, rein, keine vitientypischen Geräusche. Abdomen: gebläht, weich, Darmgeräusche über allen
vier Quadranten regelrecht. Nierenlager nicht klopfschmerzhaft, dezente Unterschenkelödeme bds. Peripherer Pulsstatus
unauffällig.
• Herzinsuffizienz/Kardiomyopathie
• Koronare Herzerkrankung
• Vitium
• Chronische Lungenembolien
• Strukturelle Lungenerkrankung im Rahmen der Kollagenose
• Pulmonale Hypertonie im Rahmen der Kollagenose
• Anämie.
Neben der kardiologischen Standarddiagnostik ist bei der Patientin zu berücksichtigen, dass sie an einer Kol-
lagenose (CREST) erkrankt ist. Daher sind neben der üblichen kardiologischen Diagnostik erweiterte pneu-
mologische Funktionsuntersuchungen indiziert.
124 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG (› Abb. 3.6) der Patientin bei
Aufnahme.
Befund: Kardiomegalie. Kein Pleuraerguss. Schlankes Mediastinum. Prominente Hili bds. mit Kalibersprung.
Emphysemaspekt.
Die Laborwerte zeigten keine richtungsweisend veränderten Befunde. ProBNP war leicht erhöht.
3.3 Leistungsminderung bei rheumatologischer Grunderkrankung 125
Welche echokardiografischen
Parameter können zur Beurteilung von
Rechtsherzbelastung bzw. -insuffizienz
herangezogen werden?
• RV-Größe, RV-Wanddicke
• LV-Exzentrizitätsindex (B-Mode)
• TAPSE (Tricuspid Annular Plane Systolic Excursi-
on, M-Mode)
• RV-Wandbewegung mittels Tissue-Doppler (Tri-
cuspid Annular Systolic Velocity)
• TEI-Index (auch Myocardial Performance Index).
Es sollte eine Rechtsherzkatheteruntersuchung folgen. Die invasive Diagnostik ist immer noch Standard, um
einerseits die PAH zu sichern und andererseits die weitere Therapieplanung bestimmen zu können.
Bei Typ-II-pulmonaler Hypertonie: PCW ↑, TPG ↓, WE ↓, PVR ↓. Entscheidend ist, dass der PCW bei
Linksherzinsuffizienz erhöht ist. Damit wird der TPG erniedrigt und es errechnet sich ein erniedrigter PVR.
Bei der Differenzierung der prä- und postkapillären Formen der pulmonalen Hypertonie spielt die invasive
Diagnostik eine zentrale Rolle. Anhand der ermittelten Druckwerte wird der Parameter transpulmonaler Gra-
dient berechnet. Zur Widerstandsberechnung (Wood-Einheit bzw. PVR) wird das Herzzeitvolumen benötigt.
Prinzipiell kommen im klinischen Alltag zwei unterschiedliche Verfahren zum Einsatz. Bei Verwendung des
Swan-Ganz-Einschwemmkatheters wird zur Berechnung des HMV die Thermodilutionsmethode herangezo-
3.3 Leistungsminderung bei rheumatologischer Grunderkrankung 127
gen. Als Indikator wird eine Flüssigkeit (physiologische Kochsalzlösung oder 5-prozentige Glukoselösung)
mit definierter Temperatur injiziert, die dem Blut eine bestimmte Wärmemenge entzieht. Dadurch wird im
Gefäß distal eine Temperaturabsenkung verursacht, die mithilfe eines Thermistors, der sich an der Spitze des
Katheters befindet, registriert werden kann (› Tab. 3.3). Die wichtigste Fehlerquelle ist die Trikuspidalin-
suffizienz.
V = Injektatvolumen
HZV = B(
V× T T
I ×K ) TB = Bluttemperatur
TI = Injektattemperatur
∆T
ò B × dt
ò DT × dt = Fläche unter der Thermodilutionskurve
B 3
K = Kalibrierungsfaktor
Beim Fick-Prinzip wird als Indikator „Sauerstoff“, der mittels Blutgasanalyse gemessen wird, verwendet.
Nach diesem Prinzip ist die arteriovenöse Differenz der Sauerstoffmenge gleich der in der Lunge aufgenom-
menen Sauerstoffmenge. Die zur Berechnung herangezogene Sauerstoffaufnahme wird jedoch aus methodi-
schen Gründen nicht direkt gemessen (aufwendige Spirometrie notwendig), sondern aus Normtabellen ent-
nommen.
Bei der Vasoreagibilitätsprüfung wird überprüft, ob die Gabe eines Vasodilatators eine relevante Senkung des
pulmonalarteriellen Drucks auslöst (› Tab. 3.4). Ist die Vasoreagibilitätsprüfung positiv, wäre prinzipiell
eine Therapie mit hoch dosiertem Kalziumantagonisten indiziert. Die Testung wird bei Patienten mit idiopa-
thischen und hereditären Formen der pulmonalarteriellen Hypertonie empfohlen (Level IC). Für andere For-
men der pulmonalen Hypertonie ist die Vasoreagibilitätsprüfung nach den Leitlinien der ESC von 2009 nicht
zwingend (Level IIbC).
128 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Supportive Therapiemaßnahmen:
• Sauerstoff-Langzeittherapie: Die Empfehlung richtet sich nach der allgemeinen Leitlinie für die Langzeit-
Sauerstofftherapie (Level IC).
• Antikoagulation: Es besteht eine Empfehlung für die idiopathischen und hereditären Formen der pulmo-
nalarteriellen Hypertonie (Level IIaC) und für die pulmonale Hypertonie durch chronische Thrombembo-
lien (Level IC). Bei Patienten mit assoziierter pulmonaler Hypertonie bestimmt die Grunderkrankung den
Indikationslevel (z. B. PAH im Rahmen von Kollagenose: Level IIaC; PAH im Rahmen einer HIV-Infekti-
on: Level IIIC).
• Diuretika: sind indiziert bei Patienten mit Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz oder Flüssigkeitsretention
(Level IC).
Medikamentöse Therapie:
• Kalzium-Antagonisten: Die Indikation kann überprüft werden bei Patienten mit idiopathischen und he-
reditären Formen der pulmonalarteriellen Hypertonie (Level IC für NYHA-Klasse IIII). Die hoch dosierte
Therapie wird allerdings aufgrund Hypotonie schlecht vertragen. Insgesamt ist die Ansprechrate auf hoch
dosierte Kalzium-Antagonisten-Therapie gering.
• Digoxin: Bei Patienten mit Vorhofflimmern zur Frequenzkontrolle (Level IIbC).
Spezifische medikamentöse Therapie:
• Endothelinantagonisten: Bosentan, Ambrisentan (Level IA für NYHA II-III); Sitaxentan wurde 12/2010
wegen Lebertoxizität vom Markt genommen. Die Wirksamkeit des dualen Endothelin-Rezeptor-Antago-
nisten Macitentan wurde kürzlich in der SERAPHIN-Studie gezeigt.
• Phosphodiesterase(PDE)-5-Hemmer: Sildenafil (Level IA für NYHA II–III), Tadalafil (Level IB für NYHA
II–III).
• Prostazyklin: Iloprost inhalativ (Level IA für NYHA III).
3.3 Leistungsminderung bei rheumatologischer Grunderkrankung 129
Grundsätzlich wird mit einer Monotherapie begonnen. Bei Progression der Erkrankung kann eine Kombina-
tion der spezifischen Substanzen erwogen werden, auch wenn bisher zur Kombinationstherapie Daten aus
randomisierten Studien fehlen.
Welche Typen der pulmonale Hypertonie sind bisher überprüft für den Einsatz
von Endothelinantagonisten, PDE-5-Hemmer und Prostanoide?
• Typ I (pulmonalarterielle Hypertonie): Die Indikation ist überprüft; es besteht eine Zulassung im Stadi-
um NYHA II–III (Level IA).
• Typ II (postkapilläre Hypertonie bei Linksherzerkrankung): Bei Einsatz der Medikation wird eine ver-
mehrte linksventrikuläre Belastung mit Verschlechterung der Hämodynamik vermutet. Bisher liegen je- 3
doch keine ausreichenden Daten dazu vor. Der Einsatz spezifischer Medikation wird nicht empfohlen
(Level IIIC).
• Typ III (Hypoxie-assoziiert): Es wird pathophysiologisch eine vermehrte Shunt-Durchblutung nichtven-
tilierter Lungenareale vermutet (durch Euler-Liljestrand-Mechanismus). Kleinere klinische Studien zei-
gen daher eher eine Verschlechterung der Hypoxämie bei COPD-Patienten unter Endothelin-Blocker. Der
Einsatz spezifischer Medikation wird daher nicht empfohlen (Level IIIC).
• Typ IV (chronisch thrombembolische Ursache, CTEPH): Bisherige klinische Studien zeigen, dass mögli-
cherweise Endothelinantagonisten bei CTEPH ein Therapieansatz darstellen könnten. Größere randomi-
sierte Studien liegen jedoch nicht vor. Der Einsatz spezifischer Medikation kann bei Patienten, die nicht
für die Pulmonalis-Endarterektomie infrage kommen, diskutiert werden (Level IIbC). Die randomisierte,
kontrollierte BENEFiT-Studie hat bisher nur eine hämodynamische, aber keine funktionelle Besserung
der Patienten unter Bosentan-Therapie nachweisen können. Positive Effekte auf Belastungskapazität und
pulmonalen Widerstand wurden unlängst in der CHEST-1-Studie für Riociguat nachgewiesen, einen Sti-
mulator der löslichen Guanylatzyklase.
Die Lebenserwartung bei Typ-I-PAH liegt bei wenigen Jahren. Die Prognose der Patienten mit Kollagenose
wird durch das Auftreten von PAH entscheidend beeinflusst.
Die Lungentransplantation (LTX) ist eine Therapieoption im terminalen Stadium der pulmonalarteriellen
Hypertonie. Der Erfolg der LTX wird deutlich durch eine fortgeschrittene rechtsventrikuläre Insuffizienz ein-
geschränkt, diese gilt als eine relative Kontraindikation für eine alleinige LTX. Grundsätzlich wird eine bilate-
rale LTX angestrebt. Die 5-Jahres-Überlebensrate nach LTX beträgt derzeit nach der letzten Datenauswer-
tung der International Society for Heart and Lung Transplantation bei Patienten mit PAH ca. 50–60 %.
LITERATUR
Yusen RD, Christie JD, Edwards LB, et al. The Registry of the International Society for Heart and Lung Transplantation: Thir
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130 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
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KASUISTIK
Bei einer 57-jährigen Patientin besteht eine belastungsinduzierte Dyspnoe seit mehreren Monaten. Ihnen fällt bei einer
Routineuntersuchung eine große Blutdruckamplitude mit niedrigem diastolischem Druck auf. Bei der Herzauskultation
bemerken Sie ein diastolisches Decrescendogeräusch. Der Blutdruck beträgt 150/60 mmHg, Puls 75/min, regelmäßig. Die
weitere körperliche Untersuchung ist unauffällig; die Patientin gibt sonst keine weiteren Beschwerden an.
Kein Fieber; keine bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren.
• Palpitationen, im weiteren Verlauf Abnahme der Leistungsbreite und Linksherzinsuffizienz mit nächtli-
cher paroxysmaler Dyspnoe, Belastungsdyspnoe, Lungenödem.
• Pulsatorische Phänomene als Folge der großen Blutdruckamplitude, insbesondere niedriger diastolischer
Druck: pulssynchrones Dröhnen im Kopf, sichtbare Pulsationen der Karotiden, sichtbarer Kapillarpuls
nach leichtem Druck auf Fingernagel, pulssynchrones Kopfnicken (Musset).
• Herzspitzenstoß bei exzentrischer Linkshypertrophie verbreitert und nach unten außen verlagert.
• Diastolisches Decrescendogeräusch sowie ggf. funktionelles spindelförmiges Systolikum infolge relativer
Aortenklappenstenose und Austin-Flint-Geräusch (rumpelndes spätdiastolisches Geräusch).
• Atypische Thoraxschmerzen, pektanginöse Beschwerden bei subendokardialer Ischämie. 3
Rhythmusstörungen, Angina pectoris und plötzlicher Herztod sind bei der Aortenklappeninsuffizienz selte-
ner als bei der Aortenklappenstenose.
Abb. 3.10 Röntgen-Thorax unserer Patientin: Allseits über die Norm vergrößertes Herz; Aorta ascendens in der p. a.-Aufnahme
rechts randbildend, Aufweitung des Aortenbogens, die Seitaufnahme zeigt eine Vorverlagerung der ventralen Kontur der A. ascen-
dens; kein umschriebenes Infiltrat, kein Pleuraerguss; Trachea ist mittelständig; prominentes Mediastinum [M756]
Abb. 3.11 Echokardiogramm: Spektrumprofil des Insuffizienzjets mit Druckhalbwertszeit (PHT). Dargestellt wird oben links das
Flussgeschwindigkeitsprofil des Insuffizienzjets über der Aortenklappe mit Analyse über dem linksventrikulären Ausflusstrakt (kon-
tinuierlicher Doppler, 5-Kammer-Blick) mit der Ermittlung der Druckhalbwertszeit des Insuffizienzjets; diese beträgt > 250 ms. Oben
rechts in der parasternal kurzen Achse die Ansicht auf die bikuspide Aortenklappe [M756]
Die AI-Graduierung erfolgt zunächst echokardiografisch semiquantitativ; als nichtinvasive Diagnostik steht
alternativ die MR-Angiografie zur Verfügung, die auch eine Quantifizierung der Regurgitationsfraktion er-
laubt (› Tab. 3.5).
3.4 Belastungsabhängige Atemnot 133
Weitere Kriterien, die für eine schwere AI sprechen, sind: dichtes cw-Signal, holodiastolische Flussumkehr in
der Aorta descendens und Aorta abdominalis, „effective regurgitant orifice area“ > 30 mm2, Regurgitations-
volumen > 60 ml/Schlag (ESC 2012). 3
Wenn nach nichtinvasiver Bildgebung Unklarheit oder eine Diskrepanz zu den klinischen Untersuchungser-
gebnissen besteht, ist eine Darstellung der Aortenwurzel sowie die Messung der linksventrikulären Füllungs-
drücke indiziert (Klasse IB). Vor geplanter Klappenersatzoperation ist eine Koronarangiografie indiziert bei
Patienten mit erhöhtem Risiko für eine koronare Herzerkrankung.
• Grad I: Geringe Kontrastmittelmenge erreicht diastolisch den linksventrikulären Ausflusstrakt und wird
systolisch wieder vollständig ausgeworfen; Regurgitationsfraktion < 20 %.
• Grad II: diastolisch Anfärbung des gesamten linken Ventrikels (LV); Regurgitationsfraktion 20–40 %.
• Grad III: deutliche Anfärbung des gesamten LV; gleiche Kontrastintensität im LV und in der Aorta; Re-
gurgitationsfraktion 40–60 %.
• Grad IV: komplette Anfärbung des gesamten LV während eines Herzzyklus; Kontrastierung im LV inten-
siver als in der Aorta; Regurgitationsfraktion > 60 %.
Die Verdachtsdiagnose einer Aortenklappeninsuffizienz hat sich damit bestätigt. Es handelt sich jedoch nicht um eine
schwere Aortenklappeninsuffizienz.
Wie gehen Sie weiter vor? Was ist die wahrscheinliche Ätiologie?
Bei akuter Aortenklappeninsuffizienz kommt es zum raschen Anstieg des linksventrikulären enddiastoli-
schen (LV-end) und atrialen Drucks. Aufgrund der fehlenden kompensatorischen Dilatation des linken Ven-
trikels resultiert eine Reduzierung des Schlagvolumens. Eine kompensatorische Tachykardie hält die Pump-
leistung aufrecht. Lungenödem und kardiogener Schock sind häufige Komplikationen. Die Annäherung des
LV-end an den diastolischen Aortendruck bzw. den koronaren Perfusionsdruck reduziert die myokardiale
Perfusion mit möglicher kardialer Ischämie.
Bei der chronischen Aortenklappeninsuffizienz resultiert ein vergrößertes Schlagvolumen mit nachfol-
gender Volumenbelastung des linken Ventrikels. Durch eine Zunahme der Ventrikelcompliance kommt es
zunächst nicht zu einer Erhöhung des Füllungsdrucks. Es entwickelt sich eine kombiniert exzentrische und
3 konzentrische Linksherzhypertrophie. Die exzentrische Hypertrophie ist von einer Neuordnung myokardia-
ler Muskelfasern begleitet. Die andauernde systolische Wandbelastung erhöht die kardiale Nachlast (Kombi-
nation aus Volumen- und Druckbelastung). Im Spätstadium kommt es zur Abnahme der Ventrikelcompli-
ance, zum Anstieg des enddiastolischen Ventrikeldrucks und des endsystolischen Volumens wie oben be-
schrieben. Bei lang andauernder Insuffizienz drohen irreversible Myokardschäden. Die systolische LV-Funk-
tion sowie die endsystolische Dimension sind die entscheidenden Prädiktoren für die Prognose und die
postoperative Pumpfunktion.
Im Rahmen einer bakteriellen Endokarditis, nach einem Trauma oder bei einer
Aortendissektion Typ A kann es zu einer akuten Aortenklappeninsuffizienz
kommen. Welche Leitbefunde finden Sie dann?
Wann stellen Sie die Indikation zur chirurgischen Therapie (› Abb. 3.12)?
Aortenklappeninsuffizienz ja
mit relevanter Dilatation
der Aorta ascendens
nein
3
Schwere
Aortenklappeninsuffizienz
nein ja
ja
Symptome
nein
Operative
Follow-up
Sanierung
Abb. 3.12 Flussdiagramm für die chronische schwere Aortenklappeninsuffizienz, modifiziert nach ACC/AHA [L106]
Wie schätzen Sie die Langzeitprognose bei schwerer symptomatischer AI ein, mit
und ohne Aortenklappenersatz?
Patienten mit einer schweren symptomatischen AI haben eine schlechte Langzeitprognose; bei Auftreten von
Symptomen liegt das Mortalitätsrisiko ohne operative Behandlung bei 10–20 %/Jahr. Die perioperative Mor-
talität ist bei isoliertem Klappenersatz niedrig (1–4 %). Die Mortalität steigt jedoch mit dem Alter, einge-
schränkter Pumpfunktion sowie der Notwendigkeit einer Bypass-Operation (3–7 %). Die Fünf-Jahres-Über-
lebensrate beträgt mit Aortenklappenersatz ca. 85 %, ohne Ersatz ca. 40 %, die Zehn-Jahres-Überlebensrate
mit Ersatz ca. 80 %, ohne Ersatz ca. 30 %.
136 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Die Langzeitprognose ist umso besser, je geringer die präoperative linksventrikuläre Dysfunktion und je
jünger die Patienten zum Zeitpunkt des Klappenersatzes sind.
Bei asymptomatischen Patienten mit schwerer AI und gut erhaltener LV-Funktion ist das Risiko für klinische
Ereignisse gering; bei einer Strukturveränderung des linken Ventrikels mit Erhöhung des endsystolischen
Diameters > 50 mm steigt das Risiko für Mortalität, Auftreten von Symptomen oder eingeschränkter Pump-
funktion bis 20 %/Jahr.
3 Regelmäßige Verlaufskontrolle: bei erhaltener systolischer Ventrikelfunktion und endsystolischem Durch-
messer des linken Ventrikels < 50 mm alle 12 Monate klinische Evaluation und Echokardiografie alle 2 Jahre.
• Eine Antibiotikaprophylaxe der infektiösen Endokarditis wird nach Aktualisierung der Leitlinien 2007
nur noch für kardiale Erkrankungen mit sehr hohem Risiko empfohlen.
• Körperliche Bewegung, jedoch kein Wettkampfsport oder schwere körperliche Belastung bei hämodyna-
misch signifikanter Aortenklappeninsuffizienz.
• Vasodilatatoren bei Aorteninsuffizienz jeden Grades zusammen mit arterieller Hypertonie und bei schwe-
rer Aorteninsuffizienz mit vergrößertem linken Ventrikel.
• Bradykardisierende Medikation eher zurückhaltend anwenden.
Unsere Patientin hat keine schwere AI, somit besteht derzeit keine Indikation für eine OP. Es wird zunächst eine medika-
mentöse Therapie zur Nachlastsenkung mit Vasodilatatoren sowie einem Diuretikum begonnen. Die Patientin war im
weiteren Verlauf asymptomatisch.
Bei Patienten mit einer bikuspiden Aortenklappe und Dilatation der Aortenwurzel oder der Aorta ascendens (> 4 cm)
sollten jährliche Kontrollen durchgeführt werden (Echokardiografie, MRT) (Klasse IC).
Echokardiografische Kontrollen werden postoperativ durchgeführt zur Analyse der LV-Dimension und
-Funktion sowie Überprüfung der Prothesenfunktion. Die Normalisierung der enddiastolischen Dimensio-
nen postoperativ ist ein Prädiktor für eine Verbesserung der LV-Funktion im Verlauf. Kontrolluntersuchun-
gen können nach initialer Evaluierung nach 6 und 12 Monaten, dann jährlich bei klinischer Beschwerdefrei-
heit durchgeführt werden.
LITERATUR
2008 Focused Update Incorporated into th ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients With Valvular Heart
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3.5 Progrediente Atemnot 137
KASUISTIK
Über die Notaufnahme wird ein 65-jähriger Patient stationär aufgenommen. Die Überweisung erfolgt durch den Hausarzt.
Seit ca. 2 Wochen besteht eine belastungsabhängige Atemnot.
Die körperliche Untersuchung zeigt einen Patienten mit normalem EZ und reduziertem AZ, keine Zyanose, kein Ikterus,
Jugularvenendruck gering erhöht, die Herzfrequenz liegt bei 145/min, der Puls ist arrhythmisch, die Atemfrequenz liegt
bei 18/min, RR: 120/85 mmHg, SO2: 95 %; bei Auskultation sind die Herztöne rein, 2⁄6-Systolikum über Aorta mit Fortlei-
tung in die Karotiden, Pulmo: basal feuchte RG, kein Giemen.
BGA: SO2: 92 %, pO2: 64,8, pCO2: 30,3, pH: 7,44
Labor: kardiale Marker und D-Dimer erhöht.
3
Die belastungsinduzierte Dyspnoe ist das Leitsymptom der Linksherzinsuffizienz (› Tab. 3.6).
Bei führender Dyspnoe und fehlender AP wird zunächst ein CT-Thorax mit der Frage Lungenembolie durch-
geführt.
3.5 Progrediente Atemnot 139
Befund CT-Angiografie Pulmonalis: Kein Nachweis einer zentralen oder peripheren Lungenembolie; keine Rechts-
herzbelastungszeichen; Pleuraergüsse beidseits, rechts führend (nicht punktionswürdig) mit angrenzenden Verdichtungs-
arealen rechts und Bronchialwandverdickungen/DD initiale Bronchopneumonie rechts/DD Atelektasen; kein Nachweis
von suspekten intrapulmonalen Rundherden oder eines Pneumothorax. Das Herz ist deutlich über die Norm vergrößert,
linksventrikulär konfiguriert; ausgeprägte Verkalkungen der Aortenklappe; die übrige Aorta thoracalis weist nur verein-
zelte kleine harte Plaques auf. Zudem zeigen sich Verkalkungen der LAD und der LCX. Die übrigen großen thorakalen
Gefäße stellen sich regelrecht dar.
Nach Ausschluss einer Lungenembolie und erhöhten kardialen Markern (Troponin) wird bei kardialer Dekompensation
und ACS eine invasive Diagnostik durchgeführt.
Was haben Sie an der Lävokardiografie auszusetzen? Die halbtransparenten Blenden sind nicht optimal
platziert.
Befund Linksherzkatheter:
• Lävokardiografie: vergrößerter linker Ventrikel mit global eingeschränkter Funktion (LV-EF: 27 %,
LV-EDP: 18 mmHg); regionale Kontraktionsstörungen anterior und apikal; keine relevante Mitralinsuffi-
zienz. Es findet sich ein Druckgradient über der Aortenklappe (peak to peak: 15 mmHg).
• Koronarangiografie: Der Hauptstamm ist distal mittelgradig stenosiert, der RIVA medial verschlossen.
Der RCX ist ostial sowie im Verlauf mehrfach hochgradig stenosiert. Die RKA ist mehrfach mittelgradig
stenosiert und versorgt über Kollaterale die distale RIVA als Hinweis für einen chronischen Verschluss.
Die invasive Diagnostik ergibt jetzt eine ischämische Kardiomyopathie sowie einen Druckgradienten über
der Aortenklappe. Die akute kardiale Dekompensation ist am wahrscheinlichsten durch tachykard übergelei-
3 tetes Vorhofflimmern verursacht. Daher wird zunächst eine elektrische Kardioversion geplant. Davor soll ei-
ne Echokardiografie einschließlich TEE erfolgen.
Echokardiografie: Die Aortenwurzel ist normal weit. Aortenklappe: mäßige Insuffizienz (PHT: 335 ms, V. contracta:
6 mm); Hämodynamik: Vmax = 3,05 m/s, dpmax = 37 mmHg, dpmean = 22 mmHg. RA: normale Größe (visuell beurteilt), LA:
gering vergrößert, RV: normale Größe, Wanddicke normal, RV-Funktion gering eingeschränkt. LV: normale Größe, Wän-
de gering verdickt. Mäßige systolische Globalfunktionseinschränkung (planimetrische EF ∼32 %). Mitralklappe: Bewe-
gung normal, deutliche Insuffizienz (V. contracta: 8 mm), keine Stenose; TK: Bewegung normal, geringe Insuffizienz, dpmax
RV/RA = 27 mmHg (› Abb. 3.16).
Abb. 3.16 Oben links dargestellt das Flussgeschwindigkeitsprofil mit Analyse über dem linksventrikulären Ausflusstrakt (kontinu-
ierlicher Doppler, 5-Kammer-Blick) sowie rechts die Ermittlung der Druckhalbwertszeit des Insuffizienzjets (cw-Doppler, 5-Kammer-
Blick) [M756]
Befund TEE: keine intrakavitären Thromben im eingesehenen Bereich (LA, LAA, RA, LV). Aortenklappe deutlich verdickt;
Öffnungsbewegung deutlich reduziert. Planimetrie der AK bei tachykarder Kammerfrequenz nicht durchgeführt.
Es besteht nun bei vorliegendem kombinierten Aortenklappenvitium der V. a. eine möglicherweise hochgra-
dige Aortenklappenstenose, die aufgrund der eingeschränkten LV-Funktion hämodynamisch nicht eindeutig
klassifiziert werden kann (Niedrig-Gradient-Aortenklappenstenose). Zunächst ist eine kardiale Rekompen-
sation notwendig.
Nach den Befunden der Echokardiografie kann eine elektrische Kardioversion durchgeführt werden; in der
Folge kann ein Sinusrhythmus installiert werden.
3.5 Progrediente Atemnot 141
Die hämodynamisch relevante Aortenstenose führt durch Zunahme der Wandspannung im linken Ventrikel
zu einer konzentrischen Hypertrophie. Die reduzierte Compliance des Ventrikels und die Erhöhung des
linksventrikulären enddiastolischen Füllungsdrucks resultieren in einer diastolischen Dysfunktion.
Die vermehrte atriale Kontraktion trägt jetzt entscheidend zur Kammerfüllung bei, zunächst ohne Erhö-
hung des mittleren atrialen oder pulmonal-venösen Drucks. Bei einem Ausfall der atrialen Kontraktion, wie
z. B. bei Vorhofflimmern, kann es daher zu einer plötzlichen klinischen Verschlechterung kommen, wie im
vorliegenden Fall.
Im Verlauf der Erkrankung kommt es nach Erschöpfung der Kompensationsmechanismen zu einer Gefü- 3
gedilatation mit Funktionseinschränkung, bedingt durch eine reduzierte Kontraktilität des linken Ventrikels
oder die stark erhöhte Nachlast. Dadurch wird der transvalvuläre Gradient reduziert und die hochgradige
Aortenklappenstenose verkannt.
Die Echokardiografie unter niedrig dosierter Dobutaminstimulation ist hilfreich bei der Entscheidung zum
Aortenklappenersatz bei Patienten mit reduzierter linksventrikulärer Funktion, insbesondere zur Klärung
der Ursache der Funktionseinschränkung (klappenassoziiert oder eigenständige dilatative Kardiomyopa-
thie).
Unter einer Dosierung von Dobutamin bis 20 μg/kg/min kam es nach Studien nicht zu Komplikationen bei
Patienten mit Aortenstenosen. Bei dieser Untersuchung wird die Zunahme des linksventrikulären Schlagvo-
lumens (kontraktile Reserve) sowie des transvalvulären Druckgradienten gemessen.
Kommt es unter erhöhtem Schlagvolumen zu einer Erhöhung des Druckgradienten (fixierte Stenose), so
ist die Aortenstenose ursächlich für die Funktionsverschlechterung und eine OP-Indikation gegeben. Kommt
es hingegen unter erhöhtem Schlagvolumen zu einem Rückgang der Stenose mit größerer Klappenfläche
(Pseudostenose), ist von einer Operation keine Besserung zu erwarten.
Neben der diagnostischen Wertigkeit ermöglicht diese Methode auch eine Risikostratifizierung. Patienten
mit einer guten kontraktilen Reserve (Erhöhung der EF um ca. 20 %) haben eine geringere perioperative
Mortalität. Es besteht überdies bei diesen Patienten die Möglichkeit einer Verbesserung der Pumpfunktion
postoperativ. Bei fehlender kontraktiler Reserve ist offenbar der Myokardschaden irreversibel und das peri-
operative Risko höher.
Eine weitere Diagnostik der Klappenöffnungsfläche kann durch TEE erfolgen (direkte Planimetrie).
Abb. 3.17 Oben dargestellt das Flussgeschwindigkeitsprofil über der Aortenklappe vor Belastung (links) und nach Gabe von
20 μg/kg/min Dobutamin (rechts). Nach Kardioversion in Sinusrhythmus ist bereits der Ruhegradient über der Aortenklappe ange-
stiegen (Vmax: 3,05 m/s auf 3,42 m/s) [M756]
Nach den vorliegenden Ergebnissen geht man aufgrund der Erhöhung des Stenosegrades unter Belastung
von einer relevanten Aortenklappenstenose mit linksventrikulärer Funktionseinschränkung aus. Daneben
besteht eine ischämische Kardiomyopathie mit einer schweren koronaren Dreigefäßerkrankung.
Mit Dobutamin-Stressechokardiografie konnte eine gute kontraktile Reserve mit deutlicher Verbesserung
der Pumpfunktion nachgewiesen werden. Dies stellt auch einen Vitalitätsnachweis für das Myokard, insbe-
sondere das RIVA-Stromgebiet, dar.
Es besteht daher eine Indikation für eine Aortenklappenersatz-Operation sowie eine komplette Bypassver-
sorgung.
Die sog. „low flow, low gradient“ (Schlagvolumenindex < 35 ml/m2, mittlerer Gradient < 40 mmHg) schwe-
re Aortenklappenstenose (Fläche< 1,0 cm2) kann auch mit gut erhaltener linksventrikulärer Pumpfunktion
auftreten; insbesondere bei älteren Patienten mit arterieller Hypertonie und infolge relevanter konzentri-
scher Hypertrophie des linken Ventrikels. Mit Doppler-Fluss-Messungen kann in Einzelfällen eine Klappen-
stenose unterschätzt werden. Eine Bildgebung mittels Kardio-MRT oder eine invasive Analyse der Hämody-
namik kann hier ergänzend angewendet werden.
LITERATUR:
2008 Focused Update Incorporated into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients With Valvular Heart
Disease. Circulation 2008 118:e523–e661 (Focus Update).
ESC-Guidelines on the management of valvular heart disease (version 2012). Eur Heart J 2012; 33:2451–2496.
KASUISTIK
Anamnese: Ein 75-jähriger Mann klagt über zunehmende Dyspnoe unter Belastung. Die Beschwerden traten zuletzt
bereits bei geringer Belastungsstufe (Treppensteigen ins 1. Stockwerk) auf. Anamnestisch besteht lediglich eine langjäh-
rige arterielle Hypertonie, die mit Captopril 25 mg 1-0-1 behandelt worden sei.
3.6 Dyspnoe bei langjährigem Bluthochdruck 143
Körperlicher Untersuchungsbefund: 176 cm groß, 98 kg schwer, BMI 31,6, RR 155/95 mmHg, Herzfrequenz 88/min,
Herztöne rhythmisch, rein, keine Herzgeräusche. Über den basalen Lungenabschnitten geringe RGs. Der JVD ist erhöht.
Die Leber ist palpatorisch nicht beurteilbar bei Adipositas. Keine Beinödeme.
Röntgen-Thorax: Das Herz ist gering vergrößert. Keine pneumonietypischen Infiltrate. Diskrete pulmonalvenöse Stau-
ung. Keine Pleuraergüsse. 3
Lungenfunktionsdiagnostik (Bodyplethysmografie):
Die am häufigsten durchgeführte Lungenfunktionsmessung ist die Spirometrie. Hierbei wird mit einem Fluss-
sensor der Luftstrom beim Atmen gemessen. Neben der Ruheatmung wird bei der Spirometrie eine maximale
Aus- und Einatmung gefordert. Da hierbei ständig die Strömung gemessen wird, lassen sich neben den Strö-
mungswerten wie Peak Flow (engl. peak expiratory flow, PEF) und verschiedenen exspiratorischen Atemstrom-
stärken (z. B. maximal expiratory flow, MEF) auch Lungenvolumina wie Vitalkapazität (VC), exspiratorisches
Reservevolumen (ERV) und Ruheatemzugvolumen (VT, auch TV von engl. tidal volume) bestimmen. Die FEV1
(auch Tiffeneau-Test) entspricht dem forcierten exspiratorischen Volumen in einer Sekunde – das ist die Luft-
menge, die der Patient mit aller Kraft und möglichst schnell innerhalb einer Sekunde ausatmen kann. Neben
den Messwerten wird die Spirometrie auch grafisch dargestellt. Die geläufigste Darstellung ist die Fluss-Volu-
men-Kurve. Der Fluss des Atemstroms (y-Achse) wird hier nicht gegen die Zeit, sondern gegen das ausgeatmete
Volumen (x-Achse) aufgetragen. Mit dieser Darstellung lassen sich besonders leicht krankhafte Veränderungen
sehen. Auch ist die Grafik unerlässlich, um die Mitarbeit des Probanden bei der Messung zu bewerten.
Eine weitere Methode der Lungenfunktionsmessung ist die Bodyplethysmografie mit der Messung des Atem-
wegswiderstands. Das Problem einer Widerstandsmessung der gesamten Atemwege ist, den Luftdruck in den Lun-
genbläschen zu bestimmen, der die gemessenen Luftströmung durch die Bronchien auslöst. Je höher dieser in den
Lungenbläschen aufgebaute Druck sein muss, um eine bestimmte Strömung zu erzeugen, desto mehr muss man
sich beim Atmen anstrengen und desto höher ist der Atemwegswiderstand (Resistance). Da bei der Bodyplethys-
mografie das Luftvolumen in der Lunge bestimmt werden kann, sind weitere Messgrößen möglich, z. B. das maxi-
mal mögliche Luftvolumen in der Lunge (TLC) und das nicht ausatembare Restvolumen der Lunge (RV). Für diese
Werte ist es aber notwendig, während der Messung auch eine Spirometrie durchzuführen. Dies wird in der Regel
auch gemacht. Ebenso wird in der Regel auch eine Blutgasanalyse im hyperämisierten Kapillarblut durchgeführt.
Die Lungenfunktionanalyse mit Spirometrie, Bodyplethysmografie und Blutgasanalyse liefert also Hinwei-
se für das Vorliegen einer obstruktiven oder restriktiven Lungenerkrankung, zu den Lungenvolumina und
zur Oxygenierung des Blutes.
144 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Zusammengefasst ergibt sich bei unserem Patienten zunächst kein Hinweis auf das Vorliegen einer rele-
vanten, die Dyspnoe erklärenden pulmonalen Erkrankung.
EKG: SR, Frequenz 88/min, Linkstyp, P= 0,1 s, PQ = 0,18 s, QRS-Breite = 0,11 s, QT Zeit = 0,42 Sekunden. Sokolow-
Lyon-Index = 4 mV, der Stromkurvenverlauf zeigt unspezifische Repolarisationsstörungen.
Echokardiografie: Normale systolische globale und regionale LV-Funktion. Linker Vorhof deutlich vergrößert, die Ven-
trikel normal groß. Deutliche Linkshypertrophie (Septum 15 mm). Mitralanuluskalk. Aortenklappe gering sklerosiert, nor-
mal öffnend. Geringe Trikuspidalklappeninsuffizienz mit Druckgradient von 35 mmHg, E/A = 0,6, Dezelerationszeit (Mit-
ralklappe) 250 ms, E/E'13.
Belastungs-EKG: stufenweise Belastung über je 2 Minuten mit 50, 75 und 1 Minute 100 Watt. Abbruch bei körperlicher
Erschöpfung und Dyspnoe. Maximale Herzfrequenz 112/Minute, entsprechend 77 % vom Sollwert. Maximaler Blutdruck
230 mmHg systolisch bei max. Belastung. Keine Änderung der vorbestehenden Repolarisationsstörungen.
3
Kann nach dem Belastungs-EKG eine koronare Herzerkrankung als Ursache der
Dyspnoe ausgeschlossen werden?
Mit einem Belastungs-EKG lässt sich eine koronare Herzerkrankung nie ausschließen! Selbst bei erreichter
Ausbelastungsfrequenz (nur 36 % der Patienten erreichen die Ausbelastungsfrequenz) beträgt die Sensitivität
lediglich 68 % (› Kap. 8.1, › Kap. 8.2)!
Testverfahren Patienten Sensitivität Spezifität prädiktiver Wert
Belastungs-EKG 24.047 68 % 77 % 73 %
In unserem Fall dient das Belastungs-EKG zur Dokumentation der Belastbarkeit bis zum Auftreten der Dys-
pnoe und zur Beobachtung des Blutdruckverhaltens!
Kennen Sie Laborwerte, die für die Differenzialdiagnose der Dyspnoe hilfreich
sein können?
• Das C-reaktive Protein (CRP) gibt Hinweise, ob eine entzündliche Erkrankung vorliegt.
• Das Blutbild liefert ebenfalls Hinweise auf eine Entzündung (Leukozytose), auf ein Asthma bronchiale
(Eosinophilie) oder auf chronische Herz- und Lungenerkrankungen (Polyglobulie) oder eine Anämie.
• Die D-Dimere sind bei Lungenembolie erhöht.
• BNP und NT-proBNP sind bei Herzinsufffizienz erhöht (› Kap. 1.9).
• Das Troponin ist bei Erkrankungen mit Untergang von Kardiomyozyten erhöht. Troponin ist nicht spezi-
fisch für eine Ischämie!
Bei unserem Patienten sind CRP, Blutbild, D-Dimere und Troponin im Normbereich. Das BNP ist mit 800 ng/
dl (Norm < 190) deutlich erhöht.
Eine Dyspnoe unter Belastung kann durchaus als Äquivalent einer Angina pectoris angesehen werden. Das
Belastungs-EKG kann wie besprochen nicht zum Ausschluss einer KHK herangezogen werden. Das normale
Troponin schließt (bei zweifacher Bestimmung im Abstand von 6 Stunden) allerdings ein akutes Koronar-
3.6 Dyspnoe bei langjährigem Bluthochdruck 145
syndrom aus. Da sich durch den deutlich erhöhten Wert für das BNP Hinweise auf eine kardiale Ursache der
Dyspnoe ergeben, haben wir bei unserem Patienten eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt.
Es zeigt sich ventrikulografisch eine normale systolische Kontraktion. LV-EDP 22 mmHg (Norm < 12 mmHg).
Die Aorta ascendens ist visuell gering erweitert und elongiert. Es zeigen sich keine Stenosen an den Kranzgefä-
ßen. Der Kontrastmittelfluss nach Injektion in das Koronarsystem ist jedoch verzögert (slow flow).
Fasst man die erhobenen Befund zusammen, ergibt sich als Diagnose eine diastolische Herzinsuffizienz im
Stadium NYHA III bei hypertensiver Herzerkrankung.
Der erhöhte BNP-Wert ist ein starker Indikator für das Vorliegen einer Herzinsuffizienz. Bei normaler systo-
lischer Funktion sowohl im Echokardiogramm als auch bei der Herzkatheteruntersuchung ist eine Einschrän-
kung der systolischen Pumpfunktion als Ursache der Herzinsuffizienz ausgeschlossen. Die echokardiografi-
schen Befunde ergeben jedoch Hinweise auf eine diastolische Dysfunktion. Linksherzhypertrophie, elongierte
und erweiterte Aorta ascendens bei der Ventrikulografie, Slow-Flow-Phänomen bei der Koronarangiografie und 3
hypertensive Entgleisung beim Belastungs-EKG stützen die Diagnose einer hypertensiven Herzerkrankung.
Eine Erkrankung der Lunge ist bei normaler Lungenfunktion und bei weitgehend unauffälligem Röntgen-
bild weniger wahrscheinlich.
Eine ACE-Hemmer-Medikation mit Captopril ist nicht zu empfehlen. Unter Berücksichtigung der Pharma-
kokinetik müsste Captopril 3- bis 4-mal täglich eingenommen werden, um stabile Wirkstoffspiegel zu erhal-
ten. Dies führt jedoch in aller Regel zu Problemen mit der Compliance. Besser wird hier ein lang wirkender
ACE-Hemmer verordnet (› Tab. 3.7).
Tab. 3.7a ACE-Hemmer-Dosierung bei arterieller Hypertonie und Herzinsuffizienz (mod. nach Fischer und Follath
1999). Bei Herzinsuffizienz ist die jeweilige Maximaldosis anzustreben
Arterielle Hypertonie Herzinsuffizienz
Substanz (mg) ED (mg) D/Tag Tagesdosis (mg) ED (mg) D/Tag Tagesdosis (mg)
Benazepril 10–20 1–2 5–40 5–20 1 5–20
Captopril 50 1–3 50–150 50 2–3 18,75–150
Cilazapril 2,5–5 1 2,5–10 1–2,5 1 0,5–5
Enalapril 20 1 5–40 10 1–2 2,5–20
Fosinopril 20 1 10–40 10 1 5–40
Lisinopril 20 1 5–80 10 1–2 5–35
Perindopril 4–8 1 4–8 2–4 1 2–4
Quinapril 20–40 1–2 10–80 10–20 2 5–40
Ramipril 2,5–5 1 2,5–10 2,5–5 1–2 1,25–10
Trandolapril 4 1 2–6 1–4 1 1–4
ED = Erhaltungsdosis; ID = Initialdosis
146 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
LITERATUR
Fischler MP, Follath F. Vergleichende Evaluation der ACE-Hemmer: Welche Unterschiede sind relevant? Schweiz Med Wo
chenschr 1999; 129: 1053–60.
Gianrossi R., R Detrano, D Mulvihill, et al. Exercise-induced ST depression in the diagnosis of coronary artery disease. A me
ta-analysis. Circulation 1989; 80: 87–98.
Eine 63-jährige Patientin wird mit Verdacht auf Progression der bekannten KHK (Z. n. Myokardinfarkt und Dreifach-By-
pass-Operation vor 7 Jahren) bei pathologischer Ergometrie vom betreuenden Hausarzt stationär eingewiesen. Die Pati-
entin klagt über zunehmende Belastungsdyspnoe, belastungsinduzierte Angina pectoris wird verneint. Orthopnoe, sub-
jektiv bemerkte Rhythmusstörungen und Schwindel bestehen nicht. Seit 4 Wochen sei es gelegentlich zu Beinödemen
gekommen. Das Gewicht wurde nicht kontrolliert.
Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie, kein Nikotin, Familienanamnese negativ,
schwer einstellbarer Hypertonus.
Bei der körperlichen Untersuchung beträgt der Blutdruck am rechten Arm 190/110 mmHg, am linken Arm 200/110 mmHg,
Frequenz 80/min, Gewicht 90 kg, Größe 164 cm. Pulmonale und kardiale Auskultation sind unauffällig.
In der Laboruntersuchung am Aufnahmetag sind pathologisch: Kreatinin 1,3 mg/dl, Glukose 220 mg/dl, HbA1c 9,0 %,
LDL-Cholesterin 180 mg/dl. TpT ist negativ.
Die medikamentöse Therapie besteht aus ASS 100 mg, Enalapril 2 × 40 mg, Metoprolol 2 × 25 mg, HCT 25 mg,
Amlodipin 2 × 2,5 mg, Metformin 2 × 1.000 mg, Candesartan 2 × 8 mg.
Fünffachkombination bei arterieller Hypertonie, offensichtlich bei nicht ausreichend eingestelltem Blut-
druck. Enalapril über die Empfehlung hinausgehend (2 × 20 mg/d) dosiert. Metoprolol sowie Amlodipin sind
noch unterhalb der empfohlenen oberen Tagesdosis. Es findet sich eine Kombination aus ACE- und AT1-
Blockern, die grundsätzlich sinnvoll sein kann, allerdings bei Patienten mit Diabetes und/oder Nephropathie
nach den jüngsten Empfehlungen nicht mehr eingesetzt werden soll.
3.7 Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 147
In Einzelfällen sicher möglich, wenn ein therapeutischer Effekt dokumentiert werden kann, sollten grund-
sätzlich aber vermieden werden, da außerhalb der Zulassung.
Das folgende Ruhe-EKG wurde bei Aufnahme der Patientin geschrieben (› Abb.
3.18). Bitte befunden Sie es!
Es finden sich deszendierende ST-Strecken-Veränderungen über der Hinter- und Vorderwand, vereinbar mit
z. B. hypertensiver Herzerkrankung.
148 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Z. n. Sternotomie. Global über die Norm vergrößertes Herz. Geringe Verbreiterung des oberen Mediastinums
nach rechts.
Die vom Hausarzt mitgegebene Ergometrie zeigt eine eindeutige Zunahme der vorbestehenden ST-Strecken-Senkungen.
Herzkatheter-Untersuchung.
Es zeigt sich eine deutliche Verdickung des linksventrikulären Septums sowie der posterioren Wand.
Hypertensive Krise.
• Evtl. Gabe einer zusätzlichen Dosis des vom Patienten verwendeten Antihypertonikums
• Nitroglyzerin: Mittel der 1. Wahl bei Angina pectoris, Linksherzinsuffizienz oder Lungenödem, 0,8 mg als
Kapsel zerbeißen lassen
• ACE-Hemmer oral (Captopril): z. B. 12,5 mg oral
• Urapidil (Ebrantil®): 12,5–25 mg langsam i. v., ggf. wiederholen
3.7 Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 151
Woran sollte sich die Therapie der arteriellen Hypertonie neben einer Senkung
der RR-Werte orientieren?
Nur ein geringer Prozentsatz der Patienten mit art. Hypertonie leidet an einer alleinigen Erhöhung der Blut-
druckwerte, die Mehrzahl der Patienten hat weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren.
Arterielle Hypertonie und metabolische Risikofaktoren potenzieren sich gegenseitig, führen also zu einem
kardiovaskulären Risiko, das größer als die Summe der einzelnen Komponenten ist.
Klinische Risikofaktoren:
• Erhöhter systolischer und diastolischer Blutdruck
• Alter (Männer > 65 J., Frauen > 55 J.)
• Rauchen
• Hyperlipidämie
– Gesamtcholesterin > 190 mg/dl oder
– LDL-Cholesterin > 115 mg/dl oder
– HDL-Cholesterin < 40 mg/dl (M), < 46 mg/dl (F) oder
– Triglyzeride > 150 mg/dl
• Nüchtern-Blutzucker in einem Bereich zwischen 102 und 125 mg/dl
• Pathologischer OGTT
• Pathologischer Bauchumfang (> 102 cm [M], > 88 cm [F])
• Positive Familienanamnese bzgl. kardiovaskulärer Erkrankungen (M < 55 J., F < 65 J.)
152 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Routineuntersuchungen:
• Nüchtern-Glukose
• Gesamtcholesterin
• LDL-Cholesterin
• HDL-Cholesterin
• Nüchtern-Triglyzeride
• Kalium
• Harnstoff-Stickstoff
• Serumkreatinin
• Kreatinin-Clearance
• Harnsäure
• Hämoglobin und Hämatokrit
• Urin (Stix, Mikroalbumin)
• EKG.
Weitere empfohlene Untersuchungen:
• Echokardiografie
• Karotissonografie
• Proteinurie quantitativ (falls Stix positiv)
• Knöchel-Arm-Index
• Beurteilung des Augenhintergrunds
• OGTT
• 24-h-Blutdruckmessung.
Somit orientiert sich die Therapie sowohl an der Höhe der systolischen und diastolischen Blutdruckwerte als
auch an der Anzahl und Ausprägung weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren (› Tab. 3.9).
Wie gehen Sie bei der Auswahl einer antihypertensiven Therapie vor?
Der Haupteffekt einer antihypertensiven Therapie liegt in der Blutdrucksenkung per se. Fünf große Klassen
an blutdrucksenkenden Medikamenten (Diuretika, Betablocker, Ca-Antagonisten, ACE-Hemmer und An-
3.7 Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 153
giotensin-Rezeptor-Antagonisten) stehen allein oder in Kombination für die Einleitung und Aufrechterhal-
tung einer antihypertensiven Therapie zur Verfügung.
Seit 2007 hat der direkte Reninhemmer Aliskiren die Zulassung zur Behandlung der arteriellen Hyperto-
nie. Alpha-1-Rezeptorblocker sind ebenfalls weitere Alternativen in der Hypertoniebehandlung.
Je nach Patientencharakteristika und Begleiterkrankungen können verschiedene Gruppen von Antihyper-
tensiva bevorzugt werden (› Tab. 3.10).
Blutdruckeinstellung nach neuen Empfehlungen auf Werte < 140/90 mmHg bei begleitendem Diabetes mel-
litus < 140/85 mmHg. Die früheren strengeren Empfehlungen (< 130/80 mmHg) bei Diabetes werden nach
Analyse jüngerer Daten nicht mehr aufrechterhalten.
Folgende Empfehlungen zur Änderung des Lebensstils mit dokumentierter Wirkung auf eine Blutdruck-
senkung gelten für alle Patienten mit arterieller Hypertonie: Optimierung der BZ-Einstellung, Kochsalzrest-
riktion, Gewichtsreduktion (u. a. Diät mit hohem Anteil an Gemüse und Obst), Einschränkung des Alkohol-
konsums, Nikotinverzicht, regelmäßige körperliche Aktivitäten.
154 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Tab. 3.10 Auswahl der antihypertensiven Medikation unter Berücksichtigung klinischer Aspekte
Zeichen der Organschädigung
Linksventrikuläre Hypertrophie ACEI, CA, ARA
Asympt. Arteriosklerose CA, ACEI
Mikroalbuminurie ACEI, ARA
Niereninsuffizienz ACEI, ARA
Klinische Ereignisse
Schlaganfall jegliche Blutdruckmedikation
Herzinfarkt BB, ACEI, ARA
Angina pectoris BB, CA
3
Herzinsuffizienz Diuretika, BB, ACEI, ARA, Mineralkortikoid
Rezeptor-Antagonisten
Aortenaneurysma BB
Vorhofflimmern, Prävention ARA, ACEI, BB, Mineralkortikoid
Vorhofflimmer, Frequenzkontrolle Rezeptor-Antagonisten
BB, CA
Niereninsuffizienz im Endstadium, Proteinurie ACEI, ARA
Periphere Verschlusserkrankung ACEI, CA
Begleiterkrankungen
Isolierte systolische Hypertonie Diuretika, CA
Metabolisches Syndrom ACEI, ARA
Diabetes mellitus ACEI, ARA
Schwangerschaft Methylodopa, BB, CA
ACEI: ACE-Inhibitoren; ARA: Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten; CA: Kalzium-Antagonisten; BB: Betablocker
ASS 100 mg, Enalapril 2 × 20 mg, Metoprolol 2 × 47,5–95 mg, HCT 25 mg, Amlodipin 10 mg, Metformin 2 ×
1.000 mg, Simvastatin 20 mg.
Zur Überprüfung des Therapieerfolges empfehlen Sie Ihrer Patientin eine 24-h-Langzeitblutdruckmessung
oder Blutdruck-Eigenmessungen.
LITERATUR
ESC Guidelines for the Management of Arterial Hypertension 2013. Eur Heart J; 34: 2159–2219.
3.8 Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe 155
KASUISTIK
Eine 60-jährige Patientin stellt sich bei Ihnen mit progredienter Belastungsdyspnoe (jetzt NYHA II–III), teilweise auch
thorakalem Druck im vergangenen halben Jahr vor. Seit einigen Tagen seien die Symptome nochmals deutlich aggraviert,
ein Akutereignis mit thorakalem Druck oder Luftnot wird verneint. Die Beschwerden träten häufiger bei Belastung, jedoch
teilweise auch in Ruhe auf. Sie sei bereits zweimal deswegen beim Hausarzt gewesen, dieser habe jeweils ein EKG ge-
schrieben, das unauffällig gewesen sei. Vor einer Woche habe er auch Blut abgenommen und festgestellt, dass kein
akuter Herzinfarkt vorliege, und daraufhin einen Belastungstest veranlasst, der bei 100 Watt konditionsbedingt abgebro-
chen, bis dahin aber so weit in Ordnung gewesen sei. Bis auf eine seit ca. 5 Jahren bekannte arterielle Hypertonie sind
keine Vorerkrankungen bekannt.
3
Kein Diabetes, Familienanamnese negativ, Nichtraucherin seit 30 Jahren (davor ca. 5 Zigaretten täglich über 10 Jahre
lang), Cholesterinwerte nicht bekannt.
Keine Infekte in der Vorgeschichte.
Keine Allergien bekannt. Keine Haustiere.
Die Patientin misst mehrfach wöchentlich Blutdruck, sie nimmt unregelmäßig Enalapril 5 mg/d ein. Der Blutdruck sei meist
um 140–150/90 mmHg, teilweise auch niedriger, sie fühle sich dann aber nicht so gut. Die Herzfrequenz sei eigentlich
immer um 70/min, nur am Vortag mit 120/min höher gewesen. Palpitationen werden verneint.
EKG: Tacharrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern, Kammerfrequenz 119/min, LT. Keine ERBS.
156 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Labor: BB unauffällig, TNI negativ, Elektrolyte und Nierenretentionswerte unauffällig. TSH im Normbereich. D-Dimer leicht
erhöht 0,8 mg/l. Alle übrigen Routineparameter sind unauffällig.
Wie schätzen Sie die Situation nun ein? Wie gehen Sie weiter vor? Benötigen Sie
weiterführende Diagnostik?
Eine akute Koronarischämie kann ausgeschlossen werden. Es gibt klinisch und laborchemisch keinen Anhalt
für eine Atemwegsinfektion. Gegebenenfalls kann weiterführend noch eine Lungenfunktionsuntersuchung
und eine Röntgen-Thorax-Aufnahme erfolgen. Eine koronare Herzerkrankung ist mit einem vorausgehend
normalen Belastungstest noch nicht sicher ausgeschlossen (Sensitivität; › Kap. 3.6, › Kap. 8.1, › Kap.
3 8.2), aber insgesamt eher weniger wahrscheinlich.
Die aktuelle Symptomatik ist jedoch gut mit der vorliegenden Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflim-
mern unklarer Dauer erklärt. Die Patientin wird zunächst mit Heparin antikoaguliert und erhält einen Beta-
blocker zur Frequenzsenkung.
Sie führen zusätzlich eine Echokardiografie durch, um einerseits bei minimal erhöhtem D-Dimer Rechts-
herzbelastungszeichen auszuschließen und andererseits das eventuelle Vorliegen einer strukturellen Herzer-
krankung zu dokumentieren – ggf. kann auch noch eine Beinvenenduplexuntersuchung zum Ausschluss ei-
ner TVT erfolgen.
Bei paroxysmalem Vorhofflimmern ist zur Vermeidung thrombembolischer Ereignisse eine Antikoagulati-
onstherapie erforderlich. Das Therapieregime muss abhängig von der Risikokonstellation festgelegt werden.
Hierzu wird der CHA2DS2-VASc-Score herangezogen (› Kap. 2.1). Unsere Patientin bekommt 2 Punkte
(weiblich, arterielle Hypertonie). Es wird eine dauerhafte Antikoagulation empfohlen, wofür Marcumar®
(Ziel-INR 2–3) sowie die direkten Thrombininhibitoren oder die direkten Faktor-Xa-Inhibitoren (NOAK)
infrage kommen. Die Entscheidung für oder gegen eine der Substanzgruppen ist anhand der individuellen
Risikokonstellation und des Wirkungs-/Nebenwirkungsprofils der einzelnen Medikamente zu treffen
(› Kap. 2.1, › Kap. 2.7). Des Weiteren wird mit der Patientin tägliches RR-Messen und umgehende Vor-
stellung beim Hausarzt, wenn dabei wieder schneller Puls auffällt, vereinbart. Die antihypertensive Therapie
muss erweitert bzw. die Dosen müssen angepasst werden: ACE-Hemmer regelmäßig und in gesteigerter Do-
sis sowie frequenzstabilisierend additiv Betablockergabe.
Der CHA2D22VASc-Score (› Kap. 2.1) erlaubt eine Aussage zur zu erwartenden Schlaganfallrate bei
nichtvalvulärem Vorhofflimmern.
Wenn der Betablocker zur Rhythmuskontrolle nicht ausreicht, empfehlen AHA/ACC/ESC Alternativen;
bei vorliegender LVH würde die Gabe von Amiodaron als Nächstes erfolgen. Im Intervall sollte zum Aus-
schluss einer koronaren Herzerkrankung ein Ischämietest, z. B. eine Stressechokardiografie unter Betablo-
cker-Pause, durchgeführt werden.
Stressechokardiografie: beschwerdefreie fahrradergometrische Belastung bis 125 Watt (je 2 Minuten bei 50, 75, 100
und 125 Watt). Abbruch konditionsbedingt. Maximal erreichte Herzfrequenz 144/min, entspricht 90 % der Ausbelas-
tungsfrequenz (definiert als 220 minus Alter).
3.8 Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe 157
Im EKG keine belastungsinduzierten ischämietypischen ERBS oder Rhythmusstörungen. Kein Vorhofflimmern. Im UKG bei
ausreichender Schallbarkeit regelrechte Kontraktilitätszunahme aller Wandabschnitte. Keine belastungsinduzierten
Wandbewegungsstörungen nachweisbar.
Leicht erhöhtes RR-Niveau unter Belastung.
Der Casus scheint gelöst, Ihre Therapieempfehlung ist sinnvoll. Die Patientin hat paroxysmales Vorhofflimmern, das ihre
Symptomatik verstärkt hat.
Aber von welcher zugrunde liegenden Erkrankung müssen wir ausgehen? Wie
kommen Sie weiter?
Der Echokardiografie nach und passend zu dem nicht suffizient eingestellten, seit mehreren Jahren bekann- 3
ten Hypertonus liegt eine hypertensive Herzerkrankung vor. Eine diastolische Funktionsstörung kann hinzu-
kommen.
Diastolische Funktionsstörung: Unvermögen des Herzens, einen normalen diastolischen Druck während
der linskventrikulären Füllungsphase aufrechtzuerhalten (verursacht durch abnorme Relaxation bzw. größe-
re Steifigkeit des LV bzw. Kombination beider Pathomechanismen).
Die linksventrikuläre Füllung ist abhängig von der Dehnbarkeit des linken Ventrikels, die auf unterschied-
liche Weise eingeschränkt sein kann:
• Restriktion
• Konstriktion
• Relaxationsstörung.
Bei vielen Patienten mit klinischen Herzinsuffizienzsymptomen – man geht sogar davon aus bei > 50 % (Pau-
lus et al. 2007) – ist die linksventrikuläre Ejektionsfraktion normal.
Die Echokardiografie ist das Verfahren der Wahl, die Verdachtsdiagnose zu erhärten (› Abb. 3.22).
Klassischerweise wird das Mitraleinstromprofil herangezogen, um Hinweise auf eine diastolische Funkti-
onsstörung zu erhalten. Die E-Welle beschreibt die frühe, schnelle LV-Füllung, die A-Welle die späte Fül-
lungsphase, hervorgerufen durch die atriale Kontraktion.
Die Dezelerationszeit (DT, Normal: 160–220 ms) ist die Zeit von der Spitze der E-Welle zur Baseline. Diese
Parameter verändern sich in charakteristischer Weise mit Fortschreiten der diastolischen Funktionsein-
schränkung des linken Ventrikels.
• Stadium I: Relaxationsstörung (Füllungsdruck normal)
• Stadium II: Pseudonormalisierung
• Stadium III: restriktive Störung.
Als Parameter der gestörten Ventrikelfüllung sollte der LV-Füllungsdruck bei erhaltener systolischer Funkti-
on bevorzugt mittels Gewebedoppler (TD = tissue doppler) anhand der Mitralanulusgeschwindigkeit E' und
Bestimmung des Verhältnisses von früher Mitralfüllungsgeschwindigkeit E/E' herangezogen werden
(› Abb. 3.23). Bei eingeschränkter LV-Funktion kann man bei E/A <1 und einer E-Welle ≤ 50 cm/s von
normalen, bei E/A ≥2 und DCT < 150 ms von erhöhten Füllungsdrücken ausgehen – als Ersatzparameter
kann bei eingeschränkter systolischer Ventrikelfunktion die Flusspropagation im Farb-M-Mode (Vp bzw. E/
Vp) zur Abschätzung eines erhöhten Füllungsdrucks und einer (begleitenden) diastolischen Funktionsstö-
rung herangezogen werden.
Vorteile der Messung der TD-Geschwindigkeiten:
• Wesentlich lastunabhängiger als die Füllungsparameter.
• Es kommt zu keiner Pseudonormalisierung.
• Beurteilung auch bei Vorhofflimmern möglich.
158 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
A
s S
d
Normal
a
A'
E'
3
A
E
s S
d
Gestörte
Relaxation
a
E'
A'
d
A s S
Pseudo-
normal
a
E' A'
A d S
s
Restriktiv
a
E' A'
Nicht suffizient verwertbar sind die Gewebe-Doppler-Kurven zur Beurteilung der diastolischen LV-Funktion
bei deutlich eingeschränkter LV-Funktion (EF < 30 %) und asynchroner Erregungsausbreitung. Es sollten
immer sowohl lateral als auch septal die Gewebe-Doppler-Kurven abgeleitet und gemittelt werden.
3.8 Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe 159
c d
Abb. 3.23 Charakteristische Gewebe-Doppler-Kurven. a. normale Kurve; b. diastolische Dysfunktion; c. diastolische Herzinsuffizi-
enz; d. systolische Herzinsuffizienz [M754]
Normale globale und regionale Pumpfunktion. LV normal groß, grenzwertige Wanddicken (12,5/12 mm). LA
48 mm. Rechte Herzhöhlen normal groß. Aortenwurzel normal weit. Klappe altersentsprechend morpholo-
gisch unauffällig. Kein Vitium. Kein PE. E/E' = 14. DT 220 ms.
160 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
a b
Es liegen kaum Studien zur Therapie der diastolischen Herzinsuffizienz mit erhaltener LV-Funktion vor.
Herzinsuffizienz-Therapie nach NYHA und Leitlinien (Beseitigung potenzieller Ursachen, nichtmedika-
mentöse Therapie, Komorbiditäten beachten/behandeln, medikamentöse Herzinsuffizienz-Therapie). Klini-
sche und echokardiografische Verlaufskontrollen unter medikamentöser Therapie sinnvoll.
Hier: ACE-Hemmer und (in der Therapie entweder oder) AT1-Antagonisten verzögern das Remodeling
und sind daher indiziert. Betablocker bei Vorhofflimmern bzw. intermittierendem Vorhofflimmern fre-
quenzstabilisierend ebenfalls indiziert (s. o.).
LITERATUR
Buck T, et al. Manual zur Indikation und Durchführung der Echokardiographie. Clin Res Cardiol 2009; Suppl 4: 3.51.
Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY, et al. Guidelines for the management of atrial fibrillation. Eur Heart J 2010; 31:2369–429.
Flachskampf FA. Praxis der Echokardiographie. Stuttgart: Thieme 2002.
Hillis GS, Pelikka VA, et al. Noninvasive estimation of left ventricular filling pressure. J Am Coll Cardiol 2004; 43: 360–7.
Oh JK, Seward JB, Jamil Tajik A. The Echomanual. 3rd edition. LWW Medical Book Collection 2006.
Paulus WJ, Anderson JE, et al. How to diagnose diastolic heart failure. Consensus statement by the Heart Failure and Echo
cardiography Associations of ESC. Eur Heart J 2007; 28: 2539–50.
Nagueh SF, Evangelisa A, et al. Recommendations for the evaluation of Left Ventricular Diastolic Function by Echocardio
graphy. Eur J Echocardiography 2009; 10(2):165–93.
Yancy CW, Jessup M, Bozkurt B et al. 2013 ACCF/AHA Guideline for the Management of Heart Failure. Circulation 2013;
128:e240–e327.
3.9 Progrediente Stauungsherzinsuffizienz nach Aorten- und Mitralklappenersatz 161
KASUISTIK
Eine 74-jährige Frau wird stationär in der kardiologischen Abteilung mit der Einweisungsdiagnose „Herzinsuffizienz“
aufgenommen. Bezüglich der kardialen Vorgeschichte erzählt die Patientin von einer Herzoperation 1993 mit Bypass-
Versorgung mehrerer Herzkranzgefäße kombiniert mit einem mechanischen Klappenersatz in Aortenposition (Medtronic
Hall). 2003 sei auch die native Mitralklappe durch eine mechanischen Prothese ersetzt worden (St. Jude Medical), seither
bestünde Vorhofflimmern.
In den letzten Monaten habe die Frau eine zunehmende Beinschwellung und progrediente Luftnot bemerkt, aktuell bereits
bei leichter Belastung (Entkleiden, Lagewechsel). Auf Nachfrage wird von der Patientin auch retrosternales Druckgefühl
3
bei stärkerer Anstrengung angegeben. Des Weiteren berichtet die Patientin über unspezifische Symptome wie Müdigkeit,
nächtlichen Husten, gelegentlich Übelkeit und leichten Schwindel.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe 150 cm, 60 kg, BMI 27. RR 110/55 mmHg, Puls ca. 90/min, AF 20/min.
Jugularvenenstauung, betonte v-Welle. Cor: Prothesenclicks in Aorten- und Mitralposition, kein Diastolikum, hyperdyna-
mer Herzspitzenstoß, 4⁄6 Holosystolikum p. m. Apex, 3. Herzton. Pulmo: Vesikuläratmung in beiden Ober- und Mittelfel-
dern, beidseits basal abgeschwächtes Atemgeräusch, mittel-hochfrequente Rasselgeräusche über den peripheren Lun-
genabschnitten. Unterschenkelödeme, beginnende Stauungsdermatose. Facies mitralis. Abdomen adipös, kein Undulati-
onsphänomen als Hinweis auf Aszites.
Die Retikulozytenzahl und Urobilinogen im Harn sind erhöht, Haptoglobin und Hämopexin erniedrigt. Sie stellen die Dia-
gnose einer extrakorpuskulären hämolytischen Anämie.
Die Patientin hat bereits zwei künstliche Herzklappen, somit ist eine mechanische Desintegration der Ery
throzyten durch die Klappenprothesen am wahrscheinlichsten.
3
Kennen Sie weitere kardiovaskuläre Ursachen für eine extrakorpuskuläre
hämolytische Anämie?
Verlaufskontrollen beinhalten die regelmäßige Bestimmung von Hb, HBDH, LDH und Haptoglobin. Jede
künstliche Herzklappe hat ein eigenes Hämolyseprofil, das direkt nach Implantation erfasst und im Verlauf
beobachtet werden sollte. Eine leichte Hämolyse (LDH bis 400 U/l) ist auch bei normaler Klappenfunktion
relativ häufig zu finden. Intermittierende Erhöhungen der Hämolyseparameter treten auch bei erhöhter kör-
perlicher Belastung auf. Schwere Verläufe (LDH > 800 U/l) führen zu einer Hyperbilirubinämie, reduziertem
bis nicht mehr nachweisbarem Haptoglobin, einer Retikulozytose sowie Fragmentozyten im Urin und bedür-
fen nicht selten wiederholter Bluttransfusionen.
Das Ausmaß der Hämolyse ist abhängig vom transvalvulären Gradienten, somit der Flussgeschwindigkeit,
sowie dem Klappentyp und der -größe.
Angesichts des Doppelklappenersatzes (Medtronic Hall und St. Jude Medical mit jeweils niedriger Thrombo-
genität) und eines zusätzlichen Risikofaktors für Thrombembolien (Vorhofflimmern) sollte leitliniengemäß
eine INR von 2,5–3,5 eingehalten werden (sowie zusätzlich ASS 100 mg/Tag, auch wegen der gleichzeitig be-
stehenden KHK, Klasse IIaC, ESC 2012).
Eine orale Antikoagulation wird gemäß der AHA-Leitlinie von 2008 empfohlen:
3.9 Progrediente Stauungsherzinsuffizienz nach Aorten- und Mitralklappenersatz 163
• Lebenslang bei allen Patienten mit mechanischen Herzklappen und bei allen Patienten mit Bioprothesen,
bei denen eine zusätzliche Indikation zur Antikoagulation besteht (z. B. Vorhofflimmern, stattgehabte
Thrombembolie, LVEF < 30 etc.)
• Bei allen Patienten mit Bioprothesen innerhalb der ersten 3 Monate nach Klappenoperation mit einem
Ziel-INR von 2,5
• Bei allen Klappenpatienten wird eine antithrombozytäre Therapie empfohlen (als Monotherapie bei AKE
mit niedrigem Risikoprofil, bei allen anderen in Kombination mit OAK).
Die neueren ESC-Leitlinien von 2012 empfehlen analog zur AHA 2008 eine lebenslange orale Antikoagulation
(OAK) bei allen Patienten mit mechanischer Prothese (IB-Empfehlung) sowie bei Patienten mit Bioprothese
und anderer Indikation zur OAK (IC-Empfehlung). Das angestrebte INR-Ziel hängt vom individuellen patien-
ten- und prothesenbezogenen Risikoprofil für Thromboembolien ab (› Tab. 3.11). Ferner soll eine zeitlich
begrenzte OAK über drei Monate nach biologischem Mitral-/Trikuspidalklappenersatz sowie Mitralklappenre- 3
konstruktion (IIaC) und über drei Monate nach Aortenklappenersatz erwogen werden (IIbC). Nach Implantati-
on einer Aortenklappenbioprothese kann alternativ ASS in niedriger Dosis eingesetzt werden (IIaC). Diese
Empfehlungen führen in der Praxis dazu, dass viele Zentren nach Bioprothesenimplantation in Aortenposition
nur ASS über 3 Monate verschreiben. Divergierend zur AHA-Leitlinie wird von der ESC die zusätzliche Gabe
von ASS nicht bei allen Klappenpatienten mit Indikation zur OAK empfohlen, sondern nur bei denjenigen mit
begleitender atherosklerotischer Erkrankung (IIaC-Empfehlung) und bei Patienten mit mechanischer Prothese
und stattgehabter Thromboembolie trotz INR-Einstellung im Zielbereich (ebenfalls Klasse IIa C).
Die Anwendung von neuen oralen Antikoagulanzien stellt derzeit keine Alternative dar; die Gabe von Da-
bigatran zur Thromboembolieprophylaxe bei mechanischen Klappenprothesen ist aufgrund der derzeitigen
Studienlage kontraindiziert.
Tab. 3.11 Empfehlungen zur Ziel-INR bei Patienten mit mechanischer Herzklappe (adaptiert nach Vahanian et al.
2012)
Prothesenthrombogenitäta Patientenbezogene Faktorenb
Keine Risikofaktoren Risikofaktoren ≥ 1
Niedrig 2,5 3,0
Mittel 3,0 3,5
Hoch 3,5 4,0
a
Prothesenthrombogenität: niedrig = Carbomedics, Medtronic Hall, St. Jude Medical, ON-X; mittel = andere Doppelklappen-
prothesen; hoch: Lillehei-Kaster, Omniscience, Starr-Edwards, Bjork-Shiley und andere Scheibenkippklappen.
b
Patientenbezogene Faktoren: Mitral- und Trikuspidalklappenersatz, vorangegangene Thrombembolie, Vorhofflimmern, Mit-
ralklappenstenose jeglichen Grades, eingeschränkte linksventrikuläre Funktion mit EF < 35 %.
In der Echokardiografie zeigt sich nun folgender Befund: mittelgradig eingeschränkte globale Pumpfunktion, keine
regionalen Wandbewegungsstörungen bei ausreichender Schallqualität. Rechte Herzhöhlen normal dimensioniert, LA
deutlich vergrößert (70 mm), LV normal groß. Keine Septumhypertrophie. Aortenwurzel normal weit. Aortenklappenpro-
these mit guter Funktion, leichtgradiger Insuffizienzjet, mittlerer Gradient 17 mmHg. Mitralklappe mit ausgeprägtem
Mitralannuluskalk, adäquate Prothesenöffnung, schwere paravalvuläre Insuffizienz, leichtgradige Stenose. Trikuspidal-
klappe mit leicht- bis mittelgradiger Insuffizienz und einem dpmax von 39 mmHg plus ZVD systolisch. Kein Perikarderguss.
Mehr als die Hälfte aller paravalvulären Lecks werden innerhalb des ersten Jahres
nach Klappenoperation diagnostiziert. Welche Faktoren begünstigen die
Entstehung postoperativer paraprothetischer Insuffizienzen?
Häufigste Ursachen für die Entstehung paravalvulärer Lecks sind insuffiziente Nähte mit konsekutiver Naht-
dehiszenz und die Prothesen-Endokarditis. Verkalkungen der Aorta und ein Patient-Prothesen-Mismatch
sind begünstigende Faktoren hierfür.
3 Gemäß aktuellen Leitlinien besteht eine Indikation zur Re-Operation bei Patienten mit Endokarditis und
paravalvulärem Leck, im Fall von rezidivierender Transfusionspflichtigkeit oder bei leckassoziierten schwe-
ren Herzinsuffizienzsymptomen.
Im vorliegenden Fall ist die Patientin symptomatisch in Form von Belastungskurzatmigkeit NYHA-Klasse III,
außerdem ergeben sich laborchemisch Hinweise auf eine mechanische Hämolyse. Zusätzlich besteht eine mutmaß-
lich progrediente linksventrikuläre Dysfunktion. Daher muss eine erneute Operation in Betracht gezogen werden.
Bei Anzeichen einer relevanten Hämolyse sind bei Bedarf Eisensupplementierung (Eisenverlust als Hämoglobin
oder Hämosiderin im Urin) und ggf. Erythropoetin-Applikationen oder Erythrozytenkonzentrat-Substitutionen
indiziert. Die kardiale Therapie umfasst eine patientenadjustierte Einstellung mit Betablocker und Diuretikum.
giografie zur Darstellung der koronaren Bypässe und etwaiger neuer Stenosen im Bereich des nativen Gefäß-
systems notwendig.
Eine Umstellung der Antikoagulation von Marcumar® auf i. v.-Heparin im aPTT-wirksamen Bereich ist er-
forderlich (› Kap. 8.4). Bei laborchemisch eingeschränkter Nierenfunktion sollte auf einen ausreichenden
periprozeduralen Flüssigkeitsdurchsatz geachtet werden. Gleichzeitig gilt es, eine zu starke intravenöse Volu-
menbelastung zu vermeiden.
3
Das bekannteste System zur Beurteilung der prädiktiven Mortalität bei kardiochirurgischen Eingriffen ist der
EuroSCORE bzw. EuroSCORE II. Neben dem einfachen additiven „Standard“ EuroSCORE existiert ein kom-
plexerer logistischer EuroSCORE, der insbesondere bei Hochrisikopatienten zur Anwendung kommt. Allen
gemeinsam ist die Berechnung der Mortalität anhand diverser Risikofaktoren wie z. B. Patientenalter und
Parameter zum Organstatus. Hinzu kommen operationsbezogene Risikofaktoren wie z. B. Notfalloperation
oder postinfarzielle Septumruptur (http://www.euroscore.org).
Ebenfalls weitverbreitet ist der STS-Score (Society for Thoracic Surgeons). Dieses Bewertungssystem ist
deutlich differenzierter als der EuroSCORE und soll bzgl. der prädiktierten Mortalität valider sein als der ur-
sprüngliche EuroScore, der die Mortalität überschätzt. Erfahrungen zeigen, dass der EuroSCORE II diesbe-
züglich valider zu sein scheint, viele Studieneinschlusskriterien basieren jedoch noch auf dem alten Eu-
roSCORE-System (http://riskcalc.sts.org/STSWebRiskCalc273/).
Ein weiterer, jedoch hauptsächlich in den USA verwendeter Score ist der Parsonnet-Score. In diesen Score
gehen auch die Anzahl an Reoperationen und kombinierte koronare Bypass- plus Klappenersatz-Prozeduren
ein (http://www.sfar.org/scores2/parsonnet2.html).
166 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Die Patientin wurde von den Herzchirurgen wegen massiver Vernarbungen/Verwachsungen von Perikard mit Sternum und
einem EuroSCORE von 32 % abgelehnt. Als experimentelles Verfahren wurde kathetergestützt ein Amplatzer-Okkluder
eingesetzt (Hein et al. 2006; › Abb. 3.26).
Die Patientin wird 2 Monate später vom Hausarzt in Ihre Klinik überwiesen. Der
INR ist > 6 und es zeigen sich mehrere kleine Hämatome an den Armen und
Beinen, keinerlei neurologische Auffälligkeiten. Wie gehen Sie vor?
Falls keine Synthesestörung der Gerinnungsfaktoren (z. B. parainfektös oder bei chronischer Stauungsleber)
vorliegt, kann hier durchaus ein abwartendes Prozedere vorgeschlagen werden. Alternativ kann mit oraler (!)
Vitamin-K-Gabe in 1- oder 2-mg Schritten versucht werden, den INR in den Zielbereich zu titrieren. Bei INR-
Werten > 10 können höhere Dosen appliziert werden (bis 5 mg). Eine Vitamin-K-Gabe kann mit prokoagua-
latorischen Effekten einhergehen und sollte Notfallindikationen vorbehalten sein.
Nehmen wir an, die Patientin würde mit einer symptomatischen intrakraniellen
Blutung aufgenommen, wie würden Sie weiter verfahren?
Nach der Schnittbildgebung sollten die entsprechenden Bilder umgehend dem Neurochirurgen vorgelegt
werden. Je nach Symptomatik, deren Verlauf und dem Ausmaß der intrakraniellen Blutung wird zwischen
Operation und konservativer Therapie abgewogen werden müssen. In jedem Fall muss parallel die Antiko-
agulation rasch antagonisiert werden; hierzu sollte vorzugsweise Prothrombinkomplex verwendet werden,
das sich gegenüber Fresh Frozen Plasma (FFP) als vorteilhaft erwiesen hat. Aufgrund der kurzen Halbwerts-
zeit des Prothrombinkomplexes wird eine Kombination mit einem Vitamin-K-Antagonisten empfohlen.
Mangels aussagekräftiger Daten wird der Einsatz von rekombinantem Faktor VII nicht empfohlen.
LITERATUR
Hein R, Wunderlich N, Robertson G, Wilson N, Sievert H. Catheter closure of paravalvular leak. EuroIntervention 2006; 2(3):
318–25.
3.10 Rasch zunehmende Luftnot 167
Sellers RD, Levy MJ, Amplatz K, Lillehei CW. Left retrograde cardioangiography in acquired cardiac disease. Technic, indica
tions and interpretations in 700 cases. Am J Cardiol 1964; 14: 437–47.
Vahanian A, Alfieri O, Andreotti F, et al. Guidelines on the management of valvular heart disease (version 2012). Eur Heart J
2012 Oct;33(19): 2451–96. doi: 10.1093/eurheartj/ehs109. Epub 2012 Aug 24.
KASUISTIK
Eine 80-jährige Frau wird nachts in die Krankenhaus-Notambulanz gebracht. Vor 10 Tagen sei sie wegen Knieschmer-
zen einer Arthroskopie am rechten Knie mit Innenmeniskus-Teilresektion unterzogen worden. Postoperativ habe sie 3
bereits Luftnot und Schwäche verspürt, sei aber auf eigenen Wunsch am zweiten postoperativen Tag ohne weitere
Abklärung entlassen worden. Vor 5 Tagen habe sie erstmals starkes retrosternales Brennen verspürt, jetzt gehe ihr
zunehmend die Luft aus. Vom Notarzt wurden bereits ASS 500 mg und 5.000 IE Heparin i. v. appliziert. Bei der körper-
lichen Untersuchung fallen ein leicht betonter 2. Herzton sowie ein 3⁄6-Holosystolikum p. m. 4./5. ICR parasternal links
ohne Atemvariabilität und ohne Ausstrahlung in die Axilla auf. Bei der Palpation des Thorax bemerken Sie ein leichtes
Schwirren parasternal links. Über den Lungen sind beidseits basal mittel-hochfrequente Rasselgeräusche zu hören.
Unter Ruhebedingungen liegen die Blutdruckwerte um 120–140 mmHg systolisch vor. Herzfrequenz 90/min. Jugular-
venenstau beidseits.
Angesichts der Anamnese der Patientin liegen zwei Möglichkeiten nahe. Zum einen könnte es sich um eine
ischämiebedingte Mitralklappeninsuffizienz handeln. Typischerweise wäre das Geräusch hierbei jedoch über
dem 2./3. ICR links (exzentrischer Jet zur Vorhofwand) oder dem Apex zu hören und würde von einer Aus-
strahlung in die Axilla begleitet sein. Die zweite Möglichkeit wäre ein Post-Myokardinfarkt-Ventrikelsep-
tumdefekt, für den alle genannten Kriterien zutreffen würden. Bei großem VSD wären zusätzlich eine weite
Spaltung des 2. Herztons sowie ein Pulmonalklappeninsuffizienzgeräusch möglich. Eine Trikuspidalklappen-
insuffizienz erscheint angesichts der Anamnese und einer oft deutlich hörbaren Atemvariabilität unwahr-
scheinlich.
Bei der vorliegenden Anamnese muss auch an eine bzw. rezidivierende Lungenarterienembolie(n) gedacht
werden. Hierfür sprechen die postoperativ aufgetretene Luftnot, die (leicht) erhöhte Herzfrequenz und der
erhöhte JVD bei der aktuellen Aufnahme. Auch gilt es, insbesondere bei fehlendem Nachweis eines Myokard-
infarkts und einer Lungenembolie, eine Aortendissektion auszuschließen.
Nach 5 Tagen zeigen sich typischerweise erhöhte Troponine. In der akuten Phase eines Herzinfarkts wird
hauptsächlich zytosolisches Troponin in die Blutbahn abgegeben, das normalerweise nach 2–3 Tagen deut-
168 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
lich abfällt. Nach ca. 3–6 Tagen kommt es erneut zu einem Troponin-Anstieg, diesmal des strukturgebunde-
nen Troponins. Auch LDH, HBDH und GOT sind am 5. Tag nach Myokardischämie im Serum oft noch nach-
weisbar. Die CK-MB-Fraktion der CK und Myoglobin sind zu diesem Zeitpunkt meist nicht mehr zu finden
(› Tab. 3.13).
Insgesamt ist es jedoch wichtig zu erwähnen, dass die Kinetik der kardialen Ischämiemarker stark abhän-
gig ist von Art und Zeitpunkt der Reperfusionstherapie sowie Ausmaß und Art der Myokardischämie.
Tab. 3.13 Kardiale Enzymkinetik bei Myokardinfarkt (Zusammenstellung interner Angaben verschiedener zertifi
zierter Labors)
Marker Nachweis Maximum In-vivo-Halbwertszeit Normalisierung
Myoglobin 2–6 h 6–12 h 10–20 min 1 Tag
3 Troponin I 3–4 h 12–24 h 2h 5–10 Tage
Troponin T 3–8 h 12–96 h 2h 2–3 Wochen
CK 3–12 h 12–24 h 16 h 3–6 Tage
CK-MB 3–12 h 12–24 h 12 h 2–3 Tage
GOT 6–12 h 18–36 h 17 h 3–6 Tage
LDH 6–12 h 48–144 h 24 h 7–15 Tage
HBDH 6–12 h 48–144 h 50–170 h 10–20 Tage
Mittelgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion, ausgedehnte Akinesie der gesamten, leicht aneurysmatisch
erweiterten Herzspitze sowie mitt-septal. Lateralwand und basale Hinterwand kontrahieren gut. Im Farbdoppler Nachweis 3
einer Ventrikelseptumruptur im mittleren Bereich des Septums mit deutlichem Links-Rechts-Shunt. Leichtgradige Mitral-
klappeninsuffizienz und mäßige Trikuspidalklappeninsuffizienz mit einem dpmax von 46 mmHg + erhöhtem ZVD. Rechter
Vorhof und Ventrikel vergrößert. Linkes Atrium vergrößert, Ventrikel normal groß. Kein PE.
Der z. B. mittels cw-Doppler in der Echokardiografie gemessene Druckunterschied zwischen linkem und
rechtem Ventrikel zeigt an, ob ein druckangleichender Defekt oder ein drucktrennender Defekt vorliegt. Ein
kleiner Defekt (< 4 mm) ist meist, aufgrund des geringen Shuntvolumens, drucktrennend. Größere Defekte
gehen demgegenüber meist mit einem erhöhten rechtsventrikulären Spitzendruck einher und werden damit
als druckangleichend bezeichnet. Mögliche Einflussgrößen auf den Gradienten sind v. a. Vitien (Pulmonal-,
Aortenklappenstenose) sowie rechts- und linksventrikuläre Pumpfunktion.
Jeder Patient mit einem (wenn auch subakuten) ST-Hebungs-Myokardinfarkt sollte intensivmedizinisch
überwacht werden. Patienten mit einem Myokardinfarkt-VSD gehören zu einem speziellen Hochrisikokol-
lektiv mit einer extrem hohen Mortalitätsrate (Crenshaw et al. 2000, Thile et al. 2009). In der GUSTO-I-Studie
z. B. hatten Patienten mit ischämischem VSD, die rein medikamentös behandelt wurden, eine 30-Tages-Mor-
talität von 94 % gegenüber 47 % bei operierten Patienten. Ungefähr ein Viertel der Patienten mit akuter Sep
tumruptur verstirbt innerhalb der ersten 24 Stunden und weniger als 10 % der Patienten überleben ohne
Operation das erste Jahr. Neben allgemeinen ischämiebedingten Komplikationen (Herzrhythmusstörungen
etc.) können weitere Komplikationen durch das den VSD umgebende nekrotisch-instabile Gewebe entstehen,
das möglicherweise noch weiter rupturiert oder multiple VSD hervorbringt.
Zur Planung der weiteren Therapie wird umgehend eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt.
Die Normwerte sind in › Tabelle 3.14 dargestellt. Es liegen normale systemische und deutlich erhöhte pul-
monal-vaskuläre Drücke vor. Leicht erhöhter Pulmonalkapillardruck. Die Fluss-Indizes zeigen ein erniedrig-
tes Herzzeit- und Schlagvolumen sowie einen niedrigen Herzindex. Des Weiteren finden sich erhöhte Wider-
standswerte im kleinen und großen Kreislauf sowie ein deutlich erhöhter pulmonaler Blutfluss, entsprechend
einem Qp/Qs-Quotienten von ca. 4 : 1.
Somit liegt eine erhebliche Volumenbelastung des rechten Ventrikels vor. Die konsekutive Volumenbelas-
tung von Pulmonalarterie und Lungenstrombahn über den linken Vorhof bis hin in den linken Ventrikel
bedingt eine reaktive pulmonale Widerstandserhöhung (durch Kontraktion der Lungenarteriolen). Die ein-
geschränkte Pumpfunktion des linken Ventrikels ist am ehesten Resultat der Ischämie, wird sekundär durch
das hohe Shuntvolumen jedoch sicherlich noch weiter negativ beeinflusst.
3.10 Rasch zunehmende Luftnot 171
Tab. 3.14 Untersuchungsparameter Rechts- und Linksherzkatheter (in Ruhe; nach Lapp und Krakau 2010)
Druck Normwert
ZVD (CVP, zentraler Venendruck) < 10 mmHg
RAPm (rechtsatrialer Mitteldruck) < 5 mmHg
RVP (rechtsventrikulärer systolischer Druck) 20–30 mmHg
RVEDP (rechtsventrikulärer enddiastolischer Druck) 4–8 mmHg
PAPs (pulmonalarterieller systolischer Druck) 15–30 mmHg
PAPm (pulmonalarterieller Mitteldruck) 10–22 mmHg
PAPd (pulmonalarterieller diastolischer Druck) 5–16 mmHg
PCWP (pulmonalarterieller Verschlussdruck, wedge pressure) < 12 mmHg
3
LVEDP (linksventrikulärer enddiastolischer Druck) 6–12 mmHg
Fluss Normwert
CI (Herzindex, cardiac index) 2,5–4 l/min/m2
SV (Schlagvolumen) 60–90 ml/S
SVI (Schlagvolumenindex) 30–60 ml/m2
Widerstand Normwert
TPR (totaler peripherer Widerstand) 900–1.400 dyn×s ×cm−5
PVR (pulmonalvaskulärer Widerstand) 45–120 dyn×s ×cm−5
Die Shuntberechnung ist u. a. abhängig von der Höhe des Hämoglobingehalts im Blut sowie der Gesamtan-
zahl an Zellen im Blut (falsche Werte u. U. bei Polyglobulie). Die für die Berechnung des Shuntvolumens
(Fick-Prinzip) benötigte gemischt-venöse Sättigung ist außerdem abhängig vom systemischen Blutfluss, d. h.
bei erhöhtem Blutfluss (z. B. Tachykardie) zeigen sich korrespondierend erhöhte Werte für die venöse Sätti-
gung. Im Allgemeinen können alle Zustände, die eine Veränderung der peripheren Sauerstoffausschöpfung
oder eine Veränderung des Blutflusses bewirken, Einfluss auf die Oxymetrie nehmen und somit die Shuntbe-
rechnung verfälschen.
Wann ist der optimale Zeitpunkt für eine chirurgische Korrektur des VSD?
Aktuell gibt es keine eindeutigen Empfehlungen bezüglich des optimalen Operationszeitpunkts. Für eine
möglichst frühe Operation des VSD spricht, dass es beim Zuwarten zu einer möglichen Ausweitung des De-
fekts aufgrund des instabilen angrenzenden Gewebes kommen kann. Insbesondere Patienten im kardioge-
nen Schock mit großem postischämischem VSD sollten daher notfallmäßig einer Operation zugeführt wer-
den. Andererseits birgt die frühe Operation – eben aufgrund des noch nicht stabilen ischämischen Gewebes
– ein erhöhtes Risiko für ein VSD-Rezidiv und ist mit einer hohen Letalität verbunden. Daher sollten stets
eine individuelle Risikoabwägung und die Besprechung des Operationszeitpunkts mit den Chirurgen erfol-
gen.
172 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Sie stellen die Patientin den Herzchirurgen vor. Eine Zuverlegung kann, bei aktuell hämodynamischer Stabilität, in den
nächsten Tagen erfolgen. Im Zuge der Operationsvorbereitungen wird eine TEE-Untersuchung durchgeführt (› Abb.
3.29).
Abb. 3.29 TEE-Standbild im Farbdopplermodus. Darstellung zweier getrennter Links-Rechts-VSD-Jets, bedingt durch einen
postischämischen VSD im mittseptalen-apikalen Septum. Leicht aneurysmatische Herzspitze [T676]
Sowohl in der TTE- als auch in der TEE-Untersuchung wird ein Aneurysma der
Vorderwand beschrieben. Wie beurteilen Sie dies?
Ungefähr 60 % der ischämischen VSD-Rupturen sind im Bereich des apikalen Septums lokalisiert. Insbeson-
dere die apikalen VSD werden nicht selten von einem Aneurysma begleitet bzw. begünstigt ein Aneurysma
selbst die Entstehung eines VSD. Nicht nur das aneurysmatische Gewebe, sondern auch die angrenzenden
Myokardbezirke werden für gewöhnlich im Verlauf rigider und können, je nach Größe, einen Anstieg von
Wandspannung und somit des LVEDP bewirken. Die dadurch reduzierte Kontraktilität und progrediente
LV-Dilatation führt häufig zu einer Einschränkung der Herzleistung. Weitere aneurysmabedingte Komplika-
tionen sind Thrombenformation mit Emboliegefahr und ein gehäuftes Auftreten von ventrikulären Herz-
rhythmusstörungen.
Die Patientin wird von den Herzchirurgen übernommen und einer kombinierten Bypass (RCA)- und VSD-Operation mit
Ventrikelrekonstruktion unterzogen.
Die Patientin stellt sich bereits 4 Wochen nach der Operation erneut mit Brustschmerzen, Luftnot und erhöhter Tempera-
tur vor.
Anhand der Untersuchungen (EKG, Echokardiografie, Röntgenaufnahme des Thorax) stellen Sie als auffällige Befunde
einen Perikarderguss und beidseitige Pleuraergüsse fest.
3.11 Belastungsdyspnoe und Leistungsschwäche nach Afrikareise 173
Die Befundkonstellation wäre typisch für das sog. Dressler-Syndrom, das auch Postperikardiotomiesyndrom
genannt wird. Ätiologisch wird v. a. eine autoimmune Genese diskutiert, d. h., bestimmte – im Rahmen der
Ischämie oder Operation freigesetzte myokardiale Antigene –, rufen lokale Inflammationsprozesse am Peri-
kard und ggf. der Pleura hervor. Häufig finden sich in diesem Zusammenhang erhöhte Antimyokardiale-
Antikörper-Titer im Serum. Das Dressler-Syndrom tritt meist mit einer Latenzzeit von 4–6 Wochen nach
Operation auf, kann sich aber auch erst Monate später manifestieren. In den letzten Jahren hat die Inzidenz
dieses Syndroms – nicht zuletzt aufgrund der optimierten Reperfusionsstrategien – an Häufigkeit abgenom-
men.
3
Danksagung
Echokardiografie-Bildmaterial mit freundlicher Unterstützung von Frau Dr. Nina Wunderlich und Herrn
Prof. Dr. Horst Sievert, CardioVasculäres Centrum St. Katharinen, Frankfurt.
LITERATUR
Crenshaw BS, Granger CB, Birnbaum Y, et al. Risk factors, angiographic patterns, and outcomes in patients with ventricular
septal defect complicating acute myocardial infarction. GUSTO-I Trial Investigators. Circulation 2000; 101: 27–32.
Thiele H, Kaulfersch C, Daehnert I, Schoenauer M, Eitel I, Borger M, Schuler G. Immediate primary transcatheter closure of
postinfarction ventricular septal defects. Eur Heart J 2009; 30(1): 81–8.
Lapp H, Krakau I. Das Herzkatheterbuch. Diagnostische und interventionelle Kathetertechniken. 3. Auflage. Stuttgart, Thie
me 2010.
Van de Werf F, Bax J, Betriu A, et al. Management of acute myocardial infarction in patients presenting with persistent ST-
segment elevation: the Task Force on the Management of ST-Segment Elevation Acute Myocardial Infarction of the Euro
pean Society of Cardiology. Eur Heart J 2008; 29(23): 2909–45.
KASUISTIK
Anamnese: Ein 54-jähriger Patient wird mit progredienter Dyspnoe eingewiesen. Er sei bisher immer gesund gewesen.
Seit einer Dienstreise nach Afrika bestehen eine Belastungsdyspnoe und eine allgemeine Leistungsschwäche. Der Patient
ist Nichtraucher. Keine Familienanamnese für Herz- und/oder Lungenerkrankungen.
Beim Leitsymptom Dyspnoe sollte immer eine genaue Berufsanamnese durchgeführt werden, auch unter Be-
rücksichtigung früher durchgeführter Tätigkeiten. Besonders die Pneumokoniosen sind oft berufsbedingt! Die
Pneumokoniose oder auch Staublunge entsteht durch die Inhalation von Staub unter Ablagerung von festen,
anorganischen oder – seltener – organischen Teilchen in Bronchien, Lymphknoten und/oder Parenchym, die
Veränderungen der Lunge bewirken. Dies kann sowohl mit als auch ohne Funktionsstörung einhergehen.
174 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Bei einer Leistungsschwäche nach einer Afrikareise ist insbesondere eine genaue Reiseanamnese hilfreich.
Erfragt werden muss, ob die Reise in ein Malariagebiet geführt hat, ob eine Malariaprophylaxe durchgeführt
wurde. Des Weiteren muss erfragt werden, ob eine Infektion vorliegen könnte. Dies wäre besonders bei Rei-
sen in den Tropengürtel wichtig, um die Labordiagnostik auch auf Infektionserreger auszudehnen, die bei
uns nicht vorkommen.
Die erweiterte Anamnese ergibt, dass der Patient als Ingenieur für eine Maschinenbaufirma arbeitet. Es besteht und be-
stand keine Steinstaubbelastung. Die Reise hatte nach Kapstadt geführt (Kapstadt ist malariafreies Gebiet). Der Patient
hat ausschließlich in gehobenen Hotels übernachtet. Eine HIV-Exposition bestand nicht. Während der Reise habe er keine
Anzeichen für eine Infektion bemerkt.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 176 cm groß, 108 kg schwer, BMI 34,9, RR 115/85 mmHg, Herzfrequenz 106/min,
3 Herztöne rhythmisch, rein, keine Herzgeräusche, kein 3. Herzton. Über beiden Lungen Vesikuläratmen. Der JVD ist erhöht.
Leber palpatorisch nicht beurteilbar bei Adipositas. Geringe Beinschwellung mit Betonung des rechten Beins. AF 20/min.
Röntgen-Thorax: Das Herz ist gering vergrößert. Streifenatelektase rechts. Keine pulmonalvenöse Stauung. Geringer
Pleuraerguss rechts.
EKG: SR, Frequenz 106/min, Steiltyp, P = 0,1 s, PQ = 0,18 s, QRS-Breite = 0,13 s, QT-Zeit = 0,42 s. OUP in V1 0,08 Se-
kunden, kompletter Rechtsschenkelblock.
Echokardiografie: normale systolische globale und regionale Funktion. Rechter Ventrikel gering vergrößert, linker Ven-
trikel normal groß. Keine Linkshypertrophie. Trikuspidalinsuffizienz mit einem Druckgradienten von 30 mmHg.
Labor: Das C-reaktive Protein (CRP) gibt Hinweise, ob eine entzündliche Erkrankung vorliegt. Das Blutbild liefert ebenfalls
Hinweise auf eine Entzündung (Leukozytose), auf ein Asthma bronchiale (Eosinophilie) oder auf chronische Herz- und
Lungenerkrankungen (Polyglobulie). Die D-Dimere sind bei Lungenembolie erhöht. BNP und NT-proBNP sind bei Herzin-
suffizienz erhöht (› Kap. 1.9).
Das Troponin ist bei Erkrankungen mit Untergang von Kardiomyozyten erhöht. Das Troponin ist nicht spezifisch für eine
Ischämie!
Bei unserem Patienten ist das CRP 88 mg/l (Norm < 5 mg/l), Leukozyten 12/nl (Norm 4–9/nl), Troponin I 0,6 μg/l (Norm
< 0,032 μg/l) D-Dimere 11 mg/l (Norm < 0,5 mg/l).
Die arterielle Sauerstoffsättigung ist mit 93 % unter Raumluft vermindert.
Bei Dyspnoe mit erhöhten D-Dimeren in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem 12-stündigen Flug
muss an eine tiefe Venenthrombose mit Lungenembolie gedacht werden.
Somit wären eine Duplexsonografie der peripheren Venen und eine CT-Untersuchung des Thorax zu er-
wägen.
3.11 Belastungsdyspnoe und Leistungsschwäche nach Afrikareise 175
Kennen Sie die Sensitivität und Spezifität der Duplexuntersuchung mit der
Fragestellung tiefe Venenthrombose?
In 35 publizierten Studien mit insgesamt 4.747 phlebografisch kontrollierten Patienten betrugen die mediane
Sensitivität und Spezifität 95 respektive 97 %. In lediglich 9 der genannten 35 Studien wurde auch nach Un-
terschenkelvenenthrombosen gefahndet mit einer medianen Sensitivität von 89 % und medianen Spezifität
von 92 %. Diese Zahlen belegen, dass die diagnostische Lücke bisheriger nichtinvasiver Verfahren im Bereich
der Unterschenkelvenen durch die Duplexsonografie geschlossen werden kann.
Die Duplexsonografie ergibt bei unserem Patienten eine Mehretagenthrombose des rechten Beins.
Aufgrund der bisher erhobenen Befunde besteht nun der dringende Verdacht auf eine Lungenembolie. Hierfür sprechen
die Anamnese, die Laborbefunde, das Echokardiogramm und der Nachweis einer tiefen Venenthrombose. 3
Mit dem Nachweis einer tiefen Venenthrombose besteht nun bei unserem
Patienten die Indikation zur Antikoagulation. Würden Sie trotzdem eine CT-
Untersuchung anordnen, um die Lungenembolie nachzuweisen? Wie hoch ist die
Strahlenbelastung bei einem Thorax-CT?
Bei einem hohen Prozentsatz von Patienten mit Lungenembolie kann mithilfe bildgebender Verfahren die
ursächliche Thrombose in den Beinvenen lokalisiert werden. Für den diagnostischen Ablauf bei Verdacht auf
LE ist diese Tatsache bedeutsam. Unter der Vorstellung, dass Akuttherapie und Sekundärprophylaxe für Pa-
tienten mit Beinvenenthrombose (TVT) und für hämodynamisch stabile Patienten mit LE gleich sind, kann
man den diagnostischen Prozess bei Verdacht auf LE in dem Moment abbrechen, in dem eine TVT gefunden
wurde. Das setzt voraus, dass es sich um vorausgewählte Patienten mit einer hohen klinischen Wahrschein-
lichkeit einer Lungenembolie handelt.
Die Strahlendosis bei einer CT-Untersuchung der Thoraxorgane beträgt ca. 6 bis 10 Millisievert (Bundes-
amt für Strahlenschutz 2005).
Die CT-Untersuchung ist also bei unserem Patienten nicht zwingend nötig. Es wäre nur zu klären, ob die
Streifenatelektase im konventionellen Thoraxbild unter Therapie rückläufig ist. Ansonsten sollte ein Thorax-
CT mit der Frage nach einem zentralen Tumor durchgeführt werden.
Wie sehen Sie den Stellenwert der Echokardiografie bei der Lungenembolie?
Kennen Sie die Parameter, die eine rechtsventrikuläre Dysfunktion anzeigen?
Bei unserem Patienten liegt auch eine Erhöhung des Troponinspiegels vor. Sollte
bei ihm eine Koronarangiografie durchgeführt werden oder sind die
Troponinerhöhungen durch die Lungenembolie hinreichend erklärt?
Erhöhte Serumspiegel von Troponin I oder T kommen bei 11–15 % aller Patienten mit Lungenembolie vor,
insbesondere wenn eine rechtsventrikuläre Dysfunktion nachgewiesen wird. Fehlende Troponinerhöhung
und auch ein Normalwert für BNP sind exzellente Marker für einen benignen Verlauf, wenn eine konsequen-
te Antikoagulation gewährleistet ist.
Bei normaler linksventrikulärer Funktion im Echokardiogramm und fehlenden Risikofaktoren für eine
KHK kann auf eine Koronarangiografie verzichtet werden.
3
Wie würden Sie den Patienten risikostratifiziert behandeln?
Nach den bisher erhobenen Befunden ist der Patient als hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dys-
funktion einzustufen (› Tab. 3.15, › Tab. 3.16).
Somit ist eine Lysetherapie zunächst nicht erforderlich. Eine Antikoagulanzientherapie ist indiziert. Erfolgt
diese mit einem Vitamin-K-Antagonisten, muss bis zum Erreichen des therapeutischen Bereichs überlappend
eine Therapie mit fraktioniertem (niedermolekularem) Heparin oder Fondaparinux oder mit unfraktioniertem
Heparin unter PTT-Kontrolle durchgeführt werden. Seit Kurzem ist auch die Initialbehandlung mit dem NOAK
Rivaroxaban zugelassen (s. u.; die Zulassung für die anderen NOAK ist zu erwarten; › Tab. 3.17).
Tab. 3.16 Eine neue Einteilung nach der Frühmortalität wurde in den ESC-Guidelines publiziert
Risikomarker
Risiko der Frühmortali klinisch (Schock oder rechtsventrikuläre myokardialer Scha mögliche therapeuti
tät Hypotension) Dysfunktion den sche Implikationen
Hoch > 15 % + (+) (+) Lyse oder Thrombekto-
mie
Intermediär 3–15 % – + + stationäre Behandlung
Intermediär 3–15 % – + – stationäre Behandlung
Intermediär 3–15 % – – + stationäre Behandlung
Niedrig < 1 % – – – ambulant oder frühe
Entlassung
3.12 Dyspnoe und Reizhusten 177
Tab. 3.17 Bewährte Schemata für die initiale Antikoagulation, die ohne Verzögerung durchzuführen ist
Enoxaparin 1,0 mg/kg 2 × täglich
Tinzaparin 175 U/kg 1 × täglich
Fondaparinux 5 mg (Körpergewicht bis 50 kg) 1 × täglich
7,5 mg (Körpergewicht 50–100 kg)
10 mg (Körpergewicht über 100 kg)
Rivaroxaban 15 mg 2 × täglich
Tab. 3.18 Lyseschemata
Streptokinase 250.000 IU als Bolus über 30 min, gefolgt von100.000 IU/h über 12–24 h
Urokinase 4400 IU/kg als Bolus über 10 min, gefolgt von 4.400 IU/kg/h über 12–24 h akzeleriertes Schema: 3
3 Millionen IU über 2 h
rtPA 100 mg über 2 h oder 0,6 mg/kg über 15 min (Maximaldosis 50 mg)
Kommentar zu Streptokinase und Urokinase: Streptokinase und Urokinase sind nur noch der Vollständigkeit halber aufgeführt.
Es werden heute nahezu ausschließlich rekombinante Plasminogenaktivatoren verwendet.
Über welchen Zeitraum sollte bei unserem Patienten eine orale Antikoagulation
durchgeführt werden?
Da eine reversible Ursache für die Thrombose mit Lungenembolie (Langstreckenflug) und keine Tumorerkran-
kung vorliegt, sollte die orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten mit einem Ziel INR von 2,5 (Bereich
2,0–3,0) über drei Monate durchgeführt werden. Alternativ kann eine Behandlung mit Rivaroxaban erfolgen, ini-
tial (s. o.) Tag 1–21 2 ×/d 15 mg, ab Tag 22 1 ×/d 20 mg, Dosisreduktion auf 15 mg 1 ×/d bei KrCl 15–49 ml/min.
Wie reagieren Sie, wenn der Patient im Verlauf eine anhaltende Hypotonie sowie
eine Hypoxie, verbunden mit einer respiratorischen Azidose, entwickelt?
Der Patient würde dann in das Stadium IV nach Grosser bzw. in die „High-Risk-“Gruppe nach ESC fallen. In
diesem Fall wäre eine Thrombolyse indiziert. Anerkannte Lyseschemata zeigt die › Tabelle 3.18.
LITERATUR
Grosser KD. Akute Lungenembolie. Behandlung nach Schweregraden. Deutsches Ärzteblatt 1988; 85: B587–94.
Jäger K, Eichlisberger R, Frauchiger B: Stellenwert der bildgebenden Sonographie für die Diagnostik der Venenthrombose.
Hämostaseologie 1993; 13: 116–24.
Interdisziplinäre S2 Leitlinie Venenthrombose und Lungenembolie. VASA 2005; 34 (Suppl. 66).
Torbicki A, Perrier A, Konstantinides S, et al. Guidelines on the diagnosis and management of acute pulmonary embolism.
The Task Force for the Diagnosis and Management of Acute Pulmonary Embolism of the European Society of Cardiology
(ESC). Eur Heart J 2008; 29: 2276–315.
KASUISTIK
Ein 68-jähriger Patient stellt sich mit seit ca. 3 Wochen bestehender Dyspnoe und Reizhusten vor. Es besteht kein Auswurf, kein
Fieber. In Seitenlage thorakale Schmerzen. Bis auf eine Pneumonie 5 Jahre zuvor keine ernsthaften Vorerkrankungen bekannt.
178 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
• BB, CRP, Elektrolyte, Kreatinin Harnstoff, CK, LDH, GOT, GPT, BNP, TNI
• Röntgen-Thorax
• EKG, UKG.
3
Beurteilen Sie das Röntgenbild (› Abb.
3.30).
Die Laborwerte des Patienten zeigen: CRP 90 mg/l (< 5 mg/l), CK 388 U/l, LDH 284 U/l, GOT und GPT im Normbereich,
Gesamteiweiß 6,5 g/dl. TNI negativ. BNP nicht erhöht. Unauffälliges Differenzialblutbild. D-Dimer 2,94 mg/dl.
EKG: SR, Frequenz 70/min, Steiltyp, P 0,08 s, PQ 0,14 s, QRS 0,09 s, QT 0,38 s, inkompletter Rechtsschenkelblock.
3.12 Dyspnoe und Reizhusten 179
Echokardiografie: normale globale und regionale Pumpfunktion. Herzhöhlen visuell normal groß. Keine Linkshypertro-
phie. Klappen zart, kein Vitium. Kein Perikarderguss.
NB: großer Pleuraerguss links.
Ein Pleuraerguss unklarer Ätiologie sollte immer punktiert werden. Das Punktat muss dann laborchemisch,
bakteriologisch und zytologisch untersucht werden (› Tab. 3.19).
Tab. 3.19 Klinisch relevante Untersuchungen aus Pleurapunktat (mod. nach Schmidt)
Inspektion Normale Ergussflüssigkeit ist bernsteinfarbig, klarblutige Flüssigkeit: Hämatothorax (Pleura-Hkt 3
> 50 % des Blut-Hkt), hämorrhagischer Erguss (Tumore, artefiziell durch die Punktion)
Trüber Erguss ist zellreich
Milchiger Erguss enthält Fette: Chylothorax (Triglyzeride > 110 mg/dl) oder Pseudochylothorax (Cho-
lesterin > 200 mg/dl)
Eiter: Pleuraempyem
Labor Totalprotein (TP): Ein Exsudat liegt vor bei Pleura-TP: Serum-TP > 0,5 (nach LIGHT)
Laktatdehydrogenase (LDH): zweites Exsudatkriterium
Pleura-LDH: Serum-LDH > 0,6 (nach Light) Pleuraglukose < 60 mg/dl: Infektionen, Kollagenosen
Pleura-pH-Wert 7,2–7,0: parapneumonischer Erguss
pH < 7,0: Pleuraempyem mit Indikation zur chirurgischen Therapie
Zytologie Neutrophilenvermehrung: akute Entzündung
Monozytenvermehrung: chronische Entzündung
Lymphozytose: Tuberkulose, Tumoren
Eosinophilie (selten): Pleuraasbestose, Churg-Strauss-Syndrom, Dressler-Syndrom, Pneumothorax,
durch Medikamente verursacht
Natürlich sucht man im Pleurapunktat immer nach Tumorzellen
Mikrobiologie Übliche Bakteriologie und Mykobakterien
Der Bakteriennachweis erfordert natives Material, das ohne Verzögerung im Labor eintrifft
Bei der Pleurapunktion unseres Patienten konnten 500 ml rötlich trübe Flüssigkeit abpunktiert werden.
Die laborchemische Untersuchung zeigt ein rötlich trübes Punktat mit klarem Überstand.
Gesamteiweiß 4,4 g/dl.
Die mikrobiologische Untersuchung war mikroskopisch und kulturell unauffällig. Mikroskopisch nach Anreicherung keine
säurefesten Stäbchen. Kulturen auf Mykobakterien negativ.
Zytologisch konnten maligne Zellen nicht nachgewiesen werden.
Die nochmalige, genauere Berufsanamnese ergibt, dass der Patient vor ca. 20 Jahren ungeschützt Asbestarbeiten durch-
geführt hat und dass bereits zwei Arbeitskollegen aus der damaligen Zeit an Pleuramesotheliomen verstorben sind.
Der nächste Schritt ist nun die Sicherung der Diagnose durch eine CT-gesteuerte Punktion mit Biopsieentnahme.
Die entnommenen Gewebeproben zeigen einen gering differenzierten malignen Tumor, wobei die Tumorstruktur sowie
die immunhistochemische Konstellation für ein malignes Mesotheliom vom gemischt epitheloiden/sarkomatoiden Typ
(biphasische Variante) sprechen.
Ein kurativer Ansatz wäre eine ausgedehnte Resektion des Tumors. Dabei müssten auch eine Pneumonekto-
3 mie und eine Teilresektion der Thoraxwand erfolgen. Diese Option wurde vom Thoraxchirurgen wegen des
Alters des Patienten abgelehnt.
Palliativ wäre nun eine videoassistierte Dekortikation mit Stichkanalbestrahlung und Chemotherapie oder
alternativ eine Pleurodese mit Talkum, Stichkanalbestrahlung und Chemotherapie zu diskutieren.
LITERATUR
Schmidt M. Der Pleuraerguss: Differentialdiagnosen von Herzinsuffizienz bis Mesotheliom? PERLINK http://www.bayer-
internisten.de/abstracts-pneumo/Schmidt.pdf
2008 Focused Update Incorporated Into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients with Valvular Heart
Disease. J Am Coll Cardiol 2008; 52: e1–e142. http://content.onlinejacc.org/cgi/content/full/52713/e1
KASUISTIK
Vorgeschichte: Frau S. wird von ihrem Hausarzt wegen zunehmender Herzinsuffizienz in Ihre kardiologische Ambulanz
überwiesen.
Bei Frau S. wurde vor 20 Jahren ein Aortenklappenersatz bei hochgradiger Aorteninsuffizienz bei einer bikuspiden Aor-
tenklappe durchgeführt. Vor 10 Jahren erfolgte ein erneuter Aortenklappenersatz, diesmal mit zusätzlichem Ersatz der
Aorta ascendens (Carboseal 25 mm mechanische Klappe mit klappentragendem Conduit). Bei einem postoperativ aufge-
tretenen AV-Block III° wurde ein Einkammer-Schrittmacher implantiert.
Frau S. berichtet, dass ihre körperliche Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren langsam abgenommen habe. Größere
körperliche Anstrengungen seien ihr nicht möglich. Treppensteigen sei nur bis zu einer Etage ohne große Anstrengung
möglich. Keine febrilen Episoden, der INR sei stets im Zielbereich gewesen.
Als regelmäßige Medikation nimmt Frau S. ein Diuretikum, einen ACE-Hemmer, einen Betablocker sowie einen Aldoste-
ron-Antagonisten und Phenprocoumon ein.
• Klappendysfunktion
• SM-Dysfunktion
• Anämie
• Koronarinsuffizienz (Reinsertion bei OP?), Koronarembolie
• Z. n. Myokarditis
3.13 Abnehmende Leistungsfähigkeit nach Aortenklappenersatz 181
• Phrenikusparese
• Lungenerkrankung.
Körperliche Untersuchung: 45-jährige schlanke Patientin in chronisch gering reduziertem Allgemeinzustand. Keine Zei-
chen der akuten kardialen Dekompensation. Kunstklappentöne regelrecht, keine Aorteninsuffizienz auskultierbar.
Die apparativen Untersuchungen zeigen folgende Ergebnisse (› Abb. 3.32, › Abb. 3.33, › Abb. 3.34):
Deutliche linksventrikuläre Herzvergrößerung mit Z. n. AKE und Sternotomie. Regelrecht liegender Einkam-
merschrittmacher. Kein Pneumothorax. Kein Nachweis eines entzündlichen Infiltrats, keine Stauung, kein
Pleuraerguss.
Offensichtlich wurde bei AV-Block ein Einkammersystem implantiert (und dieses nur mit einer unipolaren
Sonde, erkennbar im Röntgenbild an der Sondenspitze, bipolare Sonden haben zusätzlich einen Ring ca.
1,5 cm vor dem distalen Ende). Dies ist nur bei sehr seltener ventrikulärer Stimulation oder bei Vorhofflim-
mern indiziert, ansonsten besteht die Indikation für einen Zweikammerschrittmacher.
182 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Liegt eine asynchrone Kontraktion des linken Ventrikels vor, so lässt sich diese in einem Teil der Fälle durch 3
eine biventrikuläre Stimulation resynchronisieren. Es hat sich gezeigt, dass sich hierdurch sowohl eine Herz-
insuffizienzsymptomatik als auch die Mortalität der Herzinsuffizienz günstig beeinflussen lassen.
Nach den derzeit gültigen Leitlinien der DGK (› Kap. 3.1) und ESC besteht übereinstimmend eine Indi-
kation zur Resychronisationtherapie bei Patienten im Stadium NYHA III–IV mit einer Auswurffraktion un-
ter 35 %, die trotz optimaler medikamentöser Therapie weiterhin symptomatisch sind. Während früher in
den Leitlinien noch eine Dilatation des linken Ventrikels gefordert wurde, ist heute die Indikation unabhän-
gig von der Ventrikelgröße.
Die europäischen Leitlinien (ESC) (› Tab. 3.2) differieren etwas von denen der Deutsche Gesellschaft für
Kardiologie (› Tab. 3.20).
Tab. 3.20 Zusammenfassung der Indikationen zur Device-Therapie bei Herzinsuffizienz (nach Israel et al. 2012)
Empfehlung Patientengruppe Empfehlungsgrad Evidenzgrad
CRT-P/CRT-D wird empfohlen • NYHA III/IV I A
zur Reduktion der Morbidität • LVEF ≤ 35 %
und Mortalität • QRS ≥ 120 ms
• SR
• OMT
• Patienten in NYHA-Klasse IV sollten geh-
fähig sein
CRT, insbesondere CRT-D wird • NYHA II I A
zur Reduktion der Morbidität • LVEF ≤ 35 %
und zur Prävention des Fort- • QRS ≥ 150 ms
schreitens einer Herzinsuffizienz • SR
empfohlen • OMT
Tab. 3.20 Zusammenfassung der Indikationen zur Device-Therapie bei Herzinsuffizienz (nach Israel et al. 2012)
(Forts.)
Empfehlung Patientengruppe Empfehlungsgrad Evidenzgrad
CRT-P/CRT-D sollten zur Reduk- • Klasse-I-Indikation zur Schrittmacherthe- I B
tion der Morbidität in Erwägung rapie
gezogen werden • NYHA III/IV
• LVEF ≤ 35 %
• QRS ≥ 120 ms
LVAD können als „destination • Patienten,die nicht für eine HTx infrage IIb B
therapy“ zur Reduktion der kommen
Mortalität in Erwägung gezogen • NYHA IIIB/IV
werden • LVEF ≤ 25 %
• VO2max < 14 ml/kg/min
CRT: kardiale Resynchronisationstherapie, CRT-P: CRT mit Schrittmacherfunktion, CRT-D: CRT mit Defibrillatorfunktion, HTX:
Herztransplantation, LVAD: linksventrikuläres Assist-Device, LVEF: linksventrikuläre Ejektions-fraktion, NYHA: New York Heart
Association, OMT: optimale medikamentöse Therapie, SR: Sinusrhythmus, VHF: Vorhofflimmern, VO2max: maximale Sauerstoff-
aufnahme
Kommt es bei allen Patienten unter CRT zu einer Verbesserung der Symptomatik?
Nein. Derzeit spricht man je nach gewähltem Endpunkt von einer Responderquote von 55–75 % (Rybak et al.
2008). Bisher ist es noch nicht gelungen, Kriterien zu entwickeln, um die Responderquote zu verbessern. Die
Echokardiografie, mit der man eine Asynchronie des linken Ventrikels gut beurteilen kann, hat in einer gro-
ßen Studie (PROSPECT-Studie) keine höhere Voraussagekraft sowohl der klinischen Verbesserung als auch
Verbesserung der Auswurffraktion (echokardiografisch gemessen) herbeiführen können (Chung et al. 2008),
sodass die QRS-Breite im EKG weiterhin der beste Vorhersageparameter ist. Je breiter der QRS-Komplex,
desto größer ist die Chance einer Verbesserung der Herzleistung durch eine Resynchronisation der Kontrak-
tion (hier liegt der Grund für die Stratifizierung der Indikation nach QRS-Breite durch die Deutsche Gesell-
schaft für Kardiologie).
ter Schrittmacheraktion zeigte sich überaschenderweise eine erhaltene Sinusaktion, sodass hier umso mehr
von einer hämodynamischen Verbesserung durch eine AV-Synchronisation mit resynchronisierter ventriku-
lärer Stimulation auszugehen ist.
Aufgrund der hochgradig eingeschränkten Funktion sollte ein biventrikulärer Schrittmacher mit ICD-
Funktion (= CRT-D) gewählt werden.
Sie besprechen mit der Patientin die Indikation zur Implantation eines CRT-D.
Worüber müssen Sie aufklären?
Die Aufklärung für eine Schrittmacher- bzw. ICD-Implantation ist recht aufwendig:
• Zunächst muss die Patientin, wie bei jedem Eingriff, über die Indikation und die Alternativen aufgeklärt 3
werden.
• Der chirurgische Eingriff an sich mit möglichen Komplikationen (Schmerzen, Blutung, Gefäß- und Ner-
venverletzungen, Infektionen etc.) muss erläutert werden.
• Auf das Verhalten nach dem Eingriff (Vermeiden der Elevation des betroffenen Arms) muss besonders
eingegangen werden.
• Die Nachsorge (Notwendigkeit von regelmäßigen Schrittmacher-/ICD-Kontrollen) sollte unbedingt be-
sprochen werden, ebenso das Verhalten bei eventuellen Therapieabgaben.
• Über das Verhalten mit dem Schrittmacher/ICD muss aufgeklärt werden (Kontrollen beim Flughafen,
Kernspinuntersuchungen (außer bei neuesten MR-fähigen Aggregaten, aber auch hier ist eine passagere
Umprogrammierung notwendig), Meiden von Magnetfeldern und elektrischen Feldern, Probleme mit
elektrischen Geräten, z. B. transkutane elektrische Nervenstimulation = TENS, elektrische Bohrmaschine,
elektrische Zündanlagen, größere elektrische Maschinen mit elektrischen Störfeldern, Diebstahlkontroll-
einrichtungen in Kaufhäusern, elektrischen Weidezäunen u. a.).
• Die Patienten müssen ein Merkblatt (z. B. Informationsbroschüre des Herstellers) mit Verhaltensregeln
erhalten.
• Die Aufklärung sollte anhand eines entsprechenden Aufklärungsbogens erfolgen und sorgfältig doku-
mentiert werden.
• Insbesondere bei jungen Patienten ist auf die Fahrtüchtigkeit einzugehen:
– Die Fahrtauglichkeit eines ICD-Patienten kann durch die Gefahr von Bewusstseinsverlusten einge-
schränkt sein. Hier ist stets eine individuelle Beurteilung des Risikos eines Bewusstseinsverlusts erfor-
derlich. Ggf. ist bei einer Progredienz der Erkrankung oder beim häufigen Auftreten von Therapien ei-
ne Neubeurteilung erforderlich.
– In den Leitlinien werden zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit zwei Gruppen von Kraftfahrzeugführern
unterschieden. Zur Gruppe 1 gehören kleine Fahrzeuge mit und ohne Anhänger, Motorradfahrer und
Autofahrer, zur Gruppe 2 gehören Kraftfahrzeugführer von Lkw (> 3,5 t) und Fahrzeugführer, die von
Berufs wegen mehr als acht Passagiere befördern. Taxi- und Krankenwagenfahrer werden zwischen
diesen beiden Gruppen eingeordnet.
– Nach den aktuellen Leitlinien sollten den Fahrzeugführern der Gruppe 1 nur minimale und vorüberge-
hende Restriktionen verordnet werden. In den letzten Jahren wurden die Restriktionen tendenziell ge-
lockert und die Dauer der Fahrverbote reduziert. Bei niedrigem Risiko sollte die Dauer des Fahrverbots
3 Monate nicht überschreiten.
– Die Voraussetzungen für Personen und Güterverkehr (Gruppe 2) erfüllen ICD-Patienten in aller Regel
nicht, sodass diese Patienten möglicherweise berufsunfähig sind.
– Der Patient muss vor Implantation hierüber genau aufgeklärt werden (Dokumentation). Die Ein-
schränkungen beruhen aber nicht auf der ICD-Implantation an sich, sondern auf der Gefahr von Be-
wusstseinsverlusten durch Rhythmusstörungen.
186 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Frau S. stimmt der Implantation eines biventrikulären Schrittmachers mit ICD-Funktion zu. Der Eingriff verläuft ohne
Komplikationen. Das Aggregat wurde zur Optimierung des Schockfelds links implantiert. Die ursprüngliche unipolare
Ventrikelsonde wurde stillgelegt. Intraoperativ wurde der ICD den Leitlinien entsprechend getestet.
Nach den gültigen offiziellen Leitlinien sollte weiter getestet werden. Die aktuelle Expertenmeinung tendiert aber
dazu, Routinefälle, insbesondere bei Primärprophylaxe, nicht mehr zu testen, da ein ICD-Test immer das Risiko
einer tödlichen Komplikationen beinhaltet (0,1–0,2 %). Auch wird inzwischen die Vorhersagekraft einer erfolgrei-
chen Therapie eines künstlich herbeigeführten Kammerflimmerns bezweifelt (Blatt et al. 2008, Kolb et al. 2009).
3 Die Aggregate sind inzwischen deutlich leistungsfähiger als noch vor einigen Jahren, wodurch Schocks mit höherer
Energie (> 35 J) und kürzere Ladezeiten möglich sind. Zusätzlich sind die Detektions- und Terminierungsalgorith-
men verbessert worden. Prospektive Studien fehlen, eine abschließende Beurteilung ist derzeit noch nicht möglich.
Nach dem Eingriff veranlassen Sie eine Röntgenaufnahme.
Die Röntgenaufnahme dient zur Überprüfung der (radiologisch) korrekten Sondenlage sowie zur entspre-
chenden Dokumentation. Ein Pneumothorax sollte ebenfalls ausgeschlossen werden.
3.14 Plötzlicher Leistungsknick 187
Weiterer Verlauf: Bei der Patientin kommt es innerhalb weniger Wochen zu einer deutlichen Zunahme der Belastbarkeit
(jetzt NYHA-Stadium II).
In der Echokardiografie 18 Monate nach CRT-Implantation hat sich die Ventrikelgröße normalisiert, die systolische Funk- 3
tion ist nunmehr nur noch mäßig eingeschränkt.
Anmerkung: Die Werte stimmen tatsächlich und wurden von mehreren Untersuchern unabhängig praktisch
gleich gemessen. Den enormen Erfolg kann der Autor nur durch die deletäre und vor allem nicht indizierte
ventrikuläre Stimulation erklären.
LITERATUR
Blatt JA, Poole JE, Johnson GW, et al. No benefit from defibrillation threshold testing in the SCD-HeFT (Sudden Cardiac
Death in Heart Failure Trial). J Am Coll Cardiol 2008; 52(7): 551–6.
Chung ES, Leon AR, Tavazzi L, et al. Results of the Predictors of Response to CRT (PROSPECT) trial. Circulation 2008;
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Jung W, Andresen D, Block M, et al. Leitlinien zur Implantation von Defibrillatoren. Clin Res Cardiol 2006; 95: 696–708.
Israel CW, Anker SD, Hasenfuß G. Kommentar zu den ESC-Leitlinien zur Device-Therapie bei Herzinsuffizienz 2010. Kardiolo
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Klein HH, Krämer A, Pieske BM et al. Positionspapier Fahreignung bei kardiovaskulären Erkrankungen. Kardiologe 2010:
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Kolb C, Tzeis S, Zrenner B. Defibrillation threshold testing: tradition or necessity? Pacing Clin Electrophysiol 2009; 32(5):
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Mewis C, Neuberger H-R, Boub A. Ist die intraoperative ICD-Testung noch nötig? Herzschr Elektrophys. 2010; 21:123–128.
Rybak K, Nowak B, Pfeiffer D, et al. Kommentar zu den ESC-Leitlinien „Guidelines for cardiac pacing and cardiac resynchro
nization therapy“. Kardiologe 2008; 2: 463–78.
Tebbenjohanns J, Willems S, Antz M, et al. Kommentar zu den „ACC/AHA/ESC 2006 guidelines for management of patients
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The Task Force for Cardiac Pacing and Cardiac Resynchronization Therapy of the European Society of Cardiology. Developed
in Collaboration with the European Heart Rhythm Association. Guidelines for cardiac pacing and cardiac resynchronizati
on therapy. Eur Heart J 2007; 28: 2256–95.
KASUISTIK
Ein 62-jähriger Patient stellt sich in Ihrer Ambulanz mit einem Leistungsknick seit einer Woche vor. Kleinste Anstrengun-
gen sind für ihn kaum mehr zu schaffen. Beim Blutdruckmessen fällt ein sehr langsamer Puls auf.
In der Vorgeschichte ist eine KHE bekannt, in die LAD und die RKA wurden vor 4 Jahren jeweils Stents implantiert. Seitdem
sind keine pektanginösen Beschwerden aufgetreten.
Als kardiovaskuläre Risikofaktoren sind ein arterieller Hypertonus und ein Z. n. Nikotinabusus bekannt.
188 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Im Routinelabor finden sich folgende pathologischen Werte: Kreatinin 2,0 mg/dl, Hb 11,9 g/dl, übrige Werte (einschließ-
lich TSH) sind unauffällig.
Echokardiogramm: Aortenwurzel normal weit, AK: verdickt, Öffnungsbewegung vermindert, keine Insuffizienz, Vmax =
3,45 m/s, dpmax = 48 mmHg, dpmean = 23 mmHg je nach RR-Intervall, prä.-valv. 1,00 m/s, dpmax 4 mmHg, KÖF nach Kon-
tinuitätsgleichung 1,2 cm2, damit mittelgradige Stenose – RA: normale Größe (visuell beurteilt), LA: gering vergrößert,
RV: normale Größe, LV: gering vergrößert, Wanddicken normal. Systolische Globalfunktion grenzwertig (planimetrische
EF ∼ 55 %). Diastolische Globalfunktion normal, MK: verdickt, Bewegung normal, geringe Insuffizienz, keine Stenose,
Ringkalk; TK: altersentsprechend, Bewegung normal, dpmax (RV/RA) nicht beurteilbar – kein Perikarderguss.
3
SR, Kammerfrequenz 44/min, Linkstyp, AV-Block Grad II, T-Negativierung in I und aVL.
Können Sie anhand des kurzen EKG-Streifens den AV-Block Grad II näher
klassifizieren?
Bei dem AV-Block Grad II wird der Mobitz-Typ I (Wenkebach) vom Mobitz-Typ II unterschieden. Bei dem
Mobitz-Typ I wird die PQ-Zeit zunehmend länger, bis eine Vorhofaktion nicht mehr auf die Kammer überge-
leitet wird. Bei dem Mobitz-Typ II ist die PQ-Zeit konstant, es kommt hier jedoch ebenfalls zu fehlenden
Überleitungen von Vorhofaktionen auf die Kammer. Der Ort der Blockierung ist bei beiden Typen unter
schiedlich. Die Blockierung beim Mobitz-Typ II liegt unterhalb des AV-Knotens (infrahissär) und ist mit
deutlich höherer Progression zu kompletten AV-Blockierungen vergesellschaftet.
In dem oben dargestellten EKG ist eine Unterscheidung zwischen einem AV-Block Grad II Typ I und ei-
nem Typ II nicht möglich. Da jede zweite Kammerüberleitung ausfällt, kommen beide Typen infrage.
3.14 Plötzlicher Leistungsknick 189
Es wird keine Vorhofaktion mehr auf die Kammern übergeleitet. Der Block kann intermittierend oder perma-
nent auftreten. Von einem untergeordneten Zentrum wird ein Kammerersatzrhythmus generiert. Befindet sich
das Kammerersatzzentrum im AV-Knoten oder His-Bündel, liegt die QRS-Dauer in der Regel unter 120 ms. Als
Faustregel gilt, je tiefer das sekundäre oder tertiäre Schrittmacherzentrum gelegen ist, desto langsamer ist der
Ersatzrhythmus. Insbesondere Patienten mit Kammerersatzrhythmen < 40/min haben häufig Synkopen.
Abgebildet sind drei Ableitungen. Zu beachten sind die mit den roten Pfeilen markierten Vorhofaktionen.
Man sieht, dass die PQ-Zeit von Herzzyklus zu Herzzyklus zunimmt. Die Vorhofaktion, die durch den 4. Pfeil
markiert ist, wird durch die Kammer nicht mehr beantwortet. Der anschließende Herzzyklus zeigt wieder
eine verkürzte PQ-Zeit.
Tab. 3.21 Indikationen zur Schrittmachertherapie bei atrioventrikulären Überleitungsstörungen (nach ESC 2013)
(Forts.)
Empfehlungen Klasse Grad
Erworbener AV-Block. Schrittmachertherapie ist nicht indiziert bei Patienten mit AV-Block, be- III C
dingt durch reversible Ursachen
EPU: elektrophysiologische Untersuchung
Inzwischen wurde ein Herzschrittmacher implantiert. Bitte interpretieren Sie das EKG (› Abb. 3.38).
Spontaner Sinusrhythmus, nach dem Ablauf des programmierten AV-Delay erfolgt die vorhofgetriggerte
Stimulation der Kammer.
Aufgrund von wissenschaftlichen Daten gibt es Hinweise, dass sich ein unnötig hoher Anteil an rechtsventrikulä-
rer Stimulation negativ auswirken kann. Vor allem bei Vorliegen einer Herzinsuffizienz hat dies prognostische
Bedeutung. Selbst bei erhaltener linksventrikulärer Funktion kommt es durch einen hohen rechtsventrikulären
Stimulationsanteil zu einem vermehrten Auftreten von Vorhofflimmern und auch zu einer Verschlechterung der
Ventrikelfunktion. Neue Schrittmacheralgorithmen erlauben einen automatischen Moduswechsel zwischen AAI-
und DDD-Stimulation, um überflüssige rechtsventrikuläre Stimulation zu vermeiden. Bei unserem Patienten
zeigte die weitere Verlängerung des AV-Delays (AV-Hysterese) weiterhin eine rechtsventrikuläre Stimulation.
LITERATUR
Brignole M, Auricchio A, Baron-Esquivias G, et al. 2013 ESC Guidelines for cardiac pacing and cardiac resynchronization therapy:
The Task Force for Cardiac Pacing and Cardiac Resynchronization Therapy of the European Society of Cardiology (ESC). Deve
loped in Collaboration with the European Heart Rhythm Association (EHRA). Eur Heart J 2013. Doi:10.1093/eurheartj/eht150
3.15 Dyspnoe und Leistungsschwäche bei Belastung 191
KASUISTIK
Anamnese: Ein 62-jähriger Mann kommt in Ihre Praxis mit seit einigen Wochen bestehender Leistungsminderung und
Dyspnoe. Die Beschwerden traten initial vor allem beim Sport auf, zwischenzeitlich aber auch auf geringeren Belastungs-
stufen wie Treppensteigen, sodass der Patient zunehmend beeinträchtigt ist. Es bestehen keine Vorerkrankungen, keine
kardiovaskulären Risikofaktoren, keine typische Angina pectoris und auch keine klinischen Zeichen einer chronischen
Herzinsuffizienz.
Körperliche Untersuchung: Blutdruck am rechten Arm 140/90 mmHg, Herzfrequenz regelmäßig mit 60/min. Übrige
körperliche Untersuchung unauffällig.
Das Ruhe-EKG (SR etc.) und die Echokardiografie zeigen Normalbefunde (keine diastolische Funktionsstörung).
Bei der Fahrradergometrie fällt Ihnen auf, dass der Patient bei 75 Watt einen kompletten Linksschenkelblock
entwickelt, einhergehend mit Dyspnoe und abrupter Leistungsminderung. Die Belastung wurde wegen neu auf-
tretenden Linksschenkelblocks abgebrochen. Nach kurzer Ruhephase war der LSB vollständig rückläufig.
Es liegt eine positive Ergometrie bezüglich einer Ischämie vor. Es wird eine invasive Diagnostik vorgeschla-
gen.
Die Koronarangiografie zeigte einen Normalbefund ohne relevante Stenosen. Der Füllungsdruck im LV war leicht er-
höht (LV-end 16 mmHg).
Der Patient stellt sich nach wenigen Wochen erneut vor, weil die Symptome persistieren. Schwindelattacken oder synko-
pale Ereignisse werden explizit verneint. Sie beschließen, ein Langzeit-EKG durchzuführen.
Das Langzeit-EKG zeigte einen Sinusgrundrhythmus mit intermittierend kurzen Phasen von LSB. Insgesamt sind keine
längeren Pausen (> 3 s) nachzuweisen. Sie vermuten, dass die ausgeprägte Leistungsminderung auf einen Herzfrequenz-
assoziierten LSB zurückzuführen ist.
Eine Spiroergometrie (› Abb. 3.39; › Tab. 3.22) wäre eine Möglichkeit, um insgesamt die Leistungsfähig-
keit des Patienten zu objektivieren und gleichzeitig einzuordnen, inwiefern die Limitation eher kardial bzw.
pulmonal bedingt sein könnte.
192 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Wie interpretieren Sie insgesamt den Befund? Ist der Patient kardial und
pulmonal ausbelastet?
Die Untersuchung wurde wegen Dyspnoe abgebrochen. Anstiege der Herzfrequenz und des Blutdrucks sind
adäquat und nicht pathologisch verändert. Der Patient ist kardial nicht ausbelastet (Herzfrequenz 79 % Soll).
Pulmonal ist der Patient ebenfalls nicht ausbelastet, da die Atemreserve 52 % beträgt.
Bei Gesunden ist bei kardialer Ausbelastung eine Atemreserve von ca. 25–30 % erhalten. Die Atemreserve
bezieht sich dabei auf das MVV (maximales voluntäres Volumen, auch „Atemgrenzwert“). Das MVV wird in
den meisten Geräten anhand des forcierten exspiratorischen Volumens (FEV1) berechnet (FEV1 × 35). Bei
primär pulmonaler Limitation, z. B. bei fortgeschrittener COPD, kann die FEV1-bezogene Atemreserve unter
Belastung bereits „ausgeschöpft“ sein, bevor die Ziel-Herzfrequenz erreicht wird (z. B. 15 %). Die Atemreser-
ve (breathing reserve, BR) wird auch in Panel 8 (› Abb. 3.39) dargestellt.
der V'O2-max). Bei Patienten mit fortgeschrittener COPD kann es vorkommen, dass die anaerobe Schwelle
gar nicht erreicht wird. Die anaerobe Schwelle kann durch die Interpretation von verschiedenen Kurven der
9-Felder-Grafik abgeschätzt werden. Eine serielle Laktatbestimmung ist daher nicht zwingend notwendig.
Wenn die pulmonale Sauerstoffaufnahme konstant bleibt (keine Diffusionsstörung), korreliert die pro Herz-
schlag transportierte Sauerstoffmenge gut mit dem Schlagvolumen. Dieser kardiozirkulatorische Parameter
wird in › Abbildung 3.39, Panel 2, als „Sauerstoffpuls“ (als Sauerstoffaufnahme/Herzfrequenz, ml/Schlag)
dargestellt. Neben den Absolutwerten ist auch ein gleichmäßiger Anstieg des Sauerstoffpulses unter Belas-
194 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
tung zur Interpretation wichtig: Bei austrainierten Sportlern kommt es unter Belastung zu einem kontinuier-
lichen Anstieg des Sauerstoffpulses, der die Normwerte (Normtabellen) üblicherweise deutlich übersteigt.
Bei kardiozirkulatorischer Limitation kommt es hingegen typischerweise zu einer Abflachung bzw. Plateau-
bildung der Sauerstoffpulskurve. Diese Plateaubildung ist allerdings nicht krankheitsspezifisch; so kann so-
wohl eine Linksherzinsuffizienz als auch eine pulmonale Hypertonie eine Plateaubildung der Sauerstoffpuls-
kurve bewirken.
Der Patient zeigt beginnend bei ca. 70 Watt bei einer Herzfrequenz von 80/min eine Plateaubildung der
Sauerstoffpulskurve (› Abb. 3.39, Panel 2). Diese Phase trat zeitgleich mit dem Auftreten eines LSB
(› Abb. 3.40) und Beginn einer klinischen Symptomatik (Dyspnoe und Gefühl von Leistungsminderung)
auf.
Der Patient wurde infolgedessen mit einem Betablocker (Bisoprolol 5 mg/d) behandelt, um einen Herzfre-
3 quenzanstieg unter einer körperlichen Belastung so weit abzuschwächen, dass der frequenzabhängige LSB
möglichst nicht auftritt. Die Medikation führte in der Tat zu einer deutlichen Besserung der subjektiven Leis-
tungsfähigkeit und zur Normalisierung des Alltags. Eine Indikation für weitere elektrophysiologische Unter-
suchungen bestand nicht. Ebenfalls ist eine Indikation für eine kardiale Resynchronisation nicht gegeben.
LITERATUR
Kroidl RF, Schwarz S, Lehnigk B. Kursbuch Spiroergometrie. Stuttgart: Thieme; 2010.
3.16 Eingeschränkte Belastbarkeit 195
Eine 36-jährige Frau stellt sich in Ihrer kardiologischen Praxis vor. Seit ungefähr einem halben Jahr bemerkt sie eine zu-
nehmend eingeschränkte Belastbarkeit während des regelmäßig durchgeführten Ausdauersports (ca. 1- bis 2-mal pro
Woche Jogging) und fühlt sich oft müde. Bei einer Blutuntersuchung des Hausarztes ergaben sich keine Auffälligkeiten.
In der Familie seien zudem keine Herzerkrankungen bekannt. Bislang war die junge Frau immer gesund gewesen. In der
körperlichen Untersuchung fallen – besonders im Sitzen – ein 2⁄6-Systolikum im 2. ICR parasternal links sowie eine fixier-
te Spaltung des 2. Herztons auf. Das EKG zeigt einen inkompletten Rechtsschenkelblock.
Anamnese, Untersuchungsbefund und EKG sind mit der Verdachtsdiagnose Vorhofseptumdefekt (ASD) ver-
einbar. Hierbei kommt es durch einen Shunt auf Vorhofebene zu einer Rechtsherzüberlastung, was die ge-
schilderte Symptomatik bedingen kann. Durch das erhöhte rechtsventrikuläre Volumen und die prolongierte
Auswurfphase resultieren in vielen Fällen eine Flussbeschleunigung über der Pulmonalklappe sowie eine at-
mungsunabhängige Spaltung des 2. Herztons. Ein inkompletter Rechtsschenkelblock kann in jungem Alter
sowohl physiologisch als auch Ausdruck einer Rechtsherzbelastung sein.
Bis zum Erwachsenenalter können Symptome komplett fehlen und ein ASD übersehen werden, da hier die
typischen Herzgeräusche oft noch nicht auskultierbar sind. Im Erwachsenenalter zeigen sich am häufigsten
Belastungsdyspnoe, Palpitationen, Müdigkeit und rezidivierende pulmonale Infektionen. Ebenso können pa-
radoxe Embolien auftreten. In fortgeschrittenem Stadium treten nicht selten Herzrhythmusstörungen wie
Vorhofflattern, Vorhofflimmern oder ein Sinusknotensyndrom auf. Große Vorhofseptumdefekte führen un-
behandelt zu einem pulmonalen Hypertonus durch pulmonalvaskuläre Widerstandserhöhung und entspre-
196 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
chenden (oft therapieresistenten) Symptomen. Kleine ASD (< 10 mm) können lange unbemerkt bleiben, wer-
den im höheren Lebensalter jedoch aufgrund einer eingeschränkten Compliance des linken Ventrikels und
des daraus resultierenden größeren Shuntvolumens oft klinisch relevant.
Folgende Indikationen gelten als gesichert (Warnes et al. 2008, Baumgartner et al. 2010):
• Zeichen der rechtskardialen Volumenüberladung (vergrößerte rechte Herzhöhlen), unabhängig von der
Symptomatik (Klasse I, Evidenzgrad B)1
• Pulmonaler Blutfluss/systemischer Blutfluss (Qp/Qs) > 1,5 in der Rechtsherzkatheteruntersuchung (IIaC)
3 • Pulmonalarterieller Druck weniger als 2⁄3 des systemisch-arteriellen Druck, pulmonalvaskulärer Wider-
stand weniger als 2⁄3 des systemischen Widerstands oder Ansprechen auf einen pulmonalen Vasodilatator
oder Probeokklusion (IIaC)1
• Okkluder-Verschlusssysteme sind die Therapie der Wahl bei ASD vom Sekundumtyp, wenn anwendbar
(IC)
• Paradoxe Embolisation (IIaC)
• Dokumentierte Orthodeoxie/Platypnoe (Abfall der Sauerstoffsättigung in Abhängigkeit von der Körper-
position) (IIaB)
• Ein ASD-Verschluss darf bei Patienten mit Eisenmenger-Syndrom nicht durchgeführt werden (IIIC).
Operation: Der operative ASD-Verschluss erfolgt mittels Patch-Plastik oder direktem Nahtverschluss via
rechtsseitiger Thorakotomie, Sternotomie oder neuen Mini-Thorakotomie-Verfahren. Begleitende Anomali-
en können und sollten während der Prozedur korrigiert werden, z. B. in Form einer Korrektur begleitender
Pulmonalvenenfehlmündungen, Trikuspidalklappen-Reparatur oder einer Maze-Prozedur bei begleitendem
Vorhofflimmern oder -flattern. Solange keine pulmonale Hypertonie oder andere schwere Begleiterkrankun-
gen vorliegen, ist die perioperative Mortalität niedrig (< 1 %), das Langzeit-Outcome hervorragend und führt
meist zu einer deutlichen Verbesserung oder Sistieren der initialen Symptomatik.
Kathetergesteuerte Schirmimplantation: Hierbei wird via Femoralvene, Vena cava inferior, rechtem
Vorhof der ASD sondiert und ein Katheter unter TEE- (oder intrakardialem Ultraschall) und Fluoroskopie-
Kontrolle im linken Atrium positioniert. Nach Vermessung des Defekts mit einem Ballon (engl.: stretch dia-
meter) wird die linksatriale Scheibe des Doppelschirm-Verschlusssystems im linken Vorhof entfaltet und an
das interatriale Septum angelegt, wobei der Defekt komplett abgedeckt werden sollte. Bei adäquater Position
der linksatrialen Scheibe wird konsekutiv auch die rechtsatriale Scheibe eröffnet. Mittlerweile wurden ver-
schiedene Okkludersysteme für den perkutanen ASD-Verschluss zugelassen (Hein et al. 2005).
Anmerkung: Patienten, bei denen ein ASD-Verschluss vor dem 25. Lebensjahr erfolgt, haben eine norma-
le Lebenserwartung.
1 In den ESC-Leitlinien wird in diesen Punkten zusätzlich zwischen Patienten mit einem pulmonalvaskulären Widerstand kleiner
bzw. größer gleich 5 WU unterschieden (Baumgartner et al. 2010).
3.16 Eingeschränkte Belastbarkeit 197
Ein ASD vom Primum-, Sinus-venosus-, oder Koronarsinus-Typ sollte in jedem Fall operativ versorgt wer-
den (IIaC), ebenso wie Patienten mit operationsbedürftigen kardialen Anomalien. Patienten mit ASD vom
Sekundumtyp und Kontraindikation zu einer perkutanen Intervention (z. B. fehlendes Septumgewebe am
anterioren oder posterioren Defektrand) bzw. Patienten, bei denen eine Trikuspidalklappenoperation not-
wendig ist, sollten ebenfalls operiert werden (IIaC).
Anatomisch unkomplizierte ASD vom Sekumdumtyp sollten interventionell verschlossen werden. Voraus- 3
setzung ist ein Defektdiameter < 38 mm während der Ballonmessung und ein Rand > 5 mm (Ausnahme:
aortaler Defektrand). Die damit verbundenen peri- und postinterventionellen Komplikationsraten sind nied-
rig (schwere Komplikationen ≤1 %). Sofern genügend Abstand zwischen den Defekten vorhanden ist
(> 7 mm), können auch multiple ASD während einer Prozedur verschlossen werden. Im Fall zwei nahe gele-
gener Defekte ist oft auch ein einzelnes Schirmsystem zur Abdeckung beider Defekte geeignet.
• Bei grenzwertiger Indikation (z. B. kleiner ASD, grenzwertige rechte Herzhöhlen oder bei diskrepanten
Befunden zwischen Symptomatik und Diagnostik) kann eine Stresstestung sinnvoll sein. Bei Patienten
mit pulmonaler Hypertonie können mit dieser Methode auch Veränderungen in der Sauerstoffsättigung
erfasst werden.
• Das TEE ist die primäre diagnostische Modalität, um einen interatrialen Shunt (Colour-Doppler-Modus)
und eine rechtskardiale Volumenüberladung zu evaluieren. Hierbei sollten die üblichen Standardschnitte
verwendet werden, mit besonderem Augenmerk auf subkostale Schnitte in tiefer Inspiration. Es gilt das
gesamte Septum, von der Einmündung der Vena cava superior bis zur Mündung der Vena cava inferior
darzustellen. Bei der Beurteilung einer rechtskardialen Belastung sollten die rechten Herzhöhlen vermes-
sen werden. Weitere Anhaltspunkte sind eine paradoxe Bewegung des interventrikulären Septums mit
diastolischer Abflachung sowie die Abschätzung des rechtsventrikulären Drucks anhand der systolischen
Spitzengeschwindigkeit über dem Trikuspidalklappenregurgitationsjet.
• Zur exakten Beurteilung von Defektgröße und der Morphologie angrenzender Strukturen sowie um die
Insertationsstellen aller Pulmonalvenen erkennen zu können, ist ein TEE bzw. 3D-TEE sinnvoll. Speziell
bei komplexen ASD-Defekten (AVSD, Koronarsinus-Defekt) mit assoziierten intrakardialen Anomalien,
bei der Vitiendiagnostik oder z. B. bei der Vermessung eines PFO-Tunnels liefert ein TEE – aufgrund der
besseren Bildqualität – eine präzise Information.
• Ein Kardio-MRT liefert zwar detailreiche Informationen zur kardialen Anatomie und ebenso sind Be-
rechnungen von RV-Funktion und Shuntvolumen möglich, es wird jedoch nur im Falle schlechter Visua-
lisierungsmöglichkeiten mittels Ultraschall empfohlen.
Unabhängig von der Visualisierungsmodalität muss bei der Vorbereitung auf einen ASD-Verschluss eine exak-
te Vermessung des Defekts und anliegender Strukturen erfolgen. Es sollte der maximale Defektdurchmesser
bestimmt sowie der vordere und hintere Septumrand in verschiedenen Ebenen vermessen werden. Vorausset-
zungen für eine interventionelle Behandlung des ASD sind ein maximaler Durchmesser des Defekts < 38–
40 mm und ausreichender Abstand (Randsaum≥ 5 mm) vor allem zur freien Vorhofwand und den AV-Klappen.
198 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Nein. Nur Patienten, die aufgrund ihres Alters und Risikoprofils möglicherweise begleitend eine koronare
Herzerkrankung aufweisen, oder Patienten ohne suffiziente nichtinvasive Diagnostik sollten einer Herzka-
theteruntersuchung zugeführt werden (Klasse IIIB).
Patienten mit einen Defekt < 5 mm ohne Nachweis von Symptomen und ohne Zeichen der Rechtsherzbelas-
3 tung benötigen normalerweise keinen Defektverschluss aufgrund des benignen Spontanverlaufs. Patienten
mit schwerer, irreversibler pulmonalarterieller Hypertonie und ohne Nachweis eines Links-rechts-Shunts
(Druckangleich) sollten keinen ASD-Verschluss erhalten (Klasse III) und maximal medikamentös behandelt
werden.
Spezielle Kontraindikationen beim perkutanen Defektverschluss:
• Patienten mit kongenitalen oder erworbenen kardialen Anomalien, die ohnehin ein chirurgisches Vorge-
hen rechtfertigen
• Patienten mit Sepsis innerhalb eines Monats vor Intervention oder Patienten mit aktiver systemischer In-
fektion
• Patienten mit Blutungsneigung, gastrointestinalen Ulzerationen oder anderen Kontraindikationen gegen-
über einer 6-monatigen antithrombozytären Therapie
• Patienten mit intrakardialem Thrombus
• Patienten deren Defektrand weniger als 5 mm von einer AV-Klappe, dem Koronarsinus oder der rechten
oberen Pulmonalvene entfernt ist
• Patienten mit bekannter Nickelallergie
• Patienten mit Kontraindikationen gegenüber der Durchführung eines TEE (z. B. Ösophagusstenose,
-divertikel) oder gegenüber der Katheterprozedur selbst (z. B. komplizierter Gefäßzugang).
• Restshunt
• Okkluderembolisation, Luftembolisation
• Okkluderfraktur
• Perikarderguss/-tamponade, Myokardruptur, Dissektion
• Erosion der atrialen Wand oder Aortenwurzel durch den Okkluder
• Okkludermalpositionierung
• Behinderung/Beeinträchtigung umliegender Strukturen (z. B. AV-Klappen, Pulmonalvenen etc.)
• Hämolyse
• Okkluderthrombose, Thrombusembolisation
• Endokarditis (in den ersten 6 Monaten)
• Arrhythmien, Leitungsblockierungen.
3.16 Eingeschränkte Belastbarkeit 199
• Perikarderguss/-tamponade
• Restshunt
• Rechtsventrikuläre systolische und diastolische Dysfunktion
• Mitral- oder Trikuspidalklappeninsuffizienz
• Arrhythmien
• Pulmonalvenen-Stenose oder Cava-Venen-Stenose (Sinus-venosus-Defekt)
• Postperikardiotomiesyndrom
• Embolisation/zerebraler Insult.
3
Im TEE der Patientin zeigen sich vergrößerte rechte Herzhöhlen und ein gut sichtbarer interatrialer Defekt ohne weitere
begleitende intrakardiale Anomalien. Systolischer Spitzengradient über der Trikuspidalklappe 40 mmHg + ZVD. Im 3D-TEE
findet sich ein suffizienter Defektrand (› Abb. 3.41).
Abb. 3.41 Links: TEE-Bild mit intermediärer Schnittführung. Längsachsendarstellung der oberen Hohlvene (VCS). Atrialer Septum-
defekt vom Sekundumtyp (Pfeil). Mitte: ausgeprägter Links-rechts-Shunt auf Vorhofebene im synchronen farbkodierten Dopplerver-
fahren mit zentralem Farbalias nach gelb durch die relativ hohe Shuntflussgeschwindigkeit. Rechts: linksatrialer Blick im 3D-TEE auf
den Defekt mit der Möglichkeit einer Vermessung des Abstands zu angrenzenden Strukturen [M757]
In Zusammenschau der Befunde (Alter, Symptome, Nachweis einer Rechtsherzbelastung, intrakardiale Ana-
tomie) ist – falls keine anderen Kontraindikationen bestehen – eine kathetergestützte Okkluderimplantation
sinnvoll.
200 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Abb. 3.43 TEE mit intermediärer Schnittführung. Biplane Darstellung des Vorhofseptums während der Implantationsprozedur des
Amplatzer-Okkluders [M757]
• 6 Monate mindestens ASS-Therapie (Hein et al. 2005) (üblicherweise ASS + Clopidogrel), danach ist die
Endothelialisierung des Okkluders meist komplett.
• Regelmäßige kardiologische Nachuntersuchungen inkl. Evaluation eines Restshunts, Dokumentation
der Größe von rechtem Vorhof und Ventrikel sowie Trikuspidalklappenregurgitation und pulmonalar-
teriellem Druck im UKG und ebenso Verlaufs-EKGs (ggf. Holter-EKG) zum Ausschluss etwaiger Ar-
rhythmien.
• Typische Nachuntersuchungsintervalle (ohne Restshunt oder andere Komplikationen): 4 Wochen, 6 Mo-
nate, 12 Monate, danach alle 2–4 Jahre.
• Typische Spätkomplikation: atriale Tachykardie/-arrhythmie. Cave: transseptale Punktion bzgl. Ablati-
onsverfahren nicht mehr möglich! 3
• Endokarditisprophylaxe innerhalb der ersten 6 Monate nach Implantation.
• Keine Restriktionen bzgl. sportlicher Aktivität bei asymptomatischen Patienten ohne pulmonale Hyperto-
nie, ohne Arrhythmien oder rechtsventrikuläre Dysfunktion.
• Ein Okkluder in situ ist keine Kontraindikation für eine zukünftige Schwangerschaft bei asymptomati-
schen Patientinnen.
• Rücksprache mit den Radiologen/Okkluderhersteller bzgl. der MRT-Kompatibilität.
LITERATUR
Baumgartner H, Bonhoeffer P, De Groot NM, et al. ESC Guidelines for the management of grown-up congenital heart di
sease (new version 2010): The Task Force on the Management of Grown-up Congenital Heart Disease of the European
Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2010; 31: 2915–57.
Hein R, Buescheck F, Fischer E, et al. Atrial and Ventricular Septal Defects Can Safely Be Closed by Percutaneous Interventi
on. J Interv Cardiol 2005, 18(6): 515–22.
Warnes CA, Williams RG, Bashore TM, et al. ACC/AHA 2008 guidelines for the management of adults with congenital heart
disease: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines
(Writing Committee to Develop Guidelines on the Management of Adults With Congenital Heart Disease). Developed in
Collaboration With the American Society of Echocardiography, Heart Rhythm Society, International Society for Adult Con
genital Heart Disease, Society for Cardiovascular Angiography and Interventions, and Society of Thoracic Surgeons. J Am
Coll Cardiol 2008; 52(23): e1–121.
KASUISTIK
Ein 55-jähriger Patient stellt sich mit zunehmender Atemnot in der kardiologischen Ambulanz Ihrer Klinik vor. Er habe
bereits in den letzten Monaten über zunehmende Kurzatmigkeit und Müdigkeit geklagt. Der überweisende Hausarzt hat
bei Strömungsgeräuschen über dem Herzen den V. a. ein Herzklappenvitium.
Der körperliche Untersuchungsbefund lautet: 165 cm, 75 kg, reduzierter Allgemeinzustand. Keine Zyanose, periphe-
re Ödeme. RR: 150/70 mmHg, Frequenz 90/min, Atemfrequenz 18/min. Keine Jugularvenenstauung. Cor: 3⁄6-Diastolikum
sowie betonter 1. Herzton über der Herzspitze. Pulmo: Klopfschall sonor, Vesikuläratmung; An Vorerkrankungen sind
bekannt: arterielle Hypertonie, paroxysmales Vorhofflimmern.
202 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Sinusrhythmus, Rechtstyp, Frequenz 90/min, P mitrale (P verbreitert und doppelgipflig in Abl. I, biphasisch
in V1). Zeichen der rechtsventrikulären Hypertrophie.
Ein Rechtstyp ist ein eher seltener Befund. Wie können Sie feststellen, dass das
EKG nicht verpolt ist?
Eine positive p-Welle in Ableitung I bei SR spricht für eine korrekte Ableitung der Armelektroden.
Deutliche Vergrößerung des linken Vorhofs, Einengung des Retrokardialraums sowie Aufspreizung der Tra-
chea. Vergrößerter Herzschatten. Aortenelongation und Aortensklerose. Keine Stauungszeichen, keine Infil-
trate, Interlobärerguss. Insgesamt mitralkonfiguriertes Herz.
Es handelt sich um den klassischen rheumatischen Herzklappenfehler, allerdings mit abnehmender Häufig-
keit in den Industrieländern. Zwei Drittel der Patienten sind weiblich.
Seltene Ursachen: Z. n. Endokarditis, kongenital, Karzinoid, SLE, Morbus Fabry, Morbus Whipple, Muko-
polysaccharidosen.
Bei rheumatischem Fieber als Ursache kommt es nach entzündlichen Prozessen zu einer Verdickung und
Kalzifizierung der Klappen; die Verschmelzung der Kommissuren und des Mitralklappenhalteapparats führt
zur Stenosierung. Der transmitrale diastolische Druckgradient führt zu einer Drucksteigerung im linken Vor-
204 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
hof und Einschränkung der linksventrikulären Füllung und des Herzzeitvolumens (HZV). Infolge der erhöh-
ten pulmonal-venösen Drücke kann es zum Lungenödem kommen. Bei chronischer Mitralstenose kommt es
zur Vasokonstriktion und Wandhypertrophie der Pulmonalarterien/-arteriolen mit Entwicklung einer pul-
monalen Hypertonie und infolge Rechtsherzbelastung. Die Vorhofvergrößerung begünstigt Vorhofflimmern.
Durch den Wegfall der atrialen Kontraktion wird das HZV weiter reduziert. Das Risiko für Thrombenbildung
und systemische Embolien steigt.
Der transmitrale Gradient hängt von der Flussrate und der diastolischen Füllungszeit ab. Symptome entwi-
3 ckeln sich daher bei Belastung oder Vorhofflimmern. Es besteht eine exponentielle Beziehung zwischen dem
transvalvulären Druckgradienten und dem Mitralfluss sowie eine relativ gute Korrelation zwischen der Mi
tralklappenöffnungsfläche (MÖF) und der Klinik der Patienten. Die MÖF beträgt normalerweise 4–5 cm2. Ab
einer MÖF < 2,5 cm2 sind Beschwerden zu erwarten.
Mobilität, Grad der Verkalkung, Dicke der Klappen, Beteiligung des Halteapparats, Klappenringfläche.
Die invasive Diagnostik zur Graduierung des Vitiums ist bei eindeutigen echokardiografischen Befunden
nicht notwendig, jedoch bei Diskrepanzen zwischen klinischem und echokardiografischem Befund (Klasse
IIa). Lävokardiografie und Koronarangiografie werden vor Eingriffen (Sprengung oder OP) empfohlen (Klas-
se I), außer bei sehr jungen Patienten.
3.17 Zunehmende Dyspnoe und Müdigkeit 205
Lävokardiografie in zwei Ebenen: Die biplan durchgeführte Lävokardiografie zeigt einen vergrößerten linken Ventri-
kel mit normaler Funktion (EF > 60 %). Keine relevanten Kontraktionsstörungen. Keine relevante Mitralinsuffizienz.
Rechtsherzkatheter: schwere pulmonale Hypertonie mit fast systemischen Drücken (PAs/d/m: 100/43/65 mmHg;
PCm/v-Welle 30/40 mmHg); berechnete MÖF: 0,7 cm2.
Selektive Koronarangiografie: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen Haupt-
stamm. Der Ramus descendens anterior zeigt Wandunregelmäßigkeiten. Der Ramus circumflexus zeigt Wandunregelmä-
ßigkeiten und distal eine 30 % Stenose. Ebenso zeigt die rechte Herzkranzarterie nur Wandunregelmäßigkeiten ohne
Stenosen.
1. Symptomatische Patienten (NYHA II–IV), MÖF < 1,5 cm2, geeignete Klappenmorphologie (Klasse IB) so-
wie Kontraindikation oder hohes Operationsrisiko (IC)
2. Asymptomatische Patienten, MÖF < 1,5 cm2, pulmonale Hypertonie in Ruhe (PA-Druck > 50 mmHg)
oder unter Belastung (PA-Druck > 60 mmHg). (Klasse I).
Eine relative Kontraindikation ist eine relevante begleitende Mitralklappeninsuffizienz und/oder ungünstige
Klappenmorphologie; Kontraindikation ist das Vorliegen eines Vorhofthrombus; bei Vorliegen eines Throm-
bus im Vorhofohr kann eine Valvuloplastie bei Kontraindikationen für eine operative Sanierung oder, wenn
möglich, nach 2–6 Monaten Antikoagulation und dann Ausschluss im TEE erfolgen.
Zunächst Einführen eines Pigtail-Katheters in den linken Ventrikel sowie eines Rechtsherzkatheters in die
Pulmonalarterie mit Berechnung des transmitralen Gradienten und der Klappenöffnungsfläche sowie Lävo-
kardiogramm zur Beurteilung der Mitralinsuffizienz.
Nach transseptaler Punktion (› Abb. 3.48a) wird der Inoue-Ballonkatheter (› Abb. 3.48b) im linken
Atrium platziert. Nach Vorführen über die Mitralklappe wird der Ballon aufgedehnt. Danach erfolgt eine er-
neute Bestimmung des transmitralen Gradienten, der Klappenöffnungsfläche sowie der Mitralinsuffizienz.
1. Symptomatischer Patient (NYHA III und IV) mit MS (MÖF < 1,5 cm2) und für MVP nicht geeigneter
Morphologie (Klasse I)
2. Symptomatischer Patient (NYHA II) mit schwerer MS (MÖF < 1,0 cm2) und schwerer pulmonaler
(> 60 mmHg) Hypertonie (Klasse IIa).
Sie ist indiziert bei für die Valvuloplastie nicht geeigneter Mitralklappenmorphologie (einschließlich beglei-
tender relevanter Mitralklappeninsuffizienz), klinisch gelten ansonsten die gleichen Kriterien wie bei der Val-
vuloplastie (› Abb. 3.49).
Die Indikationen für eine Intervention orientieren sich an der Klappenöffnungsfläche und der Klinik
des Patienten. Bei Patienten mit NYHA III–IV (MÖF > 1,5 cm2) und fehlendem belastungsinduziertem
Druckanstieg (PA > 60 mmHg, Wedge ≥ 25 mmHg) können andere Ursachen vorliegen. Bei asymptomati-
schen Patienten mit schwerer Mitralstenose (MÖF ≤1,5 cm2 sowie PA-Druck > 50 mmHg) wird, sofern
keine anderen pulmonalen Erkrankungen vorliegen, bei geeigneter Morphologie eine Valvuloplastie
(Klasse I) empfohlen.
Mitralstenose
MÖF < 1,5 cm2
ja nein
Symptome?
Ungünstige klinische Parameter für MV: Echoscore > 8, sehr kleine Klappenfläche, schwere Trikuspidalinsuffizienz
Ungünstige Klinik für MV: Alter, Rezente Valvuloplastie, NYHA IV, permanentes Vorhofflimmern,
schwere pulmonale Hypertonie
Abb. 3.49 Flussdiagramm Mitralstenose, modifiziert nach ACC/AHA (MÖF = Mitralklappenöffnungsfläche) [L106]
LITERATUR:
2008 Focused Update Incorporated Into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients with Valvular Heart
Disease. J Am Coll Cardiol 2008; 52: e1–e142. http://content.onlinejacc.org/cgi/content/full/52713/e1
Guidelines on the management of valvular heart disease (version 2012). Eur Heart J 2012; 33: 2451–2496.
208 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
KASUISTIK
Ein bei Erstkontakt 49-jähriger Patient wurde von der nephrologischen Ambulanz des Klinikums auf die kardiologische
Station eingewiesen.
Der Patient schildert eine seit einem Jahr zunehmende Belastungsdyspnoe beim schnellen Laufen und Treppensteigen
sowie eine Zunahme des Bauchumfangs. Seit ca. 6 Monaten werden außerdem Unterschenkelschwellungen bei längerem
Sitzen, verbunden mit einem Stauungsgefühl im Bauch, beobachtet. Gewichtszunahme um 8 kg auf 88 kg in diesem
Zeitraum bei gleichbleibender Ernährung. Keine belastungsabhängigen Brustschmerzen.
Der Patient war bis vor einem Jahr bis zum Auftreten eines fieberhaften Infekts sehr sportlich gewesen. Damals
seien Pleura- und Perikardergüsse sowie ein diskreter Aszites diagnostiziert worden, die sich unter körperlicher
3 Schonung spontan wieder zurückgebildet hätten. Keine weiterführende Diagnostik damals. Subjektiv kein Fieber
seitdem.
An kardiovaskulären Risikofaktoren bestehen eine labile arterielle Hypertonie sowie eine Hypercholesterinämie. Ana
mnestisch ist außerdem ein Asthma bronchiale bekannt, bei Bedarf behandelt mit Beta-Sympathomimetika.
Keine regelmäßige weitere Medikamenteneinnahme aktuell.
In dem von der nephrologischen Ambulanz erhobenen Labor waren pathologisch: Gamma-GT mit 111 U/l (Norm bis
80 U/l), APH mit 201 U/l (Norm bis 190 U/l), Quick 69 % (Norm 70–120 %), CRP 0,78 mg/dl (Norm < 0,50 mg/dl). U-
Status unauffällig. Kein Hinweis auf eine Autoimmunerkrankung. Negativer Tuberkulintest.
Bei der körperlichen Untersuchung betrug das Gewicht 88 kg bei 188 cm Körpergröße, der Blutdruck am rechten
Arm 150/100 mmHg, Herzfrequenz regelmäßig mit 84/min. Auskultation von Herz und Lunge unauffällig, die
Jugularvenen waren maximal gestaut, deutlicher Aszites, ausgeprägte prätibiale Ödeme bds. Temperatur axillär
36,5 °C.
Rechtsführende Herzinsuffizienz, z. B. bei restriktiver Kardiomyopathie, Myokarditis, KHK (z. B. Rechtsven-
trikelinfarkt), chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, rez. Lungenembolien, chronischer Perikarditis,
Vitien.
Eine renale Ursache ist bei den bisher erhobenen Befunden unwahrscheinlich.
SR, Steiltyp, Frequenz 86/min. Unspez. Erregungsrückbildungsstörungen über der Hinterwand und lateral.
Im Röntgen-Thorax grenzwertige Herzgröße, fraglicher Randwinkelerguss links.
In der Oberbauchsonografie war die Leber vergrößert, die Lebervenen waren erweitert, die V. cava erweitert mit
starker Einschränkung des Atemspiels. Mäßiger Aszites im gesamten Bauchraum.
Im Herzultraschall war der linke Ventrikel nach Größe, Wanddicken und systolischer Funktion normal. Zweizeitige
Septumbewegung.
Der rechte Ventrikel mit eingeschränkter Kontraktion, die freie Wand vermehrt echodicht.
Nur geringe in- und exspiratorische Änderung der transmitralen Flussgeschwindigkeit bei gleichbleibendem E/A-Verhältnis.
Aorten-, Mitral- und Trikuspidalklappe morphologisch unauffällig, max. Druckgradient über der Trikuspidalklappe
14 mmHg. Kein Perikarderguss.
Thorax-CT mit Kontrastmittel: Perikardverdickung ventral bis 0,8 cm, keine Verkalkungen, keine Perikarderguss,
unauffällige Darstellung des Lungenparenchyms. Linksseitig diskreter Pleuraerguss, V. cava superior erweitert.
Virusserologie: Durchseuchungstiter für Parvovirus B 19, Mumps und Adenoviren. Negativ waren die Titer für Coxsackie
A und B, Echoviren, Herpes simplex, Zytomegalie, EBV und HIV.
Herzkatheteruntersuchung: Koronararterien mit Wandunregelmäßigkeiten. Normale linksventrikuläre Funktion. Kei-
ne Mitralklappeninsuffizienz.
Füllungsdrücke in beiden Ventrikeln angeglichen und erhöht (15 mmHg links und rechts), kein typisches „Dip and plateau“-
Phänomen. Rechtsatrialer Mitteldruck 15 mmHg. Systolischer PA-Druck obere Norm (34 mmHg, Mittel: 14 mmHg).
210 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Angesichts der Vorgeschichte sowie der jetzt erhobenen Befunde handelt es sich um eine Pericarditis cons
trictiva als Folge einer vor einem Jahr wohl nicht ausgeheilten akuten Peri(myo)karditis (› Kap. 1.3), wobei
die dopplerechokardiografischen Befunde im Vergleich zur Klinik und zur invasiven Hämodynamik unge-
wöhnlich diskret waren.
Die Perikardverdickungen können sich auf den linken oder rechten Ventrikel oder auch auf beide Ventrikel
erstrecken. Alle diese Formen können mit unterschiedlicher Ausbildung einer perimyokardialen Fibrose und
myokardialer Atrophie einhergehen, deren Ausmaß mitentscheidend ist für die postoperative Prognose der
Patienten. Die Vorhöfe können vergrößert sein, aber auch normale Dimensionen aufweisen.
Zusammenfassend sollten nach den ESC-Richtlinien von 2004 folgende diagnostische Schritte bei der Ver-
dachtsdiagnose einer chronischen Perikarditis beachtet werden:
• Bei der klinischen Untersuchung können sich Zeichen der systemischen venösen Stauung mit erniedrig-
ter Herzleistung finden mit peripheren Ödemen, gespanntem Abdomen, Jugularvenenstauung, niedrigem
Blutdruck, Pleuraergüssen und ggf. auch Muskelatrophie.
• Das EKG kann normal sein oder Zeichen eine Niedervoltage aufweisen, unspezifische Erregungsrückbil-
dungsstörungen, AV-Blockierungen, Vorhofflimmern sowie Zeichen intraventrikulärer Erregungsaus-
breitungsstörungen.
• In der Röntgen-Thorax-Aufnahme können Perikardverkalkungen und Pleuraergüsse imponieren.
• Die transthorakale Ultraschalluntersuchung (2-D- und M-Mode) kann Perikardverdickung und Peri-
kardverkalkungen sowie indirekte Zeichen einer Konstriktion zeigen: Vergrößerung der Vorhöfe, in der
Regel normale systolische Funktion, auffällige Septumbewegung, erweiterte Vena cava inferior und Le-
bervenen. Im Doppler Parameter der diastolischen Dysfunktion.
• CT/MRT: Perikardverdickung bzw. -verkalkung, Vergrößerung der Vorhöfe, röhrenförmige Ventrikel-
konfiguration.
• Herzkatheteruntersuchung: Hämodynamik: „Dip and plateau“- oder „square route“-Zeichen der Druck-
kurven des rechten und/oder linken Ventrikels. Angleichung der rechts- und linksventrikulären Füllungs-
drücke (< 5 mmHg oder weniger Unterschied).
• Eine Koronarangiografie wird bei Patienten über 35 Jahre empfohlen sowie bei Patienten mit vorausge-
gangener mediastinaler Bestrahlung, dann unabhängig vom Lebensalter.
Wie kann man eine restriktive Form von einer konstriktiven Form einer
Kardiomyopathie unterschieden werden?
Das EKG ist diesbezüglich nicht wegführend. In der Thoraxübersicht finden sich bei der restriktiven Kardio-
myopathie keine Verkalkungen, diese müssen, wie bei unserem Fall, bei einer Pericarditis constrictiva auch
nicht vorhanden sein. In der 2-D-Echokardiografie sind bei der restriktiven CMP die Wände meist verdickt
und zeigen im Falle einer Amyloidose ein charakteristisches Echomuster. Bei der Pericarditis constrictiva
3.19 Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel 211
sind die Wände meist normal, das Perikard ist verdickt und kann Verkalkungen aufweisen. Im Doppler ist
bei der restriktiven Kardiomyopathie im Mitralflussprofil die E-Welle unabhängig von In- und Exspiration,
die E/A-Ratio > 2. Bei der Pericarditis constrictiva kommt es inspiratorisch zu einer Abnahme der E-Welle,
umgekehrt bei Exspiration zu einer Zunahme.
Bei invasiv ermittelter Hämodynamik ist bei der restriktiven Kardiomyopathie der LVEDP in der Regel
höher als der RVEDP, der systolische RV-Druck meist über 50 mmHg.
Bei der Pericarditis constrictiva sind die Füllungsdrücke in beiden Ventrikeln meist gleich, bei Inspiration
kann eine Zunahme des systolischen Drucks im RV und eine Abnahme im LV beobachtet werden, umgekehrt
bei Exspiration. Ein „Dip und plateau“-Phänomen wird bei beiden Krankheitsbilder beobachtet.
Die Perikardektomie ist die einzig sinnvolle Option bei einer Konstriktion. Ein kardiopulmonaler Bypass ist
nicht erforderlich. Wichtige perioperative Komplikationen sind eine Ventrikelruptur sowie ein akutes Pump-
versagen. Eine ungünstige Prognose besteht bei präoperativ nicht erkannter Myokardfibrose oder -atrophie.
In größeren Untersuchungen wird eine Mortalität von 6–12 % berichtet. Eine vollständige Normalisierung
der Hämodynamik nach Perikardektomie wird nur in ca. 60 % erreicht.
Verlauf bei unserem Patienten: Unter einer Diuretikatherapie mit Torasemid 30 mg/d, verteilt über drei Einzeldosen,
sowie Spironolacton 50 mg/d waren nach 3 Wochen die Pleuraergüsse sowie der Aszites nicht mehr nachweisbar, die
peripheren Ödeme fast vollständig verschwunden. Klinisch imponierte weiter ein erhöhter Jugularvenenpuls, die Belast-
barkeit des Patienten besserte sich, war aber weiterhin eingeschränkt im Vergleich zu früher.
Der Patient wurde daraufhin in der Herzchirurgie zur Perikardektomie aufgenommen.
Nach medianer Längssternotomie fand sich ein stark verdicktes und verschwieltes Perikard, das eine Wanddicke zwischen
5 und 8 mm aufwies. Durch Lösen von flächenhaften Verwachsungen wurde die Vorderwand des rechten Ventrikels frei-
gelegt. Unmittelbar postoperativ sank der zentralvenöse Druck von 20 auf 12 mmHg.
Im Verlauf der folgenden 2 Jahre normalisierten sich die Transaminasen, kein Nachweis mehr einer Hepatomegalie, nor-
maler Jugularvenendruck. Der Patient ist wieder sehr gut belastbar und treibt regelmäßig Ausdauersport.
LITERATUR:
Maisch B, Seferović PM, Ristić AD, et al. Guidelines on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases. The Task
Force on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 2004;
25: 587–610.
KASUISTIK
Es wird Ihnen ein 73-jähriger Patient stationär überwiesen. Es bestehen ein Engegefühl über der Brust und zunehmend
Atemnot unter körperlicher Belastung. Außerdem beklagt der Patient eine Schwindelsymptomatik und Müdigkeit. An
kardiovaskulären Risikofaktoren bestehen eine arterielle Hypertonie, eine Dyslipidämie sowie ein ausgeprägter Nikotin
abusus mit 27 pack years.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe: 176 cm, Gewicht: 66 kg, guter AZ, Bauchumfang: 87 cm, wach und orien-
tiert. Keine Zyanose, keine Ödeme. RR 125/70 mmHg, Herzfrequenz 70/min, Atemfrequenz: 12/min. Jugularvenenstauung
212 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
bis 2 cm über Jugulum, Cor: Herztöne regelmäßig, raues 3⁄6-Systolikum über ICR III re. mit Fortleitung in die Karotiden. Pulmo:
auskultatorisch und perkutorisch unauffällig. Abdomen und peripherer Pulsstatus o. p. B.
Die kardialen Marker sind im Normbereich. Ein akutes Koronarsyndrom kann ausgeschlossen werden. Sie ordnen ein
12-Kanal-EKG, Röntgen-Thorax sowie eine Echokardiografie an.
Überdrehter Linkstyp, Sinusrhythmus mit Herzfrequenz: 59/min.; PQ-Intervall: 148 ms, QRS-Dauer: 108 ms,
P-Dauer: 112 ms. Regelrechte R-Progression. Keine ERBST.
Befund Echokardiografie: Aortenwurzel normal weit (34 mm), Aorta ascendens normal weit. AK: trikuspid, verdickt,
Öffnungsbewegung vermindert, geringe zentrale Insuffizienz mit exzentrischem Jet zum AML. Hämodynamik: Vmax:
4,09 m/s, dpmax: 67 mmHg, dpmean: 36 mmHg (AÖF nach der Kontinuitätsgleichung: ca. 0,7 cm2, AÖF nach KOF: 0,4 cm2).
LV: normale Größe (LVED: 49 mm, LVES: 25 mm), Wände mäßig verdickt mit septaler Betonung (IVS: 16 mm, LHW: 15 mm).
Systolische Globalfunktion normal, eher hyperkontraktil (FS: 49 %). Keine reg. Kontraktionsstörungen. Diastolische Funkti-
onseinschränkung Grad I. MK: geringe Mitralring-Verkalkung, altersentsprechende Segel, Bewegung normal, physiologische
Insuffizienz, keine Stenose. TK: altersentsprechend, Bewegung normal, physiologische Insuffizienz, dpmax RV/RA = 23 mmHg.
• Geringgradig, mild: KÖF > 1,5 cm2; mittlerer Gradient < 25 mmHg, Jet-Geschwindigkeit < 3,0 m/sec.
• Mittelgradig, moderate: KÖF: 1,0–1,5 cm2; mittlerer Gradient: 25–40 mmHg; Jet-Geschwindigkeit:
3–4 m/s
• Hochgradig, severe: KÖF < 1,0 cm2; mittlerer Gradient > 40 mmHg; Jet-Geschwindigkeit > 4 m/s.
214 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Es liegt nach den hämodynamischen Parametern der Jet-Geschwindigkeit (Vmax > 4 m/s) eine hochgradige
Aortenklappenstenose vor; die systolische Globalfunktion ist bei konzentrischer linksventrikulärer Hypertro-
phie gut oder hyperkontraktil. Damit sind die klinischen Beschwerden des Patienten und die kardiale Struk-
turveränderung mit dem Klappenvitium zunächst gut vereinbar. Zur Planung der Klappenersatzoperation ist
eine Herzkatheteruntersuchung vorgesehen.
Befund Herzkatheter: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen Hauptstamm. Der
Ramus descendens anterior zeigt proximal eine 50-prozentige Stenose und medial eine 50- bis 75-prozentige Stenose.
Der Ramus circumflexus zeigt distal eine 50-prozentige Stenose. Die rechte Herzkranzarterie zeigt proximal eine subtota-
le Stenose. Eine retrograde Sondierung der Aortenklappe erfolgt nicht, da die vorliegenden Befunde eine klare OP-Indi-
kation ergeben und keine zusätzlichen Informationen zu erwarten sind.
3
Welche Graduierung des Klappenvitiums nehmen Sie nun vor? Welche Methoden
zur Quantifizierung der Aortenklappenfläche kennen Sie; diskutieren Sie diese.
Auf welche Parameter der Echokardiografie stützen Sie sich?
Nach der durchgeführten Planimetrie der KÖF liegt eine mittelgradige Stenose vor.
Vor- und Nachteile der einzelnen Graduierungsverfahren in der Echokardiografie:
• Bestimmung der Spitzenflussgeschwindigkeit (kontinuierlicher Doppler) über der Aortenklappe (m/s):
– Vorteile sind die direkte Messung der Geschwindigkeit, gilt als stärkster Prädiktor für das klinische Outcome
3.19 Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel 215
– Einschränkung: abhängig von der Qualität des Dopplersignals, Vmax niedrig bei eingeschränkter EF, AS
wird unterschätzt/nicht erkannt, selten: Überschätzung wg. Mitralinsuffizienz bzw. bei Aorteninsuffizienz
• Bestimmung des Druckgradienten (kontinuierlicher Doppler) nach der Bernoulli-Gleichung (mmHg):
ΔPmean (mmHg) = 4 × Vmean2 bzw.
ΔPmax (mmHg) = 4 × Vmax2
–Vorteil ist die Ableitung aus dem Flussgeschwindigkeitsprofil, gute Korrelation mit den invasiven Mes-
sungen
– Einschränkung: abhängig von der Qualität des Dopplersignals
• Bestimmung der Klappenöffnungsfläche (Kontinuitätsgleichung = effektive KÖF, cm2): vereinfachte Glei-
chung nach dem Konzept der Übereinstimmung von Fläche und Flussgeschwindigkeit über LVOT und
Aortenklappe:
A1 × V1 = A2 × V2; 3
A2 = (A1 × V1) ÷ V2
2
= (Diameter LVOT/2) × π × V1 ÷ V2
Es liegt nach der Planimetrie lediglich eine mittelgradige Aortenstenose vor. Die maximale Jet-Geschwindig-
keit ist an der Grenze des Bereichs, ab dem eine Stenose als hochgradig definiert ist (Vmax: 4,09 m/s), der
mittlere Gradient ist mit < 40 mmHg a. e. mittelgradig. Die aktuellen Beschwerden des Patienten sind somit
durch die schwere koronare Herzerkrankung oder das Klappenvitium erklärbar.
Wenn nach nichtinvasiver Bildgebung Unklarheit oder eine Diskrepanz zu den klinischen Untersuchungser-
gebnissen besteht, ist eine invasive Diagnostik zur hämodynamischen Evaluierung der Druckverhältnisse
indiziert (Klasse IC). Vor geplanter Klappenersatzoperation ist eine Koronarangiografie indiziert bei Patien-
ten mit erhöhtem Risiko für eine koronare Herzerkrankung.
Bei unklarer Zuordnung der nichtinvasiven Untersuchungsbefunde oder Diskrepanz ist eine erneute inva-
sive Katheterisierung zur Analyse der Druckkurven möglich. Hierbei müssen jedoch die beschriebenen Risi-
ken einer zerebralen Embolie bei retrograder Sondierung einer Aortenklappenstenose berücksichtigt werden
(Omran et al. 2003).
Herzkatheter: Gorlin-Formel, Peak-to-Peak-Gradient.
Im vorliegenden Fall wurde aufgrund des morphologischen Befunds und der Klappenplanimetrie (mittelgradige Aorten-
klappenstenose) zunächst eine Koronarintervention in der hochgradigen RCA-Stenose durchgeführt. Der Patient ist im
Verlauf beschwerdefrei (asymptomatisch; › Abb. 3.54).
216 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Der Patient ist jetzt asymptomatisch. Wie würden Sie im vorliegenden Fall das
Monitoring des Aortenklappenvitiums durchführen?
Asymptomatische Patienten mit einer raschen Progression der Aortenstenose können nach klinischen (Angi-
na pectoris? Schwindel? Synkopen? Zeichen der Herzinsuffizienz?) und echokardiografischen Kriterien (An-
stieg der Spitzenflussgeschwindigkeit > 0,3 m/s oder Reduzierung der Klappenöffnungsfläche > 0,1 cm2 pro
Jahr) diagnostiziert werden. Die Spitzenflussgeschwindigkeit spielt prognostisch eine große Rolle (› Abb.
3.55). Patienten mit asymptomatischer schwerer Aortenstenose und rascher Progression haben mittlerweile
eine IIa-C-Indikation für einen Klappenersatz. Bei leichter asymptomatischer Stenose sind im Intervall von
einem Jahr und bei höhergradiger, asymptomatischer Stenose im Intervall von drei bis sechs Monaten Kont-
rollen angezeigt. Eine hämodynamische Progression ist wahrscheinlich bei Alter > 50 Jahre, schwerer Klap-
penverkalkung bzw. schwerer koronarer Herzer-
krankung. Die meisten asymptomatischen Patienten
Ereignisfreies Überleben
Schwere Aortenklappenstenose
nein ja
Symptome
Kontraindikation
LVEF < 50%
für AVR*
nein ja nein ja
3
körperliche Belastungs- hohes Risiko geringe
Aktivität test für AVR Lebenserwartung
nein ja
Symptome oder
Blutdruckabfall
nein ja
Risikofaktoren oder
geringes/mittleres OP-Risiko
nein ja
Med.
Reevaluation in 6 Monaten AVR AVR or TAVI TAVI
Therapie
Abb. 3.56 Vorgehen bei asymptomatischen Patienten mit schwerer Aortenklappenstenose (modifiziert nach ESC-Guidelines 2012,
Valvular Heart Disease) [L106]
LITERATUR
Guidelines on the management of valvular heart disease (version 2012). Eur Heart J 2012; 33: 2451–2496.
Omran H, Schmidt H, Hackenbroch M, et al. Silent and apparent cerebral embolism after retrograde catheterisation of the
aortic valve in valvular stenosis: a prospective, randomised study. Lancet. 2003; 361(9,365): 1241–6.
Otto CM, Burwash IG, Legget ME, et al. Prospective study of asymptomatic valvular aortic stenosis. Clinical, echocardiogra
phic, and exercise predictors of outcome. Circulation 1997; 95(9): 2262–70.
KASUISTIK
In der Notaufnahme wird eine 85-jährige Patientin aufgenommen. Seit mittags besteht zunehmend Luftnot. Anamnestisch sind
diese Beschwerden seit einigen Wochen progredient. Bei bekannter COPD war vor 1 Woche zunächst die antiobstruktive
218 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Therapie sowie die Steroiddosis erhöht worden. Eine Besserung war jedoch nicht eingetreten. Anamnestisch sind ferner eine
koronare Herzerkrankung und eine gering- bis mäßiggradige Aortenklappenstenose bekannt.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe: 158 cm, Gewicht: 72 kg, guter AZ und EZ, wach und orientiert. Keine
Zyanose, keine Ödeme. RR 140/80 mmHg, Herzfrequenz 70/min, Pulsus parvus et tardus, Atemfrequenz 12/min. Jugular-
venenstauung bis 2 cm über Jugulum, Cor: rhythmisch, der 2. Herzton ist abgeschwächt, raues 4⁄6-Systolikum mit Punctum
maximum über dem 2. ICR re., 2⁄6-Diastolikum über Aorta. Pulmo: Klopfschall sonor, Vesikuläratmung ubiquitär, keine
RG, kein Giemen.
3 • Akutes Koronarsyndrom
• Lungenembolie
• Pneumothorax
• Progression des Aortenklappenvitiums.
Herzschrittmacher rechts präpektoral, Elektroden regelrecht; Herz linksbetont vergrößert, Aorta elongiert
und sklerosiert; oberes Mediastinum verbreitert, V. a. Struma; keine pulmonalvenöse Stauung, kein H. a.
pneumonisches Infiltrat; kein Pneumothorax; Zwerchfellhochstand rechts; keine Pleuraergüsse.
Befund Echokardiografie: Aortenwurzel normal weit (32 mm), Aortenklappe: verdickt, Öffnungsbewegung einge-
schränkt; mäßige Insuffizienz (PHT: 450 ms, V. contracta: 4 mm); mäßig- bis hochgradige Stenose: Vmax: 4,03 m/s, dpmax:
62 mmHg, dpmean: 27 mmHg; Klappenöffnungsfläche nach Kontinuitätsformel: 0,8 cm2, RA: gering vergrößert; LA: mäßig
vergrößert (50 mm); rechter Ventrikel vergrößert, Wanddicke normal; linker Ventrikel: normale Größe (LVED: 56 mm,
LVES: 34 mm), Wanddicken normal (IVS: 11 mm, LHW: 10 mm), systolische Globalfunktion eingeschränkt, apikal-inferio-
re Akinesie; MK: gering verdickt, Bewegung normal, geringe Insuffizienz, keine Stenose; TK: Bewegung normal, mäßige
Insuffizienz, dpmax RV/RA = 57 mmHg; kein Perikarderguss nachweisbar.
3
Wie beurteilen Sie die Situation, welche weitere Diagnostik ist erforderlich?
Es liegt ein kombiniertes schweres Aortenklappenvitium mit führender hochgradiger Stenose sowie mäßiger In-
suffizienz vor. Die linksventrikuläre Pumpfunktion ist eingeschränkt. Die pulmonalarteriellen Drücke sind erhöht.
Worauf führen Sie nach den genannten Informationen die akute Dyspnoe der
Patientin zurück?
Befund TEE: Aortenklappe: trikuspid, eingeschränkte Öffnungsbewegung, planimetrische KÖF: 0,7 cm2, mäßige Insuffi-
zienz (zentraler Insuffizienzjet), keine endokarditistypischen Auflagerungen, Diameter subvalv.: 18 mm, Höhe Sinus Val-
salvae: 31 mm, Aorta asc.: 28 mm, Mitralklappe: gering verdickt, mäßige Insuffizienz, normale Öffnung; Aorta asc./desc./
thorac.: soweit einsehbar, nur gering atherosklerotisch verändert.
Zusammenfassung: hochgradige Aortenstenose, planimetrische Öffnungsfläche 0,7 cm2.
Befund Herzkatheter: Rechtsherzkatheter: PCW mittel: 20 mmHg, PA (s/d/m): 63/30/45 mmHg; RV (s, fd, sd):
65/5/13 mmHg; RA mittel: 12 mmHg.
Koronarangiografie: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen Hauptstamm. Der
Ramus descendens anterior ist medial mittelgradig stenosiert. Der R. diagonalis I ist langstreckig stenosiert. Der Ramus
circumflexus zeigt sich proximal und distal hochgradig stenosiert. Die rechte Herzkranzarterie ist in den Endästen hoch-
gradig stenosiert. Es zeigt sich jetzt bei bekannter hochgradiger Aortenklappenstenose eine koronare Dreigefäßerkran-
kung.
3.20 Progrediente Dyspnoe und COPD 221
Welche Therapien kommen bei der Patientin infrage, wie verfahren Sie weiter?
• Monitoring über 24 h wg. Gefahr von AV- oder intraventrikulären Leitungsstörungen sowie Überwa-
chung von möglichen Nachblutungen im Punktionsbereich
• Duale Plättchenhemmung für 4–24 Wochen, wenn notwendig, auch Tripletherapie > 3 Monate.
Aufgrund des hohen perioperativen Risikos und des ausdrücklichen Wunsches der Patientin planen wir einen katheterge-
stützten Klappenersatz sowie eine koronare Revaskularisierung in RCA und RCX. Zuvor erfolgt die Bildgebung der Aorta
und der Femoralarterien.
Befund CT-Angiografie, abdominale und thorakale Aorta: bis nach retrosternal reichende Struma. Es zeigen sich
Verkalkungen an der Aortenklappe, zudem etwas Koronarkalk, Klappenringdurchmesser: 17 mm. Im weiteren Verlauf der
Aorta zeigt sich im Aortenbogen sowie in der Aorta descendens und der Aorta abdominalis massive Arteriosklerose.
Hierbei teils deutliche Wandunregelmäßigkeiten der Aorta abdominalis mit weichen und harten Plaques.
Aufgrund der Morphologie der Aortenklappe mit einem Durchmesser des Klappenrings von 17 mm ist ein interventionel-
3 ler Eingriff nicht möglich. Es erfolgt jetzt die Empfehlung für ein herzchirurgisches Vorgehen.
LITERATUR
Figulla HR, Cremer J, Walther T et al. Positionspapier zur kathetergestützten Aortenklappenintervention. Kardiologe 2009:
3; 199–206.
2008 Focused Update Incorporated Into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients with Valvular Heart
Disease. J Am Coll Cardiol 2008; 52: e1–e142.
http://content.onlinejacc.org/cgi/content/full/52713/e1
Guidelines on the management of valvular heart disease (version 2012). Eur Heart J 2012; 33:2451–2496.
KAPITEL
4 Leitsymptom Beinödeme
4.1 Rötung und Schwellung am Unterschenkel Stefan Lüftl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
KASUISTIK
Bei einem 39-jährigen Landwirt trat vor einer Woche ohne erfragbaren Auslöser eine Rötung und Schwellung des linken
Unterschenkels mit vorübergehendem Fiebergefühl auf. Seither besteht eine Knöchelschwellung links.
• Labor: Bestimmung von D-Dimer. Hohe Sensitivität, aber nur sehr geringe Spezifität zum Nachweis einer
Phlebothrombose. Negatives Ergebnis schließt allerdings Thrombose praktisch aus.
• Sonografie: Bereits die Kompressionssonografie (B-Bild, Linearschallkopf, 7,5 MHz, Sonde rechtwinklig
zum Gefäßverlauf) weist eine sehr hohe Sensitivität und Spezifität für die Diagnostik einer Beinvenen-
thrombose auf. Bei der Beurteilung von Vena cava inferior und der Beckenvenen ist die farbkodierte Du-
plexsonografie überlegen. Durch die Sonografie können auch weitere Differenzialdiagnosen (z. B. Baker-
4 Zyste, Muskelfaserriss) erkannt werden.
• In Zweifelsfällen sequenzielle Sonografie nach 2–3 Tagen, Phlebografie oder CT-Angiografie.
Die Sonografie bleibt beim vorgestellten Patienten unauffällig. Hingegen zeigen sich klinische Hinweise für ein Lymph
ödem.
Auf gezieltes Nachfragen berichtet der Patient, bereits früher mehrmals ähnliche, vorübergehende Beschwerden gehabt
zu haben. In der erweiterten klinischen Untersuchung zeigt sich eine Interdigitalmykose.
Rezidivierendes Erysipel.
• Antibiotische Behandlung, falls noch klinische Zeichen eines frischen Erysipels nachweisbar sind. Das
Präparat sollte gegen Streptokokken und Staphylokokken wirksam sein (z. B. Flucloxacillin, Amoxicillin/
Clavulansäure)
4.1 Rötung und Schwellung am Unterschenkel 225
Kardial bedingte Ödeme betreffen die Beine und verschlimmern sich im Tagesverlauf. Ödeme bei Hypalbu-
minämie manifestieren sich häufig morgens und finden sich auch im Gesicht und an den Augenlidern sowie
periorbital.
Wie können Sie durch eine rationale Labordiagnostik den Verdacht auf renal
bedingte Ödeme erhärten?
LITERATUR
Fauci A, Braunwald E, Kasper D, Hauser S. Harrison's Principles of Internal Medicine. 17. Auflage. Columbus: McGraw-Hill;
2008.
Rieger H, Schoop W. Klinische Angiologie. Berlin: Springer; 1998.
226 4 Leitsymptom Beinödeme
KASUISTIK
Ein 58-jähriger Patient wird Ihnen vom Dermatologen, bei dem er wegen eines generalisierten Pruritus vorstellig gewor-
den ist, zur kardiologisch-internistischen Mitbeurteilung zugewiesen. Er berichtet, in den vergangenen Wochen außer
Juckreiz unter einer zunehmenden Verdickung der Beine zu leiden, der Juckreiz bestehe erst seit einigen Tagen. Der Pati-
ent berichtet weiter, täglich etwa zwei Flaschen Bier zu trinken sowie seit seinem 18. Lebensjahr zu rauchen, etwa eine
Packung am Tag. Die körperliche Belastbarkeit sei seit geraumer Zeit schlecht, bereits bei geringer Anstrengung trete
Luftnot auf. Im letzten Jahr war er bereits 3-mal in einer Lungenfachklinik in stationärer Behandlung gewesen. Beim
ersten Aufenthalt habe von dort außerdem eine Herzkatheteruntersuchung stattgefunden, bei der eine relevante korona-
re Herzerkrankung ausgeschlossen wurde.
Körperlicher Untersuchungsbefund: vom Aspekt eher kachektischer Patient, 172 cm Körpergröße, 64 kg Gewicht,
Puls 100/min, rhythmisch, Blutdruck 180/100 mmHg, 3⁄6-Decrescendo-Systolikum, p. m. rechtspräkordial, 2. Herzton laut,
Jugularvenen 3 QF gestaut, beidseits leises Atemgeräusch, Klopfschall hypersonor, vereinzelt Spider-Naevi, beidseits
4 deutliche Beinödeme, Bauchumfang 120 cm, leise Darmgeräusche, periphere Pulse schlecht tastbar, Trommelschlägelfin-
ger, periphere Zyanose.
Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG des Patienten bei Aufnahme
(› Abb. 4.1).
• Labor: Blutbild, Harnstoff, Kreatinin, Elektrolyte, C-reaktives Protein (CRP), Transaminasen, γ-GT,
Eiweiß, Albumin, Quick-Wert, PTT, LDH, Troponin T, Urinstix, Urinsediment
• NT-proBNP: Entsprechend den Leitlinien der Dt. Gesellschaft für Kardiologie kann die Bestimmung
der Plasmakonzentration von BNP oder NT-proBNP für die Diagnosestellung einer Herzinsuffizienz
hilfreich sein. Sind die Konzentrationen niedrig normal, so ist eine Herzinsuffizienz unwahrscheinlich.
Dies gilt insbesondere für das Leitsymptom Luftnot. Bei Erhöhung sollte eine weitere kardiale Abklä-
rung erfolgen.
• Echokardiografie mit der Frage RV-Belastung, Wandbewegungsstörungen, Vitien
• Röntgen-Thorax.
Eine bei Herzinsuffizienz auftretende Hyponatriämie ist typischerweise durch Überwässerung, d. h. keinen
tatsächlichen, sondern einen relativen Natriummangel bedingt. Pathophysiologisch kommt es dabei durch
eine barorezeptorvermittelte ADH-Freisetzung zu einer Wasserretention mit hypoosmolarer Hyponatriämie.
Therapie der Wahl ist daher die Flüssigkeitsrestriktion bzw. die Erhöhung der Wasserdiurese. Sie kann von
einer Verlusthyponatriämie durch die Klinik (Ödeme) bzw. weitere Laborparameter, die auf eine Verdün-
nung hindeuten können (z. B. Hämatokrit), unterschieden werden.
Echokardiografie: Aortenwurzel und Aortenklappe unauffällig, rechter Ventrikel vergrößert mit reduzierter Funktion,
rechter Vorhof mäßig vergrößert, linker Vorhof und Ventrikel normal groß mit normaler Funktion, Wanddicken normal,
paradoxe systolische Septumbewegung, Mitralklappe mit physiologischer Insuffizienz, Bewegung normal, Trikuspidal-
klappe mit mäßiger Insuffizienz, dpmax RV/RA nicht verlässlich messbar, kein Perikarderguss. Lebervenen gestaut.
Die Lungenfunktionsuntersuchung ergibt bei Raumluft folgende Werte: pH 7,42, pO2 56,5 mmHg, pCO2 53,2 mmHg,
FEV1 0,62 l (19 % des Solls), FEV1 %, VCmax 29 %, PEF 1,3 l/s (16 % des Solls), R tot 0,83 kPa/s/l (275 % des Solls), ITGV
10,89 l (302 % Soll).
Cor pulmonale, a. e. bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) mit Lungenemphysem.
Wie lautet die gängige Klassifizierung der COPD und welches Stadium liegt bei
dem vorgestellten Patienten vor?
Nach der Klassifizierung der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Diseases (GOLD) wird die COPD
spirometrisch nach Einsekundenkapazität FEV1 bezogen auf die funktionelle Vitalkapazität (FEV1/FVC in %)
4.2 Zunehmende beidseitige Beinschwellung 229
und nach absolutem FEV1 in 4 Stadien ansteigenden Schweregrades eingeteilt. In allen Stadien muss eine
FEV1/FVC < 70 % vorliegen. Beträgt dann die absolute FEV1 > 80 % des Sollwertes, liegt Stadium I vor, bei
50–80 % Stadium II, bei 30–50 % Stadium III und bei < 30 % Stadium IV.
Eine Ergänzung der spirometrischen Klassifizierung erfolgt durch die GOLD 2011 und verfolgt das Ziel,
der Komplexität der Erkrankung durch zusätzliche Erfassung von Verlauf und Symptomen besser Rech-
nung zu tragen. Sie erfasst zusätzlich zur oben genannten spirometrischen Einteilung sowohl die Exazerba-
tionshäufigkeit (< 2/Jahr oder ≥ 2/Jahr) als auch die Häufigkeit von Symptomen bei COPD. Hierzu werden
unterschiedliche Symptomenscores (CAT- oder mMRC-Score) empfohlen. Daraus ergibt sich folgende Ein-
teilung:
• Bisheriges GOLD-Stadium I oder II und wenig Symptome = GOLD A
• Bisheriges GOLD-Stadium I oder II und starke Symptome = GOLD B
• Bisheriges GOLD-Stadium III oder VI und wenig Symptome = GOLD C
• Bisheriges GOLD-Stadium III oder VI und starke Symptome = GOLD D
Liegen zwei oder mehr Exazerbationen pro Jahr vor, erfolgt automatisch eine Einteilung in entweder GOLD C
(wenig Symptome) oder GOLD D (starke Symptome).
Der Patient befindet sich in Stadium D (früher IV). 4
Invasiv kann das Herzzeitvolumen (ca. 5,5–8 l/min) durch die Thermodilutionsmethode, durch Farb-
stoffverfahren oder nach dem Fick-Gesetz entsprechend der Sauerstoffaufnahme, der zentralvenösen
und der zentralarteriellen Sättigung bestimmt werden. Bei der Thermodilutionsmethode wird eine
definierte Menge kalte Flüssigkeit injiziert und die Temperaturveränderung des Blutes invasiv gemes-
sen. Anhand der Geschwindigkeit der Temperaturnormalisierung wird dann das HMV berechnet. Ein
ähnliches Prinzip wird bei Farbstoffverdünnungsmethoden verwendet. Bei Anwendung des Fick-Ge-
setzes wird die durchschnittliche Sauerstoffaufnahme (in ml/min, wird meist aus Nomogrammen er-
mittelt, kann aber auch direkt gemessen werden) durch die zehnfache arteriovenöse Sauerstoffsätti-
gungsdifferenz dividiert. Neben dem Herzzeitvolumen wird häufig auch der Cardiac Index (CI), d. h.
das HZV, bezogen auf die Körperoberfläche (l/min/m2), angegeben, die Normwerte liegen hier bei
> 2,5 l/min/m2.
Eine Rechtsherzkatheteruntersuchung sollte nur zur Sicherung der Diagnose (PA-Druck in der Echokar-
diografie nicht verlässlich bestimmbar) und bei therapeutischer Konsequenz durchgeführt werden. So kann
durch Messung des Wedge-(PCWP-)Drucks bei Unklarheiten definitiv eine postkapilläre Ursache der pul-
monalen Hypertonie ausgeschlossen werden.
230 4 Leitsymptom Beinödeme
In Ruhe findet sich im rechten Vorhof bei Gesunden abhängig vom Volumenstatus ein Druck von 1–5 mmHg,
im rechten Ventrikel systolisch von 15–30 mmHg. In der Pulmonalarterie entspricht der systolische Druck in
etwa dem systolischen Druck im rechten Ventrikel, der diastolische Druck liegt normalerweise bei
3–12 mmHg und der Mitteldruck bei 9–19 mmHg. Ab einem mittleren PA-Druck von > 25 mmHg in Ruhe
bzw. von > 30 mmHg unter Belastung spricht man von einer pulmonalen Hypertonie, wobei erste Symptome
wie Belastungsdyspnoe bei Werten zwischen 30–40 mmHg auftreten.
Systolische Druckbelastungen über 45–50 mmHg können zum Pumpversagen des rechten Ventrikels füh-
ren, wenn dieser nicht an erhöhte Drücke durch myokardiale Hypertrophie adaptiert ist. Dann können Drü-
cke bis zu 80–100 mmHg toleriert werden, ohne dass zwingend eine Rechtsherzdekompensation vorliegen
muss.
Beim beschriebenen Patienten liegt mit einem mittleren PA-Druck von 28 mmHg in Ruhe nur eine gering-
4 gradige pulmonale Hypertonie vor, unter Belastung werden jedoch deutlich höhere Werte erreicht.
Neben den beschriebenen Symptomen des Patienten (periphere Ödeme, Jugularvenenstau, Aszites, Trom-
melschlägelfinger, Zyanose) finden sich ggf. ein Pulmonalinsuffizienzgeräusch, eine palpable rechtsventriku-
läre Hebung, ein positiver hepatojugulärer Reflux, eine Hepatomegalie sowie Aszites.
• Durchführung einer Spiroergometrie zur Abschätzung der maximalen Sauerstoffaufnahme, des VE/
VCO2-Quotienten, des Blutdruckverhaltens und pCO2. Bei pulmonaler Hypertonie ist typischerweise un-
ter Belastung der Anstieg des Sauerstoffpulses reduziert.
• Durchführung eines 6-Minuten-Gehtests zur Beurteilung der körperlichen Belastbarkeit.
Bei diesem Patienten ist keine der oben genannten Untersuchungen sinnvoll.
Üblicherweise erfolgt die Diagnose, wie im vorliegenden Fall, erst im fortgeschrittenen Stadium, da die Sym-
ptome so unspezifisch sind, dass meist zunächst an andere kardiale oder pulmonale Erkrankungen gedacht
wird.
Zur Typeneinteilung der pulmonalen Hypertonie s. a. › Kapitel 3.3.
4.2 Zunehmende beidseitige Beinschwellung 231
• CT-Thorax
• TEE
• Abdomensonografie
• Rheumatologische Abklärung; ANA, RF, Blutsenkungsgeschwindigkeit etc.
• Ggf. serologische Untersuchungen
• Schlafapnoe-Screening
• Bei Verdacht: parasitologische Untersuchungen.
In der Abdomensonografie zeigt sich eine echoarme Struktur der Leber mit glatten Konturen und verbreiterten Gefä-
ßen, darüber hinaus eine Verplumpung des Lobus caudatus und der Leberkapsel; mäßig Aszites, Splenomegalie, dilatier-
te VCI, Pfortaderverbreiterung. Auffällig ist außerdem eine rekanalisierte Nabelvene. Der übrige abdomensonografische
Befund ist unauffällig.
Ja, allein aufgrund der typischen Laborveränderungen mit Hypalbuminämie, Störung der Synthese (Quick),
Bilirubinerhöhung, Thrombopenie sowie des Vorliegens von Aszites und Zeichen der chronischen Leberstau-
ung muss die Diagnose Leberzirrhose gestellt werden. Die typischen sonografischen Zeichen einer ethyltoxi-
schen Leberzirrhose müssen hierzu nicht unbedingt vorliegen.
• Ethyltoxische Leberzirrhose
• Virushepatitis
• Kardiale Zirrhose (Cirrhose cardiaque)
• Mischbilder
• Alpha-1-Antitrypsin-Mangel.
Weniger wahrscheinlich erscheinen autoimmune Ursachen, primär biliäre Zirrhose, primär sklerosierende
Cholangitis, bei fehlender entsprechender Anamnese chemikalien- oder medikamenteninduzierte Leber-
schäden, Stoffwechselkrankheiten wie Hämochromatose, Morbus Wilson, Budd-Chiari-Syndrom, Bilharzio-
se oder andere Ursachen.
Am wahrscheinlichsten erscheint die Cirrhose cardiaque. Differenzialdiagnostisch kann aber auch eine ethyl-
toxische Leberzirrhose, ggf. auch als Mischbild mit ersterer, vorliegen. In Erwägung gezogen werden muss
232 4 Leitsymptom Beinödeme
trotz des typischen Risikoverhaltens des Patienten bei der Kombination Leberzirrhose und Lungenemphy-
sem auch ein Alpha-1-Antitrypsin-Mangel.
Eine weitere Abklärung ist aufgrund der typischen Befundkonstellation mit Pfortaderhochdruck bei Leber-
zirrhose, die regelhaft auch zum Hyperspleniesyndrom mit Thrombopenie bzw. Mangel mehrerer reifer Blut-
4 zellreihen und vermehrter Nachbildung führt, nicht notwendig.
Welche medikamentöse Therapie des chronischen Cor pulmonale ist bei unserem
Patienten indiziert?
Welche weiteren Probleme des Patienten müssen Sie therapieren? Wie gehen Sie
vor?
Zu initiieren ist eine stadiengerechte Therapie der COPD mittels inhalativer Anticholinergika, Beta-2-Sympa-
thomimetika und ggf. inhalativen Steroiden als Therapieversuch. Abgesehen werden sollte aufgrund des Vor-
hoflimmerns von einer Theophyllingabe. Daneben sollte strikte Nikotinkarenz eingehalten werden.
4.2 Zunehmende beidseitige Beinschwellung 233
Bei der Behandlung der Leberzirrhose muss neben der absoluten Alkoholkarenz und dem Weglassen an-
derer vermeidbarer Noxen, dem Sicherstellen einer ausreichenden Protein- und Kalorienzufuhr und der Sub-
stitution von Vitamin B1 bei alkoholtoxischer Leberzirrhose der Schwerpunkt auf der Therapie/Vermeidung
von Komplikationen wie portaler Hypertension oder hepatischer Enzephalopathie (Eiweißreduktion, abfüh-
rende Maßnahmen, Darmdekontamination) liegen. Zur Behandlung des Aszites sollten Aldosteronantago-
nisten gegeben werden sowie eine Natriumrestriktion erfolgen. Gegebenenfalls müssen regelmäßige Para-
zentesen oder die Anlage eines transjugulären portosystemischen Shunts durchgeführt werden.
Eine Betablockertherapie, die auch bei COPD in der Mehrzahl der Fälle (70 %) gut vertragen wird und pro
gnostisch günstig ist, sollte als Therapieversuch an erster Stelle stehen. Alternativ erscheint ein Kalziumant
agonist mit frequenzkontrollierenden Eigenschaften geeignet. Aufgrund der gleichzeitigen vasodilatierenden
Eigenschaften bietet sich ein Kalziumantagonist vom Benzothiazintyp, z. B. Diltiazem, an. Gegebenenfalls
kann außerdem mit Digitalis therapiert werden. 4
Aufgrund der deutlichen Vergrößerung des rechten Vorhofs scheint eine Kardioversion mit lang anhalten-
dem Sinusrhythmus wenig erfolgversprechend, sollte aber bei schlechter Frequenzkontrolle diskutiert wer-
den. Durch das gleichzeitig bestehende Vorhofflimmern ist die Indikation zur oralen Antikoagulation auch
bei Cor pulmonale bzw. pulmonaler Hypertonie aufgrund hypoxischer Grunderkrankung zu stellen.
LITERATUR
Fauci A. Harrison's Principles of Internal Medicine. 17th ed. New York: McGraw-Hill, 2008.
Galie N, Hoeper MM, Humbert M, et al. Guidelines for the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension: The Task
Force for the Diagnosis and Treatment of Pulmonary Hypertension of the European Society of Cardiology (ESC) and the
European Respiratory Society (ERS), endorsed by the International Society of Heart and Lung Transplantation (ISHLT). Eur
Heart J 2009; 30(20): 2493–537.
Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease. Global strategy for the diagnosis, management, and prevention of
chronic obstructive pulmonary disease (updated 2013). www.goldcopd.org
Hoeper MM, Ghofrani HA, Gorenflo M, Grünig E, Schranz D, Rosenkranz S. Diagnosis and treatment of pulmonary hyperten-
sion: European guidelines 2009. Pneumologie 2010; 64(7): 401–14.
Krakau I, Lapp H. Das Herzkatheterbuch. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme, 2009.
KAPITEL
5 Leitsymptom Fieber
5.1 Leitsituation: Junger Patient mit hohem Fieber und Diarrhö Sebastian Schmieder . . . . 235
KASUISTIK
Sie werden vom diensthabenden Arzt der Notaufnahme Ihrer Klinik um eine konsiliarische Stellungnahme wegen eines
auffälligen EKG-Befunds gebeten. Das Ruhe-EKG stammt von einem 31 Jahre alten Mann. Er gibt an, seit einigen Tagen
an einer Diarrhö, teilweise mit Blutbeimengungen, zu leiden. Erst kürzlich sei er von einem mehrere Monate dauernden
Aufenthalt in Indien zurückgekehrt. Von Ihren Kollegen erfahren Sie, dass der Patient an einem hochfieberhaften gastro-
intestinalen Infekt leidet, es besteht unter anderem der Verdacht auf eine Shigellenruhr.
KASUISTIK
Sie lassen sich weitere Befunde des Patienten zeigen und teilen einem jungen Assistenten Ihre Verdachtsdiagnose mit. Er
räumt ein, den Namen der von Ihnen erwähnten Erkrankung höchstens einmal gehört zu haben.
Laborwerte: normale Werte für Serumchemie einschließlich Elektrolyten; CRP erhöht mit 9 mg/dl, Leukozyten 13,4 G/l,
geringe Linksverschiebung.
Sie entscheiden sich, den Patienten selbst zu befragen.
5.1 Leitsituation: Junger Patient mit hohem Fieber und Diarrhö 237
V2 V2 V2
V3 V3 V3
Abb. 5.2 EKG-Veränderungen beim Brugada-Syndrom (nach Brugada et al. 2009) [L106]
5
Welche Informationen aus der Anamnese interessieren Sie besonders?
KASUISTIK
Sie finden einen akut krank wirkenden Patienten vor. Dem Notaufnahmeprotokoll entnehmen Sie, dass Herr W. immer
noch hohes Fieber (39,8 °C) hat. Der Patient berichtet, dass keine gehäuften Todesfälle in seiner Familie bekannt seien.
Medikamente werden nicht eingenommen. Synkopen sind nicht eruierbar. Gelegentlich habe er Schwindel, vor allem bei
schnellem Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen. Im Übrigen gibt Herr W. eine gute körperliche Belastbarkeit an, keiner-
lei Herzbeschwerden, keine gehäuften Palpitationen, keine relevante Dyspnoe. Ob bereits früher einmal ein EKG geschrie-
ben wurde, weiß Herr W. nicht so genau, einen Hausarzt hat er nicht.
Wegen der hoch fieberhaften Erkrankung und des reduzierten Allgemeinzustands des Patienten ist eine stationäre Auf-
nahme geplant.
Benötigen Sie weitere Untersuchungen für Ihre Entscheidung? Wenn ja, welche?
Da der Patient aktuell an einem akuten fieberhaften Infekt leidet, entschließen Sie sich, die EKG-Veränderun-
gen im Intervall erneut zu beurteilen (kardiologische Ambulanz).
238 5 Leitsymptom Fieber
Befund des 12-Kanal-EKG: regelmäßiger Sinusrhythmus, Indifferenz- bis Linkstyp, HF 87/min, unauffällige
Repolarisation. Rückbildung der während des Fiebers beobachteten EKG-Veränderungen.
Fieber kann die typischen EKG-Veränderungen beim Brugada-Syndrom demaskieren (Antzelekovitch et
al. 2005). Inwieweit dies für eine Prognoseabschätzung sicher verwertet werden kann, ist nicht ausreichend
belegt (› Abb. 5.4). Der Patient zeigt nach Abklingen des Fiebers nun ein unauffälliges EKG (spontane EKG-
Veränderungen sind bei Ihrem Patienten somit per definitionem nicht vorhanden).
5.1 Leitsituation: Junger Patient mit hohem Fieber und Diarrhö 239
Spontanes Typ-I-EKG
Symptomatisch Asymptomatisch
Synkope
Überlebter Pos. Familienanamnese
Krampfanfall Neg.
plötzlicher für plötzlichen Herztod
Nächtliche (zentrale) Familienanamnese
Herztod durch Brugada-Syndrom
Atemstörung
– + + – + –
5
EPU empfohlen
zur Abklärung von SVT
Symptomatisch Asymptomatisch
Synkope
Überlebter Pos. Familienanamnese
Krampfanfall Neg.
plötzlicher für plötzlichen Herztod
Nächtliche (zentrale) Familienanamnese
Herztod durch Brugada-Syndrom
Atemstörung
– + + –
EPU empfohlen
zur Abklärung von SVT
Abb. 5.4 Indikation zur ICD-Implantation bei Patienten mit Brugada-Syndrom (modifiziert nach Antzelevitch et al. 2005) [L106]
240 5 Leitsymptom Fieber
Sie entscheiden, dass derzeit ein abwartendes Vorgehen gerechtfertigt scheint, und bestellen Ihren Patienten
zu einem erneuten Kontrolltermin in 3 Monaten in die Ambulanz. Eine spezifische medikamentöse Therapie-
empfehlung existiert derzeit nicht. Sie raten Ihrem Patienten außerdem, bei etwaigen künftigen Medikamen-
tenverschreibungen nachzufragen, ob diese ein Brugada-EKG auslösen können. Wenn ja, sollten die entspre-
chenden Medikamente vermieden werden – ebenso auch Kokain- und Alkoholintoxikationen.
Der Verdacht auf eine bakterielle Ruhr bestätigt sich nicht, der Patient kann nach 2 Tagen aus der stationären Behandlung
entlassen werden, er ist fieberfrei.
In der übernächsten Woche stellt sich der Patient erneut ambulant vor. Sie erhalten folgendes Ruhe-EKG (› Abb. 5.3):
LITERATUR
5 Antzelevitch C, Brugada P, Borggrefe M, et al. Brugada syndrome: report of the second consensus conference. Circulation
2005;111: 659–70.
Brugada P, Benito B, Brugada R, Brugada J. Brugada Syndrome: Update 2009. Hellenic J Cardiol. 2009; 50: 352–72.
KASUISTIK
33-jähriger Mann, Erstdiagnose Morbus Crohn 2004, in den vergangenen 6 Monaten rezidivierend Schübe. Zunächst war
die Mesalazin-Dosis gesteigert worden, dann musste die medikamentöse Therapie um Prednisolon erweitert werden.
Hierunter war es vor 4 Wochen zu einem neuerlichen heftigen Schub gekommen, seither nahm der Patient additiv Aza-
thioprin ein. Bei zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustands und weiter rezidivierenden Fieberschüben erfolg-
te die stationäre Aufnahme. Am Aufnahmetag wird ein CT-Abdomen durchgeführt, es finden sich keine Hinweise auf
einen Abszess, keine sonstigen Auffälligkeiten, es zeigt sich lediglich eine ausgeprägte Splenomegalie. Der Patient wird
Ihnen vorgestellt, da bei der Auskultation ein lautes, bisher nicht bekanntes Systolikum aufgefallen war. Kardiale Vorer-
krankungen sind nicht bekannt.
Körperliche Untersuchung: mäßiger Allgemeinzustand, reduzierter EZ. Pulmo frei, JVD normal. Cor: regelmäßig mit
120/min, raues frühsystolisch betontes 3⁄6-Holosystolikum mit p. m. über Erb, keine Fortleitung in die Karotiden. RR
90/60 mmHg. Abdomen: weich, diffus druckdolent, rege Darmgeräusche. Milz vergrößert palpabel, Leber o. B., Nierenla-
ger bds. frei, periphere Pulse seitengleich tastbar. Keine peripheren Ödeme. Unauffälliger neurologischer Status. Unauf-
fällige Haut.
Labor: Infektkonstellation mit nur gering erhöhtem CRP, erhöhtem PCT und ausgeprägter Leukozytose sowie gering
beschleunigter Blutsenkungsgeschwindigkeit, zudem liegen eine normochrome normozytäre Anämie mit einem Hb von
9,0 g/dl sowie eine ausgeprägte Hypokaliämie (2,8 mmol/l) vor, die LDH ist erhöht. Nierenretentionswerte normal. TSH
normal. Gesamteiweiß und Albumin gering reduziert. Übrige Werte unauffällig.
5.2 Rezidivierende Fieberschübe 241
Sie veranlassen ein EKG, UKG sowie die weitere Fokussuche (Röntgen-Thorax, Zahnstatus, ggf. trotz vorliegen-
dem CT Abdomensonografie, Urinstatus und Bakterien/Urin) und nehmen Blutkulturen ab (3 separate Sets
[aerob/anaerob] innerhalb von 24 h in jeweils mindestens 1-stündigem Abstand, ggf. auch Pilzkulturmedium).
Welche Verdachtsdiagnose haben Sie? Wie können Sie die Diagnose erhärten?
Ihr Patient hat wahrscheinlich eine Mitralklappenendokarditis unter immunsuppressiver Therapie. Im TEE, 5
was Sie auch bei gut beurteilbarem transthorakalem Echo wie bei unserem Patienten in jedem Fall ergänzend
durchführen müssen (› Abb. 5.5), werden Sie Klappe und Vegetation noch genauer sehen (› Abb. 5.6).
Sie können die Größe der Vegetation beurteilen und ggf. einen paravalvulären Abszess identifizieren sowie
den Schweregrad der Mitralinsuffizienz mit beurteilen.
Klinischer Endokarditisverdacht
TTE
Klappenprothese, qualitativ
intrakar- positiv negativ
schlechtes TTE
diales Fremd-
material
(intracardiac
devices) Endokarditisverdacht
stark gering
Abb. 5.5 Indikationen zur transthorakalen und transösophagealen Echokardiografie bei Endokarditisverdacht (nach Habib et al.
2009) [L106]
242 5 Leitsymptom Fieber
Beide Mitralklappensegel sind gering sklerosiert, das anteriore Mitralsegel ist zudem verdickt, eine max. 10 mm lange
echoarme oszillierende Struktur anhaftend, a. e. einer Vegetation entsprechend. AK trikuspid, gering sklerosierte Taschen-
klappenränder, regelrecht öffnend, keine AI. Die übrigen Klappen sind morphologisch und im Doppler unauffällig. Nor-
male LV-Funktion, es liegt kein Perikarderguss vor. Die Vorhöfe sind visuell gering vergrößert. RV normal groß. Keine
Thromben im LA/LAA.
Das TEE verstärkt die Verdachtsdiagnose einer Endokarditis. Skizzieren Sie nun
bitte möglichst detailliert die Diagnosekriterien der Endokarditis.
Zur Diagnosestellung müssen die klinischen, laborchemischen und echokardiografischen Befunde zusam-
mengefügt werden. Hilfreich hierbei sind die Duke-Kriterien.
Modifizierte Duke-Kriterien (adaptiert aus Li et al. 2000 und ESC-Guidelines 2009):
Hauptkriterien
• Positive Blutkulturen (› Tab. 5.2)
– Nachweis typischer Mikroorganismen der infektiösen Endokarditis in 2 verschiedenen Blutkulturen
– Streptokokken der Viridansgruppe, Streptococcus bovis, Keime der HACEK-Gruppe oder
– Staphylococcus aureus oder Enterokokken bei fehlendem Primärfokus
–Permanent positive Blutkulturen mit Nachweis von Mikroorganismen, die eine infektiöse Endokarditis
5 verursachen können, definiert als
– ≥ 2 positive Blutkulturen bei einem Entnahmeabstand von > 12 Stunden oder
– 3 positive Blutkulturen oder positive Mehr-
zahl von 4 oder mehr separaten Blutkulturen
(Abstand der ersten und letzten Blutentnah-
me ≥ 1 Stunde)
• Nachweis endokardialer Beteiligung
– Positives Echo definiert als
– frei flottierende Struktur auf der Herzklappe
oder in ihrer Umgebung, in einem Regurgita-
tionsjet oder an implantiertem Material nach
Ausschluss einer alternativen anatomischen
Erklärung oder
– Abszess oder
– neu aufgetretene Dehiszenz im Bereich einer
künstlichen Herzklappe
–Neue Regurgitation an einer Herzklappe
Nebenkriterien
• Prädisposition
• Fieber: Temperatur ≥ 38,0 °C
• Gefäßphänomene: Embolien in große Arterien,
septische Lungeninfarkte, mykotische Aneurys-
men, intrakranielle Blutungen, konjunktivale Blu-
tungen, Janeway-Läsionen
• Immunologische Phänomene: GN, Osler-Knöt-
chen, Roth-Flecken, positive Rheumafaktoren
• Mikrobiologischer Hinweis: positive Blutkulturen,
die nicht die Hauptkriterien erfüllen, oder serologi-
Abb. 5.6 TEE. Vegetation an der Mitralklappe [M754]
5.2 Rezidivierende Fieberschübe 243
scher Nachweis einer aktiven Entzündung durch einen mit einer infektiösen Endokarditis vereinbaren Er-
reger
• Echokardiographische Kriterien: vereinbar mit einer infektiösen Endokarditis, die jedoch die Hauptkrite-
rien nicht erfüllen.
Eine infektiöse Endokarditis ist nach den Duke-Kriterien
• gesichert bei Vorliegen von
– 2 Hauptkriterien oder
– 1 Hauptkriterium und 3 Nebenkriterien oder
– 5 Nebenkriterien
• möglich bei Vorliegen von
– 1 Haupt- und 1 Nebenkriterium oder
– 3 Nebenkriterien.
Unser Patient erfüllt hiermit folgende Kriterien: Hauptkriterien: II A 1 und II B sowie 2 Nebenkriterien. Von
einer Endokarditis muss auch bei noch ausstehenden mikrobiologischen Ergebnissen ausgegangen werden.
Zunächst ist die Gewinnung von Blutkulturen bei dieser Konstellation entscheidend, noch bevor eine Anti
biose begonnen wird.
Beim zu erwartenden typischen Erregerspektrum muss einerseits zwischen Nativ- und Kunstklappenendo-
karditiden differenziert werden, andererseits muss auch das Patientenalter berücksichtigt werden (› Tab. 5.2)
Bei möglichen assoziierten Befunden veranlassen Sie ergänzend ein HNO-(Fokussuche) sowie ein augen-
ärztliches Konsil (Suche nach Mikroembolien). In beiden Fällen ist der Befund bei unserem Patienten unauf-
fällig.
Risikokonstellationen für Endokarditis: Am häufigsten betroffen sind Aorten- und Mitralklappe. Eine
isolierte AK-Endokarditis findet sich in 55–60 % der Fälle, eine isolierte MK-Endokarditis in 25–30 % der
Fälle. Weniger häufig sind kombinierte AK- und MK-Endokarditiden mit 15 % und Rechtsherzendokarditi-
den mit 10–15 %. Man geht von sechs Neuerkrankungen jährlich pro 100.000 Einwohner aus. Prädisponie-
rende Faktoren sind angeborene oder erworbenen Herzklappenfehler, wobei hier noch zwischen einer Hoch-
risikogruppe, einer Intermediärrisikogruppe und einer Niedrigrisikogruppe unterschieden wird:
244 5 Leitsymptom Fieber
Tab. 5.3 Initiale empirische Therapieempfehlung (vor oder ohne Identifizierung des Pathogens; nach Habib et al. 2009)
Antibiotikum Dosierungsschema Therapiedauer Evidenz- Kommentar
(Wochen) grad
Nativklappen
Ampicillin-Sulbactam oder 12 g/d i. v. 4 ×/d 4–6 IIbC bei Patienten mit infektiöser Endo-
Amoxicillin-Clavulansäure 12 g/d i. v. 4 x/d IIbC karditis und negativen Blutkulturen
5 mit Gentamicin 3 mg/kg KG/d i. v. oder Mikrobiologen hinzuziehen
i. m. 2 oder 3 x/d
Vancomycin 30 mg/kg KG/d (2 xd) 4–6 IIbC wenn Betalaktam nicht vertragen
mit Gentamicin 3 mg/kg KG/d i. v. oder wird
mit Ciprofloxacin i. m. (2 oder 3 xd) keine alleinige Therapie bei Barto-
1 g/d oral (2 × d) oder nella-Infektion – hier ggf. additiv
800 mg/d i. v. (2 xd) Doxycyclin
Kunstklappen, früh, < 12 Monate postoperativ
Vancomycin 30 mg/kg KG/d i. v. (2 × d) 6 IIbC falls keine klinische Besserung, OP
mit Gentamicin 3 mg/kg KG/d i. v. oder und evtl. Ausweitung der Antibio-
mit Rifampicin i. m. (2 oder 3 × d) tikatherapie, um gramnegative
1.200 mg/d oral (2 x) Keime besser zu erfassen
Kunstklappen (spät, ≥12 Monate postoperativ)
Gleiche Therapie wie bei Nativklappen
Nun gehen Sie bitte auf Ihre therapeutischen Optionen bei Ihrem Patienten ein.
Welche Punkte müssen bei der Auswahl der Antibiose beachtet werden? Welches
Antibiotikaregime schlagen Sie in unserem Fall initial vor?
Nach Abnahme von Blutkulturen muss umgehend die intravenöse antibiotische Therapie eingeleitet werden.
Eine Endokarditis kann im Idealfall rein medikamentös behandelt werden, ggf. muss ein verbleibendes Viti-
um – hier eine verbleibende beträchtliche Mitralinsuffizienz – jedoch im Intervall operiert werden (Mitral-
klappenersatz, ggf. auch Mitralklappenrekonstruktion). Es kommt in jedem Fall eine antibiotische Kombina-
tionstherapie zum Einsatz, die Auswahl der Substanzen richtet sich einerseits danach, ob eine Nativ- oder
Kunstklappenendokarditis vorliegt, und andererseits nach dem verursachenden Keim (› Tab. 5.4). Not-
wendig ist:
• Abdeckung der zu erwartenden Keime, im vorliegenden Fall sind bei chronischer Darmerkrankung insbe-
sondere Enterokokken mögliche Erreger, bei Immunsuppression ist aber auch eine Pilzinfektion denkbar
5.2 Rezidivierende Fieberschübe 245
• Intravenöse Antibiotikagabe
• Anpassung der Antibiotika nach Vorliegen der bakteriologischen Ergebnisse.
Bei unbekanntem Erreger wie folgt beginnen (› Tab. 5.4):
Tab. 5.4 Antibiotikatherapie bei infektiöser Endokarditis durch Enterokokken spp. (nach Habib et al. 2009)
Antibiotikum Dosierung Therapiedauer (Wochen) Evidenzgrad
Betalaktam- und Gentamicin-sensible Stämme
Amoxicillin 200 mg/kg KG/d i. v. (4–6 × d) 4–6 IB
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i. v. oder i. m. (2–3 × d) 4–6
oder
Ampicillin 200 mg/kg KG/d i. v. (4–6 × d) 4–6 IB
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/tgl i. v. oder i. m. (2–3 × d) 4–6
oder
Vancomycin 30 mg/kg KG/d i. v. (2 × d) 6 IC
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i. v. oder i. m. (2–3 × d) 6
Nach 10 Tagen antibiotischer Therapie – die laborchemischen Infektzeichen sind deutlich gebessert, kein Fieber mehr,
PCT ist nun negativ, der Patient hat die Antibiose bisher gut vertragen, die Vegetation stellt sich im TEE mit jetzt max.
10 mm Länge etwas größenprogredient dar, die MI wird nach wie vor mittelgradig eingeschätzt, Hinweise für einen peri-
anulären Abszess finden sich nicht – erleidet der Patient eine TIA in den frühen Morgenstunden, gegen Mittag dann
nochmals. Sie veranlassen ein Schädel-CT, das einen unauffälligen Befund zeigt.
Auch wenn das CT bisher kein Korrelat zeigt, muss man septische Embolisationen vermuten und nun eine
rasche Operation in Erwägung ziehen (› Abb. 5.7).
Indikationen und Evidenzgrad der chirurgischen Therapie (Naber 2004):
• IB: akute AI oder MI mit hämodynamischer Instabilität, perivalvulärer Abszess, Fistelbildung
• IC: MRSA oder Pilzendokarditis, persistierende Fungämie/Bakteriämie trotz Therapie, rezidivierende
Embolien nach adäquater antibiotischer Therapie, Prothesenendokarditis (bei penicillinsensiblen Strepto-
kokken zunächst konservatives Vorgehen gerechtfertigt)
• IIaC: schwere Sepsis > 48 h, persistierend Fieber (cave: Drug Fever) trotz adäquater antibiotischer Thera-
pie über 5–10 Tage, frische mobile Vegetation > 10 mm an MK, Größenzunahme/Ausbreitung der Vege-
tation, akute zerebrale Embolie.
246 5 Leitsymptom Fieber
Neurologische Komplikation
CT
• Herzversagen
• Unkontrollierte Infektion
• Abszess
• Hohes Embolierisiko
ja nein
• Intrakranielle Blutung
• Koma ja
• Schwere Komorbiditäten
• Schwerer Schlaganfall
nein
Abb. 5.7 Therapeutische Strategie bei Patienten mit infektiöser Endokarditis und neurologischen Komplikationen (nach Habib et
al. 2009) [L106]
5
Gehen Sie nun bitte auch noch auf andere mögliche Komplikationen der
infektiösen Endokarditis ein.
Grundsätzlich wird die antibiotische Therapie nach den Richtlinien durchführt, das heißt bei Nativklappen
endokarditis über 2–6 Wochen, bei Kunstklappendokarditis mindestens 6 Wochen lang.
Sollte bei einer Nativklappenendokarditis ein Klappenersatz notwendig werden, ist das präoperative „Na-
tivklappenregime“ fortzuführen. Die Dauer der antibiotischen Therapie wird ab dem ersten Tag effektiver
Antibiose gerechnet, postoperativ erfolgt nur dann ein neuer Zyklus Antibiotikagabe, wenn die intraoperativ
gewonnenen Klappenkulturen positiv sind. Die Auswahl des Antibiotikums richtet sich nach dem jeweils
zuletzt nachgewiesenen Keim.
Nur noch für Hochrisikopatienten wird eine Endokarditisprophylaxe empfohlen (› Tab. 5.5).
Unser Patient erfüllt somit die Kriterien und soll eine Endokarditisprophylaxe bei folgenden Eingriffen
erhalten (› Tab. 5.6, › Tab. 5.7).
Noch eine abschließende Frage: Unser Patient hat sich im Aufnahme-EKG mit
Vorhofflattern präsentiert, im TEE waren keine intrakavitären Thromben
nachweisbar. Plädieren Sie für eine rasche Elektrokardioversion? Wie
antikoagulieren Sie Ihren Patienten?
Angesichts der großen mobilen Vegetation im Bereich der Mitralklappe muss eine Elektrokardioversion
sorgfältig abgewogen werden, insbesondere bei Kreislaufinstabilität infolge schneller Überleitung aber si-
cherlich in Erwägung gezogen werden.
Antikoagulieren würde man in unserem Fall PTT-wirksam mit i. v.-Heparin unter engmaschiger Gerin-
nungskontrolle (› Tab. 5.8).
LITERATUR
Habib G, Hoen B, Tornos P, et al. Guideline on theprevention, diagnosis and treatment of infective endocarditis 2009. Eur
Heart J 2009; 30: 2369–413.
Li JS, Sexton DJ, Fowler VG, et al. Proposed modification to the Duke criteria for thediagnosis of infective endocarditis. Clin-
Infect Dis 2000; 30: 633–8.
Mylonakis E, Calderwood SB. Infective Endocarditis in Adults. New Engl J Med 2001; 345: 1318–30.
Uslan DZ, Sohail MR, St. Sauver JL, et al. Permanent Pacemaker and Implantable Cardioverter Defibrillator Infection. ArchInt
Med 2007; 167(7): 669–75.
Naber CK. S2-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der infektiösen Endokarditis. Z Kardiol 2004; 93: 1005–21.
KASUISTIK
Ein 75-jähriger Mann mit Oligurie und Dysurie, Z. n. rezidivierenden Harnwegsinfekten im vergangenen Jahr und bekannter
Prostatahypertropie stellt sich mit nun erstmals Schüttelfrost und allgemeinem Krankheitsgefühl in der Notaufnahme vor.
Körperliche Untersuchung und Erheben der detaillierten Anamnese, Urinstatus und Urin-Bakteriologie, ggf.
DK-Anlage, ggf. Abdomensonografie (NHS-Stau? Restharnmenge?), Blutentnahme (Infektparameter, kleines
Blutbild, Elektrolyte, Nierenretentionswerte, ggf. PSA-Bestimmung).
5.3 Fieber und Schüttelfrost 249
Körperliche Untersuchung: mäßiger Allgemein- und guter Ernährungszustand. Blasses Hautkolorit. JVD normal. Pul-
mo frei, RR 90/60 mmHg. Cor: leises Systolikum p. m. über Erb kein Perikardreiben, unregelmäßig, ca. 100/min. Tempe-
ratur 39 °C rektal. Abdomen: adipös, Meteorismus, weich, kein Druckschmerz, Harnblase nicht palpabel, Leber unauffäl-
lig. Milz nicht sicher beurteilbar. Keine Ödeme. Periphere Pulse regelrecht tastbar. Kein neurologisches Defizit.
Vorgeschichte: Z. n. 3-facher Bypass-OP bei koronarer Dreigefäßerkrankung mit vorbefundlich normaler LV-Funktion
und Z. n. Implantation eines Zweikammer-Schrittmachers bei intermittierendem AV-Block III° vor 6 Monaten.
Bekannte arterielle Hypertonie. Prostatahyperplasie; regelmäßige urologische Kontrollen bisher ohne Hinweis auf mali
gnen Prozess, Z. n. mehreren Harnwegsinfekten in den vergangenen Monaten, die auch mehrfach antibiotisch behandelt
werden mussten. Seit der Bypass-OP insgesamt stark reduzierter Allgemeinzustand.
Medikation: 100 mg Acetylsalicylsäure tgl., 5 mg Bisoprolol tgl., 2,5 mg Ramipril tgl., 20 mg Simvastatin tgl.
Urinstatus: Nitrit positiv, Glukose negativ, Leukozyten +++, Blut +.
Labor: Leukozyten 14/nl, Hb 10,3 g/dl, Thrombozyten 244/nl, Kreatinin 2,1 mg/dl, Harnstoff 95 mg/dl, Kalium 4,8 mg/dl,
CRP 228 mg/dl, PSA 1,5 ng/ml, PCT 0,62 μg/l (Norm bis 0,5 μg/l).
Abdomensonografie: Bei Meteorismus eingeschränkt beurteilbar. Kein NHS-Stau bds., zwei Nierenzysten rechts, linke
Niere morphologisch unauffällig. Restharnmenge ∼ 400 ml. Geringe Splenomegalie. Z. n. Cholezystektomie.
Was sehen Sie im EKG (› Abb. 5.8)? Was empfehlen und rezeptieren Sie?
nach dem 4. QRS-Komplex bzw. zu ineffektiven Stimuli, wenn diese in die ventrikuläre Refraktärphase fallen
[nach dem 3. QRS-Komplex]).
Sie benötigen den Herzschrittmacherausweis des Patienten, um die Einstellungen zu überprüfen, führen
eine Schrittmacherkontrolle durch und antikoagulieren den Patienten.
5 Aufgrund der bisherigen Informationen sollte der Patient nicht entlassen werden, insbesondere wegen des
eingeschränkten Allgemeinzustands, der ausgeprägten Infektkonstellation, der Niereninsuffizienz (noch un-
klar, ob vorbestehend). Ein neuerlicher Harnwegsinfekt konnte bereits bestätigt werden, die klinische Prä-
sentation und die deutlich erhöhten laborchemischen Infektparameter sowie sonografisch die Splenomegalie
weisen auf ein beginnendes septisches Krankheitsbild hin. Sie entnehmen Blut- und Urinkulturen und begin-
nen kalkuliert eine antibiotische Behandlung.
Zusätzlich besteht Vorhofflimmern (bisher nicht vorbekannt) unklarer Dauer, was im Hinblick auf eine
mittelfristig anzustrebende Kardioversion eine Antikoagulation erforderlich macht. Zudem liegt ein zumin-
dest intermittierender Sensingdefekt des Herzschrittmachers vor.
Definieren Sie bitte die Begriffe „Sensingdefekt“ und „Pacingdefekt“. Was sind
mögliche Ursachen und Symptome?
Röntgen-Thorax: korrekte Sondenlage. Kein Pneumothorax. Keine Stauungszeichen, keine Infiltrate. Pleurawinkeler-
guss links.
Echokardiografie: normale globale Pumpfunktion, asynchrone Septumbewegung, insgesamt hyperdynamisch kontra-
hierender LV. Keine regionalen Wandbewegungsstörungen nachweisbar. LV normal groß, geringe LVH. Beide Vorhöfe
mäßig vergrößert. RV normal groß. Aortenwurzel normal weit. Klappen gering sklerosiert, Reflux an MK und TK. Druck-
gradient RV/RA max. 30 mmHg plus ZVD (VCI kollabiert). Schrittmachersonden regelrecht lokalisiert in RA und RV. Dem
mittleren Anteil der Ventrikelsonde anhaftend 2 echoweiche eigenbewegliche Strukturen von ca. 5 ×8 mm und 5 ×5 mm
Größe, DD: Thromben, Vegetationen. Insbesondere von subkostal gute Darstellbarkeit der Sonden! Kein Perikarderguss.
TEE: Hier lassen sich die Schrittmachersonden noch besser kontinuierlich im Verlauf darstellen. Der Ventrikelsonde anhaf-
tend, finden sich mehrere aneinandergereihte echoarme eigenbewegliche Auflagerungen von bis zu 10 mm Durchmesser.
TK gering sklerosiert, geringer Reflux, keine Vegetationen der TK anhaftend, übrige Klappen gering sklerosiert, regelrecht
beweglich. Reflux an der MK.
Geringer Spontankontrast im LA, keine Thromben im LA und LAA. Niedrige Flussgeschwindigkeiten im LAA (bis 0,2 m/s).
5
Um was für ein Krankheitsbild handelt es sich? Wie gehen Sie nun weiter vor?
Tab. 5.9 Endokarditis bei Patienten mit Herzschrittmacher/ICD (CDRIE: cardiac device-related infective endocardi-
tis): Behandlung und Vorbeugung (Habib et al. 2009)
Empfehlung: Schrittmacher/ICD (Sonden)-Endokarditis Evidenzgrad
A. Therapieprinzipien
Prolongierte Antibiotikatherapie und Entfernung des Schrittmachers/ICD bei gesicherter CDRIE emp- IB
fohlen
Entfernung des Device bei CDRIE-Verdacht in Erwägung ziehen, wenn für eine okkulte Infektion kein IIa C
anderer Fokus gefunden werden kann
Bei Patienten mit Klappenendokarditis (native oder Kunstklappe) und zusätzlich vorhandenem intra- IIb C
kardialem Device, Extraktion desselben in Erwägung ziehen
B. Art der Device-Entfernung
Perkutane Extraktion empfohlen (auch bei Vegetationen > 10 mm) IB
Chirurgische Extraktion, wenn perkutan nur inkomplett – oder nicht möglich oder bei assoziierter IIa B
destruierender Trikuspidalklappenendokarditis
Chirurgische Extraktion bei Patienten mit sehr großen Vegetationen erwägen (> 25 mm) IIb C
C. Reimplantation
Nach Entfernung des Device Indikation zur Reimplantation neu prüfen IB
Wenn Reimplantation notwendig, diese möglichst zumindest Tage bis Wochen aufschieben und anti- IIa B
biotisch weiterbehandeln
Passageres Pacen nicht empfohlen IIIC
D. Prophylaxe
Routinemäßig Antibiotikaprophylaxe vor Device-Implantation empfohlen IB
5.3 Fieber und Schüttelfrost 253
Bei einer solchen Konstellation sollte immer möglichst interdisziplinär (Herz-Thorax-Chirurgie) das Pro
blem erörtert und ein für den Patienten geeignetes Procedere festgelegt werden. Die herzchirurgische Versor-
gung mittels epikardialer Sonden ist ein möglicher Weg.
Der hier besprochene Patient ist aktuell nicht schrittmacherabhängig. Bei V. a. Sondenendokarditis und vor einigen Wo-
chen neu aufgetretenem Vorhofflimmern erfolgte eine stationäre Aufnahme zur kalkulierten intravenösen Antibiotikathe-
rapie und PTT-wirksamen Antikoagulation mit Heparin mit dem Ziel einer Regularisierung des Vorhofflimmerns.
Nachdem in zwei separaten Blutkulturen Staphylococcus epidermidis nachgewiesen wurde, wurde die Antibiotikatherapie
entsprechend angepasst. Bei somit bestätigter Sondenendokarditis wurde die Sondenexplantation in einem hierin erfah-
renen Zentrum komplikationsfrei durchgeführt. Anschließend erfolgte eine erfolgreiche Elektrokardioversion.
Eine Kardioversion (auch Defibrillation natürlich) ist prinzipiell auch bei Schrittmacherpatienten möglich.
Es kann jedoch zu einem Verlust der Reizbeantwortung kommen (loss of capture), der Schrittmacher kann in
sehr seltenen Fällen irreversibel geschädigt werden, es kann vorübergehend zu einer Inhibierung des Schritt- 5
machers kommen. Die Elektrokardioversion kann zu einer Stimulation im VVI-Sicherheitsmodus oder asyn-
chron mit starrer Frequenz führen.
Folgendes sollte beachtet werden:
• Vor Kardioversion und unmittelbar danach sollten die Betriebsparameter, Messdaten und Stimulations-/
Wahrnehmungsschwellen aufgezeichnet werden, um die normale Funktion des Schrittmachers zu prüfen.
• Anteriores/posteriores Anbringen der Elektroden (Energievektor senkrecht zur Elektrodenebene, da-
durch Minimierung der Energiekopplung in der Stimulationselektrode).
• Paddles mindestens in 15 cm Abstand vom Schrittmacher aufbringen.
• Möglichst niedrige Energiestufen einstellen.
LITERATUR
Habib G, Hoen B, Tornos P, et al. Guideline on theprevention, diagnosis and treatment of infective endocarditis 2009. Eur
Heart J 2009; 30: 2369–413.
Hemmer W, Fröhlig G, Markewitz A. Kommentar zu den NASPE-Empfehlungen zur Entfernung von permanent implantier-
ten, transvenösen Herzschrittmacher- und Defibrillatorsonden. Z Kardiol 2002; 91: 956–68.
Klug D, Lekieffre J. Systemic infection related to endocarditis on pacemaker leads: clinical presentation and management.
Circulation 1997; 95: 2098–107.
Love CJ, Wilkoff BL, Byrd CL, et al. Recommendations for extraction of chronically implanted transvenous pacing and defib-
rillator leads: indications, facilities, training. PACE 2000; 3: 544–51.
KAPITEL Leitsymptome Kollaps,
Synkope, Ohnmacht,
6 neurologische
Ausfallerscheinungen
6.1 Rezidivierende Synkopen Hagen Gross-Ellinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
KASUISTIK
Ein 32-jähriger Mann stellt sich in Ihrer Praxis vor. Er sei vor einigen Tagen plötzlich für einige Sekunden bewusstlos ge-
worden. Derartige Anfälle seien ihm seit der Jugend bekannt und treten in unregelmäßigen Abständen von einigen Jahren
auf. Dieses Jahr sei es allerdings bereits das zweite Ereignis. Prodromi lassen sich bei ihm nicht erfragen. Er sei sonst
immer gesund gewesen. Eine ärztliche Abklärung sei bisher nicht erfolgt.
Nach der Definition der ESC handelt es sich um einen kurzzeitigen Bewusstseinsverlust aufgrund einer glo-
balen zerebralen Hypoperfusion. Kennzeichen sind ein plötzlicher Beginn, eine kurze Dauer sowie eine spon-
tane komplette Erholung.
Abzugrenzen ist eine Synkope von Bewusstseinsverlusten ohne globale Hypoperfusion sowie Epilepsie,
metabolischen Entgleisungen wie Hypoglykämie, Hypoxie und Hyperventilation, Intoxikationen, vertebro-
basilarer TIA sowie von Ereignissen ohne Bewusstseinsverlust, wie Kataplexie, Drop Attacks, Stürzen, psy-
chogenen Pseudosynkopen, TIA.
– Karotissinussynkope
– atypische Formen
• Synkopen durch orthostasebedingte Hypotension
– primäre autonome Dysfunktion
– sekundäre autonome Dysfunktion
– medikamentenassoziierte orthostatische Hypotension
– Volumendepletion
• Kardiale Synkopen
– Arrhythmie als primäre Ursache
– Bradykardien
– Tachykardien
–medikamentös induzierte Rhythmusstörungen
– strukturelle Herzerkrankungen.
Der Patient berichtet, dass er sonst immer gesund gewesen sei. Einschränkungen in seiner körperlichen Belastbarkeit
bestünden nicht. Sein Hausarzt (bei dem er vor vielen Jahren zuletzt war) hatte ihm gute Gesundheit bescheinigt. Bei
betriebsärztlichen Untersuchungen sei ebenfalls nie etwas aufgefallen. Medikamente werden nicht eingenommen. Alko-
hol trinkt er nur selten, z. B. bei Feiern. Nikotinkonsum wird verneint.
Darüber hinaus schildert der Patient bei der weiteren Anamneseerhebung, dass er die „Anfälle“ nicht voraussehen kann.
Ein Muster habe er nicht erkennen können. Die Ereignisse seien jeweils tagsüber aufgetreten, meist bei leichter körperli-
cher Betätigung, zuletzt sei ihm während der Arbeit, beim langsamen Gehen, plötzlich flau geworden, dann sei ihm
schwarz vor Augen geworden. Als er (wie Kollegen ihm sagten) nach wenigen Sekunden wieder aufwachte, habe er auf
dem Boden gelegen, verletzt habe er sich nicht. Sein Vater habe im Alter von 50 Jahren einen Schrittmacher bekommen,
da er ebenfalls rezidivierend synkopiert sei. Nach der Schrittmacherimplantation sei er nie wieder synkopal geworden.
6 Die körperliche Untersuchung des 32-jährigen schlanken Patienten zeigt keinerlei Auffälligkeiten. Der Blutdruck im
Liegen ist 135/80 mmHg, im Stehen 125/85 mmHg, die Herzfrequenz 70/min bzw. 85/min.
Die Synkope ist ein sehr heterogenes Krankheitsbild mit völlig unterschiedlichen Ursachen für den Bewusst-
seinsverlust. Entsprechend ist die Prognose von der zugrunde liegenden Erkrankung abhängig. Es gibt einige
Scores, um die Prognose von Synkopenpatienten abzuschätzen. Generell haben Patienten, bei denen sich
EKG-Veränderungen bzw. eine strukturelle Herzerkrankung nachweisen lassen, eine schlechtere Prognose
(› Abb. 6.1).
6.1 Rezidivierende Synkopen 257
1,0
0,8
Überlebenswahrscheinlichkeit
0,6
0,4
0,2
0,0
0 5 10 15 20 25
Follow-up (Jahre)
Abb. 6.1 Überlebensrate von Probanden mit Synkope, geordnet nach Ursachen, und Probanden ohne Synkope (nach Soteriades
et al. 2002) [L106] 6
Zunächst müssen die Umstände näher geklärt werden, unter denen die Ereignisse stattfanden. Das heißt, die
Frage ist, ob wirklich eine klassische Synkope vorlag oder ob es sich um ein ggf. differenzialdiagnostisch noch
zu klärendes Ereignis handelte, das keine Synkope darstellt.
Häufig ist eine bestimmte Diagnose aufgrund des Hergangs wahrscheinlich.
Nach den aktuellen ESC-Leitlinien ist nicht die sofortige genaue Klärung der Synkope an sich wichtig,
vielmehr müssen die Erkrankungen erkannt werden, die einer entsprechenden Behandlung bedürfen und
eine schlechte Prognose mit sich bringen, wie z. B. lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen. Die initiale
Abklärung soll aus drei Schritten bestehen (von Scheidt et al. 2009; › Abb. 6.2):
• Zunächst Abgrenzen des Patienten, bei dem eine Prima-vista-Klärung der Synkopenursache erfolgen
kann („sichere Diagnose“).
• Ist eine Prima-vista-Diagnose nicht zu stellen („unsichere Diagnose“), wird, basierend auf anamnesti-
schen und klinischen Hinweisen, eine Verdachtsdiagnose generiert, die dann die weiteren diagnostischen
Schritte zunächst vorgibt.
• Aktive Vergewisserung, ob eine Hochrisikosituation vorliegt, die eine sofortige Überwachung und unver-
zügliche Abklärung des Patienten erfordert.
258 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Initiale Abklärung
Nichtsynkopaler
Synkope
Bewusstseinsverlust
6
Kardiale oder
Reflex-Tests wie
angemessen
Abb. 6.2 Diagnostischer Algorithmus bei Patienten mit transientem Bewusstseinsverlust (nach von Scheidt et al. 2009) [L106]
Die Basisdiagnostik umfasst eine sorgfältige Anamnese, in der der genaue Hergang der Ereignisse er-
fragt werden sollte, eine körperliche Untersuchung sowie die Anfertigung eines EKG mit Blutdruckmes-
sung im Stehen und im Liegen, falls eine Reflexsynkope vermutet wird. Abhängig von der wahrscheinli-
chen Diagnose folgen ggf. weitere Untersuchungen (› Kap. 6.2). Nur falls als Ursache des Bewusst-
seinsverlusts z. B. eine neurologische Erkrankung in Betracht kommt, erfolgt eine dahin gehende
Abklärung.
Nach der Anamnese sind bei dem Patienten bereits mehrfach Synkopen aufgetreten. Eine kardiale Ursache
ist aufgrund des Hergangs nicht auszuschließen, sodass zunächst eine entsprechende Diagnostik in diese
Richtung erfolgen sollte.
6.1 Rezidivierende Synkopen 259
Es sollten also zunächst ein EKG und eine Echokardiografie durchgeführt werden, zu diskutieren wären
ein Belastungstest sowie ein Langzeit-EKG.
Mit den Untersuchungen sollen eine mögliche kardiale Genese (z. B. Aortenstenose, Kardiomyopathie, Tachykar-
die bzw. Bradykardie, Herzrhythmusstörungen, Leitungsanomalien (AV-Block, Präexzitationssyndrom), Ionen-
kanalanomalien (Long/Short-QT, Brugada) sowie eine relevante koronare Herzerkrankung entdeckt werden.
Aufgrund der Anamnese und der bisherigen Untersuchungen werden die Echokardiografie und das Belas-
tungs-EKG unauffällig sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Langzeit-EKG ebenfalls nicht auffällig
sein, da die Synkopen nicht so häufig auftreten, sodass es sehr unwahrscheinlich ist, dass eine Synkope gerade
zum Aufzeichnungszeitraum auftritt. Aus diesem Grund wird in den Leitlinien inzwischen bei seltenen Syn-
kopen ein Event-Rekorder empfohlen (Brignole et al. 2013; › Tab. 6.1).
Die Untersuchungen zeigen folgende Ergebnisse: In der Tat zeigt die Echokardiografie einen altersentsprechenden Nor-
malbefund. Das Ruhe-EKG ist normal, das Belastungs-EKG zeigt bei dem jungen, sportlichen Patienten eine überdurch-
schnittliche Belastbarkeit und ist ansonsten unauffällig. Im Langzeit-EKG findet sich ein durchgehender Sinusrhythmus mit
einer Frequenz zwischen 64 und 105/min. Insgesamt 250 Asystolien > 1.500 ms. Dauer der längsten Asystolie 2.125 ms,
HF dabei 39/min. Somit altersentsprechend bei einem sportlichen jungen Mann.
Ihr Patient stellt sich nach einigen Tagen zur Besprechung der
Untersuchungsergebnisse erneut bei Ihnen vor. Was berichten Sie ihm?
Insgesamt besteht derzeit kein Hinweis auf eine kardiale Ursache der Synkopen. Vitien konnten ausgeschlos-
sen werden, für eine Kardiomyopathie sowie eine Ischämie gibt es keine Hinweise.
Somit besteht für eine kardiale Ursache, deren Abklärung aus prognostischen Gründen notwendig ist, kein
Hinweis.
Aufgrund des Alters und des Hergangs scheint eine vasovagale bzw. neurokardiogene Synkope mit guter
Prognose die wahrscheinlichste Diagnose. Falls sich für den Patienten hieraus Konsequenzen ergeben (z. B.
beruflich, Rezidivprophylaxe), kann eine weitere Abklärung sinnvoll sein. Hierzu sollte eine Kipptischunter-
suchung durchgeführt werden. Auch die Implantation eines Event-Rekorders kann erwogen werden.
260 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Nach dem Kommentar zur Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Synkopen der Europäischen Gesell-
schaft für Kardiologie 2009 ist „der Kipptischtest […] eine aufwändige, ambulant durchführbare, aussage-
kräftige diagnostische Methode zur Erkennung von vermuteten Reflexsynkopen bei den wenigen Patienten,
bei denen anamnestisch noch keine vollständige Klarheit erzielt wurde“ (von Scheidt et al. 2011).
• Bei Patienten mit einer einzigen Synkope unklarer Genese und einer Hochrisikoumgebung (z. B. Auftre-
ten von oder mögliches Risiko für körperliche Verletzungen oder berufliche Konsequenzen).
• Bei Patienten ohne organische Herzerkrankung mit rezidivierenden Synkopen oder bei Patienten mit or-
ganischer Herzerkrankung mit rezidivierenden Synkopen, bei denen eine kardiale Ursache weitgehend
ausgeschlossen wurde.
• Bei Patienten, bei denen es aus klinischer Sicht von Nutzen ist, die Diagnose neural vermittelte Synkope
zu bestätigen.
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt folgendes Vorgehen (von Scheidt et al. 2011):
• Kipptischwinkel 60°.
• Passive Phase über 20 min oder bis zum Synkopeneintritt.
• Bei negativer passiver Provokation Gabe von 400 μg Nitroglyzerin sublingual bei gleichbleibendem Kipp-
winkel von 60° über weitere 20 min oder bis zum Synkopeneintritt.
• Endpunkte der Untersuchung sind die Induktion einer Synkope oder die Beendigung der geplanten Test-
6 dauer nach pharmakologischer Provokation. Der Test ist diagnostisch beweisend, wenn eine Synkope
auftritt. Unterschiedliche Meinungen bestehen hinsichtlich der Induktion einer Präsynkope.
Unser Patient willigt in die Kipptischuntersuchung ein. Nach ca. 20 Minuten kommt es zu einer Asystolie von 15 Sekun-
den, die zu einer Synkope führt. Nach Rückführung in die Horizontalposition erlangt der Patient sofort wieder das Be-
wusstsein.
Nach dem Kommentar zur Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Synkopen der Europäischen Gesell-
schaft für Kardiologie 2009 sollte bei Reflexsynkopen der Fokus auf Aufklärung und Beruhigung des Patien-
ten und überwiegend auf isometrische Manöver (z. B. Jendrassik-Handgriff) gelegt werden (von Scheidt et al.
2011).
Wir besprechen daher mit unserem Patienten folgende Optionen:
• Keine spezifische Therapie: Patienten mit einer vagal bzw. neural vermittelten Synkope haben eine gute
Prognose bezüglich des Überlebens. Ausführliche Aufklärung über Erkrankung und Prognose. Falls mög-
lich sollten auslösende Ursachen (z. B. langes Stehen) vermieden werden.
• Akutinterventionen/isometrische Muskelkontraktionen: In einigen Studien konnten mit Interventionen,
wie z. B. isometrischen Arm- und Beinkontraktionen, gute Erfolge erzielt werden (Brignole et al. 2002).
• Stehtraining: Bei Patienten ohne Prodromi sollte Stehtraining trotz fragwürdiger Langzeitergebnisse in
Erwägung gezogen werden (von Scheidt et al. 2011).
• Erhöhte Volumenzufuhr bzw. -retention: Salzreiche Kost, ggf. Kompressionsstrümpfe. Ausreichende
Trinkmenge (von Scheidt et al. 2011).
6.1 Rezidivierende Synkopen 261
• Schrittmacherimplantation: Die Indikation wird in den ESC-Leitlinien von der Dokumentation einer
spontanen Bradykardie/Asystolie bei einem Patienten > 40 Jahre und nicht von einem pathologischen,
kardioinhibitorischen Kipptischresultat abhängig gemacht. Um eine solche Bradykardie zu dokumen-
tieren, ist gemäß ESC-Leitlinien die Implantation eines Loop-Rekorders vernünftig. Die Implantation
eines Schrittmachers sollte bei Patienten unter 40 Jahren auch bei dokumentierten spontanen, häufigen
kardioinhibitorischen Reflexsynkopen sehr zurückhaltend gestellt werden. Die alleinige Dokumentati-
on einer Kipptisch-induzierten Asystolie gilt nach ESC-Leitlinien nur in besonderen Ausnahmefällen
mit hoher Rezidivrate und Verletzungsgefahr als überlegungswerte Indikation (von Scheidt et al. 2011).
• Medikamentöse Therapie: Die medikamentöse Therapie hat insgesamt keine zufriedenstellenden Ergeb-
nisse gezeigt. Verschiedene Substanzklassen (u. a. Betablocker, Disopyramid, Scopolamin, Theophyllin,
Clonidin, Etilefrin, Midodrin, Serotonin-Reuptake-Inhibitoren) wurden in zahlreichen Studien getestet,
häufig mit zunächst vielversprechenden Ergebnissen. In placebokontrollierten Studien konnten die Re-
sultate nicht bestätigt werden (von Scheidt et al. 2011).
Unser Patient wünschte nach ausführlicher Aufklärung eine Schrittmacherimplantation, die komplikationslos durchgeführt
werden konnte (Zweikammerschrittmacher mit Frequenzhysteresefunktion, die einen plötzlichen Frequenzabfall verhin-
dert). Der Patient ist daraufhin dauerhaft anfalls- und beschwerdefrei.
Bemerkung: Der Patient wünschte vor einigen Jahren ausdrücklich eine Schrittmacherimplantation. Dies
scheint in der Zusammenschau mit den häufigen Synkopen des Vaters, die eine identische Klinik hatten und
durch die Schrittmacherimplantation beseitigt wurden, nachvollziehbar. Der klinische Erfolg scheint seine
Entscheidung zu bestätigen. Allerdings fand eine Metaanalyse von 2007 eine nicht signifikante Reduktion der
Synkopenhäufigkeit um 17 % durch Schrittmachertherapie, die die Autoren auf einen „Erwartungseffekt“, 6
der die Synkopen reduziert, zurückführen (Sud et al. 2007).
Eine Schrittmachertherapie sollte bei Reflexsynkopen nur in besonders begründeten Ausnahmefällen erfol-
gen. Aktuell wird eine weitere Diagnostik mithilfe eines Event-Rekorders empfohlen, wodurch sich die Be-
deutung der Bradykardie bzw. Asystolie, die während der Kipptischuntersuchung auftrat, für den Alltag eva-
luieren lässt.
Wann kann die Implantation eines Loop-Rekorders sinnvoll sein (› Tab. 6.2)?
Tab. 6.2 Indikationen (Auswahl) für einen Loop-Rekorder (The Task Force for the Diagnosis and Management of
Syncope of the European Society of Cardiology [ESC] 2009)
Indikation Evidenzgrad
In der Frühphase der Abklärung bei rezidivierenden Synkopen unklarer Ursache bei Patienten mit IB
niedrigem Risiko
Hochrisikopatienten, bei denen keine Synkopenursache gefunden werden konnte bzw. dies zu kei- IB
ner spezifischen Behandlung führte
Die Implantation eines Event-Rekorders sollte vor einer Schrittmacherimplantation in Betracht gezo- II B
gen werden, um bei Patienten mit häufigen oder verletzungsassoziierten vermuteten oder gesicher-
ten Reflexsynkopen den Zusammenhang mit einer Bradykardie zu ermitteln
262 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Nein. Die Synkopen sind so selten, dass die Wahrscheinlichkeit, sie mit einem Langzeit-EKG aufzuzeichnen,
zu gering ist.
Bei häufigen Synkopen (> 1 Synkope/Monat) kann ein externer Loop-Rekorder in Erwägung gezogen wer-
den. Bei Synkopen mit einer hohen Rezidivwahrscheinlichkeit innerhalb der Lebensdauer eines implantier-
baren Loop-Rekorders (aktuell bis 36 Monate) sollte dieser in Erwägung gezogen werden (The Task Force for
the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of Cardiology [ESC] 2009)
LITERATUR
Brignole M, Auricchio A, Baron-Esquivias G, et al. 2013 ESC Guidelines on cardiac pacing and cardiac resynchronization the-
rapy. Eur Heart J 2013; 34(29):2281–2329.
Brignole M, Croci F, Menozzi C, et al. Isometric arm counter-pressure maneuvers to abort impending vasovagal syncope. J
Am Coll Cardiol 2002; 40: 2053–9.
Scheidt W von, Seidl K, Dahm JB. Kommentar zu der Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Synkopen der Europäischen
Gesellschaft für Kardiologie 2009. Kardiologe 2011; 5:5–12.
Soteriades ES, Evans JC, Larson MG, Chen MH, Chen L, Benjamin EJ, Levy D. Incidence and prognosis of syncope. N Engl J
Med 2002; 347(12): 878–85.
Sud S, Massel D, Klein GJ et al. The expectation effect and cardiac pacing for refractory vasovagal syncope. Am J Med 2007;
120: 54–62.
The Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of Cardiology (ESC). Guidelines for
the diagnosis and management of syncope (version, 2009 The Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope
of the European Society of Cardiology (ESC). Guidelines for the diagnosis and management of syncope (version 2009). Eur
Heart J 2009; 30: 2631–71.
KASUISTIK
Der 77-jährige Herr Mayr stellt sich in Ihrer kardiologischen Praxis vor; der Hausarzt habe ihn geschickt, er solle einmal
„durchgecheckt“ werden. Er kommt in Begleitung seiner Ehefrau sowie seiner Tochter.
Er gibt gutes Befinden und keinerlei Beschwerden an. Tochter und Frau berichten allerdings, dass er in den letzten Mona-
ten mehrmals kurzzeitig „abgetreten“ sei. Zuletzt sei er vor einer Woche gestürzt, habe sich aber nicht verletzt.
Zunächst sollte laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie eine initiale Abklärung
erfolgen (› Kap. 6.1). Geklärt werden soll, ob
• der Bewusstseinsverlust tatsächlich auf eine Synkope zurückzuführen ist,
• die zugrunde liegende Ursache geklärt ist,
• Verdachtshinweise auf ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder Tod bestehen.
6.2 Vorübergehende Absencen 263
Die Tochter von Herrn Mayr berichtet, ihr Vater sei „einfach plötzlich am Tisch sitzend zusammengebrochen“. Danach sei
er für wenige Sekunden nicht ansprechbar gewesen, sei aber dann wieder ganz wach gewesen.
Herr Mayr kann sich selbst an nichts erinnern. Gestürzt sei er letzte Woche, da er gestolpert sei.
Herzklopfen habe er gelegentlich, wenn er Treppen steige. Schwindel habe er nicht.
Medikamente werden nicht regelmäßig eingenommen. Vor einigen Jahren habe er Tabletten gegen hohen Blutdruck
eingenommen, aber der sei nun wohl wieder in Ordnung, sodass er keine Tabletten mehr einnehme.
Die initiale Abklärung umfasst eine sorgfältige Anamnese, körperliche Untersuchung inkl. Blutdruckmes-
sung und ein 12-Kanal-EKG.
Gegebenenfalls können zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden:
• Karotissinusmassage (CSM) bei Patienten > 40 Jahre
• Echokardiografie bei bekannter Herzerkrankung oder Verdachtshinweisen auf eine strukturelle Herzer-
krankung oder eine Synkope aus kardiovaskulärer Ursache
• Sofortiges EKG-Monitoring bei Verdacht auf arrhythmogene Synkope 6
• Orthostase-Belastung (Stehtest und/oder Kipptischuntersuchung) bei Synkope im Stehen oder Verdacht
auf eine Reflexsynkope
• Andere, weniger spezifische Untersuchungen wie neurologische Abklärung oder Laboruntersuchungen
sind nur bei Verdacht auf nichtsynkopalen transienten Bewusstseinsverlust indiziert.
Laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie sind die Ergebnisse der initialen Abklä-
rung bei folgenden Bedingungen diagnostisch ausreichend, um die Ursache einer Synkope festzulegen (Aus-
zug aus den Pocket-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie; von Scheidt et al. 2009):
• Vasovagale Synkope ist diagnostiziert, wenn der Synkope eine emotionale oder orthostatische Belastung
vorangeht und typische Prodromi auftreten.
• Situationssynkope ist diagnostiziert, wenn die Synkope während oder unmittelbar nach spezifischen Trig-
gern wie Husten, Niesen, gastrointestinaler Stimulation, nach Belastung, postprandial etc. auftritt.
• Orthostatische Synkope ist diagnostiziert, wenn sie nach Aufstehen eintritt und eine orthostatische Hypo-
tonie dokumentiert ist.
• Arrhythmiebedingte Synkope ist im EKG diagnostiziert, wenn Folgendes vorliegt:
– Persistierende Sinusbradykardie < 40/min beim wachen Patienten oder repetitiver sinuatrialer Block
oder Sinus-Arrest > 3 s
– AV-Block II°, Typ Mobitz 2 oder AV-Block III°
– Alternierender Links- und Rechtsschenkelblock
– Kammertachykardie oder schnelle paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie
– Nichtanhaltende Episoden polymorpher Kammertachykardien und verlängertes oder verkürztes QT-
Intervall
– Schrittmacher- oder ICD-Fehlfunktion mit Pausen.
• Kardiale ischämieassoziierte Synkope ist diagnostiziert, wenn die Synkope zusammen mit einem EKG-
Nachweis einer akuten Ischämie mit oder ohne Myokardinfarkt auftritt.
264 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
• Kardiovaskuläre Synkope ist diagnostiziert, wenn die Synkope auftritt bei Patienten mit
– prolabierendem Vorhofmyxom,
– hochgradiger Aortenklappenstenose,
– pulmonaler Hypertonie,
– Lungenembolie,
– akuter Aortendissektion.
(Auszug aus den Pocket-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie; von Scheidt et al. 2009).
• Herzinsuffizienz, niedrige Auswurffraktion oder früherer Myokardinfarkt
• Synkope während körperlicher Belastung oder im Liegen
• Palpitationen zum Synkopenzeitpunkt
• Familiengeschichte eines plötzlichen Herztodes
• Nichtanhaltende Kammertachykardie (VT)
• Bifaszikulärer Block (LSB oder RSB mit LAHB oder LPHB) oder andere intraventrikuläre Leitungsabnor-
malitäten mit einer QRS-Dauer ≥ 120 ms
• Inadäquate Sinusbradykardie (< 50/min) oder sinuatrialer Block
• Fehlen einer negativ chronotropen Medikation oder körperlichen Trainings
• QRS-Komplex mit Präexzitation
• Verlängertes oder verkürztes QT-Intervall
• RSB-Muster mit ST-Hebung in Ableitungen V1–3 (Brugada-Syndrom)
6 • Negative T-Wellen in rechtspräkordialen Ableitungen, Epsilon-Wellen und ventrikuläre Spätpotenziale
verdächtig auf arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC).
Körperliche Untersuchung: Bei der körperlichen Untersuchung findet sich ein 175 cm großer, 80 kg schwerer Patient
in altersentsprechend gutem AZ und unauffälligem EZ. RR 145/85 mmHg. HF 70/min (im Liegen), 140/80 mmHg, HF 80/
min (im Stehen). Keine gestauten Jugularvenen. Keine Ödeme.
Die Auskultation des Herzens zeigt einen unauffälligen Befund. Die Lunge ist perkutorisch und auskultatorisch ebenfalls
unauffällig. Die peripheren Pulse sind an den typischen Stellen tastbar. Auch die weitere Untersuchung zeigt einen alters
entsprechend unauffälligen Befund.
Ruhe-EKG: IT, SR 70/min. Unauffällige Erregungsausbreitung und -rückbildung.
Nein. Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse legen keine eindeutige Ursache nahe. Es ist eine weitere
Diagnostik erforderlich.
Bei älteren Patienten sollte zunächst eine Karotissinusmassage durchgeführt werden. Bei Verdacht auf eine
Herzerkrankung sollten eine Echokardiografie und ein EKG-Monitoring erfolgen. Die Echokardiografie ist gut
geeignet zur Risikostratifizierung. Aufgrund des Alters unseres Patienten ist eine koronare Herzerkrankung
trotz fehlender Symptomatik nicht unwahrscheinlich, sodass ein Belastungs-EKG in Erwägung zu ziehen wäre.
6.2 Vorübergehende Absencen 265
Aufgrund der eindeutigen Symptomatik beim Karotisdruck und der Anamnese von mehreren Synkopen be-
steht eine Klasse-I-Indikation für eine Herzschrittmacherimplantation (› Tab. 6.3).
266 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Hinweis: Ein positiver Karotisdruckversuch ohne eine entsprechende Klinik (auch bei einer Asystolie
> 3 s) rechtfertigt eine Schrittmacherimplantation nicht. Bei Karotissinusmassage beim liegenden Patienten
finden sich in bis zu 38 % der Fälle pathologische Befunde.
Tab. 6.3 Schrittmacherindikation bei Karotissinussyndrom (nach den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für
Kardiologie, Brignole M et al. 2013)
Empfehlungen für Patienten mit nicht dokumentierter Reflexsyn- Indikation Evidenzgrad
kope
Schrittmacherimplantation ist indiziert bei Patienten mit vornehmlich kar- Klasse I B
dioinhibitorischem Karotissinussyndrom und wiederkehrenden nicht vorher-
sehbaren Synkopen
Wie bei jedem Eingriff kann es zu Komplikationen kommen. Rhythmusstörungen (Asystolie oder Kammerflim-
mern) werden in 0,2 % der Fälle ausgelöst. Die häufigsten chirurgischen Probleme sind Sondendislokationen (im
Vorhof ca. 1,5 %, im Ventrikel ca. 1,1 %), ein interventionsbedürftiger Pneumothorax (0,4 %), Taschenhämato-
me (0,4 %) und Infektionen (0,1 %). Perforationen des Herzmuskels sind glücklicherweise selten und verlaufen
meist glimpflich (0,1 %). In den letzten Jahren war die perioperative Komplikationsrate weiter rückläufig.
Es sollte vorzugsweise ein Zweikammerschrittmacher implantiert werden, der eine physiologische Sti-
mulation von Vorhof und Kammer ermöglicht. Wünschenswert wäre eine Frequenzhysterese-Funktion,
die größere Frequenzsprünge vermeiden hilft. Ein Schrittmacher ohne diese Funktion würde bei der ein-
gestellten Grundfrequenz einsetzen, sodass die Herzfrequenz des Patienten von z. B. 90/min auf 60/min
fallen würde, was häufig als sehr unangenehm empfunden wird und präsynkopale Zustände hervorrufen
kann. Eine Frequenzadaptation ist bei unserem Patienten bei unauffälligem Herzfrequenzverlauf (siehe
Befund Langzeit-EKG) nicht notwendig. Bei unauffälligem Ruhe-EKG ist eine AV-Hysterese ebenfalls
nicht notwendig. Bei entsprechenden Befunden im Langzeit- bzw. Ruhe-EKG sollte ein Schrittmacher
aber über entsprechende Algorithmen verfügen, um einen optimalen physiologischen Erregungsablauf
zu gewährleisten (insbesondere Vermeidung nicht notwendiger rechtsventrikulärer Stimulation).
Ein alleiniger AAI-Schrittmacher ist beim Karotissinussyndrom nicht ausreichend, da beim Karotissinussyn-
drom neben der Inhibition des Sinusknotens häufig intermittierend AV-Blockierungen auftreten können (in un-
serem EKG nicht beurteilbar, da ein Sinusarrest besteht, sodass die AV-Überleitung nicht beurteilt werden kann).
Bei einem VVI-Schrittmacher kann die unphysiologische Stimulation des Ventrikels hämodynamisch so
ungünstig sein, dass trotzdem Synkopen auftreten können, außerdem ist es möglich, dass ein Schrittmacher-
syndrom auftritt (Vardas et al. 2007).
Die Tochter fragt nach den Zeitpunkten für die nächsten Kontrollen. Was
antworten Sie?
Die Intervalle der Nachsorge sind nur als Richtlinien zu sehen (› Tab. 6.4).
6.3 Fokale neurologische Ausfallerscheinungen 267
Aus klinischer Sicht können kürzere oder auch längere Intervalle sinnvoll sein. Dies hängt auch davon ab,
ob der Patient schrittmacherabhängig ist oder nicht. Bei hoher Laufzeit des Schrittmachers oder bei begin-
nender Batterieerschöpfung können die Intervalle entsprechend verringert werden (< 3 Monate).
LITERATUR
BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH. BQS-Bundesauswertung 2008 Herzschrittmacher-Implantation
http://www.bqs-outcome.de/2008/ergebnisse/leistungsbereiche/HSM-IMPL/buaw/download (letzter Zugriff 8.3.2011).
Brignole M, Auricchio A, Baron-Esquivias G et al. 2013 ESC Guidelines on cardiac pacing and cardiac resynchronization the-
rapy. Eur Heart J 2013; 34(29):2281–2329.
Das Deutsche Herzschrittmacher-Register http://www.pacemaker-register.de/ (letzter Zugriff 8.7.2013).
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Scheidt W von, Seidl K, Dahm JB. et al. Pocket-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie 2009.
Scheidt W von, Seidl K, Dahm JB. Kommentar zu der Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Synkopen der Europäischen
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Seidl K, Schuchert A, Tebbenjohanns J, Hartung W. Kommentar zu den Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Synkopen
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The Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of Cardiology (ESC). Guidelines for
the diagnosis and management of syncope (version, 2009 The Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope 6
of the European Society of Cardiology (ESC). Guidelines for the diagnosis and management of syncope (version 2009). Eur
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Vardas PEAuricchio A, Blanc JJ, et al.; European Society of Cardiology; European Heart Rhythm Association. Guidelines for
cardiac pacing and cardiac resynchronization therapy: The Task Force for Cardiac Pacing and Cardiac Resynchronization
Therapy of the European Society of Cardiology. Developed in collaboration with the European Heart Rhythm Association.
Eur Heart J 2007; 28(18): 2256–95.
Eine 61-jährige Frau stellt sich in der Notaufnahme zur Abklärung einer über ca. 10 Stunden anhaltenden Hyp-/Dysästhe-
sie und Parese des rechten Arms vor. Die Symptomatik wurde von der Patientin auf einen „eingeklemmten Nerv“ zurück-
geführt, da sie am Aufnahmetag unmittelbar nach Heben einer schweren Last während der Gartenarbeit auftrat. Im
weiteren Anamnesegespräch stellt sich heraus, dass die Patientin bereits vor ca. 2 Jahren eine Episode mit Sprachstörun-
gen hatte und seitdem ASS 100 mg pro Tag einnimmt. Der körperliche Untersuchungsbefund ist unauffällig, insbesonde-
re lässt sich die Symptomatik nicht durch eine Faustschlussprobe oder Bewegungsmanöver des Arms provozieren; seiten-
gleiche RR-Werte; keine fokalneurologischen Defizite. Die Patientin betreibt regelmäßig Nordic Walking und fühlt sich gut
belastbar und gesund. Keine weiteren Vorerkrankungen.
268 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Die Patientin fragt Sie, ob eine sofortige Entlassung möglich sei, denn Sie sei
schließlich nur auf Drängen ihrer Tochter vorstellig geworden und jetzt wieder
völlig beschwerdefrei. Was antworten Sie?
Eine sofortige Entlassung ist nicht zu empfehlen. Zwar sind neurovaskuläre/-muskuläre Ursachen denkbar
(z. B. Thoracic-Outlet-Syndrom, fokale Nervenläsion), die geschilderte Symptomatik lässt jedoch primär an
eine transitorische Hirnischämie denken. Eine Abklärung des Ereignisses hinsichtlich einer kardiovaskulä-
ren Genese, speziell bei mutmaßlich zweitem neurologischem Ereignis, ist durchzuführen. Sollte sich die
Verdachtsdiagnose einer fokalen Ischämie verifizieren lassen, ist die Inzidenz für einen darauf folgenden
Schlaganfall innerhalb der ersten drei Tage am höchsten.
Eine Verlegung der Patientin auf eine Stroke-Unit ist vorrangig. Nach Indexereignis erleiden in den ersten
zwei Tagen bis zu 10 % und in den ersten 14 Tagen bis 15 % der Patienten einen Schlaganfall. Bei transitori-
schen Fokalischämien < 24 Stunden (TIA) sind vor allem Patienten mit zerebralen Symptomen gegenüber
jenen mit retinalen Symptomen (Amaurosis fugax), Patienten über 60 Jahre mit einer Symptomdauer länger
als 10 Minuten sowie Patienten mit Lähmungen oder Sprachstörungen gefährdet.
Die Duplexsonografie der hirnversorgenden Arterien ergab keinen auffälligen Befund.
Einen Tag später führen Sie konsiliarisch ein TTE bei der Patientin auf der Stroke-
Unit durch. Es finden sich außer einem hypermobilen Vorhofseptum keine
weiteren Auffälligkeiten. Empfehlen Sie weitere Untersuchungen?
Sofern o. g. Untersuchungen keine Hinweise auf die Ursache der Hirnischämie geben (= kryptogener bzw.
idiopathischer Schlaganfall, Inzidenz 40 % aller embolisch bedingten Schlaganfälle), sollten eine Duplexsono-
6.3 Fokale neurologische Ausfallerscheinungen 269
grafie der Beinvenen und ein TEE zur exakten Darstellung des Vorhofseptums ergänzend durchgeführt wer-
den, um die Wahrscheinlichkeit einer gekreuzten (paradoxen) Embolie zu evaluieren oder einen intrakardia-
len Thrombus zu erkennen. Ein Valsalva-Manöver unter Verwendung einer Echokontrastverstärkung kann
hierbei die Visualisierung des offenen Foramen ovale erleichtern (Sensitivität und Spezifität 90–100 %). Als
Screening-Methode findet auch der transkranielle Doppler mit gleichzeitiger Applikation eines nicht lungen-
gängigen Kontrastmittels Verwendung, allerdings fehlt hierbei die Möglichkeit zur erweiterten Beurteilung
der intrakardialen Morphologie. Insgesamt besitzen der transkranielle Doppler mit dem „power motion-
mode“ sowie das TEE eine Sensitivität > 90 %. Im Vergleich hierzu werden mit dem TTE nur ungefähr 50–
70 % der PFO erkannt.
Eine Beinvenenthrombose konnte nicht gefunden werden. In der TEE-Untersuchung (› Abb. 6.3) finden Sie ein
großes atriales Septumaneurysma sowie einen PFO-Tunnel mit nachweisbarem Übertritt von kontrastverstärkten
Mikro-Bubbles.
Die Rezidivprophylaxe kann in diesem Fall aus zwei unterschiedlichen Therapiekonzepten bestehen; medika-
mentös-konservativ oder eine kathetergestützte Schirmimplantation.
Derzeit existieren zwei Empfehlungen unterschiedlicher ärztlicher Fachgesellschaften:
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie:
• Bei Patienten mit alleinigem PFO, gleich welcher Größe, und erstem zerebralen ischämischen Ereignis er-
folgt eine Prophylaxe mit ASS (100 mg) (Evidenzgrad B). 6
• Kommt es zu einem Rezidiv unter ASS oder besteht ein PFO mit Vorhofseptumaneurysma (ASA), wird
eine orale Antikoagulation mit einer INR von 2,0–3,0 für mindestens 2 Jahre empfohlen (C).
• Kommt es zu einem weiteren Rezidiv oder bestehen Kontraindikationen für eine orale Antikoagulation,
kann ein interventioneller PFO-Verschluss (Schirmverschluss) in Erwägung gezogen werden (C).
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat bislang keine schriftlichen Empfehlungen ausgegeben. Gemäß
Expertenmeinung (Taaffee et al. 2008) kann ein interventioneller Verschluss nach einmalig stattgehabtem
kryptogenem zerebralischämischem Ereignis und alleinigem PFO (auch ohne ASA) oder bei Tauchern mit
Dekompressionskrankheit und PFO erwogen werden. Die Leitlinien der amerikanischen Fachgesellschaften
AHA (American Heart Association), ASA (American Stroke Association) und ACCP (American College of
Chest Physicians) empfehlen derzeit eine antithrombozytäre Monotherapie bei Patienten mit ischämischem
Schlaganfall und PFO, solange keine zusätzliche Indikation für eine orale Antikoagulation besteht (Sacco et al.
2006, Salem et al. 2008). In der Leitlinie zur Sekundärprävention von ischämischen Schlaganfällen und TIA
wird des Weiteren über eine „mangelnde Datenlage bei Patienten nach erstem Schlaganfall und PFO, um eine
definitive Empfehlung auszusprechen“, berichtet (Sacco et al. 2006). Die Datenlage zu mutmaßlichen Risiko-
faktoren für eine erneute kryptogene Hirnischämie, wie Alter (z. B. < 55 Jahre), die Kombination aus PFO und
ASA (= Septumexkursion > 10 mm) oder große PFO-Defekte, ist bislang nicht einheitlich (O'Gara et al. 2009).
Aufgrund der unzureichenden Datenlage bezüglich der Sekundärprävention kryptogener Hirnischämien
wurde zuletzt von mehreren kardiologischen Fachgesellschaften zu einer verstärkten Aufklärung der Situa-
tion durch Teilnahme an prospektiv-randomisierten Studien aufgerufen (O'Gara et al. 2009). Die seither
veröffentlichten Studien CLOSURE I, PC Trial und RESPECT haben den primären Endpunkt bzgl. einer ef-
fektiveren Schlaganfallprophylaxe gegenüber der medikamentösen Therapie verfehlt, was dazu geführt hat,
dass der interventionelle PFO-Verschluss nunmehr nur bei speziellen Subgruppen (junge Patienten, atriales
Septumaneurysma, rezidivierende Schlaganfälle unter medikamentöser Behandlung) einen relevanten Stel-
lenwert hat.
270 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
In vorliegendem Fall könnte – rein hypothetisch – der Auslöser für die Embolie ein erhöhter rechtsatrialer
Druck beim Bücken während der Gartenarbeit gewesen sein. Es könnte die Indikation zur Okkluderimplan-
tation gestellt werden, da nach dem Ausschlussprinzip von einer kryptogenen Rezidivembolie (unter ASS)
ausgegangen werden muss und gleichzeitig ein potenzieller Rezidivrisikofaktor in Form des Vorhofseptum
aneurysmas vorliegt.
Bei der Patientin wurde ein kathetergesteuerter Verschluss des PFO vorgenommen (› Abb. 6.3;
› Abb. 6.4).
Abb. 6.3 Links: TEE-Standbild, lange Achse. Darstellung von linkem Vorhof (LA), rechtem Vorhof (RA) sowie großem Vorhofsep-
tumaneurysma (roter Pfeil) und PFO (blauer Pfeil); Mitte: TEE-Standbild, lange Achse. Im Colour-Duplex-Imaging Darstellung eines
PFO (blauer Pfeil); rechts: TEE-Standbild, lange Achse. Übertritt von kontrastverstärkten Mikro-Bubbles entlang des PFO vom RA
zum LA unter Valsalva-Manöver (blauer Pfeil) [T676]
Danksagung
Bildmaterial mit freundlicher Unterstützung von Frau Dr. Nina Wunderlich und Herrn Prof. Dr. Horst Sie-
vert, CardioVasculäres Centrum St. Katharinen, Frankfurt.
LITERATUR
Taaffe M, Fischer E, Baranowski A, et al. Comparison of three patent foramen ovale closure devices in a randomized trial
(Amplatzer versus CardioSEAL-STARflex versus Helexoccluder). Am J Cardiol 2008; 101(9): 1353–8.
Sacco RL, Adams R, Albers G, et al. Guidelines for prevention of stroke in patients with ischemic stroke or transient ischemic
attack: a statement for healthcare professionals from the American Heart Association/American Stroke Association Coun-
cil on Stroke: cosponsored by the Council on Cardiovascular Radiology and Intervention. Circulation 2006; 113: e409–49.
Salem DN, O'Gara PT, Madias C, et al. Valvular and structural heart disease: American College of Chest Physicians Evi-
dence-Based Clinical Practice Guidelines (8th Edition). Chest 2008; 133(suppl): 593S–629S.
O'Gara PT, Messe SR, Tuzcu EM, et al. Percutaneous device closure of patent foramen ovale for secondary stroke preventi-
on: a call for completion of randomized clinical trials. A science advisory from the American Heart Association/American
Stroke Association and the American College of Cardiology Foundation. J Am Coll Cardiol 2009; 53(21): 2014–8.
Ein 81-jähriger Patient stellt sich in Ihrer kardiologischen Praxis vor. Am Tag zuvor hatte er über ca. 15 Minuten einen „Vorhang
vor dem rechten Auge“. Der Patient hatte sich vor 10 Jahren einer aortokoronaren Bypassoperation unterzogen. In diesem
Zusammenhang wurde auch eine filiforme Stenose der rechten Karotisarterie gefunden und operiert, obwohl der Patient nie 6
schlaganfallähnliche Symptome bemerkt hatte. An Nebenerkrankungen bestehe eine chronisch obstruktive Atemwegserkran-
kung, er rauche ca. 10 Zigaretten pro Tag seit 50 Jahren. Sie führen eine Ultraschalluntersuchung der Karotiden durch.
Zur duplexsonografischen Graduierung von Stenosen der A. carotis interna (ACI) finden verschiedene Tech-
niken im klinischen Alltag Verwendung. Aktuell wird weltweit am häufigsten die Einteilung der Stenosegra-
de nach den Definitionen der NASCET- oder ECST-Studie bzw. nach der „Common Carotid“(CC)-Methode
vorgenommen. Da sich während der letzten Jahre zunehmend unterschiedliche Grenzwerte für diese Eintei-
lungen fanden, wurde im Jahr 2003 ein Konsensus-Papier (Grant et al. 2003) in den USA etabliert, in dem die
in › Tabelle 6.5 dargestellten Werte festgelegt wurden. Diese Parameter orientieren sich eher an den NAS-
CET-Kriterien, korrelieren gut mit der angiografischen Referenzmessung nach NASCET (distaler Stenose-
grad) und können nicht der ECST-Graduierung gleichgesetzt werden.
In Deutschland wurde im Jahr 2010 eine Revision der DEGUM-Kriterien (Arning et al. 2010) und in die-
sem Zuge ein Transfer der korrespondierenden Werte in NASCET-Stenosegrade publiziert (› Tab. 6.6).
Die hier postulierten Werte weichen jedoch erheblich von denen im 2003 publizierten Konsensus-Papier
ab. Letztlich obliegt es dem jeweiligen Institut oder der Praxis, welches der o. g. Systeme zur Stenosequantifi-
zierung herangezogen wird. Wichtig ist eine standardisierte Untersuchungstechnik mit Angabe der o. g.
Hauptkriterien sowie evtl. der Plaquelast und Plaquekomposition. Im Fall einer eingeschränkten Ableitbar-
keit von intrastenotischen Strömungsgeschwindigkeiten können Zusatzkriterien zur Graduierung herange-
zogen werden, wie z. B. das Konfettizeichen, Internalisierung der Arteria carotis externa sowie prä- und post-
stenotisches Strömungsverhalten.
272 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Tab. 6.5 Gray-Scale und Doppler-Sonografie-Kriterien zur Einteilung von ACI-Stenosen gemäß amerikanischem
Konsensus-Ausschuss
Primäre Parameter Zusätzliche Parameter
Stenosegrad (%) ACI PSV1 (cm/sec) Plaquelast (%)2 ACI/ACC3 PSV-Verhältnis ACI EDV4 (cm/s)
Normal < 125 Keine < 2,0 < 40
< 50 < 125 < 50 < 2,0 < 40
50–69 125–230 ≥ 50 2,0–4,0 40–100
≥ 70, aber weniger als > 230 ≥ 50 > 4,0 > 100
subtotal
Subtotaler Verschluss hoch, niedrig, oder sichtbar variabel variabel
nicht auffindbar
Totaler Verschluss nicht auffindbar sichtbar, kein Lu- nicht anwendbar nicht anwendbar
men auffindbar
1
PSV = Peak Systolic Velocity = systolische Spitzengeschwindigkeit
2
Plaquelast (Diameterreduktion) mit Gray-Scale und Doppler-Sonografie
3
ACC = Arteria carotis communis
4
EDV = Enddiastolic velocity = enddiastolische Geschwindigkeit
Tab. 6.6 DEGUM-Ultraschallkriterien zur Graduierung von ACI-Stenosen und Festlegung des NASCET-Stenose-
grads
Stenosegrad (NASCET-Definition) [%] 10 20–40 50 60 70 80 90 Verschluss
Stenosegrad alt (ECST-Definition) [%] 45 50–60 70 75 80 90 95 Verschluss
6 Haupt- B-Bild +++ +
kriterien Farb-Doppler-Bild + +++ + + + + + +++
systolische Spitzengeschwindigkeit 200 250 300 350–400 100–500
im Stenosemaximum [cm/s] ca.
systolische Spitzengeschwindigkeit > 50 < 50 < 30
poststenotisch [cm/s]
Kollateralen und Vorstufen (Perior- (+) ++ +++ +++
bitalarterien/ACA)
Zusatz- diastolische Strömungsverlangsa- (+) ++ +++ +++
kriterien mung prästenostisch (ACC)
Strömungsstörungen poststeno- + + ++ +++ (+)
tisch
enddiastolische Strömungsge- < < > > 100
schwindigkeit im Stenosemaximum 100 100 100
[cm/s] ca.
Konfettizeichen (+) ++ ++
Stenoseindex ACI/ACC ≥2 ≥2 ≥4 ≥4
6.4 Amaurosis fugax 273
Wie wird eine „symptomatische Karotisstenose“ definiert und was sind typische
Symptome einer relevanten Verengung?
Für gewöhnlich wird eine Stenose der ACI als symptomatisch bezeichnet, wenn die Symptomatik nicht län-
ger als 180 Tage zurückliegt. Anamnestisch hochverdächtig auf eine zerebrale Ischämiereaktion im Gebiet
der ACI sind jegliche Halbseitensymptome im Sinne von extremitäten- und/oder gesichtsbetonten sensiblen
oder motorischen Alterationen (am häufigsten Parästhesie und Parese). Visuelle Symptome beinhalten die
temporäre oder permanente einseitige Blindheit (Amaurosis) oder die halbseitige Gesichtsfeldstörung
(homonyme Hemianopsie). Die kontralaterale Blickdeviation (Patient blickt auf die „Bescherung“) ist ebenso
auf das Karotisstromgebiet hinweisend. Auch Sprech- und Sprachstörungen wie z. B. Dysarthrie (sehr selten)
und Aphasie können bei einer Fokalischämie im entsprechenden Hirnareal ausgelöst werden. Bei der Dia
gnosestellung ist insbesondere das sofortige Einsetzen der Symptomatik in maximaler Ausprägung charakte-
ristisch (DD Migräne: progredientes Einsetzen der Symptomatik, Augenflimmern, Parästhesien, typischer-
weise keine Paresen).
Karotisbedingte Symptome umfassen nicht Synkopen (Formatio reticularis), Drehschwindel (A. vertebra-
lis), Tinnitus, Diplopie, Dysphagie, Ataxie, Doppelbilder, Blitze vor den Augen und Kopfschmerzen.
Wider Ihre Erwartungen ist der Patient gut schallbar. Sie objektivieren eine
hochgradige (ca. 80 % nach ECST) Restenose der rechten ACI (› Abb. 6.5). Wie
gehen Sie weiter vor?
Abb. 6.5 Duplexsonografie der rechten ACI. Links: intrastenotische Flussgeschwindigkeit gemäß Pw-Doppler. Systolische Vmax
∼3 m/s. Rechts: Colour-Duplex der ACI-Stenose [M757]
Insgesamt ist ein möglichst rasches Vorgehen indiziert. Patienten mit hochgradiger ACI-Stenose und rezen-
ter Symptomatik profitieren besonders innerhalb der ersten zwei Wochen nach dem Ereignis von einer inva-
siven Therapie; dies gilt nur für reversible ischämische Hirninfarkte, nicht für Patienten mit persistierender
Symptomatik. Während dieses Zeitraums ist die Inzidenz für einen erneuten Hirninfarkt am höchsten.
274 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Asymptomatische Patienten. Die Inzidenz einer Hirnischämie bei bislang asymptomatischen Patienten
(klinisches Stadium I) liegt unter maximaler konservativer Therapie bei ungefähr 2–5 % pro Jahr. Diese Zahl
berücksichtigt jedoch weder die Fortschritte in der konservativ-medikamentösen Primärprophylaxe inner-
halb der letzten Jahre noch die individuelle Risikofaktorenkonstellation und Stenosemorphologie. Aufgrund
dieser ohnehin niedrigen jährlichen Ereignisrate ergibt sich ein Vorteil durch die Karotis-TEA – je nach Be-
wertung der Literatur – nur bei hochgradigen Stenosen > 60–70 %. Die Indikation zur perkutanen Karotisin-
tervention wird derzeit – je nach Bewertung der Literatur – durch eine hochgradige Stenose > 70–80 % nach
NASCET-Kriterien gegeben. Es gibt Hinweise darauf, dass Frauen (insbesondere > 75 Jahre) weniger deutlich
(oder auch gar nicht) von einer invasiven Behandlung einer asymptomatischen Karotisstenose profitieren.
Kriterien, die für eine operative oder interventionelle Therapie bei asymptomatischen Patienten sprechen,
sind eine rasch progrediente Stenoseformation oder eine mutmaßlich instabile Plaquestruktur (geringer Evi-
denzgrad). Bei asymptomatischen Patienten wird ferner eine voraussichtliche Lebenserwartung von mindes-
tens 5 Jahren gefordert, um ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zu gewährleisten. Insgesamt ist die Evi-
denzlage zur Primärprophylaxe bei hochgradigen Karotisstenosen schwach. Vielleicht können zukünftige
Studien auf diesem Gebiet (SPACE-2, TACIT, ACST-2, ACT I) mehr Klarheit bringen. Diese Studien sollen
auch den Stellenwert einer aktuell als optimal betrachteten medikamentösen Therapie bei Patienten mit
asymptomatischer Karotisstenose evaluieren.
6 Symptomatische Patienten. Anders verhält sich die Studienlage im Stadium II der hochgradigen Karo
tisstenose (= symptomatische Stenose). Hier beträgt das jährliche Risiko, einen Apoplex zu erleiden, ca. 10–
15 %. Diesbezüglich erwirkt die Karotis-TEA eine deutliche Prognoseverbesserung, weniger bei 50- bis
69-prozentigen, deutlich aber bei 70-bis 99-prozentigen Karotisstenosen.
Bislang wurden in mehreren Studien die Akut- und Langzeitergebnisse der Karotis-PTA denen der Ka-
rotis-TEA bei symptomatischen Patienten gegenübergestellt, es gelten jedoch – aufgrund teils gravieren-
der methodischer Mängel – nur wenige dieser Studien als aussagekräftig. Einige Studien zeigten zuletzt
vergleichbare perioperative Komplikationsraten von Karotis-TEA gegenüber der PTA hinsichtlich schwer-
wiegender Hirnischämien. Die chirurgische Revaskularisierung ist zwar mit einer höheren Inzidenz an
perioperativen Myokardinfarkten assoziiert, führt jedoch – gemäß einer neueren Studie (Brott et al. 2010)
– weniger häufig zu sog. Minor Strokes. Im Langzeitverlauf hingegen zeigen beide Verfahren ein gleiches
Patienten-Outcome, sodass im Falle einer > 50-prozentigen Karotisstenose sowohl die interventionelle als
auch die operative Revaskularisation angewendet werden kann, sofern eine institutsspezifische periopera-
tive bzw. periinterventionelle (30 ± 3 Tage) Komplikationsrate von maximal 3 % bei asymptomatischen
und 6 % bei symptomatischen Patienten eingehalten werden kann (Brott et al. und Tendera et al. 2011,
Erbel et al. 2012, Eckstein et al. 2013). Zudem wird postuliert, dass alle Institute, die interventionell oder
operativ Karotisstenosen therapieren, extern (in Form von prospektiven Registereingaben) kontrolliert
werden sollen.
Einige Kriterien können jedoch verwendet werden, um eine Patientenauswahl vorzunehmen:
• Risikopatienten für eine Operation: klinisch relevante Herzerkrankung, schwere pulmonale Erkran-
kung, kontralateraler Karotisverschluss, kontralaterale Larynx-Nervenschädigung, vorausgegangene radi-
kale Halsoperation oder Strahlentherapie, Restenose nach Karotisendatherektomie, Alter über 80 Jahre
• Risikopatienten für eine interventionelle Revaskularisierung: Zielgefäß mit komplizierter Anatomie
(z. B. torquierter Gefäßverlauf, Aortenbogen, arterieller Zugang), Niereninsuffizienz.
6.4 Amaurosis fugax 275
Im Fall einer relativ kurz zurückliegenden Symptomatik sollte selbstverständlich eine kraniale Bildgebung
(CCT oder MRT) durchgeführt werden. Hierbei ist zwar eine Visualisierung eines ischämischen Areals, ins-
besondere im Fall einer transitorischen Symptomatik (z. B. TIA, Amaurosis fugax), nicht garantiert, es kön-
nen jedoch evtl. andere Pathologien ausgeschlossen werden (z. B. Tumor, Aneurysma, chronisches Subdural-
hämatom, Thrombose, arteriovenöse Malformation).
Bei negativem Nachweis im CCT ist ggf. eine Ausschlussdiagnostik bezüglich anderer Faktoren, die die
initiale Symptomatik bedingen können, sinnvoll. Hierzu gehören:
• Ophthalmologisches Fachkonsil: differenzialdiagnostische Abklärung von akuter ischämischer Optikus-
neuropathie, paraneoplastischer Neuropathie, retinale Vaskulitis, Papillenödem etc.
• Neurologisches Fachkonsil: differenzialdiagnostische Abklärung von multipler Sklerose (Optikusneuri-
tis), peripheren Nervenläsionen, Myasthenia gravis, psychogenen Störungen (Hyperventilation) etc.
• Duplexsonografie der hirnzuführenden Arterien: Verifizierung der hochgradigen ACI-Stenose nach der
institutsspezifischen Referenzmethode. Ausschluss einer relevanten kontralateralen ACI-Stenose oder ei-
nes Verschlusses, was eine Überschätzung der ipsilateralen Stenose verursachen kann. Ausschluss rele-
vanter Stenosen der übrigen hirnversorgenden Arterien
• Langzeitblutdruckmessung: Abklärung inapparenter hypertensiver Entgleisungen. Risikofaktoren-
Screening
• Fakultative Untersuchungen: transösophageale Echokardiografie (z. B. bei bestehender Beinvenen-
thrombose oder Koagulopathie) zum Ausschluss einer paradoxen Embolie. Ausschluss intrakardialer
Thromben bei Patienten mit Vorhofflimmern. Transkranielle Doppler-Untersuchung zum Nachweis 6
möglicher paradoxer Embolien oder Evaluation der intrakraniellen Zirkulation und seitenübergreifender
Kollateralversorgung. Auch eine Koronarangiografie kann bei entsprechender Klinik (z. B. instabile AP)
sinnvoll sein. Je nach klinischer Relevanz ist eine Revaskularisierung der Koronargefäße der Karotisope-
ration oder -intervention vorzuziehen.
Unabhängig vom Ergebnis des CCT sollte ein Screening bezüglich anderer Pathologien erfolgen, die Einfluss auf
die anstehende Therapieentscheidung bzgl. der Karotisstenose haben. Hierzu zählen ein Holter-EKG (Vorhof-
flimmern = Indikation zur Antikoagulation), Echokardiografie (Screening auf pulmonale Hypertonie und rechts-
oder linksventrikuläre Dysfunktion= Indikation zur Antikoagulation und erhöhtes Operationsrisiko) oder eine
duplexsonografische Darstellung der Becken-/Beinarterien (z. B. bei vorbekannter arterieller Verschlusskrank-
heit oder stark torquiertem Gefäßverlauf = evtl. Ausschlusskriterium für eine perkutane Karotisangioplastie).
Die chirurgische Therapie von Restenosen ist mit einer erhöhten Komplikationsrate assoziiert. Deshalb und
aufgrund des rezenten neurologischen Ereignisses sollte zeitnah eine interventionelle Stentimplantation un-
ter Neuroprotektion durchgeführt werden.
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Ein Allgemeinmediziner ruft Sie an: Er werde jetzt gleich einen 50-jährigen Patienten vorbeischicken, der 50 Meter von
seiner Praxis entfernt synkopiert sei. Er kenne den Mann sonst nicht. Der Kollege hat normale Vitalparameter dokumen-
tiert (HF 84, RR 110/70, AF 16), der Blutzucker betrug 87 mg/dl. Im EKG bestand ein Sinusrhythmus, nach seiner Ansicht
keine sonstigen Auffälligkeiten. Als einziger pathologischer Befund bei der körperlichen Untersuchung fand sich eine fri-
sche Abschürfung an der rechten Hand. Der Tetanusimpfschutz sei anamnestisch in Ordnung.
Etwas später stellt sich der schlanke und gesund wirkende Patient in Begleitung seiner Ehefrau vor. Er war plötzlich bewusst-
6 los geworden und synkopiert. Fremdanamnestisch betrug die Dauer der Bewusstlosigkeit etwa 30 Sekunden, der Patient bot
keine Bewegungsmuster, die auf einen epileptischen Anfall hindeuteten; er hatte auch keine Enuresis oder einen Zungenbiss.
Es handelte sich um das erste derartige Ereignis. Der Patient gibt auf Ihr detailliertes Nachfragen an, keinerlei Prodromi vor
dem Ereignis verspürt zu haben: Ihm sei nicht „schwarz vor den Augen“ oder übel geworden, kein Herzrasen, kein langsamer
Puls, keine Kopfschmerzen, kein Schwindel. Nach dem Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit hatte der Patient keine Beschwer-
den und war voll orientiert. Vorerkrankungen sind nicht bekannt, keine Dauermedikation, auch keine bedarfsweise eingenom-
menen Medikamente in den letzten Tagen. Der Patient ist Nichtraucher, trinkt nur selten Alkohol und dann nur kleine Mengen.
Die Familienanamnese ist bezüglich kardiovaskulärer und neurologischer Erkrankungen unauffällig.
Bei der körperlichen Untersuchung finden Sie – wie der Allgemeinmediziner – außer der Abschürfung keine patholo-
gischen Befunde: normaler erster und zweiter Herzton, kein Geräusch, JVD normal, Pulmo unauffällig, keine Ödeme,
keine klinischen Hinweise auf tiefe Beinvenenthrombose.
EKG, Karotisdruckversuch, Echokardiografie, Ergometrie, LZ-EKG, Labor (Elektrolyte, TSH, Kreatinin, BZ,
Lipidstatus).
6.5 Zunächst ungeklärte Synkope 277
Abb. 6.6 SR, 66/min, Indifferenztyp. PQ-Zeit normal, QT-/QTc-Zeit normal, keine Brugada-Konfiguration [M758]
LZ-EKG: SR, HF 48–122/min, im Mittel 68. Keine VES, keine SVES. Niedrigste HF nachts 42/min. Keine AV-Blockierung,
keine relevanten Pausen. Keine pathologische ST-Senkung.
Ergometrie: gute Belastbarkeit bis 250 W. Maximale HF 167/min, max. RR 220/80 mmHg. Abbruch wegen Ausbelas-
tung. Weder klinisch noch im EKG Hinweise auf Ischämiereaktion. Keine Arrhythmien.
Labor: Normwerte für BB, Gerinnung, Elektrolyte, Retentionsparameter, Nüchternglukose. Das TSH war mit 4,88 leicht
erhöht (latente Hypothyreose). Lipidstatus (jeweils mg/dl): Gesamtcholesterin 268, HDL 58, LDL 194.
Es gibt bislang keine Hinweise auf eine kardiale Strukturerkrankung oder eine rhythmogene Synkope. Einzi-
ger vaskulärer Risikofaktor ist ein erhöhtes LDL-Cholesterin bei normalem HDL-Wert. Sie besprechen mit
dem Patienten, zunächst zuzuwarten, und vereinbaren eine neuerliche Vorstellung bei erneuten Symptomen.
Acht Wochen später berichtet der Patient, während des Frühstücks für etwa 20 Sekunden bewusstlos geworden zu sein.
Vorausgehend bestanden wie beim ersten Mal keine Symptome. Herzrhythmusstörungen wurden subjektiv nie bemerkt.
Der Hausarzt hatte zwischenzeitlich eine HNO-ärztliche und eine neurologische Untersuchung anberaumt, die aber keinen
auffälligen Befund gezeigt hätten.
6 Sie wiederholen das Langzeit-EKG. Angesichts des LDL-Cholesterins und der bekannt niedrigen Sensitivität des
Belastungs-EKG etwa bei koronarer Eingefäßerkrankung (› Kap. 8.1) planen Sie eine Stressechokardiografie,
außerdem eine Duplexsonografie der extrakraniellen hirnversorgenden Arterien (bisher noch nicht erfolgt).
Es gibt keine Hinweise für ein embolisches Geschehen. Selbst der Nachweis eines PFO bei etwas redundant
angelegtem Vorhofseptum wäre momentan ohne wesentliche Konsequenz – allenfalls kann man prophylak-
tisch ASS geben.
Der Patient hat zum wiederholten Mal eine Synkope erlitten. Einziger Hinweis zur Genese ist eine kurze, aber
schnelle VT. Diese trat jedoch nachts auf, man kann zur Symptomatik nichts aussagen. Sie überweisen den Pa
tienten zur Kipptischuntersuchung und besprechen die weiteren Maßnahmen, falls die Untersuchung negativ ist.
6.5 Zunächst ungeklärte Synkope 279
Das ist sie in der Tat. Sie veranlassen jetzt zum definitiven Ausschluss einer KHK eine Herzkatheteruntersuchung.
Lävokardiografie und Koronarangiografie: normale globale und regionale LV-Funktion. Normale LV-Druck-Werte.
Unauffällige Herzkranzgefäße, keine Hinweise auf mikrovaskuläre Dysfunktion.
Nach DGK besteht eine Indikation zur EPU bei V. a. rhythmogene Synkopen. Eine orthostatische oder neuro-
kardiogene Synkope sollte ausgeschlossen sein. Eine EPU wird auch empfohlen vor Implantation eines
Event-Rekorders.
• Pathologisches Ruhe-12-Kanal-EKG oder Langzeit-EKG (z. B. LSB, bifaszikulärer Block, AV-Block II Mo-
bitz, Hinweis auf angeborene Ionenkanalerkrankungen, Sinusbradykardie < 50/min): I C
• Symptomatische Tachykardien: I C
• Organische Herzerkrankung: I C
• Evaluierung des Arrhythmiemechanismus bei anzunehmender oder dokumentierter tachykarder Herz-
rhythmusstörung: IIa B
• Ausschluss einer induzierbaren Tachyarrhythmie bei berufsbedingten Erfordernissen (z. B. Pilot): IIb C
Keine Indikation (III C) besteht bei:
• Arzneimittelinduzierten EKG-Veränderungen, die nach Absetzen reversibel sind
• Ausgeschlossener struktureller Herzerkrankung und fehlenden Hinweisen für eine rhythmogene Ge-
nese.
Unser Patient hat wiederholte Synkopen, als bisher einzige Hinweise auf eine mögliche Ursache ist eine VT
dokumentiert. Sie stellen daher die Indikation zur EPU. 6
Elektrophysiologische Untersuchung: SR, RR 1.022 ms, QRS 97 ms, QT 395 ms, PQ 144 ms, AH 94 ms, HV 42 ms.
Vorhofstimulation: Sinusknotenerholungszeit 1.237 ms, AV-nodale Leitung antegrad unauffällig, bei atrialer Stimula-
tion keine Tachykardieauslösung.
Ventrikelstimulation: adäquate VA-Leitung, Bei programmierter RV-Stimulation an zwei unterschiedlichen Orten keine
Tachykardie auslösbar.
Ajmalintest (2 mg/kg KG): kein induzierbares Brugada-Syndrom nachweisbar.
Sie besprechen die Ergebnisse mit dem Patienten. Er ist mittlerweile total verunsichert und fragt Sie, welche Diagnose-
möglichkeiten noch bestehen. Sie besprechen mit ihm die Möglichkeit eines Event-Rekorders. Sie entscheiden sich gegen
einen externen Loop-Recorder, da die Synkopen zu selten auftreten (weniger als einmal pro Monat), und raten zu einem
implantierbaren Gerät (› Kap. 6.1); der Patient stimmt zu.
Neun Monate später sehen Sie den Patienten wieder. Er habe keine Synkope mehr erlitten, nur einmal eine Episode mit
Übelkeit.
Event-Rekorder-Abfrage: drei Asystolien, max. 4,9 s Dauer. 148 VTs, maximale Dauer 9,2 s, maximale Frequenz 177/s.
Keine Korrelation zur Episode mit der Übelkeit.
Sie entschließen sich, die Situation weiter zu beobachten – es sind ja auch keine Synkopen mehr aufgetreten.
Gerade mal vier Tage später sehen Sie den Patienten erneut: Er kommt aus der chirurgischen Notaufnahme. Er war am
Morgen mit dem Rad zur Arbeit gefahren und ohne erklärlichen Grund plötzlich gestürzt, sei auch kurz bewusstlos gewe-
sen. Er hat sich mehrere Rippenfrakturen zugezogen.
Event-Rekorder-Abfrage: seit der letzten Abfrage 2 VT, 1 Asystolie (› Abb. 6.7, › Abb. 6.8, › Abb. 6.9)
Sie sehen sich die Ereignisse an. Die Asystolie passt zeitlich genau zum Unfallereignis.
Sie müssen nun also von einem intermittierenden Sinusarrest bei Sinusknotenerkrankung ausgehen und veranlassen die
umgehende Implantation eines Schrittmachers.
280 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Abb. 6.7 VT1: am ehesten Artefakt, Abb. 6.8 Asystolie: Asystolie über Abb. 6.9 VT2: am ehesten Tachyar-
keine VT [M758] 7,5 s, lediglich 1 Ersatzsystole [M758] rhythmia absoluta [M758]
6.5 Zunächst ungeklärte Synkope 281
Der Patient hat nur selten Ereignisse. Als reines Absicherungssystem wäre somit ein Einkammerschrittma-
cher (VVI) ausreichend (DGK-Klasse IB). Vom vermuteten Krankheitsmechanismus sollte eine alleinige
Vorhofstimulation [AAI] ebenfalls ausreichen [Klasse IIb B]. Im vorliegenden Fall entschied man sich für ein
Zweikammersystem Modus DDD mit AV-überleitungserhaltender Programmierung (z. B. Moduswechsel
zwischen AAI und DDD zur Vermeidung unnötiger rechtsventrikulärer Stimulation, DGK-Klasse I B). Der
Event-Rekorder wurde explantiert.
Die ESC (2013) empfiehlt in dieser Situation als erste Wahl ein Zweikammersystem, idealerweise mit AV-
Überleitungsmanagement (Klasse I A im Vergleich zu VVI, Klasse I B im Vergleich zu AAI). Die ESC würde
also den AAI-Einkammerschrittmacher einem VVI-System vorziehen. In jedem Fall sollte ein Gerät mit Fre-
quenzadaptation (R-Funktion) gewählt werden. Als Hauptnachteil bei reiner Ventrikelstimulation (VVIR)
gilt das häufigere Auftreten eines Schrittmachersyndroms. Nachteil bei reiner Vorhofstimulation (AAIR) ist
die nicht auszuschließende spätere Entwicklung eines AV-Überleitungsproblems (Häufigkeit 0,6–1,9 % pro
Patient pro Jahr). Bei reiner Vorhofstimulation (AAIR) wird zudem häufiger paroxysmales Vorhofflimmern
beobachtet als im Zweikammermodus (DDDR).
Der Patient stellt sich 6 Monate nach der Optimierung der Stimulationsamplituden zur Kontrolle erneut vor. Synkopen sind
nicht mehr aufgetreten.
Schrittmacherkontrolle: Modus DDD, Interventionsfrequenz 50/min. Regelrechte Batteriedaten (3,01 V, Restlaufzeit
>12 Jahre). Regelrechte Reizschwellen (Vorhof 0,5 V bei 0,5 ms Impulsdauer, Ventrikel 0,625 V bei 0,5 ms). Wahrneh-
mung im Vorhof 1,0 mV, im Ventrikel > 12,5 mV.
Im Ereignisspeicher > 99 % Eigenrhythmus AS-VS, < 1 % AS-VP, < 1 % AP-VP, < 1 % AP-VS. Mode Switch < 1 %. Vor-
hoffrequenz maximal 192/min. 20 ventrikuläre Hochfrequenzepisoden, HF bis 180/min. 6
Da das Aggregat diese Möglichkeit bietet, programmieren Sie den Modus um auf DDDR, entsprechend den Empfehlungen
der aktuellen Leitlinien.
Die Funktion des Aggregats ist regelrecht. Der Schrittmacher kommt nur selten zum Einsatz, die Tatsache,
dass auch im Ventrikel stimuliert wird, spricht doch für möglicherweise intermittierende Überleitungsstö-
rungen und unterstützt die Wahl eines Zweikammeraggregats. Bei den Mode-Switch-Episoden (Umschal-
tung in Modus DDI, aktiviert bei Vorhoffrequenz > 180) kann es sich auch noch um SR gehandelt haben.
Nachdem die VT nicht sehr schnell sind, entscheiden Sie sich zunächst gegen eine Betablockergabe (um mög-
lichst den Eigenrhythmus zu bewahren und wenig Stimulation zu haben), zumal der Patient asymptomatisch
ist und eher niedrige Blutdruckwerte hat.
Wenn das Aggregat gewechselt werden muss (häufigste Ursache Batterieermüdung, bei der jetzigen Häufig-
keit der Inanspruchnahme wird dies noch > 12 Jahre dauern), würden Sie ein MR-fähiges Gerät auswählen,
282 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
da die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der vergleichsweise junge Patient mit seiner statistischen Lebenser-
wartung künftig von dieser Diagnosemöglichkeit profitieren wird.
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6
KAPITEL Kardiovaskuläre Erkran
kungen bei schwangeren
KASUISTIK
Eine 31-jährige Patientin in der 32. Schwangerschaftswoche stellt sich bei Ihnen wegen zunehmender Atemnot, Um-
fangszunahme der Beine, stark steigenden Körpergewichts und allgemeiner Abgeschlagenheit vor. Wesentliche kardi-
ale Vorerkrankungen seien nicht bekannt. In der Kindheit sei einmal ein Herzgeräusch vorhanden gewesen, der Haus-
arzt habe aber keine weiteren Untersuchungen veranlasst, da es der Patientin immer gut gegangen sei. An kardiovas-
kulären Risikofaktoren bestehen ein Nikotinkonsum bis zum Bekanntwerden der Schwangerschaft sowie eine familiäre
Diathese.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 173 cm große und 81 kg schwere Patientin in reduziertem Allgemeinzustand
und normalem Ernährungszustand. Puls 110 s/min, arrhythmisch, Blutdruck 105/75 mmHg, normaler 1. und 2. Herz-
ton, fraglicher 3. Herzton, 2⁄6-Holosystolikum über Erb-Punkt und der Herzspitze, fortgeleitet in die Axilla, leicht erhöh-
ter Jugularvenendruck von 1 cm, beiderseits Vesikuläratmen, beidseits basal feinblasige feuchte Rasselgeräusche,
Dämpfung perkutorisch rechts bis knapp unterhalb der Skapula, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungs-
befund.
• Labor: Blutbild, CRP, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, CK, LDH, GOT, GPT, Troponin, ggf. BNP, Urin-
status, ggf. 24-h-Sammelurin
• EKG (Rhythmus/Ischämiezeichen)
• UKG zur Beurteilung der Pumpfunktion des rechten und linken Ventrikels und zur ätiologischen Klärung
(vorbestehendes Vitium, hypertrophe Kardiomyopathie, Lungenarterienembolie, Myokardinfarkt).
• Je nach Befundlage können ggf. eine 24-h-Blutdruckmessung und eine Duplexsonografie der Beinvenen
sinnvoll sein. Erforderlich ist auch die Vorstellung beim Gynäkologen (u. a. Doppler-Sonografie der Aa.
uterinae, weitere Planung bei absehbarer Notwendigkeit einer vorzeitigen Entbindung).
Welche vorbestehenden Vitien können infrage kommen? Wie beurteilen Sie das
Risiko für den Verlauf der Schwangerschaft?
Tab. 7.1 Modifizierte WHO-Klassifikation des mütterlichen kardiovaskulären Risikos (modifiziert nach ESC 2011)
Risikoklasse Schwangerschaftsrisiko
I Keine erkennbare Erhöhung der mütterlichen Mortalität, keine oder geringe Erhöhung der Morbidität
II Gering erhöhte Mortalität, mäßige Erhöhung der Morbidität
III Signifikant erhöhte Mortalität, ausgeprägte Erhöhung der Morbidität der Mutter. Konsultation von Ex-
perten erforderlich. Bei Entscheidung zur Fortsetzung der Schwangerschaft intensives Monitoring erfor-
derlich durch Spezialisten aus den Gebieten Kardiologie und Geburtshilfe bis zum Wochenbett
IV Extrem erhöhtes Risiko, Schwangerschaft kontraindiziert. Bei Eintreten einer Schwangerschaft sollte ein
Abbruch diskutiert werden. Falls kein Abbruch erfolgt, Vorgehen wie bei Klasse III.
Tab. 7.2 Einstufung einzelner Krankheitsbilder nach WHO-Risikoklassifikation (modifiziert nach ESC 2011)
WHO I Unkomplizierte, geringe oder milde
• Pulmonalstenose
• offener Ductus arteriosus
• Mitralklappenprolaps
Erfolgreich korrigierte einfache Vitien (ASD, VSD, Ductus arteriosus, fehleinmündende Lun-
genvenen)
Isolierte atriale oder ventrikuläre Extrasystolie
WHO II (wenn sonst Unoperierter ASD oder VSD 7
keine Komplikationen Korrigierte Fallot-Tetralogie
oder Beschwerden be Sonstige Arrhythmien
stehen)
WHO II–III (individuell Geringe LV-Funktionseinschränkung
einzustufen) Hypertrophe Kardiomyopathie
Klappenerkrankungen, die nicht als WHO I oder IV einzustufen sind
Marfan-Syndrom ohne Aortenerweiterung
Aortenerweiterung < 45 mm bei bikuspider Klappe
WHO III Mechanische Klappenprothese
Systemischer rechter Ventrikel
Fontan-Zirkulation
Unkorrigiertes zyanotisches Vitium
Andere komplexe kongenitale Vitien
Aortenerweiterung 40–45 mm bei Marfan-Syndrom
Aortenerweiterung 45–50 mm bei bikuspider Klappe
WHO IV (Schwanger Pulmonale Hypertonie (ungeachtet der Ursache)
schaft kontraindiziert) Hochgradige LV-Funktionsstörung (EF < 30 %, NYHA III–IV)
Vorausgegangene Peripartum-Kardiomyopathie mit verbliebener LV-Funktionseinschränkung
Schwere Mitralstenose, schwere symptomatische Aortenstenose
Aortenerweiterung > 45 mm bei Marfan-Syndrom
Aortenerweiterung > 50 mm bei bikuspider Klappe
Hochgardige Aortenisthmusstenose
286 7 Kardiovaskuläre Erkrankungen bei schwangeren Patientinnen und Frauen mit Kinderwunsch
Der UKG-Befund ist vereinbar mit einer Kardiomyopathie bzw. Z. n. Myokarditis. Diese kann entweder
schon vor der Schwangerschaft bestanden haben (NYHA I) oder erst während der Schwangerschaft entstan-
den sein.
Die Peripartum-Kardiomyopathie (Inzidenz in Europa 1:3.500) tritt innerhalb der letzten Schwanger-
schaftswochen bis zu 6 Monate nach der Geburt bevorzugt bei Hypertonie, Präeklampsie, Zwillingsschwan-
gerschaften, nach Tokolyse, bei Teenagern und älteren Müttern auf. Die Differenzialdiagnose gegenüber ei-
ner linksventrikulären Funktionseinschränkung anderer Genese ergibt sich aus dem Zeitpunkt des Auftre-
tens und dem fehlenden Hinweis für eine andere kardiale Erkrankung. Eine Myokardbiopsie ist in der Regel
nicht indiziert, sie wird im Einzelfall bei Nichtansprechen auf die konventionelle Therapie empfohlen. Im
Spontanverlauf ist in ca. einem Drittel der Fälle mit einer Ausheilung zu rechnen, bei einem Drittel verbleibt
eine leichte bis mäßige ventrikuläre Dysfunktion, bei einem Drittel das Vollbild einer schweren Kardiomyo-
pathie. Bei erneuter Schwangerschaft besteht ein hohes Rezidivrisiko.
Akute Myokardinfarkte gehören mit einer Inzidenz von 1:10.000 Schwangerschaften zu den seltenen
Schwangerschaftskomplikationen. Sie treten am häufigsten peripartal auf. Betroffen sind bevorzugt ältere
Multipara mit einer arteriellen Hypertonie, einer Präeklampsie oder einem Diabetes mellitus. Eine koronare
Herzerkrankung liegt nur in 20 % der Fälle vor. Am häufigsten tritt eine Dissektion des Ramus interventricu-
laris anterior auf. Die Letalität ist hoch (20–48,8 %). Die Therapie der Wahl besteht in der Implantation eines
Stents. Eine Thrombolyse kann in Erwägung gezogen werden. Daten über die Sicherheit von Clopidogrel
während der Schwangerschaft und Stillzeit sind nicht verfügbar. Im Falle eines akuten Myokardinfarkts
überwiegt der therapeutische Nutzen das Risiko einer potenziellen Schädigung bei Weitem. Der Entbin-
dungsmodus hängt von der kardialen Situation der Mutter und vom Zustand des Kindes ab.
Eine koronare Herzerkrankung tritt in der Schwangerschaft zunehmend häufiger auf, da zum einen verän-
derte Rauchgewohnheiten bestehen, zum anderen eine andere Lebensplanung dazu geführt hat, dass Frauen
in höherem Lebensalter schwanger werden. Eine Katheterdiagnostik (vorzugsweise Zugang über die A. radia-
lis) ist bei einem eindeutigen Ischämienachweis oder typischen nitrosensiblen thorakalen Schmerzen gerecht-
fertigt! Bei Brustschmerzen in der Schwangerschaft muss differenzialdiagnostisch immer auch an eine Prä
eklampsie, eine Lungenembolie und eine Aortendissektion gedacht werden. Wenn möglich, sollten aus Strah-
lenschutzgründen für das Kind Röntgenexpositionen aber erst nach Abschluss der wichtigsten Organogenese 7
(> 12 Wochen nach den letzten Menses) erfolgen. Eine signifikante Koronarstenose erfordert ein frühes inter-
ventionelles Vorgehen, da mit zunehmender Schwangerschaftsdauer die Kreislaufbelastung und Hyperkoagu-
labilität und somit das Infarktrisiko zunehmen. Bei Interventionen im 2. Trimenon scheint der Einsatz unbe-
schichteter Stents eher gerechtfertigt, da in diesen Fällen eine Clopidogreltherapie nach 4 Wochen beendet
werden kann und somit das Risiko von Blutungskomplikationen bei der Entbindung verringert ist.
Diagnose: Im vorgestellten Fall liegt eine Peripartum-Kardiomyopathie vor. Die medikamentöse Thera-
pie während einer Schwangerschaft bedarf wegen der Plazentagängigkeit vieler Substanzen einer kritischen
Nutzen-Risiko-Abwägung. Größere randomisierte (RCT) Studien fehlen zumeist.
Mit welchen Substanzen würden Sie die Herzinsuffizienz Ihrer Patientin nun
behandeln?
• ACE-Hemmer, AT1-Blocker; Renininhibitoren: sind kontraindiziert (DGK und ESC; › Kap. 7.2).
• Aldosteronantagonisten: nach DGK und ESC nicht empfohlen (DGK IC).
• Diuretika: Einsatz sinnvoll bei Stauungszeichen (IIaC). Es besteht das Risiko einer Minderperfusion der
Plazenta. Mit HCT und Furosemid liegen die meisten Erfahrungen vor.
• Hydralazin, Nitrate: Einsatz zur Nachlastsenkung möglich (IIaC)
• Betablocker: nur kardioselektive Betablocker empfehlenswert (IC). Die meisten Erfahrungen bestehen mit
Metoprolol. Succinat sollte bevorzugt werden. Atenolol sollte nicht eingesetzt werden.
288 7 Kardiovaskuläre Erkrankungen bei schwangeren Patientinnen und Frauen mit Kinderwunsch
• Positiv inotrope Substanzen: Dopamin und Dobutamin, evtl. auch Levosimendan können eingesetzt werden.
• Digitalis: Einsatz ist prinzipiell möglich (IC). Der Spiegel sollte unter 0,8 ng/ml liegen.
Zur Thromboseprophylaxe bei schwangeren Patientinnen mit Vitien, Vorhofflimmern oder reduzierter links-
ventrikulärer Funktion (EF < 35 %), insbesondere mit Peripartum-Kardiomyopathie, ist eine wirksame Anti-
koagulation indiziert. Die Verwendung von Cumarinen ist bis zur 6. Schwangerschaftswoche höchstwahr-
scheinlich sicher. Ab der 6. bis zur 12. Woche besteht jedoch – dosisabhängig – die Gefahr einer Embryopa-
thie, weswegen die Indikation für Cumarine streng in Abhängigkeit vom maternalen Thromboserisiko zu
stellen ist (dies gilt besonders für Mütter mit mechanischen Klappenprothesen, s. u.). Im zweiten und dritten
Trimenon gelten Cumarine als relativ sicher, Komplikationen (fetale intrakranielle Blutungen) sind jedoch
möglich. Heparine können unter Beachtung der spezifischen Risiken für Mutter und Kind gegeben werden.
Nach Abstillen erfolgt die Herzinsuffizienztherapie wie bei Nichtschwangeren für 6–12 Monate nach Entbin-
dung. Die Patientinnen sind engmaschig zu überwachen, 50 % der maternalen Todesfälle treten in den ersten
3–6 Monaten postpartal auf.
Die Patientinnen sind über das hohe Risiko einer Rezidiv-Peripartum-Kardiomyopathie zu unterrich-
ten. Eine Dobutamin-Stressechokardiografie zur Beurteilung der kontraktilen Reserve kann die Empfeh-
lung für oder gegen eine erneute Schwangerschaft untermauern. Bei fortbestehend stark reduzierter oder
nicht verbesserter LV-Funktion sollte von einer erneuten Schwangerschaft abgeraten werden (DGK IIaC).
Die ESC sieht jede verbleibende Funktionseinschränkung als Kontraindikation für eine erneute Schwan- 7
gerschaft.
Eine Medikation mit Pentoxyfyllin, Immunglobulinen, Immunsuppressiva oder Bromocriptin zeigte in
kleinen Serien ermutigende Ergebnisse; für Bromocriptin liegt auch eine prospektive randomisierte Studie
mit positiven Ergebnissen vor.
Die Implantation von Assist-Devices, eine Herztransplantation oder Kardiomyoplastie ist therapierefrak-
tären Fällen vorbehalten.
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290 7 Kardiovaskuläre Erkrankungen bei schwangeren Patientinnen und Frauen mit Kinderwunsch
KASUISTIK
Eine 39-jährige Patientin, erste Schwangerschaft (24. Woche), wird vom Hausarzt überwiesen, da der Blutdruck zu
hoch sei. Sie klagt über Schwindel und gelegentliche Kopfschmerzen. Die Patientin war vor der Schwangerschaft nie
beim Arzt, da sie sich trotz ihres Übergewichts immer wohlgefühlt habe. Aktuell keine Medikation außer Jodid. Die Pati-
entin raucht nicht.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 163 cm große, 88 kg schwere, übergewichtige Patientin in normalem Allge-
meinzustand. Puls 100 s/min, rhythmisch, Blutdruck 160/95 mmHg, normaler 1. und 2. Herzton, JVD normal, unauffälliger
Untersuchungsbefund der Lunge. Keine Ödeme. Kein Strömungsgeräusch über den Karotiden oder periumbilikal. Ansons-
ten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.
Es besteht eine arterielle Hypertonie, wenn sich der Wert bei Kontrollmessungen bestätigt.
Die arterielle Hypertonie (RR > 140/90 mmHg) ist das häufigste medizinische Problem während der
Schwangerschaft und Ursache maternaler und fetaler Morbidität und Mortalität. Die Häufigkeit wird für
Westeuropa mit 5–7 % angegeben.
Chronische arterielle Hypertonie (> 140/90 mmHg, vorbestehend bereits vor der 20. SS-Woche, Persistenz
post partum). Nur bei 3–5 % der Patientinnen treten Komplikationen auf.
7 Gestationshypertonie (> 140/90 mmHg, Auftreten ab 20. Schwangerschaftswoche, keine Proteinurie oder
Ödeme, Normalisierung des Drucks postpartal innerhalb von 6 Wochen). Die Gestationshypertonie alleine
bedeutet nur ein geringes Risiko für Mutter und Kind. Es sollte nach möglichen Ursachen gesucht werden,
z. B. eine Plazentationsstörung. Engmaschige Kontrollen sind erforderlich, da etwa die Hälfte der Patientin-
nen mit Gestationshypertonie eine Präeklampsie entwickelt.
Präeklampsie (RR > 140/90 ab SSW 20, zusätzlich Proteinurie > 0,3 g/24 h, ggf. Ödeme, selten HELLP-
Syndrom mit Thrombopenie und erhöhten Leberwerten). Die Ätiologie ist weiterhin nicht eindeutig ge-
klärt, als Grundprinzip der Pathogenese vermutet man eine inadäquate Umwandlung der myometranen
Segmente der Spiralarterien in uteroplazentare Arterien durch eine unzureichende endovaskuläre Invasion
des Zytotrophoblasten. Die Inzidenz der Präeklampsie ist von bestimmten Risikofaktoren und einer vorbe-
stehenden Hypertonie abhängig und beträgt ca. 2–8 %. Die Präeklampsie ist häufig nur wenig symptoma-
tisch und verschwindet meistens 24–48 h post partum, kann jedoch Frühgeburten verursachen. Eine Prä
eklampsie ist bei folgenden Symptomen oder Laborwertänderungen wahrscheinlich: Kopfschmerzen, Seh-
störungen, plötzliche Erblindung, Bewusstseinsveränderungen, neurologische Ausfälle, Krampfanfälle,
Dyspnoe, Angina pectoris, Oberbauchschmerzen, Anstieg der Leberenzyme und des Kreatinins, Abfall der
Thrombozyten.
Bei der Eklampsie treten, bedingt durch zerebrale Gefäßspasmen, generalisierte tonisch-klonische
Krampfanfälle auf. Nach Durchbrechung des akuten Krampfanfalls und Stabilisierung der Patientin ist die
sofortige Entbindung die Therapie der Wahl.
7.2 Schwindel und Kopfschmerzen 291
Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, CK, LDH, GOT, GPT, Urinstatus, vorzugsweise Proteinuriebe-
stimmung aus 24-h-Sammelurin, EKG, UKG, 24-h-Blutdruckmessung.
Der Nutzen einer Hochdrucktherapie bei leichter Präeklampsie, Gestationshypertonie und chronischer Hy-
pertonie (ohne zusätzliche Risikofaktoren) ist bisher nicht durch Studien belegt. Da die Hochdrucktherapie
zu einer plazentaren Hypoperfusion führen kann, wird die Behandlungsindikation nur bei schwerer Hyper-
tonie gesehen (› Tab. 7.4):
• Schwere Hypertonie RR > 160/110
• Sekundäre Hypertonie
• Mild-moderate Hypertonie mit Risikofaktoren (maternale Endorganschäden, Alter > 40 Jahre, vorausge-
gangene Fehlgeburt, Z. n. TIA/Apoplex, bekannte mikrovaskuläre Erkrankungen).
Tab. 7.4 Richtlinien zur Hochdruckbehandlung bei Schwangeren (nach ESC 2013)
Empfehlung Klasse/Level 7
Ein medikamentöse Therapie bei schwerer Hypertonie (> 160 mmHg systolisch oder IC
> 110 mmHg diastolisch) wird empfohlen
Eine medikamentöse Therapie ist zu erwägen bei dauerhafter RR-Erhöhung: IIb C
• > 150/95 mmHg
• > 140/90 mmHg bei Gestationshochdruck
• bei subklinischem Endorganschaden oder Symptomen
Alpha-Methyldopa, Labetolol und Nifedipin sind die bevorzugten Antihypertensiva. i. v.-Labe- IIa B
tolol oder Nitroprusid sollten bei Notfällen (Präeklampsie) eingesetzt werden
Bei hohem Präeklampsierisiko und niedrigem Risiko für gastrointestinale Blutungen sollte IIb B
niedrig dosiert ASS von SSW 12 bis zur Entbindung gegeben werden
RAAS-Blocker werden nicht empfohlen III C
Der Blutdruck sollte engmaschig kontrolliert werden, ebenso Zeichen einer Präeklampsie (Proteinurie!).
Zum jetzigen Zeitpunkt besteht keine Behandlungsnotwendigkeit der Hypertonie. Sie raten der Patientin,
eine inadäquate Gewichtszunahme zu vermeiden (empfohlene Gewichtszunahme während der Schwanger-
schaft bei BMI < 25 11,2–15,9 kg, bei BMI 25–29,9 6,8–11,2 kg, bei BMI >30 < 6,8 kg). Eine Gewichtsabnahme
in der Schwangerschaft wird nicht empfohlen, ebenso wenig eine salzarme Diät (ESC 2011). Möglicherweise
292 7 Kardiovaskuläre Erkrankungen bei schwangeren Patientinnen und Frauen mit Kinderwunsch
hat auch eine Kalziumsubstitution (mind. 1 g/d) positive Einflüsse auf die Vermeidung einer Präeklampsie
(ESC 2011).
Es gibt Empfehlungen der DGK (2008) und der ESC (2011) zur Schwangerschaft und der ESH/ESC (2013) zur
Hochdruckbehandlung, die in einzelnen Punkten etwas abweichen.
• Alpha-Methyldopa: erste Wahl bei chronischer Gabe (DGK I–B). 15 % Therapieabbruch aufgrund der
Nebenwirkungen (Depression, Mundtrockenheit, Sedierung). Positiver Coombs-Test, hämolytische An
ämie möglich. Blutdruckkrisen bei plötzlichem Absetzen möglich!
• β1-selektive Betablocker: zweite Wahl (DGK I B)
• Hochselektive β1-Blocker bevorzugen, da die Blockade der β2-Rezeptoren den Uterustonus erhöhen und
Wehen auslösen kann. Die umfangreichsten Erfahrungen bestehen mit Metoprolol. Nach ESC 2011 ist
auch Labetolol zu empfehlen.
• Kalziumantagonisten (IIaC): Nifedipin und Diltiazem zeigen hoch dosiert im Tierversuch teratogene Ef-
fekte, in einer randomisierten Studie bei Schwangeren jedoch nicht. Verapamil kann zu AV-Blockierun-
gen und Bradykardien beim Kind führen. Zu neueren Kalziumantagonisten liegen keine ausreichenden
Erfahrungen vor. Die ESC 2011/2013 empfiehlt Nifedipin (p. o.) oder Israpidin (2011; wenn i. v.-Gabe er-
forderlich ist).
• Dihydralazin (DGK IIaC): Kann ohne negative Auswirkungen auf das Kind während der gesamten
Schwangerschaft gegeben werden, hat aber häufig Nebenwirkungen bei der Mutter (Schwindel, Flush,
Kopfschmerzen, Herzklopfen). Wird meist intravenös eingesetzt bei Hochdruckkrisen (von ESC nicht
mehr empfohlen, s. u.).
• Diuretika (IIbC): Zur Hochdruck-Dauertherapie eher zurückhaltend einzusetzen, da plazentare Minder-
perfusion und Wachstumsretardierung drohen.
7 • ACE-Hemmer und AT1-Blocker wirken fetotoxisch. Klinisch gibt es noch keine eindeutigen Daten, die
Substanzen sollten nicht eingesetzt werden. Dies gilt auch für Aldosteronantagonisten und Reninblo-
cker.
LITERATUR
DGK-Leitlinie: Herzerkrankungen in der Schwangerschaft. Clin Res Cardiol 2008; 97: 630–65.
ESC Guidelines on the management of cardiovascular diseases during pregnancy, 2011 ESC Guidelines on the management
of cardiovascular diseases during pregnancy: The task force on the management of cardiovascular diseases during preg-
nancy of the European Society of Cardology (ESC). Eur Heart J 2011; 32:3147–3197.
2013 ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension. DOI:10.1093/eurheartj/eht151
7
KAPITEL
8 Kardialer Check-up
8.1 Keine Beschwerden – kardialer Check-up Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
KASUISTIK
Ein 49-jähriger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor. Er sei gesund und komme ausschließlich auf Drängen seiner Frau,
deren beste Freundin gerade ihren Ehemann wegen eines tödlichen Herzinfarkts verloren habe. Er arbeitet als Wirt in
seiner eigenen Kneipe. Er ist 178 cm groß und wiegt 98 kg. Die Helferin hat am rechten Arm einen Blutdruck von
150/90 mmHg gemessen, links 160/90.
Der Patient hat einen Body-Mass-Index (BMI) von 98 ÷ (1,78 × 1,78) = 30,9, also eine Adipositas Grad I.
BMI-definierte Adipositas: Grad I: 30–34,9, Grad II: 35–39,9, Grad III > 40. BMI 25,0–29,9 gilt als Überge-
wicht, noch nicht als Adipositas.
Eine Differenz der systolischen Werte > 20 mmHg kann auf eine Stenose hinweisen.
296 8 Kardialer Check-up
Sitzend nach 5 min Ruhephase, diastolischer Wert bei komplettem Verschwinden der Töne, adäquate Man-
schettenbreite, bezogen auf den Oberarm.
Der Patient weiß nicht, ob sein Blutdruck erhöht ist, er geht ja nie zum Arzt. Kopfschmerzen hat er nur gelegentlich, aber
öfter ein „rotes Gesicht“.
Ob er zuckerkrank ist, wisse er ebenfalls nicht. Er trinke ca. 3 l täglich, davon etwa 2 Halbe Bier und das eine oder ande-
re Glas Wein.
Die Blutfettwerte sind nicht bekannt.
Der Patient raucht seit dem 14. Lebensjahr, anfangs eine halbe Schachtel Zigaretten, seit etwa Mitte zwanzig eineinhalb
Schachteln Zigaretten pro Tag („Wegen dem Stress im Geschäft, und außerdem sind ja immer weniger drin in den Schach-
teln“).
Familienanamnese: Ob es in der Familie Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung gibt, weiß Ihr Patient nicht. Sie
präzisieren die Frage: „Hatte jemand von den leiblichen Angehörigen einen Herzinfarkt, eine Bypass-OP, einen Stent oder
eine Aufdehnung der Kranzgefäße oder einen Schlaganfall?“ Der Vater habe einen kleinen Herzinfarkt gehabt, als er 60
geworden sei. Der drei Jahre ältere Bruder habe „auch irgendwas mit dem Herzen, er glaube einen Stent“, genaue Infor-
mationen hat der Patient aber nicht.
Bei körperlicher Belastung hat der Patient anamnestisch keine Brustschmerzen oder drückende oder brennende Beschwer-
den, auch keine Luftnot. Ziehende Schmerzen in den Waden oder Oberschenkeln beim Gehen werden verneint, ebenso
einseitige Sehstörungen, Gefühlsstörungen oder Lähmungserscheinungen.
Das Risiko für eine koronare Herzerkrankung ist höher, je näher der Verwandtschaftsgrad und je jünger das
Alter bei Erstmanifestation der KHE ist (insbesondere < 55 Jahren bei Männern und < 65 Jahren bei Frauen).
Wenn der Bruder als erstgradiger Verwandter mit 52 Jahren eine manifeste KHE hat und der Vater als
weiterer erstgradiger Verwandter ebenso, dann besteht eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Patient
ebenfalls erkranken wird.
Bei der körperlichen Untersuchung (Empfehlung nach Nationaler Versorgungsleitlinie KHK: Auskultation von Herz, Lunge,
Karotiden, Überprüfung des Jugularvenendrucks, ggf. der Lebergröße und des hepatojugulären Refluxes, Palpation der
Fußpulse, Suche nach peripheren Ödemen) stellen Sie keine Auffälligkeiten fest außer einem deutlichen Geruch nach
Zigarettenrauch und leicht gelblich verfärbten Fingern an der rechten Hand.
• Taillenumfang: Ein Taillenumfang bei Männern > 102 cm, bei Frauen > 88 cm zeigt ein erhöhtes Risiko
für eine koronare Herzerkrankung an. 8
• ABI (ankle brachial index): Relation der systolischen Blutdruckwerte (gemessen mit Blutdruckmanschet-
te und Doppler) von A. tibialis posterior/A. dorsalis pedis und der A. brachialis. Wenn der Wert unter 0,9
liegt, bestehen eine arterielle Verschlusskrankheit und ein indirekter Hinweis auf eine koronare Herzer-
krankung (Leitlinien DHL). Nach ESC ist die ABI-Messung zur Risikobeurteilung bei Patienten mit mäßi-
gem Risiko mit Klasse IIa B eingestuft.
Die Nüchternglukose liegt bei 84 mg/dl. Das Gesamtcholesterin beträgt 304 mg/dl, das LDL 212 mg/dl, das HDL 56 mg/dl,
die Triglyzeride 181 mg/dl.
298 8 Kardialer Check-up
• Lipoprotein a (nach ESC Indikation Klasse IIb bei Hochrisikopatienten für Rezidivereignis)
• Homocystein (Klasse IIb bei moderatem Risikoprofil)
• hsCRP, Fibrinogen (jeweils nach ESC Indikation Klasse IIb bei moderatem Risikoprofil, Klasse III bei
niedrigem oder hohem Risiko)
• Nierenfunktionsparameter Kreatinin/GFR: chronische Nierenerkrankungen sind mit einem erhöhten
KHK-Risiko assoziiert
Erforderliche Laboruntersuchungen zur Hypertonieabklärung und diesbezügliches Vorgehen › Kapitel 3.7.
Es existieren mehrere Scores zur Risikobeurteilung; zu den bekanntesten zählen die unten genannten:
• Procam-Score (Herzinfarktrisiko innerhalb von 10 Jahren für Männer; für Frauen gilt ein Viertel des für
Männer errechneten Wertes) http://www.chd-taskforce.com/
• ESC heart score (10-Jahres-Risiko für tödliches kardiovaskuläres Ereignis): Hochrisiko wird ab 5 % Wahr-
scheinlichkeit definiert. http://www.escardio.org/communities/eacpr/toolbox/health-professionals/pages/
score-risk-charts.aspx
• CARRISMA-Score (differenziertere Wertung von BMI, Zigarettenzahl und Aktivität): http://www.carrisma.net/
Nach dem Procam-Score hat dieser Patient nach den vorliegenden Werten ein Risiko von 6,0 %, innerhalb
der nächsten 10 Jahre einen Herzinfarkt zu erleiden, nach ESC ein Risiko von 2–3 %, innerhalb der nächsten
10 Jahre einen kardiovaskulären Tod zu erleiden.
EKG: unauffällig (SR, keine alten Infarktzeichen, keine deszendierenden oder horizontalen ST-Senkungen, kein LVH-Hinweis).
Ergometrie: unauffällig (Frequenzziel erreicht, keine klinischen Beschwerden, kein Blutdruckabfall unter Belastung,
keine ERBST unter Belastung).
UKG: Wanddicken grenzwertig, normale systolische Global- und Regionalfunktion, keine diastolische Dysfunktion, Klap-
pen unauffällig.
Bei welchen EKG-Veränderungen unter Belastung gehen Sie von einer relevanten
koronaren Herzerkrankung aus?
Die folgenden Tabellen (› Tab. 8.2, › Tab. 8.3) zeigen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer ko-
ronaren Herzerkrankung in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, klinischer Symptomatik und Ergebnis des
Belastungs-EKG (nach Diamond und Forrester 1979).
8.1 Keine Beschwerden – kardialer Check-up 299
Was machen Sie, wenn das Ruhe-EKG einen Links- bzw. Rechtsschenkelblock
aufweist?
Ein Problem der Belastungs-EKG-Untersuchung zur Ischämiediagnostik ist die teilweise recht niedrige Sen-
sitivität, die auch von der Stenoselokalisation und von der Anzahl betroffener Gefäße abhängt. In einer Meta-
analyse von über 150 Studien an mehr als 24.000 Patienten wurde eine mittlere Sensitivität von 68 ± 16 %
ermittelt (Bandbreite 23–100 %) bei einer Spezifität von 77 ± 17 % (Bandbreite 17–100 %). Die Aussagekraft
wird reduziert, wenn der Patient die vorgesehene Ziel-Herzfrequenz nicht erreicht (220 minus Lebensalter
bei Männern, 200 minus Lebensalter bei Frauen).
Schwierig ist die Beurteilung bei vorbestehenden Erregungsrückbildungsstörungen (ERBST). Die Zunah-
me vorbestehender ST-Senkungen um mehr als 0,1 mV gilt als Ischämiekriterium. Auch eine belastungsin-
duzierte Zunahme von ERBST unter Digitalis-Therapie kann eine Ischämie anzeigen; einige Autoren raten in
diesen Situationen aber primär zu alternativen Ischämie-Provokationstests. Die Ergometrie wird zur Risiko-
beurteilung von asymptomatischen Patienten mit mäßigem Risiko mit Klasse IIb B bewertet (ESC 2012).
Alternativ zum Belastungs-EKG kann die Ischämiediagnostik mit anderen Belastungs- und Diagnostikmoda-
litäten erfolgen: pharmakologische Belastung mit Vasodilatatoren (Adenosin i. v.) oder Katecholaminderiva-
ten (Dobutamin i. v.) in Kombination mit Bildgebung mit Echokardiografie, MRT oder Myokardszintigrafie.
Die Szintigrafie vergleicht regionale Differenzen der Aktivitätsverteilung des eingesetzten Radiopharma-
kons. Bei diffusen Koronarerkrankungen oder Stenosen aller drei Hauptäste können regionale Unterschiede
verborgen bleiben. Stressecho oder -MRT haben hier Vorteile, weil die regionale Kontraktilität beurteilt wer-
den kann.
8
Kennen Sie andere Verfahren zur Risikobeurteilung?
Karotis-Duplexuntersuchung: Man misst die Intima-Media-Dicke (IMD) an der A. carotis communis und
interna 1 cm von der Bifurkation entfernt an der schallkopfnahen und -fernen Seite des Gefäßes auf beiden
Seiten (hochauflösender Schallkopf > 8 MHz). Ein erhöhter Wert für die IMD korreliert mit erhöhtem kardi-
alem und zerebrovaskulärem Risiko. Als Grenzwert gilt eine IMD von 0,9 mm, eine andere Definition be-
trachtet 0,4 mm plus 0,1 mm pro Lebensdekade bei einem Alter von über 40 Jahren als Grenzwert. Wertigkeit
nach ESC: Klasse IIa B bei asymptomatischen Patienten mit mäßigem Risiko.
Was halten Sie von den nichtinvasiven CT-Verfahren zur Risikobeurteilung und
Diagnostik der KHK?
Das Kalkscreening (Agatston-Score) kann zur Risikostratifizierung beitragen, geht aber mit einer mitunter
beachtlichen Strahlenbelastung einher (0,8–10,5 mSv, im Mittel 2,3 mSv). Therapeutische Konsequenzen er-
geben sich aber in der Regel nicht.
8.1 Keine Beschwerden – kardialer Check-up 301
Noch nicht endgültig etabliert ist dagegen die CT-Angiografie der Koronarien (Multislice-CT). Die Strah-
lenbelastung ist erheblich (5–30 mSv, im Mittel 12 mSv) und oft höher als bei der Koronarangiografie. Auch
kann nicht auf jodhaltiges Röntgenkontrastmittel verzichtet werden. Bei Patienten mit Arrhythmien, insbe-
sondere Vorhofflimmern, und bei schneller Herzfrequenz ist eine zuverlässige Untersuchung nicht immer
möglich, ggf. sind sehr hohe Strahlendosen erforderlich. Die CT-Angiografie wird aktuell nicht zum Scree-
ning bei asymptomatischen Patienten empfohlen. Die Durchführung einer CT-Koronarangiografie gilt der-
zeit als vertretbar bei symptomatischen Patienten mit mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit, wenn kein Isch-
ämietest möglich ist oder bei uneinheitlichen Belastungstests. Die Methode hat einen hohen negativ-prädik-
tiven Wert. Zu beachten ist auch, dass der Schweregrad von Stenosen häufig überschätzt wird. Wir messen
der Methode derzeit noch keinen relevanten Stellenwert in der primären Diagnostik der KHK bei und nut-
zen sie in der klinischen Routine nicht, außer in Einzelfällen mit Koronaranomalien oder zur Darstellung
von Bypässen und des Gefäßverlaufs bei der Planung einer interventionellen Wiedereröffnung chronisch
verschlossener Kranzgefäße (CTO). Die Methode wird derzeit von den gesetzlichen Krankenkassen nicht
vergütet.
Die Indikation zur Koronarangiografie besteht (nach Hamm et al. 2008) bei folgenden Patienten:
Empfehlungsgrad I:
• AP-Beschwerden CCS III oder IV, neu oder unter Therapie (Evidenzgrad A)
• Hochrisikopatienten bei nichtinvasiver Testung unabhängig vom Schweregrad der AP (A/C)
Empfehlungsgrad IIa:
• AP-Beschwerden CCS I oder II mit Intoleranz oder fehlender Ansprechbarkeit auf eine medikamentöse
Therapie oder bei wiederkehrender AP trotz medikamentöser Therapie (C)
• Verschlechterung eines Belastungstest-Befunds (bei identischem Protokoll) (C)
• Patienten mit AP-Beschwerden und V. a. KHK (hohe Vortestwahrscheinlichkeit), bei denen eine Belas-
tungsuntersuchung aufgrund von Behinderung oder Erkrankung nicht möglich ist (C)
• Verdacht auf hochgradige Stenose in den proximalen Gefäßabschnitten oder im linken Hauptstamm in
der CT-Angiografie im Mehrzeilen-Spiral-CT (C)
• Personen, bei denen berufsbedingt (z. B. Fremdgefährdung, Piloten) ein sicherer Ausschluss einer KHK 8
bei entsprechendem Verdacht (abnormale Belastungsuntersuchung auch ohne Hochrisikomerkmale oder
andere Risikomerkmale) unabdingbar ist (C)
• Asymptomatische Männer oder postmenopausale Frauen ohne bekannte KHK mit 2 oder mehr Risiko-
faktoren mit abnormalem Befund in den nichtinvasiven Untersuchungen (C)
• Asymptomatische Patienten mit früherem Infarkt und Ischämienachweis (C)
Empfehlungsgrad IIb:
• Stabile AP (CCS I oder II) mit gutem Ansprechen auf medikamentöse Behandlung und fehlendem Isch
ämienachweis (Entscheidung im Einzelfall) (C)
• Bekannte invasiv gesicherte KHK mit Änderung der Symptomatik oder nichtinvasive Untersuchungser-
gebnisse (C)
• Periodische Evaluation nach Herztransplantation (C)
Keine Indikation (Empfehlungsgrad III, Evidenzgrad jeweils C):
• Patient stimmt therapeutischen Konsequenzen grundsätzlich nicht zu
• Patienten mit hoher Komorbidität, deren Untersuchungsrisiko höher ist als der Nutzen durch Sicherung
der Diagnose
302 8 Kardialer Check-up
LITERATUR
Achenbach S, Barkhausen J, Beer M et al. Konsensusempfehlungen der DRG/DGK/DGPK zum Einsatz der Herzbildgebung
mit Computertomographie und Magnetresonanztomographie. Kardiologe 2012; 6:105–125.
Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin. Leitlinie: Diagnostik und Therapie der peripheren
8 arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/065-003.htm
Deutsche Hypertonie Gesellschaft. http://leitlinien.net/046-001.pdf
Diamond GA, Forrester JS. Analysis of probability as an aid in the clinical diagnosis of coronary artery disease. N Engl J Med
1979; 300: 1350–57.
Gianrossi R, Detrano R, Mulvihill D, et al. Exercise-induced ST depression in the diagnosis of coronary artery disease. Circu-
lation 1989; 80: 87–98.
Hamm CW, Albrecht A, Bonzel T, et al. DGK-Leitlinie: Diagnostische Herzkatheteruntersuchung. Clin Res Cardiol 2008; 97:
475–512.
Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie. Deutsche Hochdruckliga e. V. DHL
Mancia G, Fagard R, Narkiewicz K, et al. 2013 ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J
2013; 34: 2159–2219.
Perk J, De Backer G, Gohlke H, et al. European guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice (version
2012) Eur Heart J 2012: 1635–1701.
Sechtem U, Geissler A, Athanasiadis A, Ong P, Mahrholdt H. Diagnostik der koronaren Herzerkrankung mit Computer- und
Magnetresonanztomographie. Internist 2010; 51: 625–38.
Trappe HJ, Löllgen H. Leitlinien zur Ergometrie. Z Kardiol 2000; 89: 821–37.
8.2 Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch 303
KASUISTIK
Ein 57-jähriger Mann stellt sich zu einer Vorsorgeuntersuchung vor, da er mit Freunden eine Alpenüberquerung mit dem
Mountainbike plant. Er gibt an, gesund zu sein. Medikamente werden nicht eingenommen. Beruf: leitender Angestellter
eines großen Unternehmens. Bei der Frage nach der Vorgeschichte berichtet der Patient, bei der Musterung zur Bundes-
wehr habe man ein Herzgeräusch gehört, er sei aber nicht ausgemustert worden und immer voll belastbar gewesen.
Gelegentliche kardiologische Untersuchungen, zuletzt vor 12 Jahren, seien immer ohne medikamentöse oder sonstige
Behandlungsvorschläge geblieben. Gezielte Fragen nach Angina pectoris, Dyspnoe, Herzrhythmusstörungen, Schwindel
und Ödemen werden verneint. Vaskuläres Risikoprofil: Nichtraucher, keine familiäre Disposition, Blutdruck grenzwertig
(Gelegenheitsmessungen mit dem Gerät der Ehefrau, die Diabetikerin ist, ergaben systolische Werte von 140–150 mmHg,
diastolisch um 80 mmHg). Eine Laboruntersuchung vor etwa einem Jahr habe eine normale Nüchternglukose ergeben, das
Gesamtcholesterin war bei 212 mg/dl, HDL bei 69 mg/dl.
Der Patient nimmt die Gelegenheit wahr, Sie zu fragen, wie hoch sein Risiko ist, ebenso wie seine Frau an Diabetes
mellitus zu erkranken.
Es gibt Scores zur Berechnung des individuellen Diabetesrisikos (www.diabetes-risiko.de). Nach Beantwor-
tung der nachstehend genannten 8 Kriterien (› Tab. 8.4) z. B. zeigt eine Gesamtpunktzahl < 7 ein Risiko
von 1 % an, innerhalb der nächsten 10 Jahre an Diabetes zu erkranken. Bei 7–11 Punkten liegt das Risiko bei
4 %, bei 12–14 Punkten bei 17 %, bei 15–20 Punkten bei 33 %, bei über 20 Punkten beträgt das Risiko 50 %!
Tab. 8.4 Kriterien zur Beurteilung des Risikos, an Diabetes mellitus zu erkranken
Kriterium Punkte
0 1 2 3 4 5
Alter < 35 35–44 45–54 55–64 64
Familienanamnese Diabetes nein entfernter Verwandte nahe Verwandte:
(Großeltern, Onkel/ Eltern, Geschwister,
Tante, Cousin[e]) Kinder 8
Taillenumfang in Bauchnabel- < 80 80–88 > 88
höhe (cm) < 94 94–102 > 102
Frau
Mann
Körperliche Bewegung täglich ja nein
mindestens 30 min
Ernährung: täglich Obst, ja nein
Gemüse, dunkles Brot
Wurden früher schon einmal nein ja
Antihypertensiva verordnet?
Wurden früher erhöhte Gluko- nein ja
sewerte gemessen?
BMI < 25 25–30 > 30
304 8 Kardialer Check-up
Die körperliche Untersuchung des 179 cm großen, 74 kg schweren Mannes in gutem AZ, RR 140/90, HF 64, ergibt einen
unauffälligen pulmonalen Befund. Bei der kardialen Auskultation ist ein bandförmiges 4⁄6-Systolikum mit p. m. über Mi
tralareal und Ausstrahlung in die Axilla zu hören. Kein Strömungsgeräusch über den Karotiden. JVD ist normal, keine
Ödeme, periphere Pulse seitengleich tastbar.
Ihre Verdachtsdiagnose lautet: Mitralklappeninsuffizienz.
Zur weiteren Klärung veranlassen Sie ein Echokardiogramm, zusätzlich ein EKG und eine Ergometrie.
Transthorakales Echokardiogramm: M-Mode: Ao 33 mm, LA 46 mm, LVEDD 60 mm, LVESD 36 mm, FS 40 %. IVSed
13,8 mm, LWHed 12,4 mm. 2D-Befund: leichte LVH, keine regionale Wandbewegungsstörung. Ausgeprägter Prolaps des
hinteren Mitralsegels, kein erkennbarer Sehnenfadenabriss. Dopplersonografisch höhergradige Mitralinsuffizienz. Über
Tricuspidalsignal ist ein RV-Druck von 28 mmHg (plus normaler JVD) zu bestimmen (› Abb. 8.1).
Abb. 8.1 TTE: links: deutlicher Prolaps der hinteren Mitralsegels im 2D-Vierkammerblick; rechts: im Farbdoppler ausgeprägte
Mitralinsuffizienz mit Jetrichtung zum Vorhofseptum [M758]
8.2 Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch 305
Wie gehen Sie weiter vor? Welche weiteren Untersuchungen sind sinnvoll?
LZ-EKG: Sinnvoll, wenn Sie paroxysmales Vorhofflimmern vermuten. Die Angaben dieses Patienten lassen 8
aber nur eine geringe „Trefferwahrscheinlichkeit“ vermuten.
In der Tat bestand durchgehend SR, Durchschnitts-HF 73/min (52–123). Mäßig viele VES, keine komple-
xen Arrhythmien.
Röntgen-Thorax: Sinnvoll als Ausgangsbefund zur Verlaufsbeurteilung, aber nicht zwingend erforderlich,
wenn Sie jetzt keine Operation planen.
Herzkatheter mit Koronarangiografie, Lävokardiografie: Wäre zur weiteren Planung erforderlich, wenn
Sie jetzt eine Operation in die Wege leiten würden. Außerdem sollten Sie die invasive Diagnostik um eine
Rechtsherzkatheteruntersuchung mit Oxymetrie erweitern, um evtl. Shunts (z. B. ASD/PFO) zu erkennen.
Die AHA/ACC-Empfehlungen zur invasiven Diagnostik bei Mitralinsuffizienz:
Klasse I:
• Lävokardiografie und hämodynamische Messungen sind indiziert, wenn nichtinvasive Untersuchungen
inkonklusiv sind bezüglich des Schweregrads der Mitralinsuffizienz, der LV-Funktion oder der Indikation
zur Operation (Klasse I C)
• Hämodynamische Messungen sind indiziert, wenn der Pulmonalarteriendruck unproportional ist zum
Schwergrad der MI, bestimmt durch nichtinvasive Tests (Klasse I C)
306 8 Kardialer Check-up
Ergometrie: Abbruch wegen horizontaler ST-Strecken-Senkung V4–6 bis 0,26 mV bei 175 W. Keine AP-Beschwerden,
keine Dyspnoe. Max. RR 190/90 mmHg, HF 123/min. Formal vereinbar mit Ischämiereaktion ohne klinische Beschwerden,
DD falsch positive EKG-Reaktion bei MKP/LVH (› Abb. 8.3).
8
• Lävokardiografie und hämodynamische Messungen sind indiziert, wenn zwischen klinischen und
nichtinvasiven Befunden Diskrepanzen bestehen bezüglich des Schweregrads der Mitralinsuffizienz
(Klasse I C)
• Eine Koronarangiografie ist indiziert vor Mitralklappenoperation bei Patienten mit KHK-Risiko (Klasse I C).
Klasse III:
• Lävokardiografie und hämodynamische Messungen sind nicht indiziert, wenn keine Klappenoperation
bei MI vorgesehen ist (Klasse III C).
Nach ESC-Empfehlungen ist eine Koronarangiografie bei Klappenerkrankungen präoperativ erforderlich bei
Vorliegen folgender Bedingungen: vermutete Ischämie, mehr als ein kardiovaskulärer Risikofaktor, bekannte
koronare Herzerkrankung, linksventrikuläre Dysfunktion, Alter über 40 Jahre bei Männern bzw. Postmeno-
pause bei Frauen (jeweils Klasse I C).
TEE: Wäre zur weiteren Planung erforderlich, wenn Sie jetzt eine Operation in die Wege leiten würden.
Die AHA/ACC-Empfehlungen zur TEE:
Klasse I:
• Präoperative oder intraoperative TEE ist indiziert zur Analyse der Anatomie bei Patienten mit schwerer MI,
um die Möglichkeit der Klappenrekonstruktion zu evaluieren bzw. diese intraoperativ zu steuern (Klasse I B).
8.2 Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch 307
• Transösophageale Echokardiografie ist indiziert zur Evaluation der Mitralinsuffizienz bei Patienten, deren
transthorakales Echokardiogramm keine diagnostischen Informationen zum Schweregrad der MI, Me-
chanismus der MI und/oder zur LV-Funktion geben kann (Klasse I B).
Klasse IIa: Präoperative transösophageale Echokardiografie ist sinnvoll bei asymptomatischen Patienten mit
schwerer MI zur Analyse der Rekonstruktionsmöglichkeit, wenn eine Operation geplant ist (Klasse IIa C).
Klasse III: Transösophageale Echokardiografie ist nicht indiziert zum Routine-Follow-up oder zur Verlaufs-
beurteilung von asymptomatischen Patienten mit Nativklappen-MI (Klasse III C).
Wollen Sie aufgrund der Daten, die Ihnen jetzt vorliegen, bereits eine OP
planen?
Der Patient ist asymptomatisch (NYHA I), EF ist normal, LVESD < 40 mm, er hat SR und keine PHT (wenn
man nur den TI-Wert ohne JVD nimmt): Vertretbar ist die Empfehlung zur Kontrolle in sechs Monaten
(› Abb. 8.4).
Da sehr wahrscheinlich eine Rekonstruktion möglich ist (bei Prolaps des posterioren Segels höhere Wahr-
scheinlichkeit als bei Prolaps des anterioren Segels), könnte man aber auch schon jetzt die Operation in ei-
nem erfahrenen Zentrum in die Wege leiten.
Sie entscheiden sich, dem Patienten, der sich schlagartig vom gesunden Mountainbiker zum herzchirurgi-
schen OP-Kandidaten gewandelt sieht und ziemlich beunruhigt ist, eine Kontrolluntersuchung in drei bis
sechs Monaten vorzuschlagen. Sie könnten zusätzlich eine BNP-Bestimmung durchführen; ein niedriger
Wert hat einen hohen prädiktiven Wert zur Verlaufsbeurteilung.
Mögliche Alternativen zur Analyse, ob eine KHK vorliegt, sind ein Stressecho oder eine Myokardszintigrafie. Wenn
eine baldige Klappenoperation geplant ist, kann man auf diese Untersuchungen jedoch verzichten – angesichts des
Patientenalters über 40 Jahre ist präoperativ ohnehin eine Koronarangiografie erforderlich (ESC, Klasse IC).
Stressecho: Abbruch wegen Ausbelastung bei 200 W (HF 143/min, RR 230/100 mmHg). Keine AP-Beschwerden. In
Ruhe und unter Belastung keine regionale Kontraktionsstörung.
Der PA-Druck unter Belastung wurde nicht abgeleitet.
Duplex-A.-carotis: kalkdichte Plaques, IMD mit 1,5 mm verbreitert. Mäßige Atherosklerose ohne relevantes Strombahn-
hindernis.
Das Stressecho spricht gegen eine prognostisch relevante Koronarischämie, die EKG-Veränderungen können
durch den MKP und die LVH mit bedingt sein. Der Duplexbefund zeigt eine mäßige Atherosklerose. Präope-
rativ sollte aber dennoch eine Koronarangiografie erfolgen, wie nach den ESC-Guidelines empfohlen (s. o.).
308 8 Kardialer Check-up
Reevaluation
Klinische Beurteilung + Echo
Symptome?
nein ja
LV-Funktion? LV-Funktion?
Normale LV-Dysfunktion
LV-Funktion EF < 0,30
EF ≤ 0,60 EF > 0,30
und/oder
EF > 0,60 und/oder ESD ≤ 55 mm
ESD > 55 mm
ESD < 40 mm ESD ≥ 40 mm
Mitralklappen-
ja rekonstruktion ja
Klasse IIa Klasse IIa
wenn nicht möglich,
Mitralklappenersatz
nein nein
Mitralklappen-
Medikamentöse
rekonstruktion
Therapie
wahrscheinlich?*
8
ja* Mitralklappen-
Klasse IIa
rekonstruktion
nein
Klinische Beurteilung
alle 6 Monate
Echo alle 6 Monate
Abb. 8.4 Vorgehen bei schwerer chronischer Mitralinsuffizienz (nach AHA). VHF = Vorhofflimmern, HT = Hypertonie, EF = Aus-
wurffraktion, ESD = endsystolischer Durchmessser; *eine Mitralklappenrekonstruktion kann bei asymptomatischen Patienten mit
normaler LV-Funktion erfolgen, wenn sie von einem erfahrenen Operateur vorgenommen wird und die Wahrscheinlichkeit einer
erfolgreichen Klappenrekonstruktion über 90 % liegt. Der von der ESC 2012 vorgeschlagene Entscheidungsbaum entspricht diesem
Schema weitgehend (beim asymptomatischen Patienten wird von der ESC als ESD-Grenzwert 45 mm angegeben, als Grenzwert bei
der pulmonalen Hypertonie 50 mmHg in Ruhe) [L106]
8.2 Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch 309
Es sollte eine Blutdruckkontrolle stattfinden (auch 24-h-RR), bei Bestätigung der jetzigen Werte sollte eine
Nachlastsenkung erfolgen (z. B. ACE-Hemmer plus Diuretikum auch wegen des PA-Drucks).
Sie empfehlen dem Patienten, starke ruckartige Nachlasterhöhungen (Gewichtheben, auch Mountainbi-
ken) möglichst zu vermeiden, da ein gewisses Rupturrisiko der Chordae besteht. Sie raten zur umgehenden
Wiedervorstellung bei akuter Luftnot und beim Auftreten einer absoluten Arrhythmie.
Sie besprechen die prinzipiellen OP-Möglichkeiten. Klappenrekonstruktion und Ringimplantation offen
oder minimalinvasiv sind die erste Wahl, ein Klappenersatz mit mechanischer Prothese ist die zweite Wahl,
wenn eine Rekonstruktion nicht möglich ist. Eine Bioprothese würde man generell primär nur implantieren
bei ausdrücklichem Wunsch des aufgeklärten Patienten, Unmöglichkeit einer adäquaten oralen Antikoagula-
tion (jeweils ESC Klasse IC), bei eingeschränkter Lebenserwartung oder schweren Zusatzerkrankungen, bei
Alter über 65–70 Jahre, bei geringem Re-OP-Risiko bei erforderlichem Klappenwechsel (jeweils Klasse IIa C)
oder – was hier ja nicht vorliegt – bei jüngeren Frauen mit Kinderwunsch (Klasse IIb C).
Eine Endokarditisprophylaxe ist nach den derzeit geltenden Leitlinien nicht erforderlich, aber als Einzel-
fallentscheidung zulässig. Entsprechend der Meinung des Autors wird die Durchführung der Prophylaxe
nach den bis 2007 gültigen „alten“ Regeln in diesem Fall empfohlen, der Patient wird aber über den aktuellen
Diskussionsstand aufgeklärt. Der Patient hat keine bekannte Antibiotikaallergie, er entschließt sich zur Pro-
phylaxe.
Kontrolluntersuchung: Der Patient kommt nach 5 Monaten zur Kontrolluntersuchung. Er hat einiges hinter sich: We-
gen der für ihn unerwarteten kardialen Befunde ließ er – beschwerde- und symptomfrei – eine Vorsorgekoloskopie
durchführen, bei der ein Kolonkarzinom diagnostiziert und anschließend operativ reseziert wurde. Lokale oder Fernmetas
tasen bestehen nicht.
Der kardiale Untersuchungsbefund ist unverändert.
Verlaufs-Echokardiogramm (Vorwerte in Klammern): M-Mode: Ao 35 (33) mm, LA 48(46) mm. Wohl keine Änderung,
nachdem auch die Aorta größer gemessen wurde (etwas schrägere Anlotung?), LVEDD 64 (60) mm, LVESD 36 (36) mm,
FS 43 (40)%. LVEDD hat gering zugenommen.
IVSed 13,6 mm, LWHed 12,7 mm. Unverändert. Spricht für vergleichbare Anlotungsebene auch der LV-Messung.
2D-Befund: unverändert
Dopplersonografisch unverändert höhergradige Mitralinsuffizienz. Über Trikuspidalsignal RV-Druck von 24 (28) mmHg
(plus normaler JVD) zu bestimmen. Es bestätigt sich, dass keine relevante PHT vorliegt.
EKG: SR, 65/min. Unverändert. 8
Sie empfehlen, weitere drei bis sechs Monate zu warten, auch wenn jetzt durchaus eine Rekonstruktion sinn-
voll und indiziert wäre. Aber: Es könnten jetzt Probleme auftreten im Hinblick auf die Neoplasie; der Patient
müsste postoperativ auch nach einer Rekonstruktion mit Ringimplantation (oder nach Implantation einer
Bioprothese) für drei Monate oral antikoaguliert werden.
Indikation zur Mitralklappenoperation bei Mitralinsuffizienz (nach AHA/ACC 2008 bzw. ESC 2012, die sich
weitgehend entsprechen):
• Gering – mittelgradige Mitralinsuffizienz: Eine isolierte Mitralklappenoperation ist generell nicht indi-
ziert (Klasse III C).
• Schwergradige Mitralklappeninsuffizienz: Generell gilt: Rekonstruktion ist einem Klappenersatz vorzuzie-
hen, es sollte ein erfahrenes Zentrum gewählt werden (Klasse I C; ESC I C).
• Akute schwere MI, Patient symptomatisch: OP indiziert (Klasse I B).
310 8 Kardialer Check-up
Die Behandlung mit Mitra-Clips ist in relativ geringer Fallzahl bei Patienten mit MI evaluiert worden (EVE-
REST-Trials). Die Methode stellt bei Hochrisikopatienten möglicherweise eine Alternative zur chirurgischen
Therapie dar, der endgültige Stellenwert steht aber noch nicht fest. Bei primärer MI sieht die ESC eine Indika-
tion (Klasse IIb C) nur bei symptomatischen Patienten, die inoperabel sind oder ein sehr hohes OP-Risiko
haben und eine geeignete Klappenmorphologie aufweisen, in gemeinsamer Beurteilung von Kardiologen und
Herzchirurgen („heart team“). Ein 2013 vorgelegtes Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaften für Kar-
diologie und Herzchirurgie zur Behandlung der Mitralinsuffizienz gibt eine vergleichbare Empfehlung.
Die Methode der interventionellen Mitralringimplantation (Koronarsinus-Annuloplastie) ist dagegen
weitgehend verlassen worden. Eine interventionelle Behandlung der Mitralinsuffizienz kommt bei der hier
vorliegenden Anatomie unabhängig von den sonst fehlenden Voraussetzungen bei unserem Patienten nicht
8 infrage.
LITERATUR
Feldman T, Foster E, Glower DD, et al. for the EVEREST II investigators. Percutaneous repair or surgery for mitral regurgitati-
on. N Engl J Med 2011; 364: 1395–1406.
Nickening G, Mohr FW, Kelm M, et al. Konsensus der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung
und der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie zur Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz. Kar-
diologe 2013; 7: 76–90.
Nishimura, RA, Carabello, BA, Faxon DP, et al. 2008 Focused Update Incorporated Into the ACC/AHA 2006 Guidelines for
the Management of Patients With Valvular Heart Disease. J Am Coll Cardiol 2008; 52 (http://content.onlinejacc.org/cgi/
content/full/52/13/e1)
Vahanian, A, Alfieri O, Andreotti F, et al. Guidelines on the management of valvular heart disease (Version 2012). The Joint
Task Force on the Management of Valvular Heart Disease of the European Society of Cardiology (ESC) and the European
Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2012; 33: 2451–2496.
8.3 Check-up bei zufällig festgestelltem Bluthochdruck 311
KASUISTIK
Bei einem 40-jährigen Patienten wurden bei einer Betriebsuntersuchung ein erhöhter Blutdruck sowie eine Hypercholes-
terinämie festgestellt. Der Hausarzt stellt den Patienten ohne weitere Ursachenabklärung in den folgenden Wochen auf
eine Medikation mit Amlodipin 2 × 5 mg, Enalapril 2 × 20 mg, HCT 12,5 mg 1 ×/d ein.
Nachdem bei Eigenmessungen RR-Werte von 160/100 mmHg erhoben werden, sucht der Patient einen Kardiologen zur
weiteren Abklärung und Einstellung auf.
Sie überzeugen sich zunächst durch eigene Messungen und ggf. durch die Durchführung einer Langzeit-RR-
Messung davon, dass eine arterielle Hypertonie wirklich vorliegt.
Die Familienanamnese ist unauffällig. Der Patient ist beschwerdefrei, treibt unregelmäßig Sport, rauchte (20 Zigaretten/d
bis vor 2 Jahren, seit dem 20. LJ). Weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren sind nicht bekannt. Keine regelmäßige Medi-
kamenteneinnahme bisher.
Messung der RR-Werte an beiden Armen und am Bein (z. B. Aortenisthmusstenose). Strömungsgeräusche
abdominal (Nierenarterienstenose). 8
Die Messungen ergeben gleiche Werte an beiden Oberarmen (160/110 mmHg), am rechten Bein 180 mmHg systolisch
palpatorisch. Keine Strömungsgeräusche auskultierbar. Gewicht 75 kg, Größe 175 cm.
Woran müssen Sie bei einem 40-jährigen Patienten mit diesen ausgeprägten RR-
Werten denken?
Bei einem relativ jungen Patienten müssen bei diesen Blutdruckwerten sekundäre Hypertonieformen abge-
klärt werden.
312 8 Kardialer Check-up
Wie häufig sind sie und welche sind die klinisch relevantesten?
Sie bestimmen BB, Na, K, Harnstoff, Kreatinin, BZ, Cholesterin, TG, TSH, Urin-Stix, Alb/Eiweiß im Urin und
führen eine Nierensonografie durch. Außerdem ermitteln Sie die glomeruläre Filtrationsrate (GFR).
Bei dem Patienten finden sich keine der hier genannten Zeichen oder Symptome.
Der Kreatininwert betrug 1,2 mg/dl (Norm < 1,2 mg/dl), K+ mit 3,5 mmol/l im unteren Grenzbereich (Norm 3,5–5,0 mmol/l).
Gesamtcholesterin 245 mg/dl, LDL 170 mg/dl und HDL 40 mg/dl. Alle übrigen oben genannten Laborparameter sind un-
auffällig, ebenso die Nierensonografie.
Im EKG und UKG finden sich keine Zeichen einer Hypertrophie.
Gegen regelmäßige sportliche Aktivitäten ist natürlich nichts einzuwenden, eine weitere Abklärung der
Hypertonie sollte jedoch jetzt stattfinden.
Cushing-Syndrom und Phäochromozytom sind klinisch sehr unwahrscheinlich, ebenso eine renoparenchy-
matöse Hypertonie. Ein PHA (auch bei Fehlen des klassischen Vollbilds) sowie eine renovaskuläre Ursache
der Hypertonie müssen noch abgeklärt werden.
PHA: Bei der Mehrzahl der Patienten findet sich entgegen früherer Annahmen ein normokaliämischer
Verlauf, die Häufigkeit beträgt ca. 5–12 % aller Patienten mit arterieller Hypertonie. Für die Diagnostik essen-
ziell ist die Bestimmung der Renin- sowie der Aldosteron-Konzentration und des Aldosteron-Renin-Quo
tienten (ARQ). Verschiedene Antihypertensiva beeinflussen den ARQ und müssen daher vor der Bestim-
mung pausiert werden (Betablocker, Schleifendiuretika, Sartane sowie ACE-Hemmer 1 Woche, Aldoste
ronantagonisten 4 Wochen). Bei einem pathologischen Screeningtest ist ein Bestätigungstest notwendig
(Aldosteronmetaboliten im Urin, Kochsalzbelastungstest).
Ursache des PHA ist zu je 50 % ein Aldosteron-produzierendes NNR-Adenom bzw. eine bilaterale idiopa-
thische NNR-Hyperplasie. Die Therapie besteht in der unilateralen Adrenalektomie bzw. einer lebenslangen
Therapie mit Aldosteronantagonisten.
Nach den Praxisrichtlinien der Endocrine Society von 2008 sollten folgende Patienten einem Screening auf
PHA unterzogen werden:
• Patienten mit schwerer (Grad 3, RR > 180/110 mmHg) oder therapieresistenter Hypertonie (Nichterrei-
chen der Zielblutdruckwerte < 140/90 mmHg trotz geeigneter, maximal dosierter antihypertensiver Drei-
fachkombination, die ein Diuretikum beinhaltet; < 140/85 mmHg bei Diabetes)
• Patienten mit spontaner oder diuretikaassoziierter Hypokaliämie
• Patienten mit zufällig diagnostizierter Raumforderung im Bereich der NR und bestehender Hypertonie.
8
Bei unserem Patienten betrugen nach 1-wöchigem Pausieren von Enalapril sowie HCT das aktive Renin 1.255 mU/l und
Aldosteron 65 ng/l, der Aldosteron/Renin-Quotient 0,1, somit liegt kein Hinweis auf einen PHA vor.
Es muss jetzt eine renovaskuläre Ursache der Hypertonie abgeklärt werden.
Klinische Indikatoren für das Vorliegen einer Nierenarterienstenose (NAST) (nach Voiculescu und Rump
2009):
• Neu aufgetretene Hypertonie vor dem 30. oder nach dem 55. Lebensjahr
• Verschlechterung einer zuvor gut eingestellten Hypertonie
• Therapierefraktäre Hypertonie (RR > 140/90 mmHg) trotz 3 verschiedener antihypertensiver Substanzen
inkl. eines Diuretikums
• Erhöhtes Kreatinin ohne Proteinurie oder Erythrozyturie im Urinstatus
• Erhöhung von Serumkreatinin > 20 % unter ACE-Hemmer/AT1-Blocker
314 8 Kardialer Check-up
Bei unserem Patienten wurde zunächst eine FKDS durchgeführt mit folgendem Ergebnis: Mittelgradige Abgangsstenose
der linken Nierenarterie (408 cm/s), rechte Nierenarterie unauffällig. RI rechts 0,55, links 0,56.
Sehen Sie die Indikation für eine invasive Diagnostik gegeben? Nennen Sie
Kriterien für ein invasives Vorgehen (› Tab. 8.5).
Die Frage, ob eine Revaskularisierung einer alleinigen konservativen Therapie gleichwertig oder überlegen
ist, ist noch nicht abschließend beantwortet. Bei Patienten mit fibromuskulärer Dysplasie ist eine alleinige
8 Ballondilatation vorteilhaft im Hinblick auf eine Besserung der Hypertonie.
Bei Patienten mit atherosklerotischer NAST wird in der Regel die PTA mit einer Stentimplantation kom-
biniert. Die Angaben zum Erfolg dieser Therapie – Verbesserung der Hypertonie und/oder Nierenfunktion
– sind in der Literatur höchst widersprüchlich (in 40–80 % der Fälle Hypertoniebesserung und in 10–50 %
Verbesserung der Nierenfunktion). Generelle Empfehlungen können daher aufgrund der heterogenen Da-
tenlage nicht gegeben werden.
Vergleiche zwischen operativer und interventioneller Therapie der NAST sind schwierig, da die Patienten-
gruppen in der Literatur nicht vergleichbar waren.
Mögliche Prädiktoren für eine Verbesserung von Hypertonie und/oder Nierenfunktion sind in › Tabelle
8.6 genannt.
Bei unserem Patienten liegen erhöhte Blutdruckwerte, der bildmorphologische Nachweis einer NAST so-
wie eine Aktivierung der RAAS-Systems vor, somit ist in dieser speziellen Situation ein invasives Vorgehen in
PTA-Bereitschaft gerechtfertigt.
Bei unserem Patienten bestätigt sich in der invasiven Diagnostik der Befund einer hochgradigen NAST,
zusätzlich zeigt sich eine in der MR-Angiografie (nicht abgebildet) nicht erkennbare Abgangsstenose der obe-
ren Polarterie (› Abb. 8.5, › Abb. 8.6, › Abb. 8.7, › Abb. 8.8, › Abb. 8.9).
8.3 Check-up bei zufällig festgestelltem Bluthochdruck 315
Tab. 8.5 Indikationen zum invasiven Vorgehen bei Patienten mit Nierenarterienstenosen (nach Voiculescu und
Rump 2009)
Mindestens 70-prozentige Nierenarterienstenose
Und schwer einstellbare Hypertonie
• Versagen der medikamentösen Therapie
• ACE-Hemmer-Bedarf und/oder Verschlechterung der Nierenfunktion unter ACE-Hemmer
Und/oder progrediente Nierenfunktionsverschlechterung
• Anstieg des Kreatininwerts im Laufe der letzten Monate
• Anstieg des Kreatinins unter ACE-Hemmer
• Dialysepflichtigkeit ohne Hinweise für andere Parenchymerkrankung und normale Nierengröße
Tab. 8.6 Prädiktoren für die Verbesserung der Hypertonie und Nierenfunktion nach invasiver Therapie einer Nie-
renarterienstenose (nach Voiculescu und Rump 2009)
Prädiktoren für die Verbesserung der Hypertonie Prädiktoren für die Verbesserung der Nierenfunktion
Hoher systolischer Blutdruck Schneller Anstieg des Kreatinins im Laufe der letzten Monate
Diastolischer Druck > 95 mmHg Glomeruläre Filtrationsrate in Szintigrafie erniedrigt
Mittlerer Druck > 110 mmHg Resistance-Index < 0,55
Höhergradige Stenose
Bilaterale Stenosen
Positive Captoprilszintigrafie
Renin-Ratio > 1:2
Resistance-Index < 0,55
Abb. 8.7 Stent im Hauptgefäß mit durch den Stent kompro- Abb. 8.8 Alleinige Ballondehnung der Polarterie [M589]
mittiertem Abgang der oberen Polarterie [M589]
8
Der Patient zeigt sich besorgt über die Möglichkeit des Auftretens einer
Wiederverengung, er möchte wissen, wie häufig diese ist. Wie beantworten Sie
die Frage?
Eine Restenose kann in 10–30 % der Fälle auftreten, die Therapie besteht in einer erneuten PTA (mit und
ohne Stent), in manchen Fällen ist auch eine OP notwendig. Beschichtete Stents scheinen keine Vorteile im
Hinblick auf Restenosen zu bringen.
Der Patient stellt sich 6 Wochen nach der PTA wieder in Ihrer Praxis vor. Unter einer Therapie mit Ramipril 5 mg/d (sowie
ASS 100 mg/d) sind die RR-Werte jetzt normal, wie die dokumentierten Eigenmessungen zeigen. Eine Statintherapie
verweigerte der Patient, er wolle zunächst den Effekt einer Lebensstiländerung auf die Cholesterinwerte abwarten.
8.4 Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 317
Der Patient kommt ein halbes Jahr später zu einer Verlaufskontrolle und
erwähnt, dass er einen Bericht über die Verödung der Nierenarterien zur
Behandlung des Bluthochdrucks gelesen habe. Ihr Praxisassistent möchte von
Ihnen wissen, wie die Methode funktioniere und für wen sie infrage komme.
Bei der sog. renalen Denervation handelt es sich um eine nicht medikamentenbasierte Methode zur Behand-
lung eines therapieresistenten Bluthochdrucks. Ziel der Radiofrequenzablation ist die beidseitige Zerstörung
der mit den Nierenarterien verlaufenden Nervenfasern. Die Rationale ist die gesteigerte sympathische Aktivi-
tät mit Erhöhung u. a. des renalen Gefäßwiderstands, einer gesteigerten Reninfreisetzung und erhöhter Na
triumreabsorption bei hypertensiven Patienten.
Bei einer begrenzten Anzahl von Patienten wurde eine auch über 2 und 3 Jahre anhaltende Senkung des Blut-
drucks und/oder Reduktion der Anzahl und Dosis der antihypertensiven Medikation beobachtet. Auch sind
günstige Effekte auf die diastolische Funktion und die Rückbildung einer linksventrikulären Hypertrophie be-
schreiben. Die Komplikationen dieser neuen Methode sind v. a. durch den femoralen Gefäßzugang bedingt.
Bis Ergebnisse aus größeren Studien vorliegen, soll diese neue Methode nur bei Patienten mit therapiere-
sistenter Hypertonie (> 160/110 mmHg trotz optimaler Medikation) und nur in erfahrenen Zentren durchge-
führt werden.
LITERATUR
Voiculescu A, Rump LC. Hypertonie bei Patienten mit Nierenarterienstenosen. Internist 2009; 50: 42–50.
ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J 2013; 34: 2159–2219.
KASUISTIK
In Ihrer Sprechstunde sind heute mehrere Patienten angemeldet, die operiert werden sollen, aber gegenwärtig orale Antiko-
agulanzien und/oder Plättchenhemmer einnehmen. Die überweisenden Kollegen erbitten diesbezüglich Ihre Stellungnahme. 8
Patient A, ein 76-jähriger Hypertoniker, ist bei permanentem Vorhofflimmern seit 3 Jahren oral antikoaguliert (Ziel INR
2,0–3,0). Herzinsuffizienzsymptome gibt der Patient nicht an, ebenso wenig Angina pectoris. Der Patient ist Nichtraucher.
Auf Nachfragen berichtet er, vor 3 Jahren eine TIA mit Sprachstörung und armbetonter Sensibilitätsstörung gehabt zu
haben. Jetzt soll eine laparoskopische Cholezystektomie durchgeführt werden. Medikation: Marcumar®, Ramipril 10 mg/d,
Bisoprolol 5 mg/d, HCT 12,5 mg/d.
Die mitgegebenen Laborwerte: INR 2,2, Normwerte für BB, Leberwerte, Kreatinin, Na, K. Cholesterin: LDL 138, HDL
45 mg/dl, Glukose 92 mg/dl.
Der CHA2DS2-VASc-Score (validiert für das Schlaganfallrisiko im Langzeitverlauf bei nichtvalvulärem Vor-
hofflimmern; › Kap. 3.8) dieses Patienten ist 5 („H, A2, S2“ = Alter zweifach gewertet, Hypertonus, Z. n.
neurologischem Ereignis, zweifach gewertet. Der früher gebräuchliche CHADS2-Score wäre 4). Der Patient
hat also ein relativ hohes Schlaganfallrisiko ohne Langzeit-Antikoagulation.
318 8 Kardialer Check-up
Man könnte als Analogieschluss annehmen, dass dieser Patient nach Absetzen einer Antikoagulation eben-
falls ein höheres Schlaganfallrisiko hat. Das Blutungsrisiko bei der Operation ist nicht sehr hoch. Man kann
also nach Absetzen der oralen Antikoagulation (OAK) überlappend Heparin in Therapiedosis geben. Nieder-
molekulares Heparin s. c. erfordert keine Therapiekontrolle und ist einfach zu handhaben (› Abb. 8.10).
Eingriff
Vit.-K- Vit.-K-
Antagonist Antagonist
absetzen ansetzen
INR-
Kontrolle
INR-
Kontrolle NMH NMH
Zeit
ca. Tag 7 Tag 4–5 INR < 2 sobald wenn
Blutungs- INR > 2
gefahr vorbei
Nach den Empfehlungen der ESC kann bei Patienten mit Vorhofflimmern ohne mechanische Klappenpro-
thesen, extrapoliert von den jährlichen Thromboembolieraten bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflim-
mern, die Antikoagulation ohne Heparinsubstitution für bis zu eine Woche unterbrochen werden, wenn
chirurgische oder diagnostische Prozeduren, verbunden mit einem Blutungsrisiko, erforderlich sind. Bei
Hochrisikopatienten (insbesondere bei Patienten mit zurückliegendem Schlaganfall, TIA oder systemischer
Embolie) oder bei einer länger dauernden Unterbrechung der oralen Antikoagulation kann Heparin (nieder-
molekular oder unfraktioniert) gegeben werden (subkutan oder intravenös).
Das Positionspapier der DGK (2010) stuft die Risikosituation bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern folgen-
8 dermaßen ein:
• gering: CHADS2-Score 0–2 (keinesfalls frühere zerebrale Embolie)
• mittel: CHADS2-Score 3 oder 4
• hoch: CHADS2-Score 5 und 6, Z. n. zerebraler Embolie in den letzten 3 Monaten.
KASUISTIK
Patientin B, eine 79-jährige, recht rüstige Dame ist ebenfalls wegen permanenten Vorhofflimmers oral antikoaguliert. Sie
hat vor 25 Jahren wegen eines Mitralvitiums (kombiniert mit führender Stenose, Z. n. rheumatischem Fieber) einen Mi
tralklappenersatz erhalten (mechanische Prothese, Björk Shiley Gr. 27). Sie hat keine Beschwerden, fährt täglich ca. 12 km
mit dem Fahrrad zu ihrer Großnichte, um auf deren Kinder aufzupassen. Dabei ist sie leider gestürzt. Es wurde eine
Schenkelhalsfraktur diagnostiziert, die operiert werden muss. Die Medikation besteht seit Jahren unverändert aus Marcu-
mar® (Ziel INR 2,5–3,5) und β-Acetyldigoxin.
8.4 Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 319
Wie beurteilen Sie das Thromboembolierisiko, was empfehlen Sie bzgl. der
Antikoagulation?
Das Positionspapier der DGK (2010) beurteilt das thromboembolische Risiko nach Herzklappenoperation
wie folgt (› Tab. 8.7):
Die Patientin hat ein sehr hohes Embolierisiko (mechanischer MKE, Kippscheibe, Vorhofflimmern). Zu-
sätzlich ist das Risiko einer Thrombose der mechanischen Klappenprothese gegeben. Auch der operative
Eingriff selbst hat ein relativ hohes (Venen-)Thromboserisiko. Es muss überlappend auf alle Fälle eine thera-
peutisch ausreichende Blutverdünnung erfolgen. Dazu ist eine kontinuierliche i. v.-Heparingabe mittels Per-
fusor mit regelmäßiger PTT-Kontrolle erforderlich (AHA/ACC-Klasse I B; nach ESC IIa B). Die dazu erfor-
derliche stationäre Aufnahme ist bei dieser Patientin ohnehin ratsam.
Alternativ zur intravenösen Gabe von Heparin ist nach Empfehlungen der Fachgesellschaften auch die
überlappende subkutane Gabe von niedermolekularen Heparinen möglich (AHA/ACC-Klasse IIb, ESC Ib C),
obwohl es zu dieser Indikation keine ausreichende Datenlage gibt. Es ist auch kein einziges niedermolekula-
res Heparin in dieser Indikation zugelassen. Nicht eingesetzt werden sollten niedermolekulare Heparine bei
schwangeren Klappenpatientinnen, bei höhergradiger Niereninsuffizienz und deutlich übergewichtigen Pati-
enten. Generell, und besonders bei Hochrisikosituationen bzgl. Hyperkoagulabilität (Neoplasien, Infekte),
sollte man i. v.-Heparin bevorzugen.
Empfehlung AHA/ACC 2008 für Klappenprothesen:
• Klasse IB: Bei Patienten mit hohem Thromboserisiko – d. h. mechanischer Klappenprothese in Mitralpo-
sition oder mechanischer Klappe in Aortenposition mit einem Risikofaktor (Vorhofflimmern, Z. n.
Thromboembolie, LV-Dysfunktion, Hyperkoagulabilität, ältere thrombogene Klappenmodelle, mechani-
sche Trikuspidalprothese, mehr als eine mechanische Klappenprothese) – sollte eine intravenöse Gabe
von unfraktioniertem Heparin in Therapiedosis begonnen werden, wenn der INR 2,0 unterschreitet. He-
parin sollte 4–6 h vor dem Eingriff pausiert und so früh wie möglich danach wieder aufgenommen wer-
den, bis der INR-Wert wieder im therapeutischen Bereich liegt.
• Klasse IIb B: Bei Patienten mit hohem Thromboserisiko können subkutane Gaben in therapeutische Dosie-
rungen von unfraktioniertem Heparin (15.000 E alle 12 h) oder niedermolekularem Heparin (100 E pro kg KG
alle 12 h) während der Phase erwogen werden, in denen der INR-Wert im subtherapeutischen Bereich liegt.
Nachfolgend ein mögliches Schema für Patientin B (› Abb. 8.11), wenn die an sich vorzuziehende kontinu-
ierliche i. v.-Gabe von unfraktioniertem Heparin nicht erfolgt und stattdessen niedermolekulares Heparin
(volle Therapiedosis) gegeben werden soll. 8
Eingriff
Vit.-K- Vit.-K-
Antagonist Antagonist
absetzen ansetzen
INR-
Kontrolle
INR-
Kontrolle NMH NMH
Zeit
ca. Tag 7 Tag 4–5 INR < 2,5 INR < 1,5 sobald wenn
Blutungs- INR > 2,5
gefahr vorbei
Das Risiko für eine Klappenthrombose ist geringer als bei Patientin B.
Die Empfehlung der AHA/ACC 2008 lautet:
• Klasse I B: Bei Patienten mit niedrigem Thromboserisiko – d. h. mechanische Klappe in Aortenposition
ohne Risikofaktor (Vorhofflimmen, Z. n. Thromboembolie, LV-Dysfunktion, Hyperkoagulabilität, ältere
thrombogene Klappenmodelle, mechanische Trikuspidalprothese, mehr als eine mechanische Klappen-
prothese) – kann Warfarin 48–72 h vor dem Eingriff beendet (sodass INR unter 1,5 fällt) und innerhalb
von 24 h nach dem Eingriff wieder begonnen werden. Heparin ist üblicherweise nicht erforderlich.
8.4 Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 321
Bei den Zeitangaben dieser Empfehlung ist zu beachten, dass Warfarin (Coumadin®) eine deutlich kürzere
Halbwertszeit hat (Eliminationshalbwertszeit 50 h, Wirkdauer 3–5 d) als das hierzulande übliche Phenpro-
coumon (Marcumar®, Eliminationshalbwertszeit 150 h, Wirkdauer 7–10 d). Acenocoumarin (Sintrom®; Eli-
minationshalbwertszeit 9 h, Wirkdauer 1–3 d) wird in Deutschland aktuell nicht vertrieben.
Bei Pausieren der OAK muss bei unserem Patienten C eine überlappende Gabe von Heparin nach den
AHA-Leitlinien also nicht zwingend erfolgen. Die ESC schließt sich dieser Empfehlung jedoch nicht an, son-
dern empfiehlt bei mechanischen Prothesen eine überlappende therapeutische Heparingabe (Klasse I C). Da-
bei ist nach ESC 2012 die i. v.-Heparin-Gabe der überlappenden subkutanen Gabe von UFH-Heparin vorzu-
ziehen (Klasse IIa C). Alternativ kann niedermolekulares Heparin in Therapiedosis gegeben werden (Klasse
IIa C), obwohl hierfür keine Zulassung besteht. UFH sollte 4 h vor der OP pausiert werden, niedermolekula-
res Heparin > 12 h.
Drei Monate später muss bei Herrn C. ein Weisheitszahn gezogen werden. Ihre
Empfehlung?
Der Patient fragt Sie, ob eine Umstellung auf einen „der neuen Blutverdünner“
möglich wäre – er habe Berichte in der Presse gelesen, dass Marcumar® „ein
Auslaufmodell“ sei.
Nein. Bei Klappenprothesen sind die neuen direkten Antikoagulanzien nicht zugelassen. Aufgrund der Ver-
gleichsstudie (RE-ALIGN) Dabigatran – OAK, die wegen höherer Thromboembolierate und höherer Blu-
tungskomplikationen im Dabigatran-Arm vorzeitig abgebrochen wurde, gelten NOAK zur Antikoagulation
bei mechanischen Klappenprothesen derzeit als kontraindiziert.
KASUISTIK 4
Patient D. ist ein 75-jähriger Herr. Es soll ein Weisheitszahn gezogen werden. Er hat paroxysmales Vorhofflimmern und
einen nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Kardiale Beschwerden bestehen nicht. Der Blutdruck und die Cholesterin-
werte sind normal. Therapie: Marcumar® (INR 2,0–3,0), Bisoprolol 5 mg/d, Metformin 1 × 850 mg/d.
Der Patient liegt mit einem CHA2DS2-VASc-Score von 2–3 (CHADS2-Score 1–2; Risikofaktoren Alter, Diabe-
tes) im niedrigen Risikobereich. Aber auch das Blutungsrisiko bei der Zahnextraktion ist relativ gering. In
einer Analyse von 774 Zahnextraktionen unter OAK waren nur 12 Nachblutungen zu verzeichnen (sieben der
Patienten hatten eine INR > 4,0, fünf > 2,5).
Man kann also, wenn der Zahnarzt keine größeren Schwierigkeiten bei der Blutstillung sieht, den INR-
Wert auf 2,0 absenken und darunter den zahnärztlichen Eingriff vornehmen (analog zur ESC-Empfehlung
bei Klappenpatienten). Alternativ könnte man auch die orale Antikoagulation pausieren ohne überbrücken-
de Heparinisierung (› Kasuistik 1).
KASUISTIK 5
Patient E. ist 68 Jahre alt. Er erhielt vor 10 Jahren eine Bypassoperation (LIMA auf LAD, Venengrafts auf RCA und RCX
bei zugrunde liegender Hauptstammstenose und kollateralisiertem RCA-Verschluss). Eine Koronarangiografie vor 7 Mo-
naten (uncharakteristische Beschwerden, aber Ischämiezeichen in der Ergometrie) zeigte keinen Revaskularisationsbe-
darf, die Bypässe waren in Ordnung. Die Ventrikelfunktion war normal, es wurde eine hypertensive Herzerkrankung dia-
gnostiziert. Es besteht Sinusrhythmus. Der Patient soll sich jetzt wegen eines karzinomverdächtigen Befunds einer Ober-
8
lappenteilresektion der linken Lunge unterziehen. Medikation: ASS 100 mg/d, Simvastatin 20 mg/d, Metoprolol 2 ×
47,5 mg/d, Enalapril 2 × 10 mg/d. Der Chirurg möchte im ASS-freien Intervall operieren.
Systematische Untersuchungen zeigten, dass die Unterbrechung einer Plättchenhemmertherapie bei bekann-
ter KHK zu einer über dreifachen Erhöhung größerer perioperativer kardialer Komplikationen führt. Ande-
rerseits besteht beim Eingriff an der Lunge ein hohes Blutungsrisiko (› Tab. 8.8).
Die ESC-Leitlinien empfehlen die perioperative Fortsetzung einer ASS-Therapie (IIa B). Das Absetzen von
ASS sollte nur bei Patienten erwogen werden, bei denen intraoperativ eine erschwerte Blutstillung zu erwar-
ten ist (IIa B).
Bei Patient E. ist es daher vertretbar, ASS zu pausieren, wenn dies vom Operateur gefordert wird. Postope-
rativ sollte möglichst früh wieder mit ASS begonnen werden.
8.4 Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 323
KASUISTIK 6
Patient F., 68 Jahre, starker Raucher, hat eine generalisierte Arteriosklerose. Er hat bereits mehrfach Koronarstents
erhalten, zuletzt vor 2 Monaten. Jetzt soll ein infrarenales größenprogredientes, aber nicht rupturiertes Bauchaortenaneu-
rysma operiert werden. Medikation: ASS, Bisoprolol, Ramipril, Diuretikum, Statin. Nähere Angaben liegen nicht vor.
Sie müssen herausfinden, welche Koronarstents (bare metal stents, BMS, oder drug eluting stents, DES) zu
welchem Zeitpunkt implantiert wurden. Die Tatsache, dass der Patient nur ASS einnimmt und keine Kombi-
nation mit Clopidogrel, weist darauf hin, dass zuletzt ein BMS implantiert wurde. Wenn dies korrekt ist und
innerhalb der letzten 12 Monate auch kein DES an anderer Stelle eingesetzt wurde, könnte man ASS pausie-
ren, wenn der Operateur dies fordert und der Eingriff nicht verschoben werden kann. Besser wäre jedoch die
OP unter ASS oder ein Verschieben der OP, wenn der Eingriff ohne ASS durchgeführt werden soll.
Das Risiko perioperativer Komplikationen unter ASS-Pause ist höher als bei Patient E., da ein zusätzliches
Stentthromboserisiko vorliegt!
KASUISTIK 7
Patient G., 63 Jahre, insulinpflichtiger Diabetiker, metabolisches Syndrom, hat eine koronare Dreigefäßerkrankung. Es
wurden mehrfach Koronarstents implantiert: in die LAD medial ein DES vor 4 Monaten, in den RCX ein DES proximal vor
5 Monaten, in die RCA proximal langstreckig drei DES überlappend vor 9 Monaten. Ein Stressechokardiogramm vor
2 Monaten war ohne Ischämienachweis. Der Patient soll wegen zunehmender Beschwerden bei zugrunde liegender Kox
arthrose beidseits eine Hüftendoprothese erhalten. Er nimmt unter anderem ASS 100 mg und Clopidogrel 75 mg ein.
Der Patient hat ein relativ hohes Stentthromboserisiko. Es handelt sich um eine elektive Operation. Es wäre 8
zu empfehlen, abzuwarten, die duale Plättchenhemmung bis 12 Monate nach der letzten DE-Stent-Implanta-
tion fortzuführen und danach unter Fortsetzung der ASS-Therapie zu operieren. Auch der Einsatz von Ibu-
profen sollte vermieden werden, da ein Interaktionspotenzial mit Wirkverlust von ASS möglich ist! Diclofe-
nac ist allerdings auch keine Alternative: Seit Juli 2013 gilt die Substanz als kontraindiziert bei Herzinsuffizi-
enz HYHA II–IV, ischämischer Herzerkrankung, pAVK und zerebrovaskulärer Erkrankung!
Das Vorgehen bei bestehender dualer Plättchenhemmung kann nach folgendem Schema erfolgen (› Abb.
8.12):
324 8 Kardialer Check-up
lebensbedrohlich/
dringlich elektiv
nicht aufschiebbar
Thromboembolie-
Risiko:
hoch moderat
erwägen
Clopidogrel Eingriff
OP unter
OP unter absetzen aufschieben bis
Bridging
fortgesetzter zum Ende der
mittels
Plättchen- invasiver Eingriff Indikation zur
kurz wirksamen
hemmung unter alleiniger Plättchen-
IIb/IIIa-Hemmern
ASS-Therapie hemmung
Thrombozyten- Monitoring
konzentrale empfehlenswert
bereithalten oder
prophylaktische
Gabe erwägen
Abb. 8.12 Indikation für OP oder anderen invasiven Eingriff (nach Spannagl und Spannagel; mit freundlicher Genehmigung) [L106]
KASUISTIK 8
Patient H., 77 Jahre alt, hat seit Jahren eine arterielle Hypertonie und permanentes Vorhofflimmern. Er ist jetzt herzin-
suffizient (NYHA II–III) bei Z. n. Vorderwandinfarkt vor 3 Monaten. Damals wurde in der Akutsituation ein DES in die
8 proximale LAD implantiert bei Dreigefäßerkrankung (sonstiger Koronarstatus: die RCA, kleines Gefäß, war distal diffus
50–75 % stenosiert, der groß angelegte RCX war medial 50–75 % stenosiert). Die aktuelle Therapie besteht aus ASS
100 mg/d, Clopidogrel 75 mg/d, Marcumar® (Ziel INR 2,0–2,5, aktueller Wert 2,4), Bisoprolol, Ramipril, Torasemid, Eple-
renon sowie Simvastatin. Jetzt verschlechtert sich das Befinden, der Patient hat Angina pectoris unter Belastung (auch
während der Ergometrie), aber keinen objektiven Ischämienachweis. Es ist eine erneute Herzkatheteruntersuchung ge-
plant mit ggf. Druckdrahtevaluation des RCX.
Die Kombinationstherapie ASS und Clopidogrel sollte unbedingt beibehalten werden, gerade wenn an eine
Progression der KHK oder eine Instent-Restenose gedacht wird und möglicherweise erneut interveniert wer-
den muss. Außerdem liegt die DES-Implantation relativ kurz zurück, hier droht bei Absetzen der Plättchen-
hemmer eine akute Stentthrombose. Risikofaktoren für eine Stentthrombose sind nachfolgend zusammenge-
stellt. Die orale Antikoagulation sollte aber zurückgenommen werden. Bei elektiven Katheteruntersuchungen
wird generell eine INR < 1,8–2,0 zum Eingriffszeitpunkt angestrebt. Bei Patient G. mit einem CHA2DS2-
8.4 Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 325
VASc-Score von 5 („C, H, A2, VASc = KHK)“ besteht ein höchstgradiges Embolierisiko. In dieser Situation
würde man auch angesichts der fortgeführten dualen Plättchenhemmung keine überlappende LMW-Hepa-
rin-Gabe empfehlen (› Kasuistik 1).
Risikofaktoren für Stentthrombose:
• Therapiebezogen: (gilt für DES und BMS): Vorzeitiges Absetzen der Plättchenhemmertherapie (unter-
schiedliche Zeitvorgaben für BMS und DES)
• Patientenbezogen: (gilt für DES und BMS):
– eingeschränkte LV-Funktion
– Diabetes mellitus
– Niereninsuffizienz
– akutes Koronarsyndrom
– ASS- und/oder Clopidogrelresistenz
• Prozedurbezogen: (DES und BMS)
– Bifurkationen
– lange Läsionen
– kleine Gefäße
– mehrfache Stents
– inkomplette Stentapposition
– Hauptstammintervention
– Z. n. Brachytherapie
– überlappende Stents (nur bei DES).
Der Patient erhält einen zusätzlichen Stent (DES), der im RCX implantiert wird. Er
fragt nach einer Umstellung von Marcumar® auf Rivaroxaban. Dies habe ein
Bekannter mit Vorhofflimmern ebenfalls vor Kurzem erhalten, er sei sehr
zufrieden, weil er nicht mehr so oft zur Blutkontrolle gehen müsse.
Die Kombination der NOAKs mit Plättchenhemmern, insbesondere mit dualer Plättchenhemmung, geht mit
einem erhöhten Blutungsrisiko einher. Auch wegen aktuell nicht sehr guter Datenlage wird diese Kombina
tion derzeit generell nicht empfohlen.
8
KASUISTIK 9
Patient I, 76 Jahre alt, Hypertonus, Vorhofflimmern, Diabetes, nimmt täglich 15 mg Rivaroxaban zur Thromboembolie-
prophylaxe ein. Kardiale Beschwerden bestehen nicht, ein Belastungs-EKG und ein Herzultraschall seien vor Kurzem er-
folgt und ohne wesentliche Auffälligkeiten gewesen. Geplant ist jetzt ein Hüftkopfersatz, der Eingriff soll nicht unter
laufender Blutverdünnung erfolgen.
Das Thromboembolierisiko ist mittelgradig (CHA2DS2-VASc-Score 4). Die neuen direkten oralen Antikoagu-
lanzien müssen präoperativ nur kurz pausiert werden (› Kap. 2.7), sodass ein Bridging nicht erforderlich ist.
LITERATUR
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326 8 Kardialer Check-up
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KASUISTIK
Sie kommen als Konsiliarius auf eine gefäßchirurgische Station und werden gebeten, ein kardiologisches Konsil für einen
Patienten, der an einem 5,5 cm großen Bauchaortenaneurysma offen operiert werden soll, abzugeben.
Beim präoperativen Konsil muss man sich zunächst klarmachen, wie risikoreich der geplante Eingriff sein
wird. In den ESC-Guidelines finden sich dazu folgende Angaben (› Tab. 8.9).
Unser Patient soll sich also einem Eingriff mit einem hohen perioperativen Risiko unterziehen.
Sie erheben folgende anamnestische Befunde: 72-jähriger Patient, 172 cm groß und 91 kg schwer (BMI 30,76), arte-
rielle Hypertonie seit 22 Jahren. Diabetes mellitus, der seit 3 Jahren mit Metformin behandelt wird. Der Patient raucht seit
seinem 20. Lebensjahr (52 pack years).
8.5 Perioperative Risikoabschätzung 327
Das Bauchaortenaneurysma wurde anlässlich einer Routineuntersuchung beim Hausarzt diagnostiziert, der Patient ist
klinisch beschwerdefrei. Die aktuelle Dauermedikation besteht aus:
Metformin 850 mg 1–0–1
Ramipril 5 mg 1–0–1
Sind diese Angaben für die Entscheidung über das weitere Prozedere
ausreichend?
Die Guidelines empfehlen die Anwendung von Risikoindices, insbesondere des Lee-Index zur präoperativen
Risikostratifizierung (Klasse 1 A; Lee 1999).
Lee-Index:
• Kriterien
– Hochrisikochirurgie 1 Punkt
– Koronare Herzerkrankung 1 Punkt
– Herzinsuffizienz 1 Punkt
– Zerebrovaskuläre Erkrankungen 1 Punkt
– Insulinpflichtiger Diabetes mellitus 1 Punkt
– Serum-Kreatinin > 2 mg/dl 1 Punkt
• Interpretation:
– 0 Punkte: Klasse 1, sehr niedriges Risiko (0,4 % Komplikationen)
– 1 Punkt: Klasse 2, niedriges Risiko (0,9 % Komplikationen)
– 2 Punkte: Klasse 3, mittleres Risiko (6,6 % Komplikationen)
– 3 Punkte: Klasse 4, hohes Risiko (> 11 % Komplikationen)
• Durch das Score-System vorhergesagte Komplikationen:
– Herzinfarkt
– Lungenembolie
– Kammerflimmern
– Herzstillstand
– AV-Block Grad III.
Sie brauchen somit noch Angaben über frühere Herzinfarkte, Schlaganfälle, Herzinsuffizienz und Nierenwerte.
Des Weiteren sollten Sie sich ein Bild über die funktionelle Kapazität – gemessen in Metabolic Equivalents 8
(MET) – machen. Dies kann entweder durch eine Belastungsuntersuchung oder durch Erfragen von Alltags-
aktivitäten erfolgen. Geht man beim Grundumsatz von 1 MET aus, so leistet ein Patient, der sich selbst versor-
gen kann, der zwei Treppen hochsteigen und auf der Ebene 100 Meter mit einer Geschwindigkeit von 3 bis
5 km/h gehen kann, 4 MET.
Die „Grenze“ von 4 MET geht in die Empfehlungen der ESC und der AHA/ACC ein.
Die ESC-Guidelines geben bei unserem Patienten für die Durchführung der genannten Untersuchungen
nachfolgende Evidenzniveaus an (› Tab. 8.10; › Tab. 8.11; › Tab. 8.12; › Tab. 8.13):
Sie sehen also, dass die Stressechokardiografie nach Ansicht der ESC nicht zwingend notwendig gewesen
wäre. Auch eine präoperative Koronarangiografie ist nicht zwingend indiziert (IIb B nach ESC; › Tab. 8.14).
328 8 Kardialer Check-up
Hier ergibt sich als Befund eine koronare Herzerkrankung mit einer 75-prozentigen Stenose am Ramus inter-
ventrikularis anterior (RIVA) sowie diffusen nicht hochgradigen Stenosen am Ramus circumflexus und an
der rechten Kranzarterie.
Die Operation eines Bauchaortenaneurysmas von 5,5 cm Größe ist eine rein prophylaktische Maßnahme. Die
beschriebenen Vorteile für das operative Vorgehen kommen nur bei niedrigem perioperativem Risiko zum
Tragen. Bei dokumentierter KHK mit Ischämienachweis bereits bei geringer Belastung sollte zunächst eine
Revaskularisation des RIVA durchgeführt werden. Im Idealfall kann dies durch Implantation eines unbe-
schichteten Stents erfolgen. Die Operation am Bauchaortenaneurysma kann dann im Intervall nach Beendi-
gung der dualen Plättchenhemmung unter Weiterführung einer antithrombozytären Monotherapie erfolgen.
Bei komplexer Morphologie der RIVA-Stenose ist zu entscheiden, ob ein oder mehrere Drug-eluting-Stents
implantiert werden oder ob eine minimalinvasive Bypass-Technik (MIDCAB) zur Anwendung kommt.
Die Operation des Bauchaortenaneurysmas sollte unter konsequentem perioperativem Monitoring der kar-
dialen Funktion und des Blutzuckerspiegels durchgeführt werden. Metformin sollte pausiert werden, ggf. ei-
ne Umstellung auf eine Insulintherapie erfolgen.
Die Medikation mit dem ACE-Hemmer kann perioperativ pausiert werden, da eine normale linksventriku-
läre Funktion besteht (IIa C). Die zusätzliche Medikation mit einem Betablocker ist empfehlenswert (Klasse I
B). Hierüber wird derzeit kontrovers diskutiert, da die den Empfehlungen zugrunde liegenden Studien eines
Autors zurückgezogen werden mussten. Es sollte 30 bis spätestens 7 Tage vor der Operation eine Statinthera-
pie eingeleitet (ESC Klasse I B) und diese dann auch perioperativ fortgesetzt werden (Klasse I C).
LITERATUR
Boersma E, Kertai MD, Schouten O. Perioperative cardiovascular mortality in noncardiac surgery: validation of the Lee cardiac
8 risk index. Am J Med 2005; 118: 1134–41.
Lee TH, Marcantonio ER, Mangione CM, et al. Derivation and prospective validation of a simple index for prediction of car-
diac risk of major noncardiac surgery. Circulation 1999; 100: 1043–9.
Poldermans, D, Bax JJ, Boersma E, et al. Guidelines for pre-operative cardiac risk assessment and perioperative cardiac ma-
nagement in non-cardiac surgery. Eur Heart J 2009; 30: 2769–812.
KASUISTIK
Ein 22-jähriger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor. Der Hausarzt hatte dazu geraten, weil im Alter von einem Jahr
eine Operation eines angeborenen Herzfehlers erfolgt war. Die letzte kardiologische Untersuchung erfolgte vor über 10
Jahren, eine Röntgenaufnahme der Lunge vor einem Jahr. Er fühlt sich gut belastbar, hat keine Luftnot, Ödeme oder
subjektiv empfundene Herzrhythmusstörungen. Keine AP-Beschwerden. An Medikamenten werden Rocaltrol und Kalzium
wegen niedriger Kalziumwerte eingenommen. Der Patient raucht Zigaretten (bisher 7 pack years).
Die körperliche Untersuchung des 176 cm großen, 78 kg schweren Patienten zeigt einen guten Allgemeinzustand. Die Gesichts-
züge scheinen etwas auffällig. Der Blutdruck beträgt 110/70 mmHg, Herzfrequenz 80, Puls regelmäßig. Normaler JVD, kein
8.6 Kontrolle nach Herzoperation im Kindesalter 331
Welche ist die Methode der Wahl, wenn die RV-Funktion nicht eindeutig mit der
Echokardiografie zu beurteilen ist?
Herzschatten vergrößert, etwas angehobene Herzspitze. Keine Zeichen einer pulmonalen Minderperfusion.
Keine Stauungszeichen, Infiltrate oder Ergüsse. Rechts verlaufender Aortenbogen.
Das Fax mit den Vorbefunden trifft ein: Z. n. Korrektur-OP bei Fallot-Tetralogie mit VSD-Patch, Pulmonalkommissuroto-
mie, Infundibulumresektion, Direktverschluss ASD Typ 2. Rechtsseitiger Aortenbogen. Mikrodeletion 22q11 mit partiellem
DiGeorge-Syndrom. Hypoparathyreoidismus.
Die Kombination von angeborenen Herzfehlern mit sonstigen Fehlbildungen ist nicht selten. Bei Fallot-Pa
tienten ist der rechtsverlaufende Aortenbogen in 25 % der Fälle zu finden. Beim DiGeorge-Syndrom kann es
8 durch embryonale Entwicklungsstörungen im Bereich der 3. und 4. Schlundtasche neben Anomalien an Herz
und Aorta auch zur Nichtanlage der Nebenschilddrüsen, des Thymus und zu fazialen Fehlbildungen kommen.
Da diese Patienten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Herzrhythmusstörungen haben,
sollte ein Langzeit-EKG erfolgen. Es zeigte im vorliegenden Fall außer vereinzelten VES und SVES keine we-
sentlichen Auffälligkeiten, insbesondere keine komplexen ventrikulären Arrhythmien oder Vorhofflimmern.
Es besteht bei diesem Krankheitsbild die Möglichkeit, dass periphere Pulmonalarterienstenosen vorliegen.
Klinisch und nach dem Röntgenbild zu urteilen spricht jetzt wenig dafür. Falls ein diesbezüglicher Verdacht
bestünde, würde man eine MRT durchführen. Bei relevanten Stenosen würde man dann ein interventionelles
Stenting der Stenosen anschließen.
8.6 Kontrolle nach Herzoperation im Kindesalter 333
LITERATUR
Baumgartner H, Bonhoeffer P, De Groot NM, et al. ESC Guidelines for the management of grown-up congenital heart di-
sease (new version 2010): The Task Force on the Management of Grown-up Congenital Heart Disease of the European
Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2010; 31(23): 2915–57.
Schmaltz AA, Bauer U, Baumgartner H, et al. Medizinische Leitlinie zur Behandlung von Erwachsenen mit angeborenen
Herzfehlern (EMAH). Clin Res Cardiol 2008; 97: 194–214.
8
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