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Klinikleitfaden

Orthopädie
Unfallchirurgie
8. Auflage

Herausgeber:
Prof. Dr. med. Steffen Breusch FRCSEd, Edinburgh
Prof. Dr. med. Michael Clarius, Bad Rappenau
Dr. med. Hans Mau, Hamburg
Prof. Dr. med. Desiderius Sabo, Heidelberg

Mit Beiträgen von: Priv.-Doz. Dr. med. Rainer Abel, Bayreuth; Priv.-Doz. Dr. med. Ole
Ackermann, Mettmann; Dr. med. Michael Akbar, Heidelberg; Prof. Dr. med. Ludger Bernd,
Bielefeld; Dr. med. Bahram Biglari, Ludwigshafen; Dr. med. Johannes Binder, Herbolzheim;
Priv.-Doz. Dr. med. Norbert Blank, Heidelberg; Prof. Dr. med. Arno J. Dormann, Köln; Olaf
Ernst, Heidelberg; Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Franz, Düsseldorf; Alfons Fuchs, Dossen-
heim; Dr. med. Jost Karsten Kloth, Löbau; Dr. med. Philipp Krämer, Immenstadt; Helmut J.
Küpper, Bad Rappenau; Prof. Dr. med. Hanns-Martin Lorenz, Heidelberg; Dr. med. Franz-Pe-
ter Maichl, Ludwigshafen; Dr. med. Johanna Michel, Neustadt/Weinstraße; Dr. med. Guido
Mohr, Bad Rappenau; Elisabeth Nowak, Heidelberg; Anne von Reumont, Heidelberg; Priv.-
Doz. Dr. med. Gerhard Scheller, Heidelberg; Prof. Dr. med. Marcus Schiltenwolf, Heidelberg;
Dr. med. Hermann Schmidt, Neustadt/Weinstraße; Dr. med. Michael Schmidt, Bad Berg­
zabern; Prof. Dr. med. Holger Schmitt, Heidelberg; Priv.-Doz. Dr. med. Dorien Schneidmüller,
Murnau; Gabriele Steinmetz, Heidelberg; Prof. h. c. Dr. med. univ. Walter Michael Strobl,
Schwarzenbruck; Dr. med. Ansgar Türk, Ludwigshafen; Prof. Dr. med. Frank Unglaub, Bad
Rappenau; Prof. Dr. med. Marc-André Weber, Heidelberg; Dr. med. Dipl.-Inf. Andreas Wer-
ber, Gießen; Dr. med. Bernd Wiedenhöfer, Lorsch; Prof. Dr. med. Felix Zeifang, Heidelberg.
Benutzerhinweise
Der Klinikleitfaden ist ein Kitteltaschenbuch. Das Motto lautet: kurz, präzise und
praxisnah. Medizinisches Wissen wird komprimiert dargestellt. Im Zentrum ste-
hen die Probleme des klinischen Alltags. Auf theoretische Grundlagen wie Patho-
physiologie oder allgemeine Pharmakologie wird daher weitgehend verzichtet.
• Vorangestellt: Tipps für die tägliche Arbeit und Arbeitstechniken.
• Im Zentrum: Fachwissen nach Krankheitsbildern bzw. Organsystemen ge-
ordnet – wie es dem klinischen Alltag entspricht.
• Zum Schluss: praktische Zusatzinformationen.
Wie in einem medizinischen Lexikon werden gebräuchliche Abkürzungen ver-
wendet, die im Abkürzungsverzeichnis erklärt werden.
Um Wiederholungen zu vermeiden, wurden viele Querverweise eingefügt. Sie
sind mit einem Pfeil ▶ gekennzeichnet.

Warnhinweise

Notfälle und Notfallmaßnahmen

Wichtige Zusatzinformationen sowie Tipps

®
  Handelsnamen und Pharmakologie

Internetadressen: Alle Websites wurden vor Drucklegung im Herbst 2016 ge-


prüft. Das Internet unterliegt einem stetigen Wandel. Sollte eine Adresse nicht
mehr aktuell sein, empfiehlt sich der Versuch über eine übergeordnete Adresse
(Anhänge nach dem „/“ weglassen) oder eine Suchmaschine. Der Verlag über-
nimmt für Aktualität und Inhalt der angegebenen Websites keine Gewähr.
Die angegebenen Arbeitsanweisungen ersetzen weder Anleitung noch Supervisi-
on durch erfahrene Kollegen. Insbesondere sollten Arzneimitteldosierungen und
andere Therapierichtlinien überprüft werden – klinische Erfahrung kann durch
keine noch so sorgfältig verfasste Publikation ersetzt werden.
Vorwort
Das Konzept des Klinikleitfaden Orthopädie Unfallchirurgie als kompakter Ratge-
ber „für die Kitteltasche“ oder „die oberste Schreibtischschublade“ und das Ange-
bot einer einfach verfügbaren und zunehmend genutzten integrierten online-­
Version hat sich hervorragend bewährt. Alle relevanten Krankheitsbilder der kli-
nischen Orthopädie und Unfallchirurgie sind übersichtlich, schematisiert und
nach bester Fachkenntnis präzise beschrieben. Das Buch wird zu Examensvorbe-
reitungen sicher tatsächlich auch im herkömmlichen Sinne gelesen; in der Regel
hat es sich aber eher als Arbeitshandbuch etabliert und wird meist als lexikalisches
Nachschlagewerk genutzt werden. Dazu sind die Inhalte in der nunmehr 8. Aufla-
ge auf Vorgabe des Verlages hin gekürzt und weiter komprimiert worden, um
Raum für Aktualisierungen zu gewinnen und neue relevante Inhalte einfügen zu
können.
Wir danken sehr unseren Lesern für die zahlreich eingegangenen Kommentare
und Anregungen, die belegen, dass das Buch aufmerksam studiert wird. Wir laden
Sie herzlich ein, auch zukünftig in diesem Sinne mitzuwirken.
Mit den Autoren verbinden uns Freundschaften, die in den Kliniken, Praxen und
wissenschaftlichen Kongressen gewachsen sind und zwischenzeitlich über die
fachliche Ebene weit hinausgehen. Nur so lässt sich verstehen, dass die zeitauf-
wändige Kapitelüberarbeitung zusätzlich zum allgegenwärtigen Termindruck im
klinischen Alltag ohne Zögern geleistet wird. Diese Bereitschaft, hochspezifische
Fachkenntnisse in verdichteter Form zur Verfügung zu stellen, ist das Erfolgsre-
zept für den Klinikleitfaden Orthopädie Unfallchirurgie. Euch allen herzlichen
Dank!
Der Elsevier Verlag hat sich mit neuer Mannschaft und dankenswerter Weise mit
viel Engagement in das Abenteuer Neuauflage gestürzt und uns strukturiert durch
die erforderlichen Abläufe geführt. Wir sind überzeugt, dass sich der Aufwand
gelohnt hat und die Neuauflage den Erfolg der Reihe fortsetzen wird.

Im Herbst 2016

Prof. Dr. med. Steffen Breusch FRCS, Edinburgh


Prof. Dr. med. Michael Clarius, Bad Rappenau
Dr. med. Hans Mau, Hamburg
Prof. Dr. med. Desiderius Sabo, Heidelberg
Abbildungsnachweis
Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im
Werk am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern.
A300 Reihe Klinik- und Praxisleitfaden. München: Elsevier/Urban & Fischer
F201-005 Hagel A et al. Periprothetische Femurfraktur – eine interdisziplinäre
Herausforderung. Deutsches Ärzteblatt 2014; 111 (39): 658–664
F833-005 Lenke L et al. Adolescent Idiopathic Scoliosis. The Journal of Bone and
Joint Surgery America 2001; 83 (8): 1169–1181
G467 Marzi I. Kindertraumatologie. 2. Aufl. Heidelberg: Springer; 2010
G474 Bühren V, Josten C. Chirurgie der verletzten Wirbelsäule. Heidelberg:
Springer; 2013
G468 Tscherne H, Pohlemann T. Unfallchirurgie Becken und Acetabulum, Vol.
3. Heidelberg: Springer; 1998
L106 Henriette Rintelen, Velbert
L157 Susanne Adler, Lübeck
L190 Gerda Raichle, Ulm
L255 Irina Kart, Berlin
M247 Dr. med. Stefan Nöldeke, Garmisch-Partenkirchen
M248 Prof. Dr. med. Steffen Breusch, Edinburgh (GB)
T539 Dr. med. Jost K. Kloth, Heidelberg
P147 PD Dr. med. Ole Ackermann, Essen
P149 PD Dr. med. Dorien Schneidmüller, Garmisch-Partenkirchen
W868-001 KBV Anhang 1 zur Anlage 2 der Rahmenvorgaben nach §106b Abs. 2
SGB V für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen
vom 30.11.2015
W891-001 American Spinal Injury Association: International Standards for
Neurological Classification of Spinal Cord Injury; Atlanta, GA, Revised
2011, Updated 2015

Tabellenverzeichnis
F765-003 Durie B, Salmon S. A clinical staging system for multiple myeloma
correlation of measured cell mass with presenting clinical features,
response to treatment, and survival. Cancer 1975; 36 (3): 842–854
F837-003 Enneking W, Sapnier S, Goodman M. A system for the surgical staging of
musculoskeletal sarcoma. Clinical Orthopaedics & Related Research
1980; 153: 106–120
F867-001 Aletaha D et al. Rheumatoid arthritis classification criteria: an American
College of Rheumatology/European League Against Rheumatism
collaborative initiative. Annals of the Rheumatic Disease 2010; 69 (9):
1580–1588
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classification of juvenile idiopathic arthritis: second revision. Journal of
Rheumatology 2004; 31 (2): 390–392
G336 Sobin LH, Gospodarowicz MK, Wittekind C. TNM Classification of
Malignant Tumors. 7. Aufl. 2009. Copyright Wiley-VCH Verlag. KGaA.
Reproduced with permission.
Abkürzungen
Symbole berufl. beruflich/e/r/s
® BGA Blutgasanalyse
Handelsname BLD Beinlängendifferenz
↔ normal (im Normalbe- BSG Blutkörperchensenkungs-
reich) geschwindigkeit
↑ hoch, erhöht Bsp. Beispiel
↓ tief, erniedrigt BtM Betäubungsmittel
→ vgl. mit, daraus folgt BtMVV Betäubungsmittelver-
Ø durchschnittlich, schreibeverordnung
Durchmesser BÜ Beckenübersicht
BV Bildverstärker
A BWS Brustwirbelsäule
A./Aa. Arteria/Arteriae BZ Blutzucker
Abd. Abduktion bzgl. bezüglich
AC-Gelenk Akromioklavikulargelenk bzw. beziehungsweise
ACP Autologous Conditioned
Plasma C
Add. Adduktion C zervikale Segmente/
ADL Activities of Daily Living Wirbelkörper
AK Antikörper ca. circa
allg. allgemein/e/r/s Ca Karzinom
ALS amyotrophe Lateralsklerose CAD computer-aided design
Amp. Ampulle CCD Centrum-Collum-
ANA antinukleäre Antikörper Diaphysen(-Winkel)
ant. anterior/anterius chem. chemisch/e/r/s
ANV akutes Nierenversagen chir. chirurgisch/e/r/s
a. p. anterior-posterior chron. chronisch/e/r/s
AP alkalische Phosphatase CMC-I- Karpometakarpalgelenk,
APL M. adductor pollicis longus Daumensattelgelenk
Appl. Applikation CMV Cytomegalievirus
Aro. Außenrotation CPM Continuous Passive
Art. Articulation Motion
AS Aminosäure/n CRF Corticotropin Releasing
ASL Antistreptolysin Factor
AT Antetorsion CRP C-reaktives Protein
ATLS Advanced Trauma Life CRPS chronic regional pain
Support syndrome
Ätiol. Ätiologie CT Computertomografie
AU Arbeitsunfähigkeit CTPA CT-Pulmonalisangiografie
AVK arterielle Verschlusskrank-
heit D
AWR Aufwachraum
AZ Allgemeinzustand d Tag
D-Arzt Durchgangsarzt
B DD Differenzialdiagnose
deg. degenerative/r/s
bakt. bakteriell/e/r Deg. Degeneration
BB Blutbild
bds. beidseits
XII Abkürzungen  

DGOC Deutsche Gesellschaft für GI Gastrointestinal-,


Orthopädie und gastrointestinal/e/r/s
Orthopädische Chirurgie GIT Gastrointestinaltrakt
DGUV Deutsche Gesetzliche GOT Glutamat-Oxalacetat-
Unfallversicherung e. V. Transaminase
DHS dynamische Hüftschraube GPT Glutamat-Pyruvat-Transa-
Diab. mell. Diabetes mellitus minase
diagn. diagnostisch/e/er/es GUV Gesetzliche Unfallversi-
Diagn. Diagnostik cherung
Dig. Digitus, Finger
dist. distal H
dl Deziliter
DMS Durchblutung, Motorik, h Stunde/n
Sensibilität hämolyt. hämolytisch/e/er
Drg. Dragee/s Hb Hämoglobin
DS Druckschmerz HF Herzfrequenz
HKB hinteres Kreuzband
E Hkt Hämatokrit
HLA Human Leucocyte Antigen
Eb. Ebenen HWS Halswirbelsäule
EBV Epstein-Barr-Virus HWZ Halbwertszeit
EK Erykonzentrat
EKG Elektrokardiogramm I
elektr. elektrisch
E‘lyte Elektrolyte i. a. intraartikulär
EMG Elektromyografie i. A. im Allgemeinen
EPB M. extensor pollicis brevis ICP infantile Zerebralparese
E’phorese Elektrophorese i. d. R. in der Regel
EPL M. extensor pollicis longus IE Internationale Einheiten
Erkr. Erkrankung/en Ig Immunglobulin
Erw. Erwachsene i. m. intramuskulär
Ery Erythrozyten Ind. Indikation
ESIN elastische stabile Inf. Infektion
intramedulläre Nagelung Inj. Injektion
evtl. eventuell/e/r/s INR International Normalized
Ext. Extension Ratio
EZ Ernährungszustand insbes. insbesondere
Insuff. Insuffizienz
F intraop. intraoperativ/e/r/s
IPG Interphalangealgelenk
F Frauen Iro. Innenrotation
FAI femuro-azetabuläres i. v. intravenös/e/r/s
Impingement
FCR M. flexor carpi radialis J
FPL M. flexor pollicis longus
J. Jahre
G JIA juvenile idiopathische
Arthritis
gel. gelegentlich JRA juvenile rheumatoide
ggf. gegebenenfalls Arthritis
γ-GT Gamma-Glutamyl-Trans- JÜR Jahres-Überlebensrate
ferase JVD Jugularvenendruck
Jzt. Jahrzehnte
  Abkürzungen XIII

K mg Milligramm
Mg Magnesium
K+ Kalium MI Myokardinfarkt
KD Kirschner-Draht Min. Minute
KG Krankengymnastik, mind. mindestens
Körpergewicht Mio. Millionen
kgKG Kilogramm Körpergewicht ml Milliliter
KH Kohlenhydrate MMC Myelomeningozele
KHK koronare Herzkrankheit mmHg Millimeter Quecksilber-
KI Kontraindikation säule
kindl. kindlich/e/er/es mögl. möglich/e/r/s
klin. klinisch/e/er/es Mon. Monat/e
KM Kontrastmittel MRT Magnetresonanztomogra-
KO Komplikation fie
Komb. Kombination MT Metatarsale
kons. konservativ/e/r/s MTX Methotrexat
körperl. körperlich/e/er/es
Kps. Kapsel N
Krea Kreatinin
KSF Knick-Senk-Fuß N. Nervus
Na+ Natrium
L NaCl Natriumchlorid
NB Nachbehandlung
L lumbale Segmente/ neg. negativ/e/r/s
Wirbelkörper neurol. neurologisch/e/r/s
LA Lokalanästhetika/-esie NLG Nervenleitgeschwindigkeit
lat. lateral/e/r/s NNM Nebennierenmark
LDH Laktatdehydrogenase NNR Nebennierenrinde
Leukos Leukozyten NPP Nucleus-pulposus-Prolaps
li links NSAR nichtsteroidale
Lig. Ligamentum Antirheumatika/
LISS Less Invasive Stabilizing Antiphlogistika
System NSE neuronenspezifische
Lj. Lebensjahr Enolase
Ljz. Lebensjahrzehnt NW Nebenwirkungen
LK Lymphknoten
Lsg. Lösung(en) O
LWS Lendenwirbelsäule
O2 Sauerstoff
M OA Oberarm
od. oder
M Männer OP Operation
M. Musculus orthop. orthopädisch/e/r/s
max. maximal/e/r/s OS Oberschenkel
MC Metacarpale OSG oberes Sprunggelenk
MCV Mean Corpuscular Volume
MdE Minderung der P
Erwerbsfähigkeit
ME Materialentfernung p. a. posterior-anterior
MER Muskeleigenreflex(e) PAO periazetabuläre
med. medial/e/r/s Osteotomie
MFK Mittelfußknochen Pat. Patient
XIV Abkürzungen  

pathol. pathologisch/e/r/s s. l. sublingual/e/r/s


pAVK periphere arterielle SL skapholunär/e/er/es
Verschlusskrankheit SLE systemischer Lupus
PCR Polymerase Chain erythematodes
Reaction Sono Sonografie
PDA/PDK Periduralanästhesie/ SPA Spondylitis ankylosans
Periduralkatheter sportl. sportlich/e/r/s
PDS Polydiaxonon suture STT
PE Polyethylen sup. superior/superius
PFNA proximaler Femurnagel Supp. Suppositorium
PHS Periarthropathia Sy. Syndrom
humeroscapularis Syn. Synonym
physik. physikalisch/e/r/s Szinti Szintigrafie
physiol. physiologisch/e/r/s
PIP proximales Interphalange- T
algelenk
PNP Polyneuropathie Tbc Tuberkulose
p. o. per os Tbl. Tablette
pos. positiv/e/r/s TEP Totalendoprothese
post. posterior/posterius TFCC triangulärer fibrokartilagi-
postop. postoperativ/e/r/s närer Komplex
PPI Protonenpumpenhemmer tgl. täglich/e/r/s
präop. präoperativ/e/r/s Th thorakale Segmente/
prim. primär/e/r/s Wirbelkörper
Proc. Processus Ther. Therapie
Progn. Prognose ther. therapeutisch/e/er/es
progn. prognostisch Thrombos Thrombozyten
prox. proximal/e/r/s TIA transitorische ischämische
PRP Platelet Rich Plasma Attacke
tox. toxisch/e/er/es
R Tr. Tropfen
Tub. Tuberculum
RA rheumatoide Arthritis
re rechts U
Reha Rehabilitation
rez. rezidivierend/e/r/s u. a. und andere
RF Rheumafaktor UA Unterarm
RG Rasselgeräusche UAGST Unterarm-Gehstützen
RM Rückenmark US Ultraschall, Unterschenkel
Rö Röntgen USG unteres Sprunggelenk
RR Blutdruck nach Riva-Rocci u. U. unter Umständen

S V

s. c. subkutan/e/r/s V. Vena


seitl. seitlich/e/r/s V. a. Verdacht auf
Sek. Sekunde/n v. a. vor allem
SHF Schenkelhalsfraktur VAC Vacuum-assisted Closure
SHT Schädel-Hirn-Trauma Vit. Vitamin
SIG Sakroiliakalfugen, VKB vorderes Kreuzband
Sakroiliakalgelenke vs. versus
  Abkürzungen XV

W Z
Wdh. Wiederholung z. A. zum Ausschluss
WK Wirbelkörper z. B. zum Beispiel
Wo. Woche/n Z. n. Zustand nach
WS Wirbelsäule ZNS zentrales Nervensystem
WW Wechselwirkung/en z. T. zum Teil
ZVD zentraler Venendruck
ZVK zentraler Venenkatheter
zzgl. zuzüglich
1 Grundlagen der unfallchirurgischen
Versorgung
Steffen Breusch, Hans Mau und Dorien Schneidmüller

1.1 Vorgehen (kein 1.4.3 Klinik und Diagnostik bei


Mehrfachverletzter)  2 Frakturen 19
1.2 Wunden  3 1.4.4 Konservative Frakturbehand­
1.2.1 Wundheilung 3 lung 20
1.2.2 Mechanisch bedingte 1.4.5 Operative Fraktur­
­Wunden 3 behandlung 23
1.2.3 Thermische Wunden 5 1.4.6 Knochentransplantation 31
1.2.4 Chemische Wunden 7 1.4.7 Therapiekontrolle und
1.2.5 Konservative Wundbe­ Frakturheilung 32
handlung 8 1.4.8 Frakturen im Erwachsenen­
1.2.6 Operative Wundver­ alter 33
sorgung 10 1.4.9 Frakturen im Kindesalter
1.2.7 Komplikationen der Wund­ Dorien Schneidmüller 36
behandlung 15 1.4.10 Frakturen beim alten
1.3 Subluxationen und Menschen 44
­Luxationen  15 1.4.11 Komplikationen der
1.4 Frakturen  17 Frakturbehandlung 44
1.4.1 Ätiologie und Frakturklassifi­
kationen 17
1.4.2 Offene Frakturen 18
2 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

1.1 Vorgehen (kein Mehrfachverletzter)


Versorgung Mehrfachverletzter ▶ 2.3.
1
Diagnostik
Unfallanamnese
• Art, Ausmaß, Dauer der Gewalteinwirkung, Eigen- oder Fremdverschulden,
Arbeits- oder Privatunfall, Datum und Uhrzeit der Verletzung, Verhalten
nach dem Unfall.
• Evtl. erstbehandelnder Arzt und bisherige Ther., Erstereignis oder rez. Trauma.
• Tetanusschutz? Möglichst anhand Impfausweis Impfstatus kontrollieren
(▶ 1.2.5).

Wichtig
Exakte Dokumentation der Unfallanamnese, der klin. und apparativen Be-
funde bei frischen Verletzungen bzw. Unfallfolgezuständen. Häufig spätere
arbeits- oder versicherungsrechtliche Gutachten (Fotodokumentation).

Arbeitsunfall
• Kriterien des Arbeitsunfalls, versicherter Personenkreis ▶ 22.3.1.
• Aufgaben des Kassenarztes bzw. D- oder H-Arztes ▶ 21.
Untersuchung
• Groborientierend: Fehlstellungen, Fraktur, Luxation, Amputation, Weichteil-
schaden (geschlossen/offen), Sehnen-, Nerven-, Gefäßverletzung.
• Wundinspektion: Gefäßstümpfe? Blutung? Frei liegende Sehnen- oder Ner-
venenden oder Knochen? Größe und Tiefe der Verletzung eruieren, ggf. in
LA (▶ 3.3). Bei V. a. Entzündung Punktion oder Abstrichabnahme vor Anti-
biotikather.
• Funktionsuntersuchung: Funktionsausfälle ausschließen, z. B. oberflächliche
und tiefe Beugesehnen der Finger, Durchblutung, Sensibilität.
• Begleitverletzungen?
Apparative Diagnostik
• Rö: Bei V. a. knöcherne Begleitverletzung oder Fremdkörpereinsprengung
(z. B. Metallsplitter). Prinzipiell in 2 senkrecht aufeinanderstehenden Eb., an-
grenzende Gelenke bei Extremitätenverletzungen mit abbilden.
• Sono: Bei V. a. Sehnenverletzung, Muskelfaserriss, Hämatom, Gelenkerguss,
kindl. Verletzungen, Weichteilfremdkörper.
• Labor: ▶ 8.1, Diagn. bei Entzündungen, Infekt.
• CT: Bei SHT, evtl. bei WS- oder Beckenverletzung (ggf. mit 3-D-Rekonstruk-
tion).
• Angiografie: Bei V. a. Gefäßverletzung im Extremitätenbereich bei dopplerso-
nografisch nicht nachweisbarem Puls.
• EMG, NLG u. a. elektrophysiol. Untersuchungen: Bei neurol. Schäden zur
Dokumentation von Lokalisation und Ausmaß der Schädigung. Differenzie-
rung in frische oder alte Läsion.

Differenzialdiagnosen
Bei bekannter Anamnese unproblematisch. Bei chem. oder Strahlungsverletzun-
gen an Ulzera anderer Genese denken, z. B. Ulcus cruris, AVK, Malum perforans.
  1.2 Wunden  3

1.2 Wunden
1.2.1 Wundheilung 1
• Unterschieden werden prim. und sekundäre Wundheilung. Dabei werden
verschiedene Phasen, nach denen sich die Wundbehandlung richten sollte,
durchlaufen (▶ Tab.  1.1).
• Prim. Heilung erfolgt komplikationslos mit Restitutio ad integrum. Keine
spezielle Wundbehandlung erforderlich.
• Sekundärer Heilungsverlauf wird durch adäquate Wundbehandlung be-
schleunigt.

Tab. 1.1  Phasen der Wundheilung


Heilungsphasen Behandlungsziel (Förderung der Selbstheilung)

1. Entzündungsphase (Exsudation)

Trockene Nekrose Aufweichen der Nekrose, Feuchtigkeit zuführen

Feuchte Nekrose Wundsekretabsorption, Auflösen von Belägen, feuchtes Milieu


erhalten

Infizierte Wunde Wundreinigung, Wundsekret- und Eiterabsorption

2. Reparationsphase (Granulation)

Beginnend Förderung und Schutz von Gewebsneubildung

Spät (rot, fest) Schutz vor Austrocknung und Verkleben

3. Umbauphase (Epithelialisierung)

Feuchtes Milieu, mechanischer Schutz

Therapeutika
• Reinigung: Z. B. Ringer-Lösung, Fibrolan®, Lavasept®, Braunovidon®.
• Wundauflagen:
– Reinigungsphase: z. B. Fibrolan®, Combiderm N®, Comfeel®, Hydrogel®.
– Granulationsphase: z. B. Primamed®, Varihesive E®, Kaltostat®, Tender-
wet®.
– Epithelisierungsphase: z. B. Varihesive extra dünn®, Comfeel transp.®,
­Jelonet®.
– Exsudierene Wunden: z. B. Allevyn® Vakuumtherapie, z. B. PICO®,
V. A. C. ®

1.2.2 Mechanisch bedingte Wunden


Schnitt-, Stich-, Riss-, Quetsch-, Platzwunde, Sägeverletzung
Charakteristika
• Auf Fremdkörpereinsprengung und Begleitverletzungen (z. B. Sehnen, Ner-
ven) achten.
• Bei Penetrationsverletzung häufig kleine Wunde, aber Verletzung tiefer gele-
gener Strukturen.
4 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Therapie
▶ 1.2.5, ▶ 1.2.6.
1 Schürfwunde
Charakteristika
• Epidermisdefekt.
• Tiefe Schürfung, u. U. bis in die Lederhaut reichend.
• Je nach Unfallmechanismus erhebliche Verschmutzung.
Therapie
• Sorgfältige Reinigung mit steriler Bürste und Lavasept® in LA (▶ 3.3).
• Phasenabhängige Wundauflage.
Biss- und Kratzwunden
Charakteristika
• Tier- und Menschenbisse.
• Bisswunden gelten immer als infiziert und dürfen daher (evtl. mit Ausnahme
des Gesichts) nicht primär genäht werden.
• In die gleiche Kategorie gehören Verletzungen mit kontaminierten Gegen-
ständen, z. B. Fleischereimesser, Dosenöffner, alte Konservendosen.
Therapie
• Sofortige Wundreinigung, offene Wundbehandlung (▶ 1.2.5), ggf. Sekundär-
versorgung.
! Tetanusschutz ausreichend? Wichtig: Tollwutschutzimpfung indiziert? (▶ 1.2.5).
• Engmaschige Kontrollen erforderlich.
Décollement
Charakteristika
• Durch tangentiale Gewalteinwirkung entstandene Abscherung der Haut vom
Unterhautzellgewebe, u. U. mit Untergang des subkutanen Fettgewebes.
• Offen unter Bildung von Hautlappen oder geschlossen möglich.
• Problem: Insuffiziente Durchblutungssituation im abgescherten Hautareal.
Therapie
• Wundversorgung (▶ 1.2.5, ▶ 1.2.6).
• Bei großflächigem Décollement Gipsruhigstellung und stationäre Aufnahme.
• Ambulante Pat. engmaschig kontrollieren.
• Bei Auftreten von Nekrosen phasenabhängige Wundbehandlung und sekun-
där plastische Maßnahmen zur Defektdeckung.

Radspeichenverletzung
Charakteristika
• Häufige Rückfußverletzung von Kleinkindern, die auf ungeeignetem Fahr-
radsitz saßen.
! Knöcherne Verletzungen des Fußes und Sprunggelenks ausschließen.
• Beurteilung des Schadens im Rö aufgrund der noch großenteils knorpelig an-
gelegten Knochen oft schwierig.
• Häufig Entwicklung sekundärer Hautnekrosen durch primär nicht sichtbare
geschlossene Abscherverletzung.
  1.2 Wunden  5

Therapie
• Großzügige Ind. zur Ruhigstellung.
• Immer zum ersten Verbandswechsel Pat. nochmals einbestellen. 1
• Behandlung im Übrigen nach im Vordergrund stehender Wundform (z. B.
Schürfung, Décollement).

1.2.3 Thermische Wunden
Unterkühlung und Erfrierung
Charakteristika
• Absinken der Körperkerntemperatur < 35  °C.
• Begünstigende Faktoren: Hohes Alter, geringes Körpergewicht, Alkoholkon-
sum, Hypothyreose.
• Ab 32  °C zunehmende Somnolenz und Reaktionseinschränkung. Ab 30  °C
Bewusstseinsverlust. Gefahr von Kammerflimmern bei Körpertemperaturen
< 30  °C.
Diagnostik
• Am Anfang (34–36,5  °C) Kältezittern, später zunehmend Somnolenz (30–
34  °C) bis zur tiefen Bewusstlosigkeit und Koma (< 30  °C).
• EKG: J-Welle, Bradykardie, Rhythmusstörungen.
• Flache Atmung, erhöhter Muskeltonus.
• Labor: CK ↑, Azidose, Hyperglykämie. Bei plötzlicher Abkühlung, z. B.
Sprung ins kalte Wasser, aufgrund vasovagaler Reflexe reflektorischer Herz-
Kreislauf-Stillstand möglich (sog. „Kälteschock“).
• Erfrierungen bieten ein ähnliches Bild wie Verbrühungen: Rötung, evtl. Bla-
senbildung, Nekrosen.
Therapie
• Prinzip: Rasche Unterkühlung → rasche Anhebung der Körpertemperatur;
langsame Unterkühlung → langsame Wiedererwärmung durch Erhöhung der
Raumtemperatur, Wolldecken. Bei starker Unterkühlung ggf. zusätzlich war-
mes Vollbad (ca. 37  °C Wassertemperatur) oder erwärmte Ringer-Lösung in-
fundieren. Evtl. heiße Getränke.
• Keine periphere Wiedererwärmung bei Schlafmittelvergiftungen.
• Hautläsionen bei Erfrierungen analog den Verbrennungen behandeln. Ggf.
Grenzzonenamputation.

Verbrennung und Verbrühung


Klinik
Multiorganversagen: Primär direkte thermische Zellschädigung durch Minder-
perfusion und Ischämie → Freisetzung vasoaktiver Mediatoren beim Zellunter-
gang → sekundäre Organschädigung (v. a. Lunge und Niere) bis hin zum Multior-
ganversagen.
Aussehen der verletzten Region: Je nach Verbrennungs- oder Verbrühungsursa-
che unterschiedlich: Stromverletzung gelb-weiß (Koagulationsnekrose), Flammen
braun-schwarz, Dampf blass-weißlich.
Ausmaß einer thermischen Verletzung: Häufig primär nicht ersichtlich (gilt
auch für Sonnenbrand) und oft erst nach Tagen beurteilbar, wenn sich Nekrosen
demarkieren (▶ Abb.  1.1).
6 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Abb. 1.1  Abschätzen des Verbrennungsausmaßes (9er-Regel nach Wallace) [L106]

Therapie

Entscheidend für Prognose ist die Erstversorgung.

• Entfernung aller Kleidung über der Verbrennungsregion, festgeklebte Klei-


dung zunächst belassen und evtl. in Narkose entfernen; nicht abreißen →
Wunde wird größer, erhöhte Inf.-Gefahr. Brandwunden steril abdecken, z. B.
mit Metalline-Kompressen; keine Brandsalben.
• Kühlung: Sofortige Kühlung der verbrannten Region, bis der Schmerz nach-
lässt (klares, ca. 12–18  °C warmes Leitungswasser, ca. 20 Min.). Dadurch Ver-
ringerung des „after burning“. Bei Bewusstlosen stabile Seitenlage, bei Inhala-
tionstrauma Oberkörper erhöht, sonst Schocklage mit erhöhten Beinen.
• Schmerzther.: z. B. Morphin 5–10 mg i. v. bzw. 0,125–0,25 mg/kg KG Esketa-
min (Ketanest-S®) i. v. (▶ 24.1).
• Volumensubstitution: Reichlich E'lythaltige Flüssigkeit entweder zu trinken
geben oder als Infusion. Primär 1.000–1.500 ml Ringer-Laktat. (Keine kolloi-
dalen Lösungen: Entziehen der geschädigten Zelle noch mehr Flüssigkeit und
erschweren die Reduktion des Ödems.) Im weiteren Verlauf Volumenther.
nach der Baxter-Formel:
– Erw. 4–6 ml (Kinder 4–8 ml) Ringer-Laktat × kg KG × verbrannte Ober-
fläche nach der 9er-Regel pro 24 h.
– Von dieser Menge ⅔ innerhalb der ersten 8 h infundieren.
– Ziel: Urinausscheidung > 30 ml/h; ansonsten mehr Volumen anbieten.
• Tetanusprophylaxe (▶ 1.2.5).
  1.2 Wunden  7

• Bei Inhalationsverletzung (schlechtere Prognose) Dexamethason-Aerosol ini-


tial 4–5 Hübe, dann weiter alle 10 Min. je 2 Hübe; evtl. zusätzlich Theophyllin
200–400 mg i. v. (Euphylong®). Frühzeitige Intubation. 1
• Klinikeinweisung in Spezialklinik für Verbrennungsverletzte (Vermittlungs-
stelle für Schwerverbrannte: Tel.: 040/4 28 51 39 98; http://rettungsdienst.
bdsoft.de/index.htm?/rettungsdienst/grundlagen/verbrennungszentren.htm):
– Ab 15 % verbrannter Körperoberfläche Grad II beim Erw. (▶ Tab.  1.2)
– Ab 5 % Grad III beim Erw.
– Ab 5 % Grad-II- oder -III-Verbrennung bei Kindern.
– Bei Verbrennungen im Genitale oder Gesicht.
– Bei Säuglingen und Kleinkindern, älteren Pat.
– Inhalationsverletzungen (toxisches Lungenödem).
– Schwere Begleitverletzung.

Tab. 1.2  Schweregrade einer Verbrennung oder Verbrühung


Grad Schicht Klinischer Befund Ausheilung

I Nur obere Hautrötung durch Hyperämie, Schwellung, Heilt spontan


Hautschicht Schmerzen, keine Blasenbildung ohne Narben

IIa Oberflächli­ Blasenbildung, Hautrötung, Schwellung, Heilt ohne


che dermale Schmerzen, Wundgrund nass, Rötung mit Narben
Verbrennung Glasspatel wegdrückbar, Blutung bei Nadel­
stich, Haare und Nägel halten fest

IIb Tiefe dermale Blasenbildung, Schmerz, Haut anämisch, Rö­ Heilt mit Nar­
Verbrennung tung nicht wegdrückbar, wenig Schmerzen, benbildung
Nadelstiche bluten erst bei tiefem Eindringen,
Haare halten nicht mehr fest, Nägel halten

III Alle Haut­ Hautnekrose, Blasenbildung an den Rändern, Keine Hei­


schichten, zentral graufleckige prallharte oder geplatzte lung ohne
evtl. auch tie­ Haut, peripher Rötung, Anästhesie in zentralen chirurgische
fer gelegene Anteilen, Nadelstiche auch in der Tiefe nicht Ther., oft
Strukturen spürbar, keine Blutung, Haare und Nägel fallen Narbenkeloi­
ab, Verbrennungskrankheit mit Volumenman­ de und Kon­
gelschock, Nierenversagen, Inf. und Sepsis, Mul­ trakturen
tiorganversagen. Ab ca. 15 % verbrannter Kör­
peroberfläche (10 % bei Kindern) Schockgefahr.

Kein Kortison, keine Katecholamine


Aufgrund der Abwehrschwächung möglichst kein Kortison in der Akutpha-
se. Ebenso keine Katecholamine (außer bei Reanimation): Verstärkte Ver-
brennungswirkung durch periphere Minderperfusion.

1.2.4 Chemische Wunden
Pathophysiologie
Zwei Schädigungsursachen:
• Direkte Ätzwirkung und Vergiftung durch Resorption von Schadstoffen.
• Hauptgefahr der Ingestionsverletzung: Ödembildung → Verlegung der Atem-
wege → konsekutive respiratorische Insuff. bzw. Aspiration der ätzenden
Flüssigkeit durch Würgereiz und Erbrechen.
8 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Diagnostik
• Hautschäden entsprechen in den Schweregraden denen bei Verbrennungen.
1 • Laugenverätzung:
sulziges Aussehen.
Im Bereich der Schleimhaut blass-rötliche Schwellung und

• Säureverätzung: Im Bereich der Schleimhäute bilden sich Beläge.


Therapie
• Ziel: Verdünnung der ätzenden Substanz.
• Bei Haut- und Augenverletzungen ausgiebige Spülung mit Leitungswasser
oder Ringer-Lösung.
• Bei Ingestionsverletzungen reichlich Flüssigkeit trinken lassen (Ausnahme:
Detergenzien → Schäumung → Aspirationspneumonie).
– Bei Glottis- und Larynxödem frühzeitige Intubation.
– Magenspülung, falls Verletzung nicht länger als 3 h zurückliegt (nur falls
kein Hinweis auf Ösophagusverletzung).
! Aufgrund der zahlreichen KO-Möglichkeiten Klinikeinweisung.

1.2.5 Konservative Wundbehandlung
Therapieziele
• Prim. Wundheilung durch Keimreduktion.
• Verhütung einer Sekundärinf.
• Erzielung des kosmetisch besten Ergebnisses.
Indikationen
• Oberflächliche, glattrandige, nicht dehiszente Wunden.
• Vorliegen einer KI zur prim. chir. Wundversorgung.
Vorgehen
Oberflächliche Wunden: Versorgung z. B. mit Leukostrip®-Pflastern bei glattran-
digen Schnittwunden oder bei sauberen Schürfwunden mit Mepithel®-
Wundauflage (nicht haftendes Silikongumminetz. Vorteil: Kein Aufweichen und
Ödem durch Salbenauflage.).
KI der prim. chir. Wundversorgung: Bisswunden, Schussverletzungen, infizierte
oder potenziell mit hochpathogenen Keimen kontaminierte Wunden.
Ther.:
• Wunden älter als 6–8 h: Verbände mit lokalen Antiseptika (z. B. Braunol®-
Salbe und Sofra-Tüll®), evtl. Sekundärnaht nach 3–4 d bei fehlenden Entzün-
dungszeichen.
• Kontaminierte und infizierte Wunden: Für ungestörten Sekretabfluss sorgen.
Nach Auflegen eines nicht haftenden Verbands mit lokalen Antiseptika Se-
kundärheilung mit sauberer Granulation anstreben. Ruhigstellung in Gips-
verband oder geeigneter Fertigschiene.
• Phlegmonöse Entzündungen, Allgemeinsymptome (z. B. Fieber) oder Lym-
phangitis/Lymphadenitis:
– Ruhigstellung (Nachbargelenke!), Hochlagerung.
– Antibiotikather., z. B. Cefalexin 2–4 g/d p. o. (z. B. Oracef®), Kinder 25–
100 mg/kg/d als Saft.
! Abstrich vor Antibiose.
  1.2 Wunden  9

– Nach Eingang der bakteriologischen Untersuchung ggf. Umsetzen des


Antibiotikums gemäß Resistenzlage. Blutabnahme und Kontrolle der Ent-
zündungsparameter (CRP, BSG, BB).
– Engmaschige ein- bis zweitägige klinische Kontrollen.
1
– Bei ausgeprägtem klinischem Befund, bekannter Abwehrschwäche (z. B.
Diab. mell.) oder unklaren sozialen Verhältnissen frühzeitige stationäre
Ther. und i. v.-Antibiose.
– Bei fehlendem Rückgang der Entzündung ggf. Kontrollabstrich → Erre-
gershift, Resistenzentwicklung, Pilzinf.? (▶ 8.2: Ther.-Prinzipien bei Inf.).

Tetanusimpfung
▶ Tab.  1.3.
Aktive Immunisierung Erwachsener bei fehlender Grundimmunisierung
• 3 Inj. von je 0,5 ml Tetanustoxoid i. m. (z. B. Tetanol®).
• Abstand zwischen den ersten beiden Impfungen 3 Wo., zwischen 2. und 3.
Immunisierung ½ J.
• Nach 10 J. oder im Verletzungsfall Auffrischung.
• Schwangere können ohne Gefahr einer Embryopathie geimpft werden.
Postexpositionelle Immunisierung
• 0,5 ml Tetanustoxoid (z. B. Tetanol®) bzw. 250 IE Tetanus-Immunglobulin
(z. B. Tetagam®) tief i. m., bei Simultanimpfung nicht beide Impfstoffe an glei-
cher Lokalisation injizieren.
• Bei oberflächlichen Bagatelltraumen (Insektenstich, kleinflächige Verbren-
nung II. Grads) kann auf Passivimmunisierung verzichtet werden.
• Impfausweis mit eingetragenen Daten für 2. und 3. Aktivimmunisierung mit-
geben.
• Bei Kindern < 6 J. DT-Impfstoff verwenden (z. B. DT Vaccinol®).
• Bei stark verschmutzten Wunden ggf. doppelte Dosis Tetanusimmunglobulin.
Tab. 1.3  Tetanusprophylaxe im Verletzungsfall
Vorgeschichte der Teta- Saubere, geringfügige Wunden Alle anderen Wunden1
nus-Immunisierung (An-
zahl der Impfungen) Td2 TIG3 Td2 TIG3

Unbekannt Ja Nein Ja Ja

0 bis 1 Ja Nein Ja Ja

2 Ja Nein Ja Nein4

3 oder mehr Nein5 Nein Nein6 Nein


1
 Tiefe und/oder verschmutzte (mit Staub, Erde, Speichel, Stuhl kontaminierte) Wun­
den, Verletzungen mit Gewebszertrümmerung und reduzierter Sauerstoffversorgung
oder Eindringen von Fremdkörpern (z. B. Quetsch-, Riss-, Biss-, Stich-, Schusswunden),
schwere Verbrennungen und Erfrierungen, Gewebsnekrosen, septische Aborte
2
 Kinder unter 6 J. T, ältere Personen Td (d. h. Tetanus-Diphtherie-Impfstoff mit ver­
ringertem Diphtherietoxoid-Gehalt)
3
 TIG = Tetanus-Immunglobulin, i. A. werden 250 IE verabreicht, die Dosis kann auf
500 IE erhöht werden; TIG wird simultan mit Td/T-Impfstoff angewendet.
4
 Ja, wenn die Verletzung länger als 24 h zurückliegt.
5
 Ja (1 Dosis), wenn seit der letzten Impfung mehr als 10 J. vergangen sind.
6
 Ja (1 Dosis), wenn seit der letzten Impfung mehr als 5 J. vergangen sind.
www.rki.de: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission/STIKO des Robert-Koch-
Instituts. Stand August 2015.
10 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

1.2.6 Operative Wundversorgung

1 Grundlagen

Klinische Untersuchung vor Lokalanästhesie


Überprüfung von DMS. Andernfalls werden Begleitverletzungen (z. B. Ge-
fäß-, Nerven- oder Sehnenverletzungen) übersehen bzw. erst nach der
durchgeführten Versorgung diagnostiziert.

Grundsatz: Prim. Wundversorgung nur innerhalb der ersten 6–8 h nach dem
Trauma. Danach ist die Wunde als kontaminiert zu betrachten und muss als sol-
che behandelt werden. Bei ausbleibenden Inf.-Zeichen frühzeitige Sekundärnaht
nach 3–4 d anstreben.
Säubern der Wunde: Auswaschen und Säubern der Wunde z. B. mit Savlon®, La-
vasept®, Wasserstoffperoxid. Bei ausgedehnten und stark verschmutzten Wunden
kann Allgemeinanästhesie indiziert sein.
Asepsis: Chirurgische Händedesinfektion und sterile Handschuhe. Hautdesin-
fektion OP-Gebiet, sterile Abdeckung, ggf. Blutsperre. Fremdkörper vollstän-
dig entfernen. Bei Kopfplatzwunden Austasten des Wundgrunds auf knöcher-
ne Stufe.
Wundrandexzision (nach Friedreich): Sparsames Entfernen avitalen und ver-
schmutzten Gewebes. An Händen und Gesicht aus funktionellen und kosmeti-
schen Gründen keine Wundausschneidung.
Sorgfältige Blutstillung: Elektrokoagulation oder Ligatur (in der Kopf-
schwarte meist überflüssig). Wenn nötig, Erweiterung des Hautschnitts ent-
lang der Hautspaltlinien (v. a. im Handbereich wichtig zur Vermeidung von
Kontrakturen). Bei Fingerverletzungen Blutsperre mit Gummizügel und Ko-
cher-Klemme.
Spannungsfreier Wundverschluss: Bei sicherer Adaptation mit Einzelknopf-,
Donati- oder Allgöwer-Naht (▶  3.4.4), z. B. mit Seralon®. Kopfplatzwunde 2–0
oder 3–0, Gesicht 5–0 oder 6–0, Finger 4–0 oder 5–0. Bei tiefen, taschenreichen
Wunden Drainage (Lasche, Redon) einlegen.
Ruhigstellung: Bei großen oder infektionsgefährdeten Wunden mit Kunststoff-
oder Gipsschiene. Primär kein zirkulärer Gipsverband (Hautläsionen durch
Ödem, keine Wundinspektion möglich).

Sehnenverletzung
• Prim. Sehnennaht innerhalb von 8 h anstreben (▶ Tab.  1.4).
! KI: Kontaminierte Wunde, prim. Weichteildeckung nicht mögl. → früh­
sekundäre Naht.
• NB: Entlastung der Naht für 5–6 Wo. Passive oder aktiv assistive Beübung früh-
zeitig, um Verklebungen des Gleitgewebes zu vermeiden (▶ 9.3.18: Fingerbeu-
gesehnenverletzung). Cave: Passive Übungen unter Anspannung der Naht.

Tab. 1.4  Durchführung und Indikation von Sehnennähten


Nahttechnik Indikation (Beispiele) Durchführung

Kirchmayr- • Fingerbeugesehne 4–0 PDS-Naht mit je einer gebogenen Na­


Kessler- • Strecksehne im Be­ del an den Enden. Zusätzlich Adaptations­
Naht reich des Handgelenks naht mit 5–0- oder 6–0-Faden.
  1.2 Wunden  11

Tab. 1.4  Durchführung und Indikation von Sehnennähten (Forts.)


Nahttechnik Indikation (Beispiele) Durchführung
1
Lenge­ • Refixation Fingerbeu­ An der Naht befestigter Widerhaken fixiert
mann-Aus­ gesehnen Sehne an Reinsertionspunkt. Sicherung der
ziehnaht • Strecksehnen Hand­ Naht mit Bleikugel und Polsterscheibe.
rücken Nachteil: Drucknekrosen der Haut; ggf. Dis­
• Refixation ulnares tanzhülse verwenden (▶ Abb. 1.2). Nach
Seitenband Daumen­ Einheilung retrograde Entfernung des Wi­
grundgelenk (Skidau­ derhakens durch Zug am Ausziehdraht
men) nach Abschneiden der Bleiplombe (alterna­
tiv: Mitek®-Anker mit PDS-Faden; Anker
wird nicht entfernt!).

U-, Matrat­ • Strecksehne Finger­ 4–0 PDS-Faden. Knüpfen der Naht ohne
zen-Naht endglied Spannung, um ein Durchschneiden durch
• Readaptation flacher die Sehne zu vermeiden.
Sehnen

Bunnell- • Achillessehne Beidseits mit geraden Nadeln armierter


Naht • Bizepssehne PDS-Faden. Gleichzeitig kreuzweises Durch­
stechen der Sehne (um Durchtrennen der
Naht mit Nadel zu vermeiden), sog. Schnür­
senkelnaht.

Pulvertaft- • Sehnentranspositio­ Durchflechtung der Sehnen mit überlanger


Naht nen „Ersatzsehne“. Sicherung der Ein- und Aus­
• Achillessehnenplastik trittsstellen mit 4–0- bis 6–0-Faden. Nach­
teil: Naht trägt stark auf.

Gefäßverletzung (End-zu-End-Anastomose)
Technik: Bei großkalibrigem Gefäß kurzstreckige Freilegung der Gefäßenden. At-
raumatisches Abklemmen der Gefäße (um Intimaläsion zu vermeiden) und Spü-
lung der Lumina mit Heparin-Lösung. Bei arteriellen Gefäßen Resektion der Ad-
ventitia um ca. 2 mm. Spannungsfreie Adaptationsnaht an der Gefäßrückseite
(Knoten außen!). Weiter fortlaufende Naht z. B. mit doppelt armiertem Nylonfa-
den 5–0 (▶  Abb.  1.3). Mit anatomischer Pinzette arbeiten. Nach fertiggestellter
Naht einmalig 10.000 IE Heparin i. v.
NB: Ruhigstellung in Beugung, regelmäßige Kontrolle der Durchblutung.

Periphere Nervenverletzung
Ätiologie
Offene Nervenverletzung: Verletzung und Freilegung eines peripheren Nervs
durch direktes Trauma (z. B. Glasschnittverletzung, Verkehrsunfall, Verletzung
durch Arbeitsgeräte).
Geschlossene Nervenverletzung: Funktionsstörung des Nervs durch Kompressi-
ons-, Dehnungs-, Abriss- oder Ausrissverletzung (auch nach längeren OPs unter
Blutleere oder durch falsche OP-Lagerung möglich, z. B. Peroneusläsion).
12 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Abb. 1.2  Sehnennähte [L106]

Abb. 1.3 Nahttechniken und Rekonstruktionsmöglichkeiten von Gefäßverlet­


zungen. a Fortlaufende Direktnaht. b Direktnaht in Einzelknopfnähten. c Inter­
ponat. d Versorgung mit Patch. e Bypass. [L106]
  1.2 Wunden  13

Einteilung
▶ Tab.  1.5.
Tab. 1.5  Einteilung der Nervenverletzungen nach Sutherland
1
Grad Ausmaß der Schädigung

I Neurapraxie: Axon noch intakt, keine Waller-Degeneration des Nervs.

II Axonotmesis: Axon durchtrennt, Endoneuralrohr intakt. Waller-Degene­


ration distal der geschädigten Stelle. Regeneration von prox. mit mögl.
Wiederherstellung des Nervs.

III Axone und Endoneurium durchtrennt. Faszikelstruktur und Epineurium


intakt. Durch Narbenbildung gestörte Regeneration mögl.

IV Axone, Endoneurium und Faszikelhülle durchtrennt. Nur noch Epineuri­


um intakt. Gestörte Regeneration durch Narbenbildung wahrscheinlich.

V Neurotmesis: Nerv komplett durchtrennt. Spontane Regeneration durch


fehlende narbige Leitstrukturen (sog. Bünger-Bänder) unwahrscheinlich
→ operative Ther.

Klinik
• Lokalisationsabhängige Störung sensibler Qualitäten im typischen Innervati-
onsgebiet.
• Schwächung bis Ausfall der Kennmuskeln.
• Frei liegende Nervenstümpfe an typischer Stelle (z. B. N. medianus bei vola-
rem Schnitt am Handgelenk).
Apparative Diagnostik
• Evtl. EMG, NLG.
• Angiografie zum Ausschluss einer begleitenden Gefäßverletzung.
Therapie
Konservative Therapie
• Nur bei geschlossener Nervenverletzung ohne Kontinuitätsunterbrechung.
Bei Nervendurchtrennung Gefahr der Neurombildung und fehlende Leit-
struktur für nachwachsende Axone.
• KG und Faradisation zur Vermeidung von Kontrakturen bzw. Atrophien bis
zur Reinnervation.
! Wachstumsgeschwindigkeit der aussprossenden Axone ca. 1 mm/d (Pat. auf-
klären).
Operative Therapie
• Ziel: Durch Readaptation des Nervs schmerzhaftes Narbenneurom verhin-
dern und Voraussetzungen zur Wiederherstellung der Nervenfunktion
schaffen.
• Prim. Nervennaht: Nur bei günstigen äußeren Bedingungen, versiertem
Operateur und sauberen Wundverhältnissen sowie bedeutsamem neurol. De-
fizit (meist bei Nervenstämmen der Extremitäten und deren Endäste an der
Hand).
• Im Zweifelsfall: Nervenenden mit gefärbtem, atraumatischem Faden markie-
ren (z. B. Prolene® 4–0 bis 6–0), Wundverschluss und Verlegung in mikrochir­
urgisches Zentrum.
14 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

• OP-Technik:
– Epineurale Nervennaht (Naht der Nervenhülle) bei Nerven mit einem
1 oder wenigen Faszikeln (Lupenbrille).
– Interfaszikuläre Nervennaht bei polyfaszikulären Nerven (10–0 Faden)
unter dem OP-Mikroskop durch Nähte im Bereich des Endoneuriums
(▶ Abb.  1.4). Vor Naht der Faszikel sparsames Anfrischen der Nervenen-
den und Legen einer Überbrückungsnaht im Epineurium zur Approxima-
tion der Nervenenden (6–0 Nylonfaden).
– Bei größerem Defekt oder falls eine spannungsfreie Naht nicht möglich
ist: Freies Nerventransplantat „Kabel-Graft“ . Nachteil: Sensibler Defekt
im Bereich des Versorgungsgebiets des Spendernerven, z. B. N. suralis.
• Nachbehandlung:
– (Gips-)Schiene für 2 Wo. unter Entlastung der Naht. Begleitend isometri-
sche KG und Elektrother. (▶ 20.4).
– Verlaufskontrollen klinisch.
– IT-Kurve, EMG und NLG.

Abb. 1.4  Nahttechnik bei durchtrenntem polyfaszikulärem Nerv [L106]

Prognose
• Geschlossene Nervenverletzung: Gute Progn.
• Offene Nervenverletzung: Abhängig von der Regenerationsfähigkeit des
Nervs, wichtig ist eine gute chirurgische Versorgung des traumatisierten
Nervs und ausreichende Durchblutung des OP-Gebiets.
• Bei Kindern bessere Progn. als beim Erw.
Amputationsverletzung
Definition
Verlust eines Fingers, Zehs oder einer (Teil-)Extremität durch einen Unfall. Am
häufigsten durch Verkehrs- (z. B. US-Amputation bei Motorradunfall) und Ar-
beitsunfälle (z. B. Kreissägenverletzung).
Therapie
Replantation: Ind. einem Chirurgen in speziellem Replantationszentrum
überlassen. Abgetrennte Körperteile grundsätzlich zusammen mit dem Pat. in
die Klinik bringen. Je nach Schwere der sonstigen Verletzungen ist der Trans-
port des Pat. in ein Zentrum zur Versorgung Mehrfachverletzter vorrangig.
Suche nach dem Amputat delegieren, nach Unterweisung, wie es zu asservie-
ren ist.
   1.3  Subluxationen und Luxationen  15

Notfallmaßnahmen
• Stumpfversorgung durch sterilen Kompressionsverband.
• Volumensubstitution (z. B. 500–1.000 ml HAES®). 1
• Schienung subtotal amputierter Gliedmaßen zur Vermeidung der Ab-
knickung noch bestehender Weichteilbrücken (z. B. Drahtleiterschiene).
• Amputat trocken und kühl lagern: Eingewickelt in sterile, trockene
Kompressen wird das Amputat in einen wasserundurchlässigen Kunst-
stoffbeutel gelegt und dieser in einem weiteren Beutel, der Wasser und
Eiswürfel enthält, verpackt (kein direkter Eiskontakt!).
• Transport in ein Replantationszentrum.

1.2.7 Komplikationen der Wundbehandlung


• Hämatom, Serom: Punktion bzw. Ausräumung unter sterilen Bedingungen,
Abstrich zur Bakteriologie (auch ▶ 8.1).
• Wundrandnekrose: Trocken halten, trockener Wundverband. Trockenen
Schorf nicht gewaltsam abtragen.
• Nahtdehiszenz: Sekundärnaht unter sterilen Bedingungen, Wundrand anfri-
schen.
• Wunddehiszenz: Ther. wie beim infizierten Serom (s. o.). Zur Abkürzung des
Heilverlaufs und aus kosmetischen Gründen ggf. Sekundärnaht oder Spalt-
hauttransplantat nach Selbstreinigung des Wundgrunds.
• Hautdefekt: Evtl. lokal plastisch-chirurgische Maßnahmen, falls Hautdefekt
nach Abschluss der übrigen Wundheilung zu groß (z. B. Lappenplastik ▶ 3.4.4).
• Wundinfekt ▶ 8.3.

1.3 Subluxationen und Luxationen


Definition
Unvollständiger (Subluxation) oder vollständiger (Luxation) Kontaktverlust ge-
lenkbildender Knochenenden. Das körperferne Knochenende wird als das luxier-
te bezeichnet.

Einteilung
• Unterscheide: Erstluxation bzw. traumatische Luxation, atraumatische bzw.
chronische (z. B. rheumatische) Luxation, Reluxation oder rez. Luxation.
• Habituelle Luxation (▶ 9.1.17, ▶ 13.2.20): Luxation ohne adäquates Trauma
bei konstitutioneller Fehlanlage des betroffenen Gelenks.

Ätiologie und Pathogenese


• i. d. R. indirektes Trauma durch Sturz. Selten durch direkten Zug am Gelenk
(z. B. Radiusköpfchensubluxation). Im Fingerbereich häufig Hyperextensi-
onstrauma.
! Kombinationsverletzungen, z. B. Frakturen, sind häufig → Luxationsfraktur.
• Im Kindesalter ist das Verletzungsmuster „Fraktur“ oder „Luxation“ vom
Reifezustand der Epiphysenfuge abhängig. Solange die Epiphysenfugen noch
offen sind, ist eine Luxation des Gelenks sehr selten. Beispiel: Vor dem 7. Lj.
ist eine typische Verletzung der Ellenbogenregion die suprakondyläre Hume-
rusfraktur. Danach finden sich häufiger Ellenbogenluxationen.
16 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Klinik
• Meist typische Schonhaltung und Schmerzreaktion bei Bewegung des Ge-
1 • lenks. Gel. bei der Untersuchung Spontanreposition (▶ 9.2.14).
Bei Kindern typische Schonhaltung und Nichtgebrauch der Extremität.
! 
Trotz einer scheinbar weitgehend intakten Gelenkfunktion kann eine Luxati-
on vorliegen. Wichtig: DMS-Kontrolle (vor Reposition).
• Luxationszeichen:
– Unsichere: Schmerz, Funktionsverlust, Schwellung, Hämatom.
– Sichere: Deformität, federnde Fixation, leere Pfanne, abnorme Lage des
Gelenkkopfs.

Diagnostik
Röntgen: In 2 Eb. zur Dokumentation der Fehlstellung und zum Ausschluss ei-
ner knöchernen Begleitverletzung. Bei fraglicher Bandinstabilität gehaltene Auf-
nahmen.

Die Luxation des Radiusköpfchens (Monteggia-Verletzung) gehört zu den


am häufigsten übersehenen Verletzungen im Kindesalter. Die regelrechte
Zentrierung des Radiusköpfchens aktiv an jedem Röntgenbild überprüfen.
Vergleichsaufnahmen der Gegenseite erbringen nachweislich beim akuten
Trauma keine Zusatzinformationen, sodass sie obsolet sind.

Sono: Eine (Sub-)Luxation kann v. a. im Kindesalter sonografisch sicher diagnos-


tiziert werden. Bei unauffälligen Rö-Aufnahmen sind im Sonogramm häufig
echoarme Strukturen im Sinne eines Gewebeödems oder einer Blutung nachweis-
bar → Hinweis auf eine Luxation, die bereits wieder spontan reponierte.

Therapie
Konservative Therapie
• Schnellstmögliche schonende Reposition, evtl. unter Analgosedierung, z. B.
mit Piritramid (Dipidolor®) und Midazolam (z. B. Dormicum®) langsam tit-
riert i. v. Cave: Atemdepression: Antidot = Flumazenil (Anexate®), Intubati-
onsbereitschaft.
• Keine brüske Reposition, um iatrogene Verletzungen zu vermeiden: Dem Pat.
Zeit lassen, die Muskulatur zu entspannen.
• Nach Reposition erneute Kontrolle von DMS und Rö zur Dokumentation der
korrekten Gelenkstellung und Ausschluss iatrogener Verletzungen.
Operative Therapie
Bei Repositionshindernis. Evtl. Wiederherstellung verletzter Bandstrukturen bzw.
Osteosynthese bei knöchernen Begleitverletzungen.

Komplikationen nach Reposition


Reluxation
• Erneute Verrenkung eines reponierten Gelenks, evtl. noch während der Ru-
higstellungszeit. Bei einem adäquaten Unfallmechanismus Ther. entspre-
chend einer Erstluxation.
• Besteht V. a. eine rez. bzw. habituelle Luxation, müssen prädisponierende
Faktoren gesucht (z. B. Bandinstabilitäten, Inkongruenz der Gelenkflächen,
ossäre Begleitverletzung) und ggf. operativ beseitigt werden.
  1.4 Frakturen  17

Gefäß-Nerven-Läsion
• Durch zu brüske Repositionsmanöver.
• Kontrolle und Dokumentation von DMS im Anschluss an die Reposition. Bei 1
V. a. Gefäßläsion (Dauerschmerz, kühle, pulslose Extremität, blass-marmo-
rierte Haut) sofortige weitere Diagn. (Doppler-Sono, Angiografie). Extremität
flach lagern, i. v. Analgetika, Volumengabe.
! Keine Überwärmung der Extremität, um erhöhten O2-Bedarf zu vermeiden.

Prognose
Bei konsequenter Frühbehandlung und fehlenden Begleitverletzungen günstig.
Ansonsten Gefahr rez. Luxationen mit evtl. Gelenkinstabilität.

1.4 Frakturen
1.4.1 Ätiologie und Frakturklassifikationen
Ätiologie
Direktes Trauma: Fraktur direkt am Ort der Gewalteinwirkung, z. B. Sturz auf
das dorsalflektierte Handgelenk → Radiusfraktur loco classico (▶ 9.2.21), Anprall-
verletzung am US durch Stoßstange → Stückbruch der Tibia.
Indirektes Trauma: Fraktur fern der direkten Gewalteinwirkung, z. B. Sturz auf
die Schulter → Klavikulafraktur (▶ 9.1.5), Sturz auf ausgestreckten Arm → subka-
pitale Humerusfraktur (▶ 9.2.1).
Pathologische Fraktur: Fraktur spontan oder nach Bagatelltrauma bei vorgeschä-
digtem Knochen, z. B. Metastase (▶ 14.6), Zyste (▶ 14.4), Morbus Paget (▶ 15.1.3).
Ermüdungsfraktur (Stressfraktur): Schleichende Fraktur bei übermäßiger
Dauerbeanspruchung, z. B. nach längeren Fußmärschen, zu rascher Steigerung
von Trainingseinheiten im Sport (▶ 7.2.3), bei vorgeschädigtem Knochen (z. B.
Osteomalazie), lokaler Schwächung aufgrund unphysiol. Knochenform (z. B.
Coxa vara).
Häufige Lokalisationen: Metatarsale II und III, Schenkelhals, Tibiakopf, Femur-
und Tibiaschaft. Daran denken! Meist nicht dislozierte Frakturen, die nach Scho-
nung spontan ausheilen.

Einteilung
▶ Tab.  1.6.
Tab. 1.6  Frakturklassifikationen
Einteilung nach Art des Verletzungsmechanismus’

Biegungsfraktur Mit Biegungskeil

Torsionsfraktur Mit spiralförmiger Frakturlinie

Kompressionsfraktur Durch Einstauchung eines zentralen Gelenkflächenanteils

Abscherfraktur „Flake Fracture“, zwischen abgestütztem und nicht ab­


gestütztem Knochen

Abrissfraktur Von Bandansätzen und Sehnenansätzen

Meißelfraktur Am Radius oder Tibiakopf


18 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Tab. 1.6  Frakturklassifikationen (Forts.)


Einteilung nach Verlauf der Frakturlinie
1
Schrägfraktur Mit kurzem oder langem Verlauf

Querfraktur Senkrecht zur Längsachse des Knochens verlaufende


Fraktur

Defektfraktur Mit Verlust von Knochensubstanz

Einteilung nach der Art der Dislokation

Seitverschiebung (Dislo­ Lateral, medial, ventral, dorsal; ¼, ⅓, ½ Kortikalisbreite


catio ad latus) bzw. Schaftbreite

Längsverschiebung (Dis­ Mit Verkürzung (cum contractione), mit Verlängerung


locatio ad longitudinem) (cum distractione), Angabe in cm

Achsenknick (Dislocatio Varus, Valgus, Antekurvation, Rekurvation, Angabe in


ad axim) Winkelgraden

Drehfehler (Dislocatio ad Iro., Aro., Angabe in Winkelgrad, Bezugsgröße ist je­


peripheriam) weils das distale Fragment

Einfache Fraktur Mit 2 Fragmenten

Mehrfragmentfraktur Mit 3–6 Fragmenten

Trümmerfraktur Mit > 6 Fragmenten

Frakturklassifikation der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO)

AO-Frakturklassifikation der langen Röhrenknochen (▶ 25)


AO-Frakturklassifikation des Handskeletts (▶ 25)

Weitere Frakturklassifikationen

Zahlreiche andere lokalisationsspezifische Klassifikationen, z. B. Klassifikation der


medialen SHF nach Pauwels (▶ 13.1.10).

1.4.2 Offene Frakturen
Einteilung
Schweregrad offener Frakturen (Gustilo I–IIIa, b, c): Bei den offenen Frakturen
und Luxationen ist das Ausmaß des begleitenden Weichteilschadens (Tscherne)
für Progn. und Ther. entscheidend:
• Grad I: Durchspießung der Haut von innen ohne erhebliche Schädigung der
übrigen Gewebe. Behandlung wie geschlossener Bruch. Inf.-Rate 1 %.
• Grad II: Ausgedehnte Hautverletzung von außen mit geringgradiger Schädi-
gung und Kontamination der umgebenden Strukturen. Inf.-Rate ca. 5 %.
• Grad III (a–c): Ausgedehnte Eröffnung der Fraktur mit größerem Haut- und
Weichteildefekt, Schädigung von tiefen Gefäßen und/oder Nerven. Knochen
meist stark fragmentiert. Inf.-Rate ca. 20 %.
• Grad IV (nicht in Originalklassifikation; totale und subtotale Amputation).
Moderne Scoresysteme sinnvoll bei Entscheidung zum Extremitätenerhalt (z. B.
Hannover Fracture Score, HFS, Mangled Extremity Score, MESS oder NISSSA).
  1.4 Frakturen  19

Klinik
Auf klin. Zeichen des Kompartmentsy. achten: Akut einsetzende, sich steigernde
Schmerzen. Parästhesie, Hypästhesie, Anästhesie sind Spätzeichen (▶  13.2.35). 1
Palpation sehr schmerzhaft, Gewebe steinhart, periphere Arterienpulse im Früh-
stadium tastbar. Häufigste Lokalisationen: US-Logen, UA-Logen nach suprakon-
dylärer OA-Fraktur (Volkmann-Kontraktur).

Jede offene Fraktur ist ein chirurgischer Notfall. Der angelegte Transportver-
band wird bei bekannter Diagnose nach Eintreffen im Krankenhaus erst im
OP geöffnet.

Therapie
• Tetanusprophylaxe nie vergessen (▶ 1.2.5).
• Antibiotikaprophylaxe bei offenen Frakturen Grad II und III, z. B. mit Cefu-
roxim 3 × 1,5 g/d (z. B. Zinnat®).
• Débridement (häufig wiederholt, „second look“), ausgiebige lokale Spülung,
anschließende stabile Osteosynthese (z. B. Fixateur externe, KD-Fixation) bei
offenen Frakturen Grad II und III.
• Offene Luxationen sind meist mit Frakturen und ausgedehnten Weichteil-
schädigungen kombiniert, welche die weitere Ther. bestimmen. Frühe Weich-
teildeckung (5–10 d nach Unfall) anstreben.
• Prim. Amputation: Zu diskutieren bei schwerer Typ-III-Fraktur mit massiver
Kontamination, hohem Knochenverlust und Weichteilverlust und/oder Ner-
vendurchtrennung.

1.4.3 Klinik und Diagnostik bei Frakturen


Klinische Frakturzeichen
• Unsichere: Schwellung, Schmerzhaftigkeit, Functio laesa, Schonhaltung.
• Sichere: Fragmente in offenen Wunden, auffällige Achsenfehlstellungen, Kre-
pitation, abnorme Beweglichkeit.
• Bei Prädilektionsstellen an Gefäß-Nerven-Verletzung und sonstige Begleit-
verletzung denken. Beispiele:
– Schulterluxationsfraktur: Plexus brachialis, A. axillaris.
– OS-Fraktur: A. femoralis, N. femoralis.
– Kniegelenksnahe Verletzung: A. poplitea, N. tibialis.
– US-Fraktur, Fibulaköpfchenluxation: N. peroneus.
– Rippenfraktur: Pneumo- oder Hämatothorax, Lungenkontusion.

Diagnostik
Anamnese
• Schilderung des Unfallhergangs (Dokumentation mit Ort, Uhrzeit, BG-Fall?).
• Viele Pat. spüren ein deutliches Krachen im Augenblick der Fraktur.
• Häufig ist bereits eine Blickdiagnose aufgrund der Fehlstellung oder der typi-
schen Schonhaltung möglich.
Untersuchung
i. d. R. nur orientierende, schonende Untersuchung und frühzeitige bildgebende
Diagn. (v. a. bei Kindern).
20 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Apparative Diagnostik
• Rö des entsprechenden Körperteils in 2 Eb., ggf. Schräg-, Schicht- oder Funk-
tionsaufnahmen.
1 • CT oder 3-D-Rekonstruktion bei komplexen Frakturen, z. B. WS-, Becken-
frakturen.
• MRT zur Beurteilung von Weichteil- oder Myelonverletzungen.
• Knochenszinti bei Ermüdungsfrakturen oder primär aufgrund des Rö-Bilds
nicht sicher diagnostizierbaren Frakturen (z. B. Skaphoidfraktur) – nach ca.
10 d (Mehrspeicherung).
Weitere Untersuchungen
Je nach Begleitverletzung, z. B. Urografie bei Beckenfrakturen mit V. a. Harnröh-
renbeteiligung (Blut aus Harnröhre), Angiografie (fehlender peripherer Puls),
spezielle neurol. Diagn. bei V. a. Nervenläsionen.

1.4.4 Konservative Frakturbehandlung
Grundlagen
• Prinzip: Reposition bei Fehlstellung, dann Retention bis Abschluss Knochen-
heilung.
• Vorteil: Keine OP-abhängigen KO (insbes. Inf.).
• Nachteil: I. d. R. keine frühfunktionelle Beübung möglich (Frakturkrankheit,
▶ 1.4.11).
Indikationen
• Nicht oder gering dislozierte und nicht abrutschgefährdete Frakturen.
• Abrutschgefährdete, aber nicht dislozierte Frakturen unter engmaschiger
Kontrolle, z. B. Abrissfraktur des Tub. majus mit Dehiszenz < 10 mm.
• Sehr häufig im Kindesalter (▶ 1.4.9).
• Bei Fehlstellung/Dislokation, wenn Ausheilungsergebnis tolerable Funktion
erwarten lässt (häufig im höheren Lebensalter).
• Ruhigstellung vor definitiver OP bei ungünstigen Weichteilverhältnissen.
• Vorliegen von KI für eine Osteosynthese, z. B. nicht vertretbares OP-Risiko.
Gipsbehandlung
▶ 3.1.3.
Prinzip
• Äußere Schienung der Fraktur.
• Nachbargelenke mit ruhigstellen.
Extensionsbehandlung
Prinzip
• Extern oder transossär angebrachtes Zugsystem. Bewirkt Neutralisation des
Muskelzugs, Einstellung der Achsen und Adaptation der Fragmente unter ge-
eigneter Lagerung (Schiene; Braun-Lochstabsystem) sowie Retention und Im-
mobilisation. Die Reposition muss oftmals vor Anlage der Extension durch-
geführt werden.
! Keine Extension bei V. a. Kompartmentsy.
! Keine Drahtextension an einem Knochen, den man nicht noch in gleicher
Sitzung operieren könnte (Inf.-Gefahr).
  1.4 Frakturen  21

Indikationen
• Präop.: Wenn Osteosynthese nicht
primär möglich, bis zur Herstel-
lung der OP-Fähigkeit (Schmerzre-
1
duktion).
• Dauerzug: Bis Fraktur anfixiert ist,
anschl. Gipsbehandlung.
• Aufhängung der Extremität (Doppel-
bügel) bei schwerem Weichteiltrau-
ma mit und ohne Fraktur (selten).
Häufigste Anwendungen
• Femurfraktur (▶ Abb.  1.5): Zur
Dauer­extension suprakondylärer
Zug, zur präop. Extension Tuberosi-
tas tibiae wählen, Letzteres kontrain-
diziert bei Kindern mit offener Tibia­
apophyse. Cave: Kniebandlockerung.
• US-Luxationsfraktur, Sprungge-
lenkluxationsfraktur: Extension am
Tuber calcanei. Zug:
• Instabile HWS-Fraktur oder disko- ca. 1⁄5 kg KG
ligamentäre Ruptur: „Crutchfield“-
Extension bzw. Halo-Ring am
Abb. 1.5  Oberschenkelextension [L106]
Schädeldach.
OP-Technik
• Maskennarkose, falls eine Frakturreposition nötig ist, sonst Infiltrationsanäs-
thesie der Ein- und Ausstichregion.
! Einstich auf der Gefäß-Nerven-Bündelseite.
• Kirschner-Draht oder Steinmann-Nagel bis auf das Periost vorschieben
(▶ Tab.  1.7).
• Beim Durchbohren muss der Widerstand beider Kortikales deutlich spürbar
sein.
• Nach Anbringen des gespannten Extensionsbügels muss der KD beim Be-
klopfen klingen → korrekte Spannung. Bei Kalkaneusextension und dist.
Tibia­fraktur mit ventralem oder distalem Frakturkeil (Volkmann-Dreieck)
Positionieren des Extensionsdrahts etwas vor oder hinter die Tibialängsachse,
um die Fraktur nicht zu dislozieren (▶ Abb.  1.6).
• Gewicht: ca. 1⁄5 KG bei Femur- und ca. 1⁄10 KG bei Kalkaneusextension.
Cave: Überdistraktion → verzögerte Knochenheilung.
Komplikationen
• Falsche Lage: Schief, tangential, in den Weichteilen. Daher sorgfältig durch-
führen. Rö-Kontrolle der Lage nur ausnahmsweise erforderlich.
• Gefäß-Nerven-Verletzung.
• Schädigung der Apophysenfuge: Keine Tibiakopfextension im Kindesalter.
Lagerung
• Achse: Großzehe → Patella → Spina iliaca ant. sup.; Fuß in 20° Aro.; Neutral-
stellung im OSG; Ferse frei lagern; Knie normalerweise in ca. 15° Flexion (es
sei denn, die Fraktur klafft in dieser Position); Kniekehle leicht unterpolstert;
Fibulaköpfchen druckfrei.
22 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Tab. 1.7  Extensionssysteme


System Beschreibung Vorteil Nachteil
1
Kirschner- • 1,8–2,0 mm • Wenig traumatisierend • Motorisches Ein­
Draht (KD) Durchmesser • Bügel kann bei Reposi­ bohren
• Wird in Bügel tion als Griff dienen • Zielen schwieriger
eingespannt • Exzentrischer Zug • Draht verschiebt
• Zug am Bügel möglich sich leicht im Kno­
chen
• Inf. häufiger
Steinmann- • Durchmesser 3,5– • Einbringen mit Hand­ Größerer Fremdkör­
Nagel (SN) 5 mm griff ohne Motor per
• Zug direkt am • Zielen und Treffen si­
Nagel oder Bügel cherer
• Nagel rutscht selten

Abb. 1.6  Insertionspunkte für das Anlegen eines Extensionsdrahts [L190]


  1.4 Frakturen  23

• Bei Femurfraktur OS an Schiene anliegend lagern, um „Durchhängen“ der


Fraktur zu vermeiden. Ggf. Lagerungshilfen verwenden bzw. Fixierung mit
elastischen Binden. Fußende des Betts hochstellen. 1
Kontrollen und Nachbehandlung
Frakturstellung und Position der Extremität ändern sich in den ersten Tagen öf-
ter. Klinische und ggf. Rö-Kontrollen bei jeder Klage über Schmerzen. Täglich
werden kontrolliert:
• Lagerung der Extremität, Frakturstellung.
• DMS: Auf Kompartmentsy., Peroneusparese durch Schienendruck (häufig!)
und Dekubitus achten.
• Weichteile auf Frakturhöhe.
• Eintrittsstellen der KD bzw. Steinmann-Nägel: Tgl. Wundreinigung, bei In-
fektzeichen (Schmerzen, Sekretion, Rötung) Extension, falls möglich, neu an-
legen oder Verfahrenswechsel.
Rö-Kontrollen: Anfangs 2-mal/Wo. sowie nach jeder Stellungskorrektur. Korrek-
tur der Fragmentstellung möglich durch Änderung der Zugrichtung (z. B. exzent-
risch), des Zuggewichts, der Kniebeugung, der Lagerung insgesamt.

1.4.5 Operative Frakturbehandlung
Ziel
Ziel der Osteosynthese ist die zumindest übungsstabile Versorgung zur Wieder-
herstellung der Funktion der verletzten Region. Die Nachteile einer länger dau-
ernden Immobilisation können durch eine mögliche frühfunktionelle Behand-
lung verringert werden, z. B. Thrombose, Embolie, Gelenkeinsteifung, Sehnenver-
klebung, Inaktivitätsatrophie von Muskulatur und Knochen. Angestrebt wird eine
anatomische Reposition (Gelenke) und stabile Fixation mit Wiederherstellung
der ursprünglichen Länge unter Korrektur einer Rotations- bzw. Achsfehlstel-
lung.

Osteosyntheseprinzipien
• Statische oder dynamische Kompression, z. B. Marknagelosteosynthese.
• Intra- oder extramedulläre Kraftträger, z. B. Plattenosteosynthese, Nagel.
• Kombinationsverfahren.
Schraubenosteosynthese
Prinzip
Bei alleiniger Versorgung einer Fraktur mit Schraubenosteosynthese soll Kom-
pression und somit absolute Stabilität im Frakturbereich erzeugt werden. Hierbei
werden die Schrauben als sog. Zugschrauben eingebracht (▶ 1.4.5, „Schraubenos-
teosynthese, OP-Technik“).
Implantate
Kortikalisschraube: Zur Frakturversorgung im Bereich der Diaphyse. Durchge-
hendes enges Gewinde, das nach Bohren des Schraubenlochs mit einem Gewinde-
schneider vorgeschnitten werden muss. In unterschiedlicher Länge und Dicke er-
hältlich.
Spongiosaschraube: Zur Frakturversorgung im Bereich der Metaphyse. Im Ver-
gleich zum Gewinde kleiner Schraubenkern und weit laufendes Gewinde. Ein Ge-
winde muss nur im Bereich einer kräftigen Kortikalis geschnitten werden. Es gibt
24 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Spongiosaschrauben mit durchgehendem Gewinde (z. B. zur Plattenfixation) und


mit ⅓- bzw. ⅔-Gewinde.
Kanülierte Schrauben: Schrauben mit durchbohrtem Schaft. Eindrehen der
1 Schraube über einen zuvor unter BV-Kontrolle platzierten Führungsdraht. Bei-
spiel: Lochschraubenosteosynthese bei Schenkelhalsfraktur.
Malleolarschraube: Zur Fixation des Innenknöchels z. B. bei Weber-B- oder -C-
Frakturen. Schraube besitzt ein selbst schneidendes Gewinde. Problem: Schrau-
benkopf trägt stark auf und kann beim Tragen der Schuhe schmerzen (Schraube
wird zunehmend seltener eingesetzt).
OP-Technik
Zugschraube (▶ Abb.  1.7, ▶ Abb.  1.8): Hierfür die schraubenkopfnahe Kortikalis
so weit aufbohren, dass eine Kortikalisschraube in diesem Loch gleiten kann
(„Gleitloch“). Auf der Gegenseite ein kleineres Loch bohren und ein Gewinde

Abb. 1.7 Technik der Zugschraubenosteosynthese. a Bohren des Gleitlochs.


b  Steckbohrbüchse. c Bohren des Gewindelochs. d Kopfraumfräse. e Längen­
messung. f Gewinde schneiden. [L106]
  1.4 Frakturen  25

schneiden („Gewindeloch“). Beim Ein-


drehen der Schraube zieht diese das fer-
nere Fragment mit dem Gewindeloch
gegen das nähere Fragment mit dem
1
Gleitloch und erzeugt die erwünschte
Kompression.
Spongiosaschraube (▶  Abb.  1.9): Ihr
kurzes Gewinde mit größerem Durch-
messer als der Schraubenschaft fasst im
spongiösen Knochen oder in dünner
Kortikalis gut und bewirkt die Kom-
pression der Fraktur, da der Schrauben-
schaft im Bohrloch gleiten kann. Das
Gleitloch muss für die Spongiosa­ Abb. 1.8  Korrekter Winkel einer Zug­
schraube zur Frakturlinie [L106]
schraube folglich nicht aufgebohrt wer-
den. Bei der Auswahl der Schrauben
unbedingt darauf achten, dass der ge-
windetragende Schraubenanteil sicher
im frakturfernen Fragment fasst. Lie-
gen die Gewindegänge teilweise auf der
kopfnahen Seite, sperrt das Gewinde
und es kann keine Kompression der
Fragmente entstehen.

Plattenosteosynthese
Prinzip
Klassische Plattenosteosynthese bei
offener Reposition (▶  Abb.  1.10): Je
nach Funktion der Platten Schutz- und
Neutralisationsplatten (zum Schutz ei-
ner Zugschraubenosteosynthese), Ab-
stützplatten (um ein Abrutschen eines
Fragments zu verhindern, z. B. bei einer
Tibiakopffraktur), Kompressionsplat-
ten (zur interfragmentären Kompressi-
on) und Zuggurtungsplatten. Häufig
Komb. von Platten- und Schraubenos-
teosynthese, z. B. zunächst korrekte Re- Abb. 1.9 Korrekte und falsche Wahl
position durch interfragmentäre Zug- von Spongiosaschrauben. Ein zu lan­
schraube und anschließend definitive ges Gewinde führt zur Distraktion des
Plattenosteosynthese. Frakturspalts. [L106]
Moderne, weniger invasive Osteosyn-
theseverfahren: Mit winkelstabilen Schrauben im Plattenverbund, z. T. selbst schnei-
dende Schrauben mit integriertem Bohrkopf. Die Platten liegen dabei i. d. R. nicht direkt
dem Periost auf. Minimalinvasive Verfahren mit Schraubenplatzierung über Zielbügel
und Stichinzision (z. B. LISS). Insbesondere bei schwierigen Frakturlokalisationen indi-
ziert (z. B. periprothetische suprakondyläre Femurfraktur).
Implantate
Plattenformen: Abhängig von anatomischer Lokalisation und Osteosynthese-
technik gibt es zahlreiche Plattenformen in unterschiedlichen Größen, z. B. gera-
26 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Abb. 1.10  Platten zur Osteosynthese [L190]

de Platte, L-Platte, T-Platte, Winkelplatte, Kleeblatt-Platte, Löffel-Platte, winkel-


stabile Platten. Tendenz zu Spezialplatten für spezielle Frakturtypen und -lokali-
sationen.
Verbundplattenosteosynthese: Bei pathol. Frakturen kann bei der Plattenosteo-
synthese der Defekt mit Knochenzement aufgefüllt werden. Die Schrauben fassen
im Zement (Verbundplattenosteosynthese). Evtl. zusätzliche Platte auf der Ge-
genseite.
OP-Technik
Winkelplattenosteosynthese bei intertrochantärer Umstellungsosteotomie
▶ 13.1.11.
AO-Kompressionsplatte: Nach Reposition eine Platte mit 1–2 Schrauben auf einer
Frakturseite befestigen. Auf der Gegenseite einen Plattenspanner anbringen und die
Fraktur komprimieren. Dann die übrigen Schraubenlöcher besetzen. Bei Versorgung
von queren Schaftfrakturen muss die Platte vorgebogen („geschränkt“) werden, da
sonst die Gegenkortikalis klafft. Falls möglich Einbringen einer interfragmentären
Zugschraube.
Dynamische Kompressionsplatte (DCP, ▶ Abb.  1.11): Eleganteres Verfahren; die
Fraktur durch exzentrisches Einsetzen der Schrauben zu beiden Seiten der Bruchflä-
che unter Druck setzen, die Schraubenköpfe gleiten auf einer schiefen Ebene. Beim
Bohren auf die korrekte Bohrhülse achten: Exzentrische Position (= grüne Markie-
rung) oder Neutralposition (= gelbe Markierung). Der Pfeil muss zur Fraktur zeigen.
  1.4 Frakturen  27

Dynamische Kompressionsplatte mit verringerter Auflagefläche (LC-DCP,


▶ Abb.  1.11): Vorteile: Spezielles Design mit verringerter Auflagefläche → bessere
Periostdurchblutung, MRT bei liegendem Implantat möglich, z. B. bei Tumorpat.
oder bei der Pseudoarthrosenbehandlung. Nachteile: Platten bestehen aus teurem
1
Reintitan, spezielles Instrumentarium erforderlich. Durch Resterilisation der Ti-
tanimplantate ist jedoch eine Kostensenkung möglich. Bei bekannter Nickelaller-
gie Implantat der Wahl.

Abb. 1.11  Funktionsweise von Kompressionsplatten. DCP (Dynamic Compression


Plate, a–g) und LC-DCP (Limited Contact Dynamic Compression Plate, h). [L106]

Winkelstabile Plattensysteme (z.  B.


LCP, LISS, ▶ Abb.  1.12): Bei komplexen
Frakturen, insbesondere Trümmerfrak-
turen kann die Verwendung winkelsta-
biler Plattensysteme indiziert sein. Eini-
ge Systeme werden weichteilschonend
submuskulär eingebracht. Vorteile: At-
raumatisch, Fraktur wird nicht eröffnet,
erhaltene Periostdurchblutung, stabiles
Konstrukt durch winkelstabile Schrau-
ben, ideal bei periprothetischen Fraktu-
ren. Die Schrauben haben einen eige-
nen integrierten Bohrkopf, sind selbst
schneidend und werden über Zielbügel Abb. 1.12  Winkelstabiles System [L157]
nach Stichinzision eingebracht. Relativ
einfache Anwendung, aber Lernkurve.
Überbrückungsplatte (Wellenplatte): Aufgrund moderner Osteosyntheseverfah-
ren kaum noch üblich. Bei komplexen Frakturen im Schaftbereich kann eine über-
brückende Plattenosteosynthese ohne ideale Reposition kleiner Fragmente indi-
ziert sein. Ziel: Kein zusätzliches OP-Trauma im Bereich der durchblutungsge-
fährdeten Fragmente. Bei Frakturen, die unter Biegebelastung stehen, muss die
28 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Platte auf der Seite der Zugkräfte angebracht werden. Anderenfalls wird die Frak-
tur aufgebogen.
1 Marknagelosteosynthese
Prinzip
• Intramedulläre Schienung einer Schaftfraktur eines großen Röhrenknochens.
Evtl. mit zusätzlicher Verriegelung an einem oder beiden Enden zum Erhalt
der Länge und korrekter Rotation bei längerstreckigen Frakturen mit mehre-
ren Fragmenten (▶ Abb.  1.13).
• Intramedulläre Fixation von proximalen Femurfrakturen mittels kurzem
PFN (proximaler Femurnagel) oder γ-Nagel erfolgt nach dem gleichen OP-
Prinzip.
Implantate
AO-Universalnagel: Aufbohren des gesamten Markraums und Einschlagen eines
Hohlnagels. Verriegelung fakultativ.
Unaufgebohrter Marknagel: Massiver, aber dünnerer Nagel. Vorteil ist die weit-
gehende Schonung der intramedullären Gefäße. Einsatz z. B. bei schweren offe-
nen Frakturen als Alternative zum Fixateur externe. Verriegelung obligat.
Bündelnagelung: Mehrere elastische Federnägel, die sich im frakturfernen Frag-
ment aufspreizen und die Fraktur gegen Rotation sichern. Bei sich aufweitender Me-
taphyse im Bereich des Knochenfensters, durch das die Nägel eingebracht werden,

Abb. 1.13 Marknagelosteosynthese
mit proximaler und distaler Verriege­ Abb. 1.14 Femurnagel mit Schenkel­
lung [L106] halsschraube [L157]
  1.4 Frakturen  29

müssen zusätzliche kürzere Nägel eingebracht werden, um eine Dislokation zu ver-


hindern. Ind.: z. B. Humerusschaftfraktur, kindl. Femurfraktur.
PFN und γ-Nagel: Bei proximalen Femurfrakturen nur noch als Alternativver-
fahren zur DHS. Proximal voluminöser Nagel, der je nach Frakturtyp mit oder
1
ohne Schenkelhalsschraube implantierbar ist und mehrere Verriegelungsvarian-
ten bietet.
OP-Technik
Femurnagel, ▶ Abb.  1.14.
Lagerung und Frakturreposition am häufigsten mittels Fraktur-/Extensionstisch.
Mit einem Pfriem oder K-Draht die Markhöhle im Bereich der prox. Tuberositas
tibiae bzw. in der Fossa piriformis femoris eröffnen. Unter Bildwandlerkontrolle
über einen Führungsdraht den Markraum mit intramedullären Fräsern aufweiten.
Den passenden Nagel einschlagen. Proximale Femurfrakturen, Schaftquerbrüche
und kurze Schrägbrüche im mittleren bis unteren Schaftdrittel können so zumin-
dest übungsstabil, u. U. auch belastungsstabil versorgt werden. Bei komplexer
Fraktur und Brüchen im prox. bzw. dist. Drittel muss der Marknagel durch Schen-
kelhalsschraube und Querbolzen verriegelt werden, entweder am frakturnahen
Ende („dynamische Verriegelung“) oder bei instabiler Situation prox. und distal
(„statische Verriegelung“).

Kirschner-Draht-Fixation
Prinzip
Stahldraht in verschiedenen Stärken, zur intraop. Stabilisierung vor definitiver
Osteosynthese, jedoch auch als Adaptationsosteosynthese (▶ Abb.  1.15), die dann
z. B. im Gipsverband zusätzlich ruhiggestellt werden muss. Typische Form der
Osteosynthese metaphysärer Frakturen im Kindesalter.

Wachstums-
alter

Abb. 1.15 Schrauben- und Kirschner-Draht-Osteosynthese bei epi- und supra­


kondylärer Humerusfraktur im Kindesalter [links: L255, rechts L106]

Zuggurtungsosteosynthese
Prinzip
Stabilisierung einer Fraktur durch Umwandlung von Zug- in Druckkräfte. Wich-
tig: Beide Seiten der Kortikalis müssen intakt sein. Eine Drahtschlinge wird z. B.
durch Sehnenansätze (Patella) oder durch einen Sehnenansatz und den Knochen
(Olekranon) gelegt (▶ Abb.  1.16). Kompression der gesamten Frakturfläche weni-
ger durch Anspannen des Drahts als durch die Kräfteumwandlung bei Bewegung.
Daher ist eine Übungsstabilität notwendig.
Implantate
Keine speziellen Implantate. Je nach Lokalisation und Alter des Pat. KD und Cer-
clage-Draht in unterschiedlichen Stärken.
30 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Abb. 1.16  Beispiele für Zuggurtungsosteosynthesen bei Olekranon- und Patel­


lafraktur [L106]

OP-Technik
Die KD müssen parallel eingebracht werden, damit die Fragmente beim Anspan-
nen des Drahts gleiten können. Um eine Dislokation der KD zu vermeiden, müs-
sen diese die Gegenkortikalis sicher fassen.

Fixateur externe
Prinzip
Stabilisierung von Frakturen mithilfe perkutan eingebrachter Knochenschrauben
(Schanz-Schrauben) oder Drähte und externer Fixation (monolateral oder über
multidimensionales System). Vorteil: Schonung des Weichteilmantels, minimales
OP-Trauma, keine OP-bedingte Devitalisierung von Knochenfragmenten, Ver-
fahrenswechsel möglich, kurze OP-Dauer, keine weitere OP zur ME.
Implantate und OP-Technik
Verschiedene Fixateur-Systeme (AO-Fixateur, Heidelberg External Fixation Sys-
tem, Ilisarov-Ringfixateur). OP-Technik abhängig vom System.

Dynamische Hüftschraube (DHS)


Prinzip
Eine im Hüftkopf zentrierte Schraube gleitet in der Lasche einer am prox. Femur
fixierten Platte. Unter Belastung kommt es zur (erwünschten) Einstauchung der
Fragmente. Klassische Ind.: Pertrochantäre Femurfrakturen.
Implantate und OP-Technik
Spezielle Hohlschraube mit kurzem, dickem Gewinde, das im Femurkopf fasst.
Die Schraube über einen zuvor unter BV-Kontrolle korrekt platzierten Führungs-
draht einbringen. Typischer Fehler: Draht zu weit kranial. Anschließend An-
schrauben der mit einer Lasche versehenen Platte, in der die Hohlschraube gleiten
kann (▶ Abb.  1.17). Zusätzliche Trochanterstabilisierungplatte selten erforderlich.
  1.4 Frakturen  31

Abb. 1.17 DHS-Implantation. a Platzierung des Führungsdrahts unter BV-Kont­


rolle in 2 Eb. (entscheidender Schritt der OP). b Vorbohren für die DHS (1 cm
kürzer als die gemessene Länge am Führungsdraht). c Situs nach Einbringen von
Schraube und Fixationsplatte. [L190]

1.4.6 Knochentransplantation
Material
Autologe (körpereigene) sind homologen (Knochenbanktransplantaten) wegen
der höheren biologischen Wertigkeit vorzuziehen. Die Art des verwendeten Kno-
chentransplantats ist abhängig von lokalen Erfordernissen und der jeweiligen
„OP-Schule“ der Klinik. Komb. verschiedener Knochentransplantate sind u. U.
sinnvoll. Voraussetzung für den Erfolg der Transplantateinheilung: Stabilität und
gute Vaskularisation bzw. Anfrischen des Transplantatbetts.
32 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Charakteristika:
• Kortikaler Knochenspan: Hohe Festigkeit bei niedriger biologischer Potenz.
1 • Kortikospongiöser Knochenspan: Gute mechanische Eigenschaften bei einge-
schränkter biologischer Wertigkeit.
• Spongiosaplastik: Hohe osteogenetische Potenz, zusätzlich stabile Osteosyn-
these (OS) erforderlich.

Entnahmestellen
• Spongiosa, kortikaler und kortikospongiöser Span: V. a. Beckenkamm (mehr
Material dorsal), evtl. Trochanter major, Tibiakopf.
• Geringe Mengen Spongiosa: Distale Tibia, Radiusmetaphyse, Olekranon.
• Knochenbanktransplantate: Nahezu ausschließlich bei Endoprothesenim-
plantationen angefallene Hüftköpfe, die entsprechend zugearbeitet werden
müssen. Wegen HIV- und Hepatitisgefahr Spender testen.
• Spezielle Allografts für komplexe Rekonstruktion bei Tumoren und Endopro-
thesenwechseln über Knochenbanken in Holland und Belgien zu beziehen.

1.4.7 Therapiekontrolle und Frakturheilung


Formen der Frakturheilung
Prim. Heilung (Kontaktheilung): Bei anatomischer Reposition, optimaler Ru-
higstellung und Durchblutung werden der Bruchspalt annähernd direkt von Os-
teonen längs durchzogen und die Fraktur verzahnt. Die Kallusbildung ist mini-
mal.
Sekundäre Heilung (Spaltheilung): Typisch für kons. Bruchbehandlung. Im
Gipsverband ist absolute Ruhigstellung nicht möglich. Die Heilung verläuft über
verschiedene Kallusstufen und sekundäres Remodeling.

Klinische Kontrolle
Kontrolle von DMS: Stationär tgl., ambulant am 1. Tag und anlässlich jeder Rö-
Kontrolle.
Kontrolle der Frakturkonsolidierung nach Gipsabnahme: Druckdolenter Kal-
lus; keine Bewegungsstabilität: Weitere Ruhigstellung für 2–3 Wo. Kallus nicht
druckdolent: Bewegungsstabile Fraktur. Belastungsbeginn nach Schmerzfreiheit.
Funktionskontrolle: Erst 2–3 Wo. nach Gipsabnahme sinnvoll.
Wachstumskontrolle bei Frakturen im Kindesalter: Bei möglicher resultieren-
der Wachstumsstörung sollte eine Nachkontrolle erfolgen.

Bei Anlage eines Gipses Pat. bzw. Eltern informieren, sich bei Besonderhei-
ten, z. B. zunehmenden Schmerzen, Blauverfärbung und Kaltwerden der Fin-
ger oder Zehen, sofort vorzustellen. Gefahr von Druckschäden.

Röntgenkontrolle
• Verlauf der Bruchheilung im Rö-Bild.
• Kons. Bruchbehandlung: Zunächst wolkiger Kallus → zunehmende Verdichtung.
• Nicht ganz stabile Osteosynthese: Reizkallus durch Mikrobewegungen an den
Fragmentenden, der die Fraktur bald fixiert („Fixationskallus“).
• Absolut stabile Osteosynthese: Keine Resorptionen an den Implantaten und
keine reaktive Kallusbildung („Reizkallus“); der Frakturspalt wird allmählich
unscharf und verschwindet bald.
  1.4 Frakturen  33

Röntgenkontrollen beim Erwachsenen (Faustregel)


• Am Unfalltag nach Reposition bzw. Osteosynthese.
• Am 7.–10. Tag (bis dahin noch erneute Reposition – geschlossen oder offen – 1
möglich).
• Vor Belastungsaufnahme.
• Abschlusskontrolle nach Ablauf der erfahrungsgemäßen Konsolidationszeit.
! U. U. sind engmaschigere Kontrollaufnahmen, z. B. bei Beginn einer Extensi-
onsbehandlung, zur Stellungskorrektur notwendig.
Röntgenkontrollen bei Kindern
• Nach Reposition bzw. Osteosynthese. Wurde nicht reponiert, ist eine Rö-
Kontrolle im Gips unnötig.
• Verlaufskontrolle je nach Fraktur am 4.–8. Tag.
• Abschlusskontrolle nach Gipsabnahme je nach erwarteter Konsolidation z. B.
in der 5.–6. Wo. nach dem Unfall.
• Ausnahmen: Radiologische Wachstumskontrollen (Kindesalter) nur bei ent-
sprechender Klinik (z. B. Achsfehlstellung).
• Frakturen von Klavikula, Phalangen und metaphysäre Wulstbrüche müssen
nicht radiologisch, sondern abschließend lediglich klin. kontrolliert werden.
Auf schmerzfreien Kallus achten.

1.4.8 Frakturen im Erwachsenenalter
Konsolidierungsdauer von Frakturen im Erwachsenenalter
Postop. etwa gleiche Dauer wie bei kons. Ther. Angegebene Zeitspannen
sind Durchschnitts- und Anhaltswerte, die im klin. Alltag nicht selten auch
beträchtlich überschritten werden können. Individuelle Verlaufsbeobach-
tung und Rö-Kontrollen sind daher zur Beurteilung der Frakturheilung un-
erlässlich.

Lastaufnahme nach Fraktur


• Eine Fraktur bleibt i. d. R. nicht bis zum Ablauf der vollen Konsolidierungs-
dauer ruhiggestellt. Abhängig vom Frakturtyp, dem Osteosyntheseverfahren
und den Angaben des Operateurs wird eine Übungs-, Teilbelastungs- oder
Belastungsstabilität erzielt (▶ Tab.  1.8, ▶ Tab.  1.9).
• Knöcherne Überbrückung bei den meisten Frakturen nach 6–8 Wo. Gelenk-
brüche und Trümmerfrakturen der unteren Extremität (z. B. an Tibiakopf
oder Fersenbein) bis zu 12-wöchige Entlastung.
• Lastaufnahme bei kons. Frakturbehandlung: Übungsstabil nach Aufbau eines
fragmentübergreifenden knöchernen Kallus.
• Lastaufnahme nach Osteosynthese: I. d. R. sofort übungs- oder belastungssta-
bil (z. B. mit Marknagel versorgte Querfraktur des Femurschafts).
• Ausnahme: Alleinige KD-Fixation und bestimmte WS-Osteosynthesen.
Diese sind lediglich lagerungsstabil und bedürfen der äußeren Schienung
(Orthese).
! Treten unter der Teilbelastung Schmerzen auf, muss die Last reduziert werden.

An den Extremitäten sind Bruchlinien noch lange zu erkennen, obwohl be-


reits Belastungsstabilität vorliegt. Dies ist auf die wegen der geringeren Kraft-
einleitung reduzierte Knochenneubildung zurückzuführen.
34 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Tab. 1.8  Anhaltswerte für Nachbehandlung operativ versorgter Frakturen


der oberen Extremität (Zahlenangaben beziehen sich auf den OP-Termin)
1 Fraktur- Art der OP Ruhigstellender Bewegungsthera- Erwarte- Metall­
lokalisa- Verband pie (Wochen) ter knö- entfer-
tion cherner nung
Art Dauer Vor­ Uneinge­ Durchbau (Mon.)
in Wo. sichtig schränkt (Wochen)
ab

Oberarm Bündelnage­ – – Sofort 4–6 10–12 (12–18)


lung, Platten­
osteosyn­
these

Distaler Schraubenos­ Dorsale 2–3 1–2 5–6 8–12 6


OA, El­ teosynthese, OA-
lenbo­ Spickdrähte, Gips­
genge­ ⅓-Rohrplatte schiene
lenk

Olekra­ Zuggurtung – – Sofort 3 12–16 6–10


non

Unter­ Plattenosteo­ – – Sofort 2 8–12 18–24


arm synthese
(kleine DC-
Platte)

Tab. 1.9  Anhaltswerte für die Nachbehandlung operativ versorgter Frakturen


der unteren Extremität (Zahlenangaben beziehen sich auf den OP-Termin)
Frakturlo- Art der OP Teilbelas­ Vollbelas­ Erwarteter Metallent-
kalisation tung ab tung ab knöcherner fernung
Durchbau (Mon.)
(Wochen)

Medialer Osteosynthese Stabil – 0 12.–16. 20–26 12–18


Schenkel­ (Schrauben, DHS) Wo.
hals
Hüftendoprothese 0 Sofort (ze­ 0 0
mentiert)

Prox. Fe­ Osteosynthese 2.–6. Wo. 8.–12. Wo. 12–16 12–18


mur (Winkelplatte)

Prox. Femurnagel 2.–6. Wo. 8.–12. Wo. 12–16 12–18

Mittleres Plattenosteosyn­ 8.–12. Wo. 16.–20. 16–26 24–36


und dista­ these Wo.
les Femur
Mehrfragment­ 12.–16. 20.–24. 20–26 24–36
bruch und Spon­ Wo. Wo.
giosaplastik

Marknagelung 3.–4. Wo. 6.–12. Wo. 16–26 24–36

Patella Zuggurtung 2. Wo. 6. Wo. 20–24 8–12

Tibiakopf Schrauben + Plat­ 12.–14. 16.–20. 16–20 10–18


tenosteosynthese Wo. Wo.
+ Spongiosaplastik
  1.4 Frakturen  35

Tab. 1.9  Anhaltswerte für die Nachbehandlung operativ versorgter Frakturen


der unteren Extremität (Zahlenangaben beziehen sich auf den OP-Termin) (Forts.)
Frakturlo- Art der OP Teilbelas­ Vollbelas­ Erwarteter Metallent- 1
kalisation tung ab tung ab knöcherner fernung
Durchbau (Mon.)
(Wochen)

Unter­ Plattenosteosyn­ 5.–6. Wo. 12.–16. 12–26 18–24


schenkel­ these Wo.
schaft
Mehrfragment- 8.–12. Wo. 16.–20. 16–26 18–24
bzw. Etagenbruch Wo.
+ Spongiosaplastik

Marknagelung 2.–3. Wo. 4.–6. Wo. 12–26 24

Distale Ti­ Platten- und 10.–14. 16.–18. 12–16 8–12


bia (Pilon Schraubenosteo­ Wo. Wo.
tibiale) synthesen

Sprungge­ Zuggurtung, 6. Wo. 8. Wo. 8–12 6–12


lenk ⅓-Rohrplatte,
Schrauben

Syndesmosen­ Stellschrau­
schraube benentfer­
nung vor
Volllast
(i. d. R. nach
6 Wo.)

Metallentfernung
Indikationen
• Nicht routinemäßig notwendig, immer relativ (insbes. bei Beschwerdefreiheit
besser belassen; ▶ Tab.  1.8, ▶ Tab.  1.9).
• ME nur sinnvoll bei lokalen Beschwerden, z. B. störenden Implantaten (Volu-
men, Lage, Reizerscheinungen). Cave: Hohe Komplikationsraten, evtl. Be-
schwerdeverschlechterung (wichtig: Dokumentation bei Aufklärung).
• Belassen werden sollten Implantate bei greisen Pat., insbes. am koxalen Fe-
mur sowie Platten am Humerusschaft (cave: Radialisläsion).
• Doppelplatten bzw. Implantate an verschiedenen Extremitäten in zwei Etap-
pen im Abstand von 4–6 Mon. entfernen.
Operationstechnik
Unmittelbar subkutan liegende Platten: Blutsperre, evtl. Markieren der Platten-
lage auf der Haut unter Rö-BV. Inzision der alten Narbe, scharfes Eingehen auf
die Platte ohne Weichteilmobilisation. Entfernen der Schrauben. Abheben der
Platte von der Unterlage mit Elevatorium. Einsetzen eines Hakens und Herauszie-
hen unter Weichteilschutz. Durchspülen des Plattenlagers. Auskratzen von Kor-
rosionspartikeln, evtl. Drainage. Hautnaht.
Tiefe Plattenlage: Wiedereröffnung der alten Narbe, evtl. Exzision kosmetisch
störender Narben. Darstellung der Implantate und Entfernung, Auskratzen von
Korrosionspartikeln des Implantatbetts (cave: Gefäß-Nerven-Bündel). Redon-
Drainage. Fasziennähte. Hautnaht. Kompressionsverband und Hochlagerung.
Marknagel: Inzision über der alten, prox. Narbe. Weichteilspaltung. Der Gewin-
deteil des Marknagelkopfs ist oft ausgefüllt von z. T. verkalktem Granulationsge-
webe, das ausgekratzt wird. Umgebende Knochenneubildungen ausmeißeln. Ein-
36 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

setzen des Ausschlaginstrumentariums bzw. -hakens (cave: Spezialinstrumentari-


um). Vor dem Ausschlagen des Marknagels mit dem Ausschlaggewicht bzw.
Schlitzhammer unbedingt Verriegelungsbolzen entfernen. Keine Redon-Drainage.
1 Weichteilverschluss, Kompressionsverband.
Nachbehandlung
Meist Aufstehen ohne UAGST nach 24 h. Hautnähte am 14. d entfernen. Nach ME
im belasteten Schaftbereich Sportkarenz für 4 Mon. Bei qualitativ minderwertigem
Knochen (z. B. Inaktivitätsosteoporose) ggf. Teilbelastung von 20 kg für 2–3 Wo.

1.4.9 Frakturen im Kindesalter
Dorien Schneidmüller

Grundlagen
Knochenwachstum und Frakturheilung
Das Längenwachstum erfolgt über die Wachstumsfugen, wobei die einzelnen Fu-
gen unterschiedlich stark am Wachstum des jeweiligen Röhrenknochens beteiligt
sind. Abhängig von Lokalisation, Alter und Reifezustand der Fuge führen hume-
rale und hormonelle Einflüsse zu einem langsamen Verschluss der Fuge und da-
mit zu einem Ende des Längenwachstums. Das Dickenwachstum erfolgt über das
periostendostale System und ist gleichzeitig für die Frakturheilung und das Remo-
deling bei belassenen Fehlstellungen verantwortlich.
Die Frakturheilung erfolgt im Kindesalter nahezu immer sekundär über eine Kal-
lusbildung. Diese ist in ihrem Ausmaß abhängig vom Alter des Kindes, vom Aus-
maß der belassenen Fehlstellung und von der Stabilität der Fraktur (▶ Tab.  1.10).
Mit zunehmender Mineralisation wird eine Bewegungs- und später auch Belas-
tungsstabilität erreicht. Während der Fixationskallus anfangs noch schmerzhaft
ist, wird er mit zunehmender Mineralisation druckindolent, was als klin. Zeichen
für eine Bewegungsstabilität gilt. Durch stetige Umbauprozesse erlangt der Kno-
chen abhängig von der funktionellen Beanspruchung in den folgenden Monaten
und Jahren seine ursprüngliche Form zurück.

Tab. 1.10  Durchschnittliche Konsolidierungszeit kindlicher Frakturen (in Wo.)


mod. nach von Laer
Bis 5 J. 5–10 J. > 10 J.

Klavikula 1 2 2–3

Humerus

• Proximal stabil 1 1–3 2–3

• Proximal instabil 1 2–3 3

• Schaftmitte 2 3–4 4–6

• Suprakondylär 1–2 2–3 3–4

• Condylus radialis 3 3–4 4

• Condylus ulnaris Y-Fraktur 2–3 3 3–4

• Epicondylus ulnaris (+ Ellenbogenluxation) 2–3 2–3 3


  1.4 Frakturen  37

Tab. 1.10  Durchschnittliche Konsolidierungszeit kindlicher Frakturen (in Wo.)


mod. nach von Laer (Forts.)
Bis 5 J. 5–10 J. > 10 J. 1
Proximales Radiusende 1 2 2–3

Olekranon 1 2–3 3–4

Radiusköpfchen- und Ellenbogenluxation – 3 3

Vorderarmschaft 3 4 4–6

Distaler Radius und Vorderarm 2 3–4 4–5

Epiphysenlösung distaler Radius 2 2–3 3–4

Handwurzel – 4–6 6–12

Mittelhand

• Subkapital und basal – 2 2–3

• Schaft – 3–4 4–6

Finger subkapital und Basisschaft 1–22–3 23–4 2–34–8

Femur

• Schenkelhals – 4–6 6–12

• Subtrochantär 3–4 4–5 4–6

• Schaft 1–3 4–5 4–6

• Kondylen 2–3 3–4 4

Tibia und Unterschenkel

• Eminentia – 3–4 4–6

• Proximale Metaphyse 2–3 3–4 4

• Schaft 2–3 3–5 4–6

• Supramalleolär und Gelenk (OSG) 2–3 3–4 4–5

Fußwurzel und Kalkaneus – 4–8 6–12

Mittelfußbasis und subkapital 2–3 3 3–4

Zehen 1 1–2 2–4

Fibulotalarer Bandapparat, Ausriss knöchern – 3 3–4

Konsolidierungsstörungen
Pseudarthrosen sind im Kindesalter selten und meist iatrogen bedingt. Es gibt jedoch
Risikofrakturen, bei denen die Gefahr einer verzögerten Frakturheilung besteht:
• Im Schaftbereich nach unvollständig reponierten bzw. nicht überbrochenen
Grünholzfrakturen, aufgrund der sperrenden Wirkung des schneller gebilde-
ten Frakturkallus auf der Konkavseite der Fraktur (▶ Abb.  1.18).
• Im Bereich inserierender Muskelansätze, wie am Condylus radialis sowie am
Epicondylus ulnaris.
38 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Wachstumsstörungen
Prinzipiell muss man zwischen hemmen-
den und stimulativen Wachstumsstörun-
1 gen unterscheiden. Sie können die ge- Sperrende Wirkung
samte Wachstumsfuge oder nur einen der Kallusbildung auf
Teil (partielle Wachstumsstörung) betref- der „unvollständig”
fen. frakturierten Seite
Mit einer Wachstumsstimulation ist
nach jeder Fraktur zu rechnen. Das
Ausmaß ist vom Reifezustand der Fuge,
von der jeweiligen Wachstumspotenz,
der Anzahl und dem Zeitpunkt der Re-
positionsversuche sowie dem Ausmaß
der Fehlstellung bzw. dem nötigen Re-
modeling abhängig. Um Einflüsse auf
die Wirbelsäulenstatik rechtzeitig zu
erkennen, sind aus diesem Grund klin.
Nachkontrollen bis 2 Jahre nach Trau-
ma bzw. bis zum Wachstumsabschluss Abb. 1.18  Grünholzfraktur [L106]
notwendig. Eine partielle Stimulation
der Wachstumsfuge ist seltener und tritt v. a. nach Frakturen des Condylus radia-
lis mit der Gefahr der Cubitus varus und nach Frakturen der proximalen Tibia mit
der Gefahr des Genu valgum auf.
Ein vollständiger vorzeitiger Fugenverschluss ist glücklicherweise selten und
i. d. R. durch eine direkte oder indirekte Schädigung der Gefäßversorgung be-
dingt. Je nach Alter des Kinds kann das zu einer erheblichen Verkürzung der be-
troffenen Extremität führen. Partielle hemmende Wachstumsstörungen sind da-
gegen häufiger. Sie treten v. a. bei fugennahen Verletzungen durch direkte Schädi-
gung auf und sind abhängig vom Reifezustand und der jeweiligen Wachstumspo-
tenz der Fuge, der Nähe der Verletzung zur Fuge und dem Ausmaß der
Dislokation. Hierdurch kann es zu einem konsekutiven Fehlwachstum mit zuneh-
mender Achsfehlstellung kommen.
Das Auftreten der Wachstumsstörungen lässt sich nicht durch eine gezielte Ther.
verhindern. Demnach ist es wichtig, den Patienten und die Eltern von Beginn an
über die Möglichkeit einer Wachstumsstörung und die notwendigen klin. Nach-
kontrollen aufzuklären. Das Risiko einer Wachstumsstörung kann ggf. durch das
Schaffen möglichst optimaler Voraussetzungen und Vermeidung iatrogener Fu-
genverletzungen reduziert werden.
Korrekturmechanismen nach Frakturen am wachsenden Skelett
Durch periostale und epiphysäre Korrekturmechanismen kann der Körper gewisse
posttraumatisch verbliebene Fehlstellungen mit dem weiteren Wachstum ausglei-
chen. Allgemeingültige Korrekturgrenzen lassen sich nur schlecht formulieren, da
das Ausmaß des Korrekturpotenzials abhängig von der Lokalisation und damit der
Wachstumspotenz der jeweiligen Fuge (▶ Abb.  1.19), dem Alter und Reifezustand
des Kinds, dem Ausmaß der Dislokation und der nötigen Korrekturrichtung ist.
Am zuverlässigsten korrigieren sich Achsfehlstellungen in der Bewegungsebene
nahe einer Fuge mit hohem Wachstumspotenzial bei jungen Kindern, z. B. distale
Radiusextensionsfraktur beim Kleinkind. Seitverschiebungen sowie Achsfehlstel-
lungen im Schaftbereich werden über das periostendostale System korrigiert, wo-
bei sich die angrenzenden Epiphysenfugen ebenfalls orthograd zur Belastungs-
achse ausrichten und damit die Korrekturmechanismen unterstützen. Je weiter
  1.4 Frakturen  39

eine Fraktur von der Fuge entfernt ist, desto schlechter kann jedoch eine solche
Achskorrektur erfolgen. Verkürzungen können sich ggf. durch die posttraumati-
sche Wachstumsstimulation ausgleichen, diese ist jedoch ungezielt und kann
nicht in das Ther.-Regime mit einbezogen werden. Posttraumatische Verlänge-
1
rungen und Rotationsfehler werden nicht oder nur schlecht korrigiert, sodass die-
se vermieden werden sollten.
An der unteren Extremität sollten, auch wenn theoretisch möglich, zur Vermei-
dung posttraumatischer Beinlängendifferenzen durch die nachfolgende lang an-
dauernde Wachstumsstimulation größere Fehlstellungen nicht der Spontankor-
rektur überlassen werden. An der oberen Extremität führt dies zu keiner funktio-
nellen Beeinträchtigung, sodass die Spontankorrektur hier fest in das Ther.-Re-
gime einbezogen werden kann.

80% 30%

55%

20%

20%

80% 70% 45%

Abb. 1.19  Wachstumsanteil der einzelnen Wachstumsfugen am jeweiligen Län­


genwachstum des Röhrenknochens [G467]

Diagnostik
• Anamnese: Nur kurz. Das Verletzungsmuster ist mehr vom Reifestand des
Skeletts als vom Unfallmechanismus abhängig. Auf adäquates Trauma zum
Ausschluss einer Kindesmisshandlung oder pathologischen Fraktur, Lokalisa-
tion und Ausmaß der Schmerzen achten.
40 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

• Klinische Untersuchung: Inspektion und vorsichtige Palpation zur Bestim-


mung der Verletzungslokalisation. DMS prüfen. Eine ausgedehnte Funk-
1 tions- und Stabilitätsprüfung ist i. d. R. im akuten Stadium bei fehlender Kon-
sequenz schmerzhaft und weitgehend ineffizient.
• Rö-Diagn.:
– Rö in 2 Eb. bei Schaftbrüchen mit angrenzenden Gelenken. Bei eindeuti-
ger OP-Ind. kann zur Schonung des Pat. auf die 2. Eb. verzichtet werden.
– Vergleichsaufnahmen der Gegenseite ersetzen die Kenntnis der Anatomie
des wachsenden Skeletts nicht und führen i. d. R. zu keinem Informations-
gewinn bei der Frakturdiagn. und sind deshalb obsolet.
! Röntgenologisch nicht nachweisbare, sog. okkulte Frakturen sind, v. a. am El-
lenbogengelenk, häufig → evtl. Nachweis der Fraktur oder des Hämatoms
mittels Sono (▶ 4.6.5) → im Zweifelsfall Ruhigstellung für 5–7 d, dann Gipsab-
nahme. Bei Schmerzen weitere Ruhigstellung und Rö-Kontrolle gipsfrei.

Besonderheiten und Frakturmuster


• Grünholzfraktur: Typische kindliche Fraktur, am häufigsten am UA. Bie-
gungsbruch, bei dem die Kortikalis und das Perisot auf der konvexen Seite
einreißen. Problem: Langsame Konsolidierung mit „partieller Pseudarthrose“
bei Grünholzfrakturen der Diaphyse auf der klaffenden Konvexseite. Thera-
peutisch ist das Ziel eine gleichmäßige Kompression der Frakturenden. Lässt
sich dies nicht erreichen, ist hier ein komplettes „Überbrechen“ der Fraktur
bei repositionswürdigen Fehlstellungen besser.
• Metaphysärer Wulstbruch: Einstauchung der metaphysären Spongiosa und
der dünnen metaphysären Kortikalis, Wachstumsstörung möglich.
• Suprakondyläre Frakturen: Diese Frakturen sind zwar gut zu reponieren, aber
aufgrund des kleinen gelenknahen Fragments häufig schwer zu retinieren. We-
nig Wachstumskorrektur, daher ist das Ziel der Ther. eine achsgerechte Stellung.
• Knöcherner oder knorpeliger Bandausriss: Typische Bandverletzung im
Kindesalter bei noch relativ festem Bandapparat. Ausriss eines Bands mit
knöchernem oder knorpeligem Ansatzbereich. Eine Wachstumsstörung in-
folge Verletzung der Epiphysengefäße ist möglich, jedoch selten.
• Apophysenausriss: Abrissfraktur einer Apophyse im Metaphysenbereich. Da
die Apophysen nicht am Längenwachstum des Knochens beteiligt sind,
kommt es nicht zu typischen Wachstumsstörungen.
• Epiphysenlösung: Fugenlösungen mit oder ohne metaphysärer Beteiligung.
Therapeutisch und prognostisch abzugrenzen von Gelenkfrakturen (Epiphy-
senfrakturen). Wachstumsstörungen möglich.
• Epiphysenfrakturen: Fraktur der Epiphyse mit oder ohne metaphysärer Be-
teiligung. Wachstumsstörungen und Präarthrosen durch Gelenkinkongruen-
zen sind möglich.
• Übergangsfraktur: Epiphysenfraktur bei noch unvollständigem Fugenschluss
in der Adoleszenz. Präarthrosen durch Gelenkinkongruenzen sind möglich,
relevante Wachstumsstörungen bei bereits begonnenem Fugenschluss nicht
mehr zu befürchten.

Epiphysenfugenverletzungen
Definition
Verletzungen der Wachstumsfuge zwischen Epiphyse und Metaphyse eines Kno-
chens. Am häufigsten Salter/Harris-II- bzw. Aitken-1-Verletzung.
  1.4 Frakturen  41

Einteilung
Einteilung nach Aitken bzw. Salter ist eher deskriptiv (▶ Tab.  1.11, ▶ Abb.  1.20).
Aussage über Progn. nur eingeschränkt möglich.
1
Tab. 1.11  Klassifikationen der wachstumsfugenbeteiligenden Frakturen nach
Salter bzw. Aitken
Salter Aitken Frakturtyp

I 0 Reine Epiphysenlösung ohne metaphysärer Beteiligung

II 1 Epiphysenlösung mit metaphysärem Keil

III 2 Epiphysenfraktur

IV 3 Fraktur der Epiphyse mit metaphysärem Keil

V 4 Stauchungstrauma (crush) der Wachstumszone ohne Lö­


sung oder Fraktur

Epiphysenlösung Epiphysenfraktur Epiphysen-


stauchung
Salter I II III IV V
Aitken 0 (1) 1 2 3 4

Abb. 1.20  Einteilung von wachstumsfugenbeteiligenden Frakturen [L106]

Diagnostik
▶ 4.6.5.
• Rö: Rö in 2 Eb. Diagnose bei nicht dislozierten Verletzungen oft schwierig.
Die Kontrollaufnahmen nach einigen Tagen lässt eine nicht dislozierte Frak-
tur am Kallussaum erkennen.
• Ggf. Sono: Sichtbar sind oft Kortikalisunterbrechung, subperiostales Hämatom.
• MRT: In unklaren Fällen Hinweise auf okkulte Frakturen, osteochondrale Lä-
sionen, Bandverletzungen, Meniskusverletzungen oder Wachstumsbrücken
möglich.
• CT: Ggf. indiziert bei komplexen Gelenkfrakturen zur Ther.-Planung.
Differenzialdiagnosen
Gelenkentzündung, osteochondrale Fraktur, Bandverletzung, Osteochondrosis
dissecans.

Therapie
Konservative Therapie
In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle lassen sich Frakturen im Kindesalter
konservativ therapieren. Meist ist eine einfache Immobilisation im Gipsverband
oder durch Spezialverbände wie Gilchrist- oder Dasault-Verband ausreichend.
42 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Durch redressierende Verbände lassen sich bei bestimmten Frakturen prophy-


laktisch Fehlstellungen und Sekundärdislokationen entgegenwirken oder gar
eine leichte Fehlstellung korrigieren, wie z. B. durch die Gipskeilung oder den
1 Collar & Cuff.
• Redressierende Verbände: Collar & Cuff (Blount-Schlinge): Dynamische
Redression einer suprakondylären Humerusfraktur Grad II nach von Laer
mit geringer Antekurvation (Dislokation in Extension). Durch sukzessives
Erreichen der Spitzwinkelstellung kommt es zu einer Korrektur der Fehl-
stellung.
• Gipskeilung: Aktive Redression einer Fehlstellung ohne Narkose. Nach
ca. 1 Wo. ausreichend stabil und schmerzfrei, um die noch vorhandene
plastische Deformierbarkeit der Fixationskallus zu nutzen zur Prophylaxe
oder Korrektur von verbliebenen Fehlstellungen. Indikation: Dist. Radius-
und Tibiaschaftfrakturen mit Fehlstellungen in der Frontal- und Sagittal-
ebene.
• Extension: Spielt lediglich in der kons. Ther. der Femurschaftfraktur beim
Kleinkind in Form einer Pflasterextension eine Rolle.
Operative Therapie
Indikationen
• Instabile Frakturen.
• Frakturen mit Fehlstellungen außerhalb der Toleranzgrenze.
• Meta- und Diaphyse: Außerhalb der Grenzen der möglichen Spontankorrek-
tur, alters- und lokalisationsabhängig.
• Epiphyse: Gelenkfraktur!, anatomische Gelenkrekonstruktion anstreben, Dis-
lokationsgrenze < 2 mm, keine Stufenbildung.
• Offene Frakturen und ausgedehnte Weichteilschädigung.
• Gefäß-Nerven-Schaden, Polytrauma.
• Bilaterale Fraktur.
• Kettenfrakturen einer Extremität.
Zeitpunkt
Die meisten Frakturen können zunächst im Gips immobilisiert und geplant unter
optimalen Bedingungen im Verlauf versorgt werden. Gelenkbeteiligende Fraktu-
ren sollten möglichst frühzeitig anatomisch reponiert werden, aber auch hier
reicht, wenn im Dienst z. B. nicht möglich, die Versorgung am Folgetag aus. Eine
unmittelbare Versorgung bedürfen dagegen Gelenkluxationen, Frakturen mit
deutlicher Dislokation oder begleitende Weichteil-, Gefäß- oder Nervenschäden.
Reposition
Ist eine Reposition notwendig, sollten unnötige Angst und Schmerzen vermie-
den werden. Grundsätzlich gilt, dass das gewählte Verfahren möglichst das end-
gültige sein sollte und Nachrepositionen und zusätzliche Narkosen vermieden
werden sollten. Deshalb sollte die Reposition unter optimalen Bedingungen in
Allgemeinanästhesie und OP-Bereitschaft erfolgen, um bei einem Repositions-
hindernis ggf. offen vorgehen zu können oder bei verbleibender Instabilität eine
Osteosynthese durchführen zu können. Je nach Alter des Kindes und der Frak-
tur können ggf. auch Regionalanästhesieverfahren oder eine Leitungsanästhesie
angewandt werden.

Die prim. Ther. in Narkose sollte auch die definitive sein.


  1.4 Frakturen  43

Osteosyntheseverfahren
• Bohrdrahtosteosynthese:
– Ind.: Metaphysäre Frakturen inkl. Epiphysenfugenlösungen, Hand- und
Fußfrakturen.
1
– Technik: Meist perkutan (erleichtert ME) und fugenkreuzend (Risiko für
Wachstumsstörungen gering, solange nicht mehrere Fehlbohrungen
durchgeführt werden). NB: Zusätzliche Immobilisation notwendig.
• Schraubenosteosynthese:
– Ind.: Als Kompressionsosteosynthese bei allen Gelenkfrakturen, ggf. Epi-
physenlösungen mit ausreichend großem metaphysären Keil.
– Technik: Vorzugsweise als kanülierte, selbst und rückschneidende Titan-
schrauben, entweder offen oder minimalinvasiv. NB: Trotz Übungsstabili-
tät ist meist eine zusätzliche Gipsprotektion sinnvoll.
• Zuggurtungsosteosynthese:
– Ind.: Entspricht Erwachsenentraumatologie: Lokalisationen mit kräftigen
Sehnen- und Muskelansätzen (z. B. Patella-, Olekranonfraktur).
– Technik: Offenes Vorgehen. NB: Funktionell.
• ESIN (elastisch-stabile intramedulläre Nagelung):
– Ind.: Meta- und diaphysäre Schaftfrakturen.
– Technik: Mögl. geschlossene Reposition, minimalinvasives Vorgehen.
– Prinzip: Stabilität durch 3-Punkte-Abstützung von 2 gegenläufig einge-
brachten elastischen Titannägeln in einen Röhrenknochen (wobei am Un-
terarm Ulna und Radius biomechanisch als eine Einheit zu betrachten
sind, d. h. hier pro Knochen nur ein Nagel). NB: Bewegungsstabil, teilbe­
lastungsstabil (abhängig von Frakturform).
• Fixateur externe:
– Ind.: Instabile (lange Schräg- und Mehrfragmentfrakturen) meta- und di-
aphysäre Schaftfrakturen (die mit ESIN nicht ideal versorgt werden kön-
nen), ausgedehnter Weichteilschaden, 3° offene Frakturen.
– NB: Bewegungsstabil, teilbelastungsstabil (abhängig von Frakturform).
• Plattenosteosynthese:
– Ind.: Selten, Sonderfälle: z. B. Kalkaneus- oder Mittelhandfrakturen, dia-
metaphysäre Frakturen.
– Technik: Offen oder minimal invasiv. NB: Bewegungsstabil.
• Marknagelung:
– Ind.: Meta- und diaphysäre Schaftfrakturen bei bereits beginnendem Fu-
genschluss bei großen und/oder adipösen Kindern. Für Femur auch als
Spezialimplantat für den Patienten mit offenen Fugen verfügbar („Adoles-
zentennagel“).
– Technik: Mögl. geschlossene Reposition, minimalinvasives Vorgehen.
NB: Übungsstabil, teilbelastungsstabil (abhängig von Frakturform).

Prognose
Das Ausmaß einer Epiphysenfugenschädigung kann zum Zeitpunkt der Diagnose-
stellung häufig noch nicht festgestellt werden: Auch eine „einfache“ Aitken-1-Frak-
tur kann mit einer Wachstumsstörung einhergehen und umgekehrt kann eine
„schwerwiegende“ Aitken-3-Fraktur mit minimaler Dislokation, optimaler Repositi-
on und geringer Schädigung der Knorpelzellen ohne Wachstumsstörung ausheilen.
Folgen können ein Fehlwachstum mit Achsabweichung und Längendifferenzen
sein, die in regelmäßigen klin. Nachuntersuchungen überprüft werden müssen.
Hierüber sollten die Eltern stets aufgeklärt werden.
44 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

1.4.10 Frakturen beim alten Menschen

1 Das Risiko, im Alter an den Folgen einer Fraktur zu sterben, ist mit 70 J. ca.
3-mal höher als mit 20 J., mit 80 J. ca. 6-mal höher.

Ätiologie
Erhöhte Gefahr von Frakturen beim älteren Menschen:
• Knochenfestigkeit ↓ (Osteoporose).
• Fallneigung ↑ als Folge typischer Erkr. im Alter, z. B. TIA, Synkopen, Visus-
minderung, Abnahme von Koordinationsfähigkeit und Muskelkraft zum Ab-
stützen bei einem Sturz.

Therapie
Grundsätze
• Ziel ist die möglichst rasche Mobilisation (als Prophylaxe von Sekundärschä-
den, z. B. Pneumonie, Dekubitus) unter Vollbelastung.
• Bei Osteosynthesen daran denken, dass ein älterer Mensch evtl. nicht unter
Teilbelastung mobilisiert werden kann (z. B. zementierte Hüft-TEP statt Os-
teosynthese).
• Eine evtl. Funktionsminderung (z. B. Bewegungseinschränkung) muss in
Ausnahmefällen in Kauf genommen werden (z. B. distale Radiusfraktur, sub-
kapitale Humerusfraktur).
• Aufgrund der atrophen Haut sorgfältige Polsterung bei Anlage von (Gips-)
Verbänden.
Nachbehandlung
• Berücksichtigung der ADL, z. B. Nahrungsaufnahme, Ausscheidungen, An-
und Auskleiden, Körperpflege, Haushaltsführung.
• Wichtig: Frühzeitige Kontaktaufnahme mit Sozialdienst und/oder Angehöri-
gen, um die nachstationäre Betreuung in die Wege zu leiten. Zurzeit entste-
hen auch spezielle Zentren zur geriatrischen Reha. Die Möglichkeiten der
Pflegeversicherung müssen ausgeschöpft werden. Ziel ist es, den alten Men-
schen nicht zu lange aus seinem sozialen Umfeld zu reißen.

1.4.11 Komplikationen der Frakturbehandlung


Posttraumatische Ostitis ▶  8.4.5, Kompartmentsy. des US ▶  13.2.35, Wundinf.
▶ 8.3.1.
Implantatbruch
Ätiologie
Technisch unzulängliche Osteosynthese (▶ 1.4.5), verzögerte Knochenbruchhei-
lung oder verfrühte Lastaufnahme.
Therapie
Biomechanisch günstigere Reosteosynthese, evtl. Knochentransplantation (▶ 1.4.6).
  1.4 Frakturen  45

Refraktur
Definition
Auftreten nach ME oder Beendigung der Ruhigstellung nach kons. Ther. 1
Ätiologie
Verzögerte Knochenbruchheilung, verfrühte ME, verfrühte Lastaufnahme nach
ME, evtl. auch erneutes, adäquates Trauma.
Therapie
Wenn keine Pseudarthrose vorliegt, entspricht die Behandlung derjenigen einer
Erstverletzung. OP-Ind. großzügig, ggf. zusätzlich Spongiosaplastik.

Frakturkrankheit
Ätiologie
Immobilisationsschaden, in erster Linie nach Gipsbehandlung.
Klinik
Knochenentkalkung (Rö), Knorpelatrophie, Kapselschrumpfung, Bandinsuff.,
Muskelatrophie (Funktionsprüfung), arterielle oder venöse trophische Störungen,
Ödeme (Inspektion). Die Übergänge dieses Krankheitsbilds zum komplexen regi-
onalen Schmerzsyndrom (▶ 19.3.5) sind fließend; der Verlauf entscheidet oftmals
erst über die Zuordnung.
Therapie und Prophylaxe
Ther.: Kons. Ther. (u. U. langwierig), ggf. mit Narkosemobilisation oder operati-
ver Arthrolyse, selten aufwendigere Maßnahmen wie Osteotomien oder Sehnen-
korrekturen.
Prophylaxe: Aktive Beübung aller nicht ruhiggestellten Körperabschnitte, Gips-
ruhigstellung möglichst zeitlich begrenzen; ausreichend Analgesie (▶ 24.1), Anti-
phlogistika (▶ 16.5.1).

Hämatom
Klinische Bedeutung
• In bis zu 20 % der persistierenden postop. Hämatome pos. Keimnachweis.
• Entwicklung einer Myositis ossificans.
• Kompartmentsy. mit Muskelnekrosen im Bereich von engen Muskelkompar-
timenten.
Therapie
Konservative Therapie
Bei kleinem und oberflächlichem Hämatom in der Frühphase Punktion und Drai-
nage (wenn möglich unter Sono-Kontrolle). Bei gekammerten Herden ggf. mehr-
fache Punktion nötig. Häufig jedoch „Nachlaufen“ des Hämatoms, sodass eine
chirurgische Intervention doch nötig wird.
Operative Therapie
OP-Prinzip: Vollständige Entfernung eines postop. aufgetretenen Hämatoms
durch Revision und ausgiebiger Spülung der OP-Wunde. Ther.-Ziele sind Stillen
einer evtl. Blutung, Evakuierung des Hämatoms als Keimboden für Bakterien,
Verbesserung der Wundheilung.
46 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Ind.: Großer und abgegrenzter, evtl. flüssigkeitsgefüllter und fluktuierender


Hohlraum im Bereich einer OP-Wunde, v. a. subfaszial. Klin. und laborchem.
Entzündungszeichen ohne andere Ursache. Absolute Ind. bei beginnendem Kom-
1 partmentsy. Großzügig nach TEP.
KI: Diffuse Einblutung in das Muskelgewebe mit fehlendem Hohlraum ohne
Kompartmentsy.
Spezielle Pat.-Aufklärung: Evtl. Antibiotikaträgereinlage und wiederholte
Wundrevision („second look“). Pat. über hämatombedingte Verfärbung der Haut
informieren, die evtl. erst Tage nach der OP auftreten und wochenlang anhalten
kann.
OP-Planung: Weichteilsono zur Abschätzung des Ausmaßes des Hämatoms.
Präop. Punktion (Abstrich!) ermöglicht manchmal die Differenzierung zwischen
Hämatom, Serom und Abszess und dient zur Festlegung der therapeutischen
Strategie.
OP-Technik: Nach Gewebegewinnung für Mikro intraop. Antibiotikaprophylaxe
z. B. mit Cefuroxim 1 × 1,5 g (z. B. Zinnat®). Beim sterilen Abdecken OP-Feld
großzügig bemessen, um ggf. den Hautschnitt erweitern zu können. Hautschnitt
im Bereich der OP-Wunde unter Entfernung allen Nahtmaterials. Bei „abgesack-
ten“ Hämatomen, z. B. im Bereich der unteren Extremität evtl. zweiter Haut-
schnitt nötig (Hautbrücke mindestens 5 cm). Hämatomhöhle großzügig eröffnen,
Abstrichentnahme und Hämatom bzw. Blutkoagel sorgfältig ausräumen. Bei älte-
rem Hämatom evtl. Pseudokapsel mit einem scharfen Löffel anfrischen. Häma-
tomhöhle mehrfach spülen (Jet-Lavage), zunächst mit Ringer-Lösung und dann
manuell z. B. mit Lavasept®-Lösung; abschließend mit Ringer-Lösung nachspü-
len. Großlumige Redon-Drainagen am tiefsten Punkt der Hämatomhöhle einle-
gen. Redon-Schläuche über neue Stichkanäle ausleiten. Bei hochgradigem V. a.
ein infiziertes Hämatom bzw. Entleerung von Eiter Antibiotikaträger einlegen
oder Spül-Saug-Drainage anlegen (nur Kniegelenk, bei Weichteilhämatom nicht
sinnvoll). Primärer schichtweiser Wundverschluss. Bei Einlage von Antibiotika-
ketten ggf. unter Ausleitung der Kettenenden (Zahl der eingelegten Ketten doku-
mentieren). Bei großen Kavitäten Einsatz von Vakuumschwämmen (PICO®,
V. A. C.®) überdenken.
NB: Schonung, um eine Nachblutung zu verhindern. Zusätzlich Kryother., Kom-
pressionsverbände, Hochlagerung, NSAR wie Diclofenac 3 × 50 mg/d p. o. (z. B.
Voltaren®). Keine Massagen wegen der Gefahr einer Nachblutung und einer My-
ositis ossificans. Bei V. a. infiziertes Hämatom zunächst blinde antibiotische Ab-
deckung z. B. mit Cefuroxim 2 × 1,5 g (z. B. Zinnat®) und Netilmicin 1 × 400 mg
(z. B. Certomycin®). Weitere Antibiotikather. gemäß Antibiogramm. Ggf. Entfer-
nung von Antibiotikaketten nach Ablauf einer Woche durch Mobilisieren von ein
oder zwei Perlen tgl. Bei nicht ausgeleiteten Ketten oder zu starken Schmerzen
evtl. Entfernung in Narkose.

Pseudarthrosen
Definition
Verzögerte Bruchheilung: Bruch ist nach 4–6 Mon. noch nicht geheilt. Pseudar-
throse (Syn.: Fractura non sanata, „non-union“): Bruch ist nach 8 Mon. noch
nicht geheilt. Häufig bei diaphysären, offenen und Defektbrüchen.
Ätiologie
Prädisposition durch Instabilität und schlechte „Biologie“ (▶  Abb.  1.21): u. a.
Bruchform, Weichteilschaden, Art der Ruhigstellung, Dauer und konsequente
  1.4 Frakturen  47

Einhaltung der Ruhigstellung (Compliance), Inf. im Frakturbereich, fehlerhafte


Osteosynthese, Fragmentdistraktion bei einer Extensionsbehandlung, Weichteil-
interposition, Alter, Ernährungszustand, Medikamente (z. B. Kortison, Dicuma-
role, Zytostatika), nach Bestrahlung.
1

Abb. 1.21 Ursachen für verzögerte Frakturheilung und Pseudarthrosen. Unter


diesen Bedingungen prim. Bruchheilung unmöglich. Der im Rahmen der Sekun­
därheilung entstehende Kallus wird zu Faserknorpel, nicht zu Knochengewebe
differenziert. [L106]

Einteilung
Pseudarthrosen können klassifiziert werden nach ihrer biologischen Reaktionsfä-
higkeit, d. h. der zu erwartenden Konsolidierungsfähigkeit oder nach der Ätiolo-
gie bzgl. einer Inf.
• Hypertrophe Pseudarthrosen (▶ Abb.  1.22): Biologisch reaktionsfähig (90 %).
Weitere Unterteilung in 3 Formen: Hypertroph kallusreich; leicht hypertroph
kallusarm; oligotroph kalluslos.
• Atrophe Pseudarthrosen (▶ Abb.  1.22): Biologisch reaktionslos. Weitere Un-
terteilung in 3 Formen: Dystrophisch, nekrotisch, knochensubstanzfrei.
• Nichtinfizierte Pseudarthrosen.
• Infizierte Pseudarthrosen.
48 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Klinik
Gebrauchsminderung der Extremität,
DS und Belastungsschmerz, abnorme
1 Beweglichkeit, sofern nicht eine stabile
Osteosynthese durchgeführt wurde.
Diagnostik
• Rö einschl. konventioneller Tomogra-
fie zur Beurteilung der knöchernen
Konsolidierung. Bei hypertrophen
Pseudarthrosen Verdickung und
Sklerosierung im Bereich der Fraktur
(reaktives, vitales Knochengewebe).
• Ggf. Granulozytenszinti und MRT Abb. 1.22 Atrophe und hypertrophe
Pseudarthrose [L190]
bei Infektverdacht.
Differenzialdiagnosen
Refraktur, übersehene pathologische Fraktur, kongenitale Unterschenkelpseudar-
throse.
Therapie
Konservative Therapie
• I. d. R. kein Erfolg der kons. Ther. bei atrophen oder infizierten Pseudarthro-
sen sowie bei einer Lücke zwischen den Frakturenden > 1 cm. Keine Korrek-
tur von Achsfehlstellungen und Verkürzungen möglich.
• Bei verzögerter Frakturheilung mit hypertrophem Kallus ist zunächst die
kons. Ther. möglichst mit Belastung der Frakturregion angezeigt, z. B. durch
einen Gipstutor. Problematisch ist die Ruhigstellung der benachbarten Gelen-
ke mit der Gefahr der Bewegungseinschränkung durch Kapselschrumpfung
und Gewebeatrophie durch die Immobilisation.
• Elektrostimulation oder Ultraschall: Keine gesicherten Ther.-Verfahren, aber
im Einzelfall zu überlegen.
Operative Therapie
Ziele: Knöcherne Konsolidierung durch Ausräumen der Pseudarthrose, Anfri-
schen der Pseudarthrose (zur Stimulation der Revaskularisation), ggf. Spongiosa-
plastik und (Re-)Osteosynthese mit möglichst wenig Fremdmaterial. Keine Re-
sektion der hypertrophen, gut durchbluteten Anteile der Pseudarthrose:
• Mobilisierung kontrakter Gelenke.
• Korrektur von Deformitäten.
• Ausräumung eines evtl. Infekts.
Hypertrophe Pseudarthrose:
• Umnagelung (aufgebohrter Nagel): Erhöhte Stabilität und endostale, autoge-
ne Spongiosaplastik durch Aufbohren.
• Verfahrenswechsel: Kompressionsplatte ↔ Nagel.
• Dekortikation: Anfrischen der Pseudarthroseregion durch Abmeißeln von
Knochenstücken aus der Kortikalis. Diese sollen nicht vom Periost gelöst
werden und bleiben somit vital.
Atrophe (Defekt-)Pseudarthrose: Spongiosaplastik; im Bereich der Tibia ggf. Fi-
bula-pro-Tibia-OP, evtl. Segmenttransport mit Fixateur externe und Spongiosa-
plastik an der Docking-Stelle.
  1.4 Frakturen  49

Infizierte Pseudarthrose: „Viermal-S-Regel“ = Stabilität: Mechanische Stabilität


durch Osteosynthese (z. B. Fixateur externe). Sequester: Beseitigung avitaler Frag-
mente und Gewebsteile. Spülen: Jet-Lavage. Spongiosa: Defektersatz durch auto-
loge Spongiosa oder gefäßgestielten Knochenspan und Oberflächenverschluss
1
durch z. B. Thiersch-Lappen.
Prognose
Abhängig von biologischer Reaktionsfähigkeit. Bei infizierter Pseudarthrose z. T.
sehr langwierige Ther. Im Extremfall bei chron. infizierter Pseudarthrose mit De-
fektbildung Amputation notwendig.

Komplexes regionales Schmerzsyndrom


Definition
Syn.: Complex Regional Pain Syndrome I (CRPS; ▶ 19.3.5); vormals Sudeck-Dys-
trophie, Algo(neuro)dystrophie, sympathische Reflexdystrophie, Reflex Sympa-
thetic Dystrophy (RSD). Schmerzhafte Dystrophie an den Extremitäten (häufig
Vorderarm, Hand; seltener Knie, Fuß) mit regionalen Durchblutungsstörungen
der Weichteile und Knochen mit typischem stadienhaften Verlauf.
Ätiologie und Pathogenese
Disposition bei exogenen Noxen (Trauma, OP), brüsken Repositionsmanövern,
lokalen Entzündungen, aber auch z. B. nach Herzinfarkt, neurol. Erkr., nach Lang-
zeitmedikation von z. B. Tuberkulostatika, Thyreostatika, Barbituraten. Ein Trau-
ma muss einer Sudeck-Erkr. nicht zwingend vorangehen. Pathophysiol. Sympa-
thikusdysregulation mit Engstellung der venösen Gefäße. In ca. 20 % keine Ursa-
che zu finden.
Klinik
Es werden drei Phasen mit unterschiedlichem klinischem Bild unterschieden
(▶ Tab.  1.12). Die Übergänge zwischen den einzelnen Stadien sind fließend.

Tab. 1.12  Phasenverlauf des komplexen regionalen Schmerzsyndroms


Phase Klinischer Befund Röntgen

Akutstadi­ Hyperämie, durch autonome Dysregula­ 2–4 Wo. nach Beginn der
um: Entzün­ tion bedingte ödematöse Schwellung, Erkr. diffuse fleckige Ent­
dung betroffene Extremität kühler oder wär­ kalkung der Knochen der
mer als die Gegenseite, starker Spontan- betroffenen Extremität
und Belastungsschmerz; Haut über­ oder Region
wärmt, oft glänzend. Teilweise Hyper-
oder Hypoalgesie, Hyper- oder Hypoäs­
thesie. Meist 2–8 Wo. nach Ereignis

Intermedi­ Allmähliche Schwellungsrückbildung. Weiter fleckige Entkal­


ärstadium: Die Schmerzen lassen nach, aber noch kung, zunehmende Aus­
Dystrophie deutlicher Bewegungsschmerz; blass-zya­ dünnung der Kompakta,
notische, kühle „Glanzhaut“. Deutliche Aufweitung des Mark­
Bewegungseinschränkung durch Weich­ raums und Rarefizierung
teilatrophie, evtl. vermehrte Behaarung der Spongiosa

Endstadi­ Nach 6–12 Mon. zunehmende Funktions­ Diffuse Osteoporose ohne


um: Atro­ störung infolge Muskelatrophie, Fibro­ fleckiges Erscheinungsbild.
phie sierung von Kapseln und Bändern → Typisches Bild von „Glas­
Kontrakturen. Kälteempfindliche, blasse, knochen“ durch ausge­
atrophische Haut dünnte Kompakta
50 1  Grundlagen der unfallchirurgischen Versorgung  

Diagnostik
• Rö-typisch, jedoch ebenso wie klin. Befund keine eindeutige Phasentrennung.
1 • (Thermografie im Seitenvergleich.)
• Dreiphasen-Skelettszinti (99Tc): Mehrspeicherung mit erhöhter Anreicherung
in der Anflutungsphase (Blutpoolphase) und verzögertem Abfluss in der
Spätaufnahme.
• Sympathikusblockade (z. B. Stellatumblockade): Rasche Schmerzlinderung
und Rückgang des Ödems.
Differenzialdiagnosen
Frakturkrankheit (s. o.), transitorische Osteoporose, Münchhausen-Sy. (neuroti-
sche Störung), Rentenneurose.
Therapie
Keine einheitlichen Ther.-Empfehlungen in der Literatur. Ther. folgt den Stadien
und berücksichtigt die Beeinträchtigungen der Funktionen wie auch der Psyche.
Wichtig: Adäquate Analgesie gleich nach der Diagnose.
Medizinische Therapie
• Stadium I: Sympathikusblockade (Guanethidin-Sympathikolyse, Stellatum-
oder Grenzstrangblockaden); NSAR und evtl. Opioide der Stufe II, Antide-
pressiva (▶ 24.1), Kalzitonin 500 IE (z. B. Karil →) für 1 Wo., dann Dosis hal-
bieren (je nach Klinik), anschl. ausschleichen, max. Behandlungsdauer 4 Wo.;
kurzfristige Ruhigstellung in Gelenkfunktionsstellung, dann physiother. Mo-
bilisierung unter Kühlung; Ergother. mit milder Hautstimulation; Lymph-
drainage, Diadynamik.
• Stadium II: Keine Sympathikusblockade, sondern niederkonzentrierte Ple-
xus- oder Periduralanästhesie evtl. unter Zugabe eines Opioids; Antidepressi-
va sowie Antikonvulsiva (▶ 24.1), zunehmend aktives Üben zur Vorbeugung
von Einsteifungen (Physiother. und Ergother.); Kohlensäurebäder.
• Stadium III: Wie Stadium II; zusätzlich Manualther. (auch im Wasser), evtl.
Quengelbehandlungen sowie evtl. Hilfsmittelversorgung.
• Ggf. psychosomatische Begleitther. (▶ 19.3.5).
Operative Therapie
Keine operative Ther. Ggf. spätere funktionsverbessernde Eingriffe und Korrektur
von Fehlstellungen frühestens 1 J. nach Erreichen des Endstadiums unter periop.
Sympathikusblockade als Rezidivprophylaxe.
Prognose
Bei frühzeitiger und konsequenter Ther. befriedigende Ergebnisse, v. a. bei unter-
stützender psychosomatischer Betreuung. Funktionsdefizite sind eher die Regel
als die Ausnahme. Auch nach Jahren noch Restsymptome möglich. Bei verspäte-
ter Diagnosestellung häufig starke Funktionseinschränkung durch kontrakte
Fehlstellungen.
2 Notfallmanagement und
Schockraum
Philipp Krämer und Michael Clarius

2.1 Notaufnahme – allgemeines 2.3.3 Verzögerte Primär­


Vorgehen 52 chirurgie 55
2.2 Vorgehen bei stabilen 2.3.4 Stabilisierungsphase 56
­Patienten 52 2.3.5 Postaggressionsphase 56
2.3 Vorgehen bei Polytrauma oder
instabilen Patienten 54
2.3.1 Erstversorgung am
­Unfallort 54
2.3.2 Klinische Erstdiagnostik und
-therapie 55
52 2  Notfallmanagement und Schockraum  

2.1 Notaufnahme – allgemeines Vorgehen


Bei der Erstbehandlung eines Notfallpatienten sind v. a. zunächst die Einschät-
zung und der Überblick über die aktuelle Gefährdungssituation des Pat. entschei-
dend. Ziel sind die schnelle Diagnostik, Festlegung und Einleitung des weiteren
Therapieprozedere.
• Wichtige Informationen – vor Ankunft des Pat.:
– Einlieferung mit Rettungsdienst oder Notarzt?
2 – Meldebild des Notfalls?
– Wie viele Beteiligte?
– Patientenzustand? Verletzungsmuster? Unfallumstände?
• Patientenankunft, Basisdiagnostik:
– Strukturierte Übergabe durch Notarzt bzw. Rettungsdienstpersonal:
Unfallhergang, Begleitumstände, Unfallursache und -mechanismus.
– Vitale Gefährdung? Schockraumpatient ▶ 3.3.
– Orientierende körperliche Untersuchung.
• Erste Einschätzung (▶ Abb.  2.1):
– Prioritätenorientiertes Vorgehen: Vitale Gefährdung? Schockraumpati-
ent? Zeitfenster der notwendigen Versorgung, Einzel- oder Mehrfachver-
letzung?
– Weitere Diagn. möglich oder Notfallmaßnahmen notwendig zur Abwen-
dung weiterer Schädigung?
– Erfassen der Leitsymptome inkl. genauer Anamnese.
• Einleitung der weiterführenden Diagn. abhängig von Zustand und Verlet-
zungsmuster: Sono, Rö, Labor, ggf. CT.
• Diagnosestellung und Entscheidung.
• Beginn der therapeutischen Maßnahmen: Kons. vs. operativ, ambulant vs.
stationär.
• Genaue Dokumentation bereits während der o. g. Schritte.

2.2 Vorgehen bei stabilen Patienten


Diagnostik
Unfallanamnese
• Art, Ausmaß, Dauer der Gewalteinwirkung, Eigen- oder Fremdverschulden,
Arbeits- oder Privatunfall, Datum und Uhrzeit der Verletzung, Verhalten
nach dem Unfall.
• Evtl. erstbehandelnder Arzt und bisherige Ther., Erstereignis oder rez. Trauma.
• Tetanusschutz? Möglichst anhand Impfausweis Impfstatus kontrollieren
(▶ 1.2.5).

Wichtig!
Exakte Dokumentation der Unfallanamnese, der klinischen und apparativen
Befunde bei frischen Verletzungen bzw. Unfallfolgezuständen. Häufig späte-
re arbeits- oder versicherungsrechtliche Gutachten (Fotodokumentation).

Arbeitsunfall
• Kriterien des Arbeitsunfalls, versicherter Personenkreis ▶ 22.3.1.
• Aufgaben des Kassenarztes bzw. D-Arztes ▶ 21.
   2.2  Vorgehen bei stabilen Patienten  53

A irway
Klare Sprache, Airway frei Stifneck anlegen, Sauerstoff über
Maske
Stridor Atemwegsverlegung
Patient komatös GCS < 8
Atemweg unsicher
drohender Atemwegsverlust
blutende Gesichtsverletzung
Inhalation
2
ITN wenn 2 x erfolglos - Koniotomie

B reathing
Spannungspneu Nadeldekompression und Thoraxdrainage
Pneumothorax/ Persistierender Pneu - 2. Drainage
Hämatothorax Thoraxdrainage > 1500 ml primär Thoraxchirurgie
wenn weiter persistierend Thoraxchirurgie
Offenes
Thoraxtrauma Sterile Abdeckung, Thoraxchirurgie
Thoraxdrainage
Breites Mediastinum Thorax CT

C irculation:
Stop the bleeding

2 große Zugänge i.v. und 2 l warme Ringer-Lösung

Patient stabil CT Abdomen


FAST Abdomen - wenn Blut
Patient instabil OP

Becken instabil Beckenzwinge oder Tuch

OS Fraktur beidseits OP

Herztamponade Perikardiozentese

Disability
GCS < 8 ITN
Orientierende neurologische Untersuchung

E nvironment
Komplette Entkleidung und Inspektion des Rückens.
Digitale Kontrolle Rektum, Vagina. Extremitäten-
untersuchung.
Blasenkatheter, Magensonde, Temperatursonde.

Abb. 2.1  Algorithmus Patienteneinschätzung [L157]

Untersuchung
• Groborientierend: Fehlstellungen, Fraktur, Luxation, Amputation, Weichteil-
schaden (geschlossen/offen), Sehnen-, Nerven-, Gefäßverletzung.
54 2  Notfallmanagement und Schockraum  

• Wundinspektion: Gefäßstümpfe? Blutung? Frei liegende Sehnen- oder Ner-


venenden oder Knochen? Größe und Tiefe der Verletzung eruieren. Bei offe-
nen Verletzungen Abstrichabnahme vor Antibiotikatherapie.
• Funktionsuntersuchung: Funktionsausfälle ausschließen, z. B. oberflächliche
und tiefe Beugesehnen der Finger, Durchblutung, Sensibilität. Begleitverlet-
zungen?
Apparative Diagnostik
2 • Rö: bei V. a. knöcherne Begleitverletzung oder Fremdkörpereinsprengung
(z. B. Metallsplitter). Prinzipiell in 2 senkrecht aufeinanderstehenden Eb.,
angrenzende Gelenke bei Extremitätenverletzungen mit abbilden.
• Sono: bei V. a. Sehnenverletzung, Muskelfaserriss, Hämatom, Gelenkerguss,
kindliche Verletzungen, Weichteilfremdkörper.
• Labor: ▶ 8.1.
• CT: bei SHT, evtl. bei WS- oder Beckenverletzung (ggf. mit 3-D-Rekonstruk-
tion).
• Angiografie: bei V. a. Gefäßverletzung an den Extremitäten bei dopplersono-
grafisch nicht nachweisbarem Puls.
• EMG, NLG u. a. elektrophysiol. Untersuchungen: Bei neurol. Schäden zur
Dokumentation von Lokalisation und Ausmaß der Schädigung. Differenzie-
rung in frische oder alte Läsion.
• Therapiefortgang ▶ 1.

2.3 Vorgehen bei Polytrauma oder instabilen


Patienten
2.3.1 Erstversorgung am Unfallort
Definition: Polytrauma ist eine gleichzeitig entstandene Verletzung mehrerer
Körperregionen oder Organsysteme, wobei wenigstens eine Verletzung oder die
Kombination lebensbedrohlich ist.

Orientierende Erstuntersuchung
Überblick über Bewusstseinslage, Thorax-, Abdominal- und Extremitätenverlet-
zungen.

Basisversorgung zum Transport in die nächste geeignete Klinik


Prinzip: A(irway), B(reathing), C(irculation), D(isability), E(nvironment).
Prioritätenorientiertes Vorgehen: Gabe von O2, Schmerzmittel, ggf. Narkose mit
dem Ziel, den angst- und schmerzbedingten Sympathikotonus zu durchbrechen
→ O2-Bedarf der Organe und Gewebe reduzieren.
Sicherung von Atemwegen und HWS (Atemwege freimachen, ggf. Larynxtubus, bei
ausreichender Erfahrung endotracheale Intubation, Immobilisation der HWS; ma-
nuell oder Stiff Neck), Belüftungssituation; Hinweise auf Pneumothorax?, ggf. Un-
terstützung der Atmung (Beutel – Maske), Volumentherapie mit systolischem Ziel-
RR 100 mmHg, GCS? Pupillenstatus? Körperliche Untersuchung und Wärmeerhalt.
Empfehlung für Einstellungen des Beatmungsgeräts (Erw.): Atemzugvolumen
15 ml/kg KG, Frequenz 10–12/Min., PEEP ≥ 5 cmH2O.
Volumenther.: Legen von 2 großkalibrigen Verweilkanülen in UA- oder Ellen-
beugevenen, V. jugularis externa oder Leistenvene.
   2.3  Vorgehen bei Polytrauma oder instabilen Patienten  55

Repositionen, Lagerung: Grobe Fehlstellungen der Extremitäten durch Fraktu-


ren und klinisch eindeutig erkennbare Luxationen werden eingerichtet und mit
konfektionierten Kunststoffschienen ruhig gestellt. I. d. R. und besonders bei V. a.
WS-Verletzungen Lagerung auf Spine Board oder Vakuummatratze. Während
des Transports Verletzten gut zudecken, um eine Unterkühlung zu verhindern.
Verbände: Blutende Wunden und insbes. offene Frakturen mit sterilen Kompres-
sen oder einem Druckverband (Ausnahme: Gelenkbereich) versorgen und in ste-
rile Tücher einpacken.
Bei lebensgefährlichen Blutungen kann ggf. das Anlegen eines Tourniquets not- 2
wendig und hilfreich sein.
Bei Beckeninstabilität kann durch Anlage einer Beckenschlinge (ggf. auch Laken
umschlingen) der „Blutungsraum Becken“ verkleinert werden.
Thoraxdrainage: Bereits bei V. a. ein Thoraxtrauma mit Hämato- oder Pneumo-
thorax zur Vorbeugung eines lebensbedrohlichen Spannungspneumothorax eine
ein- oder beidseitige großlumige (mind. 28–32 Charr.) Bülau-Drainage einlegen.
Dies ist besonders beim Transport des Verletzten im Rettungshubschrauber zu be-
achten, da je nach Hubschraubertyp der Brustkorb des Pat. schlecht zugänglich ist.
Notfallzugang: 4./5. ICR parallel zu den Rippen ventral der Medioaxillarlinie (▶ 3).

2.3.2 Klinische Erstdiagnostik und -therapie


Zeit
0.–60. Min. („Golden Hour of Trauma“).

Ziel
Stabilisierung der Vitalfunktionen.

Erste klinische Maßnahmen


• Verantwortlicher Unfallchirurg: Erstuntersuchung nach ATLS-Kriterien,
Festlegung der diagnostischen Reihenfolge und ob Ärzte anderer Fachrich-
tungen einbezogen werden.
• Sono von Abdomen und ggf. Thorax: Freie Flüssigkeit als Hinweis auf Blu-
tung? Pleuraerguss bei Thoraxverletzung?
• Anästhesist: Fortführung oder Einleitung der Narkose, Veranlassung von
Blutabnahmen (Blutgruppe, weitere wichtige Laborparameter). Bei sehr star-
ker Blutung muss evtl. auf Universalspenderblut der Blutgruppe 0 oder auf
ungekreuztes Blut der Blutgruppe des Pat. zurückgegriffen werden.
• Pflegekraft: Entkleiden, Blasenkatheter, Vorbereitung invasiver Notfallmaß-
nahmen.

In kritischen Situationen, insbes. bei einer schweren intraabdominalen Blu-


tung, keine weitere Diagn., sondern Notfall-OP (Akutchirurgie).

2.3.3 Verzögerte Primärchirurgie
Zeit
1.–6. Stunde.
56 2  Notfallmanagement und Schockraum  

Ziel
• Versorgung der wichtigsten Verletzungen.
• Stabilisierung des Pat.-Zustands, um z. B. für eine spätere Versorgung von
Frakturen günstigere Voraussetzungen zu schaffen.

Operationen
• Grobreposition und Stabilisierung offener und geschlossener Frakturen und
Gelenkverletzungen:
2 – Häufig mit Fixateur externe.
– Vorteil: bessere und schmerzärmere Pflege des Pat., Kontrolle der Weich-
teilverhältnisse möglich (im Ggs. zum Gips).
• Faszienspaltung zur Vorbeugung eines Kompartmentsy. (▶ 13.2.35).
• Gefäß-Nerven-Verletzungen.
• Offene und geschlossene Gehirnverletzungen.
• Darm- und Organverletzungen (z. B. Leber, Milz, Niere).
• WS-Verletzungen mit fortschreitenden neurologischen Ausfällen.
• Offene Kiefer- und Gesichtsschädelverletzungen sowie Augenverletzungen.
• Beckenfrakturen (häufig mit hohem Blutverlust verbunden).
Bei sehr schweren Extremitätenverletzungen mit ausgedehnter Weichteilde-
struktion ist bei akuter Lebensgefahr ggf. eine Amputation einer zeitaufwen-
digen und wenig aussichtsreichen Rekonstruktion vorzuziehen.

2.3.4 Stabilisierungsphase
Zeit
Ab 5.–7. Tag.

Ziel
Weitere Stabilisierung und Erholung des Pat., insbes. Entwöhnung vom Beat-
mungsgerät und oraler Kostaufbau.

Operationen
Operativ kann jetzt mit aufwendigeren rekonstruktiven Eingriffen begonnen wer-
den, z. B.:
• Stabilisierung von Frakturen und Gelenkverletzungen.
• Beckenrekonstruktionen.
• Weichteilplastiken.

2.3.5 Postaggressionsphase
Zeit
Ab 7. bis 10. Tag.

Ziel
Weitere Stabilisierung von Atmung und Kreislauf des Verletzten.
   2.3  Vorgehen bei Polytrauma oder instabilen Patienten  57

Pathophysiologie
Je nach Umfang der Verletzungen und OPs („Aggressionen“) mehr oder weniger
ausgeprägte Veränderungen im Säure-Basen-Haushalt und Stoffwechsel (ver-
mehrter Eiweißabbau: Katabolismus) möglich. Daher keine aufwendigen OPs v. a.
in der ersten Hälfte dieser Phase.

Operationen
Chirurgische Maßnahmen am Anfang dieser Phase → Schaffung günstiger Aus-
gangsbedingungen für eine definitive Versorgung des Verletzten, z. B.: 2
• Abtragen nekrotischen Gewebes.
• Ausräumung von Entzündungsherden (können zu einer Sepsis führen).
• Entfernen großer infektionsgefährdeter Hämatome.
In der zweiten Hälfte dieser Phase können bei guter Erholung des Pat. rekonstruk-
tive Eingriffe beginnen, z. B.:
• Sekundärer Wundverschluss bei offenen Frakturen.
• Gelenkrekonstruktionen.
• Versorgung von Frakturen im Kiefer-Gesichts-Bereich.
• Ersatz des Fixateur externe durch entsprechende Osteosynthesen („Verfah-
renswechsel“).
3 Ärztliche Arbeitstechniken
Hans Mau und Steffen Breusch

3.1 Verbände 60 3.3.3 Periphere Nerven­


3.1.1 Wundverband 60 blockaden 73
3.1.2 Kompressionsverband 60 3.3.4 Rückenmarknahe
3.1.3 Gips- und Kunststoffver­ ­Verfahren 75
bände 60 3.3.5 Anästhesie des Plexus
3.1.4 Fixationsverbände 65 ­brachialis 77
3.1.5 Spezielle Verbände 66 3.3.6 Therapeutische Lokalanästhe-
3.1.6 Funktionelle Tapever­ sie, Neuraltherapie 78
bände 66 3.4 Chirurgische Nahttechnik 78
3.2 Gelenkpunktionen 68 3.4.1 Nahtmaterial 78
3.2.1 Voraussetzungen 68 3.4.2 Chirurgische Nadeln 80
3.2.2 Vorbereitung und allgemeine 3.4.3 Knotentechnik 81
Punktionstechnik 69 3.4.4 Tipps zur Nahttechnik 82
3.2.3 Spezielle Punktions­ 3.4.5 Nähte im Gesicht 84
technik 69
3.3 Regionalanästhesie 71
3.3.1 Medikamente 71
3.3.2 Infiltrationsanästhesie 73
60 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

3.1 Verbände
3.1.1 Wundverband
Primär geschlossene Wunden: Wunde mit saugfähiger Mullkompresse abdecken
und mit elastischem Klebeverband fixieren (z. B. Fixomull stretch®). Nicht unter
Spannung aufkleben → Spannungsblasen, evtl. Ränder einschneiden, um Gelenk-
beweglichkeit nicht einzuschränken. Ein steriler OP-Verband ist ein sehr guter
Schutz gegen Keime, deshalb Verband außer bei KO (z. B. postop. Blutung) bis
2.–4. postop. Tag belassen. Verband soll luftdurchlässig sein, um feuchte („Brut“-)
Kammer zu vermeiden. Sobald Wunde trocken (nach ca. 2–3 d), Verband entfer-
nen und Wunde offen behandeln.
• An mechanisch beanspruchten Regionen Schutz der Wunden durch Pflaster-
3 verband (z. B. Hansapor®).
• An Gliedmaßen zusätzlich elastischer Kompressionsverband (▶ 3.1.2).
• Im Gesicht kein Wundverband nötig: Rasche Wundheilung und schwierige
Verbandfixation; evtl. Sprühverband.
Nässende, offene Wunden: Reinigen mit Lavasept®, dann Hydrokolloidverbände
(z. B. Varihesive®).
Infizierte Wunden: Für kontinuierlichen Abfluss des Wundsekrets sorgen. Reinigung
mit in Lavasept® oder Braunovidon getränkten Kompressen (zwei Effekte: Kühlung
durch Verdunstung; Feuchtigkeitsstrom von sezernierender Wunde bis zur Verbands­
oberfläche). Moderne Hydrokolloidverbände (z. B. Combiderm N®) können mehrere
Tage belassen werden. Gute Erfahrungen bestehen gerade bei „Problemwunden“ (z. B.
Dekubitus, Ulcus cruris, Wundhöhlen) mit Vakuumversiegelung (VacuSeal®).

3.1.2 Kompressionsverband
Ziel: Verringerung eines posttraumatischen bzw. postop. Ödems; Blutstillung;
Thromboseprophylaxe (▶ 24.3).
Technik: Immer von distal nach prox. mit elastischen Binden wickeln (mit gleich-
mäßigem Zug). Binden sollen sich etwa zur Hälfte überlappen. An Gelenken in
Achtertouren wickeln (Schildkrötenverband), um Faltenbildung zu vermeiden.
Bei stark konischen Verbänden Umschlagtouren verwenden (Kornährenverband).
Wichtig: Schnürfurchen und „Fenster“ vermeiden → Zirkulationsstörungen,
Kompartmentsy. (▶ 13.2.35), Fensterödem.

3.1.3 Gips- und Kunststoffverbände


Gips- und Kunststoffverbände sind Fixationsverbände (▶ 3.1.4).

Grundlagen
• Nachteile von Fixationsverbänden allgemein sind Inaktivitätsatrophie, mögl.
Gelenkeinsteifung, Verklebungen und Verwachsungen von Gleitgeweben,
evtl. Hautschäden, Thrombosen.
• Vor- und Nachteile der Gips- und Kunststoffverbände ▶ Tab.  3.1.
• Tgl. Bewegungsübungen der Nachbargelenke zur Vermeidung unnötiger Ein-
steifungen wichtig.
• Gelenke i. A. in Funktionsstellung (▶ Tab.  3.2) fixieren.
• An Thromboseprophylaxe denken (▶ 24.3).
• Bei Sensibilitätsstörungen Verband entfernen, Extremität hochlagern, Bewe-
gungsübungen.
  3.1 Verbände  61

Gipskontrolle
Der Pat. muss wissen, dass er bei zunehmenden Schmerzen und/oder Par-
ästhesien unverzüglich wiederkommen muss. Spätestens am Tag nach dem
Anlegen Gipskontrolle durch einen Arzt: Zirkulation, Sensibilität und Be-
weglichkeit überprüfen, auf Parästhesien, Kältegefühl, zunehmende
Schmerzen, Zyanose oder auffällige Blässe achten. Der Pat. mit Beschwer-
den im Gips hat immer Recht. Beim geringsten Zweifel Gips spalten oder
abnehmen.

Tab. 3.1  Vergleich von Gips- und Kunststoffverbänden


Verband Gipsverband Kunststoffverband (z. B. Bycast® oder
Scotchcast®)
3
Vorteile Preiswert, untoxisch, nicht Leicht, sehr stabil bei geringem Material-
brennbar, haut- und klei- verbrauch, luftdurchlässig, wasserfest, gut
derschonend, gut zu mo- röntgendurchlässig, wenig Schmutz bei der
dellieren, keine besonde- Verarbeitung, frühe Belastbarkeit, kurze
ren Hilfsmittel erforder- Trockendauer, gut geeignet bei längerer
lich, größere Elastizität Tragedauer, mögl. Weiterverarbeitung zu
(postop.) Liegeschalen (Kostenersparnis im Vergleich
zu Kunststoffschalen nach Gipsabdruck)

Nachteile Schwer, nicht wasserfest, Schwierig zu verarbeiten, spätere Korrek-


wenig luftdurchlässig, brö- tur durch niedrige Elastizität fast unmög-
ckelt leicht ab, schlecht lich, teuer (aber weniger Materialver-
röntgendurchlässig brauch), scharfkantige Ränder, brennbar,
Feuchtigkeitsaustausch behindert, Vorsicht
bei Schwellneigung

Tab. 3.2  Funktionsstellung von Gelenken


Gelenk Stellung

Schultergelenk 60–70° Abduktion, 30° Flexion, 0° Rotation

Ellenbogengelenk 90° Flexion

Unterarmgelenk 10° Pronation

Handgelenk 20° Dorsalextension (keine Ulnarabduktion!)

Fingergelenke Alle Fingerkuppen weisen zum Os naviculare (korrekte


Rotation)

• MP-Gelenke 60–80 % Flexion

• PIP-Gelenke 30–40 % Flexion

Daumengelenk, MP- und Leichte Beugung, mittlere Opposition (sog. Flaschen-


IP-Gelenke, CM-Gelenk griff)

Hüftgelenk 10–15° Flexion, 10° Abduktion

Kniegelenk 10–15° Flexion

OSG Trittstellung (0°)

Fußgelenke Neutralstellung aller Gelenke (= plantigrade Auftrittsfläche)


62 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

Anfertigung eines Gipsverbands


Vorbereitung
• Gute Vorbereitung wichtig, da Gips innerhalb von 5 Min. hart wird.
• Gipsbinden, Werkzeug, Fremdmaterialien und Longuetten richten.
• Tauchwasser vorbereiten; Normaltemperatur ca. 20  °C. Falls raschere Abbin-
dezeit gewünscht, max. 30  °C. Bei Großgipsen und mangelnder Routine käl-
teres Wasser verwenden. Cave: Verbrennungen bei zu heißem Wasser.
• Vor Anlegen eines Gipses Extremität weder rasieren (Juckreiz, evtl. Ekzeme)
noch einfetten (Verschluss der Poren, Zerstörung des Gipses).

Handschuhe beim Kunststoffverband


Unbedingt Einmalhandschuhe anziehen. Kunststoff ist sehr schwer von den
Händen zu entfernen. Manche Produkte färben ab; Fleckenentfernung aus
3 Kleidung fast unmöglich.

Anlegen des Verbands


• Wundverband: Wundauflagen mit Polsterung fixieren. Nie mit Pflasterstrei-
fen (Allergie) oder zirkulären Binden fixieren (Zirkulationsbehinderung).
• Hautschutz: Trikotschlauchbinden, Schlauchmull (kein Ankleben des Gipses,
weniger Juckreiz).
• Polsterung: Zirkulär mit Verbandswatte, Hautschutz an den Umschlagszonen
über Polsterung ziehen (Fixation, sauberer Abschluss des Verbands). An nicht
druckgefährdeten Regionen eher sparsam polstern, bes. bei Säuglingen (gutes Ei-
genpolster) und zur Behandlung von Frakturen (gute Stellungskorrektur). Erst-
verband nach OP und druckgefährdete Partien dicker polstern (z. B. Nn. ulnaris,
radialis, peroneus, Ferse). Kommt Haut an Haut zu liegen: Mullkompresse als
Zwischeneinlage zur Verhinderung einer Hautmazeration.
• Drähte: Hervorstehende Drähte (z. B. nach Klumpfuß-OP) mit leeren umge-
drehten Spritzen oder Kanülenhülsen versehen und nur diese festgipsen.
Vorteil: Eigenbeweglichkeit des Drahts beim Wackeln des Fußes im Gips
bleibt erhalten → keine Reizung des Wundrands. Gipsabnahme leicht mögl.,
ohne Drähte versehentlich zu ziehen.
• Krepp-Papier straff um Watte wickeln (Gips nicht direkt auf Watte, da diese
sonst zusammenfällt und hart wird). Bei Kunststoffverband kein Papier auf
Watte: Kein Verbund → Kunststoff rutscht!
• Wässern der Gipsbinde, bis keine Luftblasen mehr auftauchen, Ende festhal-
ten, Longuetten zusammenfalten. Gipsbinde ausdrücken, um raschere Trock-
nung und größere Endfestigkeit zu erreichen.
• Konstruktionsprinzip: Unbedingt korrekten Gelenkwinkel beibehalten →
Falten lassen sich nicht mehr korrigieren.
– 1. Lage zügig, flach, ohne Zug abwickeln. Modellieren immer mit der fla-
chen Hand. Cave: Druckstellen.
– Longuetten anbringen: Konstruktion von „U-Schienen“ → hohe Biegefes-
tigkeit, weniger Materialverbrauch, dünnerer Gips, rascheres Austrock-
nen. Longuetten an Gelenkwinkeln evtl. einschneiden, um Wulstbildung
zu vermeiden. Bei Kunststoffverbänden werden Longuettenkonstruktio-
nen i. A. nicht benötigt.
– 2. Lage zur Fixation der Longuette.
– Verstärkung bruchgefährdeter Stellen.
– Gips am dist. Ende ausschneiden, Schlauchmull mit Watte umschlagen,
fixieren.
  3.1 Verbände  63

• Evtl. Gehfläche (z. B. Gehstollen, Absatz, Gehwiege) anmodellieren.


• Trockenzeit: Dünne Schienen ca. 24 h, Gehgipse 48 h (cave: Frischen Gips-
verband nicht zudecken). Vor 24–48 h keine Belastung. Großgipse bis 5 d
(cave: Unterkühlung bei Großgipsen durch Wärmeentzug mögl.).
Gipsbearbeitung nach Aushärtung

Gipsspaltung
Postop., nach Trauma und bei Entzündung Gips bis zur letzten Faser spalten
inkl. der Papierwicklung. Hierzu einen ca. 1 cm breiten Gipsstreifen heraus-
sägen. Cave: Kompartmentsy. (▶ 13.2.35), Volkmann-Kontraktur (▶ 1.4.2).

• Korrektur von Druckstellen: Längsinzision und Aufbiegen mit Rabenschna-


bel-Zange. 3
• Gipsfenster: „Deckel“ wieder lose anwickeln zur Vermeidung eines Fenster-
ödems.
• Gips keilen (Ausgleich von Achsenfehlstellungen). Evtl. vorher Analgetika
(z. B. Tramal®) und Sedativa (z. B. Dormicum®), Gips hälftig einschneiden,
aufspreizen, Ergebnis mit Holz oder Kork über dem Drehpunkt fixieren. Im-
mer Rö-Kontrolle!
• Entfernung: Zirkuläre Gipse durch zwei seitliche Schnitte schalen und dann
abheben. Gips immer über gut gepolsterten, weichen Partien spalten; nie über
Knochen aufsägen. Pat. vorher Funktionsweise der oszillierenden Gipssäge
erläutern (Lärm, Durchtrennung durch Vibration). Säge immer mit Hand
unterstützen, schrittweise vorgehen, nie Längszug → Verletzungsgefahr!

Spezielle Gipsverbände
Untere Extremität
Becken-Bein-Fuß-Gipsverband (BBF-Gips): Verschiedene Varianten möglich.
Komplexer Gips, der gut vorbereitet sein muss. Fachkundige Gipshelfer wichtig.
Holzstab als stützende Querverbindung wichtig.
OS-Liege-, Gehgips: Wadenbeinköpfchen gut polstern (Gefahr der Druckschädi-
gung des N. peroneus; ▶ 18.9.1). Liegegips (▶ Abb.  3.1): Knie in ca. 25° Flexion.
Gehgips: Knie in 15° Flexion (völlige Streckung evtl. schmerzhaft).
Tutor (▶ Abb.  3.1): Stauchung und Rotation des Kniegelenks werden nicht völlig
ausgeschaltet. Femurkondylen gut anmodellieren, damit der Tutor nicht abrutscht
(v. a. bei Muskelatrophie). Cave: Druckstellen an der Patella.
US-Liege-, Gehgips: Sprunggelenk und Fußsohle dick genug wickeln, Zehen-
schutz nicht vergessen.
Sarmiento-Gips (▶ Abb.  3.1): Ind. bei Frühbelastung, z.B. bei US-Schaftbrüchen
ohne Verkürzungsneigung. Abstützung an Schienbeinkopf und Femurkondylen.
Gips in 45° Kniebeugung und Rechtwinkelstellung des Fußes anlegen. Wichtig ist
das gute Ausmodellieren des Schienbeinkopfs, der OS-Kondylen und der Patella,
Gegendruck durch Wadenmuskulatur. Tipp: Vor dem Anlegen Hilfslinien für
Modellierung des prox. Gipsendes einzeichnen: Ventral → oberer Patellapol, dor-
sal → ca. 4 cm unterhalb der Kniekehle.
Obere Extremität
OA-Gipse, Hanging Cast: Gips bis hoch in die Achsel ziehen → kurzer Schaft kann
auf N. radialis drücken. An Polsterung des Ellenbogens denken (N. ulnaris, Epikon-
dylen). Zirkulären Gips sorgfältig spalten. Cave: Volkmann-Kontraktur (▶ 1.4.2).
64 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

Abb. 3.1  Gipsverbände [L106]

Dorsale UA-Schiene, zirkulärer UA-Gips (▶ Abb.  3.1): Am häufigsten bei Radi-


usfrakturen loco typico (▶ 9.2.21). Ziehen am 1., 2. und 3. Strahl (evtl. Mädchen-
fänger), leichte Ulnarabduktion und Flexion. Verstärkte Polsterung am Handrü-
cken, Daumen und am prox. Ende des Gipses. Gipslonguette von knapp unterhalb
des Ellenbogengelenks bis zu den Köpfchen der Metakarpalia, volar nur bis zur 1.
Beugefalte → Faustschluss und volle Beweglichkeit der Finger sollen erhalten blei-
ben. Bei erster zirkulärer Gipstour Binde zwischen Daumen und Zeigefinger ein-
mal umschlagen, um eine stabile Brücke zu erzielen. Kompression der Mittelhand
und scharfe Kanten vermeiden.
  3.1 Verbände  65

• Strecksehnenverletzung: Besondere Funktionsstellung: 40°-Extension im


Handgelenk und 80°-Flexion im MP-Gelenk.
• Kahnbeinbruch: Daumengrundglied mit einschließen, Endgelenk frei, idea-
lerweise OA-Gips.
• Kindliche UA-Fraktur: Mittschaft in Neutralstellung, distal in Pronation, prox.
in Supination, Gips queroval anmodellieren, wenig Watte → Anspannung der
Membrana interossea.

3.1.4 Fixationsverbände
Desault-Verband: Postop. Ruhigstellung von Schulter und Ellenbogengelenk für
max. 1 Wo. Verlauf der Bindengänge (▶ Abb.  3.2): (gesunde) Achsel → Schulter →
Ellenbogen (ASCHE). Polster unter der Achsel nicht vergessen. Weitgehend von
fertiger Desault-Weste abgelöst. 3
Velpeau-Verband: Technisch einfachere Variante des Desault-Verbands. Über-
ziehen eines Trikotschlauchs (z. B. Trikotschlauch 15 cm), Armöffnungen U-för-
mig ausschneiden und Enden über Schulter verknoten oder verkleben. Öffnungen
für Fingergrundgelenke und Daumen einschneiden.
Gilchrist-Verband: Einfachste Handhabung durch Fertigverbände (▶ Abb.  3.3),
z. B. Tricodur®, Gilchrist-Bandage. Einfaches Anlegen, waschbar, mehrfach zu
verwenden. Polsterung unter der Achsel nicht vergessen.

Abb. 3.2  Desault-Verband [L106] Abb. 3.3  Gilchrist-Verband [L106]

Rucksackverband: Ruhigstellung des Schultergürtels nach Klavikulafraktur


(▶  9.1.5), evtl. nach Schultereckgelenksprengung oder nach Trichterbrustkor-
rektur. Mit Watte gefüllter schmaler Schlauchmull (▶  Abb.  3.4). Verband tgl.
kontrollieren (Armdurchblutung: Radialispuls, Blaufärbung, Parästhesien), falls
zu locker, nachziehen. Einfacher: Fertigverbände wie die Tricodur-Klavikula-
Bandage.
66 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

3
Abb. 3.4  Rucksackverband [L106]

3.1.5 Spezielle Verbände
Schienenverband: Ruhigstellung von Fingern und Hand, z. B. Fingerschiene nach
Böhler, Link-Finger-Splint® oder biegsame, kürzbare, gepolsterte Aluminium-
schienen. Bei Fingerverletzungen immer Handgelenk mit fixieren; Gelenke in
Funktionsstellung (▶ Tab.  3.2). Anwickeln der Schienen durch elastische Binde.
Zinkleimverband: Zur Kompressionsbehandlung bei allen Schwellungszustän-
den am US, z. B. nach Venenthrombose (▶ 5.8.1) oder Gipsbehandlung. Kontrolle
des richtigen Sitzes: Zehen, die in Ruhestellung evtl. leicht bläulich verfärbt sind,
werden nach Umhergehen rosig.

Schnürfurchen
Schnürfurchen können entstehen, weil der Verband nicht elastisch ist.

Verband bei Fixateur externe: Tägliche Reinigung der Austrittsstellen und Stäbe
mit Ringer-Lösung. Stäbe mit fusselfreien Kompressen von zentral nach peripher
polieren. Krusten und Verklebungen lösen. Bei reizfreien Pineintrittsstellen Du-
schen möglich. Bei Kindern vor Entlassung Schulung der Eltern. Kurzfristige
Kontrollen wichtig: Gefahr der Bohrlochosteomyelitis (▶ 8.4.3).

3.1.6 Funktionelle Tapeverbände
Grundlagen
Ziele: Schutz, Stütze, selektive Entlastung und Bewegungseinschränkung zur Ver-
meidung von Extrembewegungen. Gelenke werden nicht völlig ruhig gestellt,
sondern nur bestimmte unerwünschte Bewegungen werden eingeschränkt.
Vorteile: Keine totale Immobilisation, geringe Inaktivitätsatrophie, schnellere Re-
sorption von Hämatomen, physik. Ther. weiterhin möglich, frühzeitige Arbeits-
bzw. Trainingsbelastung.
Typische Ind.: Partielle Außenbandrupturen (OSG), Muskelzerrungen, -faserris-
se, Überdehnungen, Tendovaginitiden, Periostitis, NB nach Gipsabnahme, Kap-
sel-Band-Insuffizienz, permanente Überlastungsreize, prophylaktisch vor sportli-
cher Betätigung.
  3.1 Verbände  67

KI: Ausgedehnte Hämatome, großflächige Hautverletzungen, allergische Haut­


affektionen, alle unklaren Diagnosen.

Bestandteile und Anlage


In der Reihenfolge des Anlegens besteht der Tapeverband (▶ Abb.  3.5) aus:
• Polster: z. B. zugeschnittene Schaumstoffpolster.
• Unterzug: Hautschutz (z. B. Gasofix®-Binde).
• Ankerstreifen (1): „Aufhängung“ der Zügel an den Verbandenden.
• Zügel (2–5): Tragende Elemente des Verbands, die seine Funktion bestim-
men (z. B. Entlastung, Bewegungseinschränkung).
• Fixierstreifen (6, 7): Verhindern Ablösen von unter Zug stehenden Zügeln
(quer zu den Zügeln angebracht).
• Verschalungsstreifen (8): Schließen den Verband, schaffen einen festen Ver-
bund. 3
• Sicherungsstreifen: Zusätzlicher Schutz an besonders beanspruchten Stellen.

Abb. 3.5 Handgelenk-Tapeverband [L106]

Unterzugbinde
Falls keine Rasur, Unterzug (z. B. Gasofix®-Binde) nicht vergessen: Abziehen
des Verbands sonst sehr schmerzhaft.
68 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

Regeln zum Anlegen und Abnehmen des Verbands:


• Im Regelfall Anlegen der Verbände in Funktionsstellung (▶ Tab.  3.2).
• Bei venöser Abflussstauung müssen Verbände geschlossen sein und am Bein
mindestens vom Großzehengrundgelenk bis zum Knie reichen.
• Bei Schwellungstendenz ausschließlich semizirkuläre Verbände anlegen.
• Nach Abnahme des Verbands Haut mit Benzin von Pflasterresten befreien
und mit Hautcreme behandeln.

Verband entfernen
Bei zunehmenden Schmerzen, bei unter Hochlagerung nicht zurückgehen-
den Schwellungen, Blau- oder Weißverfärbung der Zehen bzw. Finger oder
Sensibilitätsstörungen muss der Verband sofort entfernt werden. Darüber
muss der Pat. informiert sein.
3
3.2 Gelenkpunktionen
3.2.1 Voraussetzungen
Indikationen
• Schmerzreduktion durch Entspannung der Gelenkkapsel.
• Hämatomentfernung (diagn. bedeutsam, Verhindern von Folgeschäden z. B.
durch enzymatische Schädigung des Gelenkknorpels).
• Verbesserung der Durchblutungssituation (z. B. bei Hüftgelenkerguss).
• Inj. von Medikamenten (z. B. LA, Glukokortikoide).
• Inj. von KM (z. B. bei einer Arthrografie oder einem Arthro-CT/MRT).
• Gewinnung von Synovialflüssigkeit (▶ 16.4.2) zur Diagn. unklarer Arthriti-
den (z. B. Inf., RA, aktivierte Arthrose, Gicht).

Kontraindikationen
• Infektionen, Hautschäden und Hauterkr. in der Umgebung der Punktions-
stelle (Gefahr eines iatrogenen Infekts).
• Keine intraartikuläre Inj. von Glukokortikoiden bei V. a. oder gesicherter Ge-
lenkinf.

Patientenaufklärung
• Wegen Eingriff in die körperliche Integrität muss der Pat. aufgeklärt werden
und einwilligen (▶ 6.3.1). Dokumentation!
• Risiken: Gelenkempyem, Kapselphlegmone, Osteomyelitis, Sepsis und die
sich daraus ergebenden operativen Maßnahmen.
• Bei inadäquater Ther. dieser KO kann das Gelenk rasch vollständig zerstört
werden (▶ 8.5.1).

Wiedervorstellung
Wichtig ist die Instruktion des Pat., sich bei zunehmenden Schmerzen, Rö-
tung, Schwellung, Überwärmung, Bewegungseinschränkung oder Fieber un-
verzüglich vorzustellen.
  3.2 Gelenkpunktionen  69

3.2.2 Vorbereitung und allgemeine Punktionstechnik


Vorbereitung
• Entsprechende Behältnisse für Asservierung des Punktats bereitlegen.
• Kleidungsstücke entfernen (lassen), die das Punktionsfeld kontaminieren
könnten.
• Keine Rasur wegen der Gefahr von Mikroläsionen der Haut und der damit
erhöhten Inf.-Gefahr.
• Bei V. a. eine Inf. Einmalunterlage verwenden.
Streng aseptisch!
Ein Gelenk darf nur unter streng aseptischen Kautelen punktiert werden.

3
Allgemeine Punktionstechnik
• Erste Hautdesinfektion (am besten mit gefärbtem Desinfektionsmittel), Rei-
nigung mit Tupfer oder Kompresse.
• Zweite Hautdesinfektion (mindestens 1 Min. einwirken lassen). Punktions-
stelle steril abdecken.
• Punktionsbesteck steril anreichen lassen oder vorher auf sterilem Tuch ablegen.
• Mund- und Kopfschutz, Händedesinfektion, steriles Anziehen der OP-Hand-
schuhe.
• Punktionsnadel unter Aspiration bis in das Gelenk vorschieben.
• Nach der Punktion steriles Pflaster auf Einstich.
• Bei Medikamentenappl. Gelenk durchbewegen.
• Bei rez. Ergüssen Kompressionsverband, z. B. am Knie mit Filzkreuz.
Tipps & Tricks
• Ausreichend dicke Kanüle (z. B. Kniegelenk: gelb oder rosa) wählen,
um bei viskösem Erguss das Gelenk wirksam zu entlasten.
• Durch vorsichtiges Anspannen der Muskulatur kann z. B. am
Kniegelenk der obere Rezessus entleert und bei „festgesaugter“ Nadel
der Gelenkerguss besser abpunktiert werden.
• Bei großer Angst des Pat. oder großlumiger Kanüle LA (z. B. Scandi-
cain®, feine Kanüle) und Stichinzision vor der Punktion. Ausnahme: Bei
V. a. (TEP) Infekt kein LA, da bakterizid!
• Vor Inj. aggressiver Medikamente (z. B. Varicocid®) oder KM „Probeinjek-
tion“ mit 0,9 % NaCl-Lösung oder LA, um eine Fehlinj. in das Weichteilge-
webe zu vermeiden (Probe: Leichtgängige Inj., im Zweifel Aspiration).
• Nach Gelenkpunktion durch Entspannung der Kapsel oftmals bessere
klin. Untersuchung möglich.

3.2.3 Spezielle Punktionstechnik
▶ Abb.  3.6.
Schultergelenk
Dorsaler Zugang (zur Inj.): Im Sitzen günstig, Arm innenrotiert. Einstich 2 cm medi-
al und 2 cm distal des Angulus acromialis. Zielrichtung: Processus coracoideus.
70 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

Abb. 3.6  Gelenkpunktionen [L190]

Ventraler Zugang (zur Punktion, Arthrografie): Rückenlage, OA leicht außen-


rotiert und abduziert. Einstich 1 cm kaudal und lat. der Spitze des Processus cora-
coideus. Stichrichtung leicht medial.

Ellenbogengelenk
Lateraler Zugang: UA 90° gebeugt, proniert, aufgelegt. Tasten des Gelenkspalts
zwischen Radiusköpfchen und Capitulum radii unter Rotation im UA.
Dorsaler Zugang: Bei 90° gebeugtem UA prox. der Olekranonspitze Trizepsseh-
nenansatz durchstechen. Zur völligen Entleerung des Gelenks beide Zugänge
wählen.

Handgelenk
Dorsoradialer Zugang: Auch für Handgelenkarthrografie zur Beurteilung des
Discus triangularis; Hand flektiert, leicht ulnar abduziert. Inj. zwischen die Seh-
nen des M. extensor pollicis longus und M. extensor indicis direkt distal des Pro-
cessus styloideus radii.
Dorsoulnarer Zugang: Radial vom Proc. styloideus ulnae am ulnaren Rand der
Kleinfingerextensorsehne.
  3.3 Regionalanästhesie  71

Hüftgelenk

Bildverstärker-Kontrolle
Die BV-Kontrolle kann die Punktion und die Inj. von KM erheblich erleich-
tern.

Ventraler Zugang: Bezugspunkte sind die Spina iliaca ant. superior und die Sym-
physe. Punktion in der Mitte dieser Bezugslinie ca. 2 cm lat. des Femoralispulses.
Mit überlanger Kanüle (19/21G-Spinalnadel) punktieren.
Lateraler Zugang: OS abduziert und etwas innenrotiert. Trochanterspitze tasten.
Punktion ca. 2 cm prox. der Trochanterspitze senkrecht zur Körperlängsachse,
parallel zur Unterlage (mit überlanger Kanüle).
Medial distaler Zugang (zur Hüftgelenkarthrografie bei Kleinkindern, Narko-
se): Rückenlage, OS abduziert und außenrotiert. Punktion im Mittelpunkt der 3
Falte zwischen Gesäß und OS. BV-Kontrolle: Korrekte Lage der Nadel ca. 1 cm
medial der knöchernen Schenkelhalsmetaphyse.

Kniegelenk
Lateraler Zugang (zur Punktion): Rückenlage, max. Kniestreckung (so weit
möglich; evtl. Knierolle unterlegen), OS-Muskulatur entspannen lassen, Patella
anheben und unterhalb punktieren.
Lateral-proximaler Zugang (zur Punktion bei starkem Erguss): Punktion des
Rezessus ca. 1,5 cm prox. lat. der Patella.
Ventraler Zugang (zur Inj.): Pat. sitzt, US hängt. Dreieck Tibiakante, Femurkon-
dylus und Patellarsehne aufsuchen. Einstich im Zentrum.

Oberes Sprunggelenk
Ventromedialer Zugang: Tasten der M.-tibialis-ant.-Sehne bei aktiver Dorsalex-
tension des Fußes und Suchen des Gelenkspalts medial der Sehne unter Gelenkbe-
wegung. Leichte Plantarflexion, Einstich leicht prox. ansteigend.
Ventrolateraler Zugang: M.-extensor-digitorum-longus-Sehnen bei aktiver Dor-
salextension des Fußes tasten. Einstich lat. im Winkel zwischen Außenknöchel
und Tibiabasis.

Finger- und Zehengelenke


Seitlicher Zugang: Ca. 30° Flexion. Gelenkrand liegt etwas distal der Hautfalte.

3.3 Regionalanästhesie
3.3.1 Medikamente
• Anwendungsbereiche der Lokalanästhetika:
– Operative bzw. diagn. Eingriffe: Infiltration, Leitungsblockaden, rücken-
marknahe Verfahren, Plexusblockaden, i. v. Regionalanästhesie. Voraus-
setzung: Voraussichtliche OP-Dauer < 2 h.
– Postop. Analgesie: Kontinuierliche PDA, kontinuierliche Plexusblocka-
den.
– Schmerzther.: Infiltrationen, Leitungsanästhesie, Plexusblockaden, konti-
nuierliche Verfahren, Sympathikusblockade.
72 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

– Infiltration größerer Bezirke oder Leitungsanästhesien: Venöser Zugang,


Notfallmedikamente griffbereit.
• Gebräuchliche LA ▶ Tab.  3.3.
• Aufklärung des Pat., evtl. schriftliche Einwilligung. Dabei auf Verminderung
der Fahrtüchtigkeit hinweisen. Bei Unterlassung evtl. Arzt regresspflichtig.
! KI: Bekannte Überempfindlichkeit gegen LA, Gerinnungsstörungen (angebo-
ren oder medikamentös induziert, z. B. Heparin, Marcumar®, ASS), Sepsis,
Entzündung im zu infiltrierenden Bereich, Ablehnung durch Pat.
! KI bei Vasokonstriktorenzusatz: i. v. Inj., Inj. in Endstromgebiete (z. B. Finger,
Zehen, Ohrmuscheln), Glaukom, paroxysmale Tachykardie, hochfrequente abso-
lute Arrhythmie, Hypertonie, Mitralstenose, KHK, Hyperthyreose, Diab. mell.
• NW ▶ Tab.  3.4.
3 Tab. 3.3  Wichtige Eigenschaften häufig eingesetzter Lokalanästhetika
Substanz Wirkdauer Anästheti- Toxizität Höchstdosis oh-
sche Potenz ne/mit Adrena-
lin [mg]

Lidocain (z. B. Xylo- Mittel (60– 4 2,1 200/300


cain®) 120 Min.)

Mepivacain (z. B. Scan- Mittel (90– 4 2,3 300/500


dicain®) 180 Min.)

Prilocain* (z. B. Xylo- Mittel (90– 4 1,3 400/600


nest®) 180 Min.)

Bupivacain (z. B. Car- Lang (4–10 h) 16 12,5 150 (immer oh-


bostesin®) ne)

Etidocain (z. B. Dura- Lang (4–10 h) 16 12 300 (immer oh-


nest®) ne)

Ropivacain (z. B. Na- Lang (6–10 h) 16 6–8 300/300


ropin®)

* Cave: Methämoglobinbildung bei hoher Dosierung (→ Lippenzyanose)

Tab. 3.4  Maßnahmen bei toxischen Nebenwirkungen und allergischen Reak-


tionen
Nebenwirkung Maßnahmen

Jede Nebenwirkung O2-Zufuhr (4 l/Min.), sofort i. v. Zugang legen

Schwindel, Unruhe, Midazolam 5–10 mg i. v. (z. B. Dormicum®) oder Diazepam


Angst, Ohrensausen 2,5–10 mg i. v. (z. B. Valium®)

Krämpfe Midazolam 5 mg i. v. (z. B. Dormicum®) oder Diazepam


10 mg i. v. (z. B. Valium®), evtl. nach 10 Min. wiederholen,
oder Thiopental 25–50 mg i. v. (z. B. Trapanal®)

Laryngospasmus Intubation und Beatmung, Thiopental 3–5 mg/kg (z. B. Tra-


panal®), Succinylcholin 1 mg/kg, Korrektur des Säure-Basen-
Haushalts nach BGA

Bradykardie Atropin 0,5–1 mg i. v. oder Ipratropiumbromid 0,5–1,0 mg


i. v. (z. B. Itrop®)

Leichte Hypotonie Beine hochlagern (▶ 5.2.1, ▶ Tab.  5.3)


  3.3 Regionalanästhesie  73

Tab. 3.4  Maßnahmen bei toxischen Nebenwirkungen und allergischen Reak-


tionen (Forts.)
Nebenwirkung Maßnahmen

Mäßige Hypotonie 1 Amp. Akrinor® langsam i. v.

Starke Hypotonie Dopamin 200 mg in 50 ml NaCl 0,9 %: einschleichend mit


3–5 μg/kg beginnen, bis 10 μg/kg steigern

Leichte allergische Re- Clemastin 2 mg (1 Amp. Tavegil®) oder Dimetinden 4 mg (1
aktionen Amp. Fenistil®) langsam i. v., bei starkem Juckreiz zusätzlich
Prednisolon bis zu 1 g i. v. (z. B. Solu-Decortin® H)

Vasovagale Reaktion Horizontallage, 1 Amp. Atropin oder Iptratropiumbromid


0,5 mg i. v. (z. B. Itrop®), 1 Amp. Akrinor® fraktioniert i. v.,
Midazolam 5 mg i. v. (z. B. Dormicum®)
3
Asystolie Kardiopulmonale Reanimation

3.3.2 Infiltrationsanästhesie
Definition
Direkte Infiltration des OP-Gebiets s. c., intrakutan und auch i. m., meist mit fä-
cherförmiger Nadelführung. Beim Feldblock indirekte Analgesie durch Umsprit-
zen des OP-Gebiets, das selbst nicht infiltriert wird.

Indikationen
Kleine chir. und diagn. Eingriffe (z. B. Wundversorgungen, schmerzhafte Punktion
mit dicklumigen Kanülen, Entfernung kleiner Tumoren, Ganglien, Schleimbeutel).
Bei Wundversorgung keine Infiltration vom inneren Wundrand aus (Gefahr der
Keimverschleppung). Der Feldblock wird zur Versorgung kleinerer Wunden, v. a.
bei kontaminierten Wundrändern, kleinen Abszessen (außerhalb des entzündeten
Gebiets infiltrieren) und kleinen, tiefer gelegenen Weichteiltumoren angewendet.

Technik
• Bei besonders ängstlichen Pat. Prämedikation mit Diazepam 5–10 mg (z. B.
Valium®).
• Schmerzarme Infiltration durch Betäubung der nächsten Einstichstelle vom
ersten Infiltrationsgebiet aus; Nadel langsam vorschieben; ohne großen
Druck injizieren.

3.3.3 Periphere Nervenblockaden
Indikationen
Der diagn. Block dient der Differenzierung schmerzverursachender Strukturen, der
ther. Block der Schmerzlinderung bzw. Unterbrechung pathol. nozizeptiver Reflexe.

Häufige Fehler
• Vorher keinen venösen Zugang gelegt.
• Notfallinstrumentarium nicht bereit gelegt.
• Vor Inj. Lokalisation nicht präzise aufgesucht.
• Zu hohe Volumina injiziert (Weißfärbung der Haut, Finger, Zehen).
74 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

• Blockadeerfolg nicht überprüft: Korrekte Lage fraglich → zweifelhafte


Aussage der Wirksamkeit des Blocks.
• Nur eine einzige Blockade durchgeführt → nur nach mehreren reprodu-
zierbaren Ergebnissen lässt sich die Wirkung der Blockade sicher beur-
teilen.

Oberst-Anästhesie
Ind.: Eingriffe an Fingern und Zehen.
Technik (▶ Abb.  3.7): DMS prüfen. Betäubung des 1. Einstichs durch Setzen einer
Hautquaddel mit sehr dünner (18er) Nadel auf einer Seite. Vor eigentlicher Anäs-
thesie quer auf die Gegenseite stechen und zweite Einstichstelle infiltrieren. Max.
5 ml LA ohne Adrenalinzusatz verwenden.
3

Abb. 3.7  Oberst-Anästhesie [L106]

Obturatorius-Blockade (L2–L4)
Ind.: Schmerzdiagnose, Schmerzbeeinflussung von Hüftgelenkaffektionen (z. B.
Koxarthrosen).
LA: 10–15 ml 1-prozentige Lidocainlösung (z. B. Xylocain®).
Technik: Anatomische Orientierungspunkte sind Tub. pubicum, Lig. inguinale,
Spina iliaca ant. superior. Evtl. Schamhaare teilweise abrasieren. Hautdesinfektion
(Genitalien schützen). Sterile Abdeckung. Hautquaddel ca. 1 cm unterhalb und
lat. vom Tub. pubicum. Mit feiner Nadel (ca. 7 cm lang) senkrecht in die Tiefe
stechen bis zum Knochenkontakt. Stichkanal auf Os pubis dirigieren. Dann Kanü-
lenrichtung ändern, sodass Kanülenspitze nach lat. und kranial wandert, bis Ka-
nüle dicht unter dem Ramus superior ossis pubis in den Canalis obturatorius ge-
langt. Nach Aspiration LA injizieren.
Kontrolle: Bei geglückter Blockade Add.-Fähigkeit eingeschränkt, breitbeiniger
Seemannsgang.

Femoralisblockade
Ind.: Postop. Analgesie bei Eingriffen am Bein (z. B. Narkosemobilisation am Knie).
LA: Ca. 5 ml 1-prozentige Lidocainlösung (z. B. Xylocain®).
  3.3 Regionalanästhesie  75

Technik: Palpieren von Leistenband und A. femoralis. Inj.-Stelle: 1–1,5 cm dist.


vom Leistenband und ca. 1,5 cm lat. der Arterie. Hautquaddel. Nerv etwa in 2 cm
Tiefe. Nadel langsam parallel zur Arterie nach kraniodorsal vorschieben, bis im
Versorgungsgebiet des N. femoralis Zuckungen auftreten. Bei versehentlicher
Punktion der Arterie Nadel zurückziehen und weiter lat. infiltrieren.

Blockade des N. cutaneus femoris lateralis


Ind.: Meralgia paraesthetica.
LA: Ca. 10 ml 1-prozentige Lidocainlösung (z. B. Xylocain®).
Technik: Palpation der Spina iliaca ant. sup. Inj.-Punkt ca. 2,5 cm kaudal und
2,5 cm med. davon. Hautquaddel. Durchstechen der Fascia lata bis auf den Kno-
chen, Nadel zurückziehen und Infiltration der Region.

„3-in-1-Block“ 3
Def.: Blockade von N. cutaneus femoris lat., N. femoralis und N. obturatorius mit
einer einzigen Inj.
Ind.: Postop. Analgesie bei Eingriffen am Bein.
LA: 1-prozentiges Mepivacain oder 0,5-prozentiges Bupivacain.
Technik: Wie Blockade des N. femoralis, aber injiziertes Volumen auf ca. 25 ml
erhöhen und Abfließen des LA nach dist. durch Kompression verhindern. Besser
Punktion der Nervenfaszienloge mit Stimulationskanüle.

Lokale Infiltrationsanästhesie (LIA)


Ind.: Postoperative Schmerztherapie, insb. Nach H-TEP und K-TEP.
LA: z. B. 300 mg Ropivacain, 30 mg Ketorolac und 0,5 mg Adrenalin
Technik: Tiefe und oberflächliche Weichteilinfiltration inklusive Synovialis, Peri-
ost und subkutan (Cave: kein Adrenalin).

Vor Injektion immer aspirieren, um eine versehentliche Gefäßpunktion aus-


zuschließen.

3.3.4 Rückenmarknahe Verfahren
Paravertebrale Wurzelblockade (Reischauer-Blockade) ▶ 10.4.10.

Periduralanästhesie (Epiduralanästhesie)
Def.: Blockade der Wurzeln der jeweiligen Segmentnerven.
Ind.: Typische Ind. sind z. B. die Nervenwurzelirritation bei NPP oder Protrusion
(▶ 10.4.10) oder die postop. Schmerzther.
KI: Gerinnungsstörungen, Allergie auf LA, Infektionen.
Vorbereitung:
• 4- bis 6-stündige Nahrungskarenz beachten (bei KO ggf. Allgemeinnarkose
notwendig).
• Pat. ausführlich über passageren Sensibilitätsverlust und motorische Schwä-
chen, mögl. Nervenläsion, Inf., allergische Reaktion aufklären und Aufklä-
rung sorgfältig dokumentieren.
• Venösen Zugang legen; Notfallmedikamente und -instrumentarium griffbereit.
• Abdecktuch und PDA-Set steril richten. LA (▶ 3.3.1) und Ringer-Lösung auf-
ziehen.
• Auf strenge Asepsis achten (Desinf., Abdeckung, Mundschutz, sterile Hand-
schuhe).
76 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

Technik: Sitzende Position oder Seitenlage des Pat. „Katzenbuckel“ machen las-
sen. Inj. meist zwischen den Dornfortsätzen L4 und L5 in Höhe der Beckenkäm-
me (▶ Abb.  3.8). Markieren der Einstichstelle, z. B. mit Fingernageldruck. Sorgfäl-
tige Hautdesinfektion. Lochtuch. Hautquaddel. Periduralkanüle mit stumpfem
Anschliff oder Tuohy-Kanüle mit Spitzenkrümmung (immer mit Mandrin). So-
bald Kanülenspitze Lig. interspinale erreicht (erhöhter Widerstand beim Vor-
schieben), Mandrin der Kanüle entfernen. Aufsetzen einer mit 10 ml NaCl gefüll-
ten Spritze. Unter Stempeldruck der Spritze Vorschieben der Kanüle. Dabei mit
Finger am Rücken abstützen, um plötzliches Tiefertreten der Nadel zu vermeiden.
Bei weiterem behutsamem Vorschieben unter konstantem Stempeldruck wird die
Spritzenlösung plötzlich widerstandslos injiziert. Spitze der Kanüle liegt jetzt im
Periduralraum (Loss-of-Resistance-Methode). Cave: Vermeintlicher Wider-
standsverlust beim Abgleiten der Nadel aus dem Lig. interspinale.
3 • Singleshot-Technik: Zunächst Testdosis injizieren, nach 3–5 Min. restl.
Menge. Bsp.: PDA bei kons. Ther. eines lumbalen NPP: 10 ml Mepivacain 1 %
(z. B. Scandicain®) mit 5 ml NaCl und Dexamethason 4 mg Kristallsuspension
(z. B. Fortecortin®).
• Katheter-PDA: Zur postop. Analgesie über Stunden und Tage.
Nach Inj. Beobachtung des Pat. Cave: Fersendekubitus bzw. Spannungsblasen →
Beine hochlagern, bis Sensibilität intakt.

Abb. 3.8  Periduralanästhesie [L106]

Sakrale Umflutung
Def.: Blockade der unteren Segmentnerven.
Ind.: Z. B. Nervenwurzelirritation bei NPP oder Protrusion (▶ 10.4.10), Vernar-
bung bei Postnukleotomiesy. (▶ 10.7).
KI: Antikoagulation.
  3.3 Regionalanästhesie  77

Medikament: 20–30 ml NaCl 0,9 %, 10 ml Lidocain 1 % (z. B. Xylocain®) oder Bu-
pivacain 0,25 % (z. B. Carbostesin®), Hydrocortison® 100 mg (vorher anmischen).
Technik: Pat. entweder in Seiten- oder Bauchlage, Palpation des Hiatus sacralis
(ca. 1 cm distal der gut tastbaren Cornua sacralia), Markieren der Einstichstelle.
Sorgfältige Hautdesinfektion. Lochtuch. Eingehen mit kurzer, bei adipösen Pat.
mit langer Kanüle zuerst in 45°, dann in Längsausrichtung zum Sakrum.
Wiederholte Aspiration. Cave: Tief auslaufender Duralsack, Gefahr der intraspi-
nalen Appl. Abstützen. Inj. muss leichtgängig sein. Pat. verspürt häufig Druckge-
fühl und Ausstrahlung ins Bein (dann richtige Lokalisation und langsamer inji-
zieren). Anschließend Pat. auf die betroffene Seite lagern.
Kontrolle: Periphere Vasodilatation (warme Füße!). Kreislauf überwachen und
Liegen für 2 h.

Gefürchtete Komplikationen bei Peridural- und Sakralanästhesie 3


• Zentralnervöse KO oder schwerwiegende Kreislaufreaktionen mit an-
schl. Bewusstlosigkeit.
• Ungewollte Duraperforation mit oft tagelang anhaltenden Kopfschmer-
zen. Arachnoiditis.
• Totale Spinalanästhesie nach Inj. großer Mengen von LA intradural
(Atemstillstand, Bewusstlosigkeit, Herz-Kreislauf-Versagen).

3.3.5 Anästhesie des Plexus brachialis


Bedeutung
Standardverfahren bei (ambulanten) OPs der oberen Extremität. Axilläre Blockade
leicht erlernbar, relativ komplikationsarme Technik, vom Operateur durchführbar.

Indikationen
• Interskalenär: Auch Eingriffe an Klavikula, Schulter und OA mit Ausnahme
OA-Innenseite möglich, v. a. Amputationen.
• Supraklavikulär: Eingriff am OA, mit begrenztem Ausmaß auch an der Schul-
ter möglich.
• Axillär: OP an Hand, UA, Ellenbogengelenk bis dist. Innenseite des OA. OP
an Schulter und lat. OA nicht möglich.

Axilläre Plexusblockade
Technik: Rasieren der Axilla, Rückenlage und OA-Abd. von 90°, Desinfektion. A.
axillaris zwischen Rändern des M. pectoralis und M. latissimus dorsi tasten. Haut­
infiltration mit kleinkalibriger Kanüle. Einführen einer dickeren Kanüle durch die
Faszienscheide unmittelbar kranial der A. axillaris. Hinweise auf richtige Lage der
Kanülenspitze: Pulssynchrone Bewegungen der Nadel, Parästhesien im Arm.
Nach Aspiration Inj. des LA. Dosis beim normalgewichtigen Erw. 20–40 ml
1-prozentiges Lidocain (z. B. Xylocain®). Während Inj. Gefäß-Nerven-Bündel dis­
tal von Kanülenspitze mit Finger komprimieren. Zur Orientierung über richtige
Lage Nervenstimulation mit besonderer Inj.-Nadel (Pole-Needle) hilfreich.
Längere OP: Kontinuierliche Blockade des Plexus axillaris durch Plastikverweil-
kanüle im Bereich der Gefäß-Nerven-Scheide.
KO: Hämatom durch Gefäßpunktion, persistierende Parästhesien bis länger
andauernde Paresen je nach Technik etwa 1 %. Cave: In letzter Zeit gehäuft
Haftpflichtprozesse.
78 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

3.3.6 Therapeutische Lokalanästhesie, Neuraltherapie


Definition
Behandlung von (chron.) Schmerzen, Funktionsstörungen und Krankheiten mit
LA, z. B. mit Mepivacain (z. B. Meaverin®) 0,5 % oder 1 % i. m., i. c., s. c.

Segmenttherapie
LA in Schmerz(projektions)zonen (Reflexzonen, Triggerpunkte) bzw. im Derma-
tom der schmerzhaften Struktur.
• Muskulofasziale Triggerpunkte: Überempfindliche Punkte in Muskulatur
bzw. Muskelfaszien mit charakteristischer Schmerzausstrahlung in zugehöri-
ge Referenzzone. Erfassen des Schmerzpunkts durch Palpation, dann Inj. des
LA direkt in den Triggerpunkt (z. B. 1–2 ml Meaverin® neural).
3 • Korrekte Lage: Kurzzeitige Zunahme der Schmerzintensität mit anschließen-
der Schmerzreduktion.

Störfeldanästhesie
Störfeld = pathol. vorgeschädigtes Gewebe, z. B. Narben, denervierte Zähne.

Lokale Therapie am erkrankten Organ


Infiltrationsther. an Sehnen, Bändern, Muskeln, Kapseln oder Gelenken.
Cave: Niemals Kortikoid-Kristallsuspensionen in eine Sehne injizieren → Nekro-
sen → Rupturgefahr.

LA an somatischen und vegetativen Leitungsbahnen


z. B. Nervenblockaden (▶  3.3.3) oder Blockade vegetativer Ganglien bzw. Grenz-
strangblockade (direkte Organbeeinflussung ohne Beeinflussung peripherer Nerven,
Durchblutungssteigerung im innervierten Gebiet). Meist Blockadeserie indiziert.

3.4 Chirurgische Nahttechnik
3.4.1 Nahtmaterial

Im klin. Alltag zwei Maßeinheiten in Gebrauch: USP und metric.

USP
Bei der klassischen Bezeichnung (USP-Einteilung) hat der „Standardfaden“ die
Stärke 1, dickere Fäden ein Vielfaches davon, z. B. Vicryl® 2 (d. h. dieser Faden ist
doppelt so stark wie der Standardfaden; ▶ Tab.  3.5). Bei dünneren Fäden wird der
Teilungsfaktor zusätzlich durch 0 gekennzeichnet, z. B. Prolene® 4–0. Dieser Fa-
den ist nur ein Viertel so dick wie der Standardfaden. Je nach Nahtmaterial (z. B.
Polyamid) hat der Standardfaden unterschiedliche Stärke.

Metrische Bezeichnung
Fadenstärken werden in 0,1-mm-Schritten (metric) angegeben (▶ Tab.  3.5). Als
„Standardfaden“ wird ein Faden mit der Fadenstärke 0,1 mm bezeichnet. Dieser
Faden erhält die Nummer 1. In der metrischen Klassifikation hat ein Faden der
Stärke 8 also einen Fadendurchmesser von 0,8 mm.
  3.4 Chirurgische Nahttechnik  79

Klassische USP- (United States Pharmocopeia) und metrische EP-Einteilung (Eu-


ropäische Pharmakopoe) lassen sich nicht umrechnen. Im Klinikalltag hat sich die
metrische Einteilung meist noch nicht durchgesetzt.
Fäden werden aus einem Stück (monofil) oder geflochten hergestellt. Da gefloch-
tene Fäden aufgrund ihrer Dochtwirkung eine Infektausbreitung fördern können,
wurden Fäden entwickelt, die mit einem „Überzug“ versehen sind (pseudomono-
file Fäden), z. B. Suturamid®.

Tab. 3.5  Fadenstärken chirurgischen Nahtmaterials nach der Europäischen


Pharmakopoe
Metrisch 5 4 3,5 3 2 1 0,7 0,4 0,2 0,01

USP (Polyamid) 2 1 0 2–0 3–0 5–0 6–0 8–0 10–0 12–0


3
Resorbierbare Fäden
Beispiele (▶ Tab.  3.6):
• Vicryl®, Vicryl rapid®: Geflochtener, resorbierbarer Faden aus Glykolid und
Laktid. Fäden sind beschichtet: Sägewirkung bei der Passage durch das Gewe-
be wird vermieden, besseres Gleiten der Knoten ermöglicht. Nach 15 d noch
über 50 % der ursprünglichen Reißkraft. Resorption um den 70. Tag.
• PDS® Polydioxanon: Monofiler, resorbierbarer Faden. Anwendung v. a. in
infiziertem Gewebe. Durch lange Resorptionszeit Einsatz auch in bradytro-
phen Geweben wie Faszien, Bandapparat und Sehnen. Nach 5 Wo. noch 50 %
der ursprünglichen Reißkraft. Vollständige Resorption nach etwa 180 Tage.

Nicht resorbierbare Fäden


Beispiele (▶ Tab.  3.6):
• Prolene Polypropylen®: Monofiler, hydrophober Faden. Anwendung v. a. in der
Mikrochirurgie sowie bei Hautsehnennähten und Nähten in infizierten Wund-
gebieten. Nachteil: Geringere Knotensicherheit, die mehrere Knüpfungen erfor-
dert; Vorteil: Nahezu völlige Reizlosigkeit im Gewebe (Anwendung versenkter
Nähte mögl.). Vorteil der Unbenetzbarkeit: Kein Aufquellen im Gewebe, keine
Dochtwirkung. Kein Reiben oder Sägen beim Durchgleiten des Gewebes.
• Ethilon Polyamid®: Monofiler Faden mit hoher Reißkraft und glatter Oberflä-
che. Ind.: Hautnaht speziell für feinste Nähte in der Mikro- und Handchirurgie.
• Suturamid Polyamid®: Bündel monofiler Fasern mit gemeinsamem
schlauchartigem Überzug. Vorteil: Verbindung der Eigenschaften polyfiler
Fäden (Flexibilität, leichtes Knoten) und monofiler Fäden (glatte Oberfläche);
nicht kapillar (sollte nur für Hautnähte eingesetzt werden).
• Ethibond Polyester®: Geflecht aus Polyesterfasern, die mit Beschichtung
überzogen sind. Minimale Narbenbildung bei höchster Reißkraft. Einsatz in
der plastischen Chirurgie.
• Mersilene®: Speziell geflochtener Faden mit homogener Oberfläche und bes.
hoher Reißkraft, wasserabweisend, gute Griffigkeit, sehr gewebefreundlich.
Ind. in allen operativen Disziplinen, hauptsächlich zur Unterbindung und
zum Wundverschluss.
• Seide: Imprägnierter, aus dem Kokon der Seidenspinnerraupe gewonnener
Faden. Ind. v. a. zur Hautnaht. Vorteile: Hohe Reißfestigkeit, außerordentli-
che Schmiegsamkeit, gute Knüpfbarkeit, zuverlässiger Knotensitz. Nachteil:
Stärkste Bindegewebsreaktion von allen nicht resorbierbaren Materialien.
80 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

Tab. 3.6  Nahtmaterial bei Kindern und Erwachsenen


Gewebe Kinder Erwachsene

Nahtmaterial® Stärke Nahtmaterial® Stärke

Haut Thorax, Ab- Prolene (Int- 3–0 Prolene (Intra- 3–0, 2–0
domen rakutannaht) kutannaht)

Extremitä- Ethilon (Ein- 4–0 Ethilon (Ein- 3–0, 4–0


ten ohne zelnaht) zelnaht) (Hand)
Spannung

Extremitä- Vicryl rapid 4–0 Prolene 3–0


ten unter Hautklam-
Spannung mergeräte
3 Gesicht Vicryl rapid 5–0 Prolene 5–0

Lippen Vicryl rapid 5–0 Vicryl rapid 3–0

Naht von Hauttrans- Vicryl 5–0 Prolene 4–0


plantaten

Faszien Vicryl unge- 2–0 Vicryl unge- 0, 1 oder 2


färbt färbt

Muskeln Vicryl 3–0 Vicryl 3–0 (oder


stärker)

Sehnen PDS Je nach Seh- Prolene, PDS Je nach Seh-


nenstärke nenstärke

Gefäße Prolene 5–0 Prolene 4–0

Peritoneum Vicryl 2–0, 0 Vicryl 0

3.4.2 Chirurgische Nadeln
Form und Spitze
Chirurgische Nadeln sind i. d. R. kreisförmig gebogen (⅜- bis ½-Kreis). Je nach
Dicke und dem zu nähenden Gewebe gibt es unterschiedliche Größen und Krüm-
mungsradien. Man unterscheidet abhängig vom Profil und Schliff der Nadelspitze
zwischen scharfen Nadeln mit dreieckigem Schliff der Nadelspitze zur Naht der-
ber Gewebe (z. B. Narben, Periost, Faszien) und runden, konisch verlaufenen Na-
delspitzen zur Naht von empfindlichen Geweben, z. B. Darm, Peritoneum, Mus-
kulatur, Nerven, Haut.

Atraumatische Nadel
Bei den sog. atraumatischen Nadeln gibt es kein Nadelöhr. Hier ist der Faden
bereits mit der Nadel verschweißt. Dadurch trägt der Faden im Bereich des
Nadelendes im Gegensatz zur Nadel mit einem Öhr nicht auf, und der Stichka-
nal wird kleiner. Vorteil: Stichkanäle kleiner, Faden wird durch das „Einklin-
ken“ in das Öhr nicht beschädigt, Nähte können schneller angereicht werden.
Nachteil: Höherer Preis. Haupteinsatzgebiet sind Sehnen-, Nerven-, Gefäß-
und Intrakutannähte.
  3.4 Chirurgische Nahttechnik  81

3.4.3 Knotentechnik

Tipp
Die gebräuchlichsten Knotentypen (z. B. Grundknoten, chirurgischer Kno-
ten, Rutschknoten) vom erfahrenen Kollegen zeigen lassen. Üben der Knoten
mit der re und li Hand (mit Handschuhen), bis sie „blind“ gelingen.

Schiffer- oder Fischerknoten


Sicherer, fest sitzender Knoten durch zwei ineinander verschlungene Schlaufen
(Standardknoten der Chirurgie; ▶  Abb.  3.9). Korrekte Schlinge entsteht nur bei
vorheriger Kreuzung der Fäden.

Chirurgischer Knoten 3
• Vorteil: Durch die Reibung der doppelten Umschlingung sitzt meist schon
der erste Knoten fest (▶ Abb.  3.9).
• Nachteil: Mehr Fremdmaterial in der Wunde.
Rutschknoten
Adaptation von Geweben unter Spannung, z. B. Fasziennähte. Prinzip: Zwei gleich
laufende Halbschläge um den angespannten Fadenteil legen (▶ Abb.  3.9). Dann die
Doppelschlinge über den gespannten Faden schieben. Der Sicherungsknoten muss
unbedingt gegenläufig geknüpft werden,
da die beiden Schlingen sonst abrut-
schen. Wegen Verwerfung der Wund- Rutsch-
ränder bei zu großem Zug am gespann- knoten
Schiffer- (Weiber-
ten Fadenteil und Verletzung des Gewe- knoten knoten)
bes durch den durchziehenden Faden
Knotenschlingen möglichst dicht an der
Wunde legen.
Variante (für Anfänger schwierig, aber
sehr effizient): Falls sich beim Legen des
schieben
Grundknotens die Wunde distrahiert,
zweiten Knoten zwar gegenläufig knüp- chirurgischer
Knoten
fen, jedoch über das gespannte andere ziehen
Fadenende (dadurch können sich die
Schlingen nicht gegeneinander verwer-
fen). Vorschieben des Knotens über den
gespannten Haltefaden bis zum Kon-
takt mit dem Gewebe. Erst dann Zug
am anderen Fadenende → Bildung eines Abb. 3.9  Knotentechnik [L106]
Schifferknotens.

Instrumentenknoten
• Vorteile: Knoten in großen, schwer zugänglichen Tiefen, bei kurzen oder glit-
schigen Fadenenden, geringerer Verbrauch von Nahtmaterial.
• Nachteil: Fadenspannung schlechter zu kontrollieren. Wichtig: Sicherung der
Gegenläufigkeit der Knoten durch abwechselndes Werfen der Fadens re und
li um die Spitze des Nadelhalters.
• Sicherungsknoten genau in die entgegengesetzte Richtung wie den Grund-
knoten ziehen.
82 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

3.4.4 Tipps zur Nahttechnik


Subkutannaht
Fettgewebe tief greifend mit wenigen dünnen Fäden und großen, runden Nadeln
locker adaptieren. Ziel: Taschen und Hohlräume vermeiden → geringere Gefahr
von Wundheilungsstörungen und Vermeiden eingezogener Narben durch kolla-
genen Umbau von Seromen. Evtl. Redon-Drainage einlegen. Bei dünnem Subku-
tangewebe Ein- und Ausstich der Naht oberflächenfern im Wundgrund. Beim
Knüpfen wird der Knoten im Gewebe „verrenkt“.

Hautnaht
Grundsätze
3 • Lückenlose, spannungsfreie Adaptation der Wundränder anstreben.
• Nähte nicht zu fest anziehen: Postop. Ödem → Gefahr von Einschnürungen
und Durchblutungsstörungen. Gekräuselte Epidermislagen nach Knüpfen
des Knotens: Hinweis auf zu hohe Nahtspannung.
• Ein- und Ausstich bei Rückstichnähten nicht zu nahe beieinander → Knoten
wird bei postop. Ödem evtl. unter das Hautniveau gezogen → Nahtentfernung
evtl. schwierig und schmerzhaft.
Problemfälle
• Unter Spannung stehende Hautnähte: Wunde durch die Nähte immer wieder
halbieren, bis es zu einer guten Adaptation der Wundränder kommt, evtl.
Wundränder mobilisieren. Nach Wundverschluss evtl. zusätzlich sichern
durch Steri-Strips®.
• Gebogene oder „eckige“ Wunden: Zuerst den Umkehrpunkt fixieren.
• Hautzipfel (Eselsohren) am Ende des Wundpols: Mit Pinzette hochheben
und resezieren.
Einzelnähte
Knopfnaht (▶ Abb.  3.10): Bes. geeignet für Gesichts- und Kopfhaut, für Hohlhand
oder Phalangen. An den Extremitäten ungünstiger: Wundrandnekrosen wegen
ungünstiger Durchblutungsverhältnisse (v. a. bei alten Menschen).
Donati-Naht (▶  Abb.  3.10): Vertikale Rückstichnaht; sehr stabile und gute
Wundrandadaptation, leichte Eversion des Wundrands: Dadurch Adaptation des
Stratum germinativum und nicht des Stratum corneum. Besonders geeignet bei
unter Spannung stehender Hautnaht und reichlich zu fassendem subkutanem
Fettgewebe (Laparotomiewunden und Thorakotomien, OP-Wunden an Extremi-
täten).
Allgöwer-Naht (▶ Abb.  3.10): Semiintrakutane Rückstichnaht; Rückstich erfolgt
intradermal (→ gutes kosmetisches Ergebnis). Verursacht geringste Traumatisie-
rung und Einschnürung der Wundränder. Festigkeit der Donati-Naht ebenbürtig.
Bei schwieriger Adaptation der Epidermis: Allgöwer-Naht alternierend legen oder
Donati-Naht verwenden.
Fortlaufende Nähte
Vorteile: Schnellerer Wundverschluss, sparsamer Materialverbrauch, wenig
Fremdmaterial. Nachteile: Gefahr der Nahtdehiszenz, postop. Entfernung von
Teilfäden nicht möglich.
Intrakutannaht (nach Halsted; ▶  Abb.  3.10): Bei spannungsfreiem Wundver-
schluss; Vorteil: Kein typischer „Reißverschluss“ wie bei Einzelnähten. Mit Vorteil
auch bei Kindern anwendbar (Narben verbreitern sich oft mit dem Wachstum).
  3.4 Chirurgische Nahttechnik  83

Abb. 3.10  Nahttechniken [L106]

Bei leichter Spannung evtl. Interimsknoten anbringen. Sorgfältig auf gleiche Ein-
und Ausstichtiefe achten. Naht durch Steri-Strips® vor einer Dehiszenz bei postop.
Wundödem sichern (Steri-Strips® können nach dem Abklingen des Wundödems
entfernt werden).
Fortlaufende ausstülpende U-Naht (▶  Abb.  3.10): Versenkte Fadenteile liegen
quer zum Wundrand; bei Inversion der Wundränder. Vorteile: Breite Berüh-
rungsfläche der Wundränder, gute Blutstillung bei Sickerblutungen, Gefäß- und
Muskelnähten. Empfindliche Gewebe reißen weniger leicht ein (z. B. Sehnen,
Muskeln). Kann auch als Einzelnaht geknüpft werden.
Hautklammern
• Wundverschluss durch nicht rostende Klammern aus chirurgischem Edel-
stahl mit sog. Klammerapparaten.
• Technik: Sorgfältige Adaptation der Wundränder durch Assistenten, Aufset-
zen des Geräts und Zusammendrücken der Handgriffe, Zug belassen, bis As-
sistent nachgefasst hat.
• Vorteile: Minimale Hauttraumatisierung, keine Fadenimpressionen, Zeiter-
sparnis durch rasches Setzen der Klammern.
• Entfernung mittels spezieller Klammerentfernungsapparate.
Vorschläge zur Entfernung des Nahtmaterials
Liegedauer des Nahtmaterials: Rumpf und Extremitäten 10–14 d. Im Gesicht und
bei Kindern 4–7 d. Am Hals evtl. ab dem 4. Tag Entfernung eines Teils der Fäden.
Technik: Anheben des Knotens, Abschneiden des Fadens an der Stelle, die durch
die Tiefe des Gewebes zieht. Der außen liegende Fadenanteil sollte nicht durch die
Tiefe des Gewebes hindurchgezogen werden (Kontaminationsgefahr).
Intrakutannaht: Knoten nur an einem Ende abschneiden! Faden nicht mit einem
Ruck ziehen (Faden kann abreißen), sondern Fadenende über eine Pinzette wi-
ckeln und vorsichtig unter gleichmäßigem Zug mobilisieren.
84 3  Ärztliche Arbeitstechniken  

3.4.5 Nähte im Gesicht
• Keine Rasur bei Verletzungen der Augenbraue (Haare wachsen evtl. nicht
oder nur unvollständig nach).
• Einzelknopfnaht mittels chir. Knoten und drei gegensinnigen Sicherungskno-
ten. Narbenränder sollten etwas aufgewulstet werden, damit nach der Kon-
traktur der Narben die Narbe im Hautniveau liegt.
• Haut: Monofile Fäden, atraumatisch schneidende Nadeln (z. B. 5–0 oder 6–0
Prolene®).
• Schleimhaut: Runde Nadeln verwenden.
• Subkutannaht: 4–0 Vicryl® oder PDS® als monofiler Faden. Knüpfen der Sub-
kutannähte nahe der Hautoberfläche mit dem Knoten nach unten.
• Am Lid, bei längs zur Lidkante verlaufenden Wunden: Fortlaufende Nähte.
Nach 3–4 Stichen Interimsknoten
3 zur sicheren Adaptation. Querrisse
und Beteiligung des Lidrands: Besser
Versorgung in einer Augenklinik.
• Matratzennähte: Zum Schutz einer
unter Spannung stehenden Naht,
über Tupfer geknüpft (3–0 und 4–0
Prolene®).
• Z-, W-Plastik oder Broken-Line-
Technik: Bei Narben, die quer zu
den Hautspannungslinien verlaufen
(▶ Abb.  3.11). Hierdurch werden
die Narben annähernd in Richtung
der Hautspannungslinie gebracht.
Zick-zack-förmige Narben sind für
das Auge schlechter sichtbar als
lange, gerade.
• Nach Entfernung des Nahtmaterials Abb. 3.11 Z-Plastik, Schwenklappen
evtl. noch Steri-Strips® aufkleben. [L106]
4 Bildgebende Diagnostik in der
Orthopädie
Hans Mau, Steffen Breusch, Marc-André Weber, Jost Kloth,
Ole Ackermann und Dorien Schneidmüller

4.1 Röntgen 4.4.7 Kniegelenk 115


Steffen Breusch und 4.4.8 Sprunggelenk und Fuß 116
Hans Mau 86 4.4.9 Osteonekrosen und osteo­
4.1.1 Aufnahmetechniken 86 chondrale Läsionen 117
4.1.2 Halswirbelsäule 86 4.4.10 Neoplasien 117
4.1.3 Brustwirbelsäule 88 4.5 Skelettszintigrafie
4.1.4 Lendenwirbelsäule 88 Marc-André Weber und
4.1.5 Wirbelsäulenganz­ Jost Kloth 118
aufnahme 90 4.6 Sonografie
4.1.6 Schultergelenk 90 Marc-André Weber und
4.1.7 Oberarm, Ellenbogen und Jost Kloth 120
­Unterarm 91 4.6.1 Anwendungsbereiche und phy­
4.1.8 Hand 93 sikalische ­Grundlagen 120
4.1.9 Becken und Oberschenkel 95 4.6.2 Schultergelenk
4.1.10 Knie 99 Marc-André Weber und
4.1.11 Fuß 102 Jost Kloth 122
4.2 Röntgenkontrastunter­ 4.6.3 Ellenbogen-, Hand-, Knie- und
suchungen Sprunggelenk
Marc-André Weber und Marc-André Weber und
Jost Kloth 104 Jost Kloth 123
4.2.1 Allgemeines 104 4.6.4 Hüftgelenk
4.2.2 Arthrografie 104 Steffen Breusch und
4.2.3 Myelografie 106 Hans Mau 123
4.2.4 Angiografie 106 4.6.5 Säuglingshüfte
4.3 Computertomografie (CT) Steffen Breusch und
Marc-André Weber und Hans Mau 123
Jost Kloth 107 4.7 Bildgebung im
4.4 Magnetresonanztomografie ­Wachstumsalter
(MRT) Ole Ackermann und
Marc-André Weber und Dorien Schneidmüller 126
Jost Kloth 107 4.7.1 Konventionelles Röntgen 126
4.4.1 Anwendungsbereiche und 4.7.2 Fraktursonografie im Wachs­
­Protokollempfehlungen 107 tumsalter (bis 12. Lj.) 126
4.4.2 Wirbelsäule 109 4.8 Knochendensitometrie
4.4.3 Schulter 110 Marc-André Weber und
4.4.4 Ellenbogen 112 Jost Kloth 127
4.4.5 Handgelenk 112
4.4.6 Becken, Hüftgelenk,
Sakroiliakalfugen 114
86 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

4.1 Röntgen
Steffen Breusch und Hans Mau

4.1.1 Aufnahmetechniken
• Immer zunächst Nativaufnahmen. Meist Rö-Bild in 2 Eb., i. d. R. a. p. und
seitl. Strahlengang.
• Bei Röhrenknochen sollte mind. ein Nachbargelenk mit abgebildet sein.
• Rö-Aufnahmen im Stehen geben wichtige Informationen über die Statik ei-
nes Skelettabschnitts (WS, untere Extremität).
• Standardisierte Einstelltechnik wichtig, z. B. zur Verlaufskontrolle und kor-
rekten Winkelmessung.

4.1.2 Halswirbelsäule
HWS in 2 Ebenen
4 Aufnahmetechnik
Sowohl der atlantookzipitale (mit Dens axis) als auch der zervikothorakale Über-
gang müssen abgebildet sein (▶ Abb. 4.1). Zur Beurteilung von C1/2 und Kopfge-
lenken ist die Aufnahme durch den geöffneten Mund besser geeignet. Seitl. Auf-
nahme: Gesamte HWS samt Schädelbasis soll dargestellt sein.

Abb. 4.1  Röntgen HWS in 2 Ebenen. Massa lateralis atlantis (1), Dens axis (2),
Arcus ant. atlantis (3), Ramus mandibulae (4), Proc. spinosus (5), Proc. transversus
(6), Art. atlantoaxialis (7). [M247]

Beurteilungskriterien
• Lordose: Segmentale Fehlstellung? Alignement-Linien (Vorder- und Hinter-
kante, Wirbelbögen): Rotationsfehlstellung?
• WK: Anzahl, Form, Größe, Mineralgehalt und Knochenstruktur, Grund- und
Deckplatten glatt begrenzt? Fraktur? Tumor?
  4.1 Röntgen  87

• Unkovertebralgelenke, kleine Wirbelgelenke: Stufen, Arthrose? Dorn- und


Querfortsätze: Abbrüche, Stufen? Zusätzliche Halsrippe?
• Zwischenwirbelräume: Diskushöhe C2 < C3 < C4 < C5 < C6 > C7?
• Spinalkanal: Interpedunkulardistanz a. p. (C3–C7): Ca. 24–33 mm. Sagittal-
durchmesser von WK zu Wirbelbogen: C1 (33–20 mm), C2 (29–15 mm), C3–
C7 (24–15 mm).
• Weichteile: Prävertebraler Fettstreifen, Retropharyngeal- und Retrotrache-
albreite unauffällig (evtl. Breite messen)? Trachealweite? (→ z. B. Frakturhä-
matom, Entzündung, Tumor).
• Kraniometrische Messungen und Winkelbestimmungen (▶ Abb. 4.2):
– Wegen Fehlermöglichkeiten immer mehrere Messmethoden gleichzeitig
anwenden.
– Wichtige Bezugslinien z. B. zur Rö-Diagn. bei basilärer Impression, RA
(▶ 16.8.1), Trauma (▶ 10.5.3).
– Atlantodentaldistanz: Seitl. < 3 mm (Kinder bis 4 mm); wichtig z. B. bei
RA (▶ 16.8.1), Trauma HWS (▶ 10.5), Down-Sy. (▶ 17.3.5).

Abb. 4.2  Gebräuchlichste Messmethoden am kraniozervikalen Übergang [A300]

Schrägaufnahmen der HWS


Aufnahmetechnik
Mit „R“ oder „L“ wird die jeweils filmnah gelegene Körperseite bezeichnet, es
kommen die gegenseitigen Zwischenwirbellöcher zur Darstellung.
Beurteilungskriterien
• Foramina intervertebralia: Regelrechte Weite? Ossäre Einengung?
• Interartikularportionen und Procc. articulares regelrecht?
Funktionsaufnahmen der HWS
Aufnahmetechnik
In max. Vor- und Rückneigung. Cave: Reklinationsaufnahmen bei frischen Trau-
men → nur eigenständige Kopfbewegungen des Pat.!
Beurteilungskriterien
• Bewegungsablauf: Segmentweise betrachten, gleichgerichtete Beteiligung der
WK? Segmentblockierung? Physiol. Treppenphänomen der WK-Hinterkan-
ten bei Anteflexion?
88 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

• Stellung: Ventral-/Dorsalverschiebung einzelner WK? Gleich gerichtete Keil-


form der Diskusräume?
• Reguläre Form sämtlicher Diskusräume bei den Beugeaufnahmen?
• Evtl. Vermessung der Ante- und Retroflexion aus dem Bewegungsdiagramm
für den Bereich zwischen HWK2 und 7; Winkelverhältnisse normal?

4.1.3 Brustwirbelsäule
BWS in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
Zentralstrahl auf 7. BWK gerichtet. Gute Darstellbarkeit der oberen BWS, wenn
Pat. eine Schulter etwas nach vorne bringt. Möglichst immer Aufnahme im Ste-
hen.
Beurteilungskriterien
• Kyphose (Def. eines Normalwerts problematisch, normaler Mittelwert 27°
[21–33°] zwischen Deckplatte BWK5 und Grundplatte BWK12); Skoliose?
• WK: Anzahl, Form, Größe, Mineralgehalt und Knochenstruktur (Osteopenie,
4 -lyse), Grund- und Deckplatten glatt begrenzt? Schmorl-Knötchen (DD
Chordapersistenz: Überwiegend weiter dorsal und flachbogiger als Schmorl-
Knötchen)? Fraktur? Tumor? Spondylitis?
• Bogenwurzelabgänge (Tumorosteolyse?) Dorn-, Quer- und Gelenkfortsätze.
• Kostotransversal- und Kostovertebralgelenke.
• Spinalkanalweite und Zwischenwirbelräume.
• Rippen: Auffälligkeiten (Stufe, Aufhellungen, Verdichtung, Usur)? Halsrippe?
• Weichteile: Verkalkungen, weichteildichte Raumforderungen, Fremdkörper?

4.1.4 Lendenwirbelsäule
LWS in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
Im Stehen (▶ Abb. 4.3). BLD evtl. durch Brettchen ausgleichen; auf Rö-Film ver-
merken. Gonadenschutz wegen notwendiger Abbildung der SIG nur bei Männern
üblich.
Beurteilungskriterien
• Lordose: Lumbosakralwinkel 26–57°.
• Wirbelkörper.
– Anzahl (Übergangswirbel: Lumbalisation = Integration des ersten Sakral-
gelenks in die LWS als 6. LWK; Sakralisation = vollständige Vereinigung
5. LWK mit Sakrum).
– Form (normal: Kastenform), Größe, Mineralgehalt und Knochenstruktur
(Osteopenie, -lyse), Stellung (segmentale Fehlstellung?), kortikale Rand-
konturen, Grund- und Deckplatten glatt, scharf abgrenzbar?, Schmorl-
Knötchen? Fraktur, Tumor? Deg. Veränderungen, Spondylitis?
• Spondylolyse, Spondylolisthesis (▶ 10.6.10)?
• Bogenwurzelabgänge (Tumorosteolyse?), Dorn- (Morbus Baastrup?), Quer-
und Gelenkfortsätze regelrecht? Spina bifida (▶ 17.5.2)?
• Zwischenwirbelräume: Höhe L1 < L2 < L3 < L4 > L5.
• Spinalkanal: a. p. Interpedunkularabstand normal > 16 mm.
  4.1 Röntgen  89

• SIG: Spondylarthropathien ▶ 16.8.4.


• Weichteile: Verkalkungen, weichteildichte Raumforderungen, Fremdkörper?
Psoas-Rand regelrecht?
• Risser-Zeichen bei Skoliose (▶ 10.6.9).

Abb. 4.3  Röntgen LWS in 2 Ebenen. Proc. spinosus (1), Proc. costalis (2). [M247]

Schrägaufnahme der LWS


Indikationen
Zur genaueren Beurteilung der Gelenkfacetten bzw. Intervertebralgelenke, der In-
terartikularportion sowie Foramina intervertebralia.
Aufnahmetechnik
Mit „R“ oder „L“ wird die jeweils filmnah gelegene Körperseite markiert, filmnahe
Foramina intervertebralia werden abgebildet.
Beurteilungskriterien
• Interartikularportionen und Wirbelbögen: Spondylolyse (▶ 10.6.10)?
• Procc. articulares: Form und Begrenzung.
• Zwischenwirbelräume: Weite?
Funktionsaufnahmen der LWS
Indikationen
• Beurteilung von Stabilität bzw. Beweglichkeit einzelner Segmente (Blockie-
rung, pathol. Gleitinstabilität, z. B. bei deg. Prozessen ▶ 10.3, ▶ 10.4).
• Sog. „Bendingaufnahmen“, Seitbeugung (to bend = biegen) zur Beurteilung
der Korrekturmöglichkeiten bei Skoliosen.
Aufnahmetechnik
• Inklination/Reklination.
• Seitbeugung = „Bendingaufnahmen“.
90 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

Beurteilungskriterien
• Regelrechte Ausbiegung der LWS bei den seitl. Aufnahmen.
• Pathol. Ventral- oder Dorsalverlagerungen einzelner WK: Instabilität, z. B.
bei Spondylolisthesis (▶ 10.6.10). Stadien nach Meyerding.
• Aufklappbarkeit der Zwischenwirbelräume.

4.1.5 Wirbelsäulenganzaufnahme
Indikationen
Beurteilung der statischen Situation der gesamten WS.
Aufnahmetechnik
Im Stehen, mit Bucky-Raster (Hilfsraster zur Winkelbestimmung, das mit belich-
tet wird). Kranial muss der Gehörgang, kaudal das Sakrum erfasst sein. Beinlän-
genunterschiede evtl. durch Brettchenunterlage ausgleichen.
Beurteilungskriterien
• Wirbelfehlbildungen (▶ 10.6).
• Skoliose: Messverfahren nach Cobb (▶ 10.6.9), Unterscheidung Primär-, Se-
4 kundärkrümmung.

4.1.6 Schultergelenk
Schultergelenk in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
• a. p.: Skapula der kranken Schulter liegt der Rö-Kassette an. Arm in Aro.
(▶ Abb. 4.4).
• Axial: Im Sitzen; OA abduziert, Ellenbogen rechtwinklig gebeugt, UA parallel
zur Tischplatte. Zentralstrahl kraniokaudal gerichtet.
• Zusatzaufnahmen: A. p. in Iro. (bessere Darstellbarkeit einer Hill-Sachs-Läsi-
on) und Aro. (Tendinosis calcarea), in 90° Abd. und max. Aro = Schwe-
denstatus.
• Bei V. a. AC-Sprengung → Spezialaufnahme AC-Gelenk (▶ 9.1.3).
Beurteilungskriterien
• Form, Stellung (cave: Birnenform/Doppelkontur → hintere Luxation), Mine-
ralgehalt und Knochenstruktur von Humeruskopf, Schultergelenkpfanne,
Humerus und Skapula. Winkel Humerusachse – Collum anatomicum nor-
malerweise ca. 60°. Fehlbildungen (Os acromiale)? Bei Luxationen: Luxati-
onsrichtung?
• Gelenkflächen: Gelenkspalt, deg. Veränderungen (Sklerose, Zysten, Defor-
mierung), freie Gelenkkörper?
• Übrige Skelettanteile: Glatte und scharfe Konturbildung?
• Weichteile: Schwellung, Verkalkungen (z. B. Supraspinatussehne?).
Spezialaufnahmen Schulter
Darstellung des vorderen unteren Pfannenrands (Schulterluxation)
• Pfannenprofilaufnahme.
• West-Point-View (axial).
  4.1 Röntgen  91

4
Abb. 4.4  Röntgen Schulter a. p. Humerus (1), Cavitas glenoidalis (2), Klavikula (3),
Tuberculum majus (4), Skapula (5), Proc. coracoideus (6), Akromion (7), Art. hu­
meri (8), Art. acromioclavicularis (9). [M247]

Aufnahme bei angelegtem Verband


• Transthorakale Aufnahme (Lawrence).
• Skapula-Y-Aufnahme nach Wijnbladh.
• Velpeau-Aufnahme.
Darstellung der Hill-Sachs-Läsion
• Ventrodorsale 60°-Iro.-Aufnahme.
• Notch-View (Stryker).
• Dorsale Tangentialaufnahme nach Saxer und Johner.
• Tangentialaufnahme nach Hermodson.
Akromioklavikulargelenk
Aufnahmetechnik
Ein- oder beidseitige Aufnahme. Bei V. a. ligamentäre Verletzung Aufnahme beider
Schultern unter Gewichtsbelastung (5–10 kg mit Schlaufen am Handgelenk befestigen,
kein aktives Festhalten der Gewichte). Schultern max. nach dorsal ziehen (▶ 9.1.3).
Beurteilungskriterien
• Form und Stellung des Akromions und Klavikulaendes (gleiche Höhe?). Sub-
luxation, Luxation? Seitenvergleich.
• Gelenkspaltweite (normal 2–4 mm), Arthrosezeichen?

4.1.7 Oberarm, Ellenbogen und Unterarm


Oberarm in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
Vollständige Darstellung des Humerus, mindestens ein benachbartes Gelenk
muss abgebildet sein.
92 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

Beurteilungskriterien
• Form, Achse, Fehlbildungen?
• Mineralgehalt und Knochenstruktur.
• Kortikalis: Fraktur/Fissur?
• Übrige Skelettanteile: Glatte und scharfe Konturbildung?
• Weichteile: Schwellung, Verkalkungen?
Ellenbogengelenk in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
Exakte Stellung wichtig (▶ Abb. 4.5): Möglichst volle Streckung, exakte a. p. und
seitl. Aufnahme (insbes. beim kindlichen Ellenbogengelenk, ▶ 9.2.6).

Abb. 4.5 Röntgen Ellenbogen in 2 Ebenen. Humerus (1), Radius (2), Ulna (3),
Radiusköpfchen (4), Epicondylus ulnaris (5), Epicondylus radialis (6), Olekranon
(7), Trochlea (8), Art. humeroradialis (9), Art. humeroulnaris (10). [M247]

Beurteilungskriterien
• Form und Stellung von dist. Humerus (Trochlea), Ulna (Olekranon), Radius-
köpfchen. Fehlbildungen? Anatomische Varianten? Ellenbogenaxialwinkel:
Normal ca. 162°.
• Mineralgehalt und Knochenstruktur.
• Kortikalis: Fraktur/Fissur?
• Gelenkflächen: Intraartikuläre Verkalkungen? Arthrose, Arthritis? Freier Ge-
lenkkörper? Luxation, Erguss, Stufe/Fraktur?
• Bei Frakturen beachten: Verlagerung des Fettpolsters; Baumann-Orientie-
rungsgerade, zielt Radiusschaftachse auf das Zentrum des Capitulum humeri
(Kind, Knochenkerne)?
• Weichteile: Schwellung, periartikuläre Verkalkung, Fremdkörper?
Schrägaufnahmen
• Radius außenrotiert (Radiusköpfchen, Epicondylus lateralis).
• Radius innenrotiert (Proc. coronoideus, Epicondylus medialis).
  4.1 Röntgen  93

Unterarm in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
Radius und Ulna müssen überlagerungsfrei mit mindestens einem Nachbargelenk
dargestellt sein; UA supiniert.
Beurteilungskriterien
• Form von Radius und Ulna.
• Mineralgehalt und Knochenstruktur.
• Kortikalis: Fraktur/Fissur?
• Nachbargelenke: Cave: Monteggia-/Galeazzi-Fraktur (▶ 9.2.17).
• Weichteile: Schwellung, Verkalkung, Fremdkörper?

4.1.8 Hand
Handgelenk in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
• Standardaufnahmen: Immer in Mittelstellung zwischen Pro- und Supination,
sonst keine reproduzierbaren Werte (▶ Abb. 4.6). 4
• Funktionsaufnahmen: Max. Radial- und Ulnarabduktion des Handgelenks:
Normalerweise richtet sich Skaphoid bei Ulnarabduktion auf und wird „län-
ger“ (▶ 9.3.13).
• Stressaufnahmen bei Faustschluss: Bei Bandläsion zwischen Skaphoid und
Lunatum verbreitert sich die Distanz zwischen beiden Knochen (▶ 9.3.13).
Beurteilungskriterien
• Form, Größe, Anzahl und Stellung der einzelnen Skelettanteile zueinander:
Normaler Handgelenkwinkel seitl. 10° (nach volar). Radiokarpalwinkel a. p.:
Normal ca. 30°.
• Mineralgehalt und Knochenstruktur.
• Kortikalis: Pathol. Konturunterbrechung, Fraktur/Fissur?
• Gelenkflächen: Gelenkspaltweite? Erosionen, Usuren? Arthrose?
• Weichteile: Schwellung, Verkalkung, Fremdkörper?
Navikulare-Aufnahmen/Kahnbeinquartett
Indikationen
Vor allem Kahnbeinfrakturen.
Aufnahmetechnik
Handgelenk p. a. mit Faustschluss und Ulnarabduktion, seitl., 45° Supination und
45° Pronation.
Beurteilungskriterien
• Form, Größe und Stellung (▶ 9.3.13).
• Mineralgehalt und Knochenstruktur: Verdichtung/Nekrose? Pseudarthrose?
• Kortikalis: Pathol. Konturunterbrechung? Fraktur/Fissur?
• Gelenkflächen.
Hand in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
p. a., Pat. sitzt, UA liegt auf. Hand liegt volar flach auf Kassette (▶ Abb. 4.7).
94 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

4
Abb. 4.6  Röntgen Handgelenk in 2 Ebenen. Radius (1), Ulna (2), Os scaphoideum
(3); Os lunatum (4), Os triquetrum (5), Os pisiforme (6), Os trapezoideum (7), Os
trapezium (8), Os capitatum (9), Os hamatum (10), Gegend des Discus articularis
(11), Metakarpalbasis (12), Os metacarpale I (13), Art. radiocarpalis (14), Radio­
karpalwinkel 30° (A), Handgelenkswinkel seitlich ca. 10° (B). [M247]

Abb. 4.7  Röntgen Hand. Os scaphoide­


um (1), Os lunatum (2), Os triquetrum
(3), Os pisiforme (4), Os hamatum (5),
Os capitatum (6), Os trapezoideum (7),
Os trapezium (8), Sesambein (9), Ossa
metacarpalia (10), Fingergrundglied
(11), Fingermittelglied (12), Fingerend­
glied (13), Daumensattelgelenk (14),
Os metacarpale (15), Daumengrund­
glied (16), Daumenendglied (17), Artt.
metacarpophalangeales (18). [M247]
  4.1 Röntgen  95

Beurteilungskriterien
• Form, Größe, Anzahl und Stellung der Phalangen, Metakarpalia und Hand-
wurzelknochen? Fehlbildungen? Mittelfinger und Os capitatum liegen nor-
malerweise in Verlängerung der UA-Längsachse (▶ 9.3.6).
• Mineralgehalt und Knochenstruktur, gelenknahe Demineralisation (Arthritis)?
• Kortikalis: Pathol. Konturunterbrechung? Fraktur/Fissur?
• Gelenk: Arthritische Zeichen (Erosion, Destruktion, Zysten, Mutilation)? Ar-
throsezeichen?
• Gelenkspalte: Intra- oder periartikuläre Verkalkungen?
• Weichteile: Schwellungen? Verkalkungen, Fremdkörper?
• Handskelettalter: Atlas Greulich und Pyle (▶ 17.2.2).
Finger in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
• Finger: Einzelner Finger a. p. und seitl. gestreckt. Finger nummerieren und
auf Rö-Bild vermerken (z. B. Fingerfrakturen, Luxationen, Bänder und Seh-
nenverletzungen; bei Fremdkörpern evtl. noch schräge Aufnahmen). Mehrere
Finger a. p. und schräg, nummeriert (z. B. Arthrose an Gelenken mehrerer
Finger). 4
• Daumen: A. p. und seitl. (z. B. Fraktur). Sattelgelenk: A. p. und in 20° Pronati-
on mit Rö-Röhre schräg um 15° von dist. nach prox. gekippt (z. B. Bennett-
Fraktur, Rhizarthrose). Grundgelenk: Evtl. gehaltene Aufnahme bei Bandrup-
tur Metakarpophalangeal-I-Gelenk (Skidaumen). Meist entbehrlich, da klin.
eindeutig.
Beurteilungskriterien
• Form und Stellung.
• Mineralgehalt und Knochenstruktur: Lokale Veränderungen der Knochen-
dichte?
• Kortikaliskonturen: Konturunterbrechung? Kortikalisbreite? Nagelkranz in-
takt?
• Gelenkflächen: Gelenkspalt/Stufe?
• Weichteile.

4.1.9 Becken und Oberschenkel


Becken a. p. (Beckenübersichtsaufnahme)
Aufnahmetechnik
Füße um ca. 20° innenrotiert, Großzehen berühren sich. Gonadenschutz! Auf-
nahmen im Liegen i. d. R. nur bei nicht stehfähigen Pat. Beide Trochanteren, das
gesamte Becken mit Hüftgelenken und SIG müssen vollständig dargestellt sein
(▶ Abb. 4.8).
Beurteilungskriterien
• Beckenform symmetrisch? Beckenschaufeln gleich hoch? Fehlbildungen?
• Mineralgehalt und Knochenstruktur: Osteolysen? Verdichtung (z. B. Morbus
Paget)?
• Kortikale Randkonturen: Pathol. Konturunterbrechungen? Fraktur, Tumor?
• Gelenkflächen kongruent? Gelenkspalt allseits normal weit; konzentrisch, ex-
zentrisch oder zentral verschmälert?
96 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

4
Abb. 4.8 Beckenübersicht. Os ilii (1), Os sacrum (2), Os ischii (3), Os pubis (4),
Vertebrae coccygeae (5), Foramen obturatum (6), Hüftkopf (7), Schenkelhals (8),
Trochanter major (9), LWK 5 (10), Sakroiliakalfuge (11), Symphysis pubica (12),
Hüftgelenkspalt (13), Ala ossis ilii (14), Spina iliaca ant. sup. (15), Menard-Shen­
ton-Linie (A), Köhler-Tränenfigur (B), ant. Azetabulumrand (C), post. Azetabu­
lumrand (D). [M247]

• Pfannendach und Hüftkopf: Deformierung? Protrusion? Arthrosezeichen (Skle-


rose, Osteophyten, Geröllzysten, Deformierung, doppelter Pfannenboden; dest-
ruktive Koxarthrose)? Fibroostosen, Kapselschatten verbreitert, Arthritis?
• Überdachung des Hüftkopfs: Vorderer Pfannenrand? Subluxation? Dysplasie?
• Bei Status nach TEP: Lockerungszeichen, Dislokation, Schaftkortikalis ausge-
dünnt (▶ 13.1.6)?
• Epiphysen und Apophysen (Wachstumsalter) auffällig?
• Beckenkammapophyse (▶ 10.6.9): Einfaches Zeichen der Skelettreifung (Ris-
ser). Ossifikation der Beckenkammapophyse und deren Fusion? Intra- oder
periartikuläre Verkalkungen?
• SIG: Arthrose/Arthritis?
• Symphysenspalt.
• Os sacrum und mit dargestellte Anteile der LWS.
• Weichteile: Pathol. Verkalkungen, Fremdkörper?
• Winkelmessung bei besonderen Fragestellungen (▶ Abb. 4.9, ▶ Abb. 4.10).
– Coxa vara, valga, Antetorsion des Schenkelhalses: CCD-Winkel (Cent-
rum-Collum-Diaphysen-Winkel)? Der projizierte CCD-Winkel ist immer
größer als der reelle, außer der reelle Antetorsionswinkel beträgt 0°.
–  Hüftdysplasie: CE-Winkel (Zentrum-Ecken-Winkel nach Wiberg), Maß
für die Überdachung des Hüftkopfs: Verbindungslinie zwischen Kopfzen-
trum und Pfannenecke und Vertikallinie, die das Kopfzentrum kreuzt
und parallel zur Körperachse verläuft. Normal: Kinder 4–13 J. > 20°, Erw.
> 25°; Werte < 20° → Pfannendysplasie.
– Hüftdysplasie: AC-Winkel (Azetabulum- oder Pfannendachwinkel nach Hil-
genreiner), Maß zur Beurteilung der Hüftpfannenentwicklung beim Säugling
und Kleinkind: Mittelwerte: Neugeborenes 30°, 1 J. < 25°, 4 J. < 15°, 15 J. < 10°.
  4.1 Röntgen  97

Abb. 4.9  AC-, CE- und CCD-Winkel [L190]


4
Hüftgelenk in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
1. Eb. in ventrodorsaler Projektion: Bein gestreckt und parallel zur Körperlängs-
achse gelagert, Füße in leichter Iro. 2. Eb. als seitl. Aufnahme mit horizontalem
Strahlengang von kaudomed. nach kraniolat. oder von kraniolat. nach kaudomed.
Beurteilungskriterien
• Im Wesentlichen ▶ BÜ.
• Stellung: Hüftkopf in Pfanne zentriert, dezentriert? CCD-Winkel (Normalbe-
reich 120–130° beim Erw.)? Coxa vara, valga (▶ 13.1.18, ▶ 13.1.17)?
• Bei Status nach TEP: Lockerungszeichen? Dislokation?
• Präop. Planung TEP: Lange Platte verwenden.
• Beim Erw. im seitl. Bild ant. Schenkelhals auf sog. femoroazetabuläres Im-
pingement (FAI), Cam-und Pincer-Typ, achten („Ganz-bump“: ▶ 13.1.15).

Rippstein-Aufnahme
Indikationen
Coxa antetorta (▶ 13.1.16), Coxa valga (▶ 13.1.17), Drehfehler nach OS-Fraktur.
Zur Messung des AT-Winkels zusätzlich BÜ erforderlich, da CCD-Winkel ge-
messen werden muss (reeller AT-Winkel ▶ Abb. 4.10).
Aufnahmetechnik
Benutzung eines verstellbaren Beinhaltegeräts, OS um 20° abgespreizt, Hüft- und
Kniegelenke um 90° gebeugt.
Beurteilungskriterien
Messung der projizierten Antetorsionswinkel (Seitenvergleich). Querstange des
Lagerungsgeräts ist Bezugsgrundlinie.
98 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

5° 10° 15° 20° 25° 30° 35° 40° 45°* 50° 55° 60° 65° 70° 75° 80°
100° 4* 9 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80
101 100 100 100 100 99 99 98 97 96 95 94 94 93 92 91
105° 5 9 15 20 25 31 35 41 46 51 56 60 65 70 75 80
105 105 104 104 103 103 102 100 100 99 98 97 96 95 94 92
110° 5 10 16 21 27 32 36 42 47 52 56 61 66 71 76 80
110 110 109 108 108 106 106 105 104 103 101 99 98 97 95 93
115° 5 10 16 21 27 32 37 43 48 52 57 62 67 71 76 81
115 115 114 112 112 111 110 109 107 105 104 102 101 99 96 94
4 120° 6 11 16 22 28 33 38 44 49 53 58 63 68 72 77 81
120 119 118 117 116 115 114 112 110 108 106 104 103 101 98 95
125° 6 11 17 23 28 34 39 44 50 54 58 63 68 72 77 81
125 124 123 121 120 119 118 116 114 112 109 107 105 103 100 95
130° 6 12 18 24 29 35 40 46 51 55 60 64 69 73 78 82
130 129 127 126 125 124 122 120 117 116 112 109 107 104 101 96
135° 7 13 19 25 31 36 42 47 52 56 61 65 70 74 78 82
135 133 132 131 130 129 126 124 120 118 114 112 109 105 102 96
140°* 7 13 20 27 32 38 44 49 53 58 63 67 71 75 79 83
139 138 137 135 134 132 130 127 124* 120 117 114 111 107 103 97
145° 8 14 21 28 34 40 45 50 55 59 64 68 72 75 79 83
144 142 141 139 138 136 134 131 128 124 120 117 114 110 104 98
150° 8 15 22 29 35 42 47 52 56 61 65 69 73 76 80 84
149 147 146 144 143 141 138 136 134 129 124 120 116 112 105 100
155° 9 17 24 32 38 44 50 54 58 63 67 71 74 77 81 84
154 152 151 149 148 145 142 139 137 132 128 124 119 115 108 102
160° 10 18 27 34 44 46 52 57 61 65 69 73 76 79 82 85
159 158 157 155 153 151 147 144 141 134 132 128 122 116 111 103
165° 13 22 31 39 47 53 57 62 67 69 73 76 78 81 83 86
164 164 163 161 158 156 153 148 144 140 135 130 122 119 113 103
170° 15 27 37 46 53 58 63 67 70 73 76 78 80 83 84 87
169 167 166 164 163 159 157 154 150 145 142 134 130 122 118 113
Obere Zahl = reeller AT-Winkel, untere Zahl = reeller CCD-Winkel.
*Zahlen im Abb.-Bsp.
Anfertigung zweier Rö-Aufnahmen des Hüftgelenks: BÜ in neutraler Rotationsstel-
lung der Beine und axiale Aufnahme nach Rippstein
Ausmessen der projizierten CCD- bzw. AT-Winkel auf den Röntgenfilmen
Schnittpunkt beider Werte in Tabelle aufsuchen und reelle Winkel bestimmen

Abb. 4.10  Bestimmung reeller CCD- und AT-Winkel (Müller 1957) [L190]
  4.1 Röntgen  99

Aufnahme nach Lauenstein (axiale Aufnahme)


Indikationen
Insbes. erforderlich bei V. a. Epiphyseolysis capitis femoris (▶  13.1.14), Morbus
Perthes (▶ 13.1.13). Beide Hüften röntgen!
Aufnahmetechnik
Rückenlage, OS ca. 80° gebeugt und 45° abduziert, US parallel zum Tisch.
Beurteilungskriterien
• Gleitwinkel der Hüftepiphyse?
• Hüftkopfkontur?
Zusatzaufnahmen der Hüfte
▶ Tab. 4.1.
Tab. 4.1  Zusatzaufnahmen der Hüfte
Name Aufnahmetechnik Beurteilungskriterien

„Faux profil“ Stehend, 65° schräg zur Dysplasie, Überdachung ventra­


Wand, betroffene Seite ler Hüftkopf, Gelenkkongruenz 4
anliegend

Ala- und Obturator-Auf­ Liegend, 45° angehobe­ Kontinuität vorderer und hinte­
nahmen (Judet-views) nes Becken rer Pfeiler (Beckenfraktur)

Ab- und Adduktionsauf­ Jeweils in max. Abduk­ Gelenkspalt/-kongruenz, präop.


nahmen tion oder Adduktion Einschätzung bei geplanter
Umstellungsosteotomie

Oberschenkel in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
Ventrodorsale Aufnahme bei gestrecktem Bein in Rückenlage des Pat., seitl. Auf-
nahme bei abgespreiztem OS und gebeugtem Kniegelenk in Seitlage des Pat.
Beurteilungskriterien
• Form (Fehlbildung?), Achsen (Antekurvation?).
• Mineralgehalt und Knochenstruktur: Aufhellungen, Verdichtungen? Kom-
paktadicke?
• Kortikaliskontur: Konturunterbrechung, Stufe? Periostabhebung, periostale
Appositionen?
• Weichteile: Schwellung, Verkalkung, Fremdkörper?

4.1.10 Knie
Kniegelenk a. p. und seitlich bzw. Standaufnahme a. p.
Aufnahmetechnik
• a. p.: Gestrecktes Knie, Patella exakt ventral, jeweils ca. ⅓ des Femurs und ⅓
der Tibia müssen abgebildet sein (▶ Abb. 4.11).
• Seitlich: 30° Beugung des Kniegelenks.
100 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

Beurteilungskriterien
• Form: Femurkondylen, Tibiamassiv, Patellastand (Patella alta = Hochstand,
Patella baja = Tiefstand; Blumensaat-Linie ▶ Abb. 4.12)? Patella bipartita,
Trochleadysplasie (seitl. Aufnahme), Fehlbildung? Deformität?
• Beinachsen (Standaufnahme).
– Mechanische Achse (MA)/Kniebasislinie = Gelenklinie an den Kondylen
(B): 87°.
– Anatomische Achse: 5–7° Valgus beim Erw.; physiol. X-Bein im Vor-
schulalter (max. Ende 2. Lj. mit ca. 10° Valgus); bei Geburt meist O-Bein.
• Mineralgehalt und Knochenstruktur: Aufhellungen, Verdichtungen? Tumor
(▶ 14)?
• Gelenk: Fraktur? Stufe? Tibiagelenkfläche (normal ca. 3–7° nach dorsal abfal-
lend)?
• Gelenkspaltweite: Gelenkrandreaktion/Konsolenbildung = Rauber-Zeichen
(Hinweis auf ältere Meniskusläsion), Gonarthrose (▶ 13.2.26)? Osteophyten,
Sklerose, Zysten, Deformierung? Arthritis (Erosionen, Usuren)?
• Verkalkungen: z. B. bei Chondrokalzinose, Gicht, Hyperparathyreoidismus,
Ochronose. Stieda-Pellegrini-Schatten (schalenförmiger Kalkschatten im An-
satzbereich des med. Seitenbands, als Hinweis auf alte Läsion), Hämochro-
4 matose, Oxalose?
• Kortikalis: Randkonturen, pathol. Konturunterbrechungen? Fraktur, Tumor?
• Weichteile: Schwellung, Fremdkörper, Verkalkungen?

Abb. 4.11  Röntgen Kniegelenk in 2 Ebenen. Femur (1), Tibia (2), Patella (3), Art.
genus (4), Fibula (5), Tubercula intercondylaria (6), Condylus lateralis tibiae (7),
Condylus medialis tibiae (8), Condylus medialis femoris (9), Condylus lateralis fe­
moris (10), Caput fibulae (11), Ludloff-Fleck (12), Tuberositas tibiae (13), Apex
patellae (14), Basis patellae (15). [M247]
  4.1 Röntgen  101

Abb. 4.12  Patellastand im Kniegelenk seitlich [L190]

Tunnelaufnahme nach Frick (interkondyläre Aufnahme) 4


Indikationen
Osteochondrale Läsionen (▶ 13.2.16).
Aufnahmetechnik
Zentralstrahl auf Kniegelenkspalt, senkrecht auf US-Längsachse; Knie 45° gebeugt.
Beurteilungskriterien
• Anhalt für osteochondrale Läsionen? Fossa intercondylaris? Knöcherner
Kreuzbandausriss?
• Freie Gelenkkörper oder intraartikuläre Verkalkungen?
Patella axial und Défilé
Aufnahmetechnik
• Axial: Bei 30° Flexion des Kniegelenks (verschiedene Einstelltechniken).
• Défilé: Axiale Aufnahme bei 30°, 60° und 90° Kniebeugung.
Beurteilungskriterien
• Form, Fehlbildungen (bipartita)?
• Patelladysplasie nach Wiberg/Baumgartl: Nur die sog. Jägerhut-Patella (Feh-
len der medialen Facette) ist von pathol. Bedeutung.
• Öffnungswinkel der Patella (Winkel zwischen tibialer und fibularer Patellafa-
cette, normal 120–140°).
• Trochleadysplasie (seitl. Aufnahme)?
• Luxation- oder Subluxation, Lateralisation der Patella? Zentrierung im Gleitlager?
• Arthrosezeichen; endoprothetischer Ersatz?
• Gelenkstufe? Fraktur?
Unterschenkel in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
Ventrodorsale Aufnahme bei gestrecktem Bein in Rückenlage des Pat., seitl. Auf-
nahme in Seitlage des Pat., Knie- und Sprunggelenk liegen außen auf.
102 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

Beurteilungskriterien
• Form (Fehlbildung?), Achsen?
• Mineralgehalt und Knochenstruktur: Aufhellungen, Verdichtungen? Kom-
paktadicke?
• Kortikaliskontur: Konturunterbrechung, Stufe? Periostale Appositionen?
Pseudarthrose?
• Weichteile: Schwellung, Verkalkung, Fremdkörper?

4.1.11 Fuß
Oberes Sprunggelenk in 2 Ebenen
Rö-Aufnahmen wann immer mögl. stehend durchführen lassen, da sonst Defor-
mitäten nicht ausreichend dargestellt werden (Ausnahme bei V. a. Fraktur).
Aufnahmetechnik
Ca. 15° Innendrehung des Fußes. Bei der Seitaufnahme müssen die Malleolen
genau übereinander liegen (▶  Abb. 4.13). Gehaltene Aufnahmen (auch
▶ 13.3.8).
4

Abb. 4.13  Röntgen oberes Sprunggelenk in 2 Ebenen. Tibia (1), Fibula (2), Talus
(3), Fibulaspitze (4), Malleolus medialis (5), Sustentaculum tali (6), Os naviculare
(7), Gelenkspalt (Art. talocruralis) (8), Art. fibulotalaris (9), Art. tibiotalaris (10),
Kalkaneus (11), Os cuboideum V (12), Collum tali (13). [M247]

Beurteilungskriterien
• Form, Malleolengabel und Talus.
• Stellung: Winkel Tibiaachse – Gelenkspalt, normal ca. 92° (Johnson-Winkel).
• Mineralgehalt und Knochenstruktur.
• Gelenkflächen kongruent? Gelenkspalt (normal 3–4 mm)? Arthrosezeichen?
Flake/osteochondrale Läsionen?
• Kortikalisbegrenzung: Pathol. Konturunterbrechungen? Fissur/Fraktur?
• Verkalkungen intra- oder periartikulär? Freier Gelenkkörper?
  4.1 Röntgen  103

• Akzessorische Fußknochen (▶ 13.3.16)?


• Weichteile: Schwellung, Fremdkörper? Verkalkungen?
Fuß in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
Dorsoplantar stehend (oder sitzend), seitl. stehend.
Beurteilungskriterien
• Form, Größe, Anzahl und Stellung der Phalangen, Metatarsalia, Fußwurzel-
knochen?
• Fußgewölbe, Deformität (Hohl-, Knicksenk-, Spreizfuß)?
• Mineralgehalt und Knochenstruktur.
• Kortikalis: Pathol. Konturunterbrechungen? Fissur/Fraktur?
• Gelenke regelrecht geformt? Stufen? Arthrosezeichen?
• Weichteile: Verkalkungen; akzessorische Fußknochen?
• Winkel (keine routinemäßige Messung von Winkeln).
– Kalkaneusachse/mediale Fußlängsachse: 144° ± 5°.
– Talus-MT I-Längsachse (Meary's Angle) 0° ± 4°
– Tangente Unterkante Kalkaneus/Boden (Calcaneal Pitch): 10–20° 4
– Tangente Unterkante Kalkaneus/Tangente Unterkante MT V: 150–170°.
– Tubergelenkwinkel (Böhler-Winkel): 30–40°.
– Längsachse MT I/II normal < 9° (Metatarsus primus varus?).

Kalkaneus in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
• Seitl.: Fersenbein liegt auf der Kassette, Ferse wird leicht angehoben gelagert.
• Axial: Pat. zieht den Vorfuß mit einer Schlinge zu sich hin; die Fußachse steht
dabei senkrecht zur US-Achse.
Beurteilungskriterien
• Form.
• Stellung zu Talus und Kuboid (Varus, Valgus)? Böhler-Winkel? Coalitio (ta-
localcanearis, calcaneonavicularis)? Traumafolge?
• Mineralgehalt und Knochenstruktur regelrecht? Tumor, Osteomyelitis?
• Kortikalis: Pathol. Konturunterbrechung? Knöcherne Appositionen (Hag-
lund-Ferse)? Verkalkungen? Fersensporn, Fibroostitis (entzündlicher Kno-
chensporn/Ansatzdefekt)?
• Gelenke: Stufen? Arthrosezeichen?
• Mit dargestellte Fußwurzelknochen unauffällig?
• Akzessorische Knochen (▶ 13.3.16)?
• Weichteile: Fremdkörper? Bursitis?
Mittelfuß in 2 Ebenen, Vorfuß in 2 Ebenen
Aufnahmetechnik
Mittel- und Vorfuß werden in dorsoplantarer (Fußsohle steht flach auf Kassette)
und lateromedialer (lat. Fußrand 45° angehoben) Projektion aufgenommen.
Beurteilungskriterien
• Form, Größe, Anzahl und Stellung Fußwurzelknochen, Metatarsalia, Phalan-
gen. Fehlbildung? Intermetatarsalwinkel I/II normal < 9°. Akzessorische Kno-
chen (▶ 13.3.16)?
104 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

• Deformität: Hallux valgus (Pseudoexostose), Hammer-, Krallen-, Klauenzehe?


Komplexe Fußdeformität (z. B. Klump-, Hohl-, Sichelfuß). Rheumatischer Fuß?
• Mineralgehalt und Knochenstruktur: Osteoporose, RA, CRPS? Osteonekrose?
Osteomyelitis? Tumor?
• Kortikalis: Pathol. Konturunterbrechungen? Stressfraktur Metatarsalia, Fis-
sur/Fraktur?
• Gelenke: Gelenkspaltweite? Arthrose- oder Arthritiszeichen? Erosion, Gicht?
Subluxation/Luxation? Mutilationen? Hallux rigidus (dorsaler Osteophyt Os
metatarsale I)?, Morbus Köhler?
• Weichteile: Verkalkungen, Fremdkörper? Schwellung?

4.2 Röntgenkontrastuntersuchungen
Marc-André Weber und Jost Kloth

4.2.1 Allgemeines
4
Anwendung
• Arthrografie – heute meist in Komb. mit MR- oder CT-Arthrografie (v. a. bei
Pat. mit MRT-KI).
• Myelografie.
• Angiografie.
Kontrastmittel (KM)
Verwendet werden iodhaltige nichtionische KM, z. B. Iopromidium (Ultravist®)
oder Iopamidol (Solutrast®). Die Wirkstoffkonzentration (Iodgehalt) ist indikati-
onsabhängig, z. B. Arthrografie 250–300 mg/ml, Angiografie 350 mg/ml, Myelo-
grafie 200 mg/ml.

Kontraindikationen gegen iodhaltige Kontrastmittel


Überempfindlichkeit gegen iodhaltige KM, Schilddrüsenüberfunktion, einge-
schränkte Nierenfunktion.

4.2.2 Arthrografie
• Fast ausschließlich als MR-Arthrografie angewandt. CT-Arthrografie bei KI
gegen MRT (▶ 4.4) oder zu erwartenden Artefakten bei Metallimplantaten im
Gelenk oder in Gelenknähe (z. B. Schrauben, Metallanker). Vorteile: Kleine
i. a. Pathologien werden aufgrund der Gelenkdistension und Kontrast zwi-
schen injiziertem KM und intraartikulären Strukturen sicherer detektiert.
• Gelenkpunktion und Dokumentation der i. a. Lage erfolgt als Röntgenkont-
rastuntersuchung unter Durchleuchtung.

Technik
Allgemeine Punktionstechnik und Sterilität ▶  3.2. Lagerung bereits auf dem
Durchleuchtungstisch. Neben der LA kutan wird eine weitere Portion LA an die
Gelenkkapsel und i. a. injiziert (diagn. verwertbar!). Dokumentation der i. a. Lage
durch Inj. von 1 ml KM mit 300 mg/ml Iodgehalt. Anschließend Injektion gadoli-
niumhaltigen MR-KM, z. B. Artirem®, Injektionsmenge je nach Gelenk.
  4.2 Röntgenkontrastuntersuchungen  105

• Handgelenk: MR-Arthrografie bei V. a. Bandrupturen oder Verletzungen des


triangulären fibrokartilaginären Komplex (TFCC) und Diskrepanz zwischen
klin. Befund und konventioneller MRT. Punktion von dorsal bei flach auflie-
gender Hand. Zielpunkte und Injektionsmenge abhängig vom darzustellen-
den Handgelenkskompartiment: Distales Radioulnargelenk 1 ml, Karpokar-
palgelenk 1–2 ml, Radiokarpalgelenk 2–3 ml.
• Schultergelenk: SLAP-Läsion, Diskrepanz zwischen klin. Befund und kon-
ventioneller MRT, CT-Arthrografie bei metallischen Implantaten (z. B. Anker
nach RM-Rekonstruktion). Pat. in Rückenlage, Punktion von ventral, Ziel-
punkt kranialer/medialer Quadrant des Humeruskopfes (▶ Abb. 4.14) wird
durch spürbaren Knochenkontakt erreicht, max. 10 ml KM.
• Hüftgelenk: V. a. femoroazetabuläres Impingement mit Labrumläsion. Pat. in
Rückenlage, Punktion von ventral, kutaner Einstich über Trochanter major
(▶ Abb. 4.15), Zielpunkt kaudaler/lat. Quadrant des Femurkopfs (2) wird
durch spürbaren Knochenkontakt erreicht, 15–20 ml KM.

Labrumverletzungen des Hüftgelenks und SLAP-Läsionen des Schultergelenks


können bildgebend nur sicher in der MR-Arthrografie ausgeschlossen werden.
4
• Die Arthrografie weiterer Gelenke (z. B. Knie- und Ellenbogengelenk) stellt
aufgrund der fortschrittlichen MRT-Diagnostik eine Rarität dar, allerding
vermag als Alternative die CT-Arthrografie des Kniegelenks bei Pat. mit
MRT-KI die Binnenstrukturen, insbesondere den Knorpelüberzug und Me-
niskusrisse, mit guter Genauigkeit darzustellen.

Abb. 4.14  Zielpunkt der Schulterarth­ Abb. 4.15 Kutane Einstichstelle der


rografie ist der kraniale/mediale Qua­ Hüftgelenkarthrografie ist über der
drant des Humeruskopfs (1) [T539] Spitze des Trochanter major (1), Ziel­
punkt der kaudale/lat. Quadrant des
Femurkopfs (2) [T539]
106 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

4.2.3 Myelografie
Injektion von wasserlöslichem, nichtionischem KM, z. B. Solutrast® 250M in den
Subarachnoidalraum. Anschließend Rö in 2 Eb. und Funktionsaufnahmen. Fast
ausschließlich in Komb. mit Post-Myelo-CT.

Indikationen (Beispiele)
V. a. Spinalkanalstenose (ossär, diskoligamentär, iatrogen) nach Instrumentations-
spondylodese oder bei KI gegen MRT. Selten als Funktionsdiagn. ergänzend zum
MRT.

Kontraindikationen
KI gegen iodhaltige KM, vermehrte Blutungsneigung, Infektion, spinaler Krampf-
anfall nach spinaler Inj. in der Anamnese.

Technik und Auswertung


• Pat. nüchtern, schriftliche Einwilligung. Lumbalpunktion (▶ 18.3.3) jedoch in
entlordosierter Bauchlage (z. B. mit Kissen). Desinfektion und steriles Abde-
cken, Punktion zwischen den Dornfortsätzen L3/4 oder weiter kaudal. Tipp:
4 Bei voroperierten Pat. Höhe einer evtl. durchgeführten Laminektomie nutzen.
Kanüle mit Mandrin, sobald Lig. interspinale erreicht (erhöhter Widerstand)
Mandrin entfernen und vorsichtig Duralsack punktieren. Symptomatische
Pat. äußern hier häufig einen der Hauptklinik ähnelnden Schmerz. Ablassen
von 5 ml Liquor, anschließend Injektion von maximal 10 ml KM unter Durch-
leuchtungskontrolle.
• Anschließend mehrmaliges Drehen des Pat. um Körperachse. Rückenlage bis
gewünschte Höhe erreicht (z. B. BWS oder thorakolumbaler Übergang). An-
schließend zügig Funktionsaufnahmen und ggf. CT in Bauchlage. Nach Mye-
lografie 24 h Bettruhe mit erhöhtem Oberkörper.
• Pathol. sind Eindellungen und segmentale Abbrüche des KM-Schattens sowie
verdickte oder verklebte Cauda-equina-Fasern.

Komplikationen
Meningeale Reizerscheinungen mit starken Kopfschmerzen, selten Übelkeit, Er-
brechen, Meningismus. Ther. mit NSAR, ggf. Koffein. Spinaler Krampfanfall.

4.2.4 Angiografie
Darstellung von arteriellen, venösen und lymphatischen Gefäßen als DSA (digita-
le Subtraktionsangiografie), CT- oder MRT-Angiografie (▶ 4.3, ▶ 4.4).
Indikationen
• Diagn. bei V. a. Blutung (häufig zuerst CT-Angiografie).
• Angiografische Interventionen, z. B. PTA oder Stentimplantation bei Gefäß-
stenosen, (Tumor- oder Blutungs-)Embolisation, Lyse von Gefäßthrombosen.
• Varikosis und venöse Insuffizienz, heute ist die Phlebografie zumeist von der
farbkodierten Duplexsonografie abgelöst.
• Lymphfisteln, Lymphabflussstörung (heute dient die Lymphografie neben
dem diagn. Zweck auch gleichzeitig der Ther. durch Sklerosierung des Fistel-
punkts mit dem öligen KM Lipiodol®).
  4.4 Magnetresonanztomografie (MRT)  107

4.3 Computertomografie (CT)
Marc-André Weber und Jost Kloth

Indikation
Schweres Trauma des Achsenskeletts (z. B. Hochrasanz, Sturz aus großer Höhe),
Stabilitätsbeurteilung bekannter Frakturen, bei Tumoren, Metastasen oder Infek-
tionen, Frakturverdacht bei Diskrepanz zwischen Projektionsradiografie und klin.
Befund, Rotationsmessungen der unteren Extremität (bei Kindern auch mit
MRT), OP-Planung bei komplexen anatomischen Verhältnissen oder individuel-
len Implantatanfertigungen, V. a. Blutung, nach Myelografie der WS als Post-My-
elo-CT (▶ 4.2.3).

Technik
Bei Blutungsverdacht nativ und mit 3 KM-Phasen (arteriell, venös, Spätphase,
KI ▶ 4.2), die übrigen Ind. üblicherweise ohne i. v. KM-Gabe. Bei prim. Akquise
eines isotropen Datensatzes mit modernen Multidetektor-Computertomogra-
fen sind Rekonstruktionen in axialer, sagittaler und koronarer Orientierung
(z. B. Schichtdicke 2 mm; Inkrement 1,5 mm) im Knochenfenster mit scharfem 4
Faltungskern (Reconstruction Kernel) > 60 zur Diagn. geeignet. Zusätzliche Re-
konstruktionen im Weichteilfenster bei V. a. Diskusprolaps, Blutung oder
Weichteiltumoren. Ggf. 3-D-Rekonstruktionen als rotierendes Modell aus
1 mm Dünnschichtrekonstruktionen.

Auswertung
• Frakturen: Größe und Dislokation der Hauptfragmente, Beziehung zu umge-
benden Strukturen (Gefäßbündel, Spinalkanal), Gelenkbeteiligung, ggf. ossä-
re Konsolidierungsvorgänge oder Ausbleiben derselben, Stabilitätsbeurtei-
lung.
• Neoplasie/Metastasen: Größe und Beziehung zu umgebenden Strukturen
(ggf. im Verlauf), Stabilitätsbeurteilung, Klassifikation der Knochenmatrix
(osteolytisch/osteoblastisch).
• Rotationsmessung: Rotation der langen Röhrenknochen anhand definierter
Gelenklinien immer im Seitenvergleich.
• Blutung: Blutungsqualität (arteriell, venös, Sickerblutung), Lokalisation der
Gefäßverletzung, wichtig vor interventioneller Angiografie.

4.4 Magnetresonanztomografie (MRT)
Marc-André Weber und Jost Kloth

4.4.1 Anwendungsbereiche und Protokollempfehlungen


Indikationen
Diagn. des Weichgewebes mit hohem Kontrast und Ortsauflösung ohne Anwen-
dung ionisierender Strahlung. Tumor- und Infektdiagn., ligamentäre, diskale und
kartilaginäre Pathologien, morphologische Diagn. der Neuroachse und periphe-
rer Nerven, MR-Angiografie.
108 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

Technik
In der muskuloskelettalen Diagn. werden 2 Basissequenzen – (Turbo-)Spin-Echo-
Sequenz (SE/TSE) und Gradientenechosequenz (GE) – und 3 Sequenzwichtungen
– T1, T2 und protonendichtegewichtete (PD) – angewandt. Wichtigstes Werk-
zeug zur Befundinterpretation ist die Kenntnis der Signalintensität verschiedener
Gewebe in diesen Wichtungen (▶ Tab. 4.2). Hohe Signalintensität („hell“) wird als
hyperintens, niedrige („dunkel“) als hypointens bezeichnet. Zur Erhöhung des
Flüssigkeitskontrasts werden fettgesättigte T2-gewichtete Sequenzen, z. B. die
STIR-Sequenz (Short Tau Inversion Recovery), verwendet.

Tab. 4.2  Signalintensität von normalem und pathol. Gewebe in der MRT
Gewebe T1-Wichtung T2-Wichtung PD-Wichtung STIR

Fett Hoch Mittel Hoch Niedrig

Wasser Niedrig Hoch Hoch Hoch

Muskel Mittel Niedrig Mittel Niedrig

Knorpel Mittel Hoch Mittel Mittel


4 Liquor Niedrig Hoch Niedrig Hoch

Kortikalis Niedrig Niedrig Niedrig Niedrig

Kontrastmittel
Grundbaustein Gadolinium in Bindung mit einem Chelatkomplex unschäd-
lich für Körper. Verkürzung der T1-Zeit, dementsprechend weisen Areale, die
KM anreichern, eine hohe Signalintensität in T1 auf. Verbesserter Kontrast
durch Fettsättigung oder Subtraktion des nativen T1-Bilds. KI für die Gabe
linearer MRT-KM ist die schwere Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min) auf-
grund der Gefahr einer nephrogenen systemischen Fibrose (NSF). Makrozyk-
lische MRT-KM gelten diesbezüglich als deutlich sicherer. Unverträglichkei-
ten mit allergischer Reaktion sind sehr selten, keine Kreuzreaktion bei Aller-
gie gegen iodhaltige KM.
Anwendung zur Optimierung des Gewebekontrasts und als KM-Dynamik (Tu-
mor- und Infektbildgebung) oder als MR-Angiografie (z. B. Becken-Bein-Angio
bei pAVK).

Fettgesättigte Sequenzen sind anfälliger für Auslöschungs- oder Verzerrungs-


artefakte (sog. Suszeptibilitätsartefakte), wie sie z. B. aufgrund metallischer Im-
plantate auftreten. Artefaktärmste fettgesättigte Sequenz ist die STIR-Sequenz,
sie löst jedoch nicht hoch auf. Bei KM-Gabe wird in diesen Fällen häufig auf
eine Subtraktion von Prä- und Post-KM-Bildern in der T1w zurückgegriffen.

Moderne MRT-Sequenzen
Zunehmend in der klin. Routine eingesetzt:
• Funktionelle Knorpelbildgebung: Sowohl morphologische als auch biochem.
Beurteilung der Knorpelintegrität (z. B. dGEMRIC, T2-Mapping).
• Diffusionsgewichtete Bildgebung (DWI): Detektion diffusionsgestörter Ge-
webe, z. B. in der Infarkt- und Tumordiagn. sowie zur Unterscheidung osteo-
porotischer und neoplastischer WK-Frakturen.
  4.4 Magnetresonanztomografie (MRT)  109

• MR-Spektroskopie: Bestimmung spezifischer Molekülkonzentrationen im


Gewebe, z. B. Laktat (Marker für Gewebehypoxie), Cholin (Marker für Zell­
proliferation) oder Zitrat, Anwendung in der Tumordiagn.

Klassifikation der MRT-Tauglichkeit von Implantaten durch die ASTM


(American Society of Testing and Materials):
• MR-SAFE (sicher): Das Implantat kann risikofrei jederzeit unbe-
schränkt an einen beliebigen Ort innerhalb des Magnetfelds verbracht
werden.
• MR-CONDITIONAL (bedingt sicher): Das Implantat ist unter be-
stimmten Bedingungen (Feldstärke, Absorptionsrate etc. – siehe Pa-
ckungsbeilage) in einem Magnetfeld ungefährlich.
• MR-UNSAFE (unsicher): Das Implantat ist nicht für den Aufenthalt in
einem Magnetfeld geeignet.
Nützlicher Internetlink zur Beurteilung, ob ein Implantat MR-gängig ist:
­http://www.mrisafety.com/.

4.4.2 Wirbelsäule 4
Indikationen
• Lumboischialgie oder Zervikobrachialgie therapieresistent oder mit sensomo-
torischem Defizit.
• Neoplasie und Infektion, z. B. Spondylodiszitis.
• Erkrankungen der Neuroachse, z. B. Myelopathie, Syringomyelie, MS, Quer-
schnittsymptomatik.
• Diskoligamentäre Verletzungen nach Trauma.
• Spezielle Fragestellungen bei Deformitäten, z. B. Tethered Cord.
Technik
Standardsequenzen T1 und T2, sagittal und axial. Bei Trauma sagittale STIR-Se-
quenz als Übersichtssequenz, koronare STIR bei V. a. Psoasabszess. KM-Gabe bei
Infekt oder Tumor mit fettgesättigten T1w-Sequenzen. T2*-gewichtete Sequenzen
zum Nachweis von Blutabbauprodukten.

Hochaufgelöste Untersuchungen, z. B. zum Nachweis von Verletzungen der


Ligg. longitudinalia, sind nur über einen kleinen Abschnitt in vertretbarem
Zeitaufwand möglich. Deshalb ist eine vorausgehende klin. Untersuchung,
meist auch eine andere bildgebende Diagn., z. B. Rö, CT, zur Identifikation
verdächtiger Segmente nötig.

Auswertung
Trauma
WK-Höhenminderung mit bandförmiger, deckplattennaher Signalanhebung in
der STIR-Sequenz. Signalanhebungen des Myelon in T2w als Zeichen einer Mye-
lonkontusion. Segmental „verschwundener“ Liquor in T2 und Einschnüren des
Myelons als Zeichen einer Spinalkanalstenose. Bandverletzungen als Signalanhe-
bung, Kontinuitätsunterbrechung oder Abhebung diagnostizierbar.
110 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

Bandscheibe
Protrusion (radiologisch): Ausdehnung koronar > sagittal; Prolaps (radiologisch):
Ausdehnung sagittal > koronar.
• Lokalisation (Höhe und Seite).
• Position, z. B. subligamentär (aufgespanntes, nicht kontinuitätsunterbroche-
nes Längsband), Sequester (Kontinuität zum Bandscheibenfach verloren,
meist signalärmer als die Bandscheibe in T2w).
• Beziehung zur Nervenwurzel (Kontakt, Kompression) sowie Verlegung der
Foramina intervetrebralia – geeignete Sequenz sagittale T1w, das epidurale
Fett (hyperintens) ist gut von der Nervenwurzel (hypointens) abzugrenzen.
• Duralsack oder Myelonkompression mit relativer oder absoluter Spinalka-
nalstenose.
Spinalkanalstenose
Normalwerte des a.-p. Durchmessers: ≥ 15 mm. Genese entweder traumatisch
durch Knochenfragmente, Bandscheibensequester oder Hämatom. Degenerativ
häufig als Komb. aus Bandscheibenprotrusion, hypertropher Facettengelenkarth-
rose und Hypertrophie des Lig. flavum. Diagn. hinweisend sind gestaute Plexus-
venen als hypointense „Bündel“ in der T2w kranial der Stenose im Epiduralraum
4 und die segmentale Abwesenheit von epiduralem Fett (hyperintens im Vergleich
zum hypointensen Liquor in T1w). Unterschieden wird anhand des verbleiben-
den lumbalen Durchmessers zwischen relativer (< 12 mm) und absoluter Spinal-
kanalstenose (< 10 mm).
Infektion
Untersuchung mit KM obligat, empfohlen auch postop. zur Abgrenzung Narbe
(flächige KM-Aufnahme), Abszess (randständige KM-Aufnahme) oder z. B. Se-
quester (keine KM-Aufnahme).
• Spondylitis: Wirbelkörper hyperintens in STIR sowie in T1w nach KM-Gabe.
• Spondylodiszitis: Bandscheibe hyperintens in T2w und STIR sowie in T1w
nach KM-Gabe.
• Abszess: Flüssigkeit hyperintens in T2w und STIR, nach KM-Gabe peripher
hyperintens in T1w (KM aufnehmende Membran).
• Meningitis: KM-Aufnahme der Hirnhäute.

4.4.3 Schulter
Indikationen
• Rotatorenmanschettenläsion.
• Omarthrose.
• Trauma mit Luxation und/oder persistierende Instabilität.
• Neoplasie und Infektion.
Technik
Koronare Eb. tangential durch Skapula, sagittale Schnittebene tangential zur Fa-
cies glenoidalis. Hauptsächlich protonendichtegewichtete (PD-)Sequenzen mit
und ohne Fettsättigung sowie eine T1w-Sequenz (koronar) und T2w-Sequenz (sa-
gittal). Reduktion der Untersuchungszeit durch 3-D-Sequenzen, z. B. je nach Ge-
rätehersteller SPACE, CUBE oder VISTA, in PD- und T1-Wichtung.
Direkte Arthrografie (▶ 4.2.2) bei V. a. Labrumläsionen (z. B. SLAP-Läsion). Indi-
rekte Arthrografie nach i. v. KM-Gabe und anschließender Latenzzeit möglich.
  4.4 Magnetresonanztomografie (MRT)  111

Auswertung
Rotatorenmanschette
Entzündungen der Supraspinatussehne als Signalanhebung am humeralen Ansatz
in der koronaren PDw mit Fettsättigung. Begleitende Bursitis subacromialis zeigt
sich als Flüssigkeitsdepot (hyperintens in der fettgesättigten PDw) zwischen M.
supraspinatus und Akromion.
Rotatorenmanschenrupturen in der sagittalen T2w als hyperintense „Lücke“ in
der hypointensen Sehne. Klassifikation nach Ausdehnung in der Sagittalebene:
Partialruptur bursa- oder gelenkseitig, Full-Thickness-Tear als die vollständige
Sehnendicke und Komplettruptur als vollständige Sehne (selten) betreffende Rup-
tur. Zusätzlich Ausdehnung anteroposterior beschreiben.
Bei fehlendem Ödem (fehlende Hyperintensität der Sehne in fettgesättigter PDw-
Sequenz) ältere Ruptur wahrscheinlich, jedoch magnetresonanztomografisch
nicht 100-prozentig zu beweisen. Fettige Atrophie der Rotatorenmanschetten-
muskulatur ebenfalls hinweisend auf ältere/chronische Ruptur.
Labrum
Wenn möglich direkte Arthrografie bei passender Klinik (z. B. Z. n. Luxation, In-
stabilität).
Die Bankart-Läsion als Defekt des ant.-inferioren Labrums zeigt sich in der MRT
4
als basisnahe Signalanhebung mit Einbeziehung der gelenknahen (partieller Ab-
riss) oder beider Labrumoberflächen (kompletter Abriss), mit Glenoidausriss
auch als knöcherner Bankart bezeichnet. Neben der alleinigen Ablösung des Lab-
rums werden die Perthes-Läsion (Abriss des Labrum glenoidale mit inferiorem
glenohumeralem Ligament vom Skapulahals) und ALPSA-Läsion (mediales Um-
schlagen und narbiges Verheilen) unterschieden. In der direkten Arthrografie ist
eine KM-Portion zwischen den abgerissenen Strukturen beweisend. Gleiches gilt
für die SLAP-Läsion (superior labral tear with anterior and posterior extension)
mit folgenden Stadien:
• Typ 1: Labrum an der Insertion der Bizepssehne betroffen.
• Typ 2: Ausdehnung nach ventral und dorsal.
• Typ 3: Korbhenkelriss.
• Typ 4: Korbhenkelriss mit Einriss der langen Bizepssehne.
Hill-Sachs-Delle
Nach Luxation häufig Bone-Bruise-Pattern (Signalanhebung des Knochenmarks
in der fettgesättigten PDw-Sequenz) am dorsalen Humeruskopf mit Impression
der Humeruskopfkalotte.
Impingement
Eindellung der Rotatorenmanschette mit Verschmälerung der umgebenden Fett-
schichten. Offensichtlich bei hypertropher AC-Gelenkarthrose mit benachbartem
Ödem der Supraspinatussehne. Hinweisend sind auch Formvarianten und Osteo-
phyten des Akromions selbst. Die Supraspinatussehne ist anfänglich entzündlich
verändert, weist im fortgeschrittenen Verlauf jedoch auch (Partial-)Ruturen auf.
Lange Bizepssehne
Der Verlauf der langen Bizepssehne ist in der axialen PDw-Sequenz im Sulcus bici-
pitalis zu verfolgen. Eine zarte Flüssigkeitsmanschette um die Bizepssehne ist phy-
siologisch, vermehrt Flüssigkeit ist Hinweis auf eine Tendovaginose. Eine Tendinitis
liegt bei Signalanhebung der Bizepssehne selbst in der T2w- und PDw-Sequenz vor.
Bei Luxation oder Ruptur ist der Sulcus bicipitalis leer bzw. mit Flüssigkeit gefüllt.
112 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

4.4.4 Ellenbogen
Indikationen
• Gelenkblockaden, freie Gelenkkörper.
• Neoplasie und Infektion (Arthritis, Bursitis, Osteomyelitis).
• Morbus Panner (▶ 4.4.9).
• Trauma mit V. a. Band-, Sehnen- und Knorpelverletzungen.
• Osteochondrale Läsion (▶ 4.4.9).
Technik
Koronare T1w- und T2w-gewichtete Sequenzen dienen der Beurteilung des Kap-
sel-Band-Apparats; koronare, sagittale und axiale PDw-Sequenzen mit und ohne
Fettsättigung der Beurteilung des Knorpels

Auswertung
Epicondylitis humeri radialis und ulnaris
Signalveränderungen der Epikondylen und der Sehnenansätze der entsprechenden
Muskeln, also M. brachioradialis, M. extensor carpi radialis longus et brevis, M. ex-
4 tensor digitorum (radialseitig) bzw. M. pronator teres, M. flexor carpi ulnaris et radi-
alis, M. palmaris longus (ulnarseitig). Wichtige Sequenzen sind fettgesättigte T2w
oder PDw, die Pathologie zeigt sich als hyperintenses Ödem in Sehne und Knochen.
Sehnen
• Entzündung: hyperintens in T2w und PDw, insbesondere bei Fettsättigung.
• Degeneration: hyperintens in T1w und T2w als Zeichen einer Verfettung.
• Ruptur: Kontinuitätsunterbrechung oder hyperintense „Lücke“ in der T2w.
Gelenkkörper
In T2w und PDw hypo- oder knorpelisointense Formationen in der hyperinten-
sen Gelenkflüssigkeit. Direkte Arthrografie zum Nachweis einer intra- oder extra-
artikulären Pathologie möglich. Knorpelsensitive Sequenzen (PDw, GRE) zur
Differenzierung einer Chondromatose.

4.4.5 Handgelenk
Indikationen
• Ganglien, Synovialzysten, Tendovaginitiden.
• Neoplasie und Infektion (Arthritis, Bursitis, Osteomyelitis).
• Morbus Kienböck (▶ 4.4.9).
• Trauma mit V. a. Verletzung intrinsischer oder extrinsischer Handgelenkbän-
der, okkulte Frakturen.
• Pathologien des TFCC.
• Nervenkompressionssyndrome.
Technik
Aufgrund des kleinen Untersuchungsbereichs werden hochaufgelöste Sequenzen
verwendet. Koronare T1w und PDw sowie T2w mit Fettsättigung zur anatomi-
schen Übersicht, Beurteilung von Handgelenkknorpel, TFCC, Sehnen der Unter-
armmuskulatur und radio- sowie ulnokarpalen Ligamente. Sagittale und axiale
T2w zur Beurteilung von Instabilitäten und intrinsischen Handgelenksbändern.
MR-Arthrografie ▶ 4.2.2, i. v. KM-Gabe bei Entzündung/Infekt und Tumor.
  4.4 Magnetresonanztomografie (MRT)  113

Auswertung
Knorpel
PDw und PDw mit Fettsättigung wichtigste diagn. Sequenz. Signalveränderungen
und Einteilung ▶ 4.4.7. Funktionelle Knorpeldiagn. zunehmend mögl., aufgrund
der geringen Knorpeldicke im Vergleich zum Kniegelenk jedoch limitiert. Zuneh-
mender Gebrauch von 3-D-Sequenzen aufgrund der Möglichkeit Schichtdicken ≤
0,5 mm zu rekonstruieren.
Skapholunäre Ruptur
Kontinuitätsunterbrechung des skapholunären (SL) Ligaments als T2w-hyperin-
tense „Lücke“ in der axialen Schichtorientierung. Zusätzlich häufig wellige Elon-
gation der T2w-hypointensen Ligamente. KM im SL-Spalt nach Arthrografie
nicht beweisend für eine Ruptur, da physiologische Kommunikation zwischen
Handgelenk und SL-Gelenk.
Instabilität
SNAC-/SLAC-Wrist (Scaphoid Nonunion bzw. Scapholunar Advanced Collaps).
In koronarer PDw frühzeitig Stadium I mit Knorpelschädigung als hyperintenses
Binnensignal und Ausdünnung erkennbar. Spätere Stadien auch projektionsra-
diografisch beurteilbar. 4
DISI/PISI (dorsal/palmar Intercalated Segment Instability). Diagnose anhand des
skapholunären Winkels:
• Normal 30–60°.
• DISI > 60°, Os lunatum > 10° dorsal verkippt.
• PISI > 30°, Os lunatum > 15° palmar verkippt.
TFCC
Pathologie des TFCC in hochaufgelöster koronarer T2w oder T2w als 3-D-Se-
quenz. Discus triangularis physiologisch signalarm. Diskusruptur als Kontinui-
tätsunterbrechungen und Signalanhebungen häufig ansatznah, Diskusdegenerati-
on T1w hyperintens, häufiger zentral.
Palmer-Klassifikation:
• Traumatisch:
– Zentrale Ruptur.
– Ulnarer Abriss mit/ohne distale Ulnafraktur.
– Distaler Abriss.
– Radialer Abriss mit/ohne Fraktur.
• Degenerativ:
– Degeneration des TFCC (Signalanhebung in T1w).
– Degeneration von TFCC und ulnarem/lunarem Knorpel.
– Perforation des TFCC mit ulnarer/lunarer Knorpeldegeneration.
– Perforation des TFCC mit ulnarer/lunarer Knorpeldegeneration und
Ruptur des lunotriquetralen Ligaments.
– Perforation des TFCC mit ulnarer/lunarer Knorpeldegeneration, Ruptur
des lunotriquetralen Ligaments und ulnokarpaler Arthritis.
Rheumatoide Polyarthritis
Untersuchung mit KM. KM-Aufnahme und Signalanhebung in T2w und PDw
der entzündlich mitbeteiligten Strukturen. Pannusgewebe nimmt flächig KM auf
(hyperintens in T1w mit Fettsättigung nach KM-Gabe), ossäre Destruktionen als
T2w-hyperintense Läsionen der Handwurzelknochen. Sehnenveränderungen
▶ Tendovaginitis.
114 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

Tendovaginitis
• Erguss: T2w-hyper-, T1w-hypointens in der Sehnenscheide.
• Tendinitis: Signalhebung der Sehne in der T2w und PDw.
• Synovialitis: Verbreiterte Synovialmembran mit hyperintensem Signalverhal-
ten in T2w und T1w nach KM-Gabe.

4.4.6 Becken, Hüftgelenk, Sakroiliakalfugen


Indikationen
• Degenerative Erkrankungen.
• Femoroazetabuläres Impingement.
• Sakroiliitis.
• Nepolasien und Infektionen.
• Morbus Legg-Calvé-Perthes (▶ 4.4.9).
• Chronischer Leistenschmerz.
Technik
Lagerung mit Unterpolsterung der Kniegelenke zur Vermeidung einer Aro. im
4 Hüftgelenk. Koronare T1w und T2w oder PDw mit/ohne Fettsättigung, axiale
T2w, sagittale T2w über Hüftgelenke. Direkte Arthrografie bei V. a. Labrumverlet-
zungen obligat.

Auswertung
Sakroiliitis
Typische Veränderungen:
• Erosionen: T1-hypo-, T2-hyperintense, gelenkassoziierte Läsionen mit KM-
Aufnahme und häufig kontinuierlichem Übergang zum Gelenkspalt.
• Knochenmarködem: Angrenzendes Os ilium und Os sacrum hyperintens in
T2w mit Fettsättigung bzw. STIR.
• Kapsulitis: KM-Aufnahme der Gelenkkapsel.
• Periartikuläre Knochenmarksverfettung: T1w-hyperintens im Vergleich zum
umliegenden Knochen.
Femoroazetabuläres Impingement
• Labrumläsionen: Hyperintense Linie oder „Lücke“ in der fettgesättigten T1w-
Sequenz nach Arthrografie. Bei mukoider Degeneration hyperintens aufge-
triebenes Labrum mit kleinen Zysten in der T2w und PDw mit Fettsättigung.
• Knorpelläsionen: Schwer zu detektierten bei physiol. kaliberarmem Knorpel-
überzug, sensitive Sequenz PDw mit Fettsuppression. Knorpelrisse auch in
der Arthrografie darstellbar.
• Epimetaphysärer Bump: Verplumpung des Kopf-Hals-Übergangs, bei symp-
tomatischen Pat. mit Knochenmarködem.
• α-Winkel: MRT-Schnittebene am Schenkelhals ausgerichtet. Winkel zwischen
Schenkelhals und dem Punkt, an dem der kreisrunde Hüftkopf in den Schen-
kelhals übergeht. Bei CAM-Impingement > 55°.
Transiente Osteoporose
Insbes. Jugendliche und Erw. mittleren Alters. Spezifisches Befundmuster (Kno-
chenmarködem) mit:
• Hypointensität des Femurkopfs und Schenkelhalses in T1-Wichtung.
• Hyperintensität in T2w mit Fettsättigung bzw. STIR.
  4.4 Magnetresonanztomografie (MRT)  115

Kontroll-MRT nach 3–6 Mon. Entlastung: Meist deutlicher Ödemrückgang, Nor-


malisierung des Hüftkopf- und Schenkelhalssignals in T1- und T2-Wichtung.

4.4.7 Kniegelenk
Indikationen
• Deg. und traumatische Kniebinnenläsionen.
• Bandverletzungen.
• Freie Gelenkkörper.
• Morbus Ahlbäck, Morbus Sinding-Larsen-Johansson, Morbus Osgood-
Schlatter (▶ 4.4.9).
• Osteochondrale Läsion (▶ 4.4.9).
• Knorpeldegeneration.
• Neoplasie und Infektion.
• Hämophilie oder Rheuma mit Arthritis.
Technik
Koronare Eb. an dorsaler Kondylenlinie ausgerichtet, sagittale Eb. entweder
streng 90° zur dorsalen Kondylenlinie oder an den Kreuzbändern ausgerichtet. 4
PDw mit/ohne Fettsättigung zur Knorpeldiagn., T2w und T1w zur Meniskusdi-
agn. koronar und sagittal. T2w oder PDw mit Fettsättigung axial zur Diagn. patel-
larer Pathologien.

Auswertung
Knorpelläsionen
Knorpelpathologien als hyperintense Veränderungen in der PDw und T2w. Hö-
here Sensitivität mit Fettsättigung. Einteilung nach Noyes-Score:
• Grad 0: Unauffällig.
• Grad 1: Flächige Signalanhebung oder -inhomogenität.
• Grad 2: Knorpelriss als bandförmige Signalanhebung < 50 % des Knorpelkalibers.
• Grad 3: Knorpelriss > 50 % des Knorpelkalibers.
• Grad 4: Knorpelglatze, direkter Kontakt zwischen Kortikalis und Gelenkflüs-
sigkeit.
Meniskusläsionen
Gesunde Menisci T1w- und T2w-hypointens. Traumatische Veränderungen häu-
fig hyperintens in T2 und hypo- oder isointens in T1, scharf begrenzt. Deg. Verän-
derungen hyperintens in T1, unscharf und flächig. Einteilung in der sagittalen
Schichtorientierung:
• Typ I: Zentral punktförmige oder flächige Läsion ohne Kontakt zur Oberfläche.
• Typ II: Zentral bandförmige Läsion ohne Kontakt zur Oberfläche.
• Typ III: Zentral bandförmige Läsion mit Kontakt zur Oberfläche (frischer Riss).
• Typ IV: Multiple bandförmige, ineinander übergehende Läsionen mit Kon-
takt zur Oberfläche (komplexer Riss, Degeneration oder ältere Läsion).
Kreuzbandläsionen
Diagn. in allen 3 Schichtorientierungen z. A. einer Kreuzbandverletzung notwen-
dig. Sagittal optimal am vorderen Kreuzband (VKB) orientiert. Gesunde Kreuz-
bänder sind T1w- und T2w-hypointens, wobei das VKB physiol. etwas signalrei-
cher ist als das hintere (HKB).
116 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

• Direkte Verletzungszeichen:
– Aufgetriebenes, unscharf begrenztes und verdicktes Kreuzband mit Sig-
nalanhebung in T2w.
– Kontinuitätsunterbrechung.
– Wellige Struktur.
– Verlagerung der Bandenden.
• Indirekte Verletzungszeichen:
– Vermehrte Abwinkelung des HKB.
– Verlaufsänderung des VKB, z. B. flacher Verlauf.
– Ossäre Veränderungen, z. B. Knochenmarködem an lat. Femurkondylus
und dorsolat. Tibia, lateral Femoral Nodge Sign (Impressionsfraktur am
lat. Femurkondylus), Ödeme am knöchernen Kreuzbandansatz.
– Anteriore Subluxationsstellung der Tibia.
Ganglienzysten
Gestielte zystische (T2w-hyperintense, T1w-hypointense) Raumforderungen mit
Bezug zum Ausgangspunkt (Menisci, Kapsel, Kreuzbänder). Septen möglich. Ba-
ker-Zyste als Variante einer von der Kapsel ausgehenden dorsalen Ganglionzyste
typischerweise im Semimembranosus-Eck zwischen Ansatz des M. semimembra-
4 nosus und Caput mediale m. gastrocnemius. T1w-hyperintenser Inhalt der Zysten
als Zeichen einer Einblutung.

4.4.8 Sprunggelenk und Fuß


Indikationen
• Sprunggelenkdistorsion mit V. a. Band- und Syndesmosenverletzung.
• Achillessehnenruptur und -beschwerden.
• Plantarfaszitis.
• Morbus Köhler I und II (▶ 4.4.9).
• Osteochondrale Läsionen (▶ 4.4.9).
• Neoplasien und Infektionen.
• Nervenerkrankungen (z. B. Morton-Neuralgie).
Technik
Untersuchungsprotokoll je nach Fragestellung und Befundlokalisation. Achilles-
sehnenverletzungen mit sagittaler T2w-fettgesättigter oder STIR-Sequenz und
axialer T2w-Sequenz, PDw-Sequenzen für Knorpeldiagn. am OSG, axiale und ko-
ronare T2w-Sequenzen zur Diagn. des Bandapparats.

Auswertung
Band- und Syndesmosenverletzungen am Sprunggelenk
Wichtigste diagn. Sequenz axiale T2w und koronare T2w. Rupturen fallen als hy-
perintense Kontinuitätsunterbrechung der hypointensen Bandstrukturen auf,
Teilrupturen als Signalanhebungen der Bänder selbst. Elongierter bzw. welliger
Bandverlauf ebenfalls hinweisend auf eine Ruptur.
Achillessehne
Signalanhebung in typischer Lokalisation (2–6 cm oberhalb des Ansatzes am
Kalkaneus) in der sagittalen fettgesättigten T2w-Sequenz Zeichen eines entzündli-
chen Reizes. Bei Teilruptur hyperintense Lücke bzw. Kontinuitätsunterbrechung
  4.4 Magnetresonanztomografie (MRT)  117

einiger Faserbündel. In der axialen T2w-Sequenz Abschätzung des Verletzungs-


ausmaßes bezogen auf das Sehnenkaliber. Komplettruptur als totale Kontinuitäts-
unterbrechung häufig mit Hämatom (inhomogen T1w-hyperintens). Dislokation
der Sehnenenden möglich.

4.4.9 Osteonekrosen und osteochondrale Läsionen


Technik
Diagn. entscheidend ist eine fettgesättigte T2w- oder STIR-Sequenz bei V. a. Oste-
onekrose sowie PDw-Sequenzen mit und ohne Fettsättigung bei osteochondralen
Läsionen. KM-Gabe i. d. R. nicht erforderlich. Ergänzende Rö- und CT-Untersu-
chungen zur Stadieneinteilung und Beurteilung osteochondraler Impaktationen.

Hinweise zur Auswertung


Typisches Zeichen einer Osteonekrose im MRT ist ein signalarmes Areal in der
STIR (Nekrose) mit umgebendem perifokalem Knochenmarködem. Stadienein-
teilung nach ARCO:
• Stadium 1: Unspezifische Veränderungen im MRT mit Knochenmarködem.
CT und Rö neg. 4
• Stadium 2: Subchondrale Nekrose mit perifokalem Ödem im MRT, Areale
mit verminderter Strahlentransparenz im Rö.
• Stadium 3: Subchondrale Frakturlinie, im Rö schmale subchondrale Aufhel-
lungslinie (Crescent Sign).
• Stadium 4: Kalottenimpression, beginnende Deformierung des Knochens.
• Stadium 5: Gelenkspaltverschmälerung als Zeichen einer sek. Arthrose, evtl.
Beteiligung korrespondierender Gelenkflächen.
• Stadium 6: Gelenkdestruktion.
Daneben gibt es je nach Lokalisation der Osteonekrose separate Einteilungen.
Osteochondrale Läsionen (früher: Osteochondrosis dissecans) sind häufig im
Knie-, Sprung- und Ellenbogengelenk zu finden. Verlauf im MRT:
• Initial Signalminderung des subchondralen Knochens in der T1w, später
T2w-hyperintense Demarkierung.
• Partielle, dann komplette Separation der osteochondralen Formation. Band-
förmige Signalanhebung der Grenzzone in der STIR- oder fettunterdrückten
PDw-Sequenz als Ausdruck von in den Dissektionsspalt eindringender Ge-
lenkflüssigkeit.
• Freier Gelenkkörper mit leerem Dissektionsbett.
Innerhalb dieses Verlaufs ist die Beurteilung des Knorpelüberzugs durch knorpel-
sensitive Sequenzen (z. B. PDw-Sequenz) mögl., auch zunehmend Einsatz funkti-
oneller Knorpeldiagn. bei dieser Fragestellung.

4.4.10 Neoplasien
Technik
Wichtig sind fettgesättigte T2w- bzw. STIR-Sequenzen aufgrund hoher Sensitivi-
tät zur Detektion und Vermessung tumorverdächtiger Läsionen. T1w-Sequenzen
als anatomische Übersicht und zur Beurteilung der Knochenmarksinfiltration
(s. u.). T2w-Sequenzen häufig als 3. Schichtorientierung. Nach der (obligaten)
KM-Gabe T1w-Sequenzen mit Fettsättigung und/oder Subtraktion.
118 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

Radiologische Tumordiagn. erfolgt als Interpretation der Befunde mehrerer


Modalitäten. Insbesondere das konventionelle Rö-Bild ist bei der Diagn. von
Knochentumoren obligat. Des Weiteren immer Alter des Pat. und die Tu-
morlokalisation zu berücksichtigen.

Auswertung
Dignität
Knochenmark hypointens in T1w durch Verdrängung des Fettmarks hinwei-
send auf Malignität (cave: Blutbildendes Knochenmark junger Pat. auch hypo-
intens in T1w). Benigne Tumoren häufiger mit hohem Fettanteil (hyperintens
in T1w). Fehlende KM-Aufnahme ist häufig ein Zeichen für Benignität, an-
dersherum können jedoch sowohl benigne als auch maligne Tumore stark KM
aufnehmen.
Entität
Amorphe und wolkige Verkalkungen (hypointens in T1w und T2w) Zeichen os-
teoblastischer Tumoren (Metastasen, Osteosarkome, Lymphome). Signalreichtum
4 in T2w mit girlandenförmiger KM-Aufnahme und kommaförmigen, signalarmen
Binnenverkalkungen ist typisch für knorpelbildende Tumoren (Enchondrom,
Chondroblastom, Chondrosarkom). Fibröse Tumoren sehr variabel im Signalver-
halten ohne typische Morphologie in der MRT.
Weitere Aspekte
Kompression neuraler Strukturen (▶ 4.4.2, „Bandscheibe“), Einblutungen (hyper-
intens in T1w) und zentrale Nekrose (hyperintens in T2w, zentral hypointens in
T1w nach KM-Gabe).

4.5 Skelettszintigrafie
Marc-André Weber und Jost Kloth

Definition
Die Skelettszintigrafie ist ein diagn. bildgebendes Verfahren, das die Verteilung
eines osteotropen Radiopharmazeutikums in planarer und ggf. tomografischer
Technik wiedergibt. Regionen mit pathol. erhöhtem („Hot Spots“) bzw. vermin-
dertem („Cold Lesion“) Knochenstoffwechsel können dargestellt und ggf. quanti-
fiziert werden. Hohe Sensitivität, geringe Spezifität.

Sensitivität und Spezifität eines Tests


Sensitivität: Prozentsatz Erkrankter, die ein Test/eine Methode richtig als krank
herausfiltert (Verhältnis der Personen mit richtig pos. Testergebnis zu denen, die
tatsächlich erkrankt sind).
Spezifität: Prozentsatz Gesunder, die durch den Test/die Methode richtig als ge-
sund klassifiziert werden (Verhältnis der Personen mit einem richtig neg. Ergeb-
nis zu den Personen, die wirklich gesund sind).
  4.5 Skelettszintigrafie  119

Technik
• Vor Untersuchung Blase entleeren lassen, auf ausreichende Hydrierung ach-
ten.
• Dosierung: Erw. üblicherweise 500–1.000 MBq 99mTc-Diphosphonate i. v.;
Kinder ca. 40 MBq/10 kg KG (Minimum 40 MBq).
• Strenge Ind.-Stellung bei Kindern und Schwangeren.
Formen der Szintigrafie
• Die Mehrphasen-Skelettszinti setzt sich üblicherweise aus Perfusions-, Blut-
pool- und Spätaufnahmen zusammen.
• Die Perfusionsaufnahmen zeigen anhand einer raschen Folge planarer Auf-
nahmen, die unmittelbar nach Tracerinj. aufgezeichnet werden, den Blutfluss
im interessierenden Körperabschnitt. Die Blutpoolaufnahmen werden nach
2–5 Min. erstellt. Spätaufnahmen werden nach 2–5 h in planarer oder tomo-
grafischer Technik erstellt und können sich auf die interessierende Körperre-
gion (Teilkörperskelettszintigrafie) oder das gesamte Skelettsystem (Ganzkör-
perskelettszintigrafie) erstrecken.
• Spätaufnahmen werden grundsätzlich bei onkologischen Fragestellungen an-
gewendet. Gerade osteoplastische Metastasen zeigen einen deutlich erhöhten
Metabolismus. Dreiphasenskelettszintigramme werden üblicherweise bei Fra-
4
gen zu entzündlichen Erkrankungen erstellt. So zeigen Arthritiden typischer-
weise einen erhöhten Metabolismus in allen 3 Phasen.
• Quantitative Szinti mit EDV-Auswertung: Vergleich der Zählraten in Regions
of Interest (ROI) symmetrischer Skelettanteile, z. B. Ther.-Kontrolle von Kno-
chensarkomen im Seitenvergleich und mit Funktionskurven, Seitenvergleich
bei V. a. Sakroiliitis.
• Leukozytenszinti: Anwendung von radioaktiv markierten, autologen Leuko-
zyten zum Infektnachweis.
• Immunszinti: Szinti mit monoklonalen AK zum Infektnachweis.
Hinweise zur Auswertung
Vermehrte Anreicherung
• Typische lokale vermehrte Anreicherung:
– In Spätphase: Osteoplastische Metastasen (z. B. Prostatakarzinom), kno-
cheneigene Tumoren (z. B. Osteosarkome).
– In Mehrphasenskelettszinti: Arthritiden, unerkannte Frakturen, Osteomy-
elitiden, Algodystrophie.
• Diffus vermehrte Anreicherung: Knochenstoffwechselstörungen (z. B. Osteo-
malazie).
• Weichteilläsionen: Kalkablagerungen, Abszesse.
• Artefakte: u. a. Injektionsort, Harn, Blasendivertikel.
Verminderte Anreicherung
• Lokal verminderte Anreicherung: Artefakte (z. B. Osteosynthesematerial),
Knochennekrosen, Tumoren (z. B. osteolytische Metastasen), anatomische
Defekte, lokale Bestrahlung.
• Diffus verminderte Anreicherung: Knochenstoffwechselstörungen (z. B. Os-
teopetrose, Morbus Paget im Spätstadium), mangelnde Hydrierung.
120 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

4.6 Sonografie
Marc-André Weber, Jost Kloth, Steffen Breusch und Hans Mau

4.6.1 Anwendungsbereiche und physikalische Grundlagen


Indikationen
Aufgrund ubiquitärer Verfügbarkeit ohne Einsatz ionisierender Strahlen und
schneller Durchführbarkeit in der Hand eines erfahrenen Untersuchers stellt die
Sono bei folgenden Ind. i. d. R. das erste diagn. Mittel der Wahl dar:
• Schwellungen und Raumforderungen: Entzündliche Veränderungen wie
Weichteilödem, Gelenk- und Sehnenscheidenerguss, synoviale Hypertrophie,
Weichteilkomponente von Knochentumoren.
• Zysten und Abszesse: Lokalisation, Ausdehnung, Echomorphologie des In-
halts, beste Bildgebungsmodalität, um solide von zystischen Prozessen zu un-
terscheiden und um, aufgrund der sehr guten Ortsauflösung, bei zystischen
Prozessen einen soliden Anteil zu detektieren (Unterscheidung zwischen
blander Zyste und zystischem Tumor).
4 • Pathologien des Muskel- und Bandapparats: Muskel-, Sehnen- und Bandver-
letzungen, Ganglien, Hämatome.
• Gefäße: Durch die Interpretation von Flusskurven und -geschwindigkeiten
Rückschluss auf viele Gefäß- und Perfusionspathologien möglich.
• Verlaufskontrollen: Aufgrund der fehlenden Strahlenexposition besonders
für engmaschige Verlaufskontrollen geeignet.
• Interventionen: Sonografisch gesteuerte Drainageanlagen, diagn. und ther.
Punktionen (Vorteil gegenüber CT und MRT: Echtzeitbildgebung der Lage
der Punktionsnadel).

Technik
Bilderzeugung durch die Reflexion der Schallwellen an Grenzflächen von Stoffen
mit großem Impedanzunterschied. Eindringtiefe und Auflösung abhängig von
der gewählten Schallkopffrequenz (höhere Frequenz erhöht die Ortsauflösung bei
verminderter Eindringtiefe).
• Oberflächennahe Strukturen: 7,5–13-MHz-Linearschallkopf mit hoher Orts-
auflösung ≤ 0,4 mm, jedoch geringer Eindringtiefe von 5–7 cm.
• Tiefe Strukturen: Meist 3,5-MHz-Konvexschallkopf mit hoher Eindringtiefe
bis 15 cm, jedoch geringer Ortsauflösung ≥ 0,9 mm.

Da zwischen Luft und Wasser ein hoher Impedanzunterschied besteht, ist das
Kreieren einer Vorlaufstrecke (z. B. durch Ultraschallgel) bei perkutaner Sono
wichtig.

Kontrastmittel: KM-Sonografie (CEUS – Contrast-Enhanced Ultrasound) wird


am häufigsten bei der Diagnostik von Leberläsionen und zur Gefäßdarstellung an-
gewandt. Weitere Anwendungen bei pAVK oder Myositis noch nicht in der klin.
Routine etabliert.

Sonoanatomische Phänomene und Artefakte


Impedanzsprung: Gute Darstellung von Strukturen im Bereich von akustischen
Impedanzsprüngen. Die US-Longitudinalwellen werden durch die unterschiedli-
  4.6 Sonografie  121

che Ausbreitungsgeschwindigkeit im jeweiligen Gewebe und die verschiedene


Gewebsdichte bei der Reflexion nacheinander empfangen. Daher sind z. B. echo-
leere Zysten oder echoarme Abszesse in der Muskulatur gut abgrenzbar. Gewebe-
schichten ohne großen Impedanzsprung lassen sich schlecht darstellen, z. B. klei-
ne Hämatome, Weichteiltumoren mit ähnlicher Echodichte wie Muskulatur.
Schallverstärkung: Effekt hinter einem flüssigkeitsgefüllten Hohlraum. Verminderte
Abschwächung der Schallwellen durch die Flüssigkeit im Vergleich zum umgebenden
Gewebe, dadurch erscheinen Gewebeabschnitte hinter dem Hohlraum echoreicher.
Schallschatten: Hinter vollständig reflektierenden Geweben (z. B. Knochen, Ver-
kalkungen, Luft) können keine echogenen Strukturen dargestellt werden. Der
Raum hinter solchen Strukturen erscheint als schwarzes, echoarmes Band.
Spiegelartefakt: Spiegelbild einer realen Struktur, das durch eine stark reflektie-
rende Grenzfläche (z. B. Zwerchfell) entsteht. Häufig bei großer Eindringtiefe.
Reflexumkehr (Anisotropie): Bei der Untersuchung glatter Oberflächen (z. B. Seh-
nen und Muskelfaszien) kommt es durch Kippen des Schallkopfs zum Wechsel von
echodichter Darstellung bei orthogradem Auftreffen des Schalls bis hin zur Reflex-
auslöschung durch die fehlende Reflexion bei schrägem Auftreffen des Schalls. Eine
pathol. Struktur bleibt auch bei Positionsänderung des Schallkopfs sichtbar.
Wiederholungsartefakte: Parallel zum Schallkopf verlaufende echodichte Strei-
fen, z. B. bei Verwendung eines Vorlaufs durch Reflexion des Schalls oder an par- 4
allel zueinander verlaufenden Strukturen mit hohem Impedanzsprung.

Sonografische Befunddokumentation
Ausgedruckte bzw. im PACS archivierte Bilder müssen mit Name, Vorname und
Geburtsdatum sowie Untersucher und Untersuchungsdatum eindeutig einem
Pat. und einer Untersuchung zuzuordnen sein, ebenso müssen das abgebildete
Organ und die Einschallrichtung dokumentiert sein, am besten durch Verwen-
dung eines Piktogramms.
Konventionen
Bilddokumentation ▶ Tab. 4.3.

Tab. 4.3  Konvention zur Bilddokumentation


Linke Bildseite Rechte Bildseite

Proximal Distal
Medial Lateral
Ulnar Radial

Umfang der Untersuchung


• Lage, Größe (ausmessen und dokumentieren), äußere Begrenzung, Kontur.
• Binnenstruktur (Echomuster): z. B. echoarm (dunkel), echoreich (hell); klein-
oder großflächig, homogen oder inhomogen verteilte Speckles (Echotextur);
vereinzelte, mitteldichte oder dicht angeordnete Echos.
• Verformbarkeit und Konsistenz, z. B. vollständige Kompression einer Vene
beim Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose, flottierende echoreiche
Strukturen im älteren Erguss.
• Verschieblichkeit, z. B. von gutartigen Weichteiltumoren, im Gegensatz zu
mit dem umliegenden Gewebe verbackenen Lymphomen.
• Schmerzhaftigkeit bei Druck des Schallkopfs auf die Untersuchungsregion.
• Verhalten bei der dynamischen Untersuchung, z. B. Auseinanderweichen von
Strukturen bei Sehnenrupturen, ggf. mit Hilfsperson untersuchen.
122 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

• Durchblutung bzw. Vaskularisation von Gefäßen oder Tumoren: Durch Hin-


zuschalten der Farbdopplerfunktion können Gefäßstenosen, -kompressionen
wie auch der Vaskularisierungsgrad einer Raumforderung dargestellt werden.
• Pathol. Befund mit gesunder Gegenseite vergleichen und dokumentieren.
Ultraschallrichtlinien der ESSR (European Society of Musculoskeletal Radiology)
Aktuelle Untersuchungsprotokolle mit Standardschnittebenen, Schallkopfpo-
sitionierung und Ablauf dynamischer Untersuchungstechniken für Mitglieder
kostenlos erhältlich unter www.essr.org/cms/website.php?id=/en/index/­
educational_material.htm.

4.6.2 Schultergelenk
Marc-André Weber und Jost Kloth

Indikationen
• Verletzungen der Rotatorenmanschettenmuskulatur und -sehnen.
4 • Schulterluxation und -instabilität.
• Entzündung infektiös/rheumatisch.
Technik
• Dorsale, lat. und ventrale Quer- und Längsschnitte, ggf. weitere Schallebenen
korakoakromial oder axillär.
• Dynamische Untersuchung mit passiver Bewegung des Schultergelenks durch
die linke Hand des Untersuchers möglich.

Falsch pos. Befund bei V. a. Rotatorenmanschettenruptur bei zu weit proxi-


maler Schallkopfposition und Fehlinterpretation des echoarmen Muskels.

Auswertung
Zu bewertende Strukturen (▶ 4.6.1, sonografische Befunddokumentation):
• Lange Bizepssehne.
• M. supraspinatus und Sehne.
• M. infraspinatus und Sehne.
• M. teres minor und Sehne.
• M. subscapularis und Sehne.
• Lig. coracoacromiale.
• Subakromialer Impingementtest.
• Glenohumeraler Rezessus.
• AC-Gelenk.
• Subakromialraum mit Bursa.
  4.6 Sonografie  123

4.6.3 Ellenbogen-, Hand-, Knie- und Sprunggelenk


Marc-André Weber und Jost Kloth

Indikationen
• Entzündung infektös/rheumatisch – Gelenkergüsse, Bursitiden, Synovialitis.
• Verletzungen und deg. Sehnenveränderungen.
• Freie Gelenkkörper.
• Ganglionzysten.
• Tumoren.
• Nervenkompressionssyndrome.
Technik
Sono mit Linearschallkopf 7,5–13 MHz oder Hockey-Stick (8–14 MHz). Farbdu-
plex zum Nachweis einer Hypervaskularisierung z. B. bei Synovialitis bei RA. Be-
urteilung der osteochondralen Grenzlamelle und deren Defekte, z. B. bei Erosio-
nen, möglich.

4.6.4 Hüftgelenk 4
Steffen Breusch und Hans Mau

Indikationen
• Entzündung infektiös/rheumatisch – Gelenkergüsse, Bursitiden.
• Hämatom.
• Störungen des epiphysären Wachstums.
• Hüftgelenkdysplasie (▶ 4.6.5).
Technik
Schnittführungen ventral und dorsal im Längsverlauf des Schenkelhalses und
senkrecht dazu.

Auswertung
• Sono häufig zum Nachweis oder zur Verlaufskontrolle eines Ergusses: Dis-
tanz zwischen Kapsel und Schenkelhals > 10 mm (normal 4–8 mm), erst dann
Punktion mit dem Ziel einer Materialgewinnung erfolgversprechend bzw.
Seitendifferenz > 3 mm (normal < 2 mm).
• Bei Epiphysiolyse stufenförmiger Versatz der Epiphyse im ventralen Schnitt.

4.6.5 Säuglingshüfte
Steffen Breusch und Hans Mau

Indikationen
• Neugeborenenscreening im Rahmen der U3.
• Untersuchung bei der U2, wenn Risikofaktoren aus der Anamnese und der klin.
Untersuchung vorliegen (Beckenendlage, familiäre Belastung, Stellungsanoma-
lien bzw. Fehlbildungen, Instabilität des Hüftgelenks, Abspreizhemmung).
124 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

• Sonografische Diagnostik und Verlaufskontrolle der Hüftdysplasie/-luxation


von Geburt bis ca. 12. Lebensmon. möglich.
• Relevanz: Deutliche Verbesserung der Früherkennung von Hüftreifungsstö-
rungen (auch ▶ 13.1) möglich. Dadurch bessere Ausheilungschancen.

Technik
• Geräte: 5-MHz- bzw. 7,5-MHz-Lineartransducer.
• Voraussetzung: Exakte Lagerung (Lagerungsrahmen) und Abtasttechnik.
Auswertung
Voraussetzung
Sono nur bei korrekter Aufnahmetechnik und in Kenntnis der normalen Anato-
mie (▶  Abb. 4.16) beurteilbar: Schallschatten des Os ilii muss gerade verlaufen
(verläuft schräg bei ventraler, dorsaler oder rotierter Schnittebene), Unterrand des
Os ilii und das Labrum acetabulare müssen dargestellt sein. Ossifikationskern der
Femurkopfepiphyse muss bei gesunden Kindern spätestens im Alter von 9 Mon.
sichtbar sein. Durchführung und Beurteilung erfordern Erfahrung.

4 Verkippeffekte in kraniokaudaler Richtung


Eine gesunde Hüfte kann „krank“, eine dysplastische Hüfte jedoch nicht „ge-
sund geschallt“ werden.

Abb. 4.16  Normale Sonoanatomie der Säuglingshüfte [A300]

Beurteilung
• Beurteilung anhand der Einteilung in 4 Hüfttypen (▶ Tab. 4.4, ▶ Abb. 4.17).
• Beurteilung mit Messlinien und Winkel: Qualitative Abschätzung und quanti-
tative Auswertung von Sonogrammen zur Sicherung der Diagnose (▶ 13.1.7):
–  α-Winkel: Winkel zwischen Grundlinie und Pfannendachlinie.
–  β-Winkel: Winkel zwischen Grundlinie und Ausstellungslinie (Knorpeldach).
  4.6 Sonografie  125

Abb. 4.17  Beispiele sonografischer Hüfttypen nach Graf. a Typ II: Reifungsdefizit =
knöcherner Erker rund. b Typ IIIb: Dezentrierte Hüfte = schlechte knöcherne Form­
gebung mit flachem Erker und nach kranial verdrängtem knorpeligem Erker mit
Strukturstörung. c Typ IV: Hüftkopf luxiert, knorpeliger Erker nach kaudal ver­
drängt. [A300]

Tab. 4.4  Klassifikation der Säuglingshüfte in 4 Grundtypen


Typ Beschreibung

Hüfttyp I Ausgereiftes, gesundes Hüftgelenk mit eckigem knöchernem Erker

Hüfttyp II Varianten der physiol. Entwicklung (bis 3. Mon.: IIa) und pathol.
Verknöcherungsverzögerung (ab 3. Mon.: IIb)

Hüfttyp III Dezentriertes Hüftgelenk. Hüftkopf kann nicht mehr in Pfanne gehal­
ten werden und steht lateral. Hyaliner Knorpel des Pfannendachs ge­
quetscht, aber noch normale, echoarme sonografische Darstellung (II­
Ia). Bei zunehmender Schädigung des Knorpels Auftreten echogener
Strukturen (IIIb).

Hüfttyp IV Dezentriertes Hüftgelenk. Hüftkopf steht noch weiter lateral und kra­
nial. Pfannendachknorpel jetzt nicht mehr oberhalb des Kopfs, son­
dern nach kaudal-medial abgedrängt.
126 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

4.7 Bildgebung im Wachstumsalter
Ole Ackermann und Dorien Schneidmüller

4.7.1 Konventionelles Röntgen
Indikationen
• Ausschluss einer knöchernen Verletzung, Veränderung.
• Ind. für Verlaufskontrollen streng stellen (abhängig von einer therapeuti-
schen Konsequenz eines Röntgenbildes).

Technik
• Nutzung der Möglichkeiten der Dosisreduktion.
• Verletzungszentrierte Aufnahmen in zwei Eb. (keine Übersichtsaufnahmen).
• Abbildung angrenzender Gelenke.
• Vergleichsaufnahme der Gegenseite zum Ausschluss einer Verletzung obsolet.

4 Auswertung
• Kenntnis der Ossifikationskerne und deren zeitliches Auftreten
• Kenntnis akzessorischer Knochenkerne.
• Interpretation erfordert Kenntnis der kindertraumatologischen Verletzungs-
bilder und etwas Erfahrung, da je nach Alter der Kinder die Skelettanteile
nicht vollständig mineralisiert und damit nicht im Röntgen direkt darstellbar
sind.

4.7.2 Fraktursonografie im Wachstumsalter (bis 12. Lj.)


Indikationen
• Distale Unterarmfraktur.
• Ellenbogenfraktur.
• Subkapitale Humerusfraktur (▶ Abb. 4.18).
Kontraindikationen
• Hochgradige Dislokation
• Offene Fraktur.
• Gefäß-, Nervenläsion.
Technik
• Linearschallkopf 2,5–12 MHz.
• Entspannter Patient, Untersuchung meist auf Schoß der Eltern möglich.
• Umfahren der Region of Interest mit Schallkopf.
• Bei unklarem Befund → Rö.
• Unterarm: Längsschnitte in 6 Eb. (Wrist-SAFE-Algorithmus).
• Ellenbogen: Dorsaler Längsschnitt der Fossa olecrani (Elbow SAFE).
• Subkapitale Humerusfraktur: Längsschnitte in 4 Ebenen (Shoulder SAFE).
Auswertung
• Frakturzeichen: Wulst, Knick, Versatz, Frakturspalt, Achsabweichung.
• Messung der Achsabweichung meist besser als im Rö.
  4.8 Knochendensitometrie  127

Abb. 4.18  Subkapitale Humerusfraktur. a Röntgenbild. b Sonografiedarstellung.


[P147]

• Gelenkerguss, Fettkörperzeichen (Ellenbogen).


• Unterarm: Röntgenfreie Diagnostik und Therapie möglich („Idiotenhügel“
der Fraktursonografie).
• Ellenbogen: Frakturausschluss, bei Frakturnachweis Rö-Kontrolle (cave: iso-
lierte Fraktur des Epicondylus ulnaris u. U. ohne Gelenkerguss).
• Subkapitaler Oberarm: Frakturdiagnostik, bei Frakturnachweis Rö a. p. zum
Tumor-, Zystenausschluss.

4.8 Knochendensitometrie
Marc-André Weber und Jost Kloth

Indikationen
• Objektivierung der Knochendichte.
• Erfassung des Frakturrisikos.
• Bestimmung der Verlustrate („Slow- und Fast Looser“) bei Osteoporose
(▶ 15.1.1): Verlaufskontrollen aussagekräftiger als Einzelmessung.

Technik
• Überwiegend eingesetzt werden die direkte Absorptiometrie als duale Rönt-
genabsorptiometrie und die quantitative Computertomografie.
• Obsolet: Radiografische Morphometrie (Singh-Index, Banett-Nordin-Index),
Single-Photon-Absorptiometrie am Radiusschaft (Messfehler, Positionsschwie-
rigkeiten), Dual-Photon-Absorptiometrie (lange Untersuchungsdauer).
128 4  Bildgebende Diagnostik in der Orthopädie  

Duale Röntgenabsorptiometrie (DRA, Synonyme: DXY, DEXA, QDR)


• Röntgenröhre als Strahlenquelle.
• Messung an LWS und Femur.
• Untersuchungsdauer 10 Min., Strahlenexposition ca. 0,003 mSv.
• Fehlerquellen: Frakturen, Implantate (daher Korrelation mit vorhandenem
Bildmaterial).
Quantitative Computertomografie (QCT)
• Mehrere Methoden, z. B. mit Ganzkörpertomograf (an LWS: SEQCT oder
DEQCT) oder hochauflösenden Spezialscannern (an Radius, Tibia: pQCT).
• Vorteil: Hohe Präzision und Empfindlichkeit.
• Nachteil: Hoher apparativer Aufwand, hohe Kosten und höhere Strahlenex-
position (0,05 mSv) als DRA.

Auswertung
• T-Wert: Standardabweichung des Messwerts im Vergleich zum Durchschnitt
gesunder 30-Jähriger gleichen Geschlechts.
• Z-Wert: Standardabweichung des Messwerts im Vergleich zum Durchschnitt
gesunder gleichen Alters und Geschlechts.
4 Nach WHO-Klassifikation liegt bei einem T-Wert zwischen –1 und –2,5 eine Os-
teopenie, bei einem T-Wert ≤ 2,5 eine Osteoporose vor, die bei gleichzeitigem
Vorhandensein einer pathol. Fraktur als „manifeste Osteoporose“ bezeichnet wird
(▶ 15.1.1). Aufgrund der physiologisch verminderten Knochendichte mit zuneh-
mendem Alter ist der Z-Wert für einen altersunabhängigen Vergleich notwendig.
5 Problemmanagement auf Station
und im Nachtdienst
Steffen Breusch und Hans Mau

5.1 Akute Schmerzen 130 5.9 Kurzatmigkeit 142


5.2 Blutdruckveränderungen 131 5.10 Elektrolytstörungen 144
5.2.1 Niedriger Blutdruck 131 5.10.1 Hypokaliämie 144
5.2.2 Bluthochdruck 132 5.10.2 Hyperkaliämie 145
5.3 Blutzuckerveränderun- 5.10.3 Hyponatriämie 145
gen 133 5.10.4 Hyperkalzämie 146
5.3.1 Hypoglykämie 133 5.11 Infusionstherapie 146
5.3.2 Hyperglykämie 134 5.12 Oligurie, Anurie 147
5.4 Fieber 135
5.5 Verwirrtheitszustände 137
5.6 Übelkeit und Erbrechen 138
5.7 Thorakale Schmerzen 139
5.8 Tiefe Beinvenenthrombose
und Lungenembolie 140
5.8.1 Tiefe Beinvenen­
thrombose 140
5.8.2 Lungenembolie 141
130 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

5.1 Akute Schmerzen
Einer der häufigsten Gründe für Anrufe von Station. Abgrenzung gegen
chron. Schmerzen wichtig.

Schmerzther. allg. ▶ 24.1.

Ätiologie
Meist Folge einer OP.

Vorgehen
• Immer Ursache suchen (z. B. enger Verband oder Gips).
• Unruhige und ängstliche Pat. durch ein Gespräch beruhigen.
• Evtl. Sedativum (z. B. Diazepam 5–10 mg) verordnen.
• Therapeutika ▶ Tab.  5.1, ▶ Tab.  5.2.
Analgetika sollten prophylaktisch verabreicht werden (z. B. postop.), da die
Wirksamkeit dann größer ist.

Tab. 5.1  Medikamentöse Therapie geringer und mäßiger postoperativer


Schmerzen

5 Generikum Handelsname
(Beispiel)
Dosierung Maximaldosis

Geringe Schmerzen

Paracetamol ben-u-ron® 500–1.000 mg alle 4–6 h 4 g/24 h

Ibuprofen Imbun® 400–600 mg alle 8 h 2,4 g/24 h

Mäßige Schmerzen

NSAR/Diclofenac1 Voltaren® 50–100 mg alle 8–12 h 150 mg/24 h

Etoricoxib Arcoxia® 60–90 mg 120 mg/24 h

Celecoxib Celebrex® 200 mg alle 12 h 400 mg/24 h


®
Tramadol Tramal 20–30 Tr. bei Bedarf oder al­ 600 mg/24 h
le 4–6 h oder 75–100 mg i. m.

Tilidin Valoron® 20–30 Tr. bei Bedarf oder al­ 600 mg/24 h


le 4–6 h

Metamizol Novalgin® 20–30 Tr. bei Bedarf oder al­ 4 g/24 h


le 4–6 h

Dihydrocodein2 DHC® 30 oder 60 30–60 mg p. o./i. m. alle 4 h 240 mg/24 h


1
 Alternativ z. B. COX-2-Hemmer, Arcoxia. Cave: Gastrointestinale NW. Bei unklarer
Anamnese mit Antazidum (z. B. Omeprazol/Antra®) kombinieren; immer bei älte­
ren Pat. (evtl. eingeschränkte Nieren- und Leberfunktion!).
2
 Häufige NW: Obstipation (v. a. bei älteren Pat.) → bei längerer Anwendung pro­
phylaktisch Laxanzien verordnen.
  5.2 Blutdruckveränderungen  131

Tab. 5.2  Medikamentöse Therapie anderer Schmerzursachen


Schmerzursache Therapie

(Lumbo)Ischialgie NSAR (▶ Tab.  5.1) oder Tramadol oder Tilidin 2 × 50 mg/d


(Valoron® ret.)

Phantomschmerzen Opiate und Carbamazepin (z. B. Tegretal®)

Einfache Kopfschmerzen ben-u-ron®

Nierenkolik NSAR und Butylscopolamin 20 mg i. v. (z. B. Buscopan®)


oder Metamizol 1–2 g i. v.

Akuter Herzinfarkt Morphin 5–10 mg i. v.

Pleuritischer Schmerz NSAR wie Diclofenac 3 × 50 mg/d (z. B. Voltaren®)


(auch postop.)

Bauchkolik Butylscopolamin 20 mg i. v. (z. B. Buscopan®)

Metastasenschmerzen Opiate und NSAR kombiniert (s. o.)

Osteoporotische Fraktur NSAR und Kalzitonin 50 IE/d s. c. oder 200 IE/d als Sprüh­
stoß nasal (z. B. Karil®)

Komplexes regionales NSAR und Kalzitonin 50 IE/d s. c. oder 200 IE/d als Sprüh­
Schmerzsyndrom stoß nasal (z. B. Karil®)

5
5.2 Blutdruckveränderungen
5.2.1 Niedriger Blutdruck
Definition
Häufiger Grund für Anrufe von Station. Tritt besonders oft postop. auf; selten
Notfallmaßnahmen erforderlich. Ausnahme: RR systolisch < 80 mmHg oder
plötzlicher RR-Abfall > 40 mmHg.

Ätiologie
• Volumenmangel (Blutung, Dehydratation).
• Niedriger peripherer Widerstand (nach Allgemeinnarkose, vasovagal, bei Inf.,
medikamentös bedingt, z. B. durch Antihypertensiva wie ACE-Hemmer, Nit-
rate).
• Herzversagen (Pumpversagen, z. B. durch Arrhythmie, Herzinsuff.).
Niedriger Blutdruck ist
• postop. häufig analgetikainduziert, v. a. durch Opiate,
• bei älteren Pat. sehr häufig durch Dehydratation verursacht,
• bei begleitender Bradykardie meist vasovagal bedingt oder Zeichen eines
AV-Blocks,
• bei Hypovolämie ohne sichtbare Blutung bzw. Zeichen der Dehydratation
evtl. Folge einer okkulten, gastrointestinalen Blutung (NSAR!).
132 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

Vorgehen
Pat. sofort aufsuchen, RR selbst messen. Weiteres Vorgehen je nach Symptomen
(▶ Tab.  5.3).

Tab. 5.3  Klinik und Vorgehen bei niedrigem Blutdruck


Ursachen Klinik Maßnahmen

Leichtes Unwohlsein

Am häufigsten Leichte Übelkeit, evtl. Beine anheben, Kopf tief lagern, bei feh­
vasovagal be­ Schwitzen lender Besserung Infusion anlegen (z. B.
dingt oder me­ 1.000 ml Ringer-Lsg.), Medikation über­
dikamentös in­ prüfen (Antihypertensiva, Opiate als Aus­
duziert löser?), EKG, Pat. beobachten

Unwohlsein und kalte, feuchte Extremitäten

Hypovolämie JVD ↓, trockene Axilla Kopf tief lagern, i. v.-Zugang legen und
zügig 1.000 ml Kristalloid (z. B. Ringer-
Lsg.) und/oder 500 ml Kolloid (z. B. Ha­
emaccel®) infundieren, 100 % O2, Kathe­
ter legen, Urinausscheidung messen, nor­
mal: 0,5–1 ml/kg KG/h

Hypovolämi­ Schwitzen, Unruhe, Primär entsprechend Hypovolämie; bei


scher Schock Angst. RR ↓↓, JVD ↓, Blutverlust > 30 % 2–3 EK und 1 FFP; ZVK
Tachykardie, schwa­ legen; Volumenersatz entsprechend ZVD;
cher Puls, marmorierte bei fehlender Wirksamkeit und Oligurie/
5 Haut an Extremitäten, Anurie ggf. zusätzlich Dopamin-Perfusor
Oligurie (bei schwerem 250 mg auf 50 ml NaCl 0,9 % (6–15 ml/h)
Schock Anurie)

Lungenembolie JVD ↑, Kurzatmigkeit, EKG, Blutgase, 100 % O2, Antikoagulati­


(▶ 5.8.2) Atemfrequenz ↑, Bein­ on (▶ 24.3.3)
ödeme, Thrombosezei­
chen

Anaphylakti­ Keuchen, Kurzatmig­ 100 % O2, Adrenalin 1 ml (1 : 1.000)


scher Schock keit; wurden neue Me­ i. v./i. m. (z. B. Suprarenin®), bei Kindern in
dikamente verab­ den Zungengrund, Salbutamol 5 mg im
reicht? Zerstäuber, Prednisolon 250–500 mg i. v.
(z. B. Solu-Decortin H®), Antihistamini­
kum i. v. (z. B. 8 mg Fenistil®)

Warme Extremitäten

Sepsis JVD variabel, Fieber Mind. 2 (!) großlumige i. v.-Zugänge, zügig


(nicht zwingend), evtl. 1.000 ml Ringer-Lsg. infundieren, 100 % O2,
vorangegangener RR- Blutabnahme (Routinelabor, Blutkultur),
Anstieg mit großer Katheter legen, Urinausscheidung messen,
Amplitude Intensivüberwachung, Breitspektrumanti­
biotikum i. v. (z. B. Cephalosporin)

5.2.2 Bluthochdruck
Ätiologie
Ein hoher Blutdruck ist häufig, viele mögl. Ursachen, z. B. vorbestehende Hyper-
tonie, Schmerzen, Herzinsuff., Nierenerkr., volle Harnblase, fehlende Medikation.
  5.3 Blutzuckerveränderungen  133

Vorgehen
• Nur selten akute Behandlung während des Nachtdiensts notwendig. Ausnah-
men: Herzinsuff., -versagen, maligne Hypertonie, Nierenerkr.
• RR und Puls selbst messen. Ausreichend große Blutdruckmanschette verwen-
den.
• Ausgeschlossen werden müssen:
–  Akute Herzinsuffizienz: Klinik: JVD ↑, basale Krepitation bei der
Lungen­auskultation, Knöchelödeme, Lebervergrößerung.
–  Maligne Hypertonie: Klinik: Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Bewusst-
seinsminderung, Sehstörungen. Diagn.: Augenhintergrund spiegeln (reti-
nale Blutungen?), Urinstix (Hämaturie? Proteinurie?).
–  Nierenversagen: Diagn.: Katheter legen, Urinausscheidung messen, Re-
tentionswerte bestimmen (Kreatinin im Serum).
• In diesen Fällen zugrunde liegende Ursache behandeln.
I. d. R. stellt der asymptomatische erhöhte Blutdruck allein keine Ind. zur
Ther. dar. Den Pat., nicht die Pat.-Kurve behandeln.

Diastolischer RR > 130 mmHg:


• Bei drohender kardialer Insuff. → Anästhesisten rufen.
• Bettruhe und Nitroglyzerin (z. B. Nitrolingual® Kps./Spray) oder Kalziumka-
nalblocker (z. B. Nifedipin/Adalat®). Cave: Nifedipin vorsichtig einsetzen, da
es zu einem drastischen RR-Abfall kommen kann.
• Postop. RR-Anstieg: I. d. R. schmerzbedingt; meist Besserung nach adäquater 5
Analgesie.
• Präop. RR-Anstieg: Nifedipin 5–10 mg s. l. (z. B. Adalat®), RR-Messung wie-
derholen, bei fortbestehendem diastolischem RR > 100 mmHg Anästhesisten
rufen.

Cave
• In den ersten 48 h nach apoplektischem Insult RR nicht senken, da bei
RR-Abfall ein hypoxischer Hirnschaden resultieren kann.
• Bei RR-Anstieg und gleichzeitiger Bradykardie kann ein erhöhter intra-
kranieller Druck die Ursache sein: Cushing-Reflex (Augenhintergrund,
Schnittbilddiagn.).

5.3 Blutzuckerveränderungen
5.3.1 Hypoglykämie
Definition
Hypoglykämie: BZ < 100 mg/dl.

Die Hypoglykämie ist ein Notfall und muss sofort behandelt werden (Le-
bensgefahr, Gefahr eines Hirnschadens).
134 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

Ätiologie
Häufige Ursachen: Überdosierung oraler Antidiabetika, schlechte Insulineinstel-
lung und falsche Werte bei BZ-Stix.

Auch an seltenere Ursachen wie Alkoholkonsum und Leberversagen denken.

Klinik
Unruhe, Schwitzen, Blässe, Tremor, auffällige Verhaltensänderung, Bewusstseins-
minderung bis hin zum Koma.

Vorgehen
• Pat. sofort aufsuchen.
• Pat. wach, ansprechbar (leichte Hypoglykämie): BZ-Stix wiederholen und
Blutabnahme für Notfalllabor, dann den Pat. Zucker essen/trinken lassen,
z. B. gezuckerten Tee, Kekse.
• Pat. bewusstlos bzw. Pat. kann nicht essen und trinken: Sofort 50 ml Dextrose
50 % i. v., anschließend mit 50 ml NaCl 0,9 % nachspülen, zusätzlich Glukagon
1 mg i. m./s. c. Cave: Bei alkoholinduzierter Hypoglykämie ist Glukagon un-
wirksam.
• Medikation überprüfen und ggf. anpassen.
• Bei Überdosierung von Depotinsulinen: I. v. Infusion mit 10 % Glukose/Dex­
trose beginnen, entsprechend der stündlichen BZ-Werte anpassen. Infusion
für 48 h belassen. Bei drohender Überwässerung Dexamethason 4–8 mg
5 i. v./i. m. alle 4–6 h (z. B. Fortecortin®).
• 1- bis 2-stündliche Kontrollen mit BZ-Stix, bis der BZ wieder stabil ist.

5.3.2 Hyperglykämie

Bei erhöhten BZ-Werten nicht überreagieren. Im Gegensatz zur akuten Hy-


poglykämie ist die Hyperglykämie kein absoluter Notfall und muss nicht
sofort therapiert werden. Der Pat. ist nicht vital gefährdet. Eine diabetische
Ketoazidose entsteht ebenso wie hyperosmolare KO erst nach Tagen.

Ätiologie
Häufige Ursachen sind Diab. mell. als Grunderkr., Ther. mit Glukokortikoiden
oder Messfehler bei BZ-Stix.

Cave
Pat. mit nicht insulinabhängigem Diab. mell. benötigen evtl. periop. Insulin.

Vorgehen
• BZ-Stix wiederholen und Blut für Notfalllabor abnehmen. Cave: Nicht vom
Infusionsarm.

Der tatsächliche BZ-Spiegel liegt etwa 10 % über dem mit BZ-Stix gemesse-
nen.
  5.4 Fieber  135

• Urin auf Ketone prüfen (Urin-Stix).


• Bei pos. Befund arterielle BGA.
• Maßnahmen (im Zweifel wie beim diabetischen Koma):
– Flüssigkeit: Zügig 1 l NaCl 0,9 % i. v.
– Insulin, Dextrose, KCl: s. c. oder mit Perfusor i. v. (bei BZ-Werten >
350 mg/dl oder Koma) entsprechend Sliding-Scale (▶ Tab.  5.4), stündliche
BZ-Kontrollen: 1 l Dextrose 5 % mit 20 mmol KCl; Infusionsrate 100 ml/h;
zusätzlich Actrapid-Insulin 50 IE in 50 ml 0,9 % NaCl nach Schema.
– BZ-Kontrolle: Präop. alle 2 h, postop. initial alle 1–2 h, dann bei stabilem
BZ alle 4 h.
– K+-Kontrollen: In kurzen Abständen (alle 2–4 h), Substitution bei K+
< 6 mmol/l, etwa 5–15 mmol/h (▶ 5.10).

Tab. 5.4  Sliding-Scale


BZ-Spiegel [mg/dl Infusionsrate Infusionsrate, wenn BZ nicht unter 10 mmol/l
(mmol/l)] [ml/h = U/h] gehalten werden kann [ml/h = U/h]

< 90 (< 5) 0 0

110–180 (6–10) 1 2

180–270 (11–15) 2 4

270–450 (16–25) 4 8

> 450 (> 25) 6 10


5

Maßnahmen bei diabetischem Koma


• Verlegung auf Intensivstation.
• ZVK legen.
• Flüssigkeit: Entsprechend ZVD-adaptiert NaCl 0,9 % i. v., bis zu mehre-
ren Litern. Cave: Herzinsuff.
• Insulin: 8–12 IE/h über Perfusor, langsame BZ-Absenkung (cave:
Hirnödem) um max. 75 mg/dl/h bis zu einem BZ-Spiegel von 200–
250 mg/dl; dann zusätzlich 5 % Glukose i. v. und langsamere Insulinzu-
fuhr (vgl. Sliding-Scale, ▶ Tab.  5.4).
• K+: Regelmäßig überprüfen (1- bis 2-stündlich); Substitution bei K+
< 6 mmol/l, etwa 5–15 mmol/h (▶ 5.10).
• Laborkontrollen: K+, BZ, ZVD stündlich, Na+ und BGA 2- bis 4-stünd-
lich, Azidoseausgleich bei pH < 7,1.
• Außerdem: Katheter legen, Urinausscheidung messen; bei Erbrechen
Magensonde legen, Thromboseprophylaxe (▶ 24.3).
• Bei erstmaliger Hyperglykämie: HbA1C-Bestimmung, BZ-Tagesprofile,
Glukose-Toleranztest.

5.4 Fieber
Ätiologie
Auch bei geringen Temperaturerhöhungen über mögliche Ursachen nachdenken
(▶ Tab.  5.5):
136 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

• Infektionen:
– Harnwegsinfekt (Abflussstörung?).
– Pulmonal: Pneumonie (z. B. bei Atelektase), Bronchitis.
– Intraabdominal: z. B. Psoasabszess, Gallenwege, Divertikulitis.
– ZNS: Meningismus?
– Prostataabszess.
– Wundinf., Hautulzera.
– Zugänge: Phlebitis (i. v. Zugänge kontrollieren!), Katheter, Drainagen
(letzter Wechsel?).
• Medikamentös induziert: Antibiotika, Allopurinol, Ibuprofen.
• Häufig nach Bluttransfusionen.
• Thrombose und Lungenembolie (▶ 5.8).
• Tumoren und Metastasen.
• Alkoholentzug.
• RA, Vaskulitiden.
• Außerdem: Herzinfarkt, Hyperthyreose, Darmischämie.
Tab. 5.5  Häufige Ursachen für postop. Fieber
Tag 1–2 Tag 2–4 Tag 5–10

• Atelektase (+/− Infekt) • Wie Tag 1–2 • Wie Tag 1–4


• Harnwegsinfekt • Zusätzlich tiefe Venen­ • Zusätzlich tiefer Wund­
• Aspirationspneumo­ thrombose (TVT), Wund­ infekt, Abszess
nie infekt, Lungenembolie
5
Vorgehen
Pat. aufsuchen. Fieber, Puls und RR messen. Fieberkurve (Kardex) überprüfen.
Fieber > 40  °C und drohender Schock
(▶ 5.2).
! Erfordert rasches Handeln!
• Klinik: Tachykardie, RR ↓. Cave: Zu Beginn auch systolisch RR ↑ bei größe-
rer RR-Amplitude mögl. Warme Extremitäten.
• Maßnahmen: Mind. 2 großlumige i. v. Zugänge und zügig infundieren (250–
500 ml NaCl 0,9 % über 10–20 Min.), 100 % O2, Blutabnahme (Routinelabor,
Blutkultur), Katheter legen, Urinausscheidung messen, intensive Überwa-
chung, bei immunsupprimierten Pat. und Diabetikern Breitspektrumantibio-
tikum i. v. (z. B. Cephalosporin, vorher Kulturen anlegen).
Fieber > 38,5  °C und relatives Wohlbefinden
• Maßnahmen: Keine Ind. zur Antibiose (postop. physiologisch)? Antipyretika
(z. B. ben-u-ron®, Novalgin®), Wadenwickel.
• Erregerquelle suchen: Häufig pulmonaler Herd (z. B. Pneumonie, Bronchitis);
Wunden; i. v. Zugänge, Katheter, Drainagen (Wann war der letzte Wechsel?);
tiefe Venenthrombose (▶ 5.8.1); Lungenembolie (▶ 5.8.2); Harnwege (Abfluss-
störung?); Hautulzera; Sinusitis; Inf. des ZNS (Meningismus?); intraabdomina-
ler Herd (z. B. Psoasabszess, Gallenwege, Divertikulitis); Prostataabszess.
• Diagn. entsprechend klin. Befund: Blutabnahme (Routinelabor und Blutkul-
tur), Urinstix/-kultur (Keimzahl > 105 cfu/ml?), Labor (Leukos, CRP, BSG),
Blutkultur, Blutgase, Probenentnahme (Wunde, Sputum, Katheterspitzen,
Stuhl, Liquor), Rö-Thorax/-Abdomen, US Abdomen. Vor Antibiotikagabe
(wenn indiziert) immer erst Abstrich/Kultur/Punktion.
  5.5 Verwirrtheitszustände  137

Zugang legen und ggf. schnell handeln!


Vorsorglich immer i. v. Zugang legen (Flüssigkeitsbedarf steigt mit jedem
Grad Temperaturerhöhung um 10 %). Fieber > 40  °C und drohender Schock
(▶ 5.2) erfordern rasches Handeln.

5.5 Verwirrtheitszustände
Häufigkeit
Postop. häufig.

Ätiologie
• Hypoxie (z. B. Anämie, Lungenembolie, Pneumonie).
! V. a. bei älteren Pat. ist Verwirrtheit oft hypoxisch bedingt.
• Harnverhalt.
• Infektionen.
• Medikamentös induziert: Analgetika, Sedativa.
• Stoffwechselstörungen (z. B. E'lyte, BZ).
• Schmerz.
• Blutverlust (Nachblutung).
• Alkoholentzug (MCV > 96 fl?).
• Psychische Erkr., Demenz.
• TIA, apoplektischer Insult. 5
Postoperatives Durchgangssyndrom
• Ein postop. Durchgangssy. ist häufig. Primär muss eine mögl. Hypoxie
beseitigt werden (ausreichend hoher Hb, O2-Gabe – v. a. nachts).
• Bei bekannter Alkoholanamnese frühzeitig ausreichend orale Alkohol-
zufuhr (ggf. i. v. periop.). Prävention des Delirs ist wesentlich besser und
komplikationsärmer als Behandlung.

Diagnostik
• BZ- und Urin-Stix; Fieber, Puls (Vorhofflimmern?) und RR messen; Atemfre-
quenz überprüfen; Pulsoximeter anlegen.
• Beim stabilen Pat. weitere Diagn.
– (Fremd-)Anamnese: Verwirrt? Desorientiert? Schmerzen? Agitiert? Be-
kanntes Problem/Erstereignis?
– Ursachensuche: Medikation, Inf., Stoffwechselstörung, Harnverhalt?
– Labor: E'lyte, Retentionswerte, BZ, Hb, Gerinnungsparameter, Leberwer-
te, bei Tumorpat. Plasmakalzium, Blutgase.
– Blutkultur bei Fieber > 38,5  °C (▶ 5.4).
– EKG, evtl. Rö-Thorax (Ausschluss Infekt/Lungenödem).

Vorgehen
• Pat. aufsuchen.
• Stabiler Pat.: Bei Anämie Bluttransfusion (bis Hb > 10 g/dl, ▶ 6.7.1), O2-Gabe:
2–4 l/Min., ursachenorientierte Ther. (z. B. E'lytausgleich, Glukoseinfusion),
ggf. Sedierung (s. u.).
138 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

• Agitierter, aggressiver Pat.: Pat. beruhigen. Wenn nicht erfolgreich: Sedierung


(mithilfe von Pflegekraft): 5 mg Diazepam i. v. meist ausreichend. Alternativ
oder in Komb. Haloperidol 5–10 mg i. m. oder p. o. Cave: Wirkungseintritt
erst nach bis zu 15 Min.
• Pat. im Alkoholentzug: i. v.-Zugang legen, Flüssigkeit und E'lytausgleich.
– Diazepam 10–100 mg i. v. (z. B. Valium®).
– Clonidin bis max. 1,5 mg/d (z. B. Catapresan®). Cave: Nur Behandlung
der vegetativen Symptomatik, nicht geeignet zur Sedierung. Ausschlei-
chen erforderlich. NW: Bradykardie. KI: AV-Block.
– Clomethiazol 4–6 × 1–2 Kps. bzw. 5–10 ml/d, max. 120 mg (Distraneu-
rin®). (Intensiv-)Überwachung notwendig. NW: Atemdepression.

5.6 Übelkeit und Erbrechen


Häufigkeit
Postop. häufig; meist von kurzer Dauer, aber für den Pat. äußerst unangenehm,
deshalb therapieren.

Ätiologie
• Medikamentös induziert: z. B. NSAR, Opiate, Antibiotika, Eisen, Zytostatika.
• Schmerz.
• Gastrointestinal: z. B. Gastroenteritis, Ulkus, Cholezystitis.
• ZNS: z. B. Migräne, begleitend bei Tumorpat., Meningitis, Infarkt, Blutung.
5 • Kardial: z. B. Herzinfarkt, Pumpversagen, RR-Abfall.
Cave
Übelkeit und Erbrechen sind manchmal die einzigen Symptome beim
schmerzlosen Hinterwandinfarkt.

Vorgehen
• Pat. aufsuchen, Anamnese (KHK? Angina pectoris?), Dehydratation aus-
schließen, RR messen.
• Bei einmaligem Erbrechen ohne Begleitsymptome (z. B. Thoraxschmerzen,
Schwindel): Pat. beobachten (lassen). Puls, RR und Harnausscheidung moni-
toren.
• Bei Übelkeit und einmaligem Erbrechen: Metoclopramid 30 Tr. oder 10 mg
i. m./i. v. (z. B. Paspertin®) oder Diphenhydrinat 60 mg i. v. oder 150 mg Supp.
(Vomex A®).
• Bei persistierendem Erbrechen oder systemischen Symptomen: Zusätzlich
Labor (BB und E'lyte, ggf. Amylase), Urin-Stix. BGA nur bei heftigem Erbre-
chen erforderlich. Diphenhydrinat 60 mg i. v. (Vomex® A) oder 150 mg Supp.
oder Ondansetron 4 mg i. v. (Zofran®).

Übelkeit frühzeitig behandeln!


Frühzeitige Behandlung (sonst Wiederholungsrisiko > 50 %) und bei Un-
wirksamkeit einer Substanz stets neue Substanz verwenden.
  5.7 Thorakale Schmerzen  139

5.7 Thorakale Schmerzen
Cave
Thorakale Schmerzen immer ernst nehmen, rasches Handeln ist erforderlich.

Ätiologie
• Kardial: Angina pectoris, akuter Herzinfarkt.
• Pulmonal, pleural: Lungenembolie (▶ 5.8.2), Pneumothorax, Pleuritis, Pneu-
monie.
• Aortendissektion, Aortenaneurysma.
• Gastrointestinal: Ösophagitis, Gastritis, Ulkus, Pankreatitis, Cholezystitis.
• Osteoporotische WK-Sinterung, BWS-Blockade, Kostochondritis.
Vorgehen bei thorakalen Schmerzen
Bei Anruf bereits EKG organisieren. Puls- und RR-Messung wiederholen lassen.
Bei anamnestisch bekannter KHK 2 Hübe Nitroglyzerin (oder 1 Kps. s. l.) und
Gabe von 4 l O2/Min. anweisen.
Agitierter Patient
• Pat. beruhigen.
• Bei ausbleibendem Erfolg Sedierung (mithilfe von Pflegekraft): Diazepam
5 mg i. v. (z. B. Valium®) meist ausreichend. Alternativ oder in Komb.: Hal-
operidol 5–10 mg i. m. oder p. o. (z. B. Haldol®, cave: Wirkungseintritt erst
nach bis zu 15 Min.). 5
Stabiler Patient
• Anamnese (Schlüssel zur Diagnose!): Schmerzbesserung nach Nitro? Bei be-
kannter KHK: Bekannte Schmerzsymptomatik (dumpf, retrosternal, in Arm/
Bauch ausstrahlend, Angst)? Übelkeit/Erbrechen (häufig bei Herzinfarkt)?
Schmerzdauer kürzer als 30 Sek., Schmerz spitz/scharf und lokalisiert (spricht
gegen Angina pectoris)? Dyspeptische Beschwerden, z. B. Sodbrennen, Völle-
gefühl?
• Untersuchung: Fieber-, RR-, Pulsmessung zur Einschätzung der Zirkulation.
Sind die Extremitäten gut perfundiert oder feuchtkalt? Auskultation: Pleura-
reiben (wird oft überhört!)?
• Diagn.: EKG, Labor (Troponin, CK-MB), ggf. Rö-Thorax (Ausschluss von
Infekt, Lungenembolie, Pneumothorax). Bei V. a. Lungenembolie ggf. CTPA.
• Bei V. a. Herzinfarkt sofort großlumigen i. v.-Zugang legen.
• Bei unklarer Diagnose EKG nach 1–2 h wiederholen.
Kollabierter, instabiler Patient
• i. v.-Zugang legen, 2–6 l O2, Notfalllabor, Blutgase, Notfallteam/Intensivstati-
on (falls vorhanden) informieren.
• Angina-pectoris-Anfall: Pat. beruhigen; Diazepam 2–5 mg i. v. (z. B. Vali-
um®); erneut 2 Hübe Nitro, dann Perfusor mit 1–6 ml/h 50 mg Nitro/50 ml
NaCl 0,9 % anlegen, entsprechend Schmerzen und RR anpassen; RR-Messung
2 ×/h; heparinisieren (▶ 24.3).
• Herzinfarkt: Wahrscheinlich bei Vorliegen von 2 der folgenden Kriterien:
Typische Klinik, infarkttypisches EKG, typischer Enzymverlauf. Ther. wie
Angina-pectoris-Anfall (bei Übelkeit statt Diazepam Triflupromazin 5–10 mg
p. o.), zusätzlich Opiate i. v. (Morphin 10–20 mg i. v. oder Fentanyl®
140 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

0,05–0,1 mg), ASS 300 mg p. o./i. v. (½ Amp. Aspisol®), Antiemetika, Antiar-


rhythmika entsprechend Notwendigkeit, ggf. Lysether., Intensivüberwachung
notwendig.
• Lungenembolie (▶ 5.8.2): JVD ↑, kurzatmig, Atemfrequenz ↑, evtl. Bein-
ödem, Thrombosezeichen: Blutgase, Antikoagulation (▶ 24.3.3).

• Bei Schmerzen, die in Arm, Kiefer oder Nacken ausstrahlen, immer an


kardiale Ursache denken.
• Nitroglyzerin ist nicht nur ein Therapeutikum, sondern auch ein nützli-
ches Diagnostikum (Besserung auf Nitro spricht für kardiale Ursache).
• EKG: Möglichst immer mit alten Befunden vergleichen. Bei neuer ST-
Senkung und Linksschenkelblock droht in 50 % der Fälle ein Herzinfarkt.

5.8 Tiefe Beinvenenthrombose und


Lungenembolie
5.8.1 Tiefe Beinvenenthrombose

• Bei allen postop. Beinschwellungen, Schmerzen in US/Fußsohle und bei


Fieber (▶ 5.4) an tiefe Beinvenenthrombose (TBVT) denken.
5 • Vorsorge ist die wichtigste Maßnahme. Erwiesen wirksam sind aktives
Fußheben und senken („Paddeln“), Fußpumpen und medikamentöse
Prophylaxe.
• Ein unauffälliger klin. Befund schließt eine Thrombose keineswegs aus.
• Bei Tachypnoe (▶ 5.9) an TBVT mit asymptomatischer Lungenembolie
(▶ 5.8.2) denken (DD: Anämie, Herzinsuff.).

Ätiologie
• Am häufigsten postop.
• Risikofaktoren: Familienanamnese, Malignome, Adipositas, fehlende Früh-
mobilisation, weibliches Geschlecht, Rauchen, Kontrazeptiva, längere Ruhig-
stellung der Extremität (Gips, Bettruhe).
• Virchow-Trias: Stase (postop.), Gefäßschaden (OP), Hyperkoagulabilität
(Protein-C-/-S-Mangel, APC-Resistenz, Phospholipid-AK-Sy., Lupus-Anti-
koagulans).

Klinik
• Frühsymptome: Meist einseitiges Schwere- und Spannungsgefühl, belas-
tungsabhängiger Fußsohlenschmerz, ziehender Schmerz entlang der Venen,
unklares Fieber.
• Knöchel- und US-Ödem (Umfangsmessung an beiden Beinen), tiefer Waden-
oder OS-Druckschmerz, Schmerz am OS beim Ausstreichen der Venen nach
prox. (hohe Thrombose!). Postop Wiederanstieg von BSG und CRP, Leuko-
zytose.
! Häufig asymptomatisch.
• Thoraxschmerz und/oder Dyspnoe (▶ 5.9) können einzige Symptome sein.
   5.8  Tiefe Beinvenenthrombose und Lungenembolie  141

Diagnostik
• Phlebografie: Mittel der Wahl bei diagn. Unsicherheit und therapeutischer
Konsequenz (Heparinisierung, cave: postop. Fibrinolyse kontraindiziert).
• Kompressions-, besser Farbduplexsonografie: Erschwert bei sehr adipösen,
ödematös veränderten, salbenbehandelten Extremitäten; sonst bei erfahre-
nem Untersucher diagn. Effizienz wie Phlebografie, gute Beurteilbarkeit flot-
tierender Thrombusstrukturen.

Vorgehen
• In jedem Fall High-Dose-Heparin (mit Bolus, ▶ 24.3.2).
• Bettruhe für 2–3 d bei starker Schwellneigung und Schmerzen.
• Vollheparinisierung (▶ 24.3.2).
– Ind.: Standardther. der tiefen Venenthrombose.
– Vorgehen: Niedermolekulares Heparin s. c. nach KG (ca. 180–200 IE/kg
Anti-Faktor-Xa-Aktivität in 1–2 Dosen/d, Zulassung besteht für Fraxipa-
rin®, evtl. ambulante Ther. mögl.). Alternativ initial 5.000–10.000 IE He-
parin i. v. als Bolus, dann Perfusor mit 10.000 IE Heparin auf 50 ml NaCl
0,9 %. Initial 5 ml/h unter tgl. PTT-Kontrolle (therapeutische Erhöhung
auf das 1,5- bis 2-Fache des Ausgangswerts).
• Weitere Maßnahmen:
– Sekundär bei Beckenvenenthrombose Ind. zur Marcumarisierung. Cave:
Bei langjährigen Hypertonikern und Diabetikern Gefahr von Retinablu-
tungen → vor Marcumarther. Fundoskopie.
– Kompressionsther. des betroffenen Beins (Kompressionsstrümpfe meist
vorhanden, auch ▶ 23.9). 5

5.8.2 Lungenembolie

Jede akut einsetzende Dyspnoe ist verdächtig auf eine Lungenembolie; am


häufigsten als KO einer TBVT (▶ 5.8.1).

Klinik
• Vielgestaltige Symptome, z. B. Dyspnoe (▶ 5.9), Zyanose, Husten (evtl. blu-
tig), plötzliche Thoraxschmerzen (▶ 5.7) v. a. bei Inspiration, Schweißaus-
bruch, Tachykardie, Hypotonie bis Schock, Halsvenenstauung (JVD, ZVD
↑), Zeichen der Phlebothrombose.
! 
Selten auch asymptomatisch.
! 
KO: Letalität 3 %.

Diagnostik
• EKG: SIQIII-Typ, Rechtsdrehung des Lagetyps, inkompletter Rechtsschenkel-
block, Verschiebung des R/S-Umschlags nach links, ST-Hebung oder T-Ne-
gativierung in V1V2, P-pulmonale, Sinustachykardie, Vorhofflimmern. Ver-
gleich mit Vor-EKG!
• BGA: Hypoxie bei Hyperventilation (pO2 ↓, pCO2 ↓).
• D-Dimere: Normalwerte schließen Lungenembolie weitgehend aus. Erhöhte
Werte auch bei Lungenentzündung, Tumor und vielen anderen Erkr.
• Rö-Thorax: Nur selten pathol. verändert. Evtl. Zwerchfellhochstand, Kaliber-
sprung der Gefäße, periphere Aufhellungszone nach dem Gefäßverschluss (Wes-
termark-Zeichen), evtl. Pleuraerguss, Lungeninfarkt bei Linksherzinsuff. (10 %).
142 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

• Perfusionsszinti: Bei unauffälligem Befund ist eine Lungenembolie mit gro-


ßer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, bei Perfusionsdefekt immer Beur-
teilung unter Berücksichtigung des Röntgenbilds und Inhalationsszintis. DD
des Perfusionsausfalls: Obstruktion, Emphysem, Ca, Infiltrat, Pleuraerguss,
Atelektase.
• CT-Pulmonalisangiografie (CTPA): „Goldstandard“ bei unklarer Diagnose;
immer vor Lysether.

Cave
Die meisten Pat. nach TEP haben kleine Fettembolieareale postop. – nicht
überdiagnostizieren/-therapieren.

Therapie
• Basismaßnahmen: Bettruhe, Analgesie, z. B. Fentanyl 0,05–0,1 mg i. v., und
Sedierung, z. B. Diazepam 5–10 mg (z. B. Valium®), O2-Gabe, z. B. 2–6 l/Min.
Heparinisierung (s. o.).
• Senkung des Pulmonalarteriendrucks: Nitroglyzerin 1–6 mg/h i. v. und Kalzi-
umantagonisten, z. B. Nifedipin-Perfusor 5 mg auf 50 ml mit 6–12 ml/h (z. B.
Adalat®) unter RR-Kontrolle.
• Bei Hypotonie: Dobutamin (z. B. Dobutrex®) über Perfusor 250 mg in 50 ml
NaCl 0,9 % (1–4 ml/h), da es im Gegensatz zu Dopamin den Pulmonalarteri-
endruck nicht erhöhen soll (umstritten!).
• Bei schwerem Schock zusätzlich Dopamin über Perfusor 250 mg in 50 ml
5 NaCl 0,9 % (6–15 ml/h).
• Bei respiratorischer Insuff. (pO2 < 50 mmHg): Intubation und Beatmung.
• Orale Antikoagulation: Nach der akuten Phase über 6–12 Mon. (▶ 24.3).

5.9 Kurzatmigkeit
Cave
Kurzatmigkeit immer ernst nehmen, rasches Handeln ist erforderlich.

Ätiologie
• Kardial: Akutes Linksherzversagen, akuter Herzinfarkt, hypertone Krise.
• Pulmonal, pleural: Lungenembolie (▶ 5.8.2), Pneumothorax, Pleuritis, Pneu-
monie, Asthma, COPD.
• Überwässerung (postop. Hyperhydratation, Niereninsuffizienz).
• Anaphylaktisches Geschehen.
Vorgehen bei Dyspnoe oder Orthopnoe
Bei Anruf bereits Atemfrequenz, Puls- und RR-Messung wiederholen lassen;
möglichst zusätzlich „peak flow“ und Pulsoximeter. Objektive Zeichen der Dys-
pnoe: Atemfrequenz > 30/Min., Zyanose und Hypotension.
  5.9 Kurzatmigkeit  143

Tipps zur Therapie


• Auch bei COPD Sauerstoff geben: Hypoxie tötet schnell, Hyperkapnie
langsam.
• Kann zwischen beginnendem Lungenödem, Asthma und Pneumonie
nicht unterschieden werden, ist es sinnvoll, alle drei Ursachen zu behan-
deln (▶ Tab.  5.6).
• Bei fehlenden Zeichen für Herzversagen oder Asthma an Lungenembo-
lie (▶ 5.8.2) denken: Im Zweifel heparinisieren.
• Bei perioralem Kribbelgefühl ist psychogene Ursache (Hyperventilation)
wahrscheinlich.

Tab. 5.6  Klinik und Vorgehen bei Dyspnoe/Orthopnoe


Ursache Klinik und Diagnostik Maßnahmen

Patient mit Tachypnoe und/oder Zyanose

Pneumo­ • Risikofaktoren: • Rö-Thorax und Drainage (Punktion oder


thorax ZVK, COPD, Asthma Bülau-Drainage)
• Auskultation: hy­ • i. v.-Zugang legen
perresonante Per­ • 2–6 l O2 (auch bei COPD initial sinnvoll)
kussion, Atemge­ • Notfalllabor, Blutgase
räusche ↓, häufig
„seltsame“ Auskul­
tationsgeräusche

Akutes Hochgradig kurzat­ • Pat. beruhigen; Oberkörper hoch, Beine tief


5
Lungen­ mig, Atemfrequenz ↑, lagern, Atemwege freimachen (ggf. absau­
ödem JVD ↑, Galopprhyth­ gen)
mus, kalte Extremitä­ • Furosemid 40–80 mg i. v. (Lasix®), Sedierung
ten, feuchte RG basal, mit Diazepam 5–10 mg i. v. (z. B. Valium®),
evtl. Distanzrasseln, ggf. Morphin 2,5–5 mg i. v. Cave: Atemde­
evtl. Beinödem, Ta­ pression
chykardie, schaumig- • Bei Hypertonie 2 Hübe Nitro, dann Perfusor
rotes Sputum mit 1–6 ml/h 50 mg Nitro/50 ml NaCl 0,9 %
anlegen
• Dauerkatheter zur Bilanzierung, EKG; bei
Hypotonie: Dopamin 250 mg auf 50 ml NaCl:
Stufe 2 („Nierendosis“) → 6–12(–18) ml/h

Herzin­
farkt ▶ 5.7

Lungen­ JVD ↑, Kurzatmigkeit, • Blutgase (pO2 ↓, pCO2 ↑, pH ↑) EKG (Rechts­


embolie Atemfrequenz ↑, herzbelastung: prominente R-Welle in V1–
(▶ 5.8.2) pleuritische Thorax­ V2, neg. T in V1–V3, Vergleich mit Vor-EKG)
schmerzen, evtl. Bein­ • Sedierung, Analgesie und Antikoagulation
ödem, Thrombosezei­ (▶ 24.3)
chen
144 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

Tab. 5.6  Klinik und Vorgehen bei Dyspnoe/Orthopnoe (Forts.)


Ursache Klinik und Diagnostik Maßnahmen

Asthma­ Puls > 120/Min., • Zuerst BGA (▶ 6.6.4): Hyperkapnie als Warn­
anfall Atemfrequenz > 30/ signal
Min., Pulsus parado­ • 4–6 l O2
xus = RR ↓ bei Inspira­ • 1,25–2,5 mg Salbutamol (Sultanol®) plus 4–8
tion, Peak flow < 100, Tr. einer 0,025-prozentigen Lösung Ipratro­
erschöpfter Pat. mit piumbromid (Atrovent®) in 4 ml NaCl mit
Schwierigkeiten zu Vernebler
sprechen • Theophyllin 100–200 mg i. v. über 5 Min. ini­
tial, dann 600–800 mg/24 h; später auf p. o.
umstellen (z. B. 3 × 200–300 mg/d), Serum­
spiegel nicht vergessen
• 100–250 mg Hydrocortison i. v., ggf. nach
4–6 h nochmalige reduzierte Gabe
• Antibiose (Asthma bei Infektexazerbation
häufig)
• Ausreichende Flüssigkeitszufuhr (ggf. i. v.)
• Bei progredienter Hyperkapnie (pCO2 ↑),
Atemfrequenz > 30/Min. und ↑, Erschöp­
fung und drohendem Atemstillstand früh­
zeitig Ind. zur assistierten Beatmung

Pleura­ • Ausschwemmen (Furosemid/Lasix®)


erguss • Ggf. Punktion (immer Labordiagn. des
Punktats: Eiweiß, Glukose, Leukos, Amylase,
Diff.-BB-Eosinophilie) oder Drainage (lang­
5 sames Ablassen[!], max. 500 ml sofort, insge­
samt 1–2 l/d)

5.10 Elektrolytstörungen
5.10.1 Hypokaliämie
Definition
K+ < 3,5 mmol/l.

Ätiologie
Häufige Ursachen: Diuretika-, Infusionsther. ohne Kaliumersatz, Abnahmefehler
(z. B. Blutabnahme vom Infusionsarm), Erbrechen und Diarrhö, Laxanzien, Fis-
teln, Tumoren.

Vorgehen

Wegen der Gefahr letaler Arrhythmien Kalium niemals als Bolus spritzen.

• Digitalisierten Pat. sofort aufsuchen.


• K+ < 2,5 mmol/l: Wegen Arrhythmierisiko dringend substituieren: KCl
20 mmol/h. Cave: Dosierung max. 40 mmol/l (Arrhythmie!). Zusätzlich dann
K+ p. o. (z. B. Kalinor®-Brausetbl., Bananen, Nüsse); Laborkontrolle alle 4 h,
bis K+ > 3 mmol/l.
  5.10 Elektrolytstörungen  145

• K+ = 2,5–3,0 mmol/l: Bei Pat. mit Infusionsther. K+ i. v., sonst orale Substitu-
tion meist ausreichend: 80–120 mmol/d K+ (z. B. Kalinor®-Brausetbl.).
• K+ > 3,0 mmol/l: Orale Substitution, K+ 1–2× tgl. kontrollieren; ggf. Diuretika
umstellen (kaliumsparend).

Bei Erw. entspricht ein K+-Abfall im Serum von 4 auf 3 mmol/l einem Verlust
von ca. 100–200 mmol, jeder weitere Abfall um 1 mmol/l etwa 200–400 mmol
(gewichtsabhängig).

5.10.2 Hyperkaliämie
Definition
K+ > 5,5 mmol/l; selten OP-Folge.

Ätiologie
Mögl. Ursachen: (Massiv-)Transfusionen, kaliumsparende Diuretika, ACE-Hem-
mer, exzessive Substitutionsther., Nierenversagen, diabetische Ketoazidose, post-
traumatisch (Freisetzung aus Gewebe).

Vorgehen

Ein K+-Spiegel > 6 mmol/l ist ein Notfall (Gefahr der Arrhythmie!) und muss
sofort behandelt werden. 5
• Pat. aufsuchen.
• Labor: K+-Bestimmung wiederholen, Retentionswerte (Harnstoff, Krea).
• EKG: Weite QRS-Komplexe, hohe T-Wellen.
• Bei ausreichender Diurese und fehlenden Zeichen der Dehydratation: For-
cierte Diurese mit 40–80 mg Furosemid (z. B. Lasix®), Flüssigkeitsverlust mit
NaCl-Infusion substituieren, ggf. ZVK legen und bilanzieren.
• Bei lebensbedrohlichem Zustand: 200 ml Glukose 20 % und 20 IE Altinsulin
über 20 Min. i. v. Cave: Kein Effekt bei Niereninsuff. (→ Dialyse!).
• 20 ml Kalziumglukonat 10 % i. v., langsam und unter EKG-Kontrolle. KI: Di-
gitalisierter Pat.
• Bei Nierenversagen: Dialyse.

5.10.3 Hyponatriämie
Definition
Na+ < 125 mmol/l.

Ätiologie
Häufige Ursachen: Periop. Infusionsther. mit hypotoner Lsg., Thiaziddiuretika,
nephrotisches Sy. und Tumoren.
146 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

Vorgehen

Eine akute Ther. ist nur bei hochgradiger Hyponatriämie mit Zeichen der
Dehydratation (RR ↓, JVD ↓, Oligurie) und zerebraler Symptomatik (z. B.
Verwirrtheit) sinnvoll.

• Pat. aufsuchen. Infusionsprotokoll kontrollieren.


• Milde Hyponatriämie ohne Dehydratation: Flüssigkeitsbeschränkung
(< 1 l/d), orale Salzzufuhr (z. B. salzige Brühe).
• Dehydratation und normale Nierenfunktion: NaCl 0,9 % i. v. 1 l über 6–8 h.
• Im Notfall (zerebrale Symptomatik, z. B. Krampfanfall): ZVK legen, langsame
i. v.-Gabe von NaCl 16 mmol/h unter ZVD-Kontrolle.

5.10.4 Hyperkalzämie
Definition
Ca2+ > 2,6 mmol/l; selten OP-Folge.

Ätiologie
Häufige Ursachen: Tumoren (z. B. Metastasen, Plasmozytom, paraneoplastisch),
Morbus Paget, Hyperparathyreoidismus, Vit.-D-Überdosierung, Tamoxifen-
Ther., Tbc, Sarkoidose.
5 Klinik und Diagnostik
• Symptomentrias bei Hyperkalzämie: Schwäche, Exsikkose, Erbrechen.
• Ca2+-Bestimmung wiederholen. Cave: Zu hohe Werte nach zu langer Stauung.
Vorgehen
• Pat. aufsuchen, Ther. einleiten, wenn Ca2+ (korrigiert auf pH 7,4)
> 3,5 mmol/l und/oder Pat. symptomatisch.
• i. v.-Zugang legen; Rehydratation mit 500 ml NaCl 0,9 % i. v. als Bolus, dann
1 l über 4–8 h (ggf. ZVK legen und bilanzieren) und forcierte Diurese mit Fu-
rosemid 40–80 mg (z. B. Lasix®), Flüssigkeitsverlust erneut mit NaCl-Infusion
substituieren (ZVD; Bilanz).
• Bisphosphonate, z. B. Fosamax®, Aredia®.
• Glukokortikoide: Prednisolon 100 mg i. v. (z. B. Decortin H®) als Bolus.

5.11 Infusionstherapie
Postop. ist eine längere Infusionsther. selten erforderlich (▶ 6.10). Bei Pat.,
die trinken können (also die meisten orthop. Pat.), ist eine Infusionsther. i. d.
R. nicht notwendig und verursacht nur unnötige Kosten und KO. Daher zu-
erst entscheiden, ob der Pat. überhaupt i. v. Flüssigkeit braucht.

Indikationen
Häufig:
• Übelkeit.
• Erbrechen.
  5.12 Oligurie, Anurie  147

• Fieber.
• Bei älteren Pat. Dehydratation (z. B. Schenkelhalsfraktur).
Veränderter Flüssigkeitsbedarf
• Fieber: Mit jedem Grad Temperaturerhöhung steigt der Flüssigkeitsbe-
darf um 10 %.
• Bei älteren Pat. tgl. Flüssigkeitshaushalt kontrollieren, d. h. auf klin. Zei-
chen der Überwässerung bzw. Dehydratation achten (JVD ↓, Achsel-
schweiß, ggf. Pat. wiegen).
• Flüssigkeit p. o. ist besser als i. v.

Vorgehen
• Wichtig bei Blutungen: Ist eine Transfusion indiziert (▶ 6.7.1)? Zuerst und
bei unklarer Ind. jedoch immer Kristalloide verabreichen.
• Durchschnittlicher Flüssigkeitsbedarf: 2–3 l/d, dabei 1 l Infusion i. d. R. über
8–12 h. Beispiel:
– 1 l NaCl 0,9 % mit 20 mmol KCl über 8 h, dann:
– 1 l 5 % Dextrose über 8 h, dann:
– 1 l 5 % Dextrose mit 20 mmol KCl über 8 h.
• Durchschnittlicher E'lytbedarf: ca. 40 mmol KCl tgl., ca. 60–120 mmol NaCl
tgl.

Gefahren einer Infusionstherapie


• Hyperhydratation (iatrogene Überwässerung) mit dem Risiko des Herz- 5
versagens.
• E'lyt-Entgleisungen, besonders K+ und Na+ (v. a. Hyponatriämie).
• Phlebitis.

5.12 Oligurie, Anurie
Definition
Normale Urinausscheidung mindestens 0,5–1 ml/kg KG/h (also z. B. minimal ca.
35 ml/h bei Pat. mit 70 kg KG). Oligurie: Urinausscheidung < 500 ml/24 h.

Ätiologie
• Prärenal: Hypovolämie (häufigste Ursache!), RR ↓ (z. B. Blutung, Dehydrata-
tion, Herzversagen, Sepsis).
• Renal: Nephritis, Lupus erythematodes, Medikamenten-NW (NSAR, Amino-
glykoside, Penicillin, KM, Sulfonamide).
• Postrenal: Blockierter Katheter, Harnstau (Prostata, Tumor, idiopathisch).
Vorgehen
• Erst postrenale Ursachen ausschließen:
– Abdomen palpieren: Bei Blasendistension Katheter legen; danach rektale
bzw. vaginale Untersuchung zum Ausschluss einer Prostatahypertrophie
bzw. von Tumoren.
– Katheterisierter Pat.: Katheter mit 100 ml NaCl und Blasenspritze spülen,
um Blockade auszuschließen bzw. zu beheben.
148 5  Problemmanagement auf Station und im Nachtdienst  

• Bei Hypovolämie (JVD ↓, trockene Axilla, RR ↓, Puls) und Sepsis:


– Zügig (über 20–30 Min.) 500 ml NaCl 0,9 % infundieren. Blasenkatheter
legen. Bei fehlendem Erfolg: Jugularvenendruck überprüfen und noch-
mals 500 ml NaCl 0,9 % infundieren, ggf. ZVK legen. Cave: Bei Pat. mit
Herzinsuff. nur jeweils 200 ml Flüssigkeit verabreichen.
– Labor: Harnstoff, Krea, K+ (Krea : Harnstoff < 10 : 1 → häufig prärenale
Ursache!).
– Nach ausreichender Rehydrierung: 10–20 mg Furosemid i. v. (häufig er-
folgreich). Cave: Nicht mehr Furosemid verabreichen, sonst ist der Pat.
schnell wieder dehydriert.
– Weiterhin keine Urinausscheidung: Pat. auf die Intensivstation verlegen
und Katecholamine verabreichen (Dopamin über ZVK).

Gefahren bei der Therapie


• Für Volumenstoß niemals kaliumhaltige Infusionen verwenden.
• Bei dehydrierten Pat. kann Furosemid (z. B. Lasix®) zum akuten Nieren-
versagen führen.
• Ursache für eine Oligurie ist niemals ein „akuter Lasixmangel“. Furose-
mid immer vorsichtig einsetzen.
• Auch Pat. mit peripheren Beinödemen können dehydriert sein.

5
6 Der operative Patient
Johanna Michel, Helmut Küpper, Michael Clarius, Hans Mau und
Steffen Breusch

6.1 Stationäre Aufnahme des 6.7 Bluttransfusionen  174


­Patienten 6.7.1 Indikation
Johanna Michel und Steffen Breusch, Helmut Küpper
Hans Mau 150 und Hans Mau 174
6.1.1 Aufnahme des vorgemerkten 6.7.2 Bereitstellung von
Patienten 150 Blutkonserven
6.2 Orthopädische Diagnostik Helmut Küpper und
Steffen Breusch, Hans Mau und Steffen Breusch 175
Helmut Küpper 151 6.7.3 Vermeiden von „­Fremdblut“
6.2.1 Allgemeine Tipps 151 Steffen Breusch und
6.2.2 Anamnese 151 Helmut ­Küpper 177
6.2.3 Allgemeine orthopädische 6.7.4 Blutpräparate und
­Untersuchung 152 ­Plasmakomponenten
6.2.4 Konsile 154 Helmut Küpper 178
6.3 OP-Vorbereitung 6.7.5 Vorgehen bei Bluttransfusion
Steffen Breusch, Hans Mau und Steffen Breusch und
Helmut Küpper 156 Helmut ­Küpper 180
6.3.1 Empfehlungen zur 6.7.6 Thrombozytentransfusion
­Patientenaufklärung 156 Helmut Küpper 182
6.3.2 Checkliste zur OP-­ 6.7.7 Transfusionsreaktionen
Vorbereitung 156 Helmut Küpper 182
6.4 Stationsmanagement, 6.8 Operative Phase
­Organisation Hans Mau, Steffen Breusch und
Michael Clarius, Hans Mau und Helmut Küpper 183
Steffen Breusch 157 6.9 Postoperative Phase
6.4.1 Stationsmanagement 157 Helmut Küpper und
6.4.2 Nachtdienst 162 Steffen Breusch 184
6.5 Dokumentation 6.9.1 Überwachung im
Hans Mau und Aufwachraum 184
Steffen Breusch 162 6.9.2 Postoperative
6.6 Präoperative Phase ­Frühkomplikationen 185
Johanna Michel, Hans Mau und 6.9.3 Postoperative Therapie auf
Steffen Breusch 165 Station 191
6.6.1 OP-Indikationsstellung 165 6.10 Infusionstherapie
6.6.2 Allgemeine präoperative Helmut Küpper 192
­Maßnahmen 165 6.10.1 Postaggressions­
6.6.3 Routineuntersuchungen 166 stoffwechsel 192
6.6.4 Zusatzuntersuchungen und 6.10.2 Stufenkonzept der parentera-
-maßnahmen 167 len Ernährung 193
6.6.5 Der Risikopatient 167
6.6.6 Anästhesie 171
150 6  Der operative Patient  

6.1 Stationäre Aufnahme des Patienten


Johanna Michel und Hans Mau

6.1.1 Aufnahme des vorgemerkten Patienten


Definition
Diagnose meist bereits gesichert. Aufnahme daher wegen OP, kons. Ther. oder
Spezialdiagn. bzw. einer Kombination dieser Möglichkeiten. Pat. wurde i. d. R.
vorher in der Praxis des niedergelassenen Kollegen und in der Klinikambulanz
bezüglich der einzuschlagenden Diagn. und Ther. beraten.

Ablauf einer Patientenaufnahme (Zusammenfassung)


• Planung, Vorbereitung: Bei geplanten (Wieder-)Aufnahmen noch am Vortag
Unterlagen, alte Rö-Blilder, Ambulanzkarten besorgen lassen. Überblick über
bisher vorhandene wesentliche Pat.-Daten verschaffen (z. B. Alter, Beruf,
­Vorerkr., OPs). Wichtig: Alten OP-Bericht besorgen wegen Spezialinstrumen-
tarium (ME, TEP). Ist die Kostenübernahme der Behandlung geklärt?
• Begrüßung und Vorstellung: Erster Eindruck entscheidend, Sicherheit ver-
mitteln.
• Anamnese, Untersuchung: Zeit lassen, zuhören, Einschätzung des physi-
schen-psychischen Zustands des Pat. Untersuchungsschema (▶ 6.2.1)
­konsequent einhalten.
• Synopse aller technischen Befunde: Bildgebende Verfahren (Rö-, CT-,
­MRT-, Sono-Bilder) und Befunde in Ruhe mit Sorgfalt und Methode an-
schauen (▶ 4). Vorhandene Unterlagen (z. B. apparative Diagn., Laborwerte)
vollständig sichten.
• Dokumentation: Nach Möglichkeit standardisierte Dokumentation (spart
Zeit; Hilfe bei späteren Anfragen, Gutachten, Arztbriefen).
6 • Erläuterung, Information: Diagnose und Ther.-Strategie vollständig erläu-
tern. Erspart meist wiederholte Gesprächstermine zur Klärung offener Fragen.
• OP-Aufklärung, Einwilligungserklärung: Die OP-Ind. zunächst kritisch über-
prüfen (evtl. Rücksprache Oberarzt, Chef). Bei zu diesem Zeitpunkt eindeutiger
OP-Ind. und OP-Verfahren Pat. aufklären und Einwilligungserklärung unter-
schreiben lassen. Den OP-Termin nicht als unumstößlich darstellen. Wichtig:
Sämtliche möglichen KO und Besonderheiten dokumentieren (▶ 6.3.1).
• Anordnungen treffen: Nachdem Pat. Untersuchungszimmer verlassen hat,
DD abwägen, Anordnungen treffen und schriftlich fixieren. Bei Unklarheiten
evtl. Rückruf beim behandelnden Arzt, Hausarzt.
• Personal informieren: Bei Besonderheiten verantwortliche
Stationsschwester/-pfleger selbst über Pat. informieren (z. B. über Allergien,
dringliche Diagn., rasche OP-Vorbereitung).
• OP-Termin: Termin festlegen oder Pat. zur OP anmelden, dabei OP-Planung
der gesamten Station berücksichtigen.
• Oberarzt-, Chefvorstellung: Neu aufgenommene Pat. dem zuständigen Oberarzt,
danach ggf. dem Chef vorstellen (Eigenkontrolle, Lerneffekt, eigene Absicherung).

Strategie zur Erarbeitung der Diagnose


• Befunde erheben und Erkr. topografisch lokalisieren.
• Pathologisch-anatomische und pathophysiol. Interpretation der Befunde,
Symptomwertigkeit abwägen.
  6.2 Orthopädische Diagnostik  151

• Überlegungen zur Ätiol. und DD.


• Klassifizierung der Krankheit, Arbeitsdiagnose formulieren. Konsequenz?
• Evtl. Zusatzuntersuchungen, apparative Diagn., invasive Diagn. (frgl. Einfluss
auf Prozedere).
• Erkr., Leidensdruck und Prognose beurteilen.
• Funktionsbehinderung beschreiben (z. B. Bettlägerigkeit, Gehstrecke ↓).
• „Mit dem Häufigen rechnen, ans Seltene denken“ (z. B. Tumoren ▶ 14). Vordi-
agnosen nicht blind übernehmen, Fremdbefunden misstrauen. Auch an psy-
chosomatische Erkr. denken. Mit Aggravation (Überbewertung), Simulation
(Vortäuschen) und Dissimulation (Verschweigen von Beschwerden) rechnen
(auch ▶ 19.3.7).

Therapieplan
• Orthop. Erkr. sind oft lebensbegleitend (z. B. Klumpfuß, Skoliosen), daher oft
langfristiger Behandlungsplan notwendig.
• Zu einer guten Beratung gehören Kenntnisse über Spontanverlauf der Erkr.
und Langzeitverlauf nach OPs.
• Kons. Verfahren als OP-Alternativen berücksichtigen.

6.2 Orthopädische Diagnostik
Steffen Breusch, Hans Mau und Helmut Küpper

6.2.1 Allgemeine Tipps
Individualität der Erkr. und des Pat. berücksichtigen. Zeitdruck nicht anmerken las-
sen, geduldig sein, aktiv zuhören. Dem Pat. die Scheu und Angst nehmen, entspannte
Atmosphäre schaffen. Auf die Sprache des Pat. einstellen, Taktgefühl zeigen.
Allgemeine Untersuchungsmethode: 6
• Klin. Untersuchung beginnt, sobald der Pat. das Untersuchungszimmer be-
tritt. Pat. möglichst auf frei zugänglicher Liege untersuchen.
• Genaue Schmerzlokalisation mit dem Finger zeigen lassen (Kinder!). Lokali-
sation und Schmerzbeschreibung (punktuell, diffus, ausstrahlend usw.) sind
diagnostisch wertvoll.
• Pat. sollte ggf. bis auf kurze Unterhose (und BH bei F) entkleidet sein.
• Gesunde Seite (bzw. Region) zuerst untersuchen, d. h. dort zuerst palpieren,
wo keine Schmerzen sind. Auf Seitendifferenzen achten.
• Untersuchung systematisch (z. B. topografisch orientiert) durchführen (Zeit,
Vollständigkeit) mit wenigen Positionswechseln des Pat.
• Vorgehen erklären, Entspannung, Ablenkung schaffen.

6.2.2 Anamnese

Anamnese
Eine gute Anamnese führt in über 70 % der Fälle schon zur korrekten Diagno-
se. Durch eine sorgfältige klin. Untersuchung erhöht sich die Anzahl der rich-
tigen Diagnosen auf 80–90 %.
152 6  Der operative Patient  

Die Anamnese ist in der Orthopädie oft von größter Bedeutung (z. B. momen-
tan asymptomatischer Meniskuskorbhenkelriss ohne klin. Auffälligkeiten,
aber anamnestisch rez. Blockierungen). Eine unzulängliche Anamnese ist
Hauptursache von Diagnoseirrtümern.

Systematischer Aufbau einer Anamnese:


• Grund des Kommens (Eingangsfrage): „Warum kommen Sie zu uns?“
• Aktuelle Beschwerden: Hauptbeschwerde, jetzige Erkr., Unfall (privat oder
Arbeitsunfall; ▶ 22.3.1)? Gutachten, D-Arzt-Verfahren (▶ 21.1.3). Haupt- von
Nebenbeschwerden trennen (manchmal nicht einfach).
• Zeitliches Auftreten, Häufigkeit (seit wann, allmählich, plötzlich, Nacht-,
Dauer-, Morgenschmerz, nur ab und zu, wie oft).
• Lokalisation und Ausstrahlung (wo, wohin ausstrahlend) genau zeigen lassen,
Gelenke: mono-, polyartikulär, diffus, umschrieben; „tutto fa male“ (= „Ganz-
körperschmerz“).
• Qualität, Schmerzcharakter (stechend, brennend, dumpf, „elektrisierend“,
wandernd).
• Intensität (z. B. Schmerzskala von 0–10 verwenden).
• Verlauf, Begleitzeichen (akut, chron., intermittierend, zunehmend, beschwer-
defreie Intervalle).
• Begleitumstände (abhängig von Tageszeit, Haltung; Spontan-, Belastungs-
schmerz; Husten-, Niesschmerz).
• Intensivierende und lindernde Faktoren erfragen.
• Funktionsstörungen (z. B. Strümpfe anziehen nicht möglich, Gehstrecke be-
grenzt, Gelenkblockierungen), Miktion und Defäkation?
• Bisherige Ther.? Schmerzmittelbedarf? Erfolg?
• Persönliche Anamnese: Frühere Erkr., Unfälle (Unfallmechanismus), OPs,
Risikofaktoren, KO bei früheren OPs, Medikamente, Drogen, Allergien, Al-
6 kohol-, Tabakabusus.
• Familienanamnese: Z. B. Erbkrankheiten, Tumoren, Stoffwechselerkr., Hauterkr.
• Soziale Anamnese: Beruf (Analyse der Arbeitshaltung und -belastung), Ar-
beitslosigkeit, Sport, Familienstand, Rente, Rentenantrag, MdE (▶ 22.3.1),
Schwerbehindertenausweis, Kuraufenthalte.

6.2.3 Allgemeine orthopädische Untersuchung

Oft ist die erste Untersuchung entscheidend. Eine gründliche Untersuchung


ist besser als fünf oberflächliche.

• Handwerkszeug: Bandmaß, Reflexhammer mit Nadel, Winkelmesser, Stetho-


skop, Senkblei, Brettchen unterschiedlicher Dicke (0,5–5 cm).
• Kursorische allg. Krankenuntersuchung durchführen: zahlreiche Berührungs-
punkte mit anderen Fachbereichen (DD!): Haut, Schleimhäute, Herz, Kreis-
lauf, Lungen, Abdomen, Urogenitaltrakt, LK.

Inspektion (Stehen, Gehen, Liegen)


• Haltung, Körperlänge, Körperbau, Körperreife, Konstitutionstyp.
• AZ- und EZ, Alter erst schätzen und dann erfragen.
• Gebrauch des Körpers, der Extremitäten, Gelenkbewegungen, Kontrakturen.
  6.2 Orthopädische Diagnostik  153

• Gangbild: Normal oder pathologisch? Hinken (Schmerz-, Schon-, Verkür-


zungs-, Duchenne-, Versteifungs-, Insuffizienz-, Lähmungshinken), Ataxie,
Spastik, Einwärtsgang. Probleme beim Treppensteigen? Verwendung von
Gehhilfen? Einsatz von Prothesen?
• Deformitäten: Längenunterschiede, Asymmetrien, Achsenfehler?
• Haut: Farbe, Schwellung, Rötung, Ödeme, Narben, Fisteln, Pigmentierungen,
Tumoren?
• Atrophien, Lähmungen?
• Beurteilung von Prothesen, Orthesen, Hilfsmitteln (z. B. Passform, Ge-
brauchsspuren).

Palpation
Schmerzpunkte, Erguss, Schwellung, Hauttemperatur, Krepitation, Ödem, Tu-
mor, Zyste, Myogelosen, Muskeltonus, translatorische Gelenktests („Joint Play“).

Funktionelle Untersuchungen, Messungen


• Funktionsprüfungen: z. B. Finger-Boden-Abstand, Kniebeuge, Zehenspitzenstand.
• Gelenkbeweglichkeit nach der Neutral-Null-Methode: Wird von definierter Null-
Stellung gemessen = „anatomische Normalstellung“ (aufrechter, gerader Stand
mit hängenden Armen, ▶ Abb.  6.1, ▶ Abb.  6.2). Messung mit Winkelmesser bzw.
Abschätzen. Protokollierung: z. B. Kniegelenk (normal): Extension-Flexion:
5°/0°/140°. Flexionskontraktur von 40° (= Streckdefizit von 40°): 0°/40°/140°.
• Sitzgröße (Skoliosen).
• Beinlängenmessung, Umfangsmaße Extremitäten; Thorax (Morbus Bechterew).
Neurologische Untersuchung
• Motorik: Paresen (▶ Tab.  6.1), Atrophien, Spastik, Rigor, Muskelhypotonie?
• Sensibilität: Hypästhesie, Hypalgesie, Temperatur-, Vibrationsempfindung?
• Reflexe: Eigenreflexe (Bein: PSR, ASR; Arm: BSR, TSR, RPR → Ausfall, Seiten-
differenz?); Fremdreflexe (z. B. Bauchhautreflex); pathologische Reflexe (z. B. 6
Babinski, Klonus).
• Nervendehnungszeichen: Lasègue (Gradangabe, gekreuzt?), Bragard?
• Vegetativum: Blasen-, Mastdarm-, Genitalfunktion, Schweißsekretion?
• Koordination: Tremor, Ataxie? Romberg-Zeichen? Blindgang?
• Periphere Pulse: Aa. radialis, femoralis, poplitea, tibialis post., dorsalis pedis;
Gefäßstatus.
• Psyche: Psychische Auffälligkeiten? Glaubwürdige Beschwerden?
Tab.  6.1  Beurteilung der Muskelkraft
Grad Beurteilung Beschreibung

5 Normal Volles Bewegungsausmaß gegen starken Widerstand

4 Gut Volles Bewegungsausmaß gegen leichten Widerstand

3 Schwach Volles Bewegungsausmaß gegen die Schwerkraft

2 Sehr schwach Volles Bewegungsausmaß ohne Einwirkung der Schwerkraft

1 Spur Sicht-/tastbare Aktivität, Bewegungsausmaß nicht vollständig

0 Null Komplette Lähmung, keine Kontraktion

Zusatz: S = Spastizität, K = Kontraktur


154 6  Der operative Patient  

Normalwerte Schultergelenk
150 –170° 0° 70°
180°

90° 90° 40 – 60°


95°
40° 70°
0° 0° 20°– 40°
Außen-/Innenrotation
Extension/Flexion Abduktion/Adduktion
bei anliegendem bei um 90° seitwärts
40°/0°/150°– 170° 180°/0°/20°– 40° Oberarm angehobenem Oberarm
40 – 60°/0°/95° 70°/0°/70°

Normalwerte Ellenbogengelenk Normalwerte Handgelenk

90° 0° 0°

30 – 60° 50 – 60° 25 – 35° 30 – 40°


150°
150° 0°
10° 80 – 90° 80 – 90°

Extension/Flexion Unterarmdrehung Dorsalextension/ Ulnarabduktion/


10°/0°/150° auswärts/einwärts Palmarflexion Radialabduktion
80–90°/0°/80–90° 35 – 60°/0°/50 – 60° 30 – 40°/0°/25 – 30°

Abb.  6.1  Bewegungsausmaße obere Extremität [L106]

6 6.2.4 Konsile

Grundsätzlich exakte Fragestellung auf Konsiliarschein; kurze, präzise Infor-


mationen zu Anamnese, Leitsymptomen und bisheriger Diagn. Am besten ist
das Gespräch mit dem Konsiliar. Unterlagen sollten bereitliegen.

• Innere, Neurologie, Anästhesie: Am häufigsten in der Orthopädie, besonders mit


den Fragestellungen weitere DD, weitere apparative Untersuchungen, Therapie-
vorschlag, Übernahme des Pat., präop. Status, Stellungnahme zur OP-Fähigkeit.
• Augenheilkunde: z. B. bei Schiefhals (okuläre Genese), Ausschluss einer Irido-
zyklitis bei juveniler rheumatischer Arthritis (▶ 16.8.3), Morbus Bechterew
(▶ 16.8.4).
• Psychosomatik, Psychiatrie: psychosomatische Krankheitsbilder, prä- und
postop. psychische Reaktionen, Psychosen (▶ 19).
• Pädiatrie: z. B. bei Fehlbildungssy., Stoffwechselerkr., Tumoren.
• Urologie: z. B. bei Harnabflussstörungen, Tumoren, Dialysepat.
• Gynäkologie: z. B. bei endokrinologischen Erkr., Osteoporose, Tumoren.
  6.2 Orthopädische Diagnostik  155

Normalwerte Hüftgelenk 130 – 140°


30 – 40°
40 – 50°

6
30 – 40° 40 – 50°

Außenrotation/Innenrotation 15°

bei gestrecktem bei um 90° gebeugtem
Hüftgelenk Hüftgelenk Extension/Flexion
40 – 50°/0°/30 – 40° 40 – 50°/0°/30 – 40° 15°/0°/130 – 140°

Abb.  6.2  Bewegungsausmaße untere Extremität [L106]


156 6  Der operative Patient  

6.3 OP-Vorbereitung
Steffen Breusch, Hans Mau und Helmut Küpper

6.3.1 Empfehlungen zur Patientenaufklärung


• Selbstbestimmungsrecht: Die Aufklärung des Pat. im persönlichen Gespräch
und in verständlicher Weise ist die Voraussetzung für die Einwilligung in je-
den diagn. oder ther. Eingriff in die körperl. Integrität.
• Ziel der Aufklärung: Entscheidungsfindung (für oder gegen Eingriff) des Pat.
in Kenntnis der Notwendigkeit (Nutzen ↔ Risiko), Dringlichkeit, aber auch
Tragweite des Eingriffs. Wichtig: Realistische Ergebnisse in Aussicht stellen.
Dauer der Erholung nach Eingriff besprechen.
• Das Aufklärungsgespräch muss durch den Arzt erfolgen.
• Zeitpunkt: Bei Wahleingriffen Pat. nie später als am Vortag der OP aufklären.
Ausnahme: kleine ambulante Eingriffe, Notfälle.
• Pflichtinhalte: Es muss eine Aufklärung stattfinden über:
– Diagnose (Befinden des Pat. jedoch berücksichtigen, z. B. Tumorpat.).
– Verlauf: Art, Umfang des Eingriffs, Folgen, Erfolgschancen.
– Risiken: Typische allg. (z. B. Inf., Wundheilungsstörung, Gefäß- bzw. Ner-
venverletzung, Thromboembolien) und OP-spezifische Risiken.
– Fremdblut: Inf.-Risiko (Hepatitis, HIV).
– Eigenblut: Kaum noch indiziert oder relevant (▶ 6.7.3).
• Umfang: Wird bestimmt von der zeitlichen und sachlichen Notwendigkeit
des Eingriffs. Bei dem häufigsten Fall des Wahleingriffs in der Orthopädie gel-
ten relativ strenge Maßstäbe zur Aufklärung.
• Minderjährige: Einwilligung von den Eltern – grundsätzlich von beiden El-
ternteilen oder Sorgeberechtigten – ist notwendig. Bei kleineren Eingriffen
darf sich der Arzt auf die Ermächtigung des anderen, nicht erschienenen El-
6 ternteils, ungefragt verlassen. Bei größeren Eingriffen jedoch muss sich der
Arzt der Zustimmung beider Elternteile vergewissern.
• Ausländer: Bei deutlichen Verständigungsproblemen → Dolmetscher. Doku-
mentation!
• Nicht einwilligungsfähige Pat.: Vormundschaftsgericht einschalten (außer
Notfalleingriff).
• Dokumentation: Inhalt und Umfang mit Datum in Akte oder auf Aufklä-
rungsbogen (Zeichnungen sind vorteilhaft). Die schriftliche Einwilligungser-
klärung des Pat. muss vorliegen, ausgenommen bei Lebensgefahr oder hoher
Dringlichkeit bzw. wenn der Pat. nicht ansprechbar ist.
• Vorgedruckte Merkblätter verbessern die Pat.-Aufklärung, ersetzen jedoch
nicht das persönliche Aufklärungsgespräch.

Die Beweislast über eine erfolgte Aufklärung liegt beim Arzt.

6.3.2 Checkliste zur OP-Vorbereitung


OP:
• Rö: Liegen aktuelle, aussagekräftige Bilder der richtigen Seite und Lokalisation vor?
• Pat. mit Rö-Bildern dem Chef oder zumindest Oberarzt vorgestellt? Unklar-
heiten? Fragen? OP-Taktik klar?
  6.4 Stationsmanagement, Organisation  157

• Seitenmarkierung auf Haut: Richtige Seite markiert?


• OP-Zeichnung: Z. B. bei TEP → Hüfte (Bestimmen der Pfannen- und Schaft-
größe); Umstellungsosteotomien → Knie, Hüfte; Verlängerungsosteotomie.
Patient:
• OP-Fähigkeit im Zweifelsfall mit Anästhesist oder Internist rechtzeitig klären
(Konsil).
• OP-Einwilligung unterschrieben vorliegend (Narkose und OP)?
• Blutkonserven/Eigenblut: Wenn Pat. präop. Eigenblut (▶ 6.7.3) gespendet hat,
auf Verfallsdatum der Konserven achten. Sonst rechtzeitig ausreichend Blut-
konserven bestellen, frisches Kreuzblut bei Bedarf (▶ 6.7.2).
• Labor: Aktuelle Labordaten, pathol. Werte? Grund, um Pat. von OP abzuset-
zen? Rücksprache notwendig?
• Plavix oder Marcumar → 5–7 Tage vor OP absetzen.
• Am Abend vorher nochmals zum Pat. gehen. Fragen beantworten (auch psy-
chologisch wichtig).

6.4 Stationsmanagement, Organisation
Michael Clarius, Hans Mau und Steffen Breusch

6.4.1  Stationsmanagement

Zusammenarbeit (Teamwork) und Kommunikation im Klinikalltag verbes-


sern → reibungslosere klin. Arbeit. Zeitersparnis: Effektiveres Arbeiten durch
bessere Organisation, Koordination und Planung. Erwerb von Vertrauen bei
Pat. und Personal durch korrektes ärztliches Verhalten.

6
Visiten
Stationsvisite
• Allgemeines: Die tägliche Stationsvisite ist Hauptkontaktmöglichkeit zwi-
schen Pat. und Arzt. Daher sehr aufmerksam sein. An KO denken.
• Zeiteinteilung: Visite vormittags machen. In operativen Häusern jedoch oft
nicht möglich.
• Gespräch: „Pat.-zentrierte Visitenführung“, damit der Pat. bei Visiten zu Wort
kommt. Das Informationsbedürfnis des Pat. (und des Personals) ist zu be-
rücksichtigen. Zeitintensive und persönliche Gespräche sowie eingehende
Untersuchungen gehören nicht zur Visite. Führung eines Pat. muss man ler-
nen; sie ist Voraussetzung für Mitarbeit des Pat.
• Pat.: Subjektives Befinden, Mobilisation. Medikamente, aktueller (veränder-
ter) Status, Hb, KO, Fieber, Wunde, Verband, DMS, Drainagen, Infusionsther.,
Wasserlassen, Stuhlgang o. B., Nachsorge?
• Personal: In die Visite einbeziehen; auf seine Beobachtungen Wert legen.
• Verhalten: Keine Zurechtweisung von Mitarbeitern vor Pat. Kein Herumkom-
mandieren. Selbstkontrolle bewahren. Auf angemessenen Ton achten. Ver-
meiden von medizinischen Diskussionen am Krankenbett.
• Anordnungen: Neue Rö-Bilder (postop. Bild bei allen Osteosynthesen, Implan-
taten)? Absetzen oder Ansetzen von Medikamenten? Weitere Diagn.? Anwei-
sungen für Pat.? Verhaltensmaßregeln? Organisatorische Hinweise? Entlassung?
158 6  Der operative Patient  

• Dokumentation: Im Kurvenblatt bei den jeweiligen Visiten tgl. handschriftli-


che, leserliche Einträge. Bei KO oder Besonderheiten exakte und ausführliche
leserliche Dokumentation (mit Uhrzeit) sehr wichtig (evtl. Schadensersatzfor-
derungen; ▶ 6.5).
• Verbände: Verbandswechsel (▶ 3.1.1). Als Stationsarzt und Operateur – wenn
immer möglich – ersten Verbandswechsel selbst machen.
• Rechtzeitig Weiterversorgung einleiten (z. B. AHB, Heimplatz, häusliche Ver-
sorgung).
Chefarzt-, Oberarztvisite
• Gute Vorbereitung (Rö-Bilder, Pat.-Daten, Verlauf, Prozedere). Wichtige Befun-
de muss man im Kopf haben. Evtl. Notizen auf kleinen Zettel („DIN-A-Chef“).
• Vorstellen eines Pat.: Beschränkung auf das Wesentliche. Angaben sachlich,
exakt und klar, z. B.: „Herr XY, 1. postop. Tag nach zementfreier TEP re Hüf-
te. Komplikationsloser Verlauf. Voll mobilisiert. Geplant ist die Entlassung in
4 Tagen in die AHB“. Rö-Bilder zeigen.
• Gezielte Fragen stellen zum weiteren Prozedere bei Unklarheiten.
Perioperative Organisation
• Verantwortlich für Aufklärung und OP-Vorbereitung ist der Stationsarzt/
Operateur.
• 
Operateur muss Pat. kennen und sich um die ordnungsgemäße und sachge-
rechte Durchführung der OP kümmern: Lagerung, OP-Ablauf, postop. Kont-
rolle auf Wachstation.
• Geeignete Assistenten für OP gewinnen, „Premieren-OPs“ von erfahrenen
Operateuren assistieren lassen.

Tipps für den Operateur zur OP-Planung


• Organisatorische Absprachen mit nicht zu OPs eingeteilten Stationskol-
6 legen treffen (z. B. Telefonate, Unterlagen, Gipse, Verordnungen).
• Gute Planung, intraop. Arbeitsschritte präop. überlegen. Gerade als An-
fänger die OP in Gedanken durchspielen. „Hausaufgaben“ machen: Li-
teraturstudium; Anatomie einprägen.
• OP-Zeichnungen: z. B. für TEP Hüfte, Umstellungen.
• Bei seltenen OP-Techniken, besonderem Instrumentarium, Abwei-
chung von Standardverfahren: mit OP-Personal absprechen. Vor OP
überprüfen, ob Instrumentarium, Osteosynthesematerial bzw. Implan-
tate vorhanden.
• Histologie: Wichtig bei BG-Pat. (Meniskus, Sehnenruptur); bei Tumo-
ren ggf. Schnellschnitt anmelden.
• Pat.-Vorstellung: Oberarzt oder Chef: Ind. korrekt? OP-Verfahren? In-
dividuelle OP-Taktik?
• Narkose- und OP-Fähigkeit sicher gegeben? Kontrolle z. B. von Labor-
daten. Evtl. Rücksprache mit Anästhesist.
• Absetzen oder Verschieben des Pat.: baldige Meldung an Dienst haben-
den Oberarzt.

Postoperative Pflichten:
• OP-Bericht gleich nach OP erstellen.
• Klin. und Rö-Kontrolle durch Operateur, Dienstarzt sowie Stationsarzt auf
(Wach-)Station. Auf Nachblutung, neurol. Störungen sowie Durchblutung
  6.4 Stationsmanagement, Organisation  159

achten. Gipskontrolle („Patient im Gips hat immer Recht“), Dokumentation


(z. B. DMS ✓).
• Bei KO sofort zuständigen Oberarzt informieren (Kontrolle des Pat. vor Ver-
lassen der Klinik).
• Im Rahmen der postop. Betreuung sollte der Operateur, auch wenn er nicht der
zuständige Stationsarzt ist, mit dem Pat. fürsorglich in Kontakt bleiben und den
Verlauf zusätzlich überwachen. Dies gilt umso mehr, wenn KO eintreten.

Umgang mit Problempatienten, Angehörigen, Kollegen und Personal


Onkologische Patienten
Der Umgang mit diesen Pat. stellt hohe Ansprüche an alle Beteiligten. Die Einstel-
lung des Arztes gegenüber dem „Krebs“ sollte optimistisch sein. Dem Pat. nicht
ausweichen.
Aufklärungsstrategie:
• Überwiegende Meinung ist, den Pat. über seine Erkr. und die Ther. aufzuklä-
ren (Gründe: Mündigkeit, Kooperation für Ther., juristische Aspekte, Verar-
beitung der Erkr.); von der Mehrzahl der Pat. wird dies auch gewünscht.
• Information mit entsprechendem Einfühlungsvermögen erst nach Erhalt des
histologischen Ergebnisses.
• Für die Aufklärung genügend Zeit einplanen und mit Pat. allein sprechen
(nicht vor anderen Pat.).
• Nie die Hoffnung auf Ther.-Möglichkeiten vernichten; keine konkreten prog-
nostischen Angaben machen (große individuelle Schwankungsbreite).
• Für Pat. immer gesprächsbereit bleiben und Zuwendung signalisieren; meh-
rere vertrauensvolle Gespräche Pat.–Arzt(–Familie) sind nötig. Die Verarbei-
tung der Erkr. ist ein längerer Prozess.
• Informationen schrittweise in verständlichen Worten geben, evtl. nicht im-
mer die ganze Wahrheit sagen.
Psychisch auffällige Patienten 6
Psychosomatische Erkr. ▶ 19.
Querulant: versucht, sein (meist falsch beurteiltes) Recht ohne Rücksicht auf an-
dere oft in maßloser Weise durchzusetzen. Er berichtet u. a. über Fehldiagnosen
von Kollegen, falsche oder zu späte Behandlung → geschicktes Verhalten notwen-
dig, von Beginn an objektiv bleiben und nicht werten.
Simulant: täuscht einen Krankheitszustand vor. Meist werden schwer objektivier-
bare Beschwerden angegeben: z. B. Kopfschmerz, Kreuzschmerz, Schwindel. Die
Beschwerden müssen jedoch immer ernst genommen werden, nach einer organi-
schen Erkr. ist zu forschen. Bei unauffälligem Befund können widersprüchliche
Tests unter Ablenkung des Pat. den V. a. Simulation bzw. Zweifel an den Be-
schwerden aufkommen lassen, z. B. Lasègue positiv, aber im Langsitz Finger-Ze-
hen-Abstand nahe 0 cm. Angemessene Reaktion: Erkennen der Hilfsbedürftigkeit
des Pat., Berücksichtigen der persönlichen Situation, des sozialen Umfelds.
Angehörige
• Sachlich informieren. Bei Beschwerden bewusst ruhig und sachlich bleiben,
sich nicht einschüchtern lassen.
• Bei sehr schwierigen Gesprächen zuständigen Oberarzt hinzubitten.
• In Einzelfällen Rücksprache mit Angehörigen suchen, insbes. bei Problempat.
(Hintergrundinformationen).
• Klärung und Organisation der Nachsorge rechtzeitig vor Entlassung.
160 6  Der operative Patient  

Personal
Pflegepersonal
• In Fragen der Organisation und auch in praktischen medizinischen Dingen
erfahrenes Stationspersonal um Meinung oder Rat fragen. Sie kennen den Ab-
lauf auf Station am besten. Teamarbeit, partnerschaftliche Zusammenarbeit!
• Injektionen, Infusionen sowie Blutentnahmen und -transfusionen sind Aufga-
ben des Arztes. Zum Aufgabenbereich des Krankenpflegepersonals gehört die
Vorbereitung dieser Maßnahmen.
• Die Durchführung von i. m.- und s. c.-Spritzen sowie Blutabnahmen kann der
Arzt einer qualifizierten Krankenpflegeperson übertragen.
• Personal unterrichten. Konkrete medizinische Sachverhalte näherbringen
(z. B. bei Visite). Interne Fortbildungen organisieren.
• Regelmäßige Stationskonferenz mit Pflegepersonal organisieren. Gute Kom-
munikation ist essenziell.
Krankengymnasten
Sollte man bitten, sich an den Visiten zu beteiligen. Über Behandlungsfortschritte
oder -probleme informieren. Nützlich: Sich KG-Techniken aneignen.
Kollegen
Oberarzt
• Jeden neuen Pat. dem zuständigen Oberarzt vorstellen.
• Oberarztvisite 1- bis 2-mal/Wo. Problempat. werden gesondert vorgestellt.
Die diagn. und ther. Maßnahmen werden insbes. in schwierigen Fällen über-
wacht. Der Oberarzt ist erste Anlaufstelle für Probleme und Fragen, die auf
Station oder im Funktionsbereich auftreten.
Einweisende Ärzte
• Wert legen auf gute Zusammenarbeit und Informationsfluss, Kollegialität.
6 • Arztbriefe rechtzeitig erstellen.
• Keine überheblichen oder negativen Aussagen über Diagnosen und bisherige
Ther. behandelnder Ärzte.
• Bei Unklarheiten und Schwierigkeiten Rückmeldung im Interesse des Pat.
und einer guten Zusammenarbeit.
• Nach Pat.-Entlassung meist Weiterbetreuung durch niedergelassenen Kolle-
gen/Orthopäden. Eine ambulante Wiedereinbestellung individuell handha-
ben.

Bettenplanung
Eine optimale Bettenplanung erfordert einen vollständigen aktuellen Überblick
über die Stationsbelegung sowie die Abschätzung der Heilverläufe.

Tipps
• Mit Schwestern Bettenplanung absprechen.
• Entlassungstermine bei mittleren und großen OPs bei Aufnahme oder
3–5 d vor der geplanten Entlassung festlegen. Das ist nicht immer
möglich. Notfälle, KO machen eine sicher scheinende Planung oft
­zunichte.
  6.4 Stationsmanagement, Organisation  161

• Pat. rechtzeitig über Entlassungs- oder Verlegungstermin informieren.


Pat. bzw. Angehörige müssen häusliche Angelegenheiten rechtzeitig re-
geln können.
• Rechtzeitig AHB oder Verlegung in Nachsorgekliniken einleiten. Termi-
ne für Verlegungen müssen oft Wo. im Voraus geklärt sein. Gehfähig-
keit sollte gegeben sein. Guter Kontakt zu Sozialdienstmitarbeitern ist
wichtig.

Entlassung, Verlegung und Beurlaubung des Patienten


• Entlassungsuntersuchung durchführen und dokumentieren.
• Entlassungspapiere (Kurzbrief) am Tag vor der Entlassung schreiben.
• Abschlussgespräch: NB, Arbeitsfähigkeit, Verhaltensmaßregeln (Schule,
Sport, Beruf, Privatleben). Evtl. Umschulung, Berufswahl? Wiedervorstellung
(prinzipiell in Ambulanz; nicht auf Station wiedereinbestellen). Reha-Maß-
nahmen, AHB.
• Soziale Situation (Angehörige) und Weiterversorgung klären. Transport,
Fahrtüchtigkeit, Medikamente, Sozialstation, Gemeindeschwester, Hausarzt-
kontakt, Verlegungsbericht, Krankmeldung. Rezept ausschreiben?
• Entlassung gegen ärztlichen Rat: Pat. aufklären. Unterschreiben lassen.
• Behandlung erfolglos: Offenes Gespräch. Tipp: Auch andere Meinungen hö-
ren.
• Beurlaubung: Nur gegen Unterschrift.
• Verlegung: Wichtige Unterlagen, evtl. Rö-Bilder (Kopie, CD) mitgeben. Ver-
legungsbericht mit Prozedere.

Rezepte
• Name (mit Vorname!), Anschrift, Telefonnummer, Berufsbezeichnung des
Verschreibenden (Stempel). Datum.
• Kürzel „Rp“ (lat. recipe = verschreibe) ist üblich, jedoch nicht vorgeschrieben. 6
• Name des Arzneimittels, Arzneiform (z. B. Tbl., Supp., Drg., Tr., Salbe).
• Menge: (z. B. 1 mg) pro abgeteilter Arzneiform und Stückzahl. N1: kleinste
Packung, für Behandlung von Erkr. mit kurzer Dauer; N2: mittlere Verlaufs-
dauer; N3: für Dauerther.
• Ggf. Anweisungen zur Herstellung für den Apotheker, z. B. für Salben.
• Anweisungen zur Einnahme, z. B. 3 × tgl.
• Name, Vorname, Geburtsdatum und Adresse des Pat. (Versichertenkarte).
• Vorgedruckte Formulare: Nur für Krankenkassen- und BtM-Rezepte vorge-
schrieben.

Betäubungsmittel (BtM)

Nur bei zwingender Ind. verschreiben. Aber: „Verordnungsschwelle Bt-


MVV-Rezept“ darf nicht von der Verordnung starker Schmerzmittel z. B. bei
Tumorschmerzen abhalten.

• Liste der BtMVV-pflichtigen Medikamente z. B. in den violetten Seiten der


„Roten Liste“.
• Es darf für einen Pat. nur 1 BtM/d verschrieben werden, in begründeten Ein-
zelfällen auch Verschreibung von 2 BtM an einem Tag.
162 6  Der operative Patient  

• Die in der BtMVV (bzw. „Roten Liste“) dokumentierte Höchstmenge darf bis
zum 2-Fachen, in außergewöhnlichen Fällen bis zum 4-Fachen überschritten
werden, der eigenhändige, handschriftliche Vermerk „Menge ärztlich be-
gründet!“ entfällt.
• Über die angeführten Punkte hinaus müssen die BtM-Menge pro Packungs-
einheit (in g oder mg) und die Stückzahl (in arabischen Ziffern und in Wor-
ten wiederholt) handschriftlich vom Arzt angegeben werden.
• Ferner muss vermerkt sein, für wie viele Tage verschrieben wird sowie Ein-
nahmehäufigkeit und -menge („Signatur“).
• Datum muss nicht mehr handschriftlich angegeben werden.
• Verbleib des BtM ist auf Karteikarten nach amtlichem Formblatt nachzuwei-
sen. Dies muss vom Arzt (z. B. dem Stationsarzt) mind. 1 × monatlich über-
prüft werden. Die Unterlagen sind 3 J. aufzubewahren.
• Anforderung des 3-teiligen amtlichen Formulars (bei Erstanforderung Appro-
bationsurkunde beilegen): Bundesopiumstelle im Bundesinstitut für Arznei­
mittel und Medizinprodukte, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, D-53175 Bonn,
Tel.: +49 (0)228 99-307-0, www.bfarm.de/DE/BfArM/BfArM-node.html.

6.4.2 Nachtdienst
Probleme im Nachtdienst und auf Station ▶ 5.
• Besonderheiten auf Stationen (Problempat.)? Vor dem Wochenende z. B.
über gefährdete Pat. berichten (lassen).
• Unklare Fälle: Erfahreneren Kollegen hinzuziehen, evtl. Oberarzt verständigen.
• Orientierung über Örtlichkeiten, Formularwesen, Standort des Notfallkoffers.
Reanimation „trocken“ üben. Eigene Fähigkeiten realistisch einschätzen.
• Kontrolle frisch operierter Pat.: DMS, Nachblutung, Schmerzen.
• Kontrollgang: Gegen 22:00–23:00 Uhr nochmals über alle Stationen gehen
und nach Besonderheiten fragen. Man spart sich evtl. einige Wege in der
6 Nacht.
• Im Zweifelsfall sich nicht nur telefonisch informieren lassen oder telefonisch
Anweisungen geben. Besser: Nach Pat. schauen.
• Morgenbesprechung: Über Besonderheiten berichten, z. B. OP-Planänderung,
KO, OP-Zeichnungen, Pat., die sich zur Kontrolle nochmals vorstellen werden.
• Arztbriefe schreiben. Schreibtisch aufräumen.
• Notfall-OPs.

6.5 Dokumentation
Hans Mau und Steffen Breusch

Allgemeines
• Dokumentationspflicht: Eintrag bzw. Diktat für Krankenblatt (Aufnahmebe-
fund, Diagn. mit Befundung, Ther., OP-Bericht, Verlauf, Epikrise). Kurz fas-
sen. Hierbei schon an den späteren Arztbrief denken.
• Gesetzliche Vorschrift ist die Kodierung der Hauptdiagnose anhand DRGs.
• EDV-unterstützte Dokumentation in medizinischen Bereichen. Forderung:
standardisierte (prospektive) Datenerfassung in Klinikroutine (integriertes
Konzept, basierend auf Daten- und Prozessmodellen; Client-Server-Prinzip
usw.).
  6.5 Dokumentation  163

Dokumentation
• Befunde, die nicht aufgeschrieben werden, sind verlorene Befunde.
• Qualität statt Quantität der Information! Wichtige Informationen her-
ausstellen, überflüssige Details streichen; gelungene Skizzen sagen oft
mehr als lange Sätze.
• Objektivität, klare, präzise, kurze Sätze; keine persönlichen Bemerkun-
gen.
• Verlaufsdokumentation (mit Datum, evtl. mit Uhrzeit).

Untersuchungsbögen
Mit standardisierten Untersuchungsbögen lassen sich ca. 70 % der orthop. Erkr.
im Routinebetrieb erfassen. Sie sollen einem sinnvollen Untersuchungsgang mit
wenigen Positionswechseln entsprechen. Die Bögen eignen sich insbes. für An-
fänger und Gutachten. Für eine strukturierte Datenerfassung sind an manchen
Kliniken EDV-gerechte Untersuchungsbögen eingeführt. Dieser Trend wird zu-
nehmen („elektronisches Krankenblatt“).
Fotografie, Film, Video, Zeichnungen
• Fotografie: Wichtiges Dokumentationsmittel. Neben Lehre und
­Forschung ist die Pat.-Fotografie wichtig in der Klinikroutine zur Doku-
mentation des individuellen Krankheitsfalls z. B. prä-/postop., Wunden,
für Gutachten.
• Zeichnungen: Meist für OP-Planungen. Intraop. Befunde (sofern nicht foto-
grafiert), Umrisszeichnungen (z. B. Beinachsendeformitäten bei KI → Verlauf,
spart Rö-Aufnahme).
• Filme, Video: Selten in der Klinikroutine. Wissenschaftliche Dokumentation.
• Digitale Bilder: Bieten sich heute an; praktisch auch für das elektronische
Krankenblatt.
6
Operationsbericht
Standardisierte OP-Berichte einzelner Krankheitsbilder:
• Personalien, Diagn., OP (mit z. B. ICD- und DRG-Schlüssel).
• Evtl. Angaben zur Ind.-Stellung (hilfreich bei Nachfragen, Gutachten, wissen-
schaftlichen Auswertungen).
• Bericht: Kurze stichwortartige Sätze, Befund präzise beschreiben. Besonder-
heiten und intraop. KO darlegen.
• Besonderheiten: Präparat an Pathologie (bei Knochenerkr. unbedingt mit Rö-
Bild), Abstrich an Hygiene, intraop. Fotografie.
• NB: Unsicherheiten vorbeugen, indem auf Standards in der Klinik verwiesen
wird. Bei Abweichung möglichst präzise Angaben machen (z. B. Dauer der
Entlastung, wann Mobilisation, Gipswechsel, Antibiotikather.).

Arztbrief
• Aufgabe eines Arztbriefs: Information und Dokumentation. Epikrise für
Krankenblatt.
• Schulung des klin. Denkens sowie „Visitenkarte“ der Klinik und des Briefau-
tors.
• Knappe und präzise Darstellung des Wesentlichen im Interesse der Zeit aller
Beteiligten. Ein Drei-Seiten-Brief in der Orthopädie ist in seltensten Fällen
nötig. Bemühen um guten Stil, Klarheit, Logik.
164 6  Der operative Patient  

• Übermittlungsdauer Arztbrief: Goldene Regel → Arztbrief am Entlassungstag


diktieren. Hier ist die Erinnerung noch frisch.
• Vorläufiger Arztbrief: Stichwortartig wichtige Informationen, v. a. über die NB.
Aufbau eines Arztbriefs
• Anschrift, Absender, Telefon, Datum. Anschrift Empfänger (einweisender
Kollege, mitbehandelnde Kollegen).
• Bezug: Pat.-Daten, Untersuchungsdatum, Dauer des stationären Aufent-
halts.
• Anrede.
• Diagnose: Ausführlich, evtl. mit Angabe von Ätiologie und Ausmaß.
• Therapie, OPs am …
• Anamnese, klinischer Befund (objektive Befunddarstellungen, keine Wer-
tungen, Telegrammstil).
• Apparative Diagn. und Konsiliaruntersuchungen zusammenfassend beur-
teilen, nicht wörtlich zitieren.
• Beurteilung, Wertung und Auswahl der Daten. Begründung der Diagnose
oder Verdachtsdiagnose und Ind. zur OP.
• Ther. und Verlauf. Ther.-Erfolg.
• Weiterbehandlung, evtl. vorsichtige Aussage über Progn., insbes. wenn
mit Pat. besprochen. Medikamente? Aufklärung? Wiedervorstellung? Ar-
beitsfähigkeit? Weitere geplante Maßnahmen?
• Grußformel, Unterschrift.
• Umfang: ca. 1 Seite.
Beispiel
Sehr geehrte(r) Frau Kollegin/Herr Kollege,
wir berichten über oben genannten Patienten, der sich vom … bis … in unserer
stationären Behandlung befand.
6 Diagnose: Prim. Koxarthrose li
Therapie: Hüft-TEP links (zementiert) am …
Der Patient wurde stationär aufgenommen zur TEP aufgrund einer klin. und
röntgenologisch eindeutigen Koxarthrose.
Der postop. Verlauf war komplikationslos bei prim. Wundheilung. Das postop.
Röntgenbild zeigte einen regelrechten Sitz der Prothese. Der Patient konnte pro-
grammgemäß in üblicher Weise unter krankengymnastischer Anleitung mobili-
siert werden. Die AHB ist eingeleitet.
Belastungsform zuletzt: Vollbelastung.
Letzte Medikation: …
Kontrollbedürftige Laborwerte: …
Therapieempfehlung: Weiterhin Krankengymnastik mit Gangschulung. Vollbela-
stung. Wiedervorstellung in Ambulanz nur bei Besonderheiten erbeten.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Unterschriften
  6.6 Präoperative Phase  165

6.6 Präoperative Phase
Johanna Michel, Hans Mau und Steffen Breusch

6.6.1 OP-Indikationsstellung
Aufklärung über eine OP ▶ 6.3.1.

Indikation nach Dringlichkeit


Die meisten orthop. Eingriffe sind elektive Eingriffe und daher planbar. Die Ind.-
Stellung zu diesen elektiven Eingriffen ist immer individuell. Daher Wartezeit auf
einen elektiven Eingriff nutzen:
• Klärung und Einschätzung von OP-Risiko und kardiopulmonaler Belastbar-
keit bei älteren, häufig polymorbiden Pat.
• Ggf. Optimierung der medikamentösen Grundeinstellung (z. B. Antihyper-
tensiva, Koronartherapeutika).
• Hinweis auf schonende Gewichtsreduktion bei starker Adipositas mit dem
Ziel der Risikoreduktion durch präop. Vorbehandlung.
• Ggf. Eigenblutspende (▶ 6.7.3).
Patientenvorbereitung
Die Dringlichkeit des operativen Eingriffs (▶ Tab.  6.2) bzw. vitale Beeinträchtigung
des Pat. ist entscheidend für Planung und Vorbereitung des Pat. vor einer OP.

Tab.  6.2  Einteilung der Dringlichkeit operativer Eingriffe


Dringlichkeitsstufe Art des operativen Eingriffs

I (Minuten) Lebensrettende Soforteingriffe (z. B. akute Blutung)


6
II (Stunden) Dringliche, nicht geplante Eingriffe (z. B. Ileus, Frakturen)

III (Tage/Wochen) Bedingt dringliche, geplante Eingriffe (z. B. Malignome, diagn.)

IV (Monate/Jahre) Nicht dringliche, geplante Eingriffe (z. B. korrigierende Eingriffe)

Indikationen nach therapeutischen Alternativen


• Absolut: z. B. zunehmender Querschnitt.
• Relativ: Weitester Indikationsbereich, z. B. schwere Skoliosen, Umstel-
lungsosteotomien.
• Diagn.: z. B. bei V. a. Malignom.
• Prophylaktisch: z. B. bei schweren Genua vara oder valga im Wachstumalter.
• Kosmetisch: Im Allgemeinen keine oder relative OP-Indikation, selten z. B.
Hallux valgus, ohne Beschwerden (▶ 13.3.37).

6.6.2 Allgemeine präoperative Maßnahmen


• Thromboseprophylaxe ▶ 24.3.
• Physiother.: z. B. Atemtherapie, Gangschulung (▶ 20.2.3), Hinweise auf Fuß-
und Beinbewegungsübungen zur Thromboseprophylaxe (▶ 20.1.4).
166 6  Der operative Patient  

• Hypovolämieausgleich insbes. bei älteren Pat.: Wenn keine ausreichende


Trinkmenge → venöser Zugang, Flüssigkeitszufuhr.
• Vorabend vor OP: Darmentleerung durch Einlauf oder Klysma, Thrombose-
prophylaxe präop. selten indiziert (▶ 24.3.2), Nikotinkarenz.
• Vor Transport in OP: Harnblase entleeren lassen. Zahnprothesen, Hörgeräte
entfernen und aufbewahren. Evtl. venöser Zugang. Rechtzeitig (1–2 h vorher)
Sedativum (oral) verabreichen. Rasur vermeiden oder auf Inzisionsgebiet be-
schränken, am besten unmittelbar vor OP mit sofortiger Hautdesinfektion
durchführen.

6.6.3 Routineuntersuchungen
Laboruntersuchungen
Alle Untersuchungsbefunde sollten i. A. nicht älter als 2 Wo. sein. Präop. Labor-
untersuchungen nicht einheitlich. Minimum: Hb, Hkt, BZ, Na+, K+, INR, PTT,
Thrombos, Krea, GFR, CRP. Standarduntersuchungen und ihre Interpretation:
• Hämoglobin < 8 g/dl: Relative KI für größeren elektiven Eingriff. Dann ggf.
auftransfundieren (▶ 6.7). Bei Niereninsuffizienz Hb bis etwa 7 g/dl akzeptabel.
• Blutgruppenbestimmung: Kreuzproben ▶ 6.7.5.
• Serumprotein (Gesamteiweiß 6–8 g/dl): Bei Albumingehalt < 3 g/dl präop.
Substitution erwägen. Hypalbuminämie: Gefahr einer maskierten Hypovolä-
mie; Hinweis auf vermehrte interstitielle Wasseransammlung; evtl. Störungen
des pulmonalen Gasaustauschs, Wundheilungsstörungen und Darmparalysen.
• E'lyte: Na+, K+. Präop. Ther. mit Diuretika, Digitalispräparaten, exzessive
Darmspülungen (oder Laxanzienabusus) interferieren mit E'lyten. Hypokaliä-
mie kann Herzrhythmusstörungen auslösen.

Leitsätze für Kaliumzufuhr bei Hypokaliämie


6 Serumkaliumspiegel < 3,5 mmol/l, < 4 mmol/l bei digitalisiertem Pat.: Meist
über einige Tage 40–80 mmol Kalium/d p. o. (z. B. Kalinor® Brausetbl.) oder
i. v.-Substitution präop. 10–20 mmol/h. Cave: Überwachungspflichtig.

• Glukose im Serum: Mind. ab mittelgroßen Eingriffen. Bei Nüchternwert >


100 mg/dl → Tagesprofil. HbA1c bei Diabetikern hilfreich. Orale Antidiabetika
vor OP-Tag absetzen (cave: Lactatazidose: z. B. Metformin).
• Transaminasen: Lebererkr. Erhöhen das perioperative Risiko, Abklärung er-
forderlich. Kreatinin: orientierende Untersuchung der Nierenfunktion. GFR
hilfreich.
• Gerinnungsparameter: INR (Quick; Norm: 0,8–1,2 bzw. 70–120 %), PTT
(Norm 35–40 Sek.), Thrombozytenzahl (Norm 150.000–400.000/μl). Bei
Langzeiteinnahme von Thrombozytenaggregationshemmern (Ticlopedin,
Clopidogrel, Prasugrel, ASS) oder Thrombin- und Faktor-Xa-Inhibitoren
(Dabigatran, Rivaroxaban, Fondaparinux, Argatroban) präop. Medikations-
pause nach Rücksprache mit Kardiologen (Stent? Stenttyp? Drug Eluting?).
Blutungszeit bestimmen. ASS nicht absetzen bei kardialen Risikopatienten
(cave: erhöhte kardiale Morbitität).

EKG und Röntgen-Thorax


EKG: Routinemäßig je nach Alter → klinikinterne Regelung, i. d. R. ab 50. Lj. oder
bei V. a. kardiale Erkr., Hyperthyreose.
  6.6 Präoperative Phase  167

Rö-Thorax: Indikation umstritten, indiziert bei V. a. Herz-Kreislauf-Erkr. bzw.


bronchopulmonale Erkr. bzw. bei Risikopat. Zur Vorbereitung thoraxchirurg.
Eingriffe unerlässlich.

6.6.4 Zusatzuntersuchungen und -maßnahmen


Lungenfunktion
Ind. z. B. bei thorakalen Eingriffen, Skoliose-OP oder entsprechender Anamnese
mit pulmonalen Vorerkr. (Pneumonie, Atelektase, Allergie, Nikotinabusus).
„Kleine Spirometrie“: Vitalkapazität (VC) und forciertes Exspirationsvolumen
(FEV1). FEV1 ist der beste spirometrische Parameter für den Schweregrad einer
obstruktiven Lungenerkr. und die pulmonale Reserve (sehr kritisch sind FEV1-
Werte < 0,8 l bzw. < 35 % der VC → hohes Risiko postop., Ateminsuffizienz, nor-
mal > 2 l oder 75 % der VC).

Blutgasanalyse (BGA)
Technik: Entnahme von Vollblut mit heparinisierter Spritze. Art. Punktion an A.
radialis oder femoralis. Spritze sofort verschließen, da Luftbläschen die Messwerte
verfälschen. Punktionsstelle mehrere Min. komprimieren (Nachblutung!).
• Normalwerte unter Raumluft:
– pO2 art. 70–100 mmHg, .
– pCO2 art. 35–45 mmHg.
– O2-Sättigung art. 95–98 %.
• Hyperkapnie (art.).
– pCO2 > 45 mmHg: leichte CO2-Retention.
– pCO2 > 70 mmHg: schwere CO2-Retention.
• Säure-Basen-Parameter (art.):
– pH-Wert: 7,35–7,45.
– Base Excess –2 bis +2 mmol/l
6
Normaler art. pO2 und normale art. O2-Sättigung schließen eine Gewebe­
hypoxie nicht aus (z. B. bei erniedrigtem Hb).

Laboruntersuchungen
Schilddrüsenparameter, Medikamentenspiegel bei entsprechender Grunderkran-
kung.

Gerinnungsstatus
Fibrinogenkonz. (Norm 200–400 mg/dl), Thrombinzeit (TZ) 17–22 Sek., Anti-
thrombin (AT) (Norm 70–100 %), Thromboplastinzeit nach Quick (70–120 %),
INR 0,8–1,2, D-Dimere < 0,5 μg/ml.

6.6.5 Der Risikopatient
Kardiovaskuläre Erkrankungen
Anamnese: Belastungsdyspnoe, Orthopnoe, Knöchelödeme, Nykturien, Steno-
kardien geben wertvolle Hinweise auf die kardiale Leistungsfähigkeit.
Myokardinfarkt: In den ersten 4–6 Wo. nach Myokardinfarkt sowie bei instabiler
Angina pectoris elektive Eingriffe kontraindiziert. Wahleingriffe frühestens nach
168 6  Der operative Patient  

3 Mon. Nach 3 J. allerdings ist das Reinfarktrisiko nicht größer als bei gleichaltri-
gen Pat. ohne vorausgegangenen Infarkt. Invasives Monitoring (postop. intensiv-
medizinische Betreuung).
Herzinsuffizienz: Schweregradeinteilung nach NYHA I-IV
Dekompensierte Herzinsuff.: Absolute KI für jeden elektiven Eingriff.
Z. n. Stent: Cave „Drug Eluting Stent“. Eventuell kann elektiver Eingriff für 1 Jahr
nicht durchgeführt werden. Rücksprache mit Kardiologen. Erhöhtes Risiko einer
akuten Stent-Thrombose.
Arrhythmien: als Risikofaktoren unterschiedlich zu bewerten. Sinusarrhythmien
und supraventrikuläre Extrasystolie von weit geringerer Bedeutung als die ventri-
kuläre Extrasystolie. Antiarrhythmische Therapie sollte auch am OP-Tag fortge-
führt werden. E'lytstörung vermeiden. Herzschrittmacher überprüfen auf Kom-
patibilität mit Diathermie/Elektrokauter.
Herzvitien: Klin. Untersuchung der Belastbarkeit und Klassifizierung nach NYHA,
bei Kunstklappen „Bridging Anticoagulation“ indiziert. Antikoagulanzien unter He-
parinschutz mehrere Tage vor OP absetzen, bis INR < 1,5, letzte Heparingabe 12 h
präop.; Fortsetzen der oralen Antikoagulation i. d. R. am ersten Tag nach dem Eingriff.
Hypertonie (▶ 5.2.2): Erheblicher periop. Risikofaktor aufgrund Blutdrucklabili-
tät, Hypovolämie, Gefahr hypertensiver Krisen, Arrhythmien. Blutdruckwerte auf
jeden Fall prästationär normalisieren. Antihypertensive Medikamente präop.
nicht absetzen (Ausnahme: ACE-Inhibitoren bei Niereninsuff.).
KHK (auch ▶ 5.7): Verminderung der koronaren Durchblutungsreserve → deutl.
erhöhtes Risiko eines periop. Infarkts gegenüber Gesunden.
Angina-pectoris-Anfall unmittelbar vor OP: Absetzen von OP-Plan, Infarktdiagn.
(EKG, Enzyme Troponin I und T, Gesamt-CK, CK-MB-Anteil), Echokardiografie.
Endokarditisprophylaxe bei orthopädischen aseptischen Operationen: Laut
Leitlinien der Dt. Gesellschaft für Kardiologie nicht mehr indiziert. Falls trotzdem
erforderlich: Einzeldosis 30–60 min vor dem Eingriff:
• Erwachsene:
6 – Amoxicillin 2 g p. o. Wenn orale Einnahme nicht möglich Ampicillin 2 g i. v.
– Penicillin- od. Ampicillinallergie: Clindamycin 600 mg p. o., wenn orale
Einnahme nicht möglich Clindamycin 600 mg i. v. oder Clarithromycin
500 mg p. o.
• Kinder:
– Amoxicillin 50 mg/kg p. o. Wenn orale Einnahme nicht möglich: Ampicil-
lin 50 mg/kg i. v.
– Penicillin- od. Ampicillinallergie: Clindamycin 20 mg/kg p. o., wenn orale
Einnahme nicht möglich 20 mg/kg i. v.

Perioperative Maßnahmen
Vermeiden von Stress mit erhöhtem O2-Verbrauch durch gute Prämedikation,
schonende Ein- und Ausleitung der Narkose sowie gute Abschirmung gegen-
über Schmerzreizen. Nachbeatmung bei langer OP-Dauer und großer Volu-
menverschiebung.

Nierenerkrankungen
Regionale Anästhesieverfahren bei Gerinnungswerten im Normalbereich bevorzugen!
Terminale Niereninsuffizienz (dialysepflichtige Pat.): Zeitliche Planung des Ein-
griffs sehr wichtig. Letzte präop. Dialyse 12–24 h vor der geplanten OP. Danach
sofort neue Laborwerte. Bes. Augenmerk auf Serumkalium (max. 5,5–6,5 mmol/l).
Flüssigkeitsbedarf/24 h: Restdiurese + 500 ml 0,9 % NaCl-Lösung (▶ 6.10).
  6.6 Präoperative Phase  169

Postop. Dialyse: Zeitpunkt wird vom Serumkalium und vom extrazellulären Vo-
lumen bestimmt. Häufig niedriges Hb bei sonst asymptomatischen Pat. aufgrund
der langen Adaptationszeit akzeptabel.
Chron. Niereninsuffizienz: Führt zu arterieller Hypertonie, Linksherzinsuffizi-
enz, KHK, Anämie, Polyneuropathie. Antihypertensiva nicht absetzen.
Akutes Nierenversagen: Extrazelluläres Volumen konstant halten und ausrei-
chend infundieren, besonders bei Beginn der diuretischen Phase der akuten, tu-
bulären Nekrose (prärenale Komponente, Hypotonie, Hypovolämie ausschlie-
ßen). OP verschieben bis zur Stabilisierung der Nierenfunktion.

Diabetes mellitus
Präop. Befund: BZ-Tagesprofil, Nüchtern-BZ, HbA1c, E'lyte evtl. internistisches
Konsil (Diabetes-Einstellung optimieren). Nierenfunktion und kardiovaskuläres
System hinsichtlich Mikro- und Makroangiopathie, KHK beachten. (Relative) KI
für planbare Eingriffe: Nüchtern-BZ < 60 mg/dl oder > 300 mg/dl.OP-Risiken:
Entgleisung des Diab. mell., diabet. Ketoazidose, Hypoglykämie, Risiko für
Wundheilungsstörungen ↑.
Perioperatives Vorgehen:
• Nichtinsulinpfl. Diab. mell.: orale Antidiabetika am Vortag der OP absetzen.
Bei BZ > 200–300 mg/dl 4–8 IE Normalinsulin als Bolus i. v.
• Insulinpfl. Diab. mell.: Reduktion der abendlichen Insulindosis auf die Hälfte
od. 2/3. OP-Tag: Insulindosis an BZ anpassen: Z. B. 100 ml Glukose 10 %
+Normalinsulin-Perfusor. Wenn BZ > 250 mg/dl 4–8 IE Altinsulin als Bolus
i. v., engmaschige Kontrolle von BZ und Kalium, evtl. Kaliumsubstitution.
Oberer BZ-Grenzwert: 200 mg/dl (▶ 5.3).

Funktionsstörungen der Schilddrüse


Anzustreben ist eine euthyreote Stoffwechsellage. Wesentlich für die Beurteilung
ist jedoch die klin. Situation. Elektive Eingriffe nur in euthyreotem Zustand.
Hyperthyreose vor elektiven Eingriffen medikamentös bis zur Euthyreose behan- 6
deln (Möglichkeit einer intraop. thyreotoxischen Krise). Ggf. ausführliche endo-
krinologische Diagn.

Thromboseneigung
Thromboseprophylaxe auch ▶  24.3, Lungenembolie ▶  5.8.2, tiefe Beinvenen-
thrombose ▶ 5.8.

Jeder Pat. sollte eine individuelle Risiko-Nutzen-Analyse erhalten (nicht


nur präop., sondern auch regelmäßig postop.). Kein blindes Routinever-
schreiben! Die meisten Thrombosen sind asymptomatisch. Die meisten Pat.
versterben nicht an der Lungenembolie, sondern an MI, Apoplex oder
Pneumonie. Auch durch chemische Thromboembolieprophylaxe wird die
Gesamtmortalitätsrate nicht gesenkt. Blutungs- vs. VTE-Risiko („Safety vs.
Efficacy“) insbesondere in der Endoprothetik. Die wichtigste, oft vergesse-
ne aber evidenzbasierte Prävention ist mechanisch (Muskelpumpe, Foot
Pumps, Frühmobilisation).

Prädisposition
• Prädisponierende Faktoren: Familienanamnese (10-fach erhöhtes Risiko),
Venenerkr., Herzinsuff., höheres Alter, weibliches Geschlecht, Übergewicht,
170 6  Der operative Patient  

Immobilisierung, maligne Tumoren, Inf.-Krankheiten, hämatologische Erkr.,


Dehydratation, nephrotisches Sy., Medikamente (orale Kontrazeptiva, Anta-
gonisten von Antikoagulanzien), Rauchen.
• Laborbefunde, die auf eine Prädisposition zur Thrombose hinweisen:
– Gesteigerte Gerinnungsbereitschaft: INR ↓ (Quick ↑), Fibrinogen ↑, PTT
auffallend kurz (< 25 Sek.).
– Aktive Gerinnungs- und Fibrinolyseprozesse: Fibrinspaltprodukte ↑ und
PTT kurz.
– Ungenügende Hemmung der Gerinnungskaskade: Anti-Thrombin-III-
Aktivität ↓ (< 70 %).
– Thrombozytenzahl > 400.000/mm3, Hkt > 50 %.

Bronchopulmonale Erkrankungen
Akute und chron. Lungenerkr. lassen das periop. Risiko deutlich ansteigen.
Raucher: Risiko postop. pulmonaler KO nach größeren Eingriffen 6-mal höher
als bei Nichtrauchern.
Obstruktive Funktionsstörungen, Asthma bronchiale: Besserung durch prästa-
tionäre physio- und inhalationstherapeutische Maßnahmen (gezielte Atemgym-
nastik, Erlernen von effektivem Tiefatmen oder Husten, Einstellen des Rauchens,
Sanierung eines Atemwegsinfekts, Sekretmobilisierung). Antiobstruktive Medika-
tion periop. weiterführen.
Skoliosepat. (▶ 10.6.9): Funktionseinschränkungen i. d. R. kompensiert, Quantifi-
zierung dieser Funktionseinschränkungen dient der Orientierung für evtl. postop.
auftretende Probleme.

Perioperative Maßnahmen
Bei chron. obstruktiven Lungenerkr. präop. Rauchen einstellen. Stressab-
schirmung, gezielte Antibiotikather. akuter pulmonaler Infekte. Antiobst-
ruktive Ther. mit inhalativen Bronchodilatatoren, β2-Sympathomimetika,
6 inhalativen Glukokortikoiden, evtl. zusätzlich Theophyllin p. o., Atemgym-
nastik ▶ 20.1.

Thromboseprophylaxe
• Physikalisch (alle Pat.!): Frühmobilisation, Hochlagern der Beine bzw. US,
Fußgymnastik mit Aktivierung der Wadenmuskelpumpe (▶ 20.1.4), Foot
Pumps (Wirksamkeit erwiesen, Level-1C-Evidenz), Thromboseprophylaxe
Strümpfe bei richtiger Anwendung (Level-2C-Evidenz), Mobilisation.
• Medikamentös (auch ▶ 24.3): Wichtig bei größeren Eingriffen bei Pat. ohne
oder geringem Blutungsrisiko. Bisheriger Standard: niedermolekulare Hepari-
ne (Vorteil: lange Erfahrung, kurze HWZ), ASS 150 mg (hohes Sicherheits-
profil!), Kumarine, orale Faktor-X-Inhibitoren (cave: kein Antagonist bei Blu-
tung) oder Thrombinhemmer (alle Level-1B-Evidenz: Beste aktuelle Leitlinie
ACCP [Chest 2012]).

Empfehlung: Erst > 12 h postop. beginnen, da sonst zu hohe Blutungsgefahr


(Level 1B).

Infektionsprophylaxe mit Antibiotika


• Ind.: Bei allen Endoprothesenimplantationen („Single Shot“ oder 3–4
Dosen periop. in den ersten 24 h, Norwegen-Register, SIGN guidelines),
  6.6 Präoperative Phase  171

größeren Knocheneingriffen und Gelenkeröffnungen, bei größeren WS-


OPs.
• Antibiotika: z. B. Cefazolin (Gramaxin®), Cefuroxim (Zinazef®). Bei zusätzli-
chem Endokarditisrisiko: Ampicillin + Gentamycin oder Clindamycin +
Gentamycin.
• Appl.: I. d. R. einmalig vor OP-Beginn bzw. vor Anlegen einer Blutsperre. Bei
OP > 3 h und hohem Blutverlust (> 1–1,5 l) zweite Dosis, z. B. 2–3 h nach der
Erstgabe. In der Routine-Endoprothetik haben periop. 3 Dosen innerhalb 24
h größeres Sicherheitsprofil als „Single Shot“ (Norwegenregister). Nur in be-
gründeten Ausnahmen (z. B. Diabetes, Immunsuppression, sehr langen OP-
Zeiten, bekanntem Infekt) über mehrere Tage fortführen.

6.6.6 Anästhesie
Grundlagen
Prinzipien und Techniken wie in anderen operativen Disziplinen. Allerdings häu-
figer Kinder und geriatrische Pat., daher qualitativ hohe und sichere Anästhesie
erforderlich. Spezielle anästhesiologische Betreuung bei Pat. mit einem seltenen
Syndrom oder einer orthop. Grunderkr., die auch anästhesiologische Belange be-
rührt (z. B. extreme Skoliosen).

Prämedikationsvisite
Zeitpunkt
Spätestens 1 Tag präop., damit evtl. notwendige diagn. oder ther. Maßnahmen
noch möglich sind.
Ziele
• Einschätzung des körperl. und psychischen Zustands des Pat.
• Einstufung des Anästhesierisikos. 6
• Aufklärung und Beratung über die möglichen Anästhesieverfahren.
• Auswahl des Anästhesieverfahrens.
• Einholung des Einverständnisses des Pat.
• Verminderung von Angst und Aufregung.
• Verordnung der Prämedikation.
Zustand des Patienten
Eingehende Anamnese: Vor allem im Hinblick auf Herz, Kreislauf, Lungen, Nie-
ren, Leber, ZNS, Blutgerinnungssystem, Allergien, durchgeführte Narkosen und
OPs sowie dabei aufgetretene KO, auch bei Blutsverwandten. Medikamentenana-
mnese, Schwangerschaft und Zahnprothesen. Vorbereitete Anamnese- und Auf-
klärungsbögen benutzen.
Untersuchung: Auskultation von Herz und Lungen, Messung von RR und Herz-
frequenz, Inspektion und Palpation von peripheren Venen und evtl. Arterien, Be-
urteilung von Zahnstatus und Kiefergelenken, Messung von Körpertemperatur,
-gewicht und -größe durch das Pflegepersonal.
Anästhesierisiko
Einstufung in der operativen Orthopädie besonders wichtig. Objektivierung ist durch
Scores und Risiko-Checklisten möglich (z. B. ASA-, NYHA-Risikogruppen, CCS-
Klassifikation), zusätzlich zur Beurteilung des Gesamtrisikos eines Einzelnen auch Art
und Dauer der OP erfassen. Daher Risiko individuell einstufen und Voruntersu-
chungsergebnisse und Begleitumstände berücksichtigen.
172 6  Der operative Patient  

Die wichtigsten risikoerhöhenden Faktoren sind:


• Erkr. des Herz-Kreislauf-Systems: bes. KHK und manifeste Herzinsuff.
(▶ 6.6.5).
• Lungenerkr. (▶ 6.6.5).
• Art des Eingriffs: erhöhtes Risiko bei Zweihöhlen- und Notfalleingriffen.
• Dauer und Art der OP.
• Alter des Pat.: Alte Pat. durch risikoerhöhende Begleiterkr. sowie Kinder im
1. Lj.
Insgesamt ist die anästhesiebedingte Mortalität sehr gering und beträgt etwa 1–2 :
10.000.
Aufklärung und Einwilligung des Patienten
Eine verständliche Aufklärung über das konkrete anästhesiologische Vorgehen
vermindert Angst und Aufregung wesentlich! Dazu gehören:
• Beginn der Nahrungskarenz.
• Wozu, wann, welche Prämedikation.
• Maßnahmen im Einleitungsraum.
• Ablauf der Anästhesie.
• Anästhesieverfahren (spezielle Risiken, z. B. Nervenschaden bei Nervenblo-
ckaden), Vor- und Nachteile von mögl. Verfahren.
• Postop. Maßnahmen (z. B. ausreichende Analgesie, PCA).
Auf alle Ängste des Pat. gezielt eingehen (häufig größere Angst vor der Anäs-
thesie als vor der OP). Sie können i. d. R. durch eine aufmerksame, verständnis-
volle und geduldige Aufklärung vermindert oder sogar ausgeräumt werden.
Diese psychologische Vorbereitung wird durch die Prämedikation ergänzt.

Aufklärung: Juristisch erfüllt jede Form der Anästhesie den Tatbestand der Körper-
verletzung, die nur gerechtfertigt ist, wenn der Pat. dazu wirksam eingewilligt hat.
6 Grundvoraussetzung für eine wirksame Einwilligung ist es, dass der Pat. alle für die
Entscheidung maßgeblichen und relevanten Gesichtspunkte kennt. Der Anästhesist
muss den Pat. also über alle für die OP möglichen Anästhesieverfahren mit ihren
Vorteilen und Risiken aufklären. Den Umfang der Aufklärung bestimmt allein der
Pat. (vom Verzicht auf Information bis Erörterung aller nur denkbaren Details).
Über den Rahmen der Aufklärung ist der aufklärende Anästhesist beweispflichtig.
Einwilligung: Am Ende des Aufklärungsgesprächs steht die ausdrückliche Einwilli-
gung des Pat. zu den festgelegten anästhesiologischen Maßnahmen. Ist der Pat. dazu
nicht selbst in der Lage, muss die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eingeholt
bzw. durch zeitweilige Entmündigung mit formlosem Antrag beim zuständigen
Amtsgericht erwirkt werden. Ist dieses bei dringlichen Eingriffen nicht kurzfristig zu
erreichen, wird nach dem mutmaßlichen Willen des Pat. entschieden.
Vetorecht des Pat.: Falls der Pat. im vollen Verständnis der Tragweite seiner Ent-
scheidung und im Vollbesitz seiner Verstandeskräfte einen lebensrettenden Eingriff
ablehnt (z. B. weltanschauliche oder religiöse Gründe), ist dies bindend für den Arzt.
Auswahl des Anästhesieverfahrens
Grundsätzlich das Anästhesieverfahren auswählen, das für den Pat. das höchste
Maß an Sicherheit bietet. Soweit keine KI vorliegen, Wünsche des Pat. unbedingt
berücksichtigen. Wichtigste Kriterien für die Auswahl sind:
• Geplante OP:
– OPs in der Körperperipherie: Regionalanästhesie, v. a. wenn Pat. zusätz-
lich nicht nüchtern ist.
  6.6 Präoperative Phase  173

– Wirbelsäulen-OPs: Allgemeinanalgesie.
– Große OPs an Abdomen, Thorax oder Kopf: Allgemeinanästhesie.
– Länger dauernde OPs in Seiten-, Bauch- oder Kopftieflage: Allgemeinan-
ästhesie.
– Hüft- und Knieendoprothetik kann in der überwiegenden Mehrzahl in
Spinal- oder Epiduralanästhesie durchgeführt werden (Blutverlust ↓,
Thromboembolierisiko ↓).
– Bestehende oder zu erwartende schwerwiegende Beeinträchtigung des
Gesamtorganismus: Allgemeinanästhesie.
• Begleiterkrankungen:
– Pulmonale Erkr.: Regionalanästhesie, wenn nicht vitale Einschränkung
besteht oder die Analgesiehöhe das 9. Thorakalsegment überschreiten
muss.
– Schwere kardiale Erkr.: Allgemeinanästhesie, v. a. wenn die Kompensati-
onsmechanismen auf die bei der Regionalanästhesie eintretende periphere
Vasodilatation eingeschränkt sind.
! Volumenmangel und Blutgerinnungsstörungen: absolute KI für die Regi-
onalanästhesie.
• Kooperationsfähigkeit des Pat.:
– Mangelnde Kooperation des Pat.: KI für die Regionalanästhesie.
– Kinder: Allgemeinanästhesie, bei Bedarf Komb. mit Regionalanästhesie.
• Andere Kriterien:
– Sehr kurze Eingriffe: Allgemeinanästhesie (Maskennarkose).
– Not-OP bei nicht nüchternem Pat.: Regionalanästhesie, wenn möglich.
– Ambulante Anästhesie: Regionale Verfahren bevorzugen.

Prämedikation
Definition
Präop. Medikation, durch die der Pat. entspannt, angstfrei, sediert, aber erweck-
bar und kooperativ zur Anästhesieeinleitung gelangt. Bessere Befindlichkeit (psy- 6
chische Vorbereitung), erleichtert Anästhesieeinleitung und vermindert Bedarf
an Anästhetika.
Weitereinnahme bisheriger Medikamente auch am OP-Morgen. Ausnahmen:
orale Antidiabetika (▶ 6.6.5), MAO-Hemmer, trizyklische Antidepressiva und ge-
rinnungshemmende Medikamente (▶ 6.6.3).
Medikamente zur Prämedikation
Benzodiazepine
• Wirkung: Anxiolytisch, sedativ, hypnotisch, amnestisch, zentral muskelrela-
xierend, antikonvulsiv.
• Nachteile: Keine Analgesie, lange Wirkdauer, unsichere Resorption außer
Midazolam.
• Vorteile: Große therapeutische Breite, da schwache atemdepressive Wirkung
und geringe Beeinflussung der Herz-Kreislauf-Funktion. Dosierung: 1–2 Std.
vor dem Eingriff Midazolam 3,75–7,5 mg p. o. (z. B. Dormicum®), Kinder:
0,5 mg/kg KG rektal oder 0,4 mg/kg KG p. o., am Vorabend Flunitrazepam
1–2 mg p. o. (Rohypnol®), Lorazepam 2–4 mg (Tavor®) p. o.
• KI: schwere COPD, Schlafapnoe-Syndrom, Myasthenia gravis.
174 6  Der operative Patient  

Anticholinergika (Parasympatholytika)
• Ind.: Prophylaxe und Behandlung von vagalen Reflexbradykardien bzw. über-
mäßiger Speichel- und Bronchialsekretion, Hemmung der unerwünschten
NW der Cholinesterasehemmer während der Antagonisierung von Muskelre-
laxanzien.
• Bei allen drei Ind. werden die Anticholinergika gezielt i. v. eingesetzt.
• Dosierung: Atropin 0,01 mg/kg KG.
H2-Rezeptorenblocker
• Ind.: Senkung des Magensaft-pH vor dringlichen Eingriffen, geburtshilflichen
Eingriffen, Refluxkrankheit und vor langen Maskennarkosen, bei allergischer
Diathese in Komb. mit H1-Blockern.
• Dosierung: Cimetidin (H2-Blocker) 200 mg i. v. oder Ranitidin 50 mg iv. oder
150–300 mg p. o. abends.
H1-Rezeptorenblocker
• Ind.: allergische Diathese.
• Dosierung: Dimetinden (Fenistil®) 4–8 mg i v.
Protonenpumpenhemmer
• Ind.: H2-Rezeptorenblocker.
• Dosierung: Omeprazol (Antra®) oder Pantoprazol (Pantozol®) 20 mg p. o.
Applikation, Dokumentation und Überwachung der Prämedikation
Appl. grundsätzlich i. v., s. c., oral oder rektal möglich:
• i. v.: nur bei Notfalleingriffen, um die schnelle und sichere Wirkung zu garan-
tieren.
• Oral: Standard-Appl., langsamerer Wirkungsbeginn, Wirkung aber über län-
gere Zeit konstant.
• S. c.: nur wenn orale Gabe kontraindiziert oder aus technischen Gründen
nicht möglich ist.
6 • Rektal: Kinderprämedikation.
Die Prämedikation wird mit Angabe von Medikament, Zeitpunkt und Verabrei-
chungsform genau dokumentiert. Der prämedizierte Pat. muss überwacht wer-
den, er darf nicht mehr ohne Begleitung aufstehen.

Nahrungskarenz
Bei elektiven Eingriffen muss eine Nahrungskarenz von 6 h, bei Säuglingen
und Kleinkindern von 4 h, für feste Nahrung bzw. Milch (auch Bonbon, Kau-
gummi o. ä.) eingehalten werden. Klare Flüssigkeit (Mineralwasser, Tee) 1–2
Gläser/Tassen bis zu 2 h vor der Anästhesie.

6.7 Bluttransfusionen
6.7.1 Indikation
Steffen Breusch, Helmut Küpper und Hans Mau
• Bei orthop.-traumatologischen Pat. gelegentlich indiziert (▶ Tab.  6.3). Periop.
▶ 6.7.2, postop. Bluttransfusion ▶ 6.7.2, Transfusionsreaktion ▶ 6.7.7.
• Akute Blutung bei Trauma (z. B. Femurfraktur).
• Gastrointestinale Blutung.
  6.7 Bluttransfusionen  175

• Zeichen anäm. Hypoxie: z. B. neu aufgetretene kardiopulmonale oder neurol.


Symptome, Tachykardie, Rhythmusstörungen, Hypotonie unkl. Genese,
EKG-Veränderungen, Dyspnoe, Schwindel, reduzierte kognitive Funktion.

Tab.  6.3  Orientierungshilfe zur Gabe von EK


Hb-Wert (g/dl) Klinische Kriterien Transfusion

≤ 6 g/dl Unabhängig von kardiovaskulä- Ja; in Einzelfällen (junge,


ren Risikofaktoren oder Zeichen gesunde Pat.) nicht erfor-
anämischer Hypoxie derlich

> 6 und ≤ 8 g/dl Entweder kardiovask. Risikofakt. Ja (Evidenz: „sollte“)


oder Zeichen anäm. Hypoxie

> 8 und ≤ 10 g/dl Zeichen anäm. Hypoxie Schwache Evidenz


(„kann“)

> 10 g/dl Unabhängig davon, ob kardio- Nein; in Einzelfällen kön-


vask. Risikofakt. oder Zeichen nen Transfusionen erfor-
anäm. Hypoxie vorliegen derlich sein

Junge Pat. können bei Normovolämie z. T. sehr niedrige Hb-Werte (< 5–7 g/
dl) tolerieren. Zeigen sie auch bei Mobilisation keine Anämiesymptome (z. B.
Tachykardie, Übelkeit, Schwindel), ist keine Transfusion erforderlich! Im-
mer Hb in Zusammenschau mit Hkt beurteilen.
Rheumatiker sind häufig bereits präop. anämisch und tolerieren niedrigen
Hb meist gut. (Cave: gleichzeitige KHK).
Merke: Mittlerer Hb-Abfall nach Hüft-TEP und Knie-TEP ca. 2 g/dl (ohne
Cellsaver).

6
6.7.2 Bereitstellung von Blutkonserven
Helmut Küpper und Steffen Breusch

• Je umfassender der Eingriff, je gefäßreicher das OP-Gebiet (z. B. Tumo-


ren), je unerfahrener der Operateur, je älter der Pat., je mehr Vorerkran-
kungen, desto großzügigere Verwendung von Cellsaver und/oder Be-
reitstellung von Blutkonserven (▶ Tab.  6.4).
• Durch OP-Verfahren in Hypotension deutlich geringere Blutverluste
und niedrigere Transfusionsraten.
• Merke: Bei Hb > 12 g/dl und KG > 70 kg sehr niedriges Transfusionsrisi-
ko bei prim. Hüft- und Knie-TEP: < 5–10 % (wenn Spinalanästhesie).

• Irreguläre AK: Entstehen meist durch parenterale Sensibilisierung mit Erys


fremder Antigenstruktur (z. B. Bluttransfusion, Schwangerschaft). Können
während Transfusion lebensbedrohliche Reaktionen auslösen.
• Pat. ist über Hepatitis- und HIV-Risiko aufzuklären, wenn für Arzt intra-
oder postop. eine Bluttransfusion ernsthaft in Betracht kommt (BGH-Urteil
vom 17.12.1991).
176 6  Der operative Patient  

• Strenge Ind.-Stellung für Blutpräparate und Plasmakomponenten.


• Bei elektiven OPs mit eingriffspezifischer Transfusionswahrscheinlichkeit > 10 %
(definiert z. B. durch hauseigene Daten) muss der Pat. auf die Möglichkeit einer
autologen Hämotherapie, z. B. Eigenblutspende, aufmerksam gemacht werden.
• Beim anämischen Pat. (z. B. RA) präop. Hb-Anhebung mit Erythropoetin er-
wägen. Anämische Rheumatiker tolerieren z. T. sehr niedrige Hb-Werte.

Tab.  6.4  Standards zur präop. Fremdblutanforderung


Diagnose Operation Anzahl EK

Eingriffe bei Kindern

Hüftdysplasie Derotations-Varisations- und Sal- 0–1


ter-Osteotomie

Coxa vara/valga Varisierungsosteotomie 0

Gibbus Kolumnotomie 3

Skoliose VDS 2

Dorsale Spondylodese langstreckig 4

Eingriffe bei Erwachsenen

Wahleingriffe

Koxarthrose TEP 0(–2)

TEP-Lockerung TEP-Wechsel 0(–6)

Hüftdysplasie Triple-Osteotomie 0–2

Coxa vara/valga Varisierungsosteotomie 0

6 Gonarthrose TEP 0(–2)

TEP-Lockerung Knie TEP-Wechsel 0(–2)

Omarthrose TEP 0

NPP Nukleotomie, Mikrodiskektomie 0

Spondylolisthesis Dorsale Spondylodese kurzstreckig 2

Skoliose Dorsale Spondylodese langstreckig 6

Tumoroperationen: Blutanforderung nach Maßgabe des Operateurs

Septische Operationen

Dekubitus Schwenklappen 0–2

Synovialitis Knie Synovialektomie (offen) 0(–2)

Infizierte TEP Knie/Hüfte TEP-Ausbau 2–6

Akuteingriffe/Frakturen

Hüftluxation Offene Reposition 0–2

Intraspinale Raumforderung Laminektomie/Hemilaminektomie 0–2

Schenkelhalsfraktur TEP 0–2


  6.7 Bluttransfusionen  177

Tab.  6.4  Standards zur präop. Fremdblutanforderung (Forts)


Diagnose Operation Anzahl EK

Akuteingriffe/Frakturen

Pertrochantäre Femurfraktur DHS/Winkelplatte/Nagel 0(–2)

Femurfraktur Plattenosteosynthese 0(–2)

Humerusfraktur Plattenosteosynthese 0(–2)

HWK-Fraktur Caspar-Platte, Beckenkammspan 0

BWK-Fraktur Dorsale Spondylodese 0(–2)

LWK-Fraktur Dorsale Spondylodese 0(–2)

6.7.3 Vermeiden von „Fremdblut“


Steffen Breusch und Helmut Küpper
Unterscheidung in
• Maßnahmen, die rechtzeitig vor dem operativen Eingriff eingeleitet werden
müssen (z. B. Eigenblutspende, Hb-Optimierung mit Eisenpräparaten u./od.
Erythropoetin),
• Maßnahmen, die direkt prä- oder intraoperativ durchgeführt werden können
(v. a. akute normovolämische Hämodilution, Autotransfusion, Narkosefüh-
rung, OP-Technik, pharmakologische Intervention, z. B. Tranexamsäure
­(10–15 mg/kg KG) usw.).
Wichtigste Maßnahmen: Toleranz der normovolämen Anämie, restriktive
Fremdblutgabe, sorgfältige chirurgische Technik.

Präoperative Eigenblutspende (EBS) 6


Heute nicht mehr routinemäßig zu empfehlen!

Ind.: Je nach Klinik sonst bei elektiven Eingriffen, bei denen ein Blutverlust
> 1.000 ml zu erwarten ist bzw. die Transfusionswahrscheinlichkeit > 10 % liegt.
OP muss im Zeitraum von 4–6 Wo. vorausplanbar sein. Intraop. Cellsaver (MAT,
s. u.) bei Eingriffen mit höherem Blutverlust bessere Alternative.
Spendetauglichkeit: In Abhängigkeit von den Vorerkr. erfolgreiche
­Eigenblutspenden auch bei Risikopat. (KHK, Schwangerschaft, hohes Alter)
nachgewiesen.
Kontraindikationen: Hb < 12 g/dl (relative KI), Leukos > 12.000/μl, frische Infek-
te mit evtl. hämatogener Streuung, infektiöse Magen-Darm-Erkr., fokale Infekte,
Myokardinfarkt < 3 Mon., instabile Angina pectoris, Herzinsuff. NYHA III–IV,
schwere Aortenklappenstenose, respiratorische Globalinsuff., schwere zerebrale
Durchblutungsstörungen.
Spende
• Umfang: orientiert sich am Ausgangs-Hb.
• Erste Spende etwa 4–5 Wo. vor der geplanten stationären Aufnahme. 1–2
Spenden im Abstand von 1 Wo. (Hkt nicht < 34 %!). Regeneration der ent-
nommenen Erys benötigt ca. 21–30 Tage.
178 6  Der operative Patient  

• Wie EK (mit Stabilisator, bei 4  °C erschütterungsfreie Lagerung).


• Vor der ersten EBS Anamnese, körperl. Untersuchung, Labor auf HIV-/Hep
B/C-Marker, Ausschluss von KI; vor jeder Spende: RR und Temp. messen,
Blutbild.
Eisensubstitution: 450 ml Blut ∼ Eisenverlust von 210–240 mg (6–9 % des Kör-
pereisenbestands beim Erw.). Medikamente: 300 mg/d (z. B. Ferro-Sanol-Duode-
nal®, Lösferon®). Gastrointestinale Begleiterscheinungen recht häufig (Magen-
schmerzen, Diarrhöen, Übelkeit und Obstipation).
Aufgabe des Ambulanzarztes: Auf die Möglichkeit der Eigenblutspende hinwei-
sen.
Nachteile: Risiken der Spende (vasovagale Reaktion, Anämie), administrativer
und logistischer Aufwand, Kosten (v. a. durch verworfene Einheiten), bakterielle
Kontamination.

Akute normovolämische Hämodilution (ANH)


Unmittelbar präop. wird in einem mit Stabilisatorlsg. vorgefüllten Blutbeutel Pat.-
Blut abgenommen. Als Volumenersatz wird die gleiche Menge kolloidaler Lsg.
zugeführt. Max. können 2 Einheiten Blut gewonnen werden.

Intra- und postoperative maschinelle Autotransfusion (MAT)


Def.: Retransfusion von gewaschenem Ery-Konzentrat, das aus dem im OP-Ge-
biet abgesaugten Blut mithilfe eines Cell-Savers (z. B. Haemonetics Cell-Saver® 4
und 5, Haemolite® 2 und 3), der die Erys wäscht und konzentriert, hergestellt
wird.
! KI: infektiöses OP-Gebiet (kontaminiertes Blut nicht vollständig von Bakteri-
en gereinigt); Tumorchirurgie, außer wenn das gewonnene Blut bestrahlt
wird (mögliche Metastasierung vermeiden, fragliche KI).
• Trotz konsequenten Einsatzes der Autotransfusion hoher Bedarf an homolo-
gen Ery-Konzentraten, z. B. beim TEP-Austausch Hüfte (▶ 13.1.6).
6
Postoperative Retransfusion von Drainageblut

Drainagen sind nach Evidenzlage i. d. R. nicht mehr routinemäßig indiziert


(keine Ind. bei Knie- oder Hüft-TEP, da höheres Transfusions- und Infektri-
siko).

Postop. Retransfusion von ungewaschenem Drainageblut wird wegen Gerin-


nungsaktivierung im Wundblut und Gefahr der Einschwemmung biolog. aktiver
Substanzen (Zytokine, Endotoxine) nicht mehr empfohlen. KI: Infekt oder Tu-
mor.

6.7.4 Blutpräparate und Plasmakomponenten


Helmut Küpper

▶ Tab.  6.5.
Bestrahlte Blutpräparate: Prophylaxe der „Graft-versus-Host“-Reaktion: Im-
munschwäche/Suppression, KM-Transplantation, extrem Frühgeborene.
CMV-AK-neg. Präparate: Hämotologisch-onkologische Pat. (CMV-AK-neg.),
Transplantations-Pat. (unabhängig vom CMV-Status), Säuglinge bis etwa 1 J.,
Schwangere (CMV-AK-neg., zur Vermeidung der intrauterinen Inf.).
  6.7 Bluttransfusionen  179

Tab.  6.5  Blutpräparate und Plasmakomponenten.


Produkt Beschreibung Indikationen, Bemerkungen

Ery-Konzentrat Durch Zentrifugation se- Routinetransfusion bei akutem Blut-


(EK) dimentierte Erys, Hkt ca. verlust, Blutungsanämie. Hb-Anstieg
80 %, ca. 250 ml, je nach ca. 1,0–1,5 g/dl pro EK. Geringe Im-
Stabilisator und Addi- munisierung gegen Leukos (HLA-
tivlsg. bis zu 7 Wo. bei System) möglich, febrile, nichthä-
4  °C lagerungsfähig, aber molytische Transfusionsreaktionen
Qualitätsverlust mit stei- durch antileukozytäre AK möglich.
gendem Alter. Buffycoat-
frei. Seit 2001 Filtration
zur Leukozytendepletion
gesetzlich vorgeschrieben

Gewaschenes EK Plasmaanteil weitgehend Bei Hyperkaliämie, Unverträglich-


durch mehrfaches Wa- keit von homologem Plasma (z. B.
schen mit 0,9 % NaCl ent- selektiver IgA-Defekt), autoimmun-
fernt. Verkürzt haltbar hämolytischer Anämie, paroxysma-
ler nächtlicher Hämoglobinurie

Thrombozyten- „Einfach-TK“ aus Voll- Ind. s. u., ggf. mit Spezialfilter leu-
konzentrat (TK) blutspende, ca. 0,5 × 1011 kozytenarm transfundieren bzw.
Thrombos in ca. 50 ml Zellseparator-Spender HLA-kompa-
Plasma tibel aussuchen

Thrombozyten- Zellseparator-TK: Ca. 2–4 Je nach Herstellungsart 5 d haltbar


hochkonzentrat × 1011 Thrombos in 200 ml bei Raumtemperatur und ständiger
Plasma Agitation. AK-Bildung!

Fresh Frozen 200–250 ml Citratplasma Bei erworbener Gerinnungsstörung,


­Plasma (FFP) (ca. 50 ml Stabilisator), be- z. B. Lebererkr., Verbrauchskoagulo-
inhaltet F II, VII, IX, X, XI, pathie, akute Blutung mit Massiv-
XII, XIII und hitzelabile F V transfusionen (▶ 6.7.5); bei Mangel
und VIII. 1 J. haltbar bei der Faktoren V, XI, vWF (keine Ein-
–30  °C. Auftauzeit 25 Min. zelpräparate verfügbar); wegen 6
bei 37  °C im Blutwärmer, Inf.-Restrisiko ungeeignet zum Vo-
dann baldige Transfusion lumenersatz

Faktor-VIII-Präpa- Kryopräzipitat, Faktor- Hämophilie A. Präop. Faktor-VIII-


rate VIII-Konzentrat Aktivität auf 80–100 % anheben

Antithrombinkon- 500 E/10 ml angereicher- Verbrauchskoagulopathie, Throm-


zentrate (AT III) tes Humanplasma. Lage- boseneigung. Normwert 80–100 %.
(u. a. Kybernin®, rung bei +2 bis +8  °C. Ge- Substitution bei < 60 %: Initialdosis
Atenativ®) brauchsfertige Lösung bis 1 E/kg × Defizit (%), alle 6 h ½ Initi-
12 h verwendbar, ohne aldosis bis zur Normalität. Kontrolle
Konservierungsmittel mehrmals tgl. TZ 2-mal/d kontrollie-
ren und auf das 2- bis 4-fache des
Normwerts (18–22 Sek.) anheben

PPSB Hochangereichert mit Kongenitaler Prothrombin- oder


Faktoren II (Prothrom- Faktor-X-Mangel, drohende oder be-
bin), VII (Proakzelerin), X drohliche Blutung bei Vit.-K-Mangel,
(Stuart-Power) und IX Vit.-K-Antagonisierung (Marcumar®)
(Antihämophiles oder Leberinsuff. Hämophilie B und
Globulin B) kongenitaler Faktor-VII-Mangel wer-
den primär mit entsprechenden Kon-
zentraten behandelt. Dos.: Er-
wünschter Quickwertanstieg × kg KG
× ½ (Vit.-K-Mangel) bzw. × ⅔ (Leber-
insuff.). Simultane Vit.-K-Gabe
180 6  Der operative Patient  

Tab.  6.5  Blutpräparate und Plasmakomponenten (Forts.)


Produkt Beschreibung Indikationen, Bemerkungen

Albumin 5 % (iso- Plasmapräzipitat; enthält 5-prozentig als Plasmaexpander nur


onkotisch), 20 % keine Gerinnungsfakto- bei Säuglingen und Frühgeborenen.
ren, Sauerstoffträger Bei Hypalbuminämie HA 20 %, bei
oder AK Verbrennungen 5 % (nicht in den
ersten 24 h)

6.7.5 Vorgehen bei Bluttransfusion


Steffen Breusch und Helmut Küpper

Zuerst und bei unklarer Diagnose immer Kristalloide verabreichen.

Prätransfusionelle Untersuchungen
ABO- und Rhesus-Blutgruppenbestimmung, AK-Suchtest
10 ml Nativblut, Röhrchen mit Vorname, Nachname und Geburtsdatum kenn-
zeichnen. Die Differenzierung evtl. vorliegender irregulärer AK und die Bereit-
stellung entsprechender Konserven benötigen Zeit, daher bei nicht dringlichen
Transfusionen (geplante OP) Material frühzeitig einsenden.

Der Arzt trägt die Verantwortung für Vollständigkeit der Begleitpapiere und
Identität des Materials.

Kreuzprobe
6 Die serologische Verträglichkeitsprobe ist unerlässlich vor jeder Bluttransfusion.
5–10 ml Nativblut (nicht älter als 72 h), für weitere Bluttransfusionen muss 72 h
nach der letzten Transfusion jeweils frisches Kreuzblut abgenommen werden zur
Erfassung möglicher AK-Bildung; vor mehr als 3 d durchgeführte Kreuzproben
verlieren ihre Gültigkeit.

Durchführung der Transfusion


Normale Transfusion
• Dokumentation der Ind. (Hb-Wert, Klinik, andauernde Blutverluste etc.).
• Übereinstimmung von Konservennummer, angegebenem Empfänger und
Blutgruppenbefund sowie Verfallsdatum (Unversehrtheit der Konserve, auch
Verfärbung, Hämolyse) persönlich überprüfen.
• Konserve umgehend transfundieren. Nur bei Neugeborenen, Massivtransfu-
sionen und Kälte-AK Durchlauferwärmer mit speziellen Heizspiralen ver-
wenden (max. 37  °C, sonst Eiweißdenaturierung).
• Peripher-venöser Zugang (z. B. Braunüle® Nr. 20 G); keine Medikamente zu-
setzen: Außer 0,9 % NaCl-Lösung darf nichts im Zugang laufen. Immer
Transfusionsbesteck mit Filter verwenden.
• Bedside-Test zur Sicherung der AB0-Identität des Empfängers ist obligat vor
der Transfusion am Pat.-Bett durchzuführen und die Konserve nicht mehr
vom Pat. zu entfernen.
  6.7 Bluttransfusionen  181

• Transfusion muss durch den Arzt eingeleitet werden. Beim wachen Erw. 30–
50 ml zügig transfundieren, danach Transfusion langsam stellen und 5 Min. in-
tensiv überwachen. Viertelstündliche Überwachung des Pat. während der
Transfusion und mind. 1 h danach durch Pflegekraft (Frage nach Wohlbefin-
den, Temperatur und Puls orientierend prüfen). Therapiekontrolle (Hb-Wert).
• Die Transfusionsgeschwindigkeit hängt von der Ind. ab:
– Bei akuter Blutung zügig, entsprechend Blutungsgeschwindigkeit (wenn
abschätzbar) und RR.
– Bei postop. Anämie, um Hb anzuheben, langsame Transfusion. I. d. R. 1 Ery-
Konzentrat (EK) über 3–4 h (aber max. über 6 h, danach System verwerfen).
• Bei Herz- oder Niereninsuff. als Prophylaxe einer Volumenüberlastung zusätzlich
Furosemid 10–20 mg i. v. oder p. o. (z. B. Lasix®), v. a. bei Transfusion mehrerer EK.
• Leeren Blutbeutel 24 h lang nach der Transfusion im Kühlschrank aufbewah-
ren (ggf. Klärung von späten Transfusionsreaktionen, ▶ 6.7.7).

Tipps zur Transfusion


• Bei der Volumenbilanzierung EK einrechnen.
• Bei dehydrierten Pat. (JVD/ZVD; Hkt beachten) kann eine Transfusion zum
akuten Nierenversagen führen; deshalb vorher mit Kristalloiden rehydrieren.
• Zeugen Jehovas nicht gegen deren Willen transfundieren. Ausnahme:
Kinder in Lebensgefahr, auch gegen den Willen der Eltern.

Massivtransfusion
• Mind. 2 großlumige Braunülen®, evtl. Druckinfusion mit Druckinfusomat
(evtl. Blutdruckmanschette um Konserve bis 100 mmHg).
• Durchlauferwärmen des Bluts s. o.
• Faustregel: Ab ca. 4 EK → FFP (Gerinnungsfaktoren!), bei drohender Gerin-
nungsstörung ca. 2 FFP auf 4 EK infundieren.
• Azidose (durch Zitrat in APDA-Blut/Plasma) und Hyperkaliämie mit nach- 6
folgender Kardiodepression korrigieren: Na-Bikarbonat nach BGA (z. B.
50 ml 8,4-prozentig) und Ca2+ (10 ml 10-prozentig) i. v. auf 2 EK.
Notfalltransfusion
• Transfusion von EKs ohne vorherige Kreuzprobe nur bei vitaler Ind. Behan-
delnder Arzt trägt Verantwortung für erhöhtes Transfusionsrisiko.
• Unbedingt Bedside-Test durchführen. Bei unbekannter Blutgruppe des Emp-
fängers Gabe von EKs der Blutgruppe 0 (möglichst rhesusneg.) bzw. FFP der
Blutgruppe AB (▶ Tab.  6.6).

Tab.  6.6  Blutgruppenkompatibilität
Empfänger-Blut- Häufigkeit FFP-Spender-Blut- EK-Spender
gruppe gruppe

0 ca. 40 % 0, A, B, AB 0

A ca. 44,5 % A, AB A, 0

B ca. 10,5 % B, AB B, 0

AB ca. 4,5 % AB AB, A, B, 0

Bei Ery-haltigen Präparaten muss AB0- und rhesuskompatibel transfundiert werden.


Bei FFP und TK AB0- und möglichst ebenfalls rhesuskompatibel transfundieren,
i. d. R. ist bei Letzteren keine Kreuzprobe erforderlich.
182 6  Der operative Patient  

6.7.6 Thrombozytentransfusion
Helmut Küpper

Indikationen
! Dringend bei Thrombos < 10.000/μl → akute Blutungsgefahr.
• Bildungsstörung, z. B. Leukämie, Chemotherapie → bei Blutung, wenn Throm-
bos < 20.000/μl, ohne Blutung, wenn Thrombos < 10.000/μl; großzügige Indi-
kationsstellung bei Risikofaktoren (Alter > 60 J., septische Temperaturen, Blu-
tungsanamnese); vor Beckenkammpunktion, wenn Thrombos < 30.000/μl.
• Immunthrombozytopenie, z. B. Morbus Werlhof; keine prophylaktische Ga-
be, nur bei lokal nicht beherrschbarer Blutung oder OP (Blutungszeit über-
prüfen).
• Akuter Blutverlust oder Verbrauchskoagulopathie: Ab Thrombos < 50.000/μl,
erst nach Stabilisierung des Inhibitorpotenzials (ggf. AT III) und niedrig do-
sierter Heparingabe.

Therapiekontrolle
• Bei akuter Blutung ist das Sistieren der Blutung die wichtigste Therapiekont-
rolle.
• Thrombo-Anstieg bei Standarddosis (6 Einfach-TKs bzw. 1 Zellseparator-TK)
auf 20.000–30.000/μl. Kontrolle 1–24 h post transfusionem. Cave: ASS und
Heparin vermindern Thrombozytenfunktion.

HLA-Typisierung bei allen chron. zu substituierenden Pat. vor der ersten


Transfusion (10–20 ml heparinisiertes Blut bei Raumtemperatur).

6 6.7.7 Transfusionsreaktionen
Helmut Küpper
• 
Transfusionsreaktionen, sog. Sofort-/Frühreaktionen während oder Spätreakti-
onen noch Tage nach der Transfusion, können verschiedenste Ursachen haben.
Am häufigsten treten sie als Folge antileukozytärer AK (HLA-AK) des Empfän-
gers auf, wenn leuko- oder thrombozytenhaltige Konserven transfundiert wur-
den (febrile, nichthämolytische Transfusionsreaktion): Fieber, Schüttelfrost,
Juckreiz, nur selten Blutdruckabfall und Atemnot (Bronchospasmus).
• Diese Reaktionen sind initial nicht von schweren hämolytischen Zwischenfäl-
len zu unterscheiden (Letalität 6–20 %), die durch antierythrozytäre AK be-
dingt sind (z. B. AB0-Unverträglichkeit): Allgemeinsymptome mit Mikrozir-
kulationsstörungen in allen Organen (Schmerzen in Lendengegend, hinter
dem Sternum, in den langen Röhrenknochen), Schock (RR ↓, Tachykardie,
blasse, kalte Akren, evtl. Übelkeit, Erbrechen), Verbrauchskoagulopathie und
ANV.
• Akute hämolytische Transfusionsreaktionen sind fast immer vermeidbar. Ur-
sachen: Verwechslung oder Fehlzuordnung von Pat., Blutproben oder Blut-
produkten, Unterlassen oder Fehlinterpretation von Bedside-Tests, techni-
sche Fehler.
Bakteriell bedingte Transfusionsreaktionen (v. a. gramneg. Keime → Endotoxin-
bildung): Schock evtl. schon nach wenigen ml, oft Hämolysen. Verunreinigung
  6.8 Operative Phase  183

meist bei Herstellung von leukozytenarmen oder gewaschenen EKs sowie Auf-
schwemmen von EKs mit 0,9 % NaCl (deshalb verkürzte Haltbarkeit ≤ 8 h).
Transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI): inzwischen
häufigste Ursache einer schweren Transfusionsreaktion mit Todesfolge; v. a.
nach plasmareichen Blutkomponenten (FFP, TK). Durch Spender-AK oder
Zytokine werden neutrophile Granulozyten aktiviert, die über ein pulmonales
Capillary-Leak-Syndrom ein nichtkardiogenes Lungenödem verursachen.
Akut während oder bis zu 6 h nach Transfusion Dyspnoe, Tachypnoe, Zyano-
se, oft Intubations- und Beatmungspflichtigkeit, Kreislaufsymptome (Tachy-
kardie, Hypotonie); Rö-Thorax: neu aufgetretene Infiltrate. Ausschluss einer
Volumenüberlastung!

Akuttherapie bei Transfusionsreaktionen


• Cave: Symptomatik fehlt u. U. unter Narkose.
• Transfusion sofort stoppen. Keine Transfusion neuer Konserven ohne
Abklärung: Auch bei Notfalltransfusionen muss mind. AB0-Verträg-
lichkeit und das Fehlen intravasaler Hämolyse (s. u.) überprüft werden.
• Überwachung der Vitalfunktionen des Pat.: RR, Puls, Atmung, Diurese,
Labor.
• Schockbehandlung; bei V. a. bakt. Ursache Breitbandantibiotikum.
• Cave: Niereninsuff. → Diurese aufrechterhalten (→ Furosemid i. v., Vo-
lumenzufuhr), ggf. Mannitol.
• 20.000 IE Heparin über 24 h (Prophylaxe der Verbrauchskoagulopathie).
Sicherung der Diagnose:
• Verständigung des Dienst habenden (Transfusions-)Mediziners.
• Sofortige Rückgabe der transfundierten Konserve mit Transfusionsbesteck
und Begleitpapieren an das immunhämatologische Labor.
• Sofortige posttransfusionelle Abnahme von:
– 10 ml Nativblut und 5 ml EDTA-Blut zur blutgruppenserologischen Ab- 6
klärung.
– Nachweis intravasaler Hämolyse durch freies Hb im Serum.
– Großes BB, Gerinnungsstatus, LDH, Bilirubin.

6.8 Operative Phase
Hans Mau, Steffen Breusch und Helmut Küpper

Lagerung
Verantwortung: Prä-, intra- und postop. Lagerung des Pat. auf dem OP-Tisch
und ihre Überwachung ist eine gemeinsame Aufgabe von Anästhesist und Opera-
teur. Für die Lagerung des für die Anästhesie erforderlichen Arms ist der Anäs-
thesist verantwortlich. Lagerungsstandards festlegen. Bei abweichender oder
schwieriger Lagerung (Bewegungseinschränkungen, Kontrakturen oder vorbeste-
hende Nervenschäden) durch Probelagerung des Pat. in wachem Zustand über-
prüfen, ob zusätzliche Hyp- oder Parästhesien auftreten. Intraop. regelmäßige
Lagerungskontrolle (alle 30–60 Min.).
KO: Schäden peripherer Nerven meist durch unsachgemäße Lagerung (unzurei-
chende Polsterung oder extreme Lagerpositionen) des Pat. bei gleichzeitig erlo-
184 6  Der operative Patient  

schenen Schutzreflexen während einer Anästhesie. Besonders gefährdet: N. ulna-


ris, N. peroneus, Armplexus (▶ 18.9.1).
• Intraop. gesetzte Schäden treten i. d. R. erst in der postop. Phase auf, wenn
Pat. über entsprechende Beschwerden klagt.
• Eingetretene Schädigungen an Nerven durch Druck lassen i. d. R. eine sponta-
ne Heilung innerhalb der nächsten Tage bis Mon. erwarten.
• Begleiterkr. wie Diab. mell., Anämie, Arteriosklerose oder hämorrhagische
Diathesen können für Lagerungsschäden disponieren.

Blutsperre und Blutleere


Def.: Aufblasen des Tourniquets nach Elevation der Extremität (Blutsperre) bzw.
nach zusätzlichem Auswickeln (Blutleere).
! KI: Blutsperre: Sichelzellerkr., pAVK. Blutleere: Inf., Tumor.
• Druck: OS-Druckmanschette i. d. R. 300–350 mmHg (Erw.), OA 250 mmHg.
• Ischämiezeit: ca. 2–2,5 h für Extremitäten, darüber hinaus neurol. Störungen
und morphologische Läsionen möglich.
• Anlegen einer Blutleere: Embolisierung vorbestehender Thrombosen mög-
lich.
• Öffnen einer Blutleere: Metabolische Azidose, Anstieg von Laktat und Pyru-
vat möglich. Oft Hypotension/Tachykardie (Tourniquet-Sy.), v. a. wenn die
Eröffnung zusätzlich zu Blutungen in dieser Extremität führt (Knie-TEP).
Seltener Bradykardie (bis zur Asystolie).

Abwaschen der zu operierenden Extremität


Unbedingt darauf achten, dass keine Desinfektionslösung unter die noch
nicht aufgeblasene Manschette läuft → v. a. bei Kindern postop. großflächige
Blasenbildung mit tiefen und schlecht heilenden Hautnekrosen möglich.

6 Vermeidung von Eingriffsverwechslungen, Team Time Out


• Verantwortung: Alle Mitarbeiter im OP!
• Einschleusen und Narkoseeinleitung: Eindeutige Sicherstellung der Identität
des Pat. und aktive Befragung über die zu operierende Seite, Kontrolle der
Markierung des Eingriffsorts, Abgleich der Angaben und Markierung mit
OP-Plan und Akte.
• Team Time Out: Unmittelbar vor dem Hautschnitt kontrolliert der Opera-
teur mithilfe des Anästhesisten Identität, Seitenangabe und geplanten Eingriff
anhand des Aufklärungsprotokolls, Abgleich mit den Angaben des OP-Plans
und den Rö-Bildern.

6.9 Postoperative Phase
Helmut Küpper und Steffen Breusch

6.9.1 Überwachung im Aufwachraum
Risikopat. sowie Pat. nach größeren Eingriffen werden auf der Intensivstation
überwacht. Ziel: Erkennen und Behandeln von Früh-KO.
Anästhesist: Übergabe an das im Aufwachraum tätige Personal oder den ­Dienstarzt.
Nach Überwachung Veranlassung der Verlegung auf Station bei ausreichender
  6.9 Postoperative Phase  185

Spontanatmung, stabiler Herz-Kreislauf-Funktion, ausreichenden Schutzreflexen


und klarem Bewusstsein (bei Regionalanästhesien nach Rückkehr der Sensibilität;
nach Spinalanästhesien bei stabiler Herz-Kreislauf- sowie Atemfunktion).
Operateur: Kontrolle von DMS, evtl. Drainagen. Ggf. Anordnungen bei Nachblu-
tung. Anordnung und Kontrolle eines postop. Rö-Bilds bei knöchernen Eingriffen
(z. B. korrekter Sitz einer TEP, Luxation), Anordnung besonderer Lagerungen,
Hinweise zur Mobilisation.

6.9.2 Postoperative Frühkomplikationen
Nachblutung
Ätiologie
Lokal (Nahtinsuff., mangelnde intraop. Blutstillung) oder systemisch, z. B. hämor-
rhagische Diathese (thrombozytär, vaskulär, plasmatisch).
Klinik und Diagnostik
Durchbluten von Verbänden, hohe Fördermengen in den Drainagen → Hypoto-
nie, Tachykardie, Hb und Hkt, ZVD.
Therapie
• Operateur bzw. Dienst habenden Arzt verständigen. Evtl. Redon-Drainage
auf Überlauf stellen (kein Sog) oder komplett entfernen. Kompressionsver-
band, Hochlagerung, lokal Eis. Volumensubstitution. Hb, Hkt überprüfen.
Chemische T/E-Prophylaxe stoppen, evtl. Bluttransfusionen (▶ 6.7) und
Frischplasma. Gerinnungsparameter (PTT, PTZ, Quick, Fibrinogen, Throm-
bozyten) bestimmen.
• Substitution akuter Blutverluste: Beim sonst Gesunden bis Hb-Abfall auf etwa
7–8 g/dl bzw. Hkt < 30 % mit Plasmaexpandern (z. B. HES 130/0,4 6 %) bzw.
E'lytlösungen. Bei Vorerkr. (z. B. Herzinsuff.) und hohem Alter früher inter-
venieren (Hb < 10 g/dl; ▶ 6.7.1). 6
• Ind. zur Revision bei sonst nicht beherrschbarer kontinuierlicher kreislauf-
wirksamer Blutung.

Notfalltherapie bei schwerer Blutung unbekannter Ursache


Großlumige Zugänge legen: 2–3 Braunülen® G14 (braun) oder G16 (grau).
• Blutgruppe, Kreuzblut, BB, Gerinnung, 10 ml Citratblut für spätere Diagn.
• Kristalloide (z. B. Ringer) und kolloide Lösungen (z. B. HES 130/0,4 6 %,
Gelafundin® 4 %) bzw. Humanalbumin (möglichst vorgewärmt), bis
Kreuzprobe durchgeführt ist.
• Kontrolle von RR, Puls, Temperatur, Hb und Hkt, evtl. ZVD.
• EK substituieren (ggf. ungekreuzte EK der Blutgruppe 0), FFP bei Ge-
rinnungsstörungen: gezielte Substitution.
• Blutgerinnende Medikamente stoppen.

Hypotonie
Ätiologie
Volumenmangel (häufigste Ursache, durch ungenügende Flüssigkeitszufuhr wäh-
rend Narkose, anhaltende Blutung, Flüssigkeitsverluste postop.), Herzinsuff,
­Sepsis.
186 6  Der operative Patient  

Klinik und Diagnostik


Volumenmangel: Abnahme der Gewebeperfusion → zerebrale oder myokardiale
Mangeldurchblutung bzw. ANV möglich; anhaltende Hypotension → metaboli-
sche Azidose. Diagn.: RR ↓, Tachykardie, ZVD ↓, Urinausscheidung ↓ (stündli-
che Kontrolle).
Herzinsuff.: RR ↓, ZVD ↑.
Therapie
Volumenmangel: Schocklagerung, sofortiger großlumiger venöser Zugang und
Volumenersatz mit kristalloiden (z. B. Ringer-Lösung) oder besser kolloidalen Lö-
sungen (z. B. Voluven, Gelafundin® 4 %) 500 ml über 10–15 Min., bei akuter Blu-
tung ggf. EK.
Herzinsuffizienz: Furosemid 20 mg i. v. (z. B. Lasix®), evtl. Dobutamin 2,5–10 μg/
kg KG/Min. (Dobutrex®).

Hypertonie
Ätiologie
Häufig vorbestehende Hypertonie, Schmerz, Hyperkapnie, Hypoxie und Hyper-
volämie durch Überinfusion, volle Harnblase, fehlende Antihypertensivagabe am
OP-Tag bei Hypertonikern. Vor allem bei kardial und zerebral vorgeschädigten
Pat. muss mit KO gerechnet werden.
Therapie
• Beseitigung der Ursachen z. B. durch Gabe von Analgetika, Antagonisierung
von Medikamenten, O2-Insufflationen, Blasenkatheter. Bei bleibend hohem
RR: medikamentöse RR-Senkung orientierend an der Dauermedikation der
Pat. Postop. hypertone Phasen sind zumeist zeitlich begrenzt → kurz bis mit-
tellang wirksame Substanzen einsetzen! Cave: WW/KI von Komb. (z. B. i. v.-
Gabe von Kalziumantagonist/Betablocker; Ausnahme in der Intensivmedi-
6 zin).
• Betablocker bei gleichzeitiger Tachykardie, v. a. bei KHK-Pat. Vor allem bei
gleichzeitiger Unruhe und/oder Verwirrtheit Clonidin 50–150 μg i. v.
• Allgemein: Oberkörper hochlagern, O2-Gabe, ggf. Sedierung (z. B. Midazolam
1–2 mg i. v.). Bei drohender kardialer Insuff. zuerst 2 Hübe Nitrolingual®-
Spray (entsprechend etwa 0,8 mg Nitroglyzerin). Alternativ bei schwieriger
Applikation Nitroperfusor (Glyzeroltrinitrat): 50 mg/50 ml → 2–8 ml/h.

Arrhythmien
Definition
Als Tachykardien (supraventrikuläre = Vorhofflimmern, -flattern, Sinustachykar-
die; ventrikuläre = Kammerflimmern, -flattern), Bradykardien (AV-Block I°–III°,
Sinusknotensy., Sinusbradykardie) oder Extrasystolen (supraventrikuläre, ventri-
kuläre).
Ätiologie
Hypoxämie, E'lytverschiebungen, pH-Verschiebungen, Schmerzen, vorbestehen-
de Herzerkr., Volumenmangel/Hypervolämie, volle Blase, Zwerchfellhochstand,
Fieber/Sepsis, Hyperthyreose, Überdigitalisierung, erhöhter Parasympathikoto-
nus, Herzinfarkt.
Klinik
Schwindel, Synkope, Angina pectoris, Herzklopfen, Atemnot, kardiogener Schock.
  6.9 Postoperative Phase  187

Diagnostik
EKG, E'lyte, O2-Sättigung, BGA, Temperatur, evtl. Herzenzyme.
Therapie
• Ursache beseitigen.
• Bei Herzfrequenz > 150/Min. bzw. < 40/Min., bei RR-Abfall und Eintrübung
Antiarrhythmika einsetzen. Gezielter Einsatz weniger Medikamente nach
­Diagnosestellung, Protokoll.
• Bradykardien: Atropin 0,5–1,0 mg i. v. (1–2 Amp.; max. 3,0 mg i. v.) bzw.
Ipratropiumbromid 0,5 mg i. v. (1 Amp. Itrop®; cave: RR-Abfall). Evtl.
­temporärer Schrittmacher (transthorakal oder intrakardial).
• Tachykardien:
– Supraventrikulär → Karotissinusmassage, Valsalva-Pressversuch; ggf. Be-
tablocker, z. B. Metoprolol (Beloc®) 5 mg langsam i. v.
– AV-Knotentachykardie: Adenosin 6–12–18 mg (z. B. Adrekar®).
– Tachyarrhythmia absoluta: K+, Mg2+ substituieren; Betablocker zur Sen-
kung der Kammerfrequenz. Bei Versagen Amiodaron 150–300 mg als
­Initialbolus/10 Min. i. v. (z. B. Cordarex®), danach 900 mg/24 h, wenig
neg. inotrop.
– Ventrikulär: Defibrillation, Ajmalin 50 mg i. v. (z. B. 1 Amp. Gilurytmal®),
Amiodaron 150–300 mg (z. B. Cordarex®), wenig neg. inotrop, Lidocain
100 mg i. v. (z. B. 1 Amp. Xylocain® 2 %).

Angina pectoris
auch ▶ 5.7.
Definition
Linksthorakaler Schmerz mit Ausstrahlung in li Hals und Arm. Häufig auch
atypisch (z. B. abdominelles Druckgefühl). Besondere Aufmerksamkeit un-
mittelbar postop. Myokardinfarkte ca. 0,4 % der Fälle (kein Infarkt vorausge-
gangen), bevorzugt in der frühen postop. Phase. Postop. Reinfarktrate dage- 6
gen 6,5 %. Deshalb bei AP postop. immer Infarktausschluss (EKG, Troponin,
CK/CK-MB).
Ätiologie
Häufig Hypertension im Rahmen einer Frühreaktion bei gleichzeitig erhöhtem
O2-Bedarf des gesamten Organismus und des Myokards, zusammen mit postop.
Schmerzen, Hypoxie und Anämie.
Klinik
Eher ventrale Schmerzen, Enge- oder Druckgefühl, meist retrosternal mit Aus-
strahlung in den Hals oder li Arm. Besserung nach Nitro-Spray, immer an Myo-
kardinfarkt denken!
Therapie
• Ursachen behandeln, Pat. beruhigen.
• Opioide i. v. (z. B. Morphin 10–20 mg). Erneut 2 Hübe Nitro, dann Perfusor
mit 1–6 ml/h (50 mg Nitro/50 ml NaCl 0,9 %) anlegen, bei Tachykardie und/
oder Hypertension Betablocker (z. B. Brevibloc®).
• Engmaschige Überwachung, RR-Messung 4 ×/h, besser Monitorüberwa-
chung/Wachstation; Heparinisieren (▶ 24.3), wenn keine KI Clopidogrel
(Plavix®) oder ASS.
188 6  Der operative Patient  

Obstruktive Atemstörung
Definition
Mechanische Verlegung der Atemwege.
Ätiologie
Zurückfallen der Zunge infolge Vigilanzstörung oder Restrelaxierung nach
­Vollnarkose, Ansammlung von Sekret im Pharynx, andere Fremdkörper.
Klinik und Diagnostik
Einziehung der Interkostalräume, geringe oder aufgehobene Atemexkursionen,
heftige Zwerchfell- und Bauchatmung, inspiratorischer Stridor.
Therapie
Freimachen der Atemwege durch Reklination des Kopfs oder Esmarch-Handgriff, Se-
kretabsaugung, Einlegen eines Güdel- oder Wendel-Tubus; Therapie der Ursache.

Bronchospasmus
Ätiologie
Reizung des Tracheobronchialsystems v. a. bei Pat. mit Asthma bronchiale, chron.
Bronchitis, starken Rauchern, anaphylaktischer Medikamentenreaktion.
Diagnostik
Auskultation (Giemen, RG), Dyspnoe.
Therapie
Inhalation von Dosieraerosolen, z. B. Salbutamol (z. B. Sultanol®) bzw. Inj. von
Theophyllin 100–200 mg langsam i. v. (z. B. Bronchoparat®), ggf. Adrenalin: 1
Amp. auf 10 ml NaCl verdünnen (= 0,1 mg/ml), 0,5–1 ml als Bolus i. v.; cave: Ta-
chykardie. Bei Ther.-Resistenz Glukokortikoide, z. B. Prednisolon 250 mg i. v.
(z. B. Solu-Decortin H®).
6
Laryngospasmus
Ätiologie
Reizung des Pharynx (z. B. Blut, Erbrochenes), Extubation im Exzitationsstadium.
Diagnostik
Auskultation (kein Atemgeräusch), Zyanose, O2-Sättigung ↓.
Therapie
O2-Zufuhr, Ursache beheben, Überdruckmaskenbeatmung ohne Gewaltanwen-
dung, bei Erfolglosigkeit frühzeitige Reintubation.

Hypoventilation
Ätiologie
• Vor allem zentrale Atemdepression nach Inhalationsanästhetika und Opiaten
(evtl. in Komb. mit lange wirkenden Benzodiazepinen). Cave: Hypoventilation
durch Inhalationsanästhetika auch noch nach Erwachen aus Narkose möglich.
• Periphere Muskellähmung nach Relaxanziengabe.
Therapie
• Opioidüberhang: Naloxon (Narcanti®) in verdünnter Lösung langsam i. v.
nach Wirkung (0,2 mg alle 2–3 Min.; Erw.).
  6.9 Postoperative Phase  189

• Relaxanzienüberhang: Atropin 0,5 mg i. v. und Prostigmin 0,5–2,5 mg i. v.


• Sedierungsüberhang nach Benzodiazepinen: Flumazenil (z. B. Anexate®) 0,5–
1 mg i. v.; Cave: Rebound möglich (kürzere HWZ von Flumazenil).

Hypoxämie
Definition
Abfall pO2 < 70 mmHg. Häufige Normabweichung im postop. Verlauf.
Ätiologie
Hypoventilation, Störungen der Ventilation-Perfusion, Atelektasen, Lungen-
ödem, erhöhter O2-Bedarf (Muskelzittern, Fieber). Hypoxiegefährdet sind v. a.
Pat. nach Thoraxeingriffen, mit chron. Lungenerkr., Adipositas.
Klinik und Diagnostik

Alle Symptome können durch die Nachwirkung verwendeter Anästhetika


maskiert bzw. abgeschwächt werden.

• Sehr komplex und individuell verschieden.


• Unspezifische Prodromalsymptome: Unruhe, Kopfschmerzen, Erbrechen, Kreis-
laufreaktionen mit Tachykardie, Hypertonie und gesteigertes Herzzeitvolumen.
• Zyanose (bei Anämie wegen gestörter Mikrozirkulation nicht ohne Weiteres
sofort erkennbar).
• Einziges Frühdiagnostikum: BGA, Messung der O2-Sättigung (▶ 6.6.4).
Verwirrtheit, Reduktion der Vigilanz, Somnolenz bis hin zur Bewusstlosig-
keit sind Merkmale, die höchste Gefahr signalisieren.

Prophylaxe und Therapie 6


• Prophylaxe und Ther. der Hypoxämie: O2-Zufuhr via Nasensonde oder Mas-
ke, tiefes Durchatmen, Abhusten. Ther. der Ursache.
• Bei Erfolglosigkeit: Endotracheale Intubation, maschinelle Beatmung bei fort-
bestehender Hypoxämie trotz 12 l/Min. O2-Gabe via Maske.

Fieber, Hyperthermie
Ätiologie
• Fieber: Temperaturerhöhung nach größeren OPs (bis 38,5  °C) physiol.
(▶ 5.4).
• Maligne Hyperthermie (MH): Sehr selten; genetische Disposition: Kalziumauf-
nahme in Muskel gestört. Tritt gehäuft in Zusammenhang mit verschiedenen
Muskelerkr. auf, z. B. Duchenne-Dystrophie (▶ 18.10.1), Osteogenesis imperfecta
(▶ 17.3.2), Arthrogrypose (▶ 17.3.8). Wird durch Inhalationsanästhetika und best.
Muskelrelaxanzien (Suxamethonium) ausgelöst. Regionalanästhesie gilt als sicher.
Klinik und Differenzialdiagnose
• Fieber: Temperatur ↑. DD bei höherem bzw. über Tage anhaltendem Fieber:
Pneumonie, Harnwegsinfekt, Wundinfekt, Wundhämatom, Phlebitis, Sepsis,
Virusinfekt (auch ▶ 5.4).
• MH: Exzessiver Körpertemperaturanstieg oft erst als Spätsymptom; häufig
Tachykardie, Muskelrigor, Hyperventilation.
190 6  Der operative Patient  

Therapie
• Fieber:
– Solange keine kardiovaskulären Reaktionen auftreten (Tachykardie, Hy-
pertension): Keine.
– Symptomatisch mit kalten Wadenwickeln oder Eisbeutel auf Leisten.
Pharmakologisch mit Paracetamol 2–3 × 0,5–1,0 g/d p. o. (Erw.), evtl. Me-
tamizol 500–1.000 mg i. v. (z. B. Novalgin®).
• Maligne Hyperthermie: Kausal: Dantrolen® 2,5 mg/kg KG i. v. (Schnellinfusi-
on), ggf. weiter infundieren bis 10 mg/kg KG. Intensivther., O2-Gabe, forcier-
te Diurese.

Postoperative Übelkeit und Erbrechen (PONV)


Risikofaktoren
Das Risiko der PONV kann mit einem einfachen Score (Apfel-Score; ▶ Tab.  6.7)
bestimmt werden. Im Score nicht enthalten ist die Verwendung volatiler Anästhe-
tika zur Narkose.

Tab.  6.7  Risikoscore nach Apfel


Risikofaktoren Punkte

Weibliches Geschlecht 1

Nichtraucherstatus 1

Reisekrankheit oder PONV in der Anamnese 1

Postoperative Opioide 1

Summe 0–4

6 Prophylaxe
Bei einer Punktsumme von 2 entweder volatile Anästhetika und Opioide zur Nar-
kose vermeiden oder prophylaktisch Antiemetika geben. Wirksamkeit belegt für:
• Dimenhydrinat 62,5 mg i. v. (z. B. Vomex®) und/oder
• 5-HT3-Rezeptorantagonisten i. v. (z. B. Kevatril®, Zofran®) und/oder
• Dexamethason 4–8 mg i. v. (z. B. Fortecortin®).
Die Wirksamkeit kann durch Komb. gesteigert werden.
Therapie
Eine wirksame Ther. von PONV ist möglich mit:
• Dimenhydrinat 62,5 mg i. v. (z. B. Vomex®) und/oder
• 5-HT3-Rezeptorantagonisten i. v. (z. B. Kevatril®, Zofran®),
• Dexamethason 4–8 mg i. v. (z. B. Fortecortin®); in der Prophylaxe etabliert, als
Therapeutikum umstritten (langsamer Wirkeintritt),
• Propofol 20 mg i. v. (z. B. Disoprivan®; nur im AWR).
Frühzeitige Behandlung (sonst Wiederholungsrisiko > 50 %) und bei Un-
wirksamkeit einer Substanz stets neue Substanz verwenden.
  6.9 Postoperative Phase  191

6.9.3 Postoperative Therapie auf Station


Verbandswechsel ▶ 3.1.1.

Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz


Postop. Flüssigkeitskarenz: Nach Allgemeinanästhesie, sobald Schutzreflexe
ausreichend (i. d. R. nach Verlassen des AWR), schluckweise Flüssigkeit, nach
Regionalanästhesie, sobald Anästhesieniveau bis unter Bauchnabel abgesunken
ist. Nach großen Eingriffen an WS (z. B. Skoliose-OP, Spondylodesen, Nukleoto-
mie) erst nach Wiedereinsetzen der Darmtätigkeit (Darmgeräusche, Winde),
i. A. nach 1–2 d.
Nahrungskarenz: Nach WS-OP routinemäßig Abdomen befunden zur Über-
prüfung der Peristaltik; oraler Kostaufbau, sobald regelmäßige Darmgeräusche
vorhanden. Frühzeitiger Einsatz properistaltischer Maßnahmen (Laxanzien,
Klysma, pharmakologische Stimulation, Ausgleich von E'lyt-Imbalancen, Nor-
moglykämie).
Postop. Darmatonie: Reduktion darmmotilitätshemmender Medikamente, z. B.
Opioide, Benzodiazepine. Routinemäßige Laxantien bei längerdauernder Opioid-
Gabe, ggf. Stimulation der Dickdarmfunktion durch Klysma oder Einläufe. Bei
Erfolglosigkeit 3 Amp. Neostigmin (1,5 mg) und 3 Amp. Metoclopramid (30 mg)
in 50 ml Ringer-Lösung über ca. 2 h i. v.

Thromboseprophylaxe
Methoden: Niedermolekulare Heparine (▶ 24.3.2), Aspirin, orale Antikoagulan-
zien, Muskelpumpe (alle Level-1B-Evidenz, ▶ 6.6.5), „foot pumps“, Antithrombo-
sestrümpfe (beide Level-1C-Evidenz), Physiother., Frühmobilisation (▶  20.1.4).
Cave: Entscheidend individuelles Risikoprofil.
Thromboseprophylaxe nicht notwendig: Kleine Eingriffe in LA, kurze Eingriffe
in Vollnarkose, wenn Pat. spätestens am nächsten Tag voll mobilisiert werden
kann (z. B. bei Eingriffen an oberer Extremität).
Dauer: Abhängig vom postop. Verlauf. Bei weitgehender Mobilisation an Abset-
6
zen denken.
Siehe auch die S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thrombembolie“, AWMF-
Register 003–001 in der jeweils gültigen Fassung (Oktober 2015) bzw. internatio-
nale Guidelines, z. B. ACCP.

Physikalische Therapie
KO-Prophylaxe: Vermeidung thrombotischer und bronchopulmonaler KO
(▶ 20.1.4). Frühmobilisation, aktives Durchbewegen der Beine. I. d. R. (Ausnah-
me mittlere und größere WS-OP) Aufstehen am 1. postop. Tag. Cave: Orthostati-
sche Dysregulation, evtl. „Kreislauftropfen“ (z. B. Effortil®) vor dem Aufstehen
verabreichen. Atemgymnastik, Giebelrohr.
Inhalationsther.: Bei pulmonalen Erkr. wie Bronchopneumonie, Verschleimung,
ungenügendem Abhusten. Dann auch Sekretolytika (z. B. ACC), Vibrationsmas-
sagen, evtl. Antibiotika (Pneumonie).

Weitere Maßnahmen
Analgetika: In den ersten postop. Tagen eher großzügig (dadurch z. B. bessere
Atmung und Abhusten, i. d. R. bessere Mobilisation; ▶ 24.1).
Röntgen: Sofern nicht schon intraop. oder unmittelbar postop. auf Intensivstati-
on geschehen. Bei OP am Skelett i. d. R. durchzuführen (Kontrolle Implantat, Kor-
rektur, KO).
192 6  Der operative Patient  

Transurethraler Blasenkatheter: Nicht routinemäßig. Wenn erforderlich, so früh


wie möglich entfernen. Bei länger erforderlichem Katheter durch suprapubischen
Blasenkatheter ersetzen, der lange belassen werden kann, bis Spontanmiktion
(evtl. probeweises Abklemmen) möglich ist.

6.10 Infusionstherapie
Helmut Küpper

6.10.1 Postaggressionsstoffwechsel
Phasenverlauf
Auf jedes Trauma und jede akute Erkr. reagiert der Stoffwechsel mit typischen,
phasenhaft verlaufenden Veränderungen:
Phase 1 (Akutphase): Dauer Min. bis Stunden; supprimierte Insulinwirkung (→
Hyperglykämie), starke Katabolie (Glykogenolyse, Lipolyse, Proteolyse). Maß-
nahmen: Wasser- und E'lyt-Substitution, Säure-Base-Korrektur. Keine Ind. für
parenterale Ernährung.
Phase 2 (Übergangsphase): Dauer meist einige Tage; relativer Insulinmangel
(weiterbestehende Hyperglykämie), weiterhin Katabolie (neg. Stickstoffbilanz),
v. a. Abbau von Fettsäuren und Ketonkörpern. Maßnahmen: Stufenweiser Aufbau
einer parenteralen Ernährung (▶ 6.10.2). Wegen Hyperglykämiegefahr BZ in den
ersten 2–4 d engmaschig kontrollieren.
Phase 3 (Reparationsphase): Dauer meist einige Wochen; Insulinwirkung nor-
malisiert, anabole Stoffwechsellage (erhöhter Kalorienverbrauch).

Energie- und Flüssigkeitsbedarf


Energiebedarf: Tagesbedarf des Pat. liegt bei ca. 120 kJ/kg KG (30 kcal/kg KG).
6 „8er“-Regel (▶ Tab.  6.8): Basal 24 kcal/kg KG; in Ruhe 32 kcal/kg KG; mittlere Ar-
beit 40 kcal/kg KG; schwere Arbeit 48 kcal/kg KG. Bei Hyperkatabolie (Polytrau-
ma, schwere Verbrennungen, Sepsis) bis zu 60 kcal/kg KG (240 kJ/kg KG). Bei
Nahrungskarenz bis zu 1 Wo. können Komplettlösungen (AS, KH-Gemische)
und Flüssigkeit-E'lyt-Lösungen ab 2. postop. Tag eingesetzt werden. Bei Langzei-
ternährung müssen zusätzlich Fette bereitgestellt werden.

Tab.  6.8  Täglicher Nahrungsbedarf (pro kg KG)


Basaler Bedarf Mittlerer Bedarf Hoher Bedarf

Energie 25 kcal = 105 kJ 35–40 kcal = 147–168 kJ 50–60 kcal = 210–251 kJ

Stickstoff (= AS) 0,11 g (= 0,7 g) 0,16 g (= 1 g) 0,24–0,32 g (= 1,5–2 g)

Kohlenhydrate 3 g 5 g 7 g

Fett 1 g 1,5 g 2 g

E'lyte:

• Natrium 1–1,4 mmol 2–3 mmol 3–4 mmol

• Kalium 0,7–0,9 mmol 2 mmol 3–4 mmol

• Kalzium 0,1 mmol 0,15 mmol 0,2 mmol


  6.10 Infusionstherapie  193

Wasserbedarf: Tgl. Bedarf basal 30 ml/kg KG, mittel 50 ml/kg KG, hoch
100–150 ml/kg KG. Faustregel: Perspiration (500–800 ml) + Diurese des Vortags +
500 ml/°C > 37  °C. Genaue Flüssigkeitsbilanz ggf. durch ZVD (normal: 2–12 cm-
H2O).

6.10.2 Stufenkonzept der parenteralen Ernährung


Bedeutung: Mehrstufigkeit ermöglicht Anpassung an die nach OP oder Trauma
veränderte Stoffwechsellage. Modifikation der im Folgenden genannten Beispiele
je nach Situation.
KI: Keine hochkalorische parenterale Ernährung bei Hyperglykämie, AS-Stoff-
wechselstörungen, metabolischen Azidosen, fortgeschrittener Leberinsuff., Nie-
reninsuff., Hyperhydratationszuständen, Diab. mell., Hyperkaliämie, dekompen-
sierter Herzinsuff.
Grundsätzlich gilt: Parenterale Ernährung ist immer eine unphysiologische Form
der Ernährung und sollte nur eingesetzt werden, wenn innerhalb von 7–10 d vor-
aussichtlich keine ausreichende orale bzw. enterale Nahrungszufuhr erreicht wer-
den kann, bei KI gegen enterale Ernährung oder bei schwerer Malnutrition.

Stufe 1: Periphervenöse Wasser- und E'lyt-Substitution


Ind.: Nach kleinen OPs, bei gutem allg. EZ, Dauer der Nahrungskarenz < 2 d.
Zusammensetzung: Fertig-Infusionslsg., z. B. Normofundin® (Zusammenset-
zung: Na+ 100  mmol/l, K+ 20  mmol/l, Mg2+ 3  mmol/l, Ca2+ 4  mmol/l, Cl−
90 mmol/l, restliche Anionen 40 mmol/l, enthalten meist Glukose 5 %) oder Glu-
kose 10 % und isotone E'lytlösungen (ca. 100 mmol K+ tgl.) im Wechsel (z. B. 2 : 1).
Dosierungsbeispiel (75 kg schwerer Pat.): 600 kcal/d (Glukose 5 %: 50 g Glukose
in 1.000 ml = 200 kcal); 3.000 ml/d = 500 ml/4 h = 125 ml/h = ca. 40 Tr./Min. Max.
Dosierung: 0,75 g/kg KG/h = 15 ml/kg KG/h.

Stufe 2: Periphervenöse Basisernährung 6


Ind.: Nach mittleren OPs, bei leichter Katabolie, gutem allg. EZ, Nahrungskarenz
bis zu 7 d.
Zusammensetzung (meist als Komplettlösung): AS-Lösungen 2,5–3,5 %, KH-
Lösungen 5 %, E'lyte und Flüssigkeit (Na+ 2–3 mmol/kg KG/d, K+ 1–1,5 mmol/kg
KG/d). Bei eingeschränkten Fettreserven zusätzlich Fettemulsionen 10–20 % (als
Parallelinfusion), 1–2 g/kg KG/d.
Dosierungsbeispiel (75 kg schwerer Pat.): Ca. 1.000 kcal/d; E'lyte, KH und AS:
3.000 ml/d = 500 ml/4 h = 125 ml/h = 40 Tr./Min. Fettemulsion 20 % 1 × 250 ml/d,
Mindestinfusionszeit 8 h = 30 ml/h.

Stufe 3: Bilanzierte vollständige parenterale Ernährung


Ind.: Längerfristige (> 7 d) totale parenterale Ernährung (TPE), z. B. nach schwe-
rer OP, Polytrauma, Verbrennungen; bei stark reduziertem AZ und EZ. Zentraler
Zugang erforderlich.
Zusammensetzung/Dosierung: Die Ernährungsther. wird individuell aus folgen-
den „Bausteinlösungen“ zusammengestellt:
• AS-Lösungen 7,5–15 %.
• KH-Lösungen 20- bis 50-prozentig (meist Komb. von Glukose mit Glukose-
austauschstoffen; keine Monother. mit Glukoseaustauschstoffen!).
• Dosierung von 50 % Glukoselösung: 0,6 ml/kg KG/h, max. 3 g Glukose/kg
KG/d.
194 6  Der operative Patient  

• Fettemulsionen 10–20 %.
• E'lyte und Flüssigkeit nach Bilanz und Laborkontrollen.
• Vitamine und Spurenelemente.
Beispiel für parenterale Langzeiternährung
• 500 ml Glukose 50 % (jeweils pro 24 h).
• 40 ml Inzolen® (E'lyt-Konzentrat, enthält Mg2+, Ca2+, Zn2+).
• 20 mmol KH2PO4 in 750 ml AS 10 % mit E'lyten.
• 750 ml Fettemulsion 10 %.
• 1 Amp. Kalziumglukonat, 1 Amp. Cernevit® (Vit-Konzentrat).

6
7 Sportmedizin und Orthopädie
Holger Schmitt

7.1 Sportverletzungen  196 7.2.3 Knöcherne Stressreak­


7.1.1 Definition, Epidemiologie und tionen 210
Ätiologie 196 7.2.4 Muskelkater (Delayed Onset
7.1.2 Auge, Ohr und Muscle Soreness; DOMS) 210
Gesichtsschädel 197 7.2.5 Funktionelles Kompartment­
7.1.3 Wirbelsäule 198 syndrom 211
7.1.4 Obere Extremität 199 7.3 Schulsport 211
7.1.5 Becken und Hüftgelenk 200 7.4 Sport mit Endoprothesen  214
7.1.6 Kniegelenk 201 7.5 Behindertensport  216
7.1.7 Sprunggelenke und Fuß 201 7.6 Doping  216
7.1.8 Muskelverletzung (funktionell,
strukturell) 202
7.1.9 Sehnenrupturen 203
7.2 Überlastungsschäden und
Überlastungsfolgen  207
7.2.1 Definition 207
7.2.2 Tendopathien und Insertions­
tendopathien 207
196 7  Sportmedizin und Orthopädie  

7.1 Sportverletzungen
7.1.1 Definition, Epidemiologie und Ätiologie
Definition
Alle Verletzungen, die akut während des Sporttreibens (Wettkampf oder Trai-
ning) auftreten.

Epidemiologie
In Deutschland ca. 40 Mio. Sporttreibende, davon ca. 26 Mio. im Deutschen
Sportbund (DOSB) organisiert. Mitgliederstärkste Sportart Fußball, gefolgt von
Turnen, Tennis, Schützen, Leichtathletik. Zunehmender Anteil von Fun- und Ri-
sikosportarten (Luftsportarten, Inlineskaten, Wakeboard u. a.).
• Verletzungen nach Körperregionen: Etwa ⅔ untere Extremität, 20 % obere
Extremität, 7–10 % Rumpf, 1,5–3 % Kopf, unterschiedlich je nach Sportart:
– Rumpf: z. B. Speerwerfen, Gewichtheben, Schwimmen, Rudern.
– Obere Extremität: z. B. Wurfsportarten, Reiten, Ringen, Kegeln, Rad fahren.
– Untere Extremität: z. B. Leichtathletik, Schlagsportarten, Ballsportarten,
Skilaufen, Tanzen.
• Geschlechtsverteilung: Etwa ⅔ bis ¾ der Verletzten sind männlich.
• Altersverteilung: > 40 % der Verletzten 20–30 J.
• Diagnosen: Altersabhängig:
– Kinder: > 40 % Frakturen (unvorsichtiges Verhalten, Bewegungsdrang,
ungenügende Koordination, schwache Muskulatur).
– Erw.: ca. 40 % Distorsionen, etwa 30 % Frakturen, Luxationen und Band-
verletzungen, 10 % Kontusionen, 10 % Muskel- und Sehnenverletzungen.

Unfallursachen
Subjektive Unfallursachen: Ungenügende Vorbereitung (mangelhafte Technik,
unzureichendes Aufwärmen, schlechte Kondition), unzureichende Regenerati-
onsphasen (Überlastung, Übermüdung), Infekte und nicht ausgeheilte Verletzun-
gen, Regelverstöße, Disziplinlosigkeit, unüberlegtes Handeln.
Objektive Unfallursachen: Ungenügende Sportausrüstung, Witterungsfaktoren,
Fremdeinwirkung durch Unzulänglichkeit von Gegner oder Partner, Sportstätten,
7 Sportgeräte, sportartspezifische Risiken.
Prophylaxe von Sportverletzungen: Frühzeitiges Erkennen und Behandeln von
Sportverletzungen bis zur kompletten Ausheilung. Planung regenerativer Phasen
und Ausgleichssport. Geeignete Sportausrüstung, ausgewogene Ernährung, Steue-
rung der Belastungsintensität, insbes. bei Zeichen der Ermüdung und Überlastung,
Ausheilen von lokalen oder allg. Körperinfekten, Verbesserung der Koordination.

Sofortmaßnahmen am Unfallort
Bei geschlossenen Verletzungen der Haltungs- und Bewegungsorgane:

PECH-Schema (nach Böhmer)


• Pause: Abbruch der sportlichen Tätigkeit, Untersuchung zur Schadens-
feststellung.
• Eis-„Wasser“: Sofortige Kühlung: Kompressionsverband mit Eiswasser
oder kaltem Wasser anfeuchten, sofern keine offene Wunde besteht.
  7.1 Sportverletzungen  197

• Compression: Druckverband mit mäßiger Spannung.


• Hochlagerung des verletzten Körperabschnitts.
• Evtl. Transport zur weiteren Diagn. (z. B. Rö, Sono).

7.1.2 Auge, Ohr und Gesichtsschädel


Auge

Verletzungen am häufigsten beim Squash, gefolgt von Eishockey, Tennis,


Feldhockey, Boxen.

Ätiologie
Verletzungen der vorderen Augenabschnitte durch kleine elastische Hohlbälle
und kleine, fast unelastische Vollbälle, der hinteren Augenabschnitte (müssen
häufiger operativ versorgt werden) durch größere luftgefüllte Hohlbälle.
Klinik
Über 50 % Augenprellungen, mehr als 15 % Fremdkörperverletzungen, etwa 10 %
Inf. oder Reizungen, Strahlen-, chemische und physikalische Einwirkungen, etwa
5 % Schnitt- und Spießungsverletzungen.
Therapie und Prophylaxe
Sofortige augenärztliche Konsultation. Prophylaxe durch Tragen von Gesichts-
oder Augenschutz (insbes. Squash, Eishockey, Baseball, Badminton, Doppelspieler
im Tennis).

Ohr
Ätiologie und Klinik
• Äußeres Ohr: Ohrmuschelverletzungen bei Kampfsportarten; nichtbehandel-
te und rez. Othämatome führen zu Deformationen (Blumenkohl-,
Ringer- oder Boxerohr), selten Gehörgangsfrakturen.
• Mittelohr: Traumatische Trommelfellperforation durch direkten Schlag; 7
Felsenbeinlängsfraktur → Schallleitungsschwerhörigkeit. Cave: Otoliquor-
rhö.
• Innenohr: Felsenbeinquerfraktur → sensoneurinale Schwerhörigkeit und
Spontannystagmus möglich.
Therapie
• Äußeres Ohr: Punktion bzw. Ausräumung der Hämatome.
• Mittel- und Innenohr: Sofortige fachärztliche Untersuchung (HNO), weiter-
führende Diagn. (CT, MRT).

Gesichtsschädel
Formen
Zentrale oder laterale Mittelgesichtsfrakturen (insbes. bei Mannschafts- und
Kampfsportarten).
198 7  Sportmedizin und Orthopädie  

Klinik und Diagnostik


• Äußere Verletzungszeichen, Hämatome, evtl. neurol. Ausfallserscheinungen,
Reflexunterschiede.
• Bei Verdacht Rö und CT (Nachweis einer Liquorfistel durch CT mit intrathe-
kaler KM-Gabe).
Prophylaxe
Anzahl schwerwiegender Schädelverletzungen kann durch Tragen von Schutzhel-
men (Rad fahren, Boxen, American Football) deutlich verringert werden.

7.1.3 Wirbelsäule
Epidemiologie
1–3 % aller Sportverletzungen, ca. 5 % aller Sportschäden betreffen die WS.

Ätiologie
• RM: Verletzungen mit RM-Läsion (Querschnittlähmung ▶ 18.6) durch
Hochgeschwindigkeits- und Risikosportarten (Luftsportarten, Ski alpin, Mo-
tocross, Rad fahren, Reiten), am ehesten BWS und LWS betroffen. Badeunfäl-
le häufig mit Halsmarkschädigung bei überwiegend jüngeren, männlichen
Sporttreibenden. 8 % aller erworbenen Querschnittlähmungen durch Sport-
und Badeunfälle.
• HWS (▶ 10.5.3): Besonders gefährdet bei Ringen (Überstreckung und Rotati-
on), Judo, Eishockey.
• BWS, LWS (▶ 10.5.4): Hochgeschwindigkeitssportarten (Rad fahren, Moto-
cross, Ski alpin), Risikosportarten (z. B. Luftsportarten).

Sportempfehlungen bei Deformitäten der Wirbelsäule


Skoliose
Diagn. und Ther. ▶ 10.6.9.
• Ursache klären (85 % idiopathisch), Suche nach weiteren Fehlbildungen.
• Sportliche Belastbarkeit abhängig von Phase der körperlichen Entwicklung,
dem bestehenden Ausgangswinkel (standardisierte WS-Ganzaufnahmen im
Stand) und der zu erwartenden Progredienz. Empfehlungen des Arbeitskrei-
7 ses Skoliose der DGOOC:
– 10–20° (nach Cobb): Alle Sportarten sind möglich, spezielle Empfehlun-
gen nicht erforderlich, aktive Schulsportteilnahme empfohlen.
– 21–40°: Alle Sportarten grundsätzlich möglich (keine Stoßbelastungen), akti-
ve Schulsportteilnahme empfohlen, während Sportausübung keine Orthese.
– > 41°: Wie bei Skoliosen von 21–40° evtl. kardiopulmonale Einschränkun-
gen zu berücksichtigen.
• Operierte Pat.: Generelle Empfehlung nicht möglich, Festlegung vom Opera-
teur 1 J. postop. (Art des Instrumentariums, Länge der Spondylodese); nicht
empfehlenswerte Sportarten: Kontaktsportarten, Bodenturnen, Springreiten,
Trampolin, Leistungssport.

Erhöhter Anteil funktioneller Skoliosen bei Kaderuntersuchungen von


Speerwerfern, Tennisspielern, Turnern, Schützen, Kanuten (Kanadier) und
Footballspielern, allerdings bislang kein wissenschaftlicher Nachweis „skoli-
osefördernder“ Sportarten.
  7.1 Sportverletzungen  199

Hyperkyphose, Morbus Scheuermann


Diagn. und Ther. ▶ 10.6.6, ▶ 10.6.7.
• Im floriden Stadium Sportverbot, auch Schulsportbefreiung für meist 3–6
Mon.
• Empfehlung sportlicher Betätigung nach Abschluss des Wachstums richtet
sich nach dem Ausmaß der verbliebenen WK-Fehlbildung und der Belas-
tungsfähigkeit der ventralen Abschnitte der WS.
! Sportliches Training bei Kindern korreliert mit größerem Kyphosewinkel.
Spondylolyse und Spondylolisthesis
Diagn. und Ther. ▶ 10.6.10.
• Gehäuft bei Sportarten, in denen Hyperextensions- und Rotationsbelastun-
gen komb. auftreten (Speerwerfer 50 %, Stabhochspringer 39 %, Gewichtheber
30 %, Turner 3–30 %, Ringer 30 %, Turmspringer 29 %, Football 24 %).
• Ursache: Anlagebedingt oder Stressfraktur (Interartikularportion) als Zeichen
eines repetitiven Mikrotraumas.
• Sportempfehlung:
– Bei einseitiger Spondylolyse ohne klin. Symptomatik klin. und radiologi-
sche Kontrolle nach 1 J. ohne Einschränkung der Sportfähigkeit.
– Bei beidseitiger Spondylolyse oder Spondylolisthesis mit und ohne klin.
Symptomatik klin. und radiologische Kontrolle nach 6 Mon., Sporttaug-
lichkeit vorübergehend eingeschränkt, Vermeidung hyperextendierender
und rotatorischer Krafteinflüsse.
• Wahrscheinlichkeit zunehmender Beschwerden steigt mit Ausmaß des Gleit-
prozesses, zunehmendem Inklinationswinkel des Sakrums, frühem Beginn
der Symptome.

7.1.4 Obere Extremität
Ätiologie
Akute Verletzungen v. a. in Kontaktsportarten (American Football, Rugby, Eisho-
ckey, Handball), auch bei Stürzen (Rad fahren, Reiten, Inlineskaten). Frakturen
am häufigsten an UA und Fingern, Luxationen am häufigsten an Schulter und
Fingern.

Sportfähigkeit nach operativer Versorgung


7
Individuelle Abstimmung je nach Belastung in der Sportart erforderlich:
• AC-Gelenk-Verletzung (▶ 9.1.3): 10–12 Wo.
• Klavikulafraktur (▶ 9.1.5): 10–12 Wo.
• Sternoklavikulargelenkluxation (▶ 9.1.7): 6–8 Wo.
• Traumatische Schultergelenkluxation (▶ 9.1.16): 6 Mon.
• Rotatorenmanschettenruptur (▶ 9.1.23): 10–12 Wo.
• Humerusfraktur, proximal (▶ 9.2.1): 10–12 Wo.
• Humerusschaftfraktur (▶ 9.2.3): 3–6 Mon.
• Bizepssehnenruptur (▶ 9.2.4): 8–12 Wo.
• Ellenbogengelenkfraktur (▶ 9.2.6): 3–4 Mon.
• Ellenbogenluxation (▶ 9.2.7): 3–4 Mon.
• Distale Radiusfraktur (▶ 9.2.21): 3–4 Mon.
• Skaphoidfraktur (▶ 9.3.5): 3–4 Mon.
• Bennett-, Rolando- und Winterstein-Fraktur (▶ 9.3.8): 10–12 Wo.
• Mittelhand- und Fingerfrakturen (▶ 9.3.10): 8–12 Wo.
200 7  Sportmedizin und Orthopädie  

• Skidaumen (▶ 9.3.11): 8–12 Wo.


• Beugesehnenverletzung (▶ 9.3.17): 8–12 Wo.
• Strecksehnenabrisse (▶ 9.3.17): 8–12 Wo.

7.1.5 Becken und Hüftgelenk


Epidemiologie
Häufig bei jugendlichen Sportlern und Lauf- bzw. Kontaktsportarten; bei Jugend-
lichen Epiphysen- und Apophysenverletzungen, bei Erw. schwerwiegende Be-
cken- und Hüftverletzungen insbes. im Motorsport und bei Bergunfällen.

Abrissfrakturen
Lokalisationen
• Spina iliaca ant. superior: M. tensor fasciae latae, M. sartorius.
• Spina iliaca ant. inferior: M. rectus femoris („Sprinters Fracture“).
• Tuber ischiadicum: M. semitendinosus, M. semimembranosus, Caput lon-
gum m. bicipitis, M. adductor magnus.
• Trochanter minor: M. iliopsoas.
Klinik
• Lokal erheblicher DS, Schwellung und Hämatom.
• Aktive Bewegung des betroffenen Muskels abgeschwächt oder unmöglich,
lähmungsähnlicher Befund.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Anamnese: Abrupter Abbruch der Lauf- oder Sprungbewegung, häufig Sturz.
• Beckenübersicht.
! Ossifikationsvarianten, persistierende Apophysen, deshalb unbedingt Seiten-
vergleich.
• DD: Muskelverletzungen, Sehnenriss, Tumoren.
Therapie
Konservative Therapie
• Regelfall.
7 • Lagerung und Teilbelastung im schmerzfreien Bereich.
• Antiphlogistische (▶ 16.5.1) und muskelrelaxierende (▶ 16.5.6) Medikation.
• Muskeltonisierende KG in schmerzfreier Stellung.
• Teilbelastung bis Körpergewichtsbelastung nach 2–3 Wo.
• Sportliche Belastbarkeit nach 12 Wo., Wettkampfbelastbarkeit 1–2 Mon. da-
nach.
Operative Therapie
• Bei erheblicher Dislokation Refixation der Apophyse mit Zuggurtung oder
Verschraubung.
• Frühfunktionelle NB im schmerzfreien Bereich.
• Teilbelastung bis zunehmende Körpergewichtsbelastung ca. 2–3 Wo. postop.
• Sportliche Belastbarkeit nach 8–12 Wo., bei ausreichend Beweglichkeitszu-
stand und muskulärem Trainingszustand der betroffenen Extremität. Wett-
kampffähigkeit ca. 1–2 Mon. danach.
  7.1 Sportverletzungen  201

Leistenschmerz des Sportlers


Ther. ▶ 7.2.2 bzw. ▶ 7.2.3.
Ätiologie
• Insertionstendinose (am häufigsten).
• Labrumläsion.
• Koxarthrose.
• Femuroazetabuläres Impingement (FAI).
• Leistenhernien.
• Spondylogene Ursachen.
• SIG-Sy.
• Psoas-Sy.
• Bursitis iliopectinea.
• Stressfrakturen.
• Symphyseninstabilität.
• Nervenkompressionssy.
• Epi- und Apophysenlösungen.
• Internistische Ursachen (Urologie, Gastroenterologie).
Diagnostik
Lokaler Druck- und Dehnungsschmerz (manualtherapeutische Untersuchung), er-
gänzende Rö-Diagn., evtl. MRT (bei V. a. Labrumläsion Arthro-MRT erforderlich).

7.1.6 Kniegelenk
Anamnese und Untersuchung ▶ 13.2.2.

Ätiologie
• Je nach Sportart betreffen 15–30 % der Sportverletzungen das Kniegelenk.
• Häufig bei Ballsportarten (Fußball, Handball, Basketball, Volleyball), Ski al-
pin, Kampfsportarten (Ringen, Judo).

Sportfähigkeit nach Verletzungen


• Seitenbandverletzung (▶ 13.2.7): 4–8 Wo.
• Kreuzbandruptur (▶ 13.2.8): kons. 6–12 Wo., operativ 9–12 Mon.
• Meniskusverletzungen (▶ 13.2.10): 4–6 Wo. 7
• Knorpelverletzungen (auch ▶ 13.2.16): Je nach OP bis zu 1 J. postop. (Mi-
crofracturing ca. 6 Mon., Knorpel-Knochen-Transplantation ca. 6 Mon., au-
tologe Chondrozytentransplantation ca. 1 J.).
• Verletzungen der Muskeln und Sehnen (▶ 13.2): 4–8 Wo., bei operativ ver-
sorgten Rupturen 10–12 Wo.
• Frakturen: Patellafraktur (▶ 13.2.19) bzw. Tibiakopffraktur (▶ 13.2.32): 6–12 Mon.
• Extraartikuläre Weichteilverletzungen: 3–4 Wo.
• Epiphysenverletzungen (▶ 1.4.9): Je nach Versorgung und vorliegender
Wachstumsstörung.

7.1.7 Sprunggelenke und Fuß


Ätiologie
Sprunggelenkverletzungen im Sport am häufigsten (bis zu 40 %), Sportarten mit hoher
Verletzungsinzidenz: Bergwandern, Fußball, Basketball, Volleyball, Laufen, Squash.
202 7  Sportmedizin und Orthopädie  

Sportfähigkeit nach Verletzungen


• Grundsatz: Beschwerdeabhängig.
• Frakturen: Sprunggelenkfraktur (▶ 13.3.3), Kalkaneusfraktur (▶ 13.3.13), Ta-
lusfraktur (▶ 13.3.11): 3–6 Mon.
• Kapsel-Band-Verletzungen: Außenbandruptur (▶ 13.3.5), Syndesmosenrup-
tur (▶ 13.3.4): 2–4 Mon.
• Sehnenverletzungen: Achillessehnenruptur (▶ 7.1.9): 5–9 Mon.
• Osteochondrosis dissecans: Talus (▶ 13.3.12): 6–12 Mon.

7.1.8 Muskelverletzung (funktionell, strukturell)


Definition
Folge einer plastischen Verformung der betroffenen Muskeln bzw. Muskelanteile.
Muskelzerrung: Anatomische Struktur bleibt erhalten; Muskelfaserriss bzw. Mus-
kelriss: Zunehmend makroskopisch erkennbare Kontinuitätsunterbrechung.

Ätiologie und Pathophysiologie


• Kalte Witterung, unzureichende Aufwärmung vor der sportlichen Belastung.
Neigung zu Muskelverhärtungen vor der zur Verletzung führenden Aktivität.
• Klassifikation nach Müller-Wohlfahrt et al.:
– Funktionell:
– 1. Überlastungsbedingte Typen: 1a ermüdungsbedingte Muskelverhär-
tung, 1b „Muskelkater“ (DOMS).
– 2. Neuromuskuläre Typen: 2a neurogene Muskelverhärtung, 2b „Mus-
kelzerrung“.
– Strukturell:
– 3. Partielle Rupturen: 3a Muskelfaserriss, 3b Muskelbündelriss
– 4. (Sub-)Totaler Muskelriss oder sehniger Aus-/Abriss.

Klinik und Diagnostik


• Anamnese:
– Funktionell: Eher rasch zunehmender, krampfartiger Schmerz.
– Strukturell: Faserriss/Riss: Akut auftretender, stechender Schmerz.
Schnelle Bewegungsabläufe nicht mehr möglich.
7 • Klinik und Diagnostik:
– Druck-, Dehn- und Anspannungsschmerz; Schonhaltung.
– Zerrung: Evtl. spindelförmige, abgrenzbare Zone tastbar.
– Faserriss: Evtl. äußerlich sichtbares Hämatom.
– Teilruptur, komplette Ruptur: Äußerlich sichtbares Hämatom distal der
Verletzung. Tastbare Delle (Frühstadium), partieller bis kompletter Funk-
tionsverlust.
• Sono mittels 5-MHz-Linear- oder Sektorscanner: Lokalisation und Ausdeh-
nung eines Risses bzw. Hämatoms.

Therapie
Konservative Therapie bei Muskelzerrung und -faserriss
• Sofortige (Min. sind wichtig!) Maßnahmen nach dem PECH-Schema (▶ 7.1.1).
• 1.–3. Tag: Muskeltonus senken. Elektrother. (Galvanisation, Iontophorese;
▶ 20.4.1), manuelle Lymphdrainage, funktionelle Verbände (Tape, elastische
Binde; ▶ 3.1.6), abschwellende Salbenverbände (z. B. Exhirud®-Salbe, Voltaren
  7.1 Sportverletzungen  203

Emulgel®), orale Antiphlogistika (z. B. Diclofenac 3 × 50 mg/d, Magenanamne-


se!), fibrinolytische Enzyme (Phlogenzym® 3 × 2 Drg./d über 2–3 Wo.), Mus-
kelrelaxanzien (evtl. Infiltrationsther. z. B. Traumeel® und Meaverin®).
• Injektionsbehandlung weiterhin umstritten, wissenschaftlicher Nachweis von
Wachstumsfaktoren, PRP oder ACP in der Behandlung von Muskelverlet-
zungen bislang nicht erbracht.
• Ab 4. Tag: Interferenzstrom, Ultraschall, klassische Massage zur Lockerung
der Muskulatur prox. und distal der verletzten Region möglich, leichte Quer-
friktion, nach 1 Wo. Stretching und passives Dehnen.
• Sofortige Belastung, sofern dies schmerzfrei möglich ist, z. B. in Form von
KG: Muskeltonisierung, Isometrie in Form einer Ganzkörperspannung z. B.
nach Brunkow, Vojta (▶ 20.2.10); PNF (▶ 20.2.7). Trainingsther. mit leichten
Laufbelastungen ab dem 5. Tag, schmerzfreier Belastungsaufbau.
Operative Therapie
• Ind.: Muskelrisse von mehr als ⅓ des Querschnitts, erhebliche Diskontinuität,
ausgedehntes Hämatom. Zu erwartender erheblicher Funktionsverlust → OP
bei Leistungssportlern oder ambitionierten Freizeitsportlern v. a. an den unte-
ren Extremitäten bei vertretbarer Nutzen-Risiko-Relation (Alter des Pat., An-
spruchsdenken).
• OP-Technik: Ausräumung des Hämatoms, Adaptation der rupturierten En-
den mit durchgreifenden resorbierbaren Nähten.
• NB: Ruhigstellung für mind. 1 Wo., dann dosierte Mobilisation unter Teilbe-
lastung, Teilbelastung bis Körpergewichtsbelastung je nach Lokalisation bis
zur 12. Wo., muskeltonisierende KG und ergänzende Ther. unmittelbar
postop. (wie bei kons. Behandlung).

Muskeltonisierende KG auf Ganzkörperbasis ist auch bei Gipsruhigstellung


möglich und sinnvoll.

Sportliche Belastung
Bei Schmerzfreiheit → Belastungssteigerung. Volle sportliche Belastung der be-
troffenen Gliedmaße bei Zerrung nach 2–4 Wo., bei Faserriss nach 4–6 Wo., bei
Riss nach 12 Wo.
7
Spätkomplikationen
Zystenbildung, narbige Ausheilung mit Funktionsverlust; Myositis ossificans. Re-
ruptur.

7.1.9 Sehnenrupturen
Definition
Komplette oder partielle Rupturen sowie Rupturen mit knöchernem Ausriss.
Häufig bei Sprint- und Sprungbelastungen.

Ätiologie
• Ausgelöst durch abrupte, unkontrollierte Belastungen oder direktes Trauma.
• Meist deg. Vorschädigungen (Achillessehnenruptur: z. B. Haglund-Ferse mit
chron. rez. Tendionitis der Achillessehne, Bursitis subachillae).
! 
Lokale Inj. mit Glukokortikoiden erhöhen die Rupturgefahr.
204 7  Sportmedizin und Orthopädie  

Achillessehnenruptur
Epidemiologie
Häufigste subkutane Sehnenruptur in Deutschland ca. 5.000/J., M : F = ca. 4 : 1.
Häufig 30.–50. Lj., Rupturstelle überwiegend 3–5 cm prox. des Achillessehnenan-
satzes. Bei Jugendlichen eher Entenschnabelfraktur (knöcherner Ausriss am
Kalkaneus).
Klinik
Schmerzhaft erhaltene Geh- und Stehfähigkeit ohne aktive Plantarextension.
Diagnostik
• Anamnese: Hörbarer Knall, vermeintlicher Tritt gegen die Sehne, stechender
Schmerz.
• Untersuchung: Einbein-Zehenstand unmöglich, kraftlose Plantarextension
noch möglich (M. plantaris, M. flexor digitorum longus). Tastbare Delle, pos.
Thompson-Test: Kompression der Wade → keine Plantarextension des Fußes.
• Rö: Rückfuß in 2 Eb., Ausschluss eines knöchernen Ausrisses.
• Sono: Rupturnachweis in ca. 70 % der Fälle (Sono auch postop.: Kontrolle
Gleitverhalten der Sehne).
Therapie
Grundsätze
• Sofortmaßnahmen nach dem PECH-Schema (▶ 7.1.1).
• Meist OP bei sportlich sehr aktiven Pat., kons. Behandlung bei Pat. mit Teil-
und Totalrupturen, bei denen sich die Stumpfenden in 20° Plantarextension
bis auf 5 mm annähern (Sono), weit prox. gelegene Rupturen.
• Frische Achillessehnenrupturen werden (in Mitteleuropa) eher operativ ver-
sorgt (zahlreiche Methoden); beim Leistungssportler zwingende Ind. In ang-
loamerikanischen Ländern eher kons. Verfahren.
Operative Therapie
▶ Abb. 7.1.
• Frische Ruptur (bis ca. 3 Wo.): OP durch End-zu-End-Sehnennaht (nach
Kessler-Kirchmayr, Lange oder Bunell, ▶ 1.2.6); perkutane Nahttechniken
(Ma und Griffith), die das Risiko der Wundheilungsstörung und Inf. reduzie-
7 ren; wegen erhöhter KO keine prim. Durchflechtungsnaht mit der Plantaris-
longus-Sehne.
• Alte Ruptur mit verstärkter Retraktion der Stumpfenden: Meist plastisches
Verfahren notwendig: Peroneus-brevis-, Umkipp-, Griffelschachtel- oder Z-
Plastik.
• Knöcherner Ausriss: Verschraubung.
Nachbehandlungsvorschlag (konservativ und operativ)
• Bis 5. Tag: OS-Liegeschale oder Orthese (30° Spitzfuß), Eis, leichte passiv ge-
führte Bewegungsübungen aus der Schale (Flex./Ext./Pro./Sup.), PNF der Ge-
genseite (▶ 20.2.7), Mobilisation an UAGST unter Entlastung.
• Bis 2. Wo.: Achillessehnenentlastungsschuh 24 h/d, 3 cm Absatz, Eis, passiv
geführte Bewegungsübungen ohne Schuh, Volllast von Beginn an möglich, je
nach Beschwerden anfänglich UAGST bis Gangbildstabilisierung.
• 3.–4. Wo.: Fahrradergometer mit Schuh, Achillessehnenentlastungsschuh
2 cm.
  7.1 Sportverletzungen  205

Abb. 7.1  Operative Therapie bei Achillessehnenruptur [L106]


7
• 4.–6. Wo.: Achillessehnenentlastungsschuh 12 h/d, 1 cm Absatz, passiv ge-
führte Bewegungsübungen ohne Schuh, Fahrradergometer mit Schuh, isome-
trische Übungen, Koordinationstraining (Kreisel, Minitrampolin) mit Schuh,
Volllast.
• Ab 8. Wo.: Silikonkissen im Konfektionsschuh, passiv geführte Bewegungs-
übungen ohne Schuh, leichte Muskeldehnung von prox., Forcieren der iso-
metrischen Übungen, aktive dynamische Übungen, Isokinetik, Krafttraining,
Fahrradfahren/Schwimmen ohne Einschränkung.
• Ab 10. Wo.: Ferseneinlage 1 cm für 6 Mon. (z. B. Visko-Heel), Lauftraining in
ebenem Gelände.
• 13.–16. Wo.: Ferseneinlage 0,5 cm für 6 Mon., Sportfähigkeit.
Sportliche Belastung
• Frühestens ab 4. Mon., aber nur bei normaler Beweglichkeit und Muskulatur.
• Nach ca. 6 Mon. wettkampfmäßiges Training.
! Bei vorzeitiger sportlicher Belastung Rerupturen zu über 70 %.
206 7  Sportmedizin und Orthopädie  

Prognose
OP mit geringerer Rerupturrate (2–3 %) als kons. Ther. (2–8 %), allerdings Nach-
teile der operativen KO.

Quadrizepssehnenruptur
Epidemiologie
Bevorzugtes Alter ab dem 50. Lj., Ruptur der Sehne oder Abriss des oberen Patel-
lapols.
Ätiologie
Bagatellereignis, häufig unkontrollierte, abrupte Bewegung. Häufig bei Gewicht-
hebern.
Klinik
Aktives Streckdefizit (gestrecktes Bein kann nicht von der Unterlage abgehoben
werden), suprapatellare Delle (Frühstadium), später Hämatomschwellung, abnor-
me Patellaverschiebemöglichkeit v. a. nach distal.
Diagnostik
• Rö: Kniegelenk in 2 Eb. → Patellatiefstand (▶ 4.1.9), z. B. mit Ausriss des obe-
ren Patellapols.
• Sono: Kontinuitätsunterbrechung, Hämatom.
Therapie
Sofortmaßnahmen nach dem PECH-Schema (▶ 7.1.1).
Operative Therapie
• Sehnenruptur: End-zu-End-Naht (Durchflechtungsnähte), Rahmennaht als
Sicherungsnaht bei Sehnenruptur mit z. B. 0er-PDS.
• Knöcherner Abriss am oberen Patellapol: Parallel angeordnete Drahtcerclage
um das Polfragment oder Knochenanker (z. B. Mitek).
Nachbehandlung
• Sehnenruptur:
– Orthese für 6 Wo., Teillast für 6 Wo., Patellamobilisation und muskeltoni-
sierende KG bereits unmittelbar postop.
7 – Beginn frühfunktioneller NB 2 Wo. postop. (0–0–60 bis Anfang 3. Woche,
dann 2 Wochen 0–0–90, dann frei)
– Ab der 5. Woche Volllast erlaubt.
– Sportliche Belastung nach 4–6 Mon., aber nur bei normaler Beweglichkeit
und Muskulatur.
• Knöcherner Abriss:
– Bei sicher liegender Drahtcerclage frühfunktionelle Behandlung → Patella-
mobilisation.
– Teilbelastung mit gestrecktem Bein ab dem 3. Tag.
– Aktives Strecken und Beugen ohne peripheren Widerstand bis zur 6. Wo.
– Steigerung von Belastung und Beweglichkeit bis zur 8. Wo.
– Sportliche Belastung nach ca. 4 Mon., aber nur bei normaler Beweglich-
keit und Muskulatur.
   7.2  Überlastungsschäden und Überlastungsfolgen  207

Patellasehnenruptur
Epidemiologie
Überwiegend bei Pat. im 30.–50. Lj. Gleicher Unfallmechanismus und gleiche
Rupturformen wie bei der Quadrizepssehnenruptur zzgl. des knöchernen Ausris-
ses der Tuberositas tibiae.
Klinik
Aktives Streckdefizit, infrapatellare Delle, Patellahochstand, abnorme Patellaver-
schieblichkeit nach proximal.
Diagnostik
• Rö: Patellahochstand (▶ 4.1.9), knöcherne Ausrisse.
• Sono: Kontinuitätsunterbrechung, Hämatom.
Therapie
Erstversorgung nach dem PECH-Schema (▶ 7.1.1).
Operative Therapie
• Interligamentäre Ruptur: End-zu-End-Naht mit 0er-PDS (▶ 1.2.6), zusätzli-
che Sicherung durch Drahtcerclage (Tuberositas tibiae und Patella, ovalär an-
gelegt) oder nichtresorbierbare Rahmennaht.
• Knöcherne Abrisse: Am oberen Patellapol Drahtcerclage wie oben, Knochen-
anker oder Schraubenfixation des Polfragments.
• Tuberositasabriss: Schraubenfixation oder Zuggurtung.
Nachbehandlung
• Wie Quadrizepssehnenruptur. Entfernung der Drahtcerclage 10–12 Wo.
postop.
• Sportfähigkeit: Frühestens 4 Mon. postop. bzw. nach Trauma, aber nur bei
normaler Beweglichkeit und Muskulatur.

7.2 Überlastungsschäden und
Überlastungsfolgen
7.2.1 Definition 7
Fehlbeanspruchung als Folge eines Missverhältnisses zwischen der individuell
möglichen Belastbarkeit des Binde- und Stützgewebes und der tatsächlichen Be-
lastung durch Training und Wettkampf. Chron. einwirkende Mikrotraumen auf
Stütz- und Bindegewebe → reversible Funktionsbehinderungen. Ohne adäquate
Behandlung → irreversible Störungen = Überlastungsschaden.

7.2.2 Tendopathien und Insertionstendopathien


Definition
Reaktive, schmerzhafte Entzündungsreaktion der Sehne bzw. Sehneninsertion,
häufig mit deg. Veränderungen dieser Gewebebereiche.

Einteilung
▶ Tab. 7.1
208 7  Sportmedizin und Orthopädie  

Tab. 7.1  Mögliche Formen von Insertionstendopathien


Betroffene Muskulatur Insertion Bevorzugte Belastungen

M. supraspinatus (▶ 9.1.25) Tub. majus humeri Wurfsportarten, Tennis,


Volleyball, Kanu

M. subscapularis Tub. minus humeri

Finger- und Handextensoren Epicondylus lat. humeri Wie bei M. supraspinatus,


(Tennisellenbogen; ▶ 9.2.11) Rudern, Schießen

Finger- und Handflexoren Epicondylus med. hu­ Wie bei M. supraspinatus,


(Golferellenbogen) meri Golf, Kanu

OS-Adduktoren Os pubis Fußball, Leichtathletik

Ischiokrurale Muskulatur Os ischii, distale Ansätze Laufsportarten (Langstre­


cke, Sprint)

M. rectus femoris Spina iliaca ant. inf. Fußball

M. quadriceps femoris Oberer und unterer Pa­ Sprungsportarten, Basket­


(„Jumper's Knee“) tellapol, Tuberositas ti­ ball, Volleyball
biae

M. triceps surae Tuber calcanei Alle lauf- und sprungbe­


lastenden Sportarten

Plantarfaszie, M. flexor digi­ Tuber calcanei Alle lauf- und sprungbe­


torum lastenden Sportarten

M. gluteus medius und Trochanter major Alle lauf- und sprungbe­


­minimus lastenden Sportarten

Klinik und Diagnostik


• Anamnese: Erste Sehnenschmerzen häufig am Tag nach extremen bzw. unge-
wohnten sportlichen Belastungen, bei schlechtem Trainingszustand, grippalem
Infekt, ungewohntem Bodenbelag, neuem Tennisschläger u. a. Begleitumständen.
• Anlaufschmerzen, die unter Belastung verschwinden, dann anhaltende
Schmerzen unter Belastung.
7 • Lokaler Druck- und Dehnungsschmerz, Schmerzen bei Belastung gegen Wi-
derstand, Verhärtung und Verkürzung der Erfolgsmuskulatur.

Therapie
• Sportkarenz, solange die Beschwerdesymptomatik andauert (z. T. 3–6 Mon.).
• Akutstadium (3–4 Tage):
– Entlastung bzw. Teilbelastung im schmerzfreien Bereich, ggf. funktionelle
Verbände, lokal Eis, Elektrother. (Galvanisation; Iontophorese ▶ 20.4.2).
– Antiphlogistische Verbände (z. B. Diphlogont®) und Medikation (Diclofe-
nac 3 × 50 mg/d über 2–3 d → Magenanamnese! Phlogenzym® 3 × 2
Drg./d über 3–6 Wo.).
• Postakutes Stadium:
– Muskeltonisierende KG, Elektrother. (Interferenzstrom; Ultraschall
▶ 20.5.3), Eis, Massage, aktives Stretching (Nutzung der detonisierenden
Wirkung der Antagonisten), ggf. ergänzt durch 2–3 Inj. mit Traumeel®
und Carbostesin® im Bereich des Sehnenansatzes.
! Keine Kortikoidinj. → Gefahr der Ruptur (nicht bei Insertionstendopathie
im Bereich der oberen Extremitäten, des Schultergürtels und der WS).
   7.2  Überlastungsschäden und Überlastungsfolgen  209

• Inj.-Behandlung weiterhin umstritten, wissenschaftlicher Nachweis von


Wachstumsfaktoren, PRP oder ACP in der Behandlung von Muskelverlet-
zungen bislang nicht erbracht.
• Bei erfolgloser Ther. operative Entlastung des Sehnenansatzes, Entfernung
deg., narbiger Sehnenveränderungen.
• Sportliche Belastbarkeit:
– Bei Schmerzfreiheit.
– Statisch orientiertes Muskelaufbautraining (Einbeziehung der rumpfstabi-
lisierenden Muskulatur als Voraussetzung einer optimierten Bewegungs-
kontrolle und Muskeltonisierung), kontrollierte Bewegungen, Vermei-
dung von in die muskuläre Ermüdung führenden Belastungen, ausrei-
chende Trainingspausen (z. B. jeden 3. Tag bzw. 2. Tag Training, in jedem
Fall: Tägliche Stabilisationsgymnastik).
! Selbst bei Schmerzfreiheit ist das Risiko der erneuten Überlastung groß
wegen Muskeldefizits. Pathol. Reaktion i. d. R. erst am Tag nach einem
Training bei dynamisch exzentrischer Beanspruchung der betroffenen
Wadenmuskulatur, das nachgebende Verhalten dieser Muskulatur muss
gewahrt werden.

Komplikationen
Chronifizierung, Ossifikation im Bereich der Sehne, Tendinosis calcarea und des
Sehnenansatzes (Spornbildung).

Paratenonitis
Definition
Entzündung des Sehnengleitgewebes, Begleiterkr. einer Tendopathie, häufigste
Lokalisation: Hand- und Fingerextensoren, Achillessehne (Paratendinitis).
Klinik und Diagnostik
• Anamnese: Wie Tendopathie und Insertionstendopathie.
• Druckschmerzhafte Schwellung, Anspannungs- und Dehnungsschmerz,
schmerzhafte Krepitation beim Bewegen (Fibrineinlagerung – „Schneeball-
knirschen“), Verkürzung der Erfolgsmuskulatur.
Therapie
• Tendopathie und Insertionstendopathie ▶ 7.2.2. 7
• (Para-)Tendinitis Achillessehne: Kons. Ther. mind. 6 Mon., nur bei Erfolglosig-
keit OP: Exzision eines verdickten Peritendineums, Lösung von Verwachsungen.

MTSS = Medial Tibial Stress Syndrome


Ätiologie
Muskelverhärtung im Gefolge von Laufbelastung auf ungewohnten, harten Bo-
denbelägen, zu abrupter Übergang auf Laufbelastung mit Spikes, ungünstige Fuß-
stabilisierung und verstärkte Pro- und Supinationsstellung.
Therapie
• Reduktion der sportlichen Belastung (prinzipiell nur im schmerzfreien Be-
reich), keine Ausdauerbelastung.
• Lokale und systemische antiphlogistische Maßnahmen, Elektrother., Wech-
selbäder.
• Einlagenversorgung im Sportschuh.
210 7  Sportmedizin und Orthopädie  

• Konditionserhaltung durch Aquajogging, Schwimmen und Radfahren.


• Sportliche Belastbarkeit: Im ermüdungsfreien Bereich sofort möglich.
• OP: Bei Kompartmentsy. (▶ 7.2.5).

7.2.3 Knöcherne Stressreaktionen
Definition
„Materialermüdung“ des Knochens. Beispiel eines prim. Sportschadens. Lokalisa-
tionen: Tibia, Fibula, Os naviculare, Mittelfuß, Kalkaneus, Sesambeine.

Ätiologie
• Extreme Ausdauer- (Laufen, Gehen, Marschieren) und Sprungbelastungen
mit exzessiver, dynamisch-exzentrischer Muskelkontraktion (Tiefsprünge,
Reaktivsprünge) mit verstärkter, unkontrollierter Muskelbeanspruchung.
• Voraussetzung: Häufige, gleichartige submaximale Belastung bei zu geringer
Regenerationsphase.
• Risikofaktoren: BLD, Menstruationsstörungen, Essstörungen, geringe Kno-
chendichte.

Klinik
• I. d. R. verzögert registrierter zunehmender Belastungsschmerz, der im An-
fangsstadium in Ruhe verschwindet, später auch Ruheschmerz.
• Lokal begrenzter Druck- und Belastungsschmerz, evtl. Weichteilschwellung.
Diagnostik
• Anamnese: Sportart? Belastung? Menstruationsstörung? Essgewohnheit?
• Rö in 2 Eb.
– 1.–2. Wo. unauffällig.
– Nach 2–4 Wo. evtl. Fissur, vermehrte Sklerosierung.
• Knochenszintigramm: Bei negativem Rö-Befund und andauernden Beschwer-
den (Vorteil: Hohe Sensitivität, Nachteil: Geringe Spezifität, Strahlenbelastung).
• MRT: Bei negativem Rö-Befund und andauernden Beschwerden (Vorteil: Ho-
he Sensitivität und Spezifität, Nachteil: Hohe Kosten), Einteilung nach Arendt:
–  Grad I: Periostales Ödem (Fettunterdrückung, T2-gewichtet).
7 – Grad II: Periostales und Marködem (T2-Wichtung).
– Grad III: Markraumödem in T1- und T2-Wichtung nachweisbar.
– Grad IV: Fraktur sichtbar.

Therapie
• Grad I und II (= Stressreaktion): kons., Trainingspause.
• Grad III und IV: Trainingspause über 6–8 Wo., bei Tibiavorderkante 3–4
Mon., Os naviculare evtl. Zugschraube, Schenkelhalsfraktur meist OP.

7.2.4 Muskelkater (Delayed Onset Muscle Soreness; DOMS)


▶ 7.1.8
Definition
Vorübergehende belastungsabhängige Muskelschmerzen aufgrund von Mikro-
traumen von Muskelfasern, die ca. 8–24 h nach Überbeanspruchung auftreten.
I. d. R. spontanes Verschwinden innerhalb von Tagen.
  7.3 Schulsport  211

Diagnostik
Druck- und Dehnungsschmerz der betroffenen Muskulatur, Muskelverhärtung.

Therapie
Bewegungsther. (langsame kontrollierte Bewegungen), Lockerungs- und Deh-
nungsgymnastik, durchblutungsfördernde Maßnahmen (warme Bäder, Sauna,
Lockerungsmassage, Schwimmen).

7.2.5 Funktionelles Kompartmentsyndrom
Definition
Kompartmentsy. = Zustand eines erhöhten Gewebedrucks innerhalb eines ge-
schlossenen osteofibrösen Raums; traumatisch (▶ 13.2.35) oder funktionell nach
Muskelbelastung (akut, chronisch). Am häufigsten US betroffen, Sportarten: Lau-
fen und Sportgehen.

Klinik und Diagnostik


• Harte Muskelloge, persistierender Schmerz, typische Anamnese.
• Rö, intrakompartmentale Druckmessung.
Differenzialdiagnosen
Stressfrakturen, Muskelkater, Tenosynovitis, Periostitis, Claudicatio intermittens,
Claudicatio spinalis, Phlebothrombose, Thrombophlebitis, komplexes regionales
Schmerzsyndrom, Nervenläsion, Infekte, Tumor, Baker-Zyste.

Therapie
• Akut: Ruhe, keine Hochlagerung, Antiphlogistika, operative Dekompression
bei Druckwerten > 40 mmHg.
• Chronisch: Primär kons., bei Persistenz Fasziotomie (60–100 % beschwerdefrei).

7.3 Schulsport
Schulsportunfälle sind BGlich versichert (▶ 21.1.3, ▶ 22.3.1).
7
Schulsportbefreiung
• Orientiert sich am Ausmaß der Erkr. und an den damit verbundenen Funkti-
onsstörungen, der notwendigen Entlastungen und einer möglichst schnellen
und risikolosen Wiedererlangung uneingeschränkter Belastbarkeit (▶ Tab. 7.2).

Tab. 7.2  Freistellung im Schulsport (modifiziert nach der Deutschen Gesell-


schaft für Sportmedizin und Prävention e. V.)
Erkrankung Vollfreistellung Umfang der Teilfreistellung Dauer

Schiefhals Postop. 3 Mon. Schnelle Rotationsbewegungen 3 Mon.

Thoraxdeformitäten – Bei Beeinträchtigung des kar­ Auf Dauer


(Trichter-, Kielbrust) diopulmonalen Systems

WK-Fehlbildungen – Extreme axiale Belastungen* Auf Dauer


212 7  Sportmedizin und Orthopädie  

Tab. 7.2  Freistellung im Schulsport (modifiziert nach der Deutschen


­Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e. V.) (Forts.)
Erkrankung Vollfreistellung Umfang der Teilfreistellung Dauer

Spondylolyse – Extreme lumbale Hyperlordo­ Auf Dauer


sierung2

Spondylolisthesis Bei akutem Lumbal hyperlordosierende Bis ca. 22. Lj.


Gleiten bzw. Belastung
neurol. Ausfäl­
len 2–6 Mon.

Morbus Scheuer­
mann

• Florides Stadium 3–6 Mon. Stark oder dauernde kypho­ Für die Dau­
sierende, lordosierende oder er des
axiale Belastung Wachstums

• Bei Residuen nach – Abhängig vom Ausmaß der Auf Dauer


Wachstumsab­ WK-Fehlbildungen
schluss

Haltungsanomalien, – – –
-fehler, -schwächen
(Rund-, Flach-, Hohl­
rücken)

Idiopathische Skoli­
ose

• ab 20° – Extreme axiale Belastungen* Bis Wachs­


tumsab­
schluss

• > 40° bzw. Pro­ – Alle axialen Belastungen und Auf Dauer
gredienz Dauerbelastungen

• > 50° (bei evtl. Dauer der Alle axialen Belastungen und Auf Dauer
Ind. zu OP) postop. NB Dauerbelastungen

• Postop. 1 J. postop. Individuell, kein Leistungs­ Individuell


7 sport, Kontaktsportarten,
Springreiten, Bodenturnen

Spondylitis 3–6 Mon. – –

Habituelle Schulter­ – Abduktions- und Außenrota­ Bis zur er­


luxation (nicht tionsbewegungen (Wurf, folgreichen
­operiert) Stoß) OP

BLD > 5 cm Nach OP indi­ Lange Laufbelastung, Sprung, Auf Dauer
viduell Sprint oder bis Kor­
rektur

Coxa valga bzw. – Bei Subluxationsstellung lan­ Auf Dauer


Hüftdysplasie ge Laufbelastung, Sprung
und Sprint

Kongenitale Hüft­ – Alle Belastungen außer Auf Dauer


luxation Schwimmen und leichter
Gymnastik
  7.3 Schulsport  213

Tab. 7.2  Freistellung im Schulsport (modifiziert nach der Deutschen Gesell-


schaft für Sportmedizin und Prävention e. V.) (Forts.)
Erkrankung Vollfreistellung Umfang der Teilfreistellung Dauer

Genua valga, vara, Nach OP 3–5 Nur bei starker Fehlbela­ Auf Dauer
recurvata Wo. stung: Lange Laufbelastung, oder bis zur
Sprung, Sprint Korrektur

Morbus Perthes Im Initialstadi­ Alle Belastungen außer 1–3 J.


um 6 Wo. Schwimmen und Gymnastik
im Sitzen**

Epiphyseolysis capi­ Während der Wie bei Morbus Perthes Bis zum
tis femoris op. Primärbe­ Wachs­
handlung tumsab­
schluss

Osteochondrosis 6 Wo. postop. Bis zur Konsolidierung alle Knie: ½–3 J.


dissecans (Knie, Belastungen außer Schwim­ Hüfte: ½–2
Hüfte, SG) men und Gymnastik im Sitzen J.

Morbus Sinding-Lar­ Für die Dauer Belastungsaufnahme in fol­ 4–12 Wo.


sen, Morbus Schlat­ der Schmerzen gender Reihenfolge: Schwim­
ter men, Gymnastik, Laufen,
Spiele, Sprung

Chondropathia pa­ Bei Synovitis Kraftbelastung in und aus der 4 Wo.–2 J.


tellae 2–4 Wo. tiefen Kniebeuge, lange Lauf­
belastung

Habituelle Patellalu­ 1 Wo. nach Lu­ Sprint, Sprung, Brustschwim­ Bis zur ope­
xation xation men, Spiele rativen Kor­
rektur

Arthritis

• Bakteriell 2–6 Mon. Bei Defektheilung entspre­ Auf Dauer


chend der Lokalisation

• Rheumatoid Für die Dauer Abhängig von der Lokalisati­ Auf Dauer
des akuten on
Schubs

• Symptomatisch 2–6 Wo. – – 7


Osteomyelitis Bis zur Aushei­ Abhängig von Lokalisation 3–6 Mon.
lung und strukturellen Verände­
rungen

Morbus Bechterew Für die Dauer Alle Maximalkraft und stati­ Über J., oft
des akuten sche Kraft-Ausdauer-Belas­ auf Dauer
Schubs tungen

* betrifft nur Wettkampfsport (v. a. Sprungsportarten)


** betrifft nur Wettkampfsport (Geräteturnen, Delphinschwimmen)

• Generell ist Vollbefreiung nur bei teilweiser oder vollständiger Entlastung


entsprechender Gliedmaßenabschnitte erforderlich.
• Möglichst frühzeitige Teilsportbefreiung, sofern die damit verbundenen Be-
lastungen die Ther. und Reha nicht behindern. Häufig ist eine Sportrehabili-
tation vor der Schulsportfähigkeit sinnvoll.
214 7  Sportmedizin und Orthopädie  

• Attest für Schulsportbefreiung: Ärztliche Stellungnahme auf Antrag der


Schule bzw. des Erziehungsberechtigten; diese sollte enthalten:
– Dauer.
– Umfang (Voll- oder Teilfreistellung).
– Verbotene Belastungen bzw. erwünschte Belastung bei Teilfreistellung.

7.4 Sport mit Endoprothesen


Definition
Sportartempfehlungen bei Prothesen des Hüft- und Kniegelenks, erarbeitet von
der Sektion Reha und Behindertensport der DGSP (www.dgsp.de).

Grundsätze
• Verbesserung von Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.
• Leistungs- und Wettkampfsport ist in allen Fällen, bei denen das prothetisch
versorgte Gelenk am Bewegungsablauf beteiligt ist, kontraindiziert.

Kontraindikationen
• Sportliche Aktivität bei TEP-Trägern kontraindiziert bei:
– Gelenkinf.
– Instabilität.
– Revisionsendoprothese.
– Muskelinsuffizienz.
• Relative KI, d. h. kein generelles Sportverbot (wenig belastende Bewegungs-
formen sind erlaubt): Übergewicht > 10 % nach Broca.
• Absolute KI: Leistungs- und Wettkampfsport.
Sportfähigkeit bei TEP-Patienten
Allgemeine Voraussetzungen
• Keine prothesenbedingte Ruhe- und/oder Belastungsschmerzen.
• Stabile Herz-Kreislauf-Verhältnisse (Belastungs-EKG bei Pat. > 40 J. erforder-
lich).
• OP mindestens 6 Mon. zurückliegend (reizlose Narbenverhältnisse, keine
7 Entzündungszeichen).
• Funktionelles Gangbild (kein Hinken, keine Gehhilfen, problemloses Trep-
pensteigen, keine Achsfehlstellung, keine signifikanten BLD).
• Radiologisch keine Zeichen von Lockerung, Osteoporose, Varusposition.
• Stabilisierung der glutealen Muskulatur (Muskelfunktionswerte 4–5, neg.
Trendelenburg-Zeichen, keine Duchenne-Zeichen).
• Angemessenes Bewegungsausmaß des Gelenks (Extension bis 0° möglich,
keine Kontraktur).
Individuelle Voraussetzungen
• Alter, Körpergewicht, kardiovaskuläre Erkr.
• Prothesendesign, Implantattechnik.
• Sportliche Vorerfahrung.
• Psychische Sportfähigkeit (Ehrgeiz, sportliche Ambition, Vernunft, Risikobe-
wusstsein).
   7.4  Sport mit Endoprothesen  215

Ziel der Beratung


Individuell richtiger Mittelweg zwischen gelenkstabilisierendem Bewegungs-
reiz und schädigender Überlastung.

Kontraindizierte Bewegungsabläufe
Gefahr der Implantatlockerung, Luxationsgefahr.
• Abrupte Rotationsbewegungen.
• Extensive Adduktion (Scheren, Kreuzen der Beine).
• Belastungsspitzen (Sprünge, Ballspiele).
Sport nach Hüft-TEP
Besonders geeignete Sportarten
• Schwimmen: Gut temperiertes Wasser, Vermeidung von kräftigem Bein-
schlag beim Brustschwimmen. Beste Disziplin: Kraulschwimmen, Rücken-
schwimmen.
• Rad fahren: Sturzgefahr auf freier Strecke, deshalb Heimtrainer empfehlens-
wert, Damenrad ohne Querstange.
• Gymnastik: Stets geeignet, sofern das Ziel der Gymnastik nicht die Beweg-
lichkeitsverbesserung, sondern die Erhaltung und Verbesserung der muskulä-
ren Leistungsfähigkeit ist. Keine extremen Bewegungen des operierten Ge-
lenks!
• Rudern: Übermäßige Hüft- und Kniebeugung vermeiden.
• Paddeln, Wandern, Walking ohne Probleme möglich.
• Skilanglauf (Diagonalschritt).
Bedingt geeignete Sportarten
• Dauerlauf: Nur bei guter Lauftechnik, weichem Boden, Stöße dämpfendem
Laufschuh, sofern zeitlich begrenzt und ohne Muskelermüdung.
• Golf: Problemlos bei guter Spieltechnik, d. h. kontrollierter Torsionsbelastung
im LWS- und Hüftbereich, unterstützt durch Schuhe ohne Spikes.
• Tischtennis.
• Kegeln.
Wenig geeignete Sportarten
Sportarten mit Belastungen im Schnelligkeits-Ausdauer-Bereich, notwendigen 7
Richtungswechseln, Kampfsportarten, Sprungdisziplinen, Ballspiele (Ausnah-
me Prellball, Schlagball), Rückschlagspiele (Tennis nur dann sinnvoll, wenn
z. B. in kontrollierter Form von der Grundlinie gespielt wird), alpiner Skilauf,
Reiten.

Sport nach Knie-TEP


• Sportliche Belastung wesentlich problematischer als nach Hüft-TEP.
• Empfehlenswerte Sportarten:
– Schwimmen (Aquajogging).
– Radfahren.
– Wandern.
– Stabilisierende Gymnastikformen.
216 7  Sportmedizin und Orthopädie  

7.5 Behindertensport
Ziel
Sport als Mittel zur Reha Behinderter und chronisch Kranker. Deutscher Behin-
derten-Sportverband (DBS) über 640.000 Mitglieder (2014).

Behinderungsgruppen
• Mentale Behinderung: Lernbehinderung, Down-Sy., ICP, geistige Behinde-
rung.
• Sinnesbehinderung: Sehschädigung, Blindheit, Gehörlosigkeit, Querschnitt.
• Motorische Behinderung: Amputation, Dysmelie, Poliomyelitis, Querschnitt.
• Chronische Erkr.: Asthma, KHK, ICP, Osteoporose, bösartige Erkr., MS, Z. n.
Transplantation, Morbus Bechterew u. a.

Wettkampfbereich
• Gruppen von Sportarten:
– Wie bei Nichtbehinderten: z. B. Leichtathletik, Schwimmen.
– Mit Regelanpassung: z. B. Rollstuhltennis, Sitzvolleyball.
– Neue Sportarten: z. B. Goalball (Torball für Blinde mit Glocke im Ball),
Rollstuhlslalom.
• Schadensklassen (Entwicklung der Klassifizierung im Fluss).
Beurteilung der Sporttauglichkeit
• Abhängig von KO, Verlauf und Prognose der Behinderung, sportartspezifi-
sche Risiken, individuelle Beratung.
• Informationen im Internet: www.dbs-npc.de

7.6 Doping
Definition
• Als Doping gilt:
– Die Existenz eines verbotenen Wirkstoffs im Körper eines Sportlers.
– Der Nachweis der Verwendung eines verbotenen Wirkstoffs aus dem
7 Urin.
– Der Nachweis des Einsatzes einer verbotenen Methode.
• Neufassung des Arzneimittelgesetzes (11. September 1998) § 6a: „Es ist verbo-
ten, Arzneimittel zu Dopingzwecken im Sport in den Verkehr zu bringen, zu verschrei-
ben oder bei anderen anzuwenden.“
• Definition (31. Januar 2001) der Medizinischen Kommission des IOC:
– Doping widerspricht der Ethik sowohl im Sport als auch in der Medizin.
– Doping besteht aus der Verabreichung von Wirkstoffen, die verbotenen
Gruppen pharmakologischer Wirkstoffe angehören, und/oder dem Ein-
satz verbotener Methoden.

Wirkstoffe und Methoden, die zu allen Zeiten verboten sind (in und
außerhalb von Wettkämpfen)
• S0 Nicht zugelassene Substanzen.
• S1 Anabole Substanzen.
• S2 Peptidhormone, Wachstumsfaktoren und verwandte Substanzen.
• S3 Beta-2-Agonisten.
  7.6 Doping  217

• S4 Hormone und Stoffwechselmodulatoren.


• S5 Diuretika und andere Maskierungsmittel.
• M1 Manipulation von Blut und Blutbestandteilen.
• M2 Chemische und physikalische Manipulation.
• M3 Gendoping.
Im Wettkampf verbotene Substanzen
• S6 Stimulanzien.
• S7 Narkotika.
• S8 Cannabinoide.
• S9 Glukokortikoide.
Bei bestimmten Sportarten verbotene Wirkstoffe
• P1 Alkohol.
• P2 Betablocker.
Kontrollen
• Wettkampfkontrollen entsprechen den Regeln der einzelnen Fachverbände.
• Jeder sportmedizinisch tätige Arzt sollte eine aktuelle Liste verbotener bzw.
erlaubter Substanzen besitzen. Wichtig für Orthopäden: Die nichtsystemisch
verabreichte Gabe von Glukokortikosteroiden ist erlaubt (keine TUE oder
DOU erforderlich). Vorsicht: Infusion ab 50 ml meldepflichtig.
• Liste der verbotenen Substanzen wird jährlich überarbeitet (Formulare und
Information über www.nada-bonn.de).

7
8 Infektionen der Weichteile,
Knochen und Gelenke
Michael Clarius und Guido Mohr

8.1 Allgemeine Klinik und 8.4 Osteomyelitis 230


­Diagnostik 220 8.4.1 Osteomyelitis (Überblick) 230
8.2 Therapie 221 8.4.2 Hämatogene
8.2.1 Prinzipien 221 ­Osteomyelitis 231
8.2.2 Operation 222 8.4.3 Exogene akute Osteo­
8.2.3 Vakuumtherapie myelitis 232
(V. A. C.®) 222 8.4.4 Chronische Osteomyelitis 233
8.2.4 Spül-Saug-Drainage 223 8.4.5 Spezifische Osteomyeliti-
8.2.5 Lokale Antibiotika, den 235
­Antiseptika 224 8.5 Eitrige Arthritiden 236
8.2.6 Systemische Antibioti­ 8.5.1 Unspezifische Arthritis 236
katherapie 224 8.5.2 Tuberkulöse Arthritis 238
8.2.7 Antibiotikaprophylaxe 225 8.6 Infizierter künstlicher
8.3 Infektionen der ­Gelenkersatz 239
Weichteile 225 8.7 Infektiöse Spondylitis,
8.3.1 Unspezifische Weichteil­­- ­Spondylodiszitis 241
in­fektionen 225
8.3.2 Spezifische Weichteil-
in­fektionen 227
220 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

8.1 Allgemeine Klinik und Diagnostik


Ätiologie
Infektionen sind Folge einer Kontamination (Verletzung, OP), einer endoge-
nen, d. h. septisch-metastatischen Streuung oder einer Ausbreitung per continu-
itatem. Ausmaß abhängig von der Pathogenität der Erreger, der Resistenzlage
des Pat., der Zeit und vom betroffenen Gewebe. Infektrate nach primär asepti-
schen Eingriffen am Bewegungsapparat: 1–2 %. Haupterreger: Staphylokokken
(aureus, epidermidis), seltener Streptokokken, Enterokokken und Pseudomo-
nas aeruginosa.

Klinik
• Leitsymptome: Calor, Rubor, Dolor, Tumor und Functio laesa.
• Vermehrte Sekretion, Lymphangitis, Lymphadenitis und Fieber.
Bildgebende Verfahren
• Nativ-Rö: Pathol. Veränderungen des Knochens i. A. erst ab der 3. Wo. er-
kennbar, beim Säugling ab 2. Wo.
• Knochenszinti (▶ 4.5): Aussagen über Floriditätsgrad, andere Herde?
• Knochenmarkszinti: Isotopenmarkierung von Leukos zur Unterscheidung
septischer und aseptischer Prozesse, Hinweise auf Floriditätsgrad.
• Sono: Abszesse, Gelenkergüsse.
• CT: Bei komplizierten anatomischen Verhältnissen (z. B. WS), Beurteilung ei-
ner Weichteilbeteiligung.
• MRT: Sensitiver in der Diagn. von z. B. Spondylodiszitiden (▶ 8.7) als Nativ-
Rö oder CT. T2-gewichtete Bilder ergeben höhere Signalintensität des Osteo-
myelitisherds (▶ 8.4). Evtl. zusätzlich mit KM (Gadolinium). Gute Beurteilung
der Weichteile.

Labor
• BB: Bei bakt. Infekt Leukozytose, Linksverschiebung. Lymphozytose bei Vi-
rusinfekten. Cave: DD einer neutrophilen Granulozytose → reaktive Verände-
rungen.
• CRP: „Akut-Phase-Protein“, schneller Anstieg und weniger störanfällig als
BSG.
• BSG (Stellenwert erheblich zugunsten CRP gesunken): Stark ↑ in der akuten
Phase. Gering oder nicht ↑ bei chron. Osteomyelitis und bei Tbc. Cave: Obe-
rer Normalbereich alters- und geschlechtsabhängig.
• E'phorese: Bei Inf. in der Akutphase α2-Globulin ↑, bei chron. Inf. γ-Globulin ↑.
8 • Serumeisenspiegel ↓ und Serumkupferspiegel ↑ bei entzündlichen Prozessen.
• AK-Titer (▶ 16.4.1):
– Streptokokkentiter: Wichtig bei rheumatischem Fieber und hämatogener
Osteomyelitis im Säuglings- und Kindesalter.
– Serologische Untersuchung auf Lues, Chlamydien und Borrelien bei un-
klarer Arthritis.
– Serologische Untersuchung auf Brucellen, Mykoplasmen und Salmonellen
bei unklarer Spondylitis.
  8.2 Therapie  221

Mikrobiologischer Keimnachweis
• Abstrich: Entnahme vom Wundgrund, Kontamination des Tupfers mit Haut-
keimen vermeiden.
• Punktion: Sterile Kautelen. Geeignet bei V. a. Empyem.
• Gewebeprobe (Biopsie) durch OP.
• Blutkultur: Bei Temperaturanstieg und Schüttelfrost. Sorgfältige Hautdesin-
fektion, Abnahme einer aeroben und anaeroben Probe am günstigsten im El-
lenbogenbereich (je 5 ml Vollblut). Untersuchung ggf. mehrfach wiederholen.

Tuberkulose
• Tuberkulin-Hauttest (Mendel-Mantoux):
– Ergebnis nach 72 h ablesen (Frühreaktionen nicht werten!).
– Pos. Reaktion ab Ausbildung einer Papel > 5 mm (nach Tbc-Impfung
in ca. 90 % pos. Test; in 3–5 J. allmählich neg.) → Tbc-Verdacht bei
starker Testreaktion, bei Testkonversion und bei pos. Test bei Nicht-
geimpften.
! Auch ein negativer Tuberkulin-Test schließt Tbc nicht gänzlich aus → falsch
neg. Test bei Immunsuppression (HIV).
• γ-Interferon-Test: Höhere Sensitivität und Spezifität.
• V. a. Tbc: Nachweis von Mykobakterien in Punktat, Abstrich, Biopsie, Spu-
tum (an 3 d hintereinander gewinnen), Magensaft (Aspiration über Magen-
sonde bei nüchternem Pat., evtl. mit NaCl-Lösung vorspülen) und Urin.
– Objektträgerausstrich und Ziehl-Neelsen-Färbung. Ergebnis sofort.
– Kultur: Spezialnährboden. Pos. Ergebnis frühestens nach 8 d, i. d. R. nach
4–6 Wo.
– Ggf. Ergänzung der Diagn. durch Erreger-DNA-Nachweis über PCR.

8.2 Therapie
8.2.1 Prinzipien
Grundsätze: „Ubi pus, ibi evacua“ und „Never let the sun set“. Mechanische
Maßnahmen und Wundreinigung (radikales Débridement), lokal antiseptisch/
antibiotisch wirksame systemische Antibiotikather. nach Antibiogramm
(▶ Abb.  8.1).

8
222 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

Abb. 8.1  Therapiealgorithmus der Wundinfektion [L106]

8.2.2 Operation
• OP-Ind. ist dringlich zu stellen. Bei V. a. postop. Wundinfekt Operateur oft
befangen, deshalb 2. Meinung. Im Zweifel operative Revision.
• Chirurgisches Débridement (Entfernung sämtlicher Nekrosen und Beläge)
muss kompromisslos und radikal sein, grundsätzlich in Narkose, nie in LA.
! Die Anlage einer Blutleere ist bei der Revision kontraindiziert.
• Wenn möglich, Jet-Lavage (pulsierender Wasserstrahl).
• Intraop. nach Débridement weitere Strategie planen (Ind. zum „Second
Look“ großzügig stellen).

Mechanische Ruhe ist Voraussetzung für die Heilung nach Infekt am Knochen.

• Stabilität im infizierten Bereich schaffen (äußere Ruhigstellung, Fixateur externe).


8 • Prim. Wundverschluss nicht erzwingen.
• Offene Wundbehandlung oder alternativ Vakuumther. (▶ 8.2.3).
• Amputation erwägen bei ausgedehnten Befunden (Weichteile und Knochen), ho-
hem Alter und schlechtem AZ, Vorerkr. (z. B. Diab. mell., AVK), chron. Fistelung.

8.2.3 Vakuumtherapie (V. A. C.®)
Prinzip: Geschlossene Wundbehandlung. Ein Polyvinylalkohol- (weiß) oder Po-
lyurethan-Schwamm (schwarz) wird in die Wunde gelegt und mit transparenter
Verbandsfolie abgedeckt. Unterdruck wird über Drainagesystem angelegt.
Ind.: Septische Wunden, Dekubitus, Ulcus cruris, diabetischer Fuß, Brandwun-
den 2.°, traumatische Wunden, Spalthautentnahmestellen.
  8.2 Therapie  223

Vorteil: Feuchtes Wundmilieu, Entfernung von Wundsekret und Toxinen, rasche


Bildung gefäßreichen Granulationsgewebes, Folie wirkt als Inf.-Prophylaxe von
außen, keine Keimverschleppung durch geschlossenes System.
Anwendung:
• Schwamm auf Wundgröße zuschneiden und fixieren.
• Redon epi- oder transkutan ausleiten.
• Folie 5–10 cm überlappend auflegen.
• Redon-Schlauch in Gelstreifen einlegen oder mit der Folie einen Steg (Sand-
wichtechnik) formen (billiger!).
• Appl. von Unterdruck über elektrisches Pumpensystem (kontinuierlich oder
intermittierend) oder große Redon-Flaschen (Nachteil: Druck nicht steuerbar).
• Empfohlene Druckbereiche: 25–200 mmHg (3–27 kPa), Bsp. Knöchel und
Fuß bei Durchblutungsstörungen 25 mmHg, Spalthautentnahmestellen 75–
125 mmHg, große Wundflächen 125–200 mmHg.
• Wechsel der Vakuumther.: Bei traumat. Wunden alle 4–5 d, bei Inf. je nach
Sekretmenge und Lokalisation alle 2–5 d.
Kontrolle: Regelmäßige Kontrolle des Vakuums am sichtbaren Schwamm (Pro-
tokoll!). Falls System undicht → entfernen bzw. Wechsel (dringlich!).
Variante: V. A. C. Instill (Prinzip ähnelt Spül-Saug-Drainage). Mehrfach tgl. Appl. ei-
nes Antiseptikums (z. B. Lavasept®; Prontosan®), Antimykotikums, Lokalanästheti-
kums oder Antibiotikums über T-Stück. Anschließend Vakuumapplikation (Zyklus je
nach Flüssigkeit und Wundverhältnissen bis zu 24 ×/24 h).

8.2.4 Spül-Saug-Drainage
Prinzip: Mechanische Reinigung von
infizierter Wundhöhle oder Gelenk
zur Senkung der Keimkonzentration
(▶ Abb.  8.2). Stellenwert sinkt im kli-
nischen Alltag und weicht geplanter
operativer Etappenstrategie („Second
Look“).
Ind.: Kniegelenkinfekt, Frühinf. nach
Gelenkersatz.
Nachteile: Spülflüssigkeit gelangt in
Weichteile (cave: Schultergelenk),
Ödem, Gefahr von Druckschäden und
Kompartmentsy., Ausbildung von
Abb. 8.2  Spül-Saug-Drainage bei Knie-
Spülstraßen, pflegeintensiv. gelenkempyem [L106]
Anwendung:
• Spülmenge (ca. 5 l Ringer-Laktat tgl.) bilanzieren. 8
• Zuführender Drain im Zentrum des Herds, ausreichend weitlumige, abfüh-
rende Drainagen peripher → optimale Reinigung der gesamten Wundhöhle.
• Vor endgültiger Drainagenentfernung 2–3 d nur Sekretsaugung über alle
Drainagen.
Kontrolle:
• Bei Verstopfung der abführenden Drains Wechsel der Zu- und Abläufe. Falls
die bilanzierte Spül-Saug-Drainage nicht wieder in Gang kommt, frühzeitig
entfernen oder neu anlegen.
• Bakteriologische Kontrolle des ablaufenden Sekrets.
• Bei Drainagewechsel oder -entfernung Drainagespitze in Bakteriologieröhr-
chen mit Frage nach Keimnachweis/-menge einschicken.
224 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

8.2.5 Lokale Antibiotika, Antiseptika


Kollagen-Vlies mit Gentamicinzusatz (Sulmycin-Implant®, Septocoll®)
Ind.: Septische Wunden nach Débridement.
Vorteil: Resorbierbar, blutstillend, gut verträglich.
Nachteil: Kurze Wirksamkeit. Bei Gentamicinsulfat sind 90 % nach 48 h gelöst,
bei Komb. Gentamicinsulfat mit Gentamicincrobefat (Septocoll®-Vlies) verzöger-
te Freisetzung über 10 d, Sekretionsneigung.

Redon auf Überlauf und verzögertes Ziehen nach 4–6 d.

PMMA-Gentamicinketten (Septopal®)
Ind.: Knochen- und Weichteilinf. mit gentamicinempfindlichen Keimen.
Vorteil: Kontinuierliche Freisetzung von Aminoglykosiden (Gentamicin), hohe
lokale, niedrige systemische Konzentration. Keine Limitierung der Kugelanzahl.
Anwendung:
• Ketten mit 10, 30 oder 60 Kugeln. Minikette mit 10 oder 20 Kugeln.
! Nicht mit Saugdrainage kombinieren. Nur Überlaufdrain.
• Besser viele kleine Kugeln als wenige große zur vollständigen Ausfüllung der
nach Débridement entstandenen Wundhöhle. Cave: Keine intraop. Verkno-
tung der Ketten → Ziehen der Ketten deutlich erschwert oder unmöglich.
• Bei über Hautniveau ausgeleiteter Kette schrittweise Entfernung innerhalb
von 10–14 d: Beginn nach einigen Tagen, tgl. Herausziehen von 1–2 Kugeln
(Zahl dokumentieren!). Evtl. Kurznarkose bei Kindern und sensiblen Erw.
• Prim. vollständige Versenkung der Ketten möglich. Entfernung dann nur in
einem geplanten zweiten Eingriff möglich (z. B. TEP-Reimplantation).

Antiseptika
Prinzip: Keimzahlreduktion durch aktive Zerstörung der Keime, z. B. PVP-Jod-
haltige Präparate, Lavasept®, Chloramin T®, Octenisept®, Taurolin®.
Nachteil: Hemmung der Wundheilungsvorgänge, alkoholische Lsg. verursachen
Schmerzen.
Anwendung:
• Notwendige Einwirkzeiten sind für die Präparate verschieden (z. B. Taurolin®
30 Min.).
• Antiseptika wegen möglicher schädlicher Interaktionen nicht kombinieren.
• Bei anaeroben Inf. wie Gasbrand ist Wasserstoffperoxid Mittel der Wahl.

8 8.2.6 Systemische Antibiotikatherapie
Soforttherapie
Oft erforderlich aus klinischer Situation (z. B. Sepsis). Hoch dosierter Einsatz
eines ausreichend breit wirkenden Antibiotikums, auf das der erwartete Er-
reger i. d. R. empfindlich ist. Bsp.: 2-fach-Komb., z. B. Cefuroxim 3 × 1,5 g/d
i. v. und Rifampicin 1 × 600 mg/d i. v.

Anwendung:
• Antibiotikather. möglichst erst nach Materialgewinnung (Abstrich, Punktat,
Biopsie, Blutkultur).
   8.3  Infektionen der Weichteile  225

• Bei Erregernachweis Ther. nach Antibiogramm (wichtige Voraussetzung für


erfolgreiche Behandlung).
• Ther.-Dauer (in der Literatur unterschiedliche Angaben): Bei eitriger Arthri-
tis mind. 3 Wo., bei Osteomyelitis mind. 6 Wo. Initiale i. v. Gabe. Dauer ab-
hängig von Klinik und Entzündungsparameter (BB, CRP).
• Rezidivgefahr: u. a. aufgrund schlechter Antibiotikadiffusion in den Knochen.
Deshalb ausreichend lange Behandlung!
Kontrollen:
• Ggf. Antibiotika-Serumspiegel (Vancomycin) → Erstbestimmung 2. Tag,
dann 1 ×/Wo.
• Mikrobiologische Kontrollen im Therapieverlauf→ Abstriche, besser Gewebe-
proben, insbes. bei Langzeitther. (Erregerwechsel?). Obligat bei Fieber und
fehlendem Rückgang der Entzündungsparameter.
• Entzündungsparameter (BB, CRP) auch nach Ende der Antibiotikather., um
Wiederaufflackern zu erkennen.
Ursachen des Versagens der Antibiotikather.:
• Pat.: Verminderte köpereigene Abwehr (Zytostatikather., Malignom. Diab.
mell., Alkohol, etc.), Fremdkörper (ZVK, Katheter, Tubus, Implantate),
schwer zugänglicher Infektionsort (Osteomyelitis, Endokarditis), Drug fever,
schlechte Compliance.
• Erreger: Falscher Keim (Pilze, Viren), Mischinf., Superinf., Resistenzentwicklung.
• Antibiotikum: Falsches Antibiotikum, falsche Dosierung, Ther.-Dauer zu
kurz, schlechte Penetration zum Infektionsort, Inaktivierung des Antibioti-
kums bei Appl.; falsche Resistenzbestimmung im Labor.

8.2.7 Antibiotikaprophylaxe
Ind.: OPs mit Endoprothesen (Hüft-, Knie-, Schulter-TEP), Osteosynthesen bei
offenen, hüftgelenknahen oder geschlossenen Frakturen mit höhergradigem
Weichteilschaden, WS-Eingriffe (inkl. Diskektomie), Eingriffe bei erworbenem
oder angeborenem Immundefizit (z. B. Diab. mell., fortgeschrittenes Tumorleiden,
Immunsuppression, Kortikoidther., Chemother., AIDS), Eingriffe mit einer vor-
aussichtlichen OP-Dauer > 2 h.
Anwendung: I. d. R. Einmalgabe eines Cephalosporins, z. B. Cefuroxim 1,5 g
mind. 30 Min. vor Schnitt. Bei längerer OP-Zeit und nach Öffnen der Blutsperre
2. Gabe empfohlen.

8.3 Infektionen der Weichteile


8
8.3.1 Unspezifische Weichteilinfektionen
Abszess
Definition
Eiteransammlung in einem durch Gewebeeinschmelzung entstandenen Hohlraum.
Ätiologie
Erreger meist Staphylokokken, E. coli, Mischinf.
Diagnostik
• Tastbare Fluktuation bei größeren Abszessen.
226 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

• Sono: Bes. bei oberflächlichen Abszessen.


• MRT: Bei V. a. tiefen Weichteilabszess (z. B. Psoasabszess bei Spondylodiszitis).
• Ggf. Punktion zur Diagnosesicherung.
Therapie
• Abszessspaltung, besser operative Revision und Drainage.
• Bei ausgedehnten Abszesshöhlen anschl. Vakuumther. (▶ 8.2.3) und Antibio-
tikather.
! Keine LA → Gefahr der Keimverschleppung.

Phlegmone
Definition
Diffuse, sich infiltrativ ausbreitende Entzündung des interstitiellen Bindegewebes
mit lokalen und allg. Entzündungszeichen.
Ätiologie
Erreger meist Streptokokken, aber auch Staphylokokken und Mischinf.
Therapie
• Ruhigstellung, Rivanol®-Umschläge.
• Hoch dosiert i. v. Antibiotikather. auf breiter Basis, z. B. Cefazolin Erw. 3 ×
2 g/d, Kinder 60–100 mg/kg/d (z. B. Basocef®).
• Bei purulenter Phlegmone breite Eröffnung und radikale Nekrosektomie.
Infiziertes Hämatom, Serom
Therapie
Großzügige Ind. zur operativen Revision stellen. Hierbei Nekrosektomie, (Jet-)
Lavage (▶ 8.2.2), lokale antiseptische/antibiotische Maßnahmen, dann Wundver-
schluss und Drainage oder offene Wundbehandlung bzw. Vakuumther. (▶ 8.2.3).
Keine Komb. verschiedener Lokaltherapeutika, da mögliche Interaktion.

Bursitis
Definition
Schleimbeutelentzündung, häufig B. praepatellaris und B. olecrani.
Ätiologie
Verletzungen, chron. mechanische Irritation, z. B. Plattenleger, „Student's Elbow“,
selten Inf.-Krankheiten (Gonorrhö, Tbc), Gicht, Rheuma.
Klinik
8 • Rötung, Überwärmung, Fluktuation, Lymphangitis, Lymphadenitis.
• Unterscheidung akute (eitrig-serös) und chron. Bursitis.
Therapie
Ruhigstellung und Antibiotikather. OP-Ind. bei eitriger und chron. rez. Bursitis.

Feuchte Gangrän (feuchter Brand)


Definition
Entzündung mit nachfolgender Nekrose von Extremitätenabschnitten. Man
spricht von trockener Gangrän (trockener Brand), solange diese nicht infiziert ist.
   8.3  Infektionen der Weichteile  227

Ätiologie
Meist auf Boden einer Vorschädigung mit schlechter Durchblutung und Abwehr-
schwäche, z. B. Diab. mell. oder AVK.
Therapie
Symptomatisch bis zur Demarkierung, dann Nekrektomie bzw. Grenzzonenam-
putation (▶ 23.11).

Nekrotisierende Fasziitis
Definition
Lebensbedrohliches, dramatisches Krankheitsbild mit foudroyanten Nekrosen
der Faszien und rascher Progredienz.
Ätiologie
Erreger häufig Streptokokken der Gruppe A.
Klinik und Therapie
• Gefürchtete Komplikation ist das Streptococcal Toxic Shock Syndrome
(­STSS), ein schweres septisches Zustandsbild mit Hypotonie, Nierenversagen
und multiplen Organdysfunktionen.
• Risikopat.: Diab. mell., pAVK, Alter > 65 J., Alkohol-, Drogenabusus,
­Immunsuppression, HIV.
• Entscheidender Schritt für das Überleben des Pat. sind frühzeitige klin.
­Diagn. und radikales chirurgisches Débridement.
• Letalität ca. 30 %.
8.3.2 Spezifische Weichteilinfektionen
Tetanus (Wundstarrkrampf)
Inkubationszeit
3–14 d.
Ätiologie
• Erreger: Clostridium tetani. Anaerobier und Toxinbildner. Ubiquitär verteilt,
v. a. in Boden und Staub. Besonders gefährlich: Holzsplitter.
• Dringt über verschmutzte Wunden ein, bildet Neurotoxin.
! Sporen überleben jahrelang in Fremdkörpern (z. B. Granatsplittern). Wegen
möglicher Reaktivierung vor Entfernung Impfschutz überprüfen und ggf. ver-
vollständigen!
Klinik
• Tonische, schmerzhafte Muskelkrämpfe, meist in Nähe der Verletzung begin- 8
nend, Risus sardonicus (unwillkürliches, krampfartiges Grinsen), Trismus
(Kieferklemme), Opisthotonus (Überstrecken von Kopf und Körper),
Zwerchfellkrämpfe mit Dyspnoe, Hypoxie.
• Hyperthermie, Kopfschmerzen, Schwindel.
Diagnostik
• Klinik.
• Toxinnachweis (Gewebe, Blut), Tierversuch (spezialisierte Labors).
• Impftiter: Schutzgrenzwert 0,01 IE/ml, sicherer Schutz anzunehmen ab ≥ 0,1
IE/ml (jeweils ELISA).
228 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

Differenzialdiagnosen
Tetanie, z. B. durch Hyperventilation, Kalziummangel, Poliomyelitis, Tollwut.
Therapie und Prognose
• Chirurgische Sanierung der Eintrittspforte, hochdosiert Hyperimmunglobu-
lin (Tetagam® 1. Tag 10.000 IE, an den Folgetagen 3.000 IE).
• Hochdosierte Antibiotikather. mit Penicillin G 200.000 IE/kg KG/d zur Kei-
melimination.
• Symptomatische intensivmedizinische Ther. mit Skelettmuskelrelaxierung,
Sedierung, ggf. Beatmung.
! Letalität 20–40 %.
Prophylaxe

Wichtigste Ther. der Tetanusinfektion ist deren Prophylaxe.

Angaben zur Tetanusimpfung ▶ 1.2.5.

Gasbrand
Inkubationszeit
Mehrere Stunden bis 3 d.
Ätiologie
• Erreger: Clostridium perfringens, Anaerobier und Exotoxinbildner. Ubiquitär
vorkommend, auch im menschlichen Darm.
• Vorwiegend tiefe, verzweigte, gequetschte Wunden betroffen.
Klinik
• Starker Wundschmerz, Ödem, Knistern im Wundbereich bei Palpation, grün-
braune Hautverfärbung, fleischwasserfarbene Sekretion, Fäulnisgeruch, Muskel
wie gekochter Schinken durch nekrotisierende Myositis, Lymphadenitis.
• Akut septisches Bild mit stark reduziertem AZ, Tachykardie, Hypotonie, Ikte-
rus, Anämie, Zyanose, Schock und ANV.
Diagnostik
• Klinik.
• Erregernachweis in Muskelpräparat und Wundsekret (anaerobes Transport-
medium), nicht obligat: Muskelfiederung im Rö.
Therapie und Prognose
• Großzügige und radikale, operative Wundrevision mit ausgedehnter Faszien-
8 spaltung und offener Wundbehandlung.
• Hochdosierte Antibiotikather. mit Penicillin G (200.000 IE/kg KG/d) und
Metronidazol (1.500 mg/d).
• Symptomatische intensivmedizinische Ther., postop. hyperbare Oxygenie-
rung, bei Extremitätenbefall ggf. Amputation.
! Letalität 40–60 %.

Tollwut (Rabies)

Verdacht, Krankheit und Tod sowie bereits die Verletzung eines Menschen
durch ein verdächtiges Tier sind namentlich meldepflichtig.
   8.3  Infektionen der Weichteile  229

Inkubationszeit
10 d bis 3 Mon., am kürzesten bei Verletzungen im Gesicht. Erkr. in Deutschland
selten (20 Fälle in den letzten 20 J.), jedoch Import aus dem Nahen Osten, Asien
und Südamerika.
Ätiologie
• Erreger: Tollwutvirus (TWV).
• Inf. durch Inokulation von virushaltigem Speichel infizierter Tiere (meist
Hunde) in Hautläsionen durch Biss oder Belecken.
Klinik
• Prodromalstadium: Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schmerzen, Parästhesi-
en an der Bissstelle.
• Exzitationsstadium: Angst, Halluzinationen, motorische Unruhe, Speichel-
fluss, Hydrophobie, Schwitzen.
• Paralysestadium: Lähmungen, Aphasie, Koma, Tod.
Diagnostik
• Anamnese, Verhalten des Tiers, Sektion des Tiers mit histologischem Nach-
weis von Negri-Körperchen im Ammonshorn.
• Nachweis von TWV-Antigen in Speichel, Kornealabstrich, Liquor.
Therapie und Prognose
• Auch bei Verdacht stets Rücksprache mit Amtstierarzt, Tollwutschutzstelle
und Gesundheitsamt.
• Bei V. a. mögliche Tollwutinf. chirurgische Wundrevision und lokale Antiseptika.
• Postexpositionsprophylaxe durch Impfung (Empfehlungen STIKO):
– Expositionskategorie 1: Berühren oder Füttern von Tieren; Belecken der
intakten Haut; Berühren eines Impfstoffköders bei intakter Haut → keine
Schutzimpfung.
– Expositionskategorie 2: Knabbern an intakter Haut; oberflächliche Krat-
zer, die nicht zum Bluten führten; Belecken nicht intakter Haut → aktive
Schutzimpfung.
– Expositionskategorie 3: Jegliche Bissverletzung oder Kratzwunden, die die
Haut durchdringen; Kontamination von Schleimhäuten mit Speichel (z. B.
Lecken, Spritzer); Kontakt von Hautverletzungen oder Schleimhäuten mit
Impfstoffködern → aktive und passive Immunisierung.
• Impfung:
– Passive Immunisierung: 20 IE/kg KG Tollwut-Immunglobulin (Berirab®)
i. m. Dabei die Hälfte der Dosis um die Wunde infiltrieren, den Rest ent-
fernt i. m. applizieren.
– Aktive Immunisierung: Je 1 ml Tollwutimpfstoff (Rabivac-HDC-Vakzine®) 8
an den Tagen 0, 3, 7, 14, 28 und 90 (fakultativ).
– Dauer des Impfschutzes: 3–5 J.
– Präexpositionelle Impfung für Risikogruppen (Förster/Veterinäre) emp-
fohlen: 3 × 1 ml Tollwutimpfstoff (Rabivac-HDC-Vakzine®) an den Tagen
0, 7, 28. Auffrischimpfung alle 2–5 Jahre.
! Letalität bei eingetretener Erkr. 100 %.
230 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

8.4 Osteomyelitis
8.4.1 Osteomyelitis (Überblick)
Definition
„Osteomyelitis“ wird zunehmend durch „Osteitis“ ersetzt, da nicht nur Knochen-
mark, sondern auch Kompakta und Periost betroffen.

Ätiologie
• Endogen: Hämatogene Aussaat (Herd oder Allgemeininfekt) (▶ Abb.  8.3).
Hämatogene Form bei Kindern weitaus häufiger als bei Erw. (Ausnahme:
Spondylitis).
• Exogen: Posttraumatisch, postop.

Abb. 8.3  Einteilung der Osteomyelitis [L106]

Verlauf

Verlaufsformen einer Osteomyelitis: Akut, subakut, chronisch, klinisch stumm.

• Lokale Durchblutungsstörung (thromboembolischer Verschluss) mit Kno-


8 chennekrose: Sequester.
• Durch Randsklerose abgegrenzt: Totenlade.
• Durchbruch durch Kortikalis bei intaktem Periost: Subperiostaler Abszess.
• Durchbruch nach außen: Fistel.
• Systemische hämatogene Aussaat: Sepsis.
Verlaufsparameter: Klinisch: Lokalbefund mit Schmerzen und Schwellung, Fie-
berverlauf, AZ. Laborchemisch: Diff.-BB, CRP.

Komplikationen
Gelenkbeteiligung
Entsprechend der altersabhängigen Knochenvaskularisation:
  8.4 Osteomyelitis  231

• Säugling: Wachstumsfuge durch Gefäße überbrückt: Durchbruch von Meta-


physe → Epiphyse → Gelenk → Pyarthros.
• Kinder: Avaskuläre Wachstumsfuge (= Grenze): Übergreifen auf das Gelenk
nur dort, wo die Kapsel die metaphysäre Region mit einbezieht (Hüfte, Schul-
ter, Radiusköpfchen).
• Erw.: Geschlossene Wachstumsfuge (kein Ausbreitungshindernis) → Gefahr
des Übergreifens auf Gelenk wie bei Säugling.
Weitere Komplikationen einer akuten Osteomyelitis bzw. eitrigen Arthritis
Sekundär chron. Osteomyelitis, rez. Osteomyelitis, Pyarthros, pathol. Frakturen,
Pseudoarthrosen, Deformitäten, Wachstumsstörungen, Versteifungen, Fistelma-
lignom, Sepsis.

Differenzialdiagnosen der Osteomyelitis bzw. eitrigen Arthritis


Reaktive Arthritiden (z. B. Coxitis fugax), benigne und maligne Knochentumoren,
Trauma, Weichteilentzündung, rheumatische Erkr., Lyme-Arthritis (Borreliose),
aseptische Knochennekrose, Knochen- bzw. Gelenkveränderungen bei systemi-
schen Erkr. (z. B. Leukämien, Tumormetastasen).

Begutachtung
Bei Beurteilung auf Rezidivgefahr hinweisen, nicht von „ausgeheiltem“ Infekt
sprechen.

8.4.2 Hämatogene Osteomyelitis
Definition
Entzündung des Knochens nach Allgemeininf., Weichteilverletzung, OP oder
Aussaat eines lokalen Eiterherds.

Lokalisation
• Säuglinge: Metaphyse von Femur, Humerus und Tibia, Beteiligung des an-
grenzenden Gelenks (Pyarthros) durch epiphysenkreuzende Gefäße möglich.
• Kinder: Vorwiegend metaphysär (Epiphysenfugenbarriere ab 2. Lj., epiphysä-
re Beteiligung daher selten). Altersgipfel 8 J. M > F. Meist akute bis subakute,
seltener chron. Form.

Ätiologie
Häufigste Erreger bei Kindern sind Staphylokokken (80 %), im Säuglingsalter
auch Haemophilus influenzae, Streptokokken. Bei Erwachsenen: Staphylokokken,
Streptokokken, insbes. bei Immunsuppression: Gramneg. Keime, Pilze. 8
Klinik
• Lokale Hautrötung, Überwärmung, Klopfschmerz, Funktionsbeeinträchti-
gung.
• Fieber, jedoch nicht immer hochfebriler Verlauf.
• Bewegungsschmerz und Entlastungsstellung (Pseudoparalyse) hinweisend
auf Gelenkbeteiligung.
• Insbesondere bei Säuglingen andere Inf.-Herde ausschließen (z. B. Nabelinf.,
Entzündungen im HNO-Bereich, Meningitis).
• Im Spätstadium Fistelbildung.
232 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

Pädiatrischer Notfall
Klinikeinweisung bei jedem begründeten Verdacht. Häufig primär Fehldiag-
nosen, oft verspätete Vorstellung in der Orthopädie bei schleichendem Be-
ginn mit unklarer Symptomatik. Bei schwerem septischem Krankheitsbild ist
Gelenksymptomatik oft überdeckt. Daher große Gelenke untersuchen und
Gelenkerguss ausschließen (Sono!).

Diagnostik
• Labor: Leukozytose, CRP ↑.
• Blutkultur → Antibiogramm.
• Sono: Gelenkerguss?
• Rö: Säuglinge: Metaphysäre Auflockerung und Auftreibung, zarte periostale
Reaktionen erst nach 1–2 Wo. Gelenkbeteiligung: Weichteilschatten, Sublu-
xation? Kinder: Nach 2 Wo. periostale Reaktionen und fleckige Osteolysen.
Später Usurierung der Kortikalis, Periostabhebung, Sequesterbildung. DD:
Ewing-Sarkom.
• MRT: In Zweifelsfällen. Cave: Bei Säuglingen häufig multilokulärer Befall.
Therapie
Konservative Therapie
Nur in Frühphase der Erkr.: Initiale Ruhigstellung und Antibiotikather.
Operative Therapie
• Ind.: Zusätzliches Gelenkempyem, subperiostaler Abszess, Weichteilabszess.
• Prinzip: Ausräumung des Herds, Spülung und Drainage.
• Bei radiologisch aggressiver Läsion: Biopsie und Kultur.
• Postop.: Kurzzeitige Ruhigstellung in Gips oder Schaumstoffschiene.
• Parenterale hochdosierte Antibiotikagabe, Antibiotikum nach Antibiogramm
und Rücksprache Mikrobiologie.

Komplikationen
Eitrige Arthritis durch Übergreifen auf angrenzendes Gelenk.

Prognose
• Behandlungserfolg hängt in höchstem Maß vom Zeitpunkt des Ther.-Beginns ab.
• Säuglinge und Kinder: Bei Frühdiagnose gut. Bei Spätdiagnose bzw. schwe-
rem Verlauf in ca. 50 % Defektheilungen (v. a. bei Neugeborenenkoxitis)
durch Schädigung der Wachstumsfuge mit Wachstumsstörungen (z. B.
­Verkürzungen, Coxa oder Genua vara/valga) → später häufig korrigierende
8 Eingriffe erforderlich (z. B. offene Reposition an der Hüfte, Achsenkorrektu-
ren, OP nach Salter oder Chiari, Verlängerungsosteotomien).
• Chron. Verlaufsform in ca. 20 %.
• Irreversible Spätschäden in ca. 30 %.

8.4.3 Exogene akute Osteomyelitis


Definition
Primär lokale Entzündung im Knochen nach Verletzungen oder OP (typischer
Fall: Osteomyelitis nach offener US-Fraktur).
  8.4 Osteomyelitis  233

Ätiologie
Erreger überwiegend Staph. aureus.

Klinik
Hinweise für initiale Inf.: Persistierende oder zunehmende Schmerzen im OP-
Bereich am 3.–5. postop. Tag mit Fieber, Schwellung, Rötung, evtl. Wundsekreti-
on.

Diagnostik
• Labor: Leukozytose, CRP ↑.
• Sono: Abszess subkutan?
• Rö: Frühestens nach 2–3 Wo. Osteolysen, periostale Reaktionen.
• MRT.
Therapie

Ind. zur Revision großzügig stellen. Schnelles Eingreifen ist entscheidend,


um Übergang in sekundär chron. Osteomyelitis zu verhindern.

Konservative Therapie
Antibiotika: Nur wenig Aussicht auf Heilung. Wegen schlechter lokaler Durch-
blutungsverhältnisse meist keine ausreichende Wirkstoffkonzentration am Ziel-
ort. Deshalb großzügige Ind. zur OP.
Operative Therapie
• Wunderöffnung, radikales Débridement (Knochen und Weichteile), Jet-Lavage.
• Lokale Antibiotikaträger (PMMA-Ketten, Kollagen-Vlies) oder bei Weich-
teilbeteiligung zunächst Vakuumther. (▶ 8.2.3).
• Bei Frühinfekt stabile Osteosynthesen belassen, falls nicht mehr stabil, ME
und Stabilisierung fern des Entzündungsherds z. B. mit Fixateur externe.
• Ansonsten Fremdmaterial (Platten, Marknägel, Endoprothesen) vollständig
entfernen.
• Systemische Antibiotikather. über mind. 4–6 Wo. (▶ 8.2.6, ▶ 24.2).
• Falls prim. Weichteildeckung nicht mögl., Vakuumther. oder offene Wund-
behandlung und sekundärer Wundverschluss bzw. plastisch-chirurgische
Maßnahmen (gestielte oder freie Lappenplastiken) nach Infektberuhigung.

Prognose
Häufig Übergang in chron. Osteomyelitis oder infizierte Pseudarthrose. Oft Fol-
geschäden: Bewegungs- und Belastungseinschränkung, trophische Störungen,
knöcherne Fehlstellungen. Infektrate 5–10 % auch bei korrekter chirurgischer 8
Ther. nach offener Fraktur.

8.4.4 Chronische Osteomyelitis
Primär chronische Osteomyelitis
Ätiologie
Infektursprung unbekannt, daher Herd scheinbar primär im Knochen lokalisiert.
Bei guter Abwehrlage des Individuums → Infekt eingegrenzt; dennoch Rezidivnei-
gung.
234 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

Klinik
Schmerzen (v. a. nachts; „Entzündung schläft nachts nicht“), Schwellung durch
Knochenauftreibung, evtl. Überwärmung.
Diagnostik
• Labor: Humorale Entzündungsparameter mäßig ↑.
• Rö: Typische Knochenverdichtung, Sklerose.
Therapie
• Frühe histologische Abklärung: DD zu malignen Knochentumoren, Osteoi-
dosteomen. Bakteriologie jedoch überwiegend negativ.
• Radikales chirurgisches Débridement, PMMA-Ketten- oder Kollagen-Vlies-
Einlage, Spongiosaauffüllung. Möglichst systemische Antibiotikather. nach
Antibiogramm (▶ 8.2.6, ▶ 24.2).
Sonderformen
Differenzierung in folgende drei Typen nicht allg. anerkannt, weil radiologische
Unterscheidung nicht spezifisch.
• Brodie-Abszess: Runde Abszesshöhle, breiter Sklerosesaum, bevorzugt im
dist. Femur oder prox. Tibiakopf.
• Plasmazelluläre Osteomyelitis: Kavernenbildung, fast ausschließlich mit Plas-
mazellen gefüllt, Randsklerose, kein Keimnachweis.
• Sklerosierende („nicht bakterielle“) Osteomyelitis Garré: Keine Bakterien
nachweisbar, primär sklerosierende Veränderungen in den Diaphysen lg.
Röhrenknochen (DD: Osteoidosteom, Ermüdungsfraktur).

Sekundär chronische Osteomyelitis


Ätiologie
Am häufigsten nach nicht ausgeheilter exogener (posttraumatischer, postop.) Os-
teomyelitis, seltener nach endogener (hämatogener) Osteomyelitis. Gesundheits-
ökonomischer Aspekt: Hohe Behandlungskosten und Rentenleistungen bei
chron. Osteomyelitiden.
Klinik
Wechsel zwischen chron. und chron. rez. Phasen. Bei chron. Verlaufsform Nei-
gung zur Fistelbildung.
Diagnostik
• Bei Fistel → Abstrich, Gewebeprobe: Keimart → Antibiogramm. Dignitätsbe-
urteilung.
• Rö: Knochenverdickung, Sklerose, häufig Sequester. Evtl. Tomografie.
8 • MRT: Abszesse, intraossäre Ausbreitung, Weichteilbeteiligung.
• Fistelfüllung mit KM kann hilfreich sein, um präop. Lage und Ausdehnung
des Herds abschätzen zu können.
Therapie
Ziel
Dauerhafte Sanierung des Entzündungsherds, Funktionserhaltung der Extremität.
Operative Prinzipien
• Radikale chirurgische Entfernung aller devitalisierten Strukturen.
• Entfernung von vorhandenem Osteosynthesematerial und externe Stabilisierung.
• Einlegen von Antibiotikaträgern (PMMA-Ketten).
  8.4 Osteomyelitis  235

• Vakuumther. (▶ 8.2.3) oder offene Wundbehandlung, falls prim. Weichteil-


deckung nicht möglich.
• Knöcherne Defektauffüllung je nach Ausmaß:
– Autologe Knochentransplantationen: Spongiosa oder kortikospongiöser Span.
– Günstige Bedingungen schaffen: Keimarmes, möglichst gut vaskularisier-
tes Lager und mechanische Ruhe.
– Segmenttransport mit Ring-, unilateralem oder Hybridfixateur.

Spongiosaentnahme streng aseptisch, vor dem septischen Eingriff. Entnah-


mestellen: Hinterer oder vorderer Beckenkamm.

• Systemische Antibiotikather. über mind. 4–6 Wo. nach Antibiogramm.


• Sanierung der Weichteilverhältnisse z. B. durch kutane, fasziokutane oder
myokutane Lappenplastiken. Für die Heilung ist eine gute Weichteildeckung
unerlässlich (z. B. dist. US): Freie, gefäßgestielte Muskellappen (Latissimus-
dorsi-Lappen).
Komplikationen
• Systemisch: Sepsis, Amyloidose.
• Lokal: Achsenfehler, Beinverkürzung, pathol. Frakturen, Fistelkarzinom.
Prognose
Eine chron. Osteomyelitis kann auch nach Jahrzehnten exazerbieren. Bei schwe-
ren Verlaufsformen auch Amputation erwägen. Amputationsrate bei posttrauma-
tischer Osteomyelitis ca. 6 %.

8.4.5 Spezifische Osteomyelitiden
Knochentuberkulose
Definition
Knocheninf. nach hämatogener Aussaat eines pulmonalen oder viszeralen Pri-
märherds. Befällt v. a. WK, alle anderen Knochen seltener; Gelenk-Tbc tritt v. a. an
Knie-, Hüft- und Sakroiliakalgelenken auf.
Klinik
Allgemeinerkr. (!) mit schleichendem Verlauf: Schlechter AZ, subfebrile Tempe-
raturen, Nachtschweiß. Lokal Knochen- und Gelenkschmerzen, Weichteilinfiltra-
tion, Senkungsabszess. Beachte: Hohe Prävalenz von Pat. mit HIV und Tbc
­(5–10 % der HIV-Pat.).
Diagnostik
8
Labor: BSG leicht ↑. Evtl. Leukozytose mit Linksverschiebung, gleichzeitige Lym-
phopenie als ungünstiges Zeichen.
Therapie
Medikamentöse Therapie
▶ 24.2.12. 4-fach-Komb.-Ther. (Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Etham-
butol) für 2 Mon.; anschl. Isoniazid und Rifampicin für 4–7 Mon., Ruhigstellung.
Operative Intervention
Bei Abszess oder großem Infektherd.
236 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

Lues (Syphilis)
Definition
Facettenreiche klinische Manifestationsformen. Kann jedes Organ befallen. Heute
selten. Knochen- und Gelenkinfekt bei Erw. im Tertiärstadium, verschiedenartige
Knochenreaktionen.
Klinik
Schmerzlose Schwellung, keine akuten Entzündungszeichen.
Diagnostik
• Luesserologie.
• Liquoruntersuchung.
• Rö: Überwiegend osteoblastische Reaktionen. Periostreaktionen (Säbelschei-
dentibia). Selten diffuse gummöse Osteomyelitis.
Therapie
Penicillin G, selten chirurgisch.

8.5 Eitrige Arthritiden
8.5.1 Unspezifische Arthritis

Notfallsituation
Spontanverlauf: Empyem (Eiter in einer vorgegebenen Höhle, Gelenk), Ge-
lenkdestruktion → fibröse Ankylose → knöcherne Ankylose.
Häufigste Lokalisation: Kniegelenk >> Schulter > Hüfte.

Ätiologie
Entstehung:
• Hämatogen/endogen bei Bakteriämie, die selbst asymptomatisch verlaufen
kann; v. a. bei Säugling und Kleinkind.
! 50 % der Pat. mit septischer Arthritis und Osteomyelitis haben zusätzliche
Inf., z. B. Otitis media, Meningitis.
• Exogen durch Verletzung, OP, Injektion.
• Fortgeleitet bei gelenknaher Osteomyelitis (über 60 % der Neugeborenen mit
septischer Arthritis haben eine Osteomyelitis).
Prädisposition: Diab. mell., chron. Alkoholabusus, Immunsuppression (HIV,
Niereninsuff., Leukämie etc.), Drogenabusus, Sepsis, RA, Arthritis urica, Chond-
8 rokalzinose.
Erreger: Staph. aureus, Gonokokken, Streptokokken, Pneumokokken und gram-
neg. Keime. Bei Kindern < 2 J. häufig Haemophilus influenzae.

Einteilung
▶ Abb.  8.4, ▶ Tab.  8.1.
Klinik
• Schmerzen, Rötung, Schwellung, Erguss, Funktionseinschränkung des betrof-
fenen Gelenks.
  8.5 Eitrige Arthritiden  237

Abb. 8.4  Formen der Gelenkinfektion [L106]

Tab. 8.1  Arthroskopische Stadieneinteilung eines Gelenkinfekts


Stadium Kriterien

I Trüb-seröser Erguss, Synovitis, evtl. petechiale Blutungen

II Eitriger Erguss, ausgeprägte Synovitis, fibrinöse Exsudationen

III Massive Synovitis, Kammerungen, Zottenbildung, „Bade-


schwamm“

IV Synovialmembran wächst infiltrierend in den Knorpel, röntgeno-


logisch Arrosionen, subchondrale Aufhellung, Zysten

• Allg. Infektzeichen (Fieber, Lymphadenitis) bis Sepsis, z. T. fast asymptoma-


tisch (z. B. bei Pat. mit RA unter Glukokortikoiden oder NSAR).

Diagnostik
• Labor: Leukozytose, CRP ↑.
• Blutkultur. 8
• Gelenkpunktion mit Bakteriologie (Antibiogramm!) und Mikroskopie (direk-
ter Keimnachweis, Abgrenzung zu Kristallarthropathien; Gramfärbung:
Staph. aureus 75 % pos., Gonokokken 50 % pos.), Synoviaanalyse.
• Sono: Gelenkerguss, bes. bei Koxitis.
• Rö: Verbreiterung von Kapselschatten und Gelenkspalt. Gelenknahe Osteo-
porose, unscharfe Gelenkflächen. Osteolyse bei Knochenbeteiligung (Spätver-
änderung).
• Serologie: Bei lokal schwer nachweisbaren Keimen (z. B. Lyme-Arthritis
durch Borrelia burgdorferi, Chlamydien, Viren).
• Ggf. Tbc-Diagn. (▶ 8.1).
• Im Einzelfall nützlich: MRT, Szinti, CT.
238 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

Differenzialdiagnosen
Reaktive (Uro-, Entero-)Arthritiden, spezifische Infekte, Gichtanfall, rheumati-
sche Erkr., Coxitis fugax, kniegelenknahe Bursitiden, gelenknahe Weichteil- und
Knochentumoren.

Therapie
• Ziel: Infektsanierung und Wiederherstellung der Gelenkfunktion.
! Punktion: Jeder nachgewiesene Gelenkinfekt zwingt zur unverzüglichen OP!
• OP-Verfahren:
– Verfahren: Lavage, Synovektomie, Débridement; im Einzelfall Arthrodese
oder Resektionsarthroplastik.
– Behandlung stadienorientiert arthroskopisch oder offen, ggf. geplanter
„Second Look“.
• Antibiotikatherapie:
– i. v.-Antibiotikather., zunächst Breitspektrumantibiotika, dann gezielt
nach Antibiogramm.
– Fortführen bis zur Normalisierung der Laborparameter (BB, CRP); An-
haltspunkt: Bei frischem Infekt (Stadium I) ca. 2 Wo., Stadium II und III
i. d. R. mind. 6 Wo.
• Postop.: Hochlagern, lokal Kryother., Antiphlogistika, Thromboseprophylaxe.
• Bewegungsübungen (continuous passive motion) nach Abklingen der Akutphase.
Prognose
Abhängig von Zeitpunkt des Ther.-Beginns, Effektivität lokaler und systemischer
Maßnahmen, Pathogenität des Keims und Abwehrlage des Pat.

8.5.2 Tuberkulöse Arthritis
Definition
Hämatogener Befall meist von Hüft-, Knie- und Sakroiliakalgelenken; selten. Ge-
lenke können primär synovial oder primär ossär befallen sein (DD: Sympathischer
Begleiterguss).

Klinik
Schleichender Verlauf mit Muskelatrophie und Kontrakturen. Subfebrile Tempe-
ratur. Käsiger Erguss. Bei Durchbruch durch die Gelenkkapsel Senkungsabszess.
Unbehandelt starke Destruktionen.

Diagnostik
8 • Labor: BSG leicht bis mäßig ↑, rel. Lymphozytose. Sicherung der Diagn.
durch Keimnachweis im Punktat. Kultur (▶ 8.1).
• Rö: Befunde wie bei unspezifischer Arthritis. Bei Knochenbefall Osteolysen mit
Randsklerose, diffuse Osteoporose. Sehr langsame Entwicklung der Veränderungen.

Therapie
Wie unspezifische Arthritis. Medikamentöse Tbc-Behandlung. Bei synovialer Tbc
Synovektomie. Bei Gelenkdestruktionen Arthroplastik, Arthrodesen, nach Aus-
heilung ggf. Endoprothesen.
   8.6  Infizierter künstlicher Gelenkersatz  239

8.6 Infizierter künstlicher Gelenkersatz


Definition
Schwerwiegendste KO neben aseptischer Lockerung. Oft erhebliche diagnostische
und ther. Schwierigkeiten. 85 % aller Infekte bei TEPs treten innerhalb 12 Mon.
postop. auf. Infektionsraten bei Ersteingriffen ca. 1 %, bei Re-OP ca. 4 %.

Ätiologie
• Erreger: Meist Staph. epidermidis (zunehmend) und aureus. Schleichender
Spätinfekt oft von koagulasenegativen Staphylokokken verursacht.
• Implantatbedingte lokale Abwehrschwäche. Risikofaktoren: Hohes Lebensal-
ter, Diab. mell., rheumatische Erkr. inkl. ihrer Ther., Immunsuppression, Al-
koholabusus, Voroperationen am gleichen Gelenk.

Einteilung
Nach Pathogenese
Frühinfekt (bis zu 6 Wo. postop.): Intraop. Kontamination der Wunde oder in
postop. Frühphase, z. B. aszendierend über Drainagen oder ausgehend von ober-
flächlicher Wundinfektion. Hämatom bildet häufig Nährboden. Fraglich auch
Keimabsiedelung im OP-Gebiet im Rahmen einer Bakteriämie, die z. B. aus Ka-
theterisierung der Harnröhre herrührt.
Spätinfekt (> 6 Wo. postop.): Keimabsiedelung im primär sterilen endoprothe-
tisch ersetzten Gelenk im Rahmen einer Bakteriämie jeglicher Ursache oder durch
Aktivierung bereits seit langem ruhender Keime bei Schwächung des Immunsys-
tems. Verlauf fulminant oder schleichend.

Diagnostik

Verdacht auf einen Infekt nach Endoprothesenimplantation


• Postop. persistierendes Fieber oder späterer Temperaturanstieg, ohne dass
andere Ursachen hierfür evident sind (z. B. Pneumonie, Harnwegsinfekt).
• Persistierende oder nach freiem Intervall erneut auftretende Schmerzen
im OP-Gebiet.
• Postop. erhöhte Entzündungsparameter (BB, CRP); ausbleibende Nor-
malisierung oder Wiederanstieg.
• Persistierende Wundsekretion und/oder Hämatom.
• Radiologisch: Frühzeitige oder rasch zunehmende Lockerungszeichen.
• Labor: Leukozytose, CRP ↑.
• Sono: Echoarme Raumforderung epi- oder subfaszial. 8
• Wundabstrich, ggf. Blutkultur.
• Punktion: Für eine Infektion sprechen:
– Erregernachweis mikroskopisch nach Gramfärbung (sofort durchführbar!).
– Zellzahl > 20.000/mm3, v. a. segmentkernige Granulozyten.
– LDH im Punktat höher als im Serum.
– Glukose im Punktat niedriger als im Serum.
• Biopsie:
– Insbesondere bei Pat. mit persistierenden Schmerzen ohne erkennbare
Ursache sollte Low-Grade-Infektion ausgeschlossen werden.
240 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

– Mehrere Biopsien (mind. 3–5), arthroskopische oder offene Op.


– Erregernachweis auch durch Sonikation möglich, d. h. Bakterien werden aus
dem Biofilm des Implantats nach Explantation mittels Ultraschall isoliert.
• Histopathologie: Infektionsnachweis bei mehr als 23 neutrophile Granulozy-
ten pro Gesichtsfeld in 400-facher Vergrößerung (High Power Field = HPF).
• Rö: Im Initialstadium meist unauffällig, erst nach Monaten evtl. Lysesaum →
Lockerungszeichen.
• Szinti (3-Phasen-Knochenszinti) wird häufig durchgeführt, Stellenwert umstritten.
• Fluor-18-Desoxyglukose-Positronenemissionstomografie (FDG-PET): Hohe
Sensitivität, teuer.
• α-Defensin-Test (Synovasure®): Intraop. Schnelltest zum Nachweis von Bak-
terien in Synovia mit hoher Sensitivität und Spezifität; teuer, Evidenz? (alter-
nativ ggf Urin-Teststreifen).
• Im Zweifel operative Revision.
Therapie

Entscheidend: Schnelles Erkennen und Behandeln eines Infekts. Ziel: Sanie-


rung des Infekts.

Frühinfekt:
• Umgehende OP mit radikalem Débridement (sämtliches nekrotisches Gewebe).
• Hämatomausräumung und Jet-Lavage.
• Wechsel der mobilen Teile (PE-Inlay, Kopf bei Hüft-TEP).
• Vakuumther., neuerdings auch als V. A. C.® Instill, ggf. auch Spül-Saug-Drai-
nage (Erhaltungsversuch).
• Systemische Antibiotikather.
• Großzügige Ind. zur mehrfachen operativen Intervention („Second Look“).
Spätinfekt und septische Lockerung: Vorgehen abhängig von Aktivität und Aus-
dehnung des Infektgeschehens, AZ des Pat., Virulenz des Keims:
• Einzeitiges Vorgehen: Explantation der Prothesen und in gleicher Sitzung
Implantation einer neuen zementierten Prothese. Voraussetzung: Bekannter
Erreger und Resistenzlage. Virulenz des Erregers relativ niedrig, testgerechte
Antibiotikazumischung in Knochenzement, guter AZ des Pat. KI: Schwere
Osteitis.
• Zweizeitiges Vorgehen (i. A. bevorzugt): TEP-Ausbau und nach Infektaushei-
lung Reimplantation.
• Besonderheit bei Hüft-TEP: Radikales Débridement, Ausbau der Prothese
und falls vorhanden aller Zementanteile, Jet-Lavage, ggf. Einlage von PMMA-
Ketten oder eines Spacers. Temporäres Belassen einer Girdlestone-Situation,
8 d. h., Trochanter minor stützt sich an Pfanne, Trochanter major an Becken-
schaufel ab, Hüfte instabil, klinisch pos. Trendelenburg-Zeichen, Aro.-Fehl-
stellung, Beinverkürzung um 5–10 cm. Reimplantation einer Prothese frühes-
tens nach 8 Wo. und negativem mikrobiologischem Befund sowie fehlenden
Zeichen einer persistierenden Inf. Allg. Erfolgsrate nach Implantation einer
neuen Prothese ca. 80 %. Wenn Prothesenneuimplantation nicht möglich:
Girdlestone-Situation belassen.
• Besonderheit bei Knie-TEP: Radikales Débridement, Ausbau der Prothese
und aller Zementanteile, Jet-Lavage, Einlage eines antibiotikahaltigen (testge-
recht) PMMA-Spacers und Knieimmobilisationsschiene oder Fixateur exter-
ne. Falls Reimplantation nicht möglich: Arthrodese.
   8.7  Infektiöse Spondylitis, Spondylodiszitis  241

• Besonderheit bei Schulter-TEP: Radikales Débridement, Ausbau der Prothese


und falls vorhanden aller Zementanteile, Jet-Lavage, ggf. Einlage von PMMA-
Ketten oder eines Spacers. Falls Reimplantation nicht möglich, Belassen der
Situation oder Arthrodese.
• Besonderheit bei OSG-TEP: Radikales Débridement, Ausbau der Prothese, Jet-
Lavage, ggf. Einlage eines antibiotikahaltigen PMMA-Spacers, Ruhigstellung:
Unterschenkelliegegips oder Fixateur externe und dann i. d. R. Arthrodese.

Vertiefend: www.efort.org/wp-content/uploads/2013/10/Philadelphia_­
Consensus.pdf.

8.7 Infektiöse Spondylitis, Spondylodiszitis


Definition
• Infektiöse Spondylitis: Ostitis und Osteomyelitis eines WK durch Erreger.
• Spondylodiszitis: Entzündung der Bandscheibe und der benachbarten
Grund- und Deckplatten.
• Infektiöse Diszitis: Sonderform der Entzündung der Zwischenwirbelscheibe
im Kindesalter.

Ätiologie
• Endogen (hämatogen) oder exogen (nach Nukleotomie, Diskografie).
• Erreger:
– Bakterien: Unspezifisch (Staph. aureus 30–40 %, Streptokokken der Grup-
pe A und B, E. coli, Klebsiellen, Pseudomonas, Enterokokken, Salmonel-
len, Serratia) oder spezifisch (Tbc, Brucellose, Lues).
– Selten Pilze (Candida – i. v. Drogenabhängigkeit, HIV).
– Noch seltener Parasiten (Echinokokkose).
• Prädisposition: Diab. mell., hohes Alter, Drogenabusus, Autoimmunerkr.,
Alkoholismus, Erkr. von Becken, Bauchraum oder Urogenitaltrakt, HIV.

Klinik
• Meist multimorbide, bettlägerige Pat.
• Lokalisierter Spontan-, Druck- und Stauchungsschmerz (Lokalisation: LWS
60 %, BWS 30 %, HWS 10 %).
• Schonhaltung, Steifhaltung der WS.
• Dumpfer Nachtschmerz, Nachtschweiß.
• Akute Form: Schweres Krankheitsgefühl mit septischen Temperaturen.
• Chron. Form: Müdigkeit, Gewichtsverlust und subfebrile Temperaturen. 8
• Neurol. Ausfälle, Miktionsstörungen (→ Restharnbestimmung). Cave: Oft
langsame Zunahme der Beschwerden; daher verkannt oder spät diagnostiziert
bei multimorbiden Pat.
! 
Pott-Trias mit Abszess, Gibbus und Lähmung bei Spondylitis tuberculosa
(selten).
! 
Diagnoseverzögerung oft erheblich (durchschnittlich 14 Wo.) → bei persistie-
renden Rückenschmerzen immer an Spondylitis denken!
242 8  Infektionen der Weichteile, Knochen und Gelenke  

Diagnostik
• Anamnese: Vorausgegangener bakt. Infekt (jede pyogene Erkr. kann Primär-
herd sein), lokale Inj.-Behandlung, Tbc (WS häufigste extrapulmonale Mani-
festation, 60 % der Pat. mit tuberkulöser Spondylitis haben abnormen Befund
im Rö-Thorax).
• Labor: BSG und CRP ↑ (bei Tbc häufig normal!); anfangs Leukozytose (bei
Tbc Leukos häufig normal, im Diff.-BB rel. Lymphozytose).
• Blutkulturen: Bes. im Fieberanstieg, ggf. öfter abnehmen!
• Mendel-Mantoux-Test. Cave: Falsch neg. Test bei Immunsuppression (HIV);
ggf. weitere Abklärung Tbc (▶ 8.1).
• Rö (in der Frühphase häufig falsch neg.): Arrosionen der Abschlussplatten,
Höhenminderung der Intervertebralräume, zentrale Destruktion des WK, pa-
ravertebraler Weichteilschatten, anguläre Kyphose und veränderte WK-
Form; Reparationszeichen: Glättung und Scharfkonturierung der Defekte, pe-
rifokale Spongiosasklerose, knöcherne Wirbelverblockung.
• 3-Phasen-Szinti: Bei klinischem Verdacht und neg. Rö-Befund zur Höhenlo-
kalisation bzw. Herdsuche. Hohe Aktivität im akuten Stadium. Cave: Bei Tbc
35–40 % falsch neg. Ergebnisse.
• MRT: T1: Befallene WK sind hypointens, nach KM-Gabe Enhancement der
betroffenen WK und Bandscheiben. T2: Befallene WK sind hyperintens, gute
Darstellung der paravertebralen Weichteile und des Spinalkanals. Nachweis
von Senkungs- oder Psoasabszessen.
• CT: Quantifizierung der WK-Destruktion. Abszedierung im Bereich der pa-
ravertebralen Weichteile. Einengung des Spinalkanals, gute Darstellung bei
kleinen Abszessverkalkungen bei Tbc.
• Erregernachweis: Falls initial keine OP-Ind. vorliegt, CT-gesteuerte Punktion,
ggf. offene Stanzbiopsie. Aspirationsflüssigkeit und Biopsie zur Histologie
und Bakteriologie (in nur 50 % Erregernachweis).

Differenzialdiagnosen
Prim. und sekundäre Malignome, chron. entzündliche Erkr. (z. B. Morbus Bechte-
rew, Psoriasis), Andersson-Läsion bei Morbus Bechterew, Osteoporose mit Sinte-
rungsfrakturen, bei Kindern: Neuroblastom, Leukämie.

Therapie
Konservative Therapie
• Ind.: Frisches Stadium ohne größere Destruktionen, keine neurol. Ausfälle.
• Allgemeine Maßnahmen: Zunächst Immobilisation und evtl. Gipsbehand-
lung. Bei klinischer Beschwerdebesserung und CRP-Rückgang (1×/Wo. Kon-
8 trolle) rumpfumfassendes Korsett und Mobilisation.
• Medikamentöse Ther. (▶ 24.2.12):
– Tbc: 4-fach-Komb.-Ther. (Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und
Ethambutol) für 2 Mon.; anschl. Isoniazid und Rifampicin für weitere 4–7
Mon.
– Unspezifische Spondylitis: I. v. Doppel-Antibiotikather. z. B. mit Cefotiam
3 × 1,5 g/d (Spizef®) und Rifampicin 1 × 600 mg/d als Initialther., anschl.
Antibiotikather. nach Antibiogramm für mind. 6 Wo.
• Beim Abszess ggf. perkutane, CT-gesteuerte Punktion und Drainage, sonst OP.
   8.7  Infektiöse Spondylitis, Spondylodiszitis  243

Operative Therapie
• Ind.: Progrediente neurol. Störungen, septisches Krankheitsbild mit Abszess-
formation, ausgedehnte WK-Destruktion.
• OP-Prinzip:
– Sanierung des Infektherds.
– Defektauffüllung mit autologem Knochen (bikortikaler Beckenkamm-
span, Spongiosa), evtl. zusätzlich Titancage.
– Stabilisierung.
• Nachbehandlung:
– Dauer richtet sich nach dem klinischen, radiologischen und laborchemi-
schen Verlauf.
– Wöchentliche laborchemische Kontrollen (BB, CRP).
– Antibiotikather. mind. 6 Wo., i. d. R. bis zur Normalisierung der Entzün-
dungsparameter.
– Bei unkompliziertem Verlauf: Rö-Kontrollen im Abstand von 6 Mon.
(Dauer der knöchernen Durchbauung: HWS 3–6 Mon., BWS 6 Mon. und
LWS ca. 7 Mon.).
• Nachbeobachtungszeitraum 2 J.

8
9 Obere Extremität
Hans Mau, Michael Clarius, Felix Zeifang, Dorien Schneidmüller,
Hermann Schmidt, Frank Unglaub und Steffen Breusch

9.1 Schulter 9.1.23 Rotatorenmanschetten­


Hans Mau, Steffen Breusch und ruptur 268
Felix Zeifang 247 9.1.24 Infraspinatustendopathie 270
9.1.1 Wichtige Differenzialdiagnosen 9.1.25 Supraspinatussehnensyndrom
des Schulterschmerzes 247 (SSP-Syndrom) 270
9.1.2 Spezielle Untersuchung 247 9.1.26 Tendinitis calcarea, chronische
9.1.3 Akromioklavikulargelenk­ und akute Bursitis
verletzung 250 subacromialis 272
9.1.4 Akromioklavikulargelenk­ 9.1.27 Neuralgische Schulteramyo­
arthrose 252 trophie 273
9.1.5 Klavikulafraktur 253 9.2 Oberarm, Ellenbogen und
9.1.6 Klavikulapseudarthrose 254 Unterarm
9.1.7 Sternoklavikulargelenk­ Steffen Breusch und
luxation 254 Hans Mau 274
9.1.8 Unspezifische Sternoklaviku­ 9.2.1 Proximale Humerusfraktur
largelenkarthritis 255 Hermann Schmidt und
9.1.9 Dysostosis cleidocranialis 256 Dorien Schneidmüller 274
9.1.10 Skapulafraktur 256 9.2.2 Proximale Bizepsse­hnenruptur
9.1.11 Scapula alata 257 Steffen Breusch und
9.1.12 Skapulothorakales Syndrom Hans Mau 277
(Schulterblattkrachen) 258 9.2.3 Humerusschaftfraktur
9.1.13 Sprengel-Deformität (angebo­ Steffen Breusch, Hans Mau und
rener Schulterblatthoch­ Dorien Schneidmüller 278
stand) 258 9.2.4 Distale Bizepssehnenruptur
9.1.14 N.-suprascapularis- Hermann Schmidt 281
Kompression 259 9.2.5 Suprakondyläre
9.1.15 Subskapularistendopa­ ­Humerusfraktur im Kindesalter
thie 260 Dorien Schneidmüller 282
9.1.16 Traumatische Schulterge­ 9.2.6 Frakturen des
lenkluxation 260 ­Ellenbogengelenks
9.1.17 Habituelle Schulterge­ Hermann Schmidt und
lenkluxation 262 Dorien Schneidmüller 284
9.1.18 Periarthropathia humero­ 9.2.7 Ellenbogenluxationen
scapularis (PHS) 265 Hermann Schmidt 288
9.1.19 Omarthrose 265 9.2.8 Arthrose des
9.1.20 Osteonekrose des ­Ellenbogengelenks
Humeruskopfs 266 Hermann Schmidt 289
9.1.21 Schultersteife („Frozen 9.2.9 Chondromatosis des
Shoulder“) 266 ­Ellenbogengelenks
9.1.22 Eitrige Omarthritis 267 Hermann Schmidt 290
9.2.10 Morbus Panner 9.3 Hand
Hermann Schmidt 290 Frank Unglaub 309
9.2.11 Epicondylitis radialis und 9.3.1 Wichtige Differenzialdiagno­
­ulnaris sen des Schmerzes in Unterarm
Hermann Schmidt 291 und Hand 309
9.2.12 Cubitus varus und valgus 9.3.2 Spezielle orthopädische
Hermann Schmidt 294 Untersuchung 309
9.2.13 Bursitis olecrani 9.3.3 Bennett-, Rolando-,
Hermann Schmidt 294 Winterstein-Fraktur 310
9.2.14 Radiusköpfchensubluxation 9.3.4 Morbus Dupuytren 311
(Chassaignac) 9.3.5 Enchondrom 313
Dorien Schneidmüller 295 9.3.6 Mittelhand- und
9.2.15 Radiusköpfchenluxation Fingerfrakturen 314
Hermann Schmidt und 9.3.7 Ganglien 315
Dorien Schneidmüller 295 9.3.8 Infektionen 317
9.2.16 Monteggia-Fraktur 9.3.9 Karpaltunnelsyndrom 319
Frank Unglaub und 9.3.10 Lunatumnekrose (Morbus
Dorien Schneidmüller 296 Kienböck) 321
9.2.17 Galeazzi-Fraktur 9.3.11 Rhizarthrose 322
Hermann Schmidt und 9.3.12 Skaphoidfraktur 323
Frank ­Unglaub 297 9.3.13 Skaphoidpseudarthrose 325
9.2.18 Madelung-Deformität 9.3.14 Skidaumen 327
Steffen Breusch, Hans Mau und 9.3.15 Syndaktylie 328
Frank Unglaub 298 9.3.16 Tendovaginitis de
9.2.19 Radioulnäre Synostose Quervain 329
Hermann Schmidt und 9.3.17 Schnellender Finger bzw.
Frank ­Unglaub 299 Daumen 330
9.2.20 Unterarmschaftfraktur 9.3.18 Sehnenverletzungen 331
Michael Clarius, Dorien Schneid-
müller und Frank Unglaub 300
9.2.21 Distale Radiusfraktur
Steffen Breusch, Hans Mau,
­Dorien Schneidmüller und
Frank Unglaub 301
9.2.22 Periphere Nervenkompres­
sionssyndrome
Frank Unglaub 306
  9.1 Schulter  247

9.1 Schulter
Hans Mau, Steffen Breusch und Felix Zeifang

9.1.1 Wichtige Differenzialdiagnosen des Schulterschmerzes


• Trauma:
– Schultergürtel (Humeruskopf, Klavikula, Skapula, entsprechende Gelen-
ke): Fraktur, Subluxation, Luxation.
– Weichteile Schulter: Rotatorenmanschettenruptur, Bizepssehnenriss.
– HWS: Wirbelfrakturen, Weichteilläsionen, HWS-Distorsion (Schleuder-
trauma).
• Entzündung, Infektionen: Osteomyelitis, Gelenkinfekt, Herpes zoster.
• Weichteilrheumatische Affektionen: RA, „PHS“, Schultersteife, Tendomyo-
sen, Polymyalgia rheumatica, Polymyositis, andere Kollagenosen.
• Tumoren: Chondromatose, Pancoast-Tumor, Osteosarkom, Metastasen.
• Deg.: Omarthrose, Arthrose im AC-Gelenk oder Sternoklavikulargelenk.
• Impingementsy.
• Angeborene Erkr.: Sprengel-Deformität.
• Veränderungen im Bereich HWS, radikuläre Sy.:
– Angeboren: Basiläre Impression, muskulärer Schiefhals, Klippel-Feil-Sy.
– Deg. Veränderungen, Nervenirritation, Diskushernie.
– Entzündlich: RA, Morbus Bechterew.
– Stenose: Tumoren, intramedullär (z. B. Angiome).
• Nervale Irritation im Schultergelenkbereich:
– Kompression N. suprascapularis oder N. dorsalis scapulae, neuralgische
Schulteramyotrophie, traumatische Nervenläsionen, Kompression des
Armplexus durch Tumoren (Pancoast, Mamma-Ca, Morbus Hodgkin,
Lymphosarkom).
– Kompressionssy.: Skalenussy., kostoklavikuläres Sy.
– Periphere neurol. Läsionen: Karpaltunnelsy., Sulcus-ulnaris-Sy., Supinatorsy.
• Neurodystrophische Prozesse: CRPS.
• Gefäßveränderungen:
– Arteriell: Akute und chron. Arterienverschlüsse, arteriovenöse Fisteln,
Aneurysma.
– Venös: Akute Thrombose, Thrombophlebitis.
– Lymphogen: Bes. nach LK-Ausräumung.
• Stoffwechselstörungen: z. B. Gicht.
• Andere Organsysteme: Herz (Angina pectoris, Myokardinfarkt, Perikarditis),
Aortenaneurysma, Lunge, Bronchial-Ca, Gallenblasenaffektionen, Zwerchfell.
• Pseudoradikuläres Schmerzsy. und Überlastungssy.: Brachialgie, Skapulokos-
talsy. (Schmerzen zwischen Skapula und WS.)
• Psychosomatische Beschwerden.
• Sonstige: Humeruskopfnekrose, schmerzhaftes Schulterkrachen.

9.1.2 Spezielle Untersuchung
9
Spezielle Anamnese
• Hauptbeschwerden: Seit wann Beschwerden; akut, chron.; Ruhe-, Nacht-
schmerz; ständig, gel., rez.? Wesentliche Funktionseinschränkung? Rechts-
248 9  Obere Extremität  

oder Linkshänder? Schmerzen auch an anderen Gelenken (systemische Er-


kr.)? Kraftmangel? Leistungsanspruch des Pat.?
• Schmerzlokalisation: Wo, ausstrahlend in HWS, Arm. Re, li, bds.? Dermatom
zuordenbar?
• Schmerzprovokation: Typische Bewegung, belastungsabhängig (Hinweis auf
deg. Veränderung), in Ruhe, nachts (entzündliche Genese), Sport, Beruf?
• Unfall? Unfalldatum, -ort, -mechanismus, -ursache. Sport-, Arbeitsunfall (BG)?
• Frühere Schultererkr.?
• Frühere OP: Welche? KO?
• Bisherige Ther.: Punktion, Inj., Medikamente, Analgetikabedarf, physik.
Ther., Kurmaßnahmen? OP?

Klinischer Befund
Inspektion, Palpation, Beweglichkeit
Inspektion: Beobachtung beim Entkleiden. Schulter- und Beckenstand, Häma-
tom, Entzündungszeichen, Narben, sonstige Hautveränderungen, Schwellung,
Umfangsvermehrung, Atrophien, Deformität (Schulter, WS, Thorax), Schonhal-
tung, Asymmetrien, Achsenfehlstellung (z. B. Cubitus varus, Cubitus valgus), Ska-
pulastand, Scapula alata?
„Screening der HWS“: Kinn-Jugulum-Abstand, Seitneigung, Rotation, axialer
Druck (Spurling-Test), elektrisierender Nackenbeugeschmerz (Lhermitte-Zei-
chen), Blockierung, Zwangshaltung, Myogelosen, Hartspann, Krepitation.
Palpation Schultergürtel: Überwärmung, Myogelosen, Hartspann, Muskelatro-
phie. DS Tub. majus (kraniale Anteile der Rotatorenmanschette), Proc. coracoide-
us (Impingementsy.), Sulcus intertubercularis: Bei 10° Iro. genau ventral (Tendini-
tis lange Bizepssehne). DS AC-Gelenk (Instabilität, Klaviertastenphänomen,
Arthr­ose). DS Sternoklavikulargelenk, Klavikula: Subluxation, Luxation, Klavier-
tastenphänomen (▶ Abb.  9.1).
Aktive und passive Beweglichkeit (▶ 6.2.3): Abd./Add.: Normalerweise 180–0–
40°, bei Fixation der Skapula 90–0–40°. Flex./Ext.: 170–0–40°. Iro./Aro. (OA an-
liegend und 90° abd.): 95–0–60°. Ab welchem Winkelgrad Mitbewegen der Ska-
pula („Frozen Shoulder“)? Schürzengriff (Iro. und Add.), Nackengriff (Aro. und
Abd.). Schnappen, Krepitationen?
Impingement-Tests
„Painful Arc“ zw. 60 und 120° Abd.; Impingement-Zeichen nach Neer (Schmerzen bei
Fixation der Skapula und forcierter Flexion), nach Hawkins (90°-Ebene Add. und Iro.).
Isometrische Funktionstests
Supraspinatussehne: Drop-arm-Sign (Arm kann nicht in 90° Abd. gehalten wer-
den), Null-Grad-Abd.-Test (Abd. des hängenden Arms gegen Widerstand), Sup-
raspinatustest (Halten des Arms in 90° Abd. bei Druck von oben und nach unten
zeigendem Daumen; ▶ 9.1.25).
Rotatoren: Aro., Iro. gegen Widerstand (z. B. Jobe-Test). Ausschluss des M. delto-
ideus bei Aro. durch 90° Abd. und 30° Anteflex. Pseudoparalyse (völliger Verlust
der Abd.-Kraft bei Rotatorenmanschettenruptur). Ausschluss Subskapularisläsi-
9 on (Lift off- oder Napoleon-Test).
Lange Bizepssehne: Yergason-Test (Supination gegen Widerstand bei 90° flektier-
tem und proniertem UA), Palm-up-Test (supiniert ausgestreckter Arm in 90° Flex.
gegen Widerstand), O'Brien-Test (90° Flex., 15° Add. und innenrotiertem Arm,
SLAP Läsion).
  9.1 Schulter  249

Abb. 9.1 Druckschmerzpunkte Schulter [L190]

Stabilitätsprüfung
Cave: Fließender Übergang Subluxation – Luxation!
Vordere und hintere Instabilität: Apprehension-Test (wichtigster Test für vordere In-
stabilität): Schmerzhafte Subluxation des Humeruskopfs bei Aro. und Abd. und Druck
auf hinteren Humeruskopf; Load-and-Shift-Test: am liegenden Pat. die Translation
nach hinten und vorne bei axialem Druck bei Abd. und Aro. Überprüfen.
Untere Instabilität: Unterer Schubladentest: Zug am herabhängenden Arm, evtl.
Rinne unterhalb des Akromions („Sulcus Sign“); unteres „Apprehension Sign“:
Abwehrbewegung des Pat. bei 90° Abd. und forciertem Druck auf den prox. OA.
Sonstige: AC-Sprengung: Hochstehen der Klavikula, Klaviertastenphänomen;
allg. Bandlaxizität: Überstreckung im Daumengrund-, Ellenbogengelenk.
Ellenbogengelenk
Palpation: DS über entsprechenden anatomischen Strukturen (z. B. knöcherne
Vorsprünge, Sehnenansätze); Muskelkonsistenz (z. B. Muskelhartspann, Myogelo-
sen); Fluktuationen. Bei Schwellungen Konsistenz (teigig, derb, fluktuierend) so-
wie zusätzliche Entzündungszeichen (z. B. Rötung, Überwärmung) beschreiben.
Stabilitätsprüfung: Zur Beurteilung der kollateralen Bandverbindungen.
Bewegungsprüfung: Beugung und Streckung sowie Pro- und Supination.
Provokationstests: Radiale Handgelenkextension und ulnare Handgelenkflexion 9
(Epikondylitis).
Sonstige
Neurol. Befund: Immer Seitenvergleich! Paresen, Sensibilität, Reflexe (BSR, TSR,
RPR).
Durchblutung: Pulse.
250 9  Obere Extremität  

9.1.3 Akromioklavikulargelenkverletzung
Definition
Bänder des Schultereckgelenks: Ligg. acromioclaviculare und coracoclaviculare.
Entsteht durch direktes Trauma bei Sturz auf Schulter mit adduziertem Arm.

Bei klin. Beurteilung immer Vergleich mit Gegenseite!

Klinik und Einteilung


▶ Tab.  9.1.
Tab. 9.1  Einteilung nach Rockwood (erweiterte Tossy-Klassifikation; ▶ Abb. 9.2)
Grad Bänder Kennzeichen/Klinik

Grad I Bänderdehnung Schmerzen, lokale Schwellung, keine


(Tossy I) Funktionseinschränkung

Grad II Riss der akromioklavikulären Alle Bewegungen im Schultergelenk


(Tossy II) Bänder, Dehnung der korako­ schmerzhaft, AC-Gelenk etwas hochste­
klavikulären Bänder hend, instabil

Grad III Riss der akromioklavikulären Deutlicher Hochstand des lat. Klaviku­
(Tossy III) und korakoklavikulären Bänder laendes

Grad IV Mit Dorsalverschiebung des lat. Klavi­


kulaendes in oder durch M. trapezius

Grad V Massive Dislokation mit Abriss der


Muskulatur

Grad VI Luxation der Klavikula unter Korako­


id; starke Schwellung (sehr selten)

I II III

9 IV V VI

Abb. 9.2  Verletzungen des AC-Gelenks (Rockwood-Klassifikation) [L106]


  9.1 Schulter  251

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Zunächst Frakturausschluss durch Rö Schulter a. p. und axial, dann gehalte-
ne Aufnahmen beider Schultern (Panoramaaufnahme; ▶ Abb.  9.3) mit je 10 kg
Gewicht am herabhängenden Arm
(Gewichte mit Schlaufe am Hand-
gelenk aufhängen, Gewichte nicht
aktiv festhalten → Anspannung der
Arm- und Schultermuskulatur). Rö
Schulter axial z. A. Rockwood IV
und a. p.-Aufnahme nach Zanca
(Zentralstrahl um 15° nach kranial).
• DD: AC-Gelenkarthrose, lat. Kla-
vikulafraktur oder -pseudarthrose,
Gicht.

Konservative Therapie
• Typ I: Symptomatisch (Kryother.,
Antiphlogistika, Salbenverbände
für 1–3 Wo., z. B. Voltaren Emul-
gel®).
• Typ II–III: 1–2 Wo. Gilchrist-Ver-
band und frühfunktionelle Ther.
mit KG. Alternative: Pelottenver-
band, Tape-Verband. Schweres He- Abb. 9.3  Gehaltene Aufnahme bei Ver­
ben, Kontaktsportarten für mind. letzung des Schultereckgelenks [L106]
6 Wo. vermeiden.

Operative Therapie
Indikationen
• Typ III (relative Ind.): Hauptforderung: Pat. stellt hohen und überdurch-
schnittlichen Anspruch an betroffene Schulter, z. B. Hochleistungssportler,
Handwerker, Schwerarbeiter. Kosmetische Gründe als Ausnahme.
• Typ IV–VI (verhakte Luxationen): Offene oder arthroskop. Reposition und
Stabilisierung.
• OP innerhalb von 2 Wo., ansons-
ten höhere Versagerrate. Ggf. nach
2 Wo. Bandnähte in Kombination
mit biologischer Augmentation
(z. B. Gracilis).
OP-Techniken
Ca. 50 offene und arthroskopische
Verfahren in der Literatur beschrie-
ben, z. B. Banding-OPs mit transklavi-
kulären und transkorakoidalen Faden-
systemen, z. T. Komb. mit einer kora- 9
koklavikulären Cerclage mit resorbier-
barem oder nicht resorbierbarem Abb. 9.4 Operation bei frischer AC-
Material oder Drahtcerclagen, Haken- Luxation [L106]
platte (▶ Abb.  9.4).
252 9  Obere Extremität  

Nachbehandlung
Desault-Weste für 2–3 d, dann Gilchrist-Verband bis Abschluss der Wundhei-
lung. Ab 10. d KG mit Abd. zunächst bis 60° bis Abschluss 3. Wo, dann steigern
bis 90° bis 6. Wo. Ggf. Entfernung Drahtcerclage nach 3 Mon.
Veraltete AC-Gelenksprengung
• Vor OP Ausschluss anderer Schmerzursachen! Bester Hinweis auf Schmerz-
ursache im AC-Gelenk: Schmerzfreiheit nach intraartikulärer Inj. eines LA
wie Mepivacain (z. B. Scandicain® 1 %).
• Resektionsarthroplastik bei schmerzhafter Instabilität. NB: 3–7 d Gilchrist-
Verband.
• Band-Rekonstruktion offen, arthroskopisch gestützt oder rein arthroskopisch
mit biologischer Augmentation.

Prognose
Bei frischer Verletzung gute, bei veralteten Verletzungen und Arthrose deutlich
schlechtere Ergebnisse.

9.1.4 Akromioklavikulargelenkarthrose

Häufigste Ursache für Schmerzen im Bereich des Schultereckgelenks (AC-


Gelenk).

Ätiologie
Bei jungen Menschen posttraumatisch oder infolge Überlastung (Überkopfsport,
Bodybuilder), > 60 J. weit verbreitet und oft klinisch asymptomatisch.

Klinik
DS über AC-Gelenk. Hyperadduktionstest positiv.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Zielaufnahme: Arthrosezeichen, evtl. kaudale Osteophytenbildung (kau-
daler Sporn → Engpass?).
• MRT: Typische Arthrosezeichen.
• DD: Infektarthritis, RA, Osteolyse, neuropathische Arthropathien, Riesen-
zelltumor.

Therapie
Kons. Ther.: 2–3 × alle 2 Wo. intraartikuläre Inj. von LA wie Mepivacain (z. B.
Scandicain® 1 %), und/oder Kortikoiden wie Triamcinolonacetonid 10 mg (z. B.
Volon® A). Querfriktion der Bandverbindungen. Elektrother. (z. B. Kurzwelle, Ul-
traschall; ▶ 20.5.3). Antiphlogistika wie Diclofenac 3 × 50 mg/d (z. B. Voltaren®).
Pendelübungen am hängenden Arm. Vermeidung der Abd. > 90°. Behandlung der
Begleit- oder Grunderkr. wichtig. Sportreduktion.
9 Operative Ther. (selten indiziert): Arthroskopie oder offene Resektion des lat.
Klavikulaendes (OP nach Mumford) um ca. 1 cm (Bänder bleiben erhalten). Früh-
funktionelle NB: Desault-Verband für 3 d.
  9.1 Schulter  253

9.1.5 Klavikulafraktur
Ätiologie
Meist Sturz auf ausgestreckten Arm, direktes Trauma selten. Mittleres Drittel am
häufigsten betroffen (in ca. 80 %). Eine der häufigsten Frakturen (ca. 12 % aller
Frakturen beim Erw.). Kind: ca. 50 % Grünholzfrakturen.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Anamnese. Inspektion. Mediales Fragment meist höher stehend (Zug des M.
sternocleidomastoideus); Verkürzung (Zug des M. pectoralis major).
• Palpation: Stufe, evtl. Krepitation. Lokaler DS über Fraktur.
• Beweglichkeit im Schultergelenk schmerzhaft.
• Kind: Gerade beim Kind nicht immer klin. eindeutige Dislokation des med.
Fragments. Deshalb bei Schonung des Arms nach fragl. Trauma stets klin.
Klavikulafraktur ausschließen.
• Selten Läsion des Plexus brachialis oder der A. subclavia → DMS prüfen.
• Rö: Schulter mit Klavikula a. p. und tangential (Allman/Neer-Typen I: Extra-
artikulär, stabil; II: Instabil (IIa: Lig.  coracoclaviculare intakt; IIb: Lig.  conoi-
deum rupturiert, Lig.  trapezoideum intakt); III: Stabil, aber Ausdehnung in
AC-Gelenk; neuere progn. relevantere Klassifikationen nach Robinson und
für lat. Frakturen nach Craig).
• DD: Schultereckgelenksprengung bei lat. Frakturen.
Therapie
Konservative Therapie
Immobilisation durch Gilchrist-, Desault- oder Rucksackverband (▶ 3.1.4). In der
ersten Wo. tgl. nachziehen. Auf Nervenläsionen und Durchblutungsstörungen ach-
ten. Tragedauer: Kinder ca. 10 d, Erw.
3–4 Wo. Frühe Schultermobilisation
entsprechend Beschwerderückgang. Bei
lat. Frakturen mit nur geringer Disloka-
tion Akromionverband. Radiologische
Konsolidationskontrolle bei Kindern
nicht erforderlich (klin. Kontrolle).
Operative Therapie
• Ind.: Bei stark dislozierten Fraktu-
ren, die kons. nicht korrigierbar
sind. Offene Fraktur, Weichteilin-
terposition, drohende Perforation,
Gefäß-Nerven-Verletzung, Kom-
plex- bzw. Komb.-Verletzungen des
Schultergürtels „Floating Shoulder“,
lat. Fraktur mit AC-Gelenkbeteili-
gung; pathol. Frakturen, gleichseiti-
ge Rippenserienfrakturen. 9
• OP-Technik: Methode der Wahl
(▶ Abb.  9.5): Plattenosteosynthe-
se in Komb. mit Zugschrauben,
LCP- oder DC-Platte (▶ 1.4.5) Abb. 9.5 Osteosynthese bei Klaviku­
3,5 mm 8-Loch, wenn weit lateral lafraktur [L106]
254 9  Obere Extremität  

ggf. auch Hakenplatte. Bei Kindern und Jugendlichen minimalinvasive


Methode (ESIN) möglich. Lat. Klavikulafraktur: Pseudarthrose häufiger
(meist auch korakoklavikulärer Bandapparat betroffen), stärkere Disloka-
tion → OP-Ind.
• NB: Funktionell, ME nach Plattenosteosynthese 1 J. postop.
Prognose
Bei Klavikulaschaftfraktur geringes Pseudarthrosenrisiko nach OP.

9.1.6 Klavikulapseudarthrose
Klinik
Persistierende Schmerzen und fehlende radiologische Konsolidierung > 6 Mon.

Operative Therapie
• Ind.: Schmerzen, Kraftminderung, Belastungsinstabilität, neurol. Störungen
(Parästhesien) und/oder periphere Durchblutungsstörungen.
• OP-Technik: Längsschnitt (häufig keloide Narbe!), Plattenosteosynthese:
Sorgfältige Dekortikation, LCP oder DC-Plattenosteosynthese (Platte
nicht zu kurz wählen), mindestens 3 Schrauben pro Hauptfragment. Bei
atrophen Pseudarthrosen Anlagerung autologer kortikospongiöser Späne.
Bei Defektpseudarthrosen Interposition eines kortikospongiösen Blocks
aus der Crista iliaca. Klavikulapseudarthrose im lat. Viertel: Zuggur-
tungsosteosynthese.
• NB: Funktionell.

9.1.7 Sternoklavikulargelenkluxation
Ätiologie
Meist indirektes seitl. Trauma mit Hebeln des med. Klavikulaendes über die erste
Rippe und Luxation nach ventral oder kranial. Selten retrosternale Luxation
durch direktes Trauma. Bei Kindern und Jugendlichen auch „spontan“.

Schweregrade der Verletzung nach Allmann


• Grad I: Keine wesentliche Dislokation, Rö neg., Gelenk stabil.
• Grad II: Subluxation, Teilzerreißung der sternoklavikulären Bänder, evtl. Dis-
kusläsion.
• Grad III: Komplette Zerreißung aller Bänder und Diskus. Leere Gelenkpfanne
im Rö-Bild. Deutliche Stufenbildung.

Klinik und Diagnostik


• Anamnese, Schwellung, lokaler DS. Schmerzen bei Schulterbewegung. Durch
Abd. und Retroversion des Arms Luxation evtl. zu provozieren.
• Bei zentraler Luxation Verletzungsgefahr zahlreicher retrosternaler Struktu-
9 ren (z. B. Karotiden, N. vagus, Trachea) → auf entsprechende Klinik achten
(z. B. Hämatothorax, Heiserkeit, Dyspnoe).
• Rö: Aufnahme nach Rockwood (Röntgenröhre 40° nach dorsal kippen, Zent-
ralstrahl auf Manubrium sterni). Im Zweifel Indikation zur CT.
• DD: Med. Klavikulafraktur, Epiphysenlösung (Kinder), Fehlbildung, Osteo-
myelitis, Tumoren, rheumatische Erkr., Morbus Friedrich.
  9.1 Schulter  255

Therapie frischer Luxationen


Kons. Ther. Verletzungen Grad I und II. Bei Grad III, falls Heilung in anatomi-
scher Stellung von untergeordneter Bedeutung. Reposition, Ruhigstellung des
Arms in Armschlinge oder Rucksackverband für einige Tage. Lokal Eis, frühfunk-
tionelle Behandlung.
• Reposition: Bei ventraler Luxation meist einfach. In OP-Bereitschaft Rücken-
lagerung des Pat. mit Unterlage einer Schaumstoffrolle unter der BWS, Repo-
sition durch Dorsaldruck auf beide Schultern. Retention jedoch schwierig.
Häufig erneut sekundäre Dislokationen. Bei hinterer Luxation indirekter Zug
häufig nicht ausreichend. Hier kann perkutan das med. Klavikulaende mit ei-
ner Tuchklemme gefasst und reponiert werden. Gelenkstellung bei hinterer
Luxation meist danach stabil.
! Nach Reposition nochmalige Kontrolle zum Ausschluss intrathorakaler Be-
gleitverletzungen!
Operative Ther.: Selten indiziert. Komplikationsreich. Irreponibilität oder Relu-
xationstendenz sowie fehlgeschlagene kons. Ther. Prinzip: Rekonstruktion von
Kapsel und Lig. costoclaviculare unter Erhalt des Diskus und Augmentation.
Temporäre K-Draht-Fixation nicht empfohlen.
NB: Desault-Verband bis zum Abschluss der Wundheilung. Anschließend Gilch-
rist-Verband oder Armabduktionsorthese für 4–6 Wo., Isometrie, Bewegungs-
übungen nicht über 90° Abd. für die Dauer von 6 Wo.

Prognose
Reluxationen und Restinstabilitäten bei Bandplastiken häufig → Pat.-Aufklärung.

9.1.8 Unspezifische Sternoklavikulargelenkarthritis
Definition
Häufigste Ursache sternoklavikuläres Schmerzsy. Meist F im mittleren Lebensalter.

Klinik
Schwellung im Bereich des Gelenks, evtl. DS. Schmerzverstärkung bei Retroversi-
on und Elevation des Arms. Meist geringe Beschwerden.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Labor zum Ausschluss bakt. und rheumat. Erkr. (▶ 8.1, ▶ 16.4.1).
• Rö: Zystisch sklerotische Veränderungen.
• Schichtaufnahmen und CT: Bessere Aussagekraft.
• MRT: Technisch schwierig, da Bildunschärfe durch Atembewegungen (lange
Bildaufnahmezeiten).
• Szinti: Lokale Aktivitätsanreicherung.
• Histo: Oft unspezifisch chron. Synovialitis.
• DD: Bakt., RA, Psoriasis, SAPHO-Sy. (▶ 16.8.5), Tumoren, posttraumatische
Instabilität. Morbus Friedrich.

Therapie 9
Bei Schmerzen NSAR und ggf. intraartikuläre Kortikoidinj., z. B. Triamcinolon­
acetonid 10 mg (z. B. Volon® A), Ruhigstellung des Schultergelenks für einige
­Tage. Sportverbot für 3–6 Wo. Nur bei hartnäckigen Beschwerden evtl. Resektion
des sternalen Klavikulaanteils. Biopsie nur bei unklarem Befund.
256 9  Obere Extremität  

9.1.9 Dysostosis cleidocranialis
Definition
Seltene angeborene Störung der desmalen Ossifikation vorwiegend mit Hypo- bis
Aplasie an Schädel und Klavikula (z. T. auch Beckenverengung und Wirbelfehlbil-
dungen).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Meist re Seite betroffen. Häufig keine Beschwerden.
• Selten Belastungsschmerz und Schulter-Arm-Schmerzen.
• Je nach Ausprägung der Fehlbildung vermehrte Beweglichkeit im Schulter-
gürtel. Schultern können u. U. vor der Brust zusammengeklappt werden.
• Schädel: Brachyzephalie (vergrößerter Hirnschädel, Hypophyse, Gesichts-
schädel).
• Rö: Bestätigung der klin. Diagnose.
• DD: Kongenitale Klavikulapseudarthrose, geburtstraumatische Klavikulafraktur.
Therapie
• Überwiegend symptomatische Ther.
• Pseudarthrose: Knochenspaninterposition und Plattenosteosynthese
(▶ 9.1.5).
• Teilaplasie: Bei Beschwerden Exstirpation des Rudiments.
• Totalaplasie: Keine OP, evtl. Schulterbandage.

9.1.10 Skapulafraktur
Klassifikationen – Einteilung nach Euler und Ruedi (AO)
• Korpus- (A) und Fortsatzfraktur (B): Skapulablatt, einfach und mehrfrag-
mentär, Spina, Akromion, Proc.  coracoideus.
• Kollumfraktur (C): Collum scapulae mit oder ohne begleitende Klavikula-
und Spinafraktur („Floating Shoulder“).
• Gelenkfraktur (D): Pfannenrandbrüche, Fossa-glenoidalis-Fraktur, Komb.-
Frakturen mit Collum-corpus-Frakturen (ca. 10 % aller Skapulafrakturen).
Anm.: Zusätzliche Glenoidfraktur-Klassifikationen (Ideberg bzw. Mayo oder Goss).

Ätiologie
Meist aufgrund erheblicher Gewalteinwirkung (Verkehrsunfall, Skiunfall). Nur
selten isolierte Verletzung, sondern häufig assoziiert mit intrathorakalen Begleit-
verletzungen (54 %), Klavikulafrakturen (27 %), Läsionen von Plexus (13 %) und
HWS (12 %). Cave: Begleitverletzung ausschließen.

Klinik und Diagnostik


• Schmerzhafte Bewegungseinschränkung, lokaler DS, Schulterkonturen defor-
miert, Hämatom, evtl. Krepitationen.
9 • Begleitverletzungen, z. B. Schulterluxation, Klavikulafraktur, Läsion von N.
axillaris, Plexus brachialis, N. suprascapularis (Aro. unmöglich), A. suprasca-
pularis. Gelenkbeteiligung, Thoraxverletzung.
• Diagn.: Oft nicht einfach!
– Rö: Schultergelenk a. p. und axial, Skapulatangentialaufnahme.
– CT: Zur OP-Planung, großzügige Ind. bei V. a. Fraktur.
  9.1 Schulter  257

Konservative Therapie
• Korpusfraktur: Desault-Verband (▶ 3.1.4) bis Schmerzfreiheit (einige Tage).
Frühzeitig aktive Abd. und Aro. Brustschwimmen ab 3.–4. Wo. Sehr selten
OP-Ind. (nur bei sehr starker Dislokation).
• Halsfraktur mit geringer Dislokation: Abd.-Orthese für 6 Wo. Begleitende
frühfunktionelle Ther. mit passiver und später aktiver Mobilisation.
• Gelenkpfannenfraktur: Meist Spontanreposition. Ruhigstellung mit Mitella-
oder Desault-Verband.
• Gering dislozierte Fortsatzfrakturen: Ruhigstellung für wenige Tage.
Operative Therapie
• Stark dislozierte Glenoidfrakturen: Reposition und Schraubenfixation, ggf.
arthroskopisch gestützt.
• Große Pfannenrandbrüche: Schraubenfixation.
• Komb.-Verletzung Skapulahals, Spina scapulae, Klavikula: Osteosynthese der
Klavikula genügt meist. Ruhigstellung im Gilchrist-Verband für 3–6 d, dann
assistive KG ohne Extrembewegungen.
• Stark dislozierte Fortsatzbrüche: Zuggurtung oder Verschraubung (kanu-
liert).
• Stark dislozierte und instabile Korpusfrakturen: Plattenosteosynthese.
Nachbehandlung
• Abhängig von der erreichten Stabilität.
• i. d. R. kurzzeitige Ruhigstellung bis zur Wundheilung. Dann passive Bewe-
gungsübungen. Falls intraoperativ Sehnen durchtrennt oder rekonstruiert
wurden, aktive Bewegungsübungen nach 4–6 Wo.

9.1.11 Scapula alata
Definition
Einseitig abstehendes Schulterblatt.

Ätiologie
Meist idiopathisch. Lähmung des M. serratus ant. durch N.-accessorius-Affektion,
z. B. Druck bei Tragen eines schweren Rucksacks, Gips, postop., neuralgische
Schulteramyotrophie, Inf.-Erkrankung, Myopathie.

Klinik und Differenzialdiagnosen


• Schulterblatt steht flügelartig ab → kosmetisches Problem.
• Test: Abstemmen der ausgestreckten Arme nach vorn gegen Wand. Beim Ab-
spreizen des Arms weicht unterer Skapulawinkel nach medial ab.
• DD: Dystrophia musculorum progressiva (fazioskapulohumeraler Typ),
Exostosen, Sprengel-Deformität (▶ 9.1.26), N.-accessorius-Parese (Schulter-
blatt lateralisiert!).

Therapie und Prognose


9
• Kons. Ther.: Funktionelle Beübung.
! Operative Skapulopexie schlechte Ergebnisse!
• Ggf. neurologische Abklärung v. a. bei V. a. neuralgischer Schulteramyotrophie.
• Progn.: Hohe Spontanheilungsrate.
258 9  Obere Extremität  

9.1.12 Skapulothorakales Syndrom (Schulterblattkrachen)


Definition
Hör- und fühlbares, auch willkürlich auslösbares Schnappen des Schulterblatts,
evtl. mit Schmerzen am oberen med. Skapulawinkel.

Ätiologie
Haltungsfehler, Muskelverspannungen, Formvarianten der Skapula, Tumoren,
Exostose, überschüssige Kallusbildung. Pathol. Veränderungen der skapulothora-
kalen Muskulatur und Bursae. Rippenbuckel bei Skoliose.

Diagnostik
• Klin. Diagn. einfach.
• Rö: Evtl. knöcherne Veränderungen. Ausschluss anderer Verletzungen und Erkr.
Therapie
Schulterblattkrachen i. d. R. nicht behandlungsbedürftig. Ausnahmen:
• Bei Haltungsschwäche (▶ 10.6.2) KG.
• Bei Schmerzen lokale Infiltration des Schmerzpunkts z. B. mit Mepivacain
(z. B. Scandicain®) und Dexamethason (z. B. Fortecortin®).
• Sehr selten OP zur Exostosenabtragung (▶ 14.3.1).

9.1.13 Sprengel-Deformität (angeborener
Schulterblatthochstand)
Definition
Seltene angeborene kraniomed. Verschiebung und Rotationsfehlstellung des fehl-
gebildeten Schulterblatts; meist einseitig. Fast immer Komb. mit anderen Fehlbil-
dungen. F > M.

Klinik und Diagnostik


• Schulterblatthochstand mit Rotation, Bewegungseinschränkung im Schulter-
gelenk, evtl. neurol. Kompressionssymptome.
• Fehlstellung der Skapula, Steilstellung der Klavikula evtl. mit Subluxation im
Sternoklavikulargelenk → Schulter erscheint schmaler.
• Bewegungssperre der Skapula (oft in Kaudalrotation) → Bewegungsein-
schränkung des OA.
• Schmerzen selten, nur beim extremen Hochstand.
• Auf begleitende Fehlbildungen achten: Os omovertebrale (zwischen med.
Skapularand und Halswirbel), WS-Fehlbildungen (Keil-, Halbwirbel, Seg-
mentations-, Fusionsstörungen, Diastematomyelie), hochthorakale kurzbogi-
ge Skoliosen, Rippenfehlbildungen (z. B. fehlende, überzählige, Synostosen,
Gabelrippen), fehlerhafte Muskelanlagen (v. a. Mm. trapezius, pectorales, ser-
ratus ant.), Fehlbildungen an Extremitäten und inneren Organen.
9
Operative Therapie
Indikationen
• Verbesserung des kosmetischen Aspekts im Vordergrund. Bewegungssteige-
rung für Pat. meist zweitrangig. OP-Alter: 4.–6. Lj. (OP-bedingte Armplexus-
paresen seltener als in höherem Alter).
  9.1 Schulter  259

• Einteilung nach Cavendish (modifiziert nach Laumann und Ciré).


– Grad I: Deformität nicht oder kaum zu erkennen (< 2 cm): OP nur bei we-
sentlicher Funktionseinschränkung.
– Grad II: Deformität als Erhöhung im Nacken zu erkennen (2–4 cm): Re-
sektion meist ausreichend.
– Grad III: Deformität deutlich sichtbar (4–6 cm): Resektion und Trans-
plantation (s. u.).
– Grad IV: Skapulaoberrand nahe des Okziputs. (> 6 cm): Frühzeitige Re-
sektion und Transplantation. OP bringt oft keine wesentliche Besserung.
OP-Verfahren
• Resektion (OP nach Woodward): Resektion störender kraniomed. Anteile der
Skapula sowie des Os omovertebrale, Durchtrennung des M. levator scapulae
am Ansatz. Abtragung des Angulus superior scapulae.
• Transplantation (OP nach König): Stellungskorrektur durch Distalisierung
und Derotation evtl. mit Refixation der Skapula an den Rippen bzw. Fesse-
lung durch Muskelplastiken. Nur bei funktionsfähiger Muskulatur.
Komplikationen und Nachbehandlung
• KO: Armplexusparese, Exostosenbildung, Narbenkeloide.
• NB: Gilchrist-Verband für 2–3 Wo.
Prognose
i. d. R. gut. Bei höherem Schweregrad evtl. vorzeitige Arthrose des Schulterge-
lenks. OP-Erfolg umso besser, je jünger der Pat.

9.1.14 N.-suprascapularis-Kompression
Definition
Kompression des Nervs in der Incisura scapulae meist nach indirektem Trauma
(Sturz auf ausgestreckten Arm) oder durch Ganglion; selten chron. Kompression
(z. B. bei Turnern).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Schmerzen lat. und dorsal der Schulter (AC-Gelenk), Nachtschmerz, Schwä-
che und Atrophie von Mm. supra- und infraspinatus → Bewegungseinschrän-
kung im Schultergelenk.
• Provokationstest: Passive Add. sehr schmerzhaft.
• Sono, MRT, ggf. neurol. Konsil.
• DD: Arthritis, Tendinitis, (Teil-)Rupturen der Mm. infra- und supraspinatus,
AC-Gelenk-Affektionen.

Therapie
• Konservativ: 2–4 Inj. z. B. von Triamcinolonacetonid 10 mg (z. B. Volon® A)
in 2-wöchentlichen Abständen in die Incisura scapulae (cave: A. suprascapu-
laris). 9
• Operativ: Bei erfolgloser kons. Ther. Resektion des Lig. transversum scapulae
superius (auch arthroskopisch möglich).
260 9  Obere Extremität  

9.1.15 Subskapularistendopathie
Ätiologie
Selten; bei jüngeren Pat. meist Überlastung durch plötzliche Anspannung bei vor-
gedehntem Muskel (z. B. Aufschlag bei Tennis, Wurfsport). Häufig deg. bei F im
40.–60. Lj.

Klinik
Tub. minus druckempfindlich. Iro. gegen Widerstand schmerzhaft, „Painful Arc“.

Therapie
Spezifische Physiother. und US-gestützte Steroidinfiltration.

9.1.16 Traumatische Schultergelenkluxation
Einteilung nach Entstehungsmechanismus
Traumatisch: Keine Spontanreposition, Hill-Sachs-Delle, Reposition durch Drit-
te. Gehäuft Reluxationen z. B. nach kons. Ther. bei traumatischer Erstluxation von
männlichen Jugendlichen mit Kontaktsportart (Fuß-, Handball, Rugby etc.), knö-
chernen Glenoidläsionen (> 25 % der Gelenkfläche), mehrfachen Luxationen. Ab
30 Lj. sinkt das Reluxationsrisiko deutlich. Bei Pat. > 60 J. Luxation bei vorbeste-
hender Rotatorenmanschettenruptur.
Atraumatisch (▶ 9.1.17): Habituelle unidirektionale, habituelle willkürliche, ha-
bituelle multidirektionale Luxation. Lokalisationen: Vordere, hintere, obere, un-
tere Läsion. Sonderform: Luxatio axillaris erecta.

Schweregrade
• Grad I (Distorsion): Dehnung, Zerreißung einiger Fasern, Kapsel und Mus-
kulatur intakt.
• Grad II (Subluxation): Ruptur oder Ablösung der Kapsel, partielle Läsion der
Muskulatur.
• Grad III (Luxation): Kapsel-Band-Verletzung obligatorisch. Zu 97 % vordere
Luxation.

Klinik und Diagnostik

DMS (Sensibilität auch über M. deltoideus – N. axillaris) vor und nach der
Reposition überprüfen und dokumentieren.

• Bei Distorsion und Subluxation Diagn. evtl. schwierig. Anamnese richtung-


weisend (Unfallmechanismus, Schnappen, Instabilitätsgefühl; ▶ 9.1.2).
• Sichere Luxationszeichen: Arm in Fehlstellung federnd fixiert. Gelenkkontur
verformt, leere Gelenkpfanne (lat. Delle).
• Schmerzen: Bei vorderer Luxation ventral v. a. bei Abd.-Aro.; bei hinterer Lu-
9 xation dorsal.
• Nach Begleitverletzungen fahnden:
– Knöcherne Verletzungen : z. B. OA-Kopfimpression (Hill-Sachs-Läsion),
vordere Pfannenrandfraktur (Bankart-Läsion), Tuberkulumfrakturen
(v. a. ältere Menschen), Luxationsfraktur des Humeruskopfs. Bei dorsalen
Luxationen reverse Hill-Sachs-Delle.
  9.1 Schulter  261

– Verletzungen der Rotatorenmanschette (v. a. bei älteren Pat.).


– Nervenverletzungen (v. a. N. axillaris in ca. 15 % mit meist spontaner
Rückbildung nach 3–4 Mon.).
– Selten Gefäßverletzungen (A. axillaris → Radialispuls ↓, Hautblässe).
• Rö: Schultergelenk in 2 Eb. (a. p., axial oder transskapular), Luxationstyp,
knöcherne Begleitverletzung, Pfannendysplasie (▶ 4.1.5).
• Evtl. CT (knöcherne Bankart-Läsion), MRT (Rotatorenmanschette, Bizepssehne).
Hintere Luxation wird häufig übersehen. Arm kann nicht außenrotiert wer-
den. Auf „Glühbirnen-Zeichen“ achten, Doppelkontur hinterer Pfannen-
rand. Rö in 2 Eb. obligat. Im Zweifel CT.

Konservative Therapie
Vorgehen bei vorderer Luxation
• Grad I: 7 d Desault- oder Gilchrist-Verband (ältere Pat. 2–3 d in Trageschlin-
ge). Danach langsame Bewegungssteigerung innerhalb der Schmerzgrenze.
Sport ab 6. Wo.
• Grad II: Rezidivfreudig v. a. bei jüngeren Pat. 1 Wo. Desault- oder Gilchrist-
Verband. Danach langsame Mobilisation innerhalb der Schmerzgrenze. Volle
Aktivität erst bei Schmerzfreiheit. Sportkarenz für 6–8 Wo.
• Grad III (Luxation): Schnellstmögliche geschlossene Reposition.
! Keine gewaltsame Reposition (evtl. Weichteile interponiert, Pfanne oder
Humeruskopf frakturiert → offene Reposition).
– Rö-Kontrolle nach Reposition und Anlegen einer Schulterbandage.
– Ggf. Analgetika wie Tramadol 50 mg langsam i. v. (z. B. Tramal®) und Di-
azepam (hypnotische und relaxierende Wirkung) 5–10 mg i. v. (z. B. Vali-
um®) mit Notfallbereitschaft. Retention im Desault-Verband bei Pat. < 45
J. für 3 Wo., bei älteren Pat. kürzer (geringere Rezidivrate).
– Ruhigstellung in 10° ARO für 3 Wo. (cave: Complianceproblem).
– NB: Pendelübungen, assistive KG unter Vermeidung der Aro., erst nach
Schmerzfreiheit Bewegung ge-
gen Widerstand. Sportkarenz
8–12 Wo.
Repositionsmanöver bei vorderer
Luxation
• Nach Arlt (▶ Abb.  9.6): Schonende
Reposition durch Längszug am
Arm bei 90° flektiertem Ellenbo-
gen. Pat. sitzt auf einem Stuhl und
lässt luxierten Arm über die ge-
polsterte Lehne hängen.
• Nach Kocher: Pat. liegt, Oberkörper
leicht aufgerichtet, Ellenbogen in 90°
Flex. 3 Schritte: Zug und Add., Aro.
und Elevation, rasche Iro. und Add.
9
• Nach Manes: Bes. bei Pat. > 60 J.
Zug am Arm bei gleichzeitiger Be-
wegung des Humeruskopfs nach
prox.-lat. bei 90° gebeugten Ellen-
bogen. Abb. 9.6  Reposition nach Arlt [L106]
262 9  Obere Extremität  

• Nach Hippokrates: Zug am gestreckten Arm beim liegenden Pat., Ferse des Arz-
tes als Hypomochlion. KI: Pat. > 60 J. (Gefahr von Gefäß-Nerven-Verletzungen).
Vorgehen bei hinterer Luxation
• Grad I und II: 1–3 Wo. Ruhigstellung in leichter Abd., Aro. und Anteversion
(Schulterkissen mit Keil, selten Gips).
• Grad III: Zug am Arm und Aro. Gleichzeitig Druck auf luxierten Kopf. 3 Wo.
Thoraxabduktionsgips oder -orthese in leichter Retroversion und Aro. Da-
nach intensive KG-Mobilisation. Sportverbot für 12 Wo.
• Spät-KO: Rez. Schulterluxation (ca. 50 % der < 30-Jährigen), CRPS, Schultersteife.
Operative Therapie
Indikationen
• Offene Reposition nach erfolgloser geschlossener Reposition.
• Nach vorderer, traumatischer Erstluxation: Bei Pat. < 30 J. (sportlich, M, kein
knöcherner Bankart > 25 % Glenoidvolumen, Kontaktsport) arthroskopische
Labrumrefixation mit ggf. Kapselraffung. Bei knöchernen Bankart > 25 %
Glenoidvolumen, Rezidivluxation nach Bankart Repair oder häufigen Luxati-
onen OP nach Bristow-Latarjet (Transfer Korakoid an ventrales unteres Gle-
noid mit Durchzug der Conjoint-Sehne durch längseröffnete Subskapularis-
sehne) oder Beckenkammspaninterposition, da deutlich geringere Reluxati-
onsrate < 5 %.
• Bei übersehener hinterer Luxation mit Kopfnekrose endoprothetischer Ersatz
oft unumgänglich.
• Andere Verfahren: Wie habituelle Schulterluxation (▶ 9.1.17).
OP nach Bankart
Rekonstruktion des Labrum glenoidale durch Reinsertion der Gelenkkapsel am
Pfannenrand (Knochenanker) und Kapselshift (Raffung) nach Neer.
Nachbehandlung
Desault-, nach 3 d Gilchrist-Verband für 2–3 Wo. Keine Aro. für mindestens 4 Wo.

Prognose
Unabhängig vom OP-Verfahren Entwicklung einer Omarthrose bei über 15 % al-
ler Pat.

9.1.17 Habituelle Schultergelenkluxation
Einteilung
Richtung der Instabilität: Vordere, untere, hintere oder multidirektionale.

Ätiologie
• Voraussetzung: Primäre luxationsbegünstigende Faktoren: Zu flache, zu klei-
ne, zu stark antevertierte Pfanne, primär zu große Gelenkkapsel. Torsionsfeh-
9 ler des Humerus (normal ca. 20–30° Retrotorsion).
• Atraumatisch: Angeborene knöcherne oder ligamentäre Fehlbildungen (v. a.
Ligg. glenohumeralia), angeborene Bindegewebsschwäche (z. B. Ehlers-Dan-
los-Sy., Dysostosis cleidocranialis, Marfan-Sy.), muskulonervale Imbalance.
• Willkürlich auslösbare Luxationen (häufig begleitende psychische Kompo-
nente). Beginn häufig schon im Kindes- und Jugendalter.
  9.1 Schulter  263

Klinik und Diagnostik


• Hypermobilität anderer Gelenke (ca. 50 %). Oft beidseitig.
• Häufig geringe Schmerzen.
• Erstmanifestation häufig 15.–20. Lj.
• Luxation: Genaue Anamnese (früheres adäquates Schultertrauma? Erstluxati-
on häufig ohne wesentliches Trauma meist beim Sport. Häufig Subluxations-
ereignisse, nächtliche Luxation und spontane Repositionen, willkürliche Lu-
xation?). Untersuchung: Leere Pfanne, Zwangshaltung. Stabilitätstests.
• Subluxation: „Dea-Arm-Sy.“: Kraftloses Herabfallen des Arms und Bewe-
gungseinschränkung für einige Min. nach auslösender Bewegung (Abd. +
Aro.). Stabilitätstests, Apprehension Sign (▶ 9.1.2). Schnapp-Phänomene?
• Rö: Schulter a. p., bei Verdacht axial und in leichter Abd.-Iro.-Stellung (Kopf-
defekt besser zu erkennen mit West-Point-Aufnahme), Tangentialaufnahme
nach Hermodsson (Defekttiefe), evtl. Aufnahmen unter BV-Kontrolle. Hill-
Sachs- und Bankart-Läsion meist geringer ausgeprägt als bei traumatischen
Läsionen.
• Sono: Darstellung Hill-Sachs-Defekt; funktionelle Untersuchung, Läsionen
der Rotatorenmanschette, Bizepssehne (▶ 4.6).
• Arthro-MRT: Insbes. gute Darstellung von Labrumveränderungen und Luxa-
tionstasche.
• Arthroskopie: Gute Aussage v. a. bei Subluxationen, Beurteilung Schulterge-
lenkbinnenstrukturen.
• CT: Zur genaueren Beurteilung luxationsbegünstigender knöcherner Fakto-
ren und des Glenoids (▶ 4.3).

Konservative Therapie
Bei habitueller Schulterluxation zunächst kons. Ther. mit KG zur Muskelkräfti-
gung (Widerstandsübungen), Vermeiden von Auslösebewegungen. Zu Beginn
evtl. Bandage mit Aro.-Abd.-Hemmung.

Operative Therapie
Indikationen
• Es gibt kein für alle Instabilitätsformen gleichermaßen geeignetes Standard-
verfahren. Bei habitueller Luxation eher zurückhaltende Ind.-Stellung.
• Bei Kindern und Jugendlichen zunächst abwarten.
• OP-Ind. bei sportl. aktiven Pat. mit kurzfristig rez. Luxation, Schmerzen und
lästiger Instabilität trotz vorheriger konsequenter KG. Ziele: Sichere Beseiti-
gung der Instabilität, Vermeidung von Spätschäden (Arthrose, Impingement-
sy., Restinstabilität).
• Prozedere bei unsicherem Befund (nach Neer): 1 J. Auftrainieren der Rotato-
ren ohne Abd. des Arms, wiederholte Untersuchungen mit erweiterter Ana-
mnese (adäquates Trauma, generelle Bandlaxizität, Luxationsrichtung). Evtl.
Arthro-MRT, CT, Arthroskopie. Erst dann Entscheid über evtl. OP.

Ursache von Fehlschlägen


• Präop. falsche Luxationsrichtung diagnostiziert. 9
• Falsche OP-Technik.
• Keine gute Ind. bei habitueller Luxation mit multidirektionaler Band­
laxizität und willkürlicher Luxation!
264 9  Obere Extremität  

OP-Verfahren (Auswahl)

Zurückhaltende OP-Indikationsstellung bei sehr hoher Reluxationsrate bei


multidirektionaler Instabilität, geringer bei habituellen unidirektionalen und
traumatischen Luxationen. Immer differenzierte Ther. notwendig, kausaler
Ansatz. Viele Verfahren bekannt.

Vordere Instabilität
Bankart: Voraussetzung: Weitgehend normale Gelenkpfanne. Refixation von
Kapsel bzw. Limbus. Arthroskopisch sinnvoll bei < 3 Luxationen und kleiner Lu-
xationstasche. Bei Kapseltasche in Komb. mit Kapselshift nach Neer. Aro.-Verlust
ca. 10–15°. Vergleichsweise hohe Reluxationsrate, unabhängig ob offenes oder
arthroskopisches Vorgehen (> 10 %).
Putti-Platt (veraltete Methode): Doppelung der vorderen Gelenkkapsel mit Me-
tallklammern („Stapling“), Lateralisation des M. subscapularis. Aufklärung: Aro.-
Verlust um ca. 15–25°, Klammern neigen zur Lockerung und zum Wandern, ver-
ursachen häufig Schmerzen. Zudem Reluxationsraten bei längerem Nachuntersu-
chungszeitraum > 10 %.
Eden-Lange-Hybinette: Bei großen knöchernen Pfannendefekten. Erster Teil
entspricht OP nach Putti-Platt. Zusätzlich Knochenspaneinbolzung (Lange;
Nachteil: Häufig Arthrosen wegen veränderter Gelenkmechanik) oder ventrale
Spananlage zur Verlängerung des Glenoids (Eden-Hybinette).
Neer: Inferior-T-Shift: T-förmige Inzision und Mobilisierung der Kapsel. Über-
nähung der Kapselschenkel. Deutliche Bewegungseinschränkung (gewünscht).
NB: 3 Wo. Gilchrist, dann KG mit Aro. 0°, nach 6 Wo. Zunahme Bewegungsum-
fang. Nach ½ J. noch 20° Aro.-Defizit erwünscht.
Bristow-Latarjet: Versetzung der Korakoidspitze (inkl. Sehnen und Muskeln) auf
vorderen unteren Pfannenrand zur extraartikulären Blockierung des Luxations-
wegs. Cave KO: Läsion des N. musculocutaneus, Schraubenbrüche, Pseudarthro-
sen (möglich, jedoch meist ohne klin. Relevanz), Impingementsy., Plexusläsion
(selten, meist passager), Vernarbung bei Revisions-OP. Geringste Reluxationsrate
von allen gängigen OP-Verfahren (ca. 5 %).
Weber (nur sehr selten indiziert, wegen hohen Arthrose-, Nekroserisikos und
Funktionsverlusts): Nur bei sehr großem Hill-Sachs-Defekt. Subkapitale Rotati-
onsosteotomie (20–30°) und Lateralisierung des M. subscapularis (Einrasten von
Hill-Sachs-Delle des Humeruskopfs in vorderen Pfannenerker soll verhindert
werden, Verbesserung der „dynamischen Stabilisierung“). ME nötig. Pseudar­
throsen, Kopfnekrosen, Aro.-Einschränkung.
Mayer-Burgdorff (sehr selten indiziert): Skapulahalsosteotomie mit Korrektur
der Pfannenebene.
Hintere Luxation
OP-Prinzipien: Normalerweise Umkehrung der OP bei vorderer Instabilität (Put-
ti-Platt, Bankart, Eden-Hybinette).

9 Prognose
OP sehr zurückhaltend indizieren. Luxationsneigung sinkt mit zunehmendem Al-
ter. Häufig Reluxationen trotz OP, Gefahr der allmählichen Einsteifung durch wie-
derholte Stabilisierungs-OP. Gefahr der luxationsbedingten Arthroseentwicklung
bei habitueller Luxation deutlich geringer. Abnahme der Schulterinstabilität im
Alter > 30 J. auch ohne OP.
  9.1 Schulter  265

9.1.18 Periarthropathia humeroscapularis (PHS)


Definition
Kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern unpräziser Sammelbegriff für meh-
rere deg. Erkr. des Schultergelenks. „Diagnose“ PHS möglichst vermeiden. Besser
Differenzierung (▶ Tab.  9.2).

Tab. 9.2  PHS-Diagnosen


Klinische Diagnose Ätiologische Diagnose

PHS simplex (schmerzhafte Tendopathie der Rotatorenmanschette oder der


Schulter) langen Bizepssehne (▶ 9.2.4)

PHS acuta (hyperalgische Akute Bursitis subacromialis (bei Tendopathie der


Schulter) Rotatorenmanschette; ▶ 9.1.23)

PHS pseudoparalytica Ruptur der Rotatorenmanschette (und der langen


(Pseudoparalyse) Bizepssehne; ▶ 9.1.23)

PHS ancylosans (Schultersteife) Fibrose der Gelenkkapsel (▶ 9.1.21)

9.1.19 Omarthrose
Ätiologie
Meist primäre Arthrose des Schultergelenks (nicht statisch belastet). Sekundäre
Arthrosen (z. B. Trauma, Luxation, Osteonekrose).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Schmerzen, aktive und passive Bewegungseinschränkung (v. a. Aro-Rotation),
Krepitationen, Reibegeräusche, Muskelatrophien (Mm. supra-, infraspinatus,
deltoideus).
• Rö: Gelenkspaltverschmälerung, subchondrale Sklerosierung, Osteophyten,
Konturunregelmäßigkeiten.
• DD: Abgrenzung von Begleiterkr. des Schultergelenks.
Therapie
• Kons. Ther.: Physik. und funktionelle Ther., Medikamente, Hilfsmittel
(▶ 23.14).
• Operative Ther.: Bei sehr schmerzhafter Arthrose nach erfolgloser kons.
Ther.
– Endoprothese: Bei intakter Rotatorenmanschette ungekoppelt (uncons-
trained Gelenkprothesen mit stil- oder nicht stilgeführter humeraler
Komponente), Glenoidersatz bei exzentrischem Glenoidabrieb mit Kiel-
oder Peg-Verankerung, Goldstandard zementiertes Glenoid, Metal-Ba-
cked-Glenoide mit höherer Lockerungsrate. Bei Rotatorenmanschetten-
ruptur (Cuff-tear-Arthropathie) meist inverse Prothese, seltener Hemi-
prothese. 9
– Alternativ: Arthrodese in Funktionsstellung (selten indiziert; ▶ 9.1.22).
266 9  Obere Extremität  

9.1.20 Osteonekrose des Humeruskopfs


Definition
Nekrose des Humeruskopfs aufgrund Unterbrechung der Blutzufuhr.

Ätiologie (Beispiele)
Trauma, Alkoholabusus, Sichelzellanämie, Medikamente (z. B. Steroide, Chemo-
ther.), Caisson-Krankheit, neuropathisch (Lues, Syringomyelie, Diab. mell.).

Klinik und Diagnostik


• Schmerzen, Bewegungseinschränkung, Instabilität. Neuropathische Nekrosen
meist schmerzlos.
• Rö: Im Frühstadium nicht zu erkennen. In späteren Stadien perifokale Osteo-
porose, Frakturen, herdförmige Sklerosierung und Aufhellung, vollständiger
Zusammenbruch, arthrotische Veränderungen (▶ 4.1.6). Erkr. im Kindesalter
→ Humerus varus.
• MRT: Gute Beurteilbarkeit der Nekroselokalisation und -ausdehnung.
• Szinti: Veränderungen vor röntgenologischen Zeichen sichtbar. Initialstadium:
Verminderte Anreicherung, Spätstadium: Aktivitätsanreicherung (Reparation).

Therapie
• Kons. Ther.: So weit möglich Ther. der Grunderkr., sonst symptomatische
Ther., Orthesenversorgung.
• Operative Ther.: Versuch der Anbohrung im Frühstadium, Endoprothese (in
der Mehrzahl der Fälle, bei Muskelrestfunktion), Arthrodese (z. B. als Ausnah-
me bei jungen Pat. oder als Ultima Ratio nach mehreren Prothesenwechseln).

9.1.21 Schultersteife („Frozen Shoulder“)


Definition
Syn.: Adhäsive Kapsulitis. Fibrosierung und Schrumpfung der Gelenkkapsel mit
schmerzhafter Bewegungseinschränkung des Glenohumeralgelenks. Häufiger pri-
mär als sekundär. Ca. 60 % F. Alter meist 40–50 J.

Ätiologie
Primär = idiopathisch: Ätiol. unbekannt. Zusammenhang mit Diab. mell., Hy-
perthyreose, Trauma, bei Zervikalsy., Hemiplegie.
Sekundär: z. B. bei Tendinosis calcarea, Rotatorenmanschettenruptur, nach Im-
mobilisation, Omarthrose.

Klinik
Schmerzen, Muskelspasmen, zunehmende aktive und passive Bewegungsein-
schränkung v. a. der Aro. und Abd. Funktionsstörungen werden oft erst relativ
spät z. B. beim Kämmen, Waschen bemerkt. Stadienhafter Verlauf (primäre =
9 idiopathische Schultersteife):
• Stadium I: Häufig nächtliche Schmerzen, durch bestimmte Bewegung provo-
zierbar. Keine Bewegungseinschränkung.
• Stadium II: Schmerzminderung, aber zunehmende Bewegungseinschränkung.
• Stadium III: Weitere Schmerzlinderung bei ausgeprägter Einsteifung mit
deutlicher Muskelatrophie. V. a. Aro. und Abd. eingeschränkt.
  9.1 Schulter  267

• Stadium IV: Langsame Zunahme der Beweglichkeit ca. 5–6 Mon. nach Erkr.-
Beginn. Dauer bis zum Erreichen einer (fast) physiol. Schulterfunktion nach
1–3 J. (Self Limiting).

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Evtl. kleinzystische Entkalkung des Humeruskopfs in Spätphase, sonst
unauffällig.
• Sono: Erguss? Schlechte Verschieblichkeit und schwere Abgrenzbarkeit der
Muskel-Sehnen-Platte von Kapsel und Gelenk?
• MRT: Ausschluss von Begleitverletzungen. DD: Schmerzbedingte Bewe-
gungseinschränkung bei Tendopathie und Bursitis (Linderung nach Infiltrati-
onen mit LA); Rotatorenmanschettenruptur; Nervenläsionen (primärer
Funktionsausfall, dann erst Fibrose → neurol. Konsil, Arthroskopie); Störun-
gen der Gelenkmechanik, z. B. nach Trauma (Rö).

Konservative Therapie (zahlreiche Vorschläge in der Literatur)


• Schmerzhafte Frühphase (Stadien I und II): Intraartikuläre Inj. mit Kortison-An-
algetika-Gemisch, alternativ auch orale Kortison-Stoßther., KG v. a. schmerzlin-
dernd, keine Mobilisation „in den Schmerz“, Eigenübungen, Antiphlogese.
• Spätphase (Bewegungseinschränkung im Vordergrund, Stadien III und IV):
– KG: Dehnung der Muskulatur und Kapsel, Manualther. (Querfriktion,
Traktion, Mobilisation).
– Massagen, Hydrother.
• Medikamente: Antiphlogistisch-analgetisch (z. B. Diclofenac). Konsequente
Schmerzausschaltung vor KG (z. B. Tramadol). Evtl. für wenige Wo. Komb.
mit Sedativa (z. B. Diazepam 5 mg). Weitere Medikamente wie Kalzitonin
(z. B. Karil®) werden empfohlen.
• Inj.: Triggerpunkte, z. B. Lidocain (z. B. Xyloneural®); N.-suprascapularis-Anästhesie.
• Schonender: Distensionsarthrogramm mit Narkosemobilisation (Brisement mo-
déré), evtl. arthroskopisches Débridement oder Kapsulotomie ab Stadium III.
! In Allgemeinnarkose bei völliger Relaxierung, nie freitags.
– Ziel: Abkürzung des Krankheitsverlaufs.
– Ind.: Bei Therapiestillstand.
! Humerusfraktur bei Brisement modéré aufgrund Inaktivitätsosteoporose
möglich. Rö-Kontrolle! Gelenknaher Griff von Humerus und Schulter.
– Anschließend (am OP-Tag) KG-Mobilisation (und Bewegungsschiene)
unter guter analgetischer Abschirmung. Evtl. intraartikuläre Kortisoninj.
mit LA-Zusatz oder Plexuskatheter.
– Anleitung zu selbstständigem Üben wichtig („Hausaufgaben“). CPM
(Motorschiene) für 6 Wo.

Prognose
Meist Restitutio ad integrum nach oft jahrelangem Verlauf.

9.1.22 Eitrige Omarthritis 9
Klinik ▶ 8.5.

Diagnostik
• Meist von außen nicht erkennbar.
• Punktion des Schultergelenks.
268 9  Obere Extremität  

• CRP, evtl. zusätzliches Labor: RF, Immunglobuline, Komplementreaktionen,


AK-Suchtests, Harnsäure, AP.
• Rö: Im Frühstadium meist regelrechter Befund. Später lokale Osteoporose,
Gelenkspaltverschmälerung, Gelenkdestruktionen, Luxationen.

Operative Therapie
Ausheilung nur bei Revision aller betroffenen Abschnitte (Gelenk, Bursae subco-
racoidea, subdeltoidea, subacromialis). Gefahr der Knorpeldestruktion und Ge-
lenkversteifung.
• Akuter Frühinfekt: Sofortige arthroskopische Spülung und Synovektomie.
Evtl. mehrfache Intervention (Spülungen) nötig.
• Chron. Infekt und erfolglose arthroskopische Intervention: Offene Synovek-
tomie mit radikaler Entfernung der Bursae.
• Postop. Antibiotika für 4–6 Wo. (▶ 24.2).
• Bei ther.-resistenten starken Schmerzen und Funktionsbehinderung aufgrund
Gelenkdestruktion → Endoprothese nach Infektausheilung. Nur in Einzelfäl-
len Arthrodese in Funktionsstellung. Empfehlung: Ca. 20° Abd., 20° Flex., 45°
Iro. Arm „beweglich“ durch Skapularotation.

9.1.23 Rotatorenmanschettenruptur
Definition
Traumatische (selten, „High Energy“) oder deg. (häufig) Ruptur des Sehnenman-
tels der Rotatoren entweder partiell oder komplett (mit Verbindung zur Bursa
subacromialis). M : F = 10 : 1. Alter meist > 50 J. Mit fortschreitendem Alter Rup-
turen auf deg. Basis zunehmend → Prävalenz ca. 15 bis > 30 % > 70 J., häufig asym-
ptomatisch.

Ätiologie
Multifaktorielle Ursache (genetisch, mechanische Kompression durch ACG-Os-
teophyten, Critical Shoulder Angle > 35°, Akromionsporn, metabolisches Sy.).
Selten traumabedingt (Sturz auf den abduzierten und außenrotierten Arm)
(▶ 9.1.25). Meist zunächst partielle Rupturen an der Unterseite des Ansatzes der
Rotatoren. Traumabedingter Schmerz i. d. R. nur Anlass zur weiterführende Di-
agn. Sehnenretraktion (Einteilung nach Patte) und Verfettung des Muskelbauchs
(Einteilung nach Goutailler) Hinweis auf degenerativen Vorschaden.

Klinik
• Inkomplette Ruptur: Klinik wie bei Supraspinatussy. (▶ 9.1.25) oder Tendi-
nosis calcarea (▶ 9.1.26).
• Frische Ruptur: Heftiger Schmerz, oft hörbares Reißen oder Krachen. Verlust
der aktiven Abd. (M. supraspinatus) bzw. Aro. (M. infraspinatus): Pseudopa-
ralyse. Hämatom. Pat. ≤ 50 J.
– Kraftloses Herabfallen des Arms in 90° Abd. (Drop-arm-Sy.): Supraspina-
9 tussehne rupturiert.
– Aro. gegen Widerstand nicht möglich: Infraspinatussehne betroffen (Arm
in Iro. und Pronation).
– Kraftgeminderte Iro. (u. a. positiver Lift-off-Test nach Gerber, Napoleon-
Zeichen) Hinweis auf Subskapularissehnenruptur. Wird oft übersehen.
Wichtiger Stabilisator des OA-Kopfs.
  9.1 Schulter  269

• Deg. Ruptur: Schmerzen („Painful Arc“), Krepitationen, Schnappeffekte.


Atrophie von Mm. infra- und supraspinatus. Evtl. Schultersteife. Symptomatik
entsteht langsam mit geringerem aktiven Bewegungsverlust. Häufig Nacht-
schmerz wegen Bursitis. DS am Tuberkulum.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Humeruskopfhochstand (< 6 mm pathol.) durch Zug des M. deltoideus,
Subluxation des Humeruskopfs bei Abd. Bei deg. Ruptur: Sklerose oder Zys-
ten Tub. majus und Akromionunterrand.
• Sono: Verschmälerung oder Ausdünnung der Rotatorenmanschette oft
komb. mit Pseudoverbreiterung der Bursa subacromialis. Kalibersprung der
Rotatorenmanschette. Bei ausgedehnten Defekten fehlende Darstellung der
Rotatorenmanschette (▶ 4.6).
• MRT: Hohe Sensitivität und Spezifität bei Rotatorenmanschettenruptur (ggf.
auch Arthro-MRT).
• CT-Arthrografie: Bei KI für MRT.
• DD: Impingementsy., Tendinosis calcarea, Bursitis subakromial bzw. subdel-
toidal, Tendinitis lange Bizepssehne, symptomat. ACG-Arthrose, Omarthro-
se, selten Paralyse durch Läsion des N. axillaris oder N. suprascapularis (neu-
rol. Untersuchung).

Konservative Therapie
• Inkomplette Ruptur: Supraspinatussy. ▶ 9.1.25.
• Komplette Ruptur: Bei inaktiven Pat. > 70 J. und tolerablen Beschwerden.
Kryother., Antiphlogistika, Schmerzmittel (▶ 24.1). KG-Mobilisation und
Kräftigung der Außenrotatoren und skapulastabilisierenden Muskulatur.

Operative Therapie
Indikationen
• Kriterien: Schmerz, Alter, berufl. und sportl. Aktivität, dominanter Arm, Lei-
densdruck/Beschwerden, Ther.-Resistenz, Schulterfunktion.
• Inkomplette Ruptur:
– Einriss meist artikularseits → (arthroskopische) OP (Akromioplastik
nach Neer, Exzision des Sehnenbezirks, Sehnennaht arthroskopisch in
Einfach- oder Doppelnahttechnik oder „Mini Open“). 6 Wochen keine
aktive Abd. bei Supraspinatussehnennaht, Ruhigstellung in Schulterab-
duktionskissen.
– Pat. mittleren Alters mit vorzeitiger Deg. zur Vermeidung der sog. De-
fekt- bzw. Cuff-tear-Arthropathie.
• Komplette Ruptur:
– Frische Ruptur vorwiegend bei jüngeren (< 50 J.), berufl. und sportl. akti-
ven Pat. mit adäquatem Trauma und erheblichem Funktionsausfall (gute
Ergebnisse bei Versorgung innerhalb der ersten 3 Mon.).
– Degenerativ bedingte Ruptur nach erfolgloser kons. Ther. über ca. ½ J.
oder persistierenden Schmerzen, Funktionsausfall, Nachtschmerz, hoher
Schmerzmittelbedarf.
9

Aufklärung
Auf lange Reha-Dauer hinweisen.
270 9  Obere Extremität  

OP-Verfahren (abhängig von Lage und Ausdehnung)


Dekompression, vordere Akromioplastik nach Neer: Notwendiger Bestandteil
jeder Rekonstruktion einer Rotatorenmanschettenruptur mit Resektion des Lig.
coracoacromiale. Meist arthroskopisch.
Offene transossäre Verankerung nach McLaughlin: Bei relativ breitem Sehnen-
ausriss; Ausmeißelung einer Knochennut und transossäre Fixation der U-förmig
gefassten Rissränder in Abd.-Stellung des Arms. Erhalt der Bursa subacromialis
(außer bei extremen entzündlich narbigen Veränderungen).
Arthroskopische Sehnennaht: Einfach- oder doppelreihige Nahttechnik. Funkti-
on und Schmerz vergleichbar, geringere Rerupturrate bei Doppelreihe, höhere
Implantatkosten.
Margin-Convergence-Verfahren: Alternatives Verfahren bei nicht vollständig
verschließbarem Sehnendefekt. Mobilisation der noch vorhandenen Sehnenantei-
le (v. a. hinterer Supraspinatus- und oberer Infraspinatus) und Teilverschluss der
Supraspinatussehnenruptur.
Plastisch rekonstruktive Verfahren: Bei großen nicht rekonstruierbaren
Defekten lokaler Muskeltransfer (Latissimus-dorsi-Transfer bei Ruptur des
­
­Supra- und oberen Infraspinatus bei intakter Subskapularissehne, gute Langzeit-
ergebnisse; Pektoralis-Transfer bei isolierter Subskapularisruptur, hohe
­Versagerrate; Deltoideus-Transfer wegen hoher Rate an Sehnennekrosen kaum
mehr indiziert).
Nachbehandlung
Bei spannungsarmer Sehnennaht Schulterabduktionskissen für 4–6 Wo. Evtl.
CPM (motorisierte Bewegungsschiene). Bei Latissimus-dorsi-Transfer Schulter-
abduktionskissen mit Keil. Keine höhere Belastung für 3–6 Mon. KG und Mus-
kelaufbau meist für 6 Mon. erforderlich.

Prognose
Prädiktoren für geringe Re-Rupturrate: Muskelverfettung < 40 % (Goutailler
< III°), geringe Retraktion des Sehnenendes (Patte < III°), spannungsfreie Naht,
jüngeres Alter.

9.1.24 Infraspinatustendopathie
Ätiol., Diagn. und Ther. ▶ 9.1.25.

Klinik
• DS an der Rückseite des Tub. majus.
• Aro. gegen Widerstand schmerzhaft.
• „Painful Arc“ (zwischen 60 und 120° Abd.).

9.1.25 Supraspinatussehnensyndrom (SSP-Syndrom)
Definition
9 Deg. Veränderungen der Supraspinatussehne begünstigt durch eine physiol. Enge
in diesem Bereich → mechanischer Reizzustand der Sehne (und evtl. Bursa subac-
romialis) durch Druck- und Reibebeanspruchung bei Add. und Abd. (Deg.). Hy-
povaskularisierte Zone am Sehnenansatz. Verstärkung der Minderdurchblutung
bei herabhängendem Arm: „Wringing-out-Phänomen“ (v. a. bei Schwimmern,
Langstreckenläufern). Muskuläre Insuffizienz → Humeruskopfhochstand.
  9.1 Schulter  271

Impingementsyndrom
Von to impinge = anprallen. Einklemmung, Reizung subakromialer Weichteile
(Rotatorenmanschette, Bursae subacromialis, subdeltoidea) zwischen Akro­
mion, Lig. coracoacromiale, AC-Gelenk, Tub. majus und Humeruskopf v. a.
während der Abd. des Arms; vielfältige Ursachen: z. B. muskuläre Dysbalance
(geschwächte Aro.), Supraspinatussehnensy., Rotatorenmanschettenruptur, me-
chanische Kompression (Osteophyt ACG oder Acromion), Tendinosis calcarea.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Bewegungsabhängiger chron. Schulterschmerz, auch nachts.
• DS im Bereich Tub. majus, an vorderem Gelenkspalt, Sulcus der Bizepssehne,
Processus coracoideus. Abd. gegen Widerstand schmerzhaft. Häufig „Painful
Arc“ (ca. 60–120°). Schmerz bei Elevation. Hawkins-Zeichen pos. (▶ 9.1.2)
• Krepitationen, Schnappen.
• Supraspinatustest (▶ 9.1.2) pos.
• Evtl. Begleitverletzungen (Bizepssehnenruptur). Aktive oder passive Bewe-
gungseinschränkung nicht obligat.
• Rö: Meist unauffällig; evtl. Humeruskopfhochstand im Spätstadium (norma-
ler Abstand Akromionspitze – Humeruskopf: 9–10 mm; < 6 mm pathol.).
Evtl. akromiale Osteophyten, vermehrte Sklerose im Bereich des Tub. majus,
Akromiontyp nach Bigliani I–III (I: gerade, III: Hakentyp). Critical Shoulder
Angle > 35° (Winkel zwischen Glenoidebene und Akromionspitze).
• Arthrografie, Sono: Ausschluss Rotatorenmanschettendefekt, Verkalkung.
• DD: Andere deg. Veränderungen der Schulter, z. B. Rotatorenmanschetten-
ruptur, Bizepssehnensy., Bursitis subacromialis (Abd. gegen Widerstand bei
Zug am Humerus eher neg., bei SSP-Sy. unverändert).

Konservative Therapie

Bei intensiver Behandlung in ca. 70 % Besserung oder Heilung.

• Ind.: Zuerst kons. nach Ausschluss Rotatorenmanschettenruptur und bei


kompletter Ruptur bei inaktiven älteren (> 65 J.) Pat.
• Sportreduktion im Schulterbereich v. a. Überkopfsportarten einschließlich
Schwimmen. Nach Abklingen Verbesserung der sportspezifischen Technik,
Muskelkräftigung.
• Kryother.: Bei akuten Schmerzen mehrfach tgl. (Analgesie, Muskeldetonisie-
rung). In chron. Stadium eher Wärmeappl.
• Elektrother.: Diadynamische Ströme im subakuten bis chron. Stadium (An-
algesie, Muskeldetonisierung).
• KG: Lockerung der verspannten Muskulatur, Verbesserung des „Joint Play“,
Krafttraining zur Stärkung der Depressoren (Mm. supra- und infraspinatus,
teres minor) und skapulastabilisierenden Muskulatur, Koordinationsschu-
lung, Manualther. (Traktion, Mobilisation, Querfriktion; ▶ 20.2.4). Beseiti- 9
gung muskulärer Imbalancen.
• Medikamente: Nur kurzfristig antiphlogistisch-analgetische Ther. (▶ 24.1).
• Analgesie des N. suprascapularis: Evtl. vor KG zur Analgesie.
• Infiltrationen: In Hauptschmerzpunkt meist am Vorderrand des Lig. coracoa-
cromiale z. B. mit 2 ml Mepivacain (z. B. Scandicain® 1 %). Kortikoidinstilla­
tion in Bursa subacromialis, z. B. 1–2 × 10 mg Triamcinolonacetonid (z. B.
Volon® A) mit Mepivacain (z. B. Scandicain® 1 %).
272 9  Obere Extremität  

Operative Therapie
Indikationen
• Stadium I und II, persistierende Beschwerden nach konsequenter kons. Ther.
über 6 Mon., Läsion der Sehne durch Akromionsporn, Os acromiale oder in-
feriore, Osteophyten des AC-Gelenks (▶ 9.1.4).
• Stadium III, nach erfolgloser kons. Ther. bei inkompletten Rupturen.
OP-Verfahren
Arthroskopische Akromioplastik: Resektion der Bursa subacromialis, Abfräsen
der Unterfläche des Akromions mit Motorfräsen. Geringe Morbidität, rasche Reha.
Akromioplastik nach Neer, sog. Défilé-Erweiterung: Erweiterung des subakro-
mialen Raums durch Dekompression der Supraspinatussehne (Resektion des Lig.
coracoacromiale und der vorderen Unterfläche des Akromions). Osteophytenab-
tragung am ACG (v. a. nach distal gerichtete). Evtl. Schultersteife in gleicher Sit-
zung mobilisieren und arthroskopische Arthrolyse. Bei Rotatorenmanschettenlä-
sionen (häufiger) Rekonstruktion und Akromioplastik nach Neer, bei intakter
Rotatorenmanschette isolierte Akromioplastik.
Nachbehandlung
Arthroskopische Akromioplastik: Schulterkissen. Evtl. CPM (Motorbewegungs-
schiene). Ab 2. postop. Tag passive Bewegungsübungen, Pendelübungen. Aktiv:
KG konsequent über ca. 6–12 Wo.
Akromioplastik nach Neer: 1–2 Wo. Schulterkissen. Assistive Bewegung (KG)
nach Abklingen des Wundschmerzes. Aktive Übungen gegen Widerstand nach
frühestens 3–4 Wo.

Prognose
Kons. ca. 70 % gebessert oder geheilt. Rezidive. Ausdünnung der Supraspinatus-
sehne → Perforation, Ruptur.

9.1.26 Tendinitis calcarea, chronische und akute Bursitis


subacromialis
Definition
• Tendinitis calcarea: Reaktive Kalkablagerungen in Sehnenansätzen bei Min-
derdurchblutung der Rotatorenmanschette (90 % Supra- und Infraspinatus).
• Bursitis subacromialis (chron. Bursitis): Ausdehnung des Kalkherds bis an die
Oberfläche des Sehnenspiegels und mechanische Irritation der Bursa subac-
romialis.
• Akute Bursitis: Durchbrechen des Kalkdepots in die Bursa.
Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Tendinosis calcarea: Keine Schmerzen, oft Zufallsbefund im Rö.
• Chron. Bursitis: Impingementsy. (▶ 9.1.25) mit chron. rez. Beschwerden.
9 • Akute Bursitis nach Durchbruch des Kalkherds in die Bursa: Sehr starker
Dauer- und DS im Bereich des Tub. majus und ventral davon, „Painful Arc“,
Überwärmung, Gelenkkonturen evtl. verstrichen. Starke schmerzbedingte
Bewegungseinschränkung, Supraspinatustests pos. (▶ 9.1.2).
• Rö: Subakromialer Kalkherd (Hydroxylapatit) unterschiedlicher Dichte. Ru-
hender Herd dicht, scharf begrenzt. In Auflösung begriffener Herd mit un-
  9.1 Schulter  273

scharfer Randzone (Ausdehnungstendenz, expandierend). Keine Korrelation


zwischen Größe des Kalkherds und Klinik.
• Labor: Werte im Normalbereich.
• MRT: Ausschluss einer Rotatorenmanschettenruptur.
• DD: Septische Omarthritis, Gicht, Chondrokalzinoseanfall; rheumatische Erkr.
Konservative Therapie
! 
Aufgrund der Selbstheilungstendenz (Kalkherd löst sich oft auf, 2. Schmerz-
gipfel) zunächst immer kons. Ther.
• Akute Bursitis: Starke Analgetika (z. B. Tramadol), NSAR (z. B. Diclofenac),
Kryother. (mehrfach tgl. Eispacks), Elektrother. (analgetisch-diadyname Strö-
me). KI: Wärme, Massagen, Bewegungsübungen. Ruhigstellung des Arms in
Abd.-Stellung.
• Verflüssigung des Kalkherds (Rö: Weich gezeichneter Verkalkungsherd): Oft
schlagartige Besserung nach Punktion unter BV-Kontrolle und Spülung der
Bursa subacromialis („needling“). Inj. allein nicht immer erfolgreich: Zur An-
algesie z. B. 2–5 ml Mepivacain 2 %, bei sicherer Lage in der Bursa z. B. 3 ml
Mepivacain 1 % (z. B. Scandicain®) + Triamcinolonacetonid 20 mg (z. B. Vo-
lon® A). Sinnvoll z. B. bei noch liegender Nadel im Anschluss an eine Punkti-
on.
• Chron. Bursitis: Ultraschall, lokale Inj., physik. Ther. Bleiben diese Maßnah-
men erfolglos, evtl. Versuch mit Stoßwellenbehandlung (ähnlich der Litho-
tripsiebehandlung von Nierensteinen), Rö-Bestrahlung umstritten.

Operative Therapie
• Ind. zur Kalkentfernung zurückhaltend stellen, da hohe Spontanheilungsten-
denz. OP bei Versagen der kons. Ther., Kalkherd > 1 cm und scharf begrenz-
tem, fragmentiertem Herd (Hinweis auf harte Konsistenz); deutliche Beein-
trächtigung des Pat. Aktuelle Rö-Aufnahmen wichtig (Herd schon aufge-
löst?).
• Prinzip: Entfernung der Kalkdepots und Erweiterung des subakromialen
Raums.
• NB: Bei intakter Rotatorenmanschette nach 2–3 d aktive KG und Schulter­
mobilisation.

Prognose
Meist Selbstheilung innerhalb von Mon. oder Jahren (Resorption des Kalks).

9.1.27 Neuralgische Schulteramyotrophie
Definition
Neurol. Erkr. mit Entzündung des Plexus brachialis unbekannter Ursache.

Klinik
Anfänglich massive Schmerzen, schnell einhergehend mit Lähmungen der Schulter-
und seltener OA-Muskulatur. Anheben des Armes stark kraftgemindert und z. T. 9
nicht möglich. Schnelle Atrophie der denervierten Muskulatur (oft M. deltoideus,
Mm. supra- oder infraspinatus, serratus ant., trapezius). Meist Sensibilität intakt.
274 9  Obere Extremität  

Diagnostik
EMG mit Zeichen der Denervierung, Nervenleitgeschwindigkeit vermindert.

Therapie
Analgetikagabe, KG zur Gelenkmobilisation und später Muskelaufbau und Ge-
lenkkoordination, Kortisongabe umstritten.

Prognose
Ca. ¾ mit günstigem Verlauf, Dauer bis zu 2 Jahren.

9.2 Oberarm, Ellenbogen und Unterarm


Steffen Breusch, Michael Clarius, Hans Mau, Hermann Schmidt, Dorien Schneidmüller und
Frank Unglaub

9.2.1 Proximale Humerusfraktur
Hermann Schmidt und Dorien Schneidmüller

Proximale Humerusfraktur bei Erwachsenen


Ätiologie
Meist indirekte Gewalteinwirkung, Sturz auf ausgestreckte Hand oder Ellenbo-
gen, Osteoporose meist Frauen > 70 J.
Einteilung
Zahlreiche Klassifikationen prox. Humeruskopffrakturen, z. B. nach Neer, AO, Her-
tel. Einordnung in die jeweiligen Typen oft schwierig und uneinheitlich. Wichtig für
die Ther.-Strategie → Ist die Fraktur stabil, nicht disloziert? Können Knochenfrag-
mente (z. B. Tub. majus und/oder minus) weiter dislozieren und zu einem Impinge-
ment führen? AO-Frakturklassifikation der langen Röhrenknochen ▶ 25.
Klinik
• Anamnese: Unfallmechanismus, adäquates Trauma. Wichtig für Ther.-Pla-
nung: Alter, körperl. und berufl. Aktivität, Rechts- oder Linkshänder, soziale
Situation.
• Inspektion: Schwellung, Hämatom, Schonhaltung.
• Palpation und Bewegungsprüfung: Lokaler DS, schmerzhafte Bewegungsein-
schränkung, Krepitation.
• DMS (Axillarisschaden?).
• Ausschluss von Begleitverletzungen, z. B. Thoraxwand, Lungenkontusion.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Rö: Schulter a. p. (Gegenseite um 40° nach vorn gedreht); axilläre Aufnahme
(Arm 45 % abduziert, Zentralstrahl auf die Axilla: wichtigste Aufnahme zur Ein-
9 teilung und Ther.-Strategie) und Schultergelenk transskapular (Y-Aufnahme).
• CT mit 3-D-Rekonstruktion: Bessere Beurteilung der Fragmentdislokation.
• MRT: Bei nicht eindeutigem Rö-Befund und V. a. Luxationsereignis. Beurtei-
lung von Weichteilverletzungen: Rotatorenmanschette, Labrum, Sehnen; Vi-
talität des OA-Kopfs; zur Planung einer inversen Prothese (ältere Pat.); bei
V. a. pathologische Fraktur.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  275

• Farbduplex-Sonografie, ggf. Angiografie bei V. a. Gefäßverletzung.


• Bei V. a. Nervenverletzungen: Messung von NLG, sensorisch evozierte Poten-
ziale.
• DD: Schulterluxation, Humerusschaftfraktur, Rotatorenmanschettenruptur,
Skapulafraktur, Schultereckgelenkverletzung, akute Bursitis subacromialis bei
Tendinosis calcarea.
Konservative Therapie

Keine langfristige Ruhigstellung, um einer Bewegungseinschränkung durch


Schrumpfung der Schultergelenkkapsel vorzubeugen.

Indikationen
Alle stabilen Frakturen oder Frakturen, bei denen die Kontur des OA-Kopfs ge-
genüber dem Glenoid weitgehend erhalten ist oder die Fragmente nicht zu einem
Impingementsy. führen, z. B. minimal dislozierte subkapitale Humerusfrakturen
(Neer-Kriterium: Grenze < 10 mm [Tendenz < 5 mm] ad latus oder < 45° [Ten-
denz 20°] ad axim verkippt), nicht dislozierte Tub.-majus-Fraktur (Grenze:
< 3 mm nach kranial).
Nicht oder geringfügig dislozierte Fraktur
• 1. Wo: Ruhigstellung im Gilchrist-Verband.
• 2.–3. Wo.: Nach erneuter Rö- und Stabilitätskontrolle: Beginn mit Pendeln.
Häufig vorübergehende Subluxation des Humeruskopfs nach kaudal, bildet
sich spontan zurück.
• 4.–6. Wo.: Passive, aktiv-assist. KG bis zu 90° Abd. und Anteversion.
• Ab 7. Wo.: Übergang auf freies aktives Bewegen.
Engmaschige Rö-Kontrollen. Bei sek. Dislok. und Instabilität: Operative Ther.

Bei sehr alten Menschen kann auch bei gegebener OP-Ind. eine kons. Be-
handlung gerechtfertigt sein. Berücksichtigung der Komorbiditäten, des in-
dividuellen Anspruchs an die Funktionalität. Auch dann sollte die frühfunk-
tionelle Beübung im Vordergrund stehen, die den größten Anteil am Be-
handlungserfolg trägt.

Operative Therapie
Indikationen
• Jede irreponible Fraktur mit Beteiligung der Gelenkfläche oder durch Frag-
mentdislokation bedingtes Impingementsy.
• Schulterluxationsfraktur (bei erfolgloser Reposition).
• Dislozierte Mehrfragmentfraktur.
• Stark dislozierte Abrisse des Tub. majus oder minus.
• Head-split-Fraktur.
• Offene Fraktur.
• Pseudarthrose nach kons. Ther. 9
Bei allen OPs ist intraop. sorgfältig auszuschließen, dass Osteosynthesemate-
rial intraartikulär zu liegen kommt. Mit dem BV nicht nur in den Standardeb.
kontrollieren und dokumentieren.
276 9  Obere Extremität  

Operative Verfahren und Indikationen


• Minimalinvasive Verfahren: Perkutane Gewindedrahtosteosynthese evtl. mit
Humerusblock, Zifkonägel: Ältere Pat. mit osteoporotischem Knochen, insta-
bile Frakturen im Collum anatomicum oder chirurgicum. NB: 3 Wo Ruhig-
stellung, nach 6 Wo. ME.
• Zugschrauben oder Zuggurtung bei Tub.-majus- oder -minus-Abriss. Cercla-
ge, Fadenanker bei multiplen oder kleinen Fragmenten.
• Winkelstabile Plattenosteosynthese: Übungsstabil, bei Luxations- und komplexen
Frakturen (disloz. Mehrsegmentfrakturen), ggf. auch in Komb. mit zirkumferen-
ter Zuggurtung, auch bei Schaftfrakturen, Verwendung von Kalkarschrauben, ggf.
in Komb. mit Spongiosaplastik, Beckenkamm, selten freies Fibulatransplantat.
• Winkelstabile Nagelosteosynthese: 2-Segment-Frakturen (Collum chirur.), 3-
bis 4-Segment-Frakturen, bei ausgepr. subkapitaler Trümmerzone, in den
Schaft reichende Spiralfrakturen
• Humeruskopfprothese: Bei älteren Pat. mit Zerstörung mindestens der Hälfte
der Kalotte bzw. Trümmerfrakturen. Frühzeitige OP ermöglicht funktionell
bessere Ergebnisse als frustrane kons. Ther. Zunehmende Tendenz zur primär
inversen Prothese wegen Problemen der Rotatorenmanschette (Rotatoren-
manschettenläsion generell ab 70. Lj. > 50 %, ab 80. Lj. >  80 %). Wichtig:
Funktionsfähigkeit des M. deltoideus (N. axillaris).
• Bei persistierenden Bewegungseinschränkungen trotz guter Fragmentstellung
und konsolidierter Fraktur ggf. Narkosemobilisation oder offene bzw. arthro-
skopische Arthrolyse.
Winkelstabile Plattenosteosynthese bei subkapitaler Humerusfraktur
OP-Technik: Inzision entlang dem Sulcus deltoideopectoralis. Schonen der V. ce-
phalica. Teilablösung des M. deltoideus von der lat. Klavikula und Kerben der M.-
pectoralis-major-Insertion. Darstellung der Fragmente. Reposition unter Längszug,
Abd. und Heben des Arms mit Druck von ventral auf den prox. Humerusschaft.
Anpassen der Platte lateral des Sulcus intertuberkulär und Fixation mit einer
Schraube am Schaft. Temporäre Fixation über K-Drähte, BV-Kontrolle zur Lagekon-
trolle und Höhenlokalisation, Fixation mit mehreren Schrauben, ggf. Refixation der
Tubercula mit kräftigen Nähten, die durch freie Löcher in der Platte geführt und
geknotet werden. Rö-Kontrolle, Spülung, Redon-Drainage, Wundverschluss.
NB: Desault-Verband bis zur Wundheilung. Aus diesem bereits heraus assistiv
geführte Bewegungsübungen, Pendeln; evtl. CPM (Motorschiene). Aktive Mobili-
sierung entsprechend der Stabilität nach ca. 4 Wo. Bei unsicherer Refixation der
Tuberkula: NB-Schema analog der operativen Versorgung von Rotatorenman-
schettenruptur (Thoraxabduktionskissen etc.).
ME nur bei implantatbedingten Beschwerden.
Prognose
Bei unkomplizierter Fraktur in 90 % befriedigende Ergebnisse. Bei Mehrfrag-
mentfraktur deutlich schlechtere Resultate (4 Fragmente nur noch ca. 10–20 %
befriedigende Ergebnisse). Progn. bei diesen Verletzungen evtl. durch primäre
Osteosynthese oder Endoprothetik zu verbessern.
9
Proximale Humerusfraktur im Kindesalter
Definition
Meist metaphysäre Fraktur und Epiphysenlösung mit metaphysärem Keil; Gelenk-
fraktur selten; Altersgipfel: < 3 Lj., 11.–12. Lj. (4 % aller Extremitätenfrakturen im
Kindesalter).
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  277

Ätiologie
Indirekte und direkte Traumen, Geburtsverletzung, Kindesmisshandlung, path.
Fraktur bei z. B. juveniler Knochenzyste.
Einteilung
AO-pediatric-Klassifikation, Salter-Harris-Klassifikation.
Klinik und Diagnostik
• Schwellung, Deformierung, Schonhaltung des Arms (Parot-Pseudoparalyse).
Im Gegensatz zur echten Plexusparese Schmerzen bei Bewegung.
• Rö: Humerus mit Ellenbogen: a. p., axial oder tangentiale Y-Aufnahme, Ver-
meidung einer transthorakalen Aufnahme (meist schlechte Qualiltät, hohe
Strahlenbelastung).
Therapie
• Kons. Ther.: Hohes Korrekturpotenzial! Korrekturgrenzen: < 10. Lj. = Dislo-
kation halbe Schaftbreite, Verkürzung bis zu 2 cm, < 10° Valgus, < 50° Varus,
Ante-, Rekurvation; > 10. Lj. = Dislokation < halbe Schaftbreite, < 10° Valgus,
< 20° Varus, Ante-, Rekurvation; Berücksichtigung der Geschlechtsreife.
Technik: Immobilisation im Gilchrist- oder Desault-Verband für 3–4 Wo.
• Operative Ther.: Ind.: Überschreiten der Korrekturgrenzen. Technik: Ge-
schlossene Reposition und retrograde ESIN (funktionelle NB), alternativ per-
kutane K-Draht-Fixation (zusätzliche Immobilisation nötig). Offene Repositi-
on bei Weichteilinterposition (v. a. Bizepssehne) nötig.

9.2.2 Proximale Bizepssehnenruptur
Steffen Breusch und Hans Mau

Ätiologie und Pathogenese


Prox. lange Bizepssehne verhindert bei Abd. ein Höhertreten des Humeruskopfs.
Deg. der Sehne möglich bei mechanischer Überbeanspruchung im Sulcus intertu-
bercularis durch Vorbeigleiten des Humeruskopfs bei Abd. (Sehne selbst bewegt
sich nicht). Folge: Tenosynovitis, Subluxation und Luxation, partielle oder kom-
plette Ruptur. Echte traumatische Ruptur bei akuter Überlastung selten. Häufig
begleitende Läsionen der Rotatorenmanschette (▶ 9.1.23).

Klinik
• Stechender Schmerz sowie typischer dist. Muskelbauch bei prox. Ruptur.
• DS Sulcus intertubercularis, evtl. Hämatom.
• Yergason-Test und Palm-up-Test pos.
• Flexion und Supination gegen Widerstand schwächer, beim älteren Pat.
Kraftverlust oft weniger ausgeprägt (ca. 15 %).
• Ein funktioneller Ausfall nach Ruptur der langen Bizepssehne wird meist als
nicht sehr schwerwiegend angesehen.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen 9


• Sono: Leerer Sulcus. Vergleich mit Gegenseite.
• MRT: Bei unklarer Sono und z. A. anderer Pathologie indiziert.
• Arthroskopie: Nur bei therapeutischem Ansatz indiziert, Beurteilung des int-
raartikulären Verlaufs der langen Bizepssehne.
278 9  Obere Extremität  

• DD: Tendinitis, SLAP-Läsion (Superior-Labrium-Anterior-Posterior-Läsion),


Sehnen(sub)luxation, Läsionen an Rotatorenmanschette, freie Gelenkkörper.
Ruptur der dist. Bizepssehne, Läsion des N. musculocutaneus.

Konservative Therapie
auch ▶ 9.1.25.
• Ind.: Prox. Ruptur bei älteren Pat.
• Frühfunktionelle Ther., evtl. kurzzeitige Ruhigstellung im Gilchrist-Verband
zur Schmerztherapie, Antiphlogistika.
• Häufig schlagartige Schmerzbesserung bei intraartikulärer Kortikoidinfiltration.
Operative Therapie
Indikationen
• Spätestens 4–6 Wo. nach Ruptur.
• Ind.: Bei aktiven, sportl. Pat. mit Berufen mit häufigen Supinationsbewegun-
gen und Überkopfarbeiten wegen Kraftverlust.
OP-Techniken
Prox. Ruptur: Verhältnis lange zu kurze Bizepssehne = 1 : 10. „Schlüsselloch“-OP
nach Froimson: Refixation der verknoteten Sehne in Kortikaliskerbe im Sulcus
intertubercularis. Alternative: Versetzung der langen Bizepssehne auf den Proc.
coracoideus. Vorteil: Erhaltene Zweigelenkigkeit des Muskels. Nachteil: Entste-
hen/Verstärkung eines Impingementsy. durch höhertretenden Humeruskopf
(­depressorische Wirkung der Sehne fällt weg). Alternative: Transposition auf den
kurzen Bizepskopf und Resektion des prox. Sehnenstumpfes.
Nachbehandlung
Ruhigstellung im Gilchrist-Verband 2–4 Wo., aus dem heraus vorsichtige Bewe-
gungsübungen durchgeführt werden dürfen. Danach aktive Beuge- und Streckbe-
wegungen.

9.2.3 Humerusschaftfraktur
Steffen Breusch, Hans Mau und Dorien Schneidmüller

Definition
Fraktur des Humerusschafts ohne Beteiligung der subkapitalen oder suprakon-
dylären Region. Bei Kindern selten (< 1 % aller kindlichen Frakturen).

Ätiologie
• Indirekte Krafteinwirkung: Spiralfraktur, evtl. mit zusätzlichem Drehkeil.
• Direkte Krafteinwirkung: Unterschiedliche Frakturformen (Quer-, Biegungs-,
Stück- bis Trümmerfraktur). Abhängig von der Art der Gewalteinwirkung ent-
sprechende Weichteilverletzung mit Gefäß- und Nervenläsionen (N. radialis!).
9 Klinik und Diagnostik
AO-Frakturklassifikation der langen Röhrenknochen ▶ 25.
• Verkürzung und Fehlstellung des OA. Schonhaltung.
!  Sorgfältiger Pulsstatus und neurol. Untersuchung z. A. einer Verletzung des
schräg dorsal um den Humerusschaft verlaufenden Gefäß-Nerven-Bündels
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  279

(A. profunda brachii, N. radialis) in 10–20 %, des N. ulnaris bei dist., supra-
kondylären Frakturen (2 %) oder der A. brachialis (1–2 %).
• Begleitverletzungen, z. B. Weichteil- und Thoraxwandverletzung, Lungenkon-
tusion.
• Wichtig für Therapieplanung: Alter, körperl. und berufl. Aktivität, Rechts-
oder Linkshänder, Umfang des OA (Adipositas), soziale Situation, Erkr. der
Nachbargelenke.
• Rö: OA mit Schulter und Ellenbogen in 2 Eb.
• Angiografie: Bei fehlendem Puls der A. radialis. Ein pos. Doppler-Signal
schließt eine Arterienverletzung nicht sicher aus.
Kinder: Vorgehen bei prim. Radialisparese: Wird kontrovers diskutiert, hohe
Spontanremissionsrate rechtfertigt konservatives Vorgehen; sind nach ca. 6 Wo.
keine neurol. Regenerationszeichen vorhanden → operative Revision. Wird eine
Osteosynthese durchgeführt, empfehlen wir eine Revision des Nervs.

Konservative Therapie
Meist kons. Behandlung, gute Heilung mit gutem funktionellen Ergebnis (wenn
keine Begleitverletzungen vorliegen und Rotationsstellung korrekt ist). „Der
OA-Schaftbruch ist unter allen Schaftbrüchen der langen Röhrenknochen der
gutartigste“ (Lorenz Böhler). Bei Kindern werden Seitverschiebungen um
Schaftbreite und Verkürzungen von 1 cm im Verlauf des Wachstums wieder
ausgeglichen, Achsfehler > 10° können jedoch zu einer kosmetischen Beein-
trächtigung führen.
Stabile und wenig dislozierte Frakturen (lange Torsionsfrakturen, Frakturen in
Schaftmitte): Zunächst Ruhigstellung im Gilchrist-Gipsverband (cave: Fraktur-
dislokation) für 2–3 Wo. Dann Anpassung eines Sarmiento-Brace für weitere 4–5
Wo. Alternativ Desault-Verband mit Gipsverstärkung möglich. Fixierung bis zur
Kallusbildung (i. d. R. nach ca. 6–8 Wo.).
Kinder: Korrekturgrenzen: Achsabweichung < 10° (valgus schlechter als varus),
ad latum < Schaftbreite. Kons. Ther.: Vor allem Schräg- und Spiralfrakturen in-
nerhalb der Korrekturgrenze; Gilchrist- oder Desault-Verband für 4–5 Wo, ggf.
Umstellung auf Sarmiento-Brace.

Bei pathol. Schaftfraktur durch juvenile Knochenzyste i. d. R. Ausheilung bei


kons. Ther. („heilende Fraktur“). Bei Instabilität ESIN (Drainage der Zyste
und Frakturstabilisierung).

Operative Therapie
Indikationen
• Offene Fraktur.
• Rel.: Radialisparese.
• Gefäßverletzung.
• Nicht reponierbare Fraktur (Weichteilinterposition).
• Ausgedehnte Begleitverletzungen von Thoraxwand und Lunge sowie Poly-
trauma → OP zur rascheren Mobilisierung und Pneumonieprophylaxe bzw. 9
optimalen Pflege.
• Serienfraktur am selben Arm („Floating Elbow“).
• Pathologische Fraktur.
• Persistierende grobe Achsfehlstellung und Pseudarthrose.
280 9  Obere Extremität  

• Erkr. der Nachbargelenke, deren Ruhigstellung bei kons. Frakturbehandlung


zu einer deutlichen Verschlechterung führen würde.
• Bilaterale Schaftfraktur.
OP-Verfahren
Plattenosteosynthese: Standardverfahren bei Gefäß-Nerven-Verletzung und ge-
gebener OP-Ind. (breite 4,5-mm-LCDC-Platte oder bei Osteoporose 4,5 mm
LCP).
Intramedulläre Nagelung: Frakturen im mittleren Drittel, insbes. Querfrakturen,
ohne neurovaskuläre Läsionen. Ante- oder retrograde Nagelung. (Problem: Be-
schwerden in der Schulter beim antegraden Vorgehen, mögliche suprakondyläre
Fraktur beim retrograden Vorgehen, Nervenschaden durch Verriegelung. Ge-
fährdet: prox.: N. axillaris, distal: N. radialis.)
Fixateur externe: Indiziert bei offenen Frakturen mit erheblichem Weichteilscha-
den, beim Polytrauma zur Primärversorgung, Schussverletzungen.
Nervenversorgung: Bei Durchtrennung des N. radialis Nervennaht. Bei Subs-
tanzdefekt Nerventransplantat (N. suralis).
Kinder: Meist geschlossene Reposition mögl., Stabilisierung mittels ante- oder re-
trograde ESIN, alternativ Fixateur externe (selten).
Plattenosteosynthese einer Humerusschaftfraktur
▶ Abb.  9.7.
OP-Technik: Dorsaler Zugang. Bauchlage, 90° abd. Arm, Ellenbogen frei beweg-
lich, Unterarm über einen Armtisch hängend. Vorderarm und Hand steril einge-
packt. Längs verlaufende Hautinzision, Inzision der OA-Faszie, stumpfes Ausein-
anderdrängen der Muskelbäuche des M. trizeps zwischen Caput longum und
proximale nach distal. Darstellen und Anschlingen des Gefäß-Nerven-Bündels
mit dem N. radialis. Mobilisation so
weit nötig, keine Denudierung des
Nervs. Darstellung der Fraktur und
Reposition. Falls möglich, provisori-
sche Fixation.
Kleine Keilfragmente werden ver-
schraubt. Anschließend Anpassen der
Platte mit provisorischem Festschrau-
ben an einem Fragment. Feinrepositi-
on der Fraktur. Definitives Fest-
schrauben unter interfragmentärer
Kompression (bei LCDCP: Einbrin-
gen der Schrauben in die Schrauben-
löcher in unterschiedlichen Winkeln
→ andernfalls liegen die Bohrlöcher in
einer Linie mit der Gefahr eines
Längsrisses auf der Gegenseite der
Platte). Kontrolle von Plattenlage und Abb. 9.7 Osteosynthesen bei Hume­
Stabilität. Der N. radialis sollte mit russchaftfraktur [L106]
9 Weichteilen gedeckt sein und nicht
direkt der Platte anliegen. Spülung, Redon-Drainage. Schichtweiser Wundver-
schluss, Verband.
NB: Frühfunktionelle Ther. mit aktiven Bewegungsübungen; evtl. CPM (Motor-
schiene). Entlastung bis zum Frakturdurchbau (ca. 6 Wo.).
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  281

Marknagelung des Humerus


▶ Abb.  9.7.
Anterograde OP-Technik: Rückenlage (Beach-Chair-Position), zunächst Längen-
und Dickenbestimmung des Nagels mit Schablonen, Inzision lateral der Akromi-
onspitze. Spreizen des M. deltoideus im Längsverlauf, Eröffnen des Humeruskopfs
mit dem Pfriem med. des Tub. majus. Montage des Nagels mit Zielbügel und vor-
sichtiges Einbringen in den Humerus unter rotierenden Bewegungen. Unter BV-
Kontrolle Reposition und Vorschieben des Nagels in das distale Fragment. Vor-
schieben des Nagels bis auf Knochenniveau, BV-Kontrolle. Verriegeln des Nagels
mit jeweils 2 Schrauben prox. und distal, ggf. vorher interfragmentäre Kompressi-
on durch Kompressionsaufsatz. Distal auf N. radialis achten! Verschlussschraube,
BV-Kontrolle, Spülung, Redon-Drainage, schichtweiser Wundverschluss. Haut-
naht, Verband.
Retrograde OP-Technik: Bauchlage, Zugang nach Trizepsspaltung oberhalb
der Fossa olecrani. Senkrechtes Vorbohren von drei jeweils 3,2-mm-Bohrlö-
chern durch eine Kortikalis, Erweitern des Bohrlochs mit 4,5-mm-Bohrer und
Fräse, Einbringen und Verriegeln des Marknagels in gleicher Weise, keine He-
belwirkung auf distalen Humerus, ansonsten Gefahr einer suprakondylären
Fraktur.
NB: Frühfunktionell, aktive und passive Bewegungsübungen abhängig von Be-
schwerden, evtl. CPM (Motorschiene). Knöcherne Konsolidierung nach ca. 6
Wo.

Prognose
Pseudarthroserate bei kons. Ther. 2–3 %, bei OP 6–15 %. Postop. Infektrate 1–4 %.
Bei Radialisparesen ohne Kontinuitätsunterbrechung in > 90 % Restitutio ad inte-
grum, aber langer Verlauf. Begutachtung: Radialislähmung und Pseudarthrose
MdE 20–40 %. Funktionseinschränkung wichtiger als Achsabweichung.

9.2.4 Distale Bizepssehnenruptur
Hermann Schmidt

Ätiologie und Pathogenese


Deg. der Sehne bei mechanischer Überbeanspruchung, häufig M zwischen 50 und
60 J.

Klinik
Stechender Schmerz häufig als Folge einer Flexionsbewegung gegen Widerstand,
Funktioneinschränkung des Ellenbogengelenks mit Weichteilschwellung, Mus-
kelbauch kranial, palpatorisch keine Sehne mehr tastbar: leere Ellenbeuge, Schwä-
che der Flexions- (30 %) und stärker ausgeprägt der Supinationsfähigkeit (40 %).

Diagnostik
• Rö: z. A. einer knöchernen Läsion. 9
• Sono.
• MRT.
Therapie
Wegen des zu erwartenden Kraftverlusts in Supination, geringer in Flexion (Kom-
pensation durch Mm. brachialis und brachioradialis) OP-Ind. in jedem Alter.
282 9  Obere Extremität  

OP-Technik
S-förmig verlaufende Hautinzision und Darstellen des Sehnenstumpfs, Ruptur
ansatznahe an der Tuberositas radii, Anschlingen der Sehne und transossäre Refi-
xation oder Fixation durch Knochenanker an der Tub. radii. Cave: Motorischer
Ast N. radialis. Bei veralteter Ruptur mit Retraktion des Muskels evtl. Komb. mit
einer Sehnenverlängerung (Palmarisinterposition) oder Aufnaht auf die Aponeu-
rose der Mm. brachialis und brachioradialis.
Nachbehandlung
4-wöchige Ruhigstellung in Beuge- und Supinationsstellung. Danach passive und
aktive Bewegungsübungen. Nach 6. Wo. Übungen gegen Widerstand. Volle
Funktionsfähigkeit (forcierte Flexion und Supination) nach 4 Mon.

9.2.5 Suprakondyläre Humerusfraktur im Kindesalter


Dorien Schneidmüller

Definition
Häufigste Ellenbogenverletzung im Wachstumsalter. Metaphysäre Fraktur ohne
Gelenkbeteiligung.

Ätiologie
Meist durch Sturz auf extendierten Arm → Antekurvationsfehlstellung (Dislokati-
on nach dorsal; häufig); Sturz auf flektierten Arm → Rekurvationsfehlstellung
(Dislokation nach ventral; selten); Unterscheidung mittels Rodgers-Hilfslinie
(▶ Abb.  9.8).

Extensionsfraktur Flexionsfraktur
Normalbefund (Antekurvations- (Rekurvations-
fehlstellung) fehlstellung)

Die Verlängerung
der ventralen
Humeruskortikalis
schneidet das
Capitulum humeri
im Übergang
mittleres/hinteres Drittel
9

Abb. 9.8  Rodgers-Hilfslinie [L157]


   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  283

Einteilung
Nach dem Dislokationsausmaß, das die Ther. bestimmt. Klassifikation nach Gart-
land (Type 1, 2, 3a, b) oder nach AO Pediatric Classification (entspricht Klassifi-
kation nach von Laer; ▶ Abb.  9.9):

Typ I Typ II Typ III Typ IV

Abb. 9.9  Klassifikation nach von Laer [L157]

• Grad I: Keine Dislokation → Ther.: Immobilisation in Oberarmgipsschiene,


Rö-Kontrolle nach 4–5 d z. A. einer Sekundärdislokation.
• Grad II: Dislokation in 1 Eb., i. d. R. der sagittalen Eb. (v. a. Antekurvations-
fehlstellung) → Ther.: Stabile Frakturen, geringe Dislokation: Collar & Cuff,
Rö-Kontrolle nach 4–5 d z. A. einer Sekundärdislokation. Instabile Frakturen,
größere Dislokation: Geschlossene Reposition und Stabilisierung.
• Grad III: Dislokation in 2 Eb.; instabil → Ther.: wie Grad IV.
• Grad IV: Dislokation in 3 Eb.; fehlender Fragmentkontakt → Ther.: Geschlos-
sene Reposition (selten offen notwendig) und Stabilisierung.

Diagnostik
• Rö in 2 Eb.; bei eindeutiger OP-Ind. zur Schonung des Kinds evtl. auf 2. Eb.
verzichten.
• Pos. Fettpolsterzeichen: Hinweis auf eine undislozierte Fraktur.
• Kalibersprung, Rotationssporn: Hinweis auf Rotationsfehler (Zeichen einer
Instabilität), Baumann-Winkel z. A. einer Varus-/Valgus-Abweichung
(▶ Abb.  9.10), Rogers-Hilfslinie zur Beurteilung der Ante-/Rekurvation
(▶ Abb.  9.8).

Therapie
9
Konservative Therapie
• Ind.: Stabile Frakturen:
• Immobilisation im Oberarmgips für 4 Wo.
• Collar & Cuff; tgl. nachziehen, bis Spitzwinkelstellung erreicht ist.
Cave: Kompartmentsy.! DMS-Kontrolle.
284 9  Obere Extremität  

Operative Therapie
• Ind.: Instabile Frakturen:
• Geschlossene Reposition (offenes Vorgehen nach 2 erfolglosen Versuchen) in
Allgemeinanästhesie.
• Stabilisierung mittels perkutaner K-Drähte, alternativ radialer Fixateur exter-
ne oder antegrade ESIN.
• K-Drähte: Zusätzliche Immobilisation in einer Oberarm-Gipsschiene für 4 Wo.
Spezielle Risiken
Gefäß-Nerven-Läsion, Kompartmentsy., Cubitus varus (oft verursacht durch ei-
nen belassenen Rotationsfehler mit nachfolgender Instabilität).

9.2.6 Frakturen des Ellenbogengelenks


Hermann Schmidt und Dorien Schneidmüller

Ätiologie und Einteilung


Im Kindesalter deutl. häufiger als bei Erw. Meist durch indirekte Gewalteinwirkung,
z. B. Sturz auf den ausgestreckten Arm. Unterteilung in extra- und intraartikuläre
Frakturen: Supra-, epi- und transkondyläre Humerusfrakturen, Frakturen des prox.
Radius, der prox. Ulna und des Olekranons. Im Kindesalter zusätzlich Epiphysenlö-
sungen mit und ohne metaphysären Keil sowie Epiphysenfrakturen (▶ 1.4.9). Häufig-
keit im Kindesalter: Suprakondyläre Fraktur, häufigste Fraktur im Ellenbogenbereich
(ca. 60 %; ▶ 9.2.5), Collum radii ca. 20 %, transkondyläre Humerusfraktur ca. 15 %.

Klinik
• Umschriebene Schwellung, schmerzhafte Bewegungseinschränkung und
Fehlstellung.
• Irritation der Nn. ulnaris, radialis und medianus durch Dislokation der
scharfkantigen Frakturenden möglich.
• Gefahr der Verletzung der A. brachialis bei suprakondylären Frakturen (Pal-
pation, Pulsoxymetrie und Doppler).
! 
Auf Durchblutungsstörungen sowie neurogene Reiz- und Ausfallerscheinun-
gen achten.

Diagnostik: Röntgen Humerus-


schaft-
achse
Allgemeines
• Ellenbogengelenk in 2 Eb.: a. p.,
seitl. in 90° Beugung im Ellenbo- 90°
gen obligat (a. p.-Aufnahme bei ge-
strecktem Arm schmerzbedingt
α
nicht immer möglich).
• Beurteilung der Gelenkachse mit-
hilfe des Baumann-Winkels
9 (▶ Abb.  9.10). Auf pos. Fettpolster- Baumann-Winkel
Zeichen achten: Normale Aufhel- (90–α–5)
lungen ventral und dorsal (Fett- Norm: 12–20
polster) durch Frakturhämatom
verstrichen bzw. flau und Rogers-
Linie (▶ Abb.  9.8).
Abb. 9.10  Achsenverhältnis am kindli­
chen Ellenbogen [L190/L106]
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  285

• Kindesalter: Beurteilung des Rö-Bilds oft schwierig. Komplizierte Gelenkanato-


mie, Achsenverhältnisse. Kenntnisse der Knochenkernentwicklung wichtig
(▶ Tab.  9.3). Eine vergleichende Aufnahme der Gegenseite ersetzt diese Kennt-
nis nicht und ist bei der Akutdiagnostik von Frakturen nicht erforderlich.

Tab. 9.3  Knochenkernentwicklung und Epiphysenfugenschluss (▶ Abb. 9.11)


Nr. Lokalisation Knochenkernentwicklung Epiphysenfugenschluss

Mädchen Jungen Mädchen Jungen

1 Capitulum humeri 4. Mon. 5. Mon. Pubertät Pubertät

2 Caput radii 4 J. 5 J. 14–15 J. 15–17 J.

3 Trochlea humeri 8 J. 9 J. Pubertät Pubertät

4 Epicondylus lat. 11 J. 12 J. Pubertät Pubertät

5 Epicondylus med. 5 J. 7 J. 15 J. 18 J.

6 Olekranon 8 J. 10 J. 14–15 J. 15–17 J.

7 distaler Humerus – – 14 J. 17 J.

Abb. 9.11 Epiphysäres Wachstum am Ellenbogen (Erläuterung der Nummern


▶ Tab. 9.3) [L190] Anm: Engl. Merkregel C-R-I-T-O-E (Capitellum – Radius – Inter­
nal or medial Epicondyle – Trochlea – Olecranon – External or lateral Epicondyle):
1, 3, 5, 7, 9, 11 J. [L190]

Beurteilung der einzelnen Frakturarten


Suprakondyläre Humerusfraktur: Metaphysäre Fraktur (▶  9.2.5). Unterschei-
dung zu transkondylären Frakturen (Gelenkfrakturen) im seitl. Strahlengang:
Frakturspalt bei suprakondylären Frakturen endet oberhalb der Wachstumsfuge,
bei transkondylären Frakturen im Fugenspalt.
Epiphysenlösungen des dist. Humerus: Extrem selten, meist als Geburtstrauma
oder infolge von Kindesmisshandlung. Da die Epiphyse im Neugeborenenalter
noch nicht sichtbar ist, ist die Diagnose besonders schwierig und nur durch indi-
9
rekte Zeichen zu stellen (vermeintliche Ellenbogenluxation im Rö). Letztendlich
nur mittels Sono/Arthrografie/MRT genau zu diagnostizieren.
Epikondyläre Frakturen: Bei Erw. selten, im Kindesalter oft übersehen, meist als
Begleitverletzungen einer Ellenbogenluxation; isoliert selten; in 90 % Epicondylus
286 9  Obere Extremität  

ulnaris, immer Überprüfung der Stabilität. Als Apophysenverletzung extraartiku-


lär. Gefahr der Pseudarthrosenbildung.
Transkondyläre Frakturen: Gelenkfraktur! Condylus radialis > 90 %; Altersgip-
fel: Condylus radialis 4.–5. Lj., Y-Fraktur und Condylus ulnaris Adoleszentenal-
ter; Unterscheidung zwischen vollständiger (instabiler) und unvollständiger (hän-
gender) Fraktur aufgrund unvollständiger Ossifikation des Capitulum humeri
schwierig, deshalb gipsfreie Rö-Kontrolle bei undislozierten Frakturen nach 4–5 d
zum Ausschluss einer Sekundärdislokation. KO: Stimulative Wachstumsstörung
mit Varisierung der Ellenbogenachse (bzw. Valgisierung bei Condylus ulnaris);
Gelenkinkongruenz, Pseudarthrosenbildung (Valgisierung).
Radiusköpfchenfrakturen: Bei Erw. Meißel-, Trümmer- oder Impressionsfraktu-
ren (▶  Abb.  9.12), Gelenkfrakturen sehr selten. Sonderform Essex-Lopresti bei
gleichzeitiger Läsion der Membrana interossea, radioulnarer Luxation und wahr-
scheinlicher TFCC-Läsion. Bei Verletzungen des Radiusköpfchens: Rö Handge-
lenk, ggf. MRT.
Metaphysäre Radiushalsfraktur oder Fugenlösung mit metaphysärem Keil: v. a.
im Kindesalter, hohes Korrekturpotenzial. KO: Kopfnekrose, radioulnare Synos-
tose, Verplumpung des Radiuskopfes, Einschränkungen der Umwendbewegung.

Abb. 9.12  Radiusköpfchenfrakturen [L106]

Olekranonfrakturen: Meist Querfrakturen mit mäßiggradiger Dislokation. Bei


undislozierten Frakturen im Kindesalter ebenfalls auf eine Türspaltbildung (Auf-
hellungslinie) im metaphysären Bereich achten. Immer Ausschluss einer Radius-
kopfluxation (Monteggia-Fraktur).
Frakturen des Proc. coronoideus: Seitaufnahme, meist bei Ellenbogenluxationen.

Bei unklarem Rö-Befund und entsprechender Symptomatik CT ggf. mit 3-D-


Rekonstruktion, MRT bei Instabilität und V. a. Begleitverletzungen.

Therapie

Absolute OP-Ind. bei begleitenden Gefäß- und Nervenverletzungen sowie


offenen Frakturen. Dringliche OP-Ind. bei allen dislozierten intraartikulären
9 Frakturen.

Therapie je nach Frakturtyp


Nichtdislozierte distale Humerusfrakturen: Ruhigstellung mit OA-Gips in
rechtwinkliger Beugung und mittlerer Drehstellung zwischen Pro- und Supinati-
on für 4 Wo. (Erw. und Kinder). Im Kindesalter ▶ 9.2.5, ▶ 9.2.6.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  287

Dislozierte sowie primär instabile distale Humerusfrakturen: Reposition in


Narkose und definitive Versorgung: Bei Erw. entweder mit Platte oder Zug-
schrauben-Osteosynthese (▶ Abb.  9.13), im Kindesalter ▶ 9.2.5, ▶ 9.2.6.

Wachstums-
alter

Kompressions- stabile
osteosynthese Osteosynthese
Epikondylus-ulnaris- Kondylus-radialis-
Fraktur Fraktur

Abb. 9.13  Osteosynthesetechniken bei distalen Humerusfrakturen [L106]

Frakturen des Epicondylus ulnaris: Toleranzgrenze: < 0,5 cm; innerhalb der


Toleranzgrenze kons. Ther. mit OA-Gips für 2–3 Wo.; oberhalb Toleranzgren-
ze/Instabilität nach Ellenbogenluxation offene Reposition und Schraubenos-
teosynthese.
Frakturen des Condylus radialis humeri: Gelenkfraktur: Exakte anatomische Re-
position offen. KO: Pseudarthrose und häufig auftretende posttraumatische pas-
sagere Stimulation des radialen Fugenanteils → Varusfehlwachstum; primär ab-
hängig von der Stabilität der Fraktur. Vorgehen: Undislozierte, hängende Frak-
tur: OA-Gipsschiene, Rö-Kontrolle nach 4–6 d ohne Gips (Gefahr der Sekundär-
dislokation bei vollständigen Frakturen). Bei Dislokation offene Reposition,
ansonsten kons. Ther. mittels OA-Gips für 4 Wo. Dislozierte, vollständige Fraktu-
ren: Offene anatomische Reposition und stabile Osteosynthese (mögl. Schrauben­
osteosynthese, kanülierte Schraube nach KD-Fixation). Cave: Nach mehrmaligen
Repositionsversuchen evtl. vorzeitiger Verschluss der radialen Epiphysenfuge
▶ Abb.  9.13.
Frakturen des prox. Radius: Bei Erw. Osteosynthese mit Minifragmentschrauben
bei mehr als 1/3 der Gelenkfläche umfassender Fraktur. Sorgfältige anatomische
Rekonstruktion der Gelenkfläche. Bei Trümmerfrakturen Radiusköpfchen entfer-
nen als Resektionsarthroplastik oder mit Endoprothese ersetzen (bei zus. int-
raaop. Valgusinstabilität). Bei Kindern: Korrekturgrenzen < 10. Lj. Abkippung bis
max. 45°; > 10. Lj. < 20° Abkippung → 10–14 d OA-Gips. Außerhalb der Korrek-
turgrenzen → geschlossene Reposition, ggf. indirekt mittels KD als Joystick; ggf.
Stabilisierung mittels ESIN. Cave: Durchblutungsstörungen mit Kopfnekrose und
Kopfverplumpung; übersehene Monteggia-Like-Lesion ▶ 9.2.16. 9
Olekranonfrakturen: Undislozierte Fraktur: OA-Gipsschiene in Rechtwinkelstel-
lung und 4-wöchige Ruhigstellung. Bei dislozierten intraartikulären Querfraktu-
ren Zuggurtungs-, bei Schrägfrakturen Schraubenosteosynthese. Cave: KD oder
Schrauben schräg durch das Olekranon legen! Die Zuggurtung bedarf keiner zu-
sätzlichen Gipsruhigstellung.
288 9  Obere Extremität  

Frakturen des Proc.  coronoideus ulnae: Bei ausgeprägten dislozierten Frakturen


im Rahmen von Luxation mit persistierender Instabilität (insbes. Abriss von
> 50 % des Processus) primär offene Reposition und Fixation mit Leinfragment-
schraube. Kurzfristige Ruhigstellung bei undislozierter Fraktur (selten).
Nachbehandlung (allgemein)
Bei stabiler Osteosynthese mögl. früh Bewegungsübungen. Anlage einer gepolsterten
dorsalen OA-Gipsschiene, Bewegungsübungen aus der Gipsschiene heraus. Entlas-
tung bei unkomplizierten Frakturen bis nach der 6.–8. Wo., bei Trümmerfrakturen
bis nach der 12. Wo. ME i. d. R. nach 12 Mon., bei einfacheren Frakturen auch nach 6
Mon. möglich. ME bei Kindern: Schrauben und ESIN 12 Wo., Drähte 4 Wo.
Rö-Kontrollen: Kons. Therapie: Tag 4–7, 14 und 28, OP-Therapie: Postop., Tag 28,
vor ME.
Spezielle Risiken
Gefahr der N.-radialis- und N.-ulnaris-Verletzung. Kompressionssy. Im Kindes-
alter Fehlwachstum bei Epiphysenfraktur mit entsprechenden Achsenabweichun-
gen. Deshalb exakte und schonende Reposition und stabile Fixierung. Bei Achsen-
abweichungen im Sinne eines Cubitus varus und valgus u. U. zu einem späteren
Zeitpunkt suprakondyläre Korrekturosteotomie.

9.2.7 Ellenbogenluxationen
Hermann Schmidt

Definition
Luxation im Bereich des Humeroulnargelenks bei meist adäquatem Trauma, z. B.
Sturz auf pronierte Hand bei gestrecktem Ellenbogengelenk. Selten angeborene
Luxation im Humeroulnargelenk oder kongenitale Radiusköpfchenluxation. In ca.
85 % dorsale Luxation, dorsolateral häufiger als dorsomedial, in ca. 40 % knöcher-
ne Begleitverletzungen.

Klinik und Diagnostik


• Diagnose aufgrund der Schwellung und Fehlstellung meist eindeutig; Hueter-
Linie und Dreieck sind aufgehoben (Epicondylus med., lateralis und Olekra-
non ergeben in Streckstellung eine Linie, in Beugestellung ein Dreieck).
• Beurteilung nach Spontanreposition bisweilen schwierig (Seitenbandinstabili-
tät mit geringer Schmerzhaftigkeit).
• Häufig Begleitverletzungen, z. B. Fraktur des Processus coronoideus, Ausriss
des Epicondylus ulnaris oder radiale Seitenbandinstabilität („Terrible Triad“
= Lig. collaterale ulnare, Proc. coronoideus, Radiusköpfchen). Posttraumati-
sche Instabilität: Klassifikation nach O'Driscoll.
! Auf Begleitverletzungen wie Irritation der Nn. ulnaris, medianus und radialis
sowie der A. brachialis achten.
• Rö: Ellenbogen in 2 Eb. (a. p. in UA-Supination, seitl. mit Daumen in kranio-
kaudaler Stellung): Luxation und evtl. Begleitverletzungen (meist Ausriss des
9 Epicondylus ulnaris). Ggf. 45°-Schrägaufnahme.
• CT ggf. mit 3-D-Rekonstruktion bei V. a. knöcherne Begleitverletzung und
wenn nach Reposition keine anatomische Position erreicht werden konnte.
• Sono: Freie Gelenkkörper, Radiusköpfchenluxation bei Kindern (nicht ossifi-
zierte Knochenkerne sonografisch erkennbar).
• MRT bei V. a. chondrale Läsionen und Diagn. ligamentärer Läsionen.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  289

Therapie
• Frakturen des Proc. coronoideus ulnae ▶ 9.2.6.
• Kons. Ther: Beim Fehlen von Begleitverletzungen zunächst unverzügliche
Reposition: Dorsale Luxation: Fixierung des Oberarms, Ellenbogen in 30°
Flexion und Supination, unter Zug Flexion bis 90°.
• Ventrale Luxation: Fixierung des Oberarms, Zug auf gebeugten Unterarm
nach dorsal und distal.
• Am besten in Kurznarkose (bei Regionalanästhesie für die Dauer der Wir-
kung keine Kontrolle von Motorik und Sensibilität möglich). Anschließend
erneute Kontrolle von Stellung, Beweglichkeit, Stabilität, Zirkulation, Moto-
rik und Sensibilität. Nach erfolgreicher Reposition Ruhigstellung im OA-Gips
für ca. 2 Wo. und frühfunktionelle Ther. mit Brace.

Auf CRPS achten.

• Bei medialer Instabilität und unkomplizierter Luxation kein Vorteil der OP


nachgewiesen, daher konservativ therapieren (Ausnahme: völlig instabile Ge-
lenke nach Reposition).
• Operative Ther: Indiziert bei begleitenden Frakturen, Gefäß-, Nerven- oder
Sehnenverletzungen. Repositionshindernis, drohendes Kompartmentsy.

Prognose
Rezidiv- bzw. habituelle Luxationen bei frischen Ellenbogenluxationen nur in ca.
2 % zu erwarten. Dann fast ausschließlich posterolaterale Instabilität. Ther.: Dor-
soradiale Kapselraffung.

9.2.8 Arthrose des Ellenbogengelenks


Hermann Schmidt

Ätiologie
Posttraumatisch, idiopathisch, nach Entzündungen, Chondromatosen sowie
avaskulären Nekrosen.

Klinik und Diagnostik


• Zunehmende aktive und passive Bewegungseinschränkung mit Streck- und
Beugedefizit, z. T. Krepitationen. Tastbare synovitische Schwellung und Erguss-
bildung bei aktivierter Arthrose. Häufig Gelenkblockaden bei freien Gelenkkör-
pern. Mögliche N.-ulnaris-Symptomatik durch mechanische Irritation.
• Rö: Typische deg. Veränderungen mit Gelenkspaltverschmälerung, osteophy-
täre Ausziehungen der Gelenkflächenkanten.

Therapie
• Kons. Ther.: Physik. Ther. (z. B. Wärmeappl., Kurzwelle im Kondensatorfeld,
Kryother. bei aktivierter Arthrose; ▶ 20.4.2) in Komb. mit KG-Mobilisierung 9
sowie lokaler Inj.-Behandlung.
• Intraartikuläre Inj. z. B. mit 5 ml Mepivacain 1 % (z. B. Scandicain®) + Dexa-
methason z. B. als Dexamethason-21-Palmitat. Bei ausgeprägter Synovialitis
(Rheumatiker) ggf. Radiosynoviorthese. Hyaluronsäure sowie Anti-Interleu-
290 9  Obere Extremität  

kine, PRP (Platelet Rich Plasma), ACP (Autologous Conditionated Plasma)


bei beginnender bis mittlerer Arthrose in Erprobung.
• Operative Ther.: Arthroskopische oder offene Synovektomie bei ausgeprägter
Synovialitis, Entfernung freier Gelenkkörper.
• Entsprechend der Funktionsbehinderung Arthrolyse (z. B. Outerbridge-
Kashiwagi[OK]-Procedure), evtl. ergänzt durch Radiusköpfchenresektion.
• Bei isolierter Arthrose des Radiohumeralgelenks: Radiusköpfchenresektion
bedarfsweise mit dessen alloarthroplastischem Ersatz (sonst Proximalisierung
des Radius).
• Bei Rheumatikern, posttraumatischen und seltenen primären Kubitalarthro-
sen: Endoprothetische Versorgung (Oberflächenersatz, teil- und vollgekop-
pelte Prothesen) – gute Langzeitergebnisse, hohe Pat.-Zufriedenheit.
• Bei begleitendem N.-ulnaris-Sy. führt oft die alleinige Neurolyse zu Be-
schwerdebesserung.
• Resektionsarthroplastiken und Arthrodesen sind als sek. Eingriffe einzustufen
(Instabilität bzw. ausgeprägte Funktionseinschränkungen).

9.2.9 Chondromatosis des Ellenbogengelenks


Hermann Schmidt

Definition
Multiple intraartikuläre, z. T. verknöcherte Knorpelneubildungen.

Ätiologie
Bildung freier Gelenkkörper durch eine metaplastisch umgewandelte Synovia. Ei-
ne Häufung nach rez. Traumata im Bereich des Ellenbogengelenks wurde beob-
achtet (Judoellenbogen).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Schwellung, (z. T. messerstichartige) Schmerzen im Ellenbogengelenk, Bewe-
gungseinschränkung und zeitweilige Blockierungserscheinungen.
• Rö: Meist eindeutige Diagnose durch z. T. verknöcherte Chondrome.
• CT, MRT, evtl. Biopsie.
• DD: Gelenkblockierungen bei Osteochondrosis dissecans, Arthrose mit os-
teophytären Anbauten. Sehr selten Entstehung eines sekundären synovialen
Chondrosarkoms beschrieben.

Therapie
Operative arthroskopische oder offene Entfernung der freien Gelenkkörper,
Syno­vektomie.

9.2.10 Morbus Panner
Hermann Schmidt
9
Definition
Avaskuläre Nekrose des Ellenbogengelenks (meistens des lat. gelegenen Capitu-
lum humeri), hauptsächlich bei Jungen im Alter von 6–10 J.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  291

Klinik
• Schmerzen im Bereich im Ellenbogen, evtl. sicht- und tastbare Schwellung.
• Nur in seltenen Fällen deutliche Bewegungseinschränkungen und Einklem-
mungserscheinungen.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö Ellenbogen a. p. und seitlich. Beurteilung des Krankheitsstadiums (Kon-
densation, Fragmentation, Reparation).
• DD: Akute und chron. Arthritis (Labor). Osteochondrosis dissecans bei älte-
ren Jugendlichen, Zeitpunkt des Wachstumsfugenschlusses: Radiologisch
umschriebene Demarkierung eines Knochenfragments an der Gelenkoberflä-
che (Mausbett, Gelenkmaus).

Therapie
Kons. Ther.: Vermeiden belastender Sportarten und Überlastungen jeglicher Art.
Evtl. kurzfristige Ruhigstellung des Ellenbogengelenks bis zum Abklingen der
akuten Symptome in einer dorsalen OA-Gipsschiene in Rechtwinkelstellung. Un-
terstützend Salbenverbände. Zum Teil pos. Resultate durch Niedrigenergielaser-
Anwendung bei aseptischen Osteonekrosen.
Operative Ther.: Selten indiziert.

Prognose
I. d. R. vollständige Ausheilung. Knochendefekte werden durch Knochenneubil-
dung ersetzt. I. d. R. keine Bewegungseinschränkung (im Gegensatz zur avaskulä-
ren Nekrose des Radiusköpfchens, die meist als präarthrotische Deformität aus-
heilt). Erkr.-Dauer 1–3 J.

9.2.11 Epicondylitis radialis und ulnaris


Hermann Schmidt

Definition
Umschriebenes Schmerzsy. im epikondylären Ursprungsbereich der häufiger be-
troffenen Radialhand- und Fingerextensoren (Tennisellenbogen) oder der ulna-
ren Hand- und Fingerbeuger (Golfer- oder Werferellenbogen).

Ätiologie
Überbeanspruchung mit Deg. im Ansatzbereich der an den Epikondylen ent-
springenden Muskulatur und Bildung deg. Granulationsgewebes.

Klinik
• Schmerzen z. B. beim Händeschütteln, Heben von Gegenständen. DS im Be-
reich der Epikondylen.
• Provokationstests:
– Epicondylitis radialis (Tennisellenbogen): Schmerzen im Bereich des radia-
len Epikondylus bei Pronation und Handgelenkstreckung gegen Wider-
9
stand; Streckung des Mittelfingers gegen Widerstand. Dehnung der Musku-
latur durch Streckung im Ellenbogen und passive Beugung im Handgelenk.
– Epicondylitis ulnaris (Golferellenbogen): Schmerzen im Bereich des ulnaren
Epikondylus durch Handgelenkbeugung und Supination gegen Widerstand.
292 9  Obere Extremität  

Differenzialdiagnosen
• Lokale Entzündungsprozesse (klin. Entzündungszeichen, CRP, Diff.-BB).
• Tumoren.
• Nervenkompressionssy.: Ausstrahlung der Schmerzen bei Epikondylitiden
z. T. auf den prox. UA und den dist. OA. Abgrenzung zum Nervenkompressi-
onssy. im Bereich des Ellenbogens (Sulcus-ulnaris-Sy., Pronator-teres-Sy.: N.
medianus; Supinatorlogensy.: N. interosseus posterior des N. radialis) durch
genaue Lokalisation der Schmerzausbreitung, umschriebener lokaler DS über
den Epikondylen und Fehlen neurol. Ausfallsymptome.
• HWS C5–7, z. B. Protrusion Nucleus pulposus, Foramenstenosen, Funktions-
störung untere HWS und obere BWS.

Konservative Therapie
• Aufklärung: Zum Teil längerer Verlauf der Erkr. Hinweis auf Unterlassung
einseitiger ursächlicher Belastungen.
• Physik. Ther.: Kryother., Wärmebehandlung, Lokale Ultraschallbehandlung,
Mikrowelle, MID-Laser und hydroelektrisches Teilbad, evtl. extrakorp. Stoß-
wellentherapie.
• Medikamentöse Ther.: Salbenverbände (z. T. auch kortikoidhaltige Cremes).
Infiltration des Sehnenansatzes sowie des Epikondylus mit LA-Kortikoid-Ge-
misch (z. B. 5 ml Mepivacain 1 % + 4 mg Dexamethason-21-palmitat); evtl.
auch im Bereich der Sehnenansätze distal des Epicondylus radialis humeri.
Wiederholung der Inj. 3-mal/Wo. Bei Ansprechen 2 Inj. meist ausreichend.
Bei Verläufen > 4 Mon. pos. Ergebnisse nach Botulinumtoxin-Inj.
• OA-Gipsschiene: Zusätzliche Ruhigstellung bei Ther.-Resistenz (alternativ:
Tape-Verband). Fixierung der Hand bei Epicondylitis humeri radialis in
leichter Dorsalextension, bei Epicondylitis ulnaris in leichter Handgelenks-
beugung; Dauer ca. 14 d.
• Orthopädietechnik: Prophylaktisch Epikondylitisspange oder z. B. Epitrain®-
Bandage, die bei radialer Epikondylitis Druck auf die Handgelenkextensoren
ausübt → Änderung der Zugrichtung der Sehne und Entlastung des Sehnenan-
satzes. Die Spange kann im täglichen Leben und bei der Arbeit getragen wer-
den.
• KG: Bewegungsther., Dehnungsübungen, Querfriktion der Handgelenks-
streck- bzw. -beugemuskulatur; angeleitetes Selbstmanagement des Pat. mit
konzentrischen und exzentrischen Übungen, Chirother., KG HWS und
BWS.
• Bei Tennisspielern: Hinweis auf korrekte Schlagtechnik (Rückhand korrekt?)
und Trainingsaufbau. Bei weitgehender Schmerzfreiheit: Langsam ansteigen-
de Spielbelastung, konsequentes Aufwärmtraining, Stretching. Evtl. Umstei-
gen auf flexibleren, nicht zu schweren und nicht kopflastigen Schläger.
• Epicondylitis humeri ulnaris: Vorübergehend das Tragen schwerer Gegen-
stände einschränken bzw. vermeiden.

Operative Therapie
9 Indikationen und Risiken
• Ind.: Versagen der kons. Ther. bei einer Behandlungsdauer bis zu 6 Mon.
• Spezielle Risiken: Bei sorgfältiger OP-Technik komplikationslose OP-Ver-
fahren. Zu achten ist auf eine Schonung der Kollateralbänder sowie ulnar-
seitig auf den N. ulnaris mit Darstellung ggf. Dekompression und ggf.
Transposition.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  293

OP nach Hohmann
Definition: Desinsertion der entsprechenden Handgelenkstreck- oder -beuge-
muskulatur (Entlastung des Sehnenansatzes). Ausheilung in narbiger Verlänge-
rung der Muskelansätze.
OP-Technik: Rückenlage, Armtisch, Blutleere. Bogenförmiger Hautschnitt
dorsal des Epicondylus humeri radialis oder ulnaris. Scharfe zirkuläre Um-
schneidung des Epikondylus, Wegschieben des Periosts nach kranial unter
Entfernung eines schmalen Streifens. Ablösung der Sehnenansätze vom Epi-
kondylus und von der Gelenkkapsel, bis die Muskulatur sich nach distal etwas
retrahiert. Kontrolle durch entsprechende Bewegungstests (Handgelenkstre-
ckung und Pronation bei Desinsertion am ulnaren Epikondylus. Handgelenk-
beugung und Supination bei Desinsertion am radialen Kondylus). Bei Promi-
nenz des Epikondylus wird er leicht geglättet. Öffnen der Blutleere, Blutstil-
lung, Redon-Drainage, Hautnaht.
OP nach Wilhelm
Definition: Denervation der Gelenkäste des N. radialis. Zusätzlich Desinserti-
on der Muskelansätze. Der OP-Erfolg kann präop. durch LA getestet werden.
Diese OP-Technik kommt zusätzlich bei der radialen Epikondylitis in Be-
tracht, wenn die Schmerzausstrahlung bis auf den dist. OA und prox. UA
reicht.
Denervation der N.-radialis-Gelenkäste: Rückenlage, Armtisch, Blutleere. Bo-
genförmiger Hautschnitt dorsal des Epicondylus humeri radialis. Verlängern des
Schnitts auf den dist. OA. Epifasziales Ablösen des ventralen Weichteillappens
(hierdurch Durchtrennung des schmerzleitenden Asts des N. cutaneus antebra-
chii dorsalis). Darstellung des Septum intermusculare radiale im prox. Wundwin-
kel. Ca. 3 cm prox. der Epikondylenspitze, unmittelbar dorsal des Septums, liegt
der radiale, kollaterale Gefäß-Nerven-Strang, der mit dem Elektrokauter durch-
trennt wird.
Desinsertion der radialen Extensoren: Hierdurch Unterbrechung der ventra-
len schmerzleitenden Bahnen des N. radialis. Schnittbeginn 3 cm prox. der
Epikondylenspitze mit Ablösung des M. extensor carpi radialis longus unmit-
telbar am Septum intermusculare radiale. Schnitt ventral des Epikondylus
nach distal bis über das Radiusköpfchen, er endet in einem nach dorsal auslau-
fenden Bogen im Bereich des Sehnenansatzes der Radialextensoren. Exakte
Ablösung der beiden Handgelenkstrecker, sodass die Gelenkkapsel eingesehen
werden kann. Schonung des Lig. collaterale radiale. Sicherheitshalber Einker-
bung des Periosts auf der Ventralseite des medialen Epikondylus. Öffnen der
Blutleere, Blutstillung. Readaption der abgelösten Weichteile mit einigen Situ-
ationsnähten, Hautnaht.
NB: Postop. sofort Fingerbewegungsübungen. Aktiv assistive Bewegungsgymnas-
tik.
Fehler und Gefahren: Keine Schonung der Kollateralbänder, Verletzungsgefahr
des N. radialis.

Prognose
Der überwiegende Anteil der Erkr. kann kons. zur Ausheilung gebracht werden. 9
Rezidive nach OP insbes. bei der Technik nach Hohmann.
294 9  Obere Extremität  

9.2.12 Cubitus varus und valgus


Hermann Schmidt

Definition
Physiol. Stellung: Valgusabweichung bei gestrecktem Ellenbogengelenk in der
Frontalebene zwischen Ober- und Unterarm: Bei M bis 10°, bei F bis 20°.

Ätiologie
Meist Wachstumsstörungen, nach kindlichen Frakturen um das Ellenbogenge-
lenk oder unzureichende Reposition, v. a. nach Kondylenfrakturen und suprakon-
dylären Humerusfrakturen, selten kongenital, z. B. bei kongenitalen Radiusköpf-
chenluxationen.

Diagnostik
Rö: Genaue Achsenmessung (▶ Abb.  9.10) nur bei voller Streckbarkeit möglich.
Zusätzlich Erfassung ursächlicher Veränderungen (in Fehlstellung verheilte Frak-
turen oder Luxationen).

Therapie
Fehlstellung mit Bewegungseinschränkung oder Nervenirritation, relative kosme-
tische Beeinträchtigung: Suprakondyläre Umstellungsosteotomie. KG bei beglei-
tenden muskulären und sehnenbedingten Bewegungseinschränkungen. Bei ein-
zeitiger Korrekturosteotomie Gefahr neurolog. Schäden (N. radialis, N. ulnaris).

9.2.13 Bursitis olecrani
Hermann Schmidt

Ätiologie
Traumatisch, chron. (▶  8.3.1) meist nach Überlastung (z. B. bei Schreibtisch­
arbeit). Akut eitrige Bursitis meist nach offener Verletzung.

Klinik und Differenzialdiagnosen


• Deutliche teigige bis fluktuierende Schwellung über dem Olekranon. Bei bakt.
bedingter akuter Bursitis zusätzlich Rötung und Überwärmung, zeitweilig
auch Lymphangitis und Lymphadenitis.
• DD: Rheumaknoten, Synovialom, Tbc, Lipom (keine Entzündungszeichen).
Therapie
• Traumat. Bursitis: Bei Ergusspersistenz Punktion.
• Akut eitrige Bursitis: Sofortige operative Bursektomie, Ruhigstellung, Anti­
biose.
• Chron. Bursitis: Zunächst evtl. kons. Behandlungsversuch mit Schonung, Ru-
9 higstellung für 2–3 Wo., Salbenverbänden (z. B. Rheumon®, Voltaren Emul-
gel®). Bei Persistenz bzw. unklarer Genese diagn. und entlastende Punktion,
danach Steroidinfiltration.
• Rheumat. Bursitis: Punktion und Steroidinfiltration.
• Bei Ther.-Resistenz Bursektomie und sofortige Bewegungsther.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  295

9.2.14 Radiusköpfchensubluxation (Chassaignac)
Dorien Schneidmüller

Definition
Schmerzhafte blockierte Pronationsstellung des Unterarms im Ellenbogengelenk.
Pathogenese unklar: „Gelenkblockade“ oder„Subluxation“ des Radiusköpfchens
aus dem Lig. anulare. Nach dem 4. Lj. selten.

Ätiologie
Beim Kleinkind Auftreten meist durch abrupten Zug am ausgestreckten pronier-
ten Arm („Nurse-Maids Elbow“, „Pulled Elbow“).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Kind schont den betroffenen Arm, schmerzhafte Pronationsbehinderung.
• DD: Ellenbogenfrakturen, suprakondyläre Humerusfraktur, Ellenbogenluxa-
tionen (im Kleinkindesalter selten).

Therapie
• Unter leichter Traktion Supination und gleichzeitige Flexion oder Extension
im Ellenbogengelenk durch den Therapeuten mit gleichzeitigem Druck auf
das Radiusköpfchen → oft spürbares Einschnappen. Alternativ: Zug und Hy-
perpronationsbewegung.
• Ruhigstellung nicht erforderlich.
• Nach Reposition normalen Gebrauch des Arms prüfen (z. B. Spielzeug hin-
halten).
• Ist der erste Versuch nicht erfolgreich, Rö zum Ausschluss einer Fraktur.
• Nach max. 3 erfolglosen Repositionsversuchen und erfolgtem Frakturaus-
schluss Anlage einer OA-Gipsschiene in max. Supinationsstellung für 2–3 d
(oft spontane Reposition, ggf. erneuter Versuch).

9.2.15 Radiusköpfchenluxation
Hermann Schmidt und Dorien Schneidmüller

Definition
Isolierte Luxation des Radiusköpfchens selten, meist zusätzliche Fraktur der Ulna
(Monteggia-Fraktur, ▶ 9.2.16), selten angeboren.

Klinik und Diagnostik


• Störung der Umwendbewegung.
• Umschriebene Schwellung und Fehlstellung des Radiusköpfchens, lokaler DS.
• Rö: Dislokation des Radiusköpfchens: Verlängerung der Achse des prox. Ra-
diusendes nicht mehr auf das Capitulum humeri zentriert (Stoeren-Linie)
(▶ 9.2.6). 9
• Kongenitale Form: Rö der Gegenseite bei V. a. kongenitale Form (oft bds.),
oft Luxation nach dorsal (traumatisch meist nach ventral); Überlänge und
Verplumpung des Radiusköpfchens.
296 9  Obere Extremität  

Therapie
Traumatisch: ▶ 9.2.16.

9.2.16 Monteggia-Fraktur
Frank Unglaub und Dorien Schneidmüller

Definition
• Ulnafraktur mit gleichzeitiger Luxation des Radiusköpfchens; Einteilung
nach Bado (▶ Abb.  9.14).

a b

Abb. 9.14 Monteggia-Fraktur. a Typ 1 nach Bado mit anteriorer Luxation des


Radiusköpfchens. b Typ 2 nach Bado mit dorsaler Luxation des Radiusköpfchens.
[L106]

• Selten: Essex-Lopresti-Fraktur: Trümmerfraktur des Radiushalses bzw. -köpf-


chens mit Ruptur der Membrana interossea und Instabilität und (Sub-)Luxa-
tion im dist. Radioulnargelenk.
• Im Kindesalter oft übersehene Verletzung. Isolierte Radiusköpfchenluxati-
on ist selten, meist komb. mit primär übersehener Bowing-Fraktur der Ul-
na. Variation möglich mit Olekranonfraktur und Radiusköpfchenluxation
oder begleitender Radiushalsluxationsfraktur (Monteggia-Like-Lesions).

Ätiologie
Folge eines Sturzes auf den Vorderarm bei gebeugtem Ellenbogen. In ca. 70 % Typ
I nach Bado (Bruch der Ellendiaphyse mit dorsal offenem Winkel. Verrenkung
des Speichenköpfchens nach ventral).

Klinik und Diagnostik


• Frakturzeichen, Achsenknick der Ulna, Radiusköpfchen in Ellenbeuge tast-
bar.
• Rö: UA mit Handgelenk und Ellenbogen in 2 Eb., Fraktur kann vom mittle-
ren Drittel bis nach prox. reichen und sich z. T. auch als Olekranonfraktur
darstellen. Radiusköpfchen muss sich im Röntgenbild unabhängig von der
Projektion in allen Ebenen auf den Kern des Capitulum humeri zentrieren:
Hier nicht!
9
Konservative Therapie

Kons. Ther. nur in Ausnahmefällen und gesonderter Situation.


   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  297

• Schlüssel der Ther. ist Beseitigung der Ulnapathologie, d. h. primär Repositi-
on der Ulnafraktur durchführen. Häufig kommt es damit zur Spontanreposi-
tion des Radiusköpfchens.
• Reposition durch Längszug am rechtwinklig gebeugten Vorderarm bei Abd.
der Schulter. Bei Grünholzfraktur im Kindes- und Jugendalter Gefahr der Re-
angulation mit Re-Luxation (hier besser ESIN mit gegenläufiger Biegung zur
Reposition und Retention einbringen). Nach Korrektur der bestehenden
Ulnafehlstellung korrigiert sich die Luxationsstellung des prox. Radiusendes
i. A. spontan. Problem ist jedoch häufig die Retention!
• Ruhigstellung nur bei stabiler Fraktur im OA-Gipsverband bei Kindern und
Jugendlichen für 4 Wo., bei Erw. für 6–8 Wo. Stellungskontrolle nach 1 Wo.
Bei geringer Achsabweichung der Ulna kann durch Gipskeilung noch eine
Korrektur herbeigeführt werden. Sportfähigkeit 10–12 Wo. nach Fraktur.

Operative Therapie
• Ind.: Alle Monteggia-Frakturen bei Erw., bei Kindern alle instabilen oder
fraglich instabilen Frakturen – im Zweifel sichere Retention erzielen.
• Kinder: Technik: meist ESIN (retro- oder antegrad), bei weit prox. Frakturen
ggf. Platte oder Zuggurtung.
• Plattenosteosynthese der Ulna.
• Übersehene Luxationen führen zur Verlängerung und Verplumpung des Ra-
diusköpfchens sowie Dysplasie des prox. Radioulnargelenks. Korrektur der
Ulnapathologie durch Korrekturosteotomie. Bei Repositionshindernis im Ge-
lenk offene Reposition erforderlich. Aufgrund der relativen Radiusüberlänge
ist oft noch eine zusätzliche Verlängerung der Ulna notwendig. Bevorzugte
Methode: Fixateur externe.

Prognose
• Bei achsengerechter Frakturreposition und Fixation gut.
! Unbedingt auf Fehlstellung des Radiusköpfchens achten. Diese darf bei der Di-
agn. einer Ulnafraktur in keinem Fall übersehen werden → Mögliche Folgen: Be-
wegungseinschränkungen, Instabilität und Valgusfehlstellung des Ellenbogens.
• Nach Luxationen und Luxationsfrakturen evtl. Kopfumbaustörungen mit
entsprechenden Deformierungen des prox. Radiusendes oder Wachstumsstö-
rungen durch Fugentraumatisierung. Deshalb klin. Kontrollen bis zu 2 J.
nach dem Trauma bei Verletzungen im Kindes- und Jugendalter.
• Ergebnis chron. Luxation abhängig
von Luxationsdauer (> 3 Jahre
schlecht).

9.2.17 Galeazzi-Fraktur
Hermann Schmidt und Frank Unglaub

Definition 9
Fraktur des Radiusschafts bei Luxation
der Ulna im dist. Radioulnargelenk
(▶ Abb.  9.15) und Ruptur der Membrana
interossea. (6  % der distalen Radius-
schaftfrakturen).
Abb. 9.15  Galeazzi-Fraktur [L106]
298 9  Obere Extremität  

Klinik und Diagnostik


• Schwellung.
• Schmerzhafte Bewegungseinschränkung, Fehlstellung. Durch völlige Instabili-
tät charakterisierte Komb.-Verletzung. Gleichzeitig meist ausgeprägtes Weich-
teiltrauma.
! Auf Durchblutung und periphere Nervenkompressionssymptome und Kom-
partmentsy. (bei Verdacht Kompartmentdruckmessung) achten.
• Rö: UA in 2 Eb. mit Ellenbogen und Handgelenk.
• Ggf. CT.
Therapie
OP: Aufgrund Instabilität Plattenosteosynthese des Radius. Meist spontane Repo-
sition der Ulna. Bei verbleibender Instabilität im Radioulnargelenk offene Band-
naht (Lig. radioulnare) oder Diskusfixierung, ggf. KD-Fixierung unterhalb des
distalen Radioulnargelenks (nicht auf Höhe des Gelenks).
NB: 4-wöchige Ruhigstellung im OA-Gips mit Supinationsstellung des UA. Da-
nach 4-wöchige UA-Schiene mit begrenzter Pro- und Supination (Bowers-Schie-
ne), dann Testung Stabilität im distalen Radioulnargelenk.
Risiken: Kompartmentsy.

Prognose
Bei primär guter Fraktur- und Gelenkstellung gut. Bei Ausheilung der Radiusfrak-
tur unter Verkürzung sowie bei persistierender Subluxation der dist. Ulna Ten-
denz zur dist. radioulnaren Arthrose bzw. Impaktions-Sy. der Ulna.

9.2.18 Madelung-Deformität
Steffen Breusch, Hans Mau und Frank Unglaub

Definition
Erbliche, meist doppelseitige osteochondrale Entwicklungsstörung am ulno-
palmaren Drittel der Wachstumsfuge des dist. Radius in Verbindung mit Vickers-
Band, Bajonettstellung und z. T. radialer Klumphand infolge einer radial- und
palmarwärts gerichteten Dislokation des Carpus. F : M ca. 4 : 1.

Klinik und Diagnostik


• Hauptsymptom: Schmerzen im Handgelenk.
• Verkürzung und Fehlstellung des Radius mit radial-palmarseitiger Verschie-
bung des Handgelenkes, vorspringender Ellenkopf. Zunahme der Fehlstellung
bis zum Abschluss des Wachstums möglich. Meist deutliche Verdickung des
Handgelenks.
• Durch Gelenkfehlstellung Beweglichkeit im Handgelenk ↓, UA-Drehbewe-
gung ↓.
• Rö: Handgelenk a. p. und seitl., u. a. ist karpale Radiusgelenkfläche nach ul-
9 nar- und palmarwärts verkippt. Verkürzung des Radius im Vergleich zur Ul-
na. Handwurzel keilförmig deformiert (Chevron-Handwurzel). Ulna und Ra-
dius weichen auseinander. Dreieckförmiges Mondbein, frühzeitiger Ver-
schluss der ulnaren Wachstumsfuge des Radius sowie metaphysärer Knochen-
sporn als indirekter Hinweis auf Vickers-Band. Subluxation des Ellenkopfs.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  299

Therapie
• Abhängig von Patientenalter, Schmerz, Funktion, Kosmetik, Stabilität.
• Während des Wachstums: Durchtrennung Vickers-Band, ggf. Öffnung der
verschlossenen Wachstumsfuge und Fettinterposition.
• Im frühen ausgewachsenen Stadium (um das 20. Lj.) Korrekturosteotomie mit
Anheben der palmaren ulnaren Gelenkfläche, Dome-Osteotomie, ggf. zusätz-
liche Korrektur im Radiusschaft.
• Ab 30. LJ.: „Weniger ist mehr“, ggf. OP nach Bowers oder Sauve-Kapandji.
• Denervierungs-OP nach Wilhelm: Darstellung des N. interosseus und des R.
articularis spatii interossei und teilweise Resektion. Gelenkäste des N. cutane-
us antebrachii radialis und der N. interosseus palmaris werden blind durch-
trennt. Die OP ist zur ausschließlichen Schmerzbeseitigung durchzuführen.
• Handgelenkarthrodese bei ausgeprägten deg. Veränderungen.
Prognose
Korrekturosteotomie → kosmetisch befriedigendes Ergebnis. Exakte Kongruenz
der Gelenkflächen jedoch nicht wiederherstellbar → häufig postop. Schmerzzu-
stände, deshalb gleichzeitige Denervation des Handgelenks nach Wilhelm indi-
ziert. Selten Schmerzfreiheit und regelrechter Bewegungsumfang zu erreichen.

9.2.19 Radioulnäre Synostose
Hermann Schmidt und Frank Unglaub

Definition
Angeborene ein- oder doppelseitige (in ca. 60 %) knöcherne Verbindung zwischen
Radius und Ulna im prox. Drittel, meist in Pronationsstellung.

Ätiologie
z. T. genetisch fixiert, familiäres Auftreten.

Diagnostik
Rö: UA mit Handgelenk und Ellenbogen in 2 Eb. Beachte: Bei jeder Fraktur des
UA vollständige Abbildung des proximalen und distalen Radioulnargelenks in 2
Eb. fordern.

Therapie
Operative Trennung der Synostose wenig Erfolg versprechend. Bei funktionell völ-
lig ausgleichbarer Fehlstellung – insbes. im Hinblick auf hygienische Verrichtun-
gen – Zurückhaltung mit der operativen Korrektur. Häufig Rezidive. Bei funktio-
nell ungünstiger Rotationsstellung Korrekturosteotomie im Bereich der Synostose:
Rotationsstellung der Gebrauchshand von 20° Pronation, kontralaterale Hand in
Neutralstellung.

9
300 9  Obere Extremität  

9.2.20 Unterarmschaftfraktur
Michael Clarius, Dorien Schneidmüller und Frank Unglaub

Definition
Frakturen von Radius und Ulna im mittleren Drittel. Sonderform: Isolierte Ulna­
fraktur als Folge einer Parierverletzung.

Ätiologie
Folge indirekter und direkter Gewalteinwirkung; direkte häufig mit Weichteilver-
letzungen einhergehend.

Klinik
Schwellung, Krepitation, Achsabweichung, Instabilität. Cave: Kompartmentsy.

Therapie
Konservative Therapie
Nur bei unverschobenen Frakturen < 10° Achsabweichung, Ther.: 6 Wo. OA-
Gips.
Operative Therapie
• Ind.: Dislozierte und komb. diaphysäre Frakturen von Radius und Ulna.
• Vorgehen: Plattenosteosynthese mit 3,5 mm LCDCP oder LCP, ggf. in
Komb. mit Spongiosaplastik. Ulna: Längsschnitt über der Fraktur in der
gedachten Linie zwischen Proc. styloideus ulnae und Olekranon. Radius
mittleres Drittel: Dorsolateraler Zugang nach Thompson, Hautschnitt zwi-
schen gedachter Linie Epicondylus humeri radialis und Proc. styloideus
radii, Faszienspaltung und Zugang zwischen Mm. extensor digitorum
communis und extensor carpi radialis brevis; Mm. abductores pollicis lon-
gus und brevis werden unterfahren. Cave: R. superficialis N. radialis.
Radius prox. Drittel: Palmarer Zugang nach Henry, zwischen Bizepssehnen-
ansatz und M. brachioradialis nach distal. Cave: R. profundus n. radialis und
A. radialis.
Osteosynthese zunächst der einfacheren Fraktur, i. d. R. der Ulna, Reposition
durch Längszug und Rotation, Plattenfixation bei nicht winkelstabilen Im-
plantaten mind. 6 Kortikalices. Bei Mehrfragment- oder Stückfrakturen kann
eine temporäre Fixation notwendig sein, um die Pro- und Supination zu tes-
ten. Bei knöchernen Defekten Spongiosaplastik empfohlen.
• NB: Frühfunktionell, ME nicht vor 12 Mon.
Unterarmschaftfraktur beim Kind
Definition und Besonderheiten
Die Möglichkeit zur Spontankorrektur nimmt zur Schaftmitte hin ab, sodass hier
möglichst keine Achsfehlstellungen belassen werden sollten, da diese zu großen
9 funktionellen Defiziten in der Umwendbewegung führen können. ⅔ der Fraktu-
ren am UA sind Grünholzfrakturen, die ein erhöhtes Risiko der verzögerten Frak-
turheilung und Refraktur aufweisen.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  301

Therapie
• UA-Frakturen mit geringer Abweichung (max 10°) können ggf. kons. mittels
OA-Gips (3–4 Wo.) therapiert werden.
• OP-Ind.: Instabile Frakturen: Achsabweichungen > 10°, relative Grünholz-
frakturen. Technik: Geschlossene Reposition und ESIN.

9.2.21 Distale Radiusfraktur
Steffen Breusch, Hans Mau, Dorien Schneidmüller und Frank Unglaub

Definition
Bruch des dist. Radius durch Sturz auf die abfangende Hand. Häufigste Fraktur
(10–25 %). Bei Kindern häufig Grünholzfraktur, metaphysärer Stauchungsbruch
(Wulstbruch) oder Epiphysenlösung des dist. Radius (meist Aitken 1). Evtl. zu-
sätzlich Lyse oder Fraktur der dist. Ulna. Häufigster Frakturtyp A3.2 (Colles).

Ätiologie
• Sturz auf extendiertes oder flektiertes Handgelenk und meist metaphysärer
Bruch des Radius prox. der Strecksehnenfächer.
• Kinder: V. a. extraartikuläre Frakturen, intraartikuläre Frakturen (= Epiphy-
senfrakturen) sind eine Rarität. Metaphysäre Wulstfrakturen, metaphysäre
Grünholzfrakturen, Epiphysenlösungen.
• Altersgipfel: 6.–10. Lj. (meist Grünholzfraktur) und 60.–70. Lj.
• Unterscheidung zwischen extraartikulären und artikulären Frakturen. Exten-
sionsfrakturen (Typ Colles in 85 %) mit Neigung der Gelenkflächen nach dor-
sal (▶ Abb.  9.16), Flexionsfrakturen (Smith-Fraktur) mit Dislokation des dist.
Fragments nach palmar und Trümmerfrakturen (▶ Abb.  9.16).

Abb. 9.16  Radiusfraktur loco typico [L106]

Klinik
• Schwellung, DS und schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Handgelenk.
• Bei der häufigeren Extensionsfraktur mit Dislokation Bajonettstellung der Hand
durch Dislokation des dist. Fragments mitsamt der Hand nach dorsoradial.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


AO-Frakturklassifikation von Radius und Ulna ▶ 25. 9
Rö: Handgelenk a. p. und seitlich. Fehlstellung, artikuläre Beteiligung sowie evtl.
Abrissfraktur des Proc. styloideus ulnae. Ausschluss von Skaphoidfrakturen und
perilunären Luxationsfrakturen (ggf. zusätzlich CT). Auf begleitende karpale
Bandverletzungen achten (z. B. skapholunäre Dissoziation ▶  9.3.5). Regelrechte
302 9  Obere Extremität  

Winkelstellung der Radiusgelenkfläche: palmare Inklination 10°, radiale Inklinati-


on 20–25° (▶ Abb.  9.16).
CT: Bei komplexen Frakturen zur Therapieplanung hilfreich.

Stabilitätsbeurteilung vor Wahl des therapeutischen Vorgehens


• Stabile Frakturen: Kind: Metaphysäre Biegungs- und Grünholzfraktu-
ren; Erw.: Metaphysäre Frakturen ohne zusätzliche Bandverletzung
(Verkürzung < 3 mm, dorsale Abkippung < 20°).
• Instabilitätskriterien: Abscherfraktur (epiphysär), metaphysäre Trüm-
merzone, Fraktur des Proc. styloideus ulnae mit ulnarer Desinsertion,
Dissoziation zwischen Radius und Ulna, Radiusverkürzung > 3 mm,
nicht reponierbar, Gelenkstufe > 2 mm, palmare Fragmente, Flexions-
frakturen, große dorsale Trümmerzone.

DD: Galeazzi-Fraktur (▶  9.2.17), Monteggia-Fraktur (▶  9.2.16), UA-Schaftfrak-


tur, Verstauchung, Zerrung, Frakturen und Bandverletzungen des Karpus.

Konservative Therapie
• Kind: Frakturen innerhalb der Toleranzgrenzen der Spontankorrektur.
• Alle Wulstfrakturen.
• Reponierbare Abscherfraktur der Gelenkfläche mit minimaler Dislokation.
• Epiphysäre Stauchungsfrakturen ohne stärkere Verkürzung.
• Geriatrische Pat. mit stabil impaktierter Fehlstellung: Hier nimmt man eine
Bewegungseinschränkung zugunsten einer raschen Mobilisation in Kauf.
Besonderheiten bei Kindern
• Kind: Vorwiegend kons. Therapie bei gutem Spontankorrekturpotenzial; sta-
bile Frakturen innerhalb der Korrekturgrenzen: < 12. Lj. = < 20–30° Ante-,
Rekurvation; < 10° Varus, Valgus; > 12. Lj. = keine Achsfehler.
• Bei geringer Achsfehlstellung ggf. Gipskeilung am 8. d.
• Frakturen außerhalb der Korrekturgrenze: Reposition in Allgemeinanästhesie;
bei Instabilität K-Draht-Osteosynthese. In Ausnahmefällen Platte oder Fixa-
teur externe.
• Bei metaphysärem Wulstbruch: Stabile Fraktur; Immobilisation für 2–3 Wo.
bis zur Schmerzfreiheit; klin. Kontrolle ausreichend.
! Aufklärung über Möglichkeit der v. a. hemmenden Wachstumsstörung.
Reposition der Fraktur
Suffiziente Anästhesie: Plexusanästhesie, Narkose oder auch Bruchspaltanästhe-
sie (10 ml LA, z. B. Mepivacain, wird von dorsal in den Bruchspalt injiziert, evtl.
unter BV-Kontrolle). Anschließend „Aufhängen“ des UA und Extension der
Fraktur durch Fingerextensionshülsen („Mädchenfänger“) und 3 kg Gegenge-
wicht über breiten Gurt am OA (▶ Abb.  9.17).
Extensionsfraktur: Reposition durch Längszug über 2–5 Min. mit anschließender
Palmarflexion, Ulnarduktion und abschließender Pronation mit Druck auf das
dist. Fragment von dorsoradial und Gegendruck von palmar.
9 Flexionsfraktur (i. d. R. operativ, nur falls KI zur OP besteht): Repositionsgang ent-
gegengesetzt, Dorsalextension, Radialduktion und Supination mit Druck von palmar.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  303

Abb. 9.17  Radiusfraktur: Reposition und korrekte Winkelstellung [L190]

Gipsfixation
• Dorsale UA-Gipsschiene oder zirkulärer UA-Gips für 1 Wo. (je nach Fraktur
bei geriatrischen Pat. evtl. auch OA-Gips). Sorgfältiges Anmodellieren über
dem Radiusfragment und der Mittelhand bei Extensionsfrakturen in leichter
Flexion und Ulnarduktion, bei Flexionsfrakturen in Extension und Ulnardukti-
on. Gips soll Daumen und Finger frei lassen, um Faustschluss zu ermöglichen.
• Bei zirkulärem Gips nach Abbinden, Spalten desselben durch Entnahme eines
1 cm breiten Gipsstreifens und Durchtrennung des Polstermaterials.
• Nach 1 Wo. Gips zirkulieren und für weitere 3–5 Wo. belassen. Bei Flexions-
frakturen Gipsschiene zunächst volar anlegen (selten, meist OP).
Nachbehandlung
• Klin. und Rö-Kontrollen: Nach Reposition, am 1., 4., 7. und 10. d nach dem
Trauma. Engmaschige Rö-Kontrollen wichtig, da Tendenz zum Repositions-
verlust besteht, dann ggf. operative Ther.
• Aufklärung des Pat.: Kontrolle am folgenden Tag. Hochlagern, lokal Eis, An-
tiphlogistika. Sofortige Vorstellung bei Durchblutungs-, Sensibilitäts- oder
motorischen Störungen! Sinnvoll: Merkzettel für Pat. mit Gipsruhigstellung
mitgeben.
• Frühzeitig aktive Bewegungsübungen von Finger, Ellenbogen und Schulter;
nach Gipsabnahme aktive Bewegungsther. des Handgelenks ggf. zunächst aus
dem geschalten Gips heraus.

Operative Therapie
Bis in die 1990er-Jahre vorwiegend kons. Ther. und minimalinvasive Bohrdraht­
osteosynthesen, in den letzten 10 J. Tendenz zu winkelstabiler Plattenosteosynthe-
se und frühfunktioneller Nachbehandlung.
Indikationen
9
Offene Frakturen, Zirkulations-, Innervationsstörungen, nicht reponierbare und
instabile Frakturen. Metaphysäre Trümmerzone.
304 9  Obere Extremität  

OP-Verfahren
• Winkelstabile Plattenosteosynthese: Mehrfragment-Gelenkfrakturen (A2, A3,
C1, C2, C3 nach AO), Flexionsfrakturen.
• Schraubenosteosynthese (B1 nach AO).
• Ggf. perkutane Bohrdrahtosteosynthese: Metaphysäre Extensionsfrakturen
(A2, A3 nach AO).
• Fixateur externe (▶ Abb.  9.18a): Primärversorgung bei offenen Frakturen und
Frakturen mit ausgedehntem Weichteilschaden, Trümmer- (C3 nach AO)
und Luxationsfrakturen. Fixateur externe zwischen Radius und Metacarpale
II, ggf. mit zusätzlicher K-Draht- oder Schraubenosteosynthese und Spongio-
saplastik.
Bohrdrahtosteosynthese
▶ Abb.  9.18b.
Vorgehen: Reposition durch Längszug und Palmarflexion. Transstyloidale Tech-
nik: Stichinzision über Proc. styloideus radii, transstyloidales Einbringen von
Bohrdrähten (1,6–2 mm) und Verankern in der Gegenkortikalis. Modifizierte
Kapandji-Technik: Einbringen von 2–3 KD (1,6–2 mm) in den Frakturspalt 45°
zur Schaftachse, intramedulläres Vorschieben und Verankern in der Gegenkorti-
kalis.
NB: Frühfunktionell, aktives Bewegen der Finger und des Handgelenks ohne Be-
lastung nach Abschluss der Wundheilung. ME 4–6 Wo. postop.
Komplikationen: Sekundäre Dislokation, Ruptur der EPL-Sehne, Verletzung des
R. superficialis n. radialis, Gefahr der A.-radialis-Verletzung.
Palmare winkelstabile Plattenosteosynthese
(▶ Abb.  9.18c)
Vorgehen: Längs verlaufende Hautinzision über dem dist. Radius, Spaltung der
Faszie über der Sehne des M. flexor carpi radialis (FCR), Eingehen zwischen FCR
und M. flexor pollicis longus (FPL) ulnar und A. radialis radial, Abschieben des M.
pronator quadratus unter Belassen eines kleinen radialen Restanteils zur Refixati-
on, Reposition der Fraktur durch Längszug und Einpassen der Fragmente, Auflage
der winkelstabilen Platte und Besetzen des ovalen Gleitlochs, BV-Kontrolle, Beset-
zen der distalen Plattenlöcher mit winkelstabilen Implantaten und Fixation der
Platte proximal, BV-Kontrolle, Spülung, Refixation M. pronator quadratus, Re-
don-Drainage, Faszien- und Wundverschluss.
NB: UA-Schiene bis zur Wundheilung, dann funktionelle Ther. mit aktiven Bewe-
gungsübungen von Finger und Handgelenk ohne Belastung.
Komplikationen: Verletzung N. medianus, ungenügende Reposition mit Gelenk-
stufen, intraartikuläre oder dorsal überstehende Schraubenlage, Ruptur der EPL-
oder FPL-Sehne in bis zu 10 %, Karpaltunnelsy., Gefahr der A.-radialis-Verletzung.

Komplikationen
• CRPS: Mögliche Ursachen: Gips zu eng? Häufige Nachrepositionen; schlechte
Schmerzbekämpfung; keine Ödemprophylaxe (Hochlagern, Antiphlogistika),
persönliche Disposition (▶ 19.3.5).
9 • Sekundäre Dislokationen meist innerhalb der ersten 2 Wo. (Spongiosaimpak-
tierung durch Fraktur unterschätzt?). Auch später noch Sinterung besonders
bei Osteoporose.
• Sekundäre EPL- oder FPL-Ruptur.
• Karpaltunnelsy. → frühzeitige Karpaldachspaltung bei neurol. Persistenz.
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  305

Abb. 9.18  Osteosynthese bei distaler Radiusfraktur. a Fixateur externe. b Bohr­


drahtosteosynthese (transstyloidale Technik, mod. Kapandji-Technik). c Palmare
winkelstabile Plattenosteosynthese. [L106]

• Instabilität im distalen Radioulnargelenk → arthroskopische oder offene Refi-


xierung.
• Bei Kindern evtl. Fehlwachstum nach Epiphysenfugenschädigung. 9
• Tendovaginitis de Quervain (ca. 2,5 %, ▶ 9.3.3).
Prognose
OP: Je nach Alter des Pat. und Frakturtyp ca. 75 % gute Resultate nach OP und
frühfunktioneller Ther.
306 9  Obere Extremität  

Begutachtung
• Einschränkung der Pro-/Supination: Re 20 %, li 10 % MdE (bei Rechts-
händern).
• Handgelenkversteifung in Fehlstellung: Re 40 %, li 30 % MdE (bei Rechts-
händern).

9.2.22 Periphere Nervenkompressionssyndrome
Frank Unglaub

Pronator-teres-Syndrom
Definition, Ätiologie
• Kompression des N.  medianus im Verlauf des Ellenbogens.
• Männer häufiger betroffen.
• Häufig nach intensivem Tragen von schweren Gegenständen oder repetitiver
Pro-Supination des Unterarms.
• Kompressionsstellen:
– Lacertus fibrosus des M. biceps.
– M. pronator teres (bogenförmige Arkade zwischen Caput ulnare und Ca-
put humerale).
– Sehnige Arkade M. flexor digitorum superficialis.
Klinik
• Schmerzen im Ellenbogengelenkbereich.
• Region des M. pronator teres ist druckdolent.
• Keine nächtlichen Schmerzen wie beim Karpaltunnelsy.
• Häufig motorische Schwächung der vom N. medianus innervierten Muskeln
(Testung im Seitenvergleich).
Diagnostik
• Provokationstests der 3 möglichen Engstellen:
– Prüfung Kompressionsstelle Lacertus fibrosus: 90° Flexion Ellenbogen
und Supination gegen Widerstand.
– Prüfung Kompressionsstelle M. pronator teres: Pronationsbewegung ge-
gen Widerstand.
– Prüfung Kompressionsstelle Sehnenarkarde M. flexor digitorum superfi-
cialis: Beugung Mittelfinger gegen Widerstand bei Extension der übrigen
Finger.
• Hoffmann-Tinel-Zeichen.
• Ggf. MRT.
Konservative Therapie
NSAR. Ruhigstellung mit dorsaler Schiene in 90° Flexion des Ellenbogens führt häufig
zu Besserung bei Schonung bereits nach wenigen Wo. Ggf. Kortisoninjektion.
9
Operative Therapie
Dekompression des N. medianus bei fehlender Beschwerdebesserung unter kons.
Ther. Anteromedialer Zugang. Langstreckige Freilegung N. medianus (Lupenvergrö-
ßerung!) und mikrochirurgischer Technik, ggf. Mikroskop. Längsspaltung des Lacer-
tus fibrosus des M. biceps. Darstellung des N. medianus unter Schonung A. brachialis
   9.2  Oberarm, Ellenbogen und Unterarm  307

bzw. A. ulnaris. Bei Unklarheiten regelmäßiges Tasten der Längsstrukturen, insbeson-


dere Arterien sehr gut tastbar. Alle möglichen Kompressionsstellen müssen inzidiert
werden und sollten zumindest Platz für „einen Finger“ bieten. Ein Absetzen der Pro-
nator-Köpfe ist i. d. R. nicht indiziert. Drainageneinlage empfehlenswert. NB: Ruhig-
stellung im OA-Gips 3–5 d, danach aktive und passive Beübung.

Vor der OP den Pat. genauestens über die lange Regenerationsdauer aufklären.

Supinatorlogensyndrom
Definition, Ätiologie
• Kompression des R. profundus des N. radialis distal des Ellenbogens. Höhe
Speichenkopf: Teilung N. radialis in sensiblen R. superficialis und motori-
schen R. profundus.
• Kompressionsmöglichkeiten:
– Fibröse Bandstrukturen der radiohumeralen Kapsel.
– M. extensor carpi radialis brevis.
– Gefäßkonvolut („Leash of Henry“) aus der A. recurrens radialis.
– Frohse-Arkarde (prox. Rand des M. supinator).
– Distaler Rand des M. supinator.
Klinik
• R. profundus fast ausschließlich motorisch. Lähmung lange Fingerstrecker
und Daumen.
• Der M. extensor carpi radialis longus ist nicht betroffen, da die nervale Ver-
sorgung proximal der Engstelle liegt, somit keine typische Fallhand mit Betei-
ligung des Handgelenkes, sondern nur der Finger und des Daumens.
• Schmerzen meist 3–5 cm distal des lateralen Epikondylus.
Die Nomenklatur ist uneinheitlich, das Supinatorlogensy. wird auch Radia-
listunnelsy. oder N.-interosseus-posterior-Sy. genannt. Der Begriff „algeti-
sches Supinatortunnelsy.“ bezieht sich auf eine Epikondylopathie und sollte
nicht verwendet werden.

Diagnostik, Differenzialdiagnosen
• Hoffmann-Tinel-Zeichen kaum auslösbar, da fast nur motorische Fasern.
• Neurologische Untersuchung.
• Ggf. MRT.
• DD: Strecksehnenverletzungen, spinale Ursachen.
Konservative Therapie
NSAR. Ruhigstellung mit dorsaler Schiene in 90° Flexion des Ellenbogens führt häufig
zu Besserung bei Schonung bereits nach wenigen Wo. Ggf. Kortisoninjektion.
Operative Therapie
Mediolateraler Zugang (Lupenbrillenvergrößerung!) lateralseitig der Bicepsseh- 9
ne, distal des M. biceps brachii. Schnitterweiterung nach distal häufig notwendig.
Leitstruktur für den R. superficialis N. radialis ist der M. brachioradialis, der R.
profundus verläuft tiefer und tritt durch den M. supinator hindurch. Alle Kom-
pressionsstellen beseitigen. Drainageneinlage empfehlenswert. NB: Ruhigstellung
im OA-Gips für 3–5 d, danach aktive und passive Beübung.
308 9  Obere Extremität  

Vor der OP den Pat. genauestens über die lange Regenerationsdauer aufklären.

Sulcus-ulnaris-Syndrom
Definition, Ätiologie
• Kompression des N. ulnaris im Verlauf des Ellenbogens.
• Kompressionsstellen:
– Struther-Arkarde.
– Sulcus ulnaris mit Osborne-Ligament.
– Faszienverstärkung des M. flexor carpi ulnaris.
Klinik
• Sensibilitätseinschränkung Klein- und Ringfinger unter Einschluss Handrü-
cken (R. dorsalis N. ulnaris). Cave bei Loge de Guyon: Handrücken keine
Sensibilitätseinschränkung.
• Bei langem Krankheitsverlauf Kraftminderung mit Atrophie der vom N. ul-
naris innervierten Handmuskeln.
Diagnostik
• Klinische Untersuchung mit Subluxationsprüfung des N. ulnaris bei Flexion
des Ellenbogens.
• Neurologische Untersuchung.
• Fromment-Zeichen pos.
• Hoffmann-Tinel-Zeichen.
• Bei stattgehabtem Trauma ggf. Rö Ellenbogen in 2 Eb.
Konservative Therapie
NSAR. Ruhigstellung mit dorsaler Schiene in 70–90° Flexion des Ellenbogens für
mehrere Wo.
Operative Therapie
Dekompression des N. ulnaris bei fehlender Beschwerdebesserung unter konser-
vativer Therapie. OP-Möglichkeiten:
• Endoskopisch-assistierte Dekompression.
• In-situ-Dekompression.
• Subkutane/submuskuläre Transposition.
• Epikondylektomie.
Endoskopisch-assistierte und In-situ-Dekompression: Derzeit häufigste prim.
Verfahren. Bei Subluxation des Nervs oder Revisionseingriff subkutane oder sub-
muskuläre Transposition empfehlenswert.
Endoskopisch-assistiertes Verfahren: 2–4 cm Hautschnitt mit Darstellung des N. ul-
naris im Sulcus ulnaris (Lupenbrillenvergrößerung!), zunächst Präparation mit dem
Spekulum nach prox. und Dekompression des Nervs bis 10 cm prox. des Sulcus
(Struther-Arkade). Darstellen des Nervs distal und Präparation der Faszie des M. flexor
carpi ulnaris mit Längsspaltung mithilfe des Endoskops. Langstreckiges Darstellen des
Nervs und ggf. Durchtrennung der Faszienverstärkungen des M. flexor carpi ulnaris.
9 NB: Bandagierung des Arms nach endoskopischer Dekompression für 3 Wo.,
Vermeidung Flexion Ellenbogen mehr als 90°. Bei In-situ-Dekompression und
Epikondylektomie Ruhigstellung im OA-Gips für 2–3 Wo.

Vor der OP den Pat. genauestens über die lange Regenerationsdauer aufklären.
  9.3 Hand  309

9.3 Hand
Frank Unglaub

9.3.1 Wichtige Differenzialdiagnosen des Schmerzes in


Unterarm und Hand
UA und Hand: Nervenkompressionssy., Sehnenscheidenentzündung, Sehnenver-
kalkung (Kalksalzdepot), Tumor.
Handgelenk: Arthritis, Arthrose, posttraumatische Fehlstellung, Skaphoidpseud­
arthrose, Diskusläsion im Ulnokarpalgelenk, Lunatumnekrose u. a. Nekrosen der
Handwurzelknochen, skapholunäre Dissoziation u. a. Bandverletzungen, Hand-
gelenksganglion, intraossäre Ganglien, Zysten oder Tumoren, Luxation der Ex-
tensor-carpi-ulnaris-Sehne, Synovitiden der Streck- bzw. Beugesehnen, chron.
entzündliche Prozesse (rheumatischer Formenkreis), Karpaltunnelsyndrom (N.
medianus), Loge-de-Guyon-Sy. (N. ulnaris).
Daumensattelgelenk: Rhizarthrose, posttraumatische Arthrose, Kapsel-Band-
Läsion, Arthritis.
Mittelhand: Ringbandstenose, Knochen-, Weichteiltumor, Sehnenscheiden-
phlegmone, Morbus Dupuytren.
Finger und Fingergelenke: Arthritis, Arthrose, posttraumatische Fehlstellungen,
Streckerhäubchenruptur, Ringbandganglion, Sehnenscheidenphlegmone, Seiten-
bandverletzungen, Verletzung palmare Platte Fingergelenk, Gichtarthropathie,
Morbus Dupuytren, Klinodaktylie, Kamptodaktylie.
Fingerendglieder: Glomustumor, Panaritium, Paronychie, Mukoidzyste, Heber-
den-Arthrose.
Gesamte Hand: CRPS.

9.3.2 Spezielle orthopädische Untersuchung


Spezielle Anamnese
• Unfall, Zeitpunkt, Hergang, womit verletzt (z. B. Glassplitter, Hochdruck-
spritzpistolenverletzung), Umfeld (z. B. Bisswunde, Metzgerei).
• Begleiterkr., seit wann (z. B. RA, Gicht, Diab. mell.).
• Vorausgegangene Hand-OP, Rechts- oder Linkshänder.
• Schmerzanalyse, typische auslösende Bewegungen.
• Tetanusschutz, evtl. Tollwutimpfung.
Klinischer Befund (Vergleich mit Gegenseite!)
Inspektion
• Form und Haltung der Hand, Achsenfehlstellungen (z. B. nach Trauma, Lu-
xation), schlaffe Streckhaltung von Fingern (Sehne verletzt?), Krallen- oder
Fallhand (Nervenläsion?), Schwellung (z. B. bei Entzündungen, Fraktur, RA,
Tumor), Muskelatrophie (z. B. periphere Nervenläsion).
• Hautfarbe: Durchblutungsverhältnisse, Raynaud-Sy. 9
• Palmare Beschwielung: Atrophisch flache, anhydrotische Hautleisten bei Ner-
venläsionen, Hinweis auf Gebrauch und Belastung der Hand.
• Verlauf und Zustand alter Narben.
• Fingernägel (z. B. Rillenbildung bei Mukoidzyste)
310 9  Obere Extremität  

Palpation
• Turgor, Temperatur (z. B. Entzündung ↑, Durchblutungsstörung ↓), Ober-
flächenbeschaffenheit, Verschieblichkeit der Haut, Konsistenz, Schmerzloka-
lisation.
• Beklopfen von Nervenstämmen und -endigungen (z. B. Kompression, Neurome).
Funktionsprüfung (spezielle Tests → einzelne Krankheitsbilder)
• Greifformen (Grob-, Spitz-, Schlüssel-, Haken-, Kraftgriff), Faustschluss, Stre-
ckung, Beugung, Abspreizung der einzelnen Finger und Zusammenführen,
Berührung der Fingerspitze des Kleinfingers mit dem Daumen (Opposition).
• Beweglichkeit, Kontrakturen, Narbenzüge.
• Kraftmessung.
• Pulse.
• Sensibilitätstestung, 2-Punkte-Diskrimination.
• Motorik: Sehnenfunktion.

9.3.3 Bennett-, Rolando-, Winterstein-Fraktur


Definition
• Bennett-Fraktur: Abscherfraktur durch intraartikuläre Fraktur der Basis des
MC I (ein Fragment).
• Rolando-Fraktur: T- oder Y-förmiger Trümmerbruch der MC-I-Basis (meh-
rere Fragmente).
• Winterstein-Fraktur: Extraartikuläre Fraktur der MC-I-Basis.
Ätiologie
Direkter Sturz auf Daumen mit axialer Kompression und/oder Abscherung der
ulnaren Kante der MC-Basis. Durch Zug besonders des M. abductor pollicis lon-
gus Dislokation des Metakarpale I nach dorsoradial (▶ Abb.  9.19).

Abb.  9.19  Anatomie der Hand [L190]


  9.3 Hand  311

Klinik und Diagnostik


• Starke, bewegungsabhängige Schmerzen im Daumensattelgelenk, DS und
Verschiebeschmerz. Schwellung. Daumen leicht abduziert.
• Rö Daumen in 2 Eb.: Fragment ulnar zur MC-I-Basis. Subluxation des I. Mit-
telhandknochens nach radial-dorsal. Evtl. mehrere Fragmente.
• Ggf. Dünnschicht-CT zur Bestimmung Fragmentgröße und Dislokation bzw.
Trümmerzone.

Therapie
Konservative Therapie
Bennett-Fraktur und Winterstein-Fraktur: Kons. Ther. nur bei nicht dislozier-
tem Fragment, Ruhigstellung im Gips für 4 Wo. Bei Dislokation OP, da Repositi-
on im Gips nicht gehalten werden kann.
Rolando-Fraktur: OP-Indikation.
Operative Therapie
Bennett-Fraktur: Unter BV-Kontrolle Zug am Daumen und Druck auf die Ba-
sis des MC I von radial. Geschlossene Reposition der Fraktur. Dann perkutane
Fixation des Fragments mit KD von radial nach ulnar (meist 2 Drähte). Ggf.
KD durch das prox. Metakarpaledrittel in MC II in palmarer Abd. des
Daumens oder Fixierung der Basis MCI mit Os trapezium. Falls
geschlossene Reposition nicht möglich, offene Reposition und Schraubenos-
teosynthese.
Rolando-Fraktur: Meist offene Reposition und Plattenosteosynthese (T-Platte,
winkelstabil), ggf. zusätzlich Schraubenosteosynthese.
Winterstein-Fraktur: Bei dislozierter bzw. instabiler Fraktur entweder Repositi-
on unter BV und perkutane KD-Fixation oder ggf. offene Reposition und Osteo-
synthese mit Miniplatte (T-Platte, winkelstabil).
NB: Postop. Daumen-UA-Gips mit Einschluss Grundgelenk. KD-Entfernung
nach 4 Wo., dann vorsichtige Bewegungsübungen, Entlastung für weitere 2–3
Wo.. Bei stabiler Osteosynthese (Platte, Schraube) frühere Mobilisation mög-
lich.

Prognose
Relativ gut, auch bei kleineren Stufen im Rö-Bild.

9.3.4 Morbus Dupuytren
Definition
Knoten- und Strangbildung der Palmaraponeurose mit zunehmender Beugekon-
traktur der Finger. Knuckle Pads (Verhärtungen streckseitig Haut und Unterhaut
Höhe Mittelgelenk), Männer häufiger betroffen, Auftreten häufiger im Norden
Europas, sehr selten im Mittelmeerraum, Asien und Afrika. Familiäre Häufung
bekannt.

Ätiologie
9
Unklar. „Myofibroblasten“ bilden Knoten und kontrakte Stränge. Bei jüngeren
Patienten oft ausgeprägtere Kontrakturen mehrerer Finger und stärkere Progredi-
enz. Sonst meist Verlauf über viele Jahre.
312 9  Obere Extremität  

Einteilung nach Tubiana


Der Grad der Beugekontraktur aller Gelenke des betroffenen Fingers wird addiert.
Bei mehreren betroffenen Fingern Stadieneinteilung also für jeden Finger ge-
trennt angeben:
• Stadium N: Knoten tastbar, keine Kontraktur.
• Stadium I: bis 45°.
• Stadium II: 45–90°.
• Stadium III: 90–135°.
• Stadium IV: > 135°.
Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Behinderung durch Beugekontraktur, gel. DS beim festen Zugreifen auch
schon im Anfangsstadium (Knoten).
• Am häufigsten Klein- und Ringfinger, dann Daumen, selten Zeige- und Mit-
telfinger befallen.
• Anfänglich kleine, tastbare Knoten und Einziehungen der Haut in der Hohl-
hand, dann Stränge, die zu den betroffenen Fingern ziehen. Zunehmende
Beugekontrakturen des Grund- und/oder Mittelgelenks, gel. Überstreckung
oder Beugung des Endgelenks, eingeschränkte Abspreizung der Finger durch
Befall des Lig. natatorium.
• Rö: Nur bei Unklarheiten hinsichtlich der Gelenke.
• DD: Gelenkkontraktur z. B. postraumatisch, fixierte Ringbandstenose (Tendo-
vaginitis stenosans), Bow-String-Effekt nach Ringbandverletzung (Kletterer, ia-
trogen nach OP), Kamptodaktylie (angeborene Beugekontraktur im PIP meist
Kleinfinger, jedoch meist Hyperextension im Grundgelenk), Narbenbildung.

Therapie
Konservative Therapie
Nicht erfolgreich, Fortschreiten der Erkr. kann nicht aufgehalten werden.
Operative Therapie (Aponeurektomie)
Ind.: Eingriff abhängig von Bedürfnissen und Beschwerden des Pat. ab ca. 30°
Beugekontraktur.
Bei isoliertem dünnen, gut tastbaren Strang und Beugekontraktur hauptsächlich
Grundgelenk, Nadelaponeurotomie: Durchtrennung des Strangs in der distalen
Hohlhand mit 1er-Kanüle in LA (z. B. auch bei eingeschränkter OP-Fähigkeit),
hohes Rezidivrisiko, da Strang in situ verbleibt.
Bei ausgeprägtem Befund, mehrere Finger, Rezidiv: Partielle Aponeurektomie,
häufig kombiniert mit Lappenplastiken und Vollhauttransplantation notwendig
(Amputationsrisikoaufklärung bei Rezidiven!).
OP-Technik: Plexusanästhesie oder Vollnarkose, Blutleere, Lupenvergrößerung.
(Mini-)Bruner Inzision oder gerader Schnitt mit nachfolgenden Z-Plastiken, in
der Hohlhand in der prox. oder dist. Hohlhandfurche (▶ Abb.  9.20). Scharfe Prä-
paration der Haut, wobei subkutanes Fettgewebe an der Haut verbleiben sollte.
Größere Gefäßäste (für die Haut) schonen. Darstellung der befallenen Palmar­
9 aponeurose zunächst prox. in der Hohlhand und schrittweise Präparation nach
distal, wobei zunächst die Gefäß-Nerven-Bündel dargestellt und befreit werden.
Dann kann das befallene Gewebe herausgelöst werden. Schwierigere Präparation
im Bereich der Finger, da hier das Gefäß-Nerven-Bündel ummauert und bis zur
Gegenseite verschoben sein kann. Nach Öffnung der Blutsperre exakte Blutstil-
lung. Lockerer Verband mit Gazeknäuel und Gipsschiene für 1–2 d.
  9.3 Hand  313

Abb.  9.20  Schnittführung an der Hand [L106]

NB: Regelmäßige Verbandswechsel, kleinere nekrotische Hautbezirke heilen


spontan gut ab, müssen aber entfernt werden. Frühzeitige Mobilisation der Finger
mit voller Beugung und Streckung.
KO: Gefäß-Nerven-Verletzungen (Kälteempfindlichkeit, Sensibilitätsstörung),
Hautnekrosen, Narbenkontraktur, bei Rezidiv Amputationsgefahr.

Prognose
Rezidivrate (bes. am Kleinfinger) nach Literatur bis 10–40 %. Rezidiv-OPs sind an-
spruchsvoll. In seltenen Fällen Arthrodese des Mittelgelenks oder Amputation des
5. Strahls schräg distal der Basis des Mittelhandknochens (OP nach Adelmann).

9.3.5 Enchondrom
Definition
Häufigster gutartiger Knochentumor der Hand (▶ 15.3.2). M : F = 1 : 1.

Ätiologie
Solitäre Enchondrome entwickeln sich meta- und diaphysär v. a. in der Grund-
phalanx, seltener in Mittelphalanx und Mittelhandknochen.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Meist Zufallsbefund. Schmerzen häufig nur bei pathologischer Fraktur, evtl.
DS. Schwellung über dem Tumor. Meist keine Bewegungseinschränkung.
• Rö: Hand p. a. und schräg; Finger p. a. und seitl.: Charakteristische fleckige,
teils blasige Aufhellung im meta- oder diaphysären Bereich mit stark ausge-
dünnter oder gel. frakturierter Kortikalis.
• DD: Solitäre Knochenzyste, aneurysmatische Knochenzyste.
Therapie 9
Nur operative Ther.: Ausräumung des Tumors durch Kürettage über ein kleines
Knochenfenster. Meist ist eine Auffüllung mit autologer Spongiosa (→ dist. Radi-
usende) nicht nötig, da sich die Höhle spontan weitgehend füllt. Größere Höhlen
mit frakturierter Kortikalis sollten mit einer Spongiosaplastik stabilisiert werden,
bei intraoperativer Fraktur KD-Osteosynthese notwendig.
314 9  Obere Extremität  

NB: Bei stabiler Knochensituation sofortige Mobilisation möglich, sonst Ruhig-


stellung für ca. 3 Wo. in Schienenverband.

Prognose
Gut, maligne Entartung unwahrscheinlich.

9.3.6 Mittelhand- und Fingerfrakturen


▶ Abb.  9.21.
Mittelhandfrakturen
Definition
Meist direktes Trauma durch Schlag
oder Sturz. Fraktur der Basis, des
Schafts oder Köpfchens mit oder ohne
Gelenkbeteiligung.
Klinik und Diagnostik
• Fehlstellung (Verkürzung, Ach-
senknick oder Rotationsabwei-
chung) unbedingt beachten. Beide
Hände parallel auf Unterlage mit
dem Handrücken ablegen, dann
vorsichtiger, langsamer gleichzeiti-
ger Faustschluss (Rotationsabwei-
chung?), auf Ausrichtung der Fin-
gernägel achten (Rotationsabwei- Abb.  9.21  Synopsis Frakturen. 1) Ben­
chung?), bei Faustschluss sollen nett-Fraktur, 2) MC-II-Basisfraktur, 3)
Zeige- und Mittelfinger auf Skap- MC-IV-Luxation, 4) Ausriss palmare
hoid zeigen, Ring- und Kleinfinger Platte, 5) Subkapitale MC-II-Fraktur,
auf Lunatum. 6)  Epiphysenlösung der Zeigefinger­
grundphalanx, 7) Knöcherner Seiten­
• Rö: Mittelhand p. a. und schräg, bandausriss, 8) Phalanxköpfchenfrak­
Finger p. a. und seitl. ggf. zusätz- tur, 9/10) Trümmerfraktur End- und
lich schräg: Achsabweichung und Grundphalanx, 11) PIP-Luxation Dig.
Fragmentgröße gut zu beurteilen. V, 12) Skaphoidfraktur [L106]
Ggf. Dünnschicht-CT. Rotation
röntgenologisch nicht beurteilbar,
nur klinisch.
Therapie
Konservative Therapie
Nicht oder wenig dislozierte Frakturen ohne Rotationsfehler mit keiner oder nur
geringer Verkürzung. Ggf. Reposition in LA oder Plexusanästhesie. Gipsverband
in Intrinsic-plus-Stellung (Fingerposition mit Beugung der Grundgelenke und
Streckung der Mittel- und Endgelenke). Bei stabiler Situation frühzeitig Buddy
9 Tape möglich.
Operative Therapie
Ind.: Instabile Frakturen mit Achsabweichung (z. B. nach palmar abgekippte
Köpfchenfraktur über 50° [Boxerfraktur] oder Schaftfrakturen). Rotationsfehl-
stellung, deutliche Verkürzung, dislozierte Gelenkfraktur.
  9.3 Hand  315

Perkutane KD-Stabilisierung: Oft ausreichend. Bei Basisfrakturen 2 KD seitl.


von dorsoradial und ulnar einbringen; sollen sich nicht in Höhe des Bruchspaltes
kreuzen → Rotationsinstabilität. Mittelhand-Köpfchenfraktur bei flektiertem Fin-
ger aufrichten (Reposition nach Jahss) und mit am Drahtende leicht abgewinkel-
ten 2–3 KD nach Trepanation der Basis des Mittelhandknochens unter BV-Kont-
rolle nach distal intramedullär bis in den Kopf vorschieben. Durch Drehen des
Drahts richtet das abgewinkelte Drahtende den abgekippten Kopf auf und stabili-
siert ihn.
Offene Reposition und Osteosynthese: Dislozierte Spiral-, Gelenk- oder Trüm-
merfrakturen offen reponieren und mit Minifragment-Instrumentarium übungs-
stabil versorgen (meist dorsaler Zugang). Ggf. Minifixateur externe.
NB: Intramedullärer Draht und Platten-/Schraubenosteosynthesen sollten
übungsstabil sein (Buddy Tape!). Sonst Gips für 3–4 Wo., danach ME (Fraktur-
spalt trotz Durchbauung länger im Rö sichtbar). Dann vorsichtige Aufbelastung.
KO: Sehnenverklebungen, Gelenkkontrakturen.

Fingerendgliedfrakturen
Definition
Häufig knöcherner Strecksehnenabriss (▶ 9.3.18). Nagelkranzfraktur, offene Frak-
tur (Quetschung).
Therapie
• Kons. Ther. knöcherner Strecksehnenabriss: Kleines Fragment (≤ als ⅓) in
der seitl. Aufnahme, keine Subluxation des Endgliedes nach palmar. Schie-
nenbehandlung für 4–6 Wo. in Streckstellung, im Verlauf Stackschiene mög-
lich.
• Operative Behandlung knöcherner Strecksehnenabriss: Technik nach Ishigu-
ro (Door-Stop-Technik), Zuggurtungstechnik, Schraubenosteosynthese.
• Dislozierte Gelenkfraktur: Offene Reposition und KD oder Schraubenosteo-
synthese.
• Bei Nagelkranzfrakturen z. B. nach Quetschtrauma genügt meist 1-wöchige
Ruhigstellung in Schiene, bei instabilen Frakturen KD-Osteosynthese.
• Evtl. subunguales Hämatom trepanieren: Ggf. in Leitungsanästhesie nach
Oberst Loch mit feinem, desinfiziertem Bohrer oder steriler Kanüle in Nagel
bohren.

9.3.7 Ganglien
Definition
Gutartige, prall-elastische, unter der Haut gelegene Weichteiltumoren mit Ver-
bindung zum darunterliegenden Gelenk oder zur Sehnenscheide, gefüllt mit kla-
rer, sehr visköser Flüssigkeit am häufigsten dorsal über dem skapholunären Liga-
ment, seltener palmar radial oder ulnar. Im Bereich der Ringbänder der Finger als
Ringbandganglion, an den Endgelenken der Finger als Mukoidzysten (Arthrose).
Häufigster Weichteiltumor M : F = 1 : 3. Altersgipfel 20–30 J.
9
Ätiologie
Nicht völlig geklärt: Bandläsion? Führt Überlastung zur Produktion von vermehr-
ter Gelenkflüssigkeit? Ausgehend von der Grenzschicht der Synovialmembran zu
Gelenkkapsel, Band oder Sehne sammelt sich die muköse Flüssigkeit in einer ge-
kammerten Zyste.
316 9  Obere Extremität  

Klinik und Diagnostik


• Sehr unterschiedlich, von Beschwerdefreiheit bis zu heftigsten Schmerzen,
v. a. bei dorsalen Handgelenksganglien bei Extension im Handgelenk (Auf-
stützen) und Belastung. Ausstrahlung nach prox., Griffschwäche.
• Bei Ringbandganglien besonders DS beim festen Zugreifen. Evtl. Dys- und
Hypästhesien bei Druck auf Nerv (bei Nervenkompressionen auch an Gangli-
en denken).
• Pralle, mehr oder minder große Vorwölbung am Handgelenk.
– Am häufigsten dorsal über dem skapholunären Band, wölbt sich bei Beu-
gung im Handgelenk gut vor → Vergleich mit Gegenseite.
– Palmar von Bändern zwischen Skaphoid und Trapezium ausgehend, um-
schließt gel. die A. radialis; radial-palmare Ganglien oft bei Arthrose von
Skaphoid, Trapezium und Trapezoideum (STT-Arthrose).
– Selten ulnopalmar → evtl. Kompression des N. ulnaris.
• Ringbandganglien sitzen fest auf dem 1. Ringband, Haut darüber gut ver-
schieblich.
• Handgelenksschmerzen durch winzige Ganglien, die nicht sicht- und tastbar
sind = okkulte Ganglien, umschriebener DS über der SL-Bandverbindung, ty-
pischer Aufstützschmerz. MRT empfohlen, Betäubung N. interosseus posteri-
or 3 cm prox. von Tuberculum listeri und 1 cm ulnar Injektion von Lokalan-
ästhetikum (ca. 5 ml), Beschwerdereduzierung spricht für Ganglion.
• Bei Arthrose besonders der Fingerendgelenke bilden sich zusätzlich zu den
Osteophyten dorsal Mukoidzysten, die die Haut perforieren können (Infekti-
onsgefahr mit Empyem).
• Rö: Handgelenk in 2 Eb und Lastaufnahme (skapholunärer Spalt?) z. A. eines
intraossären Ganglions, einer Arthrose, einer Lunatumnekrose oder knöcher-
ner Veränderungen.
• MRT bei unklarem Befund.
• DD: Synovialitis bei Arthrose, Tenosynovialitis bei RA.
Therapie
Konservative Therapie
Aufklärung: Pat. über Gutartigkeit des Tumors aufklären. 30 % der dorsalen
Handgelenksganglien verschwinden spontan.
Sonstige Maßnahmen: Ruhigstellung auf Schiene nur vorübergehend bei sehr
starken Schmerzen. Punktion des Ganglions unter sterilen Bedingungen (Rezidiv-
risiko!).
Operative Therapie
Offene Resektion: Plexusanästhesie oder Vollnarkose. Blutleere, Lupenbrillen-
vergrößerung. Palmar: Längs verlaufender Schnitt zur besseren Darstellung der A.
radialis. Sensible Nervenäste unbedingt schonen. Dorsal: Hautschnitt möglichst
quer in Hautfalte über Skaphoid und Lunatum in Höhe der Radiuskante. Längsin-
zision des Retinakulums an dessen distalem Rand zwischen 3. und 4. Streckseh-
nenfach. Quere Inzision der Handgelenkkapsel ca. 1 mm distal der Radiuskante in
9 Höhe Skaphoid/Lunatum. Dann Darstellung des Ganglionursprungs (Ganglien-
stiel, entspringt meist auf Höhe skapholunäres Band). Resektion. Handgelenkkap-
sel offen lassen. Naht des Retinakulums, Öffnung der Blutsperre und Blutstillung.
Hautnaht. Verband. Schienenbehandlung für max. 10 d.
Arthroskopische Resektion: Nur bei großen dorsalen Ganglion. Entfernen des
Ganglions mit Shaver, dabei Resektion der dorsalen Handgelenkkapsel in Höhe
  9.3 Hand  317

der SL-Bandverbindung distal mit dem Stiel des Ganglions. Der Gangliensack
wird ausgedrückt, aber belassen. Gefahr der Strecksehnenverletzung.
Radiopalmares Ganglion: Sorgfältige Darstellung der A. radialis distal und prox.
Dann Präparation des Ganglions bis auf die Gelenkkapsel, die mit dem Gangli-
onstiel exzidiert wird.
Ringbandganglien: Entweder querer Hautschnitt über dem Ganglion in Beuge-
furche oder (Mini)-Bruner-Inzision. Darstellung des Ganglions nach Gefäß- und
Nervenpräperation, Resektion des Ganglions
Mukoidzysten: Spindelförmige Inzision über der Mukoidzyste dorsal am Endge-
lenk unter Schonung der Nagelmatrix, Präparation und Entfernung mitsamt eines
kleinen Gelenkkapselanteils bzw. Stiels seitl. und unterhalb des Strecksehnenan-
satzes. Bei größeren, perforierenden Zysten ggf. plastische Deckung, z. B. Rotati-
onslappenplastik.
KO: Verletzung von Hautnerven oder der A. radialis bei palmarem Handgelenks-
ganglion.

Prognose
Auch bei sorgfältiger OP Rezidiv möglich. Aufklärung.

9.3.8 Infektionen
Definition
Die meisten Infekte der Hand befallen den Nagelbereich bzw. das Fingerendglied.

Einteilung
• Panaritien: Subkutane Eiterherde an der Beugeseite des Fingerendglieds
(▶ Abb.  9.22).
• Paronychie: Infekte im Bereich des Nagelwalls.
• Schwielenabszess: Infekt im Zwischenfingerraum.
• Sehnenscheidenphlegmone: Infekt der Beugesehnenscheide.
• V-Phlegmone: Fortschreitender Infekt in Sehnenscheiden ausgehend vom
Daumen oder Kleinfinger, die miteinander im Paronaraum (distaler UA) ver-
bunden sein können (sehr selten).

Abb.  9.22  Infektionen des Fingers [L106]


318 9  Obere Extremität  

Ätiologie
Meist Staphylokokkeninfekte, seltener Streptokokken, Mischinfekte als sekundäre
Infektionen. Gel. Viren (Herpes), selten Pilze oder Tbc. Kleine Infekte können
rasch in die Spalträume einbrechen und sich ausbreiten (z. B. Panaritium in die
Sehnenscheide).

Klinik
• Rasch zunehmende, meist pochende Schmerzen; evtl. starker, umschriebener
DS → mit Knopfsonde Infektzentrum austasten.
• Rötung und Schwellung, evtl. subkutaner Abszess mit Fluktuation. Ausbrei-
tung in vorgegebenen Spalträumen oder entlang der Sehnenscheiden.
• Lymphangitis oder -adenitis, Fieber, Schüttelfrost.
• Sehnenscheidenbefall: Finger in gebeugter Stellung. Passive Streckung sehr
schmerzhaft (Kanavel-Zeichen).
• Thenarbefall: Daumen steht stark abduziert.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Labor: BSG, CRP, BB. Werte manchmal noch im Normalbereich!
• Rö: Hand p. a. und schräg bzw. Finger p. a. und seitl. → Ausschluss Osteitis,
Fremdkörper.
• MRT: Bei chron. unklarem Infekt.
• DD: Tumor, Synovialitis.
Therapie
Konservative Therapie
• Nur bei nicht sehr ausgedehntem Paronychien: Tgl. mehrmalige Fingerbäder
in warmem Wasser (Kamille, Ichtyol®, Seife) bis zur spontanen Öffnung des
Abszesses und zur Abheilung.
• Bei phlegmonöser Rötung: Ruhigstellung auf Schiene, kühlende und desinfi-
zierende Verbände (z. B. Alkohol, Antibiotikum) bei Erw. z. B. Cephaclor 3 ×
500 mg/d p. o. (z. B. Panoral®) oder Cephalexin 3 × 500–1.000 mg/d p. o. (z. B.
Cephalex von ct®).
Operative Therapie
Ind.: Bei allen Eiteransammlungen zur Entlastung und Säuberung der Wunde.
Alle Biss- und tiefer reichenden Kratzverletzungen besonders mit Gelenk- oder
Sehnenbeteiligung.
Grundsätze: Oberstanästhesie bei Paronychien (▶ 2.3.3), Leitungsanästhesie oder
axilläre Plexusanästhesie (▶  2.3.6) bzw. Allgemeinnarkose bei proximaleren In-
fekten; Blutsperre (nicht auswickeln → Keimverschleppung). Ausreichend große
Inzision nach handchirurgischen Regeln (▶ Abb.  9.20). Evtl. Drainage oder Spü-
lung, Abstrich, Antibiotikum wie Cephalexin 3 × 1.000 mg/d (z. B. Cephalex von
ct®). Ruhigstellung auf Schiene.
Bissverletzung: Inzision, ggf. auch Gelenkeröffnung, gründlich spülen, locker ad-
aptierende Hautnähte, Antibiotikum (z. B. Augmentan®).
9 Paronychie: Möglichst keine Inzision des Eponychiums (Narbenbildung, da offe-
ne Wundheilung). Eingehen vom Nagelrand, Wall abheben, Nagel bei etwas aus-
gedehnteren Infekten evtl. seitl. vom Bett lösen und mit der Schere 3 mm resezie-
ren. Dies kann auch bilateral geschehen. Immer versuchen, den Nagel so weit wie
möglich zu erhalten. Einlegen einer Salbengazedrainage, desinfizierender Salben-
  9.3 Hand  319

verband. Schiene, mehrmals tgl. Bäder in Desinfektions- oder Seifenwasser, häufi-


ge Kontrollen.
Panaritium: Seitl. Inzision ca. 5 mm vom Nagelwall parallel dazu. Durchtrennung
der Septen (11er Messer) bis kurz vor Gegenseite, keine Verletzung der Beugeseh-
ne, Abstrich, Spülung, ggf. Hautnaht locker adaptierend, Antibiotikum.
Infekt am Mittel- oder Grundglied: Typisch bei axialem Stauchungsschmerz, In-
zision dorsal., Inspektion der Sehnenscheide. Eröffnung Gelenk von dorsal, Ab-
strich, Inspektion Knorpel. Wenn Knorpel intakt, Spülung, Gentamycin-
schwammeinlage, Fixateur externe, Schiene, Antibiotikum (knochengängig!). Bei
Knorpelschädigung Gelenkresektion, Einsendung Histologie mit Fragestellung
„Osteitis“, PMMA-Ketteneinlage, Fixateur externe, im Verlauf Arthrodese.
Sehnenscheidenphlegmone: Eröffnung der Sehnenscheide und Spülung über
Eintrittspforte, bei zusätzlichem DS Höhe A1-Ringband, Bruner-Inzision Grund-
gelenk mit Eröffnung A1-Ringband und Sehnenscheide, Abstrichentnahme und
ausgiebige Spülung der Sehnenscheide von prox. nach distal. Lockere Hautnähte,
ggf. Second Look nach 1–2 d, zusätzlich Antibiotikum (z. B. Cefuroxim 3 × 1,5 g).
Bewegungsübungen frühzeitig.
NB: Möglichst alle Finger- und Handgelenke rasch mobilisieren, bis auf Gelenke
mit Fixateuranlage. Antibiotische parenterale oder orale Ther. nach Antibio-
gramm. Evtl. Sekundäreingriffe (z. B. Hautdeckung, Tenolyse) notwendig.
KO: Bei nicht rechtzeitiger Intervention Verlust der Hand- oder Fingerfunktion,
evtl. Amputation. Bei Ausbreitung des Infekts sogar Lebensgefahr.

9.3.9 Karpaltunnelsyndrom
Definition
Einengung des N. medianus im Karpalkanal verbunden mit Sensibilitätsstörung,
Missempfinden und Schmerzen der von ihm versorgten Finger (Daumen, Zeige-
und Mittelfinger sowie radiale Hälfte des Ringfingers, gel. Variationen) sowie
Kraftverlust. M : F = 1 : 2, Altersgipfel bei F 50.–60. Lj.

Ätiologie
• N. medianus, der mit den Beugesehnen durch den Karpaltunnel zieht, wird
unter dem Retinaculum flexorum komprimiert.
• Ursachen: Zu 90 % idiopathisch. Tenosynovialitis bei Rheumatikern, in
Fehlstellung verheilte dist. Radiusfraktur, perilunäre Luxation, Tumor, hor-
monelle Veränderungen (Schwangerschaft, Myxödem, Hyperthyreose),
Hämodialyse.

Klinik
• Zunächst leichte Kribbelparästhesie und Hypästhesie der Fingerspitzen, evtl.
nur des Zeige- oder Mittelfingers; Zunahme der Beschwerden beim Radfah-
ren, Halten des Telefonhörers oder eines Buchs usw. Kleine Gegenstände
können nicht mehr sicher gegriffen werden.
• Später nächtliche Parästhesien; Pat. wacht auf, muss sich Hände reiben oder
ausschütteln, damit Schmerzen nachlassen. Gegenstände fallen aus der Hand 9
→ Kraftlosigkeit, Gefühlsstörung. Schmerzen ausstrahlend in Handgelenk,
UA und Ellenbogen, gel. auch bis in Schulter.
• Ggf. Schäden der vom N. medianus innervierten Daumenballenmuskulatur
(Mm. opponens, abductor pollicis brevis und flexor pollicis brevis, caput su-
perficialis sowie Mm. lumbricales I–II).
320 9  Obere Extremität  

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Klin. Untersuchung:
– Hoffmann-Tinel-Zeichen: Klopfschmerz und Parästhesien bei Perkussion
des N. medianus am Handgelenk.
– Karpal-Kompressionstest: 30  s Kompression des N. medianus im Karpal-
tunnel mit beiden Daumen → Schmerzen, Parästhesien.
– Phalen-Test: Bei max. Flexion im Handgelenk nach ca. 1 Min. zunehmen-
de Parästhesien.
– Flaschen-Test: Flasche kann mit betroffener Hand nicht richtig umfasst
werden, da Daumen nicht weit genug abgespreizt werden kann → Schwä-
che und Ausfall des vom Thenarast versorgten M. abductor pollicis brevis.
– Palpation der Thenarmuskulatur mit Vergleich der Gegenseite: Daumen-
ballen weicher, später auch Atrophie besonders am radialen Rand. Grobe
Kraft herabgesetzt.
• Rö: Bei eindeutigem Befund nicht nötig, sonst Handgelenk p. a. und seitl. sowie
bei besonderen Fragestellungen, z. B. Ausschluss knöcherner Einengungen
nach Frakturen oder Luxationen im Handgelenk → Karpaltunnelaufnahme.
• Elektrophysiologie:
– Verlängerte NLG, evtl. EMG (Grenzwerte: dist. motorische Latenz: 4,2 ms,
sensible Leitgeschwindigkeit 40 ms).
! Präop. neurol. Untersuchung mit elektrophysiol. Befund aus forensischen
Gründen und zur Überprüfung des postop. Behandlungsergebnisses not-
wendig.
• DD: Medianuskompression am dist. OA oder im Bereich des M. pronator te-
res (Pronator-teres-Sy.), C6- oder C7-Symptomatik bei NPP. Thoracic-Out-
let-Sy.

Therapie
Konservative Therapie
• Ruhigstellung des Handgelenks nachts auf Schiene in Neutralstellung (→ star-
ke Einschränkung des Pat., Erfolg nur, solange Schiene getragen wird).
• Kortisoninfiltration in den Karpalkanal.
– Technik: Feine Nadel, Punktion in Höhe der Handgelenkbeugefalte, ulnar
der Palmaris-longus-Sehne. Inj. unter ständigem Stempeldruck → bei
Nachlassen des Widerstands liegt die Kanüle im Karpalkanal. Bei Paräs-
thesien Nadel sofort zurückziehen. Erfolg meist nicht dauerhaft. Falls Re-
zidiv, Injektion wiederholen oder OP.
! Verletzung des N. medianus → Neurombildung.
Operative Therapie
Retinakulumspaltung: In axillärer Plexus- oder Lokalanästhesie, Blutleere! Lu-
penvergrößerung. Operateur sitzt an ulnarer Handseite. Ca. 3 cm lange Inzision
im Verlauf des 3.–4. Strahls bis knapp zur Handgelenksbeugefurche. Durchtren-
nung der Palmarfaszie und Darstellung des Retinakulums, das von prox. nach
dist. weit ulnar, entlang des Ansatzes am Hamulus ossis hamati vollständig ge-
9 spalten wird. Anheben des radialen Rands des Retinakulums und vorsichtiges Ab-
lösen des Nervs (cave: Frühzeitig oder ulnar abgehender Thenarast). Hautnaht
und Verband.
Endoskopische Retinakulumspaltung: Im Wesentlichen 2 Verfahren: OP nach
Chow als Technik mit 2 Zugängen dist. und prox. in Hohlhand sowie Einportal-
technik nach Agee mit Inzision am dist. UA → relativ hoher apparativer Aufwand,
  9.3 Hand  321

teuer, in Lernphase KO häufiger möglich, postop. ggf. schnellere Rehabilitation,


langfristig kein wesentlicher Unterschied zur offenen Retinakulumspaltung.
NB: Hochlagern. Sofort Bewegungsübungen. Allmählich zunehmende Belastung
der Hand, abhängig von Wundschmerzen, schwere manuelle Tätigkeit meist
nicht vor 3 Wo. postop. möglich.

Prognose
Subjektive Besserung in über 90 % der Fälle (häufig sofortige Schmerzfreiheit). Ei-
ne Besserung der Sensibilitätsstörung bzw. der Thenaratrophie dauert oft länger
oder stellt sich bei ausgeprägtem Nervenschaden nicht wieder ein.

9.3.10 Lunatumnekrose (Morbus Kienböck)


Definition
Aseptische Knochennekrose des Mondbeins, das im weiteren Verlauf zusammen-
brechen und über Jahre zu einer zunehmenden Handgelenksarthrose führen
kann. M : F = 1 : 4, Altersgipfel 20.–30. Lj.

Ätiologie
Ungeklärte Durchblutungsstörung, wahrscheinlich multifaktorielle Genese. Mi-
nusvariante der Ulna, Abflachung der Radiusinklination, arterielle Versorgung,
venöse Stauung, akutes Trauma, chronisch-repetitives Trauma.

Einteilung
Radiologische Stadieneinteilung nach Lichtmann:
• Stadium I: Normales Rö-Bild, Knochenmarködem im MRT.
• Stadium II: Fleckig sklerosiert, zystoid durchsetzt.
• Stadium III: Lunatum gesintert, beginnender karpaler Kollaps. Unterteilt in
– IIIA: Proximal frakturiert, keine fixierte Fehlstellung des Skaphoids, Kine-
matik des Handgelenks erhalten
– IIIB: Progredient frakturiert, fixierte Rotationsfehlstellung des Skaphoids
(Ringzeichen im Rö durch Flexionsstellung des Skaphoids; ▶ Abb.  9.23)
– IIIC: Koronare Lunatumfraktur (schlechte Prognose).
• Stadium IV: Stark sklerotisch, perilunäre Arthrose.
Klinik
• Belastungs- und auch Ruheschmerz schon im Anfangsstadium im Handge-
lenk dorsal, allmähliche Zunahme. Umschriebener DS über dem Lunatum.
• Befund: Anfänglich äußerlich unauffällig, Bewegungseinschränkung. Später
evtl. leichte Schwellung dorsal.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Handgelenk in 2 Eb., Stadieneinteilung s. o.
• Kontrastmittelverstärkes MRT: Früherkennung der Nekrose bei im Rö-Bild
noch nicht sichtbaren Veränderungen (Knochenmarködem).
• Dünnschicht-CT: Genauere Darstellung der knöchernen Umbauvorgänge und 9
der arthrotischen Veränderungen. Dadurch bessere Beurteilung der Stadien.
• Ggf. Arthroskopie zur Knorpelbeurteilung.
• DD: Ulnokarpales Impaktionsyndrom, intraossäres Ganglion, Bone Bruise,
Lunatumfraktur.
322 9  Obere Extremität  

Therapie
Stadien I, II und IIIA
Kons. Ther.: Ruhigstellung mehrere Wo. bei im Rö-Bild noch nicht sichtbaren Ver-
änderungen (Stadium I), regelmäßige, engmaschige Kontrollen. MRT-Kontrolle.
Radiusverkürzungsosteotomie bei Ulna-Minus-Situation: Kürzung des Radius
auf das Niveau der Ulna. Durch die dadurch hervorgerufene Druckentlastung soll
sich die Durchblutung des Mondbeins bessern. Entlastung des Handgelenks über
Mon., jedoch keine Ruhigstellung (▶ 20.1.16), bis sich Rö-Befund normalisiert.
Andere Maßnahmen bei Ulna-Neutral- oder -Plus-Situation: Keilosteotomie
des Radius oder Revaskularisierung mit temporärer Entlastung (z. B. vaskulari-
sierter Radiusspan):
Stadium IIIB
Arthrodese: Zwischen Skaphoid, Trapezium, Trapezoideum (STT-Arthrodese)
oder zwischen Skaphoid und Capitatum (SC-Arthrodese): Dabei wird das Kahn-
bein aufgerichtet, es nimmt den Druck im Handgelenk auf und entlastet das
Mondbein.
PRC (Proximal Row Carpectomy): Entfernung der prox. Handwurzelreihe
(Skaphoid, Lunatum, Triquetrum), dadurch rutscht der Kapitatumkopf in die
Fossa lunata und bildet so das neue Radiokarpalgelenk.
Stadium IV
Denervierung. Arthrodese des Handgelenks. Ggf. individuelle bewegungserhal-
tende Operation.

Prognose
Behandlung problematisch (daher viele verschiedene OP-Verfahren). Schmerzbe-
seitigung meist durch alle OPs möglich, Remissionen nur im Stadium I und II
möglich. Unbehandelt führt die Erkr. häufig zum Zusammenbruch des Mond-
beins und zum karpalen Kollaps und damit zur Arthrose des Handgelenks.

9.3.11 Rhizarthrose
Definition
Arthrose des Daumensattelgelenks (Karpometakarpalgelenk = CMC-I-Gelenk).

Ätiologie
Primär (häufiger): Bes. bei F nach der Menopause, oft gleichzeitig arthrotische
Veränderungen anderer Gelenke der Hand, durch Lockerung des Kapsel-Band-
Apparats dorsoradiale Subluxation des Mittelhandknochens I mit zunehmender
Parallelstellung zum Mittelhandknochen II (Forestier-Zeichen).
Sekundär: Nach intraartikulärer Basisfraktur MC I (Bennett- oder Rolando-Frak-
tur; ▶ 9.3.3).

Klinik
9 • Anfänglich nur belastungsabhängige Schmerzen im CMC-I-Gelenk bes. beim
Zufassen mit Opposition des Daumens (Auswringen von Wäsche, Schlüssel-
drehen), lokaler DS. Später zunehmende Beschwerden teils auch in Ruhe.
Schmerzausstrahlung nach dist. und prox.
• Befund: Subluxation des Mittelhandknochen I mit Vorwölbung der Basis ra-
dial, gel. Kapselschwellung, Bewegungseinschränkung im CMC-I-Gelenk mit
  9.3 Hand  323

Add.-Kontraktur des Mittelhandknochen I. Dadurch kompensatorische


Überstreckung des Daumengrundgelenks. Krepitation bes. bei Druck auf die
MC-Basis und axialem Druck mit Rotation auf das Sattelgelenks. Rö-Bild
korreliert gel. nicht mit klin. Befund.
• Rö: Handgelenk in 2 Eb. nicht ausreichend, zusätzlich Aufnahme in 45° Hy-
perpronation der Hand (Kapandji-Aufnahme). Klassifikation nach Eaton und
Littler: 1. Gelenkspalterweiterung durch Erguss. 2. Gelenkspaltverschmäle-
rung und Osteopyhten (≤ 2 mm). 3. Sklerosierung, Zystenbildung und Osteo-
phyten (≥ 2 mm). 4. Peritrapezialarthrose.
• DD: Isolierte Arthrose zwischen Skaphoid und Trapezium/Trapezoideum
(STT-Arthrose), Skaphoidpseudarthrose u. a. Veränderungen der Karpalia,
Tendovaginitis de Quervain.

Therapie
Konservative Therapie
Antiphlogistika, ggf. Kortikoidinfiltration (effektiver ist Hyaloronsäure) des
CMC-I-Gelenks (cave: Punktion A. radialis). Manualther., Orthese oder Schiene
zur Ruhigstellung des Gelenks.
Operative Therapie
Denervierung nach Lorea: Reine Schmerzausschaltung, keine Behandlung der
Arthrose, teilweise sinnvoll im Frühstadium.
Arthroskopie und Synoviektomie Daumensattelgelenk: Teilweise sinnvoll im
Frühstadium.
Korrekturosteotomie nach Wilson: Im Frühstadium möglich, durch die Extensi-
onskorrektur um ca. 30° im Basisbereich des MHK I erfolgt eine Änderung der
belasteten Flächen im Daumensattelgelenk, dadurch Schmerzreduktion und Ver-
zögerung des Arthroseprozesses.
Alleinige Trapeziumresektion: Vorteil: Relativ einfacher Eingriff, Mobilität er-
halten. Nachteil: Ggf. Verkürzung des Daumenstrahls, reduzierte Kraft, nach ver-
gleichenden Studien aber langfristig kein Unterschied zu aufwendigeren Fesse-
lungsverfahren.
Trapeziumresektion und Interposition: Eigenes Sehnengewebe (aufgerollte Pal-
maris-longus- bzw. FCR-Sehne): Vorteil: Gute Beweglichkeit, geringere Verkürzung
als ohne Interponat. Nachteil: Zusätzliche Sehnenentnahme, leichte Kraftminde-
rung.
Trapeziumresektion und Suspension der MC-I-Basis: Verwendung eines Strei-
fens der FCR- oder Extensor-carpi-radialis-longus-Sehne. Vorteil: Gute Beweg-
lichkeit, kaum Verkürzung, gute Kraft. Nachteil: Sehnenentnahme.
Arthrodese des Sattelgelenks: Vorteil: Gute Stabilität und Kraft bes. bei Spitz-
und Schlüsselgriff. Nachteil: Starke Bewegungseinschränkung des Daumens, evtl.
nachfolgende Arthrose zwischen Trapezium und Skaphoid. Verzögerte, langwie-
rige knöcherne Durchbauung bzw. Pseudarthrose. Ind. v. a. bei jüngeren, männli-
chen Pat. mit manueller Tätigkeit, wird aber nur sehr selten durchgeführt, Revisi-
on durch Trapeziektomie prinzipiell möglich.
9
9.3.12 Skaphoidfraktur
Definition
Häufigste Handwurzelfraktur (ca. 50 %). M : F = 6 : 1.
324 9  Obere Extremität  

Einteilung
• Lokalisation: Frakturen im prox., mittleren und dist. Drittel.
• Frakturformen: Horizontal-, Schräg- und Vertikalfrakturen. Je steiler die
Frakturlinie, umso instabiler ist der Bruch aufgrund der auf ihn einwirkenden
Scherkräfte. Instabilität durch zusätzliche Bandverletzung (z. B. palmarer
Bandapparat).

Ätiologie
Überstreckung mit Verdrehung des Handgelenks, meist durch Sturz auf das
Handgelenk oder passiv z. B. durch Anprall eines Balls (typisch beim Fußball).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Schmerzen bes. radial im Handgelenk.
• DS über Tabatière, Stauchungsschmerz des Daumens. Schmerzhaft einge-
schränkte Handgelenksbeweglichkeit.
• Schwellung v. a. radialseitig, verstrichene Tabatière.
• Rö: Handgelenk p. a. und seitl., Kahnbeinspezialaufnahmen (▶ 6.1.6). Dünn-
schicht-CT (Schichten parallel zur Längsachse des Skaphoids), damit sichers-
te Aussagen über das Vorhandensein einer Fraktur und das Ausmaß der Dis-
lokation, evtl. MRT bei neg. CT.
• Herbert-Klassifikation der Skaphoidfraktur: A1: Tuberculum. A2: Undislo-
zierte Fraktur mittleres oder distales Drittel. B1: Lange Schrägfraktur. B2:
Dislozierte oder klaffende Querfraktur. B3: Im proximalen Drittel. B4: Trans-
skaphoidale perilunäre Luxationsfraktur.
• DD: Distorsion des Kapsel-Band-Apparats. Bandrupturen → Lücke zwischen
Skaphoid und Lunatum („Terry-Thomas“-Zeichen; ▶ Abb.  9.23), Verkippung
des Lunatums im Seitbild, Luxationen oder Luxationsfrakturen der Hand-
wurzelknochen (perilunäre Luxation).

Abb.  9.23  Skaphoulnäre Bandruptur [L190]

9 Therapie
Konservative Therapie
• Ind.: Stabile, nicht verschobene Frakturen (A1- und A2-Frakturen nach Her-
bert). Wenn kons. Ther., CT dringend empfohlen, da Dislokation häufig erst
im CT auffällig.
  9.3 Hand  325

• Ruhigstellung im UA-Gips mit Einschluss des Daumengrundglieds, Daumen


in Opposition zur Hohlhand, Langfinger bis zur prox. Grundgelenksbeuge-
furche frei. Ruhigstellung 5 Wo.
• Rö-Kontrolle nach 5 Wo.
• Alternativ OP bei A2-Fraktur, dadurch schnellere Mobilisation.
Operative Therapie
Stabile, nicht eingestauchte oder verschobene Brüche:
• Fraktur Skaphoid im mittleren Drittel: Perkutane Verschraubung mit kanü­
lierter Doppelgewindeschraube. Nach kleiner Stichinzision palmar, Eindre-
hen eines 1 mm dicken KD von dist. nach prox. unter exakter BV-Kontrolle
ins Skaphoid. Bei regelrechter Lage des Drahts Schraubenlänge bestimmen,
kanülierte Doppelgewindeschraube über dem Draht eindrehen und somit
Fraktur komprimieren. Kontrolle der Schraubenlage im Bildwandler.
• Bei proximalen Frakturen: Zugang von dorsal. Meist offenes Verfahren mit
Darstellung der Fraktur und Einbringung einer Mini-Herbertschraube.
Instabile, d. h. verschobene oder eingestauchte Brüche: Offene Reposition und
Fixation mit Doppelgewindeschraube, ggf. KD (▶ 9.3.13). OP-Technik (▶ 9.3.13),
ggf. Aufrichtung der Fraktur mit Knochenspan. NB: Mit Schraube bei einfachen,
stabil versorgten Brüchen frühe Mobilisation möglich. Bei zusätzlicher Bandver-
letzung: Bandnaht und temporäre, interkarpale Arthrodese (▶ 9.3.10).
Fehler und Gefahren: Nichtheilung der Fraktur, evtl. Osteonekrose eines Teils
oder des gesamten Kahnbeins. Übersehene Begleitverletzung (z. B. Bandläsion).
Fehlerhafte Lage der Schraube.

Prognose
Gut, bei frühzeitiger Diagnose und entsprechender (kons./operativer) Ther.

9.3.13 Skaphoidpseudarthrose
Definition
Nicht ausgeheilte Fraktur des Skaphoids, Fragmente nicht oder nur bindegewebig
miteinander verbunden.

Einteilung, Verlauf
Stadieneinteilung:
• Stadium 1: Resorptionszone parallel zum Frakturspalt.
• Stadium 2: Resorptionszysten (zystoide Einschlüsse in beiden Anteilen).
A: Stabil. B: Instabil.
• Stadium 3: Abdeckelung (sklerosierter Pseudarthrosenspalt). A: Stabil. B: In-
stabil.
• Stadium 4: Karpale Arthrose (stadienhafter Verlauf, SNAC-Wrist [Scaphoid
Non-Union Advanced Collapse]).

Ätiologie
Meist übersehene und somit nicht therapierte Skaphoidfraktur (typisch bei Fuß- 9
ballern). Schlechte Durchblutung bei kleinem prox. Fragment. Dislokation und
Instabilität der Fragmente.
326 9  Obere Extremität  

Klinik und Diagnostik


• Klin. Untersuchung:
– Gel. symptomlos (Zufallsbefund). Meist starke, zunehmende, belastungs-
abhängige Schmerzen dorsal und palmar über Skaphoid, besonders je-
doch in Tabatière.
– Druck- und Bewegungsschmerz.
– Schwellung bes. dorsal und in der Tabatière.
– Vor allem Extension im Handgelenk eingeschränkt.
• Apparative Diagn.:
– Rö: P.  a. und seitl. in Neutralstellung des Handgelenks. Kahnbeinspezial-
aufnahmen (▶ 6.1.6). Auch auf Lücke zwischen Kahn- und Mondbein in
p. a. Aufnahme sowie Verkippung des Mondbeins und Skaphoids nach
dorsal oder palmar im seitl. Bild achten → Instabilität der prox. Reihe =
DISI-(„Dorsal Intercalated Segment Instability“-)Instabilität.
– Sehr gute Darstellung der Pseudarthrose durch Dünnschicht-CT sagittal
zur Längsachse Skaphoid.
– MRT (Pseudarthrosenachweis, Vitalitätsbeurteilung der Fragmente bei
prox. Lokalisation).
– Fragmente stabil oder verkippt und rotiert, zystische Veränderungen im
Skaphoid, kleines prox. Fragment, evtl. verdichtet (nekrotisch)?
• DD: Rhizarthrose oder Arthrose zwischen Skaphoid – Trapezium – Trapezoi-
deum; Morbus Preiser (avaskuläre Skaphoidnekrose), alte skapholunäre Dis-
soziation mit Arthrose (SLAC-Wrist = Scapholunate Advanced Collapse).

Konservative Therapie
Nicht Erfolg versprechend. Bei Inoperabilität ggf. Handgelenksorthese.

Operative Therapie
Allgemein: Ausheilung der Pseudarthrose durch Stabilisierung der Fragmente
mit Spanplastik, evtl. Aufrichtung der eingestauchten Fragmente durch Interposi-
tion eines Knochenkeils (um Länge des Kahnbeins wiederherzustellen). Schrau-
benfixierung, ggf. KD, sehr selten winkelstabile Plattenosteosynthese.
Fortgeschrittene Arthrose: Mediokarpale Teilarthrodese (Interkarpale Arthrode-
se zwischen Lunatum, Kapitatum, Hamatum und Triquetrum mit Entfernung des
Skaphoids oder nur Arthrodese zwischen Lunatum und Kapitatum mit Entfer-
nung des Skaphoids), Resektion der prox. Handwurzelreihe (PRC = Proximal
Row Carpectomie), Denervierung des Handgelenkes (Arthrose schreitet fort!)
oder Arthrodese des gesamten Handgelenks.
Indikationen und Vorgehen
• Pseudarthrose mittleres Drittel: Palmarer Zugang, Débridement Pseudarthro-
se bis vitaler Knochen sichtbar, Radius- oder Beckenkammspan und Schrau-
benosteosynthese (Herbert-Schraube, kanülierte Doppelgewindeschraube).
• Pseudarthrosen mit kleinem, prox. Fragment mit suffizienter Durchblutung:
Zugang von dorsal, Débridement Pseudarthrose, meist Spongiosaplastik aus-
reichend, Mini-Herbert-Schraube.
9 • Alternativ zu den genannten OP-Verfahren: Revaskularisierung mit gefäßge-
stieltem Span von dorsal aus distalem Radiusende, insbesondere bei prox.
Pseudarthrose mit insuffizienter Durchblutung (Zaidemberg-Span).
• Pseudarthrosen mit leichten deg. Veränderungen Radiokarpalgelenk: Zusätz-
lich zur Stabilisierung der Pseudarthrose Abtragung des Proc. styloideus ra-
  9.3 Hand  327

dii. Denervierung des Handgelenks (Durchtrennung des Nn. interossei dor-


salis und anterior am dorsalen, distalen Unterarm nach Berger; ▶ 9.2.7).
• Pseudarthrosen mit schweren deg. Veränderungen: Interkarpale Arthrodese
(s. o.) oder Resektion der gesamten prox. Handwurzelreihe (Proximal Row
Carpectomie). Das Kapitatum artikuliert dann direkt mit dem lunären Teil
der Radiusgelenkfläche. Selten komplette Handgelenkarthrodese notwendig.
• Bei Revisionseingriffen, Humpback-Deformität (Flexionsdefomität Skaphoid)
oder avaskulärem prox. Fragment ggf. freie Transplantation einer Femurkon-
dyle zur Aufrichtung des Skaphoids oder zur Rekonstruktion des prox. An-
teils des Skaphoids.
• Risiken: Nichtheilung der Pseudarthrose.
Nachbehandlung
6 Wo. Ruhigstellung in UA-Gips mit Einschluss Grundgelenk Daumen, Grundge-
lenke der übrigen Finger frei, keine Belastung. Dann Röntgenkontrolle, ggf. Ver-
längerung der Ruhigstellung, im Verlauf CT bei fraglicher Konsolidierung.

Prognose
Je weiter prox. die Lokalisation der Pseudarthrose, desto schlechter die Aushei-
lungsrate. Bei persistierender Pseudarthrose mit Pat. nochmalige Revision oder
mediokarpale Pseudarthrose/Proximal Row Carpectomie besprechen.

9.3.14 Skidaumen
Definition
Ruptur des ulnaren Seitenbands des Daumengrundgelenks. Bei Nichtbehandlung
Gefahr der chron. Instabilität des MP-Gelenks, festes Zugreifen ist dann nicht
mehr möglich.

Ätiologie
Typische Skiverletzungen: Daumen bleibt beim Sturz am Griff des Stocks oder
in Schlaufe hängen und wird nach radial gedrückt oder direkter Sturz auf Dau-
men. Riss des Kollateral- und/oder akzessorischen Seitenbands entweder inter-
ligamentär, als basisnaher Abriss oder als knöcherner Ausriss meist distal. Da-
bei kann der prox. Bandrest auf Sehnenaponeurose des M. adductor pollicis
schlagen (= Stener-Läsion), sodass eine Annäherung der Bandstümpfe verhin-
dert wird und dadurch eine anatomische Ausheilung nicht möglich ist → chron.
Instabilität.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Druck-, Bewegungs- und Stressschmerz über MP-I-Gelenk ulnar. MP-I-Ge-
lenk bes. ulnar geschwollen und aufklappbar, häufig Hämatomverfärbung bei
frischen Verletzungen.
• Aufklappbarkeitspüfung bei Flexion im Grundgelenk von ca. 30°. Wenn Auf-
klappbarkeit ≥ 30°, Verdacht auf Ruptur, bei fehlendem Anschlag Ruptur
sehr wahrscheinlich. Immer Prüfung der Gegenseite zum Vergleich. 9
• Bei älteren Verletzungen: Entweder chron. Reizzustand mit Rötung, Schwel-
lung und Schmerzen und/oder ausgeprägte Instabilität.
• Rö: Daumen p. a., seitl. und schräg zum Ausschluss einer Fraktur oder eines
knöchernen Bandausrisses.
• DD: Entzündungen, prim. Arthrose.
328 9  Obere Extremität  

Therapie bei akuter Verletzung


Ind.: Entscheidung, ob kons. oder operative Ther. abhängig von Interposition der
Adduktoraponeurose zwischen den Bandanteilen. Hierfür gibt es jedoch kein si-
cheres diagn. Merkmal (fraglich Sono). Im Mittel werden 30° Aufklappbarkeit als
OP-Ind. angegeben, da dann eine Interposition angenommen wird. Disloziertes
Fragment soll offen refixiert werden. Nahtmöglichkeiten innerhalb von 6 Wo.
nach Unfall, bei nicht vernarbten Bandstümpfen evtl. auch später noch möglich.
Kons. Ther.: Ruhigstellung im Daumen-UA-Gips für 6 Wo., dann Mobilisation, ggf.
Umstellung auf spezielle Orthese mit freier Handgelenksbeweglichkeit und Ruhig-
stellung nur im Daumengrundgelenk, nach weiteren 2 Wo. zunehmende Belastung.
Operative Ther.: 3 cm langer, leicht bogenförmiger Schnitt über MP-I-Gelenk ul-
nar. Cave: Dorsaler Nervenast. Präparation der Aponeurose (man erkennt hier
das eingeschlagene Bandende). Durchtrennung der Aponeurose, da sonst der dist.
Bandrest oder Bandansatz nicht dargestellt werden kann. Bei interligamentären
Rissen: Exakte Adaptation und Naht des Kollateral- und evtl. akzessorischen
Bands (tief und weit palmar!) → z. B. PDS 4–0. Bei dist. Ausrissen gute Refixation
mit Mini-Anker. Große knöcherne Ausrisse können mit Schraube versorgt wer-
den. Öffnung der Blutsperre und Blutstillung, Naht der Kapsel, der Adduktorseh-
ne, Hautnaht, UA-Daumen-Schiene.

Therapie bei chronischer Instabilität


Bandplastik: Verschiedene Verfahren, die häufig mit Bewegungsverlust einherge-
hen. Bandersatz mit z. B. der Palmaris-longus-Sehne, die prox. durch ein Bohr-
loch ulnar am MC-Kopf und distal transossär durch die Basis der Grundphalanx
weit palmar gezogen wird. Bei Arthrose und chron. Schmerzen bzw. Fehlschlag
der Bandplastik: Arthrodese, da Stabilität für Funktion des Daumens entschei-
dend ist, Beweglichkeit im Grundgelenk zweitrangig.
NB: Gipsschiene für 6 Wo., dann vorsichtige Mobilisation aus der Schiene, die
noch zum Schutz vorübergehend getragen werden sollte.

Prognose
• Bei Bandnaht bei exakter Adaptation sehr gut.
• Bei Bandplastik evtl. Bewegungseinschränkung, fortbestehende Instabilität.

9.3.15 Syndaktylie
Definition
Fehlende komplette oder inkomplette Trennung zweier oder mehrerer Finger in
unterschiedlich starkem Ausmaß gel. mit weiteren Fehlbildungen, z. B. Polydakty-
lie, Spalthand. Eine der häufigsten Fehlbildungsformen an der Hand. Häufigkeit:
1 : 2.000 Geburten, M : F = 2 : 1.

Ätiologie
In der 6.–8. SSW bleibt die Trennung der Finger aus. In ca. 70 % sporadisches
Auftreten, sonst autosomal-dominanter Erbgang. Dritte Zwischenfingerfalte be-
9 vorzugt betroffen.

Einteilung
• Komplett: Bis zur Fingerspitze reichend.
• Inkomplett: Nur teilweise überbrückend.
  9.3 Hand  329

• Weichteilig: Finger durch Weichteilbrücke vereint.


• Ossär: Knöcherne Verbindung, meist nur des Endglieds.
• Balanciert: Ungefähr gleichlange Finger betroffen, z. B. Mittel- und Ringfinger
• Unbalanciert: Ungleichlange Finger betroffen, z. B. Daumen und Zeigefinger.
• Komplex: Vergesellschaftet mit weiteren Anomalien, hierbei treten häufig
auch komplizierte Veränderungen an Muskeln und Sehnen (z. B. dünne, fib-
röse Stränge), Gefäß-Nerven-Bahnen (z. B. weit dist. Teilung) sowie Knochen
und Gelenken (z. B. Ankylose) auf. Daher genaue klin. Beschreibung und Do-
kumentation der Beweglichkeit der einzelnen Gelenke.

Klinik und Diagnostik


• Kinder passen sich der Fehlbildung anfänglich gut an, später jedoch erheb­
liche Behinderung und psychischer Leidensdruck.
• Evtl. weitere Zunahme der Behinderung durch Fehlwachstum der miteinan-
der verbundenen Finger und damit zusätzliche Störung der Greiffunktion
(unbalancierte Syndaktylie).
• Rö: Beide Hände p. a. und schräg, evtl. Zielaufnahmen, um Anomalien besser
darzustellen. Fotodokumentation beider Hände dorsal und palmar sowie mit
gestreckten Fingern und Faustschluss.

Therapie
Ausschließlich operativ durch erfahrenen Operateur in kindlicher Handfehlbil-
dung. Je schwerer die Fehlbildung, desto früher die operative Trennung (meist
vor 2. Lj.).

9.3.16 Tendovaginitis de Quervain
Definition
Schmerzhafte Einengung und Stenose der im 1. Strecksehnenfach verlaufenden
Sehnen (M. abductor pollicis longus [APL] und M. extensor pollicis brevis [EPB]).
Häufig F im mittleren Alter oder jüngere F mit manueller Tätigkeit (Sekretärin-
nen) oder stillende Mütter betroffen, die ihr Kind auf dem Arm tragen (nach radi-
al abgewinkelte Hand, Sehnen werden längere Zeit an den dist. Retinakulumrand
gedrückt).

Ätiologie
Nicht geklärt. Vermutung: Durch übermäßige Beanspruchung oder Druck der
Strecksehnen gegen den Rand des Retinakulums hervorgerufene strukturelle Ver-
änderung mit Auftreibung der Sehnenfasern und Verdickung des Retinakulums.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Belastungs- und plötzlich einschießende, bewegungsabhängige Schmerzen im
1. Strecksehnenfach im Bereich des Proc. styloideus radii, z. B. bei festem Hal-
ten und Zugreifen. Ausstrahlung in Daumen und nach prox. in UA.
• DS. Mehr oder minder starke sicht- und tastbare Schwellung durch Reiz­ 9
erguss und Verdickung des Retinakulums, bei starker Ausprägung einge-
schränkte Beweglichkeit des Daumens evtl. sogar mit Knarren verbunden =
Tendovaginitis crepitans.
• Finkelstein-Zeichen: Beugung des Handgelenks ulnarwärts, Daumen in Faust
eingeschlossen → starke Schmerzen.
330 9  Obere Extremität  

• Rö: Meist unauffällig, gel. Verkalkungen im Retinakulum.


• DD: Rhizarthrose, STT-Arthrose, rheumatische Veränderungen am dist. Ra-
diusende.

Therapie
Konservative Therapie
• Ruhigstellung des Daumens im Gipsverband oder mit Manschette meist nur
anfänglich erfolgreich.
• Lokale Infiltration von Kortison in das 1. Strecksehnenfach. Besonders im
Anfangsstadium Erfolg versprechend.
Operative Therapie
Ind.: Bei erfolgloser kons. Ther., starker Auftreibung und ausgeprägten Schmer-
zen. Sehnen werden durch die Spaltung des Retinakulums dekomprimiert.
OP-Technik: OA-Blutsperre. Lupenbrille. Quere, ca. 2 cm lange Inzision direkt
über beiden Sehnen am Proc. styloideus radii. Stumpfe Präparation des Retinaku-
lums unter Schonung der im Schnittbereich verlaufenden Radialisäste. 1. Streck-
sehnenfach am dist. Rand weit palmar mit einem Messer inzidieren und mit der
Schere komplett nach prox. durchtrennen. Unbedingt Inspektion des Sehnen-
fachs der Sehne des M. extensor pollicis brevis → häufig akzessorisches Fach, hier
ebenfalls Einengung der darin verlaufenden Sehne möglich. Dieses muss auch
gespalten werden. Reposition von Sehnen und Retinakulum, Verband.
NB: Keine Schiene, rasche Mobilisation, Hand zunehmend belastbar.
KO: Wundheilungsstörung, Neurom bei Nervenverletzung. Narbige Verwach-
sungen des Nervs.

Prognose
Gut. „Rezidive“ ggf. durch übersehenes zusätzliches Strecksehnenfach verursacht.

9.3.17 Schnellender Finger bzw. Daumen


Definition
Plötzliches, teilweise schmerzhaftes Schnappen des Fingers bei Beugung und Stre-
ckung. Evtl. vollständige Beuge- oder Streckhemmung. Bei Kleinkindern Streck-
hemmung des Daumenendglieds = Pollex flexus congenitus.

Ätiologie
Durch Überlastung oder deg. Veränderung Anschwellen des Sehnengleitgewebes,
dann knotige Verdickung der Sehne in Höhe des ersten Ringbands → Knoten
kann nur mit Kraft durch den Ringbandkanal gezogen werden und führt zu einer
Stenosierung am prox. Rand des Bands.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Schmerzen bei Beugung und Streckung des Fingers in Höhe des MC-Kopfs,
9 hier auch DS.
• Plötzliches Schnappen des Fingers bei zunehmender Streckung im PIP oder IP-
Gelenk des Daumens. Reiben und knotige Verdickung über MC-Kopf tastbar.
• Symptomatik kann anfänglich noch wechselnd auftreten, gel. sind mehrere
Finger betroffen. Bei Kleinkindern fixierte Beugestellung des Daumenend-
glieds (Vergleich mit Gegenseite).
  9.3 Hand  331

• Rö: Nur im Zweifelsfall, da klin. Bild typisch.


• DD: Tenosynovialitis bei z. B. RA, Schnappen der Profundussehne im Chias-
ma tendineum, Strecksehnenluxation über MC-Kopf.

Therapie
Konservative Therapie
Vorsichtige Inj. eines Kortikoids an oder in die Beugesehnenscheide, dünnste Na-
del etwas prox. des MC-Kopfs flach über der Sehne vorschieben. Finger bewegen
lassen, wenn die Nadel sich bewegt, steckt sie in der Sehne. Dann Kanüle vorsich-
tig zurückziehen. Cave: Sehnenverletzung! Infiltration der Sehne vermeiden
(Ruptur!).
Operative Therapie
Ind.: Bei erfolgloser kons. Behandlung oder Rezidiv.
OP-Technik: Leitungsanästhesie des N. medianus bzw. ulnaris bzw. radialis im
Handgelenkbereich; Lupenbrille. Bei Kindern Maskennarkose. Blutleere (wird ca.
15 Min. ertragen).
• Finger II–V: Entweder quere Inzision in prox. bzw. dist. Hohlhandfurche
über der Sehne oder schräger Hautschnitt zwischen Grundgelenkfalte und
Hohlhandfurche (bessere Darstellung, Schnitt darf aber Beugefalten nicht
rechtwinklig überqueren). Stumpfe Präparation der Beugesehnen (cave: Par-
allel verlaufendes Gefäß-Nerven-Bündel radial und ulnar der Sehnenscheide).
Vorsichtige Längsinzision des Ringbands A1 mit dem Messer und komplette
Durchtrennung mit der Schere. Bei Synovialitis → Synovialektomie der Seh-
nen (mit Haken herausziehen). Anschließend testen, ob Finger frei bewegt
werden kann.
• Daumen: Quere Inzision in Grundgelenkbeugefalte. Stumpfe Präparation der
Sehnenscheide. Nervenäste laufen direkt neben der Sehne sehr oberflächlich,
Verletzungsgefahr! Lupenbrille. Dann vollständige Durchtrennung des Ring-
bands.
• Blutstillung, Hautnaht, Verband.
NB: Sofortige Mobilisation der Finger.
KO: Inkomplette Durchtrennung des Ringbands, Nervenverletzung.

9.3.18 Sehnenverletzungen
Beugesehnenverletzung
Definition
Glatte Schnittverletzung oder ausgedehnte Gewebszerreißung (z. B. Kreissäge) der
oberflächlichen und/oder tiefen Beugesehne (Ausnahme: Am Daumen nur eine
Sehne = M. flexor pollicis longus).
Einteilung
Einteilung der Verletzungshöhe in 5 Zonen, wobei Zone 2 der kritischste Bereich
ist (▶  Abb.  9.24). Beugesehnen verlaufen in osteofibrösen Kanälen → Verwach- 9
sungsgefahr. Selten geschlossener Ausriss der Profundussehne am Endglied (Rö!).
Bei Rheumatikern durch Tenosynovialitis Ruptur der Sehnen. Arrosion der FPL-
Sehnen bei Rhizarthrose oder STT-Arthrose durch Osteophyten.
332 9  Obere Extremität  

Klinik, Diagnostik und


Differenzialdiagnosen
• Funktionsprüfung: Gel. nur kleine
Hautverletzung sichtbar → sorgfäl-
tige Funktionsprüfung der ober-
flächlichen und tiefen Sehne! Test
bei Kindern schwierig → Beobach-
tung beim Spiel, Tenodese-Effekt
überprüfen, natürliche Sehnen-
spannung im Vergleich zur gesun-
den Gegenseite überprüfen. Kräfti-
ger Druck auf Muskelbauch führt
zur Beugung im Endgelenk bei zu-
mindest teilweiser intakter Sehne.
Im Zweifelsfall Exploration der
Sehnen im OP-Saal. Abb.  9.24  Zoneneinteilung für Beuge­
– Profundussehne: Endgelenk sehnenverletzungen (nach Nigst)
kann bei gestrecktem Finger [L106]
und fixiertem Mittelgelenk ak-
tiv nicht gebeugt werden.
– Superfizialissehne: Mittelgelenk kann aktiv nicht gebeugt werden, wenn
die benachbarten Finger in Streckstellung fixiert werden (Profundussehne
wird ausgeschaltet). Bei nur teilweise eingerissener Sehne wird über ein
Schwächegefühl und Schmerzen bei Beugung gegen Widerstand geklagt.
DS über Sehnenscheide (→ Hämatom).
• Nervenfunktion prüfen → evtl. Sensibilitätsstörung distal der Wunde.
• DD: Bewegungseinschränkung, Nervenläsion, z. B. N. interosseus ant. (Kiloh-
Nevin-Sy.) versorgt u. a. M. flexor pollicis longus und Mm. flexor digitorum
profundus II + III → keine Beugung in Endgelenken der Finger I–III, gel.
auch nur Beugedefizit des Daumenendglieds.
Operative Therapie
Kons. Ther. nicht möglich! Falls Verletzung nicht fachgerecht versorgt werden
kann → desinfizierender, steriler Verband → handchirurgische Klinik (sog. aufge-
schobene Versorgung).
OP-Technik: Axilläre Plexusanästhesie oder Vollnarkose, OA-Blutleere, Lupen-
brille. Hautläsion zum zickzackförmigen Hautschnitt erweitern (nach Bruner),
Gefäß-Nerven-Bündel darstellen und Verletzung ausschließen! Oft liegt der prox.
Sehnenstumpf weit von der Verletzungsstelle entfernt. Präparation der Sehnen-
scheide, ohne diese weiter als nötig zu eröffnen. Durch Beugung des Fingers oder
Handgelenk Versuch, den prox. Stumpf zu sichten. Dann Fixation mit sehr dün-
ner Kanüle, die quer durch ein Ringband durch die Sehne gestochen wird. Nicht
mit einer Klemme nach der Sehne „fischen“, ggf. Exploration der Sehne prox. am
Grundglied oder in der Hohlhand durch zusätzlichen Hautschnitt. Haupt- oder
Kernnaht mit resorbierbarem oder nicht resorbierbarem Nahtmaterial (z. B. PDS
4–0 oder Ethibond, 3–0 oder 4–0) nach Kirchmayr/Kessler. Wenn möglich, zu-
9 sätzliche Kern-Naht (Four-Strand-Naht). Anschließend exakte Adaptierung der
Ränder mit einer fortlaufenden Naht (z. B. PDS 5–0); dorsolateral beginnen. An-
schließend Versorgung von Nerven- und Arterienverletzungen.
Kleinert-Gips (▶ Abb.  9.25): Am 1. postop. Tag Beginn der Übungsbehandlung:
dazu nach Verbandswechsel Anfertigung einer dorsalen Gips- oder Plastikschiene
mit 20° Beugung im Hand- und 60–70° Beugung in den Grundgelenken. Mittel-
  9.3 Hand  333

und Endgelenke gestreckt. Anlegen einer Haltenaht am Fingernagel durch auf den
Nagel aufgeklebte Öse; am Haltefaden wird ein Gummiband befestigt, das den
Finger über eine Umlenkrolle oder einen Steg so nach palmar zieht, dass auch das
Endgelenk gebeugt wird: Finger kann jetzt aktiv gestreckt werden und wird passiv
wieder flektiert (Verkleben der Sehnen wird vermieden, die Naht entlastet). Dar-
auf achten, dass End- und Mittelglied in der Schiene vollständig gestreckt werden
können → später Streckdefizit! Nachtlagerungsschiene mit gebeugtem Grund-
und gestrecktem Mittel- und Endgelenk. Ggf. frühfunktionelle aktive Beübung in
Kleinert-Schiene ohne Zügelung bei Four-Strand-Naht (entscheidet Operateur!).

Abb. 9.25  Kleinert-Gips [L106]

NB: Gute Aufklärung des Pat., regelmäßige Kontrolle durch Operateur. Zusätz-
lich Ergother. und KG: Unter KG-Kontrolle passive Beugung der Fingergelenke →
aktives Halten der Beugestellung. Die dynamische Schiene wird nach 4 Wo. ent-
fernt. Beugeübungen dann nur noch mit an einem Armband befestigtem Gummi-
zügel für eine weitere Wo. Anschließend vorsichtig aktive Übungen ohne Belas-
tung der Sehne (Belastung nach 8 Wo. postop. steigern).
Prognose
Behandlung gehört in die Hand eines erfahrenen Handchirurgen. Gute Ergebnis-
se dann möglich.

Strecksehnenabriss
Definition
Ausriss der Strecksehne (▶  Abb.  9.26) an der Basis des Fingerendglieds evtl. mit
Knochenfragment. Meist geschlossene Verletzung durch Schlag auf gestreckten
Finger (z. B. Ballspiel, insbes. Basketball). Häufig Mittel- oder Ringfinger betroffen.
Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Schmerzen dorsal über Endgelenk, Fingerendglied hängt, kann aktiv nicht ge- 9
streckt werden (Malletfinger). Passive Beweglichkeit frei.
• Schwellung, Rötung, evtl. Hämatom.
• Rö: Finger p. a. und seitl.: Bei großem knöchernem Ausriss der Sehne (Ge-
lenkfraktur) kann das Endglied nach palmar subluxieren.
• DD: Schwanenhalsdeformität z. B. bei RA, kann sich aber auch nach Streck-
sehnenläsion entwickeln (Klinik, Anamnese; ▶ 14.8.1).
334 9  Obere Extremität  

Abb. 9.26  Anatomie des Strecksehnenapparats [L190]

Therapie
Kons. Ther.: Geschlossene Verletzung → gutes Resultat durch konsequente Ru-
higstellung des Endglieds auf Stack-Schiene. Wegen Schwellung zunächst größere
Schiene anpassen, später Wechsel auf kleinere. Schiene wird so fixiert, dass das
Mittelgelenk frei bewegt werden kann. Pat. anhalten, den Finger. einmal tgl. zu
säubern. Schiene vorsichtig entfernen, Finger feucht abwischen, pudern (z. B.
Penaten®-Puder) und Schiene wieder anlegen → Hautmazeration. Dabei darf das
Gelenk nicht gebeugt werden → Distraktion des Narbengewebes. Schiene muss
konsequent Tag und Nacht 8 Wo. lang getragen werden, danach noch 4 Wo.
nachts. Verzögerte Schienenbehandlung auch 4–6 Wo. nach dem Unfall noch
sinnvoll.
Operative Ther.: Nur bei größerem, disloziertem knöchernen Ausriss und palma-
rer Subluxation Endglied (▶ 9.3.6). KO: Weiter Hammerfinger trotz konsequenter
konservativer Behandlung → ggf. Dermatotenodese DIP-Gelenk mit temporärer
Gelenkfixierung für 8 Wo.
9
10 Wirbelsäule
Rainer Abel, Steffen Breusch, Bernd Wiedenhöfer und Hans Mau

10.1 Begriffe und Syndrombe­ 10.5.3 Verletzungen der


zeichnungen 336 Halswirbelsäule 369
10.2 Wichtige Differenzial­ 10.5.4 BWS- und LWS-Fraktu­
diagnosen 338 ren 373
10.3 Klinische Diagnostik 341 10.6 Malformationen und idiopa­
10.4 Degenerative Erkrankungen thische Deformitäten 374
der Wirbelsäule 344 10.6.1 Definition 374
10.4.1 Begriffsdefinition 344 10.6.2 Atlantodentale oder atlanto­
10.4.2 Stufendiagnostik 345 okzipitale Instabilität 374
10.4.3 Vorgehen nach 10.6.3 Haltungsschwäche
Leitsymptomen 345 und -fehler 374
10.4.4 Apparative Diagnostik 349 10.6.4 Muskulärer Schiefhals
10.4.5 Allgemeine Therapie­ (Tortikollis) 375
strategie 349 10.6.5 Klippel-Feil-Syndrom 376
10.4.6 Unkovertebralarthrose 10.6.6 Kyphosen 377
(HWS) 351 10.6.7 Morbus Scheuermann
10.4.7 Facettensyndrom (LWS) 351 (Adoleszentenkyphose) 378
10.4.8 Morbus Forestier (Spondylosis 10.6.8 Osteoporotischer
hyperostotica) 352 Rundrücken 380
10.4.9 Baastrup-Syndrom 353 10.6.9 Skoliosen 380
10.4.10 Bandscheibenschäden 353 10.6.10 Spondylolyse, Spondylolis­
10.4.11 Einengungen des Spinalka­ thesis 391
nals oder der Foramina 10.7 Failed-Back-Surgery-Syn­
intervertebralia 361 drom (FBSS), Postnukleoto­
10.4.12 Funktionelle Wirbelsäulenbe­ miesyndrom 394
schwerden 366
10.5 Traumatologie der
Wirbelsäule 367
10.5.1 Klassifikationen 367
10.5.2 Allgemeine Diagnostik und
Behandlung von Wirbelsäu­
lenverletzungen 369
336 10 Wirbelsäule 

10.1 Begriffe und Syndrombezeichnungen


Die drei Parameter PI, SSL und PT (▶ Abb.  10.1) sind di-
10 • Beckenparameter:
rekt voneinander abhängig. Dies wird in der Gleichung SSL + PT = PI
ausgedrückt.
– Pelvic Incidence (PI): Individuelle Konstante, die sich nach dem Wachs-
tumsabschluss nicht mehr verändert. Winkel zwischen dem Lot zur Mitte
der Deckplatte S1 und einer Verbindungslinie dieses Schnittpunkts mit der
Hüftkopflängsachse. Gibt natürliche Ausrichtung des Beckens und Lordose
der LWS vor. Einfluss auf die Lendenlordose (LL): PI = LL + 9° ± 9°.
– Sacral Slope (SSL): Inklination des Beckens zur Horizontalen. Winkel
zwischen Tangente zur Deckplatte S1 und Horizontaler.
– Pelvic Tilt (PT): Ausrichtung des Beckens zur Vertikalen. Winkel zwi-
schen Verbindungslinie des Lotschnittpunkts durch die Deckplatte S1 mit
der Hüftkopflängsachse und der Vertikalen durch die Hüftkopflängsach-
se. Hauptsächlicher Kompensationsparameter zur Erhaltung des aufrech-
ten Stands bedingt durch Deformitäten und Verschleiß der WS.

Abb.  10.1  Beckenparameter [G474]


   10.1  Begriffe und Syndrombezeichnungen  337

• Brachialgie: Armschmerzen.
• Chondrose: Regressive Veränderungen an der Bandscheibe. Elastizitätsver-
lust (Dehydratation des Gallertkerns). Zunehmend Risse des Faserrings. Sin- 10
terung der Bandscheibe. Instabilität im Bewegungssegment. Verlust der Puf-
ferfunktion. Rö: Reaktionslose Höhenabnahme des Zwischenwirbelraums, im
MRT „Black Disc“ als Zeichen des Wasserverlusts.
• Dorsalgie: Rückenschmerz oberhalb der Kreuzregion.
• Instabilität: Klin. Instabilität: Bewegungs- und Stellungsmuster der Wirbel-
säule werden unter physiol. Belastung nicht mehr aufrechterhalten, ohne dass
es zu initialen oder zusätzlichen neurol. Schäden, Deformierungen oder funk-
tionsuntüchtig machenden Schmerzen kommt.
• Ischialgie: Von gluteal nach distal ins Bein ausstrahlender Schmerz ohne ex-
akten Bezug zu Segmenten (Dermatomen). Es handelt sich um die Ausstrah-
lung entlang der Dermatome, die durch den N.  ischiadicus versorgt werden.
Überwiegend sind die Dermatome von L5 und S1 betroffen. Cave: Differen-
ziere Dehnungsschmerz bei verkürzter ischiokruraler Muskulatur.
• Lumbago: „Hexenschuss“, akuter Kreuzschmerz.
• Lumbalgie: (Chron.) Kreuzschmerz ohne radikuläre Ausstrahlung.
• Lumboglutealgie: Kreuzschmerz mit Ausstrahlung ins Gesäß.
• Lumboischialgie: Kreuzschmerz mit ischialgiformer Ausstrahlung in das
Bein (vgl. Ischialgie).
• Osteochondrose: Vermehrte mechanische Belastung durch die verminderte
ventrale Abstützung bei Chondrose. Einbeziehen der angrenzenden Grund-
und Deckplatten der WK in den Prozess. Folge: Vermehrte subchondrale
Sklerosierung und exophytäre Randzackenbildung → Instabilität des Bewe-
gungssegments. Rö: Subchondrale Sklerosierung der benachbarten Deck-
und Bodenplatten. Erosive Osteochondrose bei schweren osteochondroti-
schen Veränderungen mit Einbruch des subdiskal sklerosierten Knochens
(DD: Spondylodiszitis).
• Pseudoradikuläre Schmerzen (Brügger): Ausstrahlender Schmerz, der keiner
Nervenwurzel zuzuordnen ist. Ausgehend von Bandscheiben, Zwischenwir-
belgelenken, Muskeln, Bändern der WS sowie extraspinalen Strukturen. Kei-
ne segmentale Zuordnung.
• Radikuläre Schmerzen: Ursache: Schädigung der Nervenwurzel mit Entzün-
dungsreaktion, verursacht z. B. durch mechanische Kompression (▶ 10.4.11).
Die segmentale Schmerzausbreitung entspricht einem Dermatom (▶ 18.2.6).
Evtl. Ausfälle von Kennmuskeln.
• Sagittale Balance: Sagittaler Lotfall von C7 auf S1, schneidet unter Idealbe-
dingungen die Hinterkante der Deckplatte S1, wandert mit zunehmendem
Alter nach ventral, verbleibt solange kompensiert, solange der Lotfall das Pro-
montorium nicht überschreitet. Von Imbalance spricht man, wenn das Lot
vor S1 fällt. Sie ist kompensiert, solange das Lot hinter einer Achse, die die
Hüftköpfe mittig längs schneidet, bleibt. Überschreitet das Lot diese Linie,
spricht man von dekompensierter Imbalance.
• Spondylarthrose: Durch Instabilität des Bewegungssegments Inkongruenz
im Bereich der kleinen Wirbelgelenke vermehrte Belastung → Spondylarthro-
se. Rö: Gelenkspaltverschmälerung, subchondrale Sklerosierung, unregelmä-
ßige Gelenkflächen der kleinen Wirbelgelenke; CT am aussagekräftigsten.
• Spondylose: Durch Gefügelockerung vermehrte Zugbeanspruchung der Bän-
der. An den WK-Rändern Bildung reparativer appositioneller Knochenza-
cken (Spondylophyten). In ausgeprägten Fällen durch Fusion von Spondylo-
338 10 Wirbelsäule 

phyten überbrückende Spangenbildung. Rö: Vordere und seitl. osteophytäre


(spondylophytäre) Randzacken an Deck- und Bodenplatten.
10 • Vegetative Symptome: Ausgelöst durch Beteiligung sympathischer Nerven-
fasern paravertebral. Im Bereich HWS Horner-Sy. (Miosis, Ptosis, Enophthal-
mus) oder unspezifisch Kopfschmerzen, Schwindel und Sehstörungen. Im
Bereich der Extremitäten z. B. Überwärmung, Hyperhidrosis.
• Verschiebung der WK gegeneinander (Translation):
– Retrolisthesis: Rückwärtsgleiten.
– Deg. Spondylolisthesis: Vorgleiten.
– Drehgleiten: Seitl. Wirbelgleiten.
• Zervikalgie: Nackenschmerzen.
• Zervikalsy.: Unexakter, undifferenzierter Sammelbegriff ohne Hinweis auf
Ätiol. oder Pathogenese für Beschwerden im Bereich der HWS aufgrund deg.
Veränderungen oder funktioneller Störungen.
• Zervikobrachiales Sy.: Von der HWS ausstrahlende Schulter-Arm-(Hand-)
Schmerzen.
• Zervikozephales Sy.: Kopfschmerzen, Schwindel, Globusgefühl, Hör- und
Sehstörungen.

All diese Syndrome fassen lediglich unspezifische klin. Symptome zusammen


– sie sind keine Diagnosen. Zahlreiche DD sind möglich; eine subtile Anam-
nese und genaue klin.-neurol. Untersuchung sind Pflicht! Wenn nötig, inter-
disziplinäres Vorgehen.

10.2 Wichtige Differenzialdiagnosen
Kopf- und Subokzipitalschmerz
▶ Tab.  10.1, auch ▶ 18.2.2.
Tab. 10.1  DD bei akutem und chronischem Kopf- und Subokzipitalschmerz
Akute Formen Chronische Formen

• Trauma (Fraktur oder Luxation) • Fehlverheiltes Trauma (Denspseudar­


• Hämatom, Subarachnoidalblutung throse, Kondylenfraktur oder Luxation
• Abszess (auch dental!) der Kopfgelenke)
• Thermischer Kopfschmerz (Sonnen­ • Segmentale Instabilität (oft durch Ver­
stich) änderungen des Dens bei Rheuma)
• Meningitis (Kinder!) • Tumor
• Tumor • Glaukom
• Glaukom • Hypertonie
• Hypertonie • Neuralgie N. occipitalis magnus, C2
• Neuralgie N. occipitalis magnus, C2 • Funktionell: Blockierung der Kopfge­
• Funktionell: Blockierung der Kopfge­ lenke
lenke • Psychogen, „Tension Headache“ (▶ 19)
• Psychogen, „Tension Headache“ (▶ 19) • Vaskulär bedingt: Basilarisinsuff., Mig­
räne, Clusterkopfschmerz
• Dekompensierte sagittale Imbalance
  10.2 Wichtige Differenzialdiagnosen  339

Schwindel
auch ▶ 18.2.3.
• Internistisch: Z. B. Hypotonie (kardiogen, z. B. Arrhythmien, medikamentös, 10
idiopathisch), Anämie, Medikamente.
• Neurol.: Zerebrale Durchblutungsstörungen (vertebrobasiläre Insuff.: Gefäß-
anomalie), zentral-vestibulärer Schwindel (Tumoren, Hirnstammprozesse,
epileptischer Schwindel, Kleinhirnerkr. u. a.).
• Otologisch: Vestibulärer Schwindel. Fast immer Drehschwindel, meist Korre-
lation mit Horizontalnystagmus. U. a. benigner paroxysmaler Lagerungs-
schwindel, Morbus Menière, Labyrinthitis.
• Okulär: Z. B. bei Augenmuskelparesen.
• Orthop.: Funktionelle Kopfgelenkstörungen, Verletzungsfolgen, NPP, Rezes-
susstenosen, Halsrippe (▶ 11.1).
• Psychosomatisch, psychogen (▶ 19).
Nacken-Schulter-Arm-Schmerzen
• Erkr. der HWS:
– Deg. Veränderungen (NPP, Osteochondrose, Spondylarthrose, Unkover-
tebralarthrose mit/ohne radikuläre Symptomatik; Segmentinstabilität).
– Funktionelle Störungen (Blockierungen).
– RA, Spondylarthritis.
– Spondylitis, Spondylodiszitis.
– Trauma, posttraumatische Störungen.
– Tumoren.
– Angeborene Anomalien (Os odontoideum, basiläre Impression, Klippel-
Feil-Sy., Arnold-Chiari-Sy.).
– Psychogene Ursachen (▶ 19.3.2).
• Neurol. Erkr.:
– ZNS: Z. B. armbetonte Hemiplegie.
– Nervenwurzelläsionen: Wurzeltumoren (Neurinome), Arachnitiden, Her-
pes zoster.
– Läsionen des Armplexus.
– Kompression durch Tumoren (z. B. Neurinome, Pancoast-Tumor, Sarko-
me), Bestrahlung, neuralgische Schulteramyotrophie, Traumafolgen (z. B.
Ausrisse), Neuritiden, Neuropathien.
– Läsionen peripherer Nervenstämme: Nn. medianus, radialis, ulnaris, sup-
rascapularis. Posttraumatisch: Neuromschmerz, Kausalgie, Phantom-
schmerzen.
– Karpaltunnelsy.
• Schultergürtel- und Extremitätenskelett:
– Trauma.
– Rheumatische Sy. (Polymyalgia rheumatica, Poly-, Dermatomyositis).
– Ansatztendinosen, Rotatorenmanschettenruptur, Supraspinatus-outlet-Sy.
– CRPS.
– Chondrokalzinose, Tendinosis calcarea (PHS allg. ▶ 9.1.18).
– Schulterinstabilitäten.
– Knochentumoren.
– Bakt. Arthritiden.
• Durchblutungsbedingte Schmerzen:
– Akutes/chron. peripheres art. Verschluss-Sy.
– Vasospastische Sy.: Raynaud, Ergotismus.
340 10 Wirbelsäule 

– Armvenenthrombose.
– Thoracic-outlet-Sy.: Halsrippensy., Kostoklavikularsy., Hyperabduktionssy.
10 • Internistische (viszerale) Erkr.:
– Angina pectoris, Myokardinfarkt, Perikarditis.
– Pleuraschmerzen.
– Aneurysma dissecans.
• Andere Ursachen: Skapulokostales Sy., psychische Affektionen.
Kreuz- und Rückenschmerzen
▶ Tab.  10.2.
Tab. 10.2  DD bei Kreuz- und Rückenschmerzen
Erwachsenenalter Wachstumsalter

• Osteochondrose, Spondylose, Spondylarthrose • Morbus Scheuermann


• Blockierung, funktionelle Störungen, Myalgien, Ten­ • Spondylolyse, Spondylo­
dinosen listhesis
• Statische Beschwerden bei muskulärer Insuffizienz • Statischer Rücken­
• Bandscheibenprotrusion, -vorfall schmerz
• Facettenarthrose • Vertebra plana
• Enger Spinalkanal, Rezessusstenose • Leukämien, Tumoren
• Spondylolyse, Spondylolisthesis • Wirbelhämangiom
• Skoliosen (de novo und idiopathisch) • Idiopathscihe Skoliosen
• Angeborene Fehlbildungen: Spina bifida, Keilwirbel, • Wirbelfrakturen
Blockwirbel • Spondylitis, Diszitis
• Knochenmetastasen, prim. Knochentumoren • Juvenile RA
• Osteoporose, Osteomalazie, Morbus Paget • Tethered-Cord-Sy.
• Trauma • Erkr. innerer Organe
• Spondylitis, Spondylodiszitis
• Morbus Bechterew, seroneg. Spondylarthritiden:
Psoriasis, Mobus Reiter, reaktive Spondylarthritiden
• Morbus Baastrup
• Kyphosen (z. B. Morbus Scheuermann, poststatische
Beschwerden bei z. B. Beckenfehlstellungen, Kon­
trakturen Hüftgelenk, BLD)
• Störungen im Bereich des SIG
• Koxarthrose, Periarthropathia coxae
• Aortenaneurysma
• Erkr. innerer Organe, retroperitoneale Prozesse
• Gynäkologische und urologische Erkr.

Lumbalgie und Lumboischialgie


• Neurol. Störungen:
– Periphere Nervenschmerzen.
– Neurol. Systemerkr.
– Neuromuskuläre Dystrophien/Atrophien.
– Neuritis, periphere Nervenerkr.
– Syringomyelie.
– Tethered (Spinal) Cord.
– Borreliose, Herpes zoster.
– Tumoren.
• In den Rücken projizierte Schmerzen:
– Erkr. im kleinen Becken.
– Intra- oder retroperitoneale Tumoren.
  10.3 Klinische Diagnostik  341

– Gynäkologisch: Lageanomalien des inneren Genitale wie Uterusprolaps,


Retroflexio uteri, Entzündungen wie Adnexitis, Schmerzursachen unter
Hormoneinfluss wie Endometriose, prämenstruelles Spannungssy., „Mit-
telschmerz“.
10
– Koxarthrose mit Flexionskontraktur und sekundärer sagittaler Imbalance.
– Urologisch.
– Abdominale Erkr.: z. B. Pankreatitis, Cholezystitis.
• Psychische/psychosomatische Affektionen (▶ 19.3.2).
Wichtige und oft nicht erkannte Ursachen von Rückenschmerzen
• Vaskulär: Abdominales Aortenaneurysma, pAVK.
• Neurogen: Nervenwurzeltumoren (z. B. Neurofibrom, Neurolemnom),
RM-Tumoren, diabetische Neuropathie.
• Spondylogen: Plasmozytom, Wirbelmetastasen, Osteoidosteom, Fraktur
bei Osteoporose; Spondylitis, Morbus Bechterew.
• Gynäkologisch: Retroversio uteri u. a. Uterushaltungsanomalien.
• Urologisch: Chron. Prostatitis.

10.3 Klinische Diagnostik
Anamnese
Spezielle Anamnese
• Unfall? Systemische Erkr.? Infekt?
• Beginn der Beschwerden (akut, schleichend), nach einem bestimmten Ereig-
nis (z. B. Trauma, Infekt, Belastung)?
• Verlauf (Dauer, Besserung, Verschlimmerung, mögliche beeinflussende Fak-
toren, Intensität, Kontinuität).
• Schmerzanamnese:
–  Wo? Lokalisation? Mit Finger zeigen lassen, Ausstrahlung, anatomische
Zuordnung? Pseudoradikulär? Diffus, punktförmig, flächenhaft?
–  Wann? Dauernd, intermittierend, remittierend, episodisch. Tagesrhyth-
mus?
–  Warum? Abhängig von bestimmten Faktoren (Bewegung, Belastung, La-
ge, Witterung)? Hust- und Niesschmerz.
–  Wie? Dumpf, bohrend, brennend, ziehend. Gleichbleibend, wechselnd im
Charakter, Verlauf der Schmerzstärke?
• Funktionsstörungen? Steifigkeit, Bewegungsausfall, Blockierung, Kraftlosig-
keit, Koordinations-, Gangstörungen, Gehstrecke, Hinken.
• Deformierungen, Haltungsveränderungen?
• Neurol. Symptome? Dys-, Parästhesien (Ameisenlaufen, Taubheit, Kribbeln,
Elektrisieren), Miktions-, Defäkations-, Potenzstörungen, Kraftlosigkeit,
Muskelschwäche, Lähmungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Schluck-, Sehstö-
rungen, Migräne, Bewusstseinsstörungen.
• Psychische Symptome? Depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Neuro-
sen, Psychosen, familiäre, berufliche Schwierigkeiten, Dissimulation, Aggra-
vation.
• Behinderung in Alltag und Beruf, Freizeit, Sport.
• Allgemeine Krankheitssymptome? z. B. Allgemeinbefinden, Krankheitsgefühl,
Gewichtsverlust, Fieber, Schwitzen.
342 10 Wirbelsäule 

• Bisherige Ther.? Welche? Besserung?


• Hilfsmittel? Mieder, Stock, Bandagen, Prothesen, Orthesen.
10 • Frühere Laboruntersuchungen?
• Frühere bildgebende Diagn.: Rö, CT, MRT, Sono, Szinti?
Allgemeine Anamnese
Vorerkr., OPs, Kuraufenthalte, Allergien, Medikamente, Alkohol, Nikotin, frühe-
re WS-Erkr., Unfall.
Soziale Anamnese (besonders wichtig)
Beruf, Familienstand, Rente, Schwerbehindertenausweis? Rentenantrag? AU?

Klinischer Befund
Inspektion
• Aus- und Ankleiden, Gang, Sitzhaltung.
• Psychische Auffälligkeiten (auch ▶ 19).
• Von vorn:
– Habitus.
– Kopfhaltung, Kopf mittelständig, Gesichtsskoliose, Schiefhals.
– Schulterstand, Nacken- und Schultermuskulatur, Schlüsselbeinkontur.
– Horner-Sy. (Lidspaltenverengung, Miosis, Enophthalmus): Schädigung
der Wurzeln C8, Th1.
– Besonderheiten der Thoraxform? Atemexkursion seitengleich?
– Abdomen.
– Bein-, Fußdeformität.
• Von hinten:
– Lotgerechter Aufbau der WS? Skoliose? Zwangshaltung? Beckenstand.
– Beim Vornüberbeugen (funktionelle Tests): Rippenbuckel, Lendenwulst,
fixierte Brustkyphose?
• Von der Seite: Rückenform? Physiol. Lendenlordose, Brustkyphose, sagittale
Balance? Bauchdecken. Reifezeichen (Skoliose, Kyphose)?
Palpation
• Stauchungsschmerz.
• Druck-, Klopf-, Rüttelschmerz, Fersenfallschmerz.
• Stufe in der Dornfortsatzreihe (Spondylolisthesis, ▶ 10.6.10).
• Thoraxkompressionsschmerz (Prellung, Rippenfraktur).
• „Hängenbleiben“ einzelner Rippen bei In- oder Exspiration (Blockierung).
• Muskeltonus (Erhöhung über funktionell gestörten Gelenken im Sinne von
Blockierungen); M. piriformis → Piriformissy. (▶ 13.1.18).
• Subkutanes Fettgewebe: Konsistenz, DS. Kibler-Hautfalten: Hautfalten mit
beiden Händen abheben und entlang den Dermatomen „entlangrollen“. In
hyperalgischen Zonen Verdickung dieser Falte tastbar, derbere Konsistenz,
Schmerzen.
• Segmentale Irritationspunkte (reflektorische Gewebsirritationen) meist in
Austrittsnähe des segmentalen Spinalnervs.
• Muskulatur: Myogelosen, Muskelhartspann.
Funktionsprüfung und Messung
• Trendelenburg-Zeichen (▶ 13.1.7), Beinlänge (▶ 13.1.3).
• Atemexkursion (insbes. bei V. a. Morbus Bechterew, Normalwert beim jun-
gen Erw. 5 cm, gemessen über den Mamillen).
  10.3 Klinische Diagnostik  343

• Haltungstest nach Matthiass (Haltungsschwäche? auch ▶ 10.6.3).


• Bewegungsspiel der WS, lokale Haltungsanomalien? Passiver Torsions-
schmerz LWS → Instabilität? Inklinations-, Reklinationsschmerz aktiv/passiv? 10
Bewegungsprüfung
• Kinn-Sternum-Abstand in cm in max. Flex. und Ext.
• Schober- und Ott-Maß (▶ Abb.  10.2), Fingerspitzen-Boden-Abstand (FBA).
• Seitneigen, Rotation, Vor- und Rückneigen.
• Beweglichkeit der Schulter-, Hüft- und Kniegelenke.

Abb. 10.2 Untersuchung der Wirbelsäulenbeweglichkeit (Schober, Ott, FBA)


[L106]

Spezielle Tests
• z. B. Mennel-Zeichen (SIG): Pat. in Seitenlage, Überstrecken des Hüftgelenks
der betroffenen Seite.
• Viererzeichen, Vorlaufphänomen, Spine-Test.
• Federtest (ventralisierender Druck segmental); passive axiale Rotation.
Neurostatus
• Sensibilität? Dermatom?
• Motorische Ausfälle? Gang, Zehengang, Hackengang, Plantar-, Dorsalflexion
der Zehen. Bestimmung der Kraftgrade der Kennmuskeln der oberen und
unteren Extremitäten (Angabe in Fünfteln).
• Reflexstatus.
• Lasègue, Bragard (Dorsalext. im OSG nach Anheben des Beins), Valleix-
Druckpunkte. Umgekehrter Lasègue (Femoralisdehnungsschmerz).
344 10 Wirbelsäule 

Pulsstatus
Periphere Pulse? Bei V. a. Thoracic-outlet-Sy.: Adson-Test u. a. (▶ 11.1).
10
10.4 Degenerative Erkrankungen der
Wirbelsäule
10.4.1 Begriffsdefinition
Der Oberbegriff „deg. WS-Veränderungen“ subsumiert alle Prozesse an WK, Band-
scheiben, Bändern und Wirbelgelenken, von denen man annimmt, dass sie Aus-
druck des im Lauf des Lebens auftretenden „Verschleißes“ sind. Dieser „Abnut-
zung“ entsprechen morphologische Veränderungen, die sowohl mikroskopisch als
auch makroskopisch nachweisbar sind und die dadurch entstehen, dass sich einzel-
ne WS-Anteile unter Belastung nicht mehr ad integrum regenerieren können.

Begriffsdefinition „Degeneration“
„Degeneration“ hat meist eine neg. und pathologische Bedeutung. Die Situa-
tion wäre in vielen Fällen besser beschrieben, wenn Degeneration eine „dem
normalen Alterungsprozess entsprechende Entwicklung der Wirbelsäule“
bezeichnen würde.

Degenerative Erkrankungen der HWS


Aufgrund der engen anatomischen Beziehungen zwischen HWS, A. vertebralis, Ner-
venwurzeln und vegetativem Nervensystem können isoliert und komb. neben medullä-
rer und radikulärer Symptomatik auch vaskuläre und vegetative Symptome entstehen.
• Exakte Abgrenzung einzelner Krankheitsbilder wegen Überlappung oft
schwierig.
• Unterscheide akute/chron. Zustände; mit oder ohne radikuläre Symptomatik.
• Funktionsstörungen (z. B. Blockierungen, Hypermobilität) haben i. d. R. kein
pathomorphologisches Korrelat.

Degenerative Erkrankungen der BWS


Funktionell bedingte Dorsalgien (Blockierung Kostovertebralgelenke o. Ä.) relativ
häufig. Thorakale NPP sind selten, meist 3.–5. Ljz., meist median oder mediolate-
ral gelegen, 30–70 % kalzifiziert. 5–10 % mit intraduraler Ausdehnung. Tendenz
zu Mehretagenbefall. 75 % der NPP unterhalb von Th7 (letzte fest mit dem Ster-
num verbundene Rippe). Am häufigsten Segment Th11/12 betroffen.
Lokale und gürtelförmig um den Thorax ausstrahlende Schmerzen (DD Herpes
zoster). Selten manifeste neurol. Ausfälle.
! Immer an diskrete motorische Ausfälle bei zentralen NPP mit Schädigung
der langen Bahnen denken. Ausstrahlung und Schmerzcharakter gleichen
häufig denen der funktionell bedingten Dorsalgie.
• In der Rö-Diagn. häufig klin. unauffällige Spondylophyten (Spangenbildung,
Morbus Forestier).
• Im MRT nachgewiesene Vorfälle sind oft asymptomatisch. Wegen der Rate
an Kalzifikationen auch CT indiziert.
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  345

Degenerative Erkrankungen der LWS


Häufigste Ursache von Rückenbeschwerden jenseits des 30. Lj. Deg. Veränderun-
gen im 5. Ljz. bei ca. 60 % der F und 80 % der M; > 70 Lj. bei fast jedem Menschen. 10
Aufgrund der Biomechanik v. a. Befall der unteren LWS (Lumbalsy.).
• Häufig Komb. von Schäden → erschwert oft Diagn. und Ther.
• Sozialmedizinische Relevanz: 50 % der vorzeitig gestellten Rentenanträge in
Deutschland werden mit bandscheibenbedingten Erkr. begründet.

10.4.2 Stufendiagnostik

Diagn. Maßnahmen erst nach Erstellung einer Arbeitshypothese veranlas-


sen, da eine zu breit gestreute Diagn. mit großer Wahrscheinlichkeit „Befun-
de“ produziert.

Die Differenzierung von WS-Beschwerden ist oft schwierig. Jedes Bewegungsseg-


ment stellt ein hochdifferenziertes System dar, dessen Teilelemente sich gegensei-
tig beeinflussen. Schädigungen an einer Stelle (z. B. Bandscheibe, Intervertebralge-
lenke, Ligamente, WK) wirken sich auf das gesamte Bewegungssegment und auch
auf Nachbarsegmente aus. Hinter dem Symptom Rückenschmerzen können sich
viele verschiedene Krankheitsbilder verbergen. Daher: Konsequenter Untersu-
chungsgang, Checkliste für DD parat haben (▶ 10.2):
• Stufe 1: Anamnese, Untersuchung, Rö WS in 2 Eb.
• Stufe 2: Funktions- oder Traktionsaufnahme, neurol. Untersuchung mit
EMG, NLG.
• Stufe 3: MRT, CT, zervikale oder lumbale Myelografie mit Funktion und an-
schließendem CT, (MR-)Angiografie, (Szinti).
• Stufe 4: Diagn. Facetteninfiltration, Wurzelblockade. Die probatorische Ru-
higstellung (Rumpfgips, zur Ruhigstellung L5/S1, SIG mit einseitigem OS-
Einschluss) bringt eingeschränkte Informationen. Die früher häufig einge-
setzte Diskografie konnte keinen evidenzbasierten diagn. Nutzen erbringen
und sollte nicht standardisiert durchgeführt werden.

Vor der Festlegung auf die Arbeitsdiagnose „deg. WS-Beschwerden“ stets


Tumor, Spondylodiszitis, Fraktur und Ruptur von Bändern bzw. gebiets-
fremde Beschwerdeursachen ausschließen.

10.4.3 Vorgehen nach Leitsymptomen


Schmerz
Schmerzcharakteristika
• Beginn schleichend oder akut.
• Lokalisation: Einzelne WS-Segmente oder größere WS-Abschnitte.
• Ausstrahlungen pseudoradikulär oder radikulär.
• Schmerz dumpf ziehend, evtl. stechend.
• Auslösung durch mechanische Faktoren wie Bücken, Aufrichten, Drehen,
Heben, Fehl- oder Überbelastung, Witterung, Temperatur, Feuchtigkeit oder
akutes Trauma.
346 10 Wirbelsäule 

• Verschlimmerung durch Fehl- und Überbelastung, monotone, fehlerhafte


Haltung, stereotype Bewegungen, Ermüdung, Erschütterung.
10 • Besserung durch Ruhe, Entlastung, Lagerung, Haltungswechsel, lockernde
Bewegung. Nachtschmerz zeitweilig, kurz andauernd, abhängig von Lage-
rung.
• Hyp- und Hyperalgesie; schmerzhaftes Kalt-/Warmempfinden.
• Anhalt für psychische Auffälligkeiten: Depression? Private Probleme? Soziales
und berufliches Umfeld eruieren. Rente eingereicht, Rentenwunsch? Analge-
tikaverbrauch. Unterlagen sorgfältig studieren (oft umfangreich).
Befund
• Lokaler Schmerz:
– Paravertebral oder über den Dornfortsätzen.
– Ausgelöst durch Palpation, Federungstest oder Bewegungsversuche, WS-
Kompression, Stauchung (auf die Hacken fallen lassen), aktive Bewegung.
• Ausstrahlender Schmerz:
– Positiver Lasègue: Bei Anheben des gestreckten Beins bei 30° ins Bein ein-
schießender Schmerz.
– Pseudo-Lasègue: Anheben des Beins führt zu Schmerzen im Rücken.
– DD Dehnungsschmerz bei verkürzter ischiokruraler Muskulatur.
– Segmentbezug? Bezug zum Versorgungsgebiet eines peripheren Nervs?

Bei klin. Untersuchung und Palpation: Überlagerung des eigentlichen Be-


funds an der WS durch forcierte Palpation der Dornfortsätze!

Neurologisches Defizit
Sensible Ausfälle
• Dermatom eindeutig zuzuordnen?
• Ist Sensibilitätsstörung kontinuierlich im Dermatom ausgebreitet oder mit
Lücken und sog. befundfreien Inseln? → Radikulär oder pseudoradikulär?
• Reithosenhypästhesie prüfen. Perianalregion sensibel?
Unterhalb der Klavikula Segmentsprung am Rumpf von C4 nach Th2/3. Die
dazwischenliegenden Dermatome sind in den Arm ausgelagert.

Motorische Ausfälle
• Kennmuskeln (▶ Tab.  10.3, ▶ Tab.  10.4).
• Schulterhebung, Ellenbeugung und -streckung, Handgelenkhebung.
• Fußspitzen-, Fersenstand bzw. -gang. Prüfung der Kniebeuger und -strecker.
Plantarflektoren, Dorsalextensoren des Fußes. Prüfung Großzehenextension
und -flexion.
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  347

Tab. 10.3  Synopsis von Wurzelreizsyndromen im HWS-Bereich (▶ Abb. 10.3)


Wurzel Dermatom Kennmuskeln Reflexe
10
C3/4 Schmerz bzw. Hypalgesie im Abschwächung der Schul­ Keine fassba­
Schulterbereich (C3 – Fossa terhebung ren Reflex­
supraclavicularis, C4 – Akro­ störungen
mioklavikulargelenk)

C5 Schmerz bzw. Hypalgesie et­ M. biceps brachii (Flex. im BSR ↓


wa unter dem Ansatz des M. Ellenbogen ↓)
deltoideus

C6 Radialseite des Ober- und Paresen der Handgelenk­ Radiusperi­


Vorderarms, bis zum Daumen hebung (M. extensor car­ ostreflex ab­
abwärts ziehend pi radialis) geschwächt

C7 Dermatom lateral-dorsal vom Parese M. triceps brachii, TSR fehlend


C6-Dermatom, zum 2.–4. Fin­ M. pronator teres, gel. oder abge­
ger ziehend (insbes. 3. Finger) der Fingerbeuger (Ellen­ schwächt
bogenext. ↓, Flex. im
Handgelenk ↓). Oft sicht­
bare Atrophie des Dau­
menballens

C8 Dermatom ist der kleinfinger­ Parese der kleinen Hand­ TSR ↓


seitige UA muskeln (Finger-Abd. und
-Add. ↓). Sichtbare Atro­
phie insbes. des Kleinfin­
gerballens

Th1 Dermatom über dem med. Finger spreizen –


Epikondylus

Tab. 10.4  Synopsis der lumbalen Wurzelsyndrome (▶ Abb. 10.3)


Wurzel Dermatom Motorik Reflexe

L3 Schmerz, Sensibili­ Parese von M. quadriceps und PSR fehlend oder


tätsstörung quer Hüftadduktoren (Kniestre­ abgeschwächt
über OS-Vorderseite ckung ↓, Hüftadduktion ↓)
zum Condylus med.
ziehend

L4 OS-Außenseite über Parese des M. quadriceps PSR fehlend oder


Patella und Innensei­ und M. tibialis ant. (Knie­ abgeschwächt
te des US streckung ↓, Supination ↓)

L5 Knieaußenseite, ven­ Parese des M. extensor hal­ Tibialis-post.-Reflex


trolateraler US, Fuß­ lucis longus, M. ext. digito­ fehlend oder abge­
rücken, Großzehe rum brevis (Fersengang ↓, schwächt
Fußheber ↓, Zehenheber ↓)

S1 Laterodorsaler Ober- Parese des M. triceps surae, ASR fehlend oder


und US, Ferse, Klein­ M. peroneus, M. gluteus abgeschwächt
zehe max. (Zehengang ↓, Fuß­
senker ↓, Pronation ↓)
348 10 Wirbelsäule 

10

a b

Abb. 10.3  Wirbelkörper, Segmente und Dermatome. a Wirbelkörper und korre­


spondierende Rückenmarksegmente. b Dermatome von unterer und oberer Ext­
remität. [L190]

Reflexe
• Bizepssehnenreflex, Trizepsreflex, Radiusperiostreflex.
• Adduktorenreflex L3, Patellarsehnenreflex L4, Achillessehnenreflex S1.
• Blasenentleerungsstörungen und Corpus-cavernosus-Reflex S2–3.
! Pathologische Reflexe der langen Bahnen (z. B. Trömner, Babinski) immer
mitprüfen.
Blasen-Mastdarm-Lähmung
Reithosenanästhesie, Stuhlverhalt, Erektionsschwäche. Analreflex vorhanden?
Restharnbestimmung?

Kaudakompression (Cauda-equina-Sy.) → Notfall. OP innerhalb von 24 h


nach Beschwerdebeginn (▶ 18.6.2).
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  349

10.4.4 Apparative Diagnostik
Erst nach möglichst genauer klin. Eingrenzung der Symptomatik auf einen WS-
Abschnitt und Festlegung einer Arbeitsdiagnose gezielte apparative Diagn.: 10
• Rö a. p. und seitl., bei V. a. Einengung von Foramen (insbes. der HWS)
schräg; bei V. a. Instabilitäten seitl. Funktion.
• MRT (CT ist als Primärdiagn. abgelöst).
• Myelografie, Funktionsmyelografie und CT nach Myelografie (insbes. bei
V. a. Einengungen).
• Diskografie; Disko-CT sollten wegen destruktiver Auswirkungen auf das
Bandscheibengewebe nicht mehr durchgeführt werden.
• Szinti (Differenzierung deg. Veränderungen/frische Frakturen/Spondylitiden).
• EMG; NLG (Konsiliaruntersuchungen).
• Angiografie.
! Bei eindeutigen neurol. Ausfällen und unauffälligen Befunden immer an hö-
her gelegene Läsionen denken.

Arbeitsdiagnose
Zuordnen der Symptome zu
• Bandscheibenschaden,
• Facettenarthrose/(multi-)segmentaler Instabilität,
• Einengungen Spinalkanal oder Rezessus
oder zu Kombinationen davon.

10.4.5 Allgemeine Therapiestrategie
Konservative Therapie
Akutes Stadium
Aufklärung. Lokale Thermother. (ausprobieren, ob Wärme oder Kälte), z. B. Bä-
der, Fango, Wärmflasche. Bettruhe. Stufenbettlagerung. Analgetika, Antiphlogis-
tika. Muskelrelaxanzien (▶ 16.5.6).
Chron. Beschwerden
Eher aktive Maßnahmen: KG, Rückenschule (▶ 20.2.8), evtl. Gewichtsreduktion.
Bei körperlich zu schwerer Arbeit mit biomechanisch für die WS ungünstiger Si-
tuation (z. B. in vornüber geneigter Haltung) ggf. Arbeitsplatzwechsel.
Passive Maßnahmen: Massagen (▶ 20.4), Wärme, Hydrother., Elektrother., Anti-
phlogistika (▶  16.5.1), Miederversorgung (▶  23.3), Inj.-Behandlung. Manuelle
Ther. (▶  20.2.4) nach Ausschluss entzündlicher tumoröser Prozesse und Band-
scheibenprotrusion bzw. -vorfall.

Operative Therapie
Grundsatz
Deg. „banale“ Kreuzschmerzen sind meistens keine OP-Ind. Wichtig ist eine dezi-
dierte Diagn., die nicht zwingend eine ausgiebige bildgebende Diagn. erfordert, aber
unabdingbar die Evaluation evtl. psychosozial verstärkender Faktoren beinhaltet.
Vorausgehen muss eine erfolglose konsequente kons. Ther. inkl. KG für mehrere Wo.
Auswahlkriterien zur OP an der LWS
• Rez. und auf intensive kons. Heilmaßnahmen resistente Beschwerden, die
eindeutig einem oder mehreren Wirbelsegmenten zuzuordnen sind.
350 10 Wirbelsäule 

• Radiologisch nachzuvollziehendes, pathomorphologisches Substrat: z. B. Seg-


mentinstabilität, Osteochondrose.
10 Typische Indikationen
• Enger Spinalkanal.
• Statische Imbalance mit Wirbelgleiten.
• Deg. Drehgleiten, Skoliose.
• Passender Bandscheibenvorfall.
• Dekompensierte sagittale Balance.
• Sekundäre symptomatische Hyperkyphosen (posttraumatisch, postentzündlich).
Auswahlkriterien gegen OP
• Diffuse WS-Beschwerden.
• Beinschmerz im Vordergrund.
• Neurotische Persönlichkeit; psychosoziale Probleme.
• Offensichtliches Rentenbegehren.
Operationsverfahren
▶ Abb.  10.4.

Abb. 10.4  Operative Verfahren an der WS (hier HWS) [L190]

Viele mögliche OP-Verfahren. Sie werden bestimmt durch Ind., Lokalisation der
Läsion und Anzahl der zu operierenden Segmente.
Ziel der Operation
• Funktionsverbesserung.
• Schmerzlinderung.
• Dekompression der neuralen Strukturen.
• Spondylodese mit sicherer knöcherner Fusion (Ausmaß bestimmt die zu-
grunde liegende Pathologie).
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  351

10.4.6 Unkovertebralarthrose (HWS)
Definition 10
Einengungen des Foramen intervertebrale werden hauptsächlich durch deg. Ver-
größerungen der Procc. uncinati hervorgerufen. Radikuläre und/oder neurovas-
kuläre Symptome können im Vordergrund stehen.

Klinik
• Phasenhaft chron./akute Nackenschmerzen, Nacken-Arm-Schmerzen (ein-
oder beidseits), Bewegungseinschränkung der HWS, Dysästhesien meist
pseudoradikulär; Spannungs- und Schwellungsgefühl der Hand. Rotationsbe-
wegungen v. a. zur kontralateralen Seite schmerzhaft.
• Zervikozephales Sy. (▶ 10.1): Kopfschmerzen, Schwindel, Hör- (Ohrensau-
sen), Schluck- und Sehstörungen. Beschwerden positionsabhängig.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Schmerzausstrahlung einem Dermatom zuordenbar? Reflexe? Paresen?
• Gezielte manuelle Untersuchung (Blockierung? Segmentale Irritation?).
• Rö: HWS in 4 Eb., Schrägaufnahmen → Einengung des Foramen interverteb-
rale (▶ 4.1.2)? Cave: HWS-Schrägaufnahmen vermitteln oft ein trügerisches
Bild von „Engen“.
• Bei unklarer Diagnose evtl. MRT, CT, elektrophysiol. Diagn.
• Angiografie der A. vertebralis: Einengungen, am häufigsten bei C5–C7.
• DD: Umfangreich. Kopfschmerzen/Schwindel (▶ 18.2.2, ▶ 18.2.3), Subclavi-
ansteal-Sy., Thoracic-Outlet-Sy.

Therapie
Kons. Ther.: Manuelle Ther. (▶ 20.2.4) nach Rö-HWS! Wärme, kurzzeitig Halskra-
watte (z. B. nach Schanz), Analgetika bzw. Antiphlogistika (▶ 16.5.1, ▶ 24.1), KG.
Leichte Extension (Glisson-Schlinge). Ther. LA (Quaddeln, Infiltration, Inj. z. B.
mit Mepivacain; ▶  3.3.1). Cave: Versehentliche intraspinale Punktion kann zu
Lähmungen über Hämatombildung führen. Elektrother., langfristig Rückenschule.
Operative Ther.: Ind. bei Kompression einer Nervenwurzel, des RM oder der A.
vertebralis. Osteodiskektomie mit Unkoforaminotomie mit Dekompression der A.
vertebralis und der entsprechenden Nervenwurzel. Stabilisierung durch ventrale
Spondylodese. Eine Ind. zur bewegungserhaltenden Ther. durch eine Totalendo-
prothese besteht nur, wenn der Verschleißprozess nicht zu weit fortgeschritten ist.
Das Segment muss noch beweglich sein. Weiterhin ist eine normale Knochen-
struktur für die Totalendoprothese eine Voraussetzung. Derzeitig befürworten
viele Chirurgen eine Altersbegrenzung bei F von 45 J. und bei M von 50 J., um eine
osteoporotische Knochenstoffwechsellage zu vermeiden. Evidenzbasierte Daten
oder eindeutige Empfehlungen zu diesem Verfahren existieren aber nicht.

10.4.7 Facettensyndrom (LWS)
Definition
Pseudoradikulärer Schmerz ausgehend von den Wirbelgelenken und ihren Struk-
turen ohne Beeinträchtigung der Nervenwurzeln. Diagn. meist nicht eindeutig, da
häufig andere Erkr. mit Facettensy. vergesellschaftet sind, z. B. Postdiskektomie-
sy., Spondylolisthesis, Osteoporose, segmentale Instabilität, sagittale Imbalance,
psychosoziale Belastungssituation.
352 10 Wirbelsäule 

Ätiologie und Pathogenese


• Häufigste mechanische Entstehungsursache: Bandscheibenlockerung → un-
10 physiol. Mikrobewegung im Bewegungssegment (Segmentinstabilität) → ver-
stärkte Belastung der Wirbelgelenke und Reizung der gut innervierten Ge-
lenkkapseln.
• Eine Lumbago kann durch eine akute Überlastung eines Wirbelgelenks bei
Instabilität im Bewegungssegment hervorgerufen werden.

Klinik
• Typischer tief sitzender, diffuser, belastungsabhängiger Kreuzschmerz mit Aus-
strahlung in untere Extremität sowie Gesäß, Leiste, Hoden und Unterbauch.
• Schmerz abends oft am stärksten mit Besserung im Liegen.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Lokaler Rüttel- und Klopfschmerz.
• Deutlicher Hinweis ist das Viererzeichen: Passive Lordosierung und Torsion
der LWS durch max. Abd. und Aro. der Hüfte. Häufig Schmerzerleichterung
bei Entlordosierung der LWS.
• Typische Schmerzpunkte über Mm. gluteus medius und maximus, Dornfort-
sätze der LWS und Trochanter major.
• Rö-LWS, CT: Nachweis einer Spondylarthrose in der klin. lokalisierten Region.
• Diagn. gezielte Infiltration unter BV (erst Lidocain: Besserung ca. 2 h; dann
Kontrolle mit Mepivacain: Besserung für 4–6 h; evtl. Gegenprüfung mit
NaCl-Infiltration) zur Eingrenzung der schmerzhaften Segmente.
• DD: Radikuläres Sy., Claudicatio spinalis, Erkr. im Bereich des SIG, lumbale
Plexusaffektion, PNP, extravertebrale abdominale Erkr.

Therapie
Kons. Ther.: Manuelle Ther., kräftigende KG der Rumpfmuskulatur. Mehrfache
Facetteninfiltration unter BV-Kontrolle intraartikulär oder perikapsulär mit LA/
Kortikoiden. Cave: Klin. Überwachung für mindestens 30 Min.; intrathekale Inj.
als KO möglich. Entlordosierendes HE-Mieder.
Operative Ther.: Wenn kons. Behandlung erfolglos, Spondylodese ggf. mit Dekom-
pression überlegen, da eine Instabilität anzunehmen ist. Facettendenervation mittels
Thermokoagulation hat langfristig geringe Erfolgsrate, ist aber potentiell ­wiederholbar.
Dynamische oder semirigide Systeme sollen die Belastung von Nachbarsegmenten
verringern. Die verfügbaren Systeme werden in der biomechanischen Effektivität kri-
tisch beurteilt, Langzeitverläufe fehlen. Cave: Keine Rö-Befunde operieren! Anamne-
se, radiologische und klin. Befunde müssen schlüssig das Beschwerdebild erklären.

10.4.8 Morbus Forestier (Spondylosis hyperostotica)


Definition
Häufigste versteifende (deg.) WS-Erkr. Relativ typische, breite und lange Span-
genbildung zwischen den WK im Rö. Häufig Koinzidenz mit Diab. mell., „osteo-
plastische Diathese“. Pat. > 60 J., M > F, pyknische Typen.

Klinik
• i. d. R. uncharakteristische schleichende Schmerzen; nicht selten auch Zufalls-
befund im Rö-Bild. Bevorzugt BWS-Bereich (Th4–Th6) befallen.
• Gel. großbogige fixierte Kyphosen.
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  353

• Tendinosen aufgrund ossifizierender Fibroostosen an Becken und Fersenbein


relativ häufig.
10
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Rö: BWS, LWS in 2 Eb. beweisend → hyperostotische Spondylophyten („Zu-
ckerguss“), überwiegend rechtsseitig. HWS und LWS geringer befallen.
• DD: Morbus Bechterew, Spätzustände nach Morbus Scheuermann, akrome-
gale Spondylosis, OPLL (Ossification Posterior Longitudinal Ligament).

Therapie
Aufklärung über Gutartigkeit der Erkr. Bewegungsübungen. Verbesserung der
koordinativen Fähigkeiten, Sturzprophylaxe, Flachlagerung in der Nacht. Anti-
phlogistika bei Bedarf (▶ 16.5.1).

10.4.9 Baastrup-Syndrom
Definition
Syn.: Kissing Spine (engl. Sprachraum). Schmerzsy. im Bereich der LWS durch
sich berührende Dornfortsätze. Radiologisch „Osteoarthrosis interspinosa“ (reak-
tive Knochen- und Knorpelneubildung der Dornfortsätze bei ausgesprochen deg.
veränderter LWS, v. a. bei Höhenabnahme der Zwischenwirbelräume). Keine ei-
gene Krankheitsentität, sondern Ausdruck einer schweren Deg. der lumbalen
WS-Segmente. Häufiger Rö-Zufallsbefund.

Ätiologie
Hyperlordose, Verbreiterung von Dornfortsätzen in sagittaler Ausdehnung, Ver-
schmälerung des Bandscheibenraums, Hypermobilität.

Klinik
Isolierter DS der betreffenden Dornfortsätze bzw. der interspinösen Bänder. Lor-
dosierung regional schmerzverstärkend. Diagn. Infiltration mit LA (▶ 3.3.7): Dia-
gnosesicherung durch Schmerzbeseitigung.

Diagnostik
Rö LWS in 2 Eb. → Nachweis des Kissing-Spine-Phänomens: Funktionsaufnah-
men in Reklination zeigen evtl. direkten Kontakt der Dornfortsätze. Häufig deg.
Veränderung wie Osteochondrosen und Spondylosen.

Therapie
Kons. Ther.: Kausale Ther. von Instabilitäten und Osteochondrose (▶ 10.1). Ent-
lordosierende KG. Physik. Ther. mit Wärme, Elektrother. Interspinale Infiltration
mit LA und Kortikosteroiden. Evtl. endlordosierendes HE-Mieder.
Operative Ther.: Nur sehr selten bei therapieresistenten Beschwerden. Keilförmi-
ge Verkleinerung der betreffenden Dornfortsätze.

10.4.10 Bandscheibenschäden
Lokaler Schmerz durch Mediatoren postuliert. Durch Bedrängung neuraler
Strukturen sensible oder motorische Ausfälle. Radikuläre Schmerzen setzen eine
Entzündungsreaktion der Wurzel durch mechanische Schädigung voraus (Wirk-
354 10 Wirbelsäule 

prinzip entzündungshemmender Medikamente) – die reine mechanische Kom-


pression führt zur Hyp- oder Analgesie.
10
Bandscheibenvorfall bei alten Patienten
Vorsicht bei der Diagnose „Bandscheibenvorfall“ bei Pat. > 65 J. – akute NPP
sind hier die Ausnahme.

Zervikale(r) Bandscheibenprolaps, -protrusion


Definition
Bandscheibenvorfälle im HWS-Bereich sind ca. 100-mal seltener als im LWS-Be-
reich. Überwiegend sog. weiche Vorfälle (▶ Abb.  10.5) dorsolateral oder intrafo-
raminal. Akute Wurzelkompression (selten) oder akute Wurzelkompression nach
chron. Beschwerden durch deg. Veränderungen und chron. Wurzelkompression.

- -

- -

Abb. 10.5  Degeneration der Bandscheibe. a Beginnend. b Fortgeschritten. [L106]


   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  355

Klinik
• Je nach Form radikuläre Nacken-Schulter-Arm-Schmerzen mit und ohne Pa-
rästhesien; manchmal Hust- und Niesschmerz.
• Auf Bewegungseinschränkung der HWS achten, „Schiefhals“, Schmerzaus- 10
strahlung, Paresen, Sensibilitätsstörungen, Reflexausfall bzw. -differenz (vgl.
Synopsis); pos. HWS-Kompressionstest.
• Inkomplette Querschnittslähmung bei medianem Vorfall möglich (Myelon-
kompression): MER ↑, Blasenlähmung, Spastik. Ataktisches Gangbild.
Diagnostik
• Rö: HWS in 2 Eb. MRT, CT, zervikale Myelografie mit Funktionsaufnahmen.
• EMG: Zur Objektivierung oder Ausschluss von Paresen; zur DD.
Differenzialdiagnosen
• Neuralgische Schulteramyotrophie (Plexusneuritis; stärkere diffuse Schmer-
zen, HWS-Beweglichkeit meist frei).
• Karpaltunnelsy. (nächtliche Brachialgie, Sensibilitätsausfall nur distal des
Handgelenks, ▶ 9.3.4).
• Wurzelkompression C6/7.
• N.-ulnaris-Kompression (▶ 18.9.1).
Therapie
Kons. Ther.: Zunächst immer (▶ 10.4.6). Ausnahme: Akute (mediane) Massen-
vorfälle. Insbes. „harte“ Vorfälle bestehen lange und erklären keine akute oder
subakute Symptomatik.
Operative Ther.: Ventrale Bandscheibenexstirpation und ventrale Fusion mit au-
tologem Knochenspantransplantat und ggf. ventraler HWS-Platte. Bei dorsalen
Vorfällen muss in jedem Fall das hintere Längsband reseziert werden.
Alternativ zum autologen Knochentransplantat können auch Cages ohne zusätzli-
che ventrale HWS-Platte implantiert werden. Eine Ind. zur bewegungserhaltenden
Ther. durch eine Bandscheibenendoprothese besteht bei geringer Degeneration,
beweglichem Bandscheibensegment und fehlender Osteoporose (▶ 18.4.6). Bei la-
teral intraforaminal gelegenen Vorfällen kann auch alternativ eine dorsale Nukleo-
tomie nach Frykholm durchgeführt werden. Bei diesem Verfahren muss grund-
sätzlich keine additive Stabilisierung erfolgen.
Neben gängigen Risiken operationsspezifisch beim vorderen Zugang Symptome
einer Querschnittlähmung, Nervenwurzelverletzungen im betroffenen Seg-
ment, Verletzungen der A. vertebralis, Schädigungen von N. recurrens oder N.
hypoglossus, Horner-Syndrom, Ösophagusverletzungen, Cage-, Platten-,
­Prothesen- oder Spanlockerung und -dislokation sowie sekundäre Fusion der
Prothese möglich. Beim dorsalen Verfahren über Instabilität, Nervenwurzelver-
letzungen des betroffenen Segments und Symptome einer Querschnittlähmung
aufklären.
Cave: Vor jeder OP im Bereich der HWS durch entsprechende Bildgebung Klar-
heit über Verlauf und Qualität der Aa. vertebrales verschaffen.

Lumbale Diskushernie
Epidemiologie
Westliche Länder 15–80/10.000 Einwohner. Am häufigsten im Bereich L4/5 und
L5/S1. Prädilektionsalter lumbaler NPP: 30–45 J.
356 10 Wirbelsäule 

Ätiologie und Pathogenese


Folge chron. Strukturveränderungen und mechanischer Stressfaktoren. Treten
Nucleus-pulposus-Anteile durch den Anulus fibrosus, entsteht eine Raumforde-
10 rung mit neurol. Reiz- und Ausfallerscheinungen.
Einteilung
• Protrusion: Beginnende Deg. des Faserrings und Vorwölbung des Nucleus
pulposus, noch im intradiskalen Raum befindlich.
• Prolaps: Vorfall; Faserring zerrissen, Nucleus pulposus tritt aus dem intradis-
kalen Raum aus.
• Gedeckter Prolaps: Längsband erhalten.
• Sequestrierter Prolaps: Durch oder neben das Längsband tretender Vorfall.
• Massenprolaps: Massives Austreten von Diskusmaterial.
Klinik
Leitsymptome nach Lokalisation
▶ Abb.  10.6.
• Lateraler und dorsolateraler Prolaps: Radikuläres Sy. meist die Wurzel des be-
troffenen Segments betreffend.
• Mediolateraler Prolaps (ca. 90 % der Fälle): Lumbago und radikuläres Sy.,
häufig die Wurzel unterhalb des betroffenen Segments betreffend.
• Medialer Prolaps: Lumbago, radikuläres Sy. (Wurzel unterhalb des betroffe-
nen Segments betreffend) und Kaudasy.
• Diskushernien im Wachstumsalter: Rarität! Immer Spondylolyse, Olisthese,
Entzündung oder extra- oder intraspinalen Tumor ausschließen. Bei Fehlen
neurol. Ausfälle zunächst immer kons. Ther.

medialer NPP LWK4

Wurzel L4

LWK5

lateraler NPP

Wurzel L5

medio-lateraler NPP Wurzel S1

Abb. 10.6  Mögliche Lokalisationen der lumbalen Diskushernie [L106]

Symptomatik
Meist plötzlich einsetzendes Schmerzgeschehen im Sinne einer Lumbago oder
Lumboischialgie.
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  357

Diagnostik
Ziel
Exakte Höhenlokalisation der Nervenwurzelstörung. Ausschluss Kaudasy. → Not- 10
fall → sofort OP!
Anamnese
Sog. Verhebetraumen und Bagatellbelastungen werden häufig ursächlich angege-
ben. Pflichtfragen: Sensibilitätsstörung, Lähmung, Schmerzausstrahlung?
Schmerzverstärkung bei Husten, Niesen, Pressen? Blasen-Mastdarm-Störung?

Bei plötzlicher Schmerzbesserung evtl. „Nervenwurzeltod“: Nervenwurzel ist


dann durch die Kompression irreversibel geschädigt.

Inspektion (oft typisch)


Zwangshaltung („Ischiasskoliose“). Sehr vorsichtiges Hinsetzen oder -legen, An-
und Ausziehen sowie Gehen. Lendenstrecksteife mit fixierter Verspannung der
paravertebralen Muskulatur (Hartspann). Finger-Boden-Abstand ↓.
Befund
• Pathol. Befunde bei Nervenwurzelkompression (▶ 10.4.3).
• Fachneurol. Untersuchung (Konsil): Bei Unklarheiten, Hinweisen für Stö-
rung der Temperatur- und Tiefensensibilität oder anderen nicht zum Lum-
balsy. gehörenden neurol. Ausfällen. Spinaler Tumor?
Apparative Diagnostik
• Rö LWS in 2 Eb.:
– Protrusionen und Prolapse sind mit Nativ-Rö-Aufnahmen nicht darstell-
bar. Meist „Steilstellung“ oder segmentale Entlordosierung der LWS sowie
skoliotische Fehlhaltung (Schonhaltung). Segmentale Osteochondrosen.
In Funktionsaufnahmen segmentale Hypermobilität, Segmentkollaps in
Inklination.
– Deg. Veränderungen der WS korrelieren nicht mit Lumbalsy.
– Ausschluss anderer Erkr.: Tumoren und Entzündungen, Spinalkanalste-
nosen, Aufbaustörungen, Bogenanomalien.
– Seitaufnahme: Aufhebung der physiol. Lordose mit Streckstellung („flat-
back-syndrome“). (Beginnende) deg. Spondylolisthesis: Verschiebung der
Wirbel gegeneinander bei deg. Bandscheibenlockerung. Funktionsaufnah-
men. Instabilität?
• MRT, CT (ggf. Disko-CT):
– Genaue Lage des NPP oder der Protrusion, insbes. Höhe und Ursache der
Kompression (Diskushernie, Stenose des Recessus lateralis, pathol. Pro-
zess im Spinalkanal).
– NPP: Am häufigsten sind mediolaterale Vorfälle (ca. 90 %).
• Myelo-CT (Myelografie): Bei unklaren Fällen oder KI für MRT.
• Liquordiagn.: Bei Myelografie, z. B. zur DD eines entzündlichen oder tumorö-
sen Geschehens.
• EMG und NLG: Objektivierung neurol. Ausfälle, DD.
• Diskografie: Inj. von Kontrastmittel unter BV-Kontrolle: Zustand der Band-
scheibe? Typische Schmerzprovokation? Ind. aufgrund der Literaturlage eher
zurückhaltend stellen.
• Labor: Screening, ggf. OP-Vorbereitung: BSG, E'lyte, Diff.-BB, BZ, Harnsäure.
358 10 Wirbelsäule 

Symptomatische NPP auf 2 Höhen sind Raritäten. Aber viele NPP sind asym-
ptomatisch! Deshalb Misstrauen gegenüber der Bildgebung. Die Befunde
10 sind nur bei gutem klin. Korrelat verwertbar.

Differenzialdiagnosen
Insbes. spinale Tumoren, Spondylodiszitis, Herpes zoster, Borreliose, enger Spi-
nalkanal, pAVK, Spondylolisthesis, Syringomyelie.
Konservative Therapie
Vorgehen
• Außer bei funktionell bedeutsamen neurol. Ausfällen ist die Schmerzbehand-
lung entscheidend. Dann sorgfältige Diagn. und in Ruhe Ind. zur kons. Be-
handlung prüfen. Evtl. Misserfolg kons. Behandlung nicht länger als 2 Wo.
tolerieren, dann OP-Ind. erneut prüfen.
• i. d. R. Komb.-Ther. Individueller Ther.-Plan unter Berücksichtigung von
Akuität, Schmerzausmaß, Alter, Psyche, klin. Befunden, Krankheitsstadium.
Der ther. Aufwand ist den subjektiven Beschwerden anzupassen.
Maßnahmen
• Aufklärungsgespräch: Erläutern von Ursachen und Ther.-Möglichkeiten. Ziel:
Compliance verbessern.
• Akut kurzfristig Bettruhe, entlastende Lagerung: Geeignete Körperposition
findet Pat. meist selbst. Evtl. Stufenbett (angewinkelte Hüft- und Kniegelen-
ke) – nicht länger als 2 d.
• Thermother.: Wärme (▶ 20.4.2) eher im chron. Stadium: Heiße Bäder, Wär-
mepackungen, heiße Rollen, Fangopackungen, ABC-Pflaster® oder hyper-
ämisierende Medikamente, z. B. Finalgon®-Salbe. Kryother. eher im akuten
Stadium.
• Periodische oder Dauerextension (Druckreduktion im Zwischenwirbelraum).
Zugkräfte greifen am Becken an. Extensionswirkung auf LWS mit verschiede-
nen Übungen und Geräten zu erzielen: Aushängen an Sprossenwand, Tür-
rahmen, Streckbandage, Schlingentisch.
• Medikamente:
– Analgetika (▶ 24.1), z. B. Tramadol-Infusion (z. B. Tramal®).
– Antirheumatika, Antiphlogistika (▶ 16.5.1), z. B. Diclofenac bis 150 mg/d
(z. B. Voltaren®) und Magenschutz.
– Tranquilizer wie Diazepam 5–15 mg/d (z. B. Valium®).
• Periduralanästhesie (PDA): ▶ 3.3.5. Evtl. mehrfach wiederholen.
• KG: Im akuten Stadium vorsichtig, auch im Bewegungsbad. Stabilisierung.
Auf muskuläre Dysbalancen achten. Rückenschule. Allerdings bisher kein si-
cherer Nachweis, ob KG den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst.
• Massage: Schmerzlinderung, wenn Akutphase abgeklungen. Klassische und
Unterwasserdruckstrahlmassage möglich (▶ 20.6).
• Lagerung in umgekehrter Stufenlagerung.
• Elektrother.: Insbes. Interferenzstrom (▶ 20.5). Saugelektroden über Lumbal-
und Gesäßregion bds. Stangerbad.
• Weichteilinfiltration: Adjuvant an Stellen schmerzhafter Insertion von Bän-
dern, Sehnen und Faszien an WS (z. B. Querfortsätze L4/5), Becken, Kreuz-
bein.
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  359

• Paravertebrale Inj.: In die Umgebung des Foramen intervertebrale (Reischau-


er-Blockade).
• In vielen Fällen ist begleitende psychosomatische Ther. unerlässlich (▶ 19.2). 10
Technik der lumbalen Wurzelinfiltration
Aufklärung: Pat. über vorübergehende motorische Ausfälle nach Inj. Aufklären.
Sturzrisiko!
Gezielte Wurzelinfiltration: Für sichere, gezielte Wurzelinfiltration BV verwen-
den. Max. 2–3 ml injizieren z. B. Mepivacain 0,5–2 % (z. B. Scandicain®) oder Bu-
pivacain 0,5 % (z. B. Carbostesin®; längere Blockadedauer).
Ungezielte paravertebrale Überflutung (Reischauer-Blockade): Einstich der ca.
10 cm langen Inj.-Nadel ca. 4 cm lat. der Medianlinie des Dornfortsatzes über dem
gewünschten Segment. Vorschieben der Nadel bis zum Knochenkontakt mit dem
Querfortsatz. Zurückziehen der Nadel um 2–3 cm und neues Vorschieben ca.
1–2 cm mehr kaudal (bei Kontakt mit Nervenwurzel gibt Pat. blitzartigen, ins Bein
ausstrahlenden Schmerz an). Sorgfältiges Aspirieren (cave: Intravasale Inj.). Inj.
von 5 ml.
KO: Stärkere motorische Störung und Standunfähigkeit, intravasale Inj., intra-
oder epidurale Ausbreitung, Dysästhesien, Rückenschmerzen. Verhalten nach der
Inj.: Horizontale Lagerung mit leicht erhöhtem Kopf. 30–60 Min. Überwachung.
Pat. fahruntüchtig! Paravertebrale Inj. u. U. tgl. durchführen. Behandlungsserie:
6–12 Inj.
Operative Therapie
Indikationen
Entscheidend sind die klin. Befunde, jedoch sind Gesamtpersönlichkeit und sozi-
ale Situation des Pat. mit zu berücksichtigen. Im Zweifelsfall nicht operieren. Psy-
chosoziale Belastungsfaktoren dürfen aber nicht als KI zur OP bei sonst klarer
Symptomlage dienen.
Absolute Ind.: Akute Cauda-equina-Lähmung mit Blasen- und Mastdarmstö-
rung sowie Reithosenanästhesie. Akut einsetzende Lähmung der Fuß- und Ze-
henheber sowie des M. quadriceps.
Relative Ind.: Wurzelirritation mit diskreten Ausfallerscheinungen ohne Besse-
rungstendenz nach intensiver kons. Ther. über 6 Wo. Bei großen Vorfällen evtl.
früher. Chron.-rez. Wurzelirritation mit segmentaler Schmerzausstrahlung und
diskreten oder fehlenden neurol. Störungen.
KI der lumbalen Diskotomie: Unspezifische Kreuzschmerzen ohne radikuläre
Symptomatik, Unklarheiten in der Diagn., fehlende Bereitschaft des Pat., „Wir-
belsäulenhypochondrie“. V. a. psychosomatische Erkr. (▶ 19.3.2).

Bandscheibenpat. nie zur OP überreden.

OP-Vorbereitung
Exakte Höhe und Lokalisation: Aufgrund des klin. und neuroradiologischen Be-
funds festlegen. Bei mehreren Vorfällen besondere Vorsicht und operative Zu-
rückhaltung.
Aufklärung, Risiken: Nachblutung, Rezidiv. Hinweis auf bestehen bleibende Deg.
der betroffenen Bandscheibe (Postnukleotomiesy. ▶  10.7). Pat. dabei aber nicht
zum WS-Invaliden stempeln! Spondylodiszitis: Risiko < 1 % (Fieber, heftige lum-
bale und meist bds. radikuläre Schmerzen, BSG ↑). Verletzung einer Nervenwur-
360 10 Wirbelsäule 

zel durch Zug oder direkte Verletzung. Duraverletzung (Gefahr der Pseudomenin-
gozele). Ventrale Perforation des Anulus fibrosus mit Verletzung von Aorta abdo-
minalis, V. cava inferior, Harnleiter oder Bauchorgane. Häufigkeit ca. 1 : 3.000.
10 Checkliste: Überprüfen des klin.-neurol. Befunds durch Operateur – Aufklä-
rungsgespräch mit Skizze und Einwilligungserklärung – Kontrolle von Rö-Bild
(unbedingt seitl. Rö-Aufnahme) und MRT bzw. CT.
OP-Verfahren
• Offene und mikrochirurgische oder endoskopische gezielte Entfernung des
Vorfalls, ggf. Diskotomie.
• OP-Prinzip: Entfernung des verlagerten Bandscheibengewebes zur Entlastung
der Nervenwurzel oder Dura.
• Technik: Möglichst kleiner, aber sicherer Zugang, möglichst geringe Beein-
trächtigung der Statik der WS durch Schonung der Facettengelenke.
• Die mikroskopisch gestützte Nukleotomie gilt als Goldstandard. In den letz-
ten Jahren haben sich endoskopische Verfahren etabliert, die kurzfristig bei
geringerem Zugangstrauma zum Goldstandard vergleichbare Ergebnisse er-
zielen. Langzeitergebnisse stehen noch aus.
• Minimalinvasive Verfahren mit ungezielter Entlastung des Bandscheiben-
raums (Chemonukleolyse, automatisierte perkutane Nukleotomie und Laser-
nukleotomie) haben sich in der Praxis nicht bewährt und sind weitgehend
verlassen worden.
• Bei länger als 6 Mon. bestehenden therapieresistenten Radikulopathien bei
NPP wird alternativ die Ind. zur funktions- und stabilitätserhaltenden lumba-
len Bandscheibenprothese zwischen L3 und S1 diskutiert. Mittel- und Lang-
zeitergebnisse sind noch nicht ausreichend, um endgültig ihren Langzeiteffekt
abzuschätzen.
Offene und mikrochirurgische Technik
Lagerung: OP in Kyphose der LWS (z. B. Knie-Ellenbogen-Lagerung oder Bauch-
lagerung in entlordosierter Position). Immer die Bandscheibenetage nach der La-
gerung mit BV sichern!
Vorgehen: Medianer Hautschnitt; Eröffnen der Faszie auf der Seite des Vorfalls; Ab-
schieben der Muskulatur und Einsetzen der Spreizer (z. B. Caspar-Sp.); Einschwen-
ken des Mikroskops (manche Operateure setzen das Mikroskop mit dem Hinweis
auf eine subtilere Blutstillung und ein atraumatischere Präparation bereits ab dem
Hautschnitt ein), Eröffnen und Resektion des Lig. flavum; Abdrängen des Durasacks
nach medial unter Schonung der epiduralen Gefäße; ggf. Eröffnen der noch stehen-
den Anteile des hinteren Längsbands über dem Vorfall; Kontrolle der Höhe! Voll-
ständige Sequesterotomie. Blutstillung und schichtweiser Hautverschluss.
Endoskopische Technik
Ind.: Protrusionen mit nervaler Kompression, bei gedeckten Bandscheibenvorfäl-
len mit eindeutigen neurol. und pathol. Befunden und persistierenden radikulä-
ren Beschwerden.
KI: Sequestrierte Bandscheibenvorfälle bei ungünstiger Lage des Sequesters, Spi-
nalkanalstenosen, Instabilitäten und Spondylolisthesis.
Vorgehen: Bandscheibenraum wird über 1–2 perkutan eingeführte Sonden eröff-
net; Bougierung des Zugangs durch Trokare; Darstellung und Entfernung des
Prolapses durch den Bandscheibenraum.
Vorteile: U. a minimale Invasivität, ambulante OP in LA möglich, keine epidurale
Narbenbildung durch indirekten Zugang. Schnelleres Erreichen der Arbeitsfähig-
keit bei guter Ind.-Stellung.
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  361

Nachteile: Bergung sequestrierter Bandscheibenvorfälle erschwert bei transfora-


minalem Zugang, eingeschränkte Ind.
Nachbehandlung 10
Strategie ist stark im Fluss; genereller Trend zu mehr Mobilisation. Ausreichende
Analgetikagabe. Mobilisierung meist unter KG-Anleitung. Frühzeitige Wieder-
eingliederung in das soziale Umfeld ist wichtig. Bei postop. unklarem BSG- oder
CRP-Anstieg immer an Spondylodiszitis denken.
Prognose, Ergebnisse
• Kons. Ther. auch bei nachgewiesenem NPP erfolgreich.
• Nachuntersuchungsergebnisse nach Bandscheiben-OP in der Literatur unein-
heitlich: ca. 80 % gute und sehr gute Ergebnisse. Ergebnisse nach 1 und 2 J.
regelmäßig besser, nach 5 J. fast identisch mit kons. Ther. Bessere postop. Er-
gebnisse bei jüngeren Pat., kurzer Anamnese und massivem Prolaps.
• Restsymptome des Wurzelsy. (lang bestehende druckbedingte Leitungsstö-
rung, Hypästhesie, Reflexabschwächung, motorische Schwächen) bilden sich
meist erst – wenn überhaupt – nach Mon. zurück.
• Segmentinstabilität kann nach Bandscheibenausräumung und/oder Facetten-
schädigung auftreten → deg. Spondylolisthesis.

10.4.11 Einengungen des Spinalkanals oder der Foramina


intervertebralia
Enger zervikaler Spinalkanal
Definition
Einengung des Spinalkanals und Pelottierung des Zervikalmarks, bei fortschrei-
tender Erkr. zervikale Myelopathie, d. h. Substanzschäden des zervikalen RM mit
neurol. Ausfällen. Die Myelopathie ist als Signalanhebung im MRT erkennbar.
Häufig durch spondylophytische Randzacken. M > F.
Klinik
• Langsam zunehmende Beschwerden wie Gangunsicherheit, oft unerkannte
neurogene Miktionsstörungen.
• Radikuläre Armschmerzen.
• Diffuse Schmerzen und Missempfindungen an Armen und Beinen.
• Befunde: Symmetrisch oder einseitig betonte Paresen, gel. Tetra- oder Para­
spastik mit ↑ MER; Sensibilitätsstörungen (nicht obligat): Radikulär, unter-
halb eines Segments oder uncharakteristisch.
Diagnostik
• Rö: HWS in 4 Eb. (a. p., seitl. und schräg) ergibt Anhaltspunkte über das Aus-
maß deg. Veränderungen. Funktionsaufnahmen (▶ 4.1.2).
• MRT, CT evtl. nach Myelografie: Beurteilung der Weite des Spinalkanals. Su-
che nach rel. Einengungen. Anhalt: Sagittaler Durchmesser normal > 13 mm.
• CCT: Z. A. zerebraler Ursachen (Tumor) bei entsprechendem Verdacht.
• EMG, NLG, evozierte Potenziale ergänzend zur DD.
Differenzialdiagnosen
Instabilitäten des Dens mit chron. Myelonschädigung; amyotrophische Lateral-
sklerose, MS, funikuläre Spinalerkr. (↓ Vit.-B12-Spiegel), Ossification of the Pos-
terior Longitudinal Ligament (OPLL) häufiger im asiatischen Raum.
362 10 Wirbelsäule 

Therapie
Konservative Therapie
10 Ind.: Bei Schmerzsy. im Vordergrund; keine akute neurol. Verschlechterung (z. B.
kein Zeichen der frischen Denervierung im EMG); Ausschluss eines akuten Pro-
zesses (Prolaps, Spondylodiszitis, Trauma).
Maßnahmen: Ruhigstellung durch äußere Fixation der HWS. Bei Muskelspastik
Baclofen (z. B. Lioresal®), KG mit vorsichtiger Traktion der HWS.
Operative Therapie
Ind.: Bei eindeutigem Befund und passender Klinik. Zügige Entscheidung bei
progressiver Lähmung – die während des Zuwartens entstandenen Ausfälle sind
oft nicht reversibel. Bei frustraner kons. Ther. oder progressiver Symptomatik und
Schmerzen.
Verfahren: Ventrale Spondylodese nach Bandscheibenexstirpation und Abtra-
gung der dorsalen Randosteophyten; ventrale Fusion. Bei ausgeprägten mehr-
segmentigen dorsalen Spondylophyten → Dekompression des Zervikalmarks
notwendig → Korporektomie mit ventraler Fusion und Beckenkammspan-Inter-
ponat sowie ventraler Plattenosteosynthese. Wenn ≥ 3 Bewegungssegmente (2
WK) vom Verfahren betroffen sind, ist eine zusätzliche dorsale Stabilisierung
indiziert. Alternativ oder zusätzlich ist eine rein dorsale Dekompression i. d. R.
mit Stabilisierung möglich/nötig (verschiedene Techniken). Die OPLL mit häu-
fig auftretenden Verklebungen zwischen verknöchertem Längsband und Dura
wird bevorzugt von dorsal angegangen. Fälle mit Rezessusstenosen besser von
ventral angehen.
Nachbehandlung
Mobilisation am 1. postop. Tag, Halsorthesen nicht indiziert.
Prognose
Kons. Ther. angesichts der wechselnden Dynamik und Progression des Krank-
heitsbilds unsicher. Nach operativer Dekompression bis zu ¾ der Fälle mit deutli-
cher funktioneller Leistungssteigerung und subjektiver Beschwerdereduktion. Bei
lange bestehenden medullären Ausfällen ist von einem operativen Eingriff aller-
dings keine Besserung zu erwarten.

Einengung Foramina intervertebralia zervikal


Definition
Durch deg. Vergrößerung des Proc. uncinatus. Im Lebensalter < 50 J. häufiger
durch Bandscheibenvorfälle.
Klinik und Diagnostik
• Am häufigsten akute Verschlimmerung eines chron. Schmerzsy. Mit sensib-
len Ausfällen und diskreten motorischen Schwächen („Mir fällt alles aus der
Hand“).
• Weitgehend wie bei Spinalkanalstenose (oben). Aber Versuch, die Symptome
einem Segment zuzuordnen. EMG und NLG sehr wichtig.
• Ausschluss von Schäden der langen Bahnen (Spastik).
Therapie
Kons. Ther.: Schmerzen sprechen i. d. R. gut auf Antiphlogistika an. Immer kons.
Behandlungsversuch, wenn keine akute funktionell bedeutsame Lähmung oder
frischer Massenvorfall.
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  363

Operative Ther.: Spondylodese nach Bandscheibenexstirpation und Dekompres-


sion der Wurzel, alternativ Verfahren nach Frykholm. Selten in mehreren Etagen
nötig. Ind. überdenken, wenn Symptomatik nicht auf ein Segment eingegrenzt
werden kann.
10
NB: Mobilisation am 1. postop. Tag, Zervikalstütze nach OP-Verfahren.

Lumbale Spinalkanalstenose, Rezessusstenose


Definition
Spinalkanalstenose: Enge des Spinalkanals mit Schmerzen, Sensibilitätsstörungen,
evtl. Lähmungen. „Rezessusstenose“ (▶ Abb.  10.7): Kompression der Nervenwur-
zel im Recessus lateralis. Am häufigsten L4/5 (ca. 70 %) und L5/S1 betroffen.

Abb. 10.7  Rezessusstenose beidseits [L190]

Ätiologie
Spinalkanalstenose: Erworbene deg. Einengungen durch Osteophyten, Band-
scheibenprotrusion und Pseudospondylolisthesen (häufigste Ursachen); evtl. in
Komb. mit einer idiopathischen Wirbelkanalstenose. Seltener rein angeborene
Stenosen: Idiopathisch, bei Achondroplasie.
Rezessusstenose: Deg. Veränderungen am Proc. articularis superior. Residuale
Rezessusstenose ist häufige Ursache unbefriedigender Ergebnisse nach Band-
scheiben-OP. Allerdings ist das Foramen intervertebrale lumbal sehr weit – Ste-
nosesy. meist durch Bandscheibengewebe verursacht.
Klinik
• Vielfältig und abhängig von Lokalisation und Ausmaß der Veränderungen.
Eindeutige segmentale Zuordnung meist nicht möglich.
• Chron. Lumbalgie bzw. Lumboischialgie. Typisch: Beim Gehen heftige, tief
lumbal gelegene, ins Gesäß und in die Beine ausstrahlende Schmerzen. Durch
Vorbeugen (Fahrradtest, Kyphosierung), Hinsetzen oder Hinlegen Besserung
der Schmerzen. Typische Symptome eines NPP fehlen. Gel. Klagen über
Brennen und Schwächegefühl in den Beinen. Schmerzverstärkung durch Lor-
dosierung. Fußpulse sind tastbar (DD Angiopathie).
• Neurol. Ausfallerscheinung, z. B. pos. Lasègue, Reflexabschwächungen, moto-
rische und sensible Ausfälle sprechen eher für eine gleichzeitige Wurzelkom-
pression durch eingeengten Recessus lateralis und/oder begleitenden NPP.
364 10 Wirbelsäule 

Da die Schwächen meist nur unter Belastung berichtet werden, sind neurol.
Diagnosemaßnahmen meist frustran.
10 • Im Gegensatz dazu bei Rezessusstenose: Monoradikuläre, meist einseitige
Schmerzen, unter Belastung Zunahme. Parästhesien, seltener sensorische
oder motorische radikuläre Ausfälle.
Diagnostik

Die Stenose kann an einer Stelle oder in mehreren Lokalisationen an der WS


vorhanden sein. Der enge Recessus lateralis kann mit oder ohne Stenose des
Spinalkanals vorkommen.

Anamnese: Oft „Claudicatio spinalis“, d. h. Symptome werden nach einer Geh-
strecke wahrgenommen und lassen sich durch Pausieren, Vornüberbeugen und
Setzen bessern.
Myelografie: Durch klin. Befund allein ist Höhe der Kompression häufig nicht
festzulegen. Abklärung des gesamten lumbalen Wirbelkanals notwendig → Mye-
lografie einschl. Funktionsmyelografie (Ausschluss einer Instabilität) ist immer
noch der Standard: Impression des Duralsacks, fehlende Füllung der Nervenwur-
zelscheiden, kaskadenförmige Kontrastmittelsäule.
MRT, CT: Myelo-MRT (selektive Darstellung des Liquorraums mit MR) als alterna-
tives Verfahren zur Feststellung der Kompressionshöhe. MRT und CT zur Diagno-
sesicherung (nur über eine begrenzte Strecke der WS sinnvoll). Lumbaler Spinalka-
nal sollte im sagittalen Durchmesser > 12 mm weit sein, rel. Stenose 10–12 mm, ab-
solute Stenose < 10 mm. Befund nur in Korrelation mit Klink verwertbar.
Rö: LWS in 2 Eb. → beachte Ausmaß von deg. Veränderungen, Spondylarthrose,
Osteochondrose, Spondylose, Pseudospondylolisthesis. Seitaufnahme: Verkür-
zung der Bogenwurzeln, geringe Abstände der Bogenwurzeln. Immer auf mögli-
che Knochentumoren (Metastasen) oder Entzündung achten. Zur Beurteilung der
Spondylolisthesis Funktionsaufnahme empfehlenswert.
EMG: Zunächst Normalbefund. ESSP (evozierte somatosensorische Potenziale):
Frühzeitige pathol. Befunde möglich. Hilfreiche neurol. Etagendiagn. insges. eher
unergiebig.
Arteriografie: Selten notwendig. Ausschluss einer vaskulär bedingten Claudicatio.
Differenzialdiagnosen
PNP, Wirbelmetastasen, Spondylitis, Spondylodiszitis, Bandscheibenprotrusio-
nen, Prolaps, intraspinale Prozesse, Koxarthrose, Spondylolisthesis, psychosoma-
tische Erkr., vaskuläre Fehlbildungen, Myelom, Anämie, Borreliosen (z. T. ende-
misch!).
Therapie
Kons. Ther.: Immer indiziert. Entlordosierende KG (▶ 20), ggf. Lymphdrainage,
Versuch mit einer entlordosierenden Orthese (▶ 23.5), Analgetika (▶ 24.1), Anti-
phlogistika (▶ 16.5.1), PDA (▶ 3.3.5). Dabei auch durch Ruhigstellung Besserung
instabilitätsbedingter Schmerzen.
Operative Ther.: Bei therapieresistenten Beschwerden, zunehmenden Lähmun-
gen. OP-Prinzip: Dorsale Dekompression in Höhe der am stärksten ausgeprägten
Symptomatik. Infrage kommen Laminektomie, Hemilaminektomie, Facetten-
und Bogenunterschneidung (Undercutting). Bei Laminektomie über mehrere
Segmente → Instabilität → evtl. gleichzeitig instrumentelle Stabilisierung eines
oder mehrerer Segmente planen. Ist es notwendig, bis auf das Sakrum zu stabili-
   10.4  Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule  365

sieren, Bandscheibenfach L5/S1 immer ventral stabilisieren (ALIF, PLIF, TLIF),


da sonst ein erhöhtes Risiko für Pseudarthrosen und Schraubenlockerung besteht.
Rezessusstenose: Rezessotomie mit Entfernung der hypertrophierten medialen
Anteile des Proc. articularis inferior bzw. superior.
10
NB: Frühmobilisation, bei Spondylodese keine NSAR (erhöhen Pseudarthrosera-
te). Ggf. Miederversorgung.
Prognose
Adäquate kons. Behandlung führt oft zu langanhaltender Beschwerdebesserung.
(Die radiol. Veränderungen bestehen meist viel länger als die Beschwerden.) Bei
richtiger OP-Ind. sehr gute Prognose, Stabilisierung nur bei ursächlicher oder in-
traop. erzeugter Instabilität sinnvoll.

Degenerative segmentale Instabilität


Definition
Sehr schwammig verwandter Begriff. Klare Kriterien zur Diagnose fehlen, trotz-
dem ist die Diagnose häufig Grund zur Spondylodese. „Anschlussinstabilität“:
Vermehrte Beweglichkeit in Segmenten, die unmittelbar an fusionierte WS-Berei-
che anschließen.
Anmerkung: Im angelsächsischen Sprachraum spricht man von der „Adjacent Seg-
ment Disease“ – der Erkr. des angrenzenden Segments. Diese Beschreibung trifft
das Problem besser, da es nicht auf mechanistische Vorstellungen limitiert ist.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen

Häufig werden die Translation (Gleiten) von 2 Wirbeln in standardisierten


Funktionsaufnahmen seitl. um mehr als 4 mm und die Beschwerdebesserung
nach Anwendung rumpffixierender Orthesen als Diagnosesicherung akzeptiert.

• Rö: WS in 2 Eb. (▶ 4.1.3), ggf. Funktionsaufnahmen. Zeichen einer Instabili-


tät (Chondrose, Gelenksubluxation, „Traction Spur“ = knöcherner Sporn an
Ansatzstelle des Anulus fibrosus, deg. Spondylolisthesis)? Bei V. a. Lyse →
Schrägaufnahmen der LWS, Funktionsaufnahmen. Evtl. dynamische Myelo-
grafie (Funktionsmyelografie).
• Funktionsdiagn.: Anlage eines Rumpfgipses mit Einschluss eines Beins zur
Ruhigstellung der unteren LWS. Facetteninfiltrationen. Evtl. probatorische
perkutane transpedikuläre Fusion mit Fixateur externe.
• DD: Zervikale Instabilitäten bei Os odontoideum, RA, Down-Syndrom und
posttraumatische Instabilitäten.
Konservative Therapie
KG, Rumpforthesenversorgung, Analgetika.
Operative Therapie
Indikationen
Bei fehlgeschlagener kons. Ther. und klin. schlüssigen Befunden (z. B. Beschwer-
delinderung im Mieder, nach gezielter Facetteninfiltration).
Gebräuchliche Spondylodese-Methoden jeweils mit oder ohne
Dekompression
Posterolaterale Fusion: Autologe Knochenspananlagerung an die Querfortsätze
mit oder ohne Instrumentierung; besonders im angelsächsischen Sprachraum
366 10 Wirbelsäule 

häufig angewandte Methode. Cave: Bei gleichzeitiger Instrumentation bleibt nur


wenig Platz zum Anlagern von Spongiosa.
Rein dorsale, transpedikuläre Stabilisierungsmaßnahmen: Moderne Implantate
10 sind aus Titan und erlauben mehrsegmentale, winkelstabile Osteosynthesen. Au-
ßerdem sollten polyaxiale Pedikelschrauben verfügbar sein.
Dorsoventrale Fusion: Entweder durch dorsale, interkorporelle Fusion durch Kno-
chenspäne und/oder Cages (PLIF/TLIF [Posterior, Transforaminal, Lumbar Interbody
Fusion]) und instrumentierter dorsaler Spondylodese oder dorsale Spondylodese und
zusätzlicher ventraler Zugang mit Ausräumen des Bandscheibenfachs und Interpositi-
on von Knochenmaterial und/oder Cages (Anterior Lumbar Interbody Fusion). Die
dorsalen Verfahren mit intervertebraler Abstützung in den genannten Formen sind
den rein dorsalen Techniken bzgl. möglicher Pseudarthrosen eindeutig überlegen.
Zunehmend werden Implantate zum Ersatz der Bandscheibe angeboten, alterna-
tiv auch dynamische oder semirigide dorsale Fixationssysteme. Ob sie den Fusi-
onsverfahren überlegen sind, bleibt abzuwarten.
Für alle operativen Verfahren werden auch minimalinvasive oder perkutane
Techniken angeboten.
Nachbehandlung
Mobilisation der Pat. vom ersten postop. Tag unter Vermeidung des Hebens und
Tragens von Lasten > 5 kg für die ersten 12 Wo., dann steigern. Rotationsbewe-
gungen sollten 12 Wo. vermieden werden. Motivation zur Mobilisierung.
Prognose
Spontane Schmerzremission bei deg. Lumbalsy. fast immer möglich! Rezidive je-
doch häufig. Weiterhin Pseudarthrosen: Bei dorsoventralen Verfahren ≤ 5 %, bei
rein dorsalen und dorsolateralen Fusionen > 10 %, bei rein ventralen Fusionen
etwa 20 %. Metallbruch, Schmerzen und Taubheit nach Beckenkammspanentnah-
me, Mehrbelastung der angrenzenden Bewegungssegmente.

10.4.12 Funktionelle Wirbelsäulenbeschwerden
Definition
Sammelbegriff für WS-Beschwerden. Vielfältige Ursachen, uneinheitliche Symp-
tomatik. Ebenso viele Ther.-Möglichkeiten.

Beispiel: Kokzygodynie
Ätiologie
Vielfach unklar. Trauma, Lumbalgien und Lumboischialgien, Tumor, Bandschei-
benvorfälle, gynäkologische Erkr. 80 % der Pat. sind Frauen.
Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Schmerzen beim Sitzen, bei Defäkation, Koitus.
• Lokaler DS, rektaler Untersuchungsschmerz.
• Rö: Steißbein in 2 Eb., BÜ.
• Unbedingt sorgfältige DD: Tumor, Entzündung, Trauma, NPP, psychogene
Ursache.
Therapie
Kons. Ther.: Über mindestens 3 Mon. versuchen. z. B. lokale Infiltration an Syn-
chondrosis sacrococcygialis mit LA (z. B. Mepivacain), epidurale Infiltration,
Steißbeinmanipulation. Sitzring. KG. Akupunktur.
   10.5  Traumatologie der Wirbelsäule  367

Operative Ther.: Steißbeinresektion als Ultima Ratio. Ind.: Therapieresistente


Schmerzen, radiologisch verifizierte, posttraumatisch aufgetretene Stellungsver-
änderung.
10
10.5 Traumatologie der Wirbelsäule
10.5.1 Klassifikationen
Bei Einwirkung äußerer Gewalt kann es zu Frakturen der Wirbelkörper, -bogen,
Facetten und Dornfortsätze, zu Bandzerreißungen und Bandscheibenschäden
kommen. Prädilektionszonen: Untere HWS und thorakolumbaler Übergang.

Biomechanische Grundlagen – Dreisäulenprinzip der WS (Denis,


McAfee, Louis)
• Vordere Säule: Vorderes Längsband, vordere ⅔ des WK, Bandscheibe.
• Mittlere Säule (für Stabilität am wichtigsten): Dorsales Drittel des WK, Band-
scheibe, hinteres Längsband. Bei Verletzung Instabilität mit entsprechendem
neurol. Risiko.
• Hintere Säule: Wirbelbögen mit Fortsätzen, Gelenk, dorsaler Ligamentkom-
plex.
Auf diesem WS-Modell beruhen die meisten Klassifikationsvorschläge.

Stabile und instabile Verletzungen


Stabile Verletzung: Spongiosa solide impaktiert, Bandstrukturen intakt, ca. 90 %
aller Frakturen.
Instabile Verletzung: Fehlstellung, dorsaler Bandapparat zerrissen, Gefahr der
RM-Läsion. Große Bedeutung hat die Integrität der WK-Hinterkante. Die Häu-
figkeit neurol. KO nimmt von kaudal nach kranial zu. Ossäre Läsionen sind i. d. R.
nur passager instabil; diskoligamentäre Läsionen heilen oft mit weiterbestehender
diskoligamentärer Instabilität aus (chron. belastungsabhängige Schmerzen).

Klassifikationen nach Region


• Atlasfrakturen: Jefferson-Klassifikation (s. u.).
• Densfrakturen: D'Alonzo-Klassifikation.
• Mittlere und untere HWS: Keine einheitliche Klassifikation, gebräuchlich z. B.
nach Aebi entsprechend dem Verletzungsmechanismus.
• Rumpfwirbelsäule: Klassifikation nach Magerl, Aebi, Gertzbein, Harms und
Nazarian (▶ Abb.  10.8).
Einteilung von HWS-Verletzungen (nach Aebi)
Verletzung durch axiale Kompression: WK und angrenzende Bandscheiben
werden axial komprimiert → Kompressions- oder Berstungsfraktur. An der HWS
sind am häufigsten der Atlas, aber auch das mittlere und untere Drittel betroffen.
Verletzung durch Hyperflexion: Entweder mit gleichzeitiger Kompression oder
Distraktion: Die typische Kompressions-Hyperflexions-Verletzung entsteht
durch einen Schlag auf den Hinterkopf von kranial, die Distraktions-Hyperflexi-
ons-Verletzung durch einen Schlag gegen das Os occipitale von unten. Sonder-
form der Distraktions-Hyperflexions-Verletzung ist die „Teardrop fracture“: Ab-
riss der ventralen WK-Kante, die meißelartig in den darunterliegenden WK hin-
eingepresst wird.
368 10 Wirbelsäule 

10

Abb. 10.8  Frakturklassifikation nach Magerl et al. [L106]

Verletzung durch Hyperextension: Ebenfalls mit gleichzeitiger Kompression


oder Distraktion; Verletzung entsteht durch Krafteinwirkung gegen die Stirn
bzw. das Kinn. Zu diesem Verletzungstyp gehört auch die „hangman's frac-
ture“.
Verletzung durch Scherung (Translation): Luxation einer oder beider Ge-
lenkfacetten und Zerreißung der anterioren und posterioren ligamentären
Strukturen.
Klassifikation nach Magerl, Aebi, Gertzbein, Harms und Nazarian
▶ Abb.  10.8.
Die korrekte Einschätzung von Stabilität bzw. Instabilität, evtl. neurol. Defizit und
Deformität ist Grundlage für Entscheidungen, ob funktionelle, kons. oder opera-
tive Ther. Entsprechend dem Schema von Magerl et al. gelten nur A1- und A2-
Frakturen als stabil.
   10.5  Traumatologie der Wirbelsäule  369

10.5.2 Allgemeine Diagnostik und Behandlung von


Wirbelsäulenverletzungen
10
Jede Verletzung mit V. a. WS-Beteiligung gilt bis zum Beweis des Gegenteils
als instabil → Immobilisation und Frakturlagerung!

Sichern der Vitalfunktionen: Parenteraler Zugang, evtl. Schockbehandlung.


Verletzungsmuster: Analyse des Unfallhergangs. Achsenabweichung, Gibbus?
Schmerzlokalisation. Klopf-, Druck- und Stauchungsschmerz.
Begleitverletzungen: Abdomen untersuchen. Bei BWS-/LWS-Frakturen retrope-
ritoneales Hämatom → paralytischer Ileus (nüchtern lassen auch bei kons. Be-
handlung); stumpfes Thoraxtrauma.
Sofortige neurol. Untersuchung: Paresen (können Beine und Arme bewegt wer-
den?), Sensibilitätsstörungen, Reflexstatus → welche Höhe der Läsion? Welche
neurol. Ausfälle (radikuläre Symptomatik, inkomplette oder komplette Quer-
schnittslähmung), Dokumentation (Verlauf)!
Sofortige Ther.: Bei neurol. Ausfällen NASCIS-Schema: Methylprednisolon
27 mg/kg KG innerhalb 15 Min. und Methylprednisolon 27 mg/kg KG innerhalb
23 h als Perfusor (z. B. Urbason®).
Rö: In 2 Eb., Schrägaufnahmen, evtl. Schichtaufnahmen. Hinweis auf Instabilität:
Translation oder Luxation; Fraktur obere und untere Deckplatte, seitl. Deformie-
rung, Keilwirbelbildung > 20°, Ausbruch der WK-Hinterwand. Auseinanderwei-
chen der Dornfortsätze → Hinweis auf diskoligamentäre Instabilität.
Verlegung: In eine Klinik mit besseren diagn. und ther. Möglichkeiten (insbes. bei
neurol. Ausfällen in ein Spezialzentrum verlegen; das postakute Management ent-
scheidet über die Progn. der Lähmung – nicht die operative Frakturversorgung!).
MRT oder CT: Bei jedem unklaren Befund. Darstellung ossärer Schäden. Beurtei-
lung des Spinalkanals, Hinterkantenfragment. Weite des Kanals? Frakturtyp? Sta-
bilität?
Labor: Hb, Hkt, Blutgruppe, evtl. Kreuzblut. Bei V. a. pathol. Fraktur BSG, AP.
DD: Fraktur bei Osteoporose, Osteomalazie, Metastasen, Plasmozytom, hämato-
logische Erkr., Keilwirbel bei M. Scheuermann, Anomalien.

10.5.3 Verletzungen der Halswirbelsäule


Allgemein
Klinik
Reicht je nach Schwere der Verletzung von Nacken- und Schulterschmerzen bei
protektivem Hartspann der paravertebralen Muskulatur ohne neurol. Ausfälle bis
zur kompletten Querschnittslähmung.

Schmerz- und Beschwerdefreiheit schließen eine HWS-Verletzung nicht aus.

Vorgehen
• Rö-HWS in 2 Eb., Dens-Zielaufnahme in 2 Eb.
• CT oder MRT, evtl. vorsichtige passive Funktionsaufnahme (mit Arzt!) beim
wachen (!) Pat. Ggf. Traktionsaufnahme oder Tomografie, besonders im kra-
niozervikalen Übergang.
370 10 Wirbelsäule 

! 
Bei unklaren Frakturen des kraniozervikalen Übergangs immer nach atlanto-
dentaler und atlanto-okzipitaler Instabilität oder Rotationsfehlstellung fahn-
10 den.
• Ruhigstellung mit Philadelphia-Halskrawatte oder Halo-body-Jacket
(▶ 23.2.4).
• Analgesie, z. B. mit Tramadol 3 × 50 mg/d p. o. (z. B. Tramal®), ggf. Muskelre-
laxanz. Cave: Durch Sedierung evtl. Verschleierung des neurol. Befunds!
• Neurol. Kontrollen entsprechend der Schwere der Verletzung.
• OP-Ind. unten.
Jefferson-Fraktur
Definition
Atlasberstungsbruch durch axial einwirkende Kraft.
Diagnostik
Typisch ist die Inkongruenz der Gelenke HWK1/2 als Zeichen des Auseinander-
weichens der Massae laterales und der Zerreißung des Lig. transversum. Wichtig
sind die Stellung der Gelenke und die Beteiligung der Gelenke an der Fraktur.
Therapie
• Bei Rotationsfehlstellung oder Instabilität sollte eine transorale oder dorsale
winkelstabile interfragmentäre Osteosynthese durch die Massae laterales von
HWK1 erwogen werden, die in den ersten Wo. auch noch eine komplette Re-
position erzielen kann. In einigen Fällen, auch älteren Frakturen, ist die trans-
artikuläre, dorsale Verschraubung HWK1/2 nach Magerl indiziert.
• Bei nichtdislozierter Fraktur auch Halo-Body-Jacket (▶ 23.2.4) für ca. 12 Wo.
Bei dem Verfahren besteht eine höhere Komplikationsquote durch Pin-Lo-
ckerungen und Infekte, v. a. beim älteren Patienten.

Hangman's Fraktur
Definition
Abriss der Axisbogenwurzel und Luxation des Axiskörpers nach ventral durch
schweres Hyperextensionstrauma des Schädels gegen die obere HWS.
Diagnostik
• Verdächtig auf diese Verletzung ist eine Dorsalverlagerung des Wirbelbogens
aus der Spinolaminarlinie um > 2 mm.
• Einteilung nach Effendi in:
– Typ I: Unverschoben.
– Typ II: Disloziert.
– Typ III: Disloziert und Facettengelenke verhakt.
– Typ IV: Luxation des gesamten HWK2 über HWK3.
Therapie
Dorsale Verschraubung nach Judet bei Typ II–III. Bei guter Stellung (Typ I) Halo-
Body-Jacket evtl. vorzuziehen. Bei Typ IV offene Reposition und ventrale Spondy-
lodese.

Densfraktur
Einteilung
Einteilung nach Anderson und D'Alonzo in 3 Hauptgruppen:
   10.5  Traumatologie der Wirbelsäule  371

• Typ I: Oft schräg verlaufende Densspitzenfraktur, wahrscheinlich Abrissfrak-


tur durch die Ligg. alaria.
• Typ II (häufigste Verletzung): Frakturlinie im Übergangsbereich von Dens 10
zum Korpus des HWK2; hohe (bis 64 %) Pseudoarthroserate nach kons. Ther.
• Typ III: Frakturlinie zieht in den Corpus axis.
Therapie
• Typ I: Kons., Philadelphia-Halskrawatte.
• Typ II: Ventrale Verschraubung, also direkte interfragmentäre Kompressi-
onsschraubenosteosynthese mit zwei 3,5-mm-Kortikalisschrauben oder ka-
nülierten „Dens“-Schrauben unter BV-Kontrolle in 2 Eb. Heilungsrate > 93 %
bei jüngeren Patienten. Probleme ergeben sich in erster Linie bei älteren Pat.
mit osteoporotischem Knochen. Neuere Verfahren, welche die Schrauben mit
PMMA-Zement augmentieren, sind in ihrer Wertigkeit noch nicht beurteil-
bar. Alternative OP: Dorsale Fusion HWK1/2, höhere Heilungsrate, aber ver-
bleibende Funktionseinschränkung, v. a. bei der transartikulären Verschrau-
bung nach Magerl. Die dorsale Verschraubung mit Schrauben in C1 (Massa
lateralis) und C2 (transpedikulär) nach Harms ermöglicht durch die Erhal-
tung der Intervertebralgelenke bei der ME eine gewisse Verbesserung der
Drehfähigkeit der HWS. Die dorsalen Verfahren sind infolge der höheren
Stabilität bei Incompliance oder älteren Pat. zu bevorzugen.
• Typ III: Typische Ind. zur Ruhigstellung im Halo-Body-Jacket mit sehr guter
Ausheilungstendenz; in manchen Fällen instabil bzw. disloziert → Vorgehen
wie bei Typ II.

Diskoligamentäre Verletzungen
Definition
z. B. „Occipital Dislocation“ durch Ruptur der atlanto-okzipitalen Bänder sind
schwerste, instabile Verletzungen, bei Kindern können hierbei die Vertebralarte-
rien zerreißen.
Therapie
Je nach Befund, zumeist jedoch Spondylodese erforderlich.

Distorsionen der HWS


Definition
„Beschleunigungsverletzung“ oder „Whiplash-Injury“ ist keine Diagnose, son-
dern beschreibt den Verletzungsmechanismus ausschließlich bei eindimensiona-
lem Hyperflexions-Extensions-Trauma! Häufig jedoch immer noch als „Diagno-
se“ für sämtliche traumatische Läsionen der HWS von der bloßen Distorsion bis
zu schweren Luxationsfrakturen verwendet. Dadurch und bei leichten Verletzun-
gen werden durch die „Diagnose“ Schleudertrauma häufig iatrogene chron.
HWS-Pat., evtl. mit utopischen Schmerzensgeldforderungen, Rentenansprüchen
usw., produziert.
Immer wieder werden Verletzungen der Ligg. alaria als Schmerzursache postu-
liert. Dafür gibt es keine studienbasierte Grundlage.
Ätiologie
In ca. 90 % der Fälle Zerrung der Halsweichteile, dadurch tage- bis wochenlang
schmerzhafte Verspannung der Halsmuskulatur.
372 10 Wirbelsäule 

Einteilung
▶ Tab.  10.5.
10 Klinik
• Schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS, gel. mit ein- oder doppel-
seitiger Ausstrahlung der Schmerzen in Schulter(n) und Arm(e). Bei leichte-
ren Traumen treten diese Beschwerden meist erst 1–3 d nach dem Unfall auf.
• Oft auch meist einseitig auftretende subokzipitale Schmerzen mit Ausstrah-
lung in die Stirn; bei der Beschreibung dieser Schmerzen machen die Pat. ty-
pischerweise die „Bewegung des Helmabstreifens“.
• Gel. auch Kribbelparästhesien in Armen und Händen oder sogar motorische
Schwächen.
Diagnostik
• Immer Rö-HWS in 2 Eb.: Knöcherne Verletzungen, Steilstellung der HWS?
• Bei retrograder Amnesie, Erbrechen, Schwindel, Seh- oder Hörstörungen: CT
(evtl. MRT), neurol., angiologische oder HNO-ärztliche Untersuchungen
z. A. schwerwiegender Verletzungen.
• Schwere der Verletzung nicht zuletzt aus versicherungsrechtlichen Gründen
wichtig (▶ Tab.  10.5).

Tab. 10.5  Einteilung des Schweregrads einer HWS-Distorsion


Grad Beschreibung Klinik Röntgen Neurologie Beschwer­
debeginn

I Leichte Distorsi­ Schmerzen an Unauffällig Unauffällig >1h


on der HWS Nacken und
Hinterkopf

II Gelenkkapsel- Starke Be­ Steilstellung Unauffällig <1h


Bänder-Risse schwerden, der HWS, evtl.
ohne Bandschei­ Nackensteife, kyphotischer
benruptur, Mus­ Schluckbe­ Knick
kelzerrungen, schwerden
retropharyngea­
les Hämatom

III Isolierter Band­ Zwangshal­ Abnorme Wurzel- Sofort


scheibenriss, tung der HWS, Aufklappbar­ und RM-
Rupturen im Kopf- und keit (Funkti­ Symptome
dorsalen Band­ Armschmerzen onsaufnah­
apparat, Fraktu­ men), Fehl­
ren, Luxationen stellung, Frak­
turzeichen

Therapie
• Bei Distorsion der HWS (Grad I und II) Ruhigstellung mit Halskrawatte
(evtl. in leichter Flexionsstellung der HWS) für die Dauer der Beschwerden.
• Ergänzend Muskelrelaxanzien und NSAR (▶ 16.5.1).
• Nach Abklingen der Akutphase frühzeitige Mobilisation und stabilisierende
KG.
• Schweregrad III ▶ HWS-Frakturen.
• Arbeitsunfähigkeit ▶ Tab.  10.6.
   10.5  Traumatologie der Wirbelsäule  373

Tab. 10.6  Arbeitsunfähigkeit nach HWS-Distorsion


Schweregrad I II III
10
Dauer der unfallbe­ 1–3 Wo. Max. 6 Wo. 6 Wo. und mehr
dingten AU

Unfallbedingte MdE 20 % auf 20 % bis zum Ende 30 % bis zum Ende der
nach Wiedereintritt die Dauer der ersten 6 Mon., ersten 6 Mon., 20 % bis
der Arbeitsfähigkeit von 0–4 10 % bis zum Ende zum Ende des 2. Unfall­
Wo. des 1. Unfalljahrs jahrs, mit 10–20 % in
Dauerrente

10.5.4 BWS- und LWS-Frakturen


Klinik und Diagn. ▶ 10.5.2.

Therapie
Konservative Therapie
• Stabile Wirbelbrüche bis Knickbildung von ca. 15°.
– Bettruhe 2–5 d auf flacher, harter Matratze, ggf. lordosierende Lagerung.
KG mit statischem Rumpfmuskeltraining, Atemgymnastik.
– Analgetika (▶ 24.1), Thromboseprophylaxe (▶ 24.3.2).
– Bei Darmhypotonie feucht-warme Wickel oder Gabe von Prostigmin®
und Dexpanthenol (z. B. Bepanthen®) alle 4 h i. m.
– Aufrichtungsphase nach ca. 1 Wo. ohne Rumpfgips, dann Mobilisations-
phase. Arbeitsfähigkeit nach ca. 3 Mon. 3-Punkte-Korsett nach Vogt-Bäh-
ler bei muskelschwachen Pat. und persistierenden Schmerzen und bei
Keilwirbelbildung von 10–15° (▶ 23.5.3).
– Langfristig Rückenschule, Rückendisziplin.
• Instabile Frakturen: Nur noch selten indiziert, Gipskorsett.
Operative Therapie
Ind.: Abhängig von neurol. Defizit, Art der Instabilität, Ausmaß der Deformität
und AZ des Pat.
Ziele: 1. Anatomiegerechte Reposition unter Beachtung der globalen und seg-
mentalen sagittalen Balance mit Dekompression neurol. Strukturen. 2. Kurze
Spondylodesestrecke. 3. Suffiziente, belastbare instrumentelle Stabilisation – evtl.
auch zur Sicherung der Pflegefähigkeit!
Verfahren: Rein dorsale (Fixateur externe) oder rein ventrale Eingriffe mit primär
stabilen ventralen Systemen (z. B. Doppelstab), komb. dorsoventrale Spondylode-
se. Bei osteoporotischen Frakturen mit stabiler Hinterkante unterhalb Th5 auch
Zementaugmentation der WK möglich (Vertebro-, Kyphoplastie).

Komplikationen
Spätfolgen nach insuffizienter Instrumentierung oder kons. Ther. sind Korrektur-
verlust, Implantatbruch, Pseudarthrose, Ausbildung einer Kyphose oder Skoliose,
sekundäres Auftreten neurol. Probleme.
374 10 Wirbelsäule 

10.6 Malformationen und idiopathische


10 Deformitäten
10.6.1 Definition
Deformierungen der knöchernen WS-Anteile, des Spinalkanals, der Meningen
und der Nervenstrukturen, die nicht Folge eines Traumas, einer Entzündung oder
Inf., eines Tumors oder deg. Veränderungen sind. Morbus Bechterew ▶ 16.8.4.

10.6.2 Atlantodentale oder atlantookzipitale Instabilität


Ätiologie
z. B. Os odontoideum (nicht vollständig verknöcherter Dens), Down-Sy.

Klinik und Diagnostik


• Meist Zufallsbefund, gel. chron. belastungsabhängige Zervikozephalgien,
schmerzhaft eingeschränkte HWS-Beweglichkeit.
• Rö: Dens-Ziel- und Funktionsaufnahmen, ggf. HWS-Schichten, seitl. Mittel-
schichttomografie in Funktion, ggf. MRT mit Funktion.

Therapie
Entweder keine Ther. notwendig oder OP je nach Befund. Ventral: Transorale Fu-
sion mit autologem Knochenspan und Platte von HWK1/2 nach Dens- oder Pan-
nusresektion. Dorsal: Transartikuläre Verschraubung HWK1/2, C1/2-Verschrau-
bung transpedikulär nach Harms oder dorsale okzipitozervikale Fusion C0/2 mit
Platten und angelagerter autologer Spongiosa.

10.6.3 Haltungsschwäche und -fehler


Definition
Aktiv oder passiv völlig ausgleichbare Abweichungen der WS von der als normal
empfundenen Haltung in der Sagittal- oder Frontalebene. Normhaltung ist von
vielen Faktoren wie Alter, Psyche, Muskulatur, Skelettform u. a. abhängig und da-
her sehr variabel, auch von Modetrends beeinflusst (der Rundrücken Nofretetes
wäre heute sicher Grund für eine orthop. Konsultation).

Haltung eher unter funktionellen als statischen Gesichtspunkten betrachten:


Fähigkeit zum Haltungswechsel bei freier Beweglichkeit aller WS-Segmente.

Ätiologie
Meistens Normvarianten ohne pathol. Bedeutung. Wichtig ist der Ausschluss zu-
grunde liegender Erkr. wie Morbus Scheuermann, Morbus Bechterew und neurol.
Störungen mit asymmetrischer Rumpfinnervation.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Abflachungen oder Verstärkungen der physiol. WS-Krümmungen (HWS-
Lordose, BWS-Kyphose, LWS-Lordose) in der Sagittalebene; hierbei ist der
Rundrücken am häufigsten.
   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  375

• Pat. oft noch im Kindes- oder Adoleszentenalter, Vorstellung durch besorgte


Eltern. Klin. Probleme sind die Ausnahme.
• Befunde: BWS-Kyphose ↑, hängende, nach ventral verlagerte Schultern, ab- 10
stehende Schulterblätter, verstärkte Beckenkippung nach ventral (Hyperlor-
dose der LWS), Vorwölbung des Abdomens.
• Wichtigste Frage bei der Untersuchung: Echte WS-Deformität bzw. -Erkr.
oder Haltungsschwäche?
• Flexibilitätsprüfung der WS („Katzenbuckel“ und „Rutschhalte“;
▶ Abb.  10.9): Deckt fixierte WS-Abschnitte auf; wenn auffällig → Rö der WS
in 2 Eb. (Ausschluss z. B. M. Scheuermann, Skoliose, M. Bechterew).
• DD: Unbedingt Ausschluss myogener und neuromuskulärer Erkr. (▶ 18.8,
▶ 18.10).
Therapie
Meist unnötig und nutzlos (Normvariante!). Sonst nach Diagnosestellung ggf.
Korsett (ausgeprägter M. Scheuermann mit ausreichend Wachstumsreserve, d. h.
Beckenkammapophysenreifung nach Risser < 2) oder Versuch der muskulären
Rebalancierung (KG auf neurophysiol. Basis, Botulinustoxin-Inj. paravertebral;
Rumpforthesen). Ther. der Skoliose ▶ 10.6.9.

10.6.4 Muskulärer Schiefhals (Tortikollis)


Definition
Bei Neugeborenen oder jungen Säuglingen auftretende fixierte Schiefstellung des
Kopfs mit Neigung zur erkrankten und Rotation des Kopfs zur gesunden Seite.
Unbehandelt sekundäre Fehlentwicklung von HWS und Gesichtsschädel (Ge-
sichtsskoliose, HWS-Skoliose).

Ätiologie
Bindegewebige Verkürzung des M. sternocleidomastoideus; Ursachen: Ge-
burtstraumatisch („Kopfnickerhämatom“), nach intrauterinen Zwangslagen, ge-
netische Faktoren.

Klinik und Diagnostik


• Typische Kopfstellung (s. o.) mit eingeschränkter Beweglichkeit der HWS.
• In ca. 15 % Schwellung im dist. M. sternocleidomastoideus (ab ca. 2. Lebens-
woche).
• Messbare Verkürzung des verhärteten M. sternocleidomastoideus.
• Rö: Ausschluss anderer Ursachen (z. B. Klippel-Feil-Sy., basiläre Impression).
Differenzialdiagnosen
• Akuter Schiefhals: Blockierung? → manuelle Diagn., Rö-HWS. Ther.: Manuell
(Traktion, Manipulation), ggf. Antiphlogistika, Wärme, Halskrawatte
(▶ 10.6.4).
• Torticollis spasmodicus: Hyperkinetische Bewegungsstörung mit sekundärer
Hypertrophie des M. sternocleidomastoideus (▶ 19.3.6).
• Knöcherne Fehlbildungen: Klippel-Feil-Sy. (▶ 10.6.5), Sprengel-Deformität
(▶ 9.1.13), Atlasassimilation, basiläre Impression, einseitige Halsrippe u. a.
• Okuläre Ursachen (einseitige Parese des M. obliquus superior).
• Otogene Ursachen.
376 10 Wirbelsäule 

• Entzündliche oder tumoröse Prozesse. Infekt des Nasen-Rachen-Raums


(Torticollis nasopharyngealis = Grisel-Sy.).
10 • Psychische Einflussfaktoren bei Erw. wesentlich (▶ 19.3.6).
Therapie
Konservative Therapie
Gegensinnige Lagerung des Säuglings, d. h., in der Fehlhaltung schaut das Kind
z. B. eine „uninteressante“ Wand an und wird so angeregt, sich aktiv in die Rich-
tung akustischer und optischer Reize zu drehen. KG.
Operative Therapie
Ind.: Bei erfolgloser kons. Ther. bzw. Zunahme der Deformität.
Verfahren: Kaudale sternoklavikuläre offene Tenotomie des M. sternocleidomas-
toideus im 1.–3. Lj.; in Spätfällen biterminale Tenotomie. Cave: Fazialisparese.
Mit zunehmendem Alter keine ausreichende Rückbildung eingetretener Asym-
metrien (Gesichtsskoliose) mehr zu erwarten.
NB: Ruhigstellung mit Schanz-Watteverband, Halsorthese oder Diademgips über
3–4 Wo. Richtige Kopfstellung wichtig: Kopf zur gesunden Seite geneigt, leichte
Hyperextension, Kinn zur operierten Seite gedreht (cave: Überkorrektur → Schä-
digung des Plexus cervicalis). Begleitend bzw. nach Gipsabnahme aktive und pas-
sive Dehnungs- und Haltungsübungen für ½ J.

Prognose
Bei rechtzeitiger OP gut, sonst u. U. vorzeitige funktionelle Einschränkungen der
HWS zu befürchten (präarthrotische Deformität).

10.6.5 Klippel-Feil-Syndrom
Definition
Angeborene Fusion zweier oder mehrerer Halswirbel.

Klinik
• Kurzer Hals, tiefer Haaransatz im Nacken, Bewegungsumfang der HWS ↓,
gel. „Flügelfell“ (Pterygium colli).
• Oft weitere Fehlbildungen: Skoliose (ca. 60 %), Sprengel-Deformität (ca. 35 %)
u. a. knöcherne Fehlbildungen (Syndaktylie, Hypoplasie der oberen Extremi-
tät, basiläre Impression).
• Gel. neurol. Ausfälle (lat. Rektuslähmung, Fazialisparese, Taubheit), innerse-
kretorische Störungen (Hypogonadismus) oder Fehlbildungen innerer Orga-
ne (Niere bis 35 %, Herz bis 14 %).

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: HWS in 2 Eb., Dens-Zielaufnahmen in 2 Eb. und Funktionsaufnahmen.
Exaktes Rö schwierig → evtl. CT oder MRT.
• Internistisches Konsil: Ausschluss innerer Fehlbildungen.
• Neurol. Konsil: Verlaufskontrollen, EMG, NLG.
• DD: Schiefhals, WK-Synostosen bei juveniler RA, Morbus Bechterew, Spondylitis.
Therapie
Im Fall einer progressiven, zervikalen Myelopathie oder Schmerzen distrahieren-
de Osteosynthese ggf. mit Dekompression.
   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  377

Prognose
Oft unproblematisch vonseiten der HWS, evtl. vorzeitige deg. Veränderungen.
Neurol. KO oder Todesfälle nach relativ geringen Traumen mit Dislokation im 10
hypermobilen Anschlusssegment wurden beschrieben.

10.6.6 Kyphosen
Definition
Fixierte dorsal konvexe Krümmung der WS, die über die physiol. Kyphose hin-
ausgeht (pathol.: BWS-Kyphose bei Messung der Gesamtkrümmung über 60°).
An HWS und LWS ist eine Kyphose ab Kindesalter immer pathologisch. Unter-
scheide anguläre kurzbogige und arkuäre langbogige Kyphosen.

Ätiologie
Häufigste Ursachen sind:
• Posturale Kyphose („Haltungsschwäche“).
• Morbus Scheuermann: Häufigste Ursache einer langbogigen (= arkuären)
Kyphose im Jugendalter (▶ 10.6.5). Neurol. Ausfälle bei starken Kyphosen
möglich.
• Kongenitale Ursachen (Wirbelbildungs- und Segmentationsstörungen) →
OP-Ind.
• MMC: Meist starke Progredienz. OP-Ind. u. a. bei Verlust der Sitzfähigkeit.
Resektion der Kyphose ▶ 17.5.2.
• Neurofibromatose: Skoliosen und Skoliokyphosen; oft sehr schwere Deformität.
• Alterskyphosen: Meist > 60 J., F bevorzugt (Osteoporose).
• Morbus Bechterew ▶ 16.8.4.
• Entzündliche Erkr.: Eher scharfe Knickbildung (anguläre Kyphose = Gibbus)
durch keilförmigen WK-Zusammenbruch (Tbc, ▶ 8.4.5).
• Posttraumatisch: Defektbildung der vorderen Säule.
• Tumor: Meist anguläre Kyphose, fast immer durch Metastasen verursacht.
• Metabolische Störungen, Systemerkr.: Osteoporose (▶ 15.1.1), Osteogenesis
imperfecta (▶ 17.3.2).
• Nach Laminektomie oder Wirbelentfernung im Wachstumsalter wegen Tumor.
• Nach Radiatio im Kindesalter bei Malignomen.
Selbst nach evtl. Ausheilung der Primärerkr. funktionelle und strukturelle
Progression der Kyphose möglich: Dies hat biomechanische Gründe (Hebel-
arm), ist aber auch durch Überbelastung der Wachstumszonen im ventralen
WK-Bereich möglich.

Diagnostik
Sicherung der Ursache (knöcherne Strukturveränderung) mit bildgebenden Ver-
fahren (Rö, MRT, CT), Ausschluss/Nachweis neurol. Ausfälle. Diagn. der Beglei-
terkr.

Therapie
Grundsatz
Einheitliches Ther.-Verfahren unmöglich (individuelles Erscheinungsbild, viele
Grundkrankheiten). Gerade bei multiplen Fehlbildungen und/oder neurol. Schä-
378 10 Wirbelsäule 

den (ICP, MMC) immer funktionelle Ausrichtung. Ziel ist nicht der gerade Rü-
cken, sondern die gute Funktion (z. B. Sitzfähigkeit) und die Prävention von Fol-
geschäden.
10
Konservative Therapie
KG, evtl. Korsett (Becker-Gschwendt) im Wachstumsalter (▶ 23.5).
Operative Therapie
Kriterien für Ind.-Stellung: Schmerzen, neurol. Probleme, erhebliche statische
Imbalance mit Ausbildung sekundärer Probleme wie z. B. Frakturen oder Defekte
(bei Morbus Bechterew sind 30 % rheumatische Koxitiden und die Ausbildung
sog. Anderson-Läsionen bekannt, ▶ 16.8.4), Herz- und Lungenfunktion ↓, Pro-
gredienz der Kyphose.
Prinzipien: Spondylodese mit korrigierenden Osteotomien. Der Goldstandard
der Behandlung ist die Korrekturspondylodese, die bei dokumentierter Restbe-
weglichkeit der Bandscheibensegmente ausschließlich von dorsal erfolgt und
transpedikulär mit Schrauben stabilisiert. Die Korrektur erfolgt als Verkürzung
der dorsalen Säule, indem die Facettengelenke apexnah auf mehreren Etagen, ab-
hängig vom Ausmaß der Kyphose entfernt werden (Smith-Peterson-/Ponte-Os-
teotomie). Pro Bewegungssegment kann eine Korrektur von bis zu 10° erzielt wer-
den. Kombinierte ventrodorsale Verfahren (initial ventrales Release, dann ein-
oder zweizeitig dorsale Korrektursponylodese) werden erst bei Krümmungen >
100° indiziert. Im Wachstumsalter ist i. d. R. eine rein dorsale Korrekturspondylo-
dese ausreichend.
Bei Erwachsenen oder lumbalen kurzbogigen Hyperkyphosen Ind. zu Pedikel-
subtraktionsosteotomie mit Entfernung der Pedikel und einem dorsal basigen
Keil aus dem betreffenden Wirbelkörper, ggf. auch auf das angrenzende Band-
scheibensegment und den benachbarten Wirbelkörper erweiterbar. Mit diesem
Verfahren sind Korrekturen im Segment von bis zu 40° zu erreichen. Das Ver-
fahren eignet sich z. B. zur Aufrichtung der Bechterew-Kyphose, aber auch bei
posttraumatischen und entzündlichen Kyphosen. Bei noch stärkeren arkuären
Kyphosen kann die komplette Resektion eines oder mehrerer Wirbelkörper in-
diziert sein.
Fusionstechniken: Die Fusion ist i. d. R. transpedikulär. Bei Jugendlichen und
Erwachsenen mit guter Knochenqualität sollten rigidere Stäbe (z. B. Chrom-
Kobalt-Stäbe) verwendet werden. Bei älteren oder Osteoporosepatienten sind
weichere Stäbe (Titan) zur Vermeidung eines Materialversagens zu bevorzugen.
In diesen Fällen ist die Zementaugmentation der Schrauben empfehlenswert.
Zur Erhöhung der Primärstabilität kann die Spondylodese ggf. im Bereich der
Osteotomien durch ein 4-Stab-Konstrukt mit parallel zu den Längsträgern ein-
gebrachten und über Seit-zu-Seit-Konnektoren verbundene additive Stäbe ar-
miert werden.
NB: Individuell, überwiegend Korsettversorgung (▶ 23.5).

10.6.7 Morbus Scheuermann (Adoleszentenkyphose)


Definition
Im Jugendalter auftretende Wachstumsstörung an Grund- und Deckplatten
der BWS und/oder LWS mit teilfixierter vermehrter Kyphose. Häufigste WS-
Erkr. im Jugendalter (röntgenologisch bei ca. 20 % der Bevölkerung). Unklare
Ätiol.
   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  379

Pathogenese
Belastbarkeit der knorpeligen Abschlussplatten ↓ → Einbruch des Bandscheiben-
gewebes in den WK (Schmorl-Knötchen) → Verschmälerung und Fibrosierung 10
der betreffenden Bandscheibenräume. Schädigung v. a. der ventralen Wachstums-
zonen der WK → zunehmende Keilwirbelbildung und fixierte Kyphosierung. Bei
asymmetrischen Einbrüchen entstehen aufgrund asymmetrischer Keilwirbel in
ca. 30 % leichtere Skoliosen meist ohne Torsionskomponente.

Klinik
• Lokalisation:
– Thorakal: Hohlrundrücken.
– Thorakolumbal: Totaler Rundrücken.
– Lumbal: Flachrücken (seltener, schlechtere Prognose).
• Grund für die Erstvorstellung beim Orthopäden ist meist eine Kyphose. Nach
einer segmentalen Fixation bei den oft muskelschwachen Jugendlichen ist zu
fahnden (Rutschhalte; ▶ Abb.  10.9).
• Nur ca. ⅓ der Erkrankten im Wachstumsalter haben Beschwerden. Die Lum-
balform ist schmerzanfälliger.

Abb. 10.9 Typische klinische und radiologische Befunde bei Morbus Scheuer­


mann [L106]

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö (▶ Abb.  10.9): Erst dadurch Diagnosesicherung. Keine Überbewertung des
Rö-Bilds allein! Kriterien: Kyphose; Grund- und Deckplatten unregelmäßig
begrenzt; verschmälerte Bandscheiben; mindestens 3 Keilwirbel; Schmorl-
Knötchen (Ch. G. Schmorl, 1861–1932, Pathologe, Dresden).
• DD: Bei monosegmentalen Veränderungen v. a. entzündliche Erkr. und trau-
matische Schäden. Chordarückbildungsstörungen.

Konservative Therapie
Leichtere Formen: Entkyphosierende KG mit Kräftigung der Rumpfmuskula-
tur (aktive Haltungskorrektur, Entlastung der ventralen WS-Abschnitte).
380 10 Wirbelsäule 

Sport: Schwimmen, insbes. Rückenschwimmen ist günstig; keine Sprungdiszi-


plinen.
Schwerere progrediente Kyphosen im Wachstumsalter: Wie oben; zusätzlich ab
10 ca. 50° Korsettbehandlung bei ausreichender passiver Korrigierbarkeit (▶  23.5),
z. B. Münsteraner Kyphosenorthese (▶ 23.5.1).

Operative Therapie (selten indiziert)


Ind.: Therapieresistente Rückenschmerzen, neurol. Symptome, Kyphose über 60°
mit Problemen, Progression der Kyphose, Herz-Thorax-Kompression.
OP-Taktik: I. d. R. dorsale Korrekturspondylodesen (▶ 11.3.6), komb. ventrodor-
sale Aufrichtungsspondylodesen nur bei sehr rigiden oder sehr ausgeprägten De-
formitäten (>  100°).

Prognose
Meist gut. Erkr. erlischt i. d. R. nach dem 18. Lj. mit mehr oder weniger starker
segmentaler Fixation der Kyphose. Beschwerdefreie leicht Erkrankte sollten nicht
unnötig stigmatisiert werden. Bei ausgeprägtem M. Scheuermann kann es im
Erw.-Alter aufgrund deg. Veränderungen zu schmerzhaften Rückenbeschwerden
kommen.

10.6.8 Osteoporotischer Rundrücken
Definition
Multiple ventrale WK-Sinterungen v. a. der BWS. Bes. häufig bei F postmenopau-
sal.

Diagnostik
Schmerzanamnese; Rö WS in 2 Eb.; Ausschluss sek. und tertiärer Osteoporose.

Therapie
Symptomatische Analgesie; bei frischen Sinterungsfrakturen vorübergehend Mie-
derversorgung; Ther. der Osteoporose (▶ 15.1.1). Aktivierende KG; nur in Aus-
nahmefällen langstreckige dorsale Spondylodese indiziert.
Operativ: Bei Mitbeteiligung der Hinterkante und ggf. Kompression des Spinalka-
nals besteht Ind. zur dorsalen, ggf. dorsoventralen Stabilisierung (unterschiedli-
che Verfahren), wobei die Pedikelschrauben ggf. mit Vertebroplastiezement aug-
mentiert werden.
Bei stabiler Hinterkante besteht die minimalinvasive Alternative der Kyphoplastie
(unterschiedliche Verfahren) oder Vertebroplastie. Bei der Vertebroplastie ist die
Rate systemischer Komplikationen höher als bei den Kyphoplastieverfahren.

10.6.9 Skoliosen
Definition
Fehlstellung der WS mit Seitausbiegung in der Frontalebene, Rotation und Ände-
rungen des sagittalen Profils. Bei strukturellen Skoliosen Veränderungen der Wir-
bel, Bandscheiben und Bänder im Gegensatz zu funktionellen Skoliosen durch
Beckenschiefstand oder Ischialgien. Funktionelle Skoliosen haben keine Progres-
sionstendenz und sind reversibel (in Spätstadien jedoch Fixation durch Band-
und Muskelverkürzung bzw. deg. Drehgleiten möglich).
   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  381

Ätiologie, Einteilung und Biomechanik


• Ursachen (▶ Tab.  10.7):
– Anlagebedingte (z. B. MMC) oder erworbene (z. B. Trauma, Entzündung) 10
Wirbeldeformitäten.
– Pathologische asymmetrische Krafteinwirkung (z. B. neurogene Skoliose).
– Wahrscheinlich genetisch bedingt (idopathische Skoliose).
• Seitausbiegung → Rotationsfehlstellung der Wirbel in der Frontalebene: Hin-
tere Elemente drehen sich zur Konkavität, WK-Vorderseiten zur Konvexität
der Krümmung.
• Außerdem pathol. Aufrichtung der BWS und Vermehrung der LWS-Lordose.
• Progression: Beim Auftreten im Wachstumsalter immer wahrscheinlich bis zur
Skelettreife, weitere Progression hängt vom Status bei Wachstumsende ab.
! Die Beurteilung der potenziellen Progression einer WS-Deformität ist
Grundlage der adäquaten Ther. Erste genetische Tests sind entwickelt und für
begrenzte Populationen validiert. Hier bleibt die Entwicklung abzuwarten.

Tab. 10.7  Ätiologische Einteilung der Skoliose (Goldstein und McAlister)


Klassifikation Ätiologie

Idiopathische Skoliose (ca. 90 % Unbekannt


aller Skoliosen)
• Infantil (bis 3 Lj.)
• Juvenil (4–9 Lj.)
• Adoleszent (ab 10. Lj.)
Säuglingsskoliose Lagedeformität? Neuromotorische Störung?

Neuropathische Skoliose • Virale Myelitiden


• Zerebralparese
• Meningomyelozele
• Spinozerebelläre Zelldegeneration
• Spinale Muskelatrophie
• Syringomyelie
• Spinale Tumoren
Myopathische Skoliose • Arthrogryposis
• Muskeldystrophie
• Myasthenie
Kongenitale Skoliose • Segmentationsfehler
• Formationsfehler (Halbwirbel, Keilwirbel)
Neurofibromatose Morbus Recklinghausen

Mesenchymstörungen • Marfan-Sy.
• Ehlers-Danlos-Sy.
Rheumatische Erkrankungen z. B. RA

Posttraumatisch • Wirbelfraktur
• RM-Trauma
Iatrogen • Nach Laminektomie
• Nach Thorakoplastik
• Nach Bestrahlung
Extraspinale Kontraktur • Nach Emphysem
• Nach Verbrennung
382 10 Wirbelsäule 

Tab. 10.7  Ätiologische Einteilung der Skoliose (Goldstein und McAlister)


Klassifikation Ätiologie
10
Osteochondrodysplasie • Mukopolysaccharidosen
• Spondyloepiphysale Dysplasie
• Multiple epiphysäre Dysplasie
• Achondroplasie
• Diastrophic Dwarfism
Knocheninfektionen • Akut
• Chronisch
Metabolische Erkrankungen • Rachitis
• Osteogenesis imperfecta
• Homozystinurie
Lumbosakrale Veränderung • Spondylolyse
• Spondylolisthesis
• Angeborene Anomalien der Lumbosakralregion
Tumoren • Wirbelsäule
• Rückenmark

Idiopathische Skoliose
Einteilung, Klassifikation
▶ Tab.  10.8.
Klassifikation: Wichtig für OP-Planungen. Die heute gebräuchliche Klassifikation
ist die nach Lenke, die 6 Haupttypen und zusätzlich das Verhältnis der kompensa-
torischen Kurve zur koronaren Lotlinie und das Sagittalprofil jeweils über einen
sog. Modifier beschreibt (▶ Abb.  10.10).

Tab. 10.8  Charakteristika idiopathischer Skoliosen


Einteilung Besonderheiten Progredienz

Infantile (0–3. Lj.) Selten (2–3 %), überwiegend Knaben, 90 % starke Pro­
linkskonvex thorakale Krümmung, häu­ gredienz
fig zusätzliche Fehlbildungen

Juvenile (4.–9. Lj.) Selten (10–15 %), überwiegend Mäd­ 70 % starke Pro­
chen, rechtskonvex thorakale Krümmung gredienz

Adoleszente Häufig (∼85 %), überwiegend Mädchen, 10 % starke Pro­


(10.–20. Lj.) rechtskonvex thorakale Krümmung gredienz

Klinik
Die meisten Skoliosen werden im Alter von 10–12 J. (oft zufällig) entdeckt, nur
selten bestehen Beschwerden.
Diagnostik
Inspektion
• Schulterstand, Taillendreiecke, Beckenstand. Beim Vorbeugen evtl. Rippen-
buckel und Lendenwulst.
• Hautveränderungen (Neurofibromatose?).
• WS im Lot (Lot fällen vom Dornfortsatz des 7. HWK)?
• Körperlänge, Sitzhöhe, Armspannweite und Gewicht dokumentieren.
   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  383

10

Abb.  10.10  Klassifikation der idiopathischen Skoliose nach Lenke [F833–005]

• Seitneigung der WS: Wie weit lässt sich die Fixation ausgleichen?
• Bestimmung der Reifeentwicklung: Genitalentwicklung (Tanner-Stadien).
Anamnese
Menarche? Wenn ja, seit wann? (WS-Wachstum hält vom Zeitpunkt der Menar-
che noch ca. 2 J. an; ▶ 17.2.2).
384 10 Wirbelsäule 

Röntgen
WS-Ganzaufnahme: Bei klin. V. a. Skoliose immer WS-Ganzaufnahme in 2 Eb.
im Stehen, im Verlauf reicht die a. p.-Aufnahme. Beschreiben von:
10 • Seite: Rechts-konvex, links-konvex.
• Höhe Scheitelwirbel: Thorakal, thorakolumbal, lumbal, thorakal und lumbal
(▶ Abb.  10.11).
• Krümmungsform: C-förmig, S-förmig, doppelkurvig.
• Sagittales Profil: Lordose, Kyphose.
• Klassifikation: Nach Lenke (▶ Abb.  10.10).

Abb.  10.11  Skolioseformen [L106]

Beurteilung der Wachstumspotenz: Je jünger das Kind, desto größer die Wachs-
tumspotenz. Mit Einsetzen des Pubertätswachstumsschubs beginnt die Ausprä-
gung der sekundären Geschlechtsmerkmale (▶ 17.2.2). Das Auftreten der Darm-
beinkammapophyse in der a. p. Aufnahme fällt zeitlich mit dem pubertären
Wachstumsschub zusammen (Risser-Zeichen; ▶ Abb.  10.12). Bei völligem Schluss
der Apophysen → Abschluss des Wachstums.
Cave: Mit Auftreten der Darmbeinkammapophyse (Risser I) hat der max. Wachs-
tumsschub schon eingesetzt.
Grad der Achsabweichung: Messmethode nach Cobb (▶  Abb.  10.13). Scheitel-
wirbel: Der am stärksten seitl. keilförmig deformierte WK. Neutralwirbel: Ist u. a.
am stärksten gegen Horizontale geneigt und am wenigsten keilförmig.
Rotationsgrad: Methode nach Nash und Moe (▶ Abb.  10.13).
Krümmungen in der Sagittalebene: Seitl. WS-Ganzaufnahme.
Rigidität bzw. Flexibilität: Röntgenologisch Beurteilung anhand von Seitbeuge-
aufnahmen (Bending).
Atemfunktion: Vitalkapazität und Atemgrenzwert in der Lungenfunktionsprü-
fung. Wichtige präop. Untersuchung.
Therapie
Progn. Faktoren für Ther. maßgebend. Ziel: Aufhalten einer nachgewiesenen Pro-
gredienz, Korrektur der bestehenden Krümmung und Halten des Korrekturer-
gebnisses und somit Verhütung von Spätfolgen. OP nur bei ca. 10 % aller Skolio-
sen erforderlich. Ambulante Kontrollen im Wachstumsalter zur Beurteilung der
   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  385

3
2 4 5
10
1

Abb. 10.12  Beurteilung der Skelettreife nach Risser. Stadium 0: Apophyse nicht
zu sehen. Stadium 1: Beginnende Ossifikation seitl. Stadium 2: Ossifikation bis
max. der Hälfte des Beckenkammumfangs. Stadium 3: Ossifikation von mehr als
der Hälfte des Beckenkammumfangs ohne Verschmelzung der Apophyse. Stadi­
um 4: Beginnende Verschmelzung mit dem Os ilii. Stadium 5: Vollständige Ver­
schmelzung mit dem Os ilii. Rö-Befund in Stadium 0 und 5 ist identisch. [L157]

Abb. 10.13  Skoliosewinkel nach Cobb und Rotationsgrad nach Nash und Moe
[L190]
386 10 Wirbelsäule 

Progredienz: Während Pubertät alle 3 Mon., sonst alle 6–12 Mon. Rö: Bei ra-
schem Wachstum und Progredienz. Sonst alle 6–12 Mon.
10 Idiopathische Skoliosen, lumbal bis 15°, thorakal bis 20° nach Cobb
• Keine Einschränkung im Sport, eher fördern, keine Stigmatisierung.
• KG: Anleitung zu Eigenübungen (Rekyphosierung der BWS nach Ociepka),
aber es gibt keinen Wirksamkeitsnachweis der gebräuchlichen Methoden
(z. B. Vojta, Klapp, Schroth). Zunehmend wird deshalb ganz auf die Verord-
nung von KG verzichtet und allgemeine sportliche Aktivität gefördert.
Idiopathische Skoliosen, lumbal 15–35°, thorakal 20–40° nach Cobb
Korsett: Bei Fortschreiten der Skoliose > 5° in 6 Mon. und noch mindestens 1 J.
verbleibendem Wachstum (Skelettreife). Tragedauer 23 von 24 h tgl., teilweise
auch kürzere Zeit empfohlen. Bei Wachstumsabschluss ½ J. „Abtrainieren“. Häu-
fig verwendet: Boston- oder Cheneau-Korsett (▶ 23.4), bei hochthorakalen Krüm-
mungen Milwaukee-Aufsatz auf Boston-Korsett.
Bedeutung der Korsettversorgung: Als Ther.-Erfolg gelten das Aufhalten der
Progression und Vermeiden einer OP. Bei infantilen und juvenilen Skoliosen hin-
auszögern des OP-Zeitpunkts. Bei Skoliosewinkeln > 40° ist ein Korsett wenig ef-
fektiv. Cave: Ein Korsett darf einen Flachrücken nicht fixieren oder gar verstär-
ken. Begleitend immer KG. Keine Befreiung vom Schulsport. Sport eher fördern,
jegliche sportliche Aktivität ohne Korsett.
Idiopathische Skoliosen, lumbal über 35°, thorakal über 40° nach Cobb
Ind.: Ind. zur OP, solange keine KI besteht, da hier auch nach Wachstumsab-
schluss 1–1,5° Progression zu erwarten sind.
OP-Zeitpunkt: Sorgfältig wählen! Oft ist das Alter kurz vor Abschluss des Wachs-
tums günstig, da noch etwas Wachstum stattfindet, das einen weiteren Ausgleich
der Skoliose fördern kann. Bei zu früher OP kann sich die Gegenkrümmung ver-
größern. Bei zu später OP sind die Krümmungen und Gegenkrümmungen oft
sehr rigide und strukturell verändert.
Skoliosen im Erwachsenenalter
OP-Ind.: Dekompensierte Skoliosen mit Schmerzen, die kons. (Mieder, KG)
nicht zu bessern sind. Typisch ist deg. Drehgleiten.
Operationsverfahren
Methoden: Zahlreiche Verfahren mit dem Ziel der Korrektur und Stabilisierung
(knöcherne Versteifung = Spondylodese) der verkrümmten WS durch verschiede-
ne Metallimplantate. Man unterscheidet ventrale komprimierende und derotie-
rende (CDH, Halm-Zielke) Spondylodesen von dorsalen Verfahren. (Luque, Cot-
rel-Dubousset). Inzwischen haben sich auch komb. Verfahren dorsaler Instru-
mentarien mit ventralem (evtl. thorakoskopischem) Release zur besseren Derota-
tion etabliert. Koronare Korrektur bei dorsalen Verfahren bis ca. 70 %, bei
ventralen bis zu 60–70 %. Die ventralen Verfahren adressieren durch das kompri-
mierende Prinzip die Kyphose und durch das Release der Bandscheibenfächer die
Derotation besser als die dorsalen Verfahren. Sie sind aber in der Ind. auf einbogi-
ge Kurven (Lenke 1 und 5) beschränkt und weisen höhere Pseudarthroseraten als
die dorsalen Verfahren auf.
Rippenbuckelresektion: Kosmetische Ind. bei sehr starkem Buckel. Als Ergän-
zung zu einem der angegebenen Verfahren; einzeitig oder in zweiter Sitzung. Ind.
zurückhaltend.
   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  387

Operation nach Harrington (klassisches Verfahren)


Erstes in großem Stil verfügbares implantatgestütztes Verfahren, wegen vieler KO,
zu flacher Einstellung des „Profils“ und besserer Verfahren ausschließlich von histo-
rischem Wert. Das Verfahren wird heute nicht mehr eingesetzt! Die Kenntnis der
10
Technik ist aber wichtig für das Verständnis der Korrekturprinzipien.
Haupt-Ind.: Thorakale oder thorakolumbale Skoliosen ohne Defekte der dorsalen
Wirbelelemente.
Präop. Rö-Aufnahmen: WS-Aufnahme im Stehen a. p. und seitl., Bending-Auf-
nahme in Frontal- und Sagittalebene (Kyphose) und evtl. Suspensionsaufnahme
zur Bestimmung der Distraktionshakenposition.
Prinzip der OP: Korrektur durch Komb. von Distraktion und Kompression. Wir-
belfusion durch Resektion bzw. Anfrischung der kleinen Wirbelgelenke, Über-
brückung mit kortikospongiösen Knochenspänen (Beckenbereich, dorsale Wir-
belelemente). Ergänzung durch quere Stabilisierung. Intraop. Aufwachtest nach
Distraktion (neurol. Kontrolle).
NB: Unmittelbar postop. neurol. Kontrolle, Bewegungsprüfung. Mobilisation
nach 10–14 d mit Rumpfgipskorsett. WS-Orthese für 6–9 Mon. (z. B. Stagnara-
Korsett).
Gefahren und KO:
• Hoher Blutverlust möglich → blutsparende Maßnahmen und Techniken des
Blutersatzes, exakte Blutstillung, kontrollierte Hypotension, Eigenbluttrans-
fusion, Cellsaver.
• Kardiopulmonale KO: z. B. Hämatothorax, Atelektasen, Pneumonie, Pneu-
mothorax.
• Neurol. KO: Kompletter bzw. inkompletter Querschnitt, Läsion von Hirn- und
peripheren Nerven. Neurol. Risiko bei Standard-Harrington-OP bei 0,1 %.
• KO der Instrumentation: Hakenausriss, Stabbruch, Pseudarthrose.
• Verlust des sagittalen Profils (Erstellung einer thorakalen Lordose oder lum-
balen Kyphose), es kann keine segmentale Derotation erreicht werden.
• Gips-, Korsett-KO: Cast-Sy.: Abdominaler Druck durch Rumpfgips oder
Korsett. Klin. Inappetenz und Erbrechen, ileusartiges Bild, Darmgeräusche
aber vorhanden. Ther.: Gips entfernen; neuer Gips.
• Postop.: Stressulkus, Wundinf.
Operation nach Luque
Haupt-Ind.: Neuromuskuläre Skoliosen.
Technik: Luque-Stab muss in etwa dem Ausmaß der zu erreichenden Krüm-
mungskorrektur 3-dimensional vorgebogen werden. Maßgeblich ist eher die Linie
der Dornfortsatzreihe als die skoliotische Krümmung. Vielfach jedoch auch Mit-
stabilisation des Beckens notwendig (z. B. über Galveston-Technik: Weiterführen
des Luque-Stabs in das Becken). Mobilisation nach Compliance des Pat.
KO: Durch die vielsegmentige sublaminäre Verdrahtung liegt das neurol. Risiko
bei etwa 2 %.
Vorteile: Korsettfreie NB bei Lähmungsskoliosen und neuromuskulären Skoliosen.
Operation nach Cotrel-Dubousset, dorsale Korrekturspondylodese
Durch hohe primäre Stabilität Mobilisation ohne postop. Rumpfgips oder Korsett
(gilt auch für einige ähnliche Instrumentarien). Verbesserte 3-dimensionale Kor-
rektur möglich.
Haupt-Ind.: Thorakale Skoliosen, auch komb. Skoliosen. Instrumentarium kann
sehr vielseitig verwendet werden (Skoliosen, Kyphosen, Frakturen, Tumoren, deg.
WS-Veränderung).
388 10 Wirbelsäule 

OP-Prinzip (▶ Abb.  10.14): Historisch erfolgt eine multisegmentale Korrektur mit


Stäben und Haken an „strategischen Wirbeln“. Stäbe werden individuell gebogen.
Größter Wert wird auf die Wiederherstellung einer physiol. thorakalen Kyphose
10 und lumbalen Lordose gelegt. Segmentale Derotation war nur eingeschränkt mög-
lich, es sei denn, es wurde zusätzlich ein ventrales Release durchgeführt.
Mit dem zunehmenden Einsatz der Pedikelschrauben konnte, bedingt durch ihre
höhere Ausrissfestigkeit, das Konstrukt im letzten Jahrzehnt weiterentwickelt wer-
den, es erzielt heute in Länge, Derotation und Kurvenkorrektur vergleichbare Er-
gebnisse zur VDS. Auch doppelbogige Kurven können damit gut korrigiert werden.
NB: Korsettfrei (Ausnahme z. B. bei MMC).

von dorsal von lateral

Abb. 10.14  Dorsale Korrekturspondylodese. Der Stab wird durch die Reduzier­
hülsen in die Schraubenköpfe geführt. Die Furche werden am Ende der Operati­
on an deren Sollbruchstelle abgebrochen, sodass der Tulpenkopf der Pedikel­
schraube in einer Ebene mit der Madenschraube abschließt. [L106]

Ventrale Derotationsspondylodese (nach Zielke)


Haupt-Ind.: Thorakolumbale, thorakale und lumbale einbogige Skoliosen. Hohe
Stabilität, Möglichkeit der Derotation und Akzentuierung des thorakalen Profils
im Sinne der Kyphosierung (komprimierendes Verfahren). Die Derotation kann
lumbal auch zur Relordosierung genutzt werden.
   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  389

OP-Prinzip (▶  Abb.  10.15): Segmen-


tale Korrektur von ventral durch Ent-
fernung der Bandscheiben, in schwe-
ren Fällen wird ein dorsales Release
10
vorgeschaltet. Deformitäten in der
Frontalebene werden durch Verkür-
zung der vorderen Säule korrigiert.
Das betrifft hauptsächlich die thoraka-
le Skoliose, welche durch den ventral
verkürzenden Eingriff in eine ge-
wünschte Kyphose überführt wird.
Das „Derotator“-Instrument funktio-
niert physikalisch als Lordosator und
führt die lumbale Deformität in der Abb. 10.15  Ventrale Derotationsspon­
dylodese nach Zielke [L106]
Frontalebene in die Sagittalebene über.
So wird eine lumbale Kyphosierung vermieden. Durch Ausnutzung dieser biolo-
gischen Prinzipien reicht eine kurze Fusionsstrecke zur Korrektur aus.
NB: Doppelstabinstrumentationen erlauben i. d. R. eine orthesenfreie Nachbe-
handlung.
Prognose der idiopathischen Skoliose
Hängt im Wesentlichen von der Progredienz ab. Gerade im Wachstumsalter ist
mit einer Zunahme der Progredienz zu rechnen. Diese kann u. a. anhand von Al-
ter, Krümmungswinkel, Höhe, Risser-Zeichen abgeschätzt werden. Die Progn. ist
umso schlechter:
• Je jünger das Kind ist (z. B. infantile Skoliose).
• Je höher die Krümmung liegt.
• Je stärker die Krümmung ist (z. B. > 40–50°): Progredienzwahrscheinlichkeit
ca. 33 % bei < 30°, bei > 60° im Knochenalter 10–12 J. jedoch 100 % (Mäd-
chen, Thorakalskoliosen).
Eine progrediente Skoliose kann zum zunehmenden kosmetischen, psychosozia-
len und körperlichen Problem werden. Unbehandelt führen progrediente schwere
Skoliosen durch Thoraxdeformierung zu Lungenfunktionsstörungen mit Ein-
schränkung der Vitalkapazität. Die Lebenserwartung ist bei sehr schweren Skolio-
sen (> 90°) herabgesetzt (Cor pulmonale).

Kongenitale Skoliose (Fehlbildungsskoliose)


▶ Abb.  10.16.
Diagnostik
Vor OP intraspinale, neurogene Fehlbildungen ausschließen (MRT, CT).
Therapie
Hauptproblem: Unterschiedliches Wachstumspotenzial an Konkav- und Kon-
vexseite der Krümmung. Schwerste Progression bei einseitigem Segmentations-
fehler. Prognose jedoch oft schwer absehbar.
Ind.: Ther. differiert wesentlich von der idiopathischen Skoliose. Kongenitale Sko-
liosen erfordern z. T. schon im frühen Wachstumsalter korrigierende Eingriffe.
Risiko: Auch ohne zusätzliche Fehlbildungen ist die Aufrichtung gefährlich, z. B.
wegen evtl. atypischer Blutgefäßversorgung des RM.
Operative Möglichkeiten: Dorsale Fusion mit Instrumentation, dorsoventrale
Spondylodese, „Greffe Anterieur“ (vorderer Abstützspan), Halbwirbelresektion.
390 10 Wirbelsäule 

10

Abb. 10.16  Wirbelfehlbildungen [L190]

Kongenitale Skoliosen des Brustkorbs mit konkav fusionierten Rippen, mit Flat-
terbrust aufgrund fehlender Rippen oder neurogene Skoliosen ohne Rumpfspastik
können auch durch die VEPTR-Titan-Rippenprothese kontrolliert und ggf. korri-
giert werden. Die Titanrippen werden senkrecht an den natürlichen Rippen, aber
auch an den Laminae sowie den Beckenkämmen des Patienten angebracht. So
kann durch regelmäßige Expansion und anatomische Distraktion das Wachstum
des Kinds begleitet und evtl. Dekompensationen frühzeitig entgegengewirkt wer-
den. Die OP kann frühzeitig (2. Lj.) durchgeführt werden, ist weniger invasiv als
eine Spondylodese, bedarf aber bedingt durch durchschnittlich halbjährliche
Nachdistraktionen mehrerer kleinerer Folgeeingriffe. Hierdurch kann bei diesen
Skoliosen Zeit gewonnen werden. Im Jugendalter wird aber i. d. R. eine dorsale
Spondylodese notwendig, Langzeitergebnisse liegen noch nicht vor.
   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  391

Prognose
Fehlbildungsskoliosen haben bei schwerer Krümmung eine schlechte Progn.
Nach Wachstumsabschluss ist nur noch eine geringe Krümmungsprogression der
Skoliose zu erwarten.
10
Säuglingsskoliose
Definition
Teilfixierte seitl. WS-Verkrümmung ohne Torsion und ohne strukturelle Verän-
derungen (keine echte Skoliose). Spontanheilungstendenz in ca. 90 %.
Ätiologie
Wahrscheinlich Folge einer Störung der neuromotorischen Entwicklung mit ein-
seitiger Kontraktur der Stammmuskulatur. Die gewohnheitsmäßige Schräglage
des Säuglings fördert eine Fehlhaltung.
Klinik
Meist C-förmige großbogige Skoliose. Die Schräglage des Säuglings fällt auf.
Progn. ungünstig: Kurzbogige Krümmung, S-Form.
Therapie
• Bauchlagerung (auch als Prophylaxe) und KG (z. B. Vojta) unterstützen
Spontanrückbildung.
• Lagerung: Säugling muss bei Zuwendung den Rumpf zur konvexen Seite ak-
tiv korrigieren.
• Passive Umkrümmung in Liegeschalen oder mit Bandagen nur in ausgepräg-
ten Fällen.
• Regelmäßige Verlaufskontrollen, um keine infantile progrediente Skoliose zu
übersehen.

10.6.10 Spondylolyse, Spondylolisthesis
Definition
Spondylolyse: Defekt in der sog. Interartikularportion eines Wirbelbogens. 5–7 % in
der weißen Rasse. Spondylolisthesis (oder kurz „Olisthesis“): I. d. R. ventrale Ver-
schiebung eines WK mit seinen Bogenwurzeln, Querfortsätzen und oberen Gelenk-
fortsätzen über den nächsttieferen. Klassifikation nach Newman (dysplastisch, isth-
misch u. a.). 2–4 %, in ca. 80 % ist der 5. LWK, in 15 % der 4. LWK betroffen. Auffällig
ist die hohe Rate bei Leistungssportlern mit Hyperlordosierungsbelastung der LWS:
Speerwerfer ca. 50 %, Judokas ca. 25 %, Kunstturner ca. 25 %, Delfinschwimmer und
Ringer 24 %.

Klinik
• ca. 50 % der Spondylolysen und Olisthesen sind asymptomatisch (oft Rö-Zu-
fallsbefund). Verdächtig sind belastungsabhängige, eher pseudoradikuläre,
selten radikuläre Kreuzschmerzen (Nervenwurzelkompression).
• Bei stärkerem Gleiten ist eine Stufenbildung zwischen den Dornfortsätzen zu
tasten, evtl. Hohlkreuz.
• Bei Kindern z. T. Hüftlendenstrecksteife (beim Anheben der Beine wird
schmerzreflektorisch gesamter Rumpf angehoben).
392 10 Wirbelsäule 

Diagnostik
Rö: LWS a. p. und seitl. Schrägaufnahmen stellen eine Lyse am besten dar („Hünd-
10 chen“ = Wirbelbogen mit aufgehelltem „Halsband“ = Lysezone, ▶  Abb.  10.17)
und erlauben eine Beurteilung, ob eine ein- oder doppelseitige Lyse vorliegt.
Spondyloptose (völliges Abkippen eines Wirbels) stellt sich in a. p. Aufnahme als
„umgekehrter Napoleonshut“ dar. Grad der Verschiebung: Einteilung nach Mey-
erding. Funktionsaufnahmen in max. Ante- und Retroflexion (▶ Abb.  10.18): In-
stabilitätszeichen: Z. B. Kippwinkel, seitl. Translation bei Bending-Aufnahmen;
Ziel: Abgrenzung Hypermobilität – pathol. Instabilität.

Abb. 10.17  Röntgenkriterien der Spondylolisthesis: Quantifizierung der Ventral­


verschiebung nach Meyerding; pathologische Kyphosierung; „Halsband der Hun­
defigur“ bei 45° Schrägaufnahme [L106]

Abb. 10.18  Gleitsegment bei degenerativer Spondylolisthesis [L106]


   10.6  Malformationen und idiopathische Deformitäten  393

Myelografie/Funktionsmyelografie, MRT, CT: Insbes. bei zur Diskussion ste-


henden operativen Eingriffen: Kompression von Nervenwurzel bzw. Duralsack?
Morphologische Sekundärveränderungen?
Evtl. EMG/NLG: Bei neurol. Defiziten zur Objektivierung.
10
Konservative Therapie
Ind.: Immer, wenn keine neurol. Ausfälle oder Beschwerden vorhanden sind.
Bei Lyse oder Olisthese ohne Beschwerden: Keine Ther. erforderlich. Keine rekli-
nierenden Sportübungen. Kontrolle wichtig, da im Wachstumsalter die Gefahr
des Abgleitens besteht.
Spondylolysen im Kindesalter: Durch Rumpforthese (Tragezeit 6–12 Mon.) knö-
cherne Konsolidierung möglich, aber eher unwahrscheinlich.
Bei Beschwerden: Zunächst kons. Ther. mit entlordosierender, stabilisierender
WS-Gymnastik (selbstständig durchzuführendes Trainingsprogramm), entlordo-
sierendes HE-Mieder, Neoprenmieder (▶ 23.3).

Operative Therapie
Indikationen
Persistierende Beschwerden bei Versagen der kons. Ther. und/oder bei Progredi-
enz im Kindesalter, neurol. Ausfälle.
Methoden
Methodenwahl: Abhängig u. a. von Alter und Aktivität des Pat., Erfahrung des
Operateurs, Ausmaß und Höhe der Olisthesis. Evtl. präop. Immobilisationstest
mit entlordosierendem Rumpfgips. Halten die Beschwerden trotz Gipsimmobili-
sation an, ist auch der Erfolg einer OP fraglich. Viele unterschiedliche OP-Verfah-
ren zur Stabilisierung der WS.
Spondylodese mit Reposition: Dorsal-ventral mit dorsalem Pedikelschrauben
gestütztem Repositionsinstrumentarium mit interkorporellem autologem Be-
ckenkammspan oder lumbaler interkorporeller Fusion von dorsal (PLIF/TLIF)
oder ventral (ALIF).
Isthmusrekonstruktion: Osteosynthese mit Spongiosaplastik: Buck, Scott, Mor-
scher; nur bei nichtdeg. veränderter Bandscheibe und allenfalls bis zum 20. Lj. zu
empfehlen.
Spondylodese in situ: Ohne Instrumentation: Dorsal (z. B. Albee, Risser, Hibbs),
posterolat. (z. B. Watkins, Wiltse), ventral-interkorporell (Judet-Schraube). KO:
Hohe Rate von Pseudarthrosen, daher nicht mehr zeitgemäß! Mit Instrumentati-
on: Pedikelschraubensysteme.
Alleinige Dekompression: Nach Gill und White reicht i. d. R. nicht aus, beseitigt
nicht die Ursache und zieht eine hohe Rate von Sekundär-OPs nach sich.
Komplikationen
Pseudarthrose (bei dorsolateralen Verfahren deutlich > 10 % im lumbosakralen
Bereich). Verletzung der V. iliaca., retrograde Ejakulation.
Ergebnisse
Fusions-OP bei Spondylolisthesis in ca. 80 % gute Ergebnisse – somit deutlich bes-
ser als bei deg. Instabilitäten. Häufig Besserung neurol. Symptome durch Fusion
(evtl. Reposition).
394 10 Wirbelsäule 

Prognose
Fragliche Risikozeichen für Progredienz des Gleitprozesses: Abrutschen über 30°,
10 Verstärkung des Gleitens und des Neigungswinkels bei Funktionsaufnahmen
(Dom- oder S-Form des Sakrums). Grad der Verschiebung bei Diagnosestellung:
Progn. Faktor für spätere Rückenschmerzen.

10.7 Failed-Back-Surgery-Syndrom (FBSS),
Postnukleotomiesyndrom
Definition
Ausdruck für anhaltende Schmerzzustände nach (mehrfachen) WS-OP. Postnuk-
leotomiesy.: Beschwerden speziell nach Bandscheiben-OPs. Problempat. Große
Herausforderung an den behandelnden Arzt aufgrund einer oft sehr komplexen
Problematik. Kostenintensives Krankheitsbild.

Ätiologie
Auch Komb. möglich.
• Schlechte/falsche OP-Ind., OP am falschen Ort, übersehene Rezessusstenose,
ungenügende Dekompression. Spondylodiszitis, Hämatom, Liquorfistel,
übersehenes Bandscheibengewebe im Spinalkanal, fehlerhafte Osteosynthese,
inadäquate Instrumentation.
• Spät-KO: Instabilität, adhäsive Arachnoiditis oder Komb. Rezidiv-Diskusher-
nie. Nachbehandlungsfehler.
• Epidurale Fibrose: Oft beobachtet – ob sie tatsächlich für klin. Symptome ur-
sächlich ist, ist nicht bewiesen.
• Speziell nach lumbalen Spondylodesen: Pseudarthrosen, Infekt, Spanresorpti-
on, Spinalkanalstenose. Falsche, zu viele oder zu wenige Segmente gewählt,
fehlende, ventrale Abstützung. Fehlende Lordosierung der therapierten Seg-
mente. Überlastung oder Instabilität benachbarter Segmente, Spondylolyse.
• Häufigste Diagnosen, bei denen ein FBSS auftreten kann: NPP, Bandschei-
bendeg. (Instabilität), Spondylolisthesis, Lumbalstenose.

Bevor bei diesen Pat. eine überwiegend psychosomatische Leidenskompo-


nente diagnostiziert wird, ist immer zu prüfen, ob die ursprünglich ange-
nommene Erkr. auch tatsächlich suffizient behandelt ist (z. B. sichere knö-
cherne Durchbauung der ursprünglich geplanten Spondylodese oder Pseud­
arthrose). Andererseits: Nicht in operativen Aktionismus verfallen. „Every
surgery of the spine is necessary – except for the first one.“

Klinik
Buntes Bild von Schmerzen, meist gemischt radikulär-pseudoradikulär. Schmer-
zen beim Vornüberneigen. Belastungsschmerz. Oft iatrogene neurol. Ausfälle.

Diagnostik
• Ziel: Klärung von Schmerzursache und Schmerzort.
• Anamnese wesentlich: Zeit lassen. Lokalisation und Ausstrahlungen der
Schmerzen (genau zeigen lassen). Fragen nach Abhängigkeit von Tageszeit und
Körperhaltung, Zeitpunkt des erstmaligen Schmerzauftretens. Auf evtl. freies
Intervall nach Erst-OP achten. Instabilitätszeichen? Verlauf und bisherige Ther.
   10.7  Failed-Back-Surgery-Syndrom (FBSS), Postnukleotomiesyndrom  395

• Rö: LWS a. p. und seitl., Funktionsaufnahmen in max. Inklination und Rekli-
nation (▶ 4.1.4): Achten auf Ausmaß evtl. entfernter Strukturen (Laminekto-
mie, Facettektomie), Retrolisthesis, Vakuumphänomen im Diskus, Spondylo- 10
se in Nachbarsegmenten.
• MRT: Evtl. mit Kontrastmittel, z. B. Gd-DTPA. Als Zusatzuntersuchung bei
noch bestehender Unklarheit. Zur DD epidurale Narbenbildung, Rezidivpro-
laps.
• CT bzw. Myelo-CT: Spinalkanal-, Rezessusstenose, Instabilität, Diskusprolaps
oder -rezidiv? Funktionsmyelogramm?
• Szinti: Bei Hinweis auf Spondylodiszitis (BSG, CRP ↑?).
• EMG: Objektivierung von Nervenläsionen (forensisch wichtig – hat jedoch
kaum Auswirkung auf Therapieentscheid).

Therapie
Konservative Therapie
Ind.: I. A. Arachnoiditis, starkes Überwiegen der psychischen Komponente.
Maßnahmen: Z. B. Infiltrationen mit LA, PDA, Neoprenmieder, KG, physik.
Ther., Aktivitätssteigerung, physisches Training (z. B. Nordic Walking; Schwim-
men, Fahrradfahren), multimodale Schmerzther. inkl. psychosomatischer Explo-
ration (▶ 19).
Operative Therapie bei Re-Intervention
Sehr verantwortungsvolle, oft schwierige Ind.-Stellung, z. B.:
• Rezidivhernie: Nukleotomie.
• Enger Spinalkanal/Rezessus bzw. unvollständige Dekompression: Dekom-
pression und Stabilisierung.
• Instabilität: Spondylodese. Methode: Dorsoventrale Spondylodese oder dor-
sale, lumbale, interkorporelle Fusion (PLIF), in einigen Fällen ist die dorsola-
terale Fusion mit guter Instrumentation ausreichend.

Adhäsiolyse
Erfolgsaussichten einer reinen Adhäsiolyse bei Narbenbildung < 50 %.

Prognose
Erfolgsaussichten umgekehrt proportional zur Zahl der Vor-OPs. Neg. progn.
Faktoren: Ind. für Ersteingriff schon problematisch, psychische Störungen. Pos.
progn. Faktoren: Längeres postop. schmerzfreies Intervall, deutliche mechanische
Ursache (z. B. erneuter NPP, Lumbalstenose, Instabilität).
11 Thorax
Bernd Wiedenhöfer, Hans Mau und Steffen Breusch

11.1 Engpass-Syndrom, Thoracic- 11.3 Thoraxtrauma 402


Outlet-Syndrom (TOS) 398 11.3.1 Rippenfrakturen 402
11.1.1 Allgemein 398 11.3.2 Hämatopneumothorax
11.1.2 Halsrippe 398 (HPT) 404
11.1.3 Skalenussyndrom 399 11.3.3 Myokardverletzungen 405
11.1.4 Kostoklavikuläres 11.3.4 Zwerchfellruptur 407
Syndrom 400
11.1.5 Hyperabduktions­
syndrom 400
11.2 Thoraxdeformitäten 401
11.2.1 Kielbrust
(Pectus ­carinatum) 401
11.2.2 Trichterbrust (Pectus
­excavatum) 401
398 11 Thorax 

11.1 Engpass-Syndrom, Thoracic-Outlet-
Syndrom (TOS)
11.1.1 Allgemein
Definition
11 Chron., nichttraumatisch bedingte Schädigung des Plexus brachialis (Wurzeln
C4–Th1) bzw. der A. subclavia (A. brachialis, V. subclavia) durch Kompression an
anatomischen Engstellen.

Ätiologie
Angeborene muskuläre, skelettäre oder vaskuläre Varianten.

Klinik
Auftreten der Beschwerden i. d. R. erst im Erw.-Alter; wechselnde Symptomatik
mit Parästhesien und Sensibilitätsstörungen. Motorische Ausfälle selten. Provo-
kation der Schmerzen bei bestimmten Bewegungsabläufen.

Diagnostik
Provokationstests (▶ Abb.  11.1). Rö: HWS in 2 Eb., Schulter in 2 Eb., MRT, Dopp-
lersono. EMG, NLG. Angiografie (DSA), SEP. Evtl. Neurografie des Armplexus
mit Kontrastmittel z. B. über supraklavikulären Zugang → Rö a. p. in verschiede-
nen Armpositionen.

Differenzialdiagnosen
• Armplexusschäden ohne Schmerzprovokation: Pancoast-Tumor; „Rucksack-
lähmung“ (direkte Kompression des Plexus durch Tragen schwerer Lasten).
• Neuralgische Schulteramyotrophie: Entzündlich oder allergische Affektion
v. a. des oberen Armplexus; Plexusneuritis.
• Gefäßleiden wie Thrombose der V. axillaris oder Verschluss der A. brachialis.

11.1.2 Halsrippe
Definition
Durch Rippe oder Stummelrippe am 7. Halswirbel Irritation des unteren Plexus.

Ätiologie
Keine Korrelation zwischen Größe der Rippe und Intensität der Beschwerden.
Symptomatik evtl. ausgelöst durch fibrösen Strang zwischen Querfortsatz und
erster Rippe – sog. M. albinus (im Rö nicht sichtbar).

Klinik und Diagnostik


• Wechselnde, häufig nachts am stärksten ausgeprägte Schmerzen im Bereich
des Versorgungsgebiets des N. ulnaris.
• Dopplersono: Ca. 50 % Minderperfusion der A. brachialis bzw. der A. subclavia.
• Schmerzprovokation (▶ Abb.  11.1): Drehen des Kopfs zur gesunden Seite →
Reizung des unteren Plexus und evtl. Kompression der A. subclavia durch
Spannung über das Hypomochlion Halsrippe (bzw. „M. albinus“). Änderung
der Pulsqualität?
   11.1  Engpass-Syndrom, Thoracic-Outlet-Syndrom (TOS)  399

11

Abb. 11.1  Provokationstests bei Engpass-Syndromen [L106]

Therapie
Kons. Ther.: KG zur Kräftigung des Schultergürtels (Absinken der Schultern ver-
meiden) und Verbesserung der HWS-Haltung.
Operative Ther.: Bei erfolgloser kons. Ther. Entfernung der Halsrippe; häufig in
Komb. mit Tenotomie des M. scalenus ant. Zugang: Supraklavikulär oder transaxillär.

11.1.3 Skalenussyndrom
Definition
Einengung der A. subclavia und des Plexus brachialis beim Durchtritt durch die
hintere Skalenuslücke (zwischen M. scalenus ant. und M. scalenus medius) durch
einen verbreiterten Ansatz des M. scalenus ant.
400 11 Thorax 

Klinik und Diagnostik


• Schmerzprovokation: Adson-Test (▶ Abb.  11.1): Heben und Drehen des
Kopfs zur kranken Seite bei gleichzeitiger tiefer Inspiration. Dabei weitere
Einengung der Skalenuslücke → Schmerzen, in den meisten Fällen Abschwä-
chung des Radialispulses durch Kompression der A. subclavia. Verstärkung
der Symptomatik durch Zug am Arm nach kaudal.
• Bei schweren Fällen findet sich angiografisch eine poststenotische Erweite-
rung der A. subclavia.
11
Therapie
Kons. Ther: Wie bei Halsrippe (▶ 11.1.2).
Operative Ther.: Tenotomie des M. scalenus ant. vielfach nicht ausreichend. Zu-
sätzliche Resektion der ersten Rippe empfehlenswert.

11.1.4 Kostoklavikuläres Syndrom
Definition
Kompression des Plexus und der Subklavia-Gefäße zwischen 1. Rippe und Klavi-
kula.

Ätiologie
Kongenitale Frakturen, erhebliche Kallusbildung nach in Fehlstellung verheilten
Klavikulafrakturen, Tumoren des Schlüsselbeins.

Klinik und Diagnostik


• Schmerzprovokation (▶ Abb.  11.1): Zug des seitl. bis zur Horizontalen abge-
hobenen Arms nach hinten unten.
• Adson-Test (▶ 11.1.3): i. d. R. Abschwächung des Radialispulses sowie gel. ve-
nöse Stauung.

Therapie
Kons. Ther.: KG zur Stabilisierung des Schultergürtels.
Op. Ther.: Selten notwendig; Resektion der ersten Rippe. Resektion der Klavikula
nur bei Tumoren. Teilresektion bei in starker Fehlstellung verheilter Fraktur.

11.1.5 Hyperabduktionssyndrom
Definition
Engstelle zwischen Proc. coracoideus und Ansatz des M. pectoralis minor.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Schmerzprovokation (▶ Abb.  11.1): Max. Elevation und gleichzeitige Rück-
führung des Arms. Neurol. Ausfälle eher die Ausnahme. Brachialgien v. a.
beim Schlafen mit hypereleviertem Arm.
• DD: Karpaltunnelsy.
Therapie
Kons. Ther.: Aufklärung des Pat. mit dem Ziel, auslösende Bewegungen bzw.
Schlafstellungen zu vermeiden. Evtl. berufliche Umorientierung (z. B. bei Malern
mit häufig anfallender Überkopfarbeit).
  11.2 Thoraxdeformitäten  401

Operative Ther.: Selten Erweiterung des Engpasses durch Tenotomie des M. pec-
toralis minor oder Resektion des Proc. coracoideus.

11.2 Thoraxdeformitäten
11.2.1 Kielbrust (Pectus carinatum)
11
Definition
Syn. Hühnerbrust. Protrusionsfehlbildung des Sternums bzw. der vorderen Tho-
raxwand; ca. 10-mal seltener als Trichterbrust. Häufiger entstellende asymmetri-
sche Deformität.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Entwicklung in den ersten Lj. Pat. i. d. R. beschwerdefrei. Sehr selten respira-
torische Insuff. und Zirkulationsstörungen des Lungenkreislaufs.
• Rö: Thorax in 2 Eb., Fotodokumentation zur Verlaufskontrolle. Nur in Aus-
nahmefällen Lungenfunktionstest und Belastungs-EKG.
• DD: Auftreten der Deformität im Rahmen eines Fehlbildungssy. Angebore-
ner Fassthorax mit Kielbrust bei der Dysplasia spondyloepiphysarea congeni-
ta; „Schildbrust“ bei Turner-Sy.

Therapie
Kons. Ther.: Frühzeitige (3.–4. Lj.) Anpassung einer Pelotte, die Druck auf das
Sternum ausübt. Bei mehrmonatiger Tragedauer oftmals gute Korrektur. Korrek-
turen im Pubertätsalter und später schwierig. KG nicht erfolgversprechend.
Op. Ther.: Nur in Ausnahmefällen bei schwerer psychischer Belastung.

Prognose
Insgesamt gut. Behandlungserfolge bei kons. Ther. im Kleinkindesalter bei ständi-
gem Tragen der Pelotte über einen langen Zeitraum. Nach OP sehr niedrige Rezi-
divrate.

11.2.2 Trichterbrust (Pectus excavatum)


Definition
Angeborene trichterförmige Einziehung der vorderen Thoraxwand. Häufigste
Fehlbildung der Thoraxwand (1 : 1.000); M : F ca. 3 : 1.

Klinik
• Augenfällige Deformität (oft besteht zusätzlich ein Rundrücken) entwickelt
sich in den ersten Lj.; meist keine Beschwerden.
• Vorstellung beim Arzt oft aus kosmetischen bzw. psychologischen Gründen
im Pubertätsalter. Beeinträchtigung von Vitalkapazität und Herzminutenvo-
lumen nur bei schwerer Ausprägung (Distanz der Sternumhinterfläche zur
Wirbelsäulenvorderfläche 5 cm).

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Thorax, Sternum, BWS (evtl. Bleistreifen oder KM-Brei in die Vertie-
fung). Lungenfunktion, Belastungs-EKG, Fotodokumentation zur Verlaufs-
402 11 Thorax 

kontrolle. Trichterbrustindex nach Backer: Frontosagittalindex = Sagittal-


durchmesser × 100/Frontaldurchmesser. Pathologisch < 36.
• DD: BWS-Skoliose mit sekundär entstehender Thoraxwanddeformität, kons-
titutionelle Erkr. des Skelettsystems (z. B. Osteogenesis imperfecta tarda).

Therapie
Konservative Therapie
11 Kein wesentlicher Effekt. Empfohlen werden, insbes. beim Kleinkind, intensive
Atemgymnastik, Ausdauersportarten oder KG (Kräftigung der schrägen Bauch-
muskeln, der Rückenmuskulatur und Dehnung des M. pectoralis major). Verord-
nung von Orthesen oder sonstiger Apparate obsolet.
Operative Therapie
Ind. (umstritten): Schwere Ausprägung mit kardiopulmonaler Beeinträchtigung.
Relative OP-Ind. bei starker psychischer Belastung und bei störender Kosmetik.
Günstiges OP-Alter: 2.–6. Lj.
Prinzip: Zahlreiche Methoden und Modifikationen, z. B. Mobilisierung von Ster-
num und Rippenknorpel und Stabilisierung mithilfe von Metallbügeln (OP nach
Rehbein), die mindestens ca. 3 J. belassen werden. OP nach Ravitch: Resektion der
deformierten Rippenknorpel, komplette Mobilisation des Corpus sterni und Refi-
xation des korrigierten Sternums. Bei kosmetischer Ind. Augmentationsplastik
mit vorher angepasster Silikonprothese (plastische Chirurgie).
KO: Gering; in ca. 85 % der Fälle voll befriedigende Ergebnisse. Wenn Eingriff aus rein
kosmetischen bzw. psychologischen Gründen erfolgt, bes. sorgfältige Abwägung der
OP-Risiken. Bei Mädchen erscheint der Busen nach Anhebung des Sternums kleiner.
NB: Antibiotikaprophylaxe für 3–5 d (Haupt-KO: Wundheilungsstörung). Schonung für
3 Mon., danach Sport (z. B. Schwimmen) empfehlenswert. Ca. 1 J. noch Atemgymnastik
und KG zur muskulären Kräftigung. ME je nach Alter zum OP-Zeitpunkt 3–5 J. postop.

Prognose
Gut, Rezidive sehr selten. Nach Abschluss des Wachstums ist nicht mehr mit ei-
ner Zunahme der Deformität zu rechnen.

11.3 Thoraxtrauma
11.3.1 Rippenfrakturen
Definition
Rippenserienfraktur: Bruch von mehr als drei Rippen oder Rippenstückbruch.

Ätiologie
Meist direktes oder indirektes Trauma. Bei vorbestehender pathol. Veränderung
der Rippen (Skelettmetastasen, Osteoporose) reicht u. U. ein Bagatelltrauma (An-
stoßen an der Tischkante) oder heftiges Niesen bzw. Husten.

Klinik und Diagnostik


• Schmerzen beim Atmen, Husten und Niesen → Schonatmung.
• Lokaler DS. Prellmarke oder Schwellung kann fehlen. Thoraxkompressions-
schmerz. Atemexkursion kann nachhinken, auskultatorisch evtl. abge-
schwächtes Atemgeräusch, sek. evtl. pleuritisches Reiben.
  11.3 Thoraxtrauma  403

• Paradoxe Atmung (Mediastinalflattern): Bei Instabilität des Thorax infolge


Rippenserienfraktur mit den Symptomen Dyspnoe und Zyanose. Am häu-
figsten sind die Rippen IV–IX frakturiert.
• Röntgen:
– Basisdiagn.: Thoraxübersicht (Pneumothorax? Hämatothorax?) in Expira-
tion sowie Hemithorax in 2 Eb. in Hartstrahltechnik (Rippenfrakturen,
v. a. Bruch einer einzelnen Rippe in der Axillarlinie im Rö-Bild gel. nicht
darzustellen).
– Bei Rippenserienfrakturen zusätzlich Durchleuchtung des Thorax (Aus- 11
maß der Instabilität bzw. der paradoxen Atembewegungen), Rö von Ster-
num seitl. sowie BWS in 2 Eb.
• EKG (Contusio cordis?).
• Art. BGA.
• Urinuntersuchung (Hämaturie?).
• An abdominale Begleitverletzung denken! Ggf. Sono von Leber, Milz, Nieren.
• Bei V. a. pathol. Fraktur Skelettszinti (weitere Herde), evtl. zusätzlich CT
(Ausmaß der knöchernen Destruktionen?) sowie Laboruntersuchungen (Tu-
mormarker, Entzündungsparameter).

Differenzialdiagnosen (Anamnese wesentlich)


• Trauma, Osteomyelitis, Metastasen.
• Bei stumpfen Thoraxtraumen, insbes. bei jüngeren Pat., evtl. auch ohne Rip-
penfraktur klin. bedeutsame Lungenkontusion (im Rö-Bild frühestens 6 h
nach dem Trauma zu erkennen) oder Contusio cordis.

Therapie
Konservative Therapie
Solitäre Fraktur: Ausreichend Analgetika wie Tramadol 50–75 mg alle 4 h (z. B.
Tramal®) zur Vermeidung von Pneumonien oder Atelektasen aufgrund länger
anhaltender schmerzbedingter Hypoventilation. Evtl. Dämpfung des Hustenrei-
zes (z. B. Codipront®). Regelmäßige Rö-Kontrollen bei Mantelpneumothorax
bzw. zum definitiven Ausschluss ca. 1 Wo. nach dem Trauma.
Rippenserienfraktur: Stationäre Aufnahme, enge Überwachung der Atem- und
Herz-Kreislauf-Funktionen. Ausschluss bzw. adäquate Behandlung von Begleitver-
letzungen innerer Organe. Bei massiver Thoraxinstabilität bzw. Ateminsuff. prim.
Respiratorbeatmung zur „inneren Schienung“. Cave: Spannungspneumothorax.
Operative Therapie
Maßnahmen: Bei Pneumothorax Pleuradrainage (Buelau-Drainage); bei anhal-
tendem Blutverlust Thorakotomie im Bereich der Blutungsquelle (meist zerrisse-
ne Interkostalarterie) und entsprechende Versorgung. Nur bei ausgeprägter Tho-
raxwandinstabilität osteosynthetische Stabilisierung der Rippen.
Mögliche KO (selten): Pneumo-, Hämatothorax, intrapulmonale Blutung (Kon-
tusionspneumonie), Atelektase, instabiler Thorax. Verletzungen von Bronchial-
system, Aorta und Ösophagus bzw. Leber, Milz und Nieren ausschließen!

Prognose
Bei traumatischen Rippenfrakturen sehr gut, Heilungsverläufe evtl. recht lang
(6–8 Wo.). Bei Serienfrakturen bzw. primär nichttraumatisch bedingten Fraktu-
ren Progn. bestimmt vom Ausmaß der Begleitverletzungen bzw. von der Grund-
erkr.
404 11 Thorax 

11.3.2 Hämatopneumothorax (HPT)
Definition
Unterschieden werden der geschlossene HPT infolge Verletzung der Pleura visce-
ralis und des Lungenparenchyms und der offene HPT mit zusätzlicher Verletzung
der Thoraxwand.

Ätiologie
11 Geschlossener HPT: Meist direktes stumpfes Thoraxtrauma im Rahmen von Ver-
kehrsunfällen (häufigste Ursache in Zentraleuropa), Sturz aus großer Höhe oder
häusliche Unfällen. Selten tracheobronchiale Verletzungen.
Offener HPT: Selten, spitze Verletzung der Thoraxwand (Schuss, Klinge, Splitter),
Lungenparenchym fast immer mit beteiligt.

Klinik und Diagnostik


• Atmung: Tachypnoe, auskultatorisch einseitig abgeschwächtes Atemge-
räusch, paradoxe Atmung (Mediastinalflattern), Atemexkursion kann nach-
hinken.
• Einflussstauung: Zyanose, Petechien, gestaute Halsvenen.
• Hautemphysem, am Thorax beginnend, Ausbreitung per continuitatum in
Schulter-, Hals- und Abdominalregion.
• Schmerz: Lokaler DS. Prellmarke oder Schwellung kann fehlen. Thoraxkom-
pressionsschmerz.
• Verletzung der Thoraxwand (Schuss, Klinge, Splitter).
• Röntgen:
– Basisdiagn.: Thoraxübersicht (Pneumothorax? Hämatothorax? Mediasti-
nalverschiebung?) in Expiration sowie Hemithorax in 2 Eb. in Hartstrahl-
technik (▶ 11.3.1).
– Bei Rippenserienfrakturen zusätzlich Durchleuchtung des Thorax (Aus-
maß der Instabilität bzw. der paradoxen Atembewegungen), Rö von Ster-
num seitl. sowie BWS in 2 Eb.
– Bei Hämatothorax ggf. zusätzlich Aufnahme im Liegen. Diffuse Verschat-
tung bei flächiger Ausbreitung des Hämatothorax.
– CT: Blutungsquellen.
• EKG: Tachykardie.
• Blutdruck: Hypotonie.
• Art. BGA.
• Gegebenenfalls flexible Bronchoskopie.
• An abdominale Begleitverletzung denken! Gegebenenfalls Sono von Leber,
Milz, Nieren.

Differenzialdiagnosen
Art des Traumas wesentlich. Perikardtamponade.

Therapie
Konservative Therapie
Bei Lungenkontusion: Ausreichende analgetische Ther., Atemgymnastik,
­frühzeitige Mobilisation. Bei ausgedehntem intrapleuralem Hämatom ggf. orotra-
cheale Intubation und Beatmung mit positivem endexspiratorischem Druck (ggf.
zusätzlich Pleuradrainage).
  11.3 Thoraxtrauma  405

Operative Therapie
Maßnahmen: Spannungspneumothorax, geschlossener HPT mit Blutungsvolu-
men > 1 l oder offener HPT: Großlumige Pleuradrainage (Buelau-Drainage,
▶ 2.3). Orotracheale Intubation und Beatmung.
Bei anhaltendem Blutverlust über die Pleuradrainage: Sofortige anteriore Thora-
kotomie im Bereich des IV. ICR der betroffenen Seite, Kompression der gesamten
ipsilateralen Lunge und Versorgung der Blutungsquelle.
Bei sich entwickelndem Hautemphysem und Nachweis einer tracheobronchialen
Verletzung (rechter Hauptbronchus mit 60 % die häufigste Lokalisation) postero- 11
laterale oder laterale Thorakotomie auf der Seite der Verletzung des Bronchus und
primäre Versorgung durch Naht.
Bei penetrierenden Lungenverletzungen schichtweiser Verschluss nach Anfri-
schen.

Prognose
• Lungenkontusion: Gute Prognose unter kons. Ther. Selbst größere intrapul-
monale Blutungen und Zysten zeigen gute Resorptionstendenzen.
• Größere initiale Blutverluste (1–1,5 l) auch bei offenem HPT können durch
Einlage einer Pleuradrainage und Anschluss an ein Unterdrucksystem zum
Sistieren gebracht werden.
• Pat. mit hohem initialem Blutverlust evtl. trotz einliegender Thoraxdrainage
und Kreislaufinsuffizienz haben trotz sofortiger Notfallthorakotomie eine
schlechte Überlebensprognose.
• Tracheobronchialverletzung: Unmittelbare Lebensgefahr durch mediastina-
len Überdruck bei Emphysem. Versorgte Läsionen verkleben i. d. R. schnell.
Persistierende Lecks können zur Mediastinitis oder Pleuritis führen.

11.3.3 Myokardverletzungen
Contusio cordis
Definition
Prellung des Myokards.
Ätiologie
Begleitverletzung des Thoraxtraumas, häufig Anprall an das Lenkrad.
Klinik und Diagnostik
• Atmung: Abhängig von der begleitenden Verletzung.
• Herztöne leise.
• Schock: Hypovolämisch, kardiogen?
• Schmerz: Im Rahmen des Gesamttraumas unspezifisch.
• Röntgen:
– Basisdiagn.: Thoraxübersicht (Pneumothorax? Hämatothorax? Mediasti-
nalverschiebung?) in Exspiration sowie Hemithorax in 2 Eb. in Hart-
strahltechnik (▶ 11.3.1).
– Bei Rippenserienfrakturen zusätzlich Durchleuchtung des Thorax (Aus-
maß der Instabilität bzw. der paradoxen Atembewegungen), Rö. von Ster-
num seitl. sowie BWS in 2 Eb.
– Intervallthorax nach wenigen Stunden mit Dilatationszeichen.
• EKG: Initial evtl. unauffällig, Rhythmusstörungen (cave: Kammertachykar-
die, -flimmern), Insuffizienzzeichen.
406 11 Thorax 

• Echo: Papillarmuskel-/Klappensegelabriss und pos. zervikaler Venenpuls,


Ventrikelfunktion.
• Sono: Tamponade?
• Blutdruck: Periphere Hypotonie, hoher zentralvenöser Druck.
• Labor: LDH-Anstieg; CK/CK-MB > 8 %.
Differenzialdiagnosen
Myokardtamponade.
11
Therapie
Konservative Therapie
Intensivmonitoring, Katecholamine und Vasoaktiva bei Herzinsuffizienz, medi-
kamentöse Rhythmisierung bei Rhythmusstörungen, ggf. Defibrillation, Atem-
therapie.
Prognose
• i. d. R. Restitutio ad integrum.
• Bei schwerer kardialer Symptomatik können Rhythmusstörungen persistieren.
Herzbeuteltamponade
Definition
Komplette oder inkomplette Ruptur des Myokards und sukzessive Einblutung in
den Herzbeutel mit intraperikardialer Kompression der oberen Hohlvene, Ein-
flussstauung und Low-output-Syndrom.
Ätiologie
Begleitverletzung des Thoraxtraumas, häufig Anprall an das Lenkrad (▶ 11.3.3),
penetrierende Verletzungen (Schuss, Stich).
Klinik und Diagnostik
• Herztöne abgeschwächt.
• Paradoxer Puls.
• Gestaute Halsvenen → Beck-Trias.
• Atmung: Abhängig von der begleitenden Verletzung.
• Schock: Hypovolämisch, kardiogen?
• Schmerz: Im Rahmen des Gesamttraumas unspezifisch.
• Verletzung der Thoraxwand (Schuss, Klinge, Splitter).
• Röntgen:
– Basisdiagn.: Thoraxübersicht (Pneumothorax? Hämatothorax? Mediasti-
nalverschiebung? Dilatationszeichen?) sowie Hemithorax in 2 Eb. in
Hartstrahltechnik (▶ 11.3.1).
– Ggf. Rö von Sternum seitl. sowie BWS in 2 Eb.
• EKG: Evtl. Niedervoltage, Rhythmusstörungen, Tachykardie, Insuffizienzzei-
chen.
• Echo: Papillarmuskel-/Klappensegelabriss und pos. zervikaler Venenpuls,
Ventrikelfunktion.
• Sono: Tamponade.
• Blutdruck: Periphere Hypotonie, hoher zentralvenöser Druck.
• Labor: LDH-Anstieg; CK/CK-MB > 8 %.
Differenzialdiagnosen
Contusio cordis, Spannungspneumothorax.
  11.3 Thoraxtrauma  407

Therapie
Operative Therapie
Akute Notfall-OP: Bei drohendem Kreislaufversagen Sicherung der Kreislauf-
funktion durch sofortige Perikardpunktion respektive Kathetereinlage, Sternoto-
mie und kardiochirurgische Direktversorgung der Ruptur.
Prognose
• Bei Verletzungen im Ventrikelbereich geringe Überlebenschance.
• Bei Verletzungen im Vorhofbereich reelle Überlebenschance bei sofortiger OP. 11

11.3.4 Zwerchfellruptur
Definition
Traumatische Prolabierung von Bauchorganen in die Thoraxhöhle.

Ätiologie
Akute extreme intraabdominale Drucksteigerung. Immer Begleitverletzungen
(Thoraxtrauma, SHT, abdominale Organverletzungen, Beckenfrakturen). 90 % li
gelegen, da hier nicht durch Bauchorgane geschützt.

Klinik und Diagnostik


• Atmung: Abgeschwächt, nachhinkend, ggf. Darmgeräusche in der Axilla.
• Schmerz: Primär unspezifisch, zunehmende Oberbauchsymptomatik und
Thoraxschmerz.
• Röntgen:
– Thoraxübersicht: Basale Verschattungen, unscharfe Darstellung des
Zwerchfells.
– Initialröntgen kann unauffällig sein → ggf. Intervallthorax bei klin. Symp-
tomatik.
– Ausschluss Rippenserienfrakuren und Pneumothorax.
– Ggf. CT.
• Sono Abdomen.
Differenzialdiagnosen
Myokardtamponade, Hämatopneumothorax, basale Atelektasen, Milzruptur.

Therapie
Operative Therapie
Primäre Versorgung (innerhalb 48 h) von abdominal zur besseren Reposition der
Abdominalorgane. Zwerchfellnaht durch Einzelknopfnähte mit nichtresorbierba-
rem Nahtmaterial.
Postprimäre Versorgung (abdominale Begleitverletzungen unwahrscheinlich)
transthorakal zur Lösung fibrinöser Verklebungen. Zwerchfellnaht durch Einzel-
knopfnähte mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial.

Prognose
Einseitige Einschränkung der Zwerchfellmotilität durch Verletzung im Ausbrei-
tungsgebiet des N. phrenicus.
12 Becken
Philipp Krämer und Michael Clarius

12.1 Verletzungen des 12.2 Verletzungen des


­Beckens 410 ­Azetabulums 414
410 12 Becken 

12.1 Verletzungen des Beckens


Das Becken wird durch die knöcherne Begrenzung aus Darmbein (Os ilium),
Schambein (Os pubis), Sitzbein (Os ischii) und Kreuzbein (Os sacrum) gebildet
(▶  Abb.  12.1). Verbunden über Synchondrosen (IS-Fuge und Symphyse) wird
durch beide Beckenhälften der sog. Beckenring aufgebaut, der zusätzlich durch
starke ventrale und dorsale Bandstrukturen im Kreuzbeinbereich stabilisiert wird.

Os sacrum

Os ilium
Pfannen-
12 dach
Azetabulum

posteriorer anteriorer
Pfeiler Pfeiler

Os ischii Os pubis Os ischii


Os pubis

Abb. 12.1  Anatomie des knöchernen Beckens [L106]

Funktionell bildet das Becken die Verbindungsstelle zwischen Rumpf und den
unteren Extremitäten und beherbergt die inneren Beckenorgane (Urogenitaltrakt,
Rektum, Nerven, Gefäße, Muskeln).
Den Verletzungen des Beckens liegt meist eine große äußere Krafteinwirkung zu-
grunde. Außer Frakturen liegen deshalb oft zusätzlich schwere Weichteilverlet-
zungen im Sinne von Begleitverletzungen vor.

Ätiologie
Laut Literatur werden > 50 % durch Verkehrsunfälle, ca. 30 % durch Sturz aus gro-
ßer Höhe und ca. 10 % durch Verschüttungen verursacht.
Dabei wirken die notwendigen großen Kräfte in 3 Eb.:
• In der Sagittalebene mit vorderer oder hinterer Beckenkompression und
Aufklappen des Beckenrings unter Aro. der Beckenhälften.
• In der Frontalebene mit lateraler Beckenkompression und Eindrücken des
Rings unter Iro. der getroffenen Beckenhälfte.
• In der Axialebene mit vertikaler Abscherung und Rotation einer Beckenhälf-
te in Querrichtung.

Klinik
60–80 % der Beckenverletzten sind polytraumatisiert! Neben Schmerz, Schwel-
lung, Hämatom, Prellmarken und palpabler Instabilität ist mit schweren Blutun-
gen aus Frakturflächen, präsakralem venösem Plexus und verletzten Beckengefä-
ßen zu rechnen.

Klassifikation
Zentral für die Beurteilung der Stabilität sowie die diagn., ther. und progn. Beur-
teilung.
   12.1  Verletzungen des Beckens  411

Fraktureinteilung nach betroffenen Strukturen:


• Darmbein-/Schaufelfrakturen.
• Sakrum- und Steißbeinfrakturen.
• Beckenringfrakturen.
AO-Klassifikation
▶ Abb.  12.2.
• Typ A: Stabil (Beckenschaufelfrakturen, Frakturen des Tuber ischiadicus, Ab-
rissfrakturen der Spina iliaca inf.).
• Typ B: Rotationsinstabil bei erhaltener vertikaler Stabilität.
– Rotation der Beckenhälften nach außen, z. B. Open Book = Ruptur der
Symphyse und der ventralen sakroiliakalen Bänder.
– Rotation der Beckenhälfte nach innen: dorsale Beckenstrukturen werden
gestaucht und ventrale Beckenstrukturen überlappen sich.
12
Typ A:

Typ B:

Typ C:

Abb. 12.2  Beckenringfrakturen [L106]


412 12 Becken 

• Typ C: Rotationsinstabile und vertikal instabile Verletzungen (entweder tran-


siliakale, transsakrale, transsakroiliakale Fraktur oder Zerreißung der sakroi-
liakalen Bänder mit gleichzeitiger Fraktur des vorderen Beckenrings oder
Symphysenruptur).

Diagnostik
• Klin. Inspektion und prioritätenorientierte Untersuchung nach ATLS-Kri-
terien: Analyse des Unfallmechanismus; Vitalparameter; Prellmarken; Wun-
den? Palpable Instabilitäten bei manueller Kompression des Beckens in ver-
schiedene Richtungen? Sichtbare Fehlstellungen und/oder Beinverkürzung,
Hämatome oder Blutaustritt Damm, Harnröhre oder Anus?
• Sono (wie bei jeder Polytraumaversorgung): Überblick über Herz, Oberbauch-
organe, Nieren, Blase und Retroperitoneum. Freie Flüssigkeit? Hämatome?
12 • Labor: BB, E'lyte, Gerinnung, klin. Chemie; nötigenfalls frühzeitig Blut kreuzen.
• Rö: BÜ, Inlet-Outlet-Aufnahmen, ggf. Sakrum bzw. Steißbein seitlich. Frak-
turen, Dislokationen?
• CT mit 3-D Rekonstruktion: Genaue Darstellung der Frakturmorphologie
und Verletzungen der Beckenorgane. Ggf. auch kontrastmittelverstärkt zur
Darstellung von Begleitverletzungen: Urogenitaltrakt, Beckengefäße.
• Ausschluss weiterer Begleitverletzungen: Gefäß-Nerven-Verletzungen, int-
raabdominelle Verletzungen, Verletzungen von Urogenitaltrakt, Rektum und
Anus. Evtl. konsiliarische Diagn. und Mitbehandlung durch Urologen, Visze-
ralchirurgen, Gynäkologen.

Therapie
• Initial: Sicherung der Vitalfunktionen; Schockbehandlung; Entscheidung
über Notfallmaßnahmen.
• Bei Kreislaufinstabilität und klin. Instabilität des Beckens erfolgt die notfall-
mäßige Stabilisation mit einer Beckenschlinge, Beckenzwinge, ggf. Fixateur
externe (▶ Abb.  12.3).
• Evtl. ist auch Notfalllaparotomie zur Blutungskontrolle notwendig. Dabei Tampo-
nade/„Packing“ des Beckens mit Bauchtüchern und Second-Look-OP im Verlauf.
• Bei stabiler Kreislaufsituation Fortführen der Diagn. in Bezug auf Bildgebung
und Erkennen weiterer Verletzungen: Abdomen, Thorax und Extremitäten.
Nach Abschluss der Diagn. und Klassifikation:
Kons. Ther.: Indiziert bei stabilen Beckenverletzungen, Typ A nach AO.
• Kurzzeitige Bettruhe.
• Frühfunktionelle Behandlung inkl. Physiotherapie.
• Muskeltraining unter Thromboembolieprophylaxe.
Operative Ther.: Indiziert bei instabilen Verletzungen, Typ B und C nach AO
(▶ Abb.  12.3).
• Primär: Notfallstabilisierung bei instabilem Patienten s. o.; Beckenschlinge,
Beckenzwinge, Fixateur externe.
• Sekundär: Bei stabiler Gesamtsituation als Frühversorgung innerhalb 7 d, je
nach Verletzungsschwere, Begleitverletzungen ggf. zweizeitige OP (ventral,
dorsal, Fixateur interne). Zunehmend auch navigationsgestützt (sakrale Ver-
schraubung).
• Begleitend: Versorgung von Begleitverletzungen: Darm und Harnwegsverlet-
zungen, Weichteilverletzungen (Décollement). Ggf. mehrzeitiges Vorgehen
(Second Look). Engmaschige Laborkontrollen, Antibiotikaprophylaxe, ggf.
erregerspezifische Therapie.
   12.1  Verletzungen des Beckens  413

Beckenzwinge

12

ventrale Plattenstabilisierung, Plattenosteosynthese bei


dorsale Zugschraubenosteosynthese Symphysensprengung

Cerclage bei Zugschraubenfixation


Symphysensprengung bei nicht dislozierter Sakrumfraktur

Fixateur externe Beckenschlinge

Abb. 12.3 Operative Therapie bei Beckenringfrakturen [L106]

Nachbehandlung
• Frühe physiotherap. Mobilisation, zunächst passiv. Nach ca. 2 Wo. Übergang
zur Teilbelastung meist möglich (befundabhängig). Regelmäßige Rö-Kontrol-
len; selten auch Kontroll-CT.
• Nach ca. 6 Wo. Übergang zur Vollbelastung (befundabhängig). Bis dahin
konsequente Thromboseprophylaxe aufgrund erhöhten Thromboserisikos.
414 12 Becken 

Prognose
Verletzungsabhängig; Störungen von Blasen- und Mastdarmfunktion, Impotenz
bei Samenleiterverletzung, BLD, instabile Narbenverhältnisse, Pseudarthrose, Ar-
throse bes. IS-Fuge, heterotope Ossifikationen.

12.2 Verletzungen des Azetabulums


• Die Hüftpfanne wird knöchern aus
Anteilen des Darmbeins (Os ilium),
Sitzbeins (Os ischii) und Scham-
beins (Os pubis), die sich Y-förmig
treffen, gebildet (▶ Abb.  12.4). Sie
stellt die knöcherne Grundlage des
12 Hüftgelenks zur Artikulation mit Os ilium
dem Femurkopf dar.
• Morphologische Einteilung auch in
vorderen und hinteren Pfeiler
(▶ Abb.  12.5).
• Wie den Beckenverletzungen gehen
auch den Verletzungen des Azeta- Os pubis
bulums meist große Gewalteinwir-
kungen voraus. Os iscii

Abb. 12.4  Azetabulum [L106]

Os ilium
Pfannen-
dach
Azetabulum

posteriorer anteriorer
Pfeiler Pfeiler
Os ischii
Os pubis
Os ischii

außen innen

Abb. 12.5  Vorderer und hinterer Pfeiler [L106]

Ätiologie
Ähnlich den Beckenverletzungen entstehen Azetabulumverletzungen überwie-
gend im Rahmen von Verkehrsunfällen. Dabei typischerweise über eine axiale
Krafteinleitung entweder über die Beinachse, meist als „Dashboard Injury“ im
Rahmen von Autounfällen, oder mit Krafteinleitung über den Schenkelhals und
direktem Anprall in der Trochanterregion.
   12.2  Verletzungen des Azetabulums  415

Klinik
Das klin. Bild entspricht verletzungsabhängig dem der übrigen Beckenverletzungen.
Klassifikation
▶ Abb.  12.6, ▶ Tab.  12.1.
Einteilung der Azetabulumfrakturen nach Letournel und Judet (▶ Abb.  12.7):
• Typ I: Dorsale Pfannenrandfraktur (häufigste Form).
• Typ II: Dorsale Pfeilerfraktur.
• Typ III: Pfannenbodenquerfraktur (beide Pfeiler sind betroffen).
• Typ IV: Ventrale Pfeilerfraktur.

12

A2 A3 B1 B2

B3 C1 C2 C3

Abb. 12.6  AO-Klassifikation Azetabulumfrakturen [L106]

Tab. 12.1  AO-Klassifikation der Azetabulumfrakturen


A-Frakturen Beteiligung von nur einem Pfeiler des Azetabulums, während der
zweite intakt ist.
• A1: Frakturen des hinteren Pfannenrands mit Varianten
• A2: Frakturen des hinteren Pfeilers mit Varianten
• A3: Frakturen des vorderen Pfannenrands und des vorderen Pfeilers
B-Frakturen Charakterisiert durch eine quer verlaufende Frakturkomponente,
wobei mindestens ein Teil des Pfannendachs intakt ist.
• B1: Querfrakturen durch die Gelenkpfanne mit/ohne Fraktur des
hinteren Pfannenrands
• B2: T-förmige Frakturen mit verschiedenen Varianten
• B3: Frakturen des vorderen Pfeilers/Pfannenrands, verbunden
mit hinterem „hemitransversalem“ Bruch

C-Frakturen Frakturen beider Pfeiler: Alle gelenkbildenden Fragmente ein-


schließlich des Pfannendachs sind vom restlichen Os ilium getrennt.
416 12 Becken 

12

Abb. 12.7  Einteilung der Azetabulumfrakturen nach Letournel und Judet [G468]

Diagnostik
• Klin. Untersuchung, Sono, Labor und Ausschluss von Begleitverletzungen
wie bei allen Beckenverletzungen.
• Rö: BÜ, Ala- und Obturator-Aufnahme (Judet Views).
• CT: Genaue Darstellung der Frakturmorphologie, ergänzend auch 3-D-Re-
konstruktion.

Therapie
Initial: Sofortige Reposition bei luxiertem Hüftkopf, ggf. Oberschenkel-Drahtex-
tension (▶ Abb.  1.5), ggf. auch frühzeitige OP zur Verhinderung weiterer Luxati-
onsereignisse.
Kons. Ther.: Unverschobene Frakturen, Pfannenrandfrakturen ohne große Dislo-
kation und Rekonstruierbarkeit. Vorgehen s. o.
Operative Ther.: Früh-OP nach ca. 3–10 d anstreben. Prä-OP CT-Planung.
Schrauben- und/oder Plattenosteosynthese, ggf. navigationsunterstützt.

Nachbehandlung
Frühe physiotherapeutische Mobilisation. Teilbelastung mit 20 kg KG für 6 Wo.
Thromboseprophylaxe. Regelmäßige Rö-Kontrollen.

Prognose
Je nach Verletzungsschwere der gelenkbildenden Strukturen; heterotope Ossifika-
tionen (PAO), Hüftkopfnekrose und posttraumatische Arthrose mit weiterer Be-
handlungsnotwendigkeit im Sinne einer Kunstgelenkimplantation.
13 Untere Extremität
Steffen Breusch, Hans Mau, Desiderius Sabo, Dorien Schneidmüller
und Michael Clarius

13.1 Hüfte und Oberschenkel 419 13.1.23 Meralgia paraesthetica 462


13.1.1 Wesentliche Differenzialdia- 13.1.24 N.-saphenus-Kompressions-
gnosen bei Hüft- und Ober- syndrom 463
schenkelschmerzen 419 13.2 Knie und Unterschenkel 463
13.1.2 Spezielle klinische 13.2.1 Wichtige Differenzialdiagno-
Diagnostik 419 sen bei Knie- und Unter-
13.1.3 Beinlängendifferenz schenkelschmerzen 463
(BLD) 420 13.2.2 Spezielle klinische
13.1.4 Traumatische ­Untersuchung 464
Hüftluxation 424 13.2.3 Quadrizepssehnen­
13.1.5 Koxarthrose 425 ruptur 469
13.1.6 Komplikationen bei Endo- 13.2.4 Patellasehnenruptur 470
prothesenimplantationen 13.2.5 Ausriss der Tuberositas
(Beispiele) 431 tibiae 470
13.1.7 Hüftdysplasie, angeborene 13.2.6 Mediale Kapsel-Band-
Hüftluxation 435 Verletzungen 471
13.1.8 Protrusio acetabuli 442 13.2.7 Laterale Kapsel-Band-
13.1.9 Coxa saltans („Schnappende Verletzungen 471
Hüfte“) 443 13.2.8 Kreuzbandruptur 472
13.1.10 Schenkelhalsfraktur 444 13.2.9 Knieluxation 475
13.1.11 Hüftkopfnekrose im 13.2.10 Meniskusverletzung 476
Erwachsenenalter 446 13.2.11 Poplitealzyste
13.1.12 Coxitis fugax („Hüftschnup- (Baker-Zyste) 478
fen“) 448 13.2.12 Scheibenmeniskus 479
13.1.13 Morbus Perthes (Morbus 13.2.13 Meniskusganglion 479
Legg-Calvé-Perthes) 449 13.2.14 Medial Shelf
13.1.14 Epiphyseolysis capitis (Plica mediopatellaris) 480
femoris 452 13.2.15 Morbus Ahlbäck
13.1.15 Femoroazetabuläres Im- (­Femurrollennekrose) 480
pingement (nach Ganz) 454 13.2.16 Osteochondrale Läsion
13.1.16 Idiopathische Coxa (Osteochondrosis
antetorta 455 ­dissecans) 481
13.1.17 Coxa valga 456 13.2.17 Morbus Osgood-
13.1.18 Coxa vara congenita 456 Schlatter 482
13.1.19 M.-piriformis-Syndrom 458 13.2.18 Morbus Sinding-Larsen-
13.1.20 Pertrochantäre Johansson 483
Femurfraktur 458 13.2.19 Patellafraktur 483
13.1.21 Femurschaftfraktur 460 13.2.20 Patellaluxation 484
13.1.22 Frakturen des distalen 13.2.21 Patella partita 486
­Femur 461
13.2.22 Femoropatellares Schmerz­ 13.3.10 Tarsaltunnelsyndrom
syndrom, Chondropathia, (TTS) 515
Chondromalacia 13.3.11 Talusfraktur 515
patellae 486 13.3.12 Osteochondrale Läsionen
13.2.23 Ermüdungsfraktur 488 (Osteochondrosis dissecans)
13.2.24 Bursitis praepatellaris 489 des Talus 517
13.2.25 Kontraktur des 13.3.13 Kalkaneusfraktur 518
Kniegelenks 489 13.3.14 Verletzungen der
13.2.26 Gonarthrose 491 Fußwurzel 520
13.2.27 Genu varum/valgum im 13.3.15 Frakturen der Ossa
Wachstumsalter 494 metatarsalia 521
13.2.28 Genu recurvatum 495 13.3.16 Akzessorische
13.2.29 Sog. Wachstums- Fußknochen 522
schmerz 496 13.3.17 Diabetischer Fuß 523
13.2.30 Synoviale Chondro­ 13.3.18 Erwachsenenplattfuß 525
matose 496 13.3.19 Hohlfuß 525
13.2.31 Villonoduläre Synovitis 497 13.3.20 Kongenitaler Klumpfuß 526
13.2.32 Tibiakopffraktur 498 13.3.21 Kongenitaler Plattfuß
13.2.33 Unterschenkelschaft­ (Talus verticalis) 528
frakturen 499 13.3.22 Kindlicher Knick-Senk-Fuß
13.2.34 Unterschenkelfraktur im (KSF), Plattfuß 528
Kindesalter 500 13.3.23 Angeborener Hackenfuß 530
13.2.35 Kompartmentsyndrom des 13.3.24 Spitzfuß, Hängefuß
Unterschenkels 501 (erworben) 530
13.2.36 Tibia vara (Blount's 13.3.25 Stinkfuß 532
Disease) 502 13.3.26 Knochentumor des
13.2.37 Angeborene Unterschenkel­ Fußes 533
pseudarthrose 503 13.3.27 Coalitio tarsi
13.2.38 Distale Tibia- und Pilon- (Synostosen) 533
tibial-Fraktur 503 13.3.28 Fersensporn 534
13.3 Fuß 504 13.3.29 Haglund-Exostose 535
13.3.1 Wichtige Differenzialdiagno- 13.3.30 Dorsaler Fußhöcker (Morbus
sen von Fußschmerzen und Silfverskjöld) 535
Deformitäten 504 13.3.31 Morbus Köhler I 536
13.3.2 Spezielle klinische 13.3.32 Morbus Köhler II 536
Diagnostik 505 13.3.33 Morbus Ledderhose 537
13.3.3 Sprunggelenkfraktur 507 13.3.34 Morton-Metatarsalgie 537
13.3.4 Syndesmosenruptur 511 13.3.35 Spreizfuß 538
13.3.5 Außenbandruptur OSG 511 13.3.36 Hallux rigidus 539
13.3.6 Chronische anterolaterale 13.3.37 Hallux valgus 540
Bandinstabilität 13.3.38 Hammer- und Krallen­
des OSG 512 zehen 542
13.3.7 Peronealsehnenluxation 512 13.3.39 Zehenfraktur und
13.3.8 Arthrose im oberen -luxation 544
Sprunggelenk 513 13.3.40 Klavus (Hühnerauge) 544
13.3.9 Sinus-tarsi-Syndrom 514 13.3.41 Digitus quintus varus
superductus 545
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  419

13.1 Hüfte und Oberschenkel


13.1.1 Wesentliche Differenzialdiagnosen bei Hüft- und
Oberschenkelschmerzen
▶ Tab.  13.1.
Tab. 13.1  Ursachen von Hüft- und Oberschenkelschmerzen im Erwachsenen-
und Wachstumsalter
Erwachsenenalter Wachstumsalter

• Koxarthrose (▶ 13.1.5) • Coxitis fugax (▶ 13.1.12)


• Idiopathische Hüftkopfnekrose (▶ 13.1.11) • Sog. Wachstumsschmerz
• Femoroazetabuläres Impingement (▶ 13.2.29)
(▶ 13.1.15) • Morbus Perthes (▶ 13.1.13)
• Fraktur (▶ 13.1.19) • Epiphyseolysis capitis femoris
• Insertionstendopathie (▶ 7.2.2) (▶ 13.1.14)
• Bursitis, Tendomyose (▶ 8.3.1) • Schnappende Hüfte (▶ 13.1.9)
• Deg. Bandscheibenerkr., NPP (▶ 10.4.10) • Hüftdysplasie – Hüftluxation
• Enger Spinalkanal (▶ 10.4.11) (▶ 13.1.7) 13
• SIG-Blockierung • Fraktur
• Protrusio acetabuli (▶ 13.1.8) • Juvenile RA (▶ 16.8.3)
• Beinlängendifferenz (▶ 13.1.3) • Unspezifische und spezifische Ar-
• Coxa vara (▶ 13.1.17) thritis (▶ 8.5)
• Prim. und sekundäre Tumoren, villonodu- • Beinlängendifferenzen (▶ 13.1.3)
läre Synovitis • Tumoren, z. B. Ewing-Sarkom
• Morbus Paget (▶ 15.1.3) (▶ 14.5.3), Osteosarkom (▶ 14.5.1)
• Koxitis unspezifisch, spezifisch • Spondylolyse, Spondylolisthesis
• Koxitis bei rheumatischen Erkr. (▶ 10.6.10)
• Schnappende Hüfte (▶ 13.1.9) • NPP (▶ 10.4.10)
• Piriformissy. (▶ 13.1.18) • Spondylodiszitis (▶ 8.7)
• Morbus Bechterew (▶ 16.8.4) • (Inkarzerierte) Leistenhernie
• Sakroileitis • Appendizitis
• Algodystrophie (▶ 19.3.5) • Retroperitoneale Tumoren
• Peripheres Nervenkompressionssy. (z. B. N. • Hodentorsion
cutaneus femoralis lateralis, N. ilioinguina-
lis, N. obturatorius)
• Appendizitis
• (Inkarzerierte) Leistenhernie
• Gefäßstenose, pAVK
• Epididymitis

13.1.2 Spezielle klinische Diagnostik


Wichtige Leitsymptome
Schmerz, Hinken, Deformität, Lähmung, Instabilität, Bewegungseinschränkung
(Gelenkkontraktur), BLD, Schwellung, Sensibilitätsstörung.

Anamnese
• Spezielle Anamnese:
– Hauptbeschwerden: Seit wann? Ständig, gelegentl., rezidivierend?
– Schmerz belastungsabhängig, Einlaufschmerz, Ruheschmerz, Nacht-
schmerz?
– Unfall: Unfalldatum? Arbeitsunfall? Unfallmechanismus? Unfallursache?
420 13  Untere Extremität  

– Frühere Hüfterkr.: Epiphyseolysis capitis femoris, Morbus Perthes, Koxi-


tis, Fraktur, Hüftdysplasie, -luxation?
– Schmerzlokalisation: z. B. Leiste, Trochanter major, Gesäß, LWS, Knie.
– Gehstrecke: Unbegrenzt; schmerzfrei > x km, nicht gehfähig, Stockbenut-
zung?
– Strumpf, Schuh anziehen: Nicht möglich, eingeschränkt, voll möglich.
– Bisherige Ther.: Punktion, Inj., medikamentös, physik. Ther.?
• Allg. Anamnese: Frühere OPs? Endoprothese? Sonstige Erkr.? Medikamente?
Allergien? Thrombosen?
• Familien-, Sozialanamnese.
Klinischer Befund
• Gangbild: Duchenne-Hinken (Störung der M.-gluteus-Funktion)? Verkür-
zungs-, Schmerz-, Schon-, Lähmungs-, Versteifungshinken? Innenrotations-
gang?
• Beinachse: Normal, Varus-, Valgus-Deformität, Dreh-/Torsionsfehler, Re-/
Antekurvation?
• Entzündungszeichen (Rötung, Überwärmung)? Narben, Fistel, Mykosen u. a.?
13 • Beckenstand: Gerade, re oder li tiefer um x cm. Technik: Pat. steht mit dem
Rücken zum Untersucher, der die flach ausgestreckten Hände an den Becken-
kamm des Pat. legt und in Augenhöhe des Beckenkamms optisch den Be-
ckenstand prüft; Verkürzungsausgleich mit Brettchenunterlage (Becken ver-
dreht?).
• Beinverkürzung: Echt, funktionell (▶ 13.1.3)?
• Trendelenburg-Zeichen (▶ 13.1.7), Drehmann-Zeichen (▶ 13.1.14).
• Schmerz: Trochanter-, Leistendruck-, Stauchungs-, Rotationsschmerz?
• Beweglichkeit Hüfte: Ext./Flex., Abd./Add., Aro./Iro. (in 90° Flex. und in
Ext.), auch ▶ 6.2.3; Beugekontraktur? Thomas-Handgriff (▶ 13.1.5).
• Knie: Ext./Flex., Knieinstabilität? Erguss, Schwellung?
• WS: Skoliose, Kyphose, Blockierung, Zwangshaltung, Vorlaufphänomen u. a.?
• Neurologie: Lasègue-Zeichen, Paresen, Sensibilität, Reflexe: PSR, ASR, Babinski.
• Pulse.

13.1.3 Beinlängendifferenz (BLD)

Etwa 75 % der Bevölkerung haben eine BLD. Bei größeren Differenzen zeigen
sich Auswirkungen auf Statik (WS → Skoliose; Hüftgelenke), zudem ästheti-
sches Problem. Ab 1,5 cm BLD hinkt ein Pat.

Einteilung und Ätiologie


Funktionelle BLD: Scheinbare Beinverkürzung. Ursachen: I. d. R. Kontrakturen
in Hüft- (Koxarthrose ▶ 13.1.5) oder Kniegelenken. Beispielsweise ist bei Adduk-
tionskontraktur einer Hüfte das kranke Bein scheinbar kürzer.
Echte (reelle) BLD: Anatomisch bedingte Verlängerung oder Verkürzung eines
Beinabschnitts oder der gesamten unteren Extremität. Durch Wachstumsrück-
stand, -stimulation oder auch wachstumsunabhängig bedingt. Kleinere BLD von
wenigen Millimetern bis 2 cm sind überwiegend idiopathisch, was relativ häufig
ist. Bei stärkeren BLD immer nach der Ursache suchen. Häufigste (nichtidiopathi-
sche) Ursachen: Fehlverheilte Frakturen, posttraumatische Epiphysenschädigung,
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  421

Varisierungsosteotomien, Osteomyelitis, Hypo- und Aplasie der Fibula, Poliomy-


elitis, Lähmungen, Tumoren, Morbus Perthes, Epiphyseolysis capitis femoris,
Z. n. Arthrodese, Entfernung von Gelenkprothesen; auch Komb. mit Achsenab-
weichungen.

Klinik
• Geringe BLD häufig unbemerkt. Größere BLD: Verkürzungshinken, Becken-
schiefstand, kosmetische Probleme, funktioneller Spitzfuß.
• Beschwerden meist erst bei Erw. im WS-Bereich. Vermehrte Belastung des
Hüftgelenks auf der längeren Beinseite.
• Auf eine evtl. Bursitis trochanterica, Insertionstendopathie, Lumbalskoliose,
strukturelle WS-Veränderungen und Beckenrotation achten.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Anamnese: Nach Ursache forschen.
• Beinlängenmessungen (cave: Fehlerquellen: Einseitige Beckenhypoplasie.
Messfehlerbereich ± 1 cm). Galeazzi-Test.
– Direkte Messung: Pat. in Rückenlage auf Untersuchungsliege. Beinlänge:
Distanz Spina iliaca ant. sup. bis Malleolus lat. OS-Länge: Spina iliaca ant.
sup. bis äußerer Kniegelenkspalt. US-Länge: Med. Kniegelenkspalt bis
13
Spitze Malleolus medialis.
– Indirekte Messung: Ausgleich des Beckenschiefstands durch Brettchenun-
terlage unterschiedlicher Dicke; Prüfen des Beckenstands gehört zu jeder
orthop. Untersuchung von WS und unterer Extremität.
• Rö: Lange Aufnahme des Beins in 2 Eb. mit Raster. Seltener werden angefordert:
– Teleradiografie: Ganzaufnahme beider Beine im Stehen und in voller Län-
ge auf Rö-Bild. Cave: Messfehler durch Divergenz der Rö-Strahlen.
– Orthoradiografie: Eingeblendete Einzelaufnahmen, Schenkelhalsmitte,
Kniegelenksmitte und OSG bei liegendem Maßstab. Ausmaß der Längen-
differenz kann so genau zugeordnet und bestimmt werden.
– Vermessungs-CT: Einzig wirklich genaue Messmethode.
• DD: Beckenasymmetrie, Fehlstellung der Hüftgelenke, Skoliose.
Therapievorüberlegungen
Ind.: Ist ein Ausgleich nötig (Alter des Pat., Ausmaß der BLD, Ätiol., Kooperati-
onsfähigkeit des Pat. beachten!)? Wenn ja, kons. oder operativ? Jede Korrektur
erfordert Klärung der Ätiol. und der klin. Auswirkungen.
Wachstumsprognose bei BLD: Exakte Verlaufsbeobachtung: Längendifferenzbe-
stimmung mittels Rö-Bild; Skelettalterbestimmung (▶  17.2.2). Vorausberechnung
von Längendifferenzen nach mehreren Methoden mögl., z. B. nach Moseley, Green-
Anderson, White-Menelaus. Zeitpunkt, Ausmaß, Art und Auswirkung eines wachs-
tumssteuernden Eingriffs (bzw. Verlängerung oder Verkürzung) sind bestimmbar.

Konservative Therapie
Indikationen
• Kein Ausgleich bei geringen BLD und Beschwerdefreiheit. BLD < 1 cm im
Bereich der Norm (auch Messfehlerbereich). Lang bestehende Differenzen im
Erw.-Alter von 1–2 cm bei Beschwerdefreiheit müssen nicht unbedingt ausge-
glichen werden, dies kann sogar nachteilig sein.
• Im Wachstumsalter jedoch Ausgleich erforderlich ab BLD von 1 cm → Ver-
meiden von Sekundärschäden an WS.
422 13  Untere Extremität  

• Kein vollständiger Ausgleich:


– Bei Arthrodesen von Knie oder Hüftgelenk, bei Lähmungen, Spitzfuß,
postop. nach Varisierung bei Morbus Perthes.
– Bei Hüftgelenkkontrakturen Behandlung der Kontraktur! KG. OP-Ind.?
Oft sind nicht nur BLD, sondern auch andere zusätzliche Veränderungen wie z. B.
Achsendeformitäten und Instabilitäten zu berücksichtigen. Orthopädietechnische
Maßnahmen ergeben oft kosmetische und funktionelle Probleme insbes. bei Bein-
längenausgleich > 3 cm. Deswegen operative Beinlängenkorrektur erwägen.
Therapieempfehlung bei Beinverkürzung
▶ 23.10.1.
Evtl. Simulation des Ausgleichs durch abnehmbare Sohlen unterschiedlicher
Dicke → überprüfen, ob Beschwerdebesserung.

• Bis 1,5 cm: Absatzerhöhung ± Einlage.


• 1,5–3 cm: Zurichtungen am Konfektionsschuh: Absatzerhöhung 1 cm. Ballen-
rolle 1 cm. Zwischensohle ca. 0,5 cm. Fersenkeil bis 1 cm. Evtl. Absatzerniedri-
13 gung der Gegenseite von ca. 0,5 cm.
• 3–7 cm: Orthop. Schnürstiefel. Versorgungsbeispiel: Orthop. Schnürstiefel
nach Maß (Gipsabdruck) mit Ausgleichsmaterial unter der Ferse von 7 cm
(Verkürzungshöhe) und Ballenunterbauung von 3 cm, schalenförmiger Fer-
senbettung und Innenschnürung sowie Scherenkappe. Pufferabsatz.
• 7–12 cm: Orthop. Schuh mit Innenschuh.
• > 12 cm: Etagenschuh (Orthoprothese). Fuß ist in starker Spitzfußstellung.
Operative Therapie
Indikationen
Etwa ab BLD ≥ 3 cm; prinzipiell aber abhängig von Alter, Größe („relative“ Län-
gendifferenz), Grunderkr., Wachstum, Zustand der angrenzenden Gelenke und
zu erwartender Körperlänge nach Wachstumsabschluss. Wünsche des Pat. sowie
Körpergröße und Körperproportionen sind zu beachten.

Aufklärung über Risiken und Dauer. Nutzen und Risiko abwägen.

OP-Alter
OP im Wachstumsalter oder nach Wachstumsabschluss. Empfohlenes OP-Alter
11.–16. Lj.; bei Pat. > 30 J. ist eine Verlängerungs-OP nicht empfehlenswert (al-
tersabhängige Kallusbildung, längere Ther.-Zeit als bei Kindern).
Verkürzende Eingriffe (heute eher in Hintergrund getreten)
Nach Wachstumsabschluss: Inter- oder subtrochantäre Verkürzungsosteotomie
(diaphysär selten) an der längeren Extremität.
Wachstumsphase: Temporäre Epiphysiodese nach W. Blount (heute relativ sel-
ten) und/oder Ausgleich eines Varus/Valgus (▶  13.2.27). OP überwiegend kurz
vor Pubertät. Perkutane Epiphyseodese (Bowen und Johnson).
Verlängernde Eingriffe mit Distraktionsapparaten
Kortikotomie und anschließend Kallusdistraktion (Kallotasis): Heute Methode
der Wahl. Idealind. bei 5–15 cm BLD. Kortikotomie: Durchtrennen der Kortikalis
mit Spezialmeißel, Markraum wird nicht beschädigt, Periost bleibt intakt. Anlage
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  423

eines Distraktionsapparats (▶ Abb.  13.1). Distraktionsbeginn 7–14 d nach Korti-


kotomie. Distraktionsfrequenz am günstigsten 4× tgl. um 0,25 mm. Belastung
(Dynamisieren) abhängig von Apparat und Kallusbildung. Dauer: Wo. bis Mon.
(abhängig auch vom geplanten Längengewinn).
• Dynamischer monolateraler axialer Fixateur (z. B. Orthofix®; Heidelberger
Modulsystem); Vorteil: Stabile Verankerung durch Verwendung konischer
Schrauben. Axiale dynamische Belastung zur Förderung der Osteogenese er-
laubt. Mehrdimensionale (Varus; Valgus; Rotation bis 30°) Korrekturen
durch Einschalten von Zwischenelementen möglich. Teilbelastung.
• Ringfixateur (Ilisarov): Komplexer Apparat: Gekreuzt verlaufende KD, ver-
spannt in einem die Extremität umgreifenden Ringsystem. Dadurch individu-
elle Ther. von Problemfällen (komplexe Fehlstellungen) möglich (z. B. Korti-
kotomie an zwei Stellen am US bei Verlängerung > 6 cm und bei zusätzlichen
Deformitäten). Voll belastungsfähige Montage nach ca. 14 d postop.
• Marknageldistraktion: Motorbetriebene automatisierte Spezialnägel (Vorteil:
intramedullärer Kraftüberträger).

13

Abb. 13.1  Distraktionsapparate [L190]

Epiphysenfugendistraktion (Chondrodiastasis): Im Wachstumsalter. Mittels


Orthofix® Distraktion 2 × 0,25 mm/d. OP-Alter < 10 J.
Diaphysäre Osteotomie: Akut-Verlängerung (bis ca. 3 cm) durch Spongiosaanla-
gerung und Plattenosteosynthese.
Nachbehandlung

Postop. gute Betreuung wichtig für den Erfolg der Distraktion.

• Frühmobilisation, Analgetika in den ersten Tagen.


• Tgl. Pflege der Austrittsstellen der Stäbe.
424 13  Untere Extremität  

• 1- bis 2-wöchige Rö-Kontrollen (Achsabweichung? Distraktionskallus?).


• Nachinzision der Haut an den Nageleintrittsstellen in LA bei zu großer Haut-
spannung.
• Bei unter Distraktion auftretenden Kontrakturen evtl. Distraktion (vorüber-
gehend) unterbrechen.
• Entfernung des Apparats bei vollständiger kortikaler Durchbauung im Dis-
traktionsbereich.
Komplikationen
Verlängerungs-OP mit Distraktionsverfahren komplikationsträchtig (insbes. bei
kongenitalen Dysplasien).
Intraop.: Gefäß-Nerven-Verletzung durch Schrauben oder Nägel. Bei Kortikoto-
mie: Verletzung von endostalen oder medullären Blutgefäßen, Fraktur in Osteoto-
miehöhe. Überdehnungsschaden von Nerven. Unvollständige Kortikotomie
(→ Re-Kortikotomie).
Postop.: Tendenz zur Gelenkkontraktur; Kompartmentsy., Hautnekrose, Wundinf.,
Schrauben oder Nagelprobleme (Hautnekrose oder Inf., Osteomyelitis), neurol. KO,
Venenthrombose, CRPS, Gelenksubluxation oder Dislokation, axiale Abweichung,
Pseudarthrose, Stressfraktur (vor und nach Entfernung des Fixateurs) und psychische
13 Probleme. Verkürzung des verlängerten Knochens nach Apparateentfernung möglich.

13.1.4 Traumatische Hüftluxation
Ursache
Schweres Trauma, Verkehrsunfall, Sportunfall. Häufig in Komb. mit Pfannenrand
oder Hüftkopffrakturen, häufig auch bei Kettenverletzungen (Pilonfraktur, Rup-
tur hinteres Kreuzband, Femurfraktur, dorsale Hüftluxation).

Einteilung
• Ohne begleitende Fraktur (▶ Abb.  13.2): Luxatio (L.) iliaca, L. ischiadica, L.
pubica, L. obturatoria.
• Mit begleitender Hüftkopffraktur: Einteilung nach Pipkin (Typ 1 = unteres
Kalottenfragment. Typ 2 = großes, häufig kraniales Kalottenfragment. Typ 3
= Kopffraktur plus SHF. Typ 4 = Kopffraktur plus Azetabulumfraktur.).

d
c
a Luxatio iliaca
b Luxatio ischiadica
c Luxatio obturatoria
Luxatio Luxatio Luxatio Luxatio
iliaca ischiadica pubica obturatoria d Luxatio pubica

Abb. 13.2  Einteilung der Hüftluxationen [L106]


   13.1  Hüfte und Oberschenkel  425

Klinik und Diagnostik


• Stark schmerzhafte Fehlstellung mit federnder Fixation.
• Cave: Nervenausfallserscheinungen N. femoralis und N. ischiadicus, Gefäß­
läsion (bes. bei ventraler Luxation auch noch Stunden nach Reposition Isch­
ämie des Beins möglich).
• Rö: BÜ, nach Reposition ggf. ergänzende Aufnahmen (Ala-/Obturator-Auf-
nahme), CT: Bes. bei Pfannenrand- oder Kalottenkopffrakturen, MRT: Knor-
pelabscherungen.

Therapie
Nach Rö-Diagn. schnellstmögliche Reposition, bei Interposition von Kapselgewe-
be oder Kalottenfragmenten offene Reposition.
• Dorsale Luxation (Methode nach Böhler): Pat. in Rückenlage, Hüfte und
Knie des Pat. rechtwinklig beugen. Assistent fixiert Becken auf der Unterlage.
Zug in Femurlängsachse und Add., ruckartiges Schnappen signalisiert Repo-
sition. Abschließende Stabilitätsprüfung.
• Ventrale Luxation: Längszug am gestreckten Bein und Iro.
• Übrige Luxationstypen: Traktion/Längszug ggf. unter BW-Kontrolle.
Nach Reposition Kontrolle von Pulsen, Motorik und Sensibilität und Rö-Dokumenta-
tion. Bei entsprechenden Begleitfrakturen offene Reposition und Osteosynthese.
13
Nachbehandlung
Frühfunktionelle Ther. mit Teilbelastung des betroffenen Beins für 2–4 Wo.

Prognose
Abhängig vom Schweregrad und Zusatzverletzungen. In 10 % sind Folgeschäden
(komplette oder partielle Kopfnekrosen, periartikuläre Ossifikationen, Koxar­
throsen) zu erwarten.

13.1.5 Koxarthrose
Definition
Sammelbezeichnung für deg. Veränderungen des Hüftgelenks mit schmerzhafter
Funktionsminderung, v. a. bei Erw. Steigende Zahl von Koxarthrose-Pat. durch
höhere Lebenserwartung.

Ätiologie
Prim. (idiopathische) Koxarthrosen: Ätiol. unbekannt. Beginn gewöhnlich nach
dem 50.–60. Lj.
Sekundäre Koxarthrosen: Entwicklung aus nicht vollständig ausgeheilten Hüft-
gelenkerkr. Treten früher auf als prim. und sind häufiger monartikulär.
• Häufigste Ursachen: Hüftdysplasie, Epiphyseolysis capitis femoris, femo-
roazetabuläres Impingement (▶ 13.1.15), rheumatische und bakt. Koxitis,
Morbus Perthes, Trauma.
• Seltener: Osteochondrosis dissecans, Gelenkchondromatose, idiopathische
Hüftkopfnekrose, RA, Arthropathien (metabolisch, neurogen, bei Hämophi-
lie, bei Endokrinopathien), Gelenkfrakturen, Osteoradionekrose.
• Einflussfaktoren: Übergewicht, Überbelastung. Alter, Präarthrosen (identifi-
zierbare Ursache einer Arthrose, überwiegend aufgrund nicht vollständig
ausgeheilter Hüftgelenkerkr.).
426 13  Untere Extremität  

Klinik und Diagnostik


Anamnese (spezielle Anamnesefragen)
• Familienanamnese: Gehäufte, frühzeitige Arthrosen in der Familie, rheumati-
sche Erkr.?
• Eigenanamnese: Frühere Hüftgelenkerkr., OP, Unfälle, Schmerzen an ande-
ren Gelenken, Stoffwechselerkr.?
• Schmerzen: Lokalisation → Leiste, Gesäß. Schmerzausstrahlung in OS bis
Knie. Anlauf-, Einlauf-, Belastungsschmerz; in fortgeschrittenen Stadien Ru-
heschmerz. Kreuzschmerz (kompensatorische Hyperlordose durch Flexions-
kontraktur der kranken Hüfte). Analgetikabedarf. Wichtig auch hinsichtlich
einer evtl. OP-Ind.: Wie stark ist der Leidensdruck?
• Bewegungseinschränkung, Frage nach Funktion: Sport, max. Gehstrecke,
Treppensteigen. Probleme beim Schuh- und Strumpfanziehen? Gehhilfen?
Befund
• Gangbild: Verkürzungshinken, Schmerz- und Schonhinken? Trendelenburg-
Zeichen (▶ 13.1.7), Duchenne-Zeichen. BLD (▶ 13.1.3)? Muskelatrophie?
• Palpation: Kapsel-DS, Trochanterklopfschmerz? Beweglichkeit benachbarter
13 Gelenke (Kniegelenk, LWS).
• Bewegungsprüfung Hüftgelenk.
–  Flex./Ext., Iro./Aro., Abd./Add. (▶ 6.2.3), frühzeitige Einschränkung der
Iro. und Abd.
– Bewegungsschmerz? Hüfte wackelsteif? Hüftkontrakturen mit sekundären
Beschwerden? Flex.-, Add.-, Abd.-, Aro.-Stellung.
– BLD (▶ 13.1.3) funktionell oder reell?
– Kompensatorische Hyperlordose der LWS?
– Thomas-Handgriff (▶ Abb.  13.3): Bestimmung des Extensionsdefizits bzw.
einer Beugekontraktur des Hüftgelenks. Eine infolge Beugekontraktur

Abb. 13.3 Thomas-Handgriff [L106]


   13.1  Hüfte und Oberschenkel  427

auftretende kompensatorische Beckenkippung wird durch passive max.


Beugung der Gegenseite ausgeglichen. Aufgrund der Extensionsein-
schränkung kommt der OS der erkrankten Seite in Beugestellung (Winkel
entspricht Kontrakturausmaß).
Röntgen
• Immer BÜ (▶ 4.1.9) → ca. 60 % aller Koxarthrosen bilateral.
• Ausmaß arthrotischer Gelenkveränderungen; prim. oder sekundäre Arthro-
se? Gegenseite?
! Nicht immer ist die Ätiol. der Koxarthrose zu eruieren. Nach früheren Rö-
Aufnahmen fragen und evtl. besorgen und vergleichen.
• Typische Arthrosezeichen:
– Gelenkspaltverschmälerung, subchondrale Sklerosierung, osteophytäre
Randzackenbildung, Geröllzysten.
– Weiterhin: Subluxation durch zentralen Osteophyten = doppelten Pfan-
nenboden (für OP-Technik der TEP beachten).
– Bei schwerer Arthrose zusätzlich Kopfdeformierung und Stellungsanomalie
(Subluxation, Add., Aro.). Kopfdestruktion insbes. bei RA zu beobachten.
• i. A. keine Korrelation zwischen Schmerzen und röntgenologischen Verände-
rungen. Rö allein nicht überbewerten, immer mit Klinik korrelieren. 13
• Gelenkspaltverschmälerung ohne Sklerose: Schlechtes progn. Zeichen. Kon-
zentrische oder kraniolaterale Gelenkspaltverschmälerung?
• Evtl. Aufnahmen in Abd., Add. (Funktionsaufnahmen) für weitere ther.
Überlegungen (z. B. Umstellungsosteotomie).
• Präop. ggf. zusätzlich axiale Aufnahme zur OP-Planung (insbes. bei Umstel-
lungsosteotomien oder posttraumatisch).
Weitere Diagnostik
• MRT: Nur zur DD bei V. a. entzündliche Erkr., Osteonekrose oder Tumor.
Ausschluss einer röntgenologisch nicht erkennbaren gelenknahen Fraktur.
• Labor: BSG. Rheumatische Erkr.? Entzündungen? Stoffwechselstörungen?
Diagnosestellung bei typischer Schmerzsymptomatik, zunehmender Bewe-
gungseinschränkung mit Gelenkkontrakturen und radiologischen Arthrose-
zeichen meist einfach. DD ▶ 13.1.1.

Konservative Therapie
Ind.: Beginnende Koxarthrose ohne wesentliche Beschwerden bei regelrechter
Biomechanik; Inoperabilität, Ablehnung einer OP.
Ziele: Schmerzminderung, Verbesserung der Beweglichkeit, Verbesserung der Kon-
trakturen und Funktion, Steigerung der Belastbarkeit, Vermeidung der Progredienz.

Endoprothese als letzter Ausweg!


Großes Repertoire kons. Maßnahmen vollständig ausschöpfen. Möglichkei-
ten gelenkerhaltender OPs beachten. Komb. verschiedener Ther.-Verfahren
abhängig von Krankheitsstadium (z. B. Frühstadium, aktivierte Arthrose,
fortgeschrittenes Stadium) und Schmerzintensität. Aufklärung des Pat.

Allg. Maßnahmen: Belastungsregulation (Anpassung der Beanspruchung an ver-


bliebenes eingeschränktes Leistungsvermögen des Gelenks): So wenig Belastung
wie möglich, so viel Bewegung wie möglich. Übergewicht reduzieren. Umstellung
428 13  Untere Extremität  

im Beruf (Arbeitsplatzergonomie, Wechsel zwischen Sitzen, Gehen, Stehen) und


Sport (geeignet sind Schwimmen, Radfahren, gezielte Gymnastik, ungeeignet sind
Sprung- und Laufsportarten, Tennis, alpiner Skisport). Vermeidung von Kälte
und Nässe. Regelmäßige Eigengymnastik.
Physik. Ther.: Strukturelle Zuordnung und Differenzierung der Arthrosesympto-
matik: Aktivierte Arthrose, chron.-entzündliches Reizgelenk, Periarthrose, reakti-
ve Tendomyose, muskuläre, ligamentäre oder artikuläre Funktionsstörung → ent-
sprechend Lagerungs- und Extensionsbehandlung, Wärme- und Kälteanwendun-
gen, Bäder, Massagen, Elektrother., Ultraschall.
KG, Ergother.: Dehnung verkürzter Muskulatur, Kräftigung insuffizienter atro-
phischer Muskulatur. Entspannung hypertoner Muskeln. Tgl. 1- bis 2-mal KG.
Unbedingt auf selbsttätige Bewegungsübungen hinweisen. Gehschulung
(▶ 20.2.3), Schlingentisch, Bewegungsbad.
Manuelle Ther.: Traktion, KG (▶ 20.2.4). Auch intermittierende Extension.
Medikamentöse Ther.: Chondroprotektiva (nur im Frühstadium; ▶ 16.5.6). An-
algetika (▶ 24.1), Antiphlogistika (▶ 16.5.1). Myotonolytika (▶ 16.5.6). Die nicht
schmerzhafte, kompensierte Arthrose erfordert keine medikamentöse Ther.
Intraartikuläre Inj.: Z. B. Gemisch aus LA wie Mepivacain 1 % (z. B. Scandicain®)
und Kortikoid wie Dexamethason 4 mg (z. B. Fortecortin®) 1–2×/Wo., 4–6 Inj.
13 Obturatoriusblockade mit 5–10 ml LA.
Orthopädietechnische Versorgung: Gehstock (auf der gesunden Seite benut-
zen!), Pufferabsätze, elastischer Fersenkeil, Arthrodesenstuhl, Toilettensitzerhö-
hung, Hohmann-Bandage, Strumpfanziehhilfe. Sehr selten entlastende Beinor-
thesen mit Tuber-Aufsitz z. B. bei starken Schmerzen und Inoperabilität (▶ 23.8).
Erlanger Orthesenbandage (▶ 23.8.2).

Hüftnahe Femurkorrekturosteotomien
Ziel: Schmerzbesserung, Verbesserung der Gelenkkongruenz, der Lastübertra-
gung im Gelenk, der Durchblutungssituation und evtl. der Hüftgelenkbeweglich-
keit. Reduktion des Gelenkdrucks (F. Pauwels, Bombelli).
Ind.: Präarthrotische Deformität, jüngere Pat. (< 50 J.), mechanisch bedingte Ko-
xarthrosen, korrigierbare Gelenkfunktionen, bei leichtem und mittelschwerem
röntgenologischem bzw. klin. Erscheinungsbild. Starke Schmerzen bei relativ ge-
ringer Funktionseinschränkung: Günstigste Ind. Vielfach Ermessensfrage, ob ge-
lenkerhaltende Osteotomie noch sinnvoll oder schon TEP indiziert (▶ Tab.  13.2).
Präoperative Planung
• Rö: BÜ. Zusätzlich Funktionsaufnahmen in Abd. oder Add. der Hüfte: In
welcher Einstellung Gelenkkongruenz verbessert?
• Planskizze: Eintrittshöhe und -richtung des Implantats, Osteotomiehöhe und
-richtung, erwünschtes Endresultat.
• Planung der OP-Taktik: Genaue Kenntnis der Bewegungsausmaße (Rotation
in Beugung und Streckung messen!) wichtig. Technische Varianten und OP-
Taktik entsprechend der pathol. Biomechanik (s. u.).

Endoprothetischer Gelenkersatz
TEP: Totalendoprothese. HEP: Hemiendoprothese ohne künstliche Pfanne. Hyb-
rid-Prothese: Zementfreie Pfanne, zementierter Schaft. Inverse Hybrid-Prothese:
Zementierte Pfanne, zementfreier Schaft. Ca. 200.000 Primäreingriffe in
Deutschland/J. Deutliche Besserung der Lebensqualität zu erzielen.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  429

Tab. 13.2  Koxarthroseform und entsprechende Osteotomie


Koxarthroseform Osteotomieform

Sekundäre Koxarthrose

Coxa valga subluxans Varisierung


+ Pfannendysplasie + Beckenosteotomie
+ Adduktionskontraktur + Adduktorentenotomie
+ Capital Drop (Hüftkopfdeformität mit + Subtrochantäre (Hyper-)Valgisierung
nach inferior getretenem Hüftkopf)

Coxa vara Valgisierung

Protrusio acetabuli Valgisierung

Epiphyseolysis capitis femoris Derotation, Flexion

Trochanterhochstand mit Instabilität Distalisierung, Lateralisation


+ Coxa antetorta + Derotation

Primäre Koxarthrose

Koxarthrose Varisierung, Valgisierung, Reizosteotomie


+ Adduktionskontraktur (therapieresistent) + Adduktorentenotomie 13
+ Rotation + Derotation

Technische Hinweise
Prinzip: Entfernung zerstörter Gelenkstrukturen (bei TEP Femurkopf und Hüft-
pfanne mitsamt Kapsel-Band-Apparat) und alloplastischer Ersatz.
Konventionelle Prothesen: Kunststoffpfanne (Polyethylen) mit (zementfrei) oder
ohne äußeren Metallüberzug (zementiert). Prothesenkopf aus Metall oder Kera-
mik (Aluminiumoxidkeramik), Prothesenstiel aus verschiedenen Metalllegierun-
gen (z. B. Titan, CoCr, Stahl). Knochenzement: 2 Komponenten, die zu Polyme-
thylmetacrylat (PMMA) aushärten.
Custom-Made-Prothese: Maßgeschneiderte Individualprothese, angefertigt nach
CT des prox. Femurs.
Indikationen und Kontraindikationen zur TEP bzw. HEP
• Häufigste Ind.: Therapieresistente fortgeschrittene Koxarthrose im höheren
Lebensalter bei entsprechendem Leidensdruck.
• Häufiges Vorgehen bei der Wahl der Verankerungstechnik (trotz fehlender
Evidenz!):
– Zementierte TEP: I. A. Alter > 65 J. (biologisches Alter), fortgeschrittene
Osteoporose, Unfähigkeit einer mehrwöchigen Teilbelastung.
– Zementfreie TEP: I. A. Alter < 65 J.
– „Moderne Verfahren“ (Oberflächenersatz, Kurzschäfte, Hart-Hart Gleit-
paarungen) noch in der Erprobung. Keine Evidenz für Routineeinsatz.
Cave: Metall-Metall-Großkopf: Hohe Versager mit Metallose.
• Spezielle Ind.: U. a. angeborene Hüftgelenkdysplasie, -luxation, RA, Hüft-
kopfnekrose bei Erw. (▶ 13.1.11), maligne Tumoren.
! KI: Allgemeininfekte sowie nicht ausgeheilte lokale Infekte, unvertretbar ho-
hes OP-Risiko.
• Ind. zur HEP (Kopfprothese): Ausschließlich bei sehr alten Pat. mit limitier-
ter Mobilisation nach SHF ohne wesentliche Koxarthrose.
430 13  Untere Extremität  

Präoperative Planung und OP-Technik


• Weitgehend standardisiert. Bestimmung von Größe und Position der Prothe-
se mittels entsprechenden durchsichtigen Planungsfolien und Planskizzen
oder digitale Planung. Spezieller Prothesentyp notwendig (z. B. CAD-Prothe-
se, Tumorprothese)?
• Am Schaft: Zementiert: Erfordert mindestens 2–3 mm Zementmantel. Ze-
mentfrei: Unterschiedliche, designabhängige Philosophien. Inklinationswin-
kel der Pfanne ca. 45°, Anteversion ca. 15°. Standardprothesenkopf 28–
36 mm. Trochanterspitze und Prothesenkopfmittelpunkt sollten auf einer
Horizontallinie liegen, senkrecht zur Femurschaftachse. Pfannenaufbau bei
ungenügender Überdachung (▶ Abb.  13.4).
• Zementierte Prothesen: Markraumsperrer, Einbringen des Zements nach
Knochenspülung (ca. 1 l Jet-Lavage), Vakuumzement mit Silikonspiegel.
• Detaillierte Aufklärung des Pat.: Gefäß- und Nervenverletzung (N. ischiadi-
cus, N. femoralis), Infekt (evtl. TEP-Ausbau), Luxation, Thrombose, Embolie,
Nachblutung, BLD, Überlebenszeit einer Prothese 15–20 J. in 90–95 %. →
Hinweis auf aseptische Lockerung.
• Eigenblutspende nicht mehr empfehlenswert (▶ 6.7.3).
13 • Information des Pat. über gelenkschützende Maßnahmen postop.: Z. B. sportli-
che Belastung, Pufferabsätze, Radfahren; Gewichtsreduktion, falls erforderlich.
• In den letzten Jahren zunehmende Verbreitung minimalinvasiver Zugänge.
Cave: Höhere KO-Rate ohne wissenschaftlich belegte Vorteile.

Abb. 13.4  Korrekter Sitz einer Totalendoprothese [M248/L106]


   13.1  Hüfte und Oberschenkel  431

Nachbehandlung: Bei zementfreier TEP je nach Design Volllast, z. T. Belas-


tung mit ½ KG für 4 Wo. oder Sohlenkontakt für 6 Wo. postop. (nach zemen-
tierter TEP Vollbelastung postop.). Lagerung in Braun-Schiene. Lokal Eis. An-
tiphlogistika. Thromboseprophylaxe. Mobilisation ab 1. postop. Tag. Isometri-
sches Muskeltraining. Assistive Bewegungsübungen. Erlaubte Bewegungsrich-
tungen: Abd., Flex./Ext. Vorsicht: Aro., Ext. bei anterolat. Zugang, Iro., Flex.
bei hinterem Zugang. Rücksprache mit Operateur bzgl. Luxationssicherheit.
Erhöhtes Sitzen erlaubt, wenn Flex. > 70° erreicht. Rö-Kontrolle. Sport nach
Endoprothesen ▶ 7.4. Beinlängen überprüfen, evtl. Ausgleich nach Abschluss
der Reha.
KO ▶ 13.1.6.

Hüftgelenkarthrodese
Prinzip: Operative Versteifung und damit lokale Schmerzfreiheit sowie hohe Be-
lastungsstabilität auf Dauer.
Ind.: Nur noch sehr selten bei schwerer Gelenkdestruktion mit knöchernen
Defekten, hochgradiger muskulärer Insuff. bzw. schwersten Kontrakturen
sowie unheilbaren Infekten. Durch Endoprothetik fast völlig in den Hinter-
grund gedrängt.
Nachteil: Überbeanspruchung angrenzender Gelenke (Knie, WS).
13
Technik: Arthrodesenplatten (Schmetterlings- oder Cobraplatte). Konsolidie-
rung: ca. 4 Mon. Einstellung der Hüfte: Mittelstellung bis 10° Aro., 10° Add.,
10–20° Flexion.

13.1.6 Komplikationen bei Endoprothesenimplantationen


(Beispiele)
TEP-Lockerung
Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Meist belastungsabhängige Stauch-, Extensions-, Rüttel- und Rotations-
schmerzen, aber auch Ruheschmerzen.
• Rö: Implantatbruch oder -wanderung (progredient), Saumbildungen (unsi-
cheres Zeichen, zeitlicher Verlauf), Osteolysen (expansiver Knochenabbau).
• Szintigrafie: Nur selten hilfreich (bis 2 J. postop. noch speichernd).
• DD: Infekt („low grade“), OS-Schaftschmerz nach zementfreier Implantation,
Neuralgie, Ischialgie und Spinalkanalstenose, Ansatztendinosen und Bursitiden.
• Labor: 2 × normales CRP ergibt 95 % Sicherheit, dass kein Infekt.
• Punktion: Immer sinnvoll zum Infektausschluss.
Therapie
Voraussetzungen
• Operateur: Prothesenwechsel setzt besondere Erfahrungen voraus.
• Besondere organisatorische Voraussetzungen der Klinik: z. B. Eigenblutpro-
gramm, erfahrenes OP-Team, Knochenbank.
Indikationen
• Eindeutige röntgenologische und klin. Lockerungszeichen. Bei Unklarheit oft
Gelenkpunktion (Infektausschluss) und diagn. Infiltrationen wegweisend.
Ausmaß der Knochenzerstörung (Knochenaufbrauch), Alter, AZ und Lei-
densdruck des Pat. berücksichtigen.
432 13  Untere Extremität  

• KO-Risiko relativ hoch, Anstieg der KO-Rate bei jeder weiteren Re-OP (u. a.
Schaftfrakturen, Gefäß-Nerven-KO, Hämatome, Luxationen, Frühinfekte,
Thrombosen, Embolien).
• Nachteile von zu langem Warten bei gelockerter TEP: Zunehmender Verlust an
Knochensubstanz v. a. prox., vermehrt intraop. KO (z. B. Sekundärbrüche), Chan-
cen einer belastungsstabilen erneuten Verankerung der Prothesenteile vermindert.
OP-Taktik
• Schaftverankerung: Bei alten Pat. Prothesenfixation mit Zement. Bei jüngeren
Pat. und großen proximalen Defekten des Schaftlagers eher zementfreie Fixa-
tion (cave bei fehlendem Isthmus) oder zementiert mit Knochenaufbau (sog.
Impaction Grafting).
• Wechselprothese: Längerer Schaft als Primärimplantat (Revisionsprothese).
Defektersatz durch autologe bzw. homologe Spongiosa.
• Pfannenfixation bei Hüftwechsel-OP: Zementfreie und zementierte Pfanne;
evtl. zusätzlich Einbringen von Spongiosatransplantaten, bei schweren Dest-
ruktionen Stützschale. Bei Pfannendachdefekten evtl. Metall-Wedge sinnvoll.

Periartikuläre Ossifikationen (PO)


13
Definition
Radiologisch nachweisbare Verkalkungen nach TEP. Beeinträchtigung der
postop. funktionellen Leistungsfähigkeit abhängig vom Ausmaß (z. B. Grad I–IV
nach Brooker, IV = Knochenbrücke) der Ossifikationen (Bewegungseinschrän-
kung). Häufigkeit: ca. 35 % aller TEP-OPs; davon ca. 7 % deutliche Bewegungsein-
schränkung mit klin. Relevanz. M > F.
Ätiologie
Unklar. Prädisposition u. a. bei Morbus Bechterew, Morbus Forestier, Morbus Paget.
Übermäßig traumatisierende OP-Technik, Hämatome? Immer Infektausschluss.
Klinik und Diagnostik
• Bewegungseinschränkung unterschiedlichen Ausmaßes, relevant bei Grad III–
IV nach Brooker. Keine Korrelation zwischen Schmerzen und Ausmaß der OP.
• Rö: Nach 3–6 Wo. wolkige Verschattung. Reifestadium nach 4–8 Wo., Dauer
ca. 1 J.
• Knochenszinti.
• Labor: AP.
Prophylaktische Möglichkeiten
• Intraop.: Schonende OP-Technik.
• Postop. medikamentös: Z. B. Indometacin 3 × 25 mg/d (z. B. Amuno®) oder
Diclofenac 3 × 50 mg/d (z. B. Voltaren®) über 6 Wo. Gleichzeitig adäquater
Magenschutz z. B. mit Omeprazol 2 × 20 mg/d (z. B. Antra®).
• Prä- oder postop. (1. oder 2. postop. Tag) Single-Dose-Radiatio mit 7 Gy bei
Risikopat. oder KI für med. Prophylaxe. Problem: Pat.-Transporte, Zeitfaktor.
Termine mit Strahlenklinik rechtzeitig absprechen!
Operative Therapie
• Ind.: Störende Bewegungseinschränkung (z. B. ca. < 50° Hüftflexion) bei Abnah-
me der Aktivität im Knochenszinti (mehrfache Kontrollen) und normaler AP.
• Entfernung der Verkalkungen.
! Hohe Rezidivrate!
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  433

Luxation
Ätiologie (Beispiele)
Pfanne zu steil, zu starke Ante- oder Retroversion der Pfanne, Glutealinsuff., Tro-
chanterabriss, Hypomochlion?
Prophylaxe
Postop. Limitierung der kritischen Bewegungsrichtung (z. B. Sitzen mit Arthrode-
sekissen, nächtlich Abduktionskeil) und als wichtigste Maßnahme eingehende
Unterweisung des Pat., im Einzelfall Spezialbandage, Gipshose.
Therapie
Einmalige Luxation: Reposition unter BV-Kontrolle. Zunächst Versuch ohne
Vollnarkose unter Gabe von Muskelrelaxanzien und Analgesie (z. B. Midazolam
und Tramadol). Wenn Reposition nicht sofort möglich, in Vollnarkose reponie-
ren. Nach Reposition DMS- und Rö-Kontrolle.
Rez. Luxation: Problematisch, Ther.-Versuch mit Erlanger Orthesenbandage.
Nach Luxationsursache suchen. Evtl. Re-OP.

Periprothetische Fraktur
13
Inzidenz
Unterscheidung in intraop. und postop. im Langzeitverlauf. Intraop. bei Primär-
OPs 0,1–1 %, bei Revisions-OPs bis 6 %. Postop. bei Knie-TEP 0,3–5,5 %, bei Hüft-
TEP 0,1–6 %. Sterblichkeit 5–22 %.
Besonderheit: Während bei Knie-TEP die suprakondyläre Femurfraktur im Vor-
dergrund steht, ist bei unikondylärer Knie-TEP die prox. Tibiafraktur die typische
KO (zementfrei häufiger als zementiert).
Risikofaktoren, Ursachen
• Allg.: Frauen, RA, metabolische Knochenerkrankungen (Osteopenie, Osteo-
porose, Osteomalazie), Morbus Paget, Osteopetrose, Osteogenesis imperfecta,
neurologische Erkr.
• Intraop.: Revision, zementfreie Implantate, Schaftperforation, inkorrekte
Größe, Deformität des Femur, Extrusion von Zement, bei Knie-TEP „Not-
ching“ (Verletzung der ant. Kortikalis; ca. 50 % der suprakondylären Fraktu-
ren weisen ein Notching auf).
• Postop.: Trauma (meist niedrig energetische Mechanismen), Lockerung, ab-
riebinduzierte Osteolyse, periprothetische Inf., Prothesenfehllage.
Klassifikation
▶ Abb. 13.5.
Proximale Femurfraktur bei Hüft-TEP
Vancouver Klassifikation nach Duncan und Masri (▶ Tab. 13.3).
Suprakondyläre Femurfraktur bei Knie-TEP
Lewis-Rorabeck-Klassifikation:
• Typ I: Fraktur nicht disloziert, Prothesensitz fest
• Typ II: Fraktur disloziert, Prothesensitz fest
• Typ III: Fraktur disloziert/nicht disloziert, Prothesensitz locker
434 13  Untere Extremität  

Tab. 13.3  Vancouver-Klassifikation nach Duncan und Masri


Typ Lokalisation Subtyp

A Trochantär • AG: Trochanter major


• AL: Trochanter minor
B Unterhalb Trochanter major bis • B1: Prothese stabil
zur Prothesenspitze • B2: Prothese instabil
• B3: Prothese instabil und schlechte
Knochenqualität

C Unterhalb der Prothesenspitze

Therapie
• Richtet sich nach Frakturtyp und Stabilität der Prothese im knöchernen Lager.
• Technisch zumeist sehr anspruchsvoll und vom Materialaufwand sehr auf-
wändig, sodass mehrere Implantatsysteme und Osteosyntheseverfahren greif-
bar sein sollten.
• Ziel: Belastbare Extremität mit einer frühfunktionellen Nachbehandlung.
13

Abb. 13.5  Klassifikation und Therapie der periprothetischen Fraktur [F201–005]

Weitere Komplikationen
• Frühinfekt durch inokulierte Keime während der OP. Ther. ▶ 8.6.
• Spätinfekt: Hämatogene Keimbesiedlung, septische Lockerung. Rö: Lysesaum
(▶ 8.6).
• Aseptische Lockerung: Mechanische Lockerung an Grenzschicht Knochen-
Implantat.
• „Trochanterprobleme“: z. B. Abriss, Pseudarthrose nach Osteotomie.
• Femurfrakturen intra- und postop. Cave: Intraop. nicht erkannte Femurfrak-
tur (Fissur).
• Femoralis- und Ischiadikusparese.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  435

13.1.7 Hüftdysplasie, angeborene Hüftluxation


Definition
Hüftdysplasie: Ossifikationsstörung der Hüftpfanne (Pfanne zu steil, abgeflacht,
nach kranial ausgezogen) ohne Dislokation des Hüftkopfs; ca. 4 % (häufigste kon-
genitale Skelettfehlentwicklung). Hüftsubluxation: Teilverrenkung, Hüftkopf ver-
lässt Pfanne nicht ganz. Limbus und Pfannenerker sind verformt und ausgezogen
(Sono). Hüftluxation: Dislokation des Hüftkopfs aus der dysplastischen Pfanne;
ca. 0,4 %; „Luxationsnester“ z. B. in Sachsen. (Sog.) angeborene Hüftluxation: Bei
Geburt ist nur die Dysplasie (Voraussetzung für eine Luxation) gegeben. Eigentli-
che Luxation jedoch meist erst postnatal.

Ätiologie und Pathogenese


• Endogene Faktoren: Multifaktorielles Erbleiden, konstantes Geschlechtsver-
hältnis Mädchen : Jungen = 6 : 1, Doppelseitigkeit in ca. 40 %, familiäre und
geografische Häufung.
• Exogene Faktoren: Z. B. gehäuft bei Geburt in Beckenendlage (Bedeutung
nicht eindeutig geklärt).
Sekundär können sich bei Dezentrierung (zunehmender Luxation) folgende Ver- 13
änderungen an Hüftpfanne und -kopf, Gelenkkapsel und Muskulatur entwickeln:
• Verzögerte Ossifikation des Hüftkopfkerns.
– Coxa valga antetorta.
– Bildung einer Sekundärpfanne.
– Weichteilveränderungen, z. B. Ausziehung des Gelenkkapselschlauchs,
Lig. capitis femoris elongiert (Repositionshindernis).
• Spontanverlauf: Langfristig entsteht aufgrund der Gelenkinkongruenz eine
sekundäre Koxarthrose (▶ 13.1.5). Bei hoher Luxation stehen die dysplasti-
schen Hüftköpfe in Höhe der Darmbeinschaufeln.

Klinik und Diagnostik


(Familien-)Anamnese
Beckenendlage, Sektio, Frühgeburt. Andere Anomalien, z. B. Klumpfuß, Schief-
hals, WS-Deformität?
Untersuchung
Frühdiagnose entscheidend. Für die Praxis wesentliche (unsichere) klin. Früher-
kennungszeichen, Hinweise und Teste sind:
• Instabilitätszeichen: Ortolani- und Barlow-Zeichen (spür- und hörbares
Schnappen = Luxation bzw. Subluxation des Hüftkopfs) → wichtigste Zeichen
in den ersten Tagen (manchmal nur in den ersten Lebenstagen nachweisbar).
Prüfung erfordert viel Erfahrung: Differenzieren zwischen lockeren und in-
stabilen sowie ein- und ausrenkbaren Hüften.
• Abspreizbehinderung (ab 2. Lebensmon. wichtigster Hinweis) durch ver-
mehrte Anspannung der Adduktoren bei dezentrierten Hüften. Abd. bei
Neugeborenen: Normal 80–90° (cave: Beidseitige Dysplasie oder Luxation),
ab 2. Mon. physiol. nur ca. 65°. Sicher pathologisch ab 45°.
• Faltenasymmetrie: OS und Gesäß.
• Beinverkürzung (cave: Nicht bei bds. Luxation).
• Bewegungsarmut.
• Gangbild: Bei Laufbeginn hinkendes Gangbild (Duchenne-Hinken), bei Dop-
pelseitigkeit Watschelgang (manche Pat. sind sehr lange Zeit beschwerdefrei).
436 13  Untere Extremität  

• Trendelenburg-Zeichen (funktioneller Hüftabduktorentest): Normalerweise


kann im Einbeinstand das Becken waagrecht gehalten werden. Bei Abdukto-
reninsuff. Absinken des Beckens auf der Gegenseite (Trendelenburg pos.).
Sonografie der Säuglingshüfte
• Nach Graf, ▶ 4.6.5.
• Standardmethode, vorwiegend 7,5-MHz-Linear-Schallkopf. Standardisierte
seitl. Lagerung und Abtasttechnik. Systematische Befundung (▶ 4.6.5). Durch
die mögl. „Frühesterkennung“ → Frühther. → Ther.-Erfolge besser. Seit 1996
Neugeborenen-Screening (U3).
• Einteilung der Luxationsgrade (Arbeitskreis für Hüftdysplasie):
– I: Kopfkern innerhalb der durch den Pfannenerker gezogenen Senkrech-
ten.
– II: Kopfkern außerhalb der Senkrechten und unterhalb des Pfannenkerns.
– III: Kopfkern auf Höhe des Pfannenerkers.
– IV: Kopfkern deutlich oberhalb des Pfannenerkers.
Röntgen
Selten zur Frühdiagn. (v. Rosen-Aufnahme). Als Kontrolle bei stationären Ther.-
13 Verfahren sowie nach Abschluss einer Ther. BÜ zu empfehlen. Der AC-
(Pfannendach-)Winkel (▶ 4.1.8) sollte nach dem 3. Lebensmon. unter 30°, nach
dem 12. unter 25° messen (▶ Abb.  13.6). Nach dem 1. Lj. Rö unentbehrlich.

Abb. 13.6  Hilfslinien und Winkel zur Beurteilung einer Hüftdysplasie [L190]

Arthrografie
Ind. bei Repositionshindernis oder fraglicher Reposition am Ende der Repositi-
onsphase bei Hüftluxation. Alternativ: Erst Arthrografie und dann Entscheid, ob
offene Reposition oder zunächst Extension.

Differenzialdiagnosen
Lähmungsluxation (z. B. ICP ▶ 17.5.1 und MMC ▶ 17.5.2); seltene teratologische
(schon bei Geburt nachweisbare) Luxation z. B. bei Arthrogryposis multiplex con-
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  437

genita, meist mit anderen Fehlbildungen kombiniert; (Sub-)Luxation durch eine


Koxitis.

Konservative Therapie
Einflussfaktoren: Ther.-Form und Progn. abhängig von Schweregrad (Stabilität),
Alter bei Ther.-Beginn, KO (z. B. Hüftkopfnekrose) und Erfahrung des Therapeu-
ten.
Ther.-Prinzip: Reposition und Retention mit tiefer Zentrierung des Hüftkopfs in
der Pfanne mit dem Ziel der Nachreifung und Ausbildung einer normalen Pfan-
ne. Dies gelingt nur in Flexion und Abspreizstellung. Je jünger das Kind, desto
geringer der ther. Aufwand, und je früher der Ther.-Beginn, desto besser die Pro-
gnose.
Dysplasie (ab Sono-Typ IIc nach Graf; ▶  4.6.5, ▶  Tab.  13.4): Funktionelle Ab-
spreizbehandlung durch Spreizhose, die Strampelbewegungen zulässt
(▶  Abb.  13.7, ▶  23.8.1). Auch eine instabile Hüfte des Neugeborenen lässt sich
damit meist ausreichend retinieren. Dauer der Ther. abhängig von Alter und
Schweregrad der Dysplasie; reicht von 6–8 Wo. bis zu 5–6 Mon. Regelmäßige (an-
fänglich nach wenigen Tagen) klin. und sonografische Kontrollen. Altersgrenze
für Spreizhosenbehandlung: 8–10 Mon. Ambulante Ther.
Stark instabile Hüften: Bei Luxationsgefahr auch in Spreizhose → stabilere Schie- 13
nenbehandlung oder Gips. Stationäre Ther.
Kons.-funktionelle Ther. bei Luxation: Zunächst schonende und langsame Re-
position des Hüftkopfs in die Pfanne. Geeignete Repositionsverfahren sind z. B.
die Pavlik-Bandage (▶  Abb.  13.7) und die stationär durchzuführenden (Over-
head)Extensionsverfahren (▶  Abb.  13.7). Letztere werden bei stark kontrakten
luxierten Hüften bevorzugt. Nach der Reposition folgt die Retentionsphase. Ziel
ist die Normalisierung der Pfanne (Sono-Typ I nach Graf, AC-Winkel < 25°).
Hierzu werden bei ausreichender Hüftgelenkstabilität Schienen, bei Instabilität
Gipsverbände in Beuge-Spreiz-Stellung verwendet: Z. B. Hocksitzgips nach Fett-
weis (Beugung ca. 110°, geringe Abd.; Tragezeit bis ca. 4 Wo.; ▶ Abb.  13.7). Nach
Gipsabnahme Schienenbehandlung.
Folgezustände und Behandlungsprobleme: Frühproblem: Misslungene ge-
schlossene Reposition → offene (operative) Reposition. Spätprobleme: Auch nach
lege artis durchgeführter kons. Ther. kann (meist aufgrund zu späten Behand-
lungsbeginns) eine Restdysplasie der Pfanne, eine subluxierende Coxa valga et
antetorta (→ Rö-BÜ → reelle CCD-/AT-Winkel bestimmen, Funktionsaufnahme
in Abd./Iro → ggf. Derotations-Varisations-Osteotomie) oder eine Komb. beider
zurückbleiben. Die Hüftkopfnekrose ist gefürchtet.
438 13  Untere Extremität  

Tab. 13.4  Charakteristika und Therapievorschlag bei verschiedenen Formen


der Hüftdysplasie (▶ Abb.  4.17)
Knöcherne Formgebung Knöcher- Knor­ Kno- Kno- Therapie­
ner Erker peliger chen- chen- vorschlag
Erker winkel winkel
α* β*

Typ Ia (ausgereifte Hüfte, jedes Lebensalter)

Gut Eckig Weit- > 60° < 55° Keine Therapie


über-
greifend
(spitzzip-
felig)

Typ Ib (jedes Lebensalter)

Gut Meist ge- Kurz- > 60° > 55° Keine Therapie
schweift über-
greifend

Typ II (physiologische Verknöcherungsverzögerung)


13 a(+), altersge- Ausrei- Rund Über- 50–59° > 55° Keine Thera-
mäß chend greifend pie, ­Kontrolle

a(–), mit Rei- Mangel- Rund Über- 50–59° > 55° Kontrolle in
fungsdefizit, haft greifend Grenzfällen,
bis 3. Lebens- gewöhnlich
mon. Abspreizbe-
handlung

b, „echte“ Mangel- Rund Über- 50–59° > 55° Abspreizbe-


Verknöche- haft greifend handlung
rungsverzöge-
rung, älter 3
Mon.

„g“ oder „c“, Mangel- Rund bis Noch 43–49° 70–77° Sofort Thera-
gefährdete haft flach über- pie mit Spreiz-
oder kritische greifend hose
Hüfte, jedes
Alter

d, Hüfte, am Hochgra- Rund bis Ver- 43–49°, > 77°, Sofort Thera-
Dezentrieren dig man- flach drängt ge- dezen- pie, sichere Fi-
(jedes Alter) gelhaft fähr- tr. Be- xation notwen-
deter reich dig (z. B. Pav-
Be- lik-Bandage)
reich
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  439

Tab. 13.4  Charakteristika und Therapievorschlag bei verschiedenen Formen


der Hüftdysplasie (▶ Abb.  4.17) (Forts.)
Knöcherne Formgebung Knöcher- Knor­ Kno- Kno- Therapie­
ner Erker peliger chen- chen- vorschlag
Erker winkel winkel
α* β*

Typ IIIa (dezentriert)

Schlecht Flach Nach < 43° > 77° Sofort Thera-


kranial pie, Klinikein-
ver- weisung, Re-
drängt, position
keine
Struktur-
störung

Typ IIIb (dezentriert)

Schlecht Flach Nach < 43° > 77° Sofort Thera-


kranial pie, Klinikein-
ver- weisung, Re-
drängt, position 13
mit
Struktur-
störung

Typ IV (dezentriert)

Schlecht Flach Nach < 43° >77° Sofort Thera-


kaudal pie, Klinikein-
ver- weisung, Re-
drängt position

▶ Abb.  4.17
* 
440 13  Untere Extremität  

13

Abb. 13.7  Therapieformen bei Hüftdysplasie bzw. -luxation [L190]

Operative Maßnahmen zur Vorbeugung einer sekundären


Koxarthrose
Salter-Beckenosteotomie
Ind.: Rez. Hüftluxation nach offener Reposition, persistierende Pfannendysplasie
mit AC-Winkel > 30° im Alter von 5 J., Jugendliche mit CE-Winkel < 15° und
kurzer Hüftpfanne.
OP-Prinzip (▶ Abb.  13.8): Osteotomie des Os ilii prox. des Pfannenerkers. Dist.
Osteotomiefragment wird ventralisiert und lateralisiert. Drehpunkt liegt im Be-
reich der Symphyse; Überbrückung des Osteotomiespalts mit autologem Becken-
kammspan → bessere Überdachung des Femurkopfs. Zur Sicherung KD und Gips.
Voraussetzung: Gute Zentrierung des Hüftkopfs in der Pfanne (evtl. Funktions-
aufnahme), andernfalls vom gleichen Zugang zusätzlich offene Reposition des
Hüftkopfs. Bei ausgeprägter Coxa valga et antetorta subluxans u. U. gleichzeitige
Derotations-Varisations-Osteotomie.
NB: Beckengips bei Kindern < 6. Lj. Wundkontrolle am 2. oder 3. postop. Tag.
Entfernen der Redon-Drainage am 2. postop. Tag. Entlassung i. A. nach 8–10 d
(nach Rö-Kontrolle). Stationäre Wiederaufnahme zur Gips- und KD-Entfernung
sowie Rö-Kontrolle nach ca. 6 Wo. Mobilisation (Schede-Rad, Bobby-Car).
Pfannenschwenkoperationen
z. B. Triple-Osteotomie (nach Tönnis), periazetabuläre Osteotomie (PAO nach
Ganz).
Ind.: Residuelle Dysplasien und Subluxation bei Kindern > 16 J. Präop. Funkti-
onsaufnahmen in Abd. und Iro.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  441

13

Abb. 13.8  Häufige operative Verfahren bei Restdysplasien [L106]

OP-Prinzip: Verschiebung bzw. Rotation der Pfanne in 3 Eb. nach Osteotomie


des Sitz-, Scham- und Darmbeins. Hüftkopf wird so mit dem ursprünglichen
Pfannendachknorpel überdeckt. Idealstellung: Weitgehende Horizontalstellung
des Pfannendachs.
KO: Nervenläsionen. Pseudarthrosen, Überkorrektur → Osteosynthese mit KD,
Cerclagen, auch Zug-Stell-Shrauben.
Pfannendachplastik
z. B. Lance; Pemberton, Dega (▶ Abb.  13.8).
Ind.: Längsovale Pfanne mit Subluxationsrinne. Günstig im 2.–6. Lj., max. im 10.
Lj.
OP-Prinzip: Ziel: Normalisierung des Pfannendachwinkels. Pfannendach wird
von lat. nach med. eingemeißelt, nach ventrolat. heruntergeklappt und zur Ab-
stützung ein autologer Knochenkeil eingebracht.
Chiari-Beckenosteotomie
Ind.: Meist erst nach dem 10. Lj., bei hochgradigen Dysplasien mit kurzen, steilen
Pfannen und Gelenkinkongruenz.
OP-Prinzip (▶  Abb.  13.8): Schräge Beckenosteotomie vom Pfannenerker nach
med. schräg aufwärts → Medialisieren des dist. Beckenanteils. Gelenkkapsel als
442 13  Untere Extremität  

Interpositum zwischen Osteotomiefläche und Femurkopf. Osteosynthese mit


Spongiosaschraube (langes Gewinde: ME!).
Nachteile: Druckverteilung im Gelenk nicht großflächig. Anti-Chiari-Effekt: Fe-
murkopf wächst mit ursprünglichem Pfannenerker nach dist.-lat. oder Femur-
kopf wandert mit Abbau der Überdachung nach kranial.

Operative Maßnahmen bei veralteter Hüftluxation


Kinder: Vorextension (Traktion) über 4–6 Wo. (bis zum Alter von ca. 3 J.)
möglich. Offene Reposition, zusätzlich evtl. Tenotomie (Adduktoren, Iliop-
soas), Derotationsosteotomie, pfannenbildender Eingriff, Verkürzungsosteo-
tomie.
Jugendliche und jüngere Erw. bei stärkerem Hüftkopfhochstand: Bei weitge-
hend kongruenten Gelenkverhältnissen Triple-Osteotomie anstreben. Anderen-
falls zusätzlich valgisieren bzw. varisieren. Bei erheblicher Inkongruenz und sehr
kurzer Pfanne Chiari-Osteotomie sinnvoll. Eine intertrochantäre Verkürzungsos-
teotomie kann erforderlich sein, falls Druck des reponierten Hüftkopfs noch zu
hoch ist. Ergebnisse abhängig von Alter, Luxationsgrad, Form von Hüftkopf und
-pfanne.
Erw.: Zur Funktions- und Beschwerdebesserung subtrochantäre Angulationsos-
13 teotomie (Lorenz, von Baeyer, Schanz) = Palliativmaßnahme; dreidimensionale
Korrekturosteotomie (→ Trochanter major wird kaudalisiert, eine Abstützung des
Trochanter minor am Becken wird angestrebt). Heute seltene OP, obwohl er-
staunlich gute Langzeitergebnisse.
Korrekturosteotomie prox. Femur: Bei Coxa valga et antetorta subluxans: Inter-
trochantäre Derotations-Varisations-Osteotomie. Strenge Ind.-Stellung: Bei star-
ker Fehlstellung des prox. Femurs und nicht ausreichender Überdachung durch
Beckenosteotomie. Präop. Rö-Funktionsaufnahmen! Gute Kopfzentrierung in
Abd. oder Add.?

Prognose
Ausheilungsergebnis abhängig vom Ausmaß der pathol. Veränderungen, Alter
bei Behandlungsbeginn.
• Spontanverlauf: Frühzeitige Koxarthrose (außer hohe Luxation).
• Bei frühzeitiger Diagn. und Ther. meist folgenlose Ausheilung.
• Bei verspäteter Diagn.: Deutliche Besserung durch OP (Vermeidung einer
frühzeitigen sekundäre Koxarthrose) möglich.
• Hüftkopfnekrose mit schlechter Progn. (Arthrose) bei schonender Ther. sel-
ten (< 5 %).
• Bei symptomatischer Dysplasie-Koxarthrose schon im Alter < 60 J. TEP zu
erwägen.

13.1.8 Protrusio acetabuli
Definition
Vorwölbung einer abnorm tiefen und verdünnten Hüftpfanne ins kleine Becken.
Fließende Übergänge zum Pathologischen. Präarthrose. M : F = ca. 1 : 10.

Ätiologie
Primär durch endogene Faktoren bedingt. Sekundär bei Osteomalazie, entzündli-
chen Erkr., posttraumatisch, Osteodysplasien, nach Hemiendoprothesen.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  443

Klinik und Diagnostik


• Prim. Protrusio immer doppelseitig. Auftreten im Jugendalter. Einschrän-
kung der Beweglichkeit des Hüftgelenks.
• Rö: BÜ → Pfannenboden überschreitet die Köhler-Linie (▶ Abb.  4.8) nach
med. und wölbt sich im fortgeschrittenen Stadium ins kleine Becken vor.
4 Schweregrade/Protrusionsstadien (Hirst-Klassifikation). Meist Coxa vara.
Funktionsaufnahmen anfertigen.

Therapie
Kons. Ther.: Bei mäßiggradiger Protrusion und mäßigen Beschwerden: KG, me-
dikamentös-physik. Maßnahmen (▶ 13.1.5).
Operative Ther.: Erst bei deutlichen Schmerzen.
• Pat. < 60. Lj.: Früh-OP bei ausgeprägter Coxa vara und deutlicher Protrusi-
on. Valgisierende intertrochantäre Umstellungsosteotomie → Verbesserung
der Abspreizfähigkeit, Änderung der Belastungsresultierenden.
• Ältere Pat.: Pfannenbodenplastik: TEP mit Auffüllen der Pfanne mit Eigen-
spongiosa. Pfannennetz, evtl. Stützschale (Alter).

Prognose 13
Nach Valgisationsosteotomie ca. 50 % gute Ergebnisse.

13.1.9 Coxa saltans („Schnappende Hüfte“)


Definition
Ruckartiges, oft schmerzhaftes Springen des Tractus iliotibialis über den Trochan-
ter major.

Ätiologie
Zu starke Vorwölbung des Trochanter major, allg. Bindegewebsschwäche, BLD.

Klinik
Überwiegend junge Mädchen. Fühlbares, oft hör- und sichtbares schnellendes
Überspringen des Traktus über den Trochanter beim Gehen (Hand auflegen). Bei
entspannter Muskulatur im Liegen nicht auslösbar. Oft chron. Bursitis trochante-
rica.

Therapie und Prognose


Kons. Ther.: Aufklärung. KG, Dehnübungen, evtl. Beinlängenausgleich. Lokale
Infiltration mit LA (z. B. Mepivacain 1 %), evtl. mit Kortisonzusatz (z. B. Dexame-
thason 4 mg).
Operative Ther.: Nur bei erheblichen therapieresistenten Beschwerden. Verschie-
dene Verfahren, z. B. Fixation des Tractus iliotibialis am Trochanter major (Trak-
topexie); Verlängerung des Traktus; zusätzlich Exstirpation einer Bursa. Evtl. Ab-
tragen verdickter Trochanterteile.
Prognose: Gut.
444 13  Untere Extremität  

13.1.10 Schenkelhalsfraktur
Definition
Häufige Verletzung des alten Menschen (F > M); meist infolge Bagatelltrauma bei
Osteoporose oder selten als pathol. Fraktur bei Tumoren (Metastasen) oder Zys-
ten. Ca. 50.000 Frakturen in Deutschland pro Jahr, Tendenz steigend.

Einteilungen
• Lokalisation: Medial (86 %), intermediär (10 %), lateral (4 %).
• Pauwels-Klassifikation (▶ Abb.  13.9; Winkel zwischen Frakturlinie und Hori-
zontaler):
– I: < 30°: Abduktionsfraktur (ca. 12 % aller medialen Frakturen).
– II: 30–70°: Adduktionsfraktur.
– III: > 70°: Abscherfraktur → je höher der Winkel, desto größer die Gefahr
der Pseudarthrose.
• Dislokationszustand: Einteilung nach Garden 1 = nahezu unverschoben,
2 und 3 = zunehmende Kippung des Kopffragments nach medial, 4 = medio-
dorsale Dislokation. Wichtig für Ther.-Entscheidung und Progn.
13

< 30 30–70 > 70

I II III

Abb. 13.9  Einteilung der Schenkelhalsfrakturen nach Pauwels [L106]

Klinik und Diagnostik


• Unfallmechanismus: Sturz? Bagatelltrauma?
• Aro. und Verkürzung des Beins.
• Schmerzen in der Leiste, Trochanter major. Cave: Abduktionsfraktur, dort
keine Fehlstellung, Rö manchmal schwer zu diagnostizieren.
• Rö: BÜ, axiale Aufnahme.
! Bei Unfall auf Begleitverletzungen achten (Rö-LWS, OS-Schaft).

Therapie
Kriterien zur Therapieentscheidung
Dislokationsausmaß, AZ des Pat., biologisches Lebensalter, Zustand des Hüftge-
lenks. Ziel: Frühe Mobilisation!
Konservative Therapie
Ind.: Heute selten nur bei valgisch, eingestauchten oder nichtdislozierten SHF
(Pauwels I und Garden 1), i. d. R. wird allerdings auch hier die OP mit Verschrau-
bung empfohlen.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  445

Maßnahmen: Keine Extension. Zunächst Lagerung auf Braun-Schiene als


Schmerzther., Thromboseprophylaxe, Atemgymnastik. Frühfunktionelle Ther.:
Sofortige Mobilisation mit Teilbelastung von 10–20 kg (Gehwagen). Belastungs-
steigerung ab 6. Wo., Vollbelastung nach ca. 12. Wo. Regelmäßige Rö-Kontrollen:
2., 6. und 12. Wo. sowie bei plötzlicher Schmerzzunahme (Dislokation?).
Operative Therapie
Ind.: Alle übrigen SHF. Dislozierte SHF beim jungen Pat.: Notfallind.! Spät-KO
der SHF (Pseudarthrose, Kopfnekrose, sekundäre Dislokation):
• Großfragment-Spongiosaschrauben: Junge Pat.
• Osteosynthese (▶ Abb.  13.10; DHS): Keine Koxarthrose, biol. Alter < ca. 65 J.,
ausreichend großes Kopffragment (mit 2 parallelen Schrauben zur Rotations-
sicherung).
• Repositionsmanöver bei Dislokation nach distal: Ext., Abd. (Einstauchen der
Fragmente) und Iro.
• Ventrale Kapsulotomie wird kontrovers diskutiert. Überlegung: Hämatom-
entlastung, da sonst venöse Stase.
• TEP (zementiert): Koxarthrose, biologisches Alter > ca. 65 J.
• HEP (Duokopfendoprothese): Keine Koxarthrose, schlechter AZ, hohes Al-
ter, geringer Mobilisationsgrad. 13

Zug- Winkel- DHS DCS proximaler


schrauben platte Femurnagel

Abb. 13.10  Osteosynthesen bei hüftgelenknahen Femurfrakturen [L106/L157]

Prognose
Ca. 30 % Hüftkopfnekrosen nach kons. oder operativer Ther. Pseudarthrosen
nach Osteosynthese ca. 15 % → valgisierende intertrochantäre Umstellungsosteo-
tomie bzw. Hüft-TEP.

Schenkelhalsfraktur im Kindesalter (selten)


• Selten; Ursache meist Hochrasanztrauma (Ausschluss Begleitverletzungen).
• Notfallind.! Schnellstmögliche Reposition und Stabilisierung, ggf. Ent-
lastung intrakapsuläres Hämatom.
446 13  Untere Extremität  

• Gefahr der Durchblutungsstörung und aseptischen Kopfnekrose.


• Ther.: I. d. R. operativ:
– Selten kons.: Ggf. bei undislozierter Fraktur < 3. Lj.; Hüftgelenk-
punktion, Beckengips für 4–6 Wo.
– OP: Schraubenosteosynthese; ggf. KD bei kleinen Kindern (+ Becken-
Bein-Gips); wenn mögl. Schonung der Wachstumsfuge (Kreuzung der
Fuge erlaubt, wenn nur so sichere Fixierung erreicht werden kann).
• Verlaufskontrolle v. a. wegen Gefahr der Hüftkopfnekrose → MRT, Szinti.
• KO: Varusfehlstellungen, Wachstumsstörungen, Pseudarthrosen. Eltern
über diese Gefahren aufklären.

13.1.11 Hüftkopfnekrose im Erwachsenenalter
Definition
Aseptische, nichttraumatische subchondrale Osteonekrose als Folge einer lokalen
Durchblutungsstörung. M : F = 4 : 1, vorwiegend im 30.–60. Lj., 50 % doppelseitig.
13 Epidemiologie
Soziales Problem: Erkr. meist zum Zeitpunkt der größten Leistungsfähigkeit; da-
her auch erhebliche soziale Belastung.
Risikofaktoren: Kortison-Ther., Stoffwechselstörungen (Dyslipoproteinämie,
Hyperurikämie), Gefäßerkr. (pAVK, Thrombose, Panarteriitis nodosa u. a.), Bin-
degewebserkr., Alkoholabusus, Chemother., Bestrahlungen, Blutkrankheiten
(z. B. Sichelzellanämie), Caisson (Tauchen!).

Einteilung
Stadien der Hüftkopfnekrose nach Ficat/Arlet:
• 0: Keine Symptome.
• 1: Leistenschmerz, geringe Bewegungseinschränkung (Abd., Iro.), Rö o. B.,
MRT (sektorenförmige Signaländerung)!
• 2: Erste Röntgenveränderungen, Sklerosierung, Zystenbildung im Hüftkopf.
• 3: Sequestrierung des Knorpels.
• 4: Zusammenbruch des Hüftkopfs.
Stadien der Hüftkopfnekrose nach ARCO (Association Research Circulation Os-
seous) ▶ Tab.  13.5.

Klinik und Diagnostik


• Zunehmende belastungsabhängige Leistenschmerzen bei Zusammensintern/
Infraktion des Femurkopfs in der Belastungszone. Bewegungseinschränkung.
Evtl. Kontrakturen.
• Rö: BÜ, Tangentialaufnahmen nach Schneider (▶ 4.1.8). Beurteilung der Ne-
kroseausdehnung. Nekrose meist in ventrokranialer Hemisphäre gelegen.
Sinterung des nekrotischen Knochengewebsanteils und zunehmende Inkon-
gruenz zwischen Femurkopf und Pfanne.
• MRT: Methode der Wahl. Frühdiagnose möglich. Charakteristisch ist die frü-
he Demarkation durch hypointensiven Randsaum (T1-gewichtet). Später ty-
pische Dreischichtung des Nekrosebezirks.
• CT: Genauere räumliche Einordnung des Nekrosebezirks.
• Szinti: Frühdiagnose möglich → Anreicherung.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  447

Tab. 13.5  ARCO-Klassifikation der nichttraumatischen Hüftkopfnekrose


[L157]
Stadium

0 Keine radiologischen Veränderungen, al-


le bildgebenden Verfahren inkl. MRT
neg., lediglich pos. Histologie

I Rö neg., MRT pos.

II Rö und MRT pos., Hüftkopfkontur erhal-


ten

III Subchondrale Fraktur im Rö-Bild

IV Abflachung des Femurkopfs, noch annä-


hernd normal weiter Gelenkspalt

V Abflachung des Femurkopfs mit Sekun-


därarthrose

VI Vollständige Gelenkdestruktion
13
Lokalisation
medial zentral lateral

A
B

Ausdehnung
Nekroseanteil des Femurkopfs Länge der subchondralen Fraktur Kalotten-
(% des Gesamtvolumens) (% der Kopfoberfläche) impression
A < 15% (geringfügig) A < 15% A < 2 mm
B 15–30% (mittlere Größe) B 15–30% B 2–4 mm
C > 30% (ausgedehnte Läsion) C > 30% C > 4 mm

Differenzialdiagnosen
Algodystrophie der Hüfte (Syn. transitorische Osteoporose)
Meist spontanes Auftreten; 3-phasiger gutartiger Krankheitsverlauf über ca. 6
Mon. Klin. Hüftschmerzen und Schonhinken. Überwiegend Pat. in mittleren Lj.
betroffen. Labor: Unauffällig. Rö: Lokalisierte Demineralisationszone im Hüft-
kopfbereich (evtl. auch Azetabulum und Schenkelhals einbeziehend), Befall an-
grenzender Gelenke möglich. Rö erst ca. 4 Wo. nach Auftreten klin. Zeichen auf-
fällig. Szinti: Zur Frühdiagn. geeignet, vermehrte Anreicherung. MRT: Gute Ab-
grenzung zur Hüftkopfnekrose mögl., Verlaufskontrolle. 3 Stadien: Stadium I
448 13  Untere Extremität  

(diffuses Stadium): Bei T1-gewichteten Bildern diffuse bis fleckige Hypointensität.


T2-gewichtete Bilder mit Gelenkerguss, unspezifische Signalanhebung. Stadium II
(fokales Stadium), 2–3 Mon. nach Krankheitsbeginn: T1: Ausgedehnte hypoin-
tense Bezirke bereits rückläufig, T2 mit fast normalem Signalbild. Stadium III (Re-
sidualstadium). Ther.: Entlastung, Antiphlogistika, KG.
Weitere Differenzialdiagnosen
Bakt. Koxitis (Labor: BSG, CRP ↑, lokale Entzündungszeichen, Punktion), rheu-
matische Koxitis (▶ 16.8.1), Koxarthrose (▶ 13.1.5), Tumoren.

Konservative Therapie
• Ind.: Inoperabilität, weit fortgeschrittene Hüftkopfnekrose mit erträglichen
Beschwerden.
• Beseitigung der Noxe, wenn mögl. (z. B. Kortisonmedikation, Alkohol).
• Entlastung an UAGST, passagere Traktionsbehandlung, KG, physik. (z. B. Elek-
tro-, Hydrother.) und medikamentöse Ther. (Analgetika, Antiphlogistika).

Operative Therapie
Ther.-Konzepte abhängig von Stadium und Ausdehnung der Osteonekrose.
13
Stadium 1 und 2
OP-Prinzip: Anbohren des Nekroseherds (Forage) bzw. zentrale Markraumde-
kompression durch Entnahme eines bis in die nekrotischen Areale reichenden
Knochenzylinders. Postop. volle Entlastung für ca. 6 Wo., danach Übergang zu
Teilbelastung; Vollbelastung nach 10–12 Wo.
Stadium 2 und 3
Problem: Keine Ausheilung mögl., ein erfolgversprechendes Ther.-Verfahren
existiert nicht.
Möglichkeiten:
• Intertrochantäre Umstellungsosteotomie. Ziel: Nekroseherd aus der Belas-
tungszone herausdrehen. Nur bei kleinen Nekrosezonen zu erwägen, Koope-
rationsbereitschaft der Pat. präop. abschätzen!
• Gefäßgestielter Becken- oder Fibulaspan: Keine Routinemethode, großer
operationstechnischer Aufwand.
• Nekroseausräumung und Unterfütterung der subchondralen Grundplatte
mit Spongiosa oder Knochenzement („Trap Door Procedure“).
Stadium 4 bzw. sekundäre Koxarthrose
TEP. Problematisch wegen frühen Erkr.-Alters und häufiger Doppelseitigkeit.
Strenge Ind.-Stellung.

Prognose
Spontanverlauf der Hüftkopfnekrose überwiegend progredient. Bei Forage bis
Stadium 2 in ca. 70 % kurzfristig klin. gute Resultate. Günstiger Verlauf nur bei
Stadium 1–2 ohne Einbruch des Kopfs und bei ausgeschalteter Noxe zu erwarten.

13.1.12 Coxitis fugax („Hüftschnupfen“)


Definition
Flüchtige abakt. Entzündung der Hüftgelenkkapsel, häufig im Anschluss an einen
(grippalen) Infekt, reversibel nach 1–2 Wo. Prädilektionsalter: 4.–8. Lj.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  449

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Plötzliche Hüft- oder Knieschmerzen oft nach einer Inf.-Krankheit.
• Hinken, Bewegungseinschränkung der Hüfte, insbes. der Iro.
• Ungestörtes Allgemeinbefinden.
• Labor: Entzündungswerte normal bis leicht erhöht.
• Sono: Erguss?
• Rö: BÜ (auf exakte Mittelstellung der Beine achten): Evtl. Abhebung der
Hüftgelenkkapsel. Evtl. ergussbedingte Lateralisation des Hüftkopfs.
• DD: Eitrige Koxitis (Punktion), Morbus Perthes (Stadium I → Verlaufsbeob-
achtung), RA (▶ 16.8.3).

Therapie
Leichte Symptomatik: 2–3 d Bettruhe, Antiphlogistika (▶  16.5.1), Analgetika
(▶ 24.1) über 3–8 d. Verlaufsbeobachtung, Laborkontrollen.
Deutliche Symptomatik: Deutlicher Erguss: Punktion in Kurznarkose zur Entlas-
tung des Gelenks. Abstrich zur Bakteriologie. NB: Antiphlogistika (z. B. Diclofe-
nac, ASS), intermittierende Längsextension für ca. 1 Wo. Cave: Ausschluss eines
Morbus Perthes, deshalb nach 3 Mon. erneute BÜ, Verlaufskontrolle.
13
Eitriger Erguss: Umgehende Arthrotomie und Spül-Saug-Drainage (▶ 8.2.4),
Antibiotikum (▶ 24.1).

Prognose
Gut, vollständige Ausheilung.

13.1.13 Morbus Perthes (Morbus Legg-Calvé-Perthes)


Definition
Ischämische Nekrose des Hüftkopfs im Kindesalter (3.–12. Lj.). Altersgipfel bei
5–6 J., doppelseitiger Befall in 10–20 %, zeitversetzt. Geschlechtsverteilung M : F =
4 : 1.

Ätiologie und Pathogenese


Unklar; kongenitale Gefäßanomalien am prox. Femur, hormonelle Dysregulatio-
nen? Pathogenese: Durchblutungsstörung → Nekrose des Knochenkerns der
Kopfepiphyse → Abbau des nekrotischen Knochens und Wiederaufbau. Dauer
des Umbauprozesses ca. 2–4 J. In dieser Zeit ist die Epiphyse vermindert belas-
tungsfähig mit der Gefahr der Deformierung. Beteiligung der Epiphysenfuge →
progn. bedeutsame Wachstumsstörung.

Einteilung
Radiologische Klassifikation s. u.
• Initialstadium: Gelenkerguss, Wachstumsretardierung des Kopfkerns →
scheinbare Gelenkspaltverbreiterung.
• Kondensationsstadium: Knochenverdichtung des Kopfkerns.
• Fragmentationsstadium: Nebeneinander von Verdichtung und Aufhellung.
• Reparationsstadium: Struktureller Wiederaufbau.
450 13  Untere Extremität  

Klinik und Diagnostik


Klinische Frühzeichen
Rö hinkt der Symptomatik und dem Krankheitsverlauf hinterher → klin. Frühzei-
chen wichtig:
• Belastungsabhängige Hüft- und insbes. auch Knieschmerzen, Schmerzhinken
und rasche Ermüdbarkeit, Einschränkung Gehstrecke.
• Bewegungseinschränkung: Meist Iro. (Untersuchung in Bauchlage!) und
Abd. Erst später reelle Beinverkürzungen.
Röntgen
• Charakteristischer stadienhafter Verlauf entsprechend der oben beschriebe-
nen Einteilung; BÜ und axiale Aufnahme (Lauenstein; ▶ 4.1.8): Einordnung
in unten beschriebene Stadien. Ziel: Progn. Abschätzung anhand Ausdeh-
nung (Catteral-Stadien, Salter-Thompson, „lateral pillar“) und der Risikozei-
chen (s. o.) → Kriterien für Ther.-Entscheidungen.
• Einteilung nach Catteral in 4 Gruppen (▶ Abb.  13.11).
• Klassifikation nach Salter und Thompson (▶ Abb.  13.11; Vereinfachung der
radiologischen Kriterien, Frühdiagnose): Ausmaß einer subchondralen Frak-
13 turlinie:
– Typ A: Weniger als 50 % des Knochenkerns (entspricht Catteral I und II).
– Typ B: Mehr als 50 % (entspricht Catteral III und IV): Schlechtere Progn.
• Klassifikation nach Herring („lateral pillar“ = laterales Drittel der Kopfepi-
physe – a. p.):
– Typ A: Erhalten → gute Progn.
– Typ B: Weniger als 50 % Höhenverlust → mäßige Progn.
– Typ C: Mehr als 50 % Höhenverlust → schlechte Progn.

Radiologische Risikofaktoren (bei Auftreten evtl. Prognoseverschlechterung)


Verkalkungsherd lat. von Epiphyse, Lateralisierung (Subluxation) des Hüft-
kopfs, Beteiligung der Metaphyse, Horizontalstellung der Epiphysenfuge.
„Hinge Abduction“: Türangelförmiges Heraushebeln des Hüftkopfs über ein
Hypomochlion des Kopfanbaus bei Abduktion.

Weitere apparative Diagnostik


• Sono: Erguss? Cave: Keine Frühdiagnose möglich.
• MRT: Frühdiagnose möglich, Bestimmung des Ausmaßes der Kopfnekrose.
• Szinti: Nur in Ausnahmefällen zur DD.
Differenzialdiagnosen
Coxitis fugax, septische Arthritis, epiphysäre Dysplasien (bilateral). Hypothyreo-
se, juvenile RA, Tumoren.

Therapie
! Es gibt keine einheitliche Meinung über das richtige Ther.-Regime.
• Ziel: Wiederaufbau des Hüftkopfs in Normalform. Verhinderung der Hüft-
kopfsubluxation → Prinzip des „Containments“ (= möglichst vollständige
Überdachung des Hüftkopfs). Erhalten einer guten Hüftgelenkbeweglichkeit.
• Aufklären der Eltern über Erkr., Verlauf und Dauer (2–4 J.).
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  451

13

Abb. 13.11  Klassifikation nach Salter und Thompson sowie nach Catteral [L190]

• Progn. Faktoren wie Alter, Gewicht, Größe des nekrotischen Bezirks, Latera-
lisation, Subluxation, Bewegungseinschränkung u. a. geben eine Orientierung
über Ther.-Regime.

Alter bei Erkrankungsbeginn


Wesentlicher progn. Faktor. Je jünger das Kind bei Erkr.-Beginn, desto bes-
ser die Chance für eine befriedigende Ausheilung der Erkr.

• Bei leichterer Verlaufsform und sehr jungem Alter (Catteral I, II, Salter-
Thompson A, Herring A) kons. Ther.:
– Alleinige Beobachtung ausreichend bei Frühformen ohne Risikozeichen
und mit freier Hüftgelenkbeweglichkeit.
– Andernfalls funktionelle Ther. mit KG (u. U. stationär mit kurzzeitiger be-
gleitender Extension der Beine). Schwimmen, Radfahren. Bei Schmerzen
Antiphlogistika (z. B. ASS, Diclofenac). Sprungbelastungen vermeiden.
452 13  Untere Extremität  

• Bei Auftreten von Risikofaktoren und/oder schwerer Verlaufsform (Catteral


III/IV, Salter-Thompson B, Herring B/C): Ziel besseres „Containment“:
– Orthesenbehandlung fast verschwunden. Ergebnisse wahrscheinlich nicht
besser als bei Spontanverlauf.
– Bei Pat. > 6 Lj. Varisationsosteotomie. Postop. Beinverkürzungen zu-
nächst nicht ausgleichen (etwas besseres „Containment“). KG. Nachteil:
Beinverkürzung, Trendelenburg.
– Salter-Osteotomie (▶ 13.1.7, evtl. in Komb. mit Varisationsosteotomie):
Ind.: Erzielen eines „Containments“ bei vergrößertem deformiertem
Hüftkopf, Stadium III oder IV, > 6. Lj.
– Triple-Osteotomie/PAO (▶ 13.1.7, ggf. mit Varisierung): Bei älteren Kin-
dern mit erhaltener Gelenkkongruenz („super containment“).
– Beckenosteotomie nach Chiari (▶ 13.1.7): Ind. im Endstadium des M. Perthes
bei ungenügender Überdachung des Hüftkopfs (▶ 13.1.7, Hüftluxation) > 12 J.

Prognose
Ausheilungsergebnis reicht vom völlig normalen kongruenten Femurkopf bis zu
schweren pilz- oder walzenförmigen Kopfdeformierungen → sekundäre Koxarth-
13 rose. Leichte Kopfdeformierungen führen häufig zu entsprechenden Anpassungs-
erscheinungen der Pfanne, sodass eine ausreichende Gelenkkongruenz resultiert,
spätere Koxarthrosen selten sind und kaum vor dem 50.–60. Lj. auftreten. Pat. < 7
J. bei Diagnosestellung haben ein wesentlich geringeres Arthroserisiko als ältere.

13.1.14 Epiphyseolysis capitis femoris


Definition
Meist langsames Gleiten bzw. Kippen über Wo. und Mon., selten akute Lösung
der prox. Femurkopfepiphyse während der Pubertät (Jungen 12–16 J., Mädchen
10–14 J.). Das Gleiten kann auf jeder Stufe stehen bleiben, aber auch plötzlich in
ein akutes Abgleiten übergehen („acute on chronic“) → Zerstörung der Epiphy-
sengefäße → Gefahr der Kopfnekrose. M : F = 2 : 1. In ca. ⅓ der Fälle beide Hüften
betroffen. Konstitutionsvarianten mit adipöser Komponente (z. B. Dystrophia
adiposogenitalis) sowie Gonadenunterentwicklung oft auffällig.

Klinik
Lenta-Form (häufig): Beschwerden initial diskret. Ermüdbarkeit nach Belastung,
Hinken, Leistenschmerz, v. a. aber auch Knieschmerzen sind erste Symptome, die
meist bagatellisiert werden. Diagnosestellung dann erst nach Wo. oder Mon. →
Verpassen des relativ einfach zu behandelnden Frühstadiums. Zunehmend Aro.-
Haltung und Verkürzung des Beins bei eingeschränkter Iro.
Akute Form (selten): Diagn. einfach; akute Belastungsunfähigkeit der Hüfte; die
Betroffenen brechen plötzlich zusammen und können nicht mehr laufen.

Diagnostik
• Pos. Drehmann-Zeichen: Zwangsmäßige Abd. bei Beugung des außenrotier-
ten Beins.
• Rö: BÜ und axiale Aufnahme (Lauenstein) obligat. a. p.-Aufnahme: Begin-
nendes Gleiten (am häufigsten nach hinten unten) durch Auflockerung und
Erweiterung der Epiphysenfuge erkennbar. Axiale Aufnahme: Kippung ein-
fach zu sehen, Abkippwinkel ausmessen. Charakteristisch für die Lenta-
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  453

Form: Abgerundete Metaphysenränder. Bei Erkr.-Alter < 10 J. bzw. > 16 J.


endokrine Fehlregulation ausschließen.

Operative Therapie

Akute Epiphysenlösung
Sofort Bettruhe, Belastungsverbot, evtl. leichte Traktion. Epiphyse muss
schnellstmöglich operativ stabilisiert, ein evtl. Hämarthros entlastet werden.
Unter Traktion vorsichtiges Repositionsmanöver (cave: Femurkopfnekrose).
Fixation mit dicken KD oder kanülierten Schrauben.

Lenta-Form
OP-Verfahren hängt vom Ausmaß des Abkippens ab. Empfehlung:
• In-situ-Stabilisierung (s. u.).
• Bei Abkippwinkel > 50° und persistierender Bewegungseinschränkung sekun-
däre intertrochantäre oder subkapitale (hohes Risiko einer Femurkopfnekro-
se!) Umstellungsosteotomie.
• Prophylaktische Stabilisierung der Gegenseite: Bei noch offener Wachstums-
fuge (zumindest im deutschsprachigen Raum allgemein anerkannt). 13
OP-Technik der In-situ-Fixation mit KD
▶ Abb.  13.12.

In-Situ-Fixation
durch Kirschner-Drähte
bzw. eine Schraube

intertroch.
Korrekturosteo-
tomie (n. Imhäuser)

Schenkelhals-
osteotomie

Abb. 13.12  Operative Therapie bei Epiphyseolysis capitis femoris [L106]


454 13  Untere Extremität  

Rückenlage. Gerader lat. Hautschnitt von Mitte Trochanter 8–10 cm nach distal.
Spalten der Faszie. L-förmige Desinsertion des M. vastus lateralis. Einbohren ei-
nes KD (2–2,5 mm) zentral in die Epiphyse bis an die subchondrale Sklerosezone
der Kopfkalotte unter BV-Kontrolle (neutral, axial und in Iro.). Je stärker der
Grad der posterioren Kalottenabkippung, desto ventraler muss der KD-Eintritts-
punkt am Femur gewählt werden. Mit 2–3 weiteren KD fächerförmiges Fassen der
Epiphyse. Perforation ins Gelenk unbedingt vermeiden! Umbiegen der KD-En-
den, Umdrehen nach kaudal. Spülung. Redon-Drainage. Reinsertion des M. vas-
tus lateralis. Schichtweiser Wundverschluss. Keine prophylaktische Spickung der
Gegenseite, jedoch engmaschige klin. Kontrolle. Lagerung auf Schiene.
Nachbehandlung
Antiphlogistika. Lokal Eis. 6 Wo. Entlastung. KG assistiv bis zum freien Bewegen
der Hüften. Rö-Kontrolle nach 3 und 6 Mon. postop., dann alle 6 Mon. Cave: Evtl.
Nachspickung erforderlich (Wachstum). ME nach Epiphysenfugenschluss.

Komplikationen
Morbus Waldenström: Knorpelnekrose (Chondrolyse) des Hüftkopfs. Auftreten
während des gesamten Verlaufs der Erkr. (auch OP-unabhängig) mögl. → evtl.
13 frühe Koxarthrose. Ther.: Traktion, KG, Antiphlogistika, Entlastung.

Prognose
Abhängig vom Grad der Abkippung und Auftreten von KO. Beim Auftreten einer
Hüftkopfnekrose droht frühe sekundäre Koxarthrose.

13.1.15 Femoroazetabuläres Impingement (nach Ganz)


Definition
Impingement zwischen prox. Femurende und Pfannenrand. Häufige Koxarthro-
seursache der nicht dysplastischen Hüfte. Häufiger bei Männern (30–40. Lj.), oft
doppelseitig.

Ätiologie
Impingement am häufigsten bedingt durch Retroversion des Hüftkopfs (lenta
slip). Begünstigend sind auch azetabuläre Retroversion bzw. tiefe Pfanne bis Pro-
tusion, fehlendes Offset zwischen Kopf und Hals, niedriger CCD-Winkel.

Klinik und Diagnostik


• Führendes Symptom ist der Leistenschmerz, belastungs- und bewegungsabhängig
(max. Beugung) wie bei Koxarthose. Pos. Impingement-Test (Iro. und Flexion).
• Rö: A-p: Fehlender taillierter Übergang von Kopf auf Schenkelhals mit Kno-
chenbuckel superior-lateral („Ganz-Bump“); lat. Aufnahme: Ant. Knochen-
wulst.

Einteilung
Unterschieden werden sog. Cam- und Pincer-Impingement, häufig auch kombi-
niert. Beim Cam-Impingement (Männer häufiger) behindert der nichtsphärische
Kopf oder das zu geringe Offset die Beugung → Labrumdegeneration und azeta-
bulärer Knorpelschaden. Beim Pincer-Impingement (Frauen häufiger) kommt es
durch Über-Überdachung ant. zur Labrumläsion – langsamer Prozess im Ver-
gleich zum Cam-Mechanismus.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  455

Therapie
Abhängig vom Beschwerdegrad kons. (Radfahren, Vermeidung von max. Beu-
gung, NSAR, Traktion) oder operativ (Hüftarthroskopie für Pincer oder Labrum-
Pathologie, offene „Cheilectomy oder Bumpectomy“ durch chir. Hüftluxation:
Sinn beider Verfahren wissenschaftlich noch nicht erwiesen). Cave: Gefahr der
Hüftkopfnekrose bei Beschädigung der A. circumflexa post. Bei ausgeprägter De-
formität evtl. Flexions-Derotation-Osteotomie sinnvoller. NB: Mind. 6 Wo. Teil-
last bei Osteosynthese.

Prognose
Die „Natural History“ des femoroazetabulären Impingements ist bisher noch
weitgehend unbekannt. Die Cam-Läsion wird zunehmend als präarthrotische De-
formität angesehen. Unklar, ob Koxarthrose aufgehalten werden kann durch
frühzeitiges Eingreifen. Gute kurzfristige Beschwerdebesserung nach OP, aller-
dings unklarer Langzeitverlauf. Relativ neue operative Behandlungsmethode, ge-
hört in die Hände des Spezialisten.

13.1.16 Idiopathische Coxa antetorta


13
Definition
Isolierte Fehlentwicklung der Antetorsion (AT) am prox. Femur, meist doppelsei-
tig. Bei Geburt AT-Winkel des Schenkelhalses ca. 30–40°. Rückbildung bis auf ca.
15° beim Erw. Pathol. AT-Winkel im Kleinkind- bzw. Vorschulalter > 50°
(▶ Abb.  13.13).

Abb. 13.13  a Coxa antetorta mit vergrößertem AT-Winkel. Die Coxa valga ist
häufig mit einer verstärkten AT kombiniert (Coxa valga-antetorta). b Normale
Antetorsion. c Coxa retrotorta mit verringertem AT-Winkel. Die Coxa vara ist
häufig mit einer verringerten AT kombiniert. [L106]

Klinik und Diagnostik


• Einwärtsgang; die Kinder können über ihre eigenen Füße stolpern.
• Prüfung der Rotations-/Torsionsverhältnisse an bds. gestreckten Hüften in
Bauchlage: Aro. eingeschränkt, Iro. kann bis zu 90° betragen. Evtl. Sitzen im
umgekehrten Schneidersitz möglich.
• Rö: BÜ und Rippstein-Aufnahme (▶ 4.1.8): Ausmessen des projizierten
CCD- und AT-Winkels. Anhand einer Umrechnungstabelle (▶ Abb.  4.10)
Ablesen des reellen AT-Winkels.
456 13  Untere Extremität  

• Sono: Schenkelhals-AT-Bestimmung bei Kindern bei Standardlagerung (Iro.


von 40° auf Keillagerung) leicht möglich mit ausreichender Genauigkeit
(Verlaufskontrollen).

Differenzialdiagnosen
Coxa valga et antetorta bei angeborener Hüftluxation und bei zerebralen Bewe-
gungsstörungen, posttraumatische Rotationsfehler, Torsionsfehler im US, Pseu-
doinnentorsion beim kongenitalen Klumpfuß, Sichelfüße.

Therapie
Kons. Ther.: Meist wenig effektiv! Bei ca. 85 % der Betroffenen allmähliche spon-
tane Rückbildung der vermehrten AT und damit des störenden Einwärtsgangs bis
Wachstumsabschluss. Wesentlich ist die Aufklärung der Eltern.
Operative Ther.: Intertrochantäre Derotationsosteotomie nur dann sinnvoll,
wenn der reelle AT-Winkel im Alter von 8–10 J. deutlich über 50° liegt.

13.1.17 Coxa valga
13 Definition
Solitäre Coxa valga: Steilstellung des Schenkelhalses ohne Begleitdeformitäten
beim Erw. mit CCD-Winkel > 140°. Coxa valga et antetorta ▶ 13.1.7.

Ätiologie
Angeboren oder erworben, z. B. Muskelimbalance infolge schlaffer oder spastischer
Lähmung, z. B. bei MMC, ICP ▶ 17.5.1; nach Schädigung der Wachstumsfuge am
Schenkelhals bzw. Trochanter major, z. B. durch Trauma, Tumor, Entzündung.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Angeboren: Meist keine oder nur geringe belastungsabhängige Leisten-
schmerzen. Sekundärarthrosen selten.
• Erworben: Grundleiden beachten.
• Rö: BÜ in exakter Mittelstellung der Beine, Rippstein-Aufnahme (▶ 4.1.8) zur
Bestimmung des AT-Winkels. Cave: Bei außenrotiertem Bein Vortäuschen
einer zu starken Valgität (CCD ↑).
• DD: Coxa antetorta, valga et antetorta, Hüftluxation.
Therapie
Bei zufällig festgestellter, angeborener solitärer Coxa valga keine Ther. KG bei
Hüftmuskelinsuff. (Trendelenburg-Zeichen pos., Hinken). Nur bei eindeutigen
Beschwerden (Leistenschmerzen) und beginnender Sekundärarthrose bei man-
gelhafter Kopfüberdachung intertrochantäre Varisierungsosteotomie.

13.1.18 Coxa vara congenita


Definition
Varusdeformität (Unterschreiten des altersphysiol. CCD-Winkels) mit Verkür-
zung und Verplumpung des Schenkelhalses. Im Extremfall Hirtenstabdeformität
des Femurs. Normale CCD-Winkel: Neugeborenes ca. 150°; 10 J. 138°; 15 J. 130°,
Erw. 125°; CCD-Winkel < 120° immer pathol. Häufigkeit: 1 : 25.000 Geburten.
Einseitig in ca. 70 %.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  457

Einteilung und Pathogenese


• Prim. Form (mit kongenitalem Femurdefekt verwandt), bei Geburt vorhan-
den.
• Sekundäre Form: CCD-Winkel bei Geburt im Normalbereich.
• Coxa vara entwickelt sich unter Einfluss von Scherkräften nach Laufbeginn →
Stabilität im Schenkelhalsbereich ↓ → Zunahme der Deformität → Gefahr der
Schenkelhalspseudarthrose → sekundäre Veränderungen an der Hüftpfanne.
Evtl. Retroversion des Hüftkopfs. Spontane Aufrichtung selten.

Klinik
• Bei Einseitigkeit → Beinverkürzung.
• Diagnosestellung selten vor 2. Lj.: Trochanterhochstand → Insuff. der mittle-
ren und kleinen Glutäen → pos. Trendelenburg-Zeichen, Hinken, Einschrän-
kung der Abd.
• Watschelgang bei Doppelseitigkeit.
• Schmerzen im Kindesalter selten.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Rö: BÜ → CCD-Winkel < 120°. Verbreiterte und steil verlaufende Epiphysen- 13
fuge. Trochanterhochstand. Evtl. Deformierung von Hüftkopf und Gelenk-
pfanne. Sekundäre Pfannendysplasie. Pseudarthrose.
• DD: Symptomatische (erworbene) Formen: Coxa vara bei Systemerkr.; Coxa
vara als Folge lokaler Schädigung: Morbus Perthes, idiopathische Hüftkopf-
nekrose, kongenitale Hüftluxation, Epiphyseolysis capitis femoris, Osteomye-
litis, Morbus Paget, fibröse Dysplasie, posttraumatisch.

Therapie
Abhängig von Alter, Ausmaß der Deformität. Ziel: Verhinderung von Sekundär-
veränderungen (Deformierung, Luxation des Hüftkopfs).
Konservative Therapie
Ind.: Kleinkindalter mit nur geringer Varusdeformität.
Maßnahmen: Beobachtung → Möglichkeit der Spontanaufrichtung. Ggf. entlas-
tende Orthese mit Tuberaufsitz bei nicht operationsfähigen Kindern. Ggf. auch
Extension über Orthesen.
Operative Therapie
Ind.: CCD-Winkel < 100°, Winkel der Epiphysenfuge zur Horizontalen > 30°.
Maßnahmen: Intertrochantäre valgisierende Osteotomie so früh wie möglich bei
fehlender Aufrichtungstendenz oder erheblich pathol. Varus. Evtl. zusätzlich Dis-
talverlagerung des Trochanter major.
Technik: AO-Winkelplatte. Lateralisierung des dist. Fragments. Aufrichtung auf
ca. 130°.

Prognose
Je früher die OP bei ausgeprägter Deformität, desto besser die Ausheilungschan-
cen. Typischer Spontanverlauf: Zunahme der Deformität bis zur Hirtenstabdefor-
mität oder Pseudarthrose. Bei zu später OP Sekundärveränderungen an Hüftkopf
und Pfanne → Arthrose.
458 13  Untere Extremität  

13.1.19 M.-piriformis-Syndrom
Anatomie
Wichtige DD zur Lumboischialgie (▶ 10.4.10). Anatomie: Ursprung des M. piri-
formis an der Facies pelvina des Os sacrum, zieht durch Foramen ischiadicum
majus. Ansatz: Innenseite Spitze Trochanter major. Funktion: Aro., Abduktion.

Klinik und Differenzialdiagnosen


• Hüftgelenksinnenrotation mit Dehnungsschmerz. Schmerzhafte Hüftge-
lenksabd. (bei 90° Flexion) gegen Widerstand. Schmerzhafte Hüftgelenksaro.
(bei 50–60° Flexion) gegen Widerstand (Auslösung von ausstrahlendem pos-
teriorem Beinschmerz!).
• Druckempfindlichkeit des M. piriformis.
• DD: DD von Hüfte und WS (▶ 13.1.7, ▶ 10.2).
Therapie
• Kons. Ther.: Inj. von LA.
• Technik: Pat. liegt auf kontralat. Seite mit gebeugten Hüften und Knien. Spi-
13 nalnadel. Triggerpunkt suchen. Probatorisch Infiltration z. B. mit Mepivacain
1 %. Abwarten. Ausschluss einer Infiltration des N. ischiadicus. Dann Mepi-
vacain 5 ml (z. B. Meaverin®) mit Dexamethason in M. piriformis injizieren.
Dehnübungen unter krankengymnastischer Anleitung.

13.1.20 Pertrochantäre Femurfraktur
Einteilung
Einteilung in stabile und instabile Frakturen mit Varustendenz (z. B. bei dorsome-
dialer Trümmerzone, Abriss des Trochanter minor). Ca. 45.000 Frakturen in
Deutschland/J., Tendenz steigend.

Bei älteren Pat. lebensbedrohend aufgrund drohender Immobilisation (Leta-


lität von 20 % in den ersten 6 Mon.) → möglichst zeitnahe OP anstreben.

Klassifikation nach AO (▶ 25) oder nach Evans-Jensen: Typ 1: 2-Fragmentfrak-


tur, undisloziert. Typ 2: 2-Fragmentfraktur, disloziert. Typ 3: 3-Fragmentfraktur
mit medialer Abstützung. Typ 4: 3-Fragmentfraktur ohne mediale Abstützung.
Typ 5: 4-Fragmentfraktur.

Klinik und Diagnostik


• Unfallanamnese. Osteoporose? Hinweise auf pathol. Fraktur?
• Verkürzung und Aro. des Beins.
• Rö: BÜ und Hüfte axial.
• DD: SHF, subtrochantäre Fraktur, Abrissfraktur Trochanter major/minor;
pathol. Fraktur.

Operative Therapie
Ziel: Stabile Versorgung, Frühmobilisation und Belastung.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  459

Methoden: Prox. Femurnagel/Gam-


managel: Intramedulläre Nagelosteo-
synthesen bieten höhere Belastbarkeit
als extramedulläre (DHS, Winkelplat-
ten). Ind. A2- und A3-Frakturen nach
AO (▶ Abb.  13.14).
• DHS: Ind.: A1-Frakturen nach
AO.
• TEP: Bei hochgradiger Osteoporo-
se oder pathol. Fraktur und Koxar-
throse (selten).
OP-Technik DHS (135° oder 150°)
(▶ Abb.  1.17): Rückenlage auf dem Ex-
tensionstisch. Reposition der Fraktur
durch Iro. und Längszug. Lat. Zugang
unterhalb Tub. innominatum. Nach
Durchtrennen der Subkutis Spalten
der Fascia lata in Faserrichtung. Längs-
spalten oder L-förmiges Einkerben des
M. vastus lateralis distal des Tub. inno- 13
minatum und Freilegen der subtro-
chantären Region mit Raspatorium.
Bestimmung der AT des Schenkelhal-
ses mithilfe eines dicken KD, der auf
dem Schenkelhals vorgeschoben wird.
BV axial. Aufsetzen des Zielgeräts mit- Abb. 13.14  Femurfrakturen [L106]
tig auf Femurschaft im Winkel von
135–150° (entsprechender Abstand
vom Tub. innominatum 2,5–6 cm). Einbringen des Führungsdrahts (mit Gewin-
de) zentriert im Femurkopf (bis leicht kaudal-dorsal) bis subchondral unter Be-
rücksichtigung der AT. BV-Kontrolle a. p. und axial. Bestimmung der Länge des
Bohrkanals mit dem Messstab. Aufbohren mit Dreistufenbohrer bis ca. 10 mm an
das Gelenk. Gewindeschneiden fakultativ: Bei harter Spongiosa (Jugendliche) Ge-
windeschneiden mit kurzer Zentrierhülse. Kein Gewindeschneiden bei Osteopo-
rose. Eindrehen der Schraube mit der Zentrierhülse. Nach Entfernen von Schrau-
benschlüssel und Zentrierhülse Anbringen einer DHS-Platte passender Länge.
Entfernen des Führungsdrahts. Andrücken der Platte an Femurschaft mit Ein-
schlagbolzen. Fixation der Platte mit 4,5-mm-AO-Kortikalisschrauben. Kompres-
sionsschraube fakultativ. Rö-Kontrolle, Spülung, Redon-Drainage. Schichtweiser
Wundverschluss. Verband.
OP-Technik PFNA: Rückenlage mit 15° zur Gegenseite abgewinkeltem Oberkör-
per auf dem Extensionstisch. Reposition durch Längszug und Iro., 5 cm lange
längsverlaufende Hautinzision 5 cm oberhalb des Trochanter major, leicht dorsal.
Spaltung der Faszie des M. gluteus med. im Faserverlauf. Einbringen des Füh-
rungsdrahts (3,2 mm) in den Nageleintrittspunkt unter BV-Kontrolle. Nagelein-
trittspunkt leicht medial und dorsal der Trochanterspitze. Überbohren mit dem
17-mm-Bohrer durch die Gewebeschutzhülse bis zum Anschlag und Einbringen
des Nagels in der gewünschten und vermessenen Dicke. Vorsichtig unter drehen-
den Bewegungen. Vorschieben unter BV bis zur gewünschten Tiefe. Hautinzision
und Spalten des Subkutangewebes und der Muskulatur und Einbringen des Füh-
rungsdrahts für die Schenkelhalsschraube. Messen der Länge, Position kalkarnah
460 13  Untere Extremität  

und mittig im axialen Strahlengang, Vorbohren und Einschlagen der Klinge. An-
schließend statische Verriegelung über Zielbügel. Entfernen des Zielbügels und
Einbringen der Nagelverschlussschraube. Spülung, Redon-Drainage, schichtwei-
ser Wundverschluss, Verband.
NB: Im Idealfall ist Belastungsstabilität gegeben, Gangschulung, Mobilisation.
Fehler und Gefahren: Exzentrische Position der Schraube im Schenkelhals/Hüft-
kopf. Ungenügende Reposition. Fehlstellung und Pseudarthrose.

13.1.21 Femurschaftfraktur

In ca. 60 % Komb.-Verletzung bei Polytrauma. Erheblicher Blutverlust mög-


lich (bis ca. 2 l). Bei inadäquatem Trauma an pathol. Fraktur denken!

Klinik und Diagnostik


• Fehlstellung des Beins, Frakturzeichen, Sensibilität, Motorik, Pulse. Offene
Fraktur?
13 • Rö: OS (mit Hüft- und Kniegelenk) in 2 Eb.
• Zusatzverletzungen wie ipsilaterale Schenkelhalsfraktur oder hintere Kreuz-
bandruptur spätestens intraoperativ ausschließen.

Komplikationen
Hämorrhagischer Schock, Fettembolie, Läsion von N. ischiadicus, A. und V. fe-
moralis, Kompartmentsyndrom.

Therapie
Konservative Therapie
Ind.: Kinder v. a. < 3. Lj. Maßnahmen: Becken-Bein-Gips für 4 Wo. Bei gröberer
Dislokation (> 10°) oder Verkürzung > 2 cm Extensionsbehandlung (Kleinkinder
mittels Heftpflasterverband „Overhead“ über 2 Wo. + Becken-Bein-Gips 2 Wo.).
Cave: Beurteilung der Beinachse und Rotation regelrecht nur im Vergleich zur
Gegenseite nach Osteosynthese möglich. Bei kons. Ther. erst nach Konsolidation.
Operative Therapie
Ind.: Bei Erw. jede Schaftfraktur, Kind: > 3. Lj. (Altersgrenze je nach Reifezustand,
Bedürfnissen und Frakturform).
Marknagelosteosynthese (▶  Abb.  1.13; ▶  Abb.  1.14): Antegrade Marknagelung
ist die Methode der Wahl (unaufgebohrt – aufgebohrt); Nachteil: Heterotope Os-
sifikationen an der Nageleintrittstelle, mögl. Nervenschaden. Retrograde Markna-
gelung: Vorteile: Bei Adipositas, distalen Femurfrakturen, ipsilateraler US-Frak-
tur (Floating Knee) ist die Versorgung von einem Zugang aus möglich, Nachteil:
Kniebeschwerden nach transartikulärem Zugang möglich.
• Unaufgebohrter Verriegelungsnagel: Ind.: Mehrfragmentbrüche, Frakturen
im prox. oder dist. Metaphysenbereich, Trümmerfrakturen.
• Statische Verriegelung: Verriegelungsschrauben prox. und distal. Möglichkeit
der Dynamisierung nach 6–8 Wo. durch Schraubenentfernung gegeben.
• Diaphysäre Querfrakturen ggf. aufgebohrter Nagel.
• Variante bei ipsilateraler SHF: „Miss-a-nail“-Technik, d. h. mit Spezialinstru-
mentarium Möglichkeit der zusätzlichen Schraubenosteosynthese der SHF in
Komb. mit unaufgebohrtem Femurnagel.
   13.1  Hüfte und Oberschenkel  461

• Plattenosteosynthese LCDC oder LCP: Ind. bei vorbestehenden Fehlstellun-


gen, bei Frakturausdehnung zum Kniegelenk LISS (Less Invasive Stabilizing
System).
Fixateur externe: Polytrauma zur Primärversorgung, Frakturen mit schwerem
Weichteilschaden.
Kind (elastisch stabile intramedulläre Nagelung): Retrograde Technik: Frak-
turen der Schaftmitte und prox. Frakturen; antegrade Technik: Distale Fraktu-
ren, ggf. Verriegelung mittels Verschlusskappen bei instabilen Frakturen; alter-
nativ Fixateur externe oder Plattenosteosynthese (v. a. instabile Schrägfrakturen,
KG > 50 kg) oder „Adoleszentennagel“ (v. a. Kinder > 12 Lj. und > 50 kgKG).
Nachbehandlung
Hochlagern des Beins in Hüft- und Kniebeugung. Quadrizepsanspannungsübun-
gen, aktive Bewegungsther. für OSG und Kniegelenk. Mobilisation an UAGST
oder Gehwagen ab 2. postop. Tag, Belastung abhängig von der Versorgung und
Frakturtyp, i. d. R. 20 kg Teilbelastung für 6 Wo., dann Belastungssteigerung im
Rahmen der Schmerzgrenze.
Kind: Belastungsaufbau abhängig vom Frakturtyp; Querfrakturen: Schmerzab-
hängig sofort.
13
13.1.22 Frakturen des distalen Femur
Ätiologie
6 % der Femurfrakturen, häufig betroffen: Junge Männer im Rahmen von Polytrau-
men, ältere Frauen im Rahmen der Osteoporose, zunehmend periprothetische
Frakturen bei Knie-TEP. Häufig mit intraartikulärer Beteiligung, Begleitverletzun-
gen: Kniebandverletzungen 20 %, Gefäßverletzung 2–3 %, Tibiakopffrakturen.

Klinik und Diagnostik


• Fehlstellung, Weichteilschwellung, Krepitatio, Instabilität.
• Rö: OS (mit Hüft- und Kniegelenk) in 2 Eb.
• CT: Hilfreich bei Gelenkbeteiligung zur Beurteilung des Frakturverlaufs.
Therapie
• Kons.: Nur selten indiziert, bei unverschobenen Frakturen mit Ruhigstellung
für 6 Wo.
• Um Immobilität zu vermeiden, eine stabile Versorgung zu gewährleisten und
eine frühfunktionelle Therapie zu ermöglichen → OP.
• Ziel der OP: Wiederherstellung von Gelenkfläche, Achse, Rotation und Bein-
länge.
• Zur Stabilisation stehen mehrere Verfahren zur Wahl: Kondylenplatte, LISS
(Less Invasive Stabilizing System) oder retrograder Nagel (▶ Abb.  13.15).
• Suprakondyläre Frakturen (A1–A3 nach AO): 95° Kondylenplatte, LISS oder
retrograder Nagel.
• Monokondyläre Frakturen (B1 und B2 nach AO): Zwei 6,5-mm-Spongiosa-
zugschrauben.
• Dorsale Kondylenabscherungen (B3 nach AO): Zwei 3,5-mm-Spongiosasch-
rauben, bei sehr kleinem Fragment evtl. resorbierbare Stifte/Darts.
• Diakondyläre Frakturen (C1–C3 nach AO): Rekonstruktion der Kondylen
mit Spongiosazugschrauben und anschließend LISS-Plattenosteosynthese,
ggf. autologe Spongiosaplastik oder (resorbierbarer) Knochenzement.
462 13  Untere Extremität  

13
LISS Plattenosteosynthese Retrograder Femurnagel

Abb. 13.15  Versorgung distaler Femurfrakturen [L157]

Nachbehandlung
Frühfunktionelle Ther. mit Bewegungsschiene und CPM, Mobilisation an UAGST
oder Gehbock, Belastung abhängig von der Versorgung und dem Frakturtyp,
i. d. R. 20 kg TB für 6 Wo., dann Belastungssteigerung im Rahmen der Schmerz-
grenze.

13.1.23 Meralgia paraesthetica
Definition
Chron. Kompression des rein sensiblen N. cutaneus femoris lat. am Leistenband.

Klinik
Brennende Parästhesien, Hyperpathie an der anterolateralen OS-Fläche. Ver-
schlimmerung durch langes Stehen, Gehen, Liegen. Linderung im Sitzen (Ent-
spannung durch Hüftbeugung).

Differenzialdiagnosen
Bandscheibenprolaps L3, Affektion des Plexus lumbalis. Femoralisneuropathie.

Therapie
Zunächst immer kons. Ther.: Vermeidung auslösender Faktoren wie Tragen en-
ger Hosen, evtl. Gewichtsreduktion. Nervenblockaden (▶ 3.3.3).
Operative Ther.: Selten, nur bei therapieresistenten deutlichen Beschwerden →
Neurolyse (keine Durchtrennung!).
   13.2  Knie und Unterschenkel  463

13.1.24 N.-saphenus-Kompressionssyndrom
Definition
Chron. Kompression des Nervs im Adduktorenkanal.

Klinik und Differenzialdiagnosen


• Schmerzen dist. OS und Innenseite US.
• DD: Innenmeniskusläsion.
Therapie
• Nervenblockade; Inj. z. B. von Mepivacain 5–10 ml (z. B. Meaverin®) an der
Austrittsstelle des Nervs aus dem Adduktorenkanal.
• Bei Ther.-Resistenz Spaltung des Adduktorenkanals.

13.2 Knie und Unterschenkel


13.2.1 Wichtige Differenzialdiagnosen bei Knie- und
Unterschenkelschmerzen
13
▶ Tab.  13.6.
Tab. 13.6  Ursachen von Knie- und Unterschenkelschmerzen im Erwachsenen-
und Wachstumsalter
Erwachsenenalter Wachstumsalter

• Gonarthrose (▶ 13.2.26) Knie- und Beinschmerz relativ häufig


• Trauma (Fraktur, Muskelzerrung, -riss, im Wachstumsalter. Ursachen sehr
Bandverletzung), Traumafolgen vielfältig, reichen vom harmlosen
• Meniskusläsion (▶ 13.2.10) Trauma bis Ewing- oder Osteosarkom.
• Beinachsenfehlstellung: Genu varum, Diagn.: Anamnese, Klinik. Evtl. BSG,
valgum, recurvatum, Tibia vara BB, Rö. Bei unklaren Fällen Knochens-
• Medial Shelf (▶ 13.2.14) zintigramm.
• Poplitealzyste (▶ 13.2.11) • Trauma (Fraktur, Muskelzerrung,
• Patellaluxation (▶ 13.2.20) -riss, Bandverletzung)
• Femurrollennekrose (▶ 13.2.15) • „Wachstumsschmerz“ (▶ 13.2.29)
• Meniskusganglion (▶ 13.2.13) • Morbus Perthes (▶ 13.1.13)
• Femoropatellares Schmerzsy. (▶ 13.2.22) • Epiphyseolysis capitis femoris
• Bursitis praepatellaris (▶ 13.2.24) (▶ 13.1.14)
• Insertionstendopathie z. B. Pes anserinus • Hüftgelenkdysplasie (▶ 13.1.7)
• Tabes, Syringomyelie, Nervenläsionen • Morbus Osgood-Schlatter (▶ 13.2.17)
• CRPS (▶ 1.4.10) • Osteochondrosis dissecans
• N.-saphenus-Kompressionssy. (▶ 13.2.15) (▶ 13.2.16)
• NPP L2/3 (▶ 10.4.10) • Poplitealzyste (▶ 13.2.11)
• Spinalkanalstenose (▶ 18.4.11) • Para- und postinfektiöse Arthritiden
• Kniegelenkempyem, Osteomyelitis (▶ 16.8, ▶ 8.5)
• Osteonekrose • Femoropatellares Schmerzsy.
• Spondylitis ankylosans, reaktive Arthriti- (▶ 13.2.22)
den, RA, Tbc-Arthritis, Psoriasisarthritis • Rheumatisches Fieber
• Villonoduläre Synovitis • Osteomyelitis (▶ 8.4)
• Kompartmentsy. (▶ 13.2.35) • Sinding-Larson-Johansson-Sy.
• Tumoren (Osteosarkom, Riesenzelltu- (▶ 13.2.18)
mor, synoviales Sarkom; ▶ 14) • Villonoduläre Synovitis (▶ 13.2.31)
• Synoviale Chondromatose (▶ 13.2.30) • Beinlängendifferenz (▶ 13.1.3)
• Scheibenmeniskus, Meniskusläsio-
nen (▶ 13.2.10, ▶ 13.2.12)
464 13  Untere Extremität  

Tab. 13.6  Ursachen von Knie- und Unterschenkelschmerzen im Erwachsenen-


und Wachstumsalter (Forts.)
Erwachsenenalter Wachstumsalter

• 
pAVK, chron. venöse Insuffizienz, • Koagulopathien (Hämophilie A, B,
Thrombophlebitis Sichelzellanämie, Thalassämie)
• Knochenerkr.: Osteoporose, Osteomala- • Rheumatische Systemerkr.
zie, Morbus Paget, Ostitis fibrosa cystica, • Kollagenosen (▶ 16.8.10)
Myelom usw. • Maligne Systemerkr. (akute lympha-
• Blutkrankheiten: Hämophilie (▶ 15.2.1), tische Leukämie, ▶ 14.9)
Leukämie, Polyzythämie • Benigne und maligne Tumoren
• Stoffwechselerkr., z. B. Gicht, Chondro- (▶ 14)
kalzinose, Ochronose • Appendizitis!
• Enchondrale Dysostosen (▶ 17.3.3)
• Epiphysäre Dysplasien (▶ 17.3.2)
• Entwicklungsstörungen (▶ 17.3)

13.2.2 Spezielle klinische Untersuchung


13 Grundlagen
• Systematische Untersuchung: Anamnese, Inspektion, Palpation, Funktions-
prüfung, Prüfung der Bandstabilität, Meniskusdiagn., „Patella“-Diagn.
• Immer beide Knie untersuchen, beginnend mit der gesunden Seite.
• Entspannte Lagerung auf frei zugänglicher Liege, insbes. bei Untersuchung
des Kapsel-Band-Apparats (▶ Abb.  13.16). Kopf muss auf Untersuchungslie-
ge aufliegen, Pat. ggf. mehrfach auf Entspannung hinweisen, auch Ablen-
kungsmanöver durchführen, z. B. Fragen stellen.

Abb. 13.16  Kapsel-Band-Strukturen des Kniegelenks [L190]


   13.2  Knie und Unterschenkel  465

Spezielle Anamnese
• Beschwerden/Schmerzen: Seit wann? Wie stark? Wie oft? Momentane Be-
schwerden?
• Schmerz belastungsabhängig? Einlauf-, Ruhe-, Nachtschmerz? Schmerzauslö-
ser? Unfall? Unfalldatum? BG? Unfallursache, -hergang?
• Erguss? Schwellung? Punktion? Hämarthros?
• Instabilitätsgefühl?
• Blockierungen?
• Schmerzen beim Treppensteigen, Bergab-, Bergaufgehen? Tiefe Hocke mögl.?
• Aktivitätsgrad: Alltag, Arbeit, Sport?
• Frühere Knie-OPs? Welches Krankenhaus, wann? Besserung?
• Bisherige Ther.? Punktion/Inj., medikamentöse, physik. Ther.?
Spezieller klinischer Befund
Inspektion
• Achsenabweichung: Genu varum, valgum, flexum, recurvatum; Crus varum?
• Schwellung, Erguss, Recessus suprapatellaris verdickt?
• Quadrizepsatrophie (insbes. Atrophie des M. vastus medialis)?
• Hautveränderungen, Narben, Fistel, Ödeme, Varikosis; Entzündungszeichen? 13
Palpation (am liegenden Patienten)
• Gelenkspalt: Schwellung, Resistenz, Druckempfindlichkeit, Hoffa-Fettkörper,
Kollateralbänder.
• Freier Gelenkkörper, Krepitationen bei orientierender Bewegungsprüfung?
• Intraartikulärer Erguss („tanzende Patella“)?
• Weichteilschwellung, Bursae, Muskeltonus, Schmerzpunkte, Hauttemperatur.
• Bewegungsumfang (nach Neutral-0-Methode): Normale Ext./Flex.: 5–0–140°;
Abd./Add., Iro./Aro. in Streckstellung nicht möglich. Bei 90° Knieflexion:
Aro./Iro.: 20–0–10° → Überstreckschmerz?
• Bauchlage: Kniekehle austasten: Schwellung der Gelenkkapsel, Bursae (bes.
des M. semimembranosus), Poplitealzyste (→ Sono ▶ 4.6).
Stabilitätsprüfung (Kapsel-Band-Apparat)
• Diagn. Ziele nach systematischer klin. Untersuchung:
– Erkennen einer evtl. Instabilität, Benennen verletzter anatomischer Struk-
turen. Ausmaß der Instabilität (▶ Tab.  13.7)? Instabilitätstyp (z. B. antero-
medial, posterolateral, ▶ Tab.  13.8)? Anschlaghärte bei Tests beurteilen!
– Unterscheidung zwischen frischer und veralteter Kniebandläsion.
– Unterscheidung zwischen Dehnung, Zerrung (Teilruptur) und Ruptur
isolierter oder mehrerer Kapsel-Band-Anteile durch direktes oder indi-
rektes Knietrauma. Innenband ca. 15-mal häufiger verletzt als Außen-
band. Vorderes Kreuzband ca. 10-mal häufiger betroffen als hinteres.
– „Diagnose“ Distorsion des Kniegelenks unbefriedigend und leichtfertig!
Besser: Verletzte anatomische Strukturen benennen, z. B. „alte vordere
prox. Kreuzbandruptur mit Ruptur der med. Kapsel und V. a. Innenme-
niskusläsion (anteromed. Instabilität)“.
• Untersuchungen:
– Mediale und laterale Aufklappbarkeit (Valgus- bzw. Varusstress) in
Streckstellung und 20–30° Beugung: Seitenbandläsion? Beurteilung dorso-
med./lat. Kapsel-Band-Strukturen.
466 13  Untere Extremität  

Tab. 13.7  Abschätzen des Ausmaßes einer Instabilität


Grad Kürzel Ausmaß Verschiebung oder Rotation

I + Leicht 3–5 mm oder bis 5°

II ++ Mittel 5–10 mm oder bis 10°

III +++ Ausgeprägt 10 mm oder bis 15°

Tab. 13.8  Klinik und Pathologie bei Knie-Instabilitäten


Instabilität Klinik Pathologie

Einfache Instabilitäten

Medial Med. aufklappbar bei 30° Dehnung oder partielle Risse


des med. Seitenbands

Lateral Lat. aufklappbar bei 30° Dehnung oder partielle Risse


des lat. Seitenbandes

13 Posterior Hintere Schublade pos. Isolierte hintere Kreuzbandrup-


tur

Rotationsinstabilitäten

Anteromedial Vordere Schublade in Aro. Vorderes Kreuzband, med. Sei-


(am häufigsten) pos., med. aufklappbar, Lach- tenband und Kapsel, hintere
man-Test, Pivot-Shift-Test pos. med. Kapsel, evtl. Hinterhorn
med. Meniskus

Anterolateral Vordere Schublade in Iro. pos., Vorderes Kreuzband, lat. Sei-


evtl. Pivot-Shift-Test pos. tenband und Kapsel, Lig. arcu-
atum, evtl. Tractus iliotibialis

Posterolateral Hintere Schublade in Aro. Lig. arcuatum, lat. Seitenband,


pos., Recurvatum-Zeichen lat. Kapsel, Bizepssehne, Popli-
pos., reversed Pivot-Shift-Test teussehne, hinteres und evtl.
pos., Dial-Test/Spin-out-Test vorderes Kreuzband und M.
bei 30° und 90° gastrocnemius

Posteromedial Hintere Schublade in Iro. pos., Hinteres Kreuzband, dorso-


(selten) post.-med. Subluxation in Fle- med. Kapsel, med. Seitenband,
xion, Valgus evtl. M. gastrocnemius

Kombinierte Instabilitäten

Ant.-lat. und Vordere Schublade in Iro. pos., ant.-lat. und post.-lat. Rotati-
post.-med. hintere Schublade in Aro. pos. onsinstabilität

Ant.-lat. und ant.- Vordere Schublade in Aro. ant.-lat. und ant.-med. Rotati-
med. und Iro. pos., med. und lat. onsinstabilität
Aufklappbar

Ant.-med. und Vordere Schublade in Aro. ant.-med. und post.-med. Rota-


post.-med. pos., hintere Schublade in Iro. tionsinstabilität
pos., med. aufklappbar

Knieluxation Völlige Instabilität Ausgedehnte Rupturen der


Bänder und Kapseln
   13.2  Knie und Unterschenkel  467

– Vordere Schublade: In 90°-Flexion, Neutral-, Innen- und Aro. des US.


„Jede vordere Schublade ist erst dann eine vordere Schublade, wenn der
Beweis erbracht ist, dass keine hintere Schublade vorliegt.“
– Hintere Schublade: Neutralstellung, Aro. und Iro. Spontane hintere
Schublade? PCL.
– Dial-Test oder Spin-out-Test (30° und 90°) bei post.-lat. Instabilität („Pos-
terior Corner Injury“).
– Lachman-Test (▶ Abb.  13.17): a. p.-Translation in 20°-Beugung, wichtigs-
ter Test einer frischen Knieverletzung; sicherster Nachweis einer Insuff.
des vorderen Kreuzbands. Neg.: Schubladenbewegung ≤ 5 mm und harter
eindeutiger Anschlag. Pos.: Weicher oder fehlender Anschlag. Bei Schub-
ladenbewegung > 5 mm: Vergleich mit der Gegenseite!
– Pivot-Shift-Test (dynamischer vorderer Subluxationstest): Ruptur oder
Elongation des vorderen Kreuzbands? Verschiedene Techniken (MacIn-
tosh): z. B. Rückenlage, Fuß Iro., Knie in Ext. Valgusstress am prox. OS.
Dann vorsichtige Flex.-Ext.-Bewegungen. Pos.: Subluxationsphänomen
(Schnappen, oft unangenehm für Pat.). Bei anteromedialer Instabilität
meist deutlich. Wichtig: Test vorsichtig ausführen, unbedingt auf gute
muskuläre Entspannung des Pat. achten. Bei akuter Verletzung wegen
Schmerzen meist nicht zu testen. Reversed Pivot-shift-Test: Hinweis auf 13
posterolaterale Kapsel-Band-Verletzung; Durchführung: Rückenlage,
Kniestreckung, neutrale Rotation, Valgusstress → Aro. und Subluxation
der Tibia bei Beugung. Pos.: Bei Streckung spontane Reposition.
– Hyperextensive-Recurvatum-Zeichen: Hinweis auf posterolaterale Kapsel-
Band-Verletzung; Durchführung: Bein in voller Extension heben → Pos.:
Spontane Hyperextension, Aro. und Subluxation der Tibia nach hinten.
Vorgehen bei frischen schmerzhaften Verletzungen
• Rö in 2 Eb.: Knöcherne Läsion? Erguss? (Punktion? Arthroskopie?)
• Hintere Schublade (Ausschluss einer hinteren Kreuzbandläsion)?
• Med. und lat. Aufklappbarkeit in Ext. und ca. 30° Flexion.
• Lachman-, Pivot-Shift-Test (oft schmerzbedingt nicht möglich!), vordere
Schublade (oft falsch neg. wegen Schmerzen).
• Beweglichkeit des Kniegelenks.
Meniskusdiagnostik
▶ 13.2.10.
• Zahlreiche Meniskustests beschrieben (▶ Abb.  13.17). Diagnostische Wertig-
keit einzelner Tests sehr unterschiedlich. Erst Komb. verschiedener Tests er-
höht Treffsicherheit einer Meniskusdiagn.
• Bewertung zusammen mit der oft entscheidenden Anamnese (Unfall, Erguss,
Einklemmungen, Blockierung).
• Empfehlung: Auswahl einer „Testbatterie“ zusammenstellen (▶ 13.2.10). Be-
währte Tests: DS im Gelenkspalt, Hyperflexions-/-extensionsschmerz, Stein-
mann I/II, Payr, Apley (Grinding- und Distraktionstest), McMurray.
! Neg. Tests schließen eine Meniskusläsion nicht aus.
• MRT-Diagn. (und Sono) gilt heute als Standard, insbesondere bei mögl. OP-
Ind.
468 13  Untere Extremität  

Vorderer Schubladentest

13

Abb. 13.17  Tests zum Nachweis einer Meniskus- bzw. vorderen Kreuzbandläsion
[L106]

Diagnostik des Femoropatellargelenks


▶ 13.2.22.
• Patellamobilität: Hypo-, Hypermobilität, Subluxationstendenz.
• Facettendruckschmerz.
• Zohlen-Zeichen: Patella nach kaudal fixieren und Pat. auffordern, den M.
quadriceps anzuspannen. Test pos. bei Schmerzangabe. Cave: Kann äußerst
schmerzhaft sein.
• Krepitationen (Reiben): Flache Hand auf Patella auflegen und Knie bewegen
lassen.
• Q-Winkel: Winkel zwischen der Linie der Spina iliaca ant. sup. zur Patella-
mitte und von Patellamitte zur Tuberositas tibiae. Normalwert: M ≤ 10°, F
15° ± 5° (▶ 13.2.20).
• Patella alta/baja: Patellahochstand, -tiefstand.
• Apprehension-Zeichen: Hinweis auf stattgehabte Patellaluxation. Patella wird
nach lat. subluxiert → Test pos. bei Abwehrbewegung des Pat. aus Angst vor
Luxation/Subluxation.
Neurologischer Status
Lasègue-Zeichen. Paresen, Sensibilität, Reflexe: PSR, ASR, Babinski. Pulsstatus.
   13.2  Knie und Unterschenkel  469

13.2.3 Quadrizepssehnenruptur
▶ Abb.  13.18.

Ruptur der
Quadrizepssehne

Querfraktur
der Patella

Abriss des
Lig. patellae
mit Knorpel-
beteiliging
(„sleeve fracture“
bei Kindern)

Ruptur des
Lig. patellae

Abrissfraktur
der Apophyse der
Tuberositas tibiae 13
bei Kindern

Abb. 13.18  Verletzungen am Knie (Streckapparat) [L106]

Ätiologie
Meist plötzliche starke Anspannung des Quadrizeps, nach wiederholten Mikro-
traumen oder Inj.-Behandlungen in Sehne, generalisierte Bindegewebserkr.

Klinik
Aufgehobene oder eingeschränkte Streckfähigkeit mit Patellatiefstand, Delle
oberhalb Patella tastbar.

Diagnostik
• Rö: Knie in 2 Eb.: Ausschluss Patellafraktur, Nachweis knöcherner Sehnen-
ausrisse, Patellatiefstand.
• MRT.
• Sono: Sehnendiskontinuität, Hämatom.
Therapie
• Akute Ruptur: End-zu-End-Naht nach Bunnell mit zusätzlichen Adaptati-
onsnähten, evtl. Verstärkung mit Rektussehnenspiegel und zusätzliche PDS-
Kordelrahmennaht.
• Alte Ruptur: Wegen Sehnenstumpfverkürzung meist Notwendigkeit von
Sehnenaugmentations- (V-Y-Plastik nach Codivilla) oder Muskelsehnen-
transferplastiken (M. sartorius, M. vastus lateralis).
• NB: Bei stabiler Versorgung frühfunktionelle Ther. mit freigegebener Beweg-
lichkeit von 0–0–60° für 4 Wo., dann 0–0–90° für weitere 2 Wo., ansonsten
Immobilisation in Oberschenkelschiene für 6 Wo., 6 Wo. Teillast.
470 13  Untere Extremität  

13.2.4 Patellasehnenruptur
▶ Abb.  13.18.
Ätiologie
Meist plötzliche starke Anspannung des Quadrizeps, nach wiederholten Mikro-
traumen oder Inj.-Behandlungen in Sehne, generalisierte Bindegewebserkr.

Klinik
Aufgehobene oder eingeschränkte Streckfähigkeit mit Patellahochstand, Delle un-
ter Patella.

Diagnostik
• Rö: Knie in 2 Eb.: Ausschluss Patellafraktur, Nachweis knöcherner Sehnen-
ausrisse, Patellahochstand.
• MRT.
• Sono: Sehnendiskontinuität, Hämatom.
Therapie
13 • Akute Ruptur: Primärnaht und Neutralisierung der Zugbelastung mittels zu-
sätzlicher Drahtcerclage zwischen Patella und Tuberositas tibiae. Vermeidung
einer Patellarsehnenverkürzung → Patellatiefstand – Patella baja (einge-
schränkte Beugefähigkeit) → Femuropatellararthrose.
• Veraltete Ruptur: Sehnenersatz-OPs mit M.-semitendinosus- oder/und M.-
gracilis-Sehne nach vorheriger Quadrizepssehnenmobilisation.
• NB: Bei stabiler Versorgung frühfunktionelle Ther. mit freigegebener Beweg-
lichkeit von 0–0–60° für 4 Wo., dann 0–0–90° für weitere 2 Wo., ansonsten
Immobilisation in Oberschenkelschiene für 6 Wo., 6 Wo. Teillast.

13.2.5 Ausriss der Tuberositas tibiae


Definition, Einteilung
• Meist männliche Adoleszente.
• Einteilung: Unterscheidung zwischen intraartikulär und extraartikulär nach
Watson-Jones.

Ätiologie
Ursache: Meist plötzliche starke Anspannung des M. quadriceps; Zusammenhang
mit Morbus Osgood-Schlatter sowie Übergewicht wird diskutiert.

Klinik
Lokaler DS, Hämatom, Schwellung; ggf. Hämarthros; Einschränkung der Streck-
fähigkeit.

Therapie
• Kons.: Undislozierte Frakturen; OS-Tutor für 4 Wo.
• Operativ: Offene oder arthroskopisch gestützte Reposition; Schraubenosteo-
synthese.

Komplikation
Signifikante Wachstumsstörungen selten aufgrund meist schon begonnenen Fu-
genverschlusses; lokale Beschwerden (v. a. beim Knien) mögl. durch Kallusbil-
dung (Aufklärung!).
   13.2  Knie und Unterschenkel  471

13.2.6 Mediale Kapsel-Band-Verletzungen
Das mediale Seitenband führt mit seinen oberflächlichen langen Fasern das Knie
während der Bewegung und sichert gegen Valgusstress. Die tiefen Schichten des
Lig. collaterale med. stehen in Verbindung mit den Ligg. meniscofemorale und
meniscotibiale, die die Innenmeniskusbasis fixieren.

Klinik
DS und Schwellung über dem Innenbandverlauf, Punctum maximum zumeist
über dem femoralen Ansatz, ggf. Erguss bei zusätzlichen intraartikulären Verlet-
zungen.

Diagnostik
Klin. vermehrte med. Aufklappbarkeit in Streckstellung und 30°-Beugung (+ bis
+++ bei vollständiger Bandruptur).
Einteilung (nach Hughston)
• Grad 1: Keine Instabilität, geringgradige Bandzerrung, leichter DS.
• Grad 2: Keine Instabilität, mittelgradige Bandverletzung, starker DS.
• Grad 3: Instabilität + bis +++, vollständige Bandruptur. 13
Bei vermehrter medialer Aufklappbarkeit immer komb. Instabilitäten mit
Kreuzbandverletzungen ausschließen.

Apparative Diagnostik
• Rö: Knie in 2 Eb.
• MRT: Bei Fragestellung nach begleitenden Kreuzband-, Meniskus- und/oder
Knorpelverletzungen.

Therapie
Konservative Therapie
• Grad 1 und 2: Frühfunktionelle Ther., initiale Ruhigstellung in Knieimmobili-
sationsschiene, Eis, Schmerzther.; Orthese (Vermeidung von Valgusstress)
mit 0–0–90° für 4 Wo., danach 2 Wo. mit freigegebener Beweglichkeit, Belas-
tung im Rahmen der Schmerzgrenze erlaubt.
• Grad 3 kommt eigentlich nur bei kombinierten Verletzungen vor.
Operative Therapie
• Große knöcherne Seitenbandausrisse → Schraubenrefixation.
• Bei anteromedialer Instabilität reicht zumeist die Rekonstruktion des zentra-
len Stabilisators (VKB) aus.

13.2.7 Laterale Kapsel-Band-Verletzungen
Isolierte lat. Kapsel-Band-Rupturen sind eine Rarität, nahezu immer sind sie ver-
gesellschaftet mit einer Verletzung der posterolateralen Strukturen, die therapeu-
tisch führend sind.

Diagnostik
• Lat. Aufklappbarkeit in Streckung und 30°-Beugung, unbedingt Kontrolle des
N. peroneus.
472 13  Untere Extremität  

• Rö: Knie in 2 Eb.


• MRT: Besonders zur Diagn. begleitender KB-, Meniskus- und Knorpelverlet-
zungen.

Therapie
Isolierte lat. Kapsel-Band-Rupturen sind extrem selten und werden kons. behan-
delt. Wenn in Komb. mit einer Verletzung der posterolat. Strukturen, sind diese
ther. führend → Rekonstruktion.

13.2.8 Kreuzbandruptur
Formen
Unterscheide: Frische und alte, vollständige und partielle Rupturen; einfache, Ro-
tations- und komb. Instabilitäten (▶ 13.2.1). Komb.-Verletzungen, z. B. „Unhappy
Triad“: Bezeichnung für Innenband-, Innenmeniskus- und vordere Kreuzban-
druptur.

Diagnostik
13 Anamnese: Am häufigsten Ruptur des vorderen Kreuzbands (VKB) nach Valgus-
Flexions-Außenrotations- oder Hyperextensionstrauma beim Fußball oder Ski-
fahren. Ruptur des hinteren Kreuzbands (HKB) häufig Folge eines Anpralltraumas
(Dash Board Injury) und im Rahmen eines Polytraumas mit Kettenverletzungen
(Femurfraktur). Fragen nach Krachen oder Knacken (bei frischem Unfall).
Schmerzen, Schwellungen, intraartikulärer Erguss, „Giving Way“ (spontanes Weg-
knicken), Sport, Arbeit. Leistungsanspruch des Pat.
Klinische Untersuchung: Wegen Schmerzen und Gegenspannen des Pat. schwie-
riger als bei veralteter Kniebandinstabilität (▶ 13.2.2). Immer Seitenvergleich!
• Erguss, Schwellung, Beweglichkeit, Meniskuszeichen, OS-Umfang (Muskel-
atrophie).
• Stabilitätstests (VKB): Lachman-Test (bei frischer Verletzung am besten ge-
eignet), med. und lat. Bandinstabilität in 0°-Streckung und 30°-Beugung, Pi-
vot-Shift-, Schubladentest (bei akuter Verletzung durch muskuläre Gegen-
spannung häufig nicht auslösbar!); bei V. a. HKB-Ruptur: Reversed-Lach-
man-Test, dorsaler Durchhang, hinterer Schubladentest, Dial-Test, Spin-out-
Test. Bei spontaner hinterer Schublade liegen zusätzliche Verletzungen der
posteromed. und -lat. Strukturen vor.
• Probleme bei alter HKB-Ruptur: Patellofemorale Beschwerden, posterolat.
Instabilität.
Rö: Knie in 2 Eb.: Knöcherne Begleitverletzungen, z. B. Tibiakopffrakturen, knö-
cherne Bandausrisse? Segond-Zeichen?
MRT: Standarddiagnostikum zur Beurteilung der Verletzung und der Begleitver-
letzungen (Bone-bruise-Läsion, Knorpel, Innen- oder Außenmeniskus). Bei Rup-
turen zeigt sich die Bandstruktur inhomogen und in der Signalintensität erhöht.
Punktion bei Erguss: Hämarthros (in ca. 70 % bei VKB-Riss)? Fettaugen: Hinweis
auf osteokartilaginäre Fraktur.
Zusätzliche Diagnostik
• Gehaltene Rö-Aufnahmen im Seitenvergleich in vorderer oder hinterer
Schublade bei chron. hinterer Kreuzbandinstabilität hilfreich.
• Narkoseuntersuchung: Im Rahmen von operativen Maßnahmen zur Ein-
schätzung der Stabilität.
   13.2  Knie und Unterschenkel  473

• Elektronische Stabilitätstestgeräte (z. B. KT 1000): Untersucherunabhängige


Objektivierung der Stabilität. Nachteil: Höherer zeitlicher Aufwand, bei aku-
ter Verletzung nicht sinnvoll.

Konservative Therapie
Indikationen
• Wichtige Entscheidungskriterien: Alter, Ausmaß der Instabilität und subjek-
tives Instabilitätsgefühl. Sportliche Ambitionen, vorhandene Gonarthrose,
Kompensationsmöglichkeit, Pat.-Compliance.
• Wichtigste Ind. für die kons. Ther.:
– Dehnung und Teilrupturen.
– Muskuläre Kompensierbarkeit der Instabilität, höhergradige Gonarthrose.
– Ablehnen der OP.
Nachteile
Kontinuierliches, konsequentes Muskeltraining erforderlich zur kompensatori-
schen Stabilisierung. Bei persistierender Instabilität in hohem Maß Sekundär-
schäden (Meniskus-, Knorpelläsion) zu erwarten.
Therapieprinzipien
13
• Frühfunktionelle Behandlung bei Belastung im Rahmen der Schmerzgrenze,
KG mit aktiven und passiven Bewegungsübungen. Nach Abklingen der An-
fangsbeschwerdesymptomatik Ischiokrural-Muskeltraining und Training der
Propriozeption.
• Kniegelenkorthesen, z. B. Donjoy®, Soft-Tec® (▶ 23.8.5).
Operative Therapie VKB
Wird heute im Wesentlichen als Goldstandard angesehen.
Indikationen
• Knöcherner Ausriss des VKB.
• Beruflich exponierter Pat. (z. B. Dachdecker), aktiver Sportler, leistungsorien-
tierter Pat. ohne wesentliche Arthrosezeichen im Knie.
• Komplexe Kniebandverletzungen (z. B. anteromediale Instabilität).
• Subjektive Instabilität.
• Instabilität nach kons. Ther.
• Zusatzverletzungen wie Meniskusläsion (evtl. Refixation!) oder osteochond-
rale Läsion.
Pat.-Aufklärung
Neben üblichen OP-Risiken Einschränkung der Beugung und Streckung mögl.,
evtl. bleibende Restinstabilität.
OP-Verfahren bei VKB-Ruptur
• Bei knöchernem Ausriss: Transossäre Refixation (arthroskopisch – offen).
• Viele Techniken der Rekonstruktion beschrieben, die teilweise kontrovers
diskutiert werden. Wesentlich ist bei allen Techniken das präzise Aufsuchen
der korrekten isometrischen Insertionspunkte des Kreuzbands und deren Re-
konstruktion. Dadurch physiol. Kniekinematik. Inkorrekte Platzierung: Ab-
norme Laxität und/oder verringerter Bewegungsumfang.
• Mittlerweile Standard ist die arthroskopische Technik. Als Transplantate
kommen zum Einsatz: Patellarsehne mit anhängenden Knochenblöcken
474 13  Untere Extremität  

(BTB = Bone-Tendon-Bone), die Hamstrings mit Semitendinosus-(STS),


Quadrizeps- und evtl. Gracilissehne. Viele Variationen der Transplantatfixa-
tion (resorbierbare oder Metallschrauben, Endobutton, Suture Disc etc.) be-
schrieben. Anatomisch wird das VKB in ein anteromed. und posterolat. Bün-
del unterteilt. In letzter Zeit zunehmende Tendenz der Doppelbündelrekonst-
ruktion, d. h., die einzelnen Bündel werden durch Transplantate rekonstru-
iert.
• Vorteil BTB: Prim. feste Verankerung, Breite des Transplantats variierbar,
immer vorhanden, Nachteile: Störung des Streckapparats, Entnahmemorbidi-
tät (Gefahr der Patellafraktur), ant. Knieschmerz, Knien häufig schmerzhaft
(KI für knieende Berufe), mögl. Patella infera, Hoffa-Hernie, steifes Trans-
plantat.
• Vorteil STS: Kleine Schnitte und Narben, Streckapparat bleibt unberührt,
günstiges Elastizitätsmodul, Knien postop. möglich. Nachteile: Weichteilhä-
matome nach Entnahme, Schwächung der Agonisten und der Iro. (Kraftver-
lust bei Reitern nachteilig), aufwändige Präparation, schwierige Entnahme.
Grundzüge der postop. Nachbehandlung nach VKB-Ruptur
Ziel: Frühzeitige freie Kniegelenkbeweglichkeit, Vermeidung trophischer Schä-
13 den und Verklebung von Gleitschichten. Deshalb sofortige Mobilisation, aktive
Streckung bis 0°, aktive Beugung soweit schmerzfrei möglich bis 90° für 4 Wo. li-
mitiert, Teilbelastung, nach 4 Wo. Belastung mit ganzem Körpergewicht. KG mit
Patellamobilisation, überwiegend isometrischen Anspannübungen im Verlauf der
ersten 4–6 Wo., nachfolgend Verwendung von z. B. PNF-Pattern in der „Closed
Chain“ unter Einbeziehung der Gluteal- und Abdominalmuskulatur. Schwim-
men, Fahrradfahren (sobald eine ausreichende Beugung erreicht ist). Lauf- und
Sprungbelastung im kontrollierten Bereich, auf ebenem Untergrund ist nach 2–3
Mon. bei Beschwerdefreiheit möglich. Sportwettkampffähigkeit meist nach 6–8
Mon. gegeben.
Orthesen: Prinzipiell nur erforderlich bei frischen Kollateralbandrupturen, die
operativ oder kons. versorgt wurden, bei unzureichend stabiler Verankerung der
Plastik, bei initialem subjektivem Instabilitätsgefühl oder ängstlichen Pat.

Therapie bei HKB-Verletzung


Konservativ
Isolierte Rupturen des HKB mit Translation in gehaltenen Aufnahmen ≤ 10 mm.
Operative Therapie
• Isolierte Rupturen des HKB mit Translation > 10 mm.
• Komb. Verletzungen (Translation immer > 10 mm).
• Symptomatische chron. Instabilitäten.
OP-Technik:
• Knöcherne Ausrissverletzungen: Transossäre Refixation je nach Fragment-
größe durch Kleinfragmentschrauben oder PDS-Kordel.
• Intraligamentäre Ruptur des HKB: Ersatz durch Transplantat (STS, Gracilis
evtl. der Gegenseite).
• Posterolaterale Komb.-Verletzungen: Zusätzliche Versorgung der weiteren
Verletzungen (Reinsertion des lat. Seitenbands, Refixation des Fibulaköpf-
chens etc.).
• Chron. posterolaterale Instabilität: Valgisierende Korrekturosteotomie in
Komb. mit Bandplastik.
   13.2  Knie und Unterschenkel  475

Knöcherner Kreuzbandausriss/Eminentia-intercondylaris-Ausriss
Typische Kreuzbandverletzung beim Kind. Einteilung nach Dislokationsgrad
nach Meyers-McKeever:
• Typ I: Undisloziert, geringe Dislokation; Ther.: Konservativ (OS-Tutor 6 Wo.).
• Typ II: Ventrale Dislokation, Kontakt zur Tibiaepiphyse erhalten; Ther.: Ggf.
geschlossene Reposition und OS-Tutor (Punktion Hämarthros); alternativ:
Arthroskopische Refixation.
• Typ III: Vollständiger Ausriss; Ther.: Arthroskopische Refixation.
Cave: Repositionshindernis durch Einklemmung der Meniskusvorderhörner.

13.2.9 Knieluxation

Notfall, immer Folge eines schweren Traumas, häufig mit schweren Begleit-
verletzungen vergesellschaftet. 20–30 % sind offene Verletzungen.

Diagnostik
• Klinisch: Ausgeprägte Weichteilschwellung, Hämatom, Fehlstellung. 13
• Kontrolle der Durchblutung (Palpation A. tibialis post. und A. dorsalis pedis,
Doppler-Sonografie), periphere Sensibilität und Motorik (insbes. N. pero-
neus), Kompartmentsy. (Druckmessung).
• Rö: Knie mit OS und US in 2 Eb., da häufig in Komb. mit OS- und Tibiafrak-
turen (Kettenverletzung).
• Angiografie: Nur bei verzögerter OP und nachweisbaren Fußpulsen z. A. ei-
ner Intimaläsion.
• MRT.
Einteilung
Dorsale – ventrale – laterale – mediale Luxation, Rotationsluxation.

Wegen mögl. Spontanreposition noch am Unfallort kann eine Knieluxation


übersehen werden. In ⅓ der Fälle Gefäßverletzung und Verletzung des N.
peroneus.

Therapie
• Unmittelbare geschlossene Reposition in Narkose, vorher und unbedingt
auch nachher Dokumentation des Gefäß-/Nervenstatus und regelmäßige
Kontrollen. Bei fehlenden Fußpulsen sofortige OP mit Gefäßrekonstruktion,
ggf. Kompartmentspaltung.
• Im Regelfall nach Reposition Ruhigstellung in Knieimmobilisationsschiene
oder OS-Gips und weiterführende Diagn., MRT. Bandrekonstruktion in
Komb. mit Meniskus- und Knorpelchirurgie zumeist sekundär nach 2–3 Wo.
Insbes. bei Weichteilverletzungen oder begleitenden Frakturen.
• initiale Ruhigstellung durch Anlage eines gelenkübergreifenden Fixateur ex-
terne.

Nachbehandlung
Abhängig von Verletzungsschwere und erfolgter Rekonstruktion, zumeist funk-
tionell mit Knieorthese unter Entlastung der betroffen Extremität für insgesamt
6 Wo.
476 13  Untere Extremität  

Prognose
Amputationsrate (OS) ca. 5 %. Häufig verbleibende hintere Instabilität und Femu-
ropatellararthrose.

13.2.10 Meniskusverletzung
Definition
Prädilektionsstellen: Hinterhorn Innenmeniskus (fast 50 %), Pars intermedia Au-
ßenmeniskus. Häufigkeit: M : F ca. 2 : 1. Innen- häufiger als Außenmeniskus.

Ätiologie
Etwa 40 % sekundäre Meniskusrisse, ca. 50 % deg. Meniskusschäden, ca. 8 % prim.
traumatische Meniskusrisse. Anlagebedingte Fehlformen des Meniskus (z. B.
Scheibenmeniskus).

Klinik und Diagnostik


▶ 13.2.2.
13 Anamnese
Anamnestische Angaben sehr wichtig: Trauma? Genauer Hergang des Unfaller-
eignisses, Tag, Einklemmungen, Blockierungen, Streckhemmung, intraartikulärer
Erguss, Schnappphänomene? Charakteristisch: Meist beschwerdefreies Intervall,
aber auch akute, massive Symptomatik durch Loslösen und Einklemmen von Me-
niskusteilen (z. B. „Korbhenkelriss“ ▶ Abb.  13.19). Außenmeniskusrisse oft ohne
klare klinische Korrelation.

Vorderhorn-
radiärriss

Radiärriss

Abb. 13.19  Typische Meniskusläsionen [L106]


   13.2  Knie und Unterschenkel  477

Befund
Überstreckschmerz, Streckhemmung, Blockade (häufigste Ursachen akuter Blo-
ckaden: Meniskusverletzungen, partielle vordere Kreuzbandrupturen), Erguss,
DS in Gelenkspalthöhe im Bereich der Läsion, Atrophie des M. vastus medialis bei
älteren Läsionen. Überprüfung der Bandstabilität: Kombinationsverletzungen?
Bei deg. Meniskusläsionen oft keine eindeutigen anamnestischen und klinischen
Hinweise.
Spezielle klinische Diagnostik (Meniskuszeichen)
Beurteilung: Tests beruhen überwiegend auf Schmerzprovokation bei Kompres-
sion des Meniskus. Komb. verschiedener Tests erhöhen Diagnosesicherheit. Neg.
Meniskuszeichen sind kein Beweis für intakten Meniskus. Auswahl wesentlicher
Meniskuszeichen:
• DS am Gelenkspalt.
• Steinmann I: Innenmeniskusläsion: Spontanschmerz innerer Gelenkspalt bei
Aro. des gebeugten Kniegelenks. Außenmeniskusläsion: Äußerer Gelenkspalt
bei Iro.
• Steinmann II: Nach dorsal wandernder DS bei Kniebeugung.
• Überstreck- (→ Vorderhorn), Überbeugeschmerz (→ Hinterhorn).
• Payr-Zeichen (▶ Abb.  13.17): Medialseitiger Schmerz im Schneidersitz. 13
• Apley-Zeichen (▶ Abb.  13.17, Grinding-Test, to grind = mahlen, drehen):
Bauchlage, Knie rechtwinklig gebeugt, OS fixiert → axialer Druck von fußsoh-
lenwärts und kräftige Rotation → Schmerz (bei Innenmeniskusläsion Aro.-
Schmerz, bei Außenmeniskusläsion Iro.-Schmerz)? Unterscheidung Menis-
kusläsion von Kapsel-Band-Läsion durch „Distraction-Test“: Gleiche Aus-
gangsposition, statt Druck nun Distraktion. Schmerzen eher bei Kapsel-
Band-Läsionen.
• McMurray: Eine Hand umgreift das Kniegelenk von vorn mit dem Zeigefin-
ger auf Schmerzpunkt (Gelenkspalt). Die andere Hand fasst die Ferse und
beugt den US unter Rotationsbewegungen (dabei ist auch Varus- oder Val-
gusstress mögl.). Pos. bei Schmerzverstärkung am Gelenkspalt, häufig
Schnappphänomene palpierbar.
• Zeichen nach Finocchietto („signo del salto“): Hörbares Zurückspringen des
Hinterhorns bei ruckartigem Vorziehen des Tibiakopfs (→ vordere Schubla-
de) bei Meniskusläsion mit Insuff. des VKB und med. Seitenbands.
Diagnostik
• MRT: Läsion Grad 1: Signalintense Struktur ohne Kontakt zur gelenkbilden-
den Fläche, Grad 2: Zentrale Degeneration, Grad 3: Meniskusriss mit Kontur-
unterbrechung der Meniskusoberfläche, Grad 4: Komplexer Riss mit mehrfa-
chen Konturunterbrechungen.
• Sono: Begleitender Erguss, Hinweise auf Begleitverletzungen.
• Diagn. Arthroskopie, Stellenwert nach Einführung des MRT deutlich gesun-
ken. Im Zweifel jedoch zuverlässige Methode zur Erfassung und gleichzeiti-
gen Ther. intraartikulärer Kniegelenkschäden.

Differenzialdiagnosen bei Einklemmungserscheinungen im


Kniegelenk
Meniskusläsion, freier Gelenkkörper (Knorpel, osteochondrales Fragment), Gon-
arthrose, vergrößerte Zotte des Hoffa-Fettkörpers, rupturiertes vorderes Kreuz-
bandbündel, Patellasubluxation, Medial Shelf, Chondromatose, Scheibenmenis-
kus.
478 13  Untere Extremität  

Konservative Therapie
• Punktion bei deutlichem Erguss zur Entlastung.
• Deg. Meniskusveränderungen bei älterem gonarthrotischem Knie oft ohne
wesentliche Symptomatik (▶ 13.2.26; kons. Ther. der Gonarthrose).

Operative Therapie
Arthroskopische Meniskusteilresektion
Ziel: Resektion so viel wie nötig, so wenig wie möglich.
Ind.: Symptomatische, nicht rekonstruierbare Meniskusläsionen.
Risiken: Persistierender Erguss, Hämarthros, Thrombembolie, Sensibilitätsstö-
rungen durch Blutleere, Inf., iatrogene Knorpelläsionen, Instrumentenbruch,
CRPS.
NB nach Meniskusteilresektion: Evtl. Redon-Drainage. Kompressionsverband.
Thromboseprophylaxe. Frühfunktionelle Ther. mit Entlastung für 1 Wo., manuel-
le Lymphdrainage, KG, aktive und passive Bewegungsübungen, Quadrizepstrai-
ning. Sportaufnahme nach 2–4 Wo.
Meniskusrefixation
13 Ind.: Frische kapselnahe Longitudinal-Vertikal-Rupturen des Meniskus, frische
Korbhenkelrisse, keine wesentlichen Arthrosezeichen.
KI: Basisferne Längsrisse, Lappen-, Quer-, Horizontalrisse. Erheblich deg. Menis-
ken. Gonarthrose. Begleitende chron. Bandverletzungen mit Instabilität (insbes.
unbehandelte VKB-Instabilität).
Aufklärung: Heilverlauf über Mon. Volle Sportausübung erst nach ca. 3–4 Mon.
Vorgehen: Arthroskopie → Ind. zur Refixation? → Anfrischen der Rissränder, Re-
position, präzise Positionierung der Nähte und Stabilisation. Pars intermedia:
Outside-in-Nähte oder Inside-out-Technik, Hinterhorn: All-inside-Technik mit
Dübel-, Anker- (biodegradierbare Materialien wie Polyglykol, Polydioxanon)
oder Fadensystemen (z. B. Fast T-Fix).
NB: Frühfunktionelle Nachbehandlung, Teilbelastung ca. 4 Wo. mit Bewegungs-
limit Ext./Flex. 0–0–60°. Isometrische Anspannungsübungen, KG, dann zuneh-
mende Belastung und 0–0–90° bis zur 6. Wo. postop. Sport nach ca. 3 Mon., Wett-
kampfsport nach 4–5 Mon.
KO: Verletzung der dorsalen Gefäß-Nerven-Bahnen. Gefährdet: Medial: N. sa-
phenus, V. saphena; lateral: N. peroneus.

Prognose
Ausfall der Meniskusfunktionen → deg. Knorpelveränderungen → Achsfehlstel-
lung (Gelenkspaltverschmälerung) → Arthrose.

13.2.11 Poplitealzyste (Baker-Zyste)
W. M. Baker (1839–1896), Chirurg, London. Zystische, meist med. gelegene Aus-
sackung in der Kniekehle.

Ätiologie und Pathogenese


Aussackung der dorsalen Kniegelenkkapsel mit stielartiger Verbindung zum Ge-
lenk (Baker-Zyste) aufgrund erhöhten Gelenkflüssigkeitsdrucks. Oft Folge einer
Kniebinnenerkr. (z. B. bei RA, deg. Meniskusläsion) → Kniegelenkerguss.
   13.2  Knie und Unterschenkel  479

Klinik und Diagnostik


• Uncharakteristisches Spannungsgefühl, prall-elastische Vorwölbung unter-
schiedlicher Größe in der Kniekehle, bei Kniestreckung gut tastbar, wechseln-
de Größe infolge Ventilmechanismus möglich.
• Gel. Ruptur einer Baker-Zyste: Heftige Schmerzen in der Kniekehle (DD:
Thrombose, Thrombophlebitis).
• Rö: Arthrose? Knochentumor?
• Sono: Lokalisation, Größe?
• MRT: Gute Darstellung, Beurteilung Kniebinnenraum, Ausschluss Tumor.
• Arthroskopie: Diagn. und Ther. einer Kniebinnenerkr.
Differenzialdiagnosen
Ganglion, Tumoren (z. B. Lipom, Synovialom, Neurinom, Fibrosarkom, fibröses
Histiozytom), Aneurysma, LK, Thrombose (Sono!).

Cave bei lateral gelegenen Zysten. Maligner Tumor?

Therapie
Zunächst muss die Ursache (Meniskusläsion, RA etc.) diagnostiziert und behan- 13
delt werden. Wenn dann keine Rückbildungstendenz oder funktionelle Beein-
trächtigung besteht, OP empfohlen.

Prognose
Rezidive häufig (Aufklärung!).

13.2.12 Scheibenmeniskus
Definition
Seltene, über die Embryonalzeit hinaus persistierende Scheibenform meist des
Außenmeniskus (Hemmungsfehlbildung). Neigung zu frühzeitiger Deg.

Klinik
• Auffällig im Kindes- und Jugendalter ein charakteristisches, meist endgradig
auftretendes Schnappen bei Kniegelenkbewegung und/oder Meniskussymp-
tomatik.
• Gel. erst bei Erw. symptomatisch. Trauma selten.
• Rö: Verbreiterung des lat. Gelenkspalts (nicht obligat).
Therapie
Bei Beschwerden (z. B. nach Einriss) partielle (arthroskopische) Meniskektomie,
Ziel: Regelrechte Meniskusform.

13.2.13 Meniskusganglion
Lokalisation
Meist vom Außenmeniskus ausgehend. M > F.

Klinik und Diagnostik


• Schmerzen. Palpable Vorwölbung, oft Meniskussymptomatik.
480 13  Untere Extremität  

• MRT: Signalverhalten T2-Wichtung stark hyperintens, häufig signalarme


Septen, Ganglien können intra- oder extraartikulär lokalisiert sein, i. d. R. be-
steht ein stielartiger Kontakt mit der Kapsel.
• Sono: Echoarme Darstellung des Ganglions.
Therapie
Arthroskopie plus Ganglionexstirpation, meist Meniskus(teil)resektion. Alleinige
Ganglionexstirpation kann Rezidiv zur Folge haben.

13.2.14 Medial Shelf (Plica mediopatellaris)


Definition
Medial der Patella verlaufende Synovialfalte. Klin. Bedeutung nur bei Hypertrophie
und Fibrosierung mit Schmerzen. Meist harmloser Nebenbefund bei Arthroskopie.

Klinik
• Eindeutige klin. Zeichen fehlen häufig. Hinweise: Schnappen bei Bewegung
(beim Aufstehen nach Sitzen), tastbarer Strang im Bereich des med. Femurkon-
13 dylus parapatellar, Einklemmungserscheinungen zwischen Patella und Trochlea.
• Oft Beschwerden im Sinne eines femoropatellaren Schmerzsyndroms.
• Nach (Verdreh-)Trauma des Kniegelenks Plicaverletzung (Einriss) mögl.,
klin. Symptomatik evtl. wie Innenmeniskusläsion.

Diagnostik
Arthroskopisch. Plica häufig breit, fibrosiert und gel. eingerissen. Knorpelschädi-
gung (Pannusauflagerung) am med. Anteil des femoralen Gleitlagers ist sicherer
Hinweis für mechanisch störende Plica.

Therapie
• Lokale Kortikoidinfiltration.
• Bei persistierenden und eindeutigen Beschwerden (dort Schmerzangabe und
auslösbare Symptomatik) arthroskopische Resektion der Plica.
• NB: Hochlagern in leichter Flexion, lokal Eis, frühfunktionelle Ther.

13.2.15 Morbus Ahlbäck (Femurrollennekrose)


Definition
Segmentale Osteonekrose des med. Femurkondylus. Seltene Erkr. bei älteren Pat.
(60.–70. Lj.), F > M.

Ätiologie
Prim. (idiopathisch) oder sekundäre nach systemischer oder lokaler Kortisonther.

Klinik
Erheblicher Ruhe- und Belastungsschmerz am med. Kniegelenk mit plötzlichem
Beginn. Sekundäre synovialitische Veränderungen mit Kapselschwellung und Ge-
lenkerguss. Evtl. zunehmende Varusdeformierung.
   13.2  Knie und Unterschenkel  481

Diagnostik
• Rö: Frühstadium: Beginnende Abflachung des medialen Femurkondylus.
Fortgeschrittenes Stadium (3–6 Mon.): Typischer subchondraler Aufhel-
lungsbezirk am med. Femurkondylus, von einem sklerotischen Randsaum
umgeben.
• MRT: Frühdiagnose möglich.
• Arthroskopie.
Differenzialdiagnosen
Osteochondrosis dissecans (jüngere Pat.); med. Gonarthrose; destruierende ent-
zündliche, tumoröse und posttraumatische Veränderung.

Therapie
Im Frühstadium Entlastung, Antiphlogistika. Kleinere Herde bzw. Frühstadi-
um: Knorpel-Knochen-Transplantation (Mosaikplastik). Die Rolle der hyper-
baren Sauerstofftherapie ist noch nicht abschließend geklärt. Selten: Entlas-
tende (valgisierende) Umstellungsosteotomie. Fortgeschrittene Veränderun-
gen mit großer Defektzone: Mediale unikondyläre Schlittenprothese
(▶ 13.2.26). 13
13.2.16 Osteochondrale Läsion (Osteochondrosis dissecans)
Definition
Lokalisierte aseptische Nekrose eines subchondralen Knochenbezirks mit der Ge-
fahr der Abstoßung als freier Gelenkkörper (Gelenkmaus). Lokalisation: Über-
wiegend am lat. Rand des med. Femurkondylus (85 %), seltener lat. Kondylus oder
Patellarückfläche. Doppelseitiger Befall in ca. 25 %.

Ätiologie
Unbekannt. Die schalenförmige linsen- bis pflaumenkerngroße Nekrosezone ist
vom gesunden Knochen her durch einen Sklerosesaum abgegrenzt und so von der
Blutversorgung abgeschnitten. Abbauprodukte des Gelenkknorpels können Rei-
zerscheinungen (Synovialitis, Erguss) verursachen. Das Dissekat kann in seinem
„Bett“ verbleiben, aber auch zum freien Gelenkkörper werden. Die dadurch ent-
stehende Gelenkinkongruenz (leeres Mausbett) stellt eine Präarthrose dar. Eine
spontane Rückbildung ist insbes. vor dem 12. Lj. möglich.

Klinik
• Auftreten überwiegend gegen Ende des Wachstumsalters. Im Stadium der
Nekroseentstehung selten Beschwerden.
• Beginn mit uncharakteristischen, belastungsabhängigen Knieschmerzen.
• Evtl. Schwellung und Erguss.
• Plötzliche rez. Einklemmungen nach Abstoßen des Dissekats typisch.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Rö: Umschriebener, subchondraler Verdichtungsbezirk mit sklerotischer
konvexer Randzone oder ovaler, verdichteter Knochenbezirk. Suche nach
freien Dissekaten. Evtl. zusätzlich Kniegelenkstunnelaufnahme (Frick-Auf-
nahme) oder Schichtaufnahmen. a. p. Rö-Stadien:
–  Stadium I: Schlummerstadium (pathol. Befund nur im Tomogramm).
482 13  Untere Extremität  

– Stadium II: Deutliche Aufhellung.


– Stadium III: Demarkierung durch Sklerosewall.
– Stadium IV: Freier Körper.
• MRT: Beurteilung der Knorpeloberfläche v. a. in Frühstadien, Bewertung der
Vitalität eines Dissekats möglich.
• Arthroskopie: Beurteilung der Gelenkoberfläche (Tasthaken!). Beitrag zur
Klärung einer evtl. OP-Ind. und auch OP-Verfahrenswahl.
• DD: Bes. bei multiplem und multilokulärem Auftreten Abgrenzung gegen-
über epiphysären Osteochondrodysplasien. DD Blockierung ▶ 13.2.10.

Therapie
Wesentliche Kriterien: Alter, Stadium, Herdgröße, Beschwerden.
Konservative Therapie
Ind.: Stadium I und II; bei jüngeren Kindern mit kleinem Herd und geringen Be-
schwerden.
Maßnahmen: Symptomatische (Schmerz-)Ther.; Entlastung des Erkr.-Bezirks
(UAGST, Thomas-Splint) für 6–10 Wo. Schonung und Sportkarenz. MRT-Kont-
rollen alle 3–6 Mon.
13
Operative Therapie
Noch intakte Gelenkfläche (Stadium II): Maßnahmen zur Revaskularisierung
der Osteonekrose: Retrograde Anbohrung der Sklerosezone, retrograde Ausräu-
mung und Spongiosaplastik (arthroskopisch).
Knorpeldemarkierung (Stadium III): Nach Anfrischen des Mausbetts Refixie-
rung des Dissekats z.B. durch Ethi-Pin-Stifte oder Darts. Alternativ: Verschrau-
bung (Kleinfragmentschrauben), bei kleineren Herden außerhalb der Belastungs-
zone Dissekatentfernung.
Dissekatabstoßung (Stadium IV): Abhängig von Größe und Vitalität des Herds
Gelenkmausentfernung oder Replantation des Dissekats oder Defektauffüllung
durch autologe – aus Anteilen der dorsalen Femurkondyle oder Patellagleitlager-
rand – oder homologe Knorpel-Knochen-Transplantation. Alternativ: Korti-
kospongiöser Zylinder mit Periost vom Beckenkamm mit dem Ziel der Faserknor-
pelbildung (Vorteil: Kein neuer Gelenkdefekt).
Ältere Knorpeldefekte: Ggf. Pridie-Bohrung (anterograde Anbohrung des
Defekts, dadurch Einsprossen von Gefäßen und Induktion eines oberflächen-
bedeckenden Faserknorpels), Zylindertransplantation oder Umstellungsosteo-
tomien zur Entlastung des Kniekompartiments bei zusätzlicher Beinachsenab-
weichung.
NB: Entlastung mindestens 6 Wo., begleitend KG. Rö-Kontrolle nach 6 Mon.

Prognose
Bei vollständiger Wiedereinheilung gut. Je jünger der Pat., desto besser die Progn.
Bei Kindern und Jugendlichen Restitutio ad integrum in etwa 60 %. Beim Erw.
Progn. eher ungünstig (sekundäre Arthrose).

13.2.17 Morbus Osgood-Schlatter
Definition
Relativ häufige aseptische Nekrose (juvenile Osteochondrose) der Tibiaapophyse.
Bevorzugt 10- bis 14-jährige, sportlich aktive Jungen.
   13.2  Knie und Unterschenkel  483

Ätiologie
Unklar, als auslösendes Moment gilt ein verstärkter Zug des Lig. patellae z. B.
durch sportliche Überbelastung. Typischer stadienhafter Verlauf.

Klinik
Leitsymptom: Lokaler Belastungsschmerz im Bereich der Tuberositas tibiae.
Druckschmerzhafte Schwellung mit Schmerzverstärkung bei Streckung des Knie-
gelenks gegen Widerstand.

Therapie
Aufgrund meist problemloser Ausheilung genügen partielle Sportkarenz und An-
tiphlogese. Bei schwierigen Verläufen temporäre Ruhigstellung in Gipstutor. Evtl.
Negativabsatz. Selten ist nach Wachstumsabschluss die operative Abtragung einer
schmerzhaften knöchernen Ausziehung erforderlich.

13.2.18 Morbus Sinding-Larsen-Johansson
Definition
Osteochondrose des dist. Patellapols. Prädilektionsalter 10–14 J. 13
Klinik und Diagnostik
Vergleichbar dem Morbus Osgood-Schlatter. Belastungsabhängige Schmerzen
am dist. Patellapol.

Therapie
Wie bei Morbus Osgood-Schlatter (▶ 13.2.17).

13.2.19 Patellafraktur
Definition
ca. 1 % aller Frakturen. Überwiegend direktes Trauma. Einteilung in Quer-,
Längs-, Schräg-, Stern-, Mehrfragmenttrümmerfrakturen, knöcherne Polabrisse.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Prellmarke, evtl. Schürfwunde mit Beteiligung der Bursa, Schmerzen, tastbare
Diastase beweisend, aktiver Streckausfall.
• Schwellung, Hämarthros.
! Immer auch nach Begleitverletzungen fahnden.
• Rö: a. p., seitl. und tangential 30°.
• DD: Patella bipartita. Selten Morbus Sinding-Larsen-Johansson (▶ 13.2.18).
Therapie
Konservative Therapie
Ind.: Stabile Frakturen ohne Dislokation, ältere Pat. mit geringfügiger Dislokation
bei erhaltener aktiver Streckfunktion.
Maßnahmen: Kurzfristige Ruhigstellung. Antiphlogistika. CPM-Schiene: Bewe-
gungslimit 60°. Bei guter Kooperation gipsfreie Mobilisation, sonst Gipstutor.
484 13  Untere Extremität  

Operative Therapie
Ind.: Diastase, Stufenbildung > 1 mm, offene und pathol. Frakturen. Dringliche
OP-Ind.: Offene Brüche, Frakturen mit begleitender Hautabschürfung und/oder
-kontusion.
KO: Relativ hohe Rate an KO bekannt (Infekte bis 14 % beschrieben, Hämatome,
Pseudarthrose, Refraktur, Bewegungseinschränkungen u. a.). Langzeitergebnisse:
Hohe Rate an sekundären Arthrosen (Retropatellararthrose) bei anatomisch nicht
exakter Reposition.
OP-Verfahren: Richten sich nach dem Typ der Frakturen.
• Einfache Längsfrakturen: Zugschraubenosteosynthese.
• Querfrakturen: Zuggurtungsosteosynthese (ventrale Zuggurtung über längs
eingebrachte KD). OP-Technik: Längsschnitt über Patella. Offene Frakturen:
Wunde in den Zugang mit einbeziehen. Eröffnen des Gelenks. Inspektion.
Ausspülen des Hämarthros. Exakte anatomische Reposition. Kontrolle der
Patellarückfläche. Parallel zueinander sagittales Einbringen von 2 KD (1,6–
2,0 mm). Äquatoriale Zuggurtungsschlinge um die KD unter Quadrizeps-
bzw. Patellarsehne. Patellanahe Zuggurtung (Achtertour) streckseitig nach
Naht der Aponeurose (Reservestreckapparat!).
13 • Pol- und Kantenabrisse: Nach Möglichkeit Schraubenfixation, evtl. mit zu-
sätzlicher Drahtzuggurtung sichern. Resektion zu kleiner Fragmente.
• Stern- und Mehrfragmentfrakturen: Rekonstruktion je nach Situs mit Schrau-
ben, KD oder äquatorialen Cerclagen, ventrale Zuggurtung zusätzlich, wenn
keine ausgedehntere Knorpelzerstörung.
• Chondrale und osteochondrale Frakturen: Arthroskopie, Entfernung zur Re-
fixation ungeeigneter Fragmente. Refixation osteochondraler Fragmente mit
resorbierbaren Stiften oder Darts.
• Trümmerfrakturen, Mehrfragmentfrakturen mit ausgedehntem Knorpelscha-
den: Prim. Patellektomie: Erhaltungsversuche meist frustran.
Frühfunktionelle NB: Gipsfrei, CPM-Schiene bis 60°. Aktiv-assistiv Übungen
und Gehen unter Teilbelastung bis zur Frakturkonsolidierung. Hautnähte nach
14 d entfernen. Bei unsicheren Osteosynthesen Knieimmobilisation für 6 Wo.

Prognose
Retropatellarer Knorpelschaden entscheidend für Langzeitprogn. Bei exakter Re-
position und stabiler Fixation gute Prognose.

13.2.20 Patellaluxation
Definition
Meist wiederholte, vorübergehende lat. Luxation der Patella aus ihrem Gleitlager.
F > M. Erstluxation meist vor 20. Lj.

Ätiologie
Angeborene und echte traumatische Luxationen selten. i. d. R. wiederholte Lu-
xation (habituell oder rez.) infolge einer Komb. luxationsfördernder, anato-
misch ungünstiger Gegebenheiten mit Lateralisation des Quadrizepszuges.
Ursachen:
• Am Skelett: Gleitlager-, Patelladysplasie („Jägerhut“-Patella), Genu valgum,
Genu recurvatum, pathol. Femurantetorsion, pathol. Tibiaaußentorsion, La-
teralisation der Tuberositas tibiae.
   13.2  Knie und Unterschenkel  485

• Am Bandapparat: Bandlaxität (Hypermobilität der Patella), Patella alta, Ein-


riss des med. Retinakulums nach Patellaluxation.
• Muskulär: Muskelatrophie des M. vastus medialis, Hypoplasie des M. vastus
medialis obliquus.

Klinik und Diagnostik


• Im luxierten Zustand einfach zu diagnostizieren. Reposition durch Kniestre-
ckung, bei habitueller Luxation i. d. R. Spontanreposition. Daher nach Erstluxati-
on auf anamnestische Angaben wie plötzliches Wegknicken und Hinstürzen oh-
ne Trauma bei Drehbewegungen sowie auf das Leitsymptom Erguss achten oder
hinterfragen, um Fehldiagnosen wie Meniskus- oder Bandläsionen zu vermeiden.
• Habituelle Luxation: Patella luxiert in leichter Beugung ohne wesentliche Be-
schwerden. Luxationsvorgang problemlos reversibel.
• Rez. Luxation: Plötzlich, stark schmerzhaft, meist Erguss, „Giving Way“.
• Befund: Luxationsfördernde Anatomie? Apprehension-Zeichen (▶ 13.2.2). Q-
Winkel erhöht? Oft Erguss.
• Rö: Knie bds. in 2 Eb. (Vergleich). Patella axial, besser Patella-Défilé-Aufnah-
men (30°/60°/90° Beugung) bds. Bei Befundung achten auf (▶ 4.1.9):
– Trochleadysplasie nach Déjour („Crossing Sign“ – lat. Aufnahme).
– Patelladysplasie nach Wiberg/Baumgartl (nur „Jägerhut“-Patella von pa-
13
thol. Bedeutung), Kondylendysplasie.
– Arthrosegrad femoropatellar, medial, lateral.
– Osteochondrale Begleitläsionen, freie Gelenkkörper.
– Patellastand (Insall und Salvati, Blumensaat), Patella alta?
– Luxations- oder Subluxationsgrad (Ficat).
• MRT: Beurteilung der Knorpelrückfläche und Ausschluss osteochondraler
Verletzungen.

Therapie
Patellaluxation ist eine Blickdiagnose (Knie gebeugt, Patella prominent und late-
ralisiert); sofortige Reposition durch Streckung des Kniegelenks schon am Unfall-
ort. Ziel der weiteren Ther. ist die Zentrierung der Patella im Gleitlager während
der Bewegung.
Konservative Therapie
• Nach Erstluxation ohne knöcherne oder chondrale Verletzung: Ruhigstellung
in Knieimmobilisationsschiene für 4 Wo. Während der Zeit konsequente KG
mit Isometrie, danach Kräftigung des Quadrizeps (insbes. M. vastus med. ob-
liquus), evtl. Patellabandagen.
• Bei Subluxationen Kräftigung des M. vastus medialis zur Zentrierung der Pa-
tella, d. h. Verbesserung der Lateralisationstendenz.
Operative Therapie
Ind.: Wiederholte Luxationen, osteochondrale Begleitverletzungen, Ruptur des
Retinaculum mediale.
Ziel: Entfernung freier Gelenkkörper, Zentrierung der Patella, Verhinderung der
Reluxation.
Verfahren: Eine Vielzahl von OPs sind in der Literatur beschrieben.
• Schritt 1: Arthroskopie: Entfernung osteochondraler Fragmente, Naht des Re-
tinaculum mediale, Beurteilung der Patellaführung und Patellagelenkfläche.
• Schritt 2: Patellazentrierung: Das Prinzip vieler OPs ist die med. Kapselraf-
fung (arthroskopisch-offen). Häufig werden hierzu auch Komb.-Eingriffe
durchgeführt.
486 13  Untere Extremität  

Weitere Weichteil-OPs:
• MPFL-Plastik (med. patellofemorales Ligament).
• OP nach Insall: Distalisierung und Medialisierung des M. vastus med., insbes.
bei Patellakippung empfohlen.
• OP nach Roux-Goldthwait: Verlagerung und Fixation der lat. Patellarsehnen-
hälfte nach medial.
• OP nach Ali-Krogius: Entnahme eines med. Retinakulumstreifens, lat. Re-
lease und Einnähen des med. Lappens am lat. Patellarand. Med. Raffung
durch Verschluss des med. Entnahmedefekts.
• Nachbehandlung: 2 Wo. Teilbelastung mit 20 kg, aktive und passive Bewe-
gungsübungen, 4 Wo. Limitierung der Beweglichkeit auf 0–0–60°, dann
0–0–90° für 2 Wo.
Knöcherne Eingriffe:
• Tuberositasversetzungen nach med. (z. B. Elmslie-Trillat), Ind.: Fehlrichtung
des Streckapparats, Quantifizierung im CT mögl. durch Bestimmung des TT-
TG-Abstands (tibial tubercule-trochlear groove); > 20 mm ist pathol., Korrek-
tur auf 10–15 mm wird empfohlen.
• Tuberositasversetzung nach distal oder/und ventral (Maquet).
13 • Trochleaplastik bei Trochleadysplasie: Variante 1: Anheben der lat. femoralen
Gelenkfacette mit Interposition von Knochen (Albee), Variante 2: Vertiefung
des Sulcus (Déjour).
• Patellaosteotomie: Entnahme eines dorsalseitigen Knochenkeils und Fixation
mit transossären Nähten (Morscher), um eine Dreiecksform der Patella zu er-
halten.
• Korrekturosteotomien an Femur oder Tibia bei Varus-/Valgus- oder/und Ro-
tationsfehlstellungen.

13.2.21 Patella partita
Definition
Angeborene geteilte Patella, wahrscheinlich Hemmungsfehlbildung. Über 90 %
Patella bipartita (oberer lat. Quadrant). Bis zu 6 Segmente (tri-, multipartita)
möglich.

Klinik und Diagnostik


• Meist Zufallsbefund. I. d. R. keinerlei Beschwerden.
• Rö: Manchmal Probleme zur Abgrenzung gegenüber Patellafraktur. Beide
Kniegelenke röntgen. Für „Partita“ spricht: Doppelseitigkeit, glatte Begren-
zung; für Fraktur: Adäquates Trauma, einseitige „Partita“.

Therapie
Nur sehr selten bei Schmerzen Exzision der „akzessorischen“ Patella.

13.2.22 Femoropatellares Schmerzsyndrom, Chondropathia,


Chondromalacia patellae
Definition
Sehr häufige, nicht vollständig geklärte typische Erkr. vorwiegend bei Jugendlichen
mit Schmerzen im Bereich der Patella (Chondropathia patellae) und hoher Spon-
tanheilungstendenz. F > M. Der Begriff „Chondropathia patellae“ sollte ersetzt wer-
   13.2  Knie und Unterschenkel  487

den durch „Femoropatellares Schmerzsy.“ (oder unterteilt werden in peripatellares


und patellares Sy.). Chondromalacia patellae: Pathol.-anatomische Bezeichnung für
eine Erweichung des retropatellaren Knorpels unterschiedlichen Schweregrads.

Einteilung einer Chondromalacia patellae (Outerbridge)


• I: Lokalisierte Erweichung und Schwellung des Knorpels.
• II: Defekt bis 1,3 cm Durchmesser, Villi und Fasern.
• III: Defekt > 1,3 cm Durchmesser, Risse.
• IV: Erosion bis auf subchondralen Knochen.
Es besteht keine Korrelation zwischen Chondromalaziegrad und Beschwerden.

Ätiologie
Unklar, multifaktoriell. Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit u. a.
durch knöcherne (z. B. Formvarianten der Patella, Genua valga), muskuläre (In-
suff. M. vastus medialis) und ligamentäre (Bandlaxität) Abnormitäten, Überbelas-
tungen („Mikrotraumatisierung“) und Knorpelkontusion („Makrotrauma“).

Klinik 13
Meist Mädchen. Spontanschmerzen im Patellabereich meist bds. bei oder nach
längerer Kniebeugung (z. B. im Kino, bei Treppab- oder Bergabgehen). Nicht sel-
ten Nachgeben des Kniegelenks („Giving Way“) bzw. Blockierungsphänomene.

Diagnostik
• Patellaanpress- oder -verschiebeschmerz. Krepitation? Erguss?
• Lateralisation der Patella (Patellasubluxation)? Apprehension-Zeichen (▶ 13.2.2).
• Zohlen-Zeichen (▶ 13.2.2).
• Rö: Axiale Patellaaufnahme oder Defilé-Aufnahmen bds.: Formvarianten?
Subluxationen und Arthrosezeichen des Femoropatellargelenks?

Differenzialdiagnosen
Patellaspitzensy. (Morbus Sinding-Larsen-Johansson), Osteochondrosis diss-
ecans, Meniskusläsionen, Plica mediopatellaris, Hypertensionssy., posttraumati-
sche Knieinstabilität, Entzündungen, Tumoren.

Konservative Therapie
Kein einheitliches Ther.-Regime. Einteilung in eine der 4 Gruppen versuchen:
• „Maltracking“ der Patella (Lateralisation, lat. Hyperpression).
• Instabile Patella.
• Posttraumatische Chondromalazie.
• Idiopathische (ca. 50 %) Chondromalazie.
Wesentlich ist der Versuch, ätiol. Faktoren herauszufinden. Zunächst immer
kons. Ther. (für mindestens 6 Mon.), insbes. bei der letzten Gruppe. Individuelle
Ther.-Maßnahmen entsprechend der pathophysiol. und „pathomechanischen“
Differenzierung:
• KG und selbstständiges Trainingsprogramm: Auftrainieren des M. vastus me-
dialis, Dehnen der ischiokruralen Muskulatur.
• Iontophorese, Ultraschall, Elektrother., Eis, Wärme (Fango-Packungen).
• Patellarsehnenbandagen; Tape-Verband (McConnel).
488 13  Untere Extremität  

• Verhaltensregeln: Schonung, Vermeiden von längerem Sitzen in Kniebeugung,


Hockstellung, sportl. Überlastung, z. B. bei Sprungdisziplinen, alpinem Skilauf.
Bei Chondropathia patellae auf hohe Spontanheilungstendenz hinweisen.
• Medikamente: Antiphlogistika (Salben oder Tbl.) z. B. Diclofenac 3 × 50 mg/d
p. o. (z. B. Voltaren®). Chondroprotektiva bei Chondromalazie wie Glucosa-
min (z. B. Dona 200®).

Operative Therapie
Erst nach Ausschöpfen aller kons. Maßnahmen; sehr strenge individuelle Ind.-
Stellung, da Ergebnisse in der Literatur stark differieren und relativ häufig unbe-
friedigend sind. Erwartungshorizont der Pat. in realistische Bahnen lenken.
Laterale Retinakulumspaltung („Lateral Release“)
Ind.: Bei Lateralisation der Patella.
Prinzip: Längsspalten des Lig. patellae longitudinale laterale. Als alleinige Maß-
nahme sehr selten sinnvoll; ggf. med. Raffung, Langzeitergebnisse unbefriedigend.
Evtl. kombinieren mit Gelenkinspektion, Abrasio (offen oder arthroskopisch).
Retrograde Anbohrung.
13 Pridie-Bohrung
Ind.: Bei Grad-IV-Defekten.
Prinzip: Anbohrung knorpelseitig.
Weitere Verfahren
• Verlagerung der Tuberositas tibiae z. B. OP nach Elmslie-Trillat ( ▶ 13.2.20) bei
Subluxation. Cave: Mäßige Ergebnisse bei bestehender Retropatellararthrose.
• Diagn. intraossäre Druckmessung und Patellaanbohrung: Nur bei pos. Pro-
vokationstest ohne Narkose (identische Schmerzauslösung bei intraossärer
Kochsalzappl.) sinnvoll.
• Arthroskopische Abrasionsplastik: Bei Grad-III-/-IV-Defekten, als alleinige
Maßnahme meist nicht ausreichend. Komb. mit anderen Eingriffen (z. B. Pri-
die-Bohrung, „Lateral Release“).
• Patellektomie: Nur bei schwerer isolierter Retropatellararthrose und starken
Schmerzen.

Prognose
Bei „Chondropathie“ beim Jugendlichen gut, Selbstheilungsrate hoch. Bei Chond-
romalazie im Erw.-Alter ist deutlich schlechter (Femoropatellararthrose).

13.2.23 Ermüdungsfraktur
Definition
Seltene Fraktur ohne adäquates Trauma nach meist repititiver Überlastung.

Klinik und Diagnostik


• Zumeist schleichender Beschwerdebeginn.
• Rö: Frakturen oft erst nach 3–6 Wo. durch Kallus zu erkennen.
• Insbes. bei Beschwerdepersistenz Ausschluss von Entzündungen und Tumo-
ren (Labor, ▶ 13.2.2, MRT, selten auch einmal Biopsie erforderlich zum Tu-
morausschluss).
   13.2  Knie und Unterschenkel  489

Therapie
Gipsfixation nur bei starken Beschwerden, sonst 3–4 Wo. Schonung.

„Toddlers Fracture“ bei Kindern


Undislozierte Fraktur zu Laufbeginn bei Kleinkindern. Kinder fallen meist durch
ein plötzliches Schonhinken ohne adäquates Trauma auf. Ursache: Rotation bei
fixiertem Fuß. Meist Tibiaschaft betroffen. Hinweis auf eine Ermüdungsreaktion
des Knochens/Stressfraktur meist im Bereich von Tibia und Fußwurzelknochen.

13.2.24 Bursitis praepatellaris
Definition
Entzündung eines Schleimbeutels. Unterscheide eitrige, traumatische und chron.
Bursitis (meist rez. Irritationen, Berufsdisposition, z. B. Plattenleger; auch ▶ 8.3.1).

Klinik und Diagnostik


• Entzündungszeichen unterschiedlichen Ausmaßes mit fluktuierender Schwel-
lung. Cave: Perforation in das Gelenk.
• Rö: Weichteilschwellung? 13
• Punktion bei Erguss: Synoviaanalyse (Leukos, CRP, Glukose), Bakteriologie,
Harnsäurekristalle?
• Evtl. Rheumaserologie.
Therapie
• Eitrige Bursitis: Punktion (→ Bakteriologie). Falls Eiter → Bursektomie, Anti-
biotika (▶ 24.2), Thromboseprophylaxe (▶ 24.3.2).
• Traumatische Bursitis: Wenn Bursa nicht eröffnet, Punktion eines Ergusses,
Druckverband, Eis, Antiphlogese, Ruhigstellung.
• Chron. (auch rheumatische) Bursitis: Punktion bei Ergussbildung, Kompres-
sionsverband.
• Bursitis bei Gicht: Antiphlogistika, Eis, Ruhigstellung (▶ 15.2.5).
• Bursektomie: Ind.: Eitrige Bursitis, chron. rez. Ergussbildung bei Ther.-Resis-
tenz. Chron. Fistelung nach Inzision einer eitrigen Bursitis, traumatische
Bursaeröffnung.

13.2.25 Kontraktur des Kniegelenks


Definition
Kontraktur (Bewegungseinschränkung): Störung paraartikulärer, kapsulärer, mus-
kulärer, ossärer Strukturen oder Kombinationen. Beugekontrakturen (Streckhem-
mungen, Streckdefizit) häufiger als Strecksteifen (Beugehemmungen). Fibröse oder
knöcherne Ankylose: Versteifung des Gelenks, vollständiger Bewegungsverlust.

Ätiologie
Beispiele: Unfallfolgen, Knietraumen, Frakturen, operative Eingriffe, zu lange
Ruhigstellung des Kniegelenks, akute und chron. Entzündungen, CRPS, Hämo-
philie, RA.
Morphologisches Substrat: Nicht einheitlich. Am häufigsten Beugekontraktur
durch Schrumpfung insbes. dorsaler Kapselanteile z. B. nach kons. oder operativ
behandelten Kapsel-Band-Läsionen. Strecksteife: Verklebungen der Rezessus
490 13  Untere Extremität  

(insbes. des Recessus suprapatellaris), Bridenbildung, Verkürzung der Quadri-


zepssehne. Atrophien und fibröse Deg. von Muskulatur und Faszien, Fibrosierung
der Retinakula, überschießende diaphysäre Kallusbildung am Femur, myositische
Verknöcherungen.

Klinik und Diagnostik


• Bewegungseinschränkung (Streck- bzw. Beugekontraktur, Ankylose). Bewe-
gungsausmaß exakt dokumentieren. Patellamobilität meist stark einge-
schränkt.
• Funktionelle Beinverkürzung bei Beugekontraktur (kompensatorische Spitz-
fußstellung).
• Wichtige Prüfung: Harter, weicher oder federnder Anschlag beim Bewegen?
• Schweregrade der Gelenksteife:
– Grad I: Bewegungsausmaß mindestens 90°.
– Grad II: 60–90°.
– Grad III: 30–60°.
– Grad IV: < 30°.
• Rö: Ursachenanalyse. Ausschluss knöcherner Ankylosen. Funktionsaufnah-
men seitl. in max. Streck- bzw. Beugestellung zur Dokumentation. Zeichen
13 der Destruktion?

Therapiegrundlagen
Differenzierung der Ursachen wesentlich für Ther.-Konzept. Ther. abhängig von
Ätiol. und Pathogenese, oft sehr individuell. Kooperationsbereitschaft des Pat.
klären. Ausschluss von floriden Infekten und CRPS. Konsequente NB gesichert?
Aufklärung des Pat. über die manchmal lange (1–2 J. sind keine Seltenheit) und
schwierige NB und die im Einzelfall ungewisse Progn.; Aufklärung über notwen-
dige Zusatzeingriffe, evtl. postop. PDA, evtl. Re-OPs.

Konservative Therapie
Ind.: Bei weichem, nachgebendem Bewegungsanschlag.
Maßnahmen: KG, manuelle Ther., Ergother., lokal Eis bei Reizzuständen, Gang-
schulung (▶ 20.2.2), Hydro-, Elektrother. (▶ 20.4), i. a. Infiltrationen mit LA. Falls
keine Fortschritte → OP.

Operative Therapie
Manuelle Narkosemobilisation
Ind.: z. B. relativ frische und begrenzte Verklebungen. Evtl. PDA-Katheter mit
kontinuierlicher Anästhetikagabe über ca. 7 d.
Technik: Kein Arbeiten am langen Hebel, kein ruckweises Arbeiten, gefühlvolles
Bewegen. Cave: Atrophischer oder osteoporotischer Knochen → Frakturgefahr!
NB: Immer Rö-Kontrolle. Lokal Eis. Konsequente Analgetikagabe (▶ 24.1). Regel-
mäßiges Umlagern bzw. Motorschiene. Ggf. Punktion eines Hämarthros.
Arthrolyse
Prinzip: Weichteileingriff zur Wiederherstellung der Beweglichkeit eines einge-
steiften Gelenks („gedeckt“ = Narkosemobilisation, „offen“ = operativ) bei thera-
pieresistenter Kontraktur über ca. 6 Mon.
KI: Floride Entzündungen, stärkere Gelenkdestruktionen, CRPS. Zurückhaltung
bei empfindlichen, eher pessimistisch eingestellten Pat. mit schwieriger Persön-
lichkeitsstruktur.
   13.2  Knie und Unterschenkel  491

Ziel: Flex. mindestens 90°, Ext. mindestens 10°. OPs am besten am Wochenanfang
durchführen, da kontinuierliche NB (insbes. KG) in den ersten postop. Tagen wichtig!
Verfahren: Arthroskopische Arthrolyse bei leichten bis mäßig schweren i. a. be-
dingten Kontrakturen. Offene i. a. Arthrolyse: Med. und/oder lat. Inzision und
Befreien der Rezessus. Danach manuelle Mobilisation. Extraartikuläre Arthrolyse:
Beseitigung von Narbengewebe und Verwachsungen im Bereich der Streckmus-
kulatur. Evtl. Quadrizepssehnenverlängerung.
NB: PDA-Katheter und konsequente kontinuierliche Analgetikagabe! KG min-
destens 2 × tgl., Bewegungsschiene. Gelenkergüsse frühzeitig punktieren. Kryo-
ther., Elektrother.
Weitere Möglichkeiten
• Knöcherne Stellungskorrekturen.
• Endoprothese bei irreversibler Gelenkdestruktion beim älteren Menschen.
• Arthrodese: Sehr selten indiziert (▶ 13.2.26).
Prophylaxe
Entscheidend ist die geeignete Lagerung nach Verletzungen und OPs.

Prognose 13
Gute Ergebnisse bei strenger Ind.-Stellung und konsequenter NB. „Relativer Ge-
winn“ (erzielter Gewinn/möglicher Gewinn bezogen auf Normalbeweglichkeit
von Streckung/Beugung 0–0–140°) als Maß für Erfolg.

13.2.26 Gonarthrose
Definition
Kniegelenkverschleiß. Häufigste Arthrose (neben Spondylarthrose). Im 30.–50.
Lj. bereits bei 50 % der Bevölkerung Arthrosezeichen. Diese können bevorzugt
den med., lat. sowie den femoropatellaren Gelenkanteil (= Retropatellararthrose)
oder alle 3 Gelenkanteile (= Pangonarthrose) betreffen.

Ätiologie
• Prim. Gonarthrose: Idiopathisch.
• Sekundäre Gonarthrose (seltener). Ursachen:
– Statisch bedingt (Achsenfehlstellung nach Meniskusverletzung und -schä-
den), Überlastungsschäden („Bäckerknie“ = frühere Bezeichnung für X-
Bein), nach Immobilisation.
– Posttraumatisch (nach intra- und extraartikulären Frakturen, nach Kap-
sel-Band-Verletzungen mit Instabilität).
– Entzündungen (unspezifisch, spezifisch, rheumatologisch).
– Kongenitale Entwicklungsstörungen.
– Stoffwechselstörungen (Gicht, Chondrokalzinose, Diab. mell., Hämophilie).
– Wachstumsstörung (z. B. aseptische Knochennekrosen, X- und O-Beine).

Klinik und Diagnostik


Anamnese: Uncharakteristischer Gelenkschmerz, Steifigkeitsgefühl, Schwellneigung.
Anlauf-, Belastungsschmerz. Später Dauer- und Nachtschmerz. Verminderung der
Gehleistung. Verlauf langsam progredient. Beschwerden oft wetterabhängig.
Befund: Achten auf Achsenfehlstellung (Varus- oder Valgusgonarthrose). Physi-
ol. Beinachse: Etwa 7° Valgus bei Erw. Atrophie der OS-Muskulatur, Erguss,
492 13  Untere Extremität  

Schwellung, Überwärmung? DS am Gelenkspalt, evtl. Poplitealzyste (Baker-Zys-


te), Hinken, Bandlockerung, Patellareiben. Beweglichkeit: In fortgeschrittenen
Fällen Bewegungseinschränkung, Flexionskontraktur.
Rö Kniegelenk in 2 Eb. (lange Einbeinstandaufnahme): Achsenfehlstellung? Os-
teophyten (Rauber-Zeichen: Ausziehung an den Tibiakonsolen), Ausziehung der
Eminentiae intercondylicae, Gelenkspaltverschmälerung, subchondrale Sklerose,
Geröllzysten. Destruktionen als Zeichen schwerer Gonarthrose. Cave: Keine
strenge Korrelation zwischen Rö-Befund und Beschwerdebild.
Gelegentlich MRT zusätzlich hilfreich.

Wichtigste Differenzialdiagnosen
▶ 13.2.1. RA, Meniskusschaden, Hüftgelenkerkr. (ca. 20 % der Pat. mit Hüfterkr.
geben primär Knieschmerzen an), Osteochondrosis dissecans, Morbus Ahlbäck,
Gichtarthropathien.

Konservative Therapie
▶ 13.1.5.
Ziele: Schmerzreduktion, Steigerung der Beweglichkeit, Erhöhung der Laufleistung.
Prinzipien: Entlastung. Bewegung (Schwimmen, Fahrradfahren).
13 Punktion (ther.) bei deutlichem Erguss: Bernsteingelbe Farbe, klar. Zellzahl <
2.000/mm3, kein Bakteriennachweis, keine erhöhte Enzymaktivität (▶ 16.4.2, Syn-
oviaanalyse).
Medikamente: Orale Analgetika, Antiphlogistika (▶ 16.5.1). Intraartikulär Steroi-
de, Knorpelaufbaupräparate (▶ 16.5.6), Hyaluronsäure.
Physik. Ther.: KG, Wärme (im nicht akuten Stadium), Kryother. (im akuten Sta-
dium: Aktivierte Arthrose), Elektrother., Ultraschall.
Orthopädietechnische Möglichkeiten: Handstock auf Gegenseite, Pufferabsätze.
Bei leichten bis mäßigen Varus- bzw. Valgusgonarthrosen: Schuhaußen- bzw. -in-
nenranderhöhung. Orthesen bei Bandinstabilität (▶ 23.8.5).

Operative Therapie
Arthroskopie und Gelenktoilette
• Ind.: Nur bei freien Gelenkkörpern und deg., symptomatischen Meniskusrissen.
• Keine Beeinflussung des Spontanverlaufs, nur kurzfristige Besserung.
Gelenknahe Osteotomien
Ind.: Nicht zu stark fortgeschrittene unikompartimentelle Gonarthrose ohne
multiple Bandinstabilität, physisch aktiver und kooperativer Pat., wenigstens Ge-
samtbeweglichkeit von 90°, höchstens 10° Streckdefizit, Korrelation der Schmer-
zen mit radiologischen Veränderungen in dem betreffenden Kompartiment.
Wichtig ist der Aspekt, dass eine evtl. Prothesenimplantation zeitlich hinausge-
schoben oder sogar vermieden werden kann.
OP-Planung: Präop. Rö-Ganzbeinstandaufnahmen im Stehen. Bestimmung des
Korrekturwinkels bei Varusgonarthrosen, indem der Fujisawa-Punkt (bei 62 %
des mediolat. Tibiakopfdurchmessers) bestimmt und die Traglinie daran ausge-
richtet werden (diese verläuft dann durch die lat. Eminentia). Korrektur bei Val-
gusgonarthrosen auf physiol. Valgus von 5°–7° Varus.
Aufklärung: Etwa 75 % gute bzw. sehr gute Ergebnisse (nach 5–10 J.), Erwartun-
gen des Pat. in realistische Bahnen lenken! Späterer Rückzug auf Endoprothese
möglich. Evtl. spätere ME
   13.2  Knie und Unterschenkel  493

OP-Prinzip: Zahlreiche technische


Modifikationen, verschiedene Fixie-
rungsverfahren möglich (z. B. win-
kelstabile Plattenosteosynthese, Fixa-
teur externe, Blount-Klammern).
Osteotomie am Ort der stärksten
Achsenkrümmung. Kniegelenklinie
sollte nach Osteotomie horizontal
stehen.
• Bei Varusfehlstellung mit Sitz der
Deformität im Tibiakopfbereich:
Interligamentäre valgisierende Ti-
biakopfumstellungsosteotomie
(▶ Abb.  13.20a), prinzipiell durch
2 verschiedene OP-Verfahren → a
Korrektur der Beinachse durch
Entnahme eines lat. Knochenkeils
oberhalb der Tuberositas tibiae in
Komb. mit schräger Fibulaosteo-
tomie im mittleren Drittel (closed 13
wedge) oder Open-wedge-Osteo-
tomie von medial und Fixation
mit winkelstabiler Platte (z. B. To-
mofix).
• Bei Valgusgonarthrose Sitz der
Deformität häufig im Femur → b
eher suprakondyläre Osteotomie;
sonst aufklappende Tibiakopfos- Abb. 13.20  a Zuklappende valgisie-
teotomie (▶ Abb.  13.20b). rende Tibiakopfosteotomie bei Varus-
gonarthrose. b Aufklappende (Open
KO: Allgemein: Infekte, Gefäßverlet- Wedge) valgisierende Tibiakopfosteo-
zungen, bes. bei Closed-Wedge-Osteo- tomie bei Varusgonarthrose. [L106]
tomien: Fibularisparesen (▶  18.9.1),
Fibulapseudarthrosen, Kompartment-
sy., bei Open-Wedge-Osteotomien: Pseudarthrose (→ deshalb bei Osteotomie-
spalt > 10 mm Eigenspongiosaplastik des Beckenkamms empfohlen).
Frühfunktionelle NB bei übungsstabiler, winkelstabiler Osteosynthese: Ab 1.
postop. Tag isometrische Anspannungsübung des operierten Beins. Aufstehen mit
20 kg Teilbelastung. Ab 2. postop. Tag nach Drainagenentfernung assistive KG. 4
Wo. Teilbelastung, dann Belastungssteigerung nach Rö-Kontrolle.
Arthroplastik
Ind.: i. d. R. ausgeprägte schwere uni- oder mehrkompartimentale Gonarthrosen
beim älteren, eher inaktiven Menschen meist > 60 J. Überschneidungsbereich mit
Osteotomie-Ind. Differenzialind. zu mindestens 3 Prothesentypen, um unter-
schiedlichen Ausgangsbedingungen gerecht zu werden:
• Achsgeführte Knieendoprothese: Komb. Flächenersatz mit achsenstabili-
sierenden Stielen. Ind.: Schwere Pangonarthrosen mit schwerer Bandin-
stabilität. Korrektur von schweren Fehlstellungen und Kontrakturen
möglich.
• Ungekoppelte kondyläre Prothesen (bessere Annäherung an die physiol. Knie-
gelenkkinematik als starr gekoppelte, achsengeführte Systeme): Präop. Rö a. p.
494 13  Untere Extremität  

Ganzaufnahme des Beins im Stehen. Zementierte und zementfreie Implantati-


on möglich. Ind.: Pangonarthrose mit weitgehend stabilem Bandapparat.
• Unikondyläre Schlittenprothesen. Ind.: Destruktion der Gelenkfläche uni-
kompartimental med. oder lat., passive und aktive Kniegelenkstabilisatoren
weitgehend intakt. Falls Umstellungsosteotomie nicht mehr aussichtsreich.
Cave: Intraop. keine Überkorrektur in Valgusstellung anstreben, da sonst
kontralaterale Arthrose möglich.
Ziele: Schmerzfreiheit, Stabilität, Verbesserung der Kniegelenkbeweglichkeit.
Modelle: Zahlreiche Modelle. Etwa 150.000 Implantationen/J. in Deutschland,
ständig steigende Zahl. Unterscheide: Teilersatz (unilateraler Schlitten), Oberflä-
chenersatz (mit oder ohne Erhalt des HKB, fixiertes oder mobiles PE-Inlay), teil-
gekoppelt (semiconstrained), Scharniergelenk (constrained).
Erfolgsfaktoren: Pat.-Faktoren (insbes. Übergewicht), exakte OP-Technik und
achsgerechte Implantation, Weichteilbalancierung, korrekte NB.
NB: Hochlagern, Antiphlogistika (▶  16.5.1), lokal Eis, Thromboseprophylaxe
(▶ 24.3.2). Rö-Kontrolle. Aufstehen am 1. postop. Tag mit Teilbelastung, Vollbe-
lastung in Abhängigkeit von Prothesentyp und Verankerung. KG: Assistive Mobi-
lisation des Kniegelenks, CPM, Motorschiene. Gangschulung (▶ 20.2.2). Meistens
PDK sinnvoll.
13 KO/Risiken: Ursachen für Fehlschläge: Schlechte OP-Technik (z. B. Achsenüber-
korrektur, schlecht platzierte Komponenten). Adipositas per magna (BMI >
40 kg/m2). Bei Schlittenprothesen Fortschreiten der Arthrose im nicht prothetisch
besetzten Kompartiment insbes. bei Überkorrektur der Beinachse. Prothesenlo-
ckerung. Inf.-Raten höher als bei Hüftendoprothesen: Ca. 1,5–2 %. Ther. bei infi-
zierten Knieprothesen (Früh-, Spätinfekt) ▶ 8.6.2.
Arthrodese
Ind.: Schwerste Arthrosen bei operativ sonst nicht zu behebender (z. B. durch En-
doprothese, Apparateversorgung) Instabilität (z. B. Schlottergelenke bei schlaffen
Lähmungen, posttraumatisch, chron. destruktive Arthritiden) und nach septi-
schem Implantatausbau. Nur durchzuführen bei guter Beweglichkeit des anderen
Kniegelenks sowie der gleichseitigen Hüfte. Rückzugsmöglichkeit nach misslun-
gener Prothesenimplantation.
OP-Prinzip: Kompressionsosteosynthese durch Fixateur externe/Plattenosteosyn-
these oder Arthrodesenagel. Leichte Kniebeugestellung von 10–15°, 5° Valgus.
Vorteile: Schmerzfreiheit, volle Belastbarkeit, Stabilität. Nachteile: Z. B. Beinver-
kürzung, sekundäre Veränderungen an anderen Gelenken (z. B. Achsenabwei-
chung gegenseitiges Knie, Behinderung beim Gehen und Sitzen).
NB: Bei Fixateur externe Entfernung 6 Wo. postop. und weitere 6 Wo. OS-Geh-
gips bei prim. Arthrodese. Bei Rückzug-OP nach Versagen einer Kniearthroplas-
tik meist längere Durchbauzeit (mehrere Mon.); in ca. 40 % sogar keine Durch-
bauung (→ Knieorthese).

13.2.27 Genu varum/valgum im Wachstumsalter


Definition
O-Bein bzw. X-Bein. Ein- oder doppelseitige Beinachsenfehlstellungen, angeboren
oder erworben. Normale Entwicklung der Beinachse im Wachstumsalter: Säugling
→ O-Beine, mit 3 J. → ca. 10° Valgus, Schulalter (ca. 7. Lj.): Physiol. Valgus (ca. 5–7°).
   13.2  Knie und Unterschenkel  495

Ätiologie
• Beidseitige kindliche pathol. Beinachsenfehlstellungen: Stoffwechselerkr.
(z. B. Rachitis, Phosphatdiabetes); kongenitale, seltene Systemerkr. (z. B.
Achondroplasie, Osteogenesis imperfecta).
• Einseitige Achsenfehlstellungen: Idiopathisch, Läsionen der Wachstumsfuge
durch Trauma, Entzündung und Tumoren; Morbus Blount, Lähmungen.
• Bei fehlender spontaner Achsenkorrektur Zunahme der Deformität durch er-
höhte Druckbelastung med. oder lat. Langfristig überwiegend Bandlockerun-
gen und deg. Veränderungen (Varus-, Valgusgonarthrose).

Klinik und Diagnostik


• Selten Beschwerden, meist Sorge der Eltern wegen auffälliger Deformität.
• Exakte Messung und Dokumentation der Beinachsen (Kondylen, Knöchelab-
stand). Hüften und Sprunggelenke mit untersuchen!
• X-Beine sind häufig mit Knick-Senk-Füßen vergesellschaftet und können sich
gegenseitig verschlimmern, Hüftadduktionskontraktur kann zu kompensato-
rischem X-Bein führen.
• Rö: Lange Beinachsenaufnahmen a. p. im Stehen: Ausmaß der Deformität,
Ort der stärksten Achsenabweichung und Konfiguration der Epiphysenfugen
beurteilen. Fotografie oder Umrisszeichnung zur Verlaufskontrolle nützlich
13
(spart evtl. Rö-Aufnahmen ein).
• Labor: Vit.-D-resistente Rachitis: Unter anderem Phosphat ↓↓, AP (↑), Ca2+
↔. Vit.-D-Mangelrachitis: AP ↑, Ca2+ ↔.

Therapie
Kriterien: Physiol. Altersnorm, Ursache der Deformität, Ausmaß der Abwei-
chung sowie evtl. Progredienz beachten.
Kons. Ther.: Bei geringeren Fehlstellungen: X-Bein → Schuhinnenrand erhöhen, O-
Bein → Schuhaußenrand erhöhen bzw. entsprechende Einlagen gerechtfertigt. Nächtli-
che Orthesen zur Wuchslenkung sind unbequem und schaden nur (Kniebandlocke-
rung). Insbes. bei Rachitis besteht eine hohe Tendenz zur Spontankorrektur.
Operative Ther.: Bei einseitiger oder erheblicher Deformität ohne Besserungsten-
denz (X-/O-Bein mit ca. 10 cm Intermalleolar- bzw. Interkondylärabstand) →
Korrekturosteotomie am Ort der Achsabweichung. Alternativ: Temporäre Epi-
physeodese nach Blount (10.–13. Lj.); evtl. auch Komb. von Epiphyseodese und
Korrekturosteotomie.

Prognose
O-Beine bei Rachitis: Hohe Tendenz zur Spontankorrektur. O-Beine bei Vit.-D-
resistenter Rachitis → selten Spontankorrektur. Cave: Präop. Unterbrechen der
Vit.-D-Ther.! Gefahr der Nierensteinbildung aufgrund postop. Immobilisation.

13.2.28 Genu recurvatum
Definition
Meist erworbene Überstreckbarkeit des Kniegelenks (häufig bei Polio). Kongenital
sehr selten, dann häufig doppelseitig. Nach Knie-TEP bei HKB-Ruptur/-insuffizienz.

Ätiologie
Posttraumatisch (Verletzung ventrale prox. Tibiaepiphyse, in Fehlstellung ver-
heilte Frakturen), osteopathisch (Schädigung durch Entzündungen, Tumoren),
496 13  Untere Extremität  

kompensatorisch (bei nicht ausgeglichenem Spitzfuß, bei kontralat. Beinverkür-


zung), neurogen (z. B. Poliomyelitis).

Klinik
Blickdiagnose. Evtl. Geh- und Stehunsicherheit. Rö: Evtl. Fehlform des Gelenks,
ventrale Abflachung des Tibiaplateaus.

Therapie
Konservative Therapie
• Leichte Fälle: KG, Trainieren der dorsalen Beinmuskulatur.
• Lähmungsbedingt: OS-Orthese mit Schweizer Sperre.
• Kompensatorisches Genu recurvatum: Evtl. Ursache beseitigen (z. B. Spitzfuß).
• Kongenital: Manuelle Redression, redressierende Gipsverbände bis zur Beu-
gestellung von ca. 90° (Quadrizepskontraktur!). Bei Luxation Extension.
Operative Therapie
• Korrekturosteotomie.
• Kongenitale Form: Bei Persistenz nach kons. Ther. operative Verlängerung
13 der Quadrizepssehne, ggf. mit Durchtrennung des Tractus iliotibialis und der
vorderen Gelenkkapsel.

13.2.29 Sog. Wachstumsschmerz
Definition
Relativ häufige „Verlegenheitsdiagnose“ bei Kindern mit Schmerzangabe ohne
klin. fassbaren Befund (Wachstum verursacht keine Schmerzen!). Ätiol. unklar.

Ausschlussdiagnose! Immer sorgfältig DD prüfen (▶ 13.2.1).

Klinik und Diagnostik


• Typischerweise Knie- oder Beinschmerzen vor dem Einschlafen oder nächtli-
ches Aufwachen.
• Durch Zuwendung der Eltern verschwinden die Schmerzen.
• Eltern berichten über normale Aktivitäten anderntags. Nach dem 10. Lj. nur
noch äußerst selten.
• Klin., Rö- und evtl. laborchem. Kontrollen (insbes. BSG) unauffällig.
Therapie
Nach sicherem Ausschluss pathol. Veränderungen unter Berücksichtigung der
DD bei Knie- und Beinschmerz kann man die Eltern aufklärend beruhigen. Bei
Beschwerdepersistenz, Häufung und Verstärkung der Symptomatik Kontrollen,
um keine ernste Erkr. zu übersehen.

13.2.30 Synoviale Chondromatose
Definition
Benigne, meist monartikuläre Neoplasie der Synovialis mit Bildung freier Gelenk-
körper. Metaplastisch in der Synovialmembran gebildete Knorpelinseln, die se-
kundär verkalken. Ätiol.: Unbekannt. Bevorzugt 20.–40. Lj. M : F = 2,5 : 1.
   13.2  Knie und Unterschenkel  497

Klinik
Meist monartikulär. Lokalisation (einzelne bis Hunderte von Gelenkkörpern):
Überwiegend Kniegelenk, seltener Hüfte, Ellenbogengelenk u. a. Gelenke. Extra-
artikuläre Formen selten (Sehnenscheiden, Schleimbeutel).

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Anamnese: Blockierung, Bewegungseinschränkung, Erguss.
• Rö: Große Zahl freier Gelenkkörper. Cave: Rö bis zu ⅓ der Fälle unspezifisch!
• Evtl. zusätzlich Arthrografie, CT, MRT (v. a. Hüftgelenk).
• Histologie erforderlich: Nachweis von Knorpelknötchen in der Synovialmembran.
• DD: Sekundäre synoviale Chondromatose (deg., posttraumatisch, neurogen,
rheumatisch, Osteochondrosis dissecans).

Therapie
• Operative Ther.: Synovektomie und komplette Entfernung aller Gelenkkör-
per. Rezidivgefahr wegen meist unvollständiger Synovektomie an Hüft- und
Schultergelenk.
• Bei schwerem Rez. oder unvollständiger Synovektomie → Radiosynoviorthese
mit Yttrium90 (▶ 16.6.1). 13
Prognose
Gutartig, sehr selten maligne Entartung (Chondrosarkom). Rez. abhängig von der
Gründlichkeit der Synovektomie bei 15–40 %. Häufig Sekundärarthrose.

13.2.31 Villonoduläre Synovitis
Definition
Tumorähnliche benigne Erkr. der Synovialmembran mit synovialer Wuche-
rung, kann Gelenkdestruktion verursachen. Erw. 30.–40. Lj. Noduläre Form
befällt bevorzugt Sehnenscheiden, seltener Gelenke und tritt akut auf; diffuse
Form meist monoartikulär an Gelenken der unteren Extremität (Knie > OSG >
Hüftgelenk).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Gelenkschwellung mit rez. Blockaden. Oft mehrfach blutige Punktionen.
• Rö: In der Spätphase subchondrale zystische Erosionen ohne Sklerosierung.
Weichteilmanifestation → dichter Weichteilschatten (ca. 60 %). Intraossäre
Manifestationen (ca. 40 %): Zystenartige Aufhellung gelenknah, scharf be-
grenzt mit Sklerosesaum.
• Biopsie arthroskopisch → Histologie.
• DD: Malignes Synovialom, Chondroblastom, Riesenzelltumor, intraossäres
Ganglion.

Therapie
• Bei nodulärer Form lokale Exzision.
• Bei diffuser Form ausgedehnte Synovektomie plus Radiosynoviorthese 8–10
Wo. postop. (▶ 16.6.1). Arthrodese des OSG/USG bei rascher Progredienz
und ossärer Beteiligung. TEP bei entsprechend schwerem Knie- bzw. Hüftbe-
fall mit Destruktionen bei älteren Pat. sinnvoll.
498 13  Untere Extremität  

13.2.32 Tibiakopffraktur
Klinik und Diagnostik
• Schwellung, evtl. Kontusionsmarken, Deformierung des Kniegelenks.
• DMS überprüfen. Cave: Kompartmentsy.
• Knie in 2 Eb., bei komplizierteren Frakturen CT mit 3-D-Rekonstruktion.
• Doppler-Sonografie, ggf. Angiografie.
Einteilung
• Randabbrüche: Meist knöcherne Bandausrisse (Lig. collaterale lat. oder medi-
ale, Ausriss des Tractus iliotibialis, Ausriss der Eminentia intercondylaris).
• Plateaufrakturen: Nichtdislozierte stabile Frakturen, Spalt- oder Depressions-
brüche (vorwiegend lat.), Impressionsbrüche und Komb. aus beiden, bikon-
dyläre Brüche (AO-Klassifikation ▶ 25).
• Luxationsfrakturen: I. d. R. begleitend ausgedehnte Kapsel-Band-Läsionen
(80 %) und neurovaskuläre Läsionen.

Therapie
13 Konservative Therapie
Ind.: Nicht oder minimal dislozierte Frakturen.
Maßnahmen: Hochlagern, lokal Eis, Antiphlogistika, frühfunktionelle Ther. mit
passiven Bewegungsübungen und CPM-Teilbelastung abhängig vom Frakturtyp
für 6–10 Wo.
Operative Therapie
Ind.: Dislozierte Frakturen mit Gelenkstufen über 1–2 mm, Frakturen mit Kapsel-
Band-Beteiligung, notfallmäßige OP bei neurovaskulären Läsionen, Kompart-
mentsy. und offenen Frakturen.
Ziel: Wiederherstellung der Achsenverhältnisse und der Gelenkkongruenz mit
einer stabilen Osteosynthese zur funktionellen Nachbehandlung.
• Randbrüche: Bei Gelenkstufen Reposition und Schraubenosteosynthese, ggf.
resorbierbare Implantate.
• Tibiaplateaufrakturen:
–  Monokondyläre Spaltfrakturen: Reposition und Spongiosazugschraube-
nosteosynthese.
–  Impressionsfrakturen: Über kortikales Fenster Anheben mittels Stößel
und Unterfütterung mit autologer Spongiosa, (winkelstabile) Plattenos-
teosynthese.
–  Impressions-Depressionsfraktur: Unterfütterung mit kortikospongiösem
Span über Frakturspalt, Spongiosazugschraube und (winkelstabile) Platte-
nosteosynthese.
–  Bikondyläre Frakturen: Gelenkrekonstruktion zunächst des weniger zer-
störten Tibiaplateaus, temporäre Fixation über KD, (winkelstabile) Platte-
nosteosynthese, ggf. auch kontralateral je nach Frakturausdehnung eben-
falls Platte oder Spongiosazugschrauben oder Fixateur externe oder Ilisa-
row-Fixateur.
• Luxationsfrakturen: Abstützplatten und Spongiosazugschraubenosteosyn-
these, ggf. Kleinfragmentschrauben. Wichtig ist die Versorgung von häufig
begleitenden Kapsel-Band-Verletzungen. Bei starker Zerstörung zunächst
biologische Osteosynthese zur Schonung der Fragmentdurchblutung, Band-
plastiken erst sekundär.
   13.2  Knie und Unterschenkel  499

• Trümmerfrakturen (meist mit Weichteilschaden): Gedeckte Reposition, ge-


lenktransfixierender Fixateur externe, evtl. Gefäßrekonstruktion (A. popli-
tea), Fasziotomie aller Unterschenkellogen, Weichteildébridement, ggf. lokale
gestielte Muskellappenplastik, ggf. Minimalosteosynthese größerer Fragmen-
te. Definitive Frakturversorgung (biologische Osteosynthese) nach Weichteil-
konsolidierung.
• Rückzugsmöglichkeit: Prim. Knieendoprothese mit langem Stiel bei alten Pat.
mit ausgeprägter Osteoporose.
NB: Je nach Versorgungsart; angestrebt wird eine frühfunktionelle Ther. mit CPM
und steigendem Bewegungsausmaß. 6 Wo. Teilbelastung mit 20 kg, dann stufenwei-
se Belastungssteigerung bis zum Erreichen der Volllast nach 12 Wo. ME nach ca. 1 J.

13.2.33 Unterschenkelschaftfrakturen
Klinik
Hämatom, Weichteilschwellung, Fehlstellung, Weichteilschaden, Frakturzeichen
(▶ 1.4.3).

Diagnostik 13
• Anamnese: Indirektes (z. B. Torsionsbruch beim Skifahren) oder direktes
Trauma (meist mit Weichteilschaden).
• DMS-Kontrolle, Ausschluss Kompartmentsyndrom, angrenzende Gelenke →
Verletzungskette 6 % Gelenkbeteiligung des OSG bei Schaftfrakturen.
• Rö: US mit angrenzenden Gelenken.
• Ggf. Doppler-Sonografie, Angiografie.
Cave: Insbesondere bei bewusstlosen Pat. Kompartmentsy. ausschließen → evtl.
kontinuierliche invasive Messung des Logendrucks!

Therapie
Konservative Therapie
Ind.: Unverschobene Frakturen der Tibia bzw. des US.
Maßnahmen: Gipsbehandlung.
• OS-Liegegips.
• Sarmiento-Gips: Erfordert größeres Maß an Kooperation und Zuverlässigkeit
des Pat.
• Ind.: Stabile Frakturen ohne Achsenfehler, einfache Quer- oder kurze Schräg-
brüche im mittleren Drittel, keine Verkürzung. Cave: Rotationsfehlstellung.
! KI: Instabiler Frakturtyp, Mehrfragmentfraktur, Trümmerfraktur. Fehlstel-
lung mit Verkürzung > 5 mm, Achsenabweichung > 5° oder Rotationsfehler
sowie Nervenschaden der verletzten Extremität und fehlende Kooperation.
NB: Isometrisches Muskeltraining, aktive Bewegungsübungen, zunehmende Be-
lastung bis zur Schmerzgrenze. Vollbelastung 4–6 Wo. nach Unfall. 7.–15. Wo.
Ausheilung der Fraktur.
Operative Therapie
Ind.: Alle dislozierten Frakturen, offene Frakturen, Frakturen im prox. oder dist.
Tibiadrittel insbes. bei Gelenkbeteiligung. Für die Ther.-Entscheidung ist das Aus-
maß des Weichteilschadens von großer Bedeutung.
Verfahren: Mögl. Osteosyntheseverfahren sind Marknagel, Plattenosteosynthese
oder Fixateur externe:
500 13  Untere Extremität  

• Marknagelung: Bei geschlossenen Quer- und geschlossenen, kurzen Schrägfrak-


turen v. a. im mittleren Drittel sowie Übergang vom mittleren zum prox. oder
dist. Drittel. Statische Verriegelung bei Trümmerzone und komplexen Frakturen.
Dynamische Verriegelung bei Quer- und kurzen Schrägfrakturen. Bei offenen
Frakturen (Grad I/II) und großem Weichteiltrauma unaufgebohrter Nagel. NB:
Abhängig von der Stabilität der Nagelung. Wenn belastungs- und rotationsstabil,
Mobilisation und Teilbelastung nach Abschluss der Wundheilung mit 10–20 kg.
Übergang zur Vollbelastung nach 3 Wo. ME nach 12–18 Mon.
• (Winkelstabile) Plattenosteosynthese: Hauptind. gelenknahe Frakturen, Tor-
sions- und lange Schrägfrakturen in allen Tibia-Etagen.
• Fixateur externe: Ind.: Offene Fraktur 2. und 3. Grads, geschlossene Trüm-
merfrakturen, ausgedehnter Weichteilschaden (nach Weichteilkonsolidie-
rung nach 10–14 d Verfahrenswechsel mögl.).
Vorgehen bei offener Unterschenkelfraktur
Wundabstrich, prophylaktische Antibiotikather. nach zu erwartendem Keim-
spektrum (z. B. Cephalosporin und Metronidazol), radikales Weichteildébride-
ment und Jet-Lavage, Faszienspaltung, Entfernung avitaler Knochenfragmente,
Frakturstabilisierung mittels Fixateur externe oder ungebohrtem Verriege-
13 lungsnagel, evtl. prim. Verkürzung bis 1⁄10 Unterschenkellänge (Weichteilge-
winn, Kompartmententlastung, sekundäre Kallusdistraktion), offene Wundbe-
handlung, Second Look nach 24–48 h, sekundäre Weichteildeckung (Spalthaut,
lokaler Muskellappen, freier Muskeltransfer), ggf. Verfahrenswechsel und
Spongiosaplastik.

13.2.34 Unterschenkelfraktur im Kindesalter
Definition, Einteilung, Diagnostik
• Proximale metaphysäre Unterschenkelfraktur:
– Stauchungsfraktur: Meist komplikationslos.
– Biegungsfraktur: Gefahr der Valgusfehlstellung durch partielle Wachs-
tumsstimulation! Cave: Einsehbarer Frakturspalt weist auf eine Valgus-
fehlstellung hin!
• Unterschenkelschaftfraktur:
– Isolierte Tibiafraktur: Meist Stabile Fraktur.
– Vollständige Unterschenkelfraktur: Meist instabil.
• Distale metaphysäre Unterschenkelfraktur:
– Stauchungsfraktur: Meist komplikationslos.
– Biegungsfraktur: Gefahr der Achsfehlstellung durch partielle Wachstums-
stimulation.
• Toddler's Fracture: Meist Schrägfraktur der Tibia, oft erst im Verlauf im Rö
sichtbar, zu Laufbeginn von Kleinkindern (weitere Möglichkeiten: Fibula,
Fußwurzel); Diagnose meist erst im Verlauf durch Kallusbildung zu stellen,
prim. Rö-Bild ist meist unauffällig.

Therapie
• Proximale metaphysäre Unterschenkelfraktur:
– Stauchungsfraktur: OS-Gips für 4–6 Wo.
– Biegungsfraktur: Ziel: Kompression des med. Frakturspalts mittels varisie-
renden OS-Gips (in Streckstellung), Fixateur externe oder Platte; KO: Ge-
nu valgum aufgrund stimulativer Wachstumsstörung.
   13.2  Knie und Unterschenkel  501

• Unterschenkelschaftfraktur:
– Isolierte Tibiafraktur: Stabil und undisloziert (Korrekturgrenze: < 10° An-
te-/Rekurvation/Varus, < 5° Valgus, kein Rotationsfehler) kons. im OS-
Gips für 4–6 Wo. Cave: Neigt zur Varusfehlstellung – Stellungskontrolle
nach 8 d; ggf. prophylaktische oder ther. Gipskeilung.
– Dislozierte Frakturen: Reposition in Allgemeinanästhesie und Osteosyn-
these mittels ESIN oder Fixateur externe, ggf. Platte.
– Vollständige Unterschenkelfraktur: Stabil, undisloziert (selten): OS-Gips
für 4–6 Wo.; 8 d Stellungskontrolle (Gefahr der Valgusfehlstellung). Insta-
bil: Geschlossene Reposition und Osteosynthese mittels ESIN oder Fixa-
teur externe, ggf. Platte.
• Distale metaphysäre Unterschenkelfraktur:
– Stauchungsfraktur: (Korrekturgrenze < 10. Lj.: < 10° Ante-/Rekurvation/
Valgus; < 5° Varus, kein Rotationsfehler) meist Rekurvationsfehlstellung;
US-Gips 4 Wo.; ggf. in Spitzfußstellung zur Vermeidung einer Rekurvati-
on.
– Biegungsfraktur: Ziel: Korrektur der Achsfehlstellung, v. a. in der Frontal-
ebene; i. d. R: US-Gips 4 Wo.; ggf. Gipskeilung; dislozierte instabile Frak-
turen: Ggf. Fixateur externe, ESIN oder Platte. 13
13.2.35 Kompartmentsyndrom des Unterschenkels
Definition
Druckanstieg in Muskellogen mit Störung der lokalen und peripheren Durchblu-
tung und Muskelanämie. Circulus vitiosus durch interstitielles Ödem mit erhöh-
tem Logendruck.

Ätiologie und Lokalisation


Frakturen, insbes. Unterschenkelfrakturen auf gleicher Höhe; selten postop. z. B.
nach knienahen OPs (z. B. Umstellungsosteotomie), nach Muskeleinblutung,
Kontusionsödem, venöser bzw. arterieller Verletzung, schnürenden Verbänden,
Gipsen. Muskelüberlastung z. B. bei Leistungssportlern (Gehern), Militärmärsche
(funktionelles Kompartmentsy.).
Lokalisation: 4 Kompartimente am US:
• Vorderes Kompartment (Tibialis-ant.-Loge).
• Fibulares Kompartment (fibulare Muskulatur).
• Oberflächliches dorsales Kompartment (M. triceps surae).
• Tiefes dorsales Kompartment (Zehenbeuger, M. tibialis post.).
Klinik und Diagnostik
Drohendes Kompartmentsyndrom
Leitsymptom: Zunehmender Schmerz! Weichteilschwellung. Bei unklaren star-
ken Schmerzen im US, insbes. nach Frakturen, an Kompartmentsy. denken.
Vorgehen: Entfernung sämtlicher schnürender Verbände. Palpation der Musku-
latur, Sensibilitätsprüfung (Tiefensensibilität). Prüfung der aktiven und passiven
Fußmotorik, Arterienpulse. Cave: Sensibilitätsstörung ist Spätsymptom.
Gewebedruckmessung: In der betroffenen Muskelloge als Ergänzung zum klin.
Befund. Mehrfache, evtl. fortlaufende Registrierung mit z. B. Perkutan-KS-
Druckmess-Set®, Braun Melsungen; Stryker®-Set. Kritischer Druckwert ab
30 mmHg.
502 13  Untere Extremität  

Bei Verdacht engmaschige Kontrolle. Im Zweifel und bei zunehmendem


Muskeldehnungsschmerz frühe Intervention.

Manifestes Kompartmentsyndrom
Pralle druckschmerzhafte Schwellung. Einschränkung der passiven und aktiven
Beweglichkeit des Fußes. Art. Durchblutung zunächst erhalten, im Spätstadium
(irreversibel) aufgehoben. Tibialis-ant.-Sy.: Zunächst Sensibilitätsstörungen in
der 1. Zwischenzehenfalte (Endast des N. peroneus profundus). Der Fuß steht so-
wohl beim vorderen als auch beim hinteren Logensy. in leichter Spitzfußstellung
(Ausfall der tibialen Muskelgruppe bzw. Schwellung und Kontraktur der dorsalen
Muskelgruppe).

Differenzialdiagnosen
US-Venenthrombose, Peroneuslähmung, akuter art. Verschluss bei pAVK.

Therapie
! 
Entscheidend sind klin. Diagn. und rasches operatives Handeln.
13 • Bei Schmerzzunahme großzügige offene Faszienspaltung der 4 Muskellogen,
z. B. von med. und lat. Zugang aus ohne Wundverschluss. Entfernen von Hä-
matom, Gewebsnekrosen.
• Postop. VAC-Therapie (▶ 3.1.1), kein zirkulärer Verband, lokal Eis, Anti-
phlogistika.
• Evtl. sekundärer Wundverschluss in der 2. postop. Wo.
Prognose
Bei rechtzeitiger Faszienspaltung gut, Muskulatur erholt sich i. d. R. komplett. An-
dernfalls schwerste Funktionsstörungen mit Deg. der Muskulatur, motorischen
Ausfällen (Spitz-, Hohl-, Krallenfuß), evtl. Sensibilitätsstörungen.

13.2.36 Tibia vara (Blount's Disease)


Definition
Seltene Osteochondronekrose der prox. med. Tibiametaphyse. Führt durch
Wachstumsstörung zum Genu varum. Typen: Infantile Form (2–3 J.), in ca. 65 %
doppelseitig, juvenile Form (4.–10. Lj.) oder adoleszente Form (ab 11. Lj.), in ca.
20 % doppelseitig.

Klinik und Diagnostik


• O-Beine mit Krümmungsscheitel im prox. Metaphysenbereich der Tibia.
Evtl. Innendrehfehler, Bandinsuffizienz. Knick-Senk-Füße.
• Rö: Abknicken der med. Hälfte der prox. Tibiaepiphyse, unregelmäßige Ver-
knöcherung. Einteilung/Graduierung nach Langenskjöld I–VI.

Differenzialdiagnosen
Physiol. O-Beine. Crus varum congenitum (Krümmungsscheitel eher im kauda-
len Drittel der Diaphyse), chondrodystrophische O-Beine. Rachitische O-Beine
(bds.), Tibia- oder Fibulaaplasie, Epiphysenwachstumsstörungen durch Trauma,
Infekt, Tumor.
   13.2  Knie und Unterschenkel  503

Therapie
• Beobachtung bei infantiler Form bis 2.–3. Lj. Korrigierende Orthesen bei Varus
> 15° und Alter von 2–3 J. Korrekturosteotomie (Tibia und Fibula) bei > 20° Va-
rus. Frühzeitige Korrekturosteotomien (evtl. mehrfach), um Bandlockerungen
vorzubeugen. Evtl. Verlängerungsosteotomie (Orthofix®, Ilisarov; ▶ 13.1.3).
• Adoleszenter Typ: z. B. valgisierende Korrekturosteotomie, lat. Epiphyseodese.

13.2.37 Angeborene Unterschenkelpseudarthrose
Definition
Kongenitale oder sich im 1. Lj. entwickelnde Verbiegung (überwiegend im dist.
Tibiadrittel), später Pseudarthrose mit Ausbildung meist eines Crus varum (auch
Crus antecurvatum, recurvatum oder valgum mögl.). I. d. R. einseitig. Häufig bei
Knochenfibromen bei Neurofibromatose (Morbus Recklinghausen; ▶ 17.3.3).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Einseitige US-Deformierung (Varus, Antekurvation), Verkürzung. Nach
Fraktur Entwicklung einer straffen Pseudarthrose.
• Rö: Pseudarthrose meist am Übergang mittleres → dist. Drittel Tibia/Fibula 13
mit Verjüngung der Tibia.
• DD: Osteogenesis imperfecta (evtl. blaue Skleren), Rachitis (doppelseitige De-
formierung). Tibia vara.

Therapie
Kons. Ther.: Bis zum Erreichen des idealen OP-Alters (spät) bei Verbiegung →
US-Orthese, Entlastung. Halbjährliche Kontrollen. Bei Pseudarthrose bzw. feh-
lender Spontankorrektur → OP.
Operative Ther.: Schwierig; schlechte Heilungstendenz der Pseudarthrose. Eltern
auf evtl. mehrfache OPs hinweisen. OP-Zeitpunkt nicht zu weit vor 3. Lj. Ver-
schiedene Techniken, z. B.:
• Pseudarthrosenresektion, Ilisarov-Anlage, Spongiosaplastik, prox. Kortikoto-
mie und Segment-Shift. Bei älteren Kindern mit guter Compliance (Eltern!).
• Fibula-pro-Tibia-Transfer mit Spongiosaanlagerung.
• „Kombinierte Plattenosteosynthese“ (technisch schwierig): Nach Resektion
des Periosts um die Pseudarthrose Verschraubung einer Platte gegen einen
autologen kortikospongiösen Knochenspan aus gegenseitiger Tibia oder Fe-
mur sowie zusätzliches Anlagern von Knochenspänen.
• Marknagelung.
• Amputation und Versorgung mit US-Prothese als Ultima Ratio nach zahlrei-
chen erfolglosen OPs und langer Hospitalisation.

Prognose
Unsicher auch bei optimaler Ther.

13.2.38 Distale Tibia- und Pilon-tibial-Fraktur

Unfallursache sind axiale Stauchungstraumata (Sturz aus großer Höhe, Berg-


steigen, Drachenfliegen, Kite-Surfen, Gerüststürze) → Ausschluss weiterer
Verletzungen. AO-Klassifikation: ▶ 25.
504 13  Untere Extremität  

Definition
Pilon (frz.) = Keule → Fraktur gelenktragender Anteile der distalen Tibia. Ursache
ist die Sprengwirkung der Talusrolle. Häufig Knorpelschäden an den korrespon-
dierenden Gelenkflächen.

Klinik
Ausgeprägte Weichteilschwellung, Schmerzen, Fehlstellung.

Diagnostik
• Periphere DMS, Beurteilung des Weichteilschadens.
• Rö: US mit OSG in 2 Eb. und 45°-Schrägaufnahmen, bei Luxation nach Re-
position erneut Standardaufnahmen.
• CT: Beurteilung der Gelenkfläche und der Fragmente, Ther.-Planung.
Therapie
Konservative
Ind.: Nichtdislozierte Frakturen.
NB: US-Gips für 6–10 Wo., 6 Wo. Entlastung, dann stufenweise Belastungssteigerung.
13
Operative Therapie
Notfallind. sind offene und Luxationsfrakturen. Falls Versorgung innerhalb von 6 h
nicht möglich, Reposition der Fraktur und Retention im gespaltenen US-Gips oder
ggf. Kalkaneusdrahtextension und verzögerte OP nach Abschwellen nach ca. 4–5 d.
OP-Taktik: Zunächst exakte Rekonstruktion der Fibula und Fibulaosteosynthese
mittels Platte. Anschließend 2. Hautinzision mit mindestens 7 cm Hautbrücke und
Rekonstruktion der imprimierten Tibiagelenkfläche, ggf. Spongiosaauffüllung des
knöchernen Defekts, Tibiaosteosynthese mittels (winkelstabiler) Platte (distales
Tibia-LISS oder Pilonplatte). Bei ausgeprägter Weichteilschwellung ggf. zweizeiti-
ges Vorgehen: Fibulaosteosynthese und Anlage eines gelenkübergreifenden Fixa-
teur externe. Tibiarekonstruktion und Plattenosteosynthese dann in 2. Sitzung.
Komplikationen
Infektion → operative Revision (OSG-Beteiligung!), Weichteilnekrose (schlechte
Durchblutungssituation des distalen Unterschenkels) → freier Lappen. Sekundäre
schmerzhafte Arthrose OSG.

Nachbehandlung
Ziel der operativen Ther. ist die übungsstabile Versorgung und gipsfreie frühfunk-
tionelle NB. Im Regelfall 6 Wo. Teilbelastung 20 kg, dann 6 Wo. zunehmende Be-
lastung bis zur Volllast 12 Wo. postop. ME nach 12–18 Mon.
KO: Infektion → operative Revision (OSG-Beteiligung!), Weichteilnekrose
(schlechte Durchblutungssituation des distalen Unterschenkels) → freier Lappen.
Sekundäre schmerzhafte Arthrose OSG.

13.3 Fuß
13.3.1 Wichtige Differenzialdiagnosen von Fußschmerzen und
Deformitäten
Achillodynie ▶ 7.2.1, Achillessehnenruptur ▶ 7.1.9, Ermüdungsbrüche ▶ 7.2.2.
▶ Tab.  13.9.
  13.3 Fuß  505

Tab. 13.9  Ursachen von Fußschmerzen und Deformitäten im Erwachsenen-


und Wachstumsalter
Erwachsenenalter Wachstumsalter

• Fußdeformitäten: Platt-, Senk-, Spreiz-, • Fußdeformitäten: Platt-, Senk-


Hohl-, Klump-, Sichel-, Spitzfuß Spreiz-, Hohl-, Klump-, Sichel-,
(▶ Abb.  13.21) Spitz-, Knick-Senk-Fuß
• Rheumatischer Fuß, diabetischer Fuß (▶ Abb.  13.21)
• Zehendeformitäten: Hallux valgus, Krallen- • Zehendeformitäten: Hallux val-
und Hammerzehen, Dig.-V-superductus gus, Krallen- und Hammerzehen,
• Frakturen (▶ 13.3.15) Dig.-V-superductus
• Morton-Metatarsalgie (▶ 13.3.34) • Aseptische Knochennekrosen:
• Tumoren (▶ 13.3.26) Morbus Köhler I, II
• Hallux rigidus (▶ 13.3.36) • Coalitio tarsi (▶ 13.3.27)
• Dorsaler Fußhöcker (▶ 13.3.30) • Tumoren (▶ 13.3.26)
• Fersensporn (▶ 13.3.28) • Entzündungen
• Morbus Ledderhose (▶ 13.3.33) • Frakturen, Bandläsionen
• Tarsaltunnelsy. (▶ 13.3.10) • Haglund-Ferse (▶ 13.3.29)
• Klavus (▶ 13.3.40)
• Achillodynie (▶ 7.2.1)
• Arthrosen
• Bandrupturen, -instabilität (▶ 13.3.6)
• Peronealsehnenluxation (▶ 13.3.7)
13
• Unguis incarnatus
• Burning-feet-Sy. (▶ 13.3.17)
• AVK, Claudicatio intermittens
• Neurol.: PNP (▶ 18.9.2), „Restless Legs“
• Haglund-Ferse (▶ 13.3.29)

13.3.2 Spezielle klinische Diagnostik


Spezielle Anamnese
• Hauptbeschwerden: Seit wann? Ständig, gelegentlich, rezidivierend?
• Schmerz: Belastungsabhängig, in Ruhe, nachts?
• Schmerzlokalisation.
• Unfall? Unfalldatum?
• Erguss, Schwellung?
• Gehstrecke: Unbegrenzt, schmerzfrei wie weit?
• Frühere Fußerkr.?
• Bisherige Ther.: Keine, Punktion, Inj., Medikamente, Ruhigstellung?
• Schuhzurichtung, Einlagen?
• Frühere OP?
Inspektion
• Untersuchung mindestens der gesamten unteren Extremität obligat.
• Gangbild, Einwärtsgang, Hinken, Spastik, Gehhilfen, Hacken-, Zehenspitzen-
gang.
• Beckenstand, Beinachsen physiol., varus, valgus?
• Schwellung, Erguss, Hämatom.
• Ödeme diffus, lokalisiert, Entzündung, Varikosis, Pigmentationen, Behaa-
rung, Tenosynovitis.
• Inspektion des belasteten Fußes! Fußform: Senk-Spreiz-, Klump-, Hohl-, Knick-,
Platt-, Sichelfuß, Krallen-, Hammerzehen, Zehenstellung, Hallux valgus?
• Fersenstellung: Varus, valgus, neutral. Rückfuß im Zehenstand.
506 13  Untere Extremität  

13

Abb. 13.21  Fußdeformitäten [L106]

• Fußnägel: Mykosis?
• Schuhinspektion: z. B. unterschiedliche Abnutzung der Sohlen, High Heels,
überwiegende Nutzung modischer Schuhe?
Palpation
• DS, ggf. wo?
• Bandverhältnisse stabil?
• Ulkus, Beschwielung, Sinus tarsi.
• Neurologie: Paresen? Sensibilität, Reflexe.
• Pulse.
Bewegungsprüfung
• Knie, OSG, USG, Chopart-, Lisfranc-Gelenk, Großzehengrundgelenk, Zehen-
gelenke.
• Redressierbarkeit von Fehlstellungen.
• Muskel-/Sehnenfunktionsprüfung (M. tibialis ant., M. tibialis post., Extenso-
ren/Flexoren).
  13.3 Fuß  507

13.3.3 Sprunggelenkfraktur
Sprunggelenkfrakturen bei Erwachsenen
Klinik
Schwellung, DS, bei Luxationsfrakturen Fehlstellung.

Bei offensichtlichen Luxationsfrakturen sollte möglichst noch am Unfallort,


zumindest aber vor dem Rö, die Reposition durch Längszug an der Ferse und
dem Fußrücken durchgeführt werden.

Diagnostik
• Rö: OSG in 2 Eb. (bei a. p. Aufnahme Fuß 20° innenrotieren = Mortise View).
Cave: Maisonneuve-Fraktur → bei Innenknöchelfraktur oder Ruptur des Lig.
deltoideum, hohe Fibulafraktur klin. und radiologisch ausschließen → Rö: US
mit Kniegelenk.
• Bei komplexen Frakturen (Pilon tibiale) CT.
Einteilung
Gebräuchlichste Einteilung von Weber/Danis (▶ Abb.  13.22): 13
• Weber A: Außenknöchelfraktur unterhalb Syndesmose.
• Weber B: Fraktur in Höhe der Syndesmose, hintere Syndesmose meist intakt,
häufig mit (Teil-)Ruptur der ventralen Syndesmose, selten in Komb.: Ventra-
ler knöcherner Syndesmosenausriss (Tubercule de Tillaux-Chaput).
• Weber C: Fraktur oberhalb Syndesmose mit Syndesmosenverletzung. Häufig
mit Innenknöchelfraktur oder Ruptur des Lig. deltoideum, Sonderform: Mai-
sonneuve-Fraktur: Hohe Weber-C-Fraktur mit Läsion der Membrana intero-
ssea (wird häufig übersehen!) und Innenknöchelfraktur.
Einteilung nach Lauge-Hansen (▶ Abb.  13.23):
• Supinations-Adduktionsverletzung (16 %).
• Pronations-Abduktionsverletzung (7 %).
• Supinations-Eversionsverletzung (69 %).
• Pronations-Eversionsverletzung (8 %).
Konservative Therapie
Ind: Nur bei nichtdislozierten Außenknöchelfrakturen Typ Weber A und B, bei
KI zu OP.
Maßnahmen: US-Gips für 6 Wo. mit Teilbelastung, Thromboseprophylaxe.
Operative Therapie
Taktik: Notfallmäßige sofortige Versorgung bei offenen und/oder geschlossenen
OSG-Luxationsfrakturen mit Kompartmentsy., schweren Weichteilschäden.
Schnellstmöglich bei frischer Fraktur (< 6 h) oder verzögerte OP nach Abschwel-
len nach ca. 4–5 d. Dazu sollte die Fraktur dann reponiert und im gespaltenen
Gips retiniert sein.
Verfahren: Ziele sind die stabile Osteosynthese (▶ Abb.  13.24) und die exakte Re-
konstruktion der Gelenkflächen, sonst Gefahr einer späteren Arthrose. Frühfunk-
tionelle NB.
• Weber A: Zuggurtungsosteosynthese, Schraubenosteosynthese.
• Weber B: Zugschraubenosteosynthese, Drittelrohrplatte lat. als Neutralisati-
onsplatte oder dorsal bei prekären Weichteilen, alternativ Fibulanagel → früh-
funktionelle NB.
508 13  Untere Extremität  

13

Abb. 13.22  Sprunggelenkfrakturen [L106]

• Weber C: Herstellen der Länge und Rotation. Drittelrohrplatte. Bei instabiler


Knöchelgabel nach Osteosynthese (i. d. R. bei C-Frakturen > 3 cm oberhalb
der Syndesmose: Hakentest) Stellschraube (parallel zum OSG-Gelenkspalt
und 30° von dorsoventral eingebracht), Entfernung nach 6–8 Wo. vor Aufbe-
lastung. Cave: Reduzierte Pat.-Compliance und zu frühe Aufbelastung bei
Rückgang der Schmerzen.
• Innenknöchelfraktur: Sagittalfraktur → Kleinfragment-Spongiosaschrauben;
Querbruch → 4,0-Spongiosaschrauben mit kurzem Gewinde oder Schraube
und Bohrdraht oder Zuggurtung.
• Hinteres Tibiakantenfragment (Volkmann): Ventral oder auch dorsal Klein-
fragment-Spongiosaschrauben mit Unterlegscheiben. Dorsales Fragment bei
Gelenkflächenbeteiligung von > 25 % fixieren.
Nachbehandlung
Je nach Stabilität der Osteosynthese und Knochenqualität frühfunktionelle Be-
handlung mit aktiver und passiver Gelenkmobilisation und Teilbelastung für 6–8
Wo. oder US-Liegegips für 6 Wo. ME Stellschraube 6 Wo., Platte und Schrauben
nach 1 J.
KO: CRPS, posttraumatische Arthrose.
  13.3 Fuß  509

1. Außenknöchelfraktur
Supinations- unterhalb Syndesmose
Adduktions- Weber A oder Ruptur Lig.
verletzung fib. tal. ant., Lig. fib. tal.
post., Lig. fib. calc.
16 % 2. Schrägfraktur Innenknöchel
oder Ruptur Lig. deltoideum.

Pronations- 1. Spiegelbild der S-E-Verletzung,


Abrissfraktur Innenknöchel oder
Abduktions- Ruptur Lig. deltoideum.
verletzung
2. Ruptur Syndesmose oder
Fraktur Volkmann-Dreieck.
7%
3. Schräg- oder Mehrfragment-
fraktur des Außenknöchels auf
Höhe der Syndesmose.

13
Supinations- 1. Ruptur der ventralen Syndes-
mose oder knöch. Ausriss.
Eversions-
verletzung 2. Schrägfraktur Außenknöchel
auf Syndesmosenhöhe.
3. Ausriss Volkmann-Dreieck oder
69 %
Ruptur dorsale Syndesmose.
4. Schrägfraktur Innenknöchel.

1. Schrägruptur Innenknöchel
Pronations- oder Ruptur lig. deltoideum.
Eversions-
2. Ruptur der Syndesmosen
verletzung und der Membrana interossea.
3. Hohe Fibulafraktur.
8%

Abb. 13.23  OSG: Verletzungsmuster nach Lauge-Hansen [L157]


510 13  Untere Extremität  

Zug-
Zug-
gurtungs- Klein-
schrauben-
osteosynthese fragment-
osteo-
am Außen- schrauben
synthese
knöchel

Abb. 13.24  Osteosynthesen bei Weber-Frakturen des OSG [L106]

Frakturen des Sprunggelenks


beim Kind
13 Einteilung
Bei weit offenen Wachstumsfugen Un-
terscheidung:
• Epiphysenlösungen mit/ohne me-
taphysären Keil (Salter I/II).
• Epiphysenfrakturen mit/ohne me-
taphysären Keil (Salter III/IV).
Bei beginnendem Fugenschluss:
• Twoplane-Fraktur/Tillaux-Fraktur
(▶ Abb. 13.25):Je nach Reifezu-
stand der Fuge, ventrolaterale epi-
physäre Fraktur.
• Triplane-Fraktur: Twoplane-Frak-
tur + dorsale Fraktur (= „hinteres
Volkmann-Dreieck“).
– Triplane I: Dorsale Fraktur endet
in der Epiphysenfuge (= dorsales
metaphysäres Fragment).
– Triplane II: Dorsale epi-meta-
physäre Fraktur (= dorsales epi-
und metaphysäres Fragment).
Klinik/Diagnostik
• Schwellung, Hämatom, Schmerzen.
• Rö OSG in 2 Eb.; ggf. + Schrägauf-
nahme; ggf. MRT in unsicheren
Fällen bei persistierender Klinik;
ggf. CT bei Übergangsfraktur zur
präop. Planung bei Unsicherheit. Abb. 13.25 Übergangsfraktur (Two-
plane-Fraktur) des Sprunggelenks im
Therapie Wachstumsalter im CT. a Axiale Schicht:
• Epiphysenlösungen: Kons. Ther.: Typische ventrolaterale epiphysäre
< 10. Lj.: Achsfehler < 10°, kein Fraktur. b Koronare Schicht. [P149]
  13.3 Fuß  511

Rotationsfehler; OP: Außerhalb der Korrekturgrenze: Geschlossene Repositi-


on und ggf. KD- oder Schraubenosteosynthese.
• Epipyhsenfraktur/Übergangsfraktur: Gelenkfraktur; kons. Ther.: Undislo-
zierte Frakturen (< 2 mm Dehiszenz); OP: Dislozierte Frakturen; offene, ggf.
geschlossene Reposition und Schraubenosteosynthese.
Komplikation
Epiphysenlösung: Wachstumsstörungen; Epiphysenfraktur: Wachstumsstörung; Ge-
lenkinkongruenz – Präarthrose; Übergangsfraktur: Gelenkinkongruenz – Präarthrose.

13.3.4 Syndesmosenruptur
Definition
Ruptur des Lig. tibiofibulare und Membrana interossea cruris. Kommt selten iso-
liert vor (i. d. R. zusammen mit Weber-C- bzw. Maisonneuve-Fraktur).

Ätiologie
Supinations-Eversions-Trauma.
13
Klinik und Diagnostik
• Schwellung über vorderem Syndesmosenband.
• Schmerzangabe bei Außendrehung des Fußes, „Kneifzangenschmerz“ im
Syndesmosenbereich bei Drücken der Fibula gegen Tibia.
• Rö: OSG nativ in 2 Eb.: Knöcherner Ausriss? Verbreiterte Malleolengabel?
• CT: Stellung der distalen Fibula im Tibiofibulargelenk.
• MRT.
Therapie
Ohne Dislokation im distalen Tibiofibulargelenk (dorsale Syndesmose steht!) →
kons. Ther. mit US-Liegegips für 6–8 Wo., bei Dislokation der Fibula im Tibiofibu-
largelenk → OP. Reposition der Fibula. Stellschraube. Adaptationsnähte des Lig. ti-
biofibulare ant. US-Liegegips für 6–8 Wo., danach Stellschraubenentfernung.

13.3.5 Außenbandruptur OSG
Definition
Lat. Kapsel-Band-Ruptur des OSG (Ruptur des Lig. fibulotalare ant. et post., Lig.
fibulocalcaneare sowie der Gelenkkapsel) aufgrund eines Supinationstraumas des
Fußes. Häufigste Bandverletzung.

Ätiologie und Einteilung


• Supinations-Inversions-Trauma.
• Verletzungskette: Lig. fibulotalare ant. → Lig. fibulocalcaneare → Lig. fibulota-
lare post.

Klinik und Diagnostik


• Anamnese: Supinationstrauma? Frühere Bandläsionen?
• Befund: Schwellung, Hämatom, lokaler DS, Belastungs- und Bewegungs-
schmerz, vermehrte lat. Aufklappbarkeit, vermehrter Talusvorschub (antero-
lat. Rotationsinstabilität). Instabilität wird in 3 Gruppen (+–+++) eingeteilt.
512 13  Untere Extremität  

• Rö: OSG in 2 Eb. (a. p. in 15° Iro.) zum Frakturausschluss.


• MRT: Bei V. a. Knorpelläsion am Talusdom.
Differenzialdiagnosen
• Malleolarfraktur, Zerrung, Reruptur, chron. Instabilität, Epiphysenverletzung
bei Kindern.
• Besonderheiten bei Kindern: Intraligamentäre Bandruptur ist bei Kindern ei-
ne Rarität, stattdessen knöcherne Bandausrisse.

Therapie
Konservativ – frühfunktionell. Zunächst hochlagern, Eis. Antiphlogistika-Ver-
band, dann Bracebehandlung für 6 Wo. (z. B. Aircast®-Schiene oder Malleoloc®-
Schiene) und KG mit Training der Propriozeption und der peronealen Muskel-
gruppe.

Prognose
Gut, falls frühfunktionell nachbehandelt wird.

13 13.3.6 Chronische anterolaterale Bandinstabilität des OSG


Pathogenese
Meist Folge einer nicht erkannten oder unzulänglich behandelten Außenban-
druptur. Häufig Entwicklung einer sekundären Arthrose.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Unsicherheitsgefühl, besonders beim Gehen auf unebenem Gelände, rez.
Subluxation, häufiges Umknicken, Belastungsschmerz.
• Rö: OSG in 2 Eb., Stressaufnahmen beider OSG (Haltegerät) zur Beurteilung
des Talusvorschubs und der lat. Aufklappbarkeit.
• DD: Allg. Bandlaxität.
Therapie
Bandplastik: Zahlreiche Methoden in der Lit. beschrieben. Im Wesentlichen wer-
den 2 Arten unterschieden:
• Nichtanatomischer Ersatz mit der Peroneus-brevis-Sehne als Tenodese (Wat-
son-Jones, Chrisman-Snook).
• Anatomischer Ersatz mit verstärkenden Ligamentoplastiken (z. B. Periostlap-
penplastik nach Kuner, Plantarissehnentransplantat nach Weber etc.).
Die erstgenannten Techniken führen zur Stabilität, aber in hohem Maß auch zur
subtalaren Arthrose, weshalb die zuletzt genannten Techniken favorisiert werden.

Nachbehandlung
i. d. R. frühfunktionell, US-Gips bis zur Wundheilung, dann Orthese für 6–12 Wo.

13.3.7 Peronealsehnenluxation
Pathogenese
Seltene, häufig übersehene Verletzung (gehäuft bei Skifahrern, erstmals beschrie-
ben bei Baletttänzern) mit Luxation oder Subluxation der Peronealsehnen hinter
dem Außenknöchel. Entsteht akut oder mehr schleichend durch ruckartige Dor-
  13.3 Fuß  513

salextension und Eversion des Fußes. Das Retinaculum superius reißt oder wird
gedehnt. Die Peronealsehnen gleiten aus ihrem Bett über die Außenknöchelspitze
nach ventrolateral. Begünstigend: Flaches Gleitbett und anlagebedingtes schwa-
ches Retinakulum (habituelle Peronealsehnenluxation).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Frische Luxation imponiert wie eine schwere OSG-Distorsion, DS hinter
dem Außenknöchel, bei Eversion und Dorsalextension kann gelegentlich
Luxation reproduziert werden, Plantarflexion führt zur Reposition der
Sehnen.
• Rö: OSG in 2 Eb. z. A einer knöchernen Verletzung.
• MRT: Fibroperiostale Abscherung der Gleitrinne in 50 % der frischen Läsio-
nen.
• DD: Fibulare Bandruptur.
Therapie
Kons. Behandlung mit 6 Wo. US-Gips in leichter Supination-/Inversionsstellung
nur im Akutfall sinnvoll.
OP: Zahlreiche Methoden in der Lit. beschrieben. Im Wesentlichen werden 4 Ar-
ten unterschieden:
13
• Rekonstruktion der peronealen Sehnenscheide (ggf. in Komb. mit Periost-
plastik).
• Tenoplastik (Achillessehnenplasik nach Jones, d. h., lat. Anteil der Achilles-
sehne wird, distal gestielt, durch einen knöchernen Kanal des Außenknöchels
geführt als Ersatz des peronealen Retinakulums).
• Knöcherne Verschiebeplastik des Außenknöchels (Variationen nach Kelly,
DuVries, Micheli beschrieben) und Schraubenfixation.
• Vertiefung der retromalleolären Rinne (insbes. bei Dysplasie der Rinne ge-
eignet).
NB: 2 Wo. US-Liegegips, dann 4 Wo. US-Gehgips. Dann KG mit aktiven und
passiven Bewegungsübungen.

13.3.8 Arthrose im oberen Sprunggelenk


Ätiologie
Meist posttraumatisch (80 %), idiopathisch, nach Inf. oder im Rahmen rheumati-
scher Erkr.

Klinik
• Anlauf-, Belastungsschmerzen, Schwellneigung bei Belastung, Bewegungsein-
schränkung.
• Rö: OSG in 2 Eb.: Verschmälerung des Gelenkspalts, Osteophyten, Zysten
(typische Arthrosezeichen).
• MRT.
Konservative Therapie
Ind.: Anfangsstadium der Arthrose.
Maßnahmen: Medikamentös-physik. Maßnahmen. Orthopädietechnik: Knö-
chelbandage, Einlage mit Fußbettung, Pufferabsatz, elastischer Fersenkeil, US-
Orthese, knöchelübergreifender orthop. Schuh (▶ 23.10).
514 13  Untere Extremität  

Operative Therapie
Arthrodese
Ind.: Schmerzhafte, fortgeschrittene, durch kons. Maßnahmen nicht beeinfluss-
bare Beschwerden.
Verfahren: Schrauben-Kompressions-Arthrodese mit 2–4 Schrauben gilt als Me-
thode der Wahl. Korrektur von Varus-/Valgus-/Spitzfußfehlstellungen (bei
gleichzeitiger USG-Arthrose Erweiterung zur peritalaren Arthrodese, ggf. mit ret-
rogradem Nagel, mögl.).
Spezielle Risiken und Aufklärung: Geringe Beinverkürzung. Pseudarthrose.
Vorzeitige Arthrose im USG. Aufklärung über Probleme, z. B. infolge Bewe-
gungseinschränkung beim Berg- oder Treppabgehen. Spätere Schuhversor-
gung.
Präop. achten auf Knochenqualität, Beweglichkeit im USG, Chopart-Gelenk, Zehen.
OP-Technik mit Zugschrauben: Ant. Zugang zum OSG medial des Gefäß-
Nerven-Bündels zwischen Tibialis-anterior- und Extensor-hallucis-longus-
Sehne. Kapsulotomie und Synovialektomie. Mit gebogenen Meißeln, oszillie-
render Säge und hochtourigen Fräsen Entknorpeln der Gelenkflächen und
Abtragung von Exophyten. Ggf. Fibulaosteotomie und Anpassen an die lat.
13 Talusschulter. Einstellung des Fußes in Rechtwinkelstellung zur Tibia mit ca.
1 cm Tibiavorschub und Fixation mit 2–4 kanülierten Bohrern. Osteosynthese
mit kanülierten Spongiosaschrauben mit kurzem Gewinde. Ggf. autologe
Spongiosaplastik.
NB: Meist 6-wöchige Gipsruhigstellung.
Ergebnisse: Bei frei beweglichem USG geringe funktionelle Einschränkung mögl.,
jedoch langfristig hohe sekundäre Arthroserate USG.
OSG-Endoprothese
Seit Einführung der 3-Komponenten-Endoprothesen in zementfreier Technik zu-
nehmend weitere Verbreitung und klin. gute Ergebnisse. Vorteil gegenüber Arth-
rodese: Anteiliger Erhalt der OSG-Beweglichkeit. Nachteil: Hohe Re-OP-Raten.
Ind.: Bei guter Knochenqualität, gutem Rückfußalignement und Bewegungsein-
schränkung als Leitsymptom. Bei beidseitiger Arthrose oder pantalarer Arthrose.
OSG-Prothese wird häufig mit Eingriffen am Rück- und Vorfuß (z. B. USG-Ar­
throdese) kombiniert.

13.3.9 Sinus-tarsi-Syndrom
Ätiologie
Häufig posttraumatisch (ca. 70 %), RA u. a.

Klinik und Diagnostik


• Schmerzen lat. Fußrand, am heftigsten beim Stehen und Laufen, verschwin-
den meist in Ruhe. Instabilitätsgefühl im Rückfuß auf unebenem Boden.
• Test: Inj. eines LA.
• Rö: OSG in 2 Eb. unauffällig.
Therapie
Wiederholte Inj. von LA mit Steroiden in Sinus tarsi. KG, Auftrainieren der Pero-
nealgruppe. OP bei Ther.-Resistenz: Exzision von Gewebe im Sinus tarsi. Nur in
sehr seltenen außerordentlich therapieresistenten Fällen Triple-Arthrodese.
  13.3 Fuß  515

13.3.10 Tarsaltunnelsyndrom (TTS)
Definition
Häufigstes der insgesamt seltenen Nervenengpass-Sy. am Fuß (medial).

Ätiologie
Chron. Schädigung des N. tibialis post. (prox. TTS) bzw. seiner Endäste Nn. plan-
taris med. und lat. (dist. TTS) unter dem Retinaculum musculorum flexorum (Lig.
laciniatum). Vielfältige Ursachen, anamnestisch häufig Trauma im Fuß- und
OSG-Bereich.

Klinik und Diagnostik


• Nächtlich betonte Schmerzen. Dys-, Par-, Hypästhesien am med. Fußrand, an
der Fußsohle und/oder Ferse, ggf. mit Ausstrahlung in die Wade.
• Schmerzzunahme bei Belastung und Zwangshaltung des Fußes in Dorsalex-
tension.
• Befund: Lokaler DS hinter dem Innenknöchel oder am Rand des M. abductor
hallucis. Schmerzverstärkung bei forcierter Dorsalextension. Sensibilitätsstö-
rung im Innervationsgebiet des N. tibialis post. bzw. der Nn. plantares. Atro- 13
phie der Fußsohlenhaut. Im Spätstadium Atrophie der Zehenspreizer (schwer
prüfbar).
• ENG, EMG. Anästhesie des N. tibialis hinter Malleolus medialis.
Therapie
Kons. Ther.: 5–6 Inj. von LA (z. B. Mepivacain) und Glukokortikoiden 1 ×/Wo.;
KG; Entlastung des med. Fußgewölbes durch Einlagen.
Operative Ther.: Bei Ther.-Resistenz und eindeutigen neurol. Befunden. OP-
Technik: Bogenförmiger med. Hautschnitt hinter Innenknöchel über Tarsal-
tunnel. Spalten des Lig. laciniatum. Türflügelartiges Eröffnen des Tarsaltun-
nels. Darstellen des N. tibialis post., prox. Darstellen des Oberrands des M.
abductor hallucis und Resektion seiner tiefen Faszie. Darstellen der Nn. plan-
tares. Öffnen der Blutleere. Blutstillung. Minidrain. Subkutannähte, Hautnaht.
Verband.
NB: Hochlagern, Antiphlogistika, Eis.

Prognose
Nach OP ca. 70 % der Pat. schmerzfrei.

13.3.11 Talusfraktur
Definition
Selten (ca. 0,5 % aller Frakturen), jedoch oft folgenschwer durch vulnerable Ge-
fäßversorgung: Gefahr einer avaskulären Nekrose, vom Ausmaß einer Dislokati-
on abhängig. Einfache Einteilung in zentrale nekrosegefährdete und periphere
nicht nekrosegefährdete Frakturen.

Klinik
Belastungsschmerz, Schwellung, Hämatom.
516 13  Untere Extremität  

Diagnostik
Periphere Durchblutung und Sensibilität, Ausschluss weiterer Verletzungen (Ver-
letzungskette), Kompartmentsy. der Fußlogen (prall-gespannte Weichteile, Sensi-
bilitätsstörungen). Bei Fraktur des Proc. posterior tali eingeschränkte Großzehen-
beugung, da lange Beugesehne direkt am Proc. posterior vorbeiläuft.
• Rö: OSG in 2 Eb., Spezialaufnahmen des Talokalkaneargelenks (Broden-Spe-
zialaufnahme), Mortise-Aufnahme zur Beurteilung der lat. Talusschulter
(Fuß und Unterschenkel um 15° nach innen rotiert). DD: Fraktur des Proc.
posterior – Os talare post. (glatte Begrenzung, meist beidseitige Anlage).
• CT: Bei unverschobenen Talushalsbrüchen und Abscherfrakturen; Nachweis
von Frakturen des Proc. lateralis meist nur dadurch möglich.
• MRT: Indiziert zur Differenzierung von Osteochondrosis dissecans und Ab-
scherfrakturen und zur Beurteilung der Vitalität bei avaskulären Nekrosen.

Deutliche Fragmentdislokation: Gefahr der Talusnekrose bei zentralen Frak-


turen. Deshalb schnellstmögliche Reposition!

13 Einteilung
▶ Tab.  13.10.
Tab. 13.10  Differenzierte Klassifikation der Talusfrakturen
Talushalsfrakturen (Hawkins; ca. 50 % Taluskorpusfrakturen (Sneppen)
der Talusfrakturen)

• I: Nichtdislozierte Vertikalfraktur (30 %) • Trümmerfrakturen


• II: Dislozierte Vertikalfraktur (45 %) • Frakturen Proc. lateralis tali und Proc.
• III: Dislozierte Vertikalfraktur mit Dislo- post. tali
kation im OSG und USG, meist nach • Scherfrakturen des Taluskorpus
posterolat. (20 %) • Chondrale Frakturen der Trochlea tali
• IV: Wie III, zusätzlich Dislokation imTa-
lonavikulargelenk (5 %)

Die Gefahr einer avaskulären Nekrose steigt mit dem Grad der Taluszerstörung. Bei
Typ I 5–10 %, bei Typ II 40–50 % und bei Typ III und IV 80–100 % → notfallmäßige
Reposition und operative Versorgung.

Therapie
Konservative Therapie
Ind.: Periphere und zentrale Frakturen ohne Dislokation.
Maßnahmen: US-Liegegips 6 Wo., danach weitere 6 Wo. Teilbelastung im US-Gips.
Operative Therapie
Zentrale Frakturen:
• Typ II nach Hawkins: Falls möglich geschlossene Reposition und perkutane
Schraubenosteosynthese mit zwei kanülierten Kleinfragmentschrauben von
ventral oder auch dorsal.
• Typ III und IV: Offene Reposition und Schraubenosteosynthese, ggf. über In-
nenknöchelosteotomie. Schonung der Restdurchblutung über die Gelenkkap-
sel. Bei Impressionsfrakturen Aufbau mit autologer Spongiosa.
Periphere Frakturen:
• Proc. posterior und lateralis: Offene Reposition und Fixation mit Kleinfrag-
ment-Spongiosaschraube, ggf. nur KD bei kleinem Fragment oder Resektion.
  13.3 Fuß  517

• Taluskopf: Offene Reposition und Fixation mit resorbierbaren Stiften,


bei größeren Fragmenten Mini- oder Kleinfragmentschrauben-Osteosynthe-
se.
Offene Frakturen mit Weichteilschaden: Versorgung in o. g. Weise, zusätzli-
che Ruhigstellung durch Transfixation des OSG mittels Fixateur externe. Bei
starker Zerstörung zunächst nur Reposition, Weichteildébridement und Fixa-
teur-externe-Anlage. „Second look“ nach 48 h mit Lavage und erneutem Dé-
bridement, Weichteilpflege und ggf. -rekonstruktion. Ausbehandlung im Fixa-
teur, sekundäre interne Osteosynthese bei fehlender Frakturdurchbauung
nach 6–8 Wo.
Nachbehandlung
• Osteosynthetisch versorgte zentrale Frakturen: Frühfunktionelle Ther., Ab-
rollbelastung für 12 Wo.
• Periphere Frakturen: US-Gips für 4 Wo., danach frühfunktionelle Ther. mit
Teilbelastung für weitere 4 Wo.
• Bei beidseitigen Frakturen Mobilisation zunächst im Rollstuhl, anschließend
(je nach Compliance des Pat.) im Allgöwer-Apparat.
• ME: Bei Schrauben, die in Gelenkflächen versenkt wurden, frühzeitig nach 3
Mon., sonst Belassen des Materials. 13
Komplikationen
• Talusnekrose: Häufgste KO.
• Infektion: V. a. bei offenen Frakturen, operative Revision unter Einbeziehung
aller beteiligten Gelenke.
• Posttraumatische Arthrose: Typ I in 20 %, Typ II in 50 % und Typ III und IV
in über 80 % → Arthrodese zur Beschwerdebesserung.

13.3.12 Osteochondrale Läsionen (Osteochondrosis


dissecans) des Talus
Lokalisation
Fast immer an der med. Talusseite gelegen. Ätiol. unklar (Trauma?).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Belastungsabhängige Schmerzen, rez. Schwellungen, schmerzhafte Bewe-
gungseinschränkung. Blockierungen bei freiem Dissekat.
• Rö: OSG in 2 Eb. Evtl. seitl. Aufnahme in max. Plantarflexion. Evtl. Tomo-
gramm. Röntgenologische Stadien (nach Berndt und Harty):
– 1: Sklerosierung des subchondralen Knochens.
– 2: Schollenstadium.
– 3: Fragmentationsstadium. Dissekat im Mausbett.
– 4: Freier Gelenkkörper.
• CT oder MRT: Heute fast regelmäßig verwendete Zusatzdiagn.
• DD: „Flake Fracture“.
Therapie
Konservative Therapie
Ind.: Insbes. im Wachstumsalter gerechtfertigt bei geringen Beschwerden und
unverändertem röntgenologischem Aspekt im Beobachtungszeitraum.
518 13  Untere Extremität  

Maßnahmen: Immobilisation und/oder Gewichtsentlastung.


Operative Therapie
Ind.: Sehr heterogene Meinungen in der Literatur. Empfehlung: Bei Beschwerde-
persistenz und röntgenologischem Stadium 3 oder 4. Bei Einklemmungserschei-
nungen.
Verfahren: Anbohrung und evtl. Spongiosaplastik (Stadium 2) oder Arthroskopie
(entsprechend arthroskopischer Stadieneinteilung):
• Stadium 1: Knorpel intakt.
• Stadium 2: Knorpel intakt. Geringe Erweichung an der Grenze zwischen Dis-
sekat und intaktem Knochen. Prüfung mit Tasthaken: Dissekat lässt sich
nicht oder gering bewegen. Fixation mit 2–4 PDS-Stiften (Ethi-Pin®).
• Stadium 3: Knorpel mit deg. Veränderungen, Dissekat beweglich. Fixation
mit PDS-Stiften oder Kleinfragmentschrauben. Bei älteren Pat. und lat. (fla-
chen) Läsionen evtl. auch Dissekatentfernung.
• Stadium 4: Spaltbildung an der Grenzfläche Dissekat/normaler Knochen.
Dissekat gut beweglich, evtl. frei. Arthroskopische Entfernung, Abrasio.
NB: Nach Anbohrung oder Refixation Entlastung für 6–12 Wo.

13 Prognose
Altersabhängig, Erw. schlechtere Resultate.

13.3.13 Kalkaneusfraktur
Ätiologie
Meist Sturz aus großer Höhe (Arbeitsunfälle, Suizidversuche, Sportunfälle). Des-
halb in 15 % doppelseitige Frakturen.

Klinik
• Ausgeprägte Schwellung, verbreiterte und verkürzte Ferse, Hämatom.
• Unbedingt DSM prüfen und Kompartmentsy. im Fußbereich ausschließen
(Sensibilitätsstörung beugeseitig an Zehen, Beugestellung im Großzehen-
grundgelenk).
• Zusätzliche Verletzungen der Verletzungskette Fuß – Wirbelsäule ausschließen.
Diagnostik
• Rö: OSG in 2 Eb., Kalkaneus seitl. und axial, Spezialaufnahmen des USG
(Broden).
• CT: Heute Standard-Diagn., axiale und koronare Schichtaufnahmen, wichtig
zur OP-Planung und zur Klassifikation.

Einteilungen
Verschiedene Klassifikationen (nach Essex-Lopresti [▶  Abb.  13.26], AO/ASIF,
CT-Klassifikation nach Sanders). Grundlage aller Klassifikationen ist die Eintei-
lung in 5 Hauptfragmente: Tuberositas-, Sustentakulum-, post. Facetten-, ant.
Haupt- und ant. Facetten-Fragment.
• Primärfraktur: Durch Eindringen des Proc. lat. tali in zentralen Kalkaneus →
vertikale Frakturlinie am Vorderrand der post. Facette.
• Sekundärfrakturen: Durch weitere Krafteinwirkung → horizontale Fraktur
des Tuber calcanei (sog. Tongue-Typ) oder kranialer Frakturverlauf hinter
der post. Facette (sog. Joint-Depression-Typ).
  13.3 Fuß  519

a) Fraktur des b) Jointdepression Type c) Tongue


Sustentaculum tali

Abb. 13.26  Einteilung der Kalkaneusfrakturen nach Essex-Lopresti. a Fraktur des


Sustentaculum tali mit Gelenkbeteiligung. b Fraktur durch keilförmiges Eindrin-
gen des Talus in den Kalkaneus. c Fraktur durch keilförmiges Eindringen des Ta-
lus in den Kalkaneus bei Horizontalfraktur des Kalkaneus. [L106]

Einteilung nach Sanders


13
• Typ I: Unverschobene Fraktur.
• Typ II: Zweifragment- oder Spaltbruch.
• Typ III: Dreifragment- oder Spaltbruch mit Impression.
• Typ IV: Mehrfragment-Gelenkfraktur.
Konservative Therapie
Bei extra- und intraartikulären Frakturen ohne Dislokation: Ruhigstellung in ge-
spaltenem US-Liegegips für 6 Wo., Hochlagerung, Kryother., Antiphlogistika,
Thromboseprophylaxe. Dann funktionelle Behandlung mit Teilbelastung für wei-
tere 4 Wo., danach schmerzorientierte Vollbelastung.

Operative Therapie
Ind.: Alle dislozierten intraartikulären Frakturen mit Stufen mehr als 2 mm.
KI: Diabetisches Fußsyndrom, ausgeprägte Durchblutungsstörungen, Weichteil-
schaden.
Technisch sehr anspruchsvolle OP. Bei ausgeprägtem Weichteilschaden Anlage
eines Fixateur externe. OP nach Abschwellung nach 6–10 d. Bei Kompartmentsy.
notfallmäßige Spaltung der Fußlogen.
Ziel der OP: Wiederherstellung der Gelenkkongruenzen und der Kalkaneusform
und stabile Osteosynthese zur frühfunktionellen Ther.
• Knöcherne Ausrisse des Achillessehnenansatzes und Entenschnabelfraktu-
ren: Offene Reposition, Fixation mit 2 Spongiosazugschrauben.
• Frakturen vom Tongue-Typ und Joint-Depression-Typ: Über (erweiterten)
lat. Zugang offene Reposition des tuberalen Hauptfragments mittels perkuta-
ner Schanz-Schraube von dorsal, temporäre KD-Fixation; Stabilisierung der
Primärfraktur mit Schrauben und lat. winkelstabile Plattenosteosynthese, ggf.
in Komb. mit Eigenspongiosaplastik. Ggf. zusätzlicher med. Zugang.
• Offene Frakturen: Notfallmäßige Versorgung nach den Richtlinien der Ver-
sorgung offener Frakturen. Je nach Situation Anlage eines Fixateur externe
zwischen distaler Tibia, Tuber calcanei und Fußwurzel, Minimalosteosynthe-
se mit KD oder Kleinfragmentschraubenosteosynthese.
520 13  Untere Extremität  

Nachbehandlung
Hochlagerung und Kryother., US-Liegegips bis zur Wundheilung, dann früh-
funktionelle Ther. ohne Belastung für 6 Wo., dann stufenweise Belastungssteige-
rung bis zum Erreichen der Volllast nach 12 Wo.
KO: Wundheilungsstörungen (insbes. bei Rauchern), Inf., posttraumatische Ar-
throse, Valgusfehlstellung mit Subluxation im Chopart-Gelenk (Verkürzung der
lat. Fußsäule), Impingement der Peroneus-Sehnen.

13.3.14 Verletzungen der Fußwurzel

Insbes. bei Polytraumatisierten werden Verletzungen des Fußes häufig über-


sehen. Große Gefahr von Haut- und Weichteilnekrosen.

Klinik
Schwellung, Hämatom, Fehlstellung.

13 Diagnostik
• DS, eingeschränkte, schmerzhafte Beweglichkeit.
• Rö: Fußwurzel in 2 Eb., Schrägaufnahmen meist notwendig.
• CT präop. und bei unklaren Rö-Befunden.
• MRT nur bei speziellen Fragestellungen (z. B. Ermüdungsfrakturen).
Luxation und Luxationsfrakturen im Chopart-Gelenk
Definition
Luxation im Talokalkanear- und Talonavikulargelenk nach erheblicher Ge-
walteinwirkung (▶  Abb.  23.3). Rein ligamentäre Verletzungen sind selten,
meist sind es Luxationsfrakturen mit Beteiligung von Kuboid, Navikulare, Ta-
lus. Sonderform: Luxatio pedis subtalo medialis und lateralis = Luxation im
Talonavikulargelenk mit Deviation des Vorfußes nach med. oder lat. (Ver-
hältnis 6 : 1).
Therapie
Konservativ: Alle Luxationen, die reponierbar und retinierbar sind. 3 Wo. US-
Liegegips und 3 Wo. US-Gehgips, aus dem jeweils heraus beübt werden kann.
Semioperativ: Alle Luxationen, die reponiert, aber nicht retiniert werden können.
→ Temporäre Bohrdrahtfixation und US-Liegegips für 6 Wo., dann Drähte entfer-
nen und funktionelle Ther.
Operativ: Frakturen, die geschlossen nicht reponiert werden können, müssen of-
fen reponiert werden. Kleine Fragmente werden verworfen, Gelenkinkongruen-
zen rekonstruiert und je nach Größe mit Schrauben, Bohrdrähten oder resorbier-
baren Pins, Darts fixiert. 3 Wo. US-Liegegips und 3 Wo. US-Gehgips, aus dem je-
weils heraus beübt werden kann.

Luxation und Luxationsfrakturen im Lisfranc-Gelenk


Luxation der Metatarsalia durch indirektes oder direktes Trauma nach oben mit
Zerreißung der dorsalen Bandstrukturen, wobei die plantaren häufig intakt bleiben.
Klassifikation nach Hardcastle
• Isolierte Luxationen von 1 oder 2 Mittelfußknochen (MFK) in einer Rich-
tung.
  13.3 Fuß  521

• Einseitige (homolaterale) Luxation aller 5 MFK in dieselbe Richtung.


• Divergierende Luxation des MFK 1 oder MFK 1 und 2 nach medial, MFK 3–5
nach lateral.
Therapie

Häufig Repositionshindernisse durch eingeschlagene Sehne des M. tibialis ant.


an der Medialseite und des M. peroneus longus auf der Lateralseite.

Konservativ: Alle Luxationen, die reponibel und retinierbar sind. 6 Wo. US-Lie-
gegips.
Semioperativ: Alle isolierten und divergierenden Luxationen, die geschlossen re-
poniert, aber nicht retiniert werden können. → Temporäre Bohrdrahtfixation und
US-Liegegips für 6 Wo., dann Drähte entfernen und funktionelle Ther.
Operativ: Homolat., instabile, offene Luxationen und Luxationsfrakturen, Kom-
partmentsy. Offene Reposition und KD-Fixation oder 3,5-mm-Kleinfragment-
schraubenosteosynthese. Die Reposition beginnt immer am 2. Strahl (Schlüssel-
fragment). Ruhigstellung zunächst im gespaltenen US-Gips, nach 1 Wo. US-Geh-
gips mit Abrollbelastung für 8 Wo. Schrauben- bzw. KD-Entfernung 8 Wo. postop. 13
Prognose
Rein ligamentäre Verletzungen haben bei sofortiger Behandlung eine gute Progn.
und heilen häufig ohne wesentliche Folgen aus. Gelenkstufen führen in hohem
Maß zu Arthrose und Bewegungseinschränkungen. Insbes. bei Navikularefraktu-
ren besteht die Gefahr einer Osteonekrose.

13.3.15 Frakturen der Ossa metatarsalia


Ätiologie
Meist Quetschverletzungen im Sinne von direkten Traumen (cave: Kompart-
mentsy.), seltener Umknicken des Fußes mit Abrissfraktur der Basis des Metatar-
sale I als Ansatzstelle des M. peroneus longus. Sonderfall: Marschfraktur ▶ 7.2.2.

Klinik und Diagnostik


• Umschriebener Belastungsschmerz, Schwellung, Deformierung.
• Rö: Mittel- und Vorfuß in 2 Eb.
• CT bei komplexen Verletzungen, MRT bei V. a. Stressfrakturen.
Therapie
Prinzip: Quergewölbe des Fußes erhalten, daher möglichst exakte Reposition.
Konservative Therapie
Ind.: Undislozierte Frakturen.
Ther.: 3 Wo. US-Liege-, dann 2–3 Wo. US-Gehgips.
Operative Therapie
Ind.: Dislozierte Frakturen, Frakturen mehrerer Metatarsalia, Schaftfrakturen
Metatarsale I und V.
Verfahren: Abrissfraktur Metatarsale-V-Basis: Schraubenosteosynthese oder
Zuggurtung. Schaftfraktur Metatarsale V (Jones-Fraktur): Schraubenosteosynthe-
se. Serienfrakturen der Metatarsalia II–IV: Reposition und Spickdraht- bzw. Plat-
522 13  Untere Extremität  

tenosteosynthese. Frakturen der Metatarsalia I und V: Offene Reposition und


Plattenosteosynthese (Rahmenstruktur). Köpfchenfrakturen: Geschlossene Repo-
sition und Spickdrahtosteosynthese.
NB.: US-Gips mit Teilbelastung für 4–6 Wo. Plattenosteosynthese: Frühfunktio-
nelle Ther. mit Teilbelastung für 4–6 Wo.

13.3.16 Akzessorische Fußknochen
Definition
Häufige, mannigfaltige und meist symmetrische Skelettvarietäten des Fußes, die
meist zufällig entdeckt werden und überwiegend harmlos sind.

Formen
▶ Abb.  13.27.
• Os tibiale externum: Klin. am wichtigsten. Durch eine Synchondrose von der
dorsomedialen Tuberositas ossis navicularis abgesetzt.
• Os naviculare cornutum: Knöcherne Verschmelzung des Os tibiale externum
mit der Tuberositas navicularis.
13 • Os trigonum: Liegt im dorsalen Talokalkanealwinkel.
• Os vesalianum: Liegt an Basis des Metatarsale V lat. vom Kuboid.
• Os peroneum: Liegt in der Sehne des M. peroneus longus lat. oder unterhalb
des Kuboids, evtl. 2–3 Einzelfragmente.
• Os supranaviculare: Liegt an der prox. Navikularekante.
• Talus secundarius.
• Os subfibulare.

Abb. 13.27  Akzessorische Fußknochen [L190]


  13.3 Fuß  523

Klinik und Diagnostik


• Bisweilen durch knöcherne Raumforderung im Schuh lokale DS, Schwielen
oder Bursitiden.
• Rö, evtl. im Seitenvergleich.
Differenzialdiagnosen
! Abgrenzung von Traumafolgen! Gutachterlich häufig bedeutsam.
• Os trigonum: Abriss des Proc. post. tali.
• Os vesalianum: Abrissfraktur, Epiphysenkern.
• Os supranaviculare: Knochenausriss, wird oft fehlgedeutet.
• Talus secundarius: Sesambeine, Frakturfragmente, Knochenkerne.
• Os subfibulare: Knöcherne Bandausrisse.
Therapie
Exstirpation nur bei Beschwerden, insbes. Os naviculare cornutum: Kons. Ther.: Lo-
kale Entlastung im Schuh. Operativ bei Ther.-Resistenz: Großzügiges Abmeißeln
der Exostose am med. Os naviculare und Glätten der Knochenränder. Reinsertion
der Sehne plantar an der Tuberositas ossis navicularis: Postop. evtl. US-Gips.
13
13.3.17 Diabetischer Fuß
Definition
Sammelbegriff für die diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie (DNOAP)
durch chron. Mikro-/Makroangiopathie, PNP und Infektresistenzschwäche. In-
tervall zwischen Auftreten eines Diab. mell. und einer Arthropathie ca. 10 J., zu-
nehmende Problematik!

Klinik
Allgemein
• Besonders beachten: Neuropathie, Gefäßsituation, Weichteilverhältnisse,
Knochenbeteiligung, Infekt?
• Diffuse ödematöse Weichteilschwellung des Fußes, umschriebene schmerzlo-
se Schwellung im Fußbereich.
• Palpation: Beinarterienpulse, Hauttemperatur. Bei mikroangiopathisch be-
dingter Zehennekrose sind Fußpulse i. d. R. tastbar.
Besondere Veränderungen
Charcot-Fuß: Bei ca. 1 % der Diabetiker. Meist 5.–6. Ljz. Schmerzlose Destruktion
und Deformierung:
• Stadium I: Akute Entzündung mit Hyperämie und Schwellung.
• Stadium II: Knochenneubildung.
• Stadium III: Konsolidierung in schwerer Deformität.
Neuropathia diabetica: Fußsohlenbrennen („Burning Feet“). Wadenkrämpfe,
muskulärer DS (▶ 18.9.2). Hypästhesie. Parästhesie v. a. nachts, oft einseitig, distal
betont. Tiefensensibilität und Vibrationsempfindung gestört. Sensible, sensori-
sche Ausfälle nicht segmental, sondern typischerweise strumpfförmig begrenzt.
Abgeschwächte MER, insbes. ASR, PSR. Anhidrose.
Restless Legs: „Unruhige“, brennende Füße/Beine mit zeitweiser Besserung durch
Bewegung → gestörter Schlaf. Ther: Grundkrankheit behandeln, bei PNP
α-Liponsäure 3 × 200 mg/d p. o. (z. B. Thioctazid®), evtl. auch i. v. (wirksamer),
524 13  Untere Extremität  

milde Neuroleptika wie Prometazin 4–5 × 10 mg/d p. o. (z. B. Atosil®), Elektro-
ther. (z. B. Vierzellenbad, Stangerbad).
Neuropathisches Ulkus (Malum perforans): Schmerzwahrnehmung ↓ mit Ul-
kus v. a. im Bereich hoher mechanischer Belastung (Vorfuß). Häufig Entwicklung
einer Osteomyelitis. Fehlstatik durch Osteoarthropathie. Bessere Heilungsten-
denz als Gangrän.
Ischämisch-gangränöses Ulkus: Meist schmerzhaft, Zeichen der Angiopathie mit
meist fehlenden Fußpulsen, trockene oder feuchte Gangrän mit typischer Lokali-
sation an Hacke oder Zehen mit (schwärzlichen) Nekrosen.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Interdisziplinäre Diagn. und Ther.!
• Rö Fuß in 2 Eb.: In fortgeschrittenem Stadium neurogene Osteoarthropathie
mit Gelenkfehlstellungen, reaktionsloser Osteolyse, Sklerosezonen, Osteopo-
rose. Später Stabilisierung des Knochenumbaus, Sklerosierungen, Verknöche-
rungen.
• MRT: Relativ frühe Diagnose einer Osteomyelitis möglich.
• Doppler-Sonografie, evtl. Angiografie.
13 • Abstrich bei Gangrän, Inf. (meist mehrere Erreger!) → Antibiogramm.
• DD: Ischämisch-gangränöser Fuß bei AVK, Tabes dorsalis, Syringomyelie,
Myelodysplasie, Osteomyelitis, Psoriasisarthritis, Tumoren, Lepra.

Internistische/gefäßchirurgische Therapie
• Optimale diabetische Stoffwechseleinstellung. Aktives Gefäßtraining, Muskel-
arbeit, internistisches Konsil.
• Gefäßerweiternde Medikamente bei pAVK z. B. Naftidrofuryl (z. B. Dusod-
ril®), Pentoxifyllin (z. B. Trental®), Buflomedil (z. B. Bufedil®), Bencyclan
(z. B. Fludilat®), Prostaglandine (alle oral nicht sehr wirksam, optimaler Effekt
bei i. v.-Gabe und in Komb. mit Gehtraining sowie mit Hämodilutionsbe-
handlung [z. B. HAES® 10 % 250–500 ml/d i. v.]), indiziert v. a. für Stadium II.
• Im Stadium III und IV einer pAVK Ruhigstellung, gepolsterte Horizontalla-
gerung der Extremität. Hämodilution. Heparinisierung.
• Klärung einer evtl. Ind. für Gefäßrekonstruktion bei ischämisch-gangränö-
sem Fuß (gefäßchir. Konsil, Angiografie).

Orthopädische Therapie
• Erhalten der Gehfähigkeit: Fußbettung, orthop. Maßschuh. Diabetikerschu-
he: Speziell gepolstertes Schuhwerk, Ballenrolle. Bei Destruktion des OSG
bzw. USG: Arthrodese mit Resektion nekrotischer Areale, autologer Spongio-
saplastik und langfristiger Ruhigstellung erwägen (hohe KO-Rate beachten).
• Phlegmone: Antibiotika, Bettruhe, feuchte Umschläge, Beobachtung.
• Malum perforans: Zunächst Ruhigstellung, Entlastung, Full-Contact-Cast,
Wundsäuberung, Antibiotika nach Antibiogramm, Exzision nekrotischen
Gewebes, knöcherne Resektionen.
• Trockene Gangrän: Inf.-Prophylaxe z. B. mit Neomycin-Puder (z. B. Nebace-
tin®). Lokal Kryother. des gefährdeten Gliedabschnitts (Senkung des O2-Be-
darfs im Gewebe). Ziel: Trockene Demarkation des abgestorbenen Gewebes.
Grenzzonenamputation als Ultima Ratio (▶ 23.12).
• Feuchte Gangrän: Infektbeherrschung mit Überführung in trockene Gangrän
und Demarkation anstreben. Sekretableitung, Drainage, feuchter antisepti-
scher Verband. Trocknung mit Föhn. Pinselung mit 0,5–1 % Methylenblaulö-
  13.3 Fuß  525

sung. Sparsame Gewebsabtragung. Schmerzbekämpfung. Antibiotika nach


Antibiogramm (z. B. Clindamycin, Imipenem oder Gyrasehemmer ▶ 24.2.8).
Amputation als Ultima Ratio (bei Sepsis und rascher Progredienz).

Prophylaxe: Patientenschulung!
Vermeidung lokaler Noxen, sorgfältige tgl. Fußpflege durch geschulten Hel-
fer, Druckstellenentlastung, weites, warmes Schuhwerk, konsequente Ther.
von Fußmykosen, Hühneraugenentfernung mit Nagelfeile, Bimsstein,
Schleifpapier (keine Scheren, Messer oder Salizylate).

13.3.18 Erwachsenenplattfuß
Definition
Pes planus-valgus (et abductus). Fixierter Endzustand eines kindlichen (▶ 13.3.22)
bzw. jugendlichen Plattfußes mit deg. Veränderungen im Fußwurzelbereich. Exo-
gene Ursachen: z. B. posttraumatisch (Kalkaneusfraktur ▶ 13.3.13), Paresen, Po-
liomyelitis, MMC (▶ 17.5.2), RA (▶ 16.8.1).
13
Klinik
Unter Umständen belastungsabhängige Schmerzen, jedoch keine Korrelation
zwischen Ausmaß des Plattfußes und Beschwerden.

Therapie
Kons. Ther.: Bei voll belastbarem rigidem Fuß: Orthop. Schuh mit Sohlenverbrei-
terung, Einlage und Schaftversteifung. Alternativ nur Einlage (Bettung ▶ 23.8.10),
evtl. Maßschuhe.
Operative Ther.: Stufenther.: Sehnentransfers (Flexorensehnenaugmentation des
M. tibialis post.), Kalkaneusverschiebeosteotomien, Verlängerungen des lat. Fuß-
rands. Beim Lähmungsplattfuß subtalare Korrekturarthrodese oder additive Trip-
le-Arthrodese.

13.3.19 Hohlfuß
Definition
Pes cavus. Längsgewölbe überhöht, die Ferse steht oft varisch. Steilstellung des
Fersenbeins beim Hackenhohlfuß. Unterscheide von Form und Ursache her den
häufigeren Ballen- vom Hackenhohlfuß.

Ätiologie
• Meist idiopathisch. Familiär gehäuft auftretend. Störung des Muskelgleichge-
wichts.
• Bei plötzlich oder allmählich im Wachstumsalter zunehmenden schwereren
Hohlfüßen meist neurol. Ursache, z. B. Charcot-Marie-Tooth, Friedreich-
Ataxie, Myelodysplasie bzw. Spina bifida (myelodysplastischer Hohlfuß),
Lähmungen, RM-Tumoren.
• Hackenhohlfüße beruhen meist auf Schwäche oder Ausfall der Wadenmus-
kulatur (z. B. Polio-Restlähmung).
• Ätiol. Klärung: Neurol. Untersuchung, Rö der LWS (Spina bifida; ▶ 17.5.2),
evtl. MRT (Tethered-Cord-Sy.).
526 13  Untere Extremität  

Klinik und Diagnostik


• Unterscheidung eines flexiblen kindlichen von einem kontrakten Hohlfuß.
Auffällig ist das übermäßig hohe Längsgewölbe mit stark beschwieltem und
schmerzhaftem Ballen (Ballenhohlfuß).
• Klauenhohlfuß: Starke Krallenzehenstellung (sog. extensor substitution).
• Rö: Beim Ballenhohlfuß steht insbes. Metatarsale I übermäßig steil. Der
Krümmungsscheitel liegt etwa in Höhe der Ossa cuneiformia. Beim Hacken-
hohlfuß fällt die stärkere Steilstellung des Fersenbeins auf, der Krümmungs-
scheitel liegt weiter prox. Im seitl. Strahlengang überkreuzen sich Metatarsale
I und V.

Therapie
• Leichte Fälle, flexibler Hohlfuß: Zunächst Stufeneinlage (▶ 23.8.10).
• Bei schwereren Hohlfüßen als symptomatischer Eingriff Release der Plantara-
poneurose (Steindler-Release). Stufenther.: Sehnentransfers (Flexor-digito-
rum-longus-, Tibialis-post.-Transfer), extendierende Metatarsale-I-Osteoto-
mie, interphalangeale Arthrodese, modifizierter Jones-EHL-Transfer, Exten-
sorensehnenrückversetzung.
13 • Sehr schwere kontrakte schmerzhafte Hohlfüße bei Erw.: Subtalare Arthrode-
se mit dorsaler Keilentnahme im Bereich der Ossa cuneiformia. Triple-Arth-
rodese evtl. in Komb. mit Zeheneingriffen.

13.3.20 Kongenitaler Klumpfuß
Definition
Passiv nicht ausgleichbare komplexe Fußdeformität mit den Komponenten
Spitzfuß, Varusstellung der Ferse, Hohlfuß und Add. des Vorfußes (Pes equino-
varus-adductus-supinatus-excavatus) . Häufigkeit: ca. 0,1 % der Neugeborenen.
M : F = 2 : 1. 50 % doppelseitig.

Klinik
Befund

Untersuchung in Rückenlage bei 90° Knie- und Hüftbeugung.


• Equinus (Spitzfuß): Kontrakter M. triceps surae bei fixierter Plantarflexion
des Gesamtfußes. Tuber calcanei hochstehend.
• Varus des Rückfußes. Quer verlaufende Hautfalten an Fußinnenseite.
• Adductus im Mittel- und Vorfuß.
• Supinatus: Supination des gesamten Fußes.
• Exkavatus: Hohlfuß mit Vertiefung des Längsgewölbes.
• Klumpfußwade: Bleibende Atrophie des M. triceps surae. Gastrocnemius-
muskelbäuche nach prox. verschoben.
Natürlicher Verlauf
Unbehandelt verbleibt der Fuß in der beschriebenen Stellungsanomalie oder
verschlimmert sich mit Subluxation unter Deformierung von Fußwurzelkno-
chen. Im Laufalter wird der äußere Fußrand belastet, im Extremfall sogar der
Fußrücken.
  13.3 Fuß  527

Wichtig ist die Suche nach begleitenden anderen Deformitäten oder Fehlbil-
dungen (in ca. 5 % der Fälle): Hüftluxation, -dysplasie (immer auch Sono der
Hüften!), Spina bifida occulta (▶ 17.5.2), Arthrogrypose (▶ 17.3.8), neurol.
Defekte.

Diagnostik
Rö i. d. R. zunächst nicht erforderlich, jedoch zur Verlaufsbeobachtung gehaltene
Fußaufnahme in 2 Eb. wünschenswert (Ther.-Kontrolle). Pathol.: Lat. Talokalka-
neuswinkel < 30° (oft 0°), Längsachsen Talus/Kalkaneus < 20°, oft parallel.

Differenzialdiagnosen
• Harmlose Klumpfußhaltung (volle manuelle Korrektur mögl.).
• Teratogener (z. B. bei Arthrogrypose) bzw. ein später sich manifestierender
neurogener (z. B. bei Zerebralparese ▶ 17.5.1, Myelodysplasie ▶ 17.5.2), er-
worbener posttraumatischer und entzündlicher Klumpfuß (▶ 13.3.20).

Therapie
13
Entscheidend: Frühbehandlung unmittelbar nach Geburt und konsequente
Ther. und Kontrolle bis zum Wachstumsabschluss. Gute Kooperation der
Eltern zusätzlich wichtig!

Konservative Therapie (in ca. 50 % erfolgreich)


Therapievorschlag: Die standardisierte Behandlung nach Ponsetti ist heute State
of the Art: Schrittweise manuelle Korrektur und redressierende OS-Gipsverbände
in 90° Kniebeugung. Der 1. Gips wird idealerweise nach 1 Tag, der zweite nach 2
Tagen usw. dann in wöchentlichem Abstand in zunehmender Korrekturstellung
gewechselt (ca. bis 3. Lebensmon., Etappengipse).
Korrekturprinzip: Zunächst Add. und Varusstellung beseitigen. Zuletzt vorsich-
tige Korrektur des Spitzfußes (Gefahr des Schaukelfußes mit konvex gebogener
Fußsohle).
Operative Therapie (Unterscheide Früheingriffe – Späteingriffe)
Ind.: Ungenügendes Korrekturergebnis.
Verfahren: Achillessehnenverlängerung (ASV) mit evtl. dorsaler Kapsulotomie
im OSG und USG (posteromediales Release). Verlängerung der Tibialis-post.-,
Flexor-hallucis- und Flexor-digitorum-longus-Sehne. Bei Rezidiven sind im
Wachstumsalter u. U. Sehnenverlängerung bzw. -verlagerungen und Korrektu-
rosteotomien notwendig. Nach Wachstumsabschluss knöcherne Eingriffe bei
noch bestehender Deformität (z. B. subtalare Arthrodese, Dwyer-Osteotomie
des Kalkaneus, Metatarsale-Osteotomie) mit anschließend ca. 10 Wo. Gipsru-
higstellung.
NB: Ca. 6 Wo. Gips. In jedem Fall konsequente Retentionsphase und KG. Nacht-
lagerungsschienen (▶ 23.8.9), Einlagen.

Prognose
Bei Frühbehandlung sind gute Resultate zu erzielen. Unbehandelt oder schlecht
therapiert → progrediente Deformität.
528 13  Untere Extremität  

13.3.21 Kongenitaler Plattfuß (Talus verticalis)


Definition
Seltene Deformität mit Steilstellung des Talus, kontrakter Valgusstellung der Fer-
se, Fersenhochstand, Abd. und Pronation des Vorfußes und Abflachung der Fuß-
längswölbung.

Klinik und Diagnostik


• Konvex gebogene Fußsohle am auffälligsten (Tintenlöscherfuß).
• Rö: Talus verticalis. (Sub-)Luxation des Talo-Kalkaneo-Navikular-Gelenks
(▶ Abb.  13.28).
• DD: Physiol. Scheinplattfuß des Neugeborenen.
Therapie
Schwierig.
• Kons. Ther.: Manuelle Redression und Gipsbehandlung sofort nach Geburt.
• Operative Ther.: Ind.: Reposition des Os naviculare durch kons. Ther. nicht
mögl. → Achillessehnenverlängerung, med. und lat. Kapsulotomie und opera-
13 tive Reposition im Alter von 4–6 Mon. (in einer Sitzung).

13.3.22 Kindlicher Knick-Senk-Fuß (KSF), Plattfuß


Definition
Bei Gehbeginn erkennbare häufigste, meist harmlose kindliche Fußdeformität mit
verstärkter Valgusstellung der Ferse (Knickfuß) und Abflachung des med. Fußge-
wölbes (Senkfuß), die bis zu einem gewissen Grad physiol. ist. Grenzen zum Pa-
thol. fließend.

Ätiologie
Am häufigsten erworben → Bandlaxität, Muskelschwäche, Übergewicht, Genua
valga oder vara, Lähmungen.

Klinik und Diagnostik


Der KSF macht selten Beschwerden. Bei Schmerzen an DD denken!
Inspektion
• Untersuchung im Gehen, Stehen, Liegen. Auf Gangbild achten (Lähmung, ICP).
• Med. Fußwölbung abgeflacht bzw. aufgehoben, der Vorfuß ist abduziert
(„Too-Many-Toes-Sign“ bei Ansicht von hinten), das Fersenvalgus verstärkt.

Zwischen 2. und 5. Lj. bestehen physiol. verstärkte Genua valga, deshalb ver-
stärktes Fersenvalgus normal. Pathol. Fersenvalguswinkel: Kind 2–5 J. > 20°
(„Kind steht neben seinen Füßen“). Vorschulalter > 10°. Erw. > 5°.

Funktionstests (immer durchführen)


• Zehenspitzenstand: Fehlende Valguskorrektur sowie fehlende Korrektur der
Abflachung des med. Fußgewölbes sind pathol.
• Beweglichkeit der Fußgelenke: Verminderte Beweglichkeit der Fußgelenke
pathol.
• Unterscheide: Flexibler und rigider (kontrakter) KSF.
  13.3 Fuß  529

13

Abb. 13.28  Röntgenologische Darstellung der knöchernen Verhältnisse am Fuß-


skelett beim Neugeborenen [L190]
Röntgen
• Nur bei rigidem oder schwerem KSF mit Beschwerden (Fuß im Stehen a. p.,
seitl., schräg). Auf Coalitio achten (▶ 13.3.27).
• Wesentlicher Winkel ist der talokalkaneale Öffnungswinkel (normal ca.
30–40°; ▶ Abb.  13.28).

Differenzialdiagnosen
Physiol. Knickfuß. Kongenitaler Plattfuß, Coalitio calcaneonavicularis (▶ 13.3.27,
Rö: Schrägaufnahmen → Synostose?). Lähmungsbedingter Knick-Senk-Fuß.

Konservative Therapie
• Flexibler KSF: Aufklärung der Eltern über gute Progn. und Spontanverlauf.
Lediglich halbjährliche Kontrollen.
• Barfußgehen, spielerische Fußgymnastik (Greifübungen der Zehen, Zehen-
spitzenstand).
• Selten ist KG erforderlich.
• Einlagen nur bei schwerem KSF. Einlagenverordnung: Einlage nach Gipsab-
druck, fersenumfassend mit med. Supinationskeil, evtl. Verkürzungsausgleich,
Tragzeit bis ca. 3 J. Auch v.-Volkmann-Flügeleinlagen und Fersenschalen nach
Helfet sind sinnvoll. Einlagen nach Spitzy sind überholt, da quälend und meist
rasch unwirksam. Kontrolle des Kinderschuhs (ausreichend Platz?).
530 13  Untere Extremität  

• Rigider oder schwerer KSF (selten): Ther. in Abhängigkeit von Grunderkr.,


z. B. Lähmungsknickfuß (Polio): Evtl. Gehapparat, Einlagen.

Operative Therapie
Ind.: Nur bei erfolgloser kons. Ther. und deutlichen klin. und pathol. Verände-
rungen und belastungsabhängigen Schmerzen.
Weichteil-OPs: Große Zahl bekannt. Ziel: Verbesserung des fußgewölbeheben-
den Muskelzugs. Z. B. OP nach Niederecker (Rückversetzung der Sehne des M.
tibialis ant.); OP-Alter: Nach dem 8. Lj.
Knöcherne OP: OP nach Grice z. B. bei schwerem KSF v. a. bei neurol. Grunder-
kr. (ICP, MMC; ▶ 17.5). OP-Alter individuell. Prinzip: Extraartikuläre (Knochen-
wachstum nicht beeinträchtigende) subtalare Arthrodese mit Einbringen von
Knochentransplantat in Sinus tarsi (lat.). Postop. OS-Gips in 90° Knieflexion;
OSG in max. Dorsalflexion, Fuß in Korrekturstellung. Varisierende Kalkaneusos-
teotomie sehr selten indiziert. Kalkaneusverlängerung nach Evans bei schweren
kontrakten KSF.
Arthrorise: Minimalinvasives Einbringen einer konischen Schraube in den Sinus
tarsi (OP-Ind.-Grenzen bisher unscharf).
13
Prognose
Bei flexiblen KSF ohne knöcherne Deformität gut. Die meisten KSF bedürfen kei-
ner Ther., da Spontankorrektur bis Schulalter.

13.3.23 Angeborener Hackenfuß
Definition
Relativ häufige, meist harmlose Fehlstellung.

Klinik und Diagnostik


Auffällig vermehrte Dorsalextension; der Fußrücken kann ggf. den US berühren.
Die Plantarflexion ist eingeschränkt.

Therapie
Meist Spontankorrektur innerhalb weniger Wo. Sonst Physiother. und manuelle
Redression in die Plantarflexion. Lediglich in ausgeprägten Fällen Gips- oder
Schienenbehandlung.

13.3.24 Spitzfuß, Hängefuß (erworben)


Definition
• Spitzfuß: Kontrakte, meist erworbene Plantarflexion des Fußes (Ferse berührt
nicht den Boden).
• Hängefuß: Folgezustand bei Lähmung der Fußheber; nur passive, keine aktive
Fußhebung.

Ätiologie
• Spitzfuß:
– Sehr viele Ursachen, am häufigsten bei ICP (▶ 17.5.1).
– Angeboren (isolierter Spitzfuß) sehr selten; regelmäßig als Komponente
beim kongenitalen Klumpfuß (▶ 13.3.20).
  13.3 Fuß  531

– Erworben: z. B. bei spastischen Lähmungen am häufigsten (ICP, Hemiplegie).


Schlaffe Lähmung (z. B. Poliomyelitis). Posttraumatisch (Verletzungen US,
OSG, Fuß) z. B. mit Verkürzung der Achillessehne. Systemkrankheiten (z. B.
Hämophilie, Arthrogrypose). Mechanische Ursachen (z. B. Deckendruck bei
Bettlägerigen). Ischämische Kontrakturen (z. B. Tibialis-ant.-Sy. ▶ 13.2.35).
• Hängefuß: Schlaffe Lähmung z. B. durch Poliomyelitis; iatrogen durch Druck-
schaden oder Verletzung des N. peroneus profundus (Gips, OP); Läsion der
Nervenwurzel L5 z. B. durch NPP; Querschnittslähmung; Hirninfarkt; diabe-
tische Neuropathie und andere.

Klinik
• Gangbild: Steppergang? Hackengang unmöglich, Fuß plantarflektiert. Ferse
hochstehend? Echte oder funktionelle BLD (▶ 13.1.3)?
• Muskulärer Funktionstest und Differenzierung der Art einer Kontraktur.
– Ist aktive und manuell-passive Dorsalextension bei ganz durchgestreck-
tem Knie über Neutralstellung (rechter Winkel) hinaus nicht möglich →
Gastrocnemiuskontraktur (z. B. ICP-Diplegie).
– Ist Extension auch bei gebeugtem Kniegelenk nicht möglich → zusätzliche
Soleuskontraktur (z. B. bei ICP-Hemiplegie).
• Funktionelle Beinverlängerung durch Spitzfuß führt über Beckenschiefstand 13
zur Lumbalskoliose. Genu recurvatum?

Diagnostik
• Neurol. Untersuchung.
• Rö: Fuß in 2 Eb., evtl. auch Knie, Hüfte, WS (Anhalt für MMC). Gehaltene
Aufnahme in max. Dorsalext. dokumentiert den Winkel der passiven Fußhe-
bung. Bei kindlichen Lähmungsspitzfüßen → Ossifikationsstörungen, Verfor-
mungen, Dislokation (Vergleichsaufnahme des gesunden Fußes).
• EMG.
• Ganganalyse: Pathol. Muskelaktivität und Bewegungsmuster.
• Probeexzision bei V. a. myogenen Lähmungsspitzfuß.
Wichtige Prophylaxen (Spitzfuß)
• Bei Ruhigstellung des OSG unbedingt Neutral-0-Stellung (Ausnahme z. B.
postop. nach Achillessehnennaht; ▶ 7.1.9).
• Tgl. Mobilisation, wenn möglich. Fußkasten im Krankenbett. Bettdecken-
druck vermeiden. KG.
• Gute Gipspolsterung am Fibulaköpfchen (N. peroneus).
Konservative Therapie
• Ther. abhängig von Ursache, Schweregrad, Beschwerden.
• Indiziert bei leichten Formen, geringgradiger Spastizität oder sich zurückbil-
denden Lähmungen.
• Hängefuß: Dynamische Fußheberorthese. Seltener OP.
• Kontrakter Spitzfuß: Aktive und passive Mobilisation, KG mit dem Ziel der
manuellen Redression. Gastrocnemiusdehnung immer bei gestrecktem Knie.
• Bei Spastik: KG auf neurophysiol. Basis (z. B. Bobath- oder Vojta-Ther.).
Operative Therapie
Ventrale aponeurotische Verlängerung des M. gastrocnemius
Ind.: Vorwiegend bei spastischer ICP kurz vor Wachstumsabschluss bei mittel-
gradiger Muskelkontraktur.
532 13  Untere Extremität  

Prinzip: Mehrfache, schräge Durchtrennung der ventralen aponeurotischen Seh-


nenplatte (3–5 Schnitte) des M. gastrocnemius.
NB: US-Gips in Rechtwinkelstellung des OSG für 8 d. Lagerungsorthese für min-
destens 1 J. (reflexhemmende OS-Fuß-Lagerungsorthese mit Kniestreckstab und
Zehenrampe).
Triple-Arthrodese mit ventraler Keilentnahme nach Lambrinudi
Ind.: Arthrosen im USG und kontrakten älteren, anderweitig nicht korrigierbaren
Spitzfüßen.
Prinzip: Nach Knorpelentfernung Versteifung des Subtalar- sowie des Chopart-Ge-
lenks, wobei aus dem ventralen Taluskopf ein Keil entnommen wird. Verzahnung
des Talus in einer Nut des Os naviculare. Plantarflexion im OSG auf 0–10° und Vor-
fuß bzgl. Pro- und Supination in Neutralposition einstellen. Transfixation mit Stein-
mann-Nagel und KD. Bei Spitzfuß > 60° ergänzend Achillessehnenverlängerung.
NB: Hochlagerung. Nach 2. Wo. OS-Liegegips. Nach 6. Wo. postop. US-Gehgips
für 6 Wo. Dann Rö-Kontrolle.
Weitere Verfahren
• Achillessehnenverlängerung bei Klumpfuß (▶ 13.3.20).
13 • Gastrocnemiusrezession (▶ 17.5.1): Komplette quere dorsale Durchtrennung
der Gastrocnemiusaponeurose.
• Verlegung des M. tibialis post. durch Membrana interossea auf Fußrücken
bei Hängefuß.

13.3.25 Stinkfuß
Definition
Häufiges, unter Orthopäden gefürchtetes Sy., meist auftretend nach Ausziehen
sog. Stinksocken. M : F ca. 25 : 1. Oft Koinzidenz mit Schweißfuß. Mitunter erheb-
liche Sozialrelevanz.

Ätiologie
Zeit-, Wasser-, Seifen- oder Sockenmangel.

Klinik und Diagnostik


• Geruch und Inspektion richtungweisend. Pat. selbst erstaunlich indolent, da-
her oft schockierender Zufallsbefund.
• Palpation: Nur z. A. anderer Erkr. Unbedingt Handschuhe!
Therapie
• Beratung unter Beachtung höflicher Umgangsformen (Stigmatisierung unbe-
dingt vermeiden!): Hydrother., viel Schwimmen.
• Notfallmäßig (in dieser Reihenfolge): Fußbad, Raumluftspray, lokal
Transpulmin®-Salbe.
• In schweren Fällen dermatologisches Konsil: Kollegen vorwarnen.
! Stinkfuß nie alleiniger Vorstellungsgrund → an Behandlung des eigentlichen
Problems denken.

Prognose
Gut, aber rezidivfreudig.
  13.3 Fuß  533

13.3.26 Knochentumor des Fußes


Definition
Am Fuß sind fast alle Knochentumoren möglich. Ca. 4 % aller Knochentumoren
und tumorähnlichen Knochenläsionen sind an Fuß und Sprunggelenk lokalisiert.
Verhältnis benigne : maligne ca. 7 : 1. Enchondrom am Fuß ca. ¾ aller Knochen-
tumoren. Charakteristisch ist eine relative Häufigkeit sonst seltener Tumoren,
z. B. Osteoblastome, Chondroblastome, Chondromyxoidfibrome, aneurysmati-
sche Knochenzysten, Chondro-, Fibro- und Ewing-Sarkome.

Klinik und Diagnostik


• Schwellung, (belastungsabhängige) Schmerzen. Oft Frühdiagnose mögl. auf-
grund oberflächlicher Lage der Knochen.
• Osteoidosteom: Belastungsunabhängiger Schmerz. Arthritische Symptomatik
möglich. Diagnosestellung oft erst nach J. Wegen geringer Herdgröße radio-
logische Diagn. oft schwierig. Szintigramm (immer pos.). Ther.: Kürettage.
• Rö-Morphologie:
– Scharfe Begrenzung: z. B. Osteochondrom, Chondroblastom, Chondro-
myxoidfibrom, intraossäres Ganglion, solitäre Knochenzyste, z. B. Kalka- 13
neuszyste.
– Unscharfe Begrenzung: z. B. Osteoidosteom, Osteoklastom, alle malignen
Tumoren.

Differenzialdiagnosen
• Malignes Synovialom, Weichteilchondrom, Gicht, Morbus Paget, Kompaktainseln.
• Kalkaneusosteomyelitis: Sehr unterschiedliche Ätiol., oft ungünstiger Hei-
lungsverlauf.
• Kalkaneuszyste: Häufigste tumorvortäuschende Knochenläsion am Fuß. Oft
Zufallsbefund. Rö charakteristisch (ovalär, glatt begrenzt). Ther.: Beobach-
tung. Nur bei persistierenden Beschwerden Kürettage und Spongiosaplastik.

13.3.27 Coalitio tarsi (Synostosen)


Definition
Verschmelzung von Fußwurzelknochen. Häufigste Synostosen kalkaneal-naviku-
lär und talo-kalkaneal. Brücke knöchern, fibrös oder knorpelig. Ther. abhängig
von Alter, Schweregrad der Deformität, Beschwerden und Synostosentyp.

Coalitio calcaneonavicularis
Klinik und Diagnostik
• Oft erst im Schulalter fällt ein rigider Knick-Platt-Fuß auf mit Belastungs-
schmerz und Ermüdung infolge des chron. Reizzustands. Eine einseitige Fuß-
deformität im Kindesalter ist oft richtungweisend.
• Rö: Am besten zeigen Schrägaufnahmen die komplette oder inkomplette
knöcherne Synostose.
• CT oder MRT: Exakte Darstellung der Coalitio.
Therapie
Inj. eines LA wie Mepivacain 1 % (z. B. Scandicain®) in das Talonavikulargelenk,
evtl. mit Kortisonzusatz. Bei persistierenden starken Beschwerden noch im Jugend-
alter Resektion der knöchernen/knorpeligen Brücke und Weichteilinterposition.
534 13  Untere Extremität  

Coalitio talocalcanearis
Klinik und Diagnostik
• Rigider Knick-Platt-Fuß. Bewegungen im USG aufgehoben. Belastungs-
schmerzen bei nicht knöchern überbrückter Coalitio. Intermittierende
Schmerzen aufgrund Spasmen der Peronealmuskulatur möglich.
• Rö: Rückfuß seitl., axiale Aufnahmen. Meist nur mediale Brücke.
• CT oder MRT: Exakte Darstellung der Coalitio insbes. zur präop. weiteren
Klärung.
Therapie
• Bei akuten Beschwerden Sprunggelenkimmobilisation mit Gips oder Orthe-
sen. Inj. eines LA (z. B. Lidocain).
• Bei therapieresistenten Beschwerden Entfernung der Brücke im Kindesalter
(keine sekundären knöchernen Veränderungen) bzw. Arthrodese des Talo-
kalkaneal- und Talonavikulargelenks, ggf. zusätzlich Kalkaneokuboidgelenk
(Triple-Arthrodese) im Erw.-Alter.

13.3.28 Fersensporn
13
Definition
Knöcherner zehenwärts gerichteter Sporn an der Medioplantarseite des Kalkane-
us. Meist Zufallsbefund und klin. stumm. Ursache: Meist Ansatztendinitis.

Ätiologie
Meist Abflachung des Fußlängsgewölbes (z. B. Knick-Senk-Fuß). Prädisponieren-
de Faktoren: Stehender Beruf, Übergewicht.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Belastungsabhängiger, stechender Fußsohlenschmerz direkt unter dem Fer-
senbein. Umschriebener DS am Ansatz der Aponeurose, etwas medioventral
vom Fersenhauptbelastungspunkt.
! Klinik kann Spornbildung vorauseilen (Insertionstendopathie).
• Rö: Seitaufnahme des Rückfußes: Gelegentlich 1–5 mm langer Knochen-
sporn. Kalkeinlagerungen in ansetzenden Sehnen. Schmerzintensität unab-
hängig von Exostosengröße!
• DD: Bursitis, RA (▶ 16.8.1), Morbus Bechterew (▶ 16.8.4), Osteomyelitis
(▶ 8.4), Gicht (▶ 15.2.5), Morbus Paget (▶ 15.1.3), Ermüdungsfraktur oder
Zyste des Kalkaneus. Coalitio talonavicularis (▶ 13.3.27).

Therapie
• Konservativ.
• Druckentlastung des Sporns durch „Locheinlage“ (Ausmuldung). Dazu plan-
tare Druckstelle mit Fettstift markieren und Einlage unter Aussparung dieser
Stelle genau anpassen (▶ 23.8.10).
• Stützung bzw. Korrektur einer bestehenden Fußdeformität → Einlagen
(Längsgewölbestützung). Pufferabsatz zwecks Druckverteilung.
• Ultraschall. Lokale Infiltration von LA (z. B. 0,5 % Procain) und/oder Korti-
son. Inj. in das Schmerzgebiet von lat., nicht durch die Sohle.
• Extrakorporale Stoßwellenther., Laseranwendung, symptomatische Ther.
  13.3 Fuß  535

13.3.29 Haglund-Exostose
Definition
Formvariation des Fersenbeins mit Prominenz am kranialen hinteren Rand des
Tuber calcanei.

Ätiologie
Schuhdruck, Scheuern (Fersenkappe, zu niedrige Schuhkante) am Kalkaneus-
rand.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Fersenschmerzen beim Gehen, häufig Bursitis.
• Im prominenten Bereich Schwielen, DS.
• Rö: Ausziehung des oberen Kalkaneusrands. Beim jüngeren Kind unauffällig, da
Exostose noch knorpelig angelegt ist und erst beim älteren Kind verknöchert.
• DD: Ossifizierende Periostitis, Achillodynie.
Therapie
Konservative Therapie 13
Druckentlastung durch Schuhe ohne hintere Kappe, Sandalen oder Barfußlaufen
im Sommer oder Erhöhung der Fersenkappe. Lokale antiphlogistische Maßnah-
men. Ausweitung und Weichbettung der Fersenkappe.
Operative Therapie
Ind.: Nur bei Ther.-Resistenz und starken Beschwerden.
OP-Technik: Längsverlaufender Hautschnitt ventral der Achillessehne. Abschie-
ben der lat. Sehnenfasern der Achillessehne mit Raspatorium. Max. Plantarflexi-
on. Vollständiges Abtragen des Proc. post. calcanei bis auf Höhe der kranialen
Begrenzung der Achillessehneninsertion. Sorgfältige Glättung (Rez. bei unvoll-
ständiger Entfernung), Entfernung der Bursa.
NB: Hochlagern. Lokal Eis. Evtl. US-Liegeschale. Absatzerhöhung von 2 cm. Aus-
gleich Gegenseite. Hohe KO-Rate (Infekt, Narbe, Rezidiv).

13.3.30 Dorsaler Fußhöcker (Morbus Silfverskjöld)


Definition
Selten vorkommende, umschriebene knöcherne Prominenz auf dem Fußrücken
im Gelenkbereich zwischen Os cuneiforme I und Os metatarsale I oder seltener
Os naviculare.

Klinik und Diagnostik


• Schmerz auf Fußrücken infolge Schuhdrucks, oft überlagert durch Gelenk-
schmerz bei arthrotischem Grundleiden.
• Tastbare Prominenz, evtl. lokale Hautreizung, Bursitis.
• Rö: Seitaufnahme des Mittelfußes.
Therapie
Kons. Ther.: Druckentlastung durch weiches ausgeweitetes Schuhoberleder, ge-
polsterte Schuhzunge, Hohllagerung durch Filzring. Einlagen bei Fußdeformitä-
ten. Infiltration mit LA.
536 13  Untere Extremität  

Operative Ther.: Bei Ther.-Resistenz keilförmiges Abmeißeln der Randwülste am


Os cuneiforme I und Os metatarsale I bzw. Os naviculare. Entfernen einer evtl.
Bursa. Evtl. Komb. mit Fußwurzelarthrodese.

13.3.31 Morbus Köhler I
Definition
Aseptische Osteochondronekrose des Os naviculare pedis. Krankheitsverlauf ana-
log zum Morbus Perthes in röntgenologisch klassifizierbaren Stadien. M : F ca.
2 : 1. Altersgipfel ca. 6 J. In 30 % doppelseitig.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Belastungsabhängiger med. Mittelfußschmerz, bisweilen auch in Ruhe. Oft
aber auch symptomlos.
• Befund: Schonhinken. Auftreten mit lat. Fußrand. Abrollbewegung einge-
schränkt. Mäßige Schwellung über Kahnbein. DS. Stauchungsschmerz. Evtl. Kon-
traktur des Sprunggelenks infolge schmerzbedingter Schonhaltung des Fußes.
• Rö: Charakteristische stadiumabhängige Osteochondronekrosezeichen:
13 – Initialstadium: Umschriebene Stukturauflockerung (Demineralisation)
und -verdichtung (Sklerose) nebeneinander.
– Kondensationsstadium: Größenabnahme, scheibenförmige Verschmäle-
rung des Kahnbeins. Sklerosierung.
– Fragmentationsstadium: Scholliger Zerfall.
– Reparationsstadium, Ausheilungsstadium: Meist Restitutio ad integrum.
• DD: Tumor, Tbc, Osteomyelitis, Plattfußbeschwerden.
Therapie
Orientierung am klin. Befund. Schonung und Stützeinlagen (Längsgewölbe) ge-
nügen meist. US-Gehgips nur bei starken Beschwerden sinnvoll.

Prognose
Meist innerhalb von 2 J. Ausheilung ohne Spätfolgen. Selten führt präarthrotische
Deformierung des Kahnbeins zu frühzeitiger Arthrosis deformans mit Abfla-
chung des Fußgewölbes, Sekundärarthrose der Nachbargelenke und Schmerzzu-
ständen. Dann nach Wachstumsabschluss evtl. operative Versteifung betroffener
Gelenke.

13.3.32 Morbus Köhler II
Definition
Aseptische juvenile Osteochondronekrose der Metatarsaleköpfchen II, seltener III
und IV. M : F = ca. 4 : 1. Altersgipfel zwischen 12 und 18 J. Gehäuft bei Spreizfuß-
Pat.

Klinik und Diagnostik


• Belastungsabhängiger Vorfußschmerz direkt über dem betroffenen Metatar-
saleköpfchen. Schmerzhinken. Schmerzhafte Fußabrollbewegung. Dorsaler
DS über Metatarsaleköpfchen.
• Im Spätstadium Zehenkontrakturen.
  13.3 Fuß  537

• Rö: Im Frühstadium trotz Beschwerden nicht immer röntgenologische


Zeichen vorhanden. Dann Nebeneinander von Aufhellungen und Ver-
dichtungen der Metatarsalekopfstruktur (Knochenumbauzonen). Im
Spätstadium Metatarsaleköpfchen kelchförmig deformiert. Frühe Arthro-
se möglich.

Therapie
Kons. Ther.: Einlagen mit retrokapitaler Abstützung. Antiphlogistika bei Be-
schwerden.
Operative Ther.: Nur bei schmerzhafter Arthrose nach Wachstumsabschluss.
Teilresektion der Grundphalanx des betroffenen Zehs (Debasierung). Modellie-
rung des Metatarsaleköpfchens durch Verschmälerung und Randzackenabtra-
gung. Keine Köpfchenentfernung.

Prognose
Regenerationstendenz schlechter als bei Morbus Köhler I.

13.3.33 Morbus Ledderhose
13
Definition
Seltene Fibromatose im Bereich der Plantaraponeurose, die sich meist in nodulä-
rer, weniger in flächig-diffuser Form manifestiert. Ätiol. unbekannt. Entspricht
phänomenologisch dem Morbus Dupuytren (▶  9.3.13) und tritt oft gemeinsam
mit ihm auf, ist jedoch seltener.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Umschriebene, tastbare Knoten in der Plantaraponeurose. Ausdehnung be-
vorzugt plantar-medial, aber auch über das ganze Längsgewölbe möglich. Di-
gitalbereich nicht betroffen.
• Bei klin. Verdacht Nativ-Rö mit Weichstrahltechnik, evtl. CT, MRT.
• Exzisionsbiopsie des Gesamttumors mit anschließend Histologie.
• DD: Fibrosarkom (häufige Fehldiagnose; ▶ 10.5.3). Fasciitis nodularis als gut-
artiger Weichteiltumor.

Therapie
Bei kleinen Knoten abwarten. Plantarfaszienentlastende Einlage. Bei OP großzü-
gige Exstirpation, die auch die den Knoten umgebende Aponeurose umfasst. Bei
alleiniger Knotenentfernung kommt es schnell zum Rezidiv.

Prognose
Hohe Rezidivrate. Gutartiger Verlauf.

13.3.34 Morton-Metatarsalgie
Definition
Vorfußschmerzen, hervorgerufen durch eine sklerosierende Verdickung des N. di-
giti plantaris communis. F : M = ca. 1 : 4, meist 4.–5. Ljz. 80 % der „Neurome“ zwi-
schen Metatarsaleköpfchen III und IV; Befall mehrerer Nerven mögl., häufig gleich-
zeitiges Vorliegen anderer Fußdeformitäten (z. B. Spreizfuß, Hallux valgus, RA).
538 13  Untere Extremität  

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Brennende, meist anfallsweise auftretende „elektrisierende“ Schmerzen, ge-
nau lokalisierbar.
• Typisch: Imperativer Drang, augenblicklich den Schuh auszuziehen; dann
rasch Beschwerdelinderung.
• Befund:
– Intermetatarsaler DS: Dorsoplantarer Druck mit Daumen und Zeigefinger
löst den charakteristischen Schmerz aus.
–  Klingelknopfzeichen: Fingerdruck von plantar.
– Hohmann-Handgriff: Verschieben der benachbarten Metatarsaleköpf-
chen mit Daumen und Zeigefingern beider Hände.
– Quere Vorfußkompression: Nicht immer schmerzhaft (Plantarnerv kann
nicht zwischen den Metatarsalia eingeklemmt werden, wie oft angenom-
men, da er plantar vom Lig. metatarsale transversum liegt)!
– Hypästhesie der vom jeweiligen Plantarnerv versorgten Zehenseitenflä-
chen nur bei ca. 50 % der Fälle (gut überlappende Innervation).
• Diagn. LA: LA, z. B. ca. 5 ml Bupivacain 0,25 % (z. B. Carbostesin®) von dor-
sal, knapp vor dem Köpfchen tief bis zum Nerv injizieren. Immer nur ein
Spatium testen! Anschließend Umhergehen mit engen Schuhen. Bei
13 Schmerzfreiheit für 1–3 h ist Diagnose und Lokalisation gesichert.
• DD: Spreizfußbeschwerden, Marschfraktur, Entzündungen (Sesamoiditis),
Tumoren.

Therapie
Konservative Therapie
Weicher, breiter Schuh; Detorsionseinlagen mit entlastenden Pelotten; Schaum-
stoffkissen unter die betroffene Zehe. Dreimalige Kortikoid-Lidocain-Infiltration
(z. B. Gemisch aus Volon A® 40 und Xylocain® 1 %) vom Fußrücken aus in das di-
stale Spatium interosseum. Cave: Nicht in die Gelenkkapsel der Metatarsophalan-
gealgelenke injizieren.
Operative Therapie
Prinzip: Resektion des sklerosierten Nervenabschnitts. Beachten, dass der Nerv
weit genug prox. abgesetzt wird (Rezidivgefahr). Bewährte Zugangswege: Dorsa-
ler Längsschnitt: Vorteil: Sofortige Gehfähigkeit (Fersenbelastung), günstige Nar-
benbildung. Nachteil: Große Tiefe, erschwerte Übersicht.
NB: Kompressionsverband (Hämatomprophylaxe), Fersengang zur Vermeidung
einer Wunddehiszenz. Vollbelastung nach Abschluss der Wundheilung. Aufklä-
rung über postop. Taubheit.

Prognose
Bei korrekter Resektion des fibrosierten Nervs Beschwerdefreiheit oder deutliche
Besserung in ca. 85 % der Fälle.

13.3.35 Spreizfuß
Epidemiologie
Häufigste Fußdeformität. Metatarsalgie = Spreizfußbeschwerden. Häufiger bei F.

Pathogenese
Absenkung des Fußquergewölbes mit Verbreiterung des Vorfußes und damit pa-
thol. Belastung des II. und III. Metatarsaleköpfchens. Folge: Sekundär Zehende-
  13.3 Fuß  539

formitäten → Hallux valgus (▶ 13.3.37, Digitus quintus superductus, Krallen- und


Hammerzehen mit Klavus).

Klinik und Diagnostik


• Belastungsabhängige Schmerzen beim Gehen und Stehen, in Ruhe nachlas-
send.
• Untersuchung im Stehen: Verbreiterung des Vorfußes, Absinken des Querge-
wölbes (Podogramm).
• Untersuchung im Sitzen: Plantar charakteristische druckdolente Schwielen
bzw. Klavus über fehlbelasteten Metatarsaleköpfchen II, III, und IV.
• Retrokapitaler Daumendruck: Passive manuelle Redression des Quergewöl-
bes in leichten Fällen bei guter Verschieblichkeit der Metatarsalia gegenein-
ander vollständig mögl., beim kontrakten Spreizfuß nicht mehr.
• Rö im Stehen: a. p., seitl.: Winkel zwischen Os metatarsale I/II > 10°. Auffä-
cherung der Metatarsalia.

Therapie
• Kons. Ther.:
– Entlastung der Metatarsaleköpfchen II–IV durch eine retrokapitale
Spreizfußpelotte (exakter Sitz!), ggf. mehrfach Abänderung notwendig.
13
Meiden zu enger Schuhe und zu hoher Absätze. Fußgymnastik.
– Bei schmerzhaft entzündlichen Reizzuständen Ruhigstellung, hyperämi-
sierende Wechselbäder, feuchte Umschläge, Antiphlogistika, Analgetika
und elektrophysik. Maßnahmen, Spreizfußpelotte.
– Schmetterlingsrolle bei kontraktem Spreizfuß (Metatarsaleköpfchen II, III
bleiben durch eine zentrale Delle ausgespart; ▶ 23.10.1).
– Beim kontrakten Spreizfuß werden Einlagen mit exakter Fußbettung ohne
korrigierende Wirkung oder Maßschuhe verordnet.
• Operative Ther.: Korrektur begleitender Zehendeformitäten.
• KO: Morton-Neuralgie mögl. (▶ 13.3.34).

13.3.36 Hallux rigidus
Definition
Schmerzhafte Einsteifung des Großzehengrundgelenks, meist arthrosebedingt.

Klinik
• Schongang mit kompensatorischem Abrollen über die Außenkante bei addu-
ziertem Fuß.
• Großzehengrundgelenk oft verdickt und druckdolent. Dorsalextension
schmerzhaft eingeschränkt, evtl. kompensatorische Überstreckung im Endge-
lenk. Später auch Beugekontraktur. Zehenspitzenstand schmerzhaft bzw.
nicht möglich.
• Sonderfall: Hallux flexus mit ausgeprägter streckseitiger Exostose und schwe-
rer Störung der Abrollphase.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö a. p. und seitl.: Gelenkspaltverschmälerung, subchondrale Sklerosierung,
Spornbildung. Zysten.
• DD: Arthritis urica (anfallsartig, starke Schmerzen!).
540 13  Untere Extremität  

Therapie
Kons. Ther.: Im Frühstadium Ther. der Grunderkr. Selbsttätige manuelle Ther., Trai-
ning der Dorsalextension. Plantar über das Großzehengrundgelenk vorgezogene starre
Einlagen (Rigidus-Federeinlage) führen zur Ruhigstellung und Entlastung beim Abrol-
len. Vordere Abrollrampe (Ballenrolle) am Schuh ermöglicht Abrollen mit steifer Sohle.
Operative Ther.: Arthrodese in Korrekturstellung, Osteosynthese mit gekreuzten KD,
Osteosyntheseschrauben, Platten oder Staples möglich. In Einzelfällen endoprotheti-
scher Ersatz. Resektionsarthroplastik nur bei betagten Pat. oder hohem KO-Risiko.

13.3.37 Hallux valgus
Definition
Häufigste und bedeutsamste Zehendeformität mit lat. Abweichung der Großzehe
im Grundgelenk und Iro. bei evtl. zusätzlichem Metatarsus primus varus. F > M.
Bes. im Erw.-Alter.

Klinik und Diagnostik


• Meist bds. bei Spreizfuß. Subjektive Beschwerden korrelieren nicht mit Aus-
13 maß der Fehlstellung.
• Pseudoexostose: Meist Ausgangspunkt der Beschwerden (med. Prominenz
des Metatarsaleköpfchens I). Dort durch mechanisch-entzündliche Reizung
oft Schwielen, Bursa; evtl. (eitrige) Bursitis.
• Fehlstellungen: (Sub-)Luxation der abduzierten und pronierten Großzehe im
Grundgelenk, die evtl. über oder unter die Digiti II, III geschoben ist. Inter-
metatarsale-Winkel > 9°.
• Häufig Komb. mit Hammer- und Krallenzehen II–IV, Metatarsalgie, 5. Zehe
häufig in Varusstellung.
• Rö: Vorfuß in 2 Eb. im Stehen. Typischer Befund: Dislokation der Sesambei-
ne nach lateral, mediale (Pseudo-)Exostose am Metatarsaleköpfchen I. Ver-
größerung des Tarso-Metatarsale-Winkels und des Intermetatarsale-Winkels,
Abkippen der Großzehengrundgelenkebene, Arthrose.

Konservative Therapie
Ind.: Außer im Frühstadium bei leichten Fällen kann Progredienz der Valgusde-
formität meist nicht aufgehalten werden.
Prophylaxe: Schuhe mit genügend Zehenspielraum, flache Absätze. Zehengym-
nastik. Regelmäßige Abspreizübungen der Großzehe.
Maßnahmen: Je nach genauem Befund:
• Leichte Fälle: Barfußlaufen, Druckentlastung des Großzehenballens durch
seitl. Ausweitung des Schuhoberleders, ringförmige Schaumstoffpolster.
Schlaufensandalen, Einlagen mit retrokapitaler Abstützung.
• Bei Bursitis über Pseudoexostose: Lokale symptomatische Maßnahmen, z. B.
kühlende Umschläge.
• Arthroseschmerz im Grundgelenk: Rigidus-Federeinlage bzw. Ballenrolle mit
versteifter Sohle. Orthop. Schuhe, wenn OP oder Versorgung mit Konfekti-
onsschuhen nicht mehr möglich ist. Korrigierende Nachtschienen nur
postop. zur Fixation einer erreichten Korrektur tauglich.

Operative Therapie
Ind.: Generelle Zurückhaltung, v. a. bei Jugendlichen sollte nur bei Beschwerden
und nicht aus rein kosmetischen Gründen operiert werden.
KI: Durchblutungsstörungen (z. B. pAVK).
  13.3 Fuß  541

Gebräuchliche OP-Verfahren beim Hallux valgus


• Ca. 150 OP-Techniken mit teilweise minimalen Varianten, kein Idealverfah-
ren bekannt.
• Pseudoexostosenabmeißelung (hohe Rez.- und Aggravationsgefahr).
• Gelenkerhaltende Eingriffe:
– McBride: Weichteileingriff. Verlagerung der Sehne des M. adductor hallucis.
– Distale Korrekturosteotomie (Chevron-Osteotomie ▶ Abb.  13.29).
– Diaphysäre Z-förmige Korrekturosteotomie (Scarf-Osteotomie ▶ Abb.  13.29).
– Basisosteotomie Os metatarsale I: Knochenkeilentnahme mit lat. Basis.
– Korrigierende Arthrodese des Tarsometarsalgelenks (Lapidus-Arthrodese).
• Gelenkopfernde Eingriffe:
– Endoprothetik: Bisher keine gesicherten Ergebnisse.
– Keller-Brandes: Resektionsarthroplastik durch Debasieren des Grund-
glieds um ≥ ⅓. Ind.: Nur bei betagten Pat. mit reduziertem Anspruch an
die Belastung. KO-arme OP, gute Schmerzreduzierung → oft hohe Pat.-
Zufriedenheit. Nachteil: Debasierung → kosmetisch bisweilen störende
Zehenverkürzung, hohes Rezidivrisiko.

13

Abb. 13.29  OP-Verfahren bei Hallux valgus. a OP nach Akin; basisnahe varisie-
rende Korrekturosteotomie. b Modifizierte Chevron-Osteotomie mit Zugschrau-
benfixation. c Scarf-Osteotomie. [L106]
542 13  Untere Extremität  

Basisosteotomie Os metatarsale I
Ind.: Insbes. bei Metatarsus primus varus, bei jüngeren Pat. ohne Arthrose im
Großzehengrundgelenk.
Verfahren: Knochenkeilentnahme mit lat. Basis, Osteosynthese mit Mini-Plätt-
chen oder Staples. Entlastung für 6 Wo.
OP nach McBride
Ind.: Hallux valgus mit allenfalls geringgradiger Arthrose im Großzehengrund-
gelenk, passive Redressierbarkeit der Valgusstellung der Großzehe und des Va-
rus des Metatarsale I. Überlänge 1. Strahl ungünstig. Evtl. Komb. mit korrigie-
render Basisosteotomie des Metatarsale I bei Intermetatarsal-Winkel > 15°
(▶ Abb.  13.30).
NB: Hochlagern, lokal Eis, Rö-Kontrolle, Thromboseprophylaxe, Vorfußentlas-
tungsschuh. Leichtes Abrollen des Fußes nach 3 Wo., Vollbelastung nach 6 Wo.

13

Abb. 13.30  OP nach McBride [L106]

OP nach Keller-Brandes
Ind.: Nur bei betagten Pat. mit reduziertem Anspruch an die Belastung.
NB: Hochlagern, lokal Eis, Antiphlogistika, Thromboseprophylaxe. Rö-Kontrolle.
Verbandswechsel spätestens am 2. postop. Tag. Mobilisierung mit Vorfußentlas-
tungsschuh. Entfernung des KD 14 d postop. (ambulant). Pat. auf eigentätige Be-
wegungsübungen der Großzehe unter Traktion hinweisen (zeigen!). Nachtlage-
rungsschiene rezeptieren (für ca. 3 Mon. tragen).

13.3.38 Hammer- und Krallenzehen


Definition
• Im Frühstadium noch passiv ausgleichbare, später aktiv und passiv nicht voll-
ständig korrigierbare Kontraktur der Zehen II–V.
• Hammerzehe: Beugekontraktur des DIP-Gelenks.
• Krallenzehe: Hyperextension im Grundgelenk (Luxation oder Subluxation),
Beugung Zehenmittel- und Endgelenk.
• Klauenzehe: Überstreckung des Grundgelenks mit evtl. (Sub)Luxation, Beu-
gekontraktur des DIP-Gelenks.
  13.3 Fuß  543

Ätiologie
Meist sekundär bei Fußdeformitäten wie Platt-, Spreiz-, Knick-, Hohlfuß und
Hallux valgus. Bei Lähmungen, Entzündungen der Zehengelenke, Narbenzug,
CRPS. Tragen zu enger Schuhe mit zu hohen Absätzen.

Klinik und Differenzialdiagnosen


• Typische Deformität.
• Beschwerden durch Schwielen und Klavi.
• DD: Angeborene Krallenzehe, Hammerzehe.
• Bei Krallenzehen immer neurol. Ursache ausschließen (z. B. HSMN, CMT).
Konservative Therapie
• Bei noch passiv ausgleichbarer Kontraktur: Beeinflussung der ursächlichen
Deformität (z. B. Spreizfußeinlagen), Nachtschienen oder Zügelverbände. Ze-
hengymnastik.
• Entlastung der Schwielen- und Klavuszonen durch bequeme Schuhe mit wei-
chem Oberleder, Sandalen, vor Druck schützende Filzringe oder Gummipols-
ter. Zehenkorrekturorthesen aus Silikon (▶ 23.8.11).
• Exzision oder Keratolytika ohne Ursachenbeseitigung zwecklos. Kons. Ther. 13
meist nicht befriedigend.

Operative Therapie
OP nach Weil
Ind.: Bei flexibler Fehlstellung und Metatarsalgie.
Verfahren: Metatarsaleköpfchen-Osteotomie in der Ebene der Planta pedis, Pro-
ximalisierung und Osteosynthese mit Mini-Schraube (▶ Abb.  13.31).

Abb. 13.31  OP-Verfahren bei Krallenzehe [L106]


544 13  Untere Extremität  

OP nach Hohmann
Verfahren: Resektionsarthroplastik des PIP-Gelenks durch Köpfchenresektion
der Grundphalanx (▶ Abb.  13.31). Resektionsarthrodese des PIP-Gelenks liefert
oft stabilere Ergebnisse als OP nach Weil.
Nachbehandlung
Fixation der Zehen in Korrekturstellung mit Pflasterzügelverband (wenn keine
Transfixation mit KD erfolgt). Hochlagern, Rö-Kontrolle. Korrigierende Verbän-
de bzw. Belassen des KD für 2 Wo. Dann Abrollen und Vollbelastung.

13.3.39 Zehenfraktur und -luxation


Klinik
• Schwellung, Hämatom.
• Fehlstellung bei Luxationen.
Diagnostik
Rö in 2 Eb.
13
Therapie
Luxationen: Möglichst rasche Reposition, zumeist ohne Anästhesie möglich.
Gipsruhigstellung nur bei Großzehenluxation, sonst Heftpflasterverband.
Endgliedfrakturen: Häufig mit subungualem Hämatom oder im Rahmen einer
subtotalen Amputationsverletzung → Nageltrepanation bzw. -reposition, Trepa-
nation und Nagelfixation reicht dann als Schienung aus.
Nichtdislozierte Zehenmittel- und -grundgliedfrakturen II–V: Dachziegelheft-
pflasterverband mit Schienung durch benachbarte, nicht verletzte Zehe für 2–3
Wo., Belastung je nach Schmerzen.
Dislozierte Frakturen: Reposition in Oberst-Block und Pflasterzügelverband für
3 Wo., Richtung der Fixation immer entgegen der Dislokationsrichtung.
Großzehengrundgliedfrakturen: Nichtdisloziert: Vorfußentlastungsschuh für 6
Wo.; dislozierte Frakturen: Stabilisierung mit KD oder Mini-T- oder L-Platte,
Vorfußentlastungsschuh für 6 Wo.

13.3.40 Klavus (Hühnerauge)
Definition
Hornverdickung des Stratum corneum mit einem in die Subkutis reichenden
Dorn an Zehen und Fußsohle infolge Druckbelastung.

Ätiologie
Zu enge Schuhe, Fußdeformitäten.

Klinik
Analyse der Fehlstatik aus typischer Lokalisation:
• Hallux valgus: Medial am Metatarsaleköpfchen I.
• Spreizfuß: Plantar an Metatarsaleköpfchen II und III.
• Hammerzehe: Köpfchen II–IV der Grundphalangen.
• Plattfuß: Medioplantar über disloziertem Navikulare und Talus.
  13.3 Fuß  545

Differenzialdiagnosen
Hornschwiele (kein Dorn → kein Schmerz). Dornwarze (schmerzhaft, kein zent-
raler Dorn, sondern zentrale schwarze Pünktelung).

Therapie
• Ther. der ursächlichen Deformität (▶ 13.3.37).
• Symptomatisch: Salicylsäure enthaltende Lösungen (z. B. Verrucid®, Verru-
mal®) 2× tgl. oder Hühneraugenpflaster (z. B. Guttaplast®). Verweildauer 2–3
d. Dadurch Keratolyse und Erweichung des Dorns, der dann z. B. während ei-
nes warmen Kochsalz- oder Seifenbads abgetragen werden kann. Cave: Nicht
beim diabetischen Fuß (▶ 13.3.17).
• Vereisung mit flüssigem Stickstoff und lokale Exzision. Cave: Fistelbildungs-
gefahr bei diabetischem Fuß und höhergradiger pAVK.
• Druckstellenentlastung mit Einlagen, schuhtechnischen Maßnahmen bei ad-
äquaten Schuhen wie weiches, ausgeweitetes Oberleder, ringförmige Filz-
oder Gummipolster, kleine weiche Kissen über Hammerzehen oder Grund-
phalangen.

13.3.41 Digitus quintus varus superductus 13


Klinik
Die varische Kleinzehe überkreuzt die 4. Zehe, oft beidseitig.

Therapie
Beim Neugeborenen und Kleinkind stellungskorrigierende Pflasterzügelverbän-
de, manuelle Redressionen. Bei Persistenz weichteilkorrigierender operativer Ein-
griff (Butler). Bei Erw. bei Befundpersistenz (Druck im Schuhwerk) subkapitale
Metatarsale-V-Osteotomie (Chevron oder Weil).
14 Knochen- und Weichteiltumoren
Ludger Bernd

14.1 Allgemeines 548 14.5 Maligne primäre


14.2 Diagnostische Methoden 550 Knochentumoren 564
14.2.1 Allgemeines 550 14.5.1 Osteosarkom 564
14.2.2 Bildgebende Basisdiagnostik 14.5.2 Chondrosarkom 565
bei V. a. Knochentumoren 551 14.5.3 Ewing-Sarkom 566
14.2.3 Labor 554 14.5.4 Plasmozytom (multiples
14.2.4 Biopsie 556 ­Myelom) 567
14.3 Benigne Knochentumoren 556 14.6 Knochenmetastasen
14.3.1 Exostosen 556 (sekundäre
14.3.2 Enchondrom (Chondrom) 557 Knochentumoren) 570
14.3.3 Chondromyxoidfibrom 558 14.7 Tumoren im Bereich der
14.3.4 Chondroblastom 559 ­Wirbelsäule 571
14.3.5 Osteoidosteom 559 14.7.1 Allgemeines 571
14.3.6 Osteoblastom 560 14.7.2 Primäre Wirbelkörpertumoren
14.3.7 Riesenzelltumor und tumorähnliche
(­Osteoklastom) 560 Erkrankungen 572
14.4 Tumorähnliche 14.7.3 Wirbelsäulenmetastasen 574
Knochenläsionen 561 14.8 Weichteiltumoren 576
14.4.1 Juvenile Knochenzyste 561 14.8.1 Allgemeines 576
14.4.2 Aneurysmatische 14.8.2 Therapierichtlinien 576
­Knochenzyste 562 14.8.3 Ausgewählte
14.4.3 Nichtossifizierendes Fibrom, Weichteiltumoren 578
­fibröser Kortikalisdefekt 562 14.9 Hämatologische
14.4.4 Langerhans-Zell-Histiozytose Erkrankungen,
(LCH), solitäres eosinophiles Histiozytosen 582
Granulom 563
14.4.5 Intraossäres Ganglion 563
548 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

14.1 Allgemeines
Epidemiologie
• Prim. Knochentumoren sind selten (ca. 1 % aller Tumoren); benigne sind we-
sentlich häufiger als maligne.
• Knochenmetastasen (sekundäre Knochentumoren) sind weitaus die häufigs-
ten Knochenmalignome.
• ⅔ der prim. Knochentumoren treten im 1.–4. Ljz. auf, Metastasen meist spä-
ter (Ausnahmen: Plasmozytom, Chondrosarkom, prim. Knochenlymphom).
• Malignome sind im Kindesalter nach Unfällen die häufigste Todesursache.
Häufigkeit: Leukämien und lymphoretikuläre Tumoren 51 %, Knochentumo-
ren dagegen nur ca. 6 %.

Einteilungen
▶ Tab.  14.1, ▶ Tab.  14.2,▶ Tab.  14.3.
Tab. 14.1  Klassifikation von Knochentumoren und tumorähnlichen Läsionen
nach ihrem Ursprungsgewebe (nach WHO)
Ursprungsgewebe Benigne Maligne

Knorpel • Osteochondrom Chondrosarkom: prim.-


• Enchondrom (Chondrom) klassisch, entdifferen-
• Chondroblastom ziert, mesenchymal, hell-
• Chondromyxoidfibrom zellig, periostal, extraske-
14 lettal, sekundär klassisch

Knochen • Osteom Osteosarkom: klassisch


• Osteoidosteom (90 %), sekundär paraos-
• Osteoblastom sal, zentral, periostal, se-
kundär

Fibröses, fibrohisti- • Benignes, fibröses Histiozytom • Fibrosarkom


ozytäres Gewebe • Desmoplastisches Fibrom • Malignes fibröses Histi-
ozytom (MFH)

Fettgewebe Ossäres Lipom, Lipom Liposarkom

Knochenmark • Plasmozytom
• Malignes Lymphom
(Hodgkin, Non-Hodg-
kin)

Gefäße • Hämangiom • Hämangiosarkom


• Hämangioperizytom • Hämangioperizytom
• Lymphangiom • Lymphangiosarkom
Unbekannt Riesenzelltumor (RZT) Maligner RZT, Ewing-Sar-
kom, Adamantinom

Nervengewebe • Neurinom (Schwannom) Malignes Schwannom


• Neurofibrom
Muskelgewebe Leiomyom Leiomyosarkom

Chordagewebe Chordom
  14.1 Allgemeines  549

Tab. 14.1  Klassifikation von Knochentumoren und tumorähnlichen Läsionen


nach ihrem Ursprungsgewebe (nach WHO) (Forts.)
Ursprungsgewebe Benigne Maligne

Tumorähnliche • Nicht ossifizierendes Fibrom


Läsionen • Fibröse Dysplasie (▶ 17.3.2)
• Juvenile Knochenzyste
• Aneurysmatische Knochenzyste
• Intraossäres Ganglion
• Eosinophiles Granulom
Verschiedene Knochenmetastasen
(häufigste Knochentumo-
ren)

Tab. 14.2  TNM-System der UICC für solide Tumoren [G336]


Einteilung Beschreibung

Ausdehnung/Größe Primärtumor

T0 Keine Anhaltspunkte für Primärtumor

Tis Carcinoma in situ (nichtinvasiv)

T1–4 Zunehmende Größe und Ausdehnung des Primärtumors

TX Mindesterfordernisse zur Erfassung des Primärtumors


14
nicht erfüllt

Regionale Lymphknoten

N0 Kein Anhalt für regionale Lymphknotenbeteiligung

N1–3 Anhalt für regionale Lymphknotenbeteiligung

N4 Anhalt für Befall nichtregionaler Lymphknoten

NX Mindesterfordernisse zur Erfassung von LK-Beteiligung


nicht erfüllt

Metastasen

M0 Kein Anhalt für Fernmetastasen

M1 Anhalt für Fernmetastasen

MX Mindestanforderung zur Erfassung von Metastasen nicht


erfüllt

Histopathologisches Grading (Differenzierungsgrad)

G1–3 Gut (1), mäßig (2), schlecht (3) differenziert

GX Differenzierungsgrad nicht zu bestimmen

Prätherapeutische klinische Klassifikation: cTNM; postop. histopathologische Klassi-


fikation: pTNM
550 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Tab. 14.3  Chirurgisches Staging-System nach Enneking


Stadium Grad Lokalisation Metastasen

Benigne

1 G0 T0 M0 (latent)

2 G0 T0 M0 (aktiv)

3 G0 T1 M0 (aggressiv)

Maligne

IA Niedrig (G1) Intrakompartimental (T1) Keine (M0)

IB Niedrig (G1) Extrakompartimental (T2) Keine (M0)

IIA Hoch (G2) Intrakompartimental (T1) Keine (M0)

IIB Hoch (G2) Extrakompartimental (T2) Keine (M0)

IIIA Niedrig (G1) Intra oder extra Regional oder fern (M1)

IIIB Hoch (G2) Intra oder extra Regional oder fern (M1)

Klinik und Diagnostik


• Spezifische Symptome fehlen.
• Hauptsymptome (Spätzeichen): Schmerz, Schwellung, Bewegungseinschränkung.
14 • Selten: Kompressionssymptome von Nerven, Gefäßen; Spontanfrakturen.
• Lokalisation: Ca. ¾ der prim. Knochentumoren sind an den Extremitäten lo-
kalisiert, am häufigsten kniegelenknah.

Alter, Lokalisation und Rö-Bild (in 2 Eb.) geben meist richtungweisende In-
formationen bei Knochentumoren.

Prognose
Abhängig vom histologischen Typ, Grading (Differenzierungsgrad) und Tumor-
Staging (lokale, lokoregionale, systemische Ausbreitung).

Therapie
• Maligne Knochen- und Weichteiltumoren: Meist interdisziplinär (onkologi-
scher Arbeitskreis; OP, Bestrahlung, Chemother. oder Komb.).
• Benigne Knochentumoren: Meist OP, alternativ Verlaufsbeobachtung. Ther.-
Wahl abhängig von Histologie, Tumorlokalisation, Ausdehnung, Progressi-
onstendenz und Symptomatik. Cave: Strahlenther. kontraindiziert.

14.2 Diagnostische Methoden
14.2.1 Allgemeines
Maximaldiagnostik
Malignomverdacht erfordert optimale Ther. hohes Maß an diagn. Informationen.
Nativ-Rö, Sono, MRT, Knochenszinti, CT, evtl. 3-D-CT, evtl. PET zum präop.
  14.2 Diagnostische Methoden  551

Staging und zur Ther.-Planung; bei Nähe zu einem Gefäß oder Gefäßbeteiligung
Angiografie (DSA) sinnvoll.

Ziele
Informationen über Größe und Ausdehnung, Topografie, Infiltration benachbar-
ter Strukturen, Dignität und evtl. Metastasierung des Tumors. Entscheidend: Ex-
akte pathohistologische Klassifikation, Grading (histologischer Differenzierungs-
grad), Staging, Kompartmentbestimmung.

14.2.2 Bildgebende Basisdiagnostik bei V. a. Knochentumoren


Diagnose und Staging (TNM-Stadienzuordnung) von
Knochentumoren
• Beschwerden des Pat. → klin. Befund.
• Nativ-Rö (a. p., seitl., Spezialaufnahmen).
• Verdachtsdiagnose: Benigner oder maligner prim. Tumor bzw. Metastase.
• Klin. Staging → Malignom.
• Sono, MRT, Knochenszinti, CT, evtl. Angiografie (DSA, ▶ 4.2).
• Biopsie (▶ 14.2.4).
• Gesicherte Diagn. → chir. Staging und definitive Ther.
Röntgen
Auch ▶ 4.1.
Allgemeines
14
• Rö-Aufnahmen (in 2 Eb. oder Zielaufnahmen) entscheidend und unerläss-
lich, evtl. Tomografien.
• Beurteilung erfordert Erfahrung. Veränderungen oft charakteristisch, nicht
selten variabel (aneurysmatische Knochenzyste, DD: Teleangiektatisches Os-
teosarkom).
• Rö-Thorax (in 2 Eb.): Ausschluss von Lungenmetastasen und Beurteilung des
Herz-Kreislauf-Systems.
• Röntgenologisch diagnostizierbare Tumoren: Nicht ossifizierendes Knochen-
fibrom, Osteochondrom an Gliedmaßen. Häufig: Juvenile Knochenzyste.
Analysekriterien des Röntgenbilds
• Lokalisation: Prädilektionsstellen? Epi-, meta-, diaphysär, zentral, exzentrisch.
• Morphologie:
– Osteolytisch, osteoblastisch, gemischt?
– Reaktive Knochenneubildung, Tumormatrixmineralisation?
– Kortikalis erhalten, verdünnt, ausgebuchtet, zerstört? Periostale Reaktion
(abhängig von Intensität, Aggressivität, Dauer des Prozesses): Solide (we-
nig aggressiv) oder unterbrochen (lamellär, radiär, amorph, d. h. sehr ag-
gressiv)?
– Weichteile, Verkalkungen, Verknöcherungen?
– Läsion solitär oder multipel?
– Osteolyseform (Röntgenmuster nach Lodwick): Geografisch (zusammen-
hängende Osteolyse) → langsames Wachstum, wenig aggressiv; Motten-
fraß (zahlreiche verstreute, unterschiedlich große Osteolysen) → mittel-
schnelles Wachstum; permeativ (multiple Aufhellungen in Kompakta) →
schnelles Wachstum, sehr aggressiv.
552 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

• Pat.-Alter: Prädilektionsalter der Tumoren beachten (▶ Tab.  14.4).


• Klassische radiologische Malignitätszeichen: Spiculae, Codman-Dreieck, la-
melläre Periostreaktion, mottenfraßähnliche Osteolyse (▶ Abb.  14.1).

Tab. 14.4  Klinisch-radiologische Merkmale häufiger Knochentumoren bzw.


tumorähnlicher Läsionen
Tumor Häufige Lokalisationen Röntgenbild

Kartilaginäre Meist Metaphyse langer Typischer pilzartiger Tumor, breitba-


Exostose (meist Röhrenknochen, v. a. Knie- sig oder gestielt. Keine echte Neopla-
Jugendalter) bereich, Humerus sie. Häufigster Knochen-„Tumor“

Osteoidosteom 50 % in Femur und Tibia Ovale Aufhellung (Nidus) bis 15 mm
(10.–25. Lj.) groß, oft zentrale Kalkablagerung
und Randsklerose, oft starke perios-
tale Knochenneubildung

Osteoblastom Bogen und Gelenkfortsät- Ähnlich wie Osteoidosteom; selten


(5.–20. Lj.) ze der Wirbel und Ossa expansives Wachstum in die Weich-
tarsalia teile

Juvenile Kno- Metadiaphysär in langen Scharf begrenzte Aufhellung, grobe


chenzyste (80 % Röhrenknochen Trabekel, häufig Aufblähung. Bei
< 20. Lj.) Längenwachstum Wandern in Rich-
tung Diaphyse

Aneurysmati- Metaphyse der langen Meist scharf begrenzte Aufhellung,


14 sche Knochen-
zyste (90 %
Röhrenknochen oft starke Aufblähung. Bei schnellem
Wachstum unscharfe Begrenzung;
< 20. Lj.) oft multiple Septierung (Tumor simu-
liert Malignität)

Chondroblas- Überwiegend Epiphyse Läsionen rund bis unregelmäßig,


tom (10.–25. Lj.) der langen Röhrenkno- sklerotischer Randsaum häufig, Läsio-
chen oder epimetaphysär nen zeigen oft Verkalkungen

Chondromyxo- Röhrenknochen untere Ex- Exzentrische Aufhellung, evtl. Trabe-


idfibrom (80 % tremität, besonders Tibia kel, Kortikalisdestruktion, paraossale
< 20. Lj.) Ausbreitung mögl.

Riesenzelltumor Epiphysen der langen Runde oder ovale, oft exzentrische


(= Osteoklas- Röhrenknochen; epimeta- Aufhellung der Epiphyse. Aufblähun-
tom; 90 % > 15. physär (überschreitet oft gen, pseudomultilokulär, kaum
Lj.) die Fuge) Randsklerosen und periostale Reakti-
on. Maligne Formen: Unscharfe Be-
grenzung, Kortikalisdestruktion

Osteosarkom Metaphysen der langen Mischformen von Knochendestrukti-


(75 % < 20. Lj.) Röhrenknochen (ca. 90 %) on und -neubildung meist mit Über-
wiegen eines Anteils. Häufig grobe
Spicula, Codman-Dreiecke, lamelläre
periostale Knochenschalen

Paraossales Os- Metaphysen der langen Tumorschatten sehr dicht, dem Kno-
teosarkom Röhrenknochen chen aufsitzend; evtl. dünne, helle
(90 % 15.–40. Trennlinie. Meist lappige scharfe Kon-
Lj.) tur (keine Spiculae, Codman-Drei-
ecke). Grob gefiederte juxtakortikale
Ausläufer, selten exostosenähnlich
  14.2 Diagnostische Methoden  553

Tab. 14.4  Klinisch-radiologische Merkmale häufiger Knochentumoren bzw.


tumorähnlicher Läsionen (Forts.)
Tumor Häufige Lokalisationen Röntgenbild

Ewing-Sarkom Diaphysen von Femur, Ti- Große Variabilität im Rö, 2 Typen


(90 % 5.–25. Lj.) bia, Fibula und Humerus, häufig:Unscharfe Aufhellung oder
Becken mottenfraßähnlich in platten Knochen
(kaum Knochenneubildung), evtl. zen-
trale reaktive Sklerose Mottenfraß-
Struktur in den Röhrenknochen, Spicu-
lae, Codman-Dreiecke, lamelläre Kno-
chenschalen („zwiebelschalenartig“),
Läsionen oft ausgedehnt

Chondrosarkom Metaphysen von Femur, Zentrales Chondrosarkom: Zentrale,


(kein bestimm- Tibia und Humerus, Pelvis manchmal ausgedehnte, oft scharf
tes Alter) und Rippen begrenzte Aufhellung, Kalkablage-
rungen
Exzentrisches Chondrosarkom: Exos-
tosenähnliche Apposition mit irregu-
lärer Kontur, oft mit Ausläufern
Subperiostales Chondrosarkom: Fla-
che hypodense Apposition, Spiculae,
Codman- bzw. reaktive Dreiecke

Malignes fibrö- Metaphysen der langen Meist metaphysäre mottenfraßähnli-


ses Histiozytom Röhrenknochen che Osteolysen, endostale Kortikali-
(50. und 60. Lj.) sarrosionen bzw. -durchbrüche
14

Abb. 14.1  Radiologie von Knochentumoren [L190]


554 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Sonografie
Auch ▶  4.6. Insbes. bei Weichteiltumoren; Lagebeziehung zu anderen Organen
bei retroperitonealen oder abdominalen Tumoren. Metastasensuche (Leberfili-
ae?).

Magnetresonanztomografie
Auch ▶  4.4. Beurteilung der para- und intraossalen Geschwulstausbreitung.
­Kontrastreichstes Verfahren zur Tumordarstellung in Weichteilen und intrame-
dullär. Durch i. v. Gabe von paramagnetischem KM (Gadolinium-DTPA) bessere
Kontrastgebung zwischen Tumor und Umgebung. Für alle Malignome gilt: Vor
OP → MRT.

Szintigrafie
Auch ▶ 4.5.
• Ganzkörperszinti: Vorteil: Geringe Strahlenbelastung, mäßige Kosten.
• Hohe Sensitivität, geringe Spezifität → Früherkennung. Suche nach Skelett-
metastasen: Insbes. bei V. a. Mamma-, Prostata-, Bronchial-, Nierenzell-Ca.
Jedoch keine Aussagen über Dignität! Evtl. 3-Phasen-Szintigramm.
• Informationen des Skelettszinti: Rein osteolytische Metastasen → Defekte
(„Cold Lesions“); osteoblastische bzw. gemischte Metastasen → fokale Mehr-
speicherung. Beurteilung von Intensität, Verteilung und zeitlicher Änderung
der Anreicherung.
• Szintigrafische Speicherzellaktivität von Knochentumoren:
– Intensiv: Metastasen, Osteosarkom, paraossales Osteosarkom, Chondro-
14 sarkom, Ewing-Sarkom, Osteoidosteom, Osteom, Osteoblastom.
– Weniger intensiv, unzuverlässig: Plasmozytom, Lymphom, Glomustumor,
Chondrom, Hämangiom.

Computertomografie
Auch ▶ 4.3. Beurteilung der ossären Strukturen, insbes. bei Tumorlokalisation in
WS und Becken.

Angiografie
Auch ▶ 4.2. Beurteilung der Gefäßmorphologie bzw. -versorgung und des Vasku-
larisationsgrads. Nur bei spezieller Fragestellung; überwiegend digitale Subtrakti-
onsangiografie (DSA). Möglichkeit der Embolisation.

14.2.3 Labor
Allgemeines
• Bei benignen Tumoren unergiebig, bei Knochenmalignomen meist unspezi-
fisch (BSG, AP, Basislabor).
• Basislabor: BSG, BB, E'lyte, γ-GT, AP, SP, BZ, Harnsäure, Eisen, CRP (DD
Entzündung), Gesamteiweiß, E'phorese, Urinstatus, Hämoccult®.

Tumormarker
• Tumormarker bei prim. Knochentumoren bisher kaum etabliert.
• Kein Tumormarker ist streng tumor- oder organspezifisch. Tumormarker als
Screening und Suchtest (Primärdiagn.) mit wenigen Ausnahmen kaum geeig-
net.
  14.2 Diagnostische Methoden  555

• Ind.: Insbes. zur Verlaufskontrolle: Tumorstadium, progn. Aussage, Frühdi-


agn. von Rezidiven und Ther.-Kontrolle. DD und Stadieneinteilung. Vor
Ther. eines bekannten Tumors Bestimmung eines oder Komb. mehrerer Tu-
mormarker für spätere Verlaufskontrollen (▶ Tab.  14.5). Einsatz meist bei se-
kundären Knochentumoren.
• Häufigkeit der Markerbestimmung: Nach OP oder kons. Ther. in ersten 3
Mon. 2- bis 4-mal, dann ¼- bis ½-jährlich.

Tab. 14.5  Tumormarker


Organ Tumorart Tumormarker Diagnose Verlauf

Lunge • Adeno-Ca • CEA, TPA, SP 1, SP 3 + +++

• Kleinzelliges Ca • TPA, NSE ++ +++

Kolon, Adeno-Ca • CA 19–9 + CEA ++++ +++


Rektum • CEA, TPA
Pankreas Adeno-Ca • CA 19–9, TPA ++++ +++
• CEA
Leber • Hepatozellulä- • AFP, CA 19–9, TPA +++ +++
res Ca

• Metastasen • CEA, CA 19–9, TPA ++ +++

Ösophagus SCC-Antigen + +++


14
Zervix SCC-Antigen + +++

Magen Adeno-Ca • CA 72–4 ++ +++


• CEA, TPA, SP 3
Prostata Adeno-Ca PSA, PAP, TPA + +++

Hoden • Nonseminom • AFP und/oder HCG +++ +++

• Seminom • HCG +++ +++

Uterus • Adeno-Ca • CEA, TPA, SP 1 +++ ++

• Chorion-Ca • HCG, SP 1, SP 3 +++

Ovar • Muzinöses Zys- • CEA, TPA +++ +++


tadenom

• Epitheliale Tu- • CA 125, TPA +++


moren

• Keimzellentu- • AFP und/oder HCG +++


mor

Schilddrüse • Medulläres Ca • CEA + Kalzitonin (HCT) +++ +++

• Follikulär, pa- • TG, TPA +++ +++


pillär

Plasmozy- Monoklonales IG Immunelektrophorese +++ +++


tom

+ geeignet, ++ gut geeignet, +++ Marker der Wahl


556 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

14.2.4 Biopsie

Wichtigste und entscheidende diagn. Maßnahme in nahezu allen Fällen.

• Letzter Schritt der Diagn. Liefert i. d. R. endgültige Diagnose.


• Voraussetzung für Ther. prim. Knochentumoren (Ausnahmen: Nichtossifi-
zierendes Fibrom, Osteochondrom, Osteoidosteom, intraossäres Ganglion,
evtl. juvenile Knochenzyste).
• Biopsien bei V. a. Malignom sollten erfahrene Operateure in der Klinik
durchführen, in der auch definitive OP durchgeführt werden kann (z. B. Ew-
ing-Sarkom, Osteosarkom). Im Zweifelsfall besser an Tumorzentrum über-
weisen.
• Zugang: Inzisions- oder Punktionsstelle so auswählen, dass beim definitiven
Eingriff Mitentfernung mögl. ist; Redon-Drainage aus Wundwinkel legen.
• Material: Genügend repräsentatives Material gewinnen, sonst Gefahr von
Fehleinschätzungen bzw. Fehldiagnosen; Tumorperipherie am vitalsten.
• Eröffnung neuer Kompartimente unbedingt vermeiden.
• Evtl. Abtupfpräparate für Zytologie; adäquates Transportmedium.
• Abstrich z. A. eines Infekts (z. B. prim. chron. Osteomyelitis. DD: Ewing-Sarkom).
• Histologiebegleitschein: Angaben zu Ort der Gewebsentnahme und Ver-
dachtsdiagnose! Rö-Bild mitschicken! Bei Knochentumoren muss Gewebe-
probe entkalkt werden (daher Histologieergebnis frühestens nach 3–4 d er-
hältlich).
14 • Referenzpathologie: Bei diagn. Unsicherheiten müssen histologische Schnitte
an ein besonders erfahrenes Institut zur Absicherung der Diagnose oder der
Diagnosefindung geschickt werden (z. B. Prof. Dr. G. Jundt, Universität Basel,
Schönbeinstr. 40, CH-4003 Basel).

14.3 Benigne Knochentumoren
▶ Abb.  14.2.
14.3.1 Exostosen
Solitäre Exostose (Osteochondrom)
Definition
Entwicklung aus versprengten enchondralen Ossifikationskeimen der Epiphysen-
fuge. Keine echte Neoplasie. Eher „Wachstumsstörung“. Häufigster Knochen-
„Tumor“. Der knöcherne Stiel ist mit einer Knorpelkappe überzogen. Bevorzugt
lange Röhrenknochen (Metaphysenbereich), v. a. Kniebereich und OA.
Klinik und Diagnostik
• Symptomatik von Tumorgröße abhängig, meist symptomlos.
• Rö-Bild typisch: Pilzartiger Tumor, breitbasig oder gestielt.
Therapie und Prognose
• Operative Abtragung bei Beschwerden, lokalen Druckerscheinungen (Funkti-
onsbehinderung, Irritation an Gefäßen oder Nerven) und raschem Wachs-
tum.
  14.3 Benigne Knochentumoren  557

! Schädigung der Wachstumsfuge.


• Progn.: Maligne Entartung äußerst
selten, bei stammnaher Lokalisation
(Becken, WS) häufiger.

Multiple kartilaginäre Exostosen


▶ 17.3.2.
Definition
Vererbbar. Gehört zu Knochendysplasi-
en.
Klinik
Können an fast allen Skelettteilen auf-
treten. Induzieren häufig Fehlwachstum
bei Befall der Röhrenknochen, z. B. Ge-
nu valgum.
Therapie und Prognose
• OP-Ind.: Solitäre Exostose, bei Mali-
gnomverdacht (stammnahe Lokali-
sation!).
Abb. 14.2 Benigne und semimaligne
• Maligne Entartung nach Wachs- Knochentumoren [L190]
tumsabschluss mögl., aber selten.
14
14.3.2 Enchondrom (Chondrom)
Epidemiologie und Lokalisation
ca. 10 % der gutartigen Knochentumoren; Vorkommen in jedem Alter, Mehrzahl
vor 40. Lj. Meist im zentralen Bereich der Diaphyse der kleinen Röhrenknochen
der Hand (häufigste Tumoren der Hand ▶ 9.3.12) und des Fußes.

Einzelnes Vorkommen
Klinik und Diagnostik
• Meist Beschwerdefreiheit, selten Spontanfrakturen, Auftreibung an Hand-
oder Fußknochen.
• Rö: Meist zentrale, ovaläre scharf begrenzte Osteolyse. Kortikalis kann ver-
dünnt sein → Spontanfraktur! Häufig zentrale stippchenförmige Verkalkun-
gen. Sonderform: Kalzifizierendes Enchondrom (meist Zufallsbefund, DD:
Knocheninfarkt).
Therapie
Kleine Röhrenknochen: Bei Symptomfreiheit und fehlender Frakturgefährdung
keine Ther. Meist jedoch Kürettage und autologe Spongiosaauffüllung. Bei drin-
gendem Malignitätsverdacht vorher Biopsie.
Lange Röhrenknochen und Stammskelett:
• Kalzifizierendes Enchondrom (scharf begrenzter Sklerosesaum!) ohne klin.
Symptome: Beobachtung, Rö-Kontrolle 1× pro J.
• Alle anderen Enchondrome dieser Lokalisation: Kürettage, Spongiosaplastik
(Alternative: Knochenzementplombe). Bei Malignitätsverdacht vorher Biopsie.
! Chondromatöse Tumoren sind häufig innerhalb der Läsion sehr inhomogen.
Gefahr des histologischen Undergradings.
558 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Prognose von Lokalisation abhängig


An Hand und Fuß gut. Bei Lokalisation an Stammskelett und langen Röhren-
knochen potenziell maligne Entartung möglich. Daher sind dort insbes. bei
Rezidiven radikalere OP-Verfahren erforderlich.

Multiple Enchondrome (Enchondromatosen)


Manifestation meist im frühen Kindesalter.
Einteilung
Sechs Typen, u. a.:
Morbus Ollier: Einseitiger Befall der Röhren- und flachen Knochen. In bis zu et-
wa 30 % maligne Entartung zu Chondrosarkomen mögl.!
Maffuci-Sy.: Multiple Enchondrome gemeinsam mit multiplen kavernösen Häm-
angiomen der Haut und inneren Organe.
Klinik und Diagnostik
• Deformitäten bzw. indolente Schwellungen im Metaphysenbereich am
häufigsten an Händen und Füßen. Oft exzessive einseitige Extremitäten-
verkürzung. X- oder O-Beine (in ca. 80 % Achsenknick am dist. Femuren-
de), Vorderarmdeformierungen, pathol. Frakturen, Pseudo-Madelung-
Deformität.
• Rö: z. T. groteske Auftreibungen und Verformungen befallener Knochen;
längliche, scharf begrenzte osteolytische Herde in Metaphysen; Herde wan-
14 dern diaphysenwärts.
Therapie
• Gliedmaßenverkürzung: Apparativer Ausgleich oder operativ (z. B. diaphysä-
re Verlängerungsosteotomie ▶ 13.1.3).
• Achsenabweichung > 25° diaphysenwärts: Korrekturosteotomien so spät wie
möglich.
• Pathol. Frakturen: Kons. Ther.

14.3.3 Chondromyxoidfibrom
Epidemiologie und Lokalisation
Selten. Prädilektionsalter 2.–3. Ljz. Vorwiegend Metaphyse langer Röhrenkno-
chen, ca. ⅔ untere Extremität.

Klinik und Diagnostik


• Uncharakteristisch.
• Rö: Scharf begrenzte runde bis ovale Osteolyse mit marginaler Sklerose.
Therapie und Prognose
• Exkochleation. Cave: Septierte Areale.
• Belassenes Gewebe → Rezidiv: Bei Re-OP kann Segmentresektion notwendig
sein, meist jedoch erneute Kürettage erfolgreich.
• Progn.: Maligne Entartung sehr selten.
  14.3 Benigne Knochentumoren  559

14.3.4 Chondroblastom
Epidemiologie und Lokalisation
Selten. Bevorzugt epiphysäre Lokalisation meist in Humerus, Hüftkopf, Knieregi-
on. Vorwiegend Pat. in Pubertät.

Klinik und Diagnostik


• Gelenkschmerzen.
• Rö: Zentrale oder exzentrische, überwiegend glattrandige Osteolyse, meist
mit dünnem Sklerosesaum, überschreitet häufig die Epiphysenfuge.

Therapie und Prognose


• i. d. R. Exkochleation. DD: Nach Wachstumsabschluss Riesenzelltumor
(▶ 14.3.7).
• Progn.: Große Rezidivgefahr bei nicht gründlicher Ausräumung. Maligne
Entartung sehr selten. Sehr aggressive „quasi-maligne“ Verlaufsformen (Lun-
genmetastasen!) möglich.

14.3.5 Osteoidosteom
Epidemiologie und Lokalisation
ca. 10 % der benignen Knochentumoren. Meist Metaphyse Femur, Tibia, Hume-
rus, WS. Makroskopie: Exzentrisch oder zentral in Knochen gelegener < 2 cm gro-
ßer Aufhellungsherd = Nidus (mit Nervenfasern versehen → Schmerz), umgeben 14
von ausgeprägter Sklerosierung. Altersgipfel: 2. Ljz.; M > F.

Klinik
Typisch: Starker Nachtschmerz, der in ca. 50 % auf Salizylate anspricht (Test: Ace-
tylsalicylsäure 3 × 500 mg/d für 3–4 d). Bei Lokalisation im Bereich eines Wirbel-
bogens häufig skoliotische Fehlhaltung.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Kleine Aufhellung, umgeben von Sklerosezone. Lokalisation: Kortikal am
häufigsten, spongiös, subperiostal. Tomografie hilfreich. Diagnosestellung oft
schwierig bei sehr kleinen Herden und/oder ungewöhnlicher Lokalisation.
• Szinti: Erhebliche Anreicherung, v. a. im Frühstadium.
• CT, MRT: Hilfe für OP-Planung z. B. an WS (Lokalisation).
• Angiografie: Artdiagnose mögl. (Hypervaskularisierung). Für besondere dif-
ferenzialdiagnostische Fragestellungen geeignet.
• DD: Osteomyelitis, Stressfraktur.
Therapie und Prognose
• Resektion des Nidus → Schmerzbeseitigung. Manchmal schwierige Lokalisie-
rung, insbes. bei sehr kleinem Nidus.
• Radiofrequenzablation kann eingesetzt werden.
• Progn.: Sehr gut.
560 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

14.3.6 Osteoblastom
Definition und Lokalisation
„Größerer Bruder“ des Osteoidosteoms. Bevorzugt in WS (ca. 40 %) und langen
Röhrenknochen. Nidus > 2 cm. Auftreten meist in den ersten 3 Ljz.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Nicht spezifisch, bei typischer Lokalisation (dorsaler WS-Abschnitt) ein
Hinweis. Ca. 2–12 cm große expansive Osteolyse mit meist reaktiver Sklerose.
Oft in Wirbelbögen, Sakrum.
• DD: Manchmal schwierig: Aneurysmatische Knochenzyste, hoch differen-
ziertes Osteosarkom. Riesenzelltumor.

Therapie
• Exkochleation, Defektauffüllung mit Spongiosa.
! Blutung (Tumor stark vaskularisiert).

14.3.7 Riesenzelltumor (Osteoklastom)
Definition und Lokalisation
Osteolytischer, fast ausschließlich epiphysär gelegener, lokal aggressiver Tumor
mit starker Neigung zu Rezidiven, kann metastasieren. ca. 50 % Kniegelenkregion,
jedoch selten Einbrechen ins Gelenk. Befall aller Skelettabschnitte möglich. Prädi-
14 lektionsalter: ca. 30–40 J. (80 % jenseits 20. Lj.). Häufigkeit: ca. 15 % aller benignen
Knochentumoren.

Klinik und Verlauf


• Lokaler Schmerz, später lokale Schwellung mögl., auch Gelenkschmerz mit
Bewegungseinschränkung. Durchschnittliche Anamnesedauer 7 Mon.
• Verlauf schwer vorhersehbar: Trotz benigner Histologie pulmonale Metasta-
sierung möglich. Spätrezidive und maligne Entartung ebenso wie prim. mali-
gne Verlaufsformen möglich.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


Rö: Typische Osteolyse in Epiphyse der Röhrenknochen, mehr exzentrisch (DD
Chondroblastom), keine Matrixossifikationen, keine Randsklerose, aufgetrieben.
CT bzw. MRT zu empfehlen.
Stadieneinteilung, röntgenologisch:
• I = inaktive Form: Kortikalis allenfalls geringfügig verdünnt.
• II = aktive Form (häufigste Variante): Kortikalis meist hochgradig ausge-
dünnt, Tumor jedoch stets von Periost begrenzt.
• III = aggressive Form: Tumorausbruch in das paraossale Weichgewebe.
Stadieneinteilung, histologisch: Unterscheidung nur zwischen benigne und
maligne. Weitere Graduierung nicht bewährt, da ohne progn. Aussagekraft.
Maligne Riesenzelltumoren entsprechen immer dem röntgenologischen
­Stadium III, jedoch nicht jedes röntgenologische Stadium III ist histologisch
maligne.
DD: Osteosarkom, Metastasen, Chondroblastom, aneurysmatische Knochenzys-
te, brauner Tumor bei Hyperparathyreoidismus.
  14.4 Tumorähnliche Knochenläsionen  561

Therapie
OP-Vorbereitung
• Bioptische Diagnosesicherung präop. obligat (▶ 14.2.4).
• Probleme: Häufige Rezidive, leichte Implantationsmöglichkeit → Primärbe-
handlung entscheidend. Bei gelenknaher Lage ist der Erhalt der Gelenkinteg-
rität problematisch (Pat.-Aufklärung!).
Definitive operative Therapie
Benigne Varianten: Falls genügend gesunde Knochensubstanz vorhanden →
breite Fensterung, gründliche Kürettage mit einer Schicht makroskopisch gesun-
den Gewebes (Kugelfräse), evtl. lokale Adjuvanzien, Elektrokauterisierung u. a.
Defektfüllung mit Knochenzement. Bei Rezidivfreiheit fakultativ Austausch nach
3 J. gegen autologe Knochentransplantate. Bei sehr ausgedehnten Läsionen prim.
Segment- oder Gelenkresektion mit entsprechender Defektüberbrückung. Cave:
Prim. Radiatio (Entartung!).
Primär maligne Variante: Onkologisch adäquate Resektion, mind. weite Resekti-
onsgrenzen!
Sekundär maligne Variante: Entarteter primär gutartiger Riesenzelltumor. In
Abhängigkeit von der Histologie evtl. kombinierte Chemother. und OP.

Prognose
Lokalrezidive nach intraläsionalem Vorgehen 10 % (früher 40 %!), nach Segment­
resektion (marginal oder weit) 0–1 %. Lungenmetastasen bei benigner Histologie
1–2 %. Maligne Entartung: 5 %, meist strahleninduziert! → 80 % Mortalität. Lang-
fristige Nachsorge (> 3 J.) auch bei benignen Riesenzelltumoren. 14

14.4 Tumorähnliche Knochenläsionen
14.4.1 Juvenile Knochenzyste
Definition und Lokalisation
Syn.: Solitäre Knochenzyste. Häufigste tumorähnliche Knochenläsion im Kindes-
alter (Prädilektionsalter 10–15 J.). Entwickelt sich metaphysär (meist prox. Hu-
merus, Femur), kann erheblich an Größe zunehmen mit oft papierdünner Korti-
kalis. Wandert allmählich diaphysenwärts.

Klinik und Diagnostik


• Meist keine Beschwerden, aber Stabilitätsminderung. Diagn. häufig erst bei
Spontanfraktur (bei ca. 70 % der Pat.).
• Rö: Scharf begrenzte Osteolyse mit stark verdünnter Kortikalis.
Therapie und Prognose
• OP-Verfahren: Kürettage mit Spongiosaauffüllung. Selten radikale Resektion
mit Defektüberbrückung. Kontinuierliche Dekompression des Herds durch
Hohlschrauben.
• Punktion und Kortisoninstillation, z. B. Triamcenolonacetonid 40 mg (z. B.
Volon® A) unter BV-Kontrolle. Vor Instillation des Kortikoids KM-Inj. und
Überprüfung, ob sich die gesamte Zyste darstellt; sonst evtl. zweites Knochen-
fenster.
562 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

• Vierteljährliche Kontrollen.
• Progn.: Gut. Rezidive häufig → oft wiederholte Kortisoninstillation erforder-
lich.

Spontanheilungen nach Fraktur möglich.

14.4.2 Aneurysmatische Knochenzyste
Definition und Lokalisation
Osteolytischer Knochenprozess, expandierend mit mehrkammerigen blutgefüll-
ten Hohlräumen. Häufigkeit: 1–2 % aller prim. Knochentumoren. 75 % der Pat.
< 20 J. Einzige tumorähnliche Läsion, die auf einen zweiten Knochen übergreifen
kann (WS). Am häufigsten Metaphysen von Femur und Tibia sowie WS und Be-
cken befallen.

Klinik
• Schmerz, Schwellung, meist uncharakteristisch.
• WS: Neurol. KO mögl. (Nervenwurzelläsionen, sogar Querschnitt).
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Rö: Charakteristisch zentral gelegene Osteolyse mit Septierung. Exzentrisch:
Expandierte extraossäre und kleinere intraossäre Komponente. Tumor res-
14 pektiert gewöhnlich Wachstumsfugen.
• Meist Biopsie zur Diagnosesicherung.
• DD: Riesenzelltumor, juvenile Knochenzyste, fibröse Dysplasie, teleangiekta-
tisches Osteosarkom.

Therapie und Prognose


• Ziel: Erhaltung von Funktion und Statik.
• Exkochleation mit Spongiosaauffüllung. En-bloc-Resektion, evtl. Osteosyn-
these mit gekreuzten KD. Resektionsverfahren im WS-Bereich gel. problema-
tisch. Embolisation als Option.
• Progn.: Rezidive in ca. 20 % (inkomplette Exkochleation?). Sehr aggressive
Verläufe möglich. Entartung sehr selten (< 1 %). Cave: Radiatio!

14.4.3 Nichtossifizierendes Fibrom, fibröser Kortikalisdefekt


Epidemiologie und Lokalisation
Wahrscheinlich häufigster gutartiger „Tumor“. In ca. 75 % 10.–20. Lj. Bevorzugt
im Bereich der Metaphyse randständig an der Kortikalis gelegen. Über 90 % an
unterer Extremität, v. a. im Kniebereich. Fibröser Kortikalisdefekt: Kleine, auf
Kompakta beschränkte Läsion. Nichtossifizierendes Fibrom: Größere, vorwie-
gend in der Spongiosa gelegene Läsionen.

Klinik und Diagnostik


• Meist Zufallsbefund.
• Rö: Diagnosestellung mit hoher Sicherheit mögl.: Ovaläre, scharf begrenzte
osteolytische Aufhellung mit marginalem Sklerosesaum.
• Biopsie überflüssig.
  14.4 Tumorähnliche Knochenläsionen  563

Therapie
i. A. keine, spontane Rückbildung die Regel. Nur bei größerer Ausdehnung mit
Gefahr einer Spontanfraktur Ausräumung (evtl. mit Spongiosaplastik). Rö-Kont-
rollen halbjährlich.

14.4.4 Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH), solitäres


eosinophiles Granulom
Epidemiologie und Lokalisation
Eine der drei Formen der (früher sog.) Histiozytosis X (▶  14.9). Insbes. 1. Ljz.
Prädilektionsstellen: Schädel, prox. Femur, Becken, WS. Herde zu ca. ⅔ solitär,
selten multipel.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Meist unauffällig oder lokalisationsabhängige Beschwerden.
• Rö: Osteolytische fleckige Destruktion, scharf oder unscharf begrenzt. WS:
Vertebra plana (▶ 14.7.2).
• Zunächst Ausschluss weiterer Herde: Szinti (50 % neg.), Rö-Schädel, WS, Rip-
pen, Becken.
• Biopsie obligat.
• DD: Ewing-Sarkom, Neuroblastom, Osteomyelitis.
Therapie und Prognose
• Vertebra plana (▶ 14.7.2). Aufgrund guter Progn. und mögl. spontaner Re- 14
gressionen „Durchführung des eben ausreichenden Eingriffs“, Kürettage und
je nach Herdgröße und statischer Beanspruchung Spongiosaplastik.
• Evtl. lokale Kortikoidinstillationen (gute Ergebnisse!). In unklaren Fällen
Rücksprache mit Studienleitung der LCH-Studie (Prof. Gader, Wien).
• Progn.: Gut, spontane Regressionen möglich.
! Exaktes Staging! Diab. insipidus als Hinweis auf systemischen Befall?

14.4.5 Intraossäres Ganglion
Definition und Lokalisation
Seltener zystischer Knochendefekt in Gelenknähe. Zwei Gruppen: Arrodierende
Form (Usur eines angrenzenden Knochens durch in Weichteilen entstandenes
Ganglion) und intraossäre Form (wichtigste Lokalisation: Hüft-, Sprung-, Hand-
und Kniegelenk).

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Diffuse Schmerzen im Gelenkbereich mögl., mittleres Alter.
• Rö: Rundlich bis ovaler, scharf begrenzter Herd, typischerweise 1–2 cm, zar-
ter Sklerosierungssaum.
• DD: Geröllzysten, Chondroblastom, fibröse Dysplasie, aneurysmatische Kno-
chenzyste.

Therapie
Exkochleation, Spongiosaplastik. Gel. zeigt sich eine Verbindung zum Gelenk.
564 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

14.5 Maligne primäre Knochentumoren


14.5.1 Osteosarkom
Epidemiologie und Lokalisation
Nach dem Plasmozytom häufigster prim. maligner Knochentumor. Inzidenz etwa
5/J./1 Mio. Einwohner. Ca. 15 % aller prim. malignen Knochentumoren. Erkr.-
Gipfel um Pubertät. Typisch im Metaphysenbereich langer Röhrenknochen, vor-
zugsweise am dist. Femur. Ca. 50 % aller Osteosarkome entstehen im kniegelenk-
nahen Bereich.

Einteilung
• 
Nach Lokalisation (progn. wichtig): Zentrales (klassisches) Osteosarkom (ca.
75 % der Osteosarkome), juxtakortikales = paraossales Osteosarkom (seltene
und späte Metastasierung, günstigeres biologisches Verhalten), extraskeletta-
les Osteosarkom.
• Nach Entstehung: Prim. oder sekundäres Osteosarkom (z. B. nach Bestrah-
lung, bei Morbus Paget).
• Nach histologischer Subklassifizierung (progn. wichtig): Vorwiegend osteoblas-
tisch, vorwiegend chondroblastisch, fibroblastisch, riesenzellreich, teleangiekta-
tisch (sehr schlechte Progn.), gemischt, „Low Grade Central“ Osteosarkom.

Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen


14 • Symptome uncharakteristisch: Schmerzen, Schwellung, Funktionsbehinde-
rung.
• Rö: Morphologie sehr vielfältig, typisches Rö-Bild gibt es nicht. Häufigster
Befund: Gemischte Knochenreaktion mit Destruktion und Neubildung (Spi-
culae, Codman-Sporn). Periostale Veränderungen häufig, aber nicht pathog-
nomonisch.
• 3-Phasen-Szinti: Nachweis von Metastasen, intraossärer Tumorausbreitung
und Skip-Läsionen. Überprüfung des Ther.-Erfolgs nach Chemother., Rezidi-
verfassung.
• CT und MRT: Tatsächliche Tumorausdehnung größer als röntgenologisch
sichtbar. MRT bzgl. lokalem Staging dem CT überlegen.
• Angiografie: Darstellung und auch Quantifizierung der pathol. Tumorvasku-
larisation (z. B. nach Chemother.).
• DD: U. a. Ewing-Sarkom, Osteoblastom, fibröse Dysplasie, Riesenzelltumor,
aneurysmatische Knochenzyste.

Therapie (Kooperative Osteosarkomstudiengruppe EURAMOS)


Kooperative Osteosarkomstudiengruppe EURAMOS Klinikum Stuttgart, Ol-
gahospital, Bismarckstraße 8, 70176 Stuttgart.
• Ziel: Ausreichende lokale Tumorentfernung und Beseitigung der Mikrometa-
stasen.
• Planung der Entnahmelokalisation → Biopsie (möglichst schon in einem Tu-
morzentrum durchführen!) → später gesamten Biopsieweg resezieren.
• Präop. Chemother.:
– Dauer ca. 10 Wo.: z. B. Doxorubicin, MTX, Cisplatin, Ifosfamid.
– Ziel: Mikrometastasierung eliminieren. Volumenreduktion des Primärtu-
mors, im Idealfall Devitalisierung.
   14.5  Maligne primäre Knochentumoren  565

• Operative Ther.:
– Chir. Entfernung des Tumors
obligat. Onkologisch adäquat:
Weite oder radikale Resekti-
onsgrenzen.
– Extremitätenerhalt häufig
mögl., jedoch nicht erstes Be-
handlungsziel. Bsp.: Resektion
und Ersatz durch „Tumoren-
doprothese“, Arthrodese durch
Interposition autologer Kno-
chentransplantate (Iuvaraplas-
tik) oder Allografts, Umkehr-
plastik nach Borggreve-van
Nes (▶ Abb.  14.3), Schultergür-
telresektion nach Tikhoff-Lin-
berg.
! Erhalt des Lebens geht vor Erhalt
der Extremität. Abb. 14.3 Borggreve-Plastik [L106]
• Postop. Fortführen der Chemo-
ther.
• Lungenfiliae: Nach Chemother. u. U. Thorakotomie und Metastasenenukleati-
on oder „Wedge Resection“. In ca. 80 % Mikrometastasierung (meist Lunge).

Prognose 14
• Ungünstige Faktoren: Lokalisation des Tumors prox. oder am Stammskelett,
großer Primärtumor, später Behandlungszeitpunkt.
• Chondroblastische Differenzierung: Schlechtes Ansprechen auf Chemother.
• Seit Einführung der Polychemother. Osteosarkom progn. günstigster malig-
ner Knochentumor. Bei fehlender Fernmetastasierung tumorfreie 5-JÜR
60–70 %. Heilungsquote des Osteosarkoms bei alleiniger chir. Ther. nur ca.
20 %.
• Lokalrez. häufiger bei Resektionen als bei Amputationen und Umdrehplasti-
ken.

14.5.2 Chondrosarkom
Epidemiologie und Lokalisation
Dritthäufigster maligner Tumor (ca. 10 % aller malignen Knochentumoren).
Relativ langsam wachsend; Fernmetastasierung selten. Prädilektionsalter
­30.–50. Lj. Lokalisation u. a. Becken, Femur (ca. 50 %), Rippen, Humerus
überwiegend mit zentralem Sitz. Je näher am Stammskelett, desto höher die
Malignität.

Histologische Malignitätsgrade
• Grad I: Niedrig.
• Grad II: Mittel.
• Grad III: Wenig differenziert.
• Grad IV: Entdifferenziert.
566 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Klinik
Leitsymptom Schmerz. Bei guter Differenzierung Anamnesedauer oft jahrelang.
Schwellung eher bei exzentrischen Chondrosarkomen (z. B. Rippen, Skapula).
• Prim. Chondrosarkom: Ohne präexistente Läsion.
• Sekundäres Chondrosarkom: Ausgehend von z. B. Osteochondrom, Enchon-
drom.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Großflächige osteolytische Destruktion, intratumorale Verkalkungen in
ca. 65 %. Tumorgröße stark variabel, Tumorgrenzen oft nicht eindeutig be-
stimmbar. Ausgedehnte extraossäre Tumoranteile möglich. Verdickung, Auf-
treibung der Kortikalis. Im Zentrum häufig Verkalkungsherde.
• Manifestationstypen in Röhrenknochen.
– Relativ umschriebener Sklerosesaum, zumeist wellige Arrosion der Kom-
pakta.
– Diffuses Wachstum im Schaft. Tumorgrenzmarkierung durch MRT möglich.
– Feinere osteolytische Defekte.
• Biopsie mit repräsentativem Material. Cave: Häufig inhomogener Tumorauf-
bau: Areale unterschiedlicher Dignität möglich! Neigung zu Implantations-
metastasen!
• DD: Problem bei Chondrosarkom Grad I: „Weicher“ Übergang zum Enchon-
drom bzw. Chondrom. Auch histologisch sehr schwierige DD.

Therapie und Prognose


14 • Radikale Resektion. Intraop. Eröffnung der Geschwulst auf jeden Fall vermei-
den. Radikale operative Tumorentfernung, z. B. am Becken: Hemipelvekto-
mie. Der Tumor ist strahlen- und chemotherapieresistent!
• Progn.: Bei primär radikaler Entfernung: Heilungsquote 80 %, ansonsten 6 %!
5-JÜR: Histologischer Grad I: 90 %, II: ca. 80 %, III: ca. 30 %, IV: ca. 5 %.

14.5.3 Ewing-Sarkom
Definition und Lokalisation
Hochmaligner, rundzelliger Knochentumor (James Ewing, Pathologe, New York
1866–1943). Stammzelle bislang unbekannt. Etwa 10 % der malignen Knochentu-
moren. Zweithäufigster maligner Knochentumor im Kindes- und Jugendalter.
Prädilektionsalter: 10.–15. Lj. Hauptlokalisationen: Femur, Tibia, Humerus (ty-
pisch dia- oder metaphysär), Becken.

Klinik
• Anamnese i. d. R. einige Mon.
• Allgemeinsymptome: Fieber, Krankheitsgefühl (DD: Osteomyelitis!).
• Lokale Schmerzen und Schwellung, ferner Rötung und Überwärmung.
• Frühzeitig hämatogene Metastasen in Lunge oder anderen Organen, zum Di-
agnosezeitpunkt in ca. 25 %.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Osteolyse. Knochenperipherie mit reaktiver Knochenneubildung mit La-
mellierung oder zwiebelschalenartiger Anordnung der Bälkchen. Gel. radiäre
Ausstrahlung am Periost (Sun-Burst-Phänomen). Tumorausdehnung meist
ausgedehnter als im Rö-Bild zu erkennen.
   14.5  Maligne primäre Knochentumoren  567

• Sono, CT bzw. MRT, Skelettszinti.


• Labor: Basisprogramm. Ergänzend LDH, Ferritin, Serum-NSE (NSE zur DD
neurogener Tumor); Katecholamine im 24-h-Urin (DD: Neuroblastom).
• Unbedingte Biopsie: Formalinfixierung, Alkoholfixierung zum Glykogen-
nachweis, unfixiertes Frischgewebe. Molekularbiologische Untersuchung. Re-
ferenzpathologen einschalten (dort auch evtl. ergänzende Spezialuntersu-
chungen: Immunhistologie, Elektronenmikroskop).
• Weiterführende Diagn.: Thorax-CT, KM-Untersuchung, Lumbalpunktion
(DD: Non-Hodgkin-Lymphom mit prim. meningealer Beteiligung). Evtl. re-
gionale Angiografie.
• DD: Osteomyelitis, eosinophiles Granulom, Osteosarkom, Neuroblastom
(Katecholamine im Urin), akute Leukämie.

Therapie (Euro-Ewing 2008)


• Meist in onkologischen Behandlungszentren unter Studienbedingungen.
• Präop. Chemother.: Vincristin, Actinomycin D, Cyclophosphamid (evtl. Ifos-
famid) und Adriamycin.
• OP und Strahlenther. (nach Polychemother.): Möglichkeiten zur Lokalbe-
handlung (abhängig von Lokalisation, Ausdehnung, Tumorverhalten unter
initialer Chemother.):
– Aggressive Strahlenther. (Tumor ist sehr strahlensensibel) von 50 Gy für
dist. und 60 Gy für prox. und zentral gelegene Tumoren. NW: Mitbe-
strahlung von Epiphysenfugen → Extremitätenverkürzung.
– OP mit vollständiger Entfernung des Tumors.
– Intraop. Strahlenther. bei ungünstiger Lokalisation mögl. 14
– Nach abgeschlossener Lokalther.: Fortsetzung der systemischen Chemo-
ther. Bei Vorliegen prim. Lungen- oder Skelettmetastasen Radiatio.
• Nachsorge: Zusammenarbeit mit pädiatrisch-onkologischen Behandlungs-
zentren im Rahmen der Euro-Ewing-2000-Studie.

Prognose
• Günstiger: Radikal operierte Pat., langfristige Überlebensrate ca. 55 %.
• Ungünstig: Großvolumiger Primärtumor, erhöhte Serum-LDH, Metastasen
bei Diagnosestellung.
! 
Lokalrezidiv ist fast immer gefolgt von rascher systemischer Tumoraussaat.

14.5.4 Plasmozytom (multiples Myelom)


Definition und Epidemiologie
Häufigster prim. bösartiger Knochentumor (2–3 Neuerkr./100.000/J.). Neoplasti-
sche Wucherung eines Plasmazellklons meist vom Knochenmarkraum ausgehend
→ Überproduktion eines intakten monoklonalen Immunglobulins (IgG = 55 %,
IgA, IgD, IgE) oder freier monoklonaler Kappa- oder Lambda-Ketten = Bence-
Jones-Protein. Meist generalisiertes Plasmozytom (PZ); „Solitäres“ PZ selten. Ein-
teilung nach Lokalisation, Zelltyp, Proteinanomalie. Alter: Meist älter als 40 J.
(Durchschnittsalter bei Diagnose 62 J.), M > F.

Einteilung
▶ Tab.  14.6.
568 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Tab. 14.6  Stadieneinteilung (nach Durie und Salmon). Neuere Stagingsyste-


me sind in Erprobung.
Parameter Stadium I (alle folgenden Stadium III (eines oder mehrere
Kriterien erfüllt) der folgenden Kriterien erfüllt)

Hämoglobin > 10 g/100 ml < 8,5 g/100 ml

Serumkalzium Normal Erhöht

Knochen Keine Osteolysen Multiple oder schwere Osteoly-


sen

IgG < 5 g/100 ml > 7 g/100 ml

IgA < 3 g/100 ml > 5 g/100 ml

Leichtketten im Urin < 4 g/24 h > 12 g/24 h

Serumkreatinin < Zweifaches der Norm > Zweifaches der Norm

Stadium II: Weder Stadium I noch Stadium III zuzuordnen

Klinik
• Persistierende unklare Knochenschmerzen (insbes. Rücken, Thorax).
! Häufige Fehldeutung der Skelettbeschwerden (z. B. „Rheuma“, Lumbago).
• Unklare Infektanfälligkeit, Anämie mit Müdigkeit und Schwäche, Schwindel.
• Pathol. Frakturen: Spontanfrakturen an Extremitäten, WK-Kompressions-
14 frakturen → Ischialgien bis zu Querschnittssymptomatik (▶ 14.7.3).
• Hyperviskositätssy. bei hohen Serumkonzentrationen von Paraproteinen.
Diagnostik (im Frühstadium oft schwer)
Labor: BSG hochgradig beschleunigt („Sturzsenkung“ > 100 mm/2 h). Anämie
sowie Geldrollenbildung der Erys. Bei fortgeschrittener Erkr. Neutro- und
Thrombopenie. Im Finalstadium Ausschwemmung von Plasmazellen. Häufig Hy-
perproteinämie (8–10 g/100 ml Gesamteiweiß) bei gleichzeitiger Dys- und Para­
proteinämie. Serum-/Urin-E'phorese: Schmalbasige monoklonale Ig im
γ-Globulinbereich (M-Gradient). Immune'phorese: Klassifizierung der Ig nach
H- und L-Typ durch monospezifische Antiseren.
Knochenmarkpunktion: Erhöhte Zahl an Plasmazellen aller Reifungsstadien.
Histologie/Zytologie bei nicht eindeutigen Befunden.
Knochenmarkszinti: Bei pathol. Befund → gezieltes MRT: Erfassung von Infiltra-
tionen im Knochenmark. Cave: Neg. Skelettszinti schließt Myelome nicht aus, da
diese häufig nicht speichern (bis zu 40 % falsch neg.)!
Rö: Becken, Rippen, Schädel (Schrotschuss-Schädel), gesamte WS (Keil-, Fisch-,
Plattwirbel), beide OA und OS. Scharf begrenzte osteolytische Herde (→ rotes
Knochenmark) ohne Sklerosierungssaum (Mottenfraß). Progrediente Osteoporo-
se der WS. Bei V. a. Raumforderung im Bereich der WS (Neurologie) → CT bzw.
MRT.

Diagnose gesichert, wenn zwei der drei folgenden Kriterien erfüllt sind:
• Monoklonales Ig im Serum bzw. Bence-Jones-Protein im Urin.
• 10 % Plasmazellen im Knochenmark.
• Rö: Osteolysen und/oder lokal begrenzte „Osteoporose“.
   14.5  Maligne primäre Knochentumoren  569

Therapie
Vorgehen
• Stadium I: Kontrolle alle 3 Mon.
• Stadium II und III behandlungsbedürftig. Ziele: Schmerzreduktion. Verhin-
dern von Immobilisation. Verhindern bzw. Behandlung pathol. Frakturen.
– Bei solitären Plasmozytomen Bestrahlung (Herddosis > 40 Gy).
– Stadium II und III: Chemother. Evtl. Komb. der Ther.-Maßnahmen.
Stammzelltransplantation.
Chemotherapie
• z. B. Ther. nach Alexanian (1969): Intermittierend Melphalan, Bortezomib,
Thalidomid, Lenalidomid und Prednisolon (Decortin® H), zudem Hochdo-
sisther. mit Stammzelltransplantation. Bei starker Knochenmarkdepression
Reduktion der Melphalan-Dosis.
! Mind. Leukos > 2.500/mm3, Thrombos > 90.000/mm3.
• Bei ca. 60 % objektives Ansprechen der Ther.
Strahlentherapie
• Solitäres Plasmozytom: 50–60 Gy in 5–6 Wo.
• Palliativ bei Destruktionen mit Frakturgefährdung. Nachbestrahlung chir.
versorgter pathol. Frakturen. Symptomatische Bestrahlung bei starken
Schmerzen: 10–20 Gy in 1–2 Wo.
Operative Therapie
• WS-Befall mit neurol. Ausfällen: Dekompression, Tumorausräumung, evtl. 14
Stabilisierung (▶ 14.7.3).
• Stabilisierung frakturgefährdeter oder frakturierter Skelettanteile: Ver-
bundosteosynthesen mit z. B. Palakos, Platten, Nägeln, Schrauben.
Symptomatische Therapie
• Orthopädietechnik (▶ 23.6): Rahmenstützkorsett bei Destruktion von WK,
falls operative Stabilisierung nicht indiziert.
• Anämie: Blutkonserven, ausreichende Flüssigkeitszufuhr.
• Hyperurikämie: Allopurinol 300 mg (z. B. Zyloric®).
• Infektgefährdung: Substitution IgG-Immunglobulinpräparate i. v.
• Hyperkalzämie: NaCl-0,9 %-Infusion i. v. (3–10 l/24 h) und/oder Furosemid
80–100 mg/h i. v. über 24–48 h (z. B. Lasix®); Bisphosphonat i. v. (z. B. Clodro-
nat), Kalzitonin 500–1.000 IE über 12–24 h.
• Hyperviskositätssy.: Plasmapherese (Plasmaaustausch).
Prognose
• Progressiver Verlauf. Mittlere Überlebenszeit behandlungsbedürftiger Pat.
2 J; Stadium I: 64 Mon., II: 32 Mon., III: 6–12 Mon.
• Beste Prognose: IgM-Plasmozytom bzw. bei Diagn.-Stellung keine Allge-
meinsymptome. Mehrjährige Verläufe bes. bei kompletter Remission auf
Chemother.
• Progn. ungünstig: Erkr.-Alter > 65 J., schwere Anämie, Hyperkalzämie, Nie-
reninsuff., hoher Paraproteinspiegel, Fieberschübe unklarer Genese, Ge-
wichtsreduktion über 10 % bzw. Bence-Jones-Paraproteinämie und IgD-Plas-
mozytom.
570 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

14.6 Knochenmetastasen (sekundäre
Knochentumoren)
Definition und Lokalisation
Häufigste Knochentumoren. Das Skelett ist nach Lunge und Leber die dritthäufigste
Lokalisierung. Über 80 % der Knochenmetastasen sind durch Malignome von
Brust, Prostata, Lunge, Niere, Schilddrüse verursacht; alle Malignome können Kno-
chenmetastasen setzen. Bei ca. 20 % aller Tumorpat. ist der Primärtumor nicht be-
kannt. In nur ca. 30 % der Fälle ist dann eine Primärtumorsuche erfolgreich.

Pathogenese und Klinik


• Osteolytische Knochenmetastasen → Störung der normalen Knochenfestig-
keit → Bagatelltrauma → evtl. Spontanfraktur (pathol. Fraktur).
• Schmerzen, pathol. Fraktur, neurol. Ausfälle. WS in ca. 80 % ausschließlich
oder in Komb. mit anderen Knochenabschnitten betroffen, am zweithäufigs-
ten Becken, dann Femur.
• Beckenmetastasen meist im weit fortgeschrittenen Stadium.
Diagnostik
• Rö:
– Vorwiegend osteolytisch: V. a. Nierenzell-, Lungen-, Kolon-, Gallenwegs-
und Schilddrüsen-Ca.
– Osteoplastisch: Bes. Prostata-Ca.
14 – Ggf. Mischformen (Mamma-Ca).
• Ganzkörperknochenszinti: Frühere Erfassung von Metastasen als durch Rö.
Nachweis oder Ausschluss weiterer Metastasen (▶ 4.5). Ggf. CT, MRT.
• Labor: BSG ↑, Anämie, Hyperkalzämie, AP ↑.
• Biopsie einer Metastase: Nicht immer eindeutiger Rückschluss auf Primärtu-
mor mögl.
• Primärtumorsuche:
– Anamnese nochmals genau erheben, gezielte Befragung; Palpation.
– Bei Skelettmetastasen Wahrscheinlichkeiten beachten: Bronchial-Ca ist in
ca. 50 % der Fälle Primärtumor (→ Rö-Thorax, evtl. Thorax-CT); osteolyti-
sche Metastasen: Hypernephrom, Mamma-, Schilddrüsen-, Lungen-Ca;
osteoplastische Metastasen: Prostata-, Mamma-, Lungen-Ca.
– An Möglichkeit eines Zweittumors denken.
– Biopsie, Histologie, (Immun-)Histochemie, evtl. Hormonrezeptoren.
– Weitere Diagn.: Labor (▶ 14.2.2), ferner Knochenszinti, Sono Abdomen,
Schilddrüse. CT-Thorax, ggf. gynäkologisches Konsil, urologisches Konsil,
ggf. Gastroskopie und Koloskopie.

Fragen bei der Primärtumorsuche


Wie aggressiv soll Diagn. erfolgen? Therapeutische Konsequenzen bei gefun-
denem Primärtumor? Welche Ther., wenn Primärtumorsuche erfolglos?

Therapie
Grobe Therapierichtlinien
• Bei Kachexie: Eher symptomatisch; bei pathol. Frakturen dennoch operative
Stabilisierung.
   14.7  Tumoren im Bereich der Wirbelsäule  571

• Bei relativ gutem AZ nach Diagn. aktives Vorgehen: OP, Strahlen-, Chemo-,
Hormonther. oder Komb.
• Bei hormonempfindlichen Primärtumoren von Mamma, Prostata, Endomet-
rium → Hormonther., erst in zweiter Linie Chemother.
• i. d. R. Palliativther.: Verbesserung der Lebensqualität. OP-Methoden: Ver-
bundosteosynthesen, En-bloc-Resektion, Endoprothese, selten Amputation.
Sehr selten kurative Zielsetzung: Z. B. bei Solitärmetastasen eines Nierenzell-
Ca, Schilddrüsen-Ca.
Medikamente
• Chemotherapeutika (▶ 24.2.10).
• Bisphosphonate: Kps. oder Amp.
– Ind.: Multiple Osteolysen infolge von Knochenmetastasen solider Tumo-
ren oder hämatologischen Neoplasien; Hyperkalzämie infolge tumor-
zellinduzierter Osteoklastenaktivierung.
! Regelmäßige BB- und Ca2+-Kontrolle, Phosphatspiegel, Nieren- und
Leberfunktionskontrolle.

14.7 Tumoren im Bereich der Wirbelsäule


14.7.1 Allgemeines
Einteilung 14
Unterscheidung (Komb. mögl.):
• Intradural: Intramedullär (z. B. Ependymome), Cauda equina, Filum termina-
le und extramedullär (z. B. Neurinome, Meningeome).
• Extradural: Intraspinal, vertebral (z. B. Metastasen); Tumoren gehen von WS,
epi- bzw. periduralem Gewebe oder paravertebralem Raum aus → direkte
Kompression von Rückenmark und Nervenwurzeln oder indirekte Schädi-
gung über spinale Durchblutungsstörung.

Klinik
Wird bestimmt von Höhenlokalisation:
• HWS: z B. segmentale radikuläre Ausfälle, Brachialgien, Brown-Séquard-Sy.,
Zwerchfellhochstand. Medulläre Symptomatik.
• Thorakal: Motorische und sensible Ausfälle an Rumpf und unterer Extremi-
tät. Blasen-, Mastdarmstörungen. Medulläre (Paraspastik, gesteigerte MER)
bzw. radikuläre Symptomatik.
• Lumbal oder sakral: Periphere schlaffe Paresen (Monoparesen bis inkomplet-
tem oder komplettem Querschnitt), Sensibilitätsstörungen, Reithose.

Diagnostik
• Rö (evtl. zusätzlich Ziel- oder Schichtaufnahmen): Achten auf Osteolysen,
Bandscheibenhöhe bleibt (außer beim Plasmozytom) meist erhalten, Bogen-
wurzeln (ovale Struktur im a. p. Bild).
• Skelettszinti, CT, MRT, evtl. Myelografie, Angiografie (DSA ▶ 4.2).
572 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Therapie und Komplikationen


• OP-Ind.: Biopsie, wenn Diagnose durch nichtinvasive Verfahren unmöglich.
Dekompression und Stabilisierung bei neurol. Ausfällen, Querschnitt, Insta-
bilität.
• OP-Verfahren: Z. B. radikale Resektion ohne Destabilisierung (v. a. bei benig-
nen Tumoren); radikale Resektion oder palliative Dekompression mit Stabili-
sierung (ventral und/oder dorsal).
• Nach ausgedehnten Laminektomien im Wachstumsalter: Als Spät-KO pro-
grediente Kyphoskoliosen möglich.

14.7.2 Primäre Wirbelkörpertumoren und tumorähnliche


Erkrankungen
Definition
Wichtigste Tumoren der WS und des Sakrums: Metastasen, aneurysmatische
Knochenzyste, Hämangiom, eosinophiles Granulom, Chondrosarkom, Chor-
dom, Riesenzelltumor, Osteoblastom und Osteoidosteom, Osteosarkom, Ewing-
Sarkom, kartilaginäre Exostosen, fibröse Dysplasie, Skelettmanifestationen bei M.
Hodgkin oder Leukämie. Prim. Knochentumoren der WS ca. 10 % aller Knochen-
tumoren. Ca. 85 % der WS-Tumoren sind benigne. WS-Tumoren im Kindesalter
(≤ 18 J.): Am häufigsten Neuroblastome, Sarkome, Astrozytome, Lymphome.

Chordome
14 Definition und Lokalisation
Selten. Ausgehend von Resten der embryonalen Chorda dorsalis. Kommen nur
am Achsenskelett vor, bevorzugt Sphenookzipital- und Sakrokokzygealregion (ca.
85 %). Prädilektionsalter 50.–60. Lj. Häufigster prim., maligner Knochentumor im
Sakrokokzygealbereich.
Klinik
• Keine spezifische Symptomatik, Schmerzen, neurol. Symptome (Parästhesien
bis kompletter Querschnitt). Cave: Fehldiagnose Diskusprolaps.
• Zervikale Chordome: Verdrängung von Ösophagus und Trachea möglich.
Chordome im Sakrokokzygealbereich: Ca. ⅔ größere Tumormasse präsakral
→ rektale Untersuchung; Miktions- und Defäkationsstörungen möglich.
Diagnostik
• Rö: Unspezifische Osteolyse. Bei langsamem Wachstum Sklerosesaum, bei ra-
schem Wachstum eher reaktionslose Osteolyse. In ca. 40 % intratumorale
Kalzifikationen (DD Chondrosarkom). Besonderheit: Bei in WS gelegenen
Tumoren Permeation durch die Bandscheibe in benachbarte Wirbel möglich.
• CT, Myelografie: Zum weiteren Staging und zur Beurteilung einer intraspina-
len Tumorausbreitung.
Therapie und Prognose
• Operativ. Vorgehen von Ausdehnung und Lage abhängig. Radikale Blockex-
zision bei sakrokokzygealer Lage.
• Strahlenther. in Einzelfällen.
• Progn.: In ca. 10 % Metastasierung. Kraniale Chordome ungünstigere Progn.
Durchschnittliche Überlebenszeit ab Symptombeginn ca. 5–6 J.
   14.7  Tumoren im Bereich der Wirbelsäule  573

Hämangiom
Definition und Lokalisation
ca. 40 % der Knochenhämangiome. Gehört zu den häufigsten benignen WS-Tu-
moren. Oft Zufallsbefund, meist zeitlebens klin. stumm. i. d. R. solitär.
Diagnostik
• Rö: Charakteristisch ist die vergröberte Spongiosastruktur.
• Szinti: Keine Speicheraktivität.
Therapie
• Nur bei Frakturen oder spinalen Raumforderungen (beides selten) indiziert.
• Blutungsrisiko bei OP → evtl. selektive präop. Embolisation.
• Bei symptomatischen Hämangiomen auch Strahlenther. empfohlen.
Osteoblastom, Osteoidosteom
Diagnostik
▶ 14.3.6.
Therapie
• Exkochleation. Cave: Aggressive Form des Osteoblastoms → sichere Entfernung
im Gesunden anstreben! Häufig in dorsalen Wirbelabschnitten lokalisiert.
• Beim aggressiven Osteoblastom sorgfältige präop. Planung wegen hoher Re-
zidivfreudigkeit.

Riesenzelltumor 14
Klinik und Diagnostik
▶ 14.3.7.
Lokalisation
Häufiger Sakrum als WS befallen.
Therapie und Prognose
• Im Stadium II und III mind. marginale Resektion anstreben. Bei unvollstän-
diger Resektion in sonst aussichtslosen Fällen adjuvante Strahlenther.
• Progn. für WS-Lokalisation ungünstiger als an Extremitäten.
Aneurysmatische Knochenzyste
Lokalisation
ca. 20 % im Bereich der WS. Am häufigsten thorakal.
Klinik
Breites Spektrum klin. Verhaltens von Spontanheilung bis sarkomartige Aggressi-
vität. Bevorzugter Befall dorsaler Strukturen, meist exzentrisches Wachstum
(▶ 14.4.2).
Therapie und Prognose
• Vollständige Kürettage der Läsion. Cave: Massive Blutungen möglich.
• Progn.: Je nach Radikalität Rezidive knapp über 20 % der Fälle.
574 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Eosinophiles Granulom, Vertebra plana (Plattwirbel)


Lokalisation
Vertebra plana: Keine nosologische Einheit, meist verursacht durch eosinophiles
Granulom.
Klinik, Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Kinder entlasten WS, häufig akute Schmerzen.
• Rö: Plattwirbel, glatte Grund- und Deckplattenbegrenzung, meist BWS-/
LWS-Bereich → Szinti: Ausschluss weiterer Lokalisationen. In ca. 50 % der
Fälle neg.!
• Labor z. A. maligner hämatologischer Erkr.
• Biopsie: Stanzbiopsie gedeckt CT-gesteuert oder offen transpedikulär.
• DD: Leukämie (Labor), Kompressionsfraktur, Hyperparathyreoidismus,
prim. (z. B. Ewing-Sarkom) und sekundäre Knochentumoren, bakt. Spondyli-
tis (Labor mit hoher BSG, Fieber, Bandscheibenraum verschmälert).
Therapie
• Überwiegend kons. (Korsett). Gute Resultate mit lokaler Kortisoninstillation.
• OP bei neurol. Symptomatik, bei ausgeprägter Kyphosierung mit Gibbus.
• Plasmozytom: Beim solitären Plasmozytom ohne Neurologie Bestrahlung
(40 Gy; ▶ 14.5.4).
Prognose
Überwiegend spontan komplette oder inkomplette Restitutio. Wiederaufrichtung
14 um ca. ⅓ der ursprünglichen Wirbelhöhe.

14.7.3 Wirbelsäulenmetastasen
Ätiologie
WS häufigster Ort von Skelettmetastasen (ca. ⅔ aller Knochenmetastasen). Mehr-
zahl thorakal und lumbal (ca. 80 %), epidural-ossär lokalisiert. Primärtumoren am
häufigsten Mamma-, Prostata-, Bronchial-Ca, Niere, maligne Lymphome oder
unbekannt.

Klinik
• Abhängig von Lokalisation, Ausdehnung und Aggressivität des Tumors.
• Problematik: Drohender Querschnitt, Instabilität; nicht selten relativ späte
Erkennung, radikale Entfernung nicht möglich.

Bei Rückenmarkkompression mit Querschnittssymptomatik: Kortikosteroi-


de wie Dexamethason initial bis 40 mg/d, anschließend ausschleichen (z. B.
Fortecortin®).

Diagnostik
Beachte DD ▶ 15.1.1.
• Suche nach Primärtumor und Abklärung der Ausdehnung der Metastasie-
rung, falls zeitlich möglich. Rasche, zielbewusste Abklärung. Lähmung ist im-
mer ein Notfall!
• Rö: U. a. auf Destruktion der Bogenwurzeln, Osteolysen achten.
• CT/MRT: Tumorausdehnung, OP-Planung.
   14.7  Tumoren im Bereich der Wirbelsäule  575

• Evtl. Angiografie: Mit selektiver Darstellung der Tumorhauptgefäße. Ind. the-


rapeutisch: Gezielte Gefäßembolisation von Vorteil bei gefäßreichen Tumo-
ren (Reduktion intraop. Blutverluste), v. a. bei Nierenzell-Ca-Metastasen.
Embolisation wenige Tage vor Eingriff durchführen. Auch als palliative Maß-
nahme.
• Fachneurol. Kontrolle: Status praesens → Verlaufskontrolle.
Therapie
Allgemeines
• Meist interdisziplinäres Konzept.
• Ther.-Ziele: Schmerzreduktion, -beseitigung, Aufrechterhaltung der Mobili-
tät, Verbesserung der Lebensqualität. Durch möglichst radikale Tumorresek-
tion Beseitigung der spinalen Enge, Entlastung des Myelons, Wiederherstel-
lung der Stützfunktion.
• Schematische Ther.-Richtlinien lassen sich nicht aufstellen. Möglichkeiten:
Tumorresektion, Dekompression, Stabilisierung, Chemo-, Radiother., Tumo-
rembolisation, orthopädietechnische Versorgung und deren Komb.
Operative Therapie
• OP-Ind.: Zunehmende neurol. Ausfälle (bei vollständiger Lähmung Erfolg ei-
ner OP allerdings sehr fraglich). Starke Schmerzen. Instabilität → Dekom-
pression mit Tumorausräumung und meist Stabilisierung. Bei fortgeschritte-
nem und rasch progredientem Tumor (z. B. Bronchial-Ca) Zurückhaltung.
• OP-Taktik individuell abhängig von AZ, Histologie, Stabilität, Lokalisation 14
des Tumors:
– Möglichst radikale Tumorreduktion, -resektion von ventral. WK-Ersatz
bzw. Defektauffüllung mit Knochenzement oder künstlichem Platzhalter
und Stabilisierung mit Implantaten (z. B. Platte USIS); evtl. zusätzliche
dorsale Stabilisierung.
– Alleinige dorsale Stabilisierung: Zu schlechter AZ, um ventralen Eingriff
zu rechtfertigen. Ind.: Multiple Metastasierung an WS durch ventralen
Eingriff nicht vollständig zu stabilisieren. Ausschließlich dorsale Tumor-
lokalisation. Instrumentation.
– Alleinige Laminektomie nur bei sonst guter WS-Stabilität (z. B. vorwie-
gend epidurale Metastasierung) und keiner Gefährdung derselben durch
die OP, i. d. R. als alleinige OP nur selten indiziert.
Radiotherapie
• Lokal: Bei ca. 85 % teilweise oder vollständige Schmerzbeseitigung. Alternati-
ve: Halbkörperbestrahlung (fortgeschrittene Metastasierung).
• Primär: Bei strahlenempfindlichen Tumoren ohne massiv progrediente neu-
rol. Ausfälle wie malignes Lymphom, kleinzelliges Bronchial-, Mamma- und
Prostata-Ca.
• Postop. (bei OP Resttumor): Beginn i. A. am 7. postop. Tag.
Prognose
• Abhängig von präther. motorischem Status. Infaust, wenn keine wesentliche
Verbesserung der neurol. Ausfälle in den ersten Wo. (Frankel-Stadien
▶ 18.6.1).
• Mittlere Überlebensrate ca. 14 Mon.
576 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

14.8 Weichteiltumoren
14.8.1 Allgemeines
Definition
Tumoren der nichtepithelialen, extraskelettären Gewebe mit Ausnahme des reti-
kuloendothelialen Systems, der Glia und der Stützgewebe spezifischer Organe und
Eingeweide.

Epidemiologie
• Über 85 % der Weichteiltumoren sind benigne. Maligne Weichteiltumoren
(Sarkome) sind selten.
• Erw. (ca. 1 % aller malignen Tumoren): Liposarkom 20 %, Fibrosarkom 20 %,
malignes Fibrohistiozytom 15 %. Rhabdomyosarkom 10 %, unklassifizierte
Sarkome 10 %, Synovialsarkome 7 %.
• Kinder (ca. 10 % aller malignen Tumoren): ca. 65 % Rhabdomyosarkome.
Syn­oviale Sarkome 6–10 %, Fibrosarkome 7–10 %, extraossäre Ewing-Sarko-
me ca. 3 %. Günstigeres biologisches Verhalten als bei Erw.

Einteilung
Unterscheidung in zentrale innere (Mediastinum, Retroperitoneum, Mesenteri-
um, Orbita) und periphere Weichteile (Kopf, Hals, Rumpf, Extremitäten). In ca.
55 % Extremitäten betroffen. Nicht alle malignen Weichteiltumoren können exakt
14 klassifiziert werden, ebenso ist die histologische Differenzierung benigne/maligne
manchmal äußerst schwierig.

Klinik

Die Dignität eines Weichteiltumors ist aus der klin. Untersuchung nicht ab-
zuleiten. Ein Weichteiltumor ist bis zum Beweis des Gegenteils als maligne
anzusehen!

Diagnostik und Staging von Weichteiltumoren


• Beschwerden des Pat. → klin. Untersuchung.
• Nativ-Rö in 2 Eb. → Sono → MRT (▶ 4.4).
• Interpretation Klinik und apparative Diagn.
– V. a. benignen Tumor → Beobachtung oder Biopsie → gesicherte Diagn. →
Ther.
– V. a. malignen Tumor → Staging → Biopsie → chir. Staging → definitive Ther.

14.8.2 Therapierichtlinien
Staging
Verschiedene Systeme; Klassifikation von Enneking et al. weiteste Verbreitung
(▶ 14.1).
• Tumor intrakompartimental: Tumor hat natürliche Grenzen (Faszie, Korti-
kalis, Gelenk) seines Entstehungsorts nicht durchbrochen.
• Tumor extrakompartimental: Natürliche Grenzen seines Ursprungskompar-
timents sind durchbrochen.
  14.8 Weichteiltumoren  577

Definitives chirurgisches Vorgehen


Stellt je nach Lokalisation, Dignität und Größe des Tumors besondere Anforde-
rungen. Eingehende präop. Pat.-Aufklärung (mögl. Funktionsdefizite).
Biopsie: Indiziert bei fast allen peripheren Weichteiltumoren:
• Beim geringsten V. a. Malignität offene Inzisionsbiopsie nach vollständigem
Tumorstaging. Bei Biopsie Kontamination benachbarter Kompartimente ver-
meiden. Verarbeitung des Präparats vor Biopsie mit Pathologen absprechen
(Nativ, Formaldehyd, Glutaraldehyd). Rö- und MRT-Bilder usw. dem Patho-
logen mitschicken.
• Exzisionsbiopsie bei oberflächlichen kleinen Tumoren geringen bis mäßigen
Aktivitätsgrads → Histologie, evtl. Elektronenmikroskopie, Histochemie und
Immunhistochemie (z. B. Marker wie Desmin, Vimentin, Myoglobin, Kera-
tin) sowie ggf. molekularbiologische Untersuchung. Knochenmarkbiopsie bei
Rhabdomyosarkomen und Ewing-Sarkomen.
! Feinnadelbiopsie obsolet.
Exzisionen:
• Intraläsionale Exzision wird primär selten angestrebt. Allenfalls geeignet für
tumorähnliche Veränderungen (z. B. Myositis ossificans) und technisch nicht
anders zu therapierende größere Tumoren.
• Marginale Exzision für die meisten benignen Tumoren geeignet.
• Weite Exzision beim Großteil der aggressiven benignen und der „Low Grade“
malignen Tumoren. Zusätzliche adjuvante Ther. klären.
Resektion und Amputation: Radikale erweiterte Tumorresektion mit angrenzen-
den Strukturen und Resektion des Kompartments vorwiegend bei hochgradig
malignen Tumoren. Gliedmaßenamputation (▶ 23.11). 14
Chirurg soll Tumor während Resektion nie zu Gesicht bekommen. Sicher-
heitsabstand zu den Seiten 4 cm, in die Tiefe mind. 2 cm. Narbe der voraus-
gegangenen Inzisionsbiopsie muss en bloc mit dem Malignom entfernt wer-
den. Bei Befall eines Muskels oder Muskelgruppe → Entfernen von Ansatz
und Ursprung.

Strahlen- und Chemotherapie


• Intraop. Strahlenther. (IORT) indiziert bei strahlensensiblen Weichteiltumo-
ren bei R1- und R2-Resektion. Spezielle Strahlen-OP notwendig.
• Postop. Radiother. (z. B. Hochvolttechnik) im Anschluss an Wundheilung bei
lokalisierten Sarkomen ab Stadium II zu empfehlen. Da Tumorgruppe sehr
inhomogen ist, Strahlenempfindlichkeit sehr unterschiedlich. Große Strah-
lensensibilität bei Kaposi-Sarkom, undifferenziertem Liposarkom, Rhabdo-
myosarkom, undifferenzierten Sarkomen.
• Palliative Radiatio: Bei subjektiven Beschwerden durch inoperable Tumoren
oder Rezidive.
• Chemother. neoadjuvant oder adjuvant postop.:
– Ind. bei G2- und G3-Weichteiltumoren.
– Komb. Chemother. (Adriamycin und andere) bei metastasierenden
Weichteilsarkomen.
– Ggf. regionale i. a. Chemother. → Radiother. → En-bloc-Resektion.
– Auch neoadjuvante Chemother. im Einzelfall zu prüfen (Onkologe).
• Ggf. Extremitätenperfusion.
578 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Therapeutische Empfehlungen bei Weichteilsarkomen bei Kindern


und Jugendlichen
• Bei primär nicht resezierten Tumoren: Zunächst Biopsie → Chemother. und
evtl. Strahlenther. (Tumorverkleinerung) → OP.
• Primäre vollständige Tumorentfernung nur bei lokal begrenztem Tumor,
wenn keine funktionelle oder schwere kosmetische Beeinträchtigung folgt
(wie Enukleation des Auges, OP am Gesichtsschädel mit kosmetisch stören-
den Defekten, Amputation einer Extremität, bleibender Anus praeter natura-
lis, definitive supravesikale Harnableitung, Entfernung Vagina und Uterus,
Prostatektomie).
• Strahlenther. bei makroskopischen und mikroskopischen Tumorresten nach
chemother. Vorbehandlung.
• Chemother.: Bevorzugt in Studienprotokollen. Obligat bei Rhabdomyosar-
kom, undifferenzierten Sarkomen, extraossären Ewing-Sarkomen, Synovi-
alsarkomen. Bei Fibrosarkomen, Liposarkomen, Hämangioperizytomen, ma-
lignen Schwannomen entscheidet der pathol. Malignitätsgrad.

Nachsorge (Malignome)
Nachuntersuchungstermine: Nach Behandlungsabschluss im 1. J. alle 3 Mon., im
2. J. nach 6 Mon. (ca. 85 % aller Rezidive in ersten 2 postop. J.!), danach jährlich.
Kontrolle von Lokalbefund, LK, Labor, Rö-Thorax, Sono Primärtumorregion, ggf.
Abdomen.

14 Prognose
• 5-JÜR aller Altersstufen: Liposarkom 60 %, Fibrosarkom 50 %, malignes fib-
röses Histiozytom 45 %, malignes Schwannom 45 %, Synovialsarkom 45 %,
Rhabdomyosarkom 30 %.
• Postop. Lokalrezidivrate von Weichteilsarkomen 80–100 % nach ungenügen-
der Exzisionsbiopsie, 50 % nach weiter Exzision im Gesunden, 10–20 % nach
radikaler Weichteilresektion, 5 % nach Amputation.

14.8.3 Ausgewählte Weichteiltumoren
Tumoren und tumorähnliche Veränderungen des fibrösen
Bindegewebes
Epidemiologie
Gutartige Bindegewebstumoren häufig, ca. 25 % aller gutartigen Weichteiltumo-
ren (▶ Tab.  14.7).

Tab. 14.7  Bindegewebstumoren und Therapie


Tumor Charakteristika Therapie

Fibrom Kutane und subkutane Tumo- Exzision bei oberflächlicher


ren Lage

Keloid Reaktive posttraumatische Schwierig. Chir. Exzision.


Bindegewebswucherung. Ge- Evtl. lokale Rö-Bestrahlung.
netische Disposition. Bevor- Narbenbehandlungsmittel
zugt im Kindesalter (z. B. Contractubex® mehr-
mals tgl. einmassieren)
  14.8 Weichteiltumoren  579

Tab. 14.7  Bindegewebstumoren und Therapie (Forts.)


Tumor Charakteristika Therapie

Fibrosarkom ca. 18 % der malignen Weich-


teiltumoren. Bevorzugt an
OS. Altersgipfel 6. Ljz. Progn.
abhängig von Stadium und
Differenzierungsgrad

Plantarfibromatose ▶ 13.3.33
(Morbus Ledderhose)

Palmarfibromatose ▶ 9.3.4
(Morbus Dupuytren)

Extraabdominale Fib- Infiltrierendes Wachstum. Al- OP, radikale Exzision. Große


romatose (aggressive tersgipfel 25–35 J. Rezidivneigung. Intraop.
Fibromatose) und/oder adjuvante Radia-
tio. Evtl. bei Rezidiven Anti-
östrogene

Fibrohistiozytäre Tumoren
Definition und Epidemiologie
Malignes fibröses Histiozytom (5 Subtypen): Häufigstes Weichteilsarkom im spä-
ten Erw.-Alter (60.–70. Lj.). Meist untere, obere Extremität und Retroperitoneum.
Klinik 14
Meist schmerzloses, langsames Wachstum, gel. Fieber, Leukozytose.
Therapie
Radikale Exzision, Versuch mit Radio- und Chemother.

Tumoren des Fettgewebes


Lipom: ca. 40 % der benignen Weichteiltumoren. Bestehend aus reifem Fettgewe-
be mit Kapsel. Jede Lokalisation möglich. Intramuskuläres Lipom, Sonderform
mit Rezidivneigung.
Liposarkom: ca. 20 % aller Weichteilsarkome. Histologisch 5 Subtypen (→
Progn.). Lokalisation: Untere Extremität bevorzugt.

Tumoren des Muskelgewebes: Rhabdomyosarkom


Epidemiologie und Lokalisation
Häufigstes Weichteilsarkom im Kindesalter, ca. 4 % aller malignen kindl. Tumo-
ren. Altersgipfel: 2–6 J. Häufigste Lokalisation: Kopf- und Halsbereich (am häu-
figsten in Orbita), Urogenitaltrakt. Extremitäten ca. 18 % (schmerzloser Tumor).
Bis zu 20 % initial manifeste hämatogene Metastasen.
Therapie
• Probebiopsie mit prim. LK-Revision bei klin. Auffälligkeit (Extremitäten).
• Primär radikale OP, wenn keine schweren funktionellen oder kosmetischen
Defekte entstehen. Adjuvante Chemother. (CWS-86-Protokoll) in pädiat-
risch-onkologischen Zentren. Bei mikroskopischen Tumorresten Radiother.
mit 40–50 Gy.
580 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Prognose (Kinder)
ca. 60 % 5-JÜR.

Tumoren und tumorähnliche Veränderungen von Blutgefäßen


Einteilung
• Hämangiom: Überwiegend Hautbefall. Komb. Auftreten bei mehreren Sy.
• Glomustumor: Häufig an Fingern subungual (ca. 30 %), überwiegend bei Erw.
Klinik
• Hämangiom: Überwiegend Hautbefall. Juxta- und intraartikulärer Befall
möglich. Typisch lange Anamnese, rez. blutige Ergüsse, Gelenkschwellungen.
• Glomustumor: Anfallsartige heftige Schmerzen charakteristisch.
Diagnostik
Rö. Hämangiom: Gelenknahe Osteolysen, periostale Reaktionen möglich. Arthro-
se.
Therapie
• Hämangiom: Radikale Tumorentfernung (cave: Blutung). DD: Villonoduläre
Synovitis (▶ 13.2.31).
• Glomustumor: Fingernagel ganz oder teilweise entfernen, zur Schienung
nach Tumorentfernung refixieren.

Tumoren der Lymphgefäße


14 Lymphangiom: Oft angeboren. Sehr selten auch Lymphangiome des Knochens
beschrieben, dann progressive Veränderungen.

Tumoren und tumorähnliche Veränderungen der Synovia:


Synovialzellsarkom
Klinik
Entwickelt sich in Gelenkkapseln, Muskeln, Sehnen, Aponeurosen, Faszien. Neigt
zu ausgedehntem infiltrativem Wachstum.
Therapie und Prognose
• Kleine Tumoren primär unverstümmelnd resezieren. Nachbestrahlung mit
40–50 Gy.
• Ausgedehnte Tumoren bei Kindern: Zunächst Chemother., dann Resektion
des Resttumors, dann gleichzeitige Chemo- und Radiother. Angrenzende LK-
Stationen prim. oder sekundär biopsieren. Ca. 45 % 5-JÜR.
• Effektivität der Chemother. bei Erw. noch nicht gesichert.
Tumoren und tumorartige Veränderungen der peripheren Nerven
Einteilung
• Traumatisches Neurom (Amputationsneurom): Regelhafte Folge von Ner-
venamputationen („hypertrophische Vernarbung“).
• Neurofibrom: Häufigster peripherer neurogener benigner Tumor. Solitär
oder multipel (Neurofibromatose von Recklinghausen).
Klinik und Diagnostik
• Amputationsneurom: An sich harmlos, jedoch starke Schmerzen bei Druck
mögl. (▶ 23.11.3).
  14.8 Weichteiltumoren  581

• Neurofibromatose:
– Mind. 2 von 7 Kriterien müssen erfüllt sein (> 5 Café-au-Lait-Flecken, > 2
kutane Neurofibrome oder ein plexiformes Neurofibrom, kleinfleckige
Pigmentierungen axillär und inguinal, Optikusgliom, > 2 Irishamartome,
charakteristische ossäre Läsion, z. B. Tibiapseudarthrose, Verwandter 1.
Grads mit sicherer Neurofibromatose).
– Selten schwere (Kypho-)Skoliosen (durch lokale Destruktion von WK
oder -anteilen), Tibiapseudarthrose (auch ▶ 13.2.37), partieller Riesen-
wuchs, Epilepsie.
Therapie und Prophylaxe
• Amputationsneurom: Versuch der Verhinderung z. B. durch Histoacrylkleber
bei OP.
• Neurofibrom: Bei solitären Tumoren Exzision.
• Neurofibromatose: Entfernung einzelner Tumoren bei Beschwerden, sonst
symptomatisch. Maligne Entartung in 5–10 %.

Tumoren der sympathischen Ganglien: Neuroblastom


Definition und Lokalisation
Von NNM oder Sympathikusgrenzstrang ausgehend: Dritthäufigstes Malignom
bei Kindern. ¾ aller Pat. < 4 J. Lokalisation: Ca. 70 % im Bauchraum, 15 % Medias-
tinum, ca. 5 % Halsbereich.
Klinik und Verlauf
• Symptome abhängig von Tumorsitz: Wächst in den Spinalkanal mit neurol. 14
Symptomatik. Gel. zunehmende Fußdeformität (Hohlfuß) erstes (Spät-)Sym-
ptom.
! Klinik oft eher von Metastasen als vom Primärtumor bestimmt: Unklares Fie-
ber, Knochenschmerzen, Bauchschmerzen, Anämie.
• Frühe Metastasierung, überwiegend in Skelett (mottenfraßähnliche Herde),
LK, Leber.
Diagnostik
• Entscheidend ist die Knochenmarkpunktion.
• Urin: Erhöhte Ausscheidung von Vanillinmandelsäure.
Therapie
Stadienabhängig. Möglichst radikale chir. Resektion. Evtl. Komb. mit prä- und
postop. Chemo- und Strahlenther.
Prognose
Schlecht. 5-Jahresrate ereignisfreies Überleben (EFÜ): Stadium I: 100 %, II: 94 %,
III: 70 %, IV: 20 %, Säuglinge: Deutlich bessere Progn.

Tumoren und tumorähnliche Veränderungen von Knorpel und


knochenbildenden Geweben
Einteilung und Ätiologie
Myositis ossificans: Nicht neoplastische, reaktive Bindegewebswucherung mit
Knochen- und evtl. Knorpelneubildung in Muskulatur und anderen Weichteilen.
Ätiol. unklar, in ca. 65 % Zusammenhang mit Trauma (zirkumskripte Form). Pro-
gressive Form: Autosomal-dominant vererblich.
582 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Myositis ossificans circumscripta mit Traumaanamnese: Lokalisierte Verknö-


cherungen (schreiten von peripher nach zentral fort). Am häufigsten Beugeseite
Ellenbogengelenk, Wadenmuskulatur, Adduktoren OS. Auch nach OP (Hüfte
▶ 13.1.6 und Ellenbogengelenk).
Myositis ossificans neuropathica: Meist oligo- oder polytop nach Para- oder Te-
traplegien (z. B. nach SHT, entzündlichen Erkr. des ZNS). An der Hüfte in ca.
20 % bei Rückenmarkverletzungen.
Klinik und Diagnostik
Myositis ossificans: Bei Lokalisation in Adduktoren: „Reiterknochen“, in Schul-
ter-Arm-Muskulatur „Exerzierknochen“. Progressive Form: Fortschreitende Ver-
knöcherung der Muskulatur.
Myositis ossificans neuropathica: Rö. Mehrfach Knochenszinti (da mehrere Pha-
sen der Reifung von Ossifikationen) und AP.
Therapie
Myositis ossificans neuropathica: Exstirpation (Ind. aus funktionellen Gründen:
z. B. bei starker Bewegungseinschränkung). Zeitpunkt: AP sollte im Normalbe-
reich sein; Szinti sollte normale oder zurückgehende Aktivität aufweisen.

Tumoren mit unklarer Histogenese: Extraskelettales Ewing-Sarkom


Lokalisation
Alter vorwiegend 15.–30. Lj. Lokalisation paravertebral, untere Extremitäten.

14 Klinik
Schmerzlose Weichteilschwellung.
Therapie
Weite lokale Exzision, Radiother., Chemother. (▶ 14.5.3).

14.9 Hämatologische Erkrankungen,
Histiozytosen
Definition
Maligne Erkr. mit Proliferation leukozytärer Zellen und Verdrängung der norma-
len Hämatopoese im Knochenmark.

Akute lymphoblastische Leukämie (ALL)


Klinik
In ca. 50 % der Fälle 3.–5. Lj. betroffen. ALL kann eine Reihe orthop. Krankheits-
symptome imitieren: Diffuse, unspez. Knochen- und Gelenkschmerzen.
• Erste Krankheitszeichen uncharakteristisch (Blässe, Mattigkeit, Inappetenz,
Gewichtsabnahme). Dann Fieber, Neigung zu Infekten.
• Haut- und Schleimhautblutungen (Thrombozytopenie).
• Generalisierte Lymphome, Milz- und Lebervergrößerung.
• Selten prim. Befall von ZNS, Niere, Hoden.
Diagnostik
• BB: Mäßige normochrome Anämie. Thrombozytopenie. Zahl leukämischer
Zellen 0/nl (aleukämisch) bis > 1.000/nl möglich.
   14.9  Hämatologische Erkrankungen, Histiozytosen  583

• Harnsäure, LDH, BSG und AP ↑. Knochenmarkpunktion: Diagn. entschei-


dend. Überwuchern leukämischer Zellen.
• Rö: In ca. 50 % radiologische Auffälligkeiten nachweisbar. Nicht pathogno-
monisch: Osteopenie, lytische Läsionen, metaphyseale Querbänder meist im
Kniebereich (Destruktion von Knochentrabekeln, Hemmung enchondralen
Knochenwachstums), Sklerosezonen, alleinige periostale Reaktionen. Häufige
Lokalisation: Lange Extremitätenknochen, WS.
Differenzialdiagnosen
! Fehldiagnose Osteomyelitis (▶ 8.4.1).
• Septische Arthritis, rheumatisches Fieber, JRA, infektiöse Mononukleose,
Non-Hodgkin-Lymphom, Neuroblastom.

Bei Kindern mit unklaren Knochenschmerzen, Fieber, Anämie oder Throm-


bozytopenie an Leukämie denken.

Therapie
• Pädiatrischer Onkologe → Polychemother. (multizentrische Studien). Nach
Krankheitsrisiko (klin. und immunzytologische Kriterien) modifizierte The-
rapiepläne. Knochenmarktransplantation bei Rezidiv anstreben.
• Orthopädisch: Bei pathol. Frakturen Osteosynthese, sofern operabel. Bei Os-
teomyelitis (aufgrund Resistenzminderung) Antibiose.
Prognose 14
• Heilungsrate ca. 60–70 %.
• B-Zell-ALL hohes Krankheitsrisiko. Häufigste Todesursache schwere Inf. (in
ca. 70 %).

Akute myeloische Leukämie (AML)


Klinik
• Ähnlich wie bei ALL. Leukozytose, Milztumor und Blutungsneigung oft stär-
ker ausgeprägt.
• Chlorome: Seltene, aber charakteristische Erscheinungsform der AML. Inva-
siv und destruktiv wachsende, grünlich aussehende Tumormassen. Meist
subperiostal.
Prognose
Günstiger als bei ALL: ca. 80 % Heilungsrate bei Polychemother.

Chronische myeloische Leukämie (CML)


Epidemiologie
Häufigkeitsgipfel im 5. Ljz. Selten bei Kindern.
Klinik und Diagnostik
• Leitsymptom Splenomegalie mit Druck- und Völlegefühl. Blässe, Müdigkeit
(Anämie). Knochenschmerzen, rez. Gelenkschmerzen (sekundäre Arthritis
urica).
• Diagn.: BB mit Leukozytose. Im Knochenmark ausgeprägte Vermehrung der
Granulopoese mit Linksverschiebung. Bestimmung fetales Hb, Chromoso-
menanalyse (Translation Chromosom 9 und 22).
584 14  Knochen- und Weichteiltumoren  

Therapie und Prognose


• Zytostatika wie Busulfan (z. B. Myleran®) und Imatinib (Tyrosinkinaseinhibi-
tor), seltener Milzbestrahlung.
• Progn.: Mehrjähriger chron. Verlauf. Bei ca. 80 % meist terminaler akuter
Blastenschub. Philadelphia-Chromosom-Negative: Schlechtere Prognose.

Chronische lymphatische Leukämie (CLL)


Klinik
75 % der Pat. > 60 J. Langsam progredienter Verlauf.
• Zunehmende LK-Vergrößerung. Hepatosplenomegalie. Hautinfiltrate. Leis-
tungsminderung. Gehäufte Inf.
• Orthop.: Nervenkompression durch Lymphome mögl. → Neuralgien, Ischial-
gien.
• Diagn.: Im BB massive Lymphozytose.
Therapie
Spezifische Ther. (Chemo- und/oder Strahlenther.) so zurückhaltend wie mögl.
aufgrund der relativ gutartigen Prognose.

Langerhans-Zell-Histiozytose (Histiozytosis X)
Definition
Drei nach ihrem klin. Verlauf unterschiedliche Erkr. mit pathol. Proliferation von
Histiozyten. Histopathol. diffuse Infiltration oder fokale granulomartige Herde.
14 Eosinophiles Granulom ▶ 14.7.2.
Klinik und Diagnostik
• Hand-Schüller-Christian-Krankheit:
– Osteolytische Knochenläsionen (v. a. WS, Schädel, Becken, Exophthalmus;
i. d. R. polyostotisch), Diabetes insipidus. Spontanpneumothorax.
– Labor: Cholesterin ↑.
• Abt-Letterer-Siwe-Krankheit (generalisierte Histiozytose):
–  Hauptmanifestationsalter 1.–4. Lj.
– Fieber, Hepatomegalie, Thrombopenie.
– Rö: Osteolysen an Extremitäten, Schädel, Rippen, Becken.
Therapie und Prognose
• Hand-Schüller-Christian-Krankheit: Bei multiplem Befall, WK-Sinterung:
Chemother.
• Abt-Letterer-Siwe-Krankheit: Chemother. nach Studienprotokoll der Inter-
nationalen Histiozytose-Gesellschaft. Progredienz sehr rasch. Führt insbes.
beim Säugling innerhalb von Mon. zum Tod.
15 Osteopathien, metabolische und
endokrine Arthropathien
Desiderius Sabo

15.1 Osteopathien 586 15.2.3 Idiopathische


15.1.1 Osteoporose 586 ­Hämochromatose 596
15.1.2 Osteomalazie 591 15.2.4 Chondrokalzinose
15.1.3 Morbus Paget 592 (­Pseudogicht) 597
15.1.4 Renale Osteopathie 593 15.2.5 Gicht, Hyperurikämie 598
15.1.5 Rachitis 593
15.1.6 Osteopetrose 594
15.2 Metabolische und endokrine
Arthropathien 595
15.2.1 Arthropathie bei Hämophilie
A und B 595
15.2.2 Ochronose 596
586 15  Osteopathien, metabolische und endokrine Arthropathien  

15.1 Osteopathien
15.1.1 Osteoporose
Definition
Systemische Skeletterkr. mit niedriger Knochenmasse, gestörter Mikroarchitektur
und erhöhtem Frakturrisiko. Klin. häufig akute oder chron. Rückenschmerzen,
Schenkelhals-, Wirbel- und Radiusfrakturen. „Epidemische“ Ausbreitung der
Krankheit mit erheblicher Beeinträchtigung der betroffenen Pat. und volkswirt-
schaftlicher Belastung.

Einteilung
Primäre Osteoporosen (wesentlich häufiger als sekundäre)
• Idiopathisch.
– Typ I: Präsenil, meist postmenopausal, relativer Östrogenmangel; Alter
50–70 J.; oft rascher Knochenumsatz („High Turnover“).
– Typ II: Senil, Altersinvolution (ab ca. 70. Lj.; ca. 50 % aller Menschen
> 70 J.), meist schleichender Verlauf („Low Turnover“).
– Mischformen zwischen Typ I und II.
Sekundäre Osteoporosen
• Endokrin: Hyperthyreose, Morbus Cushing, Hypogonadismus, Diab. mell.
• Medikamentös: z. B. Steroidther. (ab individueller Schwellendosis), Langzeit-
heparinisierung, Schilddrüsenhormone, Laxanzien.
• Entzündlich: Erkr. aus dem rheumatischen Formenkreis, Infekt, CRPS.
• Gastrointestinal (Laktoseintoleranz, Malabsorption, Maldigestion, Pankreas-
insuff., Leberzirrhose, Magen-Darm-OP).
• Renal: Chron. Niereninsuff.
15 • Inaktivität: Posttraumatisch, Bettruhe, Lähmungen.
• Erbliche Bindegewebserkr.: z. B. Osteogenesis imperfecta, Marfan-Sy.
• Malignome: Plasmozytom, Filiae, Leukämien.
• Alkohol- oder Nikotinabusus.
Schweregrad
▶ Tab.15.1.
Tab. 15.1  Einteilung der Osteoporose-Schweregrade (bezogen auf die Mes-
sung der Knochendichte [BMD] mittels DEXA)
Einteilung Abweichung der BMD

Normal ± 1 SD

Osteopenie −1 bis −2,5 SD unter PBM

Osteoporose Mindestens –2,5 SD unter PBM; bisher keine Frakturen

Schwere Osteoporose Mindestens −2,5 SD unter PBM; eine bis mehrere Frak-
turen ohne adäquates Trauma

BMD = „Bone Mineral Density“, PBM = „Peak Bone Mass“, SD = Standardabwei-


chung; ausgedrückt wird die Abweichung von der max. erreichten Knochendichte
einer 30-jährigen, gesunden Referenzpopulation (PBM, T-Score [WHO 1994])
  15.1 Osteopathien  587

Risikofaktoren
Familiäre Belastung, Nullipara, Untergewicht, schlanker Habitus, Ernährungsfak-
toren (übermäßiger Tabak-, Alkohol-, Kaffeegenuss, kalziumarme Ernährung).
Zu geringe Sonnenlichtexposition, Bewegungsmangel, frühe Menopause (< 45 J.),
Ovarektomie.

Klinik
• Betonte Kyphose der BWS („Witwenbuckel“), Körperlängen-, Gewichtver-
lust.
• Hartspann der Rückenmuskulatur.
• Schmerzen bei Seitneigung und längerem Stehen (Kontakt von Rippenbogen
mit Beckenkamm).
• „Tannenbaumeffekt“ durch schlaffe quere Hautfalten am Rücken.
• Scheinbare Überlänge der Arme durch Rumpfverkürzung.
Diagnostik
Empfehlung zur Diagnostik
Die Leitlinie des Dachverbands der deutschsprachigen osteologischen Fachge-
sellschaften (www.dv-osteologie.org/dvo_leitlinien/osteoporose-leitlinie-2014)
empfiehlt Basisdiagnostik (Anamnese, klin. Befund, Osteodensitometrie, Rö./
Bildgebung, Labor), wenn das geschätzte 10-Jahres-Risiko für radiografische
Wirbelkörperfrakturen und Hüftfrakturen 20 % übersteigt oder bei unmittelba-
ren therap. oder diagnostischen Konsequenzen (aktuelles oder kurz zurücklie-
gendes Risiko).
Dieses Risiko wird angenommen, wenn folgende Faktoren vorliegen:
• Eine oder mehrere osteoporosetypische Wirbelkörperfraktur(en).
• Periphere Frakturen nach einem Bagatelltrauma bis zu einem Alter von 70 J.
• Als Einzelfallentscheidung.
• Alter 70–75 J. und einer oder mehrere der folgenden klin. Risikofaktoren:
– Periphere Fraktur nach einem Bagatelltrauma. 15
– Anamnese einer osteoporotischen Fraktur der Eltern.
– Multiple Stürze.
– Nikotinkonsum.
– Immobilität.
– Untergewicht (BMI < 20 kg/m2).
• Alter > 75 J. ohne zusätzliche Risikofaktoren.
Zudem kann eine Diagn. bei Grunderkr./-dispositionen mit erhöhtem Frakturri-
siko sinnvoll sein: z. B. Hypogonadismus, Hyperkortisolismus, prim. Hyperpara-
thyreoidismus, systemische Glukokortikoide, höhergradige Niereninsuff., Diab.
mell. Typ 1, Malassimilation, Antiepileptika.

Basisdiagnostik
Anamnese, klinischer Befund
• Hinweise für WK-Frakturen?
• Lokalisation und Intensität frakturbedingter Schmerzen
• Funktionelle Einschränkungen?
588 15  Osteopathien, metabolische und endokrine Arthropathien  

• Fraktur- und Sturzanamnese.


• Größen- und Gewichtabnahme, zunehmender Rundrücken.
• Familiäre Osteoporosebelastung, Hinweise auf sekundäre Osteoporose?
• „Timed-Up-and-Go“-Test, geriatrisches Assessment.
Osteodensitometrie (Knochendichteanalyse)
DEXA (Dual-Energy-X-Ray-Absorptiometry) empfehlenswertestes Verfahren
mit minimaler Strahlenbelastung, hoher Präzision. Grundlage der WHO-Eintei-
lung; auch ▶ 4.7.
• T-Score: Bewertung des absoluten Frakturrisikos (Vergleich mit „Peak Bone
Mass“).
• Z-Score: Bewertung des relativen Frakturrisikos (Vergleich mit altersge-
matchtem Kollektiv).
Für die Beurteilung ist der niedrigste Messwert der Gesamtareale ausschlaggebend.
Röntgen
Zur Frühdiagnose ungeeignet. Erst bei BMD-Verlust > 30 %. Bei Frakturverdacht:
• BWS, LWS, Handgelenk, prox. Fe-
mur, jeweils in 2 Eb.
• WS: Kompakta akzentuiert? Keil-,
Fisch- und Flachwirbel
(▶ Abb.  15.1)? Trabekelzeichnung?
Rahmenwirbel? Höhenausmes-
sung der WK? Spinalkanalstenose?
Labor
Bei Osteoporose i.  d. 
R. Normalwerte
von BSG, BB, Ca2+, Phosphat, AP, GOT,
GPT, Urinstatus (▶ Tab.15.2). Cave: La-
bor dient v. a. zur DD. Differenzialdi-
15 agn. Einsatz von Knochenumbaupara-
metern möglich: Knochenaufbau (AP,
Osteokalzin), Knochenabbau (Kolla-
gen-I-Propeptide, tartratsaure Phos-
phatase, Urin-Hydroxyprolin, Kolla- Abb. 15.1 Wirbelveränderungen bei
gen-Crosslinks). manifester Osteoporose [L190]

Weiterführende Diagnostik
Immune'phorese, Osteokalzin, 25(OH)-Vit. D3, Parathormon, T3, T4, MRT, CT.
Knochenbiopsie
Letzte diagn. Maßnahme (histologisch-histomorphometrische Analyse):
• Hauptind.: Malignomverdacht, unklare Osteopathien, therapieresistente Os-
teopathien, rascher Knochensubstanzverlust bei jungen Pat., Ther.-Kontrolle.
• Technik: Vertikale Biopsie mit Hohlnadel, 2–4 cm hinter Spina iliaca ant. sup.
• Präbioptische Tetrazyklindoppelmarkierung: Tetrazyklin wird als fluoreszie-
render Farbstoff (UV-Licht) an Mineralisationsfront eingebaut. Messung von
Knochenanbau- bzw. Mineralisationsraten → zeitlicher Verlauf.
• Versand mit pathol. Institut absprechen.
  15.1 Osteopathien  589

Tab. 15.2  Typische laborchemische Befundkonstellationen bei Osteoporose


und anderen metabolisch-endokrinen Osteopathien
Laborpara- Osteoporose Osteomalazie Ostitis fibrosa generalisata (HPT *)
meter
Primär Sekundär/ Sekun-
intestinal där/renal

Serum

Kalzium ↔ ↓, ↔ ↑ ↓ ↓, ↔

Phosphat ↔ ↓, ↔ ↑, ↔ ↓, ↔ ↑

AP ↔, (↑) ↑ ↑, (↔) ↑ ↑

Parathormon ↔ ↑, ↔ ↑ ↑ ↑

Urin

Kalzium ↔, (↑) ↓, ↔ ↑, ↔ ↓ –

Phosphor ↔ ↔ ↔ ↓, ↔ –

Hydroxypro- ↔ ↑ ↑ ↑ –
lin

* HPT = Hyperparathyreoidismus

Osteoporoseprophylaxe
• Risikobewusste und dem körperlichen Zustand angepasste körperliche Akti-
vität: Gymnastik, leichte körperliche Arbeit, Schwimmen, Wandern, aktiver
Lebensstil, Aufenthalt im Freien (angepasste Sonnenlichtexposition).
• Verzicht auf Alkohol und Nikotin.
• Ausreichende Kalzium- und Vit.-D-Zufuhr:
– Prämenopausal: Kalzium 1.000 mg/d. 15
– Postmenopausal: Kalzium 1.000–max. 2.000 mg/d + Vit. D 800 IE.
– Aufnahme über die Nahrung oder als Komb.-Präparat (z. B. IDEOS® 2 + 1
Kautbl.).
• Hormonersatztherapie:
– Für perimenopausale und früh postmenopausale Frauen unter gynäkolo-
gischer Kontrolle; nicht durchgängig empfohlen.
– Bei Langzeitsubstitution BMD ↑ an allen Messorten und Frakturrate ↓
(zumindest an der WS).
–  Östrogensubstitution: Z. B. mit Sequenzpräparaten (Presomen® comp.
0,6 und 1,25; Cyclo-Progynova®, Trisequens®); mit Komb.-Präparaten
(z. B. Kliogest®), als i. m. Inj. (z. B. Gynodian® Depot + Gestagen) oder
transdermal (z. B. Estraderm TTS® und Gestagen oral).
! KI: Unter anderem bekannter östrogenabhängiger Tumor.
• Selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren (SERMS): z. B. Tamoxifen, Raloxi-
fen; Wirksamkeit auf den Knochenstoffwechsel und Beeinflussung der Frak-
turrate wird derzeit in Studien untersucht.
590 15  Osteopathien, metabolische und endokrine Arthropathien  

Therapie
Medikamentöse Osteoporosetherapie
• Ind.:
– Niedrigtrauma singuläre oder multiple WK-Frakturen (T-Score < –2).
– Niedrigtrauma prox. Femurfraktur (T-Score < –2).
• Therapie mit oralen Glukokortikoiden > 7,5 mg Prednisolonäquivalent > 3
Mo. (▶ Tab.15.3).
• Zahlreiche indikationserhöhende Sonderempfehlungen auch bei höherem T-
Score (z. B. Diab. mell. Typ 1, pos. Familienanamnese, Rauchen, COPD,
Herzinsuff., RA, Epilepsie, Antiepileptika, Depression, Antidepressiva, hor-
monablative Ther.).
• Ther. bei der postmenopausalen Frau: Alendronat, Ibandronat, Raloxifen,
Risedronat, Strontium-Ranelat, Teriparatid (Zulassung nur bei manifester
Osteoporose). Für alle Präparate ist eine Verminderung von WK-Frakturen,
für Alendronat, Risedronat, Strontium-Ranelat und Teriparatid auch eine
Verminderung peripherer Frakturen nachgewiesen.
• Ther. beim Mann: Alendronat.
• Dauer mind. 3–5 J., anschließend Reevaluation anhand der Leitlinie und Ent-
scheidung über eine Weiterther. aufgrund des vorhandenen Risikos. Bei Teri-
paratid Therapiedauer auf 18 Mon. begrenzen.

Tab. 15.3  Indikation für eine medikamentöse Osteoporosetherapie nach Risi-


koprofil (T-Score [DEXA-Werte])
Alter T-Score

Frauen Männer –2,0 bis –2,5 –2,5 bis –3,0 –3,0 bis –3,5 –3,5 bis –4,0 < –4,0

50–60 J. 60–70 J. Nein Nein Nein Nein Ja

15 60–65 J. 70–75 J. Nein Nein Nein Ja Ja

65–70 J. 75–80 J. Nein Nein Ja Ja Ja

70–75 J. 80–85 J. Nein Ja Ja Ja Ja

> 75 J. > 85 J. Ja Ja Ja Ja Ja

Schmerztherapie
• Möglichst kurz dauernde gelockerte Bettruhe, schmerzgesteuerte Mobilisa­
tion, Physiother., dosierter Muskelaufbau, Elektrother. (▶ 20.4), Atemgym-
nastik. Später Haltungsschulung, stabilisierende KG.
• Peripher wirksame Analgetika: NSAR wie Diclofenac 2 × 75 mg/d (z. B. Volta-
ren®).
• Zusätzlich zentral angreifende Analgetika bei sehr starken Schmerzen wie
Tramadol (z. B. Tramal® Tr.), Buprenorphin (Temgesic® Sublingual-Tbl.).
• Kalzitonin (s. o.).
• Bisphosphonate (s. o.).
• Evtl. lokale Infiltration an Schmerzpunkten (Beckenkamm-Rippen-Kontakt)
mit LA.
• Mieder (HE-Mieder nach Lindemann; ▶ 23.3.2): Compliancefähigkeit der
Pat. beachten.
  15.1 Osteopathien  591

15.1.2 Osteomalazie
Definition
Mineralisierter Skelettanteil ist vermindert. Knochen verlieren daher an Festigkeit
und erleiden Deformierungen. Merke: Bei generalisierten Schmerzen und
Gangstörungen bei älteren Pat. und bei südländischen Gastarbeitern an Osteoma-
lazie denken!

Ätiologie
• Störung des Vit.-D-Stoffwechsels:
– Mangel an Colecalciferol (Vit. D3): Mangelhafte UV-Bestrahlung und/
oder mangelhafte Vit.-D-Zufuhr (Rachitis ▶ 15.1.5) durch Mangelernäh-
rung, Malabsorption oder Maldigestion z. B. durch Magenresektion,
Dünndarmerkr.
– Mangelhafte Metabolisierung von Colecalciferol (Vit. D3): Antiepileptika,
Leberzirrhose, chron. Niereninsuff., hereditäre Pseudomangelrachitis.
• Störung des Phosphatstoffwechsels (am häufigsten): Phosphatdiabetes (renale
Tubulopathien, Vit.-D-resistent): Hereditär, idiopathisch beim Erw., onkogen
durch Knochen- und Bindegewebstumoren.

Klinik
• Gehstörungen, rasche Ermüdung infolge allg. Muskelschwäche (Watschel-
gang).
• Generalisierte Knochenschmerzen, Fersenschmerzen, Schmerzen im Adduk-
torenbereich, Schmerzen ausgehend von Sitz- und Schambeinfrakturen.
• Allmähliche Deformierung der belasteten Knochen: WS-Kyphose, Becken-
verformungen, Genua valga bzw. vara.

Diagnostik
• Röntgen: 15
– Kortikalis rarefiziert mit Längsstreifung, Spongiosa verdichtet (Osteoskle-
rose) oder fleckförmig entkalkt; unscharfe Konturen und verwaschene
Feinstruktur.
–  Pseudofrakturen (Looser-Umbauzonen bzw. Milkman-Frakturen) an
Stellen starker mechanischer Beanspruchung wie koxalem Femurende,
dist. Ulnadrittel, Rippen.
– Fisch- bzw. Keilwirbelbildungen an der WS.
• Labor: AP ↑ (gesteigerte Osteoblastentätigkeit), Serumkalzium ↓/↔, Serum-
phosphat ↓/↔; (bedingt durch sek. Hyperparathyreoidismus), Kalziumaus-
scheidung im Harn ↓/↔ (▶ 15.1.1).
• Histologie: Nach Tetrazyklinmarkierung breite Osteoidsäume ohne aktive
Mineralisationsfront.

Therapie
• Reiner Vit.-D-Mangel: 400–4.000 IE/d Colecalciferol.
• Malabsorption: 3 × 300.000 IE Colecalciferol im Abstand von 3–6 Wo. i. m.
Nach Normalisierung der AP und Beschwerdefreiheit (nach ca. 3–6 Mon.)
­alle 3 Mon. 300.000 IE Colecalciferol i. m. Orale Substitution mögl.:
ca. 8.000 IE/d Colecalciferol (Vit. D3) und 1–2 g/d Kalzium oral.
• Osteomalazie nach Antiepileptika: Ca. 5.000 IE/d Colecalciferol (Vit. D3).
592 15  Osteopathien, metabolische und endokrine Arthropathien  

• Renal tubuläre Osteomalazie mit Phosphatverlust: Phosphatgabe bis


2,5 g/m2/d (Erw.). Regelmäßige Parathormonbestimmung.
• OP: Ind. zur Korrekturosteotomie bei deutlichen Beinachsenfehlstellungen.
Prognose
Bei Vit.-D-Mangel oder Stoffwechselstörung schnelle Besserung. Bei Tubulopa-
thien langwierige Behandlung.

15.1.3 Morbus Paget
Definition
Lokalisierte mon- oder polyostotisch auftretende Osteopathie mit übermäßigem
Knochenumbau, dadurch mechanische Minderwertigkeit des Knochens (Paget
1877). Durchschnittsalter ca. 60 J. Am häufigsten im Bereich Becken, LWS, Fe-
mur, Tibia, Schädel.

Ätiologie und Pathogenese


Wahrscheinlich Slow-Virusinf. des Skeletts. Vermehrung und Überaktivität der
Osteoklasten → Skelettresorption, beschleunigter Knochenabbau → Reparations-
versuche der Osteoblasten, überstürzter unkoordinierter Anbau von untermine-
ralisiertem, mechanisch minderwertigem Faserknochen → Deformierung und
Fraktur. Lokaler Knochenumsatz stark erhöht → AP teilweise exzessiv ↑.

Klinik
• ca. ⅓ der Pat. asymptomatisch.
• Schmerzen, Deformierung, Überwärmung, Fraktur.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
15 • Röntgen:
– Meist charakteristischer grobsträhniger Umbau der Spongiosa. Je nach
Vorherrschen von An- oder Abbau: Hyper- bzw. hypostotische Formen.
– An der WS drei Befallsmuster: Rahmenwirbel (am häufigsten), Drei-
schichtwirbel und Elfenbeinwirbel.
• Knochenszinti: Monostisch-polyostisch? Dann gezieltes Rö.
• Labor: AP ↑ = guter Parameter für Krankheitsausdehnung und -aktivität
(▶ 15.1.1). Cave: Ausschluss von Lebererkr. (GOT, GPT, γ-GT im Normalbereich)!
• Knochenbiopsie: Bei unklarer Diagnose.
• DD: Prim. Hyperparathyreoidismus, M. Recklinghausen, fibröse Dysplasie,
osteoplastische Skelettmetastasen, chron. sklerosierende Osteomyelitis (Gar-
ré). Schmerzen im Hüftbereich bei Ischialgien und prim. Koxarthrosen.

Therapie
Indikationen
Absolute Ind.: Knochenschmerzen, Deformität und Frakturrisiko, Nervenausfäl-
le, Schädelbasisbefall, starke Umbauaktivität (AP > 600 IE/l).
Relative Ind.: Jugendliches Alter mit mittlerer Krankheitsaktivität, Schädelkalot-
tenbefall, lästiges Wärmegefühl, radiologisch Progression, Vorbereitung auf
­operative Korrekturen, Herzinsuff. mit Volumenbelastung.
Keine gesicherte Ind.: Pat. symptomfrei, geringe Umbauaktivität, Pat. > 75 J.,
­Befall wenig gefährdeter Knochen.
  15.1 Osteopathien  593

Ziel
Osteoklastenhemmung, Schmerzreduktion, Verhindern von Deformierungen.
Vorgehen
• Bisphosphonate: Zunächst als i. v. Ther. mit AP als Regelgröße. Nach AP-
Normalisierung orale Ther.
• Kalzitonin (Selbstinj., Schulung): z. B. Karil® 100 IE/d s. c. über 3–6 Mon., in
schweren Fällen über J. Nasenspray in Testung. NW: Wärmegefühl, Übelkeit.
Bei Nachlassen der Beschwerden (nach 6 Mon. oder später) Ther.-Pause. In
ca. 70 % deutliche Beschwerdebesserung.
• Medikophysikalische Maßnahmen (abhängig vom AZ).
• In Einzelfällen operative Achskorrektur oder Endoprothetik nach vorheriger
Bisphosphonatther.

Komplikationen
Deformierung („Säbelscheidentibia“), (Ermüdungs-)Fraktur, Arthrose, Dislokati-
on. Schädelvergrößerung, neurol. Kompressionssy. (Hirnnerven), Schwerhörig-
keit, Hyperkalzämie, Gicht, Herzinsuff., Nierensteine (Hyperkalzurie). Sarkoma-
töse Entartung < 1 %.

15.1.4 Renale Osteopathie
Definition
Komplexe Osteopathie bei glomerulärer Niereninsuff.: Komb. von Osteomalazie,
sek. Hyperparathyreoidismus und Osteosklerose.

Klinik
„Gelenksteife“, Bewegungseinschränkung, Rundrücken, pathol. Frakturen. Kar-
paltunnelsy. häufig. Minderwuchs bei Krankheitsbeginn im Wachstumsalter.
15
Diagnostik
• Labor: Phosphat ↑, Ca2+ ↓, Albumin ↓, AP ↑, PTH ↑, Krea ↔ oder ↑.
• Rö: Osteopenie, Kompakta spongiosiert. Subperiostale Usuren an Phalangen.
Gefäß- und Weichteilverkalkungen.

Therapie
• Kons. internistische Ther.: Diät, Colecalciferol (Vit. D3), kalziumhaltige Phos-
phatbinder. Schleifendiuretika, ggf. Dialysen.
• Operative Ther.: Bei Frakturen, Arthropathien, Osteochondronekrosen. Kor-
rekturosteotomien bei Achsenfehlstellungen. Bei SHF, Arthrosen und Femur-
kopfnekrosen älterer Pat. TEP.

15.1.5 Rachitis
Definition
Syn.: D-Avitaminose, Englische Krankheit. Gestörte Mineralisation des wachsen-
den Knochenskeletts infolge Vit.-D-Mangel. In Mitteleuropa durch Vit.-D-Pro-
phylaxe selten.
594 15  Osteopathien, metabolische und endokrine Arthropathien  

Ätiologie und Pathogenese


Mangel an Vit. D in der Nahrung oder mangelndes Sonnenlicht. Kalziumspiegel
kann nur auf Kosten des Skelettkalziums aufrechterhalten werden. Große Men-
gen unverkalkten Osteoidgewebes in den wachsenden Epiphysen führen zur allg.
Erweichung und Verbiegung bereits gebildeter Knochen.

Klinik
Klin. Zeichen vor dem 2. Lebensmonat selten (Ausnahme: Untergewichtig gebo-
rene Säuglinge).
• Unspezifische Symptome: Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Kopf-
schweiß.
• Typische Zeichen: Muskelhypotonie (z. B. Bauchmuskulatur, „Froschbauch“),
Kraniotabes (Eindrückbarkeit der Lambdanaht), rachitischer Rosenkranz
(Rippenauftreibung bedingt durch Anlagerung nicht verkalkenden Osteoids),
Glockenthorax beim jungen Säugling, Harrison-Furche (Zwerchfellansatz
wird bei Inspiration kräftig nach innen gezogen), knöcherne Verbiegungen
(Skoliosen, „Kartenherzbecken“, Coxa vara. Femur, Genu und Crus valgum).

Diagnostik
• Rö: Pathognomonisch: a. p.-Aufnahme der Handwurzelknochen zeigt ver-
minderten Kalksalzgehalt, verspätete Verkalkung der Knochenkerne, verbrei-
terte, verwaschene Metaphysengrenzen und Becherform an langen Röhren-
knochen.
• Labor: AP ↑↑, Kalzium ↔/↓, Phosphat ↓.
Therapie
Ausreichende Vit.-D-Gabe p. o. (z. B. 1.000 IE/d). Operative Maßnahmen i. A.
nicht notwendig. Rachitische Verbiegungen heilen bei ausreichender Vit.-D-Zu-
fuhr folgenlos aus. Korrekturosteotomien bei Genua vara, valga, bei Achsenfehl-
15 stellung > 30° und fehlender Rückbildungstendenz.

15.1.6 Osteopetrose
Definition
Syn.: Morbus Albers-Schönberg. Generalisierte Sklerosierung des Skeletts durch
unzureichende Osteoklastenaktivität und mangelnde Resorption des verkalkten
Gewebes.

Einteilung
• Osteopetrosis congenita: Schwere Form mit frühzeitiger Manifestation (auto-
somal-rezessiv).
• Osteopetrosis tarda: Milde Form mit späterer Manifestation (autosomal-do-
minant).

Klinik
Osteopetrosis congenita: Nahezu vollständige Petrosierung des Knochens mit
der Folge einer Anämie mit Erythroblastose und Thrombozytopenie, Hepato-
bzw. Splenomegalie; Optikusatrophie. Gefürchtet sind (Kiefer-)Osteomyelitis;
grotesk erhöhte Knochenbrüchigkeit bereits durch Bagatelltraumen. Wachstums-
verzögerung, Taubheit, Genua vara/valga.
   15.2  Metabolische und endokrine Arthropathien  595

Osteopetrosis tarda: Organmanifestationen seltener (ca. 50 % asymptomatisch);


im Vordergrund steht die Frakturhäufigkeit bei geringer klin. Symptomatik (oft
röntgenologischer Zufallsbefund).
Orthop. Probleme: Knochenschmerzen, Spontan- oder Stressfrakturen mit
schlechter Heilungstendenz oder Fehlstellung sowie erschwerter Osteosynthese.
Coxa vara, Genua valga/vara. Spondylolyse. Spontane oder postop. Osteomyelitis.
Vorzeitige Kox- und Gonarthrosen.

Diagnostik
Rö: Sklerosierung und Verdichtung der Knochen, keulenförmige Auftreibung der
Metaphysen.

Therapie und Prognose


Osteopetrosis congenita: Splenektomie und Bluttransfusion bei Anämie, Anti-
biotika bei Infekten, neuerdings Knochenmarktransplantation. Totgeburt oder
Tod vor dem mittleren Erw.-Alter (ausgeprägte Anämie, Sepsis).
Osteopetrosis tarda: Gute Progn. quoad vitam.

15.2 Metabolische und endokrine


Arthropathien
15.2.1 Arthropathie bei Hämophilie A und B
Definition
Syn. Bluterkrankheit. Mangel an Gerinnungsfaktor VIII (Hämophilie A) oder IX
(Hämophilie B). Verschiedene Schweregrade abhängig von Restaktivität der Fak-
toren (schwer < 1 %, mittelschwer 1–5 %, leicht 5–15 %, Subhämophilie 15–50 %).
Häufigkeit ca. 1 : 10.000. 15
Klinik
Neigung zu Spontanblutungen oder Blutungen auch nach geringem Trauma. Fol-
genschwere i. a. Blutungen vorwiegend in die großen Gelenke (Kniegelenk, OSG,
Ellenbogen): Schwere Knorpeldestruktionen, Bandinstabilitäten, Beugekontrak-
turen und Muskelatrophien.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• PTT verlängert, Blutungszeit normal, quantitative Faktorenanalyse.
• Rö: Veränderungen häufig, ausgeprägter Befund bei langgjährigem Verlauf,
konzentrische Gelenkspaltverminderung, subchondrale Zysten.
• DD: Von-Willebrand-Jürgens-Sy. (Fehlbildung des Faktor-VIII-Moleküls →
Blutungszeit verlängert, petechiale oder flächenhafte Blutungen).

Therapie
Konservative Therapie
• Substitutionsbehandlung:
– Faktor-VIII- (Haemate® HS, Behringwerke) bzw. -IX-Konzentrat (Beri-
plex® HS). Bei akuten Gelenkblutungen sofortige Substitution von 20–30
E/kg KG des Faktorkonzentrats. Erhaltungsdosis für 2–4 d. Heimselbstbe-
handlung mittels Konzentraten.
596 15  Osteopathien, metabolische und endokrine Arthropathien  

– NW: Anaphylaxie, Hepatitis, HIV-Inf.


– Nach größeren Gelenk-OPs mehrwöchige Substitution.
• Desmopressin 2 × 0,4 g/kg KG/d i. v. (z. B. Minirin®) kann Faktor-VIII-Spie-
gel um das 4-fache steigern. Ind. bei milder Hämophilie und Subhämophilie.
Allerdings Effekt nach 3- bis 4-maliger Gabe erschöpft.
• Punktion eines hämorrhagischen Gelenkergusses allenfalls bei Ausbleiben ei-
ner Ergussresorption nach Substitution.
• KG als prophylaktische Maßnahme schon im Kindesalter zu empfehlen. Bei
Arthropathie konsequente KG, Kryother.
Operative Therapie
• Synovektomie erfolgversprechend.
• Bei Gelenkdestruktion und arthropathiebedingter Funktionseinschränkung
gute Befundverbesserung möglich. Vorwiegend an Knie-, Hüft-, Ellenbogen-
und Sprunggelenk.
• OP-Ind. in enger Kooperation mit betreuendem Internisten stellen.
• Bei ausgeprägten Kontrakturen technisch anspruchsvoll.

15.2.2 Ochronose
Definition
Ablagerung von Homogentisinsäure (schwärzliche oder ockerfarbene Pigmentie-
rung) vorwiegend in Knorpel und Sehnen. Dadurch vorzeitige Deg. von Gelenk-
knorpel, Faserknorpel und Sehnen.

Klinik und Diagnostik


• Arthrotischer Umbau peripherer Gelenke (Hüft-, Knie- und Schultergelenke)
ca. ab dem 40 Lj.; insbes. an Hüftgelenken plötzlich rasche Destruktionen
möglich. Ochronotische Spondylopathie mit zunächst belastungsabhängigen
15 Schmerzen, zunehmende Verkalkung der Bandscheiben und Ankylose.
• Um das 50. Lj. charakteristische Verfärbung der Skleren.
• Meist bekannte Dunkelbraun- bzw. Schwarzverfärbung des Urins.
• Rö: Unspezifische Arthrosezeichen in betroffenen Gelenken. Veränderungen
an WS charakteristisch mit Diskusverkalkungen.

Therapie
Symptomatisch. Physikalische Ther., Gelenkschutz, Rückendisziplin.

15.2.3 Idiopathische Hämochromatose
Definition
Pathol. Eisenablagerung v. a. in Leber, Pankreas, Herz. Sek. Formen z. B. bei alko-
holischer Leberzirrhose, nach häufigen Bluttransfusionen. Autosomal vererbbar.
Meist Männer ab ca. 40 Lj.

Klinik
• Gehäuft grau-braunes Hautkolorit, Hepatomegalie, Diab. mell., Kardiomyo-
pathien.
• In ca. 60 % Arthropathie (in ca. 30 % Erst- bzw. Frühsymptom).
– In ca. 90 % symmetrische Arthropathie der MCP-Gelenke II und III.
   15.2  Metabolische und endokrine Arthropathien  597

– In ca. 35 % Zeichen einer Chondrokalzinose (meist Spätmanifestation; am


häufigsten Hand- und Kniegelenke) mit mögl. Pseudogichtanfällen.

Bei Koinzidenz von Diab. mell. und Gelenksymptomen: Hämochromatose


ausschließen.

Diagnostik
• Klinik.
• Serumeisen > 31,3 μmol/l, Transferrinsättigung > 60 %, Serumferritin ↑.
• Leberbiopsie (Hämosiderinablagerungen?).
Therapie
• Internistische Ther. (Aderlässe, Chelatbildner, z. B. Desferal®, diätetische Ei-
senrestriktion) zeigt keinen bessernden Einfluss auf Arthropathie. Sympto-
matische Ther. bei Pseudogichtanfällen mit NSAR. Physik. Ther.
• Operative Ther.: Osteosynthese bei pathol. Fraktur (häufig Implantataus-
bruch und Refraktur!), Umstellungsosteotomie bei Deformierungen, Endo-
prothesenversorgung bei therapiebedürftiger Koxarthrose (technisch meist
anspruchsvoll, präop. Kalzitonin und Bisphosphonate).

15.2.4 Chondrokalzinose (Pseudogicht)
Definition
Ablagerungen von Kalziumpyrophosphatkristallen in Gelenken mit Befall von
Gelenkknorpel und Synovialis. Auch Befall von Sehnen, Bändern, Menisken,
Bandscheibe (Anulus fibrosus), Symphyse. Überwiegend idiopathisch. Ein siche-
rer Zusammenhang besteht u. a. mit einem prim. Hyperparathyreoidismus, Hä-
mochromatose, Gicht, Hypothyreose.
15
Klinik
Klin. häufig stumm. Vier Manifestationsformen:
• Akute Oligo- oder Monarthritis, ähnlich einem Gichtanfall („Pseudogicht“).
Bildet sich i. d. R. spontan zurück.
• Subakute rez. Polyarthropathie: Schübe über Wo. bis Mon.
• Chron. Gelenkschmerzen: Häufigster Verlauf (bei ca. 50 % der Fälle).
• Destruktive Arthropathie: In ca. 20 % der Fälle. Destruktion eines Gelenks in-
nerhalb Mon. möglich.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: BÜ, beide Knie, beide Handwurzeln jeweils a. p.: Verkalkungsstreifen der
Menisken des Kniegelenks und des Gelenkknorpels. Verschattungen in Seh-
nen, Bandscheiben, Symphysen.
• Kniegelenkarthroskopie: Kleine weißliche Ablagerungen auf Menisken, Syno-
via und Knorpel.
• Punktion: Nachweis typischer Kristalle, mikroskopische Untersuchungen im
polarisierten Licht → am häufigsten quaderähnliche Kristalle, optisch positiv.
• DD: Gicht, RA, aktivierte Arthrose.
598 15  Osteopathien, metabolische und endokrine Arthropathien  

Therapie
Symptomatisch → Punktion eines Ergusses (▶  3.2), Inj. von Glukokortikoiden
(▶ 16.5.5). Antiphlogistika (▶ 16.5.1), Kryother. (▶ 20.3.1).

15.2.5 Gicht, Hyperurikämie
Definition
Familiäre prim. Gicht: (Anlagebedingte) Purinstoffwechselstörung, die über An-
stieg der Harnsäurekonzentration zu artikulären und extraartikulären Uratabla-
gerungen führt. Zu 95 % Männer betroffen. Sek. Hyperurikämien: Am häufigsten
bei hämatologischen Erkr. und ihrer Ther. (z. B. Leukämien, Polycythaemia vera).

Ätiologie
• Exogene Faktoren: Übergewicht, purinreiche Nahrungsmittel (Fleisch, Inne-
reien, Fisch, Spinat, Erbsen, Tomaten, Gurken), übermäßiger Alkoholgenuss,
körperliche Überbeanspruchung.
• Endogene Faktoren: Steigerung der Harnsäuresynthese, renale Harnsäureaus-
scheidungsstörung. Proliferative Erkr., z. B. Leukämie, Polyzythämie. Ver-
mehrter Zellumsatz, z. B. bei Pneumonie.
• Iatrogen (Zytostatika-, Saluretikather.).
Klinik (Stadien)
• Asymptomatische Hyperurikämie (Hyperurikämie: F > 6,0–6,5 mg/dl; M >
7,0 mg/dl).
• Akuter Gichtanfall: Hochakute, extrem schmerzhafte Monarthritis (stark be-
rührungsempfindlich) innerhalb weniger Stunden entstehend, bevorzugt
Großzehengrundgelenk (Podagra). Hyperurikämie in über 90 % nachweisbar.
Häufig nach auslösender Ursache, z. B. feucht-fröhliche Feier, Chemother.
(Zerfall von Tumorzellen im Remissionsstadium).
15 • Interkritische Phase: Klin. symptomlose Phase zwischen zwei akuten Gicht-
anfällen, kann sich über Wo. und J. hinziehen. Abstände zwischen Anfällen
werden jedoch meist kürzer. Intervalle dann häufig nicht völlig schmerzfrei.
• Chron. Gichtphase: Heute selten; polyarthritisches Bild mit fortschreitender Ge-
lenkdestruktion und extraartikulären Uratablagerungen (Schleimbeutel, Sehnen-
scheiden, Gichttophi an Ellenbogen, Ohrmuscheln, Händen und Füßen).
• Stadienunabhängig: Gichtnephropathie mit intraparenchymalen Uratablage-
rungen (Albuminurie, Erythrozyturie), häufig Pyelonephritis durch Nephro-
lithiasis. Herzinfarkt (fraglich). Hypertonie nicht selten.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Typisches klin. Bild bzw. Anamnese. Gichttophus, Hyperurikämie.
• Rö: Im Frühstadium unauffällig; später zunehmend randständige Gelenkusu-
ren, Zysten, Gelenkzerstörung, Weichteilverkalkungen, überhängende Kno-
chenränder an den Grundphalangen.
• Labor: Typischerweise Harnsäure im Serum > 9 mg/dl. Leukozytose mit mä-
ßiger Linksverschiebung, BSG ↑, α2-Globuline ↑.
• Punktat: Nachweis stäbchenförmiger Uratkristalle (DD Synovia ▶ 16.4.2).
• DD: Rheumatische Erkr., bakt. Arthritis (z. B. Monarthritis gonorrhoica).
Phlegmone, Bursitis. Pseudogicht. Psoriasisarthropathie, Arthritis bei akuter
Sarkoidose. Abgrenzung: Keine Besserung auf Colchicin bei bestehender Hy-
perurikämie.
   15.2  Metabolische und endokrine Arthropathien  599

Therapie

Therapie des Gichtanfalls


• Colchicin (Colchicum dispert®) 1 mg in stündlichen Abständen für 4 h,
dann zweistündlich 0,5–1 mg, max. Tagesdosis 8 mg. Rasche Dosisre-
duktion bei Befundbesserung, am 2. Tag halbe Dosis des Vortags, am 3.
Tag nur noch 1,5 mg. NW: Durchfälle, Knochenmarkdepression, Haar-
ausfall.
• NSAR, z. B. Indometacin (z. B. Amuno®, wenn Colchicin nicht gegeben
wird oder bei schwerem Verlauf): 100 mg rektal alle 4–6 h bis max.
400 mg/d, über 2–3 d ausschleichen.
• Prednisolon (wenn Gichtanfall schon mehr als 2 Tage besteht): 60–
80 mg oral für 2 d in Komb. mit Colchicin.
• Lokalther.: Kühlende Alkoholumschläge, Extremität ruhig lagern, viel
Flüssigkeit, Alkoholverbot!

Intervalltherapie
Diät: Bei Hyperurikämie bis 9 mg/dl; kein Alkohol (Laktat im Blut hemmt Harn-
säureausscheidung); Kaffee und purinhaltige Lebensmittel möglichst meiden. ASS
und Thiaziddiuretika vermeiden. Reichlich trinken.
Medikamente: Bei Harnsäure > 9 mg/dl (> 540 μmol/l) oder sobald Akutsympto-
matik gebessert. Nutzen der Langzeit-Sekundärprophylaxe jedoch umstritten.
Ziel: Harnsäure im Plasma 5,5–6 mg/dl.
• Allopurinol 300 mg/d p. o. (z. B. Zyloric®), einschleichende Dosierung mit
100 mg/d, dann langsam steigern auf 300 mg/d. NW: GIT-Symptome, Exan-
theme, Vaskulitis (Haut, Niere), Leukopenie.
• Urikosurika wie Benzbromaron (z. B. Benzbromaron AL®): Nur bei gravie-
renden NW von Allopurinol, einschleichend dosieren (1 × 50 mg/d), Diurese
mindestens 2 l/d, Harnalkalisierung. Häufige NW: Harnsäuresteinbildung. 15
KI: Gichtnephropathie.
• Harnneutralisation (Uralyt-U®) zur Verbesserung der Löslichkeit der Harn-
säure. Ziel: Harn-pH 6,5–7,0 (Indikatorpapier).
Operative Therapie
Bei Gelenkdeformierungen bzw. ausgeprägten Funktionseinschränkungen (Re-
sektionsarthroplastiken oder Arthrodesen, ▶ 13.3.37).

Prognose
Bei frühzeitiger Behandlung günstig. Je früher der erste Anfall, desto progressiver
der Verlauf. Progn. ist bestimmt durch Nieren-KO (Uratnephropathie, Nephroli-
thiasis mit Abflussstörung und Pyelonephritis, Schrumpfniere und Urämie).
16 Rheumaorthopädie
Norbert Blank, Hanns-Martin Lorenz, Hans Mau und Steffen Breusch

16.1 Einteilung rheumatischer 16.8 Häufige Krankheitsbilder 628


­Erkrankungen 602 16.8.1 Rheumatoide Arthritis (RA;
16.2 Differenzialdiagnostik 602 chronische Polyarthritis) 628
16.3 Rheumatologische 16.8.2 Arthritissonderformen mit
Untersuchung 605 Beteiligung anderer
16.4 Spezielle diagnostische Organsysteme 633
­Methoden 608 16.8.3 Juvenile idiopathische
16.4.1 Labordiagnostik 608 Arthritis (JIA) 634
16.4.2 Synoviaanalyse, 16.8.4 Spondylitis ankylosans (SPA,
Synovialisbiopsie und Morbus Bechterew) 637
Arthroskopie 610 16.8.5 Psoriasisarthritis (Arthritis
16.5 Medikamentöse Therapie 611 psoriatica) 641
16.5.1 Nichtsteroidale 16.8.6 Reaktive (para-/postinfektiö-
Antiphlogistika (NSAR) 611 se) Arthritis 642
16.5.2 Glukokortikoide 613 16.8.7 Virusbedingte Arthritis 644
16.5.3 Basistherapeutika (DMARD = 16.8.8 Borreliose (Lyme-Arthritis) 644
Disease Modifying Anti- 16.8.9 Arthritis bei gastrointestinalen
Rheumatic Drugs) und Erkrankungen 645
Immunsuppressiva 614 16.8.10 Arthritis bei Kollagenosen
16.5.4 Biologika/Biologicals 616 und Vaskulitiden 645
16.5.5 Intraartikuläre Injektionen 619 16.8.11 Polymyalgia rheumatica 646
16.5.6 Supportive 16.8.12 „Weichteilrheumatismus“ 646
Pharmakotherapie 620
16.6 Strahlentherapie 621
16.6.1 Radiosynoviorthese 621
16.6.2 Entzündungsbestrahlung 622
16.7 Operative Therapie 622
16.7.1 Operationsindikationen 622
16.7.2 Operationsverfahren 623
16.7.3 Operative Eingriffe der
einzelnen
Körperregionen 624
602 16 Rheumaorthopädie 

16.1 Einteilung rheumatischer Erkrankungen


„Rheuma“ ist ein Sammelbegriff für ca. 250 entzündliche, deg. und funktio-
nelle Krankheiten und Syndrome des Stütz- und Bewegungsapparats. Die
Nomenklatur bzw. Klassifikation ist jedoch nicht einheitlich. Im deutschen
Sprachraum ist der RA-Pat. oft der „Rheumatiker“ schlechthin.

Einteilung und Nomenklatur rheumatischer Erkrankungen


Entzündliche Rheumaformen
• Rheumatoide Arthritis (RA, chron. Polyarthritis, c. P.) und Sonderformen wie
Felty-Sy., palindromer Rheumatismus.
• Psoriasis-Arthritis.
• Juvenile idiopathische Arthritis mit Subtypen.
• Kollagenosen im engeren Sinn: SLE, primäres Sjögren-Sy., systemische Skle-
rose, Mixed Connective Tissue Disease (MCTD-Sharp-Sy.), eosinophile Fas-
ziitis, Dermato- und Polymyositis.
• HLA-B27-assoziierte Spondyloarthritis (SPA): Ankylosierende Spondylitis
(Morbus Bechterew), Psoriasis-Spondyloarthritis, reaktive Arthritiden, ente-
ropathische Spondyloarthritis, undifferenzierte Spondyloarthritis und Oli-
goarthritiden.
• Systemische Vaskulitiden: Panarteriitis nodosa, Granulomatose mit Polyangi-
itis (Morbus Wegener), eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA;
ehemals Churg-Strauss-Vaskulitis), Arteriitis temporalis, Polymyalgia rheu-
matica, Morbus Behçet u. a.
• Kristallarthropathien: Arthritis urica, Chondrokalzinose, Apatitarthropathie.
• Infektiöse Arthritiden, rheumatisches Fieber.
Degenerative „Rheuma“-Formen
Arthrosis deformans:Finger-Polyarthrose (Heberden-, Bouchard-Arthrose,
Rhiz­arthrose), große Gelenke (Om-, Kox-, Gonarthrose), WS (Osteochondrose,
Spondylosis deformans, Spondylarthrose).
Extraartikuläre „Rheuma“-Formen („Weichteilrheumatismus“)
Fibromyalgie-Sy., Tendomyopathien, Pannikulosen, Periarthropathien u. a.
16
16.2 Differenzialdiagnostik
Problematisch ist die DD rheumatischer Erkr. bei Frühstadien, atypischen
und milden Verlaufsformen (▶ Tab. 16.1). Häufig Überlagerungen mit deg.
und weichteilrheumatischen Beschwerden (▶ 16.8.12).

Tab. 16.1  Unterscheidung zwischen deg. und entzündlich-rheumatischem


Gelenkschmerz
Kriterium Degenerativ Entzündlich-rheumatisch

Prodromalstadium Jahre Wo. bis Mon.

Fieber Nie Manchmal


  16.2 Differenzialdiagnostik  603

Tab. 16.1  Unterscheidung zwischen deg. und entzündlich-rheumatischem


Gelenkschmerz (Forts.)
Kriterium Degenerativ Entzündlich-rheumatisch

Lokalisation Meist große Gelenke wie Oft kleine Gelenke, v. a. Hände
Knie und Hüfte; seltener klei-
ne, z. B. Heberden-Arthrose

Schmerz Morgensteifigkeit kurz (< 30 Morgensteifigkeit lang (> 30


Min.), Anlaufschmerz, Belas- Min.) anhaltender Schmerz, oft
tungsschmerz, abends > morgendliches Schmerzmaxi-
morgens mum

Labor Normal Meist (nicht immer!) BSG ↑, CRP


↑, α2- und γ-Globuline ↑, RF, CCP-
AK oft pos., evtl. Eisen ↓

Röntgen Subchondrale Sklerosierung, Knochendemineralisation, sub-


Geröllzysten, Gelenkspalt- chondrale Erosionen, Gelenk-
verschmälerung, Osteophy- spaltverschmälerung, keine Os-
ten; Deformierung teophyten, knöcherne Ankylose,
Subluxationen

Synovialflüssigkeit Zellzahl ≤ 1.000/mm3, Leu- Zellzahl 5.000–50.000/mm3, Leuko-


ko-Anteil 10–20 %, gelb, Anteil 50–75 %, evtl. Rhagozyten,
klar, zähflüssig, muzinreich, klar oder trüb, dünnflüssig (mu-
eiweißarm (< 35 g/dl) zinarm), eiweißreich (> 35 g/dl)

Häufigste Ursachen von Gelenkergüssen


▶ Tab. 16.2.
Tab. 16.2  Differenzialdiagnostik der akuten Synovitis
Arthritis/Polyarthritis Leitsymptom

Akuter Gichtanfall Hyperurikämie

Pseudogicht Chondrokalzinose

Akute und sub- Infektiöse Arthritis Erregernachweis


akute Arthritis
Reaktive Arthritis (ReA) Typische Anamnese, AK-Titer ↑
16
ReA mit extraartikulärer Be- Urethritis, Konjunktivitis, Haut-
teiligung veränderungen

Morbus Behçet Schleimhautulzeration, okuläre


Manifestation

Beginnende akute RA Symmetrischer Befall mit Hand-


und Fingergelenken

Andere subakute Arthritiden Jeweilige Ursache


(z. B. paraneoplastisch)

Akute Sarkoidose (Löfgren-Syndrom) Bihiläre Lymphadenopathie, Ery-


thema nodosum
604 16 Rheumaorthopädie 

Tab. 16.2  Differenzialdiagnostik der akuten Synovitis (Forts.)


Arthritis/Polyarthritis Leitsymptom

Rez. Arthritis Atypische RA (palindromer RF, Erosionen im Rö


Rheumatismus)

Morbus Bechterew Sakroiliitis

Psoriasis Typische Effloreszenz, buntes Be-


fallsmuster, spezifischer: Daktyli-
tis, DIP-Arthritis

Aktivierte Arthrose Reizerguss

• Aktivierte Arthrosen.
• Akute und chron. Arthritiden:
– RA.
– Psoriasis-Arthritis
– Spondyloarthritiden (Spondylitis ankylosans, Psoriasis-Spondyloarthritis,
reaktive Arthritis, periphere Arthritis bei chron. entzündlichen Darm­
erkr.).
– Reaktiv (Yersinien, Salmonellen, Chlamydien u. a.).
– Infektiös (Staphylokokken, Borrelien, Gonokokken, Tbc u. a.).
– Kristalle (Gicht, Chondrokalzinose).
• Reizerguss.
• Traumatischer Erguss (Hämarthros).
• Blutkrankheiten (Hämophilie, Leukämie).
Differenzialdiagnostik chronisch-entzündlicher Gelenkerkrankungen
• RA (▶ 16.8.1).
•  Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans, SPA, ▶ 16.8.4).
• Psoriasisarthritis (▶ 16.8.5).
• Reaktive Arthritis (▶ 16.8.6).
• Enteropathische Arthritiden (▶ 16.8.9).
• Löfgren-Syndrom (▶ 16.8.2).
SLE (▶ 16.8.10) und andere Kollagenosen.
16 •• 
Hämochromatose. (▶ 15.2.3).
Differenzialdiagnostik von akuten entzündlichen
Gelenkerkrankungen
• Bak. Arthritis (▶ 8.5.1).
• Virale Arthritis (▶ 16.8.7).
• Rheumatisches Fieber (▶ 16.8.6).
• Lyme-Arthritis (▶ 16.8.8).
• Gichtanfall (▶ 15.2.5).
Organbeteiligung rheumatischer Erkrankungen
• Augen: Uveitis bei SPA, Sarkoidose, Morbus Behçet. Skleritis bei Granuloma-
tose mit Polyangiitis (Morbus Wegener) und RA, Ulcus corneae bei RA. Vi-
susminderung bei Riesenzellarteriitis, Konjunktivitis bei Sjögren-Syndrom.
• Haut: Reaktive Arthritis, Kollagenosen, Psoriasis, RA, Lyme-Arthritis (Ery-
thema chronicum migrans nach Zeckenstich), Still-Syndrom.
  16.3 Rheumatologische Untersuchung  605

• Hals: Rheumatisches Fieber, Morbus Still, Morbus Wegener.


• Lunge: RA, SLE (Pleuritis), Sarkoidose (Hilusverbreiterung), Kollagenosen
(Lungenfibrose), Vaskulitiden.
• Herz: Rheumatisches Fieber, Kollagenosen, RA, Sarkoidose, Spondyloarthri-
tis, Vaskulitiden.
• Nieren: Kollagenosen, Gicht, Vaskulitiden.
• Leber: Kollagenosen, Still-Syndrom, RA (Felty-Syndrom).
• Milz: Still-Syndrom, RA (Felty-Syndrom).
• Abdomen: Enteropathische Arthritiden, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn,
Morbus Whipple, Sprue.
• Neuropathien: Kollagenosen, RA, rheumatisches Fieber, Vaskulitiden.
• Schleimhautveränderungen, Stomatitis: reaktive Arthritis, Morbus Behçet,
Morbus Crohn, M. Whipple, SLE, Gonorrhö, Sjögren-Syndrom.

16.3 Rheumatologische Untersuchung
Anamnese
• Aktuelle Anamnese: Hauptbeschwerden, -behinderung. Seit wann, Prodro-
mal-Sy., Vorerkr. (z. B. Angina tonsillaris, Enteritis), Beginn schleichend,
akut, subakut, Schwellung, Rötung, Trauma.
• Schmerzanamnese:
– Wo? Gelenke (Mon-, Oligo-, Polyarthritis; ▶ Abb. 16.1), HWS, BWS,
LWS, Muskeln, Bänder, Sehnenansätze, Triggerpunkte andere Organe.
– Wie? Akut, schleichend, dumpf, stechend. Lokalisiert oder ausstrahlend.
– Wann? Morgensteifigkeit (≥ 30 Min.: V. a. entzündliche, ≤ 30 Min.: V. a.
deg. Erkr.), Jahreszeit, nach Belastung, Ruheschmerz.
– Wodurch ausgelöst? z. B. durch bestimmte körperl. und psychische Belas-
tungen, Bewegungen, Medikamente, Witterung.
– Folgen? Steifigkeit, Kraftlosigkeit, Bewegungseinschränkung.
• Eigenanamnese: Erkr. anderer Organe (▶ 16.2), Fieber, Sicca-, Raynaud-Sym-
ptomatik, Vorerkr., frühere OPs (KO, Erfolg), Unfälle.
• Soziale Anamnese: Beruf, Arbeitsplatz, körperl. Belastung, Umschulung,
Dauer der AU, Renten(-Antrag).
• Familienanamnese: Rheumatische Erkr., Psoriasis, erbliche oder Stoffwech- 16
selleiden.
• Bisherige Ther. (Erfolg?) und Verlauf der Erkr. (Progredienz).
• Aktuelle Medikation (seit wann?), Allergien.
Klinische Untersuchung
• Gelenkuntersuchung: Inspektion, Palpation, Funktionsprüfung (spezielle Ge-
lenkuntersuchung Hüfte ▶ 13.1.2, Knie ▶ 13.2.2, Fuß ▶ 13.3.2, Schulter
▶ 9.1.2, Ellenbogen und Hand ▶ 9.3.1). Fingergelenke von dorsolat. palpieren.
Zehengrundgelenke. Manubriosternal-, Sternoklavikular-, Mandibular- und
Krikoarythenoidgelenk(e) nicht vergessen. Tests: Kompressionsschmerz des
Vorfußes, der Hand (Gaenslen-Handgriff); Volarbeugeschmerz (Arthritis),
tanzende Patella (Erguss), Kraftprüfung (z. B. Luftdruckmanschette zusam-
mendrücken lassen und Druck ablesen).
• Untersuchung der WS: Inspektion, Palpation, Funktionsprüfung (▶ 10.3). Im
Frühstadium Seitneigung meist eher als Flexion eingeschränkt. Tests: Kinn-Ju-
gulum-Abstand, Schober-, Ott-Zeichen, Finger-Boden-Abstand, Mennell-Test.
606 16 Rheumaorthopädie 

Seronegative
Spondylarthritis

Abb. 16.1  Gelenkbefall bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen [L190]

16 • – 
Weichteiluntersuchung: Schmerzhafte Sehnenansätze bzw. Triggerpunkte?
Wichtige Hautveränderungen: Ausgestanzte Beinulzera (Kleingefäßvaskulitis
bei RA), Psoriasis (Psoriasisarthritis), Schmetterlingserythem im Gesicht (z. B.
SLE), lilafarbenes Erythem im Gesicht (Dermatomyositis), Sklerodaktylie und
schmale Lippen (Sklerodermie), schmerzhafte Knoten (Panarteriitis nodosa),
Schleimhauttrockenheit (Sjögren-Syndrom), Balanitis, schmerzlose Ulzera
(ReA), Erythema nodosum (Sarkoidose, Tbc, Enteropathien, ReA mit extraar-
tikulärer Beteiligung, rheumatisches Fieber), Exanthem (z. B. Still-Syndrom).
– „Knoten“: Heberden- (DIP-Arthrose), Bouchard- (PIP-Arthrose), Rheuma-
knoten (subkutan, v. a. an Stellen mechanischer Beanspruchung, z. B. an der
Streckseite des Ellenbogens), Gichttophus (kleine, gelbliche, harte Knötchen
in der Haut, z. B. an Ohrmuscheln oder Streckseiten der Gelenke), Ganglion
(zystischer, prall-elastischer Tumor von Gelenk, Sehne oder Sehnenscheide
ausgehend, unter der Haut liegend, z. B. Handgelenkganglion, ▶ 9.3.14).
• Augenuntersuchung: Durch Facharzt veranlassen.
• Neurol. Basisuntersuchung: Bei Auffälligkeiten fachneurol. Untersuchung.
• Organmanifestationen ▶ Tab. 16.3, ▶ Tab. 16.4.
  16.3 Rheumatologische Untersuchung  607

Tab. 16.3  Organmanifestationen bei Spondyloarthritiden


Polyar- Spon- Uvei- Ure­ Psoria- Schleim- Enteri- Erythe-
thritis dylitis, tis, thritis sisef- hautlä- tis, Ko- ma no-
Sakroi- Kon- flores- sionen litis dosum,
liitis junkti- zenzen (Mund, Throm-
vitis u. a. Genita- bophle-
Haut- le) bitis
veränd.

Spondy- > 20 % Leit- > 20 % > 20 % < 20 %
litis an- symp-
kylosans tom

Psoriasis- Leit- > 20 % Leit-


arthritis symp- symp-
tom tom

ReA mit Leit- > 20 % Leit- Leit- > 20 % < 20 %
extraar- symp- symp- symp-
tikulärer tom tom tom
Beteili-
gung

Colitis > 20 % > 20 % < 20 % Leit- > 20 %
ulcerosa symp-
tom

Morubs > 20 % > 20 % < 20 % Leit- > 20 %
Crohn symp-
tom

Morbus > 20 % < 20 % < 20 % Leit-


Whipple symp-
tom

(juvenile Leit- > 20 % > 20 %


Arthritis) symp-
tom

16
608 16 Rheumaorthopädie 

Tab. 16.4  Organmanifestationen bei Kollagenosen


Lupus erythe- Systemische Poly- u. Der- Mischkollage-
matodes Sklerose matomyositis nose

Lymphknoten > 50 % 20–30 % 20–30 % 20–30 %

Lunge/Pleura 30–50 % 30–50 % 20–30 % > 50 %

Gelenke > 50 % 30–50 % 30–50 % > 50 %

Niere 30–50 % 20–30 % 20–30 % 20–30 %

Haut > 50 % > 50 % > 50 % 30–50 %

Gefäße 20–30 % > 50 % 30–50 % > 50 %

Herz 30–50 % 20–30 % 20–30 % 30–50 %

Ösophagus/GIT 20–30 % > 50 % 20–30 % > 50 %

Knochen 20–30 % > 50 % 20–30 % > 50 %

Muskel 30–50 % > 50 % > 50 % > 50 %

16.4 Spezielle diagnostische Methoden


16.4.1 Labordiagnostik

Basis-Laborprogramm bei V. a. rheumatologische Erkrankung


BSG, CRP, RF, CCP-AK, ANA, BB, Harnsäure, AP, Kreatinkinase, Urinstatus,
Krea, E'phorese, kein ASL-Titer, ggf. HLA-B27 (muss nur einmal bestimmt
werden!).

Allgemeine Entzündungsparameter
Zur Verlaufs- und Aktivitätskontrolle eines entzündlichen Prozesses dienen:
• BSG: Stark störanfällig, z. B. durch Hb, Blutfette, Paraproteinämie.
16 • CRP: Zuverlässig zu bestimmen → guter Parameter zur Verlaufskontrolle.
! Cave: Keine Reaktion bei SLE (Ausnahme: Polyserositis), ggf. Psoriasisarthri-
tis, andere Spondylarthritiden.
• α-Globuline: Bei akuten Prozessen ↑.
• γ-Globuline: Bei chron. Prozessen ↑.
• Komplementfakoren C3 und C4: Evtl. ↓ (bei SLE).
• Eisen ↓. Ferritin ↑.
Rheumaserologische Parameter

Auch Gesunde weisen häufig bestimmte Autoantikörper auf (z. B. RF, ANA).
Titer meist niedrig, gesprenkelte Fluoreszenz; an falsch pos. Ergebnisse denken.

Antikörper: Sinnvoll bei V. a. reaktive Arthritis.


• Antistreptolysin(ASL)-Titer: Pathol. ≥ 500 (Kinder ≥ 150) IE/ml. Bei V. a.
rheumatisches Fieber oder andere Erkr. mit β-hämolysierenden Streptokok-
   16.4  Spezielle diagnostische Methoden  609

ken der Gruppe A. Falsch pos. evtl. bei Tbc, Lebererkr., Leukämien; Erreger-
nachweis!
• Anti-Yersinien-Titer: Path. ≥ 1 : 160. Persistenz über Jahre möglich. Cave:
Kreuzreaktion mit Salmonellen-AK.
• Anti-Salmonellen-Titer: Bei V. a. postdysenterische Arthritis.
• Anti-Chlamydien-Titer: Bei Dysurie evtl. zusätzlich Abstrich aus Harnröhre
oder Chlamydia-trachomatis-PCR aus Erststrahlurin.
• Anti-Borrelien-Titer: IgG-AK, 1 : 16 IgM-AK. Bei V. a. Lyme-Arthritis + Be-
stätigung mit Western-Blot.
• Anti-Gonokokken-Titer und antivirale AK (z. B. Hepatitis B, Röteln, HIV,
Parvovirus B19): Immer mit Klinik korrelieren.
Rheumafaktoren (RF): IgM-Auto-AK gegen Fc-Fragment von IgG-Immunglobulin.
• Latex-RF-Fixationstest.
! Höhe des RF zur Beurteilung der Progn.! Keine Verlaufskontrollen!
• Bei RA in 60–80 % pos. (Hauptind.), aber auch bei Sjögren-Syndrom (20–
30 %), bakt. Endokarditis und seltener bei Sarkoidose, Lues, Tbc, Morbus
Waldenström, Plasmozytom, Leukämien, Tumoren, bei Gesunden (ca. 8 %,
besonders im Alter). Im Gelenkpunktat höhere „Trefferquote“.
Anti-CCP-Antikörper: AK gegen zyklisches-citrulliniertes Peptid (CCP), Test
zur Diagnose der RA mit höherer Spezifität als der RF, hohe Werte im Blut haben
einen neg. progn. Aussagewert, bereits früh im Verlauf der Erkr. nachweisbar.
Keine Verlaufskontrollen.
Antinukleäre Antikörper (ANA): Allg. gegen Zellkernbestandteile (z. B. DNA,
Kernproteine) gerichtete AK, die per Immunfluoreszenz nachgewiesen werden.
Das Muster der Fluoreszenz gibt eine Aussage über die Spezifität (z. B. zentrome-
res Muster hochspezifisch für CREST-Syndrom = limitierte Form der Skleroder-
mie). Hauptind.: Screening-Test bei V. a. Kollagenosen (z. B. beim SLE in ca. 95 %
pos. ANA), ggf. zur Verlaufskontrolle.
Extrahierbare nukleäre Antikörper (ENA): Genauere Charakterisierung pos.
ANA meist durch ELISA-Technik, AK gegen bestimmte Antigene sind spezifisch
für bestimmte Kollagenosen (z. B. SS-A- und SS-B-Antigene spezifisch für das
prim. Sjögren-Syndrom, Scl-70-Antigen für systemische Sklerose).
Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörper (Anti-dsDNA-AK): Im ELISA, RIA und
dem Crithidia-luciliae-Test gemessen, spezifisch für den SLE.

Histokompatibilitätsantigene 16
HLA: Human Leucocyte Antigen. Genetisch fixierte Antigene auf Zellmembranen
kernhaltiger Körperzellen, die bei bestimmten Erkr./Prädispositionen gehäuft
auftreten.
• Anmerkung: Kontrollen sinnlos, da genetisch fixiert → einmal pos., immer pos.
• Tests z. B. sinnvoll bei V. a. Spondylitis ankylosans oder RA.
• HLA-B27: In 90 % bei Spondylitis ankylosans pos. Aber auch bei 50–75 % der
Verwandten Erkrankter und bei reaktiver Arthritis, M. Crohn und Colitis ul-
cerosa (ca. 70 %), juveniler idiopathischer Arthritis (ca. 30 %), Spondylitis
psoriatica (ca. 35 %) und bei Gesunden (ca. 7 %).
• HLA-DR-B1, HLA-DR4: Häufig bei RA nachweisbar und mit schwerem
Verlauf assoziiert. Keine Routinebestimmung, CCP-AK genauso gut.

HLA-B27
Auf 10 Gesunde mit pos. HLA-B27 kommt 1 Pat. mit Morbus Bechterew.
Gefahr der Fehldiagnose Morbus Bechterew bei deg. Rückenschmerzen und
pos. HLA-B27.
610 16 Rheumaorthopädie 

Hämatologie und klinisch-chemische Untersuchungen


• Hb: ↓, Anämie: Die meisten Pat. mit chron. rheumatischen Erkr. haben eine
hypochrome Anämie mit relativem Eisenmangel (Transferrin ↓, Ferritin ↑
und Kupfer ↑ → Eisengabe nicht sinnvoll, da kein absoluter Mangel, sondern
Verteilungsstörung).
• Leukos: ↑ bei infektiöser Arthritis, ↓ bei SLE und Felty-Syndrom.
• Krea: Ggf. Nierenbeteiligung (bei Kollagenosen, NW von Medikamenten).
• Leber- und Knochenparameter: GOT, GPT, γ-GT, AP. Leber-/Knochenbetei-
ligung, Medikamenten-NW.
• Muskelenzyme: CPK und Aldolase als Hinweis auf entzündliche Muskelerkr.
(z. B. Myositis).
• Harnsäure: Z. B. bei Gicht ↑. Kann während eines akuten Gichtanfalls und
bei anbehandelten Pat. normal sein!
• Urinstatus und -sediment: Hinweis auf Nierenbeteiligung.

16.4.2 Synoviaanalyse, Synovialisbiopsie und Arthroskopie


Indikationen
Bei Gelenkergüssen unklarer Genese (oder zur Ther.-Kontrolle Entzündungsaktivi-
tät). Die arthroskopische Inspektion sollte auf jeden Fall eine Biopsie einschließen.

Spezifische histologische Befunde


Bei Tbc, Sarkoidose, Kristallarthropathien, Synovialtumoren (▶  Tab. 16.5). Die
RA zeigt nur gelegentlich die pathognomonische fibrinoide Nekrose. Beurteilung
nur im Zusammenhang mit Klinik und Labor! Ergebnis meist: „Befund vereinbar
mit einer Erkr. aus dem rheumatischen Formenkreis“. Bakt. Arthritis histologisch
mit hinreichender Sicherheit zu diagnostizieren.
RF im Gelenkpunktat sicherer nachzuweisen als im Serum, Technik der Gelenk-
punktion ▶ 3.2.3, Asservierung des Punktats:

Tab. 16.5  Differenzialdiagnostik des Synoviapunktats


Farbe Trübung Visko- Zellzahl Granulozy- Sonstiges
sität pro μl ten-Anteil

16 Normal Strohgelb Klar ↑ 100 10 % –

Arthrose Strohgelb Klar ↑ Bis 1.000 10–20 % –

Trauma- Rosa bis Klar bis ↑ 2.000 20 % Erys


folge blutig trüb

RA Gelb/grün Trüb, ↓ 5.000– 50–75 % Rhagozyten


flockig 50.000 (je +++
nach
Aktivität)

SLE Gelb Trüb (↓) < 10.000 25 % Rhagozyten


++

SPA Gelb Klar bis (↓) > 2.000 50 % Rhagozyten


leicht trüb +

Gicht Milchig Trüb ↑ 10.000 90 % Harnsäure-


nadeln intra-
zellulär
  16.5 Medikamentöse Therapie  611

Tab. 16.5  Differenzialdiagnostik des Synoviapunktats (Forts.)


Farbe Trübung Visko- Zellzahl Granulozy- Sonstiges
sität pro μl ten-Anteil

Pseudo- Gelb bis Trüb ↑ 20.000 90 % Kalziumpy-


gicht milchig rophosphat-
kristalle

Tuber- Graugelb Trüb, flo- ↓ 20.000– 50 % Mykobakte-


kulose ckig 50.000 rien

Eitrige Purulent Rahmig, ↓↓ 50.000 und 95 % Eitererreger


Arthritis flockig mehr

• 1. Röhrchen (ohne Zusatz) für Makroskopie, Viskositätsprüfung und Zell-


zahlbestimmung.
• 2. Röhrchen (steril) zur Bakteriologie.
• 3. Röhrchen (mit Heparinlsg.) zur Untersuchung der Rhagozyten (neutrophile
Granulozyten mit intrazellulären Einschlüssen), Kristalle und des Sediments.

16.5 Medikamentöse Therapie
Aktuelle rheumatologische Medikamenteninformationsblätter für Arzt und Pat.
über http://dgrh.de/therapieueberwachen.html. Indikationsstellung und Überwa-
chung durch internistischen Rheumatologen.

16.5.1 Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR)

Medikamente der ersten Wahl mit antiphlogistischen, analgetischen und an-


tipyretischen Wirkungen.

Charakteristika
Ind.: Akute und chron. Arthritis, WS-Erkr., aktivierte Arthrose, „Weichteilrheu-
matismus“. 16
NW: Beschwerden des GIT, Ulzera, Blutungen, allergische Reaktionen (Pruritus,
Exantheme), ZNS-Symptome (Kopfschmerz, Schwindel, Müdigkeit, Verwirrtheit,
Tinnitus), Ödeme, Cholestase, Nierenfunktion ↓. Labor: Anämie, Leuko-,
Thrombopenie, Eosinophilie, okkultes Blut im Stuhl, GOT und GPT ↓, erhöhtes
Risiko für Herzinfarkte/Schlaganfälle.
Kontrollen: BB, Tests auf Blut im Stuhl, Harnstoff, Krea.
KI: Magen-Darm-Ulzera, schwere Störungen von Hämatopoese, Niere und Le-
ber, bekannte Allergien gegen NSAR, letztes Schwangerschaftsdrittel, KHK.
Interaktionen: Wirkungshemmung von Diuretika, Betablockern, Antihyperten-
siva, Antazida (je nach Präparat; ▶ 24.1).

Klinisches Management
• Einnahme bei HWZ (▶ Tab. 16.6) von:
– Ca. 1–3 h: 3–4× tgl. (inkonstante Wirkspiegel).
– Ca. 10–20 h: 2× tgl.
– Ca. 35–72 h: 1× tgl. (eher konstante Wirkkonzentration).
612 16 Rheumaorthopädie 

• Deutliche individuelle Unterschiede bzgl. Verträglichkeit und Ansprechen → evtl.


Medikament wechseln. Einschleichen mit geringen Tagesdosen nicht sinnvoll.
• Keine Komb.-Ther. der NSAR.
• Empfehlung: Nur wenige Medikamente anwenden und sich deren Pharma-
kokinetik und NW einprägen. Nicht untereinander kombinieren. Bei längerer
Gabe oder Risikopat. (höheres Alter, Marcumar®-Pat., Z. n. gastrointestina-
lem Ulkus, begleitende Glukokortikoidther.) immer Gabe eines PPI zum Ma-
genschutz.
• Evtl. Komb. der NSAR mit Glukokortikoiden zur Dosisreduktion, dann aber
immer Gabe eines PPI zum Magenschutz.
• Die Coxibe (COX-2-selektiven NSAR) wie Etoricoxib oder Celecoxib verur-
sachen seltener gastrointestinale Ulzera durch spezifische Wirkung auf das
Isoenzym Zyklooxygenase 2 (COX 2).
Unerwünschte GI-Wirkungen der NSAR sind durch Suppositorien nicht zu ver-
meiden, da gleich hohe Serumspiegel erreicht werden.

Bei gleichzeitiger Einnahme von ASS und Ibuprofen Abschwächung der


Thrombozytenaggreationshemmung von ASS. Daher z. B. auf Naproxen um-
stellen (niedrigstes kardiovaskuläres Risiko) oder Ibuprofen erst 2 h nach
ASS einnehmen.

Tab. 16.6  Halbwertszeiten und Tagesdosen gebräuchlicher NSAR


Auswahl (Beispielpräparat) Halbwertszeit [h] Tagesdosis [mg]

Präparat mit kurzer HWZ

Indometacin 3 (2–11) 75–150

Ibuprofen 2 800–2.400

Ketoprofen 2 150–300

ASS 0,3–8* 3.000–6.000

Diclofenac 3–4 75–150

16 Präparat mit mittlerer HWZ

Celecoxib 8–12 200–400

Naproxen 14 250–500

Etoricoxib 22 60–120

Präparat mit langer HWZ

Piroxicam 42 10–20

Phenylbutazon 72** 400–600**

* dosisabhängig
** nur bei akutem Schub von SPA, RA, reaktiver Arthritis oder beim Gichtanfall in-
diziert
  16.5 Medikamentöse Therapie  613

Therapie bei gastrointestinalen Beschwerden und erhöhtem GI-


Risiko
Wenn Absetzen nicht mögl.:
• Magenverträglicheres Präparat verwenden, z. B. Ibuprofen oder selektive
COX-2-Hemmer wie Etoricoxib oder Celecoxib.
• Komb. mit PPI (z. B. Omeprazol, Pantozol, Lanzoprazol u. a.).
• Prophylaxe der Ulkusentstehung durch PPI wie Omeprazol oder Pantoprazol
20–40 mg/d (H2-Blocker nur symptomatisch wirksam!).

16.5.2 Glukokortikoide

Stärkstes und wirksamstes Medikament zur Ther. rheumatischer Erkr., aber


mit zahlreichen NW behaftet (▶ 24.5, ▶ 16.5.5).

Charakteristika
Ind.: Akuter Schub bei Kollagenosen insbes. mit Organbeteiligung, Polymyalgia
rheumatica, rheumatisches Fieber mit Karditis, aktive juvenile idiopathische Ar-
thritis, RA im Schub oder bei schwerem Verlauf als niedrig dosierte Dauerther.
NW, KI, Präparate ▶ 24.5; Interaktionen ▶ 24.1.

Therapieprobleme
• Osteoporoserisiko erheblich erhöht, daher immer Gabe von 500 mg Calcium
und 800–1.000  IE Colecalciferol.
• Übersehen von schweren Infektionen bei steroidinduzierter Leukozytose und
Unterdrückung von Entzündungszeichen.
• Gedeckte, symptomarme Perforation von Ulzera (erhöhtes Risiko bei Komb.
mit NSAR).
• Kein abruptes Absetzen bei höherer Dosierung vor OPs: Evtl. tödliche NNR-
Insuff.

Wichtige orthop. KO: Osteoporose (▶  15.1.1), aseptische Knochennekrose


des Hüftkopfs (▶ 13.1.11), Wachstumsstörungen im Kindes- und Jugendalter
(▶ 17.2). 16
Klinisches Management
• Einleitung höher dosiert; nach Wirkungseintritt Abbau bis zur Erhaltungsdo-
sis.
• Erhaltungsdosis: Soll 7,5 mg/d Prednison nicht überschreiten (Cushing-
Schwellendosis). Dosierung ca. 5 mg/d.
• Evtl. Stoßther. für 2–3 Wo., z. B. mit 20–30 mg/d Prednison und stufenweise
Reduktion.
• Pulsther. mit Gabe von 0,5–1 g Prednison als Kurzinfusion, meist an 3 d (sta-
tionär). Effekt für einige Wo., Langzeiteffekt nicht gesichert.
• Absetzen: Bei Langzeitbehandlung alle 1–4 Wo. 1 mg reduzieren, abhängig
von klin. Bild und humoraler Entzündungsaktivität (CRP). Hoch dosierte
Glukokortikoidther. über 1–2 Wo. innerhalb einer Wo. ausschleichen. 3- bis
4-wöchige Ther. < 15 mg/d Prednison: Alle 2–3 d um 2,5 mg reduzieren.
614 16 Rheumaorthopädie 

Kortisonther. immer mit Substitution von Kalzium 500 mg/d und Colecalci-


ferol 1.500 E/d, z. B. als Komb.-Präparat, zur Osteoporoseprophylaxe. Bei
erhöhtem Osteoporoserisiko (Familienanamnese, Knochendichtemessung)
zusätzlich Bisphosphonat (z. B. Alendronat oder Risedronat mit wöchentli-
cher Gabe p. o.; Leitlinien des DVO).

16.5.3 Basistherapeutika (DMARD = Disease Modifying Anti-


Rheumatic Drugs) und Immunsuppressiva
Einsatz und Überwachung durch internistischen Rheumatologen.

Definition
Langfristige krankheitsmodifizierende Pharmaka mit unterschiedlichen chem.
Substanzen zur Behandlung rheumatischer Erkr., Einsatz der Basisther. im Früh-
stadium der RA, noch bevor Gelenkschäden eingetreten sind, mit dem Ziel, eine
Remission zu erreichen. Im destruktiven und ausgebrannten Stadium Basisther.
evtl. zur Verhinderung weiterer Destruktionen oder extraartikulärer Manifestati-
onen bzw. zur Dämpfung humoraler Entzündungsaktivität. Basistherapeutika ha-
ben einen glukokortikoidsparenden Effekt.
• Wirkprinzip meist nur teilweise bekannt. Häufig gute Erfolge mit Abschwä-
chung der klin. Aktivität, Minderung der Häufigkeit von Krankheitsschüben
und Abnahme der Entzündungsaktivität bei Laborkontrollen bis hin zu Re-
missionen.
• Wirkungseintritt häufig erst nach Wo. und Mon.
• Komb. mehrerer Basismedikamente sinnvoll, z. B. MTX mit Leflunomid,
MTX mit Sulfasalazin und Hydroxychloroquin.
• Basistherapeutika müssen vor einer evtl. OP i. d. R. nicht abgesetzt werden.
Vor Einsatz: Hepatitis-B-, -C-Screening (Prophylaxe bei Z. n. Hepatitis-B-In-
fektion).

Heutiges Prinzip: Aggressive Ther. in frühem Stadium. Um evtl. gravierende


NW zu vermeiden, strenge klin. und laborchem. Überwachung der Basisther.
16
Methotrexat (MTX)
Bewährtestes Basismedikament mit bestem Wirkungs-Nebenwirkungs-Verhältnis.
• Ind.: RA, Psoriasisarthritis, Spondyloarthritiden mit peripherer Gelenkbetei-
ligung, JIA, zur Glukokortikoideinsparung bei Polymyalgia rheumatica oder
Sarkoidose.
! KI: Niereninsuff, Lebererkr., großer Alkoholkonsum, Schwangerschaft oder
fehlende Verhütung.
• NW: Übelkeit, Schwindel, Mukositis, Haarausfall, Transaminasenanstieg,
Leuko-/Thrombopenie, Infektionen, sehr selten Pneumonitis, NW können
durch die Zugabe von Folsäure 5 mg 24 h nach der MTX-Gabe reduziert wer-
den.
• Dosierung: 1 × 10–25 mg/Wo. p. o. oder s. c., 24 h später 5 mg Folsäure 1 ×/Wo.
! Gabe nur einmal pro Wo.! Strenge Empfängnisverhütung für F und M.
• Kontrollen: BB, Krea, γ-GT, AP, GOT, GPT (zu Ther.-Beginn alle 7–14 d,
dann monatlich).
  16.5 Medikamentöse Therapie  615

Sulfasalazin
• Ind.: RA, enteropathische Arthritis (Morbus Crohn), reaktive Arthritis, evtl.
Morbus Bechterew, JIA (v. a. enthesitisassoziierte Form)
! 
KI: Allergie gegen Sulfonamide/Salizylate, Nieren-, Leber- und hämatopoeti-
sche Erkr., Porphyrie, Asthma.
• NW: GI-Beschwerden, Haut- und Schleimhautveränderungen, Kopfschmer-
zen. Selten hämol. Anämie, Anosmie, BB-Veränderungen, Oligospermie.
• Dosierung ▶ Tab. 16.7.
• Kontrollen: BB, Urinstatus, Krea (zu Ther.-Beginn alle 14 d, dann monatlich),
GOT, GPT, γ-GT, AP (erst monatlich, dann alle 2–3 Mon.).

Tab. 16.7  Dosierung von Sulfasalazin


1. Woche 2. Woche 3. Woche 4. Woche

Morgens – 500 mg 500 mg 1.000 mg

Abends 500 mg 500 mg 1.000 mg 1.000 mg

Leflunomid
Basismedikament mit einer Wirkstärke vergleichbar mit MTX.
• Ind.: RA, Psoriasisarthritis.
! KI: Niereninsuff. und Lebererkr., schlecht eingestellte art. Hypertonie,
Schwangerschaft.
• NW: Durchfälle, Blutdruckanstieg, Transaminasenanstieg, PNP.
• Dosierung: 20 mg/d p. o.
• Kontrollen: BB, Krea, γ-GT, AP, GOT, GPT (zu Ther.-Beginn alle 14 d, dann
monatlich) sowie regelmäßig Blutdruck. Strenge Empfängnisverhütung.
! Nach Absetzen wegen NW oder Schwangerschaftswunsch Elimination von
Leflunomid aus dem enterohepatischen Kreislauf mit Colestyramin (Quan-
talan®; siehe Fachinformation) wegen langer HWZ.

Ciclosporin A
• Ind.: RA, Psoriasisarthritis.
! KI: Niereninsuff., art. Hypertonie, Leberfunktionsstörungen, Infektionen,
Malignome. 16
• NW: Nierenschädigung, PNP, Tremor, Übelkeit und Erbrechen, Infektionen,
art. Hypertonie, Gingivahyperplasie, Hypertrichose.
• Dosierung: 2,5–3 mg/kg KG p. o., evtl. Steigerung bis 5 mg/kg KG.
• Kontrollen: BB, Krea, γ-GT, AP, GOT, GPT (zu Ther.-Beginn alle 14 d, dann
monatlich) sowie regelmäßig Blutdruck.

Goldpräparate
Früher häufig, jetzt nur noch selten eingesetzte Basistherapeutika.
• Nachteil: Relativ häufig NW, sehr langsamer Wirkungseintritt (ca. 6 Mon.).
Hydroxychloroquin und Chloroquin (Antimalariamittel)
• Ind.: Leichte Verlaufsformen bei gesicherter RA (ACR-Kriterien ▶ 16.8.1),
SLE, Gelenkbeschwerden im Rahmen anderer Kollagenosen.
! 
KI: Myasthenia gravis, Retinopathien, Störungen der Hämatopoese, Chloro-
quinallergie, Porphyrie, Glukose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel.
616 16 Rheumaorthopädie 

• NW: Häufig harmlose GIT-Beschwerden und Korneaeinlagerungen. Gele-


gentlich Psychosen, Agitiertheit, Verwirrtheit, Vertigo. Gefürchtet ist die do-
sisabhängige Retinopathie, die aber bei Hydroxychloroquin sehr selten ist
und bei normaler Dosierung in den ersten 5 J. der Ther. so gut wie nicht gese-
hen wird. Selten Pigmentierungen, Haarausfall, Fotosensibilisierung, Kardio-
myopathien, Myopathien. Sehr selten Agranulozytose, Panmyelopathie,
Thrombopenie, Hörschäden.
• Klin. Management:
– Dosierung: Z. B. Hydroxychloroquin (Quensyl®) wegen seltenerer Retino-
pathie vorzuziehen, hiervon bei < 50 kg KG 200 mg/d, bei 50–64 kg KG
200 und 400 mg im Wechsel und bei > 65 kg KG 400 mg/d.
– Kontrollen: Augenärztliche Kontrolle vor Ther.-Beginn, dann alle 6–12
Mon. Bei ersten Anzeichen der Retinopathie (Rotsehen gestört) Präparat
sofort absetzen. BB, Krea, Urinstatus, GPT, GOT, γ-GT und AP viertel-
jährlich.
– Ther.-Abbruch bei Auftreten von NW, v. a. bei Augenschäden oder Ver-
schlechterung der Laborwerte.

Azathioprin
• Ind.: RA, Kollagenosen wie SLE, als Erhaltungsther. bei Vaskulitiden wie Gra-
nulomatose mit Polyangiitis (Morbus Wegener).
• KI: Leber-, Knochenmarksfunktionsstörung, Schwangerschaft, Inf., Pankrea-
titis, Überempfindlichkeit.
• NW: Leukopenie, Anämie, Thrombopenie, Transaminasenanstieg, Übelkeit,
Durchfälle, Arzneimittelfieber, Myalgien und Arthralgien, Hautausschlag,
wahrscheinlich leicht erhöhtes Risiko von malignen Erkr. (Zervixkarzinom,
Lymphome und Leukämien).
• Klin. Management:
– Dosierung: 2 mg/kg KG p. o.
– Kontrolluntersuchungen: Zunächst alle 2, später alle 4 Wo. großes BB,
γ-GT, GOT, GPT, AP, Krea, Urinsediment.
! Wegen gefährlicher Interaktionen keine gleichzeitige Gabe von Allopurinol.

Cyclophosphamid
16 Starkes immunsuppressives Medikament, das wegen seiner potenziell gefährli-
chen NW (Kanzerogenität, opportunistische Infektion) nur unter strenger Kont-
rolle und Ind.-Stellung eingesetzt werden sollte.
Ind.:
• Sek. Vaskulitis bei RA, Granulomatose mit Polyangiitis (Morbus Wegener).
• Polyarteriitis nodosa, schwere Organbeteiligung bei SLE und anderen Kolla-
genosen.

16.5.4 Biologika/Biologicals
Definition
• Medikamente, die spezifisch pathophysiol. Mechanismen der Entzündung
unterbrechen und insbes. die Wirkung von Zytokinen blockieren.
• Vorteile: Drastische Reduktion von Schmerz und Entzündung, Reduktion der
Steroiddosis.
  16.5 Medikamentöse Therapie  617

• Nachteile: Leichte, aber auch lebensbedrohliche Infekte, Wundheilungsstö-


rungen, ZNS-Erkrankungen. Hoher Preis! Malignome? Zulassung oft regle-
mentiert.
! 
Wegen den teilweise gravierenden Konsequenzen sollen Biologika nur von
erfahrenen Ärzten angewendet werden, die auch KO beherrschen können.

Wegen erhöhter Infektionsgefahr Biologicals präop., insbesondere vor elek-


tiven Gelenkersatz-OPs, absetzen. Prinzip: Mind. 2 HWZ, i. d. R. ca. 8–14 d.
Nach OP wieder ansetzen, um „Flare-Up“ zu vermeiden.

TNFα-Inhibitoren (TNF-Hemmer)
In der Behandlung von RA, Morbus Bechterew, Psoriasisarthritis, Morbus Crohn
und JIA erprobt (gutes Ansprechen bei sonst therapierefraktären Pat., Stopp der
radiologischen Progression).
• Ind.: RA, Morbus Bechterew, Psoriasisarthritis, Morbus Crohn, Colitis ulce-
rosa, JIA.
• NW: Inf., allergische Reaktionen.
!  KI: Aktuelle Inf., Tbc in der Vorgeschichte, maligne Erkr., demyelinisierende
Erkr., aktive Hepatitis.
• Nachteil: Sehr hoher Preis, deswegen erst einsetzen, wenn andere Basismedi-
kamente auch in Komb. versagen.
Wichtig: Alle TNFα-Inhibitoren wirken v. a. bei der RA besser, wenn sie mit an-
deren Basismedikamenten kombiniert werden (MTX), und sind bei RA auch nur
in der Komb. zugelassen, bei Spondyloarthritis und Psoriasisarthritis auch Mono-
ther. möglich. Achtung: Komb. mit anderen DMARD ist Off-Label-Use!
Zur perioperativen Anwendung von TNFα-Hemmern gibt es z. T. widersprüchli-
che Erfahrungen. Wenn mögl., sollte bei geplanten Eingriffen, z. B. Gelenkersatz,
eine Ther.-Pause von mind. 2 HWZ des jeweiligen Präparats erfolgen.

Wegen des hohen Risikos der Reaktivierung einer alten Tbc muss vor Beginn
der Ther. eine latente Tbc mittels Interferonsekretionstest (IGRA) und Rö-
Thorax ausgeschlossen werden. Bei einer latenten Tbc ist Ther. unter Isonia-
zid-Prophylaxe (Beginn 4 Wo. vor Anti-TNF-Ther. dann weiter für 9 Mon.)
mögl., Echokardiografie vor und während der Ther. (Herzinsuff.!). 16
Außerdem Hepatitis B bzw. C ausschließen.

Infliximab
• Chimärer monoklonaler Maus-Mensch-Antikörper gegen TNFα.
• Ind.: RA, Sponylitis ankylosans, Psoriasisarthritis, Psoriasis, Morbus Crohn,
Colitis ulcerosa.
• Dosierung: Initial 3–7,5 mg/kg KG als Kurzinfusion Wo. 0, 2, 6, dann alle 8 Wo.
! Muss in Komb. mit MTX gegeben werden, weil sonst ein Wirkungsverlust
durch AK-Bildung gegen das Medikament eintritt.
Etanercept
• Fusionsprotein aus einem löslichen TNF-Rezeptor und einem Immunglobu-
linanteil.
• Ind.: RA, JIA, Spondylitis ankylosans, Psoriasisarthritis.
• Dosierung: 25 mg s. c. 2 ×/Wo. oder 50 mg s. c. 1 ×/Wo., JIA: 0,4 mg/kg KG
2 ×/Wo.
618 16 Rheumaorthopädie 

Adalimumab
• Komplett humaner monoklonaler Antikörper gegen TNFα.
• Ind.: RA, Sponylitis ankylosans, Psoriasisarthritis, JIA, Psoriasis, Morbus
Crohn, Colitis ulcerosa.
• Dosierung 40 mg s. c. alle 2 Wo.
Golimumab
• Komplett humaner monoklonaler Antikörper gegen TNFα.
• Ind.: RA, Spondylitis ankylosans, Psoriasisarthritis.
• Dosierung 50 mg s. c. alle 4 Wo.
Certolizumab
• Pegyliertes Fab-Fragment eines humanen monoklonalen Antikörpers gegen
TNFα.
• Dosierung Wo. 0: 2.400 mg, dann 200 mg alle 2 Wo. s. c.
• Ind. RA.
CD20-Antikörper
Rituximab
• Chimärer monoklonaler Antikörper gegen CD20 (B-Lymphozyten).
• Ind.: RA (nach einen TNFα-Antikörper), ANCA-assoziierte Vaskulitiden.
• Dosierung: Gabe von 1 g Wo. 0 und 2, dann nächster Zyklus nach frühestens
6 Mon. bzw. je nach Verlauf.
• NW: Allergische Reaktionen (meist sofort, selten verzögert), Zelllyse-Syn-
drom, arterielle Hypotonie, Leukenzephalopathie, Inf.
• Nachteil: Hoher Preis.
• Komb. mit MTX, oder bei KI gegen MTX anderem Basistherapeutikum.
Belimumab
• Humaner monoklonaler Antikörper gegen den B-Lymphozyten-Wachtums-
faktor BLyS.
• Ind.: Zugelassen bei SLE (nicht bei SLE mit Nierenbeteiligung).
• Dosierung: 8 mg/kg KG als Kurzinfusion Wo. 0, 2, dann alle 4 Wo.
• NW: Allergische Reaktion, Inf.
• Nachteil: Hoher Preis.
16 Ustekinumab
• Humaner monoklonaler Antikörper gegen Interleukin 12/23.
• Ind.: Psoriasis und Psoriasisarthritis (nach DMARD).
• Dosierung: 45 mg s. c. Wo. 0, 4, dann alle 12 Wo. (bei > 100 kgKG jeweils 90 mg).
• NW: Lokalreaktionen, Inf.
• Nachteil: Hoher Preis.
Secukinumab
• Humaner monoklonaler Antikörper gegen Interleukin 17A.
• Ind.: Psoriasis, Psoriasisarthritis, ankylosierende Spondyloarthritis.
• Dosierung:
– Vor anti-TNF: 150 mg s. c. in Woche 0, 1, 2, 3, dann alle 4 Wo.
– Nach anti-TNF: 300 mg s. c., in Woche 0, 1, 2, 3, dann alle 4 Wo.
• NW: Lokalreaktionen, Inf.
• Nachteil: Hoher Preis. Bei 150 mg-Anwendung allerdings deutlich günstiger
als alle anderen Biologika.
  16.5 Medikamentöse Therapie  619

Abatacept
• T-Zell-Inhibitor CTLA4 Ig.
• Zugelassen bei RA, JIA.
• Dosierung: 10 mg/kg KG als Inf. Wo 0, 2, dann alle 4 Wo oder 125 mg s. c.
wöchentlich.
• NW: Allergische Reaktionen. Inf.
• Nachteil: Hoher Preis.
• Komb. mit Basistherapeutikum.
Tocilizumab
• IL-6 Rezeptor-AK.
• Zugelassen bei RA, JIA (systemische Form), als Monother. oder in Komb. mit
MTX.
• Dosierung 4–8 mg/kg KG als Infusion alle 4 Wo oder 162 mg s. c. wöchent-
lich.
• NW: Allergische Reaktionen, Neutropenie, Hypercholesterinämie, Peritonitis.
• Nachteil: Hoher Preis, CRP nur eingeschränkt als Parameter für Infektion zu
verwenden.

16.5.5 Intraartikuläre Injektionen
Indikationen
Deg. Erkr.: Inj. von Substanzen, die eine verbesserte Gleitfähigkeit bzw. bessere
Ernährung und Regeneration des Gelenkknorpels ermöglichen sollen, z. B. Dona
200®, Artepanon® (cave: NW).
Entzündlich-rheumatische Erkr.: Inj. von Substanzen mit antiphlogistischer, an-
tiexsudativer und antiproliferativer Wirkung, Kortikoide (z. B. Volon A®), Osmi-
umsäure, Varicocid, Zytostatika (z. B. Endoxan®), radioaktive Isotope (▶ 16.6.1).
Bei entzündlich-rheumatischen Erkr. ist wegen reicher Vaskularisation der Syno-
vialis und des Pannusgewebes eine systemische Wirkung der injizierten Med. un-
vermeidlich → keine reine Lokalther.

Glukokortikoide
Medikamente, NW, klin. Management 24.5 und ▶ 16.5.2.
• Ind.: Chron., auf Basismedikamente, NSAR und orale Glukokortikoide nicht an- 16
sprechende Arthritis, aktivierte Arthrose, „Hydrops intermittens“, evtl. als Zusatz
bei Synoviorthesen, Gelenk bei sonst gut therapierter RA („Ausreißer“) oder als
Zugabe zur raschen Linderung einer aktiven RA im Schub plus Basisther.
! Die i. a. Injektionen ersetzen nicht die systemische Ther., können diese aber
gut ergänzen.
• KI: Bei nichtaktivierten Arthrosen (Chondrozytenschädigung!).
• Präparate mit langer HWZ und kristalliner Struktur (Triamcinolonacetonid)
verwenden (▶ Tab. 16.8).
• Wiederholte Inj. kritisch abwägen (Regel: Nicht mehr als 3 Inj. in jedes Ge-
lenk).
• Mindestabstand von 4 Wo. zwischen Inj. einhalten.
• Nicht in mehrere große Gelenke injizieren (systemische Wirkung).
• Gelenk nach Inj. mehrfach durchbewegen, evtl. Druckverband.
Bei V. a. Infekt keine intraartikuläre Kortikoidinjektion.
620 16 Rheumaorthopädie 

Tab. 16.8  Dosierungsbeispiele verschiedener Kortikosteroide


Gelenk Prednisolon 6-Methylpred- Triamcinolona- Betamethason
(z. B. nisolon (z. B. cetonid (z. B. (z. B. Celestan®
Decortin®H) Urbason®) Volon A®) solubile)

Hüftgelenk, 25–50 mg 20–40 mg 20–40 mg 4–6 mg


Knie, Schulter

Ellenbogen, 10–25 mg 10–20 mg 10–20 mg 2–4 mg


Handgelenk,
OSG

Interphalange- 5–10 mg 4–10 mg 2,5–5 mg 0,5–1 mg


al-, Mandibu-
largelenk

Chemische Synoviorthese
Verödung der Synovialis bei rheumatischen Erkr. im Anfangsstadium oder später
bei Gewebeproliferation und Erguss. Rezidive, auch nach operativer Synovekto-
mie.
Osmiumsäure-Inj.: Zur Kniegelenksynoviorthese. Je nach Gelenkgröße 1–10 ml
1-prozentiges Osmiumtetroxid pro Kniegelenk. Knorpelschädigung nicht auszu-
schließen.
Varicocid®-Injektion: Natriummorrhuat (Varicocid®): Gemisch von Natrium-
salzen ungesättigter Fettsäuren des Lebertrans.

Streng intraartikulär injizieren! Vor Varicocid®-Inj. dieselbe Menge eines LA


wie Bupivacain (z. B. Carbostesin®) injizieren.

Ind.: Exsudative Synovitis ohne stärkere Proliferation, bevorzugt bei Pat. < 40 J.
KI: Akuter Schub. Gelenkdestruktionen mit Zysten, fortgeschrittener Arthrose
und fibröser Kapselschwellung, Synovialitiden bei deg. Gelenkerkr., massive Syn-
ovialschwellungen, große Poplitealzysten.

16.5.6 Supportive Pharmakotherapie
16 Allopurinol, Urikosurika, Urikostatika ▶ 15.2.5, Infiltrationen mit LA ▶ 3.3.1 und
Glukokortikoiden ▶ 24.5, Analgetika ▶ 24.1.

Myotonolytika
Herabsetzung des durch zentrale Regelkreise gesteigerten Muskeltonus z. B. bei
therapieresistentem lokalisiertem Weichteilrheumatismus, Lumboischialgien,
Fibromyalgie. Nur als adjuvante Ther. zu sehen → kausale Ther. anstreben, z. B.
Korrektur einer Fehlstatik. Bsp.:
• Diazepam: 5–15 mg/d, evtl. einschleichend.
• Wichtig: Pat. auf Beeinträchtigung des Reaktionsvermögens (Fahrtüchtigkeit)
hinweisen!
! Cave: Gewöhnungseffekt, Ther. möglichst < 14 Tage.
  16.6 Strahlentherapie  621

Psychopharmaka
Zur Durchbrechung des Circulus vitiosus „Schmerz → Angst → Depression“ oft
letzter Ausweg. Sorgfältige Ind.-Stellung und nur so kurz als nötig verabreichen.
Begleitende Psychother., autogenes Training, Verhaltensther. ebenso wichtig
(▶ 19.2). Agitierend wirksame Pharmaka morgens, eher sedierende abends geben.
Drei Substanzgruppen:
• Tranquilizer: Ind. bei psychosomatischem Hintergrund (▶ 19.1.5), „Failed-
Back-Surgery-Syndrom“ (▶ 10.7). Bsp.: Chlordiazepoxid 10(–50) mg, gut ent-
spannend, wenig sedierend; Flurazepam 7,5(–30) mg, gute Sedierung.
• Antidepressiva: Ind. bei reaktiver Depression, Depression als Ursache für
Schmerzverstärkung. Wirkungseintritt ca. 14 d nach Ther.-Beginn. Bsp.:
Amitriptylin 25(–150) mg, mit stark thymoleptischer, anxiolytischer Wirkung.
• Neuroleptika: Ind. bei Komb. mit Analgetika, psychosomatisch bedingten
Angstzuständen, Einschlafstörungen, Erregung insbes. bei Weichteilrheuma-
tismus (▶ 16.8.12). Bsp.: Promethazin 50(–150) mg/d, vorwiegend sedierend;
Haloperidol 2(–50) mg/d, vorwiegend antipsychotisch.

Chondroprotektiva
Viele Hinweise auf pos. ther. Wirkung durch Hemmung knorpelabbauender En-
zyme bzw. Stimulation der Glykosaminoglykane, Proteine, Hyaluronat und Kol-
lagensynthese. Kontrollierte Studien schwer durchzuführen. Gabe nur im Früh-
stadium einer Arthrose sinnvoll, wenn noch Knorpel vorhanden, nicht bei einer
„Knochenglatze“.

Externa (Einreibemittel)
Lokaler hyperämisierender oder kühlender Effekt mit Wirkung am Krankheits-
herd oder über Reflexzone. Bsp.: Etofenamat, Salizylsäurederivate, Nikotinsäure-
ester, Diclofenac.

16.6 Strahlentherapie
16.6.1 Radiosynoviorthese
Definition 16
I. a. Inj. eines β-Strahlers (Yttrium, Rhenium, Ebium). Yttrium für große, Erbium
für kleine Gelenke. Erfolge nach 12 Mon. bei 50–60 %. Erst bei Pat. > 40 J. (Ausnah-
me: Pat. mit Blutergelenken, villonodulärer Synovitis). Nach 6 Mon. wiederholbar.

Indikationen
Therapieresistente Synovitis > 6 Mon. (meist bei RA), Rezidivprophylaxe nach
operativer Synovektomie (ca. 8 Wo. postop.), villonoduläre Synovitis (▶ 13.2.31);
chron. rez. Ergüsse bei Arthrose.

Kontraindikationen
Stadien III–IV nach Larsen. Baker-Zyste rel. KI. (Ruptur mögl.).

Therapiebeispiele
Knie 6 mCi, Y-90; Schulter, Ellenbogen, Hand, OSG 0,5 mCi Er-169; MCP, PIP
0,25 mCi Er-169.
622 16 Rheumaorthopädie 

Nebenwirkungen
Strahlensynovitis → adäquate Analgetikather. (▶ 24.1); Fieber, Verschlechterung
des AZ, evtl. Induktion einer Arthrose oder genetische Spätschäden.

16.6.2 Entzündungsbestrahlung
Definition
Rö-Strahlen niedriger Herddosen von 0,3–0,4 Gy. Je akuter die Entzündung, desto
kürzer die Zeitabstände zwischen den Bestrahlungsterminen: 12–24 h. Bei chron.
Arthritis 3–7 d Abstand. I. d. R. 5–8 Bestrahlungen; Wdh. frühestens nach 1 J.

Indikationen
Nur bei Versagen anderer „harmloserer“ Ther.-Formen bei chron. aktivierten Ar-
throsen, hartnäckigen Insertionstendopathien (z. B. Epikondylitis), therapieresis-
tenter Spondyloarthritis.

Kontraindikationen
• Absolut: Schwangerschaft, bekannte Knochenmarkschäden oder Blutbil-
dungsstörungen, maligne Tumoren, aktive Tbc.
• Relativ: Dermatosen im Bestrahlungsfeld, latente Inf.-Krankheiten, Patientin-
nen im gebärfähigen Alter.

Nebenwirkungen
Knochenmarkschädigung (Leukämien werden unterhalb einer Dosis von 1 Gy
scheinbar nicht induziert).

16.7 Operative Therapie
16.7.1 Operationsindikationen
▶ Tab. 16.9.
Tab. 16.9  Operationsindikationen bei rheumatischen Erkrankungen
16 Eindeutige OP-Indikationen Relative OP-Indikationen

• Starke Schmerzen bei lokaler Gelenk- • Persistierende Synovialitis, Tenosynovi-


destruktion alitis, Bursitis
• Sehnenruptur, Nervenkompression • Störender Ausfall von Gelenkfunktio-
• Instabile HWS mit drohenden oder nen
vorhandenen neurol. Störungen • Störende Gelenkfehlstellung
• Extreme Gelenkfehlstellungen mit Be- • Instabile HWS ohne neurol. Störungen
hinderung • Chron. Gelenkschmerzen (bei geringer
• Mechanisch störende Rheumaknoten Gelenkdestruktion)

KI: OP-Risiko zu hoch, Intubationshindernisse (Kiefergelenk, HWS-Beteiligung),


mangelnde Compliance, mangelnder Funktionsbedarf des Pat.

Nicht alles, was operativ korrigierbar ist, sollte auch operiert werden! Prinzip:
Schmerzther. (ggf. LA-Blockade vor Indikationsstellung) und Funktionsver-
besserung (z. B. Gelenkersatz untere und obere Extremität und Handeingriffe).
  16.7 Operative Therapie  623

Operativer Behandlungsplan: OP-Vorbereitung und spezielle NB bei operativen


Eingriffen sind aufwändig, bedürfen häufig neben der stationären auch der ambu-
lanten Weiterbehandlung durch Physiotherapeuten und/oder Ergotherapeuten
(▶ 20.7).

i. d. R. sind mehrere Gelenke erkrankt → Prioritäten setzen. Zunächst Eingrif-


fe an den unteren Extremitäten, um die Gehfähigkeit zu erhalten. Eingriff mit
der höchsten Erfolgschance zunächst durchführen („Start with a winner.“;
▶ Tab. 16.10).

Tab. 16.10  Erfolgschancen bei Operationen


Sehr gute Erfolgschan- Gute Erfolgschancen Mäßige Erfolgschancen
cen

• Hüfte: TEP • Ellenbogen: Synovektomie, • Schulter: Synovekto-


• Ellenbogen: TEP Resektionsarthroplastik mie, Hemi-Arthroplas-
• Knie: TEP • Schulter: TEP, HEP, inverse tik (bei Rotator-Cuff-
• Fuß: Vorfußkorrektur TEP (nur bei älteren Pat.) Arthropathie)
(Arthrodesen, Resekti- • Knie: Synovektomie (Kellg- • Fuß: Arthroplastik OSG
onsarthroplastiken), ren-Lawrence 0–2) • Hand: MCP-, PIP-Syno-
Rückfußarthrodesen • Fuß: Arthrodese Chopart- vektomie, Flexorseh-
• Hand: Handgelenksar- Gelenk nensynovektomie, PIP-
thodese oder PIN-De- • Hand: PIP-II- und -III-Arth- IV- und -V-Arthrodese,
nervierung, MCP-/IP-I- rodese, MCP-Arthroplastik, Knopfloch-OP, Schwa-
Arthrodesen Handgelenksynovektomie, nenhals-Korrektur,
• WS: Spondylodese der Caput ulnae-Resektion, Handgelenk-Arthro-
oberen HWS dorsale Tenosynovektomie plastik

16.7.2 Operationsverfahren
Synovektomie, Tenosynovektomie
Frühsynovektomie: Radikale Entfernung der entzündlich hypertrophierten Syn-
ovia bzw. der Sehnenscheiden (Tenosynovektomie). Idealind.: Hand-Extensor-
sehnen (vor Ruptur), vor Gelenkdestruktion (Kellgren-Lawrence 0–1) nach kon-
sequenter, aber erfolgloser Basismedikation ≥ 6 Mon.
Spätsynovektomie: Relative Indikation! Bei bereits sichtbarer Gelenkzerstörung 16
(Kellgren-Lawrence 2) in Komb. mit einer Gelenktoilette bzw. rekonstruktiven
Maßnahmen. Ziel: Besserung von Schmerz, Schwellung und Funktion („Good
systemic, but poor local control.“). Fortschreiten der Gelenkzerstörung kann
i. d. R. jedoch nicht aufgehalten werden.
Besonderheiten: Rezidive mögl., bes. an Gelenken, die nur die partielle Resektion
erlauben (daher zurückhaltender Einsatz im angloamerikanischen Bereich). NB
anspruchsvoll. Gelenke bereits ab dem 1. postop. Tag passiv und assistiv mobili-
sieren. Bewährt hat sich die Dauermobilisation auf Motorschienen. Arthroskopi-
sche Synovektomien bieten Vorteile in der NB und werden neben dem Kniege-
lenk auch an Schulter und Ellenbogengelenken durchgeführt. Bessere Ergebnisse,
wenn im Anschluss (8 Wo. postop.) eine Radiosynoviorthese durchgeführt wird.

Resektions-Interpositions-Arthroplastik
Bei hochgradiger Destruktion und Fehlstellung, Resektion und Neuformung der
veränderten Gelenkanteile. Als Interponat und artikulierende Fläche dienen ent-
624 16 Rheumaorthopädie 

weder lokal einwachsendes Bindegewebe, Gelenkkapsel oder Faszientransplanta-


te. Häufig sind zusätzlich Rekonstruktionen am Kapsel-Band-Apparat erforder-
lich. Häufigste Ind.: Vorfuß-OPs.

Sehnenrekonstruktionen
End-zu-End-Naht, Sehnentransfer (Indicesplastik), freies Transplantat (palmaris
longus). Häufigste Ind.: Strecksehnenrupturen an der Hand.

Arthrodesen
Selten bei großen Gelenken bewegungsbehinderter Rheumatiker ind. Gute Ind.
bei Destruktion und Instabilität an Hand und Fingern, am OSG und im Fußwur-
zelbereich.

Endoprothesen
Vorteile: Schmerzfreiheit, hohe Mobilität, häufig rasche Belastbarkeit sowie rela-
tiv einfache NB. Bewährt haben sich Hüft- und Kniegelenkersatz. An Hand und
Fingern führen die Silastik-Implantate zu mittelfristig andauernden Erfolgen. En-
doprothesen an Schulter-, Ellenbogen- und Sprunggelenken mit höherer Rate an
mechanischen KO, hauptsächlich aseptische Lockerungen. Sie werden daher in
höheren Zahlen lediglich an wenigen Zentren implantiert.

Osteotomien (selten)
Wegen Schädigung in allen Gelenkkompartimenten fast nie indiziert. Ausnahme:
Ausgeprägte Fehlstellungen, z. B. bei Coxa valga nach juveniler Koxarthritis, bei
ausgeprägter Valgusdeformität am Kniegelenk oder bei Bajonettstellung des
Handgelenks nach Volarverkippung der prox. Handwurzel.

16.7.3 Operative Eingriffe der einzelnen Körperregionen


Halswirbelsäule
Charakteristika
OP-Vorbereitung: Immer Rö HWS in 2 Eb. (▶ 4.1.1)! Je nach Fall evtl. Funkti-
onsaufnahmen, CT, Myelografie, MRT, fachneurol. Untersuchung.
16 Probleme: Instabilitäten und Fehlstellungen aufgrund synovitischer Destruktio-
nen an Gelenken, Bändern und Kapseln, bes. häufig bei RA, aber auch bei Psoria-
sisarthritis, JRA, SPA.
OP-Ind.: Bei starken Schmerzen, neurol. Symptomatik (Radikuloneuropathien,
zervikal-medulläre Kompressionssy., Läsion der Medulla oblongata und Hirnner-
venkerne), vertebrobasiläre Insuff. und bei raschem Fortscheiten der Dislokationen.
Verfahren
Korrektur und Stabilisierung: i. d. R. Spondylodese. Unterschiedliche Instru-
mentationen: Bilaterale Drahtumschlingung C1/C2 nach Brooks, transartikuläre
Verschraubung C1/C2 nach Magerl, okzipitozervikale Fusion nach Brattström
mit Drahtumschlingungen oder mit speziellen okzipitozervikalen Platten. Bei
subaxialen Dislokationen auch ventrale Fusionen.
Fortgeschrittene Fehlstellungen und Luxationen: Zunächst Vorbehandlung mit
einem Halo-Body-Jacket zweckmäßig. Dieses oder ein Minerva-Gips bei hochgra-
diger Osteoporose auch zur postop. Immobilisation. Meist jedoch ist eine Zervi-
kalstütze (▶ 23.2) ausreichend (Tragezeit 8–12 Wo.).
  16.7 Operative Therapie  625

Regionen
Obere HWS: Gehäuft atlantoaxiale Instabilitäten (horizontale Dislokation;
▶ Abb. 16.3). Gel. auch okzipitoaxiale Dislokationen (aufgrund Destruktion der
Wirbelgelenke zwischen C1, C2 und dem Okziput): Eintritt des Dens in das Fo-
ramen magnum, vertikale Dislokation → Kompressionen von Myelon und A.
vertebralis mit entsprechenden neurol. bzw. vertebrobasilären Symptomen
mögl.
Mittlere/untere HWS: Gelenk- und Bandscheibendestruktionen, Fehlstellungen,
Instabilitäten, Wirbelgleiten (subaxiale Dislokation; ▶ 10.4.10).

Schultergelenk
Charakteristika
In über 50 % bei der RA mitbefallen. In späteren Stadien neben der Gelenkdest-
ruktion häufig Rupturen der Rotatorenmanschette (▶ 9.1.23) und der langen Bi-
zepssehne (▶ 9.2.4) → i. d. R. funktionell zu kompensieren. Bei starken Schmerzen
und Gelenkdestruktion Gelenkersatz indiziert.
Verfahren
Synovektomien: Gute Verringerung von Schwellung und Schmerz. Allerdings
aufwändige NB mit Abduktionsschienen für mind. 6 Wo.
TEP: In fortgeschrittenen Stadien. Gute Ergebnisse bzgl. Schmerzbefreiung, bei
Rotatorenmanschettendefekten keine Funktionsverbesserung zu erwarten. Hohe
KO-Rate (Infekt/Lockerung).
Arthrodesen: Ausnahme-Ind., bei voll mobilen Hand- und Ellenbogengelenken.

Ellenbogengelenk
Synovektomie (am häufigsten): Bei persistierender Schwellung und beginnender
Mobilitätseinschränkung. Vom dorsoradialen Zugang kann bei Destruktionen
und Luxationen des Radiusköpfchens dieses mitentfernt werden.
Dekompression des N. ulnaris (▶ 18.9.1): Synovitische Schwellung, Knochenero-
sionen oder Fehlstellungen: Ventralverlagerung. NB: I. d. R. problemlos, in den
ersten 10 d kann passiv und assistiv aus einer Schiene heraus beübt werden, da-
nach wird eigentätig aktiv geübt.
Resektionsarthroplastik: Bei erheblicher Destruktion evtl. bei Ankylose. Dabei
werden Radiusköpfchen, Olekranon und Trochlea ganz oder partiell reseziert und 16
mit einem Faszien- oder Lyodurastreifen gedeckt. Ziel der NB: Ausreichende Ro-
tations- und Beugefähigkeit.
TEP: Zunehmend bessere Ergebnisse, jedoch nach wie vor hohe KO-Rate (bis
30 %).

Handgelenk
Charakteristika
! Sehnenrupturen an der Hand (▶ 9.3.17) sind dringliche OP-Ind.!
• Ausfall z. B. der aktiven Fingerstreckung → beträchtliche Störung der Greif-
funktion. Wenn End-zu-End-Nähte aufgrund der Sehnendestruktion nicht
mehr mögl., Sehnenverlagerungen (z. B. Indicis-proprius-Sehne).
Verfahren
Synovektomien: Dorsale Tenosynovektomien verhindern sehr erfolgreich die
Sehnendestruktion (Frühsynovektomie!). Synovektomien der Beugesehnen → Ge-
fahr der Vernarbung mit resultierenden Funktionseinbußen. Synovektomie des
626 16 Rheumaorthopädie 

Handgelenks sowie im Bereich der Handwurzel nur unvollständig mögl. (Radio-


synoviorthese), daher nur bei ausgeprägtem Befund.
Resektionsarthroplastik: Bei durch Band- und Gelenkdestruktionen hervorgeru-
fener schmerzhafter Subluxation des Ulnaköpfchens (Caput-ulnae-Sy.).
Interkarpale Arthrodesen: Sollen Fehlstellungen im Handwurzelbereich ausglei-
chen. Scheinen, auf eine Hand beschränkt, langfristig die besten Erfolge zu brin-
gen. Wichtig: Präop. günstigste Funktionsstellung der Hand festlegen.
Resektions-(Interpositions-)Arthroplastik, Alloarthroplastik oder Arthrodese:
Bei schmerzhaften Destruktionen im prox. Handgelenk. Bei der Resektions-
(Interpositions-)Arthroplastik evtl. Stabilitätsprobleme. Alloarthroplastik: Silikon
(Swanson): Einfache OP-Technik, gute Schmerzlinderung, häufig Bewegungsein-
schränkung und Kraftminderung.
Handgelenkendoprothesen: Bisher kleine Fallzahlen, hohe KO-Rate. Arthrodese:
z. B. Mannerfelt. Zuverlässige Ergebnisse, niedrige KO-Rate. Als Alternative bei
guter Restbeweglichkeit PIN-Denervierung erwägen (bei pos. LA-Infiltrations-
test).

Langfinger
Charakteristika
• Knopflochdeformität: Faustschluss erhalten → funktionell eher unbedeutende
Störung.
• Schwanenhalsdeformität (▶ 16.8.1): In fortgeschrittenen Stadien Verlust des
Faustschlusses.
• In Frühstadien ist das sog. Littler-Release der Strecksehnenaponeurose zu be-
vorzugen.
Verfahren
Synovektomien: An MCP- und PIP-Gelenken nur begrenzt erfolgreich. Bei beste-
henden Fehlstellungen (Ulnadrift) zusätzliche Weichteileingriffe (z. B. Lösung der
ulnaren Streckaponeurosen und radiale Raffung, evtl. komb. mit Interosseustrans-
fer zum Nachbarfinger nach radial).
Eingriffe am Kapsel-Band-Apparat des PIP-Gelenks: Bei noch passiver Korri-
gierbarkeit in Verbindung mit Sehnenverlagerungen oder Tenodesen möglicher-
weise erfolgreich.
Arthrodesen, evtl. Silastik-Implantate: Gute Ergebnisse bei MCP-Silastik, Ar­
16 throdese am PIP-Gelenk bei Einsteifungen oder Destruktionen.

Speziell die OPs an den oberen Extremitäten verlangen aufwändige NB mit


Schienenversorgungen (▶  23.7), ergotherapeutischen und krankengymnasti-
schen Übungen.

Hüftgelenk
Synovektomie: Größere Serien, die eindeutige Erfolge belegen, liegen nicht vor.
Deshalb wird bei der rheumatischen Koxitis i. d. R. abgewartet, bis fortgeschritte-
ne Destruktionen und Schmerzen die Implantation einer TEP indizieren.
TEP: Oft durch stark ausgeprägte Protrusionen Verankerungsprobleme für die
Kunstpfanne. Durch plastische Auffüllung des Pfannenbodens (z. B. mit Spongio-
sa des resezierten Hüftkopfs) und evtl. durch Aufbau des Pfannenerkers mit auto-
logen Knochenspänen gelingt bei Primärimplantationen fast immer die Schaffung
eines stabilen Pfannenlagers.
  16.7 Operative Therapie  627

Kniegelenk
Charakteristika
Bei ca. 65 % der RA-Pat. befallen. Häufig ausgeprägte Synovialitis → evtl. rasche
Beugekontraktur des Gelenks → Instabilitätsprobleme der gesamten unteren Ext-
remität: Überdehnung der Kapsel, synovitische Schädigung der Bänder, mangel-
hafte Muskelführung (Atrophie).
Verfahren
Synovektomie: Frühsynovektomie nach erfolgloser kons. Ther., Spätsynovekto-
mie mit Gelenktoilette. I. d. R. Linderung der Beschwerden, Fortschreiten der De-
struktionen kann jedoch nicht verhindert werden. Größere Kniekehlenganglien
(Baker-Zyste; ▶ 13.2.11) können in der gleichen Narkose mitentfernt werden. OP-
Erfolg hängt u. a. von der OP-Radikalität ab. Rezidive in 10–30 % (präop. Aufklä-
rung!). Bessere Ergebnisse mit Radiosynoviorthese! NB: Bewegungsübungen ab
dem 1. postop. Tag, vorteilhaft als Dauermobilisation mit der Motorschiene.
Arthroskopische Synovektomie: In den letzten Jahren zunehmend in den Vor-
dergrund getreten. Erfordert erfahrenen Operateur. Vorteile: U. a. wenige punkt-
förmige Zugänge, besserer Zugang zu hinteren Gelenkabschnitten, geringerer
postop. Schmerz, Mobilisierung schneller. Langzeitergebnisse noch ausstehend,
bei ausgedehntem Pannus offene Synovektomie erforderlich.
Endoprothesen: Gute Ergebnisse. Sofern die Stabilität der Seitenbänder noch ge-
geben ist: Oberflächenersatzprothesen (Vorteil: Sparsame Knochenresektion →
gute Rückzugsmöglichkeiten bei evtl. Wechsel-OP; ▶ 13.2.26).
Arthrodesen: KI! Ausnahme: Rückzug-OP nach fehlgeschlagener TEP.

Oberes Sprunggelenk
Charakteristika
• Synovitis häufig nur mäßig stark ausgeprägt, aufgrund der festen knöchernen
Führung Instabilitäten selten. Beschwerden häufig erst recht spät.
• Orthop. Schuhversorgung: Bei stärkeren Destruktionen als kons. Versuch
(▶ 23.10).
Verfahren
Synovektomien: Bei andauernden starken Schwellungen sowie Tenosynovitiden.
Arthrodese: Bei starken Deformierungen, wenn orthop. Schuhe nicht mehr aus- 16
reichen. Rechtwinkelstellung im OSG zu bevorzugen.
Endoprothesen: In Zentren zunehmend Routineeingriff mit guten Langzeiterfah-
rungen. Voraussetzung: Präop. gute OSG-Beweglichkeit (∼ 70 % mittelfristig gute
Ergebnisse). Bis 40 % Versager nach 10 J. (Skandinavisches Register).

Fußwurzel
Charakteristika
USG und Talonavikulargelenke bevorzugt von Synovitis und Destruktionen be-
troffen.
Verfahren
Sub- und prätalare Arthrodesen, Triple-Arthrodese: Bei anhaltend starken
Schmerzen sowie bei Fehlstellungen, die allein mit Schuhzurichtungen nicht zu
bessern sind. Langwierige Nachbehandlung, aber hohe Pat.-Zufriedenheit (ver-
gleichbar mit Hüft- und Knie-TEP).
628 16 Rheumaorthopädie 

Vorfuß
Charakteristika
• Zehengrundgelenke häufig schon früh betroffen. In Spätstadien häufig kom-
plexe Vorfußdeformität.
• Aufklärung der Pat.: NB, Verkürzung der Füße.
Verfahren
Synovektomien: Nur selten ind.
Resektionarthroplastik: Standardverfahren, meist plantarer Zugang, Exzision
von Plantarschwielen und Bursen. Viele Verfahren, bewährt: Resektion der lu-
xierten und destruierten Metatarsaleköpfchen allein (▶ 13.3.38) oder zusammen
mit den Grundgliedbasen unter Beachtung des Metatarsale-Index (Alignement),
gleichzeitig Synovektomie und Kapselraffung. Alternativ Stainsby-OP. Großze-
hengrundgelenk: Hueter-Mayo-Resektion (▶  13.3.37). NB: Postop. Volllast mit
Barouk-Schuh. Nach einigen Wo. i. d. R. Versorgung mit orthop. zugerichteten
Konfektionsschuhen (▶ 23.10).
Arthrodesen: Großzehengrundgelenk (dauerhafte Lösung!) und PIP-Gelenke.
Andere: auch ▶ 13.3.

16.8 Häufige Krankheitsbilder
16.8.1 Rheumatoide Arthritis (RA; chronische Polyarthritis)
Definition
Häufigste rheumatische (immunologische, systemische) Erkr. mit chron. Entzün-
dung der Synovialis (tumorähnliche Proliferation, Destruktion) von Gelenken so-
wie extraartikulärer Einbeziehung von Bursen, Sehnenscheiden, Gefäßen und se-
rösen Häuten mit meist schubweisem progredientem Verlauf. Weltweit verbreitet,
Prävalenz ca. 1 %; F : M = 3 : 1. Alle Altersklassen, Hauptmanifestationsalter 3.–5.
Ljz. Mit Nachweis von RF und/oder CCP-AK seropos., sonst seroneg.

Ätiologie und Pathologie


Ätiol.: Nicht geklärt, Hinweise für erhöhtes Krankheitsrisiko bei Trägern be-
16 stimmter HLA-Antigene. Familiäre Häufung. Nikotinabusus bedingt schwereren
Verlauf.
Pathologie: 4 Phasen: Exsudation (Ergussbildung) → Proliferation der Synovia als
sog. Pannus („wächst wie Tumor“) → Destruktion von Gelenken (Knorpel) und
gelenknahen Strukturen → Deg. (▶ Tab. 16.1).

Klinik
Beginnende RA
Prodromalstadium: Schwitzen 50 %, Ermüdbarkeit 40 %, Gewichtsverlust 33 %,
Morgensteifigkeit 30–60 %. Hyperhidrosis der Hände, diffuser Muskelschmerz,
diskrete Anämie, evtl. Monarthritis.
Frühstadium: Morgensteifigkeit (> 60 Min.), Kraftverlust, Synovitis, typisch
schleichend, symmetrisch, kleine Gelenke bevorzugt befallen (Hand, Vorfuß,
MCP-Gelenke), jedoch nur in ca. ⅔ der Fälle. Weiterhin DS, Flexionsschmerz im
Handgelenk, „Begrüßungsschmerz“. In ca. 20 % monarthritischer Beginn.
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  629

Diagnose einer beginnenden RA oft sehr schwierig, deswegen Diagnosezu-


satz: Möglich, wahrscheinlich, gesichert, klassisch.

Regionen
Hand und Finger: Prox. Handgelenk wesentlich mitbetroffen, mit schmerzhafter
Bewegungseinschränkung. Wichtige Symptome/Deformitäten:
• Caput-ulnae-Syndrom: Dorsalluxation des destruierten Caput ulnae. Sehnen-
rupturen (Extensoren).
• Handskoliose (Bajonettstellung): Radialabweichung und Volarverkippung
der Handwurzel, Ulnardeviation der Langfinger.
• Knopflochdeformität: Fixierte Beugestellung der PIP, Überstreckung der DIP.
• Schwanenhalsdeformität: Fixierte Überstreckung der PIP, Beugestellung der
DIP (▶ Abb. 16.2).
• 90°/90°-Deformierung des Daumens (Ninety-to-Ninety-Deformity, Hitchhi-
ker-Thumb): Im Extremfall 90°-Überstreckung im Daumengelenk und starke
Beugung im Grundgelenk.

16

Abb. 16.2  Röntgenologische Veränderungen an der Hand bei fortgeschrittener


RA [L106]

Periartikuläre Manifestationen: Bursitiden oder Gelenkkapselaussackungen


(z. B. Baker-Zyste in Kniekehle), Tendovaginitiden.
HWS (▶ Abb. 16.3): Bei juveniler und erosiv verlaufender RA und nach mehrjäh-
rigem Verlauf häufig (ca. 50 %) befallen („5. Extremität“). Problem: Instabilität
der oberen HWS durch Band- und Gelenkdestruktion mit folgender atlantoaxia-
ler Subluxation sowie vertikaler Densdislokation (pseudobasiläre Invagination
des Dens), subaxiales Wirbelgleiten (▶ 10.6.10).
Hüftgelenke: Im weiteren Verlauf bis zu 30 % beteiligt, radiologisch charakteris-
tisch ist u. a. die konzentrische Gelenkspaltverschmälerung und in späteren Stadi-
en die Pfannenprotrusion.
630 16 Rheumaorthopädie 

Abb. 16.3  Rheumatische Veränderungen an der HWS [L106]

Knie: In ca. 80 % betroffen. Im Gegensatz zur Arthrose häufig Valgusfehlstellung.


Bandinstabilität. Baker-Zysten.
Füße: Durch Verlust des Quergewölbes entsteht am häufigsten ein dreieckiger
Spreizfuß mit Hallux valgus und Digitus quintus varus mit nach plantar durchge-
tretenen Metatarsaleköpfchen. An der Fußsohle befinden sich schmerzhafte Bur-
sen. Luxation der Zehengrundglieder nach dorsal, krallenförmige Deformierung
der Zehen. Destruktion im Fußwurzelbereich (Chopart-Gelenk) sowie im USG
mit Verlust des Längsgewölbes: Rheumatischer Knickfuß.
Organbeteiligung: Vaskulitis und rheumatische Granulome auch im Bereich von
Pleura, Lunge, Herz, Haut, Niere, ZNS, peripheren Nerven (Mononeuritis multi-
plex), Muskulatur (Myositis), Augen (Episkleritis, Skleritis). Sekundäre Amyloido-
16 se (Spätfolge).

Diagnostik

Klassifikationskriterien für die RA (gemeinsame Kriterien des ACR, American


College of Rheumatology, und EULAR European League Against Rheumatism
2010)
Diese Kriterien erlauben eine frühere RA-Klassifizierung mit ähnlicher Spe-
zifität wie die ACR-Kriterien von 1987. Mind. 1 geschwollenes Gelenk muss
vorliegen.
Punkte
1. Gelenkbeteiligung
1 Gelenk 0
2–10 große/mittlere Gelenke 1
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  631

1–3 kleine Gelenke (Handgelenk wird als kleines 2


Gelenk gezählt)
4–10 kleine Gelenke 3
>  10 kleine Gelenke 5
2. Rheumafaktoren
RF und/oder CCP-AK neg. 0
RF und/oder CCP-AK <  3-fach erhöht 2
RF und/oder CCP-AK >  3-fach erhöht 3
3. Dauer
< 6 Wochen 0
>  6 Wochen 1
4. Entzündungszeichen
CRP, BSG normal 0
CRP und/oder BSG erhöht 1

Für eine RA müssen mind. 6 Punkte erreicht werden, wobei jeweils nur die
höchste Punktzahl pro Kategorie addiert wird.

! 
Früh-, oligosymptomatische und seroneg. Fälle sind oft schwierig zu diagnos-
tizieren.
• Rö: ▶ Abb. 16.3; Gelenkveränderungen: Klassifikation nach Larsen: Grad 0–5.
• Sono: Ergussdiagn., Erfassung paraartikulärer Weichteilschwellungen.
• Labor: BSG ≥ 20/40 mm/h nach Westergren, RF-Nachweis in 70 %, Nach-
weis von Anti-CCP-AK als sehr spezifischem Zeichen (Anti-CCP-AK-Nach-
weis plus Morgensteifigkeit der Gelenke ≥ 60 Min. = Wahrscheinlichkeit ei-
ner RA von ca. 90 %), CRP ≥ 1 mg/dl, Hb ≤ 12 g/dl (sekundäre hypochrome,
mikrozytäre Anämie), Serumeisen ≤ 50 μg/dl, Serumelektrophorese: α1-
Globuline ≥ 4,1 %, α2-Globuline ≥ 10 %, γ-Globuline ≥ 20,5 %; Gelenkpunkti-
on ▶ 3.2.
• DD: Manchmal sehr schwierig, oft aufwändige technische Diagn. (▶ 16.4). 16
RA-Sonderformen
Maligne RA: In ca. 8 % besonders schwerer Verlauf mit massiver Störung des AZ,
schweren Gelenkdestruktionen, sehr hoher BSG und hohen RF- und Anti-CCP-
Titern, häufig mit ANA. Spricht auf medikamentöse Ther. nicht oder unzurei-
chend an.
Pfropf-RA: Mischform, bei der erst nach Bestehen einer Fingerpolyarthrose arth-
ritische Synovialitiden im Bereich der MCP-, PIP- und Handgelenke auftreten.
Alters-RA (Late Onset): Beginn nach dem 60. Lj., bei ca. ⅓ der Pat. akut. Ge-
schlechtsverteilung fast ausgeglichen. Gelenkbefallmuster häufig atypisch (mono-
artikulär, asymmetrisch, unilateral, große Gelenke, speziell Schultergelenk beim
M). Häufig schubhaft progressiver Verlauf, ausgeprägte Muskelatrophie, symme-
trische stammnahe Muskelschmerzen, schlechter AZ, Kontrakturen. Hohe BSG
(> 60 mm/h, DD: Polymyalgia rheumatica!). Gute Progn.
632 16 Rheumaorthopädie 

Therapie
Bislang keine kausale Ther.: medikamentöse und physik. Ther. stehen immer an
erster Stelle. Ther. u. a. abhängig von Krankheitsaktivität, Stadium, NW, Compli-
ance des Pat., Diagnosesicherheit. Die einzelnen Ther.-Formen greifen ineinander
und führen häufig nur bei komb. Anwendung zum Erfolg.
Medikamente
• Ther. unter Einbeziehung der Biologika heute in 80–90 % erfolgreich, erfor-
dert viel Erfahrung (Führung durch internistischen Rheumatologen)! Frühe,
aggressive Ther. erhöht Remissionsrate und verbessert den Langzeitverlauf.
• Bei unzureichendem Ansprechen nach 3 Mon. Ther.-Eskalation, bis Krank-
heitsaktivität unter Kontrolle.
• NSAR nur als Begleitmedikation oder bei sehr milden Verläufen als Ein-
zelther. sinnvoll.
• Glukokortikoide passager und bei schweren Fällen, niedrig dosiert auf Dauer.
• Langfristige Basisther. fast immer notwendig.
– Wichtige Voraussetzungen: Diagn. gesichert, nachgewiesene entzündliche
Aktivität bzw. Progredienz, keine KI, Compliance des Pat. gesichert.
– Ziel: Erreichen einer weitgehenden Remission, ggf. durch Komb. mehre-
rer Basistherapien.
– Medikamente: MTX (▶ 16.5.3) als Standard der Ther. bei hoher Entzündungs-
aktivität und progredientem Verlauf. Ggf. Chloroquin (▶ 16.5.3) bei geringer
Entzündungsaktivität. Sulfasalazin (▶ 16.5.3) bei mäßig aktiven Fällen. Bei
MTX-Unverträglichkeit oder als Komb.-Präparat Leflunomid (▶ 16.5.3). Heu-
te sehr selten intramuskuläres Gold (▶ 16.5.3). Bewährte Komb.-Ther.: MTX/
Sulfasalazin/Hydroxychloroquin (sog. O'Dell-Schema), MTX/Leflunomid.
! Basisther. erfordert engmaschige klin. und laborchem. Kontrolluntersu-
chungen.
– Versagen der Basisther.: Behandlung mit Biologika.
• Intraartikuläre Inj.: Glukokortikoide (▶ 16.5.5), Synoviorthese.
Weitere konservative Therapie
• Physik. Ther.: Kein Medikament ohne physik. Ther., individuell zusammen-
stellen: KG (▶ 20.1), Wärme- bzw. Kältether. (▶ 20.3) je nach Krankheitsakti-
vität. Hydrother.
16 • Ergother.: Gelenkschutz ▶ 20.7.8, ADL ▶ 20.7.7.
• Orthopädietechnische Maßnahmen: Orthesen und Orthoprothesen, Schuh-
zurichtungen.
• Häufig soziale, sozialmedizinische und psychologische Beratung erforderlich
(Depressionen).
• Kurortther., Balneother., Kältether.
Operative Therapie
▶ 16.7.
• Frühsynovektomie (▶ 16.7.2, oder chem. oder Radiosynoviorthese), wenn Ba-
sisther. über mind. 6 Mon. nicht erfolgreich.
• Endoprothesen (▶ 16.7.2); Arthrodesen.
Verlauf und Prognose
Bei Diagnosestellung nicht voraussagbar, chron. Verlauf über Jahre. Ca. 15 % Re-
mission, 75 % schubweiser Verlauf mit relativ großer Variationsbreite, 15 % un-
kontrollierbarer bis maligner Verlauf. Lebenserwartung etwas reduziert. Ca. 50 %
der Pat. sind nach 15 J. noch arbeitsfähig. Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  633

16.8.2 Arthritissonderformen mit Beteiligung anderer


Organsysteme
Sjögren-Syndrom
Definition
H. Sjögren: Schwedischer Ophthalmologe. Entzündung und Zerstörung insbes.
der Tränen- und Speicheldrüsen mit dadurch bedingter Verminderung der Sekre-
tionsleistung → Trockenheit der Schleimhäute (Sicca-Sy. = primäres Sjögren-Sy.).
Typisch: Keratoconjunctivitis sicca (Xerophthalmie), Mundtrockenheit (Xerosto-
mie). Sekundäres Sjögren-Sy.: Sicca-Sy. bzw. Symptomatik bei RA oder Kollage-
nosen insbes. SLE, Sklerodermie, Dermatomyositis (▶ 16.8.10).
Klinik
Mundtrockenheit, Keratoconjunctivitis sicca mit Fremdkörpergefühl und Horn-
hautulzerationen. In ca. 30 % Parotisschwellung. Heiserkeit und Reizhusten bei
Befall von Drüsen des Nasen-Rachen-Raums. Auch Befall anderer Drüsen mögl.,
z. B. Pankreatitis. Gelenkschmerz und -schwellung.
Diagnostik
• Schirmer-Test: Funktionsprüfung der Tränendrüsen mit Filterpapier (muss
innerhalb von 5 Min. etwa 15 mm weit angefeuchtet sein, < 5 mm sicher pa-
thol.).
• Labor: γ-Globuline ↑↑↑, ANA mit typischem ENA-Muster (SS-A- und SS-
B-AK), häufig RF schwach pos.
• Evtl. Biopsie (z. B. Unterlippenschleimhaut).
Therapie
Symptomatisch: Künstliche Tränenflüssigkeit, Filmbildner wie Bromhexin,
0,5-prozentige Methylzellulose. Mundspray, Mukositis-Lsg., Glukokortikoide
(▶ 16.5.2) bei Organmanifestation und Vaskulitis. In schweren Fällen Immunsup-
pressiva (▶ 16.5.3). Mundhygiene, Pilocarpin einschleichend, Einzelfälle Rituximab.

Morbus Adamantiades-Behçet
B. Adamantiades, griechischer Augenarzt, H. Behçet, türkischer Dermatologe. Er-
kr. v. a. im vorderen Orient und Japan häufig, in Deutschland selten.
Vaskulitis der Arterien und Venen mit variablem Organbefall. Hauptmanifestati- 16
on 3.–5. Ljz.
Klinik
Bunte Symptomatik, deswegen oft schwierige Diagnosestellung („Chamäleon“).
Klassische Trias aus 1. Stomatitis aphthosa (entstehen meist aus roter Papel, die
zerfällt), Genitalulzera, 2. Iridozyklitis/Uveitis (Gefahr der Erblindung), 3. Papeln
und Pusteln der Haut. Weiterhin Arthritiden (in 50 %) meist in Form rez. Oli-
goarthritiden an der unteren Extremität, ZNS-Beteiligung (z. B. Enzephalitis,
Hirnstammsymptomatik, Sinusvenenthrombose), Thrombophlebitis, Erythema
nodosum, arterielle Aneurysmen, aseptische Knochennekrosen möglich.

Kein Morbus Behçet ohne orale Ulzera!

Diagnostik
Labor: BSG ↑. Akute-Phasen-Proteine ↑.
634 16 Rheumaorthopädie 

Therapie und Prognose


• Colchicin 0,5–1 mg/d. Glukokortikoide (▶ 16.5.2) und Immunsuppressiva
(▶ 16.5.3) v. a. bei ZNS-Beteiligung und Uveitis. Symptomatische Ther. von
Aphthen und Ulzera, ggf. Biologika.
• Überwiegend benigner Verlauf, KO bei Augen- bzw. ZNS-Befall.
Löfgren-Syndrom (akute Sarkoidose)
S. H. L. Löfgren, Stockholm.
Klinik und Diagnostik
Hauptsymptome meist symmetrische, schmerzhafte Gelenkschwellungen vorwie-
gend an unterer Extremität (OSG, Knie), Erythema nodosum. Fast immer hiläre
Lymphadenopathie, Fieber. ACE im Blut meist nur bei chron. Verläufen erhöht.
Therapie
NSAR, lokal Eis bei Arthritis. Glukokortikoide (▶ 16.5.2) bei Persistenz der Sarko-
idose und Hinweis auf Organbeteiligung.

Still-Syndrom des Erwachsenen


E. G. L Bywater, Rheumatologe, London. Sehr selten.
Klinik und Diagnostik
• Leitsymptom: Anhaltendes Fieber (oft septisch, kann anderen Symptomen
monatelang vorausgehen) Arthralgien, Arthritiden, Exanthem. Weiterhin
Lymphadenopathie, Pharyngitis, Splenomegalie.
• Labor: Starke Leukozytose und Linksverschiebung, BSG ↑, RF neg., Ferritin
↑↑↑.
Therapie
Antiphlogistika (▶  16.5.1), Glukokortikoide (▶  16.5.2), ggf. Immunsuppressiva
und Biologika.

Felty-Syndrom
Augustus R. Felty, Internist, Hartford.
Klinik und Diagnostik
16 • Seltene, schwere Verlaufsform der seropos. RA bei Erwachsenen.
• Rheumaknoten mit Splenomegalie, rez. Inf., chron. US-Ulzera (Vaskulitis).
• Labor: Leuko-, Thrombozytopenie, hohe RF-Titer.
Therapie
• Wie bei RA, Glukokortikoide, Immunsuppressiva.
• Splenektomie in Ausnahmefällen bei rez. Inf. infolge der Neutropenie.

16.8.3 Juvenile idiopathische Arthritis (JIA)


Definition
Heterogene Gruppe (mind. 6 Entitäten) von Gelenkerkr. im Alter ≤ 16 J. (Arthri-
tisdauer ≥ 6 Wo). Überwiegend akute Formen. Progn. unterschiedlich, insgesamt
besser als bei Erw.-RA.

Formen und Klinik


▶ Tab. 16.11.
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  635

Tab. 16.11  Klassifikation der JIA nach ILAR (International League of Associa-
tions for Rheumatology) [nach F900–001]
Form Charakteristika Klinik und Diagnostik
Systemische Kleinkindesalter • Schwerkranke Kinder
JIA (Morbus • Arthritis > 1 Gelenk nach Fieberepisode ≥ 2 Wo.
Still)5–10 % und mind. ein weiteres Symptom:
– Flüchtiges rötliches Exanthem
– Generalisierte Lymphknotenschwellung
– Hepato- und/oder Splenomegalie
– Serositis, oft Perikarditis
• In ca. 40 % oligoartikulär, in 60 % polyartikulär,
vorwiegend Handgelenke, später auch Knie,
Hüftgelenke → Destruktionen. Oft Minder-
wuchs. Amyloidose als langfristige KO mögl. in
5–10 % (→ Niereninsuff.)
• Labor mit ausgeprägten Entzündungszeichen:
BSG ↑, CRP ↑↑↑, Leuko-, Thrombozytose. Ferritin
↑↑↑, Gelenkpunktat zellreich. RF und ANA neg.
JIA seroneg. Beginn im gesam- • Symmetrische Polyarthritis (> 5 Gelenke) klei-
Polyarthritis- ten Kindesalter ner (Hand) und großer Gelenke
ca. 15 % möglich. Häufig • Veränderungen an Epiphysen und Knochen-
schon im 1. Lj. kernen führen zu ausgeprägten Fehlstellun-
Mädchen häufi- gen und Deformitäten
ger • RF neg., in ca. 25 % ANA pos.
JIA seropos. Häufig präpuber- • Symmetrische Polyarthritis
Polyarthritis< täre Mädchen. • Verlauf rasch progredient, daher früher Ther.-
5 % Erkr.-Muster wie Beginn wichtig!
bei Erw. RA • RF pos. In ca. 65 % ANA pos.
• Meist auch CCP-AK pos.
JIA Oligoar- Erkr.-Gipfel im • Beginn meist mit Monarthritis, Knie, OSG be-
thritisca. Alter von 1–3 J., vorzugt. In bis zu 50 % chron. rez. Iridozyklitis
50 % v. a. Mädchen. (regelmäßige augenärztliche Untersuchung!)
• In ca. 70 % ANA pos. → erhöhtes Risiko einer
Iridozyklitis
Subgruppen • Persistierend = kumulativ < 4 Arthritiden
• Erweitert = kumulativ > 4 Arthritiden
JIA juvenile
Psoriasisarth-
In jedem Alter.
Mädchen häufi-
• Asymmetrische Oligoarthritis, z. T. mit Iridozy-
klitis (v. a. ANA pos.) oder Enthesitis und/oder
16
ritis (PsA)ca. ger betroffen Sakroiliitis, oft Strahlbefall (Daktylitis), Nagel-
10 % veränderungen in 80 %
• In 50 % Auftreten vor Hautveränderungen
• Pos. Familienanamnese
• HLA-B27 pos. ca. 25, ANA pos. 50 %
JIA Enthesitis Jungen vor der • Häufig als reaktive Oligoarthritis oder bei
assoziierte Pubertät Morbus Crohn/Colitis ulcerosa
Arthritisca. • Oligoarthritiden und Enthesitiden (v. a. Ferse)
15 % meist vor sichtbaren Veränderungen am Ach-
senskelett
• Bei axialer Beteiligung mit Sakroiliitis Über-
gang in juvenile Spondyloarthritis möglich
• Iridozyklitis mögl. (bis 20 %), eher akuter Verlauf
• Pos. Familienanamnese
• HLA-B27 pos. (85 %), ANA pos. 25 %
JIA undiffe- Arthritiden, die nicht eindeutig den o. g. Sub-
renzierte Ar- gruppen zugeordnet werden können
thritis
636 16 Rheumaorthopädie 

Besonderheiten im Kindesalter
• v. a. kleine Kinder klagen wenig über Gelenkschmerzen, sondern entlasten
das Gelenk, was rasch zu gelenkspezifischen Schonhaltungen, Ausweichbewe-
gungen, Fehlbelastungen und schließlich Fehlstellungen führt. Bei schmerz-
hafter Arthritis daher immer an septische Arthritis oder hämatologisch onko-
logische Erkr. denken!
• Kiefergelenk häufiger als beim Erw. mitbetroffen (MRT!).
• Wachstumsminderung: Generalisiert und lokal an den betroffenen Gelenken.
• Iridozyklitis häufiger als beim Erwachsenen.
Iridozyklitis
Chron. Form: Schwerwiegende KO → Gefahr der Erblindung. Ther.: Lokal
Kortikoide und Mydriatika bei schweren Verläufen auch systemisch. Augen-
arzt! Rheumatologe!
Bei JIA immer an mögl. Augenbeteiligung denken.

Differenzialdiagnose der Mon- oder Oligoarthritis im Kindesalter


! Coxitis fugax (▶ 13.1.12).
• JIA mit ihren Subtypen (▶ 16.8.3).
• Virale (z. B. Hepatitis B, Zytomegalie, Röteln) Inf. (▶ 16.8.7).
• Reaktive Arthritiden nach Inf. (▶ 16.8.8).
• Bakt. Arthritiden, Osteomyelitis (▶ 8.4, ▶ 8.5).
• Hämatologische Erkr.: Leukämien, Sichelzellanämie, Thalassämie, Hä-
mophilie (▶ 14.9).
• Synovialiserkr.: z. B. Hämangiome, villonoduläre Synovitis (▶ 13.2.31).
• Kollagenosen (▶ 16.8.10).
• Malignome: z. B. Ewing-Sarkom (▶ 14.5.3), Neuroblastom.
• Trauma.
• Osteochondrosis dissecans (▶ 13.2.16), Mobus Perthes (▶ 13.1.13).
• Infantile Sarkoidose (Säuglings- oder Kleinkindesalter).

Therapie
16 Medikamente
• Zunächst NSAR (▶ 16.5.1) wie Diclofenac 2–3 mg/kg KG/d oder Ibuprofen
15–20 mg/kg KG/d oder Indometacin 2–3 mg/kg KG/d. ASS 60–100 mg/kg
KG/d, cave: NW! Mit Nahrung einnehmen. Medikationsdauer abhängig vom
Verlauf.
• Basismedikamente: MTX, Chloroquin, Sulfasalazin, Biologika (▶ 16.5.4).
• Glukokortikoide (▶ 16.5.2) systemisch über längere Zeit nur mit größter Zu-
rückhaltung einsetzen (Gefahr von Wachstumshemmung, Osteoporose, asep-
tischen Knochennekrosen), Ind. bei schweren, sonst nicht beherrschbaren
Verlaufsformen.
• Lokale Ther.-Formen wichtig: Insbes. bei Oligoarthritis. Bei Iridozyklitis; i. a.
Inj. (▶ 16.5.5).
Weitere Therapie
• KG, Ergother., individuelle Hilfsmittelversorgung, Orthesen (z. B. Schienen,
Dreirad, Gehstützen); lokal Kälte, Wärme. Sozialmedizinische Betreuung (In-
formation, Beratung, Gesprächsther.).
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  637

• Intraartikuläre Steroidinjektion, v. a. bei Oligoarthritis.


• OP: Arthroskopische Synovektomie bei Ther.-Resistenz (Zurückhaltung beim
Kleinkind, da in NB gute Kooperation des Kinds erforderlich). Evtl. Achsen-
korrektur bei schweren Deformitäten und Kontrakturen. In Einzelfällen (Ju-
gendliche) bei schweren Destruktionen z. B. des Hüftgelenks → TEP
(▶ 13.1.5).

16.8.4 Spondylitis ankylosans (SPA, Morbus Bechterew)


Definition
Chron. entzündliche seroneg. (RF neg.) Systemerkr. v. a. des Achsenskeletts (mit
starker Ossifikationstendenz) und der Gelenke. Fakultative Beteiligung innerer
Organe. M : F = 3 : 1; Krankheitsbeginn überwiegend 15.–40. Lj. Prävalenz in Eu-
ropa ca. 1 %. Genetische Prädisposition (HLA-B27 in ca. 90 % pos.), pos. Famili-
enanamnese.

Klinik
Stadien
Verdachts- bzw. Frühstadium (Mon. bis Jahre): Frühdiagnose manchmal sehr
schwierig (z. B. Rö neg.; blander Verlauf):
• Entzündl. Rückenschmerz mit Morgensteifigkeit, oft gutes Ansprechen auf
NSAR. Enthesitiden (Schmerz/Entzündung an Sehnenansätzen), Fersen-
schmerz, Motilitätseinschränkung der WS.
• BSG und Rö noch stumm! Bei ca. 25 % als erstes Symptom oder parallel Ar­
thralgien oder Mon- und Oligoarthritiden meist der unteren Extremität oder
der großen Gelenke.
• Familiäre Belastung? Uveitis?
• Körperl. Untersuchung: Schober-, Ott-Zeichen, Kinn-Jugulum-Abstand, Fin-
ger-Boden-Abstand, Brustumfang, Klopf- und Stauchungsschmerz der SIG,
Einschränkung der Atembreite (▶ 10.3)?
Stadium der SIG-Beteiligung: Nachweis einer Sakroiliitis („buntes Bild“) im Rö
erst nach Mon. bis Jahren, bei kurzer Krankheitsdauer MRT.
Stadium mit Nachweis des WS-Befalls: Versteifung meist von thorakolumbal
ausgehend. Verlust der Lendenlordose. Spondylitis ant. führt zu Verkürzung und 16
Verknöcherung des vorderen Längsbands und zur Kyphosierung. Weitgehende
Versteifung der WS inkl. der HWS (Bambusstab). Häufig Spätarthritis (Hüftge-
lenke). Verminderung der Atembreite.
Endstadium: Entweder Stillstand in irgendeinem Verlaufsstadium oder Entwick-
lung eines Endzustands mit völlig eingesteifter WS, evtl. kardiale Beteiligung:
Aortitis, Aortenklappeninsuff. Sekundäre Amyloidose.

Definition entzündlicher Rückenschmerz ASAS (Assessment of Spondyloar­


thritis International Society) 2009:
• Alter bei Symptombeginn ≤ 40 J.
• Schleichender Beginn.
• Besserung bei Bewegung.
• Keine Besserung in Ruhe.
• Nächtlicher Schmerz (Besserung durch Aufstehen).
Zur Diagnose müssen 4 der 5 Parameter gegeben sein.
638 16 Rheumaorthopädie 

ASAS (Assessment of Spondyloarthritis International Society) Kriterien für


axiale Spondyloarthritis 2009
Sakroiliitis in der Bildgebung plus ≥ 1 SPA-Parameter oder LA-B27 pos.
plus ≥ 2 SPA-Parameter.
Bildgebung: Aktive entzündliche Läsion im MRT vereinbar mit SPA-assozi-
ierter Sakroiliitis oder definitive radiologische Sakroiliitis gemäß mod. New-
York-Kriterien.
SPA-Parameter:
• Entzündlicher Rückenschmerz.
• Arthritis.
• Enthesitis (Achillessehne oder Plantarfaszie).
• Uveitis.
• Daktylitis.
• Psoriasis.
• Chron. entzündliche Darmerkr. (Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa).
• Gutes Ansprechen auf NSAR.
• Pos. Familienanamnese für SPA.
• Pos. HLA-B27.
• Erhöhtes CRP.
Extravertebrale Manifestationen
• Periphere Arthritis: In ca. 80 % als Mon- oder Oligoarthritis, Befall der Hüft-
gelenke, häufig destruierende Verläufe, die sich klin. und radiologisch nicht
von der RA abgrenzen lassen.
• Enthesitis ca. 50 %, bereits 20 % bei Erstvorstellung, und entzündliche Verän-
derungen an Synchondrosen: Häufig an Symphyse und Sternumfuge zwi-
schen Korpus und Manubrium. Tendoostitis (Sitzbein, Trochanter major,
Darmbeinkamm, Fersenbein).
• Iritis (ca. 10 %), Urethritis, Prostatitis, Assoziation mit entzündlichen
Darmerkr. (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa).

Diagnostik
Röntgen/MRT
16 Rö maßgeblich für Diagnose! Nichtradiologische axiale Spondyloarthritis durch
MRT.

Differenzialdiagnosen der ISG-Veränderungen


! 
Deg.: Sakroiliakalarthrose, Kapselverknöcherung (Spondylosis hyper-
ostotica).
• Entzündlicher Umbau: Spondylitis ankylosans (Sakroiliitis), JIA (Synosto-
se), Psoriasisarthritis, reaktive Arthritis, Enteropathien, Arthritis urica.
• Ostitis condensans: Iliakale trianguläre Hyperostose, meist Pluriparae.
• Pseudoarthritischer Umbau: Ossipenische Osteopathien: Osteoporose,
Osteomalazie, Hyperparathyreoidismus, Hypogonadismus.
• Einseitiger Umbau: Produktive Osteopathie: Ostitis deformans Paget,
Osteomyelosklerose.
• Einseitige Destruktionen: Infekte, z. B. Osteomyelitis, Tbc, Brucellose.
• Gutartige und bösartige Tumoren (Metastasen, z. B. Prostata-Ca).
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  639

• SIG (BÜ, evtl. CT): Pseudoerweiterung, fast immer doppelseitig. Später perl-
schnurartige Randusuren, nebeneinander von Osteolysen und Reparationen
(Sklerosen) „buntes Bild“ (simultan Erosions-, Sklerose-, Ankylosezeichen). Spä-
ter zunehmende Ankylosierung mit vollständiger knöcherner Durchbauung.
• WS: Sichtbare Veränderungen häufig erst nach mehreren Jahren, i. d. R. am
thorakolumbalen Übergang (▶ Abb. 16.4).

16

Abb. 16.4  Röntgenologische DD des Morbus Bechterew [L106]

– Syndesmophyten charakteristisch: Flache Knochenspangen, die den Zwi-


schenwirbelraum überbrücken. Spondylitis ant., zuvor Unschärfe der
Vorderkante („Shining Corner“).
– Kastenwirbel: Rechteckstruktur der veränderten Wirbel nach Ausfüllung
der Konkavität der Vorderkante durch periostalen Knochenanbau.
– Anderson-Läsion (O. Anderson, schwed. Radiologe, 1932): Erosionen
und Sklerosen der Deckplatten speziell in fortgeschrittenen Stadien.
640 16 Rheumaorthopädie 

­ raglich Spondylodiszitis. Zusammenhang mit Stressfraktur der Bögen


F
speziell in Bereichen besonderer mechanischer Beanspruchung.
– Schienenphänomene: Ankylosierung von Intervertebralgelenken sowie
Kapseln und Ligamenten erscheint im a. p. Strahlengang „zweigleisig“
oder bei Verknöcherung der Ligg. supraspinalia „dreigleisig“.
• MRT: Mit fettunterdrückter Sequenz oder KM-Gabe am sensitivsten bei
Frühformen ohne radiologische Veränderungen: Subchondrales Knochen-
marködem des SIG mit KM-Enhancement, beg. Erosionen, Romanus-Läsio-
nen an den WK-Vorderkanten. Heute Standard der Frühdiagnostik.
Labor
BSG ↑ (keine strenge Beziehung zur Aktivität), CRP besser; HLA-B27 in ca. 90 %
pos. → nur hinweisend!

Differenzialdiagnosen
Alle Spondyloarthritiden (Psoriasisarthritis, reaktive Arthritis, Arthritis bei
Darmerkr.), bakt. Sakroiliitis, bakt. Spondylitis, Ostitis condensans ilii. Deg. WS-
Erkr., Spondylitis hyperostotica, RA.

Therapie
Konservative Therapie
• NSAR (▶ 16.5.1): Z. B. Indometacin 3 × 25 (–50) mg/d oder Diclofenac 3 ×
50 mg/d; evtl. zusätzlich für die Nacht 1 Supp. 50–100 mg. Nur bei peripherer
Gelenkbeteiligung: Sulfasalazin, MTX.
• Bei Versagen von 2 NSAR: TNF-Hemmern.
! Konsequente KG! Tgl. selbstständige Übungen! Sport! Auch Gruppenbe-
handlung. Körperdisziplin. Nächtliche Flachlagerung.
• Physik. Ther., z. B. Ultraschall (▶ 20.5.3) an schmerzhaften Regionen.
• Ergother. (▶ 20.8).
• Balneother.
Operative Therapie
• Problem: In schwereren Fällen Versteifung in kyphotischer Fehlstellung →
Einschränkung von Blickfeld und Sichtkontakt. Bei noch erhaltenem hori-
zontalem Blick i. d. R. keine OP-Ind.
16 • Aufrichtung z. B. durch monosegmentale Keilosteotomie nach Smith-­Petersen
bei L2/L3 mögl.; heute werden mehrsegmentale Wirbelbogenosteotomien mit
transpedikulärer Fixierung (dorsale Lordosierungsspondylodese) bevorzugt.
Zur äußeren Stabilisierung und Sicherung des Korrekturergebnisses postop.
6- bis 9-monatige Gips- und Korsettbehandlung erforderlich.
• Kyphosierung im Bereich des zervikothorakalen Übergangs kann durch dor-
sale Keilosteotomie bei C6–Th1 (nach Mason und Urist) aufgerichtet werden.
Dabei werden der Wirbelbogen C7 weitestgehend sowie die Bögen C6 und
Th1 teilweise reseziert. Der mit dem Halo gesicherte Kopf wird dann vorsich-
tig in die gewünschte Extensionsstellung gebracht. Eine 3-monatige Ruhigstel-
lung im Halo-Body-Jacket (▶ 23.2.4) ist i. d. R. ausreichend.

Komplikationen
• Maligner Verlauf mit rascher Progredienz und Panarthritis. Bei Enterokoliti-
den häufig letale KO. In fortgeschrittenen Stadien Ventilationsstörungen
durch gestörte Atemmechanik. Amyloidose in 15–20 %.
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  641

• WS-Frakturen aufgrund fehlender Elastizität und Osteoporose recht häufig.


I. d. R. instabile Frakturen, da alle drei Säulen (▶ 10.5.1, vorderer und hinte-
rer WK-Bereich sowie Bogenstrukturen) beteiligt sind. Daher ausgeprägte
Gefahr von neurol. KO. Progn. speziell bei zervikalen Frakturen schlecht.
­Hohe Letalität. Sofortige Stabilisierung (Halo-Body-Jacket, ▶ 23.2.4 oder OP).

Bei jedem Sturz mit nachfolgenden WS-Schmerzen an Fraktur denken und ent-
sprechend transportieren und versorgen! Ausgeprägte Gefahr von neurol. KO!

Prognose
Verlauf sehr variabel (maligne – blande). Erkr. kann in jedem Stadium stehen
bleiben. Bei frühem Beginn vor dem 18. Lj. meist schwer; ⅓ zeigt milde Verläufe,
bes. bei F. Nur in 5 % sehr schwere Verläufe. Ca. 80 % der Pat. bleiben erwerbsfä-
hig, nur selten Berufsbeeinträchtigung bzw. Umschulung.

16.8.5 Psoriasisarthritis (Arthritis psoriatica)


Definition
Seroneg. (RF neg.) Polyarthritis als Untergruppe der Spondyloarthritiden mit fa-
miliärer Häufung meist nach Manifestation der Psoriasis mit intraartikulärer Syn-
ovitis sowie extraartikulärem epi- und diaphysärem Knochenbefall (Osteoarthro-
pathia psoriatica). Bei Psoriasis in ca. 10–30 %.

Klinik
• Psoriasis (Schuppenflechte; Inzidenz 1–2 %) in ca. 80 % der Arthritis voraus-
gehend (gezielte Suche von Herden!).
• Ca. in 20 % Arthralgien.
• Beginn häufig akut, oligoartikulär, DIP-Gelenk eingeschlossen, oft asymmet-
rischer Befall, häufig Strahlbefall („Wurstfinger“). Daktylitis, aber auch sym-
metrische Polyarthritis möglich.
• Beteiligung des Achsenskeletts in ca. 10 %, Enthesitis in ca. 50 % (v. a. Ferse
und/oder Plantarfaszie). Sakroiliitis in ca. 20 %, Uveitis in ca. 10 %.
• Im Unterschied zur RA CRP und BSG oft normal oder nur wenig erhöht.
• Sonderform: SAPHO-Sy.: S = Synovitis (Arthritis) 23 %, A = Acne (pustulosa) 16
12 %, P = Pustulose (Psoriasis palmaroplantaris pustulosa) 69 %, H = Hyper-
ostose (meist Sternoklavikulargelenk oder WS) 52 %, O = Osteitis (sterile Os-
teomyelitis) 33 %.
– Buntes, sehr variables Krankheitsbild, mit Psoriasis palmoplantaris pustu-
losa (episodenartig, befällt nur Handflächen und Fußsohlen) assoziiert so-
wie mit entzündlichen Darmerkr. und Psoriasis.
– Häufigstes Symptom: Sternoklavikulararthritis, nur selten sind alle Anteile
des SAPHO-Sy. vertreten. Verwandtes Krankheitsbild: Chron.-rez. sterile
multifokale Osteomyelitis (CRMO) v. a. der langen Röhrenknochen, Be-
cken und WS.

Diagnostik und Differenzialdiagnosen


• Rö: Häufig Endgelenke beteiligt. Nebeneinander von Knochenan- und -abbau.
Gleichzeitig arrosive und produktive Kapselansatzläsionen. Mutilationen.
• DD des SAPHO-Syndrom: Sternoklavikulararthrose, septische Sternoklavi-
kulararthritis.
642 16 Rheumaorthopädie 

Therapie
• 1. Wahl sind NSAR (▶ 16.5.1).
• Basisther.: Bei Nichtbeherrschbarkeit, MTX, Leflunomid, Ciclosporin A
(▶ 16.5.3). Glukokortikoide (▶ 16.5.2). Sulfasalazin, TNF-Hemmer (▶ 16.5.3).
• Radiosynoviorthese (▶ 16.6.1), operative Ther., physik. Ther. wie bei RA.
• Psoriasis (nichtinfektiös oder -kontagiös): Dermatologe; Ultraviolettbestrah-
lung, „Fotochemother.“, Salbenbehandlung, Kurortther.

Verlauf und Prognose


i. d. R. gutartiger als bei RA.

16.8.6 Reaktive (para-/postinfektiöse) Arthritis


Definition
Immunprozesse, die nach unterschiedlicher Latenzzeit nach einer Inf. zur Ent-
zündung der Gelenke führen. Arthritiden (v. a. größere Gelenke), die kurz nach
Abklingen eines Infekts auftreten und sterile Gelenkergüsse zeigen. RF neg.
Bei der Borrelien- und Chlamydienarthritis wurde jedoch auch der Erreger selbst
bzw. Bestandteile davon im Gelenk nachgewiesen.
Häufig kommt es im Rahmen einer reaktiven Arthritis zu einer extraartikulären
Beteiligung: Konjunktivitis, Urethritis M : F = 20 : 1, Hautbeteiligung, bevorzugtes
Alter 20.–40. Lj.
HLA-B27 in ca. 80 % pos., RF neg.

Ätiologie
Auslösung durch sporadische Darminfekte, häufig durch venerische Infektion,
v. a. Chlamydia trachomatis (▶ Tab. 16.12).

Tab. 16.12  Erreger, die eine reaktive Arthritis auslösen können


Darmerkrankungen Durch Geschlechts- Andere
verkehr übertragen

• Yersinien • Chlamydien • β-hämolysierende Streptokokken


• Campylobacter jejuni • Ureaplasmen der Gruppe A
16 • Salmonellen
• Shigellen
• HIV
• Gonokokken
• Brucellen
• Viren (z. B. Hepatitis, Parvoviren)
• Clostridien • Andere exogene Antigene

Klinik
• Variables klin. Bild. Obligate (reaktive) Arthritis folgt i. A. der Urethritis und
der Konjunktivitis. Letztere können fehlen oder auch nicht bemerkt werden!
• Typisch ist eine Oligoarthritis (nicht destruierend) der unteren Extremität,
häufig zusätzlich Enthesitis im Fersenbereich.
• Oft zusätzlich Haut- und Schleimhautveränderungen: Balanitis circinata, pa-
pulopustulöse parakeratotische Exantheme insbes. an Handinnenseite und
Fußsohle, Erythema nodosum, Stomatitis, Glossitis.
! 
Auf Iridozyklitis achten! Herzbeteiligung möglich.

Diagnostik
Klin., bei florider Urethritis Abstrich oder Chlamydia-trachomatis-PCR aus Erst-
strahlurin → Erregernachweis. HLA-B27 oft pos. Evtl. serolog. Erregernachweis.
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  643

Therapie
Bei florider Synovitis NSAR (▶ 16.5.1), evtl. Glukokortikoide (▶ 16.5.2), Tetrazyk-
line bei Chlamydien- oder Mykoplasmennachweis, Sexualpartner zeitgleich be-
handeln! Bei chron. Gelenkbefall evtl. Basisther., z. B. Sulfasalazin (▶ 16.5.3).

Prognose
Abheilung bei ca. 50 % innerhalb 6 Mon.; in 20 % rez. Verlauf, chron. Verläufe in
ca. 30 %: asymmetrische Oligo- oder Polyarthritis. Sakroiliitis meist zunächst ein-
seitig; Spondarthritis; Parasyndesmophyten typisch.

Formen
Nach gastrointestinalen Infekten
z. B. mit:
• Salmonellen (Erreger von Typhus, Paratyphus und Gastroenteritis – „Salmo-
nellose“): Evtl. mehrere Mon. anhaltende Arthritis möglich. Bei Erkr.-Ver-
dacht serologischen (▶ 16.4.1) oder Stuhlnachweis versuchen, Meldepflicht!
• Shigellen: Bakt. Ruhr. Shigellennachweis aus Stuhlkultur. Ca. 4 Wo. nach
Darminfekt Oligoarthritis.
• Yersinien (Y. pseudotuberculosis, enterocolica): In ca. 50 % Arthralgien/Ar-
thritiden (nach Ablauf der Darminf. als „Pseudoappendizitis“ oder Enteritis).
Nachweis: Immunoblot IgA-AK (▶ 16.4.1). Ther.: Symptomatisch mit NSAR;
Antibiose nur bei persistierendem Erregernachweis mit Ciprofloxacin 2 ×
500 mg/d oder Tetrazyklinen wie Doxycyclin 100 mg/d für Erw. In ca. 50 %
chron. Verlauf möglich.
• Campylobacter: I. d. R. ohne urologische oder ophthalmologische
­Affektionen.
Nach urogenitalen Infekten
Nach Infekten mit Gonokokken, Chlamydien, fraglich auch Mykoplasmen und
Herpes genitalis.
Parasiten
Selten (Ferntourismus): z. B. Zwergfaden-, Haken-, Medinawurm, Filarien, Bil-
harziose, Rinderbandwurm, Echinococcus, Amöben, Leptospiren. Diagn.: Eosi-
nophilie, Aufenthalt in Endemiegebiet, Nachweis von Parasiten in Blut, Stuhl,
Urin, immunologische Tests. 16
Akutes rheumatisches Fieber
Definition
Erkr. heute bei uns sehr selten. Akut verlaufende migratorische Polyarthritis im
Anschluss an eine Streptokokkenpharyngitis (β-hämolysierende Streptokokken
der Gruppe A).
Klinik und Diagnostik
• Hohes Fieber; akute schmerzhafte Polyarthritis großer Gelenke in ca. 50 %.
Karditis bei Kindern in ca. 40 % (Tachykardie, EKG-Veränderungen, Geräu-
sche, evtl. Perikarditis), Erythema marginatum, subkutane Knoten. Chorea
minor als sehr seltene Spät-KO.
• Labor: ASL-Titer deutlich ↑ (> 500 E; ▶ 16.4.1). Rachenabstrich in Frühphase
und vor Ther.-Beginn, Nachweis der β-hämolysierenden Streptokokken der
Gruppe A gefordert. Max. Titeranstieg nach ca. 3 Wo. BSG und CRP stark ↑.
644 16 Rheumaorthopädie 

Therapie
Über 2–3 Wo. Penicillin in hoher Dosis. Oral z. B. 4 × 400.000 IE Propicillin (Bay-
cillin®), i. m. Penicillin G 1 × 1 Mio. IE/d (▶ 24.2.2). Im akuten Stadium Bettruhe,
geeignete Lagerung zur Kontrakturprophylaxe. Lokal Eis auf betroffene Gelenke.
Rezidivprophylaxe mit z. B. Benzathin-Penicillin 1,2 Mio. IE alle 3 Wo.; beim Erw.
mind. 5 J., bei Kindern bis zum 20. Lj. Bei nachgewiesener Karditis lebenslang.
Verlauf und Prognose
Nur sehr selten Gelenkdestruktion. Karditis bestimmt Progn.

16.8.7 Virusbedingte Arthritis
Definition
Relativ häufige Reizzustände eines Gelenks bei Viruserkr. mit meist guter Progn.,
aber auch chron. schwere Arthritis bei Hepatitis C möglich.

Ätiologie
Erreger: Häufig Röteln-, Hepatitis-B- und -C-Viren, Arboviren der A-Gruppe,
Mumps-, Pocken-, Enteroviren, selten Influenza-Virusgruppe, Herpes-Viren,
­HI-, Parvo-B19-Virus.

Klinik und Diagnostik


• Sehr unterschiedliche Verläufe mögl. (flüchtige Arthralgie bis schwere Arthritis).
• Labor: BSG häufig normal, häufig reaktive Lymphozytose. Spezielle Serologie
richtungweisend.

Therapie
Schonung, Bettruhe in akuten Fällen, evtl. NSAR (▶ 16.5.1). Bei Hepatitis C Ver-
such der Viruselimination mit Ribavirin und Interferon, ggf. Basisther.

16.8.8 Borreliose (Lyme-Arthritis)
Definition
Durch Borrelia burgdorferi ausgelöste bakt. (Allg.-)Erkr., Übertragung meist
16 durch Zeckenstich.

Einteilung
3 Stadien, die aber nicht unbedingt alle nacheinander durchlaufen werden:
• I: Erythema chronicum migrans.
• II: Neurol. Manifestationen, Meningopolyneuritis.
• III: Arthritis, progressive Enzephalomyelitis.
Klinik

Wichtige DD zu rheumatischen Arthritiden mit zunehmender Bedeutung.


Ausschlussdiagnose! Lyme-Arthritis ist klin. Diagnose, pos. Borrelienserologie
ist nur Bestätigung.

• Nach Zeckenstich flächenhafte oder kokardenförmige Rötung (Erythema


chronicum migrans) in ca. 70 % der Fälle.
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  645

• Bei unbehandeltem Verlauf bei ca. 50 % der Pat. nach 1–3 Mon. Arthritiden
(hauptsächlich Knie und andere große Gelenke). Spontane Remission nach
wenigen Mon. In ca. 15 % mit Beteiligung des Nervensystems (Meningitis,
Enzephalitis, Radikulitis), DD: Mechanische Wurzelkompression. Evtl. peri-
phere Fazialisparese.

Diagnostik
• Zeckenstich in Anamnese (gezielt fragen!), typisches Erythem.
• Bei klin. Verdacht Serodiagn. richtungweisend: ELISA, IgG und IgM ↑ gegen
Borrelien (Bestätigung der ELISA durch spezifische Banden im Western-Blot).
• Auch nach suffizienter Ther. können die Borrelien-Titer über viele Jahre hoch
bleiben, Titerkontrollen deshalb ohne Hinweis auf Neuinfektion nicht emp-
fehlenswert.
• Schwieriger direkter Erregernachweis nur in Speziallabors, LTT nicht ver-
wertbar!

Therapie
In Frühstadien Doxycyclin 200 mg/d über 21–30 d (alternativ Amoxicillin). Bei
schwereren Fällen Cephalosporine, z. B. Ceftriaxon 2 g/d i. v. über 3 Wo. (▶ 24.2.3).
Im Allg. Ausheilung unter antibiotischer Ther.
Bei häufigen Zeckenstichen FSME-Impfung diskutieren, gleicher Übertragungs-
weg.

16.8.9 Arthritis bei gastrointestinalen Erkrankungen


Periphere Arthritiden bei Morbus Crohn in ca. 20 %, bei Colitis ulcerosa in ca.
10 %. Typisch akuter mono- oder oligoartikulärer Beginn. Dauer: Wo. bis wenige
Mon. Rezidive eher selten. Symptomlose Sakroiliitis in ca. 10 %, Spondylitis anky-
losans als assoziierte Erkr. in ca. 4 %, Morbus Whipple, Sprue.

16.8.10 Arthritis bei Kollagenosen und Vaskulitiden


Systemischer Lupus erythematodes (SLE), Sklerodermie,
Dermatomyositis, Polymyositis, Sharp-Syndrom 16
Klinik
Häufigste klin. Befunde:Arthralgien, Raynaud-Phänomen, Fingerschwellung,
Muskelschwäche, Myalgie/Myositis, Abgeschlagenheit, Hypergammaglobulin­
ämie.
Arthritiden: Bei Kollagenosen mit geringer Destruktionspotenz (vielfach flüchtig
und intermittierend). Manifestation bei den einzelnen Kollagenosen unterschied-
lich häufig, beim SLE bei ca. 90 % der Pat. im Verlauf der Erkr.: Häufig symmetri-
scher Befall der kleinen Gelenke an Hand und Fingern sowie Befall der Kniegelen-
ke. Keine wesentliche Gelenkdestruktion, durch entzündliche Veränderungen des
periartikulären Bindegewebes jedoch beträchtliche Fehlstellungen (ulnare Devia-
tion, Schwanenhalsdeformität).

Granulomatose mit Polyangiitis (Morbus Wegener)


Definition
Immunologisch bedingte systemische Vaskulitis.
646 16 Rheumaorthopädie 

Klinik
Arthralgien und Myalgien, in ca. ⅓ mono- oder oligoartikulärer Gelenkbefall oh-
ne wesentliche Destruktion. Lungenbeteiligung (Hämoptyse). Im Generalisati-
onsstadium (meist mit Nierenbeteiligung) Nachweis von cANCA-Antikörpern
mit Proteinase-3-Spezifität (hoch spezifisch).
Differenzialdiagnosen
Vaskulitisähnliche Symptome können auch ausgelöst sein durch:
• Inf.-Krankheiten: Viren (Herpes, HIV, Hepatitis u. a.), Bakterien (Spirochä-
ten, Streptokokken), Würmer (z. B. Ascaris) und Pilze (z. B. Aspergillus).
• Medikamente: Antirheumatika, Antibiotika, Thyreostatika u. a.
• Paraneoplastisch: z. B. durch Non-Hodgkin-Lymphome.
• Intoxikationen: z. B. Kokain, Morphin.

16.8.11 Polymyalgia rheumatica
Definition
Entzündliche Allgemeinerkr. des älteren Menschen (≥ 50 J.) bei ungeklärter Ätiol.
F : M = 2 : 1. Häufig assoziiert mit Riesenzellarteriitis (Arteriitis cranialis).

Klinik und Diagnostik


• Symmetrische Nacken-, Schulter- oder Beckengürtelschmerzen verbunden
mit Morgensteifigkeit und Schwäche der stammnahen Muskulatur.
• Häufigste Nebensymptome: Fieber, Kopfschmerzen, flüchtige Arthritiden, re-
duzierter AZ. Depressive Verstimmung, Nachtschweiß (95 %).
• Labor: Stark beschleunigte BSG („Sturzsenkung“).
! Cave: Bei Kopf- oder Kauschmerzen bzw. Visusstörungen an Arteriitis crani-
alis denken und unverzüglich Ther. einleiten!

Therapie
Zwingend Glukokortikoide (▶ 16.5.2); unkomplizierte Polymyalgie: 20 mg Pred-
nisolon initial, dann langsame Reduktion auf Erhaltungsdosis (< 5 bis max.
7,5 mg/d als Einmaldosis) über 12–18 Mon. Oft verblüffend schneller Erfolg! Os-
teoporoseprophylaxe! Bei V. a. auf Arteriitis temporalis höhere Prednisondosis,
16 z. B. 60–100 mg/d initial, da Erblindungsgefahr.

Komplikationen
Ischämische Insulte, Visusstörungen bis hin zur Erblindung.

16.8.12 „Weichteilrheumatismus“
Definition
Extraartikuläre nichtentzündliche (periartikuläre und gelenkferne) schmerzhafte
Bindegewebsveränderungen verschiedener Ursache und Lokalisation. Nomenkla-
tur nicht einheitlich (eher verwirrend!). Statische, dynamische, mikrotraumati-
sche, deg., klimatische und psychische Faktoren spielen ätiol. eine Rolle.

Formen
„Periarthropathie“: Sammelbegriff. Heute sollte man diese Krankheitsgruppe dif-
ferenzierter (z. B. bei der Periarthropathia humeroscapularis; ▶ 9.1.4) betrachten.
  16.8 Häufige Krankheitsbilder  647

Pannikulosen: Dermopannikulose fälschlich als „Zellulitis“ bezeichnet. Akrozya-


nose über umschriebenen Fettgewebspolstern. „Orangenhaut“ nur Ausdruck ei-
ner spezifischen weiblichen Binnenstruktur der Haut- und Unterhautregion.
Harmlos, kosmetisches Problem.
(Insertions-)Tendinosen, Tendopathien: Schmerzhafte Veränderungen an Seh-
nen, an Muskelansätzen oder -ursprüngen, aber auch an Kapsel- und Bandansät-
zen. Ursache: Lokale chron. Überlastung (gleichförmige Belastung, ungewohnte
Tätigkeit). Prinzipiell können alle Sehnen(ansätze) erkranken. Am häufigsten
sind Tendopathien im Bereich von Schulter, Ellenbogen, Knie und Ferse, Hüfte
(▶  7.2.1). Wichtige Lokalisationen: Epicondylus humeri, Rotatorenmanschette
(M. supraspinatus), Bizepssehne, Trochanter major, Patella, Pes anserinus, Achil-
lessehne.
Tendovaginopathien (Tendovaginitis, Tenosynovitis): Schwellungen und Ver-
dickungen des Sehnengleitgewebes bzw. der Sehnenscheiden (▶ 7.2.1).
Myosen: Lokal bis generalisiert. Oft Komb. mit Tendinosen (Tendomyosen,
▶ 7.2.3).
Fibromyalgie
Generalisierte chron. Schmerzerkr. mit vegetativer Begleitsymptomatik und psy-
chosomatischen Charakteristika, die sich an Skelettmuskulatur, Sehnen- und
Kapselgewebe abspielt. Hoher Leidensdruck in Abwesenheit von objektivierbaren
Befunden in Blut und Bildgebung (▶ 19.3.3).

16
17 Pädiatrie
Hans Mau, Steffen Breusch und Walter M. Strobl

17.1 Pädiatrische Untersuchung 17.3.3 Dysostosen 660


Hans Mau und 17.3.4 Komplexe Krankheitsbilder
Steffen Breusch 650 mit knöcherner
17.1.1 Orthopädische und neurologi- Beteiligung 661
sche Basisuntersuchung im 17.3.5 Chromosomenaberratio-
Neugeborenenalter nen 662
­(Screening) 650 17.3.6 Primäre Stoffwechselstörun-
17.1.2 Orthopädische gen 663
Basisuntersuchung im 17.3.7 Angeborene Fehlbildun-
Vorschul- und Schulalter 651 gen 663
17.2 Entwicklung und 17.3.8 Arthrogryposis multiplex
Skelettwachstum congenita 665
Hans Mau und 17.4 Geburtsverletzungen
Steffen Breusch 651 Hans Mau und
17.2.1 Motorische Entwicklungs­ Steffen Breusch 665
stadien 651 17.5 Kinder-Neuroorthopädie
17.2.2 Skelettwachstum 652 Walter M. Strobl 668
17.3 Fehlbildungen, angeborene 17.5.1 Infantile Zerebralparese
Skelettsystemerkrankungen (ICP, Morbus Little) 668
Hans Mau und 17.5.2 Spina bifida/Neuralrohrfehl­
Steffen Breusch 654 bildungen 673
17.3.1 Allgemeines 654
17.3.2 Wichtige Osteochondrodyspla-
sien 655
650 17 Pädiatrie 

Die wichtigsten orthop. Erkr. im Wachstumsalter betreffen WS und untere Ex-


tremitäten. Häufigere Erkr. des interdisziplinären Bereichs von Orthopädie
und Pädiatrie ▶ 10, ▶ 11 und ▶ 13.

17.1 Pädiatrische Untersuchung
Hans Mau und Steffen Breusch

17.1.1 Orthopädische und neurologische Basisuntersuchung


im Neugeborenenalter (Screening)
Anamnese
Schwangerschaft (z. B. Inf.-Krankheiten, Medikamente, KO), Geburt (z. B. KO,
Sauerstoffmangel), Familienanamnese (gehäuftes Auftreten in der Familie? Erb-
krankheiten?).

Inspektion, Palpation, Reflexprüfung, passive Beweglichkeit


Beobachtung
Körperhaltung (beim Neugeborenen überwiegt Beugetonus), Spontanmotorik
und Muskeltonus. Bewegung der Glieder, Lageasymmetrien, Faustschluss → Fehl-
bildungen, Lähmungen, Muskelhypo- oder -hypertonie.

Reihenfolge der Untersuchung


Untersuchung mit der Hüfte beginnen, da das Neugeborene am Anfang der
Untersuchung i. d. R. ruhiger ist.

Rückenlage
• Kopf, Hals: Schiefhals (▶ 10.6.4; Palpation M. sternocleidomastoideus), Kopf-
form, Schädelsymmetrie (Mikro-/Makrozephalus).
• Schulterregion: Klavikulafraktur (▶ 17.4), Klavikulaaplasie.
• Obere Extremität:
– Obere oder untere Plexusparese (▶ 17.4).
– Klumphand u. a. Handfehlbildungen.
• Untere Extremität:
– Hüfte: Dysplasie, Luxation (Instabilität, Ortolani-/Barlow-Zeichen, Ab-
duktionshemmung, Faltenasymmetrie, ▶ 13.1.7), schlaffe Parese bei Spina
bifida (▶ 17.5.2), Femurdefekt?
17 ! Hüftbeugekontraktur ist physiologisch!
– Knie: Arthrogrypose (▶ 17.3.8), Knieluxation, Patellaaplasie?
– Unterschenkel: Physiol. O-Bein; Tibia-/Fibuladefekt?
– Fuß: Klumpfuß, Sichelfuß, Hackenfuß, Plattfuß (▶ 13.3)?
• Reflexe: PSR, ASR, Bauchhautreflex, Babinski (normalerweise pos.), Fußklo-
nus, BSR, TSR, Radiusperiostreflex, Chvostek.
• Primitivreflexe: Handgreif-, Saug-, Suchreflex, Moro-Reaktion, symmetri-
scher und asymmetrischer tonischer Halsreflex.
   17.2  Entwicklung und Skelettwachstum  651

Bauchlage
• Heben und Halten des Kopfs.
• WS: Spina bifida, Dermalsinus, Sprengel-Deformität, Säuglingsskoliose
(Funktionsprüfung durch Schwenken des Rumpfs nach re/li)?
• Funktionsprüfung beim Aufrichten: Kopfkontrolle, Stehbereitschaft, Schreit-
reflex, Koordination.

Bei Auffälligkeiten oder pathol. Befunden: Unbedingt weitere Diagn. Bei


neurol. Auffälligkeiten Neuropädiater hinzuziehen!

17.1.2 Orthopädische Basisuntersuchung im Vorschul- und


Schulalter
• Verhalten, Motorik beobachten.
• Inspektion:
– Schulter- und Beckengeradstand, Vornüberbeugen → Skoliose, Schiefhals.
– X-, O-Beine.
– Fußform, Fußgewölbe, Haltung.
– Hinsetzen, Aufstehen: Muskeldystrophie (▶ 18.10)?
• Stehen, Gehen:
– Beinlänge.
– Hinken, Einwärts-, Auswärtsgang?
– Koordination, Springen im Einbeinstand → Beinmuskelschwäche?
– Auf den Hacken bzw. Zehenspitzen laufen → Achillessehnenverkürzung, Kraft.
• Rückenlage:
– Schmerzregion, Schwellung, Muskelatrophie?
– Gelenkbeweglichkeit: Knie (Beugung, Streckung, Klicken, Bandlaxität), Hüf-
ten (Abduktionshemmung, Schmerzen, Aro., Iro.) jeweils im Seitenvergleich.
• Bauchlage:
– Hüften: Aro., Iro. (Coxa antetorta).
– Knie: Poplitealzyste.

17.2 Entwicklung und Skelettwachstum


Hans Mau und Steffen Breusch

17.2.1 Motorische Entwicklungsstadien
• Reifes Neugeborenes: 17
– Spontane Flexionshaltung der Extremitäten, Schreit- und Kriechbewegungen.
– Beim Aufziehen zum Sitzen Flexion der Arme.
– In Bauchlage Kopfdrehung zur Seite, Greifreflex.
• 3. Monat:
– Beginnende Streckung der Extremitäten.
– Sicheres Fixieren von Gegenständen und Greifen mit ganzer Hand.
– Kopf wird in Bauchlage angehoben.
• 6. Monat:
– Aktives Drehen von Rücken- in Bauchlage, Kopf wird aus Rückenlage ge-
hoben, sichere Kopfkontrolle.
– Abstützung mit geöffneten Händen.
652 17 Pädiatrie 

– Greift auch nach entfernten Gegenständen.


– Unsicheres Sitzen mit Rundrücken, Beine dabei außenrotiert.
• 9. Monat:
– Stabiles Sitzen, Kind dreht sich auf dem Gesäß.
– Hochziehen zum Aufstehen, steht mit Unterstützung.
– Vierfüßlerstand mit Krabbeln. Greifen mit Daumen und Zeigefinger (Pin-
zettengriff).
• 12. Monat:
– Steht sicher mit Unterstützung oder sogar breitbeinig frei.
– Macht einzelne Schritte mit Festhalten.
– Krabbelt sicher und schnell mit Rotation.
– Greift ausgewählt nach Spielzeug, legt es zurück.
• 15. Monat:
– Kind steht sicher.
– Geht alleine.

17.2.2 Skelettwachstum
Definition
Erhebliche individuelle und regionale Unterschiede bei Wachstum und Wachs-
tumsabschluss.
• Akzeleration (Skelettalter eilt dem chronologischen Alter um mehr als 1 J. voraus).
• Retardierung (um mehr als 1 J. verzögerte Entwicklung).
Grundlagen
• Entwicklung, Wachstum und Reifung des Skeletts werden auf genetischer
Grundlage multifaktoriell gesteuert → erhebliche individuelle Unterschiede
zwischen dem Entwicklungsstand des Skeletts und dem chronologischen Al-
ter oder dem Längenalter möglich.
• Stärkstes Skelettwachstum bis zum 4. Lj. (10 cm/J.) und 12.–16. Lj. (8 cm/J.).
• Wachstumsabschluss: Mädchen 17.–18. Lj., Jungen 20.–21. Lj.
Skelettalterbestimmung
• Dient der Bestimmung des Entwicklungsstands. Beruht auf dem zeitlich ge-
setzmäßigen Auftreten von Knochenkernen, ihrer Größenzunahme und der
Verschmelzung der Epiphysenfugen (▶ Abb.  17.1).
• Handskelettalter: Rö der li Hand a. p. und alters- und geschlechtsabhängig
mit Normbildern z. B. aus dem Atlas der Handskelettentwicklung von Greu-
lich und Pyle (1959) vergleichen.
17 • Auftreten und Verschmelzen der Darmbeinkammapophysen, Methode nach
Risser für die Progn. der Skoliosen (▶ 10.6.8).

Geschlechtsentwicklung
• Beruht auf der gleichzeitig mit dem Pubertätswachstumsschub beginnenden
Ausprägung der sek. Geschlechtsmerkmale.
• Beurteilung des Entwicklungsstadiums der Schambehaarung, des Reifestadi-
ums der Penis- bzw. Brustentwicklung nach Tanner.
• Bei Mädchen ist mit der Menarche (im Durchschnitt mit 13,4 J.; mind. 10 bis
max. 17,5 J.) das Maximum des puberalen Wachstumsschubs überschritten;
weiteres Wachstum durchschnittlich ca. 6 cm.
   17.2  Entwicklung und Skelettwachstum  653

Abb. 17.1  Knochenkernentwicklung (Durchschnittswerte) [L190]

Praktische Bedeutung der Wachstumsdiagnostik


• Rasche Wachstumsphase wird ausgenutzt, um die Entwicklung des Bewe-
gungsapparats bei Deformitäten in normale Bahnen zu lenken; andererseits
können Deformitäten, Achsenabweichungen, Muskelimbalancen und Kon-
trakturen in dieser Zeit entstehen (z. B. ICP) oder beschleunigt fortschreiten.
• Aussage über die Progn. von Erkr. des Bewegungsapparats.
• Ind. einer operativen Beeinflussung z. B. einer BLD (▶ 13.1.3), Achsenabwei-
chung, Skoliose.
• Vorhersagen über die zukünftige Körpergröße.
• Abklärung eines Minder- oder Hochwuchses (Normogramme, Wachstum-
sperzentilen).

Wachstumsprognose
Erwachsenenstehhöhe: Voraussage nach Bailey und Pinneau: Berechnung mit-
hilfe von aktueller Stehhöhe, Handskelettalter (s. o.), Differenz zwischen Hands-
kelettalter und chronologischem Alter, Geschlecht. Bei 10-jährigen Kindern „Feh-
ler“ von ± 5 cm. „Multiplier Method“ nach Pailey: Vorhersage anhand von Norm-
tabellen und Alter.
Genetische Zielgröße: Mittlere Elterngröße – 6,5 cm bei Mädchen, mittlere El-
terngröße + 6,5 cm bei Jungen.
Verbleibendes Wachstum an der oberen Extremität: 17
Voraussage nach Pritchett: Berechnung des Wachstums für Radius, Ulna und Hu-
merus in Abhängigkeit von Handskelettalter und Geschlecht.
Verbleibendes Wachstum an der unteren Extremität:
• Die kniegelenknahen Epiphysen tragen den Hauptanteil am Längenwachs-
tum des Beins (▶ Abb.  17.2).
• Voraussage nach Anderson et al.: Berechnung des Wachstums für den Be-
reich der dist. Femur- und prox. Tibiaepiphyse abhängig von Handskelettal-
ter und Geschlecht.
• Nach Pailey et al.: Vorhersage anhand von Normtabellen und Alter.
654 17 Pädiatrie 

• Nach Mosley „Straight Line Graph for Leg Length Discrepancy“: Berechnung
des Beinwachstums bei BLD in Abhängigkeit von individueller Wachstum-
sperzentile und Geschlecht anhand eines Nomogramms.
• ­Nach Bowen: Berechnung der Achsenabweichung bei Wachstum eines Genu
valgum/varum durch Erweiterung der Formel nach Anderson. Praktische Be-
deutung zur Bestimmung des Zeitpunkts für eine partielle Epiphysiodese.

Abb. 17.2  Anteil der Wachstumszonen an Femur und Tibia am Längenwachstum


der Einzelknochen und des gesamten Beins [L190]

17.3 Fehlbildungen, angeborene
Skelettsystemerkrankungen
Hans Mau und Steffen Breusch

17.3.1 Allgemeines
Definition
Sehr seltene, ätiol., phänomenologisch und progn. sehr heterogene Erkr. mit großer
Variationsbreite (lokalisiert oder generalisiert, Manifestation bei Geburt oder später).
• Bei unklaren Fällen Pädiater hinzuziehen.
• Nach Diagnosestellung behutsame Aufklärung der Eltern über die Erkr., evtl.
KO, Lebenserwartung und -qualität, ggf. genetische Beratung.
17 • Frühdiagnose trotz meist fehlender kausaler Ther.-Möglichkeiten wichtig zur
Beeinflussung des weiteren Verlaufs und Vermeidung von KO.
• Häufige KO bei Skelettdysplasien sind u. a. Deformitäten, Früharthrosen.
Verdacht auf eine konstitutionelle Skeletterkr. besteht bei:
• Minderwuchs (v. a. disproportioniert).
• Asymmetrie einer Körperhälfte.
• Dysmorphiezeichen v. a. an Haaren, Nägeln, Haut, Zähnen (z. B. Pigment­
anomalien, Hämangiome).
• Atypischer Entwicklung einer orthop. Erkr.
• Komb. mit Stoffwechselerkr. u. a. Organfehlbildungen.
• Belasteter Familienanamnese.
   17.3  Fehlbildungen, angeborene Skelettsystemerkrankungen  655

Einteilung angeborener Skeletterkrankungen


Pariser Internationale Nomenklatur der konstitutionellen Skeletterkr.:
• Osteochondrodysplasien: Systemhafte Entwicklungsstörungen des Knochen-
wachstums (▶ 17.2.2), 3 Untergruppen. Überschneidung zu den Fehlbildun-
gen insbes. bei Dysostosen an den Extremitätengruppen.
• Dysostosen: Knochenfehlbildungen, einzeln oder in Komb. (▶ 17.3.2).
• Komplexe Krankheitsbilder mit knöcherner Beteiligung: z. B. Marfan-Sy.
(▶ 17.3.3).
• Chromosomenaberrationen: z. B. Down-Sy. (▶ 17.3.4).
• Primäre Stoffwechselstörungen: z. B. Mukopolysaccharidosen (▶ 17.3.5).

17.3.2 Wichtige Osteochondrodysplasien
Einteilung
▶ Tab.  17.1.
Multiple kartilaginäre Exostosen, Morbus Ollier ▶ 14.3.1.

Tab. 17.1  Einteilung der Osteochondrodysplasien


Gruppe Erkrankungen Beispiele

Wachstums- und Frühletale Osteochondro- • Achondrogenesis


Entwicklungsstörun- dysplasien • Thanatophore Dysplasie
gen von Röhrenkno-
chen und/oder WS Vorwiegend epiphysäre • Multiple epiphysäre Dysplasie
Läsionen • Larsen-Sy.
Vorwiegend metaphysäre • Achondroplasie
Läsionen • Metaphysäre Chondrodyspla-
sien

Mit ausgeprägten WS-Ver- • Dysplasia spondyloepiphysaria


änderungen congenita und tarda
• Pseudoachondroplasie
Anarchische Ent- Osteochondrodysplasien • Fibröse Knochendysplasie
wicklung von Knor- durch anarchische Gewebs- • McCune-Albright-Sy.
pel- und Fasergewe- entwicklung
be

Anomalien der Kno- Osteochondrodysplasien • Osteopetrose, früh manifeste


chendichte der kor- mit vermehrter Knochen- Form
tikalen diaphysären dichte, Hyperostosen • Pyknodysostose
Strukturen und/oder
der metaphysären Osteochondrodysplasien Osteogenesis imperfecta
Modellierung mit verminderter Knochen- 17
dichte

Achondrogenesis
Vererbung
Autosomal-rezessiv vererbt, mehrere Typen.
Klinik und Diagnostik
• Hydropisches Aussehen, sehr kurze Extremitäten.
• Rö: Sehr kurze, breite Röhrenknochen, WK kaum oder nicht ossifiziert.
656 17 Pädiatrie 

Thanatophore Dysplasie
Vererbung
Autosomal-rezessiv vererbt, ein Typ ohne, ein Typ mit Kleeblattschädel.
Klinik und Diagnostik
• Kurze Extremitäten, relativ langer Rumpf, schmaler Thorax.
• Rö: Ähnlich der Achondroplasie (s. u.), doch schwerer.
Multiple epiphysäre Dysplasie
Vererbung
Meist autosomal-dominanter Vererbungsmodus. Schwere (Typ Fairbank) und
leichte (Typ Ribbing) Verlaufsformen.
Klinik
• Gelenkschmerzen, Gangbeschwerden.
• Mäßiger Minderwuchs, Endgröße 140–170 cm.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Rö: Unregelmäßig begrenzte, flache oder kleine Epiphysen.
• Hypothyreose ausschließen.
• Störung der Epiphysenossifikation unterschiedlichen Schweregrads (bevor-
zugt Femurköpfe, Abgrenzung zum beidseitigen Morbus Perthes) → Gelenk-
deformierungen und frühzeitige Arthrose.

Larsen-Syndrom
• Multiple kongenitale Luxationen (Knie, Hüfte, Ellenbogen), später sek. Kon-
trakturen.
• Balkonstirn, manchmal Gaumenspalte.
• Rö: Epiphysäre Deformierungen, überzählige Handwurzelknochen, kurze
Endphalangen.

Achondroplasie
Vererbung
„Liliputaner“. Autosomal-dominant vererbt. Schon bei Geburt erkennbare gene-
ralisierte Skeletterkr. (häufigste Skelettdysplasie; 2–3/100.000 Geburten), die zu
dysproportionalem Zwergwuchs führt.
Klinik
• Bei nahezu normaler Rumpflänge Verkürzung besonders der rumpfnahen
Gliedmaßen.
17 • Vergrößerter Hirnschädel mit sog. Balkonstirn und Sattelnase, eine „Drei-
zackhand“ und meist Genua vara.
• Normale Intelligenz.
• Endlänge ca. 130 cm.
• Orthopädische Aspekte: Enger Spinalkanal, verstärkte Brustkyphose und
Lendenlordose sowie Beinachsendeformitäten.
Diagnostik
Röntgenologisch sind die Veränderungen an Becken und WS pathognomonisch.
   17.3  Fehlbildungen, angeborene Skelettsystemerkrankungen  657

Therapie
• Dekompression bei engem Spinalkanal (zusätzlich sind NPP relativ häufig)
mit Beschwerden bzw. neurol. Ausfällen.
• Operative Korrektur von Beinachsendeformitäten.
• OP zur Beinverlängerung, z. B. Kallotasis (▶ 13.1.3).
Metaphysäre Chondrodysplasien
Formen
Typ Schmid, Typ Jansen, Typ McKusick.
Klinik
• Mäßig verkürzter Rumpf, wechselnd verkürzte Extremitäten.
• Je nach Genotyp extraskelettäre Anomalien wie feines Haar, Immundefekte,
Malabsorption, M. Hirschsprung, Neutropenie, Knorpel-Haar-Hypoplasie.

Dysplasia spondyloepiphysaria congenita

Nicht selten Verwechslung mit Morquio-Krankheit.

Klinik und Diagnostik


• Kurzrumpfiger Minderwuchs, Endgröße 80–130 cm.
• Normale Hände, häufig Myopie, manchmal Amotio retinae, Gaumenspalte.
• Rö: Stark verzögerte Ossifikation von Schenkelhals und Kopf, Coxa vara, Ab-
flachung der WK.

Dysplasia spondyloepiphysaria tarda


Vererbung
X-chromosomal rezessiv.
Klinik und Diagnostik
• Kurzrumpfiger, in der Präpubertät sich manifestierender Minderwuchs, End-
größe 125–155 cm.
• Rö: Abgeflachte zentral aufgeworfen erscheinende WK.
Pseudoachondroplasie

Erhebliche Variabilität. Besserung der Wirbelanomalien mit der Entwicklung.

Klinik und Diagnostik


• Körperproportionen ähnlich der Achondroplasie, doch normaler Schädel. 17
Endgröße 70–130 cm.
• Bänderschlaffheit, X- und O-Beine.
• Rö: Abgeflachte WK, epimetaphysäre Läsionen.
Osteopetrosis congenita
▶ 15.1.6.
Vererbung
Früh manifeste Form einer generalisierten Sklerosierung des Skeletts durch unzu-
reichende Osteoklastenaktivität. Autosomal-rezessiv vererbt.
658 17 Pädiatrie 

Klinik und Diagnostik


• Gedeih- und Entwicklungsstörung, Kleinwuchs, Anämie, Hepatosplenome-
galie, Hirnnervenausfälle, Tod meist im 1. Ljz.
• Rö: Generalisierte Verdichtung und Verdickung der („Marmor“-)Knochen.
Therapie
Versuch mit kalziumarmer Diät und Cellulosephosphat oral, Splenektomie, Kno-
chenmarktransplantation berechtigt.

Pyknodysostose
Vererbung
Autosomal-rezessiver Erbgang. Krankheit des Malers Toulouse-Lautrec?
Klinik und Diagnostik
• Kleinwuchs, lange offen bleibende große Fontanelle, Zahnanomalien, kurze
Endphalangen, Frakturen.
• Rö: Veränderungen ähnlich der Dysplasia cleidocranialis (ein- oder beidseiti-
ge Defekte der Schlüsselbeine → Schultern können auf der Brust zusammen-
geklappt werden), jedoch mit erhöhter Knochendichte.

Fibröse Knochendysplasie (Jaffé-Lichtenstein)


Epidemiologie
Relativ häufige, fast immer benigne Knochenentwicklungsstörung unbekannter
Ätiol. Ein oder mehrere Knochenbereiche sind durch fibröses Bindegewebe er-
setzt mit sek. Kortikalisarrosion.
Klinik und Diagnostik
• Beginnt meist im Kindesalter, schleichend an einem oder mehreren Knochen,
hauptsächlich sind lange Röhrenknochen der unteren Extremität (Femur, Ti-
bia) betroffen, polyostotischer Befall führt meist zu früherer Entdeckung auf-
grund lokaler Schmerzen, Fraktur (häufig erstes Symptom).
• Deformierung, „Hirtenstabdeformität“ am prox. Femur charakteristisch.
• In ca. 20–50 % auffällige Hautpigmentflecken.
• Rö: Typische Mischung lytischer und sklerotischer Herde = „Milchglasaussehen“.
Therapie
Korrekturosteotomie bei deutlicher Deformität, Ausräumung der Herde und
Spongiosaplastik, evtl. kortikale Knochenspäne.

McCune-Albright-Syndrom
17
Vorwiegend bei Mädchen.

Klinik
• Komb. von polyostotischen Knochenveränderungen, Pigmentflecken und
Pubertas praecox.
• Bei Schädelbefall Hirnnervenkompression oder Gesichtsasymmetrien mög-
lich. Progression der Erkr. ↓ nach Wachstumsabschluss.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Rö: In Röhrenknochen überwiegen osteolytische, scharf begrenzte mono-
oder polyzystische Aufhellungen mit Auftreibung und Deformierung.
   17.3  Fehlbildungen, angeborene Skelettsystemerkrankungen  659

• Abgrenzung gegenüber benignen Läsionen (z. B. juvenilen Knochenzysten),


aber auch Malignomen schwierig bei monoostotischen Herden; im Zweifels-
fall Biopsie. Polyostotische Formen sind meist typisch.
Therapie
• Bei therapieresistenten Beschwerden, drohender oder eingetretener Fraktur
Kürettage der Herde und Auffüllung mit Eigenspongiosa.
• Korrekturosteotomien von Deformitäten nach Wachstumsabschluss.
• Polyostotische Formen sind komplikationsträchtiger.
Osteogenesis imperfecta (Glasknochenkrankheit)
Formen
Gängige klin. Einteilung: Typ Vrolik = Frühform (congenita) mit schlechter
Progn. und Typ Lobstein = Spätform (tarda) mit guter Progn. Neue Klassifikation
(Sillence) nach klin.-genetischen Kriterien, Typ I–IV, neuerdings auf die Typen
V–VII erweitert.
In Deutschland ca. 3.500 Erkrankte.
Klinik
• Vermehrte, teils extreme Knochenbrüchigkeit mit progressiven Deformie-
rungen, Osteoporose, Minderwuchs (fakultativ), blaue Skleren (fakultativ),
Intelligenz normal, Kyphoskoliose, Dentinogenesis imperfecta.
• Typ I: Frakturen erst ab dem 1. Lj. bei den geringsten Anlässen; Frakturnei-
gung lässt während Pubertät nach; Deformierungen, Knochenverbiegungen,
schwere Kyphoskoliose.
• Typ II: Bei Geburt zahlreiche prä- und perinatal entstandene Spontanfraktu-
ren; bei intrakraniellen Blutungen und Ateminsuff. bei multiplen Rippenfrak-
turen nicht lebensfähig. Nur wenige Pat. erreichen das Schulalter.
• Typ III: Anfangs bläuliche, später weiße Skleren; umfasst schwerste überle-
bende Fälle; starker Minderwuchs; oft schwer gegen Typ II abzugrenzen.
• Typ IV: Bei Geburt weitgehend unauffällig; Ausprägung unterschiedlich stark
möglich.
Diagnostik
Rö: Osteoporose (Glasknochen), frische oder ältere Fakturen, knollige Kallusbil-
dung. Knochen verbreitert, plumpe Form; dünne Kompakta.
Therapie
Konservative Therapie
• Kausale Ther. nicht bekannt. Ziele: Frakturvermeidung, Prophylaxe von De-
formitäten und Mobilisation, Bisphosphonate 17
• Orthopädietechnische Maßnahmen.
– Säugling: Anpassen von Liegeschalen mit Kopfstützen.
– Steh- und Gehalter: Orthesen, Steh- und Gehapparate mit sehr niedrigem
Gewicht (Polypropylen, Karbonfaser). KG.
– Später Rollstuhl.
Operative Therapie
• OP bei schweren Deformitäten mit Funktionsbehinderung. Korrektur der
Verbiegungen durch multiple Osteotomien und intramedulläre Schienung
z. B. mit Teleskopnagel.
• OP-Prinzip: Korrektur der Femurdeformierung durch segmentale Osteoto-
mien. Aufbohren der Markhöhle. Stabilisierung durch mit dem Wachstum
660 17 Pädiatrie 

sich elongierenden Nagel (Elongation im Alter 1–5 J. ca. 10 mm); Nachteile:


Keine Rotationssicherung. Wechsel des Nagels erst nach 4–5 J. ab Diaphysen-
durchmesser 3,5 mm.
• NB: Becken-Bein-Gips für ca. 3 Wo., Stehbrett. Danach Orthesen.

17.3.3 Dysostosen
Formen
Dysostosen mit kranialer und fazialer Beteiligung
• Kraniosynostosen.
• Kraniofaziale Dysostose (Crouzon).
• Akrozephalosyndaktylie (Typ Apert, Typ Saethre-Chotzen, Typ Pfeiffer, Typ
Voigt).
• Akrozephalopolysyndaktylie (Carpenter).
• Zephalopolysyndaktylie (Greig).
• Fehlbildungssy. mit Beteiligung des 1. und 2. Kiemenbogens: Mandibulo-­
faziale Dysostose (Treacher-Collins, Franceschetti), akrofaziale Dysostose
(Nager), hemifaziale Mikrosomie u. a. Formen.
• Okulo-mandibulo-faziales Sy. (Hallermann-Streiff-François).
Dysostosen mit vorwiegender Beteiligung der Wirbelsäule
• Vertebrale Segmentationsdefekte (Klippel-Feil, ▶ 10.6.5).
• Zerviko-okulo-akustikus-Sy. (Wildervanck).
• Sprengel-Deformität (▶ 9.1.13).
• Spondylokostale Dysostose (autosomal-dominante oder rezessive Formen).
• Okulovertebrales Sy. (Weyers).
• Osteoonycho-Dysostose.
• Zerebrokostomandibulares Sy.
Dysostosen mit vorwiegender Beteiligung der Extremitäten
• Acheirie: Fehlen einer oder beider Hände.
• Apodie: Fehlen eines oder beider Füße.
• Familiäre radioulnare Synostose.
• Brachydaktylie: Verkürzungen von Fingern oder Zehen.
• Symphalangie.
• Polydaktylie (mehrere Formen).
• Syndaktylie (mehrere Formen; ▶ 9.3.15).
• Polysyndaktylie (mehrere Formen).
• Kamptodaktylie: Fixierte Beugestellung des Mittelgelenks, meist des Kleinfingers.
17 Beispiel: Kraniosynostosen
Definition
Häufigste Dysostosen des Hirnschädels, vorzeitiger Verschluss einer oder mehre-
rer Schädelnähte → Schädeldeformierung.
Klinik
• Schädeldeformierung: Koronarnaht → Turmschädel, Sagittalnaht → Lang-
schädel, Frontalnaht → Dreieckschädel.
• Kraniostenosen mögl. mit pathol. Schädelform und erhöhtem Schädelinnen-
druck (Hirnschädigung, Erblindungsgefahr); vorzeitiger Verschluss nur einer
Naht führt i. d. R. nicht zu einer intrakraniellen Drucksteigerung.
   17.3  Fehlbildungen, angeborene Skelettsystemerkrankungen  661

Therapie
• Bei intrakranieller Drucksteigerung muss eine druckentlastende Kraniotomie
erfolgen.
• Bei starker Schädeldeformierung (ohne erhöhten intrakraniellen Druck) evtl.
kosmetische Ind. zur OP.

Beispiel: Apert-Syndrom (Akrozephalosyndaktylie)

Kombinationsfehlbildung.

Klinik
• Schädeldysostose (ausgeprägter Turmschädel).
• Syndaktylien der Hände (Löffelhand) und Füße.
• Kiefer- und Zahnanomalien u. a.
• Geistige Retardierung.
Therapie
Operative Trennung der Syndaktylien im Kleinkindesalter (▶ 9.3.15).

17.3.4 Komplexe Krankheitsbilder mit knöcherner


Beteiligung
Marfan-Syndrom
Definition und Vererbung
Bernard Jean Antoine Marfan (1858–1942), Pädiater in Paris. Generalisierte Bindege-
webskrankheit (Störung des Kollagenstoffwechsels) mit allg. Bindegewebsschlaffheit.
Häufig. Autosomal-dominanter Erbgang mit unterschiedlicher Expression.
Klinik
• Bewegungsapparat: Stark asthenischer Habitus, disproportionierter Hoch-
wuchs, überlange Extremitäten. Gangstörungen durch Gelenküberstreckbar-
keit (Schlaffheit des Bindegewebes, Hypotonie der Muskulatur), Genua recur-
vata und valga sowie Knick-Senk-Füße, habituelle Schulter- und Patellaluxa-
tion, oft schwere progrediente Skoliosen, Kyphoskoliosen. Trichter- und Kiel-
brust relativ häufig.
• Herz-Kreislauf-System: Herzklappeninsuff., Aortenaneurysma, Aortenruptur.
• Augen: Anomalien wie Linsen(sub)luxation und Myopie.
Therapie und Prognose
• Kardiologische (Endokarditisprophylaxe, Ultraschall), augenärztliche und or- 17
thop. Kontrollen. Konservative symptomatische Ther. der Deformitäten, bei
starker Progredienz OP.
• Progn.: Lebenserwartung reduziert.
Neurofibromatose
Definition und Vererbung
Friedrich Daniel von Recklinghausen (1833–1910), deutscher Pathologe. Verän-
derungen an Knochensystem, Haut (Café-au-Lait-Flecken, Hauttumoren), zent-
ralem und peripherem Nervensystem (Neurofibrome).
Autosomal-dominanter Erbgang.
662 17 Pädiatrie 

Klinik und Einteilung


Typ I: Mind. 2 der folgenden Kriterien: Mind. 5 Café-au-Lait-Flecken > 5 mm,
mind. 2 Neurofibrome oder ein plexiformes Neurofibrom, mind. 2 Irishamarto-
me, ossäre Dysplasie, Optikusgliom, axilläre/inguinale Sprenkelung, Verwandter
1. Grads mit Neurofibromatose Typ I.
Typ II: Bilaterales Akustikusneurinom oder Verwandter mit Neurofibromatose
und unilaterales Akustikusneurinom oder Meningeom, Gliom, Schwannom, sel-
ten kutane Manifestation.
Orthop. Probleme bei Typ I: Progrediente Kyphoskoliosen, die häufig operativ
stabilisiert werden müssen. Angeborene US-Pseudarthrose (Crus varum congeni-
tum), entsteht durch i. d. R. einseitigen Befall des Röhrenknochens mit neurofib-
romatösem Gewebe (▶ 13.2.37). Partieller Riesenwuchs, maligne Tumoren.

17.3.5 Chromosomenaberrationen
Down-Syndrom
Definition und Epidemiologie
John Langdon Haydon Down (1828–1896), Orthopäde in London. Trisomie des
Chromosoms 21 mit charakteristischem Phänotyp.
Häufigkeit 1 : 600 Neugeborene.
Klinik und Diagnostik
• Geistige Behinderung (100 %), IQ 30–45.
• Herzfehler (50 %): Typisch sind Ventrikelseptum-, Endokardkissendefekte,
Fallot-Tetralogie, Vorhofseptumdefekt und offener Ductus Botalli.
• Genitalien: Hypogenitalismus, Hypogonadismus und Infertilität beim Mann,
verminderte Fertilität bei der Frau.
• Tendenz zu Leukämien.
• Augen: Tendenz zu Keratitis, Katarakt, Strabismus.
• Schädel: Brachyzephalie, Mikrozephalie; Gesicht: Wenig Profil, Epikanthus,
breite, eingesunkene Nasenwurzel, schmale niedrige Stirn.
• Kleinwuchs: Erw. 1,45–1,60 m.
• Orthop. Aspekte:
– Muskulärer Hypotonus: Taschenmesserphänomen, charakteristische Kopf-
haltung, vorgebeugter Gang, Hüftluxationen, atlantoaxiale Instabilität.
– Füße: Partielle Syndaktylie zwischen II. und III. Zehe, „Sandalenlücke“
(Abstand zwischen I. und II. Zehe).
– Hände: Kurz, Vierfingerfurche, Klinodaktylie des V. Fingers.
• Rö: Becken hypoplastisch, breit, mit flachem Pfannendach. Atlantoaxiale In-
17 stabilität.

Ullrich-Turner-Syndrom (X0-Syndrom)
Henry Hubert Turner (1933) und Otto Ullrich, Pädiater, Bonn (1934).
Klinik und Diagnostik
• Leitsymptome: Kleinwuchs, Gonadendysgenesie mit primärer Amenorrhö
(99 %), Schildthorax mit breitem Mamillenabstand, kurzer Hals, Herzfehler.
• Orthop. Aspekte: Kleinwuchs. Verzögerte Skelettreifung. Cubitus valgus, kur-
ze Metakarpalia, bes. IV., und Metatarsalia. Osteoporose (ca. 70 %). Protrusio
acetabuli. WK-Zusammenbrüche. Skoliosen. Epiphysenfugenwachstumsstö-
rungen (Knie, Ellenbogen). Absinken des med. Tibiakondyls.
   17.3  Fehlbildungen, angeborene Skelettsystemerkrankungen  663

17.3.6 Primäre Stoffwechselstörungen
Übersicht
• Störungen des Kalzium- und/oder Phosphatstoffwechsels, z. B. hypophos-
phatämische Rachitis, Vit.-D-abhängige Rachitis (▶ 15.1.5)/Pseudomangelra-
chitis.
• Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels, Mukopolysaccharidosen.
• Störungen des Fettstoffwechsels, z. B. Lipidose, Morbus Gaucher.
• Störungen des Nukleinsäurestoffwechsels.
• Störungen des Aminosäurestoffwechsels, z. B. Homozystinurie (DD beim
Charcot-Fuß mit Ulzeration).
• Störungen des Metallstoffwechsels.
Beispiel Mukopolysaccharidosen
Definition und Formen
Angeborene Störungen des Mukopolysaccharidstoffwechsels mit Anhäufung von
Mukopolysacchariden in Zellen mesenchymaler und viszeraler Organe.
Verschiedene Typen (I–VII; Eponyme: Hurler, Hunter, Morqio-Brailsford u. a.).
Klinik und Diagnostik
• Typische Fazies, Zwergwuchs mit Skelettdysplasie v. a. an WK, Becken, Hüft-
gelenken und Handknochen.
• Rö: Dysostosis multiplex: Makrozephalie, vergrößerte, J-förmige Sella turcica,
ruderförmige Rippen, unterentwickelte WK mit bikonvexen Grund- und
Deckplatten, große und verbreiterte Beckenschaufeln, Hüftdysplasie mit Co-
xa valga, Verkürzungen an langen Röhrenknochen, an kurzen Röhrenkno-
chen zusätzlich Verbreiterung der Metaphysen.

17.3.7 Angeborene Fehlbildungen
Ätiologie
In ca. 90 % vererbbare, in ca. 10 % exogene Faktoren, z. B. Rö, Medikamente, In-
fekte. Je früher die Schädigung einsetzt, desto schwerer ist i. A. die Fehlbildung.

Dysmelie
Definition
Defektbildung an einer Extremität mit großem Variantenreichtum.
Einteilung
Verschiedene Klassifikationen: Formale grobe Einteilung in Plus- und Minusbil- 17
dungen oder Einteilung nach klin. und anatomischem Befund in 2 Hauptgruppen
(▶ Abb.  17.3):
• Transversale Defekte („Amputation“):
– Amelie: Gesamte Gliedmaße fehlt (Bein).
– Peromelie: Amputationsartiger Defekt.
• Longitudinale Defekte (Ektromelien), z. B.:
– Phokomelie: Robbengliedrigkeit.
– Angeborener Femurdefekt: Partielles bis totales Fehlen (teratologische Reihe).
664 17 Pädiatrie 

– Hypo- und Aplasie von Fibula oder Tibia: Teilweises oder vollständiges
Fehlen von Fibula oder Tibia (teratologische Reihe) → asymmetrisches
Wachstum im Unterschenkelbereich.

Abb. 17.3  Gliedmaßenfehlbildungen [L106]

Klinik
• Femurdefekt: Beinverkürzung.
17 • Fibulahypo- oder -aplasie: Aufgrund mangelnder oder fehlender Stabilisie-
rung Knick- und Spitzfußbildung im OSG.
• Totale Tibiaaplasie: Kniegelenkinstabilität; Equinovarusstellung des Fußes
wegen fehlender med. Abstützung im OSG.
Therapie
• Funktionelle Beeinträchtigung sollte generell durch operative und/oder pro-
thetische Maßnahmen vor dem Schulalter verbessert werden.
• Femurdefekt: OP und/oder Orthese/Prothese.
• Tibia-/Fibulahypo- oder -aplasie: Möglichst belastbare knöcherne Verbin-
dung zwischen Knie und OSG herstellen (individuelle Maßnahmen abhängig
  17.4 Geburtsverletzungen  665

von Deformierung und Verkürzung). Gel. können eine Amputation und pro-
thetische Versorgung die beste Lösung darstellen.

17.3.8 Arthrogryposis multiplex congenita


Definition
Angeborene Gelenkkontrakturen, heterogenes, nichterbliches, in Symptomatik
sehr unterschiedliches Leiden. Formen: Tetramel (Arme und Beine), kaudal bimel
(beide Beine). Alleiniger Befall der Arme selten.

Klinik
• Typisches Bild: Nebeneinander von Gelenkkontrakturen in Extension oder
Flexion (Gliederstarre, Grypose) und Muskelatrophien. Keine Hautfältelung
über den Gelenken.
• Häufig Klumpfüße (meist sehr ausgeprägt, sehr rigide).
• Teratologische Hüftgelenkluxation, Kniegryposen.
• Handdeformitäten.
• Intelligenz meist normal.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• EMG, Muskelbiopsie: Nur in Einzelfällen.
• DD: u. a. Myositis ossificans congenita, Sklerodermie, Myopathien, diastro-
phischer Zwergwuchs, angeborene Ankylosen, Gelenksynostierungen.

Therapie
Konservative Therapie
• Eltern über langjährige, z. T. schwierige Behandlung informieren. Ziel: Erlan-
gung der Gehfähigkeit.
• Behandlungsbeginn so früh wie möglich. KG (z. B. auf neurophysiol. Basis, Voj-
ta). Redressierende Gipse, Quengelverbände. Jedoch insgesamt selten erfolgreich.
• Klumpfüße kaum kons. ausreichend korrigierbar.
Operative Therapie
• KG-Vorbehandlung (z. B. Vojta). Aufgrund häufiger intraop. Besonderheiten
oft individuelles Vorgehen. Postop. Kontrakturneigung sehr hoch.
• Klumpfuß-OP: Weichteileingriffe, auch Talusexstirpation.
• Kniegelenk mit Beugekontrakturen: Dorsale Arthrolyse; suprakondyläre
Streckosteotomien gegen Wachstumsabschluss.

Prognose 17
Erkr. nicht progredient. Behandlungsergebnisse meist wenig spektakulär.

17.4 Geburtsverletzungen
Hans Mau und Steffen Breusch

Geburtstraumatische Klavikulafraktur
Definition
Fraktur der Klavikula während der Geburt. Häufigste geburtstraumatische Fraktur.
666 17 Pädiatrie 

Ätiologie
Erschwerte Geburt, z. B. durch Geburtszange, Fingerdruck, Beckenendlage oder
andere mechanische Belastung bei der Geburtshilfe. Ggf. muss die Klavikula zur
Entwicklung des Kinds während der Geburt gebrochen werden, wenn die Schulter
nach Entwicklung des Kopfs über der Symphyse hängen bleibt (häufig bei sog.
„Riesenkindern“).
Klinik
• Erkennbar meist an Schmerzreaktion bzw. Bewegungsarmut des Neugebore-
nen. Armschonung bei Testung des Moro-Reflexes.
• Bei Palpation der Klavikula evtl. Schwellung und Krepitation.
• Oft wird die Diagnose erst ab der 2. Lebenswoche bei Heilung der Fraktur an-
hand der Bildung eines Kugelkallus gestellt.
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Rö: Klavikula a. p. und tangential zur Dokumentation. Selten Dislokation der
Frakturenden.
• DD: Armplexusläsion, Dysostosis cleidocranialis, kongenitale Klavikulapseu-
darthrose, Osteogenesis imperfecta.
Therapie und Prognose
• i. d. R. ist keine Reposition und spezielle Ther. erforderlich. Die Fraktur heilt
ohne Ruhigstellung aus. Man sollte die Eltern auf die evtl. Bildung eines pro-
minenten Frakturkallus und die Spontankorrektur bei Knickbildung der Kla-
vikula hinweisen. OP nicht erforderlich.
• Progn.: Gut, sehr selten Plexusschädigung durch Kallus.
Obere Armplexuslähmung (Duchenne-Erb)
Definition
Überdehnung, Zerrung, selten Zerreißung von Anteilen der 5. und 6. Zervikal-
wurzel. Ca. 80 % der Armplexusschäden.
Klinik
Schultermuskulatur schlaff, Beugung im Ellenbogengelenk sowie Supination der
Hand ausgefallen. UA-, Hand- und Fingermuskeln nicht geschädigt. Beim Neuge-
borenen Bewegungsarmut des betroffenen Arms im Schulter- und Ellenbogenge-
lenk. Hand und Finger werden bewegt. Stellung des Arms in Add., Iro. und Pro-
nation.
Klinik und Differenzialdiagnosen
• Diagn. durch die Klin.
17 • DD: Epiphysenlösung des prox. Humerus, Schulterluxation, Klavikulafraktur.
Therapie und Prognose
• Kons. Entlastungsstellung für den Plexus (in den ersten 6 Wo. Arm an den
Rumpf wickeln). Zusätzlich vorsichtige KG zur Kontrakturprophylaxe.
• Operative Ther.: Evtl. neurochirurgische Versorgung (bis 9 Monate sinnvoll).
Nur bei irreparablen Lähmungszuständen v. a. im Jugendalter (Muskel- und
Sehnentransplantationen, evtl. Rotationsosteotomie).
• Progn.: Gut, bei persistierenden Lähmungen Längendifferenz, Rotationsfehl-
stellung in Pronation. Aussage über Progn. stets mit großer Vorsicht machen,
individuell nicht vorhersehbar; nach ca. 18 Mon. Endzustand erreicht, dann
keine weitere Besserung mehr zu erwarten.
  17.4 Geburtsverletzungen  667

Untere Armplexuslähmung (Dejerine-Klumpke)


Definition
Seltener als obere Plexuslähmung. Lähmung der 8. Zervikal- und 1. Thorakalwurzel.
Klinik
Lähmung der UA- und Handmuskeln. Beim Neugeborenen oft schwierig zu er-
kennen. Hand in Pfötchen- und Krallenstellung. Bei Beteiligung des N. radialis →
Klumphand. Bei Beteiligung der Thorakalwurzel zusätzlich Horner-Sy.
Differenzialdiagnosen
Klumphand, partielle Radiusaplasie.
Therapie und Prognose
• Sofortbehandlung. Entspannungslagerung. KG, Elektrostimulation. Volare
UA-Handschiene. Schaumgummi oder Watterolle in die Hand.
• OP: Evtl. neurochirurgische Versorgung (bis 9 Monate sinnvoll). Beim älte-
ren Kind Handgelenk- und Daumensattelgelenkarthrodese bei deutlicher
Funktionsbehinderung erwägen.
• Progn.: Schlecht.
Schaftfrakturen der Extremitäten
Epidemiologie
Selten. In Reihenfolge der Häufigkeit: Humerus, Femur, US, UA.
Klinik und Diagnostik
• Schmerzreaktion, Bewegungsarmut. Evtl. Kugelkallus.
• Rö: Betroffene Gliedmaße in 2 Eb.
Therapie
Ruhigstellung. Auf korrekte Achsenstellung und Rotation achten.

Epiphysenverletzungen
Formen
Am häufigsten prox. Humerus und Femur.
Klinik und Diagnostik
• Schmerzreaktion, Bewegungsarmut.
• Rö: Diagn. oft schwierig. Oft Kontrollaufnahmen nach einigen Tagen not-
wendig. Frühzeichen: Kallussaum.
Therapie und Prognose
• Exakte Reposition, evtl. sogar operativ. 17
• Progn.: Mit Fehl- und Minderwuchs ist zu rechnen (→ Verlaufskontrolle).
Luxationen
Formen
Selten. Schulter- und Hüftgelenk.
Klinik und Diagnostik
• Schmerzreaktion, Bewegungsarmut.
• Sono und Rö: Diagnosestellung.
668 17 Pädiatrie 

Therapie und Prognose


• Schnellstmögliche Reposition.
• Progn.: Bei Frühbehandlung günstig.

17.5 Kinder-Neuroorthopädie
Walter M. Strobl

17.5.1 Infantile Zerebralparese (ICP, Morbus Little)


Definition
Eine Gruppe von Krankheitsbildern, die zu einer Störung von Bewegung, Haltung
und motorischer Funktion führen, permanent, aber nicht unveränderlich sind
und durch eine nichtprogrediente Störung, Läsion oder Auffälligkeit des sich ent-
wickelnden oder unreifen Gehirns entstehen (Klassifikation der Surveillance of
Cerebral Palsy in Europe). Häufigkeit: Ca. 0,25 % aller Lebendgeborenen. Bei sehr
kleinen Frühgeborenen 100–300 × häufiger als bei termingeborenen Kindern.
Häufigste Ursache einer motorischen Behinderung von Kindern in Europa.

Ätiologie
Ein ätiol. Faktor kann bei 70–80 % nachgewiesen werden. Je früher die ZNS-Schä-
digung eintritt, umso schwerwiegender sind die Folgen, sie ist zwischen Schwan-
gerschaftsbeginn bis zum Ende der Markreifung etwa im 4. Lj. möglich.
• Pränatal: Hypoxie, Intoxikation (z. B. Medikamente, CO, Alkohol), Stoff-
wechselstörungen, Inf.-Krankheiten der Mutter (z. B. Herpes, Röteln, Toxo-
plasmose), Plazentainsuff., genetische Störungen, ZNS-Fehlbildungen u. a.
• Perinatal: Risikogeburten (Frühgeburten), Hypoxie, Hypoglykämie, Hyper-
bilirubinämie. Geburtstraumatische Schäden (intrazerebrale oder subdurale
Hämatome), ZNS-Inf., vorzeitige Plazentalösung.
• Postnatal: Embolische oder thrombotische Hirngefäßverschlüsse als Folge
von Inf.-Krankheiten, Blutgruppeninkompatibilität, ZNS-Inf. (z. B. Menin-
goenzephalitis, Zytomegalie), Impfschäden, SHT, Ernährungsstörungen u. a.

Pathophysiologie
Verhinderung der normalen Entwicklung und Differenzierung des ZNS. In erster
Linie Entwicklungshemmung der Willkürmotorik mit Persistenz von Primitiv-
reflexen und Auftreten pathol. Reflexe. Störung der Bewegungskontrolle und
Kraftverlust führen zu einem Circulus vitiosus: Bewegungsumfang ↓→ mangeln-
17 der Muskeldehnungsreiz → Muskelverkürzung → Kapselkontraktur → osteochon-
drale Verformung → Luxationen/Arthrosen → Schmerzen → Spastik/Immobilität
→ > Kontrollverlust und Schwäche.

Einteilung
• Formen: Verschiedenartige Formen der zerebralen Bewegungs- und Hal-
tungsstörung (Ataxie, Hypotonie, Spastik, Rigor meist als Spätform, Atheto-
se) möglich. Unterscheide hypertone und hypotone Formen für Ther.-Ansatz.
• Einteilung (nach Hagberg): Anhand des jeweils vorherrschenden Symptoms.
Jedoch fast immer Mischformen.
  17.5 Kinder-Neuroorthopädie  669

Klinik
Spastische Syndrome (ca. 75 %)
Leitsymptom: Muskeltonuserhöhung. Unterscheidung nach Ausdehnung:
• Hemiparese (unilaterale CP): Gehbeginn ca. 18–24 Mon.
– Typische Haltung der oberen Extremität: Schulter-Add./-Iro., UA-Prona-
tion, Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenkflexion, Daumen-Add.
– Typische Haltung der unteren Extremität: Hüftgelenk-Add./-Flexion/-Iro.
(fehlende Rückbildung der Antetorsion des Schenkelhalses), Kniegelenk-
flexion und Spitzfußstellung.
– Häufig progredienter Pes equinovarus.
– Ther.-Ziel: Weitgehend symmetrische Geh- und Greiffähigkeit.
• Diparese (bilaterale CP): Beine stärker befallen als Arme. Meist normale Kog-
nition. Gehbeginn ca. 3.–6. Lj. Ther.-Ziel: Ökonomische Gehfähigkeit.
• Tetraparese („Total Body Involvement“, TBI): Generalisierte Lähmung. Er-
heblich verzögerte motorische und geistige Entwicklung. Meist Hüftinstabili-
tät (progrediente Hüftluxation) und neurogene Skoliose. Gehfähigkeit wird
nur bei ca. 10 % erreicht, dann Gehbeginn ca. 8.–9. Lj. Ther.-Ziel: Schmerz-
freie Sitz- und Lagerungsmöglichkeit, Kommunikationsfähigkeit, Transfer-
steh- und -gehfähigkeit.
• Sonderformen: Bilaterale Hemiparese, Monoparese, Triparese möglich.
Ataktische Syndrome (15 %)
• Koordinations- und Gleichgewichtsstörung aufgrund Kleinhirnschädigung.
• Sprachstörungen, Ataxie, Tremor, Dysmetrie, Asynergien und Dyssynergien,
hypotone Muskelspannung („Floppy Infant“).
Dyskinetische Syndrome (10 %)
• Typischerweise Manifestation im 2. Lj.
• Fast immer doppelseitige Bewegungsstörungen in Form von wurmartigen,
unwillkürlichen und unkontrollierten Bewegungsabläufen (Athetosen, Cho-
reoathetosen) und Tremor.
• Mangelnde Kontrolle der Mimik, Grimassieren.
• Stärkste Ausprägung im Hand- und Fingerbereich: Konsekutive Überdeh-
nungen der Gelenkkapseln, Deformitäten (Schwanenhalsdeformität).
• Oft schwere Lähmungsskoliosen.
• Häufig gute kognitive Entwicklung.
Zusätzliche Störungen
• In ca. 30–50 % zerebrale Anfälle (bes. häufig bei postnatal erworbener ICP).
• Psychische Störungen, Verhaltensstörungen.
• In ca. 50 % kognitive Störungen. 17
• In ca. 20 % Sehstörungen und Augensymptome (z. B. Schielen, Nystagmus).
• Hör- und Sprachstörungen.
• Trophische Störungen mit Minderwuchs oder Atrophien der befallenen Ext-
remitäten.

Diagnostik

Bei ausgeprägten Symptomen keine Schwierigkeit. Viel problematischer ist


Diagn. in den ersten Lebenswochen und -monaten und bei leichter Di- und
Hemiparese.
670 17 Pädiatrie 

Frühe Verdachtssymptome
• Anamnese: Risikofaktoren, Schwangerschafts- und Geburtsanomalien, Erkr.
der Mutter.
• Allg. Verhalten des Kinds: Apathie, fehlende Kontaktaufnahme, Unruhe,
Schreckhaftigkeit, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme (Trinkschwä-
che, Schluckstörungen), abnormes Schreien, allg. Entwicklungsrückstand.
• Lage, Motorik: Bewegungsarmut, Schlaffheit, abnorme Steifheit, ständiges
Einnehmen asymmetrischer Haltungen, eingeschränkte Abduktionsfähigkeit
der Hüften, Streck- und Überkreuzungstendenz der Beine, ständige Spitzfuß-
stellung, ständiger Faustschluss mit eingeschlagenem Daumen.
• Zusätzliche Symptome: Störung der Sprache und Sprachentwicklung, Schie-
len, Nystagmus, Krampfanfälle.
! Nie einzelne Symptome überbewerten. Verdacht erfordert sorgfältige weitere
Suche.
Untersuchung
• Ziel: Ermittlung des Entwicklungsstands, des statomotorischen, sensorischen
und kognitiven Funktionsstatus und der Alltagsaktivitäten des Kinds.
• Feststellung der Störung in der körperlichen Entwicklung nach objektiven
Kriterien im Vergleich mit Tabellen (z. B. Denver-Development-Screening-
Test).
• Gangbild, Haltungssymmetrie, Sitzen, Lagerungsmöglichkeit.
• Funktionelle Einteilung nach dem GMFCS (Gross Motor Function Classifica-
tion System):
– I: Geht ohne Einschränkungen.
– II: Geht mit Einschränkungen.
– III: Geht mit Benutzung einer Gehhilfe.
– IV: Selbstständige Fortbewegung eingeschränkt, E-Rollstuhl kann benutzt
werden.
– V: Wird in einem Rollstuhl gefahren.
• Muskelkraft (Oxford Scale) und selektive Steuerung einzelner Muskelgruppen.
• Muskeltonus: Unterscheide: Normoton – hypoton – spastisch – dynamisch
verkürzt (durch Dehnungsübungen aufdehnbar) – strukturell verkürzt – Ge-
lenkkapselkontraktur. Messung der Schwere der Spastik nach der Ashworth
oder Tardieu Scale.
• Rö: Bei ca. 75 % Irregularitäten des Knochenwachstums (überwiegend Retar-
dierung der Knochenkernentwicklung). WS: In ca. 50 % schwere Skoliosen.
BÜ: Typisch sind Coxa valga et antetorta und sek. spastische Hüftluxation.
Beurteilung des Überdachungsdefizits durch den Migrationsindex nach Rei-
mers.
17 • Videodiagn. und 3-D-Ganganalyse für funktionsverbessernde Fragestellungen.
Differenzialdiagnosen
• Unterscheide Gangstörungen bei beginnender hereditärer Neuropathie, Mus-
kelerkr., spinozerebellärer Erkr. oder habituellem Zehengang (= Ausschluss-
diagnose).
• „Minimale zerebrale Bewegungsstörung“: Diagnosestellung ab Vorschulalter
möglich. Lediglich abnorme motorische Abläufe bei einzelnen Bewegungsele-
menten (z. B. Kind kann nicht lange auf einem Bein stehen, ungeschicktes
Handhaben beim Ausziehen, Dysdiadochokinese). Oft auch Störungen in an-
deren Bereichen, z. B. Merkfähigkeit, Konzentration, Lesen, Schreiben.
  17.5 Kinder-Neuroorthopädie  671

Wichtige Frage zur DD


Liegt eine abgeschlossenen Läsion oder eine progrediente, prozesshafte Lä­
sion (z. B. Tumor, Entzündung, deg.-metabolischer Prozess) vor?

Therapie
Grundsätze
• Ther. = (Re-)Habilitation und Integration.
• Keine Kausalther. möglich. Multidisziplinäre Betreuung, die so früh wie
mögl. beginnen sollte. Vor Ind. immer Ther.-Plan erstellen! Welche Funktio-
nen können erreicht werden?
• OP immer als zusätzliches/adjuvantes Verfahren einsetzen!
Konservative Therapie
• Physiother.: Kontrakturprophylaxe und Verbesserung der motorischen Stö-
rungen. Beginn frühestmöglich in den ersten Lebensmon. unter Einbezie-
hung der Eltern, Übungen tgl. durchzuführen. Methoden: Bobath, Vojta.
• Ergother.: Spezielles Selbsthilfe-, Ess- und Schreibtraining.
• Logopädie: Im Kleinkindalter Essther., je nach Störung ab dem 3. Lj. gezielte
Sprachther. möglich.
• Medikamentöse Ther.:
– Systemisch: Antispastika (z. B. Baclofen, Tizanidin), Myotonolytika bei
spastischen Störungen. Anticholinergika bei extrapyramidalen Störungen.
– Intrathekal: Kontinuierliche Appl. einer geringen Menge Baclofen (z. B.
Lioresal®) über Katheter, Steuerung über externe Pumpe (Austestung)
oder programmierbare implantierte Pumpe. Ther.-Ziel: Tonus ↓ ab be-
stimmtem Segment (z. B. untere Extremität).
– Lokal: i. m.-Inj. von Botulinustoxin A (Botox®, Dysport®, Xeomin®), tem-
poräre Blockade der neuromuskulären Reizleitung, selektive Schwächung
oder Lähmung spastischer Muskeln, Wirkung je nach Muskelgröße, To-
xindosis und -verteilung. Ther.-Ziel: Erleichterunng anderer Ther.-Ver-
fahren (z. B. Kräftigung antagonisierender Muskeln, Orthesen, reflexhem-
mender US-Etappengipse, OP an Antagonisten) durch Tonusreduktion.
• Orthopädietechnik:
– Exakte Ind.-Stellung je nach Pathophysiologie und Biomechanik. Cave:
Dystone Formen.
– Lagerungsorthesen zur Kontrakturprophylaxe und Gelenkstabilisierung.
Nachtlagerungsschienen.
– Zur Verbesserung funktioneller Bewegungsabläufe: Einsatz von Steh-,
Geh-, Sitz- und Greifhilfen (z. B. Rollbretter/-wagen, Stehbretter), orthop. 17
Schuhwerk, Sitzschale, Rollstuhlversorgung.
Operative Therapie
Allgemein: Sehr strenge OP-Ind. Ziele: Korrektur von Kontrakturen und
­Deformitäten sowie Herstellung des Muskelgleichgewichts zur weitgehenden Ver-
hinderung pathol. Bewegungsmuster und Ermöglichen physiol. ­Bewegungsabläufe
ohne Zerstörung, sondern unter Ausnutzung von Kompensationsmechanismen.
Prophylaxe vorhersehbarer Funktionseinbußen, z. B. V ­ erhinderung einer sek.
Hüftluxation. Prinzipiell sind alle muskel-, ­aponeurose- und sehnenverlängernden
Eingriffe offen oder in perkutaner (minimalinvasiver) Technik möglich.
672 17 Pädiatrie 

Funktionsverbesserung der oberen Extremität: Insbes. Eingriffe an der Hand:


Beugekontraktur der Hand: Ursprungsverlagerung der Finger- und Handbeuger
nach distal (OP nach Scaglietti). Balancierende Sehnentransfers als funktionelle
oder stabilisierende Handgelenkarthrodese.
Funktionsverbesserung der unteren Extremität:
• Gehfähige Pat. (Di- und Hemiparese):
–  Beinachsenfehlstellung: Prox. oder dist. Femur- und Tibiaosteotomie zur
Korrektur einer Rotationsfehlstellung.
–  Hüftgelenkinstabilität: Derotations-Varisierungs-Osteotomie des Fe-
murs, pfannenbildende Beckenosteotomie (z. B. nach Pemberton oder De-
ga).
–  Spastik/Verkürzungen der gesamten Muskelkette: Funktionsverbesse-
rung durch Mehretagen-OPs (intramuskuläre Verlängerung der med.
Kniebeuger, des M. semitendinosus, M. gracilis und M. semimembrano-
sus und des M. triceps surae; dist. Transfer des M. rectus femoris zur Ver-
besserung der Schwungphasenmobilität).
! Wichtig: Richtige Dosierung der Muskelverlängerungen und -raffungen.
! Intensive (stationäre) postop. Reha für das Umlernen des Gangbilds und
Muskelkräftigung unbedingt erforderlich. Objektivierte Verlaufskontrolle
mittels Ganganalyse.
• Nicht gehfähige Pat. (Tetraparese):
–  Hüftbeugeadduktionskontraktur: Prox. Abtrennung der Hüftbeuger (M.
rectus femoris, M. tensor fasciae latae, M. sartorius und M. iliopsoas).
Prox. Adduktorentenotomie am Os pubis. Ziele: Beseitigung der Hüftad-
duktionskontraktur, Verbesserung des Scherengangs und der Iro.-Fehl-
stellung der Beine. Verminderung einer Coxa valga antetorta, Reduktion
der Spastik, Prophylaxe einer spastischen Hüftluxation. Postop. Orthesen-
lagerung und passive Stehther. (Schrägliegebrett, Stehständer).
–  Hüftluxation: Adduktorentenotomie, Derotations-Varisierungs-Verkür-
zungs-Osteotomie, offene Reposition, Hüftbeuger-Release und Pfannen-
dachplastik (z. B. nach Pemberton).
–  Kniebeugekontrakturen: Verlängerung der Mm. semitendinosus, graci-
lis, semimembranosus und biceps femoris ggf. mit distaler Femurextensi-
onsosteotomie in Komb. mit Raffung des Patellaligaments.
• OP bei gehfähigen und nicht gehfähigen Pat.:
–  Spastischer Spitzfuß: Aponeurotische Verlängerung des M. gastrocnemi-
us und M. soleus → OP nach Baumann. KI: Kniestreckdefizit > 50° bei
rechtwinklig gebeugter Hüfte. Leichtgradige, korrigierbare Muskelverkür-
zungen. Zurückhaltung mit Achillessehnenverlängerung! Ausgleichbare
Spitzfußhaltung (nur M. gastrocnemius beteiligt) → OP nach z. B. Silver-
17 skjöld oder Strayer zu diskutieren. Gesamte Trizepsmuskulatur beteiligt
(Transmissionsphänomen neg.: Kontrakter Spitzfuß, bei Kniebeugung
nicht ausgleichbar) → evtl. dosierte Z-förmige Achillessehnenverlänge-
rung einfach oder doppelt nach Baker und gleichzeitige Durchtrennung
der Soleus-Sehnenplatte.
–  Spastischer Knick-Platt-Fuß: OP nach Grice (extraartikuläre Arthrodese)
oder Arthrorise des USG, OP nach Evans (Kalkaneusverlängerung durch
Beckenkammspan) oder Chopart-Arthrodese mit medioplantarer Keilex-
zision immer (!) in Komb. mit dorsolateralem Weichteil-Release und Pe-
ronealsehnentransfer auf gerafften M. tibialis post.
  17.5 Kinder-Neuroorthopädie  673

– Spastischer Klumpfuß: Kalkaneokuboid- oder Chopart-Arthrodese mit


dorsolateraler Keilexzision immer (!) in Komb. mit dorsomed. Weichteil-
Release und hälftigem M.-tibialis-post.-Transfer durch die Membrana in-
terossea auf den Fußrücken oder dorsal von Tibia und Fibula auf die Pe-
ronealsehnen und/oder M.-tibialis-ant.-Transfer auf den lateralen Fußrü-
cken.
! Wichtig: Richtige Dosierung und Balancierung der Fußmuskulatur.

17.5.2 Spina bifida/Neuralrohrfehlbildungen

Häufigste angeborene Fehlbildung der WS. Alle Übergänge von einer harm-
losen Spina bifida occulta bis zur Myelomeningozele möglich.

Spina bifida occulta


Definition und Epidemiologie
Wirbelbogenspaltbildung ohne Beteiligung nervaler Strukturen. Meist am lumbo-
sakralen Übergang L5/S1. Oft hier abnorme Behaarung, Pigmentierung, Einzie-
hung der Haut. I. d. R. asymptomatisch.
Häufigkeit: Bei ca. 20 % der Erw.
Klinik
Gel. Tethered-Cord-Sy. = Verwachsungen des Rückenmarks im Bereich der Spina
bifida → Wachstumsdifferenz zwischen WS und fixiertem Rückenmark → Sakral-
markschädigung. Folge z. B. Ballenhohlfuß.

Spina bifida cystica


Definition und Epidemiologie
Hemmungsfehlbildung von WS und Rückenmark mit dorsalem Wirbeldefekt
und Ausstülpung der Meningen und/oder des Myelons.
Häufigkeit in Europa ca. 1 % (rückläufig wegen häufiger Schwangerschaftsabbrü-
che nach sonografischer Diagn.). Etwa 75 % der Fälle Myelo- bzw. Meningomye-
lozelen, 25 % Meningozelen. Prophylaxe durch Einnahme von Folsäure während
früher Embryogenese möglich.
Einteilung
Einteilung nach beteiligten Strukturen
• Myelozele (Spina bifida cystica aperta): Spaltung von Haut, Wirbelbogen, Du-
ra, plattenförmige Vorwölbung des Myelons oder der kaudalen Nervenwur- 17
zeln.
• Meningomyelozele (MMC): Haut, Wirbelbogen und Dura gespalten, Nerven-
wurzeln oder Myelon in die Zele hernienartig vorgewölbt. Rückenmark im-
mer mit verändert.
• Meningozele: Wirbelbogen und Dura gespalten, keine Ausstülpung des Mye-
lons oder der kaudalen Nervenwurzeln.
674 17 Pädiatrie 

Topografische Einteilung
Einteilung der klin.-neurol., mosaikartigen Symptomatik in zervikale (1 %), tho-
rakale (3 %), thorakolumbale (21 %), lumbale (41 %), lumbosakrale (23 %), sakrale
(11 %) Formen.
Klinik
• Motorisch-sensible Ausfälle unterschiedlicher Ausprägung.
• Blasen- und Mastdarmstörungen abhängig von anatomischer Lokalisation
(zervikal, thorakal, lumbal oder sakral) der Läsion. Urologische Diagn. und
Ther. ist wegen rez. aufsteigender Inf.-Gefahr lebensentscheidend!
• Gehfähigkeit korreliert mit der Höhe der Läsion (L3 Quadrizepsfunktion ent-
scheidet!).
• Nahezu ⅔ aller Neugeborenen zeigen bereits bei der Geburt mehr oder weni-
ger stark ausgeprägte Paresen der unteren Extremität bis hin zur kompletten
Querschnittssymptomatik.
• Progrediente WS-Deformitäten (Skoliosen, Gibbusbildung) → Spondylodesen
→ bessere Rumpfstabilität.
• Hüftgelenkinstabilität, evtl. Luxation.
• Progrediente Hüft- und Kniebeugekontrakturen (Froschdeformität).
• Vor allem bei sakralen Formen: Klump-, Hacken- oder Knickfüße.
• Häufige Assoziation der Dysraphie mit Hydrozephalus (20 %).
Mögliche Komplikationen
Dekubitus, Osteoporose, Spontanfraktur. Wachstumsstörungen der WS und
der unteren Extremität; neurogene Blase (aufsteigende Harnwegsinfekte).

Diagnostik
• Intrauterin: Amniozentese (hohe Konzentration von AFP im Fruchtwasser,
Nachweis von 90 % aller Spaltbildungen mögl.); Sonografie.
• Bei Geburt durch pädiatrische und neurol. Untersuchungen in Bauchlage.
Einteilung in:
–  Typ I: Paralyse ohne Reflexaktivität unterhalb der MMC.
–  Typ II: Querbandförmiger Ausfall von Motorik, Sensibilität und Reflex-
aktivität in Höhe der Myelodysplasie, distal Mosaik von funktionstüchti-
gen isolierten Rückenmarkanteilen.
• Rö der WS zur Darstellung und Lokalisation der Dysraphie sowie Nachweis
bereits bestehender Fehlhaltungen.
• Elektrostimulation und -myografie zur Verlaufsuntersuchung vor und nach
operativer Ther.
17 • MRT: Detaillierte Darstellung der anatomischen Gegebenheiten.
Therapie
Grundsätze
• Multidisziplinär, Gesamtkonzept erforderlich → Eltern, Pädiater, Neurochir-
urg, Orthopäde, Urologe, KG, Physio- und Ergotherapeut, Orthopädietechni-
ker, Orthopädieschuhmacher.
• Ziel der orthop. Ther.: Frühe altersentsprechende Vertikalisierung durch
Gehfähigkeit mit/ohne Orthesen und gleichzeitig frühe Mobilität und Selbst-
ständigkeit mit/ohne Rollstuhlversorgung abhängig von der Höhe der Läsion.
  17.5 Kinder-Neuroorthopädie  675

Konservative orthopädische Therapie


▶ Tab.  17.2.
• Frühe Rollstuhlversorgung ab dem 3. Lj. für selbstständige Mobilität.
• Frühe Steh- und Gehther. mit Orthesen, Swivelwalker, Reziprokator und
Gehgestell.
• Frühzeitig einsetzende intensive orthop. und Physiother. zur Prophylaxe von
Skelettdeformitäten, Kontrakturen und Dekubitalulzera. KG und Lagerung,
insbes. Kräftigung der Rumpfmuskulatur bei thorakalen Lähmungstypen.
• Wuchslenkung durch Lagerungsorthesen, Korsette und Fußorthesen bzw. or-
thop. Schuhe.
• Langzeitbetreuung, adäquates Reha-Programm.
Operative Therapie
▶ Tab.  17.2.
• Ziele: Beseitigung von Fehlstellungen, Funktionsherstellung, Erreichen einer
Gehfähigkeit mit Apparaten. Cave: Häufige Latexallergien berücksichtigen!
• Prinzip: Aufbau der Statik vom Fuß her. Beginn der operativen Eingriffe ge-
gen Ende des 2. Lj.
• Bei einseitiger Hüftluxation und Asymmetrie operative Stabilisierung ind.,
bei symmetrischer Luxation Hüftrekonstruktion für langfristig zufriedenstel-
lende und schmerzfreie Gehfähigkeit meist nicht erforderlich.

Tab. 17.2  Therapie bei Myelomeningozelen


Lähmungs- Funktionelle Orthopädisch- Operation Prognose
höhe Defizite technische
Therapie

Thorakal Komplette schlaffe Bein-Rumpf- Kontrakturbesei- Rollstuhl, evtl.


Lähmung der Bei- Orthese, tigung (Spina- Stehen und
ne mit Aro.-Abd.- THKAFO muskelablösung, Gehen mit Pa-
Stellung der Hüf- Kniebeugeseh- rawalker und
te, Kniebeugekon- nenverlänge- Gehhilfen
traktur (Froschhal- rung, Korrektu-
tung), rosteotomien)
Inkontinenz, se- WS: Skoliose,
kundäre Skoliose Gibbus → Kolum-
notomie, Resek-
tion des Kypho-
sewirbels, Spon-
dylodese

L3/L4 (und Teillähmung der Stützapparat Beseitigung von Überwiegend


oberhalb) Beine, Ausfall der als Schienen- Kontrakturen, Rollstuhl,
Hüftstrecker und Schellen-­ evtl. unilaterale ­Gehfähigkeit ↓ 17
Kniebeuger, mus- Apparat mit Hüftrekonstruk- mit Schienen-
kuläre Imbalance Hüft- und tion Stütz-Appara-
Knieein- ten und Gehhil-
schluss, fen
­HKAFO

L4/L5 Teilparesen der OS-Orthese, Beseitigung von Gehen mit


­Beine, Gefahr der intensive Kontrakturen, ­kurzen
paralytischen Hüft- ­Physiother. evtl. unilaterale ­Stützapparaten
luxation und Reha! Hüftrekonstruk- mit und ohne
­(Imbalanceluxation) tion ­Gehhilfen
676 17 Pädiatrie 

Tab. 17.2  Therapie bei Myelomeningozelen (Forts.)


Lähmungs- Funktionelle Orthopädisch- Operation Prognose
höhe Defizite technische
Therapie

Untere Fußlähmungen, US-Orthese, Lähmungs- Überwiegend


LWS und Fußdeformitäten Schuh-/Innen- klumpfuß: ASV, Gehen ohne
sakral (meist Klump-, schuhversor- dors. Kapselre- Gehhilfen
­Hackenfußstellung, gung, orthop. lease, Sehnen-
Lähmungsknickfuß, Schuh transfer, evtl.
Hohlfuß) Arthrodesen

Abkürzungen: ASV: Achillessehnenverlängerung, HKAFO: Hip-Knee-Ankle-Foot-Or-


thosis = hüftübergreifende Beinorthese, THKAFO Thoraco-Hip-Knee-Ankle-Foot-Or-
thosis = thoraxübergreifender Beinorthesen-Apparat

17
18 Neurologie und Neuroorthopädie
Michael Akbar, Johannes Binder, Franz-Peter Maichl, Ansgar Türk
und Bahram Biglari

18.1 Neurologische Untersuchung 18.6 Querschnittlähmung


Johannes Binder und Franz-Peter Maichl, Ansgar Türk
Franz-Peter Maichl 678 und Bahram Biglari 695
18.2 Leitsymptome 18.6.1 Erworbene Querschnitt­
Johannes Binder und lähmung 695
Franz-Peter Maichl 681 18.6.2 Konus-Kauda-Syndrom 705
18.2.1 Verwirrtheit, Bewusstseins­ 18.7 Erkrankungen des
störung 681 ­Rückenmarks
18.2.2 Kopfschmerz 682 Johannes Binder 706
18.2.3 Schwindel 683 18.7.1 Amyotrophe Lateralsklerose
18.2.4 Blasen-Mastdarm-­ (ALS) 706
Störung 684 18.7.2 Syringomyelie 706
18.2.5 Paresen 685 18.7.3 Friedreich-Ataxie 707
18.2.6 Sensibilitätsstörungen 686 18.8 Myasthenia gravis
18.3 Apparative Zusatz­diagnostik Johannes Binder 707
Johannes Binder 687 18.9 Erkrankungen des peripheren
18.3.1 Evozierte Potenziale 687 Nervensystems
18.3.2 Neuro- und Myografie 688 Johannes Binder 708
18.3.3 Liquordiagnostik 689 18.9.1 Umschriebene
18.4 Entzündliche ZNS-­ Nervenläsionen 708
Erkrankungen 18.9.2 Polyneuropathien
Michael Akbar und ­(Auswahl) 711
Johannes ­Binder 690 18.10 Muskelerkrankungen
18.4.1 Poliomyelitis acuta anterior Michael Akbar 712
(Heine-Medin) 690 18.10.1 Progressive
18.4.2 Multiple Sklerose (MS; Muskeldystrophie 712
­Encephalomyelitis 18.10.2 Dystrophia myotonica
­disseminata) 691 (­Curschmann-Steinert) 715
18.5 Perioperativ wichtige 18.10.3 Polymyositis 716
ZNS-­Erkrankungen 18.11 Orthopädisch relevante
Johannes Binder 692 ­Folgen neurologischer
18.5.1 Schlaganfall 692 ­Erkrankungen
18.5.2 Morbus Parkinson 693 Michael Akbar 717
18.5.3 Epilepsie 693
678 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

18.1 Neurologische Untersuchung
Johannes Binder und Franz-Peter Maichl
Spezielle, allgemeine und soziale Anamnese ▶  6.2.2, Schmerzanamnese ▶  6.2.2,
▶ 19.3.1, ▶ 24.1.
Kopf, HWS
Hirnnerven: Pupillo- und Okulomotorik (II–VI), Sensibilität (V), mimische
Muskulatur (VII), kaudale Hirnnerven (VIII–XII), Beweglichkeit der HWS
(▶ 10.3), DS der zervikalen Dornfortsätze.
Klinische Anzeichen von Hirnnervenläsionen: Anisokorie, Schielen, Doppelse-
hen, Fehlhaltung des Kopfs, Sensibilitätsstörungen im Gesicht, mimische Asym-
metrie, Hörbeeinträchtigung, Schwindel, Schluckstörung etc.
Meningismus (▶  Abb. 18.1): Nackensteifigkeit. Bei Nackenbeugung beugt Pat.
Hüft- und Kniegelenke (Brudzinski-Zeichen), bei Hüftbeugung beugt Pat. Knie-
gelenke (Kernig-Zeichen), bis hin zum Opisthotonus (Beugung der Extremitäten
und Hyperlordose der LWS).

Motorik
• Muskelkraft: Quantitative Beurteilung ▶ 6.2.3.
• Trophik: Muskelatrophien bei peripheren Läsionen (myogen oder neurogen).
• Muskeltonus: Hypotonus als schlaffe Parese bei peripheren Läsionen (myo-
gen oder neurogen), Spastik (Taschenmesserphänomen) als Tonuserhöhung
bei Läsionen des zentralen („ersten“) Motoneurons, Rigor (Zahnradphäno-
men) bei extrapyramidal-motorischen Erkr.
• Reflexe (▶ Tab. 18.1): Immer im Seitenvergleich beurteilen!
­Unterscheidung zwischen monosynaptischen Eigen- und polysynapti-
schen Fremdreflexen: Bei Läsionen des Reflexzentrums (peripher) MER ↓
und Fremdreflexe ↓, bei Läsionen kranial des Reflexbogens (zentral)
MER ↑ und Fremdreflexe ↓.

Beurteilung einer Parese


Für die Differenzierung von Paresen müssen Muskelatrophie, Muskeltonus,
Reflexe und die Verteilung der Paresen beurteilt werden (▶ 18.2.5).

• Pyramidenbahnzeichen: Tonische Dorsalflexion der Großzehe mit gleichzei-


tiger Plantarflexion und Spreizung der anderen Zehen; verschiedene Auslöse-
möglichkeiten:
– Babinski (Bestreichen der lat. Plantarseite).
– Oppenheim (kräftiges Bestreichen der Schienbeinvorderkante).
– Gordon (Kompression der Wadenmuskulatur).
– Strümpell (liegender Pat. beugt Knie gegen Widerstand).

Koordination
18 • Mögl. Ursachen koordinativer Störungen: Schäden im Großhirn, extrapyra-
midal, zerebellär, vestibular, spinal, peripherer Nerv.
• Ataxie: Gang (Gangataxie), Stehen, Sitzen (Rumpfataxie), Zielbewegungen
Extremitäten (Finger-Nase-, Knie-Hacke-Versuch).
• Dysmetrie: Zielbewegungen Extremitäten (Intentionstremor), Sprechen
(skandierende Sprache).
  18.1 Neurologische Untersuchung  679

18
Abb. 18.1 Meningismus-Zeichen [L106]
680 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

Tab. 18.1  Eigen- und Fremdreflexe


Reflex Nerv Wurzel

Eigenreflexe

Bizepssehnenreflex (BSR) N. musculocutaneus C6

Trizepssehnenreflex (TSR) N. radialis C7

Trömner-Reflex N. medianus C8

Adduktorenreflex N. obturatorius L3

Patellasehnenreflex (PSR) N. femoralis L4

Tibialis-post.-Reflex (TPR) N. tibialis L5

Achillessehnenreflex (ASR) N. tibialis S1

Fremdreflexe

Bauchhautreflexe Interkostalnerven Th6–Th12 (wichtig zur Etagen­


diagn. bei RM-Läsionen)

Kremasterreflex – L1/L2

Analreflex – S3–S5 (wichtig bei V. a. Konus-


Kauda-Sy.)

• Asynergie: Rechtzeitige antagonistische Bewegungen (Rebound-Phänomen),


Wechselbewegungen beider Hände (Diadochokinese).
• Richtungsabweichungen: Stehen (Romberg/Unterberger), Gang (Blindgang,
Seiltänzergang).

Sensibilität
Dermatomzuordnung evtl. Störungen ▶ Abb. 18.4.
• Berührungsempfinden: Hyp-, An-, Parästhesie.
• Räumliches Unterscheidungsvermögen: 2-Punkte-Diskrimination.
• Schmerzempfindung: Hyp-, An-, Hyperalgesie.
• Temperaturempfindung: Thermhypästhesie, Thermanästhesie, Kältehyperpa-
thie.
• Dissoziierte Empfindungsstörung: Hier ist nicht die gesamte Sensibilität ge-
stört, sondern z. B. nur die Schmerz- und Temperaturempfindung bei erhalte-
nem Berührungsempfinden; mögl. Ursache: Schädigung im kontralat. Verlauf
des Tractus spinothalamicus lateralis.
• Bewegungsempfinden: Lagesinnstörung.
• Vibrationsempfinden: Pallhypästhesie, Pallanästhesie.
• Sensible Reizerscheinungen: Par-, Dysästhesie (Kribbeln, Brennen, Elektrisie-
ren), Schmerzen, Kausalgie (dumpfer, brennender Schmerz), Hyperpathie
(übermäßiges Schmerzempfinden), Allodynie (nur kurze Berührungen lösen
Schmerzen aus).
18
Differenzierung von Sensibilitätsstörungen
Sensibilitätsstörungen können differenziert werden, indem ihre Verteilung,
die betroffenen Modalitäten und ihre zeitliche Dynamik beurteilt werden
(▶ 18.2.6).
  18.2 Leitsymptome  681

18.2 Leitsymptome
Johannes Binder und Franz-Peter Maichl

18.2.1 Verwirrtheit, Bewusstseinsstörung
Klinik
Inadäquates Verhalten mit Desorientiertheit zu Person, Ort und Zeit, evtl. Som-
nolenz, Störungen von Wahrnehmung und Reizverarbeitung (Halluzinationen,
Merkfähigkeitsstörungen, Konfabulationen).

Diagnostik
• Blut: BB (Leukozytose, Linksverschiebung), BSG, Krea, Harnstoff, E'lyte,
Schilddrüsenwerte, BZ, Alkohol-, Drogen- und Medikamentenspiegel, Vit.
B1.
• Urinanalyse: Medikamente, Drogen.
• Apparativ: EEG, CCT, MRT, Liquorpunktion, Basilaris-Doppler.
Differenzialdiagnosen
▶ Tab. 18.2.
Tab. 18.2  Differenzialdiagnosen der Verwirrtheit
Ursache Beginn Bewusst- Halluzina- Psycho- Sprache Besonderheit
sein tionen motorik

Delir Akut Einge­ Haupt­ Wech­ Inkohärent, Koordinati­


schränkt sächlich selnd wechselnd onsstörung,
visuell Tremor, ve­
getative Sym­
ptome

Demenz Chron. Normal Keine Normal Wortfin­ Persönlich­


dungsstö­ keitsverände­
rungen, Per­ rung
severation

Psycho­ Akut Normal Akustisch Wech­ Normal Endogen


sen selnd oder orga­
nisch

Enze­ Subakut Gestört Selten Redu­ Evtl. Apha­ Neurol. Defi­


phalitis ziert sie zite, epilepti­
sche Anfälle,
Fieber

Durch­ Subakut Einge­ Selten Wech­ Evtl. Apha­ In seltenen


gangssy. schränkt selnd sie Fällen luzide
Intervalle

18
Weitere Differenzialdiagnosen:
• Wernicke-Enzephalopathie: Halluzinationen, Gedächtnisstörungen, Augen-
muskelparesen, Nystagmus, Ataxie.
• Korsakow-Sy. nach Delir, Trauma, Enzephalitis: Merkfähigkeitsstörung, Des-
orientiertheit.
682 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

• Globale Aphasie: Sprachproduktion ↓, kein Befolgen von verbalen Aufforde-


rungen.
• Postiktaler Verwirrtheitszustand, Petit-Mal-Status, Status komplex-partieller
Anfälle.
• Transitorische globale Amnesie.
• Zentrale Blindheit: Delirant, unruhig.

18.2.2 Kopfschmerz
Klinik
Kopfschmerzen mit unterschiedlichem Schmerzbeginn, Charakter; verschiedene
Lokalisationen und Intensität, Dauer, Erstmanifestation und Frequenz unter-
schiedlich, Triggerfaktoren möglich. Je nach Typ Prodromi und/oder Begleiter-
scheinungen (auch ▶ Tab. 18.3).

Diagnostik
• Vor allem klin. Diagnosestellung.
• Anamnese: Klin. Charakteristika, Medikation (z. B. Analgetika).
• Untersuchung: Kalottenklopfschmerz, Meningismus, DS trigeminaler Ner-
venaustrittspunkte, HWS-Beweglichkeit, Schmerzen, sonstiger neurol. Status.
• Ggf. HWS-Diagn., zerebrale Bildgebung mit CCT/MRT, Liquorpunktion, EEG;
Bildgebung wesentlich bei Befundpersistenz, z. B. Nacken-, Hinterkopfschmer-
zen bei bulbären Einklemmungssy., Bewusstlosigkeit/Sehstörungen bei Anstieg
des Hirndrucks bei Shunt-Pat./Shunt-Insuff. (Hydrozephaluspat., z. B. MMC).

Differenzialdiagnosen
▶ Tab. 18.3.
Tab. 18.3  Differenzialdiagnosen des Kopfschmerzes
Charakter Beginn Lokalisa- Prodromi Begleitsymptome
tion

Zerviko­ Ziehend Wechselnd, Bds., z. T. Keine HWS-Beschwerden


gener bewegungs­ streng
Kopf­ abhängig einseitig
schmerz

Span­ Dumpf, Schleichend Biokzipi­ Keine z. T. Licht-, Lärmüber­


nungs­ ziehend tal, bi­ empfindlichkeit
kopf­ frontal
schmerz

Migräne Pulsierend, Attackenar­ Einseitig, z. T. Aura Übelkeit, Erbrechen,


pochend tig, Pat. z. T. sei­ (visuell, Licht-, Lärmüberemp­
zieht sich tenwech­ sensibel) findlichkeit
zurück selnd

18 Cluster-
Kopf­
Heftig
bohrend,
Attackenar­
tig, Pat.
Einseitig,
hinter
Keine Nasenlaufen, Tränen
des Auges, Übelkeit,
schmerz brennend geht umher Auge Erbrechen

Analgeti­ Dumpf, Aus Schlaf Wech­ Keine Nach regelmäßiger


ka-Kopf­ drückend heraus selnd Analgetikaeinnahme
schmerz
  18.2 Leitsymptome  683

Tab. 18.3  Differenzialdiagnosen des Kopfschmerzes (Forts.)


Charakter Beginn Lokalisa- Prodromi Begleitsymptome
tion

Trigemi­ Blitzartig, Attackenar­ Wangen- Keine, Tränen des Auges,


nusneur­ heftig tig, kurz an­ und Lip­ Trigger: Rötung, Gesichtszu­
algie dauernd penbe­ Kauen, ckungen
reich ein­ Berühren
seitig

Meningi­ Drückend Schleichend Holoze­ Keine Allg. Krankheitsge­


tis phal, Me­ fühl, Fieber, epilepti­
ningismus sche Anfälle, neurol.
Defizit, Bewusstseins­
störung

Subarach­ Heftigst, Plötzlich Holoze­ Keine Übelkeit, Erbrechen,


noidalb­ so unbe­ phal, Me­ epileptische Anfälle,
lutung kannte ningismus neurol. Defizit,
Schmerzen ­Bewusstseinsstörung

18.2.3 Schwindel
Klinik
• Systematischer Schwindel: Drehschwindel (Richtung?) oder Schwankschwin-
del (Fallneigung?).
• Unsystematischer Schwindel (Benommenheit, Unsicherheit):
– Mit Bewusstseinsstörung, z. B. bei Hypoxie, metabolischer Störung, Into-
xikation.
– Mit visuellen Störungen bei okulärem Schwindel.
– Mit Gang- und Standunsicherheit (eigentlich Ataxie) bei peripheren, spi-
nalen oder zerebralen Störungen.
– In bestimmten belastenden Situationen bei psychogenem Schwindel.
• Charakteristische Unterschiede je nach Schwindelbeginn, Charakter, Dauer,
Frequenz, Triggerfaktoren, Prodromi, Begleiterscheinungen (auch ▶ Tab.
18.4).

Diagnostik
• Untersuchung: Augenbewegungsstörungen (Spontannystagmus), Hörprü-
fung, Fallneigung, sonstige Hirnnervenfunktionen, sonstiger Neurostatus.
• HNO-Konsil.
• Apparativ: Nystagmografie mit Kalorik, zerebrale Bildgebung mit CCT/MRT.
Differenzialdiagnosen
▶ Tab. 18.4.

18
684 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

Tab. 18.4  Differenzialdiagnosen des Schwindels


Charakteris- Dauer Provoka- Hörstö- Neurologi- Ursachen
tik tion rung sche Defizi-
te

Benigner Attackenar­ Sek. Lagerung Keine Keine Vestibu­


paroxys­ tig, Dreh­ lär
maler La­ schwindel
gerungs­ mit Übelkeit,
schwindel gerichtet

Zervikaler Dreh- oder Sek. Bewe­ Selten Keine Hals-Pro­


Schwindel Schwank­ gungen priozepti­
schwindel, Kopf ge­ on
gerichtet gen
Rumpf

Morbus Attackenar­ Min. bis Keine Tinni­ Keine Vestibu­


Menière tig, Dreh­ Stunden tus, lär
schwindel Hör­
mit Übelkeit, minde­
gerichtet rung

Akuter Attackenar­ Stunden Keine Keine Keine Vestibu­


Vestibula­ tig, Dreh­ bis Tage lär
risausfall schwindel
mit Übelkeit,
gerichtet

Wallen­ Dauerhafter Stunden Keine, Keine Horner-Sy., Hirn­


berg-Sy. Drehschwin­ bis Tage z. T. je­ Hemiataxie, stamm
del mit Fall­ doch la­ dissoziierte
neigung geabhän­ Sensibilitäts­
gig störungen

Akustikus­ Dauerhafter Stunden Keine, z. T. Fazialispare­ Hirnner­


neurinom, Drehschwin­ bis Tage z. T. je­ Hör­ se, sonstige ven, Hirn­
Hirn­ del mit Fall­ doch la­ minde­ Hirnnerven­ stamm
stammläsi­ neigung, geabhän­ rung ausfälle
onen schleichender gig
Beginn

18.2.4 Blasen-Mastdarm-Störung
Klinik
• Beginn, Frequenz, Größe der Harnportion verändert.
• Unwillkürlicher Harnabgang, Gefühl von Restharn, erschwerte Miktion, Sen-
sibilitätsstörungen.
• Stuhlinkontinenz, Obstipation.
• Begleiterscheinungen.
• An NW von Medikamenten (anticholinerge Med., Spasmolytika, Betablocker,
Kalziumantagonisten) denken! Immer gezielt erfragen, wird oft vom Pat.
18 nicht erwähnt!

Diagnostik
• Untersuchung: Kremaster-, Analreflex, Tonus des M. sphincter ani externus,
perianale Sensibilitätsprüfung, Reithosenanästhesie, allg. neurol. Status.
• Urinstatus, Nierenfunktionswerte, Restharnbestimmung (normal < 80 ml).
  18.2 Leitsymptome  685

• Urologisches/nephrologisches Konsil; Durchführung dynamischer Untersu-


chungsmethoden, z. B. Video-Urodynamik.
• Spinale Bildgebung mit CCT/MRT, Elektrophysiologie, Liquorpunktion.
Differenzialdiagnosen
▶ Tab. 18.5.
Tab. 18.5  Differenzialdiagnosen der Harninkontinenz
Läsionsort Blasen- Inkonti- Restharn Begleiter- Ursachen
tonus nenz scheinung

Detrusor­ Suprapontin, Normal Dran­ Keiner Nykturie, Zentrale Lä­


hyperre­ oberes ginkon­ Pollakisurie sion, fron­
flexie Motorneuron tinenz tal

Detrusor- Kranial des Spas­ Dran­ Wenig Nykturie, Spinale Lä­


Sphinkter- Conus medul­ tisch ginkon­ Pollakisurie, sion
Dyssyner­ laris tinenz spastische
gie Paraparese

Detrusor­ Conus medul­ Schlaff Über­ Viel Reithosen­ Läsion von


hyporefle­ laris, Cauda laufin­ anästhesie, Konus, Kau­
xie equina, peri­ konti­ schlaffe Pa­ da oder pe­
pher (unteres nenz resen ripheren
Motorneu­ Nerven (N.
ron) pudendus)

18.2.5 Paresen
▶ Tab. 18.6.
Tab. 18.6  Differenzialdiagnosen von Paresen
Myogene Gestörte neu- Peripher- Radikulä- Supranukleäre/
Parese romuskuläre neurogene/ re Parese zentrale Parese
Übertragung nukleäre Pa-
rese

Beginn Subakut bis Subakut bis Akut (Trau­ Meist Heterogen


schleichend schleichend ma), schlei­ akut
chend (PNP)

Dyna­ Meist Abends und Langsame Zuneh­ Langsame Bes­


mik chron.-pro­ nach Belastung Besserung mende serung oder
gredient schlechter (Trauma), Schmer­ progredient
chron.-pro­ zen, z. T.
gredient Remission

Refle­ Normal bis Normal bis ab­ Abge­ Abge­ Gesteigert mit
xe abge­ geschwächt schwächt schwächt Pyramidenbahn­
schwächt zeichen
18
Tonus Schlaff Schlaff Schlaff Schlaff Spastisch

Tro­ Im Verlauf Im Verlauf mä­ Atrophie Atrophie Keine Atrophie


phik mäßige ßige Atrophie
Atrophie,
Lipomatose
686 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

Tab. 18.6  Differenzialdiagnosen von Paresen (Forts.)


Myogene Gestörte neu- Peripher- Radikulä- Supranukleäre/
Parese romuskuläre neurogene/ re Parese zentrale Parese
Übertragung nukleäre Pa-
rese

Vertei­ Prox. be­ Okulär, bulbär, Umschrieben Entspre­ Paraparese (spi­


lung tont, sym­ thorakal, prox., je nach ge­ chend nal), Hirnnerven
metrisch meist symmet­ schädigtem den und Extremitä­
risch Nerv, sym­ Kennmus­ ten gekreuzt
metrisch keln eines (Hirnstamm),
Segments rein motorisch
(subkortikal/kor­
tikal)

Be­ Myalgien, z. T. Atemnot, Autonome Rücken­ Kortikale Läsion


gleit­ Krämpfe assoziiert mit Störungen schmer­ mit Aphasie u. a.
symp­ Thymom zen neuropsycholo­
tome gischen Defizi­
ten

Ursa­ Myositiden, Myasthenia Trauma, PNP Band­ Ischämien, Neo­


che metaboli­ gravis scheiben­ plasmen, deg.
sche Stö­ vorfall, Erkr.
rungen Radikulitis

18.2.6 Sensibilitätsstörungen
▶ Tab. 18.7.
Tab. 18.7  Differenzialdiagnosen von Sensibilitätsstörungen
Peripher- Ganglio- Hintersträn- Hirnstamm Subkortikal/
nerval när/Hin- ge kortikal
terwurzel

Berührungs­ Reduziert Reduziert Reduziert z. T. redu­ z. T. reduziert


empfinden ziert

Räumliche Reduziert Reduziert Reduziert z. T. redu­ z. T. reduziert


Diskriminie­ ziert
rung

Schmerz- Reduziert Reduziert Erhalten z. T. redu­ z. T. reduziert


und Tempe­ ziert, z. T.
raturemp­ dissoziiert
findung

Lageemp­ Reduziert Reduziert Reduziert z. T. redu­ z. T. reduziert


finden ziert

Vibrations­ Reduziert Reduziert Reduziert z. T. redu­ z. T. reduziert


empfinden ziert
18
Verteilung Umschrie­ Segmen­ Kaudal der z. T. dissozi­ Hemisympto­
ben je nach tal spinalen Lä­ iert, z. T. ge­ matik, z. T.
geschädig­ sion kreuzte distal betont
tem Nerv, Symptoma­
symmetrisch tik
  18.3 Apparative Zusatzdiagnostik  687

Tab. 18.7  Differenzialdiagnosen von Sensibilitätsstörungen (Forts.)


Peripher- Ganglio- Hintersträn- Hirnstamm Subkortikal/
nerval när/Hin- ge kortikal
terwurzel

Begleitsym­ Autonome z. T. feh­ Ataxie z. T. auch Häufig mit


ptome Dysfunktion lende mo­ gekreuzte motorischen
torische motorische Defiziten
Defizite Defizite

Ursache Trauma, Ganglio­ Hintere RM- Hirnstamm­ Subkortikale/


PNP nitis, weit Läsion, Trau­ läsion, Ischä­ kortikale Lä­
lat. NPP ma, metabo­ mie, Entzün­ sion, Ischä­
lische oder dung, Neo­ mie, Entzün­
deg. Erkr. plasmen dung, Neo­
plasmen

18.3 Apparative Zusatzdiagnostik
Johannes Binder

18.3.1 Evozierte Potenziale
Definition
Antwortpotenziale (neuronale Aktivität oder Muskelantwortpotenziale) nach Sti-
mulation von Sinnesorganen, afferenten oder efferenten Nerven.

Somatosensibel evozierte Potenziale (SEP)


Methode
• Repetitive elektrische Stimulation von gemischt sensibel-motorischen oder
rein sensiblen Nerven, segmental oder peripher verteilten Dermatomen.
• Ableitung mit Oberflächenelektroden über peripheren (z. B. Erb), spinalen
(z. B. lumbal oder zervikal) und zentralen (z. B. parietal an Schädelkalotte)
Punkten mit Mittelung zur Minimierung des Hintergrundrauschens.
• Beschrieben werden Latenzverzögerung und Veränderung der Potenzialkon-
figuration (gemittelte neuronale Aktivität).
Indikationen
• Erkrankungen:
– Peripheres Nervensystem: Nerven-, Plexus- und Wurzelläsionen, (prox.
betonte) PNP.
– ZNS: Spinale Tumoren, Myelopathien, Friedreich-Ataxie, Myelitis, MS,
zentrale Läsionen, Epilepsie, Koma, intraop. Monitoring.
• Methode: Topografische Diagn. (prox.) peripherer, spinaler oder zentraler
Läsionen durch Ableitung über peripheren, spinalen und zentralen Punkten.
18
Motorisch evozierte Potenziale (MEP)
Methode
• Magnetische Einzelreize kortikal (z. B. frontoparietal über Schädelkalotte)
und spinal (z. B. lumbal oder zervikal) mit Stimulation von Neuronen.
688 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

• Ableitung mit Oberflächenelektroden über Hand-/Armmuskeln und Fuß-/


Beinmuskeln.
• Beschrieben werden Latenzverzögerung und Veränderung der Potenzialkon-
figuration (Muskelantwortpotenziale).
Indikationen
• Erkrankungen:
– Peripheres Nervensystem: Plexus- und Wurzelläsionen, (prox. betonte)
PNP.
– ZNS: Spinale Tumoren, Myelopathien, Myelitis, MS, zentrale Läsionen.
• Methode: Topografische Diagn. (prox.) peripherer oder spinaler und zentra-
ler Läsionen durch Stimulation über kortikal oder spinal.

18.3.2 Neuro- und Myografie


Definition
• Neurografie: Antwortpotenziale (neuronale Aktivität bei sensibler, Mus-
kelantwortpotenziale bei motorischer Neurografie) nach Stimulation sensib-
ler oder gemischt sensomotorischer Nerven.
• Myografie: Beurteilung der elektrischen Muskelaktivität.
Methode
• Sensible Neurografie:
– Prox. elektrische Stimulation sensibler Fasern eines Nervs mit Ableitung
distal über dem Versorgungsgebiet des Nervs (antidrom) oder distale Sti-
mulation im Versorgungsgebiet des Nervs mit Ableitung prox. über sen-
siblen Fasern des Nervs (orthodrom).
– Beschrieben werden Latenz- und Geschwindigkeitsverzögerung und Ver-
änderung der Potenzialkonfiguration (gemittelte neuronale Aktivität).
• Motorische Neurografie:
– Prox. elektrische Stimulation der motorischen Fasern eines Nervs mit Ab-
leitung über vom Nerv versorgten Muskel.
– Beschrieben werden Latenz- und Geschwindigkeitsverzögerung und Ver-
änderung der Potenzialkonfiguration (Muskelantwortpotenziale).
• Myografie:
– Nadelelektroden im Muskel, Untersuchung in 3 Phasen (Ruhe, leichte to-
nische Kontraktion, Maximalinnervation).
– Beschrieben werden Spontanaktivität (Zeichen einer akuten Denervie-
rung), die Potenziale motorischer Einheiten (Zeichen eines chron. neuro-
genen Umbaus oder myopathischer Veränderungen) und das Interferenz-
und Rekrutierungsmuster (Beurteilung der Parese).

Indikationen
• Erkrankungen:
– Peripheres Nervensystem: Plexus- und Wurzelläsionen, PNP, neuromus-
18 kuläre Überleitung, Myopathien.
– ZNS: Nur indirekte Hinweise, daher bei zentralen Läsionen nur Methode
der zweiten Wahl.
• Methode:
– Neurografie: Diagn. von Nervenläsionen (periphere oder radikuläre Läsi-
on, Plexusläsion) durch geeignete Auswahl der untersuchten Nerven.
  18.3 Apparative Zusatzdiagnostik  689

– Myografie: Diagn. von myopathischen oder neurogenen Veränderungen


(Zuordnung zu peripheren, Plexus- oder radikulären Läsionen) sowie Be-
urteilung der Akuität eines Defizits durch geeignete Auswahl der unter-
suchten Muskeln.

Eingeschränkter Einsatz
• Bei akuten neurogenen Läsionen sind diagn. myografische Aussagen
erst nach Beginn der neurogenen Muskelveränderungen (Spontanakti-
vität) mögl., d. h. frühestens nach 10–14 d.
• Eine Myografie ist bei Antikoagulation nicht möglich.

18.3.3 Liquordiagnostik
Definition
Untersuchung des Liquors mit Zytologie-, Protein- und AK-Diagn.

Indikationen
• Entzündungen:
– Akut: Enzephalitis, Meningitis, Myelitis, Inf. mit Herpes simplex, anderen
neurotropen Viren, HIV.
– Subakut/chron.: Guillain-Barré-Sy., chron. inflammatorische PNP, Borre-
lien-Polyradikulitis.
• Subarachnoidalblutung.
• Tumorerkr.: Meningeosis.
Kontraindikationen beachten
Erhöhter Hirndruck (vor Punktion immer CCT!), schwere Gerinnungsstö-
rung oder Antikoagulation.

Technik
Lumbalpunktion am besten im Sitzen in vornüber gebeugter Haltung („Katzen-
buckel“), bei Liquordruckmessung im Liegen (▶  Abb. 18.2). Punktionshöhe
LWK3/4 (RM reicht nur bis Höhe LWK1); entspricht der Verbindungslinie zwi-
schen beiden tastbaren Beckenkämmen; Punktionsort zwischen den beiden tast-
baren Dornfortsätzen; atraumatische Nadel durch Introducer bis zum Längsband
vorschieben (leichter Widerstand).

18

Abb. 18.2  Lumbalpunktion [L106]


690 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

18.4 Entzündliche ZNS-Erkrankungen
Michael Akbar und Johannes Binder

18.4.1 Poliomyelitis acuta anterior (Heine-Medin)


Definition
Vor Einführung der oralen Lebendvakzine-Schutzimpfung gefürchtete epidemi-
sche Inf. durch Poliovirus (Typ 1–3). Heute in den Industrienationen selten (mel-
depflichtig!). Übertragung durch Schmutz-Schmier-Inf. Ausgesprochen neuro-
tropes Virus, das sich hämatogen ausbreitet, in einer Inkubationszeit von 1–3 Wo.
Befall der motorischen Vorderhornzellen des RM sowie einzelner motorischer
Hirnstammkerne.

Klinik und Verlauf


Charakteristika: Neurol. Infektsymptome bei 1–2 %. Lähmungen (Vorderhorn-
zellen gehen zugrunde), Sensibilität nicht betroffen. Verlauf in 4 Stadien:
• Prodromalstadium, katarrhalisches, meningitisches Stadium über wenige
­Tage.
• Paralytisches Stadium:
– Schlaffe, oft asymmetrische Paresen (selten auch aufsteigend).
– Meist spinale und bulbäre Manifestation.
– Charakteristische MER-Abschwächung, Faszikulationen und rasche Ent-
wicklung von Atrophien, schließlich Atemlähmung.
• Reparationsstadium mit Rückbildungsmöglichkeit der Lähmungen (bis 2 J.).
• Spätstadium.
Orthopädische KO: Zunehmende Deformitäten (z. B. Genu recurvatum, Spitz-,
Ballenhohl-, Klumpfuß, Hüftluxation, Skoliosen) durch Muskelungleichgewicht
und Kontrakturen, Schlottergelenke, Muskelatrophien (M. tibialis ant. und
Wadenmuskulatur).
Post-Polio-Sy.: Langsam progrediente Paresen und Muskelatrophien der ur-
sprünglich betroffenen Muskelgruppen nach Jahrzehnten bei einem Teil der Po-
liomyelitispat. Ätiol. unklar (Viruspersistenz? Untergang vorgeschädigter Zellen?
Immunologische Prozesse?).

Diagnostik
Lumbalpunktion, Pleozytose bis 300 Zellen/μl, erst granulozytäre, dann lympho-
zytäre Pleozytose und leichte bis mäßige Eiweißvermehrung.

Therapie
Orthopädische Therapie im Spätstadium
Orthopädietechnische Maßnahmen, KG, OP (insbes. Sehnentransfer): Reduktion
der Folgezustände der Lähmungen. Bsp.:
• BLD durch Minderwuchs einer Extremität: Orthopädietechnische Maßnah-
18 men (Orthese, Orthoprothese, ▶ 23.8), Verlängerungsosteotomien (▶ 13.1.3).
• Genu recurvatum: z. B. Orthesen, Korrekturosteotomie, Spitzfußkorrektur.
• Quadrizepslähmung: z. B. Muskeltransfer M. biceps femoris und M. semiten-
dinosus auf den M. quadriceps femoris zur Augmentation; Orthesen.
• Fuß- und Sprunggelenkdeformitäten: Zahlreiche verschiedene Sehnentrans-
fers, evtl. Arthrodesen.
  18.4 Entzündliche ZNS-Erkrankungen  691

Post-Polio-Therapie
Keine kausale Ther. bekannt, symptomatisch mit KG, OP, orthopädietechnischen
Maßnahmen. Jedoch nur begrenzte Progredienz, insgesamt gutartiger Verlauf.

18.4.2 Multiple Sklerose (MS; Encephalomyelitis disseminata)


Definition
Gehört zu den häufigsten neurol. Erkr. (neuroimmunologische, demyelinisieren-
de Erkr.) in Europa, bevorzugt jüngere Frauen (2.–3. Ljz.) (F : M = 2 : 1). Prävalenz
70/100.000 Einw. Meist chron., polytop demyelinisierende Erkr. des ZNS (v. a.
subkortikal, zerebellär, Sehnerv und RM); neben der Demyelinisierung sind je-
doch auch (sekundäre?) axonale Schädigungen für das Ausmaß der Behinderung
verantwortlich.

Ätiologie
Ungeklärt. Diskutiert werden autoimmunologische Prozesse unter Einfluss so-
wohl genetischer (erhöhtes Risiko für Angehörige und Mitglieder bestimmter
Volksgruppen) als auch umwelttoxischer Faktoren (regionale Häufungen, Auftre-
ten im Zusammenhang mit Virusinf.).

Klinik
Ausfallerscheinungen (initiale Symptome): Vielfältig mit Visusminderung
(36 %), Augenbewegungsstörungen, zerebellären Symptomen (Nystagmus, Ata-
xie, Dysarthrie), Sensibilitäts- (37 %), motorischen (35 %; Paresen, Spastik) und
Blasenstörungen (4 %).
Verlaufsformen: Möglich sind schubförmig remittierender (z. T. auch monosymp-
tomatisch mit nur wenigen Schüben), schubförmig progredienter (u. U. Übergang
in sek. progredient) und prim. progredienter Verlauf. Vielfach bleiben umfangrei-
che Lähmungen mit inaktivitätsbedingter Muskelatrophie zurück. Bei sehr frühem
Krankheitsbeginn wird das weitere Wachstum betroffener Extremitäten beein-
trächtigt, möglich sind bei Schädigung der Rumpfmuskulatur WS-Deformitäten.

Diagnostik
Anamnese, Klinik, Liquor (z. T. Zellzahl leicht ↑, intrathekale Immunreaktion mit
oligoklonalen Banden), evozierte Potenziale (VEP, SEP, MEP), MRT mit KM (hy-
perintense T2-Läsionen, Gadoliniumaufnahme in T1-Wichtung). Diagnosestel-
lung gemäß McDonald-Kriterien, die Klinik und MRT berücksichtigen.

Therapie
Akuter Schub: Kortikoide hoch dosiert (unter Magenschutz, Thromboseprophy-
laxe und BZ-Kontrollen), z. B. Methylprednisolon 500–1.000 mg/d i. v. (z. B. Urba-
son®) über 5 d.
Schubprophylaxe: Bei schubförmig remittierendem Verlauf Interferon β-1a
(Avonex®, Rebif®), Interferon β-1b (Betaferon®) oder Glatiramer-Acetat (Copa-
xone®). Zuletzt sind weitere Immunmodulatoren und -suppressiva zugelassen
worden (Natalizumab, Tysabri®, Alemtuzumab, Lemtrada®, Fingolimod, Gile- 18
nya®, Dimethylfumarat, Tecfidera®, Teriflunomid, Aubagio®), die parenteral oder
oral verabreicht und je nach Verlaufsform (mild/moderat – (hoch)aktiv)
differenziert eingesetzt werden. In nächster Zeit werden weitere ähnlich wirksame
Medikamente zugelassen werden.
692 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

18.5 Perioperativ wichtige ZNS-Erkrankungen


Johannes Binder

18.5.1 Schlaganfall
Definition
Akut einsetzende fokale neurol. Defizite zerebralen Ursprungs unterschiedlicher
vaskulärer Ätiol.

Ätiologie
Meist ischämische zerebrale Läsion, seltener intrazerebrale Blutung (15 %). Kardia-
le Emboliequelle (Arrhythmia absoluta, paradoxe Embolien bei persistierendem
offenem Foramen ovale), Makroangiopathie supraaortaler Gefäße (z. B. Stenose der
A. carotis interna, Karotisdissektion, Vaskulitiden) oder mikroangiopathische Ver-
änderungen (lakunäre Ischämien bei subkortikaler vaskulärer Enzephalopathie).

Klinik
Fokal-neurol. Defizite, Symptomkomb. machen klin. Lokalisation möglich:
• Hemisphärisch:
– A.-cerebri-media-Versorgungsgebiet: Brachiofazial betonte sensomotori-
sche Hemiparese, bei kortikaler Beteiligung evtl. mit Aphasie (linkshemi-
sphärisch) oder Neglect (rechtshemisphärisch).
– A.-cerebri-ant.-Versorgungsgebiet: Beinbetonte sensomotorische Hemi-
parese.
– A.-cerebri-post.-Versorgungsgebiet: Homonyme Hemianopsie, evtl. Ge-
dächtnisstörungen, Desorientiertheit und Verwirrtheit.
• Zerebellär: Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Ataxie mit Fallneigung, skandie-
rende Sprache.
• Hirnstamm: Doppelbilder, zentrale Fazialisparese, Schluckstörungen, Dysar-
thrie, evtl. Bewusstseinsstörung.

Diagnostik
Routinelabor inkl. Gerinnung, EKG, Echokardiografie, evtl. transösophageale
Echokardiografie, extra- und transkranialer Duplex/Doppler mit Mikroembolie-
detektion, CCT, MRT mit Diffusionswichtung und MR-Angiografie, evtl. kon-
ventionelle zerebrale Angiografie.

Therapie
Innerhalb der ersten 4,5 h ist bei fehlenden KI eine systemische Thrombolyse
möglich (rtPA), bestimmte Pat. kommen auch für eine zusätzliche interventionel-
le Behandlung (Stent Retriever bei dist. Verschlüsse der hirnversorgenden Halsar-
terien) in Frage, danach entsprechende Sekundärprophylaxe zur Vermeidung
weiterer Ischämien (Thrombozytenaggregationshemmer, Antikoagulation) und
18 Rehabilitation. Pat. umgehend in eine „Stroke Unit“ verlegen.

Bei V. a. Schlaganfall schnellstmögliche zerebrale Bildgebung (z. A. einer int-


razerebralen Blutung) und weitere Diagn. (EKG, Doppler, Ausschluss einer
KI wie OP, Karzinomanamnese), um ggf. innerhalb des Zeitfensters für eine
systemische Lyse zu bleiben.
   18.5  Perioperativ wichtige ZNS-Erkrankungen  693

18.5.2 Morbus Parkinson
Definition
Akinetisch-rigide Bewegungsstörung mit Ruhe- und Haltetremor mit assoziierter
Degeneration umschriebener Neuronengruppen, v. a. der dopaminergen Neurone
in der Substantia nigra und anderer zerebraler Regionen.

Ätiologie
Idiopathisch, nur in einem kleinen Teil hereditär. Andere symptomatische Ursa-
chen eines Parkinson-Sy.: Postenzephalitisch, vaskulär, toxisch, Hirntumor, SHT.

Klinik
Symptomentrias: Akinese (Hypomimie, Hypophonie, Stottern, Mikrografie,
Gangstörung), Rigor (subjektive Steifigkeit, Tonuserhöhung), Tremor (Ruhetre-
mor meist um 5 Hz, Haltetremor):
• Äquivalenztyp (Symptomentrias ausgeglichen).
• Akinetisch-rigider Typ (Tremor fehlt oder ist minimal).
• Tremordominanztyp (Akinese und Rigor minimal).
Diagnostik
Vor allem klin. mit L-Dopa-Test (probatorische Gabe), Bildgebung z. A. anderer
Ursachen eines Parkinson-Sy. (CCT, MRT, SPECT/PET).

Therapie
• Medikamente: L-Dopa, Dopaminagonisten, NMDA-Antagonisten, MAO-B-
Hemmer, COMT-Hemmer, Anticholinergika, Apomorphin. Diese werden
oral, enteral oder parenteral verabreicht.
• Chir. Ther. (in spezifischen Konstellationen): Tiefe Hirnstimulation im Thala-
mus (VIM), Globus pallidus internus oder Nucleus subthalamicus.

Perioperatives Management bei Parkinson-Patienten


• Regionalanästhesie wenn möglich.
• Bei Allgemeinnarkose präop. L-Dopa und Dopaminagonisten möglichst bis
zum OP-Morgen, Narkoseeinleitung mit Dihydrobenzperidol und Fenta-
nyl, Narkose mit Lachgas (NO) oder Opiat, postop. durch Thoraxrigidität
respiratorische Probleme (evtl. längere kontrollierte Beatmung), orale Me-
dikation so schnell wie möglich wieder ansetzen, wenn nicht möglich, Zeit
mit täglicher Gabe von Amantadin 200 mg in 500 ml NaCl oder kutan ap-
pliziertem Dopaminagonist (Rotigotin, Neupro®, Leganto®) überbrücken.

18.5.3 Epilepsie
Definition
Chron. Erkr. mit rez. Krampfanfällen.
18
Ätiologie
Idiopathische generalisierte (genetische Disposition) oder symptomatische Epi-
lepsie (Fehlbildungen, perinatale, traumatische, entzündliche, postischämische
Läsionen, Tumoren, metabolische Störungen).
694 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

Klinik
• Einfach-fokale Anfälle (motorisch, sensibel) ohne Bewusstseinsstörung.
• Komplex-fokale, dyskognitive Anfälle mit Bewusstseinsstörung.
• Generalisierte Anfälle (Absencen, myoklonische Anfälle, tonisch-klonische
Anfälle).

Diagnostik
Anamnese, Klinik, EEG, MRT.

Therapie
• Medikamente (Anfallsprophylaxe): u. a. Lamotrigin (z. B. Lamictal ®), Le-
vetiracetam (z. B. Keppra ®), Zonisamid (Zonegran®), Lacosamid (Vim-
pat®), Valproinsäure (z. B. Ergenyl®, Orfiril®), Carbamazepin (z. B. Tegre-
tal®, Timonil®), Oxcarbazepin (z. B. Trileptal®), Topiramat (z. B. Topa-
max®), Phenytoin (z. B. Zentropil®), Phenobarbital (z. B. Luminal®), Ben-
zodiazepine wie Clonazepam (z. B. Rivotril®), Lorazepam (z. B. Tavor®)
oder Clobazepam (z. B. Frisium®). Möglichst Monother., Komb.-Ther. bei
fehlenden ther. Effekten.
• Carbamazepin und Phenytoin nicht kombinieren wegen Enzyminduktion.
• Außerdem Vagusstimulation oder Epilepsiechirurgie bei therapieresistenten
Epilepsien.

Perioperatives Management bei Epilepsiepatienten


• Wenn möglich vorbestehende Medikation fortsetzen; wenn Pat. nicht
schlucken kann, Umsetzung auf i. v. Medikation (Benzodiazepine, Valpro-
insäure, Levetiracetam, Phenytoin) ggf. unter Blutspiegelkontrolle.
• Management bei einmaligem Anfall: Keine akute medikamentöse Ther.
(typischer Krampfanfall limitiert sich selbst), diese würde nur die postik-
tale Reorientierungsphase verlängern, ohne den eigentlichen Anfall zu
verkürzen. Verletzung des Pat. während des Anfalls möglichst verhindern
(keinen Gummikeil zur Vermeidung eines Zungenbisses wegen häufiger
Zahnverletzungen).
• Stufenther. bei Status epilepticus (generalisiert tonisch-klonische Anfälle
> 5 Min., fokale Anfälle oder Absencen > 20–30 Min. oder Anfallsserie,
ohne dass zwischen den Anfällen eine klin. Erholung stattfindet; immer
Hypoglykämie ausschließen):
– 1. Lorazepam 0,05 mg/kg i. v. als Bolus i. v. (z. B. Tavor®), max.
0,1 mg/d i. v. (alternativ Diazepam, Clonazepam), wenn nicht ausrei-
chend
– 2. Phenytoin 20 mg/kg i. v. (z. B. Zentropil®), max. 50 mg/min, Ziel-Se-
rum-Spiegel 20–25 mg/l, separater Zugang, unter EKG-Kontrolle oder
– Valproinsäure 20–30 mg/kg i. v. (z. B. Ergenyl®), max. 10 mg/kg/min
oder
– Levetiracetam 30–60 mg/kg i. v. (z. B. Keppra®), max. 500 mg/min,
wenn nicht ausreichend
18 – 3. Ultima Ratio: Narkose (Thiopental, Midazolam, Propofol) bis zum
Sistieren der Krampfaktivität und Auftreten eines Burst-Suppression-
Musters im EEG.
  18.6 Querschnittlähmung  695

18.6 Querschnittlähmung
Franz-Peter Maichl, Ansgar Türk und Bahram Biglari

18.6.1 Erworbene Querschnittlähmung
Definition
Lähmungsbild als Folge einer kompletten oder inkompletten Schädigung eines
RM-Querschnitts (oder mehrerer Segmente) oder der Cauda equina. Klinisch
imponieren unterhalb der Rückenmarkläsion isoliert oder kombiniert motori-
sche (schlaffe oder spastische, komplette oder inkomplette Muskellähmung),
sensible (Hyp-, An-, Dysästhesie, Algesie) und autonome (neurogene Blasen-,
Darm-, Sexualfunktionsstörung, Herz-Kreislauf-Dysregulation) Funktionsstö-
rungen. Das Ausmaß der Lähmungen ist insbes. von der Lokalisationshöhe und
Schwere bzw. Komplettheit der Schädigung abhängig (Para- : Tetraplegie = ca.
6 : 4). M : F = 2 : 1, Kinder ca. 1 % aller frischen Querschnittlähmungen. Jährlich
werden ca. 2.200 frisch Querschnittgelähmte in den 27 deutschen QS-Zentren
behandelt.

Ätiologie
• Traumatische Schädigung des Rückenmarks (ca.  48 % der jährlichen frischen
Querschnittpatienten): Akutes Trauma häufig mit initialem spinalem Schock,
z. B. knöcherne Verlegung des Spinalkanals durch Fragmente nach Wirbel-
fraktur, Überdehnung/Zerreißung des Bandapparats bei Luxationsfraktur,
Contusio spinalis. Davon:
– Verkehrsunfälle (ca. 30 %, davon 5 % Wegeunfälle).
– Arbeitsunfälle (ca. 10 %).
– Häusliche Unfälle (ca. 20 %)
– Badeunfälle, z. B. Kopfsprung ins seichte Wasser (4 %).
– Sportunfälle (ca. 8 %).
– Suizidversuche (3  %).
– Sonstige (25  %).
• Schädigung des Rückenmarks durch Erkrankungen (52 % der jährlichen fri-
schen Querschnittpatienten). Davon:
– Degenerativ (28 %): MS, syst. Autoimmunerkr.
– ALS, Nucleus-pulposus-Prolaps (NPP).
– Tumoren einschließlich Metastasen (26 %).
– Entzündlich (25 %): Spondylitis, Spondylodiszitis, Myelitis (z. B. Myelitis
transversa acuta), epiduraler Abszess, Virusinf.
– Vaskulär, spinale Ischämie (13 %): Spinalis-ant.-Sy., Thrombose, spinale
Gefäßfehlbildung (Angiome), epidurale Blutung (Einnahme oraler Anti-
koagulantien?).
– Sonstige (8 %): z. B. iatrogen, Radiatio, Inj. in Spinalkanal, Kaudaschäden,
z. B. nach Bandscheiben- oder Skoliosen-OP.
18
Häufigste Ursachen
Erkr. stellen in den letzten Jahren mit ca. 52 % die häufigste Ursache der neu
aufgetretenen Querschnittlähmungen in deutschen QS-Zentren dar, gefolgt
von den traumatischen Ursachen mit ca.  48 %.
696 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

Klinik und Verlauf der akuten Querschnittlähmung


(Transversalsyndrom)
Bei plötzlicher Durchtrennung oder Schädigung des RM (Trauma) sind häufig 2
Phasen zu unterscheiden:
Frühphase, „spinaler Schock“
Definition: Nahezu vollständiger akuter temporärer Verlust aller Rückenmark-
funktionen unterhalb der Läsionshöhe, ausgelöst durch die akute Unterbrechung
der kortikospinalen Reizleitung und Zusammenbruch der physiologischen über
das RM geleiteten Dauererregung.
Motorik: Akutes passageres komplettes Querschnittsy. mit schlaffer motorischer
Muskellähmung, Verlust der MER und Fremdreflexe subläsonal.
Sensibilität: Querschnittförmiger Ausfall der Berührungs-, Schmerz-, Tempera-
tur- und Tiefensensibilität mit ggf. hyperalgischer (radikulärer) Zone oberhalb
Schädigungshöhe (meist 1 Dermatom).
Vegetatives System: Folgende Veränderungen sind typisch:
• Blasenatonie meist primär sog. areflexive („schlaffe“) Blase mit Harnretention
und drohender Überlaufblase. Cave: Initial sofortige (suprapubische) Blasen-
drainage erforderlich als Notfallmaßnahme zur Vermeidung Detrusorüberdeh-
nung und sekundärer Harnabflussstörungen und Pyelonephritiden. Im Verlauf
Blasenentleerung idealerweise durch mehrmals tgl. Einmalkatheterismus.
• Darmatonie, Darmentleerungsstörungen (neurogener Ileus). Regelmäßige
Stuhlentleerung (mind. jeden 2. d), ggf. Glyzerin Supp., ggf. Prostigmin (s. c.
0,5 mg 3–4 × tgl.).
• Neurogener Schock, Vasomotorenkollaps: Bei RM-Läsionen oberhalb Th6
verminderter Sympathikotonus und Überwiegen des Parasympathikus. Dies
kann zum Ausfall der Gefäßregulation mit Hypotonie, am Herzen besonders
in den ersten Tagen zur Bradykardie bis Asystolie (Vagusreiz bei Absaugen!)
führen. Ggf. Gabe von Katecholaminen erforderlich, Monitorüberwachung
der Vitalparameter, kontinuierliche Aufrechterhaltung eines physiologischen
mittlerer RR und normaler Sauerstoffsättigung.
• Sehr hohes Thromboserisiko, effiziente Prophylaxe zwingend z. B. mit nieder-
molekularen Heparinen.
• Störung der Thermoregulation, Gefahr v. a. einer Hyperthermie.
• Beeinträchtigung der Sexualfunktion, bei Tetraplegie teils posttraumatischer
Priapismus.
• Bei zervikaler oder hoch thorakaler Läsionshöhe Gefahr der Ateminsuffizienz
mit Beatmungspflicht.
Bei nicht-traumatischer Querschnittlähmung umgehende differenzialdiagnosti-
sche Abklärung erforderlich.
Postprimärphase
Allgemein: Nach Tagen bis ca. 8 Wo. oder darüber hinaus Abklingen der spinalen
Schockphase und langsame Besserung der neurol. Symptomatik mögl., vollständi-
ge Rückbildung bei primär kompletter Querschnittverletzung allerdings sehr sel-
ten. Symptomatik von Läsionshöhe abhängig (▶ Tab. 18.8). Entwicklung weiterer
18 KO (z. B. Spastik, Kontrakturen, urologische KO) mögl..
Motorik: Meist Übergang der primär schlaffen Lähmung in eine spastische (in-/
komplette) Para-/Tetraplegie mit Hyperreflexie und Pyramidenbahnzeichen un-
terhalb der segmentalen Läsion und Gefahr der Gelenkkontrakturen (durch Beu-
gereflexsynergien). Auch Fortbestehen schlaffer Paresen möglich bei Schädigung
der Vorderhornzellen (2. Motoneuron) mit Ausbildung von Atrophien auf be-
troffener Segmentebene (z. B. nach Trauma im unteren LWS-Bereich).
  18.6 Querschnittlähmung  697

Tab. 18.8  Funktionen bei kompletter Querschnittlähmung abhängig von der


Läsionshöhe
Läsionshöhe Kennmuskel Bedeutung

C3/C4 Diaphragma Vollständig pflegeabhängig, Fortbewegung mit


Elektrorollstuhl (z. B. Kinnsteuerung) möglich

C5 M. biceps brachii Weitgehend pflegeabhängig; Greifmöglichkeit


der Hände mit speziellen Hilfsmitteln bedingt
mögl. (frühzeitige funktionelle Handlagerung);
Elektrorollstuhl, ggf. mechanischer Rollstuhl; in
sehr günstigen Fällen sogar Autofahren mit
Handbedienung möglich

C6 M. extensor carpi ADL z. T. selbstständig (allerdings auch altersab­


radialis, z. T. M. hängig), Körperpflege teilweise selbstständig.
triceps Fahren im mechanischen Rollstuhl möglich

C7/C8 M. triceps, Hand­ Meist selbstständige Körperpflege, bedingte Fin­


muskeln, Finger­ gerteilfunktion, mechanischer Rollstuhl, Autofah­
flexoren, M. la­ ren mit Handbedienung
tissimus dorsi

Th1–Th9 Rumpfmuskeln Gute Rollstuhlfertigkeit (z. T. Gleichgewichtspro­


bleme infolge Lähmung der Rumpfmuskulatur),
i. d. R. selbstständig

Th10–L2 Rumpfmuskeln, Rollstuhlabhängig, Stütz- bzw. Gehapparate (ggf.


Hüftbeuger orthop. Schuhe) für Steh- und Gehtraining bei
entspr. Funktion

L3/L4 M. quadriceps, Rollstuhl ggf. entbehrlich, Stütz- bzw. Gehappara­


M. tibialis ant. te, UAGST, ggf. Orthesen-, Innen-, orthop. Schuhe

L5/S1 M. triceps surae, Gehfähig, ggf. UAGST, orthop. Schuhe (z. B. mit
M. peronei lon­ integrierter Peroneusfeder), Innenschuhe
gus/brevis

Vegetatives System: Entwicklung einer neurogenen Blasenentleerungsstörung


abhängig von der Läsionshöhe. Prinzipiell auch gemischte Bilder möglich („insta-
bile Blase“) oder selten Normalisierung der Miktion:
• Läsion oberhalb Miktionszentrum (ca. Th12): Meist Entwicklung einer sog. hy-
perreflexiven Blase („Reflexblase“) mit oder ohne Detrusor-Sphinkter-Dyssyn-
ergie (DSD), die klin. durch unwillkürlichen Spontanurin gekennzeichnet ist.
• Läsionen in Höhe des Miktionszentrums oder tiefer (2. Motorneuron): Meist
Fortbestehen der primär hyporeflexiven („schlaffen“) Blasenlähmung.

Diagnostik
Klinische Diagnostik
• Kontrolle Vitalparameter (RR, HF, Atemfrequenz, -tiefe).
• Sorgfältiger neurol. Status (motorische, sensible, autonome Funktionen, Re-
flexe) → Lokalisation abschätzen. 18
• Segmenthöhe der Läsion (Bestimmung des letzten in motorischer, sensibler
und vegetativer Hinsicht noch intakten Segments).
• Blasenkontrolle (Verhalt?, ggf. Blasendrainage), Mastdarmkontrolle, Sexual-
funktion.
• Körpertemperatur (Hypo-/Hyperthermie? Schwitzen?).
698 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

• Regelmäßige Verlaufskontrollen des Lähmungsmusters (gute Dokumentati-


on; bei Trauma 6-stündlich in den ersten 48 h, dann tgl.).
• Klassifikation und Verlaufsbeschreibung anhand ASIA-Protokolls/Klassifika-
tion (American Spinal Injury Association; ▶ Abb. 18.3) und der ASIA-Im-
pairment-Scale (AIS; ▶ Tab. 18.9).
C4 C2 C4
SENSORY
RIGHT LEFT
C5 MOTOR SENSORY
C3 C5 MOTOR
of UEL
KEY SENSORYC4POINTS KEY SENSORY POINTS
Wrist extensors C6 KEY MUSCLES
Light Touch (LTR) Pin Prick (PPR) C6 Wrist extensors Date/Time
Patient Name_____________________________________
Light Touch (LTL) Pin Prick (PPL)
KEY MUSCLES
Exam _____________________________
INTERNATIONAL STANDARDS FOR NEUROLOGICAL (Upper Extremity Left)
C7 C7 Elbow extensors
T2
Elbow extensors C2
T3
CLASSIFICATION OF SPINAL C2 CORD INJURY C5 C2Signature _____________________________________
C8 0 = absent (ISNCSCI)
T4
C8
Examiner Name ___________________________________
C3 T5 C3
Finger abductors T1 21 == normal
altered
T6 T1 Finger abductors
C4 SENSORY SENSORY C4
T2 T7 C2
T2
RIGHT LEFT
NT = not testable
MOTOR MOTOR
KEY SENSORY POINTSMOTOR
C3
(Non-key Muscle? Reason for NT? Pain?): C5 KEY SENSORY T8
POINTS C3 C5
T3 KEY MUSCLES T1 T3 KEY MUSCLES
UER Light Touch (LTL) (SCORING ON REVERSE SIDE)
UEL
0 = absent T9
Wrist extensors C6 Light1Touch (LTR) Pin Prick (PPR) C4 Pin Prick (PPL) C6 Wrist extensors
(Upper Extremity Right) T4 T4
= altered
C4 T10 C6
2 = normal 0 = total paralysis (Upper Extremity Left)
Elbow extensors C7 C7 Elbow extensors
T2

T5 C2 NT = not testable T11 C2


T3
C5 T5 C2
1 = palpable or visible contraction
C8 0 = absentC3 T12
T4
2 = active movement, C3
gravity C8
eliminated
T6 T5 T6 3 = active movement, against gravity
0 = absent Finger abductors T1 2 = normalC4
1 = altered L1 T6 T1 Finger abductors
C4 some resistance
T7
Palm C2 4 = active movement, against
1 = altered
T7
Elbow flexors C5 NT = not T2
T7
2 = normal testable C3
T2 full resistance
5 = active movement, against
C5 Elbow flexors MOTOR
NT = not testable Comments (Non-key Muscle? Reason for NT? Pain?):
T8
C3 T8
T8 5* = normal corrected for pain/disuse
UER Wrist extensors C6 T3 S3 T1 T3 C6 (SCORING ON REVERSE SIDE) UEL
• 12Key
0 = absent C4
T9 NT = not testable Wrist extensors
(Upper Extremity Right) T9 Elbow extensors T4 L2 Sensory
= altered
C4 T2 T9 T4
C7 (Upper Extremity Left)
C6
S4-5
= normal T10
C2testable T3
Points T10 C7 Elbow
0 = total extensors
paralysis
T10 Finger flexors T11 SENSORYT5
C8 0 = absentT5
NT = not T4 C5 1 = palpable or visible contraction
T11 (SCORING ON REVERSE C8
SIDE) Finger flexorsgravity eliminated
FingerT11 T6
(little finger) T1 1 = altered
T12
T5
T6 2 = normal
2
T1
= active
3 = active
movement,
movement, against(little
gravity
0 abductors T6 L1 Finger abductors finger)
T12
= absent 2 = normal
NT = not T7 L3 T7 Palm T12 0 = absent
T7 NT = not 4 = active movement, against some resistance
1 = altered
T2
testable
S2 C3 C8 6 C8 T8 1= altered T2 5 = testable
active movement, against full resistance
L1= not testable
2 = normal
Comments (Non-key Muscle? Reason for NT? Pain?):
T8 C 6 C L1 T8 5* = normal correctedMOTORfor pain/disuse
NT
T3 C7 C7
0 = absent T9 T1 T3 (SCORING
testable ON REVERSE SIDE)

S3altered
L2 T9
T4
1 =Dorsum
Dorsum C4
2 = normal T10 L2 KeyC6Sensory L2 T9
T4
NT = not
0 = total paralysis
Knee extensors L3 T10
S4-5 Points L3 Knee extensors T10 1 = palpable or SENSORY
T11
LEL
NT = not testable
T5 T5 visible contraction
L4
L4 T11
T6
T12
L1 L4 T11 (Lower
T6
2 = active movement,
(SCORING
Extremity
3 = active movement,
ONgravity
Left)
REVERSE eliminated
against gravity
SIDE)
L5
T12
0 = absent
Long toe extensors L5 T12 Palm 40 =
= absent 2 = normal
1 = altered
T7 S2 L3
C8 6 C8
L5 Long toe extensors T7 active movement, against some
51==altered
active movement, against full
resistance
NT resistance
= not testable
L1 L5 S1 L1
2 = normal
S1 NT = not testable
T8 C6
C 7
C 7
C S1 T8 5* = normal corrected for pain/disuse

S2 L2 T9
S3
L2 • Key
Dorsum Sensory
Dorsum S2 T9
NT = not testable
L2
Points
LER S3 Knee extensors L3 T10 S4-5
S3 T10 L3 Knee extensors SENSORY
C) Voluntary anal contraction (DAP) Deep anal(SCORING pressureON REVERSE SIDE) LEL
(Yes/No) (Lower Extremity Right) S4-5 L4 T11
L4
S4-5 T11
(Yes/No) L4 (Lower Extremity Left)
L5
Long toe extensors L5 T12 S2 L3 T12 0 = absent
L5
2 = normal
Long toe extensors NT = not testable
RIGHT TOTALS S1 C8 6 C8 LEFT TOTALS L1 1= altered
S1 L1 L5 C6 C
C7 C7 S1
(MAXIMUM) (MAXIMUM)
Hip flexors L2 S2 Dorsum Dorsum S2 L2 Hip flexors
OTOR SUBSCORES SENSORY SUBSCORES
Knee extensors L3 S3 S3 L3 Knee extensors
= UEMS TOTAL LER anal contraction
(VAC) Voluntary
LER + LEL S4-5
= LEMS TOTAL LTR + LTL L4 = LT TOTAL PPR + PPL S4-5 = PP TOTAL
(DAP) Deep anal pressure LEL
(Lower Extremity Right) (Yes/No)Ankle dorsiflexors L4 L4 Ankle dorsiflexors (Yes/No) (Lower Extremity Left)
(25) (25) (50) MAX (25) (25) (50) L5
Long toe extensors L5 MAX (56) (56) (112) MAX (56) (56)
L5LEFT Long toe (112)
TOTALS extensors
RIGHT TOTALS S1
NEUROLOGICAL R L Ankle plantar flexors S1 4. COMPLETE
L5
OR INCOMPLETE? (In complete injuries only) S1 R
Ankle
(MAXIMUM) L
plantar flexors
(MAXIMUM)
3. NEUROLOGICAL
1. SENSORY
MOTOR SUBSCORES S2 Incomplete = Any sensory or motor function in S4-5 ZONE OF PARTIAL S2
SENSORY
LEVEL OF INJURY SENSORY SUBSCORES
2. MOTOR (NLI) S3 5. ASIA IMPAIRMENT SCALE (AIS) PRESERVATION S3MOTOR
UER Voluntary
(VAC) + UEL
Anal Contraction = UEMS TOTAL S4-5 LER + LEL = LEMS TOTAL LTR + LTL = LT TOTAL
Most caudal level with any innervation
S4-5 PPR + PPL (DAP) Deep= Anal PP TOTALPressure
MAX (25) (25)
This (Yes/No)
form (50)but should
may be copied freely MAXnot(25) (25) permission from the (50)
be altered without American Spinal
MAXInjury
(56) Association.
(56) (112) MAX (56) REV (Yes/No)
02/13(56) (112)
RIGHT TOTALS LEFT TOTALS
NEUROLOGICAL R L 3. NEUROLOGICAL 4. COMPLETE OR INCOMPLETE? (In complete injuries only) R L
LEVELS (MAXIMUM)
1. SENSORY Incomplete = Any sensory or motor function in S4-5 ZONE OF PARTIAL
(MAXIMUM)
SENSORY
LEVEL OF INJURY
MOTOR SUBSCORES
2. MOTOR (NLI) 5. ASIA SENSORY
IMPAIRMENTSUBSCORES
SCALE (AIS) PRESERVATION MOTOR
as on reverse Most caudal level with any innervation
UER + UEL = UEMS TOTAL LER + LEL = LEMS TOTAL LTR + LTL = LT TOTAL PPR + PPL = PP TOTAL REV 02/13
This form may be copied freely but should not be altered without permission from the American Spinal Injury Association.
MAX (25) (25) (50) MAX (25) (25) (50) MAX (56) (56) (112) MAX (56) (56) (112)

NEUROLOGICAL R L 3. NEUROLOGICAL 4. COMPLETE OR INCOMPLETE? (In complete injuries only) R L


LEVELS 1. SENSORY Incomplete = Any sensory or motor function in S4-5 ZONE OF PARTIAL SENSORY
LEVEL OF INJURY
Steps 1-5 for classification
2. MOTOR (NLI) 5. ASIA IMPAIRMENT SCALE (AIS) PRESERVATION MOTOR
as on reverse Most caudal level with any innervation

This form may be copied freely but should not be altered without permission from the American Spinal Injury Association. REV 11/15

Muscle Function Grading ASIA Impairment Scale (AIS)


0 = total paralysis The following order is recommended for determining the classification of
1 = palpable or visible contraction individuals with SCI.
2 = active movement, full range of motion (ROM) with gravity eliminated A = Complete. No sensory or motor function is preserved in
the sacral segments S4-5. 1. Determine sensory levels for right and left sides.
3 = active movement, full ROM against gravity
The sensory level is the most caudal, intact dermatome for both pin prick and
4 = active movement, full ROM against gravity and moderate resistance in a muscle B = Sensory Incomplete. Sensory but not motor function light touch sensation.
specific position
is preserved below the neurological level and includes the sacral
5 = (normal) active movement, full ROM against gravity and full resistance in a segments S4-5 (light touch or pin prick at S4-5 or deep anal 2. Determine motor levels for right and left sides.
functional muscle position expected from an otherwise unimpaired person Defined by the lowest key muscle function that has a grade of at least 3 (on
pressure) AND no motor function is preserved more than three
5* = (normal) active movement, full ROM against gravity and sufficient resistance to levels below the motor level on either side of the body. supine testing), providing the key muscle functions represented by segments
be considered normal if identified inhibiting factors (i.e. pain, disuse) were not present above that level are judged to be intact (graded as a 5).
NT = not testable (i.e. due to immobilization, severe pain such that the patient Note: in regions where there is no myotome to test, the motor level is
cannot be graded, amputation of limb, or contracture of > 50% of the normal ROM) C = Motor Incomplete. Motor function is preserved at the presumed to be the same as the sensory level, if testable motor function above
most caudal sacral segments for voluntary anal contraction (VAC) that level is also normal.
Sensory Grading OR the patient meets the criteria for sensory incomplete status
(sensory function preserved at the most caudal sacral segments
0 = Absent 3. Determine the neurological level of injury (NLI)
(S4-S5) by LT, PP or DAP), and has some sparing of motor
1 = Altered, either decreased/impaired sensation or hypersensitivity function more than three levels below the ipsilateral motor level
This refers to the most caudal segment of the cord with intact sensation and
2 = Normal antigravity (3 or more) muscle function strength, provided that there is normal
on either side of the body. (intact) sensory and motor function rostrally respectively.
NT = Not testable (This includes key or non-key muscle functions to determine The NLI is the most cephalad of the sensory and motor levels determined in
motor incomplete status.) For AIS C – less than half of key
When to Test Non-Key Muscles: muscle functions below the single NLI have a muscle grade ≥ 3.
steps 1 and 2.

4. Determine whether the injury is Complete or Incomplete.


more than 3 levels below the motor level on each side should be tested to D = Motor Incomplete. Motor incomplete status as defined
most accurately classify the injury (differentiate between AIS B and C). (i.e. absence or presence of sacral sparing)
above, with at least half (half or more) of key muscle functions If voluntary anal contraction = No AND all S4-5 sensory scores = 0
Movement Root level below the single NLI having a muscle grade ≥ 3. AND deep anal pressure = No, then injury is Complete.
Shoulder: Flexion, extension, abduction, adduction, internal C5 Otherwise, injury is Incomplete.
and external rotation E = Normal. If sensation and motor function as tested with
Elbow: Supination the ISNCSCI are graded as normal in all segments, and the 5. Determine ASIA Impairment Scale (AIS) Grade:
Elbow: Pronation C6 patient had prior deficits, then the AIS grade is E. Someone Is injury Complete? If YES, AIS=A and can record
Wrist: Flexion without an initial SCI does not receive an AIS grade. ZPP (lowest dermatome or myotome
NO on each side with some preservation)
Finger: Flexion at proximal joint, extension. C7 Using ND: To document the sensory, motor and NLI levels,
Thumb: Flexion, extension and abduction in plane of thumb the ASIA Impairment Scale grade, and/or the zone of partial Is injury Motor Complete? If YES, AIS=B
Finger: Flexion at MCP joint C8 preservation (ZPP) when they are unable to be determined
based on the examination results. NO (No=voluntary anal contraction OR motor function
Thumb: Opposition, adduction and abduction perpendicular
more than three levels below the motor level on a
to palm
given side, if the patient has sensory incomplete
Finger: Abduction of the index finger T1 classification)

18 Hip: Adduction
Hip: External rotation
Hip: Extension, abduction, internal rotation
L2
L3
L4
Are at least half (half or more) of the key muscles below the
neurological level of injury graded 3 or better?
NO YES
Knee: Flexion
Ankle: Inversion and eversion
INTERNATIONAL STANDARDS FOR NEUROLOGICAL AIS=C AIS=D
Toe: MP and IP extension
CLASSIFICATION OF SPINAL CORD INJURY If sensation and motor function is normal in all segments, AIS=E
Hallux and Toe: DIP and PIP flexion and abduction L5 Note: AIS E is used in follow-up testing when an individual with a documented
SCI has recovered normal function. If at initial testing no deficits are found, the
Hallux: Adduction S1 individual is neurologically intact; the ASIA Impairment Scale does not apply.

Abb. 18.3 ASIA-Protokoll: internationale Dokumentation des neurologischen


Befundes nach Rückenmarkläsion [W891–001]
  18.6 Querschnittlähmung  699

Tab. 18.9  Klassifikation der Querschnittlähmung anhand ASIA-Protokolls:


AIS-Klassifikation
Typ Beschreibung

A Komplett. Keine sensible/motorische Funktion ist in den sakralen Segmen­


ten S4–S5 erhalten

B Inkomplett. Sensible (aber keine motorische) Funktion unterhalb des neu­


rol. Niveaus erhalten, dehnt sich bis in die sakralen Segmente S4/S5 aus

C Inkomplett. Motorische Funktion unterhalb des neurol. Niveaus erhalten;


Mehrzahl der Kennmuskeln unterhalb des neurol. Niveaus haben einen
Muskelkraftgrad < 3

D Inkomplett. Motorische Funktion unterhalb des neurol. Niveaus erhalten;


Mehrheit der Kennmuskeln unterhalb des neurol. Niveaus haben einen
Muskelkraftgrad ≥ 3

E Normal. Sensible und motorische Funktionen sind normal

Apparative Diagnostik
• Nativ-Rö in 2 Eb., MRT (ggf. mit KM; Darstellung RM, Nachweis Kontusion,
Infarkt), CT (Nachweis Fraktur, Spinalkanaleinengung, Knochenfragmente),
Myelografie oder Myelo-CT nur selten bei spez. Fragestellung oder KI für
MRT, Funktionsaufnahmen (oder Durchleuchtung) z. A. von z. B. instabilen
Luxationsfrakturen v. a. der HWS. Ggf. Farbduplex/MR-Angiografie z. B. bei
V. a. Gefäßläsionen (z. B. V. a. A.-vertebralis-Dissektion, Infarktgeschehen).
! Ligamentäre Verletzungen und zervikothorakaler Übergang im Nativ-Rö
meist schwer zu beurteilen → Schnittbilddiagn., Durchleuchtung. Vorsichtige
Lagerung! CT oder MRT bei V. a. WS-Verletzung obligat.
• Bildgebung von Begleitverletzungen (Rö, CT, MRT, Sono). Cave: In bis zu
10 % Zweitverletzungen an WS.
• Labor: BB, CRP, ggf. Tumordiagn., Liquordiagn., AK, Blut-, Liquorkultur bei
V. a. infektiöse Ursache.
• Neurologische Untersuchung: Ggf. somatosensibel evozierte Potentiale, mo-
torisch evozierte Potentiale, EMG, Ausschluss akute MS
• Urologische Untersuchung: Restharn, Uroflow, Video-Urodynamik, Nieren-
sono, Zystoskopie.
• Kardiovaskuläre Untersuchung: EKG, RR-, EKG-Monitoring, initial bis zur
Stabilisierung 24  h/d.
• Frakturklassifikation zur Standardisierung/Festlegung der Behandlungsstra-
tegie bzw. OP-Verfahren (nach Magerl 1994/Drei-Säulen-Modell [BWS/
LWS], Gehweiler, Effendi, Anderson/d'Alonzo und Aebi [HWS] bzw. aktuelle
AO-Klassifikation).
• TU-Diagnostik bei V. a. paraneoplastische Ursache oder paraneoplastische
Myelitis.

Therapie
Erstversorgung
18
• Akutbehandlung nach ABCDE-Schema, jede akute traumatische/nicht-­
traumatische Querschnittlämung erfordert initiale intensivmedizinische
Überwachung (Gefahr lebensbedrohlicher kardiovaskulärer, pulmonaler oder
gastrointestinaler KO). Generell: Vitalfunktionen sichern, achsengerechte
700 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

­ agerung (Vakuummatratze), Beachtung von Begleitverletzungen, im HWS-


L
Bereich zusätzlich Anlegen einer Zervikalstütze (z. B. vista® Collar oder
­Stiff-neck®). Neurol. Staus erheben, engmaschig Verlaufskontrollen (ASIA-
Protokoll).
• Bei instabilen oder unklaren WS-Verletzungen bzw. Fehlstellungen: Vorsich-
tige Lagerung. Keine Reposition am Unfallort! Reposition erst in der Klinik
unter kontrollierten Bedingungen nach Diagn.
• Falls initial nicht erfolgt, so bald wie möglich schonender (günstig luftgebun-
dener) Transport in Spezialklinik/-abteilung für Querschnittgelähmte. Infor-
mationen über www.DMGP.org.
• Initiales Kortisonschema (nach Bracken und Holford 2002) bei akuter RM-
Schädigung von den meisten Fachgesellschaften nicht mehr allg. empfohlen.
Wirksamkeit bei Gabe nach mehr als 24 h nach Trauma widerlegt, Wirksam-
keit auch fraglich bei Gabe nach 8 h nach Trauma. In Einzelfällen Gabe in
den ersten 3 h nach isolierter traumatischer RM-Schädigung zu diskutieren
(Methylprednisolon, z. B. Urbason®, über 24 h, initial 30 mg/kgKG, dann
5,4 mg/kgKG über 23 h).
• Monitor-Überwachung und ggf. Behandlung des neurogenen Schocks mit
Volumen und Katecholaminen.
• Thromboembolieprophylaxe initial mit niedermolekularem Heparin, posta-
kut auch orale Antikoagulation mit Vit.-K-Antagonisten mgl. (Ziel: INR 2,0–
3,0).
• Magen-, Duodenalulzeraprophylaxe (z. B. Pantoprazol 40 mg 1 × tgl.).
• ZVK legen, insbesondere bei Tetraplegie (häufig Infusionsther. nötig, günstig
für wechselnde Lagerung).
• Kontrollierte und regelmäßige Blasendrainage (auch zur Prophylaxe von De-
trusorüberdehnung, Nierenschäden), Dauerkatheter als Notfallmaßnahme,
frühestmöglich Übergang zum sterilen intermittierenden Einmalkatheteris-
mus.
• Kontinuierliche RR-Kontrolle und Aufrechterhaltung eines mittleren art. RR
von > 80 mmHg sowie ständige, gute Oxygenierung.
• Regelmäßige Lagerung (Wechseldruckmatratze!) zur Dekubitusprophylaxe.
• Schmerztherapie, initial wegen gestörter Darmmotorik möglichst Verzicht
auf Opiate.
• Bei traumatischer Querschnittläsion: Umgehende/rasche chirurgische Inter-
vention entsprechend Verletzungsmuster, verletzungsbedingt-adaptierte La-
gerung.
Spezifische Weiterbehandlung bei traumatischer Querschnittlähmung
• Umgehende/rasche OP-Ind. zur Stabilisation instabiler Frakturen (Spondylo-
dese) sowie notwendiger Dekompression des Spinalkanals, insbes. auch we-
gen der Möglichkeit der Frühmobilisation bei instabilen Verhältnissen. OP-
Ind. großzügig stellen bzw. OP indiziert → früher Beginn der Reha-Maßnah-
men möglich.
• Dringliche/umgehende OP-Ind. bei nachgewiesener RM-Kompression in der
Bildgebung mit initialer Lähmung, neu aufgetretener Lähmung nach freiem
18 Intervall, Progredienz einer Lähmung (v. a. Motorik > 1,5 Segmente), Über-
gang einer prim. inkompletten in eine komplette Plegie, Fremdkörper im Spi-
nalkanal, offene RM-Verletzung.
• Bis zur ggf. notwendigen operativen Versorgung fachgerechte, sorgfältige La-
gerungstherapie und kontinuierliche (intensivmedizinische) Überwachung.
  18.6 Querschnittlähmung  701

Spezifische Weiterbehandlung bei nichttraumatischer Querschnittlähmung


• Umgehende/rasche OP-Ind. bei Kompression des Spinalkanals, z. B. bei Tu-
mor, Bandscheibenvorfall, spinaler Blutung, Spinalkanalstenose. Je nach Be-
fund Dekompression und ggf. Kombination mit Stabilisierung/Spondylodese.
• Bei spinaler Einengung mit Ödembildung (nicht bei Inf.) ggf. hochdosierte
Kortisongabe indiziert (40 mg Dexamethason i. v. als Bolus, dann 32 mg/d
p. o., mittelfristig 6–12 mg/d immer morgens).
• Weiterbehandlung in Abhängigkeit der Ursache: Bei Inf., Spondylodiszitis
etc. Abwägung konservative/operative Therapie befundabhängig, Antibiose
unter regelmäßiger, engmaschiger Verlaufskontrolle, bei Ischämie ggf.
­Lysetherapie, bei MS leitliniengerechte Weiterbehandlung.
Postoperative Behandlung
• Initial postoperativ/akut immer intensivmedizinische Weiterbehandlung und
kontinuierliche Überwachung (kardio-vaskuläre, pulmolog., gastrointestinale
Kontrolle, Pneumonieprophylaxe, Sekretmobilisation, ggf. frühzeitige Tra-
cheotomie).
• Regelmäßige Kontrolle des neurolog. Status (ASIA-Protokoll).
• Insbesondere bei Tetraplegie ZVK legen (Infusionstherapie, Lagerung).
• Suffiziente und kontinuierliche medikamentöse Schmerztherapie.
• Behandlung und Überwachung eines ggf. eingetretenen neurogenen Schocks.
• Behandlung und Überwachung von RR-Krisen, diese häufig durch übervolle
Blase oder Darm ausgelöst (autonome Dysreflexie). Normalisierung meist
nach Blasen-/Darmentleerung.
• Frühmobilisation und Physiother. möglichst schon auf Intensivstation, evtl.
zusätzlich Korsett (selten) bzw. Zervikalstütze je nach Maßgabe des Opera-
teurs.
• Thromboseprophylaxe: Niedermolekulares Heparin, z. B. Enoxaparin 1 × tgl.
40 mg über 6 Mon., Antithrombosestrümpfe.
• Frühest mögliche Entfernung des Dauerkatheters und Blasenentleerung alle
4–6 h durch sterilen intermittierenden Fremdkatheterismus.
• Wegen primärer Darmatonie Schonkost bzw. vorsichtiger Kostaufbau., mög-
lichst initial Opiate vermeiden.
• Lagerung bei gefährdeten Hautpartien, z. B. infolge schlechter Weichteilde-
ckung, auf Wechseldruckmatratzen mit regelmäßiger Umlagerung (mind.
2–3-stündl.).
• Nach allg. Stabilisierung Verlegung von Intensivstation in Spezialabteilung
für Querschnittgelähmte.
Besonderheiten
• Bei konservativer Frakturbehandlung verlängerte Bettruhe, ggf. Zervikalstüt-
ze, verzögerte Mobilisation mit äußerer Stützung (Korsett).
• Bei nichttraumatischem Querschnittsy. Behandlung der Ursache, bei zusätzli-
cher knöcherner Beteiligung (z. B. Osteitis) operative Intervention abklären.
Postprimärphase bzw. postoperative stationäre Behandlung
• Unbedingt Weiterbehandlung in Spezialabteilung für Querschnittgelähmte 18
anstreben.Erreichen der bestmöglichen Selbstständigkeit insbes. bei ADL,
Prophylaxe von KO bzw. Spätfolgen (Aufklärung), soziale und berufliche
Wiedereingliederung, Hilfsmittelversorgung.
• Regelmäßige klinische, neurolog., urolog. und radiolog. Verlaufskontrollen
(postoperativ immer CT-Kontrolle).
702 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

• Intensive Physio- und Ergother. je nach Lähmungsbild: Passive und ggf. aktive
Bewegungsther., Laufband insbes. bei inkompletten Lähmungsbildern (Loko-
motionstraining), Gehbarren, Gehschulung (▶ 20.2.2), Schwimmen (auch z. B.
„Aquajogging“ bei inkompletten Paraplegikern), ADL-Training (▶ 20.8.7), Roll-
stuhltraining (Umsetzen, Training im Straßenverkehr, Pkw-Transfer etc.), bei
hohen Tetraplegikern E-Rollstuhl mit z. B. Kinnsteuerung, Umweltkontrollgerä-
te, Oberkörpertraining, bei hohen Tetraplegikern oft lange Atemgymnastik so-
wie Hilfe beim Abhusten, Schreibtraining (z. B. Mundschreibehilfe), Logopädie.
• Ggf. Lokomotionstraining mit Exoskelett.
• Bei Tetraplegikern im Einzelfall sehr früh Anlegen von Funktionshandschu-
hen zum Erreichen einer „Funktionshand“.
• „Darmschulung“, dauerhaftes Darmmanagement: Falls Darmlähmung beste-
hen bleibt, ist durch Laxanzien i. d. R. guter „Abführrhythmus“ zu erzielen
(z. B. Dulcolax® Supp, Lecicarbon® Supp, Klysma, Macrogol®) zusätzlich oder
alternativ „digitales Ausräumen“.
• Prophylaxen: Dekubitus-, Osteoporose-, Muskelkontrakturprophylaxe.
• Kontrollen: Röntgenologische und neurol. Verlaufskontrollen (z. B. nach Mo-
bilisation).
• Psychologische Mitbetreuung.
• Hilfsmittelversorgung.
Urologische Nachbehandlung/Kontrollen
• Urodynamische Blasendruckmessung (Video-Urodynamik) zur Diagn. einer
neurogenen Blasenentleerungsstörung, idealerweise nach Abklingen der spi-
nalen Schockphase.
• Lebenslange, regelmäßige urologische Kontrollen notwendig (Serumkreati-
nin, 24-h-Kreatininclearance, Sono Nieren, Blase, Video-Urodynamik, ggf.
Ausscheidungsurogramm).
• Dauerhaftes individuelles Blasenmanagement (möglichst eigenständiges in-
termittierendes Einmalkatheterisieren) anstreben.
• Hyporeflexive („schlaffe“) Blase: Steriler intermittierender Selbstkatheteris-
mus 4–6 × tgl., wenn möglich vom Pat. selbst durchzuführen (immer anzu-
streben), i. d. R. unproblematischer Lähmungstyp.
• Hyperreflexive Blase („Reflexblase“): Meist Ther. erforderlich, da bei erhöh-
ten (hypertonen) Blasendruckwerten mittel-/langfristig Blasen- und Nieren-
schädigungen (KO) eintreten können. Mehrere Behandlungsalternativen:
– „Blasendämpfung“ z. B. durch Anticholinergika (z. B. Dridase® oder Spas-
molyt als Pflaster Kentera®) mit dem Ziel einer „hyporeflexiven, normoto-
nen Blase“ und Entleerung durch Einmalkatheterismus.
– Bei Versagen der medikamentösen Blasendämpfung zystoskopische intra-
vesikale Botoxbehandlung in den M. detrusor vesicae möglich (wegen Ge-
fahr der intraoperativen Dysreflexie Allgemeinanästhesie erwägen).
– Beim männlichen Patienten Sphinkterotomie, dadurch Urinabgang bei
auftretender Reflextätigkeit der Blase bereits bei niedrigen (normotonen)
Druckwerten möglich; Tragen eines Kondomurinals erforderlich.
– Aufwändigere OPs nur bei Versagen der beschriebenen Möglichkeiten
18 und erst zu späterem Zeitpunkt erwägen (sakrale Deafferentation nach
Sauerwein und Implantation eines sakralen Vorderwurzelstimulators
nach Brindley, Blasenaugmentation, Ileum conduit in Sonderfällen).
! „Triggern bzw. Klopfen“ bei hypertonen hyperreflexiven Blasen obsolet (!),
ggf. bei normotensiven hyperreflexiven Blasen unter regelmäßiger Kontrolle
der Blasendruckwerte.
  18.6 Querschnittlähmung  703

• Problem bei Frauen: Hyperreflexive, hypertone Blasenlähmungen, die nicht


auf „Blasendämpfung“ ansprechen → ggf. OP (Deafferentation), Sphinktero-
tomie bei Frauen nicht zu empfehlen.
• Regelmäßig Katheter-Urinuntersuchungen (bei Harnwegsinfekten antibio-
grammgerechte Antibiose), ggf. Ansäuern des Harns z. B. mit Methionin als
Infektprophylaxe.
Sexualität
• Erektionshilfen wie Vakuumpumpe oder SKAT (Schwellkörperautoinjektion
mit Prostaglandinen) oder intraurethrale Suppositorien, medikamentös: Zu-
gelassen: 5-Phosphodiesterasehemmer (z. B. Sildenafil).
• Schwangerschaftsberatung (Schwangerschaft grundsätzlich möglich).
• Antikonzeption.
Hilfsmittel und Reintegration
• Hilfsmittelversorgung. z. B. Rollstuhl, Sitzkissen, Esshilfen bei Tetraplegikern,
Gehapparate, orthop. Schuhe, Fußheberschienen, Bett (sollte elektrisch hö-
henverstellbar sein, z. B. wegen Autoeinmalkatheter), Lifter, Duschstuhl/-lie-
ge, ggf. Spezialmatratze (z. B. Wechseldruckmatratze), ggf. Stehrollstuhl, ggf.
Exoskelett, ggf. PKW-Zurichtung nach Fahrprüfung.
• Wenn möglich, frühzeitige Vorbereitung der häuslichen Situation/Weiterver-
sorgung (ggf. Umbaumaßnahmen) sowie der sozialen und beruflichen Rein-
tegration.

Komplikationen, Spätfolgezustände
Frühkomplikationen
• Dekubitus, Pneumonie (deshalb ggf. frühzeitige Tracheostomie), Atelektasen,
Harnwegsinf., paraartikuläre Ossifikationen, Stressulzera von Magen und
Duodenum.
• Passagerer paralytischer Ileus (Darmatonie) bis toxisches Megakolon infolge
Darmlähmung.
Iatrogene Komplikationen
• Nach ventraler Spondylodese: Stimmbandlähmung (Rekurrensschädigung re
> li, meist reversibel, aber oft Verlauf über Wo./Mon.), ggf. Heiserkeit,
Schluckbeschwerden.
• Nach längerer Intubation ggf. Heiserkeit, Schluckbeschwerden.
• Selten septischer Verlauf nach Osteosynthese.
• Lockerung oder Bruch von Osteosynthesematerial.
• Intraspinales Hämatom, Thrombose, Ischämie oder zusätzliche RM-Trauma-
tisierung mit Verschlechterung der initialen neurol. Symptomatik (selten).
Haut
• Druckschäden der Haut (Dekubitalulzera) an Prädilektionsstellen (über Sitz-
bein, Trochanter major, Kreuzbein, Ferse, Fibulaköpfchen, z. B. auch infolge
ausgeprägter Spastik), evtl. mit Osteomyelitis. Ther.: Entlastung! Kleinere Lä-
sionen kons. Wundkonditionierung (Lagerung, Wundverbände), ggf. Nekro- 18
senabtragung, bei größeren Läsionen Ind. zur OP (z. B. fasziokutane oder fas-
ziomyokutane Lappenplastik). Prophylaxe: Lagerung auf Wechseldruckmat-
ratze mit regelmäßiger Umlagerung 2–3-stündl.
• Gelegentl. passagere Hauterkr. (z. B. Akne im Gesicht, Pilzinf. im Genitalbe-
reich).
704 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

• Lebenslange Dekubitusprophylaxe (Lagerung, regelmäßige Haut-, Druckstel-


lenkontrolle, Sitzdruckmessung, Begrenzung der Sitzzeiten, regelmäßige Ent-
lastung).
Neurogene Blasenlähmung
• Rez. Harnwegsinfekte (Gefahr chron. Harnwegsinfekte → Pyelonephritis bis
zur Niereninsuff., Nieren- und Blasensteine, Prostatitis, Epididymitis, Uro-
sepsis). Erlernen des eigenständigen, intermittierenden Einmalkatheterismus
immer anstreben!
• Schädigung von Blase (Trabekelblase bzw. „Christbaumblase“) und oberen
Harnwegen (z. B. Reflux, Harnstau) bei hypertoner, hyperreflexiver Blase,
wenn trotz Ther. hohe Blasendruckwerte persistieren.
• Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD), Störung des „Zusammenspiels“ Bla-
senmuskel/Schließmuskel, weshalb bei Reflexmiktion sehr hohe Blasendruck-
werte auftreten können, bis unwillkürliche Spontanmiktion erfolgt.
• Entwicklung einer „autonomen Dysreflexie“ (vegetative Begleitreaktionen,
bei Reflexmiktion, z. B. hypertensive Blutdruckwerte, Kopfschmerzen,
Schweißausbruch) → Blasenentleerung, Stuhlregulierung.
• Hautschäden (Mykosen) infolge Tragen eines Kondomurinals.
Skelett und Muskulatur
• Gelenkfehlstellungen, Kontrakturen (durch Beugereflexsynergien → intensive
KG). Frühzeitige intensive Phystiother., Gelenkbewegung, Lagerung.
• Muskel- und Knochenatrophie, pathologische Frakturen bei Osteoporose
(Inaktivität).
• Spinale Spastik der quergestreiften Muskulatur. Ther.: Regelmäßige Physiothe-
rapie, Inf. vermeiden (triggern Spastik). Medikamentös z. B. Baclofen (z. B. Li-
oresal®), Dantrolen (z. B. Dantamacrin®), Tizanidin (z. B. Sirdalud®), intrathe-
kale Baclofenappl. (Medikamentenpumpe), ggf. Botox-Inj. bei fokaler Spastik.
• Paraossäre Verkalkungen (PAO), heterotope Ossifikationen bzw. neurogene
Weichteilverknöcherungen (ca. 15 % der Fälle): ggf. Bestrahlungstherapie
(2  Gy an 5 aufeinanaderfolgenden d), zudem Indometacin 3 × tgl. 100 mg für
3 Mon.. Bewegungsverbessernde OP bei Ankylosierung nach Beruhigung des
Ossifikationsprozesses (frühestens nach 1–2 J. Cave: Hohe Rezidivrate).
• Schwere sekundäre Skoliosen und Kyphoskoliosen möglich bei Para- oder
Tetraplegie im Wachstumsalter oder durch Fehlhaltungen, z. B. im Rollstuhl.
Sonstige
• Kreislaufdysregulation, da vegetatives Nervensystem insbes. über sympathi-
sche Gefäßinnervation mitbetroffen (bei Hypotonie z. B. Effortil®-Tr., bei
Bradykardie z. B. Ipratropiumbromid).
• Chron. Schmerzen (Prophylaxe: frühzeitige, suffiziente und kontinuierliche
Schmerzmedikation), die unbefriedigend auf Ther. ansprechen, z. B. Schulter-
schmerzen bei Tetraplegikern → Ther.-Versuche z. B. mit NSAR, TENS-Gerät,
Nervenmobilisation nach Butler, Wärme (Fango), spez. Lagerung, Massage.
Spezielle Schmerzther.
18 • Neuropathischer Schmerz, Deafferenzierungsschmerz als Folge der Nerven-
schädigung, oft als Überempfindlichkeit, einschießender, brennender oder
einschnürender Schmerz. Ther.-Versuch mit Gabapentin oder Pregabalin,
ggf. in Kombination mit NSAR, Opiaten, Antidepressiva und topischer The-
rapie (Lidocain-Pflaster z. B. Verartis®) im Rahmen multimodaler spezieller
Schmerztherapie.
  18.6 Querschnittlähmung  705

• Posttraumatische Syringomyelie bei 4–5 % der Fälle, zusätzliche (aufsteigen-


de) Lähmungen oberhalb der Läsionshöhe Monate bis Jahre v. a. nach trau-
matischer Querschnittlähmung durch Höhlenbildung im RM (▶ 18.7.2) mög-
lich. Neurochirurgische Abklärung mit Frage operativer Intervention emp-
fohlen. Sekundäre passagere Amenorrhö (kann mehrere Monate andauern,
meist stellt sich normale Periode spontan wieder ein).
• Selten Verschlechterung der neurol. Symptomatik bei primär inkompletter
traumatischer Lähmung (z. B. infolge Thrombose, Hämatom, ggf. erneute
OP-Ind.).

Prognose
Neurol. Symptomatik: Zu Beginn der Behandlung nur schwer beurteilbar. Bei
initial kompletter Lähmung vollständige Remission sehr selten. Konkrete Aussa-
gen nicht möglich. Derzeit kein direkter Einfluss auf die Regeneration des RM
möglich. Prinzipiell ist eine primär inkomplette Lähmung günstiger als eine pri-
mär komplette.
Lebenserwartung: Bei Paraplegikern i. d. R. nicht eingeschränkt (allerdings auch
abhängig von Compliance bzw. Behinderungsbewältigung), Tetraplegiker um ei-
nige Jahre verkürzt.

18.6.2 Konus-Kauda-Syndrom

Beachte die Diskrepanzen zwischen knöchernen und medullären Läsionshö-


hen (▶ Abb. 18.2, ▶ Tab. 18.10).

Tab. 18.10  Überblick Konus-Kauda-Syndrome


Syndrom Betroffener Medulläres Klinik
WK Segment

Epikonussy. Th12/L1 L4–S2 Paretische Hüftstreckung, Aro., Fuß-


und Zehenhebung sowie -senkung,
Kniebeugung, ASR-Verlust, sensibler
Querschnitt ab L4, teils auch dissoziiert,
Blasen-Mastdarm-Lähmung

Konussy. L1/L2 S3–S5 Keine motorischen Ausfälle! Komplette


schlaffe Blasen-Mastdarm-Lähmung
und fehlender Analreflex, Reithosenan­
ästhesie, erektile Dysfunktion

Kaudasy. Unterhalb L2 Komplexe motorische Ausfälle durch


Affektion der absteigenden Wurzeln ab
L3 (Tonus schlaff, MER ↓), Blasen-Mast­
darm-Lähmung (schlaff), Reithosenan­
ästhesie, oft ischialgiforme Schmerzen
und radikulär betonte sensible Ausfälle
18
Wichtige Internetadressen:
www.awmf.org: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachge­
sellschaften, Kapitel Querschnittlähmung
www.dsq.de: Deutsche Stiftung Querschnittlähmung
www.stiftung-rueckenwind.de: Hilfe für Querschnittgelähmte
706 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

www.behindertenbeauftragte.de: Beauftragte für die Belange behinderter Menschen


der Bundesregierung Deutschland
www.drs.org (www.rollstuhlsport.de): DRS – Deutscher Rollstuhl-Sportverband
www.paranet.ch/: Schweizer Paraplegiker Vereinigung
www.asia-spinalinjury.org/: American Spinal Injuries Association
www.dmgp.de: Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegie e. V.

18.7 Erkrankungen des Rückenmarks


Johannes Binder
Poliomyelitis ▶ 18.4.1.

18.7.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)


Definition
Komb., chron.-degrediente, deg. Erkr. der oberen und unteren Motoneurone.

Ätiologie
Ungeklärt, zumeist sporadisch, nur selten hereditär (autosomal-dominant).

Klinik
Distal betonte Muskelschwäche und -atrophien, auch Beteiligung der kaudalen
motorischen Hirnnerven mit Schluck- und Atemstörungen im Verlauf, darüber
hinaus Spastik und Crampi, keine sensiblen oder zerebellären Defizite, teilweise
emotionale Instabilität.

Diagnostik
Anamnese, Klinik, Neuro- und Myografie, transkranielle Magnetstimulation:
Verzögerungen der peripheren NLG, Denervierungszeichen im EMG, Läsion des
zentralen Motoneurons, zumeist unauffälliger Liquor.

Therapie und Prognose


• Keine kausale Ther. bekannt, Riluzol (NMDA-Antagonist, Rilutek®) scheint
Überlebenszeit signifikant zu verbessern, darüber hinaus symptomatische
Ther. (Pyridostigmin bei bulbärer Symptomatik, Fluvoxamin, Amitriptylin
oder Scopolamin bei erhöhtem Speichelfluss, Baclofen bei Spastik).
• Progredienter Verlauf, 50 % Mortalität innerhalb von 3 J., 90 % innerhalb von
6 J., bei primär bulbärer Form schlechtere Progn.

18.7.2 Syringomyelie
Definition
Flüssigkeitsgefüllte Höhlenbildung im RM, langsam progrediente Erkr. häufig mit
Entwicklung dissoziierter Sensibilitätsstörungen.
18
Ätiologie
Fehlentwicklung des Neuralrohrs, Liquorzirkulationsstörung, posttraumatische
Veränderungen oder Tumoren.
  18.8 Myasthenia gravis  707

Klinik
Schmerzen, zentromedulläres Sy. (segmentale oder polysegmentale, teilweise dis-
soziierte sensible Störungen, schlaffe Paresen und Atrophien oder spastische Pare-
sen, vegetativ-trophische Störungen), WS-Veränderung und teilweise Syringobul-
bie (Hirnnervenausfälle).

Diagnostik
Anamnese, Klinik, Elektrophysiologie (SEP, MEP, EMG), Rö HWS, spinale MRT
mit KM, ggf. präop. Myelografie (Kommunikation mit Liquorraum).

Therapie
Bei klin. Progredienz OP mit Syringostomie Fensterung oder Kathetereinlage.
Medikation bei neuropathischen Schmerzen (Pregabalin [z. B. Lyrica®], Duloxetin
[z. B. Cymbalta®]).

18.7.3 Friedreich-Ataxie
Definition
Hereditäre (autosomal-rezessive Trinukleotid-Repeat-Erkr.), chron.-progredien-
te spinozerebelläre Erkr.

Klinik
Meist vor dem 25. Lj. beginnende zunehmende Ataxie mit Sensibilitätsstörungen
und zerebellärer Dysarthrie, kardiale Symptome (Reizleitungsstörung, obstrukti-
ve Kardiomyopathie).

Diagnostik
Anamnese, Klinik, EKG, SEP, MEP, spinale MRT, labortechnischer Mutations-
nachweis.

Therapie und Prognose


• Keine kausale Ther. bekannt, Versuche mit N-Acetylcystein, Selen oder Vit.
E, sonst symptomatische Ther. mit Physiother. und Behandlung der kardialen
Symptome.
• Nach rund 15 J. meist rollstuhlpflichtig. Lebenserwartung nach Beginn der
Symptome durchschnittlich 35 J.

18.8 Myasthenia gravis
Johannes Binder

Definition
Autoimmunerkr. mit AK gegen postsynaptische Acetylcholinrezeptoren der neu-
romuskulären Endplatten mit belastungsabhängiger Muskelschwäche.
18
Ätiologie
Ungeklärt, Assoziation mit Thymusveränderungen (Hyperplasie, Thymom), z. T.
nach vorausgehendem Virusinfekt.
708 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

Klinik
• Belastungsabhängige, prox. betonte Muskelschwäche, teilweise am Abend
verstärkt, Ptosis und Doppelbilder, Schluckstörungen, keine sensiblen Defizi-
te.
• Exazerbation unter Allgemeininfekten oder Medikamentengabe (Muskelrela-
xanzien, Antibiotika, LA, Antiarrhythmika, Benzodiazepine, Betablocker,
Kortikoide, Schilddrüsenhormone, orale Antikonzeptiva).

Diagnostik
• Anamnese, Klinik, serologische Bestimmung der Acetylcholinrezeptor-AK,
EMG mit repetitiver Stimulation.
• Tensilon-Test (probatorische Gabe eines Cholinesterasehemmers mit klin.
und elektrophysiol. Beurteilung einer Symptombesserung).
• Rö Thorax und CT Thorax z. A. eines Thymoms.
Therapie
• Cholinesterasehemmer Pyridostigmin einschleichend 4–6 × 60 mg/d bis max.
600 mg/d (z. B. Mestinon®).
• Kortikoide, z. B. Methylprednisolon (Urbason®) einschleichend 80–100 mg/d.
• Bei schwerer Myasthenie Azathioprin 2,5–3 mg/kg/d (z. B. Imurek®) nach
Leuko- und Lymphozytenzahl.
• Thymektomie bei allen Pat. bis 60 J., über 60 J. nur bei Nachweis eines Thy-
moms.
• Bei myasthener Krise Intensivüberwachung, Prostigmin-Perfusor, ggf. Plas-
mapherese oder Ig.

Perioperatives Management bei Myasthenie-Patienten


Keine Cholinesterasehemmer am OP-Tag, Prednisolon weitergeben, Azathio-
prin 2 d vor OP absetzen, einmalig hoch dosiert Cephalosporine prophylak-
tisch.
• Narkose: Thiopental, Lachgas, O2 und Fentanyl, Vermeidung von Succi-
nylcholin, nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien nur 10–15 % der
normalen Dosierung.
• Postop. Cholinesterasehemmer nach 4–6 h (oral Hälfte der vorherigen
Tagesdosis, parenteral 6–24 mg Pyridostigmin i. v.).

18.9 Erkrankungen des peripheren


Nervensystems
Johannes Binder

18.9.1 Umschriebene Nervenläsionen
18
N. medianus
Ätiologie
• Oberarm: Humerusfraktur, Drucklähmung im Schlaf.
• Handgelenk: Karpaltunnelsy.
   18.9  Erkrankungen des peripheren Nervensystems  709

Klinik
• Läsion am OA: Pronatorenlähmung, bei intendiertem Faustschluss „Schwur-
hand“ durch Ausfall der tiefen Fingerbeuger I–III, bei Umfassen eines runden
Gegenstands liegt Daumen durch fehlende Abduktion und Opposition nicht
an („Flaschenzeichen“).
• Läsion am Handgelenk: Erschwerte Daumen-Kleinfinger-Opposition durch
Ausfall der Mm. opponens pollicis und abductor pollicis brevis, Thenaratrophie.
• Sensibilitätsstörungen der Finger I–III (und lat. Anteil IV) und Handinnen-
fläche (▶ Abb. 18.4).
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Klinik, Elektrophysiologie (Ausmaß, Höhe und Differenzierung zu radikulä-
rer Genese der Schädigung).
• Bei radikulärer Läsion C6 kleine Handmuskeln nicht betroffen, Bizepsschwä-
che mit abgeschwächtem BSR, im Bereich der Hand ähnliche Sensibilitätsstö-
rung, jedoch nur auf Daumen und Zeigefinger beschränkt, hier auch radial
und auf UA übergehend (▶ Abb. 18.4).

N. ulnaris
Ätiologie
Trauma oder Druckschädigung im Sulcus ulnaris.
Klinik
• Beugung der Fingerendglieder IV und V durch Lähmung der langen Finger-
beuger bei Schädigung im Bereich des Ellenbogens, Krallenstellung durch
Überwiegen der Mm. flexor bzw. extensor digitorum superficiales (Nn. medi-
anus bzw. radialis) wegen Ausfalls der Mm. interossei und lumbricales, Ab-
duktionsschwäche des Kleinfingers.
• Sensibilitätsstörungen der Finger IV (medialer Anteil IV) und V und ulnare
Handkante (▶ Abb. 18.4).
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Klinik, Elektrophysiologie (Ausmaß, Höhe und Differenzierung zu radikulä-
rer Genese der Schädigung).
• Bei radikulärer Läsion C8 sind die medianusversorgten kleinen Handmuskeln
(z. B. M. abductor pollicis brevis) mitbetroffen, im Bereich der Hand ähnliche
Sensibilitätsstörung, jedoch auf UA übergehend (▶ Abb. 18.4).

N. femoralis
Ätiologie
Retroperitoneale Hämatome, Schädigungen bei Hüft-OP.
Klinik
• Hüftbeuge- und Kniestreckerschwäche.
• Sensibilitätsstörungen medialer Ober- und Unterschenkel (▶ Abb. 18.4).
Diagnostik und Differenzialdiagnosen 18
• Klinik, Elektrophysiologie (Ausmaß, Höhe und Differenzierung zu radikulä-
rer Genese der Schädigung), Ultraschall Hüfte, CT Becken.
• Bei radikulärer Läsion L4 ist zusätzlich die Fußhebung (M. tibialis ant.) mit-
betroffen, nicht jedoch die Hüftbeugung (M. iliopsoas), die Sensibilitätsstö-
rung ist am OS lat. gelegen (▶ Abb. 18.4).
710 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

volar dorsal
C4
N. axillaris
C4
Th2
C5
3 Th2 N. cut. brachii
4 3 post.
5 4 C5
6
7 5
6
N. cut. brachii
8
9 7 med.
Th1 10 8
11 9 N. cut. ante- N. inter-
12
10 C6 brachii lat. costo-
L1 11 brachialis
L2 12 N. cut. ante-
L3
L1 brachii post.
C6 5
C7
C8
4 6 L2 C8 N. cut. ante-
C7 brachii med.
L4 S3

L3
N. radialis
S2
N. ulnaris
N. medianus
L4

L5 medial lateral
S1 L5 N. obturatorius

N. femoralis N. cuta-
S1
neus
S1
N. cut. fem. lat.
fem. post
N. cut. N. femo-
fem. post ralis
V1 N. saph- N. pero-
C2 enus neus
comm.
V2 N. peronaeus
N. suralis superfic. N. pero-
neus
V3 superfic.
C3
N. pero-
N. plantaris med. N. suralis neus prof.

Dermatome Sensible Innervation der Extremitäten

Abb. 18.4  Dermatome; sensible Innervation der Extremitäten [L190]

N. peroneus
Ätiologie
Druckläsion im Bereich des Fibulaköpfchens (z. B. OP-Lagerung, langes Knien
oder Hocken).
Klinik
• Parese der Fuß- und Zehenheber („Steppergang“), Pronationsschwäche.
• Sensibilitätsstörung an lat. US, Fußrücken und Großzehe (▶ Abb. 18.4).
18 Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Klinik, Elektrophysiologie (Ausmaß, Höhe und Differenzierung zu radikulä-
rer Genese der Schädigung).
• Bei radikulärer Läsion L5 auch Fuß- und Zehenheberschwäche, nicht pero-
neusversorgte L5-Muskeln sind auch betroffen (z. B. M. tibialis post. – N. tibi-
   18.9  Erkrankungen des peripheren Nervensystems  711

alis oder M. gluteus medius – N. gluteus superior), ähnliche Sensibilitätsstö-


rung des lat. US, des med. Fußrückens und der Großzehe (▶ Abb. 18.4).

N. tibialis
Ätiologie
Frakturen oder OPs im Bereich des Knies, Fraktur oder Druckläsion (Tarsaltun-
nelsy.) im Bereich des Knöchels.
Klinik
• Läsion im Bereich des Kniegelenks: Parese der Fuß- und Zehenbeuger mit
Schwierigkeiten des Abrollens und Abstoßen beim Gehen, Zehenstand und
Hüpfen nicht möglich.
• Läsion im Bereich des US: Parese der kleinen Fußmuskeln mit Entwicklung
eines Krallenfußes durch Überwiegen der langen Zehenbeuger (prox. N. tibi-
alis) und der kurzen Zehenstrecker (N. peroneus).
• Sensibilitätsstörung dorsolat. US, Palmarfläche und Außenkante des Fußes
(▶ Abb. 18.4).
Diagnostik und Differenzialdiagnosen
• Klinik, Elektrophysiologie (Ausmaß, Höhe und Differenzierung zu radikulä-
rer Genese der Schädigung).
• Bei radikulärer Läsion S1 auch Fuß- und Zehensenkerschwäche, nicht tibia-
lisversorgte S1-Muskeln sind auch betroffen (z. B. M. gluteus maximus – N.
gluteus inferior), ähnliche Sensibilitätsstörung an dorsolat. US, lat. Plantarflä-
che und Außenkante des Fußes (▶ Abb. 18.4).

18.9.2 Polyneuropathien (Auswahl)
Definition
Schädigung mehrerer peripherer Nerven durch einen systemischen Prozess (here-
ditär, metabolisch, toxisch, paraneoplastisch, entzündlich, immunologisch).

Diabetische Neuropathie
Definition
Zumeist distale symmetrische sensomotorische PNP mit chron.-progredientem
Verlauf, seltener asymmetrisch prox. betont oder als kraniale Mononeuropathie,
metabolischer, entzündlicher, autoimmunologischer oder sonstiger Ätiologie
Klinik
• Socken- und handschuhförmige Sensibilitätsstörung mit Schmerzen, Pallhy-
pästhesie und vegetative Störungen.
• Schlaffe, distale Paresen mit Abschwächung der MER (besonders Achillesseh-
nenreflex).
Diagnostik
Neuro-, Myografie, Labordiagn., ggf. Liquordiagn. 18
Therapie
Ursächliche Ther. bei eindeutiger Ätiologie, bei Diab. mell. gute Einstellung not-
wendig, symptomatisch bei neuropathischen Schmerzen Antidepressiva (z. B.
Amitriptylin, Duloxetin) oder Antiepileptika (z. B. Gabapentin, Pregabalin).
712 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

Guillain-Barré-Syndrom
Definition
Akut oder subakut auftretende Erkr. mit symmetrischen motorischen Ausfällen, die
distal an den unteren Extremitäten beginnen und mehr oder weniger rasch aufstei-
gen sowie autonomer Dysfunktion; sensible Ausfälle stehen im Hintergrund.
Ätiologie
Ungeklärt, vermutlich autoimmunologisch mit AK-Reaktion gegen peripheres
Myelin.
Klinik
• Schlaffe, innerhalb von Tagen aufsteigende symmetrische Paresen mit erlo-
schenen MER.
• Initial Parästhesien, jedoch wenig sonstige Sensibilitätsdefizite.
• Autonome Störungen mit kardialen Arrhythmien (regelmäßige EKG-Kont-
rollen!), Blutdruckschwankungen, Harnverhalt und E'lytentgleisung.
Diagnostik
• Liquor: Zytoalbuminäre Dissoziation (Gesamtprotein deutlich ↑, Zellzahl
normal oder leicht ↑).
• Neuro- und Myografie (NLG deutlich ↓, nach 2 Wo. pathol. Spontanaktivität).
• Serologie (E'lyte, GM1-AK, Campylobacter-, CMV-, EBV-Titerbestimmung).
Therapie und Prognose
• Ig (0,4 g/kg) i. v. für 5 d, bei KI Plasmapherese, darüber hinaus symptomati-
sche Ther., Thromboseprophylaxe, ggf. Beatmung bei Ateminsuff.
• Innerhalb von 4–6 Wo. Beschwerdemaximum, dann Rückbildung der Pare-
sen in umgekehrter Reihenfolge, schwere Defektzustände, aber auch vollstän-
dige Rückbildung möglich, selten Übergang in chron. Guillain-Barré-Sy.

18.10 Muskelerkrankungen
Michael Akbar

Hauptsymptom
Muskelschwäche. Fakultativ Schmerzen und Muskelschwund.

18.10.1 Progressive Muskeldystrophie
Definition
Gruppe von Muskelerkr., die aufgrund von genetischen Muskelstoffwechselstö-
rungen zu unterschiedlich progredientem und verschiedentlich lokalisiertem,
deg. Muskelabbau führen (▶  Tab. 18.11). Der Defekt liegt in der Muskelzelle
18 selbst. Häufigster und bösartigster Typ: Duchenne.

Charakteristika
Klinik
▶ Tab. 18.11.
• Schleichender Beginn, symmetrische Manifestation.
  18.10 Muskelerkrankungen  713

• Zunächst Parese der stammnahen Muskulatur (Schulter, Beckengürtel), dann


der Anti-Schwerkraft-Muskulatur (Hüft- und Kniestrecker).
• Später Atrophien und Pseudohypertrophien (bes. Waden) durch Ersatzlipo-
matose.
• Charakteristische Zeichen durch motorische Einbußen und Kompensations-
mechanismen.
– Gowers-Zeichen: Kniestrecker-Lähmung → Aufrichtung des Pat. beim
Aufstehen durch Hochstemmen mit den Armen am eigenen Körper.
– Trendelenburg-Zeichen (Duchenne): Abkippen des Beckens zur gesunden
Seite aufgrund der Glutealmuskelinsuffizienz → watschelnder Gang.
– „Tapirschnauze“: Rüsselförmige Vorwölbung der Lippen bei Affektion
der Gesichtsmuskeln.
! Oft Herzmuskel mitbetroffen (kann den Verlauf der Erkr. bestimmen).
• Gel. Intelligenzdefekte.
Tab. 18.11  Charakteristika von Muskeldystrophien
Typ Alter Ort Symptomatik und Verlauf

Duchenne-Aran 0.–3. Lj. Beckengürtel Maligne Verlaufsform, meist vor


(X-chromosomal dem 25. Lj. letal, nur Knaben befal­
rezessiv) len! Schnell progrediente Becken-
und OS-Muskelschwäche (Trende­
lenburg- und Gowers-Zeichen pos.),
Kyphoskoliose, Kardiomyopathie,
Gehunfähigkeit mit 12–15 J.

Becker-Kiener 12.–15. Lj. Beckengürtel Benigne Verlaufsform, Treppensteig­


(X-chromosomal schwäche, Aufstehprobleme (Tren­
rezessiv) delenburg- und Gowers-Zeichen
pos.), Gnomenwaden (Pseudohyper­
trophie); Kardiomyopathie, Gehun­
fähigkeit erst nach dem 50. Lj.

Leyden-Möbius 2.–40. Lj. Gliedergürtel Benigne Verlaufsform, im Becken-


(autosomal-re­ oder Schultergürtelbereich begin­
zessiv) nende, langsam progrediente
Schwäche und Parese, keine Pseu­
dohypertrophie, Kardiomyopathie

Erb-Landousy- 7.–25. Lj. Skapulohumeral Benigne Verlaufsform, Dystrophie


Déjerine (auto­ der prox. Arm-Schulter-Muskulatur
somal-dominant) mit „losen Schultern“, Armheber­
schwäche; mimische Muskulatur ist
früh betroffen (Facies myopathica),
Beinparese erst spät. Verlauf evtl.
schubweise, Taubheit

Seltene Muskeldystrophieformen sind die generalisierte, kongenitale Dystrophie De


Lange mit malignem, früh letalem Verlauf, die okuläre, benigne Dystrophie Kiloh-
Nevin, die okulo-pharyngeale, benigne Dystrophie Barbeau und die benigne, distale
Dystrophie Welander
18
Diagnostik
• EMG (kleine, myopathisch veränderte Potenziale, „myogenes Muster“).
• MRT des Muskels.
• Muskelbiopsie (histologisch, biochem., Dystrophinbestimmung).
714 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

• Serum: Erhöhung der Muskelenzyme (GOT, GPT, LDH, Aldolase und beson-
ders der Kreatinkinase ↑↑).
• EKG (Kardiomyopathie?).
• Genanalyse (diagn. Sicherung erfolgt häufig durch molekulargenetische Ana-
lyse).
• Ggf. Pränataldiagnostik.
• DD: Muskeldystrophien sind von neuromuskulären Ekr. abzugrenzen.
Therapie und Prognose
Eine kausale Ther. existiert bis heute nicht. Inwieweit sich in Zukunft die Genther.
in diesem Bereich durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Die Ther.-Optionen sind
rein symptomatisch (KG, Muskelaufbautraining), orthop. Korrektur-OP, Stütz-
prothesen. Ziele des symptomatischen Behandlungsspektrums sind der möglichst
lange Erhalt der Geh- und Stehfähigkeit sowie die Kontraktur- und Skoliosepro-
phylaxe zur Verbesserung der Lebensqualität und Lebenserwartung. Eine kardio-
logische bzw. kardiochir. Ther. kann ebenso wie eine apparativ assistierte Beat-
mung erforderlich werden. Sehr unterschiedliche Progn., je nach Typ.

Muskeldystrophie Typ Duchenne


Definition
Infantile aufsteigende Form. Phänotypisch und von der Schwere des Krankheits-
verlaufs ausschließlich M betroffen. F sind Konduktorinnen mit allenfalls milden
klin. Zeichen. Inzidenz 30 : 100.000 Neugeborene (M). Erbgang: X-chromosomal-
rezessiv. Pathogenetisch Fehlen bzw. hochgradiger Mangel (≤ 3 %) des Muskel-
zellmembranproteins Dystrophin. Der genaue Pathomechanismus ist unbekannt.
Klinik
• Je früher der Beginn, desto langsamer die Progredienz.
• Einteilung in Schweregrade von 0 (klin. unauffällig) bis 10 (ständig bettläge-
rig, Vollinvalide).
• Typischer Verlauf:
– Beginn überwiegend um 3. Lj. mit Neigung zum Stolpern und Fallen,
Watschelgang (Glutealmuskelschwäche; auch ▶ 17.1.2).
– 5.–7. Lj.: Treppen steigen erschwert, zunehmende Lendenlordose, Gehun-
fähigkeit, „Gnomenwaden“.
– Meistens 7.–12. Lj. Rollstuhlstadium und Bettlägerigkeit.
– Progressive Skolioseentwicklung mit Verlust der Gehfähigkeit, Beein-
trächtigung der Sitzfähigkeit und Entwicklung von Kontrakturen von
Hüft-, Knie- und Sprunggelenk.
– Tod meist 18.–22. Lj. (wegen Kardiomyopathie).
• Orthopädische Probleme:
– Hypotonie, Pseudohypertrophie sowie Atrophie und Schwäche der Mus-
kulatur.
– Frühzeitige Beugekontrakturen der Extremitäten (→ vorzeitiger Verlust
der Geh- und Stehfähigkeit).
18 – Rasch progrediente Lähmungsskoliosen (Schmerzen, pulmonale Insuffizi-
enz), Trichterbrust.
Therapie
Nach heutiger Auffassung sollte die Muskeldystrophie Typ Duchenne (DMD) im
Sinne eines prophylaxeorientierten Ther.-Konzepts behandelt werden.
  18.10 Muskelerkrankungen  715

Konservative Therapie
• KG: Vermeiden von passiven Dehnungen. Wichtig sind Geh- und Stehübun-
gen. Regelmäßiges Atemtraining. Selbstständiges Übungsprogramm!
• Elektrostimulation (Konversion Typ-2B-Fasern zu Typ-1-Fasern → kurzfristi-
ge Verbesserung der Muskelkraft).
• Ergother. (Geschicklichkeit).
• Hippother. (kontraindiziert bei fehlender aktiver Kopf- und Rumpfkontrolle).
• Medikamente: Nach heutiger Auffassung bis zum Verlust der Gehfähigkeit
Steroidmedikation (Prednison 0,75 mg/kg KG/d oder Deflazacort 0,9 mg/kg
KG/d); Immunsuppressiva (Cyclosporin A) sind derzeit noch in der klin. Er-
probung.
• Einlagenversorgung (bei vor der Einlagenversorgung „unsicher“ gehendem
Jungen sollte immer auch an eine DMD gedacht werden!).
• Orthopädisches Schuhwerk.
• Beinorthesen.
• Korsettbehandlung bei Skoliose nur in Ausnahmefällen: Inoperables Spätsta-
dium, Kompromisslösung bei sehr jungen Pat. bis zur definitiven operativen
Versorgung um das 10.–12. Lj.
• Intermittierende Druckbeatmung (PEEP) bei Atembehinderung.
• Medikamentöse Ther. der Herzinsuffizienz.
Operative Therapie
• Frühzeitige (4.–6. Lj.) kontrakturprophylaktische OP an Beinen (z. B. simul-
tan an beiden Beinen Spinamuskelablösung, Aponeurektomie des Tractus
iliotibialis, subkutane Tenotomie der Kniebeugesehnen, Achillotenotomie.
Postop. OS-Liegegips für 3 d, dann Mobilisation).
• Frühzeitige operative Stabilisierung der WS (ab 20° nach Cobb, FVC > 30 %).
Ziele: Geh- und Stehfähigkeit verlängern, Rollstuhlphase hinausschieben,
progrediente Skoliose verhindern.
! Bei Narkose maligne Hyperthermie, Hyperkaliämie möglich. Heute durch ge-
eignetes Narkoseregime zu verhindern (z. B. Vermeiden von Succinylcholin
und Inhalationsanästhetika, erweitertes Monitoring, Intensivüberwachung).

18.10.2 Dystrophia myotonica (Curschmann-Steinert)


Definition
Zweithäufigste vererbte Muskelerkr., gehört zur Untergruppe der Myotonien, au-
tosomal-dominant vererbt. Unterscheidung in kongenitale und adulte Form.
Adulte Form: Manifestation meist 20.–30. Lj.; M > F. Inzidenz 13 : 100.000 Neuge-
borene (zweithäufigste maligne Myopathie nach Duchenne).

Klinik
• Distal beginnende Muskelatrophien/-dystrophien.
• Faziale Atrophien → „Facies myopathica“ (schlaffer Gesichtsausdruck), oft
mit Ptose und Stirnglatze („Jammergestalt“).
• 
Zervikale Atrophie → näselnde Sprache (Pharynx), Kau- und Schluckstörung, 18
Verlust der aktiven Kopfhaltung, HWS-Subluxationen.
• Myotone Reaktionen der betroffenen Muskeln (anhaltende Kontraktion bei
Beklopfen oder nach Aktion führt zu Muskelbäuchen).
• Kongenitale Form: Früh-, Mangelgeburt, Floppy Infant, Schwäche der Ske-
lettmuskulatur, Saug- und Schluckschwierigkeiten, Zwerchfellschwäche mit
716 18  Neurologie und Neuroorthopädie  

schwerer respiratorischer Insuff., Klumpfüße, milde Skoliose, Schwäche der


mimischen Muskulatur (dreieckförmiger Mund), psychomotorische Retardie-
rung, Kontrakturen OSG – Einsetzten der Myotonie erst nach einigen Jahren.
• Adulte Form (hier bleibt meistens die Gehfähigkeit erhalten!): Myotonie wird
als Verlangsamung und Steifigkeit der Bewegung empfunden, faszio-zerviko-di-
stale Atrophie (s. o.), Katarakt (90 %), hirnorganisches Psychosy., endokrine Be-
gleitstörungen (Mensesstörungen, Hodenatrophie, Schilddrüsenunterfunktion).

Diagnostik
• EMG (myotone Entladungen → „Sturzkampfbombergeräusch“).
• Muskelbiopsie (Muskelatrophie).
• Serum-Kreatinkinase ↑↑.
• CCT (im Verlauf): Ventrikelerweiterung.
• Genanalyse (prä- und postnatal möglich).
• DD: Distale Myopathien, okulopharyngeale Muskeldystrophien.
Therapie und Prognose
• Symptomatisch, ggf. orthopädischerseits stützende Orthesen (US-Orthesen,
bei HWS-Subluxation stabilisierende Zervikal-/Kopfstütze), Geh- und Lauf-
hilfsmittel, korrigierende OP (Muskelverlängerungen, Sehnentransfer, Fuß-
deformitäten), KG.
• Jährliche ophthalmologische Kontrollen (Katarakt-OP). Medikamentöse
Ther. der Myotonie mit Diphenylhydantoin möglich.
• Die kongenitale Form hat eine postnatale Mortalität von 16 %, die Lebenser-
wartung ist deutlich reduziert.
• Lebenserwartung bei adulter Form leicht verkürzt, Arbeitsfähigkeit deutlich
eingeschränkt.
• Cave: Allgemeinnarkosen und depolarisierende Muskelrelaxanzien vermeiden
(anhaltende Ateminsuff. und ausgeprägte Myotoniereaktion, Kiefersperre).
• Cave: Bei Muskelerkr. nach operativen Eingriffen (z. B. knöcherne Fußkor-
rektur-OP) schnelle Mobilisation (Stehbrett).

18.10.3 Polymyositis
Ätiologie
Seltene Erkrankung. F : M = 2 : 1. Ursache unbekannt. Zusammenspiel zwischen
genetischen Faktoren, viralen Inf. der Muskulatur und autoimmunologischen
Mechanismen (Autoaggression). Inzidenz: 2–3/100.000. Symmetrische, ohne
Ther. rasch progrediente Erkr. der stammnahen Muskulatur mit histologischen
Zeichen der Gewebsentzündung (immunpathologisch?), auch assoziiert mit My-
asthenie. Formen: Ätiologisch eigenständig, mit Hautveränderungen (Dermato-
myositis), parakollagenös und paraneoplastisch.
Generalisierte Entzündung der quer gestreiften Muskulatur und der Haut bei der
Dermatomyositis.
18 Klinik
• Akute Form: Rasch progrediente Paresen der druckschmerzhaften, oft öde-
matös angeschwollenen Muskeln (stammnah) mit Begleitfieber, Exanthem.
• Chron. Form: Zunächst prox. und beinbetonte Paresen, Ausdehnung zu Schul-
tergürtel, Nacken, auch Pharynx (Dysphagie), schlaffe, schmerzhafte Muskel-
palpation. Im Spätstadium: Atrophien, Kontrakturen, myasthene Beschwerden.
   18.11  Orthopädisch relevante Folgen neurologischer Erkrankungen  717

• Begleiterscheinungen: Arthritiden, Gesichtserytheme, Lidschwellungen, Ray-


naud-Sy., evtl. Lungenfibrose und Kardiomyopathie.
• Assoziierte Begleiterkr.: ⅓ der Fälle assoziiert mit RA, SLE, 1/10 assoziiert mit
Malignom.

Diagnostik
• Unspezifische Entzündungsparameter (BSG, Leukozyten), CK-Erhöhung,
EMG, Muskelbiopsie (Entzündungszeichen), Tumorscreening.
• Diagn. richtungweisend sind serologisch nachweisbare krankheitsspezifische
Autoantikörper.

Differenzialdiagnosen
• Akute Muskelschwäche: Guillian-Barré-Sy., Neurotoxin-Intoxikation.
• Subakute oder chron. progressive Muskelschwäche: Spinale Muskelatrophie,
amyotrophe Lateralsklerose, Muskeldystrophie (Duchenne, Becker).
• Medikamenteninduzierte Muskelschwäche: Amphotericin B, Penicillin, Aza-
thioprin.

Therapie
• Langfristige Kortikoidgabe. CK-Spiegel Monitoring (Rezidiv!).
• Bei therapierefraktären Fällen Ig-Gabe hoch dosiert (temporäre Besserung).
• Behandlung der NW der Kortikoidtherapie: Kalziumsubstitution, Vitamin D,
H2-Rezeptor-Blocker.
• Krankengymnastische und logopädische (Schluckakt) Behandlungen.
Prognose
• Nach 5-jähriger Ther.: 50 % Vollremission, 30 % Teilremission, 20 % Progres-
sion.
• 5-JÜR ist > 75 % (bei Kindern deutlich höher).

18.11 Orthopädisch relevante Folgen


neurologischer Erkrankungen
Michael Akbar

Spastik
• Versuch der Tonusminderung durch Vermeidung von Schmerzreizen und
günstige Lagerung.
• Pos. medikamentöse Beeinflussung durch Baclofen (z. B. Lioresal®), Tizandin
(z. B. Sirdalud®), Tolperison (z. B. Mydocalm®), Tetrazepam (z. B. Musaril®),
bei schwerer Spastik auch intrathekale Baclofen-Pumpe, i. m. Botulinustoxin
(Botox®), als Ultima Ratio Rhizotomie.
• Bei fixierter Fehlstellung operative Korrektur erwägen.
18
Schlaffe Paresen
• Prothesenunterstützung (z. B. Peroneus-Schiene), ggf. mit gangmodifizierter
Elektrostimulation (temporäre transkutane elektrische Stimulation des M. ti-
bialis ant. in der Schwungbeinphase bei Steppergang).
• OP (z. B. Sehnentransfer des M. tibialis post. bei Fußheberschwäche).
19 Psychosomatische Aspekte in
orthopädischer Diagnostik und
Therapie
Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf

19.1 Einführung, Diagnostik 19.3.3 Fibromyalgie


Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf und
Marcus ­Schiltenwolf 720 Matthias Franz 734
19.1.1 Allgemeines 720 19.3.4 HWS-Distorsion
19.1.2 Bedeutung der Psychosomatik („Schleudertrauma“)
in der Orthopädie 720 Marcus Schiltenwolf und
19.1.3 Psychodiagnostisches Matthias Franz 736
Erstgespräch 723 19.3.5 Komplexes regionales
19.1.4 Vertiefte biografische Schmerzsyndrom I
Anamnese 725 Matthias Franz und
19.1.5 Klinische Hinweise auf eine Marcus Schiltenwolf 736
­psychosomatische Störung 726 19.3.6 Dystonien
19.2 Therapie Matthias Franz und
Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf 738
Marcus ­Schiltenwolf 728 19.3.7 Neurotisches Rentenbegehren
19.3 Krankheitsbilder 729 Matthias Franz und
19.3.1 Mögliche Ursachen chronischer Marcus Schiltenwolf 739
Schmerzen (anhaltende soma-
toforme Schmerzstörung)
Matthias Franz und
Marcus Schiltenwolf 729
19.3.2 Lumbalgie, Dorsalgie,
­Zervikalgie
Matthias Franz und
Marcus ­Schiltenwolf 730
720 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

19.1 Einführung, Diagnostik
Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf
19
19.1.1 Allgemeines
Multidimensionale Diagnosestellung (somatisch und psychosozial) anstreben,
unabdingbar insbes. bei chron. Schmerzbildern:
• Psychosomatische Aspekte von Diagn. und Ther. erwägen bei unzureichender
organischer Erklärung der Beschwerden und umfangreichen, wenig erfolgrei-
chen Vorbehandlungen.
• Nach Bewertung somatischer Krankheitsursachen psychosoziale Ursachen in
ihrer Bedeutung beurteilen und im Ther.-Plan berücksichtigen: Hinweise auf
aktuelle psychosoziale Belastungen, Beziehungskonflikte, kindliche Belas-
tungsfaktoren?
• Psychosomatische Komorbidität bei körperl. Symptomen in Betracht ziehen
und erkennen → vermeidet Chronifizierungsprozesse und destruktives
Krankheitsverhalten.

19.1.2 Bedeutung der Psychosomatik in der Orthopädie

Keine zu frühe „Etikettierung“ orthop. Beschwerden als psychogen! Aber:


Psychosomatische (Mit-)Verursachung frühzeitig (nach 4- bis spätestens
12-wöchiger Behandlungsresistenz) eruieren und damit unbefriedigende
Ther.-Verläufe mit wiederholten diagn. Interventionen, ergebnislosen Ab-
klärungen, schlechter Compliance, schlechter Arzt-Pat.-Beziehung, häufigen
Arztwechseln und Chronifizierung vermeiden.

Leitsymptom Schmerz i. R. eines somatoformen Schmerzsyndroms


Ätiologie
Psychogenes Schmerzgeschehen
Beschwerdedauer > 6 Mon. verbunden mit Beeinträchtigung der Funktionsfähig-
keit im Alltag und intensiver Einforderung medizinischer (Mehrfach-)Diagn. oh-
ne Nachweis ausreichend erklärender somatischer Befunde, aber auch bei rez.
Symptomatik und bei weiteren Schmerzorten und weiteren Körperbeschwerden
(Kopfdruck, Herzstiche, Herzstolpern, Verstopfung und Durchfall, Ohrensausen)
bei gleichzeitigem Krankheitserleben besteht der V. a. einen wesentlichen psycho-
somatischen Krankheitsanteil. Insbes. in der großen Gruppe der chron. Schmerz-
pat. immer auch psychosomatische Diagnose(n) anstreben!
Lerntheoretische Aspekte
• Erniedrigte Schmerzschwelle (z. B. durch Lernen am Modell, Familienvorbil-
der, Schmerzverstärkung durch altruistische Lebenspartner).
• Beeinträchtigte zentrale Schmerzkontrolle durch früh erlernte Hilflosigkeit
(z. B. bei frühen Verlusterlebnissen und nach körperl. oder seelischen Trau-
matisierungen in der Kindheit) führen zu katastrophisierenden Ursachen-
und fatalistischen Kontrollüberzeugungen des Pat.
  19.1 Einführung, Diagnostik  721

• Iatrogene Faktoren beachten dramatisierende und Angst erzeugende Befund-


übermittlung, ablehnende Einstellung durch verärgerte Ärzte, Begünstigung
von chron. Analgetikagebrauch und fehlindizierten OPs (▶ 24.1). 19
Psychodynamische Aspekte
• Schmerz als selbstwertstabilisierende Abwehrleistung in schweren Krisensitu-
ationen (letzte Rückzugsmöglichkeit zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls
z. B. nach Kränkungen).
• Schmerz als Äquivalent eines verinnerlichten Beziehungstraumas (Misshand-
lungen und Entwertungen während der Frühkindheit).
• Schmerz als Affektäquivalent bei unverarbeiteter Angst, Trauer oder Wut.
• Schmerz als Ausdruck von Selbstbestrafungstendenzen bei Schuldgefühlen
oder Depression.
• Schmerz als (appellativer) Beziehungsersatz (häufig nach Verlust wichtiger
Bezugspersonen, verbunden mit Depressivität).
Klinik
Mögl. Begleitsymptome: Depressive Beschwerden (Freudlosigkeit, Grübeln und
Niedergeschlagenheit), Funktionsstörungen (z. B. somatoforme Körperbeschwer-
den), störende Sinneswahrnehmungen (diffuser Schwindel, Ohrgeräusche), vege-
tative Symptomatik, sexuelle Funktions-, Schlafstörungen. Hohe Stressbelastung.

Orthopädische und psychosomatische Diagnosen


Orthopädische Diagnosen mit möglicher psychosomatischer Komponente
(Auswahl)
• Nacken- und Nacken-Arm-Schmerzen (Zervialgie, Zervikobrachialgie), Rü-
cken- und Rücken-Bein-Schmerzen (Lumbalgie, Lumboischialgie), Kokzygo-
dynie (▶ 10).
• Chronische myofasziale und weit verbreitete Schmerzen (▶ 16.8.12).
• CRPS (▶ 19.3.5).
• Willkürliche Schulterluxation (▶ 9.1.17).
• Postnukleotomiesyndrom und Schmerzen nach anderen OPs.
• Gehäufte OPs (auch an verschiedenen Organsystemen) bei zweifelhafter Ind.,
ohne ausreichenden OP-Erfolg.
Wichtige psychosomatische Diagnosen in der Orthopädie
Anhaltend somatoforme Schmerzstörung: Häufigste und wichtigste Diagnose in
der Orthopädie. Schmerzen in einer oder mehreren Regionen (Überschneidung mit/
DD Fibromyalgiesyndrom) über mehr als 6 Mon. Vorwiegend durch psychosoziale
Faktoren verursacht und aufrechterhalten; aus psychosomatischer Sicht häufig vor-
sprachliches Affektäquivalent bei kindheitstraumatischen Belastungen verbunden
mit Unfähigkeit, zu entspannen, Dekompensation unter überhöhter Leistungsanfor-
derung und bei sozialen Konflikten. Hiervon zu unterscheiden sind somatisch be-
gründete Schmerzen (nozizeptiv, neuropathisch) mit dysfunktionaler Krankheitsbe-
arbeitung oder psychischer Komorbidität (z. B. Angsterkrankung oder Depression).
Undifferenzierte Somatisierungsstörung: Schmerzen ohne ausreichende organi-
sche Erklärung sind nur ein Teil dieses durch emotionale Konflikte und psychosozi-
ale Belastungen beeinflussten Beschwerdebilds. Zusätzlich weitere Körperbeschwer-
den: gastrointestinale, sexuelle und pseudoneuralgische Symptome. Symptomatik
beginnt meist vor dem 30. Lj., besteht kontinuierlich seit mind. 6 Mon. und be-
stimmt intensiv Aufmerksamkeit und organzentriertes Hilfesuchverhalten des Pat.
722 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

Konversionsstörung: Pseudoneurol., organisch nicht erklärbare Störungen, die


motorischer und/oder sensibler/sensorischer Körperfunktionen. Wird heute als
dissoziative Störung klassifiziert. Hintergrund: Unbewusste Ängste vor eigenen
19 Triebimpulsen aufgrund konflikthafter oder traumatischer kindlicher (z. B. sexu-
eller) Belastungen, Symptomauslösung durch Aktualisierung verdrängter Erinne-
rungen.
Hypochondrie: Pat. beschäftigt sich bis hin zur wahnhaften Verarbeitung mit der
Möglichkeit, entgegen wiederholter ärztlicher Einschätzung ernsthaft erkrankt zu
sein. Aus psychodynamischer Sicht können in hypochondrischen „Objekten“
(z. B. „Tumor“, „Entzündung“ etc.) dem Bewusstsein unerträgliche traumatische
Erfahrungen „abgekapselt“ abgewehrt, aber auch symbolisiert werden.
Körperdysmorphe Störung: Übermäßige bis überwertige Beschäftigung mit ei-
nem lediglich subjektiv erlebten oder unangemessen verarbeiteten tatsächlichen
Mangel der körperl. Erscheinung, häufig im Zusammenhang mit tief greifenden
Selbstwertstörungen. Tendenz zu nichtindizierten wiederholten plastisch-chirur-
gischen Eingriffen ohne Effekt.
Depression (leicht, mittelgradig, schwer): Über mind. 2 Wo. andauernde Nieder-
geschlagenheit, Interesselosigkeit, Schlaflosigkeit, innere Unruhe oder Verlangsa-
mung, Müdigkeit, Alibidinie, Gefühl der Wertlosigkeit oder (im Extremfall wahn-
hafte) Schuldgefühle, Konzentrationsmangel, wiederkehrende Gedanken an den
Tod bis zu Suizidimpulsen.
Dysthymie: Konstante oder chron.-rez. Depressionen, besonders bei jüngeren
Pat., mit Verlangsamung, Müdigkeit, Konzentrationsmangel, Gefühl der Wertlo-
sigkeit, Niedergeschlagenheit oder Schuldgefühlen, Selbstzweifel bis hin zu
Suizid­impulsen. Häufig durch belastende Ereignisse (Verluste, Zurückweisungen,
Kränkungen) ausgelöst; entspricht in etwa dem Begriff der depressiven Neurose.
Posttraumatische Belastungsstörung: Tritt innerhalb von 6 Mon. nach einem
subjektiv extrem traumatisierenden Ereignis (z. B. Unfall mit schweren Verlet-
zungen, Todesnähe, Todesangst, völliger Kontrollverlust mit existenzieller Hilflo-
sigkeit) auf: Beeinträchtigende intrusive Erinnerungen, Albträume, dissoziative
Flash-Backs bei triggernden Mikroanlässen verbunden mit sozialem Rückzug,
Ängsten, Impulsivität und Depressivität.
Artifizielle Störung: Selbstschädigendes Verhalten (z. B. Selbstverletzungen mit
nicht heilenden Wunden, aktives Herbeiführen von Inf. oder tox. bedingten Störun-
gen) mit Vortäuschung eines Krankheitsbilds und dringendem Ther.-Begehren;
Selbstverursachung wird geleugnet, fast immer besteht eine Persönlichkeitsstörung.

Überschreitet die Schmerzdauer trotz Behandlung 4 Wo. → Erfassung psy-


chosozialer Risikofaktoren. Bei Schmerzdauer > 12 Wo. weitergehende Di-
agn. psychosozialer Einflussfaktoren durch interdisziplinäre bzw. fachpsy-
chosomatische Beurteilung.

Wichtige Begriffe der Psychosomatik


Psychodynamik: Zusammenwirken von unbewussten Triebwünschen und Affek-
ten (z. B. Ängsten), Abwehrprozessen sowie kindlichen Entwicklungskonflikten/
Traumata und resultierenden Beziehungsmustern, zur Erklärung aktueller psy-
chischer/psychosomatischer Symptome, destruktiver Verhaltenstendenzen oder
einer konflikthaften Krankheitsverarbeitung.
Übertragung: Wiederaufleben unbewusster kindlicher Erwartungen, Erlebnis-
und Verhaltensweisen des Pat., die die Arzt-Pat.-Beziehung z. B. durch heftige Af-
  19.1 Einführung, Diagnostik  723

fekte deprofessionalisieren können, wenn dies vom Arzt nicht rechtzeitig bemerkt
wird. Ärger beim Arzt bei intensivem wiederholtem und entwertendem Drängen
des Pat. auf Linderung von Schmerzen provoziert z. B. invasive Maßnahmen. Da-
mit würde er erneut die Rolle einer traumatisierenden Bezugsperson aus der Kind-
19
heit des Pat. übernehmen (neg. Gegenübertragung wird ausagiert statt reflektiert).
Somatisierung: Unbewusst motivierter Ausdruck unerträglicher Affekte unter
Rückgriff auf (multiple) körperl. Beschwerden, häufig mit Ängsten und Depressi-
vität einhergehend.
Aggravation: Demonstrative Überbetonung bestehender Beschwerden; im Ge-
gensatz zu somatoformen Störungen Motivation und Handlungsgestaltung nicht
unbewusst, sondern bewusst (im Ggs. zur Simulation als bewusster Vortäuschung
eines nicht bestehenden Krankheitsbilds, die meist nur in Extremsituationen –
Krieg, Haft, Betrug – zu erwarten ist).
Prim. Krankheitsgewinn: Verdrängung von konflikthaften (Trieb- oder Bezie-
hungs-)Wünschen ins Unbewusste. Ziel: Angstminderung und Teilbefriedigung
der abgewehrten Wünsche durch das Symptom.
Sekundärer Krankheitsgewinn: Nutzen, der aus bestehenden psychogenen Sym-
ptomen in Form sozialer Gratifikationen gezogen wird (Pat. wird z. B. gepflegt,
geschont, berentet), ersatzweise Befriedigung kindlich-regressiver Wünsche.
Konversion: Komplexer psychischer Vorgang, der der Entlastung von einem un-
bewussten seelischen (z. B. sexuellen oder aggressiven) Konflikt dient. Es resultie-
ren Funktionsstörungen und Ausfälle von Willkürmotorik, Sensibilität, Sensori-
um oder Bewusstsein. Die realitätsgerechte Faktenwahrnehmung ist durch regres-
siv-kindliche Wahrnehmungs- und Erlebnisweisen im konflikthaften Bereich
eingeschränkt. Symptomatik beginnt häufig akut. Sie kann sich spontan zurück-
bilden, geht jedoch nicht selten auch in chron. Verläufe über.

Keine Ind. zur OP bei Beschwerden aufgrund von somatoformen, Somatisie-


rungs- und Konversionsstörungen!

19.1.3 Psychodiagnostisches Erstgespräch
Voraussetzungen
• Ausmaß apparativer und invasiver Diagn. bei somatoform erkrankten Pat.
immer begrenzen: Gefahr der iatrogenen Schädigung des Pat.
! 
Beachtung psychosozialer Aspekte im diagn. Gespräch ist Aufgabe auch des
Orthopäden.
• Ziel: Aufbau eines Arbeitsbündnisses zwischen Arzt und Pat. Förderlich und
notwendig sind:
– Zeit (cave: Ungeduld, fehlende Bereitschaft zur Zuwendung, Zeitdruck).
– Störungsfreie Gesprächssituation.
– Empathie: Zunächst zuhörende, abwartend-ruhige, aber aufmerksame
und identifikationsbereite innere Haltung des Arztes. Augenkontakt. An-
teilnahme signalisieren. Eigene Körpersprache beachten.

Gesprächselemente
• Fragen: Anfangs offene Fragen allgemeiner Art, später erst gezieltes Erfragen
von Leitsymptomen: Nicht konfrontativ, eher wie beiläufig sich dem Pat. nähern.
• Beziehungsebene: Nicht nur objektive Daten und Zusammenhänge erfassen,
sondern auch auf emotionale Signale und szenische Botschaften des Pat. und
724 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

die damit korrespondierenden eigenen Affekte achten (Was überträgt der


Pat.? Was spüre ich als Arzt?). Dabei Pat. aber nicht unbeteiligt nur reden las-
sen, sondern mit einfühlendem Verständnis und zugewandter Aufmerksam-
19 keit begleiten. Bloße technische Professionalität kann vom Kranken leicht zur
Idealisierung des Helfers genutzt oder als Ausdruck von Gleichgültigkeit er-
lebt werden und dann Ohnmachtsgefühle hervorrufen, unter denen der psy-
chosomatisch erkrankte Pat. sowieso schon leidet.
• Zeitpunkt und Umstände der erstmaligen Symptommanifestation sowie aus-
lösende Faktoren (situations- bzw. belastungsabhängig: „Wann besser? Wann
schlechter?“), damalige Rahmensituation (konflikthafte Entwicklungen oder
Kränkungen in Partnerschaft, Sexualität, Familie, Beruf?) gemeinsam erarbei-
ten.
• Aktuelle Lebenssituation und Belastungen.
• Biografische Entwicklung: Gab es schwierige Lebensphasen, die den Pat.
nachhaltig beschädigt haben, welche Erinnerungen hat er an seine Kindheit
(Misshandlung, Vernachlässigung, früher Verlust von Bezugspersonen?).
• Krankheitsverständnis des Pat., Ther.-Vorstellungen und -motivation.
• Ziel: Das Gespräch soll den Pat. in die Diagn. und Ther. einbeziehen: Ther.
beginnt, wenn Pat. beginnt, über sich und seine Erkr. nachzudenken.

Interpretation
• Pathogenetische Zusammenhänge bestehender Beschwerden erst in Richtung
mögl. organischer Ursachen beurteilen, bevor psychosomatische Zusammen-
hänge gegenüber dem Pat. geäußert werden. Pat. dabei ernst nehmen und
nicht das Krankheitsbild mit demonstrativer Kompetenz in den Pat. hinein
diagnostizieren! Brücken anbieten zu einem auch psychosomatischen Ursa-
chenverständnis.
• Interaktives Erklärungsmodell: Sowohl taktlose Mitteilungen über fehlende
organische Krankheit (cave: „Sie haben nichts!“) als auch organische Fehl-
deutung psychogener Beschwerden vermeiden. Stattdessen zunächst interak-
tives (Stress-Belastungs-)Erklärungsmodell (mit wechselseitiger Bedingtheit
von somatischen und psychischen Einflüssen) anbieten. Anbahnung eines si-
tuationsbezogenen Symptomverständnisses.
• Sozialmedizinische Implikationen der Erkr. (sek. Krankheitsgewinn, latentes
oder offenes Rentenbegehren, Entschädigungsbegehren)?
• Beziehungsgestaltung des Pat. auch in der Pat.-Arzt-Beziehung: Welche
Wünsche und Bedürfnisse kann der Pat. sich möglicherweise nicht eingeste-
hen? Kommen diese in der Symptomatik oder der Gestaltung der Arzt-Pat.-
Beziehung implizit zum Ausdruck?

Tipps
• Medizinisches Fachvokabular vermeiden: Wirkt distanzierend und do-
minierend, engt Pat. in seinen Mitteilungsmöglichkeiten ein. Da Kör-
perbeschwerden – z. B. auch Funktionsstörungen innerer Organe – beim
Orthopäden meist nicht angegeben werden, gezielt danach fragen.
• Subjektiv leidvolle Beschwerden und (Lebens-)Geschichte des Pat. auch
bei fehlenden organischen Befunden ernst nehmen!
• Eigenverantwortlichkeit des Pat. stärken. Vorschnelle ärztliche (Selbst-)
Beruhigungen untergraben sie eher. Wichtig: Frage nach dem eigenen
Krankheitsverständnis des Pat.
  19.1 Einführung, Diagnostik  725

• Wertende Äußerungen oder autoritative „Experten“-Beurteilungen ver-


meiden, um neurotischen Abhängigkeitswünschen des Pat. nicht zu ent-
sprechen. 19
• Affektzentrierte Wahrnehmung des Gesprächsverlaufs, offene Fragen,
Ansprechen mögl. aktueller Belastungen in Beruf, Familie, Freundes-
kreis.
• Taktvolles, aber konkretes Ansprechen des Geschlechtslebens, keine
Fremdwörter.
• Eigene Gefühle aufmerksam registrieren und in Bezug auf Pat. reflektie-
ren.
• Keine zu frühe Aufklärung bzw. kränkende, apodiktische Konfrontation
bzgl. Psychogenese (→ mögl. Befundverschlechterung, da Pat. sich nicht
ernst genommen oder sich mit ängstigenden unverarbeiteten Konflikten
konfrontiert fühlt).
• Statt dessen Erläuterung des biopsychosozialen Stressmodells inklusive
der hierdurch zentral veränderten Schmerzschwelle bei chron. somato-
former Schmerzstörung.
• Risikoscreeninginstrumente nutzen: MPSQ, HKF-R 10 und RISC-R.
• Hinzuziehung eines Psychosomatikers, den Pat. aber nicht „wegschi-
cken“ („Sie bleiben mein Pat., wir sollten aber einen weiteren Experten
hinzuziehen.“).

19.1.4 Vertiefte biografische Anamnese


• Aufgabe des Facharztes für Psychosomatische Medizin bzw. ärztlichen oder
psychologischen Psychotherapeuten.
• Anamnese: Vertiefte biografische Anamnese: Bewältigung wichtiger Ent-
wicklungsschritte, Beziehung zu Eltern, Geschwistern; traumatische Kind-
heitserfahrungen, Sexualität und Partnerschaft; schulisch-berufl. Werdegang;
Gestaltung des sozialen Umfelds; Arbeitsplatz.
• Abgewehrte Triebimpulse: Beurteilung hinsichtlich abgewehrter Triebim-
pulse (neurotische = unbewusste kindliche Wiederholungen im Lebensarran-
gement, die destruktiv oder „unvernünftig“ wirken, Kindheitserinnerungen,
unbewusst motivierte Fehlleistungen, wiederholt dysfunktionale Beziehungs-
gestaltung).
• Unbewusste Pat.-Wünsche: Erfassung der unbewussten Wünsche des Pat. im
aktuellen Übertragungsgeschehen; Beachtung der hierdurch im Untersucher
induzierten Gegenübertragung als diagn. Hilfsmittel zur empathischen Er-
schließung des unbewussten Konflikts des Pat.
• Primärkonflikt: Hypothesen zur infantilen Genese und aktuellen Bedeutung
des unbewussten Primärkonflikts im Hinblick auf die aktuelle Auslösesituati-
on (Reaktualisierung eines unverarbeiteten kindlichen Trieb-, Beziehungs-,
Selbstwertkonflikts? Traumatisches Geschehen?), zur Psychodynamik und
unbewussten Funktion/Bedeutung des neurotischen Bedingungsgefüges von
Konflikt und Symptom, aktuelle symptomverstärkende Faktoren.
• Ind. zur Psychother. ergibt sich zu diesem Zeitpunkt nur, wenn Pat. von Psy-
chogenese überzeugt ist. Ansonsten sollten körper- und psychotherapeutische
Angebote integriert werden (multimodale Schmerzther.).
726 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

19.1.5 Klinische Hinweise auf eine psychosomatische Störung

19 Erste Hinweise auf psychogene bzw. somatoforme Symptomatik


• Wechselnde Untersuchungsbefunde; psychovegetative Begleitsymptome
(Schlafstörungen, Hyperhidrose, Dermografismus); Diskrepanz zwischen ob-
jektiven Befunden und subjektiven Angaben. Emotional getönte Symptom-
schilderung, szenische Ausgestaltung, Suggestibilität.
• Lange Krankengeschichte mit mehrmonatiger und/oder wiederholter AU
und Ther.-Resistenz, viele Behandlungsversuche, fehlende Wirksamkeit von
Analgetika, medikamentöse Eskalation.
• Fixierung des Pat. auf somatische Genese der Beschwerden, Tendenz zur Ein-
forderung nichtindizierter invasiver Diagn./Ther.
• Weitere psychische Beschwerden: Ängste, Zwänge, Niedergeschlagenheit,
Antriebsmangel, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, innere Unruhe,
Grübeln, Suizidgedanken.
• Beschwerden in zeitlicher Beziehung zu Hintergrundkonflikten (z. B. Partner-
schaft, Sexualität, Beruf, Versorgung).
• Belastete Kindheitsentwicklung (Missbrauch, Gewalt, Ablehnung, Trennun-
gen, Drogen).
• Belastende aktuelle Lebenssituation.
• Ther.-unabhängige schmerzfreie Intervalle.
• Weitere funktionelle Störungen (Magen-Darm-, Herzbeschwerden).
• Hohe Zahl früherer (erfolgloser) Untersuchungen, keine eindeutig pathol.
strukturellen Veränderungen.
• Wenig Hoffnung des Pat., selbst etwas für sich tun zu können; dafür unange-
messene Erwartungen in Handlungen des Arztes.

Psychosomatische Aspekte der Schmerzanalyse


• Schmerzschilderung: Vage, wechselnde und z. T. drastische Schmerzangaben
und -schilderungen, demonstrative szenische Ausgestaltung der Beschwer-
den, emotionale und ausschweifende Symptombeschreibung, stark expressive
Begleitmimik/-gestik.
• Auftauchen aversiver Affekte (Ärger, Langeweile, Hilflosigkeit) beim Arzt; bei
Bestehen somatogener Beschwerden eher Besorgtheit und ruhige Aufmerk-
samkeit.
• Schmerzlokalisation: Inkonstant; Panalgesie (DD: Z. B. Osteomalazie!
▶ 15.1.2).
• Schmerzveränderung:
– Kurzfristiges Verschwinden der Schmerzen bei Ablenkung und suggesti-
ven Maßnahmen, sonst durchgehend mit gleicher Intensität (erlaubt kei-
nen Rückschluss auf Simulation).
– Unverändertes Fortbestehen der Schmerzen trotz intensiver medikamen-
töser (Analgetika) und physik. Maßnahmen. Cave: Iatrogene Induktion
einer Opiatabhängigkeit.
– Schmerzen sprechen an auf ther. Dialog, Antidepressiva, Psychother., au-
togenes Training.
– Schmerzverstärkung nach invasiven Maßnahmen.
• Krankheitstheorie des Pat.: Organisch, jegliche psychische Komponente wird
zunächst abgewehrt.
  19.1 Einführung, Diagnostik  727

Differenzierte neurologische Untersuchung bei motorischen


„Ausfällen“
• Keine Spastik oder Pyramidenbahnzeichen, meist normale MER. 19
• Neurol. inkonsistente Symptome, anatomisch und physiol. nicht ableitbare
Lähmungsmuster.
• Bei Ablenkung synergistische Innervation angeblich gelähmter Muskeln.
• Simultane Kontraktion von Agonisten und (angeblich gelähmten) Antagonis-
ten.
• Bei Korrekturversuchen und Kraftprüfung der betroffenen Extremität über-
trieben angestrengte demonstrative Bewegung nicht betroffener Muskelgrup-
pen, ausdruckvolle Begleitmimik und -gestik.
• Keine muskulären Atrophien.
• Widerstand gegen passive Bewegungsprüfung.
• Aufhebung der Lähmung im Schlaf, bei Routinetätigkeiten oder in als gefähr-
lich empfundenen Situationen.

Tests und Hinweise bei scheinbarer neurologischer Symptomatik


(Scheinmanöver)
Beinlähmung
• Hoover-Test: Beim Anheben des nicht betroffenen Beins von der Untersu-
chungsliege plötzliche Abstützreaktion des „gelähmten“ Beins auf der Unter-
lage (Hand des Untersuchers unter der Ferse des betroffenen Beins).
• Synchrone Adduktorenkontraktion bds. bei Abspreizung des nicht betroffe-
nen Beins durch den Untersucher gegen die Kraft des liegenden Pat.
• Bei Paraplegie intakte Sphinkteren und Blasen-Mastdarm-Funktion.
• Bizarre Gangstörungen.
• Abstützmanöver: Falls ein gestützter Pat. zu fallen droht, fällt er fast immer
auf die Seite, auf der sich die Hilfsperson befindet.
Armlähmung
• Armfalltest: Der vom Untersucher hochgehaltene „gelähmte“ Arm des lie-
genden Pat. bleibt nach plötzlichem Loslassen kurz in der Luft „hängen“, be-
vor er seitl. (fast nie ins Gesicht) nach vorn (selten nach hinten) fällt.
• Intakte synergistische Funktionen: Z. B. Dorsalextension des Handrückens
bei Faustschluss trotz angegebener Extensorenlähmung (DD: Zentrale, distale
Armlähmung, MER).
Sensibilität
• Wechselnde Befunde in Ausdehnung, Intensität und betroffenen Anteilen der
Extremität.
• Kein radikuläres oder peripheres Verteilungsmuster, keine trophischen Stö-
rungen.
• Verlust aller sensiblen Qualitäten – im Gegensatz zur PNP – an markanten
Grenzen orientiert (z. B. an Hautfalten statt anatomisches Verteilungsmus-
ter).
• Unauffällige Koordinationsleistungen (Finger-Nasen-Versuch, Knie-Hacken-
Versuch).
• Widersprüchliche Angaben bei paradoxer Befragung („Bitte sagen Sie, wenn
Sie nichts spüren!“ → Quittierung [„Nein!“] eines angeblich „nicht gefühlten“
Berührungsreizes bei geschlossenen Augen des Pat.).
728 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

Ischiasdehnungsschmerz
• Prüfung des Lasègue-Zeichens in Rückenlage: Lasègue pos., wenn Pat. beim
Anheben des gestreckten Beins starke Schmerzen äußert.
19 • Überprüfung im Langsitz: Kann Pat. bei gestreckten Knien seine Fußrücken
berühren oder sitzend das schmerzhafte Bein strecken: Hinweis auf funktio-
nelle Symptomatik.

Scheinmanöver sind sowohl bei somatoformen Störungen als auch bei Ag-
gravation und Simulation positiv, sie indizieren nur die fehlende organische
Erklärbarkeit der Beschwerden.

19.2 Therapie
Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf

Behandlung psychosomatischer insbes. somatoformer Krankheitsbilder


Wesentlich ist ein integriertes, multidimensional abgestimmtes psychosoma-
tisches Ther.-Konzept aus psycho-, physio-, ergo-, sozial- und pharmako-
ther. Behandlungsangeboten.
Zentrale Ziele: Verhinderung von Chronifizierung, Selbstschädigung, iatro-
gener Schädigung (wiederholte invasive Diagn. oder Ther.-Maßnahmen),
Modifikation des (biomechanischen) Krankheitsverständnisses des Pat. hin
zu einem biopsychosozialen Modell, Eröffnung von Bewältigungsmöglich-
keiten, Besserung der Lebensqualität durch Steigerung der Selbstwirksam-
keit, ggf. Motivation und Überweisung zu einem Facharzt für Psychosomati-
sche Medizin bzw. zur Fachpsychother.

• Pat. sollte erfahren, dass er nicht (wieder einmal) abgeschoben oder „als Si-
mulant entlarvt“, sondern mit seinen Beschwerden ernst genommen wird:
Arbeitsbündnis.
• Symptomatische Ther.: z. B. zeitlich begrenzt peripher wirksame Schmerzmit-
tel und Muskelrelaxanzien (▶ 16.5), Antidepressiva (cave: Opioide, Neurolep-
tika, Anxiolytika, Hypnotika/Tranquilizer; falls Opioide eingenommen wer-
den, Pat. zur Entwöhnung motivieren), Physiother. und eigenverantwortliche
körperl. Aktivierung.
• Vermeidung invasiver diagn. Maßnahmen bei somatoformen Beschwerden.
• Leitthema: „Aktiv bewältigen statt reparieren lassen.“ Die Multidisziplinarität
steht unter einem gemeinsamen Konzept (z. B. Überwindung von Angst vor
Bewegung und Angst vor Schmerzen).
• Prim. Ziele Überwindung der Hilflosigkeit durch Erhöhung der Selbstwirk-
samkeit (Pat. lernt, dass sein eigenes Handeln etwas verändert), Entwicklung
von Handlungsplänen und erst zuletzt Schmerzlinderung.
• Multimodale (Schmerz-)Ther. soweit ambulante Maßnahmen zu keiner Be-
fundbesserung führen. Hier sind ärztliche, körper- und psychother. Module
gleichrangig unter einem Störungskonzept integrativ kombiniert. Nach ei-
nem solchen Ther.-Programm sind die Pat. meist in der Lage, eigenverant-
wortlich körperl. aktiv zu bleiben, bedürfen aber u. U. weiterer ambulanter
Psychother.
  19.3 Krankheitsbilder  729

• Psychother.-Verfahren:
– Abhängig von Diagnose, Schwere der Erkr. und Progn.
– Entspannende Verfahren: Autogenes Training, progressive Muskelrelaxa- 19
tion, Biofeedback.
– Supportive Verfahren: Symptomzentrierte Stärkung der Selbsthilfemög-
lichkeiten des Pat.
– Verhaltensther.
– Rekonditionierende Physiother. (nach einem verhaltensther. Konzept).
– Körperzentriert-nonverbale Verfahren: z. B. konzentrative Bewegungs-
ther., Tanzther., Musikther.
– Systemisch-interaktionelle Verfahren: Paar-/Familienther.
– Tiefenpsychologische Verfahren: Psychoanalytische Einzel- bzw. modifi-
zierte psychodynamische/interaktionelle Gruppenther.
Die Differenzialind. sollte von einem psychosomatisch erfahrenden Orthopäden
oder einem Arzt für Psychosomatische Medizin gestellt werden. Operative Verfah-
ren sind kontraindiziert, solange die somatoforme Befundpräsentation besteht.

19.3 Krankheitsbilder
19.3.1 Mögliche Ursachen chronischer Schmerzen
(anhaltende somatoforme Schmerzstörung)
Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf

Ätiologie
Nachgewiesene Bedeutung psychosomatischer Ursachen (z. B. Kindheitsbelastungen,
unverarbeitete emotionale Konflikte, Entwicklungstraumata mit resultierender ma-
ladaptiver Stressverarbeitung) bei chron.-rez. und chron. Schmerzen (> 6 Mon.) des
Stütz- und Bewegungsapparats. Bei bis zu 70 % der chron. Schmerzpat. sind psycho-
somatische Faktoren kausal bedeutsam, wenn auch – aufgrund der somatopsychi-
schen Koppelung – nicht ausschließlich, sondern in Verbindung mit körperlichen.

Schmerzverarbeitung
Schmerzausprägung ist bei chron. Schmerzen des Stütz- und Bewegungsapparats
weniger durch den nozizeptiven Reiz als durch die zentrale Schmerzverarbeitung
und seelische Konflikte bestimmt. Durch neuroplastische Veränderungen werden
sowohl periphere als auch zentrale Strukturen sensibilisiert (Hyperalgesie) und
hormonelle Regelkreisläufe gestört (z. B. Hypothalamus-Hypophysen-NNR-Ach-
se, Kortisolausschüttung).

Chronifizierung
Zunehmender Verlust von Körperfunktionen, Hilflosigkeit gegenüber den Be-
schwerden, Depressivität und sozialer Rückzug charakterisieren den Verlauf. Der-
art chronifiziert, ist die somatoforme Schmerzstörung gegenüber akuten
Schmerzzuständen ein eigenständiges Krankheitsbild mit spezifischer biopsycho-
sozialer Pathogenese, verhaltensbezogene, affektive und psychodynamische As-
pekte sind bedeutsam:
• Verhaltensbezogene Faktoren (Coping- oder Bewältigungsmechanismen):
– Ängstliches Vermeiden körperl. Aktivität.
– Aktivistische Durchhaltestrategie mit der Gefahr depressiver Erschöpfung.
730 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

• Affektive Störungen: Bei somatoformen Schmerzstörungen sehr häufig de-


pressive Verstimmungen (ca. ¼ aller chron. Schmerzpat. erfüllt Kriterien ei-
19 ner „Major-Depression“).
• Psychodynamisch wirksame Faktoren:
– Ablehnung, Misshandlungs-/Missbrauchs- und Trennungserfahrungen in
Kindheit und Jugend, verbunden mit latent persistierender Hilflosigkeit
und Ohnmachtsgefühlen.
– Unsicherer Bindungsstil: Hoher Leistungsanspruch und Geltungsbedürf-
nis (Bindung vermeidend) oder appellative Hilflosigkeit (anklammenrde
Bindung).
– Anhaltende Trauer- bzw. Verlustreaktion (z. B. bei uneingestanden kon-
flikthaft-zwiespältiger Beziehung zum verstorbenen Partner), häufig mit
Depressivität und Ängsten.
– Selbstbestrafungswünsche und Selbstschädigung, hierdurch erstrebte Ent-
lastung von unbewussten Schuldgefühlen aufgrund gehemmter aggressi-
ver Impulse oder psychotraumatisch bedingter schwerer Selbstwertstö-
rung (Unerwünschtheit, „Daseinsschuld“).
– Konflikte mit Bezugspersonen, Konflikte am Arbeitsplatz.
– Schmerzmodelle („Vorbilder“) in der Verwandtschaft, Schmerz als kom-
munikatives Signal zur Rekrutierung von Versorgung und Unterstützung.

19.3.2 Lumbalgie, Dorsalgie, Zervikalgie


Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf

Ätiologie
▶ 10.1, ▶ 10.2.
Bedeutung der Psychosomatik
• Der Umgang mit chron. schmerzhafte muskuläre Funktionsstörungen sind
durch psychosomatische Regulationsstörungen besser zu erklären als durch
biomechanische Ursachen oder morphologische Befunde.
• Akute Schmerzbilder (bis 4 Wo.) müssen ätiol. von chron.-rez. bzw. chron.
Schmerzen abgegrenzt werden.
– Akute Schmerzen: Häufig nach akutem mechanischen Ereignis mit Über-
oder Fehlbelastung von Wirbelgelenken, dem hinteren Längsband und re-
flektorischer Anspannung der Segmentmuskulatur, z. B. belastungsabhän-
gige Facettenblockade eines Wirbelsegments mit konsekutivem Muskel-
hartspann, Schmerzen und Schonhaltung: Lumbago. Gute Spontanhei-
lung: Ca. 90 % akuter Rückenschmerzen heilen innerhalb von 4–6 Wo.,
egal welche Ther. appliziert wird.
– Chron. und chron. rez. Schmerzen: Durch chron. Missverhältnis zwischen
muskulärer Leistungsfähigkeit und Anspannung bzw. Entspannungsfä-
higkeit charakterisiert. Pat. erlebt seine chron. Überforderung und Ent-
täuschung über sich und seinen Körper. Es fehlt ihm aber das Verstehen
für sein Verhalten und seine Motivation.
• Deg. Veränderungen (Spondylose, Spondylarthrose, Chondrose) erklären
WS-Sy. nicht ausreichend: Häufige Konstellation von schweren zervikalen
oder lumbalen Schmerzen auch bei fehlenden röntgenologischen Verände-
rungen bzw. einer völligen Beschwerdefreiheit bei massiven röntgenologi-
schen Befunden.
  19.3 Krankheitsbilder  731

• Auch bei überdauernden radikulären Schmerzbildern sind psychosoziale Be-


lastungen der Pat. häufig mit auslösend.
19
Lumbale Bandscheibensyndrome
Bandscheibenvorfälle sind nur zur Erklärung akuter und subakuter radikulä-
rer Schmerzen geeignet. Nur in seltenen Ausnahmen Ind. zur raschen OP
(z. B. Konus-Kauda-Symptomatik deutliche motorische Ausfälle); fast im-
mer zunächst kons. Ther. (zumindest über 4 Wo.); im Zweifelsfall keine OP!
Auch bei guter Befunderklärung radikulärer Schmerzen durch einen Band-
scheibenvorfall gleichen sich operative und nichtoperative Behandlungser-
gebnisse innerhalb eines Jahres an.

Psychodynamik
Chron. Lumbalgie, Dorsalgie oder Zervikalgie liegen häufig psychische Konflikte
zugrunde (▶ Tab.  19.1).

Tab. 19.1  Mögliche psychosomatische Aspekte vertebraler (pseudoradikulä-


rer und radikulärer) Schmerzsyndrome
Schmerzbild Aspekt

Kopfschmerzen Zwanghafte Intellektualisierung, Ärger-/Affektverdrängung

Nackenschmerzen „Halsstarrige“ Behauptung, „hartnäckige“ Auflehnung

Armschmerzen Gehemmte Aggressivität, Wut oder Zorn

Rückenschmerzen Trauer, Verzweiflung, Hilflosigkeit und kompensatorisches


„Haltung bewahren“

Kreuzschmerzen Überlastung, Depressionsabwehr, „sich zusammenreißen“,


­sexueller/aggressiver Beziehungskonflikt

• Rückenschmerz als Konversionssymptom:


– Kann hinweisen auf einen Trieb-Abwehr-Konflikt (Konversion ▶ 19.1.1)
z. B. im Rahmen eines Partnerkonflikts.
– Ein gehemmter – weil als gefährlich fantasierter – aggressiver oder expan-
siver Impuls kann als psychogener Auslöser insbes. auch für Spannungs-
kopfschmerzen, Nackenschmerzen sowie bei pseudoradikulären Nacken-
Arm-Schmerzen vorliegen. In derartigen Fällen bleiben unannehmbar er-
scheinende Affekte wie Wut (z. B. über kränkende „Nackenschläge“) und
Ärger („Halsstarrigkeit“) unbewusst und werden in eine hypertone Mus-
kelspannung umgesetzt.
• Depressionsabwehr:
–  Durchhaltementalität: Rückenschmerzen vor dem Hintergrund einer
ausgeprägten Durchhaltementalität oder bei pseudoaltruistischer Selbst-
aufopferung (häufig verbunden mit der latenten Erwartung, selbst ver-
sorgt zu werden und übergroßer Leistungshaltung). Pat. können nur
schwer ein Stück ihrer Autonomie aufgeben, da sie unter diesen Umstän-
den sehr schnell in depressionsnahe Gefühle und Hilflosigkeitsängste ge-
raten würden. Nach z. T. jahrelanger Überforderung (alles … „kein Prob-
lem“) werden die Schmerzen zur organisch-symptomatischen Endstrecke
732 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

nicht bewusster regressiver Wünsche nach prim. Versorgung vor dem


Hintergrund einer Depressionsabwehr („ich bin am Ende“).
–  Aktivismus versus abgewehrte Abhängigkeitswünsche: Es besteht einerseits
19 unbewusst der große Wunsch nach, andererseits aber auch große Angst vor
passiver Abhängigkeit, die aufgrund früherer kindheitlicher Negativerfahrun-
gen mit Abhängigkeit eher als hilfloses Ausgeliefertsein erlebt wird. Die dann
„organisch legitimierte“ Abhängigkeit wird aber letztlich doch durch das Sym-
ptom erreicht, und es kann zu einem erheblichen Krankheitsgewinn bis hin
zum (progn. ungünstigen) Berentungswunsch kommen.
• Depression: Depressive Erkr. (▶ 19.1.2) wie auch chron. Schmerzstörungen
haben Auswirkungen auf neuroendokrinologische Regelkreise (insbes. auf die
Produktion von CRF). Durch Störung hormoneller Feedback-Mechanismen
werden depressive Pat. „schmerzgeneigt“, die körpereigene zentrale, deszen-
dierende Schmerzkontrolle versagt.
Zusammenfassung
Unterschiedliche innerpsychische (auf die Kindheitsentwicklung zu beziehende)
Konflikte (Selbstwert, Sexualität, Versorgung, Beziehungskonflikte, ängstigende
Affekte/Impulse), frühkindliche Traumatisierungen, Depressivität und Ängste
begünstigen die Chronifizierung von WS-Schmerzen sowohl durch dauerhafte
Störung der muskulären Leistungsfähigkeit als auch durch Veränderung neuro-
endokrinologischer Regelkreise und der Schmerzschwelle.

Unterscheide reaktive depressive Verstimmungen als Folge schwerer, orga-


nisch erklärbarer Schmerzen.

Diagnostik

Fehlende Beachtung einer zugrunde liegenden Beziehungsstörung des Pat.


Folge kann ein rein somatisch ausgerichtetes, letztlich untherapeutisches
Symptommanagement sein, das vorwiegend auf Versorgung durch medizi-
nische Leistungen zielt, gefolgt von Schmerz- bzw. Beruhigungsmittelabusus,
Provokation zunehmend invasiver Diagn. und Interventionen sowie Chroni-
fizierung bis hin zur Berentung.

Somatische Abklärung
Neurol. Konsil, Rö, CT, MRT, EMG, somatosensible evozierte Potenziale, moto-
risch evozierte Potenziale sind abzustufende diagn. Schritte in Ergänzungen der
klinisch-orthop. Befunderhebung. Diagnosestellung jedoch multidimensional –
also unter Einschluss der zentralen Schmerzverarbeitung.
Bildgebende Verfahren: Bei akutem Kreuzschmerz nach klin. Ausschluss somati-
scher Ursachen durch Anamnese und körperl. Untersuchung zunächst Verzicht
auf bildgebende Untersuchung. Bei anamnestisch und klin. Hinweisen auf Trau-
ma, Raumforderung, Infektion, neue neurol. Defizite bildgebende Untersuchung
entsprechend dem klin. Verdacht. Bei 6-wöchiger Ther.-Resistenz ausgeprägter
Schmerzen oder deren Progression: einmalige bildgebende Diagnostik. Chron.
Kreuzschmerz (> 12 Wo.) trotz Ther.: Nach Ausschluss psychosozialer Chronifi-
zierungsfaktoren einmalige bildgebende Diagn.
Folgende Fragen erlauben mögl. Rückschluss auf psychosomatische Komorbidi-
tät bei chron. Schmerzen:
  19.3 Krankheitsbilder  733

• In welcher Situation genau traten die Beschwerden erstmalig auf (familiäres
oder berufl. Konfliktfeld)?
• In welchen Situationen oder mit welchen Menschen bestehen aufgrund der 19
Krankheitssymptome Spannungen oder Schwierigkeiten bzw. haben sich die-
se gelöst (hierdurch evtl. Hinweis auf eigentlich auslösende konflikthafte Be-
dingungen/Beziehungen)?
Konsile: Aufgabe des psychosomatischen Konsils:
• Identifikation auslösender Konfliktsituationen und Herausarbeiten eines situ-
ationsbezogenen Konflikts mit dem Pat. (z. B. Partnerkonflikt).
• Erarbeitung des unbewussten psychodynamischen Bedingungsgefüges der
Symptomatik (Triebwunsch-Abwehr-Konstellation, beschädigtes Selbstwert-
gefühl, ängstigendes Erleben von eigenen Affekten und Beziehungen zu ande-
ren, Kindheitsbelastungen etc.).
• Empfehlung einer Psychother., Motivierung des Pat., Unterstützung bei
Ther.-Platzfindung.
• Rückmeldung an Orthopäden oder Behandlungsteam über die psychosoziale
Konfliktkonstellation oder traumatische Belastungen des Pat. und Empfeh-
lungen für konkreten Umgang mit ihm (Vermeidung iatrogener Schädigun-
gen oder erneuter Complianceprobleme/Beziehungskonflikte).

(Schmerz-)Therapie

Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn


Unbewusst „weiß“ auch der körperbezogen klagende Pat. von der Psychoge-
nese seiner Beschwerden, kann aber das Symptom wegen des prim. und se-
kundären Krankheitsgewinns oder seiner beeinträchtigten Affektwahrneh-
mung so lange nicht ohne Weiteres aufgeben, bis der zugrunde liegende
Konflikt oder eine (kindheitliche) überfordernde Belastung ausreichend er-
kannt und bearbeitet ist.

Therapieplanung
Multimodales Ther.-Konzept: Ziel ist die gesteigerte Selbstwirksamkeit. Integra-
tion aktiver körperbezogener (Physio-, Ergother.) und psychother. Elemente
(supportiv, psychosomatische Grundversorgung, Entspannungsther., nonverbale
Verfahren, fokale Psychother. u. a. spezifischere Verfahren ▶ 19.2). Medikamen-
töse Ther. ist untergeordnet bzw. Schmerzmedikamente sollen entwöhnt werden.
Auf passive und interventionelle Ther. wird verzichtet.
Mögliche Schwierigkeiten
Bedeutung der Psychogenese: Das subjektive, vom Pat. oft „biomechanisch“ ver-
standene Symptomerleben im Zusammenhang mit körperbezogenen Belastungen
und Irritationen ist meist so evident für den Pat. (wie auch oft für den Arzt), dass
die einfache Konfrontation des Pat. zur Abwehr des Pat. führt.
Angst vor Hilfe: Ther. kann sich schwierig gestalten, da viele Schmerzpat. drasti-
sche oder invasive Maßnahmen fordern und gleichzeitig entwerten. Die muskulä-
re Abwehr eigener Affekte, Ohnmachtsgefühle und Depressivität findet ihren
Ausdruck in dramatischen Appellen nach ther. Interventionen einerseits, ande-
rerseits entziehen sich viele Pat. auch sofort wieder einer weiteren ther. Einfluss-
nahme (bei vermeidender Bindung: „Es geht schon wieder“, „Das ist alles nicht so
schlimm“). Gleichzeitig besteht die Neigung, die Ohnmacht auf den Behandler/
das Ther.-Team zu übertragen, um zu demonstrieren, dass gegen die Schmerzen
734 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

„nichts hilft“. Die Ther. kann dann zum Kampfplatz zwischen Wunsch nach Än-
derung und Angst vor Aufdeckung oder vor der für die Hilfe notwendigen, aber
als bedrohlich erlebten Abhängigkeit („Angst vor Hilfe“) werden. Hierbei können
19 kindliche traumatische Beziehungserfahrungen des Pat., verbunden mit außeror-
dentlich heftigen Affekten (dann auch im Behandlungsteam) mobilisiert werden.
In derartigen Situationen ist eine Möglichkeit zur Teamsupervision hilfreich, um
das Arbeitsbündnis und die Mitarbeit des Pat. wieder zu festigen.
Therapieaufbau
Gruppenther. überwiegt, Einzelther. ist additiv. Zunehmende Selbstwirksamkeit
des Pat. Ziele: Körperl. Aktivierung und Steigerung der Funktionskapazität, Über-
windung von Bewegungsängsten, verbesserter Umgang mit dem Leitsymptom
Schmerz, gesteigertes Kompetenzerleben und evtl. verbessertes Empfinden der
WW zwischen Affekten und Schmerz. In längerfristigen psychother. Behandlun-
gen kann eine emotional vertiefte Einsicht des Pat. in die lebensgeschichtlichen
Wurzeln und die Bedeutung seines Leidens („Trauer/Wut statt Schmerz“) und
darauf basierend die Eröffnung neuer Optionen im Erleben und Verhalten er-
reicht werden. Auf passive Maßnahmen verzichten, Pat. soll lernen, Entspannung
und Ruhe selbst herstellen zu können. Medikamente sukzessive reduzieren und
ausschleichen. Nichtopioide Analgetika nur für kurze Zeit, nach festem Schema
und nach ausführlicher Medikamentenanamnese. Antidepressiva meist nicht
wirksamer als Psychother. Keine Opioide, kein Einsatz von Gabapentin, Pregab-
alin, Carbamazepin, Phytotherapeutika, von perkutan oder parenteral angewen-
deten Schmerzmitteln, Glukokortikoiden und Mischinfusionen.

19.3.3 Fibromyalgie
Marcus Schiltenwolf und Matthias Franz

Definition
Syn.: (historisch) Generalisierte Tendomyopathie, generalisierter Weichteilrheuma-
tismus. Multilokuläre chron. weitverbreitete muskuloskelettale Schmerzen ohne myo-
fasziale Pathologie, Müdigkeit bei nicht erholsamem Schlaf. Phänomenologische Dia-
gnose. Keine nosologische Einheit, sondern Schmerzbild, das Überlappung mit soma-
toformen Störungen und Depressivität aufweist, aber nicht mit diesen Störungsbil-
dern gleichgesetzt werden kann. (Während bei den somatoformen Störungen die
Psychogenese explizit bedeutsam für Klinik, Diagnose und Ther. ist, wird bei der Fib-
romyalgie die depressive Stimmungsstörung nur als Begleitsymptom genannt. Aller-
dings korrelieren die Auswirkungen auf die Lebensqualität mit der Schwere der psy-
chischen Komorbidität.) Überwiegend F betroffen. Prävalenz: 2 % der Bevölkerung.

Bei der Fibromyalgie handelt es sich um ein funktionell somatisches Syn-


drom: Weder ausschließlich psychother. noch ausschließlich körperbezoge-
ne Zugänge sind hilfreich.

Ätiologie
Unklar, Hinweise auf Verstärkung extero-, proprio- und enterozeptiver Afferen-
zen mit inadäquater, übermäßiger kognitiver und affektiver Verarbeitung (multi-
ple Überempfindlichkeit durch Dysfunktion der zentralen Reizverarbeitung). Er-
höhte Rate körperl. und seelischer Missbrauchserfahrungen in der Biografie.
  19.3 Krankheitsbilder  735

Klinik
• Generalisierte Schmerzen: „Alles tut weh.“ Schmerzen im Bereich von Rumpf
und Extremitäten. 19
• Vegetative Symptome: Chron. Müdigkeit bei gleichzeitigen Schlafstörungen,
verminderte Belastbarkeit, psychovegetative Störungen.
• Psychosoziale Belastungen: Komorbidität mit Depressionen und Ängsten,
Kontaktstörungen (Familie, Arbeitsplatz), dysfunktionale Beziehungen mit
Krankheitsgewinn oder bestrafendem Partnerverhalten, aber fehlende Unter-
stützung ohne Krankheit. Körperlicher oder emotionaler Missbrauch in
Kindheit und Jugend häufig.
• Befunde: DS an 11 von 18 festgelegten Druckpunkten („Tenderpoints“) ha-
ben sich als unspezifisch und unerheblich erwiesen (und werden zu Diagno-
sestellung nicht mehr gefordert), keine Myogelosen (unauffälliges Oberflä-
chen-EMG), gute Beweglichkeit von WS und Gelenken, Rö und Laborbefun-
de unauffällig (keine Bilddiagn. veranlassen, nur Basislabor z. A. einer prim.
Muskel- oder Schilddrüsenerkr.), Ther.-Resistenz und allgemeine körperl.
Dekonditionierung, anamnestisch häufig nicht indizierte operative Eingriffe.

Die „Tenderpoints“ haben keine Spezifität!

Therapie
• Im Vordergrund steht ein erfolgreiches Selbstmanagement mit
– Ausdauertraining (am besten in der Gruppe) oder andere körperl. aktivie-
rende Übungen,
– Stressregulation.
• Auch jede ärztliche veranlasste Ther. soll das Selbstmanagement nach Ther.-
Abschluss wieder anstreben.
• Medikamente können zeitlich begrenzt (ca. 12 Wo.) versucht werden: Anti-
depressiva vom Amitriptylin-Typ (z. B. Saroten® bis 150 mg/d, ▶ 24.1) oder
Duloxetin (Cymbalta® 30–60 mg); keine NSAR, keine Opioide (auch nicht als
Pflaster).
• Bei erheblicher psychosoziale Beeinträchtigung: Multimodale Ther.: Neben
Gruppenphysiother. (Ausdauertraining und Sportther.) soll der Pat. zu eige-
ner körperl. Aktivität und zur Psychother. motiviert werden.

Die multimodale Ther. für Fibromyalgiepat. unterscheidet sich nicht grund-


sätzlich von solcher für Pat. mit somatoformer (Schmerz-)Störung oder
chron. Rückenschmerzen.

• Ziel: Angestrebt (und in Aussicht gestellt) wird nicht die Schmerzfreiheit,


sondern die Auseinandersetzung mit Bedürfnissen sowie eine verbesserte
Schmerzbewältigung (gelingendes Selbstmanagement): Pat. dabei unterstüt-
zen, kleine Fortschritte zu erkennen und für sich zu nutzen. Die Pat. sollen
dabei in ihrem Selbstwertgefühl unterstützt werden und lernen, sich zu dau-
erhafter Ther. trotz und wegen der Schmerzen zu motivieren.
• Cave: Die Befunde unterscheiden sich nicht von denen ausgeprägter somato-
former Störungen, die „Tenderpoints“ sind unspezifisch; die nosologische
Einheit der Fibromyalgie ist umstritten.
736 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

19.3.4 HWS-Distorsion („Schleudertrauma“)
Marcus Schiltenwolf und Matthias Franz
19
Das leichte „Schleudertrauma“ der HWS nach Verkehrsunfall (HWS-Distorsi-
on ohne Strukturschaden) ist für psychische Fehlverarbeitung stark prädesti-
niert (▶  10.5.3). Betroffen sind Personen im beschädigten Fahrzeug. Unbe-
wusst geht es häufig um Hoffnung auf Entschädigung des erlittenen Unrechts.

Klinik
Persistierende, meist zunehmende (Crescendo-)Symptome nach Ablauf der
Akutphase, ohne ausreichend objektivierbare Befunde (klin. und apparativ).
Kopf-Nacken-Schulter-Schmerzen, Schwindel. Meist diffuse Beschwerden, oft de-
pressive Verstimmung und Ängste. Auf Nachfrage Ärger über erlittenen Unfall
und Verursacher sowie Wünsche nach Wiedergutmachung.

Tipps
• Begriff „Schleudertrauma“ vermeiden (= Verletzungsmechanismus, kei-
ne Diagnose). Besser: Reaktive Muskelschmerzen der HWS.
• Erläuterung des Heilverlaufs wichtig: Rückgang der Beschwerden in der
Mehrzahl der Fälle nach kurzer Zeit zu erwarten.

Therapie

Halskrawatte
Ohne neurol. Ausfälle und radiologische Verletzungshinweise keine Ruhig-
stellung (Gefahr der iatrogenen Aggravation der Beschwerden).

• Besser als funktionelle Ther. (rasche Remobilisation unter vorübergehender


Gabe von NSAR oder Muskelrelaxanzien) ist keine Ther.
• Verständnis für die unangenehmen Begleitumstände (Schadensregulation)
aufbringen, jedoch nicht zu Schmerzensgeldbegehren motivieren (wesentli-
che Verschlechterung der Progn.).

19.3.5 Komplexes regionales Schmerzsyndrom I


Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf

Definition
Syn.: Complex Regional Pain Syndrome I, CRPS (früher: Morbus Sudeck, Sudeck-
Dystrophie, Algodystrophie, sympathische Reflexdystrophie), ▶ 1.4.11.
Regionales, diffuses Schmerzsy. der Extremitäten nach meist geringfügig schädi-
gendem Ereignis an Knochen und/oder Weichteilen. Anfangs überschießende ef-
ferent sympathische Reizantwort mit motorischen, sensiblen und autonomen Stö-
rungen. Evtl. dem „Frozen-Shoulder“-Sy. ähnlich. Davon abgegrenzt wird das
„Complex Regional Pain Syndrome II“ (früher: Kausalgie) als Folge einer definier-
ten Nervenläsion. Prävalenz: ca. 20 : 100.000, Inzidenz: 6 : 100.000, Altersgipfel
zwischen 40. und 50. Lj., obere Extremität doppelt so häufig betroffen wie untere.
  19.3 Krankheitsbilder  737

Pathogenese
Folgt meist peripheren Traumen (distale Radiusfraktur), ein vom Pat. benennbares
Ereignis kann jedoch fehlen (5–10 %). Beteiligt sind neurogen-entzündliche Prozes- 19
se (Substanz P, Zytokine), zentrale sympathische Regulationsstörungen, neuroplas-
tische kortikale (S1, Faktoren. Zählt zu den stressassoziierten Erkr Zingulum, fron-
tal) Veränderungen im ZNS, evtl. auch Autoimmunprozesse und genetische. mit
Beeinträchtigung des noradrenergen (Vasomotoren) und des Hypothalamus-Hy-
pophysen-NNR-Systems. Psychosomatische Faktoren (Stressbelastungen, Neigung
zu Ängstlichkeit, Depressivität, Somatisierung) werden als bedeutsam eingeschätzt.

Klinik
1. Budapestkriterien: Anhaltender Schmerz, der durch das Anfangstrauma
nicht mehr erklärt wird.
2. Mind. 1 Symptom aus 3 der 4 folgenden Unterkategorien:
a. Hyperalgesie (Überempfindlichkeit für Schmerzreize), Hyperästhesie
(Überempfindlichkeit für Berührung, Allodynie).
b. Asymmetrie der Hauttemperatur; Veränderung der Hautfarbe.
c. Asymmetrie beim Schwitzen; Ödem.
d. Reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, „Paresen“ (im Sinne von
Schwäche), Veränderungen von Haar oder Nagelwachstum.
3. Zum Zeitpunkt der Untersuchung mind. 1 Symptom aus 2 der 4 folgenden
Kategorien:
a. Hyperalgesie auf spitze Reize (z. B. Nadelstich), Allodynie, Schmerz bei
Druck auf Gelenke/Knochen/Muskeln.
b. Asymmetrie der Hauttemperatur; Veränderung der Hautfarbe.
c. Asymmetrie beim Schwitzen; Ödem.
d. Reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, „Paresen“ (im Sinne von
Schwäche), Veränderungen von Haar oder Nagelwachstum.
4. Es gibt keine andere Diagnose, die diese Schmerzen erklärt.
Die früher gebräuchliche Stadieneinteilung (akute Entzündung, Dystrophie,
Atrophie) hat sich nicht bewährt.
Persönlichkeit
• Häufig „psychovegetative Labilität“. Pat. wurden als überempfindlich, leicht
irritierbar, ängstlich, oft auch depressiv beschrieben.
• Oft bestehen prämorbid eine hohe Leistungsbereitschaft mit Tendenz zur
Selbstüberforderung und Ungeduld, eine hohe Kränkbarkeit, Klagsamkeit
und hypochondrisch-überprotektive Ängstlichkeit, Introvertiertheit sowie ei-
ne Hemmung, Wut und Ärger offen auszudrücken.
• In der Vorgeschichte chron. Schmerzen, psychosomatische Erkr., frühkindli-
che Belastungen, Enttäuschungen und Verlusterlebnisse.
• Vor dem Hintergrund frühkindlicher Belastungen werden resultierende la-
tente Ängste oder aktuelle traumatische Ereignisse im Umfeld des Pat. mögli-
cherweise unbewusst mit der verletzten Extremität verknüpft und durch diese
symbolisiert. Es folgen Ängste vor weiteren Schicksalsschlägen (Verlustängs-
te, Schuldgefühle, „Nur ja jetzt nicht noch eine falsche Bewegung“) → mono-
tone Schonhaltung → unbewusster Boykott von rein somatisch ausgerichteten
Ther.-Maßnahmen (z. B. Probleme bei der Mobilisation, Medikamente).
Arzt-Patient-Beziehung
• Aufgrund dieser Konstellation oft sehr schwierig, insbes. was Mitarbeit und
Akzeptanz erforderlicher ther. Schritte angeht.
738 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

• Durch Berücksichtigung der unbewussten Symptombedeutung (s. o.) oft ver-


besserte Mitarbeit und Verminderung der Angst vor physik.-krankengym-
19 nastischen Ther.-Maßnahmen.
• Wesentlich ist, dass der behandelnde Arzt die vorwurfsvoll-ängstliche Klag-
samkeit oder die geringe Compliance vieler Pat. nicht schuldhaft als Kritik an
der eigenen ther. Kompetenz auf sich bezieht und dann seinerseits mit Desinte-
resse oder einem „verschärften therapeutischen Regime“ reagiert bzw. eskaliert.

Therapie
Keine einheitlichen Ther.-Empfehlungen in der Literatur. Ther. folgt den Stadien
und berücksichtigt die Beeinträchtigungen der Funktionen wie auch der Psyche.
Wichtig: Adäquate Analgesie.
Medizinische Therapie
• Frische Symptome mit sympathischer Überaktivität: Orale Kortisonbehand-
lung in absteigender Dosis (beginnend mit 100 mg/d Prednisolon, Reduzierung
um 20 mg tgl.). Bei Sympathikusüberaktivität Sympathikusblockaden (Gua-
nethidin-Sympathikolyse, Stellatum- oder Grenzstrangblockaden); NSAR und
evtl. Opioide der Stufe II, Antidepressiva (▶ 24.1), Kalzitonin 500 IE/d für 1
Wo. (z. B. Karil®), dann Dosis halbieren (je nach Klinik), anschließend aus-
schleichen, max. Ther.-Dauer 4 Wo.; kurzfristige Lagerung in Gelenkfunktions-
stellung, Ergother. mit milder Hautstimulation; Lymphdrainage, Diadynamik.
• Symptome chronisch: Keine Sympathikusblockade, keine sonstigen Blocka-
den. Ggf. Antidepressiva oder Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregab-
alin (▶ 24.1), zunehmend aktives Üben zur Vorbeugung von Einsteifungen
(Physio- und Ergother.); Kohlensäurebäder. Im Weiteren intensiviertes akti-
ves Üben, Spiegelther. (gesunde Extremität vor Spiegel, kranke dahinter),
psycholog. Begleitung (Angstabbau), keine passiven Maßnahmen.

Prognose
Umso besser, je frühzeitiger die Ther. beginnt und psychosomatische Aspek-
te bei der Krankheitsbewältigung und beim Krankheitsverhalten des Pat.
berücksichtigt werden.

• Nach einer möglichst frühzeitigen Diagnose kann das psychodiagn. Erstge-


spräch die Progn. günstig beeinflussen.
• Die Einbeziehung psychodynamischer Zusammenhänge und Gespräche erspa-
ren sowohl dem Pat. als auch dem behandelnden Arzt ther. Umwege und Zeit.
• In schwereren Fällen Pat. zu einer Psychother. zusätzlich zu den Medika-
menten und der KG zu motivieren.
• Cave: Die Kriterien müssen für die Diagnose erfüllt sein. Hohe Gefahr zu
schneller Etikettierung bei unerklärlichen Schmerzen nach Bagatellverletzun-
gen oder Operationen.

19.3.6 Dystonien
Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf

Definition
Unwillkürliche tonische Kontraktionen antagonistischer Muskelgruppen mit ab-
norm fixierter Haltung auf der Basis von Störungen im Bereich der Basalganglien;
  19.3 Krankheitsbilder  739

fokal (einzelne Muskelgruppen), segmental (Extremitäten) oder generalisiert


(Torsionsdystonie); Verstärkung unter emotionaler Erregung, Sistieren im Schlaf.

Ätiologie
19
Organische Ursachen und psychogene Einflüsse
Verschiedene Formen: Hereditäre, symptomatische (Schädigung der Basalgang-
lien z. B. postinfektiös, geburtstraumatisch, tox., Speicherkrankheiten, M. Wilson,
Chorea Huntington, bestimmte Neuroleptika) und sog. idiopathische Störungen
ohne bislang bekannte Ursache. Psychogene Einflüsse werden diskutiert bei den
im Folgenden genannten fokalen Dystonien.
Psychodynamik
• Aufgrund der Abhängigkeit dystoner Symptome von emotionalen Vorgängen
wird heute eine selbstverstärkende Fixierung der Erkr. (Torticollis) durch eine
symptompropagierende hypochondrisch-phobische Verarbeitung vermutet.
• Es bestehen oft situative emotionale Konflikte, die einer modifizierten psy-
chother. Behandlung zugänglich sein können.

Klinik und Differenzialdiagnosen


• Torticollis spasmodicus (psychogener Schiefhals): Häufigste fokale Dysto-
nie, beginnt meist im 3.–4. Ljz. mit teils schmerzhafter, unwillkürlicher Nei-
gung und Seitwärtsdrehung oder Reklination des Kopfs unter simultaner Be-
teiligung des M. trapezius, M. sternocleidomastoideus, M. splenius capitis,
evtl. der mimischen Muskulatur und des Platysmas. DD: Neurogener Schief-
hals (symptomatisch s. o.), muskulärer Schiefhals mit fibröser Degeneration
des M. sternocleidomastoideus ohne hyperkinetische Komponente, akute
zervikale Diskopathie, kompensatorischer Schiefhals bei Trochlearisparese.
• Schreibkrampf: Beim Versuch zu schreiben, zu greifen oder beim Spielen ei-
nes Musikinstruments Kontraktion der Hand- und UA-Muskulatur. DD:
Psychogene Konversionssymptomatik, somatogene Dystonie, Parkinson-Syn-
drom, Pronator-teres-Sy., Subluxation des Daumengrundgelenks.
• Psychogener Klumpfuß: Fokale Tonusstörungen an den unteren Extremitäten.
Therapie
• Medikamentös: Z. B. Trihexyphenidyl, Diazepam (cave!), Bromocriptin, heu-
te aber i. d. R. lokale Inj. von Botulinumtoxin A (10–40 ng) unter EMG-Kont-
rolle in betroffene Muskeln.
• KG. Pos. Beeinflussung durch „Kunstgriffe“ (im Einzelfall äußerst variabel).
• Modifizierte tiefenpsychologische Psychother., alternativ Biofeedback-Ver-
fahren und Üben stressregulativer verhaltensther. Methoden.
• Aufgrund der bekannten Situationsabhängigkeit und der Bedeutsamkeit
emotionaler Einflüsse immer psychosomatisches Konsil.

19.3.7 Neurotisches Rentenbegehren
Matthias Franz und Marcus Schiltenwolf

Entstehung
Unfallereignis
(Sog. „Rentenneurose“). Initiale Symptome z. B. nach Unfall werden inadäquat
fixiert und evtl. Beschwerden überbewertet. Unfallereignis nicht Ursache, sondern
740 19  Psychosomatische Aspekte in orthopädischer Diagnostik und Therapie  

triggernder Auslöser der neurotischen Fehlentwicklung (Rentenkampf). Es geht


um schon vor dem Ereignis erlebte Rücksetzung und emotional schlechte Versor-
gung.
19
Kriterien eines neurotischen Rentenbegehrens
• Neurotische Prädisposition (zumeist chronifizierte Neurosen).
• Symptomauslösende Konfliktsituation (persönlichkeitsspezifisch, subjektiv
vor dem Hintergrund der individuellen Biografie unbewusst hoch bedeut-
sam).
• Bestehen von Rententendenzen (regressive „Wiedergutmachungswünsche“),
die zu einer Chronifizierung von Beschwerden führen.
Entwicklung des Rentenkampfs
Vorfeld: Häufig persönliche Bindung und Loyalität, z. B. an „die Firma“ (langjäh-
rige Zugehörigkeit, keine Fehltage, hohe Leistungs- und Einsatzbereitschaft,
Pflichtmensch), mit resultierender tendenziell selbstschädigender Fremdbe-
stimmtheit, depressiv-zwanghafte Persönlichkeitsmerkmale.
Auslösung: Auslösung und Eskalation des Rentenkampfs bei zunehmender Ein-
schränkung durch Alterserscheinungen mögl. (Verunsicherung in der Leistungs-
orientierung), familiäre Versorgungskonflikte (Ausbildung der Kinder, Pflege von
Angehörigen, Geschwisterkonflikte, Erbstreitigkeiten, Scheidung) und durch resi-
gnative Bilanzierung des Lebenslaufs (alle Mühen haben letztlich nicht den er-
wünschten Erfolg und die Anerkennung für die eigene Person erbracht: Gratifika-
tionskrise z. B. in Gestalt eines „Burn-out“), insbes. z. B. bei Kränkungen und
Enttäuschungen oder Unfällen am Arbeitsplatz.
Versorgungsanspruch: Mit latenten Ansprüchen versehene Leistungshaltung
schlägt um in gekränkt-vorwurfsvollen Rückzug, verbunden mit einem jetzt of-
fensiv vertretenen Recht auf schlussendliche Wiedergutmachung und Versorgung
durch „Vater Staat“ oder „Mutter Rentenversicherung“. Diese regressiven Versor-
gungsfantasien werden jedoch ggf. allenfalls anonym finanziell (also eben gerade
nicht!) erfüllt. Deshalb i. d. R. keine Besserung der Beschwerden durch Berentung,
sondern massive Verschlechterung der Prognose.
Rentengutachten
Grundlage ist die dreistufige Erwerbsfähigkeit (> 6 h, 3–6 h, < 3 h arbeitstäglich)
für leichte körperl. Tätigkeiten ohne erhöhte geistige und seelische Beanspru-
chungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Hieraus folgt, dass nur quantitative
Einschränkungen der Leistungsfähigkeit eine Erwerbsminderungsrente begrün-
den können.
Gutachten über Antragsteller oder Kläger mit chron. Schmerzen sollen interdiszi-
plinär erstellt werden durch einen Sachverständigen, dessen Fachgebiet den vor-
gebrachten somatischen Anteil abklärt, sowie einen Sachverständigen, der die
psychische Morbidität abklärt. Wesentlich sind Auswirkungen auf die (berufli-
che) Leistungsfähigkeit.
Ggf. Analyse der Konfliktproblematik im Rahmen eines psychosomatischen Gut-
achtenanteils (was motiviert den Antragsteller zum Rentenantrag) mit Erstellung
einer Ther.-Prognose. Daraus kann sich die Empfehlung einer angemessenen be-
ruflichen Tätigkeit sowie einer psychotherapeutischen Behandlung ergeben.
  19.3 Krankheitsbilder  741

Differenzialdiagnosen
Nicht immer einfach zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang:
• Simulation: Absichtliche, bewusste Vortäuschung nicht vorhandener Symp- 19
tome und Erkr., z. B. um unberechtigt Rente zu erhalten (▶ 6.4.1).
• Aggravation: Tendenzielle, demonstrative Überbetonung des Ausmaßes be-
stehender Beschwerden.
• Somatisierung: Körperl. Beschwerden (Schmerzen oder Ausfall motorischer/
sensibler Funktionen, verbunden mit Ängsten und Depressivität) bei Beste-
hen gravierender psychosozialer Konflikte, oft vor dem Hintergrund trauma-
tischer Kindheitsbelastungen ohne organische Ursache.
Literatur
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-007.html: Nationale Versorgungsleitlinie
Kreuzschmerz (Registernummer nvl – 007).
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/041–004.html:Fibromyalgiesyndrom: Definiti-
on, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie (Registrierungsnummer: 041–004,
Entwicklungsstufe: S3).
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051–001.html :Umgang mit Patienten mit
nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden (Regiest-
rierungsnummer: 051–001, Entwicklungsstufe: S3).
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030–102.html:Begutachtung von Schmerzen
(Registrierungsnummer: 030–102, Entwicklungsstufe: S2k).
20 Physikalische Therapie und
Ergotherapie
Anne von Reumont, Gabriele Steinmetz und Elisabeth Nowak

20.1 Physiotherapie im stationären 20.5 Ultraschall 757


Setting 20.6 Massage
Anne von Reumont und Anne von Reumont und
Gabriele Steinmetz 744 Gabriele Steinmetz 757
20.1.1 Wirkung der Physiothera- 20.6.1 Definition 757
pie 744 20.6.2 Klassische Massagetherapie
20.1.2 Physiotherapeutische (KMT) 757
Untersuchung und 20.6.3 Manuelle Lymphdrainage
Dokumentation 745 (MLD) 758
20.1.3 Behandlungsprinzipien 746 20.7 Ergotherapie
20.1.4 Prophylaktische Maßnahmen Elisabeth Nowak 758
der Physiotherapie 747 20.7.1 Allgemeines 758
20.1.5 Hinweise für das Entlassungs- 20.7.2 Erkrankungen, Verletzungen
management 748 der oberen Extremität 759
20.2 Teilbereiche der 20.7.3 Erkrankungen und
­Physiotherapie Verletzungen der unteren
Anne von Reumont und Extremität 760
Gabriele Steinmetz 750 20.7.4 Erkrankungen und Verletzun-
20.2.1 Bewegungstherapie 750 gen der Wirbelsäule 761
20.2.2 Gangschule 751 20.7.5 Rheumatischer
20.2.3 Medizinische Trainingsthera- Formenkreis 762
pie (MTT) 752 20.7.6 Schienenversorgung 763
20.2.4 (Primär-)Prävention 753 20.7.7 Prothesentraining (obere
20.3 Thermotherapie Extremität) 763
Anne von Reumont und 20.7.8 Selbsthilfetraining (ADL) 764
Gabriele Steinmetz 754 20.7.9 Gelenkschutz 765
20.3.1 Definition 754
20.3.2 Kryotherapie 754
20.3.3 Thermotherapie (Wärme) 755
20.4 Elektrotherapie
Anne von Reumont und
Gabriele Steinmetz 755
20.4.1 Allgemeines 755
20.4.2 Iontophorese 756
20.4.3 TENS (transkutane elektrische
Nervenstimulation) 756
744 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

20.1 Physiotherapie im stationären Setting


Anne von Reumont und Gabriele Steinmetz

20.1.1 Wirkung der Physiotherapie


Definition
20 • Physiother. (PT, Syn.: physikalische Ther.): Behandlung mit in der Natur vor-
kommenden Energieformen:Mechanische Energie (Bewegungsther., manuel-
le Ther., Massage).
• Thermische Energie (Wärme-, Kälteanwendungen).
• Elektrische Energie (Nieder-, Mittel-, Hochfrequenzther.), elektromagneti-
sche Energie (Lichtther., UV).
• Mischformen (Hydrother., Klima- und Inhalationsther.).
Physiother. beeinflusst Funktionsstörungen des Bewegungssystems, der inneren
Organe (Herz, Kreislauf, Atmungsorgane u. a.), der Bewegungsentwicklung und
des Bewegungsverhaltens sowie des Erlebens und Verhaltens.

Physiotherapeutisches Handeln
Physiotherapeuten beeinflussen sensomotorische Entwicklungs- und Funkti-
onsstörungen, Störungen der inneren Organe (Herz, Kreislauf, Atmungsorgane
u. a.) und Verhaltens- und Erlebensstörungen. Grundlage der Behandlung ist
die sorgfältige Untersuchung des Pat., Störungen der Körperstrukturen und
-funktionen werden differenziert, ADL und Partizipation fließen ein. Soweit
möglich, finden therapeutische Zielvereinbarungen im Sinne des „Shared Deci-
sion Making“ statt. Alle Interventionen werden im Sinne des Clinical Reasoning
fortlaufend überprüft.

Voraussetzungen für eine effektive Behandlung


• Differenzierte ärztliche Verordnung mit Angabe des Ther.-Ziels.
• Sorgfältige physiother. Eingangsuntersuchung mit Ergebnisdokumentation.
• Ther. Interventionen mit realistischen Behandlungszielen in Abstimmung mit
dem Pat. (Shared Decision Making).
• Regelmäßiges Überprüfen und Dokumentieren der Arbeitshypothesen (PD-
CA-Zyklus Clinical Reasoning).
• Multidisziplinärer Austausch (Pat., Arzt, Pflege und andere Therapeuten).
Parameter des Behandlungserfolgs
• Dauer und Schweregrad der Struktur- bzw. Funktionsstörung.
• Heilungsverlauf.
• Behandlungsfrequenz und -intensität.
• Multidisziplinäre Zusammenarbeit im Team.
• Erfahrung und Wissen des Physiotherapeuten.
• Respektvolle Interaktion von Therapeut und Pat. (Adhärenz).
Parameter der Behandlungsplanung
• Methodischer Behandlungsaufbau.
• Auswahl der befund- und patientenzentrierten Interventionen.
• Alternativen prüfen, Kontraindikationen (KI) ausschließen.
• Parameter für gezielte Erfolgskontrollen festlegen.
   20.1  Physiotherapie im stationären Setting  745

• Dosierung und Frequenz adäquat anpassen.


• Möglichkeiten des Pat. zum selbständigen Üben einbringen (Hands-Off-Stra-
tegien).
Die Behandlung wird ergänzt durch
• Beratung des Pat. und/oder seiner Angehörigen.
• Beratung bei der Auswahl von Hilfsmitteln.
• Schulung im Umgang mit Hilfsmitteln (ADL).
Die Antwort auf die Frage, was bei einem Pat. mit der Physiother. erreicht werden
soll, führt zu dem Wirk- oder Heilmittel, mit dem dieses Ziel angestrebt und – im 20
Optimalfall – umgesetzt werden kann. ▶ Tab. 20.1 kann als Überblick und als Hil-
fe dienen, für den jeweiligen Pat. ein zielführendes und symptombezogenes Heil-
mittel zu verordnen.

Tab. 20.1  Möglichkeiten der Physiotherapie


Ziel Auswahl an Maßnahmen

Akutschmerz lindern z. B. durch Wärme, Lagern, Entspannen

Mobilisieren Beeinflussen der Strukturen wie Kapseln, Sehnen,


Muskeln, Faszien, Nerven

Kräftigen z. B. gegen die Schwerkraft, am langen Hebel,


durch manuelle oder apparative Widerstände

Stabilisieren z. B. durch Aktivieren der gelenkumgebenden Mus-


kulatur

Posturale Stabilität verbessern Körperaktivität gegen die Schwerkraft

Koordination und Gleichge- z. B. durch Aktivieren von Muskelketten mit verrin-
wichtschulen gerter Unterstützungsfläche oder mit mobilem Un-
tergrund

Gangablauf ökonomisieren, z. B. durch Rhythmisieren, Spiegeln, Richtungswech-


auch bei eingeschränkter Be- sel, verschiedene Untergründe (Gehen lernt man
lastungsfähigkeit nur durch Gehen!)

Auf den Alltag vorbereiten Alltagsrelevante Bewegungsabläufe wiederholen


(ADL) und konditionieren

20.1.2 Physiotherapeutische Untersuchung und


Dokumentation
Jeder physiother. Behandlung geht eine sorgfältige Untersuchung voraus. In re-
gelmäßigen Abständen folgen Verlaufskontrollen. Die Inhalte der Befunddoku-
mentation sind in ▶ Tab. 20.2 zusammengestellt. Die Ergebnisse der physiother.
Untersuchung immer schriftlich fixieren. Wo vorhanden, vorgefertigte Bögen
benutzen (z. B. Muskeltestbogen, Gelenkmesskurven, Kraftmesstests, z. B. Bio-
dex®, und Fitnessuntersuchungen). Eine Synopse der wichtigsten Ergebnisse
gehört in die Krankenakte, sodass sie dem Arzt und anderen Fachbereichen zu-
gänglich sind.
746 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

Tab. 20.2  Inhalte der Dokumentation des physiotherapeutischen Befunds


Inhalt Beschreibung

Diagnose • Aktuelle Diagnose


• Zusatzerkr. (z. B. Herz-Kreislauf, Hypertonus, Asthma)
Anamnese und Ei- • Krankheitsverlauf und wichtige Daten
genanamnese, Allge- • Befragen: Was? Wo? Wie? Wie lange? Wodurch? Oder
meinzustand
20 woraufhin? Wann? Abhängig wovon?
• Eigeneinschätzung des Pat. zum bisherigen Ther.-Ver-
lauf und dessen, was früher schon geholfen hat

Funktionsuntersuchun- • Check: Basale Wahrnehmung (optisch, akustisch)


gen, Messen, Schätzen, • Muskel- (z. B. Janda) und Gelenktest (Neutral-0-Methode)
Beobachten (optisch, • Tests (z. B. ASIA Motor Score, Walking-Tests, TUG, Edin-
taktil, akustisch), Sti- burgh Gait Score, DASH-Fragebogen, Funktionelle
mulus-Reaktions-Probe Selbsteinschätzung, Funktionsfragebogen Hannover Rü-
cken und Arthrose, Barthel-Index, FIM, Womac, VAS
Schmerz)
• Umfang- und Längenmessung
• Haut- und Unterhaut, Muskelatrophien, Muskelkontrak-
turen (funktionell/strukturell), Gelenkkontrakturen (os-
sär/ligamentär/kapsulär)
• Faszien
• Koordination, Bewegungsanalyse, Statik
ADL, ausgeübter Beruf • Demonstration von ADL
und Freizeitaktivitäten • Hilfsmittel?

20.1.3 Behandlungsprinzipien
Es gelten folgende Behandlungsprinzipien:
• Nach einer OP Physiother. vom ersten Tag an! Pat. so schnell wie möglich
vertikalisieren und mobilisieren, um Sekundär-KO möglichst gering zu hal-
ten. Zügig Selbstständigkeit anstreben (Toilette, Waschen, Anziehen und
Verlassen des Zimmers).
• Verhindern von posttraumatischen KO (Prophylaxen! ▶ 20.1.4).
• Den Pat. über das physiother. Vorgehen aufklären, eine gemeinsame Vorge-
hensweise vereinbaren (Shared Decision Making), die Fähigkeitsebene und
frühere Erfahrungen des Pat. nutzen, um dessen individuelle Ziele zu errei-
chen (Adhärenz).
• Pat. zügig zu Eigentraining anleiten.
• Nozizeptorenaktivität reduzieren durch z. B. Thermother., Tonusregulation
der Muskulatur, Traktionsmobilisation, Friktionen, Lösen von Adhäsionen,
Faszientechniken.
• Individuelle Schmerzgrenze respektieren.
• Angrenzende Gelenke in die Behandlung einbeziehen.
• Bewegung (und Bewegungsradius) erweitern und ökonomisieren, indem
hochfrequent repetetiv alltagsrelevante Bewegungen (Motorlearning) geübt
werden.
• Spezielle Antipathien des Pat. (z. B. gegen Wärme oder Kälte, ▶ 20.3) respek-
tieren.
• Beachten: Die physiologische Belastbarkeit der Strukturen, unter Berücksich-
tigung der Wundheilungsphase (▶ Tab. 20.3), entscheidet über den Stabili-
tätsgrad (▶ Tab. 20.4).
   20.1  Physiotherapie im stationären Setting  747

Tab. 20.3  Wundheilungsphasen
Phase Physiother. Maßnahmen

I: Entzündungsphase (1.–5. d postop.) Entstauende Maßnahmen, isometrische


Spannungsübungen, schmerzfreie Mobi-
lisation der Gelenke

II: Proliferationsphase (bis 21. d postop.) Intensivierte Mobilisation, Kräftigung

III: Konsolidierungsphase (21.–60. d Forcierte Kräftigungsübungen, Mobilisa- 20


postop.) tion

IV: Organisationsphase (60.–360. d postop.) Sportartspezifisches Training möglich

Tab. 20.4  Stabilitätsgrade
Stabilitätsgrad Maßnahmen

Lagerungsstabil Bettruhe: Zielsetzung: Basale Funktionen wie Atmung und Herz-


Kreislauf stabilisieren, die am betroffenen Körperabschnitt nur
reaktiv isometrisch wirken

Bewegungs-, Bewegung ist in Richtung und Ausmaß mindestens limitiert am


übungsstabil betroffenen Körperabschnitt erlaubt. Aktive Bewegung ist hub-
frei und passive Bewegung ist gegen die Schwerkraft erlaubt. Je
nach Versorgungsart sind axiale Belastungen gestattet. Beim Ver-
letzungskomplex obere Extremität sind axiale Belastungen (Stüt-
zen) und das Tragen von Gewichten (Biege- und Zugspannungen)
kontraindiziert. Dies gilt bis zum Beginn der Trainingsstabilität

Belastungsstabil Am betroffenen Körperabschnitt werden alle aktiven Bewegun-


gen im vollen Bewegungsausmaß gegen die Schwerkraft und/oder
Widerstand durchgeführt. Belastung wird gesteigert, trainingsre-
levante Parameter sind Grundlage für strukturelle Anpassungen

Trainingsstabil Alle Strukturen sind für ihre Aufgabe im Bewegungsverhalten


vollständig adaptiert und belastbar. Volle Sporttauglichkeit
(springen, laufen, heben, tragen, stemmen)

20.1.4 Prophylaktische Maßnahmen der Physiotherapie


▶ Tab. 20.5
Tab. 20.5  Prophylaktische Maßnahmen zur Vermeidung von Komplikationen
bei bettlägerigen und frisch operierten Pat. (unabhängig von der befundbe-
zogenen Behandlung)
Komplikation Prophylaktische Maßnahmen

Obstruktive und Atemther. (AT): Sekretmobilisation, Steigern der Vitalkapazität


restriktive Stö- (VC), Senken erhöhter Gewebswiderstände am Thorax, autoge-
rungen des Res- ne Drainage/Umlagerungen, unterstützende apparative Hilfen
pirationstrakts (Flutter, Triflo®, Auto-PEEP)

Muskuloskeletta- Lagern der Gelenke in geeigneter Stellung, weiterlaufende Be-


le Störungen wegungen berücksichtigen, Wechsellagern, Motorschiene
(Kontrakturen) (CPM), Anleiten zu aktiv-reaktivem Bewegen. Bei längerer Im-
mobilisation den Pat. zum Eigentraining anleiten (visualisiert
z. B. mit Physio Tools) mit und ohne Geräte (z. B. Theraband,
Hanteln, Expander)
748 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

Tab. 20.5  Prophylaktische Maßnahmen zur Vermeidung von Komplikationen


bei bettlägerigen und frisch operierten Pat. (unabhängig von der befundbe-
zogenen Behandlung) (Forts.)
Komplikation Prophylaktische Maßnahmen

Kardiovaskuläre Frühes Vertikalisieren an die Bettkante/in den Stand, so bald


Störungen wie möglich viel bewegen, dynamische Bewegungsserien, kon-
sequentes Tragen passgenauer Antithrombosestrümpfen, evtl.
20 Beine wickeln, Foot-Pump oder Bettfahrrad geben, aktive
Übungen

Dekubitus Lagewechsel und Kontrollen von gefährdeten Hautarealen

Unterstützende Geräte: Theraband®, Hanteln, motorische Bewegungsschiene (CPM),


Foot-Pump, Muskelstimulationsgerät, Triflo®, Flutter, Auto-PEEP.

20.1.5 Hinweise für das Entlassungsmanagement


Vor Entlassung
Pat. sollen nach der Entlassung aus dem stationären Bereich künftig nahtlos mit
Arznei-, Heil-, Hilfsmitteln und Soziotherapie versorgt werden (laut GKV-Ver-
sorgungsstärkungsgesetz [GKV-VSG]). Es ist zukünftig Aufgabe der Kranken-
häuser, in einem Entlassplan die medizinisch unmittelbar erforderlichen An-
schlussleistungen festzulegen. In diesem Zusammenhang dürfen Krankenhäuser
„zur Sicherstellung einer durchgehenden Versorgung mit Arzneimitteln“ die je-
weils kleinste Packung des erforderlichen Medikaments, die häusliche Kranken-
pflege und die Versorgung mit Heilmitteln für eine Dauer von max. 12  d verord-
nen. Krankenhäuser sollten dem VSG zufolge auch eine AU attestieren können.
• Ärztliche Verordnung auf physiotherapeutische Empfehlung:
– Hilfsmittel (z. B. UAGST, Rollator, Rollstuhl, Schulter-Abduktionskissen,
Mieder, Korsett).
– Heilmittel.
• Sicherstellen, dass begonnene Physiother. zuhause fortgesetzt werden kann
(Termin!).
• Physiother. Nachbehandlungsschemata mitgeben.
Heilmittel-Verordnung Physiotherapie
Für gesetzlich versicherte Pat. ist die Grundlage der ärztlichen Verordnung von
Heilmitteln der Heilmittelkatalog (HMK) als Bestandteil der jeweilig geltenden
Fassung der Heilmittelrichtlinie. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-
BA) gemäß §  92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 6 in Verbindung mit §  138 des Fünf-
ten Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) beschlossene Richtlinie dient der Sicherung
einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Berücksichtigung des allge-
mein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse ausreichenden,
zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit Heilmit-
teln. Im HMK ist beschrieben, welche Heilmittel in welchen Mengen bei welchen
Diagnosegruppen im Regelfall zu einer medizinisch angemessenen und wirt-
schaftlichen Versorgung führen.
Verordnungsalgorithmus
• Diagnose in Diagnosegruppe zuordnen → Leitsymptomatik (= Funktionsstö-
rung) und damit Therapieziele auswählen → daraus ergeben sich nach HMK
vorrangige Heilmittel und evtl. ergänzende Heilmittel (cave: Ein „/“ bedeutet
   20.1  Physiotherapie im stationären Setting  749

entweder/oder!) → Verordnungsmenge nach HMK Vorgaben ausfüllen →


Frequenz angeben.
• Aktuellen Verordnungsvordruck verwenden. Alle Felder ausfüllen!
• Immer erst den Regelfall (Erst- und Folgeverordnung) durchlaufen. Einzige
Ausnahme: Langfristiger Heilmittelbedarf; hier darf ein sofortiger Wechsel
nach außerhalb des Regelfalls erfolgen.

Praxisbesonderheiten (ab 1.1.2017 „besondere


Verordnungsbedarfe“) und langfristiger Heilmittelbedarf 20
Der GKV-Spitzenverband und die KBV haben in ihrer Heilmittelvereinba-
rung vorgegeben, dass die Richtgrößen für das Jahr 2013 um das Volumen des
langfristigen Heilmittelbedarfs und der Praxisbesonderheiten (ab dem
1.1.2017 „besondere Verordnungsbedarfe“) bereinigt werden. Als Praxisbe-
sonderheiten gelten die Heilmittel für Pat. mit besonders schweren Erkran-
kungen, die einen höheren Heilmittelbedarf haben. Die für diese Patienten-
gruppe veranlassten Verordnungskosten überschritten bislang vielfach das
dem verordnenden Arzt für den einzelnen Pat. zur Verfügung stehende Richt-
größenvolumen, verbunden mit einem entsprechenden Regressrisiko. Das Ri-
siko eines Regresses ist nun auch bei einer Verordnung im Rahmen einer Pra-
xisbesonderheit nicht mehr gegeben.
• Sofern die Diagnose in Anhang 1 zur Anlage 2 der Rahmenvorgaben nach
§  106b Abs. 2 SGB V für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter
Leistungen vom 30.11.2015 zu finden ist, darf der Arzt das Rezept (streng
nach HMK!) nach vorgegebenen Maßgaben jeweils für einen längeren Zeit-
raum (max. 12  Wo.) ausfüllen. Dies im Falle der Praxisbesonderheiten aller-
dings erst, wenn der Regelfall durchlaufen wurde.
• Die Verordnungsmenge richtet sich dabei nach der im HMK vorgegebenen
Frequenz multipliziert mit 12 (12-Wochen-Regel, innerhalb der der Arzt den
Pat. gesehen haben muss). Anmerkung: s. oben.
• Beispiel (▶ Abb. 20.1): ICD 10, Z98.8 Zustand nach chirurgisch-orthopädi-
scher Operation
– i. V. m.
– Z.89 Rekonstruktiver Eingriff ohne endoprothetische Versorgung
– EX 3 bei Frequenz von mind. 2 × wöchentlich
– Max. Verordnungsmenge ergibt sich aus der Frequenz von 2 × 12-Wo-
chen-Regel = 24 ×

Abb. 20.1  Rahmenvorgaben nach §  106b Abs. 2 SGB V (Anhang 1 zur Anlage 2


der Rahmenvorgaben nach §  106b Abs. 2 SGB V für die Wirtschaftlichkeitsprü-
fung ärztlich verordneter Leistungen vom 30.11.2015; GKV-Spitzenverband und
KVB) [W868–001]
750 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

20.2 Teilbereiche der Physiotherapie


Anne von Reumont und Gabriele Steinmetz

20.2.1 Bewegungstherapie
Definition
20 Anwendung von Bewegungstechniken, -methoden und -konzepten, um senso-
motorische Funktionen wiederherzustellen, zu ökonomisieren, zu automatisieren
oder zur Kompensation zu schulen mit dem Ziel weitestgehend unbehinderter
Teilhabe am privaten und beruflichen Leben.

Dosierung
Bewegung kann dosiert werden nach
• dem Umfang der beteiligten Muskeln (Einzelmuskel, Muskelketten, Körper-
abschnitte, ganzer Körper),
• der Ausgangsstellung des Pat. (stabil, instabil),
• der Kraftanforderung an den Muskel (reaktiv-iradiierend, unter Abnahme
der Schwere des zu bewegenden Körperabschnitts, gegen die Schwerkraft, ge-
gen Widerstand),
• der Bewegungsgeschwindigkeit und
• dem Anspruch an reaktive Anforderungen.
Techniken, Methoden, Konzepte
Es gibt eine Vielzahl von bewegungsther. Anwendungsmöglichkeiten, die je nach
Komplexität als Techniken (z. B. manuelle Therapie, pass. Bewegen, PNF), Methoden
(z. B. Bobath, Functional Kinetics) oder Konzepte (z. B. Psychomotorik, Spiraldyna-
mik) bezeichnet werden. Die Auswahl des jeweils wirksamsten Mittels obliegt dem
Therapeuten und orientiert sich am aktuellen Befund des Pat. und dem Behandlungs-
ziel. Am Wirkort Bewegungssystem werden vorrangig manualther. Techniken (MT,
McKenzie, Cyriax), Methoden der Haltungs- und Bewegungsschulung (Functional
Kinetics, Brügger, PNF, Spiraldynamik) und am Übergang zur Rehabilitation die me-
dizinische Trainingsther. sowie medizinisches Aufbautraining angewandt.

Zentrale Indikationen
In der Orthopädie und Unfallheilkunde werden vorrangig Störungen am Bewe-
gungssystem behandelt:
• Mangelnde Qualität von Bewegungsabläufen.
• Schmerz- und Reizzustände am Bewegungssystem.
• Hypomobilität und Instabilität.
• Mangelnde/reduziert Belastbarkeit der Strukturen.
• Mangelnder Trainingszustand.
Ziele
• Thrombose vermeiden.
• Pneumonie vermeiden.
• Trophische Störungen vermeiden.
• Resorption fördern.
• Schmerzen lindern.
• Bewegung, auch von angrenzenden Gelenken, erhalten.
   20.2  Teilbereiche der Physiotherapie  751

• Umgebende Muskulatur stimulieren.


• Tonus senken.
• Propriozeption trainieren.
• Beweglichkeit steigern.
• Belastbarkeit steigern.
• Koordination fördern.
• Ausdauer steigern.
Hüft-TEP: Eine Intervention – unterschiedliche Begleitbehandlungen 20
Eine in beiden Fachgebieten – allerdings mit unterschiedlicher Häufigkeit – vor-
kommende operative Maßnahme ist das Einsetzen einer Hüft-TEP. Trotz gleicher
Intervention gibt es wichtige Unterschiede (▶ Tab. 20.6), aus denen sich erhebli-
che Unterschiede für die physiother. Behandlung ergeben hinsichtlich
• Art,
• Intensität,
• Dauer und
• zu erwartendem Ergebnis.
Tab. 20.6  Unterschiedliche Voraussetzungen bei Hüft-TEP
Unfallchirurgischer Notfalleingriff Orthopädisch elektiver Eingriff

Altersentsprechender Zustand Koxarthrose, oft langjährig Hüftschmerzen


oder vorbestehende Fehlstellungen wie Dyspla-
sie, aseptische Nekrose

Bewegungsausmaß altersentspre- Bewegungseinschränkung in Abd./Iro./Ext.,


chend in der Norm Kapselmuster, typische Anlaufschmerzen

i. d. R. kein Hinkmechanismus Meist Trendelenburg-/Duchenne-Hinken

ggf. Hilfsmittel Hilfsmittel (z. B. Rollator, UAGST)

Gehstrecke altersentsprechend Gehstrecke und ADL (Aufstehen, Hinsetzen, Bü-


cken, Strümpfe und Schuhe Anziehen) stark
eingeschränkt

20.2.2 Gangschule
Grundlagen
• Einsatz von Hilfsmitteln (z. B. UAGST, Rollator, Gehbock, Handstock, Ach-
selstütze, Gehwagen, aber auch Orthesen) zur Entlastung der unteren Extre-
mitäten oder zur Sicherheit beim Gehen.
• Auswahl der Hilfsmittel je nach Stabilitätsgrad (▶ Tab. 20.4) der muskuloske-
lettalen Strukturen sowie der Kondition, Konstitution und Mobilität des Pat.
• Systematische Analyse des Gehverhaltens nach folgenden Beobachtungskrite-
rien: Gangtempo, Kadenz, Spurbreite, Schrittlänge, Abroll-Stand-Phase,
Schwungphase, Bewegungen der Körperabschnitte Becken, Beine und Arme
unter Berücksichtigung der individuellen Konstitution/Kondition.

Ziele
• Sicherheit im Umgang mit dem angepassten Hilfsmittel nach dem jeweiligen
Stabilitätsgrad. Ökonomisieren der Stand- und Spielbeinfunktion, Gehstrecke
verlängern, Treppe gehen, Terraintraining (▶ Tab. 20.7).
752 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

• Vorbereiten, Erhalten oder Wiederherstellen eines möglichst ökonomischen,


gelenkschonenden Gangbilds.
• Selbstständigkeit in den ADL, Partizipation.
• Kraft- und Ausdauerleistung steigern.
Tipps & Gefahren
UAGST richtig einstellen. Faustregel: Handgriff steht auf Höhe des Trochan-
20 ter major.

Tab. 20.7  Gangarten mit Unterarmgehstützen


Gangart Ausführung

3-Punkte-Gang Unbelastet Mit oder ohne Sohlenkontakt, betroffenes


Bein wird mit oder ohne Bodenkontakt zwi-
schen den UAGST oder anderen Hilfsmitteln
„aufgesetzt“

Teilbelastet Kilogrammangaben des Arztes, Fuß wird ab-


gerollt und dabei teilbelastet, die Belastung
wird vorher mit Waage eingeübt

4-Punkte-Gang Steigerung des teilbelasteten 3-Punkte-Gangs


ab halbem Körpergewicht, besonders geeig-
net auch zur Entlastung im Hüftgelenk,
1. UAGST, Fuß, 2. UAGST, anderer Fuß

2-Punkte-Gang Wie 4-Punkte-Gang, aber flüssiger, Fuß und


gegenüberliegende Stütze werden gleichzei-
tig aufgesetzt

Treppen steigen, in Aufwärts Eine Hand an das Geländer, freie UAGST wird
allen Gangarten in der anderen Hand mitgeführt. Nicht betrof-
mögl. Ziel: rezipro- fenes Bein geht zuerst, betroffenes Bein wird
kes Treppensteigen zwischen UAGST und Geländer hoch gesetzt

Abwärts Hand am Geländer und gegenüberliegende


UAGST werden gleichzeitig mit betroffenem
Bein eine Stufe nach unten gesetzt, gesundes
Bein folgt, entweder auf dieselbe oder eine
weiter unten gelegene Stufe

20.2.3 Medizinische Trainingstherapie (MTT)


Grundlagen
• Im Vordergrund: Optimales Wiederherstellen von Funktion, aber auch prä-
ventiv z. B. in der Betreuung von Spitzensportlern.
• Nach Verletzungen und/oder OPs am Bewegungssystem schnellstmöglich Ther.
• Grundlagen: Kenntnisse der Sportwissenschaften, der Trainingslehre und der
Biokinetik.
• Eingesetzt werden Mess- und Trainingsgeräte, die die motorischen Grundei-
genschaften wie Kraft, Beweglichkeit, Koordination, Ausdauer und Schnellig-
keit erfassen.
• Begleitet wird MTT immer von Physiother. und anderen physik. Maßnah-
men.
   20.2  Teilbereiche der Physiotherapie  753

Ziele
• „Schadensbegrenzung“ durch Akutmaßnahmen (PECH ▶ 7.1.1).
• Anbahnen physiol. Bewegungsmuster.
• Aufbau von Muskelmasse.
• Verbessern neuromuskulärer Fähigkeiten wie intramuskuläres Koordinieren
und Rekrutieren.
• Verbessern der Herz-Kreislauf-Situation.
• Bedarfsorientiertes Training von Funktion, gemessen an Arbeit, Sport und
Freizeit. 20

20.2.4 (Primär-)Prävention
Grundlagen
Gesundheitlichen Risiken durch geeignete verhaltens- und gesundheitsorientierte
Bewegungsprogramme vorzubeugen oder sie zu reduzieren, ist ein Präventions-
prinzip der Primärprävention (§ 20 Abs. 1 SGB V).
Die WHO definierte 1986 die primäre Prävention als Ausschalten und Erfassen
von krankheitsauslösenden Faktoren. Die Primärprävention will dem Entstehen
von Risikoverhalten und Symptomen zuvorkommen. Sie ist Teil der Gesundheits-
förderung. Primärprävention findet in der Gruppe statt und sollte dem Settingan-
satz folgen. Der Erfolg der Maßnahmen muss messbar, die Anbieter müssen lizen-
ziert sein.

Ziele
• Problembewusstsein entwickeln.
• Krankmachende Situationen reduzieren oder verhindern (Verhältnispräven-
tion).
• Gesundheitsfördernde Verhaltensweisen internalisieren (Verhaltensprävention).
• Ressourcen stärken.
• Verbessern von Beweglichkeit, Koordination, Ausdauer und Kraft.
• Erlernen aktiver Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien).
• Fördern der Selbstwirksamkeit (Self Efficacy), Verantwortung für den eigenen
Körper übernehmen.
• Aufbau von Bindung an gesundheitssportliche Aktivitäten.
• Sozialkompetenz stärken.
Beispiele für das Bewegungssystem
• Nordic Walking: Gesundheitssportliche Aktivität für Menschen mit Bewe-
gungsmangel, Bewegungs-(wieder-)einsteiger, Übergewichtige usw.
• Rückenschule: Körperwahrnehmung, Training der motorischen Grundei-
genschaften (Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination), Entspan-
nung, Stressmanagement, Haltungs- und Bewegungsschulung sind Inhalte
der Rückenschule. Ziel ist es, individuelle, körpergerechte, rücken- und ge-
lenkfreundliche Verhaltensweisen in Alltag, Beruf, Freizeit und Sport zu inte-
grieren, aber auch Erklärungsmodelle von Rückenschmerz und Strategien zur
Schmerzbewältigung (kognitiv, behavioral) kennenzulernen.
• Ergänzend: Ergonomie am Arbeitsplatz.
• Sturzprophylaxe: Koordinationstraining als Sturzprävention für ältere und
alte Menschen. Das sensomotorische System wird präventiv gefördert und
beeinflusst so die motorische Sicherheit und Selbstständigkeit. Kraftverlust
754 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

wird verzögert, das Vestibularsystem wird durch Gleichgewichtstraining auf


labilen Unterstützungsflächen angeregt, Propriozeption wird gefördert.

20.3 Thermotherapie
Anne von Reumont und Gabriele Steinmetz

20 20.3.1 Definition
Ther. Nutzen von Wärmezufuhr und Wärmeentzug. Durch verschiedenartige
Appl.-Formen mit unterschiedlicher Einwirkzeit sollen Selbstheilungsprozesse
angeregt und unterstützt werden. Wärme- (Thermo-) und Kältether. (Kryother.)
stehen immer in engstem Zusammenhang mit aktiver physiother. Behandlung.

20.3.2 Kryotherapie
Wirkung
Die Wirkweise ist abhängig von der Dauer der Anwendung. Kurze Appl. führt zu
reflektorischen Reaktionen, längere zu direkt temperaturabhängigen Einflüssen.
Klin. wird kurze und häufige Applikation präferiert.
• Gefäße: Durchblutung ↓, Vasokonstriktion, danach Hyperämie mit Vasodi-
latation.
• Atmung: Ventilation ↑, Frequenz ↑, Atembreite ↑, Lungenbelüftung ↑.
• Nerven: NLG ↓, schmerzlindernd.
• Vegetativum und Stoffwechsel: RR ↑, Herzfrequenz ↑, Zellstoffwechsel ↓, lo-
kale Stoffwechselaktivität ↓ (entzündungshemmend), Wundheilung ↓.
• Muskulatur: Kurzes, schnelles Eis für 2–3 Min. → Tonus ↑,
Indikationen
Frische Traumata (Distorsionen, Frakturen), postop. zur Schmerzlinderung und
Stoffwechsel steigern, Erkr. des rheumatischen Formenkreises, bes. im Akutstadi-
um, Gelenkschmerzen (Arthrose), periphere Lähmungen.

Kontraindikationen
PAVK, Morbus Raynaud, Kälteallergie, Aversion gegen Kälte, bei Säuglingen und
alten Menschen, bei gestörter Thermoregulation.

Anwendung
Applikationsformen und Kälteträger
Prinzipiell trockene und feuchte Kälte mögl. (▶  Tab. 20.8), wobei feuchte Kälte
besser leitet.

Tab. 20.8  Anwendungsformen der Kryotherapie


Feucht Trocken

• Eisbeutel: Brucheis aus der Eisma- • Cool-Pack


schine oder Eisfrotteetuch • Stickstoff
• „Eis am Stiel“ • Kältekammer:
• Eistauchbad
  20.4 Elektrotherapie  755

Dosierung: Es gibt keine eindeutigen Vorgaben, die Dosierung ist stark abhängig
von diversen Reiz- und Reaktionsparametern. Erstere sind Art und Größe des
Kälteträgers und die Größe der zu behandelnden Fläche. Letztere sind individuell
abhängig von Konstitution, Alter, Geschlecht, Art und Phase der Erkr. Je nach
Zielsetzung dauert eine Behandlung von Sekunden bis zu 20 Min.

20.3.3 Thermotherapie (Wärme)
20
Wirkung
• Gefäße: Durchblutung ↑, Vasodilatation.
• Atmung: Atemvertiefung, Ventilation ↑, Thoraxbeweglichkeit ↑.
• Nerven: NLG ↓, analgesierend.
• Vegetativum und Stoffwechsel: RR ↓, Herzfrequenz ↓, lokaler Stoffwechsel
↑, Phagozytose ↑, Diffusion ↑, Ödemrückbildung ↑, entzündungshemmend,
Wundheilung ↑.
• Muskulatur: Muskeltonus ↓, Bänder und Kapsel in Dehnfähigkeit ↑.
Applikationsformen und Wärmeträger
▶ Tab. 20.9.
Tab. 20.9  Anwendungsformen der Thermotherapie
Feucht Trocken

• Heiße Rolle • Hot-Pack


• Feucht heiße Kompressen • Rotlicht
• Peloide (Moore, Schlamm, z. B. Fango) • Infrarotlicht
• Kurzwelle

20.4 Elektrotherapie
Anne von Reumont und Gabriele Steinmetz

20.4.1 Allgemeines
Definition
Die Anwendung von elektrischer Spannung zu ther. Zwecken.

Einteilung
Einteilung in Frequenzbereiche und die wichtigsten Ther.-Formen:
• Gleichstrom: Galvanischer Strom (Iontophorese: Einbringen von Medika-
menten).
• Niederfrequenz (< 1.000 Hz): Faradischer Strom, diadynamischer Strom, Ult-
rareizstrom, Exponentialstrom, Schwellstrom, TENS (transkutane elektrische
Nervenstimulation).
• Mittelfrequenz (1.000–100 kHz): Interferenzstrom.
• Hochfrequenz (über 100 kHz): Ultraschall, Ultraschall komb. mit Diadyna-
mik, Kurzwelle, Dezimeterwelle, Mikrowelle.
756 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

Kontraindikationen
Metalle im stromdurchflossenen Gebiet, Herzschrittmacher, fehlende Oberflä-
chensensibilität, offene Hautdefekte, Allergien, Entzündungen, Verbrennungen,
Thrombosen und Thrombophlebitiden, AVK Stadien II und III, Fieber. Bei Kin-
dern Bereich der Epiphysenfugen, Schwangerschaft.

20.4.2 Iontophorese
20
Definition
Transkutanes Einbringen von Medikamenten mittels galvanischen Stroms. Funk-
tioniert über die Ionenwanderung, das Medikament wird in Ionen aufgespalten.
Vorteile sind die exakte lokale Anwendung und das Umgehen des Magen-Darm-
Trakts.

Wirkung
Je nach Medikament resorptionsfördernd, analgetisch, antiphlogistisch.

Indikationen
Ulcus cruris, Myalgie, Epikondylitis, Arthrosis deformans, Periarthropathie, Ten-
domyose, posttraumatisches Hämatom.
Aufbringen des Medikaments je nach Ladung („Polung“) der Medikamente
(▶ Tab. 20.10).

Tab. 20.10  Aufbringen der Medikamente bei der Iontophorese


Positive (unter Anode) Negative (unter Kathode)

Acetylcholin, Bienengift, Histamin, Novo- Salicylsäure, Kaliumiodat, Heparin, Me-


cain Doloarthrosenex®, Benerva® tamizol, Mobilat®, Exhirud®, Voltaren-
Emulgel®

20.4.3 TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation)


Definition
Rezeptierfähiges Analgesieverfahren durch niederfrequente Impuls- und Gleich-
ströme. Die kleinen, handlichen Geräte liefern sowohl mono- als auch biphasische
Stromformen. Die analgetisch wirksamen Frequenzen im Bereich bis 200 Hz sind
jeweils einstellbar.

Wirkung
Analgesierend.

Hauptindikation
Chron. Schmerzzustände, akute postop. oder traumatische Schmerzzustände,
Phantomgefühle und -schmerzen nach Amputationen.

Kontraindikationen
Schmerzen unklarer Genese, Demand-Herzschrittmacher im Schmerzbereich.
  20.6 Massage  757

20.5 Ultraschall
Definition
Ther. Nutzen von Gleich- oder Impulsschall (800 kHz bis 3 MHz). Ultraschall
gehört nicht zur Elektrother., da er nicht elektromagnetisch wirksam ist! Im
Vordergrund steht die mechanische Wirkkomponente des Ultraschalls. Longi-
tudinalwellen erzeugen einen Druckwechsel im Gewebe (mechanische Vibrati-
onswirkung), außerdem wird ein Teil der Schallenergie in Reibungsenergie um-
gewandelt (thermische Wirkung mit Vasodilatation). Eindringtiefe des Schalls 20
bis ca. 8 cm möglich.

Wirkung
Analgesierend, gewebslösend, hyperämisierend und regenerationsfördernd auf
Gewebe.

Hauptindikation
Myalgie, Neuralgie, Tendinose, Osteochondrose, Spondyl-, Gon-, Koxarthrose,
Epikondylopathie, Narbenverklebungen mit Unterhautgewebe, Bursitis.

Kontraindikationen
Bei Kindern und Jugendlichen nicht im Bereich der Epiphysenfuge anwenden.

20.6 Massage
Anne von Reumont und Gabriele Steinmetz

20.6.1 Definition
Behandlung von Gewebe und Muskulatur durch manuell gesetzte Reize. Die
Grifftechniken sind genau definiert. Verschiedene Massagearten sind Muskelmas-
sage (klassische Massage), Reflexzonenmassage (z. B. Bindegewebs-, Fußreflexzo-
nenmassage, Kolonbehandlung) und Lymphdrainage (nach Vodder).

20.6.2 Klassische Massagetherapie (KMT)


Definition
Dient in der Physiother. i. d. R. zur Vorbereitung einer Bewegungsther. Voraus-
setzungen sind eine warme Umgebung, entspannte Lagerung und Atmosphäre.
Wir unterscheiden Teil- (z. B. Gesichts-, Nacken-, Schulter-, Arm-, Rücken- und
Beinmassagen) und Ganzkörpermassagen.

Indikationen
Als vorbereitende Maßnahme vor einer Bewegungsther., um die Muskulatur zu
tonisieren oder zu detonisieren.

Kontraindikationen
Hautdefekte, nach Trauma, Muskel- und Sehnenriss, Frakturen, Entzündung,
Fieber, Thrombose und Thrombophlebitis, Reflexdystrophie (M. Sudeck), AVK.
758 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

20.6.3 Manuelle Lymphdrainage (MLD)


Definition
Sonderform der Massage. Lymphe wird durch entstauende Griffe im Verlauf der
Lymphbahnen zum Abfluss angeregt. Im Anschluss an die Behandlung wird das
behandelte Gebiet mit einem Kompressionsverband von distal nach prox. ver-
sorgt.
20 Wirkung
Drainieren gestauter Körperabschnitte, Lymphtransportkapazitäten ↑, Anregen
der Sprossung von Lymphgefäßen, z. B. nach Verletzungen, schmerzlindernd.

Indikationen
Postop. und posttraumatische Lymphödeme, nach Amputationen, bei zentralen
oder peripheren Paresen und Plegien, Reflexdystrophie (CRPS), Rheuma.

Kontraindikationen
Akute, durch pathogene Keime verursachte Entzündungen (Viren, Bakterien
etc.), kardiale Ödeme, Hautdefekte, Allergien, Ekzeme, akute Thrombophlebitis,
Bauchaortenaneurysma, Niereninsuff., maligne Tumoren (abklären, da relative
KI, palliativ erlaubt), Erysipel, generalisierte bakterielle Hautinfektionen.

20.7 Ergotherapie
Elisabeth Nowak

20.7.1 Allgemeines
Definition
Der Begriff Ergotherapie leitet sich von dem griechischen Wort „ergon“ ab =
„Werk“. Ziele der Ergother. sind, die größtmögliche Fähigkeit zum eigenständi-
gen Handeln zu erreichen, vorhandene Fähigkeiten zu fördern, verlorengegange-
ne Fähigkeiten wieder zu erlangen oder ggf. Kompensationsmechanismen zu fin-
den, die den Weg im Alltag und Berufsleben erleichtern oder überhaupt wieder
ermöglichen. Dazu bedient sich die Ergother. einer Fülle von verschiedenen Be-
handlungsmethoden, die in engem Zusammenhang mit der akuten Situation des
Pat. stehen.

Voraussetzungen zur Therapie


• Ärztliche Verordnung: Pat.-Daten, aussagekräftige Diagnose, Leitsymptoma-
tik, Verordnungsmenge, Ther.-Frequenz, Besonderheiten, Ziel.
• Weitere Informationen: KO, Belastbarkeit, Röntgenbilder, sonstige Vorbe-
funde.

Befunderhebung, Funktionsstatus vor jeder Therapieplanung


Körperfunktion, Körperstruktur:
• Muskelfunktion und Muskelkraft; an der Hand Greifkraft (Messung z. B. mit-
tels Dynamometer, Vigorimeter, Pinch Gauge); Funktionsstatus.
• Bewegungsausmaß durch Gelenkmessungen und spezifische Tests.
  20.7 Ergotherapie  759

• Oberflächen- und Tiefensensibilität, Temperatur- und Schmerzempfindung,


z. B. Berührung mittels Semmes-Weinstein-Monofilamenten.
• Tätigkeits- und Bewegungsanalysen anhand von Beobachtung der Bewe-
gungsabläufe.
• AZ des Pat. durch Beobachtung und Befragung.
Alltagsaktivitäten, Teilhabe: Selbstständigkeit und Kontextfaktoren durch Beob-
achtung und Befragung.

Allgemeine Behandlungsziele 20
• Wiedererlangen verlorengegangener Funktionen durch Muskelkräftigung,
Gelenkmobilisation, Schulung der Bewegungskoordination.
• Erweiterung des aktiven schmerzfreien Bewegungsausmaßes, Kontrakturpro-
phylaxe.
• Erlernen von ggf. notwendigen Trickbewegungen.
• Verhindern von Muskelatrophien.
• Sensibilitätsschulung.
• Schmerzlinderung, -bewältigung.
• Individuelle Adaptionen (z. B. Schienen, Hilfsmittel).
• Max. Selbstständigkeit, Wiedereingliederung in Privatleben und Beruf.
Prophylaktische und therapeutische Methoden
• Funktionstraining (Gelenkmobilisation, Muskelkräftigung, Koordinations-
und Sensibilitätsschulung), funktionelle Übungen, ther. Einsatz unterschied-
licher Materialien, ggf. mit Unterstützung durch Schienen und Tapeverbän-
de, Techniken der manuellen Ther., Lymphdrainage, Massagen, Wärme- und
Kälteanwendungen.
• Selbsthilfetraining (ADL), Hilfsmittelberatung, -erprobung und -versorgung,
(z. B. Orthesen, Schienenversorgung, Prothesen, Rollstühle, Hilfsmittel das
häusliche Umfeld betreffend), Gelenkschutzberatung (Prophylaxe), Sturzpro-
phylaxe, Kompensations-, Belastungs- und Arbeitsplatztraining.

20.7.2 Erkrankungen, Verletzungen der oberen Extremität


Beginn und Dauer der Therapie
• Bei Auftreten von Beschwerden.
• Bei Verletzungen sofort postop., sobald die Freigabe durch den Arzt (übungs-
stabil) gegeben ist.
• Bis zum Erreichen der Ther.-Ziele.
Techniken
• Training der Bewegungsabläufe und Greifformen durch funktionelle Ther.
und handwerkliche Techniken.
• Selbsthilfetraining, Kompensationstraining.
• Manuelle Ther., Weichteiltechniken, Kinesio-Taping.
• Massagen, Techniken der manuellen Lymphdrainage.
• Wärme- und Kälteanwendungen, Elektrother.
• Schienenbau, Anlage von Tape-Verbänden.
• Sensibilitätstraining (Sensibilisierung, Desensibilisierung), propriozeptive Sti-
mulation.
• Spiegelther., Imaginationsübungen.
760 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

Schultergelenk
Indikationen
z. B. Schultersteife, Supraspinatussehnensy., Z. n. Frakturen und Luxationen der
Schulter, nach korrigierenden OPs und Schultergelenkendoprothesen, Plexus-
brachialis-Läsionen.

Ellenbogen
20 Indikationen
z. B. Epicondylitis humeri, Z. n. Frakturen im Gelenkbereich.

Hand
Indikationen
z. B. Frakturen und Erkr. im Handbereich, Quetschungen, Verbrennungen, Fehl-
bildungen, Narbenbehandlung infolge von OPs (z. B. Sehnenverletzungen, Kar-
paltunnelsy., Dupuytren-Kontraktur), Lähmung peripherer Nerven, Amputatio-
nen, Phantomschmerz, CRPS.
Spezielle Behandlungsziele
• Vergrößerung des Bewegungsausmaßes.
• Schmerzbewältigung.
• Erhalt der Repräsentanz im Gehirn.
• Wiedererlangen der Handfunktionen mit ihren verschiedenen Greifformen.
• Schulung der Feinmotorik, Augen-Hand-Koordination, Hand-Hand-Koordi-
nation.
• Wiedereinsatz der Hand im Alltag.
Hilfsmittelversorgung
• Bei dauerhaftem Ausfall von Funktionen: Beratung, Erprobung, Auswahl, Her-
stellen von individuellen Hilfsmitteln, Adaptieren von Alltagsgegenständen.
• Ziel: Erhalt oder Wiedererlangung der Selbstständigkeit unter Einsatz mög-
lichst weniger Hilfsmittel.
Schienenversorgung
▶ 20.7.6.
Handtherapie
Die Handther. (nach einer Definition der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für
Handtherapie, DAHTH) umfasst die Reha von Pat. mit angeborenen, traumati-
schen und deg. Erkrankungen der oberen Extremität und deren Auswirkungen.
In der Handther. soll die funktionsgestörte Hand zum zielgerichteten, automati-
sierten und koordinierten Gebrauch, also zur möglichst ursprünglichen Funktion
zurückgeführt werden. Ziel ist es, dem Pat. frühere Beschäftigungen und Tätigkei-
ten weitestgehend zu ermöglichen, um seinen Anforderungen im sozialen, häusli-
chen und beruflichen Bereich wieder gerecht zu werden.

20.7.3 Erkrankungen und Verletzungen der unteren


Extremität
Beginn und Dauer der Therapie
Sobald übungsstabil, bis zum Erreichen der individuellen Ther.-Ziele.
  20.7 Ergotherapie  761

Indikationen
• Muskelschwächen durch Inaktivität oder Lähmungen.
• Hüftgelenk: Z. B. TEPs; Bewegungseinschränkung und Schmerzen nach Frak-
turen und Luxationen.
• Knie: z. B. Endoprothesen; Synovektomien; Z. n. Frakturen und Bänderrissen.
• Sprunggelenk:z.B. nach Frakturen, Entzündungsprozessen, Achillessehnen-
ruptur.

Spezielle Behandlungsziele 20
• Vermeiden von Ausweichbewegungen, Gelenkschutz.
• Schmerzminderung, Belastungssteigerung.

20.7.4 Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule


Beginn und Dauer der Therapie
• Bei Auftreten von Beschwerden.
• Bei Verletzungen sofort postop., sobald die Freigabe durch den Arzt (übungs-
stabil) gegeben ist.
• Bis zum Erreichen der Ther.-Ziele.
Morbus Scheuermann, Skoliose, Osteoporose, Frakturen
Ziel: Kräftigung der Rumpfmuskulatur und Aufrichtung der WS in stetiger Belas-
tungssteigerung. Verhindern von Ausweichbewegungen und aktives Training
WS-schonenden Verhaltens (Gelenkschutzprinzipien). ADL (▶  20.7.8) wird
durchgeführt und der Pat. wird evtl. mit Hilfsmitteln versorgt.

Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew)


Ziel: Muskelkräftigung, Aktivierung und Unterstützung der Atmung, Mobilisie-
ren der WS und der häufig benachbarten Gelenke. Vermitteln von Gelenkschutz-
prinzipien und Haltungsschulung, ADL-Training, Hilfsmittelversorgung, Adap-
tation der häuslichen Umgebung und des Arbeitsplatzes.

Spondylolisthesis, OP an der WS
▶ 10.6.9. Ziel: Vermitteln von Gelenkschutzprinzipien, Versorgung mit Hilfsmit-
teln zur Erleichterung in Haushalt und Beruf.

Zervikalsyndrom
Ziel: Kräftigung und Lockerung von Schulter-Nacken-Muskulatur und evtl. ge-
schwächter Arm- und Handmuskulatur. Erweitern des schmerzfreien Aktionsra-
dius, Verhindern von Ausweichbewegungen und Fehlhaltungen, Vermitteln von
Gelenkschutzprinzipien, größtmögliche Selbstständigkeit in den ADL, Hilfsmit-
telversorgung bei Lähmungen.

Querschnittslähmung
▶ 18.6.
• Die ergother. Behandlung steht in Abhängigkeit von Höhe und Ausprägung
der Läsion. Im Ther.-Programm lassen sich verschiedene Schwerpunkte un-
terscheiden.
• Zur optimalen Versorgung ist eine enge Zusammenarbeit zwischen interdis-
ziplinärem Team und Pat. notwendig.
762 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

Spezielle Behandlungsziele
• Förderung vorhandener Fähigkeiten.
• Wiedererlangen verlorengegangener Fähigkeiten.
• Ggf. Finden von Kompensationsmechanismen.
• In Abhängigkeit von Höhe und Ausprägung der Läsion (komplett/inkom-
plett) werden Behandlungsansätze (kompensatorisch oder restauratorisch)
abgeleitet.

20 Beginn und Dauer der Therapie


Sofort bei Aufnahme in der Einrichtung bis zum Erreichen der größtmöglichen
Selbstständigkeit. Erneut bei später auftretenden Veränderungen.
Therapieinhalte
• Bei hoch gelähmten Tetraplegikern frühzeitig die selbstständigen Kontakte
zur Umwelt ermöglichen (z. B. adaptierte Klingel, Telefon und TV mittels
Umfeldkontrollsystem).
• Nach Belastungsfreigabe Mobilisation in den Rollstuhl.
• Anbahnen von Bewegungsabläufen, Vergrößern des Bewegungsausmaßes
und Erhalt der Gelenkbeweglichkeit durch assistiv-aktives Bewegen.
• Vermitteln von möglichen Trickbewegungen bei kompletter Tetraplegie.
• Einsatz von Elektrostimulation in der funktionellen Ther. der oberen Extre-
mität.
• Restfunktionen trainieren, Koordination des ganzen Körpers fördern.
• Training weitgehender Selbstständigkeit bei den Verrichtungen des tgl. Le-
bens wie z. B. Körperhygiene, Nahrungsaufnahme, An- und Ausziehen, All-
tagstransfers.
• Beratung von Betroffenen und Angehörigen bezüglich Hilfsmittelversorgung
und Wohnraumanpassung.

20.7.5 Rheumatischer Formenkreis
Beginn und Dauer der Therapie
Sofort bei Diagnosestellung, krankheitsbegleitend.

Spezielle Behandlungsziele
• Gelenkschutz.
• Bewältigung des Alltagslebens.
• Teilhabe in allen Lebensbereichen.
Wichtigste Maßnahmen
• Genaue Ausgangsbefunderhebung (Dokumentation) zur Festlegung der
Maßnahmen und Ther.-Ziele und zur Verlaufskontrolle.
• Intensive Aufklärung des Pat. und der Angehörigen. Vermittelung von Kon-
takten zu anderen Rheumatikern (z. B. Rheumaliga).
• Vermitteln von Gelenkschutzprinzipien zur Erhaltung der Funktionen.
• Herstellung von Lagerungs-, Funktions- und Korrekturschienen (Gelenk-
schutz, Schmerzlinderung im Schub, Verhinderung von Kontrakturen und
Fehlstellungen).
• Differenzierter Einsatz handwerklicher Techniken, adaptierter Spiele und
weiterer spezifischer Übungen und Techniken zur Gelenkmobilisation und
Kräftigung der Muskulatur.
  20.7 Ergotherapie  763

• Vermittlung von Kompensationsbewegungen zur Vermeidung pathol. Bewe-


gungsabläufe und unkontrollierter Ausweichbewegungen durch Schonhaltung.
• Selbstständigkeit erhalten durch ADL-Training und Hilfsmittelversorgung
(z. B. spezielles Besteck, Greifzangen). Hilfen und Beratung bei der Adaptati-
on des Wohnbereichs, des Arbeitsplatzes und der Freizeitgestaltung.

20.7.6 Schienenversorgung
Die Herstellung erfolgt größtenteils mit niederthermoplastischen Kunststoffmateri- 20
alien, die direkt am Pat. angepasst werden und jederzeit korrigiert werden können.

Wirkung
Schienen können Kontrakturen verhindern, Schmerzen lindern, Übungen sinn-
voll unterstützen oder erst möglich machen und Fehlstellungen korrigieren. Oder
sie dienen der vorübergehenden Ruhigstellung und werden zur Verhinderung
von Muskelüberdehnung eingesetzt.

Der Einsatz von Schienen ist nur dann sinnvoll, wenn eine ständige fachge-
rechte Kontrolle möglich ist und eine intensive Zusammenarbeit zwischen
Arzt und Ergotherapeut stattfindet.

Wichtigste Formen und ihre Indikationen


• Lagerungsschienen: Zur Ruhigstellung postop. oder bei Entzündungen bei
Nervenverletzungen, Lähmungen, Fehlstellungen, rheumatischen Erkr. der
Hand (präventiv und korrektiv), Verbrennungen. Zur Kontrakturprophylaxe.
Daumenspange zur Entlastung des Daumengrund- oder -sattelgelenks.
• Funktionsschienen:
–  Statische Schienen: Zur Korrektur von Gelenksfehlstellungen und Förde-
rung der Funktionsfähigkeit der Hand durch Fixieren und Stabilisieren
einzelner Gelenke.
– Statische Daumenschiene: Bei Rupturen des ulnaren Seitenbands,
Rhiz­arthrose/Resektionsarthroplastik, Frakturen, Opponenslähmung.
– Statische Fingerschienen: Zur posttraumatischen Ruhigstellung bei
Mittel- und Endgliedfrakturen, Arthrodesen, Mittelgelenkprothesen,
entzündlichen Prozessen.
–  Dynamische Schienen: Zur Unterstützung von Muskelfunktionen, zum
Ersetzen fehlender Funktionen und zur Gewährleistung physiologischer
Bewegungen. Einsatz finden sie im Rahmen der frühaktiven Nachbehand-
lung bei Verletzung und Narben im Bereich aller Zonen des Streck- und
Beugeapparats der Hand, des Daumens und der Finger; Tenolyse, Quet-
schungen, Frakturen, nach langer Ruhigstellung.
• Redressierende- oder Quengelschienen: Zur Aufdehnung von Kontrakturen.
Durch elastischen Zug oder Druck wird eine Quengelwirkung erzeugt. Sie
werden nur zeitlich begrenzt oder im Rahmen der Ther. getragen.

20.7.7 Prothesentraining (obere Extremität)


Beginn und Dauer der Therapie
Sofort mit Stumpfbehandlung. Im weiteren Behandlungsverlauf beginnt die Pro-
thesengebrauchsschulung.
764 20  Physikalische Therapie und Ergotherapie  

Spezielle Behandlungsziele
• Phantomschmerz beeinflussen.
• Prothese sinnvoll einsetzen.
• Wiedereingliederung in Familie und Beruf.
Therapieinhalte
• Stumpfabhärtung.
• Erhalt der Repräsentanz des amputierten Körperteils mittels Spiegelther.
20 • Mobilisation, An- und Ausziehen der Prothese, Wechseln der Prothesenein-
sätze.
• Verhindern von Kontrakturen der noch vorhandenen Gelenke.
• Gebrauchsschulung, Geschicklichkeitstraining und Kontrolle der aktiven und
passiven Prothesenfunktionen, evtl. Korrekturen an der Prothese gemeinsam
mit Orthopädietechnik, Beratung über Zubehör.
• Haltungsschulung (Kontrolle im Spiegel), Anbieten von Hilfsmitteln.
• Evtl. Umlernen von Funktionen auf die andere Hand, den anderen Arm.
• ADL-Training.
• Arbeitsplatztypische Bewegungen.

20.7.8 Selbsthilfetraining (ADL)
Definition
Aktivitäten des täglichen Lebens: Übungsprogramm zur Bewältigung funktionel-
ler Schwierigkeiten im Alltag.

Indikationen
Lähmungserscheinungen jeder Art und Genese, Ausfall von Funktionen durch
Unfälle, Frakturen, Fehlbildung und Amputation, Erkr. des rheumatischen For-
menkreises.

Beginn der Therapie


• Belastbarkeit von mindestens 10 Min.
• Vorhandene Fähigkeit das Gesagte aufzunehmen, zu verarbeiten und sich zu
merken.
• Bei aktiver Bewegungsfunktion.
Anwendung
Liegephase: Herstellen des Kontakts, Lagerung, Mobilisation und Aktivierung,
Beginn mit Esstraining und Körperpflege. Ist der Pat. in der Lage, aufrecht zu sit-
zen → Toilettentraining, Körperpflege, An- und Ausziehen, Schreib- und Lesetrai-
ning, Rollstuhlversorgung und -training.
Hilfsmittelversorgung: In der Ergother. wird der Einsatz der Hilfsmittel in All-
tagssituationen geübt. Ggf. stellt die Ergother. kleine Hilfsmittel für die Nutzung
von Alltagsgegenständen oder zum Ausgleich verloren gegangener Funktionen
her. Die bloße Verordnung von Hilfsmitteln, Rollstuhl oder Prothese ist nur sinn-
voll, wenn der Umgang damit geübt wurde und der Betroffene das Hilfsmittel be-
herrscht.

Alle Maßnahmen des ADL sind nur in engster Zusammenarbeit des ther.
Teams durchzuführen.
  20.7 Ergotherapie  765

20.7.9 Gelenkschutz
Ziel
Prophylaktischer Gelenkschutz insbes. bei rheumatischen Gelenkerkr. Dauerbe-
anspruchung und/oder Überlastung eines Gelenks soll vermieden werden. Auf
möglichst achsengerechte Durchführung aller Bewegungen muss geachtet wer-
den. Gelenkschutz sollte frühzeitig berücksichtigt werden und die Betroffenen
sollten über die Wichtigkeit des Gelenkschutzes aufgeklärt sein.
20
Gelenkschutzempfehlungen
▶ Tab. 20.11.
Tab. 20.11  Gelenkschutzempfehlungen im Überblick
Aufgabe Gelenkschutz

Lagerung Funktionsstellung: z. B. im Bett Hüften und Knie gestreckt, keine


Knierolle, in Seitlage Kniekissen benutzen

Gelenkstellung • Häufig wechseln: z. B. Wechsel zwischen Stehen, Gehen und


Sitzen; Tätigkeiten wechseln
• Gelenkstabilisierende Maßnahmen (Bandagen)
Lasten tragen z. B. körpernah heben; Gewichte verteilen, nichts tragen, was ge-
rollt werden kann (z. B. Koffer mit Rollen)

Sitzen • Korrekte Höhe: z. B. fester Stand der Füße auf dem Boden;
Tisch- und Stuhlhöhe optimieren; Toilettensitzhöhe anpassen
• Arbeitsplatzanpassung: z. B. ergonomische Tastatur
Handfunktionen • Statisches Halten vermeiden: z. B. Ständer für Bücher, Spielkar-
ten, Handarbeiten
• Hebelgesetze anwenden: z. B. verlängerter Griff
• Achsengerechtes Arbeiten unterstützen, z. B. durch Griffadap-
tation und Schienen
• Kraftminderung durch Griffverdickungen
• Herstellen, Anpassen und Erprobung von Hilfsmitteln
21 Das Heilverfahren in der
gesetzlichen Unfallversicherung
Olaf Ernst

21.1 Allgemeines 768 21.6 Verletzungsarten­


21.2 Aufgaben des Kassenarztes/ verfahren 771
Hausarztes 768 21.7 Schwerstverletzungsarten­
21.3 Durchgangsarztverfahren 769 verfahren 772
21.4 H-Arzt-Verfahren 771 21.8 Rehabilitationsverfahren 772
21.5 Stationäres Durchgangsarzt-
verfahren 771
768 21  Das Heilverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung  

21.1 Allgemeines
Ein Versicherungsfall (Arbeitsunfall) liegt vor, wenn eine versicherte Person
(z. B. alle Beschäftigte, bestimmte Gruppen von Unternehmern, Kindergarten-
kinder, Schüler und Studenten, Teilnehmer an Reha-Maßnahmen) infolge ei-
ner versicherten Tätigkeit (z. B. betriebliche Tätigkeit, Besuch des Kindergar-
tens, der Schule und Hochschule, Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit)
einen Unfall (zeitlich begrenztes, plötzlich von außen auf den Körper einwir-
kendes Ereignis, z. B. Sturz, Schlag) mit einem Körperschaden (z. B. Prellung,
Quetschung, Zerrung von Gelenken oder Extremitäten, psychischer Gesund-
heitsschaden) erleidet. Als „zeitlich begrenztes Ereignis“ gilt auch eine erheb-
lich über der Norm liegende Belastung für die Dauer von max. einer Arbeits-
schicht. Nicht versichert sind z. B. Beamte und ihnen gleichgestellte Personen
21 im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit. Beachte: Kein Arbeitsunfall liegt vor,
wenn eine der zuvor genannten Voraussetzungen fehlt.

Gesetzlich vorgegebene Leistungskriterien:


• Leistungsfeststellung „von Amts wegen“.
• Heilbehandlung mit „allen geeigneten Mitteln“.
• Rehabilitation vor Rente.
• Verantwortung der Unfallversicherungsträger für die Durchführung der
Heilbehandlung bedingt im Rahmen der sog. „Rehabilitationskette“ die Si-
cherstellung „schneller“ und „sachgemäßer“ Heilbehandlung.
Die Zuweisungspflichten für Unternehmer und Ärzte sowie Beteiligungs- und
Zulassungsvoraussetzungen für bestimmte Ärzte und Kliniken in den von den
Unfallversicherungsträgern eingerichteten Heilverfahren (z. B. Durchgangsarzt-
verfahren, Verletzungsarten- und Schwerstverletzungsartenverfahren) dienen
diesen Zielen. Der Kassenarzt/Hausarzt erfüllt in diesem Rahmen wichtige Aufga-
ben (▶ 21.2). Beachte: Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Unfallversiche-
rungsträger werden umfassend durch den Vertrag Ärzte/Unfallversicherungs-
träger (Ärztevertrag = ÄV) festgelegt.

21.2 Aufgaben des Kassenarztes/Hausarztes


• Wird ein Kassenarzt/Hausarzt wegen eines Arbeitsunfalls primär in An-
spruch genommen, leistet er die erste ärztliche Versorgung, die den Rahmen
des sofort Notwendigen nicht überschreiten soll. Die erste ärztliche Versor-
gung soll den Verletzten dazu befähigen, den Durchgangsarzt (D-Arzt) auf-
zusuchen.
• Eine Überweisungspflicht an den Durchgangsarzt besteht, wenn die Unfall-
verletzung über den Unfalltag hinaus zur AU führt, die Behandlungsbedürf-
tigkeit (bei weiterbestehender Arbeitsfähigkeit) voraussichtlich mehr als eine
Woche beträgt oder die Verordnung von Heil-/Hilfsmitteln erforderlich ist.
Bei einer Wiedererkrankung ist immer eine Vorstellung erforderlich. Für die
Überweisung zum D-Arzt hat der Arzt den Formtext F 2900 (Überweisungs-
vordruck – ÜV) zu verwenden.
• Außer dieser Bedeutung als „Anlaufstelle“ ist der Kassenarzt/Hausarzt in et-
wa 80 % aller Fälle auch der Arzt, der nach vorangegangener fachärztlicher
Erstversorgung durch den Durchgangsarzt die weitere Behandlung als „allge-
meine Heilbehandlung“ durchführt.
  21.3 Durchgangsarztverfahren  769

• Der Kassenarzt/Hausarzt hat am Tag der ersten Inanspruchnahme durch den


Unfallverletzten, spätestens am nächsten Werktag die Ärztliche Unfallmel-
dung (F 1050) zu erstatten. Die Berichterstattung entfällt, wenn der Unfall-
verletzte dem Durchgangsarzt vorgestellt wird.

21.3 Durchgangsarztverfahren
Definition
Durchgangsärzte (D-Ärzte) sind von den Landesverbänden der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (DGUV) vertraglich beteiligte Fachärzte
für Orthopädie und Unfallchirurgie, die nach der Facharztanerkennung min-
destens 1 Jahr in einer Abteilung zur Behandlung Schwer-Unfallverletzter ei-
nes zum Verletzungsartenverfahren zugelassenen Krankenhauses unfallchir- 21
urgisch tätig waren. Möchte der D-Arzt die umfassende Zulassung für das
ambulante Operieren erhalten oder an einem Krankenhaus tätig sein, muss er
Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit der Zusatzbezeichnung
„Spezielle Unfallchirurgie“ oder Facharzt für Chirurgie mit der Schwerpunkt-
bezeichnung „Unfallchirurgie“ sein. D-Ärzte, die an Krankenhäusern mit ei-
ner Zulassung zum Verletzungsartenverfahren oder Schwerstverletzungsar-
tenverfahren tätig sind, müssen darüber hinaus noch weitere Tätigkeitszeiten
nachweisen. Über die damit verbundenen besonderen Kenntnisse und Erfah-
rungen im traumatologischen Bereich hinaus müssen die Bewerber auch im
sächlichen Bereich bestimmte Anforderungen erfüllen und zur Übernahme
der vertraglichen Pflichten bereit sein.
Dem D-Arzt müssen vorgestellt werden:
• Alle über den Unfalltag hinaus arbeitsunfähigen Arbeitsunfallverletzten.
• Verletzte, wenn die Behandlungsbedürftigkeit bei weiterbestehender Arbeits-
fähigkeit voraussichtlich länger als eine Woche dauert.
• Alle Fälle der unfallbedingten Wiedererkrankung.
• Wenn die Verordnung von Heil-/Hilfsmitteln erforderlich wird.
Aufgaben des Durchgangsarztes
▶ Abb.  21.1.
• Untersuchung und fachärztliche Erstversorgung.
• Entscheidung, ob wegen Art oder Schwere der Verletzung eine besondere
unfallmedizinische Versorgung notwendig ist (ambulante oder stationäre
besondere Heilbehandlung) oder ob Maßnahmen der allgemeinen Heilbe-
handlung ausreichen.
• Durchführung der besonderen Heilbehandlung. Die allgemeine Heilbehand-
lung findet i. d. R. beim „Kassenarzt/Hausarzt“ statt! Eine Ausnahme bilden
die sog. „Sua-sponte-Fälle“, d. h., der Pat. wünscht die Behandlung beim D-
Arzt.
• Ggf. Hinzuziehung anderer Ärzte zur Klärung der Diagnose/zur Mitbehand-
lung.
• Überwachung des Heilverfahrens, ggf. durch gesonderte Einbestellung des
Verletzten.
• Bei den nicht in eigener Behandlung verbleibenden Unfallverletzten sind im
D-Arzt-Bericht (F 1000) bzw. im Nachschaubericht (F 2106) Nachschauter-
mine zu dokumentieren und dem Unfallverletzten mitzuteilen.
770 21  Das Heilverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung  

Vorstellungspflichten beim D-Arzt: Beachte:


– Wenn keine Vorstellungspflicht
– Arbeitsunfähigkeit besteht über den besteht, kann der Verletzte beim
Unfalltag hinaus oder Kassen-/Hausarzt verbleiben.
– Behandlungsbedürftigkeit dauert – Bei isolierter Augen- oder HNO-
voraussichtlich länger als 1 Woche Verletzung muss der Verletzte zum
oder entsprechenden Facharzt.
– Wiedererkrankung oder – In Fällen des
– Verordnung von Heil-und Verletzungsartenverfahrens/
Hilfsmitteln Schwerstverletzungsartenverfahrens
muss der Verletzte ins zugelassene
Krankenhaus.
– Bei Verdacht auf eine
Berufskrankheit: ärztliche BK-
Anzeige (F 6000) erstatten.

21 Aufgaben des D-Arztes:


Evtl. Hinzuziehung weiterer Ärzte zur
– Untersuchung Klärung der Diagnose/zur Mitbehandlung
– Fachärztliche Erstversorgung (z.B. ambulantes Operieren, wenn D-Arzt
– Durchgangsarztbericht (F 1000) selbst keine umfassende Berechtigung
– Evtl. Ergänzungsberichte (Kopf, hat)
Knie, Stromunfälle, schwere
Verbrennungen)
Evtl. Verordnung von Heil-/Hilfsmitteln,
Entscheidung über allgemeine oder erweiterte ambulante Physiotherapie
besondere Heilbehandlung (EAP)

Allgemeine Heilbehandlung Besondere Heilbehandlung

Behandlung durch Kassen-/Hausarzt Behandlung durch D-Arzt

Nachschautermin D-Arzt überwacht die Heilbehandlung

Überwachung der
Heilbehandlung durch D-Arzt
mittels Nachschau (F 2106)

Evtl. weitere Berichterstattung durch


den D-Arzt (spontan oder auf
Anforderung des UV-Trägers)

Abschluss Abschluss der besonderen


der Behandlung Behandlung mit F 2222

Arbeitsfähigkeit, Wiedereingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft

Abb. 21.1  Ablaufdiagramm „durchgangsärztliche Versorgung“ [L157]

Dokumentation, Berichterstattung und Information


Der Durchgangsarztbericht (F 1000) ist unverzüglich – ggf. zusammen mit einem
Ergänzungsbericht (Kopf, Knie, elektr. Strom, schwere Verbrennungen) – zu er-
  21.6 Verletzungsartenverfahren  771

statten. Weiterhin ist der D-Arzt-Bericht zu erstatten, wenn der Verletzte vom
Kassenarzt/Hausarzt mit dem Überweisungsvordruck – ÜV (F 2900) – vorgestellt
wird, der Pat. einen Arbeitsunfall als Ursache der geklagten Beschwerden angibt
oder der D-Arzt der Auffassung ist, dass ein Arbeitsunfall vorliegen könnte.

Beachte
Keine Weiterleitung der Berichte an den Betriebsarzt, außer mit ausdrückli-
cher Einwilligung des Verletzten! Der D-Arzt-Bericht ist nicht zu erstatten
bei:
• Nicht versicherten Unternehmern.
• Berufskrankheiten.
• Einer isolierten Augen-/HNO-Verletzung, wenn der Unfallverletzte an
einen entsprechenden Facharzt weitergeleitet wird.
21
• Ausstellen der AU-Bescheinigung in Fällen „eigener Behandlung“.
• Frühzeitiger Hinweis an den Unfallversicherungsträger, wenn eine Belas-
tungserprobung oder Arbeitsther. angezeigt ist oder Maßnahmen der Ar-
beits- und Berufsförderung/schulischen Förderung notwendig erscheinen.
• Verordnung einer Krankenbeförderung, von Heil-/Hilfsmitteln.

21.4 H-Arzt-Verfahren
Definition
• H-Ärzte waren Ärzte, die von den Landesverbänden der DGUV an der
Durchführung der besonderen Heilbehandlung beteiligt wurden. Waren von
der Verpflichtung, Unfallverletzte dem D-Arzt vorzustellen, befreit.
• Seit 1.1.2011 wurden keine neuen H-Ärzte mehr beteiligt. Das H-Arzt-Ver-
fahren endete mit Ablauf des 31.12.2015. H-Ärzte, die nicht in das D-Arzt-
verfahren übergeleitet wurden, sind seit dem 1.1.2016 wie ein Kassenarzt/
Hausarzt tätig.

21.5 Stationäres Durchgangsarztverfahren
Im stationären Durchgangsarztverfahren dürfen alle Verletzungen behandelt wer-
den, die über das Verletzungsartenverzeichnis nicht dem Verletzungsartenverfah-
ren oder dem Schwerstverletzungsartenverfahren zugeordnet sind (▶ 21.6, ▶ 21.7).

21.6 Verletzungsartenverfahren
Definition
Durch dieses Verfahren soll erreicht werden, dass Unfallverletzte mit bestimmten
schweren Verletzungen in dafür ausgewählte und von den Landesverbänden der
DGUV zugelassene Krankenhäuser eingewiesen werden. Beachte: Alle Ärzte sind
nach dem Ärztevertrag zur Weiterleitung solcher Verletzter in das nächste zuge-
lassene Krankenhaus verpflichtet. Hiervon ausgenommen sind nur Fälle der Ziffer
8 des Verletzungsartenverzeichnisses, wenn es sich bei dem behandelnden Arzt
um einen Handchirurgen nach § 37 Abs. 1 ÄV handelt, der zur Behandlung Ar-
beitsunfallverletzter von einem Landesverband der DGUV zugelassen ist.
772 21  Das Heilverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung  

21.7 Schwerstverletzungsartenverfahren
Definition
Seit 1.1.2013 wurde das bisherige zweistufige stationäre Heilverfahren in der ge-
setzlichen Unfallversicherung (stationäres Durchgangsarztverfahren und Verlet-
zungsartenverfahren) durch das Schwerstverletzungsartenverfahren erweitert. An
dieser dritten stationären Versorgungsstufe nehmen Krankenhäuser teil, die von
den Landesverbänden der DGUV eine Zulassung erhalten haben. Die Zuwei-
sungspflichten entsprechen denen im Verletzungsartenverfahren.

Im Verletzungsarten- und Schwerstverletzungsartenverfahren ist die allge-


meine Heilbehandlung grundsätzlich nicht möglich! Die Dokumentations-,
Berichts- und Informationspflichten entsprechen denen des D-Arzt-Verfah-
21 rens (▶ 21.3).

Verletzungsartenverzeichnis
• Ob eine Verletzung dem Verletzungs- oder Schwerstverletzungsartenverfah-
ren zugeordnet wird, ergibt sich aus dem Verletzungsartenverzeichnis.
• „Erläuterungen zum Verletzungsartenverzeichnis“ geben zusätzliche Hinwei-
se für die Zuordnung bestimmter Verletzungen.
• Verletzungsartenverzeichnis und dazugehörende „Erläuterungen“ können je-
weils in der aktuellen Version von der Internetseite der Landesverbände der
DGUV heruntergeladen werden (www.dguv.de/landesverbaende).

21.8 Rehabilitationsverfahren
Physikalische Therapie
• D-Arzt, Handchirurg nach § 37 Abs. 1 ÄV oder hinzugezogener Arzt nach §
12 ÄV dürfen Leistungen zur Physikalischen Ther. verordnen (F 2400), ande-
re Ärzte nur nach vorheriger Zustimmung des Unfallversicherungsträgers.
• Nach 2 Wo. Physikalischer Ther. ist eine Kontrolluntersuchung beim verord-
nenden Arzt erforderlich.
• Die Maßnahme „KG am Gerät“ gibt es in der gesetzlichen Unfallversicherung
nicht. Stattdessen muss eine Medizinische Trainingstherapie (MTT) verord-
net werden, die ausschließlich im Rahmen einer Erweiterten Ambulanten
Physiother. erbracht werden darf.

Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP)


• Bestandteile der EAP sind die physikalisch-therapeutischen Maßnahmen und
die Medizinische Trainingsther. (MTT), wobei die MTT in der EAP auch iso-
liert verordnet werden kann.
• Orientierende Richtwerte für den Therapieplan sind: 30 Min. KG, 60 Min.
MTT, 30 Min. Hydro-/Mechano-/Elektrotherapie/fakultative Maßnahmen.
• EAP wird vom D-Arzt oder Handchirurg nach § 37 Abs. 3 ÄV verordnet (F
2410) und muss vom Unfallversicherungsträger genehmigt werden.

Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung (BGSW)


• BGSW umfasst die in zeitlichem Zusammenhang zur Akutbehandlung ste-
henden medizinisch indizierten stationären Leistungen zur medizinischen
  21.8 Rehabilitationsverfahren  773

Rehabilitation. Sie umfasst den Zeitraum, in dem bei schweren Verletzungen


des Stütz- und Bewegungsapparats oder des zentralen und peripheren Ner-
vensystems zur Optimierung des Rehabilitationserfolges ambulante Leistun-
gen nicht ausreichen.
• Ind.: Verletzungen, die nach dem Verletzungsartenverzeichnis dem Verlet-
zungs- (VAV) oder Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) zugeordnet
sind.
• BGSW muss vom D-Arzt oder Handchirurg nach § 37 Abs. 3 ÄV verordnet
(F 2150) und vom Unfallversicherungsträger genehmigt werden.
• BGSW wird für 4 Wo. verordnet und umfasst bei Verletzung des Stütz- und
Bewegungsapparats 3 h aktive therapeutische Einzelleistungen/d bei einer tgl.
Mindest-Gesamtnettozeit (einschließlich Gruppenbehandlung) von 4 h.

Arbeitsplatzbezogene Muskuloskelettale Rehabilitation (ABMR) 21


• Ind.: Wenn während der medizinischen Rehabilitation zusätzlich konkrete
benötigte arbeitsrelevante Aktivitäten in die Therapie integriert werden sol-
len.
• Inhalte: Behandlungsinhalte der EAP bzw. BGSW sowie arbeitsplatzbezogene
Therapieelemente Ergotherapie (mit Schwerpunkt Arbeitstherapie), Work-
Hardening, Arbeitssimulationstraining und fakultativ durchgeführtes Praxis-
training.
• Der Pat. muss über eine medizinische Grundbelastbarkeit von mind. 3 h/d
arbeitsplatzbezogene Therapie verfügen.
• Prognostisch ist das Erreichen der Arbeitsfähigkeit grundsätzlich innerhalb
von 4 Wo. erforderlich.
• Der Leitende Arzt der Einrichtung beantragt die ABMR (F 2162). Eine Ver-
ordnung des D-Arztes oder eines anderen dazu bevollmächtigten Arztes be-
darf es nicht.

Psychotherapeutenverfahren
• Dient der sofortigen psychologisch-therapeutischen Betreuung nach Arbeits-
unfällen, um die Entstehung oder Chronifizierung von psychischen Gesund-
heitsschäden frühzeitig entgegenzuwirken.
• D-Arzt oder Unfallversicherungsträger leitet Ther. bei zugelassenen Thera-
peuten ein.
• An den Verfahren beteiligte Ärzte, Einrichtungen, Therapeuten und weitere
Informationen zu den Heilverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung
können auf der Internetseite der Landesverbände der DGUV abgerufen wer-
den (www.dguv.de/landesverbaende).
22 Begutachtung
Gerhard Scheller

22.1 Der Orthopäde als 22.3.3 Gesetzliche Rentenversiche-


­Gutachter 776 rung 783
22.2 Arten von Gutachten 777 22.3.4 Schwerbehindertenrecht 785
22.3 Besonderheiten einzelner 22.4 Hinweise für den ärztlichen
Rechtsgebiete 779 Gutachter 786
22.3.1 Gesetzliche Unfallversicherung 22.5 Hinweise zum Untersuchungs-
(GUV) 779 gang 787
22.3.2 Private Unfallversicherung 781
776 22 Begutachtung 

22.1 Der Orthopäde als Gutachter


Gutachtenanforderungen
Fast alle Gutachten werden im Rahmen der in Deutschland vorhandenen oder
möglichen sozialen Absicherung erstellt (▶ Tab.  22.1).

Tab. 22.1  Soziale Absicherung in der BRD


Sozialversicherung Privatversicherung Soziales Entschädigungs-
recht

• Krankenversicherung • Krankenversicherung • Bundesversorgungsge-


(Pflichtversicherung, öf- • Unfallversicherung setz (BVG)
fentlich-rechtlicher Trä- • Lebensversicherung • Soldatenversorgungsge-
ger) • Private Rentenversiche- setz (SVG)
• Gesetzliche Unfallversi- rung • Zivildienstgesetz (ZDG)
cherung • Haftpflichtversicherung • Häftlingshilfegesetz
• Arbeitslosenversiche- • Private Berufsunfähig- (HHG)
rung keitsversicherung • Inf.-Schutzgesetz (ISchG)
• Rentenversicherung • Private Pflegeversiche- • Gesetz über die Ent-
• Pflegeversicherung rung schädigung für Opfer
22 von Gewalttaten (OEG)

Gesetzliche und verwaltungstechnische Verpflichtung zum Gutachten: Der approbierte


Arzt ist im Gerichtsverfahren verpflichtet, auf Aufforderung ein Gutachten zu erstatten.
Eine Entbindung ist lediglich bei Befangenheit, verwandtschaftlichen Beziehungen
oder zeitlicher Überlastung möglich. Das Gutachten ist persönlich zu erstellen.

Anfordernde Institutionen: Träger der Krankenversicherung, gesetzlichen Un-


fallversicherung, Rentenversicherung; private Versicherungsgesellschaften, Ver-
sorgungsamt, Arbeitsamt, Sozial-, Zivil- und Strafgerichte.
Gerichtszuständigkeiten: Streitigkeiten in den Sozialversicherungszweigen, im
sozialen Entschädigungsrecht und im Rahmen des Schwerbehindertengesetzes:
Entscheid durch die Sozialgerichte bzw. deren höhere Instanzen. Streitigkeiten im
Bereich der Privatversicherung werden durch Klageverfahren bei den Amts-,
Land- und Oberlandesgerichten behandelt.

Anforderungen an den Gutachter

Beurteilen statt entscheiden, die Entscheidung ermöglichen


Der ärztliche Sachverständige ist Wissensvermittler des jeweiligen Auftrag-
gebers. Er entscheidet das Verfahren nicht, seine Aufgabe ist auf die Feststel-
lung medizinischer Befund- und Verlaufstatsachen begrenzt. Es folgt die
Beurteilung dieser Befunde unter Berücksichtigung der verletzungs- bzw.
krankheitsspezifischen Verlaufsinformationen. Dabei ist zu unterscheiden
zwischen der Beurteilung der Wertigkeit von Befunden (Zustandsgutachten)
und/oder deren Ursachen (Zusammenhangsgutachten). Die Entscheidung
obliegt den Versicherungsträgern und den Gerichten. Die sachverständige
Meinung, ihre Begründung und Argumentation ist deshalb in einer dem me-
dizinischen Laien (Versicherten, Träger der Sozialversicherung, Sozialrich-
ter) verständlichen Sprache zu formulieren. Die gestellten Fragen sollen klar
und eindeutig beantwortet werden. Der begutachtende Arzt sollte seine Ein-
schätzung (dem Untersuchten) während der Untersuchung nicht mitteilen.
   22.2  Arten von Gutachten  777

Gutachtengrundlage: Grundlage ist meist die klin. Untersuchung. Gutachtener-


stellung nach Aktenlage kann ausreichend sein, falls der Sachverhalt aufgrund
vorhandener Unterlagen klar beurteilbar ist oder wenn aufgrund spezieller Frage-
stellung oder Situation des Einzelfalls eine weitere Untersuchung keine neuen Ge-
sichtspunkte bringen kann.
Ärztliche Schweigepflicht: Unterschiedlich geregelt:
• Sozialversicherung und Sozialgerichtsbarkeit: Gesetzliche Regelungen; ange-
schriebener Arzt ist verpflichtet, Auskunft zu erteilen.
• Privatversicherung: Entbindung von der Schweigepflicht durch Anerkennung
der Versicherungsbedingungen durch den Versicherten.
• Haftpflichtversicherung und Zivilprozesse: Evtl. problematisch, schriftliche
Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht muss vorliegen. Im Zweifels-
fall: Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vor der gutachterlichen
Untersuchung nochmals schriftlich bestätigen lassen!
Betrugsversuche durch den Untersuchten: Bei entsprechenden Hinweisen hat
sich der Gutachter nicht kriminalistisch zu betätigen. Er hat jedoch die Aufgabe,
entsprechende Verdachtsmomente mitzuteilen:
• V. a. Simulation oder Aggravation kann vom Gutachter geäußert werden.
• Verdacht durch Tatsachen begründen, z. B. stark differente Bewegungsaus- 22
maße in anatomisch identischen Untersuchungssituationen.
Gutachten als behandelnder Arzt: Nur in begründeten Ausnahmefällen auf
Wunsch oder im Auftrag seines Pat. oder dessen Rechtsanwalt in einem Streit-
oder Klageverfahren. Hierbei besteht immer die Gefahr bzw. der Verdacht der
Befangenheit.
• Amtliche/gerichtliche Verfahren: Dem Pat. klar machen, dass man als behan-
delnder Arzt i. d. R. von Amts wegen oder vom Gericht ohnehin zu einer
sachverständigen Zeugenaussage aufgefordert wird. Der Pat. kann die ent-
sprechende Behörde auffordern, eine solche Auskunft des behandelnden Arz-
tes einzuholen.
• Privates Streitverfahren: Bei Gutachten für eine Privatperson in einem
Streitverfahren vollständige Akteneinsicht unumgänglich. Ansonsten ist
das Gutachten möglicherweise auf falschen Voraussetzungen aufgebaut
und damit wertlos. Man kann seinen Pat. darauf hinweisen, dass in einem
Klageverfahren die Möglichkeit besteht, ein „Gegengutachten“ durch ei-
nen Arzt der eigenen Wahl nach Beauftragung durch das Gericht erstellen
zu lassen.

22.2 Arten von Gutachten


Ärztliches Attest
• Bescheinigung über einen Tatbestand oder Gesundheitszustand. Wird i. d. R.
durch den behandelnden Arzt ausgestellt. Beispiele:
– Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU).
– Attest zur Vorlage beim Versorgungsamt.
– Attest zur Erlangung von Krankentagegeld.
• In Attesten sind nur objektiv korrekte und sachlich begründete Aussagen zu
machen. Der behandelnde Arzt sollte keine den Wünschen seines Pat. entge-
genkommende, sachlich aber nicht begründete oder nicht vollständig begrün-
dete Bescheinigung abgeben.
778 22 Begutachtung 

Formulargutachten
• Regelfall in der gesetzlichen Unfallversicherung, z. B. erstes Rentengutachten,
zweites Rentengutachten zur Rentennachprüfung, zweites Rentengutachten
zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit, zweites Rentengutachten im
Anschluss an eine Gesamtvergütung.
• Häufig in privater Unfallversicherung.
• Regelung im Ärzteabkommen, Formulargutachten hauptsächlich auf chir.,
unfallchir. und orthop. Fachgebiet.
• Erleichtern und beschleunigen die Erstellung eines Gutachtens.
• Werden oft durch die behandelnden Ärzte erstellt.
• Aussagefähigkeit solcher Formblätter ist begrenzt, sie eignen sich für erste
ärztliche Berichte, ärztliche Verlaufskontrollen und ggf. auch für die Ab-
schlussbegutachtung unkomplizierter Fälle bzw. Fragestellungen.

Freie Gutachten
• Zusammenhangsgutachten, Hauptfrage: Ursächlichkeit des Schadensbildes.
• Gutachtenform der Wahl bei abschließenden Begutachtungen zur Festlegung
des Dauerschadens, wissenschaftlich begründeten Gutachten und Gerichts-
gutachten.
22
Zusatzgutachten anderer Fachgebiete
• Kann einerseits bereits vom Auftraggeber vorgeschlagen und genehmigt sein,
andererseits kann aufgrund der Aktenlage dem beauftragten Gutachter ein
solches Zusatzgutachten notwendig erscheinen und er kann es vor der or-
thop./unfallchir. Untersuchung genehmigen lassen
• Manchmal wird erst bei der gutachterlichen Untersuchung aufgrund der erho-
benen Befunde eine Zusatzbegutachtung wünschenswert und erforderlich. Die-
se soll dann im Nachhinein genehmigt und durchgeführt werden. Die zusam-
menfassende Würdigung erfolgt durch den Hauptgutachter nach Eingang des
Zusatzgutachtens. In der gesetzlichen Unfallversicherung muss der Versicherte
vor der Zusatzbegutachtung sein Einverständnis schriftlich erklären.

Apparative Zusatzuntersuchungen
• Umfang und Notwendigkeit apparativer Zusatzuntersuchungen wie Labor,
Rö ergeben sich aus der Fragestellung und dem klin. Untersuchungsbefund.
Bei isolierten Verletzungsfolgen, z. B. der unteren Extremitäten, ist es u. U.
gerechtfertigt, nur diese sehr detailliert zu untersuchen und sich zu Rumpf
bzw. oberer Extremität nur kursorisch zu äußern.
• Sofern eine fachgerechte Beurteilung möglich ist, sollten die in den letzten
6–12 Mon. angefertigten Rö-Bilder herangezogen und berücksichtigt werden,
um zusätzliche Strahlenbelastungen zu vermeiden und Kosten einzusparen.
Unfallbilder bzw. eine Verlaufsserie sind bei bestimmten Fragestellungen ob-
ligat, z. B. bei der Frage einer fortschreitenden sek. Arthrose oder bei der Be-
gutachtung von HWS-Verletzungen.
• Bei sog. „Ganzkörperschmerz“ ist es nicht erforderlich, „den ganzen Men-
schen“ zu röntgen. Hier ist es z. B. mögl., bei beidseitigen Schulterbeschwer-
den nur die schmerzhaftere Schulter zu röntgen.
• Ind. zur Vergleichsaufnahme der unverletzten Gegenseite eng und kritisch
stellen.
• Angeforderte Fremdröntgenbilder bei den Rö-Befunden auflisten. Einzelbe-
fundung ist ggf. nicht erforderlich, es kann kursorisch auf die evtl.
   22.3  Besonderheiten einzelner Rechtsgebiete  779

Fremdröntgenserien eingegangen werden. Bei speziellen Fragestellungen ist


jedoch auch eine Einzelbefundung gerechtfertigt.

22.3 Besonderheiten einzelner Rechtsgebiete


Vertiefung der im Folgenden ausgewählten Gesichtspunkte durch Spezialliteratur.

22.3.1 Gesetzliche Unfallversicherung (GUV)

Die Aufgaben der GUV sind:


• Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (Prävention).
• Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Versi-
cherten bei eingetretenen Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (Reha-
bilitation).
• Entschädigung der Unfallverletzten oder ihrer Hinterbliebenen durch
Geldleistungen (Kompensation).
22
Träger der GUV
• Gewerbliche Berufsgenossenschaften.
• Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung.
• Bundesagentur für Arbeit: Zuständig für Arbeitslose und Teilnehmer an
Reha-Maßnahmen bei bestimmten Tätigkeiten.
• Gemeindeunfallversicherungsverbände: Zuständig für ihre Beschäftigten, für
Kindergartenkinder, Schüler und Studenten, für Hilfeleistende bei Unfällen.

Versicherter Personenkreis
Beschäftigte aufgrund eines Arbeits-, Dienst- und Lehrverhältnisses, Selbstständi-
ge auf Antrag, Hilfeleistende bei Unfällen, Personen bei ehrenamtlicher Tätigkeit,
Zeugen bei Gerichtsterminen, Entwicklungshelfer, Hilfeleistende bei Straftaten,
Blut- und Organspender, Kindergartenkinder, Schüler, Studenten, Arbeitslose,
Sozialhilfeempfänger und Teilnehmer an Reha-Maßnahmen bei bestimmten Tä-
tigkeiten, Eigenheimbauer und Mithelfende.

Versicherte Risiken
Arbeitsunfall: Unfall, den ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit (z. B.
betriebliche Tätigkeit, Besuch des Kindergartens, der Schule oder Hochschule,
Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit) erleidet. Ein Unfall ist ein von außen
einwirkendes, zeitlich begrenztes (dazu gehört auch eine erheblich über der Norm
liegende Belastung für die Dauer max. einer Arbeitsschicht), unfreiwilliges Ereig-
nis, das einen Gesundheitsschaden bewirkt. Der Kausalzusammenhang zwischen
der versicherten Tätigkeit und dem Unfall sowie zwischen dem Unfall und einem
eingetretenen Gesundheitsschaden muss zumindest mit Wahrscheinlichkeit vor-
liegen. Ein Arbeitsunfall liegt nicht vor, wenn eine der Bedingungen – Versicher-
ter, versicherte Tätigkeit, Unfall, Gesundheitsschaden – fehlt.
Wegeunfall: Gilt als Arbeitsunfall.
Berufskrankheit: Erkr., die in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) auf-
gelistet ist und die der Betroffene durch die Ausübung seiner versicherten Tätig-
keit erleidet (▶ Tab.  22.2).
780 22 Begutachtung 

Tab. 22.2  Berufskrankheiten in der Orthopädie


Nummer Berufskrankheit

2101 Erkr. der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Seh-
nen oder Muskelansätze

2102 Meniskusschäden nach mehrjärigen andauerenden oder häufig wieder-


kehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten

2103 Erkr. durch Erschütterungen bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder


gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen

2104 Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen

2105 Chron. Erkr. der Schleimbeutel durch ständigen Druck

2106 Druckschädigung der Nerven

2107 Abrissbrüche der Wirbelsäule

2108 Bandscheibenbedingte Erkr. der LWS durch langjähriges Heben und


Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer
Rumpfbeugehaltung
22
2109 Bandscheibenbedingte Erkr. der HWS durch langjähriges Tragen schwe-
rer Lasten auf der Schulter

2110 Bandscheibenbedingte Erkr. der LWS durch langjährige, vorwiegend


vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen

2112 Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebel-


astung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitsle-
bens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungszeit
von insgesamt 1 Stunde pro Schicht

Weiterhin gibt es noch Berufskrankheiten außerhalb der Liste nach § 9 Absatz 2


SGB VII.

Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)


Erwerbsfähigkeit im Sinne der GUV ist die Fähigkeit, auf Erwerb gerichtete Ar-
beitstätigkeit auszuüben. Daraus ergibt sich, dass die Minderung oder der Ausfall
von Fähigkeiten, also von Körper- oder Gliedmaßenfunktion, den Maßstab bildet
für die Bewertung und nicht etwa anatomische Defekte oder Schäden.
MdE: Abstrakte Bestimmung des körperlichen Schädigungsgrads ohne Berück-
sichtigung der speziellen beruflichen Tätigkeit. Ein in Fehlstellung verheilter Ra-
diusbruch bedingt somit nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit bei einem
Handwerker und bei einem Schreibtischarbeiter eine gleich hohe MdE.
MdE-Bemessung: Die (auf den allg. Arbeitsmarkt zu beziehende bzw. nach Aus-
schöpfung aller Erwerbsmöglichkeiten noch vorhandene) MdE ergibt sich aus der
Differenz der Werte: Individuelle Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor dem Ar-
beitsunfall (mit 100 % anzusetzen) und Ausmaß der nach dem Unfall verbliebe-
nen Erwerbsfähigkeit. Bei der Bemessung der MdE ist ggf. eine besondere berufli-
che Betroffenheit zu berücksichtigen.

Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung


• Heilbehandlung.
• Pflege, Pflegegeld.
   22.3  Besonderheiten einzelner Rechtsgebiete  781

• Berufshilfe, d. h. Maßnahmen zur Erhaltung bzw. Umgestaltung des Arbeits-


platzes, Berufsfindung, Umschulung, Fortbildung.
• Übergangsgeld wird gezahlt, solange der Versicherte infolge eines Arbeitsun-
falls arbeitsunfähig ist und die gesetzliche Lohnfortzahlung abgelaufen ist. Es
endet mit Zahlungsbeginn einer Verletztenrente. Übergangsgeld wird auch
gezahlt, wenn ein Versicherter wegen eines Versicherungsfalls berufsfördern-
de Leistungen erhält und deshalb eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht aus-
üben kann, max. bis zur 78. Wo.
• Leistungen wegen Hilflosigkeit.
• Hinterbliebenenversorgung, z. B. Witwen- oder Waisenrente.
• Verletztenrente wird bezahlt, wenn über die 26. Wo. nach dem Arbeitsunfall
eine entschädigungspflichtige MdE vorliegt.
• Ausgezahlt wird eine Unfallrente ab einer MdE von 20 %.
• Jeder Unfall wird gesondert bewertet und ggf. gesondert berentet. Eine Ver-
letztenrente wird normalerweise zunächst als vorläufige Rente gewährt.
• Spätestens 3 J. nach dem Unfall muss eine Dauerrente festgelegt werden. Eine
vorläufige Rente wird automatisch zur Rente auf unbestimmte Zeit, wenn
nicht rechtzeitig eine Neufeststellung erfolgt. Vorläufige Renten können nur
verändert werden, wenn eine wesentliche Änderung (um > 10 %) eingetreten
ist. Lediglich bei der Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit kann die
22
MdE frei eingeschätzt werden. Ein Nachweis einer wesentlichen Veränderung
ist in diesem Fall nicht erforderlich.
• Beginn der Verletztenrente: Ab der 26. Wo. oder mit dem Tag nach dem Un-
fall bei Kindergartenkindern, Schülern, Studenten oder wenn Arbeitsunfähig-
keit nicht eingetreten ist oder aber nach Abschluss der Heilbehandlung bzw.
der Berufshilfemaßnahmen, wenn Arbeitsfähigkeit nicht wieder eintritt.

22.3.2 Private Unfallversicherung

Gutachten im Rahmen der privaten Unfallversicherung unterscheiden sich


im Hinblick auf Form und Inhalt nicht wesentlich von denen im Rahmen der
gesetzlichen Unfallversicherung.

Träger
Privatrechtlich organisierte Versicherungsgesellschaften.

Versicherter Personenkreis
• Private Unfallversicherung schützt Versicherte vor finanziellen Folgen eines
Unfalls im Versicherungszeitraum und entsprechend den vertraglich verein-
barten Leistungen. Versichert sind die im Versicherungsvertrag genannten
Personen.
• Geisteskranke, Blinde, Epileptiker und andauernd Arbeitsunfähige sind nicht
versicherungsfähig.

Versicherte Risiken
Unfall: Unfälle, die dem Versicherten während der Vertragsdauer zustoßen. Als
Unfall gilt, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen einwirkendes Er-
eignis unfreiwillig einen Gesundheitsschaden erleidet.
782 22 Begutachtung 

Andere Verletzungen: Abweichend von der GUV besteht ein erweiterter Versi-
cherungsschutz für Folgen von Kraftanstrengungen beschränkt auf Verrenkun-
gen, Zerrungen und Zerreißungen an Gliedmaßen und Wirbelsäule. Ebenso versi-
chert sind Inf., wenn diese durch eine Verletzung hervorgerufen wurden.
Nicht versichert sind: Berufskrankheiten, Unfälle im Zusammenhang mit Krieg
oder Verbrechen, Krampf- und Schlaganfälle, Heilmaßnahmen, Vergiftungen,
Inf.-Krankheiten, Schäden durch Strahlen, Temperatur, Licht, Witterungseinflüs-
se, psychische Schäden.

Leistungen
Je nach Versicherungsvertrag: Heilkosten, Zahlung bei Todesfall, Krankenhaus-
tagegeldzahlung, Krankentagegeldzahlung, Zahlung bei Invalidität als Rente oder
einmalige Abfindung.
Tagegeldversicherung: Berücksichtigung der „Beeinträchtigung im Berufsleben“,
also der speziellen beruflichen Tätigkeit des Versicherten. Entsprechend erfolgt
eine Abstufung in Prozentwerten. Während eines stationären Aufenthalts im
Krankenhaus ist normalerweise eine 100-prozentige berufliche Beeinträchtigung
anzunehmen, dann erfolgt eine Abstufung unter Berücksichtigung des Verlet-
zungsmusters und der beruflichen Tätigkeit.
22 Invaliditätsversicherung: Einschätzung nach abstrakten Werten der „Gliederta-
xe“ nach Arm-, Bein-, Hand-, Fußwert usw. Verletzungsfolgen an Rumpf, WS
und Becken werden mit einem Prozentwert entsprechend dem individuellen In-
validitätsgrad unter Berücksichtigung des Berufs eingeschätzt.
• Die dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit (Invalidität) muss nach 1
J. bzw. 15 Mon. durch den Versicherten geltend gemacht werden bzw. ärzt-
lich festgestellt sein. Die abschließende Einschätzung eines Dauerschadens
muss längstens vor Ablauf des 3. Unfalljahrs erfolgen.
• Der Wert der Gliedertaxe bezieht sich auf die verletzte Gliedmaße
(▶ Tab.  22.3). Die MdE der GUV drückt einen prozentualen Schädigungsgrad
bezogen auf die gesamte Person aus. Somit ist klar, dass etwa eine Umrech-
nungsformel zwischen MdE und Gliedertaxe nicht sinnvoll und nicht an-
wendbar ist. Die Einschätzung bei teilweiser Gebrauchsminderung einer
Gliedmaße erfolgt in Bruchteilen, z. B. ½ Beinwert, 1⁄10 Armwert, 1⁄20 Fußwert.

Tab. 22.3  Beispiele fester Invaliditätswerte


Verletzung Invaliditätswert

Verlust eines Arms im Schultergelenk 70 % (entspr. Armwert)

Verlust einer Hand im Handgelenk 55 % (entspr. Handwert)

Verlust eines Daumens 20 %

Verlust eines Zeigefingers 10 %

Verlust eines Beins Mitte Oberschenkel 70 % (entspr. Beinwert)

Verlust eines Beins unter dem Knie 50 %

Verlust eines Fußes im Sprunggelenk 40 % (entspr. Fußwert)

Verlust einer Großzehe 5 %

Verlust einer anderen Zehe 2 %


   22.3  Besonderheiten einzelner Rechtsgebiete  783

Tab. 22.3  Beispiele fester Invaliditätswerte (Forts.)


Verletzung Invaliditätswert

Verlust beider Augen 100 %

Verlust eines Auges 30 %

Verlust des Geruchsinns 10 %

Verlust des Geschmacksinns 5 %

Bei der Mitwirkung von unfallunabhängigen Körperschäden wird die Leistung


gekürzt. Unterschieden werden muss zwischen einer Mitwirkung am Eintritt der
Gesundheitsschädigung und der Mitwirkung an deren Folgen. Der Wirkungsan-
teil muss mindestens 25 % betragen.

Beispiel: Riss der Achillessehne mit verbleibender Funktionseinschränkung im


Sprunggelenk bei deg. Vorschädigung (25 %)
– Versicherungssumme: 50.000 Euro bei Invalidität.
– Beinwert = 70 % der Versicherungssumme. 22
– Bewertung: 1⁄10 Beinwert.
– Vorschaden: 25 %, Unfallschaden: 75 %.

Unfallschaden Bewertung Versicherungssumme Auszahlung


0,75 × 0,7 × 0,1 × € 50.000,00 € 2.625,00

22.3.3 Gesetzliche Rentenversicherung
Aufgaben
Sichert den Lebensunterhalt des Versicherten und seiner Hinterbliebenen im Al-
ter, bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Todesfall. Ferner gewährt sie medi-
zinische und berufliche Reha-Maßnahmen.

Träger
Bundesträger der Deutschen Rentenversicherung:
• Deutsche Rentenversicherung Bund.
• Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See.
Leistungen
Reha-Maßnahmen, Rente wegen voller/teilweiser Erwerbsminderung, Altersru-
hegeld, Hinterbliebenenrente.
Rente wegen Erwerbsminderung: Die Erwerbsminderungsrente ersetzt seit dem
1.1.2001 die vorherigen gesetzlichen Rentenarten Berufsunfähigkeitsrente und
Erwerbsunfähigkeitsrente. Der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung er-
gibt sich seither allein aus dem sog. Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt.
• Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung: Ein Versicherter, der unter den
üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch zwischen
3 und 6 h tgl. erwerbstätig sein kann, erhält Rente wegen teilweiser Erwerbs-
784 22 Begutachtung 

minderung. Die Höhe dieser Rente beträgt die Hälfte der Rente wegen voller
Erwerbsminderung.
• Rente wegen voller Erwerbsminderung: Ein Versicherter, der unter den übli-
chen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter 3 h tgl.
erwerbstätig sein kann, erhält eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die Renten wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung werden grundsätzlich
zunächst als Rente auf Zeit (längstens 3 J., kann wiederholt werden) und nicht
mehr von Anfang an als Dauerrente gezahlt. Nach 3 J. ist der Gesundheitszustand
des Versicherten zu überprüfen. Unbefristet wird die Rente nur geleistet, wenn es
unwahrscheinlich ist, dass die MdE behoben werden kann. Hiervon ist auszuge-
hen, wenn die Gesamtdauer der Befristung bereits 9 J. beträgt. Für Arbeitslose, die
nach der Neuregelung noch 3–6 h tgl. erwerbstätig sein können, gilt allerdings der
Arbeitsmarkt für eine Vermittlung für eine dem verbliebenen Restleistungsvermö-
gen entsprechende Erwerbstätigkeit als verschlossen. Sie erhalten dann eine Rente
wegen voller Erwerbsminderung.
Gutachten: Im Gutachten bei Rentenstreitsachen ist das zeitliche Leistungsvermö-
gen des Untersuchten festzustellen bzw. sind bestimmte Tätigkeitsmerkmale auszu-
schließen. So darf eine MdE z. B. von 60 % in der GUV nicht mit einem Absinken
der Erwerbsfähigkeit um mehr als die Hälfte im Rentenrecht gleichgesetzt werden.
22
Die Beurteilung im Rahmen der Rentenversicherung wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit steht in keiner Beziehung z. B. zur MdE der GUV oder zum
GdB (Grad der Behinderung) im Schwerbehindertenrecht.

Beweisfragen
In Gutachten bei Rentenstreitsachen ist keine Aussage zu machen über eine teil-
weise oder volle Erwerbsminderung. Das zeitliche Leistungsvermögen ist festzu-
stellen bzw. bestimmte Tätigkeitsmerkmale sind auszuschließen. Die Beweisfra-
gen im Sozialgerichtsverfahren wegen Rentenstreitigkeiten sind weitgehend stan-
dardisiert:
• Welche Krankheiten oder andere Gebrechen oder Schwächen der körperli-
chen und geistigen Kräfte liegen vor? Welche körperlichen und geistigen
Funktionen werden dadurch beeinträchtigt?
• Welchen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben diese Gesundheitsstörungen?
• Welche Tätigkeiten sind ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit – sei
es auch nur mit Einschränkungen – noch möglich und welche sind zu ver-
meiden? Beispiele: Schwere – mittelschwere – leichte körperliche Arbeiten
mit Heben und Tragen von Lasten bis zu wie vielen kg, dauerndes/überwie-
gendes Stehen – Gehen – Sitzen – gleichförmige Körperhaltung (welche?) –
häufiges Bücken – Treppensteigen – Arbeiten auf Leitern und Gerüsten; Ak-
kord-, Fließband-, Schicht-, Nachtarbeit; Arbeiten in Kälte – unter Wärme-
einfluss – unter Einwirkung von Staub, Gasen und Dämpfen, Nässe – Arbei-
ten im Freien; besondere Beanspruchung des Gehörs oder des Sehvermögens
– Publikumsverkehr – Arbeiten an Schreibmaschinen; besondere geistige Be-
anspruchung (welcher Art?) – erhöhte bzw. hohe Verantwortung.
• Bis zu welcher Höchstdauer je Arbeitstag können die noch möglichen Tätigkeiten
ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit durchgeführt werden? Unter 3 h,
zwischen 3 und 6 h, über 6 h? Bitte die einzelnen Tätigkeiten getrennt beurteilen!
• Sind besondere Arbeitsbedingungen unerlässlich (z. B. betriebsunübliche
Pausen, ggf. in welchen Abständen und wie lange; besonders gestaltetes
   22.3  Besonderheiten einzelner Rechtsgebiete  785

­ rbeitsgerät)? Bedingen die Gesundheitsstörungen Beschränkungen des Ar-


A
beitswegs (z. B. hinsichtlich Zeitdauer, Art des Verkehrsmittels)?

22.3.4 Schwerbehindertenrecht
Grundlagen
Behinderung: Im Sinne des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) regelwidriger
körperlicher, geistiger und seelischer Zustand, der nicht nur vorübergehend (= 6
Mon.) einen GdB von mind. 10 % bedingt. Regelwidrig ist ein Zustand, der von
dem für das Lebensalter typischen abweicht. Normale Alterserscheinungen be-
dingen somit keinen GdB!
Rechtsgrundlage: Gesetz zur Sicherung und Eingliederung Schwerbehinder-
ter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (SchwbG). Feststellung der Schwerbehin-
derteneigenschaft und des GdB wird von den Versorgungsämtern vorgenom-
men.

Schwerbehinderte
Personen, die körperlich, geistig oder seelisch behindert sind und aufgrund ihrer
Behinderungen in allen Lebensbereichen, nicht nur im allg. Erwerbsleben, einen 22
Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 % aufweisen.

Grad der Behinderung (GdB)


Kennzeichen: Der Grad der Behinderung ist prinzipiell unabhängig vom ausge-
übten Beruf. Aus dem GdB ist nicht auf die Leistungsfähigkeit bzw. auf Leistungs-
voraussetzungen in anderen Rechtsgebieten zu schließen.
Gesamt-GdB: Darf nicht rechnerisch ermittelt werden. Maßgebend sind die Aus-
wirkungen der einzelnen Behinderungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichti-
gung ihrer gegenseitigen Beeinflussung und Beziehung. Ein Vergleich mit festste-
henden GdB-Werten der entsprechenden Tabellen ist bei der Gesamtwürdigung
anzustellen. Ausgangspunkt bei der Ermittlung des Gesamt-GdB ist der führende
GdB. Auch mehrere leichte Einzel-GdBs von 10 % bedingen normalerweise keinen
höheren Gesamt-GdB. Auch ein Einzel-GdB von 20 % führt nicht regelhaft zu ei-
ner Erhöhung des führenden GdB.

Merkzeichen im Schwerbehindertengesetz
„G“: Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr
• In seiner Beweglichkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist,
wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere
Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähig-
keit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für
sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurücklegen kann, die
­üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden können (entspricht
2.000 m).
• Die Voraussetzung gilt als erfüllt, wenn ein GdB von mindestens 50 % im Be-
reich der unteren Extremität und/oder der LWS vorliegt.
• Bei einem GdB von 40 % in den genannten Körperabschnitten ist „G“ eben-
falls möglich, wenn sich diese Behinderung auf die Gehfähigkeit besonders
auswirkt, z. B. eine AVK, eine Versteifung von Hüfte, Knie oder Fuß in un-
günstiger Stellung.
786 22 Begutachtung 

„aG“: Außergewöhnliche Gehbehinderung


• Personen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder
Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewe-
gen können.
• Hierzu zählen u. a.: Querschnittsgelähmte, Doppel-OS- und -US-Amputierte,
Hüftexartikulierte und einseitig OS-Amputierte, die dauernd außerstande
sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen kön-
nen oder zugleich am US oder Arm amputiert sind.

22.4 Hinweise für den ärztlichen Gutachter


Vorbereitende Begutachtungsarbeiten
Prüfung des Gutachtenauftrags: Begutachtensfragen verständlich und präzise,
vollständig und geeignet? Notwendige Spezialuntersuchungen? Zusatzgutachten?

Allgemeine Regeln
Neutralität des Gutachters bei der Untersuchung: Wahren der Interessen der
Beteiligten. Gegenüber der Untersuchungsperson neutral verhalten. Äußerungen
22 dürfen nicht Anlass zur Besorgnis einer Voreingenommenheit geben.
Aufklärung und Beratung vor Untersuchungseingriffen: Allg. erforderliche
Selbstbestimmungs- und Risikoaufklärung vor körperlichen Untersuchungen
vornehmen.
Schweigepflicht des Gutachters: Spezielle Begutachtungsergebnisse dürfen nicht
schon bei der Untersuchung bekannt gegeben werden.

Aufbau eines Gutachtens


• Auftraggeber, Datum des Gutachtenauftrags, Aktenzeichen.
• Name des Begutachteten, Geburtsdatum, Anschrift, ggf. Identifikation, z. B.
durch Personalausweis.
• Ort und Zeitpunkt der Gutachtenuntersuchung und Gutachtenerstattung.
• Auflistung der Aktenunterlagen und Fremdröntgenbilder.
• Vorgeschichte nach Aktenlage. Nur auf den für die Beurteilung relevanten
Akteninhalt in knapper, präziser Form eingehen. Benennung der entspre-
chenden Seiten und Akten in Klammern, um ein rasches Auffinden zu er-
möglichen.
• Allgemeine weitere Anamnese, soziale Anamnese, ggf. berufliche Tätigkeit
und Ausbildung des Begutachteten.
• Klagen und Beschwerden, Wiedergabe in wörtlicher Rede nach Angabe des
Untersuchten.
• Untersuchungsbefunde:
– Körperliche, klin. Untersuchung.
– Die klin. orthop. Untersuchung ist nach anerkannten Untersuchungsme-
thoden, z. B. Neutral-0-Methode, durchzuführen und detailliert festzuhal-
ten. Bei Extremitäten immer Gegenseite zum Vergleich anführen.
– Technische Zusatzuntersuchungen (z. B. Rö, CT, MRT): Zunächst Befun-
dung der neu angefertigten oder alten angeforderten Rö-Bilder, knappe
interpretierende Beurteilung in für den Laien verständlicher Form.
– Laborchemische Untersuchungen: Jeweils aktuelle Werte den Normalwer-
ten gegenüberstellen.
   22.5  Hinweise zum Untersuchungsgang  787

• Zusammenfassung und Beurteilung: Wichtigster Teil des Gutachtens. Soll in


sich schlüssig sein. Relevante Daten aus der Vorgeschichte sowie relevante
Untersuchungsbefunde sollen hier kurz wiederholt und zu der gutachterli-
chen Fragestellung in Bezug gesetzt werden. Normalerweise wörtliche Wie-
derholung der Fragestellungen des Gutachtens und direkt anschließend
knappe, präzise und allg. verständliche Beantwortung.

Inhaltliche Anforderungen und gutachterliche Darstellung


• Äußerungen des Begutachteten klar von objektiven Untersuchungsergebnis-
sen unterscheiden.
• Reine Verdachtsdiagnosen dürfen nicht z. B. als sichere Befunde missver-
ständlich sein.
• Gutachterliche Aussagen objektiv-sachlich und in distanzierter Form.
• Vermeiden subjektiv gefärbter oder mit Tendenz versehener Formulierungen.
• Dem Gutachtenauftraggeber unmittelbare und erschöpfende Antwort auf Gut-
achtenfragen erteilen. Einzelne Begutachtungsschritte müssen methodisch
nachzuvollziehen und in ihrer Schlüssigkeit kritisch bewertbar sein. Feststellun-
gen und Beurteilungen deshalb vollständig und lückenlos wiedergeben. Maß-
gebliche Ausgangsverhältnisse mitsamt eigenen Erhebungen aufführen. 22

22.5 Hinweise zum Untersuchungsgang


Allgemeine Vorbereitungen
Die Kooperation bei der Untersuchung gestaltet sich regelrecht oder der/die Un-
tersuchte ist teilweise nicht/wenig kooperativ.

Allgemeine klinische Untersuchung


• Entkleiden: Selbstständig, zügig, unter symmetrischer, seitengleicher Benut-
zung der Arme, sitzend, stehend, in wechselndem Einbeinstand, langsam und
mit Mühe, nur mit fremder Hilfe.
• AZ: Gut, reduziert, gebrechlich. Körpergröße, Körpergewicht.
• EZ: Schlecht, reduziert, ideal- oder normalgewichtig, adipös, gut.
• Alterseindruck: Altersgemäß, vorgealtert.
• Körperform: Schlank, pyknisch, athletisch.
• Muskulatur: Normal, kräftig, schwach.
• Haltung: Aufrecht, steif, gebeugt, schlaff.
• Bewegungen: Unauffällig, steif, zügig, verlangsamt, kraftlos.
• Puls (Frequenz, Rhythmus), Blutdruck.
• Haut, sichtbare Schleimhäute: Regelrecht durchblutet, Farbe, pathol. Verän-
derungen.
• Lippen: O. B., zyanotisch, blass.
• Gesichtsfarbe: Gebräunt, rosig, blass, ikterisch.
Spezielle Untersuchungsbefunde
Untere Extremität
• Orthop. Hilfsmittel: Einlagen, Bandagen, Orthesen, Prothesen.
• Beinachsen: Inspektorisch, gemessen: Varus, gerade, Valgus, Seitendifferenz.
• Muskel- bzw. Umfangsdifferenz: Inspektorisch, gemessen (nach Messblatt für
untere Gliedmaßen).
• Beinlänge: Gemessen.
788 22 Begutachtung 

• Becken: Beckengeradstand, -schiefstand (li/re, cm), Beckenkippung.


• Haut: Farbe, Temperatur, Narben.
• Durchblutung: Arterielle Pulse, Stammvarikosis, Besenreiservarikosis.
• Gangbild: Unauffällig, Verkürzungshinken, Schonhinken, Schrittlänge ver-
kürzt, Fußabrollung, Trendelenburg, Duchenne, in Konfektionsschuhen auf
ebenem Boden flott und sicher, Gehhilfen, Abrieb der Schuhe, Änderung des
Gangbilds, wenn sich der Pat. unbeobachtet fühlt.
• Standvarianten: Einbein-, Fersen-, Zehenstand, tiefe Hocke.
• Hüftgelenke: Kontur, Beweglichkeit nach Neutral-0-Methode, Funktions-
schmerz, ventraler Kapseldruckschmerz, Trochanterdruckschmerz.
• Kniegelenke: Kniegelenkkontur, synoviale Schwellung, Ergussbildung, Quad-
rizepsatrophie, Bewegungsreiben, Beweglichkeit nach der Neutral-0-Metho-
de, Zohlen, „Apprehension Sign“, Q-Winkel, Patella alta, Hypermobilität der
Patella, Prüfung und Dokumentation der Bandführung des Kniegelenks (lat.
und med. Aufklappbarkeit in Streckstellung und 30° Beugung, gerade vordere
Schublade, Lachman, Pivot Shift, hintere Schublade, Rotationsinstabilität),
Meniskuszeichen (DS, Gelenkspalt, Steinmann I und II, Payr, Apley-Grin-
ding, Hyperextensionsschmerz, Hyperflexionsschmerz).
22 • Unterschenkel: Drehfehler, Deformität, Ödeme, Ulkus.
• Sprunggelenk und Fuß: Sprunggelenkbeweglichkeit nach der Neutral-0-Me-
thode, Zehengelenkbeweglichkeit. Stabilität OSG, Fußform, Deformität (z. B.
Hallux valgus, Hammer-, Krallenzehen), Fußsohlenbeschwielung, Fußpulse.
• Neurol. Status, orientierend: MER, Sensibilität, Motorik (Paresen), Lasègue
(re, li, gekreuzt, umgekehrt), Bragard, Valleix-Druckpunkte.
Obere Extremität
• Schultergürtel: Schultergeradstand, Schulterkulisse: Konturen, Symmetrie,
Muskelverspannung, Schultergelenkbeweglichkeit nach der Neutral-0-Me-
thode, Nacken-, Schürzengriff (1/1–¾–½). Schulterblattstand. Druckpunkte,
Stabilitätstests, Funktionstest Rotatorenmanschette. Rechts-/Linkshänder.
Umfänge inspektorisch.
• Muskel- bzw. Umfangsdifferenz: Inspektorisch, Atrophie, gemessen (nach
Messblatt für obere Gliedmaßen).
• Armlänge: Gemessen.
• Ellenbogengelenke: Kontur, Beweglichkeit nach der Neutral-0-Methode, Ge-
lenkachse, Bandführung, UA-Drehung gemessen nach Neutral-0-Methode.
• Handgelenke: Kontur, Beweglichkeit gemessen.
• Hand: Bewegungsprüfung Finger nach Neutral-0-Methode, Hohlhandbe-
schwielung, Griffvarianten (Faustschluss, Spitzgriff, Schlüsselgriff), Daumen
(Zirkumduktion – Opposition), Handbinnenmuskulatur, Atrophie, Deformi-
tät, Amputation.
• Durchblutung: Arterielle Pulse, klin. Anhaltspunkte für Blutrückflussstörungen.
• Neurol. Untersuchung, orientierend: Motorik, Paresen, Sensibilität, Reflexe,
grobe Kraft.
Hals-, Rumpfwirbelsäule
• Inspektion: Schulter-, Beckenstand, Taillendreiecke, inspektorisches Seitprofil
(normal, hohlrund, rund, flach), Rückenprofil mit Dornfortsatzlinie bei vol-
lem Fersenstand bds. ohne BLD, Lot, Haltung (muskelkräftig, aufrecht, mus-
kelschwach, verfallen, Zwangshaltung).
• Hals: Normale Form und Haltung/Zwangshaltung. Klopf-, Druck-, Distrak-
tions-, Stauchschmerz, Muskelhartspann.
   22.5  Hinweise zum Untersuchungsgang  789

• Brustkorb: Normal, hager, fassförmig, Atembreite über den Mamillen in Zen-


timeter.
• Abdomen: Normal, adipös, vorgewölbt, Hernien, Rektusdiastase, Bauchum-
fang in Nabelhöhe.
• Funktionsprüfung HWS: Vorneigen/Rückneigen (45°/0°/45°), Seitneigen
(45°/0°/45°), Drehen (80°/0°/80°), Kinnspitzen-Brustbein-Abstand.
• Funktionsprüfung Rumpfwirbelsäule: Finger-Boden-Abstand, Messstrecke
Ott, Messstrecke Schober, Seit-, Rückneigung, Rotation, Abstand Fingerspit-
zen-Großzehen im Langsitz.
• Deformitäten: Skoliose, Kyphose, Gibbus, Rippenbuckel, Lendenwulst.
Klopf-, Druck-, Stauchungsschmerz, Fersenfallschmerz, Becken-, Thorax-
kompressionsschmerz.
• Muskulatur: Tonus palpatorisch, DS, Myogelosen.
• Funktionsdiagn. der Kreuzdarmbeingelenke.
• Orientierende neurol. Untersuchung: Radikuläre Schmerzsymptomatik, radi-
kuläre Ausfallerscheinungen (Sensibilität, Paresen), Lasègue, Bragard. MER,
pathologische Reflexe.

22
23 Orthopädietechnik
Alfons Fuchs

23.1 Grundlagen 793 23.8.3 Lagerungsorthesen 801


23.2 Zervikalorthesen 793 23.8.4 Oberschenkelorthesen 802
23.2.1 Schanz-Wickelkrawatte 793 23.8.5 Knieorthesen 802
23.2.2 Anatomische Zervikalstütze 23.8.6 Unterschenkelorthesen 803
(z. B. „Henßge-Krawatte“) 794 23.8.7 Innenschuhe 806
23.2.3 Halbschalenzervikalstütze 23.8.8 Klumpfußorthesen 806
(Philadelphia) 794 23.8.9 Fußorthesen 806
23.2.4 Halo-Body-Jacket 794 23.8.10 Einlagenversorgung 807
23.2.5 Zervikalorthese nach 23.9 Kompressionsstrümpfe und
Gipsabdruck 795 -strumpfhosen 808
23.3 Mieder 795 23.10 Schuhwerk 809
23.3.1 Leibbinde nach Maß 795 23.10.1 Schuhzurichtung an
23.3.2 Halbelastisches Mieder Konfektionsschuhen 809
(Lindemann-Mieder) 795 23.10.2 Orthopädische
23.3.3 Überbrückungsmieder nach Maßschuhe 810
Hohmann/Hohmann- 23.11 Grundlagen der
Korsett 796 Amputations­chirurgie 811
23.4 Skoliosekorrekturkorsetts 796 23.11.1 Allgemeines 811
23.4.1 Cheneau-Korsett, Boston 23.11.2 Postoperative
Korsett 796 Maßnahmen 811
23.4.2 Night Time Bending Brace 797 23.11.3 Stumpfprobleme 812
23.5 Reklinationskorsetts 797 23.11.4 Checkliste für
23.5.1 Münsteraner Kyphosen- Prothesensprechstunde 814
Orthese 797 23.11.5 Sofort- und
23.5.2 3-Punkte-Korsett nach Interimprothesen 814
Vogt-Bähler 798 23.12 Amputationen und
23.6 Fixationskorsetts 798 Prothesenversorgung der
23.6.1 Fixationskorsett 798 unteren Extremität 815
23.7 Orthesen der oberen 23.12.1 Zehenamputationen 815
Extremität 798 23.12.2 Großzehenamputation 816
23.7.1 Schulterabduktions­ 23.12.3 Transmetatarsale
orthesen 798 Amputation 816
23.7.2 Ellenbogenorthesen 799 23.12.4 Fußwurzel (Lisfranc,
23.7.3 Armorthesen 800 Chopart) 817
23.8 Orthesen der unteren 23.12.5 Fußamputationen (Pirogow-
Extremität 800 Spitzy, Syme) 817
23.8.1 Orthesen bei Hüftdysplasie 23.12.6 Unterschenkelamputa­
und -luxation 800 tion 818
23.8.2 Funktionelle Hüftorthe- 23.12.7 Knieexartikulation 819
sen 801
23.12.8 Oberschenkelamputa­ 23.13.8 Schulterexartikulation und
tion 820 interthorakoskapuläre
23.12.9 Hüftexartikulation, Hemi- Amputation 827
pelvektomie und intertro- 23.13.9 Doppelamputationen 827
chantäre Amputation 822 23.14 Rehabilitationsmittel 828
23.12.10 Orthoprothesenversorgung 23.14.1 Rollstühle 828
nach Borggreve- 23.14.2 Geh- und Stehhilfen 828
Umkehrplastik 823 23.14.3 Alltagshilfen (Auswahl) 829
23.13 Amputationen und 23.15 Lagerungsschalen aus
Prothesenversorgung der Schaumstoff 830
oberen Extremität 824 23.15.1 Bauch-, Rückenliege­
23.13.1 Allgemeines 824 schale 830
23.13.2 Fingeramputationen 825 23.15.2 Lagerungssystem 830
23.13.3 Teilhand 825 23.16 Zuzahlungen 830
23.13.4 Handgelenkexartikula­ 23.17 Aufzahlungen 831
tion 826
23.13.5 Unterarmamputation 826
23.13.6 Ellenbogenexartikula­
tion 827
23.13.7 Oberarm 827
  23.2 Zervikalorthesen  793

23.1 Grundlagen
Allgemein
Indikation und Verordnung: Durch den Arzt.
Kostenvoranschlag: Orthopädietechniker an Krankenkasse. Nach Genehmigung
Anfertigung, Anprobe, Lieferung durch Orthopädietechniker (OT).
Ärztliche Abnahme: Obligatorisch zur Kontrolle, ob das Behandlungsziel er-
reicht ist.

Orthopädietechnische Hilfsmittel
Prothesen
Körperersatzstücke zum Ausgleich verloren gegangener oder von Geburt an feh-
lender Gliedmaßenabschnitte zur (Wieder-)Herstellung der Steh-, Geh- oder
Greiffähigkeit oder als kosmetischer Ausgleich.
Anfertigungstechnik: Schaftanpassung individuell nach Gipsabdruck oder CAD,
Gelenke und Strukturteile industriell gefertigt. Anpassung am Pat.
Orthesen
Funktion: Hilfsmittel zum Ersatz verloren gegangener Funktionen, Korrektur,
Immobilisierung.
• Äußere Kraftträger der Stützung (z. B. Einlage, Beinstützapparat).
• Fixation (z. B. Korsett nach WS-OP).
• Stabilisierung (z. B. Rumpf bei hoher Querschnittslähmung).
• Redression (Korsett bei Skoliosen). 23
• Entlastung (Allgöwer-Apparat).
• Immobilisation (Arthrodesenhülsen).
• Mobilisierung (z. B. Peroneusfeder).
• Längenausgleich (Orthoprothese.)
Anfertigungstechniken: Individualanfertigung nach Maß oder Gipsabdruck, Fer-
tig- oder Halbfertigfabrikat.

Grundsatz für Orthesen: So wenig wie möglich, so viel wie nötig!

Reha-technische Hilfsmittel
Hilfsmittel zum Sitzen, Fahren, Heben, meist industriell gefertigt:
• Rollstühle (ggf. individuell angepasst).
• Sitzschalen (individuell angefertigt).
• Lifter (industriell angefertigt).
• Rollatoren (industriell angefertigt).

23.2 Zervikalorthesen
Zahlreiche orthopädietechnische Versorgungsmöglichkeiten der HWS (kon-
fektioniert und individuell) möglich.

23.2.1 Schanz-Wickelkrawatte
Definition
Leichter Schaumstoffkragen in Wickeltechnik.
794 23 Orthopädietechnik 

Indikationen und Verordnung


Ind.: Leichte HWS-Distorsion (▶ 10.5.3), Nackensteife, postop. nach HWS-OP.
Rp.: Schanz-Wickelkrawatte.

Prozedere
Funktionskontrolle.

23.2.2 Anatomische Zervikalstütze (z. B. „Henßge-Krawatte“)


Definition
Schaumstoffkragen mit Trikotüberzug und dorsalem Klettverschluss.

Indikationen und Verordnung


Ind.: HWS-Distorsion, schmerzhafte deg. HWS-Veränderungen (Immobilisati-
on, Wärme, Entlastung).
Rp.: Anatomische Zervikalorthese aus Schaumstoff, z. B. nach Henßge.

Prozedere
Klinisch: Korrekter Umfang = Halsumfang. Korrekte Höhe: Mediales Drittel Kla-
vikula bis Proc. mastoideus.
Ambulant: Passformkontrolle, Tragezeit je nach Schmerzsituation. Bei HWS-
Distorsion etwa 2–4 Wo.

23 23.2.3 Halbschalenzervikalstütze (Philadelphia)
Definition
2-Schalen-Orthese aus halbfestem Schaummaterial mit Kunststoffverstärkungen.
Konfektioniert oder nach Gipsabdruck.

Indikationen und Verordnung


Ind.: HWS-Distorsion, HWS-Frakturen, Polytrauma bei HWS-Frakturverdacht,
schmerzhaft deg. HWS-Veränderungen (Immobilisation, Wärme, Entlastung),
postop. Stabilisierung (z. B. nach Spondylodese).
Rp.: Halbschalenzervikalorthese.

Prozedere
Klinisch: Umfang = Halsumfang. Höhe: Mediales Drittel Klavikula bis Proc. mas-
toideus.
Ambulant: S. o., evtl. neu füttern und Nachpassung.

23.2.4 Halo-Body-Jacket
Definition
HWS-Fixationsorthese. Kunststoffjacke mit Abstützung über den gesamten Ober-
körper, höhenverstellbaren Extensionsstangen und über die Schädelkalotte fixier-
tem Kopfring.
  23.3 Mieder  795

Indikationen und Verordnung


Ind.: Ruhigstellungen bei instabilen HWS-Frakturen. Postop. nach HWS-Auf-
richtung z. B. bei M. Bechterew.
Rp.: Halo-body-Jacket nach Maß. Keine Kassenleistung, in Fallpauschale enthalten.

Prozedere
Klinisch: Maßtechnik: Brustumfang in Höhe Proc. xiphoideus. Montage des Ha-
lo-Rings an der Schädelkalotte: Rasur und Desinfektion von 4 Hautarealen am
Kopf. Nach LA Stichinzision und Einschrauben von je 2 Schrauben über die Dia-
gonale (nicht durch M. temporalis). Anziehen der Schrauben mit Drehmoment-
schraubenzieher (Erw. 5–6 Kp). Schrauben mit Kontermuttern blockieren. Tgl.
Schraubenpflege und -kontrolle. Kontrolle des Ringsitzes.
Ambulant: 2-mal/Wo. ambulante Kontrolle (Hautpflege, Schraubenkontrolle).

23.2.5 Zervikalorthese nach Gipsabdruck


Definition
Individuelle Anfertigung bei außergewöhnlichen Ansprüchen an Funktion und
Proportion. Kann auch aus Soft Cast direkt angefertigt werden.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Schiefhals, hoher Querschnitt. Postop. bei muskulärem Schiefhals.
Rp.: Zervikalorthese nach Gipsabdruck (genaue Beschreibung von Funktion und
Kopfstellung). 23
Prozedere
Kontrolle Kopfstellung und Funktion, Druckstellenkontrolle.

23.3 Mieder
23.3.1 Leibbinde nach Maß
Definition
Individuell gefertigtes Stoffmieder, zirkulär um den Rumpf gearbeitet.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Bei schwerer Abdominal-OP, Rektusdiastase, Bauchwandlähmung, Hernien
bei Anus praeter.
Rp.: Leibbinde nach Maß.

Prozedere
Passform- und Funktionskontrolle.

23.3.2 Halbelastisches Mieder (Lindemann-Mieder)


Definition
Drellmieder mit Stabverstärkungen im Rücken, Vorderschnürung oder Klettver-
schluss.
796 23 Orthopädietechnik 

Indikationen und Verordnung


Ind.: Lumbalgien bei deg. LWS- und unteren BWS-Veränderungen, Lumboischi-
algien, Diskopathien, leichte Formen der Osteoporose, postop. Teilfixierung nach
Bandscheiben-OP und bei statisch muskulärer Insuff.
Rp.: Stützmieder nach Lindemann nach Maß.

Prozedere
Passform- und Funktionskontrolle.

23.3.3 Überbrückungsmieder nach Hohmann/Hohmann-


Korsett
Definition
Wie Lindemann-Mieder, jedoch mit Becken und Rumpf umfassenden Alumini-
umspangen. LWS-überbrückend mit vertikalen Verbindungsstäben. Entlordosie-
rend, fixierend für LWS.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Ausgeprägte Osteoporose, Spondylolisthesis, WK-Fraktur, Tumormetasta-
sen, Segmentinstabilität.
Rp.: Hohmann-Überbrückungsmieder nach Gipsabdruck.

Prozedere
23 Passform- und Funktionskontrolle.

23.4 Skoliosekorrekturkorsetts
23.4.1 Cheneau-Korsett, Boston Korsett
Definition
Teilaktives Kunststoffkorsett mit Druck-
zonen und Freiräumen (▶  Abb.  23.1).
Verschluss vorne, bei Scheitel bis Th7:
Höhe bis Achsel, darüber mit einseitiger
Halsanstützung. Berücksichtigung der
Sagittalkrümmungen der WS, 3-dimen-
sionale Korrektur, Anheben der konkav-
seitigen Achsel.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Idiopathische Skoliose 20–50° bei
nachgewiesener Progredienz und erhal-
tener Teilflexibilität/Korrigierbarkeit
der WS im Wachstum.
Rp.: Teilaktive Skoliosekorrekturorthese.

Abb. 23.1  Cheneau-Korsett [L106]


  23.5 Reklinationskorsetts  797

Prozedere
Klinisch
Ambulante oder stationäre Korsettanpassung. Bei stationärer Anpassung KG ob-
ligatorisch. Rö-Kontrolle im Korsett.
Ambulant
Rö-Aufnahme vor Versorgung, Rö-Aufnahme mit Korsett mind. 30 % Korrekt., Kon-
trolle der Lokalisation und Größe von Druckzonen und Freiräumen. Pat.-Führung.
Kontrollen
! 
Druckzonen auf Rippenbuckel/Prominenzen.
• Freiräume gegenüber Druckzonen und größer als diese.
• Nach 1 Wo. Eingewöhnung i. d. R. 24 h Tragezeit/d abzüglich Körperpflege.
• Erste Kontrolle bei Orthopädietechnik nach 6 Wo., dann alle 3 Mon.
• Halbjährliche ambulante Kontrolle, ggf. Rö-Kontrolle.
• KG erforderlich.
• Hautpflege: Enges T-Shirt unter Korsett, Haut abhärten (kalt abwaschen),
keine Creme, kein Puder.
• Alle Sportarten erlaubt. Zum Sport evtl. ablegen.
• Neuversorgung nach Wachstum (dokumentieren!).
• Abschulung stufenweise nach Wachstumsabschluss. Weiterhin zunächst
halbjährliche Kontrolle.

23.4.2 Night Time Bending Brace 23


Definition
Nachtkorsett nach Gipsabdruck in max. Seitneigung entgegen der Skoliose. Nur
bei C-förmigen Skoliosen. Verschluss vorne.

Indikationen und Verordnung


Ind.: C-förmige Skoliose.
Rp.: Night Time Bending Brace

Prozedere
Klinisch: Ambulante oder stationäre Anpassung mit Rö-Kontrolle im Korsett.
Ambulant: Rö-Kontrolle im Korsett nach Anpassung, halbjährliche ambulante
Kontrollen, ggf. mit Rö. Enges T-Shirt unter Korsett. Abschulung nach Wachs-
tumsabschluss.

23.5 Reklinationskorsetts
23.5.1 Münsteraner Kyphosen-Orthese
Definition
LWS entlordosierend, BWS reklinierend, individuell gefertigt.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Thorakaler M. Scheuermann, teilfixierte Kyphosen im Wachstumsalter 45–
75° nach Cobb.
Rp.: Münsteraner Kyphosen-Orthese.
798 23 Orthopädietechnik 

Prozedere
Klinisch: Ambulante oder stationäre Anpassung mit Rö-Kontrolle im Korsett.
Ambulant: Rö-Kontrolle im Korsett. Hautschutz durch enges T-Shirt. Funktions-
kontrolle Entlordosierung, Reklination, Höhe des Kyphosescheitels, Freiraum
lumbal, erste Kontrolle bei Orthopädietechnik nach 6 Wo., weitere Kontrollen alle
3 Mon, halbjährliche Arztkontrollen, ggf. mit Rö.

23.5.2 3-Punkte-Korsett nach Vogt-Bähler


Definition
Konfektioniert zur Lordosierung/Reklination der LWS. Ausführungen mit Ein-
schränkung der Seitneigung oder der Rotation möglich.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Meist temporäre Versorgung nach stabiler WK-Fraktur der LWS oder unte-
ren BWS, lumbaler M. Scheuermann.
Rp.: 3-Punkte-Korsett nach Vogt-Bähler.

Prozedere
Anpassung durch Orthopädietechniker, Funktionskontrolle: Taillensitz, untere
Pelotte auf Os pubis, obere Pelotte am Manubrium sterni.

23 23.6 Fixationskorsetts
23.6.1 Fixationskorsett
Definition
Zirkuläres Korsett aus Kunststoff zur Fixation der WS in allen Eb.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Schwere Osteoporosen, Osteomalazie, WS-Tumor, Spondylitis, postop.
nach Spondylodese.
Rp.: Fixationskorsett nach Gipsabdruck.

Prozedere
Absprache mit Orthopädietechnik wegen Ausführung, Funktions- und Passform-
kontrolle.

23.7 Orthesen der oberen Extremität


23.7.1 Schulterabduktionsorthesen
Abduktionsorthese verstellbar
Definition
Konfektionierte Orthese mit Armauflage, Schulter- und Brustgurten.
   23.7  Orthesen der oberen Extremität  799

Indikationen und Verordnung


Ind.: Z. n. OP im Schultergelenkbereich, nach Narkosemobilisation.
Rp.: Verstellbare Schulterabduktionsorthese.
Prozedere
Orthese schon vor Narkosemobilisation oder OP einstellen und anpassen.

Abduktionskeil
Definition
Mit Gurten am Körper befestigter Schaumstoffkeil, Hand- und UA-Führung mit
Klettverschlüssen.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Nach OP am Schultergelenk bei vorderer Schulterluxation.
Rp.: Angepasster Abduktionskeil nach Maß. Angabe des Abduktionswinkels.
Prozedere
Funktionskontrolle.

Briefträgerkissen
Definition
Keilförmiges, unter der Achsel zu tragendes Kissen mit verstellbaren Schulter-
und Brustgurten. Hand- und Ellenbogenführung mit Laschen.
Indikationen und Verordnung 23
Ind.: Z. n. OP im Schultergelenkbereich, nach Narkosemobilisation. Nur bei sta-
biler Situation.
Rp.: Schulterabduktionskissen. Abduktionswinkel angeben.
Prozedere
Funktionskontrolle.

23.7.2 Ellenbogenorthesen
Definition
Zur Bewegungseinschränkung mit Anschlägen oder Untersützung von Bewegun-
gen in Pronation, Supination, Flexion, Extension. Mit oder ohne Handteil. Mit
Federgelenken zur dynamischen Korrektur.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Kontrakturen, Lähmungen, Instabilitäten, Hypermobilität, Z. n. operativer
Arthrolyse.
Rp.: Armorthese nach Gipsabdruck. Angabe der gewünschten Funktion.

Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle.
800 23 Orthopädietechnik 

23.7.3 Armorthesen
Armlagerungsorthese
Definition
Orthese zur Lagerung der oberen Extremität in Korrekturstellung, mit oder ohne
Langfingerfassung, ggf. mit Federgelenken zu dynamischen Korrekturlagerung.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Handfehlstellungen (z. B. bei ICP, nach Apoplex). Postop. Lagerung zur Sta-
bilisierung. Klumphand.
Rp.: Armlagerungsorthese nach Gipsabdruck. Angabe der gewünschten Hand-
stellung, mit oder ohne Daumeneinschluss.
Prozedere
Passform- und Funktionskontrolle.

Armfunktionsorthese
Definition
Wie Lagerungsorthese, aber ohne Langfingerfassung.
Verordnung
Armfunktionsorthese, Angabe der Winkelstellungen und Behandlungsziele.
Prozedere
23 Passform- und Funktionskontrolle.

23.8 Orthesen der unteren Extremität


23.8.1 Orthesen bei Hüftdysplasie und -luxation
Spreizbandagen, Spreizschienen
Definition
In Flexion und Abd. einstellbare Bandage zur stufenweisen konservativen Reposi-
tion angeborener Hüftluxation oder Retention reponierter, instabiler Gelenke.
Pavlik-Bandage, Hanausek-Bandage, Düsseldorfer Schiene, Fettweis-Schiene, Tü-
binger Schiene etc.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Reposition angeborener Hüftluxationen spätestens bis 2 Wo. nach Geburt.
Retention nach Reposition.
Rp.: Spreizbandage mit Angabe des Modells und der Einstellwinkel.
Prozedere
i. d. R. beginnend bei 90° Flexion. Während 2 Wo. auf 110–120° erhöhen. Wö-
chentliche Kontrollen. Nach ca. 6 Wo. Kontrolle alle 2–3 Wo. Reduzierung der
Flexion nach Stand der Reposition unter Beibehaltung der Abduktion. 4–6 Wo.
darf die Bandage auch zur Körperpflege nicht abgenommen werden. Tragezeit
6–8 Mon. Mitarbeit der Eltern obligatorisch. Sono-Kontrollen alle 3 Mon. Ent-
wöhnung 4–6 Wo.
   23.8  Orthesen der unteren Extremität  801

Spreizhosen
Definition
Nachreifungsorthesen. Zur Sicherung in reduzierter Flexion und Abspreizung.
Graf-Mittelmeier-Spreizhose, Aktiv-Spreizhose etc.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Stabile, dysplastische Hüftgelenke. Neugeborene mit instabilen Hüften IIc,
stabilen Hüften IIa–IIc (▶ 13.1.7).
Rp.: Spreizhose unter Angabe der Breite.
Prozedere
Bei instabilen Hüften Neugeborener 4-wöchiger Versuch. Wenn dann stabil →
Fortsetzung, wenn instabil → Retention im Sitz-Hock-Gips. Funktions- und Pass-
formkontrolle.

23.8.2 Funktionelle Hüftorthesen
Definition
Beckenfassung, bewegliches Hüftgelenk, Anlage am OS, suprakondyläre Fassung.
Orthese führt das Hüftgelenk, vermeidet die Aro. und Add.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Schwere Koxarthrose, Luxationsgefahr bei TEP, TEP-Lockerung, Girdlesto-
ne-Hüfte, Trendelenburg- und Duchenne-Hinken. 23
Rp.: Funktionelle Hüftorthese nach Gipsabdruck oder Maß.

Prozedere
Passform- und Funktionskontrolle.

23.8.3 Lagerungsorthesen
Definition
Nach Gipsabdruck gefertigte beinumfassende Kunststoffschale. Ausführungen für
Fuß, US, OS oder beckenübergreifend. Ggf. mit Federgelenken zur dynamischen
Aufdehnung.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Postop. Lagerung und Halten einer operativ erreichten Korrektur (z. B.
Spreizlagerung nach Adduktorentenotomie). Aufdehnung vorhandener nicht-
struktureller Kontrakturen (Federgelenke).
Rp.: OS- oder US-Lagerungsorthese mit oder ohne Gelenke, ggf. Beckenfassung.
Nach Gipsabdruck. Angabe der gewünschten Gelenkwinkel

Prozedere
Passform- und Funktionskontrolle.
802 23 Orthopädietechnik 

23.8.4 Oberschenkelorthesen
Definition
Mögliche Funktionen: Entlastung mittels Tubersitz, Fixation durch großflächi-
ge Fassung (Hülsen), Unterstützung bei Lähmungen durch Gelenksperren oder
Aufbaustatik, Korrektur von Fehlstellungen oder Längenausgleich. Unter-
schiedliche Bauarten (Hülsen, Schellen) und Materialien (Walkleder, Karbon,
Aluminium, Titan, Stahl). Absprache mit Orthopädietechniker erforderlich.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Poliomyelitis, Paraplegie, MMC, ICP, Pseudarthrosen, Arthrosen, Gelenker-
kr., Tumoren etc.
Rp.: OS-Orthese nach Gipsabdruck. Angabe der Funktion und des Versorgungsziels.

Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle, ggf. Gehübungen mit KG.

23.8.5 Knieorthesen
Kniebandagen mit Kompressionssegmenten
Definition
Hülle aus elastischem Material, teilweise mit eingearbeiteten Polstern oder Ver-
stärkungsstäben.
23
Indikationen und Verordnung
Ind.: Leichte Kniebandinstabilitäten, beginnende Gonarthrosen.
Rp.: Kniebandage.

Elastische Führungsorthesen
Definition
Hülle aus elastischem Material, seitl. eingearbeitete Gelenkschienen, ggf. mit ver-
stellbaren Anschlägen. Gelenkschienen an Körperform anpassbar.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Knieinstabilitäten, Z. n. Kreuzband-OP, leichtere Varus-, Valgusgonarthrosen.
Rp.: Knieorthese mit Gelenkführung. Ggf. Angabe der Gelenkanschläge.

Starre Führungsorthesen
Definition
Starre Rahmenkonstruktion mit Gelenken zur Knieführung. Reduzierung von
Iro., Aro. und Schublade. Seitl. Führung. Gelenke ggf. verstellbare Anschläge.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Knieinstabilitäten, Z. n. Kreuzband-OP, leichtere Varus-/Valgusgonarthro-
sen, als Sportschiene, „Giving-way“-Symptomatik.
Rp.: Funktionelle Knieorthese nach Maß oder Gipsabdruck. Gegebenenfalls An-
gabe der Gelenkanschläge.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle. Rutschfestigkeit überprüfen (Gelenkinkon-
gruenz!).
   23.8  Orthesen der unteren Extremität  803

Valgus-/Varus-Korrekturorthesen
Definition
Konfektioniert oder individuell gefertigt.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Ausgeprägte Valgus-/Varus-Instabilitäten.
Rp.: Valgus-/Varus-Korrekturorthese nach Maß oder Gipsabdruck.
Prozedere
Passform- und Funktionskontrolle. Rutschfestigkeit überprüfen (Gelenkinkon-
gruenz!).

Patellasehnenbandage
Definition
Zirkulärer Gurt übt einstellbaren Druck auf Patellasehne aus. Steigert die Reflex-
geschwindigkeit.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Chondropathia patellae.
Rp.: Patellasehnenbandage.
Prozedere
Kontrolle der Wirksamkeit (Treppensteigen).

23.8.6 Unterschenkelorthesen 23
Allgöwer-Apparat
Definition
US-Entlastungsorthese nach Maß oder Gipsabdruck zur temporären Entlastung.
Abstützung an prox. Tibia. Dist. US und Fuß im Gehbügel frei schwebend. Spitz-
fußprophylaxe oder Teilbelastung möglich. Schuherhöhung auf Gegenseite.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Z. n. Kalkaneusfraktur oder Sprunggelenkfraktur.
Rp.: Allgöwer-Apparat nach Maß oder Gipsabdruck.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle (Ferse auch bei Belastung frei schwebend).

Settner-Münch-Orthese
Definition
Fersenbein-Entlastungsorthese nach Maß zur temporären Entlastung des Kalkane-
us. Abstützung an dorsalem US und Mittelfuß. Ggf. Schuherhöhung auf Gegenseite.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Z. n. Kalkaneusfraktur.
Rp.: Settner-Münch-Orthese nach Maß.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle (Ferse zunächst ohne Belastung, dann langsa-
me Steigerung der Belastung).
804 23 Orthopädietechnik 

Peroneusorthesen
▶ Tab.  23.1.
Tab. 23.1  Peroneusorthesen
Form Beschreibung Indikation Verordnung Prozedere

Knöchelso- Einfachste Form Leichte Fuß- Knöchelsocke


cke der Peroneusor- heberschwä- mit Fußheberzü-
these als Kompres- che gel
sionssocke mit ein-
gearbeiteten Fuß-
heberzügeln

Heidelberger Einfache Fußheber- Fußheber- Heidelberger Funktions-


Winkel, Hel- orthesen ohne Ge- schwäche oh- Winkel oder und Passform-
sinki-Feder lenk. Einlegesohle ne Fehlstel- Helsinki-Feder kontrolle
und Wadenband lung
werden mit Feder-
stahl verbunden

Thermoplas- Dorsale Kunst- Peroneuspa- Thermoplasti- Funktions-


tische Fuß- stoffschale als rese sche Fußheber- und Passform-
heberfeder Konfektionsorthe- orthese nach kontrolle
se oder nach Gips- Maß oder Gips-
abdruck. Unauffäl- abdruck (bei un-
lig, gute Wirkung, gewöhnlichen
auch bei Fehlstel- Proportionen
lungen (nach Gips- oder Fehlstel-
23 abdruck) lungen)

Karbon-Fuß- Stärkere fußhe- Peroneuspa- Karbonversteif- Funktions-


heberorthe- bende Kraft. Fuß- rese, Paraple- te Fußheberor- und Passform-
se bettung obligato- gie these nach Maß, kontrolle.
risch mit Einarbei- Kontrolle der
tung eines Fuß- Fußführung
betts oder nach und Fußstel-
Gipsabdruck lung in der
Orthese

US-Orthese Indviduelle Orthe- Peroneuspa- US-Orthese mit Funktions-


nach Gipsab- se in Karbon- oder rese mit Fuß- Gelenken nach und Passform-
druck mit Metalltechnik. fehlstellung, Gipsabdruck. kontrolle.
Gelenk Mechanische Ge- ICP, Paraple- Kontrolle der
lenke mit Feder gie, Hemiple- Fußstellung in
zur Fußhebung. gie nach der Orthese.
Bei ausgeprägten Apoplex
Fehlstellungen,
kraftvolle Fußhe-
bung

Funktionelle Stimulation der Zentrale Läh- Elektrostimulati- Testung obli-


Elektrosti- noch intakten Ner- mungen onsgerät, ggf. gat
mulation ven transkutan Probeversor-
oder als Implantat gung verordnen

Unterschenkelorthese
Definition
Als Hülsen- oder Schellenapparat. Hülsen zur großflächigen Lastverteilung,
Schellen nur zur Führung und Unterstützung. Mit oder ohne Gelenke. Gelenkan-
   23.8  Orthesen der unteren Extremität  805

schläge und Vorfußhebel ermöglichen Einflussnahme auf Schrittlänge und Knie-


sicherung bei schwachen Kniestreckern.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Paresen, Poliomyelitis, MMC, Instabilitäten.
Rp.: US-Orthese nach Gipsabdruck. Angabe der Wirkungsweise. Ggf. Angabe der
Anschläge im Gelenk. Ggf. Verordnung von Orthesenschuhen (zuzahlungspflich-
tig) → konfektionierte Spezialschuhe, die proportional angepasst sind.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle.

Unterschenkelorthese nach Baise/Pohlig


Definition
Sonderform der US-Orthese zur Behandlung des dynamischen spastischen Spitz-
fußes oder anderer komb. Fehlstellungen am USG und OSG, Ringfassung Rück-
fuß, Gelenkanschläge zur Bewegungssteuerung.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Dynamischer spastischer Spitzfuß, Spitz-Knickfuß oder Spitz-Klumpfuß,
komb. Fehlstellungen USG, OSG
Rp.: US-Orthese mit Ringfassung nach Baise/Pohlig.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle. Dokumentation und regelmäßige Kontrollen
zur Bewertung der Veränderung. 23
Zur konservativen Spitzfußkorrektur 6–8 Wo. tägliche Tragezeit 23 h.

TR-Ringorthese
Definition
Talus-Repositions-Ringorthese. Steifer, zirkulär geschlossener Ring umschließt
den Rückfuß zur Korrektur des Knickfußes.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Knick-Fuß
Rp.: TR-Ringorthese nach Gipsabdruck.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle.

Dynamische Unterschenkel-Fußorthesen (DAFO)


Definition
Leichte gelenklose Orthesen aus dünnem Kunststoff zur Korrektur im USG.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Fußfehlstellungen im USG.
Rp.: Neuroreflektorische US-Orthese nach Gipsabdruck.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle.
806 23 Orthopädietechnik 

23.8.7 Innenschuhe
Definition
Verstärkter Lederschuh zur Verwendung im Konfektionsschuh. Korrektur Fuß-
fehlstellungen, keine Dynamik.

Indikationen und Verordnung


Ind.: Schwere Fußfehlstellungen, Sicherung von Arthrodesen, Arthrosen im
Sprunggelenk.
Rp.: Innenschuh nach Gipsabdruck.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle.

23.8.8 Klumpfußorthesen
Nichtverstellbare Klumpfußorthese
Definition
Lagerungsschale i. d. R. knieübergreifend, Fersenfassung, 90° Kniebeugung, Si-
chelfußkorrekturzügel.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Halten eines OP-Ergebnisses oder einer Redressionsgipsbehandlung.
23 Rp.: OS-Lagerungsorthese zur Klumpfußkorrektur nach Gipsabdruck.
Prozedere
Klinisch: Funktions- und Passformkontrolle: Guter Fersensitz, Hypomochlion
zur Sichelfußkorrektur am Os cuboideum.

Dennis-Brown-Schiene/Alfa-flex-Orthese
Definition
Fußplatte, auf die Schuhe in 70° Außenrotation befestigt werden. Zur Nachbe-
handlung idiopathischer Klumpfüße nach der Ponseti-Methode.
Indikationen und Verordnung
Ind.: Idiopathischer Klumpfuß nach Gipsredression und/oder Tenotomie.
Rp.: Dennis-Brown-Schiene.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle. Kontrolle der richtigen Außenrotationsein-
stellung. Tägliche Tragezeit anfangs 24 h, später bei älteren Kindern nur nachts.

23.8.9 Fußorthesen
Sichelfußorthese
Definition
Korrektur der Vorfußadduktionsstellung durch Schaumstoffringe für den US in
den ersten Lebenswochen (bei Bauchliegern), OS-Nachtlagerungsschalen mit
oder ohne verstellbaren Vorfußteil je nach Schweregrad; danach im Laufalter An-
tivarusschuhe.
   23.8  Orthesen der unteren Extremität  807

Indikationen und Verordnung


Ind.: Pes varus.
Rp.: Fußlagerungsringe (3 Härtegrade). Sichelfußorthese nach Gipsabdruck. An-
tivarusschuhe.
Prozedere
Funktions- und Passformkontrolle. Bei Lagerungsschalen Fersenfassung, lat. bis
Os cuboideum.

23.8.10 Einlagenversorgung
Formen
• Unterscheidung in Korrektureinlage (während des Wachstums), Kopieeinla-
ge (Erw.), Bettungseinlage (kontrakte Fehlstellungen) und Diabetesfußbet-
tung (Druckstellengefahr).
• Große Modellvielfalt. Allgemein werden elastische/weiche Einlagen als güns-
tiger angesehen.

Einlagen müssen eine Einheit mit dem Schuh bilden und dessen Absatzhöhe
berücksichtigen.

Maß und Modelltechnik


• Blaudruck: Belastungsabdruck zur Diagnose der Fehlstellung und überlaste-
ten Regionen. Nur für konfektionierte Einlagen verwendbar. 23
• Gipsabdruck: Vorlage zur individuell gefertigten Einlage.
• Schaumabdruck: Alternative zum Gipsabdruck.
• CAD-CAM: Computergesteuertes Verfahren.
Spezielle Einlagen
Senkfuß: Flache Einlage mit Längsgewölbeabstützung.
Knickfuß: Fersenumfassende Einlage mit Längsgewölbeabstützung im hinteren
Teil des Längsgewölbes. Cave: Knickfuß bei Kindern physiologisch.
Spreizfuß: Spreizfußpelotte für Querwölbung unter Mittelfußknochen II–IV.
Mittelfußknochen I und V müssen Bodenkontakt haben. Breite retrokapitale Ab-
stützung zur Entlastung aller Mittelfußköpfchen bei DS auch an Mittelfußkno-
chen I und V. Bei rez. Problemen Abrollhilfe am Schuh.
Hohlfuß: Mit Einlagen nicht korrigierbar. Bettungseinlagen vergrößern die Belas-
tungsfläche. Spreizfußpelotte.
Klump- oder Sichelfuß: Fersenumfassende Einlage mit vorgezogenem med. Ba-
cken bis zum Großzehengrundgelenk (Dreibackeneinlage) Fersenfassung lat. bis
Os cuboideum
Fersensporn: Einlagen mit Längsgewölbeabstützung zur Entlastung der Plantar-
faszie, weichem Fersenpolster und Aussparung an druckempfindlicher Stelle.
Aussparung im Verlauf der Faszie nach vorn.
Diab. mell.: Sandwichbauweise mit festem Kern und nach oben immer weicheren
Materialien. Druckverteilungsmessung obligatorisch. Festes Schuhwerk obligato-
risch. Evtl. Abrollsohle und Sohlenversteifung. Nur Orthopädie(schuh)techniker
mit entsprechender Schulung. Kontrolle in kurzen Intervallen.
808 23 Orthopädietechnik 

23.9 Kompressionsstrümpfe und -strumpfhosen


Definition
Strümpfe aus elastischen, mit Baumwolle, Seide (teuer, komfortabel) oder Misch-
gewebe umwickelten, gestrickten Fäden.

Merkmale
• Bei Ödem und ab Kompressionsklasse 3 flach gestrickt.
• Maßnahme nur am entstauten Bein, d. h. frühmorgens.
• Bei Maßabweichung gegenüber Konfektionstabelle Maßanfertigung.
• Ausführungshöhen: Knöchelstrumpf (A–B), US-Strümpfe (A–D), Halb-
schenkelstrümpfe (A–F), Schenkelstrumpf (A–G) und Strumpfhose (A–M).

Bei Halbschenkel- und Schenkelstrumpf Haltebandage, Haftgel oder Haft-


band verordnen.

Kompressionsklassen und Indikation

Die Kompressionsklasse ist zwingend von der Ind. abhängig!

Kompressionsklasse 1: Z. B. bei Schwangerschaftsvarizen, Besenreiservarizen


ohne Ödemneigung. Schwere- und Müdigkeitsgefühl in den Beinen (stehende
23 Berufe).
Kompressionsklasse 2: Am häufigsten verordnete Klasse. Ausgeprägte Varikosis
mit Ödemneigung, posttraumatische Schwellung, Thrombophlebitis, Z. n. Ver-
ödung und Varizen-OP, starke Schwangerschaftsvarikose mit geringer bis mittle-
rer Ödemneigung.
Kompressionsklasse 3: Postthrombotisches Sy., schwere Varikosis, Atrophie
blanche, starke Ödemneigung, Ulcus cruris.
Kompressionsklasse 4: Nur geeignet bei schwersten Ödemen, Elephantiasis.
Kompressionsstrumpfhosen: Hochreichende Varikosis und Z. n. Beckenvenen-
thrombose.
Anziehen der Strümpfe: Ab Kompressionsklasse 2 Anziehen ggf. schwierig, ggf.
Hilfe erforderlich. Nach dem Aufstehen anziehen.

Verordnung
• Verordnung: Höhe des Strumpfs, z. B. A–G, Kompressionsklasse, ein Stück
oder ein Paar und Diagnose.
• Bei Erstversorgung Doppelversorgung aus hygienischen Gründen zulässig.
Neuverordnung alle 6 Mon. wegen Nachlassen der Wirkung

Thromboseprophylaxe- und Stützstrümpfe


• Thromboseprophylaxestrümpfe nur für liegenden Pat. geeignet. Kom-
pressionswirkung kleiner als Kompressionsklasse 1. Nicht zur Behand-
lung des varikösen Symptomenkreises geeignet.
• Stützstrümpfe haben keine medizinische Kompressionsklasse, da sie un-
ter Kompressionsklasse 1 liegen → nicht verordnungsfähig!
  23.10 Schuhwerk  809

23.10 Schuhwerk
23.10.1 Schuhzurichtung an Konfektionsschuhen
Definition
Modifikationen an Absatz, Laufsohle, Brandsohle, Vorder-, Hinterkappe und
Schaft. Möglichst festen Schuh wählen, da an leichten Schuhen Wirkungsminde-
rung.

Vorteile
• Kostenersparnis: Kostspieliger orthop. Maßschuh oft nicht nötig.
• Erhöhung der Trageakzeptanz (Kosmetik).
Ziel
Schuh dem Fuß anpassen, Stellung des Fußes im Schuh verändern, Bewegungsab-
lauf beeinflussen.

Beinlängenausgleich
▶ Tab.  23.2.
Tab. 23.2  Möglichkeiten des Beinlängenausgleichs im Konfektionsschuh
Höhe Maßnahmen Verordnung

Bis 1 cm Einlage eines Fersenkeils im Schuh, Höhenausgleich durch Fersenkeil, 23


Absatzverminderung auf der Gegen- Absatzerhöhung außen, Absatz-
seite, Absatzerhöhung außen. Evtl. verminderung auf der Gegenseite
Komb. mehrerer Maßnahmen

2–3 cm Zusätzlich Anbringung einer Ballen- Absatzerhöhung mit Ballenrolle


rolle

3–7 cm Nur auf köchelhohen Schuhen mit Absatzerhöhung mit Ballenrolle


stabiler Fersenkappe. Mögliche Alter- am Konfektionsschuh. Orthop.
native: Orthop. Schnürstiefel Schnürstiefel

7–12 cm Orthop. Schuh mit Innenschnürung Orthop. Schuh nach Maß mit In-
und eingebautem Verkürzungsaus- nenschuh bzw. 1 Paar orthop.
gleich Schnürstiefel nach Gipsabdruck
mit Innenschnürung und Puffer-
absatz bei Beinverkürzung

> 12 cm Kniehohe Orthoprothese mit unter- Verkürzungsorthoprothese mit


bautem Kunstfuß für Konfektions- unterbautem Kunstfuß nach Gips-
schuh abdruck

Bei Verordnung Angabe in Zentimeter erforderlich

Schuhzurichtungsvorschläge bei häufigen Erkrankungen


Spreizfuß, Morton-Metatarsalgie, M. Köhler II, Dornwarzen, Narben: Schmet-
terlingsrolle (▶ Abb.  23.2). Entlastung von Metatarsale II–IV. Voraussetzung: Be-
lastungsfähigkeit Metatarsale I und V. Gleichzeitige Weichbettung der Mittelfuß-
köpfchen und Aussparung der Brandsohle sinnvoll. Komb.: Einlagen bzw. Me-
tatarsalpelotten. Rp.: Schmetterlingsrolle mit Weichbettung (evtl. Ausgleich auf
Gegenseite).
810 23 Orthopädietechnik 

Arthrosen der unteren Extremität (Hüfte, Knie, Sprunggelenk, Fußwurzel),


Achillodynie: Pufferabsatz (▶ Abb.  23.2). Anbringung an Konfektionsschuh, kei-
ne Höhenveränderung, auch als Abrollhilfe verwendbar. Rp.: Ein Paar Pufferab-
sätze am Konfektionsschuh.
Hallux rigidus bzw. Großzehenverlust: Ballenrolle (▶  Abb.  23.2) und Fersen-
spange. Verbessert Abrollfähigkeit. Rp.: Ballenrolle an vorhandenem Kaufschuh.
Federspange in den vorhandenen Schuh einarbeiten.
Ankylosen der Gelenke der Beinsäule, endgradige Bewegungseinschränkun-
gen, schmerzhafte Veränderung (Arthrose) im Mittel- und Rückfuß: Mittelfuß-
rolle. Abrollhilfe zur Erleichterung der Schrittfolge. Rp.: Mittelfußrolle an vorhan-
denem Kaufschuh mit Absatzangleichung.
Quadrizepsschwäche, Kniebandläsionen: Zehenrolle. Scheitel vor den Zehen-
grundgelenken. Wirkt rückhebelnd auf das Kniegelenk. Rp.: Zehenrolle an vor-
handenem Kaufschuh.
Retropatellararthrosen, Morbus Osgood-Schlatter: Negativabsatz. Rp.: Negati-
vabsatz an vorhandenem Kaufschuh.
Fußwurzelarthrosen, rheumatischer Fuß: Abrollwiege oder Tintenlöscher: Ab-
rollhilfe bei Orthesenversorgung und kurzen Fußstümpfen. Rp.: Orthop. Schuh-
zurichtung als Tintenlöschersohle.
Varusgonarthrosen, Außenbandläsionen: Pronationskeil. Rp.: Außenranderhö-
hung der Laufsohle bis max. 1 cm am Konfektionsschuh.
Valgusgonarthrosen, Innenbandläsionen: Supinationskeil. Rp.: Supinationskeil
in oder am Konfektionsschuh.
Achillodynien, Haglund-Exostose, Bursitis: Schafterhöhung und keilförmige Er-
23 weiterung an Fersenkappe (→ Druckentlastung am Achillessehnenansatz). Rp.: Or-
thop. Zurichtung als Schafterhöhung mit keilförmiger Erweiterung als Fersenkappe.
Haglund-Ferse, Bursitiden, Hammerzehe, Hallux valgus, Silverskjöld-Exosto-
se: Polsterung, Schaftveränderung am Oberleder zur Verminderung lokaler
Druckstellen. Rp.: Orthop. Zurichtung als Polsterung am Oberleder, Weitung
oder Ausbeulung.

Abb. 23.2  Schuhzurichtungen [L106]

23.10.2 Orthopädische Maßschuhe
Definition
Nur indiziert, wenn mit anderen Maßnahmen (Einlagen, Schuhzurichtung am
Konfektionsschuh) keine befriedigende Versorgung möglich. Verordnungsfähig
   23.11  Grundlagen der Amputationschirurgie  811

sind: Halbschuhe, Stiefel, Schaftstiefel, Hausschuhe; Sonderformen: Bade-, Sport-


und Therapieschuhe.

Indikationen
Schwere Deformationen oder Ankylosen im OSG und USG, hohe Beinverkürzun-
gen, schlaffe Lähmungen, Fußdeformitäten in Komb. mit Peroneuslähmung, dau-
ernde starke Schwellungszustände (Elephantiasis). Diabetischer Fuß, schwere
Deformierung bei ICP.

Prozedere
Verordnung durch Facharzt, Versorgungsvorschlag zusammen mit Orthopädie-
schuhmacher, Kostenvoranschlag an Kostenträger, Abnahme durch Facharzt.

23.11 Grundlagen der Amputationschirurgie


23.11.1 Allgemeines
• Versorgungstechnische Klärung mit Orthopädietechnik und Besprechung der
Reha im Team möglichst bereits vor OP. Aktive Mitarbeit des Pat. erforder-
lich.
• Amputationshöhe: So weit distal wie möglich bei ausreichender Weichteil­
deckung.
• Klin. Untersuchung und intraop. Befund sind die wichtigsten Methoden zur
Bestimmung der Amputationshöhe nach Ind.-Stellung. 23
Je länger der Hebelarm, desto besser die Kontrolle über die Prothese und
desto geringer der Energieaufwand für den Prothesengang.

• Endbelastungsfähigkeit des Stumpfs unter Erhaltung der Sensibilität anstre-


ben.
• Kinder: Kongenitale Gliedmaßendefekte untere Extremität: Prothetische Ver-
sorgung mit Vertikalisierung; obere Extremität: Prothesenversorgung im
Sitzalter. Bei traumatischen Amputationen nach Möglichkeit distale Epiphyse
erhalten (→ Längenwachstum). Problem: Überschießendes Wachstum der
knöchernen Stumpfenden bei Amputation im OA und US. Gefahr der
Durchspießung.

23.11.2 Postoperative Maßnahmen
Kontrakturprophylaxe: Durch geeignete Stumpflagerung. Gefahr der Beuge- und
Abduktionskontraktur beim OS-Stumpf, Beugekontraktur bei US. Bei Gefäßpat.
horizontal oder etwas tiefer lagern.
Stumpfpflege: Hygienische Maßnahmen für Stumpf und Prothesenschaft von
großer Bedeutung. Amputationsstumpf und Innenschaft der Prothese tgl. mit lau-
warmem Wasser und geringer Menge hautfreundlicher Seife waschen. Stumpf-
strümpfe tgl. wechseln. Haut abhärten mit Bürstmassagen, mit Alkohol abreiben,
Kaltwasserbehandlung. Cave: Keine Cremes, kein Puder!
Ödemreduktion, Stumpfformung: Stumpf immer unter Kompression halten. Bis
zur endgültigen Prothesenversorgung elastische Langzugbinden distal enger,
812 23 Orthopädietechnik 

prox. weiter wickeln, dann Stumpfkompressionstrumpf. Cave: Keine Kurzzug-


binden verwenden wegen Einschnürungsgefahr. Auch nachts und zwischen den
Prothesenproben immer Kompression.
Stumpfformung mit Silikon-Linern: Alternative zur textilen Kompressionsbe-
handlung mit wiederverwendbaren Kompressionshüllen aus Silikon (z. B. Post-
OP System Fa. Medi).
Physik. Ther.: ▶ 20, Wechsellagerung des Stumpfs. Cave: Zu forciertes Durchbe-
wegen des Stumpfs kann Muskelnähte sprengen. Kontrakturprophylaxe sek., spä-
ter wichtiger.

23.11.3 Stumpfprobleme
Stumpfödem
Ätiologie
• Allg. Ursachen: Herzinsuff., Störung des Eiweiß- und Eektrolythaushalts.
• Lokale Ursachen: Wundheilung und Inf., venöse und lymphatische Abfluss-
hindernisse.
• Äußere Ursachen: Prox. Abschnürung und Behinderung des Lymphabflusses
durch schlechte Stumpfwicklung, prox. zu enger, distal zu weiter Prothesen-
schaft.
• Zu langer Prothesenschaft mit zu wenig Endkontakt.
Therapie
23 Zinkleimbinden. Fachgerechtes Wickeln, Stumpfkompressionsstrumpf, Prothe-
senschaft mit Endkontakt.

Hauterkrankungen
▶ Tab.  23.3.
Tab. 23.3  Hauterkrankungen am Prothesenstumpf und ihre Therapie
Erkrankung Beschreibung/Ursachen Therapie

Kontaktdermatitis Hautpflegemittel Decubitan®,


PC 30 V Stumpfpflegemittel®,
Hautpflegeserie Fa. Otto Bock,
anderes Schaftmaterial (vor-
her Patch-Tests)

Prothesenrandknoten Folge einer chron. Über- Endkontakt im Schaft, prox.


(multiple kleine Haut- beanspruchung durch weiten, evtl. plastische
zysten am Prothesen- punktuelle Belastung im Hautexzision
rand, oft verbunden mit Prothesenschaft, prox. zu
brauner Pigmentierung) enger Prothesenschaft

Schwitzen Teilweise durch physiol.


Schaftform mit Vollkontakt
und Endbelastung zu behe-
ben. Versuch mit Silikon-Liner

Follikulitis und Furunkel Oft aufgrund mangeln- Ruhigstellen, Hochlagern, lo-


der Hygiene von Schaft kale Salbenverbände (z. B.
und Stumpf Fuzidine®-Salbe). Inzision
möglichst vermeiden
   23.11  Grundlagen der Amputationschirurgie  813

Tab. 23.3  Hauterkrankungen am Prothesenstumpf und ihre Therapie (Forts.)


Erkrankung Beschreibung/Ursachen Therapie

Pilzinfekte Lokalbehandlung mit fungis-


tatischen Salben und Pudern
(z. B. Miconazol = Daktar®),
Bad mit Kaliumpermanganat

Hauttumoren am Hyperkeratosen, Schwie- Vollkontaktschaft mit Endbe-


Stumpf len, Hautpapillome, War- lastung
zen. Verruköse Hyperpla-
sie oft aufgrund von
mangelndem Endkontakt

Phantomgefühl, Phantomschmerz
Definition
Bei Kindern fast nie, gel. beim Erw. Phantomschmerz oft gemeinsam mit Stumpf-
schmerz. Sehr vielfältige Ursachen, z. B. schlechte Durchblutung, schlecht sitzen-
de Prothese, Stumpfneurome.

Prophylaxe besser als spätere Ther. von Stumpfproblemen: Operativ gute


Stumpfbildung. Nervenstumpf in druck- und narbenfreier Lage, vor Nerven-
amputation LA in den Nerv; Myodese (s. o.), frühzeitige Prothesenversorgung.

Therapie 23
Konservative Therapie
Günstige Beeinflussung zunächst immer durch kons. Verfahren (Polypragmasie):
• Guter Prothesensitz.
• Gleichmäßige milde Stumpfkompression verhindert venöse und lymphati-
sche Stauung. Aktive Bewegung, transkutane elektrische Nervenstimulation
(TENS).
• Physik. Ther., z. B. Moorbad, Wärme, Kryother., Hydrother., KG, Massage,
Ultraschall.
• Autogenes Training, Psychother., z. B. in Schmerzseminaren.
• Medikamente: Analgetika, Sedativa.
• Operative Verfahren
Stumpfrevision: Keine zu frühe Revision, zuvor probatorische LA. Falls Revision,
eher Verlagerung des Neuroms durch einen Hautschnitt außerhalb der Belas-
tungszone in druckgeschütztem Bereich, evtl. Lösung von Verwachsungen → Am-
putationsneurom: Dauernde Schmerzquelle durch Druck von Prothesenschaft
möglich. Neurochir. Verfahren bei Ther.-Resistenz: Z. B. elektrische Neurostimu-
lation von spinalen und supraspinalen Strukturen, Chordotomien.

Gestörte Wundheilung
Insbesondere Gefäßpat. vor OP informieren. Wichtig ist Frühdiagnose.
Therapie:
• Tgl. Verbandswechsel.
• Oft nur durch evtl. mehrmonatige kons. Ther. (z. B. Prostaglandininfusion)
oder Nachamputation zu beheben.
• Oberflächliche Wundheilungsstörung: Teilweises Entfernen von Hautfäden,
Entlasten der Haut.
814 23 Orthopädietechnik 

• Tiefe Wundheilungsstörung oder Hämatom: Offene Wundbehandlung oder


Revision.
• Bei Durchblutungsgefährdung der Haut (Hautvenenthrombosen): Evtl. Blut-
egel ansetzen.
• Infekte: Offene Wundbehandlung, nekrotisches Gewebe entfernen (scharfer
Löffel, Skalpell). Immer Salbenverbände gegen Austrocknung.

23.11.4 Checkliste für Prothesensprechstunde


Patient
• Gefäßpat.: Gegenseitiges Bein, Herz-Kreislauf; Osteoarthropathien?
• Tumorpat.: Verlauf, Metastasen, weitere allg. Ther.
• Rehabilitation: ADL, Arbeitsfähigkeit?
Stumpf
• Weichteildeckung, myoplastische Deckung, Amputationshöhe.
• Haut: Atrophisch, pigmentiert, Druckstellen, Fisteln, Narben, Ulzera, Sensi-
bilität, Zirkulation.
• Stumpfödem.
• Stumpf- und Phantomschmerzen.
• Schwitzen.
• Gelenkbeweglichkeit; Kontrakturen (z. B. Beugekontraktur OS-Stumpf).
23 Prothese
• Tragedauer.
• Passform des Schafts: Endbelastung, -kontakt, Vollkontakt, Tuberumgreifung
(bei OS-Prothese), Abschnürungen, Weichteilwulst.
• Statischer und dynamischer Aufbau, Passteilauswahl.
• Bei Liner mit distalem Verschlusssystem: Ausreichende Belastbarkeit des
Stumpfendes.
• Gangbild: Geh- und Standsicherheit, Treppe, unebenes Gelände, Abrollung,
schiefe Ebene. Achten auf typische Gehfehler: Zu starke ruckartige Streckung
des Prothesenkniegelenks, Zirkumduktion, breitspuriger Gang, Anheben des
gegenseitigen Beins zum Einleiten der Schwungphase.
• Technische Mängel: Geräusche, Kosmetik, Gewicht, Verarbeitung, Gelenk-
gängigkeit.
• Pat.-Beratung: Stumpfpflege, Prothesengebrauchsschulung, Gehschule, An-
ziehhilfen, Versehrtensportgruppen.
• Technischer Service: Orthop. Werkstätte, Reparaturen, Nachpassungsmög-
lichkeit, Sitzhilfen für den Arbeitsplatz, Wohnung und Kfz.

23.11.5 Sofort- und Interimprothesen


Sofortprothese
Definition
Auf den Gipsverband auf dem OP-Tisch angelegte Gehhilfe.
Vorteile
Pat. kann sofort nach Amputation wieder aufstehen. Reduzierte allg. Atrophie,
sofortige Reha.
   23.12  Amputationen und Prothesenversorgung der unteren Extremität  815

Nachteile
Erschwerte Wundkontrolle. Häufiger Gipswechsel mit erneutem Anbringen der
Gehhilfe. Kein physiol. Laufen. Nur für jüngere (Tumor-)Pat. geeignet. Bei AVK-
Pat. Gefahr der Stumpfrevision.

Interimprothesen
Definition
Nach prim. Wundheilung angelegte Frühversorgungsprothese, die entsprechend der
Stumpfatrophie nachgepasst werden kann. Bessere Ergebnisse als Sofortprothese.
Unterschenkelinterimprothese
Sinnvolle Vorgehensweise: 1–2 Wo. postop. Interimprothese und stationäre
Gehschule bis zur Wundheilung.
Knieexartikulationsinterimprothese
Vorgehen wie bei US-Interimprothese.
Oberschenkelinterimprothese
Kein befriedigendes konfektioniertes System am Markt. Besser individuelle Her-
stellung. Sinnvoll ist die Verwendung der definitiven Passteile und ein nachpass-
barer Oberschaft. Gehschule mit der endgültigen Funktion. Schaft wird der sich
ständig verändernden Stumpfform angepasst. Möglichst tuberumgreifende
längsovale Schaftformen (▶  23.12.8) mit Endkontakt, um Stauungen zu verhin-
dern. Systeme ohne kontrollierten Endkontakt sind ungeeignet. Querovale Schaft-
formen (▶ 23.12.8) behindern die Zirkulation. 23
23.12 Amputationen und Prothesenversorgung
der unteren Extremität
23.12.1 Zehenamputationen
Biomechanik, funktionelle Bedeutung
Immer Exartikulation im Grundgelenk, Ausnahme Großzehe. Verlust einer oder
mehrerer Zehen funktionell kaum bedeutsam. Geringe biomechanische Nachteile
bei Kleinzehenamputation. Bei Amputation der 2. Zehe Gefahr der Hallux-val-
gus-Bildung. Grenzzonenamputation: Vor allem bei Mikroangiopathien unmit-
telbar an der Demarkationslinie des gesunden zum nekrotischen Gewebe ampu-
tieren (Vorteil des natürlichen Abwehrwalls, gute Sekundärheilung).

Versorgung und Verordnung


Versorgung: Kosmetische Ersatzstücke aus Silikon oder Schaumstoffen, meist in
Konfektionsschuhen eingearbeitet (Schuhfüller) oder als Platzhalter in Zehenzwi-
schenraum eingesteckt. Cave: Bei Gefäßpat. keinen Platzhalter verordnen. Schuh-
zurichtung (Ballenrolle, Sohlenversteifung).
Rp.: Zehenersatz nach Gipsabdruck oder Maß mit oder ohne Einarbeitung in
Konfektionsschuh.

Prozedere
Anpassung nach Abschluss der Wundheilung und Abschwellung des Fußes.
816 23 Orthopädietechnik 

23.12.2 Großzehenamputation
Biomechanik, funktionelle Bedeutung
Nach Amputation Verminderung der Abstoßfähigkeit beim Übergang von der
Stand- in die Schwungphase.

Versorgung und Verordnung


Versorgung: Einlage mit kosmetischem Ausgleich (Platzhalter), eingebauter
plantarer Feder als Ersatz der Großzehenfunktion oder als Spange eingearbeitet
im Konfektionsschuh.
Rp.: Großzehenausgleich mit Federspange nach Gipsabdruck oder Einarbeitung
einer Abrollfeder in Konfektionsschuh.

Prozedere
Anpassung nach Abschluss der Wundheilung und Abschwellung des Fußes.

23.12.3 Transmetatarsale Amputation
OP-Technik
Querer bogenförmiger Hautschnitt am Fußrücken vom 1.–5. Strahl bis auf den
Knochen vor der Basis der Metatarsalia (▶  Abb.  23.3). Bildung des plantaren
Hautlappens durch Verlängerung des Hautschnitts entlang der Fußinnen- und
-außenkante nach distal bis zur Grundgelenkbeugefalte. Präparation der Knochen
23 und Durchtrennen in Höhe der Metaphysen mit oszillierender Säge. Bildung ei-
ner bogenförmigen Amputationslinie. Entfernen nekrotischen Gewebes. Kno-
chenstümpfe abrunden. Querer Überlauf- oder Redon-Drain. Spannungsfreie
Hautnaht oder Verschluss mit Steristrips®.

Abb. 23.3  Amputationslinien am Fuß [L190]


   23.12  Amputationen und Prothesenversorgung der unteren Extremität  817

Biomechanik, funktionelle Bedeutung


Endbelastbarer Stumpf mit Stelzfunktion. Nahezu völliger Wegfall der Dorsalex-
tensoren bei erhaltenem Zug der Plantarflektoren. Keine physiol. Abrollung mög-
lich. Stark verminderte Balancefläche im Einbeinstand. Verminderung der Stand-
fläche: Balanceprobleme, Knieinstabilität in der Schrittrücklage. Je proximaler die
Amputationslinie, desto größer die Gefahr der Spitzfußstellung durch Ausfall der
Extensoren.

Versorgung und Verordnung


Versorgung: Prothese mit steifer Sohle und Fersenspange mit Silikonkosmetik,
Bellmann-Prothese (funktionell, gute Kosmetik) oder Polyethylenschaum-Kos-
metik (schlechte Funktion).
Rp.: Vorfußprothese nach Gipsabdruck.

Prozedere
Wichtig ist die exakte Gestaltung der Fersenkappe, die einem Fersenhochstand
und damit einem Spitzfuß entgegenwirkt.

23.12.4 Fußwurzel (Lisfranc, Chopart)


Versorgung und Verordnung
Versorgung: Fußwurzelprothese mit Tibiaanlage, guter Fersenfassung und steifer
oder elastischer, energierückgewinnender Sohle (Abrollung).
Rp.: Fußwurzelprothese nach Gipsabdruck. 23
Prozedere
Falls Sekundärheilung → Interimversorgung mit einer entlastenden Orthese, z. B.
Allgöwer-Apparat (▶ 23.8.6).

23.12.5 Fußamputationen (Pirogow-Spitzy, Syme)


OP-Verfahren
Pirogow-Spitzy-Amputation: Amputation im Chopart-Gelenk (▶ Abb.  23.3), Re-
sektion des gesamten Talus und Arthrodese Kalkaneus – dist. Tibia-/Fibulaende.
Syme-Amputation: Resektion von Talus, Kalkaneus und beiden Malleolen (tech-
nisch anspruchsvoll). Bei Gefäßpat. auch zweizeitiges Vorgehen nach Wagner (Ex-
artikulation im OSG; nach Wundheilung nach 6–8 Wo. Resektion der Malleolen).

Versorgung und Verordnung


Versorgung: Vollbelastbarer Stumpf, Längenausgleich erforderlich (Pirogow
3–4 cm, Syme 4–7 cm; ▶ Abb.  23.4). US-Prothese hinten offen oder mit Klappe,
gute Fersenfassung (pumpen), bei aktiven Pat. mit Karbonfeder-Fuß, sonst steifer
Holz-/Kunststoff-Fuß.
Rp.: US-Prothese bei Fußamputation nach Gipsabdruck.
818 23 Orthopädietechnik 

Abb. 23.4  Rückfußamputationen [L190]

23.12.6 Unterschenkelamputation
Ziel
Möglichst viel Länge erhalten; Ausnahme Gefäßpat.: Nur prox. Drittel als Stumpf-
linie geeignet.

OP-Technik nach Burgess


Ventraler Hautschnitt vom med. Rand der Tibia zum lat. Rand der Fibula. Hinte-
rer Weichteillappen ca. 15 cm. Hautschnitt bis auf Muskelfaszie bzw. Periost. Li-
gatur der V. saphena magna. Quere Durchtrennung der Peronealmuskulatur.
Präparation und Ligatur der Peronealgefäße und -nerven. Durchtrennung der
23 Knochen unter Kühlung mit NaCl am besten mit der Gigli-Säge (zuerst Fibula,
dann Tibia). Durchtrennung des hinteren Muskel-Haut-Lappens in einem Zug.
Bei Gefäßpat. sollte der M. soleus entfernt werden (schlechtere Durchblutung).
Kürzen und Ligieren von A., V. und N. tibialis. Abrunden der Tibia. Öffnen der
Blutleere. Spülung, Blutstillung. Drainage. Fasziennaht, Hautnaht. Verband.

Biomechanik, funktionelle Bedeutung


Stumpfende nur teilbelastbar. Schaft als Vollkontaktbettung mit 10–40 % Endbe-
lastung. Weitere Belastung großflächig über die gesamte Oberfläche mit Schwer-
punkt am med. Tibiaplateau. Wenig Abstützung über Patellaband (Prothesen-
schaft verschiebt sich nach ventral bei Quadrizepsanspannung) außer bei sehr
atrophierten Stümpfen.

Versorgung
Unterschenkelprothese mit Oberschaft
• Seitl. Gelenkschienen verbinden Unterschaft aus Gießharz oder Holz mit
Oberschaft meist aus Leder. Relativ selten.
• Nachteile: Schwer, kosmetisch unbefriedigend, unphysiol. Gelenkführung, da-
durch Schaft-Bein-„Pseudarthrose“ mit Druck- und Reibestellen, Atrophie des OS.
• Ind.: Instabiles Kniegelenk, wenig belastbarer Stumpf, mit Tubersitz und
Kniesperre als Enlastungsprothese bei Gonarthrose (selten), ultrakurze US-
Stümpfe, gel. bei Pat. mit schwerer körperlicher Arbeit.
Unterschenkelkurzprothese mit suprakondylärer Fassung
• Vollkontaktschaft mit enger Umfassung der dist. Femurkondylen zur Veranke-
rung der Prothese am Bein. Pseudonyme: KBM-, PTS-, PTK-, Botta-Prothese.
• Standard-Prothese, leicht, kosmetisch unauffällig, robust, wenig wartungsin-
tensiv, keine Beeinflussung der Kniegelenkbeweglichkeit.
   23.12  Amputationen und Prothesenversorgung der unteren Extremität  819

• Vollkontakt unbedingt erforderlich.


Auch nicht endbelastbare Stümpfe
(selten) tolerieren i. d. R. Endkontakt.
• Exakte Kondyleneinbettung erfor-
derlich. Ansonsten „Pumpen“ der
Prothese.
• Nachteil: Atrophie der Muskulatur
im Bereich der Kondylenklammer.
Unterschenkelprothese mit Silikon-
oder Gel-Liner (PU, Copolymer)
• Silikon- oder Gelstrumpf wird auf
den Stumpf gerollt. Metallpin am dist.
Strumpfende greift in eine Verriege-
lung in der Prothese und arretiert den
Stumpf. Alternative zu Pin: Dichtlip-
pe oder Kniekappe. Aufbau sonst wie
Kurzprothese (▶ Abb.  23.5). Abb. 23.5 Unterschenkelprothese mit
• Nachteile: Schwerer als konventio- Silikon-Liner im Probezustand [L106]
nelle Kurzprothese, Zug am Stump-
fende bei Verwendung von Pin-Sys-
temen teilweise problematisch, Verstärkung am Liner-Ende verringert Zug,
vermehrte Schweißbildung (reduziert sich häufig nach wenigen Wo.).
• Besserer Halt der Prothese am Bein als bei konventioneller Kurzprothese.
• Ind.: Gel-Liner eher bei problematischen Stümpfen, schlechten Hautverhältnis- 23
sen; Silikon-Liner bei unproblematischen Stümpfen und aktiven Pat.
Fußpassteile ▶ 23.12.8.

Verordnung und Prozedere


Rp.: US-Prothese unter Angabe der Technik und Fußpassteile.
Prozedere: Rücksprache mit Orthopädietechniker bzgl. Passteile und Technik.
Möglichst frühe Ausstellung der Verordnung wegen Genehmigungsverfahren.
Bei Erstversorgung zunächst Interimversorgung ▶ 23.11.5.

23.12.7 Knieexartikulation
OP-Technik
Zirkulärer Hautschnitt ca. 6 cm distal des Kniegelenkspalts. Herausschälen des US
aus dem Hautschlauch bis auf Höhe des Tibiaplateaus. Desinsertion des Lig. pa-
tellae. Durchtrennen sämtlicher Verbindungen zwischen Tibiaplateau und Fe-
mur. Nach Durchtrennen der dorsalen Kapsel Präparation des poplitealen Gefäß-
Nerven-Bündels, Ligatur der Arterie und Vene. Absetzen des N. tibialis und N.
fibularis ca. 5 cm weiter prox. Ligatur des N. tibialis (begleitende Arterie). Die Pa-
tella wird belassen. Öffnen der Blutsperre. Sorgfältige Blutstillung. Drainage. Tiefe
Einzelknopfhautnähte. Wichtig: Dorsales Polstern oberhalb der Kondylen mit
Watte oder Kompressen (Dekubitusgefahr).

Biomechanik, funktionelle Bedeutung


Biomechanisch vorteilhafter als OS-Amputation, einfachere OP-Technik. Ganze
Länge des OS mit vielen Muskelansätzen = nahezu volle Muskelkraft, geringe
Kontrakturgefahr, gute Steuerbarkeit der Prothese, gute Sicherheit. Endbelastba-
res Stumpfende = wenig Druckstellengefahr, wenig unphysiol. Belastung.
820 23 Orthopädietechnik 

Versorgung
• Volle Endbelastung, keine Tuberanstützung.
• Suprakondyläre Fassung, Vollkontakthaftschaft oder Liner für den Halt der
Prothese.
• An- und Ausziehen im Sitzen ohne Hilfe bei Steckschaft, bei Vollkontakthaft-
schaft Anziehen im Stehen.
• Leichte Längendifferenz des OS gegen andere Seite wegen Aufbauhöhe Knie-
gelenk.
• Distal steifer Schaft, prox. weicher Schaft (Sitzkomfort).
Verordnung
Knieexartikulationsprothese unter Angabe der Passteile ▶ 23.12.8.

23.12.8 Oberschenkelamputation
Definition
Selbst langer OS-Stumpf ist der Knieexartikulation unterlegen. Keine volle End-
belastbarkeit. Muskelgleichgewicht gestört. Je kürzer der Femurstumpf, umso
größer die Tendenz zu Abd., Flex. und Aro.

Versorgung
Schaftform
Bei der Schaftform Unterscheidung im Wesentlichen (in Europa) in quer- und
23 längsoval. Weitere Formen: Herzform, quadrilaterale Form (USA). Standard: Tu-
berumgreifender längsovaler Schaft.
Stumpfbettung
• Schaft sollte so weit wie möglich sein, ohne dass die Prothese verloren wird.
• Immer Vollkontaktbettung.
• Immer Versuch der teilweisen Endbelastung.
• Niemals ohne Endkontakt → Stumpfpolödem!
• „Saugschäfte“ mit Saugraum sind nicht mehr zeitgemäß → Stumpfpolödem!
• Anziehstrumpf immer aus dem Schaft ziehen → Endkontakt.
• Kein Randwulst am prox. Schaftrand → Schaft zu eng.
• Keine distale Verfärbung am Stumpf.
Materialien
• Holz: Leicht nachpassbar, keine flexiblen Ränder möglich.
• Gießharz: Als tragender Rahmen mit Karbonversteifung. Nicht als Schaftma-
terial mit Hautkontakt.
• Thermoplast: Als Innenschaft in Komb. mit Karbonrahmen viele Gestal-
tungsmöglichkeiten, flexibler Rand (Komfort, Druckstellen). Auch als tragen-
des Material möglich. Dann aber nicht so steif und formstabil wie Karbon.
Thermoplastische Nachformbarkeit kaum gegeben.
• Silikon: Semiflexibel mit steifem Rahmen, hohe Adhäsion, Tragekomfort,
Muskelspiel mögl., hygienisch.
Silikon- und Gel-Liner
• Anziehen im Sitzen, leichte Handhabung.
• Guter Halt im Schaft.
• Hohes Gewicht.
   23.12  Amputationen und Prothesenversorgung der unteren Extremität  821

• Schlechtere Rotationsstabilität.
• Schlechtere Prothesenführung.
• Stärkeres Pumpen.
• Höherer Preis.
Prothesenstatik
• Schaft sollte ohne Kontrakturen in 5° Flexion und ca. 10° Adduktion einge-
stellt werden.
• Beugekontraktur muss mit 5° Zugabe berücksichtigt werden. Bei späterer
besserer Beweglichkeit Nachjustierung.
• Je aktiver der Pat., desto dynamischer der Prothesenaufbau. Sicherheit geht
auf Kosten der Dynamik und Energiebilanz. Es muss individuell der beste
Kompromiss gefunden werden.
• Je länger der Vorfußhebel, desto sicherer die Statik.
• Je weiter dorsal die Kniegelenkachse, desto sicherer die Statik.
Fußpassteile
• Viele funktionell unterschiedliche Fußpassteile ermöglichen individuelle Lö-
sungen. Sehr große Preis- und Funktionsunterschiede.
• Gelenklose, starre Füße:
– z. B. SACH-Fuß: „Solid Ankle Cushioned Heel“.
– Einfachste und billigste Ausführung.
– Geringes Gewicht.
– Kosmetisch gut zu bearbeiten (Botta-Technik).
• Gelenklose energiespeichernde Füße: 23
– Blattfeder aus Kunststoff speichert Energie bei der Schrittabwicklung und
gibt sie zurück bei der Zehenablösung.
– Energiesparendes Gehen.
– Einsatzbereich vom Geriatriker bis Sportler (unterschiedliche Füße).
– Relativ teuer.
• Einachsige Füße:
– i. d. R. plantar beweglich, dorsal gesperrt → weicher Fersenauftritt, Kniesi-
cherung durch Vorfußhebel über dorsalen Anschlag.
– Fast ausschließlich Geriatriebereich in Verbindung mit gesperrtem Knie-
gelenk.
• Polyzentrische Füße:
– Alle Bewegungsrichtungen.
– Komfortabel.
– Für unebenes Gelände.
– Pat. mit großem Sicherheitsbedürfnis.
Kniegelenkmodule
• Viele funktionell unterschiedliche Kniepassteile ermöglichen individuelle Lö-
sungen. Sehr große Preis- und Funktionsunterschiede. Vom simplen Einach-
ser bis zum computergesteuerten System.
• Sperrbare Kniegelenke:
– Höchster Sicherheitsanspruch bei Geriatrikern.
– Beim Laufen gesperrt, zum Sitzen entriegelbar.
• Monozentrische Kniegelenke: Einachsige Gelenke. Sicherung über Aufbau
(Rückverlagerung der Achse gegenüber Belastungslinie) oder über mechani-
sche oder hydraulische Systeme (▶ Tab.  23.4).
• Polyzentrische Kniegelenke: Mehrachsige Gelenke. Sicherung über Achsan-
ordnung.
822 23 Orthopädietechnik 

• Computergesteuerte Kniegelenke:
– Sensoren erfassen mehrere Parameter und stellen aufgrund dieser Infor-
mation die erforderlichen Dämpfungswiderstände für Flexion, Extension
und Standphasensicherung bereit (▶ Tab.  23.4).
– Breitester Einsatzbereich.
– Passt sich fast jeder Gehgeschwindigkeit an.
– Alternierendes Treppab- und Schiefe-Ebene-Gehen möglich.
– Beste Resultate in Funktion und Physiologie.
– Hoher Preis.

Tab. 23.4  Standphasensicherung und Schwungphasensteuerung bei Kniege-


lenkmodulen
Standphasensicherung

Mechanisch Hydraulisch Mit Auftrittstoßdämp-


fung

• Einfache Technik • Alternierendes • Hohe Sicherheit


• Keine hohen Ansprüche an Treppabgehen • Kein alternierendes
den Pat. grundsätzlich mög- Treppabgehen
• Meist wie Trommelbremse bei lich • Auftrittstoßdämp-
Fahrzeugen • Schiefe Ebene alter- fung schont WS und
• Einstellbare Wirkung nierend möglich Gelenke
• Alternierendes Treppabgehen • Gute Koordination
nahezu unmöglich vom Pat. erforderlich

23 Schwungphasensteuerung

Mechanisch Hydraulisch Pneumatisch

• Federvorbringer begrenzen • Einstellbarer Hydrau- • Einstellbarer Pneu-


Beugeausschlag, Achsfriktion likzylinder dämpft matik-Zylinder
bremst Bewegung Flexion und Extensi- dämpft Flexion und
• Gehgeschwindigkeit abhängig on Extension
von Gewicht und Hebellänge • Für mittlere bis hohe • Für geringe bis mitt-
des US Aktivität lere Aktivität
• Nur eine Gehgeschwindigkeit • Kostet Energie • Gute Energieeffizi-
befriedigend möglich enz
• Einfaches kostengünstiges Sys-
tem
• Weitgehend überholt

Verordnung und Prozedere


Rp.: OS-Prothese. Angabe der Schafttechnik, des Materials und der Passteile.
Prozedere: Möglichst frühzeitige Verordnung wegen Genehmigungsverfahren.
Rücksprache mit Orthopädietechnik wegen geeigneter Passteilauswahl und
Schafttechnik. Bei Erstversorgung ▶ 23.11.5.

23.12.9 Hüftexartikulation, Hemipelvektomie und


intertrochantäre Amputation
Definition
Anteil von Amputationen im Hüftbereich ca. 1–2 % aller Amputationen im Bein-
bereich. Maligne Tumoren Hauptursache für diese Amputationshöhe. Voll be-
lastbares Stumpfende.
   23.12  Amputationen und Prothesenversorgung der unteren Extremität  823

Versorgung
• Beckenkorb mit ausgeprägter Taillierung oberhalb der Beckenkämme, um ein
Pumpen der Prothese zu verhindern.
• Tuberumgreifung zur besseren Prothesenführung.
• Prothesenseite 1–2 cm kürzer → leichteres Durchschwingen der Prothese in
der Schwungphase.
• Sehr energieaufwändiges Laufen.
• Hüftgelenk weit vor der Belastungslinie zur Sicherung.
• Häufig Sitzkissen als Höhenausgleich erforderlich.
• Knie- und Fußpassteile ▶ 23.12.8.
Verordnung und Prozedere
Rp.: Hüftgelenkexartikulationsprothese. Angabe der Ausführung und der Passteile.
Prozedere: Rücksprache mit Orthopädietechnik wegen geeigneter Passteilaus-
wahl und Prothesenausführung. Bei Erstversorgung ist oft nach kurzer Zeit ein
neuer Schaft erforderlich.

23.12.10 Orthoprothesenversorgung nach Borggreve-


Umkehrplastik
Biomechanik, funktionelle Bedeutung
• Alternative zur OS-Amputation bei Malignomen im dist. Femurbereich (auch
▶ 14.5.1).
• Nach radikaler Resektion eines Femuranteils und des gesamten Kniegelenks 23
(unter Erhalt der Gefäße und Nerven) Rotation des US um 180° und Replan-
tation am verbliebenen Femuranteil → OSG wird zum funktionellen Kniege-
lenk. Der Drehpunkt des OSG liegt dabei etwa in gleicher Höhe wie der phy-
siol. Drehpunkt des Kniegelenks der Gegenseite. Dorsalextension des OSG
wird zur Knieflexion und umgekehrt bei voller Belastbarkeit.
• Modifikation der Umdrehplastik auch bei malignen Tumoren des Femurs im
mittleren und prox. Drittel sowie prox. Tibia.

Versorgung
• Einbettung des Fußes in aktiv erreichbarer Spitzfußstellung.
• US-Teil als Aufnahme des Fußes, Kosmetik.
• OS-Teil postop. mit Tubersitz, später als lange Hülse.
• Schienengelenke auf Höhe der Sprunggelenke, wenn möglich rückverlagert
einbauen wegen statischer Sicherheit.
• Fußpassteile ▶ 23.12.8.
Verordnung und Prozedere
Rp.: Orthoprothese bei Borggreve-Umkehrplastik. Angabe der Passteile.
Prozedere: Rücksprache mit Orthopädietechnik wegen Passteilen und Versor-
gungsplan. Zunächst Interimversorgung mit Tubersitz. Später Abnahme des Tu-
bersitzes.
824 23 Orthopädietechnik 

23.13 Amputationen und Prothesenversorgung


der oberen Extremität
23.13.1 Allgemeines
Ätiologie: Meist Unfallfolgen. Unterscheidung in aktive und passive Armprothe-
sen.

Kosmetische Prothesen (Schmuckarm, Schmuckhand,


Habitusprothese)
• Lediglich kosmetische Verkleidung (▶ Abb.  23.6).
• Sehr unauffällig, da in Form und Farbe der anderen Hand anpassbar.
• Als Widerlager der anderen Hand nutzbar.
• Geringes Gewicht.
Passiver Arbeitsarm
• Robuste Prothese mit auswechselbaren Arbeitsgeräten (z. B. Haken).
• Keine kosmetischen Ansprüche.
• Keine aktive Greiffunktion.
Aktiver Greifarm, Eigenkraftprothese
• Über Schulterzug zu betätigende Greiffunktion.
23 • Auswechselbare Greifgeräte (▶ Abb.  23.6) oder mechanische Greifhand (Kos-
metik).
• Funktionell gut.
• Begrenztes Feedback.
• Robust und universell.
• Kostengünstig.
Fremdkraftprothese
• Elektromotoren führen Funktionen aus: Hand öffnen/schließen, Pro-/Supi-
nation, Ellenbogen beugen/strecken, Ellenbogen-, Schultergelenk verriegeln.
• Steuerung über mechanische Schalter, elektronische Steuerungselemente,
Kraftsensoren oder myoelektrische Signale (▶ Abb.  23.6). Komb. möglich.
• Willkürliche und proportionale Greifkraftsteuerung möglich.
• Einfache myoelektrische Hände oder mulitartikulierende Hände.
• Intensives Training erforderlich durch erfahrene Ergotherapeuten. Dauernde
Nutzung erforderlich, sonst Trainingsverlust.
• Bei Kindern nach Training Bahnung möglich. Versorgung ab 3–4 J.
• Standardversorgung funktionell überlegen.
• Relativ schwer.
• Silikonkosmetik (teuer, wird oft nicht erstattet) möglich.
   23.13  Amputationen und Prothesenversorgung der oberen Extremität  825

23

Abb. 23.6  Verschiedene Unterarmprothesen [L106]

23.13.2 Fingeramputationen
Definition
Unbedingt schmerzfreie, gute Stumpfdeckung. Bei Verlust eines einzelnen Fin-
gers gute funktionelle und kosmetische Kompensation (Ausnahme: Daumen).

Biomechanik, funktionelle Bedeutung


Epithesen aus Silikon als Funktionsersatz und Kosmetikausgleich.

Verordnung
Fingerprothese aus Silikon.

23.13.3 Teilhand
Definition
Bei Absetzung aller Finger verliert der Daumen sein Widerlager zur Greiffunkti-
on. Das zu schaffende Widerlager ist abhängig von der späteren Nutzung der Pro-
these durch den Pat.
826 23 Orthopädietechnik 

Versorgung
Funktionelle Versorgung: UA-Hülse mit Aussparung zur freien Beweglichkeit
des Daumens; in Opposition gearbeitete Gegenlagerspange oder Löffel. Bei Ver-
lust des Daumens umgekehrte Vorgehensweise. UA-Hülse und Widerlager sind
gelenkig verbunden. Handgelenkbewegung öffnet und schließt die Hand. Funkti-
onell anspruchsvolle Versorgungen mit myoelektrischen Fingerprothesen.
Kosmetischer Ersatz: Kosmetikhandschuh mit volarem Reißverschluss in der Innen-
hand zur Befestigung am UA. In Form, Farbe und Oberflächenstruktur der natürli-
chen Hand nachgebildet. Alternative: Silikonprothese (sehr gute Kosmetik, teuer).

Verordnung und Prozedere


Rp.: Funktioneller Teilhandersatz nach Gipsabdruck, kosmetischer Finger und
Teilhandersatz. Myoelektrische Fingerprothese.
Prozedere: Anpassung erst nach guter Belastungsfähigkeit der Narben. Längere
Testphase der Prothese mit funktionsbedingten Änderungen im halbfertigen Zu-
stand.

23.13.4 Handgelenkexartikulation
Definition
Sehr langer distal verbreiteter Stumpf sorgt für schlechte Kosmetik, aber gute Pro-
thesenhaftung.

23 Versorgung
• Keine Kondylenumgreifung erforderlich.
• Gute Rotationsstabilität.
• Aktive Pro-/Supination.
• Spezielle Prothesenhände ermöglichen kosmetisch befriedigende Versorgung.
• Als Fremdkraft-, Kraftzug- und Kosmetikprothese versorgbar.
Verordnung und Prozedere
Rp.: Handgelenkexartikulationsprothese nach Gipsabdruck. Angabe der Ausführung.
Prozedere: Rücksprache mit Orthopädietechnik und ggf. mit Ergother. bzgl. ge-
wünschter Versorgung.

23.13.5 Unterarmamputation

Je länger der Stumpf, desto besser die Prothesenführung und Funktion.

Versorgung
• Alle Systeme möglich ▶ 23.13.1.
• Besonders geeignet für myoelektrische Versorgungen.
• Stumpfbettung mit individuellem Silikon-Liner oder Silikonschaft.
Verordnung und Prozedere
Rp.: UA-Prothese unter Angabe der gewünschten Technik und Ausführung.
Prozedere: Rücksprache mit Orthopädietechnik und ggf. Ergother. Bei Myopro-
thesen Training durch geschulte Ergotherapeuten erforderlich.
   23.13  Amputationen und Prothesenversorgung der oberen Extremität  827

23.13.6 Ellenbogenexartikulation
Definition
Sehr langer OA-Stumpf mit dist. Verbreiterung.

Versorgung
• Keine Schulterfassung.
• Alle Systeme möglich ▶ 23.13.1.
Verordnung und Prozedere
Rp.: Ellenbogenexartikulationsprothese unter Angabe der gewünschten Technik
und Ausführung.
Prozedere: Rücksprache mit Orthopädietechnik und ggf. Ergother. Bei Myopro-
thesen Training durch geschulte Ergotherapeuten erforderlich.

23.13.7 Oberarm
Versorgung
• Nur bei sehr kurzen Stümpfen Schulterkappe erforderlich.
• Stumpfbettung mit individuellem Silikon-Liner.
• Alle Systeme möglich ▶ 23.13.1.
Verordnung und Prozedere
Rp.: OA-Prothese unter Angabe der gewünschten Technik und Funktion. 23
Prozedere: Rücksprache mit Orthopädietechnik und ggf. Ergother. Bei Myopro-
thesen Training durch geschulte Ergotherapeuten erforderlich.

23.13.8 Schulterexartikulation und interthorakoskapuläre


Amputation
Versorgung
• Thoraxhalbschale in Rahmenschafttechnik, ggf. mit Silikon-Liner.
• Geschultes Versorgungsteam obligatorisch.
• Alle Systeme möglich ▶ 23.13.1.
• Targeted Muscle Reinervation (TMR): Neue Methode der myoelektrischen
Steuerung über implantierte Elektroden.

Verordnung und Prozedere


Rp.: Schulterexartikulations- oder interthorakoskapuläre Prothese unter Angabe
der gewünschten Funktion und Passteile.
Prozedere: Rücksprache mit Orthopädietechnik und ggf. Ergother. Training
durch geschulte Ergotherapeuten erforderlich.

23.13.9 Doppelamputationen
Sehr komplexe Aufgaben für das Versorgungsteam.
• Selbstständigkeit und funktionelle Versorgung stehen im Vordergrund.
• Umfangreiche Ergother. obligatorisch.
• Alltagshilfen wie Anziehbaum, Toilettenhilfen, usw. erforderlich.
828 23 Orthopädietechnik 

23.14 Rehabilitationsmittel
23.14.1 Rollstühle
Kriterien
Selbstfahrer, Sitzbreite, Sitzhöhe, US-Länge, Rumpfgröße, Aktivität (Hand, Arm-
kraft), Einsatzumgebung (Straße, Wohnung). Modellauswahl zusammen mit Er-
gotherapeuten, KG und Orthopädietechnik.

Individuelle Versorgung
Durch Baukastensysteme mittels der Zubehörteile (z. B. hoch schwenkbare Bein-
teile, Sitz- und Rückenpolsterungen, Desk-Armlehnen und Handlagerungen,
Kopfstützen):
• Standardrollstuhl (Faltfahrer): Hauptsächlich für Geriatrieversorgung.
• Schiebewagen: Geriatrische Versorgung, keine selbstständige Fortbewegung.
• Aktiv- oder Sportrollstuhl: Junge dynamische Menschen, Paraplegiker.
• Kinderrollstühle > Adaptivrollstuhl: Evtl. mit individueller Sitzschaleneinpassung.
• Handbetriebs-Selbstfahrer: Fortbewegung für Pat. mit ausreichender Ober-
körperfunktion und Armkraft zur selbstständigen Überwindung längerer
Wegstrecken zum Training von Herz-, Kreislauf- und Muskelfunktion.
• Elektrofahrstühle: Fortbewegungsmittel für Pat. ohne ausreichende Kraft,
keine Hilfskraft nötig.
• Sondersteuerungen für Schwerstbehinderte.
23 • Dusch-/Toilettenrollstühle: Als Sonderform für Schwerstbehinderte verord-
nungsfähig.

Verordnung und Prozedere


Rp.: Alle vom Versorgungsteam ausgesuchten Rollstuhlzubehörteile auf Rezept,
z. B. ein Faltrollstuhl mit Greifreifen, hoch schwenkbaren Beinstützen, Desk-
Armlehnen, Sicherheitsgurt, verstellbarer Armauflage, 45er-Sitzbreite.
Prozedere: Frühzeitige Verordnung, damit in Klinik Anpassung und Rollstuhl-
training möglich. Bei Schwerstbehinderten Zimmer- und Straßenrollstuhl (evtl.
Elektrofahrer) verordnungsfähig. Nach Lieferung Überprüfung der ordnungsge-
mäßen Lieferung des Rollstuhls.

23.14.2 Geh- und Stehhilfen


Indikationen
Vorübergehende oder dauernde Belastungsunfähigkeit der unteren Extremität.
Entlastung bis 20 % möglich (▶ Tab.  23.5, auch ▶ 20.2.2).

Tab. 23.5  Geh- und Stehhilfen


Geh-/Stehhilfe Bemerkungen

Gehwagen mit Achselstüt- Zum Gehenlernen nach OP an der unteren Extremi-


zen tät. Kraftaufnahme durch Achselstützen (Kraftlosig-
keit, Koordinationsstörung)

Rollator Bei Gangunsicherheit, wenn Gehen mit UAGST noch


nicht möglich. Speziell für Kinder.
  23.14 Rehabilitationsmittel  829

Tab. 23.5  Geh- und Stehhilfen


Geh-/Stehhilfe Bemerkungen

Gehbock Zwei Ausführungen: Starr und reziprok

Achselstützen Seltener angewendet. Gefahr der Nervenläsion und


Durchblutungsstörung

Unterarmgehstützen Voraussetzung: Ausreichende Muskelkraft, Koordina-


(Kirschnerstöcke, Arthritis- tionsvermögen, Balancefähigkeit und genügende
gehhilfe) Aufrichtbarkeit des Rumpfs. Entlastung der unteren
Extremität bei Lähmungen, Amputationen, postop.
Entlastung, schmerzhaften Gelenkerkr. der unteren
Extremität

Vierfußgehstütze Bes. bei Kindern mit ataktischen Störungen. Arthritis-


gehstütze. Abstützung auf angewinkeltem UA. Ge-
ringe Handkraft notwendig

Fritzstock Auch mit anatomischem Handgriff

Ganzkörperstehständer Ganzkörperfixation vorwiegend für Kinder mit neu-


romuskulären Erkr. Auch als Schrägliegebrett zu ver-
wenden

Elektrohydraulisches Steh- Für Tetraplegiker zur Dekubitusprophylaxe, Ödemver-


brett meidung, Kreislauftraining, Aufrichten ohne fremde
Hilfe

23
Gehhilfen werden bei einseitiger Verwendung immer auf der Gegenseite des
betroffenen Beins getragen!

23.14.3 Alltagshilfen (Auswahl)
Versorgung mit Hilfsmitteln gehört zu den Aufgaben der Ergo- und Physiother.
I. d. R. Fertigartikel. Sonderkonstruktionen werden vom Orthopädietechniker ange-
fertigt.

Indikationen (Beispiele)
Amputationen, ICP, Fehlbildungen und Verbrennungen.

Beispiele
• Untere Extremität:
– Langer Schuhlöffel und Strumpfanzieher (Flexionseinschränkung der
Hüfte).
– Toilettensitzerhöhung (postop. nach TEP, WS-OP, Bewegungseinschrän-
kung im Hüftgelenk).
– Hydraulischer Badewannensitz (z. B. Aqua-Tec®), Arthrodesenstuhl
(Hüftgelenkarthrodese).
– Stehhilfe nach WS-OP, wenn tiefes Sitzen nicht erlaubt ist.
• Obere Extremität:
– Essbestecke mit Sondergriffformen (z. B. Kartoffelschäler).
– Schlüsseldrehhilfen.
– Türgriffverstärkungen.
830 23 Orthopädietechnik 

23.15 Lagerungsschalen aus Schaumstoff


23.15.1 Bauch-, Rückenliegeschale
Definition
Aus Schaumstoff gefertigte Lagerungsschale als Ganz- oder Teilkörperlagerung.
Zur schmerzfreien, tonushemmenden Lagerung.

Indikationen
Neuromuskuläre Erkr. bei Kindern mit Hüftluxation oder Luxationsgefahr, bei
Schwerbehinderten mit Kontrakturen in mehreren Gelenken. Postop. Lagerung.

Verordnung und Prozedere


Rp.: Bauch- bzw. Rückenlagerungsschale unter Angabe der gewünschten Position
und Gelenkstellungen.
Prozedere: Umrisszeichnung Orthopädietechniker mit Arzt oder KG, Anferti-
gung und ständige Lagekontrolle mit KG, Funktions- und Passformkontrolle.

23.15.2 Lagerungssystem
Definition
Auf eine Unterlage (Matratze) werden zur Lagerung bis zu 4 Lagen (2 Seit-, Rü-
23 cken-, Bauchlage) individuell gefräste Schaumstoffelemente aufgesteckt. Zur
schmerzfreien, tonushemmenden und kontrakturbremsenden Lagerung. Erspart
4 unterschiedliche Matratzen.

Indikationen
Neuromuskuläre Erkr. mit Hüftluxation oder Luxationsgefahr. Schwerbehinderte
mit Kontrakturen in mehreren Gelenken. Lagerung in wechselnden Positionen
erforderlich.

Verordnung und Prozedere


Rp.: Schaumstofflagerungssystem. Angabe in welchen Lagen und Gelenkstellun-
gen.
Prozedere: Umrisszeichnung Orthopädietechniker mit Arzt oder KG, Anferti-
gung und ständige Lagekontrolle mit KG, Funktions- und Passformkontrolle.

23.16 Zuzahlungen
Zuzahlungspflicht
Alle orthopädischen Hilfsmittel sind zuzahlungspflichtig. Bei der Zuzahlungsre-
gelung wird unterschieden zwischen folgenden Hilfsmitteln:
• Zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel: Können wegen ihrer Beschaffenheit,
ihres Materials oder aus hygienischen Gründen nur einmal ununterbrochen
benutzt werden und sind i. d. R. für den Wiedereinsatz nicht geeignet. Zuzah-
lungsregelung:
– 10 % je Packung, höchstens 10 Euro für den Monatsbedarf je Indikation.
– Zuzahlung auf max. Monatsbetrag von 10 Euro für alle zum Verbrauch
bestimmten Hilfsmittel begrenzt (kein Mindestbetrag).
  23.17 Aufzahlungen  831

• Nicht zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel: Können mehrmals von einem


oder – im Wiedereinsatz – von verschiedenen Versicherten verwendet wer-
den. Zuzahlungsregelung:
– 10 % des Vertragspreises bzw. des Festbetrags, mindestens 5 Euro und
max. 10 Euro.
– Zuzahlung auf Kosten des Mittels begrenzt.

Ausnahmen bedingt durch die Hilfsmittelzuordnung


Bei Produkten, die aufgrund von Schwangerschaftsbeschwerden abgegeben wer-
den oder die im Zusammenhang mit der Entbindung stehen (kausaler Zusam-
menhang muss vorliegen), entsteht in Anlehnung an § 196 RVO keine Zuzahlung,
z. B. Kompressionsstrümpfe im Rahmen einer Schwangerschaftsvarikosis.

Ausnahmen bedingt durch soziale Gesichtspunkte


Für orthop. Hilfsmittel gilt die Härtefallklausel nach § 62 SGB V, nach der Pat. mit
geringem Einkommen von der Zuzahlung befreit sind. Dies muss nachgewiesen
werden.
• Die Belastungsgrenze liegt bei 2 % und bei chron. Kranken bei 1 % der Brutto-
einnahmen zum Lebensunterhalt pro Kalenderjahr.
• Kinder und Jugendliche bis 18 J. sind von der Zuzahlung befreit.
Ausnahmen bedingt durch das Versicherungsverhältnis
• Privatpat.
• Pat., die nicht über eine gesetzliche Krankenkasse versichert sind, z. B. BG, 23
Gemeindeunfallversicherung, Freie Heilfürsorge, Bundesamt für Zivildienst
usw.

23.17 Aufzahlungen
Die GKV ist zur Kostenübernahme von medizinisch notwendigen Hilfsmitteln,
die „ausreichend und zweckmäßig“ sind, verpflichtet. Orthopädietechniker und
Sanitätshäuser können mit dem Pat. eine Aufzahlung vereinbaren, wenn der Pat.
über dieses Maß hinaus eine höherwertige Ausstattung des Hilfsmittels wünscht
(z. B. eine hochwertige Kosmetik an einer Prothese).
24 Arzneitherapie
Michael Clarius, Marcus Schiltenwolf, Andreas Werber,
Michael Schmidt, Arno Dormann und Steffen Breusch

24.1 Schmerztherapie 24.3 Thromboseprophylaxe und


Andreas Werber und -therapie
Marcus Schiltenwolf 834 Michael Schmidt und
24.1.1 Grundlagen der medikamen- Steffen Breusch 853
tösen Schmerztherapie, 24.3.1 Präoperative
­WHO-Stufen-Schema ­Risikoeinstufung 853
24.1.2 Nichtopioidanalgetika 24.3.2 Heparin 853
Andreas Werber und 24.3.3 Cumarine 856
Marcus Schiltenwolf 835 24.3.4 Faktor-Xa-Inhibitoren 858
24.1.3 Opioide 24.3.5 Direkte Thrombininhibito-
Andreas Werber und ren 859
Marcus Schiltenwolf 838 24.3.6 Acetylsalicylsäure (ASS) 860
24.1.4 Nichtanalgetika 24.4 Arzneimittel in der
Andreas Werber und ­Schwangerschaft (Positivliste)
Marcus Schiltenwolf 843 Michael Schmidt 861
24.1.5 Peri- und postoperative 24.5 Glukokortikoide
Schmerztherapie Arno Dormann 864
Andreas Werber und
Marcus Schiltenwolf 847
24.2 Antibiotika und ­Antimykotika
Michael Clarius 849
24.2.1 Grundlagen 849
834 24 Arzneitherapie 

24.1 Schmerztherapie
Andreas Werber und Marcus Schiltenwolf

24.1.1 Grundlagen der medikamentösen Schmerztherapie,


WHO-Stufen-Schema
Akute und chron. Schmerzen: Unterschieden werden muss zwischen der Be-
handlung akuter nozizeptiver und neuropathischer Schmerzen (posttraumatisch,
postop.) und chron. Schmerzen der Stütz- und Bewegungsorgane (neurogen-ent-
zündliche, nozizeptive, neuropathische Schmerzen, somatoform-psychogene
Schmerzen). Akute Schmerzen werden bedarfsbezogen, chronische dagegen
durch Antizipation (mit Retardpräparaten mit kontinuierlichem Wirkspiegel) be-
handelt.
Cave: Chron. Schmerzen, die Folge eines dysfunktionalen Umgangs mit Körper
und Befinden sind (neurogen-entzündliche, somatoforme Schmerzen), sollen
durch Verhaltensänderung, nicht durch Medikamente behandelt werden.
Schmerzmedikamente: Unterscheidung nicht mehr zwischen peripher und zent-
ral wirksamen Analgetika, weil z. B. Acetylsalicylsäure (ASS) auch zentrale An-
griffspunkte hat und sich Opioidrezeptoren auch peripher finden.

Ziele der medikamentösen Schmerztherapie


• Schnelle Mobilisierung nach Traumen und OPs.
• Vermeidung einer Chronifizierung des Schmerzes.
• Steigerung der physischen, psychischen und sozialen Funktionskapazitäten.
• Erhöhung der Lebensqualität und Ermöglichung der Schmerzbewältigung bei
chron. Schmerzen.

24 Vorgehen
Schmerzanalyse: Nozizeptiv, neurogen-entzündlich, neuropathisch, funktionell,
somatoform. Sinnvoll ist, sowohl organische wie auch nichtorganische Schmerz-
ursachen zu analysieren (▶ 19.3.1).
Differenzielle Schmerzther.: Schmerzanalyse → Auswahl der Medikamente ent-
sprechend Art, Umfang und Chronizität der Schmerzen → Dosierung entspre-
chend Intensität: Bei akuten Schmerzen soll eine Halbierung, bei chron. Schmer-
zen eine Linderung um 2–3 Punkte auf einer zehnstufigen Schmerzskala erreicht
werden (▶ Tab. 24.1). Führen Schmerzmittel zu keiner Linderung, muss erwogen
werden, dass die (Schmerz-)Diagnose falsch ist. Bei chron. Schmerzen ist eine Do-
sissteigerung Hinweis auf Wirkverlust und kann eine Indikation zum Schmerz-
mittelentzug sein.

Tab. 24.1  Schmerzen und therapeutische Gesichtspunkte


Schmerzart Schmerzentwicklung Schmerzqualität Therapeutische
Gesichtspunkte

Nozizeptiver Akut: Nach Unfällen, nach Zunächst hell, Bedarfsbezogen ent-


Schmerz Fehlbelastungen, postop. dann eher dun- sprechend Intensität
aktivierte Arthrose kel behandeln:
• NSAR
• Muskelrelaxanzien
• Opioide
  24.1 Schmerztherapie  835

Tab. 24.1  Schmerzen und therapeutische Gesichtspunkte (Forts.)


Schmerzart Schmerzentwicklung Schmerzqualität Therapeutische
Gesichtspunkte

Neurogen- Langsam einsetzend, Dumpf, drü- • Bei chron. Verläu-


entzündli- durch Sensibilisierung zu- ckend fen nur vorüberge-
cher Schmerz nehmend, daher oft sub- hend, dann antizi-
akut und chron.: Myofas- pativ einstellen:
zialer Weichteilschmerz Retardierte NSAR,
Muskelrelaxanzien
• Adjuvanzien: Anti-
depressiva

Neuropathi- Schädigung peripherer Ziehend bis • Antizipativ einstellen


scher Nerven:Nervenverletzung brennend, an- • Antidepressiva, Anti-
Schmerz (CRPS II), -kompression PNP, fallsweise konvulsiva, Opioide
Trigeminusneuralgie, CRPS I

Funktionelle Störung der körpereige- Migrierend mit • Keine Opioide!


Schmerzen, nen endogenen Schmerz- vielen Schmer- • Antidepressiva
somatoforme kontrolle zen an vielen Or-
Schmerzstö- ten und vegeta-
rung tiven Beschwer-
den; keine typi-
sche Qualität

Tipps zur Schmerztherapie


• Bei Beginn einer neuen Schmerzther. sorgfältige Analgetikaanamnese:
Gefahr der NW → Kumulation bei Analgetika-Abusus.
• Bei chron. Schmerzen zusätzlich nichtmedikamentöse Maßnahmen:
z. B. LA, Akupunktur, physik. Ther., Psychother. (multimodale
Schmerzther. ▶ 19.2).
• Das Suchtrisiko ist bei bedarfsgerechter Schmerzmedikation z. B. mit 24
Opioiden sehr gering, solange die Dosierung, die zur reinen Antagoni-
sierung des Schmerzes notwendig ist, nicht überschritten wird. Dies
schließt Schmerzmittelfehlgebrauch nicht aus!

24.1.2 Nichtopioidanalgetika
Andreas Werber und Marcus Schiltenwolf

WHO-Stufen-Schema
Stufe I; Komb. mit Opioiden der Stufe II und III bei stärksten Schmerzen möglich
(▶ Tab. 24.2).
836 24 Arzneitherapie 

Tab. 24.2  WHO-Stufen-Schema zur Schmerztherapie


Stufe I: Mäßige Stufe II: Starke Schmerzen Stufe III: Stärkste Schmerzen
Schmerzen

Nichtopioidan- Niederpotente Opioidanalgeti- Hochpotente Opioidanalgeti-


algetika ka + Nichtopioidanalgetika ka + Nichtopioidanalgetika

± Adjuvantien (zur Unterstützung der Analgesie, z. B. Antidepressiva, Antikonvulsi-


va, Muskelrelaxantien, Glukokortikoide und der Behandlung von Analgetika-
Nebenwirkungen, z. B. Antiemetika, Laxantien)

Indikationen
• Mäßige Schmerzen des Stütz- und Bewegungsapparats, v. a. akute Schmerzen
nach Verletzungen und Überlastungen sowie postop.
• Subakute Schmerzen: Retardierte Präparate, v. a. NSAR.
• Chron. Schmerzen: Vor allem zentral wirkende Nichtopioide (z. B. Novamin-
sulfon).

• Nichtopioidanalgetika sind bei neuropathischen Schmerzen wenig wirk-


sam.
• Eine Dauerbehandlung ist nur bei manchen Verläufen entzündlich-
rheumatischer Erkrankungen indiziert – ansonsten zeitlich begrenzen
(bis etwa 4 Wo.).

Kontraindikationen
Absolute KI: Allergien gegen die vorgesehenen Substanzen; zudem für NSAR:
Aktuelle Magen- oder Duodenalulzera, Blutgerinnungsstörungen, Asthma bron-
chiale. Keine Coxibe bei kardiovaskulären Erkrankungen. Weitere KI ergeben
sich aus dem sehr unterschiedlichen NW-Spektrum der einzelnen Substanzen
24 (siehe dort).
Relative KI für NSAR: Pat. mit pos. Ulkusanamnese, aber auch Pat. > 60 J. sollten
einen Magenschutz (z. B. Pantoprazol) erhalten. Täglich sterben in Deutschland
ca. 10 Menschen an GIT-NW von NSAR.

Tipps
• Dispersible Formen mit schnellem Wirkeintritt (z. B. Diclofenac dis-
pers®) für die Akutther., retardierte Formen (z. B. Voltaren® Resinat) für
die Dauerther.
• Mischpräparate (Stufe-I- und Stufe-II-Analgetika [WHO-Stufensche-
ma] gemischt) bieten keinerlei Vorteile, die Gefahr der psychischen Ab-
hängigkeit ist aber größer.

Antiphlogistische und antipyretische saure Analgetika


(nichtsteroidale Antirheumatika – nichtselektive COX-Inhibitoren, COX-
2-Hemmer; ▶ Tab. 24.3)
• i. d. R. COX-Hemmer, wobei COX-2-Hemmer geringere GIT-NW aufweisen.
• Wirkung: Schmerz- und entzündungshemmend, fiebersenkend.
• Cave: Alle COX-Hemmer hemmen auch körpereigene reparative Vorgänge,
daher nur intermittierend einsetzen!
  24.1 Schmerztherapie  837

Tab. 24.3  Nichtsteroidale Antirheumatika


Wirksubs- Handelsname Max. Indikation NW (Inzidenz in %)
tanz (Auswahl) Tagesdosis ­(Beispiele)

ASS Aspirin® 3 g • Nozizeptive und Magen-Darm-Trakt


entzündliche (10 %):
Ibuprofen Imbun® 2,4 g Schmerzen • Übelkeit
• Trauma und • Ulzerationen
Diclofenac Voltaren® 0,15 g • Schmerzen
­OP-Schmerzen
• Muskel- und • Niere (5 %):
­Gelenkschmerzen • Retention
• Zahn-/Kopf- • Blutung (100 %)
schmerzen • Hemmung der
Plättchenaggre-
gation (ASS)
• ZNS (bei Dau-
erther. 30 %):
Schwindel
• Kardiovaskuläre
Störungen

Etoricoxib Arcoxia® 0,12 g • GIT-NW signifi-


kant geringer,
Celecoxib 1
Celebrex® 0,4 g sonst kein Unter-
schied
• Kardiovaskuläre
Störungen (z. B.
Herz-, Schlagan-
fall)
• Kardiotoxische
Störungen
1
 selektiver COX-2-Hemmer; nur retardiert im Handel

Antipyretische nichtsaure Analgetika 24


▶ Tab. 24.4.
Tab. 24.4  Antipyretische nichtsaure Analgetika
Wirksubstanz Handelsname Max. Indikation NW
(Auswahl) ­Tagesdosis

Paracetamol Ben-u-ron® 4 g • Schmerzen Fast nur bei


(Anilinderivat) • Fiebersenkung Überdosierung:
Leber- und Nie-
renzellnekrosen

Metamizol (Py- Novalgin® 4 g • Knochenschmer- Selten: Allergi-


razolderivat) zen sche Reaktio-
• Kolikschmerzen nen, Knochen-
• Kopfschmerzen markschäden
• Hohes Fieber

• Stärkere analgetische und antipyretische als antiphlogistische Wirkung.


• Vorwiegend zentrale Wirkung, geringe periphere Hemmung der Prostaglan-
dinsynthese.
838 24 Arzneitherapie 

Nichtopioide ohne antipyretische und antiphlogistische Wirkung


▶ Tab. 24.5.
• Zentrale schmerzhemmende und muskelrelaxierende Wirkung (Mechanis-
mus ungeklärt).
• Nur anwenden, wenn Behandlung mit anderen Analgetika (z. B. NSAR,
schwache Opioide) kontraindiziert ist und keine Leberschäden vorliegen
­(cave: Alkoholabusus).

Tab. 24.5  Nichtopioide ohne antipyretische und antiphlogistische Wirkung


Wirksub- Handelsname Max. Tagesdosis Indikation Nebenwirkung (Inzi-
stanz (Auswahl) denz in %)

Flupirtin Katadolon® 0,6 g Chron. • Unruhe, Benom-


Schmerzen menheit (15 %)
• Insbesondere nach
längerer Anwen-
dung mögliche
­Erhöhung der Leber-
werte, Leberentzün-
dung, Leberversagen

24.1.3 Opioide
Andreas Werber und Marcus Schiltenwolf

WHO-Stufen-Schema
Stufe II und III des WHO-Stufen-Schemas (▶ Tab. 24.2). Substanzen mit deutlich
geringerer Wirkung als das reine Morphin zählen zu den Stufe-II-Opioiden (nicht
BtM-rezeptpflichtig), alle Substanzen mit gleicher oder stärkerer Wirkung als
24 Morphin zur Stufe III (BtM-rezeptpflichtig).

Wirkmechanismus und Nebenwirkungen


• Keine entzündungshemmende Wirkung, sondern Veränderung der Schmerz-
verarbeitung.
• Wirkung über Rezeptoren zentral und peripher, z. B. auch in Gelenkkapseln.
• Häufig unerwünschte Effekte: Z. B. Obstipation → häufig neg. Einfluss auf
Einnahmecompliance.

Die zentralen Wirkungen (▶ Tab. 24.6) unterliegen im Gegensatz zu den pe-


ripheren der Toleranz (Obstipation bleibt).

Atemdepression
Solange Schmerz durch Opiate antagonisiert wird, ist mit einer Atemdepression
nicht zu rechnen. Durch weitere Maßnahmen, die die Schmerzintensität senken
(z. B. periphere Schmerzblockade) kann der Atemantrieb aber relevant beein-
trächtigt werden.
Obstipation
Die obstipierende Wirkung bleibt auch bei längerer Einnahme bestehen → beglei-
tend vorbeugend Laxanzien verordnen, z. B. Oliven- oder Rizinusöl 3–5 g/d (z. B.
  24.1 Schmerztherapie  839

Tab. 24.6  Zentrale und periphere Wirkungen von Opioiden


Zentrale Wirkungen Periphere Wirkungen

• Atemdepression • Verzögerung der Magenentleerung


• Sedation • Obstipation
• Anxiolyse • Steigerung der Bronchosekretion bei
• Hustenhemmung Bronchokonstriktion
• Orthostatische Dysfunktion • Blutdruckabfall
• Dysphorie/Euphorie
• Miosis
• Übelkeit, Erbrechen
• Rigidität der Skelettmuskulatur

Laxopol®), Laktulose 5–10 g/d (z. B. Bifiteral®), Sorbitol 1 Klistier tgl. (z. B. Mikro-
klist®), Bisacodyl Supp. 10 mg/d (z. B. Dulcolax®).
Übelkeit und Erbrechen
Bei Übelkeit (meist nur in den ersten 3–5 d) vor Opioideinnahme Antiemetika
wie Metoclopramid 3–4 × 10 mg/d bzw. 30 Tr./d p. o. (z. B. Paspertin®).
Kognitive Einschränkungen
Insbesondere bei älteren Pat. häufige NW beachten (erhöhte Sturzgefahr)!

Gewöhnung und Entzugssymptome


Gewöhnung: Vor allem bei kurz wirksamen und parenteral applizierten
Opio­iden → erforderliche Wirkdosis steigt (wahrscheinlich durch zuneh-
mende Produktionshemmung körpereigener Opioide). Bei regelmäßig ein-
genommenen Retardpräparaten selten. Häufig nachlassende Wirkung bei
längerfristiger Einnahme wegen nichtmaligner Schmerzen.
Entzugssymptome: Bei abruptem Absetzen dauerhaft eingenommener Opio-
ide können – z. T. lebensbedrohliche – Entzugssymptome auftreten (z. B. Angst, 24
Unruhe, Schlaflosigkeit, Blutdruckanstieg, Tremor, Krampfanfälle) → Opioide
langsam ausschleichen, Entzug durch Doxepin (Aponal®) 10–10–25 mg. Bei
akutem Entzug ggf. zusätzlich Clonidin 2–3 × 75–150 μg/d p. o. in Abhängigkeit
der Kreislaufparameter verordnen (z. B. Catapresan®). Clonidin besetzt diesel-
ben Rezeptoren wie Opioide und wirkt sowohl i. v., i. m. als auch peridural an-
algetisch. Bei psychotropen Entzugswirkungen Neuroleptika (Haloperidol
5–10 mg p. o./i. v./i. m. initial, max. 60 mg/d parenteral bzw. 100 mg/d p. o. [z. B.
Haldol®] oder Pipamperon 3 × 40 mg, max. 360 mg/d p. o. [z. B. Dipiperon®]).

Indikationen
Retardierte schwach wirksame Opioide (Stufe II nach WHO)
• Starke (akute und chron.) Schmerzen.
• Lokale (Rücken-) und radikuläre Schmerzen, sofern sie körperlich ausrei-
chend begründet sind.
• Mäßige Tumorschmerzen.
Stark wirksame Opioide (Stufe III nach WHO)
• Stärkste Schmerzen, z. B. nach frischer Fraktur oder radikulärer Symptomatik.
• Neuropathische Schmerzen (zusammen mit Antidepressiva und Antikonvulsiva).
• Starke Tumorschmerzen.
840 24 Arzneitherapie 

Kontraindikationen
• Fehlende Wirkung bei geringer Dosierung.
• Somatoforme Schmerzstörungen (auch bei starken Schmerzen, da Opioide
dann zur Euphorisierung führen).
• Fehlende Compliance.
• Sonstige, frühere Abhängigkeiten (z. B. Alkohol).
• Ateminsuff. (z. B. schweres Emphysem).
• Schwangerschaft und Geburt.
• Ileus.
• Akutes Abdomen und Kopfverletzungen (wegen Veränderung und Verschlei-
erung der Symptomatik).

Auch bei guter Ind. und Ausschluss von KI bei geplanter mehrwöchiger Be-
handlung schriftlichen Behandlungsvertrag abschließen: Verordnung nur
durch denselben Arzt, keine Dosisveränderung ohne Absprache, zeitliche
Begrenzung, regelmäßige Blutspiegelbestimmungen.

LONTS (Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen)


Bei der Auswertung hinsichtlich der Effektivität der Schmerzreduktion bei der
Langzeitanwendung von Opioiden im Vergleich zu Nichtopioiden konnte bei
nicht tumorbedingten Schmerzen keine Überlegenheit von Opioiden festgestellt
werden – sowohl bei unspezifischen als auch bei spezifischen Schmerzarten (z. B.
neuropathischen Schmerzen). Zwar konnte bei Opioiden eine Verbesserung von
Funktionalität und Schlafqualität verzeichnet werden, nicht aber bei der allgemei-
nen Lebensqualität. Des Weiteren nimmt die schmerzlindernde Wirkung von
Opioiden bei mehr als 3-monatiger Anwendung kontinuierlich ab, die NW hinge-
gen zu. Aufgrund des komplexen Störungsmusters bei der Schmerzwahrnehmung
sollen bei ausbleibender Schmerzreduktion vor Eskalation der medikamentösen
24 Ther. weitere ursächliche Faktoren (z. B. psychische, somatoforme Ursachen) ab-
geklärt und ggf. in die Ther. mit einfließen (multimodale Schmerzther. [▶ 19.2];
siehe auch: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-003.html).

Darreichungsformen
Darreichungsform und Verabreichung von Opioidanalgetika entscheiden über
Wirkungseintritt, Wirkstärke und -dauer (▶ Tab. 24.7).

Tab. 24.7  Äquivalenzdosis zur i. m.-Applikation am Beispiel von Morphin


Oral Intramuskulär Intravenös Epidural Intrathekal

1:3 1 2:1 5:1 100 : 1

Parenteral
• i. v.: Schneller Wirkungseintritt und Wirkabfall; Wirkungen und NW sind be-
sonders ausgeprägt (postop. Schmerzkontrolle mithilfe von Infusionspum-
pen, da Pat. notwendige Dosis selbst bestimmen kann [PCA = Patient Cont-
rolled Analgesia]); sonst nur bei schwersten Tumorschmerzen.
• i. m./s. c.: Gegenüber i. v.-Appl. verzögerter Wirkungseintritt und verlängerte
Wirkdauer; s. c. Infusionsther. ist möglich, postop. der i. v.-Gabe aber unterle-
gen.
  24.1 Schmerztherapie  841

• Intraartikulär z. B. zur Arthrosebehandlung anstelle von Kortikoiden, v. a. wenn


kein Erguss vorliegt (hohe Morphinrezeptordichte in der Gelenkkapsel).
• Epidurale Appl. v. a. bei chron. radikulären und neuropathischen Schmerzen.
Zugelassen: Sufentanil (10 μg, kurze Wirkdauer von ca. 3–4 h, z. B. Sufenta®)
und Morphin (empfohlene Dosis 3–4 mg, längere Wirkdauer, ca. 12 h). Cave:
Bei hoher Dosis Gefahr des Atemstillstands (Erreichen des Atemzentrums),
nicht bei Pat. ohne Erfahrung mit Morphinen.
Oral
• Appl.-Art der Wahl bei chron. Schmerzen.
Opioide in Tropfenform führen bei Behandlung chron. Schmerzen zu steter
psychogener Dosiserhöhung wegen der Angst vor Wirkungsverlust (Pseudo-
addiktion).

• Sublingual: Entsprechend fast der i. v. Appl. (Buprenorphin, z. B. Temgesic®).


• (Retard-)Tbl. (▶ Tab. 24.8): Zur Behandlung chron. Schmerzen unterschied-
lich galenisch retardierte Tbl. (in Zellulosemembran, Mikropellets in Poly-
mermembran); zum Abfangen von Schmerzspitzen zusätzlich schnell wirksa-
me Tbl. (z. B. Morphinsulfat 10 mg, Sevredol®).

Tab. 24.8  Gängige Opioid-Retard-Tabletten


Handelsname Substanzname Dosisbereich

Valoron N® Tilidin + Naloxon Bis 600 mg


®
Tramal Tramadol Bis 600 mg

Oxygesic® Oxycodon Keine Obergrenze

Targin® Oxycodon + Naloxon Keine Obergrenze 24


® ® ® ®
MST , Capros , Kapanol , M-long Morphinsulfat Keine Obergrenze

Suppositorien
Wenn orale Appl. nicht möglich ist.
Opioid-Pflaster
Kurz wirksame Opioide wie Fentanyl mit Abgabe von 25, 50 oder 100 μg/h
(z. B. Durogesic®) oder Buprenorphin mit Abgabe von 5, 10 oder 20 μg/h
(Norspan®) bzw. 35, 52,5 oder 70 μg/h (z. B. Transtec®). Abgabe kontinuier-
lich über 3 d. Es können mehrere Pflaster geklebt werden. Probleme: Schlecht
steuerbar, von Hautverhältnissen (Schwitzen) abhängig, hervorragende Com-
pliance erforderlich → v. a. bei Tumorschmerzen indiziert; zur Ther. akuter
Schmerzen ungeeignet.

Kombination verschiedener Opioide


Nur sinnvoll zwischen Agonisten, z. B. bei Schmerzspitzen trotz Fentanyl-Pflaster;
zusätzlich schnell wirksames Morphin (z. B. Sevredol®) oder Hydromorphin (z. B.
Dilaudid®). Äquivalenzdosen ▶ Tab. 24.9. Keine Komb. zwischen i. v. oder i. m.
verabreichtem (partiellem) Antagonist (z. B. Pentazocin, Fortral®) und p. o. verab-
reichtem Agonist (z. B. Tramadol).
842 24 Arzneitherapie 

Tab. 24.9  Äquivalenzdosen verschiedener Opioide


Tramadol Tapenta- Oxyco- Morphin Hydro- Pethidin Buprenor- Fentanyl
(Tramal®) dol don (z. B. morphon (Dolan- phin (Duroge-
Tilidin ­(Palexia®) (Oxyge- MST ) ®
(Palla- tin®) (Temge- sic®)
(Valoron sic®) don®, Di- sic®, Tran-
N®) laudid®) stec®)

0,1 0,5 2 1 7,5 10 60–70 70–100

Anwendung der Retardpräparate


Bei nichtakuten Schmerzen immer nur retardierte Präparate geben, da durch
konstante Wirkspiegel eine Euphorisierung vermieden wird.

Niederpotente Opioidanalgetika = Stufe-II-Opioide


▶ Tab. 24.10.
Tab. 24.10  Niederpotente Opioidanalgetika
Wirksubstanz Handelsname Max. Tagesdosis NW
(Auswahl)

Tramadol Tramal® 0,6 g Häufig Übelkeit, selten


Obstipation

Tilidin (+ Naloxon) Valoron N® 0,6 g Selten

• Deutlich geringere Wirkung als Morphin.


• Nicht BtM-rezeptpflichtig.
24 Hochpotente Opioidanalgetika = Stufe-III-Opioide
▶ Tab. 24.11.
Tab. 24.11  Hochpotente Opioidanalgetika
Wirksubstanz Handelsname Max. Tagesdosis NW
(Auswahl)

Morphinsulfat MST®, Capros®, Keine Maximaldosis, aber Alle typischen Mor-


Kapanol®, M- engmaschige Kontrolle phin-NW: Atemde-
long® der zu erwartenden NW pression, Übelkeit,
bei Dosissteigerung Erbrechen, Obstipa-
(Atemdepression, daher tion
einschleichend dosieren!)

Oxycodon Oxygesic® 400 mg (titrieren!)

Oxycodon plus Targin® 40/20 mg (titrieren!)


Naloxon

Fentanyl Durogesic SMAT® 12,5–100 μg/h alle 72 h


®
Actiq -Stick 200–1.600 μg, max. 4 ×
tgl.
  24.1 Schmerztherapie  843

Tab. 24.11  Hochpotente Opioidanalgetika (Forts.)


Wirksubstanz Handelsname Max. Tagesdosis NW
(Auswahl)

Buprenorphin Transtec-PRO® 35–2 × 70 μg/h alle 4 d hohe μ-Rezeptor-


Affinität (cave: Anta-
Temgesic® 0,2–0,4 mg s. l. max. 4 × tgl. gonisierung)

Tapentadol Palexia® 100–500 mg zusätzl. Wirkung als


NARI

• Stark wirksame Opioide (mit zumindest äquipotenter Morphinwirkung;


▶ Tab. 24.9).
• BtM-rezeptpflichtig.
! Hohe Compliance erforderlich: Missbrauch (auch anderer Noxen) und
gleichzeitige Benzodiazepineinnahme vor Verordnung ausschließen!
! 
Möglichst immer retardierte Präparate verwenden, auch bei stärksten
Schmerzen, z. B. retardiertes Morphin (z. B. MST®) und Oxycodon (z. B. Oxy-
gesic®).
• Bei neuropathischen Schmerzen evtl. gemeinsam mit Antidepressiva und An-
tikonvulsiva versuchen (▶ 24.1.2).

24.1.4 Nichtanalgetika
Andreas Werber und Marcus Schiltenwolf

Trizyklische Antidepressiva
Analgetisch wirksam durch Distanzierung sind ältere Präparate vom Typ der ge-
mischten Amin-Wiederaufnahmehemmer wie Trimipramin (z. B. Stangyl®) und
Amitriptylin (z. B. Saroten®; ▶  Tab. 24.12). Schmerzbeeinflussung unabhängig 24
von der Stimmungsveränderung. Von den modernen Antidepressiva vom Typ
der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sind manche analgetisch
wirksam (Duloxetin, Cymbalta®). Insgesamt aber schwache Evidenzlage bzgl.
Wirksamkeit.

Tab. 24.12  Schmerztherapeutisch sinnvolle Antidepressiva


Wirksubstanz Handelsname Tagesdosis NW
­(Auswahl) ­(analgetisch)

Amitriptylin Saroten®, Equilibrin® 0,075 g Mundtrockenheit, Tages-


müdigkeit, Tremor, Le-
berenzymerhöhungen

Trimipramin Stangyl® 0,1 g

Doxepin Aponal® 0,05 g

Duloxetin Cymbalta 0,03–0,06 g Schlaflosigkeit, Schwin-


del, Mundtrockenheit,
Gewichtsabnahme, Tre-
mor, Libidoverlust
844 24 Arzneitherapie 

Wirkmechanismus
Aktivierung des serotonergen zentralen Schmerzhemmsystems.
Indikationen
Mittel erster Wahl bei chron. Schmerzen (auch neuropathischer Genese) und so-
matoformen Schmerzstörungen (▶ 19.3).
Nebenwirkungen
Mundtrockenheit, Tagesmüdigkeit, Tremor (evtl. vor Beginn der Schmerzlinderung).
Dosierung
Die analgetische Dosierung liegt unter der typischen antidepressiven Dos. → An-
algesie tritt vor antidepressiver Wirkung ein. Einschleichend mit 10 mg/d zur
Nacht beginnen oder retardierte Präparate verwenden.
Kontraindikationen
• Absolute KI: Prostataadenom, Engwinkelglaukom, akuter Myokardinfarkt.
• Relative KI: AV-Überleitungsstörungen, Psychosen, erhöhte Krampfbereit-
schaft, Leberfunktionsstörungen.

Kein Alkoholgenuss während der Ther., da der zentral dämpfende Effekt ver-
stärkt wird.

Antikonvulsiva
Indikationen
Mittel der Wahl bei neuropathischen Schmerzen, v. a. mit einschießenden Quali-
täten, z. B. PNP, Trigeminusneuralgie, CRPS (▶  19.3.5), chron. neuropathische
Radikulopathie, Neuromschmerzen (▶  23.11.3), auch funktionelle somatische
Schmerzen (z. B. Fibromyalgiesyndrom; ▶ Tab. 24.13).
24
Tab. 24.13  Antikonvulsiva
Wirksubs- Handelsname Tagesdosis Wirkmechanismus NW
tanz (Auswahl)

Carbama- Tegretal® 0,6–1,5 g Hemmung repetiti- Müdigkeit, Haut-


zepin ­(einschleichend ver Entladung und ausschlag,
dosieren) synaptischer Über- Schwindel, Übel-
leitung durch Na+- keit, Kopfschmer-
Kanal-Blockade zen, Leberenzym-
erhöhung

Gabapen- Neurontin® 0,6–1,8 g (ein- Intraneurale GA- Müdigkeit, Be-


tin schleichend BA-Erhöhung; nommenheit, Ata-
dosieren) Dämpfung der xie (Risiko von NW
Hypersensitivität deutlich geringer
bei Nervenschädi- als bei anderen
gungen Antikonvulsiva)

Pregabalin Lyrica® 0,075–0,300 g Intraneurale GA- Benommenheit,


BA-Erhöhung; Schläfrigkeit, Appe-
Dämpfung der titsteigerung, Eu-
Hypersensitivität phorie, verringerte
bei Nervenschädi- Libido, Koordinati-
gungen Auch an- onsstörungen und
xiolytisch wirksam andere zentralner-
vöse NW
  24.1 Schmerztherapie  845

Merke
Etabliert sind Gabapentin (und Pregabalin) mittlerweile bei der postop. mul-
timodalen Schmerzther. nach TEP-Implantation (sog. Enhanced oder Rapid
Recovery Programme, ERP, im Rahmen der peri-/postop. Schmerzther.).

Tipp
Antidepressiva und Antikonvulsiva können zur Wirkverstärkung komb.
werden, wenn die Leberenzyme regelmäßig kontrolliert werden und auf NW
geachtet wird.

Muskelrelaxanzien
Akute nichtradikuläre Rückenschmerzen: Benzodiazepinderivate Cave: Wegen
Abhängigkeitsgefahr nicht länger als 14 d. Bsp.: Tetrazepam 50–200 mg/d (z. B.
Musaril®).
Schmerzen mit spastischer Tonuserhöhung, z. B. nach Apoplex, ICP, Quer-
schnittslähmung: Baclofen mit 3 × 5 mg/d einschleichen und bis 3 × 10–25 mg/d
steigern (z. B. Lioresal®).
Dauerhafte muskuläre Anspannung, z. B. Torticollis, Spannungskopfschmerz,
muskuläre Bewegungsstörungen: Botulinumtoxin Typ A, z. B. Botox®, Dysport®
(z. B. M. sternocleidomastoideus, mimische Muskulatur, M. trapezius, Rücken-
strecker). Cave: Herstellerinformationen beachten! Wirkungseintritt nach 1–3 d,
Wirkungsdauer ca. 3 Mon., Wiederholung frühestens nach 10 Wo.
Akute und chron. Rückenschmerzen: Tizanidin 12–24 mg/d (Sirdalud®), Metho-
carbamol 1.500–6.000 mg/d (Ortoton®); keine wesentlichen zentralen NW be-
kannt (selten: Schwindel, Mundtrockenheit, Magenschmerzen, Muskelschwäche).
Tolperison (Mydocalm®) aufgrund UAW nur noch bei Spastizität nach Apoplex
zugelassen.
24
Clonidin
Clonidin (z. B. Catapresan®) besetzt dieselben Rezeptoren wie Morphin und ver-
stärkt dessen Wirkung.
Indikationen
Neuropathische und Deafferenzierungsschmerzen, schmerzhafte Opiatentzugs-
symptome.
Kontraindikationen
Erkr. des Sinusknotens und AVK (α2-Rezeptoragonist).
Dosierung
Bis 0,3 mg i. v. oder i. m., bis 0,9 mg peridural (Wirkdauer bis 5 h).

Kalzitonin
Auch ▶ 15.1.1.
Wirkung
Rasche schmerzlindernde Wirkung, die jedoch nach längerer Anwendung nach-
lässt (Escape-Phänomen durch AK-Bildung). Die Wirkung von Kalzitonin (z. B.
Karil®) beruht wahrscheinlich auf einem zentral vermittelten antinozizeptiven
Effekt durch Aktivierung deszendierender serotonerger Hemmmechanismen.
846 24 Arzneitherapie 

Indikationen
Beginnender Phantomschmerz, beginnendes CRPS I (▶  19.3.5), Deafferenzie-
rungsschmerzen bei Querschnittlähmung; die Gabe bei frischer Osteoporosefrak-
tur ist umstritten.
Dosierung
100–200 IU/d, Appl. i. v. (anfangs abends wegen möglicher Übelkeit), bei pos.
Effekt nach ca. 5-tägiger Intervallther. Umstellung auf s. c.-Appl. möglich.

Bisphosphonate
Auch ▶ 15.1.1.
Bisphosphonate (z. B. Clodronat, Ostac®; Alendronat, Fosamax®; Etidronat,
­Diphos®) hemmen die osteoklastische Knochenresorption und sind daher bei
osteolytischen Metastasen, Morbus Paget, Plasmozytom sowie High-Turn-Over-
Osteoporose im Stadium III (nach Frakturen) als Koanalgetikum indiziert.

Glukokortikoide
Auch ▶ 24.5.
Wirkmechanismus
Hemmung der Phospholipase A und somit der Bildung von Arachidonsäure aus
Membranphospholipiden und somit der Produkte der Cyclooxygenase (Prostag-
landine) als auch der Lipoxygenase (Leukotriene). Keine direkt analgetische, son-
dern entzündungshemmende, abschwellende und dadurch schmerzlindernde
Wirkung.
Indikationen
• Akute radikuläre Schmerzen/akute Nervenkompressionsschmerzen wie Is-
chialgie oder Karpaltunnelsy. sowie akut schmerzhafte Ergussbildungen bei
Arthrose.
24 • CRPS im akuten Stadium (absteigend dosieren, mit 100 mg/d Prednisolon be-
ginnen).
• Behandlung chron. Schmerzen durch systemische Glukokortikoidgabe ist
durch Evidenz gesichert (unklarer Einfluss auf stressbedingte Störungen der
Hypothalamus-Hypophysen-NNR-Achse).
Kontraindikationen
Lokaler Infektverdacht sowie Diab. mell.; viele KI der systemischen Gabe sind bei
lokaler Appl. nur bedingt wesentlich (z. B. Osteoporose, Ulkusanamnese, Psycho-
sen, Herz- und Niereninsuff.).
Verabreichungsform
Wasserlösliche Kortikoide (Prednisolon, Triamcinolon, Dexamethason) werden
den LA zugesetzt.

Chondroprotektiva
Wirkungsweise
Schmerzreduktion, Verbesserung der Gelenkgleiteigenschaften, Unterstützung
der Knorpelregeneration. Insgesamt schwache wissenschaftliche Evidenz, in der
Anfangsphase der Arthrose häufig eingesetzt und lindernd.
Indikationen
Schmerzen bei degenerativen Gelenkerkrankungen.
  24.1 Schmerztherapie  847

Verabreichungsform
• Hyaloronsäure: i. a., je nach Präparat 1–5 Behandlungen.
• Chondroitinsulfat und Glukosamin: oral.

24.1.5 Peri- und postoperative Schmerztherapie


Andreas Werber und Marcus Schiltenwolf
Schmerzintensität und -dauer: Abhängig von Lokalisation, Art und Ausmaß des
Eingriffs, des Anästhesieverfahrens und subjektiven Faktoren. OP-Schmerzen las-
sen i. A. nach 3 d deutlich nach.
Beginn der Ther.: Schmerzther. möglichst frühzeitig beginnen (Schmerzen →
Sympathikotonus ↑ → O2-Bedarf ↑ → Belastung des Organismus). Die prä-
und periop. Art und Menge der Schmerzmedikation beeinflusst jedoch nicht
das postop. Schmerzniveau im Sinne einer „prophylaktischen“ Aufsättigung
(▶ Tab. 24.14). Bei Medikamenten (▶ Tab. 24.15) die Zeit bis zum Eintritt der
Wirkung und Wirkungsdauer berücksichtigen.

Tab. 24.14  Medikamentöse Therapie geringer und mäßiger postop. Schmer-


zen
Generikum Handelsname Dosierung Maximaldosis
(Beispiel)

Geringe Schmerzen

Paracetamol Ben-U-ron® 500–1.000 mg alle 4–6 h 4 g/24 h


®
Ibuprofen Imbun 400–600 mg alle 8 h 2,4 g/24 h

Mäßige Schmerzen

NSAR/Diclofenac1 Voltaren® 50–100 mg alle 8–12 h 150 mg/24 h 24


®
Tramadol Tramal 20–30 Tr. bei Bedarf oder al- 600 mg/24 h
le 4–6 h oder 75–100 mg i. m.

Tilidin Valoron® 20–30 Tr. bei Bedarf oder 600 mg/24 h


alle 4–6 h

Metamizol Novalgin® 20–30 Tr. bei Bedarf oder 4 g/24 h


alle 4–6 h

Dihydrocodein2 DHC® 30 oder 60 30–60 mg p. o./i. m. alle 4 h 240 mg/24 h


1 ® ®
 Alternativ z. B. Amuno , Proxen . Cave: GIT-NW! Bei unklarer Anamnese mit Ant-
azidum (z. B. Omeprazol, Antra®) komb.; immer bei älteren Pat. (evtl. einge-
schränkte Nieren- und Leberfunktion beachten!)
2
 Häufige NW: Konstipation (v. a. bei älteren Pat.) → bei längerer Anwendung pro-
phylaktisch Laxanzien verordnen
848 24 Arzneitherapie 

Tab. 24.15  Opioide zur postop. Behandlung starker Schmerzen (Erw.)


Generi- Handelsname Einzeldosis Mittlere Wir- Darreichungs-
kum ­(Beispiel) kungsdauer [h] form

Morphin Morphin Merck® 5–10 mg i. v. 4h 1 Amp. (1 ml) =


10–20 mg i. m. 10/20 mg

Piritramid Dipidolor® 7,5–15 mg i. v. 3–6 h 1 Amp. (2 ml) =


15–30 mg i. m. 15 mg

Pethidin Dolantin® 50–100 mg i. v. 1–2 h 1 Amp. (1 ml) =


25–150 mg i. m. 50 mg
1 Amp. (2 ml) =
100 mg

Buprenor- Temgesic® 0,15–0,3 mg i. v. 6–8 h 1 Amp. (1 ml) =


phin1 0,3–0,6 mg i. m. 0,3 mg
0,2–0,4 mg s. l.

Nalbuphin Nubain® 10–20 mg 3–6 h 1 Amp. (2 ml) =


i. v./i. m. 20 mg
1
 Besetzt Opiatrezeptoren, dadurch verminderte Wirkung anderer Opiate

Postoperative Unruhe
Ist durch Schmerzen möglich, aber u. a. auch durch Hypoxie. Oxygenation,
Ventilation und hämodynamische Situation müssen vor der Analgetikather.
beurteilt werden. Sedation eines hypoxischen Pat. ist eine der häufigsten Ur-
sachen eines Herz-Kreislauf-Stillstands in der unmittelbar postop. Periode.

Analgetika: Komb. zentraler und peripherer Analgetika ist Methode der Wahl,
soweit nicht Regionalanästhetika zum Einsatz kommen (▶  3.3.1); insbes., wenn
24 Pat. mit zentralen Analgetika allein nicht schmerzfrei ist. Vorteil: Reduktion der
für Opioide typischen NW wie Übelkeit, Erbrechen (Antiemetika, z. B. Dimen­
hydrinat 3 × 50 mg/d z. B. Vomex A®) und ggf. Ateminsuffizienz.
„On-Demand“-Analgesie: Pat.-gesteuerte Analgesie, i. v. Inj. von Analgetika bei
Bedarf. Erfolg korreliert eng mit der Kooperation des Pat. Daher präop. über diese
Möglichkeit informieren.
Intermittierende oder kontinuierliche PDA: Bei OPs mit zu erwartendem ho-
hem postop. Analgetikaverbrauch (z. B. Synovektomie, nach Narkosemobilisati-
on). Ermöglicht frühzeitigen Einsatz einer Bewegungsschiene. Evtl. schon präop.
PD-Katheter legen. Kann mehrere Tage belassen werden. Nachinj. von Bupiva-
cain-Lsg. 0,25–0,375 % als Bolus individuell 8–15 ml (Repetition nach 2–6 h) oder
kontinuierliche Infusion (Perfusor) 2–6 ml/h. Langsam injizieren, evtl. EKG-Mo-
nitoring!
Multisegmentale Interkostalblockade: Kann bei entsprechenden Eingriffen
(Thorakotomien, Skoliose-OP) von großem Wert sein; ggf. unter Platzierung ei-
nes Interkostalkatheters.
Im Rahmen sog. ERP (Enhanced Recovery Programme) wird zunehmend auch
die lokale Infiltration von Medikamenten periop. (LIA – local infiltration of an-
algesia) diskutiert, z. B. Bupivacain 0,25 % 2 mg/kg KG, da die systemischen NW
geringer sind als bei (par)enteral verabreichten Schmerzmedikamenten. Cave: Zy-
totoxische Wirkung.
   24.2  Antibiotika und Antimykotika  849

Studien im Rahmen der ERP konnten zeigen, dass u. a. eine frühzeitige postop.
Mobilisation (unter entsprechender Schmerzther., insbes. auch mit sog. Ko-An-
algetika und im Kontext einer multimodalen Schmerzther.) und (selbstständige)
Beübung subjektiv und objektiv bessere Resultate im Vergleich zur herkömmli-
chen Therapie liefert.

24.2 Antibiotika und Antimykotika


Michael Clarius

24.2.1 Grundlagen
Leitsätze der antimikrobiellen Therapie
• Antibiotika sind keine Antipyretika! → Nur bei infektiöser Ursache geben.
Fieber ohne weitere Entzündungsparameter (Leukozytose oder -penie, Links-
verschiebung, CRP-Erhöhung etc.) ist keine Ind.!
• Gezielte Ther. anstreben, vor Beginn der antimikrobiellen Ther. Erreger nach-
weisen (▶ 8.1), z. B. Wundabstriche, mehrere Blutkulturen bei V. a. Sepsis,
Pneumonie, Osteomyelitis. Mikroskopie erlaubt oft schnellen Rückschluss
auf Erreger.
• Vor Beginn der Antibiotikather. Allergien anamnestisch ausschließen.
• Kalkulierte (initiale) Antibiotikather. bis zum Eintreffen des Ergebnisses des
Keimnachweises und der Resistenzbestimmung:
– Welcher Keim kommt infrage?
– Wurde der Erreger innerhalb oder außerhalb des Krankenhauses erworben?
– Wie sind die Verhältnisse am Infektionsort?
– Welche Besonderheiten beim Pat. sind zu berücksichtigen, z. B. Nieren-
und Leberfunktion?
• Nach Erhalt der Resistenzbestimmung Umsetzen auf wirksamere und/oder 24
preiswertere Substanzen, wenn möglich als Monother.
• Gleichzeitige Anwendung mehrerer nephro- bzw. ototoxischer Substanzen
vermeiden.
• Bei der Gabe von Aminoglykosiden und Glykopeptiden > 1 Wo. regelmäßige
Serumspiegelkontrollen (Toxizität, ausreichende Wirkspiegel).
• Antibiotika so lange wie nötig und so kurz wie möglich! i. d. R. 3 d nach Ent-
fieberung absetzen.
• Falls Pat. 2–3 d nach Beginn der antibiotischen Ther. nicht entfiebert und
Keimnachweis nicht gelingt: Alle Ursachen eines Ther.-Versagens erwägen.
• Ggf. wirkungslose Antibiotikather. absetzen und, falls der Zustand des Pat.
dies erlaubt, nach mehrtägiger Antibiotikapause erneute Diagn.!

Therapieversagen
Häufige Gründe für den Misserfolg einer Behandlung von Inf.-Krankheiten:
• Falsches Antibiotikum (prim. oder erworbene Resistenz des Erregers).
• Unzureichende Konzentration am Ort der Inf. (Pharmakokinetik der
eingesetzten Arzneimittel, abszedierende Inf., Fremdkörperinf.).
• Antibiotikum trotz nachgewiesener In-vitro-Empfindlichkeit in vivo
unwirksam.
• Schweres Immundefizit.
850 24 Arzneitherapie 

• Schwer oder nicht anzüchtbarer Erreger (z. B. Mycobacterium tubercu-


losis, Chlamydia).
• Virus- oder Pilzinf.
• Keine mikrobiologische Ursache eines infektionsähnlichen Bilds (z. B.
SIRS, Drug-Fieber, sonstige Ursachen eines Fiebers, ▶ 5.4).
• Unzureichende supportive oder organprotektive Ther. (Beatmung, Flüssig-
keitssubstitution, Ausgleich von E‘lytstörungen, Kreislaufstabilisierung).

Kalkulierte Antibiotikatherapie
Empirische Auswahl der Antibiotika. Setzt genaue Kenntnis des zu erwartenden
Erreger- und Wirkspektrums sowie der zur Verfügung stehenden Antibiotika vo-
raus (▶ Tab. 24.16). Berücksichtigung von Schwere des Krankheitsbilds und pati-
entenbezogener Gesamtsituation (Alter, Vorerkr., ambulante oder nosokomiale
Inf.).
• Indikationen:
– Schwere Inf., bei denen das Ergebnis der Erregerdiagn. nicht abgewartet
werden kann. Lebenserhaltend bei vital bedrohten Pat., v. a. bei Sepsis,
Pneumonie, Peritonitis, Wundinf., Meningitis, Pyelonephritis, Osteomye-
litis, Phlegmone, Typhus und schweren Streptokokkeninfekten.
– Inf., bei denen ein Erregernachweis nicht gelingt, nicht durchgeführt wur-
de oder nicht durchgeführt werden kann.
! Mikroskopische Schnelldiagnose erlaubt oft orientierende Eingrenzung
des Erregers, z. B. bei Septikämie, Meningitis, Peritonitis, Osteomyelitis.
• Vorgehen:
– Komb.-Ther., um Wirkungslücken der Antibiotika zu schließen.
– Monother. bei Einsatz von Breitbandantibiotika wie Imipenem/Merope-
nem (teuer!) möglich.
! Klin. Ansprechen innerhalb weniger Tage zeigt Erfolg an.
24
Tab. 24.16  Kalkulierte Antibiotikatherapie bei ausgewählten Krankheiten
(Abkürzungen ▶ Tab. 24.17)
Organinfektion, Häufigste Erreger Initialtherapie Initialtherapie/Alter-
Diagnose 1. Wahl nativen

Fieber unklarer Genese, Sepsis

Vor Erreger- Grampos. Kokken, Ureido-Pen. + β-LH Ceph. III bzw. IV ±


nachweis aerobe gramneg. oder IMP/MER AG + Metro. bzw.
Stäbchen, Anaerobier Clinda. oder Ureido-
Pen. ± AG + Metro./
Clinda.

Bei Neutropenie SA, Enterobakt., Ureido-Pen. + β-LH IMP/MER bzw. Ceph.


Pseud., KNS, Pilze ± Vanco. oder III bzw. Ureido-Pen.
Pseud-Ceph. ± Van- + β-LH, jeweils: + AG
co. ± Vanco.

Respirationstrakt

Ambulante er- Viren, Pneumok., M. Makrolid oder Ceph. II oder Doxy.


worbene Pneu- pneum., C. Ceph. oder AM/CL oder FQ ± Makrolid
monie pneum., Haem. infl.,
SA, Klebsiellen, Legi-
onellen
   24.2  Antibiotika und Antimykotika  851

Tab. 24.16  Kalkulierte Antibiotikatherapie bei ausgewählten Krankheiten


(Abkürzungen ▶ Tab. 24.17) (Forts.)
Organinfektion, Häufigste Erreger Initialtherapie 1. Initialtherapie/Alter-
Diagnose Wahl nativen

Nosokomiale Enterobakt., Pseud., Ceph. III oder IMP/MER


Pneumonie SA, Legionellen Pseud-Ceph. oder
Ureido-Pen. + β-LH

Aspirations- Anaerobier, Entero- Clinda. oder Urei- IMP/MER


pneumonie bakt., Strept. do-Pen. + β-LH

Harnwege

Pyelonephritis Enterobakt., v. a. E. SXT oder AM/CL FQ II oder Ureido-


coli, Enterok., Pseud., Pen. ± β-LH
SA, B-Strept.

Akute Zystitis Enterobakt., v. a. E. SXT oder AM/CL FQ II


coli, Enterok., Staph.
saprophyticus

Urethritis Zystitis, zusätzlich C. Doxy. oder Makro- FQ II


trachomatis, Urea- lid
plasmen, Gonok.

Knochen und Gelenke

Septische Arth- Gonok., SA, Strept., Ceph. II/III AM/CL oder FQ III
ritis Enterobakt.

Post-OP-Arthri- KNS, SA, Enterobakt., Staph.-Pen. + AG Vanco./Rifa. + FQ III


tis Pseud. oder Ceph. II + AG

Hämatogene SA, Strept. Staph.-Pen. oder Clinda. oder Fosfo.


Osteomyelitis Ceph. I oder FQ + Rifa.

Knochen und Gelenke


24
Postop. Osteo- SA, KNS, Enterobakt., Staph.-Pen. + Clinda. + Pseud.-
myelitis Anaerobier, Pseud. Pseud.-Ceph. oder Ceph. oder FQ oder
Ureido-Pen. + β-LH IMP/MER

Venenkatheter

KNS, SA Vanco./Teico. Katheter entfernen

Ther.-Vorschläge gelten nur für die Initialther. vor Erregernachweis bei Erw.
Krankenhausspezifische Resistenzen beachten, v. a. Inzidenz von methicillinresisten-
ten Staphylokokken (MRSA) und vancomycinresistenten Enterokokken (VRE)!

Tab. 24.17  Chemotherapeutika und Erreger: Verwendete Abkürzungen


Abkürzung Chemotherapeutikum/Erreger

Chemotherapeutika

AG Aminoglykosid

Amino-Pen. Amino(benzyl)penicillin

AM/CL Amoxicillin/Clavulansäure

β-LH β-Laktamasehemmer
852 24 Arzneitherapie 

Tab. 24.17  Chemotherapeutika und Erreger: Verwendete Abkürzungen (Forts.)


Abkürzung Chemotherapeutikum/Erreger

Chemotherapeutika

Ceph. I/II/III/IV Cephalosporin der I., II., III. oder IV. Generation

Clinda. Clindamycin

Doxy. Doxycyclin

Fosfo. Fosfomycin

FQ Fluorochinolon (Gyrasehemmer)

FQ II Ofloxacin, Urofloxacin, Ciprofloxacin

FQ III Moxifloxacin

IMP/MER Imipenem/Meropenem

Metro. Metronidazol

Pen. G Benzylpenicillin

Pseud-Ceph. P.-aeruginosa-wirksames Cephalosporin

Rifa. Rifampicin

Staph.-Pen. Penicillinasefestes Penicillin

SXT Sulfamethoxazol (SMX)/Trimethoprim (TMP)

Teico. Teicoplanin

Ureido-Pen. (Acyl-)Ureidopenicillin

Vanco. Vancomycin
24
Erreger

Bact. frag. Bacteroides fragilis

C. pneum. Chlamydia pneumoniae

E. coli Escherichia coli

Gonok. Gonokokken

Haem. infl. Haemophilus influenzae

KNS Koagulasenegative Staphylokokken

M. pneum. Mycoplasma pneumoniae

Meningok. Meningokokken

Pneumok. Pneumokokken

Pseud. Pseudomonas aeruginosa

SA Staphylococcus aureus

Staph. Staphylococcus

Strept. Streptokokken
   24.3  Thromboseprophylaxe und -therapie  853

24.3 Thromboseprophylaxe und -therapie


Michael Schmidt und Steffen Breusch

24.3.1 Präoperative Risikoeinstufung
Bei jedem Pat. sollte eine individuelle Beurteilung des Thrombose-/Embolierisi-
kos erfolgen. Obwohl niedermolekulare Heparine, die neuen oralen Antithrom-
botika und auch Marcumar® das Thromboserisiko senken, wird durch ihren Ein-
satz die perioperative Mortatlitätsrate (wegen Embolie) nicht gesenkt! (Die meis-
ten Pat. versterben nicht an der Lungenembolie, sondern an einem Myokardin-
farkt oder einem Apoplex). Aspirin in Komb. mit pneumatischer Kompression
(„Foot Pumps“) ist international wegen des hohen Sicherheitsprofils gerade im
Bereich der Endoprothetik anerkannt und evidenzbasiert (s. ACCP guidelines,
CHEST 2012). In der neuen deutschen S3-Leitlinie wird ASS allerdings weiterhin
nicht als medikamentöse Thromboseprophylaxe empfohlen. Operateure müssen
neben der Effizienz auch die NW mit beurteilen: „safety versus efficacy“.

24.3.2 Heparin
Prophylaktische Heparinisierung („Low-Dose“)
Indikationen

Gabe bei mittlerem und hohem Risiko sinnvoll (▶ Tab. 24.18).

Tab. 24.18  Abschätzung des thromboembolischen Risikos


Risiko Beispiele 24
Allgemeines thromboembolisches Risiko

Gering Bettlägerigkeit

Mittel Früheres thromboembolisches Ereignis; Familienanamnese, bekannte


Thombophilie, z. B. APC-Resistenz, AT-III-, Protein-C- oder -S-Mangel;
schwere Inf., Sepsis; maligne Erkr.; Polyglobulie; schwere Herzinsuff.; for-
cierte Diuretikather.; entzündliche Darmerkr.; nephrotisches Sy.; schwere
Adipositas oder Kachexie; Schwangerschaft, orale Kontrazeptiva

Hoch Thrombophilie mit früherem thromboembolischem Ereignis, Hemi-/Paraplegie

Abschätzung des perioperativen Thromboembolierisikos

Gering OP bei Pat. < 40 J. ohne thromboembolische Risiken (s. o.); kleinere OP


< 30 Min. bei Pat. > 40 J., frühe postop. Mobilisierbarkeit

Mittel Allgemeinchirurgische, urologische, gynäkologische, thorax- und gefäßchi-


rurgische OP bei Pat. > 40 J. oder Bestehen mind. eines weiteren Risikofak-
tors; kleinere OP < 30 Min. bei früherem thromboembolischem Ereignis;
größere Traumen; Immobilisation einer unteren Extremität

Hoch OP oder Frakturen an Becken, Hüft- oder Kniegelenk; größere Bauch- oder
Becken-OP wegen eines Malignoms; größere allgemeinchirurgische OP bei
Thrombophilie oder früherem thromboembolischem Ereignis; Polytrau-
men mit Beteiligung der unteren Extremität
854 24 Arzneitherapie 

Kontraindikationen
Absolute KI: Heparininduzierte Thrombopenie Typ II, Heparinallergie, akute
(zerebrale) Blutung, Abortus imminens.
Relative KI: Akut blutende Magen-Darm-Ulzera, Thrombopenie < 50.000/μl,
subakute Endokarditis, OP am ZNS, frisches SHT, Glaskörperblutung.
Substanzauswahl
• Niedermolekulare Heparine wie Certoparin (z. B. Mono-Embolex NM®),
Dalteparin (Fragmin®), Enoxaparin (Clexane®) und Nadroparin (Fraxipa-
rin®) sind aufgrund der unzureichenden Wirkung von Standardheparin in
der periop. Thromboembolieprophylaxe mit hohem Risiko Mittel der Wahl
(▶ Tab. 24.19).
• Vorteile: Einmalgabe aufgrund längerer HWZ, geringere Gefahr einer hepa-
rininduzierten Thrombopenie, geringeres Osteoporosepotenzial und geringe-
re lipolytische Aktivität.

Tab. 24.19  Heparine (Beispiele) zur Thromboembolieprophylaxe


Wirkstoff Handelsname Tagesdosierung zur Thromboseprophylaxe

Mittleres Risiko Hohes Risiko

Heparin Liquemin® 3 × 5.000 IE s. c. 3 × 7.500 IE s. c.

Dalteparin Fragmin® 1 × 2.500 IE s. c. 1 × 5.000 IE s. c.


®
Enoxaparin Clexane 1 × 2.000 IE s. c. 1 × 4.000 IE s. c.

Nadroparin Fraxiparin® 1 × 2.850 IE s. c. 1 × 5.700 IE s. c.

Certoparin Mono-Embolex® 1 × 3.000 IE s. c. 1 × 3.000 IE s. c.

24 Tipps & Tricks


• Beginn präop. bei hohem Risiko. Postop. Dauer bis zur vollen Mobilisa-
tion.
• Nach Hüft-/Knie-TEP und großen Eingriffen Gabe erst 8–12 h postop.
(cave: Blutung), danach für 28–35 d (Hüft-TEP) bzw. 11–14 d (Knie-
TEP, laut Herstellerstudien, allerdings nach ACCP Guidelines ebenfalls
4 Wo.).
• Bei Polytrauma prim. ZNS-Blutung ausschließen, sonst besser Gabe von
unfraktioniertem Heparin zur besseren Steuerung verwenden.
• Bei Niereninsuff. Dosis adaptieren → Kumulationsgefahr.
• Gefahr der heparininduzierten Thrombopenie → Kontrolle von Throm-
bozyten alle 3–5 d. Nur bei Kindern und/oder Leber-/Niereninsuff.
aPTT-Kontrolle notwendig.

Therapeutische Heparinisierung („High-Dose“)


Indikationen (Auswahl)
• Thromboembolische Erkr., z. B. frische Venenthrombose, (▶ Tab. 24.20),
Lungenembolie.
• Herzinfarkt mit oder ohne Lysether., Angina pectoris, Vorhofflimmern, peri-
phere Gefäßverschlüsse, DIC (Heparin im Frühstadium).
   24.3  Thromboseprophylaxe und -therapie  855

Tab. 24.20  Heparine (Beispiele) zur Therapie der tiefen Venenthrombose


Wirkstoff Handelsname Therapie der tiefen Venenthrombose (▶ 5.8.1)

Heparin Liquemin® I. v. oder 2 × ca. 17.500 IE/d s. c. nach aPTT
®
Dalteparin Fragmin 1 × 200 IE/kg/d s. c.

Enoxaparin Clexane® 2 × 100 IE/kg/d s. c.

Nadroparin Fraxiparin® 2 × 85 IE/kg/d s. c.

Kontraindikationen
Absolute KI:
• Hämorrhagische Diathese (Ausnahme: DIC im Frühstadium), manifeste Blu-
tung, frische OP, offene Wunden.
• Floride Magen-Darm-Ulzera, Kolitis, Ösophagusvarizen.
• ZNS-Verletzung, Aneurysmen, Spinalanästhesie/PDA, Lumbalpunktion, Ab-
ortus imminens, Glaskörperblutung.
• Heparininduzierte Thrombopenie Typ II, Heparinallergie.
Relative KI:
• Akute bakt. Endokarditis.
• Ausgeprägte Leber-, Niereninsuff. (schlecht steuerbar), symptomatische Ne-
phrolithiasis, akute Pankreatitis.
• Geplante Arterien- oder Organpunktionen (z. B. Spinalanästhesie, PDA).
• Lungenerkr. mit erhöhtem Blutungsrisiko (z. B. Tbc, Bronchiektasen).
• Nichtembolischer Insult < 6 Mon.
• Kooperationsmangel.
Vorgehen
Dosis: Bei i. v. Gabe: Initialer Bolus gewichtsadaptiert i. v., dann Dauerinfu-
sion (▶ Tab. 24.20) aPTT-gesteuert. Berücksichtigung von Begleiterkr., Ge- 24
rinnungssituation und Thrombozytenzahl.
Ther.-Ziel: PTT (1,5- bis 2,5-fach verlängert), TZ (2- bis 4-fach verlängert).
Bei Langzeitther. höherer Dosisbedarf. HWZ 1–2,5 h.

Tipps & Tricks


• Bei Blutung: Blutstillung, ggf. Antidot: Protamin. 1 mg langsam i. v. ant-
agonisiert 100 IE Heparin. Maximaldosis: 50 mg. Cave: Kürzere HWZ
des Protamins; bei AT III < 70 % des Normalwerts ist Protamin weniger
wirksam, in Einzelfällen AT-III-Gabe möglich.
• Vorgehen bei überschießender PTT-Verlängerung: Heparin absetzen.
PTT kontrollieren (Abnahme von heparinkontaminiertem Blut?).

Nebenwirkungen
Blutungen (2–5 % schwer, High-Dose-Gabe), allergische Reaktionen, heparinin-
duzierte Thrombopenie, Hemmung von Wundheilung und Kallusbildung, rever-
sibler Haarausfall und Osteoporose, Anstieg der Leberenzyme und LDH, Hautne-
krosen, zahlreiche Interaktionen mit anderen Pharmaka.
856 24 Arzneitherapie 

Heparininduzierte Thrombopenie Typ II (HIT)


Definition
Immunreaktion, bei der AK zumeist an den Heparin-PF4-Komplex und an das
Gefäßendothel binden und über den thrombozytären Rcγ-IIA-Rezeptor zu Plätt-
chenaktivierung und erhöhter Thrombozyten-Clearance durch das RES führen.
In ca. 20 % venöse oder arterielle Gefäßverschlüsse („White-Clot-Sy.“), Blutungen
< 5 %. Inzidenz: Ca. 0,1–1 % bei Gabe von unfraktioniertem Heparin i. v., unter
niedermolekularen Heparinen seltener, bei s. c. Gabe sehr selten.
Diagnostik
• 6–14 d (bei Reexposition Stunden) nach Heparingabe Abfall > 50 % der
Thrombozyten (zumeist auf < 100.000/μl).
• HIT-Schnelltest (ELISA), bei pos. Ergebnis heparininduzierter Plättchenakti-
vierungsassay (HIPAA).
• Ausschluss anderer Thrombozytopenieursachen. Evtl. Nachweis heparinasso-
ziierter antithrombozytärer AK.
Therapie
• Sofortiges Absetzen des Heparins (Normalisierung der Thrombo-Zahl nach
5–7 d).
• Bei zwingender Ind. zur Antikoagulation: Rekombinantes Hirudin wie Lepi-
rudin 0,1 mg/kg/h i. v. (Refludan®) oder Desirudin (Revase®).
• Gefäßverschlüsse: Lepirudin 0,4 mg/kg Bolus i. v., dann 0,15 mg/kg/h i. v.
(oder Desirudin), ggf. Lysether. oder Embolektomie.
• Begleitend zur Lyse: Lepirudin 0,2 mg/kg Bolus i. v., dann 0,1 mg/kg/h i. v.
(oder Desirudin).
• Steuerung nach Ecarinzeit, evtl. aPTT.
• Ther.-Kosten ca. 400 Euro/d bei Standarddosis. Alternativ nach Austestung
(!) Heparinoid Danaparoid-Natrium z. B. 2.500-U-Bolus i. v. (Orgaran®),
24 dann 400 U/h für 4 h, dann 150–200 U/h i. v., später 2 × 750–1.250 U/d s. c.,
Ther.-Kosten 70–170 Euro.
• Frühzeitige Plasmapherese; Immunglobuline von fraglichem Nutzen.
• Später überlappend Cumarinderivate (▶ 24.3.3), Allergiepass.
Prognose
Letalität nach sofortigem Absetzen 12–23 %.

24.3.3 Cumarine
Definition
Orale Langzeitantikoagulation, die sich überlappend an die Akutprophylaxe bzw.
Ther. mit Heparin anschließt.

Indikationen (Auswahl)
• Nach erstmaliger tiefer Bein- und Beckenvenenthrombose und/oder Lungen-
embolie für 3–6 Mon.
• Nach Rezidivthromboembolien für 6–12 Mon. oder Dauerantikoagulation in Zu-
sammenarbeit mit Internisten nach Abklärung thromboembolischer Risiken.
   24.3  Thromboseprophylaxe und -therapie  857

Kontraindikationen
Absolute KI: ▶ 4.3.1 (außer Heparinallergie, heparininduzierte Thrombopenie);
zusätzlich DIC, Schwangerschaft (teratogen).
Relative KI: Stillzeit, Krampfleiden, Quick-Erniedrigung, mangelnde Compli-
ance; chron. Alkoholismus.

Nebenwirkungen (Auswahl)
• Blutung (häufigste NW), Allergie, NNR-Insuff. (selten), Erbrechen, Diarrhö,
Ikterus („Cumarin-Hepatitis“), Übelkeit, Haarausfall.
• Exanthem, hämorrhagische Hautnekrose = „Marcumarnekrose“ (v. a. bei
Protein-C-Mangel, deshalb immer einschleichende Cumarindosierung!).
Zahlreiche Interaktionen.

Vorgehen
• Vor Ther.-Beginn muss PTT heparinbedingt im therapeutischen Bereich lie-
gen (ca. 2-facher Normalwert), INR 0,9–1,2, Quick 90–120 % (bei INR > 1,5
→ Leberfunktionsstörungen → relative KI, diagn. Abklärung).
• Cumarinther. wie unten angegeben beginnen, am besten abends, Heparin
weitergeben.
• Am 2. und 3. d Heparin- und Cumaringabe (in absteigender Dosierung)
überlappend fortsetzen.
• Am 4. d Heparin ca. 6 h vor Blutabnahme absetzen (z. B. Mitternacht) → INR-
Kontrolle ohne Heparinwirkung in vitro. Wenn die INR im ther. Bereich liegt
(z. B. 2–3), Heparin absetzen.
• Dosisanpassung des Cumarins nach INR (anfangs tgl., dann 2 ×/Wo.). Wenn
stabil, INR-Kontrolle 1- bis max. 4-wöchentlich. Bei Krankheit oder Hinzufü-
gung anderer Medikamente engmaschigere Kontrollen!

Dosierung Phenprocoumon (Marcumar®)


• Initialdosis 4 Tbl. (12 mg). 24
• Tag 2: 3 Tbl. (9 mg).
• Tag 3: 2 Tbl. (6 mg).
• Tag 4: Nach INR. Erhaltungsdosis nach INR ¼–2 Tbl./d.
• Bei leichtgewichtigen oder sehr kranken Pat. anfängliche Cumarindosis ver-
mindern (z. B. 3–2–1), bei schwergewichtigen Pat. Cumarindosis nicht erhö-
hen, sondern über einen längeren Zeitraum verabreichen (z. B. 4–4–3–2–2–1).

Vorgehen bei Komplikationen


▶ Tab. 24.21.
Tab. 24.21  Komplikationsmanagement bei oraler Antikoagulation
Situation Vorgehen Wirkungseintritt

INR erhöht, aber < Nächste Gaben aussetzen, Dosis reduzie-


6, keine Blutung ren

INR 6–10, keine Blu- Vit. K1 1–2 mg p. o. (1–2 Tr. Konakion®) Nach 8–16 h
tung oder Vit. K1 1–2 mg langsam (10–20 Min.)
i. v. (Konakion® MM)

INR > 10, keine Blu- Vit. K1 3 mg i. v., Kontrolle der INR alle 6 8–12 h
tung h, ggf. erneut Vit. K1
858 24 Arzneitherapie 

Tab. 24.21  Komplikationsmanagement bei oraler Antikoagulation (Forts.)


Situation Vorgehen Wirkungseintritt

INR > 20, keine Blu- Vit. K1 10 mg wiederholt alle 12 h i. v., 8–12 h, bei PPSB-
tung evtl. PPSB i. v., INR alle 6 h kontrollieren Gabe sofort

Elektive OP, keine Vit. K1 1–2 mg p. o. oder langsam (10–20 Nach 8–16 h
Blutung Min.) i. v., Kontrolle vor OP und alle 6 h

Relevante Blutung PPSB i. v. und Vit. K1 10 mg wiederholt al- Sofort
oder Notfall-OP le 12 h i. v., INR alle 6 h kontrollieren

24.3.4 Faktor-Xa-Inhibitoren
Wirkmechanismus
• Substanzklasse, die indirekt (Fondaparinux – Arixtra®) bzw. direkt (Rivaro-
xaban – Xarelto®, Apixaban – Eliquis®) den Faktor Xa und dadurch die
Thrombinbildung hemmt.
• Längere HWZ von Fondaparinux und Rivaroxaban ermöglicht Einmalgabe.
• Appl.: Fondaparinux: s. c., Rivaroxaban und Apixaban: oral.
• Große Studien zeigten eine leichte Überlegenheit gegenüber niedermolekula-
ren Heparinen bzgl. der Senkung symptomatischer Thromboembolien bei
Knie-/Hüft-TEP bei gleichem Blutungsrisiko.
Vorteil: Keine Gefahr der heparininduzierten Thrombopenie Typ II.
Nachteil: Bei Blutung kein Antagonist verfügbar, es kann aber PPSB geben wer-
den. Unklare HWZ.

Indikationen
• Thromboseprophylaxe bei Pat. mit größeren orthopädischen Eingriffen an den
unteren Extremitäten, z. B. Hüftfrakturen, größere Knie- oder Hüftersatz-OPs.
24 • Tiefe Venenthrombosen, Lungenembolie (nur Fondaparinux und Rivaroxaban).
• Herzinfarkt mit oder ohne Lysether., Angina pectoris, nicht-valvuläres Vor-
hofflimmern, periphere Gefäßverschlüsse, DIC (Heparin im Frühstadium).

Kontraindikationen
Absolute KI: Niereninsuff. mit Kreatinin-Clearance < 15 bzw. < 20 ml/Min.,
Schwangerschaft und Stillzeit, schwere Leberfunktionsstörung (Child B/C).
Relative KI: Niereninsuff. mit Kreatinin-Clearance 20–50 ml/Min. → Dosisanpas-
sung von Fondaparinux auf 1,5 mg s. c.

Dosierung
Thromboseprophylaxe ▶ Tab. 24.22.

Tab. 24.22  Thromboseprophylaxe mit Faktor-X-Inhibitoren


Wirkstoff Handelsname Tagesdosierung zur Thromboseprophylaxe

Fondaparinux Arixtra® 1 × 2,5 mg s. c.

Rivaroxaban Xarelto® 1 × 10 mg oral


®
Apixaban Eliquis 2 × 2,5 mg oral
   24.3  Thromboseprophylaxe und -therapie  859

Tipps & Tricks


• Cave: Postop. Beginn lt. Hersteller(-studien) 6 h, laut ACCP-Guidelines
aber erst frühestens nach 8–12 h (sonst publiziertes höheres Blutungs-
und Re-OP-R) nach OP (Fondaparinux., Rivaroxaban) bzw. 12 h nach
OP (Apixaban).
• Bei Niereninsuff. Kumulationsgefahr für Fondaparinux und damit Blu-
tungsgefahr! Dosisanpassung (▶ Tab. 24.23).

Tab. 24.23  Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz


Wirkstoff Handelsname Krea-Clearance [ml/Min.] Dosis
®
Fondaparinux Arixtra < 20–50 1 × 1,5 mg s. c.

< 20 Keine Anwendung


®
Rivaroxaban Xarelto < 15 Keine Anwendung

Apixaban Eliquis® < 15 Keine Anwendung

Fondaparinux, Rivaroxaban und Apixaban dürfen 24 h vor Entfernung von Spi-


nal-/Epiduralkathetern nicht gegeben werden (Blutungsgefahr). Spinal-/Epidu-
ralanästhesie ist Mittel der Wahl als VTE-Propyhlaxe bei Hüft- und Knie-TEP, bei
Vollnarkose VTE-Risiko 2–3-fach höher!

24.3.5 Direkte Thrombininhibitoren
Wirkmechanismus
• Substanzklasse, die direkt die Thrombinbildung hemmt.
• Dabigatran (Pradaxa®) wird oral appliziert.
• Große Studien zeigten eine leichte Überlegenheit gegenüber niedermolekula- 24
ren Heparinen bzgl. der Senkung symptomatischer Thromboembolien bei
Knie-/Hüft-TEP bei gleichem Blutungsrisiko.
Vorteil: Keine Gefahr der heparininduzierten Thrombopenie Typ II.
Neu: Erstes neues orales Antikoagulans (NOAK) mit verfügbarem Antidot Idaru-
cizumab (Praxbind®).

Indikation
• Thromboseprophylaxe bei Pat. mit größeren orthopädischen Eingriffen an den
unteren Extremitäten, z. B. Hüftfrakturen, größere Knie- oder Hüftersatz-OP.
• Tiefe Venenthrombosen, Lungenembolie.
• Keine Gefahr der heparininduzierten Thrombopenie Typ II.
Kontraindikationen
Absolute KI: Niereninsuffizienz mit Kreatinin-Clearance < 30 ml/Min., Schwan-
gerschaft und Stillzeit, schwere Leberfunktionsstörung (Child B/C).
Relative KI: Bei Niereninsuff. mit Krea-Clearance 30–50 ml/Min. und Pat. > 75 J.
Dosisanpassung von Dabigatran auf 2 × 75 mg.

Dosierung
Thromboseprophylaxe: Dabigatran (Pradaxa®): 2 × 110 mg/d oral.
860 24 Arzneitherapie 

Tipps & Tricks


• Cave: Streng postop. Beginn 1–4 h nach OP.
• Dosisanpassung bei Niereninsuff.:
– Krea-Clearance: 30–50 ml/Min.: 2 × 75 mg/d oral.
– Krea-Clearance < 30 ml/Min.: keine Anwendung.
• Bei Entfernung von Spinal-/Epiduralkathetern sollte 12 h vorher und
2 h nachher kein Dabigatran gegeben werden (Blutungsgefahr).
• Starke Beeinflussung bei der Bestimmung von thrombinabhängigen Ge-
rinnungstests (PTT stark verlängert, Quick mäßig verringert) und Ge-
rinnungsfaktoren (II, V, VII, VIII, IX, X, XI, XII, XIII falsch zu niedrig,
Antithrombin, APC-Ratio, Protein S, Fibrinogen falsch zu hoch).

24.3.6 Acetylsalicylsäure (ASS)
Wirkmechanismus
ASS (Aspirin®) ist ein Cyclooxygenasehemmer, der zu den NSAR zählt und die
Thromobozytenaggregation hemmt.
Viele Pat. nehmen bereits präop. ASS zur kardiovaskulären Prophylaxe. ASS re-
duziert das VTE-Risiko um 30 % gegenüber Placebo (PEP trial 2000). In Deutsch-
land in S3-Leitlinie von 2009 nicht erwähnt, jedoch Standard in England, USA,
Kanada, Australien und Neuseeland bei Pat. mit niedrigem bis normalem VTE-
Risikoprofil. Laut NICE-Statistiken (siehe website und Annex) und ACCP-Guide-
lines geringeres postop. Blutungsrisiko und höheres Sicherheitsprofil, allerdings
weniger effizient zur asymptomatischen TBVT-Reduktion.
Bemerkung: In den aktuellen ACCP-Guidelines 2012 mit dem gleichen Evidenz-
level 1B versehen wie obige chemische Prophylaktika.

24 Indikation
• Zur Thromboseprophylaxe bei Pat., die sich größeren orthopädischen Ein-
griffen an den unteren Extremitäten unterziehen müssen, z. B. Hüftfrakturen,
größere Knie- oder Hüftersatz-OPs.
• Herzinfarkt mit oder ohne Lysether., Angina pectoris, Vorhofflimmern/-flat-
tern, periphere Gefäßverschlüsse, DIC (Heparin im Frühstadium).
• Keine Gefahr der heparininduzierten Thrombopenie Typ II.
Kontraindikationen
Absolute KI: Unverträglichkeiten, Allergien, frühere NSAR-induzierte GIT-Blutung.
Relative KI: Cave: Bei Asthma, aber nicht alle Pat. mit Asthma sind ASS-intolerant.

Dosierung
Thromboseprophylaxe: Acetylsalicylsäure (Aspirin®, ASS-Generika): 1 × 150(–
325) mg/d oral.

Tipps & Tricks


• Cave: Muss präop. nicht gestoppt werden (bei Pat., die schon ASS ein-
nehmen). Postop. Beginn 8–12 h nach OP.
• Am besten in Komb. mit mechanischer, pneumatischer Prophylaxe ver-
wenden (Level-1C-Evidenz): Trotz erwiesener Wirksamkeit erstaunli-
cherweise in Deutschland nicht im Routineeinsatz. In anderen Ländern
Standard der VTE-Propyhlaxe.
   24.4  Arzneimittel in der Schwangerschaft (Positivliste)  861

24.4 Arzneimittel in der Schwangerschaft


(Positivliste)
Michael Schmidt

▶ Tab. 24.24.
Tab. 24.24  Arzneimittel in der Schwangerschaft (Positivliste)
Arzneimittel 1.–12. SSW 13.–39. SSW Um die Geburt Stillperiode

Acetylsalicylsäure (+) (+) -- (+)

Aminoglykosid-An- -- -- -- +
tibiotika

Amphotericin B -- (–) (–) +


(systemisch)

Amoxicillin + + + +

Ampicillin + + + +

Ascorbinsäure (+) + + +

Atropin (+) (+) (+) (+)

Barbiturate -- (+) (+) +


1
Benzodiazepine (–) (–) --

Betablocker (vor- (+) + + (+)2


wiegend β1)

Betamimetika (vor- (+) + (+) +


wiegend β2)
24
Bromhexin -- (+) (+) +

Bromocriptin -- -- -- (–)

ACE-Hemmer -- -- -- (+)

Carbamazepin (–) (–) (–) +

Carbimazol -- (–) (–) (+)

Cephalosporine (+) + + +

Chloroquin (+) (+) (+) +

Chlorpromazin -- (+) (+) --

Cimetidin -- (–) -- --

Clomethiazol -- -- (+) (–)

Clotrimazol (+) + + +

Codein -- (–) (–) (+)


3
Cotrimoxazol -- (+) (+)

Cromoglicinsäure -- + + +
862 24 Arzneitherapie 

Tab. 24.24  Arzneimittel in der Schwangerschaft (Positivliste) (Forts.)


Arzneimittel 1.–12. SSW 13.–39. SSW Um die Geburt Stillperiode
4
Cumarine -- (–) --

Dextran + + + +

Diclofenac -- (+) -- (+)

Digoxin/Digitoxin + + + +

Dihydralazin (+) + + +

Dihydroergotamin -- (+) -- +

Diphenhydramin -- -- -- (+)

Doxylamin (+) (+) (+) (+)

Erythromycin (+) + + +

Fenbufen -- (+) -- +

Fentanyl -- -- -- --

Furosemid -- (–) (–) (+)

Fusidinsäure (+) + + +

Glukokortikoide -- (–) Min (–) Min (–) Min

Glyzeroltrinitrat (+) + + +

Haloperidol -- -- -- (+)

Halothan (+) (+) (+) +

Heparin (+) + + +
24
Hydrochlorothiazid -- (–) (–) (+)

Ibuprofen -- (+) -- +

Imipramin -- (+) -- +

Indometacin -- (+) -- --

Insulin (Human-) + + + +

Jodid (Substitution) + + + +

Lidocain (–) (–) -- +

Lithiumsalze -- -- -- --

Mebendazol (+) (+) (+) +

Meclozin + + -- +

Meprobamat -- (+) (+) --

Metamizol -- (–) -- --

Methoxyfluran (+) (+) (+) +

α-Methyldopa -- + + +

Methylergometrin -- -- (–) --
   24.4  Arzneimittel in der Schwangerschaft (Positivliste)  863

Tab. 24.24  Arzneimittel in der Schwangerschaft (Positivliste) (Forts.)


Arzneimittel 1.–12. SSW 13.–39. SSW Um die Geburt Stillperiode

Metoclopramid (+) (+) (+) (+)


5
Metronidazol -- -- --

Miconazol (lokal) -- + + +

Nalidixinsäure -- + + --

Naloxon -- (+) (+) +

Nifedipin -- (+) (+) --

Nystatin (+) (+) (+) +


6
Opium-Alkaloide -- -- (–)

orale Antidiabetika -- -- -- --

Oxytocin -- -- (–) Min +

Paracetamol (+) (+) (+) +

Penicillamin -- -- -- (–)

Penicilline + + + +

Pentazocin -- (+) (+) (+)

Pethidin -- (+) (–) (+)

Phenylbutazon -- (–) -- (+)

Phenytoin (+) (+) (+) +

Prazosin -- -- -- --
24
Primaquin -- (+) (+) +

Primidon (–) (–) (–) +

Probenecid (+) (+) (+) --

Promethazin -- (+) (–) (+)

Propylthiouracil (–) Min (–) Min (–) Min +

Prostaglandine -- -- (–) Min --

Pyrimethamin (+) (+) -- +

Ranitidin -- -- -- --

Radiopharmaka -- (+) (–) --

Reserpin -- (–) -- (+)

Rifampicin -- -- -- +

Spironolacton -- -- -- (+)

Streptokinase (–) (–) (–) +


3
Sulfonamide -- (–) --

Tetrazykline -- -- -- +
864 24 Arzneitherapie 

Tab. 24.24  Arzneimittel in der Schwangerschaft (Positivliste) (Forts.)


Arzneimittel 1.–12. SSW 13.–39. SSW Um die Geburt Stillperiode

Theophyllin (+) (+) (+) +

Thiamazol -- (–) -- (+)

Thyroxin (L-) (+) + + +

Tranexamsäure -- -- -- --

Valproinsäure (–) (–) (–) +

Vasopressin -- -- -- --

Verapamil -- (+) (+) +

Vit. D + + + +

Vit. K1 -- (–) (+) +

Virustatika (–) (–) (–) (–)

- -: nicht empfohlen oder kontraindiziert (ggf. Stillpause), (–): Verordnung nur im


Ausnahmefall, (–) Min: Verordnung in Minimaldosis mögl., (+): bei strenger Ind.-
Stellung anzuwenden, +: ohne Bedenken indikationsgerecht zu verordnen
1
 Medikament der Wahl beim Status epilepticus 2  nicht geben: Acebutolol, Ateno-
lol, Mepindolol, Sotalol 3  nicht in den ersten 4 Wo 4  evtl. Warfarin, Acenocouma-
rol 5  möglichst nur Einzeldosis 6  Pethidin oder Dextropropoxyphen
Tab. verändert nach: H. Spielmann und R. Steinhoff: Arzneiverordnung in Schwan-
gerschaft und Stillzeit, Urban & Fischer Verlag, 2001
Beratung z. B. Homepage der Charité Berlin (Tel. 030 450–525700)

24.5 Glukokortikoide
24 Arno Dormann

Substanzauswahl
• Entzündungshemmung:
– Systemisch: Oral Prednisolon, potentere Glukokortikoide bieten keine Vor-
teile (▶ Tab. 24.25), Steroide mit starker mineralokortikoider Wirkung ver-
meiden, NW s. u. (z. B. RA ▶ 16.8.1, Panarteriitis nodosa, SLE, chron. aktive
Hepatitis, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, rheumatisches Fieber).
– Lokal: Hochpotente Steroide bevorzugen, auf optimale Darreichungsform
(Tr., Gel, Creme, Inhalation, Klysmen) achten. Zur Hautther. Hydrokorti-
son bevorzugen, v. a. um Schäden bei Überdosierung zu minimieren (z. B.
Hauterkr., Gelenkentzündungen).
– Inhalative Dauertherapie mit Steroiden bei COPD und Asthma.
• Substitution bei Hypokortizismus (Morbus Addison, nach Adrenalektomie),
bei Stress, nach Trauma, postop., bei Infektionen (in 2- bis 3-facher Tagesdo-
sis geben).
• Unterdrückung allergischer Reaktionen (z. B. Atopie, Anaphylaxie).
• Förderung von Remissionen bei hämolyt. Anämien, Nierenerkr., Leukämien u. a.
• Hirnmetastasen zur Reduktion des intrazerebralen Drucks.
  24.5 Glukokortikoide  865

Tab. 24.25  Übersicht Glukokortikoide


Substanz Handelsna- Biologi- Glukokor- Mineralo- Cushing-
me (Beispiel) sche HWZ tikoide kortikoide Schwellen-
[h] Potenz Potenz dosis [mg]

Prednison ∼ Decortin®, 12–36 4 0,6 7,5


­Prednisolon Ultracorten®

Methylpredniso- Urbason®, 12–36 5 – 6


lon ∼ ­Fluocortolon Ultralan®,
∼ Triamcinolon Volon A®

Dexamethason Fortecortin® 36–72 30 – 1,5


®
Betamethason Betnesol , 36–72 35 – 1
Celestan®

Fludrokortison Astonin H® 8–12 10 125 –

Aldosteron Aldocorten® – – 700 –

(Relative) Kontraindikationen

Magen-Darm-Ulzera inkl. Ulkusanamnese, Osteoporose, Psychosen, akute


Chemother. oder Chemother. bei hämatologischen Erkr., Herpes simplex,
Herpes zoster, Varizellen; vor und nach Schutzimpfungen, Glaukom, Hyper-
tonie, Diab. mell., Kindesalter, Stillen (→ abstillen), 1. Trimenon Schwanger-
schaft (umstritten).

Faustregeln für das klinische Management


• Routine-Diagn. vor Ther.-Beginn: BB, E'lyte, Nüchtern-BZ, Rö-Thorax. Bei
Dauerther. regelmäßig wiederholen. 24
• Wenn möglich, lokale Therapeutika einsetzen (inhalativ bei Asthma, intraar-
tikulär bei Gelenkentzündung, Einlauf bei Kolitis).
• Tagesdosis immer morgens geben (Ausnahme Atemwegsobstruktion).
• Chron. Erkr.: Auch bei schweren Symptomen (z. B. RA, Morbus Bechterew)
so sparsam wie möglich (Reduktionsversuche) und möglichst nicht langfristig
über der Cushing-Schwelle dosieren, um schwere, z. T. irreversible NW zu
vermeiden.
• Verringerung der NNR-Suppression: Intermittierende oder Alternate-Day-
Gabe (jeden 2. Morgen 1,5- bis 2-fache Tagesdosis). „NNR-schonende“ pa-
renterale ACTH-Ther. z. B. bei MS möglich – für nichtstationäre Pat. aber
ungeeignet.
• Notfälle: Großzügig dosieren und i. v. verabreichen, z. B. Prednison 100–
250 mg (z. B. Decortin®). NW bei Kurzzeitther. gering. Bei vitaler Ind. (z. B.
Hirnödem, Leukämie, Pemphigus, exfoliative Dermatitis) ebenfalls hoch do-
sieren.
• Bei Ther.-Dauer über der Cushing-Schwelle > 1 Wo. Dosis über mehrere Wo.
bis Mon. stufenweise reduzieren.

Nebenwirkungen
• Diabetogene Wirkung: Hyperglykämie, Glukosurie, Steroiddiabetes.
• Fettstoffwechselstörung: Stammfettsucht, Vollmondgesicht, Fettsäurespiegel ↑.
866 24 Arzneitherapie 

• Osteoporose: 50 % bei Langzeitbehandlung (▶ 15.1.1). Prophylaxe:


– Kalziumsubstitution: 1–1,5 g/d p. o. (1 l Milch = 1 g).
– Substitution von Östrogen bei F in der Postmenopause oder mit gluko-
kortikoidinduzierter Amenorrhö (z. B. Kliogest® 1 × 1 Tbl./d p. o.).
– Einsatz eines Thiazids und kaliumsparenden Diuretikums bei Hyperkalz­
urie.
– Substitution von 1α,25-Dihydroxycolecalciferol = Kalzitriol, z. B. 0,25 μg/d
(z. B. Rocaltrol®) oder Cholecalciferol = Vit. D3 3 × 1.000 mg/d (z. B. Vi-
gantoletten®).
• BB-Veränderung: Thrombos ↑, Erys ↑, Neutrophile ↑ (Eselsbrücke: „TEN
plus“); Eosinophile ↓, Basophile ↓, Lymphos ↓.
• Immunschwäche: Infektgefährdung.
• Katabole Wirkung: Neg. Stickstoffbilanz, Wachstumshemmung, Osteoporo-
se, Muskelschwäche und -ermüdbarkeit.
• Magenschleimhautgefährdung: Evtl. Prophylaxe mit Ranitidin 300 mg/d p. o.
zur Nacht (z. B. Zantic®), alternativ Misoprostol 2 × 200 μg/d p. o. (z. B. Cyto-
tec®).
• Endokrines Psychosy.: Euphorie, Depression, Verwirrung, Halluzination.
• Auge: „Nach 1 Wo. Hornhautulkus, nach 1 Mon. akuter Glaukomanfall, nach
1 J. Katarakt“ → Katarakt bei 2 0 % nach 1 J. Ther. über Cushing-Schwelle.
• Kapillarbrüchigkeit: Petechien, Purpura, Ekchymosen.
• Haut: Atrophie (auch bei Lokalther.), Akne, Striae rubrae.
• NNR-Atrophie: Kortisonentzugssy. (Schwäche, Schwindel, Schock bei Belas-
tung); vor Absetzen der Dauerther. Kortisolprofil (endogene Kortisolproduk-
tion?).
• Wasserretention, Hypertonie, Hypokaliämie, metabolische Alkalose (Minera-
lokortikoidwirkung), Myopathie, Atrophie der Hüft- und OS-Muskulatur
(CK ↑!).

24
25 AO-Klassifikation der Frakturen
langer Röhrenknochen
Steffen Breusch und Hans Mau

25.1 Allgemeines 868 25.4 Femur (3) 876


25.1.1 Aufbau der Frakturklassifika­ 25.4.1 Proximal (31-) 876
tion und Vorgehen bei der 25.4.2 Diaphyse (32-) 877
­Kodierung 868 25.4.3 Distal (33-) 878
25.1.2 Definitionen, 25.5 Tibia, Fibula (4) 879
­Konventionen 869 25.5.1 Proximal (41-) 879
25.2 Humerus (1) 870 25.5.2 Diaphyse (42-) 880
25.2.1 Proximal (11-) 870 25.5.3 Distal (43-) 881
25.2.2 Diaphyse (12-) 871 25.5.4 Malleolen (44-) 882
25.2.3 Distaler Humerus (13-) 872 25.6 Handskelett 883
25.3 Radius, Ulna (2) 873
25.3.1 Proximal (21-) 873
25.3.2 Diaphyse (22-) 874
25.3.3 Distal (23-) 875
868 25  AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen  

25.1 Allgemeines
25.1.1 Aufbau der Frakturklassifikation und Vorgehen bei der
Kodierung
„Eine Klassifikation ist nur nützlich, wenn sie sich auf den Schweregrad der Fraktur
­bezieht und als Grundlage sowohl für die Behandlung als auch für die Beurteilung der da-
mit erreichten Resultate dient.“
M. E. Müller
Ziel der AO-Frakturklassifikation ist eine Einteilung aller Frakturen nach einem
einheitlichen Prinzip. Die Kodierung der Diagnose erfolgt in Lokalisation und
Morphologie nach einem festgelegten Schlüsselsystem, z. B. 41–A1.2 (▶  Tab.
25.1). Für die langen Röhrenknochen genügen zur Beschreibung der Lokalisation
2 Stellen; im Bereich der Hand sind hierfür 4 Stellen vorgesehen (▶ 25.6 Handske-
lett). Mehretagenfrakturen werden doppelt kodiert.

Lange Röhrenknochen
Lokalisation (1. und 2. Stelle)
• 1. Stelle: Kodierung der Körperregion, z. B. 1 für Oberarm, 2 für Unterarm,
3 für Oberschenkel (▶ Tab. 25.1, ▶ Abb. 25.1).
• 2. Stelle: Angabe der Höhenlokalisation, z. B. 1 für proximale Fraktur, 2 für
Fraktur im mittleren Drittel und 3 für distal gelegene Fraktur.

Tab. 25.1  Diagnosekodierung bei der AO-Klassifikation


Lokalisation Morphologie

Knochen Segment Gruppe Frakturtyp Unterteilung Untergruppe

1 = Humerus 1 = proximal A 1. 2. 3. 123

2 = Radius/Ulna 2 = Diaphyse B 1. 2. 3. 223

3 = Femur 3 = distal C 1. 2. 3. 323

25 4 = Tibia/Fibula 4 = Malleolen

Morphologie (3. bis 5. Stelle)


Mit steigender Bezifferung wird die Komplexität einer Fraktur nach Schweregrad,
Schwierigkeit der Behandlung und Progn. beschrieben. Eine A1-Fraktur stellt die
einfachere (z. B. Tuberculum-majus-Abriss) und eine C3-Fraktur die komplexere
dar (z. B. Schultergelenk-Luxationsfraktur).
• 3. Stelle: Unterteilung der Frakturen in die Typen A bis C.
• 4. Stelle: Weitere Unterteilung entsprechend den Ziffern 1, 2 oder 3 nach zu-
nehmendem Schweregrad. 3. und 4. Stelle ergeben die Gruppe der Fraktur.
• 5. Stelle: Unterteilung der Gruppen in Untergruppen 1, 2, oder 3. Die Unter-
gruppen werden von der 4. Stelle durch einen Punkt abgesetzt.
Beispiel: Transsyndesmale Fraktur des lateralen Malleolus mit medialer Zusatzlä-
sion und Volkmann-Fragment: Kodierung 44B3. (Aus Platzgründen ist in diesem
Kapitel die Kodierung der Untergruppen nicht aufgeführt. Eine Beschreibung der
Untergruppen findet sich z. B. in dem erwähnten Buch von Müller et al. [1992].
Eine Faltbroschüre mit Abbildungen der Frakturtypen und deren Unterteilung
  25.1 Allgemeines  869

kann bei der Firma SYNTHES GmbH,


Im Kirchenhürstle 4–6, 79224 Frei-
burg-Umkirch, Tel.: 07665/503–14 an-
gefordert werden.)

25.1.2 Definitionen,
Konventionen
• Einfache Fraktur: Eine vollständige
Kontinuitätsunterbrechung (spiral-
förmig, schräg, quer).
• Mehrfragmentäre Fraktur: Ein
oder mehrere Zwischensegmente
(Keil- und komplexe Frakturen).
• Keilfraktur (meta- oder diaphysäre
Fraktur): Hauptfragmente kommen
bei Reposition in direkten Kontakt.
Dreh- oder Biegungskeil kann in-
takt oder fragmentiert sein.
• Komplexe Fraktur (meta- oder dia-
physäre Fraktur) mit einem oder
mehreren Zwischenelementen:
Hauptfragmente kommen bei Repo-
sition nicht in Kontakt zueinander.
• Diaphysäre Fraktur mit dislozier-
tem artikulärem Bruchstück gilt als
artikuläre Fraktur, wogegen bei
nichtdisloziertem artikulärem Frag-
ment von einer dia- oder meta-
physären Fraktur gesprochen wird.
• Partielle Gelenkfraktur: Nur ein
Teil der Diaphyse gebrochen, anderer
Teil bleibt mit Metaphyse in Verbin- Abb. 25.1 AO-Frakturklassifikation:
Kodierung der Körperregion und Hö­
dung. Formen: Reine Spaltung, reine henlokalisation [L190]
Impression, Impression mit Spaltung 25
(Fragmente meist disloziert).
• Vollständige Gelenkfraktur: Gelenkfragmente völlig von Diaphyse gelöst
(Ein- oder Mehrfragmentbruch). Schweregrad neben Frakturform abhängig
von artikulärer Komponente.
870 25  AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen  

25.2 Humerus (1)
25.2.1 Proximal (11-)

25

Abb. 25.2 [L190]
  25.2 Humerus (1)  871

25.2.2 Diaphyse (12-)

25

Abb. 25.3 [L190]
872 25  AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen  

25.2.3 Distaler Humerus (13-)

25

Abb. 25.4 [L190]
   25.3  Radius, Ulna (2)  873

25.3 Radius, Ulna (2)


25.3.1 Proximal (21-)

25

Abb. 25.5 [L190]
874 25  AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen  

25.3.2 Diaphyse (22-)

22- Radius/Ulna Diaphyse, einfache Fraktur

der Ulna, Radiusschaft des Radius, Ulnaschaft intakt beider Knochen (A3)
intakt (A1) (A2)

22- Radius/Ulna Diaphyse, Keilfraktur

der Ulna, Radiusschaft intakt des Radius, Ulnaschaft intakt eines Knochens, kombiniert mit
(B1) (B2) einer Fraktur des anderen (B3)

22- Radius/Ulna Diaphyse, komplexe Fraktur

25

der Ulna, einfach des Radius des Radius, einfach der Ulna beider Knochen (C3)
(C1) (C2)

Abb. 25.6 [L190]
   25.3  Radius, Ulna (2)  875

25.3.3 Distal (23-)

23- Radius/Ulna distal, extraartikuläre Fraktur

der Ulna, Radius intakt (A1) des Radius, einfach des Radius, mehrfragmentär
und impaktiert (A2) (A3)

23- Radius/Ulna distal, partielle Gelenkfraktur des Radius

Sagittalebene (B1) dorsale Kante (Barton) palmare Kante (B3)


(B2) (reversed Barton, Goyrand-Smith II)

23- Radius/Ulna distal, komplexe Fraktur

25

artikulär einfach, artikulär einfach, meta- mehrfragmentär (C3)


metaphysär einfach (C1) physär mehrfragmentär (C2)

Abb. 25.7 [L190]
876 25  AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen  

25.4 Femur (3)
25.4.1 Proximal (31-)

31- Femur proximal, Fraktur in der Trochanterregion

pertrochantär einfach (A1) pertrochantär mehrfragmentär intertrochantär (A3)


(A2)

31- Femur proximal, Schenkelhalsfraktur

subkapital, wenig disloziert transzervikal (B2) subkapital, disloziert (B3)


(B1)

25 31- Femur proximal, Kopffraktur

reine Spaltung (C1) reine Impression (C2) Kombination von zwei Frakturen
(C3)

Abb. 25.8 [L190]
  25.4 Femur (3)  877

25.4.2 Diaphyse (32-)

32- Femur Diaphyse, einfache Fraktur

spiralförmig (A1) schräg (A2) quer (A3)

32- Femur Diaphyse, Keilfraktur

Drehkeil (B1) Biegungskeil (B2) Keil fragmentiert (B3)

32- Femur Diaphyse, komplexe Fraktur

25

spiralförmig (C1) etagenförmig (C2) irregulär (C3)

Abb. 25.9 [L190]
878 25  AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen  

25.4.3 Distal (33-)

33- Femur distal, extraartikuläre Fraktur

einfach (A1) mit metaphysärem Keil (A2) metaphysär komplex (A3)

33- Femur distal, partielle Gelenkfraktur

unikondylär lateral, sagittal unikondylär medial, sagittal Frontalebene (B3)


(B1) (B2)

33- Femur distal, vollständige Gelenkfraktur

25

artikulär einfach, meta- artikulär einfach, meta- mehrfragmentär (C3)


physär einfach (C1) physär mehrfragmentär (C2)

Abb. 25.10 [L190]
   25.5  Tibia, Fibula (4)  879

25.5 Tibia, Fibula (4)


25.5.1 Proximal (41-)

41- Tibia proximal, extraartikuläre Fraktur

Ausriss metaphysär einfach (A2) metaphysär mehrfragmentär


(A3)

41- Tibia proximal, partielle Gelenkfraktur

reine Spaltung (B1) reine Impression (B2) Impression mit Spaltung (B3)

41- Tibia proximal, vollständige Gelenkfraktur 25

artikulär einfach, meta- artikulär einfach, meta- mehrfragmentär (C3)


physär einfach (C1) physär mehrfragmentär (C2)

Abb. 25.11 [L190]
880 25  AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen  

25.5.2 Diaphyse (42-)

42- Tibia Diaphyse, einfache Fraktur

spiralförmig (A1) schräg (A2) quer (A3)

42- Tibia Diaphyse, Keilfraktur

Drehkeil (B1) Biegungskeil (B2) Keil fragmentiert (B3)

42- Tibia Diaphyse, komplexe Fraktur


25

spiralförmig (C1) etagenförmig (C2) irregulär (C3)

Abb. 25.12 [L190]
   25.5  Tibia, Fibula (4)  881

25.5.3 Distal (43-)

43- Tibia distal, extraartikuläre Fraktur

metaphysär einfach (A1) mit metaphysärem Keil (A2) metaphysär komplex (A3)

43- Tibia distal, partielle Gelenkfraktur

reine Spaltung (B1) Impression mit Spaltung (B2) mehrfragmentär mit Impression
(B3)

43- Tibia distal, vollständige Fraktur

25

artikulär einfach, meta- artikulär einfach, meta- mehrfragmentär (C3)


physär einfach (C1) physär mehrfragmentär (C2)

Abb. 25.13 [L190]
882 25  AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen  

25.5.4 Malleolen (44-)

44- Malleolen, laterale infrasyndesmale Läsion

isoliert (A1) mit Fraktur des mit postero-medialer


Malleolus medialis (A2) Fraktur (A3)

44- Malleolen, transsyndesmale Fraktur

isoliert (B1) mit Zusatzläsion medial (B2) mit Zusatzläsion medial und
Volkmann (postero-laterales
Kantenfragment; B3)

44- Malleolen, laterale suprasyndesmale Läsion

25

diaphysäre Fibulafraktur, einfach diaphysäre Fibulafraktur, proximale Fibula (C3)


(C1) mehrfragmentär (C2)

Abb. 25.14 [L190]
  25.6 Handskelett  883

25.6 Handskelett
Lokalisation (1. bis 4. Stelle)
• 1. Stelle: Bereich des Handskeletts; immer Nr. 7 (▶ Abb. 25.1).
• 2. Stelle: 1 = Daumen, 2 = Zeigefinger, etc. (DI–DV). 6 = proximale Karpal-
reihe, 7 = distale Karpalreihe.
• 3. Stelle: Knochensegment innerhalb der Knochenreihe, z. B. 1 = Mittelhand-
knochen, 2 = Grundphalanx und 3 = Endphalanx. Die Handwurzelknochen
werden in der proximalen und distalen Reihe jeweils von radial nach ulnar
von 1 bis 4 bezeichnet.
• 4. Stelle: Lokalisation der Fraktur innerhalb eines Knochens, wobei 1 die pro-
ximale, 2 die im mittleren Abschnitt gelegene und 3 die distale Fraktur be-
zeichnet (▶ Abb. 25.15).

733
743 723
732
742 722
753

752 731 721


741

751 712

730
711
740 720
750
710 Os
Os hamatum trapezoideum
774 772
Os pisiforme Os trapezium
764 771
Os triquetrum Os scaphoideum
763 761
Os lunatum Os capitatum
762 773

Abb. 25.15  AO-Frakturklassifikation des Handskeletts: Kodierung der Lokalisati­ 25


on [L190]

Morphologie
Mit den Typen A bis C und Untergruppen 1 bis 3 werden die einfachen bis multi-
fragmentären Frakturen beschrieben (▶ Abb. 25.16, ▶ Abb. 25.17).
Das Kapitel beruht auf der Darstellung der AO-Klassifikation in: Müller ME, All-
göwer M, Schneider R und Willenegger H. Manual der Osteosynthese. AO-Tech-
nik. Berlin: Springer, 1992. Mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags.
Die Beschreibung der Handskelettfrakturen wurde modifiziert nach folgender Pu-
blikation: Petracic B, Siebert H. Klassifikation der Handskelettfrakturen nach
Prinzipien der AO. Akt Traumatol 25;1995:163–166. Die in dieser Publikation
vorgestellte Klassifikation der Handskelettfrakturen wird von mehreren handchi-
rurgischen Zentren und dem AO-Institut für Dokumentation in Bern empfohlen.
884 25  AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen  

A 1 einfach A 2 mit drittem A 3 Mehrfrag-


Fragment ment

B 1 einfach B 2 mit drittem B 3 Mehrfrag-


Fragment ment

C 3 einfach C 2 bikondylär C 3 Mehrfragment


mit evtl. Impression

Abb. 25.16  Kodierung der Morphologie der Röhrenknochenfrakturen [L190]

25
A1 A2 A3

B1 B2 B3

C1 C2 C3

Abb. 25.17  AO-Frakturklassifikation des Handskeletts: Kodierung der Morphologie


der Karpalknochenfrakturen (illustriert am Skaphoid, gilt für alle Karpalia) [L190]
Adressen
Herausgeber
Prof. Dr. med. Steffen Breusch FRCSEd, Consultant Orthopaedic Surgeon, Hono-
rary Senior Lecturer, Royal Infirmary of Edinburgh, 51 Little France Crescent,
Edinburgh EH16 4SA, Schottland
Prof. Dr. med. Michael Clarius, Ärztlicher Direktor Vulpius Klinik GmbH, Chef-
arzt Orthopädie und Unfallchirurgie, Vulpiusstr. 29, 74906 Bad Rappenau
Dr. med. Hans Mau, Helios Endoklinik Hamburg, Holstenstr. 2, 22767 Hamburg
Prof. Dr. med. Desiderius Sabo, Sportopaedie Heidelberg an der Klinik St. Elisa-
beth, Max-Reger-Str. 5–7, 69121 Heidelberg

Weitere Autoren
Priv.-Doz. Dr. med. Rainer Abel, Orthopädische Klinik, Klinikum Bayreuth
GmbH, Hohe Warte 8, 95445 Bayreuth
Priv.-Doz. Dr. med. Ole Ackermann, Evangelisches Krankenhaus Mettmann,
Gartenstr. 4–8, 40822 Mettmann
Dr. med. Michael Akbar, Leiter des Zentrums für Wirbelsäulenchirurgie, Depart-
ment Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie, Stiftung Orthopädische
Universitätsklinik Heidelberg, Schlierbacher Landstr. 200a, 69118 Heidelberg
Prof. Dr. med. Ludger Bernd, Chefarzt der Orthopädischen Klinik, Klinikum Bie-
lefeld, Teutoburger Str. 50, 33604 Bielefeld
Dr. med. Bahram Biglari, BG Klinik Ludwigshafen, Abt. für Querschnittsgelähmte
und Technische Orthopädie, Ludwig-Guttmann-Str. 13, 67071 Ludwigshafen
Dr. med. Johannes Binder, Zentrum für Nervenheilkunde Herbolzheim, Bis-
marckstr. 19b, 79336 Herbolzheim
Priv.-Doz. Dr. med. Norbert Blank, Oberarzt Rheumatologie, Medizinische Klinik
V (Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie), Im Neuenheimer Feld 410, 69120
Heidelberg
Prof. Dr. med. Arno J. Dormann, Chefarzt Medizinische Klinik, Standort
­Holweide, Chefarzt Gastroenterologie Köln, Standorte Merheim und Holweide,
Krankenhaus Holweide, Neufelder Str. 32, 51067 Köln
Olaf Ernst, Referent für medizinische Rehabilitation/Vertragswesen, Deutsche
Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV), Landesverband Südwest, Kurfürs-
ten-Anlage 62, 69115 Heidelberg
Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Franz, Klinisches Institut für Psychosomatische Medi-
zin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Moorenstr. 5, 40225 Düs-
seldorf
Alfons Fuchs, Schriesheimerstr. 38, 69221 Dossenheim
Dr. med. Jost Karsten Kloth, Radiologie Löbau, Poststr. 20, 02708 Löbau
Dr. med. Philipp Krämer, Klinik Immenstadt, Im Stillen 3, 87509 Immenstadt
Helmut J. Küpper D. E. A. A, Facharzt für Anästhesiologie, Vulpius Klinik, Klinik
für Orthopädie und Unfallchirurgie, Vulpiusstr. 29, 74906 Bad Rappenau
Prof. Dr. med. Hanns-Martin Lorenz, Sektionsleiter Rheumatologie, Medizini-
sche Klinik V (Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie), Im Neuenheimer Feld
410, 69120 Heidelberg
Dr. med. Franz-Peter Maichl, BG Klinik Ludwigshafen, Abt. Berufsgenossen-
schaftliche Rehabilitation und Heilverfahrenssteuerung, Ludwig-Guttmann-Str.
13, 67071 Ludwigshafen
VIII Adressen  

Dr. med. Johanna Michel, MVZ für Interdisziplinäre Schmerztherapie, Orthopä-


die – Unfallchirurgie – Anästhesie, Pain Center, Landauer Str. 25, 67434 Neu-
stadt/Weinstraße
Dr. med. Guido Mohr, Vulpius Klinik GmbH, Vulpiusstr. 29, 74906 Bad Rappe-
nau
Elisabeth Nowak, Zentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie,
Universitätsklinikum Heidelberg, Schlierbacher Landstr. 200a, 69118 Heidelberg
Anne von Reumont, Dipl.-Physiotherapeutin (FH), Leitung Physiotherapie und
Physikalische Therapie, Zentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegio-
logie, Universitätsklinikum Heidelberg, Schlierbacher Landstr. 200a, 69118
­Heidelberg
Priv.-Doz. Dr. med. Gerhard Scheller, ATOS Klinik Heidelberg, Bismarckstr.
9–15, 69115 Heidelberg
Prof. Dr. med. Marcus Schiltenwolf, Universitätsklinikum Heidelberg, Zentrum
für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegie, Schlierbacher Landstr. 200a,
69118 Heidelberg
Dr. med. Hermann Schmidt, Arzt für Orthopädie – Unfallchirurgie – Spezielle
Schmerztherapie, Leiter des MVZ für Interdisziplinäre Schmerztherapie, Landau-
er Str. 25, 67434 Neustadt/Weinstraße
Dr. med. Michael Schmidt, Chefarzt Innere Medizin, Klinikum Landau – Südliche
Weinstraße GmbH, Danziger Str. 25, 76887 Bad Bergzabern
Prof. Dr. med. Holger Schmitt, Sportorthopädie – Sporttraumatologie, Hüft- und
Kniechirurgie, ATOS Klinik Heidelberg, Bismarckstr. 9–15, 69115 Heidelberg
Priv.-Doz. Dr. med. Dorien Schneidmüller, Abt. für Unfallchirurgie, Sportortho-
pädie und Kindertraumatologie der BGU Murnau, Klinikum Garmisch-Parten-
kirchen, Prof.-Küntscher-Str. 8, 82418 Murnau
Gabriele Steinmetz, Akademie für Gesundheitsberufe gGmbH, Schule für Physio-
therapie, Schlierbacher Landstr. 200a, 69118 Heidelberg
Prof. h. c. Dr. med. univ. Walter Michael Strobl, Krankenhaus Rummelsberg
gGmbH, Klinik für Kinder-, Jugend- und Neuroorthopädie, Rummelsberg 71,
90592 Schwarzenbruck/Nürnberg
Dr. med. Ansgar Türk, BG Klinik Ludwigshafen, Abt. für Querschnittsgelähmte
und Technische Orthopädie, Ludwig-Guttmann-Str. 13, 67071 Ludwigshafen
Prof. Dr. med. Frank Unglaub, Vulpius Klinik GmbH, Handchirurgie, Vulpiusstr.
29, 74906 Bad Rappenau
Prof. Dr. med. Marc-André Weber, M. Sc., Leitender Oberarzt, Diagnostische und
Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Heidelberg, Im Neuenheimer
Feld 110, 69120 Heidelberg
Dr. med. Dipl.-Inf. Andreas Werber, Universitätsklinikum Gießen, Klinik und
Poliklinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, Klinikstr. 33, 35392 Gie-
ßen
Dr. med. Bernd Wiedenhöfer, Schön-Klinik Lorsch, Wilhelm-Leuschner-Str. 10,
64653 Lorsch
Prof. Dr. med. Felix Zeifang, Leiter Sektion Obere Extremität Universitätsklini-
kum Heidelberg, Zentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie,
Schlierbacher Str. 200a, 69118 Heidelberg
  Adressen IX

Nach der 6. Auflage ausgeschiedener Autor


Dr. med. Guido Hundt, Heidelberg (Kapitel Orthopädische Diagnostik, OP-Vor-
bereitung, Stationsmanagement, Organisation, Bluttransfusionen, Operative Pha-
se, Postoperative Phase, Infusionstherapie, Postoperative Schmerztherapie, Arz-
neimittel in der Schwangerschaft)

Nach der 7. Auflage ausgeschiedene Autoren


Dr. med. Hans-Werner Bouman, Heidelberg (Kapitel Monteggia-Fraktur, Hand)
Prof. Dr. med. Volker Ewerbeck, Heidelberg (Kapitel Knochen- und Weichteiltu-
moren)
Dr. med. Beate Göttle, Ludwigshafen (Kapitel Rheumaorthopädie)
Hanne Lore Riewe, Mannheim (Kapitel Ergotherapie)
   Index  885

Index
Symbols Akrozephalosyndaktylie  –– antipyretische nichtsaure 
2-Punkte-Gang 752 660–661 837
3-in-1-Block 75 Aktivismus 732 –– antipyretische saure  836
3-Punkte-Gang 752 Akustikusneurinom 684 –– Gipsbearbeitung 63
3-Punkte-Korsett 798 Akzeleration (Skelettalter)  –– Nichtopioid- 836
4-Punkte-Gang 752 652 –– Osteoporose 590
9er-Regel nach Wallace  6 Ala-Aufnahme  99, 416 –– postoperative Schmer-
Albumin, Konzentrat  179 zen  130, 191, 847, 848
A Aldosteron 865 –– Rippenfraktur 403
AB0-Kompatibilität 180 Alexanian, Ther. nach  569 Analgetika-Kopfschmerz 682
Abatacept 619 Alfa-flex-Orthese 806 Analreflex 680
Abduktionskeil (Schulter)  799 Algodystrophie  49, 736 Anamnese 152
Abrasionsplastik (Patella)  488 –– Hüftgelenk 447 –– vertiefte biografische  725
Abrissfraktur alkalische Phosphatase, Osteopa- Anästhesie 171
–– Becken 200 thie 589 –– Aufklärung 172
–– Definition 17 Allgöwer-Apparat 803 –– Epilepsie 694
Abscherfraktur 17 Allgöwer-Naht 82 –– Lokal- 71
Abszess 225 Allopurinol 599 –– Muskeldystrophie 715
–– Brodie- 234 Alltagshilfe 829 –– Myasthenie 708
–– Schwielen- 317 Alterskyphose 377 –– Parkinson-Syndrom 693
–– Spondylitis 241 Amelie 663 –– Plexus brachialis  77
Abt-Letterer-Siwe-Krank- Aminoglykoside –– Regional- 71
heit 584 –– PMMA-Ketten 224 –– Risiko 171
Acetylsalicylsäure  612, 860 –– Schwangerschaft 861 –– Sakral- 76
–– JIA 636 Amitriptylin  621, 843 Anderson-Einteilung 370
–– Schmerztherapie 837 Amoxicillin, Schwanger- Anderson-Läsion 639
–– Schwangerschaft 861 schaft 861 Angina pectoris  139
Acheirie 660 Amphotericin B, Schwanger- –– OP-Risiko 168
Achillessehne, MRT  116 schaft 861 –– postoperativ 187
Achillessehnenreflex 680 Ampicillin, Schwanger- Angiografie 106
Achillessehnenruptur 204 schaft 861 –– Knochentumor 554
–– Ergotherapie 761 Amputation 811 –– Osteoidosteom 559
–– Operation 205 –– Finger 825 –– Osteosarkom 564
–– Sportfähigkeit 202 –– Fuß 817 –– Pulmonalis- 142
Achillodynie 203 –– Fußwurzel 817 –– Unfall 2
–– Schuhzurichtung 810 –– Grenzzonen- 815 –– Unkovertebralarthrose 351
Achondrogenesis 655 –– Großzehe 816 –– Wirbelsäulenmetastasen 
Achondroplasie 656 –– Hemipelvektomie 822 575
Achselstütze 828 –– Hüftexartikulation 822 Angulationsosteotomie, subtro-
Adalimumab 618 –– interthorakoskapuläre 827 chantäre 442
Adduktorenreflex 680 –– intertrochantäre 822 Anlaufschmerz 602
Adduktorentenotomie 672 –– Knieexartikulation 819 Anschlussheilbehandlung 161
Adhäsiolyse 395 –– Oberarm 827 Antetorsion
Adjacent Segment Disease  –– Oberschenkel 820 –– infantile Zerebralparese  669
365 –– Pirogow-Spitzy- 817 –– Rippstein-Aufnahme 97
ADL 764 –– Schulterexartikulation 827 –– Schenkelhals 96
Adoleszentenkyphose 378 –– Syme- 817 Antibiotika 849
Adson-Test 400 –– Teilhand 825 –– exogene akute Osteomyeli-
Aggravation  151, 723, 741 –– transmetatarsale 816 tis 233
AIS-Klassifikation 699 –– Unterarm 826 –– Grundsätze 224
Aitken-Klassifikation 41 –– Unterschenkel 818 –– hämatogene Osteomyeli-
Akinese, Parkinson-Sny- –– Zehe 815 tis 232
drom 693 Amputationsneurom  580, 813 –– lokal 224
Akromioklavikulargelenk Amputationsstumpf, Versor- –– Phlegmone 226
–– Arthrose 252 gung 15 –– Prophylaxe  170, 225
–– Röntgen 91 Amputationsverletzung 14 –– systemisch 224
–– Verletzung 250 amyotrophe Lateralsklerose  –– unspezifische Arthritis  238
Akromioplastik 706 –– Versagen  225, 849
–– arthroskopische 272 ANA 609 Antibiotikatherapie, kalku-
–– nach Neer  270, 272 Analgetika lierte  849, 850, 851
Akrozephalopolysyndakty- –– antiphlogistische 838 Anti-CCP-Antikörper 609
lie 660 –– antiphlogistische saure  836 Anti-Chiari-Effekt 442
886  Index 

Anticholinergika, Prämedikation  Arrhythmie Arzneimittel, Schwanger-


174 –– Hyperkaliämie 145 schaft 864
Antidepressiva 621 –– OP-Risiko 168 Arztbrief 163
–– Schmerztherapie 844 –– postoperativ 186 –– Beispiel 164
Anti-Doppelstrang-DNA-Anti- Arteriitis cranialis  646 ASIA-Protokoll 699
körper 609 Arteriografie 106 ASS 860
Antiepileptika, Osteomala- Arthritis 603 Asthma bronchiale
zie 591 –– Antibiotikatherapie 850 –– Anfall 143
Antikoagulation, Komplikations- –– bei gastrointestinalen Erkran- –– OP-Risiko 170
management 857 kungen 645 Asynergie 680
Antikonvulsiva, Schmerzthera- –– DD 604 Ataxie
pie 845 –– eitrige 236 –– Formen 678
Antikörper –– juvenile idiopathische  634 –– Friedreich- 707
–– ANA 609 –– Kollagenose 645 –– infantile Zerebralparese 
–– Anti-CCP 609 –– Lyme 644 669
–– Anti-Doppelstrang-DNA 609 –– parainfektiöse 642 –– Sensibilitätsstörung 686
–– antinukleäre 609 –– postinfektiöse 642 Atemdepression
–– Antistreptolysin-Titer 608 –– reaktive 642 –– Opioid-NW 838
–– Anti-Yersinien-Titer 609 –– Schulsportbefreiung 211 –– zentrale 188
–– extrahierbare nukleäre  609 –– Spondylitis ankylosans  638 Athetose, infantile
–– irreguläre 175 –– Spül-Saug-Drainage 223 ­Zerebralparese  669
–– Osteomyelitis 220 –– Sternoklavikulargelenk 255 Atlantodentaldistanz 87
–– Suchtest 180 –– tuberkulöse 238 Atlasberstungsbruch 370
Antimalariamittel 615 –– unspezifische 236 Atmung
Antimykotika 849 –– Vaskulitis 645 –– Kryotherapie 754
Antiseptika, lokal  224 –– virusbedingte 644 –– paradoxe  403, 404
Antistreptolysin-Titer 608 Arthritis psoriatica  641 –– Wärmetherapie 755
Antithrombin III (AT III)  179 Arthrodese 624 Atropin 189
Anti-Yersinien-Titer 609 –– Daumensattelgelenk 323 Attest
Anurie 147 –– Finger 626 –– ärztliches 777
AO-Klassifikation 868 –– Handgelenk  322, 626 –– Schulsportbefreiung 214
–– Femur 877 –– Hüftgelenk 431 AT-Winkel 96
–– Fibula 880 –– interkarpale  326, 626 Aufklärung 156
–– Humerus 871 –– Knie 494 –– Anästhesie 172
–– Handskelett 883 –– Sprunggelenk  514, 627 –– Bandscheiben-OP 359
–– Radius 874 Arthrografie 104 –– Bluttransfusion 175
–– Tibia 880 –– Hüftdysplasie 436 –– Diskushernie 358
–– Ulna 874 –– Zugang  70, 71 –– Dokumentation 156
AO-Kompressionsplatte 26 Arthrogryposis multiplex conge- –– Ganglion 316
APC-Resistenz, Beinvenen- nita 665 –– Gelenkpunktion 68
thrombose 140 Arthrolyse, Knie  490 –– Hämatom nach
Apert-Syndrom 661 Arthropathie 595 ­Osteosynthese  46
Aphasie 682 Arthroplastik 623 –– Kreuzbandersatz 473
Apixaban 859 –– Hallux valgus  541 –– Lokalanästhesie 72
Apley-Zeichen 477 –– Handgelenk 626 –– OSG-Arthrodese 514
Apodie 660 –– Knie  493, 494 Aufnahme
Aponeurektomie 312 –– PIP-Gelenk 544 –– Patient 150
Apophysenausriss 40 Arthrorise 530 –– stationäre 150
Apoplex 692 Arthrose 602 Aufwachraum 184
Apprehension-Test 249 –– Akromioklavikulargelenk 252 Auge, Sportverletzung  197
Apprehension-Zeichen 468 –– Daumensattelgelenk 322 Augen
Arbeitsarm, passiver  824 –– Ellenbogengelenk 289 –– Invaliditätswert 782
arbeitsplatzbezogene Muskulos- –– Großzehengrundgelenk 539 –– Rheuma 604
kelettale Rehabilitation  773 –– Hüftgelenk 425 Ausfälle
Arbeitsunfähigkeit 777 –– HWS 351 –– motorische 346
–– HWS-Distorsion 373 –– Knie 491 –– sensible 346
–– Unfallversicherung 781 –– oberes Sprunggelenk  513 Außenbandruptur, Sprungge-
Arbeitsunfall  768, 779 –– Schuhzurichtung 810 lenk 511
Arendt-Einteilung 210 Arthrosis deformans  602 Außenknöchelfraktur 507
Arm, Orthese  800 Arthroskopie Außenmeniskusschaden 476
Armfalltest 727 –– Arthrolyse 491 Autoimmunerkrankung, Kolla-
Armlähmung, scheinbare  727 –– Kniegelenk 477 genosen 645
Armplexuslähmung –– Meniskusschaden 478 Autotransfusion, maschi-
–– obere 666 –– Patellaabrasion 488 nelle 178
–– untere 667 –– rheumatische Erkrankungen  Axonotmesis 13
Armschmerz 731 610 Azathioprin 616
   Index  887

Azetabulum Beckenschiefstand 421 Beweisfragen 784


–– Anatomie 414 –– Beinlängendifferenz 421 Bewusstseinsstörung 681
–– Fraktur 415 –– Skoliose funktionelle  381 –– Epilepsie 694
–– Verletzung 414 –– Spitzfuß 531 Biegungsfraktur 17
Azetabulumwinkel nach Hilgen- Beckenschlinge 413 Bildgebung, Wachstumsal-
reiner 96 Beckenübersicht (Rö), AT-Win- ter 126
kel 97 Bindegewebe, Tumor  579
B Beckenübersichtsaufnahme 95 Biologicals 616
Baastrup-Syndrom 353 Beckenzwinge  412, 413 Biologika 616
Babinski-Reflex 678 Becker-Kiener-Muskeldystro- Biopsie
Backer-Index 402 phie 713 –– Ewing-Sarkom 567
Bäckerknie 491 Bedside-Test 180 –– Knochentumor 556
Baclofen 845 Begutachtung  776, 786 –– Osteoporose 588
Baker-Zyste  478, 629 –– Osteomyelitis 231 –– Weichteiltumor 577
Balance, sagittale  337 Behindertensport 216 Bisphosphonate
Balkonstirn 656 Behinderung –– Morbus Paget  593
Ballenhohlfuß  525, 526 –– Definition 785 –– Schmerztherapie 846
Ballenrolle 809 –– Gruppen 216 Bisswunde 4
Bambusstab-Wirbelsäule 637 Beinlähmung, scheinbare  727 Bizepssehne, MRT  111
Bandausriss, Kinder  40 Beinlänge Bizepssehnenreflex 680
Bandinstabilität, Sprungge- –– Ausgleich 809 Bizepssehnenruptur
lenk 512 –– Messung 421 –– distale 281
Bandplastik Beinlängendifferenz  420, 490 –– proximal 277
–– OSG 512 –– echte (reelle)  420 Blase
–– Skidaumen 328 –– funktionelle  420, 490 –– Atonie 696
Bandruptur –– Wachstumsprognose 421 –– Distension 147
–– Knie 466 Beinvenenthrombose 140 –– Entleerungsstörung 697
–– Kreuzband 472 Belastungsstörung, posttrauma- –– hyperreflexive  697, 702
–– MC-I-Gelenk 95 tische 722 –– hyporeflexive 702
–– skapholunäre 324 Belimumab 618 –– instabile 697
–– Sportfähigkeit 201 Bence-Jones-Proteine, Plasmozy- –– Lähmung 704
–– Tapeverband 66 tom 568 –– schlaffe 702
Bandscheibe, Degeneration  Bendingaufnahmen 89 –– Überlauf- 696
354 Bennett-Fraktur  310, 314 Blasenkatheter 192
Bandscheibenprolaps, zervi- Benzbromaron 599 Blasenlähmung, neuro-
kaler 354 Benzodiazepine gene 704
Bandscheibenprotrusion 354 –– Prämedikation 173 Blasen-Mastdarm-Störung 348,
Bandscheibenschaden  352, 354 –– Schwangerschaft 861 684
–– Berufskrankheit 780 Berufsgenossenschaftliche Statio- BLD 420
–– MRT 110 näre Weiterbehandlung  773 Blindheit, zentrale  682
Bandscheibenvorfall 354 Berufshilfe 781 Blockierung, Knie  477, 481
–– lumbal 355 Berufskrankheit 779 Blount’s Disease  502
Bankart-Läsion, MRT  111 Beschleunigungsverlet- Blount-Schlinge 42
Barbeau-Muskeldystrophie 713 zung 371 Blumenkohlohr 197
Barbiturate, Schwanger- Betamethason 865 Blumensaat-Linie 100
schaft 861 Betäubungsmittel 161 Blutbild, Infektion  220
Barlow-Zeichen 435 Betäubungsmittelrezept 161 Blutdruckabfall,
Basistherapeutika 614 Bettenplanung 160 ­Lokalanästhetika  72
Bauchhautreflex 680 Bettungseinlage 807 Bluterkrankheit 595
Bauchliegeschale 830 Beugekontraktur Blutgasanalyse 167
Baumann-Winkel  92, 284 –– Hammerzehe 542 Blutgefäß, Tumor  580
Baxter-Formel 6 –– Hüftgelenk 672 Blutgruppe
Becken –– infantile Zerebralparese  669 –– Bestimmung 180
–– Anatomie 410 –– Knie  489, 672 –– Kompatibilität 181
–– Begleitverletzungen 412 –– Morbus Dupuytren  311 Blutkonserven
–– MRT 114 –– Muskeldystrophie 714 –– autologe 177
–– Röntgen 95 –– Thomas-Handgriff 427 –– Bereitstellung 175
–– Sportverletzung 200 Beugesehnenverletzung, Blutkörperchensenkungsge-
–– Verletzung 410 Hand 331 schwindigkeit
–– Verletzungen 410 Bewegungsausmaße 154 –– Beinvenenthrombose 140
Becken-Bein-Fuß-Gipsver- Bewegungsprüfung –– Plasmozytom 568
band 63 –– Hand 788 –– Polymyalgia rheumatica  646
Beckenosteotomie –– Hüftgelenk 426 –– Rheumadiagnostik 608
–– Koxarthrose 429 –– Wirbelsäule 343 –– rheumatoide Arthritis  631
–– nach Chiari  441, 452 Bewegungstherapie 750 Blutkultur 221
–– Salter- 440 Bewegungsumfang, Knie  465 Blutleere 184
888  Index 

Blutpräparate 178 C Coalitio
Blutsperre 184 Café-au-Lait-Flecken  661, 662 –– calcaneo-navicularis 533
Bluttransfusion 174 Campylobacter-Arthritis 643 –– talo-calcanearis 534
–– Blutpräparate  178, 179 Caput-ulnae-Syndrom 629 –– tarsi 533
–– Indikationen 174 Carbamazepin 844 Cobb-Winkel  88, 384
–– Massiv- 181 –– Schwangerschaft 861 Codman-Dreieck 552
–– Notfall- 181 Cast-Syndrom 387 Colchicin 599
Blutung Catteral-Stadien 450 Colitis ulcerosa  645
–– Hämophilie 595 CCD-Winkel  96, 456 –– Organmanifestationen 607
–– Notfalltherapie 185 CD20-Antikörper 618 Collar & Cuff  42
–– postoperative 185 Cefazolin, Phlegmone  226 Colles-Fraktur 301
Böhler-Winkel 103 Cefotiam, bei Spondylitis  242 Complex Regional Pain
Bohrdrahtosteosynthese 43 Ceftriaxon, Borreliose  645 Syndrome  49, 736
–– Radiusfraktur 304 Cefuroxim, Antibiotikapro­ Computertomografie 107
Borggreve-Plastik  565, 823 phylaxe 225 –– quantitative 128
Borreliose 644 Celecoxib  130, 612, 837 –– Spondylitis 242
Boston Korsett  796 Cephalosporine, Schwanger- Containment 450
Botulinumtoxin, Muskelentspan- schaft 861 Contusio, cordis  403
nung 845 Certolizumab 618 Contusio cordis  405
Botulinustoxin Certoparin 854 Cool Pack  754
–– infantile Zerebralparese  671 Charcot-Fuß 523 Cotrimoxazol,Schwangerschaft 
–– Spastik 717 Chassaignac-Läsion 295 861
Bouchard-Knoten 606 Chefarztvisite 158 COX-2-Hemmer 836
Bowing-Fraktur 296 Cheneau-Korsett 796 Coxa
Brachialgie 337 Chevron-Osteotomie 541 –– antetorta 455
Brachydaktylie 660 Chiari-Beckenosteotomie 441 –– retrotorta 455
Bradykardie Chlordiazepoxid 621 –– valga 456
–– Lokalanästhestika 72 Chloroquin 615 –– vara 456
–– postoperative 187 Chondroblastom  548, 559 Coxa saltans  443
Bragard-Zeichen 343 –– Röntgen 552 Coxitis fugax  448
Briefträgerkissen 799 Chondrodiastasis 423 CRP
Brodie-Abszess 234 Chondrodysplasie, metaphy- –– Infektion 220
Broken-line-Technik 84 säre 657 –– Knocheninfektion 220
Bronchospasmus, postopera- Chondrokalzinose 597 CRPS 49
tiv 188 Chondromalacia patellae  487 Crus
Brooker-Einteilung 432 –– Klassifikation 487 –– antecurvatum 503
Brudzinski-Zeichen 678 Chondromatose, synoviale  496 –– recurvatum 503
BSG, Infektion  220 Chondromatosis, Ellenbogenge- –– varum  503, 662
Bucky-Raster 90 lenk 290 CT 107
Budapestkriterien 737 Chondrom 557 –– Knocheninfektion 220
Buelau-Drainage  403, 405 Chondromyxoidfibrom 548, Cubitus
Bülau-Drainage 143 558 –– valgus 294
Bunnell-Naht 10 –– Röntgen 552 –– varus 294
Bupivacain 72 Chondropathia patellae  487 Cumarine 856
Buprenorphin 842 Chondroprotektiva 621 –– Schwangerschaft 861
–– postoperative Schmerzen  848 –– Schmerztherapie 847 Curschmann-Steinert-Dystro-
Burning Feet  523 Chondrosarkom  548, 565 phie 715
Bursitis 226 –– Röntgen 552 Cushing-Reflex 133
–– Berufskrankheit 780 Chondrose 337 Cushing-Schwellendosis 865
–– Hallux valgus  540 Chopart-Amputation 817 Cyclophosphamid 616
–– olecrani 294 Chopart-Gelenk,
–– praepatellaris 489 Luxation(sfraktur) 520 D
–– trochanterica 443 Chordapersistenz 88 Daktylitis 641
Bursitis subacromialis  272 Chordom  548, 572 D’Alonzo-Einteilung 370
BWS Choreoathetose, infantile Zere- Dalteparin  854, 855
–– Degeneration 344 bralparese 669 Danaparoid-Natrium 856
–– Fraktur 373 Chromosomenaberrati- Darmatonie, postoperativ  191
–– Kyphose 377 onen 662 D-Arzt 769
–– Morbus Forestier  352 chronische Polyarthritis  628 Dasault-Verband 42
–– Morbus Scheuermann  378 Ciclosporin A  615 Dauerrente 781
–– Osteoporose 587 Claudicatio spinalis  364 Daumen
–– Rekyphosierung 386 Clonidin, Schmerztherapie  845 –– Funktionsstellung 61
–– Röntgen 88 Clostridium –– Invaliditätswert 782
–– Sportverletzung 198 –– perfringens 228 –– schnellender 330
–– Trichterbrust 402 –– tetani 227 Daumenschiene, statische  763
–– Vertebra plana  574 Cluster-Kopfschmerz 682 Daumenspange 763
   Index  889

D-Avitaminose 593 Dihydrocodein 130 Dysostose  655, 660


Débridement –– postoperative Schmer- Dysostosis, multiplex  663
–– Infektion 222 zen 847 Dysostosis cleidocranialis  256
–– offene Fraktur  19 direkte Thrombininhibi- Dysplasia spondyloepiphysaria
Décollement 4 toren 859 –– congenita 657
Defektfraktur 17 Disease Modifying Anti-Rheu- –– tarda 657
Défilé 101 matic Drugs  614 Dysplasie
–– Erweiterung 272 Diskushernie, lumbale  355 –– fibröse 658
Degeneration Diskusprolaps 354 –– multiple epiphysäre  656
–– BWS 344 Dissimulation 151 –– Patella  484, 485
–– Definition 344 Distorsion, HWS  371 –– thanatophore 656
–– HWS 344 Distraction-Test, Knie  477 Dyspnoe 142
–– LWS 345 Distraktionsapparat 422 Dysthymie 722
Dejerine-Klumpke-Läh- DMARD 614 Dystonie 738
mung 667 Dokumentation 162 Dystrophia, adiposogenita-
De-Lange-Muskeldystro- –– Aufklärung 156 lis 452
phie 713 –– Operationsbericht 163 Dystrophia myotonica  715
Delayed Onset Muscle Sore- –– Unfallanamnese 2 Dystrophie, Curschmann-
ness 210 Donati-Naht 82 Steinert 715
Delir 681 Dopamin 72
Demenz 681 Doping 216 E
Dennis-Brown-Schiene 806 Doppelamputation 827 EDV, Dokumentation  162
Densfraktur 370 Dornwarze 545 Effendi-Einteilung 370
Denver-Development-Screening- Dorsalgie  337, 730 Eigenblutspende, Aufklä-
Test 670 Down-Syndrom 662 rung 176
Depression 722 Doxepin 843 Eigenkraftprothese 824
Depressionsabwehr 731 –– bei Opioidentzug  839 Eigenreflexe 680
Dermatome 710 Drainage Einengung, Foramina interverte-
–– Bein 347 –– Abszess 226 bralia 362
–– brachiale 347 –– Buelau- 403 Einlage
Dermatomyositis  645, 716 –– Pleuraerguss 143 –– Fersensporn 807
–– Organmanifestationen 608 –– Spül-Saug- 223 –– Hohlfuß 807
Dermopannikulose 647 –– Vakuumtherapie 222 –– Klavus 545
Derotationsspondylodese (nach Drainageblut 178 –– Klumpfuß 807
Zielke) 388 Dranginkontinenz 685 –– Knickfuß  529, 807
Derotations-Varisations-Osteo- Drehgleiten 338 –– Knick-Senk-Fuß 529
tomie 440 Drehmann-Zeichen 452 –– Senkfuß 807
Desault-Verband 65 Dreieckschädel 660 –– Spreizfuß 807
Desmopressin, Hämophi- Dreisäulenprinzip (Wirbelsäule)  Einreibemittel 621
lie 596 367 Einsekundenkapazität 167
Detrusor-Hyperreflexie 685 Dreischichtwirbel 592 Einteilung, Weichteiltumor 
Detrusor-Hyporeflexie 685 Dreizackhand 656 576
Detrusor-Sphinkter-Dyssyner- Duchenne-Aran-Muskeldystro- Eisbeutel 754
gie  685, 697, 704 phie 713 Eisen
Dexamethason 865 Duchenne-Erb-Lähmung 666 –– Hämochromatose 596
Diabetes mellitus  523 Duchenne-Hinken 435 –– Substitution, Eigenblut  178
–– Arthropathie 523 Duchenne-Muskeldystro- Eisfrotteetuch 754
–– Koma 135 phie 714 Eistauchbad 754
–– Neuropathie 711 Duloxetin 843 eitrige Arthritis, Synoviaanalyse 
–– OP-Risiko 169 Durchgangsarzt 768 610
diabetischer Fuß  523 –– Aufgaben 769 EKG, präoperativ  166
Diadochokinese 680 Durchgangsarztbericht 770 Ektromelie 663
Diagnose, Erarbeitung  150 Durchgangsarztverfahren 769 Elektrolyte, präoperativ  166
Diagnostik –– stationäres 771 Elektrolytstörungen 144
–– orthopädische 151 Durchgangssyndrom, postopera- Elektrotherapie 755
–– Wirbelsäule 341 tives  137, 681 –– Muskelverletzung 202
Dial-Test 467 Durchhaltementalität 731 Elfenbeinwirbel 592
Dialyse, postoperative  169 Düsseldorfer Schiene  800 Ellenbogen
Diathese, hämorrhagische  185 dynamische Hüftschraube  30 –– Ergotherapie 760
Diclofenac  130, 612, 837 dynamische Unterschenkel- –– Exartikulation 827
–– JIA 636 Fußorthesen 805 –– Funktionsstellung 61
–– postoperative Schmer- Dysästhesie 680 –– MRT 112
zen 847 Dyskinesie, infantile Zerebralpa- –– OP bei Rheuma  625
–– Schwangerschaft 861 rese 669 –– Orthese 799
Digitus quintus varus super-­ Dysmelie 663 –– Punktionstechnik 70
ductus 545 Dysmetrie 678 –– Röntgen 92
890  Index 

Ellenbogengelenk Epiphysenlösung 40 Erythromycin, Schwanger-


–– Arthrose 289 –– akute 453 schaft 862
–– Chondromatosis 290 –– Femurkopfepiphyse 452 Erythrozytenkonzentrat 179
–– Fraktur  284, 285, 287 Epiphysenverletzung 40 ESIN
–– Fraktur(en) 286 –– geburtstraumatische 667 –– Frakturen, kindliche  43
–– Knochenkernentwick- –– Klassifikation 41 Essex-Lopresti-Fraktur 286,
lung 285 Epiphyseolysis capitis femo- 296
–– Luxation 288 ris 452 Etagenschuh 422
–– Sonografie 123 –– Operation 453 Etanercept 617
Eminentia-intercondylaris-Aus- –– Schulsportbefreiung 211 Etidocain 72
riss 475 Epiphysiodese nach Blount  Etofenamat 621
Empfindungsstörung, 422 Etoricoxib  130, 612, 837
­dissoziierte  680 Erbium 621 evozierte Potenziale  687
ENA 609 Erb-Landousy-Déjerine- Muskel- Ewing-Sarkom  548, 566
Encephalomyelitis disseminata  dystrophie 713 –– extraskelettales 582
691 Erbrechen 138 –– Röntgen 552
Enchondrom  548, 557 –– postoperativ 190 Exartikulation
–– Fuß 533 Erfrierung 5 –– Ellenbogen 827
–– Hand 313 Ergonomie 753 –– Handgelenk 826
–– multiples 558 Ergotherapie 758 –– Hüfte 822
Enchondromatosen 558 –– Ellenbogen 760 –– Knie- 819
Endokarditisprophylaxe 168 –– Hand 760 –– Schulter 827
Endoprothese –– Hüftgelenk 761 Exerzierknochen 582
–– Antibiotikaprophylaxe 170 –– Knie 761 Exostose 535
–– Hüfte 626 –– Methoden 759 –– multiple kartilaginäre  557
–– Hüftgelenk 428 –– Morbus Bechterew  761 –– Röntgen 552
–– Knie  493, 627 –– Morbus Scheuermann  761 –– solitäre 556
–– Komplikationen 431 –– obere Extremitäten  759 Extension 42
–– Koxarthrose 427 –– Osteoporose 761 –– Femur 21
–– Lockerung 431 –– Querschnittslähmung 761 –– Fraktur 20
–– Luxation 433 –– Rheuma 762 –– Kalkaneus 21
–– OSG 514 –– Schulter 760 –– Komplikationen 21
–– Rheuma 624 –– Skoliose 761 extrahierbare nukleäre Anti-­
Endoprothesen, Sport  214 –– Spondylitis ankylosans  761 körper 609
Energiebedarf, postopera- –– Spondylolisthesis 761
tiv 192 –– Sprunggelenk 761 F
Englische Krankheit  593 –– untere Extremitäten  760 Facettendruckschmerz 468
Engpass-Syndrom 398 –– Voraussetzungen 758 Facettensyndrom 351
–– Karpaltunnelsyndrom 319 –– Wirbelsäule 761 Facies myopathica  715
–– Provokationstests 399 –– Zervikalsyndrom 761 Faden
–– Tarsaltunnel 515 Erguss –– nichtresorbierbarer 79
Enoxaparin  854, 855 –– Coxitis fugax  449 –– resorbierbarer 79
Entenschnabelfraktur 204 –– Gonarthrose 492 Fahrradtest 363
Enthesitis  635, 638 –– Hüftgelenk 449 Failed-Back-Surgery-Syn-
–– Spondylitis ankylsoans  638 –– Kreuzbandruptur 472 drom 394
Entlassungsmanagement, Physi- –– Patellaluxation 485 Faktor-VIII-Konzentrat 595
otherapie 748 –– Pleura 143 Faktor-VIII-Präparat 179
Entwicklung, motorische  651 –– Punktion 69 Faktor-IX-Konzentrat 595
Entzugssymptome, Opioide  Erkrankungen Faktor-Xa-Inhibitoren 858
839 –– hämatologische 582 Fango 755
Entzündungsbestrahlung 622 –– Muskulatur 712 Farbduplexsonografie 141
Entzündungshemmung 864 –– peripheres Nervensy- Faszienspaltung, Kompartment-
Enzephalitis 681 stem 708 syndrom 502
Epicondylitis –– rheumatische 602 Fasziitis, nekrotisierende  227
–– radialis 291 –– Rückenmark 706 Faux profil  99
–– ulnaris 291 –– Skelettsystem 654 Federtest 343
Epicondylitis humeri, –– ZNS 690 Fehlbildung
MRT 112 Ermüdungsfraktur  17, 488 –– Dysostose 660
Epiduralanästhesie 75 Ernährung, parenterale  192 –– Extremitäten 664
Epikanthus 662 Erstgespräch, psychodiagnos- –– Thoraxwand 401
Epikonussyndrom 705 tisches 723 Fehlbildungen
Epilepsie 693 Erweiterte Ambulante Physiothe- –– angeborene 663
Epiphysenfraktur 40 rapie 772 –– Skelettsystem 654
Epiphysenfugendistraktion  Erwerbsfähigkeit 780 Fehlbildungsskoliose 389
423 Erythema chronicum migrans  Feldblock 73
Epiphysenfugenschluss 285 644 Felty-Syndrom 634
   Index  891

Femoralisblockade 74 Fingerschiene, statische  763 –– Konsolidierungsdauer  33, 36


femoroazetabuläres Impinge- Finkelstein-Zeichen 329 –– Kontrolle 32
ment 454 Finocchietto-Zeichen 477 –– Korrekturmechanismen 38
femoropatellares Schmerzsyn- Fischerknoten 81 –– Lastaufnahme 33
drom 487 Fischwirbel  568, 591 –– LWS 373
Femoropatellargelenk, Diagnos- Fixateur externe  30 –– Maisonneuve- 507
tik 468 –– Beckenverletzungen 413 –– Marsch- 521
Femur –– Frakturen, kindliche  43 –– mehrfragmentäre 869
–– Defekt, angeborener  663 –– Tibiaschaftfraktur 500 –– Metallentfernung 34
–– Extension 21 –– Verband 66 –– Milkman- 591
–– Fraktur AO-Klassifikati- Fixationskallus 32 –– Mittelhand 314
on 877 Fixationskorsett 798 –– Nachbehandlung 34
–– Fraktur distal  461 Fixationsverband  60, 65 –– offene 18
–– Fraktur pertrochantär  458 Flachrücken 379 –– Olekranon  286, 287
–– Korrekturosteotomie 428 Flaschengriff 61 –– operative Therapie  23
–– Schaftfraktur 460 Flaschen-Test 320 –– Ossa metatarsalia  521
Femurfraktur Flaschenzeichen 709 –– Patella 483
–– Blutkonserven 176 Flat-back-syndrome 357 –– periprothetische 433
–– Nachbehandlung 34 Floppy Infant  669 –– Proc. coronoideus  286
–– Osteosynthese 445 Fludrocortison 865 –– Radius 287
–– Schenkelhals 444 Fluocortolon 865 –– Radius distal  301
Femurkopfnekrose 453 Flupirtin 838 –– Radiusköpfchen 286
Femurnagel  28, 29 Flurazepam 621 –– Rippen 402
Femurrollennekrose 480 Flüssigkeitskarenz, postopera- –– Röhrenknochen, AO-Klassifi-
Fentanyl 842 tiv 191 kation 868
Ferse Follikulitis 812 –– Röntgenkontrolle 32
–– Schmerzen 535 Fondaparinux 859 –– Schaft- 667
–– Valgus- 528 Foramina intervertebralia, –– Schenkelhals 444
Fersenfallschmerz 342 ­Stenose  362 –– Skaphoid 323
Fersenkeil 809 Forestier-Zeichen 322 –– Skapula 256
Fersensporn 534 Fractura non sanata  46 –– Sprunggelenk  507, 510
–– Einlage 807 Fraktur 17 –– suprakondyläre 40
Fettgewebe, Tumor  548, 579 –– ältere Menschen  44 –– Talus 515
Fettweis-Schiene 800 –– Antibiotika bei  19 –– Tibia distal  503
Fibrom 578 –– AO-Klassifikation 868 –– Tibiakopf 498
–– nichtossifizierendes 562 –– Außenknöchel 507 –– Tibiaschaft 499
Fibromatose, extraabdomi- –– Azetabulum 415 –– Unterarm Schaft  300
nale 578 –– Bewegungstherapie 34 –– Unterschenkel Kind  500
Fibromatose, Plantaraponeurose, –– BWS 373 –– Zehen 544
siehe Morbus Ledderhose –– Diagnostik 19 Frakturheilung 32
Fibromyalgie  647, 734 –– diaphysäre 869 Frakturkrankheit 45
Fibrosarkom 578 –– Dislokation 17 Frakturzeichen 19
fibröse Knochendysplasie  –– distaler Femur  461 Fremdblutanforderung, präope-
658 –– einfache 869 rative 176
Fibula –– Ellenbogengelenk  284, 287 Fremdkraftprothese 824
–– Fraktur AO-Klassifikati- –– Ermüdungs- 488 Fremdreflexe 680
on 880 –– Erwachsene 33 Fresh frozen plasma  179
–– Hypo- oder Aplasie  664 –– Extension 20 Frick-Aufnahme  101, 481
–– Osteotomie 493 –– Extensionsbehandlung 23 Friedreich-Ataxie 707
Ficat-Einteilung 446 –– Femur 444 Friedreich-Wundexzision 10
Fieber 135 –– Femur pertrochantär  458 Fritzstock 828
–– akutes rheumatisches  643 –– Femurschaft 460 Froschbauch 594
–– Antibiotikatherapie 850 –– Fingerendglied 315 Frozen Shoulder  266
–– postoperativ 189 –– Gipsbehandlung 20 Frühsynovektomie 623
–– Vorgehen 136 –– Humerus distal  286 Führungsorthese
Finger –– Humerus suprakondylär  282 –– elastische 802
–– Amputation 825 –– Humerus  274, 276 –– starre 802
–– Endgliedfraktur 315 –– Humerusschaft 278 Funktionsaufnahme (Rö)
–– Funktionsstellung 61 –– Kalkaneus 518 –– HWS 87
–– Infektion 317 –– Kinder 36 –– LWS 89
–– OP bei Rheuma  626 –– Klassifikation 17 Funktionsprüfung 153
–– Punktionstechnik 71 –– Klavikula  253, 665 –– Fußdeformität 528
–– Röntgen 95 –– Klinik 19 –– Hand 310
–– Schienenverband 66 –– komplexe 869 –– Sehnenfunktion Hand  332
–– schnellender 330 –– Komplikationen 44 –– Spitzfuß 531
–– Strecksehnen 334 –– konservative Therapie  20 –– Wirbelsäule 342
892  Index 

Funktionsschiene 763 Gelenk –– Tutor 63


Funktionsstellung Gelenke  61 –– Funktionsstellung 61 –– untere Extremität  63
Furunkel 812 –– Schlotter- 690 –– Unterschenkelliege- 63
Fusidinsäure, Schwanger- Gelenkerguss 604 Girdlestone-Hüfte 240
schaft 862 –– Ursachen 604 Giving Way  472
Fusion, dorsoventrale  366 Gelenkerkrankungen, DD  604 Glasknochenkrankheit 659
Fuß 504 Gelenkersatz, infizierter  239 Gleichstrom 755
–– Amputationslinien 816 Gelenkfraktur Gliedertaxe 782
–– diabetischer 523 –– partielle 869 Glockenthorax 594
–– Funktionsstellung 61 –– vollständige 869 Glomustumor 580
–– Knochentumor 533 Gelenkinfekt, Stadieneintei- Glukokortikoide  613, 864
–– MRT 116 lung 237 –– Gichtanfall 599
–– Neugeborenes 529 Gelenkkörper 496 –– intraartikuläre Injektion  619
–– Orthese 806 –– freier 481 –– JIA 636
–– rheumatoide Arthritis  630 Gelenkmaus 481 –– Karpaltunnelsyndrom 320
–– Röntgen 102 Gelenkpunktion 68 –– Myasthenie 708
–– Schmerzen DD  505 –– Arthritis 237 –– Nebenwirkungen 866
–– Sportverletzung 201 –– Ellenbogengelenk 70 –– Polymyalgia rheumatica  646
–– Untersuchung 505 –– Fingergelenke 71 –– Schmerztherapie 846
Fußheberfeder, thermopla- –– Handgelenk 70 –– Schwangerschaft 863
stische 804 –– Hüfte 71 –– Sinus-tarsi-Syndrom 514
Fußhöcker, dorsaler  535 –– Knie 71 –– Tendovaginitis 330
Fußknochen, akzesso- –– Schultergelenk 69 Glukose, präoperativ  166
rische 522 –– Sprunggelenk 71 Gnomenwaden  713, 714
Fußpassteile 821 –– TEP-Infekt 239 Goldpräparate 615
Fußwurzel –– Zehengelenke 71 Golferellenbogen  208, 291
–– Amputation 817 Gelenkschutz 765 Golimumab 618
–– OP bei Rheuma  627 Gelenksteife, Kniegelenk  490 Gonarthrose 491
–– Verletzung 520 Gelenk-Tbc 235 –– Blutkonserven 176
Fußwurzelarthrose, Schuhzu- Genitalulzera 633 –– Valgus- 495
richtung 810 Gentamicin, PMMA-­ –– Varus- 495
Ketten 224 Gordon-Reflex 678
G Genu Gowers-Zeichen 713
Gabapentin 844 –– recurvatum 495 Grad der Behinderung  785
Gaenslen-Handgriff 605 –– valgum 494 Graf-Hüfttypen 125
Galeazzi-Fraktur 297 –– varum  494, 502 Graft-versus-Host-­
Ganglienzyste, MRT  116 Gerinnungsfaktorenman- Reaktion 178
Ganglion  315, 606 gel 595 Granulom
–– intraossäres  548, 563 Geschlechtsentwicklung 652 –– eosinophiles  548, 574
–– Meniskus 479 gesetzliche Unfallversiche- –– solitäres eosinophiles  563
–– radiopalmares 317 rung 768 Granulomatose 645
Gangrän Gesicht, Naht  84 Gravidität, Arzneimittel  862
–– feuchte  226, 524 Gesichtsschädel, Sportverlet- Greifarm, aktiver  824
–– trockene 524 zung 198 Grenzzonenamputation 815
Gangschule 751 Gesichtsskoliose 375 Griffelschachtelplastik 204
Ganz-Bump 454 Gewebedruckmessung, Kom- Grinding-Test 477
Ganzkörperstehständer 828 partmentsyndrom 501 Grisel-Syndrom 376
Garden-Klassifikation 444 Gibbus 377 Gross Motor Function Classifica-
Gasbrand 228 Gicht 598 tion System  670
GdB 785 –– Intervalltherapie 599 Großzehe
Geburtsverletzungen 665 –– Synoviaanalyse 610 –– Amputation 816
Gefäße –– Tophus 598 –– Invaliditätswert 782
–– Kryotherapie 754 Gichtanfall 599 Grünholzfraktur  38, 40
–– Tumoren  548, 580 Gichttophus 606 Guillain-Barré-Syndrom 712
–– Wärmetherapie 755 Gilchrist-Verband  41, 65 Gutachten 776
Gefäß-Nerven-Läsion, Luxati- Gipskeilung 42 –– Anforderung 787
on 17 Gipsverband 60 –– Anforderungen 776
Gefäßverletzung –– Fenster 63 –– Arten 777
–– Nahttechnik 12 –– Hanging Cast  63 –– Aufbau 786
–– Wundversorgung 11 –– Hocksitz- (nach Fett- –– Formular- 778
Gegengutachten 777 weis) 437 –– freies 778
Gehbehinderung, außergewöhn- –– Keilung 63 –– Hinweise 786
liche 786 –– Kontrolle 61 –– Rentenstreitsache 784
Gehbock 828 –– Oberschenkelliege- 63 –– Untersuchung 787
Gehhilfe 828 –– Sarmiento- 499 –– Untersuchungen 778
Gehwagen 828 –– Spaltung 63 –– Zusatz- 778
   Index  893

H –– Röntgen 93 Histokompatibilitätsantigene 
H1-Rezeptorenblocker, Prämedi- –– Sonografie 123 609
kation 174 –– Stressaufnahmen (Rö)  93 HIT 856
H2-Rezeptorenblocker, Prämedi- Hand-Schüller-Christian-Krank- HLA 609
kation 174 heit 584 –– B27 609
Habitusprothese 824 Handskelett, Fraktur AO-Klassi- –– DR4 609
Hackenfuß, angeborener  530 fikation 883 –– DR-B1 609
Hackenhohlfuß 525 Handskelettalter 652 Hochfrequenz 755
Haglund-Exostose 535 Handtherapie 760 Hocksitzgips nach Fettweis  437
–– Schuhzurichtung 810 Hängefuß  530, 531 Hoffmann-Tinel-Zeichen 320
Haglund-Ferse 203 Hangman’s Fraktur  370 Hohlfuß 525
Halbschalenzervikalstütze  Hardcastle-Klassifikation 520 –– Einlage 807
794 Harninkontinenz, DD  685 Hohlrundrücken 379
Hallux Harnwegsinfekt, Hohmann-Handgriff 538
–– flexus 539 ­Antibiotikatherapie  850 Hohmann-Korsett 796
–– rigidus  539, 810 Harrison-Furche 594 Homogentisinsäure 596
–– valgus  540, 630 Hartspann 357 Hoover-Test 727
Halo-Body-Jacket 794 H-Arzt 771 Horner-Syndrom  338, 342
Halskrawatte, HWS-Distorsi- Hausarzt, Aufgaben  768 Hornhautulzeration 633
on  736, 794 Haut, Rheuma  606 Hot-Pack 755
Halsrippe 398 Hautklammern 83 HPT 404
Haltungsfehler 374 Hautnaht 82 Hüftbeuge-Adduktions-­
Haltungsschwäche 374 Heberden-Knoten 606 Kontraktur 672
–– Schulsportbefreiung 211 Heidelberger Winkel  804 Hüftdysplasie 435
Hämangiom  548, 580 Heilbehandlung 769 –– Blutkonserven 176
–– Wirbelsäule 573 –– allgemeine 768 –– Klassifikation 438
Hämangioperizytom 548 –– besondere 771 –– Schulsportbefreiung 211
Hämangiosarkom 548 Heilverfahren 768 –– Sonografie 124
hämatologische Erkran- Helsinki-Feder 804 –– Winkelmessung (Rö)  96
kungen 582 Hemiendoprothese, Hüfte 419
Hämatom 45 ­Hüftgelenk  428 –– Luxation 424
–– Ausräumung 46 Hemipelvektomie 822 –– Luxation, angeborene  435
–– Frakturbehandlung 46 Henßge-Krawatte 794 –– Untersuchung 419
–– infiziertes 226 Heparin  854, 855 Hüftendoprothese, Sportfähig-
–– Kopfnicker- 375 –– Nebenwirkungen 856 keit 215
Hämatopneumothorax 404 –– Schwangerschaft 862 Hüftgelenk
Hammerzehe  540, 542 –– Thrombose 141 –– Algodystrophie 447
–– Schuhzurichtung 810 heparininduzierte –– Arthrodese 431
Hämochromatose, idiopa- ­Thrombopenie  856 –– Beugekontraktur 672
thische 596 Heparinisierung –– Bewegungsprüfung 426
Hämodilution, präopera- –– HIgh-Dose 854 –– Endoprothese 428
tive 178 –– Low-Dose 854 –– Ergotherapie 761
Hämoglobin –– prophylaktische 854 –– Exartikulation 822
–– Plasmozytom 568 –– therapeutische 854 –– Funktionsstellung 61
–– präoperativ 166 Herbert-Klassifikation 324 –– Instabilitätszeichen 435
Hämophilie 595 Herzbeuteltamponade 406 –– MRT 114
Hanausek-Bandage 800 Herzinfarkt 139 –– OP bei Rheuma  626
Hand Hexenschuss 337 –– Orthese 800
–– Anatomie 310 Hilfsmittel 793 –– Pfannendachplastik 441
–– Beugesehnenverletzung –– Aufzahlung 831 –– Punktionstechnik 71
–– – Hand 331 –– Hand 760 –– rheumatoide Arthritis  629
–– Enchondrom 313 –– Zuzahlung 830 –– Röntgen 97
–– Ergotherapie 760 Hill-Sachs-Läsion 260 –– Schmerzen 419
–– Infektion 317 –– Aufnahmetechnik 91 –– Sono Säugling  436
–– Röntgen 93 –– MRT 111 –– Sonografie 123
–– Schnittführung 313 Hinge Abduction  450 –– Sportverletzung 200
–– Sehnenverletzung 331 Hinterbliebenenversor- –– Zusatzaufnahmen (Rö)  99
–– Skoliose 629 gung 781 Hüftkopfnekrose 446
–– Strecksehnenabriss 333 Hirnnerven 678 –– ischämische 449
Handgelenk Hirnnervenläsionen 678 –– Kindesalter 449
–– Exartikulation 826 Hirtenstabdeformität  456, 658 Hüftlendenstrecksteife 391
–– Funktionsstellung 61 Histiozytom 548 Hüftluxation
–– Invaliditätswert 782 –– malignes fibröses  579 –– Einteilung 424
–– MRT 112 –– Röntgen 552 –– infantile Zerebralparese 
–– OP bei Rheuma  625 Histiozytose 582 672
–– Punktionstechnik 70 Histiozytosis X  563, 584 –– Schulsportbefreiung 211
894  Index 

–– traumatisch 424 Hyperthyreose, präopera- Infraspinatustendopathie 270


–– veraltete 442 tive 169 Infusionstherapie  146, 192
Hüftorthese, funktionelle  801 Hypertonie 132 –– Gefahren 147
Hüftschnupfen 448 –– OP-Risiko 168 Inhalationstherapie,
Hüftschraube, dynamische  30 –– postoperativ 186 ­postoperativ  191
Hüft-TEP, infizierte  240 Hyperurikämie 598 Injektion, intraartikuläre  619
Hughston, Einteilung medialer Hyperviskositätssyndrom 569 –– bei Rheuma  619
Kapsel-Band-Verletzungen, Hypochondrie 722 Injektion, paravertebrale  359
Knie 471 Hypoglykämie 133 Innenknöchelfraktur 508
Hühnerauge 544 Hypokaliämie 144 Innenmeniskusläsion 476
Hühnerbrust 401 –– präoperativ 166 Innenschuh 806
Human Leucocyte Antigen  609 Hyponatriämie 145 Insertionstendopathie 207,
Humerus Hypotonie 131 647
–– distaler, Epiphysenlö- –– postoperativ 185 –– Fersensporn 534
sung 285 Hypoventilation, postopera- Inspektion 152
–– Fraktur AO-Klassifikation  tiv 188 –– Wirbelsäule 342
871 Hypovolämie  132, 186 Instabilität
–– Fraktur Schaft  278 –– Oligurie 148 –– atlantodentale 374
–– Fraktur suprakondylär  282 –– präoperative 166 –– atlanto-okzipitale 374
–– proximale Fraktur Erwachsene  Hypoxämie, postoperativ  189 –– degenerative segmentale 
274 365
–– proximale Fraktur I –– Hüftgelenk 435
­Kinder  276 Ibuprofen  130, 612, 837 –– Knie 465
Humerusfraktur –– JIA 636 –– Thorax 403
–– Blutkonserven 176 –– postoperative Schmer- –– Wirbelsäule  337, 367
–– distale 286 zen 847 Instrumentenknoten 81
–– suprakondyläre, Kindesal- ICP 668 Interimprothese 815
ter 285 IgA, Plasmozytom  568 –– Oberschenkel 815
Humeruskopfnekrose 266 IgG, Plasmozytom  568 –– Unterschenkel 815
HWS Ilisarov-Fixateur 423 Interkostalblockade, multiseg-
–– Arthrose 351 Immunglobuline mentale 848
–– Bandscheibenvorfall 354 –– Guillain-Barré-Syndrom 712 Intervalltherapie, Gicht  599
–– Degeneration 344 –– Plasmozytom 568 Intrakutannaht 82
–– Distorsion  371, 736 Immunsuppressiva 614 Invalidität, Versicherung 
–– Fixationsorthese 794 Immunszintigrafie 119 782
–– Funktionsaufnahme 87 Impedanzsprung, Iontophorese  755, 756
–– Hangman’s Fraktur  370 ­Sonografie  120 Iridozyklitis  633, 636
–– Hyperflexions-Extensions- Impfung Ischämiezeit, Blutsperre  184
Trauma 371 –– Tetanus 9 Ischialgie 337
–– OP bei Rheuma  624 –– Tollwut 229 Ischiasdehnungsschmerz 728
–– rheumatoide Arthritis  629, Impingement, femoroazetabu- Ischiasskoliose 357
630 läres 454
–– Röntgen 86 Impingementsyndrom 271 J
–– Sportverletzung 198 –– femoroazetabuläres 114 Jägerhut-Patella  101, 484
–– Verletzung 369 –– MRT 111 Jammergestalt 715
HWS-Syndrom 338 Impingement-Tests 248 Jefferson-Fraktur 370
Hydrokolloidverband 60 Implantate JIA 634
Hydroxychloroquin 615 –– Entfernung 35 Johnson-Winkel 102
Hydrozephalus 674 –– Fraktur 44 Judoellenbogen 290
Hypalbuminämie, Impression, basiläre  87 Jumper‘s Knee  208
­präoperative  166 Indometacin 612 juvenile idiopathische
Hyperabduktionssyndrom 400 –– Gichtanfall 599 ­Arthritis  634
Hyperextensionsverletzung, –– JIA 636
­Wirbelsäule  368 –– Spondylitis ankylosans  640 K
Hyperextensive-Recurvatum- Infantile Zerebralparese  668 Kabel-Graft 14
Zeichen 467 Infektion 220 Kahnbeinfraktur, Gips  65
Hyperflexionsverletzung, –– Hand, Finger  317 Kahnbeinquartett 93
­Wirbelsäule  367 –– Klinik 220 Kalkaneus
Hyperglykämie 134 –– postoperative 220 –– Extension 21
Hyperkaliämie 145 –– Prophylaxe, präoperativ  170 –– Röntgen 103
Hyperkalzämie 146 –– Weichteile 225 –– Zyste 533
Hyperkapnie 167 Infiltrationsanästhesie 73 Kalkaneusfraktur 518
Hyperkyphose 199 –– lokale 75 –– offene 519
Hyperparathyreoidismus 589 Infliximab 617 –– vom Joint-Depression-
Hyperpathie 680 Infraktion 488 Typ 519
Hyperthermie, maligne  189 Infrarotlicht 755 –– vom Tongue-Typ  519
   Index  895

Kallotasis 422 –– Kalkaneusfraktur 519 –– Beugekontraktur 672


Kallus –– KlassifikationAO- 411 –– Blockierung  477, 481
–– Distraktion 422 –– Knochentumoren 548 –– Endoprothese 493
–– Frakturheilung 33 –– Lenke-, Skoliosen  382 –– Ergotherapie 761
Kältekammer 754 –– Lewis-Rorabeck 433 –– Exartikulation 819
Kälteschock 5 –– Magerl 368 –– Funktionsstellung 61
Kalzitonin –– Morbus Perthes  449 –– Instabilität 466
–– Morbus Paget  593 –– nach Euler und Ruedi, –– Invaliditätswert 782
–– Schmerztherapie 845 ­Skapulafrakturen  256 –– Kapsel-Band-Apparat 464
Kalzium –– nach von Laer, Humerusfrak- –– Kapsel-Band-Verletzung
–– Osteopathie 589 turen 283 ­lateral  471
–– Osteoporose 589 –– Neurofibromatose 662 –– Kapsel-Band-Verletzung
Kalziumpyrophosphatkri- –– Osteochondrodysplasien 655 ­medial  471
stalle 597 –– Osteogenesis imperfecta  659 –– Kontraktur  420, 489
Kamptodaktylie 660 –– Osteopetrose 594 –– Luxation 475
Kanavel-Zeichen 318 –– Osteoporose 586 –– Meniskusschaden 476
Kapandji-Aufnahme 323 –– Osteosarkom 564 –– OP bei Rheuma  627
Kapsel-Band-Verletzung –– Pseudarthrose 47 –– Orthese 802
–– lateral 471 –– rheumatoide Arthritis  630 –– rheumatoide Arthritis  630
–– medial 471 –– Schenkelhalsfraktur 444 –– Röntgen 99
Kapsulitis 266 –– Skeletterkrankungen 655 –– Schmerzen DD  463
Karbon-Fußheberorthese 804 –– Skoliose 381 –– Schublade  466, 467
Karpal-Kompressionstest 320 –– Spina bifida  673 –– Sportverletzung 201
Karpaltunnelaufnahme 320 –– Sprunggelenkfrakturen 507 –– Stabilitätstest 472
Karpaltunnelsyndrom  319, 708 –– Talusfraktur 516 –– Synoviorthese 620
–– Osteopathie 593 –– Tibiakopffraktur 498 –– Tunnelaufnahme 481
Kartenherzbecken 594 –– Wirbelsäulenverlet- –– Überstreckbarkeit 495
Kassenarzt, Aufgaben  768 zungen 368 –– Untersuchung 464
Kastenwirbel 639 Klauenhohlfuß 526 Knieendoprothese, Sportfähig-
Katabolie 192 Klauenzehe 542 keit 215
Katheter-PDA 76 Klavikula Kniegelenk
Katzenbuckel 375 –– Fraktur  253, 665 –– MRT 115
Kaudasyndrom 705 –– Pseudarthrose 254 –– Punktionstechnik 71
Kausalgie  680, 736 Klavikulafraktur, geburtstrauma- –– Sonografie 123
Keilfraktur 869 tische 665 Kniegelenkmodul 821
Keilwirbel  379, 568, 591 Klavus 544 Kniekehle, Schmerzen  479
Keratoconjunctivitis sicca  633 Kleeblattschädel 656 Knie-TEP, infizierte  240
Kernig-Zeichen 678 Kleinert-Gips 332 Knöchelfraktur 507
Ketoprofen 612 Klingelknopfzeichen 538 Knöchelsocke 804
KHK, OP-Risiko  168 Klippel-Feil-Syndrom 376 Knochenbanktransplantat 32
Kibler-Hautfalte 342 Klumpfuß Knochendensitometrie 127,
Kielbrust 401 –– Einlage 807 588
Kiloh-Nevin-Muskeldystro- –– kongenitaler 526 Knochendichteanalyse 588
phie 713 –– Orthese 806 Knochendysplasie, fibröse 
Kinderlähmung 690 –– psychogener 739 658
Kirchmayr-Kessler-Naht 10 –– spastischer 673 Knochenkernentwicklung 285,
Kirschner-Draht 22 Klumpfußwade 526 653
–– Bennett-Fraktur 311 Klumphand 667 Knochenläsion, tumorähn-
–– Epiphyseolysis 454 Klumpke-Lähmung 667 liche 561
–– Mittelhandfraktur 315 Knickfuß 528 Knochenmarktumor 548
Kirschner-Draht-Fixation 29 –– Einlage 807 Knochenmetastasen 548,
Kirschnerstöcke 828 –– rheumatischer 630 570
Kissing Spine  353 Knick-Platt-Fuß Knochennekrose, aseptische
Klassifikation –– Coalitio calcaneo-­ –– Femurkondylus 480
–– AO-  411, 415 navicularis 533 –– Hüftkopf 446
–– Chondromalacia patel- –– Coalitio talo-calcanearis  534 –– Metatarsaleköpfchen 536
lae 487 –– spastischer 672 –– Mondbein 321
–– Densfraktur 370 Knick-Senk-Fuß –– Os naviculare pedis  536
–– Duncan und Masri  433 –– Fersensporn 534 –– Tibiaapophyse 482
–– Dysmelie 663 –– kindlicher 528 Knochenspan
–– Hangman‘s Fraktur  370 Knie 463 –– kortikaler 32
–– Hüftdysplasie 438 –– Arthrodese 494 –– kortikospongiöser 32
–– Hüfttypen 125 –– Arthroplastik 494 Knochentransplantation 32
–– Humerusschaftfrakturen 278 –– Arthrose 491 –– sekundär chronische Osteo-
–– juvenile idiopathische –– Arthroskopie 477 myelitis 235
­Arthritis  635 –– Bandage 802 Knochentuberkulose 235
896  Index 

Knochentumor 548 Kompressionssonografie 141 Kratzwunde 4


–– benigne  548, 557 Kompressionsstrümpfe 808 Kremasterreflex 680
–– Biopsie 556 –– Kompressionsklassen 808 Kreuzbandausriss 475
–– Diagnostik 551 Kompressionsstrumpfho- Kreuzbandläsion, MRT  115
–– Fuß 533 sen 808 Kreuzbandruptur 472
–– kindlicher 548 Kompressionstest HWS  355 Kreuzprobe 180
–– Klassifikation 548 Kompressionsverband 60 Kreuzschmerz 731
–– Labor 554 Kompressionsverletzung, Kreuzschmerzen, DD  340
–– maligne  548, 564 ­Wirbelsäule  367 Kryotherapie 754
–– primärer 564 Konfektionsschuhe 809 KT 1000  473
–– Röntgen  551, 552, 553 Konsil, Beispiele  154 Kunststoffverband 60
–– sekundärer 570 Konsolidierungsstörungen 37 Kurzatmigkeit 142
–– semimaligne 557 Kontaktdermatitis 812 Kyphose 377
–– Staging 551 Kontaktheilung 32 –– adoleszente 378
–– Stagingsystem nach Enne- Kontraktur –– anguläre 377
king 550 –– Arthrolyse 490 –– arkuäre 377
–– TNM-Zuordnung 551 –– Hüftgelenk 420 –– kongenitale 377
Knochenwachstum 36 –– Knie 489 –– posttraumatische 377
Knochenzyste –– Narkosemobilisation 490 –– Winkel nach Cobb  88
–– aneurysmatische  549, 562, –– Prophylaxe 811
573 Kontrastmittel 104 L
–– juvenile  549, 553, 561 –– Sonografie 120 Labor
–– solitäre 561 Konus-Kauda-Syndrom 705 –– Gelenkschmerz 602
Knopflochdeformität 629 Konussyndrom 705 –– Gicht 598
Knopfnaht 82 Konversion 723 –– Knocheninfektion 220
Knorpelschutzpräparate  Konversionsstörung 722 –– Knochentumor 554
621 Koordination 678 –– Osteoporose 589
Knorpeltumor 549 Kopfnickerhämatom 375 –– Plasmozytom 568
Knoten Kopfschmerzen  682, 731 –– rheumatoide Arthritis  631
–– chirurgischer 81 –– DD  338, 682 Labrum, MRT  111
–– Technik 81 –– zervikogener 682 Lachman-Test 467
Knotentechnik 81 Kopieeinlage 807 Lagerungsorthese 801
Köhler-Linie 443 Korbhenkelriss 476 Lagerungsschale 830
Kokzygodynie 366 Kornährenverband 60 Lagerungsschiene 763
Kollagenose 604 Korrektureinlage 807 Lagerungsschwindel 684
–– Organmanifestationen 608 Korrekturorthesen 803 Lagerungssystem 830
Kollegen-Vlies, mit Gentamicin- Korrekturosteotomie, Coxa valga  Lähmung, infantile
zusatz 224 442 ­Zerebralparese  669
Koma, diabetisches  135 Korsakow-Syndrom 681 Lähmungsplattfuß 525
Komorbidität, psychosoma- Korsett Lähmungsspitzfuß 530
tische 720 –– 3-Punkte- 798 Langerhans-Zell-Histiozytose 
Kompartmentsyndrom 499 –– Reklinations- 797 563, 584
–– drohendes 501 –– Skoliosekorrektur 796 Langschädel 660
–– funktionelles 211 –– Vogt-Bähler- 798 Lapidus-Arthrodese 541
–– manifestes 502 Korsett(s), Reklinations-, siehe Larsen-Syndrom 656
–– offene Fraktur  19 Reklinationskorsett(s) Laryngospasmus
–– Unterschenkel 501 Kortikalisdefekt, fibrinöser  –– Lokalanästhetika 73
komplexes regionales Schmerz- 562 –– postoperativ 188
syndrom 736 Kortikalisschraube 23 Lasègue-Zeichen 343
Komplikationen Kortikotomie 422 Läsion, osteochondrale  481
–– Antibiotikatherapie 225 Kortisonentzugssyndrom 834 Lateral Release  488
–– Distraktions-OP 424 kostoklavikuläres Syn- Lateralsklerose, amyotrophe 
–– Extension 21 drom 400 706
–– hämatogene Koxarthrose  425, 427 Lauenstein-Aufnahme 99
­Osteomyelitis  232 –– Blutkonserven 176 Lauge-Hansen-Klassifikation 
–– postoperativ 185 –– Totalendoprothese 428 507, 509
–– Reposition 16 Krallenhand 709 Laugenverätzung 8
–– Wundbehandlung 15 Krallenzehe  540, 542 Leflunomid 615
Kompression Krampfleiden 693 Leibbinde 795
–– dynamische 23 Kraniostenose 660 Leiomyom 548
–– statische 23 Kraniosynostose 660 Leiomyosarkom 549
Kompressionsfraktur 17 Kraniotabes 594 Leistenschmerz (Sportler)  201
Kompressionsplatte Krankentagegeld 777 Lendenstrecksteife  347, 357
–– DCP 26 Krankheitsgewinn 733 Lendenwulst 382
–– dynamische 27 –– primärer 723 Lengemann-Ausziehnaht 10
–– LC-DCP 27 –– sekundärer 723 Lenke-Klassifikation 382
   Index  897

Lepirudin 856 –– Knie 475 Medial Tibial Stress Syn-


Leukämie –– Lisfranc-Gelenk 520 drome 209
–– akute 583 –– Patella 484 Mediastinalflattern  403, 404
–– akute lymphatische  582 –– Peronealsehne 512 medizinische Trainingsthera-
–– akute myeloische  583 –– Radiusköpfchen 295 pie 752
–– chronisch lymphatische  584 –– Reposition, Komplikati- Mehrfragmentfraktur 17
–– chronisch myeloische  583 onen 16 Meißelfraktur 17
Leukozytenszintigrafie 119 –– Schultergelenk  260, 262 Mendel-Mantoux 221
Leyden-Möbius-Muskeldystro- –– Sternoklavikulargelenk 254 Meningismus 678
phie 713 –– Zehen 544 –– Zeichen 679
Lhermitte-Zeichen 248 Luxationsfraktur Meningitits 682
Lichtmann-Einteilung 321 –– Chopart-Gelenk 520 Meningomyelozele 673
Lidocain 72 –– Lisfranc-Gelenk 520 –– Skoliose 381
Liliputaner 656 LWS –– Therapie 675
Lindemann-Mieder 795 –– Bandscheibenvorfall 355 Meningozele 673
Lipom  548, 579 –– Degeneration 345 Meniskus
Liposarkom  548, 579 –– Facettensyndrom 351 –– Diagnostik 467
Liquor –– Fraktur 373 –– Ganglion 479
–– Diagnostik 689 –– Funktionsaufnahme 89 –– Refixation 478
–– Guillain-Barré-Syndrom 712 –– Röntgen 88 –– Scheiben- 479
Lisfranc-Amputation 817 –– Sportverletzung 198 Meniskusläsion, MRT  115
Lisfranc-Gelenk, –– Vertebra plana  574 Meniskusschaden, Berufskrank-
Luxation(sfraktur) 520 Lyme-Arthritis 644 heit 780
Löffelhand 661 Lymphangiom  548, 580 Meniskusteilresektion 478
Löfgren-Syndrom 634 Lymphangiosarkom 549 Meniskusverletzung 476
Logopädie, infantile Zerebralpa- Lymphdrainage 758 Meniskuszeichen 477
rese 671 Lymphgefäß, Tumor  580 Mennel-Zeichen 343
Lokalanästhesie 71 Lymphografie 106 Mepivacain 72
–– Abszess 226 Meralgia paraesthetica  462
–– Kontraindikationen 72 M Metallentfernung  34, 34, 35
–– Morton-Metatarsalgie 538 M.-piriformis-Syndrom 458 –– Nachbehandlung 36
–– Nebenwirkungen 72 Madelung-Deformität 298 Metamizol  130, 837
Lokalanästhetika, Nebenwir- Maffuci-Syndrom 558 –– postoperative Schmer-
kungen 72 Magnetresonanztomografie  zen 847
Longuette, Gipsverband  62 107 –– Schwangerschaft 863
LONTS 840 –– Abszess 226 Metastasen
Looser-Umbauzonen 591 –– Spondylitis 242 –– Knochen 570
Loss-of-Resistance-Methode  Maisonneuve-Fraktur 507 –– Wirbelsäule 574
76 maligne Hyperthermie  189 Metatarsalgie 538
Ludloff-Fleck 100 Malleolarschraube 24 Methotrexat 614
Lues, Osteomyelitis  236 Maltracking (Patella)  487 Methylprednisolon 865
Lumbago  337, 352 Malum perforans  524 Metronidazol, Schwanger-
Lumbalgie  337, 730 Manuelle Lymphdrainage  758 schaft 863
–– DD 340 Marcumar® 857 Meyers-McKeever, Einteilung
Lumbalisation 88 Marcumarnekrose 857 Kreuzbandverletzung 475
Lumbalpunktion 689 Marfan-Syndrom 661 Mieder 795
Lumboglutealgie 337 Marknagel 28 –– halbelastisches 795
Lumboischialgie 337 Marknagelosteosynthese 28 –– Lindemann- 795
–– DD 340 Marknagelung –– Überbrückungs- 796
Lunatumnekrose 321 –– Frakturen, kindliche  43 Migräne 682
Lungenembolie  140, 141, 144 –– Humerusschaftfraktur 281 Milkman-Fraktur 591
Lungenfunktion 167 –– Metallentfernung 35 Minderjährige, Aufklärung 
Lungenkontusion 403 –– Tibiaschaftfraktur 500 156
Lungenödem 144 Marmor-Knochen 658 Minderung der Erwerbsfähig-
Lupus erythematodes  645 Marschfraktur 521 keit 780
–– Organmanifestationen 608 Massage, klassiche  757 Minimale zerebrale Bewegungs-
–– Synoviaanalyse 610 Massenprolaps 356 störung 670
Luxation  15, 17 Massivtransfusion 181 Mischkollagenosen 608
–– Chopart-Gelenk 520 Maßschuhe, orthopädische  810 Mischpräparate, Schmerzthera-
–– Ellenbogen 288 Matratzennaht 10 pie 836
–– Endoprothese 433 Mausbett 482 Mittelfrequenz 755
–– geburtstraumatische 667 McCune-Albright-Syn- Mittelfuß, Röntgen  103
–– habituelle 15 drom 658 Mittelhand, Fraktur  314
–– Hüfte angeboren  435 McMurray-Test 477 Monarthritis, Kindesalter
–– Hüftgelenk 437 MdE 780 DD 636
–– Hüft-TEP 433 Medial Shelf  480 Monteggia-Fraktur  295, 296
898  Index 

Morbus –– Stressreaktion, knö- Myose 647


–– Adamantiades-Behçet 633 cherne 210 Myositis ossificans  581
–– Ahlbäck 480 –– Wirbelsäule 109 –– circumscripta 582
–– Albers-Schönberg 594 MS 691 –– neuropathica 582
–– Bechterew 637 MTSS 209 Myotonolytika 620
–– Bechterew, Ergotherapie  761 Mukoidzyste 317
–– Behçet 633 Mukopolysaccharidose 663 N
–– Crohn 645 multiple epiphysäre Dyspla- N.-interosseus-posterior-Syn-
–– Dupuytren 311 sie 656 drom 307
–– Forestier 352 Multiple Sklerose  691 N.-saphenus-Kompressionssyn-
–– Heine-Medin 690 Multiples Myelom  567 drom 463
–– Hurler 663 Mundtrockenheit 633 N.-ulnaris-Dekompression 625
–– Jaffé-Lichtenstein 658 Münsteraner Kyphosen-­ Nachblutung 185
–– Kienböck 321 Orthese 797 Nachtdienst  130, 162
–– Köhler I  536 Musculus Nackenschmerz 731
–– Köhler II  536 –– abductor hallucis  515 Nacken-Schulter-Arm-Schmer-
–– Ledderhose 537 –– albinus 398 zen 339
–– Legg-Calvé-Pertes 449 –– biceps brachii  347 Nackensteifigkeit 678
–– Little 668 –– extensor carpi radialis  347 Nadel
–– Menière 684 –– pectoralis minor  400 –– atraumatische 80
–– Morqio-Brailsford 663 –– peroneus 347 –– chirurgische 80
–– Ollier 558 –– pronator teres  347 Nadroparin  854, 855
–– Osgood-Schlatter 482 –– quadriceps femoris  347 Nagelung, elastisch-stabile in-
–– Paget 592 –– sternocleidomastoideus 375 tramedulläre 43
–– Parkinson 693 –– tibialis anterior  347 Nahrungsbedarf 192
–– Perthes 449 –– triceps brachii  347 Nahrungskarenz 174
–– Recklinghausen 662 –– triceps surae  347 –– postoperativ 191
–– Scheuermann, Sportempfeh- Muskelantwortpotenzial 688 Naht
lung 199 Muskeldystrophie –– Dehiszenz 15
–– Scheuermann  377, 378, 761 –– Duchenne 714 –– Entfernung 83
–– Silfverskjöld 535 –– progressive 712 –– fortlaufende 82
–– Sinding-Larsen-Johansson 483 Muskeleigenreflexe 680 –– Gesicht 84
–– Still 635 –– Paresen 685 –– Haut- 82
–– Sudeck 736 Muskelerkrankungen 712 –– Insuffizienz 185
–– Waldenström 454 Muskelfaserriss 202 –– Intrakutan- 82
–– Wegener 646 Muskelgewebe, Tumor  579 –– Subkutan- 82
Morbus Panner  290 Muskelhypotonus 678 Nahtmaterial  78, 80
Morgensteifigkeit  602, 628 –– Down-Syndrom 662 Nahttechnik  78, 82
Morphin, postoperative Schmer- Muskelkater 210 Nalbuphin, postoperative
zen 848 Muskelkraft 678 Schmerzen 848
Morphinsulfat  841, 842 –– Beurteilung 153 Naloxon  189, 841
Morton-Metatarsalgie 537 Muskelrelaxanzien, Schmerzthe- –– Schwangerschaft 863
–– Schuhzurichtung 809 rapie 845 Naproxen 612
Motorik 678 Muskelriss 202 Narkosemobilisation 490
Mottenfraß 569 Muskelspastik  678, 717 NASCIS-Schema 369
MRT 107 Muskeltonus 678 Natriummorrhuat 620
–– Achillessehne 116 –– Parese 685 Navikulare-Aufnahme 93
–– Becken 114 Muskelverhärtung 202 Nebenwirkungen, Antidepressiva 
–– Ellenbogen 112 Muskelverletzung 202 844
–– Fuß 116 Muskelzerrung 202 Neoplasien, MRT  117
–– Ganglienzysten 116 Muskulatur Nervenblockade
–– Handgelenk 112 –– Hartspann 357 –– Femoralis- 74
–– Hüftgelenk 114 –– Kryotherapie 754 –– N. cutaneus femoris latera-
–– Kniegelenk 115 –– Mikrotraumatisierung 210 lis 75
–– Knocheninfektion 220 –– Tumor  548, 579 –– Oberst- 74
–– Knochentumor 554 –– Wärmetherapie 755 –– Obturatorius- 74
–– Kreuzbandläsionen 115 Myasthenia gravis  707 Nervenblockaden 73
–– Meniskusläsionen 115 Myelografie 106 Nervenkompression
–– Neoplasien 117 –– Spinalkanalstenose 364 –– N. medianus  319
–– osteochondrale Läsion  117 Myelom, multiples  567 –– N. suprascapularis  259
–– Osteonekrose 117 Myelomeningozele 673 Nervenkompressionssyndrome,
–– Sakroiliakalfugen 114 Myografie 688 periphere 306
–– Schulter 110 Myokard, Verletzung  405 Nervenläsion
–– Sequenzen 108 Myokardinfarkt 139 –– Berufskrankheit 780
–– Spinalkanalstenose 364 –– OP-Risiko 167 –– Klassifikation 13
–– Sprunggelenk 116 –– postoperativ 187 –– N. femoralis  709
   Index  899

–– N. medianus  708 NSAR  611, 836, 837, 860 –– nach Ede-Lange-Hybi-


–– N. peroneus  710 –– Dosierung 612 nette 264
–– N. tibialis  711 –– Muskelfaserriss 203 –– nach Elmslie-Trillat  488
–– N. ulnaris  709 –– Nebenwirkungen 837 –– nach Grice  530, 672
–– Wundversorgung 14 –– Oligurie 147 –– nach Harrington  387
Nervennaht  13, 14 –– Osteoporose 590 –– nach Hohmann  544
–– epineurale 14 –– Schmerztherapie 130 –– nach Homann  293
–– interfaszikuläre 14 –– nach Hueter-Mayo  628
Nervenstimulation, transkutane O –– nach Keller-Brandes  541,
elektrische 756 O-Bein 494 542
Nervenwurzelkompression 363 Oberarm –– nach Lambrinudi  532
Nervenwurzeltod 357 –– Amputation 827 –– nach Luque  387
Nervus –– Fraktur 34 –– nach Magerl  624
–– cutaneus femoris latera- –– Gipsverband 63 –– nach Margin-Conver-
lis  75, 462 –– Röntgen 91 gence 270
–– femoralis 709 Oberarztvisite 158 –– nach Mason und Urist  640
–– medianus 708 obere Extremität, Sportverlet- –– nach Mayer-Burgdorff  264
–– peroneus 710 zung 199 –– nach McBride  541, 542
–– saphenus 463 oberes Sprunggelenk, Arthrose  –– nach McLaughlin  270
–– suprascapularis, Kompression  513 –– nach Neer  264
259 Oberschenkel 419 –– nach Niederecker  530
–– tibialis 711 –– Amputation 820 –– nach Putti-Platt  264
–– ulnaris 709 –– Interimprothese 815 –– nach Ravitch  402
Neugeborenes, Untersu- –– Invaliditätswert 782 –– nach Roux-Goldthwait  486
chung 650 –– Liege- bzw. Gehgips  63 –– nach Salter  452
Neuralrohrfehlbildungen 673 –– Orthese 802 –– nach Scaglietti  672
Neuraltherapie 78 –– Röntgen 99 –– nach Silverskjöld  672
Neurapraxie 13 –– Schmerzen 419 –– nach Smith-Petersen  640
Neurinom 548 –– Untersuchung 419 –– nach Strayer  672
Neuroblastom 581 Oberst-Anästhesie 74 –– nach Weber  264
Neurofibromatose  377, 581, Obstipation, Opioid-NW  839 –– nach Weil  543
661 Obstruktion, postoperativ  188 –– nach Wilhelm  293, 299
Neurofibrom  548, 580 Obturator-Aufnahme  –– nach Zielke  388
Neurografie 688 99, 416 –– Planung 158
–– motorische 688 Obturatorius-Blockade 74 –– präoperative Maßnah-
–– sensible 688 Ochronose 596 men 165
Neuroleptika 621 Ohr, Sportverletzung  197 –– rheumatische Erkran-
Neurologie, Untersuchung  okulo-mandibulo-faziales Syn- kungen 622
678 drom 660 –– Risikopatient 167
Neurom, traumatisches  580 okulovertebrales Syndrom  660 –– Vorbereitung 156
Neuropathia diabetica  523 Olekranonfraktur  34, 286, 287 Opioide 838
Neuropathie, diabetische  711 Oligoarthritis –– Äquivalenzdosen 842
Neurotmesis 13 –– Kindesalter DD  636 –– Gewöhnung 839
Neutral-Null-Methode 153 –– reaktive Arthritis  642 –– hochpotente 842
Neutralwirbel 384 Oligurie 147 –– Langzeitanwendung 840
Neutropenie, Antibiotikathera- Omarthritis, eitrige  267 –– Nebenwirkungen 838
pie 850 Omarthrose 265 –– niederpotente 842
Nichtanalgetika 843 –– Blutkonserven 176 –– postoperative Schmer-
Nichtopioidanalgetika 835 On-demand-Analgesie 848 zen 848
–– ohne antipyretische und anti- Open-Book-Fraktur 411 –– Wirkungen 839
phlogistische Wirkung  838 Operation Opioidentzug 839
nichtselektive COX-Inhibi- –– Bericht 163 Opisthotonus 678
toren 836 –– Checkliste 156 –– Tetanus 227
nichtsteroidale Antiphlogistika  –– Dringlichkeitsstufen 165 Oppenheim-Reflex 678
611, 836 –– Indikationsstellung 165 OP-Technik
Nidus 552 –– Kreuzbandruptur 473 –– Aponeurektomie, Morbus Du-
Niederfrequenz 755 –– Lagerung 183 puytren 312
Nierenerkrankungen, OP-Risiko  –– nach Ali-Krogius  486 –– Bandscheibenvorfall 360
168 –– nach Bankart  262, 264 –– Beugesehnenverletzung 332
Night Time Bending Brace  797 –– nach Brattström  624 –– Bizepssehnenruptur 278,
Nikotinabusus, OP-Risiko  170 –– nach Bristow-Latarjet  264 282
Nordic Walking  753 –– nach Brooks  624 –– dynamische Hüftschraube 
Notaufnahme, Vorgehen  52 –– nach Burgess  818 459
Notfall, Blutung  185 –– nach Chiari  441 –– Epiphyseolysis 454
Notfalltransfusion 181 –– nach Cotrel-Dubousset  387, –– Humerusfrakturen 276
NSAID 836 388 –– Humerusschaftfraktur 280
900  Index 

–– Knieexartikulation 819 osteochondrale Läsion  481 Osteotomie 624


–– Radiusfraktur 304 –– MRT 117 –– diaphysäre 423
–– schnellender Daumen  331 –– Talus 517 –– Gonarthrose 492
–– schnellender Finger  331 Osteochondrodysplasie 655 –– Koxarthrose 428
–– Spondylodese 365 Osteochondrom  549, 556 –– Metatarsaleköpfchen 543
–– transmetatarsale-Amputation  –– Fuß 533 –– periazetabuläre 440
816 Osteochondrose 337 –– Salter- 452
–– Unterschenkelamputation  –– Patellapol 483 –– Tibiakopf- 493
818 Osteochondrosis disse- Ostitis fibrosa generalisata,
OP-Verfahren cans  117, 481, 517 ­Labor  589
–– Beckenringverletzungen 413 –– Schulsportbefreiung 211 Östrogensubstitution 589
–– Hagelund-Ferse 535 Osteodensitometrie 588 Ott-Maß 343
–– Knochenzyste 561 Osteogenesis imperfecta  659 Outerbridge-Einteilung 487
–– LWS-Fraktur 373 Osteoidosteom  548, 559 Overhead-Extensionsverfah-
–– Metatarsalfraktur 521 –– Fuß 533 ren 437
–– Patellafraktur 484 –– Nidus 559 Oxycodon  841, 842
–– Skoliose 386 –– Röntgen 552
–– Spinalkanalstenose 362 –– Wirbelsäule 573 P
–– Spitzfuß 531 Osteoklastom 560 Painful Arc  248
–– Tibiakopffraktur 498 Osteom 548 Palmer-Klassifikation 113
–– Tibiaschaftfraktur 499 Osteomalazie 591 Palpation 153
–– Weber-Fraktur 507 –– Labor 589 –– Daumenballen 320
–– Wirbelsäule 350 Osteomyelitis 230 –– Fuß 506
–– Wirbelsäulenerkran- –– Antibiotikatherapie 850 –– Hand 310
kung 350 –– exogen akute  232 –– Knie 465
Orangenhaut 647 –– Garré 234 –– Wirbelsäule  342, 346
Organisation 157 –– Gelenkbeteiligung 230 Panaritium 317
–– perioperative 158 –– hämatogene 231 Pangonarthrose 491
Orhtopädietechnik 793 –– Komplikationen 230 Pannikulose 647
Orthese –– Lues 236 Paracetamol  130, 837
–– Arm 800 –– plasmazelluläre 234 –– postoperative Schmerzen  847
–– Definition 793 –– primär chronische  233 –– Schwangerschaft 864
–– Ellenbogen 799 –– tuberkulöse 235 Parasiten-Arthritis 643
–– Fuß 806 –– Verlauf 230 Paraspastik 361
–– Hüftdysplasie 800 Osteonekrose Paratenonitis 209
–– Hüftluxation 800 –– Humeruskopf 266 Parathormon, Osteopathie  589
–– Klumpfuß 806 –– MRT 117 parenterale Ernährung  193
–– Knie 802 Osteopathie 586 Parese 686
–– Lagerungs- 801 –– renale 593 –– Beinmuskulatur, DD  347
–– Münsteraner Kyphosen-  797 Osteopenie 586 –– DD 685
–– obere Extremität  798 Osteopetrose  594, 657 –– infantile Zerebralparese  669
–– Oberschenkel 802 Osteopetrosis congenita  657 –– Querschnittlähmung 696
–– Schulterabduktions- 798 Osteophyten 427 –– schlaffe 717
–– untere Extremität  800 Osteoporose  380, 586 Paronychie 317
–– Unterschenkel 803 –– Basisdiagnostik 587 partielle Thromboplastinzeit,
Orthopnoe  142, 143 –– Einteilung 586 präoperativ 166
Orthoradiografie 421 –– Ergotherapie 761 Patella
Ortolani-Zeichen 435 –– Glukortikoide 866 –– alta  100, 468, 485
Os –– Labor 589 –– baja  100, 468
–– naviculare cornutum  522 –– MRT 114 –– (bi-)partita 486
–– odontoideum 374 –– primäre 586 –– Dysplasie 484
Os naviculare –– Prophylaxe 589 –– Fraktur  34, 483
–– Knochennekrose 536 –– schwere 586 –– Hochstand 468
–– Verletzungen 521 –– sekundäre 586 –– Luxation 484
OSG-TEP, infizierte  241 –– transitorische 447 –– Luxation, Schulsportbefrei-
Osmiumtetroxid 620 –– Wirbelveränderungen  ung 211
Ossa metatarsalia, Fraktur  521 588 –– Öffnungswinkel 101
Ossifikation, periartikuläre  432 Osteosarkom  548, 564 –– Röntgen 101
Osteitis 230 –– Röntgen 552 –– Tiefstand 468
Osteoarthropathia psoriatica  Osteosklerose 593 Patellasehnenbandage 803
641 Osteosynthese Patellasehnenreflex 680
Osteoarthrosis interspinosa  –– Femurfraktur, pertrochan- Patellasehnenruptur  207, 470
353 täre 459 Patellektomie 488
Osteoblastom  548, 560 –– Lastaufnahme 33 Patient
–– Röntgen 552 –– Metallentfernung 36 –– Beurlaubung 161
–– Wirbelsäule 573 –– Prinzip 23 –– Entlassung 161
   Index  901

–– onkologischer 159 Phosphat –– Psoriasisarthritis 641


–– OP-Vorbereitung 157 –– Osteomalazie 591 –– rheumatisches Fieber  643
–– Problem- 159 –– Osteopathie 589 Polydaktylie 660
–– psychisch auffälliger  159 Physiotherapie 744 Polymyalgia rheumatica  646
–– Überwachung postopera- –– Bandscheibenprolaps 358 Polymyositis  645, 716
tiv 184 –– Behandlungsplanung 744 Polyneuropathie 711
–– Verlegung 161 –– Behandlungsprinzipien 746 Polysyndaktylie 660
Patient Controlled Analge- –– Dokumentation 745 Polytrauma
sia 841 –– Entlassungsmanage- –– Erstdiagnostik, -therapie  55
Patientenaufklärung 156 ment 748 –– Erstversorgung 54
Pauwels-Klassifikation 444 –– erweiterte Ambulante  772 –– Postaggressionsphase 56
Pavlik-Bandage  437, 800 –– infantile Zerebralparese  671 –– Stabilisierungsphase 56
Payr-Zeichen 477 –– prophylaktische Maßnah- –– verzögerte
PECH-Schema 196 men 747 ­Primärchirurgie  55
Pectus carinatum  401 –– Teilbereiche 750 –– Vorgehen 54
Pectus excavatum  401 –– Untersuchung 745 PONV 190
Peloide 755 –– Voraussetzungen 744 Poplitealzsyste 478
Penicillamin, Schwanger- –– Wirkung 744 Postaggressionsst­
schaft 864 Pilon-tibial-Fraktur  503, 504 offwechsel 192
Penicillin Piritramid, postoperative Postnukleotomiesyndrom 
–– Gasbrand 228 Schmerzen 848 394
–– Schwangerschaft 864 Pirogow-Spitzy-Amputation  Post-Polio-Syndrom 690
–– Tetanus 228 817 Potenziale
Perfusionsszintigrafie 142 Piroxicam 612 –– evozierte 687
Periarthropathia humeroscapu- Pivot-Shift-Test 467 –– motorisch evozierte  687
laris 265 Plantarfibromatose 579 –– somatosensibel evo-
Periarthropathie 646 Plantarissehnentransplantat zierte 687
Periduralanästhesie 75 nach Weber  512 Pott-Trias 241
–– Bandscheibenprolaps 358 Plasmaexpander 185 PPSB 179
–– Komplikationen 77 Plasmakomponenten 178 Prämedikation 173
–– Narkosemobilisation 490 Plasmozytom  549, 567 Prävention 753
–– postoperative Schmer- –– Wirbelsäule 574 PRC 322
zen 848 Plattenosteosynthese 25 Prednisolon 865
periphere Nervenblockaden  73 –– Beckenverletzungen 413 –– Gichtanfall 599
peripheres Nervensystem, Er- –– Femurschaftfraktur 461 Pregabalin 844
krankungen 708 –– Frakturen, kindliche  43 Pridie-Bohrung  482, 488
Peromelie 663 –– Humerusfrakturen 276 Prilocain 72
Peronealsehnenluxation 512 –– Humerusschaftfraktur 280 Primärprävention 753
Peroneus-brevis-Plastik 204 –– Metallentfernung 35 Primitivreflexe 650
Peroneusorthese 804 –– Radiusfraktur 304 Privatversicherung 776
Perthes-Läsion, MRT  111 –– überbrückende 27 Problemmanagement 130
Pes –– Unterarmschaftfraktur 300 Problemwunde 60
–– cavus 525 Plattfuß Proc. coronoideus,
–– equinovarus-adductus-supina- –– Erwachsene 525 ­Fraktur  286, 288
tis-excavatus 526 –– kindlicher 528 Profundussehne 332
–– planus 525 –– kongenitaler 528 Prolaps 356
–– varus 807 Plattwirbel 574 Pronator-teres-Syndrom 306,
Pethidin, postoperative Schmer- Platzwunde 3 320
zen 848 Pleuraerguss 143 Prophylaxe
Pfannendachplastik, Hüfte  441 Plexus brachialis –– Antibiotika 225
Pfannendachwinkel nach Hilgen- –– Anästhesie 77 –– diabetischer Fuß  525
reiner 96 –– Blockade 77 –– Frakturkrankheit 45
Pfannenschwenkoperati- –– Lähmung  666, 667 –– Kontraktur 811
onen 440 –– Schädigung 398 –– Osteoporose 589
Phalen-Test 320 Plica mediopatellaris  480 –– Spitzfuß  531, 803
Phantomgefühl 813 PMMA-Ketten 224 –– Tetanus 9
Phantomschmerz 813 Pneumonie Prostigmin 189
Phenprocoumon 858 –– Antibiotikatherapie 850 Protaminsulfat 855
Phenylbutazon 612 Pneumothorax 143 Prothese
Philadelphia-Zervikalstütze  Podagra 598 –– Borggreve-Umkehrpla-
794 Poliomyelitis acuta anterior  690 stik 823
Phlebografie 141 Pollex flexus congenitus  330 –– Definition 793
Phlegmone 226 Polyangiitis 645 –– Eigenkraft- 824
–– Sehnenscheiden- 317 Polyarthritis 603 –– Fremdkraft- 824
–– V- 317 –– chronische 628 –– kosmetische 824
Phokomelie 663 –– Gicht 598 –– Sprechstunde 814
902  Index 

Prothesenrandknoten 812 R Resektionsarthroplastik
Prothesentraining 763 RA 628 –– Ellenbogen 625
Prothesenversorgung, untere Ex- Rabies 228 –– Fußwurzel 628
tremität 815 Rachitis 593 –– Hallux valgus  541
Protonenpumpenhemmer, Prä- Radialistunnelsyndrom 307 –– Handgelenk 626
medikation 174 Radiosynoviorthese 621 –– PIP-Gelenk 544
Protrusio acetabuli  442 Radius Resektions-Interpositions-­
Protrusion 356 –– Fraktur AO-Klassifikation  Arthroplastik 623
Proximal Row Carpectomy  322 874 –– Handgelenk 626
Pseudarthrose  37, 46 –– Fraktur distal  301 Restless Legs  523
–– atrophe 49 Radiusfraktur, proximale  Retardierung (Skelettalter)  652
–– hypertrophe 48 287 Retinakulumspaltung, late-
–– infizierte 49 Radiusköpfchen rale 488
–– Klassifikation 47 –– Fraktur 286 Retinakulumspaltung (Karpal-
–– Klavikula 254 –– Luxation 295 tunnelsyndrom) 320
–– Skaphoid 325 –– Subluxation 295 Retransfusion 178
–– Unterschenkel 503 Radspeichenverletzung 4 Retrolisthesis 338
Pseudoachondroplasie 657 Rahmenwirbel 592 Retropatellararthrose  488, 491
Pseudoaddiktion 841 Rauber-Zeichen  100, 492 –– Schuhzurichtung 810
Pseudoexostose Fuß  540 Raynaud-Phänomen 645 Rezept, Betäubungsmittel  161
Pseudogicht 597 reaktive Arthritis  642 Rezessusstenose 363
–– Synoviaanalyse 610 –– Organmanifestationen 607 Rhabdomyosarkom 579
Psoasrandschatten 89 Reflex 680 Rhenium 621
Psoriasisarthritis 641 –– Cushing- 133 Rhesus-Kompatibilität 180
–– Organmanifestationen 607 Reflex Sympathetic Dystro- Rheuma
Psychodiagnostik 723 phy 49 –– Differenzialdiagnosen 605
Psychodynamik 722 Reflexblase  697, 702 –– Ergotherapie 762
Psychopharmaka 621 Reflexdystrophie 49 –– Organbeteiligung 604
Psychose 681 –– sympathische 736 –– Organmanifestation 607
Psychosomatik, Bedeutung  720 Reflexe 678 Rheumafaktor  609, 610
psychosomatische Störungen, Reflexprüfung 650 Rheumaknoten 606
Therapie 728 Refraktur 45 –– Felty-Syndrom 634
Psychotherapeutenverfah- Regionalanästhesie 71 Rheumaserologie 608
ren 773 –– 3-in-1 Block  75 rheumatische Erkran-
Psychotherapie 729 –– Feldblock 73 kungen 602
Pterygium colli  376 –– Interkostalblockade 849 –– DD 602
Pulmonalisangiografie 142 –– Segmenttherapie 78 –– Diagnostik 608
Pulvertaft-Naht 10 –– Störfeldanästhesie 78 –– Einteilung 602
Punktion Rehabilitationsmittel 828 –– intraartikuläre Injekti-
–– A. radialis  167 Rehabilitationsverfahren 772 onen 619
–– Chondrokalzinose 597 Reiterknochen 582 –– Labor 608
–– Gelenk 68 Reithosenanästhesie 705 –– OP-Indikationen 622
–– lumbale 689 Reizkallus 32 –– Organbeteiligung 604
–– Pleuraerguss 143 Reizschauer-Blockade 359 –– Untersuchung 605
–– TEP-Lockerung 431 Reklinationskorsett 797 Rheumatoide Arthritis  602,
Pyknodysostose 658 Reluxation 16 628
Pyramidenbahnzeichen Rente 783 –– Alters- 631
–– Querschnittlähmung 696 –– Erwerbsminderung 783, –– maligne 631
–– Untersuchung 678 784 –– Pfropf- 631
Pyridostigmin 708 –– Verletzten- 781 –– Synoviaanalyse 610
Rentenbegehren, neuro- –– Therapie 632
Q tisches 739 rheumatoide Polyarthritis,
Quadrizepssehnenruptur 206, Rentengutachten 740 MRT 113
469 Rentenkampf 740 rheumtaische Erkrankungen,
Querfraktur 17 Rentenneurose 739 ­Organbeteiligung  630
Querschnittlähmung 695 Rentenversicherung, gesetz- Rhizarthrose 322
–– ASIA-Schema 699 liche 783 Riesenzellarteriitis 646
–– erworbene 695 Replantation 14 Riesenzelltumor  548, 560
–– Frühphase 696 Reposition 43 –– Röntgen 552
Querschnittslähmung –– Hüftluxation, angebore- –– Wirbelsäule 573
–– Bandscheibenvorfall ne 437 Rifampicin, Schwanger-
HWS 355 –– nach Arlt  261 schaft 864
–– Ergotherapie 761 –– Radiusfraktur 302 Rigor
Querulant 159 –– Schultergelenkluxation 261 –– infantile Zerebralparese 
Quetschwunde 3 –– Sternoklavikulargelenklu­ 668
Q-Winkel 468 xation 255 –– Parkinson-Snydrom 693
   Index  903

Ringbandganglion  316, 317 Röntgenkontrastuntersu- Schiefhals 650


Ringfixateur (Ilisarov)  423 chung 104 –– akuter 375
Rippen, Fraktur  402 Rosenkranz, rachitischer  594 –– muskulärer 375
Rippenbuckel 382 Rotationsinstabilität, Knie  466 –– psychogener 739
–– Resektion 386 Rotatorenmanschette, –– Schulsportbefreiung 211
Rippstein-Aufnahme 97 MRT 111 Schiene, dynamische  763
Risikopatient 167 Rotatorenmanschettenrup- Schienenphänomen 640
Risswunde 3 tur 268 Schienenverband 66
Risus sardonicus  227 Rotlicht 755 Schienenversorgung 763
Rituximab 618 Routineuntersuchungen 166 Schifferknoten 81
Rivaroxaban 859 Rückenliegeschale 830 Schildbrust 401
Robbengliedmaße 663 Rückenmark, Erkran- Schildkrötenverband 60
Rodgers-Hilfslinie 282 kungen 706 Schildthorax 662
Rolando-Fraktur 310 Rückenschmerzen  731, 845 Schirmer-Test 633
Rollator 828 –– DD 340 Schlafstörungen, Fibromyal-
Rollstuhl 828 –– entzündlicher 637 gie 735
Röntgen 86 –– Konversionssyndrom 731 Schlaganfall 692
–– AC-Gelenk 91 –– Spondylitis 241 Schleimbeutel, Berufskrank-
–– Außenbandruptur 512 Rückenschule 753 heit 780
–– Becken 95 Rucksackverband  65, 253 Schleudertrauma 736
–– BWS 88 Rundrücken  374, 379 Schmerz
–– Ellenbogen 92 –– osteoporotischer 380 –– chronischer 729
–– Finger 95 Ruptur, skapholunäre  113 –– DD 834
–– Frakturkontrolle  32, 33 Rutschhalte 375 –– Facettendruck- 468
–– Fuß 102 Rutschknoten 81 –– Ferse 535
–– Gelenkschmerz 602 –– Fuß, DD  505
–– Gicht 598 S –– Hand, DD  309
–– Hallux valgus  540 Säbelscheidentibia  236, 593 –– Hüfte/Oberschenkel, DD  419
–– Hand 93 Sägeverletzung 3 –– Knie DD  463
–– Hüftgelenk 97 Sakralanästhesie 76 –– Kniekehle, DD  479
–– HWS 86 –– Komplikationen 77 –– Koxarthrose 426
–– Kalkaneus 103 Sakralisation 88 –– Kreuz 340
–– Knie 99 Sakroiliakalarthrose 638 –– lerntheoretische Aspekte  720
–– Knocheninfektion 220 Sakroiliakalfugen, MRT  114 –– Nacken-Schulter-Arm- 339
–– Knochentumor 551–553 Sakroiliitis 637 –– neuopathischer 704
–– Koxarthrose 427 –– MRT 114 –– Phantom- 813
–– lumbale Diskushernie  357 Salmonellen-Arthritis 643 –– pseudoradikulärer 337
–– LWS 88 Salter-Beckenosteotomie 440 –– Psychodynamik 721
–– Mittelfuß 103 Salter-Klassifikation 41 –– psychogener 720
–– Morbus Paget  592 Sandalenlücke 662 –– psychosomatischer 720
–– Morbus Perthes  450 Sanders-Einteilung 519 –– radikulärer 337
–– Oberarm 91 SAPHO-Syndrom 641 –– Rheuma 605
–– Oberschenkel 99 Sarkoidose 634 –– Rücken 340
–– Osteomalazie 591 Sarmiento-Gips  63, 499 –– somatoformer 729
–– Osteomyelitis 233 Sattelnase 656 –– Steißbeinregion 366
–– Osteoporose 588 Säuglingshüfte, Sonografie  123 –– Stumpf 813
–– Patella 101 Säuglingsskoliose 391 –– Therapie  733, 834
–– Patellaluxation 485 Säulenmodell, Wirbelsäule  –– Trochanterklopf- 426
–– Plasmozytom 568 367 –– Unterarm, DD  309
–– postoperativ 191 Sauna 755 –– Unterschenkel DD  463
–– präoperativ 167 Säure-Basen-Parameter 167 –– Vorfuß 537
–– Rhizarthrose 323 Säureverätzung 8 –– Wachstums- 496
–– Schultergelenk 90 Scapula alata  257 –– Wirbelsäule 345
–– Skaphoid 93 Scarf-Osteotomie 541 Schmerzanalyse 834
–– Skaphoidpseudarthrose 326 SC-Arthrodese 322 –– psychosomatische 726
–– Skidaumen 327 Schaftfraktur, geburtstrauma- Schmerzanamnese 152
–– Spinalkanalstenose 364 tische 667 –– Koxarthrose 426
–– Spondylitis 242 Schallschatten, Sonografie  121 –– Rheuma 605
–– Spondylolyse 392 Schanz-Wickelkrawatte 793 –– Wirbelsäule 341
–– Sprunggelenk 102 Scheibenmeniskus 479 Schmerzen
–– Tunnelaufnahme (Knie)  481 Scheinmanöver 727 –– akute 130
–– Unterarm 93 Scheitelwirbel 384 –– DD 834
–– Unterschenkel 101 Schenkelhalsfraktur 444 –– Therapie 130
–– Vorfuß 103 –– Blutkonserven 176 –– thorakale 139
–– Wachstumsalter 126 –– kindliche 445 Schmerzstörung, anhaltend
–– Wirbelsäulenganzaufnahme 90 –– Nachbehandlung 34 somatoforme 721
904  Index 

Schmerzsyndrom Schultergelenkluxation Singleshot-Technik 76


–– femoropatellares 487 –– habituelle 262 Sinus-tarsi-Syndrom 514
–– Ganzkörper- 778 –– Röntgen 90 Sjögren-Syndrom 633
–– somatoformes 720 –– Schulsportbefreiung 211 Skalenuslücke 399
–– vertebrale, psychosomatische –– traumatisch 260 Skalenussyndrom 399
Aspekte 731 Schultersteife 266 Skaphoid
Schmerztherapie  71, 834 Schulter-TEP, infizierte  241 –– Fraktur  314, 323
–– medikamentöse  130, 131 Schürfwunde 4 –– Pseudarthrose 325
–– multimodales Konzept  Schwanenhalsdeformität 629 –– Röntgen 93
733 Schwangerschaft, Arzneimit- Skapula, Fraktur  256
–– Osteoporose 590 tel 864 skapulothorakales Syn-
–– perioperativ 847 Schwannom 548 drom 258
–– postoperativ 847 Schwedenstatus 90 Skelett, Reife  384
–– Rippenfraktur 403 Schweigepflicht, ärztliche  777 Skelettalterbestimmung 652
–– TENS 756 Schweißfuß 532 Skelettreife, Beurteilung nach
–– Verbrennung 6 Schwenklappen 84 Risser 385
–– WHO-Stufen-Schema  Schwerbehindertengesetz, Merk- Skelettsystem
836 zeichen 785 –– Erkrankungen 654
Schmerzverarbeitung 729 Schwerbehindertenrecht 785 –– Fehlbildungen 654
Schmorl-Knötchen  88, 379 Schwerbehinderter 785 Skelettszintigrafie 118
Schmuckarm 824 Schwerstverletzungsartenverfah- Skelettwachstum 652
Schmuckhand 824 ren 772 Skidaumen  95, 327
schnappende Hüfte  443 Schwielenabszess 317 Sklerodermie 645
Schneeballknirschen 209 Schwindel 683 –– Organmanifestationen 608
Schnittwunde 3 –– DD  339, 684 Skoliose 380
Schnürfurchen 66 –– Lokalanästhetika 72 –– Achsenabweichung 384
Schnürsenkelnaht 10 –– zervikaler 684 –– adoleszente 382
Schober-Maß 343 Secukinumab 618 –– Ätiologie 381
Schock Segmenttherapie 78 –– Blutkonserven 176
–– anaphylaktischer 132 Sehne, Wundversorgung  10 –– Ergotherapie 761
–– hypovolämischer 132 Sehnennaht  10, 10 –– funktionelle 381
–– neurogener 696 Sehnenrekonstruktion 624 –– Gesichts- 375
–– spinaler 696 Sehnenruptur 203 –– Hand 629
Schockraum 52 Sehnenscheidenph­ –– idiopathische  381, 382
Schrägfraktur 17 legmone  317, 319 –– infantile 382
Schraube, kanülierte  24 Sehnenverletzung, Hand  331 –– juvenile 382
Schraubenosteosynthese 23 Selbsthilfetraining 764 –– kongenitale  381, 389
–– Frakturen, kindliche  43 Senkfuß 528 –– Korsetts 796
Schreibkrampf 739 –– Einlage 807 –– Lenke-Klassifikation 382
Schublade, Knie  467 Sensibilität 680 –– myopathische 381
Schubladentest, Schulter  249 Sensibilitätsstörung 687 –– neurpathische 381
Schuhwerk 809 –– DD 686 –– Rotationsgrad 384
Schulsport –– N. femoralis  709 –– Säuglings- 391
–– Befreiung 211 –– N. medianus  709 –– Schulsportbefreiung 211
–– Unfälle 211 –– N. peroneus  711 –– Sportempfehlung 198
Schulter 247 –– N. tibialis  711 –– strukturelle 381
–– Abduktionskeil 799 –– N. ulnaris  709 Skoliosekorrekturorthese 796
–– Druckschmerzpunkte 249 –– Querschnittlähmung 696 Sliding-Scale 135
–– Ergotherapie 760 –– scheinbare 727 Slow-Virusinfektion 592
–– Exartikulation 827 –– Syringomyelie 706 Smith-Fraktur 301
–– Funktionsstellung 61 Sensitivität (Test)  118 Sofortprothese 814
–– Invaliditätswert 782 Sepsis Somatisierung 723
–– MRT 110 –– Antibiotikatherapie 850 –– DD neurotisches Rentenbe-
–– OP bei Rheuma  625 –– Energiebedarf 192 gehren 741
–– Orthese 798 –– Oligurie 147 Somatisierungsstörung, undiffe-
–– Punktionstechnik 69 –– Vorgehen 132 renzierte 721
–– Schmerzen 247 Sequester 230 somatoforme Schmerzstö-
–– Untersuchung 248 Serom 226 rung  721, 729
Schulteramyotrophie, neural- Settner-Münch-Orthese 803 somatoformes Schmerzsyn-
gische 273 Sharp-Syndrom 645 drom 720
Schulterblatthochstand 258 Shining Corner  639 Somatoforme Störung,
Schulterblattkrachen 258 Sicca-Syndrom 633 ­Hinweise  726
Schultergelenk Sichelfußorthese 806 Sonografie 120
–– Luxation  260, 262 Sillence-Klassifikation 659 –– Achillessehnenruptur 204
–– Röntgen 90 Simulant 159 –– Artefakte 120
–– Sonografie 122 Simulation  151, 741 –– Ellenbogengelenk 123
   Index  905

–– Handgelenk 123 Spondylolyse 391 –– Plasmozytom 568


–– Hüftgelenk 123 –– Schulsportbefreiung 211 –– Riesenzelltumor 560
–– Kniegelenk 123 –– Sportempfehlung 199 Staging 551
–– Knocheninfektion 220 Spondylophyten 337 –– Weichteiltumoren 576
–– Luxation 16 Spondyloptose 392 Staging-System 550
–– Säuglingshüfte  123, 436 Spondylose 337 Station
–– Schultergelenk 122 Spondylosis hyperostotica  352 –– Bettenplanung 160
–– Sprunggelenk  122, 123 Spondylosis hyperostotica Fore- –– Visite 157
–– Wachstumsalter 126 stier 638 Stationsmanagement 157
–– Weichteiltumor 554 Spongiosaplastik 32 Stationsvisite 157
soziales Entschädigungs- Spongiosaschraube  23, 25 Status epilepticus  694
recht 776 Spontanblutung 595 Stehbett 828
Sozialversicherung 776 Sport, Endoprothesen  214 Stehhilfe 828
Spaltheilung 32 Sportfähigkeit Steinmann-Nagel 22
Spannungskopfschmerz 682 –– Hüftendoprothese 215 Steinmann-Zeichen 477
Spastik 717 –– Knieprothese 215 Stener-Läsion 327
–– infantile Zerebralparese  Sportverletzungen 196 Stenose
669, 671 Spreizbandage 800 –– Foramina intervertebra-
–– Querschnittlähmung 704 Spreizfuß  538, 540 lia 362
–– Spinalkanalstenose 361 –– Einlage 807 –– Rezessus 363
Spätsynovektomie 623 –– Schuhzurichtung 809 –– Spinalkanal 361
Spezifität (Test)  118 Spreizhose  437, 801 Steppergang  531, 710
Spiculae 552 Spreizschiene 800 Sternoklavikulargelenk
Spina bifida  673 Sprengel-Deformität 258 –– Arthritis  255, 641
–– cystica 673 Sprinters Fracture  200 –– Luxation 254
–– occulta 673 Sprunggelenk Stichwunde 3
spinaler Schock  696 –– Außenbandruptur 511 Stickstoffbedarf 192
Spinalkanal –– Bandinstabilität 512 Stieda-Pellegrini-Schatten 
–– enger  361, 657 –– Endoprothese 514 100
–– HWS 87 –– Ergotherapie 761 Still-Syndrom 635
–– LWS 88 –– Fraktur 34 –– Erwachsene 634
Spinalkanalstenose –– Funktionsstellung 61 Stinkfuß 532
–– lumbal 363 –– Invaliditätswert 782 Stoffwechselstörung, primäre 
–– MRT 110 –– MRT 116 663
–– zervikal 361 –– OP bei Rheuma  627 Stomatitis aphthosa  633
–– zervikale 362 –– Punktionstechnik 71 Störfeldanästhesie 78
Spin-out-Test 467 –– Röntgen 102 Störung
Spirometrie 167 –– Sonografie 123 –– artifizielle 722
Spitzfuß  526, 530 –– Sportverletzung 201 –– körperdysmorphe 722
–– Prophylaxe 803 Sprunggelenkfraktur –– psychogene 726
–– spastischer 672 –– Erwachsene 507 –– psychosomatische 726
Spondylarthrose 337 –– Kind 510 –– somatoforme 726
Spondylitis –– Lauge-Hansen-Klassifikation  Strahlensynovitis 622
–– infektiöse 241 507 Strahlentherapie 621
–– Schulsportbefreiung 211 –– Weber-Klassifikation 507 Strecksehnenabriss
–– tuberculosa 241 Spül-Saug-Drainage 223 –– Funktionsstellung 65
Spondylitis ankylosans  211, 637 Spurling-Test 248 –– Hand 333
–– Ergotherapie 761 Stabilitätsgrade, Physiothera- Strecksehnenapparat,
–– Organmanifestationen 607 pie 747 ­Finger  334
Spondyloarthritis 602 Stabilitätstest Stressfraktur 17
–– axiale 638 –– Knie  465, 472 Stressreaktionen, knö-
–– Definition 637 –– KT 1000  473 cherne 210
–– Organmanifestation 607 Stack-Schiene 334 Strümpell-Reflex 678
Spondylodese Stadieneinteilung STT-Arthrodese 322
–– Postnukleotomiesyn- –– Gelenksteife, Knie  490 Stufenbett 358
drom 395 –– Hüftkopfnekrose 446 Stumpf
–– Skoliose 386 –– knöcherne Stressreaktion  –– Bettung 820
–– Spondylolyse 393 210 –– Follikulitis 812
Spondylodiszitis, –– Lunatumnekrose 321 –– Formung 811
­infektiöse  241 –– Morbus Dupuytren  312 –– Furunkel 812
Spondylolisthesis  338, 391 –– Morbus Perthes  450 –– gestörte Wundheilung  813
–– Blutkonserven 176 –– Ossifikationen 432 –– Kontaktdermatitis 812
–– Ergotherapie 761 –– osteochondrale Läsi- –– Ödem 812
–– Röntgenkriterien 392 onen 517 –– Pflege 811
–– Schulsportbefreiung 211 –– Osteochondrosis disse- –– Probleme 812
–– Sportempfehlung 199 cans  481, 518 –– Revision 813
906  Index 

Sturzprophylaxe 753 –– osteochondrale Läsion  517 Thromboseprophylaxe 191


Sturzsenkung  568, 646 –– secundarius 522 Thromboseprophylaxestrümpfe 
Stützstrümpfe 808 –– verticalis 528 808
Subarachnoidalblutung 682 Talus-Repositions-Ringorthese  Thromboserisiko 853
Subkutannaht 82 805 Thrombozyten
Subluxation 15 Tannenbaumeffekt 587 –– Konzentrat 179
–– Radiusköpfchen 295 Tapeverband 66 –– präoperativ 166
Subokzipitalschmerz, DD  338 –– Handgelenk 67 Thrombozytentransfusion 182
Subskapularistendopathie 260 Tapeverb 66 Tibia
Sudeck-Dystrophie  49, 736 Tapirschnauze 713 –– Aplasie, totale  663
Sulcus-ulnaris-Syndrom 308 Tarsaltunnelsyndrom  515, 711 –– Fraktur AO-Klassifikation 
Sulfasalazin 615 Tbc-Diagnostik 221 880
Sulfonamide Team Time Out  184 –– Fraktur 34
–– Schwangerschaft 861 Teilhand 825 –– Fraktur distal  503
Sulmycin-Implant® 224 Teleradiografie 421 –– Hypoplasie 664
Sun-burst-Phänomen 567 Tenderpoints 735 –– Schaftfraktur 499
Superfizialissehne 332 Tendinitis calcarea  272 –– vara 502
Supinatorlogensyndrom 307 Tendinose 647 Tibiakopffraktur 498
Supinatortunnelsyndrom, alge- Tendinosis calcarea  209 –– Nachbehandlung 34
tisches 307 Tendomyopathie, generalisierte  Tibiakopfumstellungsosteoto-
Supraspinatussehnensyn- 734 mie, interligamentäre valgisie-
drom 270 Tendopathie  207, 647 rende 493
Syme-Amputation 817 Tendovaginitis 647 Tibialis-anterior-Syndrom 502
Symphalangie 660 –– crepitans 329 Tibialis-posterior-Reflex 680
Syndaktylie  328, 660, 662 –– de Quervain  329 Tibia vara  502
Syndesmophyten 639 –– MRT 114 tiefe Beinvenenthrombose  140
Syndesmosenruptur 511 Tendovaginopathie 647 Tilidin  130, 841
Syndrom, kostoklaviku- Tennisellenbogen  208, 291 –– postoperative Schmer-
läres 400 Tenosynovektomie 623 zen 847
Synostose Tenosynovitis 647 Tillaux-Fraktur 510
–– Fuß 533 Tenotomie, M. sternocleidoma- Tine-Test 221
–– radioulnäre 299 stoideus 376 Tintenlöscherfuß 528
Synovektomie 623 Tensilon-Test 708 TNFα-Inhibitoren 617
–– Ellenbogen 625 TEP, infizierte  239 TNM-System 549
–– Fingergelenke 626 Terry-Thomas-Zeichen 324 Tocilizumab 619
–– Handgelenk 625 Tetanus 227 Toddler‘s Fracture  500
–– Hüftgelenk 626 Tetanusprophylaxe 9 Tollwut 228
–– Knie 627 Tethered-Cord-Syndrom 673 Tollwutimpfung 229
–– Schulter 625 Tetraspastik 361 Tolperison 845
–– Sprunggelenk 627 Tetrazepam 845 Torsionsfraktur 17
Synovia, Tumor  580 Tetrazyklindoppelmarkie- Torticollis
Synoviaanalyse  602, 610 rung 588 –– nasopharyngealis 376
Synovialisbiopsie 610 TFCC, MRT  113 –– ocularis 375
Synovialzellsarkom 580 thanatophore Dysplasie  656 –– spasmodicus  375, 739
Synoviorthese Therapie, psychosomatische Stö- Tortikollis 375
–– chemische 620 rungen 728 TOS 398
–– Radio- 621 Therapieplan 151 Totalendoprothese, Hüftge-
Synovitis Thermotherapie 754 lenk 428
–– Differenzialdiagnostik 603 Thomas-Handgriff 426 Totenlade 230
–– villonoduläre 497 Thompson-Test 204 Tourniquet-Syndrom 184
Syphilis 236 Thoracic-Outlet-Syndrom 398 Tramadol  130, 841
Syringobulbie 707 Thorax 398 –– postoperative Schmerzen  847
Syringomyelie  705, 706 –– Glocken- 594 Tranquillizer 621
systemische Sklerose  608 –– Kompressionsschmerz 342 Transfusion 180
Szintigrafie –– Trauma 402 –– Vermeiden 177
–– Knocheninfektion 220 Thoraxdeformität 401 Transfusionsreaktionen 182
–– Knochenmark 220 Thoraxschmerzen 139 Transmissionsphänomen 672
–– Knochentumor 554 Thrombininhibitoren 859 Transversalsyndrom 696
Thromboembolieprophylaxe  Trapeziumresektion 323
T 854 Trauma, Thorax  402
Tabatière-Druckschmerz 324 Thrombopenie, heparinindu- Tremor, Parkinson-Sny-
Tagegeldversicherung 782 zierte 856 drom 693
Taillendreieck 382 Thrombose Trendelenburg-Zeichen 342,
Talus –– Prädisposition 169 713
–– Fraktur 515 –– Prophylaxe  169, 170, 853 –– Coxa vara  457
–– Nekrose 516 –– Therapie 853 –– Hüftdysplasie 436
   Index  907

Trepanation 315 Ulkus –– Neurologie 678


Treppenphänomen, Wirbelkör- –– ischämisch-gangränöses 524 –– neurologische 153
per 87 –– neuropathisches 524 –– neurologische Neugebore-
Triamcinolon 865 Ullrich-Turner-Syndrom 662 nes 650
Trichterbrust 401 Ulna, Fraktur AO-Klassifikati- –– Oberschenkel 419
Trichterbrustindex nach Ba- on 874 –– orthopädische 152
cker 402 Ultraschall 757 –– orthopädische Neugebore-
Trigeminusneuralgie 682 Umkipp-Plastik 204 nes 650
Triggerpunkte Umstellungsosteotomie –– prätransfusionelle 180
–– M.-piriformis-Syndrom 458 –– Hämochromatose 597 –– rheumatologische 605
–– Neuraltherapie 78 –– intertrochantäre 448 –– Sonografie 121
Trimipramin 843 –– Rö-Bilder 99 –– Spreizfuß 539
Triplane-Fraktur 510 –– valgisierende 481 –– Unfall 2
Triple-Arthrodese  532, 534 U-Naht  10, 83 –– Vorschul- und Schulal-
Triple-Osteotomie 440 Unfall ter 651
Trisomie 21  662 –– Anamnese  2, 19 –– Wirbelsäule 346
Trizepssehnenreflex 680 –– Definition  768, 781 Untersuchungsbögen 163
trizyklische Antidepressiva, –– Sport 196 Unterzugbinde 67
Schmerztherapie 844 unfallchirurgische Versor- Urikosurika 599
Trochanterhochstand 457 gung 2 Ustekinumab 618
Trömner-Reflex 680 Unfallrente 781 Uveitis 633
TR-Ringorthese 805 Unfallversicherung 768
Trümmerfraktur 17 –– gesetzliche 779 V
Tuberkulin-Screening 221 –– private 781 Vakuumtherapie 222
Tuberkulose 221 Unhappy Triad  472 Valgus
Tuberositas tibiae, Ausriss  Unkoforaminotomie 351 –– Knie 495
470 Unkovertebralarthrose 351 –– Korrekturorthese 803
Tumor Unruhe, postoperative  848 Valgusgonarthrose 495
–– Bindegewebe 578 Unterarm –– Schuhzurichtung 810
–– Blutgefäße 580 –– Amputation 826 Valleix-Druckpunkte 343
–– Fettgewebe 579 –– Fraktur 34 Varus
–– fibrohistiozytärer 579 –– Fraktur Kind  300 –– Fuß 526
–– Grading 549 –– Fraktur Schaft  300 –– Knie 495
–– Knorpel 581 –– Funktionsstellung 61 –– Korrekturorthese 803
–– Lymphgefäße 580 –– Gips  64, 65 Varusgonarthrose 495
–– Muskelgewebe 579 –– Röntgen 93 –– Schuhzurichtung 810
–– peripherer Nerv  580 Unterkühlung 5 Vaskulitis 645
–– sympathische Ganglien  Unterschenkel 463 Velpeau-Verband 65
581 –– Amputation 818 Venenthrombose 854
–– Synovia 580 –– Fraktur 34 Venografie 106
–– Wirbelkörper 572 –– Fraktur Kind  500 Verbände 60
–– Wirbelsäule 571 –– Interimprothese 815 –– Tape 66
Tumormarker  554, 555 –– Kompartimente 501 Verbrauchskoagulopathie 179
Tunnelaufnahme nach –– Kompartmentsyndrom 501 Verbrennung 5
Frick 101 –– Liege- bzw. Gehgips  63 –– 9er-Regel nach Wallace  6
Turmschädel 660 –– Orthese 803 –– Schweregrade 7
Turner-Syndrom 662 –– Pseudarthrose  503, 662 Verbrühung 5
Tutor 63 –– Röntgen 101 –– Schweregrade 7
Twoplane-Fraktur 510 –– Schaftfraktur 499 Verletztenrente 781
–– Schmerzen DD  463 Verletzung
U Unterschenkelfraktur, –– Azetabulum 414
Übelkeit 138 ­offene  500 –– Becken 410
–– Hypotonie 132 Unterschenkelorthese, nach –– diskoligamentäre 371
–– Opioide 839 ­Baise/Pohlig  805 –– Fußwurzel 520
–– postoperativ 190 Untersuchung –– Myokard 405
–– Schwindel DD  684 –– anästhesiologische 171 Verletzungsartenverfahren 771
Übergangsfraktur 40 –– Beckenstand 420 Verletzungsartenverzeich-
Übergangsgeld 781 –– funktionelle 153 nis 772
Übergangswirbel 88 –– Fuß 505 Verriegelungsnagel 29
Überlastungsfolgen 207 –– Gutachten 778 –– dynamischer 500
Überlastungsschäden 207 –– Hand 309 –– statischer  460, 500
Überlaufinkontinenz 685 –– Hüftdysplasie 435 Versicherung
Überstreckbarkeit –– Hüfte 419 –– Haftpflicht- 777
–– Knie 495 –– Knie 464 –– Invaliditäts- 782
–– Marfan-Syndrom 661 –– Methode 151 –– Kranken- 776
Übertragung 722 –– Neugeborene 650 –– Privat-  776, 777
908  Index 

–– Sozial- 776 Wellenplatte 27 Wundinfektion


–– Tagegeld- 782 Werferellenbogen 291 –– Saug-Spül-Drainage 223
–– Unfall-  776, 779, 781 Wernicke-Enzephalopa- –– Therapiealgorithmus 222
Versorgungsanspruch 740 thie 681 –– Vakuumtherapie 222
Vertebra plana  563, 568, 574 Whiplash-Injury 371 Wundstarrkrampf 227
Vertigo 339 White-Clot-Syndrom 856 Wundverband 60
Verwirrtheit 681 WHO-Stufen-Schema, Schmerz- Wurstfinger 641
–– DD 681 therapie 834 Wurzelinfiltration, lumbale  359
Verwirrtheitszustände 137 Winkelmessung, Skoliose  384 Wurzelreizsyndrom
Vestibularisausfall, akuter  684 Winterstein-Fraktur 310 –– lumbal 347
Viererzeichen 352 Wirbeläsule, Inspektion  342 –– sakral 347
Vierfingerfurche 662 Wirbelgleiten 338 –– zervikale 347
Vierfußgehstütze 828 Wirbelkörper, Tumor  572
Virchow-Trias 140 Wirbelkörperringapophyse 384 X
virusbedingte Arthritis  644 Wirbelsäule 336 X0-Syndrom 662
Visite, Stations-  157 –– Beschwerden funktio- X-Bein 494
Vitamin-D-Stoffwechselstö- nelle 366 Xerophthalmie 633
rung 591 –– degenerative Erkran- Xerostomie 633
Vogt-Bähler-Korsett 798 kungen 367
Volkmann-Fragment 508 –– Diagnostik 341 Y
Volkmann-Kontraktur 19 –– Dreisäulenprinzip 367 Yersinien-Arthritis 643
Volumentherapie, Verbren- –– Funktionsprüfung 342 Yttrium 621
nung 6 –– Ganzaufnahme 90
Von-Willebrand-Jürgens-­ –– Metastasen 574
Syndrom 595 –– MRT 109 Z
Vorbeugetest 382 –– Schmerzanamnese 341 Zaidemberg-Span 326
Vorfuß –– Schmerz 345 Zeckenstich 644
–– OP bei Rheuma  628 –– Spondylitis ankylosans  Zehen
–– Röntgen 103 639 –– Amputation 815
Vorfußkompression 538 –– Sportverletzung 198 –– Fraktur 544
V-Phlegmone 317 –– Stabilität 367 –– Luxation 544
–– Trauma, MRT  109 –– Punktionstechnik 71
–– Traumatologie 367 Zellulitis 647
W Zephalopolysyndaktylie 660
Wachstumsalter –– Tumor 571
–– Verletzungen 367 zerebrokostomandibulares Syn-
–– Bildgebung 126 drom 660
–– Röntgen 126 Wirbelsäulenverletzung
–– Diagnstik 369 Zervikalgie  338, 730
–– Sonografie 126 Zervikalorthese 793
Wachstumsdiagnostik 653 –– HWS 369
–– Klassifikationen 368 –– nach Gipsabdruck  795
Wachstumspotenz 384 Zervikalstütze, anato-
Wachstumsprognose 653 –– Maßnahmen 369
Witwenbuckel 587 mische 794
Wachstumsschmerz 496 Zervikalsyndrom 338
Wachstumsstörungen 38 W-Plastik 84
Wulstbruch 40 –– Ergotherapie 761
Wallenberg-Syndrom 684 zervikobrachiales Syndrom  338
Wärmetherapie 755 Wundbehandlung, Komplikation 
15 zerviko-okulo-akustikus-Syn-
Wasserbedarf 193 drom 660
Watschelgang 435 Wunddehiszenz 15
Wunde zervikozephales Syndrom  338
Weber-Einteilung 507 Zielgröße 653
Wegeunfall 779 –– chemische 7
–– infizierte  8, 60 Zinkleimverband 66
Weichteile ZNS, Erkrankungen  690
–– HWS (Rö)  87 –– konservative Behandlung  8
–– mechanisch bedingt  3 Zohlen-Zeichen 468
–– LWS (Rö)  89 Z-Plastik 84
Weichteilrheumatismus 602, –– nässende, offene  60
–– operative Therapie  10 Zuggurtungsosteosynthese 29
646 –– Frakturen, kindliche  43
–– generalisierter 734 –– primär geschlossene  60
–– Tetanusimpfung 9 Zugschraube 24
Weichteilsarkom, kind- Zugschraubenosteosynthese
liches 578 –– Therapie  10, 15
–– thermische 5 –– Beckenverletzungen 413
Weichteiltumor  548, 576 –– OSG-Arthrodese 514
–– Therapierichtlinien 576 Wundheilung 3
–– gestörte 813 Zuzahlungspflicht 830
Welander-Muskeldystro- Zwerchfellruptur 407
phie 713 Wundheilungsphasen 746
Zwergwuchs 656
Abbildungsnachweis
Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im
Werk am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern.
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G468 Tscherne H, Pohlemann T. Unfallchirurgie Becken und Acetabulum, Vol.
3. Heidelberg: Springer; 1998
L106 Henriette Rintelen, Velbert
L157 Susanne Adler, Lübeck
L190 Gerda Raichle, Ulm
L255 Irina Kart, Berlin
M247 Dr. med. Stefan Nöldeke, Garmisch-Partenkirchen
M248 Prof. Dr. med. Steffen Breusch, Edinburgh (GB)
T539 Dr. med. Jost K. Kloth, Heidelberg
P147 PD Dr. med. Ole Ackermann, Essen
P149 PD Dr. med. Dorien Schneidmüller, Garmisch-Partenkirchen
W868-001 KBV Anhang 1 zur Anlage 2 der Rahmenvorgaben nach §106b Abs. 2
SGB V für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen
vom 30.11.2015
W891-001 American Spinal Injury Association: International Standards for
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G336 Sobin LH, Gospodarowicz MK, Wittekind C. TNM Classification of
Malignant Tumors. 7. Aufl. 2009. Copyright Wiley-VCH Verlag. KGaA.
Reproduced with permission.
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­Geburtshilfe
Intensivmedizin  9. 2016 978-3-437-23763-8 44,99 46,30 61,–
Kardiologie  5. 2014 978-3-437-22161-3 49,99 51,40 67,–
Labordiagnostik  5. 2015 978-3-437-22234-4 44,99 46,30 61,-
Leitsymptome  1. 2009 978-3-437-24890-0 29,99 30,90 41,–
­Differenzialdiagnosen
Med. Rehabilitation  1. 2011 978-3-437-22406-5 44,95 46,30 61,–
Nachtdienst  5. 2015 978-3-437-22272-6 44,99 46,30 61,-
Neurologie  5. 2015 978-3-437-23141-4 49,99 51,40 67,-
Notarzt  7. 2014 978-3-437-22464-5 44,99 46,30 61,-
Orthopädie Unfallchir-  8. 2017 978-3-437-22474-4 49,99 51,40 67,–
urgie
Pädiatrie  9. 2014 978-3-437-22151-4 48,99 50,40 66,-
Palliative Care  5. 2015 978-3-437-23313-5 49,99 51,40 67,-
Psychiatrie Psycho­  5. 2013 978-3-437-23148-3 42,99 44,20 58,-
therapie
Schmerztherapie  1. 2005 978-3-437-23170-4 39,99 41,20 54,-
Sonographie  2. 2011 978-3-437-22403-4 39,95 41,10 54,–
Common Trunk
Sonographie  1. 2012 978-3-437-24920-4 39,95 41,10 54,–
­Gastroenterologie
Urologie  3. 2003 978-3-437-22790-5 34,99  36,– 47,–
*  Stand August 2016, Preisänderungen vorbehalten
Nützliche Internetadressen
Orthopädie
• Wheeless‘ Textbook of Orthopeadics (Englisch)
www.medmedia.com/med.htm
Beste Internetadresse für den Orthopäden: umfangreiches (schnelles)
­elektronisches Lehrbuch mit Anatomie, Klinik, Therapie, OP-Anleitungen
(Uni Melbourne)
• Blackburn Orthopaedic Foot and Ankle Service (Englisch)
www.blackburnfeet.org.uk/index.htm
Untersuchungstechniken des Fußes, Krankheitsbilder und weitere Links
• Tumorzentrum München (Deutsch)
http://tzm.web.med.uni-muenchen.de
„Knochentumoren und Weichteilsarkome“: sehr gute, übersichtliche
­Gliederung, alle Aspekte dargestellt
Anatomie
Workshop Anatomie fürs Intenet (Deutsch)
www.uni-mainz.de/FB/Medizin/Anatomie/workshop/vishuman/Eready.html
Atlas transversaler Schnitte durch den menschlichen Körper: anatomische
­Schnitte mit MRT- und CT-Daten („The visible human project“), z. T. beschriftet
(Uni Mainz)
Rheumatologie
• Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (Deutsch)
www.rheumanet.org/qs_dgrh/default.htm
Leitlinien der Gesellschaft mit allen Grundlagen der Rheumatologie
(­Diagnostik, diagnostische Kriterien, medikamentöse Therapie etc.)
• Rheumalexikon (Deutsch)
www.rheuma-online.de/a-z
Umfangreiches Nachschlagewerk zu Begriffen aus der Rheumatologie
Radiologie
Online Teaching Materials in Radiology and Nuclear Medicine from UW
(­Englisch)
www.rad.washington.edu/teachingfiles.html
Online Musculoskeletal Radiology Book. Einführung in die Knochenradiologie:
humorvoll geschrieben: gutes Kapitel zu Knochentumoren und Skelettdysplasien
(University of Washington Department of Radiology)
Arzneimittel
Online Rote Liste (Deutsch)
www.rote-liste.de
Kostenloser Zugang für Ärzte nach Registrierung (Approbationsurkunde faxen)
über DocCheck
Notfälle und Ambulanzdienst
Online Textbook of Emergency Medicine (Englisch)
www.emedicine.com/emerg/index.shtml
Umfassendes Textbuch für den Ambulanzarzt; sehr gute Kapitel zu den
­einzelnen Krankheitsbildern; mit Suchfunktion, Tabellen, Scores usw.;
für Zugang zu spez. Kapiteln Einmal-Registrierung nötig
Varia
• Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. v.
(Deutsch)
www.dgooc.de
Homepage der DGOOC. Veranstaltungskalender, Weiterbildungsordnung,
Leitlinien
• Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie
www.dgu-online.de
• Berufsverband der Fachärzte für Orthopädie e. V. (Deutsch)
www.bvonet.de
Wichtige Informationen zu Diagnostik und Therapie, aber auch zur
­Weiterbildung; für Mitglieder.
• Wissensbasierte Leitlinien für Diagnostik und Therapie (Deutsch)
www.awmf.de
Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften mit Links zu Leitlinien-Seiten anderer Organisationen.
Darunter die Leitlinie der DGOT
• PubMed (Englisch)
www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez
Literaturdatenbank des National center for biotechnology information. Gut
für Literatursuche. Gute Datenbank für angeborene Erkrankungen (OMIN)
• Deutsches Ärzteblatt
http://aerzteblatt.de
Elektronische Version des Deutschen Ärzteblatts mit Suchfunktion in den
Ausgaben der letzten 5 Jahre
• Karolinska Institut Stockholm Musculoskeletal Diseases (Englisch)
www.mic.ki.se/Diseases/c5.html
Umfangreiche Linksammlung orthopädischer Internetseiten
• Scottish Intercollegiate Guidelines Network www.sign.ac.uk
• National Institute of Clinical Excellence
www.nice.org.uk/guidance/index.jsp?action=folder&o=43394
• American Academy of Orthopaedic Surgeons
www.aaos.org/news/aaosnow/jan08/clinical2.asp
ELSEVIER
Hackerbrücke 6, 80335 München

ISBN Print 978-3-437-22474-4


eISBN 978-3-437-17031-7

Alle Rechte vorbehalten


8. Auflage 2017
© Elsevier GmbH, Deutschland

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Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Er-
fahrungen. Herausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die
in diesem Werk gemachten therapeutischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosie-
rung und unerwünschter Wirkungen) dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet
den Nutzer dieses Werkes aber nicht von der Verpflichtung, anhand weiterer schriftlicher Informati-
onsquellen zu überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Werk abweichen
und seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treffen.
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliogra-
fie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de/ abrufbar.

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strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch
maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint.

Begründer der Reihe: Dr. Arne Schäffler, Ulrich Renz


Planung: Petra Schwarz, München
Projektmanagement: Martha Kürzl-Harrison, München
Redaktion: Dr. med. Stefanie Gräfin v. Pfeil, Kirchheim/Teck
Korrektorat: Roman Gego, Herne
Herstellung: Ute Landwehr-Heldt, Bremen
Satz: abavo GmbH, Buchloe/Deutschland; TnQ, Chennai/Indien
Druck und Bindung: CPI books, Ulm
Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm

Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de und www.elsevier.com

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